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German Pages [273] Year 2017
Holger Lindemann
Unternehmen Schule: Organisation und Organisationsentwicklung
Arbeitsmaterial zum Download
V
Holger Lindemann
Unternehmen Schule: Organisation und Organisationsentwicklung Theorien, Modelle und Arbeitshilfen für die aktive Gestaltung von Schule und Unterricht
Vandenhoeck & Ruprecht
Mit 33 Abbildungen und 22 Tabellen Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie, detaillierte bibliografische Angaben sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. ISBN 978-3-666-70223-5 Weitere Ausgaben und Online-Angebote sind erhältlich unter: www.v-r.de Umschlagabbildung: © COLOURBOX 6641088 Abbildungen, wenn nicht anders gekennzeichnet: Holger Lindemann © 2017, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Theaterstraße 13, D-37073 Göttingen / Vandenhoeck & Ruprecht LLC, Bristol, CT, U.S.A. www.v-r.de Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Gestaltung, Satz und Litho: SchwabScantechnik, Göttingen
■■ Inhalt
Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 1 Einleitung: Schulentwicklung als Entwicklung von Einzelschulen . . . . . . 15 2 Organisationsmodelle und Organisationstheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21 2.1 Grundlegende Vorstellungen von Organisation und Unternehmen . . . . . 2.1.1 Aufbau- und Ablauforganisation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.2 Organisation als Maschine (bürokratische und mechanistische Organisation) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.3 Organisation als Organismus und Sozialsystem (organische und sozialorientierte Organisation) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.4 Organisation als vernetztes System . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2 Formen der Organisationsstruktur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.1 Lineare Strukturformen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.2 Vernetzte Strukturformen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.3 Projektorientierte Strukturformen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.4 ›Tatsächliche‹ Strukturformen und ihre Ablauforganisation . . . . . 2.3 Organisation als Kultur und als politisches System . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.1 Organisationskultur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.2 Organisation als politisches System . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4 Organisationsformen von Schule . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4.1 Was für eine Organisation ist Schule? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4.2 Schule als demokratische Organisation? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
21 22 23 26 28 30 30 33 35 38 41 41 44 45 46 51
3 Produkte, Produktplatzierung und Marktorientierung . . . . . . . . . . . . . . . . . 55 3.1 Die ›Produkte‹ von Schule . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1.1 Dienstleistungen, Produkte und Produktqualität . . . . . . . . . . . . . . . 3.1.2 Die ›Produktpalette‹ von Schule . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1.3 Wissen, Fähigkeiten und Kompetenzen als ›Produkte‹ von Schule 3.1.4 Der Zusammenhang zwischen ›Produkt‹ und Organisationsform 3.2 Anspruchsgruppen, Märkte und Vermarktung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.1 Markt, Kunden und Anspruchsgruppen (Stakeholder) . . . . . . . . . . 3.2.2 Anspruchsgruppenanalyse (Stakeholderanalyse) . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.3 Absatzchancen und Vermarktungsstrategien . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.4 Produkt, Markt und Schulform . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.5 Produktentwicklung und -forschung: Selbstentwicklung und Selbstmarketing von Schülern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.6 Schulmarketing und Werbung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
55 55 57 65 68 69 69 72 75 77 79 82
6Inhalt 4 Schuleffektivität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87 4.1 4.2 4.3 4.4 4.5 4.6 4.7
Was ist Schuleffektivität? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Reviews zur Schuleffektivität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Strukturmodelle der Schuleffektivität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Metaanalysen zur Schuleffektivität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Bedeutung der Schulorganisation für die Effektivität . . . . . . . . . . . . . Schulklima und Schulkultur: Rahmenbedingungen effektiver Schule . . . Zusammenfassung: Schuleffektivität als schwer messbare Größe . . . . . . .
87 88 92 94 97 100 103
5 Schulische Qualitätsmodelle und -managementsysteme . . . . . . . . . . . . . . . 107 5.1 5.2 5.3 5.4 5.5
Was ist Qualität? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Qualität als ein zentrales Ziel von Veränderungsprozessen . . . . . . . . . . . . Allgemeine Modelle schulischer Qualität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Qualitätsmodelle der Bundesländer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zusammenfassung und Gemeinsamkeiten der Qualitätsmodelle . . . . . . .
107 109 111 124 128
6 Organisationsentwicklung und Change Management . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133 6.1 Anlässe für Organisationsentwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.1.1 Best Practice . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.1.2 Next Practice . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.1.3 Qualitätszirkel, Qualitätsbeauftragte und Bildungsregionen . . . . . 6.1.4 Feedback- und Beschwerdemanagement . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.1.5 Risikomanagement . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.2 Strategische Ausrichtung von Organisationsentwicklung und Change Management . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.2.1 Vision, Leitbild, Programm und Aktionspläne . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.2.2 Bezugspunkte der Organisationsentwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.3 Initiierung und Steuerung von Organisationsentwicklungsprozessen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.3.1 Initiierung und Beginn von Veränderungsprozessen . . . . . . . . . . . 6.3.2 Durchführung der Eingangsanalyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.3.3 Prozesssteuerung durch Steuergruppen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.4 Verlaufsmodelle von Organisationsentwicklung und Change Management . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.4.1 Handlungsforschung als allgemeines Ablaufmodell . . . . . . . . . . . . 6.4.2 Schrittweise Ablaufmodelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.4.3 Veränderung als Übergang zwischen zwei stabilen Zuständen . . . 6.4.4 Synergetisches Prozessmanagement . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.4.5 Architektur und Design von Veränderungsprozessen . . . . . . . . . . . 6.4.6 Die lernende Organisation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.5 Dynamik, Risiken und Erfolgskriterien der Organisationsentwicklung 6.5.1 Rollen in Veränderungsprozessen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.5.2 Entwicklungsphasen und Krisen der Organisationsentwicklung . 6.5.3 Erfolgs- und Misserfolgskriterien von Organisationsentwicklung
134 135 138 139 141 143 146 146 153 159 159 163 171 174 174 175 179 183 200 202 204 204 207 211
Inhalt
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7 Gelingensbedingungen von Schulentwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 217 7.1 Ergebnisse der Schuleffektivitätsforschung zu Faktoren der Schulorganisation und Schulführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.1.1 Scheerens und Bosker: Meta-Analyse zu Effekten schulbezogener Faktoren auf Schülerleistungen . . . . . . . . . . . . . . . . 7.1.2 Creemers und Kyriakides: Meta-Analyse zu Effekten der Schulorganisation auf Schülerleistungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.1.3 Leithwood und Kollegen: LOLSO Studie zu Effekten der Schulleitung auf Schülerleistungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.1.4 Leithwood und Kollegen: Charakteristika guter Schulleitung . . . . 7.1.5 Hattie: Meta-Analyse zu Effekten von Schulführung auf die Schülerleistung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.1.6 Brown: Meta-Analyse zur Schulführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.1.7 Robinson und Kollegen: Meta-Analyse zu Führungsstilen der Schulleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.1.8 Waters, Marzano & McNulty: Meta-Analyse zur Wirkung von Schulleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.1.9 Bryk und Kollegen: Studie zu Gelingensbedingungen von Schulorganisationsentwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.1.10 Bonsen und Kollegen: Studie zu Schulqualität und Merkmalen guter Schulleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.1.11 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.2 Ergebnisse von Schulentwicklungsforschung und Implementationsstudien zu Gelingensbedingungen von Schulentwicklung . . . . . . . . . . . . . 7.2.1 Berman & McLaughlin: Studien zum Erfolg von Schulentwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.2.2 Haenisch: Studie zu Erfolgsbedingungen der Schulentwicklung an Grundschulen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.2.3 Holtappels: Studie zu Erfolgskriterien bei Einführung der Halbtagsgrundschule . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.2.4 Holtappels: Lehrerbefragung zu Erfolgskriterien bei Einführung der Halbtagsgrundschule . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.2.5 Burkhard & Kanders: Lehrerbefragung zur Einführung von Schulprogrammen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.2.6 Haenisch: Gelingensbedingungen der Schulpogrammentwicklung 7.2.7 Holtappels und Müller: Gelingensbedingungen von Schulprogrammarbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.2.8 Maag Merki: Erfolgskriterien der Kooperaiton zwischen Lehrern 7.2.9 Röhrich: Erfolgskriterien der Entwicklung zur Selbständigen Schule . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.2.10 Hargreaves & Fink: Untersuchung zur Nachhaltigkeit von Schulentwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.2.11 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
218 218 219 220 221 222 222 223 224 226 228 228 230 230 231 232 233 234 234 235 236 237 238 240
8Inhalt 7.3 Zusammenfassungen von Gelingensbedingungen der Schulorganisationsentwicklung in der Fachliteratur . . . . . . . . . . . . . . 7.3.1 Holtappels: Schlüsselmerkmale für das Gelingen von Schulentwicklungsprozessen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.3.2 Holtappels & Rollet: innovationsförderliche Organisationsmerkmale . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.3.3 Fend: Erfolgsfaktoren von Schulentwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.3.4 Miles: Gelingensbedingungen der Schulentwicklung . . . . . . . . . . . 7.3.5 Bastian & Rolff: Gelingensbedingungen der Unterrichtsentwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.3.6 Bonsen, Bos & Rolff: ›Treiber‹ von Schulentwicklungsprozessen . 7.3.7 Bonsen, Bos & Rolff: Herstellen von Entwicklungsfähigkeit . . . . . 7.4 Ein Gesamtmodell der Gelingensbedingungen von Schulorganisationsentwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.5 Was denken Lehrkräfte über Schulorganisation und Schulentwicklung an ihrer Schule? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
240 240 241 242 242 243 243 244 244 252
8 Fazit: Schule als kontinuierliche Organisationsentwicklung . . . . . . . . . . . . 257 9 Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 259 10 Sachregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 269 Der Autor . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 271 Code für Download-Material . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 272
■■ Vorwort
Mit dem Buch ›Unternehmen Schule‹ habe ich vor sechs Jahren den Versuch unternommen, Modelle der Führung und Organisation aus den Bereichen Wirtschaft und Bildungsmanagement miteinander zu verbinden, um Schulen Anregungen für ihre Reflexion und Entwicklung zu geben. Mit der aktualisierten und erweiterten Neuauflage schien es sinnvoll, die Themen auf zwei Bände aufzuteilen, um die beiden zentralen Themenbereiche Führung und Zusammenarbeit sowie Organisation und Organisationsentwicklung deutlicher voneinander zu unterscheiden und nicht zuletzt, um den Umfang der Texte in handlicherer Form zur Verfügung zu stellen. Im Rahmen der Entwicklung zu mehr Schulautonomie, etwa in Bestrebungen zur Entwicklung einer ›eigenständigen‹ oder ›eigenverantwortlichen‹ Schule, liegt es zunehmend in der Verantwortung, aber auch in der Gestaltungsfreiheit der einzelnen Schule, wie sie sich in allen Teilbereichen ihrer Organisation entwickelt. Hierzu benötigen vor allem Schulleitung und Lehrkräfte Wissen über den Aufbau und die Gestaltung von Organisationen sowie über die Führung von Menschen und Organisationen. Sie brauchen Anregungen und Handlungsmodelle für die aktive Gestaltung ihrer Schule. Die hierzu vorgestellten Modelle betreffen alle Facetten der Schulwirklichkeit von der Zusammenarbeit im Kollegium, über die Schul- und Klassenführung, die Zusammenarbeit mit Schülern und Eltern, die Gestaltung des Unterrichts bis zur Außendarstellung und der Kooperation mit dem Umfeld der Schule. Die vorliegenden Bücher zur Führung und Organisation von Schule gehen von vier Vorannahmen aus. 1. Schule braucht Führung. Das betrifft Lehrkräfte in ihrem Unterricht (Klassenführung) ebenso wie Schulleitungen (Schulführung) oder die Leitung von Fach- und Jahrgangsgruppen. Das liegt darin, dass diese Personen ohnehin führen, ob sie dies nun wollen oder nicht, ob sie es reflektiert tun oder intuitiv. Die Wichtigkeit der Lehrerpersönlichkeit für das Lernen und Wohlbefinden von Schülern steht – nicht nur durch die Belege in der Hattie-Studie – außer Frage. Die Belege für die Wirkungen guter Führung sind ebenfalls umfangreich. 2. Schule braucht Organisation. Das betrifft Lehrkräfte in ihrem Unterricht (Klassenorganisation) ebenso wie das gesamte Kollegium, einzelne Arbeitseinheiten und die Schulleitungen (Schulorganisation). Das liegt daran, dass alle in der Organisation aktiven Personen ohnehin organisieren, ob sie dies nun
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wollen oder nicht, ob sie es reflektiert tun oder intuitiv. Die Wichtigkeit der Organisation auf Klassenebene steht im Rahmen von Classroom-Management schon seit Langem im Fokus der Schulpädagogik. Die Wichtigkeit der Organisation auf Schulebene zeigt sich immer dort, wo eine Schule notwendigerweise als gesamte Organisation gemeinsame Vereinbarungen und Richtlinien braucht, die über das Unterrichten im Klassenzimmer hinausgehen. Dort, wo ein rein administrativer Rahmen nicht ausreicht, um Lehrern, Schülern und Eltern ein erfolgreiches Arbeiten und Lernen zu ermöglichen. Dort, wo eine gemeinsame Schulkultur, vergleichbare Lernbedingungen und Unterrichtskonzepte notwendig sind, um jedem Einzelnen gute Möglichkeiten zu bieten. 3. Reflektierte Führung und Organisation brauchen Grundwissen. Wer die eigene Führung und Organisation reflektieren und aktiv gestalten möchte, braucht Wissen über die zentralen Theorien und Modelle sowie Anleitung und Übung, um diese in praktisches Handeln umzusetzen. 4. Bei den Themen Führung und Organisation kann man von den Modellen der allgemeinen Führungs- und Organisationstheorie bzw. von der Wirtschaft, lernen. Führung und Organisation sind in der Wirtschaft schon länger Themen der Theorieentwicklung und Forschung als in der Schule. Zudem verlaufen die Entwicklungen in der Wirtschaft mit ihren globalisierten Interdependenzen und wechselhaften Märkten weitaus rasanter als die Entwicklung von Schule. Aus den Erfolgen und Misserfolgen von Modellen der Führung und Organisation in der Wirtschaft lassen sich daher viele Anregungen ziehen. Der Begriff ›Unternehmen Schule‹ soll Schule keinesfalls auf wirtschaftliche oder ökonomische Aspekte reduzieren. Schule soll begriffen werden als eine gemeinsame Unternehmung der beteiligten Personen. Als Gestaltung einer Organisation hinsichtlich gemeinsamer Werte und Ziele. Eine Übertragung wirtschaftlicher Effizienzgedanken auf Schule soll hier daher nachdrücklich abgelehnt werden. Dies gilt umso mehr, wenn man das Kapital und den Gewinn von Schule maßgeblich auf einer ideellen Ebene individueller Entwicklung einerseits und sozialer Entwicklung andererseits definiert. Es geht um pädagogische Effizienz und Effektivität: Mit den zur Verfügung stehenden Mitteln das Bestmögliche für den Einzelnen und die soziale Gemeinschaft zu erreichen. Nicht Organisation, Führung, Effektivität oder Effizienz sind verwerflich, sondern immer nur die Ziele, zu denen sie genutzt werden. Definiert man diese Ziele mit den Stichworten Bildung, individuelle Entwicklung, soziale Entwicklung, Chancengleichheit, Teilhabe, Demokratie – und dergleichen mehr – wird klar, dass es nicht um eine Fließbandorganisation gehen kann, nicht um Zeit- und Finanzökonomie oder um eine Neoliberalisierung von Schule, sondern um Zeit und Raum zum Lernen, Zeit und Raum für Gemeinschaft, Zeit und Raum für demokratische Entscheidungsprozesse, Zeit und Raum für Teilhabe, aber auch: Zeit und Raum für Muße und Kultur. Dies aktiv zu gestalten soll mit den vorliegenden Büchern unterstützt werden.
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Soziale Systeme – und eben auch Schulen – bilden immer eine Organisation aus, entwickeln immer Führungsstrukturen. Die Entscheidung, die eine Schule treffen muss, ist, wie reflektiert dies geschehen soll und welchen gezielten Einfluss sie darauf nehmen möchte. Überträgt man Ideen der Organisationstheorie und Organisationsführung auf Schulklassen und Schulen, erscheinen viele Fragen der Gestaltung von Schule und Unterricht aus einer anderen Perspektive, die es erlaubt, neu und anders über Schulorganisation nachzudenken: –– Was für eine Organisation ist Schule überhaupt? –– Wie und mit welchem Ziel soll sie geführt werden? –– Was ist das ›Produkt‹ von Schule? –– Was ist ihr ›Markt‹? –– Wer soll in ihrer Organisation welche Rolle einnehmen? –– Was kann man dazu beitragen, dass sich die Mitglieder der Organisation zugehörig fühlen? –– Wie verändert man Organisationen nachhaltig? Die Bezüge organisatorischen und unternehmerischen Denkens zur Schul- und Unterrichtsentwicklung sind zahlreich und lassen sich sowohl zu einzelnen Schulklassen, Klassenstufen, Fachgruppen und Kollegien als auch zu gesamten Schulen, Schulverbünden und der Kooperation mit dem kommunalen Umfeld herstellen. Die Chancen liegen in einem aktiven Umgang mit schulischen Strukturen; darin, gemeinsam ›etwas zu unternehmen‹. Im Grunde genommen ist dies eine Herangehensweise, die Schulen schon immer gezeigt haben, indem sie als Reformoder Projektschulen begonnen haben, sich und ihre Organisation selbst zu gestalten. Die verschiedensten Schulpreise und Auszeichnungen sind Zeichen dafür, dass es einzelnen Schulen gelingen kann, Veränderungen herbeizuführen, von denen die Schüler, Lehrer, Eltern und auch das sozialräumliche Umfeld profitieren. Aus einer solchen unternehmerischen Perspektive heraus kann es gelingen, Schule als ein Lernfeld zu gestalten, das dem Leben mehr gleicht als eine klassische Schulstruktur, die eher an eine Verwaltungsbehörde erinnern mag. Es ist nicht zuletzt eine organisatorische Entscheidung, wie eine Schule geführt werden soll: als Bürokratie oder als Lernraum für Demokratie, Kooperation, Delegation und Individualität. Im Rahmen einer Entwicklung zu mehr Eigenverantwortung und Selbstständigkeit von Einzelschulen erlangen Modelle der Organisation, des Managements und der Führung hierbei einen immer höheren Stellenwert. Die Gefahren einer organisatorischen und vor allem einer finanz- und nutzenoptimierten unternehmerischen Sicht auf Schule liegen in einer reinen ›Ökonomisierung von Bildung‹, in einer Infragestellung des Sinns und der Notwendigkeit gleicher Bildungschancen, einer rein finanziellen ›Effizienzsteigerung der Bildungsmaschinerie‹ und in einem möglichen Verlust von Bildung im Sinne von Gemeinschaft oder auch Muße. Ökonomisierung ist eine mögliche unternehmerische Entscheidung, wie sie in vielen Bereichen der Marktwirtschaft beobach-
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Vorwort
tet werden kann. Man mag jedoch der einzelnen Schule zugutehalten, dass sich durch eine solche Strategie in der Regel kein monetärer Gewinn für die Schule oder ihre ›Manager‹ ergibt. Eine rein finanzielle Effizienzsteigerung bietet daher wenig Anreize auf der Einzelschulebene. Hier bestimmen hoffentlich eher die Prinzipien, Ziele, Visionen, Bildungsgrundsätze und ethischen Vorstellungen der Beteiligten die organisatorische Ausrichtung. Die Gefahr einer Ökonomisierung besteht eher auf der Ebene der Schulverwaltung und der Schulträger – seien dies staatliche, verbandliche oder private, Behörden des Landes oder der Kommune –, die den finanziellen Rahmen für einzelschulische Entwicklungen festsetzen. Die beschriebene Gefahr besteht daher weitgehend auf schulpolitischer Ebene, wenn die Rahmenbedingungen und Strukturmerkmale des Bildungssystems maßgeblich aus ökonomischer Perspektive festgelegt werden. Je stärker die einzelne Schule sich jedoch selbst als Organisation ausrichtet und gestaltet, desto gewappneter mag sie vor einer Formung durch äußere Faktoren sein. Eine Betrachtung von Schule als Organisation – oder als Unternehmen – nimmt keine Bildungsperspektiven oder Gestaltungsideen vorweg, sichert keine Chancen und schließt auch keine Risiken aus. Theorien und Modelle der Organisation und Führung beschäftigen sich immer mit der Frage des ›Wie‹ in der Gestaltung, nicht mit dem konkreten ›Was‹ oder ›Warum‹. Sie sind ein Instrument oder Werkzeug, dessen Nutzen oder Schaden sich erst zeigt, wenn man beurteilt, wie es verwendet wird. Eine organisatorische Betrachtungsweise von Schule allein ist noch nicht dazu geeignet, die genannten Chancen oder Risiken zu begünstigen. Hierzu bedarf es immer einer Grundhaltung der Beteiligten, die durch ihr Handeln oder Nicht-Handeln erst bestimmen, was für eine Organisation Schule ist bzw. sein soll. Die aktive Auseinandersetzung mit der Organisation schulischer Wirklichkeit kann hierbei zur Entwicklung eigener Wunschund Zielvorstellungen sowie zu ihrer aktiven und praktischen Konkretisierung beitragen, die eigene Verantwortung hierfür aber nicht ersetzen. Das Ziel der Bücher zum ›Unternehmen Schule‹ ist es daher, Theorien, die allgemein auf Organisationen angewendet werden, für schulische Kontexte handhabbar zu machen und eine persönliche Positionierung zu ermöglichen. Nicht, um sie unhinterfragt zu übernehmen, sondern um Schule hinsichtlich der Chancen und Risiken ihrer Organisation untersuchen zu können. Es erlaubt so gesehen einen Perspektivenwechsel, indem es eine andere Brille zur Beobachtung von Schule anbietet. Schule wird mit anderen ›Sprachspielen‹ und ›Deutungsmustern‹ beschrieben, was auch andere Erkenntnisse und Gestaltungsideen ermöglicht. Schulische Praxis soll vor dem Hintergrund soziologischer, psychologischer und wirtschaftlicher Modelle der Organisations- und Mitarbeiterführung hinterfragt werden. Eine Positionierung hinsichtlich der angebotenen Modelle soll ausdrücklich durch die Leserinnen und Leser erfolgen und nicht durch den Autor. Hierzu sind zahlreiche Übungen, Reflexionsaufgaben und Fragebögen enthalten, die eine Überprüfung und Veränderung der eigenen Schulpraxis hinsichtlich der dargestellten Theorien ermöglichen, die der Reflexion von Schule und
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Unterricht als Organisation dienen und Ansatzpunkte für Veränderungsprozesse aufzeigen. Im Rahmen einer Organisationsdiagnose können diese Arbeitshilfen dazu beitragen, das Verhalten und Erleben der Organisationsmitglieder und die Wirkzusammenhänge ihrer Organisation zu erfassen, darzustellen, zu analysieren und nicht zuletzt auch zu gestalten. Eine organisationstheoretische Betrachtung von Schule ist bei Weitem nicht neu. In zahlreichen Publikationen zur ›Schul- und Unterrichtsentwicklung‹ oder zum ›Classroom-Management‹ haben solche Übertragungsleistungen bereits stattgefunden und Aspekte der Organisations- und Führungstheorie wurden in schulische Kontexte übersetzt und auf schulische Gegebenheiten angepasst, wodurch sie einfacher einzusetzen sind. Diese Übertragung bringt es aber auch mit sich, dass viele organisatorische und unternehmerische Fragen gar nicht mehr grundlegend gestellt, sondern bereits auf ein bestimmtes Bild von Schule reduziert worden sind. Hierdurch werden sie einfacher in ihrer Handhabung, verlieren aber zum Teil auch ihr Potenzial zur kritischen Hinterfragung von Schule und darauf aufbauend ihr enormes Gestaltungspotenzial. Schule nicht schon als eine ›besondere‹ Organisation zu sehen, sondern ganz grundlegend als Organisation, deren Ziele, Ausrichtung, Märkte, Kunden und Strukturen gestaltbar sind, bietet eine sehr grundlegende oder auch radikale Sichtweise, mit dem Vorteil, dass das kritische, kreative und gestalterische Potenzial organisationaler Theorien und Modelle erhalten bleibt. Oft genug wird in der Schulentwicklung vorausgesetzt, dass klar ist, was das Produkt bzw. die Dienstleistung von Schule ist. In einem noch nicht auf Schule adaptierten Sprachgebrauch lässt sich viel grundlegender fragen: »Was ist das Produkt von Schule?«, »Was ist ihr Markt?«, »Wer sind die Kunden?«, »Was sind meine Aufgaben als Führungskraft meiner Klasse?«, »Was ist der Lohn der Schüler für ihre Arbeit in der Schule?« und dergleichen mehr. Fragen, die eben deswegen äußerst anregend und produktiv sind, weil sie vom schulüblichen Sprachgebrauch abweichen und dazu anregen, Schule neu zu denken. In einer eigenen Auseinandersetzung mit Organisationstheorie und -führung sowie deren möglichen Bedeutungen für die Gestaltung von Schule soll die Reflexions- und Übersetzungsleistung bewusst den Leserinnen und Lesern überlassen werden. Seien dies Schulleiter als ›Führungskräfte ihrer Schule‹, Lehrer als ›Führungskräfte von Schulklassen‹ und als Beteiligte an schulischen Entwicklungsprozessen, beteiligte Eltern, angehende Lehrer, Bildungspolitiker, Mitarbeiter in Schulverwaltungen oder bei Schulträgern oder andere an der Gestaltung von Schule beteiligte Personen. Meine Bücher zum ›Unternehmen Schule‹ sind mit der Hoffnung verbunden, dass eine ›im besten Sinne‹ unternehmerische Sichtweise auf Schule und Unterricht dazu führt, dass Schulen und Schulklassen, Lehrer, Schüler und Eltern und nicht zuletzt Schulverbünde und Kommunen ihr eigenes Profil entwickeln und sich ›auf ihrem Markt‹ positionieren. Nicht in der Befolgung organisatorischer Vorgaben und Rezepte, sondern aus eigenem ›unternehmerischem‹ Antrieb. Hierbei wünsche ich spannende Erkenntnisse und viel Erfolg.
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Vorwort
Hinweise zur Nutzung der Bücher Aufbau Das Buch führt in grundlegende Modelle der Organisation und Organisationsentwicklung ein. Es kann entsprechend der vorgegebenen Kapitelstruktur von vorne nach hinten gelesen werden. Es bietet sich aber auch an, in einzelnen Teilen nachzuschlagen und querzulesen. Die zahlreichen Querverweise zwischen den einzelnen Kapiteln dienen der schnellen Orientierung. Dieser Band von ›Unternehmen Schule‹ enthält einige Verweise auf Kapitel des Buches ›Unternehmen Schule: Führung und Zusammenarbeit‹. Diese Verweise sind mit der Abkürzung ›F.u.Z.‹ sowie der Kapitelangabe gekennzeichnet.
Übungen Am Ende vieler Kapitel sind Übungen enthalten, die zu einer Reflexion und der Übertragung auf Schule sowie Diskursprozessen im Kollegium oder der Schulklasse anregen sollen. Ebenso können die Übungen als Gedankenexperiment für die Ausbildung angehender Lehrer hilfreich sein. Hierbei ist anzumerken, dass die Übungen zum Teil anspruchsvoll und auch umfangreich sind, sodass eine Bearbeitung durchaus zeitaufwendig sein kann. Eine Bearbeitung, die über die eigene Reflexion hinausgeht, sollte daher auch mit einer tatsächlichen Veränderungs- und Gestaltungsabsicht einhergehen. Für eine Reflexion der Inhalte des Buches reicht es aber auch, sich allein oder mit einigen Kollegen in Form eines Gedankenexperimentes vorzustellen, welche Ergebnisse es hätte, wenn man die Übung durchführen würde.
Arbeitshilfen Auf der Webseite zu diesem Buch befinden sich zahlreiche Arbeitshilfen, die sowohl bei der praktischen Gestaltung von Schule als auch zur Übung und Reflexion der vorgestellten Theorien und Modelle eingesetzt werden können. Die Arbeitshilfen beziehen sich direkt auf die in den Kapiteln dargestellten Modelle und Übungen. Auf diese Arbeitshilfen (AH) wird im Text und in den Übungen verwiesen. Sie können sowohl für die Reflexion als auch für die Organisationsanalyse an Schulen verwendet werden oder als Anregung zur Erstellung eigener Arbeitshilfen dienen. Die Arbeitshilfen werden im PDF und Word- Format zur Verfügung gestellt, damit sie nicht nur in der vorliegenden Fassung verwendet, sondern auch verändert und ergänzt werden können. Auf Arbeitshilfen zu ›Organisation und Organisationsentwicklung‹ wird beispielsweise mit der Bezeichnung: ›O.u.OE. AH-01‹ verwiesen, auf Arbeitshilfen zu ›Führung und Zusammenarbeit‹ mit der Bezeichnung ›F.u.Z. AH-01‹.
■■1 Einleitung: Schulentwicklung als Entwicklung von Einzelschulen1
Betrachtet man Schulentwicklung und die damit zusammenhängende Forschung, lässt sich im deutschsprachigen Raum ein Wandel beobachten, der in den 1990er-Jahren einsetzte und stärker auf die Output-Steuerung als auf die Input-Steuerung von Schulen fokussierte (vgl. Schwippert u. Goy, 2008, S. 392; Altrichter u. Maag Merki, 2010, S. 15). Anstatt Schulen maßgeblich von übergeordneter Ebene mit Reformen und Erlassen zu steuern, sollen Schulen individueller dabei unterstützt werden, guten Unterricht und gute Schülerleistung zu erreichen. Der Wandel hin zu einer Stärkung der Autonomie von Einzelschulen in der Schulentwicklung ging mit der Erkenntnis einher, dass ›gute Schulen‹ nicht primär durch äußere Steuerung entstehen, sondern dass die Gestaltbarkeit von Schule durch innerschulische Akteure bedingt ist (vgl. Wenzel, 2008, S. 425). Diese Feststellung wurde pointiert gar als ›Krise der Außensteuerung‹ bezeichnet (vgl. Rolff, 1998, S. 299). Besonders in Folge der Ergebnisse der ersten Pisa- Studie wird jedoch versucht, zumindest das Controlling vermehrt über das äußere System wie über Schulinspektion, Vergleichsarbeiten oder das Zentralabitur zu steuern (Dedering, 2012, S. 77 ff.). Es kann sogar behauptet werden, dass die PISA-Ergebnisse instrumentalisiert werden, um eine schon vorher bestehende politische Vorgehensweise zu begründen (ebd.; 83). Die Regulationsmechanismen der Schulentwicklung befinden sich demnach in einem Prozess wandelnder Formen der Außensteuerung einerseits und der Unterstützung von Selbststeuerung andererseits. In schulpolitischen Diskursen zeigen sich unterschiedliche Strömungen, die mehr oder weniger Autonomie für Schulen fordern. Als Kontrollgrößen finden sich in allen Bundesländern verschiedene Vergleichsinstrumente, wie Parallelarbeiten, zentrale Abschlussprüfungen, Lernstandserhebungen sowie die Beteiligung an nationalen und internationalen Schulleistungsstudien. Der Wirkungsgrad eingesetzter Mittel für die Erreichung von Bildungszielen steht hierbei im Zentrum der Forschung und der Steuerung von außen. Die zahlreichen Leistungsvergleichs- und Schulqualitätsuntersuchungen stellen hierzu sowohl auf nationaler als auch internationaler Ebene Daten zur Verfügung, die beispielsweise das mathematische, naturwissenschaftliche und sprachliche Verständnis oder die Problemlösekompetenz und Chancengleichheit von 1
Dieses Kapitel ist eine aktualisierte und erweitere Fassung von Kapitel 2.1.1 aus: Lindemann, H. (2013). Wie Schulentwicklung gelingt. Einschätzungen von Lehrern und pädagogischen Mitarbeitern zu Gelingensbedingungen von Schulentwicklung an ihrer Schule. S. 14–17. Weinheim: Beltz- Juventa.
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Einleitung: Schulentwicklung als Entwicklung von Einzelschulen
Schülerinnen und Schülern vergleichen (vgl. Schwippert u. Goy, 2008, S. 400–416). Die darauf aufbauende Fragestellung befasst sich damit, wie es einzelnen Schulen gelingt, gute Ergebnisse zu erzielen. Die Herangehensweisen und Konzepte ›guter Schulen‹ sind hierbei vielfältig und lassen sich weder verallgemeinern noch als funktionierende Modelle für alle Schulen standardisieren. Die mit diesen Erkenntnissen einhergehende Fokussierung auf die Entwicklung von Einzelschulen schlägt sich auch in den Steuerungsmodellen der Landes regierungen nieder, die Formen eigenständiger, selbstständiger oder (teil-)autonomer Schulen etabliert haben und somit vermehrt auf eine Eigensteuerung der Schulen setzen (vgl. Rolff, 2005, S. 49; Klieme et al., 2005, S. 68; Holtappels, 2003, S. 103 f.; Fend, 2008, S. 202). Schulorganisationsentwicklung als Entwicklung von Einzelschulen bedeutet jedoch für Schulleitungen, Lehrer, pädagogische Mitarbeiter und nicht zuletzt für Eltern und Schülerschaft einen großen Wandel im Vergleich zu vorhergegangenen Ideen schulischer Entwicklung und erfordert erweiterte Kompetenzen in der organisatorischen Gestaltung der Schule. Frühere Vorstellungen schulischer Organisation wandelten sich von »Schule als Bürokratie […], die im Wesentlichen durch Gesetze, Verordnungen, Erlasse und Anweisungen ›von oben‹ gestaltet und gesteuert wird, hin zu einer Vorstellung von Schule, innerhalb derer die Akteure vor Ort − also Lehrer, Schulleitungen, Eltern und Schüler − in eigener Verantwortung erforderliche Maßnahmen der Konflikt- und Problemlösung, der Entwicklung und Profilierung, der Modernisierung und eventuell auch der Haushaltsgestaltung und der Personal entscheidung selbst treffen − natürlich innerhalb des gesellschaftlich verantworteten Rahmens« (Wenzel, 2008, S. 427).
Der Wandel von einer ›außengesteuerten Bürokratie‹ zu einem ›eigenständigen Unternehmen‹ ist jedoch − abgesehen von Reformschulen und einzelnen ›Leuchttürmen‹ − weitgehend spurlos an vielen Schulen vorbeigegangen. Zwar werden Leistungen und teilweise auch Qualität von Schulen überprüft und verglichen, eine unternehmerische Sichtweise von Schule und die dafür notwendigen Kompetenzen sind jedoch noch lange nicht in den Schulen angekommen. »Schülerleistungserhebungen und Vergleichsstudien mit bloßen Leistungsdaten haben vornehmlich Bedeutung für die Einschätzung der Ergebnisqualität im Bildungssystem, sie bringen jedoch keineswegs schon Schulentwicklung in Gang« (Holtappels, 2003, S. 39). Das Wissen um die geforderte ›Output-Qualität‹ gibt zum einen keine Hinweise über die dazu notwendige ›Struktur- und Prozessqualität‹, zum anderen kann ein definierter Output durch verschiedene Formen der Struktur- und Prozesssteuerung erreicht werden. Letztlich sind auch organisationsexterne Faktoren bedeutsam, deren Auswirkungen auf die Organisation bedacht werden müssen und die für jede einzelne Schule sehr unterschiedlich sein können. Bezogen auf den weltweit festzustellenden Trend einer Dezentralisierung im Bildungswesen und einer zunehmenden Autonomie von Schulen müssen zudem noch weitere Aspekte kritisch angemerkt werden:
Einleitung: Schulentwicklung als Entwicklung von Einzelschulen 17
1. Zum einen existieren sehr unterschiedliche Modelle und Vorstellungen davon, welche Handlungsspielräume den einzelnen Schulen eingeräumt werden sollen (vgl. Barrera-Osorio, Fasih u. Patrinos, 2009, S. 17 ff.). Zentralisation und Dezen tralisation sind hierbei keine Entweder-oder-Kategorien, sondern bilden vielmehr ein Kontinuum aus quantitativ und qualitativ unterschiedlichen Ausprägungen (vgl. Barrera-Osorio, Fasih u. Patrinos, 2009, S. 22; Zajda u. Gamage, 2009, XVII). 2. Zum anderen handelt es sich bei diesem Trend um eine sehr ambivalente Entwicklung, die sowohl demokratische und partizipative Bestrebungen reflektiert als auch ökonomische, wenn nicht sogar neoliberale Strömungen in der Bildungspolitik, die maßgeblich auf die Effizienz von Bildung ausgerichtet sind (vgl. Zajda u. Gamage, 2009, XV f.). Es müssen somit auch verschiedene treibende Kräfte differenziert werden, die Dezentralisation und Schulautonomie vorantreiben (vgl. Caldwell, 2009, S. 56): –– Bestrebungen nach weniger Kontrolle und Uniformität und nach mehr Freiheit und Differenzierung, –– Interesse an der Verringerung der Größe und damit auch der Kosten für die Aufrechterhaltung einer großen zentralen Bürokratie, –– Versuche zur Erhöhung der Einflussnahme und Einbindung lokaler Gruppen sowie der Region, –– Der Wunsch nach Professionalisierung auf Schulebene durch die Einbindung der Lehrkräfte in Entscheidungs- und Gestaltungsprozesse, –– Die Erkenntnis, dass unterschiedliche Schulen mit unterschiedlicher Schülerschaft und unterschiedlichen Bedürfnissen jeweils individuelle Strategien entwickeln müssen, um diesen gerecht zu werden. Verbunden hiermit zeigen sich Tendenzen, den Wettbewerb zwischen Schulen und somit deren Marktausrichtung zu intensivieren. Die Idee von Schulentwicklung als Aufgabe der Einzelschule verlangt ein anderes Grundverständnis von Schule, unabhängig davon, auf welche treibenden Kräfte diese Bestrebungen nach mehr Eigenverantwortung zurückgeführt werden. Dieses andere Verständnis betrifft die Art der Führung von Schulen ebenso wie ihr Selbstbild, die von ihnen zu erledigenden Aufgaben und die Art und Weise ihrer Zusammenarbeit. Schule muss sich im Zuge der − auch bildungspolitisch vorgegebenen − Veränderung zu mehr Eigenständigkeit und Verantwortung vermehrt als Organisation begreifen, deren Entwicklung eine zentrale Aufgabe aller Beteiligten ist. Mit der Propagierung der ›eigenständigen‹, ›eigenverantwortlichen‹ oder ›selbstständigen‹ Schule durch die Länder nimmt die Bedeutung von Modellen der Schulführung, Schulgestaltung und Organisationsentwicklung − als Strategien der Gesamtentwicklung einer Schule − zu (vgl. Rolff, 2007a, S. 13 f.). Dieses gesamtschulische Denken geht mit einer ›Entprivatisierung der Lehrerrolle und des Unterrichts‹ einher, da sowohl die schulische als auch die unterrichtliche Weiterentwicklung als gemeinschaftliche und auf verbindende Zielvorstellungen ausgerichtete Aufgabe betrachtet wird.
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Einleitung: Schulentwicklung als Entwicklung von Einzelschulen
Ein umfassender und organisationsorientierter Blick auf Schule erfordert ein anderes Wissen, andere Kompetenzen und ein anderes Selbstverständnis von den an Schule beteiligten Personen, als dies in einem klassischen Verständnis von Schule der Fall war. In einer solchen erweiterten Sichtweise auf Schule müssen die verschiedensten Struktur-, Ergebnis- und Prozessfaktoren der Schule gleichermaßen zum Gegenstand der Evaluation und Weiterentwicklung gemacht werden (vgl. Klieme et al., 2005, S. 72). Diese Tendenzen zu einzelschulischer Entwicklung und zu einem umfassenden Blick auf die verschiedensten Qualitätsfaktoren zeigt sich nicht zuletzt in den schulpolitischen Entscheidungen der Bundesländer, die mittlerweile alle auf eine einzelschulische Entwicklung zur Qualitätsverbesserung von Schule setzen und hierfür umfassende Qualitätsrahmen definiert haben (siehe Kapitel 5: Schulische Qualitätsmodelle und -managementsysteme). In der Entwicklung von Schulen zu ihrer je eigenen »[…] individuellen Werte-, Kooperations- und Führungskultur, ihrem Schulklima, ihren Partizipationsmöglichkeiten, ihren curricularen Schwerpunkten und spezifischen Unterrichts angeboten« (Klieme et al., 2005, S. 68) werden hierbei weit umfassendere Anforderungen an Schule gestellt, als dies bei dem alleinigen Fokus auf Schülerleistung und Unterrichtsentwicklung der Fall war. Im Gegensatz zu einer eher individuellen Entwicklung des eigenen Unterrichts und der Förderung einzelner Schüler wird hierbei vermehrt eine gemeinsame Entwicklung und auch Abstimmung von Entwicklungsprozessen gefordert, die zu einer Gesamtentwicklung der Schule als Organisation führen sollen. Der Begriff der Schulentwicklung bildet mittlerweile ein sehr umfassendes Konstrukt, das verschiedene Aspekte beinhaltet. Die wohl geläufigste Unterteilung von Teilbereichen der Schulentwicklung stammt von Hans-Günter Rolff, der die drei Bereiche Organisationsentwicklung, Unterrichtsentwicklung und Personalentwicklung voneinander unterscheidet (vgl. Rolff, 2007a, S. 15 f.; Holt appels, 2003, S. 146). Im aktuellen Diskurs müssen diese Bereiche um Aspekte der Schulsteuerung und Schulpolitik im Sinne äußerer Einflussgrößen erweitert werden (vgl. bspw. Altrichter u. Maag Merki, 2010, S. 20 f.). In einer differenzierten Beschreibung der Bedeutung von Schulentwicklung müssen viele einzelne Dimensionen in Betracht gezogen werden, die in der Vielfalt aktueller Definitionen von Schulentwicklung zum Ausdruck kommen. In ihrem Versuch, den Begriff ›Schulentwicklung‹ hinsichtlich verschiedener aktueller Definitionen stimmig zu konkretisieren, kommt Katharina Maag Merki zu den vier folgenden Teilbereichen (Maag Merki, 2008, S. 25 ff.): a) Schulentwicklung ist der systematische, zielgerichtete, selbstreflexive und für die Bildungsprozesse der Schüler/innen funktionale Entwicklungsprozess von Schulen, Schulnetzwerken und Bildungsregionen im Kontext des gesamten Bildungssystems und ihrer Zielvorgaben mit dem Ziel der Professionalisierung der schulischen Prozesse. b) Schulentwicklung entspricht einem selbstreflexiven Prozess der Verarbeitung von internen und externen Zielvorgaben und Ergebnissen von internen und
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externen Monitoringverfahren mit dem Ziel der Gestaltung einer optimalen Lernumgebung für die Bildungsprozesse der Schüler/innen. c) Schulentwicklung basiert auf von verschiedenen innerschulischen Akteursgruppen geleisteten Transformations- und Rekontextualisierungsprozessen gesetzlicher und reglementarischer Vorgaben schulischen Handelns und hat zum Ziel, diese im Hinblick auf die Zielerreichung zu optimieren. d) Schulentwicklung ist sowohl Ergebnis wie auch Ausgangspunkt für die Erreichung einer hohen Schulqualität in der Einzelschule, in einem Schulnetzwerk oder einer Bildungsregion. Als Definition von Schulorganisationsentwicklung soll jedoch eine möglichst einfache und zusammenfassende Formulierung Verwendung finden, die auch den befragten Lehrern und pädagogischen Mitarbeitern als Grundlage dienen soll. Da die vorliegende Untersuchung den Teilaspekt der Schulorganisationsentwicklung in den Vordergrund stellt und alle anderen Bereiche der Schulentwicklung ausspart, wurde auf eine allgemeine Definition von Organisationsentwicklung von Lutz von Rosenstiel zurückgegriffen, die er aufbauend auf der Analyse von fünfzig Einzeldefinitionen durch Karsten Trebesch formuliert hat (Rosenstiel, 2007, S. 459; mit Bezug auf Trebesch, 1982): »Organisationsentwicklung zeigt sich dann als eine Veränderungsstrategie, die aus dem Gesamtsystem der Organisation heraus verstanden werden muss, sich unter aktiver Mitwirkung der Betroffenen vollzieht, dabei aber mit der Zielsetzung geplant ist, einerseits der Leistungsfähigkeit der Organisation und andererseits der Entfaltung des einzelnen Organisationsmitgliedes zu dienen.«
Eine allgemeine und nicht explizit schulbezogene Definition wurde verwendet, damit die beteiligten Lehrer und pädagogischen Mitarbeiter eine möglichst widerspruchsfreie und von direkten schulischen Implikationen freie Basis zur Bearbeitung des Fragebogens zur Verfügung hatten. Aus dieser allgemeinen Definition von Rosenstiel wurde folgende Formulierung entwickelt: Schulentwicklung ist eine auf die gesamte Schule bezogene Veränderungsstrategie, die unter aktiver Mitwirkung der Betroffenen vollzogen wird und das Ziel verfolgt, sowohl der Leistungsfähigkeit der Schule als auch der Entfaltung der einzelnen Schulmitglieder (vor allem der Schüler und Lehrer) zu dienen.
■■2 Organisationsmodelle und Organisationstheorie
In diesem Kapitel werden grundlegende Modelle und Theorien der Organisation vorgestellt und in ihrer Anwendung diskutiert. Das soll ein elementares Verständnis für eine organisationstheoretische Betrachtung von Schule ermöglichen, ohne dabei zu detailliert auf Einzelheiten der Organisationstheorie zu verweisen. Kapitelübersicht: –– Grundlegende Vorstellungen von Organisation und Unternehmen –– Formen der Organisationsstruktur –– Organisation als Kultur und als politisches System –– Organisationsformen von Schule
2.1 Grundlegende Vorstellungen von Organisation und Unternehmen Der Begriff der Organisation bezeichnet ganz allgemein die zielgerichteten Strukturen und Abläufe in sozialen Systemen (vgl. Vahs, 2007, S. 14). Jede Firma, jede Schule, jeder Verein oder auch eine Familie verfügen über eine Organisation. Diese Organisation wird zum Teil explizit benannt und koordiniert, ergibt sich aber auch implizit durch das Miteinander der beteiligten Personen in ihrem Umfeld (siehe Kapitel 2.2.4: ›Tatsächliche‹ Strukturformen von Organisationen und ihre Ablauforganisation). Unter einem Unternehmen versteht man eine Organisationsform, die darauf ausgerichtet ist, ›marktfähige Güter oder Dienstleistungen‹ zu erzeugen (vgl. Vahs, 2007, S. 16). Was ›marktfähige Güter oder Dienstleistungen‹ bezogen auf eine unternehmerische Sicht von Schule bedeuten können, ist eine interessante Frage, die durchaus kritisch betrachtet werden muss (siehe Kapitel 1: Einleitung und Kapitel 3: Produkte, Produktplatzierung und Marktorientierung). Wenn Unternehmen prinzipiell auf eine Optimierung ihres Gewinns und Nutzens ausgerichtet sind, ist es eine durchaus berechtigte Frage, welcher Gewinn und welcher Nutzen bezogen auf Schule damit gemeint sein kann: Der Gewinn und Nutzen der einzelnen Schüler (jetzt oder in ihrer Zukunft)? Der Schule als Organisation? Der Eltern? Der Gesellschaft? Der Wirtschaft? Hier soll es jedoch zunächst nur um verschiedene Vorstellungen und Modelle von Organisation gehen, die ganz allgemein auf alle Organisationsformen übertragen werden können, seien diese nun unternehmerisch oder nicht. Betrachtet man Schulklassen oder Schulen als Organisation, kann zunächst überlegt werden, welche Form der Organisation damit denn gemeint ist. In der
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Organisationsmodelle und Organisationstheorie
Organisationstheorie gibt es zwar klar abgrenzbare Organisationsmodelle, reale Organisationen sind jedoch in der Regel sehr heterogene Strukturen und bestehen aus Mischformen der verschiedensten Organisationsstrategien (vgl. Bea u. Göbel, 2006, S. 464). Letztendlich können alle Ansätze der Organisations- und Mitarbeiterführung für bestimmte Gestaltungsfragen oder Teilabläufe nützlich sein (vgl. Bea u. Göbel, 2006, S. 567). Für eine organisationstheoretische Betrachtung schulischer Strukturen sollen daher im Folgenden maßgebliche Grundideen der Organisation dargestellt werden (zu einer Übertragung auf Schule vgl. auch Dubs, 2005, S. 86–93).
2.1.1 Aufbau- und Ablauforganisation Bei der Beschreibung und Analyse von Organisation müssen zwei grundlegende Blickrichtungen unterschieden werden: Die Betrachtung des Aufbaus (Gliederung, Organisationseinheiten, Aufgaben-, Kompetenz- und Verantwortungsverteilung) und die Betrachtung der Abläufe (inhaltliche, räumliche und zeitliche Abfolgen) (vgl. Vahs, 2007, S. 33). Zur Analyse des Aufbaus einer Organisation kann man fragen (vgl. Becker u. Langosch, 2002, S. 153): –– Welche Aufgaben fallen an? –– Wo werden sie erledigt? –– Welche Arbeitsbereiche und Abteilungen gibt es? –– Wer ist wofür verantwortlich? –– Welche Aufgaben, Kompetenzen und Verantwortungen sind an wen delegiert? –– Wer hat welchen Aufgabenbereich und welche Handlungsspielräume? –– Wer ist wem gegenüber weisungsbefugt (disziplinarisch, fachlich)? –– Wer ist wem unterstellt (disziplinarisch, fachlich)? –– Welche Stellvertreter gibt es? –– Welche offiziellen Besprechungen in welcher Zusammensetzung gibt es (Besprechungsarchitektur)? Der Aufbau einer Organisation zeigt sich bezüglich seiner allgemeinen Struktur in sogenannten Organigrammen oder Strukturplänen, bezüglich einzelner Abteilungen oder Positionen in Stellenbeschreibungen und Aufgabenprofilen (siehe F.u.Z. Kapitel 1: Aufgaben und Rollen in der Organisation). Solche Organisationsbeschreibungen sind zunächst abstrakte Darstellungen davon, wie die Organisation sein soll. Zur Analyse der Abläufe in einer Organisation kann man fragen (vgl. Becker u. Langosch, 2002, S. 153): –– Welche Arbeitsabläufe gibt es? –– Wie sind diese dokumentiert? –– Wer entscheidet worüber?
Grundlegende Vorstellungen von Organisation und Unternehmen23
–– –– –– –– –– ––
Wer führt etwas aus? Welche Arbeitsprozesse laufen parallel und sequenziell? Welches Berichtswesen gibt es (Anträge, Formulare, Protokolle)? Wer trifft sich wann, wie oft, zu welchem Thema? Wie sind Sitzungen strukturiert (Besprechungsabläufe)? Welche Befugnisse haben Gremien, Gruppe und Sitzungen: Information, Beratung, Vorschläge, Abstimmung, Entscheidung?
In tatsächlichen Organisationen gibt es sowohl vom offiziellen Aufbau als auch von den offiziellen Abläufen immer Abweichungen, etwa wenn einzelne Personen bestimmte Aufgaben aus pragmatischen Gründen übernehmen, obwohl sie hierfür nicht zuständig sind oder wenn aufgrund von Zeitdruck bestimmte Positionen in der festgelegten Entscheidungshierarchie umgangen werden. Neben allen formalen Aspekten des Aufbaus und der Abläufe einer Organisation gibt es immer auch informelle Gruppen, Gremien und Abläufe, die sich in einer Organisation entwickeln. So kann es zum Beispiel sein, dass bestimmte Entscheidungen, die eigentlich in einer ganz bestimmten Sitzung gefällt werden sollen, schon in Einzelgesprächen vorentschieden wurden, obwohl diese offiziell gar nicht vorgesehen sind. Diese informellen Strukturen und Abläufe machen viele Prozesse effizienter, schließen aber auch offiziell Beteiligte aus oder umgehen offizielle Gremien. Die informellen Strukturen der Organisation gehören zur Organisationskultur, also zu der Wahrnehmung, den Beschreibungen und den Umgangsweisen der Organisationsmitglieder mit dem organisatorisch festgelegten Aufbau und den damit verbundenen Abläufen (siehe Kapitel 2.3.1: Organisationskultur).
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Übungen: A. Beschreiben Sie den Aufbau Ihrer Schule oder Ihrer Schulklasse anhand der aufgeführten Analysefragen. B. Beschreiben Sie Abläufe an Ihrer Schule oder in Ihrer Schulklasse anhand der aufgeführten Analysefragen.
2.1.2 Organisation als Maschine (bürokratische und mechanistische Organisation) Bei bürokratischen und mechanistischen Organisationsformen stehen immer wiederkehrende und gleichbleibende Arbeiten im Vordergrund. Das eingängigste Beispiel hierfür ist wohl die Fabrik, die ihre Waren am Fließband produziert. Kreativität oder persönliche Weiterentwicklung stehen hier im Hintergrund, die kostengünstige und effizienteste Produktion im Vordergrund. Unter dem Gesichtspunkt der Kostenoptimierung und Effizienzsteigerung wurde von den Begründern dieser Idee von Organisation wie Max Weber (bürokratischer Ansatz), Henri Fayol (administrativer Ansatz) und Frederick W. Taylor (arbeits-
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Organisationsmodelle und Organisationstheorie
wissenschaftlicher Ansatz) versucht, möglichst viele Abläufe zu strukturieren und zu vereinheitlichen (vgl. Schreyögg, 2003, S. 32 ff.). Ein entscheidendes Element ihrer Organisationstheorien liegt auch in einer klaren und eindeutigen Entscheidungshierarchie, bei Taylor sogar in einer strikten Trennung von ›Kopfund Handarbeit‹, die durch verschiedene Prüf- und Kontrollinstanzen überwacht wird (vgl. Bea u. Göbel, 2006, S. 77). Die idealtypische bürokratische Organisation lässt sich folgendermaßen zusammenfassen (vgl. Fuchs, 2004, S. 209 f.): –– hierarchische Struktur, –– formalisierte Kommunikation (›Dienstweg‹), –– funktionale Spezialisierung (orientiert am hierarchischen Status), –– detaillierte Regeln, Vorschriften und Ablaufbeschreibungen, –– detaillierte Verwaltung und Dokumentation (Akten, Vorgänge, Laufzettel), –– Trennung von Amt und Person (festgelegte Ämter, die von austauschbaren Personen ›bekleidet‹ werden), –– Entgelt nach hierarchischem Rang (›standesgemäß‹), –– Auslese und Beförderung nach Leistung und Kompetenz, –– zweckrationale Orientierung an ›von oben‹ festgelegten Zielen, Regeln und Abläufen, –– Disziplin und Kontrolle. Im Zuge der Effizienzsteigerung von Arbeitsprozessen wurden – vor allem durch Taylor und der nach ihm weiterentwickelten Organisationstheorie – nicht nur Formen hierarchischer und logisch begründeter Organisationsstrukturen und -abläufe entwickelt, sondern vor allem auch Versuche zur Einsparung von Zeit, Ressourcen und Geld unternommen. Das Taylorsche Wissenschaftliche (›Scientific‹) Management versuchte, den ›einen besten Weg‹ zur Erledigung bestimmter Abläufe zu ermitteln, jedoch lediglich im Sinne der Produktion, nicht der Beschäftigten. Auf der Grundlage von Zeitmessungen, Akkordarbeit, Bewegungsstudien, Differenzial- bzw. Stücklohn und der Auslese von Mitarbeitern wurde alles auf die Effizienz hin ausgerichtet. Dieser ›rationale Einsatz von Menschen und Maschinen‹ hat eine Maximalleistung zum Ziel, wobei der Mensch – als ›an sich faul und arbeitsunwillig‹ – durch Kontrolle und Anreizsysteme zu dieser Leistung gebracht werden muss (vgl. Vahs, 2007, S. 29 f.; siehe auch F.u.Z., Kapitel 1.2: Das grundlegende Menschenbild in der Organisation). Gute Metaphern für diese Organisationsform sind das Fließband oder die Fertigungsstraße, bei denen letztlich bis zu einzelnen Handgriffen alles standardisiert sein kann, sodass jeder einzelne Mitarbeiter austauschbar ist. Hierbei wurde der Mensch, etwa bei Max Weber, nicht nur als einfaches ›Rädchen im Getriebe‹ gesehen, sondern als jemand, der – durchaus auch aus rationalen Gründen – dazu bereit ist, sich der wissenschaftlich und logisch begründeten Struktur unterzuordnen (vgl. Bea u. Göbel, 2006, S. 65 f.). Abläufe sollen möglichst genau festgehalten und frei von emotionalen Aspekten im Sinne der Effizienz optimiert werden.
Grundlegende Vorstellungen von Organisation und Unternehmen25
»Die Stärken sind sehr einfach zu beschreiben. Mechanistische Ansätze zur Organisation sind nur unter Bedingungen angemessen, unter denen auch Maschinen gut funktionieren: a) wenn eine einfache Aufgabe zu erfüllen ist; b) wenn die Umgebung stabil genug ist, um zu gewährleisten, dass die produzierten Güter dem Markt entsprechen; c) wenn jemand immer wieder genau das gleiche Produkt herstellen will; d) wenn Präzision hoch im Kurs steht, und e) wenn die menschlichen ›Maschinenteile‹ gefügig sind und sich so verhalten wie vorgeschrieben« (Morgan, 2002, S. 44).
Eine starke Bürokratisierung, Hierarchisierung und Aufgabenteilung von organisatorischen Abläufen hat sich jedoch als äußerst ineffektiv herausgestellt, da »sich die eingeforderte Regeltreue zu verselbständigen pflegt; die Mitarbeiter verlieren die eigentliche Zielerfüllung aus den Augen, der Regelgehorsam ist zum Ziel geworden. […] Strenge Regelgebundenheit ist für alle solche Situationen unangemessen und ineffizient, in denen die Umwelt der Organisation einem Wandel unterliegt« (Schreyögg, 2003, S. 35). Auch Versuche, die Organisation durch Zentralisierung sowie minutiöse Durchstrukturierung und Aufgabenteilung, durch strikte Arbeitsplanung, Zeit erfassung und Spezialisierung zu einer steuerbaren und vorhersagbaren ›Organisationsmaschine‹ zu machen, haben sich nicht durchgesetzt. Neben hohen Kosten für die Überwachung und Einhaltung von Standards ergaben sich vor allem auf Seiten der Belegschaft negative Konsequenzen wie Sinnentleerung, Monotonie, Zeitdruck, Fremdbestimmung bis hin zu daraus entstehenden gesundheitlichen Problemen (vgl. Schreyögg, 2003, S. 42). Durch eine zunehmende Technisierung wurden viele Bereiche menschlicher Arbeit, die sich maschinell standardisieren ließen, durch den Einsatz von Maschinen, Robotern und Computern ›entmenschlicht‹. Die Frage der Strukturierung von Arbeitsabläufen war hier ein rein technisches Problem. Ergänzt wurde diese Technisierung durch Taylors Versuche, die Arbeitsabläufe zwischen den Menschen im Unternehmen und bei der Nutzung von Maschinen zu effektivieren. Seine Vorgehensweisen bestanden ebenfalls in einer Technisierung, die Fehlerquellen durch Routinen, Automatisierungen und Überwachungs mechanismen vermindern sollte. Es zeigte sich aber, dass sich Menschen und menschliches Miteinander nicht so einfach in mechanistischen Strukturen erfassen und formen lassen. Die Organisation der Technik, die Organisation des menschlichen Miteinanders in den Arbeitsabläufen und die Organisation der Schnittstelle zwischen Mensch und Technik ließen sich nicht mit einem einzigen Denkmuster erfassen und steuern. Technik, Mensch und Techniknutzung verlangen für ihre Beschreibung und Entwicklung nach unterschiedlichen Modellen.
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Organisationsmodelle und Organisationstheorie
Übung: Beschreiben Sie einen Arbeitsablauf an Ihrer Schule unter den Gesichtspunkten der zeitlichen Optimierung, der Einsparung von Ressourcen, der Effizienz und Austauschbarkeit von Personen und der standardisierten Ergebniskontrolle. Welche Prozesse lassen sich gut auf diese Weise erfassen? In welchen Bereichen könnte eine rein technische Betrachtung sogar hilfreich sein? Bei welchen Arbeitsabläufen wären Widerstände zu erwarten?
2.1.3 Organisation als Organismus und Sozialsystem (organische und sozialorientierte Organisation) In der Weiterentwicklung der traditionellen Organisationstheorien zeigten sich die veränderten Vorstellungen zuerst in einer vermehrten Hinwendung zu den innerbetrieblichen Beziehungen und zum Verhalten von Menschen in Organisationen. Ausgehend von solchen ›Human Relation Ansätzen‹ wurde zunächst versucht zu verstehen, wie bestimmte Verhaltensmuster und Strukturen in Organisationen entstehen und welche menschlichen Bedürfnisse befriedigt werden müssen, damit Mitarbeiter produktiv arbeiten können (vgl. Schreyögg, 2003, S. 43 f.). Darauf aufbauend wurden dann nicht nur äußere Strukturen und die Grenzen der Organisation untersucht, sondern auch, wie man in die komplexen inneren und äußeren Arbeits- und Beziehungssysteme steuernd eingreifen kann. Hierbei rückten Begriffe wie Sinn, Anreiz, Beitrag zum Unternehmen, Stolz oder Zugehörigkeit ebenso in den Fokus der Betrachtung wie informelle Strukturen, die sowohl innerhalb als auch außerhalb der Organisation entstehen (vgl. Schreyögg, 2003, S. 48 ff.). Letztlich führte der weitere Entwicklungsweg der Organisationstheorie zu der Idee einer Verbindung der bisherigen Strömungen: 1. Die klassischen Modelle mit ihrem Schwerpunkt auf Sach- und Regelstrukturen einer ›entmenschlichten‹ Organisationsstruktur mit menschlichen Beziehungen als auszuschließenden Störfaktoren (siehe oben). 2. Die nachfolgenden Modelle mit der Fokussierung auf menschliche Beziehungen in Organisationsstrukturen und auf die Beziehungen der Organisation zu ihrer Umwelt. Die Synthese dieser beiden Strömungen in der Form von ›Human Ressource Ansätzen‹ stellte sich der Frage, wie Organisationen gestaltet werden können, um sowohl humanen Beziehungen und Bedürfnissen als auch wirtschaftlichen Interessen gerecht zu werden. »Hier geht es letztlich um den Versuch, Organisationsmodelle zu entwickeln, die gleichermaßen effektiv und human sind. Die Idee ist, die Organisation so zu gestalten, dass über die Erreichung der Individual
Grundlegende Vorstellungen von Organisation und Unternehmen27
ziele zugleich die Organisationsziele erreicht werden« (Schreyögg, 2003, S. 54). Der daraus abgeleitete Arbeitsbereich der Organisationsentwicklung ist ein sehr heterogenes Theorie- und Praxisfeld, das mit ganz unterschiedlichen Schwerpunktsetzungen versucht, einen ›geplanten Wandel‹ unter Beteiligung verschiedenster Personen und Gruppen in der Organisation zu entwickeln (ebd.). Die vorgeplante und durchstrukturierte ›Organisation von der Stange‹ gibt es nicht. Dies gilt umso mehr, als jede Veränderung der inneren oder äußeren Umwelt der Organisation eine Veränderung in der Organisationsstruktur und den Arbeitsabläufen notwendig machen kann und somit ein kontinuierlicher Wandel eher die Regel ist als eine lang andauernde Struktur. Grundsätzlich kann man davon ausgehen, dass die Flexibilität in der Gestaltung der Organisation umso höher sein muss, je mehr mit Veränderungen zu rechnen ist. Diese Organisationsformen orientieren sich z. B. an Gesellschaftstheorien oder an der Evolutionstheorie. Überlebensfähig sind hierbei solche Organisationen: –– die eine gute Kultur mit produktiven und zufriedenen Mitarbeitern etablieren, –– die sich an ihr jeweiliges Umfeld gut anpassen können (z. B. durch eine flexible Marktorientierung, Rückmeldemanagement und Kundenbefragungen), –– denen es gelingt, ihr Umfeld so zu verändern, dass es zu den eigenen Strukturen und Bedürfnissen passt (z. B. durch Monopolbildung, Werbe- und Imagekampagnen oder Absprachen mit der regionalen Politik). Aufeinander abgestimmte Veränderungen im inneren und äußeren Umfeld sind für diese Form von Organisation entscheidende Faktoren. Ein gutes Beispiel ist sicherlich die Computer- und Elektronikbranche, wo Innovationen anderer Firmen und die rasante Preisentwicklung eine ständige Angleichung innerer und äußerer Bedingungen erforderlich machen. Gute Metaphern für diese Organisationsform sind ›Ökosystem‹ oder ›Organismus‹, weil sie für ihr Überleben eine gute Abstimmung zwischen innerer und äußerer Umwelt benötigen bzw. weil es sich um eine soziale Gruppe oder Gesellschaft handelt, die entsprechende Abstimmungen und Anpassungen zwischen inneren und äußeren Umwelten und in ihren Beziehungen untereinander vornehmen muss. Je nach Umwelt und den darauf abgestimmten Anpassungsleistungen verändern sich die zu erledigenden Aufgaben und die Beziehungen zwischen den Systembestandteilen, ohne dass diese Veränderungen linear gesteuert werden können.
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Übungen: A. Sammeln Sie Aktionen und Veränderungen an Ihrer Schule, die dadurch erfolgreich waren, dass auch persönliche Bedürfnisse befriedigt werden konnten, und die deshalb funktionierten, weil intensiv auf die Ebene der Beziehungsgestaltung geachtet wurde. B. Sammeln Sie Aktionen und Veränderungen an Ihrer Schule, bei denen eine gute Abstimmung mit dem Umfeld der Schule entscheidend für das Gelingen war.
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Organisationsmodelle und Organisationstheorie
2.1.4 Organisation als vernetztes System Betrachtet man die inneren und äußeren Systeme der Organisation in ihrer Wechselwirkung als stark vernetzte Strukturen, kann die Idee der Organisation über soziale bzw. biologische Bezugstheorien hinausgehen und als Information erzeugendes und verarbeitendes Netzwerk betrachtet werden. Eine weitere Metapher für vernetzte Organisationsformen ist das Gehirn, dessen Vernetzungen mit ihrem Gebrauch wachsen und dessen nicht verwendete Verbindungen abgebaut werden. Um diese Idee von Organisation zu verstehen, müssen zunächst einige Eigenschaften von neuronalen Strukturen hervorgehoben werden: –– Einzelleistungen des Gehirns entstehen durch die gleichzeitige Aktivität von Neuronen in ganz unterschiedlichen Gehirnbereichen. Wie bei einem Hologramm entsteht eine Gesamtleistung bzw. ein Gesamtbild erst dadurch, dass von verschiedenen Stellen aus projiziert wird. –– Jedes Neuron ist mit Hunderttausenden anderer Neuronen vernetzt. Die einzelnen Gehirnbereiche sind zwar spezialisiert, aber immer von mehreren anderen Bereichen abhängig. –– Je nach Anforderung werden nicht nur unterschiedliche Gehirnbereiche gleichzeitig aktiv, es bilden sich auch neue Verbindungen zwischen Neuronen (es wird gelernt). Es sind weit mehr Neuronenverbindungen vorhanden als tatsächlich genutzt werden. –– Gehirne arbeiten nur in Teilen hierarchisch, vor allem bei einfacheren Leistungen. Die meisten, vor allem aber die komplexen Leistungen werden durch distributive und parallele Abläufe erbracht. Möchte man die Gehirnmetapher auf Organisationen übertragen, könnte man folgende Anweisungen geben (vgl. Morgan, 2002, S. 138 ff.): 1. Nimm das Ganze in die einzelnen Teilbereiche auf. Die Gesamtstruktur soll sich in Einzelbereichen wiederfinden. 2. Schaffe Verknüpfungen und Redundanzen, also ein Überangebot an parallelen Verarbeitungsstrukturen und Wiederholungsschleifen. 3. Schaffe simultane Spezialisierung und Generalisierung. Neben der Spezialisierung muss jeder Bereich ›das Ganze‹ im Blick haben und Ähnlichkeiten zu anderen Bereichen aufweisen. 4. Schaffe die Fähigkeit zur Selbstorganisation. Der Auf- und Abbau von Verknüpfungen und die Ausformung von Spezialisierungen werden ›vor Ort‹ organisiert. Gegenüber hierarchischen Organisationen zeichnet sich diese Organisationsform durch ein hohes Maß an Flexibilität und Kreativität aus. Statt an Vorgaben orientiert man sich an der eigenen Erfahrung und am eigenen Erfolg. Es ent-
Grundlegende Vorstellungen von Organisation und Unternehmen29
steht eine ›lernende Organisation‹, die sich über redundante Funktionen selbst reflektiert (Selbstreflexions- und Evaluationsschleifen). Die Anforderungen an die einzelnen Menschen und Teams solcher Organisationen sind vielfältig und bestehen nicht nur aus gleichbleibenden und ständig wiederkehrenden Tätigkeiten. Entscheidend ist ebenso wie im Gehirn die gleichzeitige und gemeinsame Aktivität. Erfolgversprechend sind diese Ideen von Organisation, wenn für die Ergebnisse (Produkte und Dienstleistungen) nur minimale kritische Spezifikationen vorliegen, sie also nicht auf einen exakten ›Zielpunkt‹ ausgerichtet sind, sondern auf einen ›Zielraum‹ möglicher Ergebnisse und dazu beitragender Handlungsweisen. Im Rahmen einer systemtheoretischen Organisationstheorie, die als Zusammenfassung und Metatheorie vernetzten Denkens in der Organisationsgestaltung betrachtet werden kann, lassen sich folgende Prinzipien zusammenfassen, die bei der Gestaltung und Veränderung von Organisationen zu bedenken sind (vgl. Vahs, 2007, S. 39 f.): –– Eine interdisziplinäre und ganzheitliche Sichtweise Die Einbeziehung verschiedenster Sichtweisen auf die Organisation und ihre Umwelt erfordert eine Hervorhebung der Beziehungen zwischen den System elementen und eine stärkere Beachtung von Kooperation, Koordination, Kommunikation und Integration. Hierzu gehört die Einsicht, dass es so viele verschiedene und gleichwertige Beschreibungen der ›Organisation als System‹ gibt wie Personen, die sie beschreiben. –– Umweltorientierung Die Beschreibung und Gestaltung von Organisation erfordert eine Betrachtung von Veränderungen im inneren und äußeren der Organisation ebenso wie die Beachtung bestehender, entstehender, fehlender und notwendiger Wechselwirkungen. –– Dynamische Betrachtung Organisation ist aus systemtheoretischer Sicht als Prozess und nicht als Status zu betrachten. Stabile und instabile (Teil-)Zustände wechseln sich ab, es gibt Phasenübergänge, Wandlungstendenzen und verschiedenste Formen offener und verdeckter, bewusster und unbewusster Einwirkungen auf das System. –– Selbstregulierung und Selbstorganisation Jeder Versuch der Steuerung hat nur insoweit Auswirkungen, wie er von den Teilsystemen und dem Gesamtsystem verarbeitet wird. Veränderungen ergeben sich nicht linear, sondern in Form der Selbstregulierung und Selbstorganisation hinsichtlich mehrerer möglicher Stabilitäts- und Ordnungszustände.
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Organisationsmodelle und Organisationstheorie
–– Gestaltungsorientierung Erkennt man die Unmöglichkeit, komplexe Systeme wie Organisationen linear zu beeinflussen, an, erfordert es Bereitschaft und Mut zum aktiven Handeln und zur Erprobung neuer Strategien und Abläufe. Beobachtung, Bewertung, Veränderung und Gestaltung von Organisation sind hierbei notwendig wiederkehrende Schritte und stellen keine einmalige und endgültige Strukturierungsaufgabe dar (siehe F.u.Z., Kapitel 3.5: Systemische Führung; Kapitel 6: Organisationsentwicklung und Change Management). Die ›optimale Passung‹ einer Organisation bezüglich innerer und äußerer System bestandteile und -zusammenhänge ist letztlich ein fortwährender Prozess der Erprobung, Veränderung und Konkretisierung, kurz des Ausprobierens. Eine einmal erfolgreich etablierte Aufbau- und Ablauforganisation ist kein Erfolgsgarant, sondern kann durch Veränderungen im Systemgefüge oder schlichtweg durch ›Abnutzung und Eintönigkeit‹ ihre Funktionalität einbüßen. Eine – zumindest immer in Teilbereichen – durchgeführte Veränderung, Anpassung oder Erneuerung verhindert hierbei die Etablierung ›blinder Flecken‹ und fördert das Entstehen von Innovationen und nachhaltigen Veränderungen.
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Übungen: A. Beschreiben Sie aus Ihrer Erfahrung Regelungen an Ihrer Schule, die in ihrer Umsetzung nicht funktioniert haben. Was ist stattdessen passiert? Wer wollte die Regelung durchsetzen, wer nicht? Wer war mit dem tatsächlichen Ergebnis zufrieden? B. Wie könnte an Ihrer Schule eine Veränderungskultur des Ausprobierens, der umfassenden Beteiligung und Selbstregulation aussehen?
2.2 Formen der Organisationsstruktur
2.2.1 Lineare Strukturformen In Weiterentwicklungen rationalistisch und mechanistisch orientierter Organisationsformen ist ihre hierarchische Strukturierung erhalten geblieben, wobei jedoch eine zu starke Segmentierung und Überregulierung zunehmend vermieden wird. Der (hierarchische) Aufbau einer Organisation lässt sich in Form von Organisations-Diagrammen – sogenannten Organigrammen – darstellen. Diese bilden ab, welche Person oder Abteilung auf welcher Ebene der Organisation steht und wem sie übergeordnet, untergeordnet oder gleichgestellt ist. Es werden sozusagen die Weisungs- und Entscheidungskanäle dargestellt, nicht aber die jeweilige Art und Weise, wie diese mit Leben gefüllt werden. Zwei von ihrem Aufbau her ähnliche Organisationen können daher sehr unterschiedlich sein in Bezug auf die Abläufe und auf ihre Organisations- und Führungskultur
Formen der Organisationsstruktur31
(siehe Kapitel 2.2.4: ›Tatsächliche‹ Strukturformen von Organisationen und ihre Ablauforganisation; Kapitel 2.3.1: Organisationskultur). Die drei grundlegenden Strukturformen sind die funktionale und die divisionale Organisation sowie die auf diesen Modellen aufbauende Stab-Linien- Organisation (vgl. Braunschweig, Kindermann u. Wehrlin, 2001, S. 46 f. u. 53). 1. Bei der funktionalen Organisation stehen Funktionsbereiche (z. B. Produktion, Marketing, Verkauf, Verwaltung) eigenständig nebeneinander. Diese Organisationsform bietet sich vor allem an, wenn die Produktpalette überschaubar ist und nicht sonderlich viele verschiedene Sparten bedient werden. Die funktionale Organisation ist auf eine verrichtungsorientierte Arbeitsteilung und fachliche Spezialisierung ausgerichtet (Abbildung 1; vgl. Vahs, 2009, S. 150).
Abbildung 1: Funktionale Organisation (vgl. Braunschweig, Kindermann u. Wehrlin, 2001, S. 47)
2. Bei der divisionalen Organisation stehen verschiedene Sparten (z. B. Farben, Pharma, Kunststoffe, Dämmstoffe), Regionale und Landeszuständigkeiten (z. B. Europa, Kanada, Japan oder Nord, Ost, Süd und West), Produktionsbereiche (z. B. Dreherei, Fräserei, Montage, Prüfwesen) oder Kundengruppen (z. B. Privatkunden, Firmenkunden, Körperschaften) als getrennte Bereiche nebeneinander. Jeder dieser Bereiche verfügt über seine eigene funktionale Organisation etwa aus Produktion, Marketing, Verkauf, Verwaltung und weiteren funktionalen Abteilungen und Unterabteilungen (Abbildung 2; vgl. Vahs, 2007, S. 99 f.).
Abbildung 2: Divisionale Organisation (vgl. Braunschweig, Kindermann u. Wehrlin, 2001, S. 47)
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Organisationsmodelle und Organisationstheorie
as divisionale Modell soll sicherstellen, dass bei einer sehr heterogenen ProD duktpalette eine Konzentration auf einzelne Produktsparten stattfinden kann und nicht in jeder Situation entschieden werden muss, welche Sparte gerade in der Bearbeitung und Unterstützung Vorrang hat. Ein Nachteil dieser Organisationsform ist, dass sie grundsätzlich auf Parallelstrukturen ausgerichtet ist und Synergieeffekte2 zwischen den Sparten somit nicht oder nur schwer nutzbar sind. Dies kann soweit führen, dass sogar Konkurrenzen zwischen den Sparten entstehen. 3. Eine weitere Form hierarchischer Organisation besteht in der sogenannten Stab-Linien-Organisation, in der, neben den in der funktionalen oder divisionalen Organisation festgelegten Hierarchie- und Entscheidungslinien verschiedene Stäbe oder Stabsstellen etabliert werden (vgl. Braunschweig, Kindermann u. Wehrlin, 2001, S. 53). Dies kann etwa die Stabsstelle eines Justiziars sein oder ein Stabsteam ›Marktforschung‹ oder ›EDV‹. »Bei den Stäben handelt es sich dabei um Leitungsassistenzstellen, welche Instanzen bei der Erfüllung ihrer Aufgaben beraten, ohne daß sie jedoch selbst originär Entscheidungs- und Weisungsbefugnisse gegenüber den Linienstellen haben« (Braunschweig, Kindermann u. Wehrlin, 2001, S. 53). Der Vorteil der klaren Kompetenz- und Verantwortungsabgrenzung und Spezialisierung beinhaltet auch Nachteile. So können »Stäbe als ›graue Eminenz‹ konkret – Macht ohne Verantwortung – erscheinen, was insbesondere für den Fall gilt, wenn sie sich als Konkurrenz zur Linie entwickeln« (Abbildung 3; vgl. Braunschweig, Kindermann u. Wehrlin, 2001, S. 54).
Abbildung 3: Stab-Linien Organisation in einer funktional gegliederten Grundstruktur (vgl. Braunschweig, Kindermann u. Wehrlin, 2001, S. 53)
Eine Parallelität mehrerer Linien, wie sie in funktionalen und divisionalen Organisationen – mit oder ohne Stabsstellen – gegeben ist, ist dann von Vorteil, wenn diese Bereiche mit hoher Stabilität und relativer Eigenständigkeit arbeiten können. Unter sich wandelnden inneren und äußeren Bedingungen und unter der Notwendigkeit einer horizontalen Kommunikation erweisen sie sich als eher 2
Effekte, die durch das Zusammenwirken verschiedener Personen, Abteilungen, Bereiche, Firmen etc. entstehen können, indem Energien durch Zusammenlegungen, veränderte Teamzusammensetzungen oder durch die Bündelung von Aufgaben zusammenwirken und so mit gleichem oder geringerem Aufwand bessere Ergebnisse erzielen. Das Ganze des Zusammenwirkens ist mehr als die Summe der einzelnen Bestandteile.
Formen der Organisationsstruktur33
schwerfällig und neigen zu ›Ressortdenken‹ und ›Bereichsegoismus‹ (vgl. Vahs, 2007, S. 153). Die gemeinsame Sache der Gesamtorganisation wird dann weniger gesehen als die Sicherung des eigenen Bereiches. Auch sind die angelegten hierarchischen Kommunikationswege oft lang und störungsanfällig; Informationen werden mehrfach gefiltert. Viele Informationen sind aus ›zweiter oder dritter Hand‹, da sie über den ›Kamin‹ bzw. den ›Flaschenhals‹ der Bereichs- und Abteilungsleitungen laufen müssen. Der Vorteil eines divisionalen Organisations aufbaus kann hierbei sein, dass die Bereiche möglichst unabhängig voneinander operieren können und wenig bis gar nichts miteinander zu tun haben, sie also funktionieren wie mehrere eigenständige und parallele funktional gegliederte Organisationen (vgl. Vahs, 2007, S. 165). Schwierigkeiten zeigen sie aber ebenso wie einfache divisionale Organisationen, wenn es um Veränderungen im Gesamtgefüge oder um die Koordination gemeinsamer Aktivitäten geht (z. B. Aufbau von Stützpunkten aller Sparten in einem neuen Land). In Schulen zeigen sich Parallelstrukturen und Ressortdenken häufig in Zusammenhang mit einer organisationalen Strukturierung bezogen auf Fachgruppen, Jahrgangsgruppen oder auch Lernhäuser. Diesen durchaus sinnvollen Aufteilungen in überschaubare und handlungsfähige Organisationseinheiten fehlt jedoch oft eine Rückbindung an die Gesamtorganisation. Somit entwickeln sie gelegentlich Strukturen und Vorgehensweisen, die nicht daraufhin überprüft werden, ob sie für ›andere‹ Fachgruppen, Jahrgangsgruppen oder Lernhäuser ebenfalls übernommen werden sollten und somit Bestandteil der Organisation der gesamten Schule werden. In einer divisionalen Strukturform stellt sich immer die Frage der Autonomie gegenüber den anderen Organisationslinien bzw. die Frage nach der Notwendigkeit und dem Sinn von Gemeinsamkeit.
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Übungen: A. Zählen Sie mögliche funktionale und divisionale Bereiche auf, die an Ihrer Schule unterschieden werden können. B. Zeichnen Sie Organigramme Ihrer Schule als funktional und als divisional gegliederte Organisation. Was wären mögliche Stabsstellen? Welches Organigramm entspricht am ehesten dem tatsächlichen Aufbau Ihrer Schule? C. In welchen Bereichen Ihrer Schule nehmen Sie Parallelstrukturen wahr, die das Denken und Arbeiten für die Schule als Gesamtorganisation erschweren? Benennen Sie die Vorteile und die Nachteile der Parallelstrukturen.
2.2.2 Vernetzte Strukturformen Eine spezielle Form der Organisation ist die Matrixorganisation. Hierbei werden kompetenzübergreifende Schnittstellen z. B. in Form von Teams gebildet, die mehrere Zuständigkeitsbereiche vereinen. Diese Schnittpunkte, Arbeitsgruppen oder Teams werden prinzipiell von zwei übergeordneten Bereichen geleitet,
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Organisationsmodelle und Organisationstheorie
um die Reibungsverluste stark hierarchischer Organisationen zu minimieren. Anstatt Aufträge zwischen Spezialabteilungen hin und her zu reichen, werden Vertreter von funktionalen Geschäftsbereichen (z. B. Produktion, Marketing, Verkauf, Verwaltung) und von Produktbereichen (z. B. Farben, Pharma, Kunststoffe, Dämmstoffe) je nach Auftrag und Anforderung zu Teams unter doppelter Leitung zusammengefasst. Anstelle von Produktbereichen können – entsprechend einer divisionalen Organisation – auch Regionen, Kundengruppen oder bestimmte Serviceleistungen als Gliederungsmerkmale dienen (Abbildung 4; vgl. Schreyögg, 2003, S. 178 ff.; Braunschweig, Kindermann u. Wehrlin, 2001, S. 48 ff.).
Abbildung 4: Matrixorganisation, grau umrandet mögliche schnittstellenübergreifende Arbeitsgruppen (vgl. Braunschweig, Kindermann u. Wehrlin, 2001, S. 49)
In Matrixorganisationen können an den Schnittstellen Kerngruppen bestehen bleiben, auch ist eine Zusammenfassung mehrerer Schnittstellen für längere oder kürzere Phasen der Zusammenarbeit in Arbeitsgruppen denkbar oder das Entstehen gänzlich neuer Zusammensetzungen. Je nach Auftrag können strategische, technologische, kulturelle und strukturelle Aspekte sowie das Management aufeinander abgestimmt werden, indem nicht die Hierarchie neu geordnet werden muss, sondern lediglich die Form der Schnittstelle bzw. deren Zusammenarbeit definiert werden muss (vgl. Morgan, 2002, S. 84 ff.). Je nach Aufgabe oder Projekt können auch mehrere Schnittstellen in einen gemeinsamen Zusammenhang gesetzt werden (Projekt- oder Arbeitsgruppe). Es werden »planmäßig Kompetenzüberschneidungen hervorgerufen« (Braunschweig, Kindermann u. Wehrlin, 2001, S. 49). Der Vorteil einer Matrixorganisation liegt darin, dass die jeweiligen Perspektiven erweitert werden, indem die Zusammenführung verschiedener (gleich berechtigter) Bereiche zu einer übergreifenden Kommunikation führt. Die hierdurch hergestellte ›Mehrperspektivität‹ ist ein wichtiger Aspekt für die Innovativität der Organisation (vgl. Schreyögg, 2003, S. 186). Marktvorteile ergeben sich aus einer hohen Flexibilität in der Aktion und Reaktion hinsichtlich äußerer
Formen der Organisationsstruktur35
und innerer Faktoren, aber auch durch ein ganzheitlicheres Arbeiten in den Teams an den jeweiligen Schrittstellen, die nicht nur aus Spezialisten einer bestimmten ›Fachrichtung‹ bestehen. Aus dieser Multiperspektivität heraus ist auch eine bessere Kundenorientierung möglich. Nachteile dieser vernetzten Organisationsform liegen darin, dass »Entscheidungsprozesse […] mangels exakter Kompetenzregelungen verzögert und erschwert [werden], außerdem führen permanente Konfliktsituationen zwischen den Gesamt- und Unternehmensbereichen zu persönlichen Reibungskonflikten, was das Betriebsklima negativ beeinflußt. Es wird ein hohes Maß an Anforderungen an die Informations- und Kommunikationsfähigkeiten gestellt. […]. Eine Matrixorganisation führt nur dann zum Erfolg, wenn sämtliche Mitarbeiter zur Kooperation bereit sind und sich mit der Organisation identifizieren können« (Braunschweig, Kindermann u. Wehrlin, 2001, S. 49).
Konflikte entstehen in Matrixorganisationen aufgrund der Kommunikationsdichte und Führungsüberschneidung häufiger. Ein gut funktionierendes Konfliktmanagement sowie gut geschulte Führungskräfte sind hier daher besonders wichtig. Grundsätzlich ist der Führungs- und Kommunikationsaufwand höher (vgl. Vahs, 2007, S. 172 f.).
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Übung: Zeichnen Sie im Kollegium mögliche Organigramme Ihrer Schule als Matrix organisation. Wer träfe an den Schnittstellen aufeinander und was wären die dort zu bearbeitenden Themen?
