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German Pages 560 Year 2021
Schriften zum Völkerrecht Band 249
Umweltschutz durch humanitäres Völkerrecht im nichtinternationalen bewaffneten Konflikt Von
Sophia Henrich
Duncker & Humblot · Berlin
SOPHIA HENRICH
Umweltschutz durch humanitäres Völkerrecht im nichtinternationalen bewaffneten Konflikt
Schriften zum Völkerrecht Band 249
Umweltschutz durch humanitäres Völkerrecht im nichtinternationalen bewaffneten Konflikt Von
Sophia Henrich
Duncker & Humblot · Berlin
Die Fakultät für Staats- und Sozialwissenschaften der Universität der Bundeswehr München hat diese Arbeit im Jahre 2020 als Dissertation angenommen.
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
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© 2021 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Satz: Klaus-Dieter Voigt, Berlin Druck: CPI buchbücher.de gmbh, Birkach Printed in Germany ISSN 0582-0251 ISBN 978-3-428-18304-3 (Print) ISBN 978-3-428-58304-1 (E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706
Internet: http://www.duncker-humblot.de
Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde 2020 von der Fakultät für Staats- und Sozialwissenschaften der Universität der Bundeswehr München als rechtswissenschaftliche Dissertation angenommen. Für die Druckfassung konnte Literatur bis Sommer 2020 berücksichtigt werden. Danken möchte ich zunächst meinem Doktorvater Herrn Professor Dr. DanielErasmus Khan, der mir ermöglicht hat, am Institut für Öffentliches Recht und Völkerrecht der UniBw unter seiner Betreuung diese Arbeit zu verfassen, und dessen Rat, ein Forschungsthema zu wählen, das nicht nur Arbeit, sondern auch Freude bringen könnte, bis heute auf mich wirkt. Lieber Daniel, ich danke Dir insbesondere auch für viele schöne Jahre als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut und für exzellente Forschungsbedingungen, die es mir unter anderem ermöglichten, Teile der Arbeit am Lauterpacht Centre for International Law in Cambridge sowie an der Université Laval in Québec zu verfassen. Mein Dank gilt gleichermaßen Herrn Professor Dr. Christian Walter für die schnelle Erstellung des Zweitgutachtens, vor allem aber auch für weitere wundervolle Jahre, die ich als wissenschaftliche Mitarbeiterin an seinem Lehrstuhl für Völkerrecht und Öffentliches Recht der Ludwig-Maximilians-Universität München verbringen durfte. Ich blicke auf eine erfüllende und glückliche Zeit zurück und freue mich schon jetzt auf die nächste Weihnachtsfeier des AlumniVereins. Nicht zuletzt gilt mein Dank Frau Professorin Dr. Kristin Bartenstein, die mir einen Forschungsaufenthalt an der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Université Laval in Québec und einen einmaligen Sommer an der Ostküste ermöglichte. Ich danke ebenso von Herzen meinen Arbeits- und ForschungskollegInnen, meinen Freunden, meiner Family, meiner Bubble und dem Squad. Danke für die Hilfe, die Geduld, das Zuhören, das Lesen und die Akzeptanz. Meinen Eltern danke ich für all die Jahre der Förderung und die unendlich vielen Möglichkeiten, die sie mir eröffnet haben. Cynthie verdanke ich alles. München, im März 2021
Sophia Henrich
Inhaltsübersicht Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
21
§ 1 Ausgangspunkte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
21
§ 2 Der Untersuchungsgegenstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
25
1. Teil Umwelt – Konflikt – Recht
31
§ 1 Umwelt – ein Definitionsversuch im Kontext bewaffneter Konflikte . . . . . . A. Die natürliche, die beeinflusste und die erzeugte Umwelt . . . . . . . . . . . . . . . B. Bestandteile . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
31 34 37 44
§ 2 Der nichtinternationale bewaffnete Konflikt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A. Abgrenzung zu innerstaatlichen Tumulten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Abgrenzung zu internationalen bewaffneten Konflikten . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
45 45 53 72
§ 3 Das humanitäre Völkerrecht nichtinternationaler bewaffneter Konflikte . . A. Vertragsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Gewohnheitsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Bindung der Konfliktparteien an humanitäres Vertrags- und Gewohnheitsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . D. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
73 75 78 88 98
2. Teil Das geltende Recht und seine Wirkung zum Erhalt der Umwelt
100
§ 1 Humanitärer Umweltschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100 § 2 Umweltschützendes Vertragsrecht nichtinternationaler Konflikte . . . . . . . . A. Direkter Schutz der Umwelt – eine Lücke im Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Umwelterhaltung durch den Schutz von Umweltfunktionen . . . . . . . . . . . . . C. Regelung umweltgefährdender Mittel und Methoden der Kriegsführung . . D. Abschlussgedanken zu dem durch Vertragsrecht bewirkten Umweltschutz . .
105 105 113 202 260
8
Inhaltsübersicht
§ 3 Umweltschutz durch autonomes Gewohnheitsrecht nichtinternationaler Konflikte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A. Kategorie 1: Übernahme humanitären Vertragsrechts internationaler Konflikte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Kategorie 2: Neuinterpretation der Grundprinzipien humanitären Völkerrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Kategorie 3: originäres Gewohnheitsrecht zum Schutz der Umwelt . . . . . . . D. Deus ex Machina Martens’sche Klausel? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . E. Abschlussgedanken: Gewohnheitsrecht als Vermittler humanitärrechtlichen Umweltschutzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
264 266 281 367 404 429
§ 4 Ergebnis: Schutzumfang und Defizite . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 432 3. Teil Zukunftsstrategien für den Schutz der Umwelt durch humanitäres Völkerrecht
439
§ 1 Strategie der Normentwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 440 A. Konventionelle Normentwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 440 B. Normklärung und Normverstärkung durch nichtstaatliche Organisationen, Gremien und Gerichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 442 § 2 Strategie der Harmonisierung von Friedens- und Kriegsrecht . . . . . . . . . . . . A. Fortgeltung des Friedensumweltrechts während nichtinternationaler Konflikte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Verhältnis zu den Regeln humanitären Völkerrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
452 455 461 478
§ 3 Strategie der Beteiligung im Einzelfall . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A. Unilaterale Verpflichtungserklärungen und ad hoc-Vereinbarungen . . . . . . . B. Umweltschutz durch Einzelfallvereinbarungen – Erfolgsaussichten . . . . . . . C. Hindernisse, rechtliche Wirkung und Folgeprobleme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . D. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
481 482 486 491 494
§ 4 Schlussbemerkungen zu den Strategien zukünftiger Schutzverstärkung . . . 497 Abschluss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 499 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 500 Verzeichnis ausgewählter Dokumente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 540 Judikaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 553 Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 558
Inhaltsverzeichnis Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
21
§ 1 Ausgangspunkte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
21
§ 2 Der Untersuchungsgegenstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
25
1. Teil Umwelt – Konflikt – Recht
31
§ 1 Umwelt – ein Definitionsversuch im Kontext bewaffneter Konflikte . . . . . . A. Die natürliche, die beeinflusste und die erzeugte Umwelt . . . . . . . . . . . . . . . B. Bestandteile . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Biotische und abiotische Faktoren und ihre wechselseitigen Beziehungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Landschaftsmerkmale . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Kulturell oder spirituell bedeutende Naturgüter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
31 34 37
§ 2 Der nichtinternationale bewaffnete Konflikt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A. Abgrenzung zu innerstaatlichen Tumulten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Die Definition des Art. 3 GA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Die qualifizierte Definition des Art. 1 ZP II . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Abgrenzung zu internationalen bewaffneten Konflikten . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Nationale Befreiungskriege als privilegierte Konfliktform – Art. 1 (4) ZP I . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. „Moderne“ Konfliktformen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Internationalisierung durch Staatenintervention . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Transnationale bewaffnete Konflikte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
45 45 47 52 53
§ 3 Das humanitäre Völkerrecht nichtinternationaler bewaffneter Konflikte . . A. Vertragsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Gewohnheitsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Überzeugung und Praxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Ermittlungsansätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Erkenntnisquellen humanitären Gewohnheitsrechts zum Schutz der Umwelt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
73 75 78 79 82
37 41 42 44
53 59 61 67 72
86
10
Inhaltsverzeichnis C. Bindung der Konfliktparteien an humanitäres Vertrags- und Gewohnheitsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Vertragsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Gewohnheitsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . D. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
88 89 94 98
2. Teil Das geltende Recht und seine Wirkung zum Erhalt der Umwelt
100
§ 1 Humanitärer Umweltschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100 § 2 Umweltschützendes Vertragsrecht nichtinternationaler Konflikte . . . . . . . . A. Direkter Schutz der Umwelt – eine Lücke im Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Regelungsdiskrepanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Gefährdungsgleichlauf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Umwelterhaltung durch den Schutz von Umweltfunktionen . . . . . . . . . . . . . . I. Die Umwelt als Lebensgrundlage des Menschen: Art. 14 ZP II . . . . . . . 1. Tatsächliche Gefährdung und ethische Begründungsgrundlage . . . . . 2. Vertraglicher Schutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Lebensgrundlage einer Bevölkerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Intention des Aushungerns . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Gewohnheitsrechtliche Verankerung und Weiterentwicklung . . . . aa) Unerheblichkeit der Handlungsintention . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Wirtschaftlich genutzte Umweltressourcen als Lebensgrundlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Bewertung und Ansätze der Schutzverstärkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Die Umwelt als Eigentum: Das Plünderungsverbot des Art. 4 (2) (g) ZP II . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Ausbeutung natürlicher Ressourcen: Plünderungen in neuzeitlichen Konflikten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Herleitung und Schutzfunktion des Plünderungsverbots . . . . . . . . . . . 3. Plünderung der natürlichen Umwelt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Ausbeutung natürlicher Ressourcen im Konfliktkontext . . . . . . . . b) Eigentumszuordnung an natürlichen Ressourcen und ihre Folgen 4. Bewertung und zukünftige Regelungsmöglichkeiten . . . . . . . . . . . . . . III. Umwelt als Zeugnis von Wissen, Glauben und menschlicher Ästhetik . . 1. Ethische Schutzbegründungen und ihre heutige Anerkennung . . . . . . 2. Die Umwelt als kulturell oder spirituell bedeutendes Gut . . . . . . . . . . a) Die Umwelt als Kulturstätte des Haager Kulturgüterschutzregimes aa) Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Natürliche Kulturgüter als erfasste Objekte . . . . . . . . . . . . . . .
105 105 106 109 113 114 114 117 118 121 125 125 130 131 134 134 137 141 141 143 147 150 150 154 155 155 156
Inhaltsverzeichnis
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(1) Naturstätten von großer Schönheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Natürliche Kulturstätten als Kulturgut der HK 1954 . . . . (a) Die Kulturgüterdefinition der HK 1954 . . . . . . . . . . . (b) Kulturerbe der Völker . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Schutzumfang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Verpflichtungsadressaten und Anwendungsfälle . . . . . . . (2) Zentrale Schutznormen und ihre Wirkung zugunsten der Umwelt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die Umwelt als spirituelle oder religiöse Kultstätte: Art. 16 ZP II aa) Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Anwendbarkeit zum Schutz der natürlichen Umwelt . . . . . . . (1) Natürliche Kultstätten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Zugehörigkeit zum kulturellen oder geistigen Erbe der Völker . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Schutzumfang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Grundsatz absoluten Schutzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Derogationsmöglichkeit durch Verweis auf die HK 1954 (3) Systemwidrigkeit und Grenzen des Verweises . . . . . . . . . dd) Zwischenbewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Gewohnheitsrechtlicher Schutz natürlicher Kulturgüter und Kultstätten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Natürliche Kulturgüter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Natürliche Kultstätten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Jenseits des Rechts: Umwelt als Gegenstand der Ästhetik, Heimat und Erholung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Schutzbedürftigkeit ökologisch und ästhetisch bedeutsamer Regionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Bisherige Regelungsversuche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Gescheiterte Bemühungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Der jüngste Vorschlag der ILC . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Bewertung zum Schutz der Umwelt aufgrund ihrer kulturellen, spirituellen und ästhetischen Funktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Fazit zum Schutz der Umwelt durch die Bewahrung ihrer Funktionen . . C. Regelung umweltgefährdender Mittel und Methoden der Kriegsführung . . I. Verbote der Nutzung oder Freisetzung gefährlicher Kräfte . . . . . . . . . . . 1. Das Verbot der Manipulation der Umwelt: Die ENMOD-Konvention von 1976 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Hintergrund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Umweltmanipulationen als Methode der Kriegsführung . . . . . . . . aa) Umweltmodifizierende Maßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
156 159 159 163 165 165 167 171 171 171 172 172 174 179 179 180 181 183 184 184 189 190 190 191 191 193 197 201 202 202 205 205 207 208
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Inhaltsverzeichnis bb) Weitreichende, langanhaltende oder schwere Auswirkungen . . c) Anwendbarkeit in nichtinternationalen bewaffneten Konflikten . . d) Gewohnheitsrechtliche Geltung eines Umweltmodifikationsverbots . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Das Verbot der Freisetzung gefährlicher Kräfte: Art. 15 ZP II . . . . . . a) Art. 15 ZP II . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Verbot der Freisetzung gefährlicher Kräfte . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Abschließende Aufzählung geschützter Anlagen . . . . . . . . . . . cc) Verbot des Angriffs, nicht der Zerstörung . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Bedrohung der Zivilbevölkerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Gewohnheitsrechtliche Verankerung und die Fehlerhaftigkeit der IKRK-Studie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Bewertung des Verbots sowie seiner gewohnheitsrechtlichen Formulierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Verbot des Einsatzes bestimmter Kriegsmittel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Convention on Certain Conventional Weapons – CCW . . . . . . . . . . . . a) Anwendbarkeit in nichtinternationalen bewaffneten Konflikten . . b) Die Umwelt als Schutzobjekt der CCW . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Absatz 4 der Präambel der CCW . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Artikel 2 (4) CCW Protokoll III . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Minen, Sprengfallen und schädigende Überreste der Konfliktführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Bedeutung und Regelungspotenzial . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Antipersonenminen und Streumunition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Biologische und chemische Kampfmittel, Herbizide . . . . . . . . . . . . . . a) Biologische und chemische Waffen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Herbizide . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Ergebnis: umweltgefährdende Mittel und Methoden der Kriegsführung D. Abschlussgedanken zu dem durch Vertragsrecht bewirkten Umweltschutz . .
§ 3 Umweltschutz durch autonomes Gewohnheitsrecht nichtinternationaler Konflikte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A. Kategorie 1: Übernahme humanitären Vertragsrechts internationaler Konflikte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Verbot der Verursachung qualifizierter Umweltschäden . . . . . . . . . . . . . . II. Gewohnheitsrechtlicher Status in nichtinternationalen Konflikten . . . . . III. Potenzielle Schutzwirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Schadensschwelle und Verbotswirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Einsatz bestimmter Waffentypen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Fazit zur Übernahme von Gewohnheitsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
212 214 220 223 226 227 227 228 230 231 232 236 238 238 240 242 242 243 244 246 249 251 251 255 258 260 264 266 266 268 273 273 275 278
Inhaltsverzeichnis B. Kategorie 2: Neuinterpretation der Grundprinzipien humanitären Völkerrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Eine neue Strategie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Das Unterscheidungsgebot und die Umwelt als ziviles Objekt . . . . . . . . 1. Grundlage militärischer Notwendigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Anerkennung in nichtinternationalen bewaffneten Konflikten . . . . . . 3. Zwingende Konsequenz und maßgeblicher Fortschritt: Die Umwelt als ziviles Objekt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Grundsatz der Negativdefinition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Sonderfall Umwelt? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Schutzumfang und Schutzverlust . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Kollateralschäden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Umwandlung in militärische Ziele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Sonderfall konfliktunterstützender Ressourcen . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Konfliktverlängernde Objekte als militärische Ziele . . . . . . . bb) Gefahr ungesicherter Abwägungsentscheidungen . . . . . . . . . cc) Natürliche Ressourcen im Kontext . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Das Gebot der Proportionalität kollateraler Schäden . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Ausgangspunkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Anwendung zugunsten der Umwelt in nichtinternationalen Konflikten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Geltung in nichtinternationalen Konflikten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Anwendbarkeit zugunsten der Umwelt als ziviles Objekt . . . . . . . 3. Umweltrelevante Aspekte des Proportionalitätsgebots . . . . . . . . . . . . a) Anwendungsgrenzen und Dual-use-Charakter der Umwelt . . . . . b) Vorhersehbarkeit von Umweltschäden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Prognoseentscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Grundlagen der Prognose . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Verfügbarkeit von Informationen für den Entscheidungsträger dd) Indirekte Konsequenzen in ökologischen Kausalketten . . . . . c) Wert der Umwelt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Abwägung des Nichtabwägbaren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Wertegewichtung auf Basis von Moral und Ethik . . . . . . . . . . cc) Regimefremde Prinzipien als Gewichtungsargumente? . . . . . d) Grenzen und Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Unsichere Abwägungsgewichtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Nachträgliche Überprüfung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Das Gebot der Vorsorge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Vorsorge bei militärischen Handlungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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281 281 283 283 284 288 288 294 298 298 298 299 300 303 305 306 308 308 312 313 316 317 317 323 323 325 327 329 332 332 334 339 343 343 344 346 347 347
14
Inhaltsverzeichnis a) Anwendbarkeit zu Gunsten der Umwelt in nichtinternationalen Konflikten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Das wiederholte Problem der Vorhersehbarkeit und Durchführbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Umfassende Vorsorgepflicht auch bei Unvorhersehbarkeit . . . . . . . . . a) Das IKRK und das umweltvölkerrechtliche Prinzip der Vorsorge b) Das umweltrechtliche Vorsorgeprinzip als Teil humanitären Völkerrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Umweltrecht als Auslegungshilfe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Zwischenbewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Exkurs: Vorsichtsmaßnahmen im Vorfeld bewaffneter Konflikte . . . . 4. Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Fazit zur Wirkung der Grundprinzipien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Kategorie 3: originäres Gewohnheitsrecht zum Schutz der Umwelt . . . . . . . I. Das Verbot mutwilliger Zerstörung der Umwelt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Ursprünge im Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Militärische Notwendigkeit als Handlungsvoraussetzung . . . . . . . b) Schutz feindlichen Eigentums als Verbotsvorbild . . . . . . . . . . . . . . aa) Schutz feindlichen Eigentums durch Art. 23 (g) HLKO . . . . . bb) Zusätzliche Regelungswirkung in innerstaatlichen Konflikten 2. Schutzgehalt und Abgrenzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Das Verbot als Modifikation des Unterscheidungsgebots . . . . . . . b) Regelungsfälle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Zwingende Notwendigkeit abseits militärischer Angriffshandlungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Zwingende Notwendigkeit als Legitimation defensiver Umweltzerstörung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Wortlautdivergenz und die Suche nach dem Regelungskern . . c) Regelungsumfang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Klarstellungsfunktion und potenzieller Nutzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Das Gebot gebührender Beachtung der Umwelt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Gebührende Berücksichtigung, Sorgfalt oder aktive Fürsorgepflicht? 2. Herleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Begründung des IKRK . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Ursprung des Beachtungsgebots im Seerecht . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Sorgfaltspflicht und Art. 55 ZP I . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Gewohnheitsrecht mit eigenem Regelungsgehalt? . . . . . . . . . . . . . . . . a) Pflicht gebührender Berücksichtigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Schonung und aktive Bewahrung der Umwelt . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Bedeutung zur Regelung des nichtinternationalen Konflikts . . . . . . .
