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German Pages [421] Year 2016
Westwärts. Studien zur Popkultur
Band 3
Herausgegeben von Moritz Baßler, Heinz Drügh, Albert Meier und Dirk Niefanger
Till Huber
Blumfeld und die Hamburger Schule Sekundarität – Intertextualität – Diskurspop
Mit 27 Abbildungen
V& R unipress
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet þber http://dnb.d-nb.de abrufbar. ISSN 2198-5219 ISBN 978-3-8470-0594-0 Weitere Ausgaben und Online-Angebote sind erhÐltlich unter: www.v-r.de Gedruckt mit Unterstþtzung der Hans-Bçckler-Stiftung. D6 2016, V& R unipress GmbH, Robert-Bosch-Breite 6, D-37079 Gçttingen / www.v-r.de Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich gesch þtzt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen FÐllen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Titelbild: Sharon Lockhart: Lily (approximately 8 am, Pacific Ocean), Jochen (approximately 8 pm, North Sea) (detail), 1994. Two chromogenic prints, total 78,7 x 228,6 cm. Sharon Lockhart, 1994. Courtesy the artist, neugerriemschneider, Berlin, and Gladstone Gallery, New York and Brussels.
Es gibt etwas in einem und an einem, das man nicht so genau kennt, um das man aber nicht herumkommt. Deshalb muß man es in einer ziemlich eigenen Weise beschreiben, damit man es kennenlernt. (aus einem Pressetext der Band Brüllen)
Inhalt
Dank . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Die Hamburger Schule und die ›Sekundarität‹ der Popkultur in Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Against Interpretation. Die vermeintliche Überakademisierung der Hamburger Schule . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Historisierung der Hamburger Schule: Vom Popdiskurs zum Diskurspop . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1 »Die Erben der Neuen Deutschen Welle«: Diachrone Deutschsprachigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2 Politik des Privaten: Von 1968 zum ideologiekritischen Pop der 1990er Jahre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3 Überwindung des Polit-Rock: Von der Agitation zur Ästhetik. 2.4 Popästhetik nach dem Punk: Vom Subjekt zum ›Subjekt‹ . . . 2.5 Neue Deutsche Welle und danach: Von der Sinnverweigerung zum Engagement . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Zur Genese der Hamburger Schule . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1 Die ›Soziologie‹ der Hamburger Schule . . . . . . . . . . . . . 3.2 Begriffsgeschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Die Hamburger Schule und die ›Sekundarität‹ der Popkultur in Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Spaß ist kein Spaß: Die Ideologiekritik der Hamburger Schule . . II. Blumfelds Reflexionsschleifen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Ich-Maschine: Die Etablierung der Reflexionsschleife . . . . . . 1.1 Introducing Blumfeld: »Ghettowelt« als Attacke gegen Pop . 1.2 »Ghettowelt« als Reise durch die Kontexte . . . . . . . . . . 1.3 Von Chuck D. zu Jochen D.: Zum Verhältnis von Hamburger Schule und HipHop . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.3.1. Song-Krise und ›neues Sprechen‹ . . . . . . . . . . . .
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Inhalt
1.3.2. Rückzug in die Communities: Von conscious zu rightheous . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.4 Blumfelds Pop-Persona: Me, Myself, and I. Die Selbst-Reflexion des lyrischen Ichs . . . . . . . . . . . . . . 2. »L’Etat et Moi«: Ausbruch der Intertextualität . . . . . . . . . . 2.1 »Sing Sing«: Der Zeichensprecher als Schwerverbrecher (Songanalyse) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2 Das (inter-)textuelle Ich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3 ›Unnatürlichkeit‹ als poetologisches Programm . . . . . . . 2.4 Davon handeln wir : Von der Gesellschaft in den Text in die Gesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.5 »Superstarfighter«: Offenheit und Polyphonie versus semiotischer Autoritarismus . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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III. Blumfelds Scheitelpunkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. »Old Nobody«: Veröffentlichungskontext und Konzeption . . . 2. Scheitelpunkt »Old Nobody« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Die Echten und die Coolen: Rock vs. Pop . . . . . . . . . . . . 4. Die Öffnung des Diskurspop-Konzepts . . . . . . . . . . . . . 5. Songanalyse Tausend Tränen tief . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.1 »Tausend Tränen tief« als Schlager/Mainstream-Pop . . . . 5.2 Selbstreferentialität und literarische/›hochkulturelle‹ Zitate 6. Konzeptuelle Kontinuität: Fazit zu »Old Nobody« . . . . . . .
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IV. Blumfelds Abschied von der Sekundarität . . . . . . . . . . . . . 1. Diskurspop wird normalisiert . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Abwesenheit des (textuellen) Außen: Blumfelds privatistischer Turn . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Die Teleologie der Pop-Persona . . . . . . . . . . . . . . . . .
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V. Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Nach dem Diskurspop: Von der Reflexion zur neuen Naivität . . . .
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Tonträgerverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Verzeichnis der Abbildungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Textbeilage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Anlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Register . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Dank
Bei diesem Buch handelt es sich um die gering überarbeitete Version meiner Doktorarbeit, die 2015 an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster angenommen und verteidigt wurde. Zur Realisierung der Arbeit haben einige Personen und Institutionen beigetragen. Allen voran danke ich meinem Doktorvater Moritz Baßler. Seine intellektuelle Schärfe, seine Aufgeschlossenheit und stetes Interesse an meiner Arbeit haben mich auch in schwierigen Phasen motiviert, den eigenen Stil zu finden und die Idiosynkrasien als Stärke zu begreifen. Meinen Betreuern Mark Stein und Eckhard Schumacher danke ich für ihre Zuverlässigkeit, viele wichtige Hinweise und die gründliche Lektüre meiner Texte. Maßgeblich wurde diese Arbeit durch ein Promotionsstipendium der HansBöckler-Stiftung ermöglicht. Für die finanzielle Unterstützung, ohne die diese Arbeit nicht hätte verfasst werden können, möchte ich mich bedanken. Den Herausgebern von Westwärts. Studien zur Popkultur danke ich für die Aufnahme meiner Arbeit in ihre Reihe. Für wichtige Hinweise und Diskussionen danke ich Volker Backes, Bernard Fichtner, Pascal Fuhlbrügge, Thomas Groß, Jan Hieronimi, Innokentij Kreknin, Tobias Levin, Philipp Pabst, Simon Reynolds, Matthias Schaffrick, Anna Seidel und Frank Werner. Freundliche Unterstützung erhielt ich bei meiner Arbeit von den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Archivs für Jugendkulturen e.V., des Hamburger Instituts für Sozialforschung, des Pop-Archivs am Germanistischen Institut der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster und des taz-Recherchedienstes. Für Beratung und Hilfe bei der Klärung von Urheberrechten danke ich dem Oliver Frank Artistmanagement, Alfred Hilsberg, Dylan Lustrin (Galerie neugerriemschneider), Hanna Magauer (Texte zur Kunst), Katja Jainski-Manteuffel, Lothar Manteuffel, Stephan Rath (Soulsville Management), Thomas Schwebel, Lauren Smith (Gladstone Gallery), Frank Spilker und Melany Willhardt (Universal Music Group). Sharon Lockhart danke ich für die Erlaubnis, ihre Photographie als Covermotiv verwenden zu dürfen.
10
Dank
Besonderer Dank gilt Olaf Grabienski für die kritische Lektüre des Manuskripts und Eike Bohlken für die Einsicht in sein Archiv und viele wertvolle Gespräche. Melanie Horn sei für das umsichtige und präzise Endlektorat gedankt. Schließlich möchte ich meiner ganzen Familie für ihre Liebe und Unterstützung danken. Die Arbeit ist Sarah und Ari gewidmet. Hamburg, im Juni 2016 Till Huber
I.
Die Hamburger Schule und die ›Sekundarität‹ der Popkultur in Deutschland
1.
Against Interpretation. Die vermeintliche Überakademisierung der Hamburger Schule Warum es bei Blumfeld – wie der ganzen ›Hamburger Schule‹ – so nachhaltig aus dem Ruder gelaufen ist, hat einen einfachen Grund: die Universität. Denn dort, in den Proseminaren für Soziologie oder Germanistik, haben Blumfeld damals ihre Hörer gefunden. Seitdem dürfen Jochen Distelmeyers höchst erratische, expressive und interpretationsbedürftige Texte nicht einfach nur erratisch, expressiv und höchst interpretationsbedürftig bleiben, sondern werden von Experten in schönster Spex-Manier behandelt, als ginge es um die wissenschaftlich korrekte Exegese eines unbekannten Essays von Gilles Deleuze. (Frank 2006: 13)
In diesen Zeilen des taz-Autors Arno Frank wird ein anti-intellektuelles Ressentiment gegenüber der als »Hamburger Schule« bezeichneten PopmusikStrömung und ihrer Rezeption erkennbar. Dabei könnte durch das monierte Zuviel an Akademisierung der Eindruck entstehen, dass es innerhalb der Germanistik und der Soziologie eine Vielzahl an wissenschaftlichen Beiträgen und Interpretationsansätzen zu Songtexten und Musik von Blumfeld, Tocotronic und Die Sterne gäbe – hier handelt es sich um die dominanten Vertreter dieser Strömung, was die Quantität und Intensität der Rezeption angeht. Der von Frank pejorativ so bezeichnete »Diskurspop« werde »feuilletonisiert« (ebd.). Er falle in der Rezeption einem »akademische[n] Tunnelblick« zum Opfer, der »alles als Zeichen interpretieren und dessen Bedeutung enthüllen will« und von dem vor allem »Sprösslinge mit bildungsbürgerlichem Hintergrund befallen sind«, weil es »in einem gewissen Milieu einfach nicht mehr genügte, zu einer Musik tanzen zu wollen, wo man doch eigentlich ›die Verhältnisse‹ zum Tanzen bringen sollte, blabla. Haste überhaupt ’nen Überbau, ey?« (ebd.). Die Verfehlung des hier entworfenen geistes- und sozialwissenschaftlich informierten Diskurspop-Hörers bestehe also darin, wissenschaftliches Instrumentarium auch dort einzusetzen, wo es nach Meinung des Rezensenten um einen unkommentiert und -expliziert zu verbleibenden sinnlichen Genuss gehen sollte.
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Die Hamburger Schule und die ›Sekundarität‹ der Popkultur in Deutschland
Eine weniger akademische Art der Rezeption wird in ganz ähnlichem Wortlaut auch von Jochen Distelmeyer, einem Autor der in der vorliegenden Studie behandelten Primärtexte, befürwortet.1 Er äußert sich in einem Spiegel-Interview im Namen seiner Band Blumfeld folgendermaßen: »Ich [bemerke] häufig, dass ein Überbau-Begriffsnebel den direkten Zugang zu unserer Musik erschwert. Ständig sollen wir erklären, auf welche Wirkung wir es abgesehen haben. Dabei geht es uns erst mal nur um etwas ganz Einfaches: um Rock’n’Roll.« (Dallach/Höbel 2006: 178, Herv. T.H.) Distelmeyer vertritt in diesem Interview eine geradezu naive Haltung gegenüber der eigenen textuellen Verfasstheit.2 So seien die Folk-An1 In der vorliegenden Arbeit wird mit Moritz Baßler von einem weiten, operativen, aber nicht metaphorischen Textbegriff ausgegangen, der sich durch folgende Eigenschaften auszeichnet: 1. Speicherbarkeit des konkreten Syntagmas, d. h. »Objektförmigkeit, Lagerungsfähigkeit und wiederholte Zugänglichkeit« (Baßler 2006: o.S.). 2. Lesbarkeit auf paradigmatischer Ebene, d. h. auf Grundlage des »Korpus, innerhalb dessen sich [die] lesbaren Bedeutungen [des Textes] konstituieren« (Baßler 2005a: 70). Baßler konstatiert, dass »auch im engeren Sinne nicht-sprachliche, nicht in Buchstabenschrift notierte Dinge sowohl etwas bedeuten als auch gespeichert sein können, also etwa die Partitur einer Sinfonie, aber auch eine Schallplattenaufnahme derselben, ein Film, ein Elch auf einem Verkehrsschild, ein versteinerter Fußabdruck u.v.m. Alle diese Dinge sind unleugbar analysierbare representations und fallen daher unter den hier erprobten Textbegriff.« (Baßler 2005a: 112). Baßlers Postulat fußt auf dem von Julia Kristeva geprägten, aus Überlegungen Michail M. Bachtins abgeleiteten Text- bzw. Intertextualitätsbegriff, der »den Text in die Geschichte und die Gesellschaft [stellt], welche wiederum als Texte angesehen werden, die der Schriftsteller liest, in die er sich einfügt, wenn er schreibt« (Kristeva 1972: 346). Kristeva hebt hier auf eine »Dynamisierung des Strukturalismus« ab, ein Modell, in dem »die literarische Struktur nicht ist, sondern sich erst aus der Beziehung zu einer anderen Struktur herstellt.« (Ebd.) Die Leistung des Textwissenschaftlers (hier formuliert Kristeva die Prämissen des sich später konstituierenden New Historicism, auf den sich Baßler mit dem Begriff ›representations‹ als Titel einer mit dem New Historicism assoziierten Zeitschrift unmittelbar bezieht) bestehe damit in einer synchron gedachten Vergleichsoperation: »Die Diachronie verwandelt sich in Synchronie, und im Lichte dieser Verwandlung erscheint die lineare Geschichte als eine Abstraktion« (ebd.). Von diesen Überlegungen ausgehend lässt sich mit Baßler texttheoretisch in Bezug auf die in der vorliegenden Studie untersuchten Popsongs formulieren: »Der Text des Popsongs ist seine Aufnahme, und nur diese« (Baßler 2003: 280). Entsprechend werden in dieser Arbeit sprachliche Texte explizit als »Verbaltexte« oder »Lyrics« bezeichnet. Die untersuchten Songs weisen als Texte einen hybriden Status als Verbindung von Verbaltext und Musik auf. Die Lyrics als literarische Komponente lassen sich dabei nicht sinnvoll vom Kontext des Songs isoliert betrachten, auch wenn sie in einer germanistischen Dissertation vielfach den philologischen Ausgangspunkt der kulturwissenschaftlichen Untersuchung bilden. 2 Vgl. hierzu auch Blum (2009: 17) und Melle (2005: 12). Zweifel an der Möglichkeit eines ›direkten Zugangs‹ zu Blumfelds Songs hegt die Spex-Autorin Kerstin Grether bereits 1994 bezüglich des Blumfeld-Albums »L’Etat et Moi«, welches allerdings stärker intertextuell verdichtet daherkommt als »Verbotene Früchte« (Blumfeld 2006), das in dem erwähnten Interview den Diskussionsanlass liefert. Grether behauptet im Zusammenhang mit der Veröffentlichung von »L’Etat et Moi«: »Noch sind wir nicht so weit, daß wir Quellenangaben brauchen, um einen Pop-Artikel zu schreiben oder eine Pop-Platte zu verstehen. Die Universalisierung des verarbeiteten Wissens wird aber mystisch, wenn man sich nicht überlegt, was da gewußt wird. Das ist nicht das Problem des Künstlers, der eine funktionierende Sache
Die vermeintliche Überakademisierung der Hamburger Schule
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klänge des Albums »Verbotene Früchte« (2006) und ein nahezu wörtliches Zitat aus Joseph von Eichendorffs berühmtem Vierzeiler »Wünschelruthe« nach Distelmeyers Aussagen rein zufällig in den Text gelangt (vgl. Dallach/Höbel 2006: 178). Die Tatsache, dass es bei Eichendorff »Schläft ein Lied in allen Dingen« (1993: 121) heißt, bei Blumfeld dagegen »Kleines Lied / Liegt in der Luft / Ist in allen Dingen« (2006: »Kleines Lied«),3 kommentiert Distelmeyer wie folgt: »Jetzt fragen mich Journalisten also nach der Romantik, aber leider bin ich mit dieser Literaturgattung nicht vertraut. Ich lasse sie mir aber gern erklären und werde mich einlesen, wenn ich mal Zeit habe.« (Dallach/Höbel 2006: 178) Distelmeyer bezeichnet die Epoche der Romantik als »Gattung«, was tatsächlich für seine Ahnungslosigkeit sprechen mag – genauso gut könnte es sich hier aber auch um eine Inszenierung des Autors handeln, die den Naivitäts-Topos des diskutierten Blumfeld-Albums hervorhebt.4 Neben Distelmeyers möglicherweise aufrichtigen Naivitätsbekundungen lassen seine Äußerungen aber erkennen, dass Blumfelds Inszenierung sehr wohl ein stringentes Konzept zugrunde liegt. So erklärt er, die Darstellung der Bandmitglieder durch Knetfiguren im Musikvideo zu »Tics« (Blumfeld 2006, Abb. 1) sei als Reaktion auf den rezeptionsseitig geführten Diskurs um das ›Weicherwerden‹ der Band zu verstehen (vgl. Dallach/Höbel 2006: 178). Vor diesem Hintergrund erscheint ein direkter, gleichsam textimmanenter Zugang zum Werk der Band fraglich, werden hier doch bereits Kenntnisse der Bandgeschichte und der öffentlichen Debatte um Blumfelds Werk vorausgesetzt. Wo die Band Blumfeld sich auf ihre Rezeptionsgeschichte bezieht und das eigene Werk in differenzierter Art und Weise reflektiert, kann es sich nicht nur um ›einfachen Rock’n’Roll‹ handeln. Ein hohes Reflektionsniveau, wie es Blumfeld und die Hamburger Schule im deutschsprachigen Pop etablierten, kann dementsprechend auch in Bezug auf die von Distelmeyer zur Schau gestellte Naivität bereitstellt. Für Kritiker aber gilt: Nur wenn man in etwa weiß, was eine Platte von sich selbst weiß, kann man ihre Auswahlleistungen, ihren Umgang mit dem Material und damit ihre Schönheit beurteilen. So kann man der Illusion entkommen, man würde das alles ›einfach so‹ verstehen. Was nicht heißt, daß man es nicht einfach so verstehen kann. Aber das liegt daran, daß Blumfeld hier ganz bewußt auch die Light-Verständnis-Version in das Material eingewoben haben.« (1994: 25). 3 Sämtliche Songtexte werden – soweit nicht anders angegeben – nach den CD- bzw. LPBooklets der jeweiligen Interpreten zitiert. Die entsprechende Verseinteilung und Orthographie wird übernommen. Auf Abweichungen des Textes von der Audioaufnahme wird hingewiesen. 4 Vgl. hierzu Krankenhagen/Hügel (2010), darin insbes. Seiler (2010), der die folgende Frage diskutiert: »Ist […] die, von Jochen Distelmeyer selbst immer wieder bekräftigte, Hinwendung zum simplen Liebeslied und später gar zur idyllischen Naturlyrik ein bewusstes Spiel mit lyrischer Naivität, das einen Diskursüberbau per se transportiert, der sowohl im Paratext als auch im Intertext nachweisbar ist, oder ist die Naivität gerade des letzten Blumfeld-Albums Verbotene Früchte nichts anderes als eine Stilübung ohne ironische Brüche?« (ebd.: 193).
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Die Hamburger Schule und die ›Sekundarität‹ der Popkultur in Deutschland
im erwähnten Spiegel-Interview unterstellt werden: Sie lässt sich als inszenierte Naivität begreifen und in Äquivalenz zum Eichendorff-Zitat lesen, d. h. als romantische Programmatik im Zitat-Modus, auf die sowohl im Primärtext als auch im Interview Bezug genommen wird.
Abb. 1: Musikvideo »Tics« von Blumfeld.
Im Sinne von Susan Sontags Essay »Against Interpretation« (1964) spielen sowohl Distelmeyer als auch der oben zitierte Rezensent Arno Frank »Hermeneutik« und »Erotik der Kunst« (Sontag 2006a: 22) gegeneinander aus. Frank kritisiert dabei allerdings nicht nur, wie Sontag es tut, die im engeren Sinne hermeneutische Suche nach einem ›eigentlichen‹ Sinn jenseits der Textoberfläche, sondern er disqualifiziert jegliches Bemühen, die Blumfeld-Songs als Zeichen zu interpretieren, obgleich diese nach eigenen Aussagen als interpretationsbedürftig gelten können. Dass es sich bei dieser Ablehnung der analytischen Rezeption nicht um eine Einzelmeinung handelt, zeigt ein ressentimentgetränkter Artikel in der Jungle World anlässlich der Veröffentlichung von »Old Nobody« (Blumfeld 1999a). Durch »die alte Tante Diskursrock« würden »Scharen desorientierter Indierock-Hörer an die Bücherregale [bestellt], um dort nach dem tieferen Sinn des Lebens zu suchen.« (Peters 1999: 26) Hier wird Diskursrock als intellektualistische Musik für ein studentisches Publikum desavouiert. Diese Rezeption habe dazu geführt, dass eine »Legion von Studenten und Gymnasiasten über bandwurmlange Theweleit-Sätze« grübelte, dass diese sich »immer tiefer in ihre Symbolwelten« zurückzog und schließlich »hinter einem riesigen Berg aus Fachliteratur und Autorenfilmen« verschwand (ebd.). Als Antwortgeber auf Fragen wie »Körper, Liebe, Geld – was macht das mit mir?« (ebd.) seien postmoderne Theoretiker wie einschlägige Popstars herangezogen worden: »Madonna, Elvis, Kunze. Oder Godard, Rilke, und [Greil] Marcus. Es wurde ein vieldeutiges Beziehungsgeflecht entworfen, in dem alles seinen Platz hatte und irgendwie immer etwas bedeuten könnte. Strenggenommen führte das
Die vermeintliche Überakademisierung der Hamburger Schule
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alles zu nichts.« (Ebd.) Negativ bewertet wird hier nicht nur die Tatsache, dass Blumfeld und die Hamburger Schule mit einem akademisch orientierten Publikum in Verbindung stehen,5 sondern gerade auch die im Zusammenhang mit den Songs stattfindende intensive Beschäftigung mit Literatur, ›Symbolwelten‹, Autorenfilmen und postmoderner Theorie. Auch wenn die Einschätzungen zur Hörerschaft der Hamburger-SchuleBands und zur akademisierten Rezeption des Diskurspop zutreffen, sollte das tatsächliche Ausmaß wissenschaftlicher Produktivität in Bezug auf die Hamburger Schule nicht überschätzt werden. Bisher wurde im universitären Milieu keine umfassende oder synthetisierende Studie zur Hamburger Schule hervorgebracht. Es existieren lediglich mehrere veröffentlichte Magisterarbeiten,6 ein Ausstellungskatalog zur ›Vorgeschichte‹ der Hamburger Schule7 und einige Aufsätze bzw. Abschnitte von Arbeiten mit weiter gefasstem Kontext.8 Auch außerhalb akademischer Zusammenhänge wurde aus der Fraktion der von Arno Frank ridikülisierten »popintellektuelle[n] Bescheidwisser« (2006: 13) bisher keine Monographie zum Thema vorgelegt. Allerdings hat man sich im außerakademischen Pop-Diskurs, also dort, wo unter anderem ja auch vom taz-Autor Frank selbst über Pop reflektiert wird, in einer immensen Fülle von Artikeln, Rezensionen und anderen Textsorten über die Hamburger-Schule-Bands geäußert.9 Analysen von Werken der Hamburger Schule, verstanden als akribische
5 Auch Richard Kämmerlings geht, einen Blumfeld-Titel zitierend, davon aus, dass die ersten Alben der Band »germanistische Oberseminaristen von der ›Unmöglichkeit »nein« zu sagen, ohne sich umzubringen‹« (2006: 33) überzeugten, während Tocotronic »plötzlich ein Studentenpublikum zum Pogo-Tanzen und Feuilletonisten zu Songzitaten animierten« (ebd.). Volker Skilandat und Matthias Hörstmann bemerken, dass die Blumfeld-Texte der ersten beiden Alben dem »Vorwurf postpubertärer Gymnasiastenprosa und der Lieblingslektüre von Germanistikseminaren ausgesetzt waren« (1994: 10). 6 Brenner (2010), Fischer (2007), Germann (2009), Kirstein (2011). 7 Baßler/Gödden/Grywatsch/Riesenweber (2008). 8 Behrens (2002a, 2003b), Garstenauer (2009), Hornberger (2011), Metelmann (2002), Nessel (2009), E. Peters (2005), S. Peters (2010), Petersdorff (2008), Petras (2011), Reisloh (2011), Schlösser (2011), Seiler (2006, 2010) und Weissmann (2011). 9 »Pop-Diskurs« wird hier, einer Definition Eckhard Schumachers folgend, begriffen als »PopJournalismus, Pop-Geschichtsschreibung, Pop-Literatur« (Schumacher 2003: 243). Vgl. hierzu auch Kleiner (2008), der »Pop-Diskurse« in einem ähnlichen Sinne ausführlicher und konkreter definiert als »Schreibverfahren über und mediale Inszenierungen von Pop und Popkultur aus akademischen und popkulturell bzw. pop-spezifisch geprägten Milieus sowie deren Grenzen, Interferenzen und Überschneidungen: Pop-Journalismus (z. B. Magazine, Fanzines, Feuilleton), Pop-Theorie (d. h. wissenschaftliche Pop-[Kultur-]Forschungen), PopGeschichtsschreibung (etwa Lexika, Künstler-Biographien oder Pop-Listen) und Pop-Literatur.« (Kleiner 2008: 19). Unklar bleibt an Kleiners Definition, ob Popmusik, Pop-Art sowie Filme, Theaterstücke und andere Kunstformen, die mit Pop-Elementen operieren, auch als Teil des Pop-Diskurses erachtet werden können, handelt es sich in den genannten Fällen doch auch um »mediale Inszenierung[en] von Pop und Popkultur«. Kleiners konkretisierende
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Die Hamburger Schule und die ›Sekundarität‹ der Popkultur in Deutschland
›Lektüren‹ der Songs und ihrer Verbaltexte in Einbeziehung der Kontexte, blieben bislang die Ausnahme. Von einer Dominanz der von Arno Frank als tendenziell illegitim erachteten »wissenschaftlich korrekte[n] Exegese« (2006: 13) der Hamburger Schule kann faktisch nicht die Rede sein. Es dürfte nun nachvollziehbar sein: Obwohl wir es mit einer stark ›theorielastigen‹ und in einem akademischen Umfeld rezipierten Strömung zu tun haben, kam es bisher kaum zu einer intensiven wissenschaftlichen Beschäftigung mit dem Phänomen der Hamburger Schule. Erachtet man den wissenschaftlichen Zugriff darauf als legitim, bleibt zu klären, was genau in der vorliegenden Studie in welcher Art und Weise untersucht werden soll. Tatsächlich liefern die – in der Kritik der (vermeintlichen) Überakademisierung der Hamburger Schule regelmäßig genannten – Fachrichtungen Germanistik und Soziologie das passende theoretische Handwerkszeug für eine akademische Auseinandersetzung mit dieser Strömung. Schließlich werden in den Texten, die sich um eine Definition des Begriffes »Hamburger Schule« bemühen, immer wieder ein neuartiger Gebrauch von Songlyrics in deutscher Sprache und ein sich in diesen Texten manifestierendes kultur- und gesellschaftskritisches Bewusstsein angeführt.10 Die vorliegende germanistische Studie soll eine synthetisierende Darstellung der Hamburger Schule leisten, wo bisher sowohl wissenschaftlich als auch journalistisch aufschlussreiche, aber eher bruchstückhafte Ergebnisse erzielt wurden. Für eine erste text- und kulturwissenschaftliche Untersuchung des Phänomens der Hamburger Schule in Form einer Monographie erscheint die Band Blumfeld durch ihre im deutschsprachigen Pop wegweisenden Songlyrics mit ihrer ausgeprägten Literarizität und ihrem ›diskursiven‹ Ansatz besonders geeignet.11 Die Analyse der Primärtexte wird begleitet von einer strukturierenden und kommentierenden Rekonstruktion des bisher stattgefundenen Diskurses zur Hamburger Schule. Dabei wird die erwähnte Fülle des Archivs gerade auch außerakademischer Textdokumente ausgewertet. Dies erscheint insofern angebracht, als die Semiose der Primärtexte in hohem Maße von der Rezeption Aufzählung lässt darauf schließen, dass er – im Einklang mit Schumacher – »Pop-Diskurse« vor allem mit einer schriftlichen Vermittlung in Zusammenhang bringt. 10 So geschehen etwa im Wikipedia-Eintrag zu »Hamburger Schule«: URL: http://de.wikipedia.org/wiki/Hamburger_Schule_(Popmusik) (Letzter Zugriff: 29. 04. 2016). 11 Die Erwähnung der Tatsache, dass sich die Band nach einer Kurzgeschichte Franz Kafkas benannt hat, erscheint angesichts der Fülle an intertextuellen Verweisen – auch in den germanistischen Literaturkanon – fast schon marginal. In Rezeptionsdokumenten wird immer wieder auf den Zusammenhang des Bandnamens mit Kafkas Erzählung »Blumfeld, ein älterer Junggeselle« (1915) hingewiesen. Erstaunlicherweise wird mittlerweile aber auch umgekehrt im germanistischen Diskurs zu Kafkas Erzählung hervorgehoben, dass »eine deutsche Pop-Gruppe […] sich den Namen zu eigen gemacht [hat]« (Anz 2008: 147).
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bedingt ist und textimmanente Lektüren als Ausgangspunkt unweigerlich nach ›außen‹, d. h. ins kulturelle Archiv führen, womit eine heterogene Masse an Rezeptionsdokumenten und anderen Intertexten gemeint ist. Die Aufgabe des Literaturwissenschaftlers besteht in der vorliegenden Arbeit darin, die kulturelle Einbettung der Hamburger-Schule-Texte – mit dem Schwerpunkt Blumfeld – zu analysieren. Zugleich ist diese kulturelle Einbettung und die Genese der Texte aus dem kulturellen Kontext Thema der Primärtexte selbst. Eine angemessene Methode für dieses Vorhaben lässt sich im Anschluss an den Literaturwissenschaftler Wolfgang Hallet treffend als »making connections between texts« (2006: 65) bezeichnen, womit davon ausgegangen wird, dass sich die Bedeutung des zu untersuchenden Textkorpus erst durch die »Bezugnahme auf dessen textuelle Umgebung« (ebd.: 66) entfaltet. Was für Kunstwerke unter ›poststrukturalistischen‹ Bedingungen allgemein gilt, trifft für die Hamburger Schule als Untersuchungsgegenstand verstärkt zu: Der Diskurspop der Hamburger Schule stellt seine diskursive12 Bedingtheit thematisch und auf Verfahrensebene in besonderem Maße aus, öffnet sich seinem Kontext und markiert diesen als konstitutiv für Textverfahren und Autorschaft. Statt Abgeschlossenheit und Werkcharakter zu akzentuieren, werden Rahmenbedingungen thematisiert, die der Produktion von kulturellen Artefakten zugrunde liegen. Dies hat aber, wie zu zeigen sein wird, nicht zu einer Schwächung von Autorschaft und Werkcharakter geführt. Die ›Frontmänner‹ Jochen Distelmeyer, Dirk von Lowtzow (Tocotronic) und Frank Spilker (Die Sterne) sind zu öffentlichen Figuren innerhalb der Popkultur in Deutschland geworden, und einige Alben, die mit der Hamburger Schule assoziiert werden, haben den Status eines Klassikers oder longsellers erlangt. Anlässlich der Auflösung von Blumfeld im Jahre 2007 spricht der Maler und Zeitzeuge Daniel Richter von einer Band, die »von der Art von Sprache, Nachdenklichkeit und Auseinandersetzung mit sich selbst« eine »ganze Generation von Songwriting in Deutschland geprägt« habe, wovon »bis in verwässertster Form der halbe deutsche Mainstream profitiert«.13 Das Werk der Band Blumfeld bildet im Folgenden, insbesondere in den Kapiteln II, III und IV, den Hauptgegenstand der Untersuchung, ohne dass diese Gruppe als Synonym für die Hamburger Schule erachtet werden soll. Es wäre viel für die Popkultur-Forschung getan, wenn ausgehend von der vorliegenden Studie detaillierte Analysen zu anderen Bands und Künstlern entstünden, die mit dem Phänomen Hamburger Schule in Verbindung stehen. Anders als dem eingangs zitierten Autor Arno Frank erscheint mir die Hamburger Schule mit 12 »Diskurs« wird hier verstanden als »Menge einander zugeordneter oder aufeinander beziehbarer Texte, in denen eine Gesellschaft ihr Wissen aufbewahrt« (Hallet 2006: 62). 13 Die Zitate stammen aus dem Blumfeld-Konzertfilm »Nackter als nackt. Live in Berlin« (2007). Regie: Harry Rag. Interviewpassagen transkribiert von T.H.
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ihrer zentralen Bedeutung innerhalb der deutschen Popkultur eher untertheoretisiert zu sein, obgleich ihre ›Theorielastigkeit‹ auf der Textebene vielfach bemerkt wurde. Hier, wie auch im Blick auf viele andere popkulturelle Phänomene in Deutschland gilt es aus germanistischer Perspektive, Forschungslücken zu schließen oder überhaupt erst mit der Forschung zu beginnen. Durch das philologische und kulturwissenschaftliche Interesse an der Textualität des untersuchten Materials lässt sich im Zugriff auf ein umfangreiches Textarchiv eine differenzierte und positivierbare Analyse durchführen. Dabei spielen Pop- und Musikjournalismus – eben in ihrer Textualität – eine entscheidende Rolle bei der Untersuchung der Primärtexte bzw. ihrer kulturellen Einbettung. So werden auch gesellschaftlicher Kontext und Rezeption textwissenschaftlich erfasst. Stil- und genreprägende Entwicklungen der Popmusik – und um eine solche Entwicklung handelt es sich bei der Hamburger Schule – sind nicht zuletzt »das Resultat eines Zusammenspiels von Journalismus, Werbung und Verkaufszahlen« (Behrens 1999: 14). Popmusik zeichnet sich konstitutiv durch die Tatsache aus, dass sie unter marktwirtschaftlichen Bedingungen entsteht und von diesen immer affiziert bleibt, auch wenn sie sich, wie im Fall der Hamburger Schule, kritisch auf diese Entstehungsbedingungen bezieht. Dies bedingt auch den eher marginalen Status von Gruppen wie Cpt. Kirk & ., Kolossale Jugend, Huah! oder Ostzonensuppenwürfelmachenkrebs. Obwohl diese Gruppen unter Insidern geläufig sind und hier bisweilen als die ›eigentlichen‹ Vertreter der Hamburger Schule gehandelt werden, konnten sie gemessen an Verkaufszahlen und medialer Aufmerksamkeit nicht in gleichem Maße wie Blumfeld, Tocotronic und Die Sterne reüssieren. Sie werden in der vorliegenden Untersuchung, die eine erste Bestandsaufnahme zur Hamburger Schule bieten soll, nur am Rande behandelt, obgleich es wünschenswert wäre, wenn sie von der Forschung eingehender untersucht würden. Die genannten Gruppen stehen zweifellos in engem Zusammenhang mit den Phänomenen Hamburger Schule und Diskurspop, auch wenn diese Affiliation von den entsprechenden Akteuren selbst nicht immer begrüßt und der Begriff »Hamburger Schule« häufig problematisiert wurde. Eine detaillierte diskursgeschichtliche Spurensuche zum Begriff »Hamburger Schule« wird in Abschnitt 3.2 des ersten Kapitels vorgenommen. Auch die Begriffe »Diskursrock« und »Diskurspop« können insofern als problematisch gelten, als sie in der journalistischen und wissenschaftlichen Rezeption nicht terminologisch und äußerst heterogen verwendet werden. Für ein erstes Verständnis der zentralen Begriffe »Diskursrock« und »Diskurspop« seien anstelle einer statischen Definition in aller Kürze einige Beispiele aus dem Diskurs erwähnt, die das Bedeutungsspektrum der Begriffe verdeutlichen sollen. Roger Behrens, ein sowohl der Kritischen Theorie als auch der Popkultur nahestehender Autor, kontrastiert Diskurspop mit dem Konzept der Agitationspropaganda (vgl. 2002a: 247). Da mit der erfolgreichen Agitation der Ar-
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beiterklasse nicht mehr zu rechnen sei, sondern »höchstens mit den gefährdeten Subjekten, die dem Druck des Individualismus und Konformismus standhalten müssen«, bleibe Bands mit linkspolitischer Programmatik als Gegenstand »allein der Diskurs, der sich in den Texten verwurzelt und dort weiter zirkuliert« (ebd.). Über deren Musik werde geredet, »sie wird in Frage gestellt, sie durchbricht ihre eigenen Schranken. Das ist Diskurspop […] im allgemeinen Rauschen des Popdiskurses. Dieser Popdiskurs hat die Hamburger Schule erschaffen« (ebd.). Behrens hebt die spezifisch politische Ausrichtung des DiskurspopKonzepts hervor wie auch das Zustandekommen der ästhetischen Artefakte durch Selbstreflexion und Kontextualisierung. Er grenzt die ästhetische Praxis des Diskurspop von propagandistischer Popmusik ab als »politische Ästhetik der Form. Sie meint, mit den Mitteln der künstlerischen Avantgarde in Zeiten der sozialen Krise, in der mit keiner massenhaften politischen Bewegung zu rechnen ist, trotzdem Kulturpolitik zu betreiben.« (Behrens 2002a: 255) Zentral am Diskurspop sei die »politische Situation, die hier mit Mitteln des Pop diskursiviert wird« (ebd.). Aus dem Diskurspop sei soziologisch eine »Kultur- oder Poplinke« (ebd.: 255f.) erwachsen, die im Hamburg der 1990er Jahre neben Gruppierungen der Autonomen starke politische Impulse gesetzt habe, etwa im Sinne einer »Reflexion auf Party, Politik und Pop« (ebd.: 258). Neben diesen linkspolitisch markierten Eigenschaften stehen häufig, wie schon in der Kritik der ›akademisierten‹ Hamburger Schule deutlich wurde, die Komplexität und die Intellektualität der Songtexte im Mittelpunkt der Begriffsbestimmungen: Stephan Wackwitz betont das Image der DiskurspopBand Blumfeld als »Popband für den denkenden Menschen mit Abitur, Anspruch und Diskurshoheit« (2003: 53). Damit geht eine für Popmusik untypische Komplexität der Songlyrics einher, bisweilen auch eine gewisse Hermetik: Soziologiestundenten liebten »Diskursrock wegen der nicht entzifferbaren Codes« (Braun 2013: 28). Ulf Poschardt betont die ästhetisch innovativen Momente Blumfelds im Kontext deutschsprachiger Songlyrics: »Unter dem Schlagwort ›Diskursrock‹ hatten Blumfeld der Sprache in der deutschen Popmusik neue Untiefen gegeben. Die poetischen Freiheiten waren so groß, […] und das Auftreten der Band so signifikant anders« (2004: 65). »Diskurs« steht hier für ein Gegenkonzept zu einer normativen Poetik und zu stereotypen Inszenierungen, was eine gewisse Offenheit des Textverfahrens signalisiert. Diese kann sich als »Wall of Diskurs« (Becker 1995: 32) auch als große, nicht unmittelbar zugängige Textmenge manifestieren. So heißt es über Die Sterne, hier treffe tanzbare Musik auf »reservierten Gesang und verschachtelte Texte«, die »als Fortsetzung der hermetischen Dichtung mit anderen Mitteln von Germanistikstudenten goutiert werden.« (Lützow 1996: 13) »Diskursrock« und »Diskurspop« werden also politisch wie ästhetisch als undogmatische und ›ergebnisoffene‹ Konzepte verhandelt, die mit einer Re-
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flexion des gesellschaftlichen Kontextes einhergehen und dessen Komplexität mit entsprechenden Textverfahren gerecht werden. Zur Bestimmung des Untersuchungsgegenstandes sei neben dem Blick auf die Begriffe »Diskurspop«/»Diskursrock« erwähnt, dass es zum journalistischen Topos geworden ist, in Beiträgen über die Hamburger Schule darauf hinzuweisen, dass dieses Phänomen eigentlich nicht aus Hamburg, sondern aus dem ostwestfälischen Kurort Bad Salzuflen stamme. Tatsächlich ist dies der Heimatort einiger Akteure der Hamburger Schule, die dort schon Ende der 1980er Jahre eine Musikszene bildeten und das Label Fast Weltweit gründeten. In diesem Kontext formierte sich unter anderem die Blumfeld-Vorläuferband Die Bienenjäger (unter Beteiligung von Jochen Distelmeyer und Thomas Wenzel, der später Bassist von den Sternen und den Goldenen Zitronen wurde), deren Aufnahmen heute nicht mehr offiziell im Umlauf sind. Bemerkenswert an der Bad Salzufler Szene ist, dass hier dominant mit deutschsprachigen Texten gearbeitet wurde und man sich emphatisch auf den Pop-Begriff bezog.14 Die vorliegende Arbeit fokussiert die Hamburger Schule jedoch als eine später innerhalb der Hamburger Musikszene entstandene Strömung. Die Bad Salzufler Szene wird nicht dezidiert behandelt, sondern als ein eigenständiges Phänomen betrachtet, das ausführlich – auch literaturwissenschaftlich – in dem Sammelband Stadt.Land.Pop. Popmusik zwischen westfälischer Provinz und Hamburger Schule (Baßler/Gödden/Grywatsch/Riesenweber 2008) diskutiert wird.15 Der Aufbau der vorliegenden Studie gliedert sich wie folgt: Zunächst wird im ersten Kapitel eine historische Verortung der Hamburger Schule vorgenommen. 14 In einem in Baßler/Gödden/Grywatsch/Riesenweber (2008: 22f.) abgedruckten Werbeflyer des Labels Fast Weltweit ist die Rede von dem »Label für neuen deutschen Pop« (ebd.: 22). Ferner heißt es: »Die Fast Weltweit-Bands sehen sich um und stehen als Deutschsingende fast weltweit fast alleine da. Mit einigen anderen, die sich Bap oder Heinz Rudolf Kunze nennen, wollen sie partout nichts zu tun haben. Zuwenig Pop.« (Ebd.: 23). 15 Der Sammelband fungiert als Katalog einer vom 27. November 2008 bis 19. April 2009 im Museum für Westfälische Literatur ausgerichteten Ausstellung auf dem Kulturgut Haus Nottbeck in Oelde-Stromberg. Die Konzeption der Ausstellung wurde von der Literaturkommission für Westfalen des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe in Zusammenarbeit mit dem Germanistischen Institut der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster und dem Medienwissenschaftlichen Institut der Universität Paderborn durchgeführt. Ausführlich behandelt der Band die ›provinzielle‹ Vorgeschichte der Hamburger Schule und die Bedeutung des Bad Salzufler Labels Fast Weltweit, das Künstler wie die ebenfalls aus dem Raum Bad Salzuflen/Bielefeld stammenden Bernadette Hengst, Frank Spilker, Jochen Distelmeyer und Bernd Begemann hervorbrachte. Stadt.Land.Pop enthält neben literaturwissenschaftlichen Analysen (Baßler 2008, Gödden 2008a, 2008b, 2008c, Grywatsch 2008, Huber 2008) auch Berichte von beteiligten Akteuren bzw. ›Zeitzeugen‹ (Begemann 2008, Hengst 2008, Spilker 2008, Girke 2008, Schumacher 2008). In der Konzeption des Bandes fällt die ebenfalls behandelte Band Erdmöbel insofern aus dem Kontext, als personell – und m. E. auch ästhetisch bzw. poetologisch – keine oder wenige Verbindungen zur Hamburger Schule bestehen. Vgl. hierzu Wiele (2008: 35).
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Dieser Abschnitt liefert in Verbindung mit den Ausführungen zur begriffsgeschichtlichen und sozialen Genese der Hamburger Schule die popkulturelle ›Vorgeschichte‹ zum Forschungsgegenstand. In den Abschnitten 4 und 5 wird eine Theorie der Hamburger Schule formuliert. Während in Abschnitt 4 der von Diedrich Diederichsen geprägte Begriff »Sekundarität« im Zusammenhang mit literaturwissenschaftlichen Intertextualitätstheorien diskutiert und auf die Poetologie der Hamburger Schule hin zugespitzt wird, widmet sich Abschnitt 5 der ideologiekritischen Ausrichtung der Hamburger Schule und weist das entsprechende Verfahren an einem Blumfeld-Song nach. In Kapitel II richtet sich die Aufmerksamkeit auf die Primärtexte des Hauptuntersuchungsgegenstandes Blumfeld, mit dem Ziel, deren spezifisches Textverfahren, das gemeinhin mit »Hamburger Schule« und »Diskurspop« in Verbindung gebracht wird, anhand der Alben »Ich-Maschine« und »L’Etat et Moi« herauszuarbeiten. Mittel der Wahl ist bei der Untersuchung eine akribische und intertextuelle Lektüre. Kapitel III untersucht anhand des Blumfeld-Albums »Old Nobody« einen Wende- bzw. ›Scheitelpunkt‹ der Hamburger Schule, der darin besteht, dass die in Kapitel II untersuchte Poetik des Diskuspop mit ihrem ›sekundaristischen‹ Verfahren sich nun formal dem Pop-Mainstream annähert. Das IV. Kapitel widmet sich den späteren Blumfeld-Alben. Es wird in Kapitel V um einen popmusikalischen Ausblick in die Gegenwart ergänzt. Das frühere Diskurspop-Verfahren mit seinen intertextuellen und abstrakten Verfahren tritt nun immer stärker in den Hintergrund zugunsten einer neuen musikalischen und verbaltextlichen Einfachheit.
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Historisierung der Hamburger Schule: Vom Popdiskurs zum Diskurspop
Die popmusikalischen Verfahren, die den »Diskurspop« bzw. »Diskursrock« der Hamburger Schule seit den 1990er Jahren kennzeichnen, entstehen nicht aus einem kulturellen Vakuum heraus. Sie fußen auf einer – wenn auch jungen – Geschichte popästhetischer Produktivität innerhalb und außerhalb des deutschsprachigen Raums. Entsprechende Entwicklungen, die zur Entstehung des Phänomens »Hamburger Schule« beigetragen haben, gilt es im vorliegenden Abschnitt anhand einzelner beispielhafter Primärtexte, Rezeptionsdokumente und poetologischer Statements zu untersuchen. Historisierende Thesen zu den einzelnen Strömungen können so unmittelbar aus dem untersuchten Material entwickelt werden. Popmusik und die damit verbundenen Pop-Diskurse waren Anfang der 1990er
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Jahre, also zu dem Zeitpunkt, ab dem sich erste Verwendungen des Begriffs »Hamburger Schule« erkennen lassen, von einer mindestens 30-jährigen Entwicklung geprägt, in welcher der Begriff »Pop« unterschiedlichste Bedeutungszuschreibungen durchlaufen hatte.16 Sie lassen sich stark abstrahierend wie folgt beschreiben: 1. In den 1960er Jahren implizierte »Pop« ein Politisierungs- und entsprechendes Sinnlichkeitsprogramm (Gegenkultur,17 Rebellion), 2. in den 1970er Jahren in Differenz zu »Rock« einen seichten und aus Sicht der in den 1960er Jahren entstandenen Gegenkultur mit negativer Konnotation behafteten konsumistischen Stil,18 3. in den 1980er Jahren ein hedonistisches Künstlichkeitsprogramm, das in Gegnerschaft sowohl zu »den damals herrschenden Strömungen im liberalen und linken Milieu, zu Sozialdemokratie, Ökologie-Bewegung und Alternativkultur« (Hinz 2003: 302) als auch weiterhin zu Rock und Punk und deren Authentizitätsgesten Teil des gesellschaftlichen Mainstreams wurde, aber mit subversiven Strategien der Scheinaffirmation nicht notwendig in den Mas-
16 Vgl. hierzu synthetisierend Hecken (2009) und mit Fokus auf literarische Pop-Verfahren Seiler (2006). 17 Unter dem Begriff »Gegenkultur« (oder counter culture) wird in der vorliegenden Studie mit Thomas Hecken das Konzept einer »Lebenskunst« verstanden, die doch den Kunstbegriff in Abgrenzung zum bürgerlichen Kunstideal vermeidet. Dabei drängt die »Abneigung gegen die kapitalistische Leistungs- und Konsumkultur« auf eine Gegenkultur, »die unmittelbar Formen eines richtigen Lebens prägen soll« (2006: 10). Andreas Reckwitz hebt auf eine Emanzipation durch Kreativität ab als »gegenkulturelle Hoffnung auf eine self-creation des Individuums« (2012: 18). Die Emanzipation des Individuums trete allerdings, wie Hecken bemerkt, gerade auch angesichts ausgeprägter »Techniken zur Erreichung kollektiveren Glücks« (2006: 10) in den Hintergrund. Hecken erkennt die Ursprünge dessen, was mit »Gegenkultur« bezeichnet wird, bereits vor der 68er-Bewegung bei den amerikanischen Beatniks und in »verschiedene[n] europäische[n] Bohemezirkel[n] der fünfziger Jahre« (2006: 10). Der Amerikanist Hans-Peter Rodenberg nennt als weitere Schlüsselbegriffe der Gegenkultur »Negation, Transzendenz des Systems und Antizipation einer neuen Gesellschaft« (1983: 33). Als einschlägig im pop-literarischen Bereich kann hier die von Vagelis Tsakiridis herausgegebene Anthologie Super Garde. Prosa der Beat- und Pop-Generation (1969) gelten. In dem Band mit Beiträgen von u. a. Rolf Dieter Brinkmann, Peter O. Chotjewitz, Helmut Salzinger und Wolf Wondratschek ist auf der Innenseite des Buchcovers die Rede von einer »literarische[n] Dokumentation jener Generation, die uns das eine Ohr mit Beatmusik, das andere mit Demonstrationschören stopfte« (ebd.: o.S.). In Tsakiridis’ Vorwort kommt auch das politisch und popästhetisch markierte Sinnlichkeitsprogramm der Gegenkultur zur Sprache: »Die Super-Gardisten schreiben gerne – manche fast ausschließlich – von der Liebe. Liebe in allen Variationen. Denn sie haben erkannt, daß der Weg zur Freiheit durch den eigenen Leib führt. Sie versuchen nicht die Bedürfnisse des Leibes zu bändigen, sondern sie ohne Vorbehalte zu akzeptieren. Beatmusik, Beatleben, Popausdruck gehören dazu.« (Ebd.: 10) Vgl. hierzu auch Rolf-Ulrich Kaisers programmatische »Buchcollage« Underground? Pop? Nein! Gegenkultur! (1969). 18 Diedrich Diederichsen bemerkt, der Begriff »Pop« habe in den 70er Jahren »fast schon eher für die Käuflichkeit gegenkultureller Ziele« (1999: 273) gestanden. Wer an diese Ziele »in einem engagierten Sinne« geglaubt habe, »wollte sich von deren warenförmiger Seite eher durch andere Etikette absetzen« (ebd.).
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senmedien stattfand oder in den Bereich des Unpolitischen führte,19 4. ab den 1990er Jahren ein pluralistisch gedachtes Synonym für populäre bzw. massenmedial kommunizierte Kultur allgemein, im Sinne einer Leitkultur, die sich in Form einer »homogenisierende[n] Subsumption unterschiedlichster Phänomene« (Diederichsen 1999: 275) manifestiert als »Musik, Werbung, Fernsehserie, Eventmesse, Literaturveranstaltung, Kunst, Mode, politische Inszenierung, Unternehmensphilosophie, Kurzfilmfestival, Feuilletonphänomen usw.« (Karnik 2003: 103) und in der systemkonforme wie auch oppositionelle Strömungen nebeneinanderstehen. Im Bereich der Popmusik wird dabei ein breites Spektrum authentizistischer (z. B. Grunge), hedonistischer (z. B. Techno und House), aber auch avantgardistisch-artifizieller Strömungen (z. B. elektronische Klangcollagen bzw. -experimente auf Labels wie Mille Plateaux20 oder Warp von Künstlern wie Aphex Twin oder Autechre) abgedeckt.21 19 Am Beispiel von Thomas Meineckes Diktum vom »Ja zur modernen Welt« (vgl. Meinecke 1998a: 8, 1998b: 33, 2007: 17f., Freiwillige Selbstkontrolle 1980: »Moderne Welt«) definiert der Literaturwissenschaftler Claude D. Conter den Begriff »Scheinaffirmation« dahingehend, dass damit »politische Subversion […] anhand taktisch bedingter, ästhetisch affirmativer Strategien umgesetzt« werde (2004: 60). Die Debatte um Affirmation und Subversion sei »eine zentrale in der Popkultur«, die sich im Fall von Meinecke und seiner Band Freiwillige Selbstkontrolle durch den Versuch auszeichne, den »vermeintlichen Widerspruch zwischen Individualismus und Konsumwelt in einem dissidentischen Verhältnis zueinander mit der paradoxen Wendung der Scheinaffirmation zu lösen.« (Ebd.) Ralf Hinz spricht hinsichtlich musikjournalistischer Impulse der Scheinaffirmation, die ab ca. 1979 insbesondere von Diedrich Diederichsens Texten für die Zeitschrift Sounds ausgingen, von Plattenbesprechungen als »quasi-politische[n] Statement[s]« sowie von einer »vorbehaltlose[n] Identifikation mit einer hedonistischen, auf schöne Oberflächlichkeit und das Hantieren mit Zitaten angelegten Popmusik bei einem gleichzeitigen Festhalten an einer marxistischen Kritik der kapitalistischen Gesellschaft« (2003: 302). Die Abgrenzung zu den ästhetischen Formen der Alternativkultur erfolgte hier demnach aus strategischen Erwägungen. So bemerkt Diederichsen: »Die Phase von 1977 bis 1984 (’82) ist gekennzeichnet durch eine besondere strategische Lage in der Kulturarbeit: Der Feind steht links, man selber steht noch weiter links.« (1993: 227) Diederichsen erläutert weiterhin den Impuls zur Abgrenzung der linken Pop-Befürworter : »[V]ieles von dem, was unsere Generation von sich gab, [war entstanden,] um uns von der Sorte Sozialismus abzusetzen, die unsere älteren Brüder und Sozialkundelehrer verbrochen hatten« (1985: 141). Hinz relativiert einen rein strategischen Zugang jedoch, indem er betont, dass »die Freude an exzessivem Konsum nicht nur Ausfluss einer raffinierten Strategie der Affirmation war«, sondern auch »ungebrochen der Begeisterung für das Populäre, Charts-Musik und schöne Kleidung entsprang« (2003: 305). Diederichsen wiederum macht sich für den strategischen Zugriff auf die »schöne[n] Oberflächen« (Hinz 2003: 302) stark; die von Hinz behauptete »vorbehaltlose Identifikation« (ebd.) wird in der folgenden Interviewaussage Diederichsens zurückgenommen: »Die Sachen wurden ja nur verwendet, um in einer Gegenwart provokativ Resultate zu erzielen und nicht in Bezug auf ein ernsthaftes Eingehen auf deren Inhalte. Natürlich unter Berücksichtigung des Inhaltes, sonst wirken sie ja gar nicht. Sie sind ja ein Inhalt, und wenn sie nicht als Inhalt geglaubt werden, kann man sie auch nicht strategisch einsetzen. Aber natürlich nicht in ihrem totalen Anspruch.« (Homann 1991: 14). 20 Vgl. hierzu Kleiner/Szepanski (2003) und Robb (2007).
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In diesem Gefüge nehmen die Hamburger-Schule-Bands Anfang der 1990er Jahre eine Art Meta-Perspektive ein, von der aus sie bestimmte Stilmittel, Haltungen und Topoi der Popgeschichte aufgreifen, zitieren, kommentieren und transformieren. Bands wie Blumfeld, Die Sterne oder Tocotronic positionieren sich mit einem ausgeprägten pophistorischen Bewusstsein innerhalb der zu skizzierenden Diskurslinien und thematisieren fortwährend die eigene Verfasstheit im Pop-Diskurs. Insofern darf die Meta-Perspektive des Diskurspop nicht als Perspektive ›von außen‹ bzw. von oben verstanden werden, vielmehr wird betont, dass sich die Text- und Bedeutungsproduktion kontextbezogen – über ein ›Außen‹ – vollzieht. Im Folgenden soll die Hamburger Schule pophistorisch verortet und anhand von fünf diachronen Entwicklungen in Deutschland kontextualisiert werden. Die diachrone Perspektive im Blick auf die deutsche Popgeschichte darf dabei nicht als unilaterale Einflussforschung gedacht werden. Stattdessen gilt es zu untersuchen, wie sich die Hamburger Schule in den Pop-Diskurs einschreibt hinsichtlich der Deutschsprachigkeit der Songtexte (Abschnitt 2.1), einer ›Politik des Privaten‹ (2.2), des Konfliktes zwischen linkspolitischer Agitation und ästhetischer Praxis im Sinne einer Kunstautonomie (2.3), eines emphatischen Verständnisses von Subjektivität im Gegensatz zu einem diskursiv bzw. textuell bedingten lyrischen Ich22 (2.4) und der Dichotomie von Sinnverweigerung und Engagement in der Popmusik (2.5). 21 Anders als in den 1960er Jahren, in denen Popkultur als Ausdruck einer außerparlamentarischen Politisierung verstanden wurde, kam es im Zuge der gesamtgesellschaftlichen Affirmation des Pop-Begriffs in den 1990er Jahren (neben einer Fortführung politischer bzw. system- und ideologiekritischer Implikationen innerhalb bestimmter Pop-Werke) auch verstärkt zu einer Instrumentalisierung popkultureller Formen im Rahmen parteipolitischer Aktivitäten – verkörpert und initiiert etwa durch die sozialdemokratischen Politiker Gerhard Schröder und Tony Blair. Vgl. hierzu Diederichsen (1999: 272f.), Hecken (2011: insbes. 19–21) und Nieland (2009: insbes. 110–156). Um den in den 1990er Jahren stattfindenden Paradigmenwechsel zu beschreiben, führte Diederichsen in einem 1997 entstandenen Essay mit dem Titel »Ist was Pop?« die Konzepte von »Pop I« und »Pop II« ein. Das erstere habe als »spezifischer Pop« von den 1960er bis 1980er Jahren Gültigkeit gehabt, beim letzteren Konzept, das sich seit den 1990ern beobachten lasse, handle es sich um »allgemeine[n] Pop« (1999: 275). Wo Pop II als »alle einschließende[s] Modell von Öffentlichkeit« (ebd.: 276) fungiere, versteht Diederichsen Pop I als einen konkreten »von Jugend- und Gegenkulturen ins Auge gefassten Umbau der Welt, […] sexuelle Befreiung, englischsprachige Internationalität, Zweifel an der protestantischen Arbeitsethik und den mit ihr verbundenen Disziplinarregimes, aber auch für Minoritäten und ihre Bürgerrechte und die Ablehnung von Institutionen, Hierarchien und Autoritäten« (ebd.: 273) sowie als »Gegenbegriff zu einem eher etablierten Kunstbegriff« (ebd.: 275). Wo Pop I »immer in grenzüberschreitende Bewegungen verwickelt« war, zeichne sich Pop II dadurch aus, dass »kein Terrain sich gegen seine Invasion mehr sperrt«; die Bewegungen innerhalb des Feldes von Pop II seien »bodenständig und überschreiten nichts mehr« (ebd.), sodass Pop II »Matrizen für alles [bietet], innerhalb und außerhalb des normalen Spektrums« (ebd.: 284). 22 In der vorliegenden Studie wird davon ausgegangen, dass Subjektivität und Subjekthaftigkeit
Historisierung der Hamburger Schule: Vom Popdiskurs zum Diskurspop
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»Die Erben der Neuen Deutschen Welle«: Diachrone Deutschsprachigkeit
Häufig wird die Anfang der 1990er Jahre in Erscheinung tretende Hamburger Schule diachron mit der zehn Jahre früher stattfindenden Neuen Deutschen Welle in Zusammenhang gebracht. So werden die Vertreter der Hamburger Schule mitunter als »Erben der Neuen Deutschen Welle« bezeichnet (Hornberger 2011: 372; Skai 2009: 218). Eine derartige Kontinuität mag zunächst naheliegend erscheinen, da beide Strömungen deutschsprachige Texte in den Mittelpunkt des Interesses rückten. Im Folgenden soll dieser Zusammenhang allerdings dahingehend differenziert werden, dass die Hamburger Schule mit guten Gründen als Gegenentwurf zur Neuen Deutschen Welle erachtet werden kann und eine kritische Reaktion auf die Naturalisierung deutschsprachiger Songtexte darstellt, wie sie sich nach der Neuen Deutschen Welle konstatieren lässt. Im Zusammenhang mit der dominanten Verwendung deutschsprachiger Songtexte in Hamburger Schule und Neuer Deutscher Welle thematisiert der testcard-Autor Frank Apunkt Schneider in seiner Monographie zur Neuen in lyrischen Texten, zu denen Popsongs gerechnet werden, u. a. durch die Tradition der Erlebnisdichtung sowohl einen dominanten Topos als auch ein Paradigma bilden, vor dem die Semiose vonstatten geht. Der Anglist Wolfgang G. Müller konstatiert, es leuchte ohne weiteres ein, dass »die Subjektivität im Sinne der Ichbezogenheit und des individuellen Sprachausdrucks in der Lyrik eher beheimatet ist als in den anderen Hauptgattungen« (2004: 93). So verweist die Referenzfunktion eines lyrischen Ichs zweifellos in die Sphäre der Subjektivität und konstituiert in den meisten lyrischen Texten auf diese Weise das Verfahren. Allerdings sollte im Anschluss an Müller dabei nicht vergessen werden, »die lyrische Subjektivität nicht in der Person des Autors oder im Leser [anzusiedeln], sondern in der Diskursstruktur des Gedichts« (ebd.: 94). Mit anderen Worten: Lyrik kann textwissenschaftlich nicht als direkter Ausdruck von Subjektivität oder Subjekthaftigkeit verstanden werden, diese bildet vielmehr ein Paradigma innerhalb des Textes bzw. innerhalb der Gattung, durch das sich das Verfahren, im folgenden Zitat als »Effekt« bezeichnet, konstituiert: »Subjectivity must be approached not as the point of origin but as the effect of a poetic discourse« (Easthope 1983: 31). Wenn in der vorliegenden Studie vom lyrischen Ich als textueller Repräsentanz eines Subjekts gesprochen wird, ist damit immer nur ein Subjekt gemeint, das innerhalb eines Songs, eines Albums, eines Werkkontextes, der Popkultur usw. textuell konstruiert wird. In Georg Wilhelm Friedrich Hegels 1835–1838 entstandenen Vorlesungen über die Ästhetik wurde das lyrische Ich dagegen als Ausdruck absoluter Subjektivität gefasst. Es gelte, »das lyrische Kunstwerk als Produkt der subjektiven Phantasie [zu] betrachten« (Hegel 1978: 438). »Als der Mittelpunkt und eigentliche Inhalt der lyrischen Poesie«, so heißt es bei Hegel weiter, »hat sich […] das poetische konkrete Subjekt, der Dichter hinzustellen« (ebd.: 439). Noch Margarete Susman, die das lyrische Ich vom Hegelschen Subjektivitäts-Paradigma löst und ausdrücklich als »Form« (1910: 16) begreift, vollzieht letztlich nicht den radikalen Schritt in die Textualität. Das von Susman konzipierte lyrische Ich wird zwar nicht mehr »für das persönliche des Dichters« gehalten, doch spricht sie von »eine[r] Form […], die der Dichter aus seinem gegebenen Ich erschafft« (ebd.). Auch wenn hier der ästhetischen Manifestation des Subjekts höhere Aufmerksamkeit zuteil wird, bleibt Subjektivität doch letztlich der point of origin.
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Die Hamburger Schule und die ›Sekundarität‹ der Popkultur in Deutschland
Deutschen Welle das Verhältnis der beiden Strömungen zueinander. Der Abgrenzungsgestus gegenüber der Neuen Deutschen Welle – insbesondere deren späten schlagerähnlichen Ausläufern und weniger bezogen auf die frühen experimentellen Ausprägungen23 – bestehe darin, dass die Hamburger Schule wieder mit deutschsprachigen Texten arbeitete, ohne dass das – wie bei einigen NDWGruppen – Bekenntnischarakter haben sollte. Deutsche Texte waren bei den Gruppen der sogenannten ›Hamburger Schule‹ etwas Selbstverständliches, was keinesfalls gleichbedeutend war mit: etwas Natürliches. Mit Ausnahme vielleicht von Bernd Begemann hatten Bands wie BLUMFELD, DIE STERNE, TOCOTRONIC, DIE GOLDENEN ZITRONEN oder HUAH! es nie nötig, eine Metaphysik der deutschen (Pop-)Identität zu beschwören, um sich hierfür zu rechtfertigen. Als Strategie setzten sie ihr Textdeutsch wie eine Fremdsprache ein, abstrakt, brüchig und jargonhaft. Ein drittes Fremdwerden in der eigenen Sprache, nachdem Mitte der 1960er Jahre eine ganze Generation vom Deutschen durch englischsprachigen Pop ›entfremdet‹ worden war? Jedenfalls war das unverständlich, intellektualisiert und voller Fremdwörter. Also nichts, womit der deutschtümelnde und vehement das ›Denglisch‹ bekämpfende Verein Deutsche Sprache e.V. etwas anfangen konnte. (2008: 223)
Schneider hebt hier einen Verfremdungseffekt hervor : Die Deutschsprachigkeit der Hamburger-Schule-Bands wird zwar prominent ausgestellt, dies geschieht aber in einer abstrakten, ›gebrochenen‹ und distanzierten Art und Weise. Entsprechend der Einschätzung Schneiders zeigt ein Kommentar von Jochen Distelmeyer, der in einem in Szene Hamburg veröffentlichten Artikel von Carsten Klook zitiert wird, dass das Verfahren der Verfremdung im Hinblick auf die deutschsprachigen Texte tatsächlich als Strategie zur Denaturalisierung begriffen wurde: Ich lehne – und das ist ein politischer Akt – eine gesellschaftliche Konzeption einer nationalen, völkischen Identität strategisch ab, um eine Möglichkeit zu haben, anders denken zu können. Deutsch ist für mich wie eine Fremdsprache – und das korrespondiert wiederum mit der Ablehnung eines Begriffs von Identität im Persönlichen, wo für mich gilt: Das Wesen der Identität ist Eigentum des Ereignisses. (Klook 1994: 40)
Zur Vermeidung einer ›völkischen Identität‹ wird hier die Distanz zur deutschen Sprache hervorgehoben, die es nach Distelmeyers Dafürhalten zulässt, ›anders denken zu können‹. Auch in einem Interview-Statement Frank Spilkers zum Songtitel »Scheiß auf deutsche Texte« (Die Sterne 1996) wird erkennbar, dass sich die Band von einem programmatischen Gebrauch der deutschen Sprache in ihren Songtexten abgrenzt: »Gemeint ist diese Zeile, dieses Lied – vorangestellt
23 Vgl. diskursgeschichtlich zur Kommerzialisierung und dem vielfach konstatierten ›Niedergang‹ der Neuen Deutschen Welle: Büsser (2004: 136f.), Huber (2012: 31–35), Mellmann (2005: 254–257) und Wrobel (2007: 430–436).
Historisierung der Hamburger Schule: Vom Popdiskurs zum Diskurspop
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auf einer deutschsprachigen Platte […] etwa in dem Sinn: ›Es kommt uns nicht darauf an, in welcher Sprache wir singen, sondern was‹« (Flohr 2005: 23). In ähnlicher Weise distanziert sich außerdem Peter Thiessen, Sänger der Band Kante, gegenüber Vereinnahmungsversuchen seiner deutschsprachigen Texte. In dem Dokumentarfilm »Wir werden immer weitergehen« (2002, Regie: George Lindt/Ingolf Rech) betont er, dass die Songtexte bei Kante nicht vorrangig deutschsprachig, sondern vor allem in seiner eigenen Sprache verfasst seien. Diese wiederum sei »kein deutscher Diskurs« (Transkription T.H.). Thiessens Statement zeigt, dass er die Vermittlung seiner Texte im Modus der Deutschsprachigkeit radikal von einem überindividuellen Diskurs des ›Deutschen‹ entkoppelt. Anders als Distelmeyer und Spilker, die reflektiert den strategischen Hintergrund ihrer Poetik benennen, verwirft er damit den Ansatz des Diskurspop, der die diskursive ›Verstricktheit‹ des eigenen Werkes anerkennt und sich innerhalb politischer Debatten (›strategisch‹) positioniert. Thiessens Beharren auf einer monadischen ›eigenen Sprache‹, in der sich das Individuum losgelöst von einem kulturellen Außen artikuliert, blendet jedoch aus, dass es in der Rezeption de facto zu nationalistischen Instrumentalisierungen von Diskurspop-Bands kommt.24 Als Versuch einer ›eigenen Sprache‹ treffen auf Thiessens Songtexte weniger die von Schneider genannten Attribute des Fremden, Unnatürlichen oder Künstlichen zu, vielmehr markiert Thiessen die Deutschsprachigkeit seiner Texte als kontingent: Als essentialistisch gedachter, vom kulturellen Kontext nicht affizierter Ausdruck von Individualität könnten sie auch in einer anderen Sprache und innerhalb eines anderen kulturellen Kontextes verfasst sein. Im Ergebnis kommt es damit zu einem poetologischen 24 Um ein Beispiel für einen solchen Vereinnahmungsversuch zu nennen: Felix Bayer (2010: o.S.) weist in einer offiziellen Bandbiographie auf Tocotronics Auftritt bei der Verleihung des »Comet«-Preises des Musikfernsehsenders Viva im Jahre 1996 hin. Tocotronic lehnten den Preis für die Kategorie »Jung, deutsch und auf dem Weg nach oben« mit den Worten ab: »Wir sind nicht stolz darauf, jung zu sein. Und wir sind auch nicht stolz darauf, deutsch zu sein« (zit. n. ebd.), dies, wie Bayer betont, »nicht ohne sich vorher für die Einladung zu bedanken« (ebd.). Man muss sich Bayer in der Rolle des Autors einer Bandbiographie als Sprachrohr Tocotronics vorstellen; es handelt sich nicht um einen offiziellen, aus einer distanzierten Haltung heraus verfassten, journalistischen Kontext. Insofern kann es als Teil von Tocotronics Inszenierung erachtet werden, wenn Bayer berichtet, die Band habe sich »erst nach langen Diskussionen im Vorfeld« dazu entschlossen, bei der Veranstaltung zu erscheinen, nicht zuletzt aus dem Grund, dass »Jan [Müller] unbedingt seine Helden Kiss sehen [wollte], die dort auftraten.« (Ebd.). Mit dieser Inszenierung kam es zu einer Abgrenzung auf mehreren Ebenen: Zunächst gegen die Rolle als Repräsentanten einer »deutschen« Band. Darüber hinaus grenzten sich Tocotronic durch ihre Höflichkeit und durch die Tatsache, dass die Preisverleihung im Vorfeld intensiv reflektiert wurde, gegenüber einer Rockstar-Pose ab, die in einem gleichsam rebellischen Gestus Preisverleihungen von sich weist. Nicht zuletzt erscheint die Band durch eine Art Uneigentlichkeitsbehauptung wenig greifbar, wenn betont wird, dass man die Veranstaltung letztlich nicht als Tocotronic, sondern als Fans der Band Kiss besucht habe.
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Die Hamburger Schule und die ›Sekundarität‹ der Popkultur in Deutschland
Konzept, das sich jeglicher Vereinnahmung durch einen ›deutschen Diskurs‹ zu entziehen versucht, im Zuge dessen aber die Eingebundenheit in kulturelle Prozesse relativiert. Damit eignet sich die Band Kante trotz soziologischer Nähe und stilistischer Ähnlichkeit zu den einschlägigen Hamburger-Schule-Bands nicht als Beispiel für Diskurspop. In Thiessens Aussagen wird aber, ebenso wie in denen Spilkers und Distelmeyers, die gemeinsame Programmatik deutlich, den von Schneider so bezeichneten »Bekenntnischarakter« (2008: 223) deutschsprachiger Texte abzulehnen. Traten die Vertreter des Diskurspop insgesamt für eine ausgestellte ›Fremdheit‹ deutschsprachiger Songlyrics ein, kommt bei den Repräsentanten der Neuen Deutschen Welle die Naturalisierung deutschsprachiger Songtexte stärker zum Tragen, wie die Autoren Frank Apunkt Schneider und Hollow Skai hervorheben (vgl. Skai 2009: 229). Trotz dieses markanten programmatischen Gegensatzes in Sachen Deutschsprachigkeit bezieht sich Skai in seinem populären Sachbuch Alles nur geträumt. Fluch und Segen der Neuen Deutschen Welle auf den identifikatorischen Zusammenhang von Hamburger Schule und NDW, indem er konstatiert, dass es auffällig gewesen sei, »wie sehr sich die Bands, die der Hamburger Schule zugerechnet wurden, auf die Neue Deutsche Welle und insbesondere auf die Fehlfarben bezogen«, nämlich indem sie sich »nicht in platten Parolen« (ebd.: 226) äußern würden – verwiesen wird hier vermutlich auf den Polit-Rock der 1970er Jahre –, sondern in einem eher ästhetisierten Modus.25 Näher wird auf den Zusammenhang zwischen Neuer Deutscher Welle und Hamburger Schule in Hollow Skais Text nicht eingegangen. Es scheint, abgesehen davon, wie zwingend Gemeinsamkeiten nachgewiesen werden können, vielfach zum Allgemeinplatz geworden zu sein, die Hamburger Schule in die Tradition von NDW zu stellen, in besonders undifferenzierter Weise gar als einer von vielen »Subtrends« der »große[n] Welle« (Gebhardt/Stark 2010: 274). Auch die Kulturwissenschaftlerin Barbara Hornberger stellt in einer umfangreichen Dissertation zur Neuen Deutschen Welle diachrone Zusammenhänge zwischen Hamburger Schule und Neuer Deutscher Welle her (vgl. 2011: 378–381). Hornbergers Ansatz erscheint dabei zunächst einmal produktiv, da sie sowohl eine philologische als auch eine sozialwissenschaftliche Perspektive einnimmt. Ihr Bezug auf die Hamburger Schule verläuft nicht primär über die Deutschsprachigkeit der beiden Strömungen, stattdessen hebt sie Gemeinsam25 Unter dem Begriff »Polit-Rock« wird eine linkspolitisch ausgerichtete Strömung von RockBands in den 1970er Jahren gefasst. Mit ihren deutschsprachigen Texten als »Ausdrucksmedium einer politisierten Gegenkultur« (Fliege 1997: 38) werden Bands wie Ton Steine Scherben, Checkpoint Charlie, Floh de Cologne, Lokomotive Kreuzberg und Ihre Kinder unter dem Schlagwort des Polit-Rock immer wieder als Bestimmungsgröße im Diskurs über politische Pop- oder Rockmusik in Deutschland herangezogen. Ihre Bedeutung in Bezug auf die Hamburger Schule wird in Abschnitt 2.3 dieses Kapitels diskutiert.
Historisierung der Hamburger Schule: Vom Popdiskurs zum Diskurspop
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keiten auf Verfahrensebene hervor : Die Hamburger Schule zeichne sich zwar durch »lange, mäandernde Satzkonstruktionen« (ebd.: 378) aus – als Beispiel dient hier eine Passage aus Blumfelds »Ich – wie es wirklich war« (1994) –, auf der anderen Seite stünden dagegen aber »parolenartige Slogans« (ebd.) wie etwa Tocotronics Song »Digital ist besser« (1995b) und »Ich möchte Teil einer Jugendbewegung sein« (ebd.). Die Sloganhaftigkeit und ein Gestus von »Dilettantismus und ›Ihr-könnt-uns-mal‹« seien »bereits in der Neuen Deutschen Welle erprobt worden.« (Hornberger 2011: 378) Leider liefert die Autorin keine Beispiele, anhand derer sich ihre etwas pauschalisierende These differenzieren ließe. Diese These erscheint überdies erklärungsbedürftig, da davon ausgegangen werden kann, dass es sich bei den jeweiligen Verfahren und im Hinblick auf die Semiose im spezifischen historischen Kontext (80er/90er Jahre) um ganz unterschiedliche Formen von Dilettantismus und Sloganhaftigkeit handelt. Stattdessen kommt Hornberger zu dem Schluss, die Hamburger Schule vollziehe eine »Fortsetzung und Neuinterpretation« der NDW-Ästhetik »bis hin zum direkten Zitat« (ebd.). Als Evidenz dienen hier die Zeilen »Deutschland, Deutschland spürst Du mich / heute Nacht da komm ich über Dich« [Blumfeld 1994: »L’etat et moi (Mein Vorgehen in 4, 5 Sätzen)«], die wörtlich aus dem NDW-Hit »Ich will Spaß« (Markus 1982) übernommen werden. Auch dieser Textbefund muss differenziert werden, insofern die Zeilen bei Blumfeld nicht innerhalb eines Popsongs, sondern in einem gesprochenen, ohne musikalische Begleitung vorgetragenen und durchaus als ›hermetisch‹ zu bezeichnenden Text verwendet werden. Hornberger macht selbst darauf aufmerksam, dass Blumfeld die Zeilen wörtlich zitieren, »um sie anschließend völlig anders zu wenden« (2011: 378) – anstelle der Zeile »Ich will Spaß« folgen bei Blumfeld auf das Markus-Zitat die Zeilen: »im freien Fall, seh ich den Boden des Realen / durchauslaufende [sic] Modelle Deiner hohen Ideale« (Blumfeld 1994). Gerade aufgrund dieser NDW-Verfremdung sollte bei dem diskutierten intertextuellen Bezug nicht von einer Fortsetzung der NDW-Ästhetik gesprochen werden, sondern vielmehr von einer dekontextualisierenden und damit auch distanzierten Auseinandersetzung mit deren textuellem Material, das zweifelsohne in wortwörtlicher Form präsent ist. Die »Verwandtschaft« (2011: 379) der beiden Strömungen sieht Hornberger vornehmlich im Bereich der Themen und Haltungen. In der Neuen Deutschen Welle wie in der Hamburger Schule spiele beispielsweise »die individuelle Perspektive auf die konkrete Umwelt« eine entscheidende Rolle; man mache sich »den Alltag in einem intellektuellen und zugleich selbstironischen Akt zum Reflektionsfeld des großen Weltgeschehens« (ebd.). Wie schon bei den Fehlfarben gingen in den Texten der Hamburger Schule »das Persönliche und das Gesellschaftliche ineinander auf« (ebd.). Insgesamt, so Hornberger, herrsche eine »enge stilistische und inhaltliche Verbindung« (ebd.: 380) zwischen den Fehlfarben und den
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Die Hamburger Schule und die ›Sekundarität‹ der Popkultur in Deutschland
Hamburger-Schule-Bands Blumfeld und Die Sterne, sodass mit diesen »ebenbürtige Nachfolger gefunden« worden seien (ebd.). Diese Feststellung erscheint zutreffend, nur liefert sie, da Hornberger die Fehlfarben eher unkritisch der Neuen Deutschen Welle zuordnet (worauf im nächsten Abschnitt der vorliegenden Studie noch eingegangen wird), nur bedingt eine gültige Argumentation zugunsten der Ähnlichkeit von Neuer Deutscher Welle und Hamburger Schule. So sehr die Fehlfarben tatsächlich das Diskurspop-Verfahren der Hamburger Schule vorwegnahmen, so wenig eignen sie sich als mustergültiges Beispiel für Ästhetik und Programmatik der Neuen Deutschen Welle. Hornberger schließt ihr Kapitel zur Hamburger Schule mit der Beobachtung, dass einer Band wie Blumfeld in der Rezeption vielfach eine hohe Wertschätzung ihrer Intellektualität zukomme, während »der NDW von Seiten der Kritik häufig die Anerkennung eines kritischen Anspruchs verwehrt wurde« (ebd.: 381) – dies, obwohl die thematische und ästhetische Ausrichtung beider Strömungen durchaus vergleichbar sei (vgl. ebd.). Auch diese Einschätzung ließe sich in Frage stellen, liegen doch für die unterschiedlichen Bewertungen der beiden Strömungen gute Gründe vor. Bei allen Gemeinsamkeiten unterscheiden sich Neue Deutsche Welle und Hamburger Schule doch maßgeblich auf Verfahrensebene, etwa im Blick auf die Komplexität der Lyrics, aber insbesondere thematisch durch die dezidiert linkspolitische Positionierung seitens der Hamburger Schule, die im Zusammenhang mit der Neuen Deutschen Welle Attributen wie formaler Experimentierfreude, Hedonismus, Ironie, Künstlichkeit, Klischeehaftigkeit und Sinnverweigerung gegenübersteht. Auf diesen Komplex wird in der vorliegenden Studie in Abschnitt 2.5 des ersten Kapitels eingegangen. Tatsächlich lässt sich das Verhältnis der Hamburger Schule zur Neuen Deutschen Welle weniger als affirmative, denn als distanzierte und differenzierte Bezugnahme beschreiben. Auch wenn sich das Material der Neuen Deutschen Welle intertextuell in den Texten der Hamburger Schule nachweisen lässt, kann doch keine Rede davon sein, dass die Hamburger Schule eine Erbschaft im emphatischen Sinne antritt. Hinsichtlich der Naturalisierung deutschsprachiger Lyrics im deutschen Pop tritt die Hamburger Schule gar in ein antagonistisches Verhältnis zur Neuen Deutschen Welle und interveniert mit ihren komplizierten und sperrigen Texten. Auch wenn es sich sowohl bei der Neuen Deutschen Welle als auch bei der Hamburger Schule um Strömungen handelt, die prominent und auf innovative Art und Weise deutschsprachige Texte verwendeten, lassen sich hier doch ganz unterschiedliche Verfahren erkennen: Die Neue Deutsche Welle brachte in ihrer frühen Phase experimentelle, gleichsam ›dadaistische‹ wie auch ironisch-plakative Texte hervor ; die Spätphase zeichnet sich durch schlagerhafte und ihre Deutschsprachigkeit ›naturalisierende‹ Verfahren aus. Von hier ausgehend
Historisierung der Hamburger Schule: Vom Popdiskurs zum Diskurspop
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konnten die Hamburger-Schule-Bands Ende der 1980er Jahre eine Verfremdung im Hinblick auf die Deutschsprachigkeit bewirken. Ihre Verfahren lassen sich als abstrakt beschreiben, wobei sie nicht als ausnahmslos hermetisch gelten können, sodass ihre politischen und engagierten Züge bei aller Irritation erkennbar und verständlich blieben. Was den Produktionsstil der Musik angeht, werden die elektronisch-artifiziellen Elemente der Neuen Deutschen Welle weitgehend vermieden. Deren ›kühler‹ Gestus tritt zurück zugunsten einer ›handgemachten‹ Produktion mit analogen Instrumenten, die der Gesangsstimme ohne jegliche produktionsästhetische Manierismen viel Raum zur Artikulation lässt. Insgesamt entspricht dies der in der vorliegenden Untersuchung vertretenen These, dass der Hamburger Schule eine größere ideologie- und gesellschaftskritische Bedeutung zukommt als der Neuen Deutschen Welle mit ihrem Hang zur Ironie und zum ästhetzistischen formalen Experiment.26 Ab Ende der 1990er Jahre lässt sich bei neu gegründeten Bands wie Kettcar, Klee, MIA., Sportfreunde Stiller, Tele, Tomte, Virginia Jetzt! und Wir sind Helden, aber auch etwa bei Blumfeld selbst dann zunehmend eine Auflösung des Diskurspop-Verfahrens erkennen (vgl. hierzu die Kapitel III–V). Die besagten Gruppen beriefen sich teilweise noch auf die Hamburger Schule, integrierten deren Stil aber in gleichsam ›naturalisierter‹ Form, d. h. mit einer weniger ausgeprägten stilistischen und politischen Radikalität. Entsprechend fragte der taz-Autor Peter Unfried, ein Album der Band Tele rezensierend: »Wo gibt es denn heutzutage dermaßen entspannten deutschen Pop? Da fragt man sich schon, wozu man sich all die Jahre mit Diskurs-Pop abgequält hat.« (2009: 13)
2.2
Politik des Privaten: Von 1968 zum ideologiekritischen Pop der 1990er Jahre
Im vorigen Abschnitt wurde bereits die ideologiekritische Ausrichtung der Hamburger Schule erwähnt, die ihr im Kontrast zur Neuen Deutschen Welle einen geradezu engagierten Zug verleiht. Vielfach wird in der Diskussion um die politische Orientierung der Hamburger Schule eine Parallele zu früheren popkultur-affinen Protestbewegungen gezogen. Auch wenn sich das 68er-Diktum »das Private ist politisch« textlich nicht auf Blumfelds Album »Ich-Maschine« nachweisen lässt, wurde es doch, wie Belege aus der Rezeption zeigen, häufig mit dem Album assoziiert (vgl. etwa Hüttmann 2001; Reinstädt 2012; Rose 2001; Wilander 2009). Im Zusammenhang mit Blumfeld war die Rede davon, dass die 26 Selbstverständlich erfüllt auch der Ästhetizismus der Neuen Deutschen Welle eine politischstrategische Funktion, und die Kritik der Hamburger Schule beinhaltet immer auch eine distinktive ästhetische Praxis mit ihren einschlägigen Verfahren.
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Die Hamburger Schule und die ›Sekundarität‹ der Popkultur in Deutschland
Band »Gefühle wieder so richtig zum Ausdruck bringt; das Private war plötzlich auch wieder politisch« (Reinstädt 2012: o.S., Transkription T.H.). Wieder, so ließe sich ergänzen, weil der auf »Ich-Maschine« artikulierte Protest auf ›bessere Zeiten‹ des Protests hinzudeuten scheint,27 auf Zeiten, in denen, wie in den 1960er Jahren, »Protestkultur und Popkultur noch gleichbedeutend« (Seiler 2011b: 159) waren. Auch Dirk Weissmann postuliert in Bezug auf Blumfeld eine Kontinuität des Protests in der deutschsprachigen Popmusik: »In ihrer Anfangszeit war das erklärte Projekt der Gruppe Blumfeld die Suche nach linksalternativen Lebensentwürfen im Anschluss an sozialkritische Bands der 1970er und 1980er Jahre wie Ton, Steine, Scherben oder Fehlfarben« (2011: 255). Diese Kontinuität benennt auch Seiler, indem er feststellt, die Texte von Ton Steine Scherben würden »über reine Polit-Parolen hinaus[gehen], weil sie stets – und dies kann durchaus als Vorbild nicht nur des Deutschrock der 80er Jahre, sondern vor allem auch der Hamburger Schule gesehen werden – das Politische mit dem Privaten verbinden« (2011a: 95).28 Dies sei etwa in dem Song »Schritt für Schritt ins Paradies« (Ton Steine Scherben 1972) der Fall, in dem es heißt: »Wer wird die neue Welt bauen / wenn nicht Du und ich«. Die auf die Sphäre des Privaten verweisende Redesituation (»Du und Ich«) ist tatsächlich auch auf Blumfelds »Ich-Maschine« präsent, und zwar in allen Songs bis auf »Dosis« und »Zeittotschläger«. Schon in der zeitgenössischen Rezeption bemerkt Sebastian Zabel in der Spex, Blumfeld hätten »die wichtigste deutsche Platte seit ›Monarchie und Alltag‹ [Fehlfarben 1980, Anm. T.H.] gemacht. Sie glauben, daß das Private das Politische ist, und daß die Revolution von innen kommen muss. Sie wollen über alles reden: Gefühle, Sex und Adorno« (1992: 40). Ferner bemerkt Zabel, Jochen Distelmeyer spreche »bei Blumfeld in individuellen Erfahrungs- und Gefühlswerten. Doch hier funktioniert das Individuelle als kollektive Erinnerung und Erfahrung« (ebd.: 41). Schließlich wird die Kontinuität zwischen der privatistischen Dimension bei Ton Steine Scherben und dem Ansatz der Hamburger Schule aufgegriffen, wenn Jochen Distelmeyer mit den Worten zitiert wird: »Das politischste Lied von Ton Steine Scherben ist eben nicht ›Macht kaputt, was euch kaputt macht‹ sondern ›Komm schlaf bei mir‹« (ebd.). Eine Begründung von Seiten Distelmeyers bleibt dabei aus. Es erscheint problematisch, eine Ähnlichkeit der Verfahren von Ton Steine Scherben und Blumfeld auf Basis des Nebeneinanders von politischen und privaten Elementen zu konstatieren. Ton Steine Scherben, die nie Zweifel an der ideologischen Kohärenz 27 Vgl. in diesem Zusammenhang den Titel der L’Age-D’Or-Compilation »Bessere Zeiten klingt gut« (V.A. 1997). 28 Vgl. zu einer in diesem Sinne identifikatorischen Rezeption von Ton Steine Scherben: Theweleit (2011).
Historisierung der Hamburger Schule: Vom Popdiskurs zum Diskurspop
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ihrer privaten und politischen Inhalte aufkommen ließen, reichern ihr größtenteils parolenhaftes Verfahren mit ›privatistischen‹ Elementen an, was ihren Songs eine besondere Glaubwürdigkeit und Attraktivität verleiht. So spricht Tom Holert davon, dass das ›politische Lied‹ immer dann am erfolgreichsten war, »wenn es auch eine jugendkulturelle Lebensform illustrierte oder in Aussicht stellte, wie z. B. bei Ton, Steine, Scherben in den siebziger Jahren, wenn der WG-Sex zum Politikum gesungen wurde.« (1999: 26) Entsprechend rufen Ton Steine Scherben nicht einfach zur Revolution auf, sondern betonen, dass der Protest nicht abstrakt von einer politischen Bewegung, sondern von der privaten Sphäre (»Du und Ich«) ausgeht. Freilich sieht die Ideologie von Ton Steine Scherben vor, dass »Du« und »Ich« sich letztendlich einer kollektiven Bewegung anschließen, um ihr politisches Ziel zu erreichen. So berichtet Diedrich Diederichsen in Sexbeat (1985) von einem Ton-Steine-Scherben-Auftritt in einer katholischen Mädchenschule in Hamburg, den er 1971 als Jugendlicher besucht hat: »Hier sprach man ein letztes Mal mit Emphase von ›Klassenkampf‹ und meinte eine große gewaltige blutige Aufregung damit.« (1985: 33) Eine ganz andere Ausgangslage herrschte Anfang der 1990er Jahre. Die subbzw. gegenkulturelle Linke trat wesentlich atomisierter in Erscheinung, sodass auch die Parole »Das Private ist politisch« als erklärungsbedürftig gelten konnte, wohingegen sie Anfang der 1970er Jahre von einem starken Kollektiv getragen und mit großer Selbstverständlichkeit verwendet wurde. Zur Relativierung politischer Botschaften in Popsongs mögen auch die postmodern-ironischen Verfahren der Neuen Deutschen Welle beigetragen haben. Nicht zuletzt deshalb erscheinen die Blumfeld-Mitglieder in dem oben zitierten Spex-Interview mit Sebastian Zabel sehr darum bemüht, ihre politischen Liebeslieder aufrichtig und unmissverständlich als ›politisch‹ zu markieren. Wenn Distelmeyer in »Komm schlaf bei mir« (Ton Steine Scherben 1972) das ›politischere‹ Lied im Vergleich zu »Macht kaputt, was euch kaputt macht« (Ton Steine Scherben 1971) zu erkennen glaubt, kennzeichnet er die Grenzziehung zwischen Liebeslied und Protestsong als instabil. Im Sinne dieser Dekonstruktion bewirken Blumfeld eine Öffnung der vermeintlich abgeschlossenen Bereiche von Politik und Privatsphäre, die zugleich – stärker als bei den ›68ern‹, in deren unmittelbarer ideologischer Nähe sich auch Ton Steine Scherben bewegen – eine kritische Reflexion der eigenen politischen, privaten und, vor allem, ästhetischen Praxis nach sich zieht. Hier ließe sich von einer postmodernen Neuinterpretation des 68er-Mottos »Das Private ist politisch« sprechen. Im besagten Blumfeld-Interview ist die Rede von einem »Rückzug ins Private«, der den Blick auf »[b]estimmte Gesellschafts-Mechanismen« (Andre Rattay in Zabel 1992: 42) freilege, und der Blumfeld-Bassist Eike Bohlken bemerkt: »Mit dem Betrachten der politischen Ebene kommt man oft nicht weiter, da erkennt man nichts, aber vom Privaten ausgehend wohl.« (Ebd.) Auch grenzt sich Bohlken von der 68er-
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Die Hamburger Schule und die ›Sekundarität‹ der Popkultur in Deutschland
Bewegung ab: »Bei der sexuellen Revolution der 60er Jahre gab es ja so ein zwanghaftes ›darüber reden‹, wobei es aber nur darum ging, das Ganze öffentlich zu machen, nicht es zu hinterfragen.« (Ebd.: 41) Für die Programmatik der Hamburger Schule gilt: Nicht nur ist das Private auch politisch (wie bei den ›68ern‹), vielmehr wird es als Ausgangspunkt für eine politische und ästhetische Praxis angenommen, die vom Subjekt ausgehend durch die Reflexion über die Möglichkeit eines ›eigenen Sprechens‹ als ideologiekritische Kommunikationsform nach Außen getragen wird. Dieses Verfahren bildet einen entscheidenden Unterschied zur Strategie von Ton Steine Scherben, die von einer eher ›symmetrischen‹ und statischen politischen Praxis ausgeht: Im Kollektiv herrscht relative Einigkeit über politische Ziele und Protestform, die dann im privaten wie im öffentlichen Bereich kohärent praktiziert wird. Bei Blumfeld und in der Rezeption der Band kann von einem solchen Konsens keine Rede sein. Politische Positionen formieren sich ›diskursiv‹, das heißt in diesem Fall: In intersubjektiver Art und Weise, möglichst frei von ideologischem Zugriff. So erklärt Distelmeyer passend seine Poetologie in Abgrenzung zu parolenhaften Verfahren: »Durch das Setzen einer Zeile als Refrain wird eine Hierarchie der Bedeutungen erstellt. Refrains haben für mich einen zu starken Parolen-Charakter, aber ich sehe nichts, was ich hymnenhaft in die Welt schicken könnte.« (Ebd.: 42) Hier wird die Abwesenheit verbindlicher Parolen im linkspolitischen Kontext Anfang der 1990er Jahre erneut erkennbar. Eine der wenigen Parolen bei Blumfeld sieht Distelmeyer in den Versen »Auf daß die andern aufhör’n, mit sich / selbst zu reden« (Blumfeld 1992a: »Penismonolog«), die programmatisch auf eine offene Vielstimmigkeit verweisen und gerade keine normativen, hymnenhaften oder ›hierarchischen‹ Qualitäten besitzen. Anschaulich wird nicht nur die Distanz gegenüber parolenhaften Songs, sondern auch der zuvor diskutierte ›Rückzug ins Private‹ durch die intertextuelle Transformation der Ton-Steine-Scherben-Zeile »Macht kaputt, was euch kaputt macht« (1971) zu »Macht verrückt was euch verrückt macht« (Blumfeld 1994: »Eine eigene Geschichte«). Der Protest qua popästhetischer Form verlagert sich gewissermaßen vom Kollektiv zum Subjekt.29 Es ist also gut zu belegen, dass im Zusammenhang mit dem Begriff »Ham29 Auch Christoph Leich, Schlagzeuger der Sterne, bezieht sich, passenderweise in einem Dokumentarfilm über Ton Steine Scherben, auf die Losung »das Private ist politisch«, betont hier politisches Handeln innerhalb einer realweltlichen sozialen Praxis und relativiert die verbaltextliche Artikulation politischer Inhalte: »Wir [Die Sterne, Anm. T.H.] sind politisch, aber eher so in dieser bürgerlichen Packung ›das Private ist politisch‹. Wir sind keine explizit politische Band […], jedenfalls nicht […] rein textlich. Wo wir natürlich politisch sind, ist bei Sachen wo wir spielen, bei Aussagen in Interviews oder sowas. Aber direkt explizit […] – [da] würde ich ›nein‹ sagen, also nicht wie die Goldenen Zitronen oder so.« (Interviewaussage Christoph Leich im Dokumentarfilm »Der Traum ist aus – Die Erben der Scherben«, 2001, Regie: Christoph Schuch, transkribiert von T.H.).
Historisierung der Hamburger Schule: Vom Popdiskurs zum Diskurspop
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burger Schule«, speziell mit dem Erscheinen von Blumfelds »Ich-Maschine«, vielfach die Möglichkeit einer neuen Form von linkspolitischem Protest in der Popmusik assoziiert wurde. Im Anschluss an die 68er-Bewegung wie auch an den Polit-Rock der 1970er Jahre wird reflektiert, ob Protest in Verbindung mit popkulturellen Formen wieder möglich ist oder zumindest, den Umständen trotzend, als Scheitern thematisiert werden kann. So heißt es in »Jet Set« in der 1. Person Plural der Protestbewegung: »Offen gesagt haben wir vor / weiterzumachen als Gescheiterte bisher / In Sachen Selbstverwirklichung« (Blumfeld 1994). Der Protest der Hamburger Schule wird hier als ambivalent markiert zwischen Scheitern und Weitermachen. Mit dem Wissen um die Unschärfe wie auch die bisweilen rechtskonservative Konnotation des Begriffs »Kulturkritik« (etwa durch die Schriften Oswald Spenglers oder Theodor Lessings) lässt sich hier vorsichtig eine Nähe zur dialektischen, linkspolitisch motivierten Kulturkritik in der Tradition Theodor W. Adornos konstatieren. »Kulturkritik« meint hier den spezifischen »Reflexionsmodus« (Bollenbeck 2006) einer »Verlustgeschichte« (ders. 2007: 7), die auf »[z]entrale[n] Pathologiebefunde[n] der Moderne wie Entfremdung, Verdinglichung oder Rationalisierung« fußt, und die »gemeinhin der marxistischen und soziologischen Gesellschaftskritik zugerechnet [wird]« (ebd.: 9). Sie ist mit einer Form von Engagement verbunden, die »im Namen einer ›geglückten Identität‹, eines ›geglückten Lebens‹ oder einer ›wahren Form menschlicher Praxis‹« (ebd.), also »In Sachen Selbstverwirklichung«, wie es bei Blumfeld heißt, argumentiert. Die Hamburger Schule setzt sich kritisch und selbstreflexiv mit der Tatsache auseinander, dass die Integrität des protestierenden Subjekts, das sich ehemalig in einem verbindlichen Kollektiv und in einer geschlossenen Bewegung befunden hat, verloren gegangen ist – dies gilt auch für die Formen und Stile früherer Protestkulturen. Die Literaturwissenschaftler Ole Petras und Kai Sina konstatieren hinsichtlich »medialer Gegenwartsbeschreibungen zwischen Pop und Protest« (so der Untertitel des von ihnen herausgegebenen Sammelbandes Kulturen der Kritik), sich auf systemtheoretische Überlegungen Niklas Luhmanns und Jürgen Habermas’ beziehend: Jede Teilhabe an gesellschaftlichen Prozessen geht mit Akten der bewussten oder unbewussten Positionierung innerhalb der sozialen Ordnung einher. Die damit verbundene Einsicht, wonach eine Außen- und Gesamtperspektive auf die Gesellschaft keineswegs überzeugen kann, darf als Konsens des aufgeklärten kulturkritischen (Meta-) Diskurses gelten, der sich im Laufe der letzten Jahrzehnte verfestigt hat. (Petras/Sina 2011: 7)
Ähnlich bemerkt der Philosoph Ralf Konersmann im Postulieren einer »moderne[n] Kulturkritik« (2008: 8), diese sei »immer schon Teil der Kultur, nicht
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Die Hamburger Schule und die ›Sekundarität‹ der Popkultur in Deutschland
ein neutrales, Überlegenheit beanspruchendes Gegenüber« (ebd.: 13). Wo schon Adorno den ideologischen Charakter der (›alten‹) Kulturkritik im Zuge einer Meta-Kritik herausstellte,30 kennzeichnet sich auch die Hamburger Schule als Teil des kritisierten Systems. Es ließe sich bei der Hamburger Schule sogar von einer spezifisch popkulturellen Kulturkritik sprechen, die, anders als die Kritische Theorie, die Nähe zur Populärkultur vielfach zulässt und akzentuiert. Manche Vertreter der Kritischen Theorie bewerten dies freilich etwas anders. So hebt eine Studie, die sich mit Herbert Marcuses These eines affirmativen Charakters der Kultur im Kapitalismus auseinandersetzt, Blumfeld als löbliche Ausnahme hervor, indem gerade ihre ästhetische Praxis der Distanzierung betont wird: Eine dialektische Sprache, wie sie Marcuse fordert, scheint nun genau in der musikalischen Lyrik Blumfelds gegeben. Die verwendeten Sätze negieren die vorherrschenden Sätze, Inhalte benennen gesellschaftliche und auf das Leben in den Verhältnissen existentiell bezogene Antagonismen. Hier wird Musik zwar durchwegs konkret bezogen auf das reale Leben, sie bewahrt sich in ihrer Dialektik aber doch die von Marcuse für befreiende Kunst konstitutiv gesehene negierende Distanz. (Fuchs 2002: 61)
Die hier behauptete negierende Distanz in Blumfelds Werk wird allerdings fraglich, zieht man Frederic Jamesons These in Betracht, nach der die »semiautonomy of the cultural sphere« (1991: 48) im Spätkapitalismus immer mehr verloren gehe. In seiner marxistisch ausgerichteten Analyse behauptet Jameson Mitte der 1980er Jahre vorausschauend, man müsse sich die Auflösung der autonomen Sphäre der Kultur als »explosion« (ebd.) vorstellen, als gigantische Ausweitung des Kulturellen »throughout the social realm, to the point at which everything in our social life – from economic value and state power to practices and the very strucure of the psyche itself – can be said to have become ›cultural‹ in some original and yet untheorized sense« (ebd.). Verloren gehen würden dabei radikale Konzepte der »cultural politics« (ebd.) wie Negativität, Opposition, Subversion, Kritik und Reflexivität, die alle in der Vergangenheit eine jeweils distinktive Form der kritischen Distanz kultivierten. »No theory of cultural politics current on the Left today«, schreibt Jameson, »has been able to do without one notion or another of a certain minimal aesthetic distance, of the possibility of the positioning of the cultural act outside the massive being of capital, from which to assault this last« (ebd.). Auch bei Blumfeld scheint die Platzierung des Werkes außerhalb des von 30 »Dem Kulturkritiker paßt die Kultur nicht, der einzig er das Unbehagen an ihr verdankt. Er redet, als verträte er sei’s ungeschmälerte Natur, sei’s einen höheren geschichtlichen Zustand, und ist doch notwendig vom gleichen Wesen wie das, worüber er erhaben sich dünkt.« (Adorno 2003g: 11).
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Jameson hier beschriebenen Systems letztlich nicht zu gelingen, dennoch versucht die Band, indem sie eben diesen Komplex auf ihren ersten beiden Alben zum Thema macht, wenigstens die Antagonismen im Streben nach Individualität und (Kunst-)Autonomie unter spätkapitalistischen Bedingungen auszustellen. Es scheint kein Zufall zu sein, dass Jameson ein Beispiel aus der Popmusik erwähnt, um seine These zu untermauern. Er spricht von einer Situation, in der we all, in one way or another, dimly feel that not only punctual and local countercultural forms of cultural resistance and guerilla warfare but also even overtly political interventions like those of The Clash are all somehow secretly disarmed and reabsorbed by a system of which they themselves might well be considered a part, since they can achieve no distance from it. (Ebd.: 49)
Dies trifft in hohem Maße auch für den Untersuchungsgegenstand der vorliegenden Arbeit zu. Eher noch, als dass der »Abstand der Kritiker zum Kritisierten […] geschrumpft« (Petras/Sina 2011: 8) ist, gilt hier allerdings, dass Kritiker und Objekt der Kritik in der Hamburger Schule selbstreflexiv zusammenfallen, d. h. dass sowohl lyrisches Ich als auch popästhetische Vermitteltheit als Manifestation der erzählten Verlustgeschichte und ihrer Folgen fungieren. Die Kulturkritik der Hamburger Schule zeichnet sich also dadurch aus, dass 1. sich das lyrische Ich innerhalb der kritisierten Ordnung artikuliert und nicht aus einer distanzierten Perspektive heraus, 2. das lyrische Ich seine popästhetische Vermitteltheit sowie das Bewusstsein über eine diesbezügliche Unhintergehbarkeit artikuliert und die popästhetische Form weniger aus strategischen Erwägungen instrumentalisiert wird (was in Bezug auf den Polit-Rock der 1970er Jahre häufig der Fall war und Gegenstand des folgenden Abschnitts ist), 3. sich das lyrische Ich (mit Ausnahmen wie Tocotronic oder Huah!) in einem tendenziell unironischen und engagierten Modus bewegt, anders als die Neue Deutsche Welle, die sich (bis auf Ausnahmen wie Fehlfarben) durch Hedonismus, Ästhetizismus und bisweilen unengagierte Ironie auszeichnet. Erneut lässt sich hier leicht erkennen, wie problematisch es ist, die Hamburger Schule als Fortsetzung der Neuen Deutschen Welle zu fassen. Gleichwohl soll der Neuen Deutschen Welle eine kritische Komponente nicht grundsätzlich abgesprochen werden. Hinsichtlich des dritten Punktes sieht Martin Büsser die Neue Deutsche Welle im Gegensatz zu dem engagierten Ansatz der Hamburger Schule historisierend als Verweigerung gegenüber einem kritischen Anspruch, als »Aufbegehren gegen das Zuviel an Text und vernünftiger Rede« in einer Zeit »hitziger politischer Debatten, in der Argumentation und Diskussion groß geschrieben wurden« (2004: 134). Er bezieht seine These auf die experimentellen Palais-Schaumburg-Songs »Grünes Winkelkanu« und »Madonna« (Palais Schaumburg 1981) und – stellvertretend für die kommerziellere Ausprägung der
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Die Hamburger Schule und die ›Sekundarität‹ der Popkultur in Deutschland
Neuen Deutschen Welle – auf Trios »Da da da« (Trio 1982). In der Tat kommt es sowohl in den frühen experimentellen als auch in den späteren kommerziellen Entwürfen von NDW zu einem solchen Aufbegehren gegen das Zuviel an Text in Form von eher kurzen und prägnanten Zeilen und eben nicht, um auf Hornbergers schon im vorigen Abschnitt zitierte Formulierung hinsichtlich der Hamburger Schule zurückzugreifen, zu »langen und mäandernden Satzstrukturen« (2011: 378). Das NDW-Verfahren ließe sich demnach auch im Kontext der Kritik theoretisieren, während es in der vorliegenden Studie in Abgrenzung zum Ansatz der Hamburger Schule als Ästhetik des Anti-Engagements diskutiert wird (vgl. ausführlich Abschnitt 2.5). Was das Ausbleiben eines offen ideologiekritischen, ironiefreien Standpunkts bei der Neuen Deutschen Welle angeht, bilden ausgerechnet die von Hornberger als repräsentativ für die Neue Deutsche Welle erachteten Fehlfarben eine Ausnahme, weswegen sie als Vorläufer für die Kulturkritik der Hamburger Schule fungieren können. Moritz Baßler konstatiert in Bezug auf das Album »Monarchie und Alltag« (Fehlfarben 1980): Musikalisch auf der Höhe und sehr tanzbar, liefert hier der Text doch sehr ernsthafte, kritisch gemeinte und, wenn man will, politisch lesbare Botschaften. Die Titel lauten grauschleier, angst oder apokalypse, und auch die Ironie im bekanntesten Hit, ein jahr (»keine atempause / geschichte wird gemacht / es geht voran!«) ist leicht in demotaugliche Eigentlichkeit zu übersetzen. Hält man andere Produktionen dieser Zeit dagegen, die Debüts von Ideal, Trio oder Foyer des Arts zum Beispiel, dann tun sich hier ganz andere und vielleicht subtilere Möglichkeiten auf, vor dem stets übermächtigen angelsächsischen Paradigma Pop auf deutsch zu machen. (Baßler 2005b: 192)31
Eine dieser »subtileren Möglichkeiten«, die im Werk der Fehlfarben weitgehend ausbleiben, liegt in der von Susan Sontag (2006b) theoretisierten Camp-Ästhetik, die in Baßlers Text gegen klassische Ironie und »Eigentlichkeit« ausgespielt wird. Die Einschätzung der Fehlfarben als kritische, ferner auf eine Verlustgeschichte verweisende Band, teilt auch Diedrich Diederichsen, der sie, ohne überhaupt einen Zusammenhang zur Neuen Deutschen Welle herzustellen, als rückwärtsgewandte Band einordnet: Die Fehlfarben waren nie eine Band der Aktualität. Sie haben schon 1980 Rückschau gehalten, ihr Grundton war immer schon ein verklingender, ihr Gemüt vom Grau des Schleiers verdunkelt, der immer schon über der Stadt liegt. Die Fehlfarbe war nicht die seltene, fehlende Farbe, noch die falsche Farbe beim Spiel, sondern anders als bei Zigarren und Briefmarken das Fehlen jeglicher Farbe. Diese Stimmung wird aber nicht formuliert aus der brennenden Langeweile einer Jugend, die noch auf neues Ding und Jugendbewegung wartet, sondern schon damals aus der präpotenten Sicherheit heraus, dass man das Beste allemal hinter sich hat. Das Beste, das war Punk 77 oder 78. »Der 31 Vgl. zur These politisch lesbarer Botschaften der Fehlfarben auch Peters (2010: 235f.).
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Herzschlag der besten Musik«. Und darüber konnten sie schon 1980 singen: »Das war vor Jahren«. Und das ist heute immer noch lange her. (Diederichsen 2005: 141)
Das Programm der Fehlfarben steht den landläufig mit NDW im Zusammenhang gebrachten Attributen wie Gegenwartsemphase und Zukunftsoptimismus in jeder Hinsicht entgegen. Das von Diederichsen bemerkte Fehlen jeglicher Farbe widerspricht der farbenfrohen NDW-Ästhetik – man denke etwa an die Inszenierungen von Gruppen wie Der Plan oder Die Doraus und die Marinas – und deutet ferner auf eine (kultur-)kritische Ausrichtung der Band hin, die ein farbenfrohes und sinnerfülltes Leben in die Vergangenheit projiziert. Deshalb kann, obgleich es durchaus nicht abwegig erscheint, die Fehlfarben mit dem heterogenen Phänomen der Neuen Deutschen Welle zu kontextualisieren, Hornbergers Wahl des Fallbeispiels Fehlfarben für die Rekonstruktion einer idealtypischen NDW-Haltung als unglücklich erachtet werden. Ihre Ausführungen lassen jedoch erkennen, inwiefern gerade diese Band Merkmale einer späteren Hamburger Schule vorweggenommen hat – eben in Differenz zu Ideal, Trio oder Foyer des Arts. Dies lässt sich unter anderem dadurch bekräftigen, dass es zwischen den Fehlfarben und dem Hamburger-Schule-Umfeld zu diversen intertextuellen und interpersonellen Verbindungslinien kommt. So heißt es bei Blumfeld: »Keine Atempause mehr, Geschichte wird gemacht / (und macht mich krank)« [Blumfeld 1992b: »Der Angriff der Gegenwart (auf meine übrige Zeit)«], wo die ironischen Lyrics im Fehlfarben-Original lauten: »Keine Atempause / Geschichte wird gemacht / es geht voran« [Fehlfarben 1980: »ein jahr (es geht voran)«]. Bei einem Jubiläums-Projekt der Fehlfarben (2005) wurden, gleichsam als Erben des Fehlfarben-Verfahrens, Nils Koppruch (Fink), Bernd Begemann, Frank Spilker, Dirk von Lowtzow und Jochen Distelmeyer als Gastsänger verpflichtet. Entsprechend erklärt Alfred Hilsberg die Fehlfarben im CDBooklet zu »eine[r] Art Leuchtturm für Newcomer wie Rocko Schamoni, Bernd Begemann, Knarf Rellöm, Bernadette Hengst und last not least, Jochen Distelmeyer« (ebd.) – dies, obwohl sich die eher ironischen Verfahren der genannten jüngeren Künstler mitunter stark von dem der Fehlfarben unterscheiden. Auch Hollow Skai (2009: 56–61) zitiert Ausschnitte aus Interviews mit Lowtzow, Spilker und Koppruch, in denen sich die Musiker positiv auf ihre Rezeption der Fehlfarben hinsichtlich ihres eigenen Werks beziehen. Vieles spricht dafür, das Fehlfarben-Album »Monarchie und Alltag« als Maßstab für einen deutschsprachigen, von New Wave und Punk informierten Ansatz kritischer Popmusik zu erachten, der sich von den seit den 1960er Jahren bestehenden agitatorischen Entwürfen des Polit-Rock absetzt und in dem eine Politik des Privaten den orthodox-marxistischen Blickwinkel ersetzt.32 32 Vgl. hierzu auch Briegleb (1991: 24) und Klook (1994: 40).
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Die Hamburger Schule und die ›Sekundarität‹ der Popkultur in Deutschland
2.3
Überwindung des Polit-Rock: Von der Agitation zur Ästhetik
Hornberger macht darauf aufmerksam, dass die deutschsprachigen Texte der Fehlfarben einem Bedürfnis nach Verständigung entsprangen, das nicht zu verwechseln sei »mit der pädagogischen Attitüde der Politrocker. Die Texte sind hier nicht bloß Medium, sondern ästhetische Produkte« (2011: 168). Die Ursprünge jenes ›pädagogischen‹ Ansatzes, den Hornberger den Polit-Rock-Bands zuschreibt, erkundet Jens Fliege in seiner 1999 veröffentlichten Magisterarbeit. Er zeigt, dass die politischen Debatten in den späten 1960er Jahren von starken Ressentiments der Linken gegenüber Rock- und Popmusik geprägt waren (vgl. Fliege 1997: 39). Es habe zur Debatte gestanden, »ob der Popmusik […] eine gesellschaftsverändernde Kraft zuerkannt werden sollte, […] oder ob sie, im Sinne der kritischen Theorie, als herrschaftskonform einzuschätzen und daher keinesfalls dazu geeignet sei, das System zu stürzen« (ebd.). Zudem habe die Linke »hinter dem körper- und lustbetonten Auftreten der Popmusik Regressionstendenzen [gewittert], die mit der fortschrittlichen Ideologie des Sozialismus unvereinbar schienen« (ebd.). Flieges Darstellung verdeutlicht anhand von programmatischen Interviewaussagen der an der Polit-Rock-Bewegung beteiligten Akteure die politische Instrumentalisierung von Rockmusik. Sie erlaubte es, politisch in »dem Medium aufzutreten, das die Leute als das ihrige akzeptieren« (Peinemann 1980: 23). In dieser Interviewaussage bezieht sich der Floh-de-Cologne-Musiker Vridolin Enxing konkret auf »junge Leute, Lehrlinge, Arbeiterjugend« (ebd.), die es zu erreichen galt, wobei die Entscheidung für Rockmusik als Medium für die politische Arbeit eine Rechtfertigung Enxings nach sich zieht: »[Rockmusik] haben wir auch zu der Zeit privat alle gemacht. Das war dann nicht mehr so schlimm« (ebd.). Entsprechend paraphrasiert Fliege eine zentrale Position des Polit-Rock folgendermaßen: »Wenn schon Musik auf der Bühne ertönen mußte, so sollte sie doch nicht auf ihren puren Selbstzweck reduziert sein, sondern in den Dienste [sic] erzieherischer Maßnahmen gestellt werden« (Fliege 1997: 40). Martin Büsser bemerkt zu den Polit-Rock-Gruppen der 70er Jahre, dass »ein Großteil ihrer musikalischen Wirkung vom Text [also den Lyrics bzw. den Verbaltexten, Anm. T.H.] abhing« (Büsser 2002: 33) und zitiert aus dem in Schriftform veröffentlichten Manifest »Musik ist eine Waffe« (1970) von Ton Steine Scherben: Unsere Musik soll ein Gefühl der Stärke vermitteln. Unser Publikum sind Leute unserer Generation: Lehrlinge, Rocker, Jungarbeiter, ›kriminelle‹ Leute in und aus Heimen. Von ihrer Situation handeln unsere Songs. Lieder sind zum Mitsingen da. Ein Lied hat Schlagkraft, wenn es viele Leute singen können. Wir brauchen keine Ästhetik; unsere Ästhetik ist die politische Effektivität. Unser Publikum ist der Maßstab und nicht irgendwelche ausgeflippten Dichter. (Zit. nach Büsser 2002: 33; ursprünglich erschienen in Ton Steine Scherben 1970: o.S.)
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Die politische Relevanz der Songs – und letztlich auch ihr ästhetischer Wert – wird hier ausschließlich im Bezug auf eine soziale und kollektive Sphäre hergestellt und gegen das Künstlerindividuum definiert (»wir brauchen keine Ästhetik«/»ausgeflippten Dichter«), sodass in dem von Hornberger konstatierten pädagogischen Impetus des Polit-Rock – im Fall von Ton Steine Scherben sogar ganz explizit – auch eine ausgesprochen kunstfeindliche Haltung offenkundig wird. Diese Haltung lässt sich auch noch zehn Jahre später in den Ausläufern des Polit-Rock erkennen. So liefern die Gebrüder Engel, eine Münsteraner Band, mit »Sei kein Poet« (1980) einen ähnlich programmatischen Song, der mit dem Zusatz »für Andr8 Heller« versehen wird (vgl. Peinemann 1980: 80). Dieser Verweis markiert den Song als Reaktion auf Hellers Lied »Sei Poet (Dem Gedenken von Albert Paris Gütersloh)« (Heller 1973), in dem es heißt: Sei Poet Benütz die Sprache als ein Federbrett Spring einen Salto in die Alphabete Zieh jeden Satz wie eine Flagge hoch […] Dann kannst Du Gärtner Deiner Träume sein Und kannst Kalif von Bagdad sein Mehr will ich nicht von Dir (Heller 1973, »Sei Poet [Dem Gedenken von Albert Paris Gütersloh]«, Transkription von T.H.)
Dieses ›verträumte‹ Szenario wird in »Sei kein Poet«, ähnlich wie in »Musik ist eine Waffe« von Ton Steine Scherben, mit einer strikt aktionistischen Haltung kontrastiert. Während bei Heller von der märchenhaften Phantasie die Rede ist, »Kalif von Bagdad« zu sein, antworten die Gebrüder Engel mit der Nennung ebenso exotischer Orte, betonen aber, dass hier politische und soziale Konflikte stattfinden. Die Aufforderung des lyrischen Ichs an die Figur des Poeten »Sag mal, wie es sich in Delhi stirbt« (Gebrüder Engel 1980: »Sei kein Poet«, zit. nach Peinemann 1980: 80), ist zudem mit einem moralischen Appell verbunden: »Daß du dich da noch wichtig nimmst / Wo Dir doch soviel Brot im Schrank vedirbt«. (Ebd.) Darüberhinaus erinnern die Gebrüder Engel daran, dass der von Heller angestrebte »Salto in die Alphabete« nur wenigen Privilegierten möglich ist: »So mancher kennt nur knapp das Alphabet« (ebd.). Wenn es heißt, »Im Kopf nur deinen kleinen Horrorkram / du quälst dir ganz schön einen ab – Poet / Und niemals greifst du richtig an« (ebd.), wird poetische Reflexion nicht nur als schöngeistige Verfehlung in Bezug auf eine soziale Praxis verurteilt, sondern auch als weltfremde (»und du am Schreibtisch deine Angst zusammenspinnst […] / Die andern werfen Barrikaden um«, ebd.) und elitär-asoziale Haltung (»sag es so, daß man’s versteht / Dich hat der Staat doch gut bedient«, ebd.). Wie
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in »Musik ist eine Waffe« lässt sich eine Forderung nach sozialer Integration erkennen: Poetische Sprache wird nur dann als legitim erachtet, wenn sie einem Zweck in der politischen Praxis dient und ›echte‹ Probleme möglichst verständlich diskutiert: »Sag wie es ist / Sag was man sieht / Sag was du willst […] / Konkret / Sei kein Poet« (ebd.). Eine ähnliche Kritik hat Franz Josef Degenhardt bereits wesentlich früher, allerdings noch nicht in popästhetischer Form geäußert.33 Im Modus des politischen Songs der 1960er Jahre wird hier proklamiert: »Zwischentöne sind bloß Krampf / im Klassenkampf« (Degenhardt 1968).34 Hier ist es das lyrische Ich als Dichterfigur, das von seinem Publikum gefragt wird »Wo ist Ihre Poesie? / Dinge bilderreich umschreiben, / andeuten, das können Sie.« (ebd.) und entgegnet: »Einen Scheißhaufen zu malen / das nützt gar nichts, der muß weg. / Und trotz aller schönen Künste / stinkt der Dreck nach Dreck. […] Und um es genau zu sagen, ohne alle Poesie: Weg muß der Kapitalismus, her muß die Demokratie.« (Ebd.) Ideologisch liefert Degenhardt damit ein Modell für den späteren PolitRock, der die ästhetische Praxis rigoros in den Dienst der politischen Aktion stellt. Die Germanistin Annette Blühdorn erachtet Degenhardts Losung »Weg muß der Kapitalismus, / her muß die Demokratie« (ebd.) als stellvertretend für ein »somewhat simplistic understanding of right and wrong« (Blühdorn 2003: 16), das sie als »characteristic of the 68-generation in general« (ebd.) bezeichnet und das schließlich durch die »postmodernist NDW-attitude of ›Ich will Spaß, ich geb Gas‹« (ebd.) abgelöst worden sei. Mit der Neuen Deutschen Welle wurde nicht nur, wie das von Blühdorn zitierte NDW-Motto verheißt, eine hedonistische Spielart der Popmusik erkennbar, die, verglichen mit dem emanzipatorischen Sinnlichkeitsprogramm von 1968, eher apolitische Züge trägt.35 Auch kommt es hier in der deutschsprachigen Popmusik zu einer ästhetischen Öffnung: Innerhalb der neuen Ästhetik in der Popmusik wird die im Polit-Rock der 1960er und 1970er Jahren favorisierte agitatorische Ausrichtung als Einschränkung ästhetischer Freiheit 33 Vgl. hierzu auch Riha (1979: 320–322). 34 Verseinteilung und Orthographie richten sich nach Degenhardts handschriftlichem Manuskript, abgedruckt in der CD-Neuauflage aus dem Jahr 2000. 35 Hecken modelliert ein entsprechendes Pop-Programm der 1960er Jahre, das eher auf Bewusstseinsveränderung denn auf konkrete politische Forderungen abhebt und doch im Ergebnis als emanzipatorisch gelten kann: »In politischer Hinsicht entscheidend ist an diesen Konzeptionen, dass sie nach Meinung ihrer Verfechter nicht auf eine private Selbstfindung oder -vervollkommnung hinauslaufen, sondern ohne jede dezidiert politische Forderung zu einer tief greifenden gesellschaftlichen Umwälzung beitragen. Die Abweichung von der bestehenden Kultur der Leistungshierarchien, der Arbeitsethik und der begrifflich-quantifizierenden Rationalität stellt für sie einen viel stärkeren Angriff auf die westliche Ordnung dar als eine Einnahme politischer Macht oder eine Änderung der Eigentumsverhältnisse.« (2008: 255) Hecken spricht weiter von einer »Kultur des intensiven, künstlerisch-transgressiven Hedonismus, nicht nur des harmlosen Freizeit-Spaßes« (ebd.).
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erachtet. Wo Degenhardt in den 1960er Jahren Poesie als »Krampf im Klassenkampf« bezeichnet und damit die Autonomie auch seiner eigenen ästhetischen Produktion durch einen zweckgebundenen Zusammenhang relativiert, wird der inkriminierten Poetenfigur im viele Jahre später veröffentlichten GebrüderEngel-Song »Sei kein Poet« (1980) immer noch vorgeworfen, dass sie »krampfhaft in der Psyche« (ebd.) herumstochere. Rockmusik, die, insofern sie nicht rein instrumental daherkommt, auch als eine Form von Poesie oder Wortkunst erachtet werden kann, fungiert im Diskurs des in der Tradition einer »Agitationslyrik« (Riha 1979: 320) stehenden Polit-Rock als zweckmäßigkommunikative und ausdrücklich nicht als ästhetische oder gar ästhetizistische Praxis. So betont Vridolin Enxing von Floh de Cologne: »Für uns ist Kunst etwas, das mit der Wirklichkeit zu tun hat. Wenn du Kunst auf Rock-Musik anwenden willst, dann fühlen wir uns so als richtige Künstler, die versuchen, die Wirklichkeit zu erforschen und darzustellen und zu überhöhen, um Lerneffekte zu erzielen« (Peinemann 1980: 31). Enxings Aussage verdeutlicht, dass die hier geforderte programmatische Zweckgebundenheit (»Lerneffekte«) in Bezug auf das Medium der Popmusik selbst äußerst dogmatische, ›krampfhafte‹ Züge annehmen kann. Enxing ist im zitierten Interviewstatement darum bemüht, seine ästhetische Praxis auf »die Wirklichkeit« zu beziehen, um sie von ästhetizistischen Implikationen freizusprechen. Albrecht Koch nimmt dieses Programm der Instrumentalisierung von Popmusik daher zum Anlass, die »sehr spezielle[ ] deutsche[ ] Connection von Politik und Pop alias Politrock« (1987: 36) zu erwähnen und sie als »typisch deutsch« (ebd.) zu beschreiben. Pop habe hier als »Mittel zum Zweck, als politwissenschaftliches Transportvehikel« (ebd.) sowie als »Zeigestock der meist schon erwachsenen Aufklärer« (ebd.) gedient. Anstelle eines kollektiven basisdemokratischen Protests spricht Koch von »Pop von oben nach unten« (ebd.). Neben der Abgrenzung von ästhetizistischen Tendenzen kommt es, wie Koch bemerkt, zum Versuch, Rockmusik von einer hedonistischen, eskapistischen oder konsumistischen Rezeptionshaltung zu befreien: Die Musik der Flöhe [Floh de Cologne, Anm. T.H.] war nur Mittel und stand »im Dienste der Sache«. Sie musste immerfort »gebrochen« werden, damit bloß keiner auf die Idee kommen könnte, abzuschalten und nur noch mit dem Fuß zu wippen und dem Kopf zu wackeln. Die Devise hieß stattdessen: Gehirne einschalten. Die Flöhe waren keine Rockband, sondern taten nur so. (Koch 1987: 55)
Auch Fliege vermutet »politische Aufklärung des Publikums als primäres Ziel« (1997: 44) der DKP-nahen Musiker von Floh de Cologne. Weiter spricht er von Floh de Cologne als der Band, die nach eigenem Bekunden und auch in der Einschätzung von Zeitgenossen die Musik in höchstem Grade instrumentalisierten. Im Vordergrund stand die politische Wirk-
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samkeit der vermittelten Inhalte. Dazu war es nach Einschätzung der Gruppe notwendig, den musikalischen Aufwand so weit wie möglich zurückzunehmen, ohne die Attraktivität des Mediums aber gleichzeitig zu sehr zu beschneiden. Für Floh de Cologne war die Musik ein Transportband, das die Agitation dem zumeist jugendlichen Publikum wirkungsvoll vermitteln sollte. (Fliege 1997: 46)
Floh de Cologne, die sich 1966 als studentische Kabarettgruppe formierten (vgl. Blühdorn 2003: 136), vollzogen als Konsequenz eine Entwicklung von Liedermachertum und politischem Kabarett hin zu popästhetischen Artikulationsformen, d. h. zur Rock-Band. Dies gilt in ähnlicher Weise für Ton Steine Scherben, deren Mitglieder ebenfalls der Kabarettszene entstammen. Für Floh de Cologne wie auch für andere Akteure des Polit-Rock wurde die Hinwendung zum Pop nicht zuletzt durch die Teilnahme an den vom 25.– 29. September 1968 ausgerichteten Internationalen Essener Songtagen virulent. Koch beschreibt diese als »zentrale[ ] programmatische[ ] Veranstaltung« und als »Aufbruchssituation« (Koch 1987: 31), bei der es zu einem heterogenen Programm kam.36 Es setzte sich zum einen aus Pop- bzw. Rockmusikern zusammen, zum anderen aus politischen Liedermachern wie Franz Josef Degenhardt, Dieter Süverkrüp oder Rolf Schwendter, wobei Musiker beider Fraktionen gleichermaßen unter der Prämisse eines gemeinsamen »politische[n] oder besser gegenkulturelle[n] Standort[s]« (ebd.) engagiert wurden, »und der war links, links von der etablierten Mitte, egal, ob der geistige Standort sich in Musik, Texten, Outfit oder psychedelischem Bewußtsein ausdrückte« (ebd.).37 Die gegenkulturellen Kräfte trafen nun auf den ebenfalls auf dem Festival vertretenen Frank Zappa, seine Band Mothers of Invention und die New Yorker Band The Fugs mit ihren der Beatnik-Szene entstammenden Protagonisten Ed Sanders und Tuli Kupferberg. Diese Musiker lassen sich dem US-amerikanischen Underground (vgl. Peinemann 1980: 22) der 1960er Jahre zuordnen, einer 36 Programm und Ablauf der Internationalen Essener Songtage sind detailreich dokumentiert in Mahnert/Stürmer (2008: insbes. 86–96). 37 Die Liedermacher-Fraktion grenzt Koch von popmusikalischen Strömungen der Zeit ab und betont deren Affinität zu Liedern der amerikanischen und deutschen Arbeiterbewegung, zum literarischen französischen Chanson, zum deutschen Volkslied und zum Kabarett (vgl. Koch 1987: 32): »Man bewegte sich statt im 4/4-Takt mehr im 2/4- und 3/4-Takt. Neben der gängigen Gitarre stellten auf ihren Platten ein paar wenige zusätzliche Instrumente und Klangfarben gerade noch erlaubte Mittel dar, um die ambitionierten Texte ›hörbar‹ zu machen. Die frühen Liedermacher huldigten also durchaus feinsinnigem Kunsthandwerk. Ihre Songs lebten nur durch den Vortrag der Autoren. Sie waren keine Mitsinglieder wie die sonst in der Bewegung sehr beliebten amerikanischen Songs vom Schlage des ›We Shall Overcome‹ oder ›Blowing In The Wind‹ und hatten dementsprechend auch nicht deren Massenpublikum.« (Ebd.) Hier sollten die Internationalen Essener Songtage aus Sicht des Mitorganisators Rolf-Ulrich Kaiser durchaus auch als Versuch begriffen werden, politisches Liedermachertum in einer urbanen, dem Massenpublikum zugänglichen Sphäre stattfinden zu lassen (vgl. Blühdorn 2003: 139).
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im Vergleich zur damaligen deutschen Szene popästhetisch avancierten gegenkulturellen Strömung, in der eher ästhetisches Experiment und antibürgerliche Haltung und weniger eine politische (Agitprop-)Ausrichtung im Vordergrund standen. The Fugs und The Mothers of Invention integrierten, wie auch Floh de Cologne, Elemente des Theaters und des Kabaretts in ihre Inszenierungen, die doch klar als Rock-Konzerte erkennbar waren (vgl. Blühdorn 2003: 136). Besonders die Auftritte von Floh de Cologne ließen aber, so Blühdorn, gleichzeitig eine deutliche Distanzierung vom traditionellen Theater erkennen, die geprägt war von the employment of rock music, along with all the obligatory equipment, the performances in big concert halls rather than on intimate cabaret stages, the release of their songs as record albums, and the orientation towards a youth audience. They aimed at a fundamental critique of the system and agitated their audience with calls to action (2003: 137).
Während The Mothers of Invention für eine Pop-Kunst standen, die Theaterelemente spielerisch inkorporierte, zeichnete sich im Fall von Floh de Cologne ein dogmatischer und geradezu forcierter Paradigmenwechsel hin zu RockFormen ab – nicht nur ästhetisch, sondern auch hinsichtlich der realweltlichen Inszenierungen, der Produktionsbedingungen und der Vertriebsstrukturen. Dies bemerkt auch Koch, wenn er darauf aufmerksam macht, dass die aus dem Umfeld des »links-anarchistische[n] Studentenkabarett[s]« (1987: 36) stammenden, sich »auf der Suche nach ihrem Zielpublikum« (ebd.) befindlichen Floh de Cologne erst auf den Essener Songtagen, unter dem Einfluss der »AnarchoTruppen The Fugs und The Mothers of Invention« (ebd.) für sich »die Konsequenz [zogen]« (ebd.), während die Protestgeneration bereits »Stones, Dylan, Zappa und Co« (ebd.) hörte. Diese Konsequenz bestand für Floh de Cologne eben darin, im Zuge einer strategischen Ausrichtung die Formen der amerikanischen Underground-Bands in dem Maße zu übernehmen, wie sie für die Kommunikation mit dem Zielpublikum ihrer agitatorischen Aktivitäten produktiv gemacht werden konnten. Dies wird in der Beschreibung der Essener Songtage aus Sicht Vridolin Enxings evident: Internationale Essener Songtage 68, das hat Floh ganz entscheidend geformt. Damals war Zappa zum erstenmal in der Bundesrepublik, Fugs auch, und da haben wir die absolute Underground-Masche abgezogen [Frank Zappa und The Fugs werden von Enxing zuvor als Underground-Musik identifiziert, Anm. T.H.]. Wir haben uns auf die Bühne gestellt, uns mit Schokolade und brauner Farbe übergossen und aus HaschischKochbüchern vorgelesen: 20 Minuten, 25 Minuten, 30 Minuten, 45 Minuten, bis die Leute anfingen, unmutig rauszugehen… War das Publikums-Schock-Therapie? [Frage vom Interviewpartner Steve B. Peinemann, Anm. T.H.] Ja, das war so gedacht, auf jeden Fall gegen Konsum. Das war auch die Linie der Apo damals. »Alles, was konsumierbar
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ist, was verwertbar ist im kapitalistischen Verwertungsrahmen, ist schlecht.« (Peinemann 1980: 22)
In den Aussagen Enxings wird die Adaption von Stilmitteln der amerikanischen Underground-Bands erwähnt. Auf Nachfrage nach der zugrunde liegenden Strategie wird die von Zappa und The Fugs beeinflusste Inszenierung aber ausdrücklich in einen politischen (anti-konsumistischen), und nicht in einen ästhetischen Kontext gestellt, mit dem wohl als Rechtfertigung zu interpretierenden Hinweis, dass dies »auch die Linie der Apo damals« gewesen sei. Die Legitimität der individuellen Leistung der Bandmitglieder auf der Bühne wird also durch einen kollektiven Zusammenhang (politische Bewegung), in dem sie zu kontextualisieren sei, hergestellt. Frank Zappa, der als künstlerisches Vorbild für Floh de Cologne fungierte, zeigte sich dagegen irritiert angesichts der starken Politisierung des deutschen Publikums und schildert die Eindrücke seines ersten Deutschlandbesuchs anlässlich der Essener Songtage folgendermaßen: »Ich bin zum ersten Mal in Deutschland. Aber das einzige, was ich hier bemerkte ist, dass die Menschen anscheinend lieber über Musik reden, als ihr zuzuhören. Und viele Konzerte sind in politische Diskussionen ausgeartet, anstatt dass sie Konzerte geblieben sind«.38 Zappas idiosynkratisches, mitunter artifizielles und mit hohem Aufwand arrangiertes musikalisches Werk wurde zwar in den 1960er Jahren innerhalb der amerikanischen counterculture rezipiert und trägt teilweise satirisch-gesellschaftskritische Züge, bleibt aber letztlich dem Projekt einer Rockmusik als experimenteller Kunstform verpflichtet und ist nur sekundär mit politischen Implikationen versehen. Hecken spricht im Kontext eines AvantPop-Konzepts hinsichtlich Zappas Werk von »jener Art Rock, dessen Kunstbegriff von dadaistischen Antikünstlern geprägt ist« (2012: 58). In der Tradition des Dadaismus und der Komponisten ›Neuer Musik‹ wie Igor Stravinsky, Edgar VarHse und B8la Bartjk wird hier also ein avantgardistisches, antibürgerliches Programm vertreten, in dem es nur am Rande zu realpolitisch orientierten oder klassenkämpferischen Forderungen kommt. Johannes Ullmaier begreift den »Underground«, mit dem Zappa, The Mothers of Invention und The Fugs in Verbindung gebracht wurden, als »pop-ästhetische und zugleich pop-konjunkturelle Avantgarde (subkulturelle Vorwegnahme einer gesamtgesellschaftlichen Utopie)« (2005: 237). Damit betont er zum einen die Zugehörigkeit zum Pop und zum anderen das artifizielle Moment, das sich die Akteure im Angriff auf bürgerliche Ästhetik und Moral zu eigen machen – denn die von Ullmaier erwähnte 38 Zappas Interviewaussage stammt aus dem Dokumentarfilm »Zwischen Pop und Politik. Die Internationalen Essener Songtage 1968« (Bayerischer Rundfunk, 1968, Regie: Henric L. Wuermeling). Zitiert wird die ins Deutsche übersetzende Synchronstimme (Transkription von T.H.).
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Utopie wird in der Underground-Bewegung eher mit ästhetischen denn mit sozialen Kategorien modelliert. Ullmaier erwähnt ferner eine utopische Periode der progressiven Rockgeschichte, in der es zur »Rezeption von E-Kulturen (vor allem Jazz, europäische[r] Kunstmusik, elektronische[r] Musik, Kunst, Hochliteratur) und den dazugehörigen Autonomie- und Progressivitätskonzepten« (ebd.: 236) kommt, als da wären: »temporäre Politisierung« und »Psychedelisierung« (ebd.). Hecken wiederum verdeutlicht, dass »seit der New-WavePhase« eine fast kontinuierliche Durchsetzung der »Pop-Anschauung als KunstÜberzeugung« (2012: 62) stattgefunden habe. Innerhalb dieser Entwicklung seien »Phänomene, die zuvor noch gemeinhin unter ›Rock‹ eingeordnet wurden, als ›Pop‹ (im avancierten Sinne) wieder aufgetaucht« (ebd.). Hier sorge eine »größere Wertschätzung von und Sensibilität für Künstlichkeit, Pose, Imagebildung, Mode, für das Spiel mit Schemata und für eine antiexpressive Ästhetik« dafür, dass es fortan möglich gewesen sei, »auch in musikalischen Genres, die nach wie vor dem Rockbereich zugeschlagen werden […], nicht wenige Gruppen und Künstler (von Zappa über Buzzcocks bis Courtney Love) als Avant-PopArtisten auszugeben.« (Ebd.) Wenn hier, wie Thomas Hecken argumentiert, die ästhetizistische Rezeptionsform von Pop mit einem Diskurs der 1980er Jahre in Verbindung gebracht wird, gerät ein Musiker wie Frank Zappa im Nachhinein zum Avant-PopKünstler. Dies erklärt, warum Zappa und The Mothers of Invention, die sich dem politisierten Pop-Kontext im Deutschland der 1960er Jahre weitgehend entzogen, im Rahmen der Essener Songtage zwar ästhetische Impulse geben konnten, dabei beim Publikum, das die an ästhetischer Innovation interessierte Rezeptionshaltung zu dieser Zeit zumindest teilweise disqualifizierte, aber nicht nur auf Gegenliebe stießen: Frank Zappas Mothers of Invention, die […] in Essen noch auf ein überwiegend begeistertes Publikum stoßen, werden keine drei Wochen später in Berlin im Sportpalast nach kurzer Zeit von Aktivisten, die nicht an Underground-Spektakel, sondern an politischer Agitation interessiert sind, am Auftritt gehindert. Auf ihre Art geben die linksradikalen Aktivisten immerhin damit zu verstehen, dass sie die Bedeutung der Kultur ähnlich hoch wie die Verfechter der Gegenkultur ansetzen, so hoch, dass sie sie verhindern oder sogar zerstören wollen. Ihr Purismus geht so weit, dass sie eine Szene, die ihrem politischen Anliegen mindestens indirekt verbunden ist, radikal brüskieren. (Hecken 2008: 260)
Es spricht also einiges dafür, dass auch die Protagonisten des Polit-Rock zunächst ein ambivalentes Verhältnis gegenüber dem noch jungen Paradigma der Popkultur pflegten und dass sie die popästhetischen Inszenierungen der USVorbilder nicht vorbehaltlos imitieren konnten und wollten:
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Die Hamburger Schule und die ›Sekundarität‹ der Popkultur in Deutschland
Mit Popmusik hatte das nichts zu tun. Hier fehlten die nötigen Grundlagen für die musikalische Praxis, wie die Country-Musik und der Rhythm & Blues, in die angloamerikanische Musiker hineingewachsen waren. Traten Floh de Cologne auf, so klangen sie, den kommunistischen Traditionen der Bewegung entsprechend, mehr nach Franz-Josef Degenhardt als nach Frank Zappa oder Tuli Kupferberg und Ed Sanders. Mit ihren Inhalten und ihrer Bühnen-Präsentation war die Gruppe mehr darauf ausgerichtet, das Publikum zu agitieren, als in bissiger Form textliche und musikalische Elmente aus ihrem popmusikalischen Zusammenhang zu reißen und neu zu collagieren. Mit dieser typischen Produktionsweise US-amerikanischer Underground-Bands waren Floh de Cologne, wenn sie sie auch schätzten, nicht vertraut. (Fliege 1997: 35)
Zwischen frühem Polit-Rock und den amerikanischen Vertretern des gegenkulturellen Undergrounds gab es demnach Berührungspunkte, doch kommt es bei den deutschen Bands letztlich nur unter Vorbehalt zur Affirmation popästhetischer Formen. So bemerkt Hecken, dass die kritische Haltung gegenüber Pop in Deutschland »nicht nur einem konservativen Bildungsdünkel, sondern gleichfalls sowohl der linken als auch der subkulturellen Haltung« (2008: 250) entsprach. In den oben zitierten Aussagen Vridolin Enxings lässt sich exemplarisch erkennen, dass der Begriff »Pop« denn auch konsequent vermieden wurde zugunsten des Rock-Begriffs, der in den 1960er Jahren dahingehend gebraucht wurde, »das liberal leicht Integrierbare und/oder Kommerzielle des Pop auch begrifflich abzuwehren.« (Hecken 2008: 254) Floh de Cologne und andere Polit-Rock-Bands näherten sich demnach dem Pop-Paradigma nur auf distanzierte Art und Weise, obgleich die Adaption angloamerikanischer39 Pop-Formen in ihrer konativen Funktion einen großen Reiz 39 Der Begriff »angloamerikanisch« erscheint dadurch problematisch, dass damit eine Homogenität suggeriert wird, die in Bezug auf Popmusik nicht gegeben ist. In der vorliegenden Studie wird der Begriff vereinfachend benutzt, um sich auf ein Leitparadigma zu beziehen, von dem die internationale Popmusik durch die Größe und Dominanz des angloamerikanischen Marktes und durch die Kultur, die direkt aus diesem Markt hervorgeht, bestimmt ist (vgl. hierzu Pennay 2001: 112). Jegliche Popmusik, die außerhalb dieser Kultur entsteht, wird notwendig vor dem Hintergrund des angloamerikanischen Leitparadigmas semantisiert (vgl. Baßler 2003). Anhand des deutschen Raps beschreibt Mark Pennay die lokalen Anpassungen eines Genres in verschiedenen Kulturen und benennt dabei die Leitfunktion des englischsprachigen Marktes, die jedoch nicht totalisierend gedacht werden darf: »generalizations made about the characteristics of a genre on the basis of its development within the English-speaking market cannot be transferred wholesale to other national contexts, and that although this market does act as a reference point for the entire world, the trends it exhibits are always subject to local reinterpretation.« (2001: 127f.) Vgl. hierzu auch Mitchell (1996), der das angloamerikanische Paradigma aus einer internationalen Mainstream-RockBewegung herleitet, die sich im kulturellen Austausch zwischen den USA und Großbritannien konstituierte: »The ›British invasion‹ of US-dominated pop music in the 1960s, which developed contemporaneously with Motown and went on to dominate Anglo-American pop music, was the result of English groups like the Beatles, the Rolling Stones, the Animals, the
Historisierung der Hamburger Schule: Vom Popdiskurs zum Diskurspop
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ausübte – insbesondere für die Anhänger des unter Innovationsdruck geratenen ›Politischen Songs‹: Popmusik besaß all das, was den politischen Liedermachern und Kabarettisten fehlte, das große Publikum, Aura, die musikalische Aggressivität, die verbindlich war und Biß hatte, zu Reaktionen herausfordern mußte, wo das alte Kabarett in netten und unverbindlichen Konventionen erstarrt war. Selbst Leuten wie Jimi Hendrix, oder in Deutschland etwa Agitation Free, Guru Guru oder die frühen Amon Düül, die keine politischen Aussagen machten, sondern sich nur mit der radikalen Erweiterung des musikalischen Materials in freier Improvisation beschäftigten, wurden politische Dimensionen zugemessen. Dissonanzen, monoton hämmernde Rhythmen, pfeifende Rückkopplungen, waren nicht nur adäquates Hintergrundgeräusch für die Straßenschlachten mit der Polizei, die Sit-Ins, den Sturm auf die Springer-Redaktionen, sondern gleichzeitig auch ihr Symbol. Es gab also genug Gründe und Anregungen für Floh de Cologne einzusteigen. (Koch 1987: 38)40
Die Adaption popästhetischer Elemente lief bei den deutschen Polit-Rock-Bands vor allem auf einen strategischen Paradigmenwechsel hinaus, durch den die zu politisierende Zielgruppe erreicht werden sollte – wie sich in den Songinhalten und in den programmatischen Aussagen der beteiligten Akteure erkennen lässt. Annette Blühdorn macht darauf aufmerksam, dass es den Polit-Rock-Gruppen bis weit nach 1969 hinaus gelang, bei politisch interessierten Jugendlichen mit diesem Konzept Erfolg zu haben – auch nachdem sich Studentenbewegung und Yardbirds and others playing cover versions of black American blues and rhythm and blues songs, before venturing into their own more commercially viable, pop-oriented compositions.« (Ebd.: 11) Seit den 1950er Jahren hätten, so Mitchell, »dominant global formations of rock and pop music« (ebd.) zwischen US-amerikanischen und britischen Entwicklungen oszilliert, die schließlich für eine »dominant influence on rock and pop music in other countries throughout the world« (ebd.) gesorgt hätten. Trotz der angloamerikanischen Dominanz sei es immer wieder zu lokalen popmusikalischen Prägungen gekommen, die zu einer »musical language of hybridity, in which traditional, authentic and indigenous musical forms are combined with global music idioms« (ebd.: 7), geführt hätten. Mitchell warnt davor, das angloamerikanische Leitparadigma auf seine kulturimperialistischen Eigenschaften zu reduzieren und betont die Komplexität kultureller und politischer Prozesse, die zu lokalen Interpretationen importierter Musikkulturen führen (vgl. ebd.: 1, 49). Vgl. zu einem kulturimperialistisch gedachten »Anglo-American Nexus of rock« dagegen Shuker (1995: 59). Den »Aufstieg des Englischen zur Weltsprache« und die damit einhergehende Wirtschaftskraft beschreibt der Sprachwissenschaftler Ulrich Ammon (2000). Er vertritt die These, dass die »derzeitige Entwicklung […] viel weniger durch direkte Machtausübung seitens der englischen Sprachgemeinschaft bedingt [ist] als durch das Bestreben der Mitglieder der anderen Sprachgemeinschaften, an den Verheißungen der angelsächsischen Welt und am Kommunikationspotential ihrer Sprache teilzuhaben.« (Ebd.: 877). 40 In ähnlicher Weise grenzt Blühdorn das als intellektualistisch angesehene Liedermachertum vom Rock ab: »Rock music was associated with ideas of sex and riot, with pleasurable protest that came from the loins rather than from the mind. While the Liedermacher expressed their criticism first and foremost through carefully considered words, the rock musicians went beyond words and performed their protest on the stage using the medium of aggressive music.« (Blühdorn 2003: 134).
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Die Hamburger Schule und die ›Sekundarität‹ der Popkultur in Deutschland
APO weitgehend aufgelöst hatten. So existierten Ton Steine Scherben, Floh de Cologne, Ihre Kinder und auch die oben zitierten Gebrüder Engel bis in die 1980er Jahre hinein (vgl. Blühdorn 2003: 137f.). Letztlich erscheint die Haltung des Polit-Rock hier aber als Anachronismus. Von Blühdorn wird sie als »too aggressive and dogmatic and too closely tied to the political mood of the late 1960s« (2003: 137) bezeichnet, als dass sie in ihrer politischen Strenge und ästhetischen Unterkomplexität gegen aufkommende Strömungen wie die Neue Deutsche Welle konkurrieren konnte. Noch vor den Vertretern der Neuen Deutschen Welle reagierten Punk und dann verstärkt New Wave auf die orthodoxe Haltung des Polit-Rock mit einer Verlagerung in die ästhetische Sphäre. Die Überwindung des Polit-Rock-Paradigmas manifestierte sich darin, dass die nun hervorgebrachten Werke in hohem Maße als ästhetische Produkte und nicht lediglich als Artikulationsplattform für politische Forderungen (wie in »Musik ist eine Waffe« von Ton Steine Scherben) konzipiert waren. Desweiteren kam es zu einem ästhetischen Paradigmenwechsel in der deutschsprachigen Musik, dadurch, dass insbesondere die Neue Deutsche Welle ausdifferenzierte Formen von Ironie hervorbrachte und eine Ästhetisierung ›oberflächlicher‹, also gerade auch der Konsumsphäre zugewandter Sujets betrieb – dies bei gleichzeitiger Feindschaft gegenüber den Alternativkulturen und Verweigerung gegenüber der in den 1970er Jahren vorherrschenden Diskussionskultur. So erscheint es nachvollziehbar, als »dominierende Idee der frühen Achtziger« eine »Dominanz von Form über Inhalt« (Borchardt 1999: 181) zu identifizieren. Im Zuge der Überwindung des Polit-Rock-Paradigmas setzte in den frühen 1980er Jahren ein aesthetic turn in der Popmusik ein, der als Voraussetzung für die Hamburger Schule gelten kann, politische Popmusik jenseits ›altlinker‹ Programmatik und Ästhetik zu lancieren. In diesem Prozess nahmen die bereits im letzten Abschnitt als wegweisend hervorgehobenen Fehlfarben eine Sonderstellung im Spannungsfeld zwischen Punk, New Wave und Neuer Deutscher Welle ein, indem sie auf ihrem Debütalbum die Tendenz zur Ästhetisierung mit einem gesellschaftskritischen, jedoch nicht mehr mit dem agitatorischen Verfahren des Polit-Rock in Einklang zu bringenden Ansatz kombinierten. Dieser Ansatz wurde später von Bands wie Blumfeld oder Die Sterne auf Verfahrensebene als Diskurspop weiterentwickelt.
2.4
Popästhetik nach dem Punk: Vom Subjekt zum ›Subjekt‹
Wurde im vorigen Abschnitt beschrieben, inwiefern für die Entwicklung der Hamburger Schule eine Überwindung des Polit-Rock-Paradigmas vonnöten war, sollen nun die Bezugspunkte der Hamburger Schule zum Punk untersucht
Historisierung der Hamburger Schule: Vom Popdiskurs zum Diskurspop
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werden. Die Fehlfarben und ihr Sänger Peter Hein nehmen dabei im Punk- und New-Wave-Feld eine besondere Stellung ein, insofern sie eine deutschsprachige politische und gesellschaftskritische Popmusik in der Art, wie sie später von der Hamburger Schule geprägt wurde, Anfang der 1980er Jahre vorwegnahmen. Der Autor Sven Hillenkamp spricht im Zusammenhang mit den Fehlfarben in einem Text über Skinheads und sogenannte ›Autonome‹ von einer »musikalischlyrische[n] Inkarnation des autonomen Lebensgefühls« (1998: 194) und macht deutlich, inwiefern die Abkehr vom Agit-Prop-Konzept des Polit-Rock auch mit einer aus dem Punk hervorgehenden Subjektkritik in Verbindung steht. So spricht er von Punk und New Wave als Soundtrack für die Jugendrevolte der 80er Jahre. Der Begriff Soundtrack trifft den Nagel deshalb auf den Kopf, weil es sich um Hintergrundmusik handelte, nicht um die Vertonung von Propaganda. Punk und New Wave waren in der Masse alles andere als Agit-P(r)op. Vielmehr transportierten sie Stimmungen, die mit dem Lebensgefühl der Revoltierenden auf einer Wellenlänge lagen. Punk verteidigte den Anspruch auf ungebrochene Subjektivität. Er verkörperte das Kranken an den herrschenden Zuständen sowie den Angriff auf sie. Und schließlich wurde kaum irgendwo der autonome Wunsch nach entfesseltem, befreitem und authentischem Leben im Jetzt so erfüllt wie in den Augenblicken des Pogo-Tanzens (ebd.).