2.2.3 Projektorientierte Strukturformen Eine weitere Form organisationaler Struktur ist die Projektorganisation, in der es um die Umsetzung zeitlich begrenzter Aufträge oder um die Abwicklung von Einzelprojekten geht (vgl. Braunschweig, Kindermann u. Wehrlin, 2001, S. 54). »Das Projektmanagement ist eine klassische Organisations-, Planungs- und Steuerungsform, um innovative, das heißt nicht alltägliche und in aller Regel interdisziplinäre Aufgaben effizient zu lösen« (Doppler et al., 2002, S. 46). In den bisher vorgestellten Organisationsformen folgen die Abläufe stärker einer dauerhaft festgelegten Struktur. In Projektorganisationen werden die Aufbau- und Ablaufstrukturen immer nur für eine begrenzte Dauer und für einen bestimmten Auftrag hinsichtlich der konkreten Anforderungen etabliert. Im Verlauf der Auftragserfüllung werden ihr Aufbau und ihre Abläufe verändert und mit dem Abschluss einzelner Projektphasen oder des Gesamtauftrages teilweise ganz aufgelöst. Die Gesamtziele des Auftrags werden jeweils in Teilziele und Teilaufgaben unterteilt und in Form eines Projektverlaufsplans, der Arbeitsgruppen und ihre Ergebnisse in einer zeitlichen Ablauffolge festlegt, abgearbeitet
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Organisationsmodelle und Organisationstheorie
(siehe F.u.Z., Kapitel 5.2.5: Projekte und Projektarbeit). Grundsätzlich lassen sich Projektorganisationen in einem ersten Schritt in ihrer Aufgabenstruktur der zu erledigenden Aufgaben veranschaulichen (Abbildung 5) und in einem weiteren Schritt in ihrer zeitlichen Aufgaben- und Ablaufstruktur als zeitlich aufeinander abgestimmte Arbeitsprozesse (Abbildung 6).
Abbildung 5: Aufgabenstruktur einer Projektorganisation
Abbildung 6: Zeitliche Aufgaben- und Ablaufstruktur einer Projektorganisation ›Projektverlaufsplan‹ (TA: Teilaufgabe, AP: Arbeitspaket; siehe auch F.u.Z., Kapitel 5.2.5: Projekte und Projektarbeit)
Formen der Organisationsstruktur37
Da auch in Projektorganisationen Koordinationsabläufe zwischen Vorgesetzten (Projektmanager, Teilprojektmanager etc.), Abteilungen, Arbeitsgruppen und dergleichen festgelegt sein müssen, weisen sie immer eine spezifische Aufbauorganisation auf. Der Aufbau einer Projektorganisation kann hierarchisch, funktional, divisional oder auch als Matrixorganisation gestaltet sein und auch über Stabsstellen verfügen (vgl. Vahs, 2007, S. 194). Maßgebliches Merkmal ist jedoch die Bindung einzelner Abteilungen und Arbeitsgruppen an einen festgelegten Zeit- und Kooperationsplan, sodass einige Abteilungen und Kooperationsstrukturen nur für einen gewissen Zeitraum existieren und im Verlauf des Projektes mit Beendigung ihrer Teilaufgabe aufgelöst werden. Bezüglich der Aufbauorganisation zeichnen sich Projektorganisationen durch eine flexiblere Handhabung der Strukturen und Abläufe aus, die jeweils darauf ausgerichtet sind, Teil- und Gesamtziele im vorgegebenen zeitlichen und oft auch finanziellen Rahmen erreichen zu können (Abbildung 7).
Abbildung 7: Aufbaustruktur einer Projektorganisation als Matrix, grau umrandet mögliche schnittstellenübergreifende Projektarbeitsgruppen
Die inhaltliche Aufgabenstruktur zeigt, dass das Gesamtprojekt und die daraus abgeleiteten Teilaufgaben und ›Arbeitspakete‹ zunächst nach der inhaltlichen Struktur des zu erreichenden Ergebnisses gegliedert werden. Die Aufbau- und Ablauforganisation wird dann entsprechend den inhaltlichen Erfordernissen erstellt, vor allem hinsichtlich zeitlich begrenzter Teilaufgaben wie Entwurf, Entwicklung, Zwischenpräsentationen, Abgabeterminen von Einzelteilen, Endfertigung. Die in Projekten oft nicht gewachsenen, sondern entworfenen Strukturen mit häufig auch im Verlauf wechselnden Team- und Abteilungsangehörigen erfordern ein gutes und auf aktuelle – teilweise wenig vorhersehbare – Entwicklungen abgestimmtes Projektmanagement.
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Organisationsmodelle und Organisationstheorie
Die Form der Projektorganisation eignet sich für Arbeiten mit einmaligem Charakter oder für Arbeiten mit einem saisonalen oder zyklischen Arbeitsverlauf. Hierzu kann die Erstellung eines nicht standardmäßigen Computerprogramms ebenso gehören wie die Entwicklung eines Prototyps oder die Produktion eines Spielfilms, der Bau eines Hauses oder die Arbeit einer Event- und Konzertmanagementfirma. Projektorientierte Arbeitsformen lassen sich gut mit einer Karawane vergleichen, die zu Beginn des Weges nach den jeweiligen Bedürfnissen zusammengestellt wird und an der – in Anpassung an die gewählte Route und den Auftrag – entsprechende Spezialisten beteiligt sind (verschiedene Warenhändler, Begleitschutz, Wachleute, Ortskundige, Dolmetscher, Kamelführer). Die einzelnen Spezialisten arbeiten zusammen, bis das Ziel erreicht ist und eine neue Karawane zusammengestellt wird.
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Übung: Welcher Bereich Ihrer Schule könnte kurzfristig oder langfristig als Projektorganisation strukturiert sein? Was wäre das Gesamtziel, was wären Teilziele und Teilaufgaben?
2.2.4 ›Tatsächliche‹ Strukturformen und ihre Ablauforganisation In der Praxis gibt es in der Regel keine der vorgestellten Organisationsformen ›in Reinform‹. So werden beispielsweise auch in strikt hierarchisch strukturierten Organisationen bereichs- und hierarchieübergreifende Gremien etabliert und Projekte durchgeführt. Auch gibt es Mischformen aus funktionaler, divisionaler und Matrixorganisation. In dieser Vielfalt und Individualität der Organisationsgestaltung ist es – gerade für Organisationsentwicklungsprozesse – entscheidend, den Aufbau und vor allem die Abläufe der individuellen Organisation genau zu untersuchen. Selbst Vorgaben wie Organigramme oder Ablaufpläne geben noch keinen ausreichenden Einblick in die Organisation, da das ›Leben der Organisation‹ nur selten diesen Vorgaben folgt. Vielmehr bilden sich in der Organisationspraxis immer Wege und Abläufe heraus, die Arbeiten vereinfachen, weniger Widerstand erzeugen oder bestimmte Positionen und Hindernisse umgehen. Man kann sich die hierzu führenden Prozesse gut vorstellen, indem man sich die Aufbauorganisation als ein System von Wasserkanälen, Rohren, Durchläufen, Filtern, Pumpen und Sammelbecken vorstellt, in das man dann Wasser einfließen lässt. Wenn die Wassermenge zu groß oder zu gering ist, wenn bestimmte Gefälle zu steil oder zu flach sind, Filter verstopft sind, Sammelbecken überlaufen oder Pumpen ausfallen, sucht sich das Wasser andere Wege als die im Aufbau vorgesehenen. In einer Analyse des tatsächlichen Wasserflusses – bzw. der tatsächlichen Abläufe in der Organisation wie Kommunikations- und Bearbei-
Formen der Organisationsstruktur39
tungswege – zeigen sich nicht nur Lecks und Fehlkonstruktionen, sondern auch viele mögliche Vereinfachungen des Aufbaus (Abbildung 8).
Abbildung 8: Tatsächlicher Verlauf eines Arbeitsprozesses in einer funktionalen Organisation (vgl. Vahs, 2007, S. 216)
Unter der Maßgabe, dass die Form der Organisation ihrer Aufgabe und Funktion folgen soll, bieten sich Vereinfachungen, Zusammenfassungen und auch Umstrukturierungen an, nicht nur, um sogenannte Reibungsverluste zu vermindern, sondern auch, um Durchlaufzeiten, Produktqualität, Produktions- und Bearbeitungskosten sowie die Kunden- und Mitarbeiterzufriedenheit zu verbessern. Hierbei muss es nicht um eine reine Effektivierung der Prozesse gehen, es können auch die Kontaktpflege zwischen Abteilungen oder die Ganzheitlichkeit von Arbeitsprozessen im Vordergrund stehen. Ergänzt man diese Sichtweise der gewachsenen und multiplen Struktur von Organisationen aus einer konstruktivistischen Perspektive, liegt die ›tatsächliche‹ Struktur von Organisationen letztlich in den Beschreibungen der Personen, die dies betrachten (vgl. Lindemann, 2006). Es gibt so gesehen mindestens ebenso viele Beschreibungen ein und derselben Organisation, wie es Personen gibt, die diese beschreiben. »Gegen den Rationalismus des konventionellen Organisationsmodells spricht vor allem, daß Organisationen nicht oder nur rudimentär über eine objektiv-versachlichte Struktur verfügen, sondern vielmehr über subjektiv differierende ›kognitive Landkarten‹, […]. Die Frage nach der ›wirklichen‹ Organisationsstruktur erweist sich daher als zu simpel« (Rolff, 1995, S. 123). Die Strukturierung und Ausrichtung von Organisationen bedeutet in diesem Zusammenhang vor allem, die Sichtweisen und Beschreibungen der Beteiligten (ihre ›Konstruktionen‹) zu thematisieren und diese – unter Anerkennung ihrer Pluralität und Rechtmäßigkeit – auf ein gemeinsames (gewünschtes) Bild der Organisation auszurichten. Dieser Ausrichtungs- und Strukturierungsprozess bedarf der aktiven Zustimmung der beteiligten Personen, da sie ihre Sichtweisen verändern müssen. Auch die Sichtweisen unbeteiligter Personen können relevant sein, etwa bei Imagekampagnen, bei der Kundenwer-
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Organisationsmodelle und Organisationstheorie
bung und im öffentlichen Ansehen. Veränderungen der Organisation – und damit auch der jeweils individuellen Konstruktionen der Beteiligten – müssen durch beobachtbare und erfahrbare Unterschiede zur vorherigen Organisation gestützt sein. Ändert sich die Struktur nicht oder ist eine Veränderung für die Beteiligten weder beobachtbar, spürbar noch sonstwie feststellbar, sind Veränderungsversuche in der Regel weder relevant noch nachhaltig. Sie müssen für die einzelnen Beteiligten immer zu anschlussfähigen, plausiblen, konsistenten, gangbaren und generalisierbaren Denk- und Handlungsweisen führen, um nachhaltige (Neu-)Konstruktionen der Organisation zu ermöglichen (vgl. Lindemann, 2006, S. 27 ff.). »Organisationen ›funktionieren‹ nicht, weil ihre ›Struktur‹ zweckmäßig gestaltet ist, sondern weil die Mitglieder ›in ihren Köpfen‹ bestimmte Vorstellungen darüber haben, wie Organisationen funktionieren sollten. Zum Teil sind diese Vorstellungen in der Kultur enthalten, z. T. müssen sie in Organisationen ›vereinbart‹ werden und in Prozessen von Versuch und Irrtum eingeübt werden. Organisationen sind so gesehen keine objektiven Gegebenheiten, sondern beruhen im Wesentlichen auf den Kognitionen von Organisationsmitgliedern« (Kieser u. Walgenbach, 2007, S. 60). Da Konstruktionsprozesse nie abgeschlossen sind, sondern eine fortlaufende kognitive Aktivität darstellen, müssen immer wieder Möglichkeiten der Bestätigung, Überprüfung oder auch Verunsicherung von Konstruktionen geschaffen werden, je nachdem, ob ›die Organisation‹ – bzw. die sie betreffenden Konstruktionen – stabilisiert oder destabilisiert werden soll. Ein entscheidender Weg hierzu ist die undogmatische und kontroverse Kommunikation über die Organisation, in der unterschiedliche Sichtweisen erst gegenseitig wahrnehmbar werden können. Was sich letztlich (bewusst oder unbewusst) als Gemeinsames oder als allgemein Gültiges etabliert, ist die Kultur der geschriebenen und ungeschriebenen Regeln, Abläufe und Gesetze der Organisation und der in ihr bestehenden ›Subkulturen‹ (vgl. Lindemann, 2006, S. 122 ff.). Organisationsentwicklung ist immer auch kognitive Neukonstruktion und Kulturentwicklung. Die Frage nach der ›richtigen‹ oder ›besten‹ Organisationsform lässt sich auch in Hinblick auf eine konstruktivistische Perspektive beantworten. Es ist diejenige Organisationsform, die in den Sichtweisen der Organisationsmitglieder und außenstehender Beobachter am besten und effektivsten funktioniert. Die ›objektiv‹ beste (bzw. effektivste, menschlichste, kreativste …) Organisation hilft nichts, wenn die beteiligten Personen diese nicht als solche wahrnehmen (vgl. Kieser u. Walgenbach, 2007, S. 65 ff.; siehe auch F.u.Z., Kapitel 4.3: Identität und Identifikation).
Organisation als Kultur und als politisches System41
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Übungen: A. Zeichnen Sie ein Organigramm der offiziellen Aufbauorganisation Ihrer Schule mit allen Gruppen, Gremien, Instanzen, Klassen, Fachgruppen, Jahrgangsgruppen und dergleichen. B. Ergänzen Sie das Organigramm durch externe Gruppen, Organisationen und Personen, die für das Funktionieren Ihrer Schule bedeutsam sind. C. Fügen Sie mit einer anderen Farbe informelle Gruppen in diese Grafik ein, die das Geschehen in Ihrer Schule ebenfalls beeinflussen. D. Suchen Sie sich einen bestimmten offiziellen Ablauf in Ihrer Schule und visualisieren Sie ihn in Form eines Flussdiagramms (Wer macht was, wann mit wem …). Zeichnen Sie anschließend in dieses Flussdiagramm alle informellen Wege und Abläufe ein. E. Lassen Sie in Ihrem Kollegium oder in Ihrer Schulklasse mehrere Bilder ihrer Schule zeichnen, die einzelne Elemente ihrer Schule beinhalten (Personen, Gremien, Gruppen). Die Beziehungen der Elemente unterein ander sollen mit Verbindungslinien, Pfeilen und Beschriftungen dargestellt werden. Präsentieren Sie die Bilder gegenseitig und unterhalten Sie sich anschließend über Gemeinsamkeiten und Unterschiede.
2.3 Organisation als Kultur und als politisches System
2.3.1 Organisationskultur Organisationen bestehen nicht nur aus produktiven und sozialen Struktureinheiten, sondern bilden auch eine jeweils eigene Kultur heraus. In ihr entstehen Glaubenssätze, Zielvorstellungen, Umgangsweisen, ein eigener Sprachgebrauch und dergleichen mehr. Auch Spitznamen, Witze und Sinnsprüche sind kulturelle Bestandteile der Organisation, die eine wichtige Funktion erfüllen, indem sie Beobachtungen der Organisation pointieren und für die Organisationsmitglieder eine entlastende Funktion haben. Letztlich kann alles, was zu den Bereichen Sprache, Symbole, Rituale und Verhaltensweisen gehört, als kulturelles Phänomen betrachtet werden. Die Idee, Organisationen unter einer kulturorientierten Perspektive zu beschreiben und auch zu gestalten, bedeutet, solche kulturbildenden Prozesse nicht nur zu beobachten, sondern aktiv zu beeinflussen. Vom gemeinsamen Entwerfen von Leitbildern und Zielvisionen bis hin zur Etablierung von Ritualen wird die Effektivität der Organisation hierbei durch Zusammengehörigkeit und Identifikation gesteigert. Eine solche Kulturorientierung lässt sich auf alle bisher genannten Organisationsmodelle übertragen, da davon auszugehen ist, dass sich Kultur bzw. Kulturen ebenso wie Bereichs-, Abteilungs- und Subkulturen in jedem sozialen System herausbilden, unabhängig davon, wie sie organisational strukturiert sind. Bezogen auf kulturelle Phänomene muss auch immer davon ausgegangen werden, dass sich eine ›informale Organisation‹ herausbildet (vgl. Schreyögg, 2003, S. 420 ff.). Hierzu gehören auch ›inoffizielle‹ Glaubenssätze, Zielvorstellungen, Umgangsweisen, Sprachgebrauch, Rituale, Kommunikations- und Führungs-
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Organisationsmodelle und Organisationstheorie
strukturen. Es ist wichtig anzuerkennen, das alle Organisationskulturen – die formale ebenso wie die informale Organisation – ihre Berechtigung haben, da sie eine Art »funktionaler Symbiose im Hinblick auf den Systemerhalt und die Leistungsfähigkeit eines Systems eingehen« (Schreyögg, 2003, S. 420). Für die Führung der Organisation ist es entscheidend, dafür zu sorgen, dass die formale und die informale Organisation sich nicht feindselig gegenüberstehen, sondern dass sie sich ergänzen, indem die Mitarbeiter im Einzelfall zwischen den Organisationen (Kulturen) wechseln, um entsprechende Aufgaben besser erledigen zu können. Hierbei kann es sich um den ›informellen Small Talk‹ handeln, den man führt, bevor man einen offiziellen Antrag formuliert, um das ›Meckern in der Arbeitspause‹, um anschließend entlastet weiterarbeiten zu können, oder um das kollegiale Mittagessen mit Kollegen eines Kooperationspartners, bei dem schon einmal Geschäfte vorbesprochen werden. Bei der Bewertung informaler Strukturen kann aus Sicht der Organisation zwischen ›brauchbaren und unbrauchbaren Regelwidrigkeiten‹ bis hin zu ›destruktiven Regelwidrigkeiten‹ bzw. ›Gegenkulturen‹ unterschieden werden. Für die Organisation kann sich sogar die Frage stellen, ob man ›brauchbare Regelwidrigkeiten‹ zur Regel erklärt und dadurch in die formale Organisation integriert (vgl. Schreyögg, 2003, S. 422). Sowohl formale als auch informale Organisation bzw. ihre Kultur zeichnet sich durch einige Kernmerkmale aus (vgl. Schreyögg, 2003, S. 450 ff.). Organisationskultur ist: –– Implizit (sie besteht aus ›selbstverständlichen‹ Annahmen und Sichtweisen und bildet einen Teil des Selbstverständnisses von Personen, Gruppen und Abteilungen) –– Kollektiv (sie besteht aus gemeinsamen Orientierungen, Werten, Denk- und Handlungsmustern, die nicht nur Einzelpersonen betreffen) –– Konzeptionell (sie bietet einen ›Selektions- und Interpretationsrahmen‹ zur Orientierung und zum Umgang mit Strukturen und Situationen) –– Emotional (sie legt fest, was zu lieben und was zu hassen ist und wie man sich in bestimmten Positionen und Situationen fühlen soll) –– Historisch (sie ist eine gewachsene Struktur, die in einem stetigen Wandel zu stabilen Zuständen tendiert und deren übermäßige Veränderung die Ausmaße einer ›Kulturrevolution‹ annehmen kann) –– Interaktiv (sie entsteht im gegenseitigen Austausch und wird über ›Sozialisationsprozesse‹ vermittelt) Die formale wie informale Kultur (bzw. Kulturen) einer Organisation enthält wichtige Aspekte für ihr internes wie externes Ansehen, für ihre Effektivität, für die Art und Weise, wie neue Kollegen aufgenommen und alte verabschiedet werden, wie man mit Erfolgen, Misserfolgen und Risiken umgeht, und auch dafür, welche Personen, Ideen und Handlungen überhaupt in die Organisation ›passen‹. In Bezug auf multinationale Organisationen spielt dies eine entscheidende Rolle, da die Mit-
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arbeiter nicht nur aus jeweils anderen Organisationskulturen kommen, sondern auch aus verschiedenen nationalen und regionalen Kulturen stammen (Näheres siehe F.u.Z., Kapitel 4.2.6: Heterogenität, Vielfalt und Diversity Management). Eng mit der Organisationskultur ist das Organisations- oder Betriebsklima assoziiert. Aspekte des Klimas sind (Rosenstiel, 1995, S. 361 ff.): –– Strukturierung Verhaltensspielräume – Regelungen –– Autonomie Unabhängigkeit, Entscheidungsfreiheit – Abhängigkeit, Fremdbestimmung –– Unterstützung Vertrauen, Achtung – Misstrauen, Distanz –– Leistungsorientierung Engagement, Dynamik – Trägheit, Desinteresse –– Zusammenarbeit Solidarität, Integration, Interdependenz – Konkurrenz, Aussonderung, Nebeneinander –– Belohnung und Anerkennung Fairness, Leistungsrückmeldung – Statusorientierung, Leistungsnivellierung –– Innovation und Entwicklung Änderungsbereitschaft, Ideen- und Engagementfreundlichkeit, Experimentierfreude – Starrheit, Dogmatismus, Sicherheitsdenken –– Hierarchie und Kontrolle Partnerschaftlichkeit, Verantwortungsübernahme – Unterordnung, Überwachung Diese Aspekte der Organisationsklimas spiegeln sich auf allen Ebenen der Organisation wider, im Aufbau und Ablauf, in der Rollenverteilung, im Führungshandeln und der Beteiligungspraxis. Das persönliche Empfinden der Organisationsangehörigen spielt hierbei eine entscheidende Rolle, da das ›rechte Maß‹ zwischen den verschiedenen Polen der genannten Aspekte nicht objektivierbar ist (siehe F.u.Z., Kapitel 4.2.1: Kriterien humaner Arbeit). Wichtig ist es – vor allem bezogen auf die aktive Gestaltung von Organisationen – anzuerkennen, das Kultur und Klima indirekte Variablen darstellen, die nicht hergestellt oder direkt beeinflusst werden können. Im Rahmen von Organisationsgestaltung können immer nur Rahmenbedingungen für die Selbstentwicklungsprozesse von Kultur geschaffen werden. Steuern lassen sich Kulturprozesse nicht (siehe auch F.u.Z., Kapitel 3.4.6: Symbolische Führung und F.u.Z., Kapitel 4.3.2: Identifikation und Bindung). Abschließend sei auf die starke Ambivalenz ausgeprägter Organisationskulturen hingewiesen. Je stärker sich diese etabliert haben, desto positiver sind sie im Sinne des Erhalts bestehender Strukturen und Abläufe, desto resistenter sind sie aber auch gegenüber Veränderungen (vgl. Vahs, 2007, S. 136 f.; siehe Kapitel 6.5: Dynamik, Gefahren und Erfolgskriterien der Organisationsentwicklung).
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Organisationsmodelle und Organisationstheorie
Übung: Beschreiben Sie kulturelle Prozesse und Phänomene an Ihrer Schule, in Ihrem Kollegium oder Ihrer Schulklasse. Welche Sub-Kulturen gibt es? Gibt es an Ihrer Schule offizielle kulturbildende Prozesse? Welche Aspekte der schulischen Kultur finden Sie erhaltenswert, welche würden Sie gerne abschaffen oder verändern?
2.3.2 Organisation als politisches System Eine Organisation ist auch immer ein politisches System. Nicht nur die sogenannte Firmenpolitik spielt hierbei eine Rolle, sondern auch der Stil, in dem eine Organisation intern geführt wird. Auch in einer demokratischen Gesellschaft gibt man durch die Zugehörigkeit zu einer Organisation bestimmte Rechte (z. B. Teile der Freizügigkeit) ab oder man erhält eine bestimmte Macht (z. B. das Direktions- und Weisungsrecht) und erhält dafür einen bestimmten Lohn. In diesem Bedingungsgefüge aus divergierenden Interessen, Gewinn, Macht, Status, Konflikten, Karrieren, Ansprüchen und ›Parteien‹ entstehen politische Prozesse der Machtdurchsetzung, Abstimmungen, Partei- und Koalitionsbildung. In Organisationen muss nicht nur entschieden werden, wie dort mit politisch-gesellschaftlichen Werten wie Mündigkeit, freier Meinungsäußerung, Mitbestimmung und dergleichen umgegangen wird, sondern auch, wie man dort zu zustimmungsfähigen und gewinnbringenden Entscheidungen kommt. Politisches Handeln ist auch immer ›Wahlkampf‹ und ein Ringen um persönliche und gemeinschaftliche Gewinne. Während in stark autoritären und hierarchischen Organisationen eine Politik ›von oben‹ gepflegt wird, vergrößert sich der Spielraum für politische Interaktionen, je größer die Entscheidungsspielräume und die Möglichkeiten werden, in Gremien, Aufsichts ratssitzungen, Versammlungen und dergleichen tatsächlich Einfluss zu nehmen (vgl. Schreyögg, 2003, S. 434). Ebenso wie bei der geschilderten Kulturorientierung entstehen politische Prozesse in jeder Sozialform, ob man dies nun aktiv betreibt oder nicht (Näheres siehe F.u.Z., Kapitel 3.4.2: Mikropolitik). Die Aspekte der Legitimierung, Macht und Machtausübung spielen hierbei eine wichtige Rolle: Wer hat welche durch wen legitimierten Befugnisse und wie werden diese umgesetzt? Neben einer reinen Analyse politischer Strukturen in Organisationen stellt sich also in allen vorgestellten Organisationsformen auch die Frage nach ihrem politischen Potenzial. Dies betrifft nicht nur den Blick nach innen, als Reflexion des betriebsinternen Miteinanders, sondern auch eine Auseinandersetzung mit der Außenwirkung. Diese Wirkung nach außen ist entscheidend für die Akzeptanz von Organisationen, etwa hinsichtlich ihrer gesellschaftlichen und ökologischen Verantwortung oder hinsichtlich des Vorwurfs von Schiebereien, Bestechung und Lobbyismus.
Organisationsformen von Schule45
Schulen müssen sich die Frage ihrer Politik in besonderem Maße stellen, da sie einen demokratischen Bildungsauftrag haben und daher sehr genau definieren müssen, welche Personengruppen an welchen Entscheidungsprozessen mitwirken sollen (siehe Kapitel 2.4.2: Schule als demokratische Organisation?). Die Grundlage hierzu bildet die Autonomie, die der Schule als Organisation zugestanden wird. Eine Entwicklung von eher bürokratischen Schulstrukturen zu mehr Entscheidungsautonomie bildet hierfür die Grundlage (siehe Kapitel 2.4.1: Was für eine Organisation ist Schule?; vgl. Gaziel, 2009, S. 219 ff.). Wie sich Schule nach innen und außen verhält und mit welcher Klarheit sie dies tut – bzw. überhaupt tun kann –, beeinflusst das Miteinander und die Schulkultur ebenso wie die Zusammenarbeit mit Eltern und die Kooperation mit externen Gruppen und Organisationen (siehe F.u.Z., Kapitel 4.2.5: Empowerment).
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Übung: Beschreiben Sie politisches Handeln sowie andere politische Prozesse und Phänomene an Ihrer Schule. Gibt es an Ihrer Schule eine offizielle ›Innenund Außenpolitik‹?
2.4 Organisationsformen von Schule Schule soll im weiteren Verlauf des Buches als Organisation betrachtet werden. Betrachtet man sie zudem als Unternehmen, wäre sie eine Organisation, die ›marktfähige Güter oder Dienstleistungen‹ erzeugt (vgl. Vahs, 2007, S. 16). Diese Sichtweise mag im ersten Augenblick Unbehagen mit sich bringen, vor allem, wenn man hierbei an einen rein finanz- und leistungsorientierten Markt denkt oder an eine Fließband-Produktion. Die Definition der Güter und Dienstleistungen von Schule spielt daher eine entscheidende Rolle für einen reflektierten und kritischen Umgang mit einer Übertragung von Modellen und Strategien der Organisation und Führung auf Schule (siehe Kapitel 3: Produkte, Produktplatzierung und Marktorientierung). Bevor aber die Frage nach den ›marktfähigen Gütern und Dienstleistungen‹ von Schule beantwortet wird, soll Schule zunächst unter anderen Gesichtspunkten der Organisation beschrieben werden: –– als eine Organisation, die im Rahmen ihrer vorhandenen Entscheidungsspielräume und ihrer (relativen) Eigenständigkeit mitentscheiden kann, was sie ›unternimmt‹. –– unter einer unternehmerischen Perspektive, also einer Mitbestimmung darüber, was ihre Güter, ihre Dienstleistungen und auch ihr Markt sein sollen. Schule muss hierbei nicht nur unter den Gesichtspunkten ihrer gesetzlichen Rahmenvorgaben gesehen werden, die keine vollständige Autonomie oder ›unternehmerische Freiheit‹ erlauben. Sie muss gemäß ihrem Bildungsauftrag sogar unter den Aspekten einer demokratischen Organisationsgestaltung betrachtet
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Organisationsmodelle und Organisationstheorie
werden, wenn sie ein Lernort für Demokratie sein soll. Die Frage der Beteiligungspraxis in der Schule stellt sich zudem auch, wenn das Potenzial der an ihr beteiligten Personen (Lehrer, Schüler, Eltern, Kooperationspartner, Schulaufsicht etc.) für die Gestaltung ihrer Organisation genutzt werden soll.
2.4.1 Was für eine Organisation ist Schule? Das deutsche Schulsystem ist von seiner Herkunft her und in seiner heutigen Form eine bürokratische Organisation, die sich durchaus mit Max Webers Organisationstheorie beschreiben lässt (vgl. Fuchs, 2004, S. 210 ff.; Fend, 2008, S. 102). Auch Reform- und Veränderungsprozesse werden eher ›von oben‹ vorgegeben, als ›vor Ort‹ entwickelt. Der Gestaltungsraum scheint in den oberen Ebenen der Bürokratie und Politik zu liegen, während Schulen die Erfüllung einer vorgegebenen Funktion in dieser bürokratischen Struktur übertragen bekommen. »Selbständigkeit der Schule ist auch ein Hoffnungsträger für die Entwicklung von Schulen zu ›Unternehmen‹, in denen hoch motivierte Mitarbeiter das Beste für ihre Institution und ihre Abnehmer wollen. Wer nur abhängiger Ausführender eines Auftrages ist, wenig selbständig entscheiden kann und in einem Raum ohne Anerkennung ›guter Arbeit‹ lebt, der wird auch nicht so motiviert sein, wie es eine optimale Arbeit erfordert.« (Fend, 2008, S. 202)
Diese Feststellung der Sinnhaftigkeit von mehr Selbstständigkeit betrifft sicherlich nicht nur die Organisation von Schule, sondern auch die Organisation ihrer Teile, wie etwa den Unterricht. Modelle der eigenständigen oder eigenverantwortlichen Schule sind dazu geeignet, mehr Handlungsspielraum an Einzelschulen und in Schulklassen zu ermöglichen, aber nur insoweit, als die übergeordnete Schulaufsicht ihre kontrollierend-steuernde Funktion zu Gunsten einer beratenden und unterstützenden Steuerung aufgibt (vgl. Rolff, 1995, S. 144). Bei den mit aktuellen Bestrebungen hinsichtlich einer eigenständigen oder eigenverantwortlichen Schule verbundenen Schulinspektionen zeigt sich jedoch auch die bürokratische Linie des Schulsystems, die dazu führt, dass es an Einzelschulen eher um die Erfüllung der Inspektionskriterien geht, als um eigenmotivierte Schulund Unterrichtsentwicklung. Betrachtet man Schulentwicklung und die damit zusammenhängende Forschung, lässt sich jedoch ein grundlegender Paradigmenwechsel beobachten, der in der 1990er-Jahren einsetzte und stärker auf die Output-Steuerung als auf die Input-Steuerung von Schulen fokussiert (vgl. Schwippert u. Goy, 2008, S. 392). Der Wirkungsgrad eingesetzter Mittel für die Erreichung von Bildungszielen steht hierbei im Zentrum der Forschung und Steuerung. Die zahlreichen Leistungsvergleichs- und Schulqualitätsuntersuchungen stellen hierzu sowohl im nationalen als auch im internationalen Vergleich Daten zur Verfügung, die beispielsweise das mathematische, naturwissenschaftliche und sprachliche Ver-
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ständnis oder die Problemlösekompetenz von Schülern vergleichen oder auch Aussagen über die Verteilung von Bildungschancen an den Schulen treffen (vgl. Schwippert u. Goy, 2008, S. 400–416). Der Paradigmenwechsel hin zu einer Output-Steuerung ging mit der Erkenntnis einher, dass ›gute Schulen‹ nicht primär aus äußerer Steuerung entstehen, sondern dass die Gestaltbarkeit von Schule durch innerschulische Akteure bedingt ist (vgl. Wenzel, 2008, S. 425). Diese Feststellung wurde pointiert gar als ›Krise der Außensteuerung‹ bezeichnet (vgl. Rolff, 1998, S. 299). Die Fokussierung auf die Entwicklung von Einzelschulen schlägt sich auch in den Steuerungsmodellen der Landesregierungen nieder, die Formen eigenständiger, selbstständiger oder (teil-)autonomer Schulen etablieren und somit vermehrt auf eine Eigensteuerung der Schulen setzen (vgl. Rolff, 2005, S. 49; Klieme et al., 2005, S. 68; Holtappels, 2003, S. 103 f.; Fend, 2008, S. 202). Schulorganisationsentwicklung als Entwicklung von Einzelschulen bedeutet jedoch, für die von Schulleitung, Lehrern und nicht zuletzt von Eltern und Schülerschaft geforderten Kompetenzen einen großen Wandel zu vorherigen Ideen schulischer Entwicklung. Frühere Vorstellungen schulischer Organisation wandelten sich von »Schule als Bürokratie […], die im Wesentlichen durch Gesetze, Verordnungen, Erlasse und Anweisungen ›von oben‹ gestaltet und gesteuert wird, hin zu einer Vorstellung von Schule, innerhalb derer die Akteure von Ort – also Lehrer, Schulleitungen, Eltern und Schüler – in eigener Verantwortung erforderliche Maßnahmen der Konflikt- und Problemlösung, der Entwicklung und Profilierung, der Modernisierung und eventuell auch der Haushaltsgestaltung und der Personal entscheidung selbst treffen – natürlich innerhalb des gesellschaftlich verantworteten Rahmens.« (Wenzel, 2008, S. 427)
Der Wandel von einer ›außengesteuerten Bürokratie‹ zu einer ›eigenständigen Organisation‹ ist jedoch – abgesehen von Reformschulen und einzelnen ›Leuchttürmen‹ – in der Breite weitgehend spurlos an Schulen vorbeigegangen. Zwar werden Leistungen und teilweise auch Qualität von Schulen überprüft und verglichen, eine organisatorische Sichtweise und die dafür notwendigen Kompetenzen sind jedoch noch lange nicht in den Schulen angekommen. »Schülerleistungserhebungen und Vergleichsstudien mit bloßen Leistungsdaten haben vornehmlich Bedeutung für die Einschätzung der Ergebnisqualität im Bildungssystem, sie bringen jedoch keineswegs schon Schulentwicklung in Gang.« (Holtappels, 2003, S. 39)
Das Wissen um die geforderte ›Output-Qualität‹ gibt zum einen keine Hinweise über die dafür notwendige ›Struktur- und Prozessqualität‹, zum anderen kann ein definierter Output durch verschiedene Formen der Struktur- und Prozesssteuerung erreicht werden. Letztlich sind auch organisationsexterne Faktoren bedeutsam, deren Auswirkungen auf die Organisation bedacht werden müssen und die für jede einzelne Schule sehr unterschiedlich sein können.
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Organisationsmodelle und Organisationstheorie
Bezogen auf den weltweit festzustellenden Trend einer Dezentralisierung im Bildungswesen und einer zunehmenden Autonomie von Schulen müssen zudem noch weitere Aspekte kritisch angemerkt werden: Zum einen existieren sehr unterschiedliche Modelle und Vorstellungen davon, welche Handlungsspielräume den einzelnen Schulen eingeräumt werden sollen (vgl. Barrera-Osorio, Fasih u. Patrinos, 2009, S. 17 ff.). Zentralisierung und Dezentra lisierung sind hierbei keine Entweder-Oder-Kategorien, sondern bilden vielmehr ein Kontinuum aus quantitativ und qualitativ unterschiedlichen Ausprägungen (vgl. Barrera-Osorio, Fasih u. Patrinos, 2009, S. 22; Zajda u. Gamage, 2009, XVII). Zum anderen handelt es sich bei diesem Trend um eine sehr ambivalente Entwicklung, die sowohl demokratische und partizipative Bestrebungen reflektiert wie auch ökonomische, wenn nicht sogar neoliberale Strömungen in der Bildungspolitik, die maßgeblich auf die Effizienz von Bildung ausgerichtet sind (Zajda u. Gamage, 2009, XVf). Es müssen somit auch verschiedene treibende Kräfte differenziert werden, die Dezentralisierung und Schulautonomie vorantreiben (Caldwell, 2009, S. 56): 1. Bestrebungen nach weniger Kontrolle und Uniformität und nach mehr Freiheit und Differenzierung, 2. Interesse an der Verringerung der Größe und damit auch der Kosten für die Aufrechterhaltung einer großen zentralen Bürokratie, 3. Versuche zur Erhöhung der Einflussnahme und Einbindung lokaler Gruppen und der Region, 4. der Wunsch nach Professionalisierung auf Schulebene durch die Einbindung der Lehrkräfte in Entscheidungs- und Gestaltungsprozesse und 5. die Erkenntnis, dass unterschiedliche Schulen mit unterschiedlicher Schülerschaft und unterschiedlichen Bedürfnissen jeweils individuelle Strategien entwickeln müssen, um diesen gerecht zu werden. Hinzu kommen Tendenzen, den Wettbewerb zwischen Schulen und somit deren Marktausrichtung zu intensivieren. Die Idee einer Schulentwicklung als Aufgabe der Einzelschule verlangt von Lehrer-, Eltern- und Schülerschaft ein anderes Grundverständnis von Schule unabhängig davon, auf welche treibenden Kräfte sie zurückzuführen ist. Dieses andere Verständnis betrifft die Art der Führung von Schulen ebenso wie ihr Selbstbild, die von ihnen zu erledigenden Aufgaben und die Art und Weise ihrer Zusammenarbeit. Schule muss sich im Zuge der – auch bildungspolitisch vorgegebenen – Veränderung zu mehr Eigenständigkeit und Verantwortung vermehrt als Organisation begreifen, deren Entwicklung eine zentrale Aufgabe aller Beteiligten ist. Mit der Propagierung der ›eigenständigen‹, ›eigenverantwortlichen‹ oder ›selbstständigen‹ Schule durch die Länder nimmt die Bedeutung von Modellen der Organisationsführung und Organisationsgestaltung – als Strategien der Gesamtentwicklung einer Organisation – für Schulen zu (vgl. Rolff, 2007a, S. 13 f.).
Organisationsformen von Schule49
In der Entwicklung von Schulen zu ihrer je eigenen »individuellen Werte-, Kooperations- und Führungskultur, ihrem Schulklima, ihren Partizipationsmöglichkeiten, ihren curricularen Schwerpunkten und spezifischen Unterrichtsangeboten« (Klieme et al., 2005, S. 68) werden weit umfassendere Anforderungen an die einzelne Schule gestellt, als dies in dem alleinigen Fokus auf Schülerleistung und Unterrichtsentwicklung der Fall ist. Der umfassende, vernetzte und organisatorische bzw. unternehmerische Blick auf Schule erfordert ein anderes Wissen, andere Kompetenzen und ein anderes Selbstverständnis von den an Schule beteiligten Personen. Hierzu müssen Ergebnis- und Prozessfaktoren der Schule gleichermaßen zum Gegenstand der Rückmeldung und Weiterentwicklung gemacht werden (vgl. Klieme et al., 2005, S. 72). Unabhängig davon, wie man zur Konzeption des Schulsystems und den diversen Strategien stehen mag, bleibt festzuhalten, dass sich der Spielraum für eigenverantwortliches Handeln der Einzelschulen in einem sehr ambivalenten Spannungsfeld zwischen Autonomie und Kontrolle befindet. Es gibt aber auf jeden Fall einen Spielraum der Selbstbestimmung, den Schulen für ihre Organisation, für die Schüler, Lehrer, Eltern und ihr Umfeld nutzen können. Hierzu lohnt es sich verschiedene Bereiche zu definieren, die als Organisationseinheit unternehmerisch gestaltet werden können. Schule als Organisation Zum einen lässt sich die gesamte Schule als eine Organisation betrachten, die über Schulkonzept, Projekte, Unterrichtsgestaltung, Gestaltung interner Abläufe, Führungsgrundsätze und dergleichen gestaltet wird. Gerade für Projekt- oder Privatschulen ist eine unternehmerische Sicht ihrer Organisation wichtig, um bestehen zu können bzw. um sich auf dem Markt zu behaupten. Eine unternehmerische Sichtweise auf die eigene Organisation bietet aber auch für alle anderen Schulen eine hilfreiche Grundhaltung, selbst wenn die Notwendigkeit hierfür beispielsweise aufgrund einer staatlichen Absicherung weniger gegeben ist. Schulklasse als Organisation Bei der Übertragung von Organisations- und Führungsmodellen auf schulische Kontexte muss nicht zwangsläufig an die gesamte Schule gedacht werden. Betrachtet man eine einzelne Schulklasse als Organisation, ergibt sich ein überschaubarer Rahmen, innerhalb dessen Strukturen einfacher analysiert und verändert werden können. Hier kann z. B. die Frage gestellt werden, welche einzelnen Prozesse oder Aufgaben anhand welcher Organisationsmodelle gestaltet werden können. Mehrere Schulklassen als Organisation Denkt man über die Klasse hinaus, ist es möglich, andere Klassen und Gremien als weitere Organisationen zu betrachten, die nach jeweils eigenen Modellen arbeiten. Der Rest der Schule würde die äußere Umwelt der einzelnen Organisationen (Schulklassen) darstellen. Hier wäre ein Blick auf gemeinsam genutzte ›Produk
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Organisationsmodelle und Organisationstheorie
tionsstätten‹ und Ressourcen im Sinne einer kooperativen Zusammenarbeit interessant. Die Schule wäre ein ›Spielfeld‹ für verschiedene (Unter-)Organisationen. Schulklassen als Abteilungen in der Gesamtorganisation Schule Ein anderes Bild ergibt sich, wenn Schulklassen als Abteilungen in der Gesamt organisation Schule gesehen werden. Dabei stellt sich schon eher die Frage nach verbindenden Organisationszielen und nach Gemeinsamkeiten in den Arbeitsformen und Auffassungen sowie nach den Beziehungen zum äußeren Umfeld (z. B. Stadtteil). Aber auch einzelne Abteilungen haben ihre Individualität, Binnenkultur, ihren Führungs- und Arbeitsstil. Schule als Teil einer vernetzten Organisationsstruktur Ein nächster Schritt ginge noch darüber hinaus, indem die Schule als Teil einer vernetzten Organisationsstruktur betrachtet wird. Etwa als eine Organisation in einer Gesamtstruktur mit mehreren Schulen, die zum gleichen Träger gehören oder die sich in einem Stadt- oder Regionalverbund zusammengeschlossen haben. Ebenso können Kindertagesstätten, Horte, Stadtteilzentren und andere Institutionen in den Rahmen einer vernetzten Organisationsstruktur eingebunden werden. Die Entscheidung, welche Elemente man zur Organisation zählt, ist immer eine durch Kommunikationen und Handlungen vorgenommene Differenzierung (vgl. Schreyögg, 2003, S. 304). Die Organisation ist immer das, was man gerade als Organisation beschreibt und betrachtet: die Abteilung, der Bereich, die Außenstelle, das Servicebüro, der Standort Europa oder Frankreich oder der Gesamtkonzern. Die Beschreibung der Grenzen einer Organisation stellt immer eine Form der ›Komplexitätsreduktion‹ dar, die das Innen und Außen der Organisation definiert. Bei der Entscheidung, welche Grenze man für eine bestimmte Analyse oder Planung zur Beschreibung der Organisation zieht, ist immer zu bedenken, welche Funktionen innerhalb und außerhalb dieser Grenze erfüllt werden, welche Kooperationen und Konkurrenzen bestehen und welche Funktionen und Aufgaben sich ergänzen oder im Widerstreit zueinander stehen.
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Übungen: A. Beschreiben Sie Prozesse und Aufgaben, für die Ihre Schule zunehmend die Verantwortung trägt oder tragen soll. Welche davon werden schon gut durch die Schule erfüllt, welche noch nicht? B. Was betrachten Sie als Ihre Organisation (Schule, Schulklasse, …)? Fertigen Sie eine Strukturskizze an, die das Innen und Außen dieser Organisation sowie die Übergänge zu anderen Organisationen und Handlungsfeldern verdeutlicht.
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2.4.2 Schule als demokratische Organisation? Robert J. Starratt schreibt in seinem Artikel über demokratische Führung mit Bezug auf die Vereinigten Staaten von Amerika, dass Schulen, Schulleitung und Schulverwaltung nicht mit Begriffen demokratischer Institutionen oder Führung belegt werden können (vgl. Starratt, 2003, S. 26). Dies ginge allein schon deswegen nicht, weil die Struktur des Schulwesens und der Auftrag an Schulen eine unabhängige und demokratische Führung der Schule ausschlössen. Der Begriff Demokratie taucht jedoch in schulischen Zusammenhängen oft genug auf, nicht zuletzt als Lerninhalt. Schule muss sich also damit auseinandersetzen, dass demokratische Entscheidungen an Schulen von ihren Vorgaben her begrenzt sind, sie aber dennoch Lernräume für Demokratie bieten soll. Auch muss sie sich damit auseinandersetzen, dass ihre Veranstaltungen in einem Zwangskontext der ›Schulpflicht‹ stattfinden, während Demokratie in der Regel Freiwilligkeit voraussetzt, etwa beim ›Wahlrecht‹ oder dem ›Recht der freien Meinungsäußerung‹. Die schon weiter oben geschilderte Tendenz zu einer stärkeren Eigenständigkeit von Schulen mag hier Freiheitsgrade schaffen, muss aber hinsichtlich einer damit verbundenen Demokratisierung auch immer kritisch betrachtet werden (siehe Kapitel 2.4.1: Was für eine Organisation ist Schule?). Unter pragmatischen Gesichtspunkten müsste also geschaut werden, welche Freiheitsgrade und Bereiche demokratischer Prozesse an Schulen existieren und genutzt werden und welche Bereiche nicht für Veränderungen auf demokratischer Grundlage zur Verfügung stehen. Hierbei gilt es auch offen über ›pseudodemokratische Gremien‹ ins Gespräch zu kommen, die zwar eingesetzt oder gewählt sind und die sich zu gewissen Themen äußern, aber letztlich nichts (mit-)entscheiden können. Sei es, dass sie über keine Handlungs- und Entscheidungsspielräume verfügen, oder diese nicht nutzen (siehe F.u.Z., Kapitel 4.2.5: Empowerment). In Unternehmen stellen sich die Fragen nach Autonomie und Entscheidungsspielräumen von Arbeitsgruppen, sowie der Abgabe von Macht und Verantwortung aus rein wirtschaftlichen Gründen. Die Übernahme von Verantwortung durch Mitarbeiter oder Teams führt – im Gegensatz zu einer streng hierarchischen und fremdbestimmten ›Verwaltungsorganisation‹ – zu einer ganz anderen Haltung der Unternehmensangehörigen und ihrer Bindung an das Unternehmen. Je ernsthafter Mitarbeiter in Entscheidungen eingebunden sind und eigene Entscheidungsfreiräume haben, desto intensiver und verantwortungsbewusster bringen sie sich in das Unternehmen ein und umso höher ist ihre Motivation und Arbeitszufriedenheit (siehe F.u.Z., Kapitel 4: Organisationen im Spannungsfeld von Individualisierung und Standardisierung). In Schulen stellen sich diese Fragen nach der Autonomie und den Entscheidungsspielräumen nicht hinsichtlich eines finanziellen Vorteils, sondern hinsichtlich der damit verbundenen Lern- und Entwicklungsmöglichkeiten. In seinem zweibändigen Werk über offenen Unterricht verwendet Falko Peschel in Bezug auf die Freiheitsgrade und Mitbestimmungsmöglichkeiten im Unterricht das Bild eines Urlaubs:
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Organisationsmodelle und Organisationstheorie
»Wie würden Sie auf Dauer gerne Ihren Traumurlaub gestalten? Als Massentourist auf Pauschalreise, wo man im 40-Minuten-Takt mit dem Bus von Attraktion zu Attraktion gekarrt wird, um dann in einem künstlichen Hotelparadies von Animateuren mit versierten Motivationstricks bei Laune gehalten zu werden? Oder würden Sie es eher vorziehen, als Individualurlauber auf eigenen Wegen mit nur groben Plänen durch die Gegend zu streifen, innehalten zu können, wann Sie wollen, unwegsames Gelände oder kleine Straßen nach Belieben wählen zu können, die für Sie und andere vorher als unerreichbar galten? Das ist nicht nur eine Geschmacksfrage. Es ist eine didaktische Lebensfrage.« (Peschel, 2003, S. 91)
Diese ›didaktische Lebensfrage‹ müssen sich Schulen in Bezug auf ihre Organisationskultur und -politik stellen. In der Herstellung eines Zusammenhangs zwischen den individuellen Antworten der Schüler und Lehrer auf diese Frage, und einer Antwort der Schule als Organisation bietet sich ein weites Arbeitsfeld der Organisationsgestaltung, Mitarbeiterführung und Personalentwicklung. Die Beantwortung der didaktischen Lebensfrage durch Schulen ist nicht nur entscheidend für die grundlegenden Mitbestimmungsmöglichkeiten in dieser Organisation, sondern auch für die Rollen, die den einzelnen Beteiligten hierbei zugewiesen oder ermöglicht werden. Sind Lehrer Reiseleiter und Animateure auf einem schon vorher festgelegten Reiseweg oder sollen sie Berater für den ›Individualurlaub‹ jedes Einzelnen sein? Sind sie Bürokraten, die einen Verwaltungsapparat überwachen und kontrollieren? Unternehmer, die zusammen mit ihren Mitarbeitern kreativ und innovativ an ihren Produkten arbeiten? Oder Unternehmer, die lediglich eine finanzielle Gewinnoptimierung anstreben? Bezogen auf die ganze Schule richtet sich die Antwort auf die ›didaktische Lebensfrage‹ nach der gewünschten Organisationsform. Oder unternehmerisch ausgedrückt danach, welches Produkt man herstellen möchte. Handelt es sich um ein Massenprodukt vom Fließband oder um die Einzelanfertigungen einer Manufaktur (siehe Kapitel 3: Produkte, Produktplatzierung und Marktorientierung)? Aus der Beantwortung dieser Frage ergeben sich das Maß der Fremd- und Selbstbestimmung ebenso wie die in der Organisation möglichen Aufgaben und Rollen. Haben wir auf der einen Seite Kommandeure, Vorarbeiter, Chefs, Schichtleiter und Entscheider und auf der anderen Seite Befehlsempfänger, Zwangsarbeiter, Schichtarbeiter und Befolger? Oder gilt es, Lehrern und Schülern andere Perspektiven und Rollen anzubieten als Moderatoren, Dokumentatoren, Redner, Eventmanager, Trainer, Berater, Coaches, Teammitglieder, Unternehmer, Projektleiter, Sachgebietsleiter und dergleichen mehr. Die Frage nach der Hierarchie, den Rollenverteilungen, der Demokratie und den Mitbestimmungsmöglichkeiten in Schulen ist keine Entweder-oder-Entscheidung, sondern muss in einer Sowohl-als-auch-Perspektive gedacht werden. Anregungen zur Auseinandersetzung mit demokratischen Werten und Praktiken in Schule gibt es in ausreichendem Maße (vgl. z. B. Edelstein, Frank u. Sliwka,
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2009). Was man auch herzustellen gedenkt, es wird immer Abläufe geben, die wenig mit demokratischen Entscheidungen zu tun haben und die ›nicht verhandelbar‹ sind, ebenso wie Routineaufgaben und Rollen, die wenig Kreativität erfordern. Die (individuelle) Mischung von Individualisierung und Standardisierung ist hierbei entscheidend, wenn man versucht, die Zusammenhänge zwischen Individuum und Organisation auf eine produktive Weise herzustellen (vgl. z. B. Roos, 2007; siehe F.u.Z., Kapitel 4: Organisationen im Spannungsfeld von Individualisierung und Standardisierung). Demokratie und Selbstbestimmung können hierbei entscheidende Elemente darstellen.
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Übung: Beschreiben Sie demokratische Prozesse an Ihrer Schule. Welche Rollen nehmen Lehrer, Schüler und Eltern hierbei ein? Welche Entscheidungen und Arbeitsbereiche stehen für demokratische Prozesse nicht zur Verfügung?
■■3 Produkte, Produktplatzierung und Marktorientierung
Beim Transfer von unternehmerischen Organisationsmodellen auf die Organisation von Schulklassen oder Schulen und bei der Entscheidung, welches dieser Modelle hilfreich sein kann, muss zunächst geklärt werden, was überhaupt das ›Produkt‹ von Schule ist, welchen ›Markt‹ sie bedient und welchen äußeren Veränderungen sie sich stellen muss. Die Übertragung der Begriffe ›Produkt‹ und ›Markt‹ auf Schule bzw. auf Schüler mag befremden. Diese Form der Verfremdung des Bildungsgedankens erlaubt es jedoch, neu und anders über zwei Fragen nachzudenken, deren Beantwortung schon fast banal erscheint: Was soll das Ergebnis von Schule sein? Und: Wie soll sie dieses Ergebnis erreichen? Was Schule ist, was Schule tut bzw. tun soll oder tun sollte, ist schon durch fast jede gesellschaftliche Gruppe beantwortet worden. Seien es Eltern, Parteien, Wirtschaftsvertreter, Psychologen, Lehrer oder auch Schüler, alle scheinen eine gleichermaßen normative Definition dieses schulischen Outputs parat zu haben. Trotzdem – oder gerade deshalb – lohnt sich eine grundlegende und durch Begriffe aus der Unternehmenssprache verfremdete Auseinandersetzung mit der Frage: Was sind die Dienstleistungen und Produkte von Schule? Was ist ihr Markt? Wer sind die Kunden? Wie ist die Vermarktung organisiert? Zur Bearbeitung dieser Fragen folgt eine Auseinandersetzung mit folgenden Schwerpunkten: Kapitelübersicht: –– Die Produkte von Schule –– Anspruchsgruppen, Märkte und Vermarktung
3.1 Die ›Produkte‹ von Schule
3.1.1 Dienstleistungen, Produkte und Produktqualität Bei dem Begriff Produkt wird meistens an materielle Güter gedacht. Ein Produkt kann aber ebenso eine Dienstleistung sein, eine Idee, ein Konzept, ein virtuelles Webdesign, die Gestaltung einer Wohnung oder einer Grünfläche. Gemeinsam ist allen Produkten, dass sie in irgendeiner Art und Weise gemacht oder hergestellt werden. Betrachtet man Schule als eine Organisation, die etwas macht oder herstellt, könnte man zunächst sagen, dass sie eine Dienstleistung erbringt, indem sie ihre Kunden mit Bildungsangeboten versorgt. Diese Dienstleistung ist aber nur
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Produkte, Produktplatzierung und Marktorientierung
die vordergründige Aufgabe. Die mit ihr verfolgten Ziele, also die gewünschten Wirkungen der Dienstleistung, sind das eigentliche Produkt: Bildung und Persönlichkeitsentwicklung im allerweitesten Sinne. Letztlich auch die Vermittlung von Werten und Normen der Gesellschaft, die den Schulen ihren (Bildungs-) Auftrag erteilt hat. Die Dienstleistung eines Ergotherapeuten etwa besteht in Ergotherapie, die Ziele jedoch liegen in der Gesundheit und dem Wohlbefinden des Patienten. Bezogen auf Schule oder den konkreten Unterricht eines Lehrers müsste also gefragt werden: Wozu bieten wir diese Dienstleistung an und welches Ergebnis erzielen wir damit (was ist das Endprodukt)? Zur Illustration ein Beispiel aus wirtschaftlichen Zusammenhängen: Eine Firma, die als Dienstleistung einen Bringdienst ›Essen auf Rädern‹ anbietet, versorgt ihre Kunden mit verschiedenen Speisen. Das (materielle) Produkt ist das Essen, die Dienstleistung ist die Anlieferung, das Ergebnis sind satte, zufriedene und gesunde Kunden. Wenn das Ergebnis nicht stimmt, etwa bei Beschwerden, Abmeldungen oder kranken Kunden, muss sich das Unternehmen dringend darüber Gedanken machen, wie es die Qualität der Dienstleistung oder des materiellen Produktes verbessern kann. Dies gilt insbesondere dann, wenn Konkurrenzunternehmen (oder sogenannte ›Mitbewerber‹) vorhanden sind, die von der mangelnden Dienstleistungs- oder Produktqualität profitieren. Wenn das Unternehmen diesen Abgleich zwischen Produkt, Absatz, Marktentwicklung und Kundenzufriedenheit vernachlässigt und der Kundenstamm schrumpft, kann das Unternehmen unter Umständen nicht weiter auf dem Markt bestehen. Diese kurze Illustration ist hilfreich, um zu erkennen, warum sich wirtschaftlich orientierte Organisationen aus existenziellen Gründen Gedanken über den Zusammenhang zwischen ihren Dienstleistungen, den Produkten, der Produktqualität und den damit erzielten Ergebnissen, nicht zuletzt der Kundenzufriedenheit, machen müssen. Von Kundenbefragungen über Marktanalysen sind sie oft kontinuierlich damit befasst, die Platzierung des Unternehmens und seiner Produkte auf dem Markt zu überprüfen und zu verbessern. Schule als eine besondere und nicht unbedingt wirtschaftlich orientierte Organisation muss sich nicht zwangsläufig mit ihren Produkten und den Ergebnissen ihrer Dienstleistungen auseinandersetzen. Hierfür sind mehrere Faktoren verantwortlich: 1. Schule ist eine weitgehend monopolisierte Organisation mit Zwangscharakter (Schulpflicht). Dass der Kundenstamm zusammenbricht, ist daher eher unwahrscheinlich. Existenzielle Bedrohungen sind so gut wie ausgeschlossen. 2. Das Ergebnis oder die Wirkung von Schule liegt weitgehend in der Zukunft, etwa in dem späteren Lebensweg und dem beruflichen Erfolg der Schüler. Für dieses Ergebnis zeigt sich Schule aber nicht verantwortlich, sondern höchstens für die Qualität der während der Schulzeit erbrachten Dienstleistung,
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also genau genommen für den Prozess der Produkterstellung, aber nicht für das Ergebnis (Endprodukt). 3. Da Schule keine langfristigen Garantien für das Ergebnis ihrer Dienstleistung übernimmt, hat sie auch keine Regressforderungen oder Ähnliches zu erwarten. Sie muss keine mangelhaften Produkte ausbessern und keine Rückruf aktionen für ›schadhafte Bauteile‹ starten. 4. Schule soll auch keine markt- und kundenhörige Firma sein, die lediglich die Bedürfnisse ihrer Anspruchsgruppen (wie Schüler, Eltern, Wirtschaft, Gesellschaft) befriedigt. Schule muss nicht nur ›Spaß‹ machen und ›Leistung‹ bringen, sondern auch kritisch hinterfragen und unbequem sein. Um die Qualität schulischer Arbeit und der durch sie erzielten Ergebnisse in diesem Spannungsfeld von Marktorientierung und Marktunabhängigkeit genauer bestimmen zu können, lohnt sich ein Blick auf die verschiedenen ›Produktbereiche‹ von Schulen und auf die Frage, wie diese für einzelne Schulen und letztlich für einzelne Schüler konkretisiert werden können.
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Übungen: A. Fertigen Sie eine genaue Produktbeschreibung des Endproduktes Ihrer Schule an. Was genau stellen Sie eigentlich her? (Siehe O.u.OE. AH-01: ›Arbeitsblatt zum Produkt von Schule 1: Sicht der Organisation‹ auf der Webseite zu diesem Buch) B. Lassen Sie Ihre Schüler eine möglichst genaue Beschreibung des End produktes ihrer Schule anfertigen (siehe O.u.OE. AH-02: ›Arbeitsblatt zum Produkt von Schule 2: Sicht der Schülerinnen und Schüler‹ auf der Webseite zu diesem Buch).
3.1.2 Die ›Produktpalette‹ von Schule In unternehmerischen Zusammenhängen ist primär die Frage nach dem Produkt, der Produktqualität und den daran interessierten Märkten zu beantworten. Die gesamten Dienstleistungs- und Produktionsprozesse sind in der Folge hierauf auszurichten. Bei Schulen ist dies weitaus schwieriger zu bewerkstelligen als bei dem im Beispiel angeführten Essenbringdienst. Die Ergebnisse schulischer Dienstleistungen sind Langzeitergebnisse, die sich nicht sofort überprüfen lassen, wie dies etwa bei der Qualität eines ausgelieferten Essens möglich wäre. Die Frage nach dem Produkt von Schule – bzw. den Ergebnissen ihrer Dienstleistung – muss daher sehr grundlegend gestellt und beantwortet werden. Denn um die Qualität der eigenen Angebote zu sichern und auch um ein fundiertes Marketing betreiben zu können, muss man genau wissen, was man anbietet und welcher Nutzen daraus gezogen werden kann. Hierzu müssen die Dienstleistungen und Produkte von Schule definiert werden:
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Produkte, Produktplatzierung und Marktorientierung
1. Direkte Bildungsdienstleistungen Das offensichtlichste Produkt von Schulen sind Dienstleistungen wie: Unterricht, Förderangebote, Hausaufgabenbetreuung, Elterngespräche, Arbeitsgruppen, Projekte, Sport-, Musik-, Theater-AGs. Diese Dienstleistungen dienen dem Ziel der ›Erziehung und Bildung von Kindern und Jugendlichen‹, also der Arbeit am eigentlichen Endprodukt (siehe Pkt. 4). 2. Indirekte Bildungsdienstleistungen Zu den indirekten Bildungsdienstleistungen gehören ergänzende Unterstützungsarbeiten, Austausch- und Prüfprozesse, wie: Konferenzen, Arbeitsgruppen, Aus- und Fortbildung von Lehrern, Erstellung curricularer Vorgaben, Herstellung didaktischer Materialien durch Lehrer, Schulbibliothek, Verwaltung, Reinigungs- und Hausmeistertätigkeiten, Kioskbetrieb, Cafeteria, Pausengestaltung, Feste und Feiern. Diese Supportdienstleistungen haben die Funktion, die Organisation aufrechtzuerhalten, die direkten Bildungsdienstleistungen zu unterstützen, die materiellen und personellen Ressourcen sicherzustellen, das Betriebsklima zu verbessern und eine grundlegende Versorgung – etwa mit Essen und G etränken – sicherzustellen. 3. Materielle Produkte Das greifbarste Produkt von Schulen bzw. von Schülern und Lehrkräften besteht aus allem, was im Rahmen von direkten und indirekten Bildungsdienstleistungsprozessen hergestellt wird wie: Schriftliche Unterrichtsergebnisse, Hausaufgaben, Tests, Zeugnisse, Elternbriefe, Sitzungsprotokolle, Dokumentationen, Filme, Tonbänder, künstlerische Produkte und die aus Bewertungsprozessen resultierenden Zeugnisse. Diese Ergebnisse dienen der Dokumentation schulischen Lernens, dem Nachweis über Erlerntes und der Dokumentation sowie der Aufrechterhaltung der Zusammenarbeit im Kollegium. Sie sind sozusagen Verlaufsnotizen und Qualitätsmessungen. 4. Kognitive, soziale und emotionale Entwicklung Das eigentliche Produkt – oder Ergebnis – von Schule besteht aus einer ganzen Reihe von Elementen mit ideellem Charakter: Lern- und Entwicklungsstand, Wissen, Kompetenzen, Weltbilder, Werte, Glaubenssätze, Alltagsrelevanz, Motiviertheit, Konzentration, Fähigkeit zur Übertragung von Wissen auf verschiedene Bereiche, Verhaltensweisen, Kontaktfreudigkeit, Teamfähigkeit, sprachliche Kompetenz, soziale und kulturelle Fähigkeiten, Selbst- und Fremdbilder, Ich-Stabilität, Selbstwirksamkeit, emotionale Ausgeglichenheit, Lebensfreude, Mitgefühl, Hilfsbereitschaft, Teilhabe.
Die ›Produkte‹ von Schule59
Diese Ergebnisse von Schule liegen buchstäblich in den Schülern selbst und sind prinzipiell unbeobachtbar. Sie müssen sich im schulischen Kontext nicht unbedingt zeigen, sondern werden möglicherweise erst außerhalb der Schule oder Jahre später als ›Nachwirkung von Schule‹ sichtbar. Dieser Bereich stellt das Ziel aller von Schule angebotenen Dienstleistungen dar. 5. Handlungen und Verhaltensweisen Handlungen und Verhaltensweisen von Schülern sind insofern Produkte, als dass das primäre Produkt (Bildung, Wissen und Kompetenzen) eine notwendige Grundlage für sie ist (Handlungskompetenzen, erlernte Verhaltensweisen) oder sich durch sie äußert (Wiedergabe und Anwendung von Wissen). Handlungen und Verhaltensweisen können auch Aufschluss darüber geben, inwiefern das primäre Produkt (Bildung, Wissen und Kompetenzen) erreicht oder nicht erreicht wurde. Bildung, Wissen und Kompetenzen müssen sich aber nicht in Handlungen und Verhaltensweisen der Schüler zeigen, sie können vorhanden sein, ohne dass sie sich beobachtbar äußern. Erst wenn sich prinzipiell unbeobachtbare Produkte wie Bildung, Wissen und Kompetenzen in Handlungen zeigen, kann auf ihr Vorhandensein geschlossen werden. Man könnte sogar sagen, dass es ein maßgebliches Ziel didaktischer Planung ist, Schüler in Situationen zu bringen, in denen sie Handlungen und Verhaltensweisen zeigen, die Rückschlüsse auf ihre Kompetenzen und ihr Wissen ermöglichen. In diesem Kontext sind beispielsweise folgende Handlungen und Verhaltensweisen relevant: Redebeiträge, Beteiligungshäufigkeit, Sozialverhalten, Umgang mit Konflikten, motorisches Geschick, Konkurrenz- und Kooperationsverhalten, Aufführungen und musikalische Darbietungen. Handlungen und Verhaltensweisen der Schüler haben in schulischen Kontexten auch einen Nachweischarakter, da sie darauf schließen lassen, wie weit der ›Produktionsprozess‹ fortgeschritten ist. Sie sind Möglichkeiten der Qualitätsüberprüfung und haben zudem den Charakter von Probehandlungen, etwa im Bereich des sozialen Lernens oder der Anwendung von Wissen. Es wäre also ein wichtiges Ziel von Schule, Produktions- und Überprüfungsprozesse so zu gestalten, das sich möglichst viele Handlungen und Verhaltensweisen zeigen können und somit auch beobachtbar werden. 6. Gegenwart, Ziele und Perspektiven Um den Kreis der Produktpalette zu schließen, gilt es abschließend zu definieren, wozu das Primärprodukt Bildung, Wissen und Kompetenzen sowie die Handlungen und Verhaltensweisen dienen sollen. Werden Bildung, Wissen und Kompetenzen sowie die daraus resultierenden Handlungen und Verhaltensweisen allein als Selbstzweck begriffen, fehlt den Beteiligten die Zielausrichtung für die Produkterstellung. Die Frage, wozu schulisches Lernen dient,
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Produkte, Produktplatzierung und Marktorientierung
wird oft mit der Standardfloskel ›für das Leben‹ beantwortet. Das ist zunächst nicht gänzlich falsch, aber auch sehr unspezifisch. Hinter der Gegenwarts bedeutung sowie den kurz-, mittel- und langfristigen Zielen und Perspektiven schulischer Produktion verbergen sich in jedem Einzelfall ganz eigene Vorstellungen, Wünsche und Interpretationen. Diese müssen bewusstgemacht und reflektiert werden, nicht nur, um eine Motivation zur Erreichung der Zielperspektive zu erlangen, sondern auch, um das Produkt gezielt hierauf ausrichten zu können. Da sich die jeweiligen kurz-, mittel- und langfristigen Ziele in der Regel mehrfach verändern können und erst im Verlauf des Produktionsprozesses (Schulzeit) oder auch danach konkretisieren, muss immer wieder überprüft werden, ob die Produktdefinition und der Produktionsprozess der Zielerreichung dienen. Zu den langfristigen Zielen, zählen z. B.: Grund- und Basiswissen, berufliche Perspektiven, Lebensgestaltung, demokratische, gesellschaftliche und kulturelle Teilhabe. Unter den kurzfristigen Zielen versteht man z. B.: Sozialkontakte, Erfolgserlebnisse, das Bestehen einer Klausur, Zufriedenheit mit der schulischen Dienstleistung und Freude an der Schule. Um wünschenswerte Ziele zu verstehen, ist eine genaue Markt- und Anspruchsgruppenanalyse notwendig, die perspektivisch entwirft, wo die Schüler sich selbst einmal ›auf dem Markt platzieren möchten‹ (siehe Kapitel 3.2: Anspruchsgruppen, Märkte und Vermarktung). Je nach Ausrichtung müssen sie dann sich selbst als Produkt entwickeln, das den erwarteten Anforderungen entspricht, das, wenn es auf den Markt kommt, nicht schon veraltet ist, und das sich an die sich ändernden Erfordernisse anpassen kann. Gibt es keine oder nur eine negative Zukunftsvision (z. B. die Erwartung von Arbeitslosigkeit), ist es schwer, den Sinn eines Produktionsprozesses zu sehen, der ›auf Halde‹ oder ›am Markt vorbei‹ produziert. Pointiert dargestellt wurde der Zusammenhang zwischen Primärprodukt, Bildungs dienstleistung und Handlungen durch die Twitter-Nachricht der Kölner Abiturientin Naina, die 2015 durch die sozialen Netzwerke verbreitet wurde und sogar dazu führte, dass sie in diverse Talkshows eingeladen und Interviews mit ihr geführt wurden. Sie schrieb in der Phase der Abiturprüfungen: »Ich bin fast 18 und habe keine Ahnung von Steuern, Miete und Versicherungen. Aber ich kann ’ne Gedichtsanalyse schreiben. In 4 Sprachen.« Letztlich betrifft diese Kritik an den Lerninhalten (bzw. an ihren Ergebnissen oder an ›dem Produkt‹) zentrale Bestandteile der Didaktik, die allen voran durch Wolfgang Klafki formuliert worden sind: die Gegenwartsbedeutung, Zukunftsbedeutung und Exemplarizität der Lerninhalte (Klafki, 1958; 1985, S. 271–276). Diese (kritisch-konstruktive) Hinterfragung von Lerninhalten bedeutet keineswegs, dass alles Lernen zu (persönlich, gesellschaftlich oder wirtschaftlich) verwertbaren Ergebnissen führen soll. Lernen, Forschen, Experimentieren und Entdecken können sogar gänzlich der Muße oder Befriedigung
Die ›Produkte‹ von Schule61
von Neugier dienen. Aber die Frage nach dem Sinn zu stellen, nach dem ›Begründungszusammenhang‹, ist zwingend notwendig zur Einordnung der Lerninhalte und Lernaufträge. Die genannten Dienstleistungen, Produkte und Ziele lassen sich folgendermaßen grafisch zusammenfassen (Abbildung 9):
Abbildung 9: Der Zusammenhang von Dienstleistungen, Produkten und Zielausrichtung
In der Zusammenschau der Produktpalette bleibt zu hinterfragen, inwieweit alle schulischen Dienstleistungen, (Neben-)Produkte und Produktionsprozesse dazu dienen, zur Erreichung des gewünschten Primärproduktes beizutragen und dabei die Zielausrichtung im Blick zu haben. Die hierfür entscheidende Frage nach der für den tatsächlichen Absatzmarkt notwendigen und gewünschten Produktqualität bleibt bei einer zu starken Fixierung auf die Qualität der Dienstleistung unbeantwortet. Die Qualitätskriterien des Ergebnisses ergeben sich erst durch eine Ausrichtung auf den gewünschten oder zur Verfügung stehenden Markt
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Produkte, Produktplatzierung und Marktorientierung
(siehe Kapitel 3.2.4: Produkt, Markt und Schulform): Ist dort die spezialisierte Einzelanfertigung gefragt oder ein eher günstiges und vielseitig verwendbares Produkt in hoher Stückzahl? In Hinblick auf Schule und ihr Primärprodukt sind zwei grundlegende Feststellungen zu machen, die die Schwierigkeit verdeutlichen, das Produkt in einer gewünschten Weise herzustellen. Feststellung 1: Bildung, Wissen und Kompetenzen der Schüler sind kein alleiniges Produkt von Schule. Es gibt unzählige weitere außer- und vorbetriebliche Produktionsstätten, die auf die Produktqualität einwirken. Hierzu zählen die Familie, Freunde, Politik und Gesetzgebung, Presse, Film und Fernsehen ebenso wie die vorangegangenen Organisationen, die die Schüler durchlaufen haben – wie Krippe, Kindertagesstätte, Grundschule und nachfolgende Organisationen – wie weiterführende Schule, Berufsbildung, Universität und Fort- und Weiterbildung. Kurz, alles, womit Schüler in Kontakt kamen, kommen und zukünftig kommen werden, alles, was Einfluss auf sie hat bzw. haben kann, wirkt auf den Produktionsprozess ein. Feststellung 2: Bildung, Wissen und Kompetenzen von Schülern sind keine durch andere Personen hergestellten Produkte, sondern werden durch die Schüler – unter Beteiligung anderer Personen – selbst produziert. Schüler sind nicht aus leblosen und formbaren Rohstoffen zusammengesetzt, die sich beliebig bearbeiten und ausgestalten lassen. Die Selbsttätigkeit der Schüler im Lernen und in der Entwicklung bildet den eigentlichen Produktionsprozess. Der ganze Rahmen von Schule, Unterricht, Gemeinschafts- und Einzelarbeit, Projekten, Familie, Gesellschaft und dergleichen bietet hierzu lediglich den Rahmen als Produktionsstätte und einen Anlass zu den verschiedensten Produktionsprozessen. Schüler sowie ihre Bildung, ihr Wissen und ihre Kompetenzen sind Produkte ihrer Selbsttätigkeit. Die Funktion der Schüler in der Schule spielt eine entscheidende Rolle für den Produktionsprozess. Betrachtet man Schüler unter den Gesichtspunkten der Organisation und Produktion, kann man sie in der dargestellten Produktpalette von Schule unter fünf verschiedenen Perspektiven, die jeweils ganz eigene Organisations-, Produktions- und Dienstleistungsstrukturen bedingen, betrachten: 1. Schüler sind ›Rohstoffe‹, aus denen das Endprodukt gefertigt wird. Diese Perspektive ist extrem mechanistisch und entspricht wohl kaum einem pädagogischen Menschenbild, das aktive und selbstgesteuerte Persönlichkeiten in den Blick nimmt. Die (materielle und geistige) Formbarkeit von Menschen ist aber implizit immer auch ein möglicher Hintergrund, wenn über Schüler oder mit ihnen geredet wird. ›Du gehst zur Schule, damit aus dir etwas wird.‹ ›Da wird aus dir etwas gemacht.‹ ›Das ist eine Elite-Schmiede.‹ ›Das musst du dir einpauken.‹ ›Das wird eingeschliffen.‹
Die ›Produkte‹ von Schule63
2. Schüler sind ›Produkte‹ mit entsprechenden ›Inhaltsstoffen‹ etwa als ›mündige, selbstständige und gebildete Bürger‹, die über verschiedene Kompetenzen und einen gewissen Grad an Wissen verfügen. Die Produktperspektive ist zweischneidig, da Schüler nicht im eigentlichen Sinne ›produziert‹ werden. Begreift man sie jedoch als ›Produkt ihrer selbst‹, also als etwas, das durch ihre Eigentätigkeit in der Interaktion mit anderen (Lehrern, Mitschülern, Eltern, Freunden, Medien, Gesellschaft etc.) entsteht und sich entwickelt, bietet die Produktmetapher interessante Ansätze für die Gestaltung von Schule (siehe Kapitel 3.1: Die ›Produkte‹ von Schule). Vor allem auch hinsichtlich der Selbstvermarktung der Schüler etwa auf dem Arbeitsmarkt oder in der beruflichen Selbstständigkeit (siehe Kapitel 3.2: Anspruchsgruppen, Märkte und Vermarktung). Entscheidend ist hier die Zieldefinition: ›Was für ein Produkt will und soll ich werden?‹ 3. Schüler sind ›ihre eigene Verpackung‹, die durch ihr Aussehen, ihr Auftreten und ihre Referenzen Aufschluss über sich selbst als Produkt und ihre Inhaltsstoffe geben oder diese auch dadurch verschleiern können. ›Kleider machen Leute‹ ebenso wie Aspekte des Aussehens (z. B. Haarschnitt, Körpergröße, Gewicht, Tattoos, Piercings), die Körperhaltung und Bewegungsweise (z. B. Mimik, Händedruck, Gangart) oder auch Referenzen (z. B. Zeugnisse, Begleitschreiben, Anschreiben, ›Vitamin B‹). Ein Bewusstmachen dieser Faktoren ist für die ›Selbstvermarktung‹ entscheidend, um sich möglichst gut auf dem gewünschten Markt zu platzieren (siehe Kapitel 3.2: Anspruchsgruppen, Märkte und Vermarktung). 4. Schüler sind ›Mitarbeiter der Organisation‹, die alleine und mit anderen ›an sich selbst‹ arbeiten. Diese Perspektive gibt den Schülern eine sehr aktive Rolle. Je nach Produktdefinition bedeutet dies jedoch, dass sie eher ›Fließbandarbeiter‹ und ›Büroangestellte‹ sind oder ›Kreativarbeiter‹, ›Bastler‹ und ›Teamkollegen‹. Im Zweifelsfall nehmen Schüler sogar – je nach Thema, Kontext und Produktionsschritt – mehrere verschiedene Mitarbeiterrollen ein. Schüler sind ›Manager ihrer selbst‹. Gegenüber Lehrern sind sie in der Regel keine gleichberechtigten Mitarbeiter. Sie erhalten keinen direkten Lohn und sind – von Wieder holungen einzelner Produktionsbereiche (Klassenstufen) abgesehen – immer nur für eine bestimmte Zeit in einer bestimmten Schule. Dennoch sind sie hinsichtlich des Primärproduktes die eigentlich Tätigen. Lehrer haben ihnen gegenüber die Funktion von Managern, Führungskräften oder Vorarbeitern (siehe F.u.Z., Kapitel 3: Organisations- und Mitarbeiterführung). 5. Schüler sind ›Kunden‹, die Dienstleistungen von Schule in Anspruch nehmen, um ihre Funktionen als Produkte und Mitarbeiter ausfüllen zu können. Die Kundenperspektive ist ebenfalls sehr aktiv. Kunden wollen etwas und
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Produkte, Produktplatzierung und Marktorientierung
können abwandern, wenn sie das nicht bekommen oder das, was sie wollen, woanders günstiger oder in besserer Qualität zu haben ist. Im Zwangskontext Schule liegen die Möglichkeiten des ›Anbieterwechsels‹ neben der Schulwahl oder der Einschreibung an Privatschulen auch in der Erfüllung der Kundenbedürfnisse außerhalb der Schule (Freundeskreis, Familie, Vereine, Medien etc.), wenn der schulinterne Markt die Bedürfniserfüllung nicht befriedigt. Die Kundenperspektive bedeutet nicht die alleinige Ausrichtung der schulischen Angebote auf die Bedürfnisse der Schüler, sondern auch eine intensive Auseinandersetzung damit, wie man Bedürfnisse dieser Kunden wecken kann, wie man sie bindet und eine hohe Kundenzufriedenheit erreicht (siehe Kapitel 3.2: Anspruchsgruppen, Märkte und Vermarktung). Optimal gestaltet sich diese Kundenbeziehung, wenn die Kunden stolz darauf sind, mit einem bestimmten Unternehmen in Verbindung gebracht zu werden. Auch wenn Schüler in einem Zwangskontext (Schulpflicht) an Schule beteiligt sind, so sind sie in der hier geschilderten unternehmerischen Sicht nicht allein als Produkt, sondern zunächst als Mitarbeiter und Kunden ernst zu nehmen. Dies gilt vor allem vor dem Hintergrund, dass sie die Einzigen sind, die an allen direkten Produktionsschritten des Primärproduktes – also an der Entwicklung ihrer Inhaltsstoffe –, an der Gestaltung der Verpackung und der Platzierung auf dem Markt beteiligt sind. Schule ist in dieser Sichtweise eine Organisation, die eine kontinuierliche Personalentwicklung bestimmter Mitarbeiter – nämlich der Schüler – betreibt. Sicherlich muss nicht alles, was in diesem Kontext geschieht, hinterfragt werden. Aber die Sinnfrage, bezogen auf alle Aspekte des Unterrichts und des schulischen Miteinanders, muss gestellt werden, mit zunehmendem Alter erst recht im Dialog mit den Schülern.
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Übungen: A. Erstellen Sie eine Liste der Aspekte von Bildung, Wissen und Kompeten zen, die Sie gerne im Endprodukt Ihrer Schule verwirklicht sähen. Definieren Sie jeweils direkte und indirekte Dienstleistungen Ihrer Schule, die dazu dienen, diese Aspekte zu produzieren. B. Definieren Sie jeweils materielle Produkte, Handlungen und Verhaltens weisen, in denen sich die gewünschten Aspekte zeigen und die dazu dienen, das Vorhandensein und die Qualität dieser Aspekte zu über prüfen. C. Erstellen Sie eine Liste möglicher Ziele und Perspektiven, auf die dieses Produkt ausgerichtet sein soll. Siehe auch O.u.OE. AH-01: ›Arbeitsblatt zum Produkt von Schule 1: Sicht der Organisation‹ und O.u.OE. AH-02: ›Arbeitsblatt zum Produkt von Schule 2: Sicht der Schülerinnen und Schüler‹ auf der Webseite zu diesem Buch.