347 350 353 353 356 358 361 362 364 365 367 368 369 369 370 371 372 374 374 376 376 378 381 381 384 385 386 387 389 389 391 393 396 396 398 400
Inhaltsverzeichnis
15
5. Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Fazit zur Existenz originären Gewohnheitsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . D. Deus ex Machina Martens’sche Klausel? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Ursprünge und Variationen der Martens’schen Klausel . . . . . . . . . . . . . . II. Deus ex Machina zum Schutz der Umwelt in nichtinternationalen Konflikten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Anwendbarkeit zugunsten der Umwelt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Martens’sche Klausel in nichtinternationalen Konflikten . . . . . . 3. Variationen der Auslegung zum Schutz der Umwelt . . . . . . . . . . . . . . a) Einfallstor für Fortgeltung und Anwendung friedensrechtlicher Umweltschutznormen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Öffnungsklausel zur Integration moralischer Wertentscheidungen aa) Theorie der zusätzlichen Rechtsquelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Theorie der Rechtsquellenmodifikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Erinnerung an die Humanität – Was von der Klausel bleibt . . . . . III. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . E. Abschlussgedanken: Gewohnheitsrecht als Vermittler humanitärrechtlichen Umweltschutzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
402 404 404 406 410 410 414 419 419 422 423 424 426 427 429
§ 4 Ergebnis: Schutzumfang und Defizite . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 432
3. Teil Zukunftsstrategien für den Schutz der Umwelt durch humanitäres Völkerrecht
439
§ 1 Strategie der Normentwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 440 A. Konventionelle Normentwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 440 B. Normklärung und Normverstärkung durch nichtstaatliche Organisationen, Gremien und Gerichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 442 § 2 Strategie der Harmonisierung von Friedens- und Kriegsrecht . . . . . . . . . . . A. Fortgeltung des Friedensumweltrechts während nichtinternationaler Konflikte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Verhältnis zu den Regeln humanitären Völkerrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Harmonisierung durch Auslegung nach dem Vorbild der Menschenrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Identifikation nutzbarer Regelungen des Umweltrechts . . . . . . . . . . . . . . III. Ausmaß des Erreichbaren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Nichtinternationale bewaffnete Konflikte als Herausforderung . . . . . . . 1. Bindung der Konfliktparteien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Harmonisierung durch Auslegung gewohnheitsrechtlicher Normen . C. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
452 455 461 462 466 469 474 474 477 478
16
Inhaltsverzeichnis
§ 3 Strategie der Beteiligung im Einzelfall . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A. Unilaterale Verpflichtungserklärungen und ad hoc-Vereinbarungen . . . . . . . B. Umweltschutz durch Einzelfallvereinbarungen – Erfolgsaussichten . . . . . . . C. Hindernisse, rechtliche Wirkung und Folgeprobleme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . D. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
481 482 486 491 494
§ 4 Schlussbemerkungen zu den Strategien zukünftiger Schutzverstärkung . . . 497 Abschluss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 499 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 500 Verzeichnis ausgewählter Dokumente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 540 Judikaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 553 Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 558
Abkürzungsverzeichnis AFRC CBD CCD CCM CCW
CCW Protokoll I CCW Protokoll II CCW Protokoll III CCW Protokoll IV CCW Protokoll V CDD CDDH
CDF CEDAW
CETS CTS DRK EGMR ELI ELN EMRK
Armed Forces Revolutionary Council (Sierra Leone) Convention on Biological Diversity (Übereinkommens über biologische Vielfalt vom 5. Juni 1992) Conference of the Committee on Disarmament Convention on Cluster Munition (Übereinkommen über Streumunition vom 30. Mai 2008) Convention on Certain Conventional Weapons (Übereinkommen über das Verbot oder die Beschränkung des Einsatzes bestimmter konventioneller Waffen, die übermäßige Leiden verursachen oder unterschiedslos wirken können vom 10. Oktober 1980) CCW Protokoll I über nicht entdeckbare Splitter vom 10. Oktober 1980 CCW Protokoll II über Landminen, Sprengfallen und andere Vorrichtungen vom 10. Oktober 1980 CCW Protokoll III über Brandwaffen vom 10. Oktober 1980 CCW Protokoll IV über blindmachende Laserwaffen vom 13. Oktober 1995 CCW Protokoll V über explosive Kriegsmunitionsrückstände vom 28. November 2003 Conference of the Committee on Disarmament Conférence diplomatique sur la reaffirmation et le développement du droit international humanitaire applicable dans les conflicts armés 1974–1977 – Diplomatic Conference on the Reaffirmation and Development of International Humanitarian Law Applicable in Armed Conflicts Civil Defence Forces (Sierra Leone) Convention on the Elimination of All Forms of Discrimination Against Women (Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau vom 18. Dezember 1979) Council of Europe Treaty Series Consolidated Treaty Series Demokratische Republik Kongo Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte Environmental Law Institute Ejército de Liberación Nacional (Nationale Befreiungsarmee; Kolumbien) Europäische Menschenrechtskonvention vom 4. November 1950
18 ENMOD
EuGH FARC FARC-EP FMLN GA GA I
GA II
GA III GA IV Herv. d. d.Verf. HK 1954 HLKO HPCR HPCR Manual Hrsg. IAEA ICOMOS ICTR ICTR-Statut ICTY ICTY-Statut IED IGH IGH-Statut IHT
Abkürzungsverzeichnis Environmental Modification Convention (Übereinkommen über das Verbot der militärischen oder einer sonstigen feindseligen Nutzung umweltverändernder Techniken vom 18. Mai 1977) Europäischer Gerichtshof/Gerichtshof der Europäischen Union Fuerzas Armadas Revolucionarias de Colombia (Revolutionäre Streitkräfte Kolumbiens) Fuerzas Armadas Revolucionarias de Colombia – Ejército del Pueblo (Revolutionäre Streitkräfte Kolumbiens – Volksarmee) Frente Farabundo Martí para la Liberación Nacional (Nationale Befreiungsarmee Farabundo Martí; El Salvador) (Vier) Genfer Abkommen vom 12. August 1949 Genfer Abkommen vom 12. August 1949 zur Verbesserung des Loses der Verwundeten und Kranken der bewaffneten Kräfte im Felde Genfer Abkommen vom 12. August 1949 zur Verbesserung des Loses der Verwundeten, Kranken und Schiffbrüchigen der bewaffneten Kräfte zur See Genfer Abkommen vom 12. August 1949 über die Behandlung der Kriegsgefangenen Genfer Abkommen vom 12. August 1949 über den Schutz von Zivilpersonen in Kriegszeiten Hervorhebung durch die Verfasserin Haager Konvention zum Schutz von Kulturgut bei bewaffneten Konflikten vom 14. Mai 1954 Haager Landkriegsordnung Program on Humanitarian Policy and Conflict Research at Harvard University HPCR Manual on International Law applicable to Air and Missile Warfare Herausgeber International Atomic Energy Agency International Council on Monuments and Sites (Internationaler Rat für Denkmalpflege) International Criminal Tribunal for Rwanda (Internationales Strafgericht für Ruanda) Statut des Internationalen Strafgerichtshofs für Ruanda International Criminal Tribunal for the former Yugoslavia (Internationaler Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien) Statut des Internationalen Strafgerichtshofs für das ehemalige Jugoslawien Improvised Explosive Devices Internationaler Gerichtshof Statut des Internationalen Gerichtshofs Iraqi High Tribunal (Hoher Gerichtshof für den Irak; bis 2005 Iraqi Special Tribunal)
Abkürzungsverzeichnis IKRK ILA ILM IPbpR
19
Internationales Komitee vom Roten Kreuz International Law Association International Legal Materials Internationaler Pakt über bürgerliche und politische Rechte vom 16. Dezember 1966 IPwskR Internationaler Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte vom 16. Dezember 1966 IS sogenannter Islamischer Staat IST Iraqi Special Tribunal (Irakisches Sondertribunal; seit 2005 Iraqi High Tribunal) IStGH Internationaler Strafgerichtshof IStGH-Statut Römisches Statut des Internationalen Strafgerichtshofs IUCN International Union for the Conservation of Nature LAWS Lethal Autonomous Weapons Systems LNTS League of Nations Treaty Series MILF Moro Islamic Liberation Front (Islamische Befreiungsfront der Moros; Philippinen) MPLA Movimento Popular de Libertação de Angola (Volksbewegung zur Befreiung Angolas) NATO North Atlantic Treaty Organisation NIAC Manual Schmitt/Garraway/Dinstein (Hrsg.), The Manual on the Law of Non-International Armed Conflict Ottawa-Konvention Convention on the Prohibition of the Use, Stockpiling, Production and Transfer of Anti-Personnel Mines and on their Destruction (Übereinkommen über das Verbot des Einsatzes, der Lagerung, der Herstellung und der Weitergabe von Antipersonenminen und über deren Vernichtung vom 18. September 1997) OUP Oxford University Press Prot. II HK Zweites Protokoll zur Haager Konvention von 1954 zum Schutz von Kulturgut bei bewaffneten Konflikten vom 26. März 1999 Ramsar-Konvention Ramsar-Konvention zum Schutz von Feuchtgebieten mit internationaler Bedeutung vom 2. Februar 1971 Rio-Erklärung Rio-Erklärung über Umwelt und Entwicklung vom 14. Juni 1992 RUF Revolutionary United Front (Sierra Leone) San Remo Manual San Remo Manual on International Law applicable to Armed Conflicts at Sea SC Security Council (United Nations) SCSL Special Court for Sierra Leone (Sondergerichtshof für Sierra Leone) SCSL-Statut Statut des SCSL SPSC Special Panels for Serious Crimes in East Timor (Sonderkammern in Ost-Timor) Supp. Supplement
20 Tallinn Manual UdSSR UK UN UNCC UN-Charta UNEA UNEP UNESCO UNGA UN GAOR UNHCR UNHSC (Habitat) UNITA UNTAET UNTS v. WHC WVRK ZP I
ZP II
Abkürzungsverzeichnis Tallinn Manual on the International Law Applicable to Cyber Warfare Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken United Kingdom of Great Britain and Northern Ireland United Nations United Nations Compensation Commission Charter of the United Nations United Nations Environment Assembly of the United Nations Environment Programme United Nations Environmental Programme United Nations Educational, Scientific and Cultural Organization United Nations General Assembly United Nations General Assembly Official Records United Nations High Commissioner for Refugees United Nations Human Settlements Programme União Nacional para a Independência Total de Angola (Nationale Union für die vollständige Unabhängigkeit von Angola) United Nations Transitional Administration in East Timor United Nations Treaty Series von; gegen World Heritage Convention (Übereinkommen zum Schutz des Kultur- und Naturerbes der Welt vom 16. November 1972) Wiener Vertragsrechtskonvention (Wiener Übereinkommen über das Recht der Verträge vom 23. Mai 1969) Zusatzprotokoll zu den Genfer Abkommen vom 12. August 1949 über den Schutz der Opfer internationaler bewaffneter Konflikte vom 8. Juni 1977 Zusatzprotokoll zu den Genfer Abkommen vom 12. August 1949 über den Schutz der Opfer nichtinternationaler bewaffneter Konflikte vom 8. Juni 1977
Einleitung § 1 Ausgangspunkte Wollte man die Umwelt vor den Auswirkungen bewaffneter Konflikte bewahren, so müsste man das Kämpfen gänzlich einstellen. Kriegerische Auseinandersetzungen führen fast zwangsläufig zu mehr oder minder großen Umweltschäden. Wenn man in Ansehung der Realität akzeptiert, dass Konflikte gegenwärtig und in absehbarer Zukunft immer wieder auch mittels kriegerischer Gewalt ausgetragen werden, so muss die Unvermeidbarkeit konfliktbedingter Umweltschäden ebenso hingenommen werden. Ihre vollständige Untersagung wäre schlicht wirklichkeitsfremd. Dennoch darf die Menschheit es sich nicht erlauben, die Auswirkungen bewaffneter Konflikte auf die Umwelt gänzlich unreglementiert zu lassen. Zu groß sind die potenziellen Schäden, zu knapp der menschliche Lebensraum und dessen noch verbleibende natürliche Ressourcen. Richtigerweise dürfen sich die (normativen) Bemühungen zur Schonung der Umwelt während bewaffneter Konflikte aber nicht nur auf die Ermöglichung des bloßen Überlebens der Menschheit beschränken. Für die Menschheit insgesamt, ebenso wie für Gruppen und jedes einzelne Individuum, trägt die Umwelt, weit über die Funktion einer elementaren Lebensgrundlage hinausgehend, in vielfältiger Weise zu einem prosperierenden menschlichen Dasein bei. Es sollte daher ein Gebot der Vernunft sein, die Umwelt auch im Hinblick auf diese weitergehenden Funktionen langfristig für die Menschheit zu erhalten. Moralische Erwägungen sollten es zudem gebieten, Gleiches zugunsten einzelner Völker und Individuen anzustreben. Forderungen der Vernunft und der Moral stellen häufig den Ausgangspunkt rechtlicher Handlungsschranken dar. Auch das moderne Kriegsrecht als Bestandteil des internationalen Rechts entstand auf der Grundlage derartiger Überlegungen: Die Vernunft riet, Handlungen zu untersagen, von deren Folgen man selbst nicht betroffen sein wollte. Ethisch oder religiös motivierte Überlegungen der Menschlichkeit forderten darüber hinaus eine das Individuum möglichst schonende, humane Kriegführung. Mit dem Wissen um die wachsenden Möglichkeiten destruktiven menschlichen Handelns wuchs die Erkenntnis, dass diesen Möglichkeiten notwendig Grenzen zu setzen sind. Unter dem Eindruck der Gräueltaten grenzenloser Kriege und nahezu grenzenloser Kriegstechnologien forderten Vernunft und Moral gleichermaßen, den Parteien künftiger Kriege absolute Handlungsschranken aufzuerlegen.
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Einleitung
Die Wahrung des (Welt-)Friedens stellt heute das oberste Ziel der organisierten Staatengemeinschaft dar und das Gewaltverbot ist einer der zentralen Pfeiler ihrer Rechtsordnung.1 Kommt es indes, wie so häufig, dennoch zu kriegerischen Auseinandersetzungen, sind die Konfliktparteien heute einem speziellen Regime völkerrechtlicher Regelungen unterworfen, dessen Zweck es ist, die zulässigen Handlungen im Krieg (zumindest) zu beschränken. Dieses Regime existiert nicht, weil die Menschheit andernfalls nicht überleben könnte. Es ist vielmehr Folge eines auch von moralischen Überzeugungen geleiteten Strebens, die Grausamkeit der Kriegsführung wenigstens zu begrenzen. Die heutige Bezeichnung des Kriegsvölkerrechts als humanitäres Völkerrecht verdeutlicht die ethischen Beweggründe der Handlungsbeschränkungen: Der einzelne Mensch und sein Wohlergehen sollten selbst in existenziellen Ausnahmesituationen durch Grundregeln der Kriegsführung Schutz erfahren. Was zu diesen Grundregeln zu zählen sei und daher untersagt werden müsse, darüber wird bis heute gestritten. Tatsache ist aber, dass der Korpus des humanitären Völkerrechts gerade in den letzten Jahrzehnten eine immer stärkere Ausweitung erfahren hat. Durch völkerrechtliche Verträge und die Entwicklung von Gewohnheitsrecht schränkten die Staaten die ihnen verbliebenen Handlungsfreiheiten immer weiter ein. Dem Individuum wird Schutz nicht nur vor unmenschlicher Behandlung, vor Folter oder willkürlicher Tötung zugebilligt, sondern ebenso vor Hungersnöten und der Zerstörung seiner Lebensgrundlagen. Auch die Bewahrung menschlicher Kultur, Religion sowie der ästhetischen Produkte menschlichen Schaffens wurde als ethisch gebotene Notwendigkeit anerkannt und zur Grundlage rechtlicher Verbote gemacht. Nicht nur zwischenstaatliche Kriege wurden immer stärker reglementiert. Gleiches gilt vielmehr (in zunehmenden Maß) ebenfalls für bewaffnete Konflikte, an denen auch andere Akteure beteiligt sind. Bewaffnete Auseinandersetzungen zwischen staatlichen Armeen und nichtstaatlichen bewaffneten Gruppen, Bürgerkriege oder Konflikte, die ausschließlich zwischen nichtstaatlichen bewaffneten Akteuren ausbrechen, sie hatten alle ursprünglich eine Gemeinsamkeit: Als Ausfluss des Souveränitätsgrundsatzes war ihre Reglementierung alleinige Sache des Territorialstaats. Mit der Anerkennung des nichtinternationalen bewaffneten Konflikts2 als eines zulässigen Gegenstandes (humanitär-)völker1 Vgl. Art. 1 und Art. 2 Ziff. 4 UN-Charta (Charter of the United Nations vom 24. Oktober 1945, 1 UNTS XVI). 2 Für die vorliegende Arbeit findet aus Formulierungsgründen anstelle des Begriffs „nichtinternationaler bewaffneter Konflikt“ teils der Begriff „nichtinternationaler Konflikt“ beziehungsweise „interner bewaffneter Konflikt“ Verwendung. Die unterschiedlichen Formulierungen sollen allerdings nicht als zusätzliche Kategorien rechtlicher Klassifikation verstanden werden. Zwar können Konflikte, die die Grenzen eines Staates nicht überschreiten, dennoch internationale bewaffnete Konflikte im Sinne des gemeinsamen Art. 2 GA darstellen und nichtinternationale bewaffnete Konflikte über Grenzen hinaus wüten, die hier verwendeten Formulierungen beziehen sich allerdings ausschließlich auf Konflikte, die nach humanitärem Völkerrecht als nichtinternationale bewaffnete Konflikte gemäß des gemeinsamen Art. 3 GA zu klassifizieren sind.
§ 1 Ausgangspunkte
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rechtlicher Regelungen haben die Staaten diesen exklusiven Regelungsanspruch seit der Mitte des 20. Jahrhunderts aufgegeben. Auch insoweit sollten fortan die Grundentscheidungen des Kriegsrechts gelten. Kein Szenario sollte mehr denkbar sein, in dem kriegerische Handlungen gleich welcher Natur nicht den zu Recht erstarkten moralischen Wertentscheidungen der Staatengemeinschaft unterworfen wären. Wenngleich noch immer weniger stark ausgeprägt als das traditionelle Recht zwischenstaatlicher Kriege, hat das Recht der nichtinternationalen bewaffneten Konflikte inzwischen doch einen nicht unerheblichen Schutzumfang erreicht. Vieles von dem, was einmal als zulässige Schädigungshandlung in innerstaatlichen Konflikten gestattet war, ist heute nicht nur moralisch inakzeptabel, sondern zudem völkerrechtlich untersagt. Auch der Blick der Menschen auf die Umwelt hat sich in den vergangenen Jahrzehnten grundlegend verändert. Moralische Vorgaben für das richtige Handeln gegenüber den Ressourcen der Erde gab es zwar schon im Altertum.3 Die Erkenntnis aber, dass die Umwelt ohne die Einhaltung gewisser Grundregeln in kürzester Zeit durch den Menschen unwiederbringlich zerstört werden könnte, wuchs erst mit den technologischen Möglichkeiten der Moderne. Mit dem Wissen um die Verfügbarkeit von Instrumenten mit absoluter Zerstörungskraft, der Grenzen unseres Wachstums4 und der unmittelbar drohenden, endgültigen Veränderung des gemeinsamen Lebensraums, entwickelte sich ein Bewusstsein um die Notwendigkeit5 verpflichtender Handlungsschranken.6 3 Bereits im Alten Testament findet sich im Deuteronomium eine detaillierte Anweisung zum Schutz der Umwelt während Belagerungen: „Wenn du vor einer Stadt lange Zeit liegen musst, gegen die du kämpfst, um sie zu erobern, so sollst du nicht die Axt an ihre Bäume legen und sie umhauen, denn du kannst davon essen; darum sollst du sie nicht fällen. Die Bäume auf dem Felde sind doch nicht Menschen, dass du sie belagern müsstest! Die Bäume aber, von denen du weißt, dass man nicht davon isst, die darfst du verderben und umhauen und ein Bollwerk daraus bauen gegen die Stadt, die mit dir Krieg führt, bis sie fällt.“ (Deutsche Bibelgesellschaft (Hrsg.), Die Bibel nach Martin Luthers Übersetzung Dtn. 20, 19–20). An anderer Stelle (Ex 23, 28–29) ist eine in diesem Zusammenhang weniger bekannte Verheißung verankert, die aber ebenso die Sorge um den Erhalt der Umwelt im Kriegszustand ausdrückt: „Ich will Hornissen vor dir hersenden, die vor dir her vertreiben die Hiwiter, Kanaaniter und Hetiter. Aber ich will sie nicht in einem Jahr ausstoßen vor dir, auf dass nicht das Land wüst werde und sich die wilden Tiere wider dich mehren.“ Ein ähnliches Gebot zur Schonung der Umwelt im Krieg existiert im Islam (vgl. AboulEnein/Zuhur, Islamic rulings on warfare, S. 22). 4 Die Erkenntnis der Grenzen wirtschaftlichen Wachstums wurde in besonderem Umfang von der 1972 veröffentlichten Studie The Limits to Growth des Club of Rome geprägt (Meadows et al., The Limits to Growth). 5 Als frühe Mitauslöser dieser Bewegung wirkten insbesondere Rachel Carson (Carson, Silent Spring) und Aldo Leopold (Leopold, A Sand County almanac, and Sketches here and there). 6 Beispielsweise bewegte die Ausdünnung der Ozonschicht die internationale Gemeinschaft dazu, den Gebrauch einiger schädigender Chemikalien zu untersagen; insb. durch das Montreal Protocol on Substances that Deplete the Ozone Layer vom 16. Sep-
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Einleitung
Dieser Umdenkungsprozess ist noch nicht abgeschlossen, in verschiedenen Gesellschaften und bei zahlreichen Entscheidungsträgern hat er gerade erst begonnen – wenn überhaupt. Auf internationaler Ebene bewirkte er jedoch bereits die Entstehung eines eigenen Regelungssystems, des Umweltvölkerrechts. In ähnlicher Weise wie dem humanitären Völkerrecht liegt auch dem Umweltschutz mittels internationaler Normsetzung ein ganzes Motivationsbündel zugrunde. Die Umwelt stellt in der Tat nicht nur eine conditio sine qua non schlechthin für das Überleben unserer Gattung dar. Sie erfüllt für den Menschen darüber hinaus eine Vielzahl (weiterer) Funktionen: Als Heimat, als Objekt religiöser Praktik, als Gegenstand ästhetischer oder wissenschaftlicher Anschauung. So veranlasste die Gefährdung einzigartiger Naturgüter von hervorgehobener Schönheit, von historischer, spiritueller oder religiöser Bedeutung, die Weltgemeinschaft dazu, diese unter rechtlichen Schutz zu stellen,7 ebenso wie dies bei der existenziellen Bedrohungen einzelner Tierarten der Fall ist.8 In jüngerer Zeit hat sich das Regime des umweltschützenden Völkerrechts in geradezu exponentieller Geschwindigkeit entwickelt. Umweltschutzbestrebungen drangen selbst bis in das Recht der Kriegsführung vor, wobei sich die Vereinbarung explizit umweltschützender Vorschriften als Bestandteil des humanitären Völkerrechts jedoch (zunächst) auf internationale bewaffnete Konflikte beschränkte.9 Wie dieser Schutzstand weiter ausgebaut werden kann, darüber streiten Staaten, Organisationen und Experten nun bereits seit 40 Jahren. Vergleichsweise wenig Beachtung fand dagegen lange Zeit die Frage des Ob und Wie einer rechtlichen Begrenzung von Umweltzerstörungen in nichtinternationalen bewaffneten Konflikten. Dieses Szenario völkerrechtlicher Normierung rückte erst in den letzten Jahren vermehrt in den Fokus internationaler Aufmerksamkeit.10 Es ist Gegenstand der nachfolgenden Untersuchung. tember 1987, 1522 UNTS 3 zur Vienna Convention for the Protection of the Ozone Layer vom 22. März 1985, 1513 UNTS 293. 7 Insbesondere durch die Convention Concerning the Protection of the World Cultural and Natural Heritage vom 16. November 1972, 1037 UNTS 151 (World Heritage Convention, WHC). Ausführlich: 2. Teil, § 2, B., III. 8 Dabei handelte die Staatengemeinschaft nicht nur aus kommerziellen Beweggründen. Spätestens das Washingtoner Artenschutzübereinkommen von 1973 (Convention on International Trade in Endangered Species of Wild Fauna and Flora vom 3. März 1973, 993 UNTS 243, CITES), das den Handel mit bestimmten sehr bedrohten Wildtieren untersagt, diente nicht mehr ausschließlichen Handelsinteressen. 9 Siehe sogleich, 2. Teil, § 1. 10 Beispielsweise im Rahmen der Arbeit der International Law Commission (ILC) – dazu sogleich mehr. Auch neuere UNEA-Resolutionen (United Nations Environment Assembly of the United Nations Environment Programme) wie die Resolution 2/15 vom 4. August 2016 on the Protection of the environment in areas affected by armed conflict (UNEP/EA.2/Res.15) unterscheiden nicht mehr zwischen internationalen und nichtinternationalen bewaffneten Konflikten.
§ 2 Der Untersuchungsgegenstand
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§ 2 Der Untersuchungsgegenstand Die Untersuchung befasst sich mit dem Schutz der Umwelt durch humanitäres Völkerrecht in sogenannten nichtinternationalen bewaffneten Konflikten. Ausgangspunkt der Überlegungen ist die Überzeugung, dass es im vernunftgeleiteten Interesse von Menschen und Staaten liegt, die Umwelt und ihre Funktionen für den Menschen in jedem denkbaren Szenario zu erhalten – und damit nicht nur in internationalen, sondern eben auch in innerstaatlichen bewaffneten Konflikten. Eine weitere Grundannahme besteht darin, dass unsere gewandelten Wertvorstellungen den Erhalt der Umwelt fordern, nicht nur in ihrer Funktion als Lebensgrundlage, sondern als vielfältiger Garant der Erfüllung menschlicher Bedürfnisse. Vorausgesetzt wird weiterhin, dass die Aufstellung völkerrechtlicher Handlungsverbote und Achtungsvorschriften im Grundsatz geeignet ist, die Schonung eines Schutzobjekts zu fördern. Schließlich geht die Studie davon aus, dass es, bei realitätsnaher Betrachtung, keine Option ist, ausschließlich auf die Vereinbarung neuen Vertragsrechts zum Schutz der Umwelt während (nichtinternationaler) bewaffneter Konflikte zu hoffen. Häufig genug stehen einem solchen Vorhaben politische Belange unüberwindbar entgegen. Die Kollision des Rechts nichtinternationaler Konflikte mit den Interessen staatlicher Souveränität und Handlungsfreiheit auf dem eigenen Territorium verstärkt diese Problematik. Ungeachtet eines zweifellos bestehenden politischen Willens hinsichtlich eines nachhaltigen und ethischen Ansprüchen genügenden Handelns auch im Kontext bewaffneter Auseinandersetzungen, kann daher nicht allein darauf gehofft werden, dass die Staaten in absehbarer Zeit ein neues, effektives Recht zum Schutz der Umwelt vor konfliktbedingten Zerstörungen erzeugen können. Kern der Arbeit ist es daher nicht, einschlägige Regelungen zur Erhaltung der Umwelt aufzustellen, deren Umsetzung in Völkerrecht zwar sinnvoll oder erstrebenswert, in der Realität aber politisch unerreichbar wäre. Die Untersuchung befasst sich vielmehr primär mit den Wirkungen bestehenden Völkerrechts sowie mit den (potenziellen) Möglichkeiten, dieses Recht (verstärkt) zum Schutz der Umwelt zu nutzen. Gegenstand der Darstellung ist dabei ausschließlich der durch humanitäres Völkerrecht vermittelte Schutz der Umwelt während nichtinternationaler Konflikte. Die Phasen vor Ausbruch und nach Beendigung des Konflikts werden nicht behandelt.11 Ebenso wenig ist Gegenstand der Analyse die Frage, inwieweit 11 Diese Phasen sind beispielsweise Bestandteil der derzeit in Entstehung befindlichen ILC Draft Principles zum Schutz der Umwelt im Verhältnis zu bewaffneten Konflikten. Zu diesem Aufbau der ILC Draft Principles: ILC, Preliminary Report on the Protection of the Environment in Relation to Armed Conflicts, 30. Mai 2014, submitted by Marie G. Jacobsson, Special Rapporteur, A/CN.4/674, Rn. 18 ff. sowie zuletzt ILC, Second Report on Protection of the Environment in Relation to Armed Conflicts by Marja Lehto, Special Rapporteur, 27. März 2019, A/CN.4/728, Annex I und ILC, Protection of the Environment in Relation to Armed Conflicts text and titles of the draft
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Einleitung
andere Regime des Völkerrechts, insbesondere Menschenrechte und Umweltvölkerrecht, während dieser Art bewaffneter Konflikte zum rechtlichen Schutz der Umwelt beitragen, schließlich ist das humanitäre Völkerrecht das einzige Rechtsregime, das explizit mit Blick auf die Besonderheiten auch nichtinternationaler bewaffneter Konflikte geschaffen wurde und unumstritten in der Lage ist, nichtstaatliche Konfliktakteure in die Pflicht zu nehmen.12 Darüber hinaus ist sein Charakter als vorrangig anwendbares lex specialis für Kriegsszenarien nach wie vor ganz herrschende Meinung.13 Auf umweltvölkerrechtliche Verträge und Prinzipien wird daher nur insoweit eingegangen, als diese herangezogen werden können, um das humanitäre Völkerrecht selbst, dessen Inhalt und Regelungswirkung zu informieren (Teil 3, § 2). Ebenso befasst sich die Darstellung nicht mit Fragen völkerrechtlicher Verantwortung unterschiedlicher Konfliktakteure für bereits eingetretene Umweltschäden und deren Kompensation. Ausführungen zur völkerrechtlichen Verantwortung erfolgen nur insoweit, als bisherige Beispiele Rückschlüsse auf das Bestehen primärer Handlungsverbote des humanitären Völkerrechts erlauben.14 Mit dem Vorhaben der Darstellung humanitären Völkerrechts nichtinternationaler Konflikte zum Schutz der Umwelt betritt die vorliegende Arbeit überraschenderweise wenig beschrittene Pfade. Eine umfassende Analyse des de lege lata vorhandenen humanitären Völkerrechts nichtinternationaler bewaffneter Konflikte mit Blick auf den Schutz der Umwelt ist – soweit ersichtlich – noch nicht principles provisionally adopted by the Drafting Committee on first reading, 6. Juni 2019, 71st Session, A/CN.4/L.937 mit einem Überblick der für die Phasen vor Ausbruch und nach Beendigung eines Konflikts vorgeschlagenen Prinzipien. Diese widmen sich u. a. der Ausweisung geschützter Gebiete vor Ausbruch eines Konflikts sowie dem Informationsaustausch und der Wiederherstellung der Umwelt nach dessen Ende. Die 2019 in einer ersten Lesung angenommenen Draft Principles sind mit ihrer Kommentierung enthalten in: ILC, Report of the International Law Commission on the Work of its 71st Session 2019, UN GAOR 74th Session, Supp. No. 10, A/74/10, S. 211 ff. 12 Zur Problematik der Bindungswirkung sogar des humanitären Völkerrechts: 1. Teil, § 3, C. 13 Zuletzt: ILC, Second Report on the Protection of the Environment in Relation to Armed Conflicts, submitted by Marie G. Jacobsson, Special Rapporteur, 28. Mai 2015, A/CN.4/685, Rn. 17 und 19 sowie m.w. N. zu den Stellungnahmen mehrerer Staaten ILC, First Report on Protection of the Environment in Relation to Armed Conflicts by Marja Lehto, Special Rapporteur, 30. April 2018, A/CN.4/720, Rn. 4. Zum Verhältnis von humanitärem Völkerrecht und Umweltvölkerrecht: 3. Teil, § 2. 14 Die Regeln völkerrechtlicher Verantwortung knüpfen an die Verletzung eines primären Handlungsverbots an. Dieses kann, muss sich aber nicht aus den Regeln des humanitären Völkerrechts ergeben. So kann die völkerrechtliche Verantwortlichkeit für die Verursachung von Umweltschäden im Verlauf bewaffneter Konflikte im Grundsatz auch aus einer Verletzung des Friedensrechts, insbesondere des ius ad bellum entstehen. Zu Fragen der Verantwortlichkeit und Haftung für konfliktbedingte Umweltschäden: ILC, Second Report on Protection of the Environment in Relation to Armed Conflicts by Marja Lehto, Special Rapporteur, 27. März 2019, A/CN.4/728, Rn. 105 ff., die sich auch mit der Frage völkerrechtlicher Verantwortung nichtstaatlicher Akteure befasst (ibid., Rn. 58 und 67 ff.).