Auch wenn die Bezeichnung »Hintergrundmusik« ein wenig bagatellisierend erscheint, verdeutlicht Hillenkamp doch in anschaulicher Weise die Abkehr vom Polit-Rock-Paradigma der 1970er Jahre. Die neuen Protestformen innerhalb der deutschsprachigen Popmusik bewegen sich weg von der appellativen und kollektiven Ausrichtung, hin zu Ästhetisierung und Fokus auf das Subjekt. Der Kampf um »ungebrochene Subjektivität« (ebd.: 194) wird nun, veranlasst durch Punk- und New-Wave-Bewegung, weniger auf ›argumentativer‹ als vielmehr auf ästhetischer Ebene ausgetragen. So spricht Schneider in Bezug auf das Stilmittel der Antivirtuosität im Punk von einer »Wiedergewinnung von unverbrauchter Subjektivität im Pop« (2008: 162), die gleichzeitig auch als »Anschlag auf das ›Subjekt‹ gelesen werden [kann], also auf den ›Staat im Staat in der ersten Person‹ (BLUMFELD)« (ebd.). Schneider stützt sich hier, Blumfeld zitierend (1994: »Sing Sing«), auf eine These Diedrich Diederichsens, gemäß derer musikalische Virtuosität die Funktion einer »Bastion des Subjekts in der Musik« (Diederichsen 1982: 99) einnimmt, die im Pop fortwährend negiert (durch die dilettantische Attitüde des Punk oder in den 1980er Jahren mit Computern und Synthesizern erzeugte Musik), im Jazz dagegen in zunehmender Übereinstimmung mit bürgerlichen Kunstidealen anerkannt werde (vgl. ebd.).41
41 Theodor W. Adorno meldet allerdings schon 1938 in seinem Aufsatz »Über den Fetischcharakter in der Musik und die Regression des Hörens« Zweifel an, ob es dem »Jazzsubjekt«
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Die Hamburger Schule und die ›Sekundarität‹ der Popkultur in Deutschland
Auch der von Hillenkamp erwähnte Pogo fungiert in diesem Sinne als dilettantischer und antivirtuoser Tanzstil, während die von einem virtuosen Ansatz geprägten Gitarrensoli in Ton-Steine-Scherben-Songs noch obligatorisch waren.42 Freilich sind die Soli von Ton Steine Scherben nicht im engeren Sinne als virtuos oder markant zu bezeichnen, es handelte sich eher um eine an Jimi Hendrix oder Eric Clapton orientierte Epigonalität. Diese Beobachtung ist anschlussfähig an eine These Diederichsens, derzufolge sich hier erste Anzeichen eines Stillstands in der Popmusik erkennen lassen, der auf eine »Abschaffung der Virtuosität« (ebd.) hinauslaufe.43 Die weiter oben zitierte Passage aus »Musik ist eine Waffe« (Ton Steine Scherben 1970) macht zudem deutlich, dass virtuose Gitarrensoli als Ausdruck eines Künstlerindividuums ohnehin den kollektivistischen Grundsätzen dieser Band widersprachen; das Gitarrensolo bei Ton Steine Scherben muss gewissermaßen als standardisiertes Solo »zum Mitsingen« (ebd.: o.S., im Kontext des Zitats auf die Ton-Steine-Scherben-Lieder allgemein bezogen, Anm. T.H.) und eben nicht als individuelle Improvisationsleistung verstanden werden.44 Zu schnell käme der Instrumentalist nach Meinung seiner Kritiker andernfalls in den Verdacht, ein musikalisches Pendant zum Feindbild des »ausgeflippten Dichter[s]« (ebd.) zu bilden, der sich in einem elitären Gestus von der Masse abhebt. Hier lässt sich ein dogmatisches Politrock-Wir (»Wir müssen hier raus«, »Die letzte Schlacht gewinnen wir«, »Allein machen sie Dich ein« – alle Songtitel auf Ton Steine Scherben 1972) im Gegensatz zum ausgestellten Ich der Hamburger Schule und ihrer Politik des Privaten erkennen. Die von Schneider im Zusammenhang mit Diederichsens Text erwähnte »Anlehnung an die poststrukturalistische Subjektkritik« (Schneider 2008: 62) (2003d: 44) tatsächlich gelingt, einen wirklich autonomen Status zu erlangen. Vgl. hierzu auch Adorno (2003a: insbes. 136). 42 Diederichsens Essay enthält im Abschnitt zur Antivirtuosität die Zwischenüberschrift »Die Geschichte der geilen Soli« (Diederichsen 1982: 99). In einem bereits 1980 veröffentlichten Essay bezieht sich Diederichsen kritisch auf die »Anhänger schneller Gitarrensoli, technischer Perfektion und guter Anlagen. Ihre Ideologie ist die des guten Handwerks, das pure Kunst-kommt-von-Können. Sie kommen oft vom Jazz oder landen irgendwann dort« (Diederichsen 1980: 18). Vgl. hierzu auch Diederichsen (1985: 84–86). 43 Ullmaier spricht im Kontext einer »progressiven Popgeschichte« von der »[a]nti-utopische[n] Periode«, die sich durch »innere Erschöpfung der autonomieästhetischen PopEvolution« auszeichne und die sich »vom juvenil-vitalen Fundament entfernt (Bombast)« (Ullmaier 2005: 238). Vgl. hierzu auch Kemper (1999: 191f.). 44 Als beispielhaft kann das Gitarrensolo im Intro (d. h. während der ersten 25 Sekunden) von »Wir müssen hier raus« (Ton Steine Scherben 1972) gelten, in dem ausschließlich Töne der Dur-Pentatonik in standardisierten bzw. ›gelernten‹ Figuren gespielt werden. Schneider spricht in diesem Zusammenhang davon, dass die »Mitte der 1970er im Jazzrock standardisierten Gniedel- und Daddelspielweisen einen Schwammigkeits- und Beliebigkeitsgrad erreicht hatten, der sie eben nicht mehr als Inszenierung von künstlerischer Subjektivität / la Cecil Taylor dastehen ließ, sondern als ein mit dem nötigen Können beliebig abrufbares Klischee davon.« (2008: 162).
Historisierung der Hamburger Schule: Vom Popdiskurs zum Diskurspop
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suggeriert nun, dass es sich beim ›Subjekt‹ nicht um eine apriorische, sondern um eine diskursive – und damit eine dynamische und veränderbare – Größe handelt. Hinsichtlich des Diskurses um das ›Subjekt‹ erkennt Diederichsen Anfang der 1980er Jahre ein Erstarrungsmoment und markiert eben diesen Diskurs als Manifestation machtpolitischer Verhältnisse: Virtuosität, als ehemalige Bastion des Subjekts, werde zu »genormte[r] Virtuosität« (1982: 99) und eignet sich fortan nicht mehr zur »Inszenierung von künstlerischer Subjektivität« (Schneider 2008: 162). Die von Schneider zitierte Blumfeld-Textpassage (»der Staat im Staat in der ersten Person«) deutet ebenfalls in diesem Sinne auf eine Konzeption von Subjektivität hin, die sich unter normierendem Einfluss staatlicher Institutionen konstituiert und infolgedessen machtpolitische Ordnungen selbst reproduziert. Gefragt wird also nach Überbleibseln einer als ›originär‹ imaginierten Subjektivität, die sich einem normierenden, aber durchaus selbst von Subjekten durchgeführten Zugriff von außen entzieht. Der von Schneider erwähnte »Anschlag auf das ›Subjekt‹« (2008: 162) bezieht sich folglich auf die durch Normierung ›zugerichteten‹ Anteile des Subjekts. In den Blumfeld-Songs »Eine eigene Geschichte« (1994) und »Sing Sing« (ebd.) wird dieses Subjektivitätskonzept eingehender thematisiert. In »Sing Sing« erinnern der Hinweis auf den »Staat im Staat in der ersten Person« wie auch der schon im Songtitel aufgerufene Topos des Gefängnisses an Michel Foucaults Konzeption der »Mikrophysik der Macht« im Sinne eines »strategische[n] Modells« (Foucault 1977: 124), demgemäß sich »Machtbeziehungen […] zu anderen Typen von Verhältnissen (ökonomischen Prozessen, Erkenntnisrelationen, sexuellen Beziehungen) nicht als etwas Äußereres [verhalten], sondern […] ihnen immanent [sind].« (Ebd.: 115) Dabei distanziert sich Foucault vom Konzept eines monolithisch gedachten Staatsapparates, der einen normierenden und repressiven Einfluss aktiv ausübt: Die Machtbeziehungen bilden nicht den Überbau, der nur eine hemmende oder aufrechterhaltende Rolle spielt – wo sie eine Rolle spielen, wirken sie unmittelbar hervorbringend. Die Macht kommt von unten, d. h. sie beruht nicht auf der allgemeinen Matrix einer globalen Zweiteilung, die Beherrscher und Beherrschte einander entgegengesetzt und von oben nach unten auf immer beschränktere Gruppen und bis in die letzen Tiefen des Gesellschaftskörpers ausstrahlt. Man muß eher davon ausgehen, daß die vielfältigen Kraftverhältnisse, die sich in den Produktionsapparaten, in den Familien, in den einzelnen Gruppen und Institutionen ausbilden und auswirken, als Basis für weitreichende und den gesamten Gesellschaftskörper durchlaufende Spaltungen dienen. (Ebd.)45
Foucault grenzt sich hiermit von der »staatstheoretisch verengten Herrschaftskonzeption des Marxismus« (Honneth 1991: 133) ab. Entsprechend werden bei 45 Vgl. hierzu auch Foucault (1976, 2003).
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Die Hamburger Schule und die ›Sekundarität‹ der Popkultur in Deutschland
Blumfeld staatliche Repression und das von Foucault postulierte Konzept der strategischen Machtausübung gegenübergestellt. So richtet das lyrische Ich in »Sing Sing« in der Rolle eines Delinquenten – und im Modus des direkten Zitats hinsichtlich Johnny Cashs Song »San Quentin« (1969) – seine Frage, ob es sich durch einen Gefängnisaufenthalt gebessert habe, direkt an das personifizierte Gefängnis San Quentin: »San Quentin, i [sic] hate every inch of you / do you think i’ll be different when you’re through?« (Blumfeld 1994: »Sing Sing«).46 Daraufhin lautet die Antwort, auf die Abwesenheit einer souveränen Machtinstanz hindeutend: »Nein, platzt der Staat aus allen Nähten / eine Zerstreuung aus unzähligen Teilchen / die wie die Splitter eines Spiegels das ganze bewahren« (ebd.).47 Thematisiert wird also die Fragmentiertheit von Macht, deren Fiktion einer Einheit sich in jedem der »Splitter eines Spiegels« befindet und den Staat und seine Ideologie nicht mehr als eigentlich repressive Instanz agieren lassen muss.48 Die Grenzen der in diesem repressiven Sinne gedachten »Nähte«, die 46 Diese Zeilen werden unmittelbar aus Johnny Cashs Song übernommen. Er befindet sich auf einem 1969 veröffentlichten Livealbum, das bei einem Auftritt im kalifornischen San Quentin State Prison aufgezeichnet wurde. Dem Songvortrag geht ein gesprochener Text voraus, in dem sich Cash in empathischer Weise an die Inhaftierten richtet: »And I was thinking about you guys yesterday. Now, I been here three times before, and I think I understand a little about how you think about some things, it’s none of my business how you feel about some other things and I don’t give a damn how you feel about some other things. But anyway, I tried to put myself in your place, and I believe this is the way that I would feel about San Quentin.« (Cash 1969: »San Quentin«, Transkription von T.H.) Der eigentliche Songtext lautet dann: »San Quentin, you’ve been living hell to me / You’ve galled at me since 1963 / I’ve seen them come and go and I’ve seen them die, / And long ago I stopped asking why / San Quentin, I hate every inch of you / You’ve cut me and you’ve scarred me through and through / And I’ll walk out a wiser, weaker man; / Mr Congressman, why can’t you understand? / San Quentin, what good do you think you do? / Do you think that I’ll be different when you’re through? / You bend my heart and mind and you warp my soul, / Your stone walls turn my blood a little cold. / San Quentin, may you rot and burn in hell. / May your walls fall and may I live to tell. / May all the world forget you ever stood. / And the whole world will regret you did no good / San Quentin, you’ve been living hell to me« (ebd., Transkription von T.H.). 47 Vgl. zu dieser Passage auch Germann (2009: 76–78). 48 Vgl. zu diesem Komplex auch Louis Althussers 1970 erschienenen Text »Ideologien und ideologische Staatsapparate«, in dem es heißt: »Es gibt Ideologie nur durch das Subjekt und für Subjekte.« (1977: 140) Mit seiner These will Althusser verdeutlichen, dass »Sie und ich immer schon Subjekte sind und daß wir als solche ununterbrochen ideologische Wiedererkennungsrituale praktizieren« (ebd.: 141f.). Die Subjekte »›funktionieren ganz von alleine‹. Das ganze Geheimnis dieses Effekts liegt […] in der Mehrdeutigkeit des Ausdrucks Subjekt. Die geläufige Bedeutung dieses Wortes ist 1) eine freie Subjektivität: ein Zentrum der Initiative, das Urheber und Verantwortlicher seiner Handlungen ist; 2) ein unterworfenes Wesen, das einer höheren Autorität untergeordnet ist und daher keine andere Freiheit hat, als die der freiwilligen Anerkennung seiner Unterwerfung. Dieses letzte Merkmal gibt uns den Sinn jeder Mehrdeutigkeit, die nur den Effekt widerspiegelt, der sie hervorruft: das Individuum wird als (freies) Subjekt angerufen, damit es sich freiwillig den Anordnungen des SUBJEKTS unterwirft, damit es also (freiwillig) seine Unterwerfung akzeptiert und folglich
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eine zusammenhaltende Funktion erfüllten, werden gesprengt, sodass sich ein machtpolitischer Zugriff nicht mehr, wie noch bei Floh de Cologne und Ton Steine Scherben, in klar zu benennenden Repressalien kritisieren lässt, sondern gerade in der Art und Weise, wie sich normierende Konzeptionen von Subjektivität im Diskurs manifestieren lassen. Ausgegangen wird dabei von einer Konzeption von Subjektivität, die Hannelore Bublitz im Anschluss an Michel Foucault als ›modernes Subjekt‹ folgendermaßen konturiert: Die Geburt des modernen Subjekts erfolgt im Geflecht von Zeichensystemen, Machttechnologien, diskursiven und institutionellen Praktiken, die seine Subjektivierung als machtförmige Zurichtung und permanenten Selbstbezug sichern. Die Selbstrepräsentation des Menschen und die Beziehung des Subjekts zu sich selbst werden zum Fundament letzter Gewissheiten, der Mensch zum Material, an dem sich Subjektivierung mithilfe eines Unterscheidungsrasters – von Abweichung und Norm – vollzieht. (Bublitz 2008: 294)
Gemäß Foucaults Konzeption konstituiert sich das ›Subjekt‹ demnach »in Kräfteverhältnissen der Macht und als Wirkung von Macht« (ebd.). Macht sei gerade das, was das Subjekt »in seiner je spezifischen historischen und gesellschaftlichen Form […] erst hervorbringt, bildet und formt« (ebd.). Das Subjekt konstituiere sich dabei nicht nur »eingebettet in komplexe Machtverhältnisse«, sondern auch innerhalb von »historischen Produktionsverhältnissen und kulturellen Sinnstiftungsprozessen. Es ist Wirkung und nicht Urheber einer gesellschaftlichen Ordnung.« (Ebd.) Das Bewusstsein hinsichtlich eines derartigen Subjekt-Begriffs scheint in der Subjektkritik des Punk nur bedingt ausgeprägt gewesen zu sein. Dies wird deutlich, wenn Schneider von den »antivirtuosen Interventionen« (2008: 162) des Punk und Post-Punk spricht. Diese enthielten einen typischen, doppelten oder auch unausgeglichenen und unscharfen Subjektbezug. Zum einen formulierten sie eine Kritik an der Kultur des Subjekts und dekonstruierten deren ästhetische Form: das Kunstsubjekt. Zum anderen aber taten sie das im Namen des Subjektes und ihrer ganz persönlichen Subjektivität. Die Meisterschaftsästhetik der großen Leuchtgestalten-Subjekte wurde gerammt von einer Scheiß-drauf-Ästhetik der vielen nunmehr freigesetzten individuellen Ausdruckssubjekte. (Ebd.)
Schneider weist darauf hin, dass innerhalb der Punkbewegung die Möglichkeit eines »individuellen Ausdruckssubjekts« noch verhandelt wurde. Jürgen Teipel ›ganz von allein‹ die Gesten und Handlungen seiner Unterwerfung ›vollzieht‹.« (Ebd.: 148) Die Reproduktion der Verhältnisse werde »bis in den Produktions- und Zirkulationsprozeß hinein Tag für Tag im ›Bewußtsein‹, d. h. im Verhalten der Individuen-Subjekte gewährleistet« (ebd.: 149). »Die Ideologie der herrschenden Klasse« werde »weder durch die Gnade des Himmels noch durch die Tatsache der bloßen Übernahme der Staatsmacht zur herrschenden Ideologie, sondern nur durch die Installierung von ISAs [ideologischen Staatsapparaten, Anm. T.H.], in denen diese Ideologie realisiert ist und sich realisiert« (ebd.: 151).
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Die Hamburger Schule und die ›Sekundarität‹ der Popkultur in Deutschland
spricht im Vorwort der 2012 erschienenen erweiterten Fassung von Verschwende Deine Jugend in Bezug auf Punk davon, dass damals eine ganze Generation einen Ausdruck für eine bestimmte Art von Lebensenergie gefunden hatte, die normalerweise nicht so leicht zugänglich ist und die in der heutigen Gesellschaft oft viel zu kurz kommt, obwohl sie letztlich jeder anstrebt. Diese Energie könnte man Liebe nennen. Oder Zuwendung. Freude. (Teipel 2012: 11)
Weiter heißt es bei Teipel, Punk sei eine Manifestation der nackten Realität [gewesen]. Und gleichzeitig eine Möglichkeit, diese Realität zu beschreiben. Einen Ausdruck für die Gedanken und Gefühle zu finden, die durch diese Realität erzeugt wurden: Beengung, Isolation, Antriebslosigkeit, Dumpfheit etc. Natürlich hatte man als Punk auch die eine oder andere positive Gefühlsregung. Natürlich ging es bei Punk (genau wie bei den Hippies) darum, ein authentisches Leben zu führen – und dadurch wiederum zu mehr Lebensfreude zurückzufinden. Nur sprach man über so was nicht, weil mit solchen Bekenntnissen im Hippietum ja inflationär – und eben oft alles andere als authentisch – umgegangen worden war. (Ebd.)
Hier ist die Rede von »Ausdruck«, einem »authentischen Leben«, »Realität« und »Gefühl« – Begriffen also, die einer ausgeprägten Künstlichkeit entgegenstehen, wobei auch bestimmte artifizielle Strategien im Punk letztlich auf eine Intensivierung ›authentischen‹ Lebens abzuzielen scheinen. So spricht Diederichsen von einer zunächst stattgefundenen »allgemeine[n] ›Denaturalisierung‹ aller Lebensverhältnisse durch Punk« (2002: XXIII). Beispielhaft wird hier ein Bekannter Diederichsens genannt, der auf Badges »seine heterosexuelle männliche Identität mit Sprüchen wie ›Ich hasse meinen Penis‹ dissen wollte« (ebd.). Eine ähnliche Strategie wird auch von Teipel beschrieben: »Es muss Anfang 1979 gewesen sein, da hörte ich in meiner verschlafenen Kleinstadt, dass Punks einfach in Müllsäcken stecken. Sauber, glatt und total modern. Das gefühlsmäßig graue Leben konnte dem abgepackten Menschen nichts anhaben. Er war abwischbar« (Teipel 2001: 7). Eine solche Haltung der Artifizialität und Denaturalisierung, bei der die Akteure, anders als die Hippies, auf Distanz zu ihrem Körper und ihrer Natürlichkeit gehen, lässt sich in der Popmusik verstärkt zwischen Ende der 1970er und Mitte der 1980er Jahre erkennen. Aus ihr sei jedoch, so Diederichsen, eine erneute Rehabilitierung des Subjekts hervorgegangen. Aus der »dummen Negation der Maske« (Diederichsen 2002: XVIII), also der Hippie-Forderung nach authentischem Leben, wollten die Befürworter der Künstlichkeit eine »kluge Affirmation der Maske ableiten« (ebd.), ein Vorgehen, das Diederichsen mit dem »Lieblingswort der 80er : Strategie« (ebd.) in Verbindung bringt. Bei dieser strategischen Form der Affirmation habe es sich jedoch um eine Idee gehandelt, die immer noch ein heiles, normales und alt-authentisches Subjekt voraussetzt. Es maskiert sich, um heil zu bleiben, um einmal mehr – womöglich noch ungehinderter –
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souverän zu sein. Es attackiert nicht den unmarkierten Kern seiner Subjektivität, seine Normalität. (Ebd.)
Die »Affirmation der Maske« fungiert demnach als Zurschaustellung eines beschädigten Subjekts, das zu keinem originären Ausdruck mehr fähig ist, nicht virtuos sein kann und will und als ›abwischbarer Mensch‹ keinen Widerstand gegen die Zurichtungen von außen leistet (oder, wie von Teipel beschrieben, das Subjekt gegenüber dem Außen schützt). Anpassung, Konformität und Affirmation werden somit als Protest verstanden, und dieser bricht letztlich nicht mit der Vorstellung, dass seit dem Humanismus, der Renaissance, der Reformation, der Aufklärung und dem Liberalismus […] die moderne Kultur von der Idee angetrieben [wird], dass die Ablösung der traditionalen durch eine moderne Gesellschaft die Bedingungen für eine soziale Freisetzung – eine Befreiung des Subjekts aus kollektiven Bindungen – gelegt und den Raum für reflexive, rationale, eigeninteressierte, expressive Individuen geschaffen hat. (Reckwitz 2006: 9)
Dieser emanzipatorische Entwurf, so der Kultursoziologe Andreas Reckwitz weiter, sei jedoch durch die Sozial- und Kulturwissenschaften seit Ende des 19. Jahrhunderts vielfach in Frage gestellt worden, nämlich dahingehend, dass dieses moderne Subjekt selbst ein Produkt spezifischer sozial-kultureller Bedingungen darstellt, dass gerade die moderne Gesellschaft in ihrer Eigendynamik ihre Individuen transzendiert und einer spezifischen Kontrolle aussetzt: Der Einzelne avanciert zum vorgeblich autonomen, zweckrationalen oder moralischen Subjekt erst dadurch, dass er sich bestimmten Regeln – Regeln der Rationalität, des Kapitalismus, der Moralität etc. – unterwirft, diese interiorisiert und inkorporiert und sich in soziale Gefüge integriert. (Ebd.)
Unter dieser Prämisse wird, wenn Schneider die subjektkritischen Impulse von Punk mit denen Blumfelds in einen Zusammenhang bringt (wie auch in den zitierten Ausführungen Hillenkamps und Diederichsens), ein Verfahren erkennbar, das bei den Fehlfarben und später, im Kontext der 1990er Jahre in der Hamburger Schule, eine neue Artikulationsform findet: Hier verabschiedet man sich wie im Punk, Post-Punk und New Wave im Zuge eines aesthetic turn sowohl von musikalischer Virtuosität als auch von der bloßen Vertonung verbaltextlich geäußerter Propaganda, die popästhetische Formen in opportunistischer Weise appropriiert. An die Stelle letzterer Verfahren tritt eine ästhetisch ausdifferenziertere Reflexion der gesellschaftlichen Umwelt. Bei der Hamburger Schule kommt es zudem zu einer strategischen, sich abgrenzenden Positionierung innerhalb bestehender popmusikalischer Entwürfe (Virtuosität, Punk-Attitüde, PolitRock, Deutschrock etc.). Das Resultat von Punk und Post-Punk im Sinne einer neuen Perspektive für ein ›individuelles Ausdruckssubjekt‹ trifft dabei auf die
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Die Hamburger Schule und die ›Sekundarität‹ der Popkultur in Deutschland
Hamburger-Schule-Bands nur bedingt zu: Sie betonen in emphatischer und engagierter Diktion, dass ein ›Subjekt‹ als Produkt äußerer Umstände zu begreifen ist und eben nicht als eine vom Außen emanzipierte Instanz, die sich individuell und ungebrochen ausdrückt. So besteht der von poststrukturalistischer Theorie informierte Ansatz für die Hamburger-Schule-Bands darin, sich mit denjenigen Diskursen auseinanderzusetzen, die ›das Subjekt‹ konstituieren. In ebendiesem Sinne wurde zuvor von einer neuen Politik des Privaten gesprochen. Das politische Anliegen dieser Bands – und hier wird deutlich, inwiefern »Diskurspop« und »Diskursrock« (vgl. etwa Wackwitz 2003: 52) als Begriffe vielfach geeignet erscheinen, diese Strömung gegenüber Polit-Rock, Punk, Neuer Deutscher Welle etc. abzugrenzen – bezieht sich immer wieder auf die zuvor beschriebenen Formen der Disziplinierung. So formuliert Reckwitz: Die Moderne betreibt […] in ihren Institutionen und Diskursen eine konsequente, machtvolle Formierung ihrer Individuen zu Subjekten der Selbst- und Affektkontrolle, selbst dort wo freie Entscheidungen am Werk zu sein scheinen. Diese Disziplinierung ist eine Rationalisierung des Subjekts, ein Auferlegen von Standards rationalen Verhaltens, das negativ als Repression und positiv als Zivilisierung bewertet werden kann. (Reckwitz 2006: 13)
Innerhalb dieses Komplexes ist das lyrische Ich der Hamburger-Schule-Bands als textuelle Instanz aufzufassen, die diese Diskurse innerästhetisch reproduziert und reflektiert.
2.5
Neue Deutsche Welle und danach: Von der Sinnverweigerung zum Engagement
Mit der im vorigen Abschnitt herausgearbeiteten kritischen Ausrichtung der Hamburger Schule fällt es leicht, sie von der Neuen Deutschen Welle abzugrenzen, in der, trotz der heterogenen Bandbreite ihr zugeordneter Phänomene, der selbstreferentielle und ästhetisierende Umgang mit äußeren Oberflächen dominiert und in deren einschlägigen Texten sich kaum ›engagierte‹ Auseinandersetzungen mit diesen Oberflächen nachweisen lassen. Spielen beispielsweise in eng mit dem NDW-Diskurs verknüpften Werken, etwa von Ideal, Trio oder Foyer des Arts, warenästhetische Sujets eine Rolle, ohne dass ein kulturoder konsumkritischer Zugriff erkennbar wird,49 bleibt der Bezug auf bestimmte Produkte und Marken bei den Fehlfarben und auch später bei den HamburgerSchule-Bands nahezu vollständig aus.50 49 Vgl. Huber (2008: 138). 50 Vgl. Baßler (2011: 371).
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Abb. 2: Plattencover »Monarchie und Alltag« von Fehlfarben.
Verweise auf Konsumsphäre und Massenmedien werden hier konsequent mit Distanzierungen markiert. So zeigt das Plattencover von »Monarchie und Alltag« (Abb. 2) ein tristes deutsches Wohnhaus, an dessen Wand sich ein Werbeplakat mit der Aufschrift »Zehn Millionen Fernseh-Zuschauer können sich nicht irren« befindet. Hillenkamp, der in dem Cover einen kulturkritischen Protest erkennt, beschreibt es folgendermaßen: »Ein typisches 50er-Jahre-Haus, davor nur Asphalt, kein Grün; der Inbegriff proletarischer und spießbürgerlicher Enge.« (1998: 194) Diese Einschätzung erscheint zutreffend, obwohl das Vorläuferprojekt der Fehlfarben noch emphatisch ein »Zurück zum Beton« eingefordert und ein »Industrie-Mädchen« angehimmelt hatte – dies allerdings im Zuge einer strategischen Positionierung, d. h. als polemische Abgrenzung gegenüber der Hippie-, Öko- und Alternativkultur :
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Ich glaube ich träume ich seh’ nur Bäume Wälder überall ich merke auf einmal ich bin ein Tier hier […] da bleibt mir nur eins zurück zum Beton […] zurück zur U-Bahn […] da ist der Mensch noch Mensch da gibt’s noch Liebe und Glück […] Ekel Ekel Natur Natur ich will Beton pur blauer Himmel, blaue See hoch lebe die Beton-Fee keine Vögel, Fische, Pflanzen ich will nur im Beton tanzen (S.Y.P.H. 1980: »Zurück zum Beton«, transkribiert von T.H.)
In »Industrie-Mädchen« heißt es: Ich sah sie zum ersten Mal bei der Raffinerie sowas wie sie, das sah ich noch nie beim Elektrizitätswerk sah ich sie wieder vor Freude riss ich fast die Hochspannung nieder ich mag sie, ich mag sie […] Ich kam in ihr Zimmer hinterm Güterbahnhof drei Stock über, überm Hinterhof neben dem Kernkraftwerk da haben wir uns geliebt neben uns ein Gleis, der schnelle Brüter lief Ich mag sie, ich mag sie (S.Y.P.H. 1980: »Industrie-Mädchen«, transkribiert von T.H.)
In beiden Texten scheint das lyrische Ich, wenn auch im Modus der Ironie, grundsätzlich die Ideale der Alternativbewegung (»Liebe und Glück«) zu teilen, nur lokalisiert es diese in einer Welt der Betonbauten, Raffinerien, Elektrizitätsund Kernkraftwerke und stellt sich mit (prätendiertem) Fortschrittsglauben auf die Seite konservativer politischer Kräfte.51 In der Umkehrung des Jean-Jacques 51 Entsprechend bemerkt Moritz Reichelt von Der Plan: »Das war schon genau der Zeitgeist von Punk und New Wave. Ich war eben nicht technikfeindlich. Ich hatte keine Lust, in Wohnungen zu wohnen, wo alles gehäkelt war. Das war so erdrückend. Und es ging ja auch um Humor. Die Hippies waren so irre politisch korrekt. Einer ihrer Ticks war zum Beispiel der Feminismus. Das war der Hauptgrund, der mich aus dieser erdrückenden Mütterlichkeit und Häuslichkeit der Hippiegesellschaft rausgetrieben hat. Da ging es für Männer darum, ein Frauchen zu haben und zu einem gemütlichen Heim zu gehören. Das war alles so erstarrt. Das war dieses Gefühl, dass es zu viele Themen gibt, über die man nicht sprechen kann.
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Rousseau zugeschriebenen Diktums »Zurück zur Natur« nimmt das lyrische Ich hinsichtlich der Betonwelt den vermeintlich paradoxen Standpunkt »da ist der Mensch noch Mensch« ein und sieht sich geradezu bedroht von zu viel Natur und Naturschützern. Dies bewirkt eine doppelte Provokation: 1. Die Alternativbewegung wird indirekt als eigentlich regressive Strömung markiert, innerhalb derer technische Errungenschaften, die in der Argumentation des Songs ein Menschsein überhaupt erst ermöglichen, rückgängig gemacht werden sollen. 2. Die Ideale der Alternativbewegung werden ad absurdum geführt, indem sie ausgerechnet mit derjenigen Sphäre verknüpft werden, die von ihr bekämpft wird.52 Bezieht man diesen Komplex auf den Polit-Rock der 1970er Jahre, lässt sich erkennen, dass schon Floh de Cologne zehn Jahre früher auf dem Album »Fließbandbaby’s Beat Show« ein motivisch ähnliches Szenario entwerfen, das jedoch mit gänzlich unterschiedlichen politischen und ideologischen Implikationen, nämlich orthodox-marxistischen, operiert. Die Verbindung von politischer Analyse und Pop verläuft hier – anders als bei S.Y.P.H. – auf vollkommen unironische Art und Weise: Fließbandbaby, manchmal träum ich von der Fabrik, in der Du arbeiten musst. Dann sehe ich Dich zwischen tausend anderen Fließbandbabys stehen. Fließbandbaby, manchmal träum ich von der Fabrik, in der Du arbeiten musst. Ein Straßenfließbandnetz spinnt sich um Euch, das fließt um fünf direkt zum Supermarkt. Ein Superfließband schüttet Wunscherfüllung in Dosen in den Einkaufskorb. Ein Kassenfließband frisst den Tageslohn Wenn du 1977 gesagt hast: ›Ich finde Hochhäuser gut‹, dann warst du reaktionär. Beton. Plastik. Alles verboten. Ich hatte ein Set mit tollen amerikanischen Plastiktassen aus den 60er Jahren. Daraus habe ich gerne getrunken. Aber ich wurde immerzu von Leuten angesprochen, wieso ich denn Plastik hätte. Das sei doch eklig. Aber ich war immer der Meinung: ›Es kommt darauf an, was man daraus macht.‹ ›Beton ist, was man daraus macht‹ – das wurde dann ja der Slogan der Betonindustrie. Ist auch logisch. Beton ist ja nicht von vornherein ein böser Werkstoff.« (Teipel 2001: 83) Vgl. hierzu auch Teipel (2012: 108f.). 52 Vgl. hierzu auch Hornberger (2011: 225–227). Diedrich Diederichsen, grundsätzlich auf der Seite der scheinaffirmativen New Waver anzusiedeln, macht auf progressive Aspekte im Selbstverständnis der Alternativbewegung aufmerksam: »Natur war das bevorzugte Terrain derjenigen Hippies und Nachfolger, die den psychedelischen Weg beschritten. Ihr postpolitisches Weiter beinhaltete die Überwindung der Städtezivilisation und sollte sein dem angestrebten tibetanischen Bewußtseinsstand entsprechendes Weiter in der unberührten Natur finden. Wohlgemerkt war dies vom Ansatz her kein Zurück, sondern ein Weiter zur Natur. Obwohl der etymologische Einwand richtig ist: Natur kommt von Geburt und allem, was damit zu tun hat, ihr haftet allein wegen des Wort-Sounds etwas zutiefst Regressives an.« (Diederichsen 1985: 79).
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und klebt Dir Rabatt in Marken vor den Kopf. Fließbandbaby, manchmal träum ich von der Fabrik, in der Du arbeiten musst. Fließbandbaby, manchmal träum ich von der Welt, in der Du leben musst. (Floh de Cologne 1970: »Fließbandbaby, manchmal träum ich«, transkribiert von T.H.)
Wie in »Industrie-Mädchen« beziehen sich diese Zeilen auf ein industriell-kapitalistisches Setting. Die männliche Stimme vollzieht eine Solidaritätsbekundung gegenüber einer (vermutlich gleichaltrigen, denn die Verwendung des Begriffs ›Baby‹ suggeriert, dass es sich um eine junge Frau handelt) Fabrikarbeiterin, die mit ihren Kolleginnen in konformer und monotoner Weise Fließbandarbeit verrichtet und von ihrem Lohn im Supermarkt Lebensmittel einkauft. Da sich das lyrische Ich auf die »Welt, in der Du leben musst« bezieht – nicht auf die, in der wir leben müssen – spricht es die spezifische Situation junger Arbeiterinnen an. Im Unterschied zu S.Y.P.H. wird hier konsumistischer und technischer Fortschritt nicht bejaht, sondern als eine automatisierte, technisierte und entfremdete Konsum-Dystopie dargestellt. Die hier beschriebene Gesellschaft scheint nicht fähig zu sein, die Menschen (insbesondere die weiblichen) glücklich zu machen bzw. ihnen ein Leben in Mündigkeit zu ermöglichen. Nicht umsonst enthält der Song eine musikalische Referenz auf Beethovens Komposition »Für Elise«, womit Floh de Cologne ihren Song indirekt einer Frau widmen, deren trostloses Leben im Kapitalismus betrauert wird. Dies wird durch die Tatsache bekräftigt, dass sowohl »Für Elise« als auch »Fließbandbaby, manchmal träum ich« in einer Moll-Tonart stehen. Die Abwesenheit von Ironie kommt dabei dadurch zum Tragen, dass weniger Distanz zur kapitalistischen Wirklichkeit besteht – in »Industrie-Mädchen« fungierte sie tatsächlich nur als groteskes Setting für eine Liebesszene; in »Fließbandbaby, manchmal träum ich« ist die weibliche Fabrikarbeiterin unmittelbar in den Produktionsprozess eingebunden. Gegenüber den beiden zitierten S.Y.P.H.-Songs und Floh de Colognes »Fließbandbaby« haben die Fehlfarben das orthodox-marxistische, teilweise aber auch das ironische Moment abgelegt: Die Betonwelt bildet einen Gegenstand der Kritik, wird aber nicht mehr im Zuge einer Gegnerschaft zur Alternativbewegung instrumentalisiert. Das Plakat auf dem Covermotiv von »Monarchie und Alltag« zeigt ein auf einem Sofa sitzendes, sich über das Fernsehprogramm amüsierendes Paar. Der trostlose Alltag (Haus) wird dem propagandistischen Plakat nebengeordnet, das insofern auf eine Art Monarchie verweist, als es die totalitäre Ausmaße annehmende Reichweite des Fernsehkonsums thematisiert. Strenggenommen handelt es sich hier natürlich um eine Kultur- und Kapitalismuskritik, innerhalb derer »Monarchie« metonymisch als »Alleinherrschaft« auf einen Mangel an Demokratie hinweist.
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Das Plakat übernimmt dabei Verweisfunktionen auf mehreren Ebenen: Zunächst verweist es innerhalb der Diegese des Covers darauf, wie es im Inneren des Hauses vermutlich aussieht oder, vom ideologischen Standpunkt des Plakats ausgehend, idealerweise aussehen sollte. Überdies bildet es die Konformität der real existierenden Rezeptionsseite ab, sodass die Fehlfarben im Zuge dieser Kritik an dem Massenmedium Fernsehen ihre eigene Musik inmitten einer Gesellschaft verorten, die einen nicht geringen Anteil gut gelaunter, aber eben konformer und unkritischer Fernsehzuschauer ausmacht. Eine Kritik an derartiger Konformität innerhalb der Konsumgesellschaft findet sich, diesmal in Ähnlichkeitsbeziehung zur Fehlfarben-Haltung, auch schon im S.Y.P.H.-Song »Lachleute & Nettmenschen«: Den Geschmack unserer Generation den kenne ich sehr lange schon den Duft der großen, weiten Welt der mir überhaupt nicht gefällt Lachleute und Nettmenschen um mich herum […] sie essen, trinken und kichern dumm Lachleute und Nettmenschen um mich herum Fassade, Fassade, alles nur Fassade Glück und Marlboro für jeden, für jeden Ich kann es nicht mehr sehen (S.Y.P.H. 1980: »Lachleute & Nettmenschen«, transkribiert von T.H.)
Hier erscheint bemerkenswert, dass sich das diskutierte Plakat auf dem »Monarchie und Alltag«-Cover auch an einer Hausfassade befindet – somit verbleiben das abgebildete »Glück« und die Fröhlichkeit durch Konsum an der Oberfläche und lassen nicht notwendigerweise Rückschlüsse auf den eigentlichen Zustand der abgebildeten Fernsehzuschauer zu. Auch bei ihnen handelt es sich um »Lachleute und Nettmenschen«, die der ›Monarchie‹ des Fernsehens zum Opfer fallen. Dabei wird die besondere Qualität des Fernsehens nicht mit Sachargumenten, sondern lediglich durch die Quantität der Fernsehzuschauer hervorgehoben – ein Aspekt, der für die Band letztlich auch in Bezug auf das massenmedial vertriebene und unter hohem finanziellen Aufwand produzierte Album »Monarchie und Alltag« (EMI) virulent wurde. Insofern bewegen sich die Fehlfarben mit weniger Distanz in der Welt der »Lachleute und Nettmenschen« wie auch in der ›Betonwelt‹ als noch zu S.Y.P.H.-Zeiten – diesmal nicht (oder zumindest nicht nur) in Gegnerschaft zu dieser Sphäre oder im Zuge einer ironischen Affirmation wie in »Zurück zum Beton« und »Industrie-Mädchen«, sondern ein Stück weit auch als Teil von ihr.53 53 Mit dieser These möchte ich nicht ausschließen, dass »Zurück zum Beton« und »IndustrieMädchen« auch, wie Harry Rag und Thomas Schwebel als Autoren der Songs in Teipel (2012:
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Die Hamburger Schule und die ›Sekundarität‹ der Popkultur in Deutschland
Abb. 3: Plattencover »L’Etat et Moi« von Blumfeld.
108f.) andeuten, als aufrichtige Affirmation im Sinne einer, wenn auch sehr überzeichneten, Großstadtromantik gelesen werden können.
Historisierung der Hamburger Schule: Vom Popdiskurs zum Diskurspop
Abb. 4: Plattencover »50,000,000 Elvis Fans Can’t Be Wrong« von Elvis Presley.
Abb. 5: Plattencover »100,000,000 Bon Jovi Fans Can’t Be Wrong« von Bon Jovi.
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Die Hamburger Schule und die ›Sekundarität‹ der Popkultur in Deutschland
Abb. 6: Plattencover »50,000 Fall Fans Can’t Be Wrong« von The Fall.
Abb. 7: Plattencover »All Shook Up (A Reggae Tribute To The King)«.
Historisierung der Hamburger Schule: Vom Popdiskurs zum Diskurspop
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So wird ein eher empathischer Zugriff auf die zuvor radikal verurteilten »Lachleute und Nettmenschen« erkennbar, der sich auf den gemeinsamen Untertanen-Status unter ›monarchistischen‹ Bedingungen beruft. In dem Bewusstsein, dass es im Zuge dieser Kritik kein Außen von ›Monarchie‹ und ›Alltag‹ gibt, ließe sich das Cover durchaus als Vorläufer der ›Hamburger‹ Kritik lesen: Auch Blumfelds Cover von »L’Etat et Moi« (Abb. 3) enthält vergleichbare Bezüge zu den Massenmedien. Zitiert wird das Cover »50,000,000 Elvis Fans Can’t Be Wrong« (Presley 1959, Abb. 4) und damit auch die rhetorische Figur des Plakats auf dem Fehlfarben-Cover.54 Dadurch, dass die Elvis-Köpfe durch Passfotos von Mitgliedern und Freunden der Band ersetzt werden, wird dem Originalcover ein Vorbehalt entgegengebracht. Auch wird das Motiv der Monarchie bei Blumfeld zwar nicht wörtlich zitiert, ist aber als semantisches Feld doch durch den Elvis-Bezug (der king) und durch den abgeänderten Ausspruch Ludwigs des XIV. (»L’etat c’est moi«) präsent. Wie bei den Fehlfarben finden Elemente, die auf Massenkultur hindeuten, Einzug in das jeweilige Cover. Die massenmediale Bedingtheit des Produkts wird durch das Zitat offen ausgestellt, wobei ihr mit der Collagetechnik gleichzeitig etwas ›Eigenes‹, Unabhängiges entgegengestellt wird. Dies zeugt von einer kritisch-engagierten Auseinandersetzung mit dem Kontext der Massenmedien, die weder orthodox-marxistische – d. h. radikal in Distanz zur Popkultur tretende – noch unengagiert-ironische Züge trägt. Nimmt man dagegen einschlägige Textverfahren der Neuen Deutschen Welle in den Blick, so wird erkennbar, wie eine derartig differenzierte, kritische und engagierte Auseinandersetzung mit dem Entstehungskontext des eigenen Wer54 Das »50,000,000 Elvis Fans Can’t Be Wrong«-Cover wird innerhalb der Popkultur vielfach zitiert, etwa in den Cover-Designs von Bon Jovi (2004, Abb. 5), Elvis Costello (1977b, mit Bezug auf das Cover von 1977a), Lemmy, Slim & Danny B. (2000), Phil Ochs (1970), Soulwax (2005), Rod Stewart (1983), The Dino Martinis (2000), The Fall (2004, Abb. 6) und V.A. (2006, Abb. 7), wobei in den meisten Fällen Elvis Presleys Gesicht und/oder Körper sowie (im Titel) dessen Name durch den des zitierenden Künstlers ersetzt wird. Nur bei Blumfeld wird die Elvis-Figur bzw. deren Gesicht auch durch andere Personen als die Bandmitglieder ersetzt. Im Februar 2012 wurde das Motiv prominent in der deutschlandweiten Werbekampagne für die Fernsehsendung »Germany’s Next Topmodel« mit dem Slogan »Gold für Deutschland« aufgegriffen. Wiedererkennbares Element war die mit Goldfäden durchzogene Textilie Lam8, die sowohl in Elvis’ Anzug der Schneiderei Nudie’s of Hollywood (vgl. Curtis 1987: 24; Beard/ Arndt 2001: 72) als auch in den Kleidern der auf dem Plakat abgebildeten Models verwendet wurde. Auf dem Plakat der »Germany’s Next Topmodel«-Kampagne sieht man im Hintergrund 22 Anwärterinnen auf den Supermodel-Titel, im Vordergrund – in der Funktion der deutlich größeren Elvis-Figur des Originals und mit markanter Beckenstellung (the pelvis) – steht Heidi Klum, die sich in der Sendung entsprechend als autoritäre ›Herrscherin‹ (the king), bisweilen sogar als »Scharfrichterin« (Kaiser 2009: o.S.; Wübben 2009: o.S.) inszeniert. Die Assoziation mit dem »50,000,000 Elvis Fans Can’t Be Wrong«-Motiv erscheint hier auch insofern passend, als die Casting-Show gleichsam auf das Heranzüchten von HeidiKlum-Klons abhebt.
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kes ausbleibt. So wird etwa in »Angriff auf ’s Schlaraffenland« (Die Radierer 1980) eine regelrechte Verweigerung gegenüber ernsthafter politischer Auseinandersetzung deutlich. Im gleichen Erscheinungsjahr wie »Monarchie und Alltag« werden hier Bezüge zu politischen Ereignissen hergestellt, wenn es heißt »Hello, Tower, hier ist Starfighter CBW7, ready for take-off, over […] / ich flieg hier in meinem Jet. / Klappen auf, zwo, drei, Napalm raus […] / Das Schlafraffenland brennt« (ebd., transkribiert von T.H.). Das lyrische Ich steuert einen Napalmbomben abwerfenden Kampfjet, wodurch sowohl Assoziationen zum Korea- und Vietnamkrieg wie auch zur jüngeren bundesrepublikanischen Geschichte (Starfighter-Affäre, NATO-Doppelbeschluss) entstehen. Darüberhinaus kommt es zur Lokalisierung in der westlichen Marktwirtschaft, indem Produkte aus dem Süßigkeiten-Bereich wie Salinos und Gummibärchen aufgezählt werden, welche dann aber wieder durch das Setting »Schlaraffenland« der real existierenden gesellschaftspolitischen bzw. marktwirtschaftlichen Sphäre enthoben werden. Gekämpft wird nicht etwa um Öl, einen territorialen oder religiösen Konflikt, sondern um Süßigkeiten: »Gummibärchen für die Heimat / Eis, Salinos und Krokant / müssen wir uns alles holen / Angriff aufs Schlaraffenland […] / Dass sie jetzt da unten brennen, […] / ja, das ist nur die gerechte Strafe, / denn sie wollten uns nichts geben« (ebd.). Die Verbindung zwischen soziopolitischer Realität und entsoziologisierter Phantasiewelt wird also durch eine fiktive »Süßwarenkrise« hergestellt, die durch »die Bundeswehr« (ebd.) gelöst wird.55 »Angriff auf ’s Schlaraffenland« lässt sich dabei weniger als Verhöhnung der Bundeswehr und auch nicht als Kritik an Kriegseinsätzen lesen, plausibler erscheint die Verweigerung gegenüber jeglichem politischen Engagement. Auch wenn einschlägige Stichworte aus der Tagespolitik fallen, werden diese aus einem faktualen Kontext stammenden Zeichen dekontextualisiert. Ein impliziter Protest richtet sich freilich (wie schon in S.Y.P.H.s »Zurück zum Beton«) gegen die Alternativ- bzw. Friedens- und Ökobewegung der frühen 1980er Jahre, kommt es bei den Radierern doch zu einer, wenn auch ironischdistanzierten, Affirmation von Kriegseinsätzen (»danke, danke, Bundeswehr«, ebd.) und einer klamaukigen Abgrenzung zur Sphäre des Natürlichen (»wir sind doch keine Schafe«, ebd.). Das zeigt sich schon daran, dass der Song einen Krieg um aus dem Blickwinkel der Ökobewegung ›wertlose‹ Süßigkeiten ersinnt – um das Gegenteil ›wertvoller‹ Vollkornprodukte wie dem paradigmatischen Müsli gewissermaßen. Auch der Bandname »Die Radierer« weist in diesem Sinne auf das destruktive Programm der Band hin, die reformistischen Bestrebungen der Alternativbe55 Diese Verbindung wird ganz ähnlich in Nenas Song »99 Luftballons« (1983) eingegangen, in dem 99 auf dem Weg zum Horizont befindliche Luftballons Auslöser für »99 Jahre Krieg« sind.
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wegung in einem vermeintlich radikalen Gestus rückgängig zu machen, sprich: jegliches Engagement auszuradieren. Das Engagement der Alternativbewegungen wird somit durch Ironie, Infantilismus, Dekontextualisierung und Künstlichkeit ins Lächerliche gezogen. Als ›kritisch‹ können die Textverfahren der Neuen Deutschen Welle allenfalls dort verstanden werden, wo die ästhetische Mittelmäßigkeit politisch engagierter Alternativbewegungen angegriffen wird. Ähnlich anti-engagiert gehen auch Foyer des Arts (Max Goldt und Gerd Pasemann) auf ihrem Album »Von Bullerbü nach Babylon« (1982) in »Hubschraubereinsatz« vor. Handtaschenräuber, Handtaschenräuber überall, überall Handtaschenräuber. Da hilft nur noch Hubschraubereinsatz, Hubschraubereinsatz. Scheinasylanten, Scheinasylanten, überall, überall Scheinasylanten. Da hilft nur noch Hubschraubereinsatz, Hubschraubereinsatz, Hubschraubereinsatz. Auf das Podest vor dem öffentlichen Amt tritt ein namhafter Mann, allen bekannt, und bedauert anhand gewandter Worte und eines Mikrofons die Abnahme der Sicherheit im innerstädtischen Bereich und den damit verbundenen Verlust der Aufenthaltsqualität im gesamten City-Gebiet. Und so ist das Gebot der Stunde, und das befürworten die Menschen im Lande, insbesondere Sie, meine Damen, Hubschraubereinsatz, Hubschraubereinsatz. […] Handtaschenräuber, Handtaschenräuber, überall, überall Handtaschenräuber. Da hilft nur noch Hubschraubereinsatz, Hubschraubereinsatz. Scheinasylanten, Scheinasylanten, überall, überall Scheinasylanten. Da hilft nur noch Hubschraubereinsatz, Hubschraubereinsatz (Foyer des Arts 1982: »Hubschraubereinsatz«, transkribiert von T.H.)
Der Song stellt politische Sujets aus, indem er Versatzstücke eines innenpolitischen Diskurses collagiert. Er lässt sich als Parodie der bürgerlichen Parteien und des Bedürfnisses ihrer Klientel nach verschärfter Sicherheitspolitik lesen. Im Chor des Songs bemühen Foyer des Arts entsprechende Rollenklischees, wenn die sich über zu viele »Handtaschenräuber« und »Scheinasylanten« beklagenden weiblichen Vertreterinnen dieser Klientel nachgeahmt werden und
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daraufhin die männliche Lead-Stimme mit der Forderung nach »Hubschraubereinsatz« eine Maßnahme zur Problemlösung präsentiert. Auch in »Wissenswertes über Erlangen« (Foyer des Arts 1982) kommt es zu einer »Verteilung der Texteinheiten auf Rollen« (Hornberger 2011: 160), die auf mehreren Stücken des Albums »Von Bullerbü nach Babylon« in einer Art Mimikry der bürgerlichen »schwatzenden Damenwelt« (Foyer des Arts 1982, Innencover) mündet – so etwa auch in »Wolfram Siebeck hat Recht« (Foyer des Arts 1982) als Gespräch zwischen »Frau Urban« und »Frau Dr. Biermann« (vgl. ebd.: Innencover). Wenn Tom Holert im Kontext popästhetischer Verfahren von Affirmation als »Umarmung des Gegners« (1999: 26) spricht, trifft dies bei Foyer des Arts nur bedingt zu, denn die hier imitierten Vertreterinnen des Bürgertums können kaum als ernstzunehmende (politische) Gegner begriffen werden. Sie dienen vielmehr als Material für ein dekontextualisierendes Verfahren, in dem ein Element aus seinem angestammten Zusammenhang gerissen und in einen neuen eingefügt [wird], auf daß es zu schillern beginne. Es ist dies auch eine Methode, das Verschmähte, Abgelehnte oder Depotenzierte positiv zu besetzen. Dem abgeschmackten Streicherarrangement eine neue Würde zu verleihen. (Ebd.: 27)
Den zitierten Versatzstücken aus der Welt des Bürgertums wird allerdings weder eine neue Würde verliehen, noch werden sie Gegenstand einer aufrichtigen Kritik. So konstatiert Moritz Baßler, hier in Bezug auf den Prosaautor Max Goldt, dieser sei (was m. E. in gleichem Maße auf Goldts Foyer-des-Arts-Lyrics zutrifft) »kein Jäger, sondern ein Sammler« und dabei »nicht auf der Suche nach besonders ausgefallenen Fundsachen […] oder besonders fälligen Opfern« (Baßler 2005c: 20), vielmehr sei »seine Satire, wenn das denn überhaupt der treffende Ausdruck ist, eher liebevoll als beißend, vernichtend ist sie nie. Was daran liegt, daß die Gegenstände seiner Kritik ja zugleich die Bausteine seines Textes sind« (ebd.). Ferner stellt Baßler fest, Goldts ›Kritik‹ bewege sich »mit vollem Bewußtsein innerhalb der fremden und eigenen Sprachspiele und bezieht daraus ihre Pointen« (ebd.), hier gebe es »keinen archimedischen Punkt, von dem aus die Stimme der Kritik sprechen, keine puristische Norm, auch keine In- oder Pop-Sprache, die ihr Telos sein könnte. Für das Gelingen der Kritik gibt es keinen anderen Maßstab als – jedes Mal neu – das Gelingen des eigenen Textes.« (Ebd.) Entsprechend findet in »Wissenswertes über Erlangen«, und »Hubschraubereinsatz« (beide Foyer des Arts 1982) eine ästhetische Auseinandersetzung mit Versatzstücken aus der Sphäre des Bürgerlichen statt, die zum Stilmittel Foyer des Arts’ wird. Das Zitieren des bürgerlichen Werte-Kosmos erzeugt in »Wissenswertes über Erlangen« ein Archiv allgemeingültiger Phrasen, die innerhalb eines popavantgardistischen, gleichsam dadaistisch anmutenden Modus ästhetisch produktiv gemacht werden, wobei die Sinnverweigerung gerade nicht aus einer
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avantgardistischen Sphäre herbeizitiert wird. So schwärmen die in »Wissenswertes über Erlangen« versammelten weiblichen Stimmen, im Innencover der LP als »Touristinnenchor« und »Schwatzende Damenwelt« bezeichnet, von Erlangen als Stadt mit »modernen Bauten / und dennoch traditionsbewusst« (Foyer des Arts 1982). Über die »jungen Leute aus Iserlohn« heißt es, sie seien »immer so gepflegt. Sicher Jeanshosen, das haben sie heute alle. Da hat man ja nichts gegen, aber sauber« (ebd.). Hier lässt sich die Kritik an einer in ausgestellte Liberalität verpackten Forderung nach Angepasstheit bzw. Angemessenheit erkennen: Das Stadtbild darf nicht nur modern bzw. nur traditionell daherkommen, angemessen erscheine eine Mischung aus Tradition und Modernität. Die Jeans hat sich auf breiter Front durchgesetzt, sodass es auch im bürgerlichen Diskurs nicht mehr angemessen erscheint, sie abzulehnen. Dennoch wird die als störend empfundene Allgegenwärtigkeit des einstigen Symbols für Jugendlichkeit, Rebellion und sexuelle Freiheit56 mit dem Zusatz relativiert und domestiziert, es handle sich um »saubere« Exemplare einer »Jeanshose« (ebd., Herv. T.H.). Ähnlich lässt sich eine erzwungene Bejahung von Modernität auch in »Trends« (Foyer des Arts 1982) erkennen. In diesem Song erleben die Stimmen der bürgerlichen Sphäre die Auseinandersetzung mit Trends als bedrohlich, nicht etwa als lustvoll oder anregend; zu deren Befürwortung sehen sie sich aber offenbar verpflichtet. So heißt es in vorwurfsvollem Tonfall: »Das ist der Trend jetzt / das tut man neuerdings so […] / das ist jetzt üblich […] / das ist jetzt hochaktuell« (ebd.). Die Ernsthaftigkeit der möglichen Kritik Foyer des Arts’ (etwa an zu viel Konformität) wird jedoch sogleich durch diejenigen Beispiele abgeschwächt, die zu Trends erklärt werden: Diese nämlich lassen sich mit den landläufigen Kriterien für Trendhaftigkeit – Innovation, Originalität und Manifestation gesellschaftlichen Wandels – gar nicht erfassen (»Es besteht wieder Meldepflicht«, »Keramikvasen gehen jetzt wieder viel leichter kaputt«, »Die Äpfel werden wieder birnenförmiger«, ebd.), sind zu allgemein formuliert, um aussagekräftig einen Trend zu bezeichnen (»Die Moral hat sich geändert«, »Wortwechsel sind jetzt weniger gefragt«) oder auf faktischer Ebene im historischen Entstehungskontext Anfang der 1980er Jahre schlechthin nicht zutreffend (»Gitarrensolos erobern sich die Rockmusik zurück«, »Man trägt wieder Paradebeutel«). So lassen sich die Foyer-des-Arts-Songs »Hubschraubereinsatz«, »Wolfram Siebeck hat Recht«, »Wissenswertes über Erlangen« und »Trends« als ästhetische Auseinandersetzung mit den beschriebenen Konformitätsdiskursen beschreiben, nicht aber als engagierte Kritik. Die Gesangsvorträge der genannten 56 Vgl. hierzu etwa das von Andy Warhol gestaltete Coverdesign der LP »Sticky Fingers« (The Rolling Stones 1971, Abb. 8).
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Die Hamburger Schule und die ›Sekundarität‹ der Popkultur in Deutschland
Abb. 8: Plattencover »Sticky Fingers« von The Rolling Stones.
Songs zeichnen sich durch eine skandierende, abgehackte, gleichsam ›angepasste‹ Rhythmik aus: Es dominieren gerade Viertel- und Achtelnoten in rhythmischem Unisono mit dem Beat. Es herrscht also gesangliche Rhythmik vor, die einem freien, individuellen Vortrag entgegensteht und sich dem zugrunde liegenden Beat anpasst. So kann Affirmation bzw. Konformität hier auch auf formaler Ebene als Reaktion auf Individualisierung und kritisches Bewusstsein verstanden werden, als prätendierte und ästhetisierte Affirmation der Masse bei gleichzeitiger Verweigerung gegenüber Kritik und Engagement. Die ironische, ästhetisierte und damit in ihrer appellativen Funktion relativierte Forderung nach »Hubschraubereinsatz« und der Bejahung von »Trends« bietet wiederum den engagierten linkspolitischen bzw. friedensbewegten Kräften genügend Anhaltspunkte, diese zumindest formal als politisch bedenkliche Affirmation zu verstehen. Ähnlich wie Die Radierer in »Angriff auf ’s Schlaraffenland« machen sich Foyer des Arts durch Ironie, Dekontextualisierung und Affirmation über Bürgerlichkeit und parlamentarisches System lustig. Durch das Ausbleiben von
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kritischen oder engagierten Haltungen wie auch durch das bloße ›Sampling‹ und das Ausstellen von Material aus der bürgerlichen Sphäre wird zugleich eine Provokation gegenüber emanzipatorischen Haltungen plausibel. Zieht man dazu den Albumtitel »Von Bullerbü nach Babylon« in Betracht, liefern die Foyerdes-Arts-Songs genügend ›Unschärfe‹, um sie als Abgrenzung sowohl gegenüber Babylon (metonymisch für Kapitalismus, Status Quo) als auch gegenüber Bullerbü (Friedensbewegung, Naivität, Glaube an eine bessere Welt) zu verstehen. Sie stehen, wie auch »Angriff auf ’s Schlaraffenland«, exemplarisch für Texte der Neuen Deutschen Welle, die die »Simplizität politischer Weltbilder, den Nonsens der Alltagskommunikation, die Stupidität der Werbesprache« (Mellmann 2005: 260) entdecken und hierin einen »Materialvorrat für neuartige Textcollagen und Katachresen« (ebd.) finden. Am Beispiel von Foyer des Arts und Die Radierer wurde gezeigt, wie sich diese der Neuen Deutschen Welle zugeordneten Gruppen (wie auch etwa Ideal und Trio) durch Künstlichkeit, Ironie und ›anti-engagierte‹ Texte von der politisierten und sozial engagierten Rockmusik der 1970er Jahre (Ton Steine Scherben, Floh de Cologne) absetzen. In Bezug auf dieses Spannungsfeld wurde schon erwähnt, dass sich die Fehlfarben für die exemplarische Rekonstruktion eines idealtypischen NDW-Programms nicht eben eignen, auch wenn sie als Bestandteil des durchaus breiten Spektrums an mit dem Begriff »Neue Deutsche Welle« assoziierten Phänomenen verstanden werden können. Die Fehlfarben unterscheiden sich wie die Hamburger-Schule-Bands durch ihren kritischen Anspruch von den oben diskutierten Vertretern der Neuen Deutschen Welle.57 Hier stehen beide wiederum mit den Polit-Rock-Bands der 1970er Jahre in Verbindung, deren analytischen Zugriff auf die Gesellschaft (inklusive des agitatorischen Programms) sie gleichwohl nur bedingt teilen. Denn sowohl Fehlfarben als auch die Bands der Hamburger Schule verfolgen einen komplexeren Ansatz, der die Songs stärker als ästhetische Produkte und weniger als reines 57 Eine ›Zwischenstation‹ auf dem Weg von NDW zur Hamburger Schule stellt die Bad Salzufler Szene um das Label Fast Weltweit dar. In einem programmatischen Infotext des Labels von 1988 (abgedruckt in: Baßler/Gödden/Grywatsch/Riesenweber 2008: 22f.), in dem man sich zunächst positiv auf den Erfolg deutschsprachiger Songtexte durch die Neue Deutsche Welle bezieht, wird zugleich Kommerz- und Hedonismuskritik an dieser Strömung geübt, ohne dass die theorielastige Kritik der späteren Hamburger-Schule-Texte hier schon auszumachen wäre – dies in zitathaftem Verweis auf den schon weiter oben diskutierten konsumkritischen Song »Lachleute und Nettmenschen« (S.Y.P.H. 1980). In Bezug auf das Jahr 1982 heißt es in dem Fast-Weltweit-Text: »Die Neue Deutsche Welle regiert das Land. Alles merkt, deutsch ist singbar, Deutsches kann Erfolg haben. Aber wer hat letztendlich Erfolg? Fräulein Menke, UKW, Extrabreit, kurz, der typisch deutsche Holzhammerhumorpop, kurz, das ewige Diktat der Lachleute und Nettmenschen. […]. Zu kurz kommen Eigenständigkeit, musikalische Originalität, Liedkunst, Wortkunst, zu kurz kommen andere Stimmen, als die, die nur Spaß haben wollen. Gewinner sind natürlich das schnelle Geld, Erfolg um jeden Preis.« (Ebd.: 22).
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Kommunikationsmittel begreift. Dieser neue Ansatz kann als ›politisch‹ erachtet werden, insofern hier nicht nur politische Forderungen erhoben werden, sondern in höherem Maße als bei Ton Steine Scherben, Floh de Cologne und anderen Polit-Rock-Bands reflektiert wird, wie sich Musik, Verbaltexte und Konstruktionen von ›Subjektivität‹ (auf literarischer Verfahrensebene repräsentiert durch ein spezifisch konzipiertes lyrisches Ich) in Wechselwirkung mit ihrem Kontext konstituieren, wie in den folgenden Kapiteln ausführlich aufgezeigt wird. Die marxistische Kapitalismuskritik des Polit-Rock wird so auf einer differenzierten und dennoch engagierten Ebene ausgetragen, was sich im Fall der Fehlfarben an einer Zurücknahme von Wirklichkeitsreferenzen erkennen lässt: Katja Mellmann weist im Zusammenhang mit dem Albumtitel »Monarchie und Alltag« auf das Fehlen einer »politische[n] Realentsprechung« (Mellmann 2005: 259) beim Begriff »Monarchie« hin, und zwar im Unterschied zum britischen Punk und New Wave und deren einschlägigen Songtiteln wie »God Save the Queen« (vgl. ebd.). Der Begriff »Monarchie« sei somit »deutlich auf seinen symbolischen Gehalt als bloßes Stichwort oder Erkennungszeichen reduziert« (ebd.), sodass ein »Paradigma des auf eine bestimmte Gesellschaftsform gerichteten ›Protestliedes‹« (ebd.), wie es etwa bei Floh de Cologne zu finden ist, nicht plausibel erscheint. Dieser eingeschränkte gesellschaftliche Bezug im Sinne konkreter politischer Aktion lässt sich dadurch erklären, dass vor allem das ›Subjekt‹ innerhalb der Gesellschaft, sowie dessen Konstitution in ihr und durch sie, im Mittelpunkt des Interesses steht. Wo der Begriff »Monarchie« also abstrakt auf eine Herrschaftsform verweist, die eine bestimmte Subjektivität abseits des Kollektivgedankens der 68er-Generation hervorbringt, liefert der zweite Begriff des Albumtitels (»Alltag«) laut Mellmann eine konkrete Selbstbeschreibung als »im Umkreis von deutschem Punk und NDW ubiquitäre[s] semantische[s] Feld von ›grauem Alltag‹, Langeweile und Monotonie« (ebd.). Auch in Bezug auf diesen Monotonie-Topos, den Mellmann als dominantes Motiv im NDW-Kontext beschreibt, kommt es bei den Fehlfarben zu einem kritisch-engagierten Zugriff. Dieser Topos entfaltet sich weniger in spielerischironischer und affirmativer Art und Weise anhand von Warenwelt und Populärkultur wie beispielsweise in Ideals »Monotonie« (1981). Letzterer Song zitiert diverse Marken- und Produktnamen (»Campari«, »Bitter Lemon«, »Bikini«) wie auch musikalische Pop-Klischees, und auch der im deutschen Schlager geprägte Südsee-Topos (»Monotonie in der Südsee / Melancholie bei 30 Grad / Monotonie unter Palmen«, Ideal 1981: »Monotonie«) wird durch Begriffe wie »Mini-
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maltarif« und »Vollpension« (ebd.) als Produkt der Tourismusbranche bzw. der Musikindustrie markiert.58 Eine kritische Distanzierung von der Warenwelt bleibt, abgesehen von der besagten ironischen Unschärfe, aus.59 Wenn Hornberger ein Changieren »zwischen den 1950er und den 1980er Jahren, zwischen Tradition und aktueller Jugendkultur, zwischen Kitsch und Coolness, zwischen Schlager (›Südsee‹) und NDW (›Monotonie‹)« (2011: 275) bemerkt, impliziert dieser Rückbezug auf die Ästhetik der 1950er Jahre eine Abgrenzung gegenüber der konsumfeindlichen Alternativbewegung der 1970er Jahre. Zu dieser Zeit war es nämlich, wie Diederichsen expliziert, gar nicht mal so populär […], pop zu sein oder Pop zu machen. […] Und bald stand das englischstämmige Kurzwort fast schon eher für die Käuflichkeit gegenkultureller Ziele. Wer an sie in einem engagierten Sinne glaubte, wollte sich von deren warenförmiger Seite eher durch andere Etikette absetzen (Diederichsen 1999: 273).
In den 1980er Jahren wurde der Pop-Begriff und das mit ihm assoziierte Paradigma der Oberflächlichkeit allerdings wieder als Strategie gegen »Tiefsinn, die Innerlichkeit, die Konsumfeindlichkeit und die Formlosigkeit der links-alternativen Kunst und Kultur« (Hecken 2011: 13) eingesetzt. Hecken nennt diesbezüglich die »Dimensionen Oberflächlichkeit, Äußerlichkeit, Materialismus, Eingängigkeit, Begrenztheit« (ebd.) als Gegenstrategien, und Diederichsen spricht davon, dass in den frühen 1980er Jahren wieder einige von den eigenen politischen und künstlerischen Strategien enttäuschte Vertreter aus Politik, Theorie und Kunst bereit [waren], gerade in den Pop zugeschriebenen Attributen wie Geschwindigkeit, Warenform, Flüchtigkeit, allerdings verbunden mit Jugend- einerseits und Minderheitenkulturen andererseits, durchaus Dispositive gesellschaftlichen Fortschritts zu erkennen (Diederichsen 1999: 274).
Im Zuge dieser Diskussion der 1980er Jahre als emphatisches Pop-Jahrzehnt geht Hecken ausführlich auf die Ähnlichkeit in der Ästhetik der 1950er und 1980er Jahre ein. Auch wenn 1950er-Jahre-Zitate in den 1980ern, insbesondere in den Texten der Neuen Deutschen Welle, ironisch gebrochen sein mögen, lässt sich doch eine als ›affirmativ‹ zu bezeichnende Faszination erkennen. Hier wird einmal mehr der Abgrenzungsgestus gegenüber Alternativbewegungen der 1970er Jahre deutlich, kommt es doch
58 Vgl. hierzu auch Baßler (2011: passim) und Huber (2008: 69f.). Vgl. zum Südsee-Motiv im deutschen Schlager Killy (1971). 59 Anders sehen das Hornberger (2011: 264–275) und Longerich (1989: 141–145), die Ideals »Monotonie« als kritische Auseinandersetzung mit dem Themenkomplex Tourismus/Konsum/Wohlstand/Luxus verstehen.
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zu einer bewussteren und offen ausgesprochenen Bejahung von oberflächlichem Hedonismus, modischer Äußerlichkeit, Unterhaltung, Materialismus und Konsum. Hier liegt der Hauptunterschied zur herrschenden Einstellung der 1970er und beginnenden 80er Jahre, in denen ja de facto auch nicht weniger konsumiert wurde, dies aber wie hinter einem weltanschaulichen Schleier oder im Gestus der Kritik oder Kreativität geschah. Mit dieser Hinwendung vollzieht sich auch eine Änderung der bevorzugt konsumierten Gegenstände, sie bekommen ein anderes Gepräge, einen anderen Zuschnitt. An die Stelle der offenen, fließenden Formen und natürlichen Stoffe der alternativen 70er treten jetzt unter Trendsetzern die künstlichen, sexistischen, klarer begrenzten, mondän stilisierten oder billig glitzernden und glänzenden Schauwerte der 80er Jahre. Mit ihnen soll nicht selten offen Attraktivität, Verfügbarkeit, Status angezeigt werden; alles, was in den alternativen Mittelschichten aufs strengste verpönt gewesen ist, weil es der Sphäre des Geschäfts und des demonstrativen, modernistischen Konsums entstammt, kehrt nun – vom Anzug und Kostüm über Cocktails bis zum schnellen Auto – (wenigstens in der Werbung, den Musikvideos, Filmen, Illustrierten) zurück. (Hecken 2011: 18)
Weiter stellt Hecken die 1950er Jahre als Jahrzehnt des affirmativen Konsums folgendermaßen dar : Wie sehr postmodern gebrochen auch immer die Objekte des 1980er Jahre-Lifestyles, die Rückbezüge auf Marilyn Monroe und Cary Grant, auf alte Sportwagen und das Aussehen von Geschäftsleuten der prosperierenden 50er Jahre ausfallen mögen, sie zeigen doch stets an, dass man den Insignien des individuellen ökonomischen und sexuellen Erfolgsstrebens nicht wenig abgewinnen kann. (Ebd.: 19)
Die hier erwähnten konsumistischen Insignien finden semiotisch ihren Weg in die Ästhetik der 1980er Jahre und werden bisweilen mit ironischer Vorbehaltlichkeit markiert, ohne dass sich eine klare engagierte Kritik daran erkennen lässt. Derartige ›glatte Oberflächen‹ finden sich in der Ästhetik der Fehlfarben nur vereinzelt. Vielmehr wird auf »Monarchie und Alltag«, so bemerkt Mellmann, tatsächlich noch ein »›Leiden‹ signalisiert« (2005: 262), etwa in der kritischen Adaption der allgegenwärtigen Werbesprache: »Es liegt ein Grauschleier über der Stadt, / den meine Mutter noch nicht weggewaschen hat« (Fehlfarben 1980: »grauschleier«). Ähnlich wird in der Fernseh-Kritik des »Monarchie und Alltag«-Covers vorgegangen, in der die Sprache der Massenmedien in kritischer Absicht zitiert wird. Was die Fehlfarben wiederum in die Nähe des NDW-Paradigmas bringt, ist die Tatsache, dass das erwähnte Leiden »resignativ erkaltet« (Mellmann 2005: 262) zur Sprache kommt. Die Kulturkritik der Fehlfarben findet unter den Bedingungen eines um 1981 aufkommenden »Habitus der ›Coolnesss‹« (ebd.) statt, sodass die »situationsbedingte Distanznahme, ja Bezugslosigkeit, zum Grundzustand der Indifferenz erweitert« und »nicht pathetisiert« (ebd.) wird. Mellmann stellt als Erklärung einen Zusammenhang mit
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»Monarchie und Alltag« her und kommt auf die fehlende Dynamik in der Praxis linkspolitischer Kräfte zu sprechen, insbesondere auf die Unzufriedenheit [der neuen Musikergeneration, Anm. T.H.] mit der fünf bis fünfzehn Jahre älteren Generation der ›linken‹ Revoluzzer […]. Alle Argumente scheinen ausgetauscht, die ideologische Frontenbildung im Leerlauf der Wiederholung begriffen, wenn nicht gar bezugslos geworden (ebd.: 259f.).
Wo die jüngere Generation nun als Reaktion den Gestus der Distanz und der Coolness kultiviert, liefert Mellmann den Hinweis, dass der beschriebene Topos der Monotonie, Langeweile und Coolness (als Gegenteil von Pathos) »keine explizite Tradition im Rockparadigma« aufweise (ebd.: 259). Sicher ließen sich in der Popgeschichte auch Gegenbeispiele für diese Behauptung finden, doch bekräftigt Mellmanns grundsätzlich zutreffende These die Abkehr der mit NDW in Verbindung stehenden Gruppen und Künstler vom agitierenden Pathos des Polit-Rock. Der Gestus der Coolness im Diskurs der Neuen Deutschen Welle wird bei Gruppen wie Ideal, Die Radierer und Foyer des Arts in einem Ausbleiben von Engagement ästhetisch produktiv gemacht, er tritt aber ebenso in Verbindung mit den von Mellmann genannten Attributen (Leiden, Resignation, emotionale Erkaltung) als ›Kritik‹ in Kraft. Anfang der 1980er Jahre kommt es durch die Neue Deutsche Welle sowohl zu einer Ausweitung von Ironie und Künstlichkeit im deutschsprachigen Pop, zugleich lässt sich im Zuge dieses aesthetic turn auch eine Reformulierung kultur- und gesellschaftskritischer Popmusik beobachten. Vor allem auf Grundlage der letzteren formiert sich Ende der 1980er Jahre die Hamburger Schule, sodass es 1992 – zehn Jahre nach dem hedonistisch-unengagierten Diktum »Ich will Spaß« (Markus 1982) – über das Album »Ich-Maschine« (Blumfeld 1992a) heißt: »Irgendwer wird bald den Ausdruck ›Die Neue Ernsthaftigkeit‹ prägen und unter dieser Rubrik wird auch diese Platte gehandelt werden« (Nedden 1992: 56).
3.
Zur Genese der Hamburger Schule
3.1
Die ›Soziologie‹ der Hamburger Schule
Bisher wurde das Phänomen »Hamburger Schule« mit diachronem Blick auf die (deutsche) Popgeschichte eingeordnet. Im folgenden Abschnitt 3 soll die Genese der Hamburger Schule sowohl auf ›soziologischer‹ als auch auf begriffsgeschichtlicher Ebene nachgezeichnet werden. Die Tatsache, dass es in zwei Buchprojekten (Bonz/Rytz/Springer 2011; Kuhn 2003: 128–178) zu einer ausgiebigen Auseinandersetzung mit den lebenswelt-
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lichen Orten der Hamburger Schule kommt, verdeutlicht den hohen Stellenwert einer sozialen Sphäre, die der Hamburger Schule als ästhetischer Strömung immer wieder beigemessen wird, und zwar sowohl im Sinne eines allgemeinen gesellschaftlichen Bezugs der Songs als auch einer konkreten Hamburger Musikszene, in der die Musiker und ihre Anhänger interagierten. So wird die Hamburger Schule von Ole Petras als »Szene, im topographischen und soziokulturellen Sinn« (2011: 169) bezeichnet. Das von Petras als eine »Fortsetzung der Ideologiekritik mit anderen Mitteln« (ebd.) bezeichnete Programm der Hamburger Schule wird dezidiert in diesem sozialen Umfeld angenommen: Die »Lokale und Bühnen [der Hamburger Schule als Szene, Anm. T.H.] stellen […] eine Plattform für die post-ideologische Renovation des popkulturellen Selbstverständnisses dar« (ebd.). Soziale bzw. topographische Konstellationen der Szene werden auch in mehreren Artikeln des bereits erwähnten Ausstellungskatalogs Stadt.Land.Pop: Popmusik zwischen westfälischer Provinz und Hamburger Schule (Baßler/Gödden/Grywatsch/Riesenweber 2008) thematisiert. Mit den Akteuren der Hamburger Schule befassen sich unmittelbar auch die Dokumentarfilme »Hamburg Calling« (2010, Regie: Oliver Schwabe) und »Sterne« (2010, Regie: Frank Wierke). Wierke porträtiert die Szene in Form einer ›teilnehmenden Beobachtung‹ als Kameramann, Regisseur und Interviewer in Personalunion. Schwabe kombiniert in seinem Film Interviews (u. a. mit Tobias Levin, Frank Spilker und Kristof Schreuf) mit Archiv-Material des Norddeutschen Rundfunks (Interviews und Live-Auftritte). Auch der Dokumentarfilm »Wir werden immer weitergehen« (2002, Regie: George Lindt/Ingolf Rech) nimmt diverse Akteure der Hamburger Schule in gefilmten Interviews in den Blick (darunter Rocko Schamoni, Schorsch Kamerun, Dirk von Lowtzow und Frank Spilker). Nach dem Vorbild von Jürgen Teipels Doku-Roman Verschwende deine Jugend (2001) erschien zwei Jahre nach dessen Veröffentlichung Läden, Schuppen, Kaschemmen, eine Bestandsaufnahme der Hamburger Subkulturen (Punk, New Wave, Disco, Reggae, HipHop usw.) und ihrer Orte.60 In diesem vom damaligen Szene-Hamburg-Chefredakteur Christoph Twickel herausgegebenen Band widmet sich Wiebke Anabess Kuhn (zur Veröffentlichungszeit Autorin für Szene Hamburg und Spex) in einem Kapitel der Hamburger Schule, indem sie Versatzstücke aus mit beteiligten Akteuren geführten Interviews zu einer Oral History zusammensetzt. Gemäß der Konzeption des Bandes liefern insbesondere die einschlägigen 60 »Subkultur« wird hier und im Folgenden verstanden als »Teil einer konkreten Gesellschaft, der sich in seinen Institutionen, Bräuchen, Werkzeugen, Normen, Wertordnungssystemen, Präferenzen, Bedürfnissen usw. in einem wesentlichen Ausmaß von den herrschenden Institutionen etc. der jeweiligen Gesamtgesellschaft unterscheidet.« (Schwendter 1971: 11).
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Kneipen und Clubs – für die Hamburger Schule sind das vor allem der Golden Pudel Club, Casper’s Ballroom und Heinz Karmers Tanzcaf8 – den Rahmen der »Hamburger Popkulturgeschichte« (so der Untertitel des Bandes), doch kommen hier auch poetologische und konzeptionelle Überlegungen der Musiker zur Sprache. So erkennt Tobias Levin eine nach der Neuen Deutschen Welle einsetzende »Aftershow-Depression« (Kuhn 2003: 129), die sich als Nährboden für eine neue Auseinandersetzung mit deutschsprachigen Songtexten herausstellt.61 Nach Carol von Rautenkranz’ Einschätzung in Läden, Schuppen, Kaschemmen führte ein Ende der Neuen Deutschen Welle zunächst einmal zur Abwesenheit deutschsprachiger Texte im Pop, wo sie zu NDW-Zeiten selbstverständlich waren (vgl. Kuhn 2003: 132f.).62 Frank Spilker hingegen hebt den ›Nachhall‹ der Neuen Deutschen Welle und ihrer kommunikativen Produktivität hervor, die er gerade nicht im massenmedialen Erfolg, sondern in einer unmittelbaren Nähe zwischen Produzenten und Rezipienten erkennt: Bei mir war das tatsächlich eine Initialzündung, Post-Punk und NDW. Ich habe das bewundert, dass sich Leute auf die Bühne stellen, nicht weil sie eine große Karriere im Kopf haben oder irgendwas nachahmen wollen, sondern weil sie direkt mit den Leute da Party machen oder kommunizieren wollen. (Kuhn 2003: 133)
Sowohl in der Neuen Deutschen Welle als auch in der Hamburger Schule kam es denn auch zur Intensivierung dieser von Spilker angesprochenen dialogischen Herangehensweise durch deutschsprachige Texte. Das Hamburger-Schule-Kapitel in Läden, Schuppen, Kaschemmen zeigt, wie sich neue Ansätze des deutschsprachigen Textens in Zeiten der besagten ›Aftershow-Depression‹ formierten und von einer realweltlich-sozialen Interaktion bestimmt waren. Dabei wurden, wie im Fall von Spilker, produktive Aspekte der Neuen Deutschen Welle adaptiert, ohne bestimmte ›Fehler‹ noch einmal begehen zu wollen: Spilker betont, es gehe ihm weniger darum, »eine zweite Neue Deutsche Welle oder einen Hype von deutschsprachiger Musik zu haben«, sondern »um bestimmte Inhalte […] und eine Haltung dazu« (Kuhn 2003: 133). Die kommunikative Produktivität deutschsprachiger Texte wird also innerhalb der Popkultur re-etabliert, ohne an den massenmedialen Erfolg der NDW-Spätphase anknüpfen zu wollen. 61 Vgl. hierzu auch Fuchs-Gamböck/Schatz (2008: 57–59). 62 Die weitgehende Abwesenheit deutschsprachiger Songtexte nach der Neuen Deutschen Welle bringt auch Bernadette Hengst in einem später erschienenen Interviewband zur Sprache: »Nach der Neuen Deutschen Welle war deutschsprachige Musik den Bach runter gegangen. Man könnte sagen: weil die Kommerzialisierung den Untergrund kaputt gemacht hat. Danach haben sich viele Bands am englisch-amerikanischen Markt orientiert. Fast Weltweit war ein Versuch, weiterhin in deutscher Sprache Popsongs zu schreiben. Das war schon eher die Ausnahme« (Reimers/Sendzig 2011: 123).
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Tobias Levin beschreibt, wie dem ›Hype‹ auf Verfahrensebene entgegengewirkt wurde: Es wurde ganz viel Mühe darauf verwandt, in Texten – zuungunsten des Rock’n’RollFaktors – Strukturen zu beschreiben. Und sich gegenseitig eigene Strukturen aufzubauen, das hatte dann mit der Sprache zu tun. Und das, was man sich ausgedacht hatte, hatte man exakt seit gestern oder vorgestern – es gab keine große Tradition. (Kuhn 2003: 130f.)
Aus diesen konzeptionellen Überlegungen wird deutlich, wie in den Textverfahren zunächst versucht wurde, die plakativen Elemente der NDW-Texte zu vermeiden. Carsten Hellberg, Sänger und Gitarrist von Ostzonensuppenwürfelmachenkrebs, beschreibt dies als ein programmatisches ›Ende der Eindeutigkeit‹: Das Interessante war, dass man merkte, diese Phase der Eindeutigkeit geht vorbei. Es gab zu einem wahrscheinlich historischen Zufallszeitpunkt einen Moment, wo wir festgestellt haben: Wenn das keine Option mehr ist, dann lass uns doch dieses Uneindeutige, was wir jetzt haben, formulieren und es rausbringen. Es gab ein NichtEinverstanden-Sein mit der Welt, was erstmal offen und brüchig dargestellt worden ist. (Kuhn 2003: 131)
Wenn in Bezug auf die Neue Deutsche Welle das Ausbleiben authentischen und »situationsangemessenen verbalen Engagements« (Mellmann 2005: 261) konstatiert wurde, ist hier wieder deutlich ein engagierter Ansatz rauszuhören. Dieser äußert sich im Bezug auf eine soziale Sphäre, hier in einem »NichtEinverstanden-Sein mit der Welt« und in der Suche nach einer Form, sich darauf zu beziehen. Auch wenn NDW und Hamburger Schule, anders als Polit- und DeutschRock, das Experimentieren mit deutschsprachigen Texten gleichermaßen favorisieren, überwiegt in der Hamburger Schule doch ein engagierter und kritischer Ansatz, dem sich, wie im vorangegangenen Abschnitt gezeigt wurde, die Neue Deutsche Welle programmatisch verweigert. Dieses Engagement ist in dem folgenden Zitat Tobias Levins deutlich zu erkennen. Er stützt sich hier insbesondere auf den Begriff des Diskurses, nachdem er erklärt, den Begriff »Diskurspop« gegenüber dem der »Hamburger Schule« vorzuziehen (vgl. Kuhn 2003: 172): Es ist natürlich richtig, dass ein gewisses Selbstbewusstsein im Bezug auf den Umgang mit den eigenen Gedanken unmittelbar in der Sprache, die man tagtäglich benutzt, auffallend war in Hamburg. Dass man sich eben auf Deutsch ausgedrückt hat, wobei man es in Teilen auch in Englisch tun konnte. Eigentlich ist es die Lust am Diskursiven. Sich beim Wort nehmen zu lassen, sich in Streithaftigkeiten zu begeben, dass man sich tatsächlich – wie kurz auch immer – in eine Auseinandersetzung begibt über das, was
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man tut. Das ist eigentlich das, was für mich die Hamburger Schule ausgemacht hat. (Ebd.)
Das Engagement dieser »Lust am Diskursiven« äußert sich, folgt man Levins poetologischer Aussage, im Fokus auf sprachliche Genauigkeit und in der Verbindlichkeit, »sich beim Wort nehmen zu lassen«. Anders als die Neue Deutsche Welle setzt die Hamburger Schule nicht auf Ironie und Verweigerung, sondern gerade auf ein Zustandekommen von Kommunikation. Die durchaus komplexen Werke der Bands werden als Bestandteile eines sozialen Dialogs (»Streithaftigkeiten«, »Auseinandersetzung über das, was man tut«) begriffen. Insgesamt lässt sich in den von Kuhn geführten Interviews erkennen, dass die Programmatik der Hamburger Schule eine enge Verknüpfung von sozialer Praxis und Poetologie aufweist. Auch in der von Jochen Bonz, Juliane Rytz und Johannes Springer herausgegebenen Oral History mit dem Titel Lass uns von der Hamburger Schule reden. Eine Kulturgeschichte aus der Sicht beteiligter Frauen (2011) lässt sich eine Verbindung von sozialem und ästhetischem Engagement in den Aussagen der Interviewpartnerinnen erkennen. So berichtet Elena Lange über die Arbeit an dem Album »Fukui« (Stella 2010), es handle sich dabei um ein immer noch […] extrem engagiertes, mehr oder weniger konstruktives Streiten, das da stattfindet. Der Gedanke, dass man sich beim Musikmachen als Band einen Lebensentwurf schafft, bei dem das Ideal mit der Realität übereinstimmt, das versuche ich gerade anders zu formulieren: Es ist einfach tatsächlich so, dass die Realität nicht mit dem Ideal übereinstimmt. Und das ist der erste Schritt, anzuerkennen, dass man was an der Realität ändern muss. Und dass man nicht immer nur so tun kann, als sei alles in Ordnung. Man muss sich einfach drüber unterhalten und dann kommt das alles schon wieder zusammen. Man muss sich auseinandersetzen mit den Problemen, die es gibt. Und das ist jetzt nicht nur eine Sache, die mit der Musik und mit der Kunst zu tun hat. Wobei sie in der Kunst natürlich auf eine bestimmte Art und Weise kodiert ist. Sondern das ist eine ganz universelle politische Sache. Es gibt für mich keine Trennung zwischen der Art und Weise wie ich Musik mache, wie ich die Kunst wahrnehme und meinem politischen Verständnis. (Wagner 2011: 118f.)
Wie die Sängerin der Band Stella in diesem Zitat markieren auch die Herausgeber des Bandes die Hamburger Schule als »Subkultur«, zu der »sowohl ästhetische als auch politische Überzeugungen gehörten« und die »von Diskursen bestimmt war und für die das Diskutieren an sich einen Wert darstellte« (Springer/Bonz 2011: 7). Ferner erachtet Jochen Bonz die Diskussion als eine subkulturelle Praxis: Feste Überzeugungen scheinen sich [in der Hamburger Schule als Subkultur] permanent in Handlungen zu transformieren. Und mit ›Handlung‹ ist hier auch das für die Hamburger Schule bis heute häufig als Klischee angesprochene Diskutieren gemeint. Das subkulturelle Handeln steht in ständigem Widerstreit mit den herrschenden ge-
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sellschaftlichen Normen, von denen die alternative Werteordnung umgeben ist und die ihr in ontologischer Hinsicht auch vorausgehen. Insofern erscheint die Hamburger Schule auf dieser Position als eine aus der Negation hegemonialer Werte hervorgehende alternative kulturelle Ordnung. (Bonz 2011a: 18)
Das von Bonz benannte Klischee des Diskutierens hat sogar Einzug in die literarische Sphäre gehalten, wurde es doch von Rocko Schamoni in seinem Debütroman Risiko des Ruhms aufgegriffen und im fiktionalen Modus parodiert (vgl. Schamoni 2002: 139–144, 150–157). In zwei Kapiteln (u. a. »Die Hamburger Schule. Eine deutsche Geschichte«) erzählt Schamoni die Geschichte der Hamburger Schule als Kontrafaktur. In Schamonis »fiktiver Autobiographie seines bisherigen Lebens« (Menke 2010: 71), der Andr8 Menke eine Ähnlichkeit zur »absurden Textproduktion« (ebd.) Helge Schneiders attestiert, wird eine diskutierende Runde beschrieben, die es sich zur Aufgabe macht, »über die Perspektiven zeitgenössischer Popmusik unter Berücksichtigung politischer Aspekte zu reden. […] Meist ging es drunter und drüber bei uns und wir redeten uns die Mäuler wund über jedes noch so kleine Thema« (Schamoni 2002: 139f.). Weiterhin lässt Schamoni die Runde »eine lange Debatte über Programm und Namen der kleinen Gruppe« führen sowie über »programmatische Inhalte« (ebd.: 142). Menke bemerkt, dass in Schamonis kontrafaktisch-ironischer Beschreibung der Hamburger Schule »eine grundsätzlich desillusionierte Haltung gegenüber der Tragfähigkeit eines solchen Pop-Modells« (Menke 2010: 72) zum Ausdruck komme. Was in den real existierenden Erscheinungsformen von »Hamburger Schule« tatsächlich ein Thema war, wird hier durch das übertrieben ernsthaft und pseudo-radikal vorgetragene ästhetische Programm sowie die geradezu verbissene Politisierung popästhetischer Debatten parodiert. So heißt es: Tobias Levin und Frau Rabe hatten gemeinsam einen Diskussionsblock gebildet und verteidigten vehement die Ansicht, dass es unmöglich sei, bei der Plattengroßindustrie zu unterschreiben und gleichzeitig seine künstlerische Integrität zu wahren, geschweige denn die eigene Kunst, denn diese sei schon allein durch den Gedanken an ein solches Geschäft benetzt mit ebendiesen Gedanken und nicht mehr eine Kunst, die nur dem Impuls, also der absoluten künstlerischen Freiheit folgen würde. Andreas Dorau und die Jungs von Selig schrien dagegen an, dass es vollkommen egal wäre, was für ein Impuls was für einen Effekt auslösen würde, Hauptsache wäre ja wohl einzig und allein, dass das Ergebnis gut sei, und wenn sich das dann auch noch verkaufen und viele Leute erreichen würde, was wäre dann daran auszusetzen? Jochen saß oft schweigend daneben und dachte nach. Er war ein bisschen unser Sonderling, professoral zerstreut und gleichzeitig sehr überlegt, verbrauchte er seine meiste Energie zum Reflektieren, während er als Einziger von uns immer einen Likör vor sich hatte. Er linste uns durch die dicken Gläser seiner Nickelbrille an und schließlich gab er einen Satz von sich, der ungefähr wie folgt geklungen haben dürfte: »Weg ist klar, Zeitpunkt ist klar, Ziel ist klar, die Zeit der Grabenkämpfe ist vorbei, wir müssen unsere sensitive Produktivität
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bündeln, intellektuelle Zärtlichkeit kann als Waffe ungemein klärend wirken, legen wir uns auf den Bogen und schießen uns selber ab!« (Schamoni 2002: 140f.)
Das kontrafaktische Moment von Schamonis Schilderung wird hier einmal mehr dadurch betont, dass er Andreas Dorau und die Band Selig als Figuren seiner Geschichte auftauchen lässt – diese kommen zwar geographisch betrachtet aus Hamburg, wurden aber nie der Hamburger Schule zugerechnet. Überhaupt sind bei Schamoni, so stellt Roger Behrens fest, »die Namen von Kneipen, von Personen, von Bands […] ausgedacht, vertauscht, falsch geschrieben, falsch datiert« (2002a: 252), womit der Autor darauf abziele, seine Leser mit der Geste zu behandeln, sie »eigentlich mit längst Bekanntem zu langweilen« (ebd.: 253). Mit einer solchen »Methode reflektierter Verunsicherung und reflexiven Verunsicherns […] als politische Strategie der Kunst« (ebd.), so argumentiert Behrens, nähere sich Schamoni auf kongeniale Art und Weise dem Vorgehen von Bands wie Blumfeld, Cpt. Kirk & , Die Sterne, Die Goldenen Zitronen, Kante und Tocotronic an. Schamoni sei »der Chronist, den diejenigen, die auf die Hamburger Schule so viel Wert legen, sich gewünscht haben« (ebd.: 252), denn mit seiner Kontrafaktizität werde den Akteuren und Orten der Hamburger Schule »eine Bedeutung zugewiesen, die sie nie hatten, um in der ironischen Überhöhung zu beweisen, dass sie nie eine Bedeutung gehabt hätten, selbst wenn alles so, wie von Schamoni beschrieben, wahr gewesen wäre.« (Ebd.: 252f.) Schamoni kommt damit wohl tatsächlich dem Wunsch vieler Akteure der Szene entgegen, den Begriff »Hamburger Schule« zu destabilisieren und seiner Mythologisierung entgegenzuwirken. Dabei bleibt jedoch unbeachtet, dass Schamonis »verdrehte und fröhliche Esoterik aus Halbwahrheiten und Zusammengereimtem« (ebd.: 252) sich doch unmittelbar an real existierenden Figuren und Geschehnissen orientiert und sich leicht von einem Insider ›übersetzen‹ ließe, sodass Schamoni sich mit seinem Hamburger-Schule-Kapitel letztlich, wenn auch im Modus der Ironie, durchaus affirmativ auf den Hamburger-Schule-Diskurs bezieht: Mit seinem kontrafaktischen Schreibverfahren betont er, dass so etwas wie die Hamburger Schule, wenigstens als diskursives Phänomen, existiert und es als solches eben doch Bedeutung hat. Schamoni signalisiert dabei, dass er als Repräsentant der Hamburger Schule souverän an der Fortschreibung einschlägiger Mythen partizipiert, ja dass er damit die Diskurshoheit gegenüber journalistischen Prägungen des Begriffs wiedererlangt und diese neutralisiert. Gegen Behrens’ These der Kongenialität zwischen Schamoni und den Hamburger-Schule-Bands spricht freilich die Tatsache, dass sich Schamoni neben dem ironischen Fortschreiben einschlägiger Mythen klar von der Hamburger Schule distanziert und deren politisches wie ästhetisches Anliegen ins Lächerliche zieht. In der Thematisierung und Verfremdung von Hamburger-Schule-
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Klischees kommt es etwa zur Darstellung Jochen Distelmeyers als vermeintlichem Chefstrategen der Hamburger Schule wie auch zu einer klischeehaften Diskussion der Debatte ›Mainstream versus Independent‹. Auch wird hier eine Geschlossenheit der Hamburger Schule suggeriert, die nie gegeben war. Schließlich macht sich Schamoni über den pseudo-konspirativen bzw. pseudoradikalen Gestus der Diskussionskultur innerhalb der Hamburger Szene lustig, indem er die Figur Distelmeyers gleichsam zur Planung einer paramilitärischen bzw. terroristischen Aktion ansetzen lässt (»Weg ist klar, Zeitpunkt ist klar, Ziel ist klar, die Zeit der Grabenkämpfe ist vorbei«), um ihre Aussage letztlich in einem Allgemeinplatz enden zu lassen: »intellektuelle Zärtlichkeit kann als Waffe ungemein klärend wirken« (Schamoni 2002: 141). Schamonis Ironie und sein Insiderstatus innerhalb der Hamburger Musikszene erlauben es ihm, sich durch seine Erzählinstanz von der Hamburger Schule zu distanzieren bzw. zu suggerieren, dass es sich hier lediglich um eine Ansammlung von Mythen handelt. Andererseits nobilitiert er sich als Beteiligter mit dem Wissen um den tatsächlichen Wahrheitsgrad seiner Geschichte unter Anerkennung der Existenz einer Hamburger Schule selbst. Auch die Genese des Begriffs »Hamburger Schule« vollzieht sich bei Schamoni schließlich mit den für diesen Autor typischen Mitteln der »grotesken Übertreibung und Verfremdung« (Menke 2010: 71) und des »Fabulierens« (ebd.: 72): Die Ideen [für eine Namensgebung, Anm. T.H.] überstürzten sich, ich kann an dieser Stelle nur einige wiedergeben. Ich glaube, von Selig kam die Idee »P.O.F.« (Pop Armee Fraktion), Tobias Levin schlug »Fresci Tedesci« vor, was so viel heißen soll wie »frische Deutsche«, Frau Rabes Idee war »die Horde« und Dorau warf »Füchschenbau« in die Runde. Wir merkten rasch, dass wir nicht auf der richtigen Spur waren, und richteten unseren Blick irgendwann erwartungsvoll auf Hilsberg. »Damit müsst ihr schon selber fertig werden«, meinte er und blickte auf Jochen. Durch den Blick ermutigt, brachte Jochen seinen Vorschlag: »Was haltet ihr von ›Die Hamburger Schule‹?« (Schamoni 2002: 142)
Hier wird endgültig die Kontrafaktizität von Schamonis Text erkennbar, denn die Tatsache, dass der Begriff »Hamburger Schule« von ihren Akteuren häufig abgelehnt wird, steht hier der fiktiven Anekdote gegenüber, dass sich die Gruppe ihn in einer Diskussion selbst ausgedacht und zugeschrieben hat. Wenn Schamoni in Risiko des Ruhms zunächst das Übermaß an ›diskursivem‹ Debattieren darstellt, führt er dies in seinem Roman ad absurdum, indem er die Existenz einer normativen Liste von »Vereinsstatuten und eine[r] Kleiderordnung« (ebd.) behauptet: 1) Die »Hamburger Schule« ist eine nichtkommerzielle Vereinigung, die einzig der kritischen Referenz von Kultur verpflichtet ist.
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2) Die Mitglieder dürfen sich bis zu ihrem Austritt keinem anderen Verein ähnlichen Charakters anschließen. 3) Die Treffen finden wöchentlich zu festen Zeiten statt, einmal im Monat wird die »Werkschau« veranstaltet, in der jedes Mitglied seinen derzeitigen künstlerischen Standpunkt zur Überprüfung bereitstellt. 6) Regelmäßige Besuche von kulturellen Veranstaltungen sind Pflicht und werden von einem »Kulturgremium« festgelegt. 8) Es besteht Parteipflicht über den Stand der Inhalte der »Hamburger Schule«, jeder Bruch wird von einem »Maßnahmengremium« geahndet. 10) Diskurs ist zentrale Lebenspflicht. (Ebd.: 142f.)
Schamonis Liste steht in Widerspruch zur Tatsache, dass eine (zumal normative) Schulenbildung in realweltlich stattfindenden Interviews mit Protagonisten der Hamburger Schule immer wieder geleugnet wurde. Hier ist dagegen von einem »Verein«, einer »Partei«, von »Gremien«, »Mitgliedschaft« und »Pflicht« die Rede – ein bürokratisches Vokabular, das mit Nonsense-Phrasen wie »kritische Referenz von Kultur«, den intellektualistischen Jargon der Hamburger Schule imitierend, kombiniert wird. Auch betont Schamonis Erzähler im Gegensatz zu den real existierenden Hamburger-Schule-Bands fortwährend die kommerzielle Motivation der Musikproduktion: »Es gehörte recht bald schon zum guten Ton, deutsche Texte zu dichten und zu singen, zumindest in der Avantgarde des Mainstreams, und somit wurden wir langsam, aber unaufhaltsam zu einem ökonomischen Faktor für den Finanzstandpunkt Hamburg.« (Schamoni 2002: 152) Weiter lässt Schamoni die Figur Alfred Hilsbergs marktwirtschaftliche Parolen äußern: »die Hamburger Schule ist ein Rassepferd, mit dem wir jedes Rennen gewinnen können, unsere Vision und unsere Ausdauer machen sich jetzt bezahlt, die Ernte kann beginnen.« (Ebd.)63 Schamonis Verfahren besteht hier vor allem darin, faktische Begebenheiten aufzugreifen – denn die Hamburger Schule fungierte ja tatsächlich als Impulsgeber für eine Konjunktur deutschsprachiger Popmusik und erlebte auch intern gewisse Kommerzialisierungstendenzen. Diese Fakten werden bei ihm aber in einem Maße ins Groteske übersteigert und mit genügend offensichtlichen Fehlinformationen versehen, dass sich sein Roman nicht als aufrichtige Kritik an der Hamburger Schule lesen lässt, obgleich die ironische Unschärfe Schamonis offenlässt, ob hier nicht eventuell doch die ›wahren‹ Motive der Musiker in einem literarischen Modus thematisiert werden. Kurzum: In Schamonis Roman wird die Hamburger Schule ausgehend von ihrer sozialen 63 Vgl. hierzu auch Schamoni (2002: 153f.).
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Dimension fiktionalisiert. Der unzuverlässige Erzähler ironisiert dabei den engagierten und ›ernsthaften‹ Gestus der Hamburger Schule. Der Interviewband Lass uns von der Hamburger Schule reden dagegen gibt zuverlässig Auskunft über soziale Zusammenhänge der Hamburger Schule. Hier nähert man sich dem Entwurf einer spezifischen Subkultur der Hamburger Schule in zehn Interviews mit Protagonistinnen aus Musik, Labelarbeit, Journalismus und Grafikdesign. Bei den Interviewpartnerinnen handelt es sich um Almut Klotz (Lassie Singers), Julia Lubcke (Fünf Freunde, Concord), Elena Lange (TGV, Stella), Bernadette Hengst (Die Braut haut ins Auge), Ebba Durstewitz (Ja König Ja), Patricia Wedler (Knarf Rellöm Trinity, School of Zuversicht), Myriam Brüger (L’Age D’Or, Buback Tonträger),64 Charlotte Goltermann (Gründerin des Ladomat-Plattenlabels), Katha Schulte (Schriftstellerin und Journalistin) und Bianca Gabriel (Coverdesignerin im L’Age-D’Or-Umfeld). Das Konzept des Bandes geht auf eine kulturwissenschaftliche Lehrveranstaltung der Universität Bremen zurück, bei der auch Studierende an Datenerhebung und Verschriftlichung des Interviewmaterials beteiligt waren. Die ethnologische Ausrichtung des Projekts führte dazu, dass weniger die Songs, sondern vielmehr Alltagspraktiken und Rituale der Akteure (genauer : der »beteiligte[n] Frauen«, wie es im Untertitel des Bandes heißt) im Mittelpunkt stehen. Auch wenn der Band in seiner archivierenden Funktion eine Bereicherung des Hamburger-Schule-Diskurses darstellt, werden doch die Beweggründe der Herausgeber für die Setzung des Projekts, nur Frauen zu interviewen, nicht recht erkennbar. Einerseits wird betont: »Weniger politische Gründe waren hierfür die Ursache, eher ein popkulturelles Gefühl von Interessantheit« (Bonz 2011a: 14), dann wiederum bezieht sich der Herausgeber Johannes Springer in affirmativer Weise auf eine »sehr zentrale feministische Kritik an der Struktur popkultureller Szenen«, nämlich die »dort häufig anzutreffende[ ] Reproduktion klassischer geschlechtlich codierter Vorderbühne / Hinterbühne, Öffentlich / Privat-Dualismen« (Springer 2011a: 9). Diese Dualismen werden tatsächlich – durch das Projektdesign provoziert – in mehreren Interviews thematisiert, woraufhin Springer wiederum relativierend anmerkt, dass sie »einem etwas überholten Modell schöpferischer Tätigkeit [anhängen], das seinerseits noch sehr dem romantischen Künstlermodell individueller Kreativität verpflichtet scheint« (ebd.). Die berechtigte Warnung Springers vor der Gefahr, »die beteiligten Frauen als einheitliche Gruppe ohne Unterschiede, Brüche oder Konflikte zu zeichnen« (ebd.: 11), lässt den Sinn des Projekts, eine »Kulturgeschichte aus Sicht beteiligter Frauen« vorzulegen, unklar erscheinen. Ausgehend von den Prämissen 64 Myriam Brüger lieferte bereits einen subjektiven Abriss ihrer Erfahrungen mit der Hamburger Schule in/als Fleiss (2004).
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eines dekonstruktiven Feminismus Judith Butler’scher Prägung begünstigt doch die im Untertitel des Bandes vorgenommene emphatische Verwendung der Kategorie »Frau« die Konstruktion einer solchen einheitlichen Gruppe. Ferner mag man sich über die differenzfeministisch anmutende Setzung des InterviewProjekts wundern, wenn im Vorwort über die Frage spekuliert wird: »Hätten die prominenten männlichen Repräsentanten der Hamburger Schule, Distelmeyer, von Lowtzow etc., nach der damaligen Zeit befragt, auch von ihren Erfahrungen mit Geschlechterdifferenz gesprochen?« (Bonz 2011a: 15) Hier müsste die Antwort zumindest »wahrscheinlich« lauten, denn, wie Bernadette Hengst zutreffend feststellt, »die Hamburger-Schule-Musiker würden sich ja selber auch als Feministinnen oder Feministen bezeichnen, die auf der Seite der Frauen stehen« (Reimers/Sendzik 2011: 141).65 Die Konzeption von Lass uns von der Hamburger Schule reden sorgt diesbezüglich für eine missverständliche Sicht auf die Hamburger Szene. Viele Statements aus den Interviews suggerieren, dass es sich bei der Hamburger Schule – in Diskrepanz zu ihren Texten – um ein außerordentlich sexistisches und machohaftes Umfeld gehandelt habe.66 In der Rezeption des Interviewbandes wird dieser Eindruck in einem Spiegel-Online-Artikel plakativ zugespitzt, indem Tocotronic und Blumfeld mit der Zuschreibung »Jungsbands« (Eckhorst 2011: o.S.) und der Besprechungstext sowie die zugehörige Fotostrecke mit reißerischen Überschriften und Bildunterschriften wie »Männer reden lieber mit Männern« (ebd.) oder »Abgesahnt haben die Männer« (ebd.) versehen werden. Es lässt sich aus textwissenschaftlicher Sicht nur spekulieren, inwiefern dies mit der sozialen Realität der Hamburger Szene übereinstimmt, und wenn in dem Band einzelne Stimmen von negativen, auf Geschlechterdifferenz beruhenden Erfahrungen innerhalb der Hamburger Szene berichten, fließen diese Narrative selbstverständlich berechtigterweise in die Kulturgeschichtsschreibung ein. Doch hier wird einmal mehr der ethnographisch-soziologische Blickwinkel des Projekts Lass uns von der Hamburger Schule reden deutlich. Es dominiert der Fokus auf ein soziales Umfeld, während der Diskurs 65 Als feministische Solidaritätsbekundung ließe sich auch eine vermeintliche Aktion Jochen Distelmeyers interpretieren, wäre der einzige Hinweis auf ihre Existenz nicht aprilscherzverdächtig in Ausgabe 4 der monatlich erscheinenden Szene Hamburg aufgetaucht: »Mit seinen Texten für das Blumfeld-Album ›Ich-Maschine‹ hat Jochen Distelmeyer der Debatte zum Verhältnis zwischen Privatsphäre und Öffentlichkeit, zwischen Politik und Sexualität neue Impulse gegeben. Nun startet der Enthüllungskünstler eine weitere Medien-Offensive gegen die sexuelle Repression: Distelmeyer hat sich bei der Zeitschrift ›Playgirl‹ – kein Witz – um einen Job als Fotomodell beworben.« (o. V. 1992c: 47, Herv. im Original fett gedruckt) Unabhängig vom realweltlichen Wahrheitsgehalt wird Distelmeyer in diesem Text mit radikalem Feminismus assoziiert. 66 Vgl. etwa Wachtlin/Stafenk (2011: 24f., 33–35, 46); Reimers/Sendzik (2011: 126, 130f.); Krabbe/Wagner (2011: 148f.).
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zur Hamburger Schule fast nie auf Ebene des Textes (also der Songs) stattfindet. Dies mag insofern berechtigt sein, als die Hamburger Schule sich stark in der Wechselwirkung von sozialen und ästhetischen Faktoren entfaltete. Doch selbst wenn man sich für den Zugang über die soziale Dimension entscheidet, bleibt doch der Mehrwert des Projekts Lass uns von der Hamburger Schule reden fraglich. Denn in den meisten Fällen wird in der Behandlung des Themas Geschlechterdifferenz nicht viel mehr gesagt, als dass die Hamburger Schule – wenig überraschend – nie weniger männerdominiert war als andere gesellschaftliche Bereiche.67 Und selbst dieser ›Pointe‹ wird bisweilen widersprochen. So berichtet Katha Schulte: »Um auf die Geschlechter zurückzukommen, würde ich […] sagen, dass das an diesen Orten ganz gut lief. Eine geschlechtliche Segregation, Männer da, Frauen dort, war jedenfalls selten« (Springer 2011b: 90). In der Rezeption wird entsprechend argumentiert: Wenn von der ›Hamburger Schule‹ gesprochen wird, sind meistens Bands wie Blumfeld, Die Sterne, Tocotronic, Die Erde, Ostzonensuppenwürfelmachenkrebs und Kolossale Jugend gemeint. Alles Männer – was ja per se nicht schlimm ist, vor allem, weil die Genannten jeglichen Sexismen weitgehend abhold sind. (Mohr 2011: o.S.)
Es sei somit noch einmal darauf hingewiesen, dass im Großteil der Interviews von Lass uns von der Hamburger Schule reden – bezogen auf die Textebene – maßgeblich an der eigentlichen Programmatik der Hamburger-Schule-Bands vorbeidiskutiert wird. So erweisen sich etwa Tocotronic und Blumfeld in ihren Songs als mit dekonstruktivistisch-feministischen Thesen stark kompatibel. Der Titel des Interviewbandes bezieht sich ausgerechnet auf den Blumfeld-Song »Laß uns nicht von Sex reden« (Blumfeld 1992a), der seinerseits den zeitgenössischen Song »Let’s talk about Sex« (Salt ’n’ Pepa 1990) dreier Rapperinnen zitiert und in dem ein Rollen-Ich Sätze äußert wie »Ich war im Fußballverein und pisse im Stehen« (Blumfeld 1992a: »Laß uns nicht von Sex reden«).68 Solche Texte machten die Hamburger Schule dafür bekannt, sich der Gender-Thematik dahingehend zu nähern, dass die Kategorien »männlich« und »weiblich« antiessentialistisch als diskursive Einheiten begriffen wurden. So übten sich auch Tocotronic in einer ironischen – und äußerst humorvollen – Brechung ›männlich‹ konnotierter Rock-Gesten und machten ihr Bandkonzept damit emanzipatorisch anschlussfähig, wobei ›emanzipatorisch‹ gerade auch eine an den von Judith Butler entwickelten Theoremen orientierte Dekonstruktion ›natürlicher‹ Geschlechterrollen meint. In Tocotronics »Wir sind hier nicht in Seattle, Dirk« (Tocotronic 1995b) 67 So bemerkt Almut Klotz, dass »die Hamburger Schule sich bloß nicht einbilden soll, dass sie eine bessere Quote gehabt hätte als jedes andere Genre« (Wachtlin/Stafenk 2011: 35). 68 Zum Gender-Diskurs in Salt ’n’ Pepas »Let’s talk about Sex« vgl. Grether (1999: 300f.). Als weiteren wichtigen Prätext zu Blumfelds Song vgl. Smith (1972).
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meldet sich eine Art imaginiertes weibliches Über-Ich zu Wort, indem es das verstiegene männliche Sänger-Ich auf den Boden der Tatsachen zurückholt: Und sie sagt zu mir : Wir sind hier nicht in Seattle, Dirk Und werden es auch niemals sein Wir sind hier nicht in Seattle, Dirk Was bildest Du Dir ein? Was nicht ist, kann niemals sein (Tocotronic 1995b: »Wir sind hier nicht in Seattle, Dirk«)
Diese Kritik der weiblichen Stimme findet ihre nicht-ironische Entsprechung in einem Kommentar Bernadette Hengsts, die sich gegen »diesen [sic] komischen Pathos« (Reimers/Sendzik 2011: 141) richtet. Es gebe, so Hengst, »auch Frauen mit Pathos, aber diesen männlichen Pathos, ihr Leben so zur Schau zu stellen und als so wichtig darzustellen und es nicht in Frage zu stellen, keinen Zweifel und keine Luft dran zu lassen, das finde ich schon sehr männlich, gerade im Indie-Rock.« (Ebd.) Hengst scheint insbesondere ›Rock‹ mit Männlichkeit zu verknüpfen: »Also es ist letztlich egal, ob es Indie-Rock ist oder Heavy Metal oder amtlicher Deutschrock, es ist doch alles sehr männerdominiert gewesen und das Posen und alles was damit zusammenhängt eben auch« (ebd.: 128). Das von Hengst erwähnte Posen sowie der mit Rockmusik verknüpfte Anspruch auf ›Authentizität‹ werden häufig auch mit der von Tocotronic thematisierten, aus Seattle stammenden Grunge-Bewegung assoziiert, die für die Semiose der Hamburger Schule eine Rolle spielt (vgl. etwa Hornberger 2011: 378). Die Diskussion dieser Verbindung zum Grunge findet im Abschnitt zur Soziologie der Hamburger Schule statt, da sich verbaltextlich und musikalisch kaum Anknüpfungspunkte finden lassen. Die Gemeinsamkeiten der beiden Strömungen werden vielmehr ausgehend von der Performanz der zumeist männlichen Akteure hergeleitet.69 Grunge wurde vielfach als Rückkehr zu einfachem, gleichsam ›echtem‹ Rock nach der durch ein Künstlichkeitsideal geprägten Popmusik der 1980er Jahre rezipiert. Der Amerikanist Joshua Clover betont den Doppelcharakter des Grunge zwischen Innovation und Rückbesinnung: »Like various rock ›revolutions‹, it was also a reformation, laying sometimes disingenuous claim to a deskilled musical simplicity that is taken as a return to rock’n’roll’s primal nature« (2009: 16). Eine Darstellung, in der Grunge recht 69 Catherine Strong bemerkt zur Gender-Frage im Grunge: »An unusual feature of the grunge scene was the relatively high proportion of female performers and bands, and this, combined with explicit antisexism stances taken by prominent male grunge musicians such as Kurt Cobain, and its close proximity to the feminist Riot Grrrl movement, served to position it as a more gender-neutral scene than many others in ›rock‹. However, over time grunge has been reclaimed as a masculine space along the lines of other rock movements.« (2011a: 398).
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unkritisch auf männliches Pathos wie auch auf einen ›Echtheitsanspruch‹ reduziert wird, findet sich bei Rumpf (1996: 200–207). Hier heißt es im Kapitel »Zurück zu den Wurzeln und zum Gefühl: Grunge« in Bezug auf Neil Young, der »Ex-Junkie« (mit dieser metonymischen Zuschreibung soll wohl eine Verbindung zu der für ihre Junkie-Szene berüchtigten Stadt Seattle hergestellt werden) habe Anfang der 1990er Jahre, gewissermaßen im protegierenden Schulterschluss mit der aufkommenden Grungebewegung als ›Godfather of Grunge‹ (vgl. Echard 2005: 43), »derb und in aller Herzlichkeit« (Rumpf 1996: 200) an »elementare Gefühle« (ebd.) appelliert und wenige Akkorde verwendet, um »das Feuer zu entfachen« (ebd.). In der Tat fungiert Neil Young im Diskurs um Grunge in diesem Sinne als modellhafter Repräsentant oder auch als ›Pate‹ für den Ausdruck von männlichem Pathos und Weltschmerz – beispielhaft etwa in »The Needle and the Damage Done« (Young 1972). Die Assoziation Youngs mit der Grungebewegung lässt sich ferner sowohl realweltlich als auch semiotisch positivieren: So kollaborierte Young auf seinem Album »Mirror Ball« (1995) mit der Grunge-Band Pearl Jam70 und thematisierte auf »Sleeps with Angels« (Neil Young & Crazy Horse 1994) den Selbstmord Kurt Cobains (vgl. Echard 2005: 43), nachdem Cobain zuvor die Zeilen »it’s better to burn out than to fade away« [Neil Young & Crazy Horse 1979: »My My, Hey Hey (Out of the Blue)«] in seinem Abschiedsbrief verwendet hatte (vgl. Chong 2005: 181) und sich damit auf einen Song von Neil Young bezog. Doch Rumpf projiziert das männliche Pathos Kurt Cobains auf weitere pophistorische Konstanten, indem er betont, dass Cobains »wütendes Anschreien gegen die Erwachsenenwelt eine Authentizität ähnlich derjenigen von Jim Morrison anno 1970« (1996: 203) erreichte. Die Rede von »elementaren Gefühlen« und »Authentizität« im Zusammenhang mit Grunge wird im Historisierungsprozess primär mit Kurt Cobain in Verbindung gebracht. So bemerkt Clover, Grunge »bids to be the most successful genre to base itself so thoroughly on a single act: an implausibly messianic upwelling down to its singular martyrdom.« (2009: 16) Darstellungen wie diejenige Rumpfs, die sich an der Fortschreibung eines solchen Grunge-Mythos unkritisch beteiligen, konstruieren eine Kontinuität in Bezug auf männliche Figuren des Rock der 1960er und 1970er Jahre. Sowohl Jim Morrison, der sich in jungen Jahren das Leben nahm und so Cobains Märtyrer-Rolle teilt, als auch Neil Young stehen hier jeweils für eine mit dem Grunge-Paradigma kompatible Form von männlichem Pathos im Rock: Morrison als mit elementaren Kräften in Verbindung stehender ›Rock-Schamane‹, Neil Young »in his distinctive falsetto« (Miller 2003: o.S.), mit seiner Falsettstimme also, die Miller als »nostalgic«, »seeped in sentiment« und mit 70 Vgl. hierzu auch Groß (2000b).
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einer »sensitive world-weariness« (ebd.) ausgestattet beschreibt. Entsprechend ist bei Rumpf in Bezug auf Nirvana die Rede von »gewaltige[n] Ouvertüren mit elegischen Melodien […]. Darüber lag Cobains schöne Stimme mit allem Zorn und Weltschmerz« (1996: 203). »Smells like Teen Spirit« (Nirvana 1991) sei ein Stück mit »heroische[m] Refrain […], aggressiver, härter, ultimativer, aber durchaus in der Tradition der morbid-wütenden Doors« (ebd.), und Nirvanas »Nachricht« sei geprägt von »Verweigerung, Verneinung, Widerstand, Provokation. Die Musik: melodiöser, aber schwermütiger Hardrock, auf Punk getrimmt. Krachende Verstärker, Lärm, Brüche, Tempo – und vor allem Emotionalität und Gefühl.« (Ebd.) Der Pearl Jam-Sänger Eddie Vedder wird von Rumpf mit den Worten zitiert: »Ich lasse mich einfach gehen. Wenn ich meine Emotionen auf der Bühne ungehemmt ausleben kann, fühle ich mich wie Supermann« (ebd.: 204). In diesem Exkurs wurde gezeigt, dass ›männliches Pathos‹ in der Semiose des US-Grunge eine dominante Rolle spielt. Die Übertragung des stereotypen männlichen Grunge-Akteurs auf das Feld der Hamburger Schule hat dazu beigetragen, dass sich auch hier das Stereotyp einer sentimentalen ›Jungsmusik‹ herausbildete. Die emotionale Urgewalt, die den Inszenierungen der GrungeAkteure stereotyp zugeschrieben wurde, wird in der Hamburger Szene noch um einen akademisch-intellektuellen, aber verkappt machohaften Zug erweitert. Die Kritik an der Misogynität der Hamburger Schule läuft freilich, insbesondere hinsichtlich der vermeintlichen Orientierung am ›männlichen Pathos‹ des Grunge, ins Leere: Bei allen etwaigen Parallelen (Rückbesinnung auf Gitarrenmusik, Rock) und ungefährem zeitlichen Zusammenfallen der beiden Strömungen kam es doch innerhalb der Hamburger Schule zu keinem Zeitpunkt zu einem tatsächlich affirmativen Bezug auf ein Grunge-Paradigma, wie es von Rumpf dargestellt wird. Vielmehr führt beispielsweise Tocotronics »Wir sind hier nicht in Seattle, Dirk« (1995b) vor, dass das von Bernadette Hengst postulierte ›männliche Pathos‹ eines Eddie Vedder oder Kurt Cobain unter deutschsprachigen Bedingungen, aber auch angesichts der Reflektiertheit des Hamburger-Schule-Verfahrens gerade nicht zustande kommt. Diese Faktoren führen, wie Moritz Baßler betont, nicht nur in die Selbstironie, sondern auch in eine Anerkennung der eigenen popkulturellen Gebrochenheit: »Nur unter der Bedingung der Reflexion auf die eigene Provinzialität und Lächerlichkeit ist Pop im Deutschland der Hamburger Schule erträglich, aber der Effekt dieser Reflexion ist nicht (nur) Selbstironie, sondern eben auch eine wie auch immer fragile Form von, sagen wir, Würde.« (2008: 109) Die Hamburger Schule scheint gerade in dieser Eigenschaft als (soziale) Bühne für essentialistische Rock-Inszenierungen nicht geeignet zu sein, höchstens im negativen Bezug darauf, d. h. in einer Art performativen ›Beweisführung‹, dass man sich
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eben nicht im Kontext der primären, in diesem Fall US-amerikanischen (Jugend-)Bewegung befindet. Solche Debatten werden, wie schon erwähnt, in Lass uns von der Hamburger Schule reden und in Kuhns Läden Schuppen, Kaschemmen-Kapitel gerade nicht auf Ebene der Songs, sondern auf den real existierenden sozialen Kontext bezogen. Im Feuilleton und in der Musikpresse ist die Hamburger Schule auf Textebene sicherlich nicht gänzlich untertheoretisiert, und doch wird sie im Zuge der Historisierung häufig als »mehr als Musik« (Springer/Bonz 2011: 7), also als soziales Phänomen, begriffen. In den in diesem Abschnitt diskutierten Beiträgen erscheint ein Forschungsinteresse dominant, das die »Topografie der Szene« (ebd.) bzw. der »Hamburger Schule als eine Infrastruktur« (ebd.) – assoziierend benannt als »St. Pauli, Straßenzüge, Kneipen, Caf8s, Plattenläden, Büroräume (What’s So Funny About, L’Age D’Or, Buback)« (ebd.) – im Wortlaut der beteiligten Akteure plastisch werden lässt. Dies mündet im Proklamieren einer »symbolische[n]« und »alternativen« Ökonomie, einer »creative industry« (ebd.) und schließlich einer »Hamburger Schule als Produktionskultur« (Springer 2011a: 9). Es wird deutlich, dass hier vor allem ein sozialwissenschaftlich-ethnografischer Zugriff auf die Hamburger Szene »als Lebenswelt« (ebd.) stattfindet. Im folgenden Abschnitt wird dagegen zu klären sein, inwiefern sich die Hamburger Schule textuell konstituiert und manifestiert.
3.2
Begriffsgeschichte
Worüber reden wir eigentlich, wenn wir von »Hamburger Schule« reden? Ist die Hamburger Schule mittlerweile tot? Gab es sie überhaupt? Und wenn ja, wer lässt sich dazuzählen? Solche ontologischen Fragestellungen sind im Kontext der vorliegenden Studie wenig produktiv, da die Hamburger Schule sich textwissenschaftlich nur als diskursives Phänomen beschreiben lässt. Andererseits scheinen Fragen nach einer vordiskursiven Existenz in der Debatte um den Begriff »Hamburger Schule« eine Konstante zu bilden, was vielfach zur Annahme geführt hat, es handle sich dabei um die Bezeichnung einer geschlossenen ästhetischen Strömung oder um eine konkret benennbare Gruppe von Künstlern und nicht in erster Linie um eine diskursive Größe. Thematisiert – und bezweifelt – wird die Existenz einer Hamburger Schule beispielsweise von der Journalistin Katha Schulte, die im Interviewband Lass uns von der Hamburger Schule reden als Angehörige der Hamburger Musikszene zu Wort kommt: Hamburger Schule, das existierte eigentlich gar nicht. Das ist irgendwann als journalistischer Begriff entstanden, und die Leute [gemeint sind die Repräsentanten der
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Hamburger Schule, Anm. T.H.] haben es allenfalls ironisch benutzt. Aber so hat niemand über sich selbst gesprochen. (Springer 2011b: 84)
Schulte stellt also die Existenz dessen, was mit »Hamburger Schule« bezeichnet wird, auf der Grundlage in Frage, dass der Begriff von den betreffenden Musikern nicht intentional verwendet wird. Als »journalistischer Begriff« handelt es sich um eine nicht-autorisierte und damit nicht legitimierte Zuschreibung von außen. In ähnlicher Weise spekuliert Thees Uhlmann von der Band Tomte über die Bedeutung des Begriffes und über das damit Bezeichnete: Ich weiß nicht, ob wir dazugehören [zur Hamburger Schule, Anm. T.H.]. Man gehört einfach dazu, weil die Leute ja die Definitionsmacht im Kapitalismus haben. Und wenn du aus Hamburg kommst und deutsch singst, dann bist du für alle Leute südlich von Harburg »Hamburger Schule«. Wir stecken da auch irgendwie mit drin. (Vits 2004: 18)
Bei Uhlmann wird einerseits die Aussagekraft des Begriffs in Frage gestellt und andererseits darüber spekuliert, ob die Band Tomte zur Hamburger Schule gezählt werden kann oder nicht, wobei letzteres weder eindeutig bejaht noch verneint wird. Genauso wenig, wie in diesem Abschnitt Aussagen über den ontologischen Status der Hamburger Schule gemacht werden sollen, ist hier von Interesse, ob die Band Tomte nun tatsächlich zur Hamburger Schule gezählt werden kann. Vielmehr sollen die Aussagen von Uhlmann und Schulte diejenigen Strategien verdeutlichen, mit denen sich die mit dem Begriff »Hamburger Schule« in Verbindung gebrachten Musikerinnen und Musiker (oder im Fall von Schulte deren unmittelbares Umfeld) davon distanzieren. Sie sprechen sich vielfach dafür aus, dass man den Begriff differenzierter benutzen sollte und dass er dem jeweils eigenen Werk des oder der Interviewten nicht gerecht werden kann.71 So macht Frank Spilker (Die Sterne) auf die Ignoranz der Kritiker gegenüber dem heterogenen stilistischen Spektrum der Hamburger-Schule-Bands aufmerksam: »Man muss ja ein Problem damit [mit dem Begriff »Hamburger Schule«, Anm. T.H.] haben, weil er so unglaublich grob ist. Wenn man genau hinguckt, haben ja diese drei Bands – Blumfeld, Tocotronic, Die Sterne – gar nicht so viel miteinander zu tun.« (Vits 2004: 258f.) Spilker lässt offen, auf welcher Ebene die Bands angeblich nicht viel miteinander zu tun haben. Seine Bemerkung betont die jeweiligen Eigenarten der genannten Bands, was sich als Versuch verstehen lässt, einer Usurpation durch die Verwendung des Begriffs »Hamburger Schule« entgegenzuwirken. So wäre in diesem Fall Roger Behrens 71 Vgl. Vits (2004: 18f., 31f., 258f.). Weiterhin wird der Begriff »Hamburger Schule« in Läden, Schuppen, Kaschemmen von vielen der interviewten Zeitzeugen problematisiert (vgl. insbes. Kuhn 2003: 171–174).
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zuzustimmen, der konstatiert, es habe »die so genannte Hamburger Schule eigentlich nur in Form ihrer Ablehnung, als negatives Etikett, in der Zurückweisung« (Behrens 2002a: 250) gegeben. In der Zurückweisung des Begriffs bzw. in der Forderung nach einem reflektierten Umgang damit lassen sich zwar keine Belege dafür finden, dass eine Band oder ein Musiker sich mit der Zuschreibung »Hamburger Schule« vollständig identifiziert, allerdings kommt es auch nie dazu, dass der Begriff kategorisch abgelehnt wird. Obwohl sich die Akteure vom Begriff »Hamburger Schule« mehrheitlich distanzieren, machen sie ihn doch vielfach zu einem Bestandteil ihres Diskurses – wenn auch nicht in affirmativer Art und Weise: Dies ist explizit in dem Song »Ich Bin Neu In Der Hamburger Schule« (Tocotronic 1995c) und dem Albumtitel »dead school hamburg (give me a vollzeitarbeit)« (Die Goldenen Zitronen 1998) der Fall.72 In Blumfelds Song »Mein System kennt keine Grenzen« (1999a) bezieht sich die Band indirekt auf die Hamburger Schule, wenn hier, wie dem CD-Booklet zu entnehmen ist, ein Chor besthend aus Schülern der »Klasse 4c Schule Kielortallee« (ebd.) vorkommt – einer Hamburger Grundschule.73 Dieser Chor wahrhaftiger Hamburger Schüler verweist auf den Chor in »Superstarfighter« (Blumfeld 1994), der seinerseits aus ›Hamburger Schülern‹ wie Schorsch Kamerun, Tobias Levin, Frank Spilker, Dirk von Lowtzow, Rocko Schamoni und Pascal Fuhlbrügge besteht (vgl. ebd.). Blumfeld demonstrieren mit diesem selbstreferenziellen Bezug auf ihr eigenes Werk bzw. »System« ästhetische Autonomie gegenüber der Hamburger-Schule-Zuschreibung von außen. Die Tatsache, dass eine solche Autonomiebehauptung überhaupt für nötig erachtet wird, zeigt aber ja nur: Man steckt halt, um auf Thees Uhlmanns Formulierung zurückzugreifen, doch ›irgendwie mit drin‹. Die Verbindungen zum Hamburger-Schule-Diskurs werden also weder affirmiert noch vollständig dementiert – möglicherweise auch, um das problematische, aber ökonomisch erfolgreiche Label »Hamburger Schule« dann doch in verkaufsfördernder Art und Weise mit dem eigenen Produkt in Verbindung zu bringen. Dies wäre im Übrigen vollkommen nachvollziehbar, konstituieren sich die Werke von Blumfeld, Tocotronic, den Sternen und anderen eben immer auch unter marktwirtschaftlichen Rahmenbedingungen, auch wenn sie inhaltlich in Gegnerschaft dazu stehen. Charakteristisch scheint hier gerade die Art und Weise zu sein, mit der die Hamburger-Schule-Bands solche Rahmenbedingungen thematisieren. Auch 72 Die Goldenen Zitronen werden zumeist selbst nicht zur Hamburger Schule gezählt. Petras sieht sie gemeinsam mit der Band Kolossale Jugend zwar als Wegbereiter von »Hamburger Schule« und »Diskurspop«, aber letztlich (m. E. zu Recht in Bezug auf Die Goldenen Zitronen) als eine der »noch ganz dem Punk-Idiom der 1980er Jahre verpflichtete[n] Gruppe[n]« (Petras 2011: 169). Vgl. hierzu auch Karschnia (2012: 61). 73 Vgl. URL: http://www.schule-kielortallee.hamburg.de (Letzter Zugriff: 19. 05. 2016).
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wenn der Begriff »Hamburger Schule« nicht immer fällt, werden doch die damit verbundenen marktwirtschaftlichen Strukturen zum Thema, etwa die Verfasstheit der ehemalig einschlägigen, jedoch inzwischen gentrifizierten Orte der Szene wie dem Golden Pudel Club in »0.30, gleiches Ambiente« (Die Goldenen Zitronen 1996). In »Titelstory gegen ganzseitige Anzeige« (Flowerpornoes 1993) singt Tom Liwa: »Fünf Jahre nach mir / und drei Jahre nach Blumfeld / kaufen sie alles ein / was deutsch singt / und laut genug lügen kann / viele von denen sind besser / als wir es je waren« (ebd.) und kommentiert damit den Status der (deutschsprachig textenden) Hamburger Schule innerhalb des Musikgeschäfts.74 Die Sterne liefern im Eröffnungssong ihres dritten Albums eine Reaktion auf die oben beschriebene Hochkonjunktur deutschsprachiger Popmusik, wie sie unter anderem von Bands wie Flowerpornoes und Blumfeld initiiert wurde. Auch nimmt die Kritik der Sterne Bezug auf die Diskussion um eine Quote hinsichtlich des Anteils von Musik mit deutschsprachigen Texten im Radio. Der Sterne-Song erschien auf dem ersten Album der Band, das auf einem MajorLabel (Sony) veröffentlicht wurde. Damit geriet die Band selbst in den Verdacht des von Liwa erwähnten ›Einkaufs‹ deutschsprachiger Popmusik und wirkte mit dem Songtitel »Scheiß auf deutsche Texte« (Die Sterne 1996) diesem Verdacht entgegen. Auch das Video zu »Was hat dich bloß so ruiniert« (Die Sterne 1996, Regie: Ted Gaier) macht die marktwirtschaftliche Dimension der Hamburger Schule zum Thema: Wurden Gemeinsamkeiten von Tocotronic, Blumfeld und den Sternen von Frank Spilker bisweilen in Frage gestellt, werden sie hier erneut virulent – wenn auch überwiegend im Kontext des deutschen Musikmarktes. Im Video kommt es zu einer Nebenordnung ebendieser drei Bands: Außer den Bandmitgliedern der Sterne spielen im Video auch Jan Müller (Tocotronic), Jochen Distelmeyer (Blumfeld) und Kristof Schreuf (Kolossale Jugend, Brüllen) mit. Als Repräsentanten der Hamburger Schule (der Begriff wird selbst nicht genannt) werden sie einer Gruppe von Musikmanagern gegenübergestellt, die gebannt ein Balkendiagramm verfolgt, das die momentane Beliebtheit oder den Marktanteil von »DTH« (Die Toten Hosen), »Fantas« (Die Fantastischen Vier), »Sterne«, »Tocos« (Tocotronic) und »Selig« darstellt (Abb. 9, 10). Dies ist einerseits als ironischer Kommentar auf die Konjunktur deutschsprachiger Popmusik und deren Vermarktung zu lesen, andererseits positionieren sich Die Sterne gemeinsam mit Tocotronic (Blumfeld tauchen in dem Diagramm nicht auf – womöglich weil es um 1996 tatsächlich gerade ruhiger um die Band wurde) 74 Die Nähe der Duisburger Band Flowerpornoes zur Hamburger Schule wurde vielfach konstatiert, etwa in Bartels (1996: 34). Sie wird zudem dadurch plausibel, dass die Flowerpornoes auf Compilations des Labels What’s So Funny About… (V.A. 1990, 1992b) und damit im unmittelbaren Umfeld zu Bands wie Cpt. Kirk & , Kolossale Jugend und Blumfeld vertreten sind.
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als neue Größen des Musikmarkts neben den genannten etablierten Bands. Bei aller Ironie kommt das Balkendiagramm der wirklichen Marktsituation – zumindest was die mediale Präsenz der Bands angeht – wohl recht nahe, sodass sich das Video gleichermaßen als kritische Darstellung der Marktbedingungen von Popmusik wie als eine (zum Veröffentlichungszeitpunkt wohl auch nicht völlig weltfremde) Größenphantasie der Band verstehen lässt.
Abb. 9: Musikvideo »Was hat dich bloß so ruiniert« von Die Sterne.
Ferner werden die Hamburger Produktionsbedingungen in »Selber Schuld« (Cpt. Kirk & . 1992) mit den Refrainzeilen »What’s so funny about L’Age Polyd’or / was ist komisch an viel besserem Gold / What’s so funny about L’Age Polyd’or / was ist komisch an viel besseren Zeiten« (ebd.) thematisiert. Diese Zeilen, die eine Collage aus den drei Labelnamen What’s So Funny About, L’Age D’Or und Polydor enthalten, spielen auf die Kooperation des Indie-Labels L’Age D’Or mit dem Major-Label Polydor an. Sie liefern neben dem Bezug auf das Musikgeschäft ein gutes Beispiel für den Reichtum an Wortspielen und Mehrdeutigkeit innerhalb der Verfahren der Hamburger Schule. Weniger konkret kommt es zur Auseinandersetzung mit dem Begriff »Hamburger Schule« auf Rocko Schamonis Album »Showtime« (1999). Hier findet sich ein Song mit dem Titel »Loveschool Hamburg« – ein reines Instrumentalstück, mit dem »alles Gerede über die Hamburger Schule […] ironisiert« (Behrens 2002a: 247) wird. In der Diskussion des Begriffs »Hamburger Schule« durch deren Akteure – sei
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Abb. 10: Musikvideo »Was hat dich bloß so ruiniert« von Die Sterne.
es in Interviews oder in den Werken selbst – wurde insbesondere die Ungenauigkeit kritisiert, mit der der Begriff verwendet wird. Nimmt man den Begriff »Schule« ernst, so lässt sich auch hier dessen Undifferenziertheit kritisieren. Entsprechend grenzt sich Julia Lubcke (Fünf Freunde, Concord) von einer Schulenbildung mit dem Hinweis ab, dass es keine übergeordnete Programmatik, zumindest keine ausformulierte, gegeben habe: »Es gab nicht so den Gedanken wie: Wir sind Hamburger Schule und wir schreiben jetzt ein Manifest oder so« (Fröbel/Walinski/Hancken 2011: 48), eher sei der Begriff »von außen an uns herangetragen« (ebd.: 52) worden, sodass nach Lubckes Empfinden »eine Schublade aufgemacht und Bands hineingesteckt« (ebd.) wurden.75 Ähnlich wie von Lubcke beschrieben, wurde die Legitimation des Begriffes »Hamburger Schule« vielfach dahingehend infrage gestellt, dass er keine von den Akteuren selbst dazu erkärte Institution bezeichnet. Auch Katha Schulte kritisiert, dass so »niemand über sich selbst gesprochen« (Springer 2011b: 84) habe.76 Allerdings wird der Aspekt der Schulenbildung von Schulte partiell nachvollzogen und plausibilisiert: »Gemeint ist wahrscheinlich, dass die Bands sich womöglich gegenseitig beeinflusst oder verstärkt und damit eine Art Schule gebildet haben.« (Ebd.: 87) So wird eine implizite ›Schule‹ erkennbar, die sich 75 Vgl. hierzu auch Bianca Gabriel in Fürst/Guong (2011: 97). 76 Vgl. hierzu auch Bernadette Hengst in Reimers/Sendzik (2011: 124).
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sowohl über ein kollaboratives Moment in der ästhetischen Praxis als auch über die Kritik an der feuilletonistischen und marketingtechnischen Vereinnahmung dessen, was als »Hamburger Schule« bezeichnet wurde, konstituiert. Auch Roger Behrens nimmt auf diese Weise den Begriff »Schule« ernst und kommt zu dem Schluss, eine Hamburger Schule habe nie existiert, da es in Hamburg kein musikalisch-kulturelles Feld gegeben [hat], wie es etwa in Wien die Wiener Schule geprägt hat; für die innermusikalischen Auseinandersetzungen, die die Zweite Wiener Schule bestimmten, fehlte der Popmusik auch in den Neunzigern noch allgemein die Kraft, endgültig das Ernste und (Post-) Moderne für sich zu reklamieren (Einzelne haben das geschafft: Talking Heads werden gelegentlich als postmoderne Band in der philosophischen Literatur erwähnt; dann gibt es den Avantgarderock, Fred Frith und andere, und auch oder vielleicht gerade in der Musikstadt Hamburg, mit ihrer Linie von Johannes Brahms und Gustav Mahler bis Alfred Schnittke und György Ligeti, oder Dieter Glawischnig und die lebendige Jazzszene, als auch hier gibt es dann sogar im Umfeld der als solche bezeichneten Hamburger Schule Grenzüberschreitungen: die fragmentierte und strenge Popularmusik von Zimbo, der Grindcore von Helgoland, die Improvisationsmaschine namens MKK – Das Mobile Klangkomando [sic] etc.). (Behrens 2002a: 245)
Auch hier werden für die Existenz einer Schule »innermusikalische Auseinandersetzungen« angenommen, die aus Behrens’ Sicht für die Popmusik der 1990er Jahre nicht vorhanden waren. Mit diesen Auseinandersetzungen scheint Behrens zu assoziieren, dass die Musik der Hamburger Schule bzw. der Popmusik allgemein in den Status von E-Musik, Avantgarde oder zumindest von Popmusik als Kunstform avancieren müsste. In diese Richtung tendieren denn auch die von ihm aus dem Hamburger Kontext genannten Gegenbeispiele aus der Jazz-Szene oder aus ›progressiven‹ (im Sinne von: am Progressive Rock der 1970er Jahre orientierten) Strömungen an den Rändern der Hamburger Schule (Helgoland, MKK, Zimbo), denen dies gelungen sei. Behrens’ Beobachtung scheint mir – insbesondere, da auch der Begriff »Postmoderne« fällt – für die Semantisierung des Schlagwortes »Hamburger Schule« relevant zu sein. Er wirft damit nämlich die Frage auf, warum es bei der Hamburger Schule nicht zu einer gleichsam ästhetizistischen Bejahung der eigenen Textualität und einer produktiven (wie im Beispiel Talking Heads) Ausweitung von »innermusikalischen Auseinandersetzungen« kam.77 Behrens liefert auf diese Frage eine schlüssige Erklärung: Eine politische Bewegung sollte es sein, mit den Mitteln von Pop und innerhalb des kulturellen Feldes; das war die Strategie der Subversion, Anlässe gab es genug (also: Missstände, Rassismus, Kapitalismus etc.), aber eine Schule, im Engeren, hätte diesem 77 Im vorliegenden philologisch ausgerichteten Kontext wäre es sinnvoller, von ›innerästhetischen Auseinandersetzungen‹ zu sprechen.
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Projekt eher geschadet. – Und hat es auch: Freilich meinten die meisten, die von der Hamburger Schule gesprochen haben, immer auch ein bestimmtes politisches Verhältnis oder Verhalten; genau dies wurde aber in der Klassifizierung als Schule bereits ausgeblendet, das Politische gänzlich nivelliert, ausgespart. (Ebd.: 245f.)
Die »Schule« im engeren Sinne scheint unmittelbar mit einer Haltung der l’art pour l’art verknüpft zu sein, die einem politischen Ansatz und seiner eher realweltlich ausgerichteten Aktion entgegensteht (Behrens spricht von politischem »Verhalten«). Als gemeinsamen Nenner identifiziert Behrens folglich die Frankfurter Schule: Am ehesten besteht noch eine provozierte Analogie zur Frankfurter Schule, zur kritischen Theorie Theodor W. Adornos, Max Horkheimers und anderer – durchaus waren, neben französischer poststrukturalistischer Literatur, die Texte, oder wenigstens ein diffuses Wissen um ihren Stellenwert in linksintellektuellen Debatten, auch für Bands, die der Hamburger Schule zugeschrieben wurden, nicht unwichtig. (2002a: 245)
In der Verbindung von Frankfurter und Hamburger Schule, so muss man Behrens verstehen, wurde eine Konzeption von »Schule« möglich, ohne den politischen Anspruch zugunsten eines postmodernen Ästhetizismus aufzugeben – auf diese Weise ließen sich Politik und Ästhetik innerhalb des SchulenParadigmas zusammenbringen.78 Wenn der Begriff »Hamburger Schule« in der journalistischen Rezeption häufig unkritisch verwendet wurde, hatte dies zur Folge, dass mit Eigenschaften wie intellektuelle Avanciertheit, Deutschsprachigkeit der Texte und der Verortung in einem subkulturell-linkspolitischen Umfeld auf wenig differenzierte Art und Weise eine in sich geschlossene Strömung suggeriert wurde. Dagegen soll der Begriff »Hamburger Schule« im Folgenden weder statisch verwendet werden – also auf eine Geschlossenheit und ›Essenz‹ der Strömung abhebend – noch sollen seine Existenz und seine Legitimität verleugnet werden. Vielmehr erscheint eine aus dem Diskurs abgeleitete Semantisierung sinnvoll. In vielen journalistischen und wissenschaftlichen Publikationen wurde in der 78 Schon die häufig im Zusammenhang mit der »Hamburger Schule« erwähnte »Frankfurter Schule« der Kritischen Theorie hatte übrigens mit dem Vorurteil einer vermeintlichen Geschlossenheit als ›Schule‹ zu kämpfen und grenzte sich mit aus dem Hamburger-SchuleDiskurs vertraut wirkenden rhetorischen Figuren ab. So bemerkt Jürgen Habermas: »Kennzeichen wie ›Kritische Theorie‹ oder ›Frankfurter Schule‹ suggerieren die Einheit eines Schulzusammenhangs, der, mit Ausnahme weniger Jahre in New York, nie bestanden hat. Allerdings erklärt die weitgehend fiktive Einheit dieser Forschungstradition einen Teil ihrer relativ großen Wirkung« (Habermas 1986: 8). Weiter heißt es bei Habermas: »Heute wirken in der wissenschaftlichen Diskussion die von der Kritischen Theorie ausgehenden Anstöße in so viele verschiedene, manchmal entgegengesetzte Richtungen, daß von der Identität einer Schule, wenn sie je bestanden hat, keine Rede mehr sein kann. Die suggestive Fiktion eines einheitlichen Schulzusammenhangs sollte nicht zu viele Energien für das Unternehmen der ideengeschichtlichen Selbstthematisierung binden.« (Ebd.: 10f.).
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Vergangenheit kolportiert, dass der Begriff »Hamburger Schule« erstmalig 1992 von Thomas Groß in der tageszeitung anlässlich einer Doppelbesprechung der in diesem Jahr erschienenen Alben »Ich-Maschine« (Blumfeld) und »Reformhölle« (Cpt. Kirk & ) erwähnt worden sei. Eine solche Doppelbesprechung durch Thomas Groß wird – ohne Zitatnachweis – angeführt in Avantario (2011: 124), Behrens (2002a: 252), Fuchs-Gamböck/Schatz (2008: 73f.), Gödden (2008c: 231), Kneiding (o. J.: o.S., durch eine Interviewaussage von Tobias Levin), Kuhn (2003: 171, durch Interviewaussagen von Tobias Levin, Carol von Rautenkranz und Pascal Fuhlbrügge), Seiler (2010: 187), Skai (2009: 226) sowie in den Wikipedia-Einträgen zu »Hamburger Schule«79 und »Cpt. Kirk & .«.80 In mehreren dieser Artikel ist die Rede davon, dass der Begriff von Groß in Anlehnung an die Frankfurter Schule der Kritischen Theorie entwickelt wurde.81 Da sich ein Artikel solchen Inhalts, obwohl er immer wieder Erwähnung findet, im Archiv nicht positivieren lässt und in keinem der genannten Texte ein Nachweis geliefert wird, zweifle ich die tatsächliche Existenz dieses vermeintlichen Gründungsdokuments an. Deutlicher ausgedrückt: Das Dokument gibt es nicht. Dies konstatiere ich, nachdem ich sowohl mit Thomas Groß als auch mit den Zeitzeugen Tobias Levin und Pascal Fuhlbrügge gesprochen habe und auch sie nicht zweifelsfrei bestätigen konnten, einen derartigen Artikel tatsächlich verfasst oder gelesen zu haben.82 Zu einem ähnlichen Ergebnis kommt bereits Björn Fischer (2007: 11f.), der 79 URL: http://de.wikipedia.org/wiki/Hamburger_Schule_(Popmusik) (Letzter Zugriff: 22. 08. 2014). 80 URL: http://de.wikipedia.org/wiki/Cpt._Kirk_%26 (Letzter Zugriff: 22. 08. 2014). 81 Bei Hornberger (2011: 378) und Weissmann (2011: 255) wird die Anlehnung des Begriffs an die Frankfurter Schule ohne einen Verweis auf konkrete Autoren erwähnt. In einem ausführlichen Radiobeitrag wird behauptet, die Hamburger Schule sei »ein Begriff, der von einem taz-Journalisten erfunden wurde in Anlehnung an die Frankfurter Schule. Es ging also vor allem um die Diskursivität innerhalb der Texte. Blumfeld waren da eine Band. Die andere Band, die in diesem Jahr [1992, Anm. T.H.] mit einem Album auf sich aufmerksam gemacht haben, waren Cpt. Kirk« (Reinstädt 2012: o.S., transkribiert von T.H.). Einen Sonderweg wählt Schlösser (2007), der den Wikipedia-Eintrag zur Hamburger Schule ausführlich zitiert und diskutiert, ohne sich an der Klärung seines faktischen Wahrheitsgehalts zu beteiligen. Schlösser sieht in dem Eintrag und insbesondere in der hier postulierten Prägung des Begriffs »Hamburger Schule« durch Thomas Groß vielmehr ein Beispiel für das Pop-Mythen erzeugende »Stricken von Legenden«, bei dem »Ursprünge […] möglichst im Dunkel und nur mit Mühe dechiffrierbar bleiben [sollen] – knappes symbolisches Kapital will ja schließlich ordentlich verzinst werden. Zunächst nur einigen Wenigen vertraut, müssen ja nicht nur in jugendlichen Subkulturen Ausweisworte gefunden werden, die den Sprecher als Kenner und damit auch als potentiell Anerkennbaren ausweisen – so werden Schulen geboren«. (Ebd.: 503). Im Wikipedia-Eintrag erzeuge, so Schlösser, »die Begrifflichkeit das Phänomen im Akt der Benennung« (ebd.). 82 Zu meiner ergebnislosen Suche im taz-Archiv sei noch bemerkt, dass diese sich – in Abstimmung mit dem taz-Recherchedienst – auch auf jegliche Regional-Ausgaben der taz erstreckte.