Die ›Produkte‹ von Schule65
3.1.3 Wissen, Fähigkeiten und Kompetenzen als ›Produkte‹ von Schule Das Produkt von Schule kann nicht als Massenprodukt gedacht werden, das in gleichbleibender Qualität von einem Fließband läuft, sondern als individuelle Maßanfertigung hinsichtlich der Gegenwart und einer in der Zukunft liegenden Perspektive (siehe Kapitel 3.2: Anspruchsgruppen, Märkte und Vermarktung). Das Problematische an den Produkten von Schule ist, dass sie nicht direkt beobachtbar sind, sondern immer nur aufgrund von äußeren Beobachtungen unterstellt werden können. Sie sind anhand der ›Verpackung‹ nicht zu erkennen und bilden Inhaltstoffe. Auch das Verfallsdatum bzw. die Nachhaltigkeit dieser Inhaltsstoffe ist nicht ersichtlich. Wie lange das, was gelernt und erworben wurde, Gültigkeit hat oder ob es überhaupt Verwendung findet, ist oft unklar. Man kann gelegentlich den Eindruck gewinnen, Schüler, Lehrer, Eltern und Schulen seien eher auf die offensichtlichen materiellen Produkte (Tests, Hausaufgaben, Zeugnisse etc.) ausgerichtet als auf die dahinterliegende Bildung, das Wissen und die Kompetenzen sowie auf deren Gegenwartsbedeutung und Zukunftsperspektive. Viele Lehrpläne beziehen sich daher schon auf Beschreibungen von ›Kernkompetenzen‹, auf Beschreibungen der zu erlernenden Handlungsweisen. In den Veränderungen der Kerncurricula und Lehrpläne lässt sich ein, wenn auch langsamer Wandel in der ›Produktdefinition‹ feststellt. Aufschluss über diesen Wandel gibt unter anderem die DELPHI-Befragung aus den Jahren 1996 und 1998 (vgl. Bundesministerium für Bildung und Forschung, 1998). Im sogenannten Bildungs-Delphi haben Bildungsexperten aus Theorie und Praxis ihre Einschätzung dazu abgegeben, welche Kenntnisse, Fähigkeiten und Qualifikationen im Bildungssystem des Jahres 2020 in der schulischen und allgemeinen Bildung, in der Hochschulbildung und in der beruflichen Bildung vermittelt und erworben werden sollten. Hierzu konnten die Teilnehmer der Befragung jeweils zwölf Punkte auf sechs Kompetenzbereiche verteilen. Auch waren Ergänzungen möglich (sonstige Kompetenzen). Die Wichtigkeit von Kompetenzen im Jahr 2020 stellt sich laut der Befragung wie folgt dar (Tabelle 1; vgl. Bundesministerium für Bildung und Forschung, 1998, S. 54): Tabelle 1: Ergebnisse der DELPHI-Befragung Schulische und allgemeine Bildung
Hochschulbildung
Berufliche Bildung
1. Lerntechnische und lernmethodische Kompetenz (2.38)
1. Spezifische Fachkompetenz (2.8)
1. Spezifische Fachkompetenz (2.58)
2. Psychosoziale K ompetenz (2.36)
2. Lerntechnische und lernmethodische Kompetenz (2.17)
2. Lerntechnische und lernmethodische Kompetenz (2.26)
3. Fremdsprachenkompetenz (2.3)
3. Fremdsprachen Kompetenz (1.91)
3. Psychosoziale Kompetenz (2.16)
66 Schulische und allgemeine Bildung
Produkte, Produktplatzierung und Marktorientierung Hochschulbildung
Berufliche Bildung
4. Medienkompetenz (1.61)
4. Psychosoziale Kompetenz 4. Fremdsprachen(1.89) kompetenz (1.84)
5. Interkulturelle Kompetenz (1.48)
5. Interkulturelle Kompetenz (1.46)
5. Medienkompetenz (1.57)
6. Spezifische Fachkompetenz (1.47)
6. Medienkompetenz (1.38)
6. Interkulturelle Kompetenz (1.23)
7. Sonstige Kompetenzen (0.39)
7. Sonstige Kompetenzen (0.39)
7. Sonstige Kompetenzen (0.38)
Hier soll vor allem ein Aspekt der Befragungsergebnisse hervorgehoben werden: Spezifische Fachkompetenz steht in der schulischen und allgemeinen Bildung auf Platz sechs der Bewertung, erreicht aber in der Hochschulbildung und der beruflichen Bildung den ersten Platz. Ganz oben stehen für die schulische und allgemeine Bildung hingegen Lernkompetenz, psychosoziale Kompetenz und Fremdsprachenkompetenz. Dies bedeutet für eine eher fachdidaktisch orientierte Schulbildung ein Umdenken: Nicht die Lerninhalte sind entscheidend, sondern wie sie erlernt und angewendet werden. ›Das Lernen zu lernen‹, soziale Umgangsformen und eine sprachübergreifende Kommunikation stehen ganz oben auf der Produktpalette. Es wird vermehrt auf Prozessfähigkeiten und Anwendung gesetzt, weniger auf Inhalte. Diese bilden eher das Arbeitsmaterial, mit dem hantiert wird. Nicht um die bearbeiteten Inhalte reproduzieren zu können, sondern um Umgangsweisen mit ihnen zu erproben und zu lernen. Diese Spezifizierung der Produktpalette deckt sich beispielsweise auch mit dem Modell Heinz Klipperts zur Schulentwicklung, der die hier nur grob beschriebenen Lernbereiche unter dem Stichwort ›Eigenverantwortliches Arbeiten und Lernen‹, in den drei Gruppen Methodentraining, Kommunikationstraining und Teamentwicklung methodisch und didaktisch weiter differenziert (vgl. Klippert, 2008, S. 42 ff.). Auch in anderen Publikationen zur Unterrichts-, Schul- und Qualitätsentwicklung spielen die verschiedensten Prozessqualitäten und -kompetenzen eine zentrale Rolle (vgl. Kempfert u. Rolff, 2005, S. 232 ff.). Ergänzend zu diesen Kompetenzen können auch noch übergeordnete Produkt eigenschaften formuliert werden, die über das Wissen, die Kompetenzen und Handlungsstrategien des Einzelnen hinausgehen. Wenn auf der einen Seite der ›mündige, kompetente und selbstständige Bürger‹ stehen mag, mögen als übergeordnete Produkte oder auch als Nebenprodukte gesellschaftliche Aspekte gelten wie der Erhalt und die Weiterentwicklung von Demokratie, Gerechtigkeit, kultureller Identität, sozialer Umgangsformen, sprachlichen und künstlerischen Ausdrucks. Also zusammengefasst die Hoffnung, dass sich die unbeobachtbaren immateriellen Produkte, die in der persönlichen Entwicklung jedes Einzelnen liegen, auch in sozialen, gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Zusam-
Die ›Produkte‹ von Schule67
menhängen niederschlagen. Zur Überprüfung der Produktqualität müsste also der persönliche wie auch der gesellschaftliche Werdegang Beachtung finden. Zu den Inhaltsstoffen kommen daher neben den individuellen Kompetenzen Aspekte demokratischen und kulturellen Verständnisses, soziale Identifikation, Werte und Normen. Bezieht man die Inhaltsstoffe auf alle möglichen Produk tionsbereiche und Ziele, kommen auch noch Alltags- und Freizeitkompetenzen hinzu, sodass sich eine große Bandbreite möglicher Inhaltsstoffe (Wissen, Fähigkeiten und Kompetenzen) ergibt, die Schüler entwickeln können und mit denen sich Schule beschäftigen kann (Tabelle 2; vgl. Lindemann, 2008, S. 126; vgl. auch Fend, 2008, S. 60–67): Tabelle 2: Kompetenzraster Fachkompetenz –– Allgemeinbildung –– Fachkenntnisse –– Fachliche Fähigkeiten und Fertigkeiten
Kommunikative Kompetenz –– Gespräche –– Diskussionen –– Fremdsprachen –– Rhetorik
Personale Kompetenz –– Persönliche Stabilität –– Ich-Stärke –– Leistungsbereitschaft –– Leistungsbewusstsein –– Eigenständigkeit
Kulturtechniken –– Lesen –– Schreiben –– Rechnen –– Medienkompetenz –– Spielen –– Musizieren –– Tanzen –– Kochen und Essen
Methodenkompetenz –– Variable Arbeitsverfahren –– Problemlösung –– Selbstständiges Denken und Arbeiten –– Planen, Durchführen und Kontrollieren –– Flexibilität –– Projektorientiertes Arbeiten
Mitwirkungskompetenz –– Organisationstalent –– Kombinationsfähigkeit –– Überzeugungskraft –– Entscheidungsfähigkeit –– Verantwortung –– Führungskompetenz –– Risikobereitschaft
Selbstlernkompetenz –– Informationen beschaffen können –– Informationen systematisieren und bewerten können –– Eigene Lernprozesse organisieren und strukturieren –– Neues Wissen selbstständig aneignen können
Alltagskompetenz –– Hygiene –– Haushaltsführung –– Umgang mit Geld –– Umgang mit Versicherungen, Altersvorsorge etc. –– Autofahren
Freizeitkompetenz –– Kontaktpflege –– Hobbys nachgehen –– Feiern –– Entspannen –– Sport –– Urlaub planen und machen
Werte und Normen –– Glaubensfreiheit –– Gleichberechtigung –– Demokratie –– Meinungsfreiheit –– Integration –– Umweltschutz –– Umgang mit Gesetzen und Vorschriften
Soziale Kompetenz –– Kooperationsbereitschaft –– Kommunikative Kompetenz –– Fairness –– Hilfsbereitschaft –– Konfliktfähigkeit –– Teamgeist –– Gemeinschaftsfähigkeit –– Solidarität –– Toleranz –– Kulturelles Verständnis –– Partnerschaftlichkeit
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Produkte, Produktplatzierung und Marktorientierung
Es ist jedoch wichtig, darauf hinzuweisen, dass eine Qualitätsüberprüfung bei vielen der anspruchsvolleren Bildungsziele schwierig, wenn nicht unmöglich ist. »In der Regel zeigt sich erst im Erwachsenenleben, ob die Schulzeit erfolgreich war. Und auch dann lässt sich nicht eindeutig feststellen, ob es Erfolge der Schule oder Erfolge anderer Instanzen von Kindheit und Jugend waren« (Rolff, 2005, S. 51).
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Übungen: A. Erstellen Sie im Kollegium eine Produktbeschreibung des Produktes Ihrer Schule (Inhaltsstoffe, Verpackung, Kunden). Siehe O.u.OE. AH-01: ›Arbeitsblatt zum Produkt von Schule 1: Sicht der Organisation‹ auf der Webseite zu diesem Buch. B. Lassen Sie die Schüler Ihrer Klasse eine Produktbeschreibung ihrer selbst anfertigen (Inhaltsstoffe, Verpackung, Kunden). Siehe O.u.OE. AH-02: ›Arbeitsblatt zum Produkt von Schule 2: Sicht der Schülerinnen und Schüler‹ auf der Webseite zu diesem Buch.
3.1.4 Der Zusammenhang zwischen ›Produkt‹ und Organisationsform Richtet man Schule als Organisation auf die geschilderte Produktpalette aus, lässt sich die Frage nach einer sinnvollen Organisationsform schon eher beantworten. Wichtig ist es hierbei, nicht in einem Entweder-Oder-Schema zu denken, sondern die jeweiligen Anteile der verschiedenen Organisationsformen an Schule zu gewichten. Neben sozial orientierten und stark vernetzten Organisationsformen, die sehr auf die Heterogenität der Beteiligten und ihrer Arbeitsfelder abzielen, sind auch Aspekte organischer und projektorientierter Organisation sinnvoll (etwa hinsichtlich der Orientierung an äußeren Faktoren und der Ergebnis orientierung). Auch Aspekte mechanistischer Organisation sind hilfreich, z. B. wenn es um das wiederholende Üben und Trainieren geht. Handelt es sich bei Schule demnach um eine ›Mischorganisation mit veränderlichen Gewichtsanteilen‹, bleibt zu klären, welche Bereiche, Abteilungen oder Abläufe nach welchem Prinzip organisiert sein sollten. Diese Entscheidung liegt in der kulturellen und politischen Ausprägung der jeweiligen Schule und damit im Entscheidungsbereich der direkt Beteiligten (›eigenverantwortliche Schule‹). Abschließend sollte man nicht vergessen, dass Schule einen demokratischen Auftrag hat. Gerade in Hinsicht auf die politische Dimension von Organisation muss bedacht werden, in welchen schulischen Organisationsformen sich Demokratie (ebenso wie die damit verbundenen psychosozialen Kompetenzen) am besten herstellen (lernen) lässt (vgl. Kapitel 2.4.2: Schule als demokratische Organisation?). Es wäre also zu fragen, welche Organisationsformen für eine ganz konkrete Schule und ihre Mitarbeiter mit ihrer spezifischen Produktpalette und ihrer Marktausrichtung hilfreich sind.
Anspruchsgruppen, Märkte und Vermarktung69
»Das Format der Organisation Schule ist maßgeblich dafür, welche Professionalität in ihr zum Zuge kommt, weil es als Handlungsgelegenheit und -behinderung permanent mit den Aktivitäten der Professionellen in ihr – übrigens auch mit den Aktivitäten der Schülerinnen und Schüler – interagiert und so hervorbringt, was und wie diese sind oder nicht« (Girmes, 2004, S. 103).
Nicht nur bezogen auf Einzelschulen, sondern auch auf übergeordnete Schul organisation lässt sich kritisch feststellen, dass organisatorische Entscheidungen und Veränderungen nicht unbedingt auf die Verbesserung der Produktqualität oder Professionalisierung ausgerichtet sind. Oft stehen eher verwaltungsbezogene, finanzielle und bildungsideologische Überlegungen im Fokus wie z. B. Verbeamtung, Einstellungspraxis, Behördenhierarchie, Dauer der Schule, 45-Minuten-Takt, Fächerkanon und curriculare Vorgaben, Dominanz der Fachdisziplin vor didaktisch-methodischer Ausbildung, Halbtags- oder Ganztagsschule, mehrgliedriges oder eingliedriges Schulsystem, Homogenisierung oder Heterogenität, Alterstrennung oder Altersmischung (vgl. Girmes, 2004, S. 105). Es gilt also hinsichtlich der Professionalität und Produktivität gestaltend auf die Organisation einzuwirken und sie als Werkzeug zu begreifen, das dazu dient, das Produkt von Schule herzustellen und den beteiligten Personen hierfür einen professionellen Rahmen zu bieten. Jedenfalls muss sich eine gewählte Organisationsform nicht nur den internen und externen Gegebenheiten anpassen, sondern diese auch herausfordern. Generell effektive Organisationsstrukturen gibt es hierfür nicht (vgl. Bea u. Göbel, 2006, S. 464).
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Übung: Fertigen Sie eine genaue Beschreibung der Produktpalette Ihrer Schule an. Welche Organisationsformen passen zu welchen Produktbereichen?
3.2 Anspruchsgruppen, Märkte und Vermarktung
3.2.1 Markt, Kunden und Anspruchsgruppen (Stakeholder) Vergegenwärtigt man sich die vielfältigen Dienstleistungen und Ergebnisse von Schule und die vielfältigen Märkte, die Schüler bedienen können, muss auch geklärt werden, wer die dazugehörigen Kunden sind, für die Dienstleistungen angeboten und Produkte hergestellt werden. Hier einige mögliche Antworten einer kundenorientierten Marktanalyse schulischer Dienstleistungen und Produkte: –– interne Kunden der Dienstleistungen von Schule: Lehrer, Schüler, –– externe Kunden der Dienstleistungen von Schule: Schüler, Eltern,
70
Produkte, Produktplatzierung und Marktorientierung
–– externe Kunden der Ergebnisse von Schule: Ausbildungsbetriebe, weiterführende Schulen, Universitäten, Arbeitgeber, Betriebe, –– indirekte externe Kunden der Ergebnisse von Schule: die Gesellschaft, der Staat, die Wirtschaft, politische Parteien, –– ideelle externe Kunden der Ergebnisse von Schule: das Leben, die Arbeit, die Freizeit, die Kultur, die Demokratie, der Frieden, der Umweltschutz. In dieser Aufstellung möglicher Kunden zeigt sich Schule in ihrer Bandbreite als ›Zulieferbetrieb‹ für Ausbildungsbetriebe, Universitäten, Wirtschaft und Gesellschaft ebenso wie als Dienstleistungsbetrieb für Entwicklung und Selbstverwirklichung der dort beschäftigten Schüler. Fasst man diese Dienstleistungsperspektive weiter, sind Lernen, Entwicklung und Selbstverwirklichung ebenso Zielperspektiven für die dort beschäftigen Lehrer und auch für die Eltern. In diesem Zusammenhang ist die Unterscheidung zwischen einem internen und einem externen Markt wichtig (vgl. Davies u. Davies, 2003, S. 123 f.). Gemäß der Definition des Produktes von Schule dient der interne Markt (›Dienstleistungen zur Entwicklung und Selbstverwirklichung der Mitarbeiter‹) langfristig der Platzierung des Produktes auf dem externen Markt (nachfolgende Ausbildungs- und Bildungseinrichtungen, Wirtschaftsunternehmen etc.). Die Bandbreite der verschiedenen Kundengruppen beinhaltet ganz unterschiedliche Interessen an dem Produkt und auch an der Art, wie dieses hergestellt wird. Kundenorientierung bedeutet daher eine multistrategische Herangehensweise an die Produktplatzierung und Vermarktung und auch die bewusste Entscheidung, welche Kundenbedürfnisse man befriedigen möchte und welche nicht. Geht man davon aus, dass es sich bei den Produkten von Schule um Einzel anfertigungen und nicht um Massenware handelt, muss sogar für jedes Produkt (Schüler) bezogen auf jeden im Einzelfall relevanten Kunden eine individuelle Strategie entwickelt werden. Jede Organisation – und auch die Schule – befriedigt eine Vielzahl von Interessen, zu denen nicht nur die unterschiedlichen Kundengruppen gehören. Sie steht mit anderen Organisationen, Gruppen und Einzelpersonen in Kontakt und wird in ihrem Verhalten beobachtet und bewertet. Erweitert man den Blick auf externe und interne Kunden um weitere Personen, die Interesse an der Organisation ihren Dienstleistungen und Produkten haben, spricht man allgemein von Anspruchsgruppen – oder sogenannten Stakeholdern –, welche ein ›facettenreiches Spannungsfeld‹ interner und externer Instanzen bilden (vgl. Schreyögg, 2003, S. 321). Zu den Anspruchsgruppen von Organisationen gehören: Belegschaft, Aufsichtsrat, Verwaltungsrat, Betriebsrat, Vorsitzende, Werkschutz, Aktionäre, Lieferanten, Konkurrenten, Gewerkschaften, Verbraucherverbände, Kunden, Familien der Belegschaft, Banken, Parteien, Regierung, Presse, Medien, Wissenschaft, Nachbarn und dergleichen mehr.
Anspruchsgruppen, Märkte und Vermarktung71
Zu den Anspruchsgruppen von Schulen gehören ergänzend beispielsweise auch die Schulverwaltung, die Landesregierung, die städtischen Träger, die Kommunalpolitik oder die Lehrerverbände. Die Beziehungen zwischen Organisationen und ihren Stakeholdern sind wechselseitig. »Verschiedene Gruppen von Stakeholdern richten ihre Interessen an Organisationen. Organisationen sind wiederum auf Beiträge von allen Stakeholdern angewiesen, um erfolgreich zu sein. Dabei hat jede Gruppe von Stakeholdern ihre eigenen Motivationen, zu einer Organisation beizutragen, und beurteilt die Effektivität der Organisation auch anhand von eigenen Zielen und Kriterien.« (Jones u. Bouncken, 2008, S. 94)
In diesem Bedingungsgeflecht unterschiedlichster Ansprüche und Erwartungen, die sich auf ganz unterschiedliche Aspekte der Organisation beziehen (z. B. Ökologie, Arbeitszeit, Produktqualität, Steuern, Gewinne), müssen sich sowohl die einzelnen Anspruchsgruppen als auch die Organisation positionieren. Sie müssen die Relevanz und Bedeutsamkeit von Ansprüchen bewerten und entscheiden, auf welche sie Wert legen, wessen Ansprüche und Bedürfnisse sie befriedigen wollen bzw. auf der Befriedigung welcher Ansprüche sie selbst bestehen. Bei der Entwicklung und Platzierung von Produkten ist – ebenso wie bei der Organisationsentwicklung – eine intensive Analyse der Anspruchsgruppen notwendig, um mit dem Produkt – und der Ausrichtung der Organisation – die Ansprüche möglichst vieler Anspruchsgruppen zu befriedigen bzw. genau die Ansprüche einer vorher ausgewählten Zielgruppe zu erreichen. Gerade die Ergebnisse von Schule lassen sich nicht eindeutig einem bestimmten Kunden- oder Interessentenkreis zuordnen. Man kann eher davon sprechen, dass eine große Bandbreite von Anspruchsgruppen ein Interesse hieran hat. Hierbei kann auch danach unterschieden werden, inwieweit Anspruchsgruppen Kunden, Auftraggeber oder Investoren sind, ob sie sich als Lobbyisten betätigen oder ob sie lediglich die ›Marktentwicklung‹ beobachten. Die Frage, wozu oder auch für wen man lernt und unterrichtet, ist entscheidend, wenn man Schule und ihre Ergebnisse auf einen bestimmten Markt und auf bestimmte Anspruchsgruppen ausrichten will. Grundsätzlich gibt es hierfür zwei verschiedene Herangehensweisen: 1. Man hat ein Produkt und sucht hierfür einen Markt. 2. Man untersucht die möglichen Märkte und entwickelt daraufhin ein Produkt, das auf diesen Markt passen könnte. In dieser Dynamik zwischen Angebot und Nachfrage oder Nachfrage und Angebot besteht das Spannungsfeld erfolgreicher Unternehmen. Es muss immer wieder abgeglichen werden, inwieweit die Produkte den Bedürfnissen des Marktes
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noch entsprechen und ob es auf dem Markt unbefriedigte Bedürfnisse gibt, die sich für die Platzierung eines Produktes eignen. Für den Kontext Schule kann eine Marktanalyse aufzeigen, welche Möglichkeiten die verschiedenen Märkte bieten und worauf Produkte und Dienstleistungen ausgerichtet werden können. Eine solche Marktanalyse kann Schülern dabei helfen, sich selbst auf einen gewünschten und analysierten Markt auszurichten, eine adäquate Werbestrategie zu entwerfen und eine gute Platzierung zu erreichen. Aber auch für Schulen stellt es ein sinnvolles Vorgehen dar, ihre Dienstleistungen auf ihren Markt und ihre Kunden auszurichten, indem sie entweder Bedürfnisse ihrer Anspruchsgruppen weckt oder wahrgenommene Bedürfnisse befriedigt. Eine auf Schüler und Schule ausgerichtete Marketingkonzeption muss auf individueller und institutioneller Ebene festlegen, wo man hinwill (›Wunschort‹), wie man dort hingelangt (›Route‹) und was man dafür einsetzen möchte (›Beförderungsmittel‹) (vgl. Becker, 2005, S. 2 ff.). Grundsätzlich ist es wichtig zu unterstreichen, dass es in der hier vorgestellten Idee der Produkte und Märkte von Schule nicht um eine Markthörigkeit oder rein ökonomische Ausrichtung von Schule geht, sondern um die Anregung zu einer schul- und schülerorientierten Analyse bestehender und möglicher Märkte, welche eine bewusste und aktive Positionierung zum Ziel hat. Dies schließt auch Entscheidungen von Schülern, Lehrern und Schulen ein, bestimmte Märkte nicht zu bedienen und sich von ihren Begehrlichkeiten abzugrenzen.
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Übungen: A. Definieren Sie bezüglich Ihrer Schule interne und externe Märkte und Kunden. Schreiben Sie auf, was diese von Ihrer Schule erwarten. Definieren Sie in gleicher Weise die Märkte, Kunden bzw. Abnehmer für einen bestimmten Schüler. Wie gut ist Ihre Schule auf den beschriebenen Markt ausgerichtet? Wie gut ist die Ausrichtung des Schülers auf seinen Markt? B. Bearbeiten Sie das Arbeitsblatt O.u.OE. – AH-03 ›Arbeitsblatt zum Markt von Schule‹ auf der Webseite zu diesem Buch.
3.2.2 Anspruchsgruppenanalyse (Stakeholderanalyse) Um den Umgang mit Anspruchsgruppen reflektieren und planen zu können, haben Gilbert Probst und Peter Gomez das Modell der Anspruchsgruppenanalyse entwickelt, mit dem einerseits die Einflussnahme auf Anspruchsgruppen und andererseits die Beeinflussung durch Anspruchsgruppen betrachtet werden kann (vgl. Probst u. Gomez, 1989). In einer Übertragung auf Schule könnte man damit beispielsweise Überlegungen anstellen, wie hoch das Interesse und wie weitgehend die Einflussmöglichkeiten auf einzelne Anspruchsgruppen sind. Diese Überlegungen können sowohl aus Sicht eines einzelnen Schülers, eines Lehrers oder einer ganzen Schule sinnvoll sein, vor allem dann, wenn es sich um eine
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für die gewählte Perspektive zentrale Anspruchsgruppe handelt. Auch können die Interessen und Einflussmöglichkeiten der Anspruchsgruppen auf den einzelnen Schüler, Lehrer oder eine Schule bewertet werden. Diese Bewertungen des gegenseitigen Interesses und der gegenseitigen Einflussmöglichkeiten kann dann dazu dienen, das eigene Handeln zu planen und sich gezielt gegenüber einzelnen Anspruchsgruppen zu positionieren. Für die Durchführung einer Anspruchsgruppenanalyse sollte zunächst der ›Analysefokus‹ genau festgelegt werden (z. B. ein Schüler, ein Lehrer, eine Schulklasse, die Schulleitung, ein Gremium der Schule, eine ganze Schule oder ein Stadtteil). Dann werden die Anspruchsgruppen im Analysefokus genauer definiert, etwa als konkrete Personen wie Eltern oder Arbeitgeber, als Ausbildungsbetrieb, als Berufsrichtung oder Universität. Hier könnten dann Namen von Personen und Firmen stehen oder ganze Anforderungsprofile, etwa mit den Zugangsvoraussetzungen für eine bestimmte Berufsausbildung. Anspruchsgruppen können aber auch relativ allgemein benannt sein wie Berufsfelder, politische Gruppierungen, Freunde – oder auch ideelle Aspekte beinhalten wie Demokratie, Freizeit und Umweltschutz. Sind Analysefokus und Anspruchsgruppen genauer definiert, werden zu den folgenden Fragen Kennzahlen zwischen 1 (gar nicht) bis 10 (sehr stark – sehr hoch) verteilt (siehe auch O.u.OE. – AH-04: ›Arbeitsblatt zur Anspruchsgruppenanalyse‹ auf der Webseite zu diesem Buch): A-1: Wie hoch ist das Interesse der Anspruchsgruppe an dem Analysefokus (an seiner Leistung, seiner Arbeitskraft, seiner Anwesenheit etc.)? A-2: Wie hoch ist das Interesse des Analysefokus an der Anspruchsgruppe (an ihrer Zuneigung, Anerkennung, an ihrer Unterstützung, ihrer Einstellung etc.)? B-1: Wie hoch ist der Bedarf der Anspruchsgruppe an dem Analysefokus (emotional, an der Arbeitskraft, an der Anwesenheit etc.)? B-2: Wie stark ist der Analysefokus auf den Bedarf der Anspruchsgruppe ausgerichtet (Profil, Fähigkeiten, Kompetenzen, Ausstattung etc.)? C-1: Wie stark wird der Analysefokus durch die Anspruchsgruppe beeinflusst (in Form von Vorgaben, Machtverteilung, durch den Besitz wichtiger Ressourcen etc.)? C-2: Wie stark beeinflusst der Analysefokus die Anspruchsgruppe (durch Leistung und Nicht-Leistung, durch Anwesenheit und Abwesenheit, durch Bewertungen etc.)? Für eine fundierte Analyse können Hinweise für die Festlegung der Kennzahlen auch über Statistiken oder eigene Befragungen ermittelt werden, z. B. zu freien Lehrstellen in einem bestimmten Ausbildungsberuf, Beschäftigungs- und Vermittlungszahlen, Eingangsvoraussetzungen, demografischen Daten, Fragebögen zur Zufriedenheit und dergleichen. Ebenso wäre etwa bei einer Anspruchsgrup-
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penanalyse in einer Gruppe, z. B. bezogen auf die Ausrichtung einer Schule, das Einsetzen gemittelter Werte möglich. Stehen die zu untersuchenden Anspruchsgruppen und die relevanten Zahlen fest, trägt man entsprechende Wertungen in ein Analyseraster ein und schaut nach relevanten Übereinstimmungen und Abweichungen: –– Von welcher Anspruchsgruppe ›will‹ der Analysefokus mehr als die Anspruchsgruppe von ihm (A-2 größer als A-1)? –– Wo wünscht sich der Analysefokus mehr Einfluss auf die Anspruchsgruppe und wie könnte man diesen herstellen (C-2 kleiner als gewünscht)? –– Wie kann man das Interesse einer Anspruchsgruppe am Analysefokus erhöhen oder verringern (A-1 kleiner oder größer als gewünscht)? –– Wie kann man die Ausrichtung des Analysefokus auf die Anspruchsgruppe erhöhen oder verringern (B-2 kleiner oder größer als gewünscht)? –– Wie kann der Einfluss der Anspruchsgruppe auf den Analysefokus verringert werden (C-1 höher als gewünscht)? In einer Auswertung schaut man dann – entsprechend den Übereinstimmungen und Abweichungen – nach Werten und Wertunterschieden, mit denen man zufrieden ist oder die man gerne verändern möchte. Bezogen auf die durch die Fragen vorgegebenen Kategorien Interesse, Bedarf bzw. Ausrichtung und Beeinflussung, kann dann eine auf die einzelnen Anspruchsgruppen ausgerichtete Strategieplanung zur ›Produktgestaltung und Produktplatzierung‹ oder ›Ausrichtung der Organisation‹ erfolgen. In ihr können Schritte festgelegt werden, um ausgewählte Werte zu erhöhen oder zu verringern. Hierbei sollte immer auch überlegt werden, welche Anspruchsgruppe man überhaupt zufriedenstellen möchte und welche Auswirkungen es haben kann, wenn man es nicht tut. Bei den entwickelten Strategien kann es dann um eine Erhöhung oder Reduzierung der Attraktivität gehen, um Eigenwerbung, um Bildungsmaßnahmen oder um Ziele für die eigene Weiterentwicklung. Bei geringem Bedarf der Anspruchsgruppe am Analysefokus, hohem Inte resse des Analysefokus an der Anspruchsgruppe und geringer Ausrichtung des Analysefokus auf die Anspruchsgruppe sollte z. B. überlegt werden, wie diese Ausrichtung verbessert werden kann, welche ›Multiplikatoren‹ oder ›Lobbyisten‹ für das ›Produkt‹ werben könnten, ob nicht eine Orientierung an einem anderen Markt sinnvoller ist oder ob ein ›Produkt‹ entworfen werden kann, das mehr als nur einen Markt bedient.
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Übungen: A. Setzen Sie sich mit Kollegen zusammen und definieren Sie die Anspruchsgruppen Ihrer Schule. Übertragen Sie diese in die Tabelle und bewerten Sie sie. Diskutieren Sie dann, welche Wertungen Sie gerne erhöhen oder verringern möchten und was geeignete Schritte hierzu wären. Erstellen Sie einen Aktionsplan mit ersten Handlungsschritten (siehe O.u.OE. AH-03: ›Arbeitsblatt zur Anspruchsgruppenanalyse‹ auf der Webseite zu diesem Buch). B. Diskutieren Sie mit Ihren Schülern, wer ihre Anspruchsgruppen als ›Pro dukte von Schule‹ sind. Lassen Sie diese in die Tabelle übertragen und entsprechend den Fragen (A–1 bis C–2) bewerten. Diskutieren Sie dann, welche Wertungen die Schüler jeweils gerne erhöhen oder verringern möchten und was geeignete Schritte hierzu wären. Lassen Sie sie anschließend einen Aktionsplan mit ersten Handlungsschritten erstellen (siehe O.u.OE. AH-04: ›Arbeitsblatt zur Anspruchsgruppenanalyse‹ auf der Webseite zu diesem Buch).
3.2.3 Absatzchancen und Vermarktungsstrategien Vor dem Hintergrund der Frage, welche Zukunft bestimmte Produkte haben oder wie die Absatzchancen der Dienstleistungen und Ergebnisse einer bestimmten Schule oder eines Unterrichtsangebotes sind, können ganz neue Strategien notwendig erscheinen. Es gilt die eigene Schulpraxis kritisch daraufhin zu untersuchen, ob die Dienstleistungen und Ergebnisse zu den Bedürfnissen und Ansprüchen des Marktes passen. Vor diesem Hintergrund kann z. B. die Marktausrichtung der Fröbelschule in Bochum-Wattenscheid – bekannt geworden als Hartz IV-Schule – interpretiert werden. Die Schüler dort sahen keinen Sinn darin, an einem Unterricht teilzunehmen, der sie auf einen Markt vorbereiten sollte, der für sie keine Perspektiven beinhaltet. Als Kunden der Dienstleistung von Schule, als Mitarbeiter von Schule und als ihr ›Produkt‹ gab es für sie keine verbindlichen Ziele und Perspektiven für ihre eigene Zukunft, was im Fernbleiben vom schulischen Produktionsprozess mündete. Die Umstellung der Dienstleistungen auf den Ergebnisbereich ›Leben von Hartz IV‹ entsprach eher ihren Interessen und ihren Zukunftsperspektiven als Kunden: Wie und wo kaufe ich günstig ein? Wie koche ich ein gesundes und günstiges Essen? Wie groß darf die Wohnung sein und wie kann sie eingerichtet werden? Wo bekomme ich zusätzlich zu HARTZ IV Leistungen wie Essen, Kleidung, Möbel oder ein Fahrrad? Welche Anträge muss ich stellen, welche Formulare ausfüllen? Mit welchen Behörden muss ich wie Kontakt aufnehmen? Dass viele Schüler durch diese Umstellung von Unterrichtsthemen überhaupt erst wieder an schulischen Lernprozessen teilnahmen, führte selbstverständlich auch dazu, dass sie dabei Basiskompetenzen (etwa im Lesen, Schreiben und Rechnen) erwerben konnten, die auch für andere Zukunftsperspektiven hilf-
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reich sind. Anstatt Schüler also lediglich konsequent auf einen Markt staatlicher Sicherungssysteme vorzubereiten, wurden sie erst einmal überhaupt wieder zu einer Auseinandersetzung mit schulischen Lernthemen motiviert. Die Ausrichtung der Dienstleistung und unter welchen Stichworten sie beworben wurde, war hier ausschlaggebend für die Kundengewinnung: in diesem Fall der Schüler. Dass sie neben dem beworbenen Ergebnis (›Leben von Hartz IV‹) noch mit anderen Bereichen kognitiver, sozialer und emotionaler Entwicklung in Berührung kamen, ist hierbei ebenso entscheidend. Je nach Kundeninteresse werden eben die ›Hauptbestandteile‹ (etwa Lesen, Schreiben, Rechnen, Kommunizieren, Recherchieren, Alltagsorganisation, Hauswirtschaft) oder die ›Zusatzstoffe‹ (… am Thema ›Leben von HARTZ IV‹) beworben, um Erfolg zu haben. Wie schon im Kapitel über die Produktpalette hervorgehoben, müssen Gegenwart, Zukunft und Perspektive des Produktes als zentraler Bestandteil schulischer Organisation gesehen werden (siehe Kapitel 3: Produkte, Produktplatzierung und Marktorientierung). Eine gute Abstimmung zwischen den Interessen und Bedürfnissen der aktuellen und künftigen Kunden schulischer Dienstleistung, der Mitarbeiter und der potenziellen Abnehmer des Produktes ist dann ein wichtiger Bestandteil der Schulentwicklung. Ob dies wie im Falle der ›Hartz IV-Schule‹ geschehen sollte, kann durchaus kontrovers diskutiert werden. Es wäre beispielsweise auch möglich, Schüler, die mit großer Wahrscheinlichkeit in der regulären Berufsausbildung keinen Platz finden, in Strategien eigenen selbstständigen Unternehmertums zu schulen. Wie auch immer eine strategische Marktausrichtung erfolgt, es müssen die ›Absatzchancen‹ – am besten mit den Schülern und mit anderen Beteiligten gemeinsam – thematisiert und im Produktionsprozess aufgegriffen werden. Da, wo am Markt und den Bedürfnissen vorbei produziert wird, müssen – zumindest aus unternehmerischer Sicht – Produkte neu ausgerichtet oder andere Produktlinien eingeführt werden, wenn man nicht Konkurs anmelden und den Bankrott des Unternehmens verkünden möchte. Im Übertrag auf Schule besteht hier ein großer Unterschied zu Wirtschaftsunternehmen: Konkurs und Bankrott mögen an Schulen zwar inhaltlich begründet sein und auch öffentlich erklärt werden, die Produktion läuft aber trotzdem dank der sicheren staatlichen Finanzierung weiter. In der Wirtschaft wie in der Schule beinhaltet ein solch ruinöser ›Point of no return‹ jedoch auch eine große Chance: Wenn man nichts mehr zu verlieren hat, kann man auch etwas völlig anderes ausprobieren. Wenn nicht gleich das ganze mehrgliedrige System von Schule mit seinen fest verteilten Märkten infrage gestellt wird, so bleibt doch zumindest die Gestaltung und Ausrichtung einzelner Schulen zu klären, die beantworten müssen, wie sie ihre Produktpalette hinsichtlich bestehender Märkte ausrichten, auch oder gerade dann, wenn die Absatzlage schlecht ist. Ein gutes Nischenprodukt kann hier sinnvoller sein als eine auf Halde produzierte Massenware. Wenn die relevanten Anspruchsgruppen identifiziert sind und eine grobe Produktausrichtung erfolgt ist, stellt sich die Frage, woran man eine erfolgrei-
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che Vermarktung des Produktes erkennen würde. Bezogen auf Schule lässt sich dies oft erst Jahre, nachdem die Schüler die Schule verlassen haben, beantworten. Je nach Produktionsverlauf folgt, nachdem der grundlegende Herstellungsprozess durchlaufen wurde, eine weitere Produktbearbeitung (z. B. Ausbildung oder Studium) und nachfolgend ein ›Leasing- oder Mietvertrag‹ durch einen Kunden (z. B. Arbeitsvertrag). Die Vermarktung geht hierbei über mehrere Stationen und kann immer wieder durch Nachbesserungen oder Überarbeitungen (z. B. Fort- und Weiterbildung) unterbrochen werden. Um ›am Markt zu bleiben‹, muss die Produktausrichtung immer wieder überprüft werden. Im Sinne eines Projektplanes bietet es sich an, eine ›Vermarktungs-Timeline‹ zu entwerfen, in der wichtige Schritte, ›Meilensteine‹ oder auch mögliche Hindernisse festgehalten werden.
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Übungen: A. Erstellen Sie eine Timeline Ihrer eigenen beruflichen und privaten Ent wicklung im Hinblick auf ihre Selbstvermarktung. Was waren entscheidende Ereignisse und Brüche in Ihrer eigenen Vermarktungsstrategie? Welche Ereignisse bilden einen roten Faden? B. Erstellen Sie mit Ihren Schülern eine Zukunfts-Timeline ihrer eigenen Entwicklung. Was sind Meilensteine, was sind mögliche Stolpersteine? Was sind Ziele und Gewinne, Teilziele und Teilgewinne?
3.2.4 Produkt, Markt und Schulform Im mehrgliedrigen Schulsystem Deutschlands scheinen einzelne Produktpaletten und die dazugehörenden Märkte schon festgelegt zu sein. Durch eine frühzeitige Selektion der Schüler werden sie spezifischen Schulen zugeführt, die auf bestimmte Produkte und Märkte spezialisiert zu sein scheinen. Ob dieser Zusammenhang zwischen Schulform und Markt tatsächlich so gegeben ist, zeigt sich eigentlich erst in einer Überprüfung des Produktes, wenn es schon auf dem Markt angekommen ist. Abgesehen davon, dass Absolventen bestimmter Schulformen bestimmte Märkte zunächst verschlossen bleiben, ist die Frage offen, auf welchem Markt sie ihr Produkt denn tatsächlich platzieren. Auch die Überlegung, auf welchem Markt sie es platziert hätten, wenn sie eine andere Schule besucht hätten oder der ›Produktionsprozess‹ anders verlaufen wäre, kann hierbei angestellt werden. Die verschiedenen Schulformen und auch Einzelschulen stellen eine Form von ›Markennamen‹ dar, der durch das Label und eine entsprechende Bescheinigung (›Abschlusszeugnis‹) eine gewisse Produktqualität verspricht. Diese Marke kann durchaus die individuelle Qualität eines einzelnen Produktes überlagern, etwa, wenn Kunden ein Produkt wegen des Markennamens wählen und nicht wegen seiner Qualität.
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Produkte, Produktplatzierung und Marktorientierung
Das Gymnasium etwa produziert – gemäß seiner, im selektiven Schulsystem festgeschriebenen ›Unternehmensidee‹ – für einen Markt weiterführender Möglichkeiten, die sowohl handwerkliche Ausbildungen als auch das Studium an Fachhochschulen und Universitäten einschließen. Sogenannte ›Eliteschulen‹ produzieren für das ›High-End‹ Segment eines elitären Marktes. Die Möglichkeiten von Abgängern der Realschulen sind hier prinzipiell geringer, die der Absolventen einer Hauptschule sind noch stärker eingeschränkt, Schülern von Förderschulen steht oft nur der zweite und dritte Arbeitsmarkt offen. Die Feststellung, dass Schüler mit einem höherwertigen Schulabschluss vielfältigeren und größeren Absatzmärkten zur Verfügung stehen, entspricht der im Schulsystem vorweggenommenen Marktverteilung. Die Herkunft des Produktes überwiegt oft andere, individuelle Aspekte der Produktqualität. Dies zeigt sich beispielsweise in der Wertung, die vorgenommen wird, wenn man Hinweise auf diese Herkunft erhält: ›Ich bin Harvard-Studentin.‹ – ›Ich habe mein Abitur gemacht.‹ – ›Ich bin Hauptschüler.‹ – ›Ich war auf der Laborschule.‹ – ›Ich bin Waldorfschüler.‹ – ›Ich besuchte die Schule für Lernhilfe.‹ – ›Ich habe einen Hochschulabschluss.‹ – ›Ich war auf der Fachhochschule.‹ – ›Ich habe meinen Gesellenbrief.‹
Diese Hinweise bilden eine Aura, die die Details des Produktes überstrahlt und den persönlichen Kurs auf dem Markt steigert oder senkt. Als Gegengewicht zu einer scheinbar an Schulformen fixierten Produktpalette kann jedoch jede Schule entscheiden, mit welchen zusätzlichen Merkmalen sie sich auf dem Markt platzieren möchte. Hierbei ist neben der Einbeziehung der Schulform auch die konzeptionelle Ausrichtung als marktrelevanter Vermarktungsfaktor entscheidend. Denn unabhängig von der (Produkt-)Qualität und dem Ruf der Einzelschule, sind solche ›Aushängeschilder‹ der Schule nicht nur für die Schulwahl ausschlaggebend, sondern auch für die Suche nach Kooperationspartnern oder Sponsoren. Der deutsche ›Bildungsmarkt‹ bietet eine vielschichtige Palette von Bildungseinrichtungen, die sich hinsichtlich ihrer Form und Konzeption unterscheiden und die teilweise auch durch die Kombination mehrerer Formen und Ausrichtungen an Profil gewinnen. Die nachfolgende Aufzählung soll einen Überblick darüber geben, welche ›Label‹ für die Ausrichtung von Bildungsorganisationen zur Verfügung stehen, vor allem, wenn sie miteinander kombiniert werden beispielsweise bei einer ›Montessori Schule‹, die als ›volle Halbtagsschule‹ mit ›Schulkindergarten‹ und ›Hortangebot‹ arbeitet und zudem als ›Gemeindezentrum‹ fungiert. Formen von Bildungseinrichtungen: –– Vorschulische und schulergänzende Angebote: Krippe, Kindertagesstätte, Hort, Freizeitstätte, Gemeindezentrum –– Primarbereich: Grundschule –– Sekundarstufe I: Hauptschule, Realschule, Gymnasium, Gesamtschule, Förder schule
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–– Sekundarstufe II: Gymnasiale Oberstufe, Berufsfachschule, Fachschule –– Tertiärer Bildungsbereich: Universität, Fachhochschule, Kunsthochschule, päda gogische Hochschule, Berufsakademie, Berufsbildungswerk –– Quartärer Bildungsbereich: Weiterbildungsinstitut, Sportschule, Volkshochschule, Abendgymnasium, Musikschule Konzeptionelle Aspekte von Bildungseinrichtungen: –– Montessorischule, Waldorfschule bzw. Rudolf-Steiner-Schule, Jenaplan-Schule bzw. Peter-Petersen-Schule, Freinet-Schule, Laborschule, Werkschule, mehrsprachige Schule, Internatsschule, ›Eliteschule‹, offene Schule –– staatliche Schule, konfessionelle Schule, Privatschule, freie Schule –– Gesamtschule, integrierte Gesamtschule, kooperative Gesamtschule, integrative Gesamtschule, Gemeinschaftsschule –– verlässliche oder volle Halbtagsschule, verlässliche oder volle Ganztagsschule Durch Schulinspektionen und eine damit einhergehende öffentliche Bewertung wird die Bedeutung des Namens und des Rufs für Einzelschulen zunehmend relevant. Nicht zuletzt sind auch Aspekte des Sozialraums entscheidend. Ob die Schule auf dem Land oder in der Stadt liegt, kann bei der Gewinnung von Mitarbeitern und Kunden sowie bei der Vermarktung ebenso eine Rolle spielen wie der Ruf des Stadtviertels, in welchem die Schule liegt.
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Übung: A. Wie schätzen Sie das Ansehen einzelner Schulen und Schulformen an Ihrem Wohnort ein? Gibt es Spitz- und Schimpfnamen für einzelne Schulen und die Schüler, die diese besuchen? B. Was müssten Sie tun, damit die Schüler Ihrer Schule voller Stolz ein T-Shirt mit dem Aufdruck Ihres Schullogos tragen?
3.2.5 Produktentwicklung und -forschung: Selbstentwicklung und Selbstmarketing von Schülern Die Idee, sich zunächst mit den Vermarktungsmöglichkeiten auseinanderzusetzen, bevor man an das eigentliche Produktdesign geht, zielt darauf ab, marktgerecht zu produzieren und möglichst effektiv an der Passung von Produkt und Kunden zu arbeiten. Verabschiedet man sich von der Idee der Massenproduktion, stellt sich die Produktionsfrage nach Nischenprodukten und Einzelanfertigungen. Diese können sehr speziell auf bestimmte Marktaspekte ausgerichtet sein oder im Sinne eines ›Multifunktionsproduktes‹ für ein größeres Marktsegment interessant sein. Die Gewichtung zwischen allgemeinen Bearbeitungsschritten des Produktes (allgemeine Kompetenzen und allgemeine Bildung) und speziellen Bearbeitungs schritten (spezielle Kompetenzen und spezielle Bildung) sind hierbei aufeinander
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Produkte, Produktplatzierung und Marktorientierung
abzustimmen. In der schulischen und allgemeinen Bildung ist die detaillierte Ausrichtung noch nicht das maßgebliche Ziel, sondern eher die Vermittlung des Handwerkszeugs zur eigenen Marktausrichtung und der Befähigung, sich selbstständig weiterzuentwickeln (siehe Kapitel 3.1.3: Wissen, Fähigkeiten und Kompetenzen als ›Produkte von Schule‹). Eine genauere Anpassung an bestimmte Märkte und Abnehmer findet in der Regel erst im späteren (Aus-)Bildungsverlauf statt. Die schon als Beispiel angeführte sogenannte Hartz IV-Schule hat diese Entscheidung einer Marktausrichtung (›ein Leben ohne Ausbildungschancen und Berufstätigkeit‹), letztendlich nicht aus einer alleinigen Ausrichtung auf den zukünftigen Abnehmermarkt getroffen, sondern vor allem auch, um die Schüler überhaupt wieder als Mitarbeiter und Kunden für den schulischen Produktionsprozess gewinnen zu können. Um eine aktive Entscheidung über die eigene Produktpalette und Marktorientierung zu treffen, bedarf es eines unternehmerischen Verständnisses, das die Produktentwicklung – entgegen scheinbaren Zuweisungen und Gegebenheiten – selbst in die Hand nimmt. Im unternehmerischen Kontext ist es nicht hilfreich, über die Marktsituation zu klagen. Vielmehr muss man sich aktiv um eine (Neu-)Ausrichtung der Organisation bemühen. Schule ist als staatlich finanzierte Organisation in der Regel weder durch mangelnden Absatz noch durch eine schlechte Marktausrichtung in ihrer Existenz gefährdet. Schüler hingegen müssen sich früher oder später dem existenziellen Druck einer passenden oder verfehlten Marktausrichtung stellen. Der Vorteil von Schulen, sich nicht zwingend um ihre Märkte und ihren Absatz kümmern zu müssen, ist aus Sicht der Produktentwicklung ein großer Nachteil, da in der Regel kein ernsthafter Innovationsdruck entsteht und konservativ auf eine gewohnte und etablierte Art und Weise weiter produziert werden kann. Trotz PISA-Studie und Schulinspektion zeigt sich, dass – im Gegensatz zu Wirtschaftsunternehmen – selbst bei geringer Qualität oder schlechter Vermarktung weder eine tatsächliche Gefährdung der Schule noch der damit verbundenen Arbeitsplätze besteht. Dies heißt selbstverständlich nicht, dass in Schulen keine Innovationen entstehen oder dass die Qualität keine Rolle spielen würde. Es wirkt sich jedoch nicht direkt auf den Fortbestand der Schule aus, wenn Produktqualität und ›Absatz‹ gering sind. Die Qualität darf in diesem Zusammenhang nicht mit ›guten Noten‹ gleichgesetzt werden, sondern ergibt sich daraus, inwieweit die Anspruchsgruppen (Schüler, Eltern, nachfolgende Bildungsinstitutionen, spätere Arbeitgeber etc.; siehe Kapitel 3.2: Anspruchsgruppen, Märkte und Vermarktung) mit der Qualität zufrieden sind – dies auch noch in einer längerfristigen Perspektive, die über das Datum des Schulabschlusses hinausgeht. Qualitätsentwicklung zeigt sich im Kontext von Schule als ein übergreifendes Unterfangen, das sogar bezogen auf jeden einzelnen Schüler mehrere Anspruchsgruppen betrifft. Setzt man sich mit den Absatzmöglichkeiten der Produkte und Dienstleistungen von Schule sowie ihrer Marktstellung auseinander, liegt in der Produktaus-
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richtung eine der wichtigsten Aufgaben des Unternehmens Schule. Zwischen ›Über- und Unterproduktion‹, ›Ausschussware‹ und einer Produktion ›am Markt vorbei‹ sind hier viele Übertragungen von Marktmechanismen auf schulische Kontexte denkbar, wenn auch nicht wünschenswert. Ein wichtiger Aspekt der Marktplatzierung muss sein, dass die Produkte und Dienstleistungen zukunftsfähig sind und dass sich die Schüler langfristig und nachhaltig auf dem Markt halten können. Wie kurz- oder langlebig die schulischen Bildungsdienstleistungen auch sein mögen, der Schüler braucht als Produkt seiner eigenen Bildungstätigkeit die Fähigkeit, den Produktionsprozess auch nach der Schule selbst gesteuert aufrechtzuerhalten. Die Idee ›das Lernen zu lernen‹ und die Vorstellung eines ›lebenslangen Lernens‹ weisen in diese Richtung, da kein ›Bildungsprodukt‹ jemals fertig ist, sondern ständig an die jeweiligen und individuell bedeutsamen Gegebenheiten angepasst und nachgebessert werden muss. Das ›Lernen zu lernen‹ ist dann eine schulische Bildungsstrategie, um die Nachhaltigkeit des Produktes zu sichern. Schüler müssen als Kunden, Mitarbeiter und Produktträger von Schule zu ›Forschern ihrer eigenen Zukunft‹ werden, die im Prozess dieser Forschung eben jene Kompetenzen trainieren, die ihnen eine selbstständige Weiterentwicklung ihrer selbst auch nach Verlassen der Schule ermöglichen. Eine Befähigung zur selbstständigen Marktorientierung und -ausrichtung kann in diesem Zusammenhang als zentrale Aufgabe allgemeiner Schulbildung verstanden werden. Zur Erreichung dieser individuellen Ausrichtung im Sinne des Produkts (Schüler und ihre Kompetenzen) sind einige zentrale Aufgaben zu erfüllen, die durch Schule sichergestellt werden müssen: –– Eigenreflexion Was und wer bin ich? Wo stehe ich? Wo liegen meine Ressourcen? Wo will ich hin? Was will ich werden? –– Zielformulierung Welche kurz-, mittel- und langfristigen Ziele habe ich? Welche hat die Klasse? Welche die Schule? Was werde ich nächste Woche tun, um diese Ziele zu erreichen? Woran genau werde ich merken, dass ich ein (Teil-)Ziel erreicht habe? –– Auftragsklärung Was ist mein ›Job‹? Was ist der Job des Lehrers? Wer könnte mich bei welcher meiner Aufgaben unterstützen? Woran werde ich merken, ob ich, die Lehrer, meine Eltern etc. ihre Aufgabe erfüllen? –– Produkterprobung Wo und wie kann ich Erfahrungen mit mir als meinem Produkt machen? Wo kann ich Bestandteile von mir als mein Produkt zeigen und verbessern? Wessen Rückmeldungen sind mir wichtig?
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Produkte, Produktplatzierung und Marktorientierung
Übungen: A. Beschreiben Sie sich selbst als Produkt. Überlegen Sie, wann es Phasen in Ihrem Leben gab, in denen Sie sich (das Produkt) verändert oder weiterentwickelt haben. Welche Märkte waren Ihnen zu welchem Zeitpunkt wichtig? B. Lassen Sie Ihre Schüler sich selbst als ihr Wunschprodukt beschreiben (siehe Übungen zu Kapitel 3.1: Die ›Produkte‹ von Schule). Gibt es ein klares Bild oder mehrere Alternativen? Auf welche Märkte wollen sie sich ausrichten?
3.2.6 Schulmarketing und Werbung Unter Schulmarketing können prinzipiell zwei verschiedene Bereiche verstanden werden: Schule als Markt für Werbung und die Vermarktung und Werbung für Schulen. Im ersten Sinne ist Schule ein Markt für das Platzieren von Produktwerbung, die speziell auf die Zielgruppen der Kinder, Jugendlichen und jungen Erwachsenen abzielt. Dies reicht vom Aufstellen von Getränkeautomaten und Angeboten am Schulkiosk über das Verteilen von Werbemitteln wie Radiergummis, Stundenplänen, Linealen, Schreib-Heften mit entsprechenden Werbebotschaften, wozu auch sogenannte Merchandise-Artikel gehören, die indirekt für ihre Film- und Comic-Helden werben, für rosa Prinzessinnen, großköpfige Mäuse, Plastikbauklötze oder Auto-Roboter. Einen weiteren Schritt gehen Marketingfirmen, die Schulfeste, Projektwochen oder andere Events sponsern, um dort bestimmte Produkte platzieren zu können. Auch werden Verträge mit Schulen geschlossen, um dafür das Recht zu erhalten, an der Schule Werbung verbreiten zu dürfen, was in Form von Plakaten, Aufklebern oder auch dem Verteilen von Tüten mit Produktproben passiert. Weitere Werbemöglichkeiten bestehen in Schulzeitungen und auf den Schul-Webseiten, für die sogar eigens formulierte Slogans erarbeitet werden. Auch für andere Bereiche ist Schule ein Markt: für die Rekrutierung von Nachwuchs. Firmen und Unternehmen werben für die für sie relevanten Berufswege, stellen sich dar und geben Einblicke in ihre Arbeitsbereiche. Nicht zuletzt ist die Schule auch ein Markt für politische Parteien und Vereine, die hier ebenso um Nachwuchs werben wie rechtsradikale Gruppierungen oder Drogenhändler. Schule ist aber auch ein Markt für den Tausch von Sammelkarten, Fußballbildern oder für das Knüpfen von Freundschaften zwischen Schülern. Und nicht zuletzt sind Schulen ein Markt für Schulbuchverlage, Hersteller von Bürobedarf und didaktischen Materialien, von Schultaschen, Sportgeräten, Lerncomputern, Software und dergleichen mehr. Neben dieser Fülle von duldbaren und unduldbaren, vermeidbaren, unvermeidlichen und auch verabscheuungswürdigen Marktinteressen geht ein mögliches Verständnis von Schulmarketing eher verloren: das Marketing der Schule für sich selbst. Marketing geht hierbei über die an Schulen eher gebräuchlichen Begriffe Öffentlichkeitsarbeit, Außendarstellung und Selbstdarstellung hinaus. Es
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geht bei Marketing nicht nur um das deskriptive Darstellen der eigenen ›guten Seiten‹, sondern darüber hinaus um die Herstellung eines produktiven Zusammenhangs zwischen Angebot und Nachfrage, Anbieter und Markt. Diese ›Marktdynamik‹ kann sowohl hinsichtlich der Schule als Organisation und ihrem Markt beschrieben werden als auch hinsichtlich der einzelnen Lehrer und deren Märkten. Schulen und Lehrer müssen sich als Anbieter einer Bildungsdienstleistung auch Gedanken darüber machen, wie sie das Interesse ihrer Kunden wecken. Wie sie den Schülern dabei helfen können, sich auf ihrem Markt zu platzieren. Wenn der Markt analysiert wurde, die eigene Schul- und Bildungsidee entwickelt ist und aktiv an der Gestaltung der Schule gearbeitet wird, können das Marketing und die Werbung der Schule entworfen werden. Hierbei sind hinsichtlich der potenziellen Kunden drei Bereiche zu bedenken: 1. Der Status und die Qualität der Schule bzw. des Unterrichts Ruf, Renommee, Corporate Identity, Marke, Branding, Architektur, Umgebung, Ausstattung –– Welchen Ruf haben die Schule oder der Unterricht? – für WEN? –– Wodurch sind Schule und Unterricht gekennzeichnet? – für WEN? –– Wie attraktiv ist es, dort hinzugehen? – für WEN? Der ›Stall‹, aus dem das Produkt kommt, ist oft genug entscheidend: Auf welche Schulform oder Schule man geht oder gegangen ist, von welcher Universität man kommt oder in welchem Betrieb man ausgebildet wurde. Die Entwicklung einer renommierten Marke ist keine unternehmerische Notwendigkeit, genug Produkte guter Qualität werden von sogenannten Billig marken oder No-Name-Labeln verkauft. Die Bedeutung und der Einfluss der Marke hängen jedoch stark von dem angestrebten Markt ab (vgl. z. B. Regenthal, 2002). 2. Der Status und die Qualität der Bildungsdienstleistungen der Schule bzw. des Unterrichts Spannung, Neugier, Kontakte, interessante Themen, besondere Angebote, angstfreies und effektives Lernen –– Was bietet diese Schule oder dieser Unterricht, das besonders ist? – für WEN? –– Was gibt es dort und nirgends anders? – für WEN? –– Wie interessant ist es, daran teilzunehmen? – für WEN? Der Grad der Marktsättigung, die allgemeine Nachfrage und das Ansehen der Produktgruppe sind wichtig. Möglicherweise müssen für das Produkt Strategien entworfen werden, die es aus der Masse der Mitbewerber herausheben, es in einer angemessenen Weise außergewöhnlich machen (das sogenannte Alleinstellungsmerkmal). Manche Produkte gehen möglicherweise ›weg wie warme Semmeln‹, hier sollte eher darauf geachtet werden, dass das Produkt für Kunden, trotz Individualität und Alleinstellungsmerkmalen, immer noch als ›warme Semmel‹ erkennbar ist.
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3. Der Status und die Qualität der Ergebnisse der Schule bzw. des Unterrichts Funktionalität, Multifunktionalität, Werbung, Aussehen, Massenware, Exklusivware, Nischenprodukt, Einzelanfertigung –– Welches Ansehen haben die Ergebnisse der Schule oder des Unterrichts? – für WEN? –– Wer ist man, wenn man diese Schule oder diesen Unterricht besucht hat? – für WEN? –– Wozu sollte man zur Schule gehen? – für WEN? In wirtschaftlichen Zusammenhängen können hierüber Testberichte, Qualitätschecks und -siegel, Referenzen, Aussagen von ›Vorbesitzern‹ und dergleichen Auskunft geben. Bezogen auf Schule dienen Erfolgsgeschichten ehemaliger Schüler ebenso diesem Zweck wie Ergebnisse von Vergleichstests und Rückmeldungen machfolgender Bildungseinrichtungen und Ausbildungsstätten. Für Schüler selbst ist alles hilfreich, was an schriftlichen und mündlichen Empfehlungen, Zeugnissen und Bescheinigungen erhältlich ist. Im Bereich des Status der Schule geht es um die aktive Gestaltung der Schul identität (Unternehmensidentität oder Corporate Identity). Hierzu gehören das gesamte Auftreten und alle nach außen gerichteten Aktivitäten (vgl. Regenthal, 2002, S. 138 u. 165; Mittelstädt, 2006, S. 1132 ff.): –– Schullogo –– Schulmotto, Schulprogramm, Richtlinien, Konzept –– interne Richtlinien der Zusammenarbeit und Kooperation –– Layout von Schulbriefen und Formularen –– Schulzeitungen, Jahrbücher, Newsletter –– schwarze Bretter, Aushänge und Rundschreiben –– Intranet, Chats und Foren –– Gestaltung des Schulgebäudes und der Räume –– Gestaltung von Aufenthaltsbereichen, Außengelände und Pausenhof –– Hinweisschilder und Orientierung im Gebäude –– Gestaltung der Arbeitsmittel und Materialien –– Ausstellungen und Exkursionen –– Teilnahme und Beteiligung an regionalen Veranstaltungen –– Teilnahme an Wettbewerben –– Nominierung für Schulpreise –– sportliche Aktivitäten und Teilnahme an Wettkämpfen –– Theater und Musikaufführungen –– Fortbildungen, Workshops –– Beratung, Supervision und Coaching –– Angebote für Eltern –– Betriebspraktika und Zusammenarbeit mit Betrieben
Anspruchsgruppen, Märkte und Vermarktung85
Die Unternehmensidentität ist ein entscheidendes Fundament für jede Werbung, da in ihr festgelegt wird, womit man überhaupt werben kann. Dies umfasst sowohl inhaltliche Aspekte (›Was bieten wir im Unterricht unserer Schule?‹, ›Was ist unser Profil?‹ ›Was sind unsere Ziele?‹) als auch strukturelle und formale Aspekte (›Was bieten wir räumlich und materiell?‹ ›Welche Richtlinien haben wir?‹ ›Wie arbeiten wir zusammen?‹ ›Was ist unser Design?‹ ›Wer gehört zu unserer Klientel?‹). Die Entwicklung einer unverwechselbaren Marke durch die Schule bietet eine klare Positionierung auf dem Markt. Die Werbung für die Schule im Rahmen von Außendarstellung, Öffentlichkeitsarbeit und Public Relations kann sich aller Aspekte der Schulidentität bedienen. Als Möglichkeiten der direkten Werbung kommen in Betracht (vgl. Davies u. Davies, 2003, S. 128): –– mündliche Mitteilungen –– Prospekte, Broschüren und Flugblätter –– weiteres schriftliches Material –– Medien –– Zeitungsartikel –– Internetauftritt –– Werbung –– Tag der offenen Tür und andere Veranstaltungen –– technologiebasierte Kommunikation, Webseiten, Werbefilme –– gruppenbezogene Werbung –– sonstige Kommunikationstechniken –– Vorträge und Präsentationen –– Nutzung von Aussagen und Zitaten zufriedener Kunden Auch die Eigenwerbung der Schüler ist ein weiterer wichtiger Punkt der Vermarktung schulischer Ergebnisse. Unter dem Begriff des ›Lebensunternehmertums‹, der durch Dieter Reitmeyer geprägt wurde, geht dieses Selbstmarketing sogar soweit, dass man sich sein ganzes Leben als ›Unternehmer seines selbst‹ begreift und aktiv versucht, sich auf den gewünschten Märkten zu platzieren (Reitmeyer, 2008). Schüler als ›Produkt ihrer eigenen Bildungstätigkeit‹ sind auch die Verpackung ihrer selbst. Ihr Aussehen, Auftreten, Kleidungsstil, aber auch ihre Haltung und Körpersprache, der Händedruck, die Sprache und Wortwahl, sowie der Geruch sind Teil ihrer Werbung. Auch Darstellungen im Internet gehören – gewollt oder ungewollt, gezielt manipuliert oder nicht – zur Persönlichkeits werbung. Diese Verpackung und Werbung muss zum Kunden passen. Wer im Handwerk ›zu aufgestylt‹ oder ›zu aufgetakelt‹ oder im Dienstleistungsbereich zu ›abgestyled‹ oder ›abgetakelt‹ wirkt, kann das beste Produkt nicht platzieren. Aussprüche wie: ›Der erste Eindruck ist entscheidend‹ oder ›Kleider machen Leute‹ verweisen auf diesen Aspekt der Vermarktung. Wer sein ›Produktstyling‹ gut ausrichten möchte, sollte eine möglichst genaue Vorstellung von der Kundschaft haben und sich bewusst entscheiden, in welchem Ausmaß er deren Gewohnheiten
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Produkte, Produktplatzierung und Marktorientierung
bedienen oder auch bewusst von ihnen abweichen möchte. Letztlich gibt es aber auch Marktsegmente, in denen es auf die inneren Werte und Leistungen ankommt. Eine genaue Analyse des Marktes oder des Kunden liefert in jedem Fall die entscheidenden Hinweise für die Ausrichtung des Marketings und der Werbung. Bezogen auf die ›Selbstwerbung‹ der Schüler gehören hierzu: –– Bewerbungsschreiben –– Darstellung des Werdegangs –– Persönlichkeitsprofile –– Zeugnisse –– Bescheinigungen und Zertifikate –– eigenes Aussehen und Auftreten –– Darstellung im Internet
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Übungen: A. Entwerfen Sie für sich selbst eine Beschreibung, mit welcher Verpackung und Werbestrategie Sie ›auf den Markt‹ gegangen sind. Wie sehen Ihre Verpackung und Ihre Werbestrategie heute aus? B. Lassen Sie Ihre Schüler ihre eigene Verpackung und Werbestrategie für sich entwickeln. Hierbei sollen sie ihren jeweiligen Markt und alle anderen relevanten Faktoren bedenken. C. Sammeln Sie alle zur Verfügung stehenden Werbematerialien Ihrer Schule und betrachten Sie diese mit den Augen eines potenziellen Kunden oder Sponsors. Welchen Eindruck haben Sie? Was wären gute erste Schritte zu einem attraktiven und abgestimmten Auftreten?
■■4 Schuleffektivität3
In diesem Kapitel werden Modellvorstellungen der Schuleffektivität dargestellt. Bezogen auf das vorangegangene Kapitel geht es um die Frage, wie effektiv Schulen dabei sind, ihre ›Produkte‹ herzustellen. Im herkömmlichen Sinne von Schulvergleichen und Schulleistungstests geht es dabei fast ausschließlich um kognitive Schulleistung, wohingegen andere Ergebnisse von Schule und Unterricht eher vernachlässigt werden. Effektivität meint hier in der Regel, effektiv bezogen auf das Leisten eines Beitrags zum Entstehen kognitiver Schulleistung. Kapitelübersicht: –– Was ist Schuleffektivität? –– Reviews zur Schuleffektivität –– Strukturmodelle der Schuleffektivität –– Metaanalysen zur Schuleffektivität –– Die Bedeutung der Schulorganisation für die Effektivität –– Schulklima und Schulkultur: Rahmenbedingungen effektiver Schule –– Zusammenfassung: Schuleffektivität als schwer messbare Größe
4.1 Was ist Schuleffektivität? Bei der Frage danach, wann eine Schule eine ›gute Schule‹ ist, lässt sich leicht auf die Ergebnisse der Schule, also die Leistungen der Schüler verweisen, wie sie etwa in den Ergebnissen von Vergleichsstudien dargestellt werden. Oder anders gefragt: Wie gut sind die Produkte von Schule? Eine Definition dessen, was das Produkt von Schule ist, stellt hierfür eine entscheidende Grundlage dar. Betrachtet man vor allem die kognitiven Leistungen der Schule als ihr Produkt, lassen sich ganz andere Antworten auf diese Frage geben, als wenn man auch Aspekte wie soziale Kompetenzen, Chancengleichheit, Lebenszufriedenheit und Teilhabe einbezieht.
3 Dieses Kapitel ist eine aktualisierte und erweiterte Fassung von Kapitel 2.2 aus: Lindemann, H. (2013). Wie Schulentwicklung gelingt. Einschätzungen von Lehrern und pädagogischen Mitarbeitern zu Gelingensbedingungen von Schulentwicklung an ihrer Schule. S. 24–41. Weinheim: BeltzJuventa.
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Schuleffektivität
Für die Forschung ergibt sich die Frage, wie diese ›guten Schulen‹ ihre Ergebnisse erzielen bzw. welche Faktoren einen guten Output erzeugen. Japp Scheerens definiert Schuleffektivität basierend auf einer Analyse mehrerer Ansätze folgendermaßen: »Zusammenfassend kann Schuleffektivität als das Maß betrachtet werden, in dem Schulen verglichen mit auf die Schülerschaft bezogen ›gleichen‹ Schulen, ihre Ziele erreichen, indem bestimmte Bedingungen der Schule selbst oder ihres direkten Umfeldes gestaltet werden.« (Scheerens, 2000, S. 20; Übers. d. Verf.)
Eine andere Schwerpunktsetzung bietet die Definition von Bert Creemers und Leonidas Kyriakides, die zwischen Schuleffektivität und Lehrereffektivität unterscheiden: »Wir betrachten Schuleffektivität als die Wirkung, die schulweite Faktoren wie Unterrichtsrichtlinien, Schulklima und Schulziele auf die kognitiven und affektiven Leistungen der Schüler haben. Lehrereffektivität hingegen bezieht sich auf die Wirkung von Unterrichtsfaktoren auf die Schülerleistungen wie das Verhalten der Lehrer, die Leistungserwartung, die Unterrichtsorganisation und die Nutzung von Ressourcen für den Unterricht.« (Creemers u. Kyriakides, 2008, S. 3; Übers. d. Verf.)
Neben den kognitiven und affektiven Leistungen der Schüler definieren sie auch noch andere Faktoren als Ergebnisse der Schule, wie etwa psychomotorische und metakognitive Leitungen oder den Ausgleich sozialer Unterschiede (vgl. Creemers u. Kyriakides, 2008, S. 27). Da die Schuleffektivitätsforschung in Deutschland erst relativ spät Beachtung fand – umfassender erst mit den großen Vergleichsstudien wie der PISA-Studie – beziehen sich auch die deutschen Definitionen schulischer Effektivität auf Publikationen im angloamerikanischen Sprachraum und die dort entwickelten Modelle (vgl. Bonsen, Bos u. Rolff, 2008, S. 14 ff.).
4.2 Reviews zur Schuleffektivität Einen guten Einblick in die vielfältigen Erfolgsfaktoren gelingender Schule bietet das Review zur Effektivität von Schulen von Daniel Levine und Lawrence Lezotte (Levine u. Lezotte, 1990). Aus ihrer Zusammenfassung von rund 400 Einzelstudien ergeben sich neun Faktorengruppen schulischer Effektivität (Tabelle 3; vgl. Levine u. Lezotte, 1990; nach Reynolds u. Teddlie, 2000, S. 140 f.; Übers. d. Verf.):
Reviews zur Schuleffektivität89 Tabelle 3: Effektivitätsfaktoren nach Levine und Lezotte 1. Führung a. Unterrichtsführung b. Unterstützung der Lehrkräfte c. Hohe Aufwendungen an Zeit und Energie für die Schulentwicklung d. gezielte Auswahl und gezielter Austausch von Lehrkräften e. Beachtung und Auffangen von Außenseitern f. regelmäßige, persönliche Überwachung von Schulaktivitäten und Wissens konstruktion (Bedeutungsgebung) g. Ressourcenbeschaffung h. Verfügbarkeit und effektiver Einsatz von Unterstützungspersonal 2. Unterrichtsarrangements und wirksamer Unterricht a. wirksame Lehre b. erfolgreiche Gruppenbildung und damit zusammenhängende organisatorische Maßnahmen c. Klassenraumgestaltung d. aktives und angereichertes Lernen e. Betonung übergeordneter Kompetenzen bei der Festlegung von Lernzielen f. Koordination von Curriculum und Unterricht g. Verfügbarkeit von Unterrichtsmaterial h. mehr Zeit für Lesen, Sprache, Mathematik 3. Konzentration auf den Erwerb zentraler Lernkompetenzen a. Maximale Verfügbarkeit und Nutzung von Lernzeit b. Schwerpunkt auf dem Beherrschen zentraler Lernkompetenzen 4. Produktives Schulklima und produktive Schulkultur a. geordnete Umgebung b. Zustimmung des Kollegiums zu einer gemeinsam vereinbarten und um setzungsorientierten Mission c. Zusammenhalt und Kollegialität des Kollegiums d. schulweiter Schwerpunkt auf der Anerkennung guter Leistungen e. Orientierung an der Lösung von Problemen f. Beteiligung des Kollegiums am Treffen von Entscheidungen 5. Stark operationalisierte Erwartungen und Anforderungen an Schüler 6. Ausreichende Überwachung der Fortschritte von Schülern 7. Praxisorientierte Personalentwicklung von Seiten der Schule 8. Einbindung der Eltern 9. Weitere a. Gespür der Schüler für Wirksamkeit und Sinnlosigkeit b. multikultureller Unterricht und Sensibilität c. persönliche Entwicklung der Schüler d. konsequente und angemessene Förderprogramme und Förderpraxis
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Schuleffektivität
Vergleichbar mit der Zusammenstellung von Levine und Lezotte ist das Review zur Effektivität von Schulen, das von Pam Sammons, Josh Hillman und Peter Mortimore vorgelegt wurde (Tabelle 4; vgl. Sammons, Hillman u. Mortimore, 1995, S. 8–23; Übers. d. Verf.): Tabelle 4: Effektivitätsfaktoren nach Sammons, Hillman und Mortimore 1. Professionelle Führung –– Beständigkeit und Zielgerichtetheit Proaktive, schulbezogene Mitarbeiterauswahl, Konsistenz und Zielgerichtetheit im Schulmanagement –– Ausrichtung auf Partizipation Geteilte Führung, Beteiligung von Lehrkräften an Schulmanagement und Planung der Curricula, gemeinsame Beratung über Ausgaben und andere schulpolitische Entscheidungen –– Schulleitung Wissen und Beteiligung bezogen auf den Unterricht (Curricula, Unterrichtsstrategien, Lernstand der Schüler) 2. Geteilte Vision und Ziele –– Einheit in der Zweck- und Zielausrichtung Konsens über Werte –– Konsistenz im Handeln Umsetzung der Curricula, Umgang mit Disziplin –– Kollegialität und Zusammenarbeit 3. Lernumgebung –– geordnete Atmosphäre –– attraktive Arbeitsbedingungen 4. Konzentration auf Lehren und Lernen –– Maximale Ausschöpfung der Lernzeit Verhältnis von Unterricht, Interaktion, Zusammenarbeit zu Administration und Verwaltung, gutes Management des Übergangs zwischen Lerneinheiten –– Erwartungshaltung Gute Leistungen in schulübergreifenden Prüfungen, Erledigung von Hausaufgaben –– Konzentration auf Leistung 5. Zielgerichteter Unterricht –– Effiziente Organisation Vorbereitung des Unterrichts –– Klarheit der Ziele –– Strukturierter Unterricht –– anpassungsfähige Praxis Rahmenbedingungen für die Ermutigung zu eigenständigem und verantwortlichem Handeln der Schüler 6. Hohe Erwartungen –– Insgesamt hohe Erwartungen Aktive Rolle der Lehrer in der Unterstützung der Schüler –– Kommunikation von Erwartungen Kommunikation und Bestärkung von Erwartungen –– Bereitstellen intellektueller Herausforderungen
Reviews zur Schuleffektivität91 7. Positive Verstärkung –– Klare und faire Disziplin –– Feedback Direktes und positives Feedback wie Lob und Anerkennung 8. Fortschrittskontrolle –– Lernfortschrittskontrolle z. B. fundiertes Führen von Aufzeichnungen –– Evaluation der Schulleistung Evaluation des Schulprogramms in einem zyklischen Verbesserungsprozess 9. Rechte und Verantwortlichkeiten der Schüler –– Stärkung des Selbstwertgefühls Gute Lehrer-Schüler-Beziehungen, gemeinsame Aktivitäten außerhalb der Schule –– Verantwortungsvolle Aufgaben Übertragung von Aufgaben, Vertrauen in Schüler, Standards für mündiges Verhalten, Überprüfung der Arbeit 10. Partnerschaft zwischen Schule und Eltern –– Einbindung der Eltern in das Lernen ihrer Kinder 11. Lernende Organisation –– Schulbezogene Personalentwicklung
Die Autoren weisen jedoch darauf hin, dass sich der Erfolg von Schulen in den zugrunde gelegten Einzeluntersuchungen maßgeblich auf kognitive Leistungen der Schüler bezieht ohne eine Überprüfung, inwieweit dieser Erfolg auch ihre soziale und emotionale Entwicklung betrifft (vgl. Sammons, Hillman u. Morti more, 1995, S. 4 u. 23). Genauer betrachtet beziehen sich die Ergebnisse der Schuleffektivitätsforschung sogar maßgeblich nur auf die Bereiche Sprache und Mathematik, wohingegen andere Bereiche wie metakognitive Fähigkeiten oder Kreativität, Teamarbeit, emotionale Aspekte des Lernens und die Gleichheit von Bildungschancen nicht in die Messungen der Effektivität einbezogen werden (vgl. Creemers u. Kyriakides, 2008, S. 8 u. 27). Bezogen auf die Wirkungen von Schule sind in diesem Zusammenhang Forschungserkenntnisse relevant, aus denen hervorgeht, dass Schüler mit schlechten Schulleistungen, sozial und ökonomisch benachteiligte Schüler und Schüler mit Migrationshintergrund weitaus stärker von effektiven Schul- und Unterrichtsstrukturen profitieren als Schüler mit guter Lernleistung oder aus einem privilegierten Umfeld (vgl. Scheerens u. Bosker, 1997, S. 96, Creemers u. Kyriakides, 2008, S. 24). Untersuchungen der OECD in mehr als 20 Ländern weisen zudem darauf hin, dass Leistungsdifferenzen zwischen Schülern gerade in den Ländern am geringsten sind, in denen die Schulautonomie, also die Eigenverantwortung und die Möglichkeiten einzelschulischer Organisations entwicklung, am höchsten sind (vgl. OECD, 2004; Barrera-Osorio, Fasih u. Patrinos, 2009, S. 6 f.).
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Schuleffektivität
Trotz einer geringen Überlappung von nur vier Prozent der in den beiden Reviews untersuchten Einzelstudien zeigen sie sehr große Übereinstimmungen in den Ergebnissen der beiden Reviews (vgl. Teddlie u. Stringfield, 2007, S. 142). Es ist jedoch grundsätzlich davon auszugehen, dass die Menge der Faktoren und Differenzierungen ansteigt, je mehr Einzeluntersuchungen in die Erstellung solcher Kriterienkataloge einbezogen werden. Hierbei gehen zwar die genauen Fragestellungen und Untersuchungsmethoden der Einzeluntersuchungen oder auch die konkreten Effektivitätskriterien einzelner Schulen verloren, es ergibt sich jedoch aus solchen Reviews ein recht detailliertes und umfassendes Bild dessen, was Schulen maximal an Anforderungen zu erfüllen haben, um gute Leistungen zu erbringen. Dies bedeutet keinesfalls, dass alle Kriterien gleichermaßen erfüllt sein müssen, um als Schule erfolgreich zu sein. Dies gilt umso mehr, als sich die Effektstärken einzelner Kriterien schulischen Erfolges oder schulischer Qualität nicht eindeutig zuordnen und verallgemeinern lassen, da die Wechselwirkungen zwischen den Einzelfaktoren sehr vielschichtig sind und sich die Rahmenbedingungen einzelner Schulen vor Ort stark voneinander unterscheiden (vgl. Holtappels, 2005, S. 38). Augenfällig sind die großen Übereinstimmungen zwischen den verschiedensten Untersuchungen zur Schuleffektivität. Diese zeigen sich beispielsweise auch in dem Vergleich von fünf Reviews (darunter die beiden oben angeführten) durch Jaap Scheerens, Cees Glas und Sally M. Thomas (vgl. Scheerens, Glas u. Thomas, 2003, S. 241 ff.) oder in dem umfassenden und detaillierten Faktoren-Inventar der Schuleffektivität, das Jaap Scheerens und Roel J. B osker aus insgesamt neun Studien und Evaluationsinstrumenten herausgearbeitet haben (vgl. Scheerens u. Bosker, 1997, S. 99–138).
4.3 Strukturmodelle der Schuleffektivität Neuere Untersuchungen und Metaanalysen zur Schuleffektivität listen nicht nur Faktoren auf, wie dies in den aufgeführten Reviews dargestellt ist, sondern beschäftigen sich ausführlicher mit den Zusammenhängen und Effekten der einzelnen Faktoren. Die Zusammenhänge der einzelnen Faktoren untereinander werden aber durchaus unterschiedlich dargestellt. Jaap Scherens hat ein zusammenfassendes Modell der Schuleffektivität erstellt, an dem sich auch viele Modelle von Schulqualität orientieren, indem die Bereiche Kontext, Input, Prozess und Output unterschieden werden (Abbildung 10; vgl. Scheerens, 2007, S. 55; zuerst in Scheerens, 1989; Übers. d. Verf.): Die einzelnen Faktoren der aufgeführten Reviews lassen sich sehr gut in dieses Strukturmodell integrieren und den dort benannten Bereichen zuordnen. Viele der später vorgestellten Modelle der Schulqualität weisen ein vergleichbares Schema auf (siehe Kapitel 5: Schulische Qualitätsmodelle und -managementsysteme).
Strukturmodelle der Schuleffektivität93
Abbildung 10: Zusammenfassendes Modell von Faktoren der Schuleffektivität nach Scheerens
Bezogen auf die Zusammenhänge der Faktoren untereinander kommen Bert Creemers und Leonidas Kyriakides in ihrem dynamischen Modell der Schuleffektivität zu einer anderen Darstellung. Vor allem wird Faktoren auf der Ebene der Schüler eine größere Bedeutung zugemessen (Abbildung 11; vgl. Creemers u. Kyriakides, 2008, S. 77 u. 150; Übers. d. Verf.). Auch wenn die Zusammenhänge im Detail unterschiedlich dargestellt werden, sind beide Modelle doch in ihren Grundzügen vergleichbar. Der zentrale Fokus liegt auf der Schülerleistung sowie auf den direkten und indirekten Wirkungen der anderen Faktoren auf die Schülerleistung.
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Schuleffektivität
Abbildung 11: Zusammenfassendes Modell von Faktoren der Schuleffektivität nach Creemers und Kyriakides
4.4 Metaanalysen zur Schuleffektivität In Metaanalysen, die in Zusammenhang mit der Erstellung der vorgestellten Modelle von Schuleffektivität durchgeführt wurden, werden die Auswirkungen aller benannten Faktoren auf die Schülerleistung untersucht. Jaap Scheerens und Roel J. Bosker haben in einer umfangreichen Metaanalyse von 155 Einzelstudien Wirkfaktoren zusammengefasst und hinsichtlich ihrer Effekte auf die Schülerleistung untersucht (Scheerens, 2007, S. 45 ff.). Auch Bert Creemers und Leonidas Kyriakides haben zur Fundierung ihres Modells eine Metaanalyse durchgeführt, in der sie die Ergebnisse von 67 Studien zusammengefasst sowie die Wirkungen von Faktoren auf Schulebene untersucht haben (Creemers u. Kyriakides, 2008, S. 199). Interessant ist in beiden Metaanalysen die Erkenntnis, dass Input-Faktoren wie Klassengröße, Lehrerschulung, Lehrererfahrung und Bezahlung im Durchschnitt vernachlässigbare Auswirkungen auf den Schulerfolg der Schüler haben; Faktoren auf der Ebene der Schulorganisation wie pädagogische Führung, Kooperation,
Metaanalysen zur Schuleffektivität95
Beteiligung von Eltern oder Schulklima geringe Auswirkungen zeigen und Faktoren auf der Ebene des Unterrichts wie Lerngelegenheiten oder Lernzeit mittlere bis starke Effekte ergeben (vgl. Creemers u. Kyriakides, 2008, S. 172 ff. u. 201 ff.; Scheerens, 2007, S. 114 u. 127 ff.; vgl. auch Scheerens, Glas u. Thomas, 2003, S. 249). In der bisher umfangreichsten Darstellung von Ergebnissen der Schuleffektivitäts forschung hat John Hattie 815 Metaanalysen zusammengefasst (Hattie, 2009). Er hat die Effektstärken einzelner Faktoren der Schuleffektivität in sechs Bereichen zusammengefasst (Tabelle 5; vgl. Hattie, 2009, S. 39 ff., S. 61 ff., 73 ff., 109 ff., 130 ff., 162 ff.; Übers. d. Verf.): Tabelle 5: In der Hattie-Studie untersuchte Effektivitätsfaktoren Schüler –– Hintergrund bisherige Leistungen, Handlungsschemata, Selbsteinschätzung, Kreativität –– Haltung und Einstellung Persönlichkeit, Selbstkonzept, Motivation, Konzentration/Ausdauer/Engagement, Ängstlichkeit, Einstellung zu Mathematik und Wissenschaft
–– physische Faktoren
Geburtsgewicht, Krankheiten, Diäten, körperliche Betätigung und Entspannung, Drogen, Geschlecht, positive Sicht der eigenen Herkunft –– vorschulische Erfahrungen Frühförderung, Vorschulprogramme
Häusliches Umfeld –– Sozioökonomischer Status –– Wohlfahrtsprogramme –– Familienstruktur –– häusliche Umgebung –– Fernsehkonsum –– elterliches Engagement –– Hausbesuche Schule –– Eigenschaften der Schule Finanzen –– Schultyp Vertragsschulen, Konfessionsschulen, Sommerakademie, Desegregation, Internats unterbringung –– Aspekte der Schule Schulgröße, Sommerferien, Mobilität, außerschulische Angebote, Schulleitung –– Aspekte der Schulklassen Klassengröße, offener oder traditioneller Unterricht, Zusammensetzung nach Leistungsgruppen, altersübergreifender Unterricht, innere Leistungsdifferenzierung, kleine Lern gruppen, gemeinsame Beschulung [Mainstreaming], Versetzung –– Begabtenförderung Bildung eigener Lerngruppen, Überspringen von Klassenstufen, Zusatzaufgaben –– Einfluss der Schulklasse Klassenführung, Zusammenhalt, Verhalten, Umgang mit Unterrichtsstörungen, gegenseitige Beeinflussung [Freundschaften etc.]
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Schuleffektivität
Curriculum –– Lesen Programme zur visuellen Wahrnehmung, Vokabel-Programme, phonetische Übungen, Satzkombination, wiederholtes Lesen, Programme zum Textverständnis, ganzheitliche Sprache, Vorlesen, Zusatzunterricht, Schreibübungen, Theater- und Kunst-Angebote –– Mathematik und Naturwissenschaft verschiedene Hilfsmittel und Programme, Benutzung von Taschenrechnern –– andere curriculare Angebote Werte und Normen, Sozialkompetenz, Berufsorientierung, fachübergreifender Unterricht, Psychomotorik, Wahrnehmungstraining, Spiele, Kreativangebote, Outdoor- und Abenteuerangebote, Zusatzunterricht, zweisprachige Angebote Lehrer –– Fortbildung und Training –– Übungs- und Laborunterricht [Microteaching] –– Fachwissen –– Lehrqualität –– Beziehung zwischen Lehrern und Schülern –– berufliche Entwicklung –– Erwartungen an Schüler –– Vorurteilsfreiheit –– klare Struktur und Leistungserwartung Herangehensweisen von Lehrern: Lernstrategien –– Lernstrategien Zielsetzung, Verhaltensziele und Zusammenfassungen, Konzeptgrafiken, Lerntraining –– Erfolgskriterien klare Leistungsanforderungen, individualisierte Lernanforderungen, Leistungsbeispiele –– Feedbacksysteme Rückmeldungen, Tests, Anleitung zum Bestehen von Tests und Coaching, Leistungsevaluation, Fragestellung, direkter Kontakt zu Schülern –– Schülerperspektive Lernzeit, Raum und Zeit zum Üben, Peer Tutoring, Mentoring –– Metakognition und Selbstregulierung metakognitive Strategien, Lernkompetenzen [z. B. Selbstmanagement, Planung], Selbst instruktion, eigene Lernkontrolle, Berücksichtigung individueller Lernvoraussetzungen, Berücksichtigung individueller Lernstile, individualisierter Unterricht Herangehensweisen von Lehrern: Unterrichtsstrategien –– Unterrichtsstrategien Lernkompetenzorientierung [z. B. Zusammenfassen, Fragen, Vorhersagen], direkte Instruktion, visuelle Hilfen/Grafiken, induktiver Unterricht, fragen- und problemorientierter Unterricht, Unterrichtsstrukturen [kooperativ, konkurrenzorientiert, individualisiert, heterogen] –– schulische Unterrichtskonzepte Unterstützung bei Lernschwierigkeiten, spezielle Programme für ›Risikoschüler‹, Team teaching –– Lerntechnologie computergestützter Unterricht, internetgestützter Unterricht, Einsatz interaktiver Videos, audiovisuelle Methoden, Simulationen, Lernprogramme –– außerschulische Lerngelegenheiten Hausunterricht, Hausaufgaben
Die Bedeutung der Schulorganisation für die Effektivität97
Die größten Effekte zeigen sich auch in Hatties Darstellung auf der Ebene des Unterrichts und der Schüler-Lehrer-Interaktion (z. B. problemlösender Unterricht, fachspezifische Lehrerfortbildungen, metakognitive Lernstrategien, Selbstvertrauen der Schüler). In seiner Zusammenfassung kommt Hattie zu dem Schluss, dass Lehrer zu den wichtigsten Einflussgrößen bezogen auf die Schülerleistung zählen (Hattie, 2009, S. 238). Fünf seiner sechs ›Eckpfeiler der Schuleffektivität‹ beziehen sich dann auch auf die Lehrer und ihren Unterricht und nur einer auf die Gestaltung der Lernumgebung (Hattie, 2009, S. 238). Die von Hattie herangezogenen Analysen fokussieren maßgeblich auf lernund unterrichtsbezogene Aspekte. Aspekte der Schulorganisation werden nur teilweise, etwa bezogen auf die Wirksamkeit der Schulleitung, berücksichtigt. Der Bereich der Schulorganisation und des Schulmanagements findet leider keine Beachtung. Schulorganisatorische Faktoren wie Zielorientierung, Administration oder Controlling werden in seiner Arbeit ebenfalls nicht erfasst. Hattie schreibt hierzu, dass er Faktoren der Schulorganisation und weitere Kontextfaktoren nicht ausgeschlossen hat, weil sie unwichtig seien, sondern weil er seinen Fokus auf Faktoren der Schüler, des Unterrichts und der Lehrer gelegt hat (vgl. Hattie, 2009, S. viii u. 6).