§ 2 Der Untersuchungsgegenstand
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durchgeführt worden. Auch Darstellungen, die sich umfassend allein dem Recht nichtinternationaler Konflikte widmen, sind noch immer selten.15 In der ganz überwiegenden Zahl der Darstellungen gegenwärtigen Kriegsrechts wird dieser Konflikttyp nach wie vor lediglich annexhaft behandelt,16 seine Spezifika werden in teils überraschendem Maße verkannt.17 Die annexhafte Behandlung nichtinternationaler Konflikte ist auch typisch für die überwiegende Zahl bisheriger Untersuchungen des umweltschützenden Kriegsrechts.18 Auch insoweit fehlt es bislang an einer spezifischen Auseinandersetzung mit den für diese Konfliktart anwendbaren Regelungen. Die vorliegende Arbeit soll diese Lücke schließen. Sie dient gleichermaßen einer Klärung bestehenden Rechts sowie der Aufzeigung seiner Defizite als Voraussetzung zukünftiger Regelungen. Nach der Bestimmung der grundlegenden Begriffe Umwelt (1. Teil, § 1), nichtinternationaler bewaffneter Konflikt (§ 2) sowie des für ihn Geltung entfaltenden humanitären Völkerrechts (§ 3), wird im zweiten Teil das bestehende Vertragsrecht des ius in bello mit Relevanz für den Erhalt der Umwelt behandelt (2. Teil). 15 In den letzten Jahren ist aber ein Anstieg einschlägiger Veröffentlichungen zu verzeichnen. Z. B. Sivakumaran, The Law of Non-International Armed Conflict (2012); Dinstein, Non-International Armed Conflicts in International Law (2014). 16 Vgl. zum Beispiel zwei der aktuellen internationalen Militärhandbücher, die sich um eine Zusammenstellung geltender Normen für beide Konflikttypen bemühen, den Fokus aber auf das Recht internationaler Konflikte legen und nichtinternationale Konflikte jeweils nur als Annex betrachten: HPCR, Manual on International Law applicable to Air and Missile Warfare (HPCR Manual) sowie Schmitt, Tallinn Manual on the International Law applicable to Cyber Warfare (Tallinn Manual). Zu diesen Zusammenstellungen und ihrer Bedeutung für die vorliegende Arbeit, siehe: 1. Teil, § 3, B., III. 17 Dies trifft speziell auf die Gewohnheitsrechtsstudie des IKRK zu. Im Verlauf dieser Darstellung werden einzelne Defizite im Detail aufgearbeitet. Siehe nur beispielsweise 2. Teil, § 2, C., I., 2., b). 18 Siehe beispielsweise Al-Duaij, Environmental Law of Armed Conflict, die in ihrer Abhandlung auch den nichtinternationalen Konflikt behandelt (S. 13 ff.), sowie die kürzeren Beiträge von Vinuesa, Comment: The Existing Legal Framework: Protecting the Environment During Non-international Armed Conflict Operations Involving the Use of Force (i. e., Military Operations Other Than War (MOOTW)), in: Grunawalt/King/ McClain (Hrsg.), Protection of the Environment during Armed Conflict and other Military Operations, S. 346 ff.; Meron, Comment: Protection of the Environment During Non-international Armed Conflicts, in: Grunawalt/King/McClain (Hrsg.), Protection of the Environment during Armed Conflict and other Military Operations, S. 353 ff., aus strafrechtlicher Perspektive: Lopez, Criminal Liability for environmental Damage Occurring in Times of Non-international Armed Conflict: Rights and Remedies, Fordham Environmental Law Review 18 (2007), S. 231 ff.; Dam-de Jong, The protection of the environment in times of internal armed conflict, Handout zu einem Vortrag vom 8. März 2008 im Rahmen der Annual Student Conference, Human Rights Centre, University of Nottingham, UK, welche sich speziell mit dem nichtinternationalen bewaffneten Konflikt befassen. Zudem existieren mehrere kürzere Werke, die beide Konflikttypen behandeln. So z. B. Hulme, Environmental protection in armed conflict, in: Fitzmaurice/Ong/Merkouris (Hrsg.), Research Handbook on International Environmental Law, S. 586 ff., insb. S. 595 ff. Insgesamt handelt es sich bei der überwiegenden Zahl der Veröffentlichungen um kürzere Abhandlungen.
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Einleitung
Ausgehend von dem Fehlen unmittelbar umweltschützender Vertragsnormen (§ 2, A.) steht der indirekte Schutz der Umwelt durch den vertragsrechtlichen Schutz einzelner Umweltfunktionen im Zentrum der Analyse (B.). Eine Darstellung der vertraglichen Regelung umweltgefährdender Mittel und Methoden der Kriegsführung sowie deren gewohnheitsrechtlicher Geltung (C.) rundet die Befassung mit dem Vertragsrecht ab. In einem weiteren Schritt wird das verfügbare Gewohnheitsrecht auf seine Wirkung zum Erhalt der Umwelt hin analysiert (§ 3). Vier rechtliche Aspekte möglicher Umweltschutznormen gilt es dabei zu unterscheiden: Zunächst wird der Existenz von Gewohnheitsrecht auf Basis ursprünglich für konventionelle Kriege geschaffenen Vertragsrechts nachgegangen (A.). Weiterhin wird zu untersuchen sein, ob das gewandelte Verständnis von der Notwendigkeit der Umwelterhaltung zu einer Neuinterpretation zuvor bestehender Gewohnheitsrechtsnormen, insbesondere der Grundprinzipien des humanitären Völkerrechts, geführt hat (B.). Sodann befasst sich die Analyse mit der Frage, ob mittlerweile originäres Gewohnheitsrecht zum Schutz der Umwelt existiert, d.h. solches, das keine Grundlage in humanitärrechtlichen Verträgen hat. Zuletzt wird auf das Regelungsvermögen der viel genannten Martens’schen Klausel als Vermittler von Umweltschutz einzugehen sein. Der dritte und letzte Teil der Analyse ist schließlich den Zukunftsaussichten umweltschützenden Kriegsrechts für nichtinternationale Konflikte gewidmet (3. Teil). Ausgehend von den schlechten Erfolgsaussichten, die der Vereinbarung neuer Umweltschutzverträge derzeit eingeräumt werden muss, sollen drei alternative Strategien zukünftigen Vorgehens angerissen werden (§ 1 bis § 3). Die Arbeit an dieser Darstellung wurde Anfang 2013 aufgenommen, im Frühjahr 2019 inhaltlich beendet und im Sommer 2020 nochmals – in einem fokussierten Umfang – aktualisiert. Die Erstellung erfolgte folglich nahezu parallel zu einer für die Thematik bedeutenden Entwicklung: 2013 beschloss die International Law Commission (ILC), das Thema „Protection of the environment in relation to armed conflicts“ in ihr Arbeitsprogramm aufzunehmen.19 Die Bemühungen der ILC, das zum Schutz der Umwelt im Zusammenhang mit (internationalen und nichtinternationalen) bewaffneten Konflikten geltende Recht zu klären und in einer Zusammenstellung von Prinzipien darzustellen,20 befinden 19 Nach einem Vorschlag von UNEP und der Empfehlung der Working Group on the Long-term Programme of Work, vgl. ILC, Report of the International Law Commission on the Work of its 63rd Session 2011, UN GAOR 66th Session, Supp. No. 10, A/66/10, Rn. 365–367; UNGA, Resolution 66/98 vom 9. Dezember 2011 on the Report of the Sixth Committee (A/66/473), A/RES/66/98, Rn. 7. Für eine Zusammenfassung der bisherigen Arbeit: ILC, Report of the International Law Commission on the Work of its 71st Session 2019, UN GAOR 74th Session, Supp. No. 10, A/74/10, S. 209 ff. 20 Ziel der ILC war es, ein Set von Prinzipien zu erarbeiten, dass das geltende Recht zum Schutz der Umwelt im Verhältnis zu (internationalen und nichtinternationalen) bewaffneten Konflikten darlegt. Dabei verfolgt die ILC einen zeitlich dreigeteilten Ansatz: Die Phasen vor, während und nach Ende bewaffneter Konflikte werden jeweils getrennt behandelt (vgl. die Nachweise in Einleitung, Fn. 11). Diesen Phasen vorangesetzt
§ 2 Der Untersuchungsgegenstand
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sich nunmehr (August 2020) in einem weit fortgeschrittenen Stadium. Im August 2019 nahm die Kommission 28 Draft Principles (on protection of the environment in relation to armed conflicts – ILC Draft Principles) sowie die dazugehörige Kommentierung der Prinzipien in der ersten Lesung an21 und beschloss, die Draft Principles Staatsregierungen sowie internationalen und nichtstaatlichen Organisationen zur Kommentierung zu übermitteln.22 Anmerkungen wurden von der Kommission bis Dezember 2020 erbeten.23 Die nunmehr nahezu vollendete Arbeit der Kommission an den Draft Principles stellt zweifelsohne einen Meilenstein für den Schutz der Umwelt im Kontext bewaffneter Konflikte dar. Wenngleich die in Entstehung befindlichen Draft Principles in ihrer Reichweite den Fokus der hier vorgenommenen Darstellung in zweierlei Hinsicht übertreffen – indem sie sowohl für internationale wie auch für nichtinternationale bewaffnete Konflikte Anwendung finden24 und die Phasen vor sind nunmehr eine Reihe allgemeiner Prinzipien, die in allen drei zeitlichen Phasen anwendbar sein sollen (vgl. den Abdruck der Draft Principle in ILC, Report of the International Law Commission on the Work of its 71st Session 2019, UN GAOR 74th Session, Supp. No. 10, A/74/10, S. 211 ff.). Sowohl die allgemeinen Prinzipien als auch diejenigen, die während bewaffneter Konflikte Anwendung finden sollen, sind für die nachfolgende Analyse geltenden humanitären Völkerrechts von Relevanz, soll doch das gesamte Set der Draft Principles das in Kriegszeiten bereits heute geltende Recht – und damit insbesondere das maßgebliche humanitäre Völkerrecht – darstellen. Eine Erweiterung des bislang verfügbaren ius in bello sollte durch die Kommission nicht erfolgen (vgl. zuletzt ILC, Second Report on Protection of the Environment in Relation to Armed Conflicts by Marja Lehto, Special Rapporteur, 27. März 2019, A/CN.4/728, Rn. 5 m.w. N.). Dabei ist allerdings anzumerken, dass die ILC die Bezeichnung der Draft Principles als Prinzipien bewusst wählte. Diese Bezeichnung sollte – so die ILC – dem Umstand Rechnung tragen, dass manche Draft Principles bereits geltendes Gewohnheitsrecht widerspiegeln, andere dagegen eher einen empfehlenden Charakter hätten (vgl. Commentary to the Draft Principles, in: ILC, Report of the International Law Commission on the Work of its 71st Session 2019, UN GAOR 74th Session, Supp. No. 10, A/74/ 10, S. 215, Commentary, para. 3). 21 Im Frühjahr 2019 veröffentlichte die ILC die durch das Redaktionskomitee der Kommission vorläufig angenommenen Draft Principles zum Schutz der Umwelt im Verhältnis zu bewaffneten Konflikten (ILC, Protection of the environment in relation to armed conflicts text and titles of the draft principles provisionally adopted by the Drafting Committee on first reading, 6. Juni 2019, 71st Session, A/CN.4/L.937). Im August wurden die bislang erstellten 28 Draft Principles in der ersten Lesung der ILC angenommen. Sie sind in ILC, Report of the International Law Commission on the Work of its 71st Session 2019, UN GAOR 74th Session, Supp. No. 10, A/74/10, S. 211 zusammen mit ihrer Kommentierung abgedruckt. 22 ILC, Report of the International Law Commission on the Work of its 71st Session 2019, UN GAOR 74th Session, Supp. No. 10, A/74/10, S. 210. 23 Ibid. 24 Die ILC befasst sich im Rahmen ihrer Arbeit ausdrücklich mit beiden Formen bewaffneter Konflikte und somit auch mit dem während nichtinternationaler bewaffneter Konflikte geltenden Recht (m.w. N. ILC, First Report on Protection of the Environment in Relation to Armed Conflicts by Marja Lehto, Special Rapporteur, 30. April 2018, A/ CN.4/720, Rn. 6). Die in ihrer ersten Lesung angenommenen Draft Principles sollen sowohl in internationalen wie auch in nichtinternationalen bewaffneten Konflikten gel-
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Einleitung
Ausbruch und nach Ende eines bewaffneten Konflikts ebenfalls in den Blick nehmen25 – sind sie auch im Hinblick auf den Gegenstand der hier vorgenommenen Analyse von herausragendem Wert. Soweit es im Verlauf der 2019 inhaltlich weitestgehend abgeschlossenen Analyse möglich war, befasst sich die nachfolgende Darstellung daher auch mit den durch Special Rapporteur Marie G. Jacobsson (2013 bis 2016)26 sowie Special Rapporteur Marja Lehto (seit 2017) erarbeiteten ILC Draft Principles. Eine vorläufige Bewertung erfolgt im Rahmen der Analyse der den entworfenen Prinzipien jeweils zugrundeliegenden Rechtsnormen. Eine abschließende Bewertung der ILC Draft Principles muss allerdings einer anderen Stelle vorbehalten bleiben.
ten. Eine Differenzierung unterschiedlicher Prinzipien für unterschiedliche Konflikttypen wird nicht vorgenommen (vgl. die Kommentierung zu Draft Principle 1, in: ILC, Report of the International Law Commission on the Work of its 71st Session 2019, UN GAOR 74th Session, Supp. No. 10, A/74/10, S. 216). Zuletzt bemängelten allerdings erneut mehrere Staaten, dass sich die ILC noch nicht deutlich genug mit der Geltung der den jeweiligen Prinzipien zugrundeliegenden Rechtsnormen auch in nichtinternationalen Konflikten befasst habe (siehe ILC, Second Report on Protection of the Environment in Relation to Armed Conflicts by Marja Lehto, Special Rapporteur, 27. März 2019, A/CN.4/728, Rn. 4 m.w. N.). 25 Siehe Einleitung, Fn. 20. 26 Special Rapporteur Jacobsson verließ die Kommission 2016 zum Ende ihrer regulären Mitgliedschaft, sodass die Arbeit der ILC zu diesem Thema zunächst ruhte. Erst im darauffolgenden Jahr wurde Marja Lehto als ihre Nachfolgerin bestimmt. Siehe ILC, Report of the International Law Commission on the Work of its 69th Session 2017, UN GAOR 72nd Session, Supp. No. 10, A/72/10, S. 281.
1. Teil
Umwelt – Konflikt – Recht § 1 Umwelt – ein Definitionsversuch im Kontext bewaffneter Konflikte „The environment is not an abstraction but represents the living space, the quality of life and the very health of human beings, including generations unborn.“ 1
Mit diesen Worten beschrieb der Internationale Gerichtshof (IGH) 1996 die Umwelt als mögliches Opfer des Einsatzes von Atomwaffen. Eine Konkretisierung des Begriffs der „Umwelt“ nahm der Gerichtshof nicht vor. Für den Zweck seines Atomwaffengutachtens war eine gesonderte Eingrenzung auch nicht notwendig, schließlich befasste sich der IGH allein mit der grundsätzlichen Zulässigkeit des Einsatzes von Waffen, deren Zerstörungskraft nahezu jeden Bestandteil unseres Planeten vernichten kann. Wie eng oder weit der Begriff „Umwelt“ zu fassen ist, war angesichts dieser Bedrohung unerheblich. Für die Analyse humanitärrechtlicher Schutznormen zugunsten der Umwelt im Kontext bewaffneter Konflikte ist die Definition des IGH jedoch zu unbestimmt. Würde der Fokus allein auf die Umwelt als Gesamtheit unseres Lebensraums gelegt, wäre es nicht möglich, bereits bestehende Vorschriften zu identifizieren, die zwar nicht der Umwelt als Gesamtheit, wohl aber einzelnen Bestandteilen Schutz vermitteln. Darüber hinaus hat die Reichweite des Begriffs notwendig Einfluss auf die Identifikation von Schutzdefiziten. Für den Zweck der nachfolgenden Analyse ist daher eine genauere Befassung mit dem Inhalt und Umfang des Umweltbegriffs notwendig. Aus diesem Grund verbietet es sich auch, zugunsten zukünftiger Flexibilität in der Handhabung des Begriffs gänzlich auf eine Definition zu verzichten. Dieser Weg, der erst kürzlich von ILC Special Rapporteur Lehto für die in Entstehung befindlichen Draft Principles zum Schutz der Umwelt im Verhältnis zu bewaffne-
1 IGH, Legality of the Threat or Use of Nuclear Weapons (Nuclear Weapons Case), Advisory Opinion vom 8. Juli 1996, I.C.J. Reports 1996, S. 226 ff., Rn. 29. Diese Definition griff der Gerichtshof in der Folgezeit auch in IGH, Case concerning the Gabcˇíkovo-Nagymaros Project (Hungary v. Slovakia), Urteil vom 25. September 1997, I.C.J. Reports 1997, S. 7 ff., Rn. 53 wieder auf. Auch in dieser Entscheidung ging der IGH nicht näher auf die durch die Definition erfassten Umweltbestandteile ein.
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1. Teil: Umwelt – Konflikt – Recht
ten Konflikten vorgeschlagen wurde,2 hat zwar den Vorteil, die Ergebnisse der Arbeit für künftige Erkenntnisse über Bestandteile der Umwelt und ihre Zusammenhänge nutzbar zu machen3, jedoch ist der hier verfolgte Ansatz nicht mit dem der Aufstellung der ILC Draft Principles zu vergleichen. Die Arbeit der ILC ist primär auf die Zukunft gerichtet. Die Kommission bemüht sich um eine Zusammenstellung von Regeln und Prinzipien, die der Umwelt vor, während, und im Nachgang bewaffneter Konflikte Schutz verleihen. Sollten die Draft Principles von der Staatengemeinschaft akzeptiert werden4, werden sie zukünftig auch als Richtwerte der Zulässigkeit von Schädigungshandlungen im Konfliktkontext dienen. Sie heute bereits mit Blick auf zukünftige wissenschaftliche Erkenntnisse zu formulieren, ist überaus sinnvoll. Die zuvor genannten Gründe stehen diesem Ansatz in der nachfolgenden Analyse allerdings entgegen. Ohne zu klären, welche Bestandteile unseres Lebensraums von dem Begriff der Umwelt erfasst sind, lässt sich nicht klären, ob und in welchem Umfang sie durch das geltende Recht Schutz erfahren. Eine Definition des Begriffs „Umwelt“ findet sich im humanitären Völkerrecht nicht. Die wenigen Vorschriften des ius in bello, die sich ausdrücklich mit der Bewahrung der Umwelt im Kontext bewaffneter Konflikte befassen5, spezifizieren den Umfang der durch den Begriff erfassten Güter nicht. In den ersten ausdrücklich umweltschützenden Normen des humanitären Völkerrechts, den Art. 35 (3) und 55 des ersten Zusatzprotokolls zu den Genfer Abkommen von 1977 (ZP I)6, heißt es lediglich, es sei verboten, bestimmte qualifizierte Schäden der sogenannten natürlichen Umwelt zu verursachen. Welche Elemente unseres Lebensraums von diesem Verbot erfasst sind, bleibt ungeklärt. Ein Rückgriff auf allgemeines Völkerrecht führt ebenso nicht weiter, denn die Grenzen des erst im
2 ILC, Second Report on Protection of the Environment in Relation to Armed Conflicts by Marja Lehto, Special Rapporteur, 27. März 2019, A/CN.4/728, Rn. 193. 3 Special Rapporteur Lehto begründete ihren Vorschlag, auf eine Definition des Begriffs zu verzichten, zum einen damit, dass die Umwelt ein Konzept darstelle, das sich aufgrund wissenschaftlicher Erkenntnisse fortwährend wandle und weiterentwickele. Zudem verändere der Mensch die Umwelt weiterhin stetig. Beide Erwägungen verringerten, so Letho, den Nutzen einer starren Definition (ibid., Rn. 192). 4 Staatenvertreter, internationale und nichtinternationale Organisationen sind aufgerufen, bis Dezember 2020 ihre Bemerkungen zu den derzeitigen Draft Principles der Kommission zu übermitteln. Vgl. ILC, Report of the International Law Commission on the Work of its 71st Session 2019, UN GAOR 74th Session, Supp. No. 10, A/74/10, S. 210. 5 Gemeint sind Art. 35 (3) und 55 ZP I sowie die ENMOD-Konvention (Convention on the Prohibition of Military or Any Other Hostile Use of Environmental Modification Techniques vom 10. Dezember 1976, 1108 UNTS 151). 6 Protocol Additional to the Geneva Conventions of 12 August 1949, and relating to the Protection of Victims of International Armed Conflicts vom 8. Juni 1977, 1125 UNTS 3 (ZP I).