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einen Zweifel an der Existenz des Dokuments allerdings nicht äußert. Ein Beleg zum Begriff »Hamburger Schule« im Berliner Stadtmagazin tip, über den Fischer spekuliert und dessen mögliche Existenz er aus den Aussagen Pascal Fuhlbrügges in Kuhn (2003: 171) motiviert, konnte in meiner Recherche in Absprache mit der tip-Redaktion als Fehlinformation identifiziert werden. Auch die in Avantario (2011: 124) und Kuhn (2003: 171, von Pascal Fuhlbrügge) erwähnte Prägung des Begriffs durch Volker Backes im Bielefelder Fanzine what’s that noise lässt sich auf Textebene und nach Korrespondenz mit dem Autor nicht belegen, obgleich Backes sich in dem von ihm mitbegründeten Magazin im Zeitraum von 1988 bis 1998 immer wieder ausführlich zur Hamburger Szene geäußert hat – dies allerdings, wie Backes mir gegenüber erklärte, in der bewussten Vermeidung des Begriffs »Hamburger Schule«. Doch auch wenn die Suche nach dem einen Gründungsdokument ergebnislos blieb, lässt sich die Tatsache, dass Thomas Groß an der Etablierung des Begriffs »Hamburger Schule« beteiligt gewesen ist, als durchaus zutreffend nachweisen. Seit 1992 verwendet er ihn immer wieder beiläufig und in verschiedenen Kontexten; auch andernorts lassen sich im journalistischen Diskurs ab 1992 erste Belege für den Begriff finden. So benutzt ihn Groß in einer Sammelbesprechung mehrerer aktueller Alben in seiner taz-Rubrik »Scheibengericht« (Groß 1992: 13) und kommt hier mit den Referenzpunkten Cpt. Kirk & ., Blumfeld, Luhmann und Adorno dem Verwendungszusammenhang des kolportierten Artikels am nächsten.83 Er bezieht den Begriff auf das Album »Frauenhände« (1992) des Münchner Duos Milch und wählt als Aufhänger der Rezension den Standort Hamburg: Zwei Münchner in Hamburg. Offenbar hat der Erfolg von Bands wie Blumfeld oder Cpt. Cirk [sic] die beiden, die sich Milch nennen, dorthin gelockt. Und in der Tat scheinen Lyrics, die essentielle Fragen ansprechen wie ›Warum verbindet mich mit dem einen alles / Oder sehr Vieles / Oder sehr Weniges / Mit dem anderen garnichts?‹ in eine durchaus ähnliche Richtung zu weisen. Doch anders als die Hamburger Schule, die – im besten Sinne natürlich – radikales Juvenilsein zum Programm erhoben hat, das mit Lesefrüchten von Adorno bis hin zu Luhmann kredenzt wird, sind die Münchner bei näherem Hinhören eher schlicht kindisch. Mit ihren Marschrhythmen und Kindergarten-Samples landen sie, man weiß nicht so recht ob volens oder nolens, fast schon wieder bei Andreas Dorau. (Groß 1992: 13)
83 Aus Groß (1992) zitiert auch Mischke (2008: 298) und weist darauf hin, dass im Zusammenhang mit der erstmaligen Nennung des Begriffs »Hamburger Schule« auf diesen Artikel verwiesen werde. Allerdings liefert Mischke keine Nachweise – weder für den besagten Artikel selbst noch für Texte, in denen auf ihn verwiesen wird. Darüber hinaus suggeriert Mischkes Text, dass sich der genannte Artikel unmittelbar auf die Alben »Reformhölle« und »Ich-Maschine« bezieht, was nicht den Tatsachen entspricht: Es werden lediglich die Bandnamen »Blumfeld« und »Cpt. Kirk & .« genannt (vgl. Groß 1992: 13).
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Groß deutet im ersten Teil des Zitats den Erfolg und damit die Existenz einer musikalischen Strömung in Hamburg an, die sich primär durch eine bestimmte Art von Lyrics ausweist. Die zitierte Passage aus dem Milch-Song »Raimund« (1992) soll die Gemeinsamkeiten zwischen Milch und den Hamburger Bands, die »ähnliche Richtung« (Groß 1992: 13) der Texte, illustrieren. Diese Ähnlichkeit wird nicht weiter ausgeführt, abgesehen davon, dass in beiden Fällen »essentielle Fragen« angesprochen würden. Was Groß unter »essentiellen Fragen« (ebd.) versteht, wird ebenfalls nicht expliziert, es wird lediglich ein Beispiel für essentielle Fragen ansprechende Lyrics geliefert. Diese immerhin lassen erkennen, dass sich die Fragen des lyrischen Ichs auf die Reflexion verschiedener Intensitätsgrade der Beziehung zu seiner Umwelt beziehen. Im Zuge von Groß’ Vergleichsoperation lässt sich so das Postulat eines gemeinsamen Merkmals derjenigen Strömung rekonstruieren, deren Vertreter Blumfeld und Cpt. Kirk & . von Groß im folgenden Teil des Zitats – möglicherweise erstmalig – als »Hamburger Schule« bezeichnet werden: Ein vom lyrischen Ich thematisiertes dialektisches Verhältnis zur (sozialen) Umwelt. Im Fall der zitierten Milch-Lyrics gilt dabei für das lyrische Ich: Auch wenn es feststellt, dass es etwa »mit dem anderen gar nichts« (Milch 1992: »Raimund«) verbindet, konstituiert sich der Diskurs über das Verhältnis des Ich mit dem Außen (Verbindung/keine Verbindung). Eben diese Eigenschaft wurde später in Bezug auf die Songtexte der Hamburger Schule im feuilletonistischen und wissenschaftlichen Diskurs immer wieder konstatiert, zuletzt etwa von Hornberger, die in diesem Sinne eine Verwandtschaft zwischen Hamburger Schule und Neuer Deutscher Welle bemerkt.84 Im Mittelpunkt der Texte stehe nämlich »in beiden Fällen die individuelle Perspektive auf die konkrete Umwelt« (Hornberger 2011: 379), und hier gerate insbesondere der »Alltag in einem intellektuellen und zugleich selbstironischen Akt zum Reflektionsfeld des großen Weltgeschehens.« (Ebd.) Weiterhin formuliert Hornberger, Jochen Distelmeyer und Frank Spilker seien nach Peter Hein (Fehlfarben) »die ersten Songschreiber, die die Schilderung des Innenlebens mit Miniaturbeschreibungen der Außenwelt verknüpfen« (ebd.: 380). Das von Groß behauptete Programm, das er mit dem Popmusik-Standort Hamburg in Verbindung bringt, konnte durch den Bezug auf Milchs Lyrics ein Stück weit spezifiziert werden. Die Ähnlichkeiten Milchs zum Programm der Hamburger Schule werden vor dem Hintergrund verstärkt, dass das Duo zum Zeitpunkt der Veröffentlichung des Albums »Frauenhände« nicht nur hinsichtlich seiner Lyrics, sondern auch personell mit der Hamburger Szene kon84 Bemerkenswert erscheint im Zusammenhang mit Groß’ Rezension, dass in dieser frühen Prägung des Begriffs »Hamburger Schule« sogleich mit der Nennung Andreas Doraus auch die Neue Deutsche Welle – wenn auch als Abgrenzung – aufgerufen wird.
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vergiert: Auf »Frauenhände« wirken als Gastmusiker Rocko Schamoni und Horst Petersen (Die Erde/Mastino/Jetzmann) mit; 1993 schließt die Band einen Plattenvertrag bei L’Age D’Or ab.85 Im zweiten Teil der oben ausführlich zitierten Besprechung »Scheibengericht« von Thomas Groß gewinnt die Semantisierung des Begriffs »Hamburger Schule« auch über Differenzbeziehungen zwischen Milch auf der einen und Blumfeld und Cpt. Kirk & . auf der anderen Seite an Schärfe: Anders als Milch habe die »Hamburger Schule«, so Groß, »radikales Juvenilsein zum Programm erhoben […], das mit Lesefrüchten von Adorno bis hin zu Luhmann kredenzt wird« (1992: 13). Auch hier bleiben sowohl die von Groß unterstellte Informiertheit über Theorien Theodor W. Adornos und Niklas Luhmanns als auch das »radikale Juvenilsein« von Blumfelds und Cpt. Kirk & .s Programm unexpliziert, weswegen zunächst ein Verständnis für Groß’ Behauptung entwickelt bzw. eine Zuspitzung seiner These versucht werden soll. In der Verbindung eines Programms »radikalen Juvenilseins« mit den genannten »Lesefrüchten« könnte eine ästhetische Praxis benannt sein, die in Orientierung an Adornos Schriften (wenn auch im Widerspruch zu denen Luhmanns) eine linkspolitische und kulturkritische Radikalität vertritt, die Jugend- und Popkultur sowie deren ästhetische Ausdrucksmittel – im Unterschied zur Kritischen Theorie – gerade nicht ablehnt. Ausgehend von den Namen Adorno und Luhmann wäre aber auch eine radikal ›theoriegesteuerte‹, und damit eine programmatisch vor dem Hintergrund abstrakter Prämissen lesbare Poetik denkbar. Ein solcher Ansatz lässt sich in Verbindung mit »radikalem Juvenilsein« konzeptualisieren, insofern er untypischerweise innerhalb des jugendkulturell geprägten Bereichs Popmusik entsteht, aber auch, indem die Juvenilität selbst – auf theoretisch avanciertem Niveau – zum Thema wird. Wie Diederichsen entsprechend feststellt, treiben Blumfeld die pubertäre Position auf eine höhere Ebene, passen sie einer Situation an, wo tausende in Großstädten leben, die sich ihr Leben organisieren als müßten sie nie arbeiten, als würden sie noch vor dem erwachsenen Leben stehen, die aber im Gegensatz zum Pubertären über viel mehr analytische und begriffliche Erfahrungen verfügen, um dem Grübeleien auf höchstem Niveau gegenüberzustellen. (Diedrich Diederichsen 1992a: 67)
Kerstin Grether spricht in diesem Zusammenhang von Jochen Distelmeyer als einem »neuen Typ von Popstar, als ideale Projektionsfläche für die privaten und politischen Sehnsüchte tausender Twentysomethings im Deutschland nach der Wiedervereinigung« (1994: 25). Andernorts wird angemerkt, wie Blumfeld Ju85 Die Bandgeschichte ab 1993 wird aus Sicht des Sängers und Gitarristen Armin von Milch ausführlich protokolliert in Niermann (2003: 226–236).
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venilität thematisieren und ›postpubertär‹ theoretisieren. Auf »Ich-Maschine« gehe es nämlich um die Selbstfindung, das Ich-Ausloten, das Standortbeziehen und – als wesensnotweniger Ausläufer der Pubertät – um das Erwachsenwerden in einer damals noch postmodernen Welt […], wobei Distelmeyer nie davor zurückschreckte, das Gefühl (und allein hier gehört es hin!) als postpubertäre Sentimentalität gleichberechtigt neben die Ratio zu stellen, um aus seiner ureigenen subjektiven Sicht der Dinge – als pars pro toto – eine größtmögliche allgemeingültige Authentizität zu erzielen und doch Raum für das jeweilige ›Ich‹ als Person und ›Du‹ zu lassen. (Skilandat/Hörstmann 1994: 10)
Ein weiteres pars pro toto könnte zur Klärung der von Groß genannten Referenzen Adorno und Luhmann beitragen, schließlich markieren diese durch ihre Präsenz in Popsongs in metonymischer Funktion eine sozialwissenschaftlich beeinflusste Wende, im Zuge derer die Inhalte von Popsongs aus der ästhetischen Sphäre (wieder) auf einen gesellschaftlichen Zusammenhang bezogen werden, und zwar weniger im agitatorischen Modus (wie im Polit-Rock) als vielmehr in einer kritischen Analyse nach dem Vorbild der Frankfurter Schule. Diese Kontinuität wird auch von der Bildunterschrift einer frühen Besprechung der ersten Blumfeld-Single »Ghettowelt« (Blumfeld 1991) mit der folgenden Reihung suggeriert: »Ton Steine Scherben, Fehlfarben, Blumfeld: Fortsetzung des deutschen Pop mit den Mitteln der Sprache« (Briegleb 1991: 24). Die mit den Namen Adorno und Luhmann in Verbindung gebrachten Texte als Bestandteile sich bisweilen widersprechender sozialwissenschaftlicher Schulen (Frankfurt, Bielefeld) wären damit allgemeiner für einen im Kontext der Hamburger Schule konsequent durchgeführten Bezug des lyrischen Ichs auf gesellschaftliche Zusammenhänge denkbar, von dem in der Diskussion des MilchSongs »Raimund« (Milch 1992) ausgegangen wurde.86 86 Wenn in der Diskussion eines etwaigen Gründungsdokuments der Hamburger Schule zwar der Bezug auf die Frankfurter Schule, nicht aber der auf die ›Bielefelder Schule‹ der Systemtheorie Erwähnung fand, mag das seine Berechtigung haben, denn es bleibt unklar, wo sich bei Blumfeld und Cpt. Kirk & . spezifisch Luhmann’sche und systemtheoretisch informierte Lesefrüchte manifestieren lassen. In einem frühen Interview mit Blumfeld wird Luhmann allerdings mehrmals von Jochen Distelmeyer erwähnt. Auf die Passage eines Songs von »Ich-Maschine« Bezug nehmend, in dem es heißt, »In einer Zyankalilaune sitz ich dann / vor’m Telefon / und staune, daß niemand anruft um / mich zu retten / und wenn wer spricht, möcht’ ich wetten, / daß alles, alles bloß Selbstgespräch ist« (Blumfeld 1992a: »Aus den Kriegstagebüchern«), äußert sich Distelmeyer so: »Ich sage ja nicht, alle müssen miteinander reden, aber man kann das Miteinander-Reden oder eben Nicht-Reden beschreiben. Bei zwei Menschen gibt es sehr einfach zu bezeichnende Wege des Zusammenkommens, des Reglementierens, des Organisierens. Das läuft unter dem Überbegriff Kommunikation, was für meine Begriffe auch ein sexueller Akt ist. Da sind zwei Körper vorhanden, die sich durch den kommunikativen Akt zu begreifen versuchen. Manchmal scheitert das und dann ist man bei Niklas Luhmann, der sagt, daß deswegen ein Dialog oft nicht möglich ist und Monolog heißen muß.« (Zabel 1992: 41). Weiter ›referiert‹ Distelmeyer in dem Interview : »Luhmann
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Die zunächst mit einem derartigen Programm konform geglaubte Band Milch sei nun aber, wie Groß feststellt, »bei näherem Hinhören eher schlicht kindisch. Mit ihren Marschrhythmen [angespielt wird hier vermutlich auf den Song »Frauenhände« (Milch 1992), Anm. T.H.] und Kindergarten-Samples landen sie, man weiß nicht so recht ob volens oder nolens, fast schon wieder bei Andreas Dorau.« (Ebd.) Durch die Abgrenzung der Hamburger Schule von Milch und Andreas Dorau macht Groß deutlich, dass letztere – auch wenn Milch mit einem ähnlich abstrakten lyrischen Verfahren und thematisch einschlägig auftreten – doch der Ernsthaftigkeit der Hamburger Schule durch ›kindische‹ Elemente zuwiderlaufen. ›Kindisch‹ kann hier durchaus abwertend als ›regressiv‹ gelesen werden, wenn Groß feststellt, dass Milch wieder bei Andreas Dorau landeten. Auch Ren8 Martens kommt in einer Kurzbesprechung in der Szene Hamburg zu dem Schluss, Milch klinge »wie ein Statement aus den Jahren 1981/82« (1992a: 48). Dabei stellt Martens zwar einerseits fest, das Album eigne sich zur Beschallung von Casper’s Ballroom – einer bei Protagonisten der Hamburger Schule beliebten Bar (vgl. Kuhn 2003: 137–141) –, andererseits falle es im Vergleich »zu den jüngsten Großtaten deutscher Popbands, an dieser Stelle vielfach gelobt, […] jedoch erheblich ab.« (Ebd.) Dass hier im Jahre 1992, insbesondere von Groß, regressive Tendenzen attestiert werden, wäre popgeschichtlich nachvollziehbar, gilt Dorau doch als ein Protagonist der Neuen Deutschen Welle, der vor allem Anfang der 80er Jahre durch den Einsatz naiver Elemente (die von Groß so bezeichneten »Kindergarten-Samples«) mit einer Single wie »Fred vom Jupiter« (Die Doraus und die Marinas 1981) große Erfolge feiern konnte. Elf begreift die Welt als geschlossene Systeme, mit der Tendenz sich zu öffnen. Jedoch haben diese geschlossenen Systeme keinen Überblick darüber, was in einem anderen geschlossenen System passiert, sie können ein anderes System nicht begreifen. Mein erster Schritt war, dass ich mich als Person erst mal selbst erkläre, beschreibe, begreife, erst dann stellt sich ein Loslösen dar. Das kann man beobachten von frühen Texten bis zu späten wie ›Sing Sing‹, wo das Ich verschwindet. Aber zunächst muß ich mich als Person professionalisieren, mich begreifen, von mir ausgehen. Der Selbstschutz vor Angriffen aus der Realität, die Lüge, der meist perfekt funktioniert, dadurch daß man in eine bestimmte Gesellschaftsform eingebunden ist, beispielsweise durch Theorien, nach denen man denkt und lebt, führt auch zu einem unpräzisen Umgang mit diesen Theorien. Man nutzt sie nicht, um sich in Frage zu stellen, sondern um sich zu schützen. Mich interessiert nicht, was du gelesen hast, mich interessiert erst mal alles von dir!« (ebd.: 42). Daraufhin macht der Autor des Artikels, Sebastian Zabel, auf die etwas diffuse Interpretation von Luhmanns Theorien von Seiten Distelmeyers aufmerksam: »Apropos unpräziser Umgang mit Theorien: Abgesehen davon, daß, wie mir Mark (der sich damit was besser auskennt) erklärte, Distelmeyer Luhmann gelinde gesagt etwas frei verfälscht, hat Blumfeld als Angriff der Realität auf meinen verfeinerten Selbstschutz funktioniert.« (Ebd.) Ein möglicher Zusammenhang zwischen Luhmanns Systemtheorie und den Songinhalten Blumfelds wird durch die Ausführungen Distelmeyers nicht eben deutlicher, sodass Luhmanns Theorien hier wohl eher als ästhetischer Einfluss bzw. als theoretische Inspiration denn als stringenter theoretischer oder intertextueller Bezugsrahmen dienen.
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Die Hamburger Schule und die ›Sekundarität‹ der Popkultur in Deutschland
Jahre später nun hebt Groß die oben diskutierte, aus seiner Sicht progressive Vermischung von Pop/Jugendkultur mit avancierten Theorieentwürfen lobend hervor. Mit dieser Differenzbeziehung wird die Hamburger Schule von ihm als ›nicht kindisch‹, man könnte ergänzen: ›ernsthaft‹ und, gerade auch im Umgang mit Pop- und Jugendkultur, als ›erwachsen‹ und ›kritisch‹ semantisiert. Dies erhärtet sich im folgenden Passus der diskutierten Sammelrezension, in der Groß abermals Merkmale der Theoriegesteuertheit und Selbstreflexivität mit einer Hamburger Band verbindet, die er dem »eisernen Bestand des L’AgeD’Or-Pop-Verständnisses« (Groß 1992: 13) zurechnet. Wiederum bemüht sich Groß nicht sonderlich darum, seine Zuschreibung auszuführen. Zwar erschien »Mikrokosmos« (1992) von Hallelujah Ding Dong Happy Happy tatsächlich auf dem Label L’Age D’Or, doch das erklärt nicht, was es mit dessen Pop-Verständnis auf sich hat. Groß bescheinigt Hallelujah Ding Dong Happy Happy, dass sie »unter anderen Umständen vielleicht eine lupenreine Sixties-Band« (ebd.) geworden seien, dies sei aber, so Groß, »schon seit längerem ausgereizt« (ebd.). Unter Hamburger Umständen, so ließe sich ergänzen, reflektieren sie vielmehr jene Ausgereiztheit einer Sixties-Band. Groß beschreibt das Verfahren folgendermaßen: [Sie] integrieren Restbestände aus Jam-Songs [gemeint ist Paul Wellers Band The Jam, Anm. T.H.] und Schrammel-Beat-Versatzstücke in teils englisch, zum größeren Teil deutsch gesungene Kauderwelschigkeiten, die thematisch den Mikrokosmos Hamburger Gymnasiastentums abstecken: trinken, dichten und Sex haben mit höheren Töchtern. (Ebd.)
Die Beschäftigung mit »Restbestände[n]« und »Versatzstücke[n]« (ebd.) der Originale verweist auf das selbstreflexive Moment einer Sixties-Band post festum; entsprechend wird auch der Albumtitel »Mikrokosmos« als selbstreflexiv verstanden, wobei Groß ein intellektuell-bohemistisches »Hamburger Gymnasiastentum« (ebd.) behauptet. Die Äquivalenz zu seiner Neuschöpfung »Hamburger Schule« führt zur weiteren Semantisierung, nach der es sich bei den Akteuren dieser Schule eben nicht um Haupt-, Real-, Berufs- oder Gesamtschüler, sondern um Gymnasiasten handelt, die mit »höheren Töchtern« (ebd.) verkehren. Hieraus lassen sich weitere Attribute zur Bestimmung der Hamburger Schule aus dem Diskurs ableiten – ein gewisser Grad an ›Sophistication‹ und Distinktion etwa. Abschließend bemerkt Groß etwas kryptisch, das Album »Mikrokosmos« sei »ein weiteres Stück Hamburger Klötzchenbauweise«, bei dem es »zum ganz großen Wurf nicht langt, aus dem aber vielleicht doch irgendwann das Richtige entstehen mag« (ebd.). Wurde die Hamburger Schule also in Differenz zum ›kindischen‹ Verfahren Doraus und Milchs zuvor schon als progressiv markiert, kommt Groß wiederholt – und auch hinsichtlich der aus seiner
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Sicht weniger gelungenen Erzeugnisse dieser Strömung – zu dem Schluss, dass sich Konzepte der Hamburger Schule oder eines »L’Age D’Or-Pop-Verständnisses« auf dem ›richtigen Weg‹ einer Entwicklung befinden und mit ihnen grundsätzlich eine gewisse zukunftsweisende Qualität einhergeht. Anfang 1993 benutzt Groß den Begriff erneut in einer Konzertankündigung im Lokalteil der Berliner taz (Groß 1993a: 39). Die Referenzpunkte sind hier nahezu identisch zum diskutierten »Scheibengericht«-Artikel: Der »sogenannten Hamburger Schule« (ebd.) werden nun sogar »avantgardistische Leistungen in Fragen radikalen Juvenilseins« (ebd.) zugeschrieben; fast alle zugehörigen Bands seien »einträchtig vereint bei den Labels L’Age D’Or und What’s So Funny About« (ebd.).87 Kurze Zeit später greift Thomas Groß den Begriff in einem Interview mit Phillip Boa (Groß 1993b: 15) wieder auf, indem er seinen Gesprächspartner nach den momentan maßgeblichen deutschen Bands fragt. Als dieser von sich aus keine Namen nennen möchte, schlägt Groß vor: »Wenn ich einfach mal Namedropping mache und sage: Blumfeld, Captain Kirk, die sogenannte Hamburger Schule, die im Moment wohl am ehesten die progressive Jugend auf ihrer Seite hat…« (ebd., Herv. T.H.). Hier wird Groß’ Einschätzung der Hamburger-SchuleBands als Repräsentanten einer progressiven Jugendkultur schließlich ausgesprochen. Boa stellt die Relevanz der genannten Bands daraufhin in Frage und kennzeichnet sie als Nischenprodukte, denn bei der von Groß angesprochenen Jugend handle es sich lediglich um »8.000 Spex-Leser«, die Hamburger Schule stehe für einen »Hamburger Humor, den kein anderer versteht«, dies sei »doch eher Musik von Journalisten für Journalisten oder solche, die’s gerne wären« (ebd.). Boa spricht damit an, was auch in der hier diskutierten Begriffsgeschichte der Hamburger Schule deutlich zum Vorschein kommt: Wie stark nämlich der Diskurs über die Hamburger Schule mit Texten aus Spex, dem popkulturell informierten Feuilleton (insbesondere der taz), aber auch mit Artikeln aus in den 1990er Jahren in popmusikalischen Fragen progressiven Stadtmagazinen wie Szene Hamburg in Verbindung steht.88 Autoren wie Till Briegleb (taz), Detlef
87 Beide der mit der Hamburger Schule in Verbindung gebrachten Labelnamen beziehen sich auf konkrete Prätexte, wobei sich ein bemerkenswerter Chiasmus ausmachen lässt: What’s So Funny About… als das artifiziellere und ›avantgardistischere‹ der beiden DiskurspopLabels ruft mit dem von Nick Lowe geschriebenen Elvis-Costello-Song »(What’s So Funny ’Bout) Love, Peace and Understanding« (Elvis Costello & The Attractions 1979) einen PopText auf; L’Age D’Or als das zugänglichere, ›poppigere‹ und mit Bands wie Tocotronic und Die Sterne auch das höhere Stückzahlen verkaufende Label positioniert sich durch den Bezug auf Luis BuÇuels gleichnamigem Film (1930) – als einschlägigem Dokument des Surrealismus – dagegen avantgardistisch. 88 Insofern kann die Position des Textwissenschaftlers dadurch nur sinnvoll als Teil einer
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Die Hamburger Schule und die ›Sekundarität‹ der Popkultur in Deutschland
(Prinz) und Diedrich Diederichsen (Spex), Christoph Gurk, Tom Holert, Ren8 Martens, Michael Ruff (alle Szene Hamburg), Sebastian Zabel (Spex) und eben Thomas Groß (taz) waren an diesem Diskurs Anfang der 1990er Jahre beteiligt und trugen von Seiten der Rezeption aus zur Bildung eines Diskurspop-Konzepts bei, das sich nun eben nicht mehr allein auf die Musik der einschlägigen Bands bezog, sondern diese zum Anlass ihrer Textproduktion nahm, die einen eigenen ›Popdiskurs‹ etablierte. Diese Texte fungieren nicht mehr allein als konventionelle Rezeption im Sinne einer Beurteilung von Musik- und Literaturkritikern, sondern vielmehr als Fortschreibung der Diskurse auslösenden Musik (vgl. Diederichsen 2005: 71).89 Diese Wechselwirkung von Popjournalismus und Popmusik geht auf den Musikjournalismus der 1980er Jahre zurück, in dem der Einfluss der PopmusikSzene auf den Popjournalismus aus dem Selbstverständnis der Zeitschrift Spex erkennbar wird. So erklärt die an der Spex-Gründung 1980 beteiligte Clara Drechsler, sich von »einigen ›Fachleuten‹« (1981: 27) abgrenzend: Wir messen unsere Beiträge nur an den gleichen Maßstäben wie die Musik, über die wir schreiben. Deshalb ist uns ein holpriger Artikel, in dem die Aussage stimmt oder ein ehrliches Anliegen vorgebracht wird, allemal lieber als stilistisch einwandfreie Blasenspuckerei oder gequält, quere Ausdrucksweise. Wir selbst sind schließlich auch keine erfahrenen Rockjournalisten […]. Wir schreiben aus der Perspektive des ›begeisterungsfähigen Konsumenten‹, denn wir sind keine abgehobenen ›Rezensenten‹ und wir sind auch nicht das Goethe-Institut. Wir sind einfach Leute unterschiedlichsten Charakters, die von der Musik begeistert sind oder enttäuscht, sich bestätigt oder völlig verraten fühlen, die in der Musik nicht nur den gehobenen Anspruch sehen oder den neuesten Trend, den es zu entdecken gibt, aber auch mehr als die weltferne Ablenkung nach Feierabend. (Ebd.)
Drechsler betont hier insbesondere den subjektiven und emotionalen Zugriff auf das popmusikalische Material, bei dem eine professionell abgeklärte Haltung vermieden wird. Es kommt zu einem personellen Konvergieren von Musikproduktion und Musikjournalismus, bei dem sich auch gemeinsame ästhetische Bewertungskriterien für Musik und Artikel herauskristallisieren – so wäre, wie von Drechsler angedeutet, ein sprachlich ›holpriger‹ Artikel genauso wie etwa der ›holprige‹ Rhythmus eines Songs kein Anlass mehr, diese Produkte aufgrund dessen zu disqualifizieren. So sieht Tim Klütz in der Spex-Programmatik während der Gründungsphase Triade angenommen werden, in der die Forschung Primärtexte (Songs) und Texte aus dem Popdiskurs kontextualisiert. 89 Die Fähigkeit, Diskurse auszulösen, ordnet Simon Reynolds auch schon dem Post-Punk zu, der in dieser Eigenschaft in der Tradition der Konzeptkunst der 1970er Jahre stehe. Die »selfconsciousness« und »self-critical sensibility« der Vertreter des Post-Punk habe dafür gesorgt, dass eine Kunstform entstehe, in der »the discourse around the work was as important as the art objects themselves« (2006: 8).
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eine Emanzipation vom »etablierte[n] Rockjournalismus« (2008: 168), wobei Drechsler die bewusste Formulierung eines Programms oder Konzepts abstreitet: »Am Anfang habe ich geschrieben, daß wir eine ›konzeptlose‹ Zeitung machen. Es gibt kein Redaktionsstatut, kein Spex-Manifest, in dem wir der etablierten Musikpresse den Kampf ansagen. Trotzdem haben sich […] Kriterien gebildet, die für uns alle maßgeblich sind« (1981: 27). Hinsichtlich dieser Kriterien ist die Rede von einer Positionierung »zwischen Fanzine und professionellem Musikmagazin.« (Klütz 2008: 168) So wird der Anspruch auf eine aus der Fanzine-Kultur adaptierte, unmittelbare Nähe zur Popkultur auch jenseits der offiziellen Marketing- und Vertriebskanäle in Drechslers Zitat deutlich, wenn sie von einem Gegenbild zum ›abgehobenen Rezensenten‹ spricht. Der Vorwurf der Abgehobenheit im Sinne einer zu starken Intellektualisierung popkultureller Erzeugnisse wurde später auch gegenüber der Spex-Redaktion häufig erhoben. Drechsler bezieht sich in ihrer Kritik allerdings eher auf eine zu starke Professionalisierung der Rezensenten wie auch auf eine wenig produktive Schematisierung ihres Schreibens, sodass der Musikjournalismus drohe, sich vom Gegenstand seiner Diskussion und dessen kreativen Impulsen zu entfernen. Klütz stellt hinsichtlich dieser Positionierung darüber hinaus fest, dass es der Spex-Gründungsredaktion darum gegangen sei, »von vornherein eine möglichst hohe Verbreitung und langfristige Existenz an[zustreben]« (ebd.), was den folgenden Aussagen Drechslers entspricht: »Da ›Spex‹ kein Fanzine, sondern eine richtige ernsthafte Musikzeitung (mit mehreren Wellen Lebensdauer) werden sollte, und eine Zeitung bekanntlich in einem Verlag erscheint, wurde von den 8 Redaktionsmitgliedern der ›Spex-Verlag‹ ins Leben gerufen.« (1981: 26) Zudem begründet Drechsler die Trennung der Kölner von den Düsseldorfer Redaktionsmitgliedern dahingehend, dass diese »die Vorstellung einer Zeitung [hatten], die ganz radikal alle populären Formen der Musik ignorierte« (ebd.: 27). Deren exklusiver Fokus auf deutsche Gruppen und »allerobskurste Avantgarde« (ebd.), so befürchtet Drechsler, »hätte ›Spex‹ allerdings in das Eckchen einer Kultzeitung mit absolut begrenztem Wirkungskreis gedrängt, und daran lag uns [den in Köln ansässigen Redaktionsmitgliedern, Anm. T.H.] nichts.« (Ebd.) Der anschließende Erfolg der Zeitschrift steht damit für eine fortschreitende Intellektualisierung des Pop-Diskurses mit durchaus breitenwirksamem Anspruch, und hier bietet gerade der Name Spex einen reichhaltigen Andeutungsspielraum: Seine Ableitung aus den englischen ›specs‹, als Kurzform von ›spectacles‹ (Brille)90 lässt auf einen vergeistigten und anti-rockistischen Blick auf 90 Drechsler erklärt: »555 sollte [die Zeitung] eigentlich heißen, zugunsten des tieferen Sinns wurde der Name dann aber in ›Spex‹, ein englisches Kürzel für Brille, umgeändert. Assoziiere: Durchblick.« (Drechsler 1981: 26). Vgl. hierzu auch Klütz (2008: 167).
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Die Hamburger Schule und die ›Sekundarität‹ der Popkultur in Deutschland
Popkultur schließen.91 Gelesen als Kurzform von ›specifications‹ (Spezifikationen, Präzisierungen, Bedingungen, Anforderungen, Vorgaben) deutet der Name auf eine Ausdifferenzierung des Pop hin, der nun verstanden wird als ein voraussetzungsreiches »soziokulturelles Zeichensystem, dem Dresscodes, Styles, Selbstinszenierungen, der gesamtkulturelle Kontext gleichermaßen angehörten und dessen Reiz gerade in der Auflösung von Bedeutungsfestlegungen bestand« (Klütz 2008: 166). Spex tritt damit nicht nur für Präzisierung (im Sinne von Detailgenauigkeit) innerhalb der Popkultur ein, sondern erklärt den eigenen Inhalt selbst auch zur Anforderung und Vorgabe, d. h. als Zugangsvoraussetzung zur Teilnahme am komplex und bedeutungsinstabil gewordenen Pop-Diskurs. Dieses aus der Semantik des Namens herausgearbeitete Programm entspricht einem später von Diederichsen erklärten Ansatz, der stellvertretend für den neuen Popjournalismus steht: »Wir wollen Pop-Musik so verhandelt wissen wie die anderen kulturellen und politischen Gegenstände, mit denen wir uns beschäftigen. Voraussetzungsreich, komplex und, ja, geradezu verbissen ernst« (Diederichsen 2005: 12). Und es ist Diederichsen, den Klütz wegen seiner Schreibweise, die »Popeuphorie, Subjektivismus, Klatsch mit Intellektualität und Willen zur Theorie verband«, zum Begründer des »deutschen Popdiskurs[es]« und zum »Vorbild des Popjournalismus der 1980er Jahre« (Klütz 2008: 166) erklärt. Die Geschichte des Begriffs »Hamburger Schule« führt somit zur kongenialen Zeitschrift Spex. Auch hier wird in den Rezensionen letztlich nach der Verfasstheit des (rezipierenden) Subjekts und nach einer neuen Form von Professionalität im Pop gefragt. Bedenkt man, in welch hohem Maße Hamburger Schule und deren Rezeption in Spex verzahnt sind, drängt sich die Frage auf, inwieweit die journalistische Zuschreibung »Hamburger Schule« überhaupt noch als Zuschreibung von außen bezeichnet werden kann – die Unterscheidung von Innen und Außen fällt zunehmend schwer. Auch wenn sich die gegenseitige Bedingtheit von Popmusik und Popjournalismus anschaulich am Beispiel Spex darstellen lässt, waren es doch gerade auch die Lokalteile der taz wie auch das Stadtmagazin Szene Hamburg, die sich der aufkeimenden Hamburger Szene widmeten und nicht zuletzt auch den Begriff »Hamburger Schule« erstmalig verwendeten. So taucht der Begriff »Schule« schon 1991 in einer »Schulschluß für den deutschen Pop« (Briegleb 1991: 24) betitelten Besprechung der Blumfeld-Single »Ghettowelt« (Blumfeld 1991) auf, allerdings in einem anderen Sinnzusammenhang: Der Autor der Rezension sieht 91 Baßler bringt das Jahr der Spex-Gründung mit diesem Ansatz in Zusammenhang: »Um 1980 kommt es innerhalb der Popkultur zu einer Ausdifferenzierung, durch die ›Pop‹ (jetzt im Gegensatz zu den Authentizitätsgesten von ›Rock‹, ›Punk‹ u. a.) eine Konnotation gepflegter Künstlichkeit annimmt, die auch in Deutschland szenebildend wirkt (Bands wie ›Foyer des Arts‹ mit Max Goldt, FSK [›Freiwillige Selbstkontrolle‹] mit Thomas Meinecke; Zeitschriften wie ›Mode & Verzweiflung‹, ›59 to 1‹ und ›Spex‹).« (2003b: 123f.).
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Blumfeld in der Tradition von Ton Steine Scherben und Fehlfarben, eine Verknüpfung, die vor allem mit dem gemeinsamen Merkmal »Mut zur Peinlichkeit« (Briegleb 1991: 24) hinsichtlich der deutschsprachigen Songlyrics begründet wird. So bestehe denn auch der proklamierte »Schulschluß« darin, nun nicht mehr aus »Feigheit« und »Ängstlichkeit« (ebd.) bei den angloamerikanischen Vertretern des Pop lernen zu müssen: Schluß mit der Neutralität! Mit der ewigen Offenheit nach Westen. Die Wanderjahre durch die Musikgeschichte müssen ein Ende haben. Wer jetzt aus Feigheit immer noch Englisch zur Gitarre singt, steht beim Feind. Denn die alte Weisheit des Songwriting, daß es nicht das Lied, sondern der Sänger ist, der die Qualität der Musik ausmacht, gilt ohne Abstriche. Und ein deutscher Vortrag in englischer Sprache vergeudet seine gesamte, potentielle Schärfe durch Ängstlichkeit. (Ebd.)
Dies klingt durch die Verwendung von kriegerisch (Neutralität, Feigheit, Feind), aber auch ›deutsch‹ (Wanderjahre, Lied) konnotiertem Vokabular wie ein Aufruf zu nationalspezifischem Songwriting, das sich in Gegnerschaft zum »Westen« positioniert. Der Autor bezieht sich mit seinem Plädoyer für die Peinlichkeit dann aber auf eine »Befreiung aus der depressiven Alkoholiker-Lyrik, die bisher Schule machte« (ebd.), womit vermutlich eine Überwindung des bisher in Bezug auf deutschsprachige Texte vorherrschenden Deutschrock-Paradigmas gemeint ist, das mit Repräsentanten wie BAP, Herbert Grönemeyer, Heinz Rudolf Kunze, Klaus Lage, Udo Lindenberg, Wolf Maahn, Peter Maffay und Marius MüllerWesternhagen in Verbindung steht. »Depressiv« erscheint dieser Deutschrock vor allem in seinem historisch-diachronen Kontext als »Post-NDW« und als sich ab 1984 konsolidierende »Mainstream-Form von Deutschpop« (Schneider 2008: 220). Hornberger erkennt mit diesem endgültigen Ende der Neuen Deutschen Welle auch ein Verschwinden von »Albernheit und selbstreflexive[r] Komik von der Popmusikbühne« (2011: 369). BAP oder Herbert Grönemeyer würden in ihren Texten »deutlich mehr Ernsthaftigkeit an den Tag« (ebd.) legen als etwa Der Plan, Markus oder Hubert Kah. Gerade in der Behandlung politischer Themen sei »der Spaß vorbei« (ebd.) gewesen, wobei Hornberger treffend auf das gleichzeitige Entstehen einer von den zuvor genannten Deutschrock-Bands isolierten Strömung von Rock-Komikern wie Erste Allgemeine Verunsicherung oder Stephan Remmler als Solokünstler verweist (vgl. ebd.). Auch Schneider bemerkt in der Nach-NDW-Zeit »ein weiteres deutsches Popsonderformat: die BlödelbardInnen hatten ihren Antisinn öffentlich zu feuchtfröhlichem Unsinn degradiert« (Schneider 2011: 125). Inwiefern im Deutschrock aber eine »Alkoholiker-Lyrik« zum Tragen kommt, erscheint unklar, auch wenn sich das Motiv Alkohol hier durchaus nachweisen lässt, beispielsweise in »Alkohol« (Grönemeyer 1984), »Zwesche Salzjebäck un Bier« (BAP 1984), »Eine volle Stunde ohne Alkohol« (Kunze 1997) und »Johnny W.«
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Die Hamburger Schule und die ›Sekundarität‹ der Popkultur in Deutschland
(Müller-Westernhagen 1978). Wenn Schneider die Phase nach der Neuen Deutschen Welle beschreibt, wird aber eine andere Form von ›depressivem Alkoholismus‹ erkennbar, die er mit dem Begriff »GAL-Pop« (Schneider 2008: 220) in Verbindung bringt.92 Letzterem liege eine Fusion aus »Modernität mit den ewig gültigen Rockwerten« zugrunde, und diese Verbindung münde in »jenem Drei-Bier-Gefühl, das jahrelang in Clubs und Kaschemmen, auf Kleinkunstbühnen und in Liveclubs seine sozio-emotionale Bindefähigkeit ausprobiert hatte.« (Ebd.: 221f.) Der hier aufgerufene Alkoholismus könnte insofern als ›depressiv‹ gelten als er – anders als die radikal selbstzerstörerischen (Rock, Punk) oder auch horizonterweiternden (Hippies, Psychedelic Rock) Drogenexzesse der 1960er und 1970er Jahre – eher mit Mittelmäßigkeit, Stillstand und dem Ausbleiben progressiver Impulse in Zusammenhang steht. Die von Schneider erwähnten »ewig gültigen Rockwerte« streben damit weniger nach dem Absoluten (Auslöschung, Transzendenzerfahrung, Abgrenzung),93 sondern fallen Relativismus und Verständigung zum Opfer.94 Es gelingt Schneider, diese Tendenz des Deutschrock anhand von konkretem musikalischem Material nachzuweisen. So erkennt er in »Männer« (Grönemeyer 1984) eine »penetrant in den Vordergrund gezogene Synthiefigur, die sich redlich darum bemühte, entfernt wie DAF zu klingen, es aber verstand, deren federnd-dekonstruktive Disconess ins Bierbäuchige, Gemütsmenschliche umzukodieren« (Schneider 2008: 220). Die Lyrics des Songs kämen dem »Protokoll der letzen Männerarbeitskreissitzung« (ebd.) gleich, woraufhin Schneider eine ab 1984 stattfindende Synthese von Stilmerkmalen der NDW mit »grün-alternativen oder generell linksliberalen Wertnormen« (ebd.: 221) bemerkt. Schneider behauptet in Bezug auf »Männer«, der Song sei »in aller Verquastheit und polternden Unfunkyness veritabler ›Deutschpop‹. Im Prinzip setzte Grönemeyer bei der Spät-NDWan, wo es bereits Syntheseformen aus NDW und der brandneuen Mitte der Grünen gegeben hatte.« (Ebd.: 220)95 92 »GAL« steht für »Grün-Alternative Liste«, eine Bezeichnung für ehemalige Teilverbände der Partei Bündnis 90/Die Grünen. 93 The Who artikulieren 1965 entsprechend den Wunsch: »hope I die before I get old« (The Who 1965: »My Generation«). 94 Eine Variation dieses »GAL-Pop«-Gedankens ließe sich womöglich in der Person Claudia Roths veranschaulichen, die als ehemalige Managerin von Ton Steine Scherben einen Wechsel vom APO-Umfeld in das weniger radikale parlamentarische Umfeld vollzog. 95 Als Vorläufer des von Schneider proklamierten »GAL-Pops« lässt sich die niederländische Band Bots nennen, bei der allerdings noch keine Merkmale des NDW-Stils erkennbar werden – die Band orientiert sich musikalisch vielmehr am Folk. Bots veröffentlichten schon 1980 das deutschsprachige Album »Aufstehn« (Bots 1980), dessen Inhalt auf das Programm der Friedensbewegung einzahlt (Protest gegen Konsum, Gewalt und Umweltzerstörung), wie anhand des Songs »Aufstehn« deutlich wird: »Alle, die nicht gerne Instant-Brühe trinken / sollen aufstehen. / Alle, die nicht schon im Hirn nach Deospray stinken / sollen aufstehn. / Alle, die noch wissen, was Liebe ist / und alle, die noch wissen, was Hass ist, / und was wir
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Aus Schneiders und Brieglebs Texten wird somit deutlich, dass dem Deutschrock-Paradigma wenig innovative Qualitäten in Bezug auf die Entwicklung einer distinktiven deutschsprachigen Pop-Lyrik beigemessen wurden und es vielmehr mit Mittelmäßigkeit und Relativismus assoziiert wird. Ähnlich wird noch 2011 in einer Rezension eines Thees-Uhlmann-Albums von Deutschrock gesprochen als Rockmusik ohne all das, was Rock’n’Roll ausmacht. Die domestizierte Variante amerikanischer Vorbilder. Man muss Bruce Springsteen nicht mögen, aber die blutarme Art, in der seine deutschen Epigonen (und das sind ja die Deutschrocker) ihre Musik darbieten, lässt den schweißgetränkten Stahlwerker-Habitus vom Boss fast schon attraktiv erscheinen. (Hammelehle 2011: 121)96
Ordnet man, von diesem Ausbleiben innovativer Impulse ausgehend, die von Briegleb erwähnte »depressive Alkoholiker-Lyrik« dem Deutschrock oder auch »GAL-Pop« zu und zieht man im Verhältnis zum angloamerikanischen Pop Brieglebs »Schulschluß«-These in Betracht, wird deutlich, inwiefern die damals noch nicht so bezeichnete Hamburger Schule mit den in dem Artikel erwähnten Repräsentanten Blumfeld, Brüllen und Cpt. Kirk & . in der Überwindung des Deutschrock-Paradigmas als progressive und wegweisende Strömung identifiziert wurde. So heißt es 1989 in einem der LP »Heile Heile Boches« (Kolossale Jugend 1989) beiliegenden Katalog von L’Age D’Or über dieses Album: »Beste deutsche Platte seit dem SYPH Doppelalbum oder intellektuelle Kacke? Nichts dergleichen, kriegen sollen / nicht das ist, was wir wollen / sollen aufstehn. / Alle, die nicht schweigen, / auch nicht, wenn sich Knüppel zeigen / sollen aufstehn. / Die zu ihrer Freiheit auch die Freiheit ihres Nachbarn brauchen / sollen aufstehn. / Alle, für die Nehmen schön wie Geben ist, / und Geldverdienen nicht das ganze Leben ist, / die von ihrer Schwäche sprechen / und sich keinen dabei abbrechen / sollen aufstehn. […] Wir träumen von ’ner Revolution hier / doch wer will schon, dass dabei Blut fließt / wenn Du Dich da ganz mitbringst / mag sein, dass es gelingt […] Alle, die gegen Atomkraftwerke sind, sollen aufstehn. / Die Angst vor Plastikwaffen haben in der Hand von einem Kind / sollen aufstehn.« (Bots 1980: »Aufstehn«). Die von Schneider genannten »ewig gültigen Rock-Werte« werden hier ebenso relativiert wie die Ideale des Polit-Rock in den 1970er Jahren. Dieser Relativismus lässt sich in Formulierungen wie »mag sein, dass es gelingt« erkennen wie auch in der Tatsache, dass die ›soziale Frage‹ erst gegen Ende des Stückes zaghaft thematisiert wird (»Alle Lohnempfänger, die den Bund nicht länger enger schnallen / sollen aufstehn«), wohingegen der ›weiche‹ Themenkomplex Konsum/Ernährung/Körperpflege direkt in den ersten beiden Zeilen des Songs Erwähnung findet. Vgl. hierzu auch Peters (2010: 228f.). 96 Auch Seiler spricht in Bezug auf BAP und Marius Müller-Westernhagen von einer »augenscheinlich imitatorische[n] angloamerikanische[n] Musikkulisse«, in der die DeutschrockMusiker »offen mit ihren musikalischen Einflüssen (Rolling Stones, Bob Dylan, Blues) umgehen« (2011a: 96). Anders als Briegleb hebt Seiler aber hervor, dass auch hierin schon ein frühes Vorhaben zu erkennen sei, »spezifisch deutsche Inhalte in deutscher Sprache zu artikulieren« (ebd.), dessen Besonderheit offenbar gerade in der Kombination deutschsprachiger Texte mit der ›ungefilterten‹ Adaption angloamerikanischer Musikeinflüsse liegt. So sieht Seiler in Westernhagens Album »Halleluja« (1989) einen geglückten Versuch, »seine Vorstellung vom deutschsprachigen Bluesrock zu verwirklichen« (2011a: 96).
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Die Hamburger Schule und die ›Sekundarität‹ der Popkultur in Deutschland
keine Superlative, sondern einfach gute deutsche Texte und straighte, lärmige Popsongs. Der Angriff auf BAP und Konsorten« (ebd.). Derjenige Ansatz, der sich später terminologisch als »Hamburger Schule« manifestiert, wird also gegen den sogenannten Deutschrock in Stellung gebracht. Es wird betont, dass deutschsprachige Texte ganz bewusst in Abgrenzung zum Deutschrock verwendet werden, aber auch, dass damit »keine Superlative«, wie diejenigen des Neue-Deutsche-Welle-Hypes provoziert werden sollen.97 Eine Tendenz zum Hype lässt sich hingegen um 1992 in Bezug auf den Standort Hamburg erkennen: Im Stadtmagazin Szene Hamburg prognostiziert Christoph Gurk zwar keine »Schule«, erklärt das Jahr 1992 aber zum »Hamburger Jahr«, das als solches in die deutsche Musikgeschichte eingehen [wird]. Ob Blumfeld, Ostzonensuppenwürfelmachenkrebs, Cpt. Kirk & . oder Huah! – Monat für Monat erscheint mindestens eine Platte, die mit brisanten ästhetischen Entwürfen auf die Wirklichkeit in deutschen Städten reagiert und die überfällige Debatte um eine politisch reflektierte Popkultur in Bewegung bringt. (1992: 36)
Gesellschaftlicher Bezug, politische Ausrichtung sowie der Hang zur Reflexion werden damit zum programmatischen Bestandteil des »Hamburger Jahres« erklärt, was in einem zu dieser Zeit erschienenen Konzerthinweis der Berliner taz bestätigt wird, wenn man sich hier auf Blumfeld und Cpt. Kirk & . bezieht als »Elite der in den letzten Jahren vor allem in Hamburg neu entstandenen deutschen Musik, die versucht, politisch relevanten und aussagefähigen Pop zu machen« (Winkler 1992: 20). Die Konjunktur der deutschsprachigen Popmusik Hamburger Provenienz wird von Michael Ruff folgendermaßen, wiederum in Abgrenzung zum Deutschrock, beschrieben: Wenn es darum geht, die deutsche Sprache aller Rock-Idiome zu entheben, dann liegt Hamburg ganz weit vorn. Bei Cpt. Kirk & . [Herv. im Original fett gedruckt] haben deutschrockige Gefühlsduseleien von Ton, Steine, Scherben bis Peter Maffay noch nie eine Chance gehabt. Nach langer Arbeit im stillen [sic] ist die Band mit ihrem zweiten 97 Die Gegnerschaft subkultureller Strömungen zum ›Deutschrock‹ hebt Schneider hervor, indem er, sich auf die einige Jahre zuvor von ihm formulierte ›GAL-Pop‹-These beziehend, folgendermaßen über dessen Repräsentanten Heinz Rudolf Kunze äußert: »der gehörte zu jenen Ex-LiedermacherInnen, die in der Nach-NDW-Zeit zu grünalternativem Deutschpop umgetopft wurden. Und der Sentimentalitätstyp, den sie verzapften, war sowieso verdächtig. Ihre gnadenlose Verachtung war identitätsbildende Maßnahme fast aller BRD-Subkulturen. Sie übten ja bereits den ›Sei du selbst!‹-Befehl ein, jenen Jargon der Eigentlichkeit, der nach 1989 sofort mit nationalem Selbst aufgefüllt werden konnte. Ihrer Drei-Bier-Identität, die sie auf Platten spazieren führten, die ›Schweißperlen‹ und ›Bochum‹ hießen, wurde von deutschen Postpunkgruppen ein künstliches, ironisch-distanziertes Popdeutsch entgegengewuchtet, das das Nicht-Identische zu genießen und zu beschützen schien« (Schneider 2011: 125).
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Album Reformhölle (What’s So Funny About/EFA) nun ins Extrem gegangen. Tobias Levins Texte sind ebenso abstrakt wie assoziativ formuliert. Sie geben die Spannung zwischen Klarheit und Konfusion in einer Sprache wieder, die nicht per Duden nachzuvollziehen ist. Der Versuch, systemkritische Inhalte in befreite Wortzusammenhänge zu bringen, findet seine Entsprechung in den Arrangements: Die tragenden Gitarrenakkorde sind weit zurückgemischt und werden von Johann Popps Piano-Minimalismen überlagert. Im jazzig melodischen Zusammenspiel der Rhythmusgruppe ist die Sehnsucht nach dem guten Lied, nach verklausulierter Chanson-Wahrheit zu spüren. Aber Levin streicht auch dieses Sentiment aus dem Repertoire und intoniert im Stile eines genervten Philosophen seine Kommentare über Entropie und den Untergang der Welt, wie wir sie kannten. Geldunter! (Ruff 1992b: 46)
Im Anschluss an das von Briegleb konstatierte ›Ende der Alkoholiker-Lyrik‹ begrüßt auch Ruff die Überwindung »deutschrockiger Gefühlsduseleien« (ebd.). An deren Stelle treten im Verbaltext abstrahierte und assoziative Elemente. Ruff bemerkt auch den politischen Protest qua sprachlicher Strukturen und weist dabei vor allem auf eine Sprache hin, die sich in Übereinstimmung mit »systemkritischen Inhalten« von allzu starren Ordnungen (als Bild: der Duden) zu lösen versucht – die Rede ist von »befreite[n] Wortzusammenhänge[n]« (ebd.).98 Ruff erwähnt weiterhin die ungewöhnlichen musikalischen Mittel (Jazz, Chanson, Minimalismus), mit denen Cpt. Kirk & . Abstand zum dominierenden Deutschrock-Paradigma nehmen. Die Abkehr vom Rock ist es auch, die Ruff in einer Rezension des L’Age-D’Or-Samplers »Billiger als Turnschuhe« (V.A. 1992a) als gemeinsamen Nenner des »neue[n] Hamburger Ding[s]« (Ruff 1992c: 48) identifiziert: Wo […] genau die Gemeinsamkeiten der L’-Age-d’-Or-Bands liegen, das können auch die 16 Beiträge nicht klären. Einziger Anhaltspunkt: Es gibt nichts, was abrockt. So könnte sich eine Analogie zur britischen Anorak-Szene ergeben, wären da nicht Gruppen wie Mastino oder Die Sterne, die mit aller gebotenen Impertinenz die wichtige Experimentierphase der Neuen Deutschen Welle ins Bewußtsein zurückrufen. (Ebd.)
Ruff erkennt hier Ansätze eines unter Hamburger- und 1990er-Jahre-Bedingungen wiederbelebten Konflikts ›Mods versus Rocker‹, wie er im England der 1960er Jahre virulent wurde – mit dem »Anorak« wird auf den Parka als modisches Markenzeichen der Mods verwiesen. Tatsächlich sollte es im Umfeld der Hamburger Schule später mit der Band Superpunk zum zitathaften Ausschöpfen des Mod-Zeichenfundus kommen99 – ein Ansatz, der im Kontext der Hamburger Schule eher außergewöhnlich blieb. 98 Petras beschreibt die Ideologiekritik der Hamburger Schule dahingehend, dass hier »diverse Gruppen […] eine vergleichbare Soundästhetik verfolgen, vor allem aber in ihren Texten das Verhältnis zum Status quo der Gesellschaft neu justieren« (2011: 169). 99 Vgl. etwa Superpunk (2008).
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Die anti-rockistische Ausrichtung blieb der Hamburger Schule allerdings erhalten, auch wenn diese häufig selbst mit Mitteln des Rock in Erscheinung trat, etwa in Tocotronics »Let there be Rock« (Tocotronic 1999) durch das Zitieren der Rock-Historie in ironischer Distanz zu diesem Material. Für die Frühphase der Hamburger Schule gilt aber in erster Linie, wie der Musikjournalist Felix Bayer in einem Radiobeitrag erläutert, dass die Musiker mit einem »etwas höhersprachlichen Gestus intellektuellere Gedanken in ihren Texten verhandelten, als das der gemeine Deutsch-Rocker bisher tat« (Strehl 2006: o.S.). Dies trifft nicht nur in Bezug auf den sprachlichen Gestus, sondern auch auf die inhaltliche Ebene der Texte zu. So konstatiert Frauke Schlieckau, wiederum auf die Frankfurter Schule und damit auf den gesellschafts- und kulturkritischen Inhalt der Hamburger Schule-Songs hindeutend: Der von dem TAZ-Redakteur Thomas Gross geprägte Ausdruck erinnert nicht von ungefähr an die Frankfurter Schule, die Nähe zu diesem Begriff – und damit wären wir wieder bei der Bedeutung des Textes für die Musik – sollte verdeutlichen, dass sich in den Songs alles um Inhalte drehte, mit denen sich die deutschsprachige Musikszene bisher nicht beschäftigt hatte. (2007: 538)
Auch hier wird deutlich, dass die Herausbildung des Begriffs »Hamburger Schule« im Pop-Diskurs eng mit einem Paradigmenwechsel hinsichtlich der deutschsprachigen Texte verknüpft war, die sich nun deutlich vom bisher gültigen Deutschrock-Paradigma unterschieden. Ab 1993 ist zu beobachten, wie der Begriff »Hamburger Schule« auf breiter Front Bekanntheit erlangte und den Akteuren der Szene als ›Schublade‹ lästig wurde. In einem in diesem Jahr erschienenen Artikel wurden Die Sterne als »Hoffnungsträger« einer »Neuen Hamburger Schule« (Martens 1993: 46) kontextualisiert: »Die Musikstadt Hamburg bleibt interessant. Nach Blumfeld und Cpt. Kirk & . könnten Die Sterne die dritte lokale Gitarrenband werden, die überregionale Beachtung findet.« (Ebd.) Es wird berichtet, dass die Band in zahlreichen Interviews nach der »Neuen Hamburger Schule« (ebd.) gefragt wurde, woraufhin Frank Spilker mit den Worten zitiert wird: Es stört mich nicht, mit anderen Bands verglichen zu werden. […] Aber es stört mich sehr wohl, wenn wir gar nicht mehr über uns reden sollen. Die meisten Journalisten sind auch noch enttäuscht, wenn man ihnen erzählt, daß es viele gute Gruppen gibt, die alle miteinander kommunizieren – aber keine wesentlichen musikalischen Gemeinsamkeiten haben. (Ebd.)
Spilker stellt den sich formierenden Begriff »Hamburger Schule« infrage, indem er ihn auf eine rein musikalische Ähnlichkeitsbeziehung seiner Band zu anderen Gruppen reduziert und so denjenigen Kräften, die sich der Kategorie »Hamburger Schule« emphatisch oder unkritisch bedienen, vorwirft, den musikalischen Stil der ›inkriminierten‹ Bands nicht genau genug zu beobachten bzw.
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einzuordnen. Im besagten Artikel werden Die Sterne als zitierende Band diskutiert, die in ihrem poetologischen Konzept auf das kulturelle Archiv zurückgreift und dieses Vorgehen offen ausstellt. Damit entsprechen Die Sterne dem bisher herausgearbeiteten Begriffskonzept der »Hamburger Schule«, indem sie ein analytisches wie kritisches Verfahren etablieren, das auf Distanz zur ›authentizistischen‹ Rockmusik geht und musikalisch wie textlich Collagetechnik und Verklausulierungen verwendet. Wie Hip-Hop-Künstler würden sich Die Sterne, so erklärt Spilker, aus den Archiven von »Funk, Soul, und tanzbare[r] Rockmusik der 70er Jahre« (ebd.) sowie der Disco-Ära und Gruppen wie Sly And The Family Stone, Parliament und The Meters bedienen (vgl. ebd.). Spilker erklärt hierzu, dass diese Zitate jedoch »nicht die Funktion [haben], auf das Original hinzuweisen« (ebd.), dagegen seien »[b]estimmte Riffs […] unter Umständen besser als unsere eigenen Ideen. Wir sampeln, ohne einen Sampler zu benutzen« (ebd.). Dies sei, so stellt der Autor Martens fest, der Grund dafür, dass »Die Sterne völlig anders mit Versatzstücken aus der Popgeschichte« (ebd.) arbeiten als die erwähnten HipHop-Künstler. Worin dieser Unterschied genau besteht, wird nicht weiter erläutert – vermutlich darin, dass im HipHop ein Sample des zitierten Materials digital prozessiert wird, wohingegen es bei den Sternen mit analogen Instrumenten nachgespielt wird. Aus textwissenschaftlicher Sicht entkräftet dieser das jeweilige technische Dispositiv betreffende Unterschied die bisherigen Überlegungen zum intertextuellen Verfahren der Hamburger Schule freilich nicht. Wo das Sampling des HipHop eher einem Tribut an den Prätext gleichkommt, deutet die Tatsache, dass Spilker die Verbindungen zu den Prätexten herunterspielt, auf eine künstlerische Strategie hin, die darauf abzielt, die Autonomie seiner Gruppe hervorzuheben. Somit relativiert Spilker den Zitat-Status bzw. den semantischen Status der verwendeten Zitate; sie werden zu bloßem ahistorischen, produktionsästhetisch zur Verfügung stehendem ›Material‹, d. h. zu einem Rohstoff, den ein anderer Künstler eben schon früher einmal verwendet hat. Bemerkenswert erscheint hier nicht die Frage nach dem geistigen Eigentum des Zitats, also nach der Legitimität, ein Zitat zu verwenden, sondern die Tatsache, dass Spilker dem Zitat seine Semiose abzusprechen scheint. Mit anderen Worten: Wie kann es möglich sein, dass ein Zitat nicht auf ein ›Original‹ oder vielmehr auf einen Prätext verweist? Wie schon im Falle von Jochen Distelmeyer in Abschnitt 1 des ersten Kapitels dieser Arbeit diskutiert wurde, kommt es auch hier zu einer Autor-Inszenierung, die eine relativierende Haltung zur (inter-)textuellen Verfasstheit der eigenen Texte einnimmt. Auch was den Diskurs um den Begriff »Hamburger Schule« angeht, scheinen die Interviewversatzstücke im weiter oben zitierten Text (Martens 1993) darauf abzuheben, den Vergleich zu anderen Bands wie auch den analytischen Zugriff auf ein spezifi-
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sches (zitathaftes) Textverfahren zu verhindern. Als künstlerische Strategie wird die eigene Position als solitär dargestellt, indem ein Kontext wie der Diskurs um die »Hamburger Schule« oder – allgemeiner – die sekundären und fakultativen Phänomene, die in ihrer Gesamtheit das kulturelle Archiv bilden, nicht als konstituierend markiert werden.100 Im Gegensatz dazu lässt sich in der Untersuchung der Begriffsgeschichte zur »Hamburger Schule« erkennen, dass diese geprägt ist von Bezugnahmen und Abgrenzungen hinsichtlich bestehender Strömungen und ästhetischer Verfahren. Im nächsten Abschnitt soll ebendieses sich über den Kontext konstituierende Verfahren diskutiert werden: Die Zuschreibungen »Hamburger Schule« und »Diskurspop« verweisen dabei auf eine besonders ausgeprägte Form von ›Sekundarität‹ innerhalb der deutschsprachigen Popmusik: Setzen sich popästhetische Artefakte seit ihrem Bestehen immer schon aus vorgefertigtem Zeichenmaterial zusammen, wird dieses nicht-originäre Verfahren bei den sogenannten Hamburger-Schule-Bands in Form von intertextueller Verdichtung und Markierung bzw. Reflexion der Differenz zur angloamerikanischen Popkultur offen ausgestellt und radikalisiert.101 Untersucht wird dabei ein spezifisches lyrisches Ich, das als Diskursknotenpunkt fungiert, um sich in der Kultur der 1990er Jahre zu positionieren und sich so überhaupt erst (intertextuell) zu konstituieren.
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Die Hamburger Schule und die ›Sekundarität‹ der Popkultur in Deutschland
Im vorigen Abschnitt wurden auf der Grundlage des Diskurses über eine entstehende »Hamburger Schule« distinktive Merkmale herausgearbeitet: a) Die vom lyrischen Ich vorgenommene Reflexion des Verhältnisses Ich – Gesellschaft bzw. Ich – Außen, die dialektisch und im Akt der Reflexion dieses lyrische Ich konstituiert,102 100 Vgl. hierzu auch Blum (2009: 17). 101 Moritz Baßler bemerkt anlässlich des Plattenlabels Fast Weltweit und Bernd Begemanns Songtitel »Eigentlich wollte ich nicht nach Hannover« (Begemann 1993), dass »die einschränkenden Adverbien […] den entscheidenden Vergleichsaspekt [enthalten], der die eigene, zwangsweise deutsch-provinzielle Popexistenz mit dem Eigentlichen der globalisierten Popkultur immer wieder neu in Beziehung setzt. Und vielleicht ist es diese Reflexionsschleife, die aus Pop Diskurspop macht.« (Baßler 2008: 104). 102 Tobias Rapp bemerkt in der taz anlässlich der Veröffentlichung des Blumfeld-Albums »Verbotene Früchte« zum Begriff »Diskurspop«: »Es war eine Musik, die genauso laut Ich! rief, wie sie durch eine hohe Durchlässigkeit für die verschiedensten Diskurse aus Politik, Theorie und Literatur die Bedingungen unterstrich, unter denen dieses Ich überhaupt erst produziert wurde.« (Rapp 2006: 13) Auch charakterisiert Rapp »Diskurspop« durch die
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b) der Bezug auf bestimmte Referenzpunkte aus dem kulturellen Archiv (Adorno, Sixties-Bands etc.), Zitathaftigkeit und Bezug auf das Außen des Primärtextes als textkonstituierendes Verfahren – vgl. a), c) ein Hang zur Intellektualisierung und zu einem poetologischen Konzept, das von abstrakten Prämissen (Theorien) ausgeht, d) korrespondierend mit a): Eine Tendenz zur Selbstreflexion hinsichtlich des ›Ortes‹/des Mediums, von dem aus bzw. in dem der Text geäußert/veröffentlicht wird, d. h. ein reflektiertes Verhältnis zur angloamerikanischen Popmusik, zu anderen deutschsprachigen Strömungen, zur Popkultur, zum politischen Kontext usw., e) ein anti-rockistischer Ansatz, ohne formalen Eigenschaften des Rock gänzlich zu verabschieden. Das beinhaltet vor allem eine Kritik an Zuschreibungen wie ›Echtheit‹ und ›Authentizität‹ und eine Überbetonung von Künstlichkeit und Gemachtheit, f) vorwiegend deutschsprachige Songtexte (Hochdeutsch), g) ein linkspolitisch motiviertes und kritisches Verfahren, das sich im Gegensatz zum klassischen Protestsong auch als eigenständiges ästhetisches Gebilde begreift und seinen Protest in der Analyse des gesellschaftlichen Kontextes und der Bedingungen von ›Subjektivität‹ entwickelt, h) eine intellektualisierte Form von Rock- bzw. Popmusik, die sich im Zuge eines ›post-adoleszenten‹ Verfahrens in komplexer und analytisch anspruchsvoller Art und Weise im jugend- und subkulturellen Kontext positioniert. Diese miteinander korrespondierenden Eigenschaften sollen im Folgenden mit Blick auf zeitgenössische literatur- und kulturtheoretische Impulse zu einem Konzept der ›Sekundarität‹ verdichtet werden – ein Begriff, den Diedrich Diederichsen geprägt hat: »Das beste an bundesdeutscher Popmusik war ihre Sekundarität: ihr Bezugnehmen, Imitieren, Fixiertsein auf anglo-amerikanische Vorbilder« (Diederichsen 1990: o.S.). An dieser der Popkultur in Deutschland zugeschriebenen ›Sekundarität‹ lobt Diedrich Diederichsen ein »gescheitertes Bemühen um Eigenständigkeit«, aber auch das »Anerkennen der Künstlichkeit, des Zusammengesetztsein, des Kolonisiertsein, der westdeutschen Nachkriegspsyche und -kultur« (ebd.). Seine These führt er auf die Einschätzung zurück, dass es, anders als in Großbritannien und den USA, »keine Kontinuität deutscher Geschichte, deutscher Populärkultur, deutschen Widerstands oder deutscher [sic] Dissenz anderswo als bei Intellektuellen oder anderen wirkungslos Vergessenen gibt« (Diederichsen 1990: o.S.). Nach Diederichsens Aussage besitzt deutschsprachige Popmusik seit ihrer Absage an die »Idee, Politik müsse sich eins zu eins auf der Aussageebene in Songs wiederfinden« (ebd.).
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Die Hamburger Schule und die ›Sekundarität‹ der Popkultur in Deutschland
Existenz den Status einer ›sekundären‹ Kunstform, in deren gescheitertem Bemühen um Originalität keine ›Naturalisierung‹ zustande kommt. Stattdessen reflektiert sie ihre ästhetische Praxis, die eigenen Verfahren und das Umfeld, in dem sie ausgeübt wird. Dieses Konzept, so soll gezeigt werden, lässt sich ungefähr seit Ende der 1970er Jahre – immer in Gegnerschaft zu einer emphatischen Verwendung des Rock-Begriffs – im deutschsprachigen Popdiskurs erkennen und wird in der Hamburger Schule Anfang der 1990er Jahre auf spezifische Art und Weise radikalisiert. Die ›Sekundarität‹ der Hamburger Schule erstreckt sich in dem oben genannten Sinne auf mehrere Ebenen: Man macht nicht einfach nur Popmusik, sondern bringt deutschsprachige Texte hervor, die alles um sie herum mitreflektieren – Entstehungsbedingungen, gesellschaftspolitisches und lokales Umfeld, die eigene Textualität und den eigenen Status als ästhetisches Produkt. Gemäß diesem Konzept erscheint auch der Begriff »Diskurspop« als aussagekräftige Alternativbezeichnung bzw. als Ergänzung zu dem der »Hamburger Schule«. Um das Sekundaritätskonzept popgeschichtlich zu verorten und zu spezifizieren, ist es sinnvoll, noch einmal einen diachronen Blick auf den popästhetischen Paradigmenwechsel nach dem Punk einzunehmen. Was die sekundaristische Ausrichtung von Popkultur in Deutschland und speziell der Hamburger Schule angeht, lassen sich einige Parallelen zur Musiklandschaft der späten 1970er Jahre aufzeigen, die sich im Übergang der Punk-Bewegung in eine Phase des Post-Punk erkennen lassen.103 In England, und dann mit einiger Verzögerung auch in Deutschland, hatte Punk dafür gesorgt, eine subkulturelle Infrastruktur inklusive eines Netzwerks unabhängiger Plattenfirmen zu etablieren – und darüber hinaus durch radikale Brüche mit ästhetischen und sozialen Normen den Nährboden für neuartige, popästhetisch ausdifferenzierte Ausdrucksformen bereitgestellt. Bands wie Blondie, Devo, Gang of Four, Joy Division, PiL, Talking Heads und Wire, um nur einige wichtige Vertreter zu nennen, entwickelten das Punk-Paradigma der späten 1970er Jahre nun unter dem heute gängigen Überbegriff »Post-Punk« ästhetisch weiter. In Deutschland sorgten der aus dem Punk adaptierte Do-It-Yourself-Gedanke, die ebenfalls vom Punk übernommene, sich unter dem Schlagwort »Neue Deutsche Welle« entfaltende Lokalisierung von Pop im deutschsprachigen Kontext,104 gepaart mit einer ausgeprägten experimentierfreudigen Offenheit auf 103 In den letzten Jahren erfuhr Post-Punk verstärkt eine kulturgeschichtliche Aufarbeitung, etwa durch Simon Reynolds’ im englischsprachigen Raum und auch in Deutschland und in deutscher Sprache breit rezipiertes Sachbuch »Rip it up and start again« (2006); im Kino durch »Control« (2007, Regie: Anton Corbijn), einen Spielfilm über die Band Joy Division und speziell deren Sänger Ian Curtis. 104 Als konstituierendes Vorhaben der Neuen Deutschen Welle sieht Schneider die Überwindung einer »lokalen Betäubung an den Rändern und in den Provinzen von Pop. Das eigene
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Produktions- und Rezeptionsseite, für eine integrative Neuverhandlung dessen, was unter Pop geläufig war : Neben der Deutschsprachigkeit fand eine Vielzahl von bisher artfremden Themen, Motiven und Verfahren ihren Weg in die Popmusik.105 Die unter diesen Prämissen veröffentlichten Tonträger durften künstlicher, ironischer und intellektuell avancierter sein als noch im Punkrock, der in England über die Station des Post-Punk eine Entwicklung hin zu New Wave und damit zur gesteigerten Artifizialität durchgemacht hatte. Unter letzterem Oberbegriff wurden Elemente des Punk in ein Pop-Konzept überführt, wobei sich die Orientierung am Punk nicht auf die Domestizierung seiner aggressiven musikalischen Elemente beschränkte, sondern auch modische und allgemein performative Faktoren aus dem Punk übernommen wurden. Das New-Wave-Konzept, so betont Thomas Hecken, trat dabei »noch nicht in Konkurrenz zu punk, sondern betont bloß dessen weniger energetisch-direkten Zweig« (2009: 371). Auch in intellektuell avancierten Kreisen rezipiert, wurden Punk und New Wave für diese Klientel dadurch reizvoll, dass »aggressive avantgardistische, künstlerische Ideen für Distanz zu den vorherrschenden Formen der Populärkultur jener Tage (besonders zu den um Echtheit und Friedlichkeit bemühten Formen der Alternativkultur)« (ebd.) sorgten. Begünstigt wurde der Zulauf zu Punk und Neuer Deutscher Welle, so analysiert Peter Kemper in einem bereits 1983 verfassten Essay, durch eine »überall gegenwärtige Langeweile, welche viele Heranwachsende zur Neuen Deutschen Welle-Bewegtheit zog« (1998: 302). Weiter hebt Kemper hervor, dass »Kategorien wie ›schön‹, ›harmonisch‹ und ›handwerklich perfekt‹« (ebd.: 303) an Relevanz einbüßten zugunsten von Kriterien wie »›Heftigkeit‹, ›Irritation‹ und ›Härte‹« (ebd.). Erst die allmähliche »Aneignung von Elementen des Punk-Stils durch die allgemeinere, kommerziellere Mode« (Hecken 2009: 372) sorgte für eine Differenzierung zwischen Punk Umfeld – Pausenhof, Dorf, Stadt, Gegend – umkrempeln und auf die Landkarte setzen, das meint ›Neue Deutsche Welle‹ zum Zeitpunkt der Begriffsentstehung.« (2008: 12f.). 105 Dieses integrative Moment von Pop-Kunst kann in Bezug auf die Geschichte der Popkultur als übergeordnete Konstante angenommen werden: »pop is inclusive both in its form and its sociology. In the same way that its aesthetics ignore the high/low culture polarity, its Afro/America roots have given it a special place in the wider enfranchisement that occurred between the fifties and the eighties. Always inherent in pop is the drive, defined by Dave Marsh, ›to give a voice and a face to the dispossessed‹ and it continues to grant visibility and audibility to voices often excluded from the mainstream« (Savage 1995: xxxii f.). Ähnlich spricht John Fiske von einer Hybridität des Pop: »Die Populärkultur muss mit dem auskommen, was sie hat; populäre Kreativität zeigt sich im kreativen Umgang mit Ressourcen, die ihr fremd sind, um etwas Eigenes zu schaffen; in der Populärkultur finden sich stets tiefe Spuren dessen, was sie nicht ist; sie ist von den Spuren von dominanten anderen durchsetzt, deren Herrschaft bezwungen und verändert worden ist. In einer multikulturellen Welt kann Populärkultur nicht rein oder authentisch sein, sondern sie ist immer hybrid und mit widersprüchlichen Kräften durchsetzt, die kreuz und quer durch das Leben von untergeordneten sozialen Formationen verlaufen.« (2001: 302).
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und New Wave, sodass es im New Wave schließlich zu einer Steigerung des Künstlichkeitscodes kam und Diedrich Diederichsen das Jahr 1982 als »rundum gutes Jahr« bezeichnen konnte: Das Projekt, durch Historisierung und Relativierung aller Musikelemente eine neue Pop-Musik-Art auf die Beine zu stellen, zeitigte in Form von ABC u. a. seine schönsten Erfolge. Niemand glaubte mehr an den natürlichen Ausdruck. Alle Elemente waren referentiell, bezogen sich auf die Historie der Pop-Kultur, nichts war mehr unschuldig, alles überspitzt bewußt, intellektuell, campy und trotzdem schön und berückend. Alle redeten von Leidenschaft beim Verknüpfen der historischen Elemente. Sänger heulten und emanzipierten das Sprechen von »Liebe…an einem anderen Ort« (Barthes). Das Roxy Music-Projekt einer nicht mehr herausgeschrieenen, sondern analog zum System der Sprache aus bedeutenden musikalischen und außermusikalischen Zeichen angeordneten Pop-Musik hatte sich durchgesetzt. Die Elemente Kleidung, Image, Interview-Statements, die sogenannten Äußerlichkeiten, waren emanzipiert zu eigenständigen Ausdrucksmitteln. Pop-Musik war eine komplizierte, aber lustige und effiziente Kunst geworden. (Diederichsen 1985: 41f.)
Die intermedial wirksame semiotische ›Aufgeladenheit‹ der Popkultur wurde in der Entwicklung von Punk zu New Wave durch die Hinwendung zur Artifizialität noch verstärkt. Somit vollzieht sich in der Abkehr von »der direkten Rede des Rock« (Büsser 2004: 142) und der gleichsam als ›primär‹ zu bezeichnenden Unmittelbarkeit ›herausgeschrieener‹ Popmusik eine Entwicklung hin zu ›Sekundarität‹, die sich durch eine komplexe Codiertheit der verwendeten Zeichen, ein »maskenhafte[s] Spiel« (ebd.), äußert und eine starke Ausweitung des Repertoires popästhetischer Topoi zur Folge hatte.106 Diesbezüglich nahm in Deutschland Alfred Hilsberg mit seinem Label ZickZack eine Vorreiterrolle ein, indem er ein Experimentierfeld für unkonventionelle Entwürfe deutschsprachiger Popmusik bot. Anfang der 1980er Jahre brachte das Label Bands wie Palais Schaumburg oder Die Zimmermänner hervor, die auf eine künstliche und spielerisch-ironische Art und Weise beispiels106 Die Dichotomie von ›primärem‹ Rock und sekundaristischer Popmusik, wie sie hier dargestellt wird, hat freilich etwas Idealtypisches an sich und lässt sich letztlich nicht trennscharf aufrechterhalten. So lassen sich auch im Rock-Spektrum Spielarten sekundaristischer, also ironischer und zitathafter Verfahren finden, etwa im Glam-Rock der 1970er Jahre oder bei Bands wie AC/DC, Kiss und Queen. Moritz Baßler spricht sich dafür aus, dass nicht nur die mit ›Pop‹ in Verbindung stehenden Verfahren, sondern auch der Rock es verdient habe, im Modus der ironischen Durchstreichung »sous rature geadelt zu werden. Schon das Geschäft von Mick Jagger und Angus Young war im Grunde: Dekonstruktion (Postmoderne)« (2005c: 134). Martin Büsser macht in ähnlich relativierender Weise auf die Eigentlichkeit scheinbar ›sekundaristischer‹ Bands und auf Ironie im Rock aufmerksam: Das »neue Texten« sei »subjektiver und persönlicher, als es sein möchte (sowohl BLUMFELD, Schorsch Kamerun wie auch SLEATER KINNEY und STELLA sprechen auf je eigene Weise häufiger und letztlich authentischer von sich selbst als Image-Rock / la MOTÖRHEAD das je tat« (1998: 12).
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weise auch Elemente ›hoher Kunst‹ integrierten. Die Zimmermänner betitelten eines ihrer Alben »Goethe« (1984), was im Zuge des Punk und dessen Protest gegen Intellektualismus und Bildungsbürgertum wohl nicht denkbar gewesen wäre. Palais Schaumburg, die mit einem dadaistischen Stil in Verbindung gebracht wurden, nahmen verschrobene textliche und musikalische Elemente in ihr Werk auf. Die »Sinnzertrümmerung in Dada-Tradition« (Büsser 2004: 133) entsprach keinesfalls der Unmittelbarkeit und Einfachheit des Punkrock. Die Artifizialität in der Phase nach dem Punk lässt sich gut im Werk des PalaisSchaumburg-Sängers Holger Hiller nachvollziehen.107 Schon während der Zeit bei Palais Schaumburg strapazierten seine Lyrics sowohl die Grenzen von New Wave/Neuer Deutscher Welle als auch der Kategorien »Pop« und »E-Kunst«. Wo Dieter Wrobel zwischen denjenigen Repräsentanten der NDW unterscheidet, die »im Sprach- und Motivbestand des Schlagers nach Parodiefähigem suchten« und Gruppen wie Palais Schaumburg, die »gewagteste Metaphern zu ungewohnten Konstellationen [konstruierten]« (2007: 437), scheint Hiller in seinem Verfahren als Solo-Künstler über diesen Kategorien zu stehen. Neben seinem ausgeprägten Kunstanspruch finden sich bei Hiller auch Auseinandersetzungen mit schlagerähnlichen Ausdrucksformen, etwa eine »lokalpatriotische Reminiszenz an Hans Albers« (Koch 1987: 153) auf der ersten Palais-SchaumburgSingle »Rote Lichter« (1980). Zu einer Vermischung von E- und U-Ästhetik kommt es in der von Hiller gemeinsam mit Thomas Fehlmann bearbeiteten Kinderoper »Wir bauen eine Stadt« (Hiller/Fehlmann 2006) von Paul Hindemith, die schließlich zum Palais Schaumburg-Song »Wir bauen eine neue Stadt« (Palais Schaumburg 1981) führte. Von Schneider wird dieses Werk als »Hiller-EAbsurdpop« (2008: 270) bezeichnet, womit er auf die Mischung von Avantgardeund Popelementen verweist. Auch die in Zusammenarbeit mit Andreas Dorau entstandene Mini-Oper »Guten Morgen Hose« (Hiller/Dorau 1984) stellt ein völlig eigenständiges Format zwischen Pop- und E-Kunst dar : Im Gegensatz zur traditionellen Oper mutet »Guten Morgen Hose« zwar avantgardistisch und ›schwer verdaulich‹ an, ist dafür aber mit einer Länge von knapp zwölf Minuten schnell konsumierbar. Die Entgrenzung der Formate lässt sich auch in einer Annäherung der Spieldauer erkennen – der Popsong wird länger, die Oper kürzer. Wenn Peter Wagner jedoch in Bezug auf Bands wie Palais Schaumburg und Der Plan von einer »kulturbeflissene[n] Avantgarde« (1999: 141) spricht, die Dadaismus, Surrealismus und die Kulturgeschichte zitiert, wird nicht berücksichtigt, dass Hillers, Fehlmanns und Doraus vermeintliche Kulturbeflissenheit durch einen ironischen, bisweilen respektlosen und sicherlich nicht um Distinktionsgewinn bemühten Umgang mit E-Kultur relativiert wird. Dies veran107 Vgl. hierzu ausführlich Huber (2012). Hiller wurde nach Erscheinen des ersten Albums (Palais Schaumburg 1981) als Sänger von Walter Thielsch abgelöst.
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schaulicht etwa die Tatsache, dass auf dem Cover von Hillers und Doraus MiniOper das Abzeichen der für die Veröffentlichung von Klassischer Musik bekannten Plattenfirma Deutsche Grammophon zitiert wird (Abb. 11).
Abb. 11: Plattencover »Guten Morgen Hose« von Holger Hiller und Andreas Dorau.
Zutreffend bleibt freilich, dass anhand der von Wagner genannten Bands gut beobachtet werden kann, wie Popästhetik nach dem Punk für Einflüsse aller Art – unter anderem avantgardistische Ansätze – anschlussfähig gemacht wurde und sich Pop hier endgültig als ›sekundaristische‹ Kunstform erwies. Der spätestens Anfang der 1980er Jahre stattfindende popkulturelle Paradigmenwechsel verdrängt demnach die in den 1960er und 1970er Jahren dominante »authentizistische Sicht auf Rock- und Popmusik« (Hinz 2003: 307) zugunsten eines semiotisch-spielerischen Künstlichkeitscodes. Diese Entwicklung wird anschaulich von Thomas Groß beschrieben: Es war Ende der Siebziger. Den Rock’n’Roll ereilte seine erste Ölkrise. Plötzlich tauchte ein Bewußtsein dafür auf, daß die Ressourcen begrenzt sind, daß die Rockträume von grenzenloser Mobilität, von niemals endenden Straßen und Sex auf dem Rücksitz etwas Gestriges haben. Eine Generation, die noch unter dem Einfluß ihrer älteren Hippiebrüder aufgewachsen war, begriff, daß Popmusik nicht einfach ein Stück Natur ist, das aus den Körpern strömt, sondern etwas Zerrissenes, Künstliches, Zusammengesetztes – ein Stil oder Text. Das neuerwachte Bewußtsein für die Textualität von Pop ging unter der Bezeichnung ›Zitat-Pop‹ in die Annalen ein. ABC, Scritti Politti, Heaven 17 – bereits die Namen der neuen Bands betonten den Schriftcharakter, die artifizielle Seite des
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Stils. Es war ein Sieg des Dandytums, des Künstlertypen, der den schlichten Rocker kurzfristig als Ikone der Coolness ablöste. (1999b: 276)
Martin Büsser spricht in diesem Zusammenhang von einer »Rockismus-Debatte«: Mit ihrem lebensfrohen und opulenten Pop eröffneten Bands wie ABC und Haircut 100 bereits Anfang der Achtziger die so genannte Rockismus-Debatte. ›Rockismus‹ wurde als Schimpfwort gegenüber jenen verwendet, die noch an die Authentizität und den rebellischen Gehalt von Rockmusik glaubten, der sich jedoch meistens in Machoposen ausdrückte. (2004: 140)
Büsser bezieht sich darüber hinaus auf einige Ausschnitte aus Interviews mit Haircut 100, die sich darin als nette Jungs inszenieren, die Wollpullover tragen, Selbstzuschreibungen wie ›frisch‹ und ›clean‹ benutzen und sich im Zuge des ›Anti-Rockismus‹ ausdrücklich einem exzessiven, von Sex, Drogen und Rock’n’Roll geprägten Lebensstil verweigern (vgl. ebd.). In Deutschland, so Büsser, wurde für diese Haltung der Ausdruck Popper geprägt. Als Popper galten alle, die bevorzugt Markenkleidung trugen und finanziellen Erfolg zum obersten Lebensprinzip erklärten. Für Popbands wie ABC, Haircut 100 und The Human League war das smarte Auftreten allerdings in erster Linie Strategie, sich vom Männlichkeitsgepose abzugrenzen, aber auch vom allgegenwärtigen politischen Anspruch. Der Mix aus Rock und politischer, selbstverständlich linker Gesinnung wurde von Kritikern noch immer mit Relevanz und Niveau gleichgesetzt. (Ebd.: 141)
Im Zeichen der in diesen Zitaten erkennbar werdenden ›Textualität‹ von Popmusik, die auch unter dem Begriff »New Pop« geläufig war, beziehen sich die Hamburger-Schule-Bands zum Teil emphatisch auf den »Sommer 1982« (Büsser 2004: 138), den Büsser als »Blütezeit des Pop« (ebd.) beschreibt, in dem sich ein »Zitatpop« (ebd.: 142) herausbildete als Entwurf einer »›textuelle[n]‹ Musik« (ebd.) und eines »aus Zitaten und Kommentaren zusammengesetzten Pop« (ebd.).108 Offensichtlich wird im Zusammenhang mit Blumfelds Album »Old Nobody« auf diesen Bezugsrahmen verwiesen: Hier kommt es auf dem Cover des Albums zu jener oben beschriebenen ›cleanen‹ Inszenierung der Bandmitglieder, die sich freundlich lächelnd mit Seitenscheiteln sowie durch das Tragen von Markenklamotten (Andre Rattay trägt ein Ralph-Lauren-Polohemd) als Popper in Szene setzen. In dem Song »So lebe ich« (Blumfeld 1999a) beschreibt sich das lyrische Ich als »Milchgesicht« und äußert die Zeile »songs to remember« (ebd.) – gleichlautend mit dem Titel eines dem New Pop zugerechneten Album von 108 Zur Begriffs- und Diskursgeschichte des »New Pop« vgl. Hecken (2009: 378–423) sowie den Abschnitt zum Blumfeld-Album »Old Nobody« der vorliegenden Studie.
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Scritti Politti (1982). Weitere Bezüge des Albums zum 1980er-Jahre-Pop werden im dritten Kapitel der vorliegenden Studie ausführlich diskutiert. Im Folgenden wird von der These ausgegangen, dass die Hamburger Schule in der Tradition des Zitat-Pop einen Entwurf sekundaristischer und anti-rockistischer Popmusik etablierte, allerdings ohne sich zunächst von den Formen des Rock gänzlich zu verabschieden. Die landläufigen Zuschreibungen hinsichtlich Rock (authentisch, echt, rebellisch) und Pop (kommerziell, eingängig, unkritisch) erschienen durch New Wave und speziell durch die »Mehrdeutigkeit [des] 82er Zitatpop« (Büsser 2004: 143) ihre Gültigkeit eingebüßt zu haben; im Ergebnis entstand eine »Welle an distinguiertem, von Zitaten beinahe überfrachtetem Indiepop« (ebd.). Diese Entwicklung beinhaltete nicht nur eine »künstlich-künstlerische Abkehr von der eingängig vehementen Punk-Direktheit« (Hecken 2009: 373), sondern auch einen veränderten Umgang mit politischen Haltungen, den der Musikjournalist und -theoretiker Simon Reynolds treffend herausstellt: Bestand die Artikulation politischer Inhalte im Punk noch – letztlich konform mit der Rock-Tradition – in »raw rage and agitprop protest« (2006: 6), stehe der Post-Punk ganz im Zeichen von »more sophisticated and oblique techniques« (ebd.). Die aggressive Art des Vortrags, die Äußerung einfacher Parolen und die Inszenierung eines offen politischen Ansatzes wurde von den Vertretern des Post-Punk als zu direkt, zu ›unästhetisch‹ und bisweilen, wie Reynolds betont, dem Hörer gegenüber als herablassend empfunden (vgl. ebd.). In den Textverfahren von Bands wie Gang of Four und Scritti Politti erkennt Reynolds eine neuartige Form, Machtmechanismen im Alltag zu analysieren. Die Ideologiekritik dieser Bands bezieht sich weniger auf einen gesellschaftlichen Makrokosmos, sondern nimmt einen ›gesellschaftlichen‹ Blickwinkel ein, indem politische Ereignisse in ihren unmittelbaren Konsequenzen auf das eigene Leben und die Psyche diskutiert werden: These bands demonstrated that ›the personal is political‹ by dissecting consumerism, sexual relationships, commonsense notions of what’s natural or obvious, and the ways in which what feels like spontaneous, innermost feelings are actually scripted by larger forces. At the same time, the most acute of these groups captured the way that the political is personal, illustrating the processes by which current events and the actions of government invade everyday life and haunt each individual’s private dreams and nightmares. (Ebd.)
Ein Politikverständnis geht hier also vor allem von einer persönlichen Sicht auf die Welt aus, die mit größeren Zusammenhängen kontextualisiert wird und sich an das Bewusstsein individueller Hörer richtet (vgl. ebd.). Ein solches Programm erscheint nahezu identisch mit demjenigen des Diskurspop. So äußert
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Jochen Distelmeyer, weniger auf Post-Punk, sondern auf die Tradition des Liedermachers Bezug nehmend, einen ähnlichen Ansatz: Sobald von mehreren Leuten Interesse besteht, über ihre private Wahrnehmung von Wirklichkeit zu sprechen, wird aus diesem Privaten ein Politikum, wie es zum Beispiel bei Leuten wie Dylan, Cohen, Degenhardt oder derzeit beim Hip Hop passiert ist. Die erzählen auch ihre ganz persönlichen Probleme von ihrer Straße, ihrem Viertel. Das betrifft dann aber viele, so entsteht ein übergreifendes Verständnis (Galenza 1992: 39).
Von der Einsicht, dass die private und subjektive »Wahrnehmung von Wirklichkeit« aus einem dialektischen Verhältnis von Individuum und Gesellschaft resultiert, ist im Werk Blumfelds die folgende Textpassage geprägt, die als Anknüpfungspunkt an die von Reynolds in Bezug auf den Post-Punk herausgehobenen ›analytischen‹ Qualitäten zitiert sei: Und der Staat ist kein Traum ist sogar in meinen Küssen ein mich gestaltender, die Fäden, die rissen und Welt verwaltender Zustand eher Raum als Position und so organisiert er sein Verschwinden indem er sich durch mich bewegt durch Gedanken aus Stein aus Licht eine Mauer eine Sonne aus Eisen eine Sprache aus Trauer (Blumfeld 1994: »Eine eigene Geschichte«)
Entsprechend dem von Reynolds dargelegten Verfahren wird hier beschrieben, wie »der Staat« (ebd.) in das Leben des lyrischen Ichs eindringt. Ein das lyrische Ich »gestaltendes« (ebd.) Marionetten-Modell, in dem der Staat mit repressiven Methoden Einfluss auf das Individuum nimmt, wird verabschiedet (»die Fäden, die rissen«, ebd.). Stattdessen »bewegen« sich Regeln und Machtstrukturen durch das lyrische Ich, wodurch sie als sichtbare Repressalien ihr »Verschwinden« (ebd.) organisieren und vom Individuum internalisiert werden – selbst in den privaten Bereichen, in denen es scheinbar ›wahre‹, also von staatlichem Einfluss unaffizierte Gefühle äußert (»sogar in meinen Küssen«, ebd.). Anhand des Bildes »Gedanken aus Stein« (ebd.) wird erkennbar, wie sich eine immaterielle Ideologie im Bereich des Privaten zunehmend materialisiert und verfestigt (›versteinert‹). Der Staat wird durch eine Form von Organisation zur alles durchdringenden Instanz; er ist »kein Traum« (ebd.) mehr, sondern ›gemachte‹ Realität. Blumfeld äußern in ihrem Verfahren Ideologiekritik also ausgehend von einem dialektischen Verhältnis von Individuum und Gesellschaft, ein deutlicher Fokus liegt dabei aber auf dem Individuum. In diesem Zusammenhang erscheint es nachvollziehbar, dass Blumfeld zwar immer wieder an politischen Aktionen wie den »Wohlfahrtsausschüssen« beteiligt waren,
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dabei aber entsprechend ihrem Verfahren eine Skepsis gegenüber politischen Organisationen hegten.109 Beispielsweise kritisieren sie, wie in ihrem Song »Ghettowelt« (Blumfeld 1992a), starre Ordnungssysteme, auch wenn diese gemeinsame politische Ziele verfolgen – ganz anders als etwa die Polit-Rocker von Floh de Cologne, die mit dem Sozialistischen Deutschen Studentenbund (SDS) und mit der Deutschen Kommunistischen Partei (DKP) eng zusammenarbeiteten und z. T. mit ihnen affiliiert waren. Es wird hier das von Blumfeld favorisierte ›sekundaristische‹ Verfahren erkennbar, bei dem ein politisches Anliegen nicht durch Parolen, sondern in der Reflexion des persönlichen und gesellschaftlichen Umfeldes artikuliert wird. Dies kann durchaus als ästhetische Praxis verstanden werden, bei der allerdings keine Kunst um der Kunst willen produziert wird, sondern gerade durch die Verweise auf den Produktionszusammenhang soziale Kategorien etabliert werden.110 In diesem Sinne bietet auch die musikalische Dimension keinen beliebigen musikalischen Hintergrund für die Verbaltexte: In der Hamburger Schule wie im Post-Punk wird auch die Musik ›diskursiv‹ und funktioniert nicht wie noch im Punk als »mere neutral platform for agitprop« (Reynolds 2006: 6). Die formale Ebene des Songs wird zum Gegenstand der Reflexion. Stellvertretend für den ›diskursiven‹ und sekundaristischen Zugriff auf die musikalische Dimension ihrer Textmusik wären etwa Die Sterne zu nennen, die Soul- und Funkmusik 109 Bei den Wohlfahrtsausschüssen handelte es sich um ein 1992 ins Leben gerufenes antinationalistisches Bündnis bestehend aus Musikern, Künstlern und Journalisten aus dem Umfeld der ›Pop-Linken‹ wie auch politischen Aktivisten im engeren Sinne (z. B. aus AntifaGruppen, Ausländerinitiativen und der Hochschulpolitik). Blumfeld beteiligten sich (gemeinsam mit Künstlern und Gruppen wie Die Sterne, Kastrierte Philosophen, Eric IQ Gray, Absolute Beginner, Die Goldenen Zitronen, Easy Business, Extended Versions, Cpt. Kirk & ., Think About Mutation, Station 17 und Rulin Sound) an einer anlässlich verstärkter rechtsradikaler Gewalt in den ›neuen Bundesländern‹ durchgeführten Konzert- und Vortragstournee durch Rostock, Dresden und Leipzig vom 18.–20. Juni 1993. Vgl. hierzu ausführlich Groß (2000a), Heiser (1995), Wohlfahrtsausschüsse (1994) sowie als Anlage der vorliegenden Studie die Flugschrift »Etwas Besseres als die Nation«. In letzterer Schrift wird insbesondere die »Untrennbarkeit politischer und kultureller Arbeit« (o.S.) betont; man wolle »nicht als ›schwarzer Block‹ durch den Osten der Republik reisen« (ebd.). 110 Eine Parallele lässt sich hier im Bezug auf den politischen HipHop von Public Enemy erkennen. Auf den Zusammenhang von Blumfelds »Ich-Maschine« und HipHop wird in Abschnitt II.1.3 der vorliegenden Studie eingegangen. Zur Verbindung von ästhetischen und sozialen Kategorien bemerkt Joshua Clover am Beispiel von Public Enemy : »aesthetic success must accompany political content as pedagogical necessity, and communication must cross lines of class, race, and geography to exceed subcultural status. This double synthesis, then, is the program for a political art. This is the measure of Public Enemy’s achievement, rather than articulacy or militancy as such. That is, their significance lies in their realization of an explicitly social-political, confrontational problematic in relation to an aesthetic form that expressed the same problematic otherwise: a total work that solicits engagements and generates affects in multiple ways.« (2009: 31f.).
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dekontextualisieren, indem sie sie in die deutschsprachige Popmusik importieren und in ihrer bedeutungstragenden Funktion produktiv machen: Als tanzbares Gegengewicht zu ihren abstrakten und intellektualisierten Lyrics und in Anspielung auf bzw. in Solidarität zu internationalen Widerstandsbewegungen, in diesem Fall den emanzipatorischen Bestrebungen der afroamerikanischen Bevölkerungsminderheit in den USA. Nicht zuletzt wird die Musik der Sterne, gemäß Diederichsens These (1990: o.S.), als sekundaristisches Produkt markiert, das trotz deutschsprachiger Texte offensiv amerikanisch geprägte Zeichen benutzt.111 Der aus der Popmusik der frühen 1980er Jahre hergeleitete Sekundarismus der Hamburger Schule impliziert, wie gezeigt wurde, immer auch eine Gegnerschaft zum Authentizitätsparadigma des Rock wie auch zur Artikulation politischer Inhalte gemäß der Agitprop-Tradition. Wenn in der vorliegenden Studie von einer Radikalisierung des Sekundaritäts-Konzepts durch die Hamburger Schule gesprochen wird, muss erläutert werden, von welcher Basis aus diese Radikalisierung vonstatten geht. Ausgehend von Diederichsens These (1990) lässt sich Sekundarität als Grundeigenschaft der deutschen Popkultur erachten und kann als Verfahren vermutlich in jeglichem popkulturellen Erzeugnis nachgewiesen werden. In der Tat scheint das Konzept der Sekundarität in einem weiter gefassten Sinne schon seit Ende der 1950er Jahre in der sich zu dieser Zeit in den Bereichen Musik, bildende Kunst und Literatur global entwickelnden Popkultur gültig zu sein. Es zeichnet sich durch popkulturelle Verfahren aus, die sich aus »präfabrizierte[n] Zeichensysteme[n]« (Schäfer 1998: 26) speisen und dabei »keine kulturkritische Anklage gegen die ausufernde Zeichenproduktion der populären Kultur« erheben, sondern diese »als Ausgangsmaterial des literarischen Schreibens« (ebd.) nutzen, wie Jörgen Schäfer mit Fokus auf popliterarische Texte der 1960er Jahre, insbesondere auf diejenigen Rolf Dieter Brinkmanns, verdeutlicht. Sekundarität, in diesem Sinne verstanden, bringt keine originäre Ästhetik hervor, ihre Originalität entsteht vielmehr in einer Transformation bestehenden Materials aus Hoch- und Populärkultur in einen neuen Pop-Text. Von einer Transformation spricht auch Diederichsen, der erklärt, Pop sei »immer Transformation im Sinne einer dynamischen Bewegung, bei der kulturelles Material und seine sozialen Umgebungen sich gegenseitig neu gestalten und bis dahin fixe Grenzen überschreiten« (1996: 38f.).112 Dieser Prozess wird im folgenden Passus – wie bei Diederichsen ausgehend vom Begriff eines ›sekundären‹ Verfahrens – von Brigitte Weingart expliziert und im Blick auf Pop-Literatur auf das Zitat als adäquates Stilmittel hin zugespitzt: 111 Vgl. hierzu Huber (2008: 142–144). 112 Vgl. hierzu auch Schumacher (2001, 2003).
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Pop-Literatur hat einen Hang zum Sekundären. ›Stoff- und Materialpräsentation‹ [so lautet der Veröffentlichungskontext von Weingarts Artikel, Anm. T.H.] erfolgen auffällig oft über Zitate, die – auch ohne Fußnoten – überdeutlich als solche ausgewiesen werden. Besonders beliebt sind Verfahren des direkten Zitats, gelten sie doch als besonders radikale Infragestellung traditioneller Vorstellungen von Autorschaft und Kreativität – man denke an das an der Pop-Art geschulte Konzept des ›bloßen Abschreibens‹, wie es von Uwe Nettelbeck und Rainald Goetz ins Extrem getrieben bzw. zum Statement an sich erklärt wurde, oder an die Verwendung von Bildzitaten in PopTexten. In beiden Fällen bedienen sich die Autoren vorgefundenen Materials, das bereits in Form weiterverwertbarer Zeichen vorliegt (Weingart 2006: 191).
Weingart betont darüberhinaus, dass eine popspezifische Kommunikation zwischen Produktions- und Rezeptionsseite dadurch begünstigt werde, dass »dem Autor (als ›Leser‹) die Dinge selbst bereits als zeichenhaft erscheinen« (ebd.) und also »die Wirklichkeit als zeichenhaft wahrgenommen« (ebd.) werde. Es ist dieser semiotisch-spielerische und ›parasitäre‹ Umgang mit vorgefundenem Material, der Pop-Kunst bisweilen synonym mit ästhetischen Verfahren der Postmoderne in Erscheinung treten lässt.113 So bezieht sich Manfred Pfister in einer kritischen Diskussion des Postmoderne-Begriffs hinsichtlich des kleinsten gemeinsamen Nenners der vielen Definitionsversuche explizit auf das Element des Parasitären (vgl. Pfister 1991: 207f.) und betont den spielerischen Umgang mit Zeichenmaterial aus unterschiedlichsten Quellen: Postmodernist culture presents itself as a playful mise en scHne of pre-given materials and devices, and these may be taken either from the imaginary museum of historical styles, from consumer society’s storehouse of pop artefacts yet untouched by High Culture […], or from the repertoire of modernist aesthetics and practices. (Ebd.: 208)
Verabschiedet werden laut Pfister Originalität und Kreativität im Sinne eines ›Schöpfungsaktes‹ zugunsten eines spielerischen Synkretismus, in dem Originalität nur in Form von »sophisticated games with extant texts and traditional structures« (ebd.) überleben könne.114 113 Vgl. hierzu Jameson (1991: 2f.) und McCaffery (1995: xiv). 114 Der hier konstatierte Anspruch auf sophistication trifft auf die Produktion und Rezeption eines Großteils popästhetischer Erzeugnisse nicht immer zu, auch wenn hier innerhalb einer Vielzahl und in Wechselwirkung heterogener Szenen und stilistischer Ausprägungen ständig neue Formen von sophistication – im jeweiligen Diskurs – ausgehandelt werden. Pfister nimmt in der zitierten Passage vor allem Bezug auf literarische Texte postmodernistischer Strömungen, die einen avantgardistischen Anspruch vertreten, etwa auf USamerikanische Autoren wie John Barth und Raymond Federman oder in Deutschland Botho Strauß. Deren sophistication entsteht durch ihre literaturtheoretisch reflektierten Schreibverfahren und ausdrücklich nicht auf Ebene der Auswahl intertextueller Versatzstücke, im Gegenteil: »American postmodernism […] gives priority to the myths and clich8s of pop-culture over the time-honoured works of High Culture. The verbal garbage
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Diese Distanzierung von der Idee eines künstlerischen Schöpfungsaktes bei emphatischer Aneignung schon existierenden, nicht durch eine Autorinstanz hervorgebrachten Materials bedingt eine Poetik der Sekundarität, die sich im Diskurs um die Begriffe »Postmoderne« und »Popkultur« herauskristallisiert. Diesem Konzept entsprechend hebt Diedrich Diederichsen schon 1982 auf eine Pop-Definition ab, die das parasitär-intertextuelle Verfahren mit einem marxistisch gefärbten Konzept von Widerständigkeit kombiniert: Eine schöne Definition von Pop lieferte mir unfreiwillig die Zeitschrift »Spex«. In einem Verriß einer der größten Pop-Künstlerinnen, Debbie Harry, schreiben sie nörglerisch vorwurfsvoll: »daß die Gruppe Stilelemente nie wirklich spielt, sondern nur benutzt«. Eben. Das ist es seit Bertolt Brechts »ich gestehe, daß ich in Dingen des geistigen Eigentums…«; das ist 20. Jahrhundert; das ist der Fortschritt des menschlichen Bewußtseins, daß Kunst nach der Epoche des »Gegen« (gegen den Kapitalismus, böse Menschen, Lieblosigkeit, Schweine, Hörgewohnheiten, Sehgewohnheiten) eine neue Haltung hervorbrachte, die, immer gewahr der Widersprüche, um die herum und durch die sie entsteht, diese in respektlosen, naseweisen, plumpen und grellen MiniAnalysen vereint. Diese Mini-Diskurse schließen alle möglichen ÜberlebenskampfTaktiken ein. Sie stehen jedem kämpfenden Genossen zur Verfügung, der sich von der Peinlichkeit des echten Anliegens freigemacht hat und nur noch mit der ultimativen Fröhlichkeit einer nahezu aussichtslosen Lage sich die Wahrheit erkämpfen will, wissend, daß alles, was er in der Sprache des Pop sagt, in mehreren Anführungszeichen erscheinen wird. (Diederichsen 1982: 93f.)
Das ›Gegen‹ in der Kunst, das in der vorliegenden Studie im Kontext der deutschsprachigen Popmusik anhand des Polit-Rock diskutiert wurde, wird also durch eine Auseinandersetzung mit den »Widersprüchen« wie auch durch »grelle Mini-Analysen« ersetzt, die von Diederichsen aber durchaus noch als kämpferisch markiert werden. Schon im Jahr 1990 hält es Diederichsen für nötig, in Bezug auf das von ihm explizierte Verfahren eine Abgrenzung vorzunehmen: Das »sekundaristische[ ] Ergebnis« deutscher Popmusik sei »mehr wert als billige Postmodernität, die die Unmöglichkeit von Authentizität nicht einmal mehr als Verlust empfunden hat, sondern von vornherein als ›natürliche‹ Maxime eines unendlichen Unterhaltungsuniversums.« (1990: o.S.) Auch wenn Diederichsens und Pfisters in etwa zeitgleich erschienene Texte gänzlich unterschiedlichen Kontexten entstammen – bei Pfister handelt es sich um einen akademischen, vorwiegend an amerikanistischen Fallbeispielen durchgeführten Beitrag zur Literaturtheorie, bei Diederichsen um den Begleittext zur CD-Veröffentlichung eines kleinen Hamburger Plattenlabels – befinden sie sich doch bis in den Wortlaut hinein im Einklang and the flood of images produced by an ever-growing industry, set up to entertain our consumer society, thus become the privileged pretexts of postmodernist art.« (Pfister 1991: 218).
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darüber, dass mit postmoderner Kunst nur begrenzt eine kritische Haltung verknüpft werden kann. So stellt denn auch Pfister in Bezug auf eine literarische Postmoderne in den USA fest, dass die von John Barth proklamierte »Literature of Exhaustion« (1967) zwar noch um »the sorrows of lost authenticity and reality« wisse und unter dem Zwang »to repeat the d8j/ vu, the d8j/ lu, the d8j/ v8cu again and again« (Pfister 1991: 221) leide, dabei aber letztlich drohe, in eine unreflektierte, d. h. rein konsumistische Affirmation dieses Zustandes umzuschlagen:115 Postmodern art threatens to decay into what postmodern consumerism and the entertainment industry have already become – a ploy of social engineering that helps us to repress our anxieties as regards diminishing natural resources, through stimulating an artificial euphoria of abundance. (Ebd.)
Neben dem Befund, dass ›unreine‹, ›sekundäre‹, ›parasitäre‹, sprich: nicht-originäre Schreibverfahren als besonders adäquate Ausdrucksformen in Bezug auf das zuvor skizzierte Diskursfeld geschätzt werden, enthalten die zitierten Passagen von Pfister und Diederichsen eine Kritik an der Dominanz der unterhaltenden Funktion popkultureller bzw. postmoderner Kunstwerke. Was diese unmittelbar vor dem Auftauchen von Bands wie Blumfeld oder Die Sterne veröffentlichen Texte fordern, ist, dass das Bewusstsein über die Unmöglichkeit von Originalität – das sich formal in einem sekundären Verfahren manifestiert – auf analytische und kritische Art und Weise artikuliert werden sollte. Das sekundäre Verfahren in der Popkultur bzw. der postmodernen Kunst wird demnach als Möglichkeit einer ästhetischen Auseinandersetzung mit der Gegenwartskultur der 1990er Jahre lobend hervorgehoben, wobei eine solche Auseinandersetzung – zu diesem Schluss kommen Diederichsen und Pfister jeweils – zugleich die Gefahr in sich berge, mit den kulturindustriellen bzw. konsumistischen Anwandlungen dieser Kultur zu verschmelzen, statt sich ihnen kritisch zu nähern. Aus diesem Grund fordert Pfister eine neue Form von »post-postmodernism that remains resistent to these pressures of assimilation« (1991: 222). Denn, so Pfister in der Herausarbeitung eines spezifisch postmodernen Intertextualitätskonzepts, »the dialogue of texts and discourses no longer serves to play off differences with a critical and analytic purpose; it rather serves to stimulate the sophisticated pleasures of the disparate and heterogeneous.« (Ebd.: 221) Kritisiert wird also, dass das intertextuelle Spiel mit heterogenen Prätexten nicht mehr in kritischer Absicht, sondern entweder als l’art pour l’art oder als Unterhaltungskunst betrieben wird – diese Kritik geht bei Pfister verurteilend mit Begriffen und Formulierungen wie »decay«, »euphoria« »cheerful«, »abun115 Vgl. hierzu auch Schöpp (1990: 184).
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dance«, »pleasures« und »random disposability of everything« (ebd.) einher ; innerhalb der postmodernistischen Strömung mit kritischem Ansatz diagnostiziert er dagegen »suffer«, »sorrow« und »compulsion« (ebd.) als Indizien für ein gleichsam anthropologisch ausgerichtetes Problembewusstsein. Hier begibt sich der von Pfister vorgeschlagene Post-Postmodernismus in der Verwendung intertextueller Verfahren auf die Suche nach Bereichen außerhalb eines entfremdenden Verblendungszusammenhangs: »[Post-postmodernism] would have to find new ground in those remnants of nature which have still managed to survive around us, and in us. Here, in the material and psychological ecology, it might, perhaps, find its Archimedian point of leverage.« (Pfister 1991: 222) In einem sechs Jahre später veröffentlichten Spex-Artikel von Diedrich Diederichsen kann beobachtet werden, dass sich Pfisters und Diedrichsens Thesen im Hinblick auf die zeitgenössische Kultur möglicherweise als zutreffend erwiesen haben: Diederichsen spielt darin zwei idealtypische Hörertypen gegeneinander aus: Der eine davon goutiere ein »nachvollziehendes oder mitvollziehendes, tendenziell immanentes Hören« (Diederichsen 1997: 43) und damit eine möglichst ›reine‹ Musik, frei von zitierenden, referentiellen Verweisen: Die Gewahrheit, daß bei musikalischen Systemen (im Unterschied zur Sprache) ein weitaus größerer Anteil an Elementen keine Verweisfunktion übernimmt, wird […] von anderen Musiken – am Rande der Popmusik oder in den E-Musiken – regelmäßig und oft ideologisch vertreten. Gerade ›Reinheit‹ von Musik meint, daß sie weder vage ablenken noch konkret an einen ganz bestimmten Ort lenken darf. (Ebd.: 44)
Ein weiterer Hörertypus favorisiere dagegen das »zeichenhaft auf Abwesendes verweisen[de]« (ebd.) Moment, als dessen Merkmal Diederichsen das Zitat identifiziert. Diederichsens Hörertypologie erinnert hier stark an Jacques Derridas Konzeption zweier Weisen des Interpretierens, nach der die eine Interpretationsform, basierend auf der Annahme eines transzendentalen Signifikats, danach strebe, »eine Wahrheit und einen Ursprung zu entziffern, die dem Spiel und der Ordnung des Zeichens entzogen sind« (Derrida 1976: 441), wohingegen die andere Form einen spielerischen Modus bejaht als »Welt aus Zeichen ohne Fehl, ohne Wahrheit, ohne Ursprung, die einer tätigen Deutung offen ist« (ebd.). Analog zu letzterem Interpretationsverfahren schreibt Diederichsen das Zitat als ein auf Abwesendes verweisendes Zeichen dem Pop-Verfahren zu und folgert schließlich:116 116 Ähnlich argumentiert Diederichsen auch schon in einer früheren Schrift – mit einer klaren Positionierung zugunsten des ›pop-modernen‹ Paradigmas: »Epochen der buchstäblichen Erneuerung sind seit Urzeiten vorbei; Debbies [Deborah Harry, Anm. T.H.], [David, Anm. T.H.] Bowies und aller anderen (bewußtes oder unbewußtes) Prinzip, Stilelemente nur noch zu verwenden, gehört die Zukunft (und auch ein größeres Stück Vergangenheit). In
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Natürlich ist der metaphysische Authentizismus des ersten Hörtypus immer noch verbreiteter. Aber der popistische Sekundarismus des zweiten wirkt nicht weniger ideologisch und ist gerade in Zeiten der ›zweiten Postmoderne‹ durch Phänomene wie Easy Listening oder Zitatkino an einigen Orten hegemonial geworden. (Diederichsen 1997: 44)
Diederichsen bleibt damit bei seinem Standpunkt gegen die in seinem Text von 1990 so bezeichnete »billige Postmodernität« (o.S.) und fühlt sich durch zwischenzeitlich aufgekommene Phänomene wie das Easy-Listening-Revival oder zitierende Filme wie Pulp Fiction (1994) in den zuvor diskutierten Thesen zum Verlust des kritischen Impetus postmoderner Kunst bestätigt.117 Unabhängig davon, ob man Pfisters und Diederichsens Einschätzung teilt, lässt sich doch nicht von der Hand weisen, dass ihren Forderungen gegen eine ›billige‹, ›hegemoniale‹ und marktwirtschaftlich konforme Postmodernität innerhalb der Hamburger Schule häufig entsprochen wurde. Auch wenn der Begriff mitunter als Marketingstrategie (vgl. Fromm 2012: o.S.) bzw. als »marktökonomische Schublade für Jungsbands« (Behrens 2002b: 26) und die damit assoziierten Bands selbst teilweise als marktwirtschaftlich erfolgreiche Geschäftsmodelle fungierten, befinden sie sich auf Verfahrensebene einerseits im Einklang mit einer ›postmodernen‹ Ästhetik, grenzen sich andererseits aber in ihrer politischen und kritischen Positionierung häufig von einer ideologischen Beliebigkeit derartiger Verfahren ab. Wir haben gesehen, dass das Diskurspop-Ich sich in besonderem Maße Einflüssen von außen – mit Diederichsen gesprochen einem ›popistischen Sekundarismus‹ – öffnet, und dass dabei ein sich über dieses Außen konstituierendes ›unreines‹, bastardisiertes Textgewebe entsteht. Im Diskurs zur Hamburger Schule kommt aber auch, wiederum von Diederichsen, die Einschätzung zur Sprache, dass das postmodern bzw. poststrukturalistisch gedachte Interder klassischen Musik ist die kleinste Einheit der Ton, im Pop ist es der stilistische Verweis. Pop-Musiker bedienen sich nicht mehr bei einer Ton-Palette, sondern bei einem SoundStil-Klangfarben-Supermarkt; über Qualität entscheidet die Haltung zum Material und ob das Resultat in den Erfordernissen des Alltags funktioniert. Das entscheidet sich oft im Verhältnis der spezifischen Nuancen zum bekannten, jeweiligen Pop-Code. Popmusiker sind semiotische Alchimisten, keine Tonsetzer.« (Diederichsen 1982: 94). 117 Entsprechend heißt es in Diederichsens 1997 verfasstem (und in Diederichsen 1999 anthologisiertem) Essay mit dem Titel »Die 90er, und dahinter die Unendlichkeit«: »Phänomene wie der Easy-Listening-Kult von 1995 und die in deutschen Großstädten dazugehörige Kultur von Cocktail-Lounges in ehemaligen Animierbars, besucht von Flexibilisierungsgewinnern, die den klassisch-popkulturellen Zusammenhang zwischen ästhetischer Kennerschaft und ethischen Konsequenzen aufgekündigt haben, haben auch zu der Reaktion geführt, nun besonders trotzig an der kleinen kontrollierbaren Gegenkultur und ihren Regeln über die Beziehungen zwischen politischen Inhalten und den dazugehörigen Zeichen festzuhalten.« (Diederichsen 1999: 279) Vgl. hierzu auch Hecken (2011: insbes. 19).
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textualitäts- und Sekundaritätskonzept als eine Art Verfallserscheinung zuungunsten politischen Engagements Überhand gewinnt, auch wenn es ursprünglich mit ideologiekritischen Implikationen versehen war.118 Wenn hier also eine Synthese von zeitgemäßen, ›postmodernen‹ Verfahren und einer Artikulation ideologiekritischen Bewusstseins gefordert wird, scheint diese ›Marktlücke‹ im Spektrum postmoderner Pop-Kunst durchaus von Bands wie Blumfeld oder Die Sterne gefüllt zu werden. Der entsprechende Platz im Diskurs wird insbesondere von Blumfeld zwischen 1992 und 1999 besetzt. Ihr ›unreines‹ intertextuelles Verfahren wird als eine Form von ästhetischem Protest wertgeschätzt. Zugleich wird die von Diederichsen und Pfister kritisierte Dominanz der unterhaltenden Funktion popkultureller bzw. postmoderner Kunstwerke thematisiert. Der Diskurspop der Hamburger Schule entspricht in 118 Gemeint sind vor allem diejenigen ideologiekritischen Ansätze, die in der Tradition von Julia Kristevas Prägung des Intertextualitätsbegriffs stehen. Demgemäß ist »jeder Text […] Absorption und Transformation eines anderen Textes. An die Stelle des Begriffs der Intersubjektivität tritt der Begriff der Intertextualität« (Kristeva 1972: 348). Ihre Definition fußt auf Michail Bachtins Konzept der Dialogizität, nach dem bestimmte literarische Texte – insbesondere der neuzeitliche Roman – als Manifestation einer »Redevielfalt« (Bachtin 1979: 192) gedacht werden, d. h. einer »offenen Auseinandersetzung divergierender Standpunkte« (Pfister 1985: 2), die eine Opposition zur »›monologischen‹ Bekräftigung von Tradition und Autorität« (ebd.) bildet. Bachtin verweist hier noch auf eine intratextuelle Dialogizität bestimmter Textsorten (vgl. Pfister 1985: 4f.), wohingegen das Konzept durch Kristeva eine (als ›poststrukturalistisch‹ zu bezeichnende) Entgrenzung im Sinne einer intertextuell-dialogischen Unhintergehbarkeit aller Texte erfährt. Bachtins Gedanke der Dialogizität wird folglich dahingehend ideologiekritisch produktiv gemacht, dass Kristeva mit ihrem Intertextualitätsbegriff die Möglichkeit aufzeigt, »die Vorstellung von der Identität des Werks sowie von seiner Zurückführbarkeit auf die personale Identität eines Autors wie schließlich auch die Auffassung von der referentiellen Determiniertheit des Werks als literarische Mythen des bürgerlichen Bewußtseins zu entlarven.« (Stierle 1984: 142f.) Wenn mit Kristeva also Textualität und Intertextualität als synonym gelten, wird damit ein subversives und ideologiekritisches Paradigma der »Dezentrierung und der Offenheit« (ebd.: 142) gegenüber einer konservativen (bzw. konservierenden) und affirmativen Monologizität betont, die Pfister als Feindbild Kristevas identifiziert und hinsichtlich des Entstehungskontextes der »revolutionär erregten sechziger Jahre« spezifiziert als »›bürgerliche Ideologie‹ der Autonomie und Identität individuellen Bewusstseins sowie der Abgeschlossenheit von Texten und ihres Sinns« (Pfister 1985: 6). Dies gilt in gesteigertem Maße für die Ausweitung von Kristevas Textbegriff im Sinne einer allgemeinen intertextuellen Verfasstheit von Kultur. Kristeva postuliert damit einen kultursemiotischen Ansatz, demzufolge jegliche (also auch nicht-sprachliche) kulturellen Erzeugnisse grundsätzlich nur in ihrer Textualität als analysierbar erachtet werden. Von dieser kulturtheoretischen Prämisse ausgehend markiert Mat&as Mart&nez, analog zu Diederichsens historisierender Beobachtung, die ideologiekritische Rolle von Intertextualität als Leitbegriff des Poststrukturalismus deutlich ambivalent: »Die intertextuelle Verfassung der kulturell codierten Wirklichkeit [erscheint] als repressive Repetition, aber auch als subversive Differenz: Einerseits gleicht sie als allumfassendes Reservoir ideologischer Diskurse einem Gedankengefängnis, andererseits unterläuft sie wegen der Unkontrollierbarkeit diskursiven Sinns jede ideologische Fixierung.« (Mart&nez 2008: 442).
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vielerlei Hinsicht der von Pfister favorisierten Adaption postmoderner und popkultureller Formen ohne die Verabschiedung eines kritischen Ansatzes, selbst wenn dessen Unmöglichkeit verhandelt wird.119 Carsten Klook verdeutlicht diesen ideologiekritischen Ansatz in Bezug auf Blumfelds Album »L’Etat et Moi« (Blumfeld 1994). Hier ist dezidiert von einem »Versuch« die Rede: Von dem Versuch zu ergründen, was Leben sein könnte, handelt diese Platte, von dem Begehren nach einem anderen Leben, das noch keine Gestalt hat, dessen Nichtgestalt aber Kraft mobilisiert, nach dieser noch leeren Form auf die Suche zu gehen. Diese politische Absicht erzeugt einen Handlungsbedarf und ist gleichfalls ein Muntermacher für die erschöpfte Linke, die so etwas wie Widerstand nur im Hinblick auf einen vorhandenen Utopie-Begriff zu leisten imstande sich fühlt. Blumfeld setzen der Macht des Staates, die das Begehren geködert und Lüste gezüchtet hat, etwas entgegen, ein Begehren nach etwas noch Undefiniertem. Der Freiraum bedeutet hier erst einmal, wegzukommen von einer idealistischen Fixiertheit. Das Unaussprechliche wird zur dringenden und drängenden Melodie. (Klook 1994: 40)
Klook spricht von der Vermeidung »idealistischer Fixiertheit«, die auf Verfahrensebene auch ein Zulassen von ›unreinen‹ Formen nach sich zieht. Wenn er die Erstarrung der Linken hinsichtlich des »vorhandenen Utopie-Begriffs« thematisiert, reagieren Blumfeld mit dem Aufbrechen idealisierter Strukturen, wozu gerade auch die Auseinandersetzung mit dem Medium Pop, und hier insbesondere der Diskurs einer scheinbaren Unmöglichkeit des Projekts »politischer Pop« gehört.
5.
Spaß ist kein Spaß: Die Ideologiekritik der Hamburger Schule
Harald Hartung spricht 1971 von Pop als einer »Sensibilität, die sich von Gegensätzen und Medien der Konsumkultur faszinieren läßt« und der »ästhetisch wie gesellschaftlich begründete[n] Vorstellung, es ließe sich in der Zuwendung zum Trivialen die Lücke zwischen Kunst und Leben, Künstler und Publikum, kurz art und pop schließen« (1971: 723). Diese Poetologie ist innerhalb der 119 So wird auch im Wikipedia-Beitrag zur Hamburger Schule vermerkt, dass sie sich »vor allem durch deutschsprachige Texte aus[zeichnet], denen oft ein hoher intellektueller Anspruch zugemessen wird und die umfangreich mit Gesellschaftskritik, linkspolitischer Einstellung und postmodernen Theorien verbunden sind«. URL: http://de.wikipedia.org/ wiki/Hamburger_Schule_(Popmusik) (Letzter Zugriff: 08. 03. 2011, Herv. T.H.). Schlieckau benennt in nahezu identischem Wortlaut »das herausragende Merkmal dieser Bewegung […]. Texte, die aufgrund ihrer Gesellschaftskritik, politischen Einstellung, der Nähe zu postmodernen Theorien und ihres intellektuellen Anspruches auch in den Rezensionen immer gesondert Beachtung fanden.« (Schlieckau 2007: 538) Vgl. hierzu auch Schlösser (2007: 504) und Weissmann (2011: 255).
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Popkultur der 1960er Jahre zweifellos weit verbreitet. In der Hamburger Schule werden aber vielfach Zweifel an derartigen Aussagen erkennbar. Statt eines affirmativen Bezugs auf Pop und Konsumsphäre finden sich in der Hamburger Schule häufig Abgrenzungen gegenüber hedonistischen und konsumistischen Tendenzen, die das eigene Medium wie auch der eigene ästhetische Bezugsrahmen des Pop unweigerlich mit sich bringen. Dies lässt sich in dem frühen, geradezu programmatischen Blumfeld-Song »Apropos Tyrannenmord« (1991) erkennen.120 In den Zeilen 1–8 wird ein Szenario beschrieben, in dem sich »Spaß auf dem Vormarsch« befindet, was vom lyrischen Ich negativ bewertet wird, spricht es dabei doch von einem »Überfall« (Z. 1). Der Titel des Stückes lässt gar auf eine Art hedonistische ›Tyrannei‹ schließen; entsprechend wird in Zeile 27 ein »Spaßtyrann« erwähnt. In den Zeilen 10–12 wird der Spaß personifiziert, er fungiert im gesamten Song als Protagonist eines Überfalls bzw. Vormarsches und mithin als aktiv handelnde, das lyrische Ich bedrängende Instanz. In diesem Sinne lassen sich die »Falten auf der Denkerstirn« (Z. 7) als diejenigen des lyrischen Ichs lesen, das sich trotz seiner kritischen Haltung nicht gegen den Überfall des Spaßtyrannen wehren kann, resignierend äußert »Komm rein und mach es dir bequem« (Z. 10) und sich den Status eines Opfers (Z. 12) zuschreibt, dessen Gehirn penetriert wird (Z. 8). In der Beschreibung des Eindringlings werden auch mit ihm einhergehende, scheinbar positiv konnotierte Motive erkennbar, die freilich ebenfalls die Eigenschaft haben, sich aufzudrängen: »Was folgt ist wie ein Überfall / Überall geh’n Türen auf / Und eine brandneue Überraschung / Kommt rein / Und füllt den Raum aus« (Z. 1–5). Die »brandneue Überraschung« und die aufgehenden Türen als verheißungsvolle Bilder müssen hier ironisch verstanden werden. Sie verbildlichen das vom lyrischen Ich als ›falsch‹ und aufdringlich wahrgenommene Versprechen der Spaßtyrannei, das in den Zeilen 14–16 innerhalb einer strukturell ähnlichen Konstellation des Eindringens als keine wirklichen Hoffnungen spendende Verlockung markiert wird: »Die Welt geht auf und eine Nacht kommt rein / Voller süßester Versprechungen / Selten wirkliche Hoffnungen«. In Analogie zu den Zeilen 1–5 öffnet sich nun keine Tür, sondern eine »Welt«, die – wie in Zeile 3 – als brandneue Überraschungen offenbarende Sphäre gelesen werden kann (das Tchibo-Motto »Jede Woche eine neue Welt« stellt beispielsweise ein ähnliches Versprechen aus der Konsumsphäre dar). Anstelle einer Überraschung oder auch als Überraschung kommt nun eine »Nacht« (Z. 14) herein, die als Trägerin »süßester Versprechungen« (Z. 15) gekennzeichnet wird. Die Spaßtyrannei manifestiert sich hier (als »Nacht«) weniger in Warenform, 120 Die im Folgenden verwendeten Zeilenangaben beziehen sich auf die in der Textbeilage auf Seite 389 abgedruckten Lyrics von »Apropos Tyrannenmord«.
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sondern eher als Versprechen sinnlicher Reize – denkbar wären etwa eine Liebesnacht oder ein hedonistisches nightlife. Die Nacht erscheint hier als ambivalente Instanz zwischen sinnlichem Reiz und dem Versprechen ›nicht wirklicher‹ Hoffnungen. Mit ihren semantischen Qualitäten begünstigt sie zugleich eine anti-aufklärerische ›Verdunklung‹ derjenigen Sphäre, die sie durchdringt. Den von der Spaßtyrannei noch nicht gänzlich affizierten Bereich scheint in »Apropos Tyrannenmord« die instabil gewordene, aber noch zu kritischer Reflexion fähige Sphäre des Individuums auszumachen. Angesichts des von außen penetrierenden Spaßtyrannen wird nun reflektiert, »was uns gehört« (Z. 19), wobei das lyrische Ich einen »Wunsch« (Z. 20–22) identifiziert, der im Zuge einer Aufzählung – wie zuvor der Spaß – personifiziert und näher bestimmt wird: Er wird zunächst als entfremdet, d. h. sich reproduzierend als ›verkrüppelter‹, von seinem unversehrten Zustand abweichender, gleichsam beschädigter Wunsch beschrieben (Z. 20), daraufhin als sich in einem Zustand der Depression, Passivität und Abgestumpftheit befindlicher Wunsch (Z. 21), und schließlich ist von einem Wunsch die Rede, »der lügt« (Z. 22), der sich also zu einem nicht wahrhaftigen, unaufrichtigen Wunsch entwickelt und womöglich an seinen Grundsätzen Verrat übt. Wenn in Zeile 22 der Begriff der Lüge auftaucht, wird impliziert, dass das lyrische Ich von der Existenz eines originären, gegenüber der Lüge als wahrhaftig bestimmten Wunsches ausgeht. In den Zeilen 20–22 wird indirekt auf einen Zustand der Wahrheit und Eigentlichkeit hingewiesen, in welchem Verkrüppelung, Passivität und Lügen ausbleiben. Die Zeilen »Kirche oder Leben / Es muß mehr geben als das« (Z. 17f.) sprechen ferner dafür, dass die »Hoffnungen« (Z. 16) auf das Erreichen eines solchen Zustands aus Sicht des lyrischen Ichs nicht verworfen, aber auch keineswegs positiviert werden, sondern lediglich als von der Spaßtyrannei bedroht bestimmt und dabei jenseits der Opposition »Kirche« (Glaube/Heilsvorstellung) versus »Leben« (im Sinne von: sich mit der Realität abfinden) verortet werden. Bis zu diesem Punkt lassen sich die abstrakten Lyrics von »Apropos Tyrannenmord« vereinfachend folgendermaßen paraphrasieren: Die Manifestationen der Spaßtyrannei, die von Außen aggressiv auf das lyrische Ich einströmen, sind Bestandteil einer Lüge. Das lyrische Ich ist angesichts dessen der Gefahr der Entfremdung ausgesetzt oder ist teilweise schon entfremdet. Wenn in den Zeilen 20–22 eine Art Bestandsaufnahme der Auswirkungen durch die Spaßtyrannei erfolgt, steht am Ende der Satz »Spaß ist kein Spaß« (Z. 23), der als Fazit der vorausgehenden (songinternen) ›Analyse‹ gelesen werden kann. Dass Spaß unter kulturindustriellen (Macht-)Bedingungen keinen Spaß im emphatischen Sinne bedeutet, behaupten schon Max Horkheimer und Theodor W. Adorno in ihrem berühmten Kulturindustrie-Kapitel der »Dialektik der Aufklärung«, das als Prätext für »Apropos Tyrannenmord« angenommen werden kann:
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Gelacht wird darüber, daß es nichts zu lachen gibt. Allemal begleitet Lachen, das versöhnte wie das schreckliche, den Augenblick, da eine Furcht vergeht. Es zeigt Befreiung an, sei es aus leiblicher Gefahr, sei es aus den Fängen der Logik. Das versöhnte Lachen ertönt als Echo des Entronnenseins aus der Macht, das schlechte bewältigt die Furcht, indem es zu den Instanzen überläuft, die zu fürchten sind. Es ist das Echo der Macht als unentrinnbarer. Fun ist ein Stahlbad. Die Vergnügungsindustrie verordnet es unablässig. (Horkheimer/Adorno 2010: 148f.)
Im »R8sum8 über Kulturindustrie« erwähnt Adorno den »vorschriftsmäßigen Spaß, den ihnen [den Konsumenten, Anm. T.H.] die Kulturindustrie verabreicht« (2003b: 342). Diese ›Verordnung‹ des Stahlbads weist Ähnlichkeiten zur penetrierenden Spaßtyrannei in »Apropos Tyrannenmord« auf, was auch von Roger Behrens bemerkt wird: In einem Artikel, der die Entwicklung Blumfelds mit derjenigen der Linken in Deutschland (hier in der Wir-Perspektive) in Beziehung setzt, heißt es: »Angst ist das Grundgefühl, mit dem wir ins 21. Jahrhundert getreten sind. ›Spaß ist kein Spaß‹, ›Fun ist ein Stahlbad‹. Wir machen weiter als Gescheiterte wie bisher.« (2002b: 26)121 Die Zeile »Spaß ist kein Spaß«‹ ließe sich neben dem Bezug auf die Kritische Theorie auch als Reaktion auf tautologische, d. h. an Null-Aussagen grenzende, in der Popmusik häufig verwendete Formeln beziehen, etwa auf Titel wie »Live is Life« (Opus 1984), den durchaus ›spaßtyrannisch‹ anmutenden Imperativ des Schlagers »Ein bißchen Spaß muß sein« (Blanco 1972),122 aber auch auf Herbert Grönemeyers Zeilen »wann ist ein Mann ein Mann?« (1984: »Männer«) und »der Mensch heißt Mensch« (2002: »Mensch«).123 Dies wird vor dem Hintergrund plausibel, dass in Zeile 29 von »den Tautologen« die Rede ist, die sich – mit dem Spaßtyrann verbündet – in Gegnerschaft zu einer Gruppe von »Spielverderbern« (Z. 26) befinden, der auch das lyrische Ich angehört. 121 Beim letzten Satz handelt es sich um ein wörtliches Zitat aus »Jet Set« (Blumfeld 1994). Auch Udo Feist behauptet, die »Hamburger Band Blumfeld mit ihrer soundmaterialorientierten Mischung aus Lyrik und Grübelei« stehe »Klaus Theweleit (›Männerphantasien‹) oder Horkheimer/Adorno (›Dialektik der Aufklärung‹)« nahe, weswegen »ihren nicht eben eingängigen Textlandschaften schnell das Label ›Diskursrock‹ angehängt wurde« (2000: 18). 122 Vgl. auch »Spaß muß sein« (Neonbabies 1981). 123 Weitere popkulturelle Tautologien finden sich in der Saturn-Werbekampagne »Geil ist Geil«, in deren Musik die textlich womöglich von Bruce & Bongos 1980er-Jahre-Charterfolg »Geil« (1986) inspirierten Zeilen zur Melodie von »Live is Life« (Opus 1984) intoniert werden. In Peter Heppners und Paul van Dyks »wir sind wir« (2004) dient die Tautologie der Herstellung und Naturalisierung eines nationalen »Wir«. Das lyrische Wir fungiert als Wir einer deutschen Nationalidentität, deren Fortbestehen trotz der Zerrüttung durch diverse historische Ereignisse, die verbaltextlich in den Lyrics und im Videoclip anhand von Bildmaterial aufgerufen werden, mit den Zeilen »wir sind wir« beschworen wird. Ähnlich nationalistisch wird bei der Band MIA. (2004: »Was es ist«) die Tautologie eines ErichFried-Gedichts (»es ist was es ist sagt die Liebe«) im Zitatmodus nationalistisch eingefärbt (vgl. hierzu Büsser 2010: 105f.).
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Es sind eben diese »Tautologen«, die vom lyrischen Ich als machtausübende Instanz beschrieben werden (Z. 29). Die Tautologie lässt sich hier also als eine Methode der Spaßtyrannei identifizieren. Mit dieser Konstellation befindet sich die Band Blumfeld im Einklang mit Roland Barthes’ unter marxistischen Prämissen formulierter Ideologiekritik in den »Mythen des Alltags«, in denen Barthes der Tautologie einen autoritären Gestus einräumt: Ich habe bereits auf die Vorliebe des Kleinbürgertums für tautologische Schlüsse hingewiesen (Eine Mark ist eine Mark usw.). […] Die Tautologie ist immer aggressiv. Sie bedeutet einen wütenden Bruch der Intelligenz mit ihrem Objekt. Sie ist die arrogante Androhung einer Ordnung, in der man nicht denken würde. Unsere Tautologen sind wie Hundebesitzer, die plötzlich brutal an der Leine zerren. Das Denken darf sich nicht allzu viel Freiheit herausnehmen, die Welt ist voller verdächtiger und nutzloser Alibis, man muß sein Urteilsvermögen kurz halten, muß die Leine auf das Maß eines berechenbaren Realen reduzieren. […] Der Tautologe schneidet mit Zorn alles ab, was rings um ihn wächst und was ihn ersticken könnte. (Barthes 1964: 27)124
Analog zu Barthes treten die Tautologen in »Apropos Tyrannenmord« als diejenigen auf, die in ›brutaler‹ und übergriffiger Manier eine Wiederholung des Immergleichen propagieren, sei es bezogen auf gesellschaftliche Verhältnisse oder auf ästhetische Aspekte, mit dem Ziel, ein Machtsystem aufrechtzuerhalten. Die ›Methode‹ der Tautologen besteht gemäß Barthes im Generieren eines Mythos, dessen historische Gemachtheit dadurch verschleiert wird, dass er »die Komplexität der menschlichen Handlungen ab[schafft]«, »jede Dialektik [unterdrückt]« und damit »als ein harmonisches Bild von Essenzen« (1964: 130) inszeniert wird.125 Laut Barthes hilft die Tautologie bei der Erschaffung eines solchen Mythos, indem sie von der Notwendigkeit befreit, »Ideen haben zu müssen«, zugleich brüste sie sich aber damit, »aus dieser Freiheit ein hartes moralisches Gesetz zu machen« (ebd.: 29). Diese Form von anti-intellektualistischem Essentialismus steht in einem Gegensatz zum analytischen Blick der »Spielverderber« und dem entsprechenden Verfahren Blumfelds. Im Kampf 124 Barthes bezieht sich in der zitierten Passage beispielhaft auf die Rezeption des Dichters Jean Racine. Ähnlich wie Blumfeld in »Apropos Tyrannenmord« zeichnet Barthes mit diesem Fallbeispiel eine Gegnerschaft zwischen Tautologen, die er als »essentialistische[ ] Kritiker« bezeichnet, die »ihre Tage damit [verbringen], die ›Wahrheit‹ der vergangenen Genies wiederzuentdecken« (Barthes 1964: 28) und auf der anderen Seite den Spielverderbern als Gruppe der »›Grammatiker‹, Kontroversenprediger, Anmerker, Geistlichen, Schriftsteller und Künstler‹, die Racine kommentiert haben« (ebd.: 27). In der Tautologie (etwa »Racine ist Racine«), so Barthes, stecke eine »kleine Kriegserklärung« (ebd.) auf die letztere Gruppe von Kritikern. 125 Hierzu heißt es bei Barthes: »Der Mythos leugnet nicht die Dinge, seine Funktion besteht im Gegenteil darin, von ihnen zu sprechen. Er reinigt sie nur einfach, er macht sie unschuldig, er gründet sie als Natur und Ewigkeit, er gibt ihnen eine Klarheit, die nicht die der Erklärung ist, sondern die der Feststellung.« (1964: 131).
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gegen die Tautologen inszenieren sich Blumfeld mit ihrem analytischen Zugriff auf das Medium Pop als Spielverderber (vgl. Z. 26), die in ihren Songs Widersprüche bewusst hervorbringen und deren tautologische Glättung vermeiden. So gelangt das lyrische Ich für die Gruppe der Spielverderber zu folgender Strategie: »wenn alle Spielverderber zusammenstehen / Kann Spaßtyrann nach Hause gehen. / Wenn alle Spielverderber zusammenstehen / Ham die Tautologen keine Macht mehr über uns« (Z. 26–29).126 In dem hier formulierten Widerstand grenzt sich das lyrische Ich vom übergriffigen Vorgehen des Spaßtyrannen ab: Trotzdem es den »Tyrannenmord« befürwortet, will es sich von den Tautologen abheben und »kein Gemütsbulldozer sein« (Z. 25), vielmehr soll der Widerstand in einer kollektiven Verweigerung vonstatten gehen (Z. 26–29). Die individuelle Sphäre des lyrischen Ichs – die Beobachtung etwa, dass sich »Spaß auf dem Vormarsch in mein Hirn« (Z. 8) befindet – wird in einen kollektiven politischen Zusammenhang überführt. Dabei kommt es weniger zu einem agitatorischen Aufruf zum »Mord« (oder auch zur Revolution), vielmehr wird die zuvor mit Simon Reynolds in Bezug auf den Post-Punk der 1980er Jahre beschriebene Politisierung vorge-
126 Die Passage enthält ein Zitat aus dem Song »Schizophrene« der Deutschpunk-Band M.D. Blitz, in dem die einzigen Zeilen lauten: »Wenn alle Schizophrenen zusammenstehen, / haben die Ingenieure keine Macht mehr über uns« (V.A. 1980: »Schizophrene«). 2004 veröffentlichte das Elektronik-Projekt Das Bierbeben, bei dem Tocotronic-Bassist Jan Müller und Mitglieder der Bands Stella und Superpunk mitwirken, eine Cover-Version dieses Songs (Das Bierbeben 2004: »Schizophrene«). Das Bierbeben bedient sich hier eines minimal-elektronischen Stils unter Verwendung diverser Motive aus dem Deutschpunk. Dies lässt sich nicht nur am Bandnamen und an dem M.D.-Blitz-Zitat erkennen, sondern auch an der Tatsche, dass die Mitglieder der Gruppe, wie im Punk üblich, mit einschlägigen Pseudonymen in Erscheinung treten (»Alfred Bierlek«, »Wolf Dosenbiermann«, »Brian Vino« und »Mr. Ouzo«). Zudem wird auf dem Album mit »Tot sind wir noch lange nicht« (Das Bierbeben 2004) ein Titel der 1979 gegründeten deutschen Punkband EA80 zitiert (EA80 1983: »Tot sind wir noch lange nicht«). Auch der Albumtitel »No Future, No Past« besteht zur Hälfte aus dem Punk-Motto »No Future«, die zweite Hälfte »No Past« steht im selbstreferentiellen Widerspruch zu dem auf dem Album allgegenwärtigen Zeichenreservoir des Punk der 1970er und 1980er Jahre. Schließlich orientiert sich auch das in SchwarzWeiß gehaltene Graphikdesign des Plattencovers am Punk: Die Liner-Notes sind in Schreibmaschinenschrift gesetzt und erinnern damit an selbstproduzierte Punk-Singles, deren Cover häufig mit einer Schreibmaschine beschriftet wurden. Darüber hinaus befindet sich an mehreren Stellen des Covers als Bandlogo ein durchgestrichener Bundesadler, der nicht nur auf die anti-nationalistische Programmatik von Das Bierbeben aufmerksam macht, sondern auch durch seine Ähnlichkeit mit Wahlplakaten der Anarchistischen Pogo Partei Deutschlands (APPD) oder auch mit dem von der Band Die Toten Hosen als Logo verwendeten ›Knochenadler‹ auf die Ästhetik des Punk verweist. Auf diese Weise lässt sich erkennen, wie der Punk-Diskurs intertextuell produktiv gemacht wird – sowohl im frühen Diskurspop (im engeren Sinne) als auch in seinen späteren elektronischen Weiterentwicklungen.
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führt, die davon ausgeht, dass die Gefühle des Individuums mit größeren Machtzusammenhängen in Verbindung stehen (vgl. Reynolds 2006: 6). Was den Kollektivgedanken angeht, lässt sich in den Zeilen 19 und 29 ein »Wir« ausmachen, das mit der appellativen Funktion der Zeilen 26–31 korrespondiert. Entsprechend dieser kollektiven Ausweitung fordern die letzten Zeilen des Songs (»Du hast deinen Namen vergessen? / Macht nichts, nenn dich Opfer«, Z. 30f.) ein neues Bewusstsein, in dem sich das angesprochene Du im Zuge einer Selbstzuschreibung als Opfer identifizieren soll. Das Kollektiv der ›Spielverderber‹ wird so zum Antagonisten des Spaßtyrannen, gleichwohl bleibt es ein Bestandteil der Spaßtyrannei. Diese Figur der Immanenz lässt sich in Blumfelds Ideologiekritik häufig finden, so auch beispielsweise in »Aus den Kriegstagebüchern« vom Album »Ich-Maschine« (1992a): »Dieser Zustand ist nicht tanzbar / ich schlage Wurzeln und das nicht aus Verlegenheit, / sondern aus Angst davor, / daß es, weil es immer so war auch so bleibt«. In diesen Zeilen artikuliert das lyrische Ich seine Kritik als Teil »dieses Zustandes«, werden die Zeilen doch selbstreferentiell von einem tanzbaren Beat getragen. Auch wenn Blumfelds Kritik selbst im Medium des Pop formuliert wird, taucht jedoch immer wieder die Gegnerschaft zum ideologisch-affirmativen und bisweilen tautologischen Moment von Pop auf (»weil es immer so war auch so bleibt«). Das konservierende Wurzeln-Schlagen des lyrischen Ich wird dabei – scheinbar paradox – als Gegenmaßnahme zum Status Quo erwähnt. Denkbar wäre, dass damit auf eine störrische Radikalisierung (etymologisch: radix = die Wurzel) des Spielverderbertums verwiesen wird. Ähnliches lässt sich auch in Bezug auf die Selbstzuschreibung der Opferrolle in »Apropos Tyrannenmord« feststellen, denn hier besteht der »Mord«, wie schon erwähnt, nicht in einer aktiven Handlung, sondern in einer kollektiven Verweigerung – gewissermaßen in einem verwurzelten »Zusammenstehen« (Z. 26, 28). Der hier vorgeschlagene Tyrannenmord als anti-tautologisches Programm Blumfelds besteht darin, eine Umkehrung der ›mörderischen‹ Tautologie zu vollziehen. Barthes’ Beschreibung der Tautologie enthält nämlich ebendiesen Begriff, der auf ein tautologisches, d. h. sich der Rationalität entziehendes Abtöten des emanzipatorisch gedachten Transparentmachens komplexer Zusammenhänge durch Sprache verweist: »In der Tautologie liegt ein doppelter Mord: man tötet das Rationale, weil es einem Widerstand leistet, und man tötet die Sprache, weil sie einen verrät […]. Da sie magisch ist, kann sie sich nur hinter einem autoritären Argument verschanzen.« (Barthes 1964: 143) Weiter formuliert Barthes: »Die Tautologie bescheinigt ein tiefes Misstrauen gegenüber der Sprache […]. Jede Ablehnung der Sprache bedeutet den Tod. Die Tautologie erzeugt eine tote, eine unbewegliche Welt.« (Ebd.: 144) Blumfelds »Apropos Tyrannenmord« kann in diesem Zusammenhang als Beispiel einer Programmatik dienen, tautologische Elemente des Pop zu demaskieren und eine
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aufklärerische Sprache im Pop zu etablieren. Eine Paradoxie der HamburgerSchule-Poetik besteht womöglich darin, dass diese ideologiekritische ›Öffnung‹ der Pop-Sprache häufig als hermetisch und elitär gehandelt wurde. Wo sich »Apropos Tyrannenmord« mit Verfahren und Versprechungen des ›Spaßtyrannen‹, mit deren Auswirkungen auf das Individuum sowie mit individuellen und kollektiven Strategien des Widerstands gegen die ›Spaßtyrannei‹ befasst, lässt sich von einer Analyse der Produktionszusammenhänge sprechen. Die Ideologiekritik der Songs kann als beispielhaft für das Verfahren der Hamburger Schule gelten, lässt sich hier doch mit den aufgezeigten Äquivalenzen zu Barthes’ »Mythen des Alltags« eine intertextuelle Bezugnahme auf poststrukturalistisch zu bezeichnende Texte konstatieren – womit Pfisters und Diederichsens Befürwortung einer ideologiekritischen Postmoderne entsprochen wird (vgl. Abschnitt 4 dieses Kapitels). Dies führt hingegen nicht dazu, dass die Grenzen eines Pop-Konzepts gesprengt würden. Im Gegenteil: Blumfeld signalisieren, dass sie sich als Bestandteil der Spaßtyrannei verstehen. Die hier entwickelte pop-immanente Poetik des Spielverderbens manifestiert sich nicht zuletzt in der Auswahl des zitierten Materials, mit dem unmittelbar die Nähe zur allgegenwärtigen PopKultur beglaubigt wird. Dies wird stärker noch als in »Apropos Tyrannenmord« in dem bereits in Abschnitt 2.1 dieses Kapitels diskutierten Zitat deutlich, auf das Barbara Hornberger in ihrer Arbeit zur Neuen Deutschen Welle hinweist (vgl. Hornberger 2011: 378f.): Wenn nämlich Blumfeld in »L’etat et moi (Mein Vorgehen in 4, 5 Sätzen)« (Blumfeld 1994) wörtlich die Zeilen »Deutschland, Deutschland spürst Du mich / heute Nacht da komm ich über Dich« aus dem Song »Ich will Spaß« (Markus 1982) zitieren, geschieht das in dem einzigen (ohne musikalische Begleitung im ernsten Duktus vorgetragenen) gesprochenen Gedicht auf dem Album, und nicht vor dem Hintergrund fröhlicher NDWKlänge, die von der zitierten Passage aufgerufen werden. Mehr noch: Blumfeld setzen an die Stelle, an der bei Markus die Zeile »Ich will Spaß« gesungen wird, einen kryptischen und von »Ängsten und Sorgen« berichtenden Text: Deutschland, Deutschland spürst Du mich heute Nacht da komm ich über Dich im freien Fall, seh ich den Boden des Realen durchauslaufende Modelle Deiner hohen Ideale (ihre bloße Gegenwart macht mich meine Träume hassen) meine Ängste meine Sorgen da wo Deine Lichter glühen sind sie verborgen [Blumfeld 1994: »L’etat et moi (Mein Vorgehen in 4, 5 Sätzen)«]
Wie in »Apropos Tyrannenmord« könnte man die Reaktion auf das hedonistische Motto »Ich will Spaß« in einem trotzigen »Spaß ist kein Spaß« erkennen,
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findet man doch in dem Blumfeld-Gedicht keinen Spaß, wo laut Prätext Spaß sein sollte. An die Stelle der tendenziell ›sprachlosen‹ Zeile des Markus-Songs tritt eine reichhaltige Textur, die sich dem keine Erklärungen liefernden, feststellenden Charakter der Tautologie (»Ich will Spaß«) entzieht (vgl. Barthes 1964: 131, 144). Ein metrisches Zitat aus dem Archiv der späten, kommerziellen Phase der NDW wird ähnlich auch in »Die Diktatur der Angepassten« (Blumfeld 2001) von einem hedonistischen in einen ideologiekritischen Kontext überführt.127 Die Strophen des Blumfeld-Songs weisen in ihrer Metrik und Rhythmik deutliche Ähnlichkeit zu denjenigen von Markus’ »Schön sind wir sowieso« (Markus 1982) auf. So wird Markus’ Zeile »Kugelblitze und Raketen« (– j – j – j – –) ebenso % % % wie Blumfelds Zeile »Die Diktatur der Angepassten« ([ ] j – j – j – j – –) % % % % trochäisch in Achtelnoten mit der ersten betonten Silbe auf der Zählzeit ›2‹ (der zweiten Viertelnote) über einen 4/4-Takt gesungen. In beiden Songs wird jeweils die vorletzte Hebung langgezogen (»Rake-ten« / »Angepass-ten«). Die Beispiele aus dem Werk Blumfelds zeigen, wie sich diese der Hamburger Schule zugeordnete Band den konsumistisch-hedonistischen Tendenzen von Pop verweigert und sich so hinsichtlich ihrer ideologiekritischen Haltung durchaus mit der Frankfurter Schule, wenn auch unter ›postmodernen‹ Vorzeichen, vergleichen lässt. Freilich wurde aufgezeigt, wie sich Blumfeld als der Popkultur zugehörig inszenieren und hierin den womöglich zum Scheitern verurteilten Versuch unternehmen, zu einer ›eigenen Stimme‹ zu finden. Dies zeigt sich gerade auch im verfremdenden Zitieren popkulturellen Materials wie Markus’ »Ich will Spaß«, d. h. solcher Pop-Prätexte, in denen unkritisch Konsumismus, Hedonismus wie auch die Kommerzialität von Popmusik in besonderem Maße zum Tragen kommen. Im Zitieren dieses Materials reflektiert die Band Blumfeld, bei aller ideologischen und stilistischen Differenz dazu, diejenige Kultur, in der unweigerlich auch ihr eigenes Werk rezipiert wird und seine Bedeutung entfaltet. Diese Prämisse wird von Blumfeld selbst prominent auf ihrem Debütalbum ausbuchstabiert: »Mach doch mal einer den Kulturkack aus! Ach geht ja nicht, laß bloß an, bin / ja selber drin« (Blumfeld 1992a: »Dosis«). Eben diese Immanenz unterscheidet die Kritik der Hamburger Schule etwa von derjenigen Horkheimers und Adornos, die sich im oben zitierten Kulturindustrie-Kapitel aus der »Dialektik der Aufklärung« vehement von der Populärkultur distanzieren. Dass diese Distanzierung – zumal in den 1990er Jahren, in denen sich eine Ausweitung des Pop-Konzepts auf alle Bereiche der Gesellschaft vollzieht – nicht mehr möglich scheint, verdeutlicht der Song »There’s no business like business«
127 Vgl. hierzu auch Behrens (2003a: 9).
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der Goldenen Zitronen (1996) in seiner Kritik einer allzu ›tautologischen‹ Popkultur : Hey hey check check hey everybody heyhey test test one two one two hey hey check come on, come on, come on, come on and go go hey hey. O.K. ich verstehe, daher läuft der Hase. Alles ist erlaubt, weil alles Ware, was kaufen kann. Stimmt, dies ist ein Ausdruck meiner Individualität. Nur keine Langeweile, denn darauf steht die Todesstrafe. Meinen alten Freunden gab man lieber einen Fußtritt, als sie zu entlohnen, für ein prima Feindbild oder die Ideen für einen neuen Außenanstrich. Hey hey that’s the way hey hey I like it there’s no business like business don’t criticize it hey hey anyway hey hey everywhere hey hey what you want owowowowowowow. OK. meinetwegen Ihr und ich, wir haben uns jetzt doch noch verstanden. Eine Göhre [sic], eine Feindkarriere, nichts was nicht in Einklang zu bringen wäre. Ich mach euch, [sic] den Berufsjugendlichen oder auch den Kasper oder auch den außerordentlich kontroversen Spielverderber. OK. prima, ich sag mir, die Welt ist ein Spektakel und wenn gerade überhaupt kein Bedarf ist, steck ich ihn mir halt selber rein. Heyhey checky checky hey hey cha cha hey hey two, three test test test, hey hey go for it do it hey hey – shake it up. (Die Goldenen Zitronen 1996: »There’s no business like business«)
Das lyrische Ich befindet sich hier in einem Übergangsstadium, in dem es die Mechanismen unterhaltungsindustrieller Vermarktung (»auf Langeweile steht die Todesstrafe«) zu affirmieren beginnt und die Möglichkeit einer Vermarktung seiner »Individualität« in Betracht zieht. Ob diese Vermarktung freiwillig oder nur prätendiert geschieht, wird zunächst nicht erkennbar, doch geht die Kommunikation mit der ›Business-Sphäre‹ immer noch in einem Verhältnis von »Ihr« und »ich« vonstatten, während das lyrische Ich von seinen »alten Freunden« (ebd.) spricht. Im Zusammenhang mit letzteren lässt sich beim lyrischen Ich die Identifizierung mit einem subkulturellen Wir vermuten: Zieht man den lebensweltlichen Kontext der Band Die Goldenen Zitronen in Betracht (vgl. etwa Diehl 2001: IV), wäre denkbar, dass mit den »alten Freunden« auf die Dissidenz der Hafenstraßen-Szene128 und ihre stadtpolitische ›Einverleibung‹ vom Hausbesetzertum zum ordentlichen Mietverhältnis verwiesen wird – werden mit ihnen doch die Begriffe »Feindbild« und »neuer Außenanstrich« in Verbindung gebracht. Thomas Hecken hat konstatiert, dass »die westlichen Staaten« – in unserem Fall wären es die Stadtregierungen –, »durch nonkonforme Attitüden, hedonistische Ansprüche, subkulturelle Differenzen und Pop-Distinktionen 128 Bei der »Hafenstraße« handelt es sich um einen in der Hamburger St. Pauli Hafenstraße besetzten Block von Mietshäusern. Die hier entstandene Initiative war, zumindest in den 1980er und 1990er Jahren, eng mit der Punk-Bewegung assoziiert. Literarisch verarbeitet wurde dieses Umfeld, auch dessen soziologische Überschneidungen mit dem späteren Hamburger-Schule-Umfeld, im autobiographischen Roman »angst sucht hase« von Kai Damkowski (1998). Selbiger Autor brachte in der Nähe zum Hamburger-Schule-Umfeld das Fanzine Klausner heraus und war als Sänger der Band Hrubesch Youth tätig.