4.5 Die Bedeutung der Schulorganisation für die Effektivität Es wäre ein Fehlschluss, würde man aus den Ergebnissen der Schuleffektivitätsforschung ableiten, dass Schulorganisation und Schulmanagement für die Schülerleistung zweitrangig oder gar bedeutungslos seien, wie dies etwa in einem Kommentar zur Hattie-Studie in der ZEIT behauptet wurde (Felten, 2011, Die ZEIT 3.11.2011). Die Auswirkungen von Schulstrukturen und Schulorganisation lassen sich nur nicht direkt über die Schülerleistung messen, da sie sich nicht direkt auf die Schüler und ihr Lernen auswirken, sondern auf die Lehrer und die Rahmenbedingungen ihrer Arbeit. Diese Einschätzung findet sich beispielsweise auch in den Ergebnissen der durch Kenneth Leithwood und Kollegen 2003 durchgeführten LOLSO-Studie ›Leadership for Organisational Learning and Student Outcomes‹ wieder (Mulford, Silins u. Leithwood, 2004, S. 10). In ihr wurden die Wirkung der Schulführung und des organisationalen Lernens auf die Schülerleistung untersucht. Die Autoren der Studie betonen, dass sich Faktoren auf der Ebene von Schule und Schulführung in erster Linie auf die Arbeit der Lehrer auswirken. Direkte Wirkungen des Schulleitungshandelns und des organisationalen Lernens auf die Schülerleistung wurden ebenfalls nicht festgestellt. In einer pointierten Darstellung lässt sich die ›Entfernung‹ schulorganisatorischer Faktoren zur Schülerleistung folgendermaßen darstellen (Abbildung 12):
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Schuleffektivität
Abbildung 12: Wirkungskettenmodell von Faktoren der Schuleffektivität (vgl. Mulford, Silins u. Leithwood, 2004, S. 10; vgl. auch Leithwood et al., 2006a, S. 10)
Bezogen auf das Gelingen von Schulentwicklungsprozessen – also dem Schwerpunkt der hier vorliegenden Untersuchung – bietet die Schuleffektivitätsforschung nur wenig Hinweise über wirksame Faktoren. Das liegt daran, dass die Schul effektivitätsforschung eine ganz andere Zielrichtung – nämlich Schülerleistung und nicht den Erfolg von Schulentwicklungsprozessen – in den Blick nimmt. Gute Schülerleistung ist zwar das primäre Ziel von Schulentwicklung und befindet sich damit auf der Ergebnisebene, viele Faktoren der Schulgestaltung und Schulorganisation befassen sich aber mit der Unterstützung der Lehrkräfte, der Zielentwicklung und der Koordination und damit nur indirekt mit der Schülerleistung. Es ist also nicht verwunderlich, dass sie keine nennenswerten Effekte auf dieser Ebene zeigen. Zudem stehen weitere Ergebnisse von Schulgestaltung und Schulorganisation, die ebenfalls auf der Ebene des Kollegiums angesiedelt sind, wie Arbeitszufriedenheit oder kollegiales Klima, nicht im Zentrum der Schul effektivitätsforschung. Die entscheidende Messgröße für diese schulorganisatorischen Aspekte wäre demnach das Maß der Unterstützung für das Kollegium und ihre Zusammenarbeit beziehungsweise die Wirkung auf die Rahmenbedingungen der Unterrichtsgestaltung. Die Ergebnisse der Untersuchungen zur Schuleffektivität (mit dem Fokus auf kognitive Schülerleistungen) lassen sich – vor allem in ihren Wirkungsanalysen – nicht linear auf die Effektivität oder gar den Sinn von Schulentwicklungsprozessen und Schulführung übertragen. Zwar mögen die direkten Effekte der Schulorganisation auf die Schülerleistung gering sein, bezogen auf die Veränderungs- und Entwicklungsprozesse der Schule und auf die dazu notwendige Zusammenarbeit von Lehrern, Schulleitung, pädagogischen Mitarbeitern, Schülern und Eltern haben sie jedoch weitaus größere Auswirkungen (vgl. Bonsen, Bos u. Rolff, 2008, S. 24 ff.; Fullan u. Watson, 2000). Aufschlussreich sind in diesem Zusammenhang die Forschungen, die in den 90er-Jahren begleitend zur Einführung eines ›school based managements‹ in Chicago durchgeführt wurden (Bryk et al., 2010). Hier wurde untersucht, welche organisationalen Bedingungen im Rahmen einer stärkeren Schulautonomie zu einer Verbesserung der Schülerleistung (Mathematik, Lesen, Schulbesuch) beitragen. Von den fünf untersuchten Bereichen betreffen drei maßgeblich außerunterrichtliche Aspekte (vgl. Bryk et al., 2010, S. 232 ff.; Übers. d. Verf.):
Die Bedeutung der Schulorganisation für die Effektivität99
1. Schulführung Beteiligungspraxis, Einfluss des Kollegiums, Leistungskontrolle, ergänzende Schulprogramme, Schulentwicklung 2. Einbindung von Eltern und Kommune Wissen um die Kultur der Schüler, Einbindung des Kollegiums in die Kommune, Nutzung kommunaler Ressourcen, Kontakte des Kollegiums zu den Eltern, Einbindung der Eltern in schulische Aktivitäten 3. Professionelle Ausstattung Erfahrung der Lehrkräfte, Personalauswahl, Häufigkeit und Qualität der Personalentwicklung, Innovationsbereitschaft, Zugehörigkeit, gegenseitige Unterrichtsbesuche, gemeinsame Reflexion, Zusammenarbeit, Schülerorientierung, Einarbeitung neuer Lehrkräfte, Verantwortungsübernahme 4. Schülerorientiertes Lernklima Sicherheit, Unterrichtsstörungen, Leistungsorientierung, Individualisierung, Verhalten im Unterricht, Engagiertheit der Schüler, Zusammenarbeit der Schüler 5. Curriculumsorientierung Wissen in Sprachen und Mathematik, Anwendungskompetenzen in Sprachen und Mathematik Die Ergebnisse der Untersuchungen geben Hinweise darauf, dass sich in dem untersuchten organisationalen Veränderungsprozess vor allem die Leistungen der Schüler verbesserten, deren Schulen gute Verbindungen zwischen den Eltern, Schulen und Lehrkräften aufwiesen und die darüber hinaus über eine unterstützende Arbeitsumgebung und eine gute Qualität in der Personalentwicklung verfügten und deren Schulorganisation auf ein geteiltes, kohärentes und abgestimmtes Erziehungs- und Unterrichtssystem ausgerichtet war (vgl. Bryk et al., 2010, S. 125 ff.). Auch hierbei zeigte sich die Bedeutung der Schulführung in der Entwicklung und Absicherung dieser Aspekte schulischer Organisationsentwicklung (vgl. Bryk et al., 2010, S. 127). Bezogen auf die Häufigkeit des Schulbesuchs zeigten sich ebenfalls gute Verbindungen zwischen den Eltern, Schulen und Lehrkräften als Basis der Verbesserung, des Weiteren die Sicherheit und Ordnung der schulischen Umgebung, eine gute Qualität in der Personalentwicklung und die aktive Einbindung der Schüler in den Unterricht (vgl. Bryk et al., 2010, S. 108). Betrachtet man diese Ergebnisse kritisch, lässt sich zumindest festhalten, dass sich Schülerleistungen durch organisationale Aspekte im Rahmen der Umsetzung von Reformen verbessern lassen. Jedoch muss auch angemerkt werden, dass solche Entwicklungs- und Reformprozesse über längere Zeiträume angelegt sind und auch die organisationalen Verbesserungen nur langfristige und keine kurzfristigen Verbesserungen erbringen (vgl. Bryk et al., 2010, S. 17). Bei der weiter unten durchgeführten Zusammenfassung von Gelingensbedingungen der Schulorganisationsentwicklung wird noch detaillierter auf die Chicagoer Studie eingegangen.
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Schuleffektivität
4.6 Schulklima und Schulkultur: Rahmenbedingungen effektiver Schule Als Ergänzung zu den auf die kognitiven schulischen Leistungen der Schüler ausgerichteten Analysen bieten sich Ergebnisse von Forschungen zum Bereich Schulklima und Schulkultur an, die Helmut Fend schon Ende der 70er-Jahre durchgeführt hat (vgl. Fend, 1998). Nach wie vor bieten diese 1998 neu ausgewerteten Ergebnisse wichtige Anhaltspunkte zur Einschätzung schulischer Qualität (vgl. Fend, 1998, S. 87; auch Fend, 2008, S. 162). Im Gegensatz zu den vorgestellten Reviews (siehe oben) fokussiert Fends Forschung stärker auf das soziale Gefüge an Schulen. Dies ist auch für die Schülerleistungen relevant, da sowohl Untersuchungen aus dem Bereich der Organisationspsychologie als auch der Schuleffektivität belegen, dass es einen positiven Zusammenhang zwischen Leistungserfolg und Organisationsklima bzw. -kultur gibt (vgl. Fend, 1998, S. 148; Sammons, Hillman u. Mortimore, 1995, Levine u. Lezotte, 1990, Rosenstiel, 2007, S. 392 ff.). Helmut Fend definiert Schulklima als »[…] die Art und Weise, wie Sozialisationsprozesse in veranstalteter Form durchgeführt werden, die ›Verlebendigung‹ institutioneller Verhältnisse durch die Individualität der Lehrer und Schüler und die dabei entstehenden Lebensformen.« (Fend, 1977, S. 64) Die Begriffe Schulklima und Schulkultur werden hierbei synonym verwendet. In Fends Wirkungsanalyse der Schulkultur wurden Lehrer, Schüler und Eltern von 59 Schulen befragt, von denen aufgrund der teilweise zu geringen Rückläufe die Ergebnisse von 35 Schulen in die Auswertung eingingen (vgl. Fend, 1998, S. 87). In der Befragung wurden Daten zu folgenden Bereichen erhoben (vgl. Fend, 1998, S. 90): Lehrer: –– Arbeitszufriedenheit –– Schulleben –– Problemwahrnehmung –– Kollegiale Beziehungen –– Schulleitung –– Schüler-Lehrer-Beziehung –– Einstellungen der Lehrkräfte Schüler: –– Wahrnehmung der Lehrerzuwendung –– Seelische Stabilität –– Abweichendes Verhalten –– Schulverdrossenheit
Schulklima und Schulkultur: Rahmenbedingungen effektiver Schule 101
Eltern: –– Wahrnehmung der Leistungsforderung –– Wahrnehmung der Disziplinforderung –– Wahrnehmung des Bemühens um Selbstständigkeit –– Wahrnehmung des Bemühens um Förderung –– Zufriedenheit mit der Schule Zur Identifikation relevanter Qualitätsmerkmale wurden die Schulen gegenübergestellt, in denen bezogen auf einzelne Kriterien insgesamt besonders positive oder besonders negative Wertungen abgegeben worden waren. Zu einzelnen Kriterien wurde jeweils das obere Drittel ›guter Schulen‹ mit dem unteren Drittel ›problematischer bzw. belasteter Schulen‹ verglichen, um Unterschiede in den Einzelkriterien herauszustellen (vgl. Fend, 1998, S. 103). Neben einem Zusammenhang der Arbeitszufriedenheit der Lehrer (hierzu tragen unter anderem bei: Verhältnis der Lehrer untereinander und zur Schulleitung, Integrationsgrad im Kollegium und geringe Fraktionierung, soziales Klima, Qualität der Organisation des Schulbetriebes, Leitungskompetenz der Schulleitung, intensives Schulleben, geringe Konflikthäufigkeit, Konsens in Fragen der Erziehung und des Unterrichts) mit der Schulqualität wurde unter anderem festgestellt, dass das wahrgenommene Vertrauensverhältnis der Schüler zum Kollegium mit einer hohen Arbeitszufriedenheit korreliert (vgl. Fend, 1998, S. 105 ff.). Neben der Arbeitszufriedenheit scheint das Schulleben ein wichtiger Indikator für Schulqualität zu sein, vor allem hinsichtlich der Qualität der persönlichen Beziehungen in der Schule, des Klimas im Kollegium und der Vertrauensbasis zwischen Lehrern und Schülern (vgl. Fend, 1998, S. 108 f.). Ebenfalls lassen sich Zusammenhänge zwischen der Schulleitung und der Arbeitszufriedenheit und Zusammenarbeit im Kollegium nachweisen (vgl. Fend, 1998, S. 115). Aus der Gegenüberstellung einzelner Kriterien wurden Schulen identifiziert, die in besonders vielen Bereichen positive oder negative Wertungen erzielten. Als zentrale Kategorien auf der Prozessebene erwiesen sich (vgl. Fend, 1998, S. 117): –– Arbeitszufriedenheit, –– Schulleben, –– Soziale Integration des Kollegiums, –– Konsens bzw. wahrgenommene Fraktionierung, –– Gleichgültigkeit bzw. Verantwortungsbereitschaft. Auf der Ebene von ›Wirkungen‹ wurden folgende Kriterien für die Differenzierung herausgestellt (Fend, 1998, S. 119): –– Vertrauenshaltung gegenüber Lehrern, –– Schulfreude, –– Devianz und Disziplinlosigkeit, –– Verschüchterung (Leistungsangst).
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Schuleffektivität
Auch hier wurde das obere Drittel ›guter Schulen‹ mit dem unteren Drittel ›problematischer bzw. belasteter Schulen‹ verglichen, jedoch nicht bezogen auf Einzelkriterien, sondern bezogen auf eindeutige Unterschiede zwischen den Schulen in ihrem Gesamtbild (vgl. Fend, 1998, S. 117). In den einzelnen Kategorien konnten dann diejenigen Aussagen herausgefiltert werden, die im Vergleich wenig oder stark differenzierten. Neben einem detaillierten Ranking von Aussagen mit geringer bzw. hoher Differenzierung ist vor allem der Zusammenhang zwischen Prozess- und Wirkungsebene aufschlussreich (vgl. Fend, 1998, S. 134). Hierzu wurden die Einschätzungen der Schüler und Lehrer zum Schulklima ›guter‹ und ›belasteter‹ Schulen gegenübergestellt, um zu untersuchen, inwieweit die getroffenen Aussagen übereinstimmen oder sich unterscheiden. Oder anders formuliert: »Strahlen die Verhältnisse im Kollegium auf die Schüler aus?« (Fend, 1998, S. 133) Helmut Fend fasst die Ergebnisse folgendermaßen zusammen: »Das Ergebnis ist pädagogisch erfreulich: Positive Verhältnisse in der Sicht der Lehrer spiegeln sich auch in entsprechend positiven Urteilen der Schüler. Insbesondere die Distanz- und Nähegefühle (Vertrauen) zu den Lehrern sind in guten und schlechten Schulen deutlich unterschiedlich (56 % Varianzaufklärung). In guten Schulen empfinden die Jugendlichen mehr Freiräume und Beteiligungsmöglichkeiten. Sie werden nicht straforientiert wie kleine Kinder behandelt, man unterstellt vielmehr Selbstverantwortung und Vernunft. Die Beziehungen zwischen Schülern und Lehrern sind nicht anonym, sondern persönlich und respektvoll. Auch der Leistungsdruck wird in guten Schulen als niedriger empfunden als in belasteten. Die Einbeziehung der Schüler in die selbstverantwortliche Mitgestaltung schulischen Lernens scheint ein strategisch wichtiger Aspekt zu sein.« (Fend, 1998, S. 135)
Der Umgang der Schüler untereinander unterscheidet sich zwischen ›guten‹ und ›belasteten‹ Schulen hingegen nicht nennenswert voneinander. Wobei aber deutliche Unterschiede in den Bereichen Aggression und undiszipliniertes Verhalten, Regelverstöße und Unterrichtsteilnahme, Respekt, Akzeptanz und Schulfreude bestehen (vgl. Fend, 1998, S. 135 f.). Die Zusammenhänge zwischen Lehrerklima und Schulklima sind jedoch nicht deutlich linear, da sie auch durch viele andere Faktoren beeinflusst werden und in einem reziproken Verhältnis zueinander stehen (vgl. Fend, 1998, S. 136). Auffällig ist die folgende Erkenntnis: »In Schulen, in denen die Kollegen sehr tolerant und rücksichtsvoll miteinander umgehen, herrscht demnach unter den Schülern (in deren Augen) mit gleicher Wahrscheinlichkeit wie in belasteten Schulen ein rücksichtsloser, konkurrenzbetonter Umgangston, der den einzelnen wenig Meinungsspielraum läßt und nur zu schwachen Zusammengehörigkeitsgefühlen führt.« (Fend, 1998, S. 136 f.)
Zusammenfassung: Schuleffektivität als schwer messbare Größe103
Fend fordert hinsichtlich der Schulgestaltung eine Erweiterung des pädagogischen Handelns von Lehrern auf die Bereiche des Schulklimas sowie auf die Beziehungen im Kollegium und mit den Schülern (vgl. Fend, 1998, S. 145). Gerade die Prozessebene – also das ›Wie‹ des Miteinanders und der Leistungserbringung – wird hierbei ins Zentrum gerückt. Dies geschieht mit dem Ziel, nicht nur mehr Zufriedenheit mit und in Schulen zu schaffen (Qualität der schulischen Dienstleistung und pädagogische Wirkungen), sondern auch, um gute Lern- und Leistungs ergebnisse der Schüler zu erzeugen. Die Ergebnisse der Schuleffektivitätsforschung werden durch Untersuchungen zum Schulklima um entscheidende Hinweise über das soziale Miteinander und emotionale Aspekte des Lernens ergänzt.
4.7 Zusammenfassung: Schuleffektivität als schwer messbare Größe Wie stehen die genannten Ergebnisse der Reviews, der Metaanalysen und der Schul klimaforschung miteinander in Zusammenhang? Peter Posch und Herbert Altrichter sehen in den Ergebnissen der angelsächsischen Schuleffektivitätsforschung, den Untersuchungen von Helmut Fend und ihren eigenen Fallstudien viele Übereinstimmungen bezogen auf die definierten Wirkfaktoren (Posch u. Altrichter, 1999, S. 3; mit Verweis auf Aurin, 1991 u. Fend, 1998): –– Orientierung an hohen, allen bekannten fachlichen und überfachlichen Leistungsstandards: Positive Leistungserwartung und intellektuelle Herausforderung, –– Hohe Wertschätzung von Wissen und Kompetenz, –– Mitsprache und Verantwortungsübernahme durch Schüler, –– Wertschätzende Beziehungen zwischen Leitung, Lehrern und Schülern, –– Aushandlung und konsequente Handhabung von Regeln: Berechenbarkeit des Verhaltens, –– Reichhaltiges Schulleben und vielfältige Entfaltungsmöglichkeiten für Lehrer und Schüler, –– Eine kooperative, aber deutlich wahrgenommene und zielbewusste Schulleitung, –– Zusammenarbeit und Konsens im Kollegium, –– Einbeziehung der Eltern, –– Schulinterne Lehrerfortbildung. Posch und Altrichter fassen die Ergebnisse der Schuleffektivitätsforschung folgendermaßen zusammen: »Gesucht wurden ›harte‹ Kriterien, die relativ einfach erfaßbar sind (z. B. LehrerSchüler-Relation, Klassengröße, Ressourcen). Die Ergebnisse dieser Forschungs arbeit waren in einem gewissen Sinn enttäuschend: Statt harter, politisch einiger-
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Schuleffektivität
maßen leicht beeinflußbarer Kriterien wurden fast durchwegs ›weiche‹ Qualitätskriterien gefunden, d. h. Kriterien, die eher ›atmosphärischen‹ Charakter haben und wesentlich vom Klima an der Schule geprägt werden.« (Posch u. Altrichter, 1999, S. 2)
Mit Verweis auf Helmut Fend betonen Posch und Altrichter, dass Bewertungen dieser Kriterien immer auf subjektive Wirklichkeitskonstruktionen zurückgehen, also auf die persönlichen Wahrnehmungen und Vorstellungen darüber, »[…] was die meisten für ›richtig‹ halten, wovon sie glauben, dass es ›alle in einer Schule denken‹, was alle ›für wahr halten‹, was alle meinen, ›dass man es tun müsse‹. Diese subjektiven Wirklichkeitskonstruktionen bestimmen – dies ist die Kernthese der Klima-Forschung – in hohem Maße das Handeln in einer entsprechenden Einrichtung, das Wohlbefinden und auch die Arbeitsmotivation.« (Fend, 1998, S. 174)
Prinzipiell bleibt festzuhalten, dass die Zusammenhänge von Faktoren der Schul effektivität in vielen Bereichen weder direkt messbar noch beobachtbar sind, da es sich um komplexe Konstrukte handelt, in denen höchstens einzelne Faktoren genauer analysiert werden können. Eine Differenzierung von Effektstärken und eine überprüfbare Darstellung von Zusammenhängen sind jedoch nicht zur Gänze möglich. Dies gilt umso mehr, als Effektivität in der aktuellen Diskussion um die Qualität von Schulen nicht ausschließlich auf die kognitiven (Schul-) Leistungen von Schülern beschränkt wird, die über Vergleichsarbeiten relativ leicht messbar sind, sondern soziale und affektive (Schul-)Leistungen der Schüler ebenso umfasst wie die Arbeitszufriedenheit der Lehrkräfte (vgl. Sammons u. Elliot, 2003, S. 513; vgl. auch Creemers u. Kyriakides, 2008, S. 22 f.). Ein weiterer schwer messbarer Bereich der Schuleffektivität liegt in den Langzeiteffekten, etwa dem späteren beruflichen Erfolg und der Lebenszufriedenheit der Schüler, in ihren Einstellungen, Werten und Weltbildern. Zu der – auch in vielen anderen Studien verwendeten – Differenz zwischen ›effektiven‹ und ›ineffektiven‹, ›guten‹ und ›schlechten‹, bzw. ›belasteten‹ oder ›verbesserungsbedürftigen‹ Schulen lässt sich in diesem Zusammenhang feststellen, dass sich die Wertungen prinzipiell auf die Ergebnisse von Schulleistungsvergleichen beziehen oder auf eine Grenze zwischen den Schulen mit den besten und schlechtesten Wertungen bezogen auf die im Rahmen der Untersuchung erhobenen Daten (z. B. Bewertungen der Zufriedenheit, Konflikthäufigkeit etc., vgl. z. B. Fend, 1998, S. 86 u. 117 ff.; Bonsen et al., 2002, S. 47 ff.; Bonsen, 2006, S. 195). In der Entwicklung von Qualitätsmodellen aus der Effektivitätsforschung werden jedoch eher umfassende Perspektiven eingenommen. Es werden verschiedenste, einander ergänzende Qualitätsbereiche definiert ebenso wie kognitive, soziale und affektive Ergebnisse oder auch die Arbeitszufriedenheit von Lehrkräften und die Zufriedenheit der Eltern. Die schwierigste Messgröße liegt hierbei wohl in den Langzeiteffekten von Schule,
Zusammenfassung: Schuleffektivität als schwer messbare Größe105
zumal sich Effektstärken hierbei in noch geringerem Maße spezifisch zuordnen lassen können. Trotz weiterer Forschungen, Differenzierungen und auch Kritik bleibt »[…] die überraschende (und die Schuleffektivitätsforschung stark relativierende) Grundaussage bestehen: das Ethos einer Schule – ein Konglomerat von auf den ersten Blick ziemlich schwammig erscheinenden Prozeßmerkmalen – steht mit der Qualität einer Schule in der Regel in engerem Zusammenhang als so manche ›harten‹ (weil quantitativ relativ problemlos erfaßbare) Input-Faktoren. Insbesondere gibt es meist keinen einfachen linearen Zusammenhang zwischen dem Budget, über das eine Schule verfügen kann, und ihrer Güte, wohl, weil mit verfügbaren Ressourcen offenbar recht unterschiedlich umgegangen werden kann. Auch zwischen der Anzahl der Schüler pro Klasse und anspruchsvolleren Lernformen besteht kein einfacher linearer Zusammenhang, weil eine entsprechende Gestaltung des Lehrens und Lernens nicht notwendig aus kleineren Lerngruppen folgt und offenbar nur selten aus derart verbesserten Bedingungen Nutzen gezogen wird.« (Posch u. Altrichter, 1999, S. 5)
Diese Einschätzung deckt sich auch mit Analysen der internationalen Schul leistungsvergleiche, die gezeigt haben, »[…] dass sehr unterschiedliche Konfigurationen zu sehr guten Ergebnissen führen können, etwa jene in Asien oder in den skandinavischen Ländern. ›Die‹ beste Konfiguration ist somit schwer auszumachen« (Fend, 2008, S. 141). Einzelne Faktoren der Schulqualität und Schulentwicklung sind in verschiedenen Schulen unterschiedlich wirksam und lassen sich daher nur schwer vorwegnehmend konkretisieren. »Die einzelnen potenziell als wirksam einzustufenden Bedingungsfaktoren erweisen sich möglicherweise nicht für jedes pädagogische Ziel, nicht in jeder Konstellation und nicht in jeder Situation als gleichermaßen wirksam. […] Das Schulklima wird in sozial unterschiedlichen Schulumfeldern vermutlich nicht mit denselben Faktoren vergleichbar förderlich sein, die Unterrichtsführung muss in einer erziehungsschwierigen Klasse anders aussehen als mit lernwilligen Schüler/innen, in lernschwierigen Lerngruppen werden besondere Formen der Unterrichtsgestaltung und Förderung benötigt. Und in weniger innovationswilligen Kollegien muss die Schulleitung anders agieren als in solchen mit hoher Reformbereitschaft.« (Bos, Holtappels u. Rösner, 2006, S. 95)
Während sich Ergebnisse von Schule im Bereich kognitiver Leistungen oder auch der Bildungsgerechtigkeit etwa im Rahmen der PISA-Studie oder der zahlreichen OECD-Studien gut messen und vergleichen lassen, bleiben die Wege zur Erreichung dieser Ergebnisse vielfältig. Viel der hierzu beitragenden Faktoren gehören nicht nur zu den ›weichen Faktoren‹, die – etwa im Bereich der Schulkultur und Zufriedenheit – kaum direkt beeinflussbar sind. Sie sind auch im hohen Maße von den Einschätzungen der beteiligten Personen abhängig, von ihrem Erleben der Qualität. Die im nachfolgenden Kapitel beschriebenen Qualitätssysteme
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Schuleffektivität
legen entsprechend die subjektiven Einschätzungen der an Schule beteiligten Akteure für die Messung der Qualität zugrunde und keine direkt beobachtbaren bzw. messbaren Kriterienkataloge.
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Übung: Diskutieren Sie die dargestellten Ergebnisse der Schuleffektivitätsforschung. Welche ›weichen Faktoren‹ sind an Ihrer Schule besonders gut entwickelt, welche nicht?
■■5 Schulische Qualitätsmodelle und -managementsysteme4
Im Gegensatz zur Schuleffektivität, die maßgeblich auf die Ergebnisse von Schule fokussiert, versuchen Qualitätsmodelle einen umfassenderen Blick auf die Faktoren zu werfen, die eine Schule zu einer ›guten Schule‹ machen. Hierbei werden viele Aspekte der Effektivitätsforschung aufgegriffen, aber in einen größeren Zusammenhang gesetzt. Kapitelübersicht: –– Was ist Qualität? –– Qualität als ein zentrales Ziel von Veränderungsprozessen –– Allgemeine Modelle schulischer Qualität –– Qualitätsmodelle der Bundesländer –– Zusammenfassung und Gemeinsamkeiten der Qualitätsmodelle
5.1 Was ist Qualität? Unter Qualität versteht man in der Regel die Übereinstimmung eines Produkts oder einer Dienstleistung mit den Anforderungen und Bedürfnissen von verschiedenen Anspruchsgruppen. Je nach Produkt, Dienstleistung und Anspruchsgruppe kann Qualität also Verschiedenes bedeuten. Dies gilt erst recht für die Qualität von Schulen, vor allem dann, wenn man ein differenziertes Bild der möglichen Vielfalt schulischer Produkte, Dienstleistungen und Anspruchsgruppen hat, wie es weiter oben entwickelt wurde (siehe Kapitel 3: Produkte, Produktplatzierung und Marktorientierung). Bei der Auseinandersetzung mit Qualität ist es zum einen hinsichtlich der Produkte und Dienstleistungen wichtig zu überprüfen, inwieweit sie ›auf dem richtigen Weg‹ sind und wie sie auf dem Markt ankommen. Zum anderen bietet sich die Definition und Überprüfung von Qualität an, um in der Organisation bzw. der Schule zu überprüfen, wie gut der organisationale Aufbau und die Abläufe hinsichtlich der Herstellung dieser Qualität funktionieren. In dieser Zusammenschau von Qualität als Ergebnis des Zusammenspiels interner und externer Erwartungen einerseits und von Aufbau und Abläufen anderer4
Dieses Kapitel ist eine aktualisierte und erweiterte Fassung von Kapitel 2.3 aus: Lindemann, H. (2013). Wie Schulentwicklung gelingt. Einschätzungen von Lehrern und pädagogischen Mitarbeitern zu Gelingensbedingungen von Schulentwicklung an ihrer Schule. S. 41–63. Weinheim: Beltz-Juventa.
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Schulische Qualitätsmodelle und -managementsysteme
seits, kann Qualität in drei Bereiche untergliedert werden (vgl. Vahs, 2007, S. 234; Kempfert u. Rolff, 2005, S. 41): –– Strukturqualität (Sachmittel und Rahmenbedingungen bzw. ›Input‹) In Schulen z. B. Ausstattung, Gebäude, Materialien, Schulbücher, Medien, räumliche Lage, aber auch das Schulcurriculum, Vorgaben der Schulverwaltung und Gesetzgebung. –– Prozessqualität (Produktion und Zusammenarbeit) In Schulen z. B. Besprechungssysteme, Ablaufgestaltung, Unterrichtsverläufe, Feedbacks, Umgang mit Konflikten. –– Ergebnisqualität (Produkt, ›Output‹ bzw. ›Outcome‹) In Schulen z. B. Dienstleistungen, erworbene Kompetenzen, Erfolge von Absolventen, berufliche Laufbahn. Auf allen Qualitätsebenen lassen sich ›harte‹ und ›weiche‹ Faktoren unterscheiden, die einen sind eindeutig zähl- oder messbar wie Stückzahlen, Gewichte oder Krankheitstage, die anderen sind nur schwer fassbar wie eine gute Zusammenarbeit, effektive Führung oder das Organisationsklima. Qualität messbar zu machen bedeutet daher oft, qualitative Aspekte quantitativ messbar und damit überprüfbar zu machen. Neben Qualitätsvergleichen oder einem sogenannten ›Benchmarking‹ – wie es an Schulen etwa über Schulleistungstests, Vergleichsarbeiten und Schulinspektionen herzustellen versucht wird – werden Qualitäts faktoren über Befragungen und Beobachtungen relevanter Anspruchsgruppen erfasst. Das Vorhandensein und das Ausmaß von Qualität zeigt sich hierbei in den Bewertungen der verschiedenen Anspruchsgruppen und zwar in dem Maße, in dem Ergebnisse, Prozesse und Strukturen ihren Erwartungen entsprechen (vgl. Vahs, 2007, S. 234; siehe auch Kapitel 3.2: Anspruchsgruppen, Märkte und Vermarktung). Bei einer hohen Anzahl von Anspruchsgruppen und einer starken Individualität der Zielgruppen und Einzelprodukte muss klar definiert werden, welche Qualitätsansprüche der Organisation befriedigt werden sollen und welche nicht. Bezogen auf Schule und eine stärkere Orientierung an Ergebniskriterien (Output), die sich vor allem auf die Leistungen der Schüler beziehen, stellt sich die Frage, mit welchen Prozess- und Strukturkriterien diese erreichbar sind (siehe Kapitel 2.4.1: Was für eine Organisation ist Schule?). Ein hierfür notwendiger und vernetzter Blick auf alle drei Qualitätsbereiche wird daher in den beiden nachfolgenden Kapiteln ausführlicher dargestellt. Aus den Bestrebungen der Schuleffektivitätsforschung und der Debatte um die Qualität von Schule sind Qualitätsmodelle, Kriterienkataloge und Befragungsinstrumente entwickelt worden, die die einzelne Schule bei der Steigerung – bzw. Aufrechterhaltung – ihrer Qualität unterstützen sollen. Ein erweitertes Qualitäts- und Verantwortungsverständnis zeigt sich darin, dass solche Qualitätsmodelle nicht nur den Input (Ressourcenbereitstellung) oder den Output (Leistungsergebnisse) erfassen, sondern vor allem auch die Prozessqualität (Zusammenarbeit, Klima etc.) in den Blick nehmen, die entsprechend der Schuleffektivitätsforschung eine
Qualität als ein zentrales Ziel von Veränderungsprozessen109
zentrale Rolle einnimmt. Die entwickelten Qualitätsmodelle verstehen sich jedoch immer nur als Qualitäts- und Orientierungsrahmen (so die Formulierungen der Bundesländer für ihre Qualitätsmodelle), an denen sich jede Schule individuell und mit ihren eigenen Schwerpunkten ausrichten soll. Hans-Günter Rolff schreibt in diesem Zusammenhang über Qualitätsmanagement: »Ausgangspunkt jedes QMs muss sein zu klären, was unter Qualität überhaupt zu verstehen ist. Das zeitgemäße Qualitätsverständnis geht davon aus, dass Qualität ein mehrdimensionaler Begriff ist, der sich auf unterschiedliche Bereiche bezieht. […] Im Leitbild bestimmt die Schule […] letztlich selbst, was sie unter Qualität versteht.« (Rolff, 2007a, S. 198)
Instrumente zur Evaluation von Qualität an Schulen enthalten daher in aller Regel die Aufforderung, eigene Schwerpunktsetzungen und Interessen (z. B. die Themenbereiche ›Gesunde Schule‹, ›Teilhabe‹, ›Chancengleichheit‹, ›Inklusion‹) in die Erhebung des Ist-Zustandes und die darauf aufbauende Entwicklung einzubeziehen (vgl. Stern, Ebel u. Müncher, 2008, S. 94 ff.; Booth u. Ainscow, 2003). Nach der Festlegung der Evaluationsschwerpunkte und einer inhaltlichen Differenzierung werden verschiedene Anspruchsgruppen befragt − in der Regel die Lehrer, Schüler und Eltern − um ein möglichst umfassendes Bild der Qualität einer Schule zu erhalten (vgl. Stern, Ebel u. Müncher, 2008, S. 110 ff.; Institut für Schulentwicklungsforschung, 1999, S. 6 f.). Als Überblick über verschiedene Vorstellungen von schulischer Qualität werden nachfolgend allgemeine Modelle schulischer Qualität sowie einige Qualitätsmodelle der Bundesländer vorgestellt und anschließend zu einem gemeinsamen Modell verallgemeinert.
5.2 Qualität als ein zentrales Ziel von Veränderungsprozessen Eine spezielle Form der Organisationsentwicklung besteht in einer Fokussierung auf den Bereich der Qualität. Gerade unter diesem Gesichtspunkt sollen daher nachfolgend – als Einstieg in das Thema Organisationsentwicklung – wichtige Definitionen und Handlungsfelder der Qualitätssicherung vorgestellt werden. Vor allem die Frage, was Qualität im schulischen Kontext bedeutet, wird hierbei ausführlich beantwortet. Ein umfassendes Qualitätsmanagement – ein sogenanntes Total-QualityManagement (TQM) – muss zunächst im Detail die Qualität in diesen einzelnen Bereichen definieren und Messgrößen festlegen, anhand derer überprüft werden kann, ob die gewünschte Qualität erreicht wird (vgl. Vahs, 2007, S. 234 f.; Rosenstiel, 2003, S. 456 f., siehe auch F.u.Z., Kapitel 5.2.3: Strategiefokussierte Ziele: Die Balanced Scorecard). Danach muss überprüft werden, welche der vorher definierten Qualitätsbereiche bereits den festgelegten Kriterien entsprechen und welche in ihrer Qualität verbessert werden müssen (siehe auch ›Ist-
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Schulische Qualitätsmodelle und -managementsysteme
Soll-Vergleich‹ und ›Profilierungsmatrix‹ in Kapitel 6.3.2: Durchführung der Eingangsanalyse). Wenn eine Verbesserung notwendig ist, weil die Qualitätskriterien nicht erfüllt sind, muss geplant werden, mit welchen Schritten die Qualität verbessert werden kann. Wenn die Erreichung der gewünschten Qualität zu aufwendig oder zu unrealistisch ist, können auch die definierten Qualitätskriterien und die dazugehörigen Messgrößen so angeglichen werden, dass sie realistisch erreichbar sind. Es geht also darum, den Ist-Zustand der Organisation dem Soll-Zustand der Qualitätskriterien und Messgrößen anzunähern oder den Ist-Zustand als Soll-Zustand festzuschreiben. Qualitätsmanagement ist hierbei – ebenso wie Organisationsentwicklung – ein fortlaufender Prozess von Qualitätsplanung, Qualitätskontrolle und Qualitätsoptimierung (vgl. Becker u. Langosch, 2002, S. 337 ff.). Bezogen auf Schule müssen hierbei zentrale Qualitätsanforderungen beachtet werden, wie sie etwa bei Schulinspektionen bestehen. Solche eher von außen an eine Organisation gestellten Anforderungen gibt es aber auch in Wirtschaftsunternehmen, etwa wenn eine Konzernleitung Vorgaben für die Einzelunternehmen macht oder staatliche Qualitätsanforderungen erfüllt werden müssen. Für Schulen haben solche zentralen Qualitätsanforderungen die Funktion der Verallgemeinerung, Sicherung von Standards und Vergleichbarkeit, Schaffung vergleichbarer Rahmenbedingungen und der Erzeugung von Entwicklungsimpulsen (vgl. Kempfert u. Rolff, 2002, S. 16). Für Wirtschaftsunternehmen sind sie ebenfalls Steuerungsinstrumente, die beispielsweise bei mehreren Filialen oder Produktionsstätten einheitliche Qualitätsstandards sicherstellen sollen. Wie bei den meisten Ablaufplänen der Organisationsentwicklung ist schon das gemeinsame Erstellen der Zielrichtungen und Handlungsbereiche ein wichtiger erster Schritt der Veränderung. Ebenso wie eine ausschließlich extern oder hierarchisch erstellte Zielvorgabe ist auch eine ohne Beteiligungspraxis verfasste Qualitätsbeschreibung wenig hilfreich für eine gute und engagierte Organisationsentwicklung. Es sollte möglichst auch darauf verzichtet werden, ausschließlich auf vorgefertigte Analyseinstrumente und Aktionspläne zurückzugreifen. Allgemeine Definitionen und Kriterienkataloge zur Qualität können immer nur Anhaltspunkte für Veränderungen bieten, die bezogen auf das eigene Handlungsfeld konkretisiert werden müssen. Es bietet sich für Qualitätsentwicklungsprozesse an, einem Ablaufschema zu folgen, in dem die eigenständige Erstellung der Analyse- und Handlungsbereiche einen zentralen Stellenwert erhält (vgl. Seitz u. Capaul, 2005, S. 555 ff.). Hierzu kann auf bestehende Evaluationsinstrumente zurückgegriffen werden, welche in der Regel aber auch immer die Möglichkeit beinhalten, Teilbereiche herauszunehmen und eigene Aspekte zu ergänzen. Der Ablauf solcher Evaluationen gleicht den allgemeinen Abläufen der Organisationsentwicklung, jedoch mit dem Schwerpunkt der Überprüfung vorhandener Qualität und nicht etwa der Einführung neuer Techniken, der Bewältigung von Krisen oder Ähnlichem (siehe Kapitel 6.3.1: Initiierung und Steuerung von Organisationsentwicklungsprozessen).
Allgemeine Modelle schulischer Qualität111
1. 2. 3. 4. 5. 6. 7.
Festlegung der Bereiche, deren Qualität evaluiert werden soll, Festlegung der Prüfkriterien, anhand derer die Qualität überprüft werden kann, Festlegung der Überprüfungsmethoden und Messinstrumente, Durchführung der (Eingangs-)Analyse, Analyse der Ergebnisse (Ist-Soll-Vergleich), Planung und Durchführung von Schritten zur Qualitätsverbesserung, Evaluation der Ergebnisse.
Im Gegensatz zu Organisationsentwicklungsprozessen, die eher einmalig Strukturen verändern und daraufhin stabilisieren, geht es im Qualitätsmanagement darum, sich eingangs für zentrale und regelmäßig zu untersuchende Qualitätsbereiche zu entscheiden, die Qualitätsüberprüfung und -sicherung jedoch anschließend zu standardisieren, auch um eine Vergleichbarkeit der Ergebnisse von Qualitätsüberprüfungen sicherzustellen. Nachfolgend gilt es bezogen auf Schule genauer zu klären, worin die Qualität von Schulen – bzw. von ›guten Schulen‹ – besteht, um daraufhin zu erläutern, wie diese Qualität hergestellt werden kann.
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Übungen: A. Erstellen Sie allein, in Ihrer Klasse oder in Ihrem Kollegium, gegebenen falls auch unter der Beteiligung von Eltern, Sammlungen mit Aspekten der Strukturqualität (Input), Prozessqualität und Ergebnisqualität (Output) Ihrer Schule oder Schulklasse. Erstellen Sie hieraus einen Qualitätsfragebogen (siehe O.u.OE. AH-05: ›Fragebogenvorlage zur Festlegung und Überprüfung von Qualitätsbereichen‹ auf der Webseite zu diesem Buch). B. Sammeln Sie Ideen für ein schulisches Qualitätsmanagement, das Zuständigkeiten, Abläufe und Zyklen für die Sicherstellung von Qualität festlegt. C. Wie könnte Ihr schulisches Qualitätsmanagement als Lernfeld für die Schüler nutzbar gemacht werden? Wie lassen sich andere Elemente der Organisations- und Mitarbeiterführung einbinden (z. B. Zielvereinbarungen, Feedback-Kultur, Projektarbeit)?
5.3 Allgemeine Modelle schulischer Qualität Die von verschiedenen Autoren in der Qualitätsdebatte benannten Entwicklungsbereiche der Schulqualität lassen sich immer den drei Bereichen Input, Prozesse und Output zuordnen, werden aber je nach Modell in verschiedene detaillierte Kategorien und Unterkategorien schulischer Qualität unterteilt. Solche Qualitätssysteme bestehen maximal aus drei Komponenten:
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Schulische Qualitätsmodelle und -managementsysteme
–– Qualitätsmodell Kriterien- und Indikatorenkataloge schulischer Qualität –– Befragungs- und Evaluationsinstrumente Frage-, Feedback- und Interview-Bögen –– Qualitätsmanagementsystem Handlungsorientierte Modelle und Methoden zur Einführung und Aufrechterhaltung einer langfristigen Qualitätsarbeit Nachfolgend werden mehrere schulische Qualitätssysteme in ihrer Grundstruktur dargestellt, um ihre Unterschiede und Gemeinsamkeiten zu verdeutlichen und einen Einblick in verschiedene Qualitätsvorstellungen zu geben. Die größten Übereinstimmungen im Qualitätsverständnis gibt es zwischen dem PQM (Pädagogisches Qualitätsmanagement; Rolff, 2007a, S. 248) und dem mit diesen Modellen in Zusammenhang stehenden Selbstevaluationsmodell SEIS (Selbstevaluation an Schulen), welches im Kontext des ›Internationalen Netzwerks Innovativer Schulsysteme‹ (INIS) entwickelt wurde (Stern, Ebel u. Müncher, 2008, S. 62; www.seis-deutschland.de). Zudem beziehen sich viele Qualitätsmodelle der Bundesländer explizit auf das SEIS-Modell, wie etwa der Niedersächsische Orientierungsrahmen Schulqualität (Niedersächsisches Kultusministerium, 2006), der Orientierungsrahmen Schulqualität in Brandenburg (Ministerium für Bildung, Jugend und Sport Brandenburg, 2008), der Handlungsrahmen Schulqualität Berlin (Senatsverwaltung für Bildung, Wissenschaft und Forschung Berlin, 2007) oder das Qualitätstableau für die Qualitätsanalyse an Schulen in Nordrhein-Westfalen (Ministerium für Schule und Weiterbildung des Landes Nordrhein-Westfalen, 2006). Da die Qualitätsmodelle dieser Bundesländer mit dem SEIS-Modell fast identisch sind, werden sie hier nicht gesondert dargestellt. Zudem sind alle vorstellten Modelle in vielen Punkten deckungsgleich und lassen sich miteinander kombinieren. Die aktuelle Version des ›Orientierungs rahmen Schulqualität‹ des Landes Brandenburg bezieht sich nicht mehr nur alleine auf SEIS, sondern auf das ebenfalls hier vorgestellte Modell QuaSSU (Ditton, 2000; Ministerium für Bildung, Jugend und Sport des Landes Brandenburg, 2016). Ebenfalls sind Hinweise auf den ›Index für Inklusion‹ enthalten (Booth & Ainscow, 2003). Die dreizehn in diesem und dem nachfolgenden Kapitel vorgestellten Modelle können also durchaus als Anregung betrachtet werden, sich modulartig ein eigenes Qualitätsmodell zusammenzustellen, das den eigenen Ausrichtungen und Schwerpunktsetzungen entspricht. In SEIS und den darauf aufbauenden Modellen werden sechs Qualitätsbereiche benannt, die – aufgrund der Weiterentwicklung des Modells und der eigenen Schwerpunktsetzungen der Länder – in den einzelnen Fassungen leichte Unterschiede aufweisen. Neben den Befragungsinstrumenten bietet SEIS auch Hinweise zur Qualitätsentwicklung, stellt aber im eigentlichen Sinne kein eigenständiges Qualitätsmanagementsystem dar. In der aktuellen Version von SEIS finden sich folgende Qualitätsbereiche (Tabelle 6; vgl. Stern, Ebel u. Müncher, 2008, S. 62):
Allgemeine Modelle schulischer Qualität113 Tabelle 6: Qualitätsbereiche nach SEIS 1. Ergebnisse der Schule –– Personale Kompetenz –– Fachkompetenz –– Lern- und Methodenkompetenz –– Praktische Handlungskompetenz –– Schullaufbahn und weiterer Bildungsweg –– Zufriedenheit mit der Schule als Ganzem 2. Lernen und Lehren –– Schulinternes Curriculum –– Schülerunterstützung und -förderung –– Fachliche und didaktische Gestaltung von Lernen im Unterricht –– Selbstbestimmtes und selbstgesteuertes Lernen –– Gestaltung von Beziehungen, Lernzeit und Lernumgebungen –– Leistungsanforderungen und Leistungsbewertung 3. Schulkultur –– Gestaltung der Schule als Lebensraum –– Wertschätzung und soziales Klima in der Schule und in den Klassen –– Schülerberatung und -betreuung –– Beteiligung von Schülern und Eltern –– Kooperation mit gesellschaftlichen Partnern 4. Schulmanagement –– Führungsverantwortung der Schulleitung –– Schulleitung und Qualitätsmanagement –– Verwaltung und Ressourcenmanagement –– Unterrichtsorganisation –– Arbeitsbedingungen 5. Professionalität und Lehrkräfte –– Zielgerichtete Personalentwicklung und Qualifizierung –– Personaleinsatz –– Kooperation 6. Ziele und Strategien der Qualitätsentwicklung –– Schulprogramm –– Evaluation –– Planung, Umsetzung und Dokumentation –– Eigenverantwortung und Innovation
In dem von der ›European Foundation for Quality Management‹ (EFQM) für das ›Total Quality Management‹ entwickelten EFQM-Modell sind neun Qualitätsbereiche benannt. Das EFQM-Modell ist von seinem Ursprung her auf Wirtschafts unternehmen ausgerichtet, wurde aber auch auf das Qualitätsmanagement in sozialen Einrichtungen, Krankenhäusern und Schulen übertragen (vgl. Kotter, 2004). Die nachfolgenden Kriterien sind nach dem für die Selbstevaluation an Schulen entwickelten EFQM-kompakt zusammengefasst (vgl. Künzel, Roggenbrodt u.
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Schulische Qualitätsmodelle und -managementsysteme
Rütters, 2009). EFQM ist beispielsweise für niedersächsische Berufsschulen als verbindliches Qualitätsmodell vorgeschrieben, kann aber ebenso wie SEIS oder andere Qualitätsmodelle an allgemeinbildenden Schulen eingesetzt werden (vgl. Künzel, Roggenbrodt u. Rütters, 2009, S. 13). Neben Instrumenten zur Festlegung und Bewertung von Qualitätsbereichen bietet EFQM Hinweise zur Qualitätsverbesserung, muss aber in ein eigenes Qualitätsmanagement eingebunden werden. Die Implementierung von Evaluation und Qualitätsmanagement mit EFQM wird in der Regel mit der Unterstützung externer Berater und durch die zertifizierte Ausbildung von Lehrern zu sogenannten EFQM-Assessoren erreicht (Tabelle 7; vgl. Künzel, Roggenbrodt u. Rütters, 2009, S. 19).5 Tabelle 7: Qualitätsbereiche nach EFQM Befähiger-Kriterien5 1. Führung a. Erarbeitung des Leitbildes der Schule und Orientierung an einer umfassenden Qualitätsentwicklung b. Engagement für die Entwicklung, Umsetzung und kontinuierliche Überprüfung der Organisationsstruktur und des Prozessmanagements c. Berücksichtigung der Erwartungen und Interessen schulischer Anspruchsgruppen und Kommunikation der schulischen Qualitätsansprüche in der Öffentlichkeit d. Moderne Mitarbeiterführung und Verankerung einer Kultur umfassender Qualität e. Erkennen, kommunizieren und gestalten des Wandels 2. Ziele und Strategie a. Erarbeitung strategischer Ziele auf der Basis des Leitbildes, der Ergebnisse der Selbstbewertung und der Schulinspektion sowie unter Berücksichtigung der Erwartungen und Anforderungen interner und externer schulischer Anspruchsgruppen und Operationalisierung in strategischen Projekten b. Unterlegung strategischer Ziele mit Kennzahlen/Indikatoren zur Überprüfung der Zielerreichung c. Formulierung, kontinuierliche Überprüfung und gegebenenfalls Anpassung strategischer Ziele d. Kommunikation strategischer Ziele sowie Umsetzung und Weiterentwicklung durch ein schulisches Prozessmanagement 3. Mitarbeiter a. Planung, Umsetzung und Verbesserung der Personalentwicklung b. Förderung von Kompetenzen unter Beachtung der strategischen Ziele c. Einbezug der Mitarbeiter in Entscheidungsprozesse und selbstständiges, eigenverantwortliches Handeln im Rahmen der ihnen übertragenen Aufgaben d. Kommunikationskultur e. Beachtung und Honorierung von Leistungen; Wahrnehmung der Fürsorgepflicht
5
Mit dem Begriff ›Befähiger-Kriterien‹ sind alle Aspekte gemeint, die sich auf Handlungen und Veränderungen beziehen und die zu den gewünschten Ergebnissen führen. Diese Kriterien befähigen dazu, Ergebnisse zu erreichen.
Allgemeine Modelle schulischer Qualität115 4. Partnerschaften und Ressourcen a. Aufbau, Pflege und Weiterentwicklung externer Partnerschaften und Kooperationen b. Einsatz finanzieller Ressourcen und Erschließung neuer finanzieller Ressourcen c. Gemeinsame Verantwortung von Schule und Schulträger für Schulgebäude, Schul gelände, Ausstattung u. a. und Gewährleistung gesundheitsförderlicher und umweltverträglicher Arbeitsbedingungen d. Überprüfung und Verbesserung der Ausstattung und des Einsatzes von Informationsund Kommunikationstechnologien e. Informations- und Wissensmanagement 5. Prozesse a. Gestaltung schulischer Prozesse b. Verbesserung von Prozessen c. Berücksichtigung der Interessen und Erwartungen schulischer Anspruchsgruppen sowie nachfolgender Bildungseinrichtungen und der Arbeitswelt d. Realisierung, Evaluation und Verbesserung von Bildung und Erziehung im Unterricht und Bekanntmachung der Leistungen in der Öffentlichkeit e. Pflege der Beziehungen zu schulischen Anspruchsgruppen, nachfolgenden Bildungseinrichtungen und der Arbeitswelt 6. Ergebnisse in Bezug auf Schüler, Eltern, nachfolgende Bildungseinrichtungen und Arbeitswelt a. Wahrnehmung der Schule durch Anspruchsgruppen –– bezogen auf Unterricht –– bezogen auf Schulklima –– bezogen auf Kommunikation –– bezogen auf Schülerzufriedenheit –– bezogen auf Elternzufriedenheit –– weitere individuelle Indikatoren b. Leistung der Schule bezogen auf Anspruchsgruppen –– Anmeldezahlen –– Entwicklung der Schülerzahlen –– Ordnungsmaßnahmen –– weitere individuelle Indikatoren 7. Mitarbeiterbezogene Ergebnisse a. Wahrnehmung der Schule durch Mitarbeiter –– bezogen auf Schulorganisation –– Schulklima und Belastung –– Unterricht, Unterrichtsorganisation, Kooperation der Lehrkräfte –– Ausstattung der Schule –– Personalentwicklung –– weitere individuelle Indikatoren b. Leistung der Mitarbeiter –– Fortbildungsquote –– Krankheitsquote –– Rücklaufquote bei Befragungen –– Anzahl der Beschwerden durch Lehrkräfte –– weitere individuelle Indikatoren
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Schulische Qualitätsmodelle und -managementsysteme
8. Gesellschaftsbezogene Ergebnisse a. Wahrnehmung der Schule durch Gesellschaft –– individuelle Indikatoren b. Leistung der Schule bezogen auf Gesellschaft –– Anzahl der Kooperationen –– Anzahl positiver Berichterstattungen in den Medien –– Anzahl der Teilnahmen an Schulveranstaltungen –– Anzahl der Zugriffe auf die Homepage –– weitere individuelle Indikatoren 9. Schlüsselergebnisse a. Lehr- und Lernleistungen –– Notendurchschnitt im Vergleich –– Abbrecherquote –– Vergleichsprüfungen –– weitere individuelle Indikatoren b. Weitere Ergebnisse bezogen auf ›Partnerschaften und Kooperationen‹ und bezogen auf ›Prozesse‹ –– Spendeneinnahmen –– Energieverbrauch –– weitere individuelle Indikatoren
Eine andere Aufteilung von Qualitätsbereichen wird im IQES (Instrumente für die Qualitätsentwicklung und Evaluation in Schulen) vorgenommen. Über die IQES-online Plattform werden zahlreiche Instrumente zu Evaluation, Qualitätsverbesserung und Qualitätsmanagement zur Verfügung gestellt, enthalten sind hier beispielsweise auch Methodentrainings zur Vermittlung von Schlüsselkompetenzen der Qualitätsarbeit (www.iqesonline.net). IQES basiert auf einem Wirkungsmodell, dass zehn ›Elemente einer unterrichtszentrierten Qualitätsentwicklung‹ unterscheidet (Tabelle 8; vgl. Brägger u. Posse, 2007, Bd. 1): Tabelle 8: Qualitätsbereiche nach IQUES
1. Unterrichtsentwicklung 2. Kooperatives Lernen 3. Schülerkompetenzen 4. Schulklima 5. Schulführung
6. Personalentwicklung 7. Qualitätsleitbild 8. Qualitätskonzept 9. Feedback 10. Evaluation
Bezogen auf ›gute und gesunde Schulen‹ stellt IQES zudem ein Qualitäts-Tableau mit vierzig Qualitätsbereichen zur Verfügung, die acht Qualitätsdimensionen zugeordnet sind (Tabelle 9; vgl. Brägger u. Posse, 2007, Bd. 2, S. 24–448):
Allgemeine Modelle schulischer Qualität117 Tabelle 9: Qualitätsbereiche nach dem IQES-Modell ›gute und gesunde Schule‹ 1. Schule als Lebens- und Erfahrungsraum –– Gesundheitsstatus von Schülerinnen, Schülern und Lehrpersonen –– Lernumgebungen, Lern- und Bewegungsräume –– Tagesstrukturen, Lern- und Erholungszeiten –– Arbeitsbedingungen und Arbeitsplatzqualität –– Gesundheitsfördernde Kooperation mit externen Partnern 2. Unterricht –– Schulprogramm – Gesundheitsförderung und Prävention als Programmschwerpunkt –– Unterrichtsgestaltung, Lehr- und Beurteilungsformen –– Klassenführung und Unterrichtsklima –– Lernbegleitung, individuelle Förderung und Integration –– Gesundheitsbezogene Kurse, Unterrichtsprogramme und -inhalte 3. Bildungs- und Lernprozesse –– Selbstreguliertes, entdeckendes und gesundheitsbewusstes Lernen –– Kooperatives Lernen –– Lernen mit allen Sinnen – Qualitätsvolle und positive Lernerfahrung –– Orientierung an den Bedürfnissen von Kindern und Jugendlichen –– Individuelle Zuwendung und Betreuung – Gefährdungen erkennen und ihnen begegnen 4. Schulkultur und Schulklima –– Stärkende Schulgemeinschaft –– Kommunikations-, Feedback- und Konfliktkultur –– Kooperation und Teamarbeit –– Partizipation der Schülerinnen und Schüler – Mitwirkung der Eltern – Öffnung der Schule –– Gesundheitsförderndes Schulklima 5. Schulführung –– Schulleitung und pädagogische Leadership –– Funktionale Aufgaben- und Kompetenzverteilung –– Entscheidungsprozesse und Mitbestimmung –– Schulorganisation und Verwaltung –– Gesundheitsförderung als Führungsaufgabe 6. Professionalität und Personalentwicklung –– Ressourcenorientierte Personalentwicklung –– Weiterentwicklung beruflicher Kompetenzen –– Personaleinsatz der Beschäftigten –– Erkennen von Qualitätsdefiziten, soziale Unterstützung für Problembearbeitung –– Betriebliche Gesundheitsförderung 7. Qualitätsmanagement der Schule –– Gemeinsame Qualitätsansprüche und Qualitätsziele –– Steuerung der Qualitäts-Prozesse –– Selbstreflexion, Individualfeedback und persönliche Qualitätsentwicklung –– Schulentwicklung, Projektmanagement, Selbstevaluation –– Qualitätsmanagement der schulischen Gesundheitsförderung und Prävention 8. Wirkungen und Ergebnisse der Schule –– Wahrnehmung des Bildungs- und Erziehungsauftrags –– Schlüsselqualifikationen und Kompetenzen –– Schul- und Laufbahnerfolg –– Zufriedenheit der Anspruchsberechtigten –– Gesundheits und Wohlbefinden der Schülerinnen und Schüler und der Lehrpersonen
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Schulische Qualitätsmodelle und -managementsysteme
Im Rahmen des Projektes QuaSSU (Qualitätssicherung in Schule und Unterricht), das an der Ludwig-Maximilians-Universität München im Rahmen des durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft geförderten Schwerpunktprogramms zur ›Bildungsqualität von Schule (BIQUA)‹ erstellt wurde, wird auf das Qualitätsmodell von Hartmut Ditton zurückgegriffen, der das Projekt auch leitete (Tabelle 10; vgl. Ditton, 2000; www.quassu.net). Für QuaSSU werden mehrere Fragebögen und Untersuchungsergebnisse zur Verfügung gestellt, jedoch kein Qualitätsmanagementsystem oder ein auf die Einführung eines solchen Systems ausgerichtetes Serviceangebot. Ditton unterscheidet die drei Qualitätsbereiche Input (Voraussetzungen und Kontext), Prozesse (primäre Merkmale und Prozesse) und Output (Ergebnisse und Wirkungen), die er in insgesamt sechs Unterkategorien gliedert. Tabelle 10: Qualitätsbereiche nach QuaSSU
A. Voraussetzungen und Kontext 1. Bedingungen –– strukturell –– finanziell –– materiell –– personell –– sozial-regionales Umfeld –– Support-Systeme 2. Intention (intendiertes Curriculum) –– Bildungsziele (Lehrpläne) –– Leistungen –– Einstellungen –– Haltungen
B. Primäre Merkmale und Prozesse (implementiertes Curriculum) 3. Schulqualität: Schulische Merkmale und Prozesse (Institutionsebene) –– Schulkultur –– Schulmanagement –– Kooperation und Koordination –– Personalentwicklung 4. Unterrichtsqualität: Unterrichtsmerkmale und -prozesse (Interaktionsebene) –– Adäquatheit der Lehrinhalte und -materialien –– Qualität des Lehrens und Lernens
C. Ergebnisse und Wirkungen (erreichtes Curriculum) 5. Wirkungen (outputs) –– Bildungsziele –– Leistungen –– Einstellungen –– Haltungen 6. Langfristige Wirkungen (outcomes) –– beruflicher Erfolg –– gesellschaftlich-soziale Teilhabe
Allgemeine Modelle schulischer Qualität119
Explizit an den drei Qualitätsbereichen Input, Prozesse und Output orientiert sich das ›mehrebenen-analytische Modell der Schuleffektivität‹ von Jaap Scheerens und Roel J. Bosker, das beispielsweise in den PEB (Pädagogische EntwicklungsBilanzen mit Schulen) des ›Deutschen Instituts für internationale Pädagogische Forschung‹ (dipf) verwendet wird (Tabelle 11; vgl. Gerecht, Steinert, Klieme u. Döbrich, 2007, S. 12; mit Verweis auf Scheerens u. Bosker, 1997; www.schule-mitpeb.de). Die PEB enthalten ein Qualitätsmodell und dazugehörige Befragungsund Evaluationsinstrumente, jedoch kein eigenständiges Qualitätsmanagement. Tabelle 11: Qualitätsbereiche nach PEB 1. Kontext und Systemqualität –– Sozialstruktur des Umfeldes –– Finanzierung –– Schulstruktur –– Curriculum –– Lehrerbildung –– pädagogische Traditionen 2. Inputqualität Schulebene: –– Raum- und Sachausstattung –– Lehrpersonal –– Schulform, Schulgröße –– Ganztagsangebote –– Schülerzusammensetzung Schul-, Klassenebene: –– Klassengröße –– Klassenzusammensetzung –– Beruflicher Status der Lehrkräfte Individualebene: –– Geschlecht und Alter –– Sozialstatus, Muttersprache –– Kulturelle Ressourcen –– Noten 3. Prozessqualität Schulebene: –– Pädagogische Führung –– Lehrerkooperation –– Evaluation und Qualitätsentwicklung –– Schulklima –– Elternarbeit Schul-, Klassenebene: –– Klassenführung –– Unterstützungshilfen –– Strukturierungshilfen –– Schülerorientierung –– Individuelle Förderung
120
Schulische Qualitätsmodelle und -managementsysteme
Individualebene: –– Unterstützung der Familie –– Außerschulische Umgangssprache –– Hausaufgaben –– Bildungsaspirationen 4. Outputqualität Schul-, Klassen-, Schülerebene: –– Überfachliche Kompetenzen: Lerntechniken, Leseinteresse –– Erzieherische Wirkungen: Lernfreude, Wohlbefinden –– Selbstwirksamkeit –– Klassenwiederholungen
Im österreichischen Qualitätsmodells QIS (Qualität in Schule), werden fünf Qualitäts bereiche aufgeführt (Tabelle 12; vgl. Schratz, Iby u. Radnitzky, 2000, www.qis.at):6 Tabelle 12: Qualitätsbereiche nach QIS 1. Lehren und Lernen –– Vorbereitung des Unterrichts –– Didaktische Gestaltung des Unterrichts –– Differenzierte Förderung und Unterstützung –– Hausübungen und häuslicher Lernaufwand –– Sozialkompetenzen und Erziehungsstil im Unterricht –– Motivations- und lernförderndes Verhalten der Lehrer/innen und Lernbereitschaft der Schüler/innen –– Strenge/Disziplin –– Bedeutsamkeit der gewählten Lehr- und Lerninhalte –– Lernanforderungen und Stress/Leistungsdruck –– Leistungsfeststellung und -beurteilung, Rückmeldekultur –– Ergebnisse des Unterrichts –– Längerfristige Auswirkungen 2. Lebensraum Klasse und Schule –– Individuelles/subjektives Wohlbefinden (›psychologisches Klima‹) –– ›Klassenklima‹ –– ›Schulklima‹ –– Ausmaß von/Umgang mit Problemen –– Arbeitsplatz Schule –– Reichhaltiges Schulleben/Angebote der Schule 3. Schulpartnerschaft und Außenbeziehungen –– Subjektive Zufriedenheit der Eltern, Schüler/innen und Lehrer/innen –– Elternpartizipation –– Schülerpartizipation –– Kommunikation und Kooperation mit den zuständigen/vorgesetzten Schulbehörden, dem Schulerhalter,6 der pädagogischen ›Infrastruktur‹ und potenziellen ›Abnehmer/innen‹ –– Kommunikation und Kooperation mit dem nicht-lehrenden Personal an der Schule –– Öffnung nach außen
6
Österreichische Bezeichnung für Schulträger.
Allgemeine Modelle schulischer Qualität121 4. Schulmanagement –– Organisation und Administration der Schule –– Führung der Schule durch den Leiter/die Leiterin –– Pädagogisch-beraterische Kompetenz des Leiters/der Leiterin –– Beschaffung von (zusätzlichen) Ressourcen 5. Professionalität und Personalentwicklung –– Gemeinsame Bewältigung der Aufgaben –– Pädagogische Entwicklungsarbeit –– Systematische Personalentwicklung (lehrendes Personal) –– Innovationsbereitschaft der Lehrer/innen –– Vorhandensein/Erwerb spezieller sozialpädagogischer Beratungs-/oder therapeutischer Kompetenzen
Es gibt aber auch noch weitere Qualitätsmodelle, die Kategorisierungen schulischer Qualität vornehmen. Das Schweizer Q2E-Modell (Qualität durch Evaluation und Entwicklung) orientiert sich ebenfalls an den drei Qualitätsbereichen Input, Prozesse und Output und stellt das Qualitätsmanagement als gesonderten Bereich heraus (Tabelle 13; vgl. Landwehr, 2008, www.ifes.ch). Tabelle 13: Qualitätsbereiche nach Q2E 1. Inputqualitäten –– Schulische Rahmenvorgaben und strategische Vereinbarungen –– Personelle und strukturelle Voraussetzungen –– Materielle und finanzielle Ressourcen 2. Prozessqualitäten Schule –– Schulführung –– Schulorganisation und Administration –– Kollegiale Zusammenarbeit, Schulkultur, Außenkontakte 3. Prozessqualitäten Unterricht –– Lehr- und Lernarrangement –– Soziale Beziehungen –– Prüfen und Beurteilen 4. Output-/Outcomequalitäten –– Lern- und Sozialisationsergebnisse –– Zufriedenheit der Leistungsempfänger –– Schul- und Laufbahnerfolge 5. Qualitätsmanagement –– Steuerung der Qualitätsprozesse durch die Schulleitung –– Individualfeedback und individuelle Qualitätsentwicklung –– Schulevaluation und Schulentwicklung
122
Schulische Qualitätsmodelle und -managementsysteme
In einer Zusammenfassung verschiedener Qualitätsmodelle unterscheidet Heinz Günter Holtappels sieben Qualitätsbereiche, die hier vor allem aufgrund ihres Detaillierungsgrades interessant sind (Tabelle 14; Holtappels, 2003, S. 42 f.): Tabelle 14: Qualitätsbereiche in der Zusammenfassung durch Holtappels 1. Qualität der Lehr-, und Lernkultur in Unterricht und Schulleben –– Inhaltliche Schwerpunkte und Struktur der curricularen Angebote und Lern- und Erfahrungsmöglichkeiten (z. B. fächerübergreifende Ansätze, Neigungsangebote und Projekte) –– Zentrale didaktische Orientierungen (z. B. gesellschaftliche Schlüsselfragen, Ganzheitlichkeit, soziale Lernansätze, Lebensweltbezug und Umweltbezug, Balance zwischen Wissenschafts- und Schülerorientierung) –– Didaktisch-methodische Qualität der Lehr-/Lernprozesse: Methodische Vielfalt der Lern- und Sozialformen, Lernzugänge, -gelegenheiten und -orte, Medieneinsatz und Lernmaterialien –– Äußere Organisation der Lehr-Lern-Arrangements (zeitliche Rhythmisierung, räumliche Lernumgebungen, Differenzierungsformen, Förderkonzepte etc.) –– Regelungen und Formen der Leistungserbringung und -bewertung, Umfang und Art der Lernanforderungen und Leistungsmessungen, Diagnose der Lernentwicklung –– Differenzierte Förderung und Unterstützung (Förderengagement der Lehrkräfte, binnendifferenzierte Formen, Lernhilfen) 2. Qualität des Lebens- und Erziehungsraumes der Schule –– Infrastruktur der Erfahrungsbereiche und Räumlichkeiten in der Schule –– Außerunterrichtliche Lern- und Erfahrungsmöglichkeiten (Projekte in Schulumfeld und Schulleben, Schüleraustausch, Schulfahrten) –– Normative Erwartungsstrukturen und Regeln des Sozialverhaltens –– Soziale Interaktionsmuster und Beziehungsstrukturen auf der Ebene kommunikativer Umgangsformen (Erziehungsstile, Konfliktregulierung, soziale Kontrolle) und der Ebene der Qualität sozialer Beziehungen (Werteklima, Beziehungsintensität) 3. Qualität der Organisationskultur und des Schulmanagements –– Struktur der Aufbauorganisation (z. B. Raumverteilung, Zeit- und Stundenplan, Differenzierung) –– Aufgabenverteilung und Arbeitsorganisation (z. B. Personaleinsatz, Kooperations formen der Lehrpersonen, Teambildung, vorhandene Gremien, Stabsfunktionen) –– Entscheidungs- und Partizipationsstrukturen (z. B. Einflussformen, Abstimmungs prozesse) –– Leitung der Führung der Schule (z. B. Umgang mit unterschiedlichen Erziehungs auffassungen, Konflikte bei Entscheidungen, Kontrolle, Führungs- und Verhandlungsstil) 4. Qualität der Partizipationsstrukturen und Außenbeziehungen –– Kooperationsbeziehungen und Öffnung zu soziokulturellen Organisationen und Institutionen im Umfeld, Vernetzung mit pädagogischen Einrichtungen –– Schulpartnerschaften und Schulverbünde –– Aktive Mitgestaltung von Eltern und Schüler/innen im Schulleben –– Mitbestimmung von Eltern und Schüler/innen in Schulgremien (im Rahmen des Mitwirkungsrechts) –– Kooperation mit Schulträgern und Kommune
Allgemeine Modelle schulischer Qualität123 5. Ergebnisqualität in Lernwirkungen: Schülerleistungen und Fachkompetenzen –– Lernverhalten, Lernaufwand, Motivation, Arbeitshaltung –– Fachliche Schülerleistungen –– Schlüsselqualifikationen und Methodenkompetenzen –– Bildungsverläufe und -erfolge: besuchte Schulform, Übergänge und Abschlüsse, Noten- und Kurseinstufung, Neigungswahlen 6. Psycho-soziale Wirkungen –– Soziale Kompetenzen, Einstellungen und Verhaltensweisen –– Affektive Bezüge zur Schule (Leistungsangst, Commitment, Involvement, Wohlbefinden) –– Persönlichkeitsbildung und Selbstkonzept 7. Qualitätsentwicklung und -sicherung –– Interventionsmethoden und Innovationsstrategien (Art und Mittel der pädagogischen Planung, Beteiligungsformen) –– Professionelle Personalentwicklung (Team- und Kollegiumsentwicklung, individuelle Kompetenzentwicklung, Fortbildung, Rekrutierung, Belohnung) –– Ressourcenakquisition und -verwendung (Zeit, Räume, Finanzmittel) –– Arbeit am Schulkonzept –– Qualitätskontrolle und Revision (Evaluationsverfahren, Akzeptanzkontrolle etc.)
Der Vollständigkeit halber sei noch auf andere Modelle zur Schulqualität hingewiesen, die hier nicht ausführlich dargestellt sind: –– Das FQS (Formatives Qualifikations-System bzw. Förderndes Qualitätsentwicklungs-System), das im Schweizer Kanton Baselland entwickelt wurde und ein Qualitätsmanagementmodell ohne eigene Qualitätsdimensionen darstellt, in dessen Rahmen Qualitätsbereiche und -standards von den Beteiligten ausgehandelt werden sollen (Lehrerinnen- und Lehrerverein Baselland, 2002; Strittmatter, 1997, www.lvb.ch) –– Das 2Q (Qualität und Qualifikation), in dessen Rahmen ein schulspezifischer Katalog von Entwicklungsbereichen und -aufgaben erarbeitet und dann im Rahmen von individuellen Zielvereinbarungen und Qualifikationsmaßnahmen mit den Beteiligten ungesetzt wird (Erziehungsdirektion des Kanton Bern, 2003, www.erz.be.ch) –– Das IFS-Schulbarometer, das am Institut für Schulentwicklungsforschung (IFS) als ›mehrperspektivisches Instrument zur Erfassung von Schulwirklichkeit‹ entwickelt wurde (Institut für Schulentwicklungsforschung, 1999, www.ifs. uni-dortmund.de) –– Das Selbstbewertungskursbuch Orientierungsrahmen Schulqualität, das von der Landesschulbehörde Osnabrück in Anlehnung an das EFQM-Modell entwickelt wurde (Landesschulbehörde Osnabrück) –– Der Lüneburger Fragebogen, der als digitaler Fragebogen vorliegt und mit dem von der Bundeszentrale für politische Bildung unterstützten kostenfreien Fragebogenprogramm GrafStat genutzt werden kann (Landesschulbehörde Lüneburg; www.schulentwicklungsberatung.de)
124
Schulische Qualitätsmodelle und -managementsysteme
Ergänzend zu den hier vorgestellten, alle Bereiche schulischer Qualität umfassenden Modellen gibt es zahlreiche Modelle für einzelne Qualitätsbereiche, wie die Unterrichtsqualität (z. B. [›QuAIT‹, Slavin, 1997; ›Faktoren des Unterrichts‹, Ditton, 2000; ›Was ist guter Unterricht?‹, Meyer, 2004]; ›Teaching‹, Brophy, 2008; ›Unterrichtsqualität und Lehrerprofessionalität‹ Helmke, 2009) oder bezogen auf Inklusion an Schule (›Index für Inklusion‹; Booth u. Ainscow, 2003).
5.4 Qualitätsmodelle der Bundesländer Die verschiedenen Qualitäts-, Referenz- und Orientierungsrahmen zur Schulqualität der Bundesländer orientieren sich implizit oder explizit an den hier vorgestellten Modellen, wie EFQM, Q2E, QIS und SEIS (Hessen: Hessisches Kultusministerium – Institut für Qualitätsentwicklung, 2008, S. 3 u. 97; Hamburg: Behörde für Bildung und Sport Hamburg, 2006, S. 8; Niedersachsen: Niedersächsisches Kultusministerium, 2006; Brandenburg: Ministerium für Bildung, Jugend und Sport Brandenburg, 2008; Berlin: Senatsverwaltung für Bildung, Wissenschaft und Forschung Berlin, 2007; Nordrhein-Westfalen: Ministerium für Schule und Weiterbildung des Landes Nordrhein-Westfalen, 2006). Ohnehin lässt sich feststellen, dass die im europäischen Raum entstandenen Qualitätsmodelle viele Übereinstimmungen aufweisen und nur in ihrer Detaillierung und Struktur voneinander abweichen. Exemplarisch werden hier – ergänzend zu den mit SEIS in Verbindung stehenden Modellen – die Qualitätsmodelle der Bundesländer Bremen, Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz dargestellt, um diese Zusammenhänge zu veranschaulichen. Im Bremer Orientierungsrahmen Schulqualität werden die Qualitätsbereiche ebenfalls nach den ›drei großen Bereichen der Qualität‹ − Input, Prozesse und Output − gegliedert, wobei aber auch die Kompatibilität mit anderen Qualitätsmodellen wie SEIS oder Q2E, betont wird (Tabelle 15; vgl. Senatorin für Bildung und Wissenschaft der Freien Hansestadt Bremen, 2007, S. 4 u. 50): Tabelle 15: Qualitätsbereiche im Bremer Orientierungsrahmen Schulqualität 1. Input und Kontextmerkmale –– Ressourcen –– Soziales Umfeld der Schule –– Gebäude und Außenanlagen –– Normative Rahmenbedingungen –– Qualifikation der Beschäftigten 2. Prozess: Lernkultur –– Unterrichtsgestaltung, Lehrerhandeln im Unterricht –– Schülerunterstützung im Lernprozess und in der Persönlichkeitsentwicklung –– Schulinterne Curricula –– Umgang mit Zeit in der Schule
Qualitätsmodelle der Bundesländer125 3. Prozess: Schulkultur –– Soziales Klima in der Schule –– Gestaltung der Schule –– Beteiligung der Schülerschaft, der Eltern und Betriebe –– Kooperation mit gesellschaftlichen Partnern –– Schüler- und Elternberatung 4. Prozess: Schulmanagement –– Schulleitungshandeln –– Organisation von Schule und Unterricht –– Qualitätsmanagement –– Ressourcen- und Verwaltungsmanagement –– Personalmanagement 5. Output und Ergebnisse –– Kompetenzen der Schülerinnen und Schüler –– Schulabschlüsse –– Schulzufriedenheit –– Außenwirkung und Zufriedenheit der Abnehmer
Der baden-württembergische Orientierungsrahmen Schulqualität ist ebenfalls eigenständig und nur in Anlehnung an allgemeine Qualitätsmodelle strukturiert (Tabelle 16; vgl. Ministerium für Kultus, Jugend und Sport Baden-Württemberg, 2007, S. 8). Im Rahmen des Serviceportals EiS (Evaluationsinstrumente für Schulen) werden – auch unter Verweis auf andere Qualitätsmodelle – verschiedenste Materialien zur Selbstevaluation zur Verfügung gestellt (www.eis-bw.de). Tabelle 16: Qualitätsbereiche im baden-württembergischen Orientierungsrahmen Schulqualität 1. Voraussetzungen und Bedingungen –– Rahmenvorgaben –– Sächliche und personelle Ressourcen –– Schülerinnen und Schüler sowie deren Lebensumfeld 2. Prozesse –– Unterricht Schulinterne Umsetzung des Bildungsplanes Gestaltung der Lehr-/Lernprozesse Praxis der Leistungsbeurteilung und Leistungsrückmeldung –– Professionalität der Lehrkräfte Kooperation Praxis der Weiterqualifizierung Umgang mit beruflichen Anforderungen –– Schulführung und Schulmanagement Führung, Verwaltung und Organisation –– Schul- und Klassenklima Schulleben Mitgestaltungsmöglichkeiten der Schülerinnen und Schüler
126
Schulische Qualitätsmodelle und -managementsysteme
–– Innerschulische und außerschulische Partnerschaften Mitgestaltungsmöglichkeiten der Eltern Zusammenarbeit mit anderen Institutionen Darstellung schulischer Arbeit in der Öffentlichkeit 3. Ergebnisse und Wirkungen –– Fachliche und überfachliche Lernergebnisse –– Schul- / Laufbahnerfolg –– Bewertung schulischer Arbeit 4. Qualitätssicherung und Qualitätsentwicklung –– Pädagogische Grundsätze –– Strukturen der schulischen Qualitätsentwicklung –– Durchführung der Selbstevaluation –– Individualfeedback
Prinzipiell wird für die schulische Selbstevaluation an Schulen in Baden-Württemberg auch das Selbstevaluationsinstrument SEIS zur Auswahl gestellt, dem − wie oben zu sehen ist − ein eigenes Qualitätsverständnis zugrunde liegt. Zudem wird auf die Möglichkeit der Arbeit mit den beiden Qualitätsmanagementsystemen QUS und QZS verwiesen. Diese Systeme enthalten keine eigene Qualitätskonzeption, sondern dienen dazu, Selbstevaluation und Qualitätsmanagement an Schulen einzuführen und aufrechtzuerhalten, indem sie Schulen dabei unterstützen, Organisationsstruktur, Qualitätsgruppen und eine Steuergruppe aufzubauen, Feedback-Systeme einzuführen, Moderations- und Kommunikationstechniken zu schulen und organisatorische Rahmenbedingungen für die Qualitätsarbeit und Selbstevaluation zu schaffen. QZS (Qualitätszentrierte Schulentwicklung) wurde im Rahmen des durch die Landesregierung BadenWürttemberg finanzierten Pilotprojekts ›Qualitäts-Regionen‹ entwickelt und nutzt auch Kooperationen zwischen Schulen und Wirtschaftsunternehmen für die Schulentwicklung (vgl. Ripper u. Schenk, 2006; www.qzs.de). QUS (Qualitätsentwicklung in Unterricht und Schule) wird durch das Regierungspräsidium Karlsruhe und das Ministerium für Kultus, Jugend und Sport Baden-Württemberg unterstützt (vgl. Berliner, Hertweck, Poss u. Wilhelm, 2007, www.qus-net. de). Bezogen auf Qualitätsmodelle, Befragungs- und Evaluationsinstrumente kann in der Arbeit mit beiden Systemen auf andere Qualitätsverständnisse und Instrumente zurückgegriffen werden. Der rheinland-pfälzische Orientierungsrahmen Schulqualität nimmt eine sehr differenzierte Unterteilung vor, die jedoch in ihrer Grundstruktur den anderen bisher vorgestellten Modellen gleicht (Tabelle 17; vgl. Ministerium für Bildung, Wissenschaft, Jugend und Kultur Rheinland-Pfalz, 2007).
Qualitätsmodelle der Bundesländer127 Tabelle 17: Qualitätsbereiche im rheinland-pfälzischen Orientierungsrahmen Schulqualität Rahmenbedingungen I. Bildungspolitische Vorgaben –– Bildungs- und Erziehungsauftrag –– Bildungsinhalte –– Bildungsstandards –– Schulart II. Standortfaktoren –– Schulträger –– Regionale Besonderheiten –– Schulische Besonderheiten III. Personelle und sächliche Ressourcen, Unterstützungsleistungen –– Personalsituation –– Unterrichtsversorgung –– Gebäude- und Raumsituation –– Technische und materielle Ausstattung –– Unterstützung von außen IV. Schülerschaft und Schulumfeld –– Zusammensetzung der Schülerschaft –– Lernvoraussetzungen –– Entwicklungsbedingungen –– Soziokultureller Hintergrund Schulische und unterrichtliche Prozesse V. Schulleitung und Schulmanagement –– Führung –– Personalentwicklung –– Schulisches Management VI. Professionalität des Personals –– Pädagogisches Selbstverständnis –– Externe Kooperation –– Interne Kooperation –– Fortbildung und Beratung –– Umgang mit beruflichen Anforderungen und Belastungen VII. Schulleben –– Öffnung der Schule –– Mitwirkung –– Beziehungen innerhalb der Schule –– Unterstützungsangebote für Schülerinnen und Schüler –– Eltern-Partizipation VIII. Ziele und Strategien der Qualitätsentwicklung –– Qualitätsprogrammarbeit –– Schuleigene Arbeitspläne –– Individuelle Förderung –– Evaluation (intern/extern)
128
Schulische Qualitätsmodelle und -managementsysteme
IX. Unterrichtsqualität –– Klassenmanagement –– Lernförderliches Unterrichtsklima –– Motivierung –– Klarheit –– Wirkungs- und Kompetenzorientierung –– Umgang mit Heterogenität, Differenzierung –– Schülerorientierung, Unterstützung –– Aktivierung –– Angemessene Methodenvariation –– Konsolidierung, Lernerfolgssicherung Ergebnisse und Wirkungen X. Kompetenzen, Abschlüsse, Bildungs- und Berufslaufbahnen –– Fachliche, über- und außerfachliche Kompetenzen –– Schulabschlüsse und Abgänger/innen ohne Abschluss –– Wiederholerquote, Schullaufbahnentscheidungen –– Weiterer Bildungs- und Berufsweg XI. Zufriedenheit der Beteiligten –– Schulgemeinschaft –– Abnehmende Einrichtungen und Betriebe, regionales Umfeld
5.5 Zusammenfassung und Gemeinsamkeiten der Qualitätsmodelle Bezogen auf ihre Verbreitung und auch die zahlreichen Verweise durch die Qualitätsrahmen der Bundesländer können SEIS, EFQM, Q2E und QIS wohl als die bedeutsamsten der vorgestellten Modelle gelten. Dies gilt umso mehr, da sie explizit die Grundlage der Orientierungsrahmen einiger Bundesländer bilden. Die Merkmalskataloge der hier vorgestellten Qualitätsmodelle gleichen sich jedoch in allen aufgeführten Modellen zu großen Teilen. IQES verdient besondere Beachtung aufgrund des vielfältigen Methoden- und Materialienangebots, QUS und QZS aufgrund ihrer strikten Ausrichtung auf die Prozessebene des Qualitäts managements. Unterschiede bestehen in den Schwerpunktsetzungen, in Art und Umfang der zur Verfügung gestellten Erhebungsinstrumente und Methoden zur Einführung von Qualitätssystemen sowie im Umfang der praktischen Erprobung und Verbreitung. In der Regel wird in den Modellen die Möglichkeit eingeräumt, bestehende Analyseinstrumente durch eigene Fragenkomplexe zu erweitern (vgl. Stern, Ebel u. Müncher, 2008, S. 94 ff.). Eine Notwendigkeit zur individuellen Anpassung und Ergänzung der Qualitätsmodelle, Erhebungsinstrumente und Qualitätsmanagementsysteme wird in fast allen Qualitätssystemen explizit betont. Die nachfolgende Tabelle bietet eine alphabetische Übersicht über die vorgestellten Qualitätssysteme mit Informationen zu den durch die Systeme abgedeckten Bereichen der Qualitätsarbeit und Verweisen auf weitere Informationsmöglichkeiten zu Details der Qualitätssysteme (Tabelle 18).
Zusammenfassung und Gemeinsamkeiten der Qualitätsmodelle129 Tabelle 18: Übersicht über die vorgestellten Qualitätssysteme Qualitätssystem
Q-Mod
Eva-In
QM-Sys
weitere Informationen
2Q − Qualität und Qualifikation (Schweiz)
e. E.