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20. Jahrhunderts geprägten7 Umweltbegriffs als Gegenstand völkerrechtlicher Vorschriften stehen auch heute nicht fest. Trotz einer Vielzahl internationaler Verträge sowie Studien verschiedener Regierungs-, Nichtregierungs- und UN-Organisationen, die bislang dem Schutz der Umwelt durch Völkerrecht gewidmet wurden, besteht bis heute keine universal gültige Definition.8 Lange Zeit war diese auch nicht nötig. Bis in die 1980er Jahre widmeten sich umweltvölkerrechtliche Verträge lediglich einzelnen Schutzbereichen, wie beispielsweise der Erhaltung der Flora und Fauna oder einzelnen Spezies wie Meeressäugetieren.9 Eine Definition der Umwelt als Oberbegriff dieser Schutzobjekte erübrigte sich. Aber auch mit dem Aufkommen völkerrechtlicher Verträge und Deklarationen, die dem Schutz der Umwelt als Ganzes gewidmet sind, entwickelte sich keine allgemeingültige Definition der Umwelt. Stattdessen finden sich teilweise deutlich voneinander abweichende Beschreibungen.10
7 Der Begriff Umwelt tauchte zum ersten Mal im 18. Jahrhundert in einem auf Deutsch verfassten poetischen Werk des dänischen Dichters J. Baggessen als Bezeichnung der Umgebung von Tieren und Menschen auf. In der Folgezeit diente der Begriff als Übersetzung von „milieu“ in der französischen Sprache (näher: Blasius, Erkenntnistheoretische und physiologische Klarstellungen zum Umwelt-Begriff Jacob von Uexkülls, Gießener Universitätsblätter 18 (1985), S. 59 f.; Kluge/Seebold, Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache, „Umwelt“, S. 940). Erst später näherte sich die Bezeichnung ihrer heutigen Bedeutung. Sie ist dem Biologen Jakob Johann von Uexküll zuzuschreiben (Uexküll, Umwelt und Innenwelt der Tiere), der 1909 als Erster die Umwelt als „System richtender Kräfte“ (S. 239) für einen Organismus beschrieb. So sprach er jedem Organismus, jeder Tierart und auch dem Menschen eine eigene Umwelt zu, welche als Lebensraum eigene, auf das Subjekt wirkende Faktoren (z. B. Büsche, Wasserflächen, Farben, Licht, etc.) besäße (S. 248). 8 Zum Fehlen einer universell akzeptierten Definition auch ILC, Draft Principles on the allocation of loss in the case of transboundary harm arising out of hazardous activities, with commentaries, UN Doc. A/61/10, Kommentierung zum damaligen Draft Principle 2, Rn. 19; ILC, Preliminary Report on the Protection of the Environment in Relation to Armed Conflicts, 30. Mai 2014, submitted by Marie G. Jacobsson, Special Rapporteur, A/CN.4/674, Rn. 80 sowie zuletzt ILC, Second Report on Protection of the Environment in Relation to Armed Conflicts by Marja Lehto, Special Rapporteur, 27. März 2019, A/CN.4/728, Rn. 186 ff. Ausführlich Witteler, Die Regelungen der neuen Verträge des humanitären Völkerrechts und des Rechts der Rüstungsbegrenzung mit direktem Umweltbezug, S. 6 f. 9 Hulme, War Torn Environment: Interpreting the Legal Threshold, S. 12. 10 Frühe Umweltverträge schützten unter dem Begriff der Umwelt allein Flora und Fauna (vgl. ausführlich Sands, Principles of International Environmental Law, S. 25 f.). Art. XX (b) und (g) des Allgemeinen Zoll- und Handelsabkommen (General Agreement on Tariffs and Trade vom 1. Januar 1947, 55 UNTS 194 – GATT 1947) verweisen auf den Schutz des Lebens oder der Gesundheit von Personen und Tieren, die Erhaltung des Pflanzenwuchses (b) sowie der nicht erneuerbaren natürlichen Ressourcen. Die Erklärung von Stockholm von 1972 (Declaration of the United Nations Conference on the Human Environment vom 16. Juni 1972, A/Conf.48/14/Rev. 1, S. 3 ff.) enthält in Principle 2 einen breiteren Umweltansatz, der auch Ökosysteme enthält. M. w. N. Sands, Principles of International Environmental Law, S. 876 ff.
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Zuletzt sind die Grenzen des Begriffs der Umwelt selbst im allgemeinen Sprachgebrauch nicht geklärt. Über die Bezeichnung als Oberbegriff für natürliche Phänomene wie Flora oder Fauna hinaus, findet der Ausdruck „Umwelt“ auch Verwendung für soziale, kulturelle und wirtschaftliche Zusammenhänge sowie Umgebungen physischer, psychischer oder soziologischer Natur.11 Eingegrenzt auf den Kontext bewaffneter Konflikte erscheint zwar allein die physische Komponente des Umweltbegriffs von Bedeutung zu sein, als Beschreibung der Gesamtheit der physischen Umgebung eines Organismus sowie aller naturwissenschaftlich greifbaren Prozesse12 ist der Begriff dennoch zunächst zu weit, um als Ausgangspunkt spezifischer Handlungsverbote des humanitären Völkerrechts zu dienen, schließlich sind gerade im Kontext kriegerischer Auseinandersetzungen, anders als beispielsweise bei politischen Absichtserklärungen, erhöhte Anforderungen an die Präzision und Spezifikation einer Regelung zu stellen, die von jedem am Konflikt beteiligten Individuum eingehalten werden soll.
A. Die natürliche, die beeinflusste und die erzeugte Umwelt Welchen Umfang sollte die Definition der Umwelt als Gegenstand humanitärrechtlicher Regelungen haben? Um den Begriff greifbar zu machen, kann „Umwelt“ zunächst in grundlegende Kategorien klassifiziert werden. So teilt beispielsweise Salter die Umwelt in drei Typen als Anknüpfungspunkte rechtlicher Schutznormen auf: Die natürliche Umwelt („natural environment“) als Bezeichnung von Flora und Fauna und ähnlichen ursprünglichen Phänomenen, die durch den Menschen geschaffene Umwelt („man-made environment“), mit der er das Kulturerbe einer Region beziehungsweise der Menschheit beschreibt sowie die menschliche Umwelt („human environment“) die zusätzlich alle durch den Menschen geschaffenen Produkte und Umgebungen umfasst.13 Die Vereinigung aller drei Komponenten wahrnehmbarer Umwelt hätte den Anspruch, alles Existierende abzudecken. Ähnliche Kategorisierungen sind in der Diskussion über den völkerrechtlichen Schutz der Umwelt mehrfach zu finden.14 11 Ausführlich m.w. N.: Witteler, Die Regelungen der neuen Verträge des humanitären Völkerrechts und des Rechts der Rüstungsbegrenzung mit direktem Umweltbezug, S. 9. 12 Witteler, a. a. O., S. 13 nennt zu Recht chemische, biologische, geologische, atmosphärische, ionosphärische, hydrosphärische sowie meteorologische Prozesse und Wirkungen. 13 Unabhängig vom humanitären Völkerrecht für alle Arten rechtlicher Regelungen: Salter, European environmental law (Loseblattsammlung); aufgegriffen zum Zweck einer Definition von „environment“ von Larsson, The Law of Environmental Damage, S. 123. 14 Sands, Principles of International Environmental Law, S. 876 ff.; Hulme, War Torn Environment: Interpreting the Legal Threshold, S. 18 verweist in diesem Zusammenhang auf die während der Verhandlungen um den Wortlaut der umweltschützenden Normen des ZP I verwendeten Begriffsbestandteile der Umwelt.
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Als Gegenstand einer Schutznorm wäre die Vereinigung aller dieser Komponenten unter dem Begriff der Umwelt in sinnloser Weise weit.15 Daher beschränken sich umweltvölkerrechtliche Abkommen regelmäßig auf die erste, beziehungsweise die ersten beiden genannten Komponenten.16 Diese Einschränkung ist auch für das humanitäre Völkerrecht notwendig, schließlich werden durch den Menschen geschaffene Objekte wie Gebäude oder Anlagen bereits durch spezielle Schutznormen erfasst.17 Menschlich beeinflusste Umweltbestandteile, wie Anbaugebiete, Wälder, Viehbestände oder auch Kulturlandschaften, Nationalparks und natürlichen Kulturdenkmäler sind dagegen sinnvollerweise dem Begriff der Umwelt als Schutzgegenstand zuzuordnen, schließlich kann das Maß menschlicher Beeinflussung der Umwelt heute nur noch auf einer Skala der Beeinflussungsstärke gemessen werden. Eine strikte Unterscheidung zwischen ursprünglicher und durch den Menschen veränderter Umwelt ist kaum mehr möglich. Innerhalb Mitteleuropas und anderer stark bevölkerter Regionen existieren kaum noch unkultivierte Landstriche.18 Aber auch abgelegene Gebiete sind durch Schadstoffmigration und Transmission sowie durch resultierende Eutrophierung des Bodens und der Gewässer 15 So auch Erbguth/Schlacke, Umweltrecht, S. 39: „[. . .] Umweltrecht [wäre] gleichzusetzen mit der gesamten Rechtsordnung“; ähnlich: Ramsauer, Allgemeines Umweltverwaltungsrecht, in: Koch (Hrsg.), Umweltrecht, S. 214. 16 Dies gilt selbst für weite Definitionen der Umwelt wie z. B. Art. 2 (10) der Council of Europe Convention on Civil Liability for Damage resulting from Activities Dangerous to the Environment vom 21. Juni 1993, 32 ILM 1239 (Lugano Convention, nicht in Kraft). Nach ihr enthalte der Begriff der Umwelt: „• natural resources both abiotic and biotic, such as air, water, soil, fauna and flora and the interaction between the same factors; • property which forms part of the cultural heritage; and • the characteristic aspects of the landscape.“ Ähnlich fomuliert ist auch Art. 1 (2) der Convention on the Protection and Use of Transboundary Watercourses and International Lakes vom 17. März 1992, 1936 UNTS 269: „[E]ffects on the environment include effects on human health and safety, flora, fauna, soil, air, water, climate, landscape and historical monuments or other physical structures or the interaction among these factors; they also include effects on the cultural heritage or socio-economic conditions resulting from alterations to those factors.“ 17 Beispielsweise in Art. 11 und Art. 15 ZP II. 18 Ausnahmen könnten Teile des alpinen Hochgebietes und Wattenmeers in Europa sein. Die Beispiele ließen sich auch auf andere Regionen der Erde übertragen. In Gebieten, in denen sich menschliche Zivilisation in weitem Maß ausgebreitet hat, ist unberührte Natur kaum möglich (Meyer, Der Wert der Natur, S. 31. Ebenso: Witteler, Die Regelungen der neuen Verträge des humanitären Völkerrechts und des Rechts der Rüstungsbegrenzung mit direktem Umweltbezug, S. 14. Eisermann et al., Schutz der Umwelt im bewaffneten Konflikt – Forschungsproblematik aus naturwissenschaftlicher und völkerrechtlicher Sicht, in: Spieker (Hrsg.), Naturwissenschaftliche und völkerrechtliche Perspektiven für den Schutz der Umwelt im bewaffneten Konflikt?, S. 11 f. nennen Felsspalten-Gesellschaften in Hochgebirgen, Hochmoore und Urwälder als Beispiele mit „hohem Natürlichkeitsgrad“.
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und Veränderungen des Klimas letztlich vom Menschen beeinflusst. Die Natürlichkeit der Umwelt könnte also nur in Relation zu weniger natürlichen Gebieten bestimmt werden19; als Grundlage rechtlicher Handlungsverbote ist eine vergleichende Definition des Begriffs Umwelt jedoch ungeeignet. Darüber hinaus wäre eine auf den Erhalt der ursprünglichen, unbeeinflussten Umwelt gerichtete Definition auch unter Schutzgesichtspunkten nicht sinnvoll. Kultivierte Landschaften und Ressourcen sind für die ansässigen Bevölkerungen sowie für die gesamte Menschheit von ähnlichem Nutzen und Wert wie unveränderte natürliche Ressourcen und Umweltbestandteile. Statt eine künstliche Trennlinie zwischen menschlich kultivierter Umwelt und einer nur noch selten zu findenden ursprünglichen Umwelt zu ziehen, bietet sich die Frage nach dem Ursprung des jeweiligen Objekts in einem menschlichen Schaffungsakt an.20 Kultivierte Anbauflächen, Nutztiere sowie durch die Präsenz von Bevölkerungen geprägte Landstriche wären danach ohne weiteres „Umwelt“. Die durch eigenständige Vorschriften abgedeckten Produkte menschlichen Schaffens blieben dagegen außen vor.21 Ob das Schutzobjekt humanitärrechtlicher Vorschriften als „natürliche Umwelt“ oder lediglich als „Umwelt“ bezeichnet wird, ist dagegen unerheblich. Zwar schützen die Art. 35 (3) und Art. 55 ZP I ausdrücklich die natürliche Umwelt („natural environment“), während sich die ENMOD-Konvention allein mit dem Verbot der Modifikation der Umwelt („environment“) befasst, eine unterschiedliche Begriffsweite scheint durch den Zusatz der Natürlichkeit jedoch nicht bewirkt.22 So erläuterte auch die Kommentierung des Internationalen Komitee 19 Siehe Eisermann et al., a. a. O., S. 11, die Natürlichkeit als „Bestandteil des Konzeptes abgestufter anthropogener Beeinflussungsgrade“ verstehen. Zu „vergleichsweise“ bestehender Natürlichkeit auch: Meyer, Der Wert der Natur, S. 31. 20 Das Vorhandensein eines Schaffungsakts des Menschen wird meist im Kontext der Kulturgüterdefinition verwendet. Zu diesen sogleich, 1. Teil, § 1, B., II., 3. 21 Auch im humanitären Völkerrecht wurde die Unterscheidung zwischen „human environment“ und „natural environment“ erst im Entstehungsprozess der Zusatzprotokolle von 1977 deutlich. Einige erste Normvorschläge des späteren Art. 35 (3) ZP I enthielten stattdessen die Formulierung „natural human environment“ (CE 1972, Report, Band II, S. 51, 63). In den Vorschlägen zum Schutz der Umwelt im nichtinternationalen bewaffneten Konflikt fand sich ebenso die Formulierung „natural human environmental conditions“ (ibid., S. 47). Siehe dazu ebenso die Vorschläge der Delegierten zur Fassung des ZP I in der befassten diplomatischen Konferenz CDDH. U. a.: „It is forbidden to use methods and means which disturb or alter the ecological balance of the human environment“ (CDDH/III/222 in: CDDH, Official Records of the Diplomatic Conference on the Reaffirmation and Development of International Humanitarian Law applicable in Armed Conflicts, Genf, 1974–1977, Band III, S. 156). Näher Preux, Commentary on Art. 35 AP I, in: Sandoz/Swinarski/Zimmermann (Hrsg.), Commentary on the Additional Protocols of 8 June 1977 to the Geneva Conventions of 12 August 1949, Rn. 1444. 22 Aus dem ZP I selbst wird nicht ersichtlich, welchen Bedeutungsgehalt der Bezeichnung zukommen soll. Eisermann et al., Schutz der Umwelt im bewaffneten Konflikt – Forschungsproblematik aus naturwissenschaftlicher und völkerrechtlicher Sicht,
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vom Roten Kreuz (IKRK) zu Art. 55 ZP I, der Begriff der natürlichen Umwelt müsse im weitest möglichen Sinn verstanden werden und die biologische Umgebung erfassen, in der eine Bevölkerung lebe.23 Die Natürlichkeit der Umwelt ist nach dieser Beschreibung unerheblich. Der Zusatz der Natürlichkeit der Umwelt bringt keine weitere Klarheit und daher wenigstens für eine juristische Definition keinen Nutzen. Es ist möglich, den Begriff der Umwelt ohne einen ausdrücklichen Verweis auf die Natürlichkeit der erfassten Elemente von menschlich erzeugten Objekten abzugrenzen. Dies entspricht schließlich dem allgemeinen Sprachgebrauch. Der Zusatz der Natürlichkeit ist im vorliegenden Kontext also nicht notwendig, um den Schutzumfang des Umweltbegriffs zu bestimmen. „Umwelt“ und „natürliche Umwelt“ können als Gegenstand humanitärrechtlicher Regelungen als Synonyme verstanden werden.24
B. Bestandteile I. Biotische und abiotische Faktoren und ihre wechselseitigen Beziehungen Auf Basis dieser Eingrenzung lassen sich dem Begriff der Umwelt unproblematisch alle biotischen (Flora und Fauna) und abiotischen Ressourcen und Faktoren (Wasser, Böden, Klima, Atmosphäre etc.) zuordnen, die auf der Erde wirken.25 Sinnvollerweise fällt der Schutz menschlichen Lebens nicht in diese Aufzählung. Seine Bewahrung ist durch spezielle Vorschriften zu regeln.26 in: Spieker (Hrsg.), Naturwissenschaftliche und völkerrechtliche Perspektiven für den Schutz der Umwelt im bewaffneten Konflikt?, S. 10 f. sehen die (alleinige) Aussagekraft des Adjektivs in einer systematischen Abgrenzung zu den vom Menschen geschaffenen Anlagen und Einrichtungen, die gefährliche Kräfte enthalten (Art. 56 ZP I). 23 Pictet/Preux, Commentary on Art. 55 AP I, in: Sandoz/Swinarski/Zimmermann (Hrsg.), Commentary on the Additional Protocols of 8 June 1977 to the Geneva Conventions of 12 August 1949, Rn. 2126. Zitiert auch bei ILC, Second Report on Protection of the Environment in Relation to Armed Conflicts by Marja Lehto, Special Rapporteur, 27. März 2019, A/CN.4/728, Rn. 194. 24 In der nachfolgenden Analyse wird ausschließlich aus Formulierungsgründen teils auf die Umwelt und teils auf die natürliche Umwelt als Schutzobjekt abgestellt, ohne dass der Zusatz der Natürlichkeit einen abweichenden Definitionsumfang markieren soll. Anderer Ansicht waren offensichtlich einige Mitglieder der ILC, die eine Entscheidung über die Verwendung des Begriffs der Natürlichkeit der Umwelt für die in Entstehung befindlichen Draft Principles über den Schutz der Umwelt in Verhältnis zu bewaffneten Konflikten für sinnvoll und notwendig erachteten. Vgl. ILC, Provisional summary record vom 22. September 2015 of the 3269th meeting vom 14. Juli 2015, A/ CN.4/SR.3269, S. 10. 25 Abiotische Umweltfaktoren wie z. B. Licht, Gezeiten und Winde haben Ihren Ursprung in physikalischen Vorkommnissen außerhalb der Erde selbst (Corioliskraft der Erddrehung, Gravitation des Mondes, Sonne). Ihre Wirkung aber ist ähnlich solcher Faktoren, die auf der Erde selbst entstehen (Erdbeben, Niederschlag etc.). Sie sollten daher gleichbehandelt werden. Andere Ansicht: Odendahl, Nature, International Protection, in: Wolfrum (Hrsg.), The Max Planck Encyclopedia of Public International Law,
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Eine auf diese Bestandteile begrenzte Definitionskomposition würde jedoch verkennen, dass gerade das Zusammenspiel verschiedener Umweltfaktoren in einer Region, in einzelnen Biotopen und Ökosystemen, den spezifischen Charakter eines Gebiets bestimmt27 und für den Erhalt von Flora und Fauna sowie deren Funktionen für den Menschen notwendige Voraussetzung ist. Schon in der Erklärung der Weltumweltkonferenz von Stockholm 197228, eines der ersten Bekenntnisse modernen internationalen Umweltschutzes, wird dieser Erkenntnis in Prinzip 2 Rechnung getragen: „The natural resources of the earth, including the air, water, land, flora and fauna and especially representative samples of natural ecosystems, must be safeguarded for the benefit of present and future generations through careful planning or management, as appropriate.“ 29 opil.ouplaw.com/home/EPIL, Rn. 1. Auch UNEP liefert eine engere Definition des Begriffs für den Kontext bewaffneter Konflikte: „The sum of all external conditions affecting the life, development and survival of an organism. [. . .] environment refers to the physical conditions that affect natural resources (climate, geology, hazards) and the ecosystem services that sustain them (e. g. carbon, nutrient and hydrological cycles)“ (UNEP, Protecting the environment during armed conflict, S. 56). In dieser Definition scheinen Organismen (Flora und Fauna) selbst nicht enthalten zu sein. Diese Eingrenzung würde den Begriff der Umwelt jedoch deutlich zu eng fassen und relevante und schutzbedürftige Komponenten ausgrenzen. Weitere Unsicherheit im Rahmen dieser Definition ist die Verwendung des erwähnenswerten Begriffs „ecosystem services“. Dieser bezieht sich im Wortlaut der Definition von UNEP auf Nährstoffkreisläufe etc., welche natürliche Ressourcen aufrechterhalten. Geprägt wurde der Begriff allerdings durch die Definition des Millennium Ecosystem Assessment (MA) als dem Menschen nutzende Ökosystemleistung: „Ecosystem services are the benefits people obtain from ecosystems. These include provisioning services such as food, water, timber, and fiber; regulating services that affect climate, floods, disease, wastes, and water quality; cultural services that provide recreational, aesthetic, and spiritual benefits; and supporting services such as soil formation, photosynthesis, and nutrient cycling.“ (Millennium Ecosystem Assessment, Ecosystems and human well-being, Synthesis, S. V). Unter diese Beschreibung fallen nur solche Funktionen eines Ökosystems, welche dem Menschen unmittelbar nutzen – so z. B. die natürliche Filtration von Regenwasser in Trinkwasser oder die Reproduktion von Nahrungsressourcen. So verstanden wäre nur ein Bruchteil tatsächlicher Ökosystemleistungen umfasst. Hintergrund der begrenzten Definition des MA ist selbstverständlich seine Aufgabe: Ziel des MA ist die Untersuchung der Folgen von Ökosystemveränderungen auf das menschliche Wohlergehen. Für eine Auseinandersetzung mit „ecosystem services“ und Haftung für ihre Zerstörung während bewaffneter Konflikte lohnenswert: Das, Environmental Protection, Security and Armed Conflict: A sustainable development perspective, S. 2 (zur Definition des MA), S. 183 ff. (zu Haftungsfragen). 26 Vgl. auch Witteler, Die Regelungen der neuen Verträge des humanitären Völkerrechts und des Rechts der Rüstungsbegrenzung mit direktem Umweltbezug, S. 15. 27 Dazu Meyer, Der Wert der Natur, S. 16–22. 28 Declaration of the United Nations Conference on the Human Environment vom 16. Juni 1972, A/Conf.48/14/Rev.1, S. 3 ff. 29 Eine ausdrückliche Definition findet sich in der Erklärung zwar nicht, ihre Präambel umfasst allerdings sowohl die natürliche wie auch die vom Menschen geschaffene
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Einige moderne Umweltübereinkommen, wie beispielsweise das Übereinkommen über biologische Vielfalt (Convention on Biological Diversity – CBD),30 gehen nochmals einen Schritt weiter. Anders als das Prinzip 2 der Stockholmer Erklärung erfassen sie nicht nur bestimmte, repräsentative Ökosysteme. Ihnen liegt stattdessen ein breiterer Definitionsansatz zugrunde, der biotische und abiotische Komponenten ebenso wie deren Zusammenspiel abdeckt.31 Der sogenannte Ökosystemansatz („ecosystem approach“), der auf den Erhalt eines gesamten Ökosystems und nicht nur einzelner Umweltbestandteile abzielt, ist mittlerweile ein verbreiteter Ansatz der Umweltpolitik.32 Denn die Schädigung einzelner Komponenten eines Ökosystems wird unabhängig von der Art und Weise ihrer Verursachung nahezu zwangsläufig eine Beeinträchtigung anderer Elemente des selben Systems nach sich ziehen, zeichnet sich dieses doch gerade durch das Beziehungsgefüge zwischen verschiedenen Organismen und abiotischen Bestandteilen aus.33 Der Lebensraum Erde, dessen Erhaltung durch den Schutz der Umwelt letztendlich bezweckt wird, ist ohne das Zusammenwirken von Organismen und Bestandteilen nicht zu erklären. Ohne sie kann Umwelt daher nicht sinnvoll definiert werden. Auch im Rahmen des humanitären Völkerrechts ist die Einbeziehung von Ökosystemen in den Begriff der Umwelt also sinnvoll, ja sogar notwendig.34 Schon im Verlauf der Verhandlungen der diplomatischen Konferenz, die
Umwelt (vgl. Präambel, Absatz 1, Satz 3, ibid.). Die ausdrückliche Begrenzung der in der Stockholmer Erklärung erkannten Schutzwürdigkeit bestimmter, repräsentativer Ökosysteme ist nicht nur beispielhaft für einen rein anthropozentrischen Schutzansatz, sie ist ebenso nicht geeignet, in konkreten Einzelfällen Schutz zu gewähren. Für den Zweck einer frühen und rechtlich nicht verbindlichen anthropozentrisch geprägten Absichtserklärung über den Schutz für den Menschen wertvoller Umwelt mag diese Wortwahl durchaus berechtigt sein. Hier zeigt sich erneut die Zweckgebundenheit eines jeden Formulierungs- oder Definitionsansatzes. 30 Convention on Biological Diversity vom 5. Juni 1992, 1760 UNTS 79 (CBD). 31 Die CBD (ibid.) erkennt, wenngleich sie keine Definition der Umwelt aufweist, den notwendigen Zusammenhang zwischen dem Schutz lebender Organismen und der Bewahrung der sie umgebenden Ökosysteme. Siehe Artikel 1 und 2 – Definition „biological diversity“. Vgl. auch Art. 2 der 1993 Lugano Convention (Teil 1, Fn. 16). 32 Für eine detaillierte Auseinandersetzung mit der Bedeutung des Ansatzes im Rahmen der CBD: Secretariat of the Convention on Biological Diversity, The Ecosystem Approach, S. 6 ff. 33 Dies gilt unabhängig davon, ob der holistischen oder der individualistischen Ökosystemtheorie zu folgen ist. Auch die individualistische Theorie, wenngleich sie den holistischen Ansatz der Funktionsfähigkeit des Systems als dessen Zweck ablehnt, geht von einem Zusammenhang aller Komponenten des Ökosystems aus. (Diesen begründet die individualistische Theorie jedoch mit der Anpassung der Produzenten und Destruenten an die abiotischen Umweltbedingungen innerhalb eines Systems.) Näher: Meyer, Der Wert der Natur, S. 16–19; ausführlicher Überblick statt vieler bei: Voigt, Theorien synökologischer Einheiten – ein Beitrag zur Erklärung der Uneindeutigkeit des Ökosystembegriffs, S. 180 ff., insb. S. 181 f. 34 In diesem Sinne äußerte sich bereits die mit der Frage der Haftung des Irak für die im zweiten Golfkrieg verursachten Umweltschäden befasste Arbeitsgruppe, die im
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mit der Schaffung der Zusatzprotokolle von 1977 befasst war (Diplomatic Conference on the Reaffirmation and Development of International Humanitarian Law Applicable in Armed Conflicts; CDDH), wurde vorgeschlagen, Störungen ökologischer Kreisläufe durch Mittel und Methoden der Kriegsführung in jeder Art bewaffneter Konflikte zu untersagen.35 Wenngleich sich ein entsprechender Verbotsentwurf letztlich nicht durchsetzen konnte36, ist die Erhaltung von Ökosystemen Grundlage heutigen Vertragsrechts. Die derzeit vertraglich verankerten, explizit umweltschützenden Normen des Regimes können, wenngleich sie den Begriff der Umwelt doch selbst nicht näher erläutern, ohne die Beachtung von Ökosystemzusammenhängen keine Anwendung finden. So setzt das in Art. 35 (3) und Art. 55 ZP I niedergelegte Verbot einer ausgedehnten, langanhaltenden und schweren Schädigung der Umwelt notwendig die Vorhersehbarkeit der Schadensdauer und somit eine Beachtung der natürlichen Regenerationsfähigkeit der
Zuge der Sicherheitsratsresolution 687 (UNSC, Resolution 687 vom 3. April 1991, S/ RES/687) die Vorfragen der Haftung klären und unter anderem auch eine nutzbare Definition der Umwelt erarbeiten sollte. Sie kam zu dem Schluss, dass auch durch abiotische und biotische Faktoren gebildete Ökosysteme zu dem Begriff der Umwelt zu zählen seien: UNEP, Report of the Working Group of Experts on liability and compensation for environmental damage arising from military activities, UNEP/Env.Law/3/ Inf.1. 35 Im Verlauf der Ausarbeitung der Zusatzprotokolle von 1977 in der CDDH wurde der Stellung der Ökosysteme als Teil der Umwelt Rechnung getragen. Im Rahmen des mit der Thematik des Umweltschutzes befassten III. Komitees sowie der dem Komitee untergeordneten informellen Arbeitsgruppe Biotope (CDDH/215/Rev.l in: CDDH, Official Records of the Diplomatic Conference on the Reaffirmation and Development of International Humanitarian Law Applicable in Armed Conflicts, Genf, 1974–1977, Band XV, S. 268, Rn. 24 f.) wurde u. a. ein zusätzlicher Paragraph zum Schutz vor Störungen ökologischer Kreisläufe durch Mittel und Methoden der Kriegsführung vorgeschlagen (CDDH/III/GT/35; zitiert in: Sandoz/Swinarski/Zimmermann (Hrsg.), Commentary on the Additional Protocols of 8 June 1977 to the Geneva Conventions of 12 August 1949, Rn. 1447), der auch für nichtinternationale bewaffnete Konflikte Geltung beanspruchen sollte: „It is forbidden to employ methods and means of warfare which damage the environment in such a way that the stability of the ecosystem is disturbed“. So der Vorschlag des Gesandten Fischer (DDR) zur Einfügung eines entsprechenden Absatzes in das ZP II, CDDH/III/SR.32 in: CDDH, Official Records of the Diplomatic Conference on the Reaffirmation and Development of International Humanitarian Law Applicable in Armed Conflicts, Geneva (1974–1977), Band XIV, S. 310. Obwohl von mehreren Staaten ähnliche Vorschläge mit Bezug auf die schützenswerte Balance der Ökosysteme vorgebracht worden waren (für nichtinternationale bewaffnete Konflikte beispielsweise auch: CDDH/III/89 in: CDDH, Official Records of the Diplomatic Conference on the Reaffirmation and Development of International Humanitarian Law, Genf, 1974–1977, Band IV, S. 79) konnte sich keiner dieser Vorschläge durchsetzen (für das ZP I: CDDH/215/Rev.I in: CDDH, Official Records of the Diplomatic Conference on the Reaffirmation and Development of International Humanitarian Law Applicable in Armed Conflicts, Geneva (1974–1977), Band XV, S. 268, Rn. 26). 36 Die Haltung der Sowjetunion und der USA scheinen ausschlaggebend für dieses Ergebnis gewesen zu sein (so Preux, Commentary on Art. 35 AP I, in: Sandoz/Swinarski/Zimmermann (Hrsg.), Commentary on the Additional Protocols of 8 June 1977 to the Geneva Conventions of 12 August 1949, Rn. 1447).