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nicht mehr in ihrer Ordnung herausgefordert [werden], sondern solche Flexibilisierungen und Abgrenzungen geradezu benötigen, um ihr liberal-kapitalistisches Regime aufrechtzuerhalten« (2009: 466). Folgt man Hecken hierin und geht zudem davon aus, dass die »Möglichkeiten, auf unterschiedlichste Erlebnisangebote bzw. Konsumgüter zurückzugreifen und künstliche Selbststilisierungen zu entwerfen, lediglich raffinierte Formen unsichtbarer, indirekt unendlich ausgeweiteter Machtpolitik seien« (ebd.: 466f.), werden die erwähnten »alten Freunde« in den machtpolitischen Diskurs insofern harmonisierend eingebettet, als sie, nachdem sie ihre Funktion als »Feindbild« verloren haben, der Stadt im Sinne eines »neuen Außenanstrichs« dienlich werden. Im Zuge dessen wurden nicht nur die Wohnblocks der Hafenstraße einer tatsächlichen Renovierung unterzogen, auch die Stadt Hamburg erhielt durch die Lösung des Hafenstraßen-Konflikts einen liberalen, toleranten, kreativen und weltoffenen Anstrich. Anstatt die Hausbesetzer mit autoritären Repressalien zu verdrängen, bekamen sie Mietverträge, um den anarchistischen Akt der Besetzung von Wohnraum (buchstäblich) zu domestizieren: »Das Widerstandsnest am Hafen, von der Bild-Zeitung einst als RAF-Filiale diffamiert, von ökosozialistischen Grünen lange als Keimzelle einer deutschen Pariser Kommune hochstilisiert, soll sich in eine Häuserzeile gesetzestreuer Sozialmieter verwandeln« (Marten 1995: 5), hieß es in einem taz-Artikel von 1995, der sich noch vor der Umwandlung des Objekts in ein Genossenschaftsmodell auf die damals angestrebte Konfliktlösung bezieht. Diese bestand darin, das Objekt an Privatinvestoren zu verkaufen, unter der Bedingung, den Wohnraum zu erhalten. Es lässt sich also gut nachweisen, dass die Vereinnahmung ehemalig dissidenter Bereiche durch ökonomische Kräfte zum Veröffentlichungszeitraum von »There’s no business like business« kontrovers diskutiert wurde. Im Titel des Songs der Goldenen Zitronen wird die Aussage von Irving Berlins Musical-Evergreen »There’s No Business Like Show Business«, ein Verweis auf die Anfänge der Unterhaltungsindustrie, dahingehend zu einer quasi-tautologischen Figur zugespitzt, dass kein Bereich aus der Erfahrungswelt des lyrischen Ichs außerhalb von »Business«, also ökonomischen Zusammenhängen, zu denken sei. Hier kommt zugleich die Doppeldeutigkeit des Begriffs business im Englischen zum Tragen, wird damit doch nicht nur die Sphäre des Ökonomischen bezeichnet, sondern auch eine schlichte Aktivität. Demnach gibt es kein Handeln außerhalb des Ökonomischen. Im allgegenwärtigen Kapitalismus gilt, so das lyrische Ich: »Alles ist erlaubt, weil alles Ware, was kaufen kann« (Die Goldenen Zitronen 1996: »There’s no business like business«), d. h. nicht nur Dinge oder Aktivitäten werden zu Waren, sondern auch diejenigen, die Kaufakte vollziehen werden ihrerseits zur Ware, indem sie ihre Arbeitskraft verkaufen, aber womöglich in noch stärkerem Maße, indem sie eigenen Identitätsentwürfe dem Markt und dessen creative industries überantworten.
Spaß ist kein Spaß: Die Ideologiekritik der Hamburger Schule
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Dies äußert sich in einer Aufzählung von Rollen, die das lyrische Ich bereit ist zu verkörpern (»Göre«, »Feindkarriere«, »Berufsjugendlicher«, »Kasper«, »kontroverser Spielverderber«, »Feindbild« oder auch Ideenlieferant für einen »neuen Außenanstrich«). Es gibt keine Form von Differenz oder Dissidenz, die das Schema des »Business« sprengen würde (»nichts was nicht in Einklang zu bringen wäre«). Die Goldenen Zitronen ordnen sich selbst, gerade auch indem sie Blumfelds Spielverderbertum wörtlich aufgreifen, in die Tradition einer Ideologiekritik ein, die pop-immanent realisiert wird. Dies zeigt sich nicht zuletzt durch die exzessive Verwendung von Pop-Allgemeinplätzen (»hey everybody«, »test one two«, »come on«, »that’s the way, I like it«, »go for it«, »do it« und »shake it up«), bei denen sich eine animierende und, wenn man so will, ›affirmative‹ Semantik erkennen lässt. Distanz zum Popgeschäft entsteht also im Modus der Ironie und in Präsenz von marktkonformer Pop-Sprache. Auf diese Selbstverortung im Sinne einer pop-immanenten Kritik hebt auch Olaf Karniks Lesart des Songs ab und macht dabei auf einen poetologischen Aspekt aufmerksam. Der Song weise auf die Schwierigkeit hin, »überhaupt radikale Texte zu machen (ohne es gleichwohl selbst zu unterlassen). Man gibt damit ständig Impulse für neue Märkte, und auch ein prima Feindbild ist eine prima Ware.« (Karnik 2003: 106) Die in kritischer Absicht verwendete Tautologie »There’s no business like business« zeigt an, dass es kein Außen jenseits der Business-Sphäre mehr geben kann und dass subkulturelle Entwicklungen, die sich ihr zu entziehen versuchen, ihre »Individualität« durch funktionelle Zugehörigkeit zur herrschenden Ideologie einbüßen – etwa im Sinne einer Inspirationsquelle oder eines Feindbildes. Der Theaterwissenschaftler Alexander Karschnia spricht in einem Essay zu gegenkulturell gedachten Pop-Konzepten von der »Erwartung einer Enteignung« (2012: 62). Weiter konstatiert er etwas vage: »Nichts von dem, was Pop! sich angeeignet hatte, konnte Pop! als Eigentum behalten, als sein Eigentliches verteidigen. Denn sobald es etwas zu verteidigen gibt, hat man es schon verloren.« (Ebd.) Auch wenn ein Anspruch auf Individualität und Alterität innerhalb der Popkultur vielfach erhalten bleibt, mündet pop-immanente Ideologiekritik tatsächlich spätestens in den 1990er Jahren in eine Art Uneigentlichkeit. Diese äußert sich im Beispiel »There’s no business like business«, aber auch in Blumfelds »Apropos Tyrannenmord« in einer postmodernen ›Symptomatik‹, wie sie weiter oben anhand von Manfred Pfisters Bemerkungen zur postmodernen Intertextualität diskutiert wurde – als Zwang zum Zitat und dem Betrauern eines Nicht-Mehr. Auch in »There’s no business like business« wird die Verlustgeschichte einer Kultur erzählt, in der Bereiche außerhalb des ›Business‹
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Die Hamburger Schule und die ›Sekundarität‹ der Popkultur in Deutschland
nicht mehr denkbar sind.129 Dies lässt sich auf die Poetik der drei Hauptvertreter der Hamburger Schule übertragen: 1. Bei Blumfeld wird diagnostiziert, nicht mehr emphatisch, unironisch, aufrichtig und frei von staatlichem und kulturindustriellem Zugriff ›Ich‹ sagen zu können, es aber dennoch, zunächst noch unter hohem Abstrahierungsund Hermetisierungsaufwand zu versuchen. Dieser Komplex wird in problembewusster und engagierter Weise thematisiert, dabei experimentiert die Band mit Formulierungen einer ›eigenen Sprache‹.130 2. Bei den Sternen wird versucht, linkspolitischen Pop in der kollektivistischen Tradition von Ton Steine Scherben zu machen, obwohl Popkultur nicht mehr vorbehaltlos als rebellische Ausdrucksform herhalten kann.131 129 Ähnlich beschreibt Frederic Jameson eine postmoderne Verlustgeschichte, in der Heilsvorstellungen wie auch apokalyptische Zukunftsphantasien ersetzt werden durch die Vorstellung eines ›Aussterbens‹ von Traditionen der Moderne: »The last few years have been marked by an inverted millenarianism in which premonitions of the future, catastrophic or redemptive, have been replaced by senses of the end of this and that (the end of ideology, art, or social class; the ›crisis‹ of Leninism, social democracy, or the welfare state, etc., etc.; taken together, all of these perhaps constitute what is increasingly called postmodernism. The case for its existence depends on the hypothesis of some radical break or couture, generally traced back to the end of the 1950s or the early 1960s. As the word itself suggests, this break is most often related to notions of the waning or extinction of the hundred-year-old modern movement (or to its ideological or aesthetic repudiation).« (Jameson 1991: 1). 130 In diesem Sinne artikuliert auch Jochen Distelmeyer sein Verständnis der Band in einem Interview für die britische Presse: »[S]ometimes I think this band sounds like the last possibility of making rock music in a serious, non-ironic way« (Gladstone 1995: 26). Auch auf Rezeptionsseite ist etwa die Rede vom »Ansingen gegen die Spaßtyrannen dieser Welt […] als letzter Versuch, Rockmusik in Deutschland heutzutage noch glaubhaft und relevant vorzutragen.« (Galenza 1992: 39) Diedrich Diederichsen bemerkt ähnlich zu »Ich-Maschine«, die Band Blumfeld wolle »nicht hinter die von Kritik erreichte Distanz zurück, aber sie fragen sich halt nochmal, was jemand wie sie selber heute rühren oder ernstnehmen könnte« (1992a: 67). Und in einem Artikel zu »Old Nobody« von Katha Schulte heißt es: »Blumfeld behaupten gegen die Vernunft der Popindustrie einen Ort, an dem ein unzynischer Umgang mit Gefühlen möglich ist (›Gefühle zeigen im Showgeschäft‹) [die Autorin bezieht sich hier auf eine Zeile aus Blumfeld 1999a: »So lebe ich«, Anm. T.H.]. Als ginge es ihnen darum, Popmusik wieder zu dem zu machen, was sie nie war : Medium eines unkompromittierten Gefühls; und dem in der gelingenden Liebesbesziehung – ›vor‹ jeder Entfremdung – erfüllten Subjekt die Musik als seinen Ort zuzuweisen: einen virtuellen Ort, dies aber unter Einsatz jeder verfügbaren Kraft, mit allen Mitteln der Kunst: Musik.« (1999: 76). 131 Einschlägig sind hier etwa die Zeilen »Deine Augen im Spiegel sind genauso frustriert, als hättest du dich politisch engagiert« (Die Sterne 1996: »Swinging Safari«), in denen eine Kausalität behauptet wird, derart, dass politisches Engagement zwangsläufig in die Frustration führt. Auch wird in »Was hat dich bloß so ruiniert« ein Du adressiert, das seine kämpferischen Impulse aufgegeben zu haben scheint: »Wo fing das an, was ist passiert. / Hast du denn niemals richtig rebelliert?« (ebd.: »Was hat dich bloß so ruiniert«). Weiter heißt es bei den Sternen: »Wir hatten Sex in den Trümmern und träumten« (ebd.:
Spaß ist kein Spaß: Die Ideologiekritik der Hamburger Schule
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3. Bei Tocotronic entsteht Diskurspop aus einer »Grunderfahrung, ständig das Gefühl zu haben, zu spät gekommen zu sein oder am falschen Ort zu wohnen« (Gurk 2007: 12) – und auch wenn man eine Jugendbewegung ins Leben ruft, diese durch einen Abgrenzungsimpuls nicht mehr als kollektive und sinnstiftende Sache erleben zu können. Im Hinblick auf die Ideologiekritik der Hamburger Schule lässt sich also eine gemeinsame Haltung erkennen, die als Reaktion auf einen Verlust zu verstehen ist und diesen thematisiert. Der britische Essayist Mark Fisher diskutiert den Sinnverlust von Begriffen wie »alternativ« oder »unabhängig«, auf die sich ja auch die Hamburger Schule beruft, in Bezug auf die globale Popkultur : Sie bezeichneten nichts (mehr), »was außerhalb eines Mainstreams passiert. De facto sind sie die dominanten Stile innerhalb des Mainstreams« (2013: 16). Fisher plausibilisiert seine These anhand einer vernichtenden Kritik des Grunge-Musikers Kurt Cobain, der in »seiner hundsmiserablen Trägheit und ziellosen Wut […] der Mutlosigkeit einer ganzen Generation eine ermattete Stimme« (ebd.) verliehen habe, die »nach der Geschichte gekommen ist und von der jede Bewegung antizipiert, registriert, geund verkauft wird, bevor sie überhaupt stattgefunden hat.« (Ebd.) Cobain habe gewusst, dass »er nur ein weiterer Teil des Spektakels ist, dass nichts besser auf MTV funktioniert als ein Protest gegen MTV, dass jede seiner Bewegungen ein im Voraus festgelegtes Klischee ist und dass selbst das Bewusst-Werden dieses Zusammenhangs ein weiteres Klischee darstellt.« (Ebd.) Fishers Beobachtung erscheint nicht nur passend, da die Hamburger Schule und hier insbesondere Tocotronic häufig mit Grunge in Verbindung gebracht wurde, sondern auch, weil sein Text in ganz ähnlichem Wortlaut eben jenes Sinnvakuum benennt, das die Band Tocotronic im Zusammenhang mit Jugendbewegungen in tautologischer Manier formuliert: »Jede unserer Handbewegungen / hat einen besonderen Sinn, / weil wir eine Bewegung sind« (Tocotronic 1995a: »Ich möchte Teil einer Jugendbewegung sein«). Auf den postmodernen Sinnverlust wird nun im Spektrum der Hamburger Schule unterschiedlich im Sinne einer ästhetischen Praxis reagiert. Inmitten kultureller ›Überbleibsel‹ wagt die Band Blumfeld die Formulierung einer ›eigenen Sprache‹, die zunächst zitathaft und hermetisch ausfällt und damit bisweilen das ›Eigene‹ oder wenigstens dessen Kommunikationsfähigkeit problematisiert. Christoph Gurk weist darauf hin, dass Tocotronic es mit ihren ersten Alben nicht dabei bewenden ließen, »die Sekundarität der von ihnen bewohnten Lebenswelt larmoyant zu betrauern, um es sich am Ende doch in ihr gemütlich »Trrrmmer«), womit auf die Trümmer einer einstigen Protestbewegung verwiesen sein könnte, nach der sich das lyrische Ich und seine Verbündeten zurücksehnen.
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Die Hamburger Schule und die ›Sekundarität‹ der Popkultur in Deutschland
zu machen« (2007: 12). Vielmehr sei eine Ausweitung des Sekundaritätskonzepts die logische Folge gewesen: Vergleichbar mit metafiktionalen Schreibweisen postmoderner Prosa machen Tocotronic (und auch Blumfeld und Die Sterne) ihre eigene Verfasstheit, unter anderem »die Bedürfnisökonomie von Rockkultur« (ebd.), selbst zum Thema. Hinsichtlich letzterer verweist die gebrochene Formel »Ich möchte Teil einer Jugendbewegung sein« (Tocotronic 1995a) auf eine Paradoxie, die Gurk folgendermaßen veranschaulicht: In gewisser Hinsicht glich [Tocotronics] Sicht auf die Fetische des Rock – Gitarren, Outfits, Plattencover – dem Blick eines Fashion-Victims auf die Auslagen bei, sagen wir, Marc Jacobs: Da liegt die schöne Welt, mit all ihren Optionen auf Sex, Erfolg und Glamour – aber was sind das für Versprechungen, deren Natur gerade darin liegt, den Wünschenden vom Gegenstand, auf den sich sein Begehren richtet, kategorisch auszuschließen? (2007: 12)
Die Tendenz zur Sekundarität geht offenbar mit der Trauer über den Verlust eines ›Primären‹ einher. Dieser Befund lässt sich vom hier benannten Sujet »Rock« auch auf Blumfelds Begehren, »Ich« sagen zu wollen, übertragen. Letzteres schien durch die von Martin Büsser so bezeichnete »Song-Krise« (auf die im nächsten Kapitel in Abschnitt 1.3.1. detailliert eingegangen wird) unmöglich geworden zu sein, sodass die Strategie der Band Blumfeld darin bestand, dass sie »ihre Texte verkomplizierte« und sich damit »von der direkten Rede des Begehrens distanzierte« (2000: 14). Mit ebendiesem Komplex befasst sich das folgende Kapitel zur frühen Phase von Blumfeld.
II.
Blumfelds Reflexionsschleifen
1.
Ich-Maschine: Die Etablierung der Reflexionsschleife
Vor dem Hintergrund der Charts-Landschaft von 1992, in der deutschsprachige Titel von Hape Kerkeling, Die Fantastischen Vier und der Münchener Freiheit vertreten waren, stellt der Literaturwissenschaftler Christian Schlösser fest, dass Blumfelds in diesem Jahr erschienenes Debüt-Album »Ich-Maschine« »im Popgeschäft ganz neue Saiten zum Klingen [brachte]. Nummern wie Laß uns nicht von Sex reden oder Penis-Monolog erschlossen thematische Felder, die weit jenseits der damals wie heute üblichen ›laments for a lost girl‹ (Adorno) liegen« (2007: 505).132 Zwar lautet die erste Textzeile auf »Ich-Maschine« »Ein Lied mehr« (Blumfeld 1992a: »Ghettowelt«), doch kann in der Tat bei keinem der auf dem Album enthaltenen zwölf Songs von »einem Lied mehr« im Sinne einer Reproduktion altbekannter popmusikalischer Formen gesprochen werden. Innerhalb des Spektrums deutschsprachiger Popmusik stehen Blumfeld mit »Ich-Maschine«, freilich zunächst nur von einem kleinen Kreis an Rezipienten registriert, für ein neues Paradigma, das im Folgenden als Diskursrock diskutiert wird. Dabei standen Blumfeld, so konstatiert der Literaturwissenschaftler Walter Gödden, »von Anfang an in dem Ruf, mehr als ein beliebiges Produkt der Unterhaltungsindustrie zu sein. Die Band verkörperte eine bestimmte Lebenshaltung, zugleich auch eine Form des intellektuellen Snobismus.« (Gödden 2008c: 231) Wenn Blumfeld mit ihrem auf »Ich-Maschine« geprägten Pop-Intellektualismus und der Neuverhandlung von Widerständigkeit in der Rockmusik einen distinktiven Platz in der deutschsprachigen Popmusik besetzten, scheint der von Gödden konstatierte Snobismus allerdings eher kontextbedingt zustandezukommen: Wie von Schlösser erwähnt, war Blumfelds Intellektualismus in der deutschsprachigen Popmusik nahezu unbekannt. So konnte »Diskursrock«, zumal im Kontext einer Massenkultur, vor allem dadurch als elitäre Strömung 132 Das Zitat im Zitat stammt aus Theodor W. Adornos 1941 in englischer Sprache veröffentlichtem Essay »On Popular Music« (1990: 302).
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Blumfelds Reflexionsschleifen
rezipiert werden, dass die in der deutschsprachigen Popmusik üblichen Sujets nicht – oder zumindest nicht ungebrochen – aufgegriffen wurden und so eine kritische Distanz zur Unterhaltungsindustrie signalisiert wurde. Auch Blumfelds Distanz zum Kollektivismus des Polit-Rock, die durch den starken Fokus auf das lyrische Ich erkennbar wird – das seinen Subjektstatus durchaus »narzißtisch artikuliert« (Diederichsen 1992a: 67) und selbstreflexiv thematisiert – konnte der Band als prätentiöse Selbstgefälligkeit ausgelegt werden. Blumfelds vermeintlicher »intellektueller Snobismus« ließe sich auch als Nonkonformismus in Bezug auf die damalige Pop-Szene in Deutschland begreifen. Der Begriff »Diskursrock« impliziert bereits die Möglichkeit einer nonkonformistischen Öffnung gegenüber dem Pluralistischen und Uneindeutigen. So unspezifisch der Begriff »Diskursrock« verwendet wurde, um eine musikalische Strömung zu beschreiben,133 so bedeutungsoffen erscheint auch der Begriff »Diskurs« selbst. Die britische Sprachwissenschaftlerin Sara Mills bemerkt, dass Definitionsversuche des Begriffs kaum je zu einer einfachen und klaren Bedeutungsbestimmung führten, sie würden vielmehr gerade »das Fließende seiner Bedeutung« (Mills 2007: 6) veranschaulichen. Eine derartige Semantik entspricht dem von den Akteuren der Hamburger Schule Anfang der 1990er Jahre proklamierten ›Ende der Eindeutigkeiten‹134 in der deutschsprachigen Popmusik und scheint in Bezug auf Blumfeld mindestens für die ersten beiden Alben zuzutreffen. Durch die Favorisierung dieser ›fließenden‹ Bedeutungsoffenheit und die Erschließung neuer thematischer Felder bildet sich ein spezifisches Verfahren heraus. Jörg Metelmann plausibilisiert den Begriff »Diskursrock« folgendermaßen: »In fast allen Liedern läßt sich eine Entwicklung nachzeichnen, die man in den Geisteswissenschaften den linguistic turn genannt hat« (2002: 35). Diesen Befund bezieht Metelmann auf das Album »L’Etat et Moi«, aber auch hinsichtlich »Ich-Maschine« hat er Gültigkeit. Demnach stehen hier nicht mehr die sprachlich und musikalisch vermittelten Inhalte im Vordergrund, sondern »die Art der Vermittlung selbst wird problematisiert« (ebd). So kommt der Band Blumfeld, durch die Etablierung des von Metelmann beschriebenen Verfahrens, eine prominente Rolle bei der Etablierung des Diskursrock-Paradigmas zu. Diese zeichnet sich nicht primär durch innermusikalische oder produktionsästhetische Innovation aus, auch wenn bestimmte stilistische Faktoren mit den ersten beiden Blumfeld-Alben assoziiert wurden, wie etwa »keine Gitarrensoli, keine gängigen Akkordwechsel, nur wenige Refrains, fast kein[ ] melodische[r] Gesang« (Germann 2009: 35). Das Diskursrock-Verfahren soll im Folgenden vielmehr als Etablierung einer offen ausgestellten Reflexion über Pop in 133 Vgl. hierzu Behrens (2002a: 247). 134 Vgl. Abschnitt I.3.1 der vorliegenden Studie und Kuhn (2003: 131).
Ich-Maschine: Die Etablierung der Reflexionsschleife
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Deutschland und in deutscher Sprache verstanden werden, eines neuartigen ›sekundaristischen‹ Ansatzes, der trotz seiner Distanznahme sowohl mit popästhetischen Mitteln operiert als auch im popkulturellen Feld stattfindet. Dieses Verfahren fokussiert sich gerade auch auf private Themen. Blumfeld thematisieren, so wiederum Schlösser, »zwischenmenschliche Beziehungen auf eine Art und Weise, die die Pop-üblichen Herangehensweisen und Vorverständigungsaxiome problematisiert« (2007: 505). Blumfelds lyrisches Ich verortet sich als fühlendes Subjekt im Diskurs – im oben ausgeführten Sinne: Die Konstellation »Ich und Du« konstituiert sich im Verhältnis zu den äußeren Umständen. Das Private ist politisch – aber anders als in den kollektivistischen Protestbewegungen der 1960er und 1970er Jahre fungiert Rock- und Popmusik bei Blumfeld nicht mehr nur als Plattform zur Artikulation politischer Parolen und Forderungen. An die Stelle der Parolen tritt eine Art Mikroanalyse der Strukturen, die auch den kollektivistischen Ansatz in den Hintergrund rücken lässt. Denn auch die Rock- und Popmusik, als ehemalig identitätsstiftende Größe für ein bestimmtes Kollektiv, sowie dieses Kollektiv selbst werden bei Blumfeld einer kritischen Analyse unterzogen. Wo früher Kollektiv war, steht jetzt ein analysierendes lyrisches Ich, das über die Fähigkeit zur differenzierten Reflexion verfügt, dessen Außenseitertum aber dennoch identifikatorische Anknüpfungspunkte bietet und sich gruppenbildend auswirkt: Ob man die zur Hamburger Schule gehörenden Musiker in ihrer Gesamtheit wirklich als Jugendbewegung bezeichnen kann, bleibt dahingestellt. Sicher ist aber, dass sie vor allem mit Hilfe ihrer frühen Texte gerade für junge Leute Identifikationspotenzial boten, indem sie das Außenseitertum legitimierten und somit ein Gefühl thematisierten, das alle Heranwachsenden teilen. (Schlieckau 2007: 538)
Die großen Kollektive der 1960er und 1970er Jahre mit ihren selbstbewussten Forderungen nach einer besseren Gesellschaft erscheinen vor diesem Hintergrund fragmentiert und auf eine Analyse der Mikroebene zurückgeworfen. Dennoch steht auch die Hamburger Schule mit ihrer Formulierung eines deutschsprachigen, engagierten und über Rock- und Popmusik vermittelten Protests bisweilen in der Tradition des Polit-Rock. Wenn man hier nicht mehr pauschal gegen die bestehende Gesellschaft rebelliert, so bleibt dieser Ansatz doch als reflektierende und analysierende »Attacke gegen die Ablenkung durch Pop« (Diedrich Diederichsen 1992a: 67) erhalten – wie sich Diederichsen in Bezug auf die Single »Ghettowelt« (Blumfeld 1991) ausdrückt. Attackiert werden vor allem die Markt- oder Emotionalisierungs-Mechanismen des Pop. Diese Kritik erfolgt bei Blumfeld – und übrigens auch bei Diederichsen – nicht von ›außen‹, sondern als Bestandteil dieser Sphäre. Stellvertretend für dieses Ver-
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Blumfelds Reflexionsschleifen
fahren soll das Album »Ich-Maschine« als programmatischer ›Startschuss‹ für ein Mitte der 1990er Jahre relevantes Diskusrock-Paradigma analysiert werden. Die ›Attacke gegen Pop‹ bezieht sich in »Ghettowelt« vor allem auf das Medium des Popsongs selbst und äußert sich in einer Reflexion des gewählten Mediums bei gleichzeitiger Ausreizung seiner Möglichkeiten. So behauptet Diedrich Diederichsen in seiner ersten Besprechung der »Ghettowelt«-Single, der Song zweifle »das Prinzip des Popsongs an sich an, durch Emotionalisierung zu überzeugen, zu überreden, mithin das, woran der stets erschüttert wirkende, ernsthaft-melancholische Distelmeyer nicht unbeteiligt ist« (1991: 23). Mark Greif, der sich als Mitbegründer des amerikanischen Literaturmagazins n+1 in der Tradition der Kritischen Theorie verortet,135 weist ebendiesen immanenten Zweifel an Pop-Verfahren in Songs der Band Radiohead nach und kommt insbesondere anlässlich der Zeilen »Just ’cause you feel it / doesn’t mean it’s there« (Radiohead 2003: »There There«) zu einem ähnlichen Ergebnis wie Diederichsen: Um zu ermessen, wie absurd es ist, dass diese Worte in einem Popsong vorkommen, muss man sich daran erinnern, dass sie in einer Kunstform auftauchen, die sich geradezu monomanisch dem Erzeugen starker Gefühle verschrieben hat. Popmusik erzählt ihren Zuhörern immer, dass ihre Gefühle real sind. Und hier haben wir es mit einem Refrain zu tun, der negiert, dass die Euphorie, die Melancholie und die Schauder, die er selbst tatsächlich hervorruft, etwas mit der Realität zu tun haben. […] [Der Song] verursacht genau jenes Gefühl, vor dem er uns warnt. […] Man wird dazu gebracht, den Medien zu misstrauen; wenn das dazu führt, dass man auch der Popmusik nicht mehr traut, sei es so. Vielleicht hat man der Popmusik vorher auf falsche Art geglaubt. Da muss man differenzieren. (Greif 2008: 177f.)
Die Zitate von Diederichsen und Greif zeigen die aporetische Qualität des in den Songs Blumfelds und Radioheads verhandelten Konflikts, der als zentrales Kennzeichen von Diskursrock bzw. -pop erachtet werden kann: sich mit Pop kritisch und selbstreflexiv auseinanderzusetzen, ohne die Ebene des Popsongs als Vermittlungsmedium je verlassen zu können. Entsprechend wählt Diedrich Diederichsen für seine in Spex veröffentlichte Besprechung des Albums »IchMaschine« als Motto die bereits genannte Zeile aus »Dosis« (Blumfeld 1992a), die ebenfalls eine Verflochtenheit des lyrischen Ichs mit den Entstehungsbedingungen des Textes ausstellt: »›Macht doch mal jemand den Kulturkack aus, ach geht ja nicht, bin selber drin‹« (Diedrich Diederichsen 1992a: 67).136 Ein solcher Diskurspop reflektiert programmatisch und textkonstitutiv den Kontext des lyrischen Ichs, ohne dass der popästhetische Vermittlungsmodus 135 Vgl. Moorstedt (2008: 13). 136 Tatsächlich heißt es in »Dosis«: »Mach doch mal einer den Kulturkack aus! / Ach geht ja nicht, laß bloß an, bin / ja selber drin« (Blumfeld 1992a).
Ich-Maschine: Die Etablierung der Reflexionsschleife
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instabil würde. Die »Ablenkung durch Pop« (ebd.) impliziert zugleich dessen Unhintergehbarkeit, sodass insbesondere der Song »Ghettowelt« eine ›Reflexionsschleife‹ etabliert, die das Prinzip Popsong kritisiert, um gleichzeitig auf die Unmöglichkeit einer Alternative hinzudeuten. Diese Unmöglichkeit, eine Alternative zu finden, wird in »Ghettowelt« auf (musikalischer) Performanzebene in repetitiven und zirkulären Strukturen wiedergegeben, sie äußert sich ferner in einer Dialektik, innerhalb derer Unordnung von Ordnung abgelöst wird, die das lyrische Ich allerdings als sinnentleerten Kreislauf wahrnimmt. Etwaige Ausbruchsversuche aus der Popkultur, und konkreter : aus dem Schema des Popsongs, werden auch performativ als gescheitertes Projekt vorgeführt, wie im nächsten Abschnitt aufgezeigt wird.
1.1
Introducing Blumfeld: »Ghettowelt« als Attacke gegen Pop
Liest man die erste Zeile von »Ghettowelt«137 als explizit performativen Sprechakt (»[Hiermit singe ich] ein Lied mehr«), wird damit eine selbstreflexive Ebene etabliert, durch die das lyrische Ich den geäußerten Text (als Verbindung von Musik und sprachlichem Text) und seine Medialität kommentiert: Es singt davon, was es im Moment des Gesangs tut und benennt das im Moment des Vortrags präsente Medium bzw. die Gattung (»Lied«). Es wurde zuvor als Kennzeichen der Hamburger Schule identifiziert, dass das lyrische Ich eine Beschreibung von seiner Umgebung und deren Strukturen vornimmt. In diesem Sinne beziehen sich auch die selbstreflexiven Elemente in »Ghettowelt« auf die Produktionsbedingungen des Songs, sodass hier von einer »Selbstverortung durch das Medium Popmusik« (Petras 2011: 170) gesprochen werden kann wie auch von einem »punktgenaue[n] Kommentar eines denkenden Menschen in einer verpoppten Welt« (Ruff 1992a: 36). Das lyrische Ich reflektiert den Ort, von dem aus es singt; umgekehrt wird hervorgehoben, dass es die Produktionsbedingungen sind, die das lyrische Ich konstituieren. Im Fall des vorliegenden Songs kann diese Konstituierung sogar im engeren Sinne verstanden werden, denn »Ghettowelt« bildet sowohl das Eröffnungsstück der ersten (gleichnamigen) Single (Blumfeld 1991)138 als auch des Debütalbums »Ich-Maschine« (Blumfeld 1992a). Damit kommt dem Song als ›erstem Lebenszeichen‹ der Band Blumfeld eine exponierte Stellung zu – was umso mehr für sein rein instrumentales Intro gilt: Blumfelds Erstkontakt mit der Rezeptionsseite 137 Die hier verwendeten Zeilenangaben beziehen sich auf die in der Textbeilage auf Seite 390 abgedruckten Lyrics von »Ghettowelt«. 138 Hier in einer anderen Abmischung (weniger verzerrte Gitarren) unter dem Titel »Ghettowelt (Single-Version)«.
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Blumfelds Reflexionsschleifen
nämlich ist von einem beau d8sordre, einem kalkulierten und gemachten Chaos geprägt in Form einer 14-sekündigen, sechstaktigen, allein von Gitarre und Bass intonierten Passage im 3/4-Takt. Diese Passage geht unvermittelt in einen geradlinigen 4/4-Takt über – ein überraschender Taktwechsel, der mit einem auftaktigen, durchdringenden Schlag der Snare-Drum markiert wird. Die Anfangspassage von »Ghettowelt« wird von der zeitgenössischen Kritik folgendermaßen beschrieben: »Mit den ersten Takten packt [das Album »IchMaschine«] Dich, nimmt Dich ohne zu fragen in Besitz, reißt Dich aus allen Verankerungen und hält Dir den Spiegel direkt vors Gesicht, aber Vorsicht, erschreck’ Dich nicht!« (o. V. 1992a: o.S.). In einem nicht datierten, auf dem Internet-Portal musikreportage.de veröffentlichten Artikel ist hinsichtlich »Ghettowelt« die Rede davon, dass der »Hörer in eine blechern klingende Klangwelt versetzt [wird], in der Gitarre und Bass gleichsam 13 schlagen« (Biadacz o. J.: o.S.). In beiden Kommentaren wird der Eindruck auf den Hörer von »Ich-Maschine« diskutiert, und in beiden Fällen scheint dabei ein Bruch mit bisher gültigen Pop-Hörgewohnheiten zur Sprache zu kommen: Zum einen wird erwähnt, dass der Rezipient in eine distinktive »Klangwelt« versetzt wird, in der gewohnte Koordinaten keine Gültigkeit haben – die Instrumente »schlagen 13«. Der Eindruck, »mit den ersten Takten« aus »allen Verankerungen« (o. V. 1992a: o.S.) – auch den Hörgewohnheiten – herausgerissen zu werden, verdeutlicht den Irritationseffekt, der von dieser Passage ausgeht. Diese Irritation resultiert vermutlich aus der für einen idealtypisch gedachten Popmusik-Hörer schwer einzuordnenden fremdartigen Polyharmonik der Passage. Ein Dsus4-Vorhaltsakkord, von der Gitarre intoniert, drängt nach Auflösung in einen reinen Dur-Akkord, wobei hinzukommt, dass der ›offene‹ Bass sich nicht an den Tönen dieses Akkords orientiert, sondern mit den Tönen H und F# andere Harmonien suggeriert (z. B. H-moll7). Freilich sollte dem historischen Rezipienten von englischsprachigem Alternative- und Noise-Rock der 1980er Jahre solche Dissonanz und Polyharmonik, die im Zusammenspiel zwischen Gitarre(n) und Bass entsteht, durchaus geläufig gewesen sein, etwa durch die auch von Blumfeld stark rezipierten Bands Sonic Youth und My Bloody Valentine. Diesbezüglich lässt sich das »Ghettowelt«-Intro beispielsweise mit dem Intro-Teil von »Teen Age Riot« (Sonic Youth 1988) vergleichen. Zwar findet sich bei »Teen Age Riot« keine mit dem »Ghettowelt«-Intro vergleichbare rhythmische Komplexität (auf die im Folgenden noch einzugehen sein wird), doch auch hier wie auf dem gesamten Album »Daydream Nation« kommt es, wie der Autor Nitsuh Abebe vom Online-Musikmagazin Pitchfork betont, zu »odd harmonic collisions« (2007: o.S.) und »oceanic ›head-in-theclouds outer limits‹ guitar stuff, which – along with the previous years’ releases from My Bloody Valentine, Dinosaur Jr., and the Pixies – would define indie rock’s guitar vocabulary as much as anything this side of Joy Division/New
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Order« (ebd.). Das Repertoire dieser neuartigen ›Gitarrenarbeit‹ wird von Abebe aus dem Blickwinkel des zeitgenössischen Publikums (von 1988) zusammengefasst als »›difficult‹ sounds, modified guitars, and strange collisions« (ebd.), wobei er diese Stilmittel spätestens zum Veröffentlichungszeitpunkt seiner Rezension der 2007 erscheinenden »Deluxe Edition« von »Daydream Nation« als endgültig naturalisiert erachtet und sogar davon spricht, dass aus »Daydream Nation« inzwischen ein gänzlich neues Genre hervorgegangen sei, das der Autor allerdings nicht benennt oder genauer expliziert (vgl. ebd.). In der Tat lässt sich ausgehend von den Gitarrensounds und -harmonien auf »Daydream Nation« und anderen stilprägenden Alben Ende der 1980er Jahre wie etwa »Loveless« (My Bloody Valentine 1991) ein neues Paradigma innerhalb der Rockmusik erkennen, das Abebe – eine Formulierung des Sonic-Youth-Sängers und -Gitarristen Thurston Moore aufgreifend – mit der Wendung »a new aesthetic of youth culture« (ebd.) in Verbindung bringt. Simon Reynolds spricht, ebenfalls im Zusammenhang mit Bands wie Sonic Youth und insbesondere My Bloody Valentine, von »a departure from the traditional rock musculature of riff and powerchord, towards a new and private lexicon of sounds and effects« (1990: 120) und bemerkt auf Sonic Youths »Daydream Nation« ein »ethereal chaos of their sound« (ebd.). Die zuvor aufgeworfene Frage nach einer neuen Ästhetik der Jugendkultur ließe sich als Semantik der polyharmonischen Gitarrensounds konkretisierend mit Reynolds beantworten, der hier eine »enchanted passivity« (ebd.: 119) im Rock erkennt und weiter ausführt: »Daydream nationalists are kids who aren’t active enough to be exiles on main street, to be visible dissidents: instead they’ve disappeared.« (Ebd.) Die Abwendung von Riffs, Powerchords und offener Rebellion geht mit ›benommenen‹ Akkorden und performativ mit einem passiven Shoegazing139 einher – wörtlich übersetzt: einem Starren auf die (eigenen) Schuhe. »Shoegaze« fungierte in den 1990er Jahren als Genrebezeichnung für Bands wie Sonic Youth oder My Bloody Valentine, die sich bildlich auf die ›versunkene‹ und introvertierte (Körper-)Haltung der entsprechenden Gitarristen bezieht, was als Reaktion auf die Agilität, Maskulinität, Rebellion, Sexualisierung und Effizienz früherer Rock-Entwürfe zu verstehen ist. Bei den zuvor erwähnten Powerchords handelt es sich ja um auf Grundton und Quinte heruntergebrochene Akkorde, die durch ebendiese effiziente Reduktion ihre Kraft entfalten. Der hier beschriebene Paradigmenwechsel im Rock zielt darauf ab – so fasst Thomas Hecken die These von Reynolds’ Publikation Blissed Out. The Raptures of Rock zusammen –, die »tagträumerische Übertretung, das sublime Gefühl, überwältigt zu werden, die Aura des Chaos und der undurchsichtigen Verwirrung« (2009: 451) zu erreichen. Hier leisten Polyharmonik, Dissonanz und 139 Vgl. hierzu Hunter (1995: 263).
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fremdartige Sounds (auf performativer Ebene: Passivität) ihren Beitrag zur Abgrenzung gegenüber der Aggression und Effizienz traditioneller Rockmusik. Roger Behrens vertritt die These, dass sich schon Ende der 1970er Jahre aus Punk und Disco eine starke, auch außermusikalische »Haltung« (2002a: 257) aus Elementen wie Mode und Stil erkennen lässt, die zu einer Überwindung dieser Form von ›Rockismus‹ und schließlich zu Phänomenen wie Sonic Youth führte: Haltung hieß für beide eine bewusste Gegenposition zum Rockismus des Kunstrocks zu bekommen […]. Das hieß […] Abschied von der in Stereotypen versteinerten Virtuosität, Abschied vom Rockstar. Das hieß musikalisch auch ein Bruch mit jenen Formen, die diese Stereotypen festschrieben; Neudefinition der Rolle der Gitarre, der Band, Abschied vom Bluesschema, das Halten von Akkorden, die Minimalisierung der Form und die Übertreibung der Wiederholungen: Sonic Youth. […] Auch die Rockmusik wurde von einer Postmodernisierung erfasst und löste sich in eine Pluralität der Genres und Subgenres auf (ebd.).
Bei den Shoegazer-Bands spiegelt sich dabei, so ließe sich ergänzen, die AntiHaltung gegenüber dem agilen Rock in einer erschlafften Körper-Haltung wider. In diesem Sinne erfährt übrigens auch die Rückkopplung – im Rock bisher »codiert als Zeichen von Rebellion« (Buhr 2003: 159) – auf dem Album »Loveless« (1991) einen Bedeutungswandel. Die Journalistin Elke Buhr spricht in Bezug auf den Blumfeld-Song »Verstärker« (1994) vom Stilmittel einer »vom Bauch auf den Kopf umgeleitete[n] Rückkopplung« (ebd.), wobei es bei der (musikalischen) Rückkopplung in Verbindung zum poetologisch ausgerichteten Verbaltext des Songs zu einer »Selbstreflexion im diskursiven Sinne« (ebd.) komme. In deren Zuge werde ein »Autor-Ich« erkennbar, »melancholisch gefangen in der literarischen Pose dessen, der sich selbst schreibt. Rückkopplung.« (Ebd.) Im Song »Verstärker« und bei Blumfelds Vorläufern Sonic Youth und My Bloody Valentine scheint man es mit einer Art intellektualisierten Rückkopplung zu tun zu haben, die sich vom affektiven Kontrollverlust im Bereich des Rebellischen (The Who, Jimi Hendrix) und des Sexuellen (als Feedbackorgie [vgl. Walter 2003: 153]) in eine eher ästhetisierte und kontrollierte Sphäre bewegt. Gleichwohl hat diese Form der Rückkopplung im Sinne des oben beschriebenen neuen Rock-Paradigmas eine Auflösung der alten Rockstrukturen und ihrer Agilität zur Folge – der mitunter politisch motivierte aggressive und destruktive Charakter der Rückkopplung wird abgelöst von einer Semantik des psychedelischen Tagtraums, der Verwirrung und der Passivität.140 Neben den beschriebenen (poly-)harmonischen Elementen trägt im »Ghettowelt«-Intro auch die Rhythmik entschieden zum beau d8sordre bei. Dies ist unter anderem der Tatsache geschuldet, dass der 3/4-Takt in der Popmusik eine 140 Als Beispiel für eine ›politische‹ Rückkopplung auf musikalischer Ebene ließe sich etwa Jimi Hendrix’ Version von »The Star-Spangled Banner« nennen.
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Seltenheit darstellt, lässt sich hier doch eine Dominanz von Songs im 4/4-Takt ohne Taktwechsel beobachten. Für das Ausbleiben von Taktwechseln als Normalfall bzw. einschlägiges rhythmisches Paradigma eines Popsongs argumentieren etwa Werner Faulstich (1978: 34) und Christoph Marek (2006). Letzterer spricht vom »geraden, stampfenden 4/4-Takt, der das Fundament nahezu eines jeden Rocksongs und der gesamten Techno- und Housemusik bildet« (ebd.: 104). Auch Jean-Martin Büttner konstatiert: »Die [englische, Anm. T.H.] Sprache und der Viervierteltakt sind die Erkennungszeichen der Rockmusik geblieben, ihr kleinster gemeinsamer Nenner« (1997: 105). Daran habe sich »bei allen Experimenten und regionalen Varianten wenig geändert« (ebd.), was nicht heiße, so ergänzt Büttner, dass »Rock nur auf Englisch und nur im Viervierteltakt funktioniert« (ebd.), sondern dass er »seinen Rhythmus und seine Sprache, einmal gefunden, nicht wieder aufgegeben hat.« (Ebd.)141 Im Vorwort eines Essaybandes des Journalisten Thomas Steinfeld über die Verbindungen von Popmusik und Literatur heißt es ferner : Seit Mitte der fünfziger Jahre wird diese Musik gespielt, die es ohne Mikrophone, elektrische Verstärker und Lautsprecher nicht gäbe: Der Sänger spricht oft mehr, als daß er singt, ein Gitarrist bewacht die meist schlichten Harmonien […]. Der Schlagzeuger schließlich haut, beide Stöcke mit fester Hand am dicken Ende gepackt, langsam oder schnell, schleppend oder eilig immer denselben Takt in vier Vierteln. (2000: 10)
Auch im Werkkontext Blumfelds bleiben ungerader Takt und Taktwechsel bis auf die diskutierte Passage des »Ghettowelt«-Intros fast beispiellos – eine weitere Ausnahme bildet eine kurze Passage in »Viel zu früh und immer wieder ; Liebeslieder« (Blumfeld 1992a, im Zeitabschnitt zwischen 1:00 und 1:15 Min.). Diejenigen Strömungen, in denen diese Stilmittel geläufig sind (Jazz, Progressive- und Art-Rock, E- beziehungsweise Neue Musik), gehören nicht zum Referenzspektrum der Band. Vielmehr wird ihr zum Zeitpunkt der Veröffentlichung von »Ich-Maschine«, mit Ausnahme der Harmonien, ein geradliniger Minimalismus jenseits des Ornamentalen oder Gebrochenen zugeschrieben. So heißt es in einer Konzertankündigung: »Musikalisch sind Blumfeld schlicht, die Gitarren schwelgen jenseits von Kitsch, die Rhythmen sind einfach, die Melodien naheliegend« (Winkler 1992: 20). In einer Besprechung von »Ich-Maschine« wird zwar eine »rhythmische[ ] Eigenwilligkeit« (Detlef Diederichsen 1992: 141 Die Zitate stammen aus Büttners 1997 vorgelegter Dissertation über »Sänger, Songs und triebhafte Rede«, in der sich der Autor fast ausschließlich auf Künstler und Bands aus dem angloamerikanischen Kulturkreis bezieht. Die Studie bewegt sich sowohl stilistisch als auch methodisch weit abseits des (literatur-)wissenschaftlichen Mainstreams. Büttners Vorgehen lässt sich als wenig systematisch und eher assoziativ beschreiben, allerdings profitiert sein Text insgesamt sehr von dem auf originelle Weise eingebrachten psychoanalytischen Wissen des Autors.
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56) festgestellt, letztlich sei Blumfelds Musik aber doch »wohlstrukturiert« (ebd.).142 In »Ghettowelt« wird von dieser Strukturiertheit strenggenommen auch gar nicht abgewichen, waren wir ja zuvor davon ausgegangen, dass es sich beim Intro des Songs um ein konstruiertes Chaos handelt. Allerdings wird es dem Rezipienten erschwert, in den ersten Takten des Songs ein rhythmisches Ordnungsmuster zu identifizieren. Liefert der Bass noch eine rhythmische Orientierung, indem er auf den jeweils ersten Grundschlag eines Taktes abwechselnd die Töne H und (die Quinte) Fis spielt, stiftet eine gegenläufige Figur des Gitarrenparts wiederum Verwirrung, indem sie ein anderes Grundtempo suggeriert. Einem »sinnlich-kontemplativen« (Bielefeldt/Dahmen/Großmann 2008: 9) Rezeptionsmodus, der sich »dem Sound oder den rhythmischen Pattern eines Songs hingibt« (ebd.) wird entgegengewirkt, und womöglich bildet der Irritationseffekt des Intros damit auch eine semantische Äquivalenz zur Programmatik des gesamten Albums »Ich-Maschine«, die mit Peters als »Feinanalyse eines verirrten und zwischenmenschlich verwirrten Individuums« (2010: 325) bezeichnet werden kann. Die Unmöglichkeit einer kontemplativen Rezeption von »Ich-Maschine« stellt Michael Ruff auch hinsichtlich des Gesangs fest und markiert das Album zugleich als Teil der Konsumsphäre: Blumfeld ließen »dem Konsumenten keine Chance, an den Texten vorbeizuhören«. (Ruff 1992a: 36) In einem weiteren Artikel wird ebendiese Unmöglichkeit des passiven Konsums von »Ich-Maschine« erwähnt: Bei dem Album handle es sich um ein Werk, »das uns aufhorchen ließ, uns nötigte, auf die dargebotenen Texte zu achten« (Skilandat/Hörstmann 1994: 10). Von hier ausgehend liegt es nahe, selbst dem instrumentalen Intro von »Ghettowelt« durch seine Exponiertheit und seine Brüche eine bedeutungstragende und selbstreferentielle – in seiner ›Diskursivität‹ durchaus dem Verbaltext gleichberechtigte – Funktion einzuräumen. Durch den Wechsel vom (schwer identifizierbaren) 3/4-Takt zum geraden 4/4Takt wird, gleichsam als Dialektik des Songs, Unordnung (bzw. im Kontext der üblichen Popsong-Konventionen: Abweichung) von Ordnung abgelöst, sodass im Übergang vom Intro zum eigentlichen Song thematische und motivische Elemente, die sich später im sprachlichen Text erkennen lassen, nonverbal (d. h. harmonisch und rhythmisch) präfiguriert werden. Der Eindruck der Unordnung wird dabei sowohl klanglich als auch strukturell in Differenzbeziehung zu der auf das Intro folgenden Passage mit konventionellem Pop-Groove (4/4-Takt) erzeugt. Von diesem ›Pop-Teil‹ des Songs ist das Intro durch einen prominenten Snare-Schlag, der in einem rhythmischen ›Niemandsland‹ lokalisiert ist, abgetrennt – und bleibt doch auf ihn bezogen. Der angepasste und ›rund laufende‹ Pop-Teil enthält in unmittelbarer Nähe zum Intro-Teil die Zeile »ein Lied mehr« 142 Vgl. hierzu auch Marx (1992: 96).
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(Z. 1). Musikalisch und verbaltextlich wird also selbstreferenziell auf die Wiederholung des Immergleichen verwiesen. Diese Kreisförmigkeit dominiert auf performativer und thematischer Ebene den restlichen Ablauf des Songs: Hier artikuliert ein gleichsam ›atemloses‹, in einem unproduktiven Kreislauf gefangenes lyrisches Ich, dass es »weg von hier« (Z. 3) will, sich jedoch im Modus eines Liedes befindet, das »Dich festhält / und nicht dahin läßt, wo Du hinwillst« (Z. 1f.). Musikalisch wird das Motiv der Kreisförmigkeit noch dadurch verstärkt, dass das Schlagzeug auf nahezu jeder ersten Viertelnote eines jeden 4/4-Taktes das Crash-Becken spielt, so als würde das 4/4-Schema in jedem Takt neu starten. Mit dem Intro-Teil wird nun dem oben beschriebenen Kreislauf eine Art Störung vorangestellt. Der 14-sekündige Abschnitt macht im Verhältnis zum gesamten Song einen kleinen Bereich aus, in dem das Diktat des 4/4-Taktes nicht gilt. Wenn es in den Zeilen 28 bis 31 heißt, »Ein Lied mehr ist eine Tür / ich frag’ mich bloß wofür, / denn das was dahinter liegt, / scheint keinen Deut besser als das hier«, wird auch die Möglichkeit eines erfolgreichen Ausbruchs aus dem in dem angepassten Pop-Teil beschriebenen Kreislauf imaginiert – und durch die Formulierung »es scheint« auch nicht gänzlich verworfen.143 Das Intro von »Ghettowelt« könnte mit diesen strukturellen Merkmalen für einen solchen imaginierten Freiraum stehen, d. h. für eine musikalische Ahnung dessen, was »dahinter« liegen könnte. Diese Ahnung konkretisiert sich zunächst als ein ästhetischer Bereich, der sich nicht ohne Irritationen in die Pop-Konvention einfügt. Der Intro-Teil mit seiner dreimaligen fragmentarischen Wiederholung des zweitaktigen Schemas, seiner schwer identifizierbaren Rhythmik und nicht zuletzt seiner Dissonanz144 stellt dem Album gewissermaßen eine Negation des 143 Das Motiv einer Tür, die dahinter liegende Möglichkeiten verheißt, wurde schon in »Apropos Tyrannenmord« verwendet: »Überall geh’n Türen auf / Und eine brandneue Überraschung / Kommt rein / Und füllt den Raum aus.« (Blumfeld 1991 [zit. n. CD-Booklet von Blumfeld 2002]: »Apropos Tyrannenmord«) Ein Lied als Tür bzw. Ausweg thematisiert auch Rolf Dieter Brinkmann in seiner »Vorbemerkung« zum Gedichtband »Westwärts 1& 2«. Den damals noch dominant anglophonen Popsong idealisierend (eben: westwärts orientiert), bedauert der Autor : »Ich hätte gern viele Gedichte einfach geschrieben wie Songs. […] Vielleicht ist mir aber manchmal gelungen, die Gedichte einfach genug zu machen, wie Songs, wie eine Tür aufzumachen, aus der Sprache und den Festlegungen raus.« (1975: 7). 144 Passend zur hier vertretenen These bemerkt Theodor W. Adorno in seiner Ästhetischen Theorie zur »Dissonanz«, sie bringe »von innen her dem Kunstwerk zu, was die Vulgärsoziologie dessen gesellschaftliche Entfremdung nennt« (Adorno 2003c: 30). Weiterhin hebt Adorno die ideologiekritischen Qualitäten der Dissonanz hervor, wenn er feststellt: »sie macht sich spröd gegen einen Schein des Menschlichen, der Ideologie der Unmenschlichkeit ist, und schlägt sich lieber auf die Seite verdinglichten Bewusstseins« (ebd.). Allerdings erkalte die Dissonanz auf diese Weise, so Adorno weiter, »zum indifferenten Material; zwar einer neuen Gestalt von Unmittelbarkeit, ohne Erinnerungsspur dessen, woraus sie wurde, dafür aber taub und qualitätslos.« (Ebd.) Wenn Adorno in »Über den Fetischcharakter in der Musik und die Regression des Hörens« eine Ambivalenz der Dis-
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Pop-Schemas voran, eine kurze Passage, die sich der Standardisierung entzieht, die eine gewisse Ähnlichkeit zum Hörerlebnis bei einem ›Sprung‹ in einer Schallplatte aufweist und ein solches womöglich nachahmt. Auch beim Sprung in der Platte kommt es ja in aller Regel zu einer arhythmischen Störung der Wiedergabe, ohne dass diese ganz unterbrochen wird. Auf metaphorischer Ebene kann das Motiv eines Sprungs in der Platte aber auch als wünschenswerter Bruch mit standardisierten Abläufen verstanden werden, d. h. einem in dieser Form nicht vorgesehenen (subversiven) Sonderweg inmitten der Wiedergabe eines warenförmigen und industriell gefertigten Tonträgers, dessen Wiedergabe normalerweise – wie auch der darauf enthaltene Popsong – einem standardisierten und linearen Muster folgt. Mit dem ›Sprung‹ ist darüber hinaus ein Topos der Beschädigung aufgerufen, nämlich eine physische Beschädigung der VinylOberfläche, die eine sowohl disruptive als auch ›reflexive‹ Schleife innerhalb des Pop-Systems mit seinen glatten Oberflächen erzeugt. Im Zuge dieser Reflexion wird allerdings nicht verleugnet, sondern vielmehr betont, dass man sich selbst stets im Rahmen der Popkultur bewegt und dass mit »Ghettowelt« – wie ein Rezensent in Bezug auf »Ich-Maschine« bemerkt – ein Statement abgegeben wird, derart, dass »Popmusik versucht, dich einzuhüllen« (G.W. 1992: o.S.), sich der Rezipient aber auch bei Blumfeld »den emotionalen Hüllen nicht entziehen« (ebd.) könne. Diese Aporie lässt sich mit Blick auf einen Feuilletonbeitrag des marxistisch orientierten Autors Ingar Solty verdeutlichen, der Blumfeld gemeinsam mit den Goldenen Zitronen als »Meister der linksradikalen politischen Ästhetik innerhalb der Popkultur« (Solty 2007: 13) bezeichnet. In Anspielung auf Sigmund Freuds kulturtheoretische Schrift Das Unbehagen in der Kultur (1930) bestimmt er Blumfelds politisch-ästhetisches Konzept als ein »gegen das Behagen in der Unkultur« (ebd.) gerichtetes. Dieses orientiere sich an einer Kritik, die »auf Fragen der Machtverteilung in zwischenmenschlichen Verhältnissen, der Entfremdung und der Selbstverwirklichung [zielte], mithin [die] Themen und Befindlichkeiten der postmodernen Linken der 1980er und 1990er Jahre.« (Ebd.) Es wird in Soltys Artikel nicht abschließend geklärt, was mit »Unkultur« gemeint ist, doch scheint mit dem Hinweis auf einen Protest der Band »gegen das Behagen in der Unkultur« ihre Fähigkeit angesprochen zu sein, auch das eigene gegen-, sub- bzw. popkulturelle sonanz im Jazz konstatiert, ließe sich dies mit einigem Recht auf Popmusik übertragen und dahingehend mit »Ghettowelt« in Verbindung bringen, dass kein Ausbruch aus dem »Kreis« möglich erscheint: »Wohl kommen in der Jazzpraxis Dissonanzen vor, und selbst Techniken des absichtsvollen Falschspielens haben sich herausgebildet. Aber allen diesen Gepflogenheiten ist eine Unbedenklichkeitsbescheinigung mitgegeben: jeder extravagante Klang muß so beschaffen sein, daß der Hörer ihn als Substitut für einen ›normalen‹ erkennen kann; und während er sich an der Misshandlung freut, welche die Dissonanz der Konsonanz angedeihen läßt, für die sie eintritt, garantiert die virtuelle Konsonanz zugleich, daß man im Kreise verbleibt.« (Adorno 2003d: 38).
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Umfeld kritisch zu thematisieren und es gleichsam als ›beschädigt‹ auszuweisen, und zwar ungeachtet der Tatsache, dass die Band selbst in diesem Milieu reüssierte und »Anfang der 1990er Jahre zum Aushängeschild des gehobenen Untergrundpopkonsums« (ebd.) wurde. Gerade in »Ghettowelt« wird einem unkritischen Behagen im eigenen Umfeld entgegengewirkt: Die eigene Lebenswelt, der Veröffentlichungsrahmen (auf dem subkulturellen Label What’s So Funny About…) und auch die eigenen ästhetischen Produkte werden als Teil der Unkultur markiert.145 Ein Begriff wie ›Subkultur‹ steht damit nicht mehr, wie noch der Gegenkultur-Begriff der 1960er Jahre, für die Bejahung einer alternativen Gesellschaft oder für ein, wie Reynolds den Begriff counter culture bestimmt, »home from home« (1990: 9), was auch der Bedeutung von »Ghetto« recht nahe kommt, sondern wird als ebenso ›beschädigter‹ Ort gekennzeichnet wie die offizielle Gesellschaft. Wiederum entsteht hier eine gewisse Nähe zur Meta-Kulturkritik Adornos, der in »Kulturkritik und Gesellschaft« (2003g) den ideologischen Charakter der Kulturkritik selbst in den Blick nimmt. Sowohl auf Ebene der Lyrics als auch auf musikalischer Ebene ist dem Album ein ›Sprung‹ im Sinne einer reflexiven Schleife inhärent, was auf einen ambivalenten Status von »Ich-Maschine« hinausläuft: Einerseits handelt es sich dabei tatsächlich um ›ein Album mehr‹, das oberflächlich intakt ist und an der ›Unkultur‹ teilnimmt, doch lässt sich auf dem gesamten Album eine Äquivalenzstruktur erkennen, die diesen Status thematisiert und ihn gerade durch dessen Reflexion instabil werden lässt – die Maschine gerät ins Stocken. Die Songs auf »Ich-Maschine« verweigern sich den Erwartungen an gängige Topoi des Popsongs oder überführen diese in die Reflexionsschleife: 1. Protestsong: In »Von der Unmöglichkeit ›Nein‹ zu sagen, ohne sich umzubringen« (Blumfeld 1992a) wird die Möglichkeit des Widerstands gerade nicht wie im klassischen Protest-Song als offensive Haltung der Stärke prä145 Hier sei eine Passage aus Jörg Heisers Text über die ›Wohlfahrtsausschüsse‹ erwähnt, u. a. im Zusammenhang mit einem von Heiser zitierten Statement des Anfang der 1990er Jahre in der linken Szene aktiven Journalisten Christoph Gurk. Heiser diskutiert die Verknüpfung zwischen »dem Eintreten in den dezidiert politischen Diskurs« (1995: 260f.) der bisher eher im kulturellen Feld Aktiven »und dem Schock- und Auslöse-Effekt [der rassistischen Ausschreitungen aus dem August 1992, Anm. T.H.] von Rostock-Lichtenhagen« (ebd.: 261). Auf der zeitgleich zu den Gewalttätigkeiten stattfindenden Popkomm-Messe hätten sich ahnungslose Hamburger und Kölner Musiker und Musikjournalisten als »politisierter popkultureller Zusammenhang« (ebd.) gar im Sinne einer »quasi-utopischen Gemeinschaftserfahrung« (Gurk, zit. n. ebd.) erlebt. Dadurch, dass die Nachricht über die Ereignisse in Rostock-Lichtenhagen von Gurk und den übrigen Veranstaltungsteilnehmern erst nach dem Messebesuch vernommen wurde, sei »die Art, wie sich in der Popkultur ›Wirklichkeit‹ herstellt, nachhaltig in Frage gestellt worden.« (Ebd.) Dies sei, so Gurk, der Auslöser für den Wunsch gewesen, »aus dem Getto der reinen Musikbeschäftigung rauszukommen.« (Ebd., Herv. T.H.).
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sentiert, sondern in Form einer zweifelnden Reflexion über Möglichkeiten des Nein-Sagens. Im Ergebnis bedroht die Verweigerung die Existenz des lyrischen Ichs, wenn es in der letzten Zeile des Songs den Duktus seiner Antagonisten imitiert: »Stirb oder sei wie wir«, heißt es, wobei die widerständige Energie des Protestsongs, die auch noch präsent ist (»ich will morden / den Apparat, der Dich und mich / bloß Apparat sein läßt«) in Autoaggression umschlägt (»ohne sich umzubringen«). 2. Liebeslied und Schlager : Bei »Viel zu früh und immer wieder ; Liebeslieder« (Blumfeld 1992a) handelt es sich sowohl um ein Liebeslied als auch um eine Reflexion darüber. Der Song setzt sich einerseits zusammen aus unironischen, scheinbar aufrichtigen Liebeserklärungen (z. B. »Laß Sturm und Nacht sich nur gegen Dich verschwör’n / ich bin da«), andererseits aus Zitaten aus einem Schlager des auch namentlich genannten Matthias Reim (»Matthias Reim weiß wer ich bin«).146 Blumfelds lyrisches Ich grenzt sich, seine Aufrichtigkeit und ›Echtheit‹ behauptend, vom Schlagersänger Reim ab, dessen Song den eigenen Liebes-Diskurs des lyrischen Ichs zu infiltrieren droht (»Darauf mein Wort / denn es ist mehr als bloß ein Klang / den irgendein Depp sonst sang«). Dabei ähneln sich Reims »Ich hab geträumt von Dir« (1990) und Blumfelds »Viel zu früh und immer wieder ; Liebeslieder« (1992a) motivisch: In beiden Fällen sehnt sich ein lyrisches Ich nach einem Du, wobei der Matthias-Reim-Song im Textverlauf bei Blumfeld immer stärker dekonstruiert wird. Heißt es bei Reim: »Jetzt rebelliert mein Magen, / denn ich muß Dir was sagen / […] und trau mich nicht zu fragen, denn Du könntest ja sagen, / dass Dir das total nicht passt« (eigene Transkription), so übersetzen Blumfeld diese klischeehaften und alltagssprachlichen Zeilen des SchlagerIchs in eine konjunktivistische Unbestimmtheit: »Wie Dich wonach fragen, / wenn ich nicht mal weiß / wie Herzschlag im Magen / in Wirklichkeit heißt? / und wenn ich’s wüßte, / könntest Du immer noch sagen, / daß Dir das total nicht passt«. Inmitten dieser Dekonstruktion des Schlager-Vorbilds, in der das »Bauchgefühl« (Seiler 2010: 191) des Schlager-Ichs Blumfelds skeptizistischem, negierendem und abstrahierendem Ich gegenübergestellt wird, lässt sich eine sekundaristisch gebrochene Liebeserklärung erkennen.147 Die Reflexionsschleife des Songs beschreibt den Findungsprozess einer ›eigenen Sprache‹. Neben den ›sekundaristischen‹ Zitaten, die den schlagerhaften Kontext des Liebesliedes reflektieren, wird der Sekundarismus weiter dadurch verstärkt, dass der Begriff »Liebeslied« in Refrain und Titel des Songs selbstreflexiv genannt und kritisiert wird (»viel zu früh«, »immer 146 Alternativ ließe sich diese Zeile als ›Matthias’ Reim weiß, wer ich bin‹ verstehen. 147 Der Sekundarismus dieses Liebeslieds zeigt sich auch in dem umständlich wirkenden Semikolon im Songtitel.
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wieder«). Auch in dieser Reflexion bedienen sich Blumfeld des Zitat-Verfahrens, heißt es doch bei Matthias Reim: »Viel zu spät und immer wieder / lass ich Dich dann geh’n«. 3. Mainstream-Pop: Der Verweis auf Matthias Reim kommt einem kritischen Kommentar auf die Pop-Industrie gleich, der sich in »Laß uns nicht von Sex reden« fortsetzt. Der Titel bezieht sich auf Salt’n’Pepas Pop-Hit »Let’s talk about Sex« (1990), der im Zeichen der Negativität (»nicht«) präsent ist. Wie bei Salt’n’Pepa werden hier zwar auch Sex und Geschlechterverhältnisse zum Thema, allerdings auf wenig pop-fähige Art und Weise: Ein vom realweltlichen Jochen Distelmeyer abgegrenztes fiktives Ich – durch verzerrte Stimme und »von so einem komischen Schnauben unterlegt« (Diederichsen 1992a: 67) – äußert machohafte männliche Rollenklischees. Salt’n’Pepas Prätext aus dem Pop-Mainstream findet so Einzug in Blumfelds – hier im Sinne eines dekonstruktiven Feminismus operierende – Reflexionsschleife. Das Album »Ich-Maschine« steht also ganz im Zeichen einer kritischen Reflexion der Pop-Umwelt. Wenn der oben diskutierte ›Sprung in der Platte‹ im Englischen als broken record bezeichnet wird, lässt sich in der Mehrdeutigkeit des Begriffs ›record‹ (als ›Schallplatte‹, ›Aufzeichnung‹ und ›Bericht‹) auch eine Verbindung zum Vortrag des lyrischen Ichs herstellen, das aus der beschädigten Kultur berichtet – und von hier aus liegt ein assoziativer Zusammenhang mit Adornos »Reflexionen aus dem beschädigten Leben«, dem Untertitel seiner Minima Moralia (1951), nicht fern. Diese Assoziation bestätigt sich auf Textebene nicht als positivierbare Evidenz, auch wenn eine Präsenz von Adornos Text(en) auf »Ich-Maschine« vorhanden zu sein scheint. So wird in »Von der Unmöglichkeit, ›Nein‹ zu sagen, ohne sich umzubringen« darauf verwiesen, dass Nein-Sagen entweder in die (Selbst-)Vernichtung führt oder zumindest nur ein kompromittiertes Nein bedeuten kann. Denn innerhalb des Kontextes, in dem dieses Nein geäußert und in den es womöglich ideologisch eingebettet wird, werden nie alle Verbindungen zum Bestehenden aufgegeben: Das Nein-Sagen bedeutet somit auch immer ein Stück weit Ja-Sagen. Hier scheint Adornos berühmtes Diktum aus den Minima Moralia »Es gibt kein richtiges Leben im falschen« (1993: 42) anzuklingen. Entsprechend stellt Roger Behrens eine Verbindung zwischen Blumfelds Lyrik und ebendiesem Zitat Adornos her : Es geht, nach Adorno, darum, sich von der Macht der anderen und der eigenen Ohnmacht nicht dumm machen zu lassen. Blumfeld hatten versucht, dies als Maßgabe einer Politisierung der Kunst umzusetzen. »Ein Lied mehr ist eine Tür / Ich frag mich bloß
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wofür / Denn das, was dahinter liegt / scheint keinen Deut besser / Als das hier«, heißt es in »Ghettowelt«: »Es gibt kein richtiges Leben im falschen.« (Behrens 2002b: 26)148
Ähnlich wie Adorno reflektiert die Band Blumfeld hier den Status der Utopie. Neben dem paraphrasierten Adorno-Diktum wird die Utopie in »Ghettowelt« zwar thematisiert (in Z. 2: »dahin, wo du hinwillst«), es wird aber lediglich reflektiert, wo dieser Ort nicht zu finden ist. Hier unterscheiden sich Blumfeld im Einklang mit Adorno vom Pop-Paradigma, denn die Revolte, so Diedrich Diederichsen hinsichtlich popästhetischer Strömungen, ergebe sich dort »aus einem großen Ja (zu Leben, Welt, Moderner Welt), nicht aus einem Nein und einem Ja zur Utopie« (1996: 40). Erneut wird hier die distanzierte Position deutlich, mit der sich Blumfeld innerhalb der Popkultur bewegen. Wir haben zuvor festgestellt, dass das musikalische Material in »Ghettowelt« mit ›Beschädigungen‹ versehen ist (rhythmische und harmonische Brüche im Kontext einer glatten Pop-Oberfläche), während das lyrische Ich seine Reflexionen aus einem beschädigten Leben äußert. Mit diesem Verfahren befinden sich Blumfeld in einem produktionsästhetischen Diskurs hinsichtlich der Bedingungen des Popsongs als Konsumartikel, der sich zwar durch eine inhärente Wiederholung des Immergleichen auszeichnet, dabei aber die Möglichkeit bietet, dies auf kritische Art und Weise zum Thema zu machen. Ein solches Dilemma der Popmusik, die »Alltagskultur geworden ist und damit ihre Funktion als selbsterklärendes Alteritätssignal verloren« (Petras 2011: 167) hat, formuliert Ole Petras treffend, indem er auf die aus dem Warencharakter resultierende Ambivalenz von Glücksversprechen und Uneigentlichkeit des Pop hinweist. Dabei fällt auch der in Kapitel I der vorliegenden Studie ausführlich diskutierte Begriff der »Sekundarität«: die steile Karriere der Popmusik – und […] insbesondere des Independent – [wäre] nicht zu erklären, ginge von den Liedern nicht auch das Versprechen der Möglichkeit einer besseren Welt aus. Das Sprachspiel Popmusik ist in diesem Sinne von einer grundsätzlichen Sekundarität der Zeichen geprägt. Wenn, so ließe sich der Gedanke ausführen, die Popmusik über die Kraft verfügte, Aussagen über Wirklichkeit zu treffen, könnte sie sich der Herrschaft der systemstabilisierenden Unterhaltungsmaschinerie entziehen und jene Effektivität entwickeln, die ihren Ausnahmestatus legitimierte. Bis dahin aber bleibt es bei dem Vertrag zwischen Produzenten und Rezipienten, dass unter dem Vorbehalt der Artifizialität mögliche Haltungen zur Gesellschaft formuliert, aber eben nicht im Sinne eines individuellen Standpunktes aktualisiert werden. (Ebd.: 168)
Vor diesem Hintergrund würden die Bands der Hamburger Schule versuchen, so Petras weiter, einen »explizit politischen, genuin kritischen Standpunkt gegenüber der Gesellschaft« (ebd.) einzunehmen. Damit würden sie letztlich auf 148 Vgl. auch Behrens (2003b: 146).
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eine aporetisch anmutende »Überwindung des Sonderdiskurses Popmusik mit den Mitteln der Popmusik« (ebd.) abzielen.149 Wenn zuvor in Verbindung mit Pop von einer Wiederholung des Immergleichen die Rede war, die sowohl kritisiert als auch im Sinne eines Popmusik konstituierenden Faktors hingenommen wird, ist damit eine Tendenz des PopKunstwerks zur Standardisierung gemeint. Pop-Erzeugnisse fungieren als »Genrekunst, Gebilde also, die nicht in allen ihren Aspekten originär sind, sondern die oftmals mit überkommenen Schemata und bereits bekanntem Material arbeiten, die erwartbare Muster erfüllen und variieren« (Baßler 2005b: 188) und die »immer auch nach Marktgesetzen und kommerziellen Gesichtspunkten produziert, distribuiert und verkauft« (ebd.) werden – so konstatiert Baßler, ohne sich damit in pejorativer Weise auf Pop zu beziehen. Joshua Clover wählt eine ähnliche Bestimmung des Pop-Begriffs, die allerdings eine etwas tendenziöse Opposition aufstellt zwischen vermeintlich originären oder originellen subkulturellen Stilelementen und der Eingängigkeit von Pop, sodass die Originalität einer Subkultur von anderen Subkulturen appropriiert wird und in einen »Mainstream der Minderheiten« (Holert/Terkessidis 1996a) mündet. Hinsichtlich der Kritik an Standardisierung und Konformismus lässt sich bei Clover eine Kontinuität zu Adornos und Horkheimers Kulturindustrie-These erkennen: The best understanding [of the term pop] bridges the economic and aesthetic, indicating genre songs that have smoothed their subcultural identifiers down to hooks that might catch listeners from other subcultures. Even this is not true for every pop song. Finally, they are married only by the marketplace. (Clover 2009: 161)
Wenn diese Grundbedingungen des Pop-Kunstwerks in »Ghettowelt« nun selbst zum Thema werden, liegt darin auch ein Protest gegen den von Horkheimer und Adorno so bezeichneten »Konformismus« (2010: 142), den eine »Reproduktion des Immergleichen« (ebd.) mit sich bringt. Auch in der sowohl performativen als auch inhaltlichen ›Kreisförmigkeit‹ lässt sich »Ghettowelt« sinnvoll mit Adorno (bzw. Adorno und Horkheimer) kontextualisieren: Letztlich ist auch in dem Blumfeld-Song indirekt die Rede von der »Totalität der Kulturindustrie. Sie besteht in Wiederholung« (ebd.: 144). Das »unablässig Neue« (Adorno 2003b: 339), das die Kulturindustrie offeriere, bleibe 149 Diese mit Popmusik in Verbindung stehende Double-Bind-Struktur zwischen Affirmation und Kritik verdeutlicht der Literaturwissenschaftler Heinz Drügh in Bezug auf Popkultur und Pop-Forschung allgemein: »Im Unterschied zu anderen Kunstformen kann sich Pop gar nicht außerhalb der üblichen medialen und merkantilen Verwertungszusammenhänge stellen, ohne sich selbst abzuschaffen. Man muss dies aber nicht affirmativ nennen. Denn das Durchforsten der Semantiken des Gegenwärtigen müsste – und darauf sollte PopForschung insistieren – als ebenso kreative wie kritische Arbeit in den Archiven der Gegenwart anerkannt werden.« (2013: 106).
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»die Umkleidung eines Immergleichen« (ebd.). Adorno spricht hier insbesondere über die Form, also über die ästhetischen Verfahren kulturindustrieller Artefakte. Der Ausdruck »Industrie« sei nicht wörtlich zu nehmen, sondern beziehe sich auf die »Standardisierung der Sache selbst – etwa die jedem Kinobesucher geläufige der Western – und auf die Rationalisierung der Verbreitungstechniken, nicht aber streng auf den Produktionsvorgang.« (Ebd.) Blumfelds Albumtitel verweist innerhalb dieses Komplexes auf das Ich, also auf Aspekte der Subjektivität innerhalb der Kulturindustrie, sodass es fast so scheint, als erinnere das Album fast fünfzig Jahre nach Erscheinen von Horkheimers und Adornos Schrift an die maschinenhafte Kreisförmigkeit, den »stählernden Rhythmus« (Horkheimer/Adorno 2010: 128) der Kulturindustrie unter den veränderten Bedingungen des Pop: Hier fokussiert sich der analytische Zugriff weniger auf die Totalität der Kulturindustrie, sondern nimmt dezidiert das Subjekt in den Blick, das nie dorthin gelangt, wo es hinwill (vgl. Z. 2). Entsprechend heißt es bei Adorno: »Die Ersatzbefriedigung, die die Kulturindustrie den Menschen bereitet, indem sie das Wohlgefühl erweckt, die Welt sei in eben der Ordnung, die sie ihnen suggerieren will, betrügt sie um das Glück, das sie ihnen vorschwindelt.« (Adorno 2003b: 345) Nun hält sich der kulturindustrielle Schwindel in »Ghettowelt« aber in Grenzen. Wie schon in Kapitel I anhand von »Apropos Tyrannenmord« gezeigt wurde, kommt es auch hier zur Darstellung von Popkultur als geradezu bedrohlichem Szenario. So ist es gleichermaßen möglich, dass die Zeile »Ein Lied mehr« den kulturindustriellen Status von »Ghettowelt« sowohl zutreffend beschreibt als auch eine Kritik daran äußert. Den Widerspruch zwischen Konformismus und Stillstand durch Wiederholung einerseits und dem (rhetorischen) Anspruch auf Innovation andererseits erklären Horkheimer und Adorno im Blick auf die Produktion von massenkulturellen Produkten wie folgt: Immergleichheit regelt auch das Verhältnis zum Vergangenen. Das Neue der massenkulturellen Phase gegenüber der spätliberalen ist der Ausschluß des Neuen. Die Maschine rotiert auf der gleichen Stelle. Während sie schon den Konsum bestimmt, scheidet sie das Unerprobte als Risiko aus. Mißtrauisch blicken die Filmleute auf jedes Manuskript, dem nicht schon ein bestseller beruhigend zu Grunde liegt. Darum gerade ist immerzu von idea, novelty und surprise die Rede, dem, was zugleich allvertraut wäre und nie dagewesen. Ihm dient Tempo und Dynamik. Nichts darf beim Alten bleiben, alles muß unablässig laufen, in Bewegung sein. Denn nur der universale Sieg des Rhythmus von mechanischer Produktion und Reproduktion verheißt, daß nichts sich ändert, nichts herauskommt, was nicht passte. (2010: 142)
Mit Horkheimer und Adorno ließe sich also von einer Ideologie des Neuen sprechen, derzufolge in der Massenkultur zwar immer alles neu und nie dagewesen erscheinen, dabei aber im Grunde altbekannt sein müsse. Das kulturindustrielle Produkt dürfe nicht zu stark von dem abweichen, was wir kennen –
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mit dieser Formel der Wiederholung werden sowohl Stillstand als auch Anderssein verhindert, und in diesem Sinne wird auch in »Ghettowelt« ein unproduktiver Kreislauf beschrieben, der sich dennoch in ständiger, geradezu zwanghafter Produktion befindet. Zugleich verwenden Adorno und Horkheimer das Attribut des Maschinenhaften, so wie es auch in »Ghettowelt« (wie oben beschrieben: auf musikalischer Ebene) zu einem »Sieg des Rhythmus« (ebd.) kommt. Der Albumtitel »Ich-Maschine« verweist nun darauf, dass auch das Subjekt von solchen Mechanismen affiziert ist. Das lyrische Ich als dessen textuelle Entsprechung sieht sich in »Ghettowelt« in seinem Status als Außenseiter bedroht, es herrscht eine Abwesenheit von Bereichen, die – um den oben zitierten Text von Horkheimer und Adorno aufzugreifen – ›nicht Passendes‹ zulassen. Bringt das lyrische Ich seine ›nicht passende‹ oder gar dissidente Individualität hervor, wird sie durch eine Überführung in die Konsumsphäre oder durch Vergesellschaftung passend gemacht und büßt auf diese Weise an Autonomie ein. In »Ghettowelt« wird auf abstrakter Ebene verhandelt, welche Möglichkeiten des Ausbruchs aus diesem Kreislauf sich dem lyrischen Ich bieten. Dabei kommt es zu keiner Konkretisierung eines geglückten Ausbruchs. Eine Utopie wird, hier befindet man sich im Einklang mit den Vertretern der Frankfurter Schule, kaum positiv definiert. Christian Schlösser beschreibt im folgenden Passus anschaulich, wie die Emanzipation des lyrischen Ichs auf »Ich-Maschine« analog zum linguistic turn auf Ebene der sprachlichen Vermittlung verbleibt: Grundtenor des Albums ist neben als problematisch empfundenen Beziehungsskizzen die Artikulation von Adoleszenzerfahrungen und die Abwehr von Vergesellschaftungsversuchen eines Ich, das a) sich selbst in den von gesellschaftlichen Zurichtungen geprägten Alltagsbildern und -situationen zu verlieren glaubt und sich b) je schon als imaginiertes, als Phantasma weiß. So werden musikalische Expression und textueller Ausbruchsversuch immer als Scheinalternative gewusst und benannt; auf ein utopisches Modell, das hier höchstens noch als Frage artikuliert wird, wird zugunsten eines therapeutischen Sprechens verzichtet. (Schlösser 2007: 505)
Und doch wird auch bei Blumfeld ein Ausbruch aus dem Kreislauf zumindest andeutungsweise imaginiert, auch wenn sich die Band, anders als Horkheimer und Adorno in ihrem Kulturindustrie-Kapitel, deutlich innerhalb der Popkultur bzw. der Kulturindustrie verortet und sich nicht nur negativ und distanziert auf sie bezieht. Diese Ambivalenz hinsichtlich Blumfelds Pop-Produkt wird auch in einer Rezension Diedrich Diederichsens erwähnt, der in explizitem Widerspruch zur ersten Zeile des Stückes feststellt, »Ghettowelt« sei seit langem »die erste 7’’, die nicht ›eine Single mehr‹ war« (1991: 23). Die von Diederichsen attestierte Au-
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ßergewöhnlichkeit wird freilich durch den Umstand kompromittiert, dass seine Rezension in der Spex-Rubrik »Single des Monats« erscheint, in der jeden Monat aufs Neue eine außergewöhnliche Platte gekürt wird – womit man der Wiederholung des Immergleichen ebenso unterliegt wie es die dort diskutierten Produkte tun. Auch für die Rezeptionsseite gibt es keinen archimedischen Punkt außerhalb der Popkultur, weswegen es der hoch reflektierte Rezensent hier für nötig hält, die Außergewöhnlichkeit dieser »Single des Monats« ausdrücklich hervorzuheben. Diederichsens Besprechung von »Ghettowelt« widmet sich in kongenialer Weise dem Zustand des (in diesem Fall rezipierenden) Subjekts: Seit langem aber die erste 7’’, die nicht »eine Single mehr« war, in dieser professionell festgehaltenen, festhaltenden Redaktion, die von Hand zu Hand ging und die sich alle möglichen Leute immer wieder anhörten, vorspielen ließen und dazu brachte, immer näher an die japanischen Boxen zu rücken, um die Texte zu verstehen. Ziemlich archaische Verhältnisse. (Ebd.)
Die Kritik des sich als entfremdet und isoliert erlebenden lyrischen Ichs aus »Ghettowelt« wird hier in vielerlei Hinsicht aufgegriffen. So wird die Spex-Redaktion von Diederichsen in einem Dilemma zwischen Professionalität und Emotionalität dargestellt. Der industriell hergestellte Tonträger verliert im Prozess der Dekommodifizierung seinen unpersönlichen Warencharakter, wenn er »von Hand zu Hand« wandert. Gleiches gilt für die »japanischen Boxen«, denen sich die Hörer im Zuge »archaische[r] Verhältnisse« und zur Gewährleistung eines gelingenden kommunikativen Akts gleichsam wie einem Lagerfeuer nähern.150 Auch hier wird also die Möglichkeit eines Ausbruchs aus dem Kreislauf des Immergleichen, d. h. der standardisierten Rezeption von Pop, reflektiert und die Aufgabe professioneller Distanz mitreflektiert. Die Ambivalenz von »Ghettowelt« – und dem Album »Ich-Maschine« allgemein – besteht in seinem Status als ›professionellem‹ Pop-Produkt und Attacke gegen Pop. Dies wirkt sich, wie gezeigt wurde, auch auf die Rezeption des Diskurspop aus, der von Diedrich Diederichsen (2005: 71) auch als Diskurse auslösende Strömung gekennzeichnet wurde.
150 In einem ersten größeren Bericht über Blumfeld in der Spex nähert sich Sebastian Zabel dem Text auf ähnliche Weise, indem er seiner Berührtheit vom privaten Charakter des Gesangs Ausdruck verleiht. Die Rede ist von »quälend distanzlosen« (Zabel 1992: 41) Texten, von einem »peinlichen Berührt-Sein« (ebd.). Zabel zählt sich zu denjenigen, die »dort etwas gefunden haben, was gemeinhin in den Bereich des ›Privaten‹ sortiert wird, den man nicht einfach offen legt, sondern – wenn überhaupt – intellektualisiert, Dinge (Gefühle, Erfahrungen), über die man mit antrainierter, professioneller Distanz spricht. Ein normalerweise sinnvoller Selbstschutz, den Jochen Distelmeyer auf ›Ich-Maschine‹ aufgegeben hat« (ebd.).
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»Ghettowelt« als Reise durch die Kontexte
Vor dem Hintergrund dieser Ambivalenz begleiten wir nun das lyrische Ich auf seiner ›Reise‹ durch verschiedene Kontexte wie Subkultur, Familie, Liebesbeziehung und Kunst, deren Verflochtenheit dadurch betont wird, dass sie nebeneinander innerhalb eines Songs durchlaufen werden, ohne dass Kontextwechsel vom lyrischen Ich kommentiert würden. Auf »Ich-Maschine« wird die Bearbeitung konkreter Themen in einzelnen Songs verabschiedet. Damit wird ein Verfahren überwunden, das sich mit Seiler dem »politisierten und somit auf eine zentrale Aussage hin steuernden Deutschrock« (Seiler 2011a: 94) zuordnen lässt. Nicht nur hinsichtlich der Settings, auch was die Redesituation angeht, lässt sich in Blumfelds Poetik eine Art dialogische Vielheit erkennen: In der ersten Zeile von »Ghettowelt« wird ein Du eingeführt, dessen Referenzfunktion nicht abschließend geklärt werden kann und das sich in vielen Blumfeld-Songs finden lässt. Es könnte zum Ersten auf die Allgemeingültigkeit des Gesagten verweisen, sodass sich Zeile 1 paraphrasieren ließe als ›Ein Lied mehr, das einen festhält‹. Zum Zweiten könnte – konkreter – von einem Appell an ein bestimmtes Du ausgegangen werden, das der Text addressiert: den jeweilige Rezipienten des Songs oder eine in der Songdiegese präsente Person. Für den Appell an die Rezeptionsseite argumentiert Barbara Kirchner, die in einer Spex-Titelgeschichte vom »Du« spricht, »mit dem [Distelmeyer] seine HörerInnen adressiert, auch gewinnend, fast werbend« (1999: 33). Dies konstatiert sie in Gleichsetzung von Autor und lyrischem Ich und in Bezug auf das gesprochene Gedicht »Eines Tages« (Blumfeld 1999a), in dem konsequent die 2. Person Singular zum Tragen kommt. Zum Dritten lässt sich Blumfelds Du als Verfahren erklären, in dem »das sprechende Subjekt des Textes […] in der zweiten Person zu sich selbst spricht« (2006: 270), wie Sascha Seiler, ebenfalls in Bezug auf »Eines Tages«, erklärt.151 Besonders plausibel erscheint allerdings die Appellfunktion des Du, weil Personalpronomen der 2. Person im CD-Booklet konsequent, wie in einem Brief oder einem Anschreiben, groß geschrieben werden. Damit wird zwar Intimität und Verbindlichkeit signalisiert, doch so, wie sich die Settings in »Ghettowelt« unvermittelt ändern, lässt sich mit den wechselnden und unverbindlichen Referenzen der Personalpronomina auch eine grammatische Öffnung erkennen, die keine Eindeutigkeit zulässt: Eine eindeutige Subjektposition des lyrischen Ich wird durchgestrichen oder als vorbehaltlich markiert. Von Z. 4 bis Z. 12 richtet das Ich die Aufmerksamkeit auf ein gegen- und 151 In »Aus den Kriegstagebüchern« (Blumfeld 1992a) unterstellt das lyrische Ich sich selbst und seiner Umwelt: »wenn wer spricht, / möcht’ ich wetten, / daß alles, alles bloß Selbstgespräch ist«.
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jugendkulturelles Szenario. Als autobiographisch-lebensweltliche Entsprechung wäre hier das soziale Umfeld der Hamburger Schule bzw. der Hamburger Musikszene vorstellbar. Durch die bereits erwähnten grammatikalischen Uneindeutigkeiten ergeben sich mehrere Lesarten, von denen mir die folgende plausibel erscheint: Ein T-Shirt gerät metonymisch zur Insignie der Pop-Subkultur, wobei es dem lyrischen Ich als Strategie zur eigenen Ausgrenzung innerhalb einer Gesellschaft und zur Formulierung von Dissidenz dient. Das T-Shirt, »auf dem was draufsteht« (Z. 5) – etwa ein identitätsverbürgender Slogan oder Bandname – baut, so das lyrische Ich, »eine Mauer um mich herum« (Z. 6).152 Das T-Shirt dient dem lyrischen Ich dazu, sich metaphorisch einzumauern und gegenüber dem Außen abzugrenzen. Zudem entsteht durch das Bild der Mauer eine Äquivalenz zu dem in Zeile 1 erwähnten, »schwer« wiegenden Lied, das in Zeile 4 auch direkt mit dem T-Shirt verglichen wird. Jörg Metelmann sieht hierin analog zum Titel des Albums eine »Bildwelt des Maschinenzeitalters« (2002: 32) und konstatiert, ausgehend vom Mauer-Motiv, dass die Abgrenzung des Ich »als Bauvorhaben in Auftrag gegeben« (ebd.) werde. Damit sieht Metelmann, so muss man seine Aussage wohl verstehen, beim lyrischen Ich eine Art »Bastelexistenz« (Hitzler/Honer 1994) am Werk, deren Identität sich nicht nur vorläufig, sondern auch im Verweis auf externe Referenzpunkte konstituiert. Der Begriff »Bastelexistenz« wurde von den Soziologen Ronald Hitzler und Anne Honer geprägt. Zur Vorläufigkeit der Identitätskonstruktion bemerken die Autoren, der von ihnen entworfene Typus des »Sinnbastler[s]« (1994: 310) sei gezwungen, »zwischen den Angeboten zu wählen, sich sein individuelles […] Lebensstil-Paket zusammenzustellen bzw. sich zwischen den vor- und zuhandenen Alternativen (stets: bis auf weiteres) zugunsten einer Sinn-Heimat zu entscheiden.« (Ebd.: 311) Weiterhin könne der Sinnbastler im Zuge der Vorläufigkeit Mitgliedschaften an verschiedensten Gruppierungen, Gruppen und Gemeinschaften erwerben und wieder aufgeben. Er kann, zumindest prinzipiell, seine Arbeit, seinen Beruf, seine Vereins-, Partei- und Religionszugehörigkeiten wechseln. Er kann umziehen, sich scheiden lassen und in immer neuen Familien-Konstellationen leben. Er kann seine Habe vermehren, verkaufen und verschleudern. Er kann sich subkulturelle 152 Im Hamburger-Schule-Umfeld sorgten zur Entstehungszeit Band-T-Shirts mit der Aufschrift »Halt’s Maul Deutschland« (Kolossale Jugend) oder »Absolut nicht frei« (Ostzonensuppenwürfelmachenkrebs) für Aufsehen. Weniger durch Dissidenz, sondern eher durch Affirmation grenzt sich dagegen die Figur Nigel in Christan Krachts 1995 erschienenem Roman »Faserland« selbst aus: Nigel, so beschreibt der Ich-Erzähler seinen Freund, »trägt irgendwelche T-Shirts, auf denen das Logo einer Firma steht, ich meine, so richtige Firmen wie Esso oder Ariel Ultra oder Milka. […] [Er hat] mir erklärt, daß das die größte aller Provokationen sei, T-Shirts mit den Namen bekannter Firmen drauf zu tragen. Wen will er denn provozieren damit, habe ich ihn damals gefragt, und er hat gesagt: Linke, Nazis, Ökos, Intellektuelle, Busfahrer, einfach alle.« (Kracht 1997: 27).
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Stile aneignen in Habitus, Kleidung, Sprache, Sexualverhalten – oder worin auch sonst immer. Er kann sein Selbstverständnis ändern, und er kann sich neue Images zulegen. (Ebd.)
Auch reflektieren Hitzler und Honer die Zusammengesetztheit von Identität. Im folgenden Passus stellen sie die Ähnlichkeit des Bastelns an einer Existenz mit der Arbeit an einem ästhetischen Produkt heraus, sodass der zitierte Textabschnitt fast schon einer Beschreibung der Poetik Blumfelds gleichkommt – insbesondere der intertextuellen Collage-Technik, wie sie nach »Ich-Maschine« noch stärker auf »L’Etat et Moi« erkennbar wird: Typisch für den individualisierten Menschen ist […], daß er im Alltag ständig von Gruppenorientierung zu Gruppenorientierung wechselt, daß er bei den meisten Umorientierungen in neue soziale Rollen schlüpft, daß er in jeder dieser Rollen nur einen Teil seiner persönlichen Identität aktualisiert und thematisiert und daß dieses Sinnbasteln ästhetisch überformt werden, daß es Stil-Kriterien folgen kann. Das individuelle Sinnbasteln des individualisierten Menschen hat – gelingenderweise – folglich stets etwas von einem Patchwork bzw. von einer Collage, von jenem ästhetisch-technischen Verfahren also, diverse Sujets zu einem neuen Assoziationsraum zusammenzuschließen. (Ebd.)
Weiterhin sprechen Hitzler und Honer davon, dass der Sinnbastler »einem Vagabunden (oder allenfalls einem Nomaden) auf der Suche nach geistiger und gefühlsmäßiger Heimat [ähnelt]. Sein Tages- und Lebenslauf ist gleichsam eine unstete und manchmal auch unsichere Wanderung, die er durch eine Vielzahl von Sinnprovinzen unternimmt« (ebd.: 311f.). Diese Wanderung durch die Sinnprovinzen kann als Schema der zuvor so bezeichneten Reise durch die Kontexte des lyrischen Ichs in »Ghettowelt« angenommen werden. Metelmann betont in Übereinstimmung mit Hitzlers und Honers Metapher des Bastlers, dass die in »Ghettowelt« vollzogene Abgrenzung vom Außen einer aktiven Handlung gleichkommt: Im »Um-Bau (im wahrsten Wortsinn) des Ich« (Metelmann 2002: 32) und einer daraus resultierenden »Isolierung von der verhaßten Umwelt« (ebd.) wird es nicht nur ausgegrenzt, sondern erzeugt auch seine Identität in der Differenz zur Umwelt. Der aktive Versuch einer Subjektkonstitution geht trotz Isolierung doch in Bezugnahme auf das Außen vonstatten. Im Zuge der grammatikalischen Uneindeutigkeiten handelt es sich hier nur um eine mögliche Lesart, nach der das T-Shirt metaphorisch eine Mauer um das lyrische Ich herum bildet. Syntaktisch kann nicht abschließend bestimmt werden, ob das T-Shirt, indem es in Zeile 4 zum Subjekt des Satzes wird, oder »Ein Lied mehr« (Z. 1) für die Mauererrichtung verantwortlich ist. Der gesamte Text zwischen »Ein Lied mehr« (Z. 1) und »baut eine Mauer um mich herum« (Z. 6) würde dann als Parenthese fungieren. Durch die unmittelbare Nähe der Satzteile
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erscheint das T-Shirt als grammatisches Subjekt des Satzes naheliegender, zumal das »Lied« (Z. 1) vorher mit der Bestimmung »das wiegt schwer« (Z. 4) eine Verbalphrase erhält und der erste Satz des Textes somit als vollständig gelten kann (was freilich keine Notwendigkeit für Pop-Lyrics darstellt).153 Beide Lesarten verorten den Song gleichermaßen in einer popkulturellen Sphäre: Zum einen suggeriert das lyrische Ich, dass es sich schlicht um »ein Lied mehr« unter vielen handelt, das als Wiederholung des Immergleichen eher Mauern errichtet oder aufrechterhält, als dass es Perspektiven eröffnet. Zum anderen wird dadurch, dass die Repräsentation der Subkultur durch ein gelabeltes T-Shirt erfolgt, die marktwirtschaftliche Bedingtheit auch der Gegengesellschaft herausgestellt.154 Diese besitzt somit nicht nur die Qualitäten eines emanzipatorischen Freiraums, sondern ähnelt einem auch marktwirtschaftlich ›eingemauerten‹ Bereich. Geht man von einem der Popkultur inhärenten Status als warenförmiger Unterhaltungskunst aus, so erhält sie hier eine fast schon bedrohliche Konnotation, denn als billiger Massenartikel wiegt das T-Shirt paradoxerweise doch »schwer« (Z. 4), indem ihm schwerwiegende Konsequenzen im Identitätsbildungsprozess zukommen. So bemerkt Christian Schlösser, das »Identifikationsangebot ›Text auf T-Shirt‹« führe »als Fixierungsversuch einer Bedeutung zur Erstarrung« (2007: 506).155 Wenn ein beschriftetes bzw. gelabeltes T-Shirt die Kraft besitzt, Mauern zu errichten, so ließe sich mit der Metaphorik des Songs argumentieren, dann wird Popkultur als ausdifferenzierte und – im Zuge der Identitätsbildung des lyrischen Ichs – als wirkungsmächtige Welt der Zeichen 153 Auch könnte die Beschriftung des T-Shirts »Baut eine Mauer um mich herum« (als Imperativ) lauten oder der Satz könnte als eigenständiger Slogan (ohne Bezug auf »Lied« oder »T-Shirt«) geäußert werden. 154 Markus Buschhaus diskutiert das Motiv Che Guevara im Kontext der Popularisierung politischer Symbole und spricht in Bezug auf das T-Shirt als Bildträger vom »Inbegriff des vestimentär Populären auch und gerade im Sinne des Pop« (2010: 201). 155 Martin Rehfeldt beschreibt den Identifikationsprozess eines Fans mit einer Rockband. Dieser komme unter anderem dadurch zum Ausdruck, »dass der Fan seiner Umwelt durch das Tragen von Band-T-Shirts, durch Aufnäher, Buttons oder auch durch Tätowierungen mitteilt, dass er Fan der Band ist. Das Fan-Sein ist ein zentraler Bestandteil seines Selbstbildes, Rock wird als Lebensstil begriffen, und von der Band wird entsprechend erwartet, dass sie Rock nicht nur spielt, sondern auch lebt. Aus dieser Auffassung ergibt sich auch, dass Songtexte nur im Falle sehr deutlicher darauf hinweisender Textsignale als uneigentliches Sprechen, etwa als Rollenrede oder Ironie aufgefasst werden, in der Regel aber entweder als unmittelbar autobiographisch oder zumindest als Ausdruck der Befindlichkeit des Verfassers. Dass Fans ›ihrer‹ Band häufig die Rolle eines Sprachrohrs zuschreiben, wird u. a. daran ersichtlich, dass einzelne Textzeilen, häufig der Refrain eines Songs, auf Jacken oder Rucksäcke geschrieben werden, womit sich der Fan die Worte der Band zu eigen macht, um seiner Umgebung etwas über sich selbst mitzuteilen.« (2007: 479) Problematisch erscheint mir hier die Opposition von Identifikation und uneigentlichem Sprechen wie auch die insgesamt etwas holzschnittartige Darstellung eines Rock-Fans.
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verhandelt. Allerdings lädt dieser Zeichenkosmos nicht nur zu einem lustbetonten Spiel mit einer Vielfalt an Semiosemöglichkeiten ein, sondern gerät zu einer starren, durch Mauern abgrenzenden und eingrenzenden »Ghettowelt«. Die Kombination von popkultureller Leichtigkeit mit dem Attribut »schwer« mag zunächst überraschend erscheinen, sie bildet aber im Werkkontext Blumfelds einen gängigen Topos. So lässt sie sich auch im Titel von Jochen Distelmeyers Soloalbum »Heavy« (2009) in Kombination mit dessen Covergestaltung entdecken. Auf dem Cover ist Distelmeyer vor hellblauem Hintergrund im weißen Oberhemd mit Kaugummiblase zu sehen (Abb. 12). Visuell wird, gerade auch mit dem paradigmatischen Bubble Gum (Bubblegum-Pop)156 die Repräsentation des leicht Konsumier- und Verformbaren aufgerufen – ein Versprechen, das vom Album »Heavy« zwar vielfach eingelöst wird, was aber im werkgeschichtlichen Kontext von Blumfeld auch für Irritationen sorgte.157 Tobias Rapp spricht in einer Spiegel-Rezension denn auch von der »Liebe zur Mehrdeutigkeit« (2009: 160), die »alle Bands der sogenannten Hamburger Schule« (ebd.) teilten und die eine Erklärung für die Nebenordnung von Schwerem und Leichtem liefert.158 Eben diese leichte Konsumierbarkeit erklärt Jost Hermand in einer Studie von 1971 noch zum Definitionskriterium von Pop, einem Begriff, unter dem man sich vieles vorstellen könne: Popular, Popcorn, Popping up, Poppies, Boston Pops, Popsicles, Popeye, Ginger Pop, Lollypop, das heißt alles, was knallt, platzt, wohlig aufstößt, Freude macht, süß schmeckt, sich lutschen läßt, Pep hat, eingängig wirkt und damit die nötige PopPularity erreichen kann. […] Pop ist das Weltzugewandte, Positive, Profitversprechende, Reklamewirksame, Kandyhafte und Leichtabsetzbare. Pop ist ein glorified Hamburger: ›The friendly food. You’ll like it, it likes you‹. (Hermand 1971: 13, Herv. T.H.)159
Auffällig sind hier die von mir kursiv gesetzten Bezüge zu Lebensmitteln und Süßigkeiten, die eine eher körperlich-sinnliche denn geistige Rezeption popästhetischer Erzeugnisse angemessen erscheinen lassen, oder, wie Hermand ergänzt: »Statt also wie bisher dem Künstlerisch-Erlesenen nachzustreben, verteidigten diese Kreise [die Anhänger des Pop, Anm. T.H.] gerade das Banale, Billige 156 Vgl. auch Rapp (2009: 160). Das Distelmeyer-Coverdesign wird auf einem Cover der Zeitschrift Texte zur Kunst (März 2014) mit dem Themenschwerpunkt »Spekulation« (das Kaugummi verweist auf die ›Spekulationsblase‹) aufgegriffen (Abb. 13). 157 Vgl. hierzu Kämmerlings (2009: 39). 158 In Abschnitt 1 des ersten Kapitels der vorliegenden Studie wurde bereits Blumfelds Video zu »Tics« diskutiert, in dem die Blumfeld-Mitglieder als Knetfiguren auftreten und so von sich aus mit dem ›Weicherwerden‹ der Band und der vermeintlichen ›Verformbarkeit‹ kokettieren (vgl. Dallach/Höbel 2006). 159 Vgl. auch Hermand (1979: 280).
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Abb. 12: Plattencover »Heavy« von Jochen Distelmeyer.
und maschinenmäßig Hergestellte, das sich ohne großen seelischen Aufwand auf der Stelle konsumieren läßt.« (Ebd.: 15) Für die Gegner des Pop sei »das Ganze einfach nicht gewichtig genug, um sich in eine ernsthafte Diskussion darüber einzulassen.« (Ebd: 5, Herv. T.H.) In der diachronen Perspektive wird also deutlich, wie ein Paradigma des leicht Konsumierbaren in Verbindung mit Pop zwar weiterhin präsent ist, popästhetische Erzeugnisse aber, wenn dieses Paradigma wie im Fall von Blumfeld bzw. Distelmeyer auf sekundaristischer Ebene thematisiert wird, zunehmend mehr ›seelischen Aufwand‹ bei der Interpretation ihrer Zeichen erfordern. Pop erfährt hier eine Ausdifferenzierung, dahingehend, dass das Bubble-Gum-Paradigma nicht mehr allein mit einer körperlich-sinnlichen Konnotation in Verbindung gebracht wird, sondern im Gegenteil – wie in den zuvor erwähnten Beispielen (»Ghettowelt«, »Heavy«) – durchaus komplexe Kombinationen von ›leichtem Pop‹ und ›Gewichtigkeit‹ möglich sind und so ein neues Paradigma bilden, das sich als Diskurspop bezeichnen lässt. Im Sinne der von Diederichsen konstatierten »Attacke gegen die Ablenkung durch Pop« (1992: 67), die eben auch eine Kritik an subkulturellen Spielformen
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Abb. 13: Cover von Texte zur Kunst, Ausgabe 93, März 2014.
des Pop einschließt, wird in den Zeilen 1–12 der Jugendkultur-Zugehörigkeit sowie der erfolgreichen gegenkulturellen Aneignung der Insignien des Pop eine Absage erteilt. Dem Aufbegehren der Jugendkultur folgen Stillstand und Ernüchterung, denn, so erkennt das lyrische Ich, marktwirtschaftliche Mechanismen wie Standardisierung (»Ein Lied mehr«, Z. 1) bleiben auch in diesem Milieu unhintergehbar, während sich starre Ordnungssysteme formieren (»und wieder nur alles geordnet ist«, Z. 11, 12), aus denen auch die beschriebene Bewegung mit ihrem widerständigen und emanzipatorischen Anspruch keinen Ausweg (»weg von hier«, Z. 3) bietet. So formulieren diese ersten zwölf Zeilen des Songs den nicht eingelösten Anspruch auf einen Zustand jenseits des beschriebenen Szenarios des Pop und außerhalb seiner medialen Vermittlung, denn gerade das Lied in seiner Medialität lasse einen eben nicht »dahin […], wo Du hinwillst« (Z. 2). In diesem Abschnitt des Songs wird die Pop-Welt, die als Referenzsystem dient, weniger mit popkulturell inhärenten Verfahren wie beispielsweise der
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Nennung von Markennamen, sondern eher auf eine deskriptive, analytische und damit distanzierte Art und Weise reflektiert. Blumfeld arbeiten bei diesem Verfahren mit umständlichen Relativsätzen: Das T-Shirt, »auf dem was draufsteht« (Z. 4), unterscheidet sich in seiner Abstraktion maßgeblich vom emphatischeren Pop-Verfahren des Songwriters Tilmann Rossmy, dessen Soloalben wie auch diejenigen seiner Band »Die Regierung« bei L’Age D’Or erschienen und insgesamt eine gewisse Nähe zur Hamburger Schule aufweisen. Wenn Rossmy in dem gleichnamigen Song über ein »Bodycount T-Shirt« (1996) singt, referiert er namentlich und konkret auf die Pop-Welt und verrät dem Hörer im Unterschied zu Blumfeld, was auf dem von ihm besungenen T-Shirt draufsteht. In diesem Sinne werden in der Hamburger Schule häufig Elemente integriert, die der Popmusik traditionell fremd sind. Sie tragen dazu bei, den kulturellen Kontext zu markieren, in dem Popmusik in Deutschland entsteht. Baßler weist darauf hin, dass Popmusik typischerweise »die Medien-, Marken- und Konsumkultur, deren Teil sie ist, kaum in ihre Texte [inkorporiert]«, das Vokabular dieser Kultur wirke in ihr »als Fremdkörper« (2011: 368). Ebendiese traditionell ausbleibende Reflexion des Entstehungskontextes in der Popmusik machen sich viele der Hamburger-Schule-Bands in ihrem Textverfahren zu eigen, denn hier kommt es häufig zu prominenten Verweisen auf befreundete oder bewunderte Bands, deren Nennungen wie Fremdkörper im oben erwähnten Sinne wirken. Wenn es in einem späteren Werk von Blumfeld heißt: »Anders als glücklich / hat Kristof Schreuf gesagt« (2001: »Anders als glücklich«) findet beispielsweise der unmittelbare Nachweis eines Zitats der Hamburger Band Brüllen statt, dessen Sänger Kristof Schreuf die Zeile »Ich fühle mich anders als glücklich« (Brüllen 1997: »Chonosen ohne Boss«) zuvor in einem Song äußerte. Auf Tocotronics Alben fungieren die Band Team Dresch oder der The-FallSänger Mark E. Smith als Bestandteile von Songtiteln (Tocotronic 1996: »Ich habe geträumt, ich wäre Pizza essen mit Mark E. Smith«, »Die Sache mit der Team Dresch Platte«). In »Es Ist Einfach Rockmusik« (Tocotronic 1995c) wird mit »Monster Magnet«, »Led Zep[pelin]«, »H.P. Zinker«, »Abwärts«, »Slime«, »Frumpy«, »Kiss« und »Blumfeld« katalogartig auf acht deutsche und internationale Bands verwiesen. Eine solche Nennung anderer Pop-Bands ruft einen Fremdheitseffekt hervor und betont die ›Unnatürlichkeit‹ deutschsprachiger im Gegensatz zu angloamerikanischer Popmusik (Vgl. Schneider 2008: 223). Zudem erfolgt sie im popmusikalischen Kontext unter ironischer Vorbehaltlichkeit – ein Verfahren, das Baßler im Anschluss an Michail M. Bachtin zunächst in Bezug auf Markennamen feststellt: Die Komik, die durch die Nennung von Marken im deutschen Pop entsteht, ist Resultat einer Differenz, Effekt einer Heteroglossie. Die Markennamen wirken wie aus einer
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anderen Sphäre hereinzitiert und verbleiben im neuen Kontext zunächst auffällig, wie in einfache Anführungszeichen gesetzt. (2011: 366)
Dies lässt sich auch für die oben angeführten Beispiele mit ihren Band- und Künstlernennungen konstatieren. Die hier genannten Bands fungieren wie Markennamen: »Wenn […] Popmusik eine Ware ist, sind Bands die Marken.« (Ebd.: 377) Entsprechend wird in der Hamburger Schule auch immer wieder auf das Leben in der Konsumkultur verwiesen, wenn es beispielsweise bei Tocotronic heißt: »Lade sie zum Eis ein / Straciatella oder Nuss« (1995b: »Die Idee ist gut, doch die Welt noch nicht bereit«) oder weniger affirmativ : »Gitarrenhändler, Ihr seid Doofmänner / Gitarrenhändler, Eure Fressen gefallen mir nicht / Ihr erzählt mir was von wegen Hamburg rockt / und hinterrücks habt Ihr mich / wieder abgezockt« (Tocotronic 1995b: »Hamburg rockt«). Bei den Sternen findet sich als Songtitel eine Ortsangabe wie »Baustoffhandel, 1. Stock« (1993), und bei Tocotronic verweist man mit »Du und Deine Welt« (Tocotronic 1997) auf die gleichnamige Hamburger Freizeitmesse, ohne dass dies Thema des Songs wäre. Hinsichtlich eigentlicher Markennamen wäre allerdings Baßler zuzustimmen, wenn er feststellt: »Der Normalfall bleibt […] der Popsong ohne Markennamen. Die ›Hamburger Schule‹ erschließt zwar neues Vokabular für die Popmusik, aber nicht dieses.« (2011: 371) In Blumfelds »Ghettowelt« werden die oben aufgezeigten, vergleichsweise emphatischen Pop-Verfahren (Rossmy, Tocotronic) dagegen konsequent vermieden, womit die Band ihre Verankerung in der Popkultur keinesfalls leugnet, diese aber im Sinne einer distanzierten, unironischen, kritischen und analytischen Bezugnahme markiert. In einer Auseinandersetzung mit der gemeinsamen ›provinziellen‹ Herkunft der ehemalig befreundeten Musiker Bernd Begemann und Jochen Distelmeyer bemerkt Baßler im Vergleich der Alben »Rezession, Baby!« (Begemann 1993) und »Ich-Maschine« (Blumfeld 1992a), dass die auf Begemanns Album reichlich vorhandenen Alltagskonkreta bei Blumfeld »durch Abstraktionen und intertextuelle Verweise ersetzt [werden]; Patti Smith, Kafka und Adorno setzen die Maßstäbe. Die Abnabelung vom Vorbild Begemann ist unübersehbar.« (Baßler 2008: 105) Als Gemeinsamkeit nennt Baßler allerdings die »Ich-Lyrik« (ebd.: 104), die in der Tat im Kontext der Hamburger Schule eine Konstante bildete, wohingegen verbaltextlich in einem Spektrum variiert wurde zwischen starker Abstraktion (Blumfeld 1991, 1992a, 1992b, 1992c, 1994; Brüllen 1997; Cpt. Kirk & . 1991, 1992; Die Sterne 1993, 1994, 1996, 1997; Kolossale Jugend 1989, 1990; Ostzonensuppenwürfelmachenkrebs 1998) und alltagsbezogener Konkretion (Huah! 1990, 1992; Rossmy 1996; Tocotronic 1994, 1995a, 1995b, 1995c, 1995d, 1995e, 1996, 1997).160 160 Cpt. Kirk & . (1986) und Ostzonensuppenwürfelmachenkrebs (1990, 1992, 1994) scheinen
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Insgesamt wird der Diskurs über Pop- und Jugendkultur bei Blumfeld differenzierter, engagierter und weniger selbstironisch als etwa bei Tocotronic in Songs wie »Ich Bin Neu In Der Hamburger Schule« (1995c) geführt.161 Gerade dieser Song könnte zwar als Reaktion gegen ein »Schubladendenken« (Seiler 2010: 188) im Zuge des zu emphatischen Gebrauchs des Begriffs »Hamburger Schule« gelesen werden, doch dominiert hier der eher spielerische und humoristische Umgang mit dem medialen Diskurs.162 Auch wenn in beiden Fällen die für den Diskursrock typische Reflexion der Rahmenbedingungen und Produktionsverhältnisse stattfindet, sieht sich das lyrische Ich in »Ghettowelt« zwar als Teil einer jugendkulturellen Gruppe, es distanziert sich aber in anderer Art und Weise von ihr als Tocotronic es tun. Hier begegnet man ihr nicht mit Ironie, sondern mit aufrichtiger Kritik, die sich beispielsweise dadurch äußert, dass das lyrische Ich der Bewegung jegliches emanzipatorische Potenzial abspricht. Anstelle der für Tocotronic (wenigstens bis zum Album »K.O.O.K«) charakteristischen »Mischung aus Naivität und Thomas Bernhard’schen Hasstiraden« (ebd.), die durchaus auch als widerständige Haltung verstanden werden können, findet sich in »Ghettowelt« eine differenzierte und im Vergleich zu Tocotronic geradezu engagierte Kritik. In der Dialektik von »Ghettowelt« erkennt das Ich auch in der Subkultur, die sich als Reaktion auf eine Mainstream-Kultur herausbildet, nur eine neue Ghettowelt, die, von Mauern umgeben (Z. 6, 7), einem starren Ordnungssystem gleichkommt (Z. 11, 12). Die dissidente Jugend- bzw. Subkultur erscheint in den Zeilen 8–12 als »Ein falscher Freund mehr«, wobei nicht eindeutig zu bestimmen ist, ob es sich beim »falschen Freund« um Subkultur als Abstraktum, um das TShirt in metonymischer Funktion oder um eine Figur der Eingemauerten als Repräsentant der Subkultur handelt. Die folgenschwere Identifikation mit dem »falschen Freund« wird von Jochen Distelmeyer in einem Interview expliziert: Dieser Satz von Adorno, daß jede Form von Gesellschaft bedeutet, daß sie nicht nur ihre Mitglieder beschlagnahmt, sondern auch nach ihrem Bild erschafft, lässt sich auf alle Arten von Communities übertragen. Die Menschen haben ja auch ein Interesse daran, zu Ebenbildern eines bestimmten Gesellschaftsbildes zu werden, um so was wie Zuwendung zu bekommen. Das hast du auch in der Hafenstraße, solche Strukturen siehst mir wegen ihrer dominanten Englischsprachigkeit oder reinen Instrumentalität für die Aufzählung nicht relevant zu sein. Diese Verfahren mögen im Kontext der Hamburger Schule bzw. der zeitgenössischen deutschsprachigen Strömungen an sich schon eine Abstraktion implizieren, die aber nicht über die Semantik des Verbaltextes hergestellt werden kann. 161 Vgl. hierzu Mischke (2008: 297). 162 Seiler bezeichnet die Konzeption des Songs als »Wechselwirkung zwischen den Musikern und dem Musikjournalismus bzw. der Musikkritik«, bei der »ein theoretischer Überbau […] aufgrund der Rezeption durch die einschlägigen Medien mitkonstruiert wurde« (2010: 189).
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du bei komplexen Zusammenhängen von 500 Leuten ebenso wie bei einem Sozialmodell von Zweien. Das will ich beschreiben, da will ich ausbrechen. Die Erklärung von Privatismen sind [sic] notwendig zum Begreifen des Politischen. (Zabel 1992: 42)
Die Anführung des Zitats soll nicht dazu dienen, eine mögliche Autorintention zu ermitteln, stattdessen soll ein (synchroner) historischer Rezipient rekonstruiert werden, für den die Passage einen weiteren Text in der übergreifenden medialen Inszenierung Blumfelds darstellt – das Interview und der Song »Ghettowelt« erschienen ungefähr zeitgleich, wurden also synchron rezipiert und nehmen gegenseitig im Semioseprozess aufeinander Bezug. Distelmeyer bezieht sich trotz der inhaltlichen Nähe nicht direkt auf den Song »Ghettowelt«. Vielmehr steht seine Bemerkung im Zusammenhang mit dem frühen Hamburger-Schule-Umfeld, auf das Sebastian Zabel, der Autor des Interview-Artikels, unmittelbar vorher zu sprechen kommt: Blumfeld sehen sich in einem Zusammenhang mit anderen Musikern, Schreibern, Aktivisten. Die Bands Mutter, Brüllen, Cptn. Kirk & [sic], Eisenvater, Huah [sic] und Blumfeld bilden eine Art lose Assoziation: die teils gewerkschaftliche (man informiert sich gegenseitig über Auftrittsbedingungen und Gagen, veranstaltet gemeinsame Konzerte, um mehr Leute zu erreichen), teils ideelle Züge hat. (Ebd.)
Daraufhin kommen Distelmeyer, Schlagzeuger Andre Rattay und Bassist Eike Bohlken auf »Communites« im weitesten Sinne zu sprechen. Distelmeyer beschreibt im oben angeführten Zitat ein dichterisches Anliegen, sich durch Beschreibung von »Strukturen« zu emanzipieren, die einer »beschlagnahmenden« Tendenz zur Vergesellschaftung unterliegen. Es bleibt dabei unklar, auf welchen Satz von Adorno sich Distelmeyer bezieht, doch scheint er im Zusammenhang mit Adornos Theorie des Individuums über das »Gegenbild der gelungenen Vermittlung von individuellem und allgemeinem Interesse« (Schweppenhäuser 2005: 80) zu sprechen, über eine »total vergesellschaftete Gesellschaft« (ebd.), die ein autonomes Subjekt durch ihre Identitätszwänge gefährdet (vgl. Knapp 1980: 63). Im postmodernen Identitätsdiskurs, der in »Ghettowelt« im Sinne einer Bastelexistenz thematisiert wird, kommt es dagegen zu einer Verabschiedung des in der Kritischen Theorie vorausgesetzten Verblendungszusammenhangs – zumindest erscheint dieser nicht mehr in seiner Totalität gültig zu sein. Eine emanzipatorische »Tür« (Z. 28) bleibt in »Ghettowelt« als Metapher vorhanden und signalisiert ein Außen der Vergesellschaftung. So wird die Band Blumfeld der Tatsache gerecht, dass individuelle Identitäten in kollektiven Identitäten nicht vollständig aufgehen können. Unter diesen Vorzeichen lassen sich, so der Literaturwissenschaftler Paul Michael Lützeler, »Identitäten von Gruppen […] durch Manifeste, Erklärungen, Programme bestimmen, aber die Summe der Identitäten jener Individuen, die sich zu ihnen bekennen, addiert sich nicht zum Ergebnis einer abstrakt definierten kollektiven Identität.« (1998: 908) Jede in-
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dividuelle Identität sei »so komplex, zum Teil auch in sich widersprüchlich und vielgestaltig angelegt, daß sie gegenüber theoretisch fixierbaren Kollektividentitäten immer einen Mehrwert, einen Überschuß, einen nicht faßbaren Rest und damit eine kritische Potentialität in sich birgt« (ebd.). Auf dieses kritische Potenzial verweist wohl auch Distelmeyer, wenn er von einer gesellschaftlichen Beschlagnahmung spricht, gleichwohl erkennt er das identifikatorische Potenzial seiner Antagonisten an, wenn er die Sehnsucht, »zu Ebenbildern eines bestimmten Gesellschaftsbildes zu werden«, erwähnt. Hier handelt es sich nämlich um Identifikationsangebote, die auch in »Ghettowelt« als Verlockungen beschrieben, vom lyrischen Ich aber letztlich als »falsche Freunde« entlarvt werden – auch die Formulierung ›Ein Lied mehr‹ deutet ja in diesem Sinne, wie wir schon zuvor konstatiert haben, auf das nicht eingelöste Glücksversprechen des Pop hin. Dennoch dringt der Staat bzw. eine repressive Form von Vergesellschaftung nicht in alle Bereiche des Lebens vor, es besteht immer noch die leise Möglichkeit eines richtigen Lebens im falschen – so ließe sich Blumfelds These paraphrasieren und mit Adornos Diktum kontextualisieren. Distelmeyer beschreibt die Poetik seiner eigenen Band in der zuvor angeführten Passage als Versuch eines Ausbruchs aus den gängigen Sozialmodellen mit den Mitteln ihrer sprachlichen Beschreibung – immer in Kombination mit einer Musik, die auf ähnliche Weise aus gängigen Klischees ausbricht und sich dennoch mit ihnen ästhetisch produktiv auseinandersetzt. Da es sich bei den ersten beiden Blumfeld-Alben insbesondere um eine Auseinandersetzung mit dem Kontext des (Indie-)Rock handelt, lässt sich als Intertext die 1992 erschienene, von den angloamerikanischen Cultural Studies geprägte Schrift We Gotta Get out of this Place: Popular Conservatism and Popular Culture des Kommunikationswissenschaftlers Lawrence Grossberg anführen, die auch im Umfeld der ›pop-linken‹ Spex-Autoren in Deutschland intensiv rezipiert wurde (vgl. Holert/Terkessidis 1996a). Grossbergs Text behandelt das Verhältnis konservativer politischer und religiöser Strömungen in den USA zur Populärkultur, insbesondere zur Rockmusik. Nach Ansicht des Autors sei es in den 1980er und frühen 1990er Jahren zu einer Appropriation der »rock formation« (Grossberg 1992: 132) durch konservative Kräfte gekommen, wodurch die ehemalig oppositionellen und bisweilen rebellischen Qualitäten des Rock in die »dominant mainstream culture« (ebd.: 9) integriert worden seien. Mit dem Begriff »rock formation« will der Autor auf die diskursive Bedingtheit von Rock aufmerksam machen. Demnach handelt es sich hier um eine ideologisch variable Leerformel, die nicht essentiell bestimmbar sei, sich nicht durch musikalische Kriterien definieren lasse und sich nicht in einer Verbindung von Musik und Lyrics, warenförmiger Produktion und Konsumfähigkeit erschöpfe (vgl. ebd.: 131). Kurioserweise lassen sich allein schon am Äußeren des Bandes einige Pa-
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rallelen zu »Ghettowelt« erkennen: Sein Titel163 bildet eine Äquivalenz zu dem vom lyrischen Ich imaginierten Ausweg aus der Ghettowelt in der Zeile »weg von hier« (Z. 3). Darüber hinaus zeigt das Coverdesign von Trudi Gershenov ein abstrahiertes und in Schwarz gehaltenes Zimmer mit einer geschlossenen, rot markierten Tür (Abb. 14), womit ein möglicher Ausweg auf ähnliche Weise metaphorisch dargestellt wird wie in »Ghettowelt« (Z. 28–31). Wie in dem Blumfeld-Song wird auf dem Cover von Grossbergs Band nicht erkennbar, was hinter der Tür liegen könnte. Er beschreibt in seinem Text aber den Ort, aus dem ausgebrochen werden soll: In a way, rock is always trying to escape the prison of its own everyday life, although it never understands what is on the »other side«, as it were, or even that there is another side. It never faces the realities of another realm of economic and political power. Instead, rock is constantly seeking to transcend the specific configuration of everyday life, the specific forms of repetition, mundanity and triviality characterizing the everyday life in which it finds itself imprisoned. […] It dreams, so to speak, of a life outside of everyday life, but its lines of flight are unable to escape the territories of its own territorializing machines. (Grossberg 1992: 155)
Mit dem Begriff »everyday life« bezeichnet Grossberg im Anschluss an Henri Lefebvre eine durch kapitalistische Wirtschaftsordnung und »mass popular culture« (ebd.: 149) geprägte Alltagserfahrung, in der alle Lebensbereiche kommodifiziert sind und die sich durch Langeweile, Routine, Redundanz und Wiederholung sowie die Eliminierung jeglicher Transzendenz-Prinzipien auszeichnet (vgl. ebd.). Bei Rock handle es sich dabei um den Musikstil, der von denjenigen produziert und rezipiert werde, die diese Alltagserfahrung teilen (vgl. ebd.: 155). Es gehe beim Rock letztlich immer um »the possibility of transcending the specific configuration of everyday life within which it is active« (ebd.); eines seiner Merkmale bestehe darin, »to place itself outside of the mainstream and of everyday life, even as it is trapped within both« (ebd.). Hinzu kommt, dass Rock aus Grossbergs Sicht nur sehr unausgeprägt die Fähigkeit besitze, politische, gesellschaftliche und wirtschaftliche Gegenstände jenseits ihrer Manifestation im Modus des »everyday life« zu thematisieren: rock could only rarely address questions of politics, society or economics directly ; its politics were often determined by those moments when political realities impinge upon its everyday life (e. g., the draft rather than the fact of a genocidal war being waged against the Vietnamese) or when they can be reduced to a question of everyday life (e. g., rock can protest the suffering of Blacks under apartheid, but it cannot ac163 Bei »We Gotta Get out of this Place« handelt es sich um ein Zitat des gleichlautenden Songtitels der Animals (vgl. Grossberg 1992: 1).
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Abb. 14: Buchcover von »We Gotta Get Out of This Place« von Lawrence Grossberg.
knowledge the international political economic system which sustains apartheid and a multitude of other repressive regimes). (Ebd.: 151)
Auch wenn der von Grossberg benannte Ausweg in »Ghettowelt« zum Thema wird, erhebt der von Blumfeld postulierte Rock-Entwurf nur bedingt den Anspruch auf Transzendenz, denn es wird ja gerade ein von bestimmten politischen, sozialen und wirtschaftlichen Verhältnissen geprägter Alltag figuriert, wenn auch im Modus der Abstraktion. Im Diskursrock wird mit den von Grossberg aufgezeigten Kennzeichen des Rock gebrochen, denn hier positioniert sich das lyrische Ich emphatisch in einem Alltag unter bestimmten politischen Verhältnissen, es wendet sich sowohl dem politischen Außen als auch einem distinktiven Produktionskontext zu. Ferner macht es auf analytische Art und Weise seine psychische Verfassung zum Thema. An die Stelle der ›eska-
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pistischen‹ Tendenzen des Rock tritt eine kritische Auseinandersetzung mit dem Alltag. Wenn Grossberg in seinem Text eine Verbindung von Rock und Rap bzw. HipHop164 herstellt, geschieht dies in einer Opposition von politischem Realismus (HipHop) und Sentimentalität (Rock) (vgl. Grossberg 1992: 152). Akteure und lyrisches Ich im HipHop stehen als Ausgegrenzte außerhalb des »everyday life« – nicht unbedingt biographisch, so betont Grossberg, sondern als Effekt der Musik, d. h. als Bestandteil des ästhetischen Verfahrens (vgl. ebd.: 151, 155). Dadurch komme es fortwährend zu einer Konfrontation mit »the realities of politics and economics« (ebd.: 152), die das HipHop-Verfahren letztlich konstituiere: »Rap is perhaps the only place in contemporary popular music where politics is and must be constantly marked. This necessity is formally reproduced, since the words are both the source of the rhythm and the site of the politics of rap« (ebd.). Im Zuge der ihm inhärenten Sentimentalität werde im Rock dagegen versucht, das »everyday life« durch Ästhetisierung und Mythologisierung zu transzendieren. In Bezug auf »Ghettowelt« wird deutlich, dass die Band Blumfeld sich hier mit dem Rock-Paradigma auseinandersetzt, zugleich aber den oben erläuterten Ansatz des HipHop integriert, denn die Transzendenz durch Rock findet nicht unreflektiert statt, sondern wird zum Thema gemacht. Blumfeld machen Rock und Anti-Rock zugleich. Auf Blumfelds Reise durch die Kontexte erscheint, wie gezeigt wurde, die Auseinandersetzung mit Popkultur, Subkultur, Marktwirtschaft wie auch mit der Ideologie des Rock dominant. Dennoch lassen sich noch andere Kontexte erkennen: Ab Zeile 13 ändert sich das Referenzsystem dahingehend, dass mit Begriffen wie »Sohn« (Z. 13), »Kind« (Z. 21), »Frau« (Z. 22) und »Mutter« (Z. 22) der subkulturelle Bereich, der zuvor metonymisch durch ein gelabeltes T-Shirt aufgerufen wurde, von einem Familien-Setting abgelöst wird. Hier handelt es sich um einen fließenden Übergang, der nicht durch eine Strophenstruktur abgegrenzt ist, was durchaus passend erscheint, da »Ghettowelt« sich mit Vergesellschaftung in verschiedenen Bereichen auseinandersetzt: Subkultur und Familie ähneln sich auf struktureller Ebene – auch eine Subkultur bietet so etwas wie eine Familienzugehörigkeit. Entsprechend lässt sich auch im Text nicht klären, ob in Zeile 13 mit »ein Sohn mehr« auf den Sohn einer Subkultur oder 164 Die in enger semantischer Nähe stehenden Begriffe »Rap« und »HipHop« werden häufig synonym gebraucht. Obwohl es üblich ist, die Begriffe dahingehend terminologisch zu verwenden, dass »Rap« die Tätigkeit des Sprechgesangs bezeichnet, »HipHop« dagegen auf den größeren Kontext der HipHop-Kultur verweist (vgl. hierzu Clover 2009: 151), werden sie – auch in avancierten Studien – nicht immer trennscharf verwendet. Grossberg (1992) etwa bezeichnet mit »Rap« die gesamte Musikrichtung, nicht konkret den Sprechgesang. In der vorliegenden Studie wird für den Musikstil der HipHop-Kultur die Bezeichnung »HipHop« verwendet.
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den eines Familienkontextes im engeren Sinne Bezug genommen wird – womöglich auf beides. »Einer von ihnen« (Z. 10) zu sein kann sich somit auf jegliche Vergesellschaftungsebene beziehen – Gesellschaft allgemein, Subkultur, Familie oder Liebesbeziehung. In diesem Kontextwechsel erscheint es plausibel, dass der Topos des Aufbegehrens vom vorangegangenen Subkultur-Setting erhalten bleibt, schließlich wehrt sich das lyrische Ich kontextübergreifend gegen Vergesellschaftung, Ordnungen, Zuschreibungen und kämpft um seine Autonomie. Hier lässt sich das zuvor schon als abstrakt bezeichnete Verfahren erkennen, das Blumfelds Ideologiekritik kennzeichnet: Während das lyrische Ich an allen Fronten denselben Kampf führt, lässt sich kein konkreter Gegner ausmachen. Auch die Unmöglichkeit, im Text Figuren eindeutig zu identifizieren, begünstigt dabei einen fließenden Übergang der semantischen Felder. In den Zeilen 21 und 22 kommt eine weibliche Figur hinzu, die von der Figur eines aufbegehrenden Sohnes in wörtlicher Rede angesprochen wird: »›Du lügst oder hast nicht nachgedacht / Ich kenn die Regeln nicht!‹« (Z. 19f.). Dieses Fragment einer wörtlichen Rede lässt vermuten, dass die Figur des Sohnes »die Regeln« ablehnt und auch gar nicht kennen will. Die Frau/Mutter-Figur wird als Adressatin in die Rolle eines angepassten Erwachsenen gedrängt, die vom lyrischen Ich kommentiert wird. Gleichzeitig wird die Zuschreibung »Frau« abgeschafft zugunsten der Zuschreibung »Mutter«, womit die Figur als ›funktionaler‹ Teil eines Familiensystems gekennzeichnet wird. Diese Funktionalisierung entspricht strukturell der Konstellation »Kind«/ »männlicher Jugendlicher« und »Sohn«, wodurch die in Bezug auf den Familienkontext eher ›neutral‹ konnotierten Kategorien wie »Frau« und »Kind« vergesellschaftende Zuschreibungen erhalten. Die Figuren scheinen hier überhaupt nur in ihrer systemischen Funktion bezeichenbar zu sein, denn das Zusammenfallen der Zuschreibungen »Frau« und »Mutter« wird durch eine rhetorische Figur ausgeschlossen, einhergehend wird die Mutter-Rolle desavouiert: Die Figur sei keine Frau, bloß Mutter (Z. 22). Der Begriff »Frau« wird hier dekonstruiert, indem suggeriert wird, dass »Frau« als metonymische Zuschreibung auf mehr als ein biologisches Geschlecht verweist. So ist es möglich, dass die Figur durch Mutterschaft ihre Eigenschaft als »Frau« verliert. Dass sich in »Ghettowelt« Frau-Sein und Mutter-Sein ausschließen, verweist auf den Umstand, dass die zuvor mit »Frau« bezeichnete Figur im Kontext der Familie ihre Autonomie aufgibt und nur noch funktional bestimmbar bleibt. Auch das Aufbegehren der Sohn-Figur deutet auf die funktionalisierende Vereinnahmung von Ordnungssytemen hin. Es richtet sich konkret gegen die Familie, die – wie die Subkultur – als Umfeld begriffen wird, das starre Ordnungen hervorbringt. Die Zuschreibungen »Kind«, »Frau« und »Mutter« können gleichsam in einem zeitlichen Kontinuum gedeutet werden: Sind das Kind
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und die Frau noch passiv in einen Sozialisationsprozess eingebunden, so werden sie in den Rollen als Mütter und Väter selbst zu sozialisierenden Instanzen, indem sie Regeln des Systems internalisieren und daraufhin selbst implementieren. In Blumfelds Ideologiekritik wird durch den Fokus auf die diskutierten Rollenzuschreibungen erkennbar, wie sich die Pop-Texte, wie zuvor von Metelmann bemerkt, im Zuge eines linguistic turn mit ihrer sprachlichen Vermitteltheit auseinandersetzen. Nachdem nun dem Kontext der Subkultur eine Absage erteilt, das Ordnungssystem »Familie« in seiner vergesellschaftenden Eigenschaft durchexerziert wurde und nachdem von isolierenden Mauern und starren Ordnungen die Rede war (vgl. Z. 11f.), werden gegen Ende des Songs Motive der Offenheit und der Verbindung aufgerufen. In Zeile 23 ist die Rede von »eine[r] Telefonnummer mehr«, die metonymisch auf ein potenziell stattfindendes Telefongespräch und damit auf menschlichen Kontakt hindeutet. Wiederum ist mit dem Zusatz »Du weißt Du brauchst sie [die Telefonnummer, Anm. T.H.] sehr« (Z. 24) nicht klar, wen das lyrische Ich mit »Du« anspricht – den Hörer, sich selbst oder die Figur der Frau/Mutter, die in der unmittelbar vorangehenden Passage auftritt. Dem Du wird zugeschrieben, »irgendwen ganz nah bei Dir« (Z. 25) zu brauchen, womit der Kontext einer Liebesbeziehung aufgerufen wird. Möglich wäre auch, dass die Mutterfigur sich in Zeile 26 an die Figur des Sohnes richtet. Im Zuge dieser Konstellation ließe sich die Wendung »komm mit mir« als »komm nach Hause« paraphrasieren, womit die Zeilen 23–25 auf die Bedürftigkeit der Mutter nach Kontakt mit dem Sohn verweisen würden. Wiederum lässt sich nicht abschließend klären: Wer braucht wen? Es herrscht in der diskutierten Passage eine gewisse Ambivalenz bezüglich des Kontexts der romantische Liebe und dem der Liebe zwischen Mutter und Sohn. Allerdings deutet die Tatsache, dass das Du, wie es in Zeile 25 heißt, »irgendwen« bei sich braucht, auf eine gewisse Beliebigkeit hin, die sich nicht mit der Verbindlichkeit des Familienkontextes vereinbaren lässt. Vor diesem Hintergrund kommen die Zeilen 23–26 eher einem dating-Szenario gleich, in dem Telefonnummern gesammelt werden und es (noch) nicht zu einer verbindlichen Zweierbeziehung kommt. Als »ganz nah« (Z. 25) wäre der Kontakt dann allenfalls auf körperlicher/sexueller Ebene zu verstehen. Eine innige Beziehung wird denn auch grundsätzlich in Frage gestellt, wenn der gleichsam solipsistische Hintergrund des Angebots »Wenn Du leben willst, komm mit mir!« (Z. 26) entlarvt wird mit den Zeilen: »aber eigentlich nur zu Dir« (Z. 27). Liebesbeziehungen werden damit als tendenziell statische und un-dialogische Systeme markiert. Dabei lassen sich die genauen personellen Bezüge innerhalb des Songs nicht endgültig klären, so wie auch die trennscharfe Abgrenzung der Kontexte Subkultur, Familie, Liebesbeziehung nicht gelingt. Dies verleiht den Lyrics des Songs eine gewisse Rätselhaftigkeit, trägt aber auch zur Offenheit der
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Semiose des Songs bei, sodass von standardisiertem Pop hier nicht mehr die Rede sein kann. Am Ende des Songs kommt das »Lied« (Z. 28) – oder allgemeiner gedacht: die Kunst – noch einmal als Möglichkeit des Ausbruchs aus der Ghettowelt zur Sprache. Die »Tür« (Z. 28), die das Lied offeriert, wird vom lyrischen Ich in einer nihilistischen Pointe abgelehnt, scheint doch »das, was dahinter liegt […] keinen Deut besser als das hier« (Z. 30f.). Wie schon erwähnt, deutet die Wendung »scheint keinen Deut besser« (Z. 31, Herv. T.H.) darauf hin, dass es sich hier nicht um einen totalen Nihilismus handelt. Das lyrische Ich vermutet hinter der Tür nur wieder eine neue Ordnung, es will immer »weg von hier« (Z. 3) und läuft Gefahr, nie anzukommen. »Ghettowelt« beschreibt somit ein suchendes und prozesshaftes Verfahren. Das lyrische Ich imaginiert sich auf einer Reise von einem Ghetto ins nächste. Fast ohne Heilserwartungen und Utopien werden dabei Einheit und Isolation als negativ, Prozesshaftigkeit und Dialog als potenziell sinnstiftend markiert.165
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Von Chuck D. zu Jochen D.: Zum Verhältnis von Hamburger Schule und HipHop
1.3.1. Song-Krise und ›neues Sprechen‹ Die Analyse von »Ich-Maschine« anhand des Songs »Ghettowelt« soll in diesem Abschnitt um einen Exkurs in den Bereich des HipHop ergänzt werden. Dessen Verfahren können als grundlegend für die Entstehung der Blumfeld-Alben »IchMaschine« und »L’Etat et Moi« erachtet werden: Anfang der 1990er Jahre herrschte bei vielen Akteuren der Hamburger Schule eine Begeisterung für HipHop. Das gilt sowohl für anglophonen als auch für den zu dieser Zeit noch wenig stark vertretenen deutschsprachigen HipHop, wobei HipHop noch weitgehend als internationale Strömung galt. Die zunächst nicht besonders nahe165 Prozesshaftigkeit wird innerhalb der Hamburger Szene Anfang der 1990er Jahre verstärkt zum Thema. So fand am 5. Juli 1991 ein programmatisches Konzert-Event mit dem Titel »Verfolge den Prozeß, Publikum!« im Hamburger Westwerk unter der Beteiligung der Bands Blumfeld, Brüllen und Cpt. Kirk & . statt. Vgl. hierzu o. V. (1991), eine ergänzend zum Konzert abgehaltene und in der Zeitschrift GLAS’Z veröffentlichte Gesprächsrunde mit Tobias Levin, Frank Möller, Jochen Distelmeyer, Kristof Schreuf, Christian Buß, Matthias Riedel und Michael Hess. Eine Tendenz zur im Diskursrock typischen Reflexion lässt sich erkennen, wenn es heißt, in dem transkribierten Gespräch solle »nicht über Bands und deren Musik geredet oder geschrieben werden, sondern über die Art, wie dies bisher geschehen ist, über Markt- und Machtmechanismen, Entfremdung und Entsagung, und deutsche Texte, die man nicht versteht…Die Namen sind austauschbar und alles ist übertragbar. Und außerdem hat die ganze Geschichte ja eben erst begonnen. Verfolge den Prozeß, Leser!« (o. V. 1991: 42).
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liegende Verbindung zwischen Hamburger Schule und HipHop erscheint erklärungsbedürftig, obwohl sich eine ganz offensichtliche Gemeinsamkeit durch die Textlastigkeit und Textmenge beider Strömungen ergibt. Einen Ansatzpunkt dafür, Hamburger Schule mit HipHop zu assoziieren, bietet das in beiden Strömungen ausgeprägte Selbstverständnis der Subkultur und des Außenseitertums. Wenn Frank Möbus und Martin B. Münch (1998: insbes. 63) in einem Beitrag der Zeitschrift testcard das Ghetto als Topos herausarbeiten, der sowohl im Punk als auch im HipHop dominant popmusikalische Verarbeitung fand, so knüpfen Blumfeld mit »Ghettowelt« an beide Traditionen an. Denn »Ich-Maschine« orientiert sich musikalisch noch stark am Punk, während neue Impulse aus dem HipHop in das Verfahren aufgenommen werden – hier wäre nicht nur an Sprechgesang zu denken, sondern auch an eine politische Haltung, die nicht mehr als »rebellisch« im Sinne des Polit-Rocks oder des Punks erachtet werden kann. »Als Angehörige der Punk-Generation«, so beschreibt Ted Gaier von den Goldenen Zitronen die Berührungspunkte von Punk und HipHop, »wollten wir unsere Sympathie für HipHop bekunden und zeigen, daß wir nicht die Fürimmer-Rock-Litanei herunterbeten. Das rebellische Element kommt heute eher im HipHop zum Tragen und nicht in der Punkmusik.« (Martens 1992b: 49) Diese Kontinuität hinsichtlich der rebellischen Qualitäten von Punk und HipHop äußert sich Anfang der 1990er Jahre in einer Single gegen Rassismus, die von den Goldenen Zitronen in Zusammenarbeit mit der HipHop-Gruppe Easy Business und dem Rapper IQ (1992) veröffentlicht wurde. Angesichts der rassistischen Übergriffe von Hoyerswerda im September 1991 erscheine der Schulterschluss mit der HipHop-Szene laut Gaier passend, um die »Geschehnisse vor Ort, die plumpe Solidarität der Bevölkerung, die verniedlichende Berichterstattung der Medien« (ebd.) kritisch zu kommentieren und die etablierten und erstarrten Mechanismen der ehemalig rebellischen, inzwischen aber im Mainstream zu verortenden Rock-Kultur zu vermeiden.166 So befürwortet Gaier im folgenden Kommentar, die Position der Marginalisierten einzunehmen: Es gab zwar ein großes Festival [gegen Rassismus, Anm. T.H.] in Berlin, aber da gehen die Leute nur hin, um die Toten Hosen zu sehen. Inhaltlich kam da nichts rüber. Wir wollten einen Standpunkt vertreten, der in der Öffentlichkeit kaum anzutreffen ist. Die Erste Welt hat Schuld am Elend der Dritten und somit selbst die Flüchtlinge produziert, gegen die sie sich jetzt abschotten will. Das wird in den bürgerlichen Medien nie erwähnt. Darum geht es in der letzten Strophe von ›Die Bürger von Hoyerswerda und anderswo‹. (Ebd.)
166 Ein Song der besagten Single trägt den Titel »Die Bürger von Hoyerswerda und anderswo« (Die Goldenen Zitronen/Easy Business/IQ 1992).