----
Ja
Erziehungsdirektion des Kanton Bern, 2003 (Web: www.erz.be.ch)
EFQM-Modell − European Foundation for Quality Management Qualitätsmodell der EFQM
Ja
Ja
Ja1
Kotter, 2004 Künzel, Roggenbrodt u. Rütters, 2009
FQS − Formatives Qualifikations-System bzw. Förderndes Qualitätsentwicklungs-System (Schweiz)
e. E.
e. E.
Ja
Lehrerinnen- und Lehrerverein Baselland, 2002; Strittmatter, 1997 (www.lvb.ch)
IFS-Schulbarometer − Evaluationsinstrument des Instituts für Schulentwicklungsforschung
Ja
Ja
----
Institut für Schulentwicklungs forschung, 1999 (Web: www.ifs.uni-dortmund.de)
IQES − Instrumente für die Qualitätsentwicklung und Evaluation in Schulen
Ja
Ja
Ja
Brägger u. Posse, 2007 (Web: www.iqesonline. net)
PEB − Pädagogische EntwicklungsBilanzen mit Schulen Qualitätsmodell von Jaap Scheerens und Roel J. Bosker
Ja
Ja
----
Gerecht, Steinert, Klieme u. Döbrich, 2007 Scheerens u. Bosker, 1997 (Web: www.schulemit-peb.de)
Q2E-Modell − Qualität durch Evaluation und Entwicklung (Schweiz) Qualitätsmodell von Norbert Landwehr und Peter Steiner
Ja
e. E.
Ja
Landwehr, 2008 (Web: www.ifes.ch)
QIS − Qualität in Schule (Österreich)
Ja
e. E.
----
Schratz, Iby u. Radnitzky, 2000 (Web: www.qis.at)
Qualitäts-, Referenz- und Orientierungsrahmen zur Schulqualität der Bundesländer Orientierung an EFQM, Q2E, QIS, SEIS und anderen Modellen
Ja
e. E.
e. E.
Webseiten und Bildungsserver der Länder
QuaSSU − Qualitäts sicherung in Schule und Unterricht Qualitätsmodell von Hartmut Ditton
Ja
Ja
----
Ditton, 2000 (Web: www.quassu.net)
QUS − Qualitätsentwicklung in Unterricht und Schule
e. E.
e. E.
Ja
Berliner, Hertweck, Poss u. Wilhelm, 2007 (Web: www.qus-net.de)
130
Schulische Qualitätsmodelle und -managementsysteme Qualitätssystem
Q-Mod
Eva-In
QM-Sys
weitere Informationen
QZS − Qualitätszentrierte Schulentwicklung
e. E.
e. E.
Ja
Ripper u. Schenk, 2006 (Web: www.qzs.de)
SEIS − Selbstevaluation an Schulen Qualitätsmodell des Internationalen Netzwerks Innovativer Schulsysteme
Ja
Ja
einige Tools
Stern, Ebel u. Müncher, 2008 (Web: www. seis-deutschland.de)
Q-Mod = Qualitäts-Modell, Eva-In = Evaluationsinstrumente, QM-Sys = Qualitätsmanagementsystem; e.E. = eigene Erarbeitung oder Rückgriff auf andere Systeme. 1 Schulungen durch lizenzierte EFQM-Trainer
Eine empirische Fundierung der hier vorgestellten, sehr umfassenden Qualitätssysteme ist in ihrer Gänze unmöglich. »Dies liegt erstens daran, dass oft nicht für alle Merkmale hinreichend operationalisierbare Variablen vorliegen, zweitens die Datenqualität nicht ausreicht, um die Voraussetzungen für anspruchsvolle methodisch-statistische Verfahren (Mehr ebenen-Analyse, Strukturgleichungsmodell) zu erfüllen, drittens die Komplexität nur bestimmte Teil-Analysen zulässt (z. B. weil Variablen konfundieren), viertens für die Schulebene oft die Stichprobe zu klein ist bzw. nach Schulform zu differenzieren ist. So beschränkt sich Forschung notgedrungen auf schrittweise angelegte Teil-Analysen auf verschiedenen Modellebenen (Beispiel Schulleitungshandeln/ Lehrerkooperation und Schülerleistungen).« (Holtappels, 2005, S. 39)
Diese notwendige Unterscheidung zwischen umfassenden Qualitätsmodellen – welche auch weniger relevante Aspekte umfassen – und einer aus der Schul effektivitätsforschung hervorgehenden Zuspitzung auf besonders relevante Einzelfaktoren ergibt sich auch aus der Schwierigkeit, in komplexen Systemen eindeutige Zuordnungen von spezifischen Veränderungsschritten zu spezifischen Auswirkungen herzustellen. Es lässt sich zwar in Vorher-Nachher-Vergleichen untersuchen, ob sich nach einer Maßnahme zur Qualitätsverbesserung eine Verbesserung in Qualitätskriterien zeigt, es ist aber nicht möglich, lineare Zusammenhänge dieser Ergebnisse zu einzelnen durchgeführten Veränderungen herzustellen, da Wirkungen in komplexen Systemen nicht nur zeitlich verzögert eintreten, sondern auch eine Vielzahl anderer innerer und äußerer Kriterien Auswirkungen auf die Ergebnisse haben (vgl. Holtappels, 2005, S. 38 u. 39 ff.). Kritisch anzumerken ist zudem die Vielzahl der Kriterien in den Qualitätssystemen: »Sind immer gleich mehrere Ziele im Auge zu behalten oder läßt sich die Ausrichtung an einem zentralen Wirkungsbereich rechtfertigen?« (Fend, 1998, S. 376) Im Vergleich der verschiedenen Qualitätsdifferenzierungen lässt sich ein gemeinsames Ordnungsschema der Qualitätsbereiche erkennen. In allen Modellen finden sich explizit oder implizit die drei Qualitätsbereiche Input, Prozesse und Output wieder, die auch dem OECD-Modell zur Beschreibung von Bildungssystemen zugrunde
Zusammenfassung und Gemeinsamkeiten der Qualitätsmodelle131
liegen (vgl. Fend, 2008, S. 117 ff.). Für diese Qualitätsbereiche lassen sich dann jedoch unterschiedliche Kriterien und Indikatoren definieren, die eine Überprüfung der Qualität von Schulen auf den verschiedensten Ebenen ermöglichen können. Qualitätskriterien für die Bereiche Input, Prozesse und Output lassen sich auf unterschiedliche interne und externe System-, Organisations- und Hierarchieebenen von Schule beziehen (z. B. Schulleitung, Verwaltung, Fachgruppen, Kollegium, Unterricht, Schüler, Eltern, Elternbeirat, Förderverein, externe Kooperationspartner). In den vorgestellten Qualitätsmodellen wird dieser Ebenenbezug zum einen durch die Beschreibung spezifischer Qualitätsmerkmale hergestellt und zum anderen durch die Befragung von Personen dieser Ebenen. Gerahmt werden diese Qualitätsbereiche und -ebenen einerseits durch die Zielorientierung der Qualitätsentwicklung in Form von individuellen und gemeinschaftlichen Visionen, Leitbildern und Zielvorstellungen und andererseits durch die jeweilige Handlungsorientierung der Qualitätsentwicklung in Form von Handlungsvorhaben, Schulprogrammen und Aktionsplänen.
Abbildung 13: Ordnungsschema der Qualitätsbereiche und -ebenen
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Schulische Qualitätsmodelle und -managementsysteme
Die Bereiche (Input, Prozess, Output) und Ebenen (hierarchisch und sozialräumlich) der Schulqualität lassen sich in einer Übersicht zusammenfassen, in die alle vorgestellten Qualitätsmodelle eingeordnet werden können (Abbildung 13): In der Abbildung sind nur fünf Qualitätsebenen benannt (Schulleitung, Kollegium, Unterricht, Schüler, Umfeld), die auch noch weiter unterteilt werden könnten (siehe oben) bis hin zu einzelnen Klassenstufen, Fachgruppen oder auch Einzelpersonen. In der Vielfalt der Qualitätsbereiche kommt den Prozess-Kriterien eine zentrale Rolle zu, denn sie bezeichnen die Art und Weise, in der mit Hilfe der Input- bzw. Strukturfaktoren Output bzw. Ergebnisse erreicht werden. Die Prozessqualität ist vor allem auch für Schulentwicklungsprozesse entscheidend, da sie sich darauf bezieht, wie Schulleitung, Lehrer, Schüler, Eltern sowie externe Personen und Organisationen über Qualität, Leistungen, Ergebnisse, Lehr- und Lernprozesse, Curricula, Schulprogramme, Leitbilder, Unterrichtsmodelle, materielle Ausstattung, notwendige Fortbildungen und dergleichen ins Gespräch kommen und Veränderungen gestalten (vgl. Holtappels, 2003, S. 140). Bei dieser Vielfalt der Faktoren darf das Hauptziel von Schulentwicklung nicht aus dem Blick geraten: Eine hohe Qualität bei den Ergebnissen der Schüler, wobei nicht nur kognitive Leistungen, sondern auch soziale Kompetenzen, Zufriedenheit und Teilhabe eine Rolle spielen. Vor allem die Erkenntnis, dass Schulen trotz recht unterschiedlicher Voraussetzungen gute Ergebnisse bei der Überprüfung ihrer Output-Qualität erreichen können, macht für die Schulentwicklung den individuellen Blick auf die eigenen Stärken und Schwächen interessant. Die Einführung eines Qualitätsmanagements, setzt daher – unabhängig vom verwendeten Qualitätsmodell – darauf, Prozess- und Steuerungskompetenzen an der Schule zu verankern, die hilfreich dafür sind, eine individualisierte Entwicklung und Organisationsführung zu ermöglichen.
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Übungen: A. Machen Sie sich mit verschiedenen Qualitätsmodellen und Qualitäts managementsystemen vertraut. Was ist Ihnen bezogen auf Qualitätsmodell, Erhebungsinstrumente und Qualitätsmanagement besonders wichtig? Welche Aspekte bestehender Modelle und Systeme finden Sie besonders gut oder besonders schlecht? B. Diskutieren Sie mit Kollegen die Erfordernisse eines Qualitätsmanagements für Ihre Schule. Welche Qualitätsbereiche würden für Sie im Vordergrund stehen (siehe O.u.OE. AH-05: ›Fragebogenvorlage zur Festlegung und Überprüfung von Qualitätsbereichen‹ auf der Webseite zu diesem Buch)?
■■ 6 Organisationsentwicklung und Change Management
Zur Organisation des Alltags und zur Aufrechterhaltung oder auch Steigerung der Qualität ist es die Aufgabe von Organisationen, die hierfür notwendigen Standards und Abläufe zu etablieren, zu überprüfen und anzupassen. Diese Standards und Abläufe sollten auf eine Gesamtstrategie bzw. ein Leitbild ausgerichtet sein und der Organisation ein einheitliches Gesicht geben. Dies betrifft nicht nur das Image bzw. die ›Corporate Identity‹ der Organisation (siehe Kapitel 3.2: Anspruchsgruppen, Märkte und Vermarktung), sondern alle organisationalen Strukturen und Prozesse. Als Definition von Organisations- bzw. Schulentwicklung soll hier die zusammenfassende Formulierung von Lutz von Rosenstiel dienen, die er aufbauend auf der Analyse von fünfzig Einzeldefinitionen durch Karsten Trebesch formuliert hat: »Organisationsentwicklung zeigt sich dann als eine Veränderungsstrategie, die aus dem Gesamtsystem der Organisation heraus verstanden werden muss, sich unter aktiver Mitwirkung der Betroffenen vollzieht, dabei aber mit der Zielsetzung geplant ist, einerseits der Leistungsfähigkeit der Organisation und andererseits der Entfaltung des einzelnen Organisationsmitgliedes zu dienen« (Rosenstiel, 2007, S. 459; Trebesch, 1982). Neben der Planung, Einführung und Kontrolle organisatorischer Strukturen, Abläufe und Regeln (technologische Orientierung) stehen hierbei die Einstellungen, Werte und Verhaltensweisen der Organisationsmitglieder im Vordergrund (Verhaltensorientierung; vgl. Vahs, 2007, S. 344 u. 354). Die Begriffe Organisationsentwicklung und Change Management lassen sich weitgehend synonym verwenden, wobei der Begriff Change Management stärker darauf verweist, dass Wandel (Change) etwas Kontinuierliches ist, das ein eigenständiges Management benötigt. Die hiermit verbundenen Gestaltungsund Steuerungsprozesse dienen der Ausrichtung, Erhaltung und Erweiterung der Organisation, der Aufrechterhaltung und Steigerung der Qualität oder auch der Kostensenkung. Organisationsentwicklung kann aber auch aufgrund aktueller Geschehnisse, Probleme oder Krisen notwendig werden. Dieses Kapitel gibt einen Überblick über Ansatzpunkte, Dynamik und grundlegende Modelle der Organisationsentwicklung. Kapitelübersicht: –– Anlässe für Organisationsentwicklung –– Strategische Ausrichtung von Organisationsentwicklung und Change Manage ment –– Initiierung und Steuerung von Organisationsentwicklungsprozessen –– Verlaufsmodelle von Organisationsentwicklung und Change Management
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Organisationsentwicklung und Change Management
–– Dynamik, Gefahren und Erfolgskriterien der Organisationsentwicklung –– Gelingensbedingungen von Schulentwicklung
Bezogen auf schulische Kontexte kann man sicherlich fragen, ob sich Modelle der Organisationsentwicklung überhaupt auf Schulen übertragen lassen. Vorausgesetzt, dass man eine Entwicklung von Schulen als Gesamtorganisation für sinnvoll hält und sich nicht allein auf die jeweils eigene Unterrichtsentwicklung beschränken möchte, sind so gut wie alle Modelle der Organisationsentwicklung verwendbar, da sie in ihrer Umsetzung ohnehin auf die jeweils individuellen Bedingungen der einzelnen Organisation ausgerichtet werden müssen (vgl. Rolff, 2006, S. 302 ff.). Abhängig davon, ob es sich um eine kleine oder große Organisation, einen Autohersteller, einen Speditionsbetrieb oder eben eine Schule handelt, muss die Spezifik der Organisation in die Ausrichtung und Gestaltung der Organisationsentwicklungsprozesse einfließen. Nachfolgend sollen vorwiegend allgemeine Aspekte und Vorgehensweisen dargestellt werden, wobei jedoch immer auch auf schulspezifische Aspekte verwiesen wird. Dieser Schulbezug wird vor allem bei der Definition von Qualität hergestellt (siehe Kapitel 5.2: Qualität als ein zentrales Ziel von Veränderungsprozessen) und abschließend durch eine Darstellung von Erfolgsbedingungen für schulische Veränderungsprozesse (siehe Kapitel 7: Gelingensbedingungen von Schulentwicklung). Zu den Spezifika schulischer Organisationsentwicklung (›Schul- und Unterrichtsentwicklung‹) gibt es eine Vielfalt von Publikationen, die auf die Besonderheiten von Schule ausgerichtet sind. Diese werden nachfolgend zwar in die Darstellung einbezogen, aber nicht erschöpfend dargestellt. Zur Vertiefung eignen sich beispielsweise die Veröffentlichungen von Hans-Günter Rolff, Guy Kempfert, Elmar Phillip, Herbert Buchen, Rolf Dubs, Hans Seitz und Roman Capaul (Rolff et al., 1998, Kempfert u. Rolff, 2005; Phillip u. Rolff, 2006; Buchen u. Rolff, 2006; Dubs, 2005; Seitz u. Capaul, 2005).
6.1 Anlässe für Organisationsentwicklung Prinzipiell gibt es immer drei Anlässe dafür, Organisationsentwicklungsprozesse einzuleiten: 1. Es wird festgestellt, dass ein Qualitätsbereich besser erfüllt werden kann, etwa durch gute Beispiele an anderen Schulen oder aufgrund von Anregungen durch Mitglieder der Schule oder deren Anspruchsgruppen. 2. Es wird festgestellt, dass ein Qualitätsbereich nicht ausreichend erfüllt ist, beispielsweise durch standardmäßige Überprüfungen oder aufgrund von Beschwerden. 3. Die Schule muss auf eine Neuerung oder Veränderung der Rahmenbedingungen reagieren, etwas durch neue Gesetze oder kommunale Veränderungen.
Anlässe für Organisationsentwicklung135
Die nachfolgenden Kapitel geben Hinweise für das Vorgehen bei der Suche nach einer besseren Qualität oder für das standardisierte Ermitteln von Missständen und Risiken.
6.1.1 Best Practice Best-Practice-Analysen machen sich auf die Suche nach guten Leistungen in der eigenen oder auch in anderen Organisationen und halten Ausschau danach, wo sich gute Leistungen in realen Praxissituationen zeigen. Für diese guten Leistungen werden dann die notwendigen Eigenschaften und Kompetenzen definiert, die sich im Verhalten der Mitarbeiter und Führungskräfte zeigen, um diese definierten guten Leistungen erbringen zu können. Außerdem werden die Ressourcen und Rahmenbedingungen analysiert und beschrieben, die vorhanden sein müssen, damit die gewünschte Leistung erbracht werden kann. Bezogen auf Schule können alle Bereiche für die Suche nach guter Leistung dienen, von Lehrern und Schülern über die Kooperationspraxis oder Elternarbeit bis zur Klassenraum- und Pausenhofgestaltung oder die Außendarstellung und Öffentlichkeitsarbeit. Ob nun besonders erfolgreiche Lehr-Lernsituationen identifiziert werden sollen oder für bestimmte Probleme eine ›Best Practice‹ gesucht wird, es geht letztlich immer darum, das als erfolgreich erachtete Vorgehen zu analysieren und zu überlegen, wie und in welchem Ausmaß es zum Standard der eigenen Arbeit werden kann. Dabei beschreibt die ›Best Practice‹ bzw. die ›Performance‹ nicht nur die Handlungen bzw. die Leistung selbst, sondern auch ihren Zusammenhang mit dem daraus folgenden Ergebnis. Es wird nach erwünschten Ergebnissen geschaut (Ergebnisqualität) und dann nach den Prozessen und Strukturen, die zu ihrer Erreichung beitragen (Prozess- und Strukturqualität). Die grundlegende Idee der Best Practice ist es also nicht, Veränderungen, Umstrukturierungen und Trainings im ›luftleeren Raum‹ zur Verbesserung der Leistung anzubieten, etwa im Sinne eines ›Trockenschwimmens‹ oder ›Schattenboxens‹, sondern aus realen Situationen heraus Impulse für die Leistungsverbesserung zu geben. Es muss also geschaut werden, an welcher Stelle zu einem bestimmten Leistungsbereich die erfolgreichen Macher – oder in der Businesssprache ›Performer‹ – sitzen und wie diese es schaffen, erfolgreich zu sein. Richtungweisende Performer können an Schulen je nach Fragestellung Lehrer der eigenen oder einer anderen Schule, ehemalige Schüler, Eltern, Wirtschaftsunternehmen oder sonstige Personen sein, von denen man sich ›etwas abgucken‹ kann. Neben Personen können auch Arbeitsumgebungen oder Organisationskultur als Best Practice untersucht werden. Systematisiert man die Bereiche einer Best-Practice-Analyse, können z. B. folgende Übergruppen gebildet werden (vgl. Lorenz, 2001, S. 66; siehe auch Kapitel 6.3.2: Durchführung der Eingangsanalyse):
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Organisationsentwicklung und Change Management
–– Architektur z. B. Organisationskultur, Organisation und Struktur, Persönlichkeit, Feedback-Kultur, Entscheidungshierarchie, Organisationsform, Führungsverständnis –– Motivation z. B. Gruppen- und Teamstruktur, Entlohnungs- und Beurteilungssystem, Einstellungen und Werte, Verantwortung und Entscheidungen, Work-Life- Balance, Anreize –– Technik z. B. Projektmanagement, Controlling, Wissen (Training), Umsetzung (Coach ing), Arbeitsumgebungen, Zeitabläufe, Maschinen und Werkzeuge In diesen Bereichen – wie auch in anderen Bereichen der Organisationsentwicklung – können entsprechende Analysen ›guter Praxis‹ ansetzen (siehe Kapitel 6.2.2: Bezugspunkte der Organisationsentwicklung). Eine Möglichkeit, die Performance in Organisationen zu verbessern, ist es, den Ist-Zustand mit dem Soll-Zustand zu vergleichen und zu analysieren, wodurch die Lücke (›der Gap‹) zwischen Ist und Soll entsteht (siehe Kapitel 6.2.2: Bezugspunkte der Organisationsentwicklung). In einer solchen ›Gap-Analyse‹ ist die Blickrichtung wichtig. Der Fokus sollte auf den Ergebnissen liegen, die erzielt werden, und nicht darauf, was getan wird (vgl. Elliott, 2001, S. 73). Wird nämlich das gewünschte Ergebnis durch unkonventionelle oder bisher sogar unerwünschte Handlungen und Verhaltensweisen erzielt, mag es sein, dass eben bisher übliches, konventionelles Handeln verändert werden muss. Richtet man den Blick hingegen auf erwünschte Verhaltensweisen anstatt auf erwünschte Ergebnisse, entsteht die Tendenz, bisher Übliches weiter zu tradieren und somit Veränderungen zu verhindern. Diese Ergebnisorientierung rückt die ›exemplarischen Performer‹ in den Mittelpunkt. Erst, wenn identifiziert wurde, wer gute Ergebnisse erzielt, wird geschaut, wie er das macht. Der Ablauf solcher Performance Analysen lässt sich folgendermaßen darstellen (in Anlehnung an Elliott, 2001, S. 77; Lorenz, 2001, S. 58; Stolovitch u. Keeps, 2001, S. 179): 1. Zunächst wird der gewünschte Output, der erreicht werden soll, definiert. 2. Zu diesem Output werden Daten gesammelt. 3. Die aktuelle eigene Performance wird beschrieben, sofern zu dem (gewünschten) Output eine eigene Performance vorhanden ist. 4. Zu der eigenen aktuellen Performance werden Daten gesammelt. 5. Es wird eine Liste der Best Practices erstellt, die zu dem gewünschten Output führen. 6. Zu diesen Best Practices werden Daten gesammelt. 7. Die Lücke zwischen aktueller Performance und Best Practice wird definiert (z. B. Einflussfaktoren, Unterschiede, Fertigkeiten). 8. Es werden geeignete Interventionen formuliert.
Anlässe für Organisationsentwicklung137
9. Es werden Entscheidungen für geeignete Interventionen gefällt, z. B. BestPractice-Aspekte, die erprobt und dann standardisiert, oder Umgebungsfaktoren, die verändert werden sollen. 10. Veränderungen werden durch Training, Umbau etc. eingeführt. 11. Die Veränderungen werden hinsichtlich einer Verbesserung der Performance überprüft und bewertet. Nimmt man Aussagen aus verschiedenen Quellen zusammen, zeigt sich, dass die Ursachen für mangelnde Performance der Mitarbeiter zu 80 Prozent nicht in mangelnden Kenntnissen oder Fertigkeiten liegen, sondern in unzureichenden Arbeitsumgebungen oder mangelnden Anreizen (vgl. Elliot, 2001, S. 87). Es lohnt sich also immer, bei der Auseinandersetzung mit Best Practices genau darauf zu schauen, welche Umgebungsfaktoren hierzu beitragen. Gerade für Schulen ist es interessant, sich mit der Praxis solcher Analysen auseinanderzusetzen und es nicht bei der Festlegung erwünschter Ergebnisse zu belassen: –– Welche Handlungen von Schülern führen dazu, dass sie gute Ergebnisse erzielen? –– Welche Umgebungsfaktoren nutzen sie hierzu? –– Welche Handlungen von Lehrern unterstützen sie dabei? –– Welche Rahmenbedingungen der Schule und der Schulklasse sind hierbei nützlich? –– Wie kann individuelle ›Best Practice‹ entwickelt und die individuelle Performance verbessert werden, ohne durch einen Vergleich lediglich ›schlechte‹, ›gute‹ und ›beste‹ Performance herauszustellen? –– Wie kann ›Best Practice‹ von Lehrern und Schülern kooperativ genutzt werden, ohne zu Konkurrenz zu führen? Hinsichtlich des Produkts von Schule müssten dringend auch die ehemaligen Schüler in solche Best-Practice-Überlegungen einbezogen werden; denn nur sie können in einer langfristigen Perspektive darüber Auskunft geben, wie sie sich als Produkt von Schule weiterentwickelt und auf dem Markt platziert haben. Was ihnen auf ihrem Weg dorthin geholfen hat, was in der Schule oder sonst auf ihrem Ausbildungsweg fehlte und was sie im Augenblick erfolgreich tun. Ein entscheidender Punkt beim Umgang mit Best Practice, Performance und ihrer Lücke zur aktuellen Praxis ist, dass man zum einen (Höchst-)Leistungen schätzt und zum anderen Fehler, ›Worst Practice‹ und ›Low Performance‹ weder versteckt noch abwertet. Gerade die gemachten Fehler geben nicht nur einen Anlass zur Verbesserung, sondern bieten ein unschätzbares Lernfeld. Eine gute und wertschätzende Feedback-Kultur ist hierfür entscheidend, wenn die Angst vor dem Kommunizieren und der Auseinandersetzung mit ›Performance Gaps‹ nicht selbst zum größten Performance Gap werden soll (vgl. Lorenz, 2001, S. 67; siehe F.u.Z., Kapitel 5.1.1: Feed back). Die Angst vor über- und unterdurchschnittlichen Leistungen kann schnell zur Vertuschung führen, die alles auf ein scheinbares Mittelmaß reduziert und in dem niemand mehr (im negativen wie im positiven Sinne) ›aus der Reihe tanzt‹.
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Organisationsentwicklung und Change Management
Übungen: A. Welche Best Practices gibt es Ihrer Meinung nach an ihrer Schule? Welche Best Practices gibt es Ihrer Einschätzung nach an anderen Schulen? Was tun die verantwortlichen Performer hierzu und wie tun sie es? Welche Schüler können für ihre Zeit nach der Schule als Best-PracticeBeispiele dienen? Warum? B. Was würden Ihre Schüler auf die Frage nach der Best Practice an ihrer Schule antworten? Fragen Sie sie danach.
6.1.2 Next Practice Einen Schritt weiter als die Best Practice geht die Idee der Next Practice. Während es bei der Best Practice um eine Optimierung von Funktionen, Strukturen und Prozessen geht, bedeutet Next Practice die Etablierung neuer Funktionen, Strukturen und Prozesse (vgl. Kruse, 2004, S. 20). Ein solcher ›Prozessmusterwechsel‹ kann entweder durch eigene neue Erfindungen und Entdeckungen eingeleitet werden oder durch Erfindungen und Entdeckungen anderer, die man für sich nutzbar zu machen versucht. In seinem Buch über Next Practice führt Peter Kruse das Beispiel der Veränderung der Sprungtechnik beim Hochsprung an (vgl. Kruse, 2004, S. 21 f.). Die ursprüngliche Technik des ›Straddle‹ wurde zunächst immer weiter perfektioniert, bis es bei Wettkämpfen nur noch um Millimeter ging (Best Practice). 1968 trat Richard Douglas Fosbury dann mit einer völlig neuen Sprungtechnik, dem später nach ihm benannten Fosbury-Flop, bei den Olympischen Spielen an und gewann den Wettbewerb mit einem neuen Weltrekord. Diese Next Practice setzte sich aber wie viele Neuerungen erst langsam durch, bis sie zum Standard wurde. Next Practice ist immer mit der Gefahr verbunden, misstrauisch beäugt zu werden und gegen bestehende Traditionen zu handeln. Dies kann gerade zu Beginn mit vielen Widerständen einhergehen, sich aber auf längere Sicht dahingehend auszahlen, dass man als Vorreiter einer neuen Best Practice anerkannt wird. Solche Wandlungsprozesse lassen sich in vielen Bereichen beobachten. Nicht nur im Sport oder der Wirtschaft, sondern auch in der Wissenschaft, wo neue Denk- und Handlungsmuster geradezu den Anstrich des Ketzerischen oder Verrückten haben können, ehe sie sich als Standard durchsetzen. Man denke hierbei nur an die großen Umbrüche, etwa durch die Theorien von Einstein oder Heisenberg, oder an die technischen Weiterentwicklungen, etwa in der Computertechnik oder durch das Internet. Es soll hier gerade in Bezug auf Schulentwicklung herausgestellt werden, dass es bei Best und Next Practice nicht um ein rein quantitatives ›höher, schneller, weiter‹ geht, sondern primär um qualitative Sprünge, die zu besserer Leistung führen, aber nicht zwangsläufig mit größerer Belastung und Mehrarbeit zu tun haben müssen. Was jedoch immer mit höheren Belastungen und Mehrarbeit verbunden ist, ist der Wechsel von bestehenden zu neuen Mustern, etwa in Form umfassender Entwicklungen der Schulorganisation. Für Schulen ist
Anlässe für Organisationsentwicklung139
es daher zunächst schon entscheidend zu definieren, was für sie die Best Practice bzw. sogar eine Next Practice darstellt. Aus diesem Grund sind auch Messungen der eigenen Qualität ein wichtiger Bestandteil der Schulentwicklung (siehe Kapitel 5: Schulische Qualitätsmodelle, Qualitätsbereiche und -managementsysteme). Hat man sich dann für einen Entwicklungsbereich entschieden, kann gezielt nach den gewünschten Practices gesucht werden. Wie schon weiter oben dargestellt, können ganz verschiedene Formen der Schulgestaltung zu guten Ergebnissen führen. Hierbei kann man sich gut an den Best Practices der gewünschten Gestaltungsform orientieren, sei es die Best Practice der Ganz- oder Halbtagsschule, des offenen oder frontalen Unterrichts, der Kooperation, des klassen- und jahrgangsübergreifenden Unterrichts, der Elternarbeit, der Raumgestaltung und dergleichen mehr. Experimentierfreudige Kollegien können sich auch – im Sinne einer Next Practice – dazu entscheiden etwas auszuprobieren, was es bisher noch nicht gibt. »Die erste Frage bei der Vorbereitung von Veränderungsprozessen sollte entsprechend lauten: Reicht eine Optimierung bestehender Funktionalität aus oder ist ein kreativer Sprung zu einem neuen Prozessmuster notwendig, um den neuen Anforderungen gerecht zu werden?« (Kruse, 2004, S. 76 f.)
Tatsächliche Next Practices sind in Schulen eher die Ausnahme, weshalb eine Orientierung an schon bestehender guter Praxis – im In- wie im Ausland – eine gute Basis für Schulentwicklung liefert. Bei aller Vorsicht gegenüber quantitativ orientierten Rankings oder Veröffentlichungen von Ergebnissen der Schul inspektion gibt es dennoch genügend qualitativ orientierte Initiativen, etwa den ›Deutschen Schulpreis‹ der Bosch-Stiftung, den Jakob-Muth-Preis für inklusive Schule oder die Dokumentationen im ›Archiv der Zukunft‹. Was ganz generell eine ›Next Practice‹ für Schule darstellt, ist die Umstellung von einem frontal ausgerichteten, selektierenden Schul- und Unterrichtssystem zu einem gemeinsamen, leistungsdifferenzierten und individualisierenden Unterricht.
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Übung: Was wäre für Sie eine Next Practice, etwas völlig Neues und Ungewöhn liches?
6.1.3 Qualitätszirkel, Qualitätsbeauftragte und Bildungsregionen Für eine durchgängige Beobachtung der Qualitätsentwicklung, für eine Vernetzung in der Aufrechterhaltung der Verbesserung von Qualität und für die Bewältigung von Neuerungen bietet es sich an, Netzwerke zu bilden, an denen Personen beteiligt sind, die das gleiche Anliegen haben. Sogenannte Qualitätszirkel gibt es in den verschiedensten Formen. Betriebs interne Qualitätszirkel zeichnen sich in der Regel durch eine hierarchie- und bereichsübergreifende Zusammensetzung aus und haben das Ziel, Probleme
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Organisationsentwicklung und Change Management
im eigenen Arbeitsbereich zu diskutieren, Lösungsvorschläge zu erarbeiten und deren Umsetzung anzubahnen (vgl. Bea u. Göbel, 2006, S. 428). Qualitätszirkel haben sich aber auch in anderen Konstellationen etabliert, die entweder Probleme der Gesamtorganisation oder bestimmte Themenbereiche bearbeiten (z. B. Gesundheitsschutz, Beschwerden, Öffentlichkeitsarbeit). Weitere Möglichkeiten der Arbeit mit Qualitätszirkeln bestehen in der Einbindung externer Personen wie Zulieferern und Kunden, um eine weitere Perspektive und Sichtweise auf Qualität in den Diskurs einzubeziehen. Als organisationsübergreifende Qualitätszirkel können sie sich auch aus Mitarbeitern ähnlicher Organisationen mit ähnlichen Problemen zusammensetzen. Solche organisationsübergreifenden Qualitätszirkel finden sich häufig dort, wo ein Konzern oder ein Träger mehrere gleichartige Einzelorganisationen hat, oder auch in Dachverbänden, in denen sich mehrere Organisationen zusammengeschlossen haben. Diese Qualitätszirkel sind beispielsweise hilfreich, wenn alle Beteiligten von einer bestimmten Gesetzesänderung oder einer Marktentwicklung betroffen sind und sich über die jeweils einzelnen (oder auch gemeinsamen) Handlungsschritte beraten. Grundsätzlich ist es für die Arbeit in Qualitätszirkeln entscheidend, dass: –– die dort zu bearbeitenden Qualitätsbereiche klar definiert sind, –– Kompetenzen und Befugnisse klar benannt sind, –– das Ziel einer kontinuierlichen Verbesserung der Ergebnisse, Prozesse und Strukturen sowie der Vereinfachung von Arbeitsabläufen immer wieder auf Veränderungen in den beteiligten Handlungsfeldern bezogen wird, –– die in dem Handlungsfeld tätigen Personen in Planungs- und Veränderungsprozesse einbezogen werden. Für ihre Arbeit können sich Qualitätszirkel z. B. nach dem Modell der Handlungsforschung richten (siehe Kapitel 6.4.1: Handlungsforschung als allgemeines Ablaufmodell). Als mögliche Inhalte für schulische Qualitätszirkel kommen hierbei alle Qualitätsbereiche infrage. Dies sind beispielsweise die Bereiche: Lehren und Lernen, Lebensraum Klasse und Schule, Schulpartnerschaft und Außenbeziehungen, Schulmanagement, Professionalität und Personalentwicklung (vgl. Schnoor, Lange u. Mietens, 2006, S. 26). Gerade in Bezug auf Schul inspektionen lassen sich aber auch die Bereiche dieser externen Überprüfung und Begutachtung als Gliederung möglicher Qualitätsbereiche heranziehen. Infrage kommen letztlich alle Bereiche, die in dem Qualitätsverständnis und in den gewählten Evaluationsinstrumenten der Schule definiert sind. Schwerpunktsetzungen oder die Benennung eines Qualitätsbeauftragten für einen bestimmten Qualitätsbereich sind in den sehr umfangreichen Qualitätsmodellen jedoch sinnvoll. Auch können Qualitätsbeauftragte für das gesamte Qualitätsmanagement ernannt werden – sogenannte QM-Beauftragte –, die unter anderem für die Abläufe und die Vernetzung verschiedener Qualitätszirkel und -beauftragter zuständig sind. Wichtig ist es, ebenso wie bei Qualitätszirkeln die Aufgaben und Befugnisse der beteiligten Personen klar zu definieren.
Anlässe für Organisationsentwicklung141
Um ein schulübergreifendes Qualitätsverständnis und Qualitätsmanagement zu etablieren, können sich Schulen auch zu Schulverbünden zusammenschließen, wie sie beispielsweise unter dem Stichwort Bildungsregion in Zusammenhang mit der Qualitätskonzeption von SEIS entwickelt werden (vgl. Stern, Ebel, Schönstein u. Vorndran, 2008). Die Idee der Bildungsregion geht über ein rein schulisches Qualitätsverständnis und -management hinaus. So werden hierbei nicht nur Vernetzungen zwischen Schulen angestrebt, sondern auch eine koordinierte Zusammenarbeit mit Familien, Kindertagesstätten, Jugendeinrichtungen, Vereinen, Kirchen, Kulturinstitutionen, Ausbildungsbetrieben und der Wirtschaft (vgl. Meier, 2008, S. 15).
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Übungen: A. Welche Themen, die Ihre Schule und Ihre Arbeit betreffen, würden Sie gerne im Rahmen eines Qualitätszirkels besprechen? Was wäre für Sie hierbei der wichtigste Unterschied zu einer Sitzung mit Ihrem Kollegium? B. Wie könnte ein Qualitätszirkel von Schülern aussehen? Was wären dort mögliche Themen?
6.1.4 Feedback- und Beschwerdemanagement In der Entwicklung und Sicherung von Qualität gilt es sicherzustellen, dass die relevanten Anspruchsgruppen eine Möglichkeit haben, Rückmeldungen über ihre Zufriedenheit und Unzufriedenheit mit der Qualität der Organisation und ihrer Produkte zu geben. Internes und externes Feedback- und Beschwerdemanagement dient nicht nur dazu, eigene Prozesse und Produkte zu optimieren, sondern auch dazu, die Beziehungen zu den Anspruchsgruppen zu reflektieren und aktiv zu gestalten (siehe auch Profilierungsmatrix in Kapitel 6.3: Durchführung der Eingangsanalyse und F.u.Z., Kapitel 5.1.1: Feedback). Auf ›gefährdete Kunden beziehungen‹ und auf Qualitätsmängel kann nur reagiert werden, wenn diese auch offen kommuniziert werden (vgl. Stauss u. Seidel, 2007, S. 33 f.). Ein Beschwerdemanagement muss sich jedoch nicht nur mit Problemen und Beschwerden beschäftigen, sondern kann – etwa im Rahmen eines betrieblichen Vorschlagswesens – als Feedback-, Rückmelde-, Ideen- oder Verbesserungsmanagement erweitert werden. Diese Rückmeldungen können sich auf alle Qualitätsbereiche beziehen und auf alle Ebenen und Personen der Organisation. Neben Beschwerdeführer (intern: Lehrer, Fachgruppen, Schüler; extern: Eltern, Schulaufsicht, Medien) können Beschwerdeadressat (Intern: Lehrer, Fachgruppen, Schüler; Extern: Eltern, Schulaufsicht, Medien) und Beschwerdeobjekt (Leistungen, Ergebnisse, Ausstattung, Umgangsweisen) unterschieden werden (vgl. Stauss u. Seidel, 2007, S. 51). Ein erster Schritt des Beschwerde- oder besser Rückmeldemanagements besteht in der ›Beschwerde- und Rückmeldungsstimulierung‹, also der Bitte an
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Organisationsentwicklung und Change Management
die relevanten Anspruchsgruppen, ihren Eindruck der Organisation oder von Merkmalen ihrer Qualität, ihren Produkten, der Kundenbeziehungen und dergleichen mitzuteilen. Feedback- und Beschwerdemanagement findet dabei auf interner und externer Ebene statt (vgl. Stauss u. Seidel, 2007, S. 82). Rückmeldungen können von außerhalb und innerhalb der Organisation kommen, wobei der Unterschied darin liegt, dass externe Beschwerdeführer in der Regel nicht in die Bearbeitung von Beschwerden eingebunden werden. Neben einer geregelten Annahme von Rückmeldungen, die beispielsweise über ein eigens hierfür eingerichtetes oder schon vorhandenes Gremium erfolgen kann, gibt es eine Bearbeitung je nach Art der Rückmeldung durch einzelne Verantwortliche oder Gruppen, die für die Verbesserung des entsprechenden Qualitätsbereiches verantwortlich sind. Je nach Rückmeldung kann aber auch eine Mediation oder eine andere Form der Bearbeitung notwendig sein. Der Ablauf eines Feedback- und Beschwerdemanagements lässt sich folgendermaßen darstellen (Abbildung 14):
Abbildung 14: Feedback- und Beschwerdemanagement
Für eine zeitnahe und effektive Verbesserung der Qualität sind ein klar geregelter Beschwerdeweg und klar geregelte Zuständigkeiten entscheidend. Weder darf es vorkommen, dass ein Beschwerdeführer von Stelle zu Stelle weiterverwiesen wird (Lehrer, Schulleiter, Schulbehörde, Schulelternrat etc.), noch, dass Beschwerden auf ihrem Weg durch die Institution verloren gehen. Auch müssen Rückmeldun-
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gen jeglicher Art prinzipiell erwünscht sein und nicht zu negativen Konsequenzen für die rückmeldende Person führen (siehe F.u.Z., Kapitel 5.1.1: Feedback). Um dies zu erreichen, bieten sich klare Abläufe für den Umgang mit Rückmeldungen und Beschwerden bis hin zu Feedback- und Beschwerdeformularen an, auf denen klar dokumentiert werden kann, wer sich wann und bei wem beschwert hat, was Inhalt der Beschwerde ist und wie auf die Beschwerde reagiert wurde. Hierbei können auch wichtige Informationen vonseiten der Organisation abgefragt werden, die für die weitere Bearbeitung wichtig sind. Für die Bearbeitung der Beschwerde kann eine eigene Abteilung (ein Gremium) zuständig sein, auch sollte geregelt werden, wer dem Beschwerdeführer eine Rückmeldung über das Ergebnis der Bearbeitung gibt und in welcher Form die Rückmeldung erfolgt (schriftlich, telefonisch, Gespräch). Auch Rückmeldungen nach Beendigung der Schule sind sehr hilfreich, um Informationen darüber zu erhalten, wie nachhaltig die Ergebnisqualität schulischer Bemühungen ist. Während in der Wirtschaft beispielsweise recht klare Regelungen zur Produkthaftung bestehen, ist dieser Bereich in schulischen Kontexten nicht geregelt. In Bezug auf materielle Güter sind etwa Garantiezeiten festgelegt, Lebensmittel haben ein Verfallsdatum, andere Produkte eine garantierte Mindestlaufzeit. Mit Autos muss man regelmäßig zu den vorgeschriebenen Inspektionen, um die Garantieansprüche nicht zu verlieren. Wenn etwas vor Ende der Garantiezeit oder des Mindesthaltbarkeitsdatums mit dem Produkt nicht in Ordnung ist, ist der Hersteller zur Nachbesserung oder zum Ersatz verpflichtet. Dies kann bis hin zu einer Rückrufaktion einer bestimmten Produktreihe führen, wenn ein produktionsbedingter Mangel eine komplette Serie betrifft. Ein solches Vorgehen ist für schulische Kontexte nur schwer denkbar. Dennoch wäre eine Überprüfung hilfreich, inwieweit Schüler ›auf ihrem Markt‹ angekommen sind, was die Schule hierzu beigetragen hat und was ihnen sonst noch auf ihrem Weg geholfen hat.
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Übung: Entwerfen Sie ein ›betriebliches Beschwerde- und Verbesserungsmanagement‹ für Ihre Schule. Wer soll für diese Stelle Ansprechpartner oder G remium sein? Wie könnte ein Beschwerde- und Rückmeldebogen aussehen?
6.1.5 Risikomanagement Risiken bezeichnen die Wahrscheinlichkeit des Eintritts eines (materiellen, gesundheitlichen oder sozialen) Schadens. Methoden des Risikomanagements bieten sich für die Organisation selbst wie auch hinsichtlich des Produkts an, um vermeidbare Risiken zu erkennen und zu beseitigen sowie um auf unvermeidbare Risiken vorbereitet zu sein. Die Risiken müssen hierbei zunächst für die Organisation bzw. für ihre Dienstleistungen und Produkte definiert werden.
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Organisationsentwicklung und Change Management
Hierzu können z. B. gehören: Umfeldrisiken (Politik, Gesetzgebung, Konjunktur, Wettbewerb etc.), Finanzrisiken (Liquidität, Lohnentwicklung, Preisentwicklung etc.), Sicherheitsrisiken (Unfälle, Sachmittel etc.), rechtliche Risiken (Gesetzesverstöße, Verträge, Haftung, Umsetzung neuer Gesetze etc.), Geschäftsrisiken (Märkte und Wettbewerb, technologische Entwicklungen, Kooperationen, Beteiligungen etc.), Produktrisiken (Produktqualität, Lieferfähigkeit, Garantieansprüche etc.), Personalrisiken (Fehler von Mitarbeitern, Fluktuation, Knowhow- Verlust etc.), I T-Risiken (Datensicherheit, Datenmissbrauch etc.) und dergleichen mehr (vgl. Hinzen, 2007, S. 189; Vahs, 2007, S. 435). Bezogen auf Schule kann sich ein Risikomanagement mit organisationalen Risiken befassen, aber auch mit Risiken der einzelnen Schüler und Lehrer. Sowohl für die organisationalen Risiken der Schule (z. B. Rückgang der Anmeldungen, Konkurrenz, Umstrukturierungen) als auch für die individuellen Risiken der Schüler (z. B. fehlende Ausbildungsplätze, berufliche Risiken, private und familiäre Risiken, Chancen am Arbeitsmarkt) und Lehrer (z. B. Belastungen, fehlende Kompetenzen, Schulwechsel) lassen sich Faktoren und Szenarien entwerfen, die das Eintreten und die Auswirkungen von Risiken darstellen. Sind erst einmal alle relevanten Risikofaktoren benannt, gilt es einzuschätzen, wie hoch das mögliche Schadensausmaß und wie hoch die Eintrittswahrscheinlichkeit ist (vgl. Hinzen, 2007, S. 190). Hierzu muss klar definiert sein, wann ein Schadensausmaß ›unerheblich‹, ›erheblich‹ oder sogar ›bestandsgefährdend‹ ist (etwa aufgrund dadurch entstehender Kosten oder fehlender Einnahmen). Ebenso muss die Eintrittswahrscheinlichkeit genau festgelegt werden (unwahrscheinlich: kann nicht ganz ausgeschlossen werden; selten: einmal in acht Jahren; möglich: einmal in drei Jahren; hoch: einmal pro Jahr; sehr hoch: mehrmals pro Jahr). Je nach Einschätzung können die Bewertungen dann in eine Risikomatrix übertragen werden (Abbildung 15; vgl. Dürrschmidt, 2007, S. 197 f.). Um die hierfür notwendigen Einschätzungen und Risikobewertungen vornehmen zu können, kann auf Daten der eigenen Organisation zurückgegriffen werden (z. B. Unfallzahlen, Vermittlungszahlen in Lehrstellen, Spendenentwick-
Abbildung 15: Risikomatrix
Anlässe für Organisationsentwicklung145
lung) oder auch auf allgemeine statistische Erhebungen und Untersuchungen (z. B. Bedarf an bestimmten Ausbildungen, Berufschancen, Daten der regionalen Entwicklung, Entwicklung der Geburtenzahlen). Nach der Festlegung von Risikofaktoren und ihrer Bewertung geht es darum, sich über den Umgang mit den festgestellten Risiken zu verständigen. Es gibt vier generelle Möglichkeiten des Umgangs mit Risiken: –– Beseitigen, –– Vermeiden, –– Verringern oder –– Akzeptieren. Als Entscheidungsmaxime für den Umgang mit Risiken kann hierbei gelten: Je höher die Schadenswirkung und je höher die Wahrscheinlichkeit des Schadens eintritts ist, desto eher sollte das Risiko beseitigt oder vermieden werden. Da, wo es nicht beseitigt oder vermieden werden kann, müssen Wege gefunden werden, es zu minimieren oder sich mit seinem Vorhandensein zu arrangieren. Dies kann z. B. auch durch entsprechende Versicherungen geschehen (z. B. Gruppenunfallversicherung, Berufsunfähigkeitsversicherung). Auch die Einrichtung eines ›Frühwarnsystems‹ kann eine adäquate Reaktion auf Risiken darstellen, um bei einer Erhöhung der Eintrittswahrscheinlichkeit schon erste Gegenmaßnahmen ergreifen zu können. Bei allen Maßnahmen des Risikomanagements geht es darum, frühzeitig und möglichst präventiv Ressourcen für den Umgang mit eintretenden Risiken zu erkennen, bereitzustellen, zu schaffen oder zu nutzen. Letztlich beinhaltet jedes Risiko auch eine Chance, etwas zu verändern oder neu anzufangen, da allein aus einer Bewertung und Risikoeinschätzung Ideen für Innovationen entstehen können und es sogar möglich werden kann, sich durch eine aktive Auseinandersetzung mit Risiken gegenüber Konkurrenz organisationen besser auf dem Markt zu positionieren. Risikomanagement ist somit nicht nur ein Instrument zum Schutz vor möglichen Gefahren, sondern auch zum präventiven Vorgriff auf anstehende Entwicklungen der inneren und äußeren Gegebenheiten und ein Antrieb für geplante eigene Entwicklungen und Innovation.
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Übungen: A. Listen Sie in Ihrem Kollegium Risiken auf, denen Ihre Schule in den kommenden Jahren ausgesetzt sein wird. Bewerten Sie diese gemeinsam bezüglich ihrer Relevanz. Entwickeln Sie ein Frühwarnsystem und Maßnahmen zur Beseitigung, Vermeidung, Verringerung oder Akzeptanz der Risiken. B. Listen Sie mit Ihrer Schulklasse Risiken auf, denen Ihre Schüler auf ihrem nachschulischen Lebensweg ausgesetzt sein könnten. Bewerten Sie diese gemeinsam in ihrer Relevanz. Entwickeln Sie gemeinsam ein Frühwarnsystem und Maßnahmen zur Beseitigung, Vermeidung, Verringerung oder Akzeptanz der Risiken.
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Organisationsentwicklung und Change Management
6.2 Strategische Ausrichtung von Organisationsentwicklung und Change Management Aufgaben der Organisationsentwicklung bzw. des Change Management sind die Vorbereitung, Durchführung und Evaluation ziel- und ergebnisorientierter Veränderungsprozesse in Organisationen (zur Qualitätsverbesserung, Kostensenkung, Modernisierung, Vereinfachung von Abläufen, Abbau von Hierarchieebenen etc.). Grundsätzlich ist Organisationsentwicklung eine Aufgabe der Einzelorganisation, die sich auf das jeweilige innere und äußere Umfeld bezieht und nicht einfach aus vorstrukturierten Organisationsmodellen übernommen werden kann (siehe auch Kapitel 2.4.1: Was für eine Organisation ist Schule?). Es gibt so gesehen – wie in vielen Bereichen der Organisationsgestaltung und -führung – keine Patentrezepte, die übernommen werden könnten. Es ist immer erforderlich, die einzelne Organisation in ihren Stärken und Schwächen zu analysieren und darauf aufbauend Zielrichtung und Vorgehensweise von Veränderungen zu planen.
6.2.1 Vision, Leitbild, Programm und Aktionspläne Um sich nicht in Detailzielen und -planungen zu verlieren oder lediglich kurzfristige Veränderungen anzugehen, ist es für Organisationsentwicklungsprozesse wichtig, lang- und mittelfristige Zukunftsvisionen und Strategien zu formulieren, die durchaus einige Jahre in die Zukunft reichen können. Erst dann sollte es darum gehen, einzelne Teilschritte auf dem Weg dorthin zu konkretisieren. Sofern solche Zielorientierungen oder Zukunftsvisionen nicht vorhanden sind, ist es ein sinnvoller erster Schritt der Organisationsentwicklung, diese zu entwerfen. Der Detaillierungsgrad der Zielformulierungen und Vorgehensplanungen lässt sich gestaffelt darstellen (vgl. auch Seitz u. Capaul, 2005, S. 118 ff.): 1. An oberster Stelle steht die langfristige Vision, welche die makro-strategische Zielrichtung angibt. Eine Vision ist im Gegensatz zu einem Ziel langfristiger, weitreichender, umfassender und auch unschärfer. 2. Ein weiteres strategie- und zielbezogenes Element ist das (Organisations-) Leitbild. Dieses gibt Auskunft über Ressourcen, Stärken, Ethik, Menschenbild, Vorgehensweisen und dergleichen mehr, die der Organisation ihr Profil geben und sie bei der Zielerreichung leiten. Neben den im Leitbild enthaltenen strategischen Elementen geben die hier festgeschriebenen normativen Aussagen eine wichtige Orientierung. Die Entwicklung eines Leitbildes und einer Organisationsphilosophie liefert wichtige Richtlinien für die Konkretisierung einer Vision. Bevor man anfängt, in eine Richtung zu gehen, muss man nicht nur wissen, wo man ankommen möchte (Vision), sondern auch, auf welche Art man dort hingelangen will und was das eigene Vorgehen hierbei auszeichnet (Leitbild).
Strategische Ausrichtung von Organisationsentwicklung und Change Management 147
3. Auf der nächsten Ebenen steht ein (Umsetzungs-)Programm, das – ähnlich einem Gesamtprojektplan oder einem allgemeinen Projektverlaufsplan – einzelne Etappen und Schritte darstellt, in denen die Vision und die gesetzten Ziele erreicht werden sollen. 4. Die unterste und operative Ebene der Orientierungen in Veränderungsprozessen bilden Aktionspläne, Arbeitsaufträge und Zielvereinbarungen, die Vision, Leitbild und Programm bis hin zu einzelnen Handlungsschritten ausformulieren. Diese können beispielsweise in einem detaillierten Projektverlaufsplan festgehalten werden, in Teilprojekte gegliedert sein oder als Team- bzw. Abteilungsaufgabe definiert sein (siehe F.u.Z., Kapitel 5.2.5: Projekte und Projektarbeit). Zusammenfassend kann der Zusammenhang zwischen Vision, Leitbild, Programm und Aktionsplänen folgendermaßen visualisiert werden (Abbildung 16).
Abbildung 16: Der Zusammenhang zwischen Vision, Leitbild, Programm und Aktionsplänen
Nachfolgend wird genauer auf die Vision, das Leitbild und das Programm eingegangen (für die Arbeit mit kurzfristigeren Zielen oder einzelnen Aufträgen siehe F.u.Z., Kapitel 5.2.2: Zielvereinbarungen). Bei der Formulierung einer Vision ist es wichtig, auf eine von den Beteiligten gemeinsam geteilte Vision hinzuarbeiten, da sonst die Gefahr besteht, dass die aktiven ›Visionäre‹ schnell zu einer Gruppe von ›Spinnern‹, ›Träumern‹, ›Traumtänzern‹, ›Verrückten‹ oder auch ›Fanatikern‹ herabgewürdigt werden
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Organisationsentwicklung und Change Management
(vgl. Hallinger u. Heck, 2002, S. 9 ff.; siehe auch F.u.Z., Kapitel 3.4.5: Transaktionale, transformationale und charismatische Führung und Kapitel 6.5.1: Rollen in Veränderungsprozessen). Ergänzend zu den Kriterien für gute Zielformulierungen (siehe F.u.Z., Kapitel 5.2.1: Kriterien guter Zielformulierungen), lassen sich für eine weitreichendere Vision einige Aspekte ergänzen (vgl. Senge, 1996, S. 251 ff.): –– Ein ›griffiges‹ und glaubwürdiges, aber auch anspruchsvolles Bild davon, wie die Organisation zu einem festgelegten Zeitpunkt in der Zukunft sein soll (z. B. auch gestützt durch ein Motto oder einen Slogan). Dieses Bild sollte für den angedachten Zeitraum Gültigkeit haben können. –– Aussagen über den aktuellen Stand der Organisation mit ihren Ressourcen und Stärken. –– Aussagen über Veränderungen, durch die die Organisation die Vision verwirklichen möchte. –– Aussagen über zu erwartende Veränderungen im Umfeld der Organisation. –– Ausrichtung auf eine Verbesserung der Situation für die (wichtigsten) Anspruchsgruppen. –– Alle in der Vision angesprochenen Aspekte sollten von den Beteiligten geteilt werden und die Zielerreichung sollte attraktiv für sie sein. In der Darstellung von John P. Kotter muss eine effektive Vision folgende Merkmale erfüllen (Kotter, 1998, nach Stolzenberg u. Heberle, 2006, S. 14; vgl. auch F.u.Z., Kapitel 5.2.1: Kriterien guter Zielformulierungen): –– Vorstellbar Sie vermittelt ein Bild, wie die Zukunft aussieht. –– Wünschenswert Sie berücksichtigt die langfristigen Interessen der Mitarbeiter, Kunden und anderer Anspruchsgruppen. –– Fassbar Sie beinhaltet realistische und erreichbare Ziele. –– Fokussiert Sie ist deutlich und gibt Hilfestellung bei Entscheidungen und Umsetzungen. –– Flexibel Sie ist allgemein genug, um unter sich verändernden Bedingungen individuelle Initiativen und alternative Reaktionen zuzulassen. –– Kommunizierbar Sie ist einfach darzustellen und kann in maximal fünf Minuten erfolgreich erklärt werden. Um die genannten Kriterien einer Vision zu erfüllen, ist es entscheidend, durch wen und in welcher Form sie erstellt wird. Entsprechend einer Aufgabenteilung in normatives, strategisches und operatives Management (siehe F.u.Z., Kapitel 1.3: Entscheidungs- und Aufgabenbereiche in Organisationen) bedeutet die Formu-
Strategische Ausrichtung von Organisationsentwicklung und Change Management 149
lierung der Vision eine normative und (makro-)strategische Ausrichtung für Veränderungsprozesse. Fragen der detaillierten Umsetzung sind hier noch nicht enthalten. Entsprechend der bisherigen Darstellung zu Sinn und Notwendigkeit einer übergreifenden Beteiligungspraxis kann die Erstellung einer Vision nicht allein Aufgabe des Top-Managements sein (siehe Kapitel 6.3.1: Initiierung und Beginn von Veränderungsprozessen). Eine Vision muss akzeptiert und transparent sein und Bestandteil der Alltagskommunikation werden. Die Mikro-Strategien einzelner Veränderungsschritte und ihre operative Umsetzung müssen – im Gegensatz zur Vision, dem Leitbild und dem Programm – nicht in allen Details transparent gemacht werden, sondern lediglich in ihren allgemeinen Arbeitsschritten (›Wer arbeitet gerade mit wem und mit welchem Ziel an welchem Thema?‹). Zu dieser Transparenz gehört auch die Kommunikation von erreichten Zielen, Meilensteinen und Ergebnissen (›Was wurde durch wen erarbeitet?‹, ›Wann startet eine neue Phase?‹, ›Was ist gelungen?‹). Die Vision hat hierbei eine ›Leuchtturm-Funktion‹, die allen Einzelaktivitäten eine Orientierung für ihre Detailplanung gibt. Der Leitsatz von Organisation und Organisationsveränderung lautet, dass ihre Form (Wie?) der Funktion (Wozu?) folgen soll (vgl. Doppler u. Lauterburg, 2005, S. 89 f.). Was im Rahmen der Organisationsentwicklung passiert, was dort an Strukturen aufgebaut wird und an konkreten Aufgaben erledigt wird, sollte direkt oder indirekt dazu dienen, die zuvor festgelegten Ziele zu erreichen. Das Leitbild erfüllt für alle Veränderungsprozesse eine Reihe von Funktionen, die hier bezogen auf Schule aus mehreren Quellen zusammengefasst dargestellt sind (vgl. Dubs, 2005, S. 67; mit Verweis auf Capaul u. Seitz, 1999 u. Strittmatter, 1996; Rolff et al., 1998, S. 112; Phillip u. Rolff, 2006, S. 14 ff.): 1. Zielsetzung Formulierung der Vision, der angestrebten Ziele. 2. Legitimation Begründung der Zielrichtung, auch hinsichtlich verschiedener Anspruchsgruppen. 3. Orientierung Standortbestimmung und Mittel zur Außendarstellung der Schule. Gemeinsame Ausrichtung und Verhaltensgrundlage der Beteiligten, etwa bei anstehenden Entscheidungen oder Problemen. Orientierung nach innen und außen, für das Verständnis des Organisationsverhaltens durch die verschiedenen Anspruchsgruppen. 4. Evaluation Grundlage für eine Überprüfung, ob und in welchem Umfang Ziele erreicht wurden. 5. Koordination Grundlage einer konsistenten Kommunikation zwischen den Beteiligten bezüglich vereinbarter Ziele, aber auch hinsichtlich verwendeter Begriffe und Definitionen.
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Organisationsentwicklung und Change Management
6. Motivation und Identifikation Antrieb für die Beteiligten an der Zielerreichung mitzuarbeiten. Stärkung der Identifikation der Beteiligten und Anspruchsgruppen mit der Organisation und ihren Zielen. Entwicklung eines Wir-Gefühls. 7. Schutz Festlegung von Handlungsspielräumen und erwünschten Verhaltensweisen, wodurch die Beteiligten bei entsprechenden Handlungen und Verhaltensweisen durch das vereinbarte Leitbild abgesichert sind. Leitbilder sollen zentrale Aspekte in möglichst wenigen Leitsätzen festhalten. Ein Programm kann genau die gleichen Aspekte beinhalten, nur dass es ausführlicher darauf eingeht, wie die Aspekte des Leitbildes umgesetzt werden sollen, wann und durch wen dies geschehen soll. Hierbei können das Leitbild und das Programm die gleiche Struktur aufweisen, wobei das Leitbild allgemein gehalten ist und auch zur Außendarstellung dienen kann, während das Programm einen internen Fahrplan darstellt. Die Struktur kann wie folgt gestaltet werden (vgl. Dubs, 2005, S. 71; Rolff et al., 1998, S. 112; Phillip u. Rolff, 2006, S. 75): 1. Grundlagen Sinn der Schule Menschenbild, Philosophie und pädagogische Grundhaltung Auftrag der Schule Strategische Ausrichtung, Bildungskonzept und staatlicher Auftrag Zukunftsvision Darstellung der langfristigen Ausrichtung 2. Organisation Führung der Schule Organisation der Schulleitung und Führungsverständnis Organisation der Schule Allgemeines Organisationsmodell der Schule Finanzen und Investitionen Budgetgestaltung und Investitionsplanung 3. Entwicklung Schulentwicklung Organisation oder Schulentwicklung Lehrerweiterbildung Organisation und Stellenwert der Lehrerweiterbildung Qualitätsmanagement Organisation des schulischen Qualitätsmanagements 4. Kooperation und Rollenverständnis Zusammenarbeit Verständnis und Formen der Zusammenarbeit mit den unterschiedlichen Anspruchsgruppen, insbesondere zwischen Lehrern, Schülern und Eltern
Strategische Ausrichtung von Organisationsentwicklung und Change Management 151
Unterrichtskonzept Didaktisches Verständnis, fächerübergreifender Unterricht und innerschulische Kooperation. Projekte und Programme Beziehungsgestaltung Konfliktmanagement, Umgang mit Heterogenität, Mitbestimmung und Mitwirkung Lehrerschaft Rolle und Aufgaben der Lehrerschaft In einer Konkretisierung der Schulprogramme bezogen auf Lehrpläne können auch folgende Inhalte aufgenommen werden (vgl. Fend, 2008, S. 85): –– Lernzielvorgaben, –– Fachinhalte, –– fachübergreifende Standards, –– allgemein- und fachdidaktische Verfahren, –– Planungsvorgaben für das Schuljahr, –– Übersicht über Lehr- und Lernmittel, –– Prüfungsformen, –– Niveauvorgaben, –– Testaufgaben. Für die Erstellung von Leitbildern und Programmen kann man sich an den verschiedenen vorliegenden Ablaufplänen, Strukturvorschlägen und Programmen orientieren, etwa an dem des Instituts für Schulentwicklungsforschung, das auch Eingangsanalyseinstrumente (das IFS-Schulbarometer) enthält, oder an anderen Ablaufplänen, die nicht direkt auf schulische Kontexte ausgerichtet sind (vgl. Phillip u. Rolff, 2006, S. 26–102; Dubs, 2005, S. 61–74; Ackermann, 2003, S. 109–130). In der Regel ist es hilfreich, sich zwar an bestehenden Vorlagen zu orientieren, diese aber auf den jeweiligen Kontext zuzuschneiden. Dies betrifft vor allem die Eingangsanalyse, die einen Ist- und Soll-Zustand der Einzelschule abbilden soll und nicht eine Bewertung hinsichtlich allgemeiner und eher unspezifischer Aspekte schulischer Organisation (vgl. Becker u. Langosch, 2002, S. 374–376; siehe O.u.OE. AH-06 ›Fragebogenvorlage zur Eingangsanalyse der Organisationsentwicklung‹ auf der Webseite zu diesem Buch). Bezüglich der Entwicklung von Visionen, Zielen, Leitbildern und Programmen ist vor allem dann Vorsicht geboten, wenn es in der Organisationsleitung schon Ziele oder Vorgaben gibt, die mit einer ›gespielten‹ Beteiligung der Belegschaft nur verschleiert oder transportiert werden sollen. Solche versteckten Ziele – die hidden agenda – etwa der Kostensenkung, des Personalabbaus, der Leistungsverdichtung, einer Teilbetriebsschließung oder einer Fusion machen Veränderungsprozesse unglaubwürdig und können sich kontraproduktiv auswirken. Mit Überschriften, wie ›Modernisierung‹ oder ›Optimierung der Marktausrichtung‹ wird hier lediglich beschönigt, dass es eigentlich um Einsparungen geht. Spä-
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Organisationsentwicklung und Change Management
testens im weiteren Verlauf führen versteckte Ziele in der Regel dazu, dass eine positive Stimmung und Beteiligung zu Beginn des Veränderungsprozesses ins Negative umschlägt. Nicht nur das gesteckte Ziel wird hierdurch gefährdet, sondern auch schon Erreichtes kann zunichtegemacht werden. Eine offene Kommunikation über Setzungen und Rahmenbedingungen zu Beginn kann dies verhindern. Ansonsten läuft man Gefahr, viel Energie von Mitarbeitern damit zu binden, gegen verdeckte Strategien vorzugehen und gegenzusteuern. Neben der hidden agenda der Leitung gibt es auch noch viele individuelle sowie gruppenbezogene versteckte Ziele, Hemmnisse, Sichtweisen, Bedürfnisse, Erlebnisse und Gefühle, die als ›Subtext‹ unter den öffentlich kommunizierten Zielen, Visionen und Strategien liegen und den Veränderungsprozess sowohl positiv als auch negativ beeinflussen können. Hierzu gehören Versagens ängste, Angst vor Veränderung und Neuem, Angst vor Verlust von Macht und Einfluss, Angst vor ›politischen und kulturellen Turbulenzen‹, Hoffnungen auf einen neuen Status und Privilegien, Blockaden, Neid und Missgunst, ›Leichen im Keller‹, vergangene Erfahrungen und Kränkungen, Rivalitäten und Konkurrenzen sowie informelle Netzwerke und Seilschaften (vgl. Doppler u. Lauterburg, 2005, S. 205). In einem Organisations- oder Veränderungsklima, in dem diese Aspekte nicht offen benannt und besprochen werden können, werden sie häufig hinter Schein- und Sachargumenten versteckt, hinter ›Killerphrasen‹ und Abwartestrategien, oder sie führen gar zu Versuchen der Sabotage. Wenn Veränderungsziele und -visionen nur Lippenbekenntnisse sind, zeigen sich verdeckte Ziele als machtvolle Hindernisse für Veränderungen.
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Übungen: A. Was ist Ihre Vision für Ihre Schulklasse? Definieren Sie Grobziele, die Sie Ihrer Vision näherbringen. Entwerfen Sie mit Ihrer Klasse ein Motto, einen Leitsatz oder einen Slogan. B. Was ist Ihre Vision für Ihre Schule? Definieren Sie Grobziele, die Sie Ihrer Vision näherbringen. Entwerfen Sie im Kollegium ein Motto, einen Leitsatz oder einen Slogan. C. Was könnte zur hidden agenda gehören, wenn die Lehrer Ihrer Schule allein über die Zielrichtungen von Veränderungsprozessen entscheiden? Was, wenn dies durch die Schüler geschieht? Oder durch die Eltern? D. Entwerfen Sie einen Fragebogen zur ›Eingangsanalyse für Verände rungsprozesse‹ nach dem vorgegebenen Muster (siehe O.u.OE. AH-06: ›Fragebogenvorlage zur Eingangsanalyse der Organisationsentwicklung‹ auf der Webseite zu diesem Buch). Nehmen Sie ihn als Ausgangspunkt für die Identifikation von Veränderungsnotwendigkeiten und Veränderungsmöglichkeiten.
Strategische Ausrichtung von Organisationsentwicklung und Change Management 153
6.2.2 Bezugspunkte der Organisationsentwicklung Am Anfang von Entwicklungs- und Veränderungsprozessen in Organisationen steht – nachdem die Zielrichtung bzw. Zukunftsvision klar ist – das Erstellen eines Bildes der vorhandenen Strukturen und Ressourcen der Organisation, die für die Erreichung der weitreichenden Ziele notwendig sind. Detaillierungen, etwa die Formulierung von Feinzielen und Vorgehensweisen, ergeben sich in der Regel erst im Verlauf des Veränderungsprozesses unter der Mitwirkung vieler am Veränderungsprozess beteiligter Personen. Die möglichen Handlungsfelder späterer Veränderungen werden zunächst im Rahmen einer Eingangsanalyse gezielt betrachtet (siehe Kapitel 6.3.2: Durchführung der Eingangsanalyse). Eine gute Übersicht über mögliche Ansatzpunkte liefert das Diagnose-Dreieck von Horst Becker, das implizit auch die Qualitäts bereiche Input, Prozesse und Output beinhaltet (Abbildung 17; erstellt und ergänzt nach Becker u. Langosch, 2002, S. 93; siehe Kapitel 5: Schulische Qualitätsmodelle und -managementsysteme):
Abbildung 17: Diagnose-Dreieck der Organisationsentwicklung
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Organisationsentwicklung und Change Management
In diesem Schaubild sind alle relevanten internen und externen Aspekte der Analyse und Veränderung mit den dazugehörigen Ansatzpunkten der Organisationsentwicklung dargestellt. Hinter den aufgeführten Überschriften verbirgt sich eine Vielzahl von Einzelthemen, die zudem noch stark miteinander vernetzt sind. Eine Veränderung interner Produktionsabläufe kann etwa mit Aspekten der Produktqualität, Auslieferung und Kundenzufriedenheit in Zusammenhang stehen, ebenso wie mit der Zufriedenheit der Mitarbeiter. An welcher Stelle des komplexen Systems einer Organisation man auch mit Veränderungen ansetzt, es ergeben sich im Zweifelsfall (Aus-)Wirkungen an ganz anderer Stelle (siehe Kapitel 6.5.3: Erfolgs- und Misserfolgskriterien der Organisationsentwicklung). Wichtig sind daher gut aufeinander abgestimmte Maßnahmen zur Veränderung und der Blick auf die sich daraus ergebenden Wirkungen und Nebenwirkungen. Die Vielzahl der in dem Schaubild aufgezeigten Faktoren der inneren und äußeren Umwelt der Organisation lässt sich weiter untergliedern. Hierbei kann unterschieden werden zwischen Faktoren, die relativ einfach verändert werden können und Faktoren, die nur schwer oder gar nicht veränderbar sind (vgl. Doppler u. Lauterburg, 2005, S. 457 f.; Vahs, 2007, S. 320 ff.). Die Faktoren, die schwer oder gar nicht veränderbar sind, betreffen prinzipiell strukturelle und externe Aspekte, wie sie ähnlich auch in dem 7-S-Modell von Thomas Peters und Robert Waterman als ›harte Faktoren‹ von ›weichen Faktoren‹ unterschieden werden (Peters u. Waterman, 1984, siehe F.u.Z., Kapitel 3.2.1: Innere und äußere Einflussfaktoren der Organisation). Ziele und Identität (Leitbild-Entwicklung) veränderbar: –– Organisationsziele –– Organisationsleitbild –– Organisationsphilosophie –– Strategie –– Vision Beziehungen (Kommunikationsentwicklung) veränderbar: –– Verhalten des Managements –– Führungsgrundsätze –– Führungsinstrumentarium –– Personalpolitik –– Belohnungs- und Sanktionsprinzipien –– Regelkommunikation –– Kooperation zwischen Abteilungen –– Gestaltung sozialer Ereignisse –– Feste, Feiern, Events
Strategische Ausrichtung von Organisationsentwicklung und Change Management 155
Aktivitäten (Entwicklung von Prozessen und Abläufen) veränderbar: –– Sitzungsgestaltung –– Informationsfluss –– Produktionsabläufe –– Controlling –– Qualitätssicherung –– Methoden und Verfahren Strukturen (Strukturentwicklung) veränderbar: –– Organisationsstruktur –– Arbeitsplatzgestaltung –– Architektur und Raumgestaltung –– Regelungsdichte schwer oder gar nicht veränderbar: –– Produktionsmittel –– Personalstruktur –– Größe der Organisation –– Nationalität –– Geografische Lage –– Eigentumsstruktur –– Alter und Geschichte der Organisation Markt und Kunden (Entwicklung der Markt- und Kundenorientierung) veränderbar: –– Bonus- und Absatzsysteme –– Beschwerdemanagement –– Kundendienst –– Außendienstarbeit –– Beratung –– Werbung schwer oder gar nicht veränderbar: –– Produkt- und Dienstleistungssparte (Branche) –– Kunden –– Mitbewerber und Konkurrenz Umfeld (Entwicklung der System-Umwelt-Anpassung) veränderbar: –– Lobbyarbeit –– Ruf der Organisation
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Organisationsentwicklung und Change Management
–– Informationspolitik und Medien –– Sponsoring –– Umweltschutz schwer oder gar nicht veränderbar: –– Gesetzgebung, Verordnungen und Bestimmungen –– Steuern und Abgaben –– Überprüfungen Eine weitere Sortierung von Ansatzpunkten der Organisationsentwicklung bietet der sogenannte MTO-Ansatz (Mensch, Technik und Organisation). Hier wird hinsichtlich anstehender Veränderungen unterschieden zwischen (vgl. Krause, 2004, S. 125): –– Primäraufgaben (z. B. Produktion, Dienstleistung), –– Sekundäraufgaben, –– Systemerhaltung (z. B. Unterhalt, Wartung, Schulung), –– Regulation (z. B. Steuerung, Koordination). Zunächst müssen in einer Organisation also die Primäraufgaben klar definiert sein. Dies kann auf die gesamte Schule oder auf eine Schulkasse bezogen zunächst eine Einigung darüber bedeuten, was überhaupt das Produkt bzw. das Kern geschäft ist (siehe Kapitel 3.1: Die ›Produkte‹ von Schule). Für eine Eingangsanalyse und die Auswahl von Handlungsfeldern der Organisationsentwicklung werden die definierten Primär- und Sekundäraufgaben im MTO-Ansatz jeweils weiter differenziert in: –– technische Teilsysteme z. B. Betriebsmittel, technologische Bedingungen, räumliche Bedingungen –– soziale Teilsysteme z. B. Organisationsmitglieder, individuelle Bedürfnisse und Qualifikationen, gruppenspezifische Bedürfnisse, Arbeitsklima Grundlegendes Ziel der Organisationsgestaltung ist es im MTO-Ansatz, die technischen und sozialen Teilsysteme hinsichtlich der Primäraufgaben und nachrangig auch hinsichtlich der Sekundäraufgaben zu optimieren (vgl. Krause, 2004, S. 126). Der entscheidende Aspekt dieses Ansatzes ist die klare Ausrichtung auf die Primäraufgabe der Organisation, wodurch sichergestellt werden soll, dass Organisationsentwicklungsprozesse nicht der reinen Selbsterhaltung und Verbesserung der Abläufe dienen, sondern der Ausrichtung auf die erzielten Ergebnisse (siehe Kapitel 5: Schulische Qualitätmodelle und -managementsysteme, Kapitel 6.1.1: Best Practice und Kapitel 6.1.2: Next Practice). Es gibt aber bei der Analyse der Organisation und der Festlegung von Veränderungsfeldern noch weitere Faktoren zu beachten. Vor allem gilt es ein ausgeglichenes Verhältnis zwischen den Bedürfnissen der verschiedenen
Strategische Ausrichtung von Organisationsentwicklung und Change Management 157
Anspruchsgruppen zu erreichen, indem Aspekte der inneren und äußeren Umwelt, der Effektivität, Produktivität und Menschlichkeit gleichermaßen berücksichtigt werden (vgl. 3.2: Anspruchsgruppen, Märkte und Vermarktung und F.u.Z., Kapitel 4: Organisationen im Spannungsfeld von Individualisierung und Standardisierung). »Ebenso, wie das Unternehmen die Bedürfnisse des Marktes befriedigen muss, um existieren zu können, muss es auch die Bedürfnisse der im Unternehmen tätigen Menschen befriedigen. Bemerkenswert ist, dass sich die Ziele der Organisation und die Bedürfnisse der Organisationsmitglieder keineswegs diametral widersprechen, sondern dass sie sich wechselseitig entsprechen, in Grenzfällen sogar kongruent werden können.« (Becker u. Langosch, 2002, S. 14)
Diese Ansprüche müssen in der Eingangsanalyse zunächst sichtbar gemacht werden, um überhaupt im Veränderungsprozess berücksichtigt werden zu können. Eine weitere wichtige Blickrichtung für die Eingangsanalyse ist ein Abgleich zwischen formellen und informellen Strukturen und Abläufen. Da sich informelle Strukturen und Abläufe in der Regel als Verbesserung oder zur Kompensation formaler Strukturen und Abläufe etablieren, gilt es diese in Organisationsentwicklungsprozessen aufzugreifen, zu übernehmen oder zu verändern (vgl. Becker u. Langosch, 2002, S. 418; siehe Kapitel 2.2.4: ›Tatsächliche‹ Strukturformen von Organisationen und ihre Ablauforganisation und Kapitel 2.3.1: Organisationskultur). Dies kann z. B. dadurch geschehen, dass informelle in formelle Strukturen überführt werden, sofern sie der Organisation und den beteiligten Personen nützen, oder indem die Notwendigkeit der Kompensation unproduktiver oder inhumaner Strukturen und Abläufe verringert wird bzw. indem produktivere Formen der Kompensation für die Organisation und ihre Angehörigen geschaffen werden. Da informelle Strukturen häufig eine Form des ›Geheimwissens‹ darstellen, gilt es nicht nur, diese zu erfragen, sondern auch einen Vertrauensrahmen zu schaffen, indem diese sanktionsfrei geäußert werden können und nicht der Verlust von bisher erfolgreichen informellen Strukturen droht. Ein Blick auf schulische Organisationsentwicklung zeigt, dass dort recht spezifische Handlungsbereiche definiert werden, auf die sich die Eingangsanalyse und die Veränderungsplanung beziehen. Hier werden drei zentrale Bereiche definieren (Kempfert u. Rolff, 2005, S. 39; vgl. auch Dubs, 2005, S. 214 ff. u. 233 ff.): 1. Unterrichtsentwicklung –– fachliches Lernen –– Schülerorientierung –– überfachliches Lernen –– Methodentraining –– Selbstlernfähigkeit
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–– –– –– ––
Organisationsentwicklung und Change Management
Öffnung erweiterte Unterrichtsformen Lernkultur etc.
2. Personalentwicklung –– Lehrer-Feedback –– Supervision und Coaching –– Kommunikationstraining –– Schulleitungsberatung –– Hospitationen –– Jahresgespräche und Zielvereinbarungen –– Führungs-Feedback –– etc. 3. Organisationsentwicklung –– Schulprogramm –– Schulkultur –– Erziehungsklima –– Schulmanagement –– Teamentwicklung –– Evaluation –– Kooperation –– Steuergruppe –– etc. Diese Auflistung zeigt detailliert die möglichen Handlungsfelder schulischer Organisationsentwicklung speziell im Bereich der ›weichen Faktoren‹ und richtet den Blick eher ins Innere der Organisation. Verglichen mit dem Diagnose- Dreieck fehlt aber auch eine Auflistung zu Strukturen, Umfeld, Markt und Kunden. Wichtig ist es jedoch auch für Schulen, einen möglichst weiten Blick auf die Ausgangsbedingungen und Veränderungsmöglichkeiten zu werfen, der dann auch Aspekte wie Werbung und Vermarktung, Corporate Identity, System- Umfeld-Anpassung, Beratung, Serviceangebote, Beschwerdemanagement und dergleichen mehr beinhaltet. Sinnvollerweise sollte die Detaillierung der Ansatzpunkte unter Rückgriff auf Modelle der Organisationsanalyse und -entwicklung in der einzelnen Schule erfolgen (siehe Kapitel 5: Schulische Qualitätsmodelle und -managementsysteme).
Initiierung und Steuerung von Organisationsentwicklungsprozessen159
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Übungen: A. Benennen Sie anhand des Diagnose-Dreiecks konkrete Handlungsfelder der Organisationsentwicklung in Ihrer Schule. Welche davon lägen allein im Interesse einer höheren Effizienz und Produktivität, welche wären allein im Hinblick auf die Zufriedenheit einer Anspruchsgruppe ausgerichtet? Welche lägen sowohl im Interesse einer höheren Effizienz und Produktivität als auch im Interesse der Zufriedenheit mehrerer Anspruchsgruppen? B. Benennen Sie informelle Strukturen, die sich auf gar keinen Fall ändern sollten. Wäre es hilfreich, wenn diese formell vorgesehen wären? Benennen Sie informelle Strukturen, die auf jeden Fall verändert werden sollten. Wäre es hilfreich, wenn diese formell untersagt und sanktioniert würden?
6.3 Initiierung und Steuerung von Organisationsentwicklungsprozessen Bei der Initiierung und Durchführung von Organisationsentwicklungsprozessen müssen (Projekt-)Strukturen geschaffen werden, die ergänzend zu der regulären Organisation bestehen und den Verlauf der Veränderungsprozesse organisieren und steuern. Der Beginn und die Steuerung von Organisationsentwicklungsprozessen müssen hierzu gut geplant werden und auf Chancen und Risiken in ihrem Verlauf muss man vorbereitet sein.
6.3.1 Initiierung und Beginn von Veränderungsprozessen Gerade in hierarchischen Organisationsstrukturen stellt sich zu Beginn von Veränderungsprozessen die Frage, wer diese initiiert, wer die Zielrichtung festlegt und unter welcher Beteiligung einzelne Arbeitsschritte erledigt werden sollen. Diese Aspekte von Organisationsentwicklung sind sehr sensibel zu handhaben, da sie entscheidend dafür sind, wie stark die Prozesse von den Angehörigen der Organisation mitgetragen werden. Der Beginn von Veränderungsprozessen kann sich als ›energetisierender Motor‹ der Veränderung zeigen, aber auch als ›demotivierende Bremse‹. Hinsichtlich der betrieblichen Beteiligungspraxis und der Mitarbeiterzufriedenheit kann von der Einführung einer Organisa tionsentwicklung – ebenso wie bei der Zusammensetzung der Steuergruppe – eine Signalwirkung ausgehen, die über Ansehen und Erfolg der Veränderungen entscheiden kann. Bezogen auf die Hierarchie der Organisation sind fünf grundlegende Strategien der Initiierung von Veränderungsprozessen möglich (Abbildung 18; vgl. Becker u. Langosch, 2002, S. 300 ff.; mit Bezug auf Glasl u. Houssaye, 1975):
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Organisationsentwicklung und Change Management
1. Top Down Start und Steuerung in der Organisationsspitze mit fortschreitendem Einbezug der nachfolgenden Ebenen Vorteil: Gute Steuerung Risiko: Misstrauen und Blockaden durch die unteren Ebenen 2. Bottom Up Start und Steuerung in der Organisationsbasis mit fortschreitendem Einbezug der höheren Ebenen Vorteil: Gute Ausrichtung auf Bedürfnisse und Erwartungen der unteren Hierarchieebenen Risiko: Schwierigkeit, obere Ebenen für die formulierten Anliegen zu gewinnen 3. Top Down – Bottom Up (bipolare Strategie) Start und Steuerung in der Organisationsspitze und in der Organisationsbasis mit fortschreitendem Einbezug der dazwischenliegenden Ebenen Vorteil: Schnelle Verbreitung, frühe Einbeziehung von Führungs- und Mitarbeiterinteressen Risiko: Schwer zu überwindende Diskrepanzen zwischen oberen und unteren Hierarchieebenen, Blockaden in den mittleren Hierarchieebenen (›Sandwichposition‹) 4. Start im Mittelbau (Keil- oder Sandwich-Strategie) Start und Steuerung in der mittleren Organisationsebene mit fortschreitendem Einbezug der höheren und nachfolgenden Ebenen Vorteil: Start in einer gut qualifizierten Mitarbeitergruppe mit regulären Kontakten nach oben und unten, Unabhängigkeit des Prozesses von oberer Führung und Führungswechseln Risiko: Schwierige Vermittlung von Gedanken und Zielen der Organisations entwicklung 5. Start in vielen Bereichen (Multiple-Nukleus-Strategie) Start und Steuerung in vielen Gruppen auf unterschiedlichen Hierarchie ebenen Vorteil: Geringe Unruhe, wenig Misstrauen, hohe Beteiligungsmöglichkeiten, Themen- und Ideenvielfalt Risiko: Schwierige Koordination und Abstimmung, schlechte Einmündung in eine Gesamtstrategie
Initiierung und Steuerung von Organisationsentwicklungsprozessen 161
Abbildung 18: Verschiedene Strategien der Initiierung und Steuerung von Veränderungs prozessen
In der Praxis findet man in der Regel Mischstrategien, sodass etwa in der Vorbereitungsphase von oben nach unten oder in vielen Bereichen mit Projekten von geringer Intensität begonnen wird. In einer nachfolgenden Intensivphase erfolgt eine Steuerung von oben unter Einbeziehung und Beteiligung von Mitarbeitern unterschiedlicher Hierarchieebenen bei der Planung und Durchführung von Projekten (vgl. Becker u. Langosch, 2002, S. 302). Die passende Strategie lässt sich auch an den Themen und Zielen der Organisationsentwicklung ausrichten. Wenn es um eher technische Veränderungen geht, können auch Top-down- oder Bottom-up-Strategie oder das Einsetzen einer Arbeitsgruppe zu den gewünschten Ergebnissen führen. Sollen aber möglichst viele Organisationsangehörige zustimmen und mitwirken, sind partizipative Veränderungsformen sinnvoller. Dies gilt vor allem bei Themen, die die Mitglieder der Organisation emotional betreffen und auch aktive Veränderungen in ihrem Verhalten notwendig machen. Das Maß des für den Erfolg notwendigen Commitments zu den Zielen und Strategien ist hierfür entscheidend (siehe F.u.Z., Kapitel 4.3.2: Identifikation und Bindung). Hinsichtlich einiger Themen mag eine weite Beteiligungspraxis in der Organisationsentwicklung sogar zwingend sein, etwa wenn es um Themen der Demokratisierung, Humanisierung und Teilhabe (Inklusion) geht. Die Entwicklungsprozesse sollten hierbei eine
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Organisationsentwicklung und Change Management
gewisse ›Selbstähnlichkeit‹ mit den angestrebten Zielen und Werten aufweisen (Lindemann, 2016, S. 38). Die Entwicklung demokratischer Strukturen setzt ein demokratiebasiertes Vorgehen voraus. Auf dem Weg zu mehr Teilhabe sollten bereits Möglichkeiten der Teilhabe etabliert werden. Wichtig ist bei jedem gewählten Vorgehen eine transparente Planung der einzelnen Prozessschritte und eine gut abgestimmte Auswahl der jeweils beteiligten Personen (siehe Kapitel 6.4.5: Architektur und Design von Veränderungsprozessen). Die Beteiligung der Organisationsangehörigen und auch relevanter externer Personen nimmt für die Initiierung von Veränderungsprozessen eine zentrale Stellung ein, die Klaus Doppler und Christoph Lauterburg folgendermaßen pointieren: »In einer […] provokativen Selbstinszenierung des Managements als Problemlöser sind den Mitarbeitern logischerweise die komplementären Rollen von Wasserträgern, Messdienern und staunenden Bewunderern zugedacht. Die ›Attraktivität‹ dieser Zuschauerrolle – zumal wenn man weiß, dass die eigene Haut mitverhandelt wird – bedarf keines weiteren Kommentars.« (Doppler u. Lauterburg, 2005, S. 86 f.)