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Umwelt37 voraus, welche zwingend durch Ökosystemzusammenhänge mitbestimmt wird.38 II. Landschaftsmerkmale Das heutige Verständnis der Zusammensetzung, aber auch der menschlichen Nutzung der Umwelt, erfordert darüber hinaus die Beachtung weiterer Faktoren, denen in der Betrachtung durch den Menschen ein Erhaltungswert zukommt. In Konsequenz definierte auch die International Law Commission den Begriff der Umwelt in ihrer Kommentierung der Draft Principles on the allocation of loss in the case of transboundary harm arising out of hazardous activities39 nicht nur als Summe natürlicher Ressourcen sowie deren Interaktion, sondern schloss darüber hinaus die „characteristics of the landscape“ 40 mit ein. Die nicht abschlie37 Galtung, Environment, Development, and Military Activity, S. 17 trennt für die Frage der Umwelterhaltung im Krieg die der Umwelt eigene Resilienzfähigkeit von der Wiederherstellung der Umwelt durch menschliches Handeln. Wiederherstellungsbemühungen durch den Menschen könnten, so Galtung, zu einer Verschlechterung des Umweltzustands führen. 38 Siehe dazu auch den Bericht des Dritten Komitees: CDDH/215/Rev. I in: CDDH, Official Records of the Diplomatic Conference on the Reaffirmation and Development of International Humanitarian Law Applicable in Armed Conflicts, Genf, 1974–1977, Band XV, S. 268 f.; insb. CDDH/236/Rev.l in: CDDH, a. a. O., S. 394, Rn. 58. Letztlich wurde für den nichtinternationalen bewaffneten Konflikt zwar keine einzige Umweltschutznorm aufgenommen, die im Verlauf der Verhandlungen der CDDH vorgebrachten Vorschläge nahmen jedoch ausdrücklich Bezug auf die für das ZP I akzeptierten Formulierungen (CDDH/III/275 in: CDDH, a. a. O., S. 366). Die Verwendung des Begriffs „Ökosystem“, der als ein räumlich begrenztes Wirkungsgeflecht abiotischer und biotischer Komponenten mit der Fähigkeit der Selbstregulierung definiert werden kann (so International Geographical Union (IGU), International Geographical Glossary, S. 843; zitiert nach Eisermann et al., Schutz der Umwelt im bewaffneten Konflikt – Forschungsproblematik aus naturwissenschaftlicher und völkerrechtlicher Sicht, in: Spieker (Hrsg.), Naturwissenschaftliche und völkerrechtliche Perspektiven für den Schutz der Umwelt im bewaffneten Konflikt?, S. 8) muss allerdings mit Vorsicht vollzogen werden. Weltweit ist kein einziges Ökosystem vollständig erforscht. Ob und inwiefern Wechselwirkungen tatsächlich von der Umgebung eines Systems abgegrenzt werden können, ist bislang noch unklar. Die räumliche Begrenzung jedes solchen Beziehungssystems ist damit zumindest teilweise ein Konstrukt menschlicher Wahrnehmung (Eisermann et al., a. a. O., S. 9 m.w. N.). Es bedarf also einer Einzelfallentscheidung zur Bestimmung der Grenzen und der Komponenten eines Ökosystems. Je nachdem, welcher Maßstab an eine Betrachtung angelegt wird, werden (negative) Veränderungen des Beziehungsgeflechts möglicherweise nicht mehr als Schaden des Systems registriert werden (so Eisermann et al., a. a. O., S. 10). Diese Unsicherheit kann für den Versuch einer Definition bislang allerdings nicht vermieden werden, beruht sie doch auf eingeschränkten wissenschaftlichen Erkenntnissen der heutigen Zeit. Sie dürfte sich auf den Schutz der Umwelt während bewaffneter Konflikte letztlich aber nicht auswirken, kommt es bei der Frage der Schädigung der Umwelt doch nicht auf die Schädigung eines (abgrenzbaren) Ökosystems an, sondern auf das Maß der verursachten oder vorherzusehenden Zerstörungen verschiedener Umweltbestandteile. 39 ILC, Draft Principles on the allocation of loss in the case of transboundary harm arising out of hazardous activities, with commentaries, UN Doc. A/61/10. 40 Principle 2 (b), ibid.
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1. Teil: Umwelt – Konflikt – Recht
ßende Aufzählung der Definition geht deutlich über die Erfassung „klassischer“ Elemente instrumenteller Umweltwerte hinaus und umfasst mit den Charakteristika von Landschaften als ästhetisches Merkmal menschlicher Umweltsichtweise auch sogenannte „non-service values“.41 Diese Einbeziehung, die sowohl durch anthropozentrische (Ästhetik, Schönheit, Genuss durch den Menschen), wie auch durch ökozentrische Wertvorstellungen (Werthaftigkeit der Landschaft beispielsweise allein aufgrund ihrer Existenz) begründet werden kann, ist angesichts der nur beschränkten Aussagekraft beispielsweise des Vorhandenseins von Flora und Fauna über die tatsächliche Erscheinung der Umwelt durchaus von Bedeutung. Die spezifische Anordnung gerade abiotischer Umweltbestandteile ist für den Menschen regelmäßig einprägsamer und nach ästhetischen Beweggründen wertvoller, als es die bloße Zusammensetzung der Umgebung aus spezifischen Prozentsätzen abiotischer und biotischer Faktoren ist. Als Voraussetzung der Entstehung und des Bestands eines Ökosystems oder einer Spezies sind die Charakteristika einer Landschaft häufig ebenso ausschlaggebend. So können Lebensräume für Tiere und Pflanzen erst aufgrund des Vorhandenseins bestimmter Felsformationen, Täler oder Gewässer entstehen. Die Charakteristika der Landschaft müssen damit notwendigerweise ebenso Bestandteil der Umweltdefinition im vorliegenden Kontext sein. III. Kulturell oder spirituell bedeutende Naturgüter Durch Menschenhand erzeugte, materielle42 Kulturgüter oder durch sie errichtete Kulturstätten43 sind häufig Opfer feindlicher Handlungen in nichtinternationalen bewaffneten Konflikten und daher zu Recht Gegenstand mehrerer spezifischer internationaler Schutzbemühungen.44 Aufgrund ihres Ursprungs in einem 41
ILC, a. a. O., Commentary zu Article 2, Rn. 20, S. 133. Der Schutz immaterieller Kulturgüter, wie beispielsweise bestimmter Rituale und Praktiken einer Bevölkerungsgruppe, bedarf eines gänzlich anderen Schutzansatzes, der mit dem Schutz der natürlichen Umwelt nicht vergleichbar ist. 43 Für eine ausführliche Auseinandersetzung mit dem Begriff des Kulturguts: Pabst, Kulturgüterschutz in nichtinternationalen bewaffneten Konflikten, S. 31–51. Zur Abgrenzung zwischen Kulturgut und Kulturerbe: Pabst, a. a. O., S. 39. Zum Einfluss der Sprache auf die Begrifflichkeiten: Frigo, Cultural property v. cultural heritage: A „battle of concepts“ in international law?, International Review of the Red Cross 86 (2004), S. 367, 375 ff. 44 Art. 23 (g) und Art. 56 der in Gewohnheitsrecht übergegangenen 1907 Haager Landkriegsordnung (HLKO; Annex to the Hague Convention (IV) respecting the Laws and Customs of War on Land: Regulations concerning the Laws and Customs of War on Land vom 18. Oktober 1907, 187 CTS 227); das Haager Abkommen zum Schutz von Kulturgut bei bewaffneten Konflikten von 1954 (Convention for the Protection of Cultural Property in the Event of Armed Conflict with Regulations for the Execution of the Convention vom 14. Mai 1954, 249 UNTS 240) sowie dessen zweites Protokoll von 1999 (Second Protocol to the Hague Convention of 1954 for the Protection of Cultural Property in the Event of Armed Conflict vom 26. März 1999, 2253 UNTS 212; Prot. II HK); Art. 16 ZP II. Zusammenfassend zum Kulturgüterschutz durch Kriegsrecht statt 42
§ 1 Umwelt – ein Definitionsversuch im Kontext bewaffneter Konflikte
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menschlichen Schaffungsakt sind sie grundsätzlich nicht der natürlichen Umwelt zuzuordnen.45 Eine besondere Schnittstelle zwischen Umwelt und kulturellem Erbe stellen allerdings Erscheinungen wie z. B. der Vulkan Fuji in Japan oder der Inselberg Uluru (Ayers Rock) in Australien dar. Als Bestandteil der natürlichen Umwelt sind sie zwar nicht von menschlicher Hand erzeugt, ihnen kommt aber dennoch eine enorme kulturelle Bedeutung, beziehungsweise Funktion zu.46 Aufvieler: Odendahl, Kulturgüterschutz, S. 107–128. Für den Schutz nationalen Kulturguts auch unterhalb der Schwelle weltweiter Bedeutung vollumfänglich überzeugend: O’Keefe, The Meaning of ,Cultural Property‘ under the 1954 Hague Convention, Netherlands International Law Review 46 (1999), S. 26, 28 f. 45 Aufgrund spezifischer Problemstellungen, wie dem Verbringen von Kulturgütern als Beute einer Konfliktpartei (zur Geschichte des Beuterechts im Krieg: Thorn, Internationaler Kulturgüterschutz nach der UNIDROIT-Konvention, S. 22 ff. Für den Fall deutscher Kulturgüter auf russischem Territorium nach Ende des Zweiten Weltkrieges: Schoen, Der rechtliche Status von Beutekunst. Ebenso: Syssoeva, Kunst im Krieg) oder ideologisch motivierter Zerstörungen von Kulturgütern ethnischer Gruppen u. a. in nichtinternationalen bewaffneten Konflikten bietet sich eine differenzierte rechtliche Handhabung dieser Schutzgüter an. Aktuelle Beispiele derartiger Bedrohungen sind die Zerstörungen und Plünderungen von Kulturstätten in Syrien und dem Irak, wie beispielsweise der historischen Altstadt von Aleppo in Syrien, die 2013 auf die UNESCO Liste gefährdeter Kulturgüter aufgenommen werden musste. In Vergangenheit erregte auch die Zerstörung eines Großteils beweglicher und unbeweglicher Kulturgüter Kambodschas unter dem Regime der Khmer Rouge internationale Aufmerksamkeit. Siehe für eine Fallstudie: Ehlert, Prosecuting the Destruction of Cultural Property in International Criminal Law, S. 175 ff. Zum Ausmaß der Zerstörung und zur Wirkung des 1954 Haager Abkommens: Clément/Quinio, La protection des biens culturels au Cambodge pendant la période des conflits armés, à travers l’application de la Convention de La Haye de 1954, International Review of the Red Cross 86 (2004). Detailliert zum Aufarbeitungsprozess nach Ende des Regimes: Dyrchs, Das hybride Khmer Rouge-Tribunal. Berühmtheit erlangte in junger Vergangenheit auch der Fall der Zerstörung der Stari Most, der Alten Brücke von Mostar, im Jahr 1993. Die Zerstörung fand Eingang in die Anklageschrift und das Urteil des ICTY im Fall ICTY, Prosecutor v. Prlic´ et al., Initial Indictment, 4. März 2004, Case No. IT-04-74, Anklagepunkte 116 und 118; ICTY, Prosecutor v. Prlic´ et al., Urteil der Verfahrenskammer vom 29. März 2013, Case No. IT04-74-T, Band 2: Factual Findings V. Alleged destruction of the Old Bridge, S. 347– 375. Das Gericht ordnete die Brücke in diesem Fall zwar als legitimes Ziel ein, sah jedoch das Proportionalitätsgebot als verletzt an (Band 4: Criminal Responsibility of the Accused, S. 63, Rn. 175). Ausführlich zum Kulturgüterschutz und dem Fall der Zerstörung der Alten Brücke: Petrovic, The Old Bridge of Mostar and Increasing Respect for Cultural Property in Armed Conflict, insb. S. 119–196. 46 Ausführlich: Teil 2, § 2, B., III. Das wohl bekannteste Beispiel rechtlicher Differenzierung zwischen Natur- und Kulturobjekten wurde durch das Übereinkommen zum Schutz des Kultur- und Naturerbes der Welt von 1972 (World Heritage Convention, WHC) aufgestellt. Die WHC differenziert zwischen Denkmälern, Gebäudeensembles und von Menschenhand geschaffenen Stätten als Kulturgütern (Art. 1) und physikalischen, biologischen, geographischen oder physiographischen Erscheinungsformen der Umwelt sowie Naturgebieten, die nicht auf einen menschlichen Schaffungsprozess zurückzuführen sind (Art. 2). Die gemäß Art. 2, 3, 11 WHC von den einzelnen Staaten auszuwählenden Naturgebiete müssen allerdings keine kulturelle Funktion aufweisen und sind daher nicht zwingend als Kulturgut zu klassifizieren. Entscheidend ist für die WHC vielmehr die universelle Werthaftigkeit des Objekts oder Gebiets. Als Weltnaturerbe auf der WHC Welterbeliste eingetragen sind daher beispielsweise auch die Buchen-
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1. Teil: Umwelt – Konflikt – Recht
grund des Fehlens eines menschlichen Schaffungsaktes werden diese Güter teilweise, wenngleich nicht immer47, von dem völkerrechtlichen Kulturgüterbegriff ausgenommen.48 Unabhängig von dieser Definitionsentscheidung sind derartige Naturphänomene aber fraglos Bestandteile der Umwelt und daher auch im Kontext humanitären Völkerrechts unter den Umweltbegriff zu fassen. Dies ist schon der mangelnden Unterscheidbarkeit zwischen natürlichen Erscheinungen mit kultureller Funktion und anderen Umweltbestandteilen ohne derartige Funktion geschuldet.49
C. Fazit Für den Zweck ihres Schutzes vor den Einflüssen bewaffneter Konflikte bietet sich im Ergebnis folgende Arbeitsdefinition der Umwelt an: Umwelt umfasst jedenfalls alle auf der Erde wirkenden nichtmenschlichen biotischen und abiotischen Faktoren (wie beispielsweise Fauna, Flora, Klima, Licht, Zusammensetzung von Boden und Wasser), ihr Zusammenspiel in Ökosystemen und anderen Wechselwirkungsprozessen sowie die Charakteristika der Landschaften, unabhängig von dem Vorhandensein menschlicher Beeinflussung einzelner oder mehrerer Komponenten.
Schon der Umfang dieser Definition verdeutlicht die besonderen Herausforderungen eines durch Rechtsnormen vermittelten Umweltschutzes. Zwar erfordern die spezifischen Merkmale und Charakteristika einer Landschaft die Erhaltung eines bestehenden und unveränderlichen Zustands, die prinzipiell durch Handlungsverbote gesichert werden kann. Die Bewahrung eines optischen Zustands macht jedoch nur einen kleinen Anteil des nötigen Umweltschutzes aus. Der urwälder der Karpaten und die Buchenwälder Deutschlands. Siehe insb. die Kriterien für die universale Werthaftigkeit eines Objekts in UNESCO, Operational Guidelines for the Implementation of the World Heritage Convention vom 12. Juli 2017, WHC. 17/01, Rn. 77 (ix) und (x). 47 Zur Einordnung von Umweltbestandteilen unter den Begriff des Kulturguts nach der HK 1954, siehe unten: 2. Teil, § 2, B., III., 2., a). 48 Pabst, Kulturgüterschutz in nichtinternationalen bewaffneten Konflikten, S. 36–38; wohl auch Wyss, Kultur als eine Dimension der Völkerrechtsordnung, S. 12 f. Ebenso, wenngleich zudem den Bezug zur Kunst betonend und damit bezogen auf die Abgrenzung zu reinen Gebrauchsgegenständen: Jenschke, Der völkerrechtliche Rückgabeanspruch auf in Kriegszeiten widerrechtlich verbrachte Kulturgüter, S. 32. Für eine Differenzierung zwischen reinen Naturgütern und solchen, die Rückschlüsse auf menschliche Kulturen zulassen: Fraoua, Le trafic illicite des biens culturels et leur restitution, S. 10 ff., 12. Folgend: Schorlemer, Internationaler Kulturgüterschutz, 53 f. Begründet wird dieser Ausschluss teilweise mit dem vermeintlich resultierenden Fehlen eines Bezugs zur Kultur einer Zivilisation. Diese Argumentation ist anfällig für Kritik, kann doch auch ein Objekt, dessen Entstehung einer Zivilisation vorgelagert ist, durch seine Bedeutung für die jeweilige Zivilisationskultur bezeichnend sein. 49 Pabst, Kulturgüterschutz in nichtinternationalen bewaffneten Konflikten, S. 36, nennt das Beispiel von Bäumen oder Waldflächen denen spirituelle Bedeutung für eine Bevölkerungsgruppe zukommt. Diese schließt sie aus der von ihr aufgestellten Kulturgüterdefinition aus.
§ 2 Der nichtinternationale bewaffnete Konflikt
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Schutz der Umwelt muss vielmehr auch auf die Bewahrung ihrer Funktionsweise in lebendigen Wechselwirkungsprozessen gerichtet sein. Die Erhaltung von Umweltfunktionen durch Handlungsverbote oder Vorsichtsmaßnahmen setzt allerdings voraus, dass sowohl bei der Aufstellung entsprechender Verbote, als auch bei deren Umsetzung im Einzelfall ausreichende Kenntnisse über die konkreten Zusammenhänge und Wirkungsweisen der Umweltbestandteile zur Verfügung stehen; denn Bedingung für die Formulierung eines Verbots ist das Wissen um die durch eine Handlung drohende Gefahr. Ebenso ist die Vorhersehbarkeit der Folgen eigenen Handelns Grundlage der Einhaltung einer Regel im Einzelfall. Zudem erhöht die Allgegenwärtigkeit der in Wechselwirkung stehenden Umweltbestandteile die Wahrscheinlichkeit kollateraler Schäden. Sie macht es nötig, eine gewisse, und wohl nicht unerhebliche, Schadensintensität als Anwendungsschwelle humanitärrechtlicher Handlungs- und Unterlassungspflichten zu akzeptieren. Die Verfolgung effektiven Umweltschutzes durch die Aufstellung von Rechtsnormen ist also eine enorme Herausforderung.