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Gaier positioniert sich hier außerhalb der offiziellen Gesellschaft (»der Öffentlichkeit«) und jenseits einer etablierten Rockband wie Die Toten Hosen, die aus seiner Sicht mit den »bürgerlichen Medien« in Verbindung steht. Die Sympathie und Solidarität mit der HipHop-Szene resultiert nicht zuletzt daraus, dass diese – genrebezogen mit dem US-amerikanischen »Ghetto« assoziiert – wesentlich offensichtlicher und glaubwürdiger als marginalisierte Kultur markiert ist als die mittlerweile in der Mitte der Gesellschaft verorteten Punk- und Rock-Strömungen, was sich an einem Phänomen wie der erwähnten Punk-Band Die Toten Hosen gut nachvollziehen lässt. Was die ersten deutschsprachigen HipHop-Impulse Anfang der 1990er Jahre in Deutschland angeht, findet sich darunter allerdings mit den Fantastischen Vier auch eine HipHop-Gruppe, die sich von vornherein im gesellschaftlichen und musikalischen Mainstream positioniert. Andere Gruppen wie Advanced Chemistry, ein Trio bestehend aus Musikern haitianischer, ghanaischer und italienischer Herkunft, rücken wiederum den Marginalisierten-Status stark in den Mittelpunkt. Bei ihrer Single »Fremd im eigenen Land« (1992) handelt es sich ebenfalls um einen Kommentar zu den vermehrten rassistischen Übergriffen in Deutschland Anfang der 1990er Jahre. Gerade die Medienberichterstattung wird hier auf originelle Weise musikalisch thematisiert, indem Advanced Chemistry in ihrem Song ein Sample von »Mobile Unit« (1980), einem elektronischen Stück der britischen Produzenten George Fenton und Ken Freeman, verwenden. Damit verweisen sie auf das 1990 gegründete Format »Spiegel TV«, das »Mobile Unit« als Titelmelodie verwendete. Darüber hinaus steht am Anfang von »Fremd im eigenen Land« das Sample einer Nachrichtenstimme, die über die rechtsradikalen Ausschreitungen in Rostock-Lichtenhagen im August 1992 berichtet. Am Ende des Songs ist der Wetterbericht zu hören, womit auf die Einbettung der Pogrome in die Normalität der Medienberichterstattung aufmerksam gemacht wird. Dies lässt sich als Anspielung auf den von der Deutschen Bundesbahn übernommenen Slogan des Sozialistischen Deutschen Studentenbundes »Alle reden vom Wetter. Wir nicht« verstehen, der damit als Selbstbeschreibung von Advanced Chemistry fungiert. Denn auch am Anfang des Songs wird eine weitere Radiostimme mit den Worten »sie kämpfen gegen Vorurteile und Rassismus« (Advanced Chemistry 1992: »Fremd im eigenen Land«, eigene Transkription) eingeblendet, die gleichfalls als eine Selbstbeschreibung der Gruppe verstanden werden kann. In »Fremd im eigenen Land« wird Marginalisierung vor allem an den Biographien der lyrischen Ichs festgemacht. »Ich habe einen grünen Pass / mit einem goldenen Adler drauf« (ebd.), lautet die Reaktion dessen, der sich in dem Dilemma befindet, »kein Ausländer und doch ein Fremder« (ebd.) zu sein und aufgrund seines nicht »typisch deutschen« (ebd.) Aussehens fortwährend »Identität beweisen muss« (ebd.). Diese Zeilen werden mit kurzem zeitlichen
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Abstand von Seiten der Hamburger Schule kommentiert. So äußert sich Frank Spilker (Die Sterne) folgendermaßen: »Mich nervt […] das vielgelobte Stück ›Fremd im eigenen Land‹ von Advanced Chemistry, weil da durchschimmert, daß sie eigentlich gute Deutsche sein wollen.« (Martens 1993: 46) Möglicherweise bezieht sich Spilker hier auf eine Zeile wie »Ärger hab ich zuhauf, / obwohl ich langsam Auto fahre und niemals sauf ’« (Advanced Chemistry 1992: »Fremd im eigenen Land«), in der die Aussage des lyrischen Ichs dahingehend gedeutet werden könnte, dass es sich mit seiner Angepasstheit für seine nicht-deutsche Herkunft rechtfertigen bzw. seine Assimilation demonstrieren will. Plausibler erscheint jedoch, dass damit auf Unsachlichkeit und Willkür in der Diskriminierung von Ausländern verwiesen wird. Überhaupt erscheint Spilkers Kritik, auf den gesamten Song bezogen, zumindest eigenwillig. Die Lesart, dass die lyrischen Ichs in »Fremd im eigenen Land« »eigentlich gute Deutsche sein wollen«, ist allein schon deshalb abwegig, weil – ähnlich wie auf Blumfelds ersten beiden Alben – überhaupt keine konstanten (National-)Identitäten vorkommen. Man bezieht sich schlicht auf die sich im Umlauf befindliche Diskurse und zitiert unterschiedliche Stimmen. Wenn es heißt: »ein echter Deutscher muss so richtig deutsch aussehen / blaue Augen, blondes Haar, keine Gefahr / gab’s da nicht ’ne Zeit, wo es schon mal so war?« (ebd.), wird nicht etwa auf die Tatsache hingewiesen, dass ›echte Deutsche‹ inzwischen auch anders als blond und blauäugig aussehen können, vielmehr wird die Konstrukthaftigkeit einer deutschen Nationalidentität benannt. Wenn eine eingeblendete weibliche Stimme eines der lyrischen Ichs fragt, »gehst Du später mal zurück in Deine Heimat?«, und es daraufhin antwortet: »wohin? / nach Heidelberg? / wo ich ein Heim hab?« (ebd.), wird nationale Identität als zufällig, kontingent und konstruiert entlarvt. Ausweis der nationalen Identität bleibt im Ergebnis lediglich ein Pass, also ein amtliches Dokument, das den Nationalbürger-Status denaturalisiert und als Ergebnis eines bürokratischen Aktes erscheinen lässt. Schließlich finden Advanced Chemistry gegen Ende des Songs klare Worte für eine Analyse der Situation in Deutschland: Politiker und Medien berichten, ob früh oder spät von einer überschrittenen Aufnahmekapazität. Es wird einem erklärt, der Kopf wird einem verdreht, dass man durch Ausländer in eine Bedrohung gerät, somit denkt der Bürger, der Vorurteile pflegt, dass für ihn eine große Gefahr entsteht (Advanced Chemistry 1992: »Fremd im eigenen Land«, transkribiert von T.H.)
Dieser deutschsprachige HipHop lässt sich insofern als ›diskursiv‹ bezeichnen, als hier, wie gezeigt wurde, der rebellische Gestus von einer – gleichwohl als
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Protest verstandenen – Analyse der Verhältnisse ersetzt wird, wobei auch nach dem Status des Subjekts gefragt wird (»Es wird einem erklärt / der Kopf wird einem verdreht«). Hierin ergeben sich auf Verfahrensebene einige Ähnlichkeiten zu Blumfelds Ansatz, auch wenn der diskutierte Rap nicht die Reflektiertheit und intellektuelle Avanciertheit der Blumfeld-Lyrics erreicht. Nicht zuletzt Frank Spilkers Kommentar zeigt, dass deutschsprachiger HipHop Anfang der 1990er Jahre von der Hamburger Schule sehr genau beobachtet wurde. Hier zeigt der im HipHop glaubwürdig vertretene Marginalisierten-Status einen Weg auf, sich von der in der gesellschaftlichen Mitte verorteten Rock- und Punk-Haltung zu distanzieren. Spilker inszeniert sich dabei gegenüber Advanced Chemistry gewissermaßen als der ›bessere‹ Marginalisierte, indem er befürchtet, dass dieser Status in »Fremd im eigenen Land« durch eine Identifikation mit dem Angreifer gefährdet ist. Fortan kam es im Umfeld der Hamburger Schule nicht nur, wie etwa bei Blumfeld und den Sternen, zur Aneignung von HipHop-Elementen im (Diskurs-)Rock. Mit Mastino (1993, 1995) formierte sich ein Projekt, das in seiner Besetzung (z. B. Horst Petersen von Die Erde) und Label-Affiliation (L’Age D’Or) mit den oben genannten Bands zusammenhing, stilistisch aber mehr in Richtung HipHop tendierte und gar keine Rock-Elemente mehr enthielt. Hier wird einmal mehr das neue – auch produktionsästhetische – Interesse an HipHop seitens vieler Punk- und Rock-Akteure deutlich.167 Wenn sich einige Protagonisten der Hamburger Musikszene in diesem Schulterschluss vom alten Rock-Paradigma distanzierten, lässt sich darin auch der Versuch erkennen, Elemente der eigenen Rock-Sozialisation endgültig von rassistischen und sexistischen Implikationen zu befreien und die bisher favorisierten Verfahren im Sinne einer neuen political correctness zu öffnen. Im Zuge dieser Disqualifizierung festgefahrener Rock-Klischees werden bestimmte identitätspolitische Konzepte favorisiert, insbesondere ›diskursive‹ und prozesshafte Identitätskonstruktionen, die wir zuvor im Anschluss an Ronald Hitzler und Anne Honer (1994) »Bastelexistenzen« genannt haben. Entsprechend wird auch im Pop nicht mehr vorbehaltlos »Ich« gesagt. Dagegen erkennen die Akteure der Hamburger Schule im HipHop innovative Verfahren, die dies wieder – unter neuen Vorzeichen – möglich werden lassen. In diesem Sinne spricht Martin Büsser in einem testcard-Artikel mit dem Titel »Ich ist eine Text-Maschine« von einer »Song-Krise« (1998: passim), womit eine Krise des klassischen Songwritings, gerade auch im Umgang mit Lyrics gemeint ist, das in den 1990er Jahre den neu in den Mittelpunkt des Interesses gerückten popästhetischen Kriterien wie ›Sounds‹, ›Beats‹, ›Loops‹ und eben auch ›Raps‹ gegenübersteht und zu diesen in Konkurrenz tritt. Die Veränderungen im Rock 167 Vgl. hierzu Mitchell (1996: 43).
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im Zuge dieser Krise lassen sich etwa an avantgardistischen Post-Rock-Bands wie Tortoise, Mogwai oder The Sea and Cake erkennen, die häufig rein instrumentale ›Songs‹ produzierten oder in deren Songs die instrumentalen Parts in den Mittelpunkt rückten, womit sich diese Bands ein Stück weit an der elektronischen Musik orientierten. Ein solches ›krisenbewusstes‹ Ausloten von anderen Bereichen als dem Verbaltext bewertet Büsser mit ›pop-linkem‹ Blick positiv : Da der Song häufig zu Slogans tendiere und »allzu eindeutige Positionierungen« vornehme, könne Instrumentalmusik zu einer »offeneren Sprache finden – durchaus auch im Sinne einer Ideologiekritik« (ebd.: 7). Büsser und den Mitgliedern der testcard-Redaktion habe es bei der Arbeit an einer Ausgabe ihrer Zeitschrift zum Thema »Sound« im Jahre 1996 fern gelegen, »den Song als erhaltenswerte Musikform zu verteidigen und quasi unter Artenschutz zu stellen«, stattdessen wurde »Ausdruck über rein instrumentalen Sound als eine Art Sprache« (ebd.) verteidigt. Anders als die »abgenutzten Zeilen, denen es immer allzu dringlich um Liebe und Revolution ging«, habe diese ›Sprache‹ verstanden, »eine ambivalente Stimmung zu schaffen, ein Pendant zur Unschärfe des eigenen Denkens und des eigenen, oft unscharf empfindenden Gemüts« (ebd.: 7f.). Produktiv habe sich die Song-Krise damit nicht nur unter »Elektroniker[n] und instrumentalen Postrocker[n]« (ebd.: 8) ausgewirkt, sondern auch unter denjenigen, die selbst nicht auf Text verzichten wollten. Die Song-Krise zeichnete sich ja am tiefsten und wirkungsvollsten – durchaus positiv – überall dort ab, wo überhaupt noch versucht wurde, den Text zu retten: Ohne das Krisenbewusstsein hätte es die Texte von BLUMFELD, CPT. KIRK & , DIE GOLDENEN ZITRONEN, SLEATER KINNEY und Liz Phair nicht geben können. (Ebd.)
Wenn Büsser die Textlastigkeit und das spezifische Verfahren des sich formierenden Diskursrock als Krisenphänomen erachtet, plädiert er in seinem Text dafür, die Aufmerksamkeit auf die »neue[n] Formen des Sprechens im Song« (ebd.) zu richten. In diesem Zusammenhang nennt er die Hamburger Schule, aber auch HipHop als wichtige neue Impulse, konkret denkt er »an Hamburg, an manche Formen von Hip Hop und an neuere Frauen/Lesbenbands aus den USA […]; Formen, die festgefahrene Slogans abgelegt haben, möglicherweise gerade dabei sind, neue Slogans zu festigen« (ebd.). Büsser fasst die Gemengelage im Diskurs um die »neue[n] Spielarten des Sprechens« (ebd.) treffend zusammen: Er stellt die plausible These auf, dass die »allzu eindeutige Aussagen zurücknehmenden Texte bei BLUMFELD […] sowohl Reaktion […] auf die dissident affirmativen Slogans des Achtziger-Wave wie auch auf den sich beharrlich authentisch gebenden Grunge bzw. Hardcorepunk zu Beginn der Neunziger« (ebd.: 9) sein könnten. Zuvor spricht Büsser von Grunge als einer möglichen
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»Rückeroberung des authentisch ›Ich‹ sagenden Subjekts gegenüber dem Mainstream-Pop der Achtziger« (ebd.). Linke und theorieaffine Kreise kritisierten diese Rückeroberung scharf: Es sei, so Büsser, zu einer »Infragestellung des Authentischen, ausgelöst durch Grunge, den Tod Kurt Cobains, die Rockismus-Debatte« (ebd.) gekommen. Parallel beschäftigte man sich mit HipHop, »schwarzen Issues und weißen Hörern und [der] Frage danach, ab wann wer wem Sexismus vorwerfen kann/ darf/sollte« (ebd.). Überdies seien in dieser Phase »Auseinandersetzungen mit hate speech, political correctness, Identitäts-, Geschlechts- und Territorialbestimmungen« (ebd.) charakteristisch gewesen, die sowohl als kritisches Gegengewicht der HipHop-Affirmation als auch im Sinne einer Vergangenheitsbewältigung hinsichtlich politisch fragwürdiger Verfahren aus Punk- und NDWZeiten verstanden werden können.168 Im Blick auf neuere Möglichkeiten des Protests durch rockverwandte Formen sei eine »Infragestellung von Punk und Protestsong angesichts seiner Verwertbarkeit als platte Geste auf MTV« (ebd.) vollzogen worden. Büsser bezieht sich hier vermutlich auf die MTV-Präsenz von Bands wie Nirvana, Green Day und anderen, deren rebellische Ästhetik Anfang der 1990er Jahre in die Konformität des MTV-Programms eingebettet wurde. Schließlich erwähnt Büsser im Zusammenhang mit dem ›neuen Sprechen‹ in der Popmusik die Rezeption poststrukturalistischer Theorie: »Sage keiner, Judith Butler, Michel Foucault, Julia Kristeva und Gilles Deleuze hätten in der Auseinandersetzung darüber, wie sich das singende Subjekt namens Ich-Maschine in den Neunzigern zu artikulieren habe, keinen großen Einfluß gehabt.« (Ebd.) Die von diesen Theoretikern eröffneten Diskurse seien Anfang der 1990er Jahre bei popkulturell Interessierten verstärkt im Umlauf gewesen, ohne dass die entsprechenden Texte notwendigerweise gelesen oder in wissenschaftlich genauer Art und Weise rezipiert wurden: Aufgrund einer »allgemeinen politisch diskursiven Stimmung« sei man innerhalb der Popkultur unter theoretisch avancierten, aber nicht streng akademischen Vorzeichen »zu Ergebnissen gekommen, die so klingen, als ob sie direkt von Foucault entlehnt worden wären« (ebd.). Büsser bezieht sich hier insbesondere auf Foucaults Arbeiten zur »Mikrophysik der Macht« (1976): Mit diesem Bezug lässt sich eine (links-)politische Dimension erkennen, die dem ›neuen Sprechen‹ im Pop Vorschub leistete. Die »Verkomplizierung politisch gemeinter Texte« zu dieser Zeit habe aus der Erkenntnis resultiert, dass »Machtstrukturen sich nicht mehr nach altlinkem Muster ausschließlich vertikal anordnen lassen […], sondern daß sie ein Netz bilden, das jegliches Subjekt mit einschließt« (Büsser 1998: 9). Diesen popästhetischen Paradigmenwechsel erläutert Büsser anhand der 168 Vgl. zu ›politisch inkorrekten‹ bzw. ›unengagierten‹ Strategien der Scheinaffirmation ausführlich Kapitel I der vorliegenden Studie, hier insbes. Abschnitt 2.2.5.
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prototypischen Polit-Rock-Band Ton Steine Scherben und deren Weiterentwicklungen im ›neu-linken‹ Kontext: Hätten sich Ton Steine Scherben noch »auf einer Rock-Authentizität« ausruhen können, weil sie sich »diskursiv im Glauben wähnten, echte Opfer zu sein«, würden Cpt. Kirk & . eine nicht minder politische Sprache benutzen, »allerdings eine Sprache, die davon weiß, daß sämtliche politische Zuweisungen dann selbstgerecht werden, wenn sie dem sprechenden Subjekt eine immune Stellung einräumen.« (Ebd.) Dies beschreibt treffend den Veränderungsprozess innerhalb des Rock-Paradigmas vom ›altlinken‹, rebellischen Rock-Programm hin zum Diskurspop. Letzterer entfaltet sein Programm im Sinne einer ›Neuen Linken‹, die, mit Thomas Hecken gesprochen, »im Gegensatz zur alten Linken an der westlichen Wirtschaft stärker die Entfremdung als die Ausbeutung anprangert« (2013: 119). In dieser Entwicklung spielen, wie zuvor erwähnt, die (national-)identitätspolitischen Diskurse der ›neulinken‹ Haltung eine tragende Rolle. Im Zusammenhang mit der Präsenz poststrukturalistischer Schriften im ›neuen Sprechen‹ wie auch mit einer zeitgemäßen ideologiekritischen Positionierung erwähnt Büsser eine »National-Pop-Debatte rund um Heinz Rudolf Kunze« (Büsser 1998: 9f.), die »allzu leichtfertiges Texten (das Ich-Sagen, das Ich Leide-Sagen, das Ich hasse-Sagen, das Revolution-Sagen und das Küß mich-Sagen) erschwert und schließlich zwar nicht unmöglich, aber doch schwer erträglich gemacht [hat]« (ebd.: 9). Schwer erträglich, so muss man ihn verstehen, weil weder Nationalität (bzw. die Tatsache, Pop in deutscher Sprache und in Deutschland zu produzieren) noch Identität des lyrischen Ichs problematisiert oder instabil werden, wodurch das »Ich«-Sagen sowohl ideologische Züge annimmt als auch im kulturellen Kontext der oben beschriebenen Diskurse nicht mehr zeitgemäß erscheint.169 Insofern bietet HipHop für die Hamburger Schule, wo sie eine Emanzipation vom alten Rock-Paradigma anstrebt, ein durchaus reizvolles Konzept. Durch den US-amerikanischen Ursprung steht HipHop ferner – zumindest in den frühen 1990er Jahren – in Differenz zu deutschem Pop und entsprechenden, von der Hamburger Schule unerwünschten, nationalen Markierungen. Das HipHopKonzept kann per se als anti-nationalistisch bezeichnet werden, bildet die Strömung des HipHop doch, wie im Folgenden eingehender gezeigt wird, ein 169 In einem wenig später erschienenen Artikel schreibt Büsser, die »versiertere, ästhetisch wie inhaltlich interessantere Popmusik« habe in den 1990er Jahren begonnen, »selbstgeschaffene Mythen« (Büsser 1999: 40) der Popkultur zu reflektieren. Man habe nichts unversucht gelassen, »möglichst wenig authentisch und triebhaft zu wirken« (ebd.). Tortoise, Stereolab, Blumfeld oder Les Robespierres seien Beispiele für eine »sehr reflektierte, bewußt gefilterte und artifizielle Arbeitsweise, deren Ziel gerade nicht mehr ist, für bloße Versenkung in die Musik oder für Identifikation innerhalb einer Subkultur zu sorgen, sondern Pop- beziehungsweise Rock-Werte zu dekonstruieren.« (Ebd.).
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zum damaligen Zeitpunkt noch tendenziell ›inoffizielles‹ Netzwerk jenseits von Nationalstaaten, womit es den Befürwortern des Diskurspop nicht nur wegen ihrer antinationalistischen Ausrichtung, sondern auch durch eine emphatische ›Dialogizität‹ entgegenkommt. Ähnlich wie in der Hamburger Schule verläuft nämlich die Konstitution des lyrischen Ichs beim HipHop wenig ›statisch‹: Im Gegensatz zum eher emphatischen Ausdrucks-Ich, wie Büsser es bei Heinz Rudolf Kunze bemerkt, verhält sich das lyrische Ich im HipHop insofern offener, neutraler und prozesshafter, als sein Bericht, sein oraler Vortrag im Mittelpunkt steht und dieser in einer sozialen Sphäre wie dem Ghetto verortet wird (was nicht heißen soll, dass es nicht auch hier zur Artikulation eines bisweilen unproblematisiert verbleibenden Essentialismus kommt). 1.3.2. Rückzug in die Communities: Von conscious zu rightheous Zunächst lässt sich als Zwischenergebnis festhalten, dass HipHop der Hamburger Schule im Veränderungsprozess von Rock und Punk hin zu einem neuen Diskurspop/-rock wichtige Impulse lieferte und als eine Art Projektionsfläche bezüglich der Frage diente, wie ein ›offenes‹, weniger ideologisch festgefahrenes, aber dennoch subkulturelles Rock-Konzept gedacht werden kann. Diedrich Diederichsen, der die Begeisterung für HipHop Anfang der 1990er Jahre teilte und propagierte, schreibt in Freiheit macht arm, HipHop sei »die Erzählung, das Master Narrative unserer Epoche« (1993: 53), es handle sich um die »Musik der Gegenwart« (ebd.: 11), die »Rock’n’Roll als Musik der Metropolen und des globalen Austauschs ab[löst]« (ebd.: 53).170 Im Zuge eines post-utopischen Pa170 Ein subkulturelles Panorama dieses Komplexes lässt sich literarisch verarbeitet in Christian Krachts 1995 erschienenem Debütroman Faserland finden. Der Ich-Erzähler des Romans porträtiert hier die Figur Varna, die »immer auf Vernissagen« (Kracht 1997: 67) ging und »so ziemlich jeden in diesen furchtbar heruntergekommenen Szene-Bars [kannte]« (ebd.) – unter anderem wird die Hamburger Bar »Sorgenbrecher« erwähnt, die auch in den von Kuhn (2003) durchgeführten Interviews zur Hamburger Schule und im Song »Hamburg« der Lassie Singers (1992) genannt wird. Johannes Ullmaier beschreibt Varna als eine »offenbar etwas treuherzig auf subversive Stylecodes und Poseure eingeschworene[ ]« (2001: 34) Figur. In Krachts Roman wird nun eine Künstler-Szene beschrieben, von deren Mitgliedern der Ich-Erzähler behauptet: »Im Grunde haben diese Menschen nur nachgeplappert, was sie in den Heften, Texte zur Kunst hießen die, glaube ich, gelesen hatten« (Kracht 1997: 68). Er grenzt sich gegenüber der beschriebenen subkulturellen Szene weiter ab: »Varna [rannte] immer auf diese Menschen zu, und man hatte das Gefühl, daß es ihr furchtbar peinlich war, vorher 34 Sekunden lang bei mir gestanden zu haben, weil ich rahmengenähte Schuhe trage und mich weigere, über Kunst zu diskutieren oder über irgendwelche Independent-Bands, die im Spex erwähnt werden, oder über den aufkeimenden Rechtsradikalismus, die braune Scheiße, wie Varna immer sagte. Noch schlimmer war es, wenn sie über Hip-Hop redete. Hip-Hop, das wäre die neue Punk-Musik, die echte Auflehnung und so weiter« (ebd.). Weiter ist die Rede von »Menschen mit langen Koteletten« (ebd.: 68f.), die »herumstanden und Bier aus der Flasche tranken und gelangweilt
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radigmenwechsels spricht Diederichsen davon, dass andere Gegenkulturen durch HipHop von einer neuen Art des Widerstands fasziniert seien: Sei Rock’n’Roll noch »mit Utopien, mit Kommunismus ebenso wie parlamentarische[m] Demokratismus« verknüpft und dabei »anfällig für christliche, sexualpolitische oder individualistische Verheißungen und Aufbrüche, auch Tabubrüche« gewesen, stehe im HipHop die »Rettung des Bestandes, im Zweifelsfall des eigenen Lebens« (ebd.) im Mittelpunkt. Zeitgemäß seien deshalb neben HipHop »alle anderen Stile, die nicht von einem Ideal ausgehen (Freiheit), das dann in der individuellen wie in der kollektiven Geschichte nicht erreicht wird (Vereinnahmung, Karriere, schönes Scheitern, Selbstmord)« (ebd.: 11). An die Stelle dieses Ideals trete ein »perspektivlose[r] Ist-Zustand (Ghetto, elektronische Einsamkeit, Segregation), der eigentlich nur noch besser werden kann, aber wahrscheinlich schlimmer wird.« (Ebd.) In dieses Szenario der Ernüchterung sei HipHop »von Anfang an schon immer verstrickt« (ebd.). Jeder Gedanke an Transzendenz wird dabei aufgegeben, so stünden Drogen nicht mehr wie im Rock’n’Roll bzw. bei den Hippies für den »schnellen Weg zur Ekstase«, sondern für einen »illusionslosen, einmal eingeschlagenen Weg, den Tag erträglich rumzubringen« (ebd.). Illusionslosigkeit und Realismus ziehen damit »einen anderen Politik-Bezug« nach sich, denn die Verstricktheit des HipHop findet in einem Szenario der »allgegenwärtigen Segregation auf allen Ebenen, von elektronischer Überwachung der Städte, Sicherung von Vorstädten durch private Sicherheitsdienste bis zur Segregation durch Kultur und Bildung« (ebd.) statt. In der Entwicklung von den alten Idealen des Rock wie etwa kollektiver Protest und sexuelle Befreiung hin zu dem von Diederichsen beschriebenen illusionslosen Szenario der Segregation, erscheint die Tatsache, dass Blumfeld in »Ghettowelt« eine Zeile wie »Baut eine Mauer um mich herum« (Z. 6) äußern, metaphorisch äußerst passend. Dennoch liefert HipHop trotz seines Realismus und seiner Verstricktheit, bisweilen sogar affirmierenden Identifikation mit dem kapitalistischen System ein Vorbild im Kontext linkspolitischen Widerstands, aussahen und jeden musterten, der zur Tür hereinkam, um sich dann wieder gelangweilt über ihr Bier zu beugen und mit ihren noch blöderen Freunden das letzte Public-EnemyKonzert zu besprechen oder den letzten Text von Diedrich Diederichsen« (ebd.: 69). Krachts Protagonist, ein zu ästhetizistischen Reflexionen neigender Popper, kann in dem subkulturellen Habitus und der political correctness dieser Szene nur Mittelmäßigkeit und Langeweile erkennen – laut Ullmaier eine »Kritik an aktuellen Schwundstufen einstiger Alternativkultur« (2001: 34). Was im Rahmen der vorliegenden Studie aber interessanter erscheint: Die Beobachtungen des Ich-Erzählers stellen einen historisierenden Katalog der sich Anfang der 1990er Jahre formierenden ›Pop-Linken‹ dar. Mit den folgenden Referenzen wird ein entsprechendes Paradigma realisiert: »Texte zur Kunst« (für die u. a. Diederichsen und Dirk von Lowtzow als Autoren tätig waren), »Spex«, »Diedrich Diederichsen«, »Public Enemy«, »Hip-Hop«, »Sorgenbrecher«.
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nämlich in Form eines Verfahrens, gesellschaftliche Strukturen zu beschreiben (vgl. Tobias Levin in Kuhn 2003: 130f.) und damit eine neue Pop-Subjektivität, eine gegenüber dem traditionellen Ausdrucks-Ich neuartige Art von lyrischem Ich zu etablieren. Das vom HipHop übernommene Konzept eines popästhetisch vermittelten ›Nachrichtendienstes‹, das bei Advanced Chemistry bereits anklang und auf das im Folgenden intensiver eingegangen wird, findet sich auch bei Blumfeld durch ein lyrisches Ich, das von einer Beschlagnahmung durch Ideologien und Systeme berichtet, der es mit einer Beschreibung von privaten und politischen Strukturen begegnet. Wie Grossberg (1992: 148–156) behauptet, sprechen sowohl HipHop als auch Rock auf unterschiedliche Art und Weise von einem Punkt außerhalb des kapitalistischen Alltags: Im Fall von HipHop ist das lyrische Ich ein von diesem Alltag ausgegrenztes (es berichtet aus dem Ghetto), im Rock dagegen imaginiert es ein eskapistisches Außen seines Alltags. Diskursrock führt nun die gegenläufige Bewegung durch – vom Eskapismus des Rock zurück in das von Grossberg so bezeichnete »everyday life« (1992: passim). Zugleich übernimmt man vom HipHop, wie in der Selbstausgrenzung des lyrischen Ich in »Ghettowelt« deutlich wurde, die Position des Außenseiters und wendet sich vom RockParadigma im stilistischen und explizit solidarischen Verweis auf die HipHopKultur ab. So erweist sich Diskurspop/-rock als gebrochene und sich selbst kommentierende Form des Rock, die sich auch mit den alten Formen des Rock auseinandersetzt und sich so in einem Spannungsfeld zwischen Rock, NichtRock und Meta-Rock bewegt. Für die Hamburger Schule gingen vom HipHop nicht nur politische, sondern auch stilistische und thematische Impulse aus: Metelmann beobachtet hinsichtlich »Ich-Maschine«, dass durch Jochen Distelmeyers Sprechgesang und die minimalistische Instrumentierung analog zum Titel des Albums eine maschinenartige »ungeheuer druckvolle[] Musik« entsteht, an der die »pessimistischklaustrophobische Grundstimmung von Ich-Maschine (eben: Ghettowelt)« (Metelmann 2002: 34) festgemacht werden könne.171 Als wichtiger Orientierungspunkt in Bezug auf diese Ästhetik des oppositionellen Pessimismus, der kriegerischen Motive und der Topoi des Eingeschlossen-Seins in verschiedene Erscheinungsformen des Ghettos kann wohl die US-amerikanische HipHopGruppe Public Enemy gelten. Bei Public Enemy handelt es sich um eine zur Zeit der Veröffentlichung von »Ich-Maschine« sehr populäre Hip-Hop-Band, die mit »Conscious Rap« als Gegensatz zum Gangsta-Rap in Verbindung gebracht wurde, also mit einem politischen HipHop, der innerhalb des Genres eine ähnlich ›gebrochene‹ Stellung wie Diskurspop bzw. -rock im Rock einnimmt. 171 Den Begriff »klaustrophobisch« verwenden auch die Autoren des Rock-Lexikons zur Beschreibung der ersten beiden Blumfeld-Alben (vgl. Schmidt-Joos/Kampmann 2008; 198).
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Simon Reynolds nimmt 1990 in einem im New Statesman erschienenen Artikel eine differenzierte Kartierung des damaligen HipHop-Feldes vor: Zunächst stellt er eine Dichotomie auf zwischen Gangsta-Rap (mit Vertretern wie N.W.A., Ice-T, Boo-Yaa T.R.I.B.E. und The Geto Boys) und Conscious Rap bzw. dem Native-Tongue-Movement oder auch »Afro-conscious rap groups« (Reynolds 2007b: 116). Als Beispiele für letztere Strömung nennt Reynolds Repräsentanten wie De la Soul, A Tribe Called Quest, Jungle Brothers, Queen Latifah sowie, als ihre kommerziellere Ausprägung MC Hammer. Diese Vertreter des Conscious Rap mit ihrem »laid-back ›hippy hop‹ sound« und ihrer »peacenik positivity« (ebd.) hätten den Versuch angetreten, HipHop in gleichsam reformistischer Weise zu politisieren. Im Zuge dessen hätten sie begonnen, ihren Musikstil gegenüber der gesellschaftlichen Mitte zu öffnen, ihn durch Zurschaustellung einer optimistischen Haltung aus dem Ghetto herauszubringen sowie ihn von misogynen Tendenzen und einer »traditional aggressive ego-mania« (ebd.) zu befreien. Die Vertreter des Gangsta-Rap hingegen würden einen solchen »crossover« (ebd.: 117) ablehnen, um sich in einer »ghetto mentality« (ebd.) zu verschanzen. Letztere kann mit der von Metelmann in Bezug auf »Ich-Maschine« so bezeichneten »pessimistisch-klaustrophobischen« Stimmung sinnvoll kontextualisiert werden. Sie wird im Gangsta-Rap von geradezu existenzialistischen Implikationen getragen, wie Reynolds erklärt: »Hardcore rap’s psychology is survivalist, a fortress mentality that veers between delusions of invulnerability and a feeling of being under siege from all sides« (ebd.: 117). Reynolds belegt diese Haltung mit einschlägigen Parolen wie »reality is a knife« und »we’re dead already« (ebd.), die er mit The Geto Boys in Zusammenhang bringt.172 An an172 Tatsächlich lässt sich die Zeile »reality is a knife« in dieser Form nicht im Werk von The Geto Boys finden, wohl aber – durchaus in dem von Reynolds thematisierten Zusammenhang – in Ice-Ts »Colors« (1988). Hier heißt es: »I don’t need your assistance, social persistance / any problem I got, I just put my fist in / my life is violent, but violent is life / peace is a dream, reality is a knife« (eigene Transkription). In »Mind of a Lunatic« (The Geto Boys 1990) ist prominent die Rede von Messern und anderen Waffen, allerdings weniger in metaphorischer Verwendung, sondern als konkrete Mordinstrumente des lyrischen Ichs – eines psychopathischen Vergewaltigers. In beiden Songs wird der Tod als letzte Gewissheit in einer unerbittlichen, von Gewalt geprägten Realität dargestellt. So heißt es bei den Geto Boys: »You was in the right place with me at the wrong time / I’m a psychopath, in a minute lose my fucking mind / calm down, back to reality / don’t fear death, cause I know that it’s promised to me / […] gimme a knife, a million lives I’m wasting / the shadow of death follows me, I don’t give a fuck« (ebd., eigene Transkription). Hier besteht ein enger Zusammenhang zu »Colors«, da auch in Ice-Ts Song das lyrische Ich über sich sagt: »I am a nightmare walking / psychopath talking«. Die in »Colors« thematisierten Morde stehen allerdings im Zusammenhang mit Kämpfen zwischen rivalisierenden Straßengangs und damit in einem sozialen Kontext, wohingegen »Mind of a Lunatic« eine vollkommen blinde Gewalt gegen alles darstellt. So behauptet das lyrische Ich in letzterem Song von sich: »I don’t give a damn who I slay« und beharrt dabei auf dem Realitätsprinzip: »The nightmares
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derer Stelle spricht Reynolds von HipHop als »survivalist retreat from engagement with the outside world or other people, back to the frozen shell of a minimal self« (Reynolds 2007a: 52). Jenseits des Dualismus Gangsta-Rap versus Conscious Rap, der auch im Untertitel von Simon Reynolds’ Artikel auftaucht, zeigt der Autor eine dritte Strömung auf, die primär auf Public Enemy verweist. Neben dem vermittelndreformistischen Ansatz des Conscious Rap und dem Rückzug in die Negativität des Ghettos, wie er von den Vertretern des Gangsta-Rap praktiziert wird, erkennt Reynolds HipHop-Gruppen, denen es gelungen sei, ihre Aggression auf ein ›angemessenes‹ Objekt, nämlich auf das System, umzuleiten (vgl. Reynolds 2007b: 117). Hierfür prägt er den Begriff »righteous rap« (ebd.: 118) und grenzt Public Enemy damit von den oben genannten Vertretern des Conscious Rap ab. Joshua Clover spricht im Zusammenhang mit Public Enemy von »hip-hop’s political turn« (2009: 31). Der friedlichen Ausrichtung des Conscious Rap steht bei Public Enemy denn auch eine radikale politische Haltung gegenüber, die Reynolds aus der Ideologie des Gangsta-Rap ableitet: »Gangster rap’s misogyny is sublimated into militancy ; its raging erections are replaced by rectitude.« (2007b: 117) Auch wenn Reynolds an dieser desexualisierenden Entwicklung kritisiert, sie habe zu »an even more frigid, men-only world of righteous, urgent communiqu8s and incendiary slogans« (ebd.: 117f.) geführt, gelte immerhin: »Five years ago, rap’s big catchphrase was ›let’s get stupid‹; now the buzzword is ›intellect‹« (ebd.: 118). Darüber hinaus sei es der Popularität von Public Enemy zuzurechnen, dass »positive images of black youth as disciplined and aware« (ebd.) vorangetrieben wurden und so eine doppelseitige Abgrenzung erfolgte: Zunächst bietet eine radikale und sogar organisierte politische Haltung Perspektiven im Gegensatz zur blinden Destruktivität des Gangsta-Rap. Weiterhin positioniert man sich gegenüber den integrativen, emporstrebenden und sich assimilierenden Positionen des Conscious Rap als durch und durch oppositionell (vgl. ebd.). In Bezug auf Blumfeld und das Album »Ich-Maschine« lässt sich eine Reihe von Anschlusspunkten zu Public Enemy und ihrem Konzept finden, etwa die I leave you with on the scene / will make Freddy bitch ass [Anspielung auf den Film »A Nightmare on Elm Street« (1984, Regie: Wes Craven), Anm. T.H.] look like a wet dream / this is fact, not fictional, son of a bitch«. Auch für das zweite von Reynolds genannte Zitat »we’re dead already« lässt sich im Werkkontext von The Geto Boys synchron kein Beleg finden, zwei Jahre nach Veröffentlichung seines Artikels erscheint jedoch ein Song von Kool G. Rap & D.J. Polo, bei dem Bushwick Bill und Scarface von The Geto Boys als Gast-Rapper fungieren und letzterer die Zeilen äußert: »You can’t kill me, cause I’m already dead« (Kool G. Rap & D.J. Polo 1992: »Two to the Head«, eigene Transkription). Im persönlichen Gespräch äußerte Reynolds mir gegenüber die Vermutung, dass es sich bei »we’re dead already« um eine Formulierung handelt, die The Geto Boys um 1990 in Interviews häufig benutzt haben und die später zu einer Zeile in dem genannten Song wurde.
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Verbindung von Intellektualismus und politischer Opposition in einer popästhetischen Form, die nicht im konventionellen Sinne ›rockistisch‹ daherkommt. Beide Bands treffen sich auch in ihrer Abgrenzung gegenüber integrativ-reformistischen Haltungen, wie sie sich in der deutschen Popkultur Anfang der 1990er Jahre bei Vertretern des Deutsch-Rock oder auch ehemaligen PunkBands wie den Toten Hosen erkennen lässt. Nicht zuletzt bilden die Kriegs-Topoi eine auffällige Gemeinsamkeit zwischen Public Enemy und Blumfelds »IchMaschine«. Reynolds spricht von einer »fetishization of the means (mobilization and militancy)« (ebd.) und bezieht sich auf Public Enemys performative Inszenierung im paramilitärischen Look. Auch wenn Blumfeld nicht unbedingt die Mittel ihres politischen Widerstands ästhetisieren, lässt sich doch gerade auf »Ich-Maschine« eine Semantik des Kriegerischen erkennen.173 Garstenauer erwähnt die »fatalistische Anrufung der Kriegsstimmung« (2009: 232) auf den frühen Blumfeld-Alben. Und Metelmann beobachtet, dass der Bereich des Mechanischen auf dem Blumfeld-Album »vor allem als Kriegsmaschine« buchstabiert werde, als die sich »das Ich gegen die Bedrohung durch Liebe und (Freundes-) Familie imaginiert« (2002: 34). Metelmann liefert hierfür einige Belege, so unter anderem die Zeilen: »im Kriegsgebiet in Liebe« (Blumfeld 1992a: »Aus den Kriegstagebüchern«) und
173 Zu einer eher ironischen militärischen Inszenierung im Zusammenhang mit Blumfeld kommt es im Videoclip zu »Menschen haben keine Ahnung« der Goldenen Zitronen (1996). Hier fungiert Jochen Distelmeyer als in Camouflage gekleideter und Schorsch Kameruns Gesang ›singender‹ Hauptdarsteller, der ein militärgrünes T-Shirt mit einem Abzeichen des Roten Kreuzes trägt. Es scheint sich bei dieser Figur allerdings nicht um einen Sanitäter, sondern um einen autoritären drill instructor zu handeln, der eine Gruppe von zehn ›ahnungslosen‹ Menschen (5 Männer, 5 Frauen) in Phantasiekostümen mit den folgenden Worten diszipliniert: »Menschen haben keine Ahnung, daher die Warnung, bevor es zu spät ist. Erst mal scheint es so als wär nichts, als ob nichts passiert ist, bis dann nichts mehr geht, bis nichts mehr geht. Und obwohl dort drüben in Britannien alle an einem Strang ziehen. Problem, Problem. Hier geht es nicht um einen Einzelfall. Alle sind betroffen. Problem, Problem. Ich sage, Hunde hört auf euer Herrchen, diesmal müßt ihr brav sein, keine Widerrede, Eltern haften für die Kinder. Diesmal ist ein Grund da zuzuhören – und zu parieren. Ihr sollt parieren! Könntet ihr jetzt endlich mal das Maul halten; ohne mich zu stören, zerstören, zerstören. Ich bin doch hier nicht euer Hampelmann, euer aller Clown, nichtmal im Traum – wohl kaum, wohl kaum. Schluß jetzt, alles hört auf mein Kommando. Die Männer nach links, die Frauen nach rechts, die Augen geradeaus. Und eins zwo drei vier links zwo drei vier …« (Die Goldenen Zitronen 1996: »Menschen haben keine Ahnung«). Die angesprochene Gruppe – die Männer in Hellblau, die Frauen in Zartrosa gekleidet – befindet sich auf einer Rasenfläche, spielt mit Bällen und zeigt ein kindliches und apathisches Verhalten. Es wird nicht recht deutlich, ob es sich um ein ausgelassenes Spiel handelt oder um eine Art kollektiven Hospitalismus. Das Rote-Kreuz-Symbol wie auch die Kostüme der ›Menschen‹ legen nahe, dass es sich um Patienten einer Heilanstalt handeln könnte. Der nur zweiminütige Song kommt, gerade in Verbindung mit dem Videoclip, einer collageartigen Auseinandersetzung mit autoritärer Sprache und den entsprechenden Posen gleich.
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Was als Selbst verteidigung wegen Weltallergie (der Schleim, den Du ausspuckst, wollte Dich nie) begann, kam irgendwann bei Manöverübungsgelände an und der Krieg findet statt (Blumfeld 1992a: »Pickelface ist back in town«)
Überraschend erscheint hier nicht nur, dass Liebesbeziehungen und soziale Beziehungen vom lyrischen Ich als Kriegsschauplätze markiert werden, die die eigene Identität gefährden, sondern auch, dass eine Semantik der Kriegsführung im engeren Sinne (»Verteidigung«, »Manöverübungsgelände«, »Schützengraben«, »Rache«)174 mit Begriffen aus dem Bereich physiologischer und pathologischer Abwehrreaktionen des Köpers (»Allergie«, »Schleim«, »ausspucken«) verknüpft wird. Die eigenwillige Schreibweise von »Selbstverteidigung« im Booklet von »Ich-Maschine« als »Selbst verteidigung« deutet sowohl auf eine unmittelbare körperliche Kriegsführung im engeren Sinne hin (Kampfsport, Infanterie) wie auch auf eine ideelle Verteidigung des Selbst und seiner psychischen Konstitution gegen Übergriffe von außen. Der Aspekt des Allergischen verweist zudem darauf, dass auch der Körper des lyrischen Ichs sich – gewissermaßen eigenständig – im Kriegszustand befindet, denn bei einer Allergie handelt es sich ja um eine übersteigerte Abwehrreaktion des Körpers. Dabei nimmt das lyrische Ich seinen Körper als etwas Fremdes wahr und tritt ihm gegenüber in ein Subjekt-Objekt-Verhältnis. Der durch die Allergie hervorgerufene Schleim hat einen eigenen Willen (»wollte Dich nie«), er wird nicht als etwas vom eigenen Körper Hervorgebrachtes betrachtet, sondern als eine mit dem Selbst nicht identische Instanz, obwohl die Allergie als körperliche Abwehrreaktion der psychischen Situation des lyrischen Ichs durchaus entspricht und ein psychosomatischer Zusammenhang suggeriert wird. Schließlich weist Metelmann im Zusammenhang mit der Kriegs-Semantik von »Ich-Maschine« auf die hybride Metaphorik bestehend aus Liebe/Sex und Krieg/ Bomben des Songs »Sex.Bomben« (Blumfeld 1992a) hin, in dem von einem explodierenden Brief, einer »Kraterlandschaft«, »Mördergruben« und einer »Verwandtschaft […], die Tonnen wiegt« die Rede ist. In dem Song »Ich-Maschine« (Blumfeld 1992a) werden darüber hinaus »Eltern und Menschen, / die in Luftschutzbunkern wohnen, in denen Du sonst nichts vermißt außer Dir selbst«, 174 Ähnliches Kriegs-Vokabular verwendet auch Diedrich Diederichsen (1982) in einem frühen (Prä-)Text mit dem Titel »Nette Aussichten in den Schützengräben der Nebenkriegsschauplätze – über Freund und Feind, Lüge und Wahrheit und andere Kämpfe an der PopFront«.
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erwähnt. Auch hier zeigen die kriegerischen Motive an, dass Sexualität, Liebesund Familienbeziehungen eine Gefahr für die Autonomie des Ich darstellen.
Abb. 15: Musikvideo »Wohin mit dem Hass?« von Jochen Distelmeyer.
Abb. 16: Bandlogo von Public Enemy.
Auf symbolischer Ebene findet sich dieser Opferstatus unter ganz anderen Voraussetzungen auch im Logo von Public Enemy wieder, in dem ein Fadenkreuz die Silhouette eines schwarzen Rappers anvisiert. Dieses Logo wird wie-
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derum auch im Videoclip zu Jochen Distelmeyers »Wohin mit dem Hass?« (2009) zitiert (Abb. 15, 16). Wo die paramilitärische Inszenierung bei Public Enemy sowohl die politische Radikalität als auch den Kollektivismus betont und sich eine schwarze Community jenseits der offiziellen Gesellschaft und der offiziellen Nachrichtenkanäle formiert, die Aktivismus und Organisiertheit zur Schau stellt, steht der Topos des Kriegerischen auf »Ich-Maschine« in einem eher individualpsychologisch geprägten Kontext. Hier werden dennoch die gesellschaftlichen Zugriffe auf das Subjekt ausgiebig thematisiert, wodurch – wie zuvor gezeigt wurde – eine besondere Nähe zu den Forschungsfeldern der Kritischen Theorie entsteht. Wo bei Public Enemy die Handlungsbereitschaft einer Gegencommunity betont wird, die jegliche Annäherung an die gesellschaftliche Mitte verweigert, zeigt das lyrische Ich auf Blumfelds »Ich-Maschine« dagegen an, dass es sich im Kampf mit dem Außen befindet und selbst in der eigenen Community Gefahr läuft, vergesellschaftet zu werden. Beiden Gruppen geht es also letztlich darum, die Widersprüche eines ›beschädigten Lebens‹ in jeweils völlig unterschiedlichen soziokulturellen Kontexten offen auszustellen. Reynolds konstatiert: »PE did what no rock band then or since seemingly could: not just comment on, but connect with real issues and real stakes in the outside world; aggravating the contradictions and making the wounds rawer and harder to ignore.« (2007a: 56) Mit diesem political turn im HipHop Ende der 1980er Jahre ging in Deutschland auch eine entsprechende Re-Politisierung unter Rezipienten und Produzenten von (Indie-)Rock einher, die sich in Form von Diskursrock vom alten Rock-Paradigma befreite und die von Reynolds genannte Forderung an Rock-Bands einlöste. In diesem Sinne sind sowohl Blumfeld als auch Public Enemy conscious, wie Reynolds im historisierenden Verweis auf Post-Punk hervorhebt: the righteous rap style sired by PE reminds me […] of post-punk, that didactic strain of conscious-raising agit-prop represented by Gang of Four. […] The whole idea of ›conscious‹ recalled post-punk’s emphasis on being aware as being awake: not lulled into trance by consumerism or propaganda, but living in a red alert state of constant ideological vigilance (2007b: 119).175
Im Zusammenhang mit diesem Zitat wird auch der Begriff »Diskursrock« vor einem politischen Hintergrund plausibel: Das lyrische Ich legt ein ausgeprägtes 175 In Kapitel I dieser Studie wurde gezeigt, dass Blumfeld in dem von Reynolds beschriebenen Sinne in der Tradition von Post-Punk stehen. Reynolds bezieht sich in seinen Texten fast ausschließlich auf anglo-amerikanische Bands und Einzelkünstler, weswegen die Hamburger Schule bei ihm keine Rolle spielt. In der zitierten Passage wird der Begriff »AgitProp« entsprechend in einem progressiveren und weniger ›alt-linken‹ Sinne verwendet als wir ihn in Kapitel I in Bezug auf deutschsprachigen Polit-Rock (in Verbindung mit Gruppen wie Ton Steine Scherben und Floh de Cologne) verwendet haben.
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Bewusstsein an den Tag in Bezug auf das, was um es herum geschieht – sowohl auf privater Ebene als auch in Bezug auf sich im Umlauf befindliche, ›öffentliche‹ Diskurse. Clover hebt schließlich anhand von Public Enemys Verdienst hervor, was auf Blumfeld und Post-Punk-Bands wie Gang of Four auch zutrifft und eine passende Klammer bildet: Am Ende eines neuen Programms für politische Kunst müsse die Synthese aus Ästhetik und politischen Inhalten stehen, wobei der subkulturelle Status durch eine klassen- und rassen- und ortsübergreifende Kommunikation überschritten werden müsse (vgl. Clover 2009: 32). Die Bedeutsamkeit von Public Enemy liege darin, eine explizit soziopolitische und konfrontative Problematik im Verhältnis zu ihrer ästhetischen Form realisiert zu haben, die für politisches und ›affektives‹ Engagement einsteht (vgl. ebd.). Die gemeinsame Programmatik von Hamburger Schule (insbesondere Blumfeld), dem Post-Punk der späten 1970er und frühen 1980er Jahre sowie Public Enemys HipHop ist wegen der unterschiedlichen kulturellen Zusammenhänge und dem Ausbleiben von personalen Überschneidungen nicht unmittelbar erkennbar, konnte aber durch die bisherigen Ausführungen plausibel gemacht werden. In einer spezifischen Verbindung von Ästhetik und sozialem Bewusstsein geht es den genannten Bands, wie Clover bemerkt, um die Abwendung von starren Ideologien (auch denen der jeweiligen eigenen Subkultur) bei gleichzeitiger offensiver Thematisierung von sozio-politischen Zusammenhängen, auch wenn sie sich in der Privatsphäre manifestieren. Wichtiger als die Formulierung von Programmen oder Parolen erscheint die Etablierung einer jeweils distinktiven ästhetischen Praxis, die inmitten eines auch gesellschaftlich und global gedachten Diskursgeflechts realisiert wird und besagt: Alles hängt mit allem zusammen. Wenn im Folgenden konkrete Ähnlichkeiten bestimmter HipHop-Werke mit denen Blumfelds untersucht werden, erscheint es bemerkenswert, dass Joshua Clover in seiner Beschreibung des Public-Enemy-Sounds ganz ähnliche Attribute verwendet wie Metelmann im Bezug auf »Ich-Maschine«, wenn er von der pessimistisch-klaustrophobischen Grundstimmung des Albums spricht. Clover nennt einen spezifischen Klang, der gleichsam zwischen Affirmation und Verfremdung hinsichtlich des verwendeten Materials oszilliert. Er bestehe, so Clover, aus »the tones of an alarm or police siren, the promise of imminent violence, meant to produce the state of unrelieved pressure driving the listener ›to the edge of panic‹ as one song puts matters« (2009: 32).176 Clover legt nun mit Blick auf Adornos Ästhetische Theorie und dessen Begriff der Dissonanz dar, wie eine bestimmte Klangwelt zur Darstellung realweltlicher Widersprüche in ein Kunstwerk einfließen kann, ohne dass es zu einer Glättung 176 Hier wird auf das Stück »Terminator X to the Edge of Panic« (Public Enemy 1988) angespielt.
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dieser Widersprüche im Interesse der kritisierten Ideologie (bei Adorno etwa: der »verwalteten Welt«177) kommt: Along with preserving the antagonism that is the social foundation of Public Enemy (and, we would argue, the entire genre’s foundation in the late eighties), this dissonance allows the sound to serve multiple functions. It gives the listener the affective experience of constant pressure, surveillance, and threat of violence, which are horizons of daily life in communites of the Black underclass. For this purported core audience of hip-hop, the sound is a strange version of the familiar, a way of grasping the existential truth of a shared experience. (Ebd.: 33)
Bieten die von Clover genannten klanglichen Fragmente eines ästhetisierten und verfremdeten Alltags für die beschriebene Hörerschaft also identifikatorische Anknüpfungspunkte, wenn auch im Zeichen einer Soundästhetik der Negativität und der Dissonanz, so lasse sich der Sound laut Clover für eine wachsende Anzahl weißer Public-Enemy-Hörer aus der Mittelschicht nur schwer naturalisieren (vgl. ebd.). Für sie komme er einer »aesthetic attack« (ebd.) und einer »largely alien experience that refuses to offer itself as a pleasure« (ebd.) gleich.178 Unter Verwendung einer distinktiven Klangästhetik werden somit soziale Kategorien erkennbar ; mit ästhetischen Mitteln konstituiert sich eine community. Diesem Konzept scheinen Blumfeld sich mit ihrer Attacke gegen Pop auf »Ich-Maschine« ein Stück weit anzuschließen, auch wenn das Individuum auf diesem Album noch eine größere Rolle spielt als die Community. Auch darf man die von Clover dem Public-Enemy-Sound zugeordneten Faktoren wie konstanter Druck, Überwachung und Bedrohung durch Gewalt bezogen auf Blumfeld weniger wörtlich nehmen. Strukturell gibt es in Bezug auf Ideologiekritik und den 177 Vgl. Adorno/Horkheimer/Kogon (1989: passim); Adorno (2003e, 2003f: passim). 178 Vgl. hierzu auch Reynolds (2007a: 48). An dieser Stelle sei dem Vf. eine biographische Anekdote erlaubt. Denn Clovers Hörersegmentierung scheint mir als Angehöriger der letzteren Gruppe im Rückblick auf meine musikalische Sozialisation in hohem Maße plausibel. In der Tat bestand die vom politischen und ästhetischen Entstehungskontext weitgehend ahnungslose Faszination an den von einem Freund kopierten HipHop-Kassetten für mich als sehr junger Mensch in der vollkommenen Fremdartigkeit von Klang, Musik, Rap-Stimmen und natürlich auch von Topoi der Kriminalität – ein Eindruck, der durch die ›verwaschene‹ Klangqualität der mehrfach kopierten Tapes noch auditiv intensiviert wurde: Sie klangen, als kämen sie von sehr weit her in das Hamburg-Eppendorfer Jugendzimmer und als gehörten sie eigentlich nicht hierher. Die doch irgendwie nachhaltige Faszination kulminierte dann im Kauf des Public-Enemy-Albums »Fear of a Black Planet« (1990). Ich kann aus heutiger Sicht nicht mehr nachvollziehen, ob ich als Präpubertärer den Dissonanzen von Public Enemy überdrüssig wurde oder ob eine kulturindustrielle Glättung der Widersprüche (mit damaligen Lieblingsbands wie a-ha und Duran Duran) die größere Anziehungskraft ausübte: Tatsache ist, dass ich mich wenig später durch ein symbolträchtiges Tauschgeschäft mit einem Freund (dem späteren Rapper Samy Deluxe) von der Public-Enemy-LP trennte und glücklicher Besitzer von Madonnas Album »Like a Prayer« (1989) wurde.
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Status des Außenseiters oder Marginalisierten durchaus Ähnlichkeiten, doch das von Blumfeld besungene Ghetto konstituiert sich mehr durch ideelle und psychische Eigenschaften. Auf Verfahrensebene wird es eher abstrahierend beschrieben, sodass es weniger in einer konkreten sozialen Umgebung lokalisiert wird. Zwar bringen sowohl Blumfeld als auch Public Enemy letztlich ästhetische Produkte hervor, die sich sinnvoll kontextualisieren lassen, doch steht Blumfelds abstrahierendem Intellektualismus bei Public Enemy eine konkrete und harte soziale Realität als Sujet gegenüber. Clover spricht in Bezug auf Public Enemy davon, dass ihr Sound der Negativität mit seiner »rebarbative edge« (ebd.) als Waffe figuriert werde, als »›black steel‹ turned back on the armed structures of domination for which the police are both agents and synecdoche.« (Ebd.) Wo man bei Blumfeld weitgehend in der Abstraktion verbleibt, wird bei Public Enemy also beispielsweise die Polizei als konkreter Antagonist hervorgehoben. Wie sehr hier klangliche Aspekte von Bedeutung sind, betont auch Simon Reynolds. Ihm zufolge gebe es bei Public Enemy no vision of the perfect world that is the goal of the struggle, there is only a faithful sonic analogue for the disharmonious, fraught social environment and a fetishization of the state of being prepared – masked and armoured – to deal with it. Public Enemy are hooked on the glamour of the means of militancy and mobilization, barely aware of the vague halcyon end. (Reynolds 2007a: 51)
Anders als etwa beim Polit-Rock im Deutschland der 1970er Jahre mit seiner marxistischen und gewerkschaftspolitischen Ausrichtung, wird bei Public Enemy keine konkrete politische Teleologie verfolgt. Wo die Utopie verabschiedet wird, rücken die Symbole des Kampfes und seine Ästhetisierung in den Mittelpunkt. Anders als im Polit-Rock gibt es allerdings keinen Konflikt zwischen Ästhetik und Agitation, wie er in Kapitel I, Abschnitt 2.2.2. diskutiert wurde. Der politische Widerstand ist eng mit einer sozialen Sphäre verknüpft, die in unmittelbarer Wechselwirkung mit einer kulturellen und ästhetischen Praxis steht, in der die Äußerung von Parolen und die Formulierung eines konkreten politischen Programms in den Hintergrund treten. Eine solche Praxis der »cultural attack« (ebd.) überführen Blumfeld in die deutschsprachige Popkultur, wobei das Resultat von einer intellektualisierten weißen Hörerschaft rezipiert wurde und eine solidarische Geste zur US-HipHop-Community, wie sie auch von Ted Gaier formuliert wird, etwas zweifelhaft erscheint. Wohl aber entstand mit »Ich-Maschine« eine neue Ästhetik innerhalb des deutschsprachigen Rock, die sich stilistisch vor allem im Sprechgesang niederschlägt und für die frühe Phase der Hamburger Schule (u. a. auch bei den Sternen) kennzeichnend ist. Die Ähnlichkeiten zwischen HipHop und Blumfelds Verfahren auf »Ich-Maschine« sollen anhand von »Ghettowelt« noch einmal nahe am Text analysiert werden. Textimmanent lässt sich feststellen, dass es in »Ghettowelt« keinen Re-
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frain gibt, der durch textliche und musikalische Identität von der übrigen Struktur des Songs abzugrenzen wäre, auch eine Strophenstruktur lässt sich nur schwer identifizieren. Mit diesen Eigenschaften ähnelt »Ghettowelt« einem HipHopTrack, bei dem eine gleichförmige Modulation, ein konstanter vokaler und musikalischer flow, hergestellt wird, wohingegen ein klar strukturiertes Alternieren von Strophen und Refrains ausbleibt. Letzteres kommt zwar gelegentlich auch in HipHop-Stücken vor, im Gegensatz zum Popsong bleibt dieses Verfahren aber fakultativ. Dort, wo es zum Tragen kommt – beispielsweise in »911 is a Joke« (Public Enemy 1990) – erhalten die Stücke tendenziell einen Popsong-Charakter. Hinsichtlich einer etwaigen Strophenstruktur von »Ghettowelt«, ließe sich allenfalls die Wiederholung der Wendung »Ein x mehr« als Strophenanfänge deuten. Damit würden sich fünf Strophen ergeben, die in ihrer Länge zwischen 4–10 Zeilen variieren: 1
5
10
15
20
25
30
x x x x x x x x a a a a b b c c c x c x x x d d x e e f f x x
(Anfang 1. Strophe: »Ein Lied mehr«)
(Anfang 2. Strophe: »Ein falscher Freund mehr«)
(Anfang 3. Strophe: »Ein Sohn mehr«)
(Anfang 4. Strophe: »Eine Telefonnummer mehr«)
(Anfang 5. Strophe: »Ein Lied mehr«)
Was das Reimschema des Songs betrifft, handelt es sich bei etwa der Hälfte der Verse um Waisen; bei den übrigen Zeilen erstrecken sich einzelne Reime über
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mehrere Zeilen hinweg, und zwar im Fall von a (Z. 9–12) und c (Z. 15–19, unterbrochen durch eine Waise). Letztere Eigenschaft teilt »Ghettowelt« mit RapTexten, denn diese folgen zumeist weniger einer symmetrischen Reimlogik (mit Paar-, Kreuz-, Block- und Haufenreimen), sondern einer losen versübergreifenden Aneinanderreihung von Reimen (bzw. gleichlautender Silben oder Silbenfolgen), in der auch die Position dieser Silben innerhalb der jeweiligen Verse variabel ist. In einer an der linguistischen Pragmatik orientierten Untersuchung zeigt Jürgen Streeck anhand eines Textes des Rappers Rakim, wie das zunächst auf Endreimen basierende HipHop-Verfahren ausgehend vom Produktionskontext des Battle-Rap ausgeweitet wurde. An die Stelle der Verwendung von Endreimen trete ein sprachliches Gedächtnis, eine Datenbank, die lange und offene Listen gleichlautender Wörter umfasst und die man rasch nach ihren rhythmischen Eigenschaften gruppieren kann, sodass alle möglichen Varianten von Binnen- und Stabreimen etc. entstehen können – all dies unter dem Zeitdruck der battle, des freestyling (Streeck 2002: 553).
Auch Diederichsen bemerkt in seiner Besprechung der »Ghettowelt«-Single, insbesondere im (anders als auf der Version des Albums »L’Etat et Moi«) ohne musikalische Begleitung vorgetragenen »Sing Sing«, »all die Binnenreime, überhängenden und verschobenen nachgetragenen Reime und metrischen Reize, die man bei Chuck D. oder Rakim schätzt« (1991: 23). Und Roger Behrens betont, dass im Diskurs über die Hamburger Schule gelegentlich die Nähe zum Rap erwähnt werde, die »durch den oft eher gesprochenen Gesang, durch das Ausstoßen der Worte und das Kreisen der Gesangslinie um wenige Halb- und Ganztonschritte« (2002: 245) zustande komme. In »Ghettowelt« lassen sich sowohl auf stilistischer (Sprechgesang, Reimschema, Phrasierung) als auch auf semantischer Ebene (Topoi wie battle und Ghetto) einige Parallelen zu Rap-Musik und HipHop-Kultur ziehen. Vom erwähnten Chuck D., einem Mitglied von Public Enemy, stammt der nach Distelmeyers Aussagen für ihn einflussreiche Ausspruch, Rap sei das »Black CNN«: When Public Enemy first came out we used to say, ›Public Enemy, we’re agents for the preservation of the Black mind. We’re media hijackers.‹ We worked to hijack the media and put it in our own form. That’s originally how we came out. Initially Rap was America’s informal CNN because when Rap records came out somebody from far away could listen to a Rap record because it uses so many descriptive words and get a visual picture from what was being said. So a person that was coming up in Oakland would listen to a record from New York and get a visualization of what New York was about. When rappers came out from Oakland and Los Angeles and they were very visual with their words, people all over could get informed about Black life in those areas without checking the news. Everytime we checked for ourselves on the news they were locking us up anyway, so the interpretation coming from Rap was a lot clearer. That’s why I call
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Rap the Black CNN. Rap is now a worldwide phenomenon. Rap is the CNN for young people all over the world because now you can hear from rappers in Croatia and find out what they talk about and how they’re feeling. Rappers from Italy, rappers from Africa. Rap has become an unofficial network of the young mentality. (Chuck D. 1999: 256)179
Rap erfüllt also eine dialogische Funktion, erzählt eine alternative ›Wahrheit‹ jenseits der offiziellen Informationskanäle und gibt, wie der Journalist und HipHop-Experte Sascha Verlan bemerkt, »all denen das Wort, die nicht gefragt waren, Rap unterläuft die Lenkmechanismen der Medienkultur und stellt damit die Definitionsmacht der Mehrheitsgesellschaft in Frage« (2005: 288). Im Gegensatz zur gängigen Nachrichtenvermittlung werden »die Nachrichten des Rap mündlich verbreitet und persönlich vermittelt und zwar von Menschen, die von ihren selbst erlebten Lebensumständen und Erfahrungen berichten. Das gibt ihren Botschaften eine besondere Glaubwürdigkeit.« (Ebd.: 294) In diesem Sinne haben wir im vorigen Abschnitt die Äußerungen des lyrischen Ichs in »Ghettowelt« in Anlehnung an Adornos Minima Moralia als Reflexionen aus dem beschädigten Leben verstanden. In den Spielarten des HipHop scheint in solchen Reflexionen Konsens über die Verabschiedung einer politischen Utopie zu herrschen – im Unterschied zu Blumfeld, wo diese Möglichkeit noch aufscheint oder ihr Verlust wenigstens thematisiert wird. Mark Fisher bemerkt, dass Rock nach Kurt Cobains Tod seiner prometheischen und utopischen Eigenschaften beraubt schien (vgl. Fisher 2013: 17), während für einen Großteil der HipHop-Künstler »jegliche ›naive‹ Hoffnung, dass eine Jugendkultur irgendeine Veränderung herbeiführen könnte, schon durch die nüchterne Umarmung einer brutalen, reduktionistischen Version von ›Realität‹ ersetzt worden [war].« (Ebd.) In Freiheit macht arm (1993) vertritt Diederichsen in ähnlicher Weise die These, dass »utopische We-want-the-world-Theorien« (1993: 110), die er als Mischung marxistischer und freudianischer Elemente versteht, ihre Relevanz verlieren würden. Stattdessen sei die »Erhaltung von Communities […] zur Zeit Ziel in sich genug« (ebd.). Mit Bezug auf die amerikanische HipHop-Community (aber auch auf eine ›Community‹ wie die Hamburger Schule zutreffend), paraphrasiert Diederichsen diesen Gedanken in der Wir-Perspektive: »Wenn unter uns bleiben zu wollen, unser durch Erfahrungen mit Markt und Institutionen begründetes Ziel ist, brauchen wir nicht mehr andere Leute durch ein Ziel zu belästigen« (ebd.). Diederichsen bezeichnet diese Strategie als praxistauglicher und »angriffslustiger« (ebd.) als diejenigen marxistischen Ideen, die eine Überwindung der kapitalistischen Gesellschaft zum Ziel haben. Diesem Rückzug in eine Community im Sinne eines »neueren Tribalismus« (ebd.: 111) ordnet 179 Vgl. hierzu Fab 5 Freddy (1992: 50), Poschardt (2001: 155) und Schütte (2004: 143).
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Diederichsen das von Chuck D. proklamierte Konzept des unofficial network zu. Das »alternative CNN« (ebd.) sei »ein einigermaßen abhörsicheres Kommunikationssystem, das nicht bekennt oder zur Macht spricht, protestierend, beschwerend, betroffen, sondern nur zu seinesgleichen« (ebd.). Diese Radikalität trifft auf Blumfeld und die Hamburger Schule – auch wenn die soziale Dimension in Form einer eigenen ›Community‹ mitreflektiert wird – sicherlich nicht in gleichem Maße zu, vergleichbar wäre aber der Anspruch Blumfelds auf eine ›eigene‹ Sprache, die nicht mehr nur Protest artikuliert, sondern auch eine Art Rückzugsort darstellt, eine Textmusik, die sich einem nur vermeintlich totalen Verblendungszusammenhang entzieht oder einen (gescheiterten) Versuch, dies zu tun, zumindest benennt. So spricht der Schriftsteller und Journalist Carsten Klook in Bezug auf das »Auftauchen Jochen Distelmeyers und Blumfelds« (1994: 40) in einem SzeneHamburg-Artikel von einem »Akt des Zur-Sprache-Kommens« (ebd.). Insofern übernehmen Blumfeld vom HipHop eher das Verfahren und weniger die ideologischen Implikationen einer »Musik der Jugendlichen und der Minderheiten nach der Hoffnung auf Überwindung von Widersprüchen, auf Revolution und Utopie« (Diederichsen 1993: 53). Denn HipHop, so betont Diederichsen, sei keine idealistische Musik mehr, die von etwas träumt und dann an falschen Verhältnissen scheitert. Die waren bei HipHop immer schon falsch und höchstens konnte man mal jemanden dabei beobachten, wie er sich seine Fesseln etwas lockerte. Hoffnung ist bei HipHop meist die Tatsache, daß es kaum schlimmer geht. Und daß die Formulierung von und Kommunikation über Verhältnisse selten zu deren Verschlechterung beiträgt. HipHop ist eine nur noch antiintegrationistische Musik, das ist ihr Nenner, das ist das, was alle ihre Anhänger auf der ganzen Welt eint: nicht mitmachen (ebd.: 53f.).
Auch wenn bei Blumfeld vielfach nicht mitgemacht wird (man denke nur an den Kampf zwischen Spaßtyrann und Spielverderbern, der in Kapitel I, Abschnitt 5 diskutiert wurde) und der Glaube, mit einer Agit-Prop-Musik unmittelbar die Verhältnisse zu verändern, aufgegeben wird, lässt sich doch, wie etwa in »Ghettowelt«, eine zaghafte Utopie erkennen – nicht zuletzt, wenn diese ästhetisch in der Erprobung einer ›eigenen Sprache‹ präfiguriert wird. Denn auch über diese Sprache konstituierte sich eine bestimmte Community, die gerade in der frühen Phase der Hamburger Schule durch ihren Nonkonformismus und ihre sprachlichen Verfremdungen dem HipHop ähnliche anti-integrationistische Wege einschlug. In diesem Sinne wird der Einfluss durch HipHop in mehreren Interviews vom Autor Distelmeyer erwähnt, wobei es bemerkenswert erscheint, dass die deutlich zitathaft verfassten Verbaltexte Blumfelds durch ein poetologisches Konzept kommentiert werden, das selbst aus Referenzpunkten wie »Degenhardt« und
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»Chuck D.« und deren Poetologien hervorgeht. Im Rahmen eines Beitrags der Sendung »Tracks« auf dem Fernsehsender arte180 berichtet Distelmeyer, dass er sich Ende der 1980er Jahre uninspiriert durch die zeitgenössische Musik gefühlt und daraufhin »sehr stark und sehr viel« HipHop gehört habe. Durch Chuck D.s und Public Enemys Konzept, HipHop als eine Art »Nachrichtendienst« zu betrachten, sei in ihm schließlich ein neues »Zutrauen« zur Textmusik erwachsen – was letztlich zur Gründung von Blumfeld führte.181 Schon 1994 berichtet Distelmeyer: Im Jahr vor ›Ich-Maschine‹ hatte ich eigentlich mit Musikmachen gar nicht so viel am Hut und hauptsächlich geschrieben, bis ich dann irgendwann gemerkt habe, was HipHop mit Degenhardt zu tun hat, nämlich die Möglichkeit, Nachrichten dienstlich wie eine Presseagentur funktionieren zu lassen: Reden und durch eine minimale gesangliche Modulation die Reime dazu bringen. Das traf sich zu dem Zeitpunkt halt mit einer Aversion meinerseits gegen Singen, weil ich früher eigentlich nur gesungen habe und dann auch schlechte Texte durch den Gesang ausgleichen konnte. (Skilandat/ Hörstmann 1994: 11)
Auch hier wird das Konzept der ›Nachrichtenagentur‹ hervorgehoben, die nicht nur dem hegemonialen Status bestehender Nachrichtenagenturen Konkurrenz schafft, sondern auch für die Produktion großer Textmengen steht. Ferner erwähnt Distelmeyer eine ›Reduzierung‹ des Gesangsvortrags, die zuvor auch in Bezug auf die Musik Blumfelds konstatiert wurde. Das Gesangskonzept von »Ich-Maschine« sieht anstelle einer melodischen Interpretation des Verbaltextes eine Art ästhetisierte Informationsübermittlung mit eher gleichförmiger Modulation vor, was ebenfalls dem HipHop-Ansatz nahe kommt. Mit dem von Distelmeyer hergestellten Zusammenhang zwischen HipHop und dem Liedermacher Franz Josef Degenhardt wird ein am Verbaltext orientiertes Verfahren benannt, das auch Clover in Bezug auf den Rapper Rakim beschreibt und dabei einen Zusammenhang zwischen Rakims Rap und Bob Dylan benennt. Rakim sei es zuzurechnen, dass er effectively reimagined the lyrical possibilities of rap on his first two albums with Eric B., Paid in Full and Follow the Leader (1987 and 1988, respectively). Stretching enjambed sentences across syncopated and densely rhymed lines, Rakim did for rap something on the order of what Bob Dylan had done for rock and roll. Beyond technical triumph, Rakim fashioned a new rhetorical machine, able to articulate extended ideas as persuasively as catchphrases. He was pleased to use both, to connect old-school hustles about moving the crowd with doctrinal rallying cries in a style that instantly rendered obsolete the end-stopped couplet and quatrain format of early rap (Clover 2009: 29f.). 180 Ausgestrahlt am 11. 12. 2009. Abrufbar unter : http://www.youtube.com/watch?v=yIgq2q BokPQ (Letzter Zugriff am: 01. 06. 2015). 181 Transkription von T.H. Vgl. hierzu auch Rüdenauer (2009: 29).
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Mit der Verabschiedung des Endreim-Schemas wird ein Verfahren beschrieben, mit dem es im Rap möglich wurde, komplexe Geschichten zu erzählen und große Mengen an Informationen im Sinne eines Nachrichtendienstes zu übermitteln – ein Konzept, das Blumfeld im Kontext deutschsprachiger Rockmusik adaptierten. Passend zu Blumfelds Titel »Ich-Maschine« ist bei Clover in Bezug auf Rakim von einer »rhetorical machine« (2009: 30) die Rede. Und auch Büsser (1998) spricht in seinem weiter oben diskutierten Essay vom Ich als »Textmaschine«, bei der ein ›authentisches‹ Ausdrucks-Ich durch einen unaufhörlich Text produzierenden Apparat ersetzt wird, der, als Nachrichtenagentur imaginiert, aus dem Leben berichtet. Hier entsteht ein enger Zusammenhang zwischen den erwähnten Liedermachern Dylan und Degenhardt und HipHop, da in beiden Verfahren große Textmengen über eine eher gleichförmige musikalische Untermalung gesungen werden. Im Popsong konstitutive Faktoren wie die Gesangsmelodie oder ein alternierendes Schema von Strophe und Refrain, die im HipHop häufig gar nicht vorhanden sind, rücken auch bei Blumfeld in den Hintergrund, während der Verbaltext als Bericht bzw. ›Reflexion‹ an Bedeutung gewinnt. So heißt es auch in einer frühen Blumfeld-Besprechung: »Bei Blumfeld ist die Musik begleitend, den Text unterstützend, ähnlich wie bei Folk.« (Zabel 1992: 42) Das lyrische Verfahren des Popsongs erhält bei Blumfeld durch die Adaption von Verfahren des Hip Hop, des Folk und des Liedermachertums eine eher epische Komponente. Dies steht allerdings im Widerspruch zur Abstraktion der Blumfeld-Texte, sodass die Band eine Distanz zum Erzählduktus von Folk/Liedermachertum und HipHop aufrechterhält, die sich mit Diederichsen (1990: o.S.) als ›sekundaristisch‹ bezeichnen ließe. Bei der Adaption von Aspekten des HipHop-Verfahrens handelt es sich, wie schon zu Anfang des Abschnitts erwähnt, möglicherweise auch um die Solidarisierung mit einer Gruppe von Künstlern, die, so Clover, aus einer »excluded class and race position« (2009: 29) heraus agieren. Es sei dahingestellt, in welchem Maße etwa die Mitglieder von Blumfeld als gesellschaftlich exkludiert gelten können – als Intellektuelle und Künstler ist ihnen der Status des Außenseiters wohl nicht völlig fremd. Grundsätzlich erweisen sich die Topoi des HipHop für die Ideologiekritik der Hamburger Schule vielfach als anschlussfähig. Gemeinsam haben Public Enemys Szenarien mit denen von Blumfelds »Ich-Maschine« ihre Atmosphäre als »Musik der urbanen Angst« (Büttner 1997: 161). Zu den Settings des HipHop zählen real existierende Ghettowelten wie die Bronx (New York) oder Compton (Los Angeles). Die Soziologin Gabriele Klein und der Journalist Malte Friedrich sprechen gar vom Ghetto als »wichtigste[r] Bildfigur des HipHop« (2003: 22), die »Hoffnungslosigkeit, Gewalt und Angst ebenso transportiert wie eine Ästhetik der Möglichkeiten, der Befreiung und des Erfolgs« (ebd.: 23). Das Ghetto fungiere zudem als Setting, in dem der (männliche) HipHopper »stets als Gewinner [erscheint], denn er kann im Ghetto
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überleben oder er hat den Weg hinaus geschafft, verfügt über Geld, Kontakte und schöne Frauen« (ebd.). Dieses »männliche[ ] Stereotyp« (ebd.: 22) manifestiere sich als »Kämpfer im feindlichen Dschungel der nachindustriellen Megastadt« (ebd.: 23). Hier entstehen, wenn auch unter anderen Vorzeichen, Parallelen zum lyrischen Ich von »Ghettowelt«, das ebenfalls ein von Angst, (psychischer) Gewalt und Hoffnungslosigkeit geprägtes Szenario aufruft. Die Möglichkeit, dem Ghetto durch materiellen Wohlstand zu entkommen, wird bei Blumfeld freilich nicht in Betracht gezogen, was nicht verwundert, denn das lyrische Ich spricht ja aus einer subkulturellen Szene heraus, die sich als unabhängig, rebellisch und kritisch versteht und die gerade auch gegenüber der Pop-Industrie Kritik äußert. Dagegen wird in HipHop-Texten eine »schwierige Lebenssituation« (Klein/Friedrich 2003: 23) dargestellt, der die lyrischen Ichs »durch ihre Kunst entkommen sind« (ebd.). In der Adaption von HipHop-Verfahren und im Schulterschluss mit der HipHop-Szene kommt es bei den Repräsentanten der Hamburger Schule nie zu einer naiven Identifikation. Angesichts der sozialen Asymmetrie der beiden Strömungen fällt die Frage nach der Legitimation hinter das Reflexionsniveau der Hamburger-Schule-Texte zurück. Dies wird spätestens in einem Tocotronic-Song erkennbar, in dem festgehalten wird: »Ich bin ein weißer heterosexueller Mann« (Tocotronic 2013: »Exil«). Die erwähnte Asymmetrie, die durch die solidarische Geste der Hamburger Schule mit der HipHop-Szene entsteht, scheint sich aber doch als Konflikt in der Form zu äußern: Aus dem alternativen CNN des US-HipHop wird in der Hamburger Schule allenfalls ein Anti-CNN, denn der ›Hamburger Nachrichtendienst‹ zeichnet sich immer wieder durch Hermetik und Kommunikationsverweigerung aus. Dies scheint vor dem Hintergrund eines Problembewusstseins zustande zu kommen, das im ersten Kapitel dieser Arbeit mit dem Begriff ›Sekundarität‹ beschrieben wurde. Die Tatsache, dass die Adaption des HipHop in deutscher Sprache und im Kontext der deutschen Popkultur stattfindet, muss markiert und problematisiert werden. Wo sich die Hamburger Schule ›unverbindlich‹ und auf eklektizistische Art und Weise bei den Verfahren des HipHop bedient, bleibt eine ideologische Kluft vorhanden. Während die Hamburger Schule in Gegnerschaft zum Kapitalismus steht und eine poststrukturalistisch informierte Kulturkritik im Stil der Kritischen Theorie betreibt, kommt es im HipHop zwar zu einer ausgiebigen Darstellung ›beschädigten Lebens‹, allerdings werden die Sujets der Isolation, des harten Realismus und der Illusionslosigkeit häufig gepaart mit einer identifikatorischen Affirmation des Systems. Die stereotype Story des HipHop nach einer Phase des ›intelligenten‹ Conscious bzw. Righteous Rap mit Vertretern wie Public Enemy erzählt vor allem den Weg heraus aus dem Ghetto, hinein in einen massenmedial vermittelten Popstar-Status. Hier gestaltet sich die Emanzipation
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des HipHop-Stars dergestalt, dass dieser nun selber im Zentrum der Macht angekommen ist und am Konsum teilnehmen kann. In »Juicy«, einem populären HipHop-Song von 1994, wird ebendiese Geschichte von Notorious B.I.G. erzählt, dessen nun erfolgreiches lyrisches Ich das Lied zunächst in einer gesprochenen Passage all denen widmet, die es ihm damals im Ghetto schwergemacht haben: This album is dedicated to all the teachers that told me I’d never amount to nothing. To all the people that lived above the buildings that I was hustling in front of that called the police on me when I was trying to make some money to feed my daughters. And all the niggers in the struggle (Notorious B.I.G. 1994: »Juicy«, eigene Transkription).182
Die Geschichte wird unmissverständlich im urbanen Ghetto lokalisiert. Die vom lyrischen Ich geschilderte Szene deckt sich mit der Biographie des Autors Notorious B.I.G. (bürgerlich: Christopher George Latore Wallace), der aus Brooklyn stammt und tatsächlich als Drogenhändler tätig war. Im Folgenden erzählt das lyrische Ich den Weg bis zur Gegenwart des erfolgreichen HipHopKünstlers. Der Wandlungsprozess macht sich hier vor allem durch die Anhäufung materieller Güter bemerkbar und ausdrücklich nicht durch eine Veränderung des Bewusstseins. Um dies zu unterstreichen, wird hervorgehoben, dass die alten Weggefährten am Reichtum partizipieren, seien es die Freunde (»And I’m far from cheap, / I smoke skunk with my peeps all day / spread love, it’s the Brooklyn way« [ebd.])183 oder die Geliebte (»Puttin’ 5 karats in my baby girl’s ears« [ebd.]).184 Wo der lyrische Sprecher früher die Sardinendose zum Abendbrot öffnete, trinkt er jetzt Champagner von Mo[t & Chandon (vgl. ebd.) und nennt all die (Marken-)Güter, zu denen er jetzt Zugang hat: »Super Nintendo, Sega Genesis / When I was dead broke, man, I couldn’t picture this / 50 inch screen, money green leather sofa / Got two rides, a limousine with a chauffeur« (ebd.).185 Die Errungenschaften des lyrischen Sprechers manifestieren sich primär in ihrer Warenförmigkeit und beziehen sich fast ausschließlich auf den Bereich des Materiellen – nur an einer Stelle erwähnt er eine 182 »Dieses Album ist all den Lehrern gewidmet, die mir sagten, dass ich es nie zu etwas bringen würde. Und all den Leuten, die in den Häusern wohnten, vor denen ich meine Geschäfte betrieben habe, und die meinetwegen die Polizei gerufen haben, während ich nur versucht habe, etwas Geld zu verdienen, um meine Töchter zu ernähren. Und es ist allen Niggern in ihrem Kampf gewidmet.« (dt. T.H.). 183 »Weit entfernt davon, geizig zu sein, / rauche ich mit meinen Leuten den ganzen Tag Gras / und verbreite Liebe, das ist die Brooklyner Art«. 184 »Stecke meiner Kleinen 5-Karat-Ohrringe an«. 185 »Super Nintendo, Sega Genesis / Ich konnte mir so etwas nicht vorstellen, als ich komplett pleite war / ein 50-Zoll-Fernseher, ein dollarnoten-grünes Ledersofa, / habe zwei Autos und eine Limousine mit Chauffeur«.
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ideelle Verbesserung seiner Lebensumstände (»livin’ life without fear« [ebd.]). In seinem Fazit wird das System nicht kritisiert, stattdessen heißt es lakonisch: »I went from negative to positive, and that’s all« (ebd.). Hier endet die Erfolgsgeschichte und bestätigt die Gültigkeit des amerikanischen Traums – am Ende wird alles gut. Ganz anders verhält es sich bei Public Enemy. Wo Notorious B.I.G.s lyrisches Ich den Wandel von ›negativ‹ zu ›positiv‹ vollzieht, in dem Sinne, dass er fortan materiellen Wohlstand für sich und sein Umfeld genießt, werden bei Public Enemy materielle Statussymbole abgelehnt. Bei den von der Hamburger Schule favorisierten Rappern kommt es zu keinerlei Glorifizierung des kommerziellen Erfolgs durch HipHop. Vielmehr lässt sich der von Diederichsen erwähnte ›Rückzug in die Community‹ beobachten. Who gives a fuck about a goddamn Grammy? Anyway, and I’m saying the D defending the mike, yeah who gives a fuck about what they like, right? right the power is bold, the rhymes politically cold (Public Enemy 1988: »Terminator X to the Edge of Panic«, transkribiert von T.H.)
Hier demonstriert der lyrische Sprecher sein Desinteresse für offiziellen Erfolg und fragt, wer sich denn um einen gottverdammten Grammy schere – gemeint ist die Verleihung des wichtigsten internationalen Musikpreises »Grammy Award«, für den Public Enemy zwei Jahre nach Veröffentlichung der oben zitierten Zeilen mit »Fight the Power« in der Kategorie »Best Rap Performance« tatsächlich nominiert waren. Viel wichtiger sei es, dass Chuck D. die (Diskurs-)Hoheit über das Mikrofon verteidigt (»the D defending the mike«). In dieser Kraftdemonstration (»the power is bold«) kümmert man sich nicht darum, was die anderen (»they«) mögen. Das lyrische Ich weigert sich, sein Publikum zu unterhalten und kulturindustrielle Ansprüche zu erfüllen, was schließlich noch einmal betont wird: »the rhymes are politically cold« – die Reime sind ›politisch kalt‹, insofern sie keine Hoffnung auf Versöhnung, Reformismus oder Identifikation jenseits des eigenen Umfeldes vermitteln. Anstelle einer dezidierten Kapitalismuskritik lässt sich hier zunächst die Geste des radikalen Rückzugs in die eigene Community erkennen. Die im späteren HipHop verfolgte Teleologie hin zu materiellem Reichtum und individuellem Glück, wie sie beispielhaft anhand von »Juicy« demonstriert wurde, hat sowohl für Public Enemy als auch für Blumfeld keine Gültigkeit. In beiden Fällen werden die jeweiligen ›Ghettowelten‹ dahingehend reflektiert, dass gesellschaftliche Umstände als Ursache von Leid identifiziert werden, dessen Symptomatik auch über materiellen Reichtum nicht beizukommen ist. Diese Tendenz zur Reflexion und Abstraktion widerspricht sich grundlegend mit der Poetik eines HipHop-Künstlers wie Notorious B.I.G.
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In dieser dominanten Spielart des HipHop steht vor allem der lebensweltliche Bezug für Authentizität und Respektwürdigkeit (vgl. Klein/Friedrich 2003: 23), doch anders als bei Blumfeld, die ihre Beschreibung der Ghettowelt abstrahieren, tendieren Rapper wie Notorious B.I.G. zur Konkretion, wenn sie »auf ihre soziale Herkunft, auf die projects oder den Stadtteil, in denen sie aufwuchsen« (ebd.) verweisen. Wo HipHop mit Verfahren der Konkretion in Verbindung steht, wird bei Blumfeld abstrahiert. Auch wenn Blumfeld das Konzept des alternativen Nachrichtendienstes übernehmen, orientieren sie sich nicht allgemein an den Topoi des HipHop, insbesondere besteht eine Diskrepanz zur HipHop-Ideologie, die, wie am Beispiel von Notorious B.I.G. dargestellt, kaum ideologiekritisch-emanzipatorische Merkmale aufweist. Blumfeld übernehmen vom HipHop als lyrisches Verfahren die Überwindung des Endreimschemas und darüber hinaus den Ansatz, ihr lyrisches Ich in ideologiekritischer Weise mit der sozialen Umwelt zu kontextualisieren, indem es berichtet. In diesem Verfahren lassen sich, wie gezeigt wurde, vor allem Parallelen zu Public Enemy erkennen. Sowohl Blumfeld als auch Public Enemy teilen einen Sonderstatus inmitten ihrer Genres, wobei sich righteous HipHop sinnvoll mit dem Paradigma des Diskursrock/-pop in Zusammenhang bringen lässt: In beiden Fällen kommt es zu Kritik durch ein ästhetisches Verfahren, dass sich dem kulturellen und gesellschaftlichen Außen öffnet. Hinsichtlich des in diesem Abschnitt untersuchten Albums »Ich-Maschine« ist auch auf MotivEbene die gemeinsame Kriegsmetaphorik auffällig – etwa mit Songtiteln wie »War at 33 1/3« (Public Enemy 1990), »Louder than a Bomb« (Public Enemy 1988), »Aus den Kriegstagebüchern« (Blumfeld 1992a) und »Sex.Bomben« (ebd.). Man befindet sich im Krieg, und so wurde auch der aggressive Vortragsgestus, der einen Anschlusspunkt zum Battle-Rap im US-HipHop bildet, hinsichtlich »Ich-Maschine« vielfach konstatiert. Dabei werden bei Blumfeld, wie bei Public Enemy übrigens auch, kaum konkrete Antagonisten innerhalb der Subkultur ›gedisst‹, vielmehr bezieht sich deren battle gleichsam auf das ganze System.
1.4
Blumfelds Pop-Persona: Me, Myself, and I. Die Selbst-Reflexion des lyrischen Ichs
Wurden im vorigen Abschnitt Verbindungen von Blumfelds Poetik zum HipHop hergestellt, so soll nun gezeigt werden, wie sich bei Blumfeld ein lyrisches Ich formiert, das, ähnlich wie im HipHop und im Liedermachertum, aus seiner Lebenswelt berichtet und auf diese Weise ein spezifisches neues Verfahren im deutschsprachigen Pop etabliert. In HipHop, Liedermachertum und Diskurspop steht gleichermaßen der fiktionale Status des lyrischen Ichs zur Debatte: Durch
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die große Textmenge kann die ›Welt‹ des lyrischen Ichs jeweils ausführlich entfaltet werden. Gerade im HipHop führt dies dazu, dass die Identität von lyrischem Ich und real existierendem Autor stärker suggeriert und detaillierter ausgestaltet werden kann als in konventionellen Popsongs. Bei Liedermachern wie Franz Josef Degenhardt, Dieter Süverkrüp oder Rolf Schwendter kommt es in stilistischer Nähe zu französischen Chansons und den Liedern der amerikanischen und deutschen Arbeiterbewegung zu einer Dominanz der sprachlichen Dimension mit großer Textmenge. Die einfach instrumentierte Musik ohne Bandbesetzung – meistens wird der Gesang lediglich von der Gitarre begleitet – dient dabei als Hintergrund für die ambitionierten politischen Verbaltexte. Sie kennzeichnet weniger ein lyrischer als ein erzählender Duktus. Die ›Erzählung‹ bleibt hier unmittelbar an den Live-Vortrag des Liedermachers gebunden und wird nicht vorrangig als Aufnahmewerk verstanden. Durch dessen körperliche Präsenz können die Songs leicht als direkter Ausdruck eines real existierenden Musikers verstanden werden. In dem hier beschriebenen Spannungsfeld zwischen lyrischem und lebensweltlichem Ich lässt sich auch im Zusammenhang mit Blumfeld und dem real existierenden Sänger, Gitarristen und Autor Jochen Distelmeyer von einer ›PopPersona‹ sprechen, die wir, da sich das lyrische Ich in dem Song »Anderes Ich« (Blumfeld 1992c) selbst so anspricht, »Jochen« nennen wollen. Unter »Persona« wird eine Figur gefasst, die weder rein fiktional ist noch eine Identität von lyrischem Ich und empirischem Autor zulässt. Sie konstituiert sich ausgehend von einem textuellen lyrischen Ich, das sich als konstruierte Größe durch biografische und realweltliche Bezüge auf die empirische Autorfigur beziehen kann und so deren Identität mit dem Text-Ich unverbindlich suggeriert. Harald Fricke und Peter Stocker diskutieren den fiktionalen Status des lyrischen Ichs im konventionellen Gedicht als »Instanz, deren lyrische Kundgabe von Gedanken, Gefühlen, Beobachtungen und Erlebnissen wir im Gedicht zwar vernehmen, deren personale Identität und fragliche Fiktionalität aber gleichsam in der Schwebe bleiben« (2000: 509). Es handle sich beim lyrischen Ich um »eine poetische Leerstelle, die zur imaginativen Füllung ebenso einlädt wie gegebenenfalls zur persönlichen Identifikation.« (Ebd.) In Bezug auf Popmusik relativiert Diedrich Diederichsen dagegen den fiktionalen Status der Pop-Persona, indem er sich auf einen »Zusammenhang aus Bildern, Performances, (meist populärer) Musik, Texten und an reale Personen geknüpfte Erzählungen« (2014: XI) bezieht. In der Tat erscheint die Verknüpfung von Popmusik mit realweltlichen Musikern durch die von Diederichsen benannte Intermedialität in der Popmusik näherliegend als in einem Gedicht. Dennoch sollte auch das Pop-Ich innerhalb des Medienverbunds als konstruierte, fikionale und textuelle Größe verstanden werden, die die Identität von Text-Ich und realweltlichen Akteuren als Persona eher spielerisch und unverbindlich herstellt.
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Ein anschauliches Beispiel hierfür liefert der ehemalige The-Smiths-Sänger Morrissey, der die Inszenierung seiner Pop-Persona kunstvoll in einem semifiktionalen Bereich betreibt. Die Pop-Persona Morrissey lebe, so Holger Schulze, in ihren Songs, Auftritten und Videos »besonders deutlich durch und aus der Fülle ihrer Masken« (2013: 5). Morrisseys 2013 erschienene Autobiography liefert den realweltlichen Hintergrund zur Popstar-Figur, kommt aber selbst deutlich fiktionalisiert daher. Der Text beginnt mit einem Satz, der Reime und Wiederholungen enthält, ferner eine (daktylische) Metrik besitzt und mit dieser Poetizität einer Songzeile gleichkommt, während die referentielle Funktion in den Hintergrund rückt: »My childhood is streets upon streets upon streets upon streets. Streets to define you and streets to confine you, with no sign of motorway, freeway or highway.« (Morrissey 2013: 3) Damit wird signalisiert, dass sich das lyrische Werk und die scheinbar in einem faktualen Modus verfasste Autobiografie nicht voneinander trennen lassen und in der Persona Morrissey aufgehen. Die weitere Fiktionalisierung der Persona Morrissey vollzieht sich, indem auch andere Bands auf sie Bezug nehmen. Wenn es in dem Song »Moving to L.A.« heißt: »I’m drinking Hennessy with Morrissey« (2005, eigene Transkription), bezieht sich die Band Art Brut in einem poetischen Modus auf den realweltlichen Popstar Morrissey, der tatsächlich lange Zeit in Los Angeles wohnte.186 John Savage bemerkt zu dieser Art von Inszenierung im Pop, es gehe dabei vor allem um »self-recreation« (1995: xxii) und die Überwindung der AlltagsIdentität: »You could be an inner-urban child with a boring circumstance, yet by one simple act – changing your name – you could be transformed forever into an electronic deity« (ebd.: xxiii). Diese Strategie treffe nicht nur auf Kunstfiguren wie Prince und Madonna zu, sondern auch auf Individuen, die im Kontext einer Band, also mit deren Namen und Image, assoziiert werden (vgl. ebd.). Auch wenn die von Savage genannten Beispiele artifizieller als Blumfelds Pop-Persona »Jochen« daherkommen, handelt es sich auch bei dieser letztlich um eine ästhetisch vermittelte Kunstfigur, die von der Privatperson Jochen Distelmeyer aus textwissenschaftlicher Sicht differenziert werden muss – trotz aller sicherlich 186 Kurioserweise identifiziert sich die britische Band an anderer Stelle mit unserem Untersuchungsgegenstand: »punk rock ist nicht tot / we are hamburg school / […] sorry if my accent’s flawed i learnt my german from a 7’’ record« (Art Brut 2007: »St. Pauli«). Mit der besagten 7’’-Schallplatte wird auf »Punk Rock ist nicht tot« (2000) verwiesen, eine Single von Thee Headcoats. Die Zeile »Punk Rock ist nicht tot« wiederum zitiert den Album- und Songtitel »Punks Not Dead« (The Exploited 1981). Der an dem Bandprojekt Thee Headcoats beteiligte Künstler und Musiker Billy Childish produzierte das in England aufgenommene Goldene-Zitronen-Album »Punkrock« (1991). Insgesamt bewegen sich die genannten Bezüge also auf der traditionsreichen Achse zwischen Hamburg (genauer : St. Pauli) und England – man denke an die Anfänge der Beatles in Indra, Kaiserkeller, Star-Club und Top Ten.
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vorhandenen Überschneidungen. Ferner wäre zu überlegen, ob bei Blumfeld aufgrund der extensiv ausgestellten Intertextualität anstelle einer monolithischen Persona vielmehr ein Pluralismus an Personae (und lyrischen Ichs) entworfen wird. Plausibler erscheint jedoch eine konstante Autor-Persona, die den Pluralismus an Intertexten bündelt und personalisiert, ihnen also ›ein Gesicht gibt‹. Die Figur des Popstars Distelmeyer gewährleistet somit die Zurechenbarkeit der heterogenen Diskurse auf eine Persona. Diese Persona, die analog zum HipHop-Verfahren ihre Geschichte erzählt, wird im Folgenden anhand von »Der Angriff der Gegenwart (auf meine übrige Zeit)« (Blumfeld 1992b) diskutiert. Die Persona »Jochen« tritt auf den zwischen den Alben »Ich-Maschine« und »L’Etat et Moi« zeitgleich erscheinenden Singles »Zeitlupe« (Blumfeld 1992b) und »Traum:2« (Blumfeld 1992c) stärker in Erscheinung. Die Singles lassen sich dabei als werkimmanente Reflexion des Albums »Ich-Maschine« verstehen, aber auch als Kommentar dessen, was die Musiker realweltlich im Zuge ihres Erfolges durch »Ich-Maschine« erlebt haben – buchstäblich wird die vergangene Zeit unter die Lupe genommen.187 Wie schon zuvor erwähnt, wurde »Ghettowelt« in Diedrich Diederichsens Kritik zunächst zur »Single des Monats« (vgl. Diederichsen 1991: 23), später – in der SpexJanuarausgabe von 1992 – zur »Single des Jahres« (o. V. 1992b: 30) gekürt.188 Dies wird von Blumfeld in »Der Angriff der Gegenwart (auf meine übrige Zeit)« sogleich thematisiert. So soll im Folgenden gezeigt werden, wie die Band Blumfeld das ›Außen‹ in die Songs in Form von konkreten bandgeschichtlichen Ereignissen, aber auch in einer Reihe von intertextuellen Verweisen, einbezieht und welche Funktion die Persona »Jochen« dabei erfüllt. Wenn zuvor in Bezug auf »Ghettowelt« von einer Thematisierung der Produktionsbedingungen die Rede war, handelte es sich um einen eher abstrakten Zusammenhang aus Wirtschaftsordnung, Kulturindustrie, politischem Geschehen, dem Modus der Vermittlung durch Sprache, dem Pop-Geschäft und dem Hamburger-Schule-Diskurs. In »Der Angriff der Gegenwart (auf meine übrige Zeit)« wird sehr konkret die Spex-Rezeption der Blumfeld-Single vom lyrischen Ich aufgegriffen, indem es sich selbst als den Single des Monats (Z. 5)
187 Ein ähnliches Verfahren lässt sich in Tocotronics Song »Jetzt geht wieder alles von vorne los« (1996) erkennen: Im Eröffnungsstück des Albums »Wir Kommen Um Uns Zu Beschweren« rekapituliert das lyrische Ich die Zeit, die nach dem zuvor erschienenen Album mit dem Proust’schen Titel »Nach der verlorenen Zeit« vergangen ist: »Nach der verlorenen Zeit / hab’ ich erstmal / weniger nachgedacht / vielleicht darüber, wie man ein paar neue Lieder macht / nach der verlorenen Zeit / hab’ ich erstmal / mehr Zeit mit mir verbracht / und öfters hab’ ich wachgelegen / mitten in der Nacht / nach der verlorenen Zeit / hab’ ich erstmal / weniger gehasst / man findet ja nicht immer etwas / was einem gerad’ nicht passt« (Tocotronic 1996: »Jetzt geht wieder alles von vorne los«, eigene Transkription). 188 Vgl. hierzu Thomas (2002: o.S.).
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bzw. des Jahres (Z. 41) bezeichnet.189 Die mediale Rezeption Blumfelds wird zudem in der vierten Verszeile intertextuell mit dem zeitgenössischen PopArchiv verknüpft. Hier heißt es: »Und sehe mich und mich selbst auch«, ein nahezu wörtlicher Bezug auf »Me, Myself and I« (De la Soul 1989). Neben dem Kontext der deutschsprachigen Popkultur (Spex) wird also synchron die Verbindung zum angloamerikanischen Pop bzw. HipHop signalisiert. In der siebenten Verszeile verweist das lyrische Ich auf den Songtitel »Nichtschwimmer / nachGeburt« (Blumfeld 1992a) und damit auf das werkchronologisch in der Vergangenheit liegende Album »Ich-Maschine«. Denkbar wäre auch, dass hier selbstreferentiell auf die ›Geburt‹ der Band Blumfeld und deren Poetik hingewiesen wird. Weiterhin wird die eigene Bandgeschichte thematisiert, wenn vom Singen des lyrischen Ichs »auf Popmessen« die Rede ist (Z. 20). Angespielt wird hier auf die »Popkomm 1991«, auf der Blumfeld am 25. August des Jahres im Rahmen der Veranstaltung »Dialektverstärker« ihres damaligen Labels What’s So Funny About in Zusammenarbeit mit dem Label SubUp einen Auftritt im Kölner Club Rhenania absolvierten (Abb. 17).190 Das lyrische Ich berichtet also von der jüngsten realweltlichen Vergangenheit und reflektiert das zurückliegende ›Geschäftsjahr‹ der Band. Anlässlich der Veröffentlichung des zweiten Albums »L’Etat et Moi« wird Christoph Gurk später von einer zunehmenden »Selbstreflektion des ›Phänomens Blumfeld‹« (Gurk 1994: 62) sprechen – ein Verfahren, dessen sich die Band, wie gezeigt wurde, auch schon 1992, im Veröffentlichungsjahr von »Ich-Maschine« und den Singles »Zeitlupe« (Blumfeld 1992b) und »Traum:2« (Blumfeld 1992c) bediente. Um nun auf der besagten »Popmesse« und unter »Kapitalinteressen« (Z. 24) als professioneller Musiker zu reüssieren, wird es für das lyrische Ich zur Notwendigkeit, dass es »sich dichtet und dabei zur Währung formuliert / indem er [der Single des Monats, Anm. T.H.] sexuelle Phantasien komprimiert / und wie ein Markstück auf den Punkt bringt« (Z. 10–13). Die eigenen Phantasien werden, wenn das lyrische Ich äußert, dass es »sich dichtet«, im Hinblick auf marktwirtschaftliche Verwertung »komprimiert« (Z. 11). Die Komprimierung steht dabei für eine gewaltsame Version des Dichtens, da ein kulturindustrieller Zusammenhang das lyrische Ich zwingt, seinen Text metaphorisch in Form eines Markstücks »auf den Punkt« zu bringen, um ihn verwertbar zu machen. Die Komprimierung bzw. Kommodifizierung sexueller Phantasien unter den Bedingungen des Pop erfordert zugleich, dass im Ergebnis ein Song mit der ungefähren Standard-Länge einer Radiosingle von ca. 3:30 Minuten entsteht, 189 Die hier und im Folgenden verwendeten Zeilenangaben beziehen sich auf die in der Textbeilage auf Seite 391 abgedruckten Lyrics von »Der Angriff der Gegenwart (auf meine übrige Zeit)«. 190 Vgl. hierzu den Augenzeugenbericht von Max Dax (2007: 159).
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Abb. 17: Flyer der Veranstaltung »Dialektverstärker« zur Popkomm-Messe 1991.
wobei »Der Angriff der Gegenwart (auf meine übrige Zeit)« nie zum Radio-Hit wurde und es keinesfalls darauf anlegt. In diesem Szenario kommt es zu einer Art Selbstverurteilung des lyrischen Ichs. Die Künstler-Persona bedient sich bei den Biographien anderer, um literarische Stoffe zu generieren. Diese erlebt das lyrische Ich nämlich nicht notwendigerweise »am eigenen Leib« (Z. 15), sondern »an den Leibern derer, die er umbringt / Zu denen er als seine Spuren / Später jeden Draht verliert / Wenn er als Täter auf Popmessen davon singt / Daß so ein Leben isoliert« (Z. 16–19). Das lyrische Ich bzw. der Single des Monats wird nun zum ›Täter‹, indem es sein soziales Umfeld ausbeutet, ›fremde‹ Stoffe in seinen Text übernimmt, sie zu »Ich« werden lässt und zur marktwirtschaftlichen Verwertung freigibt. »Kapitalinteressen« (Z. 21) sorgen in ihrer Funktion als »Zivilisationsmaschine« (Z. 23) dafür, dass alles in Warenform verdichtet wird, mit der Folge, dass die besagten Kapitalinteressen »Dich dabei vernichten, alle Sinne / die von einer Welt und Dir in ihr berichten« (Z. 24f.). Das lyrische Ich macht mit dieser Beschreibung auf seinen Status als verdinglichtes und gespaltenes Ich aufmerksam, das sich Mechanismen bedient, die sich zerstörerisch auswirken. Wird in Zeile 2 zunächst formal ein lyrisches Ich etabliert, zeigt sich im Laufe des Songs, dass es sich selbst nicht als Einheit wahrzunehmen scheint, indem es sich multiperspektivisch be- bzw. fortschreibt, vor allem alternierend zwischen
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erster (Z. 1–5, 13f., 34, 36–54, 57–60) und dritter Person Singular (Z. 6–12), darüber hinaus aber auch in der zweiten Person Singular (Z. 27–33) sowie der ersten (Z. 35) und zweiten Person Plural (Z. 55f.). Die Konstruktion der PopPersona, die zunächst durch realweltliche Anknüpfungspunkte vollzogen wurde, wird hier durch die Inkonsistenz der Personalpronomina relativiert. Inkonsistenz entsteht zudem dadurch, dass der Song zwischen abstrakten und narrativen Passagen (Z. 43–51) alterniert. Bei den letzteren gibt ein ›stabiles‹ lyrisches Ich eine Handlung wieder : Es berichtet im Präsens von einer Zugreise im Intercity, bei der es sich aus Platzmangel in den Speisewagen setzt (Z. 43–45), vom Kellner implizit aufgefordert wird, zu zahlen oder mehr zu konsumieren und daraufhin mehr Bier trinkt (»nach einer Stunde war’n’s schon vier«, Z. 50). Wenn zuvor die Rede davon war, dass das lyrische Ich »dichtet« (Z. 10, 25), »komprimiert« (Z. 11) und »sich seine Welt […] einrichtet« (Z. 9), es sich also in einer aktiven und produktiven Position befand, behauptet es nun, »dicht« und »außer sich« (Z. 51) zu sein. Eine Äquivalenzstruktur des Außer-Sich-Seins erstreckt sich über den gesamten Song: Das lyrische Ich ist zunächst ganz explizit außer sich (Z. 51), was durch die wechselnden Personalpronomina strukturell bestätigt wird. Auch lässt sich in diesem Sinne seine Unterscheidung zwischen »mich« und »mich selbst« (Z. 4) erklären. Offenbar liegt dem regulären lyrischen Ich eine Art Uneigentlichkeit zugrunde. Seine Identität ist auch örtlich instabil geworden, befindet es sich doch abseits der »eigenen Erdung, Ich-Geschichte« (Z. 23) und »weit weg von zu Haus« (Z. 1, 38). Die Ursache für das Außer-Sich-Sein liegt für das lyrische Ich in der Teilnahme am Popgeschäft, das bei ihm eine Art Persönlichkeitsspaltung oder IchSchwäche hervorruft. Dies, freilich nicht im engeren Sinne psychopathologisch, sondern als Textverfahren verstanden, kann als Reaktion darauf gelten, dass dem Ich von Kapitalinteressen oder deren Personifizierungen (etwa als KellnerFigur) Gewalt angetan wird. Darüber hinaus wird in den Zeilen 18–21 ein Prozess der Isolation beschrieben, der von einem Leben im Musikgeschäft ausgeht und eine Äquivalenz zur Selbst- und Fremdzuschreibung »Single des Monats« bildet – auch der Single befindet sich ja als solcher in einer isolierten Position. Die Isolation wird dabei allerdings gerade nicht als Ich-Stärke erlebt, sondern als ein Außer-Sich-Sein. Dies wird auch durch das geographische Setting betont, befindet sich das lyrische Ich doch im »InterCity, Stadt/statt dazwischen« (Z. 45). Als »außer sich« bezeichnet es sich auf der Höhe »Hannover« (Z. 51), also zwischen den Städten Bielefeld und Hamburg (Hannover ist der Umsteigebahnhof), d. h. sowohl zwischen zwei geographischen Fixpunkten der Hamburger Schule (Hamburg und Bad Salzuflen), als auch zwischen Geburtsort und Wahlheimat Jochen Distelmeyers, respektive der Pop-Persona »Jochen«. Das Außer-Sich-Sein wird ferner durch zwei semantisch konträre Isotopien hinsichtlich der Begriffe »Draht« (Z. 19), »isolieren« (Z. 21) und »Erdung«
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(Z. 23) erkennbar. Es ist naheliegend, die drei Begriffe in diesen Zeilen im Bereich des Affektiven und Zwischenmenschlichen zu monosemieren (›den Draht zu jemandem verlieren‹, ›sich isolieren‹, ›sich geerdet fühlen‹), während sie zugleich in der genannten Kombination ein Paradigma im Bereich der Elektrotechnik bilden.191 Wenn hier im Diskurs über menschliche Beziehungen und Gefühle technische Konnotationen mitschwingen (wo auch schon in Zeile 11 von der Notwendigkeit die Rede war, Phantasien »komprimieren« zu müssen und sie, wie es in den Zeilen 12 und 15 heißt, ›auf den Punkt‹ zu bringen), wird suggeriert, dass dieses Vokabular von »Kapitalinteressen« (Z. 24) und einer »Zivilisationsmaschine« (Z. 26) ausgeht und es auf diese Weise unrechtmäßig Einzug in den Bereich menschlicher Affekte gefunden hat. Auf dem Spiel steht dabei – und dies scheint das lyrische Ich zu betrauern – eine Art freie Entfaltung des Ich, oder genauer : die freie Entfaltung einer Poetik, deren Zentrum ein Ich und dessen Sinneswahrnehmung bildet, wurde doch in den Verzeilen 27f. erwähnt, dass die Kapitalinteressen »Dich dabei vernichten, alle Sinne / Die von einer Welt und Dir in ihr berichten«. Gerade in der letzten der hier zitierten Verszeilen erscheint es bemerkenswert, dass nicht von einem Kunstwerk oder einem Lied, sondern vom »Berichten« gesprochen wird, das sich auf die Welt und das Verhältnis des Ichs zur Welt bezieht und damit Parallelen zum HipHopAnsatz wie auch zum Liedermachertum erkennen lässt. Dieses Ich und sein Bericht befinden sich in Gefahr : Das lyrische Ich sieht sich selbst zum Objekt werden, wenn es als »Währung« (Z. 10) eine neue Form annimmt. Die Welt, über die das lyrische Ich berichtet, zeichnet sich aus als eine, »In der Du Schulden machst für Geld / Mit dem du Dich und Deine Räume / Märkte, Werte- und Sozialmilieus / Als wär’n’s vergess’ne oder nie geträumte Träume / Einrichtest, um selbst leer zu überleben« (Z. 29–33). Das Ich gibt sein Eigenes auf – es wird fortan zu einem ›vergessenen oder nie geträumten Traum‹ – und richtet sich unfreiwillig im Hier und Jetzt ein (Z. 33). Es scheint, als würde dem Ich Gewalt angetan, doch drängt sich die Frage auf: Von wem eigentlich? Zwar ist von Kapitalinteressen und einer Zivilisationsmaschine die Rede, doch wird, anders als im Polit-Rock, kein konkretes Feindbild erkennbar. Stattdessen geht die Gewalt von einer diffusen Instanz aus (»Der Angriff der Gegenwart«), während das lyrische Ich an dem Prozess, der zu seinem Ich-Verlust führt, partizipiert. Seine »Ich-Geschichte« (Z. 23) wird, unter anderem von ihm selbst, ausgebeutet, zugleich beutet es selbst die Geschichten anderer Menschen aus. Bei den »Spuren« (Z. 18) des »Täters« (Z. 20) handelt es sich um seine Songs, die 191 Hier ließe sich zudem an die elektronischen Produktionsbedingungen des Rockmusikers denken. In diesem Zusammenhang verweisen auch die »Spuren« (Z. 18) auf Tonspuren, und beim Kompressor (vgl. Z. 11) handelt es sich um ein häufig eingesetztes Effektgerät zur Steuerung der Dynamik von Tonsignalen. Auch in »Anderes Ich« kommt Musikerjargon wie »Tuning und Soundcheck« (Blumfeld 1992c) zur Sprache.
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ihn, so seine Befürchtung, isolieren und den realweltlichen ›Draht‹ zu den anderen verlieren lassen. In der im Song beschriebenen Welt sind kein Ich und keine sozialen Beziehungen jenseits von Kapitalinteressen denkbar. Dieser Ich-Verlust lässt sich weiter anhand des Textverfahrens positivieren. Die Zeile »Ich bin eine Matchbox-Generation« (Z. 34) als Hybrid aus Ich- und Wir-Perspektive liefert ein Beispiel für die verwirrenden Perspektivwechsel der Songlyrics.192 Wo das lyrische Ich auf der Ebene der Personalpronomina instabil wird, kommt es in den fast identischen ersten vier Zeilen der 1. und 3. Strophe zu einer Ich-Spaltung. Hier imaginiert sich das lyrische Ich in das Innere eines Gitarrenbauchs und blickt durch das Schalloch auf ein doppeltes Ich: »Und sehe mich und mich selbst auch« (Z. 5). »Ich« verweist hier nicht mehr auf eine stabile Identität, sondern auf verschiedene Rollen, die vom lyrischen Ich ›im Außen‹ eingenommen werden. Zu ihnen tritt es bisweilen in kritische Distanz. So erscheint das lyrische Ich befremdet von seinem Status als öffentliche Figur im Pop-Geschäft, wenn es heißt, es sehe »den Single des Jahres / Sich zu Währung formulier’n« (Z. 41f.). Trotzdem sich das lyrische Ich als »fern von zu Haus« (Z. 1) und außer sich (Z. 51) betrachtet, kommt der Gitarrenbauch einem stabilen Innenraum gleich. Von den Anforderungen des öffentlichen Raumes geschützt, dient er dem lyrischen Ich nicht nur als »Resonanzkörper« (Z. 3, 40) zur Kommunikation mit dem Außen, sondern auch als zentraler Ort der Reflexion. Dies lässt sich als poetologische Metapher für das Verfahren des Diskurspop verstehen – als Reflexionsraum inmitten der Produktionsbedingungen. Die Konzeption eines lyrischen Ichs, das aus dem Gitarrenbauch heraus spricht, übernimmt die Band Blumfeld wörtlich aus Franz Josef Degenhardts Lied »Der, der meine Lieder singt«. In diesem Prätext sieht sich das Ich selbst als Objekt: »Durchs Schalloch im Gitarrenbauch, / da seh ich ihn und höre auch / die Lieder, die er singt« (Degenhardt 1965: »Der, der meine Lieder singt«).193 Eine biographische Nähe zum real existierenden Degenhardt wird mit der hier
192 Die Erwähnung der »Matchbox-Generation« (Z. 34, vgl. S.Y.P.H. 1987: »Die MatchboxGeneration«), der schon im ersten Kapitel erwähnte Verweis (Z. 58) auf die Fehlfarben-Zeile »Keine Atempause / Geschichte wird gemacht / es geht voran« [Fehlfarben 1980: »ein jahr (es geht voran)«] sowie der finale Ausruf »Punk« (Z. 60) lassen die musikalische Sozialisation der Pop-Persona deutlich werden. Anhand der konkreten Intertexte lassen sich wenige Parallelen erkennen; die Zitate haben eher metonymischen Charakter. Der S.Y.P.H.Song kommt wesentlich zynischer und alberner daher als Blumfelds engagierter und ernster Song »Der Angriff der Gegenwart (auf meine übrige Zeit)«. So heißt es bei S.Y.P.H.: »Drei Cognac und dann ab ins Bett / der Traum vom Leben ist so nett / morgens ist der Traum vorbei / und ich zerschlag ein Ei« (S.Y.P.H. 1987: »Die Matchbox-Generation«, eigene Transkription). Der Refrain lautet: »Wir sind die Matchbox-Generation / und wir freuen uns schon / auf den Friedhof / wir müssen uns nur verbrennen lassen / damit wir alle draufpassen« (ebd.). 193 Zit. nach Degenhardt (1969: 43).
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entworfenen Persona (»Er«) suggeriert.194 Dabei kommentiert das lyrische Ich in der dritten Person Degenhardts Status als Liedermacher an der Gitarre, als Alkoholiker, Ehemann und Familienvater (»der, der meine Lieder singt, / der, der meine Schnäpse trinkt, meine Frau ans Lachen bringt, meinen Kindern Muscheln schenkt«, Degenhardt 1965). In etwas zweifelhafter Gleichsetzung von Autor und lyrischem Ich bemerkt der Literaturkritiker Heinrich Vormweg in Bezug auf den »Mann im Gitarrenbauch« (1972: 30) ansonsten treffend, dass Degenhardt »selbst im Zweifel zu sein scheint, ob da nicht doch jemand anderer ist, der singt, wenn er, Degenhardt, dichtet und singt« (ebd.: 29). Degenhardt kenne den Mann, von dem in dem Lied gesungen wird, und warne vor ihm (vgl. ebd.). Tatsächlich kommen »Der, der meine Lieder singt« und »Der Angriff der Gegenwart (auf meine übrige Zeit)« einer Selbstverurteilung gleich – bei Degenhardt als Alkoholiker und Lügner gegenüber Frau und Kindern (»Vertraut dem nicht zu sehr, gebt acht / Auch, wenn er so gemütlich lacht«, Degenhardt 1965), bei Blumfeld als ästhetisierender »Täter« (Z. 20) im sozialen Umfeld. Sowohl bei Blumfeld als auch bei Degenhardt wird die Rolle reflektiert, die die jeweilige Persona in der Position des Songwriters und Künstlers zwischen marktwirtschaftlichen Mechanismen und politischem Anspruch, aber auch privat als Vater und Freund einnimmt.195 Dies scheint in beiden Fällen mit einer Art Selbstentfremdung verbunden zu sein. Beide Texte zeigen eine Diskrepanz zwischen ›sozialem Selbst‹ und ›reflektierendem Selbst‹, ohne dass eine Synthese möglich erscheint. Der Aspekt der Selbst-Entfremdung und des Außer-SichSeins, der in Blumfelds Song bereits ausführlich nachgewiesen wurde, äußert sich in Degenhardts Lied in den Zeilen: »Wie kommt nur dieser Mann hierhin? / Was hält den hier, was will er denn« (Degenhardt 1965). Bisher ließ sich beobachten, dass sich Blumfelds Pop-Persona innerhalb des realweltlichen Umfeldes der Band und der pop-spezifischen Produktionszusammenhänge konstituiert. Das lyrische Ich liefert einen Bericht im Spannungsfeld zwischen Ich und Außen. Dabei wurde im Bezug auf Degenhardt 194 Andere Interpreten fassten die in dem Lied besungene Figur hingegen nicht als Persona Degenhardts auf: »1967 hatte [Degenhardt] noch allen Grund, sein großbürgerlich versnobtes Publikum zu beschimpfen. Der, der meine Lieder singt, das war für Degenhardt damals ein ausgemachter Spießer mit neofaschistischen Neigungen, ein Verdacht, der gewiß nicht völlig aus der Luft gegriffen war.« (Schütt 1972: 100). 195 Wo bei Blumfeld über »Popkomm« und »Single des Monats« gesungen wird, thematisiert auch Degenhardt fortwährend den Rezeptionskontext seiner Lieder. Prominent reflektiert Degenhardt, wie Schütt hervorhebt, »selbstkritisch […] seine Klassen-Position bereits 1967 in dem Fast autobiographischen Lebenslauf eines westdeutschen Linken« (Schütt 1972: 98). Die Produktionsbedingungen, die bei Degenhardt die des Liedermachers und nicht wie bei Blumfeld des Popmusikers sind, kommen vielfach zur Sprache. So heißt es beispielhaft in »Nostalgia« (Degenhardt 1972): »Und viel zu starke Sätze / und Gitarrensaiten sprangen / und die Nächte waren auch / nicht lang genug« und »die Trauer schläft in der Gitarre« (eigene Transkription).
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erkennbar, dass Blumfelds Persona nicht nur durch die Reflexion äußerer ›Geschehnisse‹, sondern auch durch die Bearbeitung eines textuellen Außen zustande kommt. So wird neben Degenhardts Lied in dem hier untersuchten Blumfeld-Song ein weiterer prominenter Prätext aufgerufen. Indem der Film »Angriff der Gegenwart auf die übrige Zeit«196 als Songtitel und Refrainzeile zitiert wird, entsteht eine metonymische Präsenz des Regisseurs Alexander Kluge, der in vielerlei Hinsicht ein zu Blumfeld kongeniales ästhetisches Programm vertritt. Roger Behrens bemerkt dazu etwas vage: »Kluge hat sich am Essay-Film versucht, Blumfeld am Essay-Pop. Es geht um Gefühle und ihre Aufarbeitung, Wiederholung und Aufhebung in Musik« (2002b: 26). Was das Verfahren des Essay-Films angeht, so kann in Bezug auf Blumfelds Song wohl kaum von einer Vermischung von fiktionalen und dokumentarischen Elementen gesprochen werden. Trotzdem wird auch hier die realweltliche Bandgeschiche dokumentiert; der Fiktionalisierungsprozess der Songs und dessen kulturindustrielle Zwänge werden reflektiert. Dem Neuen Deutschen Film zugeordnet, zeichnen sich Kluges Werke durch die Beschäftigung mit zeitgenössischer sozialer Realität wie auch durch eine Kritik an der Filmindustrie und am Mainstream-Film aus – an ›einem Film mehr‹, wenn man so will (vgl. Lutze 1998: 143). Blumfeld und Kluge teilen damit die ausgeprägte Reflexion der Medialität: In der zum Film »Der Angriff der Gegenwart auf die übrige Zeit« zugehörigen schriftlichen Publikation Kluges (1985) – eine Mischung aus Expos8, Drehbuch und Essay – spricht der Regisseur vom übergeordneten Thema seines Films als »Trennung von einer Illusion« (1985: 13). In dieser Verlustgeschichte ist die bisher sinnstiftende Illusion von der Gegenwart bedroht: Man könnte sagen: das Prinzip der Gegenwart wütet gegenüber dem Prinzip Hoffnung und sämtlichen Illusionen der Vergangenheit. Wir leben in einer Gegenwart, die erstmals in der Lage wäre, sich zum Machthaber über sämtliche anderen Zeiten aufzuschwingen. Die ist bezeichnet mit dem Satz: Unheimlichkeit der Zeit. (Kluge 1985: 10f., Herv. im Original fett gedruckt)
Entsprechend können in Kluges Film auch die emanzipatorischen Qualitäten des Kinos als durch ein Zuviel an Gegenwart bedroht verstanden werden. Kluge spricht in seinem Text nicht nur vom Film, sondern dezidiert vom Kino, das er als Institution beschreibt, die »Geschichten [erzählt], […] Kunstfiguren und Idole hervorgebracht [hat]. Kein Zweifel, daß mich dieses Medium fasziniert.« (Ebd.: 8) Er wolle sich nicht von Illusion trennen, dass »das Kino, dem ich breite Teile meiner Arbeitszeit widme, siegesgewohnt in das 21. Jahrhundert einzieht.
196 »Angriff der Gegenwart auf die übrige Zeit« (1985). Regie und Drehbuch: Alexander Kluge.
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Diese Vorstellung ermöglicht es mir, mich realistisch mit den Gefahren, die dem Film drohen, den Phänomenen der sog. neuen Medien, zu befassen.« (Ebd.: 13) Das Kino wird von Kluge als im positiven Sinne eskapistische alternative Geschichtenwelt beschrieben, wird aber auch als ambivalent gekennzeichnet: Die Rede ist von einem »Kraftwerk der Gefühle« (ebd.: 7), das, ähnlich wie Blumfelds »Ich-Maschine«, als industriell anmutendes Gebilde Gefühle hervorbringt und damit auf das Konfliktfeld zwischen Kulturindustrie und ›bedrohter‹ Subjektivität verweist. Darüber hinaus betont Kluge nüchtern die dem Kino inhärente Marktlogik, wenn er von einem Ort spricht, an dem »Filme gegen Entgelt gezeigt werden« (ebd.: 8). Diese Marktlogik betrifft in dem Film »Der Angriff der Gegenwart auf die übrige Zeit« auch die Produktionsseite. So handelt eine Episode des Films von einem erblindenden Regisseur (dargestellt von Armin Müller-Stahl), der von sich behauptet, Bilder zu hassen, und von einem Filmproduzenten dazu veranlasst wird, den sich aktuell in Arbeit befindlichen Film um jeden Preis fertigzustellen – eine absurde Situation, die ein ähnlich desorientiertes Künstlersubjekt darstellt wie dasjenige in Blumfelds Song. Wenn auf Blumfelds Album »Ich-Maschine« wie auch in Alexander Kluges Film Produktionsbedingungen reflektiert werden, hat diese Reflexionsschleife auch widerständiges Potenzial. Der amerikanische Kommunikationswissenschaftler Peter C. Lutze weist insbesondere auf Kluges Verarbeitung von Stoffen hin, die sich für das Mainstreamkino als zu kontrovers, politisch und intellektuell erwiesen (vgl. Lutze 1998: 143). Die Intellektualisierung und Politisierung der aus der Sphäre des Populären stammenden Medien Film und Popmusik haben Kluge und Blumfeld damit ebenso gemeinsam wie die Exklusivität ihres intellektuellen Publikums. Hinzu kommt der kritische Anspruch des Adorno-Schülers Kluge, den er innerhalb einer Gattung geltend macht, die traditionell als eskapistisches Vergnügen genutzt wird. Wie Lutze hervorhebt, legen Kluges Werke Zeugnis einer »unpleasant reality of modern life« ab und beziehen sich auf Themen wie »the alienated individual in an impersonal and institutionalized society ; the isolation of the individual from others and the difficulty of relationships; sexuality in contemporary life« (ebd.: 144) – also auf genau die Themen, die immer wieder im Zusammenhang mit der Kritischen Theorie wie auch mit Blumfelds »Ich-Maschine« und »L’Etat et Moi« erwähnt werden. Statt große politische Zusammenhänge in den Blick zu nehmen, so Lutze, gehe es Kluge um die Darstellung des alltäglichen Lebens in der Moderne (vgl. ebd.). Die Darstellung von Sexualität etwa führe in »Angriff der Gegenwart auf die übrige Zeit« nicht zu Harmonie oder Intimität, sondern in die Warenförmigkeit; sie werde als nichts anderes als eine beliebige körperliche Funktion unter vielen dargestellt (vgl. ebd.: 150). Im gesamten Film, so ließe sich ergänzen, halten Maschinen Einzug in den Alltag der Figuren und wirken sich dabei destruktiv auf deren Leben aus: So sieht man eine junge Familie inklusive
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Neugeborenem apathisch auf den Bildschirm eines Computers starren und die Tastatur bedienen, ohne dass eine Kommunikation untereinander zustande kommt oder gezeigt wird, was am Computer produziert wird. In einer weiteren Episode wird eine in einer Gemeinschaftspraxis niedergelassene Ärztin (»die Überflüssige«) gezeigt, die ihren Job verliert, da einem neuen Kollegen der Vorzug gegeben wird, der im Besitz von mehr medizinischer Apparatur ist. Es lässt sich leicht erkennen: Der Angriff der Gegenwart und der Technologie ist in Kluges Film ein Angriff auf das Ich und kommt einer Verlustgeschichte gleich. Kluge weist darauf hin, dass »die ältere Technologie in ihrer letzten Stunde nochmals eine blühende Formenwelt hervortreibt« (1985: 13). Einen Moment lang scheine es, »daß der Kerzenleuchter, die Gaskandelaber, im letzten Moment wegen ihrer Schönheit das häßliche Neue überleben« (ebd.). Kluge stellt sich die Frage, ob sich angesichts der Tatsache, dass »an vielen Stellen einer Gesellschaft das Geheimnis der letzten Stunde Blüten hervortreibt« (ebd.: 13f.) von einer »Allianz der Bedrohten« (ebd.: 13, Herv. im Original fett gedruckt) erzählen lässt, die »vereinigt die neue Technologie zu einer Koexistenz zwingt« (ebd.). Hier erinnern Kluges Bemerkungen hinsichtlich seiner Figuren an Blumfelds Allianz der Spielverderber in »Apropos Tyrannenmord« und ihrer Haltung eines möglicherweise letzten Aufblühens des politischen Protests im Popsong.197 Hierher passt auch Ole Petras’ Bemerkung, im Jahr 1994 habe »die letzte konzertierte Politisierung deutscher Popmusik« (2011: 172) ihr Ende gefunden. Zwar habe es »immer wieder Lieder gegen Fremdenhass oder andere gesellschaftliche Übel [gegeben], doch verlassen diese selten den Rahmen affektiver Stimulanz« (ebd.). »Die Bedingungen der Möglichkeit von Gesellschaftskritik« seien aus Petras’ Sicht »seither nicht mehr bandübergreifend thematisiert, geschweige denn als identifikatorisch wirksamer Gegenstand des Independent behandelt worden.« (Ebd.) Diejenigen Bands, die in der zweiten Hälfte der 1990er Jahre publikumswirksam als »Hamburger Schule« rubriziert wurden, hätten eine »von der politischen Ambition weitgehend gereinigte Musik« (ebd.) hervorgebracht. Dies geht damit einher, so lässt sich Petras’ Befund ergänzen, dass die besagten Bands zugleich ihre zuvor praktizierte Distanz gegen eine stärkere Affirmation popästhetischer Formen eintauschten. Petras führt dies nicht explizit an, doch scheint er auf diese Entwicklung abzuheben, wenn er erwähnt, dass Die Sterne »1996 mit Posen ihr ganz der Retro-Ästhetik verhaftetes Major-Debüt« (ebd.) geben und Blumfeld sich 1999 »einer Abart des Schlagers zu[wenden]« (ebd.). Damit wird plausibel, dass Blumfelds »Der Angriff der Gegenwart (auf meine übrige Zeit)« wie auch das ungefähr zeitgleich erschienene »Apropos Tyran197 Vgl. Kapitel I, Abschnitt 5 der vorliegenden Studie.
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nenmord« im Kontext der von Kluge so genannten Geisteshaltung einer »Allianz der Bedrohten« entsteht. Diese pflegt noch eine deutliche, wenn auch keine totale Distanz zur Popkultur (bzw. bei Kluge zu neuen Medien und Technologien), in dem Bewusstsein, dass sich diese Distanz nicht mehr lange aufrechterhalten lassen wird. Insofern lassen sich Ähnlichkeiten zwischen Kluges und Blumfelds Ansatz der Distanzierung gerade auch über die durch die Frankfurter Schule geprägten Themenkomplexe konstatieren – in der Darstellung ›beschädigten Lebens‹, dem dialektischen Verhältnis von Privatem und Politischem, der Kritik an Kommodifizierung wie auch in der Autonomiebehauptung, sich trotz Teilnahme an den Massenmedien von kulturindustriellen Mechanismen zu distanzieren. So benennt Peter C. Lutze die Themen der Frankfurter Schule, wie sie in Kluges Werken behandelt werden: Many of these themes represent concerns voiced earlier by Adorno, Horkheimer, Benjamin, and others associated with the Frankfurt School. They understand modern society as a warped and instrumentalized version of rationalism. This instrumental reason seeks to turn all aspects of human life, both public and private, into predictable, controlled behavior. All human action and intercourse becomes quantifiable and commodified. […] In his efforts to escape the paralyzing aesthetic dilemmas posed by this critique – especially for someone determined to work in the mass media – Kluge has adopted several different strategies. The first has been his ongoing attempt to wrest media from the exclusive control of the culture industry, insisting that artists be allowed to revert to a preindustrial, artisanal form of organization in order to create genuinely autonomous art using these media. (Lutze 1998: 144)
Essay-Film und Diskurspop können in diesem Sinne als Verfahren der kritischen Auseinandersetzung mit kulturindustriellen Mechanismen verstanden werden, die jeweils darauf abzielen, künstlerische Autonomie zurückzuerlangen bzw. zu bewahren. Nicht zuletzt erwähnt Lutze Kluges »spectator-based cinema« (ebd.: 145), in dem die Bedeutungskonstitution wie im Diskurspop innerhalb des kommunikativen Verhältnisses mit der Rezeption vonstatten geht und auch die Rezipienten in eine aktive Rolle geraten. Kluge und Blumfeld unterscheiden sich wiederum von der Kritischen Theorie, indem ihre Werke ein ›postmodernes‹ Paradigma mitbedenken, zu dem sie jeweils eine ambivalente Haltung einnehmen (vgl. ausführlicher : Kapitel I, Abschnitt 4 dieser Arbeit). Lutze bemerkt einerseits: »many of the subjects and themes in The Blind Director [englischer Titel von »Angriff der Gegenwart auf die übrige Zeit«, Anm. T.H.] can be regarded as postmodern« (ebd.: 146), andererseits behauptet er : »The film stands in opposition to any postmodern celebration of contemporary society« (ebd.). Letztlich dominiert der kritische Ansatz über die euphorische Affirmation postmoderner Verfahren. Lutze stellt heraus, dass der Titel die postmoderne Gegenwart als diejenige aggressive Instanz markiere, die Tradition und historisches Bewusstsein, aber auch Zukunfts-
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Illusionen zerstöre. Der Film richte sich letztlich gegen die Ahistorizität der Postmoderne (vgl. Lutze 1998: 147). Auch hier lässt sich eine große Übereinstimmung mit dem Programm Blumfelds konstatieren, derart, dass eine Affirmation postmoderner Verfahren der Intertextualität und Selbstreflexivität mit der Kritik im Hinblick auf die Gestimmtheit des (Künstler-)Subjekts verknüpft wird, was im Nachweis einer reflektierenden, aber ›instabilen‹ Pop-Persona bei Blumfeld gezeigt werden konnte. Dem intertextuellen Verfahren wird dabei, wie im nächsten Abschnitt anhand von Blumfelds »Sing Sing« (1994) gezeigt wird, durchaus auch emanzipatorisches Potenzial beigemessen. In der Analyse von »Der Angriff der Gegenwart (auf meine übrige Zeit)« und »Ghettowelt« zeigte sich das Diskurspop-Konzept als ein in hohem Maße kontextbezogenes Verfahren, in dem der mediale Kontext des Rock, des Popsongs, der Kulturindustrie usw. thematisiert und auf diese Weise eine ›reflexive Schleife‹ etabliert wird. Diese tritt in Kraft, ohne dass der Anspruch auf Protest und Kritik aufgegeben wird, dies immer in dem Bewusstsein eines Verlusts, wie ihn Lawrence Grossberg formuliert: »It does seem that rock is losing its power to encapsulate and articulate resistance and opposition« (Grossberg 1992: 9). Wo Rock oder eben auch das Kino einmal entsprechend einer kulturindustriellen Erfolgsgeschichte auf die Überwindung des Alltags abzielten, platziert sich der Diskurpop nun in einer konkreten politischen, (pop-)kulturellen, gesellschaftlichen Situation.
2.
»L’Etat et Moi«: Ausbruch der Intertextualität
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»Sing Sing«: Der Zeichensprecher als Schwerverbrecher (Songanalyse)
Ab dem Album »L’Etat et Moi« lässt sich im Werk Blumfelds eine deutliche Zunahme intertextueller Verfahren beobachten. Um diese Tendenz textnah nachzuweisen, wird – wie schon im Abschnitt zu »Ich-Maschine« geschehen – eine ausführliche Songanalyse den Auftakt dieses Kapitels zu Blumfelds zweitem Studioalbum bilden. Untersuchungsgegenstand ist diesmal »Sing Sing« – ein Song, dessen Lyrics nicht nur ein dichtes intertextuelles Verweisnetz bilden, sondern der sich auch auch durch eine für einen Popsong ungewöhnliche Hermetik auszeichnet. Christoph Gurk bemerkt in seiner Spex-Rezension des Albums »L’Etat et Moi«, das Ergebnis von Distelmeyers (Text-)Arbeit sei »nahe der Überhitzung mit Zitaten, Metonymien, Binnenreimen, Inversionen angestaut« und gehe »als semantisches Inferno über den Hörer [nieder]« (1994: 62). Kerstin Grether spricht von einem »kaum entwirrbare[n] Netzwerk von Reflexionen und Zita-
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ten« (1994: 25). Ähnlich bemerkt Frank Apunkt Schneider in einem testcardArtikel über die Lyrics der Hamburger Schule: Was gesungen wurde, ergab keinen zusammenhängenden Sinn, aber einen schnellen Wechsel zwischen manieriertem Schwachsinn und scharfzackigen Erkenntnisblitzen (v. a. beim frühen Distelmeyer, der konsequent zwischen Pennälerlyrik und Präzision zu pendeln verstand). Die neue Sprechweise war sperrig, kaputt und voller Sprünge, ungelungener Wendungen und hilfloser Abstraktheit. Sie berührte in manchen Fällen als sprachliche Ohnmachtausübung, in anderen nervte sie, in wieder anderen wollte sie genau das. Sie war zusammengebaut, und oft flog sie auch gleich wieder auseinander. (2011: 126)
Ähnlich urteilt der Autor und Journalist Erik Waechtler über »L’Etat et Moi«. Er spricht von einem »›Diskurs-Pop‹-Modell« als »Anfang der Zersetzung aller unmittelbaren poetischen Kraft. Diskurs-Pop war quasi der Kater des Punk und hat sich im Pop-Diskurs aufgelöst wie Alka Seltzer« (2011: 130). Die Lyrics auf »L’Etat et Moi« würden sich durch eine »Mehrdeutigkeit« auszeichnen, die »den Zuhörer in eine bedeutungsvolle Offenheit reißt« (ebd.). Neben der Intertextualität wird von der zeitgenössischen Rezeption vor allem die Unverständlichkeit und ›Polysemie‹ der Blumfeld-Texte bemerkt. Dazu sei erwähnt, dass es sich im Fall von »Sing Sing« um einen Verbaltext handelt, der vermutlich zunächst nicht als Songtext konzipiert wurde, erscheint er doch auf dem Album als leicht geänderte Version eines gesprochenen Gedichts mit gleichem Titel, das zuvor auf der B-Seite der »Ghettowelt«-Single (Blumfeld 1991) veröffentlicht wurde. »Sing Sing« beginnt mit einer Zeile, die unmittelbar auf den Titel des Albums verweist: »L’Etat et Moi« – dieser Komplex wird zunächst verkompliziert, sodass ›der Staat‹ und ›ich‹ keineswegs als zwei voneinander abgrenzbare Instanzen erscheinen:198 Wenn hier nämlich vom »Staat im Staat in der ersten Person« (Z. 1) die Rede ist, könnte zunächst davon ausgegangen werden, dass damit schlicht der Einfluss des Staates auf das Ich oder dessen Präsenz im Ich bezeichnet wird.199 Aus dem Ich wird dann als »Staat in der ersten Person« selbst eine Art Staats-Konzept, das mit dem offiziellen Staat in ein antagonistisches Verhältnis 198 Christoph Gurk spricht von dem »angenehm hybrid betitelten und noch hybrider, nämlich unter Anspielung auf das Cover zu ›50 Million Elvis Fans Can’t Be Wrong« gestalteten Album ›L’Etat et Moi‹« (1994: 62). In der Tat kommt der Titel des Albums trotz seiner Simplizität interpretatorisch offen und anspielungsreich daher. Das Bedeutungsspektrum erstreckt sich vom veränderten Zitat Ludwigs des XIV. (»L’etat c’est moi«) als mögliche Auseinandersetzung mit Macht- und Herrschaftsformen bis zur französischen Bedeutung von 8tat (»Befindlichkeit«) im Sinne einer Zustandsbeschreibung des Subjekts innerhalb kapitalistischer Zusammenhänge, die zudem im Titel als finanzieller »Etat« (Budget) präsent sind. 199 Die hier und im Folgenden verwendeten Zeilenangaben beziehen sich auf die in der Textbeilage auf Seite 392 abgedruckten Lyrics von »Sing Sing«.
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tritt, ähnlich wie das lyrische Ich sich in »Apropos Tyrannenmord« mit dem Spaßtyrannen, der sich »auf dem Vormarsch in mein Hirn« (Blumfeld 1991) befindet, in einen Kampf begibt – jener Personifikation des Abstraktums ›Kulturindustrie‹.200 Andererseits könnte »der Staat im Staat in der ersten Person« als ein durch den Staat noch nicht affizierter Bereich des Individuums verstanden werden, der eine Art Enklave in einem ansonsten gleichsam totalitären »Staat in der ersten Person« bildet. Wiederum erscheinen die Bezüge unklar, doch in beiden Lesarten wird der staatliche Einfluss auf das Ich weniger durch äußere Repressalien, sondern vielmehr vom Individuum selbst realisiert, etwa durch »Selbstanklagen« (Z. 2). Wo sich der Konflikt zwischen Ich und Staat also bis jetzt allein in der Sphäre des Ichs abspielt und sich nicht äußerlich manifestiert, scheinen die »Selbstanklagen« eigentlich fehlgeleitet zu sein, denn, so heißt es weiter, diese würden nach »Restauration einer Haut« klingen, die sich »wie eine Blindenschrift […] ohne Berührungsängste lesen läßt« (Z. 3f.). Diese rätselhafte Passage deutet auf den Wunsch des Ichs nach Kommunikation mit dem Außen hin. Die Literaturwissenschaftlerin Claudia Benthien diskutiert Haut in ihrer kulturanthropologischen Studie als »symbolische Fläche ›zwischen‹ Selbst und Welt« und als »zentrale[ ] Metapher des Getrenntseins« (2001: 7). Der Status der Haut lasse sich gleichermaßen als »Grenze und Kontaktfläche« (ebd.) beschreiben. »Nur an dieser Grenze«, so Benthien, »können sich Subjekte begegnen« (ebd.). In »Sing Sing« bewirkt die »Restauration einer Haut« in diesem Sinne, dass ihr Träger verstanden oder, wie es im Text heißt, gelesen werden kann. Es scheint, als müsse dafür eine diffuse, aber offenbar umfassende Isolation zwischen dem Ich und dem Anderen überwunden werden: Zunächst äußert sich diese durch »Berührungsängste« (Z. 4). Die Notwendigkeit, die Haut, von der hier die Rede ist, zu restaurieren, deutet ferner darauf hin, dass diese in irgendeiner Weise versehrt ist. Wie schon im Rahmen von »Ich-Maschine«, steht hier eine weitere Facette ›beschädigten Lebens‹ zur Debatte. Es herrscht Isolation, wo Kommunikation oder Kontakt sein sollte. Dies bestätigt sich im Motiv der Blindheit (vgl. auch Z. 11), die zur Kommunikation einer Blindenschrift bedarf. Durch die Blindheit ist eine weitere Form von Beschädigung aufgerufen, wobei durch den Kriegs-Kontext in den Verszeilen 5–15 auch eine Kriegsverletzung denkbar wäre, die die Kommunikation erschwert und den Betroffenen isoliert. Auch könnte hiermit, weniger wörtlich verstanden, auf einen etymologisch naheliegenden ›Verblendungszusammenhang‹ verwiesen sein, wie er von der Kritischen Theorie als Metapher für ein Phänomen geprägt wurde, das die Menschen isoliert. In diesem Zusammenhang weist Roger Behrens auf die Ikonographie des Covers von »Die 200 Vgl. hierzu ausführlich Kapitel I, Abschnitt 5 der vorliegenden Studie.
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Welt ist schön« (Blumfeld 2002) hin – derjenigen Sammlung der frühen Singles »Ghettowelt«, »Zeitlupe« und »Traum:2«, auf der auch die gesprochene Version von »Sing Sing« enthalten ist (vgl. Behrens 2002b: 26) – und beschreibt die darauf abgebildete Photographie von Peter Ginter : »Kälte überzieht die vermeintliche Freizeitgesellschaft, die Menschen sonnen sich im fahlen Schein aufgeschnallter Lampen; Aufklärung als Massenbetrug.« (Ebd.) Behrens betont, dass alle Blumfeld-Cover auf das politische Konzept der Band verweisen würden: »Pop ist die Krise. Und die Krise ist eine der Gesellschaft« (ebd.) – dieser Befund sei in der Coverästhetik von »Die Welt ist schön« mit der schönen neuen Welt Huxleys verwandt (vgl. ebd.). Auch hier wird also ein Verblendungszusammenhang als motivische Konstante Blumfelds plausibel. Die auf dem Cover abgebildeten Menschen, die sich womöglich einer Art Lichttherapie unterziehen, sitzen konform, aber jeder für sich isoliert, jeweils von einer individuellen Lampe ge- bzw. verblendet in weißen Bademänteln nebeneinander und schauen in unterschiedliche Richtungen (Abb. 18). Die Tatsache, dass es sich hier um eine schöne Welt handelt, erscheint, wie Behrens richtig feststellt, als »Imperativ« (ebd.). In »Sing Sing« wird das Motiv der Isolation erneut in den Zeilen 70–80 evident: Die Nebenordnung »Stammheim Babel« (Z. 70) deutet sowohl auf die im Gefängnis Stammheim in Isolationshaft gehaltenen Mitglieder der Roten Armee Fraktion hin als auch auf den biblischen Turmbau zu Babel, der für sprachliche Isolation unter den Völkern sorgte. Phänomene wie Staat, Isolation oder Blindheit werden in »Sing Sing« kaum als reale Institutionen oder Konkretionen erkennbar, sondern bleiben abstrakt. Auch die ohne Berührungsängste lesbare Blindenschrift muss in diesem Sinne metaphorisch als sinnerfüllte neue Kommunikationsform verstanden werden, die eine Möglichkeit zur Überwindung der Isolation aufscheinen lässt. Diese wird aber sogleich in Frage gestellt. Die Haut, die nach ihrer Restauration nun wieder für Kontaktaufnahme zur Verfügung steht und die Selbstanklagen obsolet erscheinen lässt, wird in den Zeilen 5– 8 mit einem anderen Vergleich konterkariert: Sie sei »wie ein Fluchtversuch / eines Kriegsberichterstatters, der sich selbst verflucht / weil er in Liebeserklärungen Auswege sucht / und nichts findet«. Diese Selbstverfluchung, die homographisch mit dem »Fluchtversuch« (Z. 5) verknüpft wird, erinnert an die »Selbstanklagen« aus Zeile 2. Der »Fluchtversuch« wiederum deutet auf die »Berührungsängste« (Z. 4) hin, denn beides verweist auf ein Nicht-Zustandekommen von Kontakt. Das lyrische Ich bezieht sich mit der Bezeichnung »Kriegsberichterstatter« (Z. 6) auf sich selbst. Es berichtet im nicht-wörtlichen Sinne über eine Kriegssituation, bestehend aus einem Panorama von menschlichen Beziehungen (»Berührungsängste«, »Liebeserklärungen«), Politik (Z. 55), Haftanstalten (Z. 28–30, 58–60, 70, 73 und Songtitel) und eigentlichem Krieg (Z. 6, 13). In der
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Abb. 18: Plattencover »Die Welt ist schön. Drei Singles 1991/1992« von Blumfeld.
performativen Situation des Songs handelt es sich beim lyrischen Ich nicht nur um einen Kriegsberichterstatter, sondern auch um einen Pop-Sänger, der das Liebeslied der Berichterstattung inmitten des oben beschriebenen Panoramas vorzieht und dabei »nichts findet« (Z. 8) – die »Liebeserklärungen« (Z. 7) als Modus der Kontaktaufnahme scheitern. Übrig bleibt der performative Sprechakt »Sing Sing« (Z. 9), später im Song mit dem Zusatz »ich mache weiter als ob nichts gewesen wäre« (Z. 80) versehen. Diese letztere Zeile erinnert dabei an den Song »Jet Set«, in dem es heißt: »Offen gesagt haben wir vor / weiterzumachen als Gescheiterte bisher / In Sachen Selbstverwirklichung« (Blumfeld 1994). Wenn das Sänger-Ich hier vielfach ein Scheitern thematisiert, so wird doch auf poetischer und performativer Ebene weitergemacht. Entsprechend wird ab Zeile 21 die eigene Poetologie als Möglichkeit einer geglückten Kommunikation aufgezeigt. Wurde der gesangliche Vortrag des Ichs zuvor lapidar und in einer selbstreferentiellen Geste mit »Sing Sing« benannt, wird nun das entsprechende Verfahren ausführlicher dargestellt: »Jedes Bild«, so heißt es in Verszeile 21, sei »wie ein Messer Gebrauchsgegenstand«. Dass es sich hier um ein sprachliches
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oder textuell verfasstes Bild handeln muss, wird in der Folgezeile deutlich, da es mit Lesbarkeit in Verbindung gebracht wird: »lesen meint hier denken mit anderm Verstand / indem man liest und was begreift / sich und den andern, sucht und findet (das ist Arbeit)« (Z. 21–24). Der Zusatz »das ist Arbeit« lässt darauf schließen, dass hier ein Produktionsprozess beschrieben wird, wobei zunächst noch die Beschäftigung mit anderen Texten im Vordergrund steht. Das Ich erkennt sich selbst und »den andern« in Texten wieder. Hier handelt es sich um potenzielle Intertexte, die innerhalb der eigenen Poetik produktiv gemacht und in diesem Sinne »Gebrauchsgegenstand« werden. Ab Zeile 25 benennt das lyrische Ich denn auch das intertextuelle Verfahren. Das Lesen als »denken mit anderm Verstand« (Z. 22) kommt dahingehend zum Tragen, dass man »das Gefundene mit-teilt und verbindet (das ist Technik) / gemeinsam eine Welt erfindet (vielleicht Liebe)« (Z. 25f.). Die letzte Zeile deutet sowohl auf eine Liebes-Utopie hin wie auch auf den fiktionalen Status des Songs und des eigenen Sprechens (eine Welt erfinden). Bei der zu erfindenden Welt handelt es sich um eine ästhetische textuelle Welt. Das eigene Sprechen erweist sich in seiner Verbindung von Gefundenem als konstruiert bzw. nicht-originär und kann damit kaum als Teil eines naiven lovesongs gelten, obwohl gerade der Wunsch nach unmittelbarer Nähe und sinnhafter Kommunikation vom lyrischen Ich verhandelt wird. Wie schon im Vergleich von Haut mit einer Blindenschrift (Z. 2–4), entsteht eine Spannung zwischen unmittelbarem und codiertem Kontakt. Die Möglichkeit des codierten Kontaktes wird im Intertextualitätsverfahren aufgezeigt. In der gesprochenen Version auf der »Ghettowelt«-Single wird sogar dezidiert vom Zitieren gesprochen, heißt es hier doch leicht variiert: »Und ›Lesen‹ meint hier ›Denken‹ / mit anderem Verstand / Indem/in dem man liest, Gedanken sucht und findet / Die dann zitiert verbindet, das ist Technik«.201 Christoph Gurk stellt den Konflikt zwischen textueller Verfasstheit des lyrischen Ichs und dem Wunsch nach unvermittelter Kontaktaufnahme in einer Spex-Rezension anschaulich dar : »Aber wie finde ich«, so paraphrasiert Gurk den Konflikt des lyrischen Ichs angesichts seiner (inter-)textuellen Vermittlung, »den Weg zurück zu mir? Und von dort aus zum/zur anderen, mit dem/der ich immer schon eine Erfahrung gemacht habe? […] Wie kann man gemeinsam eine neue Welt erfinden? Gefahr : Ich kann den/die andere/n genauso gut durch Sprache zum Verschwinden bringen.« (1994: 62) Die Diskrepanz zwischen unmittelbarer Nähe und sprachlicher Vermittlung in dieser popästhetischen Erscheinungsform des linguistic turn wird nicht als ›kalte‹ Theorie, sondern mit einem engagierten Problembewusstsein vorgetragen. Wenn das lyrische Ich keine andere Wahl hat, als Bilder bzw. Texte zum 201 Zitiert nach dem CD-Booklet von Blumfeld 2002.