Gerade für erste Analyseschritte und als ›Start Up‹ für Veränderungsprozesse bieten sich Großgruppenmethoden an, die möglichst viele der relevanten Anspruchsgruppen einbeziehen können. Nach einer guten Vorbereitung und Auftragsklärung in der Organisationsführung bietet sich hier die Möglichkeit, den Anlass der Organisationsentwicklung, die eigene Grundhaltung und vorgesehene Beteiligungspraxis des Veränderungsprozesses transparent zu machen und etwaige externe Moderatoren und Berater einzuführen. Eventuell können schon vorher über ein Rundschreiben oder eine Einladung Informationen weitergegeben werden, z. B. zur Funktion und Zusammensetzung einer noch zu bildenden oder schon bestehenden Steuergruppe. Auf solchen Start-Up-Veranstaltungen lässt sich mit den verschiedensten Arbeits- und Visualisierungsmethoden zunächst sehr gut eine Übersicht erstellen, wie sich die Organisation in ihren Stärken und Schwächen für die Beteiligten darstellt (siehe Kapitel 6.3.2: Durchführung der Eingangsanalyse): –– Wie wurde die Organisation in ihrer Vergangenheit gesehen? –– Wie wird sie heute gesehen? –– Wie wird sie von verschiedenen Abteilungen gesehen? –– Wie wird sie von außen gesehen? In einem weiteren Schritt kann es dann um die Entwicklung einer gemeinsamen Vision für die Zukunft oder eine Analyse kommender Chancen und Gefahren gehen (siehe Kapitel 6.2.1: Vision, Leitbild, Programm und Aktionspläne): –– Wie soll die Organisation in fünf (zehn, fünfzehn) Jahren von innen heraus betrachtet aussehen? –– Wie soll die Organisation in fünf (zehn, fünfzehn) Jahren aus Perspektive der Kunden aussehen?
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Großgruppenmethoden bieten nicht nur einen guten Startpunkt für Veränderungsprozesse, sondern lassen sich auch als ›Resonanz-Raum‹ für laufende Veränderungsschritte einsetzen, um Feedbackschleifen zu etablieren oder erreichte Meilensteine und Projektabschnitte zu markieren (siehe F.u.Z., Kapitel 5.2.5: Projekte und Projektarbeit). Für den Ablauf und die Dokumentation der Ergebnisse von Großgruppenveranstaltungen gibt es unterschiedliche Möglichkeiten und Formate wie Zukunftskonferenz, Open Space, Whole System Approach oder World Café, die je nach der anstehenden Aufgabe, den erwünschten Ergebnissen und vorhandenen zeitlichen, räumlichen und materiellen Mitteln ausgewählt werden können (vgl. Holman u. Devane, 1999; Brown u. Isaacs, 2007).
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Übung: Entwerfen Sie eine mögliche Timeline für die Initiierung eines Verände rungsprozesses. Beschreiben Sie die einzelnen Elemente, Arbeitsgruppen und Beteiligten. Erstellen Sie einen Projektverlaufsplan für die Initiierung und definieren Sie Zielvereinbarungen für die einzelnen Teilschritte (siehe F.u.Z., Kapitel 5.2.5: Projekte und Projektarbeit und F.u.Z., Kapitel 5.2.2: Zielvereinbarungen).
6.3.2 Durchführung der Eingangsanalyse Nachdem die Blickrichtung der Eingangsanalyse und Organisationsentwicklung festgelegt ist, müssen im nächsten Schritt Informationen über den Ist- und Soll-Zustand der Organisation gesammelt werden. In der ersten Diagnosephase werden mithilfe verschiedener Methoden der Datenerhebung vorhandene Belastungen und Ressourcen der Organisation erhoben, um darauf aufbauend Ziele und Veränderungsschritte zu entwerfen. Hierbei können sowohl qualitative Aussagen (z. B. Statements, Paraphrasierungen, Wünsche, Aufzählungen, Bestandslisten) als auch quantitative Daten erhoben werden (z. B. Absatzzahlen, Qualitätsbeurteilungen, Stückzahlen, Rankings). Für solche Analysen können folgende Methoden verwendet werden (vgl. Becker u. Langosch, 2002, S. 107 f.; vgl. auch Dubs, 2005, S. 222 f.): –– Einzel- und Experteninterviews (telefonisch, persönlich), –– Gruppeninterviews (strukturiert, unstrukturiert), –– Betriebsbegehungen, Besichtigungen, Besuche, –– Beobachtungen (teilnehmend, vermittelt), –– Fragebögen, –– Arbeitsablaufanalyse, –– Dokumentenanalyse (z. B. von Geschäftsberichten, Organisationsplänen, Stellenbeschreibungen, Führungsgrundsätzen, Anstellungsbedingungen, Ausschreibungen, Konzepten, Ausschussquoten, Unfallziffern, Krankenstand, Fluktuationsrate etc.),
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Organisationsentwicklung und Change Management
–– Erfassen von Kennzahlen (z. B. Umsatz, Gewinn, Eigenkapital, Fremdkapital, Liquidität, Cashflow), –– Kundenbefragung (Image-Untersuchung), –– Diagnoseworkshops, Großveranstaltungen. Drei klassische Methoden der Eingangsanalyse sind die Ist-Soll-Abfrage, die Profilierungsmatrix und die SWOT-Analyse: Eine Ist-Soll-Abfrage besteht aus feststehenden Aussagen zu verschiedenen Bereichen, die durch die befragten Personen dahingehend bewertet werden sollen, in welchem Umfang sie schon zutreffen (Ist) und in welchem Umfang sie zutreffen sollen (Soll). Diese Aussagen sind so formuliert, dass sie ein vereinbartes oder im Leitbild festgeschriebenes Ziel darstellen, z. B. ›Konflikte in der Klasse werden zeitnah geklärt‹ oder ›Die Schulleitung regelt notwendige Vertretungen selbstständig und allein verantwortlich‹. Zu diesen Zielaussagen werden dann Ist- und Soll-Bewertungen abgegeben, beispielsweise in Skalenwerten (1 = wenig; 6 = viel). Ergänzend zu einer quantitativen Erfassung über einen Zahlenwert können auch qualitative Aussagen erfragt werden, wie ›Woran genau merken Sie, dass es so ist?‹ und ›Was wäre ein erster Schritt, um die Situation zu verbessern?‹ (siehe z. B. F.u.Z. AH-16 ›Fragebogen zur Humanisierung von Arbeitsbedingungen‹ auf der Webseite zu diesem Buch). Prinzipiell werden durch solche Befragungen die Einschätzungen der Befragten und ihre Zufriedenheit überprüft. Ergänzend sind auch immer Daten aus anderen Quellen notwendig, gerade dort, wo diese messbar sind oder wo externe Vorgaben erfüllt werden müssen. Daten aus verschiedenen Quellen (z. B. Befragung verschiedener, interner und externer Personengruppen, Messungen, Benchmarks, Vergleichstests) können auch sehr gut miteinander verglichen werden, etwa um Übereinstimmungen und Differenzen von Selbst- und Fremdwahrnehmung zu überprüfen und somit ›blinde Flecken‹ der Organisation aufzudecken. Mit einer Ist-Soll-Befragung lassen sich mehrere Aspekte der Organisationsgestaltung überprüfen, z. B.: –– Wie gut sind die Ziele in der Wahrnehmung der Befragten erfüllt? –– Wie groß ist der Abstand zwischen dem Ziel (Soll) und seiner Erfüllung (Ist) in der Wahrnehmung der Befragten? –– Wie groß ist die Streuung bzw. Einheitlichkeit der Einschätzungen der Befragten? Wenn zudem personenbezogene Daten wie Geschlecht, Alter und Arbeitsbereich erhoben werden, können auch Differenzen und Gemeinsamkeiten herausgearbeitet werden, z. B.: –– In welchen Teilbereichen der Organisation sind Ziele in der Wahrnehmung der Befragten gut oder schlecht erfüllt? –– Welche Personengruppe (Geschlecht, Alter, Arbeitsbereich) erachtet die erfragten Aspekte als besser oder schlechter erfüllt? –– Welche Personengruppe (Geschlecht, Alter, Arbeitsbereich) erachtet die Bearbeitung welcher Aspekte als wichtig (Ist-Soll-Differenz)?
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Die im Rahmen einer Ist-Soll-Analyse durchgeführte ›Ziel- und Erfüllungsüberprüfung‹ kann dann dazu verwendet werden, eine Prioritätenliste von Veränderungsschritten zu erstellen. Zudem gibt sie Auskunft über Bereiche, die bereits gut erfüllt sind und spiegelt somit bestehende Qualität in den Strukturen und Abläufen wieder. Hierbei ist es wichtig zu bedenken, welche Bereiche überhaupt durch eine solche Befragung erfasst werden sollen. Dort, wo ›harte Kriterien‹ vorliegen, die auf andere Weise überprüft werden können, wie Stückzahlen oder die Schülerleistungen bei Vergleichstests, sollte primär auf diese zurückgegriffen werden. Es ist daher notwendig zu entscheiden, wo die Einschätzungen von Organisationsmitgliedern erhoben und wo andere Quellen der Einschätzung und Bewertung genutzt werden. Die Darstellung der Ergebnisse einer Ist-Soll-Befragung lassen sich in einem Raster darstellen, in dem für jede Antwort in dem entsprechenden Feld ein Punkt markiert wird (Abbildung 19). Hierdurch lassen sich Gruppen zusammenfassen oder auch Fraktionen unter den Befragten identifizieren. In Verbindung mit personenbezogenen Daten können diese Gruppen auch genauer gefasst werden, etwa als Angehörige einer bestimmten Abteilung, Fachgruppe oder Jahrgangsstufe, als interne und externe, als alte und junge Befragte, als Männer und Frauen. Wichtig ist – wie bei allen Befragungen –, dass hierbei der Datenschutz gewährleistet ist, sodass keine einzelnen Personen identifiziert werden können, und dass eine entsprechende Offenheit besteht, sich mit verschiedenen Sichtweisen und auch Gruppenmeinungen auseinanderzusetzen.
Abbildung 19: Auswertungsraster für Ist-Soll-Analysen
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Ein wichtiger Aspekt ist hierbei auch, wie einheitlich die Einschätzungen der befragten Personen sind, da vor allem solche Ziele Erfolg versprechend sind, die auf große Zustimmung im Kollegium treffen (siehe Kapitel 7: Gelingensbedingungen von Schulentwicklung). Möglicherweise befinden sich bestimmte Wertungen in einem Arbeitsbereich in der Zone der Irrelevanz und in einem anderen in der Zone schlechter Qualität und Unzufriedenheit. Hier sollte geprüft werden, ob Veränderungen nur in Teilbereichen stattfinden können oder ob sie die ganze Organisation einschließen müssen. Dort, wo wichtige Veränderungen von möglichst allen Beteiligten mitgetragen werden müssen, ist es entscheidend, sich mit sehr unterschiedlichen Einschätzungen auseinanderzusetzen, um eine Entwicklungsrichtung festlegen zu können. Eine stark kunden- und serviceorientierte Analyseform für Organisations entwicklungsprozesse, die der Ist-Soll-Abfrage sehr ähnlich ist, ist die Profilierungsmatrix. Hier wird zu vorher festgelegten Bereichen eine Befragung durchgeführt, die erhebt, für wie wichtig die Befragten diese Bereiche erachten und wie gut diese ihrer Meinung nach erfüllt sind. Diese Befragung kann auf interne Strukturen und Prozesse bezogen sein, aber auch – etwa als Kundenbefragung – auf die Außenwirkung und Serviceleistungen. Überträgt man die erhobenen Daten dann in eine Matrix, erhält man nicht nur Aufschluss darüber, wie die abgefragten Aspekte hinsichtlich ihrer Wichtigkeit und ihrem Erfüllungsgrad bewertet werden, sondern auch ob eine Veränderungsnotwendigkeit besteht (vgl. König, 2008, S. 144 ff.). Alles, was in der Analyse als wichtig, aber wenig erfüllt bewertet wird, sollte in seiner Erfüllung verbessert werden. Alles, was in der Analyse als unwichtig, aber voll erfüllt bewertet wird, kann hingegen in seinem Erfüllungsgrad verringert werden (Abbildung 20). Am relevantesten sind bei der Auswertung einer solchen Befragung die Bereiche, die als sehr wichtig und als wenig erfüllt angesehen werden (z. B. Wichtigkeit = 10, Erfüllungsgrad = 1). Bei kongruenten Werten (z. B. Wichtigkeit = 4, Erfüllungsgrad = 4) besteht kein unbedingter Handlungsbedarf. Bei als unwichtig erachteten Aspekten, die aber als gut erfüllt angesehen werden, lohnt es sich zu analysieren, ob in diesem Bereich mehr getan wird, als notwendig ist (z. B. Wichtigkeit = 2, Erfüllungsgrad = 7). Im Rahmen einer Profilierungsmatrix ist es auch hilfreich zu analysieren, wie Abweichungen in den Bewertungen der Befragten zustande kommen, z. B. wenn ein von allen Befragten als wichtig erachteter Bereich von einigen Befragten als wenig erfüllt und von anderen als voll erfüllt bewertet wurde. In Schulen könnte man hierzu beispielsweise nach Alter, Klassenstufe, Geschlecht, kulturellem Hintergrund, einzelnen Lehrern oder Fächern differenzieren. Hierdurch besteht die Möglichkeit in den als gut bewerteten Kontexten nach Aspekten zu suchen, die zu den guten Bewertungen geführt haben, um diese auch in anderen Kontexten zu etablieren (siehe auch Kapitel 6.1.1: Best Practice und Kapitel 6.1.2: Next Practice). So können bezogen auf Schule z. B. die Bereiche ›kollegiale Hospitation
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Abbildung 20: Bewertungsraster Profilierungsmatrix (vgl. König, 2008, S. 145)
und kollegiales Feedback‹ als sehr wichtig bewertet werden (8) in ihrer Erfüllung durch die Lehrer der Unterstufe als gut (7), durch die Lehrer der Oberstufe aber als gering (3) eingeschätzt werden. Hier könnten Erfolgsbedingungen der Unterstufe analysiert werden und daraus Empfehlungen für die Oberstufe entwickelt werden. Die erfragten Bereiche können auch hinsichtlich der Feststellung differenziert werden, dass einige Befragte einen Bereich als wichtig erachten, den andere als unwichtig bewerten. Hier kann überlegt werden, inwieweit der Bereich auf die jeweiligen Interessen der Befragten ausgerichtet werden kann oder eben nur für einige der Befragten angeboten wird (Abbildung 21).
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Abbildung 21: Beispiel einer Profilierungsmatrix (vgl. König, 2008, S. 146)
In dem abgebildeten Beispiel lassen sich in den Bereiche D und F Untergruppen bilden (D1 und D2, F1 und F2), wobei die Gruppen D1 und F1 den erfragten Bereich als wichtig bewerteten, die Gruppen D2 und F2 als unwichtig. Hier wäre es z. B. möglich, den Bereich nur für die Gruppen D1 und F1 zu erfüllen und den Erfüllungsgrad für diese Zielgruppen zu verbessern. Für die Gruppen D2 und F2 könnte das Angebot eingestellt werden oder es könnte versucht werden, die Wichtigkeit der Bereiche für diese Gruppen zu erhöhen. Die Bereiche A, G und I wurden ohne eindeutige Bildung von Untergruppen als wichtig, aber wenig erfüllt bewertet, die Bereiche H und L als gut erfüllt, aber wenig wichtig. Hier kann einerseits die Angebotsqualität in ihrem Erfüllungsgrad verbessert werden (A, G, I), andererseits kann das Angebot in den Bereichen H und L eingestellt, in seiner Ausgestaltung verändert oder seiner Relevanz verbessert werden. Ein weiteres Instrument der Eingangsanalyse ist die SWOT-Analyse. Sie befasst sich mit den Einschätzungen der Stärken (Strengths) und Schwächen (Weaknesses) der Organisation sowie den Chancen (Opportunities) und Risiken (Threats) innerer und äußerer Entwicklungen (Abbildung 22; vgl. Seitz u. Capaul, 2005, S. 136– 143; Vahs, 2007, S. 474 f.; siehe O.u.OE. AH-09 ›Arbeitsblatt zur SWOT-Analyse‹ auf der Webseite zu diesem Buch).
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Abbildung 22: Vierfelder-Schema der SWOT-Analyse (vgl. Seitz u. Capaul, 2005, S. 139; Vahs, 2007, S. 475)
1. In einem ersten Schritt werden Umweltfaktoren und Entwicklungstrends hinsichtlich ihrer Chancen und Gefahren analysiert. 2. Dann werden interne Faktoren der Organisation (Strategie, Struktur, Kultur, Management etc.) nach ihren Stärken und Schwächen untersucht. 3. Die Ergebnisse der Befragungen werden in einem Vierfelder-Schema zusammengefügt (siehe Abbildung 22). 4. Es werden darauf aufbauend entsprechend den in der Abbildung dargestellten Leitfragen Ziele entwickelt und Ideen zu ihrer Erreichung gesammelt. Methodisch lässt sich mit dem einfachen Schema der SWOT-Analyse sehr variabel arbeiten. Neben dem dargestellten Ablauf ist auch eine parallele Karten abfrage zu Chancen, Risiken, Stärken und Schwächen möglich, wobei ebenso nach internen und externen Chancen und Risiken sowie nach internen und externen Stärken und Schwächen gefragt werden kann (vgl. z. B. Stolzenberg u. Heberle, 2006, S. 17 f.). Am wichtigsten scheint zunächst die Unterscheidung in interne und externe Faktoren. Ob etwas ein Risiko, eine Chance bzw. eine Schwäche, eine Stärke oder sogar beides darstellt, ist oft nur schwer zu bestimmen (vgl. Grant u. Nippa, 2006, S. 35). Bei einer anonymen Abfrage der SWOT-Faktoren
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ist es daher durchaus interessant zu analysieren, welche Faktoren von einigen Beteiligten als Stärken oder Chancen, von anderen hingegen als Schwächen und Risiken eingestuft werden. Allein schon die Sammlung der Stärken und Schwächen der Organisation ist ein guter Einstieg in die Leitbildentwicklung, ohne dass direkt nach Chancen und Risiken gefragt werden muss. Der Abgleich innerer und äußerer Faktoren ist dann als weiterführender Schritt schon dafür geeignet, das Programm und darauf aufbauende Aktionspläne zu erstellen (siehe Kapitel 6.2.1: Vision, Leitbild, Programm und Aktionspläne). Die in der Eingangsanalyse gewonnenen Daten müssen unabhängig davon, mit welchem Verfahren sie erhoben wurden, ausgewertet und der Organisation im Rahmen eines Daten-Feedbacks zugänglich gemacht (›gespiegelt‹) werden. Nach einer Datenverdichtung (Reduktion, Zusammenhänge und Hintergründe klären) und Datenanalyse (Ursachen und mögliche Ziele definieren, Schwachstellen und Stärken identifizieren, erste Lösungsansätze aufzeigen) müssen die Beteiligten im Rahmen des Daten-Feedbacks nicht nur informiert werden, sondern auch Möglichkeiten der Diskussion bekommen, um erste Ideen über Vorgehensweisen und Veränderungsschritte zu sammeln (vgl. Becker u. Langosch, 2002, S. 122 f.). Diese Datenauswertung und -präsentation kann über mehrere Stufen laufen, sodass sich beispielsweise zunächst die Organisationsleitung und die Steuergruppe mit den Ergebnissen befassen und diese dann als Feedback allen Organisationsangehörigen und am Veränderungsprozess Beteiligten auf einer Großveranstaltung präsentieren. Neben einer eher informativen und diskursiven Vorstellung und ›Ideenbörse‹, können Detailplanungen dann in Arbeitsgruppen angegangen werden, welche dann wiederum veröffentlicht, diskutiert und ergänzt werden können. Die hieraus entstehende Prozessarchitektur, die sich aus verschiedenen Treffen, Sitzungen, Veranstaltungen und Projektphasen zusammensetzt, sollte allen Beteiligten einen transparenten Überblick darüber ermöglichen, welche Arbeitsschritte gerade an welcher Stelle der Organisation erfolgen (siehe F.u.Z., Kapitel 5.2.5: Projekte und Projektarbeit und Kapitel 6.4.5: Architektur und Design von Veränderungsprozessen).
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Übungen: A. Entwerfen Sie allein oder im Kollegium den Rahmen eines Veränderungsprozesses (siehe O.u.OE. AH-07: ›Arbeitsblatt zur Planung der Eingangsanalyse und der Durchführung von Veränderungsprozessen‹ auf der Webseite zu diesem Buch). B. Welche Bereiche Ihrer Schule würden Sie gerne analysieren? Erstellen Sie eine Liste mit Analysebereichen und möglichen Analysefragen für eine Ist-Soll-Abfrage (siehe O.u.OE. AH-06: ›Fragebogenvorlage zur Eingangs analyse der Organisationsentwicklung‹ auf der Webseite zu diesem Buch). Auf welche Art würden Sie die Befragung gerne durchführen? C. Entwerfen Sie zunächst selbst und dann in Ihrem Kollegium oder Ihrer Schulklasse anhand der Vorlage einen Fragebogen zur Erstellung einer Profilierungsmatrix (siehe O.u.OE. AH-08: ›Fragebogenvorlage zur Erstellung einer Profilierungsmatrix‹ auf der Webseite zu diesem Buch). Führen Sie die Befragung durch und planen Sie Veränderungsschritte. D. Nutzen Sie das Arbeitsblatt für die Erstellung und Durchführung einer SWOT-Analyse (O.u.OE. AH-09: ›Arbeitsblatt zur SWOT-Analyse‹ auf der Webseite zu diesem Buch).
6.3.3 Prozesssteuerung durch Steuergruppen Die Steuergruppe ist ein Gremium für die Führung und Regulierung von Veränderungsprozessen, das sich maßgeblich im deutschsprachigen Raum entwickelt hat, ansonsten aber eher durch schon bestehende Führungs- und Managementgremien erfüllt wird (vgl. Holtappels, 2007, S. 11). Oft wird eine Steuergruppe etabliert, bevor irgendwelche anderen Schritte der Eingangsanalyse oder der Veränderung eingeleitet werden. Neben mindestens einem Vertreter des oberen Managements bzw. der Schulleitung setzt sich eine Steuergruppe aus Personen zusammen, die einen möglichst großen Querschnitt durch die Organisation abbilden sollen. Bezogen auf Schulen ist zu beachten (vgl. Rolff, 2007a, S. 98 f.; Rolff, 2007b, S. 46; Phillip u. Rolff, 2006, S. 36): –– Beteiligung von Vertretern aus den geistes- und naturwissenschaftlichen Fächern sowie dem musischen Bereich, –– Einbeziehung von Aktivisten und Skeptikern, –– Schulleitung, –– Beteiligung von Schülern (Schülervertretung), –– Beteiligung von Eltern (Elternvertretung), –– Beteiligung beider Geschlechter, –– gute Mischung von Jung und Alt. Wie groß eine Steuergruppe sein soll und wer genau als Mitglied infrage kommt, muss sowohl hinsichtlich der anstehenden Aufgabe als auch hinsichtlich der vor-
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Organisationsentwicklung und Change Management
handenen Interessen- und Anspruchsgruppen geklärt werden. Als arbeitsfähige Gruppe kann eine Größe von maximal zehn Personen gelten. Eine Beteiligung möglichst vieler Personen, etwa zur Klärung einzelner Fragen oder zur Ideensammlung, kann auch durch Fragebögen oder Interviews sichergestellt werden, ohne gleich jede Gruppierung mit einem Vertreter in der Steuergruppe zu verorten und dadurch allein schon aufgrund der Gruppengröße deren Arbeits fähigkeit zu gefährden (vgl. Rolff, 2007b, S. 47). Die Transparenz über die Bildung und Zusammensetzung einer Steuergruppe ist wichtig, um nicht schon zu Beginn Blockaden gegen Veränderungsprozesse aufzubauen. Grundsätzlich ist die Mitarbeit in der Steuergruppe zwar freiwillig, für einen guten Querschnitt in der Zusammensetzung sollte aber intensiv geworben werden, um nicht Gefahr zu laufen, ganze Gruppen oder Bereiche nicht vertreten zu haben. Ein zentraler Aspekt der Arbeit mit Steuergruppen ist es, die Aufgabenklarheit im Veränderungsprozess sicherzustellen. Aufgabe ist es, den Veränderungsprozess zu steuern und zu begleiten, nicht aber, die Veränderungen selbst zu konkretisieren und durchzuführen. Im Sinne einer ›Veränderungskultur‹ erbringen Steuergruppen eher Serviceleistungen für die am Veränderungsprozess beteiligten Personen. Zu den Aufgaben der Steuergruppe gehören (vgl. Holtappels, 2007, S. 29 f.; Rolff et al., 1998, S. 72 f.; Phillip u. Rolff, 2006, S. 35): Bezogen auf den Gesamtprozess –– Expertentum für den Prozess und das Veränderungsmanagement –– Vorbereitungsarbeiten, Planung, Entwicklung des Veränderungskonzeptes –– Initiierung und Begleitung einer Eingangsanalyse –– Organisation des Prozessablaufs –– Organisation von Diagnose- und Feedback-Konferenzen –– Unterstützung bei der Setzung von Prioritäten –– Prozesssteuerung und Koordination von Arbeitsgruppen und Teams –– Prozessdokumentation –– Problem- und Prozessanalyse –– Sicherstellung der Transparenz von Arbeitsschritten und -ergebnissen und über die Arbeit der Steuergruppe –– Orientierung beteiligter und auch unbeteiligter Personen über den aktuellen Stand der Veränderung –– Informationsweitergabe, Wissensmanagement und Vernetzung –– Herausstellen des Erreichten und von Meilensteinen der Veränderung durch Veröffentlichen, das Aussprechen von Anerkennung und durch Feiern Bezogen auf Teilprozesse –– Moderation von Planungs- und Entscheidungsprozessen –– Vermittlung bei Konflikten –– Beratung und Unterstützung beim Aufbau von Teamstrukturen –– Begleitung von Einzelprojekten
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–– –– –– ––
Unterstützung der Leitung, z. B. bei Personal- und Konzeptentwicklung Materialbeschaffung, Ressourcenverteilung Organisation von Fortbildungen und Schulungen ›Empowerment‹ der Prozessbeteiligten und Organisationsmitglieder
Bezogen auf Prozessergebnisse und -ziele –– Controlling der Umsetzung und Zielerreichung –– Evaluation und Auswertung –– Datenerfassung und -auswertung Steuergruppen müssen, um diese Aufgaben gut zu erfüllen, über entsprechende Kompetenzen verfügen oder diese entwickeln. Neben der Fähigkeit zur Gesprächsführung, Moderation, Präsentation, Konfliktklärung und Team entwicklung gehören hierzu auch Kenntnisse im Projektmanagement, in der Zielformulierung, Strategieentwicklung, Durchführung von Befragungen sowie in der Evaluation und Qualitätssicherung (vgl. Rolff, 2007a, S. 108; Rolff, 2007b, S. 56; Feldhoff, 2007, S. 144). Eine externe Begleitung von Veränderungsprozessen ist daher – zumindest in Wirtschaftsunternehmen – üblich, um nicht nur einen ›Blick von außen‹ einzubeziehen, sondern auch, um über externes Projekt- und Konfliktmanagement sowie über Schulungen, Supervision und Coaching auf entsprechende Kompetenzen zurückgreifen zu können bzw. diese vermittelt zu bekommen und angeleitet zu reflektieren (siehe F.u.Z., Kapitel 5.3.2: Fortbildung, Beratung, Supervision und Coaching). Erwähnt werden müssen auch andere zentrale Gremien, die eine wichtige Funktion für die Organisationsentwicklung an Schulen spielen und mit denen die Steuergruppe gut abgestimmt kooperieren muss. Zu nennen sind hier nicht nur die Lehrer-, Schul- und Klassenkonferenzen, sondern auch die Jahrgangsgruppen, Treffen der Klassenlehrer und die Fachgruppen bzw. Fachkonferenzen. Gerade für die Unterrichtsentwicklung sind die Fachgruppen entscheidende Instanzen, da sie sich ohnehin mit der fachlichen Qualität, dem Fortbildungsbedarf, Unterrichtsbesuchen, Unterrichtsmaterialien, Ausstattung, Notengebung, Prüfungsanforderungen sowie pädagogisch-didaktischen und curricularen Fragen beschäftigen (vgl. Rolff, 2007a, S. 83 ff.).
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Übung: Wie könnte eine Steuergruppe an Ihrer Schule aussehen? Was müsste diese tun, um die benannten Aufgaben gut zu erfüllen? Welche Kompetenzen bräuchten Sie in der Steuergruppe und welche Aufgaben sollen schwerpunktmäßig auf einzelne ›Beauftragte‹ übertragen werden (z. B. Datenauswertung, Rückmeldestelle, Sprecher)? Wo und wie wird der aktuelle Stand des Veränderungsprozesses transparent (z. B. Visualisierungen, Newsletter)?
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Organisationsentwicklung und Change Management
6.4 Verlaufsmodelle von Organisationsentwicklung und Change Management Organisationsentwicklung bzw. Change Management orientieren sich immer an einer Abfolge von Phasen, die durchlaufen werden müssen, um einen Veränderungsprozess erfolgreich zu gestalten. Die zentralen Modelle werden nachfolgend dargestellt.
6.4.1 Handlungsforschung als allgemeines Ablaufmodell Die Handlungsforschung ist aus dem Grundgedanken entstanden, Theoriebildung und Praxisgestaltung miteinander zu verknüpfen und gegenseitig zu befruchten. Für diese Form ›praxisrelevanter Theorie‹ bzw. ›theorierelevanter Praxis‹ ist der offene Austausch zwischen den Beteiligten ebenso entscheidend wie eine gemeinsame Problem- und Zieldefinition, aufgrund derer Hypothesen aufgestellt und überprüft werden können. Die Handlungsforschung folgt hierbei einem Ablaufschema, das den Phasen der ›vollständigen Handlung‹ ähnelt (Abbildung 23; siehe F.u.Z., Kapitel 1.5: Rollen- und Aufgabenverteilung).
Abbildung 23: Ablaufzirkel der Handlungsforschung.
–– Handlungsforschung beginnt immer mit einer Situations- und Problembeschreibung (Was fällt auf? Was stört? Was soll verändert werden?). –– Über das definierte Problem werden dann Informationen gesammelt. –– Liegen genügend Informationen vor, werden hieraus Handlungsmöglichkeiten entwickelt und Entscheidungen darüber getroffen, was als nächstes getan wird (z. B. Wer macht was? Bis wann? Wie lange? Mit wem? etc.). Diese Handlungsentscheidung kann von einmaligen Interventionen bis hin zu umfassenden Veränderungsprozessen, Projektplanungen und Umstrukturierungen reichen.
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–– Im Verlauf und im Anschluss an die Umsetzung der Handlungsplanung werden wiederum Informationen gesammelt, um zu überprüfen, was sich durch die Handlungen verändert hat. –– Abschließend wird geschaut, ob sich hieraus eine neue Problemdefinition ergibt. Ist dies der Fall, wird der Handlungsforschungsprozess nach dem gleichen Schema wiederholt. Die Handlungsentscheidung und das Handeln werden immer als Probehandeln betrachtet. Auswirkungen der Veränderungen können prinzipiell immer erst im Nachhinein überprüft und bewertet werden. Eine sichere Prognose im Voraus ist nicht möglich. Daher ist die Festlegung eines Überprüfungszeitraums sehr wichtig (vgl. F.u.Z., Kapitel 5.2: Zielformulierung, Zielvereinbarung und Projektarbeit). Solch eine Überprüfung kann neben messbaren Ergebnissen auch weitere Aspekte der Veränderungen beleuchten: –– Wie geht es uns mit der Veränderung? –– Was ist besser geworden? –– Was hat sich verschlechtert? –– Was hat sich noch verändert? –– Was muss noch verändert werden? Ein Aspekt der Handlungsforschung ist hierbei von besonderer Bedeutung: Handlungsforschung ist ein fortlaufender Prozess und führt nicht zu einem singulären, endgültigen und unumstößlichen Ergebnis. Ein nächster ›Veränderungsund Evaluationszyklus‹ beginnt entweder standardisiert in regelmäßigen Abständen oder aus konkretem Anlass, etwa wenn sich Rahmenbedingungen verändern, neue Gestaltungsmöglichkeiten ergeben oder wenn etwas nicht zufriedenstellend läuft. Dieses Grundverständnis von Veränderungsprozessen als zyklischem Prozess findet sich in den meisten Modellen der Organisationsentwicklung wieder. Auch hier werden Schritte oder Phasen benannt, die nicht auf einen einmaligen linearen Durchlauf reduziert werden, sondern zyklisch strukturiert sind.
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Übung: Beschreiben Sie eine beliebige Veränderungsaufgabe als zirkulären Ablauf prozess nach dem Schema der Handlungsforschung.
6.4.2 Schrittweise Ablaufmodelle Organisationsentwicklung ist kein singuläres Ereignis, das mit dem Durchlaufen eines linearen Phasenmodells abgeschlossen ist, sondern muss immer als fortlaufender Prozess gedacht werden, der dazu dient, innere und äußere Entwicklungen und Gegebenheiten einer Organisation aufeinander abzustimmen. Begriffe wie die ›lernende Organisation‹ etwa basieren darauf, dass dieser Lern- und Ent-
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wicklungsprozess nie abgeschlossen ist, sondern höchstens in Phasen stärkerer (Veränderung und Umsetzung) und geringerer (Konsolidierung und Sicherung) Aktivität untergliedert ist. Prozesse der Organisationsentwicklung bzw. das organisationale ›Change Management‹ folgen hierbei – ebenso wie die Handlungsforschung – einer festgelegten Schrittfolge und sind ebenso häufig als kreisförmige Problemlösungsprozesse konzipiert (vgl. z. B. das Phasenmodell von Lewin, 1947, S. 34 ff.; das Modell Becker u. Langosch, 2002, S. 46 f.; das ›ISP-Phasenmodell‹ von Dalin, Rolff u. Buchen, 1990, S. 40; das Change Modell von John Kotter bei Kuhnert u. Teuber, 2008b, S. 3 f.; das Change Management nach Stolzenberg u. Heberle, 2006; oder auch das sogenannte PUZZLE Modell von Steinle, Eggers u. Ahlers, 2008, S. 94 ff.; zur Übersicht vgl. auch Rosenstiel, 2003; 450 ff.; siehe auch Kapitel 6.1.1: Best Practice und Kapitel 6.1.2: Next Practice). Nachfolgend werden drei dieser Modelle vorgestellt, um Gemeinsamkeiten und Unterschiede verschiedener Vorgehensweisen sichtbar zu machen. A. Durch Horst Becker wurde ein allgemeines Ablaufmodell beschrieben, das der Handlungsforschung sehr ähnlich ist (Becker u. Langosch, 2002, S. 46 f.): 1. Problembestandsaufnahme Datenerhebung und Situationsbeschreibung durch Befragungen, Beobachtungen 2. Diagnose Problemdefinition, Zielklärung, Umstände erfassen, Ursachen ermitteln, Einflusskräfte erkennen 3. Planung Lösungsansätze suchen, Möglichkeiten der Problembearbeitung erkennen, Maßnahmen planen, Veränderungsschritte entwickeln 4. Aktion Maßnahmen festlegen und durchführen, Veränderungen erproben, Neuerungen schrittweise einführen und absichern 5. Auswertung Ergebnisse und Vorgehensweisen überprüfen, Ergebniskontrolle und Prozessanalyse Entsprechend den Angaben ließe sich das Modell in weitere Unterschritte differenzieren. Eine Konkretisierung der Einzelschritte und Vorgehensweisen sowie der Form, in der die Einzelschritte umgesetzt werden, erfolgt in der Regel in der direkten Abstimmung mit der Organisation, in der Veränderungen initiiert werden sollen. B. Auch das von Per Dalin, Hans-Günter Rolff und Herbert Buchen für die Arbeit an Schulen entwickelte ISP-Phasenmodell (Institutionelles Schulentwicklungs-
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programm) folgt einem zirkulären Ablauf, ist jedoch detaillierter gegliedert und greift schon in der Gliederung spezifischere Aspekte der Organisationsentwicklung auf als das allgemeine Modell von Becker (vgl. Dalin, Rolff u. Buchen, 1990, S. 40; vgl. auch Buhren, Killus u. Müller, 1998, S. 90): 1. Initiierung Entscheidung für den Beginn eines Veränderungsprozesses 2. Einstieg Kommunikation und Darstellung der Notwendigkeit von Veränderung, erste Ideensammlungen und Rückmeldungen, gemeinsame Auftaktveranstaltung 3. Steuergruppe Arbeit der Steuergruppe zur Strukturierung und Umsetzung des Veränderungsprozesses 4. Kontrakt Klare Vereinbarung der Aufgaben und Zuständigkeiten 5. Datensammlung Durchführung von Befragungen etc., um eine ausreichende Datenbasis herzustellen 6. Zielklärung, Zielvereinbarung Definition von Zielen aufgrund der erhobenen Daten 7. Aktionsplanung Definition von Handlungsschritten zur Erreichung der vereinbarten Ziele 8. Implementierung Umsetzung der Handlungsschritte zur Erreichung der vereinbarten Ziele 9. Institutionalisierung Etablierung der Veränderungen im Alltag 10. Evaluation Bewertung der Veränderungen 11. Nächste Runde des Entwicklungsprozesses Dieses Modell ist vom Grundaufbau durchaus vergleichbar mit der Darstellung bei Becker. Es legt jedoch einen wesentlich größeren Schwerpunkt auf die Vorbereitung (Schritte 1 bis 4), auch sind Vereinbarungen schon direkter Bestandteil des Ablaufs, einmal als Kontrakt bezüglich der Prozesse und Steuerung (Schritt 4) und einmal als Zielvereinbarung (Schritt 6). Aber auch im ISP Modell müssen die Phasen in der praktischen Umsetzung hinsichtlich ihrer Form und Detaillierung weiter ausformuliert werden, was ebenfalls der Anpassung an eine Organisation und der Abstimmung mit den direkt Beteiligten bedarf. C. Auf Grundlage einer Analyse erfolgreicher Wandlungsprozesse in Organisationen wurden durch John Kotter Schritte von Change-Prozessen beschrieben, die eine gute Ergänzung zu den bisher vorgestellten Ablaufplänen darstellen, da sie nicht nur Aspekte von Handlungen und Vereinbarung beinhalten, sondern
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auch soziale und emotionale Aspekte im Veränderungsprozess einbeziehen (vgl. Kuhnert u. Teuber, 2008b, S. 3 f.): 1. Ein Gefühl der Dringlichkeit erzeugen Markt- und Wettbewerbsuntersuchungen, potenzielle Krisen und Möglichkeiten erkennen und diskutieren 2. Eine Führungskoalition aufbauen Teamfähige Koalition mit Machtbefugnissen nutzen und herstellen 3. Vision und Strategie entwickeln Richtung geben und Umsetzungsschritte planen 4. Die Vision des Wandels kommunizieren Konstante Kommunikation über verschiedenste Kanäle, Vorbildfunktion der Führung 5. Empowerment auf breiter Basis Hindernisse beseitigen, unorthodoxe und neue Ideen fördern, Energiefluss sicherstellen, viele Beteiligte zum eigenen Handeln ermächtigen 6. Kurzfristige Ziele anvisieren und erste Gewinne generieren Sichtbare Gewinne planen und herstellen, Anerkennung und Belohnung 7. Erfolge konsolidieren und weitere Veränderungen ableiten Personalveränderungen im Sinne des Wandels, Neubelebung des Wandels durch weitere Projekte 8. Neue Ansätze in der Kultur verankern Zusammenhang zwischen Erfolg und ›neuen‹ Verhaltensweisen kommunizieren, Investition in effektiveres Management, Führungsverhalten und Halten des Leistungsniveaus Die hier benannten Aspekte der Erzeugung von Dringlichkeit, des Aufbaus von Koalitionen, der Sicherstellung erster Erfolge oder der Verankerung in der Kultur sind – neben einer gut abgestimmten und transparenten Gestaltung der Handlungs- und Vereinbarungsschritte – wichtige Erfolgskriterien für Organisationsentwicklungsprozesse (siehe Kapitel 6.5.3: Erfolgs- und Misserfolgsfaktoren von Organisationsentwicklung). Nach welchem Ablaufschema man sich auch richten mag, wichtig ist es, die einzelnen Phasen hinsichtlich der Gegebenheiten der Organisation zu konkretisieren, Planungen transparent zu machen und mit Aktivitäten zu verbinden. Auch ist es wichtig, die Übergänge zwischen einzelnen Phasen zu verdeutlichen, diese Übergänge zu kommunizieren und den aktuellen Stand des Geschehens darzustellen (siehe Kapitel 6.3.3: Prozesssteuerung durch Steuergruppen). Mehrere parallele Veränderungsprozesse sollten gut aufeinander abgestimmt sein, damit an gegebenen Stellen eine Synchronisierung stattfinden kann (Meilensteine) und die Einzelergebnisse den damit zusammenhängenden Veränderungsschritten zugeordnet werden können (siehe F.u.Z., Kapitel 5.2.5: Projekte und Projektarbeit).
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Übungen: A. Benennen Sie zu den einzelnen Phasen für eines der aufgeführten Modelle konkrete Aktionen und wie diese bezogen auf Ihre Schule durchgeführt werden könnten. Benennen Sie die Beteiligten und die Art und Weise, wie sie beteiligt werden könnten. B. Beschreiben Sie, wie Sie den Erfolg bzw. Misserfolg der einzelnen Schritte eines der vorgestellten Phasenmodelle an Ihrer Schule feststellen könnten und wie es gelingen könnte, Erreichtes abzusichern.
6.4.3 Veränderung als Übergang zwischen zwei stabilen Zuständen Veränderung bedeutet ganz grundlegend, dass ein System von einem stabilen Zustand in einen anderen stabilen Zustand übergeht. Um den neuen Zustand erreichen zu können, ist es zunächst notwendig, den ursprünglichen Zustand zu destabilisieren. Diese Destabilisierung kann durch äußere oder innere Faktoren herbeigeführt werden und stellt prinzipiell eine kritische Phase in Veränderungsprozessen dar. In dieser Phase der Instabilität ist es entscheidend, welche neuen Ordnungszustände potenziell vorhanden und überhaupt erreichbar sind: Gibt es mehrere Alternativen oder sogar einen Weg zurück zum ursprünglichen Stabilitätszustand? Unter einem System, dessen Veränderung durch Destabilisierung herbeigeführt wird, können hier sowohl einzelne Personen verstanden werden (kognitive Systeme) als auch Gruppen von Personen (soziale Systeme) sowie die technischen und materiellen Systeme, in denen sie sich bewegen. Unabhängig davon, an welchem dieser Systeme eine Destabilisierung ansetzt, wird sie immer auch mehr oder weniger umfassende Auswirkungen auf die anderen Systembestandteile haben. Solche Destabilisierungen können gänzlich ungeplant einsetzen (etwa durch einen plötzlichen Brand des Schulgebäudes), durch äußere Faktoren herbeigeführt werden (etwa durch eine Gesetzesänderung oder die Schulinspektion), von einzelnen Akteuren im System geplant sein (etwa die Versetzung eines Schülers in eine neue Schulklasse) oder auch von allen direkt Beteiligten geplant und herbeigeführt werden (etwa die Veränderung der Aufgabenverteilung in einer Fachgruppe oder ein Schulentwicklungsprozess). Aber selbst wenn eine Destabilisierung des Systems willentlich herbeigeführt wird, so ist doch das Systemverhalten – gerade in komplexen Systemen – nicht steuerbar, sondern folgt ganz grundlegend der Selbstorganisation und Eigendynamik des Systems, die sich an möglichen Ordnungszuständen orientiert. Eine einfache Modellvorstellung von Veränderungsprozessen ergibt sich, wenn man sich eine Kugel (das Systemverhalten) vorstellt, die von einem stabilen Zustand in dem einen Tal (Attraktor 1) in einen anderen stabilen Zustand in einem anderen Tal (Attraktor 2) übergehen soll (vgl. Strunk u. Schiepek, 2006, S. 200; Kruse, 2004, S. 56 f.). Hierzu muss das Systemverhalten (die Kugel) so stark in Bewegung gebracht (destabilisiert) werden, dass sie über einen kritischen Punkt der Instabilität
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(den Scheitelpunkt des Hügels) gelangt, um sich im Ziel-Tal wieder zu stabilisieren (Abbildung 24; zu Variationen dieser Modellvorstellung siehe Lindemann, 2011).
Abbildung 24: Modell der Systemveränderung durch Energetisierung der Kugel
Die Veränderung des Systems besteht dann in dem Übergang der Kugel von dem einen Tal (Attraktor 1) in das andere (Attraktor 2). Um den ursprünglichen Ordnungszustand zu verlassen und den Hügel zu überschreiten, muss die Kugel so sehr in Bewegung geraten (Destabilisierung und Energetisierung), dass sie über den Scheitelpunkt des Hügels hinaus in das benachbarte Tal rollt, das einen neuen Ruhepunkt bietet. Gelingt es der Kugel aufgrund einer zu geringen Energetisierung nicht, den Scheitelpunkt zu überschreiten, bewegt sich das System in den alten Zustand zurück (›roll back‹). Eine solche Bewegung von einem Ordnungszustand in einen anderen kann auch über mehrere Teilschritte verlaufen, die ebenfalls in Form von Attraktoren dargestellt werden können. Hierbei würden der Kugel (dem Systemverhalten) auf dem Weg zum Zielzustand mehrere ›Ruhestationen‹ zur Verfügung stehen, aus denen heraus immer wieder neu destabilisiert werden müsste (Abbildung 25).
Abbildung 25: Modell der Systemveränderung durch Energetisierung der Kugel in einer Landschaft mit mehreren aufeinander folgenden Attraktoren
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In der Modellvorstellung stellen die Hügel immer Positionen des Systemverhaltens dar, die nur durch eine Destabilisierung und Energetisierung des Systems erreicht werden können. Täler sind hierbei grundsätzlich diejenigen Systemzustände, die das System von selbst und ohne Energetisierung und Destabilisierung einnehmen wird (vgl. Strunk u. Schiepek, 2006, S. 200). Der Begriff des Attraktors bezieht sich in den vorgestellten Modellvorstellungen auf den ›energetischen Sog‹, der von möglichen Stabilitätszuständen ausgeht. Mit dem Begriff des Attraktors ist auch der Begriff ›Attraktivität‹ verbunden: Das System tendiert dorthin, wo die Attraktion am größten ist. Der ›Sog zu einem neuen Stabilitätszustand‹ bestimmt sich unter anderem durch Vorlieben, Abneigungen, Wünsche, Erfahrungen und Befürchtungen der beteiligten Personen sowie durch das Maß, in dem sie daraufhin zum neuen oder alten Attraktor tendieren. Allein schon das Vertraute, Bekannte und Verlässliche des ursprünglichen Zustands bildet eine hohe Attraktivität, da das Neue und Unbekannte diese Stabilitätsgarantien (noch) nicht enthält. Hierbei ist es sogar oft zweitrangig, ob die ursprüngliche Stabilität angenehm oder unangenehm ist, sie ist auf jeden Fall erst einmal stabil. Neben der Attraktivität von ›dem, was ist‹ ist ebenso entscheidend, wie attraktiv das ist, ›was sein könnte‹ oder ›sein sollte‹. Eine besondere Bedeutung für Veränderungsprozesse liegt daher in der Formulierung der Ziele von Veränderungen (siehe F.u.Z., Kapitel 5.2.1: Kriterien guter Zielformulierungen). Die Attraktivität des künftigen Ordnungszustands muss größer sein als diejenige des aktuellen Ordnungszustands oder aber der (Leidens-) Druck im aktuellen Ordnungszustand muss groß genug sein, um eine mangelnde Attraktivität oder Ungewissheit eines zukünftigen Zustands zu überwiegen. Ersteres bedeutet eine ›Bewegung auf etwas zu‹, Letzteres eine ›Bewegung von etwas weg‹ (vgl. Andreas u. Faulkner, 2005, S. 62 ff.). Positive Zielformulierungen, also die erwünschte ›Anwesenheit von etwas‹, sind hierbei jedoch wesentlich hilfreicher und energetisierender als ein negativ formuliertes Unterlassen und Vermeiden von etwas schon Anwesendem. Das eine ist Aufbruch, das andere Flucht. Aufbruch hat ein Ziel, Flucht nur eine (willkürliche) Richtung (siehe F.u.Z., Kapitel 5.2.1: Kriterien guter Zielformulierungen). Stellt man sich den Übergang zwischen stabilen Zuständen als eine Reise vor, liegt der Schwerpunkt dieser lösungsorientierten Sichtweise in einer ›Bewegung auf etwas zu‹, in der Beantwortung der Frage, wohin man reisen möchte, und nicht, von welchem Ort man fort will. Es liegt ein entscheidender Unterschied darin, ob man eine Veränderung als ›Bewegung auf etwas zu‹ (handeln, erreichen) oder als ›Bewegung von etwas weg‹ (unterlassen, vermeiden) betrachtet. Wenn man sich primär zum Ziel setzt, etwas zu unterlassen, bleibt die Frage offen, was man denn stattdessen tun möchte oder tun soll. Was ist eine attraktive Alternative zum Bisherigen? Veränderungen können aber nicht nur mit positiv formulierten Zielen und dem Schaffen von Attraktivität in der Zielorientierung erreicht werden. Es ist durchaus auch möglich, Veränderungen gegen Widerstände zu erreichen, etwa bei organisationalen Veränderungen, bei denen es nicht immer möglich ist, einen Konsens
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aller Beteiligten zu erreichen. Die Themen Macht und Druck mögen in vielen – vor allem auch pädagogischen – Handlungsfeldern verpönt sein, dennoch sind sie als Optionen der Veränderung möglich und sollen daher hier angesprochen sein: Wenn es nicht gelingt, die ›Wiese auf der anderen Seite des Hügels‹ grüner erscheinen zu lassen, bleibt die Möglichkeit, die Wiese auf dieser Seite weniger grün erscheinen zu lassen oder sogar sie aktiv verdorren zu lassen. Im pädagogischen Handeln würde dies etwa bedeuten, dazu beizutragen, dass eine Person durch schädigendes Verhalten keine Gewinne mehr erzielt, Privilegien einbüßt und ihr Handeln für sie negative Konsequenzen hat (siehe Kapitel 6.5.1: Rollen in Veränderungsprozessen). Dieses Verringern der Attraktivität des aktuellen Zustands kann ein notwendiger erster Schritt zur Erzeugung von Veränderungsbereitschaft ›hin zu‹ einem neuen Zustand sein. Hierzu bedarf es eines gemeinsamen und abgestimmten Verhaltens der beteiligten Personen, die eine verbindliche Strategie brauchen, nach der sie entscheiden, welche Maßnahmen sie ergreifen. Die geschilderte Dynamik zwischen ›Sog zum Ziel‹ und ›Druck zur Veränderung‹ gilt es, bewusst wahrzunehmen und in der Gestaltung von Veränderungen nicht nur zu berücksichtigen, sondern für die Erreichung der Ziele zu nutzen. Die Komplexität der Veränderungsdynamik steigt mit verschiedenen Zielper spektiven und Beweggründen, etwa wenn mehrere Personen mit ihren Stabilitäten, Gewohnheiten und Zielen beteiligt sind. Eine Beachtung des Zusammenspiels zwischen mehreren aktiv und passiv an der Systemdynamik beteiligten Personen ist daher notwendig. Wichtig ist hier eine Energetisierung des Systems an mehreren Stellen und auf eine jeweils passende Weise sowie eine Synchronisierung vieler verschiedener Veränderungsbewegungen. Je stärker die Ziele der einzelnen Personen übereinstimmen und in die gleiche Richtung weisen, desto stärker erfolgt eine Energetisierung in eine gemeinsame Richtung. Eine alleinige Veränderung von Teilbereichen führt zwar immer auch dazu, dass sich andere Aspekte im System verändern. Es mag jedoch mühsamer und weniger nachhaltig sein und kann sogar zu Abkopplungen einzelner Veränderungen oder zur Entfernung einzelner Personen aus dem System führen. In Veränderungssituationen, in denen man jedoch auf ein Zusammenspiel vieler Teilveränderungen angewiesen ist, etwa in der Entwicklung von Gruppen und Organisationen, ist eine alleinige oder nur teilweise Selbstveränderung mit dem Ziel, das Gesamtsystem zu verändern, oft zum Scheitern verurteilt. Erfolg bedarf in diesem Fall eines Mindestmaßes an Gemeinsamkeit und Synchronisierung. Nachfolgend werden Prinzipien dargestellt, die zur Reflexion und Planung von Veränderungen dienen können und deren Beachtung das Gelingen von Veränderungsprozessen unterstützt.
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Übung: Zeichnen Sie einen Veränderungsprozess aus Ihrem privaten oder beruflichen Umfeld in Form eines Berg-Tal-Modells. Was passierte in einzelnen Phasen der Veränderung? Wie bewegte sich das System (die Kugel)? Woher kam die Energie für diese Bewegung?
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6.4.4 Synergetisches Prozessmanagement Günter Schiepek und Hermann Haken haben im Rückgriff auf Erkenntnisse der Synergetik7 Prinzipien der Veränderung komplexer Systeme formuliert (vgl. Haken u. Schiepek, 2006, S. 436 ff.). Die sogenannten ›generischen Prinzipien‹8 können als Modell für Veränderungsprozesse in komplexen (Sozial-) Systemen wie Teams, Organisationen, Unternehmen und Schulen, aber auch für Prozesse der Beratung oder Therapie dienen. Sie helfen dabei, wichtige Aspekte der Veränderung zu berücksichtigen, Systemzusammenhänge zu analysieren, sowie Veränderungsschritte und Interventionen zu planen und aufeinander abzustimmen. Die Beachtung der generischen Prinzipien soll hierbei Voraussetzungen für gelingende Veränderungsprozesse und Ordnungsübergänge schaffen. Die generischen Prinzipien lauten ursprünglich wie folgt, hier mit Bezug auf psychotherapeutische Prozesse (Haken u. Schiepek, 2006, S. 436 ff.; hier nach Schiepek, Kröger u. Eckert, 2001): 1. Schaffen von Stabilitätsbedingungen Maßnahmen zur Erzeugung struktureller und emotionaler Sicherheit, Vertrauen, Selbstwertunterstützung 2. Identifikation von Mustern des relevanten Systems Identifikation des relevanten Systems, auf das bezogen Veränderungen beabsichtigt sind; Beschreibung und Analyse von Mustern/Systemprozessen, soweit erforderlich 3. Sinnbezug, Synergitätsbewertung Klären und Fördern der sinnhaften Einordnung und Bewertung des Verände rungsprozesses durch den Klienten; Bezug zu Lebensstil und persönlichen Entwicklungsaufgaben 4. Kontrollparameter identifizieren, Energetisierungen ermöglichen Herstellung motivationsfördernder Bedingungen; Ressourcenaktivierung; Bezug zu Zielen und Anliegen des Klienten 5. Destabilisierung, Fluktuationsverstärkungen realisieren Experimente; Musterunterbrechungen; Unterscheidungen und Differenzierungen einführen; Ausnahmen; ungewöhnliches, neues Verhalten etc.
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Synergetik – Die Lehre vom Zusammenwirken von Einzelteilen in (komplexen) Systemen. Synergität – Systemdynamik. Das Zusammenwirken von Einzelteilen in (komplexen) Systemen. Synergieeffekt – Aus dem Zusammenwirken von Einzelteilen entsteht in gegenseitiger Ergänzung etwas Neues (ein neuer Ordnungszustand). Der Begriff ›generisch‹ wurde vom Begriff ›generieren‹ abgeleitet und bedeutet in diesem Zusammenhang ›erzeugend‹.
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6. ›Kairos‹9 beachten, Resonanz, Synchronisation Zeitliche Passung und Koordination therapeutischer Vorgehensweisen und Kommunikationsstile mit psychischen und sozialen Prozessen/Rhythmen des/der Klienten 7. gezielte Symmetriebrechung ermöglichen Zielorientierung, Antizipation und geplante Realisation von Strukturelementen des neuen Ordnungszustands 8. Re-Stabilisierung Maßnahmen zur Stabilisierung und Generalisierung neuer Kognitions-Emotions-Verhaltens-Muster Die generischen Prinzipien sind nicht als normatives und lineares Ablaufmodell zu verstehen, sondern als Prinzipien, die es permanent zu beachten gilt (vgl. Haken u. Schiepek, 2006, S. 436 f.). So kann etwa das Prinzip ›Schaffen von Stabilitätsbedingungen‹ im gesamten Prozessverlauf relevant sein oder nach einer anfänglichen Bearbeitung später im Prozess wieder relevant werden. Auch wenn zunächst eine ›Identifikation von Mustern des relevanten Systems‹ erfolgt, kann es im Veränderungsprozess notwendig sein, hierzu gehörende Aktivitäten zu wiederholen. In einzelnen Phasen der Veränderung erhalten einzelne Prinzipien – je nach tatsächlichem Verlauf und Stand der Veränderung – eine unterschiedliche Relevanz und müssen dementsprechend stärkere Beachtung finden (vgl. Haken u. Schiepek, 2006, S. 436 ff. u. 628 ff.; Schiepek, Köger u. Eckert, 2002). Ein wichtiger Aspekt der praktischen Arbeit mit den generischen Prinzipien ist es, zu überprüfen, ob das jeweilige Prinzip ausreichend beachtet wurde oder zur Zeit einer erneuten, bzw. verstärkten Beachtung bedarf. Durch eine fortlaufende Reflexion anhand der generischen Prinzipien kann es gelingen, zentrale Situationen und auch Risiken in Veränderungsprozessen zu erkennen. Aufgrund ihrer komprimierten Form und vor allem hinsichtlich der Verwendung für Veränderungsprozesse in Gruppen und Organisationen ist es sinnvoll, die generischen Prinzipien zu differenzieren und sie damit handhabbarer zu machen (ausführlicher siehe Lindemann, 2010). Um eine bessere Orientierung zu ermöglichen, wird nachfolgend zwischen Systemanalyse und Systemveränderung unterschieden, wobei die Prinzipien zu thematischen Gruppen zusammengefasst werden. Ergänzend wurden Aspekte von Veränderungsprozessen aufgenommen, die mit dem Entwerfen einer Vision und der Konkretisierung von Zielen zusammenhängen und die in der ursprünglichen Form der generischen Prinzipien fehlen. In dieser veränderten Fassung sollen die Prinzipien den beteiligten Personen als Navigations- und Reflexionsmodell für Veränderungsprozesse dienen.
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Kairos – griechischer Gott der günstigen Gelegenheit und des rechten Augenblicks.
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In der hier vorgeschlagenen Überarbeitung ergeben sich fünfzehn einzelne Prinzipien, die zwei Gruppen zugeordnet und unter verschiedenen Überschriften zusammengefasst wurden: SYSTEMANALYSE (vor und während des Veränderungsprozesses) A. Kommunikation herstellen A1. Resonanz erzeugen B. Vision und Zielorientierung B1. Langfristige Vision beschreiben C. Systemanalyse durchführen C1. Das relevante System definieren und seine Relationen und Muster analysieren C2. Kontrollparameter identifizieren und Wirkzusammenhänge bewerten (Synergität) C3. Systemveränderung simulieren D. Zielorientierung konkretisieren D1. Teilziele und Maßnahmen definieren SYSTEMVERÄNDERUNG E. Veränderungsbereitschaft erzeugen E1. Sinnbezug herstellen E2. Stabilitätsbedingungen schaffen F. Gutes Timing sicherstellen F1. Günstige und ungünstige Zeitpunkte beachten F2. Synchronizität nutzen und erzeugen G. Veränderungen herbeiführen G1. Energetisierung ermöglichen G2. Gezielte Symmetriebrechung G3. Destabilisierungen erzeugen und Fluktuationsverstärkungen bewirken H. Ziele erreichen und sichern H1. Gezielte Symmetriebrechung H2. Re-Stabilisierung
A – D: SYSTEMANALYSE Die Erzeugung von Resonanz im Sinne von Kommunikation und Austausch ist ein zentrales Prinzip von Veränderungsprozessen, dass hier als ›Erzeugung von Resonanz‹ bezeichnet wird (A1). Gerade zu Beginn von Veränderungsprozessen stellt sich die Frage, unter welcher Beteiligung und in welchem Rahmen über die Notwendigkeit und Ausgestaltung der Veränderungen nachgedacht werden soll sowie welche Personen an der Erzeugung von Resonanz beteiligt sein sollen (siehe Kapitel 6.3: Initiierung und Steuerung von Organisationsentwicklungsprozessen).
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Im Rahmen der Systemanalyse wird dann zunächst ein Blick auf die Ziel orientierung der Veränderung in Form einer langfristigen Vision geworfen (B1). Für Vorüberlegungen zur Veränderung wird das System, auf das sich die Veränderungen beziehen sollen, genauer definiert, in seinen Zusammenhängen analysiert (C1), zentrale Kräfte (›Kontrollparameter‹) werden identifiziert (C2) und es findet eine Simulation der Veränderung statt (C3). Aus dieser Analyse werden dann Teilziele und Maßnahmen konkretisiert (D1). Die Systemanalyse bietet eine fortwährende Orientierung zu Beginn, im Verlauf und am Ende eines Veränderungsprozesses (Abbildung 26). Das bedeutet – vorausgesetzt, die langfristige Vision wird nicht infrage gestellt – dass die Schritte C1 bis D1 fortlaufende Bestandteile der Organisationsentwicklung sein können. Die Bewertung des ›relevanten Systems‹, die Bewertung von Veränderungsmöglichkeiten und die strategische Ausrichtung des Veränderungsprozesses können fortlaufend reflektiert, hinterfragt und aktualisiert werden. Auch für diesen Schritt ist die Klärung der zu beteiligenden Personen entscheidend, da sowohl die Gefahr besteht, zentrale Sichtwiesen auszuschließen, als auch aufgrund zu vieler Sichtweisen keine gemeinsame Orientierung herstellen zu können.
Abbildung 26: Übersicht über die generischen Prinzipien der Systemanalyse
A. Kommunikation herstellen A1. Resonanz erzeugen Am Anfang einer Veränderung, während sie vonstattengeht, und an ihrem Ende steht Kommunikation. Ein zentraler Punkt für den Erfolg von Veränderungen liegt nicht nur darin, was an Ideen, Bewertungen, Anweisungen, Zielen, Strategien, Befürchtungen, Lob, Tadel und dergleichen mehr kommuniziert wird, sondern schon in der Entscheidung, wer, wann, wo, mit wem und wozu kommuniziert. Wer unter welchen Bedingungen in Entscheidungen, Erarbeitungsschritte und
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Rückmeldungen eingebunden wird, ist eine wichtige Planungsfrage bei Veränderungsprozessen. Resonanz zu erzeugen, bedeutet in diesem Zusammenhang, das System zum Klingen zu bringen, den Resonanzraum zu bestimmen und den dabei entstehenden ›Geräuschen‹ zu lauschen. In dieser Resonanz können sowohl Missklänge als auch Wohlklänge wahrgenommen werden. Eigene Kommunikationen und Veränderungen können gezielt darauf ausgerichtet werden, in welchem Umfang Aufnahmebereitschaft bei anderen vorhanden ist und sie ›auf der gleichen Wellenlänge‹ liegen (vgl. Haken u. Schiepek, 2006, S. 439). Andererseits kann aber auch bewusst gegen diese Resonanz gehandelt werden, vor allem dann, wenn es nicht darum geht, sich auf den bestehenden Kommunikations-Rhythmus einzustimmen und mitzuschwingen, sondern das Resonanzmuster zu verändern (vgl. ebd.; Kruse, 2004, S. 60 ff.). Neben den Aspekten der Kommunikation und des Kommunikationsraums kommt dem Begriff der Resonanz noch eine weitere Bedeutung zu, die die Zustimmung oder auch Begeisterung für Ideen und Veränderungen umfasst. Wenn etwas resonanzfähig ist oder auf Resonanz trifft, kommt ein großer Teil des Systems ›in Schwingung‹. Wird hierbei der Punkt der ›Eigenschwingung des Systems‹ erreicht, erklingt ›der Ton‹ lange und nachhaltig und kann sich über ›Rückkopplungsschleifen‹ sogar noch verstärken. Bezogen auf soziale Systeme kennt man dieses Resonanzphänomen beispielsweise von Moden, Trends oder Hypes, aber auch von längerfristigen Veränderungen, bei denen sich eine Neuerung gegen eine andere durchsetzt, beispielsweise bei Video- und Speicherformaten oder wissenschaftlichen Konzepten. Hierbei kann es zum Ausklingen einer bisherigen Resonanz und der Ausweitung einer neuen kommen, wobei sich beide überschneiden. Neben dem Erzeugen, Testen und Hören von Resonanzen gilt es in Veränderungsprozessen auch herauszufinden, was auf große Resonanz stößt. Wenn man große Resonanz oder Eigenschwingung auch nicht linear steuern kann, so ist es doch möglich, bestimmte Resonanzen zu verstärken und die Rahmenbedingungen dafür zu verbessern: –– Das System zum ›Erklingen‹ bringen, –– Austausch sicherstellen, –– Veränderungsnotwendigkeit kommunizieren, –– Wünsche und Hoffnungen erfahren, –– Ängste und Befürchtungen hören, –– Beteiligung ermöglichen, –– Meinungsäußerungen und Feedbacks während des gesamten Prozesses ermöglichen, –– Resonanzfähigkeit von Ideen und Veränderungen prüfen. Methodische Anmerkungen: Zur Erzeugung und zur Wahrnehmung von Resonanz stehen viele methodische Möglichkeiten zu Verfügung. Zum einen bestehen diese Möglichkeiten im Auf-
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greifen schon vorhandener Resonanz (z. B. Besprechungen, Flur-Funk) und in der Nutzung bestehender Resonanzräume (z. B. Sitzungen, Meetings, Unterrichtsstunden), aber auch in der Organisation zusätzlicher Resonanzräume und -formen, wie Beratungstermine, Coachingtermine, Zukunftswerkstätten, Open-Space-Veranstaltungen, Sounding Boards, Reflecting Team, Vorträge, Wandzeitungen, Newsletter, Befragungen, Interviews und dergleichen mehr (siehe auch Kapitel 6.3.2: Durchführung der Eingangsanalyse). Analog zu Trend- und Mode-Scouts in der Wirtschaft können auch Innovations- und Veränderungs-Scouts in der Organisation eingesetzt werden, um entstehende Resonanzen innerhalb und außerhalb des Systems wahrzunehmen. Dieses Prinzip lässt sich auch auf Veränderungen von Einzelpersonen, Teams oder Schulklassen übertragen, indem man das System und seine Umwelt auf vorhandene und mögliche Resonanzen ›abklopft‹. Hilfreich ist es auch schon, nur darüber zu spekulieren, welche Resonanzen innerhalb und außerhalb des jeweiligen Systems vorhanden und möglich sind, wie es in der systemischen Beratung etwa mithilfe zirkulären Fragens oder verschiedener Formen der Aufstellung getan wird (siehe auch C1: Identifikation des relevanten Systems und Analyse von Relationen und Mustern). Da Resonanz ein zentrales Prinzip der Veränderung ist, welches durchgängig eine Rolle für die Analyse- wie auch für die Prozess-Ebene spielt, gilt es die vielen Formen und Möglichkeiten der Resonanz gezielt für die jeweilige Phase des Veränderungsprozesses zu nutzen. Hierbei gilt es zu bedenken, dass sich Resonanz nicht steuern lässt. Sie entsteht immer dort, wo etwas ›zum Erklingen‹ drängt, und sei dies auf dem Flur oder in der Teeküche, nach Feierabend zuhause, beim Stammtisch, beim Sport, im engeren Kollegenkreis oder wenn Chefs, Lehrer, Eltern oder Schüler unter sich sind. B. Vision und Zielorientierung B1. Langfristige Vision beschreiben Für jeden Veränderungsprozess ist es entscheidend, eine Vision oder ein langfristiges Ziel zu formulieren. Gute Antworten auf Fragen nach dem ›Wohin?‹ und ›Wozu das Ganze?‹ können Veränderungen beflügeln, schlechte Antworten können Veränderungen bremsen. Sei es bei individuellen Veränderungen, Veränderungen eines Teams, eines Unternehmens, einer Schule oder einer sonstigen Organisation, eine mächtige, geteilte und attraktive Vision ist ein Grundpfeiler für gemeinsames Handeln und Engagement. Sie bildet sozusagen die Leitsterne und Leuchttürme, an denen man Veränderungen ausrichtet und die dazu dienen, bei den teilweise kleinschrittigen Bemühungen im Veränderungsprozess nicht die Orientierung zu verlieren. Visionen dienen dazu, bezogen auf die Mühen von Veränderungen Attraktivität zu erzeugen. Andere Aspekte von Zielformulierungen spielen hierbei eine eher untergeordnete Rolle (siehe SMART-Modell, F.u.Z., Kapitel 5.2.1: Kriterien guter Zielformulierungen). Überträgt man diesen Schritt auf das Systemmodell mit Hügeln und Tälern, könnte man auch sagen, dass durch die Formulierung der langfristigen Vision sozusagen das zukünftige Tal bzw. der neue Ordnungszustand beschrieben
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werden (siehe Kapitel 6.4.3: Veränderung als Übergang zwischen zwei stabilen Zuständen). Ein wichtiger Faktor für die Beschreibung einer langfristigen Vision ist, durch wen sie initiiert wird und wer an ihrem Entwurf und ihrer Beschreibung beteiligt ist. Das generische Prinzip der ›Erzeugung von Resonanz‹ steht daher ganz bewusst an erster Stelle, da die Initiierung von Veränderungsprozessen und der Entwurf der Vision zentrale Resonanzräume darstellen: –– Vielfältige Visionen sammeln, –– Visionen differenzieren und zusammenfassen, –– Werte und Bedürfnisse benennen, –– Ideale und Träume beschreiben, –– Prioritäten setzen, –– Überprüfung und Sicherstellung der Attraktivität. Methodische Anmerkungen: Die Formulierung einer Vision bzw. eines langfristigen Ziels lässt sich methodisch auf vielfältige Weise begleiten, wobei vor allem auch sogenannte Zukunftswerkstätten oder Klausurtagungen genutzt werden können. Ohne diese Zielfokussierung sind Veränderungsprozesse schnell zum Scheitern verurteilt gemäß dem Sinnspruch: ›Wer nicht weiß, wohin er segeln möchte, für den ist kein Wind der richtige.‹ Es sollte vermieden werden, irgendwelche anderen Schritte zu unternehmen, bevor es eine geteilte Vision gibt. Sowohl die Systemanalyse (C) als auch die Konkretisierung der Zielorientierung (D) und die gesamte Prozess-Ebene richten sich hierauf aus. C. Systemanalyse durchführen C1. Das relevante System definieren und seine Relationen und Muster analysieren Wer und was (welche Komponenten) gehören überhaupt zu dem System, für das Veränderungen geplant sind? Und in welchen Beziehungen (Relationen) stehen sie zueinander (vgl. Lindemann, 2008, S. 54–67)? Zum relevanten System gehören nicht nur Personen, Abteilungen oder Teams, sondern auch Rollen, Glaubenssätze, Gebäude, Materialien, geschriebene und ungeschriebene Gesetze, verdeckte Ziele, Stolpersteine und dergleichen mehr (vgl. ebd., S. 89 ff.). Auch die Systemumwelt kann eine entscheidende Rolle bei Veränderungen spielen. Nicht zuletzt gehören hier z. B. andere Schulen, Eltern oder Nachbarn dazu. Alle Elemente des relevanten Systems stehen in Beziehung zueinander. Diese Beziehungsmuster sind für Veränderungen entscheidend, da jede Veränderung an den Elementen selbst oder an ihren Beziehungen untereinander ansetzt. Eine Vorstellung davon, welche Beziehungsmuster es zwischen welchen Elementen gibt, wie stark und stabil diese Beziehungen sind, hilft dabei, diese bei der Planung von Veränderungen zu berücksichtigen: –– Das relevante System der Veränderungen beschreiben, –– Systemgrenzen identifizieren,
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–– das Bezugssystem darstellen, –– die Dynamik im Bezugssystem darstellen, –– Muster, Systemprozesse, Ordnungsparameter und Attraktoren im relevanten System beschreiben und analysieren. Methodische Anmerkungen: Alle Teilprinzipien der Systemanalyse lassen sich sehr gut in Form von Systemund Strukturaufstellungen mit Figuren, Plastik-Tieren, Lego®, Playmobil®, Zetteln, Strukturkarten und dergleichen realisieren. Diese Form der Bearbeitung hat den Vorteil, dass die oft komplexe Dynamik der Systemzusammenhänge nichtlinear dargestellt wird und in der Identifikation (C1), Bewertung (C2) und Veränderungssimulation (C3) flexibel gehandhabt werden kann. Durch das Aufstellen der Systembestandteile und eine Simulation von Veränderungsschritten bleiben alle Systembestandteile trotz zeitweiliger Fokussierung auf Teilbereiche im Blick, auch können die einzelnen Bearbeitungsschritte gut fotografisch dokumentiert werden. C2. Kontrollparameter identifizieren und Wirkzusammenhänge bewerten (Synergität) Unter den Elementen und Beziehungen des relevanten Systems gibt es einige, die besonders wichtig oder machtvoll sind. Diese Elemente und Beziehungen sind zentrale ›Stellschrauben‹ für Veränderungsprozesse, da sie durch ihr Bestehen oder ihre Veränderung sowohl zum Erfolg als auch zum Scheitern der Veränderung des Gesamtsystems beitragen können. Hierzu gehören alle Personen, Abläufe und Strukturen, die zur Energetisierung und Veränderung beitragen oder sie stören und verhindern können. In der Betrachtung des relevanten Systems, seiner Muster und Kontrollparameter müssen auch die Wirkzusammenhänge der Systembestandteile bewertet werden. Das heißt zu bewerten, was bezogen auf den geplanten Veränderungsprozess auf welche Weise zusammenwirkt und welche Anreize es bezogen auf Kontrollparameter gibt, die eine Veränderung oder Nicht-Veränderung begünstigen. Eine hilfreiche Synergität besteht in der Stimmigkeit und Zielorientierung der Wirkzusammenhänge (vgl. Haken u. Schiepek, 2006, S. 437 f.). Alles, was eine gemeinsame Bewegung zum Ziel hin fördert und Anreize hierfür schafft, ist für das Gelingen der Veränderung bedeutsam: –– Wichtige Personen, Ressourcen und Prozesse markieren, –– Machtpositionen erkennen, –– Stellschrauben sichten, –– Korrespondenz von individuellen und gemeinsamen Zielvorstellungen identifizieren, –– gemeinsame Vorteile und Gewinne herausarbeiten, –– Gemeinsamkeiten in den Vorgehensweisen darstellen, –– Kooperationen definieren, –– Win-win-Situationen herausfiltern.
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Methodische Anmerkungen: Im Rahmen der ›Identifikation des relevanten Systems und der Analyse von Relationen und Mustern‹ (C2), können die einzelnen Komponenten und Relationen des relevanten Systems daraufhin bewertet werden, wie wichtig sie für die geplante Veränderung sind, wie stabil sie sind bzw. wie schwer sie zu verändern wären und wie dringlich ihre Veränderung ist (vgl. Lindemann, 2008, S. 59 ff.). Hierbei können ›Stützpfeiler‹, ›Stolpersteine‹, ›Rücken- und Gegenwinde‹, ›Sand und Schmiere im Getriebe‹ benannt werden, die für die geplante Veränderung als hilfreich oder hinderlich erachtet werden. C3. Systemveränderung simulieren Nachdem das relevante System analysiert und bewertet wurde, kann mit möglichen Veränderungen hinsichtlich der beschriebenen Vision experimentiert werden. Es können Komponenten hinzugefügt und entfernt werden, man kann Komponenten umstellen und verändern. Diese Form der gedanklichen Vorwegnahme dient dazu, Kontrollparameter in Bewegung zu bringen und dabei hilfreiche und hinderliche Konstellationen, Muster und Komponenten in neuen Situationen zu überprüfen. Eine solche Simulation nimmt die Veränderung aus der Sicht der daran beteiligten Personen vorweg und ermöglicht es, Schritte der Zielerreichung sowie Stolpersteinen und Meilensteine des Veränderungs prozesses zu identifizieren: –– Veränderungsschritte vorweg- und wieder zurücknehmen, –– Stolper- und Meilensteine erkennen, –– Systemdynamik überprüfen, –– ›So tun, als ob‹, –– ›Best Case‹- und ›Worst Case‹-Szenarien entwerfen, –– eine ›Belastungsprobe‹ des identifizierten Systems simulieren. Methodische Anmerkungen: Die Simulation der Veränderung gleicht einem Spiel mit den vielen Möglichkeiten, die Veränderung anzupacken und zu gestalten. Im Gegensatz zum tatsächlichen Veränderungsverlauf können hierbei immer wieder Pausen eingelegt werden, die Zeit kann ›eingefroren‹ oder ›zurückgedreht werden‹, es können mehrere Alternativen ausprobiert werden. Bei diesem Schritt sollte der ›Spaß‹ an dieser ›So-tun-als-ob-Perspektive‹ überwiegen, wobei ein dogmatisches Feilschen um ›den richtigen Weg‹ eher hinderlich ist. D. Zielorientierung konkretisieren D1. Teilziele und Maßnahmen definieren Ziele und Zielformulierungen sowie deren Attraktivität für die Beteiligten sind von entscheidender Bedeutung. Die zu Beginn entworfene, für alle attraktive, geteilte und langfristige Vision des künftigen Zustandes ist jedoch zunächst nur eine (vage) Verheißung dessen, was am Ende aller Bemühungen stehen
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soll. Gerade in komplexen Systemen stellt sich zudem die Frage, welche einzelnen Systembestandteile sich wie, wann und in welcher Weise bewegen sollen, um zum Erreichen des Gesamtziels beizutragen. Um für die Handlungsplanung nutzbar zu sein, müssen diese in greifbare Teilziele und Maßnahmen gegliedert werden. Aus der Simulation der Veränderung lassen sich einzelne Schritte ableiten. Auch kann die Abfolge von Einzelschritten aufeinander abgestimmt werden, das Erreichen der Vision kann auf übersehbare Teilziele heruntergebrochen werden. Solche ›Eckpfeiler auf dem Weg zum Ziel‹ helfen zum einen dabei, einen groben Fahrplan der Veränderung zu erstellen, dienen aber auch dazu, die Veränderung in ihrem geplanten Ablauf zu kommunizieren (›Resonanz‹). Ein Einbezug von direkt an den geplanten Veränderungen beteiligten Personen ist für die Definition von Teilzielen und Maßnahmen oft hilfreich, wobei jedoch die Ausrichtung an der entwickelten grundlegenden Vision berücksichtigt werden sollte: –– Erste Schritte der Veränderung beschreiben, –– Teilschritte definieren, –– einzelne Maßnahmen beschreiben und aufeinander abstimmen, –– allgemeine Ideen konkretisieren, –– die ›Architektur‹ oder den Rahmenplan entwerfen. Methodische Anmerkungen: Für die Zielformulierung gibt es viele Modelle, die auch zu ihrer Überprüfung herangezogen werden können. Wichtig ist es hierbei, einige Grundprinzipien der Formulierung von Zielen zu beachten (SMART-Modell, Anwesenheit von etwas, positiv formuliert; siehe F.u.Z., Kapitel 5.2.1: Kriterien guter Zielformulierungen). E bis H: SYSTEMVERÄNDERUNG Die Erzeugung von Resonanz (Kommunikation und Austausch) ist auch im Verlauf des Veränderungsprozesses ein zentrales Prinzip (A1). Der Sinn der Veränderung muss ebenso geklärt werden wie die Systembedingungen, die trotz Veränderung stabil bleiben werden (E1 und E2). Günstige und ungünstige Zeitpunkte sowie parallele und gemeinsame Veränderungen müssen in Planungen und Handlungen Beachtung finden (F1 und F2). Das System benötigt während des gesamten Veränderungsprozesses Energie, es muss aus seiner stabilen Lage gebracht und seine Bewegung muss aufrechterhalten und verstärkt werden (G1 und G3). Nach einer gezielten Markierung der zentralen Symmetriepunkte zu Beginn der Veränderung und auf dem Scheitelpunkt der Instabilität (G2 und H1) muss das System abschließend in dem Zielzustand stabilisiert werden (H2). Eine Übersicht über die einzelnen Prinzipien der Systemveränderung lässt sich auf die Modellvorstellung des Phasenübergangs zwischen zwei stabilen Zuständen übertragen (Abbildung 27):
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Abbildung 27: Übersicht über die generischen Prinzipien auf der Systemveränderung
E. Veränderungsbereitschaft erzeugen E1. Sinnbezug herstellen Um sich der Anstrengung einer Veränderung auszusetzen, muss sie als sinnvoll angesehen werden. Dieser Sinn bezieht sich beispielsweise auf die gesamte Organisation oder Schule, die Abteilung, das Team, die Familie, die Schulklasse und jede einzelne beteiligte Person. Wenn hierbei gegenläufige oder verdeckte Ziele existieren, die für die Beteiligten mehr Sinn ergeben, werden Veränderungen schwierig, und es muss vermehrt mit Widerständen oder auch Sabotage gerechnet werden. Sinn kann dadurch entstehen, dass es zunehmend sinnloser erscheint, in alten Mustern zu verharren, oder indem es zunehmend sinnvoller wird, neue Muster anzunehmen oder zu erzeugen. Der Sinnbezug muss in organisationalen Veränderungsprozessen immer auf der Ebene der Organisation (Was bringt das für die Schule, Schulklasse etc.?) und auf der Ebene des Individuums hergestellt werden (Was bringt das für mich als Lehrer, Schüler etc.?): –– Die sinnhafte Einordnung und Bewertung des Veränderungsprozesses durch die Beteiligten fördern, –– Veränderungsnotwendigkeit begründen, –– einen Bezug zu Lebensstilen und persönlichen Entwicklungsaufgaben der einzelnen Beteiligten herstellen, –– individuelle Ideen und Aufgaben in den Gesamtkontext einbinden, –– persönliche Vision und Mission in Zusammenhang zum Veränderungsprozess setzen, –– gemeinsame Verantwortung schaffen, –– Korrespondenz von individuellen und gemeinsamen Zielvorstellungen verdeutlichen.