§ 2 Der nichtinternationale bewaffnete Konflikt A. Abgrenzung zu innerstaatlichen Tumulten Die Definition des nichtinternationalen bewaffneten Konflikts ist, ähnlich wie die des Schutzobjekts Umwelt, zunächst nicht leicht greifbar. Innerstaatliche bewaffnete Auseinandersetzungen, die Anknüpfungspunkt dieses Konflikttyps sind, reichen von bewaffneten Tumulten zwischen Regierungskritikern und Polizeikräften bis hin zu flächendeckenden Bürgerkriegen. Sie können zwischen nichtstaatlichen Gruppierungen untereinander oder als Auflehnung einer Bevölkerungsgruppe oder Organisation gegen die Staatsgewalt aufflammen. Der nichtinternationale bewaffnete Konflikt als Regelungsobjekt humanitären Völkerrechts hat viele Gesichter, umfasst aber nicht jede Art dieser innerstaatlichen Auseinandersetzungen. Dies ist folgendem Umstand geschuldet: Da dieser Konflikttypus, anders als klassische Kriege zwischen mehreren Staaten, nicht unmittelbar zwischen originären Völkerrechtssubjekten ausgetragen wird, ist die Regelung der im Konflikt zulässigen Handlungen durch Völkerrecht keine Selbstverständlichkeit. Im Gegenteil – ursprünglich waren solche Auseinandersetzungen allgemein als rein innerstaatliche Angelegenheiten zu klassifizieren. Ihre Regelung durch Völkerrecht war in Konsequenz ausgeschlossen. Noch immer verhindert das Prinzip der Staatensouveränität und Nichteinmischung50 ein umfassendes Ein50 Siehe Art. 2 (7) UN-Charta. Das Gewaltverbot nach Art. 2 (4) UN-Charta umfasst lediglich die internationalen Beziehungen eines Staates. Es ist den Staaten daher grundsätzlich nicht verboten, innerhalb ihres Territoriums Waffengewalt anzuwenden, um die öffentliche Sicherheit und Ordnung herzustellen, solange dadurch nicht der internationale Frieden und die internationale Sicherheit gefährdet ist. Statt vieler Junod, General Introduction to the Commentary on Additional Protocol II, in: Sandoz/Swinarski/Zim-
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1. Teil: Umwelt – Konflikt – Recht
dringen des internationalen Rechts in die Normsphäre des Staates. Die Anwendbarkeit des Völkerrechts auf innerstaatliche Auseinandersetzungen ist daher eine Ausnahme, die nach klassischem Völkerrecht51 als Kooperationsrecht52 begründungsbedürftig war und es noch immer ist.53 In Konsequenz erlaubt Internationales Recht auch heute nur in bestimmten Konstellationen bewaffneter Auseinandersetzungen die Anwendbarkeit humanitärrechtlicher Handlungsvorschriften im innerstaatlichen Kontext. Der Umfang der Anwendbarkeit humanitären Völkerrechts wird durch die Definition des nichtinternationalen bewaffneten Konflikts
mermann (Hrsg.), Commentary on the Additional Protocols of 8 June 1977 to the Geneva Conventions of 12 August 1949, S. 1323, Rn. 4355 f. 51 Klassisches Völkerrecht erkannte lediglich souveräne Staaten als legitime Akteure an. Völkerrecht als Ordnungsrecht bezog sich in Konsequenz nur auf diese Subjekte, so dass auch das internationale Kriegsrecht nur die Konflikte zwischen Staaten als Rechtsordnungssubjekten zu erfassen vermochte. Überlegungen, die Anwendbarkeit des ius in bello auf nichtstaatliche Akteure auszuweiten, reichen dennoch zurück bis zu Emer de Vattel, der die Unterwerfung innerstaatlicher bewaffneter Konflikte unter das klassische Kriegsrecht befürwortete (de Vattel, Le droit des gens, ou Principes de la loi naturelle/ The law of nations or principles of the law of nature, Buch III, Kapitel XVIII, S. 425 f.). Erst im 19ten Jahrhundert sollten diese Ideen jedoch Anwendung finden. Zu dieser Zeit wurde durch Anerkennung des Kriegszustands erstmals die Anwendung des Kriegsrechts auf Konflikte zwischen Aufständischen und der Staatsgewalt ermöglicht (Junod, General Introduction to the Commentary on Additional Protocol II, in: Sandoz/ Swinarski/Zimmermann (Hrsg.), Commentary on the Additional Protocols of 8 June 1977 to the Geneva Conventions of 12 August 1949, S. 1320 ff., Rn. 4342 ff.; Cullen, The concept of non-international armed conflict in international humanitarian law, S. 7 ff.; Perna, The formation of the treaty rules applicable in non-international armed conflicts, S. 29 ff.; Milanovic/Hadzi-Vidanovic, A taxonomy of armed conflict, in: White/Henderson (Hrsg.), Research Handbook on International Conflict and Security Law, S. 7). Für einen historischen Überblick über das anwendbare Recht: Taubenfeld, The Applicability of the Laws of War in Civil War, in: Moore (Hrsg.), Law and civil war in the modern world, S. 499 ff. sowie mit detaillierten Konfliktstudien: Falk (Hrsg.), The International Law of Civil War. Siehe auch Higgins, International Law and Civil Conflict, in: Luard (Hrsg.), The International Regulation of Civil Wars, S. 169, die betont, dass die internationalen Auswirkungen interner Konflikte schon früh erkannt worden waren und daher die Staatengemeinschaft schon früh Interesse zumindest an einer grundlegenden Regulierung der Konflikte hatte. 52 So Haltern, Was bedeutet Souveränität?, S. 75 der eine Überwindung der Anknüpfung des Völkerrechts an den Willen des Staatssouveräns durch Anerkennung einer Souveränität auf transnationaler Ebene (S. 77) beziehungsweise durch Akzeptanz vorrechtlicher moralischer Normsetzungsverpflichtungen (S. 75 ff.) als bislang nur begrenzt erfolgreich sieht. Auch Haltern sieht den Schutz der Umwelt (neben der Anerkennung der Menschenrechte) als Ausgangspunkt für ein Eingeständnis der Unzulänglichkeit des klassischen Kooperationsvölkerrechts. 53 Modernes Völkerrecht, das grundlegende Menschenrechte als zwingendes Recht anerkennt und erga omnes Verpflichtungen annimmt (IGH, Barcelona Traction, Light and Power Company, Limited (Belgium v. Spain) (New Application: 1962), Urteil vom 5. Februar 1970, I.C.J. Reports 1970, S. 3 ff., S. 34, Rn. 33) vermittelt durch die erklärte Unverfügbarkeit bestimmter Handlungsoptionen der Staaten selbst eine Begründung der Ausdehnung des Völkerrechts in die interne Sphäre der Völkerrechtsakteure.
§ 2 Der nichtinternationale bewaffnete Konflikt
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bestimmt. Nur wenn diese im Einzelfall erfüllt ist, kann humanitäres Völkerrecht zum Schutz der Umwelt herangezogen werden. I. Die Definition des Art. 3 GA Der Typus nichtinternationaler bewaffneter Konflikte als Gegenstand humanitären Völkerrechts wird in diesem selbst allerdings nicht abschließend definiert.54 Der für die Normierung dieser Konfliktform zentrale gemeinsame Art. 3 der Genfer Abkommen von 1949 (Art. 3 GA)55, enthält lediglich eine Negativdefinition: In Abgrenzung zu den im gemeinsamen Art. 2 GA definierten Konflikten zwischen mehreren Vertragsstaaten regelt Art. 3 GA ausdrücklich solche bewaffneten Konflikte, die keinen internationalen Charakter aufweisen. Somit ist allein ein Unterscheidungskriterium zwischen konventionellen Kriegen und nichtinternationalen Konflikten festgelegt. Welche Auseinandersetzungen überhaupt die Anwendbarkeit humanitären Völkerrechts auslösen und als nichtinternationale Konflikte nicht länger allein durch innerstaatliches Recht reglementiert werden, darüber konnte bei Schaffung des Art. 3 GA noch keine Einigkeit erzielt werden.56 Erst Jahrzehnte nach der Entwicklung der Genfer Abkommen sollten die Grundvoraussetzungen des durch Art. 3 GA erfassten Konflikts eine weitest54 General Introduction to the Commentary on Additional Protocol II, in: Sandoz/ Swinarski/Zimmermann (Hrsg.), Commentary on the Additional Protocols of 8 June 1977 to the Geneva Conventions of 12 August 1949, S. 1319, Rn. 4338. 55 Art. 3 GA ist allen vier Genfer Abkommen von 1949 gemeinsam (Geneva Convention for the Amelioration of the Condition of the Wounded and Sick in Armed Forces in the Field vom 12. August 1949, 75 UNTS 31 (GA I); Geneva Convention for the Amelioration of the Condition of Wounded, Sick and Shipwrecked Members of Armed Forces at Sea vom 12. August 1949, 75 UNTS 85 (GA II); Geneva Convention relative to the Treatment of Prisoners of War vom 12. August 1949, 75 UNTS 135 (GA III); Geneva Convention Relative to the Protection of Civilian Persons in Time of War vom 12. August 1949, 75 UNTS 287 (GA IV)). 56 Ob das Fehlen einer Definition als schweres Versäumnis bei der Schaffung des Art. 3 zu werten ist, wurde schon während der Verhandlungen um die Genfer Abkommen kontrovers diskutiert. So erklärte z. B. der Vertreter der UdSSR, Morsov, das Scheitern früherer Versuche, den Schutz des humanitären Völkerrechts auf interne Konflikte auszuweiten, mit der Unbestimmtheit des Begriffs „armed conflicts not of an international character“ und plädierte vehement für eine Eingrenzung des Anwendungsbereichs des Artikels durch eine explizite Definition der umfassten Konfliktformen (Diplomatic Conference for the Establishment of International Conventions for the Protection of War, Final Record of the Diplomatic Conference of Geneva of 1949, Band II, Section B, S. 325–330, insb. 328). Auch später wurde vorgebracht, das Fehlen einer Definition erleichtere es den Staaten, ihre internen Konflikte nicht dem ius in bello, sondern dem internen Sicherheits- und Strafrecht zu unterwerfen. Die daraus womöglich resultierende Missachtung der Grundprinzipien des HVR stünde konträr zu dem Anspruch des Art. 3, jedem Opfer eines bewaffneten Konflikts ein Minimum an Schutz zu gewähren (Junod, Commentary to Article 1 Protocol II, in: Sandoz/Swinarski/Zimmermann (Hrsg.), Commentary on the Additional Protocols of 8 June 1977 to the Geneva Conventions of 12 August 1949, S. 1348, Rn. 4434). Das Fehlen jeder Konfliktspezifikation im Kontext dieser so bedeutenden Norm muss vor dem Hintergrund der Entstehung der
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1. Teil: Umwelt – Konflikt – Recht
gehend anerkannte Definition erfahren, die auch die untere Schwelle der Anwendbarkeitsauslösung umschreibt: „[A]n armed conflict exists whenever there is a resort to armed force between States or protracted armed violence between governmental authorities and organized armed groups or between such groups within a State.“ 57 „convention in miniature“ (Pictet (Hrsg.), Commentary on the IV. Geneva Conventions of 12 August 1949 relative to the Protection of Civilian Persons in Time of War, S. 48; ähnlich Junod, in: Sandoz/Swinarski/Zimmermann (Hrsg.), Commentary on the Additional Protocols of 8 June 1977 to the Geneva Conventions of 12 August 1949, S. 1319, Rn. 4337) gewertet werden. Während der Verhandlungen um die Genfer Abkommen führten alle Formulierungsentwürfe, die die Anwendbarkeit der Abkommen auf bestimmte Formen innerstaatlicher Konflikte zu begrenzen versuchten, auf Widerstand. Während mehrere Staatenvertreter fürchteten, jede Art bewaffneter Aufstände wäre von Art. 3 gedeckt und alle Beteiligten könnten dadurch womöglich eine gewisse Legitimation erlangen, ergaben sich auf der anderen Seite Bedenken, zu detaillierte Voraussetzungen einer Anwendbarkeit würden zu Beginn jedes Konflikts zu langwierigen Diskussionen um dessen Status führen (detailliert: Pictet (Hrsg.), Commentary on the IV. Geneva Conventions of 12 August 1949 relative to the Protection of Civilian Persons in Time of War, S. 43–48). Interessant in diesem Zusammenhang ist die Kritik bei Sivakumaran, Re-envisaging the International Law of Internal Armed Conflict, European Journal of International Law 22 (2011), S. 223, der darauf hinweist, dass der mittlerweile berühmte Ausdruck „convention in miniature“, der heute häufig verwendet wird, um die Relevanz des Art. 3 zu betonen, ursprünglich als Kritik des Artikels formuliert worden war (mit Hinweis auf Federal Political Department (Hrsg.), Final Record of the Diplomatic Conference of Geneva of 1949, Band II, Section B, S. 98 und insb. 326). Der Vertreter der UdSSR betonte mehrmals die Unmöglichkeit, alle Normen der Genfer Abkommen in die wenigen Zeilen eines einzigen Artikels zu integrieren. Dies würde notgedrungen zur Nichtanwendung vieler Normen der Genfer Abkommen führen (S. 326). Die Verhandlungsblockade war letztlich nur dadurch zu überwinden, dass nicht die Art nichtinternationaler bewaffneter Konflikte eine definitorische Eingrenzung erfuhr oder in dem späteren Art. 3 abschließend definiert wurde, sondern die anwendbaren Normen auf die humanitärrechtlichen Grundprinzipien begrenzt wurden (Pictet (Hrsg.), Commentary on the IV. Geneva Conventions of 12 August 1949 relative to the Protection of Civilian Persons in Time of War, S. 48). Dass weder der Anwendungsbereich des Art. 3 GA auf bestimmte interne Konflikttypen oder die Anwendbarkeit des HVR auf bestimmte Artikel der Abkommen begrenzt wurde, noch der Begriff „Konflikte, die keinen internationalen Charakter aufweisen“ in Art. 3 GA definiert wurde, erlaubt prinzipiell die Anwendbarkeit des Artikels ohne eine vorherige Klärung dieser jeweils für den Einzelfall zu ermittelnden Voraussetzungen. Die Einfachheit der Norm gestattet eine Offenheit auch für zukünftige Konflikte und erlaubt es letztlich, potenziell alle bewaffneten Konflikte zumindest den Grundprinzipien des humanitären Völkerrechts zu unterwerfen (Pictet (Hrsg.), a. a. O., S. 48). Gerade die sofortige und unbestreitbare Anwendbarkeit der Norm stellt sich jedoch in der Praxis als äußerst problematisch dar, denn die Anerkennung der Anwendbarkeit des humanitären Völkerrechts auf einen innerstaatlichen Konflikt scheint für den betreffenden Staat häufig gleichbedeutend mit einem ungeliebten Eingestehen staatlicher Ohnmacht gegen die internen Auseinandersetzungen zu sein (Junod, in: Sandoz/Swinarski/Zimmermann (Hrsg.), Commentary on the Additional Protocols of 8 June 1977 to the Geneva Conventions of 12 August 1949, S. 1319, Rn. 4362). 57 ICTY, Prosecutor v. Dus ˇko Tadic´, Appeals Chamber Decision on the Defence Motion for Interlocutory Appeal on Jurisdiction, 2. Oktober 1995, Case No. IT-94-1-AR72 Rn. 70.
§ 2 Der nichtinternationale bewaffnete Konflikt
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So definierte die Berufungskammer des ICTY im Tadic´-Verfahren bewaffnete Konflikte als Gegenstand des humanitären Völkerrechts. Gleichzeitig legte sie durch diese Formulierung die beiden Auslösungskriterien des Art. 3 GA und somit des nichtinternationalen bewaffneten Konflikts fest: das Vorliegen nicht nur sporadischer Gewaltanwendung sowie ein gewisser Organisationsgrad der nichtstaatlichen Konfliktakteure.58 Diese Kriterien wurden u. a. durch das IKRK59 sowie durch das Römische Statut des IStGH (IStGH-Statut)60 übernommen und sind in der Rechtsprechung internationaler Tribunale heute weitestgehend eta-
58 In ihren Grundzügen war diese Definition freilich nicht neu, denn wenngleich der gemeinsame Art. 3 GA keine dieser beiden Kriterien erwähnt, finden sie doch Unterstützung in seiner Entstehungsgeschichte. Im Verlauf der Vertragsverhandlungen um die Genfer Abkommen von 1949 setzte sich eine Eingrenzung des Konfliktbegriffs letztlich zwar nicht durch, die damals bereits vorgeschlagenen Kriterien wiesen jedoch deutlich auf die von den Staaten angedachten Szenarien hin. Diese Entwürfe decken sich in manchen Elementen mit dem heutigen grundlegenden Verständnis eines nichtinternationalen bewaffneten Konflikts auf Basis der ICTY-Definition. Siehe beispielsweise den Vorschlag Australiens, der die Anwendbarkeit der Abkommen unter folgende Voraussetzungen stellen sollte: „(a) the de jure government had recognized the insurgents as belligerents; or (b) [. . .] had claimed for itself the rights of a belligerent; or (c) [. . .] had accorded the insurgents recognition as belligerents for the purposes only of the present Convention; or (d) the dispute had been admitted to the agenda of the Security Council or the General Assembly of the United Nations as being a threat to international peace, a breach of the peace, or an act of aggression.“ Das Vorbringen der USA sah dagegen folgende Ergänzungen vor: „– that the insurgents must have an organization purporting to have the characteristics of a State; – that the insurgent civil authority must exercise de facto authority over persons within a determinate territory; – that the armed forces must act under the direction of the organized civil authority and be prepared to observe the ordinary laws of war; – that the insurgent civil authority must agree to be bound by the provisions of the Convention.“ (Siehe: Diplomatic Conference for the Establishment of International Conventions for the Protection of War, Final Record of the Diplomatic Conference of Geneva of 1949, Band II, Section B, S. 121 f.). 59 IKRK, How is the term „armed conflict“ defined in international humanitarian law?; Opinion Paper, März 2008, abrufbar unter: https://www.icrc.org/en/doc/resour ces/documents/article/other/armed-conflict-article-170308.htm [abgerufen am 26.10. 2020], S. 5. 60 Die Definitionen decken sich jedoch nicht gänzlich. Siehe Art. 8 (2) (f) IStGHStatut (Rome Statute of the International Criminal Court vom 17. Juli 1998, 2187 UNTS 90; IStGH-Statut). Siehe auch Gray, The Meaning of Armed Conflict: Non-International Armed Conflict, in: O’Connell (Hrsg.), What Is War?, S. 72, die von der Existenz mehrerer Definitionen in Art. 8 (2) IStGH-Statut ausgeht. Siehe ebenfalls Spieker, The International Criminal Court and Non-International Armed Conflicts, Leiden Journal of International Law 13 (2000), S. 417 die die Unabhängigkeit der Definition des Statuts von der des ZP II betont.
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1. Teil: Umwelt – Konflikt – Recht
bliert.61 Das Vorliegen dieser Kriterien ist derzeit nach allgemeiner Meinung Voraussetzung des Bestehens eines nichtinternationalen bewaffneten Konflikts im Sinne des Art. 3 GA.62 Anders als konventionelle Kriege setzt der nichtinternationale bewaffnete Konflikt also ein gewisses Ausmaß der Konfliktführung voraus.63 Der sinnbildliche „erste Schuss“, der im zwischenstaatlichen Krieg als Auslöser der Anwendbarkeit humanitären Völkerrechts fungiert64, genügt hier nicht. Das Kriterium der Intensität bleibt aber notwendig unbestimmt. Das Erreichen der geforderten In-
61 Z. B. IStGH, Prosecutor v. Thomas Lubanga Dyilo, Decision on the Confirmation of Charges, 29. Januar 2007, No. ICC-01/04-01/06, Rn. 233; SCSL, Prosecutor v. Issa Hassan Sesay, Morris Kallon and Augustine Gbao, Urteil der Verfahrenskammer vom 2. März 2009, Case No. SCSL-04-15-T, Rn. 95. Ebenso: ICTR, Prosecutor v. Jean-Paul Akayesu, Urteil der Verfahrenskammer vom 2. September 1998, Case No. ICTR-96-4T, Rn. 619; ähnlich auch die Begriffsbestimmung der ILC in Article 2 (b) der Draft Articles on the effect of armed conflicts on treaties. Die Kommentierung des Artikels verweist ebenso auf die Definition des ICTY in Tadic´, beschränkt die Anwendbarkeit der Draft Articles jedoch auf Konflikte, an denen zumindest ein Vertragsstaat teilnimmt (ILC, Draft Articles on the effects of armed conflicts on treaties, with commentaries 2011, Report on the Work of its 63rd Session, A/66/10, Chapter VI, E, Kommentierung Rn. 4). Auch die International Law Association (ILA) entwickelte auf Basis dieser Rechtsprechung eine Definition (ILA, Final Report on the Meaning of Armed Conflict in International Law, presented to the Hague Conference 2010, Ius of Force, abrufbar unter http://www.rulac.org/assets/downloads/ILA_report_armed_conflict_2010.pdf [abgerufen am 26.10.2020]; ILA, Committee on Water Resources Law, Final Conference Report (Sources), Berlin 2004, abrufbar unter: https://www.ila-hq.org/index.php/com mittees [abgerufen am 26.10.2020], S. 32). Die Definition der ILA geht von einer gemeinsamen Mindestdefinition des nichtinternationalen und internationalen bewaffneten Konflikts aus (siehe S. 3, Fn.7). 62 Das Vorliegen eines bewaffneten Konflikts hängt zwingend von der jeweiligen Konfliktform ab, schließlich fordern internationale und nichtinternationale bewaffnete Konflikte unterschiedliche Voraussetzungen für das Vorliegen eines bewaffneten Konflikts. So liegt ein internationaler bewaffneter Konflikt schon ab dem ersten Gewaltmoment vor, während eine gewisse Gewaltintensität Voraussetzung nichtinternationaler bewaffneter Konflikte ist. Das Bestehen eines bewaffneten Konflikts kann also nicht isoliert von der Feststellung eines bestimmten Konflikttyps beurteilt werden (Milanovic/ Hadzi-Vidanovic, A taxonomy of armed conflict, in: White/Henderson (Hrsg.), Research Handbook on International Conflict and Security Law, S. 269 ff.) Ein generischer Begriff (a. a. O., S. 269) des bewaffneten Konflikts, wie ihn der US Supreme Court in Hamdan v. Rumsfeld (Supreme Court of the United States, Hamdan v. Rumsfeld, Secretary of Defense et al., Urteil vom 29. Juni 2006, No. 05–184) implizit annahm, kann damit nicht existieren. Im Ergebnis sind die Feststellungen des Supreme Court allerdings unproblematisch, da auch die (engeren) Voraussetzungen eines nichtinternationalen bewaffneten Konflikts offensichtlich vorlagen. 63 ICTY, Prosecutor v. Dus ˇko Tadic´, Urteil der Verfahrenskammer vom 7. Mai 1997, Case No. IT-94-1-T, Rn. 561 f. 64 Gasser, International Humanitarian Law: an Introduction, in: Haug et al. (Hrsg.), Humanity for all, S. 510 f.; Schindler, The different Types of Armed Conflicts According to the Geneva Conventions and Protocols, S. 131; Sivakumaran, The Law of Non-International Armed Conflict, S. 167 ff.
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tensitätsschwelle lässt sich nicht abstrakt, sondern nur anhand des Einzelfalls65 nachweisen. Die Dauer der Auseinandersetzung, die Anzahl der Beteiligten sowie die verwendeten Waffen beider Parteien sind neben weiteren Kriterien Anhaltspunkte für die Klassifikation der Gewaltanwendung als nichtinternationaler bewaffneter Konflikt. Ebenso relevant kann es sein, ob das Szenario die Aufmerksamkeit des UN-Sicherheitsrats auf sich gezogen, oder dieser eine Resolution zu dem Sachverhalt verabschiedet hat.66 Das zweite Kriterium des nichtinternationalen bewaffneten Konflikts bezieht sich auf die Organisation der beteiligten Akteure.67 Die nichtstaatlichen bewaffneten Gruppen müssen über einen gewissen Grad interner Organisation im Sinne einer Kommandostruktur verfügen.68 Diese kann sich unter anderem an dem Vorhandensein von Hauptquartieren, bezeichneten Operationsgebieten sowie der Fähigkeit Waffen zu beschaffen, zu transportieren und zu verteilen messen lassen.69 Beide Voraussetzungen dürfen allerdings nicht zu streng gehandhabt werden, schließlich würden anderenfalls die durch Art. 3 GA vermittelten Grundgarantien menschlicher Kriegsführung in ihrer Anwendung unnötig beschränkt.70 Insbesondere ist das Vorhandensein eines ausgeprägten Bürgerkriegs keine notwendige Voraussetzung nichtinternationaler bewaffneter Konflikte.71 In der Praxis ist die Abgrenzung zwischen bloßen innerstaatlichen Tumulten und dem Vorliegen
65 Dennoch ist der Nachweis objektiv zu ziehen und darf nicht von der Ansicht des betreffenden Staats abhängig sein. Vgl. Dinstein, Non-International Armed Conflicts in International Law, S. 2. 66 ICTR, Prosecutor v. Georges Anderson Nderubumwe Rutaganda, Urteil der Verfahrenskammer vom 6. Dezember 1999, Case No. ICTR-96-3-T, Rn. 93. Ausführlich auch ICTY, Prosecutor v. Fatmir Limaj, Haradin Bala, Isak Musliu, Urteil der Verfahrenskammer vom 30. November 2005, Case No. IT-03-66-T, Rn. 135–170. 67 Für Details, siehe: Margulies/Sinnot, Crossing Borders to Target Al-Qaeda and Its Affiliates: Defining Networks as Organized Armed Groups in Non-International Armed Conflicts, in: Gill et al. (Hrsg.), Yearbook of International Humanitarian Law 2013, S. 322 ff. 68 Siehe beispielsweise die Argumentation des ICTR zur Konfliktsituation in Ruanda: ICTY, Prosecutor v. Dusˇko Tadic´, Urteil der Verfahrenskammer vom 7. Mai 1997, Case No. IT-94-1-T; ICTR, Prosecutor v. Jean-Paul Akayesu, Urteil der Verfahrenskammer vom 2. September 1998, Case No. ICTR-96-4-T, Rn. 619 ff. 69 ICTY, Prosecutor v. Fatmir Limaj, Haradin Bala, Isak Musliu, Urteil der Verfahrenskammer vom 30. November 2005, Case No. IT-03-66-T, Rn. 9. 70 Heinsch, Die Weiterentwicklung des humanitären Völkerrechts durch die Strafgerichtshöfe für das ehemalige Jugoslawien und Ruanda, S. 84; Schindler, The different Types of Armed Conflicts According to the Geneva Conventions and Protocols, S. 147. Siehe auch Inter-American Commission on Human Rights, Juan Carlos Abella v. Argentina (La Tablada), Urteil vom 18. November 1997, Case 11.137, Report No. 55/97 Rn. 152: „Common Article 3 should be applied as widely as possible“. In diesem Fall reichte eine Konfliktdauer von 30 Stunden für die Annahme eines nichtinternationalen bewaffneten Konflikts. 71 Ibid.