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»Gebrauchsgegenstand« (Z. 21) für die eigene Poetik werden zu lassen, sollten diese dabei nicht verharmlost werden – so ließe sich der rätselhafte wie drastische Vergleich, jedes Bild sei »wie ein Messer ein Gebrauchsgegenstand« (Z. 21) erklären. Im Diskurs des Polit-Rock der 1970er Jahre wurde unter dem Motto »Musik ist eine Waffe«202 die Unvereinbarkeit von emphatischer Ästhetisierung und realweltlichem Aktionismus in der politischen Praxis akzentuiert. Bei Blumfeld dagegen kommt Sprache mit dem Bezug auf das Messer einer ›Waffe‹ gleich, die sich allein schon durch ihre Hermetik nicht propagandistisch instrumentalisieren lässt. Dennoch scheint sich die Sprache bei Blumfeld nicht mit ihrer poetischen Funktion ›zufriedenzugeben‹, betont sie doch ihr emotives und appellatives Potenzial und vertritt poetologisch den Anspruch darauf. Dieser Anspruch wird, was zunächst widersprüchlich erscheinen mag, auf »L’Etat et Moi« mit einer Vielzahl von intertextuellen Referenzen realisiert. Gerade bei der eben diskutierten Zeile 21 handelt es sich selbst um einen wörtlichen Verweis auf die Hamburger Band Kolossale Jugend, die die folgenden, nicht weniger rätselhaften Zeilen formulierte: »Der Text ist meine Party / Und mein Bild ist kein Messer« (1989: »Party«).203 In der ersten Verszeile dieses Zitats wiederum wird der scheinbare Widerspruch zwischen Textualität und realweltlicher/sozialer Sphäre aufgehoben. In der zuvor diskutierten poetologischen Passage (Z. 21–26) wurde das eigene Verfahren als produktiv markiert. Nun ist ein »denken mit anderm Verstand« (Z. 22) möglich, man »liest und […] begreift« (Z. 23), »sucht und findet« (Z. 24) teilt mit und »verbindet« (Z. 25). Dies wird in den Zeilen 27–32 vom Sänger-Ich revidiert, indem es eine mögliche Kritik an dieser Poetologie benennt. Wer das zuvor beschriebene Verfahren nutzt, »macht sich verdächtig / wird unberechtigt Ladendieb genannt« (Z. 27f.). Wie schon in »Der Angriff der Gegenwart (auf meine übrige Zeit)«, gerät das lyrische Ich in den Verdacht, die Gedanken anderer zu klauen – diese Kritik sei allerdings »unberechtigt« (Z. 28). Das intertextuelle Verfahren wird in dieser Zeile erneut vorgeführt, wird hier doch auch auf das Werk einer anderen Band verwiesen. Der in »Sing Sing« erwähnte »Ladendieb« lässt sich mit dem The-Smiths-Song »Shoplifters of the World Unite« (1987) in Zusammenhang bringen und ist damit Teil eines Paradigmas wiederkehrender The-Smiths-Anspielungen im Werk von Blumfeld.204 202 Vgl. hierzu ausführlich Kapitel I, Abschnitt 2.3 der vorliegenden Studie. 203 Ein weiteres Kolossale-Jugend-Zitat findet sich in Zeile 66: »Alles Feind« verweist auf den Songtitel »Alle Feind« (Kolossale Jugend 1990). 204 Auch die in Anführungszeichen gesetzten Zeilen »›Ich will nicht einsam, ich will / gemeinsam da sein / mich an Dir bewegen, mit Dir dahin, wo’s / laut ist und am Leben‹« (Blumfeld 1992a: »Nichschwimmer / nachGeburt«) auf »Ich-Maschine« könnten als Referenz auf »There Is a Light That Never Goes Out« (The Smiths 1986a) gelesen werden: »Take me out tonight / where there’s music and there’s people / and they’re young and alive«
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»Shoplifters of the World Unite« steht einer Vielzahl von Interpretationsmöglichkeiten offen, wobei Morrissey selbst in einem Interview den Kontext des Diebstahls von geistigem Eigentum vorschlägt: »I don’t literally mean picking up a loaf of bread or a watch and sticking it into your coat pocket. It’s more or less spiritual shoplifting, cultural shoplifting, taking things and using them to your own advantage«.205 So lässt sich der Song, wie die entsprechende Passage in »Sing Sing« (Z. 27–32), als ambivalente Auseinandersetzung des Zitat-Künstlers Morrissey mit dem eigenen Verfahren lesen. In der Strophe äußert das lyrische Ich »my only weakness is a listed crime / my only weakness is… / well, never mind, never mind« (The Smiths 1987: »Shoplifters of the World Unite«). Der Status des Zitatverfahrens bleibt damit ungeklärt. Das lyrische Ich erscheint unentschlossen, ob es über das Thema reden will, zudem wird von einem Verbrechen, dann wieder von einer Schwäche gesprochen. Im Refrain heißt es zunächst befürwortend »Shoplifters of the world / unite and take over« (ebd.), daraufhin werden die Ladendiebe wiederum zur Rückgabe des Diebesgutes aufgefordert (»hand it over / hand it over«, ebd.). In »Sing Sing« wird der ZitatKünstler als »Zeichensprecher« (Z. 29) schließlich zum »Schwerverbrecher« (eigene Transkription). In »Verstärker« (Blumfeld 1994) heißt es: »Falls es nicht Liebe wird es die Bombe beziehungsweise Kiste sein«, eine Passage, die große Ähnlichkeit zu einer Zeile in »Ask« (The Smiths 1986b) aufweist: »Ask me, because if it’s not love then it’s the bomb that will bring us together« (eigene Transkription). Wenn sich das lyrische Ich in »So lebe ich« (Blumfeld 1999a) als »Dornenboy« bezeichnet, verweist dies nicht nur auf den Nachnamen der Sänger-Persona Distelmeyer, sondern auch auf den Smiths-Song »The Boy with the Thorn in His Side« (1985). Hier schwingt zugleich der von Smiths-Sänger Morrissey suggerierte Konflikt zwischen ihm und der Musikindustrie mit – genauer : dem Konzern Thorn EMI (vgl. Goddard 2009: 48f.). Wie bei Blumfeld werden also die Produktionsbedingungen von Popmusik und die mediale Repräsentation der eigenen PopPersona zum Thema. Das Referenzsystem der Smiths-Zitate spielt eine wichtige Rolle in der Semiose der Blumfeld-Texte, insofern damit auch ein distinktiver politischer Kontext aufgerufen wird. Simon Reynolds nimmt The Smiths als Beispiel einer Band, die sich, wie auch Blumfeld, als politische Band jenseits vom ›alt-linken‹ Agit-Prop-Konzept versteht. Ihre Rebellion sei mehr durch »resistance through withdrawal, through subsiding into enervation« (Reynolds 1990: 19) geprägt gewesen, wohingegen diejenige von The Rolling Stones, The Who, Sex Pistols und The Jam – den von Reynolds so bezeichneten »Great White Hopes of preceding eras« (ebd.) – auf einer Form von Aktivismus basiert hätte, »or at least action, an optimism about the potential of collective or individual agency« (ebd.). Auch wenn die Verweigerungshaltung der Smiths von Blumfeld geteilt wird, steht doch, zumindest noch auf »L’Etat et Moi«, häufig die Angst vor dem Rückzug im Fokus der Texte. So wird in »Verstärker« Isolation als zu vermeidender Zustand beschrieben. Das Kollektiv bedeutet bei Blumfeld und der Hamburger Schule eine unverbindliche subkulturelle Gemeinschaft von dissidenten Außenseitern, die ihre Isolation durch eine ästhetische Praxis zu überwinden sucht und sich insofern vom Kollektivismusgedanken der von Reynolds genannten Rockbands unterscheidet. 205 Gefilmtes Interview mit dem britischen Dramatiker Shaun Duggan im Rahmen der Sendung »The Tube« auf Channel 4 von 1987, abrufbar unter URL: http://www.youtube.com/ watch?v=DfS3a_b5Pv4 (Letzter Zugriff: 19. 10. 2013). Transkription von T.H.
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(ebd.). Aus dem Zitat als poetischem »Gebrauchsgegenstand« wird nun ein »Mordinstrument« (Z. 30), sodass der zuvor rätselhaft erscheinende Vergleich eines Bildes mit einem Messer durch den inzwischen eingeführten Topos des Verbrechens nachvollziehbar wird. Als Mordinstrument des Schwerverbrechers verweist es auf den Kontext des Gefängnisses, der später im Song eingehender fokussiert wird und bisher durch den Songtitel »Sing Sing« im Bezug auf die gleichnamige Strafvollzugsanstalt in den USA aufgerufen wurde. Zunächst ist jedoch noch nicht von Gefängnismauern, sondern nur von »Platzangst« (Z. 33) die Rede, die anzeigt, dass sich das lyrische Ich auch auf dem zweiten Album noch in einer Art klaustrophobischen »Ghettowelt« befindet. Wo die personalen Bezüge in »Ghettowelt« mehrdeutig und alternierend waren, richtet sich das lyrische Ich auch in »Sing Sing« in den Zeilen 33–51 an ein unklar verbleibendes »Du« – es wird nicht erkennbar, ob eine andere Figur oder der Hörer angesprochen wird. Möglich wäre auch hier, dass das lyrische Ich über sich selbst redet. Zudem wird auf eine weibliche Figur in der dritten Person Bezug genommen: »wenn sie Dich fragt ob Du wüßtest, wo Du hinwillst / ist alles was Du weißt, daß Du bloß weg willst« (Z. 35f.). Diese Zeilen klingen wie eine Fortsetzungsgeschichte von »Ghettowelt«, wo ein Lied zur Sprache kam, »das Dich festhält / und nicht dahin läßt, / wo Du hinwillst / weg von hier«. Auch der Topos der Jugendkultur kommt in beiden Songs zur Sprache. In »Ghettowelt« wurde dieses Thema noch abstrakt codiert, etwa anhand von beschrifteten TShirts, die dem jugendkulturell sozialisierten Ich zur Abgrenzung dienten. In »Sing Sing« heißt es nun explizit »Ich möchte Teil einer Jugendbewegung sein« (Z. 39), womit sich zugleich der ›Ausbruch‹ der Intertextualität auf »L’Etat et Moi« bestätigt. Das Zitat wird aus Tocotronics gleichnamigem Song herangezogen. Es wird als einzige Zeile in »Sing Sing« auch vom Tocotronic-Sänger Dirk von Lowtzow selbst vorgetragen. Somit handelt es sich nicht nur um ein textliches, sondern auch um ein stimmliches (Sound-)Zitat. Die Jugendbewegung als Topos wie auch die Zusammenarbeit der beiden Bands lässt das lyrische Ich zugleich als »Wir« erscheinen. Auch wenn »Sing Sing« die Kontaktaufnahme mit dem Außen problematisiert, lässt das Verfahren des zweiten Blumfeld-Albums verstärkt – hier in ganz wörtlichem Sinne – Stimmen von außen zu, sodass die Einheit des in sich abgeschlossenen Einzeltextes brüchig und die Originalität der Autorschaft in Frage gestellt wird. Zudem wird durch das von Dirk von Lowtzow (bzw. seiner Persona) geäußerte Tocotronic-Zitat wiederum eine Spannung zwischen Textualität und realweltlichem Bezug hergestellt. Wenn in der diskutierten Passage ein Ausweg dahin diskutiert wird, »wo Du hinwillst« (Z. 35), wird die Jugendbewegung, wie schon in »Ghettowelt«, als Lösung disqualifiziert: Der Wunsch, Teil einer Jugendbewegung zu sein, dient lediglich als Mittel, eine ›Angst zu überlisten‹ (Z. 40), er verhindert, an etwas zu
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denken, »was Du von Anfang an vermißtest« (Z. 41). Dabei könnte es sich um das ›eigene Sprechen‹ handeln, das sich mit Mitteln der Intertextualität, wie sie von Julia Kristeva in ideologiekritischer Weise konzipiert wurde, realisieren lässt. Neben der Mitgliedschaft in Jugendbewegungen, dem Status als Staatsbürger oder als in die Kulturindustrie eingebundenem Künstler sowie jeglichen Rollenzuschreibungen und Vergesellschaftungsversuchen von außen bleibt für das Individuum das ›eigene Sprechen‹ als vage Hoffnung bestehen und wird vorsichtig artikuliert als »vielleicht ein Feld für eine Möglichkeit von Dir« (Z. 42). In den Verszeilen 53–56 werden Zuschreibungen, die eine solche Möglichkeit gefährden, vom lyrischen Ich bzw. der Persona »Jochen« offensiv artikuliert. Trotzig nimmt das lyrische Ich die stereotype Rolle eines kritischen Intellektuellen an: »an der dafür vorgesehenen Stelle / erhebe ich meine Stimme: / das ist soziale Marktwirktschaft / langweilig wird sie nie« (53–56). Hier handelt es sich um einen intertextuellen Bezug zu den Songlyrics »Das ist Demokratie / langweilig wird sie nie« (Andreas Dorau 1988: »Demokratie«). Aus der Ironie des humorvollen und NDW-nahen Prätexts Doraus wird bei Blumfeld allerdings ein verzweifelter Gestus. Die in einem Protest-Song geäußerte Kritik wird vom lyrischen Ich von vornherein als wirkungsloser, letztlich, da es eine »dafür vorgesehene Stelle« gibt, sogar affirmativer Beitrag zur sozialen Marktwirtschaft erkannt. Überdies wird die marktwirtschaftliche Verwertung des eigenen Werkes mit der Zeile »Ware Kunst ist ein Produkt der Phantasie« (52, in dieser Schreibweise im Booklet abgedruckt) kommentiert. Darauf folgt in den Zeilen 58–62 eine bereits in Kapitel I, Abschnitt 2.4 dieser Studie ausführlich diskutierte Passage, in der die machtpolitische Formation, gegen die das lyrische Ich Widerstand leistet, erneut ausbuchstabiert wird. Der Staat tritt dabei nicht als repressive Macht oder reale Institution auf, sondern als vom Ich internalisierte, gleichsam unsichtbare Macht, die sich jeweils in den Individuen wie »Splitter eines Spiegels« (Z. 62), die »das ganze bewahren« (ebd.), manifestiert. Auf diese Weise wurde der Sponti-Spruch der 68er-Generation »Das Private ist politisch« von der gegenkulturellen Aufbruchsstimmung in den eher ›klaustrophobisch‹ anmutenden Kontext der 1990er-Jahre als Kritik an der »Kontrollgesellschaft« (vgl. Deleuze 1993) transformiert. Wo der repressive Staat abwesend ist, kritisiert das lyrische Ich ein System, in das es selbst involviert ist. Der Wechsel vollzieht sich, so John Fiske in einem Aufsatz über Populärkultur unter ›postfordistischen‹ Bedingungen, »von einem zentrierten in ein mehr diversifiziertes und dezentriertes Machtregime, das von einem Wechselspiel zwischen mehreren schwächeren, aber nicht gleichrangigen Mächten statt vom Einsatz einer einzigen Macht gekennzeichnet ist« (2001: 286). Am Ende des Songs kommt es zu einer autobiographisch anmutenden Passage. Die erfolgreiche Abnabelung (Z. 71) vom Elternhaus soll dadurch erfolgen, dass sich das lyrische Ich einen Namen macht und sich Namen gibt (Z. 72). Die
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Überwindung der abgelehnten bürgerlichen Existenz – »Sohn meiner Eltern und dagegen« (Z. 75) – geht mit einer Art Hybris einher, heißt es doch, nachdem zuvor schon der Turmbau zu Babel erwähnt wurde, »baute statt/Stadt Staat einen Turm« (Z. 74).206 Die Gefahr der Hybris scheint sich zu bestätigen: Die Utopie der emanzipierten Existenz, die zuvor in Zeile 42 anklang, scheitert. »Etwas ging schief« (Z. 76) – dies lässt sich sowohl auf die angestrebte autonome Existenz des lyrischen Ichs als auch auf ein Szenario beziehen, in dem das lyrische Ich die bürgerliche Existenz der Eltern annimmt und weiterführt. Der vom lyrischen Ich errichtete Turm, also seine neue und selbst gewählte Existenz, wird nun als »Hochstaplerkarriere« (Z. 77) bewertet. Wie schon in »Der Angriff der Gegenwart (auf meine übrige Zeit)« kommt es hier zu einer Selbstverurteilung des lyrischen Ichs. Bei der selbst gewählten Existenz, in der sich das lyrische Ich abnabeln und »einen Namen machen Namen geben« (Z. 72) will, könnte es sich um die Erschaffung einer Künstler-Persona mit Namen wie »Blumfeld« oder »Jochen« handeln. Wo diese autonome Existenzform zuvor als »eine Möglichkeit von Dir« (Z. 42) hoffnungsvoll in Betracht gezogen wurde, steht nun wieder ein Szenario der Isolation, das motivisch an »Ghettowelt« gemahnt: »Der Turm fiel um und wurde Mauer / wurde Sprachbarriere« (Z. 78f., Herv. T.H.).207 Möglicherweise wird, wie in »Ghettowelt«, das Leben in einer selbst gewählten Subkultur imaginiert, wenn das lyrische Ich äußert, es wolle »nicht in Staaten nicht in Vollzugsanstalten leben« (Z. 73) – beides metaphorisch verstanden als Orte der Vergesellschaftung und des Konform-Werdens. In »Ghettowelt« gerät nun gerade auch die Subkultur als Alternative in den Verdacht, Konformität und Vergesellschaftung zu reproduzieren, insofern erscheint
206 Auch bei Zeile 72 handelt es sich um ein direktes Zitat aus der biblischen Geschichte vom Turmbau zu Babel. Zeile 75 verweist auf den in Kapitel I, Abschnitt 4 dieser Arbeit diskutierten Palais-Schaumburg-Song »Wir bauen eine neue Stadt« (1981) und dessen Prätext von Paul Hindemith (1999[1930]). 207 In Franz Kafkas 1931 veröffentlichter Erzählung »Beim Bau der Chinesischen Mauer« lässt sich die umgekehrte Bewegung beobachten. Die Erzählinstanz führt hier einen Gelehrten an, der behauptet, dass der Turmbau zu Babel »keineswegs aus den allgemein behaupteten Ursachen nicht zum Ziel geführt hat« (Kafka 1998: 54), vielmehr sei das Vorhaben an der Schwäche des Fundaments gescheitert. Die Chinesische Mauer werde nun aber »zum erstenmal in der Menschenzeit ein sicheres Fundament für einen neuen Babelturm schaffen. Also zuerst die Mauer und dann der Turm.« (Ebd.) Auch die bei Blumfeld reflektierten machtpolitischen Konzepte der Dezentrierung werden schon in dem Kafka-Text thematisiert. So steht zur Debatte, ob es sich bei der Chinesischen Mauer um ein Fragment handelt, das nur im Zuge einer kollektiven Fiktion als Ganzes wahrgenommen wird: »Ja, es soll Lücken geben«, so der Erzähler, »die überhaupt nicht verbaut worden sind, eine Behauptung allerdings, die möglicherweise nur zu den vielen Legenden gehört, die um den Bau entstanden sind, und die, für den einzelnen Menschen wenigstens […], unnachprüfbar sind. […] Wie kann aber eine Mauer schützen, die nicht zusammenhängend gebaut ist.« (Ebd.: 51).
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die Parallele zu »Sing Sing« als Bewegung von Turm (Möglichkeit) zu Mauer (Stillstand) plausibel. Wenn der autobiographische Kontext in »Sing Sing« mit den Versen »Papi kennst Du den schon / Stammheim Babel« (Z. 69f.) eingeleitet wird, könnte damit auch auf den Deutschen Herbst 1977 als Erinnerung der Sänger-Persona Distelmeyer verwiesen sein – eine Vermutung, mit der man sich literaturwissenschaftlich freilich im Bereich des Spekulativen bewegt. Es liegt aber nahe, dass das lyrische Ich hier seine eigene Künstlerbiographie selbstkritisch reflektiert. Betrachtet man die gesprochene Version von »Sing Sing« auf der »Ghettowelt«-Single, so lässt sich eine direkte Parallele zwischen der Abnabelung des lyrischen Ichs als Künstler-Figur und der Abnabelung der RAF-Terroristen von der Gesellschaft, die in der Stammheimer Isolationshaft und schließlich im Tod endete, erkennen. Die fast identischen Zeilen unterscheiden sich dadurch, dass »Die« (3. Person Plural) statt des lyrischen Ichs als grammatisches Subjekt fungieren, wie die im Folgenden dargestellte Synopsis zeigt: Ey Knacki, kennst Du den schon? Stammheim-Babel Die wollten ihren eigenen Nabel Sich einen Namen machen, Namen geben Nicht in Staaten, nicht in Vollzugsanstalten leben Und bauten statt/Stadt Staat einen Turm Weswegen? Die waren Kinder ihrer Eltern und genau dagegen. Hochstaplerkarriere auf der Lauer Der Turm fiel um und wurde Mauer Wurde Sprachbarriere. Ich mache weiter als ob nichts gewesen wäre. Sing Sing. (Blumfeld 1991: »Sing Sing«, zit. n. Blumfeld 2002)
Papi kennst Du den schon Stammheim Babel ich wollte meinen eigenen Nabel mir einen Namen machen Namen geben nicht in Staaten nicht in Vollzugsanstalten leben und baute statt/Stadt Staat einen Turm Sohn meiner Eltern und dagegen etwas ging schief Hochstaplerkarriere auf der Lauer der Turm fiel um und wurde Mauer wurde Sprachbarriere ich mache weiter als ob nichts gewesen wäre Sing Sing (Blumfeld 1994: »Sing Sing«)
Die 1991er Version von »Sing Sing« entschlüsselt die Identifikation des lyrischen Ichs mit den Terroristen, während die Zeile »Stammheim Babel«, gerade im Zusammenhang mit der vorausgehenden Zeile, in der 1994er-Version rätselhaft bleibt. Das lyrische Ich sieht sich scheinbar selbst als eine Art Terrorist, und in beiden Lebensentwürfen – Künstlertum und Terrorismus – erkennt es die Gefahr der Isolation. Sich abnabeln, sich an Stelle des offiziellen Staates ›einen Turm bauen‹, bedeutet hier, dass man sich, wie auch im Falle der RAF, in illegitimer Weise über die anderen erhebt. Im Falle des Künstler-Ichs besteht eine
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naheliegende selbstreferentielle Lesart im Bezug auf den ›Elfenbeinturm‹ intellektualisierter Popmusik, den Blumfeld – so ein gängiger Vorwurf – mit ihrer Poetik errichteten. Wenn das lyrische Ich »nicht in Staaten, nicht in Vollzugsanstalten leben« will, benennt es damit die Möglichkeit einer nach eigenen Vorstellungen gestalteten Sprache und Subkultur. Die Bedingungen des elterlichen Lebensstils anzuerkennen kommt, auch ohne in Stammheim einzusitzen, metaphorisch dem Leben in einer Vollzugsanstalt gleich. Doch wird das lyrische Ich im Emanzipationsprozess entweder ernüchternd auf seine Vergangenheit zurückgeworfen oder ihm droht Gefahr, als Hochstapler aus den Konstanten der bürgerlichen Existenz herauszufallen. Dieses Dilemma wird auch in dem Song »Ich-Maschine« verarbeitet. Hier begibt sich das lyrische Ich »Zurück zum Haus / zwischen den Gleisen und dem Garten / in dem die Apfelbäume warten, auf die / ich kletterte / mich vor Erdanziehung rettete bis / jemand rief / und ich dann in die Küche lief auf / meinen Platz / den ich verließ wie einen Glauben« (Blumfeld 1992a). Vermutlich handelt es sich hier um das Elternhaus des lyrischen Ichs, in Bezug auf die Autor-Persona Distelmeyer wäre in einer autobiographischen Lesart die ostwestfälische Heimat denkbar, wobei die »Gleise« als Verbindung in die spätere Wahlheimat Hamburg verstanden werden könnten.208 Bevor das lyrische Ich dorthin aufbricht und erfolgreicher Künstler wird, versucht es in der zitierten Passage als auf Apfelbäume kletterndes Kind, sich der als lähmend empfundenen Bodenständigkeit (»Erdanziehung«) zu entziehen, um daraufhin wieder von den Eltern aus der Verstiegenheit auf den ihm zugewiesenen Platz zurückgerufen zu werden. Der Verdacht, dass hier das Elternhaus des lyrischen Ichs als Setting dient, erhärtet sich, wenn die »Klassenzimmer, Sportplätze, / Partykeller« (Blumfeld 1992a: »Ich-Maschine«) erwähnt und als »Sicherheitszonen geschaffen von Eltern / und Menschen, die in Luftschutzbunkern / wohnen« (ebd.) bezeichnet werden. Diese Sicherheitszonen werden – in Äquivalenz sowohl zum Gefängnis- als auch zum Kriegs-Topos (»Luftschutzbunker«) von »Sing Sing« – als beengend und bedrückend markiert; sie werden als Bereiche beschrieben, in denen »Du sonst nichts vermißt / außer Dir selbst« (Blumfeld 1992a: »Ich-Maschine«). Sie bieten nur scheinbare Sicherheit, 208 In »Pro Familia« (Blumfeld 1999a) heißt es in ähnlicher Konstellation und geographisch konkreter : »Back to Brake, Bielefeld, / Haus der Geschichte / in den Garten der Erinnerung / zu den Bäumen und den Früchten / meinen Ängsten, meinen Träumen«. Auch die »Gleise«, die sich realweltlich mit der durch den Ort Brake verlaufenden Bahnstrecke Herford-Bielefeld in Verbindung bringen lassen, spielen hier eine Rolle und führen in die Künstlerexistenz: »I took a free train to be my friend / fing an in Liedern zu erzählen / und in Akkorden auszuwählen / was an Klängen mich umspielt / an Worten durch die Schöpfung / schallt / und meinen Schmerz und Kummer / stillt / ein trip, ein Journey into Sound / durch Zeit und Raum und / Weltgeschichte« (ebd.).
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kommt es einmal zur Bewusstwerdung des hier erlebten Ich-Verlustes, wird das jedoch »der Moment, in dem Du das / Gebäude verläßt« (ebd.). Diese Zeile bezieht sich einerseits auf die Emanzipation des lyrischen Ichs vom Elternhaus, eine intertextuelle Lesart ergibt sich aber auch im Zusammenhang mit den geflügelten Worten »Elvis has left the building«, die die öffentliche Aufmerksamkeit um den Ur-Popstar Elvis Presley beschreiben. Bei der Persona »Jochen« handelt es sich dagegen – was schon mit dem Cover von »L’Etat et Moi« demonstriert wurde – um eine neuartigen, ›privatistischen‹ Popstar, der das Gebäude gewissermaßen auf intime Art und Weise verlässt, obgleich er wie die Pop-Ikone Presley als öffentliche Figur agiert.209 Der indirekte Verweis auf Elvis Presleys Inszenierungsroutine lässt sich sowohl als werkimmanenter Selbstbezug (»L’Etat et Moi«-Cover, eigene Popstar-Inszenierung) als auch im Sinne einer möglichen Öffnung zur Popkultur allgemein deuten. Die Wendung »Elvis has left the building« wurde in der Popkultur vielfach als Zitat aufgegriffen und variiert, in Hamburger-Schule-Nähe etwa bei der Band Kettcar mit der Zeile »Elvis has left the Kartenhaus« (2008: »Graceland«).210 Im Zuge der in dem Song »Ich-Maschine« erzählten Coming-of-Age-Geschichte werden die Sicherheitszonen später im Song positiv umgedeutet: »ÜRäume sind Sicherheits- / zonen in der Realität« (Blumfeld 1992a: »Ich-Maschine«). Bei vielen Hamburger Übungsräumen für Bands handelte es sich zur Entstehungszeit des Songs tatsächlich um Bunker aus dem Zweiten Weltkrieg, sodass sich die Zeilen dahingehend verstehen lassen, dass hier Kreativität und Individualität vor der (marktwirtschaftlichen) Realität bewahrt werden. Auch die selbst gewählte Subkultur kommt an dieser Stelle erneut zur Sprache: »bleibt nur : weiter, weiter, weiter / soziale Randgruppe auf dem Weg / zu sich selbst / die Geschichte ist alt und wird älter / auf Tanzflächen, Tresen, Vinyl und / Papier, Zelluloid und bei Dir« (ebd.). Hier handelt es sich um die im Song erzählte Geschichte der Emanzipation oder auch der Rebellion, die sich lebensweltlich und in einer heterogenen Materialfülle manifestiert – Material, das auf ein kulturelles Archiv verweist, aus dem sich die Blumfeld-Songs selbst generieren. Der Zusatz »und bei Dir« lässt eine poetologische Lesart zu, in der das Perso209 Kerstin Grether spricht von einem »neuen Typ von Popstar, als ideale Projektionsfläche für die privaten und politischen Sehnsüchte tausender Twentysomethings im Deutschland nach der Wiedervereinigung.« (Grether 1994: 25). 210 Vgl. auch »Calling Elvis« (Dire Straits 1991). Bei Blumfeld könnte auch die Zeile »soziale Randgruppe auf dem Weg / zu sich selbst« (Blumfeld 1992a: »Ich-Maschine«) als indirekter Elvis-Verweis gelesen werden, wenn man sie auf Foyer des Arts’ Titel »Ein Elvis-Imitator auf dem Wege zu sich selbst« (1986) bezieht. Jochen Distelmeyer wiederum bezeichnete sich selbst in einem Interview als einen »Michael Girke/Bernd Begemann-Imitator auf dem Weg zu sich selbst« (vgl. Baßler 2008: 96). Diese Zitat-Verflechtung zeigt einmal mehr die ausgestellte intertextuelle Komplexität des Diskurspop-Verfahrens bei Blumfeld.
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nalpronomen die zuvor genannten Quellen vereint und als lyrisches Ich intertextuell bündelt.211 Wie in »Sing Sing« wird eine Möglichkeit benannt, in der persönlichen Entwicklung sowie in der politischen Bewegung weiterzumachen (»bleibt nur : weiter, weiter, weiter«).212 Wie in »Sing Sing« wird allerdings auch in »Ich-Maschine« das Scheitern des Emanzipationsprozesses angedeutet. Zumindest gehen mit ihm erhebliche Schuldgefühle des lyrischen Ichs einher, denn wenn vom Verlassen des Gebäudes gesprochen wird, verlässt das lyrische Ich »mit ihm einen Berg von Leichen, Deine / ich sah meine auf den Schienen bei / gestellten Weichen / ein letztes Mal die Köpfe schüttelnd / liegen / und fuhr fort und drüber weg« (Blumfeld 1992a: »Ich-Maschine«). Die Weichen sind hier auf Emanzipation gestellt, was von den verlassenen Eltern kopfschüttelnd missbilligt wird. Für seine Emanzipation (»fuhr fort und drüber weg«) wählt das lyrische Ich ein drastisches Bild, das in seiner Brutalität übertrieben wirkt und so einer Selbstverurteilung gleichkommt. Wo die Lektüre von »Sing Sing« zum Inter- oder Prätext »Ich-Maschine« führt, wird das diskutierte Motiv der Selbst-Erschaffung auch auf dem »L’Etat et Moi«-Folgealbum »Old Nobody« in »Eines Tages« (1999a) aufgegriffen. Hier werden Motive aus »Sing Sing« (Abnabelung) und »Ich-Maschine« (Gärten, Gleise, Verlassen des Hauses, Verletzte) wiederholt: »Du machst einen Anfang / zwischen Gärten und Gleisen / als Ganzes erschaffen / eine innere Uhr / zählst 211 Seiler weist in seiner Dissertation »Das einfache wahre Abschreiben der Welt« im Rahmen eines Abschnitts zur Hamburger Schule auf ein mit Jochen Distelmeyer für die Musikzeitschrift DNAsix (Ausgabe 9/2003, S. 26–29) geführtes Interview hin, in dem Distelmeyer sich folgendermaßen poetologisch äußert: »Man lebt mit dem, was einem gut getan hat, man trägt es immer mit sich mit: Filme, Platten, Gespräche, Bücher, Bilder, Spaziergänge. Ich habe kein Zettelkastenarchiv aufgehoben, sondern all diese ganzen Sachen bin halt ich, sie lassen einen zu dem Menschen werden, der man ist. Und dann nimmt man eben eine Verbindung auf zu diesen Teilen von einem selber. Es ist aber immer die Frage, wie man zu einem eigenen Sprechen gelangt, was das ist und ob das geht.« (Zit. n. Seiler 2006: 272) Distelmeyer positioniere sich hier, so Seiler, als »dritte Instanz, als rezipierender Leser und Vermittler«, der die »intertextuelle Ebene seiner Texte eher in einer Darstellung des Erlebens von Kunst als in tatsächlich inhaltlichen Verweisen« (ebd.) erkennt. Distelmeyers Aussage geht mit den bisherigen Thesen zur intertextuellen Verfasstheit des lyrischen Ichs bei Blumfeld konform. Im Zuge der Inkorporation des von Distelmeyer erwähnten Materialreichtums aus dem kulturellen Archiv werden die Möglichkeiten eines ›eigenen Sprechens‹ – möglicherweise als Scheitern – verhandelt. Seiler betont in seiner Bemerkung aber einen Widerspruch, wo, zumindest im literaturwissenschaftlichen Diskurs, keiner vorliegt: Philologisch lassen sich nämlich gerade die »tatsächlichen« intertextuellen Verweise – und nur diese – positivieren. Aus textwissenschaftlicher Sicht wäre ein textuell vermitteltes »Erleben von Kunst« ohne »tatsächlich inhaltliche« (=textuelle) Verweise gar nicht theoretisierbar, wohingegen Distelmeyer und Seiler suggerieren, dass die Intertexte ›irgendwie‹, d. h. anders als textuell, in den Blumfeld-Text gelangen. 212 Diese Figur wird auf dem Album »Jenseits von Jedem« (2003) mit Bezug auf Rolf Dieter Brinkmanns Vorbemerkung zum Gedichtband Westwärts 1& 2 (1975) in »Alles macht weiter« aufgegriffen. Vgl. hierzu ausführlich Seiler (2006: 267f.).
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Blumfelds Reflexionsschleifen
die Stunden, die Minuten / verläßt das Haus / durchtrennst die Schnur / und gehst durch Wunden / die noch bluten / wie durch ein Tor / zu einer anderen Welt« (Blumfeld 1999a). Der Anfang der folgenden Strophe lautet »Unten am Fluß« (ebd.) und ruft eine Zeile aus einem Song von Bernd Begemanns Band Die Antwort auf, in dem es heißt: »Unten am Fluß / unten am Hafen / wo die großen Schiffe schlafen« (Die Antwort 1987: »Unten am Hafen«, eigene Transkription). Es wird suggeriert, dass es sich bei der in »Eines Tages« erwähnten »anderen Welt« um Hamburg, die nächste Station der Künstler-Persona, handelt.213
2.2
Das (inter-)textuelle Ich
Die Analyse von »Sing Sing« hat gezeigt, dass weitgehend ähnliche Themen wie auf dem Vorgängeralbum »Ich-Maschine« verhandelt werden – Vergesellschaftung, Bedrohung des Individuums und sich gesellschaftlicher Vereinnahmung entziehende Möglichkeiten des Protests, die immer die Gefahr der Isolation mit sich bringen. Im Vergleich zu »Ich-Maschine« nimmt auf »L’Etat et Moi« aber die Komplexität auf Ebene des Verbaltextes zu, wobei insbesondere eine Fülle von intertextuellen Verweisen festzustellen ist. Um Blumfelds intertextuelles Verfahren auf »L’Etat et Moi« passend zu beschreiben, sei auf den Begriff der »Autoreflexivität« (Pfister 1985: 27) verwiesen, den Manfred Pfister als ein Kriterium für die Bestimmung der Intensität eines intertextuellen Verweises annimmt: Der Intensitätsgrad der Intertextualität […] kann noch dadurch gesteigert werden, daß ein Autor in einem Text nicht nur bewußte und deutlich markierte intertextuelle Verweise setzt, sondern über die intertextuelle Bedingtheit und Bezogenheit seines Textes in diesem selbst reflektiert, d. h. die Intertextualität nicht nur markiert, sondern sie thematisiert, ihre Voraussetzungen und Leistungen rechtfertig oder problematisiert. (Pfister 1985: 27)
Hier erscheint unklar, wann ein intertextueller Verweis als »bewusst« gesetzt und »deutlich markiert« gelten kann, doch ein hohes Maß an Autoreflexivität wäre insofern kennzeichnend für Blumfelds Poetik und speziell für das Album »L’Etat et Moi«, als die intertextuelle Bedingtheit der Texte hier extensiv reflektiert wird.214 Die intertextuelle Komplexität von »L’Etat et Moi« wurde in der Re213 Zu Distelmeyers und Begemanns Weg aus der Provinz nach Hamburg vgl. Baßler (2008). 214 Allerdings müsste in der zitierten Textpassage von Pfister, um im Kontext der vorliegenden Studie Gültigkeit zu erlangen, der Begriff »Autor« durch »Textverfahren« ersetzt werden, da Aussagen über das Bewusstsein eines Autors nicht zum Untersuchungsgegenstand gerechnet werden (damit wäre zugleich die Formulierung eines »bewussten intertextuellen Verweises« obsolet). Mit anderen Worten: In der Rede über ein autoreflexives Verfahren ist hier nicht von Interesse, ob intertextuelle Verweise bewusst gesetzt wurden, sondern die
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zeption vielfach kommentiert. So kommt der Soziologe Sven Opitz in einem Artikel für die Intro zu dem Schluss, dass das Album »Ich-Maschine« »insgesamt monolithisch und kompakt« wirke, dagegen besitze das Nachfolgealbum »die Form eines verzweigten Geflechts. Von einem Sprechtext, der in der Mitte des Albums platziert ist, greifen die textlichen und musikalischen Themen nach allen Seiten hin aus. Jeder Punkt führt zu jedem anderen.« (2001: o.S.) Christoph Gurk behauptet ähnlich in der Spex, Distelmeyer lasse auf »L’Etat et Moi« »die ganze Welt, und seien es noch die entlegensten Details aus Songs, Filmen, Büchern zu einem monomanischen Text zusammenschießen, in dem alles mit allem zusammenhängt« (1994: 62). Ole Petras spricht von einem Verfahren, »Versatzstücke der Alltagskultur als auch der Kulturgeschichte ineinander zu schachteln, um so das Textsubjekt als Schnittmenge verschiedener Diskurse sichtbar zu machen.« (2011: 186) Anhand von »Sing Sing« lässt sich gut nachweisen, dass das lyrische Ich das textuelle Zentrum der Blumfeld-Songs bildet. Von hier ausgehend werden neue Formen der Subjektivität ausprobiert, über das Text-Ich wird der Konflikt zwischen Subjekt und Staat reflektiert, aber auch die sinnhafte Kontaktaufnahme, die eine Aufhebung der Isolation des lyrischen Ichs verspricht und mit Metaphern wie »Blindenschrift« bezeichnet wird, geht im Modus der (Inter-)Textualität vonstatten. Überdies wurde in der Analyse von »Sing Sing« eine autobiographische Genese der Künstler-Persona gezeigt. Wie in »Ghettowelt« wurde zudem eine Art Reise durch die Kontexte vollzogen: Die Bezüge auf Terrorismus, Gefängnis und Krieg weisen in ihrer Semantik auf den Zustand des lyrischen Ichs hin, das sich im Kampf mit dem ›Außen‹ und seinen Institutionen befindet. Dieses Außen ist, wie vom lyrischen Ich selbst reflektiert wird, bereits zum Bestandteil der eigenen Subjektivität geworden, sodass vielfach nicht mehr erkennbar wird, wie ein ›eigenes Sprechen‹ noch realisiert werden kann. Nicht zuletzt wird dieser Konflikt Teil einer poetologischen Reflexion. Die DichterPersona verurteilt sich selbst als »Ladendieb«, der sich an fremden Texten unrechtmäßig bedient und dessen Selbstverurteilung, wie gezeigt wurde, für sich genommen schon ein Zitat ist. Wenn auf »L’Etat et Moi« der »Gestus des revoltierenden, poetischen Individuums« (Gurk 1994: 62) beim lyrischen Ich beibehalten wird, tritt hier stärker als auf »Ich-Maschine« zutage, dass das »Ich immer schon durch Sprache (im weitesten Sinne) in die Welt geschleudert ist« (ebd.). Bei »Ich-Maschine« gingen wir noch von der Reise eines desorientierten Ichs durch Kontexte wie Familie, Liebesbeziehungen und Subkultur aus. Christoph Gurk spricht in seiner SpexRezension von »L’Etat et Moi«, sich auf eine Zeile aus dem Song »Ich-Maschine« Tatsache, dass sie in einer bestimmten Konstellation präsent sind und das Verfahren darüber hinaus Intertextualität zu seinem Inhalt macht.
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Blumfelds Reflexionsschleifen
beziehend, vom »Zustand der Obdachlosigkeit […], wo sich ein hypochondrisches Individuum immer wieder auf den Ich-Knast zurückgeworfen sieht, weil alle Sozialisationsangebote prinzipiell unter dem Verdacht stehen, ›daß wir werden sollen wie die‹« (ebd.). Aus diesem »Betroffenheitssignal« (ebd.) entwickelt sich laut Gurk mit »L’Etat et Moi« nun eine »neu gewonnene […] Distanz zur Umwelt, zu sich selbst, zur Sprache« (ebd.), was unter anderem produktionsästhetisch auf den stärker in den musikalischen Part eingebetteten und weniger exponierten Gesangsvortrag zurückgeführt wird (vgl. ebd.). Wurde »Ich-Maschine« insgesamt mit eher ›klaustrophobischen‹ Attributen versehen, erfährt die für die Hamburger Schule typische Kontextlastigkeit mit »L’Etat et Moi« eine soziale und textuelle Öffnung, wo zuvor Isolation herrschte. In den folgenden Abschnitten zu »L’Etat et Moi« wird gezeigt, dass mit diesem Album alles zum Kontext wird, wobei das Ich als feste Größe verschwindet, derart, dass es sich rein durch das Außen konstituiert und dies zum poetologischen Prinzip erhoben wird. Jörg Metelmann bezieht sich auf eine Passage aus »Eine eigene Geschichte«, in der dieser Ansatz erkennbar wird: wenn ich schon immer Nichts mit was drumrum gewesenwar [sic] dann mach ichmir ’n [sic] Schlitz ins Kleid und find es wunderbar (Blumfeld 1994)
Verhandelte das lyrische Ich auf »Ich-Maschine« laut Metelmann – und wie unsere Analyse von »Ghettowelt« bestätigt hat – bereits »die Ansprüche an Sohn-Sein, Mann-/Frau-Sein, Freund-Sein, Bürger-Sein«, die »als Kriege, nicht als auch lustvolle Streitigkeiten wahrgenommen« (2002: 34) wurden, so komme es in der oben zitierten Passage ebenfalls zu einer Beschreibung von »Vergesellschaftung/Vergeschlechtlichung« (ebd.: 36). Allerdings scheint keine Substanz des lyrischen Ichs mehr vorhanden zu sein, sodass es sich als »Nichts mit was drumrum« bezeichnet. Als solches benötigt es eine Collagetechnik, die durch herbeizitierte Versatzstücke aus dem Kontext Identität erst im Textverfahren herstellt. Dies kommt einer radikalen Abwendung von der emotiven Funktion eines Ausdrucks-Ichs gleich, das mit Deutsch-Rock in Verbindung gebracht wurde, aber auch in einer lyrischen Tradition der Stimmungs- und Erlebnisdichtung steht. In »Eine eigene Geschichte« wird diese (kon-)textuelle Genese des Ichs – von der Intertextualität zur Identität sozusagen – allerdings auch positiv bewertet. Die Kontexte stellen nicht mehr, wie noch in »Ghettowelt«, einen Zustand der Klaustrophobie her. Das »Nichts mit was drumrum« sorgt am Ende nicht für ein Sinn-Vakuum,
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sondern scheint emanzipatorische Qualitäten zu besitzen, wie im Folgenden genauer ausgeführt wird. Das Zitat »dann mach ichmir ’n Schlitz ins Kleid / und find es wunderbar« (Blumfeld 1994: »Eine eigene Geschichte«) verweist auf mindestens zwei Prätexte: Zum einen bildet es wörtlich die Schlusszeilen des Titelsongs der in den 1970er Jahren ausgestrahlten Comedysendung »Klimbim« (»Klimbim ist unser Leben«, von Ingrid Steeger gesungen). Hier handelt es sich wiederum selbst um ein Zitat aus Evelyn Künnekes Schlager »Ich mache mir ’nen Schlitz ins Kleid« (1961). Wenn Metelmann im Zusammenhang mit diesem Zitat auf den Aspekt der »Vergeschlechtlichung« (2002: 36) hinweist, wird mit den besagten Zeilen tatsächlich die ›Öffnung‹ einer normativen Geschlechtsidentität erkennbar, es kommt zu einem queeren Spiel mit Gender-Rollen. Das in seinen Geschlechterrollen noch konventionell gedachte Schlagerstück Künnekes wird dabei in seiner Bedeutung transformiert: Die Aussage, sich einen Schlitz ins Kleid zu machen, zumal – wie im Fall von Blumfeld – von einer Männerstimme geäußert, kommt hier einem dekonstruktiven Rollenspiel gleich. Auch bei Künneke werden durch die Koketterie des weiblichen lyrischen Ichs moralische Normen ausgelotet (»Ich mache mir nen Schlitz ins Kleid / mal vorne und mal hinten / dann pfeif’ ich auf die Sittsamkeit«, Künneke 1961, eigene Transkription), doch erfüllt der Schlitz im Kleid letztlich die Funktion, Männern zu gefallen und sich gegenüber weiblichen Kontrahentinnen durchzusetzen (»’ne kluge Tante sagte mir mal merk’ Dir bloß / man muss was tun als Frau, die Konkurrenz ist groß / drum mach’ ich mir aus Eitelkeit, ich bitte um Vergebung / nen langen, scharfen Schlitz ins Kleid / von wegen der Belebung«, ebd.). Bei Blumfeld dagegen kommt die Zeile – im Einklang mit Ingrid Steegers »KlimbimVortrag« durch den Zusatz »und find es wunderbar« eher als selbstbestimmte Geste daher. Das Zitat wird von einem Kontext stereotyper Rollenzuschreibungen – sich sexy für die Männerwelt in Szene zu setzen und doch eine gewisse Passivität zu wahren – in einen emanzipatorisch-dekonstruktiven Kontext überführt. Diese politische Haltung Blumfelds wird im Zuge eines offensiv ausgestellten intertextuellen Verfahrens vollzogen – die intertextuellen Verweise konstituieren das kontextbezogene Ich. »Nichts mit was drumrum« zu sein, befreit das lyrische Ich von jeglichen verbindlichen Zuschreibungen. Liest man die Passage mit Metelmann als Kritik an Vergesellschaftung, wird eine oppositionelle Haltung erkennbar, insofern ein dekontextualisierendes Spiel mit Prätexten vollzogen wird. Die Passage deutet auf die Möglichkeit hin, sich von Zuschreibungen zu befreien, indem sie in eine spielerische Distanz gerückt werden – eine Entfaltung von Individualität ohne normative Einschränkungen erscheint nun durch ein intertextuell verfasstes Ich möglich. Die Neuerung von »L’Etat et Moi« besteht laut Metelmann darin, »den herrschenden Praktiken den Diskurs-Kampf zu erklären« (ebd.). Diskurs-
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Kampf bedeutet hier, wie eben gezeigt wurde, normative Zuschreibungen und bestehende Ordnungen in ein freies textualistisches Spiel zu überführen. Blumfelds Verfahren auf »L’Etat et Moi« verarbeitet entsprechend eine Vielzahl an Prätexten, die über das lyrische Ich auf Verbindungen zwischen Gesellschaft und Text verweisen. Sascha Seiler beschreibt dieses Verfahren folgendermaßen: Blumfeld setzten sich mit einem kulturellen Arsenal auf intertextuelle Weise auseinander, indem Bedeutung zwischen Zitaten zu suchen war und die Querverweise auch der zitierten Kulturträger aus Literatur, Pop, Film und Alltag untereinander die Basis des Diskurses [ergaben], einer Auseinandersetzung des Ich mit der Gesellschaft, dem Staat, der Liebe, kurz: dem Anderen (Seiler 2011a: 98).
Seiler hebt hier auf die Tatsache ab, dass die Rede des lyrischen Ichs bzw. die Semiose des Textes auf der Grundlage eines Netzes aus Zitaten stattfindet, das gleichsam gesellschaftlich gedacht wird. Auf diese Weise erfährt der ›Solipsismus‹ der »Ich-Maschine« eine Öffnung. Anhand der ausgewählten »Kulturträger«, die im Text zitiert werden, lassen sich Paradigmen bilden, die die Grundlage der Auseinandersetzung des Ich mit ›dem Anderen‹ ausmachen. Wenn das lyrische Ich sich als ein »Nichts mit was drumrum« bezeichnet, werden die Voraussetzungen dafür erkennbar, dass es sich im Zugriff auf ›das Andere‹ konstituiert. Es betont seine textuelle Verfasstheit.
2.3
›Unnatürlichkeit‹ als poetologisches Programm
Es war im letzten Abschnitt schon die Rede davon, dass das intertextuelle Programm von »L’Etat et Moi« mit einem Protest verbunden ist, wobei die Motive der Isolation und der Abgrenzung, wie sie auf »Ich-Maschine« dominant sind, mit diesem Programm überwunden werden: »I killed nature with a groove / als ich mich gestern aus ihr sprengte« [Blumfeld 1994: »L’etat et moi (Mein Vorgehen in 4,5 Sätzen)«]. Mit diesen Zeilen betont das lyrische Ich seine Emanzipation durch »groove«, als pars pro toto für Kunst, Literatur und Musik, wobei dies als Gegenmittel für »nature« (Identität, Herkunft) eingesetzt wird.215 Das lyrische Ich, so folgert Metelmann in Bezug auf die zitierte Passage, »legt also seinen Kopf nicht mehr als die Verurteilung traurig-lustvoll Akzeptierender in die Ich-Maschine, sondern rebelliert im Namen der Kunst (Rock’n’Roll) gegen die Unter-Drückung« (2002: 35). Der Protest gegen die Unterdrückung vollzieht 215 Die Verzeile »I killed nature with a groove« nimmt Bezug auf die Compilation »Kill the Nation with a Groove« (V.A. 1992c). Dieser Sampler gilt als ein Meilenstein der deutschen HipHop-Szene. In den meisten der elf Beiträge wird allerdings noch in englischer Sprache gerappt; nur die Lyrics von Absolute Beginner, 2BIAS [d.i. Tobias Gruben] und Advanced Chemistry sind deutschsprachig.
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sich, so Metelmann, in Reaktion auf eine »Staatsmaschine […], gegen deren soziale Fixierungen via Norm-setzung/-sätzen die Offenheit der Existenz behauptet wird, die jede/r schöpferisch gestalten kann« (ebd.: 36). Es handelt sich um einen Protest gegen Naturalisierungen, denen ein popästhetischer Akt – ein »groove« – entgegengesetzt wird. Das lyrische Ich will »aus der Haut fahren« [Blumfeld 1994: »L’etat et moi (Mein Vorgehen in 4, 5 Sätzen)«], sodass die Natur mit gesteigerter Künstlichkeit bekämpft wird, mit »mehr Masken« und »mehr Rahmen« (ebd.), was als Code für die Verfahren der Persona (lat. ›Maske‹) und der Kontextualisierung (Ich konstituiert sich über einen Kontext / äußeren Rahmen) verstanden werden kann. Dieses Aus-der-Haut-Fahren vollzieht sich, wie schon anhand von Blumfelds Pop-Persona belegt wurde, in einem intertextuellen Modus. Das lyrische Ich erlangt Identität über eine Summe von Prätexten, was in den folgenden Verszeilen benannt wird: »sich entfalten in Richtung all der Einzelheiten / die längst bevor ich sie verinnerlicht, für mich begriffen hatte / jenseits meiner existierten« (ebd.). In der diskutierten poetologischen Passage wird ganz im Zeichen der Intertextualität rebelliert. Dabei lässt sich zeigen, dass das Programm des lyrischen Ichs selbst intertextuell verfasst ist: »Rock’n’Roll hat meinem Leben / einen neuen Sinn gegeben / den Faden wieder aufzunehmen / drehte ich mich nach allen Seiten« (ebd.). Wenn das lyrische Ich verspricht, den »Faden wieder aufzunehmen«, könnte man sich darunter einen ›Diskursfaden‹ vorstellen, der »nach allen Seiten« (ebd.) ins kulturelle Archiv verfolgt wird – was wiederum einer Hinwendung zum Textualitäts-Paradigma gleichkommt. So lassen sich zwei konkrete Prätexte finden, die mit den genannten Verszeilen, insbesondere den ersten beiden, in Verbindung stehen. In dem Song »Rock & Roll« (1970) von The Velvet Underground wird vom Aufbegehren eines Mädchens namens Jenny erzählt. Schon als Fünfjährige sagt Jenny über ihr Elternhaus: »my parents are gonna be the death of us all / two TV sets and two Cadillac cars / well, you know, ain’t gonna help me at all« (The Velvet Underground 1970: »Rock & Roll«, eigene Transkription). Nicht nur die materiellen Errungenschaften der Eltern, auch die Radiolandschaft kann Jenny nicht das geben, was sie braucht: »every time she puts on the radio / there was nothing going down at all, not at all« (ebd.). Das Erweckungserlebnis erfolgt schließlich durch Rock’n’Roll: »then, one fine morning she puts on a New York Station / you know, she couldn’t believe what she heard at all / she started shaking to that fine, fine music / you know, her life was saved by rock’n’roll« (ebd., Herv. T.H.). Rock’n’Roll gibt der Figur nicht nur, wie bei Blumfeld, einen neuen Lebenssinn, sondern wird sogar zum Lebensretter in schwierigen Zeiten. So heißt es gleichsam als Fazit: »despite all the imputations / you know, you could just go out / and dance to a rock’n’roll station / and it was all right« (ebd.).
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Blumfelds Reflexionsschleifen
In einem Song von Peter, Sue & Marc, einer Schlagergruppe aus der Schweiz, findet sich ein fast identischer Prätext zu Blumfelds Zeile. Hier heißt es: »Rock’n’Roll hat deinem Leben / einen neuen Sinn gegeben / Du gehst deine eigenen Wege, Cindy« (Peter, Sue & Marc 1976: »Cindy«, eigene Transkription). Das Szenario ähnelt dabei dem von The Velvet Underground, insofern auch hier ein junges Mädchen, Cindy, in die Welt des Rock’n’Roll eingeführt wird. Dies geht allerdings, auch musikalisch, wesentlich sentimentaler vonstatten. Wo bei The Velvet Underground die Enge des Elternhauses überwunden wird und die Geburt der Jugendkultur eine glorreiche Zukunft im Zeichen des Rock’n’Roll verheißt, wird bei Peter, Sue & Marc der Verlust der Kindheit aus der Elternperspektive betrauert: »die alten Kinderlieder / sie erklingen nie mehr wieder / denn die Kinderträume sind vorbei / […] die Zeit, sie verrinnt, Oh Cindy« (ebd.). Blumfelds Verszeilen »Rock’n’Roll hat meinem Leben / einen neuen Sinn gegeben« verweisen somit auf Intertexte, die sich gut mit den bisher diskutierten Themenkomplexen des Albums »L’Etat et Moi« kontextualisieren lassen, obwohl sie aus ganz unterschiedlichen historischen und kulturellen Kontexten stammen. Bei Blumfeld geht es um die Erschaffung einer neuen Identität durch Kunst und Jugendkultur. Anhand von »Sing Sing« wurde auch die Ambivalenz des lyrischen Ichs diskutiert, die bei der Überwindung der ›alten Identität‹ entstand. Auch letzteres taucht in den von Blumfeld aufgerufenen Prätexten wieder auf – bei Peter, Sue & Marc als Sentimentalität einerseits, bei The Velvet Underground als radikale Ablehnung des Elternhauses und der damit verbundenen Ideologie andererseits. In der Beschäftigung mit diesen Themen rebelliert die Band Blumfeld, wie zuvor erwähnt, im Zeichen der Intertextualität. Sie lässt bis zu einem gewissen Grad andere für sich sprechen, tritt so in Distanz und steht in diesem Sinne für ein sekundaristisches Verfahren, das sie vor ideologischen Naturalisierungen schützt. Seiler erwähnt in diesem Zusammenhang den »›verkopften‹ Diskurs der Hamburger Schule, in dem intertextuelle Referenzen jegliche als ›echt‹ apostrophierte Emotionalität im Keim erstickten.« (2011a: 101) In diese Richtung argumentiert auch Kerstin Grether in ihrem Spex-Artikel zu »L’Etat et Moi«. Obwohl es sich bei Blumfeld um eine Band gehandelt habe, die stark von SpexLesern rezipiert worden sei, habe das die Spex-Redaktion nicht davon abgehalten, »Worte wie ›pubertär‹ oder ›gefühlsbetont‹ weiterhin denunziatorisch zu benutzen« (Grether 1994: 26). Durch die Blumfeld-Rezeption der Leser und Autoren von Spex »wurde aber immerhin das ›Intellektualisieren‹ von ›Gefühlssubstanzen‹ zum Programm.« (Ebd.) Die Kritik an »Gefühl« sei nicht mit einer Kritik an der »›fehlenden‹ Einordnung von Gefühlen« (ebd.) verknüpft worden. Dieses Desiderat sei aber aber gerade von Blumfeld erfüllt worden: »Nicht Gefühle sind das Problem, sondern falsche Substantialisierungen« (ebd.).
»L’Etat et Moi«: Ausbruch der Intertextualität
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Grether deutet Blumfelds Diskurspop-Verfahren zutreffend als Kritik an ›falschen Gefühlssubstanzen‹. Es gehe bei Blumfeld nicht darum, »Gefühle abzuschaffen« (ebd.), die Aufgabe bestehe vielmehr darin, »den Ort und die Techniken zu finden, sie als Symptom wieder politisch lesbar und wirksam werden zu lassen.« (Ebd.) Die exzessiv ausgestellte Intertextualität auf »L’Etat et Moi« führt also zu einem denaturalisierten, analytisch-akademischen Verfahren. Intertextualität und Abstraktion dienen als Mittel, zu bestehenden Pop-Verfahren in Distanz zu treten. Dabei oszilliert die Rezeption allerdings zwischen analytischem und emotionalem Hören: Ausgestellte Intertextualität mag durchaus als stilistisches Mittel in Opposition zu standardisierter und naturalisierter Emotionalität im Pop treten, wie etwa in Abschnitt 1. dieses Kapitels anhand von Blumfelds Dekonstruktion des Matthias-Reim-Schlagers in »Viel zu früh und immer wieder ; Liebeslieder« demonstriert wurde. Dennoch verzichtet das intertextuelle Verfahren Blumfelds selbst nicht auf Mechanismen der Emotionalisierung.216 Rezeptionsseitig heißt es in einem Youtube-Userkommentar passenderweise zu »Eine eigene Geschichte«: »Ich habe nichts verstanden, doch ich fühle mich verstanden. der Wahnsinn!!«.217 Christoph Gurk spricht in einer Spex-Besprechung von »L’Etat et Moi« mit Bezug auf Diedrich Diederichsen (1992a: 67) von einem produktionsseitig in der Schwebe gehaltenen »Konflikt […], daß Distelmeyer latent das ›Gefühl als Argument‹ gegen die unsachhaltige Abstraktion ins Feld schickt, aber weder die Dimension der Abstraktion noch die der nicht bewältigten Gefühle aufgeben möchte« (Gurk 1994: 62). Auch Sebastian Zabel betont in einem frühen SpexBericht über Blumfeld seine Berührtheit von dem vermeintlich privaten Charakter der Texte Distelmeyers (vgl. Zabel 1992: 41). Und mit dieser Rezeption als besonders persönliche und ›authentische‹ Sprache steht Zabel nicht alleine da. Holger Adam und Jonas Engelmann – beide als Autoren bzw. Herausgeber von testcard – Beiträge zur Popgeschichte tätig – diskutierten diesen Komplex in differenzierter Art und Weise im Rahmen eines als Transkription vorliegenden »offenen Dialogs« (Adam/Engelmann 2010: 40) anlässlich einer Promovierenden-Tagung der Hans-Böckler-Stiftung 2009. Im Kontext der von der gewerkschaftsnahen Stiftung veranstalteten Tagung versuchten Adam und Engelmann zu klären, »worin Ursprünge eines politischen Bewusstseins auch liegen können, wenn die scheinbar klassischen Wege einer politischen Sozialisation nicht beschritten wurden« (ebd.). Zu jenen ›Klassikern‹ zählen Adam und Engelmann
216 Vgl. hierzu Diederichsen (1991: 23). 217 User-Kommentar zum Audio-Clip von »Eine eigene Geschichte«. Abrufbar unter URL: http://www.youtube.com/watch?v=BXWSvExYymM (Letzter Zugriff: 28. 10. 2013).
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Blumfelds Reflexionsschleifen
etwa antifaschistische bzw. antirassistische Gruppen, Gewerkschaftsjugend, Pfadfinder und Jugendabteilungen von politischen Parteien. In einem autobiographischen Abriss, der hier ausführlich zitiert werden soll, erläutert Holger Adam mit Blick auf Pierre Bourdieus milieutheoretische Studien seine Erfahrungen mit dem zweiten Blumfeld-Album: Der systematische Bezug von Gebrauchsgegenständen auf eine bestimmte soziale Lage und ein damit anzunehmendes politisches Bewusstsein, das war ein starkes Bildungserlebnis, nicht zuletzt deshalb, weil es autobiographisch so sinnfällig erschien. Der Gegenstand, der für mich in dieser Hinsicht zentral ist, den habe ich erst relativ ›spät‹ gekauft, aber er steht für den ganzen musikalischen Weg ins politische Feld, die angestrebte Veränderung des eigenen Lebens: Im Januar 1995 hab’ ich Blumfelds L’etat et moi gekauft, wobei ich nicht mehr weiß, wie ich auf die Band gestoßen war, woher die Information kam, die mich vor die Wahl stellte, diese CD zu kaufen … Jedenfalls sollte dieses Album – so sehr wie kein zweites – bestimmte Fragen an mich herantragen und damit helfen, Veränderungen herbeizuführen, von denen ich nicht weiß, ob sie ohne dieses Album ebenso erfolgt wären. Das klingt jetzt ziemlich pathetisch und ich sollte diese These auch vielleicht dahingehend abschwächen, dass ich sage, dass auch die Umstände und Möglichkeiten mit dazu beitrugen, dass ich mein Leben verändern konnte, trotzdem war die Platte mehr als der Soundtrack dazu, denn sie regt mich aktiv dazu an. Zitat aus »Jet Set«: »Offen gesagt haben wir vor / Weiterzumachen als Gescheiterte bisher / in Sachen Selbstverwirklichung / Offensichtlich halten welche nicht soviel davon wie wir / Diese Welt ist nicht das Leben / Sicher kostet sie Dich Deins.« Das schien zu passen. Ich, vor dem Ende meiner Lehre, irgendwie wissend, dass ich nicht weiter bzw. nicht gleich weiter Lohnarbeiter sein will, aber gleichzeitig nicht weiß: Was dann? Die Eltern zwar noch beruhigt, weil der Zivildienst ja bevorstand, aber danach? Dann diese Platte, die sagte: WEITERMACHEN! Nicht aufgeben. Mir erschienen Distelmeyers Texte damals als politische Analysen und ihr poetischer Charakter, der Umstand ihrer Zusammengebasteltheit, der postmodernen rhizomartigen Verästelung, der Beziehungsreichtum der Anspielungen auf der gesamten Platte – all das ging mir erst auf, als ich schon mehrere Jahre mit der Platte lebte. (Ebd. 44f.)
Jonas Engelmann bestätigt eine solche eher intuitive und im Rahmen der Politisierung identifikatorische Lesart: Die erste Blumfeld, Ich-Maschine, hatte ich mir mit etwa 14 gekauft, aber wusste beispielsweise nicht genau einzuordnen, wenn Distelmeyer in »Laß uns nicht von Sex reden« singt: »Wie soll ich dir nah sein / Wenn ich nicht weit genug von mir selbst entfernt sein kann / Schließlich war ich im Fußballverein / Kick and Rush / Wann hört Macht auf ? / Hier fängt Macht an.« Ich war nie im Fußballverein, aber über Sex reden wollte und konnte ich auch nicht – und schon gar nicht, um darin eine Reflexion über Machtverhältnisse in sexuellen Beziehungen zu thematisieren: Ich hatte ja nicht mal eine Freundin! Neben der textlichen Ebene muss da also noch etwas anderes gewesen sein, etwas, das über eine nicht intellektuelle und eher emotionale Ebene lief. (Ebd.: 45)
»L’Etat et Moi«: Ausbruch der Intertextualität
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Beide Rezeptionszeugnisse veranschaulichen, dass Emotionalisierung, Politisierung und analytische Rezeption sich keinesfalls widersprechen müssen. Blumfelds Verfahren der frühen Alben, das sich durch ein hohes Maß an Intertextualität gegen die Naturalisierung von Gefühlen im Pop richtet, leistet mit seinem »poetische[n] Charakter« (ebd.: 45) eine ästhetische Kritik, ohne den affektreichen Gestus der Textsorte »Popsong« – so artifiziell vermittelt dessen Affekte auch sein mögen – gänzlich zu verleugnen. Nicht zuletzt zeigt Adams und Engelmanns Diskussion, dass die eher unreflektierte Rezeption später problemlos in eine analytische Dimension übergehen kann. So beschreibt Jonas Engelmann den Entwicklungsprozess von der naiven Lektüre zu einer Rezeption, die in hohem Maße intertextuelles und kontextuelles Wissen aktiviert und die schließlich in einer politischen Praxis mündet: Slime haben gesungen »Yankees raus« und da kann man ja sagen oder nein sagen – oder es platt und dumm finden, aber Blumfeld haben gefordert: »Lass uns nicht über Sex reden« und da ist die Positionierung ja schon schwieriger und fordert ein sich Beschäftigen mit Fragen jenseits der Musik ein. Es hätte uns natürlich auch über einen Godard-Film oder einen Roman von Elfriede Jelinek erwischen können, die Forderung von Kulturgut, mehr als nur Rezipient zu sein. Aber im Fall der Musik, zumindest jener, um die es hier geht, steckte auch ein ganzer sozialer Kontext dahinter : Auf Fugazi- wie auch auf Blumfeld-Konzerten ging es ja tatsächlich dezidiert politisch zu: angefangen bei den Eintrittspreisen über Ansagen und dem Versuch, kein Star-Rezipienten-Verhältnis aufkommen zu lassen. Und dazu kamen all die Paratexte: Label und Aufnahmestudios waren ja ebenfalls die erweiterten Freundeskreise der Bands: Es existierten also jenseits des eigenen Dorfes Kontexte und Strukturen, in denen es möglich war, Musik nicht nur zu machen, sondern in der Tat jenseits einer Freizeitbeschäftigung zu behandeln und über das Zusammenspiel von Veröffentlichungspolitik, Texten, Interviews und Musik tatsächlich Politik zu machen. (Ebd.: 48f.)
Engelmann benennt hier die fließenden Übergänge zwischen ästhetischer Praxis und realweltlicher Interaktion wie auch zwischen semiotischer und sozialer Sphäre. Die Beschäftigung mit Prä- und Paratexten nähert sich dem Interesse für Akteure, Labels und Aufnahmestudios an, denn hier handelt es sich nicht nur um realweltliche Orte, sie gewinnen auch in ihrer Zeichenhaftigkeit an Bedeutung. Entsprechend werden die auf dem »L’Etat et Moi«-Cover abgebildeten Freunde und szeneinternen Mitstreiter Blumfelds zum Zeichenmaterial, sodass »L’Etat et Moi« als programmatische und umfassende Zitatcollage gelesen werden kann. Nicht zuletzt fällt an Engelmanns Ausführungen auf, dass er mit Jean-Luc Godard und Elfriede Jelinek ausgerechnet einen Regisseur und eine Autorin nennt, die als intertextuelle Referenzen im Werk von Blumfeld präsent sind.218 Es handelt sich bei »L’Etat et Moi« jedoch um eine Zitatcollage, die vom 218 Der Songtitel »Sex.Bomben« (Blumfeld 1992a) erinnert in seiner Schreibweise an Elfriede Jelineks Drama »Wolken.Heim«, das auf dem Folgealbum ebenfalls textuell verarbeitet
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Blumfelds Reflexionsschleifen
Text in eine soziale Sphäre verweist. Gleichwohl steht die Textualität, wie belegt werden konnte, als Ausgangspunkt für eine Poetik der Denaturalisierung.
2.4
Davon handeln wir: Von der Gesellschaft in den Text in die Gesellschaft
Wir haben festgestellt, dass das intertextuelle Verfahren auf »L’Etat et Moi« gegenüber »Ich-Maschine« deutlich in den Mittelpunkt rückt. Zitieren ist textkonstitutiv, dabei ist nicht entscheidend, welches Medium zitiert wird: Sprachlicher Text, Bild und Film fließen in die Zitatcollage ein, die als solche eine soziale Dimension erhält. Andreas Reihse, als Musiker der Band Kreidler und Musikjournalist selbst sowohl Produzent als auch Rezipient, bemerkt dieses Verfahren in der Covergestaltung von »L’Etat et Moi«: Mit dabei (Hip-Parade): Jutta Koether, Daniel Richter, Roberto Ohrt, Günther Jacob, Tobias Levin, Schorsch Kamerun, die Lado-Wsfas undundund…(und das, wofür sie stehen: also Malerei, Collage, Politik, Pop, Diskurs, Struktur,…) Tagebuch und Tageszeitung, sich als Beobachtendes beobachten, die Mikrofone in alle Richtungen ausgerichtet, aufzeichnen, Multimode-Eingänge ins Ich (Reihse 1994: 54).
Ein sozialer Kontext fungiert hier gleichsam als intertextueller Zusammenhang, der »ins Ich« (ebd.) führt. Neben dem lyrischen Ich, das als Diskursknotenpunkt der Blumfeld-Texte fungiert, stehen die abgebildeten Personen metonymisch für andere Texte, die auf dem Blumfeld-Album versammelt werden und die auf der Audioaufnahme einen »Chor der Kontextualität« (ebd.) bilden. Dieser Chor, laut CD-Booklet bestehend aus Christoph Höhtker (Journalist und Schriftsteller), Anne Schulte, Katha Schulte (Journalistin), Schorsch Kamerun (Die Goldenen Zitronen), Günther Jacob (Journalist), Bianca Gabriel (Graphikdesignerin, u. a. für Plattencover im Umfeld der Hamburger Schule), Tobias Levin (Cpt. Kirk & .), Jutta Postel, Frank Spilker (Die Sterne), Regina Behrendt, Dirk von Lowtzow (Tocotronic), Svenja Rossa (Regisseurin, u. a. für Musikvideos im Umfeld der Hamburger Schule), Tilman Rossmy (Die Regierung), Roberto Ohrt (Journalist), Rocko Schamoni, Eike Bohlken (Blumfeld), Pascal Fuhlbrügge (Kolossale Jugend, L’Age D’Or) und Ralf Vidakovicz, singt in »Superstarfighter« die Zeile »und davon handeln wir«, die als performativer Sprechakt eine Schnittstelle zwischen Text und sozialer Realität herstellt. Christoph Gurk weist in der Spex darauf hin, dass diese Zeile, von einem aus Freunden bestehenden Chor geäußert, einen Gegenpol zur intertextuellen Utopie der Offenheit und Befreiung von Zuschreibungen bildet. Die Suche nach wird: »Über den Wolken, Heim in Watte« [»L’etat et moi (Mein Vorgehen in 4, 5 Sätzen)«]. Mit »2 oder 3 Dinge, die ich von Dir weiß« (Blumfeld 1994) wird der Godard-Filmtitel »Zwei oder Drei Dinge, die ich von ihr weiß« (1966) zitiert.
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einer ›eigenen Sprache‹ taucht hier in der Frage auf »Wie kann man gemeinsam eine neue Welt erfinden?« (Gurk 1994: 62) Indem die Gemeinsamkeit ständig benannt werde, sei sie doch »als Praxis noch längst nicht realisiert« (ebd.). Der Chor bilde ein »Mahnmal, daß es da draußen, außerhalb des eigenen Diskurses, wirklich lebende Leute gibt« (ebd.). In der kollektivistischen Tradition des PolitRock wäre es tatsächlich denkbar, dass mit dem Chor – als »Mahnmal« – für eine Eigentlichkeit jenseits des spielerischen postmodernen Intertextualitätsverfahrens appelliert wird, nachdem mit »L’Etat et Moi« hinreichend auf die Gefahr von Naturalisierungen hingewiesen wurde (vgl. Abschnitt 2.3). Im Sinne von Julia Kristevas Intertextualitätskonzept wird auf »L’Etat et Moi« in der Tat ein Verschwinden von Autorschaft und abgeschlossenem Werkbegriff durch eine ›Polyphonie‹ der Intertexte vorangetrieben. »Während in der modernen Literatur Intertextualität und Zitat die Funktion erfüllten, Subjektivität selbstkritisch zu konstituieren und zu stärken«, so erläutert Peter V. Zima das postmoderne Intertextualitätsverfahren, »tragen sie in postmodernen Texten zur Auflösung der Subjektivität bei.« (2000: 302f.) Hinzu kommt beim postmodernen Zitieren eine Tendenz in Richtung Uneigentlichkeit, was die Gefahr birgt, dass auch die bei Blumfeld artikulierten politischen Anliegen als uneigentlich wahrgenommen werden, auch wenn dieses Verfahren, wie zuvor gezeigt wurde, durchaus emanzipatorische Qualitäten besitzt. Zima sieht ein Merkmal des postmodernen Zitierens in der »parodistische[n] und ideologiekritische[n] Relativierung herrschender Diskurse«, die sich unterscheidet von der modernistischen »Suche nach der wahren Sprache oder dem wahren Diskurs« (ebd.: 316). Das Streben nach einer wahren Sprache weiche einem »ironisch-parodistischen Textexperiment« (ebd.) und werde einer »radikalen Polyphonie« (ebd.) geopfert mit dem Ergebnis einer »Pluralisierung des Ich« (ebd.). Wenn wir zuvor davon gesprochen haben, dass diese Pluralisierung emanzipatorische Qualitäten besitzt, so wird doch deren Uneigentlichkeit auf dem BlumfeldAlbum selbst problematisiert und mit dem von Gurk so bezeichneten »Mahnmal« des »Davon handeln wir« konterkariert. Der Konflikt zwischen politischem Anspruch und der tendenziellen Uneigentlichkeit postmoderner Formen lässt sich auch im Kontext der Albumveröffentlichung beobachten. »L’Etat et Moi« erschien 1994 im Nachhall der durch Diedrich Diederichsen in seinem Spex-Artikel »The Kids are not alright« (1992b) angestoßenen Debatte um den »Abschied von der Jugendkultur« (ebd.: 28). Jugendkultur im weitesten Sinne galt bis zu diesem Zeitpunkt noch als konstitutiv für den in Spex geführten Diskurs. Diederichsen spricht davon, dass »Pop, Revolte und Abgrenzung die Basis der täglichen Existenz« (ebd.) bildeten. Kurz nach den rechtsradikalen Ausschreitungen in Rostock-Lichtenhagen aus dem August 1992 beschreibt Diederichsen die zunehmende Identität der von den rechtsradikalen Jugendlichen verwendeten Zeichen mit denen der linken
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Subkultur. Ausgehend von der Beobachtung, dass manche der an den Pogromen beteiligten Neonazis Malcolm-X-Kappen getragen hatten, konnte Diederichsen [m]it dem so geschärften Blick […] unter den durch die Dunkelheit huschenden Typen, die einem Abend für Abend als Übertragung aus Quedlinburg, Wismar, Schwerin und anderen O-Orten schemenhaft ins Wohnzimmer übertragen wurden, bald einen repräsentativen Querschnitt der bekannten jugendkulturellen Typen erkennen: langhaarige Dinosaur-Jr.-Typen, Homies mit allen Arten von Kappen, bunte Techno-Typen – kurz all die, für die wir normalerweise glauben, dieses Heft [Spex, Anm. T.H.] zu machen und von deren kultureller Praxis in diesem Heft die Rede ist. (Diederichsen 1992b: 30)
Als Folge dieser Beobachtung hält Diederichsen es für angezeigt, »von dem Konzept Jugendkultur mit allen angegliederten Unter-Ideen wie Pop, Underground, Dissidenz durch symbolische Dissidenz, Tribalismus, Revolte, Abgrenzung etc. zunächstmal Abschied zu nehmen« (ebd.), da diese nicht mehr fähig seien, »den Unterschied zwischen Nazis und ihren Gegnern« (ebd.) herauszustellen. »Vom Rave zum Pogrom« (ebd.), so lautet eine Zwischenüberschrift Diederichsens, ist es also nicht mehr weit bzw. der grundlegende Unterschied der beiden Ereignisse läuft auf semiotischer Ebene Gefahr, unkenntlich zu werden. Diederichsen betont zwar, dass sein Befund nicht bedeute, »vor den Rechten zu kapitulieren« (ebd.) und dass es sich bei der beschriebenen gesellschaftlichen Lage auch noch nicht um Nationalsozialismus handle, stattdessen sieht er aber deutlich einen »schlechte[n] Zusammenbruch von Verhältnissen, deren guten Zusammenbruch alle Ideen von Rebellion und Dissidenz, so wie sie in Jugendkulturen aufgehoben waren, als Utopie formulierten.« (Ebd.) Analog zu Blumfelds intertextuellem Programm auf »L’Etat et Moi« kritisiert auch Diederichsen eine selbst im ›altlinken‹ (vgl. ebd.: 32) Diskurs stattfindende »Rekonstruktion von Natürlichkeit, Naturgegebenem, Gottgegebenem« (ebd.), also das, was mit Kerstin Grether zuvor als »falsche Substanzialisierung« bezeichnet wurde. »L’Etat et Moi« lässt sich auch als Reaktion auf Diederichsens Bedenken verstehen. Auf dem Album werde, so argumentiert Kerstin Grether, »Selbstverwirklichung und Jugendbewegung« (1994: 26) verteidigt, betont wird dabei das Weitermachen (vgl. »Jet Set«). Auch sei das zweite Blumfeld-Album »eine Kritik am Modell ›In Utero‹ von Nirvana, ein gedanken- und gefühlswissenschaftlicher Versuch, das Resignative, Unbewegliche, die Melancholie abzulehnen.« (Ebd.) Blumfelds Programmatik richtet sich also gegen die Resignation und Isolation der Grunge-Depressivität, ohne ein dogmatisches Kollektiv oder Aktionismus auszurufen. Vielmehr trägt Blumfelds Intervention, wie Grether treffend beschreibt, »gefühlswissenschaftliche« Züge. Sowohl ihr Artikel als auch das Album »L’Etat et Moi« selbst können als optimistische Reaktionen auf
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Diederichsens Artikel gelten, der proklamiert, dass »Schreiben über Musik und begleitende Erscheinungen […] sich nicht mehr die Geste der Identifikation leisten« (Diederichsen 1992b: 33f.) könne. Die semiotische Beliebigkeit des jugendkulturellen Zeichenmaterials führe dazu, dass man »den Materialcharakter ernstnehmen und Distanz wahren« (ebd.: 33) müsse. »Identifikation, Begeisterung, Gefühle und deren Organisation in Sozialem, das sich dann je nach dem Underground, oder Club-Culture oder Briefmarkensammlung nennt« (ebd.) reiche nicht mehr aus, »wenn es nur noch Mythen wahrnehmen kann« (ebd.). Bei Pop-Kommunikation habe es sich zwar immer schon um ein »Gemisch aus Mythen, Mythen-Konstruktion und -Dekonstruktion« (ebd.) gehandelt, doch erachtet Diederichsen dieses Verfahren als emanzipatorisch erschöpft, seitdem der Mythos »Nation« in der Jugendkultur virulent werde. Diesem Konzept der Nation wird auf »L’Etat et Moi« eine starke ›Community‹ entgegengestellt. Diese wird nicht nur auf dem Cover sichtbar, auch auf Textebene sind mehr Wir-Bezüge nachweisbar, so wird das Personalpronomen »Wir« in seiner nicht gebeugten Form auf dem Album 16 Mal verwendet (auf »Ich-Maschine« nur dreimal), in »Superstarfighter« findet sich, wie bereits erwähnt, die Parole »davon handeln wir«, und in »Jet Set« ist die Rede davon, dass »wir« weitermachen »als Gescheiterte bisher«. Roger Behrens grenzt sich gar vom Begriff »Hamburger Schule« als Bezeichnung für eine »Sparte deutschsprachiger Rockmusik« (2003b: 126) ab und sieht darin vielmehr eine »kulturelle Reflexion auf eine soziale Situation der großdeutschen Wendezeit […], deren Hauptstadt Rostock-Lichtenhagen heißt« (ebd., Herv. T.H.). Zudem zeigt er eine Parallele zwischen dem Kollektivismus des oben diskutierten Chors und den Wohlfahrtsausschüssen, die ein Jahr vor der Veröffentlichung von »L’Etat et Moi« (möglicherweise zur Entstehungszeit) in »antifaschistischer Absicht diskutierend und konzertierend durch neue Bundesländer tourten, als ein Versuch unter verschärften Bedingungen, das alte Konzept künsterlerischer Avantgarde zu reaktivieren und in der Praxis neu zu formulieren.« (Ebd.) Das Album bewegt sich in einem Spannungsfeld, in dem radikaler Textualismus stets auf die Möglichkeiten einer sozialen Bewegung bezogen wird.
2.5
»Superstarfighter«: Offenheit und Polyphonie versus semiotischer Autoritarismus
Das Konzept eines Popstars als gleichsam monolithische und unantastbare Größe wird auf »L’Etat et Moi« innerhalb der zuvor beschriebenen ›Polyphonie‹ dekonstruiert. Das »L’Etat et Moi«-Cover zeigt, wie Roger Behrens treffend bemerkt, die »Konfrontation von Bewegung und Star« (2003b: 144). Als eine Art Star innerhalb der Independent-Szene ließe sich Jochen Distelmeyer zum Ver-
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Blumfelds Reflexionsschleifen
öffentlichungszeitpunkt durchaus einordnen.219 Zugleich wird diesem Prinzip entgegengewirkt, wenn das Cover zwar die Bandmitglieder abbildet, diese aber den Freunden und Mitstreitern der Band nebenordnet, wobei die Gesichter der Blumfeld-Mitglieder weder in der Mitte des Covers platziert noch prominent markiert werden. Dem Künstlerindividuum wird eine soziale Vielheit gegenübergestellt, die überdies auf der Folie eines Elvis-Covers, dem prototypischen Pop-Star schlechthin (›der King‹), collagiert wird. Zugleich werden in »Superstarfighter« die Zeilen geäußert »du sagtest / ›Los komm, erklär mir / in den Liedern, die Du spielst / ist immer weniger von Dir selber drin‹ / ›Stimmt genau‹, sag ich / ›die sind so, wie ich selber bin‹« (Blumfeld 1994). Diese Pointe des Stückes ließe sich paraphrasieren als ›In mir selbst ist immer weniger von mir selbst enthalten‹, womit auf den intertextuell verfassten Status des lyrischen Ichs verwiesen und dieser »autoreflexiv« (vgl. Pfister 1985: 27) problematisiert wird. Der Status des geniehaft-originellen Superstars wird zugleich mit dem programmatischen Titel »Superstarfighter« bekämpft und mit dem Chor und dem Coverdesign durch ein soziales »Wir« ersetzt. Die These des intertextuellen Ich wird hier nicht nur reflektiert, das Verfahren lässt sich auch im Text positivieren. So äußert das lyrische Ich, seine Stimme komme »wie ein Wirbel, wind of change / von null auf hundert in die Gänge« (Blumfeld 1994: »Superstarfighter«) und nimmt damit Bezug auf die Pop-Ballade »Wind of Change« (1990) der Hannoveraner Hard-Rock-Band Scorpions – zugleich ist damit der Kontext der deutschen Wiedervereinigung aufgerufen. Schon mit dem Titel »Superstarfighter« wird andeutungsweise auf die »Starfighter-Affäre« und damit in die parteipolitische Sphäre verwiesen. Das Scorpions-Zitat geht in »Superstarfighter« in einem neuen Kontext auf und durchläuft einen Transformationsprozess, wie er in der Intertextualitätsforschung von Wolfgang Karrer beschrieben wird: Dieses Verfahren, Elemente eines Prätextes aus ihren Relationen zu lösen, reicht also von der Neurelationierung aller Elemente – die Wörter des Prätextes werden gewissermaßen wie ein Kartenspiel neu gemischt – bis zur modifizierenden Übernahme nur einiger Elemente, von der Neukonstruktion dieser Elemente bis zu ihrer Dekonstruktion. (Karrer 1985: 106)
Dieses Verfahren wird auf »L’Etat et Moi« vielfach praktiziert, so wird die TonSteine-Scherben-Parole »Macht kaputt, was euch kaputt macht« (1971) bei 219 Dafür spricht auch, dass die ›Ikone‹ Jochen Distelmeyer zum Motiv in der bildenden Kunst wird, etwa in einer Fotografie [»Lily (approximately 8 am, Pacific Ocean), Jochen (approximately 8 pm, North Sea) (detail), 1994] der US-amerikanischen Künstlerin Sharon Lockhart (siehe Abbildung auf dem Buchumschlag der vorliegenden Studie) wie auch in einem Porträtgemälde (»Jochen Distelmeyer«, 1999) der amerikanischen Malerin Elisabeth Peyton (Abb. 19).
»L’Etat et Moi«: Ausbruch der Intertextualität
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Abb. 19: Elizabeth Peyton: Jochen Distelmeyer, 1999, Oil on board, 30,5 x 22,9 cm.
Blumfeld zu »Macht verrückt, was Euch verrückt macht« (1994: »Eine eigene Geschichte«). Hier steht die Modifizierung der bestehenden Elemente für einen ›neu-linken‹ Ansatz, der sich von der Zerstörung im Sinne einer physischen Rebellion verabschiedet und eher die ›unsichtbaren‹ Machtstrukturen, die das Subjekt psychisch affizieren, analysiert.
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Blumfelds Reflexionsschleifen
In »Superstarfighter« wird »wind of change« hingegen wörtlich zitiert und durchläuft einen Kontextwechsel. Wurde der »wind of change« bei den Scorpions, die als eine der erfolgreichsten deutschen Bands als wahrhaftige Superstars gelten können, affirmativ auf die Wiedervereinigung und den Untergang der kommunistischen Staaten bezogen, erfährt die Zeile in »Superstarfighter« allein schon dadurch, dass sie von der intellektuellen Dichter-Persona Distelmeyer verwendet wird, eine Ironisierung. Gleichzeitig eignet sich das lyrische Ich das Mainstream-Rock-Material an, um seine Stimme ambivalent als kraftvoll (sie »kommt von null auf hundert in die Gänge«) und zerbrechlich zu markieren (sie »sorgt für Klänge auf der Kippe, / die auf den letzten Löchern pfeifen«). Durch diese Reflektiertheit entsteht in der Verwendung des Scorpions-Materials ein starker Kontrast zu dem naiven Zukunftsglauben im Vortrag des ursprünglichen Kontextes: »Take me / to the magic of the moment / on a glory night / where the children of tomorrow dream away / in the wind of change« (Scorpions 1990: »Wind of Change«, eigene Transkription). Schnell wird deutlich, dass es sich nicht bei Blumfelds Vortrag, sondern bei den Scorpions um kitschige »Klänge auf der Kippe« handelt, die buchstäblich, nämlich im gepfiffenen Intro des Scorpions-Songs, »auf den letzten Löchern pfeifen«. Der ideologisch instrumentalisierte Scorpions-Song erfährt eine Dekonstruktion, die im neuen Kontext keine eindeutige Semiose mehr zulässt, gleichwohl setzt sich in »Superstarfighter« auch ein starkes Autorsubjekt in Szene, das als Herrscher über die intertextuelle Polyphonie in Erscheinung tritt und seine poetische Überlegenheit gegenüber dem Mainstream-Rock demonstriert. Wenn sich die Sänger-Persona hier als virtuoser Intertextualitätskünstler und auktoriales Subjekt inszeniert, werden in der Vielstimmigkeit der Texte die Spuren zur auktorialen Herkunft der amalgamierten Texte verwischt. Einerseits wird es so unmöglich, konkrete Zitate ihren Urhebern zuzuordnen. Andererseits eignet sich der Autor, wie am Beispiel der Scorpions-Verweise gezeigt wurde, diese Zitate an und macht sie zu einem Bestandteil der eigenen Poetik. Dieses intertextuell vermittelte Verfahren ließe sich als eine Form von – möglicherweise gescheitertem – ›eigenem Sprechen‹ begreifen. Metelmann postuliert im Blick auf Blumfelds auktoriales Subjekt das Konzept eines Zeichensprechers, der »sich und die Seinen zum Klingen bringt und in Texte webt, in denen es einem als viele gefällt, wie es wiederum schon das Cover auf den Punkt bringt.« (Metelmann 2002: 36) Dies deckt sich auch mit einer poetologischen Aussage Distelmeyers: Das hat sich dann so weiterentwickelt, […] dass das dann so viel wurde, so viele Sätze, die gar nicht von mir sind, sondern von ganz anderen Leuten, das [ist] so eine Vorstellung von zusammen reden oder sprechen miteinander, wie man das kennt, wenn
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man Sätze ganz bestimmten Leuten immer sofort zuordnet und sagt, »das ist von dem oder von der« oder »das ist von da« […], dass das verschwindet.220
Wenn in Bezug auf »Ich-Maschine« vor allem von einem Fokus auf das Individuum die Rede war und eine gegenkulturelle ›Community‹, wie sie in »Ghettowelt« anklang, eher als gescheitertes Projekt markiert wurde, tritt nun die Gemeinschaft wieder in den Vordergrund, derart, dass eine ›polyphone‹ Poetik sich nicht mehr einem konkreten Autor-Subjekt zuordnen lässt. Obgleich die Persona Jochen Distelmeyer als mächtiges Autor-Subjekt und ›Zeichensprecher‹ in Erscheinung tritt, ist es nicht nur möglich, dass »alle Rezipienten in die Rolle des Lied-Ichs schlüpfen können« (Garstenauer 2009: 241), sondern auch, dass alle mit ihrer eigenen Stimme (»davon handeln wir«) an der Polyphonie mitwirken. Eine solche emanzipatorische Qualität von Intertextualität wird auch in »Verstärker« programmatisch ausbuchstabiert. Intertextualität fungiert hier als kommunikatives Moment, das aus der Isolation herausführt. Die Rede ist von einem »Text, der kein Behälter Sarg sein mag« (Blumfeld 1994: »Verstärker«), das lyrische Ich behauptet, sich »selbst zu buchstabieren« (ebd.) und »Zeiträume neu im Sinn von weiter [zu] formulieren« (ebd.). Überdies will es »später bei Dir […] sein wie Tinte / die sich ausstrecken will einsaugen läßt« (ebd.). Deutlich wird hier der Wunsch nach Überwindung der Isolation, das Bedürfnis nach kommunikativem Austausch; dies in einem geradezu optimistischen Ton (»weiter formulieren«). Wenn in »Sing Sing« von der »Restauration einer Haut / die ist wie eine Blindenschrift« als prekärer Kommunikationsoberfläche die Rede war, scheint die Kommunikation nun geglückt zu sein, heißt es doch in »Verstärker«: »ich merk was auf der Haut und das macht Sinn«. Auch die Frage, wie sich nach der in Kapitel II, Abschnitt 1.3 referierten Song-Krise noch »Ich« sagen lässt, wird mit dem Song beantwortet, nämlich nicht als Essenz oder Ausdrucks-Ich, sondern in einem kommunikativen Zusammenhang durch das »Ich als Text« (Blumfeld 1994: »Verstärker«). Entsprechend wird in »Ich – wie es wirklich war« (Blumfeld 1994) eine sinnstiftende »Art von Verschwinden, die den Tod bezwingt« (ebd.) formuliert: »[Ich] ließ mich nieder, wo ich mich beherrsche / in den Liedern und in den Sätzen / nahm ich kein Ende / nur eine Wendung / […] geriet zum Strudel, in ein Recycling / und sah das Ende in sich verschwinden« (ebd.). Text-Recycling erhält hier eine emanzipatorische Konnotation in dem Maße, wie es eine Offenheit der Möglichkeiten herstellt, scheinbar die Linearität außer Kraft setzt (»den Tod bezwingt«) und Anfang und Ende in einem »Strudel«, also in einer Sphäre des ›Prozesshaften‹ auflöst. Wenn es heißt »Ich verlor an Ge220 Interview mit Jochen Distelmeyer auf der DVD »Nackter als nackt. Live in Berlin«. Regie: Harry Rag. Interviewpassage transkribiert von T.H.
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Blumfelds Reflexionsschleifen
wicht« (ebd.), scheint das Ich vom Ballast der Identitätszuschreibungen befreit, die ihm noch in »Ghettowelt« in der Repräsentation eines T-Shirts zum Verhängnis wurden: »das wiegt schwer, / wie mein neues T-Shirt / auf dem was draufsteht« (Blumfeld 1992a). Auf »L’Etat et Moi« wird die Vermeidung von Einheit thematisiert. Einheit, dies wurde schon anhand von »Verstärker« deutlich, bringt den Tod – »jeder geschlossene Raum ist ein Sarg« (Blumfeld 1994: »Verstärker«). Dies wird sowohl poetologisch als auch im Verweis auf zeitgenössische politische Debatten betont, für die sich der Text auf »L’Etat et Moi« als nicht abgeschlossenes Gebilde öffnet. So heißt es im Verweis auf die deutsche Wiedervereinigung: »auf halber Strecke bleib ich liegen / und träum davon mit allem eins zu sein / den Traum vom Staat / der sich selbst reicht, der nichts beweist / zusammenwächst wie’s sich gehört« (Blumfeld 1994: »Eine eigene Geschichte«). Damit wird die Debatte um die Wiedervereinigung nicht nur thematisiert und mit der Subjektivität des lyrischen Ichs parallelisiert, sondern durch Willy Brandts Prätext »Jetzt wächst zusammen, was zusammengehört« (1993: 36) auch konkret aus diesem Kontext zitiert.221 In ebendiesem Kontext der Wiedervereinigung bemerkt das lyrische Ich: »Stimmt, wenn alles in einanderpaßt / hat es bald nichts mehr zu bedeuten« (Blumfeld 1994: »Eine eigene Geschichte«). Es lässt sich hier nachweisen, dass der Text sich thematisch gegen Einheit und Abgeschlossenheit richtet und diese Forderung auf Verfahrensebene selbst auch einlöst, indem er sich offen für gesellschaftliche Diskurse und Versatzstücke aus anderen Texten zeigt. Neben diesen befreienden Eigenschaften nimmt das Text-Ich allerdings auch elitäre Züge an. In Thomas Melles Roman Sickster (2011) wird das hier diskutierte Konzept eines Text-Ichs in ganz ähnlicher Weise aufgegriffen, dies sogar im expliziten Bezug auf Blumfeld: Laura war so: Sie hätte gerne andere Freunde gehabt als die, die sie hatte. Sie hätte es sowieso gerne gehabt, wenn die Menschen anders gewesen wären, als wie sie nun 221 Wie buchstäblich Brandts berühmtes Diktum, das er am 10. November 1989 vor dem Schöneberger Rathaus in Berlin geäußert haben soll, dem Diskurs entnommen ist, wird in der Problematik bezeugt, es eindeutig nachzuweisen: In einem online veröffentlichten Text des Berliner Instituts für Faschismus-Forschung und Antifaschistische Aktion e.V. heißt es (ohne Angaben zum Autor): »Es existiert kein Tondokument mit dem Ausspruch ›Jetzt wächst zusammen, was zusammengehört‹; Willy Brandt hat ihn am 10. November 1989 auch in keiner Rede gesagt, erst recht nicht in der berühmten vor dem Schöneberger Rathaus. Wir haben mehr als ein Jahr in Archiven nach dem O-Ton gesucht – Fehlanzeige«. Abrufbar unter : http://www.bifff-berlin.de/aktuell18.htm (Letzter Zugriff: 12. 03. 2010). Nach Angaben eines Lektors des Dietz-Verlages, so der Bericht, habe Brandt den Satz nachträglich ins Manuskript eingefügt. In besagtem Artikel wird zudem ein intertextueller Zusammenhang zu dem mutmaßlich von Felix Salten verfassten Erotikroman »Josefine Mutzenbacher« hergestellt, in dessen ungekürzter Ausgabe sich der Satz im sexuellen Kontext nachweisen lässt.
»L’Etat et Moi«: Ausbruch der Intertextualität
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einmal waren. Sie hätte gerne Menschen gehabt, die so pervers ausdifferenziert waren, dass man nicht mehr genau wüsste, ob sie gerade jemanden imitieren, zitieren, persiflieren, oder ob sie selbst es wären, die da sprachen. Menschen, die so wären, dass diese Frage gar nicht mehr aufkäme, würden sie den Raum betreten. […] Reden würden diese Menschen in Haikus. Oder wie Blumfeld, in gebrochenen Versen, von Liebe und Protest. Sie hätten auch die Stimme von Jochen Distelmeyer und würden sogar so schlucken wie er. (Melle 2011: 189f.)
Das Programm des Text-Ichs wird hier aus der Sicht der Außenseiter-Figur Laura vorgetragen, die das Verfahren dahingehend imaginiert, ihren Alltag in einer Gemeinschaft von Text-Ichs zu transzendieren. Das von Blumfeld entwickelte Text-Ich zeigt Möglichkeiten des Protests auf, insofern es feste Identitätszuschreibungen unterläuft und auch im subkulturellen Kontext neue identifikatorische Anknüpfungspunkte schafft. Jörg Metelmann beschreibt, wie das »L’Etat et Moi«-Cover in diesem Sinne verstanden werden könnte: »Wir sind viele, wir haben alle ein eigenes Gesicht, wir sind das Grinsen hinter der Vermassung, die Maske des Eigentlichen in der Subkultur«, könnte man dieses BildStatement umschreiben, oder »Wir eignen uns die Bilder und Rollen an, mit denen ihr uns erdrückt«. Aus der einzelnen Person auf dem Cover von Ich-Maschine sind viele Menschen geworden, aus der feindlichen Anonymität der anderen eine Community von Mit-Menschen. (Metelmann 2002: 36)
Metelmann spricht hier über das Cover als konkrete Intervention, die von der Uneigentlichkeit der Intertextualität in eine Eigentlichkeit des Sozialen führt. In diesem sozialen Kontext steht der nicht mit seinem Gesicht, aber doch mit der Pose anwesende ›King‹ für einen nicht näher personalisierten Herrscher über die Texte. Dies erkennt auch der britische Musikjournalist Eric Gladstone, wenn er hervorhebt, dass Distelmeyer als popästhetischer Zitat-Virtuose auf Konzerten innerhalb der eigenen Songs immer wieder Versatzstücke aus bekannten Popsongs einwirft, darunter »Dancing Barefoot« (Patti Smith), »Miss World« (Hole) und »That’s the way (I like it)« (KC and the Sunshine Band), wodurch das Referenzspektrum in seiner Heterogenität ausgestellt wird (vgl. Gladstone 1995: 26). Distelmeyer inszeniert sich als Herrscher über die Pop-Texte und untergräbt zugleich die Hegemonie des Popstar-Status. Das Text-Ich markiert sich nicht als Ursprung originärer Ideen, sondern allenfalls als Diskurs-Knotenpunkt. So spricht Kerstin Grether in Bezug auf »L’Etat et Moi« von der Erschaffung eines »ästhetischen Blickpunkt[s] […], der sich verändern kann, und gar nicht mehr festschreiben will, wer ›Ich‹ eigentlich ist« (1994: 28).
III.
Blumfelds Scheitelpunkt
1.
»Old Nobody«: Veröffentlichungskontext und Konzeption
Das Album »Old Nobody« stellt in vielerlei Hinsicht eine Zäsur im Werk Blumfelds dar. Es erschien am 25. Januar 1999, fünf Jahre nach dem Vorgängeralbum »L’Etat et Moi« mit einer neuen Besetzung: Der Bassist Eike Bohlken verließ die Band, um eine akademische Karriere einzuschlagen;222 an seine Stelle trat Peter Thiessen von der Band Kante. Zudem wurde mit Michael Mühlhaus erstmalig ein Keyboarder aufgenommen, sodass aus dem Trio mit der Besetzung Gitarre/Gesang, Bass und Schlagzeug ein auch über synthetische Klangquellen verfügendes Quartett wurde.223 Diese Veränderung hatte zwangsläufig Auswirkungen auf Klang und Stil, wie auch auf die gesamte Konzeption der Band. Im Feuilleton war die Rede von der »spektakulärste[n] Kehrtwende, die sich eine deutsche Band je zu vollziehen getraut hat: keine schroffen Sounds, keine unverständlichen Texte, kein PolitGepose mehr, sondern hübsche Melodien, Liebeslieder, schmeichlerische Grooves und viermal versöhnliches Lächeln auf dem Cover« (Waechter 1999: 38), hieß es beispielsweise in Die Woche. Auch in einem Artikel von Jörg Sundermeier in der Freitag wurde die Versöhnlichkeit von »Old Nobody« bemerkt, dahingehend, dass Blumfelds Texte hier »weniger im Diskurs als vielmehr nahe dem Schlager siedeln« (1999: 14). Auch Karl Bruckmaier spricht in der Süddeutschen Zeitung hinsichtlich der Single »Tausend Tränen tief« von einem »Schlager« (1999: 16). Der »Diskurs«, von dem bei Sundermeier die Rede ist, deutet selbstredend auf den als »Diskursrock« geläufigen Stil der ersten beiden Blumfeld-Alben hin, aus dem nun scheinbar Diskurspop oder sogar konventioneller Mainstream-Pop geworden war. Der neue Pop-Stil mag für viele Fans 222 Inzwischen ist Bohlken habilitierter Philosoph. Vgl. URL: http://www.fiph.de/personen/ institut/Bohlken-Eike.php (Letzter Zugriff: 06. 03. 2014). 223 Bei Gitarre, Bass und Schlagzeug handelt es sich um in der popmusikalischen Praxis elektronisch verstärkte, aber was die Klangerzeugung angeht analoge Instrumente.
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Blumfelds Scheitelpunkt
der ersten beiden Alben eine abschreckende Wirkung gehabt haben, erwies sich aber durch seine Anschlussfähigkeit zum Mainstream-Pop auch als Möglichkeit, neue Fans anzuziehen, die sich über die Existenz der ersten beiden Alben möglicherweise gar nicht bewusst waren (vgl. Arndt 1999: 85). Jochen Distelmeyer bemühte sich zum Veröffentlichungszeitraum von »Old Nobody« dagegen, in Interviews gerade die Kontinuität im Werk der Band herauszustellen. So wird er in einem englischsprachigen Billboard-Artikel zur Pop-Lastigkeit von »Old Nobody« folgendermaßen zitiert: »I’ve always seen the band in that sense, and my songwriting has always had the same influences that only now seem to have become obvious, such as ABC, Scritti Politti, Michael Jackson, Robert Palmer, Grace Jones, or even Chris Rea.« (Ebd.) Die Bezugnahme auf diese von Distelmeyer genannten Gruppen und Künstler lässt sich vor dem Erscheinen von »Old Nobody« auf Textebene nicht erkennen. Stilistisch bilden Distelmeyers Referenzpunkte als radiotaugliche Vertreter des Mainstream-Pop eher einen Gegensatz zu den durch (Post-)Punk und Shoegazer-Sound geprägten und am Rock-Paradigma ausgerichteten Alben »Ich-Maschine« und »L’Etat et Moi«. Am ehesten ließen sich wohl durch den verstärkten Einsatz von Akustikgitarren auf »L’Etat et Moi« musikalische Ähnlichkeiten zur britischen Band Scritti Politti und ihrem Debütalbum »Songs to Remember« (1982) ausmachen, das auf »Old Nobody« als gleichlautende Zeile auch textuell präsent ist (vgl. Blumfeld 1999a: »So lebe ich«). Martin Büsser beschreibt das Scritti-Politti-Album als »feinsinnige Verbindung von Funk, Soul, Jazz und Pop, die gelegentlich an spätere Prince-Nummern erinnerte« (2004: 141). Wirklich einschlägig in Bezug auf das Diskurspop-Paradigma scheint Scritti Politti allerdings vor allem auf konzeptueller Ebene zu sein, denn hier wurde versucht, linkspolitischen Anspruch, Zitathaftigkeit und poststrukturalistische Theorie in ein Pop-Format zu integrieren – anders als bei Blumfeld in einem eher humorvollen und weniger verklausulierten Modus. So gesteht das lyrische Ich in »Jacques Derrida« seine Liebe zu ebendiesem Philosophen, wobei die Lektüre von Derridas Texten ihm verrät, wie das Herz seiner Geliebten zu dekonstruieren sei: »I’m in love with a Jacques Derrida / Read a page and know what I need to / Take apart my baby’s heart« (Scritti Politti 1982). Das lyrische Ich der marxistischen Band mit dem an Antonio Gramsci angelehnten Namen lässt freilich an der Ernsthaftigkeit der politischen Ausrichtung der Band keine Zweifel aufkommen, wenn in dem gleichen Song zur Revolution aufgerufen wird: »Still support the revolution / I want it I want it I want that too / B’baby, B’baby, it’s up to you«. Hier, wie auch im Bandnamen mit seiner Ähnlichkeit zum Little-Richard-Titel »Tutti Frutti«, werden marxistische Anspielungen also mit auch durchaus rock’n’rolllastigem Duktus vorgetragen und so mit einer westlichen und warenförmigen Ästhetik zusammengebracht. Auf ironische Art und Weise benennen Scritti Politti auch die Wechselwirkungen zwischen Subjekt und Wirtschaftssystem (die Band
»Old Nobody«: Veröffentlichungskontext und Konzeption
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wurde 1978 in der Industriestadt Leeds gegründet) mit einem makroökonomischen Vokabular, nur um letztlich auf einen Blues-Topos zu verweisen: »I was like an industry / Depressed and in decline« (ebd.). Auf diese Weise zeigten Scritti Politti, dass »kommerzielle Popmusik auch politisch anspielungsreich sein konnte, den stumpfen ›Fuck the police‹-Slogans der Punks weit überlegen« (Büsser 2004: 141), was allerdings, so Martin Büsser weiter, zu Irritationen unter den Kritikern führte. Insofern wurde mit der Veröffentlichung von »Old Nobody« eine ganz ähnliche Debatte 17 Jahre später und unter deutschsprachigen Bedingungen neu aufgerollt: die vermeintliche Unvereinbarkeit von Mainstream-PopÄsthetik und politisch motiviertem Zitat-Verfahren. Die ebenfalls in Distelmeyers Liste genannte Band ABC verfolgte Anfang der 1980er Jahre ein vergleichbares Konzept: Die Gruppe aus Sheffield kombinierte, wie Simon Reynolds verdeutlicht, »orchestral disco splendor of a Gloria Gaynor« mit »word-twisting lyrical depths of an Elvis Costello« (2006: 328). ABC steht für eine ästhetisch innovative Mischung aus artifizieller und mainstreamtauglicher Form mit ausgeprägter lyrischer Intellektualität auf Ebene des Verbaltextes. Die hohen Ansprüche der Band bei der Produktion des Debütalbums »The Lexicon of Love« (1982), die durch den Hit-Produzenten Trevor Horn erfüllt werden konnten, beschreibt Reynolds mit dem als Abgrenzung vom ›authentischen‹ und ›ehrlichen‹ Rock gemeinten Attribut »superhuman« (ebd.) und zitiert Horn, der das ABC-Verfahren folgendermaßen zusammenfasst: »It’s like Dylan, except it’s disco music instead of an acoustic guitar. […] The guy’s writing about what he really feels, but it’s gonna be played in a dance club so it’s gotta have the functional quality of disco.« (Ebd.)224 Trotz dieser ausgefeilten Pop-Ästhetik, die nicht radikal in Richtung Kunstautonomie tendiert und durchaus die Verwertbarkeit und Funktionalität in bestimmten Hörsituationen berücksichtigt, grenzt sich die Band ABC gegenüber dem damaligen kulturindustriellen Mainstream ab. Dies hinderte sie aber nicht daran, das erklärte Ziel zu verfolgen, ihre Alben an der Spitze der Charts zu platzieren und gerade kein Nischendasein in den sich durch die Punk- und New-Wave-Bewegung formierenden Strukturen des Undergrounds zu führen (vgl. Hecken 2009: 393). Sowohl bei Scritti Politti als auch bei ABC handelt es sich um Repräsentanten des sogenannten New Pop. Unter diesem Begriff versteht Thomas Hecken eine »intellektuelle, mit künstlerischem Anspruch vorgenommene Affirmation von Pop Anfang der 1980er Jahre in England« (2009: 391). Statt einen politischen Ansatz in der Popmusik als Protest zu artikulieren, vollziehen die entsprechenden Bands, wie Hecken diskursgeschichtlich herausarbeitet, die »Hinwendung zu einer vorgeblich verwirrenden, sinnzerstörerisch subversiven Mikro-Politik der hedonistischen Pop-, Mode- und Luxus-Affirmation«, womit eine Absage an den 224 Mit »the guy« ist Martin Fry, Sänger von ABC, gemeint.
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Blumfelds Scheitelpunkt
»Tiefsinn der hervorgebrachten Sozialkritik und der Melancholie« verbunden wird (ebd.: 397). Diese künstlerische Strategie beinhaltete zugleich, das Feld des Mainstream-Pop nicht den etablierten Künstlern zu überlassen, sondern sich auf Grundlage der vorausgegangenen oppositionellen Punk- bzw. Post-Punk-Ideologie, gleichsam auf einer höheren und reflektierteren Ebene als die bisherigen Akteure des Mainstream-Pop, aktiv am Kampf um die Chartpositionen zu beteiligen. Hecken erachtet die Strömung des New Pop der 1980er Jahre als Innovation, weniger durch ihre stilistischen Neuerungen, sondern weil es die erste Initiative ist, die sich mit nachhaltigem Erfolg innerhalb der jugendlichen Gegenkultur auf die Affirmation des Oberflächlichen, Reizvollen, Künstlichen, Eingängigen verlegt, ohne zugleich wie gewohnt die Werte der Intensität und des Aggressiven äußerst hochzuhalten. (Ebd.: 391)
Dieser Befund, Oberflächliches sowohl auf Grundlage der ästhetischen Vorlieben als auch aus strategischen Gründen zu affirmieren, ließe sich nun ohne weiteres auf »Old Nobody« übertragen, denn auch hier werden Elemente des eingängigen und oberflächlich reizvollen Pop in das bisher als widerständig konnotierte Verfahren integriert. Der frühere Diskursrock, in dem sich die eher aggressiven und ›intensiven‹ Qualitäten des (Punk-)Rock noch erkennen lassen, wird in einem dem New Pop ähnlichen Verfahren fortgeführt. Dies geschieht bei Blumfeld jedoch in mehrfach gebrochener Art und Weise: Zunächst handelt es sich ja beim New Pop selbst um ein zitathaftes Verfahren, das sich aus einer Meta-Perspektive heraus entfaltet. Bei Blumfeld wird es zudem, erstens, verbaltextlich in die Deutschsprachigkeit überführt, zweitens, historisierend in Form eines Zitats der ursprünglich im England der 1980er Jahre angesiedelten Strömung verarbeitet, womit, drittens, ein räumlicher und zeitlicher, auch außerästhetischer Kontextwechsel vollzogen wird, z. B. vom Thatcherismus in die sozialdemokratische Bundespolitik der ›Neuen Mitte‹. Tatsächlich erscheint es sinnvoll, eine Parallele zwischen Blumfelds Position 1999 und den Vertretern des Anfang der 1980er Jahre in Erscheinung tretenden New Pop herzustellen. Indem sich Distelmeyer auf die Strömung des New Pop beruft, wird der in der Rezeption des Albums »Old Nobody« bemerkte Widerspruch zwischen ästhetischer Zugänglichkeit und Chart-Tauglichkeit auf der einen und dissidenter Zugehörigkeit zur Gegenkultur auf der anderen Seite aufgelöst und unter Berufung auf die historischen Vorbilder legitimiert. Der Bezug auf New Pop wie auch auf die Größen des Mainstream-Pop (Michael Jackson, Grace Jones, Chris Rea und Robert Palmer) vollzieht sich in einem sekundaristischen, zitathaften Modus, sodass die konzeptuellen Grundzüge des Diskursrock der früheren Blumfeld-Alben – wenn auch in einer ganz anderen Erscheinungsform – ihre Gültigkeit behalten. Dabei lassen sich im Übergang vom Diskursrock zu einer neuen Form von
»Old Nobody«: Veröffentlichungskontext und Konzeption
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eingängigerem, aber immer noch zitathaftem und als oppositionell deklariertem Diskurspop Parallelen zu der Anfang der 1980er Jahre vollzogenen Reaktion auf Post-Punk durch die Vertreter des New Pop erkennen. Noch im Post-Punk habe man, so Simon Reynolds, Eskapismus und Oberflächlichkeit (vgl. 2006: 326) vermieden – ganz im Gegensatz zur aufkommenden Wertschätzung von »disposable pop« (ebd.) von Seiten der New-Pop-Anhänger, etwa durch den einflussreichen Musikjournalisten und Labelbetreiber Paul Morley. New Pop, so Reynolds, reaktivierte das Interesse des Glam Rock der 1970er Jahre an Artifizialität und Androgynität und »all the delicious games you could play with pop idolatry« (ebd.: 329). Die glatt polierte Oberfläche von »The Lexicon of Love« (ABC 1982) sorgte, ähnlich wie später »Old Nobody«, für Irritation unter den Kritikern, da schnell deutlich wurde, dass auf dem Album reflektierte ›Metapop‹-Mechanismen am Werk sind. So liest Simon Reynolds den Song »Tears Are Not Enough« (ABC 1982) als ein als konventionelles Liebeslied getarntes ästhetisches Manifest des New Pop, denn es bleibe im Sinne der progressiven Bewegung »no time for wallowing or whining« (Reynolds 2006: 328), stattdessen gelte: »strive and take pride« (ebd.). Der Songtitel lässt sich so auch im Sinne der von Hecken erwähnten Abkehr von der Melancholie verstehen (vgl. Hecken 2009: 397). Auch andere Songs des ABCAlbums hätten, so Simon Reynolds, zitathafte Qualitäten (z. B. »The Look of Love« als Anspielung auf Burt Bacharach) und kämen einer eher reflektierten und kritischen Auseinandersetzung mit dem Liebes-Topos im Popsong gleich (vgl. Reynolds 2006: 328). Dabei stellt es keinen Widerspruch dar, dass ABCs Album auch eine Art Hommage an das »prerock showbiz« (ebd.) vergangener Tage darstellt und diesen Komplex pastichehaft verarbeitet. Neben dem starken Fokus auf das Liebeslied orientierte man sich auch in der modischen Inszenierung »roughly pre-1967« (ebd.) und trug Smoking, Fliege und den unter anderem durch Elvis Presley geprägten goldenen lam8 suit (vgl. ebd.: 329).225 Durch diesen Bezug auf die Vergangenheit wird auch die Sekundarität des New Pop verstärkt, der sich gerade nicht ungebrochen gegenwartsbezogen gibt. Er ist zugleich auf der Höhe der Zeit und fällt durch seine Brüche aus dem konformen Pop-Schema heraus.226 Diesem sekundaristischen Konzept entspricht auch die 225 Ob die lam8 suits des multiplen Elvis auf dem »L’Etat et Moi«-Cover als Verweis auf ABC fungieren, sei dahingestellt. Dadurch, dass die Elvis-Köpfe mit Fotos des BlumfeldFreundeskreises überklebt sind, wirkt das Cover eher als anti-artifizielles Statement. Im Zitieren des Elvis-Covers offenbart sich der Versuch, eine Alternative zum Pop-Mainstream unter eigenen Bedingungen zu schaffen. Das Cover-Design stellt keinen Anschluss zum Mainstream-Pop her. Anders verhält es sich bei allen Blumfeld-Albmcovern nach »L’Etat et Moi«, bei denen derartige Brüche nicht erkennbar sind und bei denen keine CollageElemente mehr verwendet werden. 226 Was in der Popmusik als ›konform‹ gelten darf, fasst Martin Büsser verkürzt, aber sehr anschaulich zusammen: »Jahrelang gab es gewisse Codes und gewisse Sprechweisen, nach
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Blumfelds Scheitelpunkt
Covergestaltung von »The Lexicon of Love« (Abb. 20): Hier ist Martin Fry mit Revolver neben einer in Ohnmacht fallenden Frau als Darsteller einer melodramatischen Kriminalszene zu sehen, die sich auf der Rückseite des Covers (Abb. 21), wie der rote Vorhang des Frontcovers schon erahnen lässt, als Bühneninszenierung entpuppt – die übrigen Bandmitglieder betätigen sich als Beleuchter und Souffleure. ABC rufen damit in selbstironischer Pose die Konstruiertheit des Pop-Produkts und die sekundaristische Distanz der auf dem Album verarbeiteten trivialen Topoi ins Gedächtnis (vgl. ebd.).
Abb. 20: Plattencover »The Lexicon of Love« von ABC.
Es besteht kein Zweifel, dass es sich hier um einen selbstreflexiven MainstreamPop zweiter Ordnung handelt, der doch ideologisch in der Tradition von Punk denen sich Popmusik zu richten hatte. Über diese Sprechweisen wurde zugleich schon festgelegt, ob ein Song Mainstream oder Indie sein sollte. Punk hatte politisch radikal zu sein, New Wave und Indie gewissermaßen kritisch, entfremdet oder melancholisch, Mainstream dagegen positiv, auf Liebe und Tanz abonniert – oder aber harmlos politisch engagiert wie im Falle der SIMPLE MINDS und U2.« (2000: 12).
»Old Nobody«: Veröffentlichungskontext und Konzeption
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Abb. 21: Plattencover »The Lexicon of Love« von ABC (Rückseite).
steht, insofern ABC als Vertreter des New Pop trotz der reichlichen Verwendung von Motiven aus dem Bereich »romance and Hollywood glamour« (ebd.) den Zweifel des Post-Punk gegenüber der Darstellung romantischer Liebe teilen. Dabei wurde gegenüber dem »Grau der Post-Punk-Bands« (Hecken 2009: 395) aber noch einmal reflektiert, was durch Post-Punk, und später durch Diskursrock und -pop, möglicherweise verlorenging: eine ästhetische Auseinandersetzung mit naivem ›Pop-Zauber‹, d. h. den »unrealistic dreams propagated by pop« (Reynolds 2006: 328), denen zwischen Distanzierung und Affirmation eine ambivalente Rolle zukommt. So werden etwa in dem Liebeslied »Date Stamp« von ABC, darauf macht Simon Reynolds aufmerksam (vgl. ebd.: 330), die wirtschaftlichen Bedingungen, unter denen Liebesbeziehungen zustande kommen, keineswegs transzendiert. Im Sinne des ›diskursiven‹ Fokus auf den gesellschaftlichen Kontext macht sich das lyrische Ich dieses Pop-Songs die Rhetorik der Warenförmigkeit zu eigen, wenn es sich als »for the girl that meets supply with demand« (ABC 1982: »Date Stamp«, eigene Transkription) suchend beschreibt und seinen eigenen Markt-
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Blumfelds Scheitelpunkt
wert reflektiert: »this heart’s up for sale […] redevelop product / redesign this package« (ebd.). Und wenn eine weibliche Stimme dann singt: »love has no guarantee« (ebd.), antwortet das lyrische Ich resignierend: »yes, I’m date stamped« (ebd.). Ähnlich wie in Blumfelds »Sing Sing« kommt hier auch die Sehnsucht nach sinnerfülltem Kontakt zur Sprache, der unter kommodifizierten und kulturindustriellen Bedingungen nicht recht eintreten will. Auf diese Weise klingt es fast so, als würde der Diskurs der Kritischen Theorie Einzug in den New Pop von ABC halten, wenn Standardisierung und Bedürfnisstrukturen zur Sprache kommen: »Off the rack or custom-fit, it all seems the same / look, but don’t touch in paradise« (ebd.). Der Song verhandelt also nicht einfach nur die konkrete unerwiderte Liebe des lyrischen Ichs, diese wird vielmehr theoretisiert, indem sie in den Diskurs der Kommodifizierung eingebettet wird. Bei »Date Stamp« handelt es sich um ein kontextualisiertes Liebeslied, d. h. die unerwiderte Liebe findet innerhalb der gesellschaftlich inhärenten Warenförmigkeit statt und erscheint gerade vor dieser Kulisse auf spezifische Art und Weise melancholisch eingefärbt. Die Form des Mainstream-Pop bildet beim New Pop keinen Widerspruch zu seiner ›Diskursivität‹, womöglich wird sie durch diese sogar noch selbstreflexiv intensiviert und ihre Ambivalenz hervorgehoben. Dadurch entsteht ein neues und konfliktreiches Spannungsfeld zwischen Oppositionalität und Affirmation – es wird nicht verleugnet, dass sich das Begehren des New-Pop-Ich gerade in einer Welt warenförmiger Pop-Produkte konstituiert. Hecken identifiziert hinsichtlich der von Paul Morley formulierten NewPop-Programmatik eben dieses Spannungsfeld beim New-Wave- und PostPunk-Publikum zwischen dem Festhalten an einem anti-kommerziellen »traditionellen Kunstanspruch« und der Hingabe an die »Pop-Oberflächlichkeit« (2009: 395). Im Blick auf die von Distelmeyer genannten Verweise im Interview-Paratext zu »Old Nobody« konnte die Konzeption des Albums verdeutlicht werden: Zum einen werden mit den Vertretern des New Pop Bands aufgerufen, die einen Anspruch auf Reflektiertheit und Zitathaftigkeit mit leicht konsumierbarem Pop synthetisieren. Zum anderen nennt Distelmeyer ikonische Stars des Mainstream-Pop wie Michael Jackson und Grace Jones als konzeptuelle Vorbilder, zu denen die Band Blumfeld noch auf »L’Etat et Moi« in Opposition stand, wie mit Blick auf den programmatischen Song »Superstarfighter« gezeigt wurde. Der Kampf gegen diese, um bei Reynolds’ Begriff zu bleiben, pop idolatry scheint sich mit »Old Nobody« erschöpft zu haben. Stattdessen nehmen Blumfeld selbst spielerisch an der Pop-Idolatrie teil, gerade auch um einen möglicherweise normativen »Rockmythos der Indiefreunde« (Sundermeier 2007: 15) zu unterwandern. Im Ergebnis erreichte »Old Nobody« schließlich Platz 17 der deutschen Album-Charts und schloss auch in diesem Sinne an die New-Pop-Grup-
Scheitelpunkt »Old Nobody«
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pen Scritti Politti und ABC an, deren Alben teilweise hohe Chartplatzierungen erlangten.227 Blumfeld hätten sich »[r]aus aus dem Hamburger Diskurs-PopGhetto, rein in die Charts« (1999: 24) bewegt, befand denn auch Gerrit Bartels in der taz.
2.
Scheitelpunkt »Old Nobody«
Im Folgenden soll »Old Nobody« als ein Scheitelpunkt zwischen der Diskursrockband Blumfeld (bis »Old Nobody«) und der zugänglicheren Diskurspopband Blumfeld (nach »Old Nobody«) beschrieben werden. Dabei kann der Ausdruck »Scheitelpunkt« durchaus wörtlich bzw. im übergreifenden Sinne metaphorisch verstanden werden, und zwar in Bezug auf die in der Rezeption paradigmatisch gewordenen Seitenscheitel der Bandmitglieder auf dem Plattencover von »Old Nobody« (Abb. 22).228 Diese stellen nicht nur ein spezifisches performatives Merkmal des Hamburger-Schule-Chic zur Veröffentlichungszeit dar, in ihrer Zeichenhaftigkeit deuten sie auch auf eine in der späteren Phase von Blumfeld immer schwerer abweisbare äußerliche und formale ›Angepasstheit‹ hin.229 Der Seitenscheitel steht hier in der Tradition einer Popper-Mode der 1980er Jahre, sodass die Frisuren auch im Hinblick auf das popästhetische Konzept des Albums eine Äquivalenz zu den musikalischen Referenzen bilden. Gemeint sind die oben diskutierten Vertreter des New Pop oder im deutschsprachigen Kontext diejenigen Bands, die sich bewusst vom Rock-Paradigma abgrenzten – zu nennen wären hier eine frühe ›Schule‹ bestehend aus Hamburger Gruppen wie Palais Schaumburg und Die Zimmermänner, die im Kontext der Neuen Deutschen Welle und auf der Suche nach ästhetischer Innovation keine im engeren Sinne politische Haltung entwickelten. Im Gegensatz zur Ästhetik der gegenkulturellen Punks und Rocker mit ihren wilderen und rebellischen Frisuren entstand die Popper-Mode aus einer die Konsumwelt bejahenden Haltung heraus – freilich als äußerliche Konformität, die sich im Sinne eines »antiessen227 »Songs to Remember« von Scritti Politti erreichte Platz 12 (vgl. Schmidt-Joos/Kampmann 2008: 1559), »The Lexicon of Love« von ABC Platz 1 der britischen Charts (vgl. Strong 2004: 7). 228 Der Begriff wird auch von Barbara Kirchner (ohne Bezug auf die Bandfrisuren) in einem Spex-Artikel zu »Old Nobody« verwendet: »Muß man Blumfeld nicht auch und gerade am Scheitelpunkt eines auf Erweiterung zielenden Band-Aufbruchs als Autorenprojekt begreifen, wo es nach wie vor heißt: Hier spricht der Dichter?« (1999: 33). 229 Vgl. hierzu Groß (1999a: 13). Jörg Augsburg bemerkt, Blumfeld hätten sich auf dem Cover von »Old Nobody« als »sauber frisierte Schwiegersöhneband« präsentiert, im »Tausend Tränen tief«-Video »agierte ein noch makellos stilvoller Helmut Berger. Anzugpflicht.« (2013: o.S.).
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Blumfelds Scheitelpunkt
Abb. 22: Plattencover »Old Nobody« von Blumfeld.
tialistischen Hedonismus« (Schumacher 2003: 245) subversiv instrumentalisieren ließ. Im Begleitband zur WDR-Fernsehsendung »Pop 2000. 50 Jahre Popmusik und Jugendkultur in Deutschland« wird die Popper-Strömung vom Autor Peter Wagner beschrieben und mit Zitaten der Moderatorin und Schauspielerin Heike Makatsch veranschaulicht, in denen die Nähe zur Konsumsphäre durch die Nennung von Markennamen plastisch wird: [Die Jugendlichen] haben die Nase voll vom ewigen Rabatz der »Randalierer« und »Berufsdemonstranten«. Die Popper sorgen für ganz neue Akzente in der Jugendkultur – Anpassung statt Protest. Heike Makatsch: »Diese Marc-O-Polo-Shirts und die Haare hinten ausrasiert und vorne so halblang übers Auge und so – das fand ich schrecklich. Die Jungs haben Pastell getragen, den Pulli locker über die Schulter, und haben erstmals Parfums benutzt. Die gingen in wahren Davidoff-Wolken durch die Schule.« (Wagner 1999: 136f.)
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Dieser Look wird nun auf dem Cover von »Old Nobody« wieder aufgegriffen, wenn ein Bandmitglied ein von Ralph Lauren gelabeltes Polo-Shirt trägt,230 wo Markenlogos üblicherweise nicht auf Plattencovern auftauchen, schon gar nicht bei Bands mit linkspolitischem Selbstverständnis. Tom Holert erwähnt im Erscheinungsjahr von »Old Nobody« die strategische Instrumentalisierung solcher Elemente, wiederum im Verweis auf Scritti Politti und das Jahr 1982, laut Holert ein Zeitpunkt, zu dem »die Popmusik, die Glamkultur und das Soulelement durch Punk heftig in Zweifel gezogen worden waren« (1999: 26). Die als politisch verstandene »Aneignung von Soul und Softness« (ebd.) durch Scritti Politti (insbesondere in ihrem Song »Faithless« von 1982) sei »das typische Beispiel einer Strategie der Um- und Neubewertung« (ebd.) im Sinne der subversiven Affirmation. Die Methode der Wahl sei »die Umarmung des Gegners« gewesen in Form einer Verwendung von Zeichen der Etabliertheit aus der Position des Nicht-etabliert-Seins: Business-Anzüge tragen, weil man es liebt, sie zu hassen, diese Förmlichkeit; StreicherArrangements benutzen, weil man sich des Sounds der Gesetztheit bedienen kann, ohne seiner muffigen Konventionalität zu verfallen. (Ebd.: 26f.)
Dies erscheint in Bezug auf »Old Nobody« nicht nur auf Verfahrensebene plausibel, sondern auch hinsichtlich der verwendeten Motive (ganz zu schweigen von der Tatsache, dass gerade Scritti Politti als Referenz auf »Old Nobody« auftauchen). Die von Holert erwähnten Streicherarrangements lassen sich auf »Old Nobody« wiederfinden, und auch wenn keine Business-Anzüge getragen werden, so erscheint auf dem Cover doch die Förmlichkeit schwarzer Ober- und Polohemden im Kontrast zum früheren Independent-Kontext bemerkenswert.231 230 Behrens bemerkt (hier in der Rolle als Insider der Hamburger Szene), dass das PolospielerLogo auf Rattays Hemd bewusst retuschiert worden sei, sodass nur noch ein Pferd zu sehen ist (vgl. Behrens 1999: 10). Im Blick auf das Cover lässt sich dies bestätigen, wobei dieses Detail freilich der Tatsache keinen Abbruch tut, dass das Pferd als Polo-Ralph-Lauren-Logo gelesen wird. Ingesamt lade das Cover, so Behrens, »zum Metaphorisieren und Allegorisieren ein«. »Aber was wäre gewonnen«, fragt Behrens, »wenn sich herausstellen würde, daß hier – etwa durch das auch in den Texten immer wieder auftauchende Pferdebild – wirklich zum Beispiel die ›Vier Apokalyptischen Reiter‹ gemeint sind?« (ebd.) Abgesehen davon, dass in der vorliegenden Studie nicht von Interesse sein kann, was mit der Retuschierung »gemeint« sein könnte, wäre es doch legitim, das Pferdesymbol auf »Old Nobody« eingehender zu untersuchen. Zumal gerade die von Behrens erwähnten Apokalyptischen Reiter auf dem Prefab-Sprout-Album »Andromeda Heights«, einem Prätext zu »Old Nobody«, Erwähnung finden: »The bible mentions four / I tell you there’s one more / love is the fifth horseman […] of the apocalypse« (1999: »The Fifth Horseman«, eigene Transkription). 231 Zu den von Blumfeld verwendeten Streicherflächen sei erwähnt, dass diese eine dezidierte Künstlichkeit in die Produktion einbringen. Es handelt sich um synthetische Streicher und nicht, wie auf Tocotronics 1997 erschienenem Album »Es ist egal, aber« um ein echtes Streichquartett, mit dem eine ›unpluggte‹ und authentizistische Anmutung erzeugt wurde.
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Holert spricht im Zusammenhang mit dem von ihm beschriebenen Verfahren der subversiven Affirmation zudem von einer Dekontextualisierung, bei der ein Element aus seinem angestammten Zusammenhang gerissen und in einen neuen eingefügt [wird], auf daß es zu schillern beginne. Es ist dies auch eine Methode, das Verschmähte, Abgelehnte oder Depotenzierte positiv zu besetzen. Dem abgeschmackten Streicherarragement eine neue Würde zu verleihen. (ebd.: 27)
Auch dieses Verfahren scheint in Bezug auf »Old Nobody« Gültigkeit zu besitzen. Allerdings scheinen diejenigen Pop-Elemente, die Blumfeld den von Distelmeyer genannten Gruppen entlehnt, bisher weniger aufgrund individueller Ablehnung, sondern eher szeneintern verschmäht worden zu sein. Es stellt sich also die Frage, wie deren Spuren auf den Alben »Ich-Maschine« und »L’Etat et Moi« im Verborgenen bleiben konnten. Elemente wie das Streicherarrangement oder das Poloshirt von Ralph Lauren scheinen innerhalb des Diskursrock-Paradigmas und der Sphäre des Indie-Rock in der Tat nicht zum zulässigen Inventar an Zeichen gehört zu haben. Der Scheitelpunkt »Old Nobody« bedeutete also auch für die ästhetische Weiterentwicklung der Band eine wichtige Erschließung neuen Zeichenmaterials – eine Entwicklung, die sich passend mit der Ablösung von (Post-)Punk durch New Wave und New Pop in den 1980er Jahren parallelisieren lässt. Martin Büsser bemerkt zum Zitat- bzw. New Pop, ein Interesse der Akteure habe darin bestanden, dass ihre Musik »von einem Massenpublikum genauso geschätzt wurde wie von den Insidern und Pop-Hipstern, ein Effekt, der bislang nur Roxy Music gelungen war« (2004: 140). Vorbehalte gegenüber »dem Mainstream« (ebd.) seien obsolet geworden, da »diese Musik […] auf mehreren Ebenen verstanden werden [konnte]« (ebd.). Wenn sich auch im Veröffentlichungskontext von »Old Nobody« die Vorbehalte gegenüber ›dem Mainstream‹ zu zerstreuen schienen und innerhalb der »Old Nobody«-Rezeption von »Versöhnlichkeit« gesprochen wurde (vgl. Waechter 1999: 38), ließe sich gerade dieser Begriff auch auf die Labelpolitik der Band beziehen, denn mit »Old Nobody« erschien erstmals ein Werk von Blumfeld auf einem Major-Label – dies sollte auch für alle weiteren Alben der Fall sein. Die Versöhnung mit der Musikindustrie ist jedoch nicht auf den ersten Blick ersichtlich, denn auf dem Cover von »Old Nobody« ist das britische Label »Big Cat Records« angegeben, auf dem auch »L’Etat et Moi« erschienen war und das zur Zeit der Veröffentlichung von »Old Nobody« zur V2-Gruppe gehörte. Bei V2 wiederum handelte es sich um die Plattenfirma des ehemaligen Virgin-RecordsBesitzers Richard Branson, die er 1996 gegründet hatte, nachdem er Virgin 1992
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für 510 Millionen Pfund an den Konzern Thorn EMI verkauft hatte.232 Gerüchten zufolge weigerte sich die Band, unter dem Labelnamen »V2« zu veröffentlichen, da dieser Assoziationen mit deutschen V2-Raketen aus dem Zweiten Weltkrieg (»Vergeltungswaffe 2«) auslöse.233 Die Umgehung des Labelnamens wäre aber auch als Strategie denkbar, die Zusammenarbeit mit einer großen Plattenfirma zu verschleiern bzw. sie als subversiven Akt zu markieren, um die Glaubwürdigkeit Blumfelds als programmatisch-linkspolitische und independent Band nicht zu kompromittieren. Auch wenn der Wechsel zum Major-Label eher unbemerkt verlief, kam es, wie der Literaturwissenschaftler Walter Gödden bemerkt, anlässlich des stilistischen und inhaltlichen Kurswechsels zu negativen Reaktionen unter den Fans: »Mit einer so radikalen Umorientierung hatte niemand gerechnet. Dogmatische Blumfeld-Verehrer der ersten Stunde sahen Verrat am linken Intellektualismus am Werk und hätten am liebsten nicht zur Bücher-, sondern Plattenverbrennung aufgerufen« (2008: 236). »Old Nobody«, so Jörg Metelmann zu Blumfelds Glaubwürdigkeitsverlust, sei »unter großem Unbehagen der Indie-Szene« (2002: 38) in die deutschen Albumcharts eingestiegen.234 In diesem Sinne stellt die Journalistin Elke Buhr einen Zusammenhang zwischen Blumfelds linkem Intellektualismus und dem früheren, vermeintlicht dazugehörigen Sound her, den die Anhänger des Diskursrock nun vermissten: »Die Soundelemente, die Blumfeld hier [auf »Old Nobody«, Anm. T.H.] erstmals und überraschend verwendeten, waren offensichtlich einem anderen Kontext entnommen, einem Kontext, der politisch nicht vereinbar war mit den Grundsätzen der vergrübelten Fanfraktion« (2003: 160). Die Konzeption einer ›Politik‹ des früheren Rock- bzw. Punksounds vollzieht Buhr anhand von »leicht schrägen Akkorden« einer »für die Hamburger Schule typische[n] Gitarre« (ebd.: 159) und der Negation von Sound im gesprochenen Gedichtvortrag der Titel »L’etat et moi (Mein Vorgehen in 4,5, Sätzen)« (Blumfeld 1994) und »Eines Tages« (Blumfeld 1999a). Insbesondere sieht Buhr darüber hinaus ein einschlägiges Stilmittel in der bewusst mit elektrischen Gitarren erzeugten Rückkopplung, etwa in »Verstärker« (Blumfeld 1994) als »Schnittpunkt zwischen Musik und Geräusch, zwischen dem Song als Form und der puren Frequenz« (ebd.: 159) und als Punkt, »an dem die 232 Vgl. »Virgin History«, eine Übersicht zur Firmengeschichte unter URL: http://www.virgin. com/history (Letzter Zugriff: 12. 09. 2013). 233 Mit »V-2 Schneider« (1977) machte David Bowie dagegen als Tribut an Florian Schneider von Kraftwerk die Rakete zum Teil eines Songtitels. 234 Vgl. hierzu Arndt (1999: 17). In diesem Billboard-Artikel wird darauf hingewiesen, dass »L’Etat et Moi« seinerzeit in Deutschland nur Platz 98 der Albumcharts belegt habe, aber dass »the group’s sound has had an influence beyond its sales figures« (ebd.: 85). Weiterhin wird Blumfeld beschrieben als »the standard bearer of the ›Hamburger Schule‹, the Hamburg movement that combined lo-fi and punk elements with a strong pop sensibility and (mostly) German lyrics.« (Ebd.).
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elektronisch verstärkte Musik sich in einer abstrahierenden Wendung auf ihre eigene technische Bedingtheit besinnt« (ebd.). Weil die Rückkopplung, wie von Buhr behauptet, als Zeichen von Rebellion codiert ist (vgl. ebd.), wird sie auf »Old Nobody« konsequent vermieden. Was die musikalische Ebene angeht, dürfte damit bereits angedeutet sein, inwiefern sich der Wandel der Band vor dem werkchronologischen Hintergrund des Diskursrock-Paradigmas der ersten beiden Alben vollzog. Dass zum Veröffentlichungszeitpunkt von »Old Nobody« bereits in der journalistischen Rezeption das Bedürfnis vorhanden war, den noch Anfang der 1990er Jahre als progressiv eingeschätzten Diskursrock235 zu einer Art Klischee zu degradieren, lässt sich beispielhaft an den desavouierenden Kommentaren von Harald Peters in der Jungle World erkennen: Peters spricht von der »alte[n] Tante Diskursrock, eigentlich hatte man sie schon fast vergessen. Einst entdeckte sie die neue Innerlichkeit und hielt das öffentliche Singen über relativ durchschnittliche Gefühlsdinge für hochgradig politisch« (1999: 26). Nach Erscheinen der ersten beiden Blumfeld-Alben sei der Moment erreicht gewesen, an dem »Blumfeld sich hätten eigentlich zu den Akten legen können« (ebd.). Soweit die Meinung des Rezensenten zum Phänomen Blumfeld. Sachlich falsch werden Peters’ Ausführungen spätestens dann, wenn er pejorativ von »Schrammelrock auf Drei-Akkord-Basis« (ebd.) spricht, wurde doch in unserer Untersuchung im Zusammenhang mit »Ghettowelt« die komplexe Polyharmonik der früheren BlumfeldSongs festgestellt. Die onomatopoetische, auf das Anschlagen der Gitarrensaiten verweisende Bezeichnung »Schrammelrock« findet sich allerdings häufig und mit unterschiedlichen Implikationen im Zusammenhang mit der Hamburger Schule. Bei Blumfeld zumeist, um den Stil der Band vor »Old Nobody« zu bezeichnen: So spricht etwa Waechter von »Blumfelds schrammeligem Rock und Distelmeyers Rap-ähnlichem Vortrag« (1999: 38). Der Begriff »Schrammelrock« lässt sich mit dem unangepassten und etwas nachlässigen Gitarristen-Gestus der Shoegazer- und Indie-Rock-Bands in Verbindung bringen, der in Gegnerschaft zur energetischen ›Eindeutigkeit‹ der klassischen Rock-Posen steht. Als prominenter Gitarrist, der das Anschlagen der Saiten als performative und bedeutungstragende Geste etablierte, ließe sich der Who-Gitarrist Pete Townshend mit seiner Windmühlen-Technik nennen, die allerdings noch für eine eher ungebrochen energetische und rebellische Pose steht. Zuvor wurde im Verweis auf Sonic Youth oder My Bloody Valentine bereits diskutiert, inwiefern der Ausgangspunkt dieser Bands wie auch derjenige Blumfelds tatsächlich im Rock-Genre zu finden ist und die klassische Besetzung von Gitarre, Bass und Schlagzeug gleichsam das ›schrammelige‹ instrumentale
235 Vgl. Kapitel I, Abschnitt 3.2 der vorliegenden Studie (Begriffsgeschichte).
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Fundament bildet.236 Dagegen lassen sich die mit »Old Nobody« eingeführten Instrumente wie Klavier, Synthesizer und Streicher im Pop ansiedeln (gemeint als spezifischer Musikstil, nicht allgemein als ›Popkultur‹). Eine »Drei-AkkordBasis« – auch wenn wenige Akkordwechsel in einem Song ja nicht zwangsläufig mit minderwertiger Qualität gleichgesetzt werden können – trifft auf die hier diskutierten Bands gerade nicht zu: Blumfeld oder Sonic Youth grenzen sich dezidiert von einer wenig komplexen und ›eindeutigen‹ Rockmusik ab und sehen den Punk- und Rockkontext als ein Betätigungsfeld, das es zu dekonstruieren gilt. So findet man hier bisweilen ungewöhnliche und rätselhafte Harmonien und Lyrics, die die Eindeutigkeit von Punk und Rock gerade negieren, auch wenn Rockmusik als Basis noch erkennbar bleibt. Umso mehr verwunderte es viele Fans, dass Blumfeld auf »Old Nobody« von dem beschriebenen Diskursock-Paradigma in Richtung eines weniger ›dissonanten‹ Verfahrens abwichen, dessen Andersartigkeit im Kontext des Mainstream-Pop nun nicht mehr auf den ersten Blick erkennbar schien. In einem IntroArtikel wird Jochen Distelmeyer zitiert, der hier von einem neuartigen Ansatz für das Album »Old Nobody« berichtet: »einfachere Texte; Gesang machen, […] und von der Art, wie die Songs laufen sollten: so Mainstreampop-mäßiger« (Bonz 1999: o.S.). Auf Nachfrage des Interviewers Jochen Bonz, ob sich ein Begriff wie »Mainstreampop« heute denn noch bestimmen lasse, antwortet Distelmeyer, es gehe bei dem neuen Ansatz um einen »Mainstreampop, wie man ihn aus den 80ern kannte, den gibt es so nicht mehr.« (Ebd.) Gemeint ist weder die aktuelle Charts-Musik noch ein historisch variables Mainstream-Konzept. Vielmehr bezieht sich Distelmeyer auf eine distinktive Ära in den 1980er Jahren, die sich nicht nur durch ihren kommerziellen Erfolg und die massenmediale Rezeption, sondern durch bestimmte ästhetische Eigenschaften bestimmen lässt. Entsprechend nennt Distelmeyer »bestimmte musikalische Ansätze von Leuten, die immer noch Platten machen – Robert Palmer, Michael Jackson, George Michael […], die sich diesem Mainstreampop-Idiom der 80er, ja, nicht verpflichtet fühlen, aber daraus entwickeln die sich ja.« (Ebd.) Wenn sich Blumfeld also vom Diskursrock-Paradigma wegbewegen, scheinen sie in der Nennung von Pop-Größen ihrer Poetik insofern treu zu bleiben, als sie sich auf äußere Referenzpunkte beziehen. Inwiefern sich dies auch auf Ebene der Primärtexte positivieren lässt, soll im Folgenden eingehender untersucht werden. Betonte Distelmeyer in Bezug auf »Old Nobody« die Hinwendung zum Gesang und zu einfacheren Texten, so tut er dies angesichts der Tatsache, dass 236 In Bezug auf die Anfänge des Rock in der Liverpooler Beat-Szene Ende der 1950er Jahre bemerkt der Musikjournalist Mike Evans: »Die Gruppe aus drei Gitarren plus Schlagzeug, typisch für die Beatles und die Musiker aus der Zeit ihres Anfangs, schuf das Modell« (Zit. nach: Schmidt-Joos 2008: 14). Bei einer der drei Gitarren handelte es sich dann um eine Bassgitarre bzw. eine Gitarre, die eine Bass-Linie aus einzelnen tiefen Tönen spielt.
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auf den Vorgängeralben zu großen Teilen gesprochen oder gar geschrien wurde, also wenige Vokaldarbietungen unter Verwendung einer Melodie zu finden waren und, ähnlich wie im HipHop, große Textmengen geäußert wurden. Durch die Wiedereinführung des Gesangs im engeren Sinne erhält »Old Nobody« auf performativer, aber, wie gezeigt werden soll, auch auf semantischer Ebene eine sinnliche und eingängige Komponente. Der versierte Sänger Distelmeyer, der von sich behauptet, »früher eigentlich nur gesungen« (Skilandat/Hörstmann 1994: 11) zu haben, um »dann auch schlechte Texte durch den Gesang ausgleichen« (ebd.) zu können und im Zusammenhang mit dem Entstehungskontext von »Ich-Maschine« seine damalige Aversion gegen das Singen erwähnt (vgl. ebd.), findet zur Veröffentlichung von »Old Nobody« andere Worte: »[D]ie Sache mit der ›HipHoptextschreibweise‹«, so gibt Thomas Groß Distelmeyers Interviewstatements wieder, »die auf den ersten beiden Platten vorherrscht, ein wüst-zartes Rausschreien der Botschaft, [habe Distelmeyer] irgendwann einfach nicht mehr herausgefordert […]: zuviel Text, zu viele Wörter, zuwenig Simplizität«. (Groß 1999a: 13) Die auf »Old Nobody« vorgenommene Vereinfachung bezieht sich also, wie hier noch einmal zur Sprache kommt, auch auf die rein quantitative Reduziertheit von Verszeilen. Im Zentrum von »Blumfeld 99« stehe die Ballade, Crooning im Sinne von George Michaels »Jesus To A Child«, das Jochen für »die einzige wirklich ernst zu nehmende Ballade der letzten zehn Jahre« hält: Mach es einfach, mach es kostbar. Pflanze das Apfelbäumchen. Keine Angst vor der großen Geste. Fühl es von innen, und füll es mit Inbrunst. (Ebd.)
Mit der hier beschriebenen Poetik (»keine Angst vor der großen Geste«) sind wir wieder beim Konzept des New Pop angekommen, insofern auch die Band Blumfeld sich auf ähnliche Weise von den Grundwerten des Rock entfernt und mit ihrem Album ein sekundaristisches Diskurspop-Paradigma fortführt.