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Methodische Anmerkungen: Zur Herstellung von Sinnbezug ist vor allem die Dynamik zwischen den verschiedenen individuellen und organisationalen Zielen, Rollenmodellen und Glaubenssätzen entscheidend. Methodisch geht es hierbei oft darum, mit den verschiedenen Selbst- und Fremdwahrnehmungen zu arbeiten, Verständnis zu erreichen und gemeinsamen Sinn herzustellen. Zentral ist die Frage des Einzelnen nach der Attraktivität der Ziele und Veränderungen. Hier befindet sich Organisationsentwicklung im Spannungsfeld zwischen individuellem und organisationalem Gewinn. Am erfolgversprechendsten sind Veränderungsprozesse, wenn der Sinn oder die Werte und Bedürfnisse, die durch eine organisationale Veränderung angesprochen werden, nicht nur für die Organisation, sondern auch für die beteiligten Individuen erstrebenswert sind. E2. Stabilitätsbedingungen schaffen Bei allem, was sich verändern soll, gibt es auch immer etwas, das von Bestand ist. Es ist wichtig, diesen Bestand immer wieder zu definieren und sich bewusst zu machen. Erst ein ausreichendes Maß an Stabilität ermöglicht es auch, Veränderungen anzugehen. Je umfassender und auch bedrohlicher Veränderungen sind, desto entscheidender sind diese Stabilitätsbedingungen. Eine neue Arbeit in einer fremden Stadt anzunehmen ist beispielsweise einfacher, wenn die Bezahlung und der Umzug gesichert sind, der Lebensgefährte bereit ist mitzukommen und ein guter Freund schon in der unbekannten Stadt wohnt. Wenn die Bezahlung unsicher ist, der Umzug komplett allein organisiert werden muss, der Lebensgefährte mit Trennung droht und man in der unbekannten Stadt niemanden kennt, ist die Entscheidung für die berufliche Veränderung weitaus schwieriger: –– Maßnahmen zur Erzeugung struktureller und emotionaler Sicherheit durchführen, –– Vertrauen schaffen, –– Selbstwert unterstützen, –– Transparenz herstellen, –– Planungssicherheit bieten, –– Stabilitätsbedingen verdeutlichen, –– feste Ansprechpersonen und Kooperationspartner benennen, –– stabile Rahmenbedingungen schaffen. Methodische Anmerkungen: Was unverändert bleiben und Stabilität bieten soll, ist wie das Gepäck, das man mit auf eine Reise nimmt, und wie die Personen, mit denen man gemeinsam diese Reise antritt. Neben verschiedenen Fragetechniken bieten sich auch metaphorische Gruppenarbeitsformen an, diese Stabilitätsfaktoren zu beschreiben. Der Grundgedanke des Spiels ›Ich packe meinen Koffer …‹ kann hierfür Pate stehen. Die zu erhaltenden Stabilitätsfaktoren können auch in eine Prioritätenfolge gebracht werden. Bei jedem benannten Faktor können die Fragen beantwortet werden: ›Wie
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hilft dieser Stabilitätsfaktor uns (bzw. mir) bei der anstehenden Veränderung?‹ und ›Was bringt uns (bzw. mir) dieser Stabilitätsfaktor nach der Veränderung?‹ F. Gutes Timing sicherstellen F1. Günstige und ungünstige Zeitpunkte beachten Es gibt Zeitpunkte, die denkbar günstig oder denkbar ungünstig sind für Veränderung. Will man günstige Zeitpunkte nutzen und ungünstige Zeitpunkte vermeiden, sollte man vorausschauend überlegen, wo sich diese Zeitfenster befinden. Diese können saisonal bedingt sein, mit anderen Veränderungsprozessen zu tun haben oder auch mit der vorübergehenden bzw. dauerhaften Anwesenheit oder Abwesenheit bestimmter Personen: –– Günstige Phasen und Zeitfenster erkennen, –– ungeeignete Phasen und Zeitfenster identifizieren, –– geeignete innere und äußere Zeitpunkte finden, –– Aufnahmebereitschaft beteiligter Personen beachten. Methodische Anmerkungen: Zunächst lässt sich fragen, was die ungünstigsten Zeitpunkte für bestimmte Veränderungen, Maßnahmen oder Handlungen sind. Diese können saisonal bedingt sein, etwa vor der Urlaubszeit oder im ›Weihnachtsstress‹, oder sie beziehen sich auf aktuelle Gegebenheiten wie einen hohen Krankenstand oder gerade laufende andere Veränderungen, die ohnehin für Unruhe sorgen. Oft sind es auch externe Gegebenheiten, die günstige Zeitpunkte bedingen, wie bestimmte Fördermittel, die nur in begrenztem Umfang oder für eine begrenzte Zeit zur Verfügung stehen. Bei einigen Veränderungen oder Maßnahmen ist es auch entscheidend, ob sie am Anfang einer Arbeitswoche, an ihrem Ende oder am Wochenende stattfinden. So können beispielsweise Treffen, Gespräche oder Sitzungen an einem Freitag wenig sinnvoll sein, wenn durch sie Fragen aufgeworfen werden, die die Beteiligten mit in das Wochenende nehmen, ohne sie klären zu können. Anders ist es, wenn hingegen beabsichtigt ist, dass die Beteiligten nicht direkt im Anschluss miteinander in Kontakt kommen, sondern sich zunächst selbst Gedanken machen sollen. Der Einbau einer neuen Telefonanlage oder eines neuen Computersystems ist beispielsweise dann sinnvoll, wenn diese Systeme gerade nicht oder nur wenig genutzt werden müssen. Günstige und ungünstige Zeitpunkte können beispielsweise in Jahresplanern oder auf einer Timeline – entsprechend einer Ampel – rot, gelb und grün markiert und für die Planung berücksichtigt werden (siehe F.u.Z., Kapitel 5.2.5: Projekte und Projektarbeit). F2. Synchronizität nutzen und erzeugen Wo gleichzeitig an den gleichen oder ähnlichen Projekten oder Themen gearbeitet wird, haben die beteiligten Personen die Chance, ihre Erfahrungen auszutauschen und sich zu unterstützen, aber auch Arbeitsschritte zu verknüpfen oder untereinander aufzuteilen. Das Prinzip von Selbsthilfegruppen, Vereinen
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und Interessengruppen funktioniert so: Unterschiedliche Personen treffen sich, tauschen sich aus und unterstützen sich, weil sie ein gleiches oder ähnliches Thema verbindet. Solche thematischen, räumlichen und zeitlichen Synchronizitäten können eine langfristige Abstimmung aufeinander bewirken oder auch nur eine zeitweilige Kooperation. Als relevanter Faktor ist hierbei zu beachten, inwieweit sich die Synchronizität als Kooperation oder als Konkurrenz äußert. Beides kann sinnvoll, aber auch hinderlich sein. Kooperation kann ebenso zu Gleichmacherei und mangelnder Herausforderung führen wie zu Qualitätssteigerung und Effektivierung von Arbeitsprozessen. Konkurrenz kann zu Neid, Missgunst oder auch Sabotage führen oder aber ›das Geschäft beleben‹ und zu unterschiedlichen Erfolgsmodellen führen, die gleichermaßen genutzt werden können: –– Passung und Rhythmisierung von Veränderungsschritten herstellen, –– Vorgehensweisen und Kommunikationsstile aneinander anpassen, –– psychische und soziale Prozesse der Beteiligten rhythmisieren, –– Anschlussfähigkeit an individuelle und gemeinschaftliche Voraussetzungen prüfen und herstellen, –– technische und organisatorische Veränderungen aufeinander abstimmen, –– Aufnahmebereitschaft und Austausch beachten, –– Verhaltensweisen ritualisieren, –– Feedback-Schleifen verstärken. Methodische Anmerkungen: Für eine Synchronisierung von Veränderungsschritten muss zunächst herausgearbeitet werden, welche Personen gerade mit gleichen, ähnlichen oder auch verschiedenen Veränderungsprozessen oder Einzelmaßnahmen befasst sind. Dann kann auf einer Zeitlinie oder in einem Projektverlaufsplan (siehe D1: Teilziele und Maßnahmen definieren) festgehalten werden, wer mit wem parallel an Veränderungen arbeitet, wie sie sich austauschen (A1: Resonanz erzeugen) und wann sie planen, einzelne Veränderungsschritte zu beenden. Eine solche Koordination kann auch die Form eines Staffellaufs haben, bei dem der eine seinen Teil beendet und den ›Veränderungsstab‹ an den Nächsten übergibt, der dann mit seinem Teil der Veränderung beginnt. Synchronisation sollte gezielt dazu genutzt werden, gegenseitig von Erfolgen zu profitieren und aus Miss erfolgen zu lernen. G. Veränderungen herbeiführen G1. Energetisierung ermöglichen Veränderung braucht Energie: Die Kugel muss ins Rollen gebracht werden. Motivation, Anerkennung, Freude, Spaß, in Aussicht gestellte Belohnungen, Veränderungsdruck, gute materielle Ausstattung, zeitliche Ressourcen, soziale Ereignisse, all dies und noch mehr sind energetisierende Faktoren, die gezielt auf das Gelingen von Veränderungen hinwirken, sie einleiten, aufrechterhalten und bis zum Abschluss begleiten können. Energetisierung gilt es zu Beginn von Verän-
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derungsprozessen herzustellen, aber auch während der Veränderung in ausreichendem Maße sicherzustellen: –– Motivationsfördernde Bedingungen herstellen, –– Ressourcen aktivieren, –– Bezug zu Zielen und Anliegen der Beteiligten erzeugen, –– emotionale und motivationale Bedeutung stärken, –– Empowerment und Faszination fördern, –– Handlungsschritte umsetzen, –– Erfolge erzeugen. Methodische Anmerkungen: Energetisierung ist eine sehr emotionale Komponente in Veränderungsprozessen. Bis hin zu Gänsehaut und Euphorie kann es spürbar sein, wenn ein Veränderungsprozess energetisch gut versorgt ist. Methodisch kann hier einiges im wahrsten Sinne des Wortes ›in Szene gesetzt‹ werden. Die Grenze zwischen Energetisierung und aufgesetztem Event ist jedoch oft schmal. Sehr hilfreich sind die alltäglichen Energien und ›Tankstellen‹, die durch die ›intrinsische Energie‹ der Veränderung selbst entstehen, durch das Gefühl, einem gemeinsamen und eigenen Ziel näher zu kommen und durch ernst gemeinte Anerkennung, Wertschätzung und Unterstützung. Weitere Mittel zur Energetisierung sind Objekte wie T-Shirts, Buttons, Lieder, Hymnen, Slogans, Mottos, Poster, Plakate und dergleichen, die den Veränderungsprozess unterstützen. G2. Gezielte Symmetriebrechung Im ursprünglichen Modell der generischen Prinzipien bezieht sich die Symmetriebrechung auf die Phase der Veränderung, in der »zwei oder mehrere Attraktoren […] eines Systems im Zustand kritischer Instabilität potentiell mit gleicher oder ähnlicher Wahrscheinlichkeit realisiert werden können« (Haken u. Schiepek, 2006, S. 439). In der hier vorgeschlagenen Erweiterung findet jedoch ein weiterer Symmetriepunkt Beachtung: der ursprüngliche Zustand vor der Veränderung. Eine gezielte Symmetriebrechung ist zu Beginn von Veränderungsprozessen sinnvoll, um eindeutig den Zeitpunkt zu markieren, an dem das ›business as usual‹ beendet ist und eine Phase zunehmender Instabilität beginnt. Die Kugel wird aus ihrer symmetrischen Lage im Tal in Bewegung gebracht: –– Aufbruch markieren (›point of no return‹), –– den Startschuss geben, –– Zielorientierung verdeutlichen, –– erste Weichenstellungen vornehmen, –– den Beginn feiern. Methodische Anmerkungen: Methodisch gilt es, den Beginn der Veränderung für alle Beteiligten sichtbar zu markieren. Diese Symmetriebrechung hat zum Ziel klarzustellen, dass es ab hier
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nicht wieder zurückgeht. Zu Beginn von Veränderungsprozessen können Auftaktveranstaltungen, Vereinbarungen und Verträge stehen, die durch eine entsprechende Energetisierung und Destabilisierung begleitet werden (G1 und G3). G3. Destabilisierungen erzeugen und Fluktuationsverstärkungen bewirken Mit Beginn einer Veränderung müssen Ereignisse, Verhaltensweisen, Situationen in der Umgebung einsetzen, die den alten, gewohnten Strukturen und Mustern entgegenstehen. Es müssen destabilisierende Faktoren eingeführt werden, die einen klaren Unterschied zum Bisherigen markieren (vgl. Haken u. Schiepek, 2006, S. 439). Das Zusammenwirken von Energetisierung und Destabilisierung muss aufrechterhalten und verstärkt werden. Setzen Energetisierung und Destabilisierung zu früh aus, rollt die Kugel zurück in das bekannte Tal und restabilisiert die alten Muster und Gewohnheiten. Gerade zum Scheitelpunkt der Veränderung hin braucht es oft ›etwas mehr‹ von beidem, um den ausschlaggebenden Ruck zu geben. Fluktuationsverstärkung entsteht sowohl durch Erhöhung des Drucks aus den alten und stabilen Mustern heraus, als auch durch Verstärkung des Zugs zu neuen und noch unstabilen Mustern hin: –– Experimente durchführen, –– Musterunterbrechungen erzeugen, –– Unterscheidungen und Differenzierungen einführen, –– Ausnahmen herausstellen, –– ungewöhnliches und neues Verhalten zeigen, –– Konfrontation und Provokation zulassen, –– Veränderungsdruck und Sog zum Ziel verstärken, –– Fließgeschwindigkeit des Prozesses aufrechterhalten und erhöhen, –– Herausstellung der ersten Erfolge, –– nicht nachlassen. Methodische Anmerkungen: Destabilisierung und Fluktuationsverstärkung werden durch gelebte Veränderungen und Experimente erreicht. Methodisch geht es hier darum, diese Experimente zu planen, beizubehalten und zu verstärken. Eine gute Kommunikation zwischen den Akteuren (A1), Energie (G1) und Beharrungsvermögen sind hierfür wichtig. Zur Fluktuationsverstärkung muss die Energetisierung des Veränderungsprozesses gesteigert werden können. Wenn man zu Beginn der Veränderung schon ›alles Pulver verschossen‹ hat, kann die Energetisierung und Fluktuationsverstärkung zu späteren Zeitpunkten schwierig werden. H. Ziele erreichen und sichern H1. Gezielte Symmetriebrechung Am Punkt maximaler Instabilität gilt es, alle Bewegung auf das ›Ziel-Tal‹ auszurichten und den Blick auf eine anstehende Konsolidierung der Veränderungsprozesse zu richten. Ab hier muss klar herausgestellt werden, dass die alte Sta-
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bilität der Vergangenheit angehört und es nun nur noch das Neue abschließend zu etablieren gilt: –– Zielorientierung auf Verstetigung richten, –– Voraussicht, Vorwegnahme und Realisation von Strukturelementen des neuen stabilen Ordnungszustands, –– Ritualisierung gewünschter Handlungsweisen anbahnen, –– Weichenstellung in Richtung Stabilisierung, –– Entwicklungen am kritischen Punkt in die gewünschte Richtung verstärken. Methodische Anmerkungen: Für die Einleitung der Konsolidierungsphase können ›Gipfelfeste‹, Countdowns, Veröffentlichungen von Evaluationen, Sammlungen positiver Erfahrungen mit der Veränderung, Ausstellungen bisheriger Erfolge, Vorabveröffentlichungen entstandener Texte und dergleichen mehr genutzt werden. H2. Re-Stabilisierung Hat die Veränderung weitgehend einen neuen Stabilitätszustand erreicht, gilt es diesen abzusichern, zu verstärken, Prozesse zu ritualisieren und das Neue und Veränderte zu festigen. Dieser neue Zustand sollte mit dem Gefühl, ›es geschafft zu haben‹, ›am Ziel angekommen zu sein‹, und nun eine ›Phase der Ruhe‹ genießen zu können, verbunden sein. Ist das erreichte Ziel nur ein Zwischenschritt in einem längeren Veränderungsprozess, sollte er zwar ebenfalls eine entsprechende Würdigung erfahren, der nächste Teilschritt sollte aber nicht zu lange auf sich warten lassen. Wird durch die Re-Stabilisierung das Ende eines umfangreichen und auch abgeschlossenen Veränderungsprozesses markiert, sollte nicht gleich eine weitere Veränderung einsetzen, damit die damit verbundene neue Destabili sierung der Re-Stabilisierung nicht entgegenwirkt: –– Ergebnisse sichern, –– neue Muster ritualisieren, –– neue Kognitions-Emotions-Verhaltens-Muster automatisieren und generalisieren, –– Regeln festschreiben, –– Ergebnisse veröffentlichen, –– neue Symbole und Sprachmuster verstetigen, –– Identifikation mit den neuen Mustern verstärken, –– Aufgaben- und Rollenklarheit herbeiführen, –– den Abschluss feiern. Methodische Anmerkungen: Die Re-Stabilisierung baut darauf, alles Neue und Veränderte zum Alltag werden zu lassen. Hierzu sind alle Formen von Ritualen, Symbolen, Verschriftlichungen, Checklisten und Erfolgserlebnissen mit den Neuerungen sinnvoll. Wichtig sind aber auch ›Warnsysteme‹ für das Auftreten alter und unerwünschter Muster und
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Verhaltensweisen sowie Ideen, wie man mit diesen umgeht. Die Re-Stabilisierung sollte emotional verankert sein mit Gewissheiten wie: ›Wir haben es geschafft!‹, ›Das hat sich gelohnt!‹, ›Wir sind damit erfolgreich!‹. Ist die Veränderung auf dieser Ebene von Emotionen und Glaubenssätzen nicht angekommen, kann sich schnell Trauer über den Verlust des ›besseren früheren Zustands‹ einstellen sowie die Tendenz, zu diesem zurückzukehren. Daraus entstehende ›Rückfälle‹ sind meistens dadurch gekennzeichnet, dass es zunehmend schwieriger wird, wieder in den gewünschten Zustand zurückzukehren. Werden jedoch – am besten durch möglichst viele Beteiligte – emotionale und verhaltensmäßige Erfolge mit dem neuen Stabilitätszustand erlebt, führt dies zu einer nachhaltigen Stabilisierung.
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Übungen: 1. Formulieren Sie Fragen zu den einzelnen generischen Prinzipien, deren Beantwortung Ihnen Aufschluss über den Stand von Veränderungen und über notwendige Handlungsschritte geben kann. Wem sollten diese Fragen jeweils gestellt werden? 2. Entwerfen Sie ein Feedback- und Beobachtungssystem (z. B. in Form von Ausschlusskriterien, Feedbacks, Befragungen, Wertungssystemen), das Ihnen anzeigt, welche generischen Prinzipien gerade erfüllt sind oder mehr Aufmerksamkeit brauchen.
6.4.5 Architektur und Design von Veränderungsprozessen Die einzelnen Elemente der Organisationsentwicklung müssen in einen Zusammenhang miteinander gesetzt und aufeinander abgestimmt werden. Ähnlich einem Projektverlaufsplan haben sich auch in der Organisationsentwicklung Planungsformen und Darstellungsweisen entwickelt, die die Übersichtlichkeit der ablaufenden Prozesse sicherstellen sollen. Roswita Königswieser und Alexander Exner verwenden in ihrem Buch ›Systemische Interventionen‹ die Unterscheidung zwischen der Architektur und dem Design von Veränderungsprozessen als Planungsinstrument (Königswieser u. Exner, 1998, S. 48 ff.). In der Architektur werden einzelne Elemente der Beratung und Veränderung festgelegt und zeitlich verortet, ähnlich einem Stundenplan oder Kalender. Die Architektur hat eine übergeordnete und strukturierende Funktion mit mittel- und langfristigem Charakter (Abbildung 28). Im Design der einzelnen Architekturelemente werden die Details und Feinplanungen der Durchführung geregelt. »Die Architektur entscheidet, daß etwas stattfindet und was stattfindet, sozusagen die Überschriften, die Eckpfeiler, die Grobplanung. Mit dem Design wird entschieden, wie die inhaltlichen, sozialen, zeitlichen und räumlichen Dimensionen in vorgegebenen Rahmen gestaltet werden.« (Königswieser u. Exner, 1998, S. 48 f.)
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Abbildung 28: Beispiel einer Veränderungsarchitektur
–– Mögliche Elemente der Architektur: Befragung, Coaching, Diagnose, Dialoggruppe, Großveranstaltung, Hospitationen, Interviews, Kick-Off-Workshop, Open-Space-Kongress, Plenum, Projektgruppen, Schulung, Steuergruppentreffen, Sounding-Board, Tag der offenen Tür, Training, Workshop, Qualitätszirkel –– Mögliche Elemente des Designs: Gesprächsführung, Materialauswahl, Methodenauswahl (z. B. Aufstellung, Audit, Tetralemma), Moderation, Raumgestaltung, Sitzordnung, Visualisierung In diesem Zusammenhang von Grob- und Feinplanung dient die Unterscheidung zwischen Architektur und Design nicht nur der eigenen Planung, sondern auch der Auftragsklärung und Zusammenarbeit zwischen beteiligten Einzelpersonen und Teams sowie zwischen Beratern und Kunden. Ähnlich wie bei einem Hausbau erstellt man zunächst nur eine Architektur, also einen groben Plan des eigentlichen Hauses, bevor mit dem Rohbau begonnen wird und weitere Arbeiten bis hin zur Innenarchitektur und Innenraumgestaltung erfolgen. Die Architektur muss so flexibel sein, dass sowohl Berater als auch Kunden ›nachbessern‹ können. Gerade bei umfangreicheren Organisationsveränderungsprozessen sollte daher zu geeigneten Zeitpunkten der Auftrag erneut überprüft werden: –– Stimmt die vereinbarte Architektur noch mit dem ursprünglichen Auftrag überein? –– Haben bisherige Designs den Erwartungen entsprochen? –– Sind wir trotz Veränderungen noch im vereinbarten (inhaltlichen und finanziellen) Rahmen? Die Darstellung von Prozessverläufen als Architektur und Design bietet sich ebenfalls für die Visualisierung und Transparenz von Veränderungsprozessen an, da diese Darstellungsweise zum einen feste Orientierungspunkte setzt, aber auch aufzeigt, dass hierbei noch Gestaltungsfreiräume bestehen. Die Architektur sollte möglichst allen Beteiligten bekannt sein. Die einzelnen Designs müssen hingegen nicht allgemein transparent sein.
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Auch bezogen auf schulischen Unterricht oder für die Projektplanung lässt sich die Unterscheidung zwischen Architektur und Design verwenden (siehe F.u.Z., Kapitel 5.2.5: Projekte und Projektarbeit). Der grobe Verlauf mit einzelnen Stationen und Zielen sollte zur Orientierung klar kommuniziert werden, das Design einzelner Unterrichtsstunden oder -blöcke muss jedoch nicht von vornherein geplant und abgestimmt sein. In den einzelnen Designs können dann – ob im Unterricht, in Schulentwicklungsprozessen oder in anderen Handlungsfeldern – auch spontane Änderungen und Gestaltungsfreiräume ihren Platz finden. Neben dem Wiedererkennungswert einzelner Architekturelemente und ihren Designs etwa durch Rituale, bestimmte Methoden oder Abläufe sollten sich hierbei Vertrautes und Neues, Geplantes und noch Planbares die Waage halten.
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Übung: Erstellen Sie bezüglich eines bei Ihnen durchgeführten Projekts oder Veränderungsprozesses eine Verlaufsarchitektur. Welche Elemente waren hierbei zentral und wie transparent war den Beteiligten die Architektur? Beschreiben Sie das Design eines Architekturelements. Welche wieder kehrenden Rituale und Strukturelemente waren in verschiedenen Designs enthalten?
6.4.6 Die lernende Organisation Ebenso, wie Lernen keine abgeschlossene Tätigkeit ist, ist auch Organisationsentwicklung ein fortlaufender Prozess. Organisationsentwicklung unterscheidet sich aber vom individuellen Lernen allein schon dadurch, dass Lernprozesse in Gruppen stattfinden und die Frage beantwortet werden muss, wie das Erlernte in der Organisation verankert und gesichert wird, auch wenn einzelne Personen oder Gruppen aus der Organisation ausscheiden. Für die lernende Organisation müssen also immer drei Lernebenen definiert werden (vgl. Becker u. Langosch, 2002, S. 200 f.): Individuelles Lernen –– Wie, wo und was lernen Einzelne in der Organisation? Gruppenlernen –– Wie werden Lernergebnisse anderen vermittelt? –– Wie profitieren Gruppen und Teams von Erlerntem? –– Wie werden Lernergebnisse und Erfolgsstrategien an andere Einzelpersonen und Gruppen weitergegeben (Berichte, Hospitationen, Qualitätszirkel etc.)? Organisationslernen –– In welchen Aspekten des Aufbaus und der Abläufe der Organisation werden Lernergebnisse abgesichert?
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–– Wie werden Erfolgs- und Misserfolgsstrategien dokumentiert? –– In welche Checklisten, Ablaufpläne, Dokumentationen, Computerprogramme etc. sind erfolgreiche Lernergebnisse implementiert? Eine ›lernende Organisation‹ braucht letztlich viele Freiräume der Informationserzeugung, -beschaffung und -weitergabe. Wenn Lernen und der Umgang mit Wissen an hierarchischen Grenzen und Zurechtweisungen scheitern, werden diese für die Organisation wichtigen Prozesse eher unterbunden als gefördert. Eine stark strukturierte Organisation muss daher zumindest ›Lern- und Informationsfreiräume‹ definieren, wenn sie Lern- und Informationsprozesse nicht sogar gänzlich als antistrukturell, hierarchiefrei und selbstkoordiniert konzipieren und dem Bereich der mündlichen Kommunikation einen hohen Stellenwert einräumen will (vgl. Vahs, 2007, S. 425 f.). Organisationales Wissensmanagement bedeutet in diesem Zusammenhang notwendige Strukturen und Abläufe mit einem möglichst freien Lern- und Informationsfluss in Einklang zu bringen. Dies geschieht etwa dadurch, dass die hierfür zur Verfügung stehenden Gelegenheiten, Situationen, Räume, Zeiten, Methoden und Medien transparent dargestellt werden und indem es Erlaubnisse und Richtlinien dafür gibt, die über den Rahmen einer hierarchischen bzw. ablauf- oder organisationsstrukturgebundenen Kommunikation hinausgehen. Für Schulen bezieht sich eine solche ›strukturierte Offenheit‹ beispielsweise auf die Arbeit von Fachgruppen, die Kooperation einzelner Lehrer und Klassen, die Zusammenarbeit mit Eltern oder das Erproben neuer Unterrichtsmodelle und Förderkonzepte. Bei der Aufgabe, das hierbei entstehende Wissen zu sichern und mit anderen zu teilen, müssen sich Individualität und Gemeinsamkeit die Waage halten. Nicht jedes Wissen muss auch gesichert und geteilt werden, vielmehr sollte auf notwendige und hilfreiche Wissensnetze geachtet werden, die auch tatsächlich genutzt werden. Neben formalen Wissensnetzwerken ist die informelle Ebene ebenso wichtig. Eine gute Basis für formal organisatorische Aspekte bieten Konzepte und Leitbilder, in denen sich Handlungs- und Experimentierfreiräume ebenso festschreiben lassen wie notwendige Gemeinsamkeiten und Regeln sowie Formen des Wissensmanagements, die dabei helfen, zwischen Stabilität und Innovation zu vermitteln. In dieser Idee von Organisation als lernender Einheit muss auch darüber nachgedacht werden, wie das vorhandene und entstehende Wissen gesichert und aufrechterhalten wird. Dies kann etwa über Intranet-Plattformen organisiert werden, auf denen alle Inhalte des Leitbildes und der Schulprogramme, sowie Vereinbarungen, Ablaufpläne, Organisationsgrafiken, Unterrichtsmaterialien, Formulare und dergleichen mehr übersichtlich geordnet abgelegt werden können. Ergänzend lassen sich Chats, Pinnboards und Ähnliches auf solchen Plattformen etablieren, die verschiedenste und auch länger sichtbare Kommu nikationen ermöglichen.
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Übungen: A. Sammeln Sie in Ihrem Kollegium, welche Aspekte der Schul- und Unter richtsgestaltung festgeschrieben und welche Handlungsspielräume gegeben sein sollen. Definieren Sie anschließend, wie über Feststehendes und Neues informiert werden soll. B. Welche Gremien, Gruppen, Chats, Newsgroups, Bulletins, Aushänge etc. machen Lernprozesse und Gelerntes, Feststehendes und Neues transparent? Welche Anerkennung und welcher Lohn motivieren zur Beteiligung (siehe F.u.Z., Kapitel 4.1.4: Lohn und Anerkennung)?
6.5 Dynamik, Risiken und Erfolgskriterien der Organisationsentwicklung Unabhängig von den gewählten Steuerungsmodellen und Vorgehensweisen gilt es in der Organisationsentwicklung, bestimmte Dynamiken und Risiken im Blick zu behalten, die sowohl Chancen als auch Risiken für den Erfolg des Veränderungsprozesses beinhalten. Abschließend sollen daher in diesem Kapitel Modelle vorgestellt werden, die solche Aspekte darstellen und dabei helfen, sie in Überlegungen zur Organisationsentwicklung einzubeziehen.
6.5.1 Rollen in Veränderungsprozessen Ebenso, wie es Personen in der Organisation gibt, die Veränderungsprozesse initiieren und unterstützen, gibt es auch Personen, die diese blockieren oder zumindest misstrauisch betrachten. Zur Identifikation verschiedener Personengruppen und zur Ermöglichung einer Einordnung hat Camilla Krebsbach-Gnath eine Typologie erstellt, die verschiedene Rollen in Veränderungsprozessen charakterisiert (Abbildung 29; Krebsbach-Gnath, 1992, S. 38 ff.; vgl. Vahs, 2007, S. 329 f.): –– Visionäre und Missionare Diese Rollen werden von Personen eingenommen, die den Veränderungsprozess mit erarbeiten und umsetzen. Sie versuchen andere davon zu überzeugen, dass die Veränderungen wichtig und notwendig sind. –– Aktiv Gläubige Diese Personen haben den Wandel akzeptiert und sind bereit, ihr Engagement, ihre Ideen und ihre Arbeitsleistung in den Veränderungsprozess einzubringen. –– Opportunisten Diese Gruppe sucht nach den persönlichen Vor- und Nachteilen des Wandels. Sie sprechen sich weder eindeutig für noch gegen einen Wandel aus, sondern argumentieren je nach Gesprächspartner mal dafür, mal dagegen.
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–– Abwartende und Gleichgültige Diese größte Gruppe hält sich aus Diskussionen um das Für und Wider heraus und wird erst durch die ersten Erfolge (oder Misserfolge) zu Befürwortern bzw. Gegnern der Veränderung werden. –– Untergrundkämpfer Diese Gruppe geht – etwa mit Gerüchten und Stimmungsmache – verdeckt gegen Veränderungen vor und sabotiert Veränderungsschritte durch aktives Tun und Lassen. –– Offene Gegner Diese Personen sind davon überzeugt, dass der Veränderungsprozess in die falsche Richtung führt und sie äußern dies offen. Ihnen geht es primär um die Sache und nicht um persönliche Vor- und Nachteile. In der Regel haben sie alternative Ideen für eine Veränderung. –– Emigranten Diese Gruppe besteht aus Personen, die in die innere Emigration gehen (innere Kündigung) oder die Organisation verlassen. Dies kann darin begründet sein, dass sie im Veränderungsprozess keine Rolle spielen, nach der Veränderung keine attraktive Position mehr innehaben werden, dass die Veränderung zu einem guten Zeitpunkt für einen Wechsel in eine andere Organisation oder in den Ruhestand erfolgt oder dass sie ein Zeichen ihres Protestes setzen wollen.
Abbildung 29: Typische Einstellungen gegenüber dem organisatorischen Wandel (aus Vahs, 2007, S. 330). 2007 © Schäffer-Poeschel Verlag für Wirtschaft, Steuern, Recht GmbH, Stuttgart, mit freundlicher Genehmigung
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Wichtig für Veränderungsprozesse ist es, sich zu vergegenwärtigen, dass die ›breite Masse‹ in der Regel eher abwartend beobachtet, was die Veränderung bringt. Selbstverständlich entspricht keine reale Verteilung von Rollen in einem Veränderungsprozess der dargestellten Normalverteilung (Vahs, 2007, S. 329). Es lohnt sich aber jedenfalls festzustellen, wer die ›Zugpferde‹ des Veränderungsprozesses sind, welche Koalitionen und Gruppen sich bilden und vor allem, welche Gründe es für Widerstände gibt. Diese Gründe können rational, politisch, emotional, kulturell oder mit schlechten Erfahrungen bei anderen Veränderungsprozessen begründet sein. Neben persönlichen Vorbehalten tragen mangelnde Kommunikation, fehlendes Vertrauen und fehlende Motivation maßgeblich zu Widerständen bei (siehe Kapitel 6.5.3: Erfolgs- und Misserfolgskriterien der Organisationsentwicklung). In organisationalen Entwicklungsprozessen müssen nicht nur die Organisations angehörigen der unterschiedlichen Hierarchieebenen in eine solche Typologie einbezogen werden, sondern auch viele andere Anspruchsgruppen, wie Zulieferer, Gewerkschaften, Geldgeber, aber auch Kunden. Bezogen auf Schule lassen sich Lehrer, Schüler, Schulträger, Eltern oder auch die Presse nach der genannten Typologie einordnen. Dabei zeigen sich schon erste Risiken – aber auch Chancen –, etwa wenn der Träger den Veränderungen eher abwartend und gleichgültig gegenübersteht und somit schnell zur einen, wie auch zur anderen Seite wechseln kann. Anders ist dies, wenn der Träger eine visionäre Position einnimmt. Ebenso blockierend oder fördernd können sich die Gruppen der Schüler oder Eltern zeigen, wenn sie als Gruppe einer bestimmten Typologie zugeordnet werden können. Als Leitsatz mag gelten, dass in allen relevanten Anspruchsgruppen visionäre und aktive gläubige Unterstützer vorhanden sein sollten. Ansonsten kann ein Entwicklungsprozess schnell den Beigeschmack einer Veränderung bekommen, die gegen den Träger, gegen die Schüler oder gegen die Eltern ›durchgedrückt‹ wird. Die hierin verborgene Dynamik verdeutlicht die Wichtigkeit, den Beginn von Entwicklungsprozessen sehr gründlich vorzubereiten und auf breite Beteiligung auszurichten.
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Übungen: A. Beschreiben Sie, welche Rollen Sie selbst bisher schon in Veränderungs prozessen eingenommen haben. Aus welchen Gründen? B. Beschreiben Sie, welche Rollen andere Ihnen bekannte Personen in Ver änderungsprozessen eingenommen haben. Welche Gründe vermuten Sie hierfür? Welche Gründe geben die Personen selbst an?
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6.5.2 Entwicklungsphasen und Krisen der Organisationsentwicklung Betrachtet man die Entwicklung einzelner Veränderungsprozesse oder auch die Entwicklungsgeschichte ganzer Organisationen, lassen sich Phasenmodelle beschreiben, wie dies in ähnlicher Weise schon für die Teamentwicklung aufgezeigt wurde (siehe F.u.Z., Kapitel 2.5: Phasen der Teamentwicklung). Der Verlauf einzelner Veränderungsprozesse lässt sich in sieben Phasen der Reaktion auf Veränderungen darstellen (Rosenstiel, 2003, S. 458 f.; mit Bezug auf Streich, 1997). Bei der Gestaltung von Veränderungen ist es hilfreich, diese Reaktionen wahrzunehmen, um auf sie reagieren zu können (siehe auch Kapitel 6.4.4: Synergetisches Prozessmanagement). Angegeben sind die Reaktionen auf die Veränderungen und die Vermittlungsprozesse, die in der jeweiligen Phase für die Unterstützung der Mitarbeiter und des Veränderungsprozesses hilfreich sind (Abbildung 30).
Abbildung 30: Verlauf von Veränderungsprozessen (vgl. Rosenstiel, 2003, S. 458; mit Bezug auf Streich, 1997)
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Organisationsentwicklung und Change Management
Grundsätzlich bilden Phasen der Destabilisierung und anschließenden Restabilisierung die Grundlage aller Veränderungsprozesse (siehe Kapitel 6.4: Verlaufsmodelle von Organisationsentwicklung und Change Management). Es darf jedoch nicht der Schluss gezogen werden, diese Phasen würden linear aufeinander folgen und seien eindeutig voneinander abgrenzbar. Dennoch lassen sich in der Planung von Veränderungen einzelne Phasen der Verunsicherung und des Ausprobierens integrieren. Allein schon dadurch, dass sie akzeptiert, thematisiert und entsprechend verarbeitet werden können, wird ein Beitrag zum Gelingen von Veränderungsprozessen geleistet. Gerade bei Veränderungen in Organisationen, die wenig Erfahrung mit der Dynamik von Veränderungsprozessen haben, gilt es, gelassen mit solchen Entwicklungskrisen umzugehen, sie aber auch nicht zu ignorieren. Wenn den Beteiligten schon bei Beginn der Veränderung klar ist, dass diese Krisen kommen werden und sie sogar Modelle dafür haben, wie ihnen begegnet werden kann, ist ihr Eintreten weniger dramatisch. In der Zusammenarbeit etwa mit Kunden, Zulieferern, Eltern und anderen externen Kooperationspartnern ist es besonders wichtig, auf ›Leistungs- und Kommunikationsschwankungen‹ vorzubereiten, die mit der Veränderung verbunden sind. Es ist weder intern noch extern hilfreich, den Versuch zu unternehmen, eine Fassade der Störungsfreiheit und Perfektion zu erzeugen und aufrechtzuerhalten. Die Planung von Organisationsentwicklungsprozessen bedarf so gesehen auch immer einer Planung des Umgangs mit zu erwartenden und unerwarteten Unsicherheiten und Krisen (siehe auch Kapitel 6.1.5: Risikomanagement). Auch in der längerfristigen Betrachtung der Entwicklungsgeschichte einer Organisation lassen sich Phasen differenzieren. Bezogen auf die Entwicklung der Gesamtorganisation werden hierbei Entwicklungsaufgaben definiert, denen sich die Organisation stellen muss, um einen weiteren Entwicklungsschritt gehen zu können. Die wohl bekannteste Darstellung einer solchen ›Evolution von Organisationen‹ stammt von Larry E. Greiner, der die Wachstumsphasen von Organisationen beschrieben hat. Für ihn vollzieht sich organisationale Entwicklung in einer Abfolge von Wachstums- bzw. Innovationsschritten und darauffolgenden Krisen (vgl. Jones u. Bouncken, 2008, S. 675 ff.; mit Bezug auf Greiner, 1972). Dieser stetige Wechsel lässt sich dadurch erklären, dass jede Wachstums- und Innovationsstrategie mit der Etablierung bestimmter organisationaler Strukturen und Abläufe einhergeht, die zu gegebener Zeit an ihre Grenzen stoßen (Krise). Es wird folglich ein Regulativ eingeführt, das diese Krise überwinden soll, aber wiederum auch eigene Probleme erzeugt. Jedes eingeführte Regulativ ›verbraucht‹ sich somit nach einer gewissen Laufzeit und erfordert eine Neuregulierung. Solche Zyklen der Regulierung, Über-, bzw. Unterregulierung und Neuregulierung lassen sich hinsichtlich Größe und Alter von Organisationen auf ihr Wachstum bezogen verallgemeinern. Dies liegt darin begründet, dass sich Organisationen, hinsichtlich der Regulation von Prozessen vor ähnliche Probleme gestellt sehen, wenn ihre Größe zunimmt (Abbildung 31; vgl. Jones u. Bouncken, 2008, S. 675 ff.):
Dynamik, Risiken und Erfolgskriterien der Organisationsentwicklung 209
Abbildung 31: Stufen organisationalen Wachstums (vgl. Jones u. Bouncken, 2008, S. 675; Buchen, 2006, S. 46; jeweils mit Bezug auf Greiner, 1972)
1. Krise: Führung Eine kreative und zu Beginn noch gering strukturierte Organisation etabliert sich zunehmend auf dem Markt und beginnt zu wachsen. Es werden Standards formuliert, klare Regelungen treten an die Stelle von Versuchs- und Erprobungsphasen. Die erste Krise (Pionierkrise) wird durch klare Führung, Strukturierung und Professionalisierung der Organisation gemeistert. 2. Krise: Autonomie Die Organisation bildet zwar das eigene Profil stärker heraus und wird effektiviert, reglementiert aber auch die kreativen und motivierten Mitarbeiter stärker, die dadurch in ihrer Autonomie beschnitten werden. Die Zentralisierung vieler Entscheidungen und Prozesse führt zu Demotivationen und Innovationsstau, bis hin zum Weggang zentraler Innovationsträger. Dezentralisierung und auch eine Abflachung der Hierarchie sind hier die häufigsten Regulationsmechanismen zur Überwindung der Autonomiekrise. 3. Krise: Kontrolle Durch schnellere Entscheidungswege und Innovationszyklen verliert die Organisationsführung stärker die Kontrolle, als es durch eine Verlagerung von Kompetenzen und Autonomie an nachgeordnete Organisationsbereiche gewünscht war. Um diese Kontrollkrise zu überstehen, muss die Organisation nun das ›richtige Maß‹ zwischen Kontrolle und Autonomie finden. Eine verstärkte Koordination und Formalisierung überschreitet aber immer wieder die Grenzen zwischen Über- und Unterregulation und kann bei zu star-
210
Organisationsentwicklung und Change Management
ker Regulierung zu den gleichen Problemen führen, die vorher durch eine Deregulation überwunden werden sollten. 4. Krise: Regulation Der Regulationskrise, die aus dem Wechsel von Über- und Unterregulation entsteht, kann durch eine Umstellung auf Team- und Matrixorganisationen oder andere kooperative Strukturen begegnet werden (siehe Kapitel 2.1: Grundlegende Vorstellungen von Organisation und Unternehmen). Fragen der Regulation und Autonomie können dann eher im Einzelfall geklärt werden. Hiermit einher gehen ein stärkeres Denken aller Beteiligten im Sinne der Gesamtorganisation mit ihren komplexen Wechselwirkungen und eine Verringerung von Ressort-, Abteilungs- und Hierarchiedenken. 5. Krise durch? Welche Krise dann auf die Organisation zukommt, ist in dem Modell nicht mehr enthalten. In seiner folgerichtigen Weiterführung würden sich auch weitere Krisen auf Fragen der Regulation und Deregulation beziehen. Solche weiteren ›Regulationskrisen‹ können durch innere Faktoren wie notwendige Verkleinerungen, Fusionen oder einen Führungswechsel ausgelöst werden oder durch externe Faktoren, etwa durch das Wegbrechen von Märkten, die Veränderung gesetzlicher Vorgaben, neue technologische Fortschritte oder die Konkurrenzsituation. Diese können es notwendig machen, einzelne Prozesse zunächst stark zu reglementieren und nach ihrer Verstetigung wieder zu lockern. Wie viele der Phasen eine Organisation durchläuft, ob irgendwann der Punkt gekommen ist, an dem das Wachstum stagniert, rückläufig ist oder die Organisation sogar vollständig in ihrem Bestehen gefährdet ist, lässt sich nicht vorhersagen. Das entscheidende Element von Greiners Modell ist die Grunddynamik, die die Regulation organisationaler Strukturen und Abläufe beinhaltet. Das Erkennen dieser Dynamik macht das Modell auch für die Arbeit mit Organisationen interessant, die nicht primär auf Wachstum ausgerichtet sind. Fragen der Regulierung werden immer auftreten, allein schon dadurch, dass Regelungen mit der Zeit einen gewissen ›Sättigungsgrad‹ erreichen oder auch durch das Hinzukommen neuer Mitarbeiter und Aufgaben. Gerade in diesem Punkt ist das Modell auch für Schulen sehr interessant, die in der Regel weniger mit Wachstum als mit Mitarbeiterwechseln (neuen Schülern) und neuen Aufgaben konfrontiert sind. Für Schulen liefert das Modell eine hilfreiche Denkfigur, die auf die Organisation einer Schulklasse angewendet werden kann. Schon eine Befragung der Schul- bzw. Klassenangehörigen darüber, ob sie mit bestehenden Regeln und Vorschriften zufrieden sind, ob diese zu stark oder zu wenig regulieren, kann Aufschluss darüber geben, in welchen Bereichen eine Neuregulation sinnvoll sein kann (siehe O.u.OE. AH-10 ›Fragebogen zur Über- und Unterregulation von Strukturen und Abläufen‹ auf der Webseite zu diesem Buch).
Dynamik, Risiken und Erfolgskriterien der Organisationsentwicklung 211
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Übungen: A. Beschreiben Sie die Phasen eines persönlichen Veränderungsprozesses (z. B. Ihren Berufsanfang) anhand des Phasenmodells von Streich. B. Listen Sie gemeinsam mit Ihren Schülern alle Aspekte des Klassen-, Unterrichts- und Schullebens etc. auf, die reguliert sind oder reguliert werden könnten. Führen Sie eine Befragung durch, die Ihnen Aufschluss darüber gibt, welche Bereiche die Befragten als über- und welche sie als unterreguliert betrachten (siehe O.u.OE. AH-10: ›Fragebogen zur Überund Unterregulation von Strukturen und Abläufen‹ auf der Webseite zu diesem Buch). C. Erstellen Sie gemeinsam mit Ihrem Kollegium eine Befragung zur Unter- und Überregulation von Aspekten der Schulleitung, der internen Kooperation, der Klassenführung etc. (siehe O.u.OE. AH-10: ›Fragebogen zur Über- und Unterregulation von Strukturen und Abläufen‹ auf der Webseite zu diesem Buch).
6.5.3 Erfolgs- und Misserfolgskriterien von Organisationsentwicklung Bei einer systemtheoretischen Betrachtung der dynamischen Prozesse in komplexen Systemen, also auch von Organisationen, sind im Verlauf von Veränderungsprozessen immer auch Aspekte zu beachten, die sich – ungesteuert und ungewollt – in Bereichen verändern, die nicht im direkten Fokus der Betrachtung liegen. »Die theoretischen Konzeptentwürfe lesen sich hervorragend. Eindrücklich wird die Problematik der aktuellen Ausgangssituation analysiert, anschaulich wird die neue Soll-Struktur und in stringenter Sach-Logik werden Wege beschrieben, die zur Veränderung führen. […] Kaum ein Veränderungsprojekt folgt wirklich dem theoretischen Konzept, viele laufen zäher als erwartet, viele überhaupt nicht. Dass das Ergebnis der Veränderungsbemühungen trotz solch klarer, inhaltlich bestechender Konzepte eher dürftig ausfällt, dafür muss es Gründe geben.« (Doppler et al., 2002, S. 62)
Strukturentwicklung kann beispielsweise Auswirkungen auf die Kommunikationswege und Beziehungen haben, obwohl diese eigentlich gar nicht verändert werden sollten. Die Vielfalt möglicher Effekte und Nebeneffekte macht Organisationsentwicklung zu einem fortlaufenden Prozess, der Analyse, Veränderung und Evaluation mit jeweils unterschiedlichem Fokus und darauf abzielenden Aktivitäten (siehe Kapitel 6.4: Verlaufsmodelle von Organisationsentwicklung und Change Management). Eine entscheidende Blickrichtung erfolgreicher Veränderungsprozesse liegt daher nicht allein auf der Sach-Logik, sondern – wie schon bei anderen Themen angesprochen – in der Psycho-Logik der Veränderung, der geteilten Vision, der Beteiligung und des gemeinsamen Erlebens von Wirksamkeit. Neben Widerständen auf der Sachebene sind Widerstände auf der Prozess- und Beziehungsebene maßgebliche Hindernisse für Erfolge (Doppler et al., 2002, S. 63).
212
Organisationsentwicklung und Change Management
Die Initiierung, Beobachtung, Steuerung und Evaluation von Veränderungen darf sich daher nicht nur auf die im Vorhinein ausgewählten Schwerpunkte beschränken, sondern muss als fortlaufende Prozessanalyse und -steuerung auch diejenigen Felder im Blick haben, in denen sich ungeplante Veränderungen ergeben könnten. Für den Erfolg von Veränderungsprozessen ist ein bewusster Umgang mit Chancen und Risiken von Veränderungen in komplexen, dynamischen Systemen entscheidend. Hierzu wurden von unterschiedlichsten Autoren Erfolgs- und Misserfolgskriterien der Organisationsentwicklung definiert, die nachfolgend in einer Tabelle zusammengefasst sind (Tabelle19; vgl. Vester, 2002, S. 39 f.; Dörner, 1989; Becker u. Langosch, 2002, S. 315 f., Vahs, 2007, S. 401 f. u. 405 f.; Doppler u. Lauterburg, 2005, S. 98 f.; Dubs, 2005, S. 58; Rolff, 1995, S. 173; vgl. auch Kotter, 1996; Rosenstiel, 2007, S. 469 ff.): Tabelle 19: Erfolgs- und Misserfolgskriterien der Organisationsentwicklung Erfolgskriterien
Misserfolgskriterien 1. Ziele
Mut und Überzeugung, konsequent neue Ziele zu setzen und neue Lösungen zu erproben.
Festhalten an bestehenden Zielen und Lösungen, wodurch indirekt gegen Veränderungen gearbeitet wird.
Formulierung großer und nachhaltiger Ziele und weitreichender Visionen.
Beschränkung auf Kleinziele ohne eine größere, langfristige und nachhaltige Vision.
Für die Beteiligten erkennbare klare Vision, Leitbild und Orientierung.
Unscharfe und unverständliche Vision ohne klares Leitbild und ohne Orientierung.
Konkrete und anspruchsvolle Zielvorgaben. Ungenügend formulierte, unklare und Definierte Maßnahmen zur Zielerreichung vage Ziele ohne Maßnahmen und ohne Überprüfungskriterien. und Zielüberprüfung. Flexible Schwerpunktbildung: Definition von ›Zielräumen‹ anstatt ›Zielpunkten‹. Aufgreifen von neuen Teilzielen und Chancen im Prozess.
Irreversible Schwerpunktbildung: Versteifung und Festschreibung auf einen eingangs favorisierten Schwerpunkt und auf erste Erfolge – Ausblendung alternativer und sich im Prozess ergebender Chancen und Notwendigkeiten.
2. Analyse und Initiierung Verwendete Grundbegriffe und Modelle sind den Beteiligten bekannt und verständlich.
Den Beteiligten ist weder bekannt noch verständlich, was sich hinter verwendeten Grundbegriffen und Modellen verbirgt.
Einbeziehen interdisziplinärer sowie fachfremder Sichtweisen und relevanter Sichtweisen, Ideen und Meinungen von direkt und indirekt beteiligten Anspruchsgruppen.
Ausschluss interdisziplinärer sowie fachfremder Sichtweisen und relevanter Sichtweisen, Ideen und Meinungen von direkt und indirekt beteiligten Anspruchsgruppen.
Dynamik, Risiken und Erfolgskriterien der Organisationsentwicklung 213 Erfolgskriterien
Misserfolgskriterien
Beachtung vernetzter Strukturen und Strategieumsetzung mit vorheriger Simulation.
Nichtbeachtung von Nebenwirkungen und Denken in linearen Kausalketten statt in Kausalnetzen.
Analyse und laufende Beobachtung von größeren Zusammenhängen, Dynamiken, Rückkopplungen, verzögerten und ausgleichenden Reaktionen.
Unvernetzte Situationsanalyse ohne Blick auf größere Zusammenhänge, Dynamiken, Rückkopplungen, verzögerte und ausgleichende Reaktionen.
3. Beteiligungspraxis Sinn und Notwendigkeit von Veränderung werden von den Beteiligten gesehen.
Es gibt keinen erkennbaren Veränderungsgrund und keinen Veränderungsdruck, es fehlt das Problemverständnis.
Beginnen mit Aspekten, deren Veränderung von der Mehrheit gewollt oder zumindest toleriert wird.
Versuch, Veränderungen gegen die Wünsche und Toleranz der Beteiligten durchzusetzen.
Eine weitreichende, bereichs- und hierarchieübergreifende Mitarbeiter beteiligung.
Autoritäres Veränderungsmanagement durch Vorgabe von Zielen und Maßnahmen.
Vision, Sinn und Umsetzung von Veränderungen sind bei möglichst allen Beteiligten verankert. Es wird ein gemeinsamer ›Sog zum Ziel‹ erzeugt.
Veränderungen werden angewiesen, ohne dass deren Vision, Sinn und Umsetzung bei den Beteiligten verankert sind.
Beteiligungsmöglichkeiten und Machtverhältnisse im Veränderungsprozess sind transparent.
Beteiligungsmöglichkeiten und Machtverhältnisse im Veränderungsprozess sind nicht transparent.
Ein ›kultureller Wandel‹ auf der Basis einer offenen Partizipations- und Kommunika tionsstrategie.
Unzureichende Kommunikation und Partizipation bezogen auf Analyse, Ziele, Maßnahmen und Erfolgskriterien.
Absolute und ungeteilte Unterstützung, Identifikation mit den Zielen und Visionen und Glaubwürdigkeit bei der Organisa tionsführung.
Uneinigkeit, mangelnde Identifikation und fehlender Mut in der Organisations führung.
4. Umsetzung Aufgreifen von Aspekten, bei denen die Missstände am augenfälligsten sind und somit auch beobachtbare Erfolge erzielt werden können.
Ausschluss augenfälliger Missstände und Beschränkung auf weit in der Ferne liegende und nicht direkt ›spürbare‹ Ziele.
Aktive Arbeit an Veränderungsschritten durch viele Beteiligte.
Übertragung der Arbeit an eine ›elitäre Gruppe‹, die den Kontakt und die Akzeptanz zum Rest der Belegschaft verliert.
Vernetzte Veränderungsschritte und nicht nur eine ›Teiloptimierung‹ einzelner Bereiche.
Zaghafte und punktuelle Veränderungen ohne Blick auf ›das Ganze‹ (Teiloptimierungsversuche).
Klare und angemessene Bereitstellung der für die Veränderungen notwendigen zeitlichen und materiellen Ressourcen.
Veränderungen und Erwartung von Erfolgen, ohne die hierfür notwendigen Ressourcen zur Verfügung zu stellen.
214
Organisationsentwicklung und Change Management Erfolgskriterien
Misserfolgskriterien
Überprüfung und Sicherstellung, dass die Beteiligten über notwendige Kompetenzen und Ressourcen verfügen.
Umsetzungen als zusätzliche Aufgabe zum Alltagsgeschäft ohne Überprüfung und Sicherung notwendiger Kompetenzen und Ressourcen.
5. Prozesssteuerung Gutes Verhältnis zwischen ›Neuem und ›Altem‹, nicht zu viel Veränderung auf einmal. Schaffen von Sicherheitsbedingungen.
Abwertung des Bestehenden und Bisherigen, Verunsicherung, zu starke Destabilisierung. Es fehlen Sicherheitsbedingungen.
Zeitliche Verzögerungen und nichtlineare Verläufe werden einkalkuliert und die Steuerung von Prozessen wird darauf ausgerichtet.
Nichtbeachtung exponentieller Entwicklungen, zeitlicher Verzögerungen und nichtlinearer Verläufe.
Gelassenheit und Beharrungsvermögen in der Steuerung und Zutrauen in die Selbststeuerungsfähigkeit des Gesamtsystems.
Tendenz zur Übersteuerung, kurzfristige Eingriffe zur Beschleunigung und Verlangsamung sowie eine Neigung zu Ungeduld bzw. Panikreaktionen.
6. Erfolge und Ergebnisse Es gibt schnell erreichbare, sichere und sichtbare erste Erfolge als Motivation.
Keine absehbaren Erfolge. Die Motivation richtet sich allein auf Ergebnisse, die weit in der Zukunft liegen.
Der Zeitbedarf der Veränderungen ist für die erwarteten Erfolge ausreichend bemessen.
Zu hoher Erfolgsdruck durch Unterschätzung des Zeitbedarfs für Veränderungen.
Klares Controlling von Veränderungsschritten und Ergebnissen mit einer transparenten Leistungsrückmeldung.
Fehlendes oder mangelhaftes Controlling sowie fehlende oder nicht funktionierende Feedback-Systeme.
Anerkennung und Veröffentlichung von Erfolgen einzelner Personen und Gruppen.
Erfolge werden als ›erwarteter Regelfall‹ missachtet und lediglich Misserfolge werden hervorgehoben.
Bezogen auf die genannten Erfolgs- und Misserfolgskriterien sind beginnend mit ersten Schritten der Organisationsentwicklung eine reflektierte, weitsichtige und transparente Prozesssteuerung und -begleitung entscheidend, welche über ein gutes Feedback- und Warnsystem verfügen (siehe F.u.Z., Kapitel 5.1.1: Feedback und Kapitel 6.4: Verlaufsmodelle von Organisationsentwicklung und Change Management). Viele der in Veränderungsprozessen enthaltenen Risiken sind vor allem für Organisationen schwerwiegend, die keine Erfahrungen mit Veränderungen in komplexen Zusammenhängen haben und in denen davon ausgegangen wird, komplexe Prozesse ließen sich linear steuern.
Dynamik, Risiken und Erfolgskriterien der Organisationsentwicklung 215
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Übungen: A. Listen Sie zu jedem der genannten Erfolgs- und Misserfolgskriterien auf, was dieses für einen Veränderungsprozess an Ihrer Schule bedeuten könnte. Haben Sie einzelne der genannten Faktoren schon einmal in einem Veränderungsprozess wahrgenommen und ihre Auswirkungen erlebt? Was genau ist passiert? B. Versuchen Sie vor Beginn eines Veränderungsprozesses die Erfolgskriterien zu erfüllen. Verwenden Sie nach Beginn eines Veränderungsprozesses den ›Fragebogen zu Erfolgs- und Misserfolgskriterien von Veränderungsprozessen‹, um zu überprüfen, inwieweit dies gelungen ist (siehe O.u.OE. AH-11: ›Fragebogen zu Erfolgs- und Misserfolgskriterien von Veränderungsprozessen‹ auf der Webseite zu diesem Buch).
■■7 Gelingensbedingungen von Schulentwicklung10
Die im vorangegangenen Kapitel aufgeführten Merkmale des Gelingens und Misslingens organisationaler Veränderungen lassen sich weitgehend auf das Gelingen von Schulentwicklungsprozessen übertragen. Dennoch gibt es schulspezifische Unterschiede, die zumindest als Ergänzung der oben genannten Erfolgskriterien beachtet werden sollten. In diesem Kapitel sind daher die Ergebnisse von mehreren Implementationsstudien dargestellt, also von Studien, die untersuchen, unter welchen Bedingungen Innovationen, Reformen und Veränderungsprozesse an Schulen erfolgreich sind. Die Erfolge von Schule bzw. Schulentwicklung lassen sich zwar nicht linear auf einzelne Qualitätsbereiche zurückführen, jedoch kommt den Prozess-Kriterien der Schulentwicklung und Schulorganisation eine zentrale Rolle zu. Die Schulentwicklung selber, also die Art und Weise, wie Qualität an Schulen aufrechterhalten und verbessert werden soll, ist für den Erfolg von Schulen in allen anderen Bereichen entscheidend. Oder anders ausgedrückt, wenn die ›Qualität der Zusammenarbeit‹ bezogen auf die Unterrichtsqualität schlecht ist, sind die Chancen gemeinsam eine ›gute Unterrichtsqualität‹ zu erreichen, gering. Im Rahmen der Schuleffektivitätsforschung, der Schulentwicklungsforschung und in Implementationsstudien wurde daher genauer untersucht, welche Qualitätsbereiche und Einzelfaktoren zu einem Gelingen von Schulentwicklungsprozessen beitragen. Aus diesen Untersuchungen lassen sich diejenigen Qualitätskriterien zusammenstellen, die die Erfolgswahrscheinlichkeit von Entwicklungsprozessen erhöhen. Die starke bzw. geringe Ausprägung dieser Faktoren an Schulen stellt somit einen Indikator für die Erfolgs- bzw. Misserfolgswahrscheinlichkeit von Entwicklungsprozessen dar. Um einen Überblick über diese Gelingensbedingungen zu erhalten und sie ab schließend als Grundlage der durchgeführten Untersuchung zusammenfassen zu können, werden nachfolgend Befunde der Schuleffektivitätsforschung, der Schulentwicklungsforschung und von Implementationsstudien dargestellt und durch Zusammenfassungen von Gelingensbedingungen der Schulentwicklung aus der Fachliteratur ergänzt.
10 Dieses Kapitel ist eine aktualisierte und erweiterte Fassung von Kapitel 2.4 aus: Lindemann, H. (2013). Wie Schulentwicklung gelingt. Einschätzungen von Lehrern und pädagogischen Mit arbeitern zu Gelingensbedingungen von Schulentwicklung an ihrer Schule. S. 63–87. Weinheim: Beltz-Juventa.
218
Gelingensbedingungen von Schulentwicklung
Kapitelübersicht: –– Ergebnisse der Schuleffektivitätsforschung zu Faktoren der Schulorganisation und Schulführung –– Ergebnisse von Schulentwicklungsforschung und Implementationsstudien zu Gelingensbedingungen von Schulentwicklung –– Zusammenfassungen von Gelingensbedingungen der Schulorganisationsentwicklung in der Fachliteratur –– Ein Gesamtmodell der Gelingensbedingungen der Schulorganisationsentwicklung
7.1 Ergebnisse der Schuleffektivitätsforschung zu Faktoren der Schulorganisation und Schulführung Die verschiedensten Untersuchungen von Schuleffektivität benennen Faktoren auf Schulebene, deren Zusammenhang mit den Leistungen der Schüler überprüft wurde.11
7.1.1 Scheerens und Bosker: Meta-Analyse zu Effekten schulbezogener Faktoren auf Schülerleistungen Jaap Scheerens und Roel J. Bosker haben diese schulbezogenen Faktoren in einer umfangreichen Meta-Analyse von 155 Einzelstudien zusammengefasst (Scheerens, 2007, S. 97 ff.). Die Effekte der untersuchten Studien beziehen sich maßgeblich auf Schülerleistungen im kognitiven Bereich und meist bezogen auf Mathematik und Sprache. Als übergreifende Aspekte auf Schulebene, deren Wirkung auf die Schülerleistung untersucht wurde, werden folgende Bereiche aufgezählt (Scheerens, 2007, S. 98 ff. u. 108; p = Signifikanz, d = Effektstärke Cohens d):12 –– Pädagogische Führung (53 Studien, p > 0.1, d = 0.046), –– Konsens und Kohärenz im Kollegium (Kooperation) (28 Studien, p > 0.1, d = 0.019), –– Schulklima (46 Studien, p = 0.001, d = 0.129), 11 Zur Definition und genaueren Darstellung von Schuleffektivität siehe Kapitel 4: Schuleffektivität. 12 In den aufgeführten Studien werden Effektstärken nach Cohens d angegeben und teilweise nach Bravais-Pearson-Korrelation r. Die Angaben der Effektstärke als Bravais-Pearson-Korrelation wurden zur besseren Vergleichbarkeit durch die Angabe von Cohens d ergänzt. Für eine Interpretation der beiden Maße sind folgende Konventionen zu bedenken (Bühner u. Ziegler, 2009, S. 177): kleiner Effekt mittlerer Effekt großer Effekt
Cohens d 0.2 0.5 0.8
Bravais-Pearson-Korrelation r 0.1 0.3 0.5
Ergebnisse der Schuleffektivitätsforschung zu Faktoren219
–– Evaluation/Monitoring (43 Studien, p = 0.001, d = 0.061), –– Beteiligung von Eltern (42 Studien, p = 0.001, d = 0.093). Bezogen auf die Schuleffektivität, also die Auswirkungen der genannten Faktoren auf die Schülerleistung, haben diese schul- und prozessbezogenen Aspekte zwar nur vernachlässigbare bis geringe Wirkungen, es ist jedoch davon auszugehen, dass sie indirekte Auswirkungen haben, da sie die Basis einer gemeinsamen Unterrichtsentwicklung darstellen (Scheerens, 2007, S. 107 u. 114).
7.1.2 Creemers und Kyriakides: Meta-Analyse zu Effekten der Schulorganisation auf Schülerleistungen In ihrem Versuch, ein umfassendes Modell der Zusammenhänge von entscheidenden Faktoren der Schuleffektivität zu entwickeln, wurden auch durch Bert Creemers und Leonidas Kyriakides Faktoren auf Schulebene benannt (Creemers u. Kyriakides 2008, 46). In ihrer Meta-Analyse haben sie die Ergebnisse von 67 Studien zusammengefasst, die Wirkungen von Faktoren auf Schulebene untersucht haben (Creemers u. Kyriakides, 2008, S. 199). Die in den Studien untersuchte Effektivität bezieht sich fast ausschließlich auf kognitive Leistungen der Schüler und nur in einigen Studien auch auf affektive und psychische Aspekte von Schülerleistung (Creemers u. Kyriakides, 2008, S. 201 f.). Die Ergebnisse der Faktoren auf Schulebene, die sich nicht direkt auf den Unterricht beziehen, ergeben folgendes Bild (Creemers u. Kyriakides, 2008, S. 201 ff.; p = Signifikanz): –– Evaluation von Grundsätzen des Lehrens (6 Studien, p = 0.001, d = 0.13), –– Zusammenarbeit (31 Studien, p = 0.001, d = 0.16), –– Grundsätze der Kooperation (21 Studien, p = 0.001, d = 0.17), –– Führung (29 Studien, p = 0.042, d = 0.07), –– Schulklima (24 Studien, p = 0.005, d = 0.116), –– Ressourcen und Arbeitsbedingungen (13 Studien, p = o. A., d = 0.14), –– Erfahrung der Lehrer und der Schulleitung (4 Studien, p = o. A., d = 0.08), –– Arbeitszufriedenheit (3 Studien, p = o. A., d = 0.09). Auch in dieser Metaanalyse zeigen sich sehr geringe Auswirkungen schulbezogener Faktoren auf die Schülerleistung. Es wird jedoch postuliert, dass die genannten Faktoren konditional bedeutsam für die Unterrichtsgestaltung und Unterrichtsqualität sind und, auch wenn keine direkten Wirkungen feststellbar sind, nicht vernachlässigt werden sollten (Scheerens, 2007, S. 114 ff.: Creemers u. Kyriakides, 2008, S. 38).
220
Gelingensbedingungen von Schulentwicklung
7.1.3 Leithwood und Kollegen: LOLSO Studie zu Effekten der Schulleitung auf Schülerleistungen In der von Kenneth Leithwood und Kollegen durchgeführten LOLSO-Studie (Leadership for Organisational Learning and Student Outcomes) sollte untersucht werden, welche Aspekte der Schulführung zu organisationalem Lernen und besserer Schülerleistung führen (Mulford, Silins u. Leithwood, 2004, S. 2 f.). Im Rahmen der Untersuchung wurden 3500 Schüler der zehnten Jahrgangsstufe und 2500 Lehrer und Schulleiter an insgesamt 96 australischen Schulen befragt. In einem zweiten Schritt wurden Fallstudien zu vier der beteiligten, als ›best practice‹ ausgewählten Schulen angelegt. In der dritten Phase zwei Jahre nach Beginn der Studie wurden die ursprünglich befragten Schüler und Lehrer erneut befragt (Mulford, Silins u. Leithwood, 2004, S. 4). Aus den Gesamtergebnissen entwickelte die Forschungsgruppe dann Interventionsstrategien für die Schulentwicklung. Als bedeutsame Faktoren organisationalen Lernens wurden durch die Lehrer folgende Aspekte benannt (Mulford, Silins u. Leithwood, 2004, S. 5): –– Aufbau eines vertrauensvollen und kooperativen Klimas, –– Vorhandensein einer geteilten und überwachten (›monitored‹) Mission, –– Übernahme von Initiative und Eingehen von Risiken, –– fortlaufende, themenbezogene Personalentwicklung. Als Faktoren der Schulführung, die organisationales Lernen unterstützen, identifizierten die befragten Lehrer folgende Aspekte (Mulford, Silins u. Leithwood, 2004, S. 5): –– Gemeinschaftsorientierung, –– Personalführung, –– Administration und Teamführung, –– Wertschätzung des Kollegiums. Bezogen auf die Wirkung der Schulführung und des organisationalen Lernens auf die Schülerleistung wird herausgestellt, dass sich diese Faktoren wohl auf die Arbeit der Lehrer auswirken, die mit ihrem Verhalten wiederum Einfluss auf die Schülerleistungen haben. Eine direkte Wirkung auf die Schülerleistung ist jedoch kaum messbar (Mulford, Silins u. Leithwood, 2004, S. 10; siehe Kapitel 4.5: Die Bedeutung der Schulorganisation für die Effektivität). Eine vergleichbare Darstellung geben auch Creemers und Kyriakides in ihrem umfassenden Modell der Schuleffektivität sowie Scheerens und Bosker, die zwar ebenfalls nur geringe und mittelbare Effekte organisationaler Bedingungen auf die Schülerleistungen nachweisen, aber die Wichtigkeit dieser Faktoren betonen (Creemers u. Kyriakides, 2008, S. 39; Scheerens, 2007, S. 199 f.).
Ergebnisse der Schuleffektivitätsforschung zu Faktoren221
7.1.4 Leithwood und Kollegen: Charakteristika guter Schulleitung Kenneth Leithwood und Kollegen haben als Ausgang für ihre nachfolgende, groß angelegte Untersuchung zu erfolgreicher Schulführung zusammengefasst, was basierend auf dem aktuellen Forschungsstand und der Literatur als Charakteristika guter Führung gelten kann. Hierzu haben sie vier Kategorien von Schulführung zusammengefasst, die in insgesamt 14 Unterpunkten konkretisiert wurden (Leith wood et al., 2006a, S. 18 f. u. 22; Leithwood et al., 2006b, S. 6 f.; Übers. d. Verf.): –– Zielorientierung und Vision, –– Personal- und Persönlichkeitsentwicklung der Schulmitglieder, –– Organisationsentwicklung, –– Schulorganisation und Management. In den drei Jahre später publizierten Ergebnissen der in England an 90 Schulen unter Beteiligung von 2570 Lehrern durchgeführten Befragungen und Fallstudien fassen die Autoren folgende Aspekte gelingender Schulleitung zusammen (Day et al., 2009, S. 26; Day et al., 2010, S. 4; Übers. d. Verf.): Erfolgreiche Schulleitungen: –– formulieren ihre Werte und Vision, um die Erwartungen zu steigern, eine Richtung vorzugeben und Vertrauen aufzubauen, –– gestalten die Rahmenbedingungen für Lehren und Lernen, –– strukturieren Teile der Organisation und gestalten Führungsrollen und Verantwortlichkeiten, –– erweitern das Curriculum, –– verbessern die Qualifikation der Lehrkräfte, –– verbessern die Qualität von Lehren und Lernen, –– kümmern sich um den Aufbau interner Zusammenarbeit, –– kümmern sich um den Aufbau der Zusammenarbeit mit Externen. In den Ergebnissen wird betont, dass diese Faktoren in ganz unterschiedlichen Ausprägungen gefunden wurden, ein genereller Schwerpunkt aber in der Ziel orientierung läge (Day et al., 2009, S. 26). Der auch in dieser Studie auf die Schülerleistung gelegte Fokus führt zur Identifikation geringer Effekte auf die Schülerleistung. Für den Gesamtbereich der Führung finden sich jedoch mittlere Effekte auf die Arbeit der Lehrkräfte selbst, vor allem in folgenden Bereichen (Louis, Leithwood, Wahlstrom u. Anderson, 2010, S. 26). –– Arbeitsumgebung (d = 0, 58), –– Leistungsfähigkeit (d = 0.36) und –– Motivation (d = 0.36). Im weiter ausgeführten Modell der daraus resultierenden indirekten Effekte auf die Schülerleistung zeigen sich – während die Leistungsfähigkeit keine signifikan-
222
Gelingensbedingungen von Schulentwicklung
ten Effekte auf die Schülerleistung zeigt – folgende Effektstärken (Louis, Leith wood, Wahlstrom u. Anderson, 2010, S. 27): –– Motivation auf die Schülerleistung (d = 0.30) und –– Arbeitsumgebung auf die Schülerleistung (d = 0.25). Die Varianzaufklärung im Strukturgleichungsmodell der untersuchten Effekte liegt bei 20 % (R2 = 0.20), was als geringer Effekt zu werten ist.13
7.1.5 Hattie: Meta-Analyse zu Effekten von Schulführung auf die Schülerleistung Nimmt man das einzige Element schulischer Organisation, das in den Meta-Analysen von John Hattie genauer untersucht wird, nämlich die Schulführung, genauer in Augenschein, zeigen sich insgesamt nur moderate Effekte auf die Schülerleistung (Hattie, 2009, S. 83 f.). Hier sind es eher die organisatorischen und strukturierenden Eigenschaften von Schulleitungen, die sich auf die Arbeitsabläufe, Arbeitsumgebung und die Sicherheit der schulischen Umgebung beziehen, als diejenigen, die Entwicklung und Innovation in den Fokus nehmen, die sich bezogen auf die Schülerleistung als effektiv zeigen (Hattie, 2009, S. 83). Die Effektstärken liegen hier unter Einbeziehung von elf Meta-Analysen und 491 Einzelstudien bei d = 0.36. Hinter dieser Effektstärke verbergen sich eine Reihe einzelner Konstrukte mit sehr unterschiedlichen Effekten. Da mit Schulführung eine ganze Reihe von Aufgaben und Fähigkeiten verbunden sind, sodass sie schwer durch einen einzigen Wert darstellbar ist, führt Hattie mehrere Einzelaspekte von Führung in ihrer Wirkung auf Schülerleistung auf, die sich maßgeblich auf die Meta-Analyse von Launcelot Brown und Viviane Robinson beziehen (Hattie, 2009, S. 83; mit Verweis auf Brown, 2001 und Robinson, 2007). Wirft man einen Blick auf diese beiden Meta-Analysen, ergibt sich ein differenzierteres Bild der Aspekte von Führung, die einen Beitrag zur Schuleffektivität leisten.
7.1.6 Brown: Meta-Analyse zur Schulführung Launcelot Brown hat 47 Einzelstudien in seine Meta-Analyse einbezogen (Brown, 2001, S. 64). Insgesamt kommt Brown auf eine Effektstärke von d = 0.52 bezogen auf kognitive Schülerleistung und d = 0.54 bezogen auf affektive Schülerleis13 Zu ähnlichen Ergebnissen bezogen auf die Mediatorfunktion der Motivation und Selbst einschätzungen kommen auch John A. Ross und Peter Gray in ihrer Befragung von 205 Schulen unter Beteiligung von 3042 Lehrern (Ross u. Gray, 2006). Sie belegen, dass die Meinung der Lehrer über ihre Fähigkeiten und ihre Zustimmung zu den Werten und Zielen der Schule direkte Aus wirkungen auf die Schülerleistung zeigen (Ross u. Gray, 2006, S. 811).
Ergebnisse der Schuleffektivitätsforschung zu Faktoren223
tung (Brown, 2001, S. 107).14 In Grundschulen zeigten sich die stärksten Effekte (d = 0.75), in der Mittelschule die geringsten (d = 0.36; Brown, 2001, S. 108). Bezogen auf einzelne Bereiche von Schulführung kommt Brown zu folgenden Ergebnissen (Brown, 2001, S. 93–96, 111; Übers. d. Verf.): –– Didaktische Organisation (d = 0.66; 13 Einzelstudien; N = 781), –– Führungsklima (d = 0.29; 7 Einzelstudien; N = 623), –– Definition der Schulmission (d = 0.22; 8 Einzelstudien; N = 698), –– Beachtung von Mitarbeitern und Beziehungsgestaltung (d = 0.36; 6 Einzelstudien; N = 716), –– Inspiration durch Führung (d = 0.40; 3 Einzelstudien; N = 461). Aus den insgesamt kleinen bis mittleren Effekten sticht nur der Wert im Bereich ›didaktische Organisation‹, heraus.
7.1.7 Robinson und Kollegen: Meta-Analyse zu Führungsstilen der Schulleitung Die von Viviane Robinson und Kollegen durchgeführte Meta-Analyse bezieht sich auf elf Einzelstudien und kommt für verschiedene Führungsstile auf Gesamt effekte von d = 0.11 (transformational leadership), d = 0.42 (instructional leader ship) und d = 0.30 (other types of leadership) (Robinson, Lloyd u. Rowe 2008, 655). Bezogen auf einzelne Zielrichtungen von Führung zeigen sich folgende Effekte (Robinson, Lloyd u. Rowe, 2008, S. 659 u. 661–664; Übers. d. Verf.):15 –– Unterstützung und Beteiligung an Lernen und Entwicklung der Lehrkräfte (d = 0.84; 6 Einzelstudien), –– Planung, Koordination und Evaluation der Lehre und des Curriculums (d = 0.42; 9 Einzelstudien), –– gezielter Einsatz der Ressourcen (d = 0.31; 7 Einzelstudien), –– Setzen von Zielen und Erwartungen (d = 0.42; 7 Einzelstudien), –– Herstellung einer sicheren und unterstützenden Arbeitsumgebung innerhalb und außerhalb des Klassenzimmers (d = 0.27; 8 Einzelstudien).
14 Die bei Hattie angegebenen Werte weichen teilweise von den im Originaltext von Brown zu findenden Angaben ab. Hier sind die Werte der Originalstudie angegeben. 15 Bei John Hattie finden sich andere Angaben zu den damals noch nicht publizierten Ergebnissen von Robinson, Lloyd u. Rowe, welche teilweise erheblich von den tatsächlich ermittelten Effektstärken abweichen (Hattie 2009, 83 f.; Übers. d. Verf.): – Unterstützung und Beteiligung an Lernen und Entwicklung der Lehrkräfte (d = 0.91), – Planung, Koordination und Evaluation der Lehre und des Curriculums (d = 0.74), – gezielter Einsatz der Ressourcen (d = 0.60), – Setzen von Zielen und Erwartungen (d = 0.54), – Herstellung einer sicheren und unterstützenden Arbeitsumgebung innerhalb und außerhalb des Klassenzimmers (d = 0.49).
224
Gelingensbedingungen von Schulentwicklung
Die Autoren weisen ausdrücklich darauf hin, dass die benannten Faktoren nur sehr grobe Bereiche bilden und keine Hinweise auf die dahinterliegenden Strategien und Handlungsmuster geben (Robinson, Lloyd u. Rowe, 2008, S. 659 u. 669). Neben den ansonsten kleinen bis mittleren Effekten sind die hohen Werte im Bereich ›Unterstützung und Beteiligung an Lernen und Entwicklung der Lehrkräfte‹, also der Personalentwicklung interessant.
7.1.8 Waters, Marzano & McNulty: Meta-Analyse zur Wirkung von Schulleitung Bezogen auf die Effekte von Schulleitung ist neben den beiden bereits angeführten Analysen die Meta-Analyse interessant, die im Rahmen der Untersuchungen der Mid-Continental Research for Education and Learning Organization von Tim Waters, Robert J. Marzano und Brian McNulty durchgeführt wurde (Waters, Marzano u. McNulty, 2003). Auch wenn sie einige methodische Schwächen aufzuweisen scheint, lohnt es sich doch zu überprüfen, inwieweit sich die dort dargestellten Effekte mit anderen Meta-Analysen decken (vgl. Lindle, 2006, S. 245 f.). Berücksichtigt sind 70 Studien, an denen 2894 Schulen, 1.1 Millionen Schüler und 14000 Lehrkräfte beteiligt waren, man kommt in der Summe auf eine mittlere Effektstärke von r = 0.25 [d = .52] (Waters, Marzano u. McNulty, 2003, S. 3). Die Autoren listen folgende Aspekte der Schulführung auf (Tabelle 20; vgl. Waters, Marzano u. McNulty, 2003, S. 4; Übers. d.Verf.): Tabelle 20: Qualitätsbereiche von Schulführung (Effektstärken nach Cohens d ergänzt) Verantwortung
Das Ausmaß, in welchem die Schulleitung …
r
d
N Schulen
N Studien
Kultur
… gemeinsame Grundsätze und einen Sinn für Gemeinschaft und Kooperation fördert.
.29
.61
709
13
Ordnung
… Standardabläufe und Routinen etabliert.
.26
.54
456
17
Disziplin
… Lehrer vor Themen und Einflüssen schützt, die sie vom Unterrichten und ihren Zielen ablenken.
.24
.49
397
10
Ressourcen
… den Lehrern Materia lien und Maßnahmen zur professionellen Weiterbildung zur Verfügung stellt, die sie für die Ausübung ihres Berufs benötigen.
.26
.54
570
17
Ergebnisse der Schuleffektivitätsforschung zu Faktoren225 Verantwortung
Das Ausmaß, in welchem die Schulleitung …
r
d
N Schulen
N Studien
Curriculum, Unterricht und Überprüfung
… direkt an dem Entwerfen und Umsetzen von Curricula, Unterrichtsund Überprüfungs formen beteiligt ist.
.16
.32
636
19
Zielorientierung
… klare Ziele etabliert und diese im Zentrum schulischer Aufmerksamkeit hält.
.24
.49
1109
30
Wissen über Curriculum, Unterricht und Überprüfung
… über Wissen über das aktuelle Curriculum, den Unterricht und die Überprüfungspraxis verfügt.
.24
.49
327
8
Sichtbarkeit
… über gute Kontakte und Beziehungen zu Lehrern und Schülern verfügt.
.16
.32
432
11
Belohnung
… individuelle Leistungen wahnimmt und belohnt.
.15
.30
420
7
Kommunikation
… tragfähige Kommunikation mit Lehrern und zwischen den Schülern aufbaut.
.23
.47
245
10
Außen darstellung
… Vertreter und Sprecher der Schule und ihrer Angehörigen ist.
.28
.58
478
14
Beteiligungs praxis
… Lehrer in das Entwerfen und Umsetzen wichtiger Entscheidungen und Veränderungen einbezieht.
.30
.63
504
13
Bestätigung
… Leistungen der Schule wahrnimmt und feiert sowie Fehlschläge würdigt.
.25
.52
345
7
Beziehung
… an persönlichen Aspekten der Lehrer und des Personals Anteil nimmt.
.19
.39
497
12
Veränderung
… bereit ist, den aktuellen Zustand zu verändern und aktiv infrage zu stellen.
.30
.63
479
7
Verbesserung
… herausfordernde Innovationen anregt und vorantreibt.
.20
.41
444
9
226
Gelingensbedingungen von Schulentwicklung
Verantwortung
Das Ausmaß, in welchem die Schulleitung …
r
d
N Schulen
N Studien
Ideale und Überzeugungen
… Ideale und Überzeugen über Erziehung kommuniziert und von ihnen ausgehend handelt.
.25
.52
526
8
Überwachen und Überprüfen
… die Effektivität der schulischen Praxis und ihren Einfluss auf das Lernen der Schüler überwacht.
.28
.58
1071
30
Flexibilität
… ihr Führungshandeln an die Bedürfnisse der aktuellen Situation anpasst und gelassen mit Meinungsverschiedenheiten umgeht.
.22
.45
151
2
Situations bewusstsein
… über Wissen über die Details und Strömungen des Schulalltags verfügt und dieses nutzt, um bestehende und potenzielle Probleme anzusprechen.
.33
.70
91
5
intellektuelle Anregung
… sicherstellt, dass das Kollegium und die Mitarbeiter über aktuelle Theorien und Praktiken informiert sind und die Diskusion hierüber zu einem regelmäßigen Aspekt der Schulkultur macht.
.32
.68
321
5
Die Effektstärken dieser Meta-Analyse liegen sämtlich unter r = 0.33 bzw. d = 0.70, also im Bereich kleiner und mittlerer Effekte.
7.1.9 Bryk und Kollegen: Studie zu Gelingensbedingungen von Schulorganisationsentwicklung In der schon weiter oben erwähnten Studie zu den Effekten organisationaler Aspekte, bezogen auf Schülerleistung und Schulabsentismus, lassen sich die Ergebnisse der Begleitforschung zur Einführung des ›school based management‹ in Chicago ebenfalls auf den hier untersuchten Bereich der Gelingensbedingungen von Schulorganisationsentwicklung beziehen. Über einen Zeitraum von sieben Jahren (1991, 1994 und 1997) beteiligten sich zwischen 266 und 422 Schulen mit 6200 bis 12708 Lehrern an der Untersuchung. In den Jahren 1994 und 1997, in denen auch Schüler befragt wurden, nahmen 13000 bzw. 21900 Sechstklässler und 13600 bzw. 19700 Achtklässler teil (Bryk et al., 2010, S. 27).
Ergebnisse der Schuleffektivitätsforschung zu Faktoren227
Die durchgeführten Untersuchungen stellen zwar ebenfalls die Schülerleistung als Messgröße in den Vordergrund (Mathematik, Lesen und Schulbesuch), verknüpfen dies aber mit der organisatorischen Aufgabe der Umsetzung von mehr Schulautonomie. Eine zentrale Frage der Untersuchung war: Welche Voraussetzungen organisationaler Entwicklung führen in der Situation einer zunehmenden Autonomie zu besseren Schülerleistungen und zu einer Verbesserung des Schulbesuchs (Bryk et al., 2010, S. 21)? Auch wenn die Untersuchungen in Chicago dem Paradigma der Schuleffek tivitätsforschung folgen, liefern sie aufgrund ihrer organisationalen Ausrichtung wichtige Hinweise für die Schulentwicklungsforschung. Bezogen auf die Schülerleistung in Sprachen und Mathematik zeigten sich folgende organisationalen Aspekte als unterstützend (vgl. Bryk et al., 2010, S. 125 ff.): –– gute Verbindungen zwischen den Eltern, Schulen und Lehrkräften, –– unterstützende Arbeitsumgebung, –– gute Qualität der Personalentwicklung, –– geteiltes, kohärentes und abgestimmtes Erziehungs- und Unterrichtssystem. Bezogen auf die Häufigkeit des Schulbesuchs zeigten sich folgende organisationalen Aspekte als unterstützend (vgl. Bryk et al., 2010, S. 108): –– gute Verbindungen zwischen den Eltern, Schulen und Lehrkräften, –– Sicherheit und Ordnung der schulischen Umgebung, –– gute Qualität in der Personalentwicklung, –– aktive Einbindung der Schüler in den Unterricht. Bedeutsam sind die starken Zusammenhänge, die im Rahmen der Untersuchung zwischen der Schulführung und zentralen Bereichen schulischer Organisation gefunden wurden (vgl. Bryk et al., 2010, S. 127): –– Schulführung zu Einbindung der Eltern (d = 0.64), –– Schulführung zu Einbindung in die Kommune (d = 0.47), –– Schulführung zu professioneller Zusammenarbeit (d = 0.77), –– Schulführung zu Arbeitsorientierung (d = 0.75), –– Schulführung zu Personalentwicklung (d = 0.45), –– Schulführung zu Sicherheit und Ordnung der Schule (d = 0.45), –– Schulführung zu Curriculumsorientierung (d = 0.30). Schulführung zeigt sich hier als Treiber der Schulentwicklung, was durchaus im Einklang mit den Ergebnissen der dargestellten Meta-Analysen steht, die der Schulleitung ebenfalls bedeutsame Effekte auf die Schülerleistung attestieren (vgl. Bryk et al., 2010, S. 130).
228
Gelingensbedingungen von Schulentwicklung
7.1.10 Bonsen und Kollegen: Studie zu Schulqualität und Merkmalen guter Schulleitung (10) Martin Bonsen, Jan von der Gathen, Claus Iglhaut und Hermann P feiffer haben den Zusammenhang zwischen Merkmalen der Schulqualität und Merkmalen der Schulleitung an 30 Schulen untersucht (vgl. Bonsen et al., 2002; Bonsen, 2006, S. 195). In der Untersuchung wurde − ähnlich wie bei den Untersuchungen zum Schulklima durch Helmut Fend − zwischen ›guten‹ und ›verbesserungsbedürftigen‹ Schulen unterschieden (vgl. Fend, 1998). Anhand der Bildung von Mittelwerten aus den Aussagen des Kollegiums zeigt sich, dass Schulleitungen an ›guten‹ Schulen in allen Bereichen bedeutsam positiver eingeschätzt werden (vgl. Bonsen, 2006, S. 196). Die ›Förderung der Mitbestimmung‹ erhält hier sowohl in ›guten‹ als auch ›verbesserungsbedürftigen‹ Schulen hohe Bewertungen. In ›verbesserungsbedürftigen‹ Schulen werden insgesamt die höchsten Werte erreicht, während sie in ›guten‹ Schulen trotz hoher Werte nur den fünften Rangplatz einnimmt. »Die Analysen zeigen aber auch, dass Schulleiter/innen an besonders guten Schulen zusätzlich und über das Niveau der Mitbestimmungsförderung hinausgehend sehr hohe Einschätzungen in den Bereichen der zielgerichteten Führung, der Innovationsbereitschaft, der Organisationskompetenz sowie in der persönlichen Beziehungsorientierung zur einzelnen Lehrkraft erhalten.« (Bonsen. 2006, S. 196; vgl. auch Scheerens, Glas u. Thomas, 2003, S. 89)
Als besonders bedeutungsvoll lassen sich die Unterschiede in den drei Bereichen zielgerichtete Führung, Innovationsbereitschaft und Organisationskompetenz herausstellen (Bonsen et al. 2002, 168 ff.). Bezogen auf die Beteiligung des Kollegiums scheint eine gute Balance zwischen demokratischer Beteiligung und direktiver Festlegung hilfreich zu sein (Bonsen, 2006, S. 207 f.).