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eines nichtinternationalen bewaffneten Konflikts im Sinne des Art. 3 dennoch nicht immer leicht durchzuführen.72 Die oft unsichere Faktenlage und die Unbestimmtheit der dargestellten Auslösungskriterien machen die Definition des bewaffneten Konflikts in der Praxis zur „Achilles heel of international humanitarian law“ 73. II. Die qualifizierte Definition des Art. 1 ZP II Diese Praxisprobleme, aber auch die Erfahrungen bewusster Nichtanwendung des Art. 3 GA in internen Konflikten74, waren ausschlaggebend für die Festsetzung zusätzlicher spezifischer Definitionsmerkmale des nichtinternationalen bewaffneten Konflikts im 2. Zusatzprotokoll zu den Genfer Abkommen von 1977 (ZP II).75 Art. 1 ZP II übernimmt zwar den Begriff des bewaffneten Konflikts nichtinternationalen Charakters von Art. 3 GA, stellt sodann jedoch strengere Anforderungen als Voraussetzung der Anwendbarkeit des ZP II.76 Das Zusatzprotokoll ist gemäß Art. 1 (2) ZP II demnach nur für solche bewaffneten Konflikte anwendbar, die auf dem Territorium eines Mitgliedstaates zwischen der staatlichen Armee und nichtstaatlichen bewaffneten Gruppen auftreten. Zusätzlich müssen die nichtstaatlichen Konfliktparteien mehrere Kriterien erfüllen: Sie müssen über eine verantwortliche Führung verfügen, die Kontrolle eines Teils des
72 Ein dramatisches Beispiel ist die Auseinandersetzung zwischen Drogenkartellen und der Regierung Mexikos. Die Einordnung des Drogenkriegs als (nichtinternationaler) bewaffneter Konflikt ist bisher nicht ohne Zweifel gelungen. Für eine Auseinandersetzung: Bergal, The Mexican Drug War: The Case for a Non-International Armed Conflict Classification, Fordham International Law Journal 34 (2010–2011), S. 1048 ff., 1081 ff., die sowohl die Schwelle des Art. 3 GA als auch die des ZP II als erreicht ansieht. 73 Pfanner, Editorial, International Review of the Red Cross 91 (2009), S. 5; zitiert auch bei Bergal, The Mexican Drug War: The Case for a Non-International Armed Conflict Classification, Fordham International Law Journal 34 (2010–2011), S. 1046. Der Einzelne ist in dieser Situation allerdings nicht schutzlos gestellt. Ist der Anwendungsbereich humanitären Völkerrechts nicht eröffnet, steht jedes Individuum weiterhin unter dem Schutz der Menschenrechte. 74 Junod, General Remarks to Additional Protokoll II, in: Sandoz/Swinarski/Zimmermann (Hrsg.), Commentary on the Additional Protocols of 8 June 1977 to the Geneva Conventions of 12 August 1949, Rn. 4450, die die Nichtanwendung auch auf das Fehlen einer Definition in Art. 3 GA zurückführt. 75 Protocol Additional to the Geneva Conventions of 12 August 1949, and relating to the Protection of Victims of Non-International Armed Conflicts vom 8. Juni 1977, 1125 UNTS 609 (ZP II). 76 Heinsch, Die Weiterentwicklung des humanitären Völkerrechts durch die Strafgerichtshöfe für das ehemalige Jugoslawien und Ruanda, S. 86 m.w. N.; Holland, The Qualification Framework of International Humanitarian Law: Too Rigid to Accommodate Contemporary Conflicts? Suffolk Transnational Law Review 34 (2011), S. 158; ICTR, Prosecutor v. Jean-Paul Akayesu, Urteil der Verfahrenskammer vom 2. September 1998, Case No. ICTR-96-4-T, Rn. 625 ff.
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Hoheitsgebiets besitzen sowie in der Lage sein, koordinierte Kampfhandlungen durchzuführen und die im Protokoll niedergelegten Vorschriften einzuhalten.77 Der Anwendungsbereich des ZP II erstreckt sich also nicht wie Art. 3 GA auf alle nichtinternationalen bewaffneten Konflikte, sondern nur auf solche, bei denen die beteiligten nichtstaatlichen Konfliktparteien die zusätzlichen Anforderungen des Art. 1 (1) ZP II erfüllen. Zudem ist durch den Wortlaut des Art. 1 (1) ZP II ein Konflikt unter mehreren bewaffneten Gruppen ohne Beteiligung des jeweiligen Nationalstaats vom Anwendungsbereich des Zusatzprotokolls ausgeschlossen. Diese Beschränkung muss bei der Beurteilung umweltschützender Vorschriften des ZP II beachtet werden. Die in Art. 1 ZP II beschriebenen Auseinandersetzungen stellen allerdings keine eigene Kategorie bewaffneter Konflikte dar. Weder modifizieren die höheren Anforderungen der Vorschrift die allgemeine Definition des nichtinternationalen Konflikts, noch die Anwendbarkeit des Art. 3 GA.78 Jede als nichtinternationaler bewaffneter Konflikt zu klassifizierende Auseinandersetzung eröffnet den Anwendungsbereich humanitären Völkerrechts. Allein das erhöhte Schutzregime des ZP II ist an das Vorliegen der Voraussetzungen des Art. 1 (1) ZP II geknüpft.
B. Abgrenzung zu internationalen bewaffneten Konflikten Abgrenzungsschwierigkeiten ergeben sich darüber hinaus im Verhältnis zu bewaffneten Auseinandersetzungen, die trotz ihrer innerstaatlichen Austragung als internationale bewaffnete Konflikte klassifiziert werden. Vor allem aber die Einordnung solcher Auseinandersetzungen, deren Erscheinung keiner der beiden Konfliktkategorien vollumfänglich entspricht, ist mit Problemen verbunden. I. Nationale Befreiungskriege als privilegierte Konfliktform – Art. 1 (4) ZP I Die Abgrenzung zwischen internationalen und nichtinternationalen bewaffneten Konflikten lässt sich zwar grundsätzlich anhand der gegeneinander antreten77
Vgl. Art. 1 (2) ZP II: „[. . .] which take place in the territory of a High Contracting Party between its armed forces and dissident armed forces or other organized armed groups which, under responsible command, exercise such control over a part of its territory as to enable them to carry out sustained and concerted military operations and to implement this Protocol.“ Die erste Kammer des ICTR fasste die Anforderungen in Akayesu nochmals detailliert zusammen (ICTR, a. a. O., Rn. 626). 78 Junod, in: Sandoz/Swinarski/Zimmermann (Hrsg.), Commentary on the Additional Protocols of 8 June 1977 to the Geneva Conventions of 12 August 1949, Rn. 4453 f.
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den Konfliktakteure ziehen, sie erfährt durch Art. 1 (4) ZP I jedoch einen politisch bedingten Bruch. Die dort genannten Auseinandersetzungen, in denen Völker gegen Kolonialherrschaft und fremde Besetzung sowie gegen rassistische Regimes in Ausübung ihres Rechts79 auf Selbstbestimmung kämpfen80, sind nach ihrem Erscheinungsbild zwar rein innerstaatlich, seit Schaffung der Zusatzprotokolle von 1977 jedoch rechtlich als internationale bewaffnete Konflikt im Sinne des gemeinsamen Art. 2 GA zu klassifizieren.81 Sie unterfallen damit grundsätz79 Ob das Recht auf Selbstbestimmung tatsächlich ein Recht oder lediglich ein Rechtsprinzip darstellt, wurde im Rahmen der Verhandlungen der Zusatzprotokolle kontrovers diskutiert. Siehe z. B. CDDH/I/SR.2 in: CDDH, Official Records of the Diplomatic Conference on the Reaffirmation and Development of International Humanitarian Law Applicable in Armed Conflicts, Genf, 1974–1977, Band VIII, S. 13 f., Rn. 46; CDDH/I/Sr.4 in: CDDH, a. a. O., S. 29., Rn. 25. 80 Art. 1 (4) ZP I. 81 Ihre Einordnung stellt eine Ausnahme zu dem Grundsatz der Trennung des Konfliktgrundes von der Anwendbarkeit des humanitären Völkerrechts dar. Art. 1 (4) ZP I kommt eine Sonderstellung zu, da er die Anwendung der stärkeren Schutzregeln für internationale Konflikte an die Gründe der Konfliktführung und nicht an den internationalen Charakter des Konflikts knüpft und damit ius ad bellum und ius in bello vermischt (Higgins, Regulating the use of force in wars of national liberation: The need for a new regime a study of the South Moluccas and Aceh, S. 77). Mit der Aufnahme der Befreiungskriege in Kanon internationaler bewaffneter Konflikte wurde eine durch geänderte Wertvorstellungen der internationalen Gemeinschaft bedingte Entscheidung zugunsten der Schutzbedürftigkeit nichtstaatlicher Akteure getroffen. Den Beteiligten steht in Konsequenz der Kombattantenstatus und damit das Recht zur Beteiligung an Konflikthandlungen ohne die Gefahr strafrechtlicher Verfolgung sowie der Status als Kriegsgefangener offen. Feith, Law in the Service of Terror – the Strange Case of Additional Protocol I, The National Interest 1 (1985), S. 47 beschrieb das ZP I aus diesem Grund als „pro-terrorist treaty masquerading as humanitarian law“. Lesenswert ist die Erwiderung von Solf, A Response to Douglas J. Feith’s Law in the Service of Terror – The strange Case of the Additional Protocol, Akron Law Review 20 (1986), der die Haltung Feiths, zu dieser Zeit Deputy Assistant Secretary of Defense for International Negotiation, sicherlich zu Recht mit der Ablehnung der US-Regierung gegenüber dem ZP I in Verbindung bringt (S. 261). Der von Solf zitierte Brief von James Dyer (Dyer, Acting Asst. Secretary of State for Legislative and Intergovernmental Affairs, Letter to Senator Trible dated June 3, 1986) zeigt die damalige Haltung der US-Regierung zur Ratifikation des ZP I deutlich: So leide das ZP I an fundamentalen Schwächen, die nicht einmal durch Vorbehalte bei der Ratifikation überwunden werden könnten. Insbesondere Art. 1 (4) ZP I war Dyer ein Dorn im Auge. Aus humanitären Wertungsüberlegungen war die Privilegierung dagegen uneingeschränkt zu begrüßen. Die in der zweiten Hälfte des 20ten Jahrhunderts aufkommende Anerkennung eines Rechts auf Selbstbestimmung durch die internationale Gemeinschaft und insbesondere durch die UN-Generalversammlung lieferten den Vertragsverhandlungen vorausgegangenen Expertenforen die nötigen Argumente für die Internationalität derartiger Konflikte und ihre resultierende Zuordnung unter Art. 2 GA. Siehe: UNGA, Declaration 1514 (XV) vom 14. Dezember 1960 on the Granting of Independence to Colonial Countries and Peoples, UN GAOR 15th Session Supp. 16, Band 1, S. 66; UNGA, Resolution 2105 (XX) vom 20. Dezember 1965 on the Implementation of the Declaration of Independence to Colonial Countries and Peoples, UN GAOR 20th Session Supp. 14, S. 3, in welcher ausdrücklich die Legitimität des Strebens nach dem Recht auf Selbstbestimmung und Unabhängigkeit anerkannt wurde (para. 7). Her-
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lich dem verstärkten Schutzregime der Genfer Abkommen sowie des ZP I.82 Die mit Art. 1 (4) ZP I getroffene Entscheidung bindet heute wenigstens die derzeit vorzuheben ist auch UNGA, Resolution 2621 (XXV) vom 12. Oktober 1970 on the programme of action for full implementation of the Declaration on the granting of independence to colonial Countries and Peoples, UN GAOR 25th Session Supp. 28, S. 1, die in 3. (6) (a) vorsieht, dass alle Freiheitskämpfer entsprechend den Regeln des Dritten Genfer Abkommens zu behandeln sind. Die im gleichen Jahr verabschiedete Friendly Relations Declaration (UNGA, Declaration on Principles of International Law concerning Friendly Relations and Co-operation among States in accordance with the Charter of the United Nations, Annex zu Resolution 2625 (XXV), 24. Oktober 1970, UN GAOR 25th Session Supp. 28, S. 121) wiederholt das Recht auf Selbstbestimmung ebenso. Drei Jahre später erklärte UNGA, Resolution 3103 (XXVIII) vom 12. Dezember 1973, UN GAOR 28th Session Supp. 30, S. 142: „1. The struggle of peoples under colonial and alien domination and racist régimes for the implementation of their right to self-determination and independence is legitimate and in full accordance with the principles of international law. [. . .] 3. The armed conflicts involving the struggle of peoples against colonial and alien domination and racist régimes are to be regarded as international armed conflicts in the sense of the 1949 Geneva Conventions, and the legal status envisaged to apply to the combatants in the 1949 Geneva Conventions [. . .] is to apply to the persons engaged [. . .].“ Obwohl die Mehrheit der beteiligten Experten sowie das IKRK diese Klassifizierung und die folgende Anwendbarkeit des ZP I ablehnten (als zu groß wurde damals die Gefahr befunden, dass Staaten, in denen Befreiungsbewegungen aufkämen, eine Konvention mit solchem Inhalt als nicht bindend ansähen und die anvisierte Schutzverstärkung ins Leere liefe. Vgl. IKRK, Protection of Victims of Non-International Conflicts, Report submitted at the XXIst International Conference of the Red Cross, Istanbul, 1969, S. 7 f. Zusammenfassung der Expertenansichten in: Conference of Government Experts on the Reaffirmation and Development of International Humanitarian Law Applicable in Armed Conflicts, Genf, 24. Mai–12. Juni 1971, submitted by the International Committee of the Red Cross, Part V: Protection of Victims of Non-International Armed Conflicts, S. 23 ff., S. 28, 32) und in der CDDH zunächst kontroverse Diskussionen aufkamen (siehe z. B. CDDH/I/SR.l, in: CDDH, Official Records of the Diplomatic Conference on the Reaffirmation and Development of International Humanitarian Law Applicable in Armed Conflicts, Genf, 1974–1977, Band VIII, S. 7 ff.), entschieden sich die beteiligten Staatenvertreter letztlich doch mehrheitlich für eine rechtliche Aufwertung der nunmehr in Art. 1 (4) ZP I aufgenommenen Konflikttypen (Abstimmung im Komitee: Pro: 70; contra: 21; Enthaltungen: 13, CDDH/I/SR.13 in: CDDH, a. a. O., S. 102 f.; Abstimmung in der Plenarkonferenz: Pro: 87; contra: 1 – Israel; Enthaltungen: 11, CDDH/SR.36, in: CDDH, Official Records of the Diplomatic Conference on the Reaffirmation and Development of International Humanitarian Law Applicable in Armed Conflicts, Genf, 1974–1977, Band VI, S. 40 f., Rn. 58). 82 Zu den Konflikten nach Art. 1 (4) ZP I, siehe z. B. Sivakumaran, a. a. O., S. 216 ff. Zu Recht weist Glazier, Wars of National Liberation, in: Wolfrum (Hrsg.), The Max Planck Encyclopedia of Public International Law, opil.ouplaw.com/home/EPIL, Rn. 3 darauf hin, dass dieser Trend nicht unerheblich politisch motiviert war. Er argumentiert, dass nach Zerfall des Ostblocks sowie dem faktischen Ende des Kolonialismus nationale Befreiungsbewegungen (politisch) deutlich an Relevanz verloren hatten. Auch im 21ten Jahrhundert würde die Erhöhung ihres Rechtsstatus kaum politische Bedeutung erlangen. Unabhängig von einer vorherigen Kolonialisierung dürften nationalen Befreiungsbewegungen als Ausdruck der Auflehnung gegen eine unterdrückende Staatsmacht allerdings sicher auch in Zukunft Relevanz zukommen. Eine gänzlich andere Problematik der rechtlichen Privilegierung von Befreiungsbewegungen stellt sich dagegen mit
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174 Mitgliedstaaten des ersten Zusatzprotokolls.83 Inwieweit Staaten auch ohne Ratifikationsentscheidung an die rechtliche Aufwertung nationaler Befreiungsbewegungen gebunden sind und damit letztlich die Definition des nichtinternationalen bewaffneten Konflikts für das gesamte humanitäre Völkerrecht um die in Art. 1 (4) ZP I erfassten Befreiungskriege verkürzt ist, ist bislang ungeklärt.84 Jedenfalls in der überwiegenden Zahl der Staaten der Erde entscheidet sich die rechtliche Klassifikation eines Befreiungskampfes anhand des Vorliegens der Voraussetzungen des Art. 1 (4) ZP I. Bewaffnete Konflikte85, in denen Völker in der Abgrenzung solcher Bewegungen von rein terroristischen Akten, die nach nationalem und internationalem Strafrecht zu beurteilen sind. Vgl. hierzu Aleni, Distinguishing Terrorism from Wars of National Liberation in the Light of International Law, Journal of International Criminal Justice 6 (2008), insb. S. 528. 83 Siehe den Stand der Ratifikationen auf der Internetpräsenz des IKRK: https:// www.icrc.org/applic/ihl/ihl.nsf/States.xsp?xp_viewStates=XPages_NORMStatesParties &xp_treatySelected=470 [abgerufen am 26.10.2020]. 84 Der gewohnheitsrechtliche Status der in Art. 1 (4) ZP I enthaltenen Sonderregel wird nicht nur von Nichtratifikationsstaaten wie Israel und den USA vehement bestritten (Glazier, Wars of National Liberation, in: Wolfrum (Hrsg.), The Max Planck Encyclopedia of Public International Law, opil.ouplaw.com/home/EPIL, Rn. 15; ähnlich: Higgins, Regulating the use of force in wars of national liberation: The need for a new regime a study of the South Moluccas and Aceh, S. 116), die schwindende Bedeutung des ursprünglichen Aufwertungssinns im Zeitalter rechtlich weitestgehend überwundener Kolonialisierung dürfte es als schwierig gestalten, ausreichende Nachweise der Staatenpraxis und opinio iuris zu identifizieren. Könnte entsprechende Staatenpraxis und opinio iuris allerdings nachgewiesen werden, fielen alle nationalen Befreiungskriege unter den Schutz der vier Genfer Abkommen sowie, mangels Ratifikation des ZP I, unter den Schutz derjenigen Inhalte des ZP I, die selbst gewohnheitsrechtliche Geltung erlangt haben (Higgins, a. a. O.). 85 Die Unbestimmtheit der Anforderungen an das Bestehen eines bewaffneten Konflikts wird deutlich, wenn man sich der konkreten Situation eines Befreiungskampfes entsinnt. So wird in der Praxis ein interner Konflikt auf dem Gebiet eines Hoheitsstaates ausgetragen, der lediglich durch Entscheidung des Rechts als international klassifiziert wird. In klassischen internationalen bewaffneten Konflikten führt die Verletzung der Integrität und Souveränität des attackierten Staates schon beim symbolischen ersten Schuss zur Anwendung des humanitären Völkerrechts. Dagegen ist im Rahmen der Art. 3-Konflikte eine gewisse Intensität von Nöten, um die Anwendbarkeit des internationalen Schutzrechts auszulösen. Das Fehlen einer Intensitätsschwelle in Art. 1 (4) ZP I führt somit dazu, dass rechtlich gesehen schon bei erstem Aufkommen der Befreiungskämpfe die Anwendung der Genfer Abkommen und des ZP I ausgelöst ist. Gegenteilige Forderungen während der Verhandlungen um Art. 1 (4) ZP I, die auch für Befreiungskämpfe eine Anwendungsschwelle erreichen wollten, haben keinen Eingang in die Norm gefunden (siehe z. B. die Erklärung Australiens: „In supporting Article 1 as a whole, Australia understands that Protocol I will apply in relation to armed conflicts which have a high level of intensity.“; CDDH/SR.36 in: CDDH, Official Records of the Diplomatic Conference on the Reaffirmation and Development of International Humanitarian Law Applicable in Armed Conflicts, Genf, 1974–1977, Band VI, S. 59 f.). In dem kaum wahrscheinlichen Fall, dass ein Staat einen Befreiungskampf auf seinem Territorium als einen Konflikt im Sinn des Art. 1 (4) ZP I anerkennt, wird dieser aber mit zwingender Notwendigkeit eine gewisse Intensitätsschwelle voraussetzen, bevor er von der Auslösung humanitären Völkerrechts ausgeht (vgl. Wilson, International Law and the Use of Force by National Liberation Movements, S. 166: keine Schwelle, insb.