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In der Diskussion um »Old Nobody« wird, ausgehend von dem Befund »Es herrscht nicht mehr die Rockgitarre« (Sundermeier 1999: 14), einmal mehr die Opposition von Rock versus Pop virulent. In der zeitgenössischen Rezeption des Albums lassen sich unter anderem Vergleiche mit Aztec Camera (Peters 1999), Grace Jones (Bonz 1999; Peters 1999), Lightning Seeds (Peters 1999), George Michael (Bach 1999; Bartels 1999; Bayer 1999; Bonz 1999; Peters 1999; Sundermeier 1999; Thomas 1999), Pet Shop Boys (Bach 1999; Bonz 1999), Prefab Sprout (Bach 1999; Bonz 1999; Bruckmaier 1999; Peters 1999; Thomas 1999; Waechter 1999) und Scritti Politti (Bach 1999; Bruckmaier 1999; Waechter 1999)
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finden. Diese Gruppen und Solo-Künstler bilden größtenteils in ihren Werken Gegenentwürfe zum Authentizitätsgestus des Rock. Sie stehen mehrheitlich für eine artifizielle Popkunst, die sich mit Bekanntem und Trivialem auseinandersetzt – Kennzeichen von Pop-Kunst, die vielfach auch mit ›Rock‹ in Verbindung gebracht werden. Rock bleibt dabei allerdings häufiger mit dem Gestus des Authentischen konnotiert, auch wenn dieser selbst ironisch gebrochen sein mag. Harald Peters erwähnt in der Jungle World die speziell dem artifiziellen Pop inhärente Ironie und konstatiert, dass es sich bei »Old Nobody« um einen gescheiterten Versuch handle, ein Pop-Album zu machen: Die Spice Girls, die Backstreet Boys oder Xavier Naidoo können sowas besser. Die vorgeschobene Ernsthaftigkeit ist hier durch die doppelt ironische Wendung schon wieder reaktionär. Die pubertäre Geste wird berechnend vorgeführt. Blumfeld sind keinen Meter Pop, weil sie zu lang darüber nachgedacht haben, wie sie Pop werden könnten. Pop ist leicht, ist mißverständlich, ist oberflächlich, mehrdeutig und plakativ und billig. Blumfeld sind eindimensional und tiefschürfend, kalkuliert und eindeutig. Blumfeld haben kein Geheimnis, die Münchner Freiheit hat Tausende. Ihre Leichtigkeit ist nur verkrampft, weil hinter »Old Nobody« der unbedingte Wille zum Klassiker steckt. (Peters 1999: 26)
Peters kritisiert hier den Meta-Pop-Ansatz Blumfelds, also die Konstruiertheit und Konzepthaftigkeit des Albums, und macht der Band zum Vorwurf, dass sie durch die Reflexion ihres Verfahrens letztlich nicht Pop sein könne. Zu schwer wiegt wohl das »tiefschürfende« Erbe des Diskursrock, kam es doch beispielsweise in »Ghettowelt« tatsächlich noch, wie gezeigt wurde, zu einer eher distanzierten Auseinandersetzung mit Popkultur, die auf »Old Nobody« durch eigene Verwendung einschlägiger Pop-Zeichen aufgegeben wird. Gerade weil das Diskursrock-Konzept durch die Auseinandersetzung mit Pop und schlagerhaftem Material aus einer Meta-Perspektive auf »Old Nobody« nicht vollständig aufgegeben wird, erklärt Peters das durchaus artifizielle, konzeptuelle und mit einer ›reflexiven Schleife‹ versehene Pop-Projekt »Old Nobody« für gescheitert. Tatsächlich ließe sich aber gerade dieses Album als »mehrdeutig« beschreiben, da die schlagerhaften Elemente in »Tausend Tränen tief«, »The Lord of Song« oder »Ein Lied von zwei Menschen« als durchaus »plakativ und billig« (ebd.) gelten können, während sie in einen sekundaristischen Modus überführt werden. Peters lässt als Kritiker offenbar nur etablierte Reinformen – Diskursrock oder Mainstream-Pop – gelten und definiert in normativer Art und Weise, wie und was Pop zu sein habe. Ausgehend von der durch Diedrich Diederichsen vorgeschlagenen Unterteilung der Pop-Geschichte in die Konzepte »Pop I« und »Pop II« (vgl. Abschnitt 2 des ersten Kapitels der vorliegenden Studie) ließe sich auch die Entwicklung Blumfelds in »Blumfeld I« als politisch oppositioneller Diskursrock und »Blumfeld II« als ›inklusiver‹, stilistisch offener Diskurspop, der eine fakultativ
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dissidente Lesart zulässt, unterteilen. Dies trifft nicht nur auf Verfahrensebene, sondern gerade auch hinsichtlich der Rezeption zu, wenn Blumfeld nicht mehr nur innerhalb einer linken subkulturellen Szene ihre Anhänger finden, sondern sich dem Mainstream-Publikum öffnen. Auch die mit Bandkonzepten einhergehende (mehr oder weniger verbindliche) soziale Zugehörigkeit zu bestimmten Gruppen und ihren Fans wird dadurch fakultativ : »In Pop I dominierte die nachvollziehbare Verpflichtung auf eine Gemeinschaft, in Pop II dominieren die Überlagerungen.« (Diederichsen 1999: 278) In der Rezeption wurden fortan die ehemalige Diskursrock-Band Blumfeld und die neue, Pop- und Schlagerelemente integrierende Band Blumfeld dichotomisiert, wobei jeweils entweder das eine oder das andere Konzept mehr oder weniger exklusiv favorisiert wurde: Johannes Waechter sieht in »Old Nobody« etwa eine erfolgreiche Überwindung des Diskursrock (den er nicht zu mögen scheint). »Old Nobody« sei eine »großartige Pop-Platte im Stil der englischen Bands Prefab Sprout und Scritti Politti, ein Werk, das klar und offen ist, wo früher verquastes Zeug gebrüllt wurde« (1999: 38). Blumfelds DiskursrockVerfahren der ersten Alben wird von Waechter ridikülisiert als »das Kettenrasseln der entfremdeten Subjekte« (ebd.), welches nun von Synthesizern und Streichern übertönt werde. Ausgehend vom Paradigmenwechsel auf musikalischer Ebene folgert Waechter : »die antikapitalistische Unterströmung plätschert nur noch ganz leise im Hintergrund« (ebd.). Damit wird eine weniger aus künstlerischen Gründen vollzogene Hinwendung zum Pop unterstellt; die Band nehme mit »Old Nobody« letztlich »Kurs auf die Charts« (ebd.). In der Diskussion über Blumfeld regeln im Zuge einer Opposition von ›Rock‹ (Rebellion, Elemente des Punk) und ›Pop‹ (Künstlichkeit, 80er-Jahre-Pop, Chart-Tauglichkeit) entsprechende Zuschreibungen den Diskurs. Die Diskussion über und Beurteilung von Blumfelds »Old Nobody« findet vor spezifischen Diskurslinien und Stereotypen statt: ›Pop‹ und ›Rock‹ werden im Folgenden nicht statisch definiert, ihre Opposition wird aus dem Diskurs abgeleitet. ›Rock‹ und ›Pop‹ wären demnach keine absoluten Kategorien, sondern konstituieren sich in ihrer diskursiven Bedingtheit, d. h. in dem Maße, wie über ›Rock‹ und ›Pop‹ in einer spezifischen Art und Weise gesprochen wird. Zunächst sei erwähnt, dass beide Strömungen unter den Oberbegriffen ›Pop‹, ›Popmusik‹ oder ›Popkultur‹ subsumiert werden, denn mit ›Rock‹ und ›Pop‹ werden gleichermaßen Kunstwerke bezeichnet, die ihre Semiose vor dem Paradigma der Popkultur entfalten. In musik- und medienwissenschaftlichen Texten der 1970er Jahre lässt sich erstmals eine Debatte zum Stellenwert von massenkultureller Kunst erkennen, die eine Ausdifferenzierung der Popmusik vornimmt und anerkennt, dass sich zu diesem Zeitpunkt mit ›Rock‹ und ›Pop‹ zwei Strömungen innerhalb der Popmusik mit durchaus divergierenden Programmen herausgebildet hatten. Im Blick auf diese Texte lassen sich die jewei-
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ligen Zuschreibungen gut rekonstruieren: So bemerkt Werner Faulstich, der Begriff ›Rock‹ werde »in sehr viel engerem Sinn für eine musikalische Gattung eingesetzt, die auf dem frühen Rock’n’Roll aufbaut« (1978: 20). Gleichermaßen wird im Zusammenhang mit Rock häufig die afroamerikanische Tradition des Rhythm and Blues betont. Pop dagegen orientiert sich in höherem Maße an der europäischen Tradition des popular song und des Liedes, womit das Konzept einer stringenten Songkomposition der stärker rhythmusorientierten und sich durch Improvisation konstituierenden Musikform ›Rock‹ gegenübersteht.237 Die sich herausbildende Dichotomie der Konzepte ›Rock‹ und ›Pop‹ beobachtete in den 1970er Jahren auch Graham Vulliamy, ein Erziehungswissenschaftler, der sich in den folgenden zitierten Passagen im musikwissenschaftlichen Kontext des Journals Popular Music & Society äußert. Beispielhaft soll auf seine detaillierte Diskursbeobachtung etwas ausführlicher eingegangen werden. Seine Untersuchung findet im Zuge der damaligen pädagogischen Kontroverse statt zwischen Fürsprechern ›hochkultureller‹ Standards und denjenigen Pädagogen, die dafür eintraten, die Kultur der Schüler zum Gegenstand des Unterrichts zu machen (vgl. Vulliamy 1975: 130). Am Beispiel der Musik untersucht Vulliamy Argumente einer Kritik an der Massenkultur, die er schon zum damaligen Zeitpunkt als eine etablierte Kritik erachtet. Vulliamy geht in seiner Untersuchung dezidiert auf eine Vielzahl von zeitgenössischen Texten akademischer wie auch feuilletonistischer Couleur ein und fasst anschaulich die geläufigen Zuschreibungen und Stereotype zusammen. Es handelt sich also bei den folgenden Zitaten nicht um Vulliamys eigene Haltung zur oben genannten Debatte, sondern um Tendenzen, die er aus einer Fülle von Texten ableitet – freilich mit dem Ziel, die Debatte um massenkulturelle und popästhetische Kunst neu aufzurollen und sie von ihrer Polemik seitens der Pop-Gegner zu befreien. Im Ergebnis lässt sich sowohl im Diskurs über Hoch- und Massenkultur als auch über die Kategorien ›Rock‹ und ›Pop‹ ein jeweils dichotomes Verhältnis konstatieren. Demnach werden die mit ›Hochkultur‹ und ›Rock‹ in Verbindung stehenden Erzeugnisse als von Markt und Massengeschmack unabhängig markiert. Diese gelten als künstlerische Ausdrucksformen, deren Beurteilung kritischen Standards unterliegt. ›Massenkultur‹ und ›Pop‹ weisen dagegen eine Nähe zur Konsumsphäre auf und stehen damit im Verdacht, primär Mechanismen der Kommerzialisierung und Standardisierung zu unterliegen (vgl. ebd.: 131). In der Populärkultur lässt sich im Diskurs über Rockmusik aber offenbar erkennen, dass diese zunehmend den Status einer Hochkultur innerhalb der 237 »Der neue Stil [Rock’n’Roll, Anm. T.H.] erschien simpel. Er […] verzichtete auf schwierige Arrangements und aufwendige Orchestrierungen, setzte so gut wie keine Musikausbildung und Harmoniekenntnisse voraus. Dennoch gelang er nur jenen Musikanten, die den rhythmischen Bewegungsmodus (sprich: Swing) der schwarzen Musik […] adaptiert hatten« (Schmidt-Joos 2008: 14).
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Populärkultur erlangt. Es gebe, so Vulliamy, »a striking similarity between the assumptions made by rock musicians and those made by ›defenders‹ of high culture.« (Ebd.: 141) Wenn Vulliamy zunächst die Debatte ›Massenkultur‹ versus ›Hochkultur‹ unter die Lupe nimmt, arbeitet er diese stereotypen Vorstellungen heraus: Die Massenkultur-Kritiker befürchten eine durch den Aufstieg der Massenmedien bedingte Verdrängung oder sogar Zerstörung von Hochkultur und folkloristischer Kultur. Aus ihrer Sicht handelt es sich bei Massenkultur um eine standardisierte und homogene Kultur, die in Richtung Warenförmigkeit tendiert, sodass deren Konsumenten zu passiven Objekten gemacht und den produzierenden Künstlern ihre Individualität und Kreativität aberkannt wird (vgl. ebd.: 131). Die parasitäre Ausrichtung der Massenkultur, so entnimmt es Vulliamy dem Diskurs ihrer Kritiker, ›verführe‹ sowohl Produzenten als auch Konsumenten zur Kommerzialität, und auch ›hochkulturelle‹ Erzeugnisse würden, in Form von Kitsch, ausgebeutet und massenkulturell anschlussfähig gemacht (vgl. ebd.: 132). Darüber hinaus sei für die Debatte um Populärkultur die Tendenz der Kritiker entscheidend, »to consider ›popular culture‹ as a homogenous category whilst high culture is subdivided into many different categories with strict boundaries« (ebd.: 133). Es wird also von äußerster Homogenität und Standardisierung hinsichtlich der Populärkultur ausgegangen. Der Aufstieg der Rockmusik habe nun dazu geführt, dass in der Populärkultur zwei Typen von Popmusik parallel existierten. Wie bereits angedeutet, findet Vulliamy unter Musikern, die sich mit dem Rock-Paradigma identifizieren, ein ähnliches Distinktionsverhalten gegenüber der vermeintlich kommerziellen Popmusik vor, wie es von den Kritikern der Massenkultur vertreten wurde. Wieder besteht das Hauptargument in der Abgrenzung gegen ›Pop‹ in seiner Kommerzialität, die aus Sicht der Rockmusiker einen authentischen kreativen Ausdruck verhindere – übrigens vergleichbar zu dem in den 1950er Jahren vorherrschenden Ressentiment virtuoser Jazzmusiker gegenüber denjenigen Musikern, die (zusätzlich) in einer kommerziellen Tanzkapelle ihren Lebensunterhalt verdienten (vgl. ebd.: 134). Mit Aufkommen des Rock-Paradigmas entsteht nun ein Bereich der Popmusik und der Massenkultur, der mit einer kreativen und eigenständigen Tätigkeit in Verbindung gebracht wird. Durch den Mitte der 1960er Jahre aufkommenden Trend, im (Konzept-)Album-Format zu veröffentlichen, wurde Rockmusikern größere kreative Entfaltungsmöglichkeiten eingeräumt als in der zuvor üblichen kommerzielleren Veröffentlichungslogik im Single-Format. Folglich wurde letztere Praxis dem hohe Chartpositionen anstrebenden Pop zugeschrieben, wohingegen sie für den Rockmusiker eine Einschränkung seiner Kreativität bedeutete (vgl. Vulliamy 1975: 135f.). Mit der Veröffentlichung von Alben wie »Freak Out!« (The Mothers of In-
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vention 1966) wurde nachhaltig ein Format für Rock mit Kunstanspruch etabliert.238 Bis heute wird das Album-Format gegenüber der leicht konsumierbaren Single als konzeptuelle künstlerische Leistung gewürdigt (vgl. etwa Enzian 2012: 27). Auch in der Diskussion von »Old Nobody« scheint die hier entfaltete Dichotomie Ende der 1990er Jahre noch immer Bestand zu haben, ging die rezeptionsseitig zugeschriebene ›Poppigkeit‹ des Albums doch auch damit einher, dass Single und Videoclip von »Tausend Tränen tief« erfolgreich lanciert wurden, wohingegen diese Formate in der bisherigen Bandgeschichte eine nebengeordnete Rolle spielten. Damit bleibt insbesondere die Unterscheidung ›kommerziell/nicht-kommerziell‹ relevant, wenn es darum geht, Rock als hochwertige und Pop als minderwertige und angepasste Kunstform zu markieren. Anhand einer Interviewaussage Frank Zappas von 1970 verdeutlicht Vulliamy, dass neben dem Single-Format auch die Arbeitsteilung der ›Pop-Industrie‹ (Komposition, Produktion, Marketing, Aufführung etc.) von den Rock-Akteuren abgelehnt wird: [This new music] is original, composed by the people who perform it, created by them – even if they have to fight the record companies to do it – so that it is really a creative action and not a commercial pile of shit thrown together by business people who think they know what John Doe and Mr. Jones really want. (Zit. nach Vulliamy 1975: 136)
Aus Zappas Kommentar wird der Anspruch auf Mündigkeit und Selbstbestimmung erkennbar, der auch von Blumfeld in der gesamten Veröffentlichungspolitik bis »Old Nobody« vertreten wurde – etwa, indem sich die Band lange weigerte, Magazinen wie Der Spiegel oder Focus Interviews zu geben und stattdessen engen Kontakt zu Fanzines pflegte.239 Die Selbstbestimmung des Rock-Musikers lässt sich, wiederum mit Vulliamy gesprochen, auch hinsichtlich seiner improvisatorischen Möglichkeiten erkennen. Wenn Rockmusik als Antithese zur Popmusik fungiere, betone gerade die afroamerikanische Tradition des Rock die Wichtigkeit von Improvisation, Kreativität und musikalischer Entwicklung (vgl. ebd.: 137), wo sie dem Popmusiker verschlossen blieben. Nicht nur die marktkonforme Popmusik, auch ihre europäische Tradition erhält hier einen ausgesprochen statischen Zug, gerade auch hinsichtlich ihrer Möglichkeiten des Protests (vgl. ebd.: 137, 140). Wo Pop zum Konformismus, zur Mittelmäßigkeit und zur Verwendung von Klischees neigt, so lassen sich die Argumente der Kritiker zusammenfassen, kommt es auch unter seinen Konsumenten zu einer passiven, eskapistischen und angepassten Rezeption. Rock dagegen erhält sowohl in seinen verbalen wie auch 238 Die Tendenz hin zum konzeptuellen Album-Format lässt sich zu dieser Zeit freilich auch bei Pop-Künstlern beobachten, etwa auf »Pet Sounds« (The Beach Boys 1966) oder »Sgt. Pepper’s Lonely Hearts Club Band« (The Beatles 1967). 239 Vgl. Waechtler (2011: 134).
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Blumfelds Scheitelpunkt
seinen musikalischen Elementen den Status einer aufrichtigen und mündigen Artikulationsform. Ihm wird die Fähigkeit zugesprochen, musikalisch komplexe Strukturen und stilistisch ausdifferenzierte Produkte hervorzubringen.240 Auch Ende der 1980er Jahre lassen sich im musikwissenschaftlichen Diskurs ähnliche Unterscheidungen von ›Rock‹ und ›Pop‹ finden. Reinhard Flender und Hermann Rauhe etwa bemerken, viele Rockmusiker würden »sich heute als die ›E-Musiker‹ der Popularmusik [betrachten]. Sie wollen nicht mit der Schlagerbranche in einen Topf geworfen werden.« (1989: 14) Wo ›Pop‹ in den 1960er Jahren noch »Ausdruck für die progressiveren Stile innerhalb des Rock ’n’ Roll und Beat« gewesen sei, bilde der Begriff »heute […] eher eine Bezeichnung für die ›verschlagerte‹ Rockmusik zum Beispiel einer Gruppe wie ABBA« (1989: 14). Der Begriff steht damit für eine eher etablierte und konforme Spielart der populären Musik, wohingegen ›Rock‹ bei Flender und Rauhe als »gesamte Spannbreite der hauptsächlich von Jugendlichen gemachten und gehörten Popularmusik von den 50er bis in die 80er Jahre« (ebd.) gilt. Der Hinweis auf die Jugendlichkeit von Produzenten und Rezipienten suggeriert einen Gegensatz zur Etabliertheit des Pop wie auch ein jugendkulturelles Aufbegehren gegen das Establishment. Auch in Flenders und Rauhes Untersuchung werden ›Rock‹ und ›Pop‹ terminologisch vor dem Hintergrund der Gegensatzpaare 1. Kommerzialität versus Kunstanspruch und 2. Konformismus versus Selbstbestimmtheit/ Rebellion entfaltet.241 Mit dem Exkurs in die musikwissenschaftliche Debatte der 1970er und 1980er Jahre wurden diejenigen Stereotype herausgearbeitet, die in der Beurteilung von »Old Nobody« weiterhin Gültigkeit behalten. Tatsächlich legten einige Bands und Kritiker schon in den 1980er Jahren ironische und subversive Pop-Entwürfe als Synthese von Affirmation und Kritik der kommerzielleren Popästhetik vor. Auch hier ließ das zitathafte Spiel mit kommerziellen und ›oberflächlichen‹ Elementen bereits einen Kunstanspruch erkennen – innerhalb der Popkultur in Deutschland wurde dies prominent in Diedrich Diederichsens Sexbeat disku240 Bei Vulliamy heißt es dazu: »Just as critics of mass culture will treat popular music as a homogeneous category whilst making numerous internal distinctions and value judgements within European ›serious‹ music (classical, baroque, romantic, contemporary and so on), so rock musicians whilst treating ›pop‹ as a homogeneous category make numerous internal distinctions within rock music (folk rock, heavy rock, progressive rock, acid rock, country rock, jazz rock and so on).« (Ebd.: 138). 241 Vgl. zu diesem Themenkomplex auch die ausführlichen diskurs- und begriffsgeschichtlichen Analysen in Hecken (2009), darin insbes. das Kapitel »Pop und Rock, Rock gegen Pop« (184–239). Hier resümiert Hecken, die Abgrenzung gegenüber der Popmusik bringe »regelmäßig das Argument von der unkommerziellen Ästhetik des Rock hervor. Es ist aufschlussreich zu beobachten, in welchem Maße die prinzipielle Abneigung gegen eine kommerzielle Ausrichtung von einer anfänglichen Kritik der Rockmusik zu ihrer Verteidigung fortschreiten kann« (ebd.: 214).
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tiert und in England durch die weiter oben diskutierte New-Pop-Strömung programmatisch betrieben.242 Auch 1999, im Erscheinungsjahr von »Old Nobody«, wurde die Debatte ›Rock‹ versus ›Pop‹ an prominenter Stelle vom sogenannten popkulturellen Quintett, bestehend aus den Schriftstellern Joachim Bessing, Christian Kracht, Eckhart Nickel, Alexander von Schönburg und Benjamin von Stuckrad-Barre, geführt. In dem semifiktionalen Gesprächsprotokoll Tristesse Royale befindet man sich, was die Strategien der Ironisierung angeht, zwar auf der Höhe des Diskurses und macht von ihnen reichlich Gebrauch,243 arbeitet dabei aber als Ausgangsmaterial auch mit jenen weiter oben benannten stereotypen Zuschreibungen. So bemerkt Benjamin von Stuckrad-Barre (bzw. dessen Persona), es handle sich bei der Behauptung, eine Band habe »keine Wurzeln«, um eine »Rock-Argumentation« (Bessing 1999: 130). Hier bewegt sich Stuckrad-Barre auf einer postmodern-ironischen Meta-Ebene, insofern er die Rock-Argumentation weder lobt noch kritisiert, sondern sie als zitierfähiges Stereotyp verwendet, so wie sich auch Joachim Bessing von den Klischees und Mythen des Rock fasziniert zeigt: Guns ’n’ Roses waren das perfekte Gesamtbild, die Vignette und zugleich der Weltenkosmos des Rock selbst. Also: Double-Bassdrum, Heroin, Pyrotechnik und Schottenrock und Mikrofonständer jonglieren und Fuß auf der Monitorbox und Jack Daniels und lange Haare und Lipgloss und Groupies und Models als Ehefrauen und Todfeinde als Bandkollegen und Superstardom und private Concorde (1999: 140f.).
In leichter Variation zu den bisher erwähnten Gegensatzpaaren lautet die in Tristesse Royale aufgestellte Dualität Authentizität/Echtheit/Ewigkeit (Rock) versus »Re-Modeling« (Bessing 1999: passim) – letzteres verstanden als ein fortwährender Imagewechsel, der ein pop-immanentes Prinzip darstellt. Die Diskutanten von Tristesse Royale sind durch ihre gemeinsame journalistische Vergangenheit beim Lifestyle-Magazin Tempo in den 1980er und 1990er Jahren bestens mit den Strategien der Ironisierung und des Re-Modeling vertraut.244 In ihrer Diskussion sprechen sie Rock die Fähigkeit zum Re-Modeling ab – dies möglicherweise zu Unrecht, aber eben selbst im Modus der Ironie bzw. der Durchstreichung geäußert. Bessing behauptet etwa: »Im Rock kann ich machen, was ich will, es wird immer alles Rock sein und bleiben.« (1999: 146) Wo es der Echtheit des Rock nicht gelingt, in ein ironisches und uneigentliches Verhältnis zur eigenen Identität zu treten, erlangen die coolen Popper, die, wie die Mitglieder des popkulturellen Quintetts, den spielerischen Umgang mit 242 Vgl. hierzu ausführlich Rauen (2010). 243 Vgl. hierzu ausführlich Baßler (2005c: 121–134, insbes. 124). 244 Vgl. etwa Stuckrad-Barres Bemerkung: »[M]it unserem Tun haben wir uns […] alle vollkommen der Ironie unterworfen.« (Bessing 1999: 146).
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Blumfelds Scheitelpunkt
Zeichenmaterial beherrschen und eine konstante Identität jenseits dieser semiotisch verfassten Codes möglicherweise sogar ablehnen, die Diskursmacht.245 Diese Überlegenheit gegenüber den zwar echten, aber naiven Vertretern des Rock wird weiterhin dadurch demonstriert, dass, wie im Fall von Christian Kracht, ein Ausstieg aus der Ironie zurück in die Naivität des Rock imaginiert wird, wohl wissend, dass dieser nur in der Aporie oder wiederum in der Ironie enden kann: »[D]iese drei Tage Gespräch hier haben mich zutiefst gestärkt. Ein völlig neuer Lebensweg ist mir von euch jetzt aufgezeigt worden, nämlich der Rock. Ich werde ab jetzt auch kiffen.« (Ebd.: 145) Im Ergebnis wird damit gerade der scheinbar ironieresistente Rock in die totale Ironie überführt. Aber auch ohne Ironie kann es, wie Felix Klopotek beobachtet, zu Dekonstruktionen des Rock kommen. »Rock, als populäre Musik mit dem Mythos ausgezeichnet, für besonders ewig geltende Werte (existenzielle Rebellion, Unabhängigkeit, ehrliche, harte Arbeit etc.) zu stehen« sei in Wahrheit »eine instabile Angelegenheit« (2003: 128). Dies hätten sowohl der avantgardistische und als Krisenphänomen rezipierte ›Post-Rock‹ Mitte der 1990er Jahre als auch bereits wesentlich früher Interpreten wie Lou Reed, Bob Dylan oder Neil Young verdeutlicht. Auch wenn sich Rock also keineswegs als ironie- oder dekonstruktionsresistent erweist, reproduziert selbst die Ironie von Tristesse Royale letztlich die bekannten Rock-Klischees, wenn auch in einer Art parasitärem Modus. Für unsere Analyse von »Old Nobody« heißt das: Die Stereotype behalten auch 1999 weiterhin ihre Gültigkeit, obgleich sowohl ›Pop‹ als auch ›Rock‹ komplexe ironische Verfahren entwickelt haben. Mit »Old Nobody« wurde Blumfeld zur radiotauglichen Popband, sodass sich die Band den alten Stereotypen im Zusammenhang mit Popmusik (billig, kommerziell, schlagerhaft) ausgesetzt sah, während die ›Verpoppung‹ der Band mit einem Verlust an politisch-rebellischem Potenzial gleichgesetzt wurde. So kommt es auf »Old Nobody« zu einer kuriosen Unschärfe hinsichtlich der Frage, vor welchem Hintergrund das Album rezipiert werden kann, d. h. in welcher Weise es seine Semiose entfaltet. Dies geschieht offenbar in einem Spannungsfeld zwischen Ironie (was von der Band selbst abgestritten wird)246 und Ernst, oder genauer : zwischen emphatischem RadioPop und einem möglicherweise neuartigen Diskurspop, der sich an dem Konzept des New Pop der 1980er Jahre orientiert und die frühere Haltung des Dis245 Alexander von Schönburg sagt: »Wir, die wir hier sitzen, sind so unauthentisch, daß es sich gar nicht lohnen würde, uns zu re-modeln. Wir befinden uns schon unser ganzes Leben in ständiger Metamorphose.« (Bessing 1999: 137). 246 Roger Behrens bemerkt dazu: »Old Nobody soll, so haben es BLUMFELD in Interviews durchscheinen lassen, ›Mut zum Mainstream‹ heißen; es gibt keine ironische Gebrochenheit, die Liebeslieder dieser Platte sind so gemeint, sind nicht politisch durch Doppelcodierung, sondern als Liebeslieder referieren sie auf die Politik des Alltags, und das heißt in den meisten Fällen von Old Nobody auf das Glück der Zweierbeziehung.« (1999: 8).
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kursrock in eine neue Form überführt. Was die Hinwendung zum MainstreamPop angeht, mögen die Stereotype der Kommerzialisierung greifen, dennoch sei betont: »Old Nobody« wimmelt von Zitaten, wie im Folgenden gezeigt wird, sodass die ›Diskursivität‹ des Verfahrens Gültigkeit behält und eine Sekundarisierung im Verhältnis zum konventionellen Mainstream-Pop erfolgt. Aus der Tatsache, dass »Old Nobody« sich dem trivialen Pop als Sujet zuwendet, folgt nicht notwendigerweise, dass es sich um triviale Kunst handelt. Vielmehr wird, indem sich die Band mit trivialen Topoi auseinandersetzt und Größen wie Kommerzialität und Trivialität reflektiert und in einen parasitären Modus versetzt, das auf Warenförmigkeit und Unterhaltungswert reduzierte Pop-Paradigma unterlaufen. Nichtsdestotrotz verorten sich Blumfeld mit »Old Nobody« in der Tat stärker im Pop-Mainstream; im Gegensatz zu den ersten beiden Alben wird auf »Old Nobody« nicht nur verstärkt aus dem Zeichensystem des Pop zitiert, sondern auch mehr (im eigentlichen Sinne) gesungen. So lässt sich eine neue Eingängigkeit verzeichnen, die zugleich auf den minimalistischeren Texten beruht. Die auf »Old Nobody« vorgenommene Vereinfachung wird nicht nur qualitativ in der Verwendung von klischeehaften Pop-Codes vollzogen, sondern auch quantitativ in der Reduzierung der Zeilen. Die neue Eingängigkeit entfaltet sich dennoch, wie wir zuvor festgestellt haben, auf intertextuell vermittelte und bisweilen auf distanzierte Art und Weise. Sie steht im Zeichen von Blumfelds radikalem Sekundarismus der ersten beiden Alben. Anstelle eines ›reinen‹, naiven und unreflektierten Pop tritt auf »Old Nobody« der parasitäre und reflektierte Gebrauch von Pop-Zeichen zutage. Hier lässt sich seit den 1980er Jahren eine besondere Produktivität jenseits des ›offiziellen‹ Pop beobachten. So konstatieren Tom Holert und Mark Terkessidis: »Obwohl die Mythen über Pop und Rock in den achtziger Jahren langsam verblaßten, funktionierten sie in kleinen Kreisen dennoch ›reiner‹ denn je« (1996b: 5). Besonders in Großbritannien sei das Projekt verfolgt worden, »die Dissidenz von Pop fort[zu]schreiben, indem man versuchte, den Mainstream selbst subversiv zu unterwandern und so zu verändern« (ebd.: 5f.), und zwar mit den Elementen »[p]ostmoderne Ironie, bewußte Künstlichkeit, Camp, gebrochene Identitäten« (ebd.: 7). Sinnvoll lässt sich »Old Nobody« in diesem Sinne als Konzeptalbum auffassen, das sich mit der Ästhetik und Programmatik von Mainstream-Pop auseinandersetzt. Auf eine für Diskurspop spezifische Weise werden die 1980er-Jahre-Referenzen und die New-Pop-Konzeption mit dem früheren Diskursrock-Paradigma kombiniert. So bemerkt Karl Bruckmaier in seiner negativ ausfallenden »Old Nobody«-Rezension in der Süddeutschen Zeitung, dass sich sobald »Jammer und Schaudern vertrieben« seien – gemeint sind »Eines Tages« und »Tausend Tränen tief«, die ersten beiden Stücke des Albums – »peu / peu Rock und Pop des champagnerseligen 82er Jahrgangs zur Schlaumeier-Parade [gesellen], alles
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Blumfelds Scheitelpunkt
paletti, alles cool, weil gar so uncool, peinlich, lyrisch, mein Gott: ehrlich erfühlt und mit Anspielungen und arkanen Verweisen aufgebrezelt wie die Neujahrsrätsel der Feuilletons.« (1999: 16) Und zum Albumtitel »Old Nobody« bemerkt Barbara Kirchner in der Spex: [M]an kann schon raten, welcher graue Gast mit »Old Nobody« gemeint sein könnte. So ein Ernst unterscheidet diesen Künstler [Distelmeyer, Anm. T.H.] dann doch von der im Glück schwelgenden Mainstream-Pop-Tradition, an die die Platte so absichtlich anknüpft, daß man im Bekanntenkreis die Referenzen türmt: Duran Duran, Spandau Ballet, Münchner Freiheit, Madonna (1999: 33).
In beiden Zitaten lässt sich zunächst erkennen, dass das Album kontrovers diskutiert wurde und seine Referentialität im Zuge der Debatte das intertextuelle Wissen der Rezipienten herausforderte. Vor allem stellen aber sowohl Bruckmaier als auch Kirchner heraus, dass die Pop-Referenzen auf »Old Nobody« nicht ›für sich‹ stehen, sondern mit Begriffen wie »Ernst« (Kirchner) oder »Schlaumeier-Parade« (Bruckmaier) als Teil eines sekundaristisches Verfahrens begriffen werden. Die angedeutete Unvereinbarkeit von ›Ernsthaftigkeit‹ (im Sinne ästhetischer Komplexität) und Mainstream-Pop-Stil erscheint aber seit dem britischen New Pop überholt. Wie gezeigt wurde, kam es schon hier zur Auflösung dieser Dichotomie, etwa auf ABCs Album »The Lexicon of Love«, das die stilistische Auseinandersetzung mit Mainstream-Ästhetik durch eine reflektierte Analyse von Liebeskummer unter den Bedingungen von Kapitalismus und Kommodifizierung erweiterte.
4.
Die Öffnung des Diskurspop-Konzepts
Auch wenn die Stereotype einer ehemaligen Independent-Band auf dem Weg in die Charts und damit in den finanziellen Erfolg Gültigkeit haben, kann »Old Nobody« als Album einer Band verstanden werden, die als Diskurspop-Gruppe die Sphäre des seichten Pop ›konzeptuell‹, reflektiert und poetisch komplex auslotet. Dies entspricht zugleich einer Strategie, die Erwartungshaltungen und Vorhersehbarkeit in Bezug auf das Bandkonzept unterläuft. Damit ist eine auch im weiteren Pop-Umfeld stattfindende Öffnung der Independent-Szene verbunden, die neue ästhetische Codes mit sich bringt. Der Paradigmenwechsel geht dabei nicht unbedingt mit der Aufgabe eines politischen Anspruchs einher. So erwähnt Behrens die »subversive Verbindung von Pop und Politik, die der Diskursrock einmal für sich beanspruchte« (Behrens 1999: 8) und sieht in »Old Nobody« keine Sabotierung oder Destabilisierung dieses Prinzips. Blumfeld hätten durch das Album »mit den Mitteln des Pop lediglich deutlich gemacht, wie begrenzt die politische Reichweite dieser Musik
Die Öffnung des Diskurspop-Konzepts
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je schon war« (ebd.). Behrens geht weiterhin auf den Konsens der Kritiker ein, demgemäß Blumfeld mit »Old Nobody« »alte Bezirke vermeintlicher Dissidenz verlassen haben, um sich nun auf Mainstream-Tanzboden zu bewegen«, was aber, so Behrens, »ja auch im Sinne des Erweiterns gemeint sein könnte« (ebd.). In der Debatte um »Old Nobody« ging es also nicht nur um den Inhalt des konkreten Albums, dieser wurde vielmehr zum Anlass genommen, einen größer angelegten Paradigmenwechsel innerhalb der politischen Popszene zu diskutieren. Musik, die mit Attributen wie »independent«, »alternative« oder »underground« in Verbindung stand, war fortan weniger stark mit einem bestimmten Stil verknüpft – etwa Rock- oder Punk-Elementen als Ausweis für Rebellion. Jochen Bonz spricht diesbezüglich von einer »Öffnung von IndieRock« (2011b: 65), die er vom Label L’Age D’Or ausgehen sieht. Diese Öffnung lässt sich ab etwa 1999 und gerade auch im Zusammenhang mit der Veröffentlichung von »Old Nobody« erkennen. Man könnte davon sprechen, dass Blumfeld hier das Indie-Rock-Konzept neu definierten, um Pop-Elemente zuzulassen und es so von der Festlegung auf einen bestimmten musikalischen Stil zu befreien. Der Paradigmenwechsel vollzieht sich zudem, wie Jochen Bonz erwähnt, durch eine Öffnung der Independent-Sphäre »hin zu Majors und zu professionelleren Vertriebsstrukturen« und – gerade im L’Age-D’Or-Umfeld – eine »Öffnung hin zur elektronischen Dance Music« (Bonz 2011b: 65f.). Auslöser hierfür waren Veröffentlichungen auf Ladomat, der durch die Musikmanagerin Charlotte Goltermann ins Leben gerufenen elektronischen Abteilung von L’Age D’Or, prominent etwa denen des House-Projekts Egoexpress, »wo es tatsächlich funktioniert hat, dass die Hamburger Diskurskneipenbesucher hemmungslos getanzt haben« (Myriam Brüger in Bonz 2011b: 65). Im Erscheinungsjahr von »Old Nobody« wirkte Dirk von Lowtzow von Tocotronic als Gastsänger auf der Single »Weiter« (Egoexpress 1999) mit und gründete wenig später mit Thies Mynther das ebenfalls auf dem Label Ladomat beheimatete Elektronik-Projekt Phantom/Ghost, dessen Debütalbum 2001 erschien (Phantom/Ghost 2001a). Auf einer Doppel-Maxi-Auskopplung dieses Projekts (Phantom/Ghost 2001b, 2001c) lassen sich exemplarisch die umfassenden Verbindungen des L’Age D’or/ Ladomat-Umfeldes zu einflussreichen Akteuren der Techno- und Elektronikszene erkennen: Als Remixer befinden sich darauf Tobias Thomas und Superpitcher (d.i. Aksel Schaufler) vom Kölner Kompakt-Label, die unter dem Namen Alter Ego firmierenden und mit den Frankfurter Labels Klang Elektronik und Playhouse assoziierten Jörn Elling Wuttke und Roman Flügel sowie Carsten Jost (d.i. David Lieske) und Lawrence (d.i. Peter Kersten) vom Hamburger Label Dial Records. Blumfelds »Tausend Tränen tief« wurde bereits 1999 als House-RemixVersion [Blumfeld 1999b: »Tausend Tränen tief (Loverboy Mix)«] von DJ Koze (d.i. Stefan Kozalla, vormaliges Mitglied der deutschsprachigen HipHop-Gruppe
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Blumfelds Scheitelpunkt
Fischmob) bearbeitet, der die Geschwindigkeit der langsamen Pop-Ballade von 93 auf 120 Schläge pro Minute (BPM) anhob und mit dem House-Track »Loverboy« (1999) von Steve Bug unterlegte bzw. zusammenmischte. Unter Verwendung eines Verfahrens, das unter Begriffen wie »Mashup« oder »BastardPop« geläufig ist, wurde hier buchstäblich ein Hybrid aus elektronischer Musik und Diskurspop vorgelegt, das den erwähnten Paradigmenwechsel aus der DJPerspektive kommentiert – dies übrigens durchaus humorvoll, denn DJ Kozes Pitching auf 120 BPM blieb, auch was die Tonhöhe von Distelmeyers Gesangsstimme betrifft, nicht folgenlos. Zu einer ähnlichen Kollaboration kam es im Rahmen des Remix-Albums »Kook Variationen« (Tocotronic 2000) zwischen Tocotronic und Console (d.i. Martin Gretschmann, auch bekannt als Bandmitglied von The Notwist) in Form einer elektronischen Version des TocotronicSongs »Freiburg« als »Freiburg V3.0«, in der Dirk von Lowtzows Stimme mit Hilfe eines Vocoders synthetisiert wird.247 Diese Veröffentlichungen um 2000 belegen, dass Diskursrock bzw. -pop auf der Produzentenseite nun nicht mehr an einen bestimmten ›rockistischen‹ oder ›authentizistischen‹ Code gebunden bleibt: 1. Die mit dem Begriff ›Diskursrock‹ assoziierten Künstler veröffentlichen nicht mehr ausschließlich auf kleinen, unabhängigen Labels. 2. Die frühere Orientierung an ›Rock‹-Werten, die auch im Zuge des Grunge-Diskurses in den frühen 1990er Jahren virulent wurde, erscheint um 1999 stark relativiert. Diskurspop fungiert nicht mehr als Ausweis ›handgemachter‹ Musik, greift also nicht auf die Produktionsbedingungen einer klassischen Rockbandbesetzung (Gitarre, Bass, Schlagzeug, Gesang) zurück und integriert technoid-elektronische wie auch ›synthetische‹ Elemente aus dem Mainstream-Pop der 1980er Jahre und dem Schlager. 3. Die Konzepte einer intellektuell avancierten Indie-Rock-Musik ›zum Zuhören‹ beziehungsweise zum Diskutieren einerseits und die hedonistische und körperliche elektronische Tanzmusik, die sich einer Erfassung durch Sprache und einem ›diskursiven‹ Zugang scheinbar entzieht andererseits, konvergieren: Tanzmusik wird offen ›diskursiv‹, und Diskurspop findet über Remixes und ›hybride‹ Kooperationen den Weg in die Techno- und House-Szene.
247 2007 veröffentlichen Tobias Thomas und Michael Mayer vom Kölner Kompakt-Label unter dem Titel »Über Wiesen« (V.A. 2007) eine elektronische Coverversion von Blumfelds »Verstärker«.
Songanalyse Tausend Tränen tief
5.
Songanalyse Tausend Tränen tief
5.1
»Tausend Tränen tief« als Schlager/Mainstream-Pop
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Festzuhalten bleibt: Das Diskurspop-Konzept nähert sich mit »Old Nobody« einem emphatischen Pop-Konzept an. Durch die Öffnung gegenüber Mainstream-Pop-Verfahren erscheint es dadurch auf den ersten Blick, anders als die Alben »Ich-Maschine« und »L’Etat et Moi«, weniger radikal. Wo früher Hermetik und Abstraktion waren, herrscht nun eine neue Zugänglichkeit. Eine ideologische Positionierung des Diskurspop-Konzepts fällt dadurch weniger klar aus, was unter vielen Rezipienten für Kritik gesorgt hat. Dieser ›Scheitelpunkt‹ in Blumfelds Werk, der mit einer Neuverhandlung des Diskurspop-Konzepts einhergeht, soll auf Textebene im Folgenden anhand des Songs »Tausend Tränen tief« nachvollzogen werden. Bei der Analyse des Songs wird die These verfolgt, dass die Verfahren der Intertextualität und Sekundarität auf »Old Nobody« auch angesichts des stilistischen Wandels und des veränderten intertextuellen Referenzspektrums nicht minder intensiv zum Tragen kommen als auf den Vorgängeralben. Bei »Tausend Tränen tief« handelt es sich um die Single-Auskopplung zu »Old Nobody« und damit, was die Veröffentlichungen angeht, um das erste Lebenszeichen der Band seit dem fünf Jahre zurückliegenden Album »L’Etat et Moi«. Das Cover der Single zeigt ein mit dem Cover-Motiv des Albums nahezu identisches Bandfoto, das sich in den Mainstream-Pop-Bezug des Albums einfügt. Es handelt sich bei »Old Nobody« um das erste Blumfeld-Cover, auf dem sich die Bandmitglieder klar identifizieren lassen; durch die leuchtenden, hellen Gesichter vor dunklem Hintergrund entstehen Bezüge zu ähnlichen Covergestaltungen aus dem Pop-Mainstream, z. B. denen von »with the beatles« (The Beatles 1963), »Queen II« (Queen 1974, Abb. 23) oder »Older« (George Michael 1996, Abb. 24).248 Gerade die Single »Tausend Tränen tief«, die im Folgenden eingehend analysiert wird, steht für die Orientierung von »Old Nobody« an ›großem‹ Pop. Der Beat des Songs deutet mit Prätexten wie George Michaels »Jesus to a Child« (1996) oder Michael Jacksons »Stranger in Moscow« (1995) auf die Kategorie der Pop-Ballade hin. Der Vergleich mit George Michaels Song wurde in der Rezeption mehrfach bemüht (vgl. etwa Groß 1999a: 13; Peters 1999: 26). Auf »Stranger in Moscow« wird von Jochen Distelmeyer selbst in Kirchner (1999: 33) als Prätext verwiesen. Eine auffällige Gemeinsamkeit der genannten Titel mit »Tausend Tränen tief« besteht neben dem Einsatz von akustischer Gitarre und 248 Auf letzterem Album befindet sich der Song »Jesus to a Child«, der im engen intertextuellen Zusammenhang mit Blumfelds »Tausend Tränen tief« steht.
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Blumfelds Scheitelpunkt
Abb. 23: Plattencover »Queen II« von Queen.
synthetischen Streichern in einem langsamen elektronischen Beat – bei »Jesus to a Child« in einem Tempo von 87 BPM, bei »Tausend Tränen tief« mit 93 BPM und bei »Stranger in Moscow« mit 65 BPM. »Jesus to a Child« und »Tausend Tränen tief« haben darüber hinaus gemeinsam, dass die Kickdrum und die Basslinie unisono im 4/4-Takt auf den Zählzeiten 1 (der ersten Viertelnote) und »2 und« (auf der 4. Achtelnote) betont werden. Auch ist beiden Songs strukturell gemein, dass die titelgebenden Zeilen in der Strophe – nicht im jeweiligen Refrain – vorkommen, dass beide Songtitel fünf Silben enthalten und eine identische trochäische Metrik mit männlicher Kadenz aufweisen ( – j – j – ).249 % % Wenn in der Rezeption vielfach die Ähnlichkeit von »Tausend Tränen tief« mit George Michaels »Jesus to a Child« erwähnt wurde, so hat sich im Feuilleton bisher niemand die Mühe gemacht, den intertextuellen Spuren dieser PopBallade nachzugehen. Hier lassen sich tatsächlich auf Ebene der Musik und des Vortrags einige Ähnlichkeiten erkennen. In beiden Songs kommt es zu einer Art 249 Eine ausführliche Gedichtanalyse der »Tausend Tränen tief«-Lyrics liefert Grabienski (2009: insbes. 3–6).
Songanalyse Tausend Tränen tief
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Abb. 24: Plattencover »Older« von George Michael.
selbstreflexivem performativen Sprechakt, ähnlich wie auf der ersten BlumfeldSingle »Ghettowelt«. In der ersten Strophe von »Tausend Tränen tief« heißt es: »in den Tag hinein / will es [ein altes Lied, Anm. T.H.] bei Dir sein / singt für Dich allein« (Blumfeld 1999a, Herv. T.H.), in »Jesus to a Child« dagegen lauten zwei Zeilen der Bridge: »so the words you could not say / I’ll sing them for you« (George Michael 1996, Herv. T.H.). In beiden Passagen wird also die Redesituation dahingehend thematisiert, dass das lyrische Ich bzw. »das alte Lied« sich singend in intimer Weise an ein »Du« richtet, dies im Modus des Gesangs/des Liedes selbst. Die Verwendung der zweiten Person Singular lässt den Topos des Liebesliedes deutlich erkennbar werden, was mit bestimmten semantischen Feldern, die sich in beiden Songs nachweisen lassen, korrespondiert:
298 Semantisches Feld/ Song Küssen Weinen/Tränen Sicherheit Realisierung/Manifestation von Liebe Nacht/Zusammenkommen
Blumfelds Scheitelpunkt
»Jesus to a Child«
»Tausend Tränen tief«
»the lover that you kissed« »I guess you heard me cry« »sadness in my eyes« »from all these tears« »then the lover that you kissed / will comfort you when there’s no hope in sight« »When you find a love / when you know that it exists« »then the lover that you miss / will come to you on those cold, cold nights«
»küss mich dann« (Z. 12, 25) »tausend Tränen tief« (Z. 2, 36) »wir halten uns umschlungen / bis der Tag erwacht« (Z. 10f., Z. 23f.) »wie Liebe sich anfühlt« (Z. 28) »komm zu mir in der Nacht« (Z. 9, 22)
In den zitierten Passagen stehen spannungs- und widerspruchsarme Bilder im Vordergrund: Der Titel »Tausend Tränen tief« suggeriert zwar Leid, doch der Song mündet in erfüllten und harmonischen Szenarien – »wir halten uns umschlungen« (Z. 10, 23), »wir teilen einen Traum« (Z. 16), »wir fließen im Rhythmus« (Z. 29).250 Auch in »Jesus to a Child« fragt das leidende und trauernde lyrische Ich zunächst »and what have I learned from all this pain?« und singt über »sadness in my eyes« (George Michael 1996). Es bezieht sich offenbar auf den Verlust eines geliebten Menschen, wenn es heißt »heaven sent and heaven stole« oder »with your last breath you saved my soul« (ebd.); die traurige Grundstimmung in Moll bekräftigt dies. Doch auch hier steht am Ende eine sinnstiftende ideelle Präsenz von Liebe, die an die Stelle des Schmerzes über das verlorene Liebesobjekt tritt: »When you find love / when you know that it exists / then the lover that you miss / will come to you on these cold, cold nights« (ebd.). Bei Blumfeld gipfeln die Motive der Harmonie (in einer Dur-Tonart übrigens) in den Zeilen »so wie Du ein Teil von mir / bin ich ein Teil von Dir« (Z. 18f., Herv. T.H.), und auch bei George Michael lässt sich ein Pendant hinsichtlich dieser Verinnerlichung des/der (in diesem Falle abwesenden) Geliebten finden: »and the love we would have made / I’ll make it for two / for every single memory / has become a part of me.« (Herv. T.H.) Bei beiden Songs handelt es sich um Variationen eines spirituellen Liebesliedes, bei George Michael mit christlichreligiösen Motiven (»you smiled at me / like Jesus to a child / I’m blessed I know«), bei Blumfeld säkular (»alles ist irdisch«, Z. 31) oder mit pantheistischen Implikationen (»wir schweben im Ganzen«, Z. 33). Die zuvor genannte Zeile »so wie Du ein Teil von mir / bin ich ein Teil von Dir« 250 Die hier und im Folgenden verwendeten Zeilenangaben beziehen sich auf die in der Textbeilage auf Seite 394 abgedruckten Lyrics von »Tausend Tränen tief«.
Songanalyse Tausend Tränen tief
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verweist in ihrem Kitsch nicht nur auf das Genre der Pop-Ballade, sondern auch auf den deutschen Schlager, dies möglicherweise in Form einer »SchlagerParodie« (Weissmann 2011: 258), eines »Schlager-Pastiche« (ebd.: 263) oder eines »intelligente[n] Experiment[s] mit dem Genre Schlager« (ebd.). Peter Nusser identifiziert »Sehnsucht nach Liebe« (1991: 99) als wichtigstes Thema im Schlager, das hier so allgemein behandelt werde, dass es nicht auf eine »gruppenspezifische Erfahrung« (ebd.) bezogen werden könne. Anders als in früheren Blumfeld-Songs, in denen die Zugehörigkeit zu subkulturellen Gruppen stets thematisiert wird oder entsprechende Problematisierungen im Zusammenhang mit dieser Zugehörigkeit vorgenommen werden, scheint dies in »Tausend Tränen tief« tatsächlich keine Rolle mehr zu spielen. Die Zugehörigkeit zur Gruppe der Insider, beispielsweise durch Spex-Lektüre oder Kenntnis des Entstehungskontextes, erscheint eher fakultativ und nimmt in der Rezeption des Albums eine weniger große Rolle ein als noch bei »Ich-Maschine« und »L’Etat et Moi«. Nusser beschreibt den Schlager weiter als ein »arbeitsteilig und industriell gefertigte[s], aus Textschablonen und musikalischen Klischees zusammengesetzte[s] Lied«, das »möglichst viele Konsumenten zu erreichen und zu unterhalten sucht« (ebd.: 100). Mit »besonders eingängigen Volksliedern, Marktliedern, Gassenhauern, Operettenliedern, Couplets (die in Caf8gärten oder in Bierund Weinlokalen gesungen wurden)« (ebd.) als Vorläufer seien diese noch tendenziell kontextgebundenen Stücke von der Schlagerindustrie als Grundlage verwendet worden, um aus ihnen diejenigen Vorstellungszusammenhänge [zu] abstrahier[en], in die möglichst viele Konsumenten ihre Wünsche projizieren konnten. Dem Ausweichen ins Allgemeinverbindlich-Unverbindliche entsprechen die veränderten Bedingungen der Konsumtion. Waren die Erfolgslieder auf dem Markt, im Tanzlokal usw. gewissermaßen noch in überschaubare Situationen eingebunden, hatte ein Sänger seine Adressaten also noch vor Augen, so befindet sich der Hörer des Schlagers – jedenfalls in der Regel – getrennt von der Gruppe, in einer privaten Verbrauchssituation. Dies ist eine Folge neuer Vermittlungsformen. Vor allem der Aufschwung der phonographischen Industrie nach dem 1. Weltkrieg […], die den Schlager jederzeit rekapitulierbar macht, erlaubt es dem Konsumenten, sich in die Isolation zurückzuziehen. Gleichzeitig fördert gerade die beliebige Abrufbarkeit des Schlagers von der Schallplatte den Klischeecharakter der Texte, die den in die unterschiedlichsten Situationen eingebetteten Bedürfnissen so vieler unterschiedlicher Hörer entgegenkommen müssen, also – aus kommerziellen Gründen – nur die allgemeinsten Gefühle evozieren dürfen. (Nusser 1991: 100)
Dieser Standardisierung wurde schon in Dietrich Kaysers Untersuchung (1975: 151–153) nachgegangen, in der 120 Schlager aus dem Jahr 1970 analysiert und die am häufigsten verwendeten Begriffe identifiziert wurden, als da wären: Ich,
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Blumfelds Scheitelpunkt
Du, Nicht, Wir, Gehen, Können, Kommen, Denn, Sagen, Liebe, Heute, Nacht, Glück, Herz, Schön (vgl. ebd.). Für die Homogenität der kontextübergreifenden Schlager-Sprache spreche dabei, dass das Ergebnis bezogen auf den DDRSchlager fast identisch ausfalle. Nimmt man diese Begriffe als beispielhaft für eine stereotype Schlager-Sprache an, so lässt sich bei Blumfeld tatsächlich eine entsprechende quantitative Zunahme verzeichnen, etwa hinsichtlich der Begriffe »Nacht« (auf »Ich-Maschine« zwei Nennungen, auf »Old Nobody« elf Nennungen), »Gehen« (1:3), »Kommen« (1:7), »Glück« (0:5), »Liebe« (10:13) und »Herz« (3:8). Die zentralen Vorstellungen, die aus dem von Kayser identifizierten Wortmaterial aufgebaut würden, so Nusser, »kreisen um die Liebe, die verloren ist bzw. ersehnt wird, um die Wärme und Geborgenheit, die mit ihr verbunden ist« (Nusser 1991: 100f.) und handeln von »Orte[n] der Lebensfülle wie die immer wieder beschworene Südseeinsel […], die als Ort der Abgeschiedenheit die Partner zugleich aneinander bindet« (ebd.: 101). Eben diese Motive der Geborgenheit und »Situationen der Glückserfüllung« (ebd.: 101) werden auch in »Tausend Tränen tief«, wie oben gezeigt wurde, aufgegriffen. Und auch wenn die Südseeinsel nicht benannt wird, erinnert die »nach Süden, Meer und Glück klingende Bildersprache (›der Sonne entgegen‹, Z. 30, ›in ein and’res Blau‹, Z. 15) […] [doch] an die Themen und Motive unzähliger Schlager«, wie Weissmann bemerkt (2011: 257).251 Weiterhin gelingt es Weissmann in seinem Artikel, überzeugend Bezüge zum Schlager herzustellen, indem er nicht nur auf die einfache Struktur,252 die ein251 Wenig schlagerhaft erscheint wiederum die Tatsache, dass die Bridge von »Tausend Tränen tief« formal nachahmt, wovon inhaltlich gesungen wird und damit eine komplexe Selbstreferentialität aufweist. Sie schwebt im Ganzen (vgl. Z. 33) des Songs, da sie sich einer alternierenden Struktur von Strophe und Refrain entzieht, die Zeilen nicht gesungen, sondern gesprochen vorgetragen werden und sich durch parataktische Satzstrukturen und nicht reimende Verse vom Rest des Songs unterscheiden. Zudem verweisen Blumfeld mit Zeile 29 (»Wir fließen im Rhythmus«) im Zuge eines explizit performativen Sprechakts auf sich selbst – als Band, die sich hier für einen Moment lang scheinbar außerhalb einer kompositorisch stringenten Ordnung aufhält und dem Rhythmus hingibt. 252 Gedichtanalytisch gesprochen handelt es sich bei der Struktur von »Tausend Tränen tief« um einen in sechs Strophen gegliederten Text. Aus dem Blickwinkel der Musikwissenschaft muss man freilich mit folgender Terminologie arbeiten, um die Struktur zu beschreiben: 1. Erste Strophe, 2. Refrain, 3. Zweite Strophe, 4. Refrain, 5. Bridge, 6. verkürzte Wiederholung der ersten Strophe. Strophe und Refrain sind jeweils durch Harmoniewechsel voneinander abgegrenzt. Der Refrain ist als solcher durch Wiederholung in Form einer harmonischen und textlichen Identität erkennbar. Die Bridge zeichnet sich durch von Refrain und Strophe abweichende Harmonien und Lyrics aus. Die verkürzte Wiederholung der ersten Strophe als dritte Strophe gilt in der Popmusik als topisch (3rd verse as the 1st). Insgesamt wird die typische Struktur eines Popsongs voll erfüllt, insofern kann die von der Rezeptionsseite häufig als »trivial« apostrophierte Lektüre durchaus auf struktureller Ebene bestätigt werden.
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gängige Melodie und die »sich ins Private zurückziehende[ ] sentimentale[ ] Thematik« (ebd.) hinweist, sondern auch auf einschlägige Figuren des Schlagers wie etwa die »sehnsüchtige Hoffnung auf den Kuss der Geliebten« (ebd.) in den Zeilen 12f. und auf »eine Liebesnacht mit ihr« (ebd.) in den Zeilen 9–11; auch bemerkt Weissmann die »empfindsam sich bedeckt haltende Erotik mit ihrem idealisierten Bild vom innig verbundenen Liebespaar« (ebd.). Wenn das gesamte Album »Old Nobody« zuvor mit dem Attribut »Offenheit« assoziiert wurde, lässt sich hier eben auch eine Offenheit gegenüber SchlagerMechanismen erkennen, die noch auf »Ich-Maschine« und »L’Etat et Moi« stark dekonstruiert erschienen und nun weniger gebrochen daherkommen. Hinsichtlich des früheren Umgangs mit dem Schlager-Topos lassen sich etwa die in Kapitel II, Abschnitt 1.1 diskutierten Matthias-Reim-Zitate in »Viel zu früh und immer wieder ; Liebeslieder« (Blumfeld 1992a) anführen wie auch die Montage von Klimbim- bzw. Evelyn-Künneke-Zitaten (»Ich mache mir ’nen Schlitz ins Kleid«) in »Eine eigene Geschichte« (Blumfeld 1994). Wird nun also eine stärkere, möglicherweise affirmative Nähe zu derartigen Topoi zugelassen, bleibt eine gewisse Vorbehaltlichkeit bestehen. Die Zeile »es könnte viel bedeuten« (Z. 4, 38) benennt gleichsam das Motto des Songs: Er könnte auf Schlager verweisen, aber dadurch, dass es bei der Suggestion bleibt und beispielsweise das Motiv der Südseeinsel ausgespart wird, legt sich die Band nicht fest. Auch die Zeilen »so wie Du ein Teil von mir / bin ich ein Teil von Dir« (Z. 18f.) verweisen in den Schlager-Bereich und erinnern zumindest entfernt an den prominenten Prätext »Er gehört zu mir, / wie mein Name an der Tür« (Marianne Rosenberg 1976). Bei »Er gehört zu mir« handelt es sich um einen in der Schwulen-Szene stark rezipierten Schlager,253 wodurch sich weitere Äquivalenzen zu den sich offen homosexuell inszenierenden Berühmtheiten George Michael und dem Schauspieler Helmut Berger herstellen lassen. Beide sind intertextuell bzw. personell in »Tausend Tränen tief« präsent: Wenn der Anzug tragende Berger als Darsteller im Video zu »Tausend Tränen tief« einen mondänen Hotelflur entlangschreitet, bildet das wiederum einen Kontrast zur piefigen Sphäre des Schlagers – bei Marianne Rosenberg manifestiert sich im Gegensatz dazu das Zueinander-Gehören am Türschild des kleinbürgerlichen Heims. Der allgemeingültigen Darstellung erfüllter Liebe im Stile des Schlagers und des Mainstream-Pops der 1990er Jahre steht hier eine äußerst vieldeutige Offenheit des semiotischen Materials gegenüber, die sich nur schwer naturalisieren und auf solide Art und Weise eindeutig semantisieren lässt. Wenn über Liebe gesungen wird, lässt sich nicht entscheiden, ob es sich um hetero-, bi- oder homosexuelle Liebe handelt und ob dies im Modus des ›großen‹ Pop, des 253 Vgl. Moritz (2000: 107).
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Schlagers oder des Diskurspop geschieht. Eine bemerkenswerte Pointe besteht in diesem Zusammenhang darin, dass der Blumfeld-Song mit dem alliterierenden Titel so ›offen‹ daherkommt, dass er tatsächlich problemlos von der Schlager-Szene appropriiert werden konnte. So macht Dirk Weissmann darauf aufmerksam, dass die Metapher »Tausend Tränen tief«, die sich aus seiner Sicht »subtil von dem banalen Schlager-Topos des Liebeskummers [unterscheidet]«, von den Schlagerautoren »vereinnahmt und verkitscht« (2011: 257) wurde, wie es in dem gleichnamigen Titel von Kristina Bach geschehen sei, dessen Refrain die Zeilen enthält: »Die Nacht war tausend Tränen tief / Du gingst für immer als ich schlief« (Bach 2004: »Tausend Tränen tief«). Jörg Augsburg berichtet in einem Artikel in der Freitag zudem von der Verwendung des Blumfeld-Songs »Tausend Tränen tief« in der Casting-Show »Deutschland sucht den Superstar« durch die Kandidatin Susan Albers: Susan Albers schwebt auf die Bühne, im weißen Kleid sitzt sie auf einer Schaukel, die Augen sind sehr oft und sehr lange geschlossen – das soll wohl Inbrunst und Verträumtheit darstellen – und man kommt nicht umhin, die Tonnen von Make-up auf dem Gesicht der Kandidatin wahrzunehmen. »Komm zu mir in der Nacht, wir halten uns umschlungen, bis der Tag erwacht«, singt sie. Es ist die sechste Mottoshow und Dieter Bohlen vermerkt, dass dies wohl das einzige Stück in seiner ganzen »Deutschland sucht den Superstar«-Zeit wäre, das er nicht kennen würde. Puh, das war knapp. Und man würde nur zu gern wissen, ob es Jochen Distelmeyer auch nur interessiert, wofür sein Song hier herhalten muss. (Augsburg 2013: o.S.)
Der Autor beschreibt hier die Künstlichkeit des Auftritts-Kontextes und die gespielten Gefühle der Interpretin – für ihn eine Situation, in der sich Pop- und Schlagermechanismen nicht mehr klar voneinander unterscheiden lassen: »Die Siegerin der diesjährigen DSDS-Staffel – Susan Albers ist es nicht geworden – ist eine blütenreine Schlagersängerin« (ebd.). Die Präsenz der Band Blumfeld in einer schlagerhaften Casting-Sendung stellt somit auf formaler Ebene kein Problem dar und sorgt, wenn überhaupt, dadurch für Irritation, dass die Band – aus bekannten Gründen der früheren Produktion und Distribution innerhalb einer Independent-Szene – weder Bestandteil des Mainstream-Pop-Kanons noch des Wissenshorizonts eines Dieter Bohlen ist. Dies veranschaulicht das Experiment einer Öffnung des Indie-Rock-Konzepts, für die »Old Nobody« steht, recht deutlich: Während sich Blumfeld stilistisch auf den Mainstream zubewegt, erscheint die Band noch nicht vollständig durch das Mainstream-Publikum usurpiert zu sein und erzeugt innerhalb der Pop-Sphäre möglicherweise eine Irritation. Nicht zuletzt wenn Weissmann die Ähnlichkeit des »Tausend Tränen tief«-Refrainanfangs (Z. 9, 22) zu einem Schlagererfolg von 1939 mit dem Titel »Komm zu mir heut’ Nacht« bemerkt (vgl. 2011: 257), erscheint es doch plausibel, dass Blumfeld insbesondere mit ihrem Song »Tausend Tränen tief« bewusst die Nähe zum Schlager ausloten,
Songanalyse Tausend Tränen tief
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gerade auch als, wie Jörg Augsburg bemerkt, »verstörende[r] große[r] PopGegenentwurf zum Indierock damaliger Prägung« (2013: o.S.). Diese Verstörung entsteht insbesondere durch Bezüge auf Songs und Stilelemente an der Grenze zum Schlager. Im Blick auf die 1980er Jahre steht in Deutschland die Münchener Freiheit für diesen Grenzbereich, so verortet Sascha Seiler die Band im Bereich »anspruchsvoller Schlager« (2011a: 95). Als yuppiehafte Popper, deren Bandkonzept eine solche – möglicherweise mit »Old Nobody« vergleichbare – Gratwanderung deutschsprachiger Popmusik vollzieht, wurde die Münchener Freiheit, wie weiter oben bereits nachgewiesen, als Referenzgröße in der Rezeption genannt, um Blumfelds Stilwechsel nach den ersten beiden Alben zu beschreiben. Tatsächlich lassen sich auch auf Textebene Anhaltspunkte dafür finden: Der Songtitel »Ohne Dich (schlaf ich heut nacht nicht ein)« (Münchener Freiheit 1985, Herv. T.H.) steht diachron gewissermaßen als zeitliches Bindeglied zwischen dem 30er-Jahre-Schlager »Komm zu mir heut’ Nacht« und Blumfelds »Komm zu mir in der Nacht«, der ersten Zeile des »Tausend Tränen tief«-Refrains. In allen Songs lässt sich der Schlager-Topos der in der Nacht zusammenkommenden Liebenden finden, zum Teil in gleichem Wortlaut. »So lang’ man Träume noch leben kann«, ein Titel des Münchener-FreiheitAlbums »Fantasie« (1988), lässt sich leicht auf den »Old Nobody«-Songtitel »So lang es Liebe gibt« beziehen, aber auch auf die 16. Zeile von »Tausend Tränen tief (»wir teilen einen Traum«). Mit »Tausend Tränen tief« hat der MünchenerFreiheit-Song außerdem gemeinsam, dass eine Gegenüberstellung von Rückwärtsgewandtheit und Neuanfang erfolgt: »So lang’ man Träume noch leben kann« (eigene Transkription) »ein Jahr ist schnell vorüber […] ich Rückwärtsgewandtheit »ein Bild aus anderen Zeiten« (Z. 17), steh’ Dir gegenüber / in Erinnerung »erklingt ein altes Lied« vergangener Tage« (Z. 3) Neuanfang »singt für Dich allein / »versuchen wir es wieder«, von neuen Möglichkei- »Du weißt genau, dass irgendwann / einmal ein Wunder gescheten« (Z. 7f.), hen kann« »küss mich dann, wie zum ersten Mal« (Z. 12f.) Motiv/Song
»Tausend Tränen tief«
Darüber hinaus lässt sich die Metapher des »Meeres«, das in »So lang’ man Träume noch leben kann« als »Meer voller Fragen« auftaucht, auf dem Album »Old Nobody« gleich mehrmals wiederfinden: »Unten am Fluß / die Nacht ist ein Meer« (Blumfeld 1999a: »Eines Tages«), »[Ich] folge drängend dem Drift / so wie das Meer« (ebd.: »The Lord of Song«), »ein ewiges Meer / aus unnennbarer
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Blumfelds Scheitelpunkt
Zeit / von da komme ich her« (ebd.: »Old Nobody«). Hier lässt sich erkennen, wie eine triviale und schlagerhafte Metapher verwendet wird, die auf »Ich-Maschine« und »L’Etat et Moi« noch nicht präsent sein konnte. Auf den beiden Alben vor »Old Nobody« und sämtlichen Singles vor 1999 taucht der Begriff »Meer« kein einziges Mal auf, auf allen anderen Blumfeld-Alben (mit Ausnahme von »Die Welt ist schön« [Blumfeld 2002], bei dem es sich um eine Zusammenstellung alten Materials handelt) lässt er sich hingegen nachweisen. Auch wurde deutlich, wie Versatzstücke einer Band – hier : der Münchener Freiheit – montiert werden, die aus dem Blickwinkel der Szene, aus der Blumfeld entstammen, eher auf einen zweifelhaften Musikgeschmack schließen lässt. Anders als die Vorbilder ABC und Scritti Politti fehlt der Münchener Freiheit die subversive und intellektuelle Komponente in ihrem gleichsam ›reinen‹ und widerspruchsfreien Mainstream-Pop-Konzept. Zwar der Soundästhetik der 1980er Jahre verpflichtet, wird hier doch eher ein ›zeitloses‹ Songwriting im Stil der Beatles verfolgt. Wenn zuvor der ›Sekundarismus‹ der deutschsprachigen Popmusik bzw. der Popmusik in Deutschland hervorgehoben wurde, so lässt sich dieser der Münchener Freiheit in weniger ausgeprägtem Maße attestieren. Kurzum: Musikalisch mag die Münchener Freiheit als Vorbild für »Old Nobody« fungieren, konzeptuell hingegen scheint sie dem frühen Diskurspop Blumfelds diametral entgegengestellt zu sein. Womöglich eignen sich ihre Songs gerade dadurch als geeignetes Zitatmaterial für die Offenheit und Angreifbarkeit, die auf »Old Nobody« ausgestellt wird. So haben Blumfeld einen Weg gefunden, die möglicherweise aufrichtig geschätzte Band Münchener Freiheit auf sekundaristischem Wege, nämlich im Zitat-Modus, in ihr Werk zu integrieren und sie auch im Hinblick auf das frühere Diskursrock-Paradigma zu rehabilitieren. Dazu sei aber gesagt, dass das Zitatverfahren von »Old Nobody«, wie im Vergleich mit »Viel zu früh und immer wieder ; Liebeslieder« gezeigt wurde, weniger distanziert vonstattengeht als es auf den beiden ersten Alben der Fall war, sodass die vielfachen Bemerkungen über die Nähe zu Schlager und Mainstream-Pop berechtigt erscheinen.
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Selbstreferentialität und literarische/›hochkulturelle‹ Zitate
Neben der im vorigen Abschnitt untersuchten Pop-Lastigkeit von »Tausend Tränen tief«, der Auseinandersetzung mit dem Schlager und der Sphäre des Trivialen, enthalten der Song und das gesamte Album »Old Nobody« doch eine Vielzahl von Referenzen zur E-Kultur. Blumfelds Intertextualität transzendiert die Grenzen von Hoch- und Trivialkultur. Darüber hinaus kennzeichnet das Album »Old Nobody« eine komplexe Selbstreferentialität, die auch eine werkimmanente Referentialität beinhaltet. In diesem Abschnitt werden diejenigen
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Songanalyse Tausend Tränen tief
Verfahren aufgezeigt, die auf »Old Nobody« neben den Mechanismen des Mainstream-Pop an den Sekundarismus und die poetische Komplexität der früheren Blumfeld-Alben anknüpfen (wenn diese nicht schon im Umgang mit Mainstream-Pop- und Schlager-Referenzen deutlich wurden). Im Blick auf »Tausend Tränen tief« lässt sich erkennen, dass durch die Nennung des Songtitels in der zweiten Zeile eine selbstreferentielle ›Spiegelung‹ im Kontext des Albums »Old Nobody« entsteht. Nimmt man die Abfolge der Titel als Zeilen eines gedruckten lyrischen Textes an, so nimmt »Tausend Tränen tief« auch hier den Platz der zweiten Zeile ein: 1 2 3 4 5 […] 27 […]
In mir tausend Tränen tief erklingt ein altes Lied es könnte viel bedeuten in den Tag hinein Ein Lied von zwei Menschen
1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11
Eines Tages Tausend Tränen tief Mein System kennt keine Grenzen Status: Quo Vadis The Lord of Song Kommst Du mit in den Alltag Ein Lied von zwei Menschen Pro Familia So lebe ich Old Nobody So lang es Liebe gibt
Das Album »Old Nobody« lässt sich also als selbstreferentielles System begreifen, zumal auch Zeile 27 (»Ein Lied von zwei Menschen«) auf einen gleichnamigen Song des Albums verweist, der in der Abfolge der Songs an späterer (siebenter) Stelle ›gespiegelt‹ erscheint. Der Literaturwissenschaftler Olaf Grabienski spricht von der »Metaaussage« der 27. Zeile (»Ein Lied von zwei Menschen«), bei der es sich eben zum einen um den Titel des siebenten Stücks auf dem Album handle wie auch zum anderen um »eine Art Selbstbeschreibung des Songs« (2009: 5). Auf semantischer Ebene des Songs »Tausend Tränen tief« spricht Grabienski von einem Gegensatz von »Offenheit vs. Geschlossenheit« (2009: 5): Sei in Zeile 3 von einem rückwärtsgewandten ›alten Lied‹ die Rede, werde dessen Abgeschlossenheit mit der darauffolgenden Zeile »es könnte viel bedeuten« und mit den Zeilen »singt für Dich allein / von neuen Möglichkeiten« (Z. 7f.) konterkariert (vgl Grabienski 2009: 5). Diese neuen Möglichkeiten lassen sich nun auch mit der werkgeschichtlichen Öffnung des Diskurspop und seinen bisweilen hermetischen Lyrics gegenüber neuen stilistischen Möglichkeiten kontextualisieren, sodass es sich bei »Tausend Tränen tief« zwar um ein ›altes Lied‹ handelt, insofern es die topischen Figuren des Liebeslieds und des Schlagers (und überhaupt die Liebesthematik) verwendet, das im Kontext der Hamburger Schule aber durchaus als neues Lied fungieren kann. Die von Grabienski bemerkte »progressive Bewegung« (ebd.) von Geschlossenheit zu Offenheit zieht
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Blumfelds Scheitelpunkt
sich durch den gesamten Song und lässt sich überdies räumlich, zeitlich und hinsichtlich eines Hell/Dunkel-Kontrastes konstatieren. So verweist Grabienski (ebd.) auf die Progression von »Nacht« (Z. 9, 22) zu »bis der Tag erwacht« (Z. 11, 24), was sowohl eine zeitliche Bewegung wie auch einen Wechsel von Dunkel zu Hell beinhaltet. Letzterer wird auch in der Bridge des Songs vollzogen, wenn es heißt »wir fließen im Rhythmus / der Sonne entgegen« (Z. 29f.), wobei der (dunkle) Ausgangspunkt dieser Bewegung in die Helligkeit folgendermaßen beschrieben wird: »Alles ist irdisch / die Welt liegt im Dunkeln / wir schweben im Ganzen / die Nacht gehört uns« (Z. 31–34). Die Ausgangslage »In mir / tausend Tränen tief« (Z. 1f., 35f., Herv. T.H.) liefert eine räumliche Angabe, die an gleicher Stelle (die ersten beiden Zeilen der Strophe) variiert wird mit »Mit Dir / in ein anderes Blau« (Z. 14f.). Hier könnte man an das räumlich aus der Tiefe aufsteigende Blau des Himmels denken, das nur tagsüber sichtbar ist und sich mit der hoffnungsvollen und sehnsüchtigen Grundstimmung des Songs in Verbindung bringen lässt. Die Farbe Blau steht für Sehnsucht, Liebe und das Streben nach Unendlichkeit (die »Blaue Blume« in der Romantik), zugleich lässt sie sich im Werkkontext in diesem Sinne semantisieren, und zwar im gesprochenen Text von »L’etat et moi (Mein Vorgehen in 4, 5 Sätzen)«: Nur ein Bruchteil aus Aktion bin ich ein Bild auf das ich blicke mir von mir mache und in das ich mich selbst schicke in die Versenkung und erhebe mich durch sie meine Welt aus ihren Angeln so gerät alles aus den Fugen in Bewegung Angel! inzwischen Tür und Angel stell ich mich ins Blaue rein synthetisch her, ein blasser Schimmer out of the blue denkt alles strahlend durch mich durch (Blumfeld 1994, Herv. T.H.)
Wenn sich das lyrische Ich hier »in die Versenkung« schickt und sich erhebt, stellt dies eine Vorwegnahme der in »Tausend Tränen tief« vollzogenen Aufwärtsbewegung dar. Die Zeile »in ein anderes Blau« aus »Tausend Tränen tief« lässt sich mit den zitierten Zeilen insofern kontextualisieren, als die Farbe Blau mit Veränderung und Neuanfang konnotiert ist. Die Redensart »out of the blue« bedeutet im Englischen so viel wie »ohne Erklärung« oder »aus heiterem Himmel«, und auch letztere deutsche Übersetzung kommt in ebendiesem Wortlaut auf dem Album »L’Etat et Moi« vor: »Aus heit’rem Himmel tauchst Du auf« (Blumfeld 1994: »2 oder 3 Dinge die ich von Dir weiß«). Die Zeile »so gerät alles aus den Fugen in Bewegung« deutet ebenfalls auf die Veränderung hin. Die in »Tausend Tränen tief« besungene Veränderung lässt sich also auch im Blick
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auf die werkimmanente Intertextualität semantisieren als Aufbruch in einen offenen, noch nicht oder nicht mehr ›verfugten‹ Raum, der noch unbekannte Möglichkeiten bietet. So spricht Barbara Kirchner im Hinblick auf »Old Nobody« von »einer Platte, bei der es durchweg, in Text und Musik, um Erweiterung und Öffnung geht« (1999: 31). Dieser Möglichkeitsraum lässt sich intertextuell auch auf das Korpus der internationalen Popkultur beziehen. Auch hier lässt sich die Wendung »out of the blue« nachweisen, etwa in einem gleichnamigen Stück der Band Roxy Music (1974), in Neil Youngs Song »My My, Hey Hey (Out of the Blue)« (1979) und im Titel des 1977 erschienenen Albums »Out of the Blue« des Electric Light Orchestra (ELO). In »Mr. Blue Sky«, der Singleauskopplung des letzteren Albums, werden – wie bei Blumfeld, nur in umgekehrter Richtung – Tag und Nacht gegenübergestellt: »Mister blue, you did it right / But soon comes mister night creepin’ over« (eigene Transkription). Der blaue Himmel des Tages wird also langsam von der Nacht überwältigt, und auch bei Neil Young bewegt man sich »Out of the blue and into the black«. Bei Roxy Music wird die HoffnungsAssoziation der Farbe Blau stärker betont: »All your fears / I fear I once shared / Now I Know / There’s a future / For all of us / Not so long ago / I was so scared / You seemed so sad / […] Then: out of the blue / Love came rushing in / Out of the sky / Came the sun / Out of left field / Came a lucky day / out of the blue / No more pain« (Roxy Music 1974: »Out Of The Blue«). Wie bei Blumfeld wird hier also die Bewegung von einer dunklen und traurigen Sphäre (»fear«, »you seemed so sad«) hin zu einer glückerfüllten und hellen Sphäre (»sky«, »sun«, »lucky day«, »no more pain«) vollzogen.254 Die Bewegung von Dunkel nach Hell gilt auf dem Album als übergreifendes Konzept und erstreckt sich in den Werkkontext hinein: Wenn auf »L’Etat et Moi« das Verhältnis von Ich und Staat behandelt wurde, geschah dies, wie die Analyse von »Sing Sing« belegt, im Bezug auf den Staat als diffuse und bedrohliche Größe. Nun, auf »Old Nobody« wird ebendiese spannungsreiche Auseinandersetzung mit einem beunruhigenden »Status Quo« aufgelockert und mit einer hoffnungsvollen und privatistischen Note versehen: »Status: Quo Vadis / stets dem Leben zu / hüten wir die Schwelle / zwischen Ich und Du / Sorge braucht Zusammenhänge / Zärtlichkeit braucht Zeit / Musik für eine andere Wirklichkeit« (Blumfeld 1999a: »Status: Quo Vadis). Dies klingt wie ein banales Liebeslied oder ein Schlager, sodass explizit auf die »Zusammenhänge« (ebd.) und auf die Tatsache, dass es sich immer noch um Musik für eine »andere Wirk254 Die Bewegung von der Dunkelheit zur Helligkeit verläuft bei Blumfeld übrigens reziprok zur Covergestaltung der Band: Hatten »Ich-Maschine« und »L’Etat Et Moi« noch weiße Hintergründe mit schwarzem Blumfeld-Schriftzug, findet man bei »Old Nobody« einen schwarzen Hintergrund mit dem bekannten typografischen Blumfeld-Logo in Weiß.
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lichkeit« (ebd.) handelt, hingewiesen werden muss. So scheint der Song nicht an die poetische Komplexität des Vorgängeralbums anknüpfen zu können, allerdings muss auch hier beachtet werden, dass Blumfeld auf »Old Nobody« einem stringenten poetischen Konzept folgen, wenn etwa die ›helle‹ Bildsprache, die in »Tausend Tränen tief« nachgewiesen wurde, auch in »Status: Quo Vadis« wieder auftaucht (»ein Lichtblick / daß es sich ändern kann«). Auch erweist sich »Status: Quo Vadis« als vielfach (selbst-)referentiell. Im Bezug auf den Werkkontext heißt es: »Totgesagt / und nicht gestorben / geistern wir / durch neue Formen« (ebd.). Dies lässt sich sowohl auf das linkspolitische Engagement der Band und ihres Umfeldes als auch auf die Poetologie einer Band beziehen, die nun auf ihrer ersten Veröffentlichung seit fünf Jahren mit Pop-Elementen experimentiert – womöglich muss man sich beides, politisches Handeln und ästhetische Praxis, im Selbstverständnis der Band als Einheit vorstellen. Die Frage »Quo Vadis?« im Titel des Songs verweist schon für sich genommen auf die konzeptuelle Offenheit des Albums. Diese Offenheit erstreckt sich auch in den Bereich der (E-)Literatur, wie im Folgenden aufgezeigt wird. Es handelt sich hier um einen Referenzrahmen, der demjenigen des Pop und des Schlagers scheinbar entgegensteht und der einen Bruch mit dem Pop-Verfahren signalisiert. Auf diese Weise wird die Anschlussfähigkeit gegenüber jeglichem intertexuellen Material erkennbar, sodass die Behauptung, Blumfeld sei vom Diskursrock zum Pop/Schlager ›konvertiert‹, sich nicht aufrechterhalten lässt. Zunächst sei dabei auf einen Intertext eingegangen, der ein Brückenphänomen zwischen Pop- und Literatur-Sphäre darstellt, d. h. zwischen etablierten Vorstellungen von Literatur und den in den 1960er Jahren neuartigen PopVerfahren in bildender Kunst, Musik und Literatur. Mit Vers 15 (»in ein anderes Blau«) wird in »Tausend Tränen tief« ein Zitat in den Song montiert, das wörtlich einem Text Rolf Dieter Brinkmanns entnommen ist. Hier heißt es in »Gedicht«: Zerstörte Landschaft mit Konservendosen, die Hauseingänge leer, was ist darin? Hier kam ich mit dem Zug nachmittags an zwei Töpfe an der Reisetasche festgebunden. Jetzt bin ich aus den Träumen raus, die über eine Kreuzung wehn. Und Staub, zerstückelte Pavane, aus totem Neon, Zeitungen und Schienen dieser Tag, was krieg ich jetzt, einen Tag älter, tiefer oder tot?
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Wer hat gesagt, daß sowas Leben ist? Ich gehe in ein anderes Blau (Brinkmann 1975b: 41)
Brinkmann steht für eine Literatur, die Popmusik und allgemein die Popkultur der 1960er Jahre zum Thema macht. In der Rolle des Lyrikers grenzt er seine Poetologie allerdings – bei aller Affinität und Sympathie zur Popkultur – in der Vorbemerkung seines Gedichtbandes »Westwärts 1& 2« von der Produktion von Songlyrics ab: Ich hätte gern viele Gedichte einfach geschrieben wie Songs. Leider kann ich nicht Gitarre spielen, ich kann nur Schreibmaschine schreiben, dazu nur stotternd, mit zwei Fingern. Vielleicht ist mir aber manchmal gelungen, die Gedichte einfach genug zu machen, wie Songs, wie eine Tür aufzumachen, aus der Sprache und den Festlegungen raus. Mag sein, dass deutsch bald eine tote Sprache ist. Man kann sie so schlecht singen. Man muß in dieser Sprache meistens immerzu denken (Brinkmann 1975a: 7).
Wenn Brinkmann hier die Nähe von Gedicht und Song zur Sprache bringt, wird die Verwendung der Brinkmann-Wendung »in ein / anderes Blau« bei Blumfeld auch auf poetologischer Ebene relevant. Metonymisch steht sie für die Poetik Brinkmanns, die in den Blumfeld-Song importiert wird. So ließe sich der Autor Jochen Distelmeyer in einer komplementären Position zu Brinkmann einordnen – in der eines Autors von Popsongs, der sich mit »L’etat et moi (Mein Vorgehen in 4, 5 Sätzen)« und (auf Old Nobody) »Eines Tages« durch das Rezitieren seiner Lyrik ohne musikalischen Part als gelegentlicher Autor von Gedichten inszeniert, während der Gedicht-Autor Brinkmann mit der Popmusik kokettiert. Dass es sich bei dieser Unterscheidung von Lyrik und Lyrics um eine künstliche oder wenigstens keine tiefgreifende Trennung handelt, suggeriert Distelmeyer, indem er Brinkmanns Zeile de facto zum verbaltextlichen Bestandteil eines Popsongs werden lässt und damit die von Brinkmann in seinen Texten angestrebte Songhaftigkeit bestätigt. Doch welche Semantik bringt das Brinkmann-Zitat auf der Textebene mit sich? Neben dem wörtlichen Zitat (»in ein anderes Blau«) findet sich in Brinkmanns »Gedicht« eine Äquivalenz hinsichtlich der progressiven Aufwärtsbewegung, wie sie auch in »Tausend Tränen tief« vollzogen wird. Bei Brinkmann spricht das lyrische Ich scheinbar aus der Tiefe: »was krieg ich jetzt, / einen Tag älter, tiefer oder tot? / Wer hat gesagt, daß sowas Leben / ist?« (Brinkmann 1975b: 41, Herv. T.H.). Als Antwort heißt es in den letzten beiden Zeilen: »Ich gehe in ein / anderes Blau« (ebd.), womit sowohl auf einen hoffnungsvollen Aufbruch aus der zuvor beschriebenen »[z]erstörte[n] Landschaft« (ebd.) wie auch auf eine Todesahnung verwiesen sein kann. Die Zeilen »Jetzt bin ich aus / den Träumen raus, die über eine / Kreuzung
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wehn. Und Staub / zerstückelte Pavane, aus totem / Neon, Zeitungen und Schienen« (ebd.) rufen tatsächlich Assoziationen zu Brinkmanns Tod durch einen Verkehrsunfall hervor, letztlich lassen sie sich aber auch einfach als enttäuschte Großstadtträume lesen. Zu Beginn des Gedichts wird nämlich die zurückliegende Ankunft des lyrischen Ichs per Zug in einer urbanen Umgebung benannt. Diese Stadt lässt das lyrische Ich nun »einen Tag älter« (ebd.) hinter sich, um »in ein anderes Blau« aufzubrechen. So entsteht eine weitere Äquivalenz zum Album »Old Nobody«, auf dem Altern auch über den Albumtitel hinaus thematisiert wird: »mein Körper / trägt schon Formen von Alter / und will das Zeitliche segnen« (Blumfeld 1999a: »Old Nobody«). Interessanterweise lassen sich auch die (mutmaßlich) autobiografischen Elemente, die in der vorliegenden Studie im Kapitel zu »L’Etat et Moi« hervorgehoben wurden, auf motivischer Ebene mit Brinkmanns »Gedicht« in Zusammenhang bringen. Bei Blumfeld bilden Schienen und Gleise einen Ausweg für die mit dem lyrischen Ich verknüpfte Persona vom (internalisierten) Elternhaus in die Großstadt, wo die Existenz als Pop-Dichter realisiert wurde. Bei Brinkmann wird die Ankunft mit der Eisenbahn unmittelbar kommentiert mit den Zeilen: »Jetzt bin ich aus / den Träumen raus«, womit impliziert wird, dass mit dem inzwischen desolaten Großstadtszenario ursprünglich Träume verbunden waren. Altern wird auch in Ingeborg Bachmanns 1961 erschienener Erzählung »Das dreißigste Jahr« zum Thema, die in »Eines Tages« (Blumfeld 1999a) ausgiebig zitiert wird.255 Bachmanns Erzählung thematisiert die Identitätskrise eines Mannes, der – wie Jochen Distelmeyer zum Veröffentlichungszeitpunkt von »Old Nobody« – kurz vor seinem 30. Geburtstag steht und das Altern im Sinne einer »Fähigkeit, sich zu erinnern« (Bachmann 1978c: 94) erlebt. Bachmanns ›Old Nobody‹ erinnert sich »nicht wie bisher, unverhofft oder weil er es wünschte, an dies und jenes, sondern mit einem schmerzhaften Zwang an alle seine Jahre, flächige und tiefe, und an alle Orte, die er eingenommen hat in den Jahren.« (Ebd.) Die Identitätsproblematik offenbart sich insbesondere, wenn der Protagonist das »Netz aus Erinnerung« auswirft und »über sich [wirft]«: Er »zieht sich selbst, Erbeuter und Beute in einem, über die Zeitschwelle, die Ortsschwelle, um zu sehen, wer er war und wer er geworden ist.« (Ebd.) Dieser Gegenstand wie auch die Tatsache, dass die literarische Figur bzw. das lyrische Ich sich selbst zum Objekt macht (»Erbeuter und Beute in einem«), erinnert an die Selbstentfremdung und das ›Außer-Sich-Sein‹ des lyrischen Ichs im zuvor analysierten Blumfeld-Song »Der Angriff der Gegenwart (auf meine übrige Zeit)« (1992b).256 255 Vgl. hierzu ausführlich Seiler (2006: 268–273), der, auch über den Nachweis der BachmannZitate hinaus, gründliche intertextuelle Spurensuche hinsichtlich »Eines Tages« betreibt. 256 Vgl. Kapitel II, Abschnitt 1.4 der vorliegenden Untersuchung.
Songanalyse Tausend Tränen tief
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In dem besagten Song changieren die Personalpronomen zwischen erster und dritter Person, und auch Bachmanns Erzählung enthält Passagen, in denen die Personalerzählung unvermittelt und nicht durch Anführungszeichen markiert in einen inneren Monolog des Protagonisten in der Ich-Perspektive übergeht und umgekehrt (vgl. Bachmann 1978c: 102, 104, 106, 107, 116–118, 126, 128, 136); auch ein Wechsel in die 2. Person Singular findet statt (vgl. ebd. 112–114). Wie in dem Blumfeld-Song tritt Bachmanns Figur in Distanz zu sich selbst und fühlt sich als Betrüger seinem Umfeld gegenüber : »Hat er nicht, in seiner Mutlosigkeit, […] ein Doppelleben ausgebildet, ein Vielfachleben, um überhaupt noch leben zu können? Betrügt er nicht schon alle und jeden und vielfach sich selber?« (ebd.: 100). Wie in der auf »L’Etat et Moi« ausbuchstabierten ›polyphonen‹ und anti-essentialistischen Poetologie Blumfelds, stellt auch diese Figur die Substanz ihrer Identität in Frage und tritt mit einem intertextuell gedachten Ich in Distanz zu sich selbst, hier allerdings weniger mit emanzipatorischen Implikationen: »Denn nichts, was ich denke, hat mit mir zu schaffen. Nichts anderes ist jeder Gedanke als das Aufgehen fremder Samen. Nichts von all dem, was mich berührt hat, bin ich fähig zu denken, und ich denke Dinge, die mich nicht berührt haben.« (Ebd.: 102) Diese eher nihilistische Haltung zur eigenen Subjektivität offenbart sich auch in der folgenden Passage: Ich denke politisch, sozial und noch in ein paar anderen Kategorien und da einsam und zwecklos, aber immer denke ich in einem Spiel mit vorgefundenen Spielregeln und einmal vielleicht auch daran, die Regeln zu ändern. Das Spiel nicht. Niemals! Ich, dieses Bündel aus Reflexen und einem gut erzogenen Willen, Ich ernährt vom Abfall aus Geschichte, Abfällen von Trieb und Instinkt, Ich mit einem Fuß in der Wildnis und dem anderen auf der Hauptstraße zur ewigen Zivilisation. Ich undurchdringlich, aus allen Materialien gemischt, verfilzt, unlöslich und trotzdem auszulöschen durch einen Schlag auf den Hinterkopf. Zum Schweigen gebrachtes Ich aus Schweigen… (Ebd.: 10)
Hier wird ein intertextuelles Ich beschrieben, das sich »vom Abfall aus Geschichte [ernährt]« (ebd.) und sich »aus allen Materialien gemischt, verfilzt« (ebd.) erlebt. Einige Formulierungen erinnern entfernt an Blumfelds Werk, so besitzt der Anfang der Passage beispielsweise eine gewisse Ähnlichkeit zu den Zeilen »wir sind politisch und sexuell anders denkend« (Blumfeld 1994: »2 oder 3 Dinge, die ich von Dir weiß«) und der »Abfall aus Geschichte« gemahnt an den »Haufen von Geschichte«, an den das lyrische Ich in »Pro Familia« (Blumfeld 1999a) in einer Selbstreflexion denkt. Handelt es sich hier eher um Versatzstücke, mit denen sich ein intertextueller Zusammenhang zwischen Bachmann und Blumfeld herstellen lässt, macht Seiler (2006: 270) auf ein offensichtliches Zitat aufmerksam, das von Blumfeld in »Eines Tages« (1999) aus der oben aufgeführten Passage übernommen wird: »Mit einem Fuß in der Wildnis / mit dem ander’n am Highway / stehst Du für
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Blumfelds Scheitelpunkt
Dich allein / in Gedanken versunken / Du kannst sie nicht lesen / und willst ihnen nachgehen / Deinem Geist auf den Grund […] und tappst nur im Dunkeln« (ebd.). Wenn hier die »Hauptstraße« durch »Highway« ersetzt wird, markieren Blumfeld ihre Zugehörigkeit zur amerikanischen Popkultur, wo der Highway einen gängigen Topos bildet (vgl. Seiler 2006: 270). Ähnlich wie bei Bachmann, wo von einem »Ich undurchdringlich« (1978c: 102) die Rede ist, tritt auch in »Eines Tages« das lyrische Ich zu sich in Distanz. Es bezeichnet sich als unfähig, die eigenen Gedanken zu »lesen« (Blumfeld 1999a: »Eines Tages«) – womit wie bei Bachmann (»aus allen Materialien gemischt«, 1978c: 102) auf deren textuelle Verfasstheit hingedeutet wird. Ähnlich bezieht sich auch die folgende Passage auf ein intertextuell verfasstes Ich, von dem die Gefahr der Unverständlichkeit auszugehen scheint: »Wäre ich nicht in die Bücher getaucht, in Geschichten und Legenden, in die Zeitungen, die Nachrichten, wäre nicht alles Mitteilbare aufgewachsen in mir, wäre ich ein Nichts, eine Versammlung unverstandener Vorkommnisse« (ebd.: 103). Das Verständnis wird hier im Außen gesucht, also in den das Ich umgebenden Texten. Bachmann ergänzt das prekäre Verhältnis zum eigenen Ich zudem durch eine existenzielle Komponente, wenn das, was »Ich« genannt wird, »durch einen Schlag auf den Hinterkopf« (ebd.: 102) potenziell ausgelöscht werden kann. In Blumfelds »Eines Tages« steht auf ähnliche Weise die soziale Isolation des intertextuell verfassten Ich im Fokus, etwa wenn es heißt: »Du suchst Dich zu finden / in den Stimmen der anderen«. Auch dieses Ich sucht Orientierung im Außen. Weitere Ähnlichkeiten zwischen Bachmanns Werk und Blumfelds »Eines Tages« lassen sich finden: Was die Redesituation angeht, wird in Bachmanns 1952 veröffentlichtem Gedicht »Ausfahrt« (1978b: 28f.) wie in Blumfelds Gedicht konsequent ein Du angesprochen. Die achte Verszeile von »Eines Tages« (»Dir schwinden die Sinne«) lässt sich als Intertext sowohl in »Ausfahrt« (Z. 39, gleichlautend) als auch in »Das dreißigste Jahr« nachweisen – »er stürzt hinunter ins Bodenlose, bis ihm die Sinne schwinden« (Bachmann 1978c: 94). Seiler macht zudem auf ein Motiv in »Das dreißigste Jahr« aufmerksam, in dem der »Protagonist aufwacht und sein Leben ändern möchte« (2006: 270). Bei Bachmann heißt es: »Und eines Morgens wacht er auf, an einem Tag, den er vergessen wird, und liegt plötzlich da, ohne sich erheben zu können, getroffen von harten Lichtstrahlen und entblößt jeder Waffe und jeden Muts für den neuen Tag.« (1978c: 94) Diese Passage wird in »Eines Tages« aufgegriffen, wo es heißt: »Eines Tages / Du wirst ihn vergessen / Du trittst aus dem Schatten und siehst Dich verlassen« (Blumfeld 1999a). Das Motiv des entmutigten Aufwachens, eine Art depressives Morgentief, lässt sich aber auch an weiteren Stellen bei Blumfeld nachweisen: Etwa als Kafka-Zitat (»Die Verwandlung«) in »Von der Unmöglichkeit ›Nein‹ zu sagen, ohne sich umzubringen« mit den Versen »Montag-
Songanalyse Tausend Tränen tief
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morgen erwachte ich als Missgeburt« (Blumfeld 1992a). Und auch im Eröffnungsstück von »L’Etat et Moi« findet sich eine ähnliche Szene, in der ein desorientiertes und isoliertes lyrisches Ich aufwacht und sich dem Alltag zuwendet: Vor meinem Fenster fängt es an sich zu bewegen ein neuer Tag nimmt seinen Tageslauf einer mehr an dem ich aufstehen muß um irgendwas zu tun gegen den Schmerz das Stechen im Kopf das Stechen im Herz treibt mich nur tiefer in den Kummer rein und tiefer ins alleine sein
Überall sind Menschen in den Straßen kenn ich nicht gehöre nicht dazu frage mich zu wem ich denn gehöre und wenn wer zu mir spricht hör ich nicht zu (Blumfeld 1994: »Draußen auf Kaution«)
Schließlich wird dieses Szenario auch in »Graue Wolken« (Blumfeld 2001) aufgerufen: Wo kommen all die grauen Wolken her? ich schau nach draußen auf den Tag es regnet und ich kann nicht mehr Wo ist der blaue Himmel hin? ich weiß nicht warum ich lebe nur daß ich am Leben bin Dann steh ich auf und gehe unter Menschen und frage mich was kann ich tun?
Bachmanns Erzählung »Das dreißigste Jahr« diente also in vielerlei Hinsicht als zentraler Prätext von Blumfelds Songs, was gerade auch angesichts der scheinbaren Pop-Lastigkeit des Albums »Old Nobody«, auf dem der Prätext offensichtlicher zum Vorschein tritt, bemerkenswert ist. Schließlich wird die Autorin Bachmann selten mit der Pop-Sphäre in Verbindung gebracht, und der in Klagenfurt verliehene Bachmann-Preis kann im Kontext der Gegenwartsliteratur, zumindest was den eigenen Anspruch angeht, als eine Art Antipode zur Popkultur gelten. Die Verweise auf ›hochkulturelle‹ Texte, die wir bisher vor allem in »Eines Tages« nachgewiesen haben, finden sich auch in anderen Songs des Albums, etwa in »Tausend Tränen tief«. Die Zeile »Es könnte viel bedeuten« (Z. 4, 38) haben wir zuvor als Koketterie mit dem Schlagerhaften interpretiert. Sie verweist aber, wie auch die Zeilen »erklingt ein altes Lied« (3, 37) und »ein Bild aus anderen Zeiten« (Z. 17), zugleich auf Heinrich Heines berühmtes Lied von der Loreley : »Ich weiß nicht was soll es bedeuten, / Daß ich so traurig bin; / Ein
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Märchen aus alten Zeit / Das kommt mir nicht aus dem Sinn […]« (Heine 1968: 107).257 Die Zeile »Es könnte viel bedeuten« ruft aber wiederum auch Ingeborg Bachmanns Werk auf, genauer : ein titelloses Gedicht von 1948: Es könnte viel bedeuten: wir vergehen, wir kommen ungefragt und müssen weichen. Doch daß wir sprechen und uns nicht verstehen Und keinen Augenblick des andern Hand erreichen, zerschlägt so viel: wir werden nicht bestehen. Schon den Versuch bedrohen fremde Zeichen, und das Verlangen, tief uns anzusehen, durchtrennt ein Kreuz, uns einsam auszustreichen (Bachmann 1978a: 12).
Gegenüber Blumfelds Spiel mit dem Schlager-Genre steht Bachmanns Zeile »Es könnte viel bedeuten« hier im Dienste einer existenzialistischen Semantik. Dabei könnte die Zeile für sich genommen in der Tat viel bedeuten, sprich: sie lässt isoliert betrachtet noch keinen engen intertextuellen Zusammenhang erkennen, doch heißt es auf dem folgenden Album »Testament der Angst«: Eintragung ins Nichts wir kommen ungefragt und gehen ungefragt der Schmerz sagt ich die Tränen werden hart und der Körper zeigt Schwäche ich steh’ im Bad und sehe rot die Spatzen pfeifen von den Dächern ich glaub der Hahn ist tot ich schlag die Zeitung auf und werde zum Rächer Man muß den Tatsachen ins Auge sehen o.k. das reicht – wir werden nicht bestehen (Blumfeld 2001: »Eintragung ins Nichts«)
Hiermit verdichtet sich die albumübergreifende Zitathaftigkeit, korrespondiert doch die zweite Verszeile von »Eintragung ins Nichts« (»wir kommen ungefragt«) mit der zweiten Verszeile von Bachmanns titellosem Gedicht. Der zweite Teil des dreizehnten Verses im Blumfeld-Song (»wir werden nicht bestehen«) bezieht sich auf den Anfang der zweiten Strophe bei Bachmann (vgl. 1978a: 12). 257 Vgl. hierzu ausführlich Weissmann (2011), der in seinem Artikel eine gründliche intertextuelle Analyse von »Tausend Tränen tief« im Hinblick auf das Heine-Gedicht durchführt und Parallelen zu F.W. Murnaus Film »Sonnenaufgang« (1927) nachweist (der den Untertitel »Lied von zwei Menschen« trägt).
Songanalyse Tausend Tränen tief
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Zugleich wird in »Eintragung ins Nichts« der existentialistische Kontext Bachmanns aufgegriffen, wo er in »Tausend Tränen tief« weniger stark zum Tragen kommt. Eine weitere Zeile aus »Tausend Tränen tief«, die zuvor mit einem Schlager aus den 1930er Jahren in Verbindung gebracht wurde, entpuppt sich zugleich als Zitat aus dem Bereich der Hochkultur : Blumfelds »Komm zu mir in der Nacht / wir halten uns umschlungen« ist eine fast wörtliche Übernahme aus Else LaskerSchülers Gedicht »Ein Liebeslied«: Komm zu mir in der Nacht – wir schlafen engverschlungen. Müde bin ich sehr, vom Wachen einsam. Ein fremder Vogel hat in dunkler Frühe schon gesungen, Als noch mein Traum mit sich und mir gerungen. Es öffnen Blumen sich vor allen Quellen Und färben sich mit deiner Augen Immortellen… Komm zu mir in der Nacht auf Siebensternenschuhen Und Liebe eingehüllt spät in mein Zelt. Es steigen Monde aus verstaubten Himmelstruhen. Wir wollen wie zwei seltene Tiere liebesruhen Im hohen Rohre hinter dieser Welt. (Lasker-Schüler 2006: 36)
Lasker-Schülers Anfangszeile wird bei Blumfeld in einem schlagerhaften Kontext gebraucht – die Sehnsucht nach der/dem Geliebten – womit suggeriert wird, dass Blumfelds Pop, Lasker-Schülers Lyrik und Schlager womöglich mehr Gemeinsamkeiten besitzen, als man denkt. So lassen sich bei Lasker-Schüler wie auch in »Tausend Tränen tief« Begriffe wie »Nacht« und »Traum« nachweisen, und auch auf die Farbe »Blau« wird indirekt verwiesen, erschien das Gedicht doch erstmals in der Gedichtsammlung Mein blaues Klavier (1943).258 Der Bezug auf Lasker-Schülers und Bachmanns Texte erweitert das Referenzspektrum im intertextuellen Verfahren von »Tausend Tränen tief«. Bei Lasker-Schüler finden sich etwa noch deutliche Merkmale des Expressionismus, wenn von »hohen Rohre[n] hinter dieser Welt« (ebd.) gesprochen wird oder von »Monden« (ebd.) im Plural die Rede ist. Blumfeld vollziehen die Transformation solcher Verweise in den Modus des Popsongs, wird in ihren Texten doch die Nähe von Pop, Schlager und ›hochkultureller‹ Dichtung suggeriert und das verwendete Material aus dem kultu258 Grabienski verweist auf die Kritische Ausgabe der Werke Else Lasker-Schülers, aus der hervorgeht, dass »zentrale Begriffe des Blumfeld-Textes wie Nacht, Tag, Lied, tief, Traum oder Blau zu den meistverwendeten Wörtern im Werk der Dichterin gehören« (Grabienski 2009: 7). Vgl. Lasker-Schüler (1996: 444f.).
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Blumfelds Scheitelpunkt
rellen Archiv de-hierarchisiert. Da Bachmann, Brinkmann und Lasker-Schüler bei Blumfeld immer wieder zitiert werden, erfüllen die nachgewiesenen Zitate zugleich auch eine selbstreferentielle Funktion. Die zitierten Autoren werden Teil der eigenen Poetik Blumfelds, die damit ihre intertextuelle Offenheit in alle Bereiche der Kultur signalisiert und zugleich im metonymischen Bezug auf die genannten Dichter bestimmte Topoi besetzt – eine spezifisch lyrische Tradition, Existenzialismus, Expressionismus und Identitätsproblematik.
6.
Konzeptuelle Kontinuität: Fazit zu »Old Nobody«
Die vielen intertextuellen Verweise, die in Bezug auf »Old Nobody« nachgewiesen werden konnten, zeigen die Kontinuität des intertextuellen Schreibverfahrens im Werk Blumfelds. In bestehenden Untersuchungen zu »Tausend Tränen tief« (Seiler 2006, Weissmann 2011) wurden die textuellen Bezugnahmen zum Teil schon detailliert herausgearbeitet, doch wurde in der vorliegenden Songanalyse versucht, das intertextuelle Verfahren noch stärker auf das Verfahren der Vorgängeralben zu beziehen. Auch auf diesen wurde schon eine Vermischung von hoch- und popkulturellen Zeichen angestrebt. Es lässt sich also tatsächlich von einer Kontinuität sprechen, gerade auch, weil die Band sich auf »Old Nobody« auf Intertexte bezieht, die im gesamten Werk präsent sind oder sich als anschlussfähig im Werkkontext erweisen. Bei »Old Nobody« handelt es sich um eine Zitatcollage, die thematische Schwerpunkte in der Auseinandersetzung mit Intertexten setzt – einerseits findet sich Material aus den Bereichen Schlager und Mainstream-Pop, andererseits bewegt sich das Album in einer ›literarisch‹ oder ›lyrisch‹ konnotierten Semantik. Diese konzeptuelle Form der Schwerpunktsetzung, bei der sich die Band Blumfeld mit einer bestimmten Sorte an Intertexten auseinandersetzt, bildet eine Neuerung im Werk der Band. Möglicherweise sorgen dabei die Antipoden Schlager/Mainstream-Pop und Hochkultur/E-Lyrik für eine gewisse Neutralität im Referenzspektrum der Band. Dies bietet sowohl die Möglichkeit der Identifikation als auch der Distanznahme im Hinblick auf das zitierte Material. Es wurde gezeigt, dass die Schlager-Bezüge auf »Old Nobody« weniger distanziert in Szene gesetzt sind als auf den Vorgängeralben. Beruft sich die Band aber in ihrem Text mit Ingeborg Bachmann und Else Lasker-Schüler auf die Repräsentanten der E-Lyrik – Rolf Dieter Brinkmann bildet ein Bindeglied zwischen Hochkultur und Pop – werden die Referenzen zum Schlager und zum Mainstream-Pop als ›sekundaristische‹ und ›unreine‹ Zitate markiert, insofern sich die beiden Referenzsysteme gegenseitig auszuschließen scheinen. In der analytischen Lektüre des Albums wurde deutlich, dass die Band Blumfeld an die poetische Komplexität der beiden ersten Alben anknüpft.
Konzeptuelle Kontinuität: Fazit zu »Old Nobody«
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Anders als auf den Vorgängeralben sorgt diese Komplexität allerdings auf Rezeptionsebene nicht mehr notwendigerweise für Irritation. Die meisten Songs auf »Old Nobody« können sowohl als konventionelle Popsongs als auch als komplexe Zitatcollagen gelesen werden. Auf »Old Nobody« sind die Abstraktionen und Zitatcollagen der ersten beiden Alben vielfach nicht mehr erkennbar, die sekundaristische Lesart lässt sich zwar noch realisieren, nimmt aber fakultative Dimensionen an. Dirk Weissmann fasst diese Neuausrichtung Blumfelds in Bezug auf die Schlusszeile von »Tausend Tränen tief« treffend zusammen: »›Es könnte viel bedeuten‹, muss es aber nicht zwangsläufig« (2011: 264). Lässt man sich dennoch auf die semiotisch komplexe Lesart ein, wird die konzeptionelle Stringenz des Albums schnell erkennbar. Auch wird die Pop-Sphäre wiederholt konterkariert: Die Entscheidung, ein gesprochenes Gedicht an den Anfang des Albums zu setzen etwa, stellt eine Verweigerung gegenüber marktwirtschaftlichen Strategien dar, denn gerade dem Eröffnungsstück eines Albums wird besondere Aufmerksamkeit zuteil und seine Wirkung entscheidet nicht zuletzt über die Kaufentscheidung des Konsumenten. Die Gelegenheit, in den ersten Sekunden des Albums umgehend Zugänglichkeit zu ermöglichen, wird, angesichts der wohl eher marginalen Gruppe von Konsumenten, die sich gesprochene Lyrik auf Tonträger kaufen, nicht genutzt. Die Erwartungen an ein Pop-Album werden unterlaufen so wie auch die Mainstream-Pop-Elemente innerhalb der ›Independent-Rock-Fraktion‹, insbesondere mit der Singleauskopplung »Tausend Tränen tief«, für Irritation sorgten. Blumfeld verweigern sich mit dem Album »Old Nobody« und dessen heterogenem Referenzsystemen einer klaren Positionierung. Entsprechend kam es im Diskurs um die Band zu heterogenen Kommentaren, die entweder für eine neue Marktkonformität oder für eine Kontinuität der poetologischen und politischen Grundsätze der Band argumentierten. Der Rezensent Karl Bruckmaier sieht im eröffnenden Gedichtvortrag beispielsweise eine geschickte strategische Steuerung der Aufmerksamkeitsökonomie am Werk, wenn »Eines Tages« »den Hörer erst einmal weich[klopft], damit diese feinen, kargen dann gleich opulent umspielten Eröffnungssekunden von ›Tausend Tränen tief‹, dem nachfolgenden Stück, wie eine Erlösung, eine Gnade wahrgenommen werden können und müssen« (1999: 16). Demgegenüber setzt Elke Buhr das Vorgehen Blumfelds, auf ihren Alben immer wieder gesprochene Texte ohne Instrumentalbegleitung zu platzieren, überzeugend in einen linkspolitischen Kontext. Die ohne Musik vorgetragenen Gedichte würden im Sinne von »Pop als Verweigerung von Pop« (Buhr 2003: 160) funktionieren. Ausgangslage hierfür sei die Tatsache gewesen, dass die »diskurserfahrene Poplinke der 1990er […] kein ungebrochenes Verhältnis zur rebellischen Pose des Rock mehr haben [konnte]« (ebd.) und im Bewusstsein darüber gewesen sei, dass »keine einzige Revolution […] durch einen Verstärker ausgelöst« (ebd.) wurde,
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Blumfelds Scheitelpunkt
andererseits aber Rock und Popmusik ohne politischen Anspruch für sie nicht denkbar gewesen seien. In Anbetracht des musikalischen Stilmittels der Rückkopplung, insbesondere in Blumfelds Song »Verstärker«, habe nun »die logische Konsequenz« gehießen: »Verstärker aus. Sound weg.« (Ebd.) Nicht zuletzt lässt sich auch die Auseinandersetzung mit dem Trivialen auf »Old Nobody« als ästhetisch-politische Strategie verstehen. So spricht Tom Holert davon, dass sich die größten politischen Energien der Popmusik dort entwickeln, »wo sie sich noch weiter vom politischen Diskurs entfernt. Wenn sie eine Rhetorik der Eleganz, der Versenkung und der Transzendenz entwickelt.« (1999: 26) Eine Band wie Scritti Politti habe in den 1980er Jahren vorgemacht, wie die »Überschreitung des Politischen mit den Mitteln von Pop« (ebd.) möglich sei. Hier handle es sich um eine Überschreitung, die »das Politische wiedergewinnt – nur eben an einem anderen Ort« (ebd.). Unter dem Stichwort der subversiven Affirmation spricht Holert weiter von einer »Aneignung von Soul und Softness« (ebd.), wie sie eben auch von Blumfeld in Kontrast zum Diskursrock-Paradigma von »Ich-Maschine« und »L’Etat et Moi« vorgenommen wurde. Es wird im nächsten Abschnitt zu diskutieren sein, ob dieses Verfahren möglicherweise ein Ende der Sekundarität zur Folge hat, beziehungsweise ob die Sekundarität in der Rezeption zunehmend ein fakultatives Moment wird. Zum problematischen Status der subversiven Affirmation als politische Strategie bemerkt Diederich Diederichsen: Das Gebiet, in dem Pop-Kulturen so viel Boden gut gemacht haben, ist das erfolgreiche Zusammenführen und Aufeinanderabbilden der Logiken unterschiedlicher kultureller Bereiche, von Hochkultur bis zu jenen kulturellen Notdürften, die wie der notorische Lore-Roman allenfalls kultursoziologischen Sozialarbeitern aufgefallen sind. Ihre Attraktivität [die der Pop-Kulturen, Anm. T.H.] liegt in der ständigen Möglichkeit zur Überschreitung von der einen Bedeutungsproduktionssparte zur anderen, wann immer ein Zeichen entleert wurde. Ihr Nachteil ist die Perfektion der Entleerung. (Diederichsen 1999: 284)
Unterschiedliche kulturelle Bereiche werden auch auf »Old Nobody« in diesem Sinne zusammengeführt. Die Zeichen des Mainstream-Pop werden auf ihre Konformität hin entleert und für ein widerständiges Verfahren anschlussfähig gemacht – immer mit dem Risiko, dass deren Bedeutung beliebig wird bzw. konform bleibt. Die von Holert so genannte Strategie der ›Softness‹ versteht Roger Behrens allerdings als anschlussfähig zum früheren Verfahren Blumfelds, denn die expliziten Liebeslieder auf »Old Nobody« seien »bestimmt nicht politisch im emanzipatorischen Sinne, aber sie sind […] glaubwürdig, ›ehrlich‹.« (1999: 11) Eben in diesem Punkt erweist sich die Band Blumfeld, wie auch auf »Ich-Ma-
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schine« und »L’Etat et Moi«, als unironisch, kritisch und engagiert. Dabei wird versucht, aus dem Material des Mainstream-Pop eine eigene Sprache zu machen. Die Herausarbeitung der Opposition von ›Rock‹ und ›Pop‹ hat allerdings gezeigt, dass deren Implikationen eine oppositionelle Haltung mit Mitteln des Mainstream-Pop erschweren. Vielfach wurde »Old Nobody« entsprechend dahingehend rezipiert, dass ausgehend von der ästhetischen Wende Blumfelds Widersprüche geglättet und harmonisiert erschienen. Statt einer Zeile wie »ich weiß gar nicht, wie das gehen soll: / sich vereinigen« (Blumfeld 1992a: »Laß uns nicht von Sex reden«) finden sich nun Bilder der Harmonie und der widerspruchsfreien Einheit: »Manchmal kommt es mir vor / als könnte nichts uns beide trennen / dann stehst Du vor mir / als würden wir uns ewig kennen / Du und ich« (Blumfeld 1999a: »Ein Lied von zwei Menschen«). Der Kontinuität auf Verfahrensebene, der als ausgestellte und ›doppeltcodierte‹ Intertextualität (Mainstream/Hochkultur) ausgiebig in der Forschung nachgegangen wurde, steht im Vergleich mit »Ich-Maschine« und »L’Etat et Moi« eine neue Eingänglichkeit und eine Aufgabe der Distanzierungs- und Abstraktionsstrategien gegenüber.
IV.
Blumfelds Abschied von der Sekundarität
1.
Diskurspop wird normalisiert
In seinem Essay »Für eine kleine Identität. Zur Ästhetik der Verkrampfung« (2011) modelliert Frank Apunkt Schneider in Anlehnung an Gilles Deleuzes und F8lix Guattaris Schrift »Kafka. Für eine kleine Literatur« (1976) einen PopBegriff des Minoritären.259 Im Deutschland der Nachkriegszeit sei Popkultur in 259 Deleuze und Guattari sprechen vom sogenannten Pragerdeutsch als »deterritorialisierte Sprache, die sich seltsamen, ›kleinen‹ Gebrauchsweisen regelrecht anbot«. (1976: 25). Bei einer kleinen oder minderen Literatur handle es sich nicht um die Literatur »einer kleinen Sprache, sondern die einer Minderheit, die sich einer großen Sprache bedient« (ebd.: 24). Dadurch ergeben sich programmatisch gewisse Parallelen zu den deutschsprachigen Songtexten und dem ›Sekundarismus‹ der Hamburger Schule. Die Genese der ›kleinen Literatur‹ entsteht laut Deleuze und Guattari aus diesem Konflikt: Anders als deutsch zu schreiben sei für die Prager Juden unmöglich gewesen, da sie »zu ihrer ursprünglichen tschechischen Territorialität eine unüberwindliche Distanz empfanden. Und deutsch zu schreiben war gleichfalls unmöglich, weil die deutsche Bevölkerung in Prag selbst deterritorialisiert war : eine herrschende Minderheit mit einer elitären, von den Massen getrennten, künstlich gepflegten, einer ›papiernen‹ Sprache. Dies galt erst recht für die Juden, die dieser Minderheit angehörten und zugleich von ihr ausgeschlossen waren«. (Ebd.) Ein weiteres Merkmal der ›kleinen Literaturen‹ bestehe darin, dass in ihnen »alles politisch« (ebd.: 25) sei: »In ›großen‹ Literaturen verknüpft sich die einzelne Angelegenheit (das individuelle Geschehen in Familie, Ehe usw.) tendenziell mit anderen, ebenso einzelnen Angelegenheiten, während das gesellschaftliche Milieu bloß als Umrahmung oder Hintergrund dient […]. Ganz anders dagegen die ›kleine‹ Literatur: Ihr enger Raum bewirkt, daß sich jede individuelle Angelegenheit unmittelbar mit der Politik verknüpft.« (Ebd.) Schließlich zeichne sich die ›kleine Literatur‹ dadurch aus, dass sie es als »kollektive[ ] Aussage« (ebd.) erlaube, »etwas anderes als eine Literatur der großen Meister zu konzipieren. Was der einzelne Schriftsteller schreibt, konstituiert bereits ein gemeinsames Handeln, und was er sagt oder tut, ist bereits politisch, auch wenn die anderen ihm nicht zustimmen. Das Politische hat jede Aussage angesteckt.« (Ebd.: 26) Auch in der Hamburger Schule stellte die Verwendung der deutschen Sprache an sich schon ein Politikum dar, während die Songs, insbesondere auf Blumfelds »L’Etat et Moi«, als kollektive subkulturelle Aussage markiert wurden. Wenn Deleuze und Guattari über die »wahrhaft ›kleinen‹ Autoren« (ebd.: 38) reflektieren, formulieren sie eine Programmatik, die Blumfelds Auslotung einer ›eigenen Sprache‹ auf den ersten beiden Alben sehr nahe kommt: »Vielsprachigkeit in
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Blumfelds Abschied von der Sekundarität
der Lage gewesen, »Orte herzustellen, in denen das Subjekt verschwinden und in eine andere Welt eintreten kann als die, die ihm per Herkunft und ›Identität‹ verordnet wurde.« (Schneider 2011: 121). Popkultur sei prominent »im Lieferumfang der reeducation« (ebd.: 122) enthalten gewesen – sei es durch Popsongs oder Hollywoodkino –, sodass die angloamerikanische Popkultur dafür sorgte, dass Jugendliche »in ihr ›dem Deutschen‹ entkommen konnten« (ebd.: 121), indem sie diese in die Lage versetzte, das »›Eigene‹ zu verlassen, das sie mit ihren Eltern verband« (ebd.: 122). Mit dem Ende der Nachkriegszeit und der BRD, das Schneider auf 1989 datiert, habe nun eine Entwicklung begonnen, in der Pop sein Potenzial zur »Nichtidentität« (ebd.) verlor. Deutschland habe sich im Zuge des »Deutschpop« – mit Vertretern wie Wir sind Helden, Tomte oder Sportfreunde Stiller – »die Identität verpasst, die es verdient« (ebd.). Um einen Zustand zu erreichen, in dem die von Schneider diagnostizierte deutsche Popidentität verwirklicht war, sei es nötig gewesen, »alles, was an deutschem Pop einmal sperrig war« (ebd.) – also auch die Hamburger Schule bzw. das Konzept des Diskurspop – zu überschreiben. Im Zuge dessen wich das Pop-Konzept des Minoritären einem »Gemütspop«, der »im Prinzip nichts will, außer eben: kein Problem mit seiner Identität haben.« (Ebd.) Die in der vorliegenden Untersuchung diskutierte Sekundarität deutscher Popmusik führte vielfach dazu, wie Schneider treffend und in Analogie zu Deleuzes und Guattaris Kafka-Text behauptet, ein »Fremdwerden in der eigenen Sprache« (Schneider 2011: 125) zu erzeugen, mit dem Ergebnis einer gebrochenen und im positiven Sinne verkrampften und kleinen Identität (vgl. ebd.: passim), die sich in Form von Reflexionen der Produktionsbedingungen und Zitathaftigkeit manifestiert. Frühe Hamburger-Schule-Bands, so Schneider, richteten sich in ihren Verfahren gegen »grünalternative[n] Deutschpop« und dessen »›Sei du selbst!‹-Befehl« (ebd.); Cpt. Kirk & ., Kolossale Jugend und andere »verstärkten […] die Dissonanz«, wobei es nötig gewesen sei, deutsch zu singen, denn »nur so ließ sich eine produktiv missverständliche deutsche Popkommunikation herstellen« (ebd.). Das »Ringen um Ausdruck« dieser Bands »misslang als Ausdruck« und betonte damit die Gegnerschaft zum authentizistischen Deutschpop bzw. -rock, aber, so Schneider weiter, »als Ausdruck des Misslingens setzte es ungeahnte Textenergien frei, die auf verquere (oder sogar : queere) Weise wie Popbotschaften funktionierten: als aufgewühltes Sprechschreien, das vom Körper kam und auf ihn eindrosch«. (Ebd.) Bei einer Band wie Blumfeld, das haben die Analysekapitel zu »Ich-Maschine« der eigenen Sprache verwenden, von der eigenen Sprache kleinen, minderen oder intensiven Gebrauch machen, das Unterdrückte in der Sprache dem Unterdrückenden in der Sprache entgegenstellen, die Orte der Nichtkultur, der sprachlichen Unterentwicklung finden, die Regionen der sprachlichen Dritten Welt, durch die eine Sprache entkommt, eine Verkettung sich schließt.« (Ebd.: 38f.).
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und »L’Etat et Moi« gezeigt, war eine solche Ästhetik in hohem Maße vorhanden, und auch »Old Nobody« ließ die ›sekundaristische‹ Lesart noch zu. Dabei sprengten Blumfeld auch mit den ersten beiden Alben das Konzept des Popsongs letztlich nicht – anders als etwa Die Goldenen Zitronen, bei denen die Abweichung vom konventionellen Popsong durch Avantgarde-, Punk- und NoiseElemente stärker hervortritt (womit nicht behauptet werden soll, dass es sich beim Werk der Goldenen Zitronen nicht auch um Popmusik handelt). Wo Blumfeld in den 1990er Jahren unironisch, kritisch und engagiert den Versuch antraten, die Möglichkeiten einer ›eigenen Sprache‹ zu thematisieren, setzte das Verfahren des Diskurspop ein. Die eigene Sprache musste, wenn das Paradigma der Nichtidentität bzw. der Sekundarität weiter Gültigkeit behalten sollte, abstrahiert, zitiert, verfremdet und hermetisiert werden (oder, beispielsweise bei Tocotronic: ironisiert). Dies wurde durch ›prozesshafte‹ Strukturen in poetischer wie auch in lebensweltlicher Hinsicht realisiert: Schneider bemerkt in der Diskussion des Begriffs »Hamburger Schule«, dass es in dieser Schule »um Lernprozesse ging« (2011: 126). Auch hebt er die hier vollzogene Auflösung statischer Grenzen zwischen musikalischer Praxis, Journalismus und Fan-Dasein hervor: Man/frau konnte dazugehören, einfach nur, indem man/frau darüber schrieb. Dieses Gefühl lag jedenfalls eine Weile in der Luft. Es wurde u. a. dadurch getriggert, dass es plötzlich Bandinfos gab, die nicht generisch uninteressant waren, sondern Bestandteile eines Gesamtaussagesystems. Live kamen nicht mehr unbedingt Bands auf die Bühne, sondern Diskussionsangebote, die sich natürlich sofort den Vorwurf einhandelten, zu viel zu reden, also sich nicht wie IndiemusikerInnen zu benehmen (ebd.).
Das hier beschriebene »Gesamtaussagesystem«, eine Art omnipräsente ›Diskursivität‹, habe sich dadurch ausgezeichnet, dass man sich »von rockistischen Leitwerten wie (ungefilterte) Selbstaussprache, Unmittelbarkeit und der Pflicht zur intellektuellen Verwahrlosung [distanzierte]« (ebd.). An deren Stelle, so Schneider, traten »Aushandlungsprozesse, in denen Positionierungen erarbeitet und politisch notwendige Umerfindungen vorgenommen wurden« (ebd.). Auf das (prozesshafte) Verfahren der frühen Blumfeld-Platten, das Schneider mit dem Begriff ›kleine Identität‹ beschreibt, wird in einem anti-programmatischen Statement mit den Verszeilen »wir sind politisch und sexuell anders denkend« (Blumfeld 1994: »2 oder 3 Dinge, die ich von Dir weiß«) verwiesen. Das Anders-Denken wird hier nicht plakativ und im Sinne einer konstanten Ideologie postuliert, sondern offenbart sich in einem unabgeschlossenen Aushandlungsprozess, der in den Lyrics des zitierten Songs auch motivisch erkennbar wird:
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Aus heit’rem Himmel tauchst Du auf und wir jagen durch die Straßen das fühlt sich gut an und wir sehen super aus und wir haben uns was zu sagen. 2 oder 3 Dinge die ich von Dir weiß Wie das Gelb wandern auch unsere Worte die stottern und stammeln von Dingen und Sachen die den Augenblick machen in dem wir uns fassen als andere Größen in einen Strom ohne Angst einzuflößen (ebd.)
Das lyrische Ich bildet zusammen mit einem Du eine Gemeinschaft, deren Worte im Ergebnis »in einen Strom« (ebd.) münden. Schon im Titel des Songs wird auf erfolgreichen intersubjektiven Kontakt hingewiesen. Man weiß (wenn auch noch wenige) Dinge voneinander, hat sich »was zu sagen« (ebd.), erlebt zusammen einen »Augenblick […] in dem wir uns fassen« (ebd.). Dieser Kontakt geht nichtessentialistisch vonstatten, insofern sich die Subjekte »als andere Größen« (ebd.) begegnen und in einem Strom münden, der keine Angst einflößt (vgl. ebd.) – ein Bild für ein geglücktes Zusammenkommen im Zustand der Verflüssigung ohne starre Zuschreibungen von Identität. Dieses Verfahren der prozesshaften Unabgeschlossenheit scheint im Fall von Blumfeld mit »Testament der Angst« (2001) verabschiedet zu werden, wie zu zeigen sein wird. Prozesshaftigkeit wird durch ein eher statisches Moment ersetzt. Auch Schneider betont einen Verlust der von ihm postulierten ›verkrampften‹ Ästhetik im deutschen Pop und datiert ihn – m. E. ein bis zwei Jahre zu früh – auf 1999: »Plötzlich gab es nur noch Musik, die ohne mitgelieferte Problemebene sie selbst und folglich auch irgendwie ›deutsch‹ sein wollte« (Schneider 2011: 127). Schneider nennt hier beispielhaft die Bands Tomte, Wolke, Virginia Jetzt!, Silbermond, Juli und Enno Bunger. »Bei vielen Beteiligten«, so stellt er in Bezug auf die Akteure des Diskurspop fest, »klappten die alten Ansprüche einfach zusammen« (ebd.). Das Ende von Sekundarität und Diskursivität sieht Schneider mit einer zunehmenden Professionalisierung einhergehen: Die Akteure der neuen deutschen Popbands hatten »so viel Popkompetenz akkumuliert (wenigstens in einem Bachelor-Sinne), dass sie Pop weder als etwas Sekundäres noch als etwas Fremdes spielen mussten« (ebd.). Die oben genannten Bands seien »strukturell bieder und kulturell angepasst, glatt, unkompliziert und mit Gott und der Welt (feat. ›Deutschland‹) versöhnt« (ebd.: 128) und damit unbrauchbar für eine
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Vorstellung von »Popkultur als Umerziehungsmaßnahme« (ebd.).260 Die Orientierung am Diskurspop-Paradigma erschöpfe sich etwa bei einer Band wie Wir sind Helden darin, »hin und wieder zu zeigen, dass sie die ungefähr richtige Meinung hatten. Wo sie politisch auftraten, achteten sie genau darauf, den Konsensradius niemals zu überschreiten« (ebd.). Schon in Bezug auf »Old Nobody« wurde in der vorliegenden Arbeit eine Tendenz zur ›Harmonisierung‹ nachgewiesen. Auch Blumfeld steht nun im Verdacht, dass sich – entsprechend Schneiders Beobachtung – die ›alten Ansprüche‹ der Band verflüchtigen, was in diesem Abschnitt diskutiert werden soll. Der Abschied von der Sekundarität bringt mit sich, dass der gesellschaftliche und textuelle Kontext in den Songs nun weniger offensichtlich reflektiert wird. Auch Blumfelds Musik erscheint von einer Art professionalisierten Subjektivität – Schneider spricht von »Gemütspop« (2011: 122) –, wie sie von Gruppen wie Juli, MIA., Silbermond oder Wir sind Helden vertreten wird, affiziert zu sein. Die nach »Old Nobody« veröffentlichten Alben Blumfelds ziehen einen Verlust des kontextuellen Außen nach sich (»Plötzlich gab es nur noch Musik«, Schneider 2011: 127) und bleiben lediglich fakultativ als politisch lesbar. So konstatiert der Journalist und Schriftsteller Dietmar Dath in Bezug auf das Album »Testament der Angst« (2001) in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, es werde hier nur noch »angelegentlich daran erinnert, daß es nach wie vor Geld gibt
260 Diese Versöhnungstendenz manifestiert sich durch zunehmende nationale Kontextualisierung von Bands auf Samplern mit Titeln wie »neue deutsche Vielfalt« (vgl. V.A. 2003) oder im elektronischen Bereich »Neue Heimat. Music Made in Germany« (V.A. 2002). Die Diskussion deutscher Bands im Hinblick auf ihre »deutsche Identität« (Fuchs-Gamböck/ Schatz 2008: 9) lässt sich ausgeprägt in einem populären Sachbuch mit dem Titel Jetzt und Wir. Neue deutsche Bands zwischen Soundcheck und Lebensgefühl beobachten. Kapitelüberschriften lauten hier etwa »Man singt deutsch« (ebd.: 7) oder »Frischer Wind in deutschen Köpfen: Hamburger Schule, Diskurs-Rock, Deutsch-Rap« (ebd: 73). Die Autoren des Textes erscheinen besonders ignorant, da sie eine Band wie Kante, die sich dezidiert gegen eine deutschnationale Vereinnahmung abgegrenzt hat, nahtlos in ihrem affirmativem Bezug auf eine ›deutsche Identität‹ kontextualisieren. Gleich auf der ersten Seite des Textes ist denn auch die Rede von »Musik in und aus Deutschland mit eigener Identität« (ebd.). Diese sei nun wieder in den Charts auszumachen, wo doch nach 1945 die Musik »der Besatzer, vor allem der englischen und amerikanischen« (ebd.) zu hören war und in den 1960er Jahren durch Krautrock »einheimische Musiker bewiesen, dass sie durchaus (wieder) in der Lage waren, eigenständige, aufregende Kunst zu erzeugen, frei von Selbstzweifeln der Kriegsverlierer« (ebd.: 8). Durch die Neue Deutsche Welle und Punk habe man sich »selbstbewusst eine eigene deutsche Identität« geschaffen, »fernab von jeglicher Nationaltümelei« (ebd.: 8f.), so behaupten die Autoren in paradoxer Art und Weise. Im Anschluss an diese Aussage werden die Bands Rosenstolz, Juli, Wir sind Helden, Sportfreunde Stiller und MIA. als »moderne[ ] Pop-Heroen der Nation« (ebd.: 10) bezeichnet. Auch ist die Rede von einer »neue[n] Generation junger Musiker, die den Nerv der Zeit getroffen hat und damit atemberaubend erfolgreich seit einigen Jahren in der Lage ist, einen nationalen Flächenbrand der deutschen Musikkultur auszulösen.« (Ebd.: 11).
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und Lügen, freiwillige Ignoranz und auskömmliche Niedertracht.« (2003: 39)261 Das besagte Album zeigt in der Tat, dass in dem Maße, wie eine formale Harmonisierung vorangetrieben wird, punktuell wesentlich explizitere politische Botschaften eingestreut werden wie etwa in »Die Diktatur der Angepassten« (Blumfeld 2001). Das in den 1990er Jahren auch poetologisch produktive Konzept einer Neuinterpretation des 68er-Mottos »Das Private ist das Politische« scheint abhanden gekommen zu sein. Das Private wird zunehmend thematisiert; parallel dazu, aber nicht notwendig dialektisch verknüpft, existiert eine kapitalistische Wirklichkeit: Das lyrische Ich tritt hier in Distanz zum politischen Geschehen. Anstelle einer ›Politik des Privaten‹ werden eher allgemeine und weltpolitische Topoi genannt wie etwa die Arbeitswelt (Büros, Fabriken, Schulen, Z. 7f.),262 Gentechnik (Z. 16), freier Markt/Finanzmarkt (Z. 17), Mediengesellschaft (Z. 19) und Umweltverschmutzung (Z. 35–37). Entsprechend ist das intime »Du« der früheren Songs, als Selbstanrede oder Appell verstanden, einem allgemeingültigen, anklagend-distanzierten »Ihr« gewichen (Z. 11, 13, 24, 26–29). Auch sieht sich das lyrische Ich in einem Subjekt-Objekt-Verhältnis zu »den Leuten« (Z. 1, 30) und »ihren Lügen« (Z. 38). Moritz Baßler grenzt dieses autoritär auftretende lyrische Ich allerdings vom Polit-Rock-Verfahren ab, da kein klarer politischer Gegner erkennbar wird. Unklar sei, »an wen der Appell des Refrains sich eigentlich richtet, an die bösen Angepassten oder an die […] eigenen Hörer?« (2008: 107).263 Durch diese Unbestimmtheit läuft die Kritik an 261 Wo Schneider das »Verkrampfte, Komplizierte, die Identitätsverweigerung, die eine andere, ›kleine‹ Identität bereitstellt« (2011: 129) in der deutschen Popmusik favorisiert, verteidigt übrigens auch Dath in seinem FAZ-Artikel das sekundaristische und »ungelenke« Diskurspop-Konzept der frühen Blumfeld-Alben: »›Blumfeld‹ klangen und sangen […] immer so, als wäre ›von nichts gewußt‹ absolut verboten, als wüßten diese Musiker ganz viel, eigentlich fast alles, bis an die Schmerzgrenze. O Gott, immer diese Probleme mit dem eigenen Körper und dem Rumstehen desselben in sozialen und politischen Ordnungen, angefangen mit dem Männerstück ›Penismonolog‹ auf der Debüt-LP ›Ich-Maschine‹: ›In dem Bett, aus dem ich herkam/liegt es sich immer noch unbequem und einsam/bis jemand wie du den Raum betritt/sich seinen Weg bahnt/durch den Gummipuppenfriedhof und mich anklagt.‹ Was hat man sich darüber schön aufregen können: Geht’s vielleicht noch eine Nummer zerquälter, das ist ja grauenhaft, mach das mal leiser. Vielen Dank dafür – denn es geht nicht anders, man muß auf diesen Dingen genau so ungelenk herumreiten. Das Wesen der wichtigeren Sozialprobleme ist ihr zutiefst Lächerliches« (Dath 2003: 39, Herv. T.H.). 262 Die hier und im Folgenden verwendeten Zeilenangaben beziehen sich auf die in der Textbeilage auf Seite 395 abgedruckten Lyrics von »Die Diktatur der Angepassten«. 263 Diese Frage ließe sich auch hinsichtlich Jochen Distelmeyers Solo-Single »Wohin mit dem Hass?« (2009) stellen. Ähnlich wie in »Die Diktatur der Angepassten« wird auch hier die Beobachterperspektive eingenommen: »Die Völker in den Strassen benehmen sich wie Vieh / Laufen mit und fühlen nach Vorschrift / Sie sind es so gewohnt und hassen still vor sich hin« (Jochen Distelmeyer 2009). In der dritten Strophe heißt es dann in der 2. Person
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der »Diktatur der Angepassten« Gefahr, zur Leerformel zu werden, wodurch sie für eine große Anzahl an Rezipienten anschlussfähig wird und nicht nur für die linkspolitisch eingestellte und popkulturell informierte Subkultur Gültigkeit besitzt.264 Die politische Position des Songs im Agit-Prop-Sinne wird zudem durch die von Baßler bemerkte »Unsicherheit des Ichs« (ebd.) auf anderen Songs des Albums geschwächt – man denke etwa an »Anders als glücklich« und »Testament der Angst« – (beide Blumfeld 2001). Die konfliktreiche Beziehung zwischen Individuum und Politik scheint hier zugunsten einer privatistischdistanzierten Perspektive auf das kontextuelle Außen aufgegeben worden zu sein, wobei ein autoritär auftretendes Ich mit »registrierendem Blick (›Ich seh‹)« (Baßler 2008: 106) sich nicht mehr als Teil des besungenen Szenarios markiert. Dennoch werden auf »Testament der Angst« ›politisch‹ markierte Zeichen verwendet, teilweise sogar deutlicher und expliziter als auf den frühen Alben. Der Autor Olaf Karnik spricht von einer »Re-Politisierung von Pop« um 2001, die jedoch »keiner gemeinsamen Bewegung« entspringe, sondern »ganz verschiedene Auffassungen vom Politischen« (Karnik 2003: 105) hervorbringe. Wenn bei Blumfeld in dieser Phase so etwas wie eine Politisierung stattfindet, dann in dem anhand von »Die Diktatur der Angepassten« vorgeführten (expliziten) Verfahren – dies immer im Kontrast zur zunehmenden Dominanz privater Themen, wobei die Verknüpfung von Politik und Privatheit deutlich zurücktritt. Die von Karnik genannte Politisierung korrespondiert aus seiner Sicht mit »mindestens zwei aktuellen, globalen Großereignissen (Genua; Terroranschläge auf die USA samt Folgekrieg)« und bringe auch »jenseits von Genua und Ground Zero Kritik und Protest gegen Nazis, Rassismus oder Neoliberalismus und Kapitalismus in Anschlag« (ebd.). Tatsächlich hebt Karnik ganz unterschiedliche Veröffentlichungen als politische und gesellschaftskritische Statements hervor, etwa Songtitel wie »Ich möchte nicht, dass ihr meine Lieder singt« und »Alles ist vergiftet« (beide Jan Delay 2001) oder »Weck mich auf« (Samy Deluxe 2001). In letzterem Stück lassen sich durchaus thematische Ähnlichkeiten zur »Diktatur der Angepassten« erkennen. Wenn das lyrische Ich hier feststellt, es sei »jeden Tag umgeben von lebenden Toten« (ebd., eigene Transkription) und »umgeben von Ja-Sagern, die alles nur nachlabern« (ebd.), kommt das, wenn auch in stärker jugendsprachlichem Duktus, einer Diktatur der Angepassten nahe, in der »die Leute […] unter sich sein [wollen]« (Blumfeld 2001: »Die Diktatur der Plural: »Wohin mit dem Hass, all dem Hohn und Spott / Dem Neid mit dem ihr mich betrachtet? / Alles was ihr wisst ich bin nicht wie ihr / Und so wird es immer sein« (ebd.). 264 »Die Angepassten«, so Olaf Karnik, »das sind immer die anderen. Leicht gemachte Identifikation – und deshalb kaum verwunderlich, dass das Stück im Sommer 2001 auch in der Telefon-Warteschleife des deutschen Musiksenders VIVA lief, der ja maßgeblich zur Etablierung der Popgesellschaft beigetragen hat und für dessen Chef Gorny auch die Börse Pop ist.« (Karnik 2003: 108).
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Angepassten«). Nun würde die linkspolitische Band Blumfeld wohl kaum anprangern, man sei »umgeben von Kinderschändern, die grad mal Bewährung kriegen« (Samy Deluxe 2001: »Weck mich auf«) und sich, wie der Rapper Samy Deluxe, ins Fahrwasser rechtskonservativer Law-and-Order-Politik begeben. Dafür teilen sie mit Samy Deluxe ihre Medienkritik (»Gehirnwäsche pur, rund um die Uhr«, ebd.) wie auch das Thema Umweltschutz (»Vater Staat schlägt und vergewaltigt Mutter Natur«, ebd.): Ein Pendant zur Kritik an Gentechnik lässt sich bei Samy Deluxe in einer Gesellschaft erkennen, die das lyrische Ich als »abhängig von teuflischen pharmazeutischen Erzeugnissen« (ebd.) beschreibt. In »Weck mich auf« wird eine Opposition aufgestellt zwischen den ›Angepassten‹ und einer herrschenden Klasse. Die ersteren werden vom lyrische Ich mit Attributen wie ›negativ‹, ›depressiv‹, ›tot‹, ›schlapp‹, ›konform‹, ›frustriert‹, ›brav‹, ›abhängig‹, ›perspektivlos‹ und ›materialistisch‹ markiert (vgl. ebd.). Die herrschende Klasse kennzeichnet das lyrische Ich als ›satt‹, ›psychopathisch‹, ›bürokratisch‹, ›gefühllos‹, ›korrupt‹, ›sadistisch‹, ›rassistisch‹ und ›kalt‹ (vgl. ebd.). Bei Blumfeld und Samy Deluxe besteht die distanzierte Rolle des lyrischen Ichs darin, aus einer Perspektive des Erkennenden »Alarm zu schlagen wie ein Feuermelder« (ebd.), wobei dies bei Blumfeld mit einem distanzierteren Gestus geschieht. Samy Deluxe macht sich eher zum Fürsprecher der Angepassten (»warum sind ich und meine Generation so depressiv?«, ebd., Herv. T.H.), statt sie zu verurteilen. Obwohl, ähnlich wie im righteous rap von Public Enemy, ein Rückzug in die eigene Community anklingt (»Ich und du und er und sie und es / sind besser dran, wenn wir uns selber helfen«, ebd.), richtet sich die Anklage letztlich in naiver und identifikatorischer Weise an die parlamentarischen Repräsentanten: »Was sagt wohl Schröder dazu? / Ich glaub, ich ruf ’ ihn mal an / sag zu ihm: ›Gerhard, schau’ Dir doch unsere Jugend mal an‹« (ebd., Herv. T.H.). Im Kontrast zu Samy Deluxes »Weck mich auf« lässt sich beobachten, dass bei Blumfeld immer noch eine radikale und reflektiertere linkspolitisch motivierte Kritik der herrschenden Ideologie erfolgt. »Weck mich auf« kommt einem kulturpessimistischen Appell gleich (»Ein Drittel starrt mit offenem Mund auf ihre Playstations / das zweite Drittel feiert im Exzess als Rave-Nation«, ebd.), der fordert, dass die Zustände in »diesem Land« (ebd.) im Sinne eines real- bzw. parteipolitischen Engagements reformiert werden. Die negativen Folgen von Kapitalismus und Parlamentarismus werden angeprangert, aber es findet keine eigentliche Ideologiekritik jenseits der Darstellung einer Opposition von Opfern und Herrschenden statt. Allerdings scheinen sich Blumfeld, wenn auch in einem noch teilweise sekundaristischen Modus, dem naiven Essentialismus von »Weck mich auf« anzunähern. Hatte sich der Diskurspop der 1990er Jahre noch dadurch ausgezeichnet, dass »er sich gegen jede Annahme einer vorgängigen Identität wandte und diese durch Zitationsmusik und die Auflösung von eindeutigen Sinnbezü-
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gen ersetzte« (Schramm 2010: 168), spricht das lyrische Ich bei Samy Deluxe von den Alten, den Türken, den Skinheads, den Bullen, den Kinderschändern, den korrupten Cops, den Politikern usw., aber auch in »Die Diktatur der Angepassten« ist die Rede von den Medien und den Menschen in den Straßen, zu denen das lyrische Ich auf Distanz geht. Eine solche Distanznahme klang noch auf »L’Etat et Moi« weniger apodiktisch und wurde nicht in einer rigiden Opposition von ›Ich versus Ihr‹ artikuliert. So heißt es in »Draußen auf Kaution« ohne bestimmten Artikel: »Überall sind Menschen in den Straßen / kenn ich nicht gehöre nicht dazu« (Blumfeld 1994) und auch in »Eine eigene Geschichte« wird auf ähnliche Weise zunächst einmal eine Fremdheitserfahrung unter Menschen erkennbar, ohne dass sich hier eine »Diktatur der Angepassten« vermuten lässt: »mit Kissen vor der Stirn und in mir drin ein Vakuum / geh ich durch Straßen voller Menschen dieser Stadt / und frage mich wo ich gern wäre / wo fang ich an? Gähnende Leere« (Blumfeld 1994). Der Vergleich von Blumfelds »Die Diktatur der Angepassten« mit Samy Deluxes »Weck mich auf« zeigt, dass die Prämissen des Diskurspop-Konzepts in Blumfelds Poetik nun weniger deutlich erkennbar sind. Zwar ließen sich die Zuspitzungen in Blumfelds Song auch als ›sekundaristisch‹ im Sinne eines Stilmittels des Plakativen verstehen. Nur ist die spezifische Poetik des Diskurspop hier eben nicht mehr ohne weiteres – etwa ohne werkgeschichtliche Kontextualisierung – von anderen politisch markierten Verfahren des Mainstream-Pop zu unterscheiden. Auch die weiteren von Karnik genannten Beispiele der von ihm postulierten Re-Politisierung der Popmusik um 2001 erscheinen übrigens relativiert: Es lassen sich zwar popmusikalische Interventionen erkennen, die als politische Statements sogar in den Charts vertreten waren, aber anders als im Diskursrock der 1990er Jahre kommt es nicht mehr zur Formierung einer verbindlichen politisch-ästhetischen Programmatik. So nennt Karnik explizite, aber punktuelle Statements gegen Rassismus wie etwa »Adriano (letzte Warnung)« des Kollektivs Brothers Keepers (2001) oder Afrobs Album »Made in Germany« (2001). Die von Karnik erwähnte Hamburger Band Superpunk dagegen inszenierte sich auf dem Album »Wasser marsch!« (2001) als »popmusikalische und linksreformistische Interessenvertreter der Arbeiterklasse und ›einfachen Leute‹« (Karnik 2003: 105), dies allerdings mit deutlichen ironischen Markierungen. Die Uneigentlichkeit des linken Ansatzes wird dadurch erkennbar, dass im Zeitalter von New Economy und Digitalisierung von »Fabrik« und »Fabrikant« gesprochen wird (Superpunk 2001: »Auf ein Wort Herr Fabrikant«, »Diese Welt ist nicht für mich gemacht«). Thematisiert die Band doch einmal die ›neue Arbeitswelt‹, so wird die Ernsthaftigkeit dieses Diskurses mit einer anachronistisch anmutenden Paranoia konterkariert: »Und ich darf meinem Chef nicht trau’n / Er will mir Mikrochips einbau’n« (ebd.: »Lehn dich an mich«). Songs
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wie »Bleib deinen Freunden treu« oder »Man kann einen ehrlichen Mann nicht auf seine Knie zwingen« (beide Superpunk 2001) wie auch die musikalischen Bezüge zur Mod-Kultur und zum Northern Soul lassen sich als störrischen und, wenn man so will, altbackenen Reflex auf die Flexibilisierungsdiskurse der neuen Arbeitswelt verstehen. Zeilen wie »Ich habe keinen Hass auf die Reichen / ich möchte ihnen nur ein bisschen gleichen« (ebd.: »Neue Zähne für meinen Bruder und mich«) lassen eine Reaktion auf die verklausulierte und engagierte Ideologiekritik des Diskurspop erkennen, ohne dass diese damit desavouiert würde. Das Diskurspop-Verfahren bleibt in dieser Gemengelage popmusikalischer Entwürfe, die jeweils als ›politisch‹ markiert sind, nur noch fakultativ bestehen, wobei mit dem Begriff »Hamburger Schule« kein verbindliches Konzept mehr assoziiert wird. Einen Indikator für die zunehmende ›Normalisierung‹ des Diskurspop-Konzepts bei Blumfeld liefert die Art und Weise, in der der Song »Graue Wolken« (Blumfeld 2001) zum Gegenstand eines 2007 erschienenen Ästhetik-Lehrbuchs des Philosophen Gerhard Schweppenhäuser wird (vgl. 2007: 50–54). Im Abschnitt »Innovation und Gängigkeit« wird »Graue Wolken« Goethes Gedicht »Wanderers Nachtlied« als Fallbeispiel für einen Gebrauchstext gegenübergestellt. Wenn Schweppenhäuser von der These ausgeht, dass »[ä]sthetische Erfahrung in Kunst und Design […] Bedürfnisartikulation auf jeweils innovative Weise« (ebd.: 50) vergegenwärtigt, kommt er zu dem Schluss, dass es sich bei dem Goethe-Gedicht um ein »autonome[s] und authentische[s] Sprachkunstwerk« (ebd.) handle, wohingegen bei dem BlumfeldSong kaum von Innovation die Rede sein könne. Es handle sich bei letzterem um »ein prägnantes Beispiel zeitgenössischer Naturlyrik« (ebd.), dessen Formsprache und Stilmittel der Massenkultur angehören. Der Text habe »keine autonome Geltung, sondern eine instrumentelle Funktion im Kontext der musikalischen Form« und biete »kaum polyvalente Konnotationen« (ebd.: 51) an. Das Ausbleiben von ästhetischer Innovation wird darauf zurückgeführt, dass »mit bekannten, eingängigen Sprachbildern gearbeitet [wird]« (ebd.: 54), wenn Blumfeld in »Graue Wolken« eine Stimmung artikulieren, die »wohl jede Generation wieder von neuem gemacht und lyrisch artikuliert hat« (ebd.). Im konkreten Rezeptionskontext könne aber immerhin als innovativ gelten, dass Blumfeld »diese Erfahrung in deutscher Sprache mit einem Songschema der angloamerikanischen Popmusik verknüpft.« (Ebd.) Im Unterschied zur Ästhetik des deutschen Schlagers signalisiere der »elegante[ ] Betroffenheitspop« Blumfelds »Formverbundenheit mit Paul McCartney und George Harrison sowie mit Bob Dylan und Sheryl Crow« (ebd.). Auch wenn die Verknüpfung angloamerikanischer Songschemata mit deutschsprachigen Lyrics zur Entstehungszeit von »Graue Wolken« für sich genommen keineswegs mehr als ästhetische Innovation gelten kann, muss man
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Schweppenhäuser doch innerhalb einer rein formalen Analyse Recht geben, und auch die von ihm genannten Bezugsgrößen aus dem angloamerikanischen Mainstream-Pop erscheinen hinsichtlich ihrer musikalischen und verbaltextlichen Qualitäten durchaus passend. Was Schweppenhäuser aber übersieht, ist, dass die Innovation von »Graue Wolken« von der Tatsache ausgeht, dass sich eine linkspolitische und bisher der Mainstream-Ästhetik distanziert gegenübertretende Band des von ihm beschriebenen Mainstream-Pop-Verfahrens bedient. Was in »Graue Wolken« in einem Saxophon-Solo kulminiert, war der Independent-Ästhetik bislang artfremd und galt als Form, die man vermeiden wollte. Wie Schweppenhäusers Umgang mit dem Text zeigt, scheint es möglich, Blumfeld spätestens ab 2007 als ›normale‹ Popband zu rezipieren. Der Autor des Lehrbuchs erwähnt nichts von der subkulturellen Vergangenheit der Band oder ihrem intellektualisierten und intertextuell komplexen Pop-Vefahren. Auch der Begriff »Diskurspop« fällt nicht, obgleich Schweppenhäuser unter Zuhilfenahme von Sigmund Freuds Aufsatz »Trauer und Melancholie« um eine (psychoanalytische) Kontextualisierung bzw. Theoretisierung des Blumfeld-Songs bemüht ist – freilich ohne, dass er die an den Text herangetragene Diskursivität in ihm selbst reflektiert sieht (vgl. Schweppenhäuser 2007: 51).265 Wenn Schweppen265 Schweppenhäuser kommt zu dem Schluss, dass in »Graue Wolken« die Pointe der Lyrics darin besteht, dass »das lyrische Ich sich um teilnehmende Identifikation mit der anonymen Menge der anderen bemüht; doch deren Leblosigkeit wird ihm als seine eigene zurückgespiegelt. Wenn wir noch nicht einmal mehr unser eigenes Ich libidinös besetzen können, hat der Leidenszustand vielleicht seine gefährlichste Stufe erreicht. Emotion und Reflexion befinden sich im negativen Einklang« (2007: 51). Wie auch im Fall von Nessel (2006) ist es bedauerlich, dass derartige vielversprechende Interpretationsansätze zwar angerisssen, aber nicht konsequent durchgeführt werden. So ließe sich der Kontext der Melancholie in Bezug auf das Album »Testament der Angst« auf produktive Art und Weise untersuchen. Neben dem Albumtitel und dem »Graue Wolken«-Befund Schweppenhäusers, beschreibt sich das lyrische Ich in »Anders als glücklich« als »Kind von Traurigkeit«, es »will Prozac haben«, ausgehend von der Selbstdiagnose »Leere bewegt mich« (Blumfeld 2001). Die Zeile »ich seh Zwerge lange Schatten werfen« (ebd.) ließe sich mit Freuds Diktum zur Entstehung von Melancholie, »[d]er Schatten des Objekts fiel […] auf das Ich« (Freud 1992: 179), verknüpfen. Auch die Wut auf das verlorene Liebesobjekt, die in Freuds Text eine tragende Rolle spielt, kommt zur Sprache: »ich werd die Gene Lügen strafen« (Blumfeld 2001: »Graue Wolken«). Sich scheinbar in einer Art Regressionszustand befindlich (»ich will den Aufstand proben«, ebd.), hört das lyrische Ich sein »Über-Ich um Gnade flehen« (ebd.). Auch in »Der Wind« (Blumfeld 2001) lassen sich viele Anhaltspunkte für eine derartige Kontextualisierung finden, etwa in den Zeilen »alles um mich rückt in weite Ferne« (ebd.), »nichts was ich berühre ist von Dauer / nichts bringt das Verlorene zurück / das Einzige was bleibt ist meine Trauer / der Schmerz und die Erinnerung an das Glück« (ebd.). Gerrit Bartels stellt in Bezug auf »Testament der Angst«, in intertextueller Anlehnung an den Fehlfarben-Song »grauschleier« (1980), fest: »Es liegt ein Grauschleier über diesen Songs, den Jochen Distelmeyer nicht wegwaschen möchte« (Bartels 2001: 13). In diesem Kontext ließe sich auch die Zeile »Wo ist die rote Sonne hin?« (Blumfeld 2001:
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häuser den Werkkontext der Band in seiner Analyse völlig außer Acht lässt und ihm das durch Blumfeld geprägte Diskurspop-Paradigma nicht bewusst zu sein scheint, kann man ihm das wohl nur bedingt übel nehmen, denn eine Differenz zum Mainstream-Pop kann ausgehend vom Primärtext selbst tatsächlich kaum mehr erahnt werden.