7.1.11 Zusammenfassung Die in der Regel mit einem Fokus auf die Schülerleistung ausgerichteten Studien belegen eher geringe direkte Effekte (vgl. Pont, Nusche u. Hopkins, 2008, S. 18; Vidoni, Bezzina, Gatelli u. Grassetti, 2007). Die Effekte sind indirekt und daher nur schwer messbar (vgl. Hallinger, 2012, S. 10). Die Wirkung der Schulleitung zeigt sich grundsätzlich eher auf der Ebene der Lehrer und ihrer Arbeitsbedingungen. In einer Zusammenschau der vorgestellten Meta-Analysen zeigen sich bestenfalls mittlere Effekte (Tabelle 21):
Ergebnisse der Schuleffektivitätsforschung zu Faktoren229 Tabelle 21: Übersicht über die Gesamt-Effektstärken der aufgeführten Meta-Analysen bezogen auf Schulführung Meta-Analyse
Effektstärke
Creemers u. Kyriakides 2008
Führung d = 0.07
Hattie 2009
Schulführung d = 0.36
Brown 2001
Schulführung d = 0.52 bis 0.54
Robinson, Lloyd u. Rowe 2008
Schulführung d = 0.11 bis 0.42
Waters, Marzano u. McNulty 2003
Schulführung r = 0.25 (d = 0.52)
Beachtet man, dass Schulleitung immer nur indirekt auf Schüler und Schülerleistung wirkt, so sind die in den meisten Meta-Analysen gefundenen mittleren Effekte dennoch beachtlich. Dies gilt vor allem, wenn man die Ergebnisse mit Wirkungsstudien kontrastiert, wie etwa der Untersuchung an Chicagoer Schulen, die die Effekte von Schulleitung vor allem auch hinsichtlich ihrer Wirkung auf die Lehrer, die Zusammenarbeit mit Eltern und die kommunale Einbindung konkretisiert (Bryk et al., 2010). Es zeigt sich jedoch eine grundlegende Schwierigkeit in der Messung von Effekten organisationaler Bedingungen, da sich diese in aller Regel nicht direkt auf die Schülerleistung beziehen. Ihre Wirkung müsste eher bezogen auf die Lehrer und ihre Leistung untersucht werden bzw. daraufhin, inwieweit sie die Arbeitsbedingungen und die Arbeitsleistung der Lehrer und pädagogischen Mitarbeiter verbessern. Im Gegensatz zur Schülerleistung, die sich über entsprechende Vergleichsuntersuchungen gut erheben lässt, ist eine Untersuchung der Lehrerleistung schwieriger, zumal die verschiedensten Studien – wie etwa die PISA-Studie – zu dem Ergebnis kommen, dass sehr unterschiedliche Schulkonzeptionen und Herangehensweisen zu guten Ergebnissen führen können. Aus der Schul effektivitätsforschung lässt sich bezogen auf die hier vorliegende Untersuchung zunächst nur festhalten, dass es Faktoren auf Schulebene gibt, diese aber keine direkte Wirkung auf die Schülerleistung, sondern eher auf die Lehrer haben. Hinsichtlich der Bewertung von Wirkfaktoren und Gelingensbedingungen muss genau unterschieden werden, welche Ergebnisebene untersucht wird (vgl. Bonsen, Bos u. Rolff, 2008, S. 11): Schuleffektivitätsforschung untersucht Faktoren, die zu guter Schülerleistung führen. Schulentwicklungsforschung untersucht Faktoren, die zu gelingender Schulveränderung beitragen. Faktoren auf Schulebene, die nur geringe Wirkungen auf die Schülerleistung haben, können durchaus große Wirkungen auf die Lehrerleistung haben bzw. auf das Gelingen von Veränderungsprozessen. Es erklärt sich daraus, dass sich die Forschung zu Gelingensbedingungen der Schulentwicklung und zur Implementation von Innovationen an Schulen in der Regel auf qualitative Forschungsmethoden stützt und maßgeblich nach den Einschätzungen der Schulleitungen und Lehrer zum Vorliegen und Nutzen organisationaler Faktoren für das Gelingen von Veränderungsprozessen fragt.
230
Gelingensbedingungen von Schulentwicklung
7.2 Ergebnisse von Schulentwicklungsforschung und Implementationsstudien zu Gelingensbedingungen von Schulentwicklung Eine Erweiterung der Ergebnisse aus der Schuleffektivitätsforschung ergibt sich aus Untersuchungen, die sich nicht auf die Wirkung schul- und prozessbezogener Faktoren auf die Schülerleistung beziehen, sondern auf den Erfolg von Veränderungs- und Reformprozessen allgemein. An dieser Stelle sei auf die grundlegende Problematik der sogenannten Innovations- oder Erfolgsfaktorenforschung hingewiesen: Die Effekte der untersuchten Faktoren auf Veränderungsprozesse sind nur schwer messbar, da diese − im Gegensatz beispielsweise zu Schülerleistungen − nicht oder nur schwer quantifizierbar sind (vgl. March u. Sutton, 1997; Nicolai u. Kieser, 2002). In Vergleichsuntersuchungen über den Erfolg von Schulentwicklungsprozessen lassen sich die Erfolgskriterien kaum quantifiziert formulieren. Auch ist es nicht möglich, die vielfachen und komplexen Zusammenhänge und indirekten Wirkungen eindeutig zuzuordnen. Wirft man einen Blick auf die empirische Evidenz von Untersuchungen der Schulentwicklungsforschung im Bereich von Gelingensbedingungen, zeigt sich, dass es sich in aller Regel um modellbasierte Annahmen und Meinungen handelt, die quantitativ-empirischen Kriterien kaum standhalten. Zum größten Teil handelt es sich bei den Studien zu Gelingens bedingungen von Schulentwicklung um qualitative Studien, die ihre Ergebnisse durch Befragungen, Beobachtungen, Interviews und Einzelfallstudien erlangt haben, bzw. um Erfahrungsberichte beteiligter Akteure und Wissenschaftler. Im Folgenden werden ausgewählte Untersuchungsergebnisse zu Erfolgsbedingungen von Schulorganisationsentwicklung vorgestellt:
7.2.1 Berman & McLaughlin: Studien zum Erfolg von Schulentwicklung Einen positiven Zusammenhang zwischen Prozess-Kriterien der Schulorganisation und dem Erfolg von Veränderungsprozessen zeigen schon frühe Studien zur Implementierung von Veränderungen an Schulen. In den von 1973 bis 1978 durchgeführten Studien der Rand-Corporation wurde die Umsetzung von vier Schulentwicklungsprogrammen untersucht. Hierbei wurden die zentralen Akteure aus 293 lokalen Reformprojekten in 18 Staaten der USA interviewt (Berman u. McLaughlin, 1979). Für den Erfolg der untersuchten Reformprojekte wurden einige Gelingens bedingungen identifiziert (Berman u. McLaughlin, 1974; Berman u. McLaughlin 1979; McLaughlin, 1990). Hans-Günter Rolff fasst die in Rahmen der Studien formulierten Gelingensbedingungen folgendermaßen zusammen (vgl. Rolff, 2007a, S. 11 f.):
Ergebnisse von Schulentwicklungsforschung und Implementationsstudien 231
–– Einbeziehung der Betroffenen, vor allem der Lehrer, in den Entscheidungsprozess statt detaillierter Planung von ›außen‹. –– Der Erfolg von Reformprojekten war umso wahrscheinlicher, je mehr Mitglieder der betroffenen Schule aktiv im Projektteam mitarbeiteten. –– Vorhandensein eines unterstützenden organisatorischen Rahmens sowie Partizipation der Betroffenen und Unterstützung durch die Verwaltung. –– Vorbereitendes und begleitendes Training der Projektmitarbeiter mit Orientierung an alltäglichen Arbeitsproblemen. –– Gemeinsame Entwicklung von Unterrichtsmaterialien ›vor Ort‹ statt bloßer Übernahme zentral entwickelter Materialien. –– Die Unterstützung geplanter Neuerungen durch die Schulleitung als ›gate keeper‹ ist notwendig. Sie entscheidet maßgeblich darüber, ob Neuerungen Einlass finden. Ein wichtiges Ergebnis der Rand-Studie war, dass die »[…] Implementation das Ergebnis dominiert« (McLaughlin, 1990, S. 12). Die schulpolitisch zur Verfügung gestellten Technologien und Vorgaben waren für den Erfolg nicht entscheidend, sondern vielmehr die lokale Umsetzung. Die Kapazitäten und Ressourcen vor Ort stellten ebenso entscheidende Faktoren dar wie der Veränderungswille der Beteiligten, ihre Kompetenzen und organisationalen Routinen (McLaughlin, 1990, S. 12). Neben den aufgezählten Erfolgskriterien stützen die Ergebnisse den Trend zur Einzelschulentwicklung im Gegensatz zu Gesamtsystem-Strategien mit zentraler Steuerung. In einer späteren Neubewertung der Ergebnisse stellt Milbrey McLaughlin jedoch auch heraus, dass externe Akteure durchaus wichtige Impulse für lokale Veränderungen darstellen können, sofern sie die Bedingungen vor Ort berücksichtigen und die lokalen Akteure der Veränderung aktivieren können (McLaughlin, 1990, S. 14).
7.2.2 Haenisch: Studie zu Erfolgsbedingungen der Schulentwicklung an Grundschulen In der 1992 von Hans Haenisch durchgeführten Untersuchung zu Schlüsselfaktoren und Prinzipien der Entwicklung von Grundschulen wurden an zehn Schulen in Nordrhein-Westfalen jeweils die Schulleitung, stellvertretende Schulleitung und ein bis zwei Lehrer interviewt. Gefragt wurde nach den Wirkungen der 1985 eingeführten Grundschulrichtlinien und nach Erfolgsbedingungen ihrer Umsetzung. Folgende Schlüsselfaktoren waren für die Umsetzung bestimmend (Haenisch, 1993, S. 9–16): –– Sockelniveau an Kompetenzen bei den Lehrern, vor allem einige Vorreiter, die den Prozess in Gang bringen –– Vielschichtige Infrastruktur an Kooperationen und Kommunikation hierzu gehören Offenheit, Transparenz und Mitbestimmung, informelle
232
Gelingensbedingungen von Schulentwicklung
Kooperation, Besprechungssysteme, Teamarbeit und gegenseitige Rückmeldungen –– Schulleiter als treibende Kraft vor allem als Initiatoren und Motivatoren von Veränderungsprozessen und in der Unterstützung bei Problemen –– Gemeinsame ›Wellenlänge‹ im Menschlichen und Erzieherischen dies betrifft das Schulklima im Kollegium und einen grundlegenden Erziehungskonsens –– Impulse durch neues Personal vor allem durch neue Sichtweisen und Konfrontation mit neuen Ideen –– Unterstützung von außen beispielsweise durch die Schulaufsicht, durch Beratungsgespräche und Feed back, auch durch andere Schulen
7.2.3 Holtappels: Studie zu Erfolgskriterien bei Einführung der Halbtagsgrundschule Im Rahmen der Einführung der verlässlichen Halbtagsgrundschule in Hamburg wurden begleitend empirische Forschungen durchgeführt, deren Ergebnisse 2002 veröffentlicht wurden (Holtappels, 2002). Zu den durchgeführten Untersuchungen zählte auch eine Befragung von 121 Mitgliedern der Schulleitungen, in der sie in offener Form Gelingensbedingungen für den Erfolg der Grundschulreform an ihrer Schule angaben (Holtappels, 2002, S. 208). Folgende Aspekte wurden hierbei benannt (vgl. Holtappels, 2002, S. 208 f.): –– Teamarbeit und Lehrerkooperation (42 %), –– Engagement und Motivation der Lehrer (41 %), davon: Einsatzbereitschaft, unbezahlte Mehrarbeit, Reformmotivation und besonderes Interesse an Entwicklung (31 %), –– Qualifikation und fachliche Voraussetzung der Lehrkräfte (33 %), davon: Erfahrungen, Flexibilität und Kreativität, Belastbarkeit und Verlässlichkeit, sozialpädagogisches Engagement und Fortbildungsbereitschaft, –– Vorerfahrungen der Lehrkräfte in der pädagogischen Gestaltung der Schule (25 %), –– Aufgeschlossenheit für Neues und Innovationsbereitschaft (16 %), –– Rahmenbedingungen (14 %), davon: Räumlichkeiten, Altersstruktur des Kollegiums, Materialausstattung und Finanzmittel, –– Konsenswille und Konsensfähigkeit, Toleranz und Vorbildwirkung der ›Überzeugten‹ (o. A.), –– Schulklima im Kollegium und Kooperation mit Eltern (o. A.) davon: Gesprächsbereitschaft, offene und intensive Kommunikation im Kollegium.
Ergebnisse von Schulentwicklungsforschung und Implementationsstudien 233
7.2.4 Holtappels: Lehrerbefragung zu Erfolgskriterien bei Einführung der Halbtagsgrundschule In der ergänzenden Lehrerbefragung wurden 572 Lehrern 15 vorformulierte Erfolgsbedingungen für die Grundschulreform an der eigenen Schule vorgelegt, bei denen bewertet werden sollte, welche Bedeutung sie für die Entwicklungsprozesse hatten (vgl. Holtappels, 2002, S. 209). In einem Ranking der Items, denen eine ›ziemlich hohe‹ oder ›sehr hohe‹ Bedeutung beigemessen wurde, ergibt sich folgende Übersicht (vgl. Holtappels, 2002, S. 210 f.): –– Qualität Unterricht (83 %), –– Qualität Schulleben (78 %), –– Wunsch nach Qualitätsverbesserung (68 %), –– Wunsch nach Angebotserweiterung (63 %), –– schulräumliche Bedingungen (63 %), –– Konsens im Kollegium (62 %), –– Teambildung in der pädagogischen Arbeit (59 %), –– materielle Ausstattung (59 %), –– Wunsch nach einem Schulkonzept (55 %), –– Elternkontakte und Elternarbeit (52 %), –– Entscheidungsformen (51 %), –– Erneuerungswille (49 %), –– Kooperation in der Entwicklung (49 %), –– Unterstützung durch Eltern (32 %), –– Unterstützung durch Behörde (20 %). Auf der Grundlage einer Faktorenanalyse konnten die Items zu vier Dimensionen zusammengefasst werden (Holtappels, 2002, S. 209 f.): –– Reformwille, Kooperation und förderliche Prozessarbeit Innovationsbereitschaft, Wunsch nach Schulkonzept, Wunsch nach Verbesserung der pädagogischen Qualität, Kooperation und Teambildung, Konsensbildung und Entscheidungsfindung im Kollegium –– Sockelniveau der Lernkultur vorhandene Qualität des Unterrichts und des Schullebens –– Ausstattung schulräumliche Bedingungen und Materialausstattung –– Unterstützung von außen: ausgeprägte Elternkontakte und Elternarbeit, Unterstützung durch Eltern in der Entwicklungsphase, Unterstützung durch Schulbehörde und Schulaufsicht
234
Gelingensbedingungen von Schulentwicklung
7.2.5 Burkhard & Kanders: Lehrerbefragung zur Einführung von Schulprogrammen Ganz ähnliche Erfolgskriterien lassen sich auf der Basis einer repräsentativen Lehrerbefragung im Rahmen der Schulprogrammevaluation in Nordrhein-Westfalen für Erfolgsbedingungen der Schulprogrammarbeit festhalten (Burkhard u. Kanders, 2002, S. 242 f.). Die Befragung fand 2001 im Rahmen mehrerer empirischer Studien statt, die zur Begleitung der verbindlichen Einführung von Schulprogrammen durchgeführt wurden. An der Gesamt evaluation waren 181 Schulen beteiligt. Für die Bewertung des Erfolgs von Schulprogrammarbeit waren für die befragten Lehrer folgende Faktoren entscheidend (Burkhard, 2007, S. 163): –– Gute Teamarbeit und Kooperation im Kollegium, –– hohe Innovationsbereitschaft des Kollegiums, –– Unterstützung von außen, –– bereits vorhandene Kompetenzen im Bereich Schulentwicklung, –– geringe Abwehrhaltung im Kollegium, –– keine Behinderung anderer Vorhaben der Schule durch Schulprogrammarbeit, –– das Vorhandensein eines Arbeitsplanes, –– Vorhandensein eines Leitbildes bzw. Erziehungskonsenses.
7.2.6 Haenisch: Gelingensbedingungen der Schulpogrammentwicklung Auch Hans Haenisch hat Schulen im Rahmen des Evaluationsprogramms zur Schulprogrammarbeit nach Gelingensbedingungen befragt. An 14 ausgewählten Schulen aller Schulformen wurden im gleichen Jahr jeweils zwei Gruppeninterviews durchgeführt, an denen insgesamt rund 80 Personen beteiligt waren (Haenisch, 2004, S. 223 f.). Diese ›qualitative Erkundungsstudie‹ fasst folgende Gelingensbedingungen für die Entwicklung eines Schulprogramms zusammen (Haenisch, 2004, S. 224 ff.): –– Ausrichtung am Bedarf der Schule und der Lehrkräfte, –– indirekter Einstieg und Aufwärmphase, Aufbau von Motivation, –– Bestandsaufnahme als Selbstvergewisserung und Motivation, –– Pädagogische Tage als Meilensteine, –– Einstieg mit einem für alle Lehrkräfte wichtigen Thema, –– möglichst alle Lehrer in eine aktive Rolle bringen, –– Themen begrenzen und Schwerpunkte setzen, –– regelmäßige Besprechungs- und Diskussionstermine einplanen, –– Schulprogrammarbeit steuern und koordinieren, –– immer wieder den Stand der Arbeit dokumentieren, –– das Kollegium auf dem Laufenden halten,
Ergebnisse von Schulentwicklungsforschung und Implementationsstudien 235
–– schauen, was andere Schulen machen, –– für Kommunikation im Kollegium sorgen. Für die Umsetzung des Schulprogramms werden folgende Aspekte benannt (Haenisch, 2004, S. 222 ff.): –– Kolleginnen und Kollegen in Teamarbeit bringen, –– Verantwortliche für einzelne Aktivitäten gewinnen, –– Austauschräume und Lerngelegenheiten für Lehrkräfte schaffen, –– klare und konkrete Aufträge für Fach- und Jahrgangskonferenzen formulieren, –– das Schulprogramm arbeitsgerecht organisieren, –– dem Schulprogramm in Lehrerkonferenzen Aufmerksamkeit widmen, –– Themen und Leitideen des Schulprogramms bei Projekttagen, Vorhaben und Feiern herausstellen, –– durch organisatorische Regelungen den Leitideen zur Umsetzung verhelfen, –– konkrete Aktivitäten für einzelne Schuljahre festlegen, –– in zweckmäßigen Abständen immer wieder nachhaken und Zwischenbilanz ziehen, –– Materialien zusammenstellen, die die Umsetzung erleichtern, –– Koordination zur Weiterarbeit am Schulprogramm.
7.2.7 Holtappels und Müller: Gelingensbedingungen von Schulprogrammarbeit Im Rahmen der gleichen Untersuchungsreihe wurden die Schulprogramme auch inhaltlich analysiert. Hierbei wurde unter anderem zusammengefasst, welche Gelingensbedingungen der Schulprogrammarbeit in Schulprogrammen benannt werden (Holtappels u. Müller, 2004, S. 88 f.). In 220 von 423 untersuchten Schulprogrammen werden (mit Mehrfachnennungen) folgende Gelingensbedingungen benannt: –– Vorgehensweisen im Entwicklungsprozess (163 Nennungen/38.5 %), –– Vorhandensein pädagogischer Konzepte/Ansätze oder Erfolge (144 Nennungen/ 34.0 %), –– Innovationsbereitschaft wie Akzeptanz, Reformwille etc. (141 Nennungen/33.3 %), –– Organisationsklima/Arbeitsklima wie Konsens, Hilfe etc. (125 Nennungen/ 29.6 %), –– Kooperation und Teamarbeit (112 Nennungen/26.5 %), –– vorhandene materielle Ressourcen wie Räume, Materialien etc. (85 Nennungen/ 20.1 %), –– vorhandene personelle Kompetenzen (75 Nennungen/17.7 %), –– Unterstützung von außen (37 Nennungen/8.7 %).
236
Gelingensbedingungen von Schulentwicklung
7.2.8 Maag Merki: Erfolgskriterien der Kooperaiton zwischen Lehrern In einer 2009 durchgeführten Befragung von 286 Lehrern an 25 Schulen im Kanton Zürich wurden mithilfe eines Fragebogens Häufigkeit, Umfang, Zufriedenheit, Wirkung und Einstellung zur Kooperationen unter Lehrern erfragt. Auf der Grundlage der Ergebnisse dieser Befragung wurden vier Schulen mit sehr unterschiedlichen Kooperationsformen ausgewählt, um weitere Informationen zu erhalten (Maag Merki et al. 2010, 19). Als Ergebnisse zu den Erfolgsbedingungen der Kooperation unter Lehrern werden folgende Aspekte herausgestellt (Maag Merki et al., 2010, S. 78 ff.): –– Organisatorische Rahmenbedingungen, –– zur Verfügung gestellte Ressourcen (vor allem Zeitressourcen), –– verbindlich festgelegte Kooperationszeiten, –– Einrichtung spezifischer ›Kooperationsgefäße‹ (Konferenzen, Projektgruppen, Teams etc.), –– Engagement der Lehrer und Bereitschaft zur aktiven Beteiligung, –– empfundener Nutzen der Kooperation, –– Passung und Funktionalität der Kommunikation, –– Impulse von außen, –– Gestaltungsspielräume und Entscheidungskompetenzen, –– gute Beziehungen zu den Schülern, –– Erwartungshaltung der Eltern. Die im Rahmen dieser Untersuchung herausgestellten Gelingensbedingungen decken sich weitgehend mit den durch die Autoren aus dem aktuellen Forschungsstand zusammengefassten Faktoren gelingender Lehrerkooperation (Maag Merki et al., 2010, S. 18; vgl. Maag Merki, 2009): –– Unterstützungssysteme: z. B. Reglements und Gesetze, Schulleitungen, Fachkonferenzleiter oder Multiplikatoren, materielle Unterstützungen, –– Bedürfnisorientiertheit und Adaptivität: Kooperationen fokussiert auf die spezifischen schulischen Situationen und Bedürfnisse der beteiligten Personen, –– Emotional-motivationale Voraussetzungen der Akteure: Motivationen und Interessen sowie Kompetenzen der beteiligten Personen, –– Gemeinsame Zielvorstellungen und verbindliche Regelungen: Unterschiedliche Ziele und Interessen müssen abgestimmt und gemeinsame Ziele im Konsens festgelegt werden, –– Konzeptionelle, didaktische Gestaltung von Kooperation: Inhalte, Reflexions niveau etc., –– Rahmenbedingungen und Strukturen: Rahmenbedingungen sind sowohl auf bildungspolitischer, struktureller Ebene wie auch in der Einzelschule relevant.
Ergebnisse von Schulentwicklungsforschung und Implementationsstudien 237
7.2.9 Röhrich: Erfolgskriterien der Entwicklung zur Selbständigen Schule Aus den Ergebnissen der Begleitforschung zum Modellvorhaben ›Selbstständige Schule‹ in Nordrhein-Westfalen wurden auf der Grundlage qualitativer Daten Dimensionen schulischer Selbstverantwortung und Selbststeuerung zusammengefasst (Röhrich, 2008). Die Daten wurden in Fallstudien an zwanzig Schulen erhoben und zwei Jahre später durch Untersuchungen an sechs ausgewählten Schulen vertieft (Röhrich, 2008, 226 f.). In einer Gesamtübersicht lassen sich folgende Kriterien benennen (Röhrich, 2008, S. 231, 256, 261 u. 271): –– –– –– ––
Anpassung der Veränderung an die einzelschulische Realität Überprüfung der Zielerreichung Leitung einer selbstständigen Schule Engagement und Verantwortungsübernahme –– Input Bewusstsein erweiterter schulischer Selbstständigkeit sozial ausgeprägtes Schulklima Unterstützung der Schulentwicklung durch das Kollegium –– Prozess Reflexion schulindividueller Bedürfnisse kooperative Entscheidungen für Entwicklungsvorhaben gesamte Schule umfassende Anlage von Entwicklungsvorhaben funktionaler Charakter der Entwicklungsvorhaben Übertragung von Verantwortung auf einzelne Lehrkräfte und Teams Aufbau einer teamartigen Organisationsstruktur Steuergruppe als Akteur zur Stärkung des Engagements und der Verantwortungsübernahme –– Output unmittelbare Erfolgserlebnisse und Effekte aktive Entwicklungsarbeit und bewusste Steuerung der schulischen Entwicklung Nutzung schulischer Handlungsspielräume –– systematische Herangehensweise an Entwicklungsprozesse –– systematische Vorbereitung von Schulentwicklung –– Investition in demokratische Entscheidungsfindung –– eindeutige Zielvorstellungen, Zielorientierung und Prioritätensetzung –– Zerlegung des Entwicklungsprozesses in kleine, zu bewältigende Schritte –– Dokumentation und Visualisierung des Entwicklungsprozesses –– Herstellung von Transparenz und Informationsfluss –– Prozessbegleitung der Steuergruppe –– Schule als Organisationseinheit –– Vernetzung der Gremien und Teams –– langfristige Anlage von Entwicklungsvorhaben
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Gelingensbedingungen von Schulentwicklung
–– Nutzung und Verfügbarkeit individuellen Wissens –– Einfordern von Verbindlichkeit –– kontinuierliche Entwicklungsarbeit –– Aufbau einer schulischen Infrastruktur –– Entscheidungsstrukturen systematische Vorbereitung von Entscheidungen demokratische Entscheidungen für Entwicklungsvorhaben Offenheit, Transparenz und Konfliktfähigkeit Klärung und Visualisierung des schulischen Organisationsgefüges und der Entscheidungsstrukturen Strukturiertheit und Vernetzung der Gremien und Teams Austausch und Kommunikation zwischen Gremien, Teams und Einzelpersonen –– Teambildung und Teamentwicklung Bereitschaft des Kollegiums zur Teamarbeit Einrichtung von Arbeitsgruppen unterrichtsbezogene Teamarbeit Unterstützung der Teamarbeit durch Personaleinsatz und Stundenplanung –– Schulische Steuergruppe schulische Steuergruppe im Zentrum der Entwicklungsarbeit demokratische Wahl der Steuergruppenmitglieder paritätische Besetzung der Steuergruppe Klärung und Findung der Rolle der Steuergruppe Aufträge durch die Konferenzen Transparenz der Steuergruppenarbeit Offenheit gegenüber den Ideen des Kollegiums Steuergruppen als Unterstützung und Dienstleistung Prozessbegleitung der Steuergruppe Delegation von Verantwortung und inhaltlicher Entwicklungsarbeit
7.2.10 Hargreaves & Fink: Untersuchung zur Nachhaltigkeit von Schulentwicklung Untersuchungen der Nachhaltigkeit von Schulveränderungen und der dabei gezeigten Performance deuten darauf hin, dass die damit einhergehenden Effekte nach einiger Zeit verschwinden: ›Leuchtturmschulen‹ bleiben in ihrer Entwicklung stehen, die Innovationen von Schulprojekten reichen nicht über den Projektzeitraum hinaus. Die wenigen Schulen, deren Innovationen nicht von aktuellen Projektgeldern oder Einzelpersonen abhängig sind, bleiben als Einzelbeispiele und Exoten bestehen (vgl. Hargreaves u. Fink, 2003, S. 436). Nachhaltige Schulentwicklung muss verschiedene Kriterien berücksichtigen (vgl. ebd. 438 u. 440; in Anlehnung an Capra, 1996; 290–295):
Ergebnisse von Schulentwicklungsforschung und Implementationsstudien 239
–– Veränderung der Sichtweise von Einzelteilen zum Ganzen und zu den Beziehungen und Relationen zwischen den Einzelteilen –– Abkehr von monokausalem Ursache-Wirkungs-Denken und Entwicklung eines Verständnisses für nichtlineare Dynamik und Feedback-Schleifen –– Flexibilität, um Angleichungsprozesse zur inneren und äußeren Umwelt zu ermöglichen –– Wertschätzung von Verschiedenheit und die Ermöglichung verschiedener Herangehensweisen an die Lösung eines Problems mit dem Ziel, die vorhandenen Kräfte auszubalancieren –– Auf- und Ausbau von Partnerschaften und Kooperationen zur Stützung der Bemühungen –– Ausrichtung auf gemeinsames Lernen und gemeinsame Entwicklung und nicht allein auf eine Umsetzung von Veränderungsschritten –– Ausrichtung auf langfristige und nicht nur auf kurzfristige Perspektiven –– Stützung der Veränderung auf vorhandene oder direkt erreichbare Ressourcen –– Vermeidung negativer Auswirkungen auf das Umfeld und auf andere Organisationen –– Veränderungen, die nicht auf Verallgemeinerung ausgerichtet sind, sondern die Individualität der einzelnen Organisation und ihres Umfeldes wertschätzen und nutzen Diese allgemeinen Kriterien der Nachhaltigkeit finden sich in Organisations entwicklungsprozessen wieder, die ja gezielt auf die De- und Re-Stabilisierung komplexer Systeme ausgerichtet sind. Aus der Betrachtung nachhaltiger Veränderungsprozesse an Schulen lassen sich weitere Implikationen für die Führung im Rahmen von Veränderungsprozessen zusammenfassen (vgl. Hargreaves u. Fink, 2003, S. 445 ff.): –– Begreifen von Veränderung als fortlaufendem Prozess, der zu keinem Zeitpunkt abgeschlossen ist, sondern in der andauernden Angleichung von Veränderungen im inneren und äußeren Umfeld besteht –– ein möglichst hohes Maß an Selbststeuerung und subjektivem Sinn für Veränderungen –– Anstreben von Veränderungen, die nicht an einzelne Personen gebunden sind (z. B. an eine bestimmte Schulleitung oder eine Projektgruppe), sondern sich verselbstständigen –– Umstellung einer ›Führung von oben‹ auf eine ›geteilte und vertikale Führung‹, die die gesamte Schulgemeinschaft einbezieht Einen entscheidenden Anhaltspunkt nachhaltiger Ergebnis- bzw. Produktqualität stellen die ehemaligen Schüler und deren Eltern dar, ebenso wie weiterführende Schulen und Unternehmen, in denen Schulabgänger tätig sind. Letztlich können nur diese externen Stellen Auskunft darüber geben, ob sich ›das Produkt‹ auf dem Markt bewährt. Die Einbindung von Ehemaligen und anderen externen
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Gelingensbedingungen von Schulentwicklung
Personen ist im Sinne der Nachhaltigkeit äußerst hilfreich, um einen interessierten, qualitativ unterschiedlichen und distanzierteren Blick auf die Organisation einzubeziehen und somit die Risiken der ›Betriebsblindheit‹ zu minimieren.
7.2.11 Zusammenfassung Die Schulentwicklungs- und Implementationsforschung benennt in ihren Ergebnissen durchweg all jene Faktoren, denen in der Schuleffektivitätsforschung nur geringe bis moderate Wirkungen attestiert werden. Was sich also nur wenig auf Schülerleistung auswirkt, scheint − zumindest nach Ansicht der in den Studien befragten Personen − entscheidend für den Erfolg von Schulentwicklungsprozessen zu sein. Im Vergleich zur Schuleffektivitätsforschung wird zudem ein differenzierteres Bild der Aspekte gelingender Planung und Zusammenarbeit gezeichnet, als dies bei einer Überprüfung der Wirkungen auf Schülerleistung möglich wäre. So werden beispielsweise einzelne Aspekte der Schulprogrammarbeit oder der Arbeit in Steuergruppen benannt, deren Wirkungen auf die Leistung der Schüler weder messbar noch relevant sind. Der Wirkfokus gelingender Schulentwicklung liegt eindeutig auf den Ebenen der Schulleitung, des Kollegiums, der Rahmen bedingungen und der Kooperation mit Personen und Institutionen außerhalb der Schule. Gegenüber den eher harten Faktoren der Messung von Schülerleistung (zumindest in Form kognitiver Leistungen) finden sich in der Bewertung von Wirkfaktoren guter ›Organisations- und Entwicklungsleistung‹ eher weiche Kriterien. Die empirischen Belege der auf Gelingensbedingungen bezogenen Schulentwicklungsforschung sind bei Weitem nicht so evident, wie dies in der Schuleffektivitätsforschung der Fall ist.
7.3 Zusammenfassungen von Gelingensbedingungen der Schulorganisationsentwicklung in der Fachliteratur In der Fachliteratur zur Schulentwicklung werden immer wieder Zusammenfassungen von Gelingensbedingungen der Schulentwicklung aufgestellt. Einige dieser Listen sollen hier ergänzend zu den vorgestellten Forschungsbefunden aufgeführt werden, um die hohe Übereinstimmung, bezogen auf Gelingens bedingungen von Schulentwicklung, zu illustrieren.
7.3.1 Holtappels: Schlüsselmerkmale für das Gelingen von Schulentwicklungsprozessen Einen engen Zusammenhang zwischen dem Erfolg von Schulentwicklungsverläufen und der Intensität der Lehrerkooperation, der Entwicklung von Lernkultur,
Zusammenfassungen von Gelingensbedingungen241
der Qualität schulischer Teamarbeit und Kooperation postuliert beispielsweise Heinz Jürgen Holtappels (vgl. Holtappels 2005, 36). Als Schlüsselmerkmale für das Gelingen von Schulentwicklungsprozessen fasst er folgende Aspekte zusammen (vgl. Holtappels, 2005, S. 43; vgl. auch Holtappels, 2003, S. 130 f.): –– Grundlegende Innovationsbereitschaft des Kollegiums, –– effektives Schulleitungshandeln und schulinternes Management in der Arbeitsorganisation (Steuergruppe, Qualitätszirkel), –– Teambildung und Lehrerkooperation, –– Sockelniveau in der Lern- und Erziehungskultur, –– schulweite Akzeptanz für geplante Entwicklungsprozesse, verbunden mit Visionen und Leitbild, –– Partizipation im Entwicklungsprozess, –– Präsenz und Nutzung von Qualifizierungs- und Unterstützungssystemen.
7.3.2 Holtappels & Rollet: innovationsförderliche Organisationsmerkmale Die Bedeutung von Organisations- und Prozessfaktoren auf Schulebene für das Gelingen schulischer Innovation wird von Heinz Günter Holtappels auch in einer späteren Publikation mit Wolfram Rollet betont. In einer erweiterten Aufzählung fassen die Autoren innovationsförderliche Organisationsmerkmale zusammen und beziehen sich dabei auf unterschiedliche Forschungsbefunde (Holtappels u. Rollet, 2008, S. 209, mit Verweis auf Sammons, Hillman u. Mortimore, 1995; Heck, Larsen u. Marcoulides, 1990, Leithwood Janzi, Silins u. Dart, 1993; Hallinger u. Heck, 1998; Bonsen et al., 2002; Berkemeyer u. Holtappels, 2006; Rosenholtz 1991; Louis u. Kruse, 1995; Leithwood, 2000; Steinert u. Klieme, 2003; Radisch u. Klieme, 2004; Holtappels, 1997, 2002 u. 2004; Fullan, 1993; Leithwood, 2000; Hameyer, 1992; Haenisch, 1993 u. 2004): –– Grundlegende Innovationsbereitschaft des Kollegiums, –– zielorientiertes Handeln, –– effektives Leitungshandeln, –– schulinternes Innovationsmanagement durch Steuerung in der Arbeitsorganisation, –– institutionalisierte Teambildung und intensive Kooperationsformen beim Personal, –– Anwendung zielorientierter und systematischer Entwicklungsstrategien, –– Partizipation des Kollegiums im Entwicklungsprozess, –– Kompetenzen zur Bewältigung der Innovationen oder der Vermeidung von Anfangsproblemen, –– Präsenz und Nutzung von externer Unterstützung, –– breite Akzeptanz im Kollegium für die geplante Innovation.
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Gelingensbedingungen von Schulentwicklung
7.3.3 Fend: Erfolgsfaktoren von Schulentwicklung Helmut Fend kommt in seiner Zusammenfassung der Ergebnisse von Untersuchungen zum Erfolg von Schulentwicklung, zur Implementation von Neuerungen und der Entwicklung von Schulqualität zu dem Schluss, dass Schulqualität auf sehr unterschiedliche Weise erreicht werden kann, dass es aber funktional äquivalente Praktiken des aktiven Handelns und der Problembewältigung gibt (Fend, 2008, S. 209; mit Bezug auf Halbheer u. Kunz, 2004): –– Klare, inhaltliche Führung, –– effiziente administrative Strukturen, die Reibungsverluste verhindern, –– belastbare soziale Beziehungsstrukturen, –– geschulte soziale Konfliktlösungs- und Kommunikationskompetenzen, –– Strukturen und Gefäße gemeinsamen Handelns im Sinne geregelter Verfahren, –– Einbezug der Eltern, –– Einbezug der Schüler, –– vielfältige Beziehungen zum sozialen, ökonomischen und ökologischen Umfeld, –– hoher Reflexionsgrad der Schule im Sinne professioneller Lerngemeinschaften von Lehrenden, –– Arbeit auf der Basis einer dichten Datenstruktur über das eigene Handeln, über Erfolge und über die Leistungsentwicklung der Schüler, –– Betrachtung ständiger Entwicklung als Selbstverständlichkeit.
7.3.4 Miles: Gelingensbedingungen der Schulentwicklung Fend führt auch eine Aufzählung von Gelingensbedingungen durch den Er ziehungswissenschaftler Matthew B. Miles an, die dieser als Resümee seiner 40-jährigen Arbeit zur Schulentwicklung in einem Vortrag über wirksamen Mechanismen der Schulgestaltung zusammengefasst hat (vgl. Fend, 2008, S. 209 f.): –– Zusammenarbeit in der Gruppe, –– gelebte Strategien der Konfliktbewältigung, –– Fähigkeit zur Meta-Reflexion und Prozessanalyse, –– tragfähige kollegiale Strukturen und gute affektive Beziehungskonstellationen, –– gute Datenlage und -nutzung, –– Aushandlung kommunizierbarer pädagogischer Ziele und Selbstverständnisse, –– Ausrichtung auf dauerhafte Regelungen und Vereinbarungen, –– Bereitstellung zeitlicher und personeller Ressourcen, –– Stärkung der Akteure (Empowerment) und ihres Handelns (capacity building).
Zusammenfassungen von Gelingensbedingungen243
7.3.5 Bastian & Rolff: Gelingensbedingungen der Unterrichtsentwicklung In ihrer Evaluation des Projektes zur Unterrichtsentwicklung ›Schule und Co.‹ nennen Johannes Bastian und Hans-Günter Rolff die folgenden Gelingensbedingungen für Unterrichtsentwicklung (Bastian u. Rolff, 2001, S. 41): Entwicklungsaufgaben der Unterrichtsentwicklung: –– sind klar definiert, –– werden von der Zustimmung der Schule getragen, –– sind sowohl fachunabhängig als auch fachbezogen, –– zeitigen bzw. unterstützen direkte Veränderungen der täglichen Praxis, –– stellen schulweit und schulübergreifend vergleichbare Ansprüche, –– basieren auf Arbeitsteilung und gegenseitiger Verantwortung, –– werden durch Schulmanagement realisiert.
7.3.6 Bonsen, Bos & Rolff: ›Treiber‹ von Schulentwicklungsprozessen Martin Bonsen, Wilfried Bos und Hans-Günter Rolff benennen drei zentrale Faktorengruppen, die als ›Treiber‹ von Schulentwicklungsprozessen fungieren (Bonsen, Bos u. Rolff, 2008, S. 24 ff.; mit Verweis auf Marzano, 2003; Rolff, 2007a; Köller, 1998; Rosenholtz, 1991): Zielführendes Handeln –– Klärung vorgegebener und selbst gesetzter Ziele, –– Zielvereinbarungen mit internen und externen Personen und Gruppen (z. B. Behörden, Schulleitung, Fachgruppen), –– eigene Zielsetzung aus dem Leitbild oder aus eigenen Qualitätsleitsätzen, –– Überprüfbarkeit, etwa anhand von Kriterien und Indikatoren. Teamentwicklung –– vor allem unterrichtsbezogen (z. B. Klassen- und Jahrgangsteams, Fachteams, Projektteams, Schulleitungsteams), –– Kultur der Unterstützung und gegenseitigen Hilfe, –– Identifikation mit den Zielen, –– geteilte Verantwortung. Feedback-Kultur –– wechselseitiges und wertschätzendes Feedback, –– Feedback an Schüler über Lernergebnisse, Lernverhalten, Lernstile, Stärken und Defizite, –– Qualitätsorientierung von Feedback verbunden mit diagnostischer und auf Förderung ausgerichteter Kompetenz,
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Gelingensbedingungen von Schulentwicklung
–– Feedback zwischen Schülern und Lehrern, unter den Lehrern, zur Schulleitung und den Eltern als reflektierter Dialog zur Arbeits- und Alltagskultur, –– datengestütztes Feedback, –– Feedback mit Fragebögen oder sogenannten Blitzlichtrunden, –– Schaffen von Gesprächsanlässen, die auch zu Handlungen (Konsequenzen) führen, –– Vertraulichkeit und Klima der Offenheit, –– voneinander und aus Fehlern lernen.
7.3.7 Bonsen, Bos & Rolff: Herstellen von Entwicklungsfähigkeit Bezogen auf den Aufbau von Kapazitäten für Veränderungsprozesse (›capacity building‹) ergänzen Bonsen, Bos und Rolff folgende Elemente zum Herstellen von Entwicklungsfähigkeit (vgl. Bonsen, Bos u. Rolff, 2008, S. 27): –– Steuerung durch Schulleitung, Steuergruppen und Fachgruppen, –– gemeinsam vereinbarte Ziele, –– Fokus auf Schüler, –– Deprivatisierung der Lehrerrolle (vom Einzelkämpfer zum Teamplayer), –– Zusammenarbeit/Kooperation, –– zielorientierte, datengestützte und reflektierte Kommunikation, –– regelmäßige ›Audits‹ (Rechenschaftslegungen und Überprüfungen) zum: –– Klären der Ziele, –– Erheben eigener Daten, –– Nutzen externer Daten, –– Überprüfen der Zielerreichung, –– darauf aufbauenden Ziehen von Konsequenzen, –– voneinander und aus Fehlern lernen.
7.4 Ein Gesamtmodell der Gelingensbedingungen von Schulorganisationsentwicklung Die Zusammenfassungen in der Fachliteratur stützen sich nicht nur auf Ergebnisse der Schulentwicklungsforschung, sondern vielfach auch auf eigene Erfahrungen und Meinungen der jeweiligen Autoren, die sich aber mit den in der Forschung benannten Faktoren decken. Fasst man alle Aussagen zu Gelingensbedingungen von Schulentwicklungsprozessen zusammen, lassen sich vier zentrale Bereiche beschreiben (Tabelle 22):
Ein Gesamtmodell der Gelingensbedingungen von Schulorganisationsentwicklung 245 Tabelle 22: Zusammenfassung der Gelingensbedingungen von Schulentwicklung 1. Ziel- und Ergebnisorientierung –– Orientierung an mittel- und langfristigen Zielen –– Vorhandensein klar definierter Ziele –– Vorhandensein gemeinsamer Ziele –– Orientierung an konkreten Arbeitsproblemen –– Ausrichtung auf dauerhafte Vereinbarungen –– Vorhandensein oder Erarbeitung eines Leitbildes oder Schulprogramms 2. Motivationale Aspekte und Kompetenzen –– Akzeptanz –– Innovationsbereitschaft –– Bereitschaft zur aktiven Mitarbeit –– Kompetenzen in der Organisationsentwicklung 3. Schulführung und Schulgestaltung 3a. Effektivität der Abläufe und der Zusammenarbeit –– Kommunikationsstrukturen –– Arbeitsorganisation und Arbeitsplanung –– Kooperation im Kollegium –– Feedback- und Rückmeldesysteme –– organisatorischer Rahmen und effiziente administrative Strukturen –– Strukturen für das Treffen gemeinsamer Vereinbarungen –– Strukturen der Konfliktlösung –– inhaltliche und pädagogische Führung 3b. Vorgehensweisen –– Beteiligung von Kollegen, Eltern und Schülern an Entscheidungen und Veränderungen –– Nutzung externer Unterstützung und Beratung –– Bereitstellung zeitlicher und personeller Ressourcen für die Schulentwicklung –– Teamarbeit (z. B. Klassen- und Jahrgangsteams, Fachteams, Projektteams, Schulleitungsteams) –– Schulungen und Fortbildungen zur Schulentwicklung –– Kooperation mit externen Organisationen und Personen –– Abstimmung von Zielen aufeinander –– Abstimmung von Veränderungsschritten aufeinander –– Arbeit mit Zielvereinbarungen –– Datenerhebung und -nutzung (Evaluation) –– Überprüfung der Umsetzung und der Zielerreichung von Veränderungen (Controlling) 4. Schulkultur und Schulklima –– Schulkultur und Schulklima allgemein –– Konsens und Kohärenz im Kollegium –– Lern- und Erziehungskultur –– Vertraulichkeit –– Klima der Offenheit –– Fehlerfreundlichkeit –– Arbeitszufriedenheit
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Gelingensbedingungen von Schulentwicklung
Für die Erstellung dieser Zusammenfassung wurden die gesammelten Erfolgskriterien verallgemeinert und verdichtet. Hierbei konnten zum einen einige Formulierungen mehreren Bereichen zugeordnet werden (›Strukturen und Gefäße gemeinsamen Handelns im Sinne geregelter Verfahren‹ zu ›Teamarbeit‹ und ›Arbeitsorganisation‹), zum anderen wurden die Kriterien grundsätzlich in eine positive Formulierung überführt (z. B. ›geringe Abwehrhaltung im Kollegium‹ zu ›Akzeptanz und Innovationsbereitschaft‹). Im Vergleich dieser Zusammenstellung mit dem weiter vorne als Zusammenfassung der vorgestellten Qualitätsmodelle erstellten ›Ordnungsschema der Qualitätsbereiche und-ebenen‹ (siehe Kapitel 5.5: Zusammenfassung und Gemeinsamkeiten der Qualitätsmodelle, Abbildung 13) zeigt sich, dass die Gelingensbedingungen von Schulentwicklung zum überwiegenden Teil im Bereich der Prozessqualität
Abbildung 32: Ordnungsschema der Qualitätsbereiche und -ebenen mit Markierung der zen tralen Bereiche für den Erfolg von Schulentwicklungsprozessen (vgl. Abbildung 13)
Ein Gesamtmodell der Gelingensbedingungen von Schulorganisationsentwicklung 247
auf der Ebene der Schulleitung und des Kollegiums liegen. Bezogen auf Schulentwicklung als Veränderung der gesamten Organisation verdient der Bereich der ›Schulführung und -gestaltung‹ besondere Beachtung, der auf mehreren Ebenen der Schulorganisation bedeutsam sein kann. Gemeint sind hiermit Elemente der Organisationsführung und -gestaltung, die sowohl für Schulleitung, Kollegium als auch Unterrichtsgestaltung oder die Kooperation mit Eltern und externen Kooperationspartnern relevant sind. Ein weiterer Grund für den hohen Stellenwert des Bereichs ›Schulführung und Schulgestaltung‹ liegt darin, dass er aus direkt beeinflussbaren Elementen besteht, während ›motivationale Aspekte‹ sowie ›Schulkultur und -klima‹ indirekte Variablen darstellen, die eher als Voraussetzung (Input) bzw. als Ergebnis (Output) verstanden werden können. Der Bereich der ›Ziel- und Ergebnisorientierung‹ lässt sich auch direkt beeinflussen und bildet in allen Modellen der Organisationsentwicklung einen zentralen Ausgangspunkt. Organisatorische und prozessbezogene Merkmale der Schule als Gesamtorganisation wirken nicht nur in alle Qualitätsbereiche hinein, sondern sind für das Gelingen von Schulentwicklung (und damit auch von Schule) zentral. Das ›Wie‹ von Schulführung, Schulgestaltung und Schulentwicklungsprozessen ist ein zentrales Qualitätsmerkmal, nicht nur für das Gelingen von Schulentwicklungsprozessen, sondern auch für die daraus entstehende Schul- und Unterrichtsqualität. Diese zentrale Bedeutung der Prozess- und Managementqualität der Schule bedeutet jedoch kein striktes Vorher oder Nachher von Organisations-, Unterrichts- und Personalentwicklung, sondern vielmehr die Notwendigkeit, von der Organisationsentwicklung ausgehend alle Qualitätsbereiche integriert in den Blick zu nehmen (vgl. Holtappels, 2003, S. 146). »Man könnte den Systemzusammenhang auch bündiger formulieren: Keine Unterrichtsentwicklung ohne Organisationsentwicklung und Personalentwicklung, keine Organisationsentwicklung ohne Personalentwicklung und Unterrichtsentwicklung, keine Personalentwicklung ohne Organisationsentwicklung und Unterrichtsentwicklung. Das Neue und Besondere in diesem Systemzusammenhang stellt allerdings die Organisationsentwicklung dar. Ohne Organisationsentwicklung würde Unterrichtsentwicklung ebenso wenig wie Personalentwicklung auf das Ganze der Schule zielen und bliebe es bei modernisierter Lehrerfortbildung.« (Rolff, 2007a, S. 15 f.)
Die kommunikativen und organisatorischen Kompetenzen der beteiligten Personen – vor allem auch der Mitglieder der Steuergruppe und der Schulleitung, des Kollegiums sowie externer Berater – in Bereichen der Projektorganisation, Planung, Strukturierung, Moderation und Gesprächsführung scheinen eine gute Ausgangsbasis, wie sie etwa durch Qualitätsmanagementsysteme geschaffen werden soll (vgl. z. B. QUS und QZS oder die Schulungen durch externe Trainer im EFQM-Modell). Jedes einzelne Merkmal der unterschiedlichen Bereiche und
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Gelingensbedingungen von Schulentwicklung
Ebenen der Schulqualität bzw. der Qualitätstableaus und -modelle kann ein Anlass dafür sein, eben diese Prozessqualitäten zu schulen und zu entwickeln. Ein großer Bereich der aufgezählten Gelingensbedingungen von Schulentwicklung ist in Schulmanagement und Schulführung angesiedelt, das heißt in allen operationalisierbaren Strategien, Techniken und Strukturen und im direkten Führungshandeln, welche den Handlungsrahmen für die Schule und damit auch für Veränderungsprozesse an der Schule bilden. Die Bereiche Management und Führung müssen hierzu differenziert verwendet werden (siehe F.u.Z., Kapitel 1.3: Entscheidungs- und Aufgabenbereiche in Organisationen): »Management gilt als ›Distanzführung‹, weil es nicht unmittelbar interaktional eingreift, sondern vermittelt über Artefakte lenkt (z. B. Strukturen, Techniken, Institutionen oder Systeme). Management wird verantwortlich gemacht für die Einrichtung und Steuerung solcher Artefakte wie z. B. einem Planungssystem, einer Projektorganisation, einer Controllingtechnik. Management ist zudem ›Dingführung‹, weil ihr Objekt nicht Menschen, sondern Prozesse und Gebilde sind: man managt einen Geschäftsprozess oder eine divisionale Organisation, aber man führt Menschen oder Gruppen.« (Neuberger, 2002, S. 48 f.)
Die Schaffung von Strukturen und Ablaufprozessen (Management) sowie das Handeln innerhalb dieser Strukturen bildet nicht nur den Rahmen des Schulalltags und der Schulentwicklung, sondern scheint auch ganz grundsätzlich Erfolgskriterium für Schulentwicklungsprozesse zu sein. Stimmt die Beobachtung Hans-Günter Rolffs, dass unter Lehrern nach wie vor ›Beamtenmentalität‹ und ›Einzelkämpfertum‹ herrschen, die einzelschulische Entwicklungen eher verhindern, liegt in den auf die ganze Schule bezogenen, prozessorientierten Qualitätsbereichen ein zentraler Ansatzpunkt für eine grundlegende Befähigung von Lehrern – und damit von Einzelschulen – zu selbst gesteuerter Organisations- und Qualitätsentwicklung (vgl. Rolff, 2005, S. 57). Dies liegt darin begründet, dass zunächst Formen der Zusammenarbeit und eine gemeinsame Zielausrichtung erreicht werden können, die für die gemeinsame Bearbeitung anderer Themen etwa der Unterrichtsgestaltung entscheidend sind. Der Bereich der aktiven Organisationsführung und -gestaltung bietet somit eine gute Ausgangsbasis für erfolgreiche Organisationsentwicklung und damit für erfolgreiche Schulen. Wenn das Management des Gesamtsystems ausgereift ist und gut funktioniert, steigen die Erfolgschancen für die Aufrechterhaltung und Entwicklung von Qualität. Wenn gerade diese Bereiche aber schlecht entwickelt sind, müssten sie zunächst verbessert werden, bevor Organisationsentwicklung an anderen Themenbereichen wie etwa der gemeinsamen Unterrichtsentwicklung ansetzt. Zumindest müssten die Prozessqualitäten auf Führungs- und Managementebene parallel zur Auseinandersetzung mit anderen Themen entwickelt werden. Die Bedeutung der Schulleitung für Schulentwicklung und Schulqualität belegen – neben den oben angeführten Ergebnissen der Schulentwicklungsforschung – insbesondere die Forschungsergebnisse von Martin Bonsen, Jan von der Gathen,
Ein Gesamtmodell der Gelingensbedingungen von Schulorganisationsentwicklung 249
Claus Iglhaut und Hermann Pfeiffer, die den Zusammenhang zwischen Merkmalen der Schulqualität und Merkmalen der Schulleitung an 30 Schulen untersucht haben (Bonsen et al., 2002; Bonsen, 2006, S. 195). In der Untersuchung wurde zwischen ›guten‹ und ›belasteten‹ bzw. ›verbesserungsbedürftigen‹ Schulen unterschieden. Anhand der Bildung von Mittelwerten aus den Aussagen des Kollegiums zeigt sich, dass Schulleitungen an ›guten‹ Schulen in allen Bereichen bedeutsam positiver eingeschätzt werden (Bonsen, 2006, S. 196). Die ›Förderung der Mitbestimmung‹ erhält sowohl in ›guten‹ als auch ›verbesserungsbedürftigen‹ Schulen hohe Bewertungen. In ›verbesserungsbedürftigen‹ Schulen werden hier insgesamt die höchsten Werte erreicht, während sie in ›guten‹ Schulen trotz hoher Werte nur den fünften Rangplatz einnehmen. »Die Analysen zeigen aber auch, dass Schulleiter/innen an besonders guten Schulen zusätzlich und über das Niveau der Mitbestimmungsförderung hinausgehend sehr hohe Einschätzungen in den Bereichen der zielgerichteten Führung, der Innovationsbereitschaft, der Organisationskompetenz sowie in der persönlichen Beziehungsorientierung zur einzelnen Lehrkraft erhalten.« (Bonsen, 2006, S. 196)
Als besonders signifikant lassen sich die Unterschiede in den drei Bereichen zielgerichtete Führung, Innovationsbereitschaft und Organisationskompetenz herausstellen (Bonsen et al., 2002, S. 168 ff.). Bezogen auf die Beteiligung des Kollegiums scheint eine gute Balance zwischen demokratischer Beteiligung und direktiver Festlegung hilfreich zu sein (siehe F.u.Z., Kapitel 3.4.3: Formen der Entscheidungsfindung). Zur Betonung der Bedeutung von Management und Führung muss kritisch ergänzt werden, dass mehrere amerikanische Studien darauf hinweisen, dass ›schulbasiertes Management‹ – und die damit verbundene Verantwortung der Einzelschule und des Kollegiums – allein keine relevanten Auswirkungen auf den Unterricht und den Lernerfolg von Schülern hat (vgl. Fullan u. Watson, 2000, S. 455). Dies ist zum einen nicht verwunderlich, da Management ein sehr amorphes Konzept ist, unter dem sich unzählige Einzelstrategien und Werkzeuge verbergen (vgl. ebd.). Zum anderen stellt sich bei allen Prozesskriterien auf der Ebene von Schulleitung und Kollegium immer auch die Frage: Wozu dient dieser Prozess hinsichtlich der Prozesse auf Schülerebene und hinsichtlich der Outputqualitäten? Effekte von Organisationsführung und -gestaltung bzw. von Management schlagen auf Unterricht und den Lernerfolg nur dann durch, wenn diese an der Schule auch für eine professionelle Organisation und Gestaltung des Unterrichts eingesetzt werden (Fullan u. Watson, 2000, S. 456). Neben der reinen Administration, einer Verbesserung der Zusammenarbeit im Kollegium und besseren Erfolgschancen für Schulentwicklungsprozesse im Allgemeinen ist also immer zu fragen, inwieweit Organisationsführung und Organisationsgestaltung auch einer Verbesserung der Unterrichtsqualität und der Schülerleistungen dient. Organisationsführung und -gestaltung sind kein Selbstzweck, sondern sollen dazu beitragen, andere Ziele der Schulentwicklung zu erreichen, etwa eine Ver-
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Gelingensbedingungen von Schulentwicklung
besserung des Unterrichts. Insofern können alle Formen des Schulmanagements mit einem Werkzeugkoffer verglichen werden, der wenig hilfreich ist, wenn er nur im Schrank steht. Es stellt sich immer auch die Frage, wann, wo und wozu er eingesetzt wird. Von besonderem Interesse müssten daher auch die ›Werkzeuge‹ sein, die Verbindungen zwischen dem Handeln in Schulleitung, Kollegium, Unterricht und auch in der Kooperation mit dem Umfeld schaffen, indem sie in allen diesen Bereichen eingesetzt werden. Ein ›Konfliktmanagementsystem‹ müsste für Schulleitung, Kollegium, Unterricht und Kooperation gleichermaßen gelten. Gleiches gilt für Feedbacksysteme oder das Arbeiten mit Zielvereinbarungen. Unabhängig davon, auf welche Ebene einer Schule man schaut, könnte man diese Gemeinsamkeiten wiederfinden. Neben dieser Form der Wirksamkeit von Management wäre ansonsten zu fragen, inwieweit Management, das sich nicht direkt auf mehreren Ebenen zeigt (wie beispielsweise Teamarbeit in Fachgruppen oder auch Schulungen), dazu genutzt wird, Unterricht und Lernen zu unterstützen. Ein weiterer für das Gelingen von Schulentwicklungsprozessen wichtiger Aspekt ist die zeitliche Perspektive der Veränderung und der zu erwartenden Ergebnisse. Wie schon bei den Erfolgs- und Misserfolgskriterien der Organisationsentwicklung dargestellt, sollte mit Veränderungen in Bereichen begonnen werden, in denen die Veränderungsnotwendigkeit am größten ist, aber auch in den Bereichen, in denen schnelle erste Erfolge zu erwarten sind (siehe Kapitel 6.5.3: Erfolgs- und Misserfolgskriterien der Organisationsentwicklung). Es wird aber ebenso angeführt, dass Beharrlichkeit und Durchhaltevermögen notwendig sind. Diese Notwendigkeit wird bezogen auf Schulentwicklungsprozesse vor allem dann offensichtlich, wenn man sich vor Augen hält, dass Evaluationen solcher Prozesse ergeben, dass grundlegende Veränderungen auf Schulebene nach ca. fünf Jahren einsetzen und Veränderungen in den Leistungen der Schüler nach ca. acht Jahren (vgl. Barrera-Osorio, Fasih u. Patrinos, 2009, S. 77 ff.). Diese Angaben beziehen sich jedoch auf nachhaltige Veränderungsprozesse, die die gesamte Schule betreffen, und auf die Gesamtergebnisse auf Schulebene. Auf der Ebene von Unterricht und Unterrichtsentwicklung können im Einzelfall schnellere Effekte erzielt werden. Es bleibt jedoch der entscheidende Hinweis, dass Schulentwicklung in der Regel ein zeitlich umfangreiches Unterfangen ist und es sicherlich hilfreich ist, dass sich die Beteiligten darüber im Klaren sind. Ansonsten besteht die Gefahr, dass schnelle Erfolge erwartet werden, die dann nicht eintreten und die Beteiligten demotiviert aufgeben. Die dargestellten Zusammenhänge zentraler Aspekte gelingender Schulentwicklung sollen abschließend in einer Grafik verdeutlicht werden (Abbildung 33):
Ein Gesamtmodell der Gelingensbedingungen von Schulorganisationsentwicklung 251
Abbildung 33: Zusammenhänge zwischen zentralen Aspekten gelingender Schulentwicklung
Ausgangspunkte der Schulentwicklung sind klare, gemeinsame, mittel- und langfristige Ziele und Visionen, die zu einer Handlungsorientierung für die Schule und für die beteiligten Personen führen. Vor dem Hintergrund von Schulklima und Schulkultur ist die Prozessebene der Schulgestaltung auf den verschiedenen Qualitätsebenen entscheidend. Angefangen bei den Kompetenzen der Schulleitung, ihrer Führung und der Qualität der eingesetzten Managementstrategien und -werkzeuge (z. B. Teamarbeit, Arbeitsorganisation, Feedback, Datenerhebung, Konfliktlösung, Schulungen, Ressourcenmanagement) sind die Kohärenz und Konsistenz sowie die Beteiligung und Partizipation des Kollegiums wichtige Gelingensbedingungen.
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Gelingensbedingungen von Schulentwicklung
Auf der Ebene von Schulleitung und Kollegium sind Motivation, Akzeptanz und Innovationsbereitschaft eine Grundvoraussetzung. Weiterhin sind die Beteiligung und Partizipation von Schülern und Eltern sowie die Kooperation mit dem Umfeld wichtig. Führung und Management müssen auf die Qualität des Unterrichts und generell auf die Output-Qualität der Schule ausgerichtet sein, um keinen Selbstzweck darzustellen. Eine datenbasierte Evaluation muss in die Überprüfung, Anpassung und Weiterentwicklung der Ziel- und Handlungsorientierung einfließen.
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Übungen: A. Erstellen Sie im Kollegium anhand der in diesem Kapitel genannten Qualitätsaspekte gelingender Schulentwicklung eine Beschreibung der Grundvoraussetzungen und Prozessqualitäten, über die Ihre Schule im besonderen Umfang verfügt. Diskutieren Sie, wie Sie diese weiter verbessern können. Erstellen Sie ebenfalls eine Beschreibung der Grund voraussetzungen und Prozessqualitäten gelingender Schulentwicklung, die an Ihrer Schule nur in geringem Maße vorhanden sind. Diskutieren Sie, wie diese gestärkt und verbessert werden können. B. Listen Sie zu jedem der genannten Erfolgs- und Misserfolgskriterien auf, was dieses für einen Veränderungsprozess an Ihrer Schule bedeuten könnte. Haben Sie einzelne der genannten Faktoren schon einmal in einem Veränderungsprozess wahrgenommen und ihre Auswirkungen erlebt? Was genau ist passiert? C. Versuchen Sie vor Beginn eines Veränderungsprozesses die Erfolgskriterien zu erfüllen. Verwenden Sie dazu den Fragebogen, um zu überprüfen, welche Erfolgskriterien an Ihrer Schule gut erfüllt sind und welche gegebenenfalls noch entwickelt werden sollten (siehe O.u.OE. AH-12: ›Erfolgsfaktoren der Schulentwicklung‹, auf der Webseite zu diesem Buch).
7.5 Was denken Lehrkräfte über Schulorganisation und Schulentwicklung an ihrer Schule? In einer eigenen Befragung wurden im Jahr 2011 insgesamt 89 Schulen mit 2032 Lehrkräften und pädagogischen Mitarbeitern befragt, um die Einstellungen der Kollegien zu verschiedenen Aspekten gelingender Schulentwicklung in Erfahrung zu bringen (Lindemann, 2013). Da Aussagen über Haltungen in den Kollegien einzelner Schulen und nicht nur über einzelne Personengruppen getroffen werden sollten, wurden in die Auswertung nur die Schulen einbezogen, an denen sich mindestens 39 % des Kollegiums beteiligt hatten, sodass 72 Schulen aller Schulformen mit insgesamt 1847 Teilnehmern in die Auswertung aufgenommen wurden (Lindemann, 2013, S. 121). Gefragt wurde nach den Einstellungen zu sechs Bereichen, die aus den hier vorgestellten Gelingensbedingungen der Schulorganisationsentwicklung und den zugrunde gelegten Forschungen zusammengefasst sind:
Was denken Lehrkräfte über Schulorganisation und Schulentwicklung?253
1. Motivationale Aspekte und Kompetenzen (8 Items): –– Sinn und Notwendigkeit von Schulentwicklung –– Innovationsbereitschaft –– Bereitschaft zur aktiven Mitarbeit –– Zufriedenheit mit Schulentwicklung –– Steigerung der Qualität durch Schulentwicklung –– Eigene Kompetenzen in der Schulentwicklung –– Kompetenzen der Schulleitung in der Schulentwicklung –– Eigenverantwortung der Schulentwicklung 2. Ziel- und Ergebnisorientierung (6 Items): –– Orientierung an mittel- und langfristigen Zielen –– Vorhandensein klar definierter Ziele –– Vorhandensein gemeinsamer Ziele –– Orientierung an konkreten Arbeitsproblemen –– Ausrichtung auf dauerhafte Vereinbarungen –– Vorhandensein oder Erarbeitung eines Leitbildes oder Schulprogramms 3. Effektivität der Abläufe und der Zusammenarbeit (7 Items): –– Kommunikationsstrukturen –– Arbeitsorganisation und Arbeitsplanung –– Kooperation im Kollegium –– Feedback- und Rückmeldesysteme –– Organisatorischer Rahmen und effiziente administrative Strukturen –– Strukturen für das Treffen gemeinsamer Vereinbarungen –– Strukturen der Konfliktlösung 4. Vorgehensweisen in der Schulentwicklung (16 Items): –– Beteiligung von Kollegen an Entscheidungen und Veränderungen –– Beteiligung von Schülern an Entscheidungen und Veränderungen –– Beteiligung von Eltern an Entscheidungen und Veränderungen –– Nutzung externer Unterstützung und Beratung –– Bereitstellung zeitlicher Ressourcen für die Schulentwicklung –– Bereitstellung personeller Ressourcen für die Schulentwicklung –– Teamarbeit (z. B. Klassen- und Jahrgangsteams, Fachteams, Projektteams, Schulleitungsteams) –– Schulungen und Fortbildungen für das Kollegium zur Schulentwicklung –– Schulungen und Fortbildungen für die Schulleitung zur Schulentwicklung –– Kooperation mit externen Personen und Organisationen –– Abstimmung von Zielen –– Abstimmung von Veränderungsschritten –– Arbeit mit Zielvereinbarungen –– Datenerhebung und -nutzung (Evaluation)
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Gelingensbedingungen von Schulentwicklung
–– Überprüfung der Umsetzung von Veränderungen (Controlling) –– Überprüfung der Zielerreichung von Veränderungen (Controlling) 5. Schulkultur und Schulklima (10 Items): –– Arbeitszufriedenheit –– Soziales Miteinander –– Einbindung in das Kollegium –– Konsens über zentrale pädagogische Fragen –– Zusammenhalt des Kollegiums –– Eigene Bereitschaft zur Übernahmen von Verantwortung –– Vertrauenshaltung der Schüler gegenüber den Lehrkräften –– Schulfreude der Schüler –– Disziplin der Schüler –– Leistungsangst der Schüler 6. Schulleitung (5 Items): –– Zielgerichtetheit –– Innovationsbereitschaft –– Aktiver Einsatz für die Verbesserung der Qualität –– Organisationskompetenz –– Vertrauenshaltung des Kollegiums gegenüber der Schulleitung Die Items wurden mithilfe einer Hauptkomponentenanalyse zusammengefasst. Die hieraus entstandenen zwölf Faktoren geben Aufschluss darüber, welche Bereiche der Schulentwicklung und Schulorganisation für die Befragten miteinander in Zusammenhang stehen und in welchem Umfang sie die Streuung (Varianz) der abgegebenen Wertungen erklären: –– Führung, Kommunikation und Organisation (11 Items, 26.6 % Varianzaufklärung), –– Zielorientierung und Planung (12 Items, 7.7 % Varianzaufklärung), –– Kooperation, Rückmeldung und Schulkultur im Kollegium (8 Items, 4.2 % Varianzaufklärung), –– Controlling (6 Items, 3.2 % Varianzaufklärung), –– Schulung und Beratung (6 Items, 3.0 % Varianzaufklärung), –– zeitliche und personelle Ressourcen (4 Items, 2.7 % Varianzaufklärung), –– Zufriedenheit und Motivation (4 Items, 2.4 % Varianzaufklärung), –– Beteiligung von Eltern und Schülern (5 Items, 2.2 % Varianzaufklärung), –– Schulkultur in der Schülerschaft (4 Items, 2.0 % Varianzaufklärung), –– Kooperation mit externen Organisationen (2 Items, 1.8 % Varianzaufklärung), –– Teamarbeit (2 Items, 1.6 % Varianzaufklärung), –– Sinn und Freiwilligkeit der Schulentwicklung (3 Items, 1.6 % Varianzaufklärung).
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Untersucht wurde, in welchem Zusammenhang die Wertungen in diesen Bereichen mit schulbezogenen und individuellen Faktoren stehen. Weder für die Schulform, die Größe des Kollegiums, das Geschlecht noch das Alter, die Zugehörigkeit zu Schulleitung und Schulvorstand oder die Berufsgruppe zeigten sich jedoch nennenswerte Effekte. Die maximalen Mittelwertunterschiede zwischen den Gruppen liegen trotz teilweise statistisch signifikanter Unterschiede bei 0.66 auf einer fünfstufigen Skala von ›0 = gar nicht‹ bis ›4 = sehr hoch‹. Vergleicht man hingegen die zwölf Schulen, die die Schulorganisation und Schul entwicklung an ihren Schulen insgesamt an besten bewerten, mit den zwölf Schulen, die die Schulorganisation und Schulentwicklung an ihren Schulen insgesamt am schlechtesten bewerten, zeigen sich höhere Mittelwertunterschiede vor allen in den Bereichen Teamarbeit (0.91), zeitliche und personelle Ressourcen (0.77), Ziel orientierung und Planung (0.73) und Führung (0.69) (Lindemann, 2013, S. 151). Ein Vergleich der Standardabweichungen weist darauf hin, dass Kollegien, die die Schulorganisation und Schulentwicklung an ihrer Schule positiv bewerten, in ihrem Urteil stärker übereinstimmen. Der Wunsch nach einer Verbesserung ist bei den Schulen, die die Schulorganisation und Schulentwicklung an ihre Schulen schlechter bewerten, größer. Sie stufen das Vorhandensein in allen Bereichen geringer ein und wünschen sich in allen Bereichen in höherem Maße eine Verbesserung (Lindemann, 2013, S. 153 f.). Eine weitere Unterscheidung lässt sich auf individueller Ebene treffen, indem Befürworter und Kritiker der Schulentwicklung anhand der Komponenten ›Zufriedenheit und Motivation‹ und ›Sinn und Freiwilligkeit der Schulentwicklung‹ zu Gruppen zusammengefasst werden (Lindemann, 2013, S. 175–182). Zwischen den Gruppen der ›Zufriedenen und Freiwilligen‹ einerseits und der ›Unzufriedenen und Unfreiwilligen‹ andererseits ergeben sich in der Bewertung der Schulorganisation und Schulentwicklung ihrer Schule erhebliche Mittelwert unterschiede vor allem in den Bereichen Schulung und Beratung (1.44), zeitliche und personelle Ressourcen (1.42), Controlling (1.41), Planung (1.39), Zielorientierung (1.38), Führung (1.28) sowie Kommunikation und Organisation (1.17). Der Wunsch nach einer Verbesserung in diesen Bereichen ist erwartungsgemäß bei denjenigen am höchsten, die sich unzufrieden äußern. Die Lehrkräfte, die unzufrieden sind und der Schulentwicklung unfreiwillig gegenüberstehen, wünschen sich im Bereich Controlling sogar eine Verringerung der vorhandenen Strukturen. Was bedeuten diese Ergebnisse für die aktive Gestaltung von Schulorganisation und Schulentwicklung? Zunächst lässt sich sagen, dass die Bewertung von Schulorganisation und Schulentwicklung weder mit der Schulform, Schulgröße oder der Zusammensetzung des Kollegiums zu tun hat. Vielmehr bilden einzelne Kollegien spezifische Wertegemeinschaften, die sich über einen positiven Organisationsstand ihrer Schule einig sind und bei negativer Bewertung stärker in ihren Wertungen auseinandergehen. Kommunikation, Beteiligung und Transparenz mögen hier zu einer Verbesserung führen.
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Gelingensbedingungen von Schulentwicklung
Als zentrale Stellschrauben zeigen sich zudem Aspekte, die in allen Modellen der Organisationsentwicklung und des Change Management angesprochen werden: Sinnbezug und Motivation. Wer eine Organisation führen und verändern möchte, kann dies nicht gegen den Widerstand der Organisationsmitglieder. Commitment zu Zielen und Maßnahmen der Veränderung sind für ihr Gelingen zentral. Bei vielen Veränderungsvorhaben in Schulen, die oft von der Landespolitik oder anderen äußeren Bedingungen vorgegeben werden, mag eben diese Tatsache eines von außen kommenden Auftrages über das Gelingen der gewünschten Veränderungen entscheiden, wenn der äußere Auftrag nicht zum inneren Anliegen wird. Es stellt sich die Frage, ob man die Veränderungen als Kollegium gemeinsam aktiv gestaltet und einen persönlichen Sinnbezug herstellen kann oder ob sie als rein verwaltungsmäßige und administrative Vorgabe von nur einigen Personen umgesetzt wird, ohne Aspekte gelingender Organisationsentwicklung zu beachten.
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Übung: Nutzen Sie die Arbeitshilfe O.u.OE. AH-12: ›Erfolgsfaktoren der Schul entwicklung‹, auf der Webseite zu diesem Buch, um für sich selbst und Ihre Schule eine Übersicht darüber zu bekommen, in welchem Maße die aufgeführten Bereiche bei Ihnen vorliegen. Welche Veränderungen könnten Sie sich vorstellen, um die die Wertungen zu verbessern? Was glauben Sie, wie Ihre Kolleginnen und Kollegen werten würden?
■■8 Fazit: Schule als kontinuierliche Organisationsentwicklung
Die hier vorgestellte Auffassung von Schule als Organisation und Bildungs-Unternehmen, kann nicht zur Empfehlung einer spezifischen Strukturform führen, sondern muss die Flexibilität bieten, verschiedene Organisationsformen und Rollenzuordnungen abzubilden. Konkretisierungen müssen auf Prozessen der Organisation und Organisationsentwicklung basieren; darauf, die eigene Schule und sich selbst kritisch zu hinterfragen und neu zu denken. Die Klärung der Aufträge und Rollen in einer Klasse oder einem Kollegium muss sich – ebenso wie die Gestaltung der Abläufe und die Gestaltung von Management- und Führungsprozessen an der gesamten Schule – an den individuellen Gegebenheiten der jeweiligen Kontexte ausrichten. Ebenso wie bei Wirtschaftsunternehmen gilt es, sich und seine ›Produkte‹ mit einem eigenständigen Profil auf ›dem Markt‹ zu positionieren. Dies beinhaltet ganz ausdrücklich die Perspektive, Bildung nicht als ökonomische Kosten-Nutzen-Rechnung zu entwerfen, sondern als Handlungsund Gestaltungsfeld, das auf selbstbestimmte Anspruchsgruppen und Märkte ausgerichtet wird, andere hingegen bewusst nicht bedient. Es geht um strategische Entscheidungen, wie man die selbst gewählten ideellen, demokratischen und gesellschaftlichen Ziele, denen man sich verpflichtet fühlt, erreichen möchte. Hierbei steht in Schulen nicht nur das ›Endprodukt‹, die erreichte Ergebnisqualität, im Vordergrund, sondern vor allem auch die Qualität der Strukturen und Prozesse, da diese das Lernfeld darstellen, in dem vor allem Schüler wichtige Qualifikationen erwerben können. Dass der Weg das Ziel sei, gilt für Schulen in besonderem Maße, zumindest, wenn dem zu erlernenden Fachwissen Methodenkompetenzen und Prozessfähigkeiten als wenigstens gleichwertige ›Inhaltsstoffe‹ zur Seite gestellt werden. Die Entwicklung einer gut funktionierenden Beteiligungspraxis bildet hierfür die Basis. Die Idee der Übertragung von Modellen der Organisationstheorie und -führung auf die Gestaltung von Schule und Unterricht ist – um es hier noch einmal deutlich herauszustellen – nicht gedacht, um Schule ökonomischer oder wirtschaftlicher zu machen, sondern um Schulen dabei zu unterstützen, sich hinsichtlich ihrer Ziele selbst zu organisieren und weiterzuentwickeln. Diese Auffassung der Notwendigkeit von Organisation ist mit dem Wunsch verbunden, Schulen auch zu »humaneren Arbeitsplätzen« für Schüler und Lehrer zu machen, allein schon dadurch, dass sie – im Sinne des Empowerment – ermächtigt werden, ihre Organisation in die eigenen Hände zu nehmen und zu gestalten, etwas gemeinsam zu »unternehmen«. Hierbei wünsche ich allen, die dieses Buch in ihren Gestaltungsideen motiviert und unterstützt, viel Kreativität, Freude und Erfolg.
■■9 Literatur
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■■10 Sachregister
7-S-Modell 154 Ablauforganisation 21, 22–23, 30, 37–40, 157 Administration 90, 97, 121, 220, 249 Anerkennung 39, 43, 46, 73, 89, 91, 172, 178, 196, 197, 204, 214 Anspruchsgruppen, auch Stakeholder 57, 60, 63–65, 69–76, 80, 107–109, 114–115, 134, 141–142, 148–150, 157, 159, 162, 172, 206, 212, 257 Attraktor 179–181, 190, 197 Aufbauorganisation 22–23, 37–38, 41, 122 Autonomie – autonome Arbeit 33, 43 – Schulautonomie 9, 15–17, 45, 48–49, 51, 91, 98, 209–210, 227
EFQM 113–114, 123–124, 128–130, 247 Eingangsanalyse 110, 135, 141, 151–153, 156– 157, 162, 163–172, 188 Feedback 91, 96, 108, 112, 116–117, 121, 126, 136–137, 141–143, 158, 163, 167, 170, 187, 196, 200, 214, 232, 239, 243–244, 245, 250– 251, 253 Feedback- und Beschwerdemanagement 141– 143 Fortbildung 58, 84, 96–97, 103, 115, 123, 127, 132, 173, 232, 245, 247, 253 Führung 9–14, 17, 30,42–43, 45, 48, 51, 89–90, 94, 108, 114, 119, 121–122, 125, 127, 146, 148, 150, 160, 171, 178, 209, 218–223, 228–229, 239, 242, 245, 248–249, 251–252, 254–255
Balanced Scorecard 109 Bedürfnisse 17, 26–27, 38, 48, 57, 64, 70–72, 75–76, 107, 117, 152, 156–157, 160, 189, 194, 226, 236–237 Belohnung, auch Lohn 13, 43, 63, 123, 154, 178, 196, 204, 224 Best Practice 135–138, 139, 156, 166, 176, 220 Betriebsklima, auch Organisationsklima 35, 43, 58, 100, 108, 235 Beziehungsorientierung 228, 249 Bildungsregion 18–19, 139, 141 Bindung, auch Commitment 17, 37, 43, 48, 51, 89, 91, 99, 123, 140, 161, 227, 229, 239, 254, 256 Bottom-Up 160–161
generische Prinzipien 183–200 Großgruppenmethoden 162–163
Change Management, auch Organisations entwicklung 133–215 Commitment, auch Bindung 17, 37, 43, 48, 51, 89, 91, 99, 123, 140, 161, 227, 229, 239, 254, 256 Corporate Identity, auch Unternehmens identität 83–85, 133, 158
Leitbild 41, 109, 114, 131–132, 133, 146–152, 154, 162, 164, 170, 203, 212, 234, 241, 243, 245, 253 Lohn, auch Belohnung 13, 43, 63, 123, 154, 178, 196, 204, 224
Demokratie 10–11, 46, 51–53, 66–68, 70, 73, 162 Dezentralisierung 16, 48, 209 Dienstleistung 13, 21, 29, 45, 55–64, 69–70, 72, 75–76, 80–81, 83, 85, 103, 107–108, 143, 155–156, 238
Handlungsforschung 140, 174–176 Heterogenität 68–69, 128, 151 Hidden Agenda 151–152 Hierarchie 23–24, 32, 34, 38, 43, 52, 69, 131, 136, 139, 146, 159–161, 203, 206, 209–210, 213 Ist-Soll-Analyse 111, 164–166 Konfliktmanagement 35, 151, 173, 250 Kunden 13, 27, 31, 34–35, 39, 55–57, 63–64, 69– 72, 75–77, 79–81, 83, 85–86, 140–142, 148, 154–155, 158, 162, 164, 166, 201, 206, 208
Macht 32, 44, 49, 51, 73, 152, 178, 182, 190, 213 Markt, auch Marktorientierung 11–13, 17, 21, 25, 27, 32, 34, 45, 48–49, 52, 55–65, 68, 69– 86, 107, 137, 140, 143–145, 151, 155, 157– 158, 178, 209–210, 239, 257 Marktanalyse 56, 69, 72 Mitbestimmung 44–45, 51–52, 117, 122, 151, 228, 231, 249
270 Next Practice 138–139, 156, 166, 176 Organisation – bürokratische 23–26, 46 – Entwicklungsphasen 207–211 – lernende 29, 91, 175, 202–204 – mechanistische 23–26, 30, 62, 68 – organische 26–27 – sozialorientierte 26–27 – vernetzte 28–30, 33–35, 50, 68 Organisationsentwicklung, auch Change Management 133–215 – Architektur und Design 136, 170, 192, 200– 202 – Diagnose-Dreieck 153–154 – Eingangsanalyse 110, 135, 141, 151–153, 156– 157, 162, 163–171, 172, 188 – Erfolgs- und Misserfolgskriterien 211–215, 217 – Initiierung 110, 149, 159–163, 177, 185, 189, 212 – Nachhaltigkeit 11, 30, 40, 182, 200, 212, 238– 240, 250 – Phasenmodelle 174–179 – Rollen 204–206 Organisationsformen – divisional 31–34, 37–38, 248 – funktional 31–34, 37–39 – Matrixorganisation 33–35, 37–38, 210 – Projektorganisation 35–38, 68, 247–248 – Stab-Linien-Organisation 31–32 Organisationsklima, auch Betriebsklima 35, 43, 58, 100, 108, 235 Organisationskultur 23, 31, 41–44, 52, 122, 135–136 Produkt 11, 54–86, 87, 89, 107–110, 137, 141– 144, 154–159, 239, 257 Profilierungsmatrix 110, 141, 164, 166–168, 171 Qualität – Input/Inputvariablen, auch Strukturqualität 15, 46, 92, 94, 105, 108, 111, 118–119, 121, 124, 130–132, 135, 153, 237, 247 – Output/Outputvariablen, auch Ergebnisqualität 15–16, 46–47, 88, 92, 108, 111, 118– 121, 124–125, 130–132, 136, 153, 237, 247, 249, 252
Sachregister – Prozess/Prozessvariablen, auch Prozess qualität 16, 47, 66, 108, 111, 119, 121, 132, 246, 248, 252 – Qualitätsbeauftragte 139–141 – Qualitätsbereiche 104, 108–109, 111–132, 134, 139–142, 153, 217, 224, 246–248 – Qualitätsebenen 108, 123, 251 – Qualitätsmanagement 109–132, 140–141, 150, 247 – Qualitätsmanagementsysteme 111–132, 150, 247 – Qualitätsmodelle 104, 107–132, 139–140, 153, 158, 246 – Qualitätszirkel 139–143, 201–202, 241 Resonanz 163, 184–185, 186–189, 192, 196 Risikomanagement 143–145, 208 Schulautonomie 9, 17, 48, 91, 98, 227 Schule, eigenständige, eigenverantwortliche, selbstständige 9, 16–17, 46–48 Schuleffektivität 87–106, 119, 218–229 Schulentwicklung, Erfolgskriterien 217–256 Schulform 62, 77–79, 83, 119, 123, 130, 134 Schulklima 18, 49, 88–89, 95, 100–103, 105, 115–117, 119–120, 218–219, 228, 232, 237, 245, 251, 254 Schulkultur 10, 45, 89, 100–103, 105, 113, 117– 118, 121, 125, 158, 226, 245, 247, 251, 254 SEIS 112–114, 124, 126, 128–130, 141 Stakeholder, auch Anspruchsgruppen 57, 60, 63–65, 69–76, 80, 107–109, 114–115, 134, 141–142, 148–150, 157, 159, 162, 172, 206, 212, 257 Steuergruppe 126, 158–159, 162, 170–173, 177– 178, 201, 237–238, 240–241, 244, 247 SWOT-Analyse 164, 168–169, 171 Synergetisches Prozessmanagement 183–200 Top-Down 160–161 Unternehmensidentität, auch Corporate Identity 83–85, 133, 158 Vision 12, 41, 60, 90, 131, 146–152, 153–154, 158, 162, 170, 178, 184–186, 188–189, 191– 193, 211–213, 221, 241, 251 Werbung 74, 82–86, 155, 158
■■Der Autor
Prof. Dr. Holger Lindemann Jahrgang 1970
Foto: Augenschmaus Photographie, Oldenburg
–– Diplompädagoge –– Doktor der Philosophie –– Habilitation mit der Venia Legendi für Bildungsmanagement und Sonderpädagogik –– systemischer Supervisor (SG) und Organisationsberater –– Professor an der Medical School Berlin –– Privatdozent der Sonderpädagogischen Psychologie an der Universität Oldenburg –– freiberufliche Tätigkeit als Fortbildner, Supervisor und Organisationsberater –– Projektleitung und Begleitforschung zur Inklusion an Oldenburger Schulen –– langjährige Erfahrung als Führungskraft und Einrichtungsleitung in der offenen Kinder-, Jugend- und Behindertenhilfe –– zahlreiche Veröffentlichungen zur systemisch-lösungsorientierten Beratung und zur Inklusion E-Mail: [email protected] Webseite: www.lindelo.de
Link für Download-Material: www.v-r.de/Lindemann_Unternehmen_Schule Code: C_bsH@XL