2.
Abwesenheit des (textuellen) Außen: Blumfelds privatistischer Turn
Mit dem Album »Testament der Angst« (2001) habe Blumfeld, so Dietmar Dath, das durch die »Old Nobody«-Zäsur Erreichte abgesichert. Zu diesem Erreichten zählt er »Mißverständnisse, neue Hörerinnen und Hörer, ein fabelhaftes Video mit Helmut Berger, Operation geglückt, Vorhersehbarkeit unterlaufen, komplizierte Kunststücke riskiert« (2003: 39). Was die neue Hörerschaft angeht, so kam es in der Tat mit »Testament der Angst« zu Blumfelds erster Top-TenPlatzierung in den Album-Charts (vgl. Gödden 2008c: 236), und die SingleAuskopplung »Graue Wolken« sorgte mit ihrem Saxophon-Solo auf ähnliche Weise wie »Tausend Tränen tief« für ein Irritationsmoment unter den Fans der ersten Stunde. Dieses aus dem Jazz entnommene Element findet sich außerhalb des Genres häufig als klanglicher Bestandteil ›seichter‹ und funktioneller Popmusik, die als Muzak, Smooth Jazz, Fahrstuhl- oder Kaufhausmusik freiwillig oder unfreiwillig zur Entspannung und Berieselung konsumiert wird – als prominente Interpreten, die in diesem Bereich das Saxophon in Szene gesetzt haben, lassen sich Kenny G, David Sanborn oder Candy Dulfer nennen.266 Die Verwendung des Saxophons in diesem stilistischen Paradigma – denn es handelt sich nicht etwa um ein virtuoses BeBop-Element – lässt sich gegenüber den früheren Stilelementen des Indie-Rock und im Anschluss an die Mainstream-Pop-Anleihen von »Old Nobody« als weitere Provokation verstehen. In nahezu allen subkulturellen Stilen, mit Ausnahme von Jazz und Ska, stellt die Verwendung des Saxophons ein Tabu dar.267 Gleichwohl demonstriert die Band damit ihre ästhetische Autonomie gegenüber dem stilistisch eher eingeschränkten Diskurspop-Paradigma von »Graue Wolken«) als Anspielung auf Julia Kristevas 1987 erschienenen Text Schwarze Sonne lesen, ein sich ausgiebig auf den Freud-Aufsatz beziehendes Werk über den Komplex Depression und Melancholie (vgl. Kristeva 2013). 266 Vgl. hierzu Wicke/Ziegenrücker/Ziegenrücker (1997: 351f.). 267 Auch in Lou Reeds Song »Walk on the Wild Side« (1972) findet sich ein Saxophonsolo. Im Werkkontext Reeds, der für eine avantgardistische Rockmusik steht, wirkt das Saxophon allerdings, ähnlich wie bei Blumfeld, wie ein Element, das aus einem fremden (Jazz-)Kontext herbeizitiert wird.
Abwesenheit des (textuellen) Außen: Blumfelds privatistischer Turn
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»Ich-Maschine« und »L’Etat et Moi«. In diesem Sinne gibt Gödden den Diskurs der wohlwollenden Rezipienten des 2006er Blumfeld-Albums »Verbotene Früchte« wieder : Gegenüber den Vorwürfen, Blumfeld seien nun beim »Befindlichkeitsschlager« angekommen, »hoben andere Stimmen positiv hervor, dass es die Band endgültig geschafft habe, sich vom engen, negativen Diskursgehäuse und Ballast der Hamburger Schule zu befreien. Damit habe man sich jeder Form von Vereinnahmung in Richtung Pop-Coolness radikal und erfolgreich widersetzt.« (2008c: 237) Blumfelds Koketterie mit seichtem Pop weist viele selbstreflexiv-werkimmanente und intertextuelle Verweise auf, sodass auch hier das frühere Verfahren nicht ganz aufgegeben wird, wenn es auch fakultativ bleibt. Wie auf dem Vorgängeralbum führen diese intertextuellen Verweise häufig ins Schlagerhafte: Die Zeile »Wo ist die rote Sonne hin?« (Blumfeld 2001: »Graue Wolken«) rekurriert auf den in den 1940er Jahren entstandenen, von Ralph Maria Siegel (Text) und Gerhard Winkler (Musik) komponierten Schlager »Die Capri-Fischer«, der von Rudi Schuricke (1957) oder Peter Kraus (1960) interpretiert wurde und zum Evergreen avancierte. Die »rote Sonne« wurde durch die Zeilen »Wenn bei Capri die rote Sonne im Meer versinkt« topisch für die Italien-Sehnsucht der Nachkriegszeit in Deutschland.268 Bringt man die Single »Graue Wolken« mit der Singleauskopplung des Vorgängeralbums, »Tausend Tränen tief«, in Verbindung, so lässt sich der gemeinsame Prätext der »Capri-Fischer« versatzstückartig auch anhand der Zeile »und von Boot zu Boot das alte Lied erklingt« erkennen, hieß es hier doch »In mir / tausend Tränen tief / erklingt ein altes Lied« (Blumfeld 1999a: »Tausend Tränen tief). Die »rote Sonne« erschöpft sich in ihrer intertextuellen Semiose nicht im Verweis auf den Schlager, sondern lässt sich ebenso auf den gleichnamigen deutschen Spielfilm von 1969 beziehen. Der Film »Rote Sonne«, bei dem Rudolf Thome Regie führte und in dem mit Darstellern wie Marquard Bohm und Uschi Obermaier der Komplex »1968« aufgerufen wird, zeigt ein Panorama von sexueller Befreiung, Rebellion und Gegenkultur. Diese doppelte Codierung der »roten Sonne« im Blumfeld-Song wird im Videoclip von »Graue Wolken« mit dem Familienszenario einer bürgerlichen deutschen Alltagsnormalität kontrastiert – dies unter völliger Abwesenheit von Gegenkultur oder schlagerhaften Sehnsuchtsmotiven.269 Fragt das lyrische Ich nun »wo ist die rote Sonne hin?«
268 Vgl. hierzu auch Terkessidis (1996: 128). 269 Vgl. Gerrit Bartels’ Beschreibung: »Im Video zu ›Graue Wolken‹ […] sieht man eine deutsche Kleinfamilie am Frühstückstisch und wie deren Tochter in die Schule fährt, dort ihren Vormittag verbringt und, wieder zu Hause in ihrem Mädchenzimmer, eine Platte von Blumfeld auflegt: Alltag, Regen, Teen Spirit – Deutschland im Frühjahr 2001.« (2001: 13) Das gegenkulturelle oder vielmehr subkulturelle Erbe der »roten Sonne« wird im 2005 in
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(Blumfeld 2001: »Graue Wolken«) ließe sich dies paraphrasieren mit: In welchem Zustand befindet sich eine mögliche Gegenkultur? Gibt es sie noch, und wenn ja, ist sie von zu viel Alltagsnormalität bedroht? Kontrastiert man den Bezug auf die »Capri-Fischer« mit Zeilen wie »Arbeit, Fernsehen, Schlafengehen / so macht das Leben keinen Sinn« (ebd.) wie auch mit dem im Videoclip dargestellten Szenario, ließe sich das lyrische Ich auch paraphrasieren mit: Wie steht es um die bisweilen kitschige, schlagerhafte und eskapistische Ästhetisierung des Alltags? Anstelle von Gegenkultur, Eskapismus und Ästhetizismus erscheint auf »Testament der Angst« aber vor allem die ausgestellte Privatheit dominant. Das häufig in der Rezeption des Albums erwähnte Saxophonsolo verweist als Irritationsmoment in die Sphäre des Spießertums – metonymisch deutet es auf einen Musikstil hin, der zuhause zum Entspannen bzw. ›Abschalten‹ gehört wird, wahlweise auch im Fahrstuhl oder im Kaufhaus, aber keinesfalls in einem öffentlichen, dialogischen und als ›politisch‹ konnotierten Raum. Muzak kommt dort zum Einsatz, wo die Rezipienten durch diese Musik möglichst wenig vom Konsumieren abgelenkt bzw. zum Konsum stimuliert werden sollen. Statt auf Rebellion oder Reflexion zielt sie eher auf Konformismus ab. Wenn das lyrische Ich sich also nach dem Zustand von Gegenkultur und schlagerhaften Sehnsuchtsphantasien fragt, ›antwortet‹ das Saxophonsolo mit einer ganz anderen Art von Eskapismus als dem des Schlagers und ist insofern Teil des privatistischen Kontinuums Arbeit – Fernsehen – Schlafengehen. Diesem Kontinuum gegenüber nimmt das lyrische Ich in »Graue Wolken« allerdings keine affirmative, sondern eine deutlich melancholische Haltung ein, in dem Sinne, dass der Verlust der metonymischen »Roten Sonne« reflektiert wird und dieser, so scheint es, einem Zuviel an Alltag geschuldet ist. Die Kontextualisierung von Privatem mit gesellschaftlichen Zusammenhängen, die noch auf »Ich-Maschine« und »L’Etat et Moi« vorgenommen wurde – dazu gehörte etwa die Reflexion von Gefahren der Vergesellschaftung für das Individuum – weicht immer mehr einem Verfahren der Unmittelbarkeit, das von performativen Sprechakten getragen wird, die nicht auf einen Konflikt zwischen dem lyrischem Ich und seiner Umwelt verweisen, sondern auf eine harmonische Innerlichkeit, die die frühere Dissonanz überwunden hat und das lyrische Ich gleichsam ›über den Dingen‹ stehen lässt. Im Eröffnungsstück des Albums »Verbotene Früchte« (2006) stellen die ersten Zeilen diese Poetologie vor:
München eröffneten Techno-Club »Rote Sonne« aufgegriffen. Vgl. URL: http://www.rotesonne.com (Letzter Zugriff: 30. 05. 2016).
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Noch trägt die Welt ihr weißes Kleid Die Nacht hat alles zugeschneit Ich steh’ am Fenster da Und schaue auf den Schnee Und weiß wie Schnee ein Blatt Papier Liegt da und fragt: »Wie geht es dir?« Ich mach mir meinen Reim Und singe, was ich seh’ (Blumfeld 2006: »Schnee«)
Insbesondere die letzte hier zitierte Verszeile lässt erkennen, dass das lyrische Ich weder Widersprüche und ›Dissonanzen‹ thematisiert noch ein stark ästhetisiertes bzw. verklausuliertes Verfahren hervorbringt – es singt, was es sieht, und kommt so zu einer eher statischen und konfliktarmen Poetik. Bei den Zeilen »Ich mach mir meinen Reim / Und singe, was ich seh’« (ebd.) handelt es sich um einen explizit performativen Sprechakt. Im Prozess des Singens und des Reimens äußert das lyrische Ich, was es gerade tut: Es singt über das, was es sieht. Es folgen weitere Beobachtungen des lyrischen Ichs: Die Möwen, sie kreisen in Scharen vorm Fenster Der Briefträger kommt und bahnt sich seinen Weg Wie alles andächtig schweigt in der Früh! Und ich seh’ wie die Eisblumen blühen Und hoch vom Himmelszelt Rieselt es und fällt Der Schnee (ebd.)
Schon in »Ghettowelt«, dem Eröffnungsstück von »Ich-Maschine«, war von einem explizit performativen Sprechakt die Rede. Hier wurde eindringlich darauf aufmerksam gemacht, dass man »Ein Lied mehr« hört, das »Dich festhält und nicht dahin läßt / wo Du hinwillst« (Blumfeld 1992a). Was wir im Anschluss an Diedrich Diederichsen als wütende Attacke gegen Pop bezeichnet haben, ist nun einem offenbar zufriedenen und passiv beobachtenden lyrischen Ich gewichen. Die Schneelandschaft wird dabei mit dem vor der Dichter-Persona liegenden weißen Blatt Papier verglichen – später im Song heißt es: »Es liegt noch Schnee und ich sitz’ hier / Gedankenschnee auf dem Papier« (ebd.). Das produzierende Ich verbleibt in der Beobachter-Rolle und füllt das Blatt Papier im Folgenden – nach dem Motto ›Ich singe, was ich sehe‹ – mit generischen, entsoziologisierten und scheinbar entpolitisierten Bildern. Zwar treten ein »Briefträger« und »ein Nachbar« auf, doch anstelle einer sozialen Interaktion bemerkt das lyrische Ich
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schlicht, »[w]ie alles andächtig schweigt in der Früh!« (ebd.). Die im Text beschriebenen Ereignisse belaufen sich auf ahistorische Naturphänomene (»Die Nacht hat alles zugeschneit«, »die Eisblumen blühen«, »auf den Dächern schmilzt der Schnee«, ebd.); es handelt sich um ewige Konstanten, die fernab vom konfliktreichen und intervenierenden Diskurspop der ersten beiden Alben ein harmonisches Szenario bilden. Die intertextuelle Produktivität der früheren Alben scheint hier weitgehend abwesend zu sein.270 Im Werkkontext bilden diese Zeilen einen Gegensatz zur ausgestellten Abstraktion, zur Intertextualität und zu den verklausulierenden Verfahren von »Ich-Maschine« und »L’Etat et Moi«. Auf das eigene Frühwerk wird mit Konkretion und Simplizität reagiert. Das weiße Blatt Papier in »Schnee« bildet eine Antithese zur textlichen ›Bleiwüste‹ der ersten Alben. In Abwesenheit des Intertextualitätsverfahrens wird nun gerade eine Situation thematisiert, in der sich die Dichter-Persona nicht mehr auf ein Textarchiv beziehen muss und sich nicht im Textgewebe eines poststrukturalistischen scripteurs bewegt,271 stattdessen wird, gleichsam erlebnislyrisch, ein leeres Blatt Papier befüllt. In Blumfelds poetologischem Song »Schnee« wird eine entsprechende Metaphorik verwendet: »und jeder der geht hinterlässt seine Spur / Unter den Füßen im Takt / Mit jedem Schritt knirscht es und knackt / Und ich hab Lust zu gehen / Durch ein weißes Wehen / Im Schnee« (ebd.). Das lyrische Ich hinterlässt unter Abwesenheit anderer Spuren (=Intertexte) seine originären Spuren im Schnee bzw. auf dem weißen Blatt Papier. Die Tatsache, dass es dazu rhythmisch-onomatopoetisch »knirscht […] und knackt« (ebd.) bestärkt die Poetologie eines für Blumfeld neuartigen und einfachen Songs. Sie steht dem Diskurspop-Konzept von »Ich-Maschine« und »L’Etat et Moi« diametral entgegen oder lässt sich doch zumindest nur schwer mit den zuvor entwickelten Kategorien beschreiben. Das lyrische Ich ringt nicht mehr in einem intertextuellen Exzess um seine Integrität als Subjekt, stattdessen artikuliert es eine unproblematische Poetik des Privaten. Die Filmwissenschaftlerin Sabine Nessel meldet dagegen in einem kurzen 270 Auch dieser Blumfeld-Text ist allerdings nicht frei von intertextuellen Bezügen. Er reiht sich etwa in die Kontinuität von Verweisen auf Rolf Dieter Brinkmann ein, insofern auch von diesem Autor ein lyrischer Text mit dem Titel »Schnee« existiert: »Schnee: wer / dieses Wort zu Ende / denken könnte / bis dahin / wo es sich auflöst / und wieder zu Wasser wird / das die Wege aufweicht / und den Himmel in / einer schwarzen / blanken Pfütze / spiegelt, als wär er / aus nichtrostendem Stahl / und bliebe / unverändert blau.« (Brinkmann 1964: o.S.) Als Prätext wäre außerdem der Song »Schnee« der Schweizer Band Die Aeronauten zu nennen, die sich zeitweise im sozialen Umfeld der Hamburger-Schule-Bands bewegt hat. Hier heißt es im Refrain: »Schnee fällt in meine Welt / Schnee macht alles still und hell« (Die Aeronauten 1995). 271 Roland Barthes beschreibt diesen scripteur als »moderne[n] Schreiber«, der »im selben Moment wie sein Texte geboren« wird (2000: 189). Er habe »überhaupt keine Existenz, die seinem Schreiben voranginge oder es überstiege; er ist in keiner Hinsicht das Subjekt, dessen Prädikat sein Buch wäre.« (Ebd.).
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Artikel zu »Verbotene Früchte« Zweifel an, ob die »dem politisch linken Spektrum angehörige[ ] Band« Blumfeld, bei der bislang »mehr oder weniger gesellschaftsrelevante[ ] Themen und die Bezugnahme auf die alltägliche Entfremdung« im Mittelpunkt stand, sich mit »Verbotene Früchte« wirklich als »apolitisch und neo-konservativ« (2006: 101) positioniert. Im Mittelpunkt stehe dabei das Problem, dass die ehemals als politisch verstandenen Texte der Band »prä- bzw. postpolitischen Songtexten gewichen [sind], in denen Pflanzen und Tiere eine zentrale Rolle spielen« (ebd.). Auf der Suche nach Spuren des früheren Diskurspop-Verfahrens versucht sich Nessel an einer intertextuellen Lektüre und stellt hinsichtlich »Verbotene Früchte« Bezüge zum »Apfeltabu im Paradies« und zu Franz-Schubert-Liedern (»Die Schöne Müllerin«, »Ich hört ein Bächlein rauschen«) her (vgl. ebd.: 102). Dabei verbleibt sie, womöglich aus gutem Grund, im Konjunktivischen – »man könnte kulturhistorisch vorgehen«, »womöglich käme man ja weiter, wenn man der Schubert-Spur nachginge« (ebd.) –, sodass die Analyse, wohl nicht nur aufgrund der fehlenden Durchführung, sich als wenig produktiv erweist, wie die Autorin auch selbst einräumt. Nessel hält darüber hinaus fest, dass die Aufzählung der Tier- und Apfelnamen »nicht primär im Dienste der Botschaft [steht]«, da »ein tierschützerisches Pathos« nicht zu verzeichnen sei und es nicht darum gehe, »eine bestimmte Beziehung zwischen Mensch und Tier zu proklamieren« (ebd.: 102). Allerdings erkennt Nessel in diesem Verfahren, dass mit der Nennung der Tiernamen »ein Stück Kindheit« aufscheine und so »[e]twas überzähliges« benannt werde, das »(noch) in kein klares Muster passt« und das »sich nicht von vorn herein in den Dienst der Politik oder der Kritik stellen läßt« (ebd.: 102f.). Diese »Leerstelle des Sinns, der Politik« (ebd.: 103) bewirkt, dass sich der Diskurs um die Band, und insbesondere um deren Lyrics, wie schon zu Zeiten von »Ich-Maschine« wieder entfacht, allerdings gehe es bei der Debatte »weniger darum […], was die Songtexte enthalten, als darum, was sie nicht beinhalten.« (Ebd.) Die ›verbotenen Früchte‹ des Albums werden auf Zeichenebene offenbar wegen ihrer Ferne zu politischen Sujets als Tabubruch wahrgenommen. Wo die Songs früher politisch waren, weil sie »Inhalte besetzten (und seien diese auch noch so fragmentarisiert und zusammengesetzt aus Diskursen […])« (ebd.: 103), wirkt der Flora-und-Fauna-Diskurs wie verboten. Nessel konstatiert: »Das Besingen von Äpfeln, Schnee, dem ›gewöhnlichen Bläuling‹ oder der ›salzigen Seeluft‹ wird als Provokation aufgefasst. Als Grenzverletzung« (ebd.: 101).272 So handle es sich bei der Mehrzahl der Songs um »Verbotene Früchte«, da sie 272 Nessel verweist im Zuge der Provokation Blumfelds auch auf die ambivalent rezipierte private Briefkorrespondenz Theodor W. Adornos, in der massenhaft Tier-Kosenamen für Max Horkheimer, Gretel Adorno, Maria Wiesengrund und den Autor selbst benutzt werden. Im Kontext der Philosophie sei dies wohl, so Nessel, »grenzwertig im Sinne von zu nah an der Kindheit« (2006: 103).
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»abseits von Inhalten ein kritisches Potential enthalten« (ebd.: 103).273 Das kritische Potenzial besteht nun aus Nessels Sicht darin, dass »das Politische […] eine Leerstelle in den Songs [bildet] und erst nachträglich, im Diskurs zum ›Diskurs-Rock‹ hinzu[kommt]« (ebd.). Damit beziehe sich die zuvor erwähnte Grenzverletzung nicht, wie noch auf »Ich-Maschine« und »L’Etat et Moi«, auf eine widerständige Verletzung von äußeren Grenzen oder in der Verwendung einschlägig ›politischer‹ Zeichen, sondern im Aufzeigen der Grenzen des eigenen (Blumfeld-)Verfahrens: Auf dem Konzert in Berlin hat Jochen Distelmeyer versucht, das Publikum beim Refrain von »Der Apfelmann« zum Mitklatschen zu bewegen und hat (als keiner mitmachte) sogar noch darauf hingewiesen, dass das jetzt eine typische Mitklatschstelle sei. Das hatte man bis dahin längst selbst bemerkt, doch ohne auf die Idee gekommen zu sein, mitzumachen. Denn die Mitklatschstelle stand eher da wie ein Zitat. Eine Mitklatschstelle, bei der man nicht mitklatscht und einem stattdessen (was viel schöner ist) die Grenze des im Blumfeldkonzert möglichen von Blumfeld selbst vorgeführt wird (ebd.: 102).
In der Poetik von »Verbotene Früchte« ließe sich also der Versuch sehen, eine ironisch gebrochene Einfachheit zweiter Ordnung zu etablieren, die selbst Zitatcharakter besitzt. Wo sich die intertextuellen Verweise auf den früheren Alben, insbesondere auf »L’Etat et Moi«, geradezu aufdrängen und als elementare Textbausteine fungieren, wirken sie in Nessels Analyse eher konstruiert. Wenn der Songtitel »Apfelmann« und der Albumtitel mit dem Garten Eden assoziiert werden oder 273 Ähnlich argumentiert Dirk von Petersdorff, der von Früchten spricht, die »im ästhetischen Diskurs verboten waren. Denn dieser Diskurs hatte sich im 20. Jahrhundert in seiner Mehrheit der Weltnegation verpflichtet. Dahinter standen grundlegende, geschichtsphilosophisch begründete Annahmen, die die Entwicklung der modernen Gesellschaft als falsch erscheinen ließen. Behauptet wurde zum Beispiel, dass dieser Gesellschaftstyp ›zerrissene‹ Menschen hervorbringe, dass er nicht dazu in der Lage sei, Solidarität zwischen den Individuen zu begründen, dass er moralische Überzeugungen erodieren lasse und dass seine Freiheit eine ökonomisch reduzierte Freiheit sei. Dieser Typ der Modernekritik hat aber im späten 20. Jahrhundert und forciert durch das Scheitern des sozialistischen Gegenmodells seine intellektuelle Relevanz erheblich eingebüßt. Es ist bezeichnend und stützt die Behauptung von der Lebendigkeit der Popmusik, dass man gerade an dieser zentralen Stelle Experimente unternimmt, sich vom ästhetischen Mainstream abwendet. Wo dieser Mainstream auf Negation festgelegt war, heißt Abwendung eben: Affirmation. Welche Behauptung wäre waghalsiger als jene, dass die Welt schön sei? Genau diese Aussage bildet aber den Titel eines Songs der Gruppe Blumfeld.« (2008: 129) Petersdorff erwägt aber auch mögliche Gefahren von Affirmation und Naivität: »Wird nicht ein Ausstieg aus der Reflexivität erprobt, wird nicht Wissen, das vorhanden ist, schlicht negiert, um in einen Zustand von Ursprünglichkeit zurückzukehren, der sich der Ausblendung fast aller Teile der Umwelt verdankt?« (Ebd.: 130) Zugleich weist er auf die ironische Lesart des Naiven hin: »Man könnte von einem hochironischen Biedermeier sprechen, das ebenso naiv wie artifiziell ist.« (Ebd.).
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die Tieraufzählung in »Tiere um uns« (Blumfeld 2006) mit der von Foucault in der Einleitung von Die Ordnung der Dinge erwähnten ›chinesischen Enzyklopädie‹ in Verbindung gebracht wird (vgl. Nessel 2006: 102; Foucault 1971: 17– 19), handelt es sich, gerade im letzteren Fall, gewiss um originelle intertextuelle Lesarten. Dennoch reichen die »Assoziationen, die man beim Hören der Platte […] haben kann: Foucault, Adorno, Schubert, Mitklatschmusik, Adam und Eva, Schneewittchen u.v.m.« (Nessel 2006: 103) nicht an die in höherem Maße ausgestellte Intertextualität der frühen Blumfeld-Alben heran. Nessel allerdings spricht sich versuchsweise für eine Kontinuität des intertextuellen Verfahrens aus: »Läßt sich von hier aus eine These formulieren? Letztlich hat sich am Blumfeld-Verfahren – nämlich Versatzstücke aus Diskursen zu entwenden, diese zu verschieben oder ›aufzupfropfen‹, wie es bei Kofman/Derrida heißt – nicht viel geändert.« (Ebd.) Texttheoretisch kann man Nessel im Grunde nur zustimmen, da die Verschiebung und Aufpfropfung von Diskursen eine Grundeigenschaft von Textualität allgemein darstellt. Auch auf »Verbotene Früchte« lassen sich solche Prozesse selbstverständlich nachweisen, wie auch in der vorliegenden Untersuchung gezeigt wurde. Geändert hat sich bei Blumfeld aber schon etwas: Wo die Zitathaftigkeit auf den ersten beiden Blumfeld-Alben Brüche und Störmomente erzeugte, erscheint sie auf den Alben nach »Old Nobody« als fakultativ und – im Fall von »Verbotene Früchte« buchstäblich – naturalisiert, sprich: Auch wenn sich diese Zeichen, wie allgemein jedes Zeichen, im Sinne einer intertextuellen Lektüre lesen lassen, so werden sie weniger eindringlich in ihrer (Inter-)Textualität ausgestellt. Es besteht, gerade innerhalb eines nicht-textwissenschaftlichen Rezeptionsmodus, keine Notwendigkeit, sie als Zitate zu rezipieren, wohingegen es auf den ersten drei Blumfeld-Alben kaum möglich war, die Zitathaftigkeit nicht zu bemerken. Wenn hier in einem Liebeslied der Name »Matthias Reim« fiel (vgl. Blumfeld 1992a: »Viel zu früh und immer wieder ; Liebeslieder«), wurde die intertextuelle Einbettung eines Liebeslieds in den Kontext des schlagerhaften und kulturindustriellen Liebesliedes thematisiert, seine Zeichenhaftigkeit drängte sich in stärkerem Maße auf als in den Liebesliedern ab 1999. Auch die vielen Perspektivwechsel und wechselnden Personalpronomen, die in der Untersuchung nachgewiesen wurden, stehen in einem Gegensatz zum konstanten und statischen lyrischen Ich, wie es sich etwa auf »Schnee« (Blumfeld 2006) in Harmonie mit seiner Umwelt in Szene setzt. Blumfelds ›privatistischer Turn‹ geht also damit einher, dass die Emphase der Zeichenhaftigkeit in den neueren Songs neutralisiert wird und das lyrische Ich nicht mehr nur als intertextueller Knotenpunkt, sondern auch emphatisch »Ich« sagen darf. Ein ›privatistischer Turn‹ lässt sich aber auch da erkennen, wo auf »Verbotene Früchte« in der dritten Person über den »Apfelmann« gesungen wird:
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Der Apfelmann in seinem Garten Hat keine Zeit sich auszuruh’n Er sieht die Apfelbäume warten Und weiß, es gibt noch viel zu tun Bevor die ersten Knospen sprießen Umsorgt er Beete, Busch und Strauch Und wenn sie in die Höhe schießen Dann kümmert er sich darum auch […] Er steht bei jedem Wind und Wetter Weil er nicht anders kann An seinem Stand, auf seinen Brettern Er ist: der Apfelmann (Blumfeld 2006: »Der Apfelmann«)
Auch wenn die Geschäftigkeit des Apfelmannes betont wird, scheint sein Arbeitsalltag doch entschleunigt, unentfremdet (er arbeitet nicht als Obstverkäufer, sondern »Er ist: der Apfelmann«, ebd., Herv. T.H.) und vor allem weit entfernt zu sein von der kapitalistischen Alltagserfahrung vieler Arbeitnehmer. So fragt sich Nessel, was es [n]eben dem Vorwurf des A-Politischen, der auf den ersten Blick vielleicht nahe liegt, mit dem Besingen von Flora und Fauna im Zeitalter von Postfordismus und Hartz IV außerdem noch auf sich haben könnte. […] Zivilisationsflucht? Eskapismus? Die Vorboten einer neuen Romantik? Oder einfach nur das vorläufige Endstadium der allgemeinen Politikverdrossenheit? (2006: 101)
Wesentlich realitätsnäher und im engeren Sinne politisierter gestaltet sich denn auch die Ästhetisierung von kapitalistischem Alltag, wie sie von den Goldenen Zitronen im gleichen Erscheinungsjahr wie »Verbotene Früchte« konturiert wird: Kofferträger, Türaufhalter, Unterschergen, Schwundverwalter. Stimmungshochhalter, Subpächter, Unterschergen, Wachhundwächter. Liftboys, Schuhputzer, Untertanmädchen, Subunternutzer. Zugeherinner, Wachhundhalter, Parkplatzwächter, Steigüberbügelhalter. Training in Unterwerfungskompetenz. Mit Aussicht auf Laufburschenschaft. Die, denen sie das Lächeln auf harten Wartebänken in Serviceagenturen in Gesichtszüge renken. Täglich bücklings im Flur von Raststättentoiletten, lässt sich Demut üben und ein Rest-Hoffnung retten auf: Aufnahme in Laufburschenschaft. Ich weiss, ich muss flexibel sein nach Überprüfung der Unterwerfungskompetenz. Ich weiss, es liegt an mir allein. Sie sagt, sie sei, sie sagt es wär. Sei nun mal schwer, sie hätte Glück. Sei besser jedenfalls als nichts. Er sagt es sei, es läge jetzt nun mal bei ihm und mit der Zeit. Wer weiß, vielleicht? Na immerhin. […] Aus der erhabenen Höhe eines SUV Wagens lässt sich die Bürde der Verantwortung heroisch ertragen. Für das Heer der Anzuleitenden, die ständig im Weg stehn, die begreifen müssen, dass die Uhren anders gehen.
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Dass da immer jemand ist, der es billiger macht, den Unterbietungswettbewerb nicht höhnisch verlacht, sondern das Oben achtet und es sportlich nimmt und den nötigen Schuss Fügsamkeit nun mal unten zu sein mitbringt. (Die Goldenen Zitronen 2006: »Lied der Stimmungshochhalter«)
Wir finden hier ein geradezu dystopisch anmutendes Szenario vor, das sich durch die Verwendung von Konkreta und Versatzstücken eines neoliberalen Diskurses leicht realistisch auf den kapitalistischen Alltag beziehen lässt und sich komplementär zur idyllischen und harmonischen Sphäre der ApfelmannFigur verhält: Wo Blumfeld auf Distanz zur Arbeitswelt gehen und gleichsam die Flucht aufs Land oder in die erfüllte Innerlichkeit antreten, begeben sich Die Goldenen Zitronen offensiv ins Zentrum des neoliberalen Arbeitsmarktes. Doch auch »Der Apfelmann« enthält womöglich ein entsprechendes politisches und diskursives Potenzial. So könnte man die folgende Passage einer detaillierten Aufzählung von Apfelsorten auf die gesellschaftliche Debatte über richtige Ernährung, Bio-Essen und die Hochkonjunktur von Kochsendungen im Fernsehen zum Entstehungszeitpunkt beziehen: Jonagored, Novajo Elstar, Karmijn, Rubi, Winterprinz, Ontario, Gravensteiner, Fuji, Berlepsch, Melrose, Ida Red – Kannst Du mal versuchen Und Geheimrat Oldenburg Für den Apfelkuchen (Blumfeld 2006: »Der Apfelmann«)
Auch der Koch- und Ernährungsdiskurs ließe sich als politisches Krisenphänomen erklären: Während das Weltgeschehen am Individuum medial vorbeizieht, ohne dass es nennenswerten Einfluss darauf ausüben könnte, verlagert es seine Aktivität auf einen Bereich, den es noch kontrollieren kann. Statt über die politische Perspektivlosigkeit und Handlungsunfähigkeit in Passivität zu verfallen, konzentriert es sich auf die Ersatzhandlung der täglichen Nahrungsaufnahme und -zubereitung, bei der nahezu alle Menschen partizipieren und bei niedrigen Einstiegshürden einen Kennerstatus erreichen können. Politische Debatten in der Gesellschaft werden so in dem Blumfeld-Song möglicherweise durch die Nennung von Apfelsorten und deren spezifische Verwendung repräsentiert. Die zitierten Diskurse sind 2006 eben andere als in den 1990er Jahren. Diese ›diskursive‹ Lesart bleibt aber fakultativ und besitzt, anders als das »Lied der Stimmungshochhalter« der Goldenen Zitronen, keine ›dissonanten‹ und verstörenden Qualitäten mehr.
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Wie auch Nessel in ihrer intertextuellen Analyse, scheint man bei der Interpretation unter Heranziehung des Ernährungs-Diskurses allerdings nicht sehr weit zu kommen. Vielmehr kommt der Blick auf den Apfelmann tatsächlich einer eher privatistischen Leerstelle des Politischen gleich. Man mag »Verbotene Früchte« durch den Fokus auf die Sphäre des Natürlichen und Unverdorbenen als Protest lesen, aber dazu bedürfte es eines paradigmatischen Hintergrundes, vor dem der Protest als solcher lesbar wird. Dazu kommt es aber nur bedingt, wird doch auf den Blumfeld-Alben nach »Old Nobody« keine starke Differenz mehr zum konformen Pop-Mainstream erkennbar. Blumfeld und die Hamburger Schule stehen neben Bands wie Juli, Silbermond oder Wir sind Helden, die der Literaturwissenschaftler Moritz Schramm als Teil einer »Neuen Neuen Deutschen Welle« (2010: passim) bezeichnet, in einem pluralistischen Kontext der deutschsprachigen Popmusik. Als »privatistisch« können dabei nicht nur Blumfelds neue Themen und Motive bezeichnet werden, sondern auch die Tatsache, dass die Band gar nicht mehr im Kontext einer ›Schule‹ bzw. eines ästhetisch und politisch kollektiven Zusammenhangs agiert und damit in die Öffentlichkeit tritt. Auch wenn die Band noch die Möglichkeit besitzt, Diskurse auszulösen, scheint sie doch auf eine statische Art und Weise angekommen und normalisiert zu sein. Wenn Diedrich Diederichsen in den 1980er Jahren behaupten konnte, der Star, dessen Berühmtheit immer kürzer wird, sei »längst nicht mehr der gefeierte Urheber, sondern nur noch Repräsentant einer Musik« (Diederichsen 1982: 99), trifft das auf Jochen Distelmeyer zum Zeitpunkt von Blumfelds Auflösung nicht zu. Er ist gerade auch als gefeierter Autor in den Feuilletons angekommen und hat damit scheinbar die auf »L’Etat et Moi« diskutierte Poetologie überwunden, als Autorfigur hinter eine ›Polyphonie‹ aus Intertexten zurückzutreten und die Autorschaft in einem sozialen Zusammenhang aufgehen zu lassen, sodass keine eindeutige Zuschreibung des Textes auf ein Autor-Individuum mehr möglich erscheint.
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Die Teleologie der Pop-Persona
Im vorigen Abschnitt wurde davon gesprochen, dass es auf den späteren Blumfeld-Alben für das lyrische Ich möglich wird, in weniger intertextuell vermittelter Weise emphatisch »Ich« sagen zu können – ein Komplex, der auf den Vorgängeralben radikal problematisiert wurde und dadurch zu einem ›diskursiven‹ Verfahren führte. Es wurde bereits in Abschnitt 1.4 des zweiten Kapitels gezeigt, dass sich in Blumfelds Texten ein Subjekt als Persona hervorbringt, das sich – immer im Zuge eines Textverfahrens – als Schnittmenge aus privaten Elementen und In-
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szenierungen zusammensetzt, wobei die Texte offenlassen, ob es sich um ein autobiographisches oder ein fiktives Ich handelt. Die Identität des real existierenden Jochen Distelmeyer mit Blumfelds lyrischem Ich wird durch Markierungen suggeriert, etwa in »Mein System kennt keine Grenzen« (Blumfeld 1999a), wo sich das lyrische Ich selbst mit »Jochi-Boy« anspricht oder in »So lebe ich« (Blumfeld 1999a), wo die Selbstbezeichnung »Dornenboy« auf den Nachnamen Distelmeyer verweist. Ließen sich einige Anhaltspunkte dafür finden, dass die Band im Zuge einer ›Normalisierung‹ ihre frühere Emphase der Konstrukthaftigkeit nach »Old Nobody« immer stärker ablegt, so scheint auch die Persona »Jochen« eine solche Bewegung zu vollziehen. Auf Distelmeyers Soloalbum von 2009 wird in »Lass uns Liebe sein« mit der Refrainzeile »So ging ich über Berg und Tal« (ebd.) eine Entwicklung des lyrischen Ichs dargestellt, die sich parallel zur Bandgeschichte lesen lässt, sodass der frühere dissonante Diskurspop mit der Zeit musikästhetisch und textlich harmonisiert wird bis hin zu einem Abschied von Sekundarität, intertextueller Vermittlung, Abstraktion und Verklausuliertheit. Die früheren Konflikte des lyrischen Ichs lösen sich im Sinne einer Coming-of-AgeGeschichte in Wohlgefallen auf: Wo früher »in der Luft […] ein Bersten« lag, »Hoffnungen ins Nichts gespannt« waren, »dunkle Schatten auf den Herzen« lagen und »die Nacht […] lang« war, weiß das lyrische Ich nun, »warum ich hier bin« und stellt sich »in den Strom der Zeit« (Distelmeyer 2009: »Lass uns Liebe sein«.). Der Grund für diese Integrationsleistung des lyrischen Ichs lässt sich im Blick auf den Song »Murmel« (Jochen Distelmeyer 2009) erahnen. Auch hier ist die Pop-Persona »am Ziel« (ebd.) angekommen und zeichnet ein harmonisches Bild von sich und seiner Umwelt: Und ich? Ich bin am Ziel Weiß was ich will und brauch nicht viel Ich seh zu wie die Kinder spiel’n Und über uns den Zeppelin »Ein Elefant als Luftballon!« Ich leb dafür und leb davon Am Ende ist es nur ein Song Und ich flieg davon – Zu Dir (ebd.)
Mit dem »Strom der Zeit« (ebd.: »Lass uns Liebe sein«) verweist das lyrische Ich also auf die sich in »Murmel« manifestierende Kontinuität eines Familienkontextes, in dem es nun, anders als beispielsweise in der polyvalenten Familienkonstellation von »Ghettowelt«, eindeutig die Vater-Rolle einnimmt. Mit der Zeile
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»Am Ende ist es nur ein Song / ich leb dafür und leb davon« (ebd.: »Murmel«) wird erneut die konfliktarme Grundstimmung der späten Blumfeld-Alben deutlich. Dadurch, dass das lyrische Ich betont, es handle sich nur um einen Song, erscheint der Kunstanspruch dieser Songs relativiert. Auch wird suggeriert, dass das lyrische Ich im Zuge der Formulierung »ich leb dafür und leb davon« (ebd.) gerade mit derjenigen Professionalisierung des Musikers/Künstlers im Reinen ist, die in Songs wie »Ghettowelt« und »Der Angriff der Gegenwart (auf meine übrige Zeit)« konfliktreich dekonstruiert und reflektiert wurde. Schließlich lassen sich auch die Zeilen »Ich war zu lang allein / Und hab darüber nachgedacht / Woher die Trauer kam / Und was uns wieder glücklich macht« (ebd.: »Lass uns Liebe sein«) auf das radikal reflektierende und intellektualisierte lyrische Ich der frühen Alben beziehen, sodass es möglicherweise als zu reflektiert, isoliert und widerständig markiert wird. Der aktuelle Zustand, sich »in den Strom der Zeit« (ebd.) zu stellen, erscheint dagegen als angemessen.274 Schon auf »Testament der Angst« (2001) beginnt das lyrische Ich, über die Verabschiedung der früheren Haltung zu reflektieren, ohne dass es sich allerdings als »angekommen« definiert: »Ich hab versucht den Widerspruch zu leben / ich hab versucht einfach ich selbst zu sein / es hat nicht funktioniert, es ging daneben / das Leben selbst scheint mir ein Fluch zu sein.« (Blumfeld 2001: »Der Wind«) Auch hier lässt sich die Teleologie der Pop-Persona »Jochen« erkennen, wobei der Versuch, »ich selbst zu sein« (ebd.), sich auf das ästhetische Verfahren des Diskuspop bezieht, eine eigene Sprache zu erlangen. Die Persona vollzieht einen Wandel von der Desintegration hin zu einer 274 Negativ bewertet wird diese Entwicklung in Rainald Goetz’ Klage (2008). In diesem Band sind Goetz’ Tagebucheinträge für das Weblog der Zeitschrift Vanity Fair aus den Jahren 2007 und 2008 nachträglich erschienen. Datiert auf den 1. Mai 2007 heißt es unter der Überschrift »Wilhelm Meisters Wanderjahre« über das Abschiedskonzert von Blumfeld am 30. April 2007 im Berliner Postbahnhof: »Etwa zwei Stunden und knapp 30 gespielte Lieder später wusste das Publikum: es ist okay, dass die Band sich auflöst. […] Die Entwicklung, die die Band genommen hat, war falsch.« (Goetz 2014: 121) Als Problem für die weitere künstlerische Entwicklung reflektiert Goetz bzw. seine Erzählinstanz das ›AngekommenSein‹ der Distelmeyer-Persona: »[W]elche Musik wird er spielen? In sich hat er keine neuen Lieder mehr, er hat keine Haltung zur Welt und keine Worte, keine Melodien, keine Sehnsüchte und keinen Zorn. Ohne all das geht es aber nicht. […] Die größte Schwierigkeit für den als Authentoiden startenden Künstler ist seine Entwicklung. Herrlich beginnt das Leben, das Werk, und dann geht es langsam, während der Erfolg anfangs noch zunimmt, stetig bergab.« (Ebd.: 121f.) Professionalisierung und Erfahrung des Künstlers gelten in Goetz’ Text als der Kreativität abträgliche Faktoren: »Ein einziges gelungenes Lied wäre die Antwort, aber Eigensinn und Metierbeherrschung stehen dagegen, Souveränität, die das Leben dem Künstler zugetragen hat, zerstört in ihm die Basis seines Schaffens, Ungenügen und Negativität.« (Ebd.: 122) Für viele Intellektuelle sei Jochen Distelmeyer so zur Identifikationsfigur geworden, die »öffentlich sichtbar für alle die schmerzliche Geschichte des Wegs in die Reife vorgelebt hat.« (Ebd.) Zum fiktionalen Status der Erzählinstanz in Klage vgl. Kreknin (2014: 240–255).
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Verbundenheit mit der von ihm besungenen Wirklichkeit. Werner Garstenauer beschreibt die Entwicklung von »Ich-Maschine« bis »Verbotene Früchte« und die soziale Integration des lyrischen Ichs folgendermaßen: Während eine kritische Bewältigung der jeweils herrschenden gesellschaftlichen Umstände angestrebt wird, erfährt das Arbeiten am Du eine Wende in Richtung eines teilweisen oder vollen Konsenses und Empathievermögens. Die Möglichkeit eines Vermächtnisses zwischen den Generationen wird überdies deutlicher thematisiert. Das Lied-Ich erfährt sich verstärkt als soziales Wesen, das eigene wie in der Geschichte konservierte Erfahrung nicht mehr nur unmittelbar auf sich und seine eigenen Wünsche bezieht. Es macht sich nutzbar und zieht selbst Nutzen aus der Interaktion. (Garstenauer 2009: 233)
Weiterhin benennt Garstenauer einen »Übergang von einer stark egoistischen zu einer stärker offenen Haltung in den Äußerungen des Lieder-Ichs« (ebd.: 238) und verdeutlicht die soziale Desintegration des lyrischen Ichs auf den früheren Alben mit den folgenden Zeilen: In dem Bett, aus dem ich herkam, liegt es sich immer noch unbequem und einsam ich hab nichts gegen Menschen als solche meine besten Freunde sind welche aber leider lebenslänglich mein Platz an der Seite derer, die randvoll Beischlaf morden (Blumfeld 1992a: »Penismonolog«)
Garstenauer spricht weiter von »latente[r] Aggression« wie auch von »Autodestruktionsphantasien« (2009: 239) – Abwehrstrategien, die eine Zweierbeziehung und jegliche Integration in soziale Zusammenhänge unmöglich machen. Im »Spätwerk«, damit sind die Alben nach »L’Etat et Moi« gemeint, finde sich dann »eine bewusste Hingabe an Zweisamkeit« (ebd.). Als Beispiele nennt Garstenauer Blumfeld-Songs wie »Ein Lied von zwei Menschen« (1999a) und »Wellen der Liebe« (2001), in denen das lyrische Ich Szenarien geglückter Liebesbeziehungen imaginiert, was als »Vorbereitung auf eine familienähnliche Lebenssituation verstanden werden [kann], deren Relevanz für das reife Bewusstsein des Lied-Ichs bereits anhand des Dialogs mit Mutter und Vater in ›Pro Familia‹ angeführt wurde.« (Ebd.) Die sozial integrative Tendenz wird von Garstenauer in noch stärkerem Maße anhand von »In der Wirklichkeit« (Blumfeld 2003) hervorgehoben, dessen Lyrics einer »Warnung an unverbesserliche Eigenbrötler« (Garstenauer 2009: 239) und der Vermittlung einer »veränderten Auffassung von Realität, verstanden als gesellschaftspolitisches Aktionsfeld« (ebd.), gleichkomme:
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Blumfelds Abschied von der Sekundarität
Du hast bis jetzt noch nicht kapiert was um Dich rum geschehen ist daß Deine Welt den Glanz verliert und nichts mehr so wie vorher ist Hast immer nur an Dich gedacht geglaubt, daß Dir so nichts passiert Du hast es Dir bequem gemacht und plötzlich bist Du aufgewacht In der Wirklichkeit (Blumfeld 2003: »In der Wirklichkeit«)
Bei diesen Zeilen handelt es sich um eine rigide, lehrstückartige Forderung nach sozialer Integration und angemessenem Verhalten gegenüber der Wirklichkeit, die auch eine (Selbst-)Verurteilung des Künstler-Individuums impliziert und den kunstfeindlichen Postulaten der in der vorliegenden Studie diskutierten Polit-Rock-Akteure, etwa der Gebrüder Engel in »Sei kein Poet« (vgl. Kapitel I, Abschnitt 2.3), nahe kommt.
Abb. 25: Plattencover »Digital Ist Besser« von Tocotronic.
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Abb. 26: Plattencover »You Are Quite Cool« von Tocotronic.
Der Prozess der sozialen Integration lasse sich, so Garstenauer, auch in der Cover-Gestaltung Blumfelds beobachten. Wo das Cover von »Ich-Maschine« noch »einen vereinzelten Musiker« (Garstenauer 2009: 241) abbilde, der »umstellt von Equipment einen trostlosen, aber auch heroischen Eindruck macht« (ebd.),275 so zeichneten sich die Cover von »L’Etat et Moi« und »Jenseits von Jedem« dadurch aus, dass sich darauf Gemeinschaft konstituiere (vgl. ebd.). Die Tatsache, dass auf dem »L’Etat et Moi«-Cover das soziale Umfeld der Band zu sehen ist und dass sich die Band auf dem Cover von »Jenseits von Jedem« »mitten ins Arbeitsleben« (ebd.) platziert, d. h. in einem Hamburger Büroviertel, signalisiere, dass sich die Band wie auch ihr lyrisches Ich »gerne als Teil der Gesellschaft verstehen und darin auch das hauptsächliche Sinnfindungsangebot sehen« (ebd.) wolle. Diese soziale Integration widerspricht sich nicht mit dem im vorigen Abschnitt postulierten ›privatistischen Turn‹ der Band, wird doch damit die Hinwendung in den Kontext einer Zivilgesellschaft vollzogen. Das neue 275 Tatsächlich handelt es sich um ein Foto von Eike Bohlkens Mutter vor einer Stereoanlage.
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private lyrische Ich sieht sich als Teil eines großen Ganzen, wohingegen es zuvor innerhalb fragmentierter subkultureller Zusammenhänge in Opposition zu dieser Gesellschaft einen radikalen und unbedingten Anspruch auf Abgrenzung und Individualität verfolgte, der eine privatistische Integration nicht zuließ. Die in Blumfelds Werk vollzogene Entwicklung von der Desintegration hin zur sozialen Integration und zum Familienkontext lässt sich als teleologische Struktur ähnlich der eines Bildungsromans betrachten. Ausgehend von Garstenauers Ausführung stünden dabei am Anfang »zuerst fragmentarische und sich selbst zerstörende Ich-Entwürfe als Junggeselle« (ebd.: 242), am Ende des Prozesses dagegen die Darstellung von »männliche[n] Sehnsüchte[n], Identifikationen und Phantasmen idealtypisch angepasster Männlichkeit« (ebd.: 241f.). Garstenauer legt überzeugend dar, dass Blumfeld werkchronologisch »[i]n geraffter Weise […] den an männliche Initiation erinnernden Übergang vom unverbesserlichen Junggesellen zum geläutert-angepassten Mann vom Typus Familienvater bzw. Lebenspartner« (ebd.: 242) reinszenieren. Blumfelds Werk werde damit auch als »spielerisches Durchqueren des historischen Diskursreservoirs von Männlichkeiten« (ebd.) lesbar.
Abb. 27: Musikvideo »Tausend Tränen tief« von Blumfeld.
Auch Richard Kämmerlings bemerkt in einer Rezension in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, dass »ein narrativer Bogen« (2009: 39) Distelmeyers Soloalbum überspanne. Der Song »Murmel« zeige das lyrische Ich als einen in einem »neubürgerlichen Alltag, in Familie und Freundeskreis Ruhenden« (ebd.). Vergleicht man die Persona (oder die Personae) der späteren Blumfeldund Distelmeyer-Alben mit der in Kapitel II, Abschnitt 1.4 untersuchten Persona, so scheint die Sinnsuche der Pop-Persona Blumfelds geglückt zu sein, werden doch werkchronologisch immer weniger Widersprüche thematisiert. Motivisch rückt die Familie als sinnkonstituierender Lebensmittelpunkt des singenden Subjekts in den Vordergrund, Kunst dagegen wird in ihrer Funktion als metaphysische Tätigkeit relativiert – am Ende ist es nur ein Song. Auch in den Inszenierungen der Hamburger-Schule-Musiker lässt sich das
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Motiv des Angekommen-Seins erkennen. Die früheren Wirkstätten der Subkultur wie etwa Übungsräume in Bunkern als »Sicherheitszonen in der Realität« (Blumfeld 1992a: »Ich-Maschine«) oder trashige Tonstudios, wie sie auf den Plattencovern von frühen Tocotronic-Veröffentlichungen zu sehen sind (vgl. Tocotronic 1995b, 1995d, Abb. 25, 26), werden in Richtung glamouröser und stärker institutionalisierter Orte verlassen. So sieht man Dirk von Lowtzow im arte-TV-Format »Durch die Nacht«, wie er sich mit dem Theaterregisseur Ren8 Pollesch in einer BMW-Limousine durch das nächtliche Berlin bewegt,276 dies in ganz ähnlicher bildästhetischer Form wie in Blumfelds Video zu »Tausend Tränen tief«, in dem Jochen Distelmeyer nachts in einer Limousine durch die Stadt fährt, um in einem Hotel auf Helmut Berger zu treffen (Abb. 27). Auch lässt sich eine stärkere Durchmischung von Repräsentanten der Musikszene mit Protagonisten aus Film, Theater und Literatur beobachten: Schorsch Kamerun von den Goldenen Zitronen, der inzwischen selbst als Theaterregisseur arbeitet, tritt 2009 als Gast in Alexander Kluges TV-Kultursendung »News & Stories« auf277 und fungiert neben Dirk von Lowtzow und Dieter Meier (Yello) als Sprecher in einer Hörbuch-Edition von Christian Krachts ersten drei Romanen (vgl. Kracht 2011). Rocko Schamoni, Frank Spilker und Jochen Distelmeyer dagegen betätigen sich selbst als Romanautoren und begeben sich nicht mehr nur auf Rock-Tournee, sondern auch auf Lesereise.
276 Vgl. URL: https://www.youtube.com/watch?v=lM-fL8bu448 [im Zeitabschnitt zwischen 8:54 und 11:00 Min.] (Letzter Zugriff: 30. 05. 2016). 277 Vgl. URL: http://www.youtube.com/watch?v=Q65DSd9qFIM (Letzter Zugriff: 30. 05. 2016).
V.
Ausblick
Nach dem Diskurspop: Von der Reflexion zur neuen Naivität In den Kapiteln II, III und IV wurde Blumfelds Verfahren des Diskurspop nachvollzogen als eine Entwicklung von den ›Reflexionsschleifen‹ der Alben »Ich-Maschine« und »L’Etat et Moi« über den ›Scheitelpunkt‹ »Old Nobody« bis hin zu den Alben der 2000er Jahre »Testament der Angst«, »Jenseits von Jedem« und »Verbotene Früchte«. Stilprägend für die Poetik der Hamburger Schule war dabei das ›sekundaristische‹ Verfahren Blumfelds, verstanden als eine Kombination aus Abstraktion, Polyvalenz, Betonung der Konstrukthaftigkeit, ausgestellter Intertextualität und der Reflexion sowohl der eigenen textuellen Verfasstheit als auch des Produktionskontextes (Deutschland, Popkultur, Kapitalismus). Wo das sekundaristische Verfahren auf »Old Nobody« teilweise schon zugunsten einer neuen Zugänglichkeit aufgegeben wurde, erscheinen die weiteren Alben in einem veränderten Pop-Kontext. Hier assimiliert sich die Band Blumfeld dahingehend, dass sich das oben genannte Verfahren der Sekundarität teilweise noch nachweisen lässt, es aber in der Poetik der Band nicht mehr dominant erscheint. Auch die Rezeption erfolgt nun, wie anhand von verschiedenen Textdokumenten exemplarisch gezeigt wurde, ohne einen differenzierten Rekurs auf subukulturelle und intertextuelle Zusammenhänge. Die Band Blumfeld wird Teil einer neuen Pop-Normalität, die tendenziell ohne Sekundarität auskommt. Die veränderte Gemengelage im deutschen Pop soll im letzten Abschnitt der vorliegenden Untersuchung verdeutlicht werden. Der für das Portal Spiegel Online tätige Musikjournalist Andreas Borcholte spricht in seiner Doppelbesprechung der fast zeitgleich und auf demselben Label erschienenen Alben »Verbotene Früchte« von Blumfeld und »Laut gedacht« von Silbermond von einer »Koalition des Stillstands« (Borcholte 2006: o.S.). Borcholte stellt die provokante These auf, dass es zwischen den beiden Veröffentlichungen einige Gemeinsamkeiten gebe, obwohl die Bands »scheinbar unvereinbar für die Gegenpole deutscher Popmusik« (ebd.) stehen. Handle es sich bei Blumfeld um eine coole, ironische, intellektuelle und aus subkulturellen Zu-
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Ausblick
sammenhängen entstammende Band, sei die Band Silbermond dagegen »jung und naiv« (ebd.). Ähnlich dem von Moritz Schramm in Bezug auf Bands wie Wir sind Helden, MIA., Silbermond und Juli geprägten Begriff »Neue Neue Deutsche Welle« (2010: 162), spricht Borcholte von Wir sind Helden als den »ersten Stars der neuesten deutschen Welle« (2006: o.S.). Bezeichnet wird hier eine Hochphase deutschsprachiger Popmusik, zu deren Vertretern Borcholte MIA., Juli oder Annett Louisan zählt. Bei ihnen handle es sich um Vorzeigekünstler eines neuen deutschen Selbstbewusstseins, weil sie handgemachte – vulgo: ehrliche – Musik vorweisen konnten und dem turbokapitalistischen Erfolgsmodell der Castingstars ein Ende bereiteten. Die neuen Helden waren echte Bands und seriöse Talente, bieder und belanglos in ihren Botschaften, aber dafür dauerhaft auf Tournee, also hart arbeitend für das bisschen Ruhm. Ein tatsächlich sehr kuscheliges und bodenständiges deutsches Gegenmodell zum ungehemmten globalen Spiel der monetären Kräfte. (Ebd.)
Borcholte porträtiert hier eine neue Musikergeneration der »jungen Pragmatiker[ ]« (ebd.). Ihrem Selbstverständnis nach agieren sie eher als Musiker und Instrumentalisten denn als Ironie-, Performance- oder IntertextualitätsKünstler. Mit ihrem Paradigma der ›Ehrlichkeit‹ lösen die Bands der Neuen Neuen Deutschen Welle gerade das Paradigma des Diskurspop ab. Was in den 1980er und 1990er Jahren, u. a. geprägt von Blumfeld mit ihren ›akademisch‹ verfassten und rezipierten ersten beiden Alben, als wichtiges Verfahren galt, ließe sich in Opposion zur ›Ehrlichkeit‹ der neuen Bands als ästhetisches Paradigma der ›Lüge‹ bezeichnen – verstanden als konstrukthaftes und ironisches Spiel mit Identitäten. Dieses Spiel umfasste auch die Problematisierung der Popstar-Figur, die im Rahmen kulturindustrieller Mechanismen reflektiert wurde (vgl. Kapitel I, Abschnitt 5 und Kapitel II, Abschnitt 1.4 der vorliegenden Untersuchung). Bei den neueren Bands Silbermond, Juli und Wir sind Helden wird der Popstar-Status, wenn überhaupt, als Ergebnis harter und kontinuierlicher Arbeit geltend gemacht, weniger durch Faktoren wie Talent, Charisma, Kreativität, ästhetische Innovation und Coolness, wie noch in den 1980er Jahren. Auch der in den 1960er Jahren geprägte rebellische Gestus von Rockmusik verschwindet zugunsten einer ›politisch korrekten‹ Haltung: »Gegen Nazis, gegen Krieg, gegen Magersucht und Klingelton-Terror ist der Frustrationsradar des Quartetts [Silbermond, Anm. T.H.] geeicht« (Borcholte 2006: o.S.). In der Rezeption des Silbermond-Albums »Laut gedacht« ist gar die Rede von einer »neuen Biedermeier-Schule« (ebd.) und von »kleinbürgerliche[r] Harmlosigkeit« (ebd.), in der sowohl der ästhetizistische Hedonismus der 1980er Jahre als auch der rebellische Ausdruck von Protest als popästhetische Spielarten verabschiedet werden. Die
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Koordinaten des neuen Popsystems seien »[p]rotestantische Bescheidenheit« und »Sicherung der Altersvorsorge« (ebd.), womit das Verfahren Silbermonds als das Ergebnis einer ökonomischen Krise markiert wird. Dies korrespondiert mit einem in den Songs häufig thematisierten Bedürfnis nach Sicherheit. Borcholte beobachtet dabei, dass Silbermond und Blumfeld im Zuge einer »Große[n] Koalition« des deutschen Pop »längst nacheinander im Radio gespielt [werden], und keiner stört sich daran« (ebd.). Jochen Distelmeyer habe sich dabei »seit Jahren immer mehr vom intellektuellen Systemkritiker zum naturverbundenen Bänkelsänger« (ebd.) gewandelt. Auch bemerkt Borcholte, es habe sich durch die in vielerlei Hinsicht mit den »Wohlfahrtsausschüssen« vergleichbare anti-nationalistische Intervention »I Can’t Relax in Deutschland« (CD-Veröffentlichung und bundesweite Diskussionsabende, V.A. 2005) »ein Graben zwischen deutschem E- und U-Pop […] gezogen« (ebd.). Demgemäß isoliert sich die Fraktion der intellektuellen Systemkritiker vom ›offiziellen‹ Pop-Geschehen. Der Graben zwischen den Pop-Fraktionen, so suggeriert Borcholtes Artikel, wird aber weder durch unterschiedliche ästhetische Verfahren noch durch anderweitige Platzierungen und Inszenierungen der jeweiligen Produkte wie etwa gemeinsame Plattenfirmen und Sendeplätze erkennbar. Die Tatsache, dass hier tiefgreifende Frontenbildungen ausbleiben und entsprechende Unterschiede nivelliert werden, scheint auch auf die IndependentSzene zuzutreffen. Schorsch Kamerun behauptet in einem Interview mit Max Dax, dass der Begriff »Diskurspop« dadurch zustande kam, dass Bands wie Kolossale Jugend, Blumfeld, Cpt. Kirk & ., Die Sterne, Mutter, F.S.K. und Tocotronic »sich in einem bestimmten politischen Zeitrahmen aufeinander bezogen, also tatsächlich einen inhaltlichen Diskurs begannen« (Dax 2009: 63). Davon, so Dax, sei »heute nicht mehr viel zu spüren, zumindest kommentieren sich Die Goldenen Zitronen und Jochen Distelmeyer auf ihren jeweiligen Platten nicht mehr gegenseitig. Und Ja, Panik als Hinzugekommene mischen sich auch nicht ein in einen Binnendiskurs. Man könnte auch sagen: Jeder tüdelt so vor sich hin.« (Ebd.: 64) Die Pop-Landschaft ist seit Anfang der 2000er Jahre durch einen eklektizistischen Pluralismus geprägt, in dem sich konkrete Strömungen kaum beschreiben lassen. Dabei zeichnen sich noch Anfang der 2010er Jahre gerade die Verfahren der Hamburger Schule durch eine starke Kontinuität aus. Die früheren Bands sind teilweise noch aktiv (Tocotronic, Die Goldenen Zitronen, Die Sterne) oder finden sich nach ihrer Auflösung zur Reunion zusammen (Blumfeld). Daneben wird der Diskurspop-Stil von einer Generation jüngerer Bands, darunter Messer, Trümmer und die schon erwähnten Ja, Panik, aufgegriffen. Bei aller stilistischen Ähnlichkeit bleiben die Verbindungen zwischen diesen Bands, aber auch zwischen den ›Diskurspop-Generationen‹, so scheint es, recht lose und unverbindlich. Eine detaillierte Untersuchung, die sich dem
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Nachweis eines gemeinsamen ästhetischen und politischen Programms widmet, wäre wünschenswert. Auch der Mainstream-Pop ist geprägt von einer Debatte zu einer neuen Beliebigkeit, in der die verschiedenen Pop-Strömungen friedlich koexistieren. 2013 kam es im Feuilleton anlässlich des Heino-Albums »Mit Freundlichen Grüssen« jedoch zu einer Kontroverse. Das Album enthielt ausschließlich Coverversionen von Interpreten wie Die Ärzte, Peter Fox, Sportfreunde Stiller, Rammstein, Clueso, Absolute Beginner, Die Fantastischen Vier, Nena und Marius Müller-Westernhagen. Der mit der konformistischen Schlager- und Volksmusikbranche assoziierte Sänger eignete sich mit entsprechender Schlager-Stilistik die aus dem Blickwinkel seiner früheren Klientel durchaus gegenkulturell markierten popästhetischen Werke an. Die nun folgende Debatte kreiste um den Stellenwert der Ironie in der deutschsprachigen Popmusik. »Seitdem als intellektuell geltende Musiker wie Jochen Distelmeyer unverhohlen Schlagermusik machen«, so der Journalist Jan Wiele in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, »wird ja reflexhaft überall Ironie unterstellt. Dass man mit eingängigen Refrains einfach mehr Platten verkauft als mit Texten wie ›Jeder geschlossene Raum ist ein Sarg‹, wird dabei gern verschwiegen« (2013: 25). Wiele diskutiert daraufhin die Frage, ob man Heino als »Rezeptionsphänomen, das Musikantenstadl-Zuschauer (vermeintlich) in ihm sehen, oder als eine Kunstfigur, die schon mit Ironie spielte, als die Diskurspopper noch in den Windeln lagen« (ebd.) auffassen müsse. Er bemerkt überdies, dass Songs der Band Sportfreunde Stiller oder des Interpreten Peter Fox als »Schnulze[n]« oder »Spießertraum« (ebd.) entlarvt würden: »Vielleicht ist Heinos Ambivalenztoleranz ja viel größer als die der von ihm Adaptierten. An Blumfeld oder Tocotronic hat er sich noch nicht herangewagt, aber […] auch da wartet noch Material auf Kenntlichmachung als das, wovor Dirk von Lowtzow am meisten Angst hat: als Schunkelmusik« (ebd.). Die Gleichsetzung von Ironie und Diskurspop-Verfahren scheint ebenso wenig zutreffend wie der letzte Teil von Wieles Unterstellung. Denn Dirk von Lowtzow hat sich durchaus mit dem Topos »Schunkelmusik« in einem sekundaristischen Modus auseinandergesetzt, etwa in »Bitte oszillieren Sie« (Tocotronic 2010) oder »You’re my mate« (Phantom/Ghost 2009).279 Sekundaristisch verarbeitet stellt der Bereich ›Schunkelmusik‹ gerade kein Tabu für die Vertreter 279 Noch 2010 bringen Tocotronic den Song »Bitte oszillieren Sie« mit dem Programm des Diskurspop in Verbindung. Dirk von Lowtzows Argumentation in einem Interview mit dem Tagesspiegel erinnert an die in Blumfelds »Apropos Tyrannenmord« geäußerte Kritik an Tautologien: Es gehe in »Bitte oszillieren Sie« darum, »sich nicht festlegen zu lassen und im Gegensatz zur Ich-gleich-Ich-Persönlichkeit, also dem, was in einem Spruch wie ›I am what I am‹ suggeriert wird, eine bipolare, ambivalente Ping-Pong-Persönlichkeit auszubilden.« (Müller/Reichert 2010: o.S.).
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des Diskurspop dar, doch dadurch, dass die Sekundarität hier nur fakultativ bleibt und damit relativiert erscheint, erhalten Wieles Mutmaßungen eine gewisse Relevanz. In der Diskussion um Heinos Projekt kommt den ehemaligen Außenseitern Blumfeld und Tocotronic die Rolle der etablierten Bands zu, die als Kritiker nun selbst einer Gefahr der ›Kenntlichmachung‹ ausgesetzt sind, während es Heino bzw. seinen PR-Beratern gelingt, sich als subversive, Regeln verletzende, irritierende und ironische Instanz in Szene zu setzen – dies möglicherweise ohne das Bewusstsein, dass Blumfeld und die Hamburger Schule überhaupt existierten. Heinos Provokation besteht darin, tendenziell ›alternative‹ und dissidente Pop-Entwürfe mit seinem Schlager-Verfahren zu harmonisieren, sodass die entsprechenden Songs, ohne Kontextualisierung, schlicht als markttaugliches kollektives Pop-Material – um das es sich ja tatsächlich auch handelt – instrumentalisiert werden. Innerhalb der beschriebenen Gemengelage entwickelt sich als Reaktion auf die Ironie und Sekundarität der 1980er und 1990er Jahre eine Art neue Eigentlichkeit, die die frühere Überbetonung von Künstlichkeit und Gemachtheit des Diskurspop obsolet erscheinen lässt. Wo Bands wie Juli oder Silbermond mit dem Gestus des Naiven auftreten, reagieren sie auf die Tatsache, dass sich der Diskurspop Blumfelds und anderer durch eine hoch reflektierte »Akzeptanz von Widersprüchen und Paradoxien« (Petersdorff 2008: 125) und ein anti-essentialistisches Verfahren auszeichnete. Die Abgrenzung vom abstrakten und theoretischen Diskurspop der 1990er Jahre erfolgt dahingehend, dass Gefühle weniger verklausuliert werden, stattdessen rücken Motive wie Treue, Wahrheit, Ehrlichkeit und Echtheit in den Vordergrund. Die Wiederkehr des Naiven erscheint Schramm überraschend, denn die Annahme einer vorgängigen, natürlichen und ›unverdorbenen Seele‹, die den gesellschaftlichen Konventionen als unhintergehbare Sinnressource entgegengestellt ist, muss angesichts der Komplexität der Gesellschaft und ihrer Sinnkonstruktionen als unreflektiert und problematisch erscheinen. (2010: 162)
Die Bands der Neuen Neuen Deuschen Welle formulieren ein Programm, das sich für eine selbstbestimmte Identität ausspricht, außerhalb von Konsum- und Mediensphäre. Dagegen wurde im Diskurspop gerade die das Ich konstituierende gesellschaftliche und popkulturelle Bedingtheit akzentuiert. Wenn es in einem Text der Band Juli heißt, »Wir wollen nicht die Besten sein / wir wollen unsere Herzen nicht verlieren / wir wollen nicht am besten sein / und wir werden hier warten / bis nichts passiert« (2007: »Am Besten sein«, transkribiert von T.H.), drückt sich in diesen Lyrics womöglich ein Protest gegen Arbeitsethik, Flexibilisierung und Beschleunigung aus, doch in der Betonung, dass »nichts passiert«, offenbart sich eben auch der erwähnte Stillstand in der Popmusik. Der
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Protest gegen die Mechanismen des flexibilisierten Kapitalismus erhält so eine quietistische Ausrichtung, es findet keine aktive Auseinandersetzung statt. Dagegen wurde im Diskurspop der 1990er Jahre mit dem Versuch, eine ›eigene Sprache‹ zu formulieren, eine ausgesprochen emanzipatorische Poetik formuliert, die mit der fortwährenden Thematisierung ihrer Gemachtheit auch die Möglichkeiten gesellschaftlicher Veränderung in Betracht zog. Angesichts von Bands wie Juli und Silbermond fragt dagegen Schramm, ob deren Verfahren einen »neuen Essentialismus« (2010: 167) beförderten. Der formulierte Anspruch, »ganz ›Mensch zu sein‹« (ebd.), scheint in seiner Naivität hinter den Intellektualismus der Hamburger Schule zurückzufallen, ohne dass darin kritisches Potenzial erkennbar wird. Allerdings nähert sich die Band Blumfeld diesem Verfahren partiell auch an. So bemerkt Diedrich Diederichsen über das Album »Testament der Angst«, auf das frühere Verfahren des Diskurspop anspielend, das Album reiße sich »statt sich gegen Einwände einen schlauen Gegeneinwand vorab zu überlegen […] alle Kleidungsstücke und andere Rüstungen noch weiter auf und bietet dem hämischen Kritikerbiss freiwillig entblößte, heftig pulsierende Adern dar« (Diederichsen 2005: 70). Diederichsen bemerkt weiterhin die »in der ostentativen Ehrlichkeit und Einfachheit« des Albums »mitschwingenden normativen Gebilde«, sodass es den Hörer auffordere, »doch zuzugeben, dass man genau so denke und sich nur nicht traue, sich als einfachen, ängstlichen, verunsicherten Menschen preiszugeben.« (Ebd.) Auch bei Blumfeld wird also, folgt man Diederichsens Argumentation, thematisch ein ›ganzer Mensch‹ imaginiert, wo im Diskurspop der 1990er Jahre Subjektivität als fragmentarische, aber auch offene und polyvalente Größe verhandelt wurde. Schramm warnt in seinem Artikel davor, das Verfahren der Neuen Neuen Deutsche Welle als durchweg unreflektiert und naiv zu beurteilen. Es lasse sich auch als »kulturkritische Inszenierung von Naivität« (Schramm 2010: 170) verstehen und stelle eine Suche nach »neuen Wegen im Anschluss an die Erkenntnis von der Konstruiertheit aller Sinnbestimmungen« (ebd.) nach dem Diskurspop dar. Unter den Verteidigern des sekundaristischen Diskurspop werden dagegen kritische Stimmen laut. So lautet ein Kommentar der Goldenen Zitronen: »Da wurde ordentlich Druck aufgebaut […]. Derweil der Silbermond sucht nach mehr Halt. Nach mehr Sicherheit, etwas das bleibt. Ja, der Silbermond in dieser schnellen Zeit. Sucht Beständigkeit, die beim Alten bleibt« (2009: »Aber der Silbermond«). Der früheren Punk-Band kommt nun die Rolle der reflektierenden Diskurspopper zu. Auf ihrer Homepage wird bemerkt, Silbermonds »jugendliche[r], im Video mit Demo-Bildern ausgestattete[r] Wunsch nach Schutz und Stabilität« komme »unbedarft regressiv« (Achelwilm 2009: o.S.) daher. In der oben angeführten Passage des Goldene-Zitronen-Songs
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werden Passagen aus Silbermonds Song »Irgendwas bleibt« (2009) aufgegriffen, in dem es heißt: Sag mir, dass dieser Ort hier sicher ist, und alles Gute steht hier still und dass das Wort, das du mir heute gibst morgen noch genauso gilt. Diese Welt ist schnell und hat verlernt, beständig zu sein, denn Versuchungen setzten ihre Frist, doch bitte schwöre, dass wenn ich wiederkomme alles noch beim Alten ist Gib mir ein kleines bisschen Sicherheit in einer Welt, in der nichts sicher scheint Gib mir in dieser schnellen Zeit irgendwas, das bleibt. Gib mir einfach nur ein bisschen Halt, und wieg mich einfach nur in Sicherheit Hol mich aus dieser schnellen Zeit, nimm mir ein bisschen Geschwindigkeit. Gib mir was, irgendwas, das bleibt (Silbermond 2009: »Irgendwas bleibt«, transkribiert von T.H.)
Die Goldenen Zitronen kommentieren mit »Aber der Silbermond« direkt den aktuellen popmusikalischen Diskurs und grenzen sich davon ab – eine Reflexion, die etwa auf den späten Blumfeld-Alben ausbleibt. Die emanzipatorische Antwort auf den als regressiv erachteten Stillstand des Silbermond-Programms liefern Die Goldenen Zitronen auf ihrem Album »Die Entstehung der Nacht« mit dem Song »Positionen« (2009) – ein an »L’Etat et Moi« erinnernder optimistischer Protest, der die Überwindung des Stillstands fordert: »Plötzlich neue Positionen. Die Fähigkeit zur Handlung. Und aus reinen Wünschen. Springt überraschend frischer Anspruch. Die allerfeinsten Explosionen. Und überall wächst Wandlung. Einen allerletzten Umtrunk. Ganz kurz vor dem Absprung.« Auch die eigene Kritik wird hier im Blick auf den kulturellen Kontext reflektiert, wird doch darauf hingewiesen, dass die zu artikulierenden »Positionen« in der pluralistischen und schnelllebigen Mediengesellschaft und unter Abwesenheit einer verbindlichen subkulturellen Szene erst einmal wahrgenommen werden müssen: »Jeder kann ein kleiner König sein. Im Sinne des Erfinders. Doch bei der Masse an Juwelen. Bleibt keine Zeit mehr für die Krönung. Fernsehen ist nicht sympathisch. Zeitungen asthmatisch. […] Myspace voll undemokratisch.« (Ebd.) Es deutet vieles darauf hin, dass Die Goldenen Zitronen, die durch ihre Herkunft aus einer dezidierten Punk-Szene nur zögerlich dem Diskurspop zugeordnet wurden, mit der Auflösung von Blumfeld 2007 zunehmend als Ver-
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treter des ›alten‹ Diskurspop-Programms in Erscheinung treten. Auf dem 2013 veröffentlichten Album »Who’s Bad?« werden gar noch einmal die im Diskurspop relevanten Themen emphatisch aufgegriffen: Als mittelständischer Warhol, in meinem Selbstverwaltungsalltag. An Tagen ohne Tageszeit und epochefreien Jahren. Wünsch ich mir ein Riefenstahlbad. Oder ein anderes Erweckungserlebniss [sic]. Oder eine Propaganda der Tat. Oder wenigstens eine Butterfahrt. (Die Goldenen Zitronen 2013: »Ich verblühe«)
Referenzen aus Pop und Nicht-Pop (»Warhol«, »Riefenstahl«), Kritische Theorie (»Fun ist ein Stahlbad«), lokale Markierungen (»Butterfahrt«), Selbstreflexion des Künstler-Subjekts (»Selbstverwaltungs-Alltag«) sowie die Reflexion des kulturellen Kontextes (»epochefreie Jahre«) konstituieren die Rede dieses lyrischen Ichs. Entgegen der Feststellung, im ereignislosen Pop-Pluralismus zu »verblühen«, wird hier in Sachen Diskurspop doch eher emphatisch weitergemacht.
Tonträgerverzeichnis
ABC (1982): The Lexicon of Love, LP: Neutron Records. Advanced Chemistry (1992): Fremd im eigenen Land, 12“-Single: MZEE Records. Die Aeronauten (1995): Gegen Alles, CD: Tom Produkt. Afrob (2001): Made in Germany, CD: Four Music. Die Antwort (1987): Die Antwort, LP: RCA. Art Brut (2005): Bang Bang Rock & Roll, CD: Cargo Records. Art Brut (2007): It’s a bit complicated, CD: Labels/Mute. Bach, Kristina (2004): Leb dein Gefühl, CD: Ariola. BAP (1984): Zwesche Salzjebäck un Bier, LP: EMI. The Beach Boys (1966): Pet Sounds, LP: Capitol Records. The Beatles (1963): with the beatles, LP: Parlophone. The Beatles (1967): Sgt. Pepper’s Lonely Hearts Club Band, LP: Parlophone. Begemann, Bernd (1993): Rezession, Baby!, CD: Rothenburgsort Records. Das Bierbeben (2004): No Future No Past, CD: Shitkatapult. Blanco, Roberto (1972): Ein bißchen Spaß muß sein, 7“-Single: CBS. Blumfeld (1991): Ghettowelt, 7“-Single: ZickZack. Blumfeld (1992a): Ich–Maschine, CD: What’s So Funny About… Blumfeld (1992b): Zeitlupe, 7“-Single: ZickZack. Blumfeld (1992c): Traum:2, 7“-Single: ZickZack. Blumfeld (1994): L’Etat et Moi, CD: Big Cat. Blumfeld (1999a): Old Nobody, CD: Big Cat. Blumfeld (1999b): Status Quo Vadis, 12“-Single: Big Cat. Blumfeld (2001): Testament der Angst, CD: Eastwest. Blumfeld (2002): Die Welt ist schön. Drei Singles 1991/92, CD: ZickZack. Blumfeld (2003): Jenseits von Jedem, CD: WEA. Blumfeld (2006): Verbotene Früchte, CD: Sony BMG. Blumfeld (2007): Nackter als nackt. Live in Berlin, Regie: Harry Rag, DVD: Indigo. Bon Jovi (2004): 100,000,000 Bon Jovi Fans Can’t Be Wrong, CD/DVD [Box-Set]: Island. Bots (1980): Aufstehn, LP: Musikant. Bowie, David (1977): Heroes, LP: RCA Victor. Brothers Keepers (2001): Lightkultur, CD: Downbeat. Bruce & Bongo (1986): Geil, 12“-Single: Rush Records. Brüllen (1997): Schatzitude, CD: Buback.
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Bug, Steve (1999): Double Action. Everything is at Stake, 12“-Single: Poker Flat Recordings. Cash, Johnny (1969): At San Quentin, LP: Columbia. Costello, Elvis (1977a): My Aim is True, LP: Stiff Records. Costello, Elvis & The Attractions (1977b) 50,000,000 Elvis Fans Can’t Be Wrong, LP: Slipped Disc Records [Bootleg]. Costello, Elvis & The Attractions (1979): Armed Forces, LP: Radar Records. Cpt. Kirk & . (1986): stand rotes Madrid, LP: What’s So Funny About… Cpt. Kirk & . (1991): Geldunter!, 7“-Single: What’s So Funny About… Cpt. Kirk & . (1992): Reformhölle, CD: What’s So Funny About… Degenhardt, Franz Josef (1965): Spiel nicht mit den Schmuddelkindern, LP: Polydor. Degenhardt, Franz Josef (1968): Degenhardt Live, LP: Polydor. Degenhardt, Franz Josef (1972): Mutter Mathilde, LP: Polydor. De la Soul (1989): 3 Feet High and Rising, CD: Tommy Boy. Delay, Jan (2001): searching for the jan soul rebels, CD: Buback Tonträger. Deluxe, Samy (2001): Samy Deluxe, CD: EMI. The Dino Martinis (2000): 50,000,000 Santa Fans Can’t Be Wrong, CD: Dino Martinis Productions. Dire Straits (1991): On Every Street, LP: Vertigo. Distelmeyer, Jochen (2009): Heavy, CD: Columbia. Dorau, Andreas [Und die Bruderschaft der kleinen Sorgen] (1988): Demokratie, LP: Ata Tak. Die Doraus und die Marinas (1981): Blumen und Narzissen, LP: Ata Tak. Dyk, Paul van/Peter Heppner (2004): wir sind wir, CD-Single: Urban. EA80 (1983): Vorsicht Schreie, LP: [ohne Label]. Egoexpress (1999): Bieker, LP: Ladomat. Electric Light Orchestra (1977): Out of the Blue, LP: Jet/United Artists. The Exploited (1981): Punks Not Dead, LP: Secret. The Fall (2004): 50,000 Fall Fans Can’t Be Wrong, 39 Golden Greats, CD: Sanctuary. Fehlfarben (1980): Monarchie und Alltag, LP: EMI. Fehlfarben (2005): Sechsundzwanzigeinhalb, CD: V2-Records/Wonder. Fenton, George/Ken Freeman (1980): Handplayed by Robots, LP: KPM Music. Floh de Cologne (1970): Fließbandbabys Beat-Show, LP: Ohr. Flowerpornoes (1993): Mamas Pfirsiche (für schlechte Zeiten), CD: Moll. Foyer des Arts (1982): Von Bullerbü nach Babylon, LP: WEA. Foyer des Arts (1986): Die Unfähigkeit zu frühstücken, LP: Fünfundvierzig. Freiwillige Selbstkontrolle (1980): Herz aus Stein, 7“-Single: ZickZack. Gebrüder Engel (1980): Magengesicht, LP: Musikant. The Geto Boys (1990): The Geto Boys, LP: Def American Recordings. Die Goldenen Zitronen (1991): Punkrock, LP: Vielklang. Die Goldenen Zitronen/Easy Business/IQ (1992): 80.000.000 Hooligans, 12“-Single: SubUp-Records. Die Goldenen Zitronen (1996): economy class, CD: Sub-Up-Records. Die Goldenen Zitronen (1998): dead school hamburg (give me a vollzeitarbeit), CD: Cooking Vinyl. Die Goldenen Zitronen (2006): Lenin, CD: Buback Tonträger. Die Goldenen Zitronen (2009): Die Entstehung der Nacht, CD: Buback Tonträger.
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Die Goldenen Zitronen (2013): Who’s Bad?, CD: Buback Tonträger. Grönemeyer, Herbert (1984): 4630 Bochum, LP: EMI. Grönemeyer, Herbert (2002): Mensch, CD: Grönland Records/EMI. Hallelujah Ding Dong Happy Happy (1992): Mikrokosmos, CD: L’Age D’Or. Thee Headcoats (2000): Punk Rock ist nicht tot, 7“-Single: Friends of the Buff Medway Fanciers Association. Heino (2013): Mit Freundlichen Grüssen, CD: Starwatch Entertainment. Heller, Andr8 (1973): Neue Lieder, LP: Intercord. Hiller, Holger/Thomas Fehlmann (2006[1981]): Wir bauen eine Stadt. 1930 Paul Hindemith. Spiel für Kinder gespielt von Holger Hiller und Thomas Fehlmann, CD: Gargarin Rec [Wiederveröffentlichung; ursprünglich 1981 veröffentlicht als MC auf Ata Tak]. Hiller, Holger/Andreas Dorau (1984): Guten Morgen Hose, 12“-Single: Ata Tak. Hindemith, Paul (1999[1930]): Wir bauen eine Stadt. Rundfunk-Kinderchor Leipzig, Instrumentalgruppe Hans Sandig, CD: Berlin Classics. Huah! (1990): Was machen Huah! jetzt?, LP: L’Age D’Or. Huah! (1992): Scheiß Kapitalismus, LP: L’Age D’Or. Ice-T (1988): Colors, 12“-Single: Sire. Ideal (1981): Der Ernst des Lebens, LP: WEA. Jackson, Michael (1995): HIStory – Past, Present and Future. Book I, CD: Epic. Juli (2007): Ein Neuer Tag, CD: Island Records. Kettcar (2008): Sylt, CD: Grand Hotel Van Cleef. Kolossale Jugend (1989): Heile Heile Boches, LP: L’Age D’Or. Kolossale Jugend (1990): Leopard 2, CD: LP: L’Age D’Or. Kool G. Rap & D.J. Polo (1992): Live and Let Die, LP: Cold Chillin’. Kracht, Christian (2011): Triptychon. Gesamtes Romanwerk in limitierter Hörbuch-Edition, CD: swissandfamous Verlag. Kraus, Peter (1960): Capri-Fischer, 7“-Single: Polydor. Künneke, Evelyn (1961): Ich mache mir ’nen Schlitz ins Kleid, 7“-Single: Bella Musica. Kunze, Heinz Rudolf (1997): Alter Ego, CD: WEA. Die Lassie Singers (1992): SEI f GOGO, LP: Dragnet. Lemmy, Slim Jim & Danny B. (2000): [Rock’n’Roll-Coveralbum des Motörhead-Sängers Lemmy Kilmister], CD: Steamhammer. Madonna (1989): Like a Prayer, LP: Sire. Markus (1982): Kugelblitze und Raketen, LP: CBS. Mastino (1993): Brüder und Schwestern, CD: L’Age D’Or. Mastino (1995): Heimatfront, CD: L’Age D’Or. MIA. (2004): Stille Post, CD: Columbia. Michael, George (1996): Older, CD: Virgin. Milch (1992): Frauenhände, CD: Sub-Up-Records. The Mothers of Invention (1966): Freak Out!, LP: Verve Records. Müller-Westernhagen, Marius (1978): Mit Pfefferminz bin ich Dein Prinz, LP: WEA. Münchener Freiheit (1985): Ohne Dich (schlaf ich heut nacht nicht ein), 7“-Single: CBS. Münchener Freiheit (1988): Fantasie, CD: CBS. My Bloody Valentine (1991): Loveless, LP: Creation Records. Nena (1983): Nena, LP: CBS. Neonbabies (1981): Neonbabies, LP: Good Noise.
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Nirvana (1991): Nevermind, CD: Geffen. Notorious B.I.G. (1994): Ready to Die, CD: Bad Boy Records. Ochs, Phil (1970): Greatest Hits, LP: A& M Records. Opus (1984): Up and Down, LP: Polydor. Ostzonensuppenwürfelmachenkrebs (1990): Für Zuhause, LP: L’Age D’Or. Ostzonensuppenwürfelmachenkrebs (1992): Absolut Nicht Frei, CD: L’Age D’Or. Ostzonensuppenwürfelmachenkrebs (1994): Keinseier, CD: L’Age D’Or. Ostzonensuppenwürfelmachenkrebs (1998): Leichte Teile, Kleiner Rock, CD: L’Age D’Or. Palais Schaumburg (1980): Rote Lichter/Mach mich glücklich wie nie, 7“-Single: ZickZack. Palais Schaumburg (1981): Palais Schaumburg, LP: Phonogram. Peter, Sue & Marc (1976): Cindy, 7“-Single: Philips. Phantom/Ghost (2001a): Phantom/Ghost, CD: Ladomat. Phantom/Ghost (2001b): Perfect Lovers pt. I, 12“-Maxi: Ladomat. Phantom/Ghost (2001c): Perfect Lovers pt. II, 12“-Maxi: Ladomat. Phantom/Ghost (2009): Thrown Out of Drama School, CD: Dial. Prefab Sprout (1997): Andromeda Heights, CD: Kitchenware Records. Presley, Elvis (1959): 50,000,000 Elvis Fans Can’t Be Wrong, LP: RCA Victor. Public Enemy (1988): It Takes a Nation of Millions to Hold Us Back, LP: Def Jam. Public Enemy (1990): Fear of a Black Planet, LP: Def Jam. Queen (1974): Queen II, LP: EMI. Die Radierer (1980): Angriff auf ’s Schlaraffenland, 7“-Single: ZickZack. Radiohead (2003): Hail to the Thief, CD: Parlophone. Reed, Lou (1972): Transformer, LP: RCA. Reim, Matthias (1990): Matthias Reim, CD: Polydor. The Rolling Stones (1971): Sticky Fingers, LP: Rolling Stones Records. Rosenberg, Marianne (1976): Ich bin wie Du, LP: Philips. Rossmy, Tilman (1996): Willkommen Zuhause, CD: L’Age D’Or. Roxy Music (1974): Country Life, LP: Island. Salt ’n’ Pepa (1990): Blacks’ Magic, LP: Next Plateau Records Inc. Schamoni, Rocko (1999): Showtime, CD: Trikont. Schuricke, Rudi (1957): Capri-Fischer/O Mia Bella Napoli, 7“-Single: Polydor. Scorpions (1990): Crazy World, CD: Mercury. Scritti Politti (1982): Songs to Remember, LP: Virgin. Silbermond (2009): Nichts Passiert, CD: Columbia. The Smiths (1985): The Boy with the Thorn in his Side, 12“-Single: Rough Trade. The Smiths (1986a): The Queen is Dead, LP: Rough Trade. The Smiths (1986b): Ask, 12“-Single: Rough Trade. The Smiths (1987): Shoplifters of the World Unite, 12“-Single: Rough Trade. Sonic Youth (1988): Daydream Nation, LP: Enigma. Soulwax (2005): 50,000,000 Soulwax Fans Can’t Be Wrong, CD: Wire Tap Recordings. Stella (2010): Fukui, CD: Snowhite. Die Sterne (1993): Wichtig, CD: L’Age D’Or. Die Sterne (1994): In Echt, CD: L’Age D’Or. Die Sterne (1996): Posen, CD: L’Age D’Or/Epic/Sony. Die Sterne (1997): Von allen Gedanken schätze ich doch am meisten die Interessanten, CD: L’Age D’Or/Epic/Sony.
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Stewart, Rod (1983): Body Wishes, LP: Warner Brothers. Superpunk (2001): Wasser marsch, CD: L’Age D’Or. Superpunk (2008): Das waren Mods, 7“-Single: Tapete. S.Y.P.H. (1980): S.Y.P.H., LP: Pure Freude. S.Y.P.H. (1987): Am Rhein, CD: Ata Tak. Tocotronic (1994): Meine Freundin und ihr Freund, 7“-Single: ROCK-O-TRONIC records. Tocotronic (1995a): Ich möchte Teil einer Jugendbewegung sein, 12“-Maxi: L’Age D’Or. Tocotronic (1995b): Digital Ist Besser, CD: L’Age D’Or. Tocotronic (1995c): Nach der verlorenen Zeit, CD: L’Age D’Or. Tocotronic (1995d): You Are Quite Cool, 7“-Single: L’Age D’Or. Tocotronic (1995e): Freiburg, 7“-Single: Ritchie Records. Tocotronic (1996):Wir Kommen Um Uns Zu Beschweren, CD: L’Age D’Or/Motor Music. Tocotronic (1997): Es ist egal, aber, CD: L’Age D’Or/Motor Music. Tocotronic (1999): K.O.O.K., CD: L’Age D’Or/Motor Music. Tocotronic (2000): Kook Variationen, CD: L’Age D’Or Tocotronic (2010): Schall und Wahn, CD: Vertigo. Tocotronic (2013): Wie wir leben wollen, CD: Vertigo. Tocotronic vs. Console (2000): Freiburg V3.0, 12“-Maxi: L’Age D’Or. Ton Steine Scherben (1971): Warum geht es mir so dreckig?, LP: David Volksmund Produktion. Ton Steine Scherben (1972): Keine Macht für Niemand, LP: David Volksmund Produktion. Trio (1982): Da Da Da Ich lieb dich nicht du liebst mich nicht aha aha aha, 7“-Single: Mercury. V.A. (1980): Soundtracks zum Untergang, LP: Aggressive Rockproduktionen. V.A. (1990): Geräusche für die 90er, CD: What’s So Funny About… V.A. (1992a): Billiger als Turnschuhe, CD: L’Age D’Or. V.A. (1992b): Eine eigene Gesellschaft mit eigener Moral, CD: What’s So Funny About… V.A. (1992c): Kill the Nation with a Groove, CD: Buback. V.A. (1997): Bessere Zeiten klingt gut. L’AGE D’OR KOMPILATION, CD: L’Age D’Or. V.A. (2002): Neue Heimat. Electronic Music Made in Germany, CD: Ministry of Sound. V.A. (2003): Aufnahmezustand. Neue deutsche Vielfalt, CD: ZYX Music. V.A. (2005): I Can’t Relax in Deutschland, CD: unterm durchschnitt. V.A. (2006): All Shook Up: A Reggae Tribute to the King, CD: Trojan. V.A. (2007): Total 8, LP: Kompakt. The Velvet Underground (1970): Loaded, LP: Cotillion. Westernhagen (1989): Halleluja, CD: Warner. The Who (1965): My Generation, LP: Brunswick Records. Young, Neil (1972): Harvest, LP: Reprise. Young, Neil (1995): Mirror Ball, CD: Reprise. Young, Neil & Crazy Horse (1979): Rust Never Sleeps, LP: Reprise. Young, Neil & Crazy Horse (1994): Sleeps with Angels, CD: Reprise. Die Zimmermänner (1984): Goethe, LP: Ata Tak.
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Verzeichnis der Abbildungen
Abb. 1 Abb. 2. Abb. 3. Abb. 4 Abb. 5
Abb. 6 Abb. 7 Abb. 8 Abb. 9, 10 Abb. 11 Abb. 12 Abb. 13
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Musikvideo »Tics« von Blumfeld. T Sony Music Entertainment. Plattencover »Monarchie und Alltag« von Fehlfarben. T Universal Music Group. Abdruck mit freundlicher Genehmigung der Universal Music GmbH. Plattencover »L’Etat et Moi« von Blumfeld. T Blumfeld Tonträger. Plattencover »50,000,000 Elvis Fans Can’t Be Wrong« von Elvis Presley. T Sony Music Entertainment. Plattencover »100,000,000 Bon Jovi Fans Can’t Be Wrong« von Bon Jovi. T Universal Music Group. Abdruck mit freundlicher Genehmigung der Universal Music GmbH. Plattencover »50,000 Fall Fans Can’t Be Wrong« von The Fall. T Sanctuary/ Sony Music Entertainment. Plattencover »All Shook Up (A Reggae Tribute To The King)«. T Trojan Records. Plattencover »Sticky Fingers« von The Rolling Stones. T Universal Music Group. Musikvideo »Was hat dich bloß so ruiniert« von Die Sterne. T Sony Music Entertainment. Plattencover »Guten Morgen Hose« von Holger Hiller und Andreas Dorau. T Pick Up Records. Plattencover »Heavy« von Jochen Distelmeyer. T Sony Music Entertainment. Cover von Texte zur Kunst, Ausgabe 93, März 2014. Design: Christian Doering. Foto: Roe Ethridge, »Louise Blowing a Bubble«, 2011. Abdruck mit freundlicher Genehmigung von Texte zur Kunst Verlag GmbH & Co. KG. Buchcover von »We Gotta Get Out of This Place« von Lawrence Grossberg. T 1992 from We Gotta Get Out of This Place by Lawrence Grossberg. Reproduced by permission of Taylor and Francis Group, LLC, a division of Informa plc. Musikvideo »Wohin mit dem Hass?« von Jochen Distelmeyer. T Sony Music Entertainment. Bandlogo von Public Enemy. T Universal Music Group. Flyer der Veranstaltung »Dialektverstärker« zur Popkomm-Messe 1991. Abdruck mit freundlicher Genehmigung von What’s So Funny About…
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Verzeichnis der Abbildungen
Plattencover »Die Welt ist schön. Drei Singles 1991/1992« von Blumfeld. Abdruck mit freundlicher Genehmigung von ZickZack. Abb. 19 Elizabeth Peyton: Jochen Distelmeyer, 1999, Oil on board, 30,5 x 22,9 cm. T Elizabeth Peyton, 1999. Courtesy the artist and Gladstone Gallery, New York and Brussels. Abb. 20, 21 Plattencover »The Lexicon of Love« von ABC. T Universal Music Group. Abdruck mit freundlicher Genehmigung der Universal Music GmbH. Abb. 22 Plattencover »Old Nobody« von Blumfeld. T Blumfeld Tonträger. Abb. 23 Plattencover »Queen II« von Queen. T Universal Music Group. Abdruck mit freundlicher Genehmigung der Universal Music GmbH. Abb. 24 Plattencover »Older« von George Michael. T Sony Music Entertainment. Abb. 25 Plattencover »Digital Ist Besser« von Tocotronic. Abdruck mit freundlicher Genehmigung von Rock-O-Tronic Records. Abb. 26 Plattencover »You Are Quite Cool« von Tocotronic. Abdruck mit freundlicher Genehmigung von Rock-O-Tronic Records. Abb. 27 Musikvideo »Tausend Tränen tief« von Blumfeld. T Blumfeld Tonträger. Abb. 18
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Apropos Tyrannenmord 1
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Was folgt ist wie ein Überfall Überall geh’n Türen auf Und eine brandneue Überraschung Kommt rein Und füllt den Raum aus. Spaß auf dem Vormarsch Trotz Falten auf der Denkerstirn Spaß auf dem Vormarsch in mein Hirn. Davon mal ganz abgesehen »Komm rein und mach es dir bequem. Du hast meinen Namen vergessen? Macht nichts, nenn mich Opfer.« Weltklassewitz hat leider nichts genützt Die Welt geht auf und eine Nacht kommt rein Voller süßester Versprechungen Selten wirkliche Hoffnungen. Kirche oder Leben Es muß mehr geben als das Auch wenn alles, was uns gehört Ein Wunsch ist, der Krüppelkinder kriegt. Das ist ein Wunsch, der blöde in der Ecke liegt Das wird ein Wunsch, der lügt Spaß ist kein Spaß. O.k., apropos Tyrannenmord, da fällt mir ein Ich will kein Gemütsbulldozer sein Aber wenn alle Spielverderber zusammenstehen Kann Spaßtyrann nach Hause gehen. Wenn alle Schizophrenen zusammenstehen Ham die Tautologen keine Macht mehr über uns
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Du hast deinen Namen vergessen? Macht nichts, nenn dich Opfer. (Blumfeld 1991, wiederveröffentlicht auf Blumfeld 2002, Text: Jochen Distelmeyer)1
Ghettowelt 1
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Ein Lied mehr, das Dich festhält und nicht dahin läßt, wo Du hinwillst weg von hier das wiegt schwer, wie mein neues T-Shirt, auf dem was draufsteht baut eine Mauer um mich herum baut eine Mauer Ein falscher Freund mehr, der nicht locker läßt bis Du einer von ihnen bist und wieder nur alles geordnet ist und wieder nur alles geordnet ist Ein Sohn mehr, den zu lieben leicht fällt was mehr als nur zurückhält, sondern auch glücklich macht, wenn der über Witze lacht, sich seine eigenen Gedanken macht und sagt: »Du lügst oder hast nicht nachgedacht. Ich kenn die Regeln nicht!« Dann bist Du selbst kein Kind mehr und keine Frau bloß Mutter Eine Telefonnummer mehr Du weißt Du brauchst sie sehr irgendwen ganz nah bei Dir und sagst: »Wenn Du leben willst, komm mit mir!« aber eigentlich nur zu Dir Ein Lied mehr ist eine Tür ich frag’ mich bloß wofür
1 Orthographie und Verseinteilung orientieren sich am CD-Booklet von »Die Welt ist schön« (Blumfeld 2002), einer Zusammenstellung früher Blumfeld-Singles. Dies gilt ausdrücklich auch für Zeile 28, die vom gesungenen Text abweicht, in dem es heißt: »Wenn alle Spielverderber zusammenstehen«.
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denn das, was dahinter liegt, scheint keinen Deut besser als das hier (Blumfeld 1992a, Text: Jochen Distelmeyer)
Der Angriff der Gegenwart (auf meine übrige Zeit) 1
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Von so weit weg wie noch nie, fern von zu Haus Schau ich durch’s Schalloch im Gitarrenbauch Aus meinem Resonanzkörper raus Und sehe mich und mich selbst auch Diesmal als Single des Monats Der sich, als wär er immer noch gefangen Nichtschwimmer im Geburtskanal Und die Erinnerung daran ist sogar so real Daß er sich seine Welt ihr entsprechend einrichtet Der sich dichtet und dabei zur Währung formuliert Indem er sexuelle Phantasien komprimiert Und wie ein Markstück auf den Punkt bringt: Das ist der Angriff der Gegenwart Auf meine übrige Zeit. Was der als Markstück auf den Punkt bringt Erlebt er nicht am eigenen Leib Nur an den Leibern derer, die er umbringt Zu denen er als seine Spuren Später jeden Draht verliert Wenn er als Täter auf Popmessen davon singt Daß so ein Leben isoliert Jede und jeden dazu zwingt Die eig’ne Erdung, Ich-Geschichte Für Kapitalinteressen aufzugeben, Die wie alles, was der Fall ist, dichten Sind schließlich Zivilisationsmaschine Nur daß sie Dich dabei vernichten, alle Sinne Die von einer Welt und Dir in ihr berichten In der Du Schulden machst für Geld Mit dem du Dich und Deine Räume Märkte, Werte- und Sozialmilieus Als wär’n’s vergess’ne oder nie geträumte Träume Einrichtest, um selbst leer zu überleben. Ich bin eine MatchboxGeneration Und laß uns bitte nicht von Geld reden. Das ist der Angriff der Gegenwart Auf meine übrige Zeit.
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Von so weit weg wie noch nie, fern von zu Haus Schau ich durch’s Schalloch im Gitarrenbauch Aus meinem Resonanzkörper raus Und seh den Single des Jahres Sich zu Währung formulier’n: Alle Zeit der Welt ist Geld Und ich hab keins und keinen Platz im InterCity, Stadt/statt dazwischen Hör ich den Speisewagenkellner Nach einer halben Stunde zischen: »Darf ich kassier’n?« Ich sagte: »Nee,« und »noch’n Bier!« Nach einer Stunde war’n’s schon vier Und in Hannover war ich dicht und außer mir. Alle Zeit der Welt ist Geld Und ich hab keins und keinen Zeitraum mehr nicht mehr mal meinen. Macht Euch die Erde untertan, heißt, sich beeilen Heißt kriegt sie klein, macht sie zu Geld und blank. Ich denk an keinen Waffenstillstand Keine Atempause mehr, Geschichte wird gemacht (und macht mich krank) Punk. (Blumfeld 1992b, Text: Jochen Distelmeyer)2
Sing Sing 1
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Der Staat im Staat in der ersten Person Selbstanklagen klingen hier nach Restauration einer Haut die ist wie eine Blindenschrift die sich ohne Berührungsängste lesen läßt wie ein Fluchtversuch eines Kriegsberichterstatters, der sich selbst verflucht weil er in Liebeserklärungen Auswege sucht und nichts findet Sing Sing Siehst Du ihn jetzt, wie der sich windet? wie wenn ihr eure Augen verbindet der mit Ausdruck Eindruck schindet Bombenkratergleich weil der reißt Dich richtig auf
2 Orthographie und Verseinteilung orientieren sich am CD-Booklet von Blumfeld (2002).
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Dein Rücken ist dem eine weit’re Tür paß auf Dein Rückgrat auf sagt der und ich stehe hinter Dir das ist Dein Pech der meint gib’s mir Sing Sing Jedes Bild ist wie ein Messer ein Gebrauchsgegenstand und lesen meint hier denken mit anderm Verstand indem man liest und was begreift sich und den andern, sucht und findet (das ist Arbeit) das Gefundene mit-teilt und verbindet (das ist Technik) gemeinsam eine Welt erfindet (vielleicht Liebe)3 und wer das nutzt macht sich verdächtig wird unberechtigt Ladendieb genannt so wird ein Zeichensprecher Schwerverbrecher so wird Gebrauchsgegenstand Mordinstrument4 jedes Bild ist wie ein Messer Sing Sing Plötzlich ist Platzangst bei Dir und Du glaubst ihr wenn sie Dich fragt ob Du wüßtest wo Du hinwillst ist alles was Du weißt, daß Du bloß weg willst weil Du nicht sagen kannst ,daß Du’s nicht wüßtest aber irgendetwas Dir befiehlt ,daß Du das müßtest sagst Du:ich möchte Teil einer Jugendbewegung sein und denkst,daß Du die Angst so überlistest und nicht daran was du von Anfang an vermißtest vielleicht ein Feld für eine Möglichkeit von Dir kann gut sein daß ich mich täusche so ist das jedenfalls bei mir Sing Sing Und die Angst die Du fühlst ist das Geld das Dir fehlt für den Preis den Du zahlst für etwas, das für Dich zählt und Dich sicher sein läßt, daß Du da (wo Du hingehörst) bist. Ware Kunst ist ein Produkt der Phantasie an der dafür vorgesehenen Stelle erhebe ich meine Stimme: das ist soziale Marktwirtschaft langweilig wird sie nie Sing Sing
3 Auf der Audioaufnahme heißt es vom Booklet abweichend »das ist Liebe«. 4 Gesungen wird: »so wird Gebrauchsgegenstand zwingend Mordinstrument«.
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San Quentin i hate every inch of you do you think i’ll be different when you’re through Nein,platzt der Staat aus allen Nähten eine Zerstreuung aus unzähligen Teilchen die wie Splitter eines Spiegels das ganze bewahren und die Mauer in den Köpfen sollte weichen Lucky ohne. für Kontrolle im Problemfeld sollte reichen dafür setzten die Experten neue Zeichen und Akzente: alles Feind Sing Sing Der Staat im Staat in der ersten Person Papi kennst Du den schon Stammheim Babel ich wollte meinen eignen Nabel mir einen Namen machen Namen geben nicht in Staaten nicht in Vollzugsanstalten leben und baute statt/Stadt Staat einen Turm Sohn meiner Eltern und dagegen etwas ging schief Hochstaplerkarriere auf der Lauer der Turm fiel um und wurde Mauer wurde Sprachbarriere ich mache weiter als ob nichts gewesen wäre Sing Sing (Blumfeld 1994, Text: Jochen Distelmeyer)
Tausend Tränen tief 1
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In mir tausend Tränen tief erklingt ein altes Lied es könnte viel bedeuten in den Tag hinein will es bei Dir sein singt für Dich allein von neuen Möglichkeiten Komm zu mir in der Nacht wir halten uns umschlungen bis der Tag erwacht küss mich dann wie zum ersten Mal
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Mit Dir in ein anderes Blau wir teilen einen Traum ein Bild aus anderen Zeiten so wie Du ein Teil von mir bin ich ein Teil von Dir ich kann es spüren wie wir uns berühren5 Komm zu mir in der Nacht wir halten uns umschlungen bis der Tag erwacht küss mich dann wie zum ersten Mal Ein Lied von zwei Menschen wie Liebe sich anfühlt wir fließen im Rhythmus der Sonne entgegen. Alles ist irdisch die Welt liegt im Dunkeln wir schweben im Ganzen die Nacht gehört uns. In mir tausend Tränen tief erklingt ein altes Lied es könnte viel bedeuten (Blumfeld 1999a, Text: Jochen Distelmeyer)
Die Diktatur der Angepassten 1
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Ich seh die Leute in den Straßen die Diktatur der Angepaßten in den Städten und den Dörfern leben sie und ihre Lügen Lügen, Lügen, Lügen Männer, Frauen, Junge, Alte in den Büros und den Fabriken an den Schulen und zu Hause lassen sich für dumm verkaufen kaufen, kaufen, kaufen
5 Zitiert wird hier auf der Grundlage des CD-Booklets, gesungen wird »wenn wir uns berühren«.
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Ihr habt immer nur weggesehen es wird immer so weitergehen gebt endlich auf – es ist vorbei! Im Norden, Süden, Osten, Westen die Diktatur der Angepaßten das Geld vibriert und auf den Genchips diktiert ein freier Markt das Leben Leben, Leben, Leben die Medien helfen ihnen beim Dummsein ein starker Staat hilft ihnen beim stumm sein die Leute wollen unter sich sein und gehen dafür über Leichen Leichen, Leichen, Leichen Ihr habt immer nur weggesehen und es wird immer so weitergehen gebt endlich auf – es ist vorbei! Ihr habt alles falsch gemacht habt Ihr nie drüber nachgedacht? gebt endlich auf – es ist vorbei! Ich seh die Leute in den Straßen die Diktatur der Angepaßten Millionen sind durch sie gestorben sie lassen hungern, foltern, morden morden, morden, morden sie vergiften alle Flüsse die Luft, den Boden und die Meere und tun so als ob nichts wäre ich hab genug von ihren Lügen (Blumfeld 2001, Text: Jochen Distelmeyer)
Anlage
Flugschrift »Etwas Besseres als die Nation«
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Register
ABBA 288 ABC 122, 124f., 268f., 271–275, 292, 304 – »Date Stamp« 273f. – »Tears Are Not Enough« 271 – »The Lexicon of Love« 269, 271–273, 275, 292 – »The Look of Love« 271 Abebe, Nitsuh 156f. Absolute Beginner 128, 250, 354 Abwärts 178 AC/DC 122 Achelwilm, Doris 356 Adam, Holger 253–255 Adorno, Gretel 337 Adorno, Theodor W. 32, 35f., 51f., 99, 101, 103f., 119, 138f., 144, 151, 161–163, 165–169, 179–182, 205f., 210, 228, 230, 337, 339 Advanced Chemistry 190–192, 198, 250 – »Fremd im eigenen Land« 190–192 Die Aeronauten 336 – »Schnee« 336 Die Ärzte 354 Afrob 329 – »Made in Germany« 329 Agitation Free 49 a-ha 206 Albers, Hans 123 Albers, Susan 302 Alter Ego 293 Althusser, Louis 54 Ammon, Ulrich 49 Amon Düül 49
The Animals 48, 183 Die Antwort 246 – »Unten am Hafen« 246 Anz, Thomas 16 Aphex Twin 23 Arndt, Christian 268, 279 Arndt, Jim 67 Art Brut 219 – »Moving to L.A.« 219 – »St. Pauli« 219 A Tribe Called Quest 199 Augsburg, Jörg 275, 302f. Autechre 23 Avantario, Michele 100f. Aztec Camera 282 Bach, Andreas 282 Bach, Kristina 302 Bacharach, Burt 271 Bachmann, Ingeborg 310–316 Bachtin, Michail M. 12, 135, 178 Backes, Volker 9, 101 Backstreet Boys 283 BAP 20, 111, 113f. – »Zwesche Salzjebäck un Bier« 111 Bartels, Gerrit 95, 275, 282, 331, 333 Barth, John 130, 132 Barthes, Roland 122, 140, 142–144, 336 Bartjk, B8la 46 Baßler, Moritz 9, 12, 15, 20, 38, 48, 58, 70, 73, 75, 78, 91, 110, 118, 122, 167, 178f., 244, 246, 289, 326f. Bayer, Felix 27, 116, 282
408 The Beach Boys 287 – »Pet Sounds« 287 Beard, Tyler 67 The Beatles 48, 219, 281, 287, 295 – »Sgt. Pepper’s Lonely Hearts Club Band« 287 – »with the beatles« 295 Becker, Andreas 19 Beethoven, Ludwig van 62 Begemann, Bernd 20, 26, 39, 118, 179, 244, 246 – »Eigentlich wollte ich nicht nach Hannover« 118 – »Rezession, Baby!« 179 Behrendt, Regina 256 Behrens, Roger 15, 18f., 83, 93f., 96, 98– 100, 134, 139, 144, 152, 158, 165f., 209, 227, 233f., 259, 277, 290, 292f., 318 Benthien, Claudia 233 Berger, Helmut 275, 301, 332, 349 Berlin, Irving 146 Bernhard, Thomas 180 Bessing, Joachim 289f. Biadacz, Christian 156 Bielefeldt, Christian 160 Die Bienenjäger 20 Das Bierbeben 141 – »No Future, No Past« 141 Big Cat Records 278 Blair, Tony 24 Blanco, Roberto 139 – »Ein bißchen Spaß muß sein« 139 Blondie 120 Blühdorn, Annette 42, 44f., 49f. Blum, Thomas 12, 118 Blumfeld 11–21, 24, 26, 29–36, 39, 50f., 53f., 57, 64, 67, 77, 83, 87f., 93–95, 100– 105, 107, 110f., 113f., 116, 118, 125, 127f., 132, 135–137, 139–144, 147–156, 158–167, 169–171, 173, 175f., 178–189, 191–193, 195, 197f., 200–202, 204–207, 210–214, 216–221, 224–258, 260–265, 267f., 270f., 274f., 277–284, 287, 290– 295, 297–319, 321–323, 325–349, 351– 357
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– »2 oder 3 Dinge, die ich von Dir weiß« 256, 306, 311, 323 – »Alles macht weiter« 245 – »Anderes Ich« 218, 224 – »Anders als glücklich« 178, 327, 331 – »Apropos Tyrannenmord« 137–140, 142f., 147, 161, 168, 229, 233, 354 – »Aus den Kriegstagebüchern« 104, 142, 171, 201, 217 – »Der Angriff der Gegenwart (auf meine u¨ brige Zeit)« 39, 220–222, 224–226, 229, 231, 237, 241, 310, 344 – »Der Apfelmann« 338–341 – »Der Wind« 344 – »Die Diktatur der Angepassten« 144, 326f., 329 – »Die Welt ist schön« 234f., 304 – »Dosis« 32, 144, 154 – »Draußen auf Kaution« 313, 329 – »Ein Lied von zwei Menschen« 283, 305, 319, 345 – »Eine eigene Geschichte« 34, 53, 127, 248f., 253, 261, 264, 301, 329 – »Eines Tages« 171, 245f., 279, 291, 303, 305, 309–313, 317 – »Eintragung ins Nichts« 314f. – »Ghettowelt« 104, 110, 128, 151, 153– 156, 158–163, 166–171, 173, 175f., 179– 186, 188f., 197f., 207–211, 214, 220, 231f., 234, 236, 239, 241f., 247f., 263f., 280, 283, 297, 335, 343f. – »Graue Wolken« 313, 330–334 – »Ich–Maschine« (Album) 21, 31f., 35, 77, 87, 100f., 104, 128, 142, 151f., 154– 156, 159f., 162f., 165, 169–171, 173, 179, 188f., 194, 198–202, 204–207, 212f., 217, 220f., 228, 231, 233, 237, 246–248, 250, 254, 256, 259, 263, 265, 268, 278, 282, 295, 299–301, 304, 307, 318f., 322, 326, 333–338, 345, 347, 349, 351 – »Ich–Maschine« (Song) 202, 243–245 – »Ich – wie es wirklich war« 29, 263 – »In der Wirklichkeit« 345f. – »Jenseits von Jedem« (Album) 245, 347, 351 – »Jet Set« 35, 139, 235, 254, 258f.
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– »Kleines Lied« 13 – »Kommst Du mit in den Alltag« 305 – »Laß uns nicht von Sex reden« 88, 151, 165, 254, 319 – »L’Etat et Moi« 12, 21, 64, 67, 136, 152, 173, 188, 209, 220f., 228, 231f., 237, 238f., 244–250, 252–260, 264f., 267f., 271, 274, 278f., 295, 299, 301, 304, 306f., 310f., 313, 318f., 321, 323, 329, 333f., 336, 338, 342, 345, 347, 351, 357 – »L’etat et moi (Mein Vorgehen in 4,5 Sätzen)« 29, 143, 250f., 256, 279, 306, 309 – »Mein System kennt keine Grenzen« 94, 305, 343 – »Nichtschwimmer / nachGeburt« 221 – »Old Nobody« (Album) 14, 21, 125, 148, 245, 267–271, 274–284, 287–293, 295, 300–305, 307–310, 313, 316–319, 323, 325, 332, 339, 342f., 351 – »Old Nobody (Song)« 304, 310 – »Penismonolog« 34, 151, 326, 345 – »Pickelface ist back in town« 202 – »Pro Familia« 243, 305, 311, 345 – »Schnee« 335f., 339 – »Sex.Bomben« 202, 217, 255 – »Sing Sing« 51, 53f., 105, 209, 231– 235, 237–239, 242f., 245–247, 252, 263, 274, 307 – »So lang es Liebe gibt« 303, 305 – »So lebe ich« 125, 148, 238, 268, 305, 343 – »Status: Quo Vadis« 305, 307f. – »Superstarfighter« 94, 256, 259f., 262, 274 – »Tausend Tränen tief« 267, 275, 283, 287, 291, 293, 295–306, 308f., 313–317, 333f., 348f. – »Tausend Tränen tief (Loverboy Mix)« 293 – »Testament der Angst« (Album) 314, 324f., 327, 331f., 334, 344, 351, 356 – »Testament der Angst« (Song) 327 – »The Lord of Song« 283, 303, 305 – »Tics« 13f., 175 – »Tiere um uns« 339
409 – »Traum:2« 220f., 234 – »Verbotene Früchte« 12f., 118, 333f., 337–340, 342, 345, 351 – »Verstärker« 158, 238, 263f., 279, 294, 318 – »Viel zu früh und immer wieder ; Liebeslieder« 164, 253, 301, 304, 339 – »Von der Unmöglichkeit ›Nein‹ zu sagen, ohne sich umzubringen« 15, 163, 165, 312 – »Wellen der Liebe« 345 – »Zeitlupe« 220f., 234 – »Zeittotschläger« 32 Boa, Phillip 107 Bohlen, Dieter 302 Bohlken, Eike 10, 33, 181, 256, 267, 347 Bohm, Marquard 333 Bollenbeck, Georg 35 Bon Jovi 65, 67 Bonz, Jochen 77, 81f., 86f., 92, 281f., 293 Boo-Ya T.R.I.B.E. 199 Borchardt, Kirsten 50 Borcholte, Andreas 351–353 Bots 112f. – »Aufstehn« 112f. Bourdieu, Pierre 254 Bowie, David 133, 279 – »V-2 Schneider« 279 Brahms, Johannes 98 Brandt, Willy 264 Braun, Christoph 19 Die Braut haut ins Auge 86 Brecht, Bertolt 131 Brenner, Felix 15 Briegleb, Till 39, 104, 107, 110f., 113, 115 Brinkmann, Rolf Dieter 22, 129, 161, 245, 308–310, 316, 336 Brothers Keepers 329 – »Adriano (letzte Warnung)« 329 Brüger, Myriam 86, 293 Brüllen 5, 95, 113, 178f., 181, 188 – »Chonosen ohne Boss« 178 Bruce & Bongo 139 – »Geil« 139 Bruckmaier, Karl 267, 282, 291f., 317 Buback Tonträger 86
410 Bublitz, Hannelore 55 Büsser, Martin 26, 37, 40, 122f., 125 f., 139, 150, 192–196, 213, 268f., 271, 278 Büttner, Jean-Martin 159, 213 Bug, Steve 294 – »Loverboy« 294 Buhr, Elke 158, 279f., 317 Bunger, Enno 324 BuÇuel, Luis 107 Buschhaus, Markus 174 Buß, Christian 188 Butler, Judith 87f., 194 Buzzcocks 47 Cash, Johnny 54 Childish, Billy 219 Chong, Kevin 90 Chotjewitz, Peter O. 22 Chuck D. 188, 209–212, 216 Clapton, Eric 52 The Clash 37 Clover, Joshua 89f., 128, 167, 185, 200, 205–207, 212f. Clueso 354 Cobain, Kurt 89–91, 149, 194, 210 Cohen, Leonard 127 Concord 86, 97 Console 294 Conter, Claude D. 23 Corbijn, Anton 120 Costello, Elvis 67, 107, 269 Costello, Elvis & The Attractions 107 – »Armed Forces« 107 – »What’s So Funny ’Bout Love, Peace and Understanding« 107 Cpt. Kirk & . 18, 83, 95f., 100–104, 113– 116, 128, 179, 181, 188, 193, 195, 256, 322, 353 – »Reformhölle« 100f., 115 – »Selber Schuld« 96 Crow, Sheryl 330 Curtis, Ian 67 Curtis, Jim 120
Register
DAF 112 Dahmen, Udo 160 Dallach, Christoph 12f., 175 Damkowski, Kai 145 Dath, Dietmar 325f., 332 Dax, Max 221, 353 Degenhardt, Franz Josef 42–44, 48, 127, 211–213, 218, 225–227 – »Der, der meine Lieder singt« 225f. – »Nostalgia« 226 – »Zwischentöne sind bloß Krampf im Klassenkampf« 42 De La Soul 199, 221 – »Me, Myself and I« 221 Delay, Jan 327 Deleuze, Gilles 11, 194, 240, 321f. Deluxe, Samy 206, 327–329 – »Weck mich auf« 327–329 Derrida, Jacques 133, 268, 339 Deutsche Grammophon 124 Devo 120 Diederichsen, Detlef 107, 159 Diederichsen, Diedrich 21–24, 33, 38f., 51, 53, 56f., 61, 75, 103, 108, 110, 119, 122, 129, 131–135, 143, 148, 152–154, 165f., 169f., 176, 196f., 202, 209–211, 213, 216, 218, 220, 253, 257–259, 283f., 288, 318, 335, 342, 356 Diehl, Alexander 145 The Dino Martinis 67 Dinosaur Jr. 156 Dire Straits 244 – »Calling Elvis« 244 Distelmeyer, Jochen 11–14, 17, 20, 26–28, 32–34, 39, 84, 87, 95, 102–105, 117, 127, 148, 154, 165, 170f., 175f., 179–182, 188, 198, 201, 203f., 209, 211f., 218–220, 223, 231f., 238, 242–247, 253f., 259–263, 265, 268–270, 274, 278, 280–282, 292, 294f., 302, 309f., 326, 331, 338, 342–344, 348f., 353f. – »Heavy« 175f. – »Lass uns Liebe sein« 343f. – »Murmel« 343f., 348 – »Wohin mit dem Hass?« 203f., 326f. DJ Koze 293f.
Register
The Doors 91 Dorau, Andreas 82–84, 101f., 105f., 123f., 240 – »Demokratie« 240 Die Doraus und die Marinas 39, 105 – »Fred vom Jupiter« 105 Drechsler, Clara 108f. Drügh, Heinz 167 Duggan, Shaun 238 Dulfer, Candy 332 Duran Duran 206, 292 Durstewitz, Ebba 86 Dyk, Paul van 139 Dylan, Bob 45, 113, 127, 212f., 269, 290, 330 EA80 141 – »Tot sind wir noch lange nicht« 141 Easthope, Anthony 25 Easy Business 128, 189 Echard, William 90 Eckhorst, Kendra 87 Egoexpress 293 – »Weiter« 293 Eichendorff, Joseph von 13f. Eisenvater 181 Electric Light Orchestra 307 – »Mr. Blue Sky« 307 – »Out of the Blue« 307 Engelmann, Jonas 253–255 Enxing, Vridolin 40, 43, 45f., 48 Enzian, Felix Johannes 287 Die Erde 88, 103, 192 Erdmöbel 20 Eric B. & Rakim 209, 212 – »Follow the Leader« 212 – »Paid in Full« 212 Eric IQ Gray 128, 189 Erste Allgemeine Verunsicherung 111 Evans, Mike 281 The Exploited 219 – »Punks Not Dead« 219 Extended Versions 128 Extrabreit 73
411 Fab 5 Freddy 210 The Fall 66f., 178 Die Fantastischen Vier 95, 151, 354 Fast Weltweit 20, 73, 79, 118 Faulstich, Werner 159, 285 Fehlfarben 28–30, 32, 37–40, 50f., 57–59, 62f., 67, 73f., 76, 102, 104, 111, 225, 331 – »angst« 38 – »apokalypse« 38 – »ein jahr (es geht voran)« 38f., 225 – »grauschleier« 38, 76, 331 – »Monarchie und Alltag« 32, 38f., 59, 62f., 67f., 74, 76f. Fehlmann, Thomas 123 Feist, Udo 139 Fenton, George 190 Fischer, Björn 15, 100f. Fischmob 294 Fisher, Mark 149, 210 Fiske, John 121, 240 Fleiss, Heide 86 Flender, Reinhard 288 Fliege, Jens 28, 40, 43f., 48 Floh de Cologne 28, 40, 43–46, 48–50, 55, 61f., 73f., 128, 204 – »Fließbandbaby’s Beat Show« 61 – »Fließbandbaby, manchmal träum ich« 61f. Flohr, Markus 27 Flowerpornoes 95 – »Titelstory gegen ganzseitige Anzeige« 95 Flügel, Roman 293 Foucault, Michel 53–55, 194, 339 Fox, Peter 354 Foyer des Arts 38f., 58, 69–73, 77, 110, 244 – »Ein Elvis-Imitator auf dem Wege zu sich selbst« 244 – »Hubschraubereinsatz« 69–72 – »Trends« 71f. – »Von Bullerbü nach Babylon« 69f., 73 – »Wissenswertes über Erlangen« 70f. – »Wolfram Siebeck hat Recht« 70f. Fräulein Menke 73 Frank, Arno 11, 14–17
412 Freeman, Ken 190 Freiwillige Selbstkontrolle/F.S.K. 23, 110, 353 – »Moderne Welt« 23 Freud, Sigmund 162, 331f. Fried, Erich 139 Friedrich, Malte 213f., 217 Frith, Fred 98 Fröbel, Jakob 97 Fromm, Anne 134 Frumpy 178 Fry, Martin 269, 272 Fuchs, Christian 36 Fuchs-Gamböck, Michael 79, 100, 325 Fünf Freunde 86, 97 Fürst, Sophie 97 Fugazi 255 The Fugs 44–46 Fuhlbrügge, Pascal 9, 94, 100f., 256 Gabriel, Bianca 86, 97, 256 Gaier, Ted 95, 189f., 207 Galenza, Ronald 127, 148 Gang of Four 120, 126, 204f. Garstenauer, Werner 15, 201, 263, 345, 347f. Gaynor, Gloria 269 Gebhardt, Gerd 28 Gebrüder Engel 41, 43, 50, 346 – »Sei kein Poet« 41–43, 346 Germann, Lars 15, 54, 152 Gershenov, Trudi 183 The Geto Boys 199f. – »Mind of a Lunatic« 199 Ginter, Peter 234 Girke, Michael 20, 244 Gladstone, Eric 148, 265 Glawischnig, Dieter 98 Godard, Jean-Luc 14, 255f. Gödden, Walter 15, 20, 73, 78, 100, 151, 279, 332f. Goetz, Rainald 130, 344 Goldt, Max 69f., 110 Goltermann, Charlotte 86, 293
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Die Goldenen Zitronen 20, 26, 34, 83, 94f., 128, 145–147, 162, 189, 193, 201, 256, 323, 340f., 349, 353, 356–358 – »0.30, gleiches Ambiente« 95 – »Aber der Silbermond« 356f. – »dead school hamburg (give me a vollzeitarbeit)« 94 – »Die Entstehung der Nacht« 357 – »Ich verblühe« 358 – »Lied der Stimmungshochhalter« 341 – »Menschen haben keine Ahnung« 201 – »Positionen« 357 – »Punkrock« 219 – »There’s no business like business« 144–147 – »Who’s Bad?« 358 Gorny, Dieter 327 Grabienski, Olaf 10, 296, 305f., 315 Gramsci, Antonio 268 Grant, Cary 76 Green Day 194 Greif, Mark 154 Grether, Kerstin 12, 88, 103, 231, 244, 252f., 258, 265 Gretschmann, Martin 294 Grönemeyer, Herbert 111f., 139 – »Alkohol« 111 – »Männer« 112, 139 – »Mensch« 139 Groß, Thomas 9, 90, 100–108, 116, 124, 128, 275, 282, 295 Grossberg, Lawrence 182–185, 198, 231 Großmann, Rolf 160 Gruben, Tobias 250 Grywatsch, Jochen 15, 20, 73, 78 Guattari, F8lix 321f. Gütersloh, Albert Paris 41 Guevara, Che 174 Guns N’ Roses 289 Guong, Bastian 97 Gurk, Christoph 108, 114, 149f., 163, 221, 231f., 236, 247f., 253, 256f. Guru Guru 49 Habermas, Jürgen Haircut 100 125
35, 99
413
Register
Hallelujah Ding Dong Happy Happy 106 – »Mikrokosmos« 106 Hallet, Wolfgang 17 Hammelehle, Sebastian 113 Hancken, Lena Johanna 97 Harrison, George 330 Harry, Debbie 131, 133 Hartung, Harald 136 The Headcoats 219 – »Punk rock ist nicht tot« 219 Heaven 17 124 Hecken, Thomas 22, 24, 42, 46–48, 75f., 121, 125f., 134, 145f., 157, 195, 269–271, 273f., 288 Hegel, Georg Wilhelm Friedrich 25 Hein, Peter 51, 102 Heine, Heinrich 313f. Heino 354f. – »Mit Freundlichen Grüssen« 354 Heiser, Jörg 128, 163 Helgoland 98 Hellberg, Carsten 80 Heller, Andr8 41 – »Sei Poet (Dem Gedenken von Albert Paris Gütersloh)« 41 Hendrix, Jimi 49, 52, 158 – »The Star-Spangled Banner« 158 Hengst, Bernadette 20, 39, 79, 86f., 89, 91, 97 Heppner, Peter 139 Hermand, Jost 175 Hess, Michael 188 Hillenkamp, Sven 51f., 57, 59 Hiller, Holger 123f. Hilsberg, Alfred 9, 39, 84f., 122 Hindemith, Paul 123, 241 Hinz, Ralf 22f., 124 Hitzler, Ronald 172f., 192 Höbel, Wolfgang 12f., 175 Höhtker, Christoph 256 Hörstmann, Matthias 15, 104, 160, 212, 282 Hole 265 – »Miss World« 265 Holert, Tom 33, 70, 108, 167, 182, 277f., 291, 318
Homann, Andreas 23 Honer, Anne 172f., 192 Honneth, Axel 53 Horkheimer, Max 99, 138f., 144, 167– 169, 206, 230, 337 Horn, Trevor 269 Hornberger, Barbara 15, 25, 28–30, 38– 41, 61, 70, 75, 89, 100, 102, 111, 143 Hrubesch Youth 145 Huah! 18, 26, 37, 114, 179, 181 Huber, Till 10, 20, 26, 58, 75, 123, 129 Hügel, Hans-Otto 13 Hüttmann, Oliver 31 The Human League 125 Hunter, James 157 Ice-T 199 – »Colors« 199 Ideal 38f., 58, 73–75, 77 – »Monotonie« 74f. Ihre Kinder 28, 50 Jackson, Michael 268, 270, 274, 281, 295 – »Stranger in Moscow« 295f. Jacob, Günther 256 Jacobs, Mark 150 Jagger, Mick 122 Ja König Ja 86 The Jam 106, 238 Jameson, Frederic 36f., 130, 148 Ja, Panik 353 Jelinek, Elfriede 255 Jetzmann 103 Jones, Grace 268, 270, 274, 282 Jost, Carsten 293 Joy Division 120, 156 Juli 324f., 342, 352, 355f. – »Am Besten sein« 355 Jungle Brothers 199 Kämmerlings, Richard 15, 175, 348 Kafka, Franz 16, 179, 241, 312, 321f. Kah, Hubert 111 Kaiser, Alfons 67 Kaiser, Rolf-Ulrich 22, 44
414 Kamerun, Schorsch 78, 94, 122, 201, 256, 349, 353 Kampmann, Wolf 198, 275 Kante 27f., 83, 267, 325 Karnik, Olaf 23, 147, 327, 329 Karrer, Wolfgang 260 Karschnia, Alexander 94, 147 Kastrierte Philosophen 128 Kayser, Dietrich 299f. KC and the Sunshine Band 265 – »That’s the way (I like it)« 265 Kemper, Peter 52, 121 Kenny G 332 Kerkeling, Hape 151 Kersten, Peter 293 Kettcar 31, 244 – »Graceland« 244 Killy, Walther 75 Kirchner, Barbara 171, 275, 292, 295, 307 Kirstein, Jonas 15 Kiss 27, 122, 178 Klang Elektronik 293 Klee 31 Klein, Gabriele 213f., 217 Kleiner, Marcus S. 15, 23 Klook, Carsten 26, 39, 136, 211 Klopotek, Felix 290 Klotz, Almut 86, 88 Kluge, Alexander 227–230, 349 Klum, Heidi 67 Klütz, Tim 108–110 Knapp, Gerhard P. 181 Knarf Rellöm Trinity 86 Kneiding, Ulf 100 Koch, Albrecht 43–45, 49, 123 Koether, Jutta 256 Kofman, Sarah 339 Kogon, Eugen 206 Kolossale Jugend 18, 88, 94f., 113, 172, 179, 237, 256, 322, 353 – »Alle Feind« 237 – »Heile Heile Boches« 113 – »Party« 237 Kompakt 293f. Konersmann, Ralf 35 Kool G. Rap & D.J. Polo 200
Register
– »Two to the Head« 200 Koppruch, Nils 39 Kozalla, Stefan 293 Krabbe, Elisabeth 87 Kracht, Christian 172, 196f., 289f., 349 Kraftwerk 279 Krankenhagen, Stefan 13 Kraus, Peter 333 Kreidler 256 Kreknin, Innokentij 9, 344 Kristeva, Julia 12, 135, 194, 240, 257, 332 Künneke, Evelyn 249, 301 – »Ich mache mir ’nen Schlitz ins Kleid« 249, 301 Kuhn, Wiebke Anabess 77–81, 92f., 100f., 105, 152, 196, 198 Kunze, Heinz Rudolf 14, 20, 111, 114, 195f. – »Eine volle Stunde ohne Alkohol« 111 Kupferberg, Tuli 44, 48 Ladomat 86, 293 L’Age D’Or 86, 92, 96, 103, 106f., 113, 178, 192, 256, 293 Lage, Klaus 111 Lange, Elena 81, 86 Lasker-Schüler, Else 315f. Lassie Singers 86, 196 Lauren, Ralph 125, 277f. Lawrence 293 Led Zeppelin 178 Lefebvre, Henri 183 Leich, Christoph 34 Lemmy, Slim & Danny B. 67 Les Robespierres 195 Lessing, Theodor 35 Levin, Tobias 9, 78–82, 84, 94, 100, 115, 188, 198, 256 Lieske, David 293 Ligeti, György 98 Lightning Seeds 282 Lindenberg, Udo 111 Lindt, George 27, 78 Little Richard 268 – »Tutti Frutti« 268 Liwa, Tom 95
Register
Lockhart, Sharon 9, 260 Longerich, Winfried 75 Louisan, Anett 352 Love, Courtney 47 Lowe, Nick 107 Lowtzow, Dirk von 17, 39, 78, 87, 94, 197, 239, 256, 293f., 349, 354 Lubcke, Julia 86, 97 Ludwig XIV. 67, 232 Lützeler, Paul Michael 181 Lützow, Gunnar 19 Luhmann, Niklas 35, 101, 103–105 Lutze, Peter C. 227f., 230f. Maahn, Wolf 111 Madonna 14, 206, 219, 292 – »Like a Prayer« 206 Maffay, Peter 111, 114 Mahler, Gustav 98 Mahnert, Detlev 44 Makatsch, Heike 276 Malcolm X 258 Marcus, Greil 14 Marcuse, Herbert 36 Marek, Christoph 159 Markus 29, 77, 111, 143f. – »Kugelblitze und Raketen« 144 – »Ich will Spaß« 29, 42, 77, 143f. – »Schön sind wir sowieso« 144 Marten, Florian 146 Martens Ren8 105, 108, 116f., 189, 191 Mart&nez, Mat&as 135 Marx, Olaf Dante 160 Mastino 103, 115, 192 Mayer, Michael 294 McCaffery, Larry 130 McCartney, Paul 330 MC Hammer 199 M.D. Blitz 141 – »Schizophrene« 141 Meier, Dieter 349 Meinecke, Thomas 23, 110 Melle, Thomas 12, 264f. Mellmann, Katja 26, 73f., 76f., 80 Menke, Andr8 82, 84 Messer 353
415 Metelmann, Jörg 15, 152, 172f., 187, 198f., 201f., 205, 248–251, 262, 265, 279 The Meters 117 MIA. 31, 139, 325, 352 – »Was es ist« 139 Michael, George 281f., 295–298, 301 – »Jesus to a Child« 282, 295–298 – »Older« 295, 297 Milch 101–106 – »Frauenhände« 101–103, 105 – »Raimund« 102, 104 Mille Plateaux 23 Miller, Edward D. 90 Mills, Sara 152 Mischke, Joachim 101, 180 Mitchell, Tony 48f., 192 MKK 98 Möbus, Frank 189 Möller, Frank 188 Mogwai 193 Mohr, Christina 88 Monroe, Marilyn 76 Monster Magnet 178 Moore, Thurston 157 Moorstedt, Tobias 154 Moritz, Rainer 301 Morley, Paul 271, 274 Morrison, Jim 90 Morrissey 219, 238 The Mothers of Invention 45–47, 287 – »Freak Out!« 286 Motörhead 122 Mühlhaus, Michael 267 Müller, Jan 27, 95, 141 Müller, Kai 354 Müller, Wolfgang G. 25 Müller-Stahl, Armin 228 Müller-Westernhagen, Marius 111–113, 354 – »Halleluja« 113 – »Johnny W.« 111 Münch, Martin B. 189 Münchener Freiheit 151, 303f. – »Fantasie« 303 – »Ohne Dich (schlaf ich heut Nacht nicht ein)« 303
416
Register
– »So lang’ man Träume noch leben kann« 303 Murnau, F.W. 314 Mutter 181, 353 My Bloody Valentine 156–158, 280 – »Loveless« 157f. Mynther, Thies 293 Naidoo, Xavier 283 Nedden, Dietrich zur 77 Nena 68, 354 – »99 Luftballons« 68 Neonbabies 139 – »Spaß muß sein« 139 Nessel, Sabine 15, 331, 336–340, 342 Nettelbeck, Uwe 130 New Order 157 Nickel, Eckhart 289 Nieland, Jörg-Uwe 24 Niermann, Ingo 103 Nirvana 91, 194, 258 – »In Utero« 258 – »Smells like Teen Spirit« 91 Notorious B.I.G. 215–217 – »Juicy« 215f. The Notwist 294 Nusser, Peter 299 f. N.W.A. 199 Obermaier, Uschi 333 Ochs, Phil 67 Ohrt, Roberto 256 Opitz, Sven 247 Opus 139 – »Live is Life« 139 Ostzonensuppenwürfelmachenkrebs 80, 88, 114, 172, 179
18,
Palais Schaumburg 37, 122f., 241, 275 – »Grünes Winkelkanu« 37 – »Madonna« 37 – »Rote Lichter« 123 – »Wir bauen eine neue Stadt« 123, 241 Palmer, Robert 268, 270, 281 Parliament 117
Pasemann, Gerd 69 Pearl Jam 90f. Peinemann, Steve B. 40f., 43–46 Pennay, Mark 48 Peter, Sue & Marc 252 – »Cindy« 252 Peters, Eric 15 Peters, Harald 14, 280, 282f., 295 Peters, Sebastian 15, 38, 113, 160 Petersdorff, Dirk von 15, 338, 355 Petersen, Horst 103, 192 Petras, Ole 15, 35, 37, 78, 94, 115, 155, 166, 229, 247 Pet Shop Boys 282 Peyton, Elisabeth 260f. Pfister, Manfred 130–136, 143, 147, 246, 260 Phair, Liz 193 Phantom/Ghost 293, 354 – »You’re my mate« 354 PiL 120 Pixies 156 Der Plan 39, 60, 111, 123 Playhouse 293 Pollesch, Ren8 349 Polydor 96 Popp, Johann 115 Poschardt, Ulf 19, 210 Postel, Jutta 256 Prefab Sprout 277, 282, 284 – »Andromeda Heights« 277 – »The Fifth Horseman« 277 Presley, Elvis 14, 65, 67, 244, 260, 271 – »50,000,000 Elvis Fans Can’t Be Wrong« 65, 67, 232 Prince 219, 268 Public Enemy 128, 197f., 200f., 203–209, 212–214, 216f., 328 – »911 is a Joke« 208 – »Fear of a Black Planet« 206 – »Louder than a Bomb« 217 – »Terminator X to the Edge of Panic« 205, 216 – »War at 33 1/3« 217
417
Register
Queen 122, 295f. – »Queen II« 295f. Queen Latifah 199 Racine, Jean 140 Die Radierer 68, 72f., 77 – »Angriff auf ’s Schlaraffenland« 68, 72f. Radiohead 154 – »There There« 154 Rag, Harry 17, 64, 263 Rakim 209, 212f. Rammstein 354 Rapp, Tobias 118, 175 Rattay, Andre 33, 125, 181, 277 Rauen, Christoph 289 Rauhe, Hermann 288 Rautenkranz, Carol von 79, 100 Rea, Chris 268, 270 Rech, Ingolf 27, 78 Reckwitz, Andreas 22, 57f. Reed, Lou 290, 332 – »Walk on the Wild Side« 332 Die Regierung 178, 256 Rehfeldt, Martin 174 Reichelt, Moritz 60 Reichert, Kolja 354 Reihse, Andreas 256 Reim, Matthias 164f., 253, 301, 339 – »Ich hab geträumt von Dir« 164 Reimers, Kristin 79, 87, 89, 97 Reinstädt, Felicia 31f., 100 Reisloh, Jens 15 Rellöm, Knarf 39 Reynolds, Simon 9, 108, 120, 126–128, 141f., 157, 163, 199–201, 204, 206f., 238, 269, 271, 273f. Richter, Daniel 17, 256 Riedel, Matthias 188 Riefenstahl, Leni 358 Riesenweber, Christina 15, 20, 73, 78 Riha, Karl 42f. Rilke, Rainer Maria 14 Robb, David 23 Rodenberg, Hans-Peter 22 The Rolling Stones 45, 48, 71f., 113, 238
– »Sticky Fingers« 71f. Rose, Pinky 31 Rosenberg, Marianne 301 Rosenstolz 325 Rossa, Svenja 256 Rossmy, Tilmann 178f., 256 – »Bodycount T-Shirt« 178 Roth, Claudia 112 Roxy Music 122, 278, 307 – »Out Of The Blue« 307 Rüdenauer, Ulrich 212 Ruff, Michael 108, 114f., 155, 160 Rulin Sound 128 Rumpf, Wolfgang 90f. Rytz, Juliane 77, 81 Salten, Felix 264 Salt ’n’ Pepa 88, 165 – »Let’s talk about Sex« 88, 165 Salzinger, Helmut 22 Sanborn, David 332 Sanders, Ed 44 Savage, Jon 121, 219 Schäfer, Jörgen 129 Schamoni, Rocko 39, 78, 82–85, 94, 96, 103, 256, 349 – »Loveschool Hamburg« 96 – »Showtime« 96 Schatz, Thorsten 79, 100, 325 Schaufler, Aksel 293 Schlieckau, Frauke 116, 136, 153 Schlösser, Christian 15, 100, 136, 151, 153, 169, 174 Schmidt-Joos, Siegfried 198, 275, 281, 285 Schneider, Florian 279 Schneider, Frank Apunkt 25–28, 51–53, 55, 57, 111–114, 120, 123, 178, 232, 321– 326 Schneider, Helge 82 Schnittke, Alfred 98 Schönburg, Alexander von 289f. School of Zuversicht 86 Schöpp, Joseph C. 132 Schramm, Moritz 329, 342, 352, 355f. Schreuf, Kristof 78, 95, 178, 188
418 Schröder, Gerhard 24, 328 Schubert, Franz 337, 339 Schuch, Christoph 34 Schütt, Peter 226 Schütte, Uwe 210 Schulte, Anne 256 Schulte, Katha 86, 88, 92f., 97, 148, 256 Schulze, Holger 219 Schumacher, Eckhard 9, 15f., 20, 129, 276 Schuricke, Rudi 333 Schwabe, Oliver 78 Schwebel, Thomas 9, 64 Schwendter, Rolf 44, 78, 218 Schweppenhäuser, Gerhard 181, 330–332 Scorpions 260, 262 – »Wind of Change« 206, 262 Scritti Politti 124, 126, 268f., 275, 277, 282, 284, 304, 318 – »Faithless« 277 – »Jacques Derrida« 268 – »Songs to Remember« 125, 268, 275 The Sea and Cake 193 Seiler, Sascha 13, 15, 22, 32, 100, 113, 164, 171, 180, 245, 250, 252, 303, 310–312, 316 Selig 82–84, 95 Sendzik, Lisa 87, 89, 97 Sex Pistols 238 Shuker, Roy 49 Siegel, Ralph Maria 333 Silbermond 324f., 342, 351–353, 355–357 – »Irgendwas bleibt« 357 Sina, Kai 35, 37 Skai, Hollow 25, 28, 39, 100 Skilandat, Volker 15, 104, 160, 212, 282 Sleater Kinney 122, 193 Slime 178, 255 – »Yankees raus« 255 Sly And The Family Stone 117 Smith, Mark E. 178 Smith, Patti 88, 179, 265 – »Dancing Barefoot« 265 The Smiths 219, 237f. – »Ask« 238 – »Shoplifters of the World Unite« 237f.
Register
– »The Boy with the Thorn in His Side« 238 – »There Is a Light That Never Goes Out« 237 Solty, Ingar 162 Sonic Youth 156–158, 280f. – »Daydream Nation« 156f. – »Teen Age Riot« 156 Sontag, Susan 14, 38 Sony 95 Soulwax 67 Spandau Ballet 292 Spengler, Oswald 35 Spice Girls 283 Spilker, Frank 9, 17, 20, 26–28, 39, 78f., 93–95, 102, 116f., 191f., 256, 349 Sportfreunde Stiller 31, 322, 325, 354 Springer, Johannes 77, 81, 86, 88, 92f., 97 Springsteen, Bruce 113 Stafenk, Katja 87f. Stark, Jürgen 28 Station 17 128 Steeger, Ingrid 249 Steinfeld, Thomas 159 Stella 81, 86, 122, 141 – »Fukui« 81 Stereolab 195 Die Sterne 11, 17–20, 24, 26, 30, 34, 50, 78, 83, 88, 93, 94–97, 107, 115–117, 128f., 132, 135, 148, 150, 179, 191f., 207, 229, 256, 353 – »Baustoffhandel, 1. Stock« 179 – »Posen« 229 – »Scheiß auf deutsche Texte« 26, 95 – »Swinging Safari« 148 – »Trrrmmer« 149 – »Was hat dich bloß so ruiniert« 95–97, 148 Stewart, Rod 67 Stierle, Karlheinz 135 Stravinsky, Igor 46 Streeck, Jürgen 209 Strehl, Ronald 116 Strong, Catherine 89 Strong, Martin C. 275 Stuckrad-Barre, Benjamin von 289
419
Register
Stürmer, Harry 44 SubUp 221 Süverkrüp, Dieter 44, 218 Sundermeier, Jörg 267, 274, 282 Superpitcher 293 Superpunk 115, 141, 329f. – »Auf ein Wort Herr Fabrikant« 329 – »Bleib deinen Freunden treu« 330 – »Diese Welt ist nicht für mich gemacht« 329 – »Lehn dich an mich« 329 – »Man kann einen ehrlichen Mann nicht auf seine Knie zwingen« 330 – »Neue Zähne für meinen Bruder und mich« 330 – »Wasser marsch!« 329 Susman, Margarete 25 S.Y.P.H. 60–63, 73, 113, 225 – »Die Matchbox-Generation« 225 – »Industrie-Mädchen« 59f., 62f. – »Lachleute & Nettmenschen« 63, 73 – »Zurück zum Beton« 59f., 63, 68 Szepanski, Achim 23 Talking Heads 98, 120 Taylor, Cecil 52 Team Dresch 178 Teipel, Jürgen 55–57, 61, 64, 78 Tele 31 Terkessidis, Mark 167, 182, 291, 333 TGV 86 Theweleit, Klaus 14, 32, 139 Thielsch, Walter 123 Thiessen, Peter 27f., 267 Think About Mutation 128 Thomas, Tobias 220, 282, 293f. Thome, Rudolf 333 Thorn EMI 238, 279 Tocotronic 11, 15, 17f., 24, 26f., 29, 37, 83, 87–89, 91, 93–95, 107, 116, 141, 149f., 178–180, 214, 220, 239, 256, 277, 293f., 323, 346f., 349, 353–355 – »Bitte oszillieren Sie« 354 – »Die Idee ist gut, doch die Welt noch nicht bereit« 179
– »Die Sache mit der Team Dresch Platte« 178 – »Digital Ist Besser« (Album) 346 – »Digital ist besser« (Song) 29 – »Du und Deine Welt« 179 – »Es ist egal, aber« 277 – »Es Ist Einfach Rockmusik« 178 – »Exil« 214 – »Freiburg V3.0« 294 – »Hamburg rockt« 179 – »Ich Bin Neu In Der Hamburger Schule« 94, 180 – »Ich habe geträumt, ich wäre Pizza essen mit Mark E. Smith« 178 – »Ich möchte Teil einer Jugendbewegung sein« 29, 149f., 239 – »Jetzt geht wieder alles von vorne los« 220 – »K.O.O.K.« 180 – »Kook Variationen« 294 – »Let there be Rock« 116 – »Nach der verlorenen Zeit« 220 – »Wir Kommen Um Uns Zu Beschweren« 220 – »Wir sind hier nicht in Seattle, Dirk« 88f., 91 Tomte 31, 93, 322, 324 Ton Steine Scherben 28, 32–34, 40f., 44, 50, 52, 55, 73f., 104, 111f., 114, 148, 195, 204, 260 – »Macht kaputt, was euch kaputt macht« 32–34, 260 – »Komm schlaf bei mir« 32f. Tortoise 193, 195 Die Toten Hosen 95, 141, 189f., 201 Townshend, Pete 280 Trio 38f., 58, 73 – »Da da da« 38 Trümmer 353 Tsakiridis, Vagelis 22 Twickel, Christoph 78 Uhlmann, Thees 93f., 113 UKW 73 Ullmaier, Jonannes 46f., 52, 196f. Unfried, Peter 31
420
Register
V2 Records 278f. VarHse, Edgar 46 Vedder, Eddie 91 The Velvet Underground 251f. – »Rock & Roll« 251 Verlan, Sascha 210 Vidakovicz, Ralf 256 Virgin 278f. Virginia Jetzt! 31, 324 Vits, Astrid 93 Vormweg, Heinrich 226 Vulliamy, Graham 285–288
Wiesengrund, Maria 337 Wilander, Arne 31 Winkler, Gerhard 333 Winkler, Thomas 114, 159 Wire 120 Wir sind Helden 31, 322, 325, 342, 352 Wolke 324 Wondratscheck, Wolf 22 Wrobel, Dieter 26, 123 Wübben, Josy 67 Wuermeling, Henric L. 46 Wuttke, Jörn Elling 293
Wachtlin, Martina 87f. Wackwitz, Stephan 19, 58 Waechter, Johannes 267, 278, 280, 282, 284 Waechtler, Erik 232, 287 Wagner, Nele 81, 87 Wagner, Peter 123f., 276 Walinski, Bonnie 97 Walter, Klaus 158 Warhol, Andy 71, 358 Warp 23 Wedler, Patricia 86 Weingart, Brigitte 129f. Weissmann, Dirk 15, 32, 100, 136, 299– 302, 314, 316f. Weller, Paul 106 Wenzel, Thomas 20 What’s So Funny About 92, 95f., 107, 115, 163, 221 The Who 112, 158, 238, 280 – »My Generation« 112 Wicke, Peter 332 Wiele, Jan 20, 354f. Wierke, Frank 78
The Yardbirds 49 Yello 349 Young, Angus 122 Young, Neil 90, 290, 307 – »Mirror Ball« 90 – »The Needle and the Damage Done« 90 Young, Neil & Crazy Horse 90 – »My My, Hey Hey (Out of the Blue)« 90, 307 – »Sleeps with Angels« 90 Zabel, Sebastian 32f., 105, 108, 170, 181, 213, 253 Zappa, Frank 44–48, 287 ZickZack 122 Ziegenrücker, Kai-Erik 332 Ziegenrücker, Wieland 332 Zima, Peter V. 257 Zimbo 98 Die Zimmermänner 122f., 275 – »Goethe« 123 Zinker, H.P. 178