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Ausübung ihres Rechts auf Selbstbestimmung gegen Kolonialherrschaft, fremde Besetzung sowie gegen rassistische Regimes86 kämpfen, sind nach dem strengenicht die des ZP II; zudem Sivakumaran, The Law of Non-International Armed Conflict, S. 216). Angesichts praktischer Schwierigkeiten in der Unterscheidung von gegen den Staat gerichteten einzelnen Terrorakten und dem Einsetzen eines bewaffneten Befreiungskampfes ist das Fehlen jeder Schwelle zwar womöglich im Ansatz lobenswert, in der Praxis jedoch fern der Realität und Umsetzbarkeit. 86 Die Anforderungen an das herrschende Regime, gegen das ein Befreiungskampf auftreten muss, um den erhöhten Schutz des Genfer Rechts auszulösen, ist durch den Wortlaut der Norm nicht zweifelsfrei zu fassen. Art. 1 (4) ZP nennt drei Szenarien der Anwendbarkeit ausdrücklich: Kolonialherrschaft, fremde Besetzung sowie rassistische Regimes. Nicht jedes Volk im Sinne des Art. 1 (4) steht allerdings einer solchen Staatsmacht gegenüber. Zur Definition der drei Alternativen statt vieler: Partsch, in: Bothe et al., New Rules for Victims of Armed Conflicts, Commentary on the two 1977 Protocols Additional to the Geneva Conventions of 1949, S. 49 f. m.w. N. Sivakumaran, The Law of Non-International Armed Conflict, S. 218 f. nennt eine Vielzahl aktueller Beispiele, in denen Gruppierungen sich zwar als Freiheitsbewegungen bezeichnen, aber keine der drei genannten Alternativen einschlägig wäre. Ebenso weist er auf Situationen hin, in denen ein Staat das Recht auf interne Selbstbestimmung einer Gruppe aberkennt. In diesem Fall könnte gemäß derzeitiger Vorstellung ein Recht auf externe Selbstbestimmung entstehen. Würde die Berufung eines Volkes auf dieses Recht zum Konflikt führen, stellte sich das gleiche Anwendungsproblem (S. 219). Zu externer und interner Selbstbestimmung: Sterio, On the Right to External Self-Determination: „Selfistans,“ Secession, and the Great Powers’ Rule’, Minnesota Journal of International Law 19 (2010), S. 138 ff. die argumentiert, dass die Ausübung des Rechts auf Selbstbestimmung maßgeblich von der Unterstützung des Strebens durch die Weltmächte abhängt (S. 158 ff.). Aufgrund der Wortlautbegrenzung auf die drei genannten Szenarien liegt der Versuch einer erweiternden Auslegung der Norm daher nahe; der unklare Wortlaut des Abs. 4 wirkt dem unterstützend. Schon während der Verhandlungen um das ZP I wurde vorgebracht, dass die Formulierung des Art. 1 (4) („auch“) es zuließe, die drei Alternativen lediglich als Beispiele einer breiteren Anwendbarkeit auszulegen (so die australische Delegierte, deren Zustimmung zu dem Formulierungsvorschlag von Absatz 4 auch davon abhing, dass dessen Interpretation eine breitere Anwendung über die drei genannten Alternativen hinaus ermögliche: CDDH/SR.22 in: CDDH, Official Records of the Diplomatic Conference on the Reaffirmation and Development of International Humanitarian Law Applicable in Armed Conflicts, Genf, 1974–1977, Band V, S. 228, Rn. 14). Dieses Vorbringen blieb jedoch eine Einzelstimme. Weder findet es Unterstützung durch die Travaux préparatoires, noch reflektiert eine solche Auslegung heutige Ansichten oder Praxis (Partsch, Commentary on Article 1 AP I, in: Bothe et al., New Rules for Victims of Armed Conflicts, Commentary on the two 1977 Protocols Additional to the Geneva Conventions of 1949, S. 50 f.; Sivakumaran, The Law of Non-International Armed Conflict, S. 219; Wilson, International Law and the Use of Force by National Liberation Movements, S. 168; Provost, International Human Rights and Humanitarian Law, S. 256). Die vom IKRK angenommene Kommentierung des ZP I befürwortete ebenso eine Begrenzung der Anwendbarkeit (Zimmermann, in: Sandoz/Swinarski/Zimmermann (Hrsg.), Commentary on the Additional Protocols of 8 June 1977 to the Geneva Conventions of 12 August 1949, S. 55, Rn. 113). Nur in den genannten Fällen sei Gewaltanwendung für Völker zur Geltendmachung ihres Rechts auf Selbstbestimmung unumgänglich. Valide Bedenken stehen hinter der Befürwortung eines engen Anwendungsrahmens: Art. 1 (4) ZP I stellt eine Ausnahme zum Grundsystem des humanitären Völkerrechts dar. Nicht nur wird durch ihn die Anpassung der rechtlichen Trennung der Konfliktformen an die faktischen Konfliktsachverhalte partiell verwischt, auch die Unterscheidung zwischen ius ad bellum und ius in bello wird für die genannten Be-
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ren Regime internationaler bewaffneter Konflikte zu beurteilen.87 Sie sind nicht Gegenstand dieser Darstellung.
freiungskämpfe geschwächt. Zudem birgt eine erweiterte Auslegung der Norm die Gefahr einer Erhöhung der Konfliktwahrscheinlichkeit. Da Absatz 4 die Anerkennung der Legitimität der erfassten Befreiungskämpfe suggeriert, würde diese bei einer weiteren Auslegung auch erweitert. Dies wiederum könnte Befreiungsbewegungen, die nicht vom engen Wortlaut der Norm abgedeckt sind, zur Austragung eines Konflikts bewegen. Doch diese Argumentation übersieht, dass die Gewährung von Schutz durch humanitäres Völkerrecht primär der Verfolgung des Opferschutzes und damit humanitären Erwägungen dient. Eben aus jenem Grund ist die Trennung zwischen ius ad bellum und ius in bello von größter Bedeutung. Die durch Art. 1 (4) ZP I ausgelöste Unstimmigkeit des Systems sollte nicht dazu führen, dass anderen Befreiungsbewegungen, die die Völkergemeinschaft in Zukunft als von dem Prinzip der Selbstbestimmung gedeckt ansieht, im Fall eines Konflikts nicht auch der erhöhte Schutz der Genfer Abkommen zugesprochen werden kann. Letztlich ist ein weiterer Gesichtspunkt von Bedeutung: Kein Staat hat oder wird jemals die Existenz eines Befreiungskampfes nach Art. 1 (4) ZP I auf seinem Gebiet anerkennen, da mit dieser die Klassifizierung des eigenen Staates als Kolonialherrschaft, fremde Besetzung oder rassistisches Regime verbunden ist. So auch Sivakumaran, The Law of Non-International Armed Conflict, S. 221 der darauf hinweist, dass dies auch bei einer Ausweitung des Anwendungsbereichs der Fall wäre, da Staaten in keinem Fall gewillt wären anzuerkennen, dass sie das Recht eines Volkes auf Selbstbestimmung unterdrückten. Die Situation wäre jedoch bei Ausweitung des Anwendungsbereichs nicht exakt gleich zu bewerten, schließlich würde die Anerkennung des Selbstbestimmungsrechts des beteiligten Volkes nicht die Anerkennung der Notwendigkeit der Ausübung von Waffengewalt gleichsetzen. Das Ergebnis ist aber in jedem Fall identisch: Die Chancen, dass ein Staat jemals die Anwendbarkeit des Art. 1 (4) ZP I akzeptiert, sind, unabhängig von der Auslegungsweite der Norm, letztlich mehr als gering. 87 Beschäftigt mit der Auflösung dieser Einzelprobleme ist derzeit aber vor allem der wissenschaftliche Diskurs. Durch den weitgehenden Abschluss des Entkolonialisierungsprozesses seit den 1990er Jahren hat Art. 1 (4) ZP I an Bedeutung verloren. Greenwood, Terrorism and Humanitarian Law – The Debate over Additional Protocol I, Israel Yearbook on Human Rights, S. 194 argumentiert, die Bedeutung der Norm sei heute „virtually non-existent“. Wilson, International Law and the Use of Force by National Liberation Movements, S. 168 sieht einen ähnlich begrenzten Anwendungsbereich: „[If Art. 1 (4)] opens up a Pandora’s box at all, it is an unexpectedly small one.“ Der überwiegende Teil heutiger Konflikte, die aus Gründen der Selbstbestimmung ausgetragen werden, fallen aufgrund der kumulativen Wortlautvoraussetzungen nicht unter den Anwendungsbereich der Norm (Higgins, Regulating the use of force in wars of national liberation: The need for a new regime a study of the South Moluccas and Aceh, S. 116). Zynisch formuliert, liegt ein enormer Aspekt der Bedeutung dieser Vorschrift allein im Streit um ihre Interpretation (im Ergebnis ähnlich Wilson, International Law and the Use of Force by National Liberation Movements, S. 168). Letztlich zeigt sich in Art. 1 (4) ZP I vor allem die Inkonsistenz rechtlicher Unterscheidung von Konfliktformen, die in stärkerem Maß von politischen Entscheidungen und (legitimen) Wertungsüberlegungen abhängt, als von stringenten Abgrenzungskriterien. Sie wird jedoch nicht durch Auslegung, sondern nur durch eine komplette, und in absehbarer Zeit utopische, Umstrukturierung des humanitären Völkerrechts hin zu einem einheitlichen Anwendungsbereich zu lösen sein. Dies ist jedoch nicht Gegenstand der vorliegenden Analyse.
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II. „Moderne“ Konfliktformen Weit größere Praxisbedeutung kommt einer vermehrt in den letzten Jahrzehnten aufgetretenen Abgrenzungsfrage zu: Die Klassifizierung von Konflikten, an denen sowohl mehrere Staaten als auch bewaffnete Gruppen direkt oder indirekt beteiligt sind oder die trotz Beteiligung eines einzigen Staates grenzüberschreitend geführt werden, stellt die grundlegende Unterscheidung der Konflikte nach Art. 2 und Art. 3 GA erneut auf die Probe, denn anders als im Fall nationaler Befreiungsbewegungen im Sinne des Art. 1 (4) ZP I existiert keine ausdrückliche Zuordnung dieser nur begrenzt unter den Wortlaut der Artikel zu fassenden Konfliktausprägungen. Zwar besteht weitestgehend Einigkeit darüber, dass jeder bewaffnete Konflikt einer der zwei in den Genfer Abkommen vorgesehenen Konflikttypen zugeordnet werden muss88, die konkrete Einordnung der teils unter der Bezeichnung „moderne Konfliktformen“ diskutierten Auseinandersetzungen89 ist 88 Soll humanitäres Völkerrecht seinem durch die Genfer Abkommen von 1949 gefestigten Anspruch, auf alle Arten bewaffneter Konflikte Anwendung zu finden, gerecht werden, so müssen alle Formen heutiger oder künftiger bewaffneter Konflikte einer der beiden verfügbaren Konfliktkategorien zugeordnet werden können. Die unersetzliche Bedeutung humanitärrechtlichen Individualschutzes verbietet jede Annahme einer neuen Konfliktform und einer mit ihr entstehenden Regelungslücke; der offene Wortlaut der umrahmenden Art. 2 und 3 GA erfordert eine Sonderregelung nicht. Die Behauptung einer Regelungslücke trägt regelmäßig die Gefahr der Berühmung uneingeschränkter Handlungsfreiheit. Dramatische Bekanntheit erlangte der entsprechende Versuch der USA nach 9/11 „unlawful combattants“ als nicht in den Genfer Abkommen geregelte Kategorie zwischen Kombattanten und Zivilisten zu etablieren und diesen so den Status als Kriegsgefangene zu verweigern. Statt vieler: Dörmann, The legal situation of „unlawful/unprivileged combatants“, International Review of the Red Cross 85 (2003), S. 45 ff.; Pejic, „Unlawful/Enemy Combatants:“ Interpretations and Consequences, in: Schmitt/Pejic (Hrsg.), International law and armed conflict: Exploring the faultlines, S. 338 ff.; Gill/van Sliedregt, Guantanamo Bay: A Reflection on the Legal Status and Rights of ,Unlawful Enemy Combatants‘, Utrecht Law Review 1 (2005), S. 28 ff. 89 Moderne Konflikte werden darüber hinaus als überwiegend asymmetrische Konflikte bezeichnet, die ohne räumliche Begrenzung auf Schlachtfelder unter Einsatz von Guerilla-Taktiken geführt werden und in denen sich Akteure nicht länger durch Uniformen oder das offene Tragen von Waffen von Zivilisten unterscheiden lassen. Zu den Merkmalen moderner Konflikte u. a. Cassese, Introduction: Current Challenges to International Humanitarian Law, in: Clapham/Gaeta (Hrsg.), The Oxford Handbook of International Law in Armed Conflict, S. 8; Gareis, Future Wars. Characteristics, Forms of Reaction and Strategic Requirements, in: Gobbicchi (Hrsg.), Globalization, armed conflicts and security, S. 161; Samson, Necessity, Proportionality, and the Distinction in Non-Traditional Conflicts: The Unfortunate Case Study of the Goldstone Report, in: Cohen/Ford (Hrsg.), Rethinking the law of armed conflict in an age of terrorism, S. 198. Asymmetrische Konflikte sind durch die militärische und strukturelle Ungleichheit der beteiligten Parteien geprägt. Die Asymmetrie der Parteienstärke trägt in solchen Konflikten die ernst zu nehmende Gefahr der bewussten Abwendung von den Vorgaben des humanitären Völkerrechts mit sich. Um ihre Unterlegenheit zu kompensieren, greift die schwächere Partei womöglich zu Mitteln und Methoden der Kriegsführung, die eine Verletzung des humanitären Völkerrechts darstellen. Anschläge werden teils bewusst in Stadtzentren ausgeführt und zielen auf Zivilisten. Das systematische Untertauchen in die Zivilbevölkerung ist zentraler Bestandteil der Kampfstrategie. Das einseitige Ab-
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aber auch heute noch Gegenstand kontroverser und nicht zuletzt politisch motivierter Zuordnungsversuche. Zwei Konstellationen sind hierbei zu unterscheiden: So kann ein im Grundsatz nichtinternationaler Konflikt zwischen einem Staat und einer nichtstaatlichen Gruppe Bezugspunkte zu anderen Staaten aufweisen, durch diese beeinflusst, unterstützt oder gar gesteuert werden. Ob bei einer solchen Internationalisierung von außen noch immer von dem Bestehen eines nichtinternationalen bewaffneten Konflikts ausgegangen werden kann, ist Kern der ersten Abgrenzungsproblematik. Jünger noch als diese Frage ist die zweite Ausprägung des Klassifikationsdilemmas moderner Konflikte. Sie ist bestimmt durch den Kampf einiger Territorialstaaten gegen nahezu global agierende nichtstaatliche Akteure und Organisationen. Diese zunächst primär unter dem Schlagwort des „war on terror“ 90 diskuwenden einer Partei von den Schranken der Kriegsführung wiederum kann die Bereitschaft der stärkeren Partei, sich selbst an die Handlungsbeschränkungen des HVR zu halten, infrage stellen (vgl. Schmitt, 21st century conflict: can the law survive? Melbourne Journal of International Law 8 (2007), S. 471 ff., der zu Recht darauf hinweist, dass die staatliche Partei des Konflikts Auslegungen des Rechts wählen wird, die möglichst große Handlungsfreiheit gewähren. Das Beispiel Abu Ghraib zeige deutlich die Folgen der Abkehr einzelner Streitkräftemitglieder von den Normen humanitären Völkerrechts (ibid., S. 475). Kaum ein Konflikt in der Geschichte wurde allerdings von zwei gleich starken Parteien ausgetragen. Asymmetrie ist letztlich Bestandteil jedes bewaffneten Konflikts (Paulus/Vashakmadze, Asymmetrical war and the notion of armed conflict – a tentative conceptualization, International Review of the Red Cross 91 (2009), S. 108; Geiß, Asymmetric conflict structures, International Review of the Red Cross 88 (2006), S. 758). Zu asymmetrischen Konflikten als modernen Herausforderungen u. a. Thornton, Asymmetric warfare; Estreicher, Privileging Asymmetric Warfare (Part III)?: The Intentional Killing of Civilians under International Humanitarian Law, Chicago Journal of International Law 12 (2011–2012), S. 589 ff.; Münkler, The wars of the 21st century, International Review of the Red Cross 85 (2003), S. 7 ff.; Wlaschütz, New Wars and their Consequences for Human Security, Case Study: Colombia, Human Security Perspectives 1 (2004); PoKempner, The New Non-State Actors in International Humanitarian Law, George Washington International Law Review 38 (2006), S. 551 ff.; Banks (Hrsg.), New battlefields old laws; Banks (Hrsg.), Counterinsurgency law: New directions in asymmetric warfare; van Baarda/Verweij (Hrsg.), The moral dimension of asymmetrical warfare: Counter-terrorism, democratic values and military ethics; Zimmermann, Abiding by and Enforcing International Humanitarian Law in Asymmetric Warfare the Case of „Operation Cast Lead“, Polish Yearbook of international Law 31 (2011), S. 47 ff.; Paulus/Vashakmadze, Asymmetrical war and the notion of armed conflict – a tentative conceptualization, International Review of the Red Cross 91 (2009), S. 95 ff. und viele weitere. 90 Der Begriff „war on terror“ oder „global war“ wurde bereits von der ObamaRegierung vermieden. Stattdessen fand der Begriff „war with Al-Qaeda“ Verwendung. Siehe Brennan, A New Approach to Safeguarding Americans, Rede am Center for Strategic and International Studies Washington, DC, 6. August 2009, abrufbar unter: https://www.whitehouse.gov/the-press-office/remarks-john-brennan-center-strategicand-international-studies [abgerufen am 26.10.2020]; zitiert von Thynne, Targeting the ,Terrorist Enemy‘: The Boundaries of an Armed Conflict Against Transnational Terrorists, Australian International Law Journal 16 (2009), S. 162. März 2013 erklärte President Obama den „global war on terror“ für beendet. Zur Frage, ob die USA in einem
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tierte Erscheinung vereint die Akteure eines nichtinternationalen bewaffneten Konflikts mit der grenzüberschreitenden, transnationalen Kampfführung eines scheinbar internationalen Krieges. Beide Sonderfälle stellen das in sich notwendig geschlossene System der Konfliktkategorisierungen auf die Probe. 1. Internationalisierung durch Staatenintervention
Seit Schaffung der Genfer Abkommen von 1949 erlebt die internationale Gemeinschaft eine immer engere Verknüpfung transnationaler und internationaler Beziehungen. Politische und wirtschaftliche Abhängigkeiten sowie die Interessenpolitik der mächtigen Staaten91, die aufgrund des Gewaltverbots nach Art. 2 (4) UN-Charta nach Ende des Zweiten Weltkriegs nicht mehr gar so offen in die internen Beziehungen anderer Staaten eingreifen durften92, führte in den letzten 60 Jahren oftmals zu indirekter Einflussnahme auf interne Geschehnisse.93 Im Rahmen bewaffneter Konfliktführung etablierte sich so der Begriff des internationalisierten Konflikts.94 Dieser Konflikttypus ist dadurch gekennzeichnet, dass ein ursprünglich nichtinternationaler Konflikt auf dem Gebiet eines Mitgliedsstaates wütet und dieser Konflikt durch andere Staaten direkt oder indirekt beeinflusst wird.95 Er erfährt also eine Internationalisierung von außen.96 Aufgrund dieser bewaffneten Konflikt gegen Al-Qaida kämpfen, u. a. Murphy, Mission Impossible? International Law and the Changing Character of War, Israel Yearbook on Human Rights 41 (2011), S. 8 ff. 91 Schindler, International Humanitarian Law and Internationalized Internal Armed Conflicts, International Review of the Red Cross 22 (1982), S. 255. 92 Siehe zu dieser Überlegung Crawford, The treatment of combatants and insurgents under the law of armed conflict, S. 16, insb. Fn. 38 m. w. Erläuterungen. 93 Schindler, International Humanitarian Law and Internationalized Internal Armed Conflicts, International Review of the Red Cross 22 (1982), S. 255: „Interference in internal conflicts is often a substitute for an international war.“ 94 Unter dem Begriff „internationalisierte bewaffnete Konflikte“ werden teilweise aber auch ausschließlich die in Art. 1 (4) ZP I genannten Konflikte subsumiert. So anscheinend Heintschel von Heinegg, Asymmetric Warfare, in: Wolfrum (Hrsg.), The Max Planck Encyclopedia of Public International Law, opil.ouplaw.com/home/EPIL, Rn. 14 mit Verweis auf Ipsen, Combatants and Non-Combatants, in: Fleck (Hrsg.), The Handbook of International Humanitarian Law, S. 89 ff., der den Begriff internationalisierter Konflikte aber selbst nicht verwendet. Ebenso Condé, A handbook of international human rights terminology, S. 134 f., Stichwort: Internationalized Armed Conflict (LOAC). Die in Art. 1 (4) ZP I genannten Konfliktformen sind durch das Zusatzprotokoll I de jure internationalisiert. Hier liegt der Unterschied zu der hier genutzten Definition internationalisierter Konflikte, welche durch Einwirkung von Völkerrechtssubjekten de facto internationalisiert werden. 95 Schindler, International Humanitarian Law and Internationalized Internal Armed Conflicts, International Review of the Red Cross 22 (1982), S. 255 f.; Crawford, The treatment of combatants and insurgents under the law of armed conflict, S. 15. 96 Dies kann sowohl durch den Einsatz eigener Soldaten als auch indirekt durch Unterstützung einer bewaffneten Gruppe erfolgen. Nahezu jeder nichtinternationale bewaffnete Konflikt weist heute allerdings Berührungspunkte zu anderen Staaten auf. Be-
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Internationalisierung weist der Konflikt streng genommen nicht länger „keinen internationalen Charakter“ im Sinne des Art. 3 GA auf. Ebenso entsteht der Konflikt aufgrund bloßer Beeinflussung des Kampfgeschehens durch einen Drittstaat aber auch nicht „zwischen zwei oder mehreren der Hohen Vertragsparteien“ (Art. 2 GA). Der Wortlaut der beiden Kategorisierungsnormen bestimmt also keine grundsätzliche Zuordnung zu der einen oder anderen Konfliktart, dennoch wird heute angenommen, dass die Internationalisierung im Einzelfall zu einem Übergang eines ursprünglich nichtinternationalen Konflikts in eine durch Art. 2 GA reglementierte Auseinandersetzung führt.97 Maßgeblich für diesen Übergang ist die Reichweite äußeren, fremdstaatlichen Einflusses auf die Geschehnisse innerhalb eines Staatsgebiets.98 Die für den Typisierungswechsel ausschlaggebende Einflussnahme kann sich neben dem Einsatz der Armee des Drittstaats zu Gunsten der organisierten Gruppe auch aus der Steuerung oder Unterstützung einer bewaffneten Gruppierung durch den Drittstaat ergeben.99 Das als Verstoß gegen das Prinzip der Nichteinmischung zu wertende gegnerische Eingreifen in die innerstaatliche Sphäre eines anderen Völkerrechtssubjekts rechtfertigt die Beurteilung als internationa-
waffnete Gruppen können in Grenznähe stationiert sein, grenzüberschreitend agieren, Kämpfe in Drittstaaten ausüben oder durch diese bei ihrer innerstaatlichen Kampfführung finanziell und oder logistisch unterstützt werden (vgl. Sivakumaran, The Law of Non-International Armed Conflict, S. 212). Eine rechtliche Internationalisierung und damit die Transformation des ursprünglich durch Art. 3 GA erfassten Konflikts in eine nach Art. 2 GA reglementierte Auseinandersetzung ist nicht unbedingt die Folge. Ausschlaggebend ist vielmehr das Maß der Beeinflussung. 97 U. a. IStGH, Prosecutor v. Thomas Lubanga Dyilo, Decision on the Confirmation of Charges, 29. Januar 2007, No. ICC-01/04-01/06, Rn. 209; ICTY, Prosecutor v. Dusˇko Tadic´, Urteil der Berufungskammer vom 15. Juli 1999, Case No. IT-94-1-TA, Rn. 84. Systematische Gründe sprechen spätestens seit Existenz des ZP I nicht länger gegen diese Handhabung, zeigt doch bereits die Existenz des Art. 1 (4) ZP I, dass die Unterscheidung zwischen nichtinternationalen und internationalen Konflikten nicht länger stringent nach dem völkerrechtlichen Charakter der primären Konfliktparteien gezogen wird. Vgl. Stewart, Towards a single definition of armed conflict in international humanitarian law: A critique of internationalized armed conflict, International Review of the Red Cross 85 (2003), S. 318 f.; Bierzanek, Quelques remarques sur l’applicabilité du droit international humanitaire des conflicts armés aux conflicts internes internationalisés, in: Swinarski (Hrsg.), Studies and essays on international humanitarian law and Red Cross principles in honour of J. Pictet, S. 284. 98 Durch das entstehende gegnerische Verhältnis mehrerer Staaten zueinander ist eine Schonung staatlicher Souveränität durch die Anwendung der schwächeren Regeln nichtinternationaler bewaffneter Konflikte nicht länger angezeigt. 99 IGH, Case Concerning Military and Paramilitary Activities in and against Nicaragua (Nicaragua v. United States of America), Urteil vom 27. Juni 1986, I.C.J. Reports 86, S. 14 ff., S. 108, Rn. 205. Zu der Geltung des Prinzips territorialer Integrität bei innerstaatlichen Konflikten auch Christakis, The ICJ Advisory Opinion on Kosovo: Has International Law Something to Say about Secession? Leiden Journal of International Law 24 (2011), S. 84.
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ler Konflikt im Sinne des Art. 2 GA.100 Das Recht internationaler bewaffneter Konflikte ist also anwendbar, wenn sich zwei oder mehrere Staaten direkt, oder durch Unterstützung einer bewaffneten Gruppe auf dem Gebiet eines anderen Staates, in einem Konflikt entgegenstehen.101 100 Milanovic weist zudem auf die zweite Möglichkeit der Internationalisierung durch Anerkennung des Kriegszustandes („recognition of belligerency“) hin (Milanovic, What Exactly Internationalizes an Internal Armed Conflict?) Diese Variante ist heute jedoch rein von historischer Relevanz. 101 Hier sind mehrere Formen fremdstaatlicher Einflussnahme abzugrenzen: Tritt ein Staat als Unterstützer in einen nichtinternationalen bewaffneten Konflikt ein, so kann er dies zugunsten jeder Partei tun. Unterstützt er die nichtstaatliche Gruppe, so stehen sich je nach Intensität des Einflusses indirekt zwei Staaten im Konflikt gegenüber. Ein internationaler bewaffneter Konflikt wird ausgelöst. Tritt dagegen ein Staat zur Unterstützung der Regierungstruppen gegen eine nichtstaatliche Gruppe direkt oder indirekt in den Konflikt ein, so ändert sich die Konfliktform nicht und der gesamte Konflikt ist weiterhin nach Art. 3 GA zu behandeln. Beteiligt sich ein Drittstaat ohne direkte Unterstützung der nichtstaatlichen Gruppe am Kampf gegen die Regierung des Konfliktstaates, ist nochmals zu differenzieren. Der IGH vertrat im Nicaragua-Verfahren die Ansicht, der Konflikt sei bei Beteiligung eines Drittstaates in mehrere Komponenten zu trennen: So existiere zwischen den Contras und Nicaragua ein nichtinternationaler bewaffneter Konflikt, zwischen Nicaragua und den USA dagegen ein Konflikt im Sinne des Art. 2 GA (IGH, Case Concerning Military and Paramilitary Activities in and against Nicaragua (Nicaragua v. United States of America), Urteil vom 27. Juni 1986, I.C.J. Reports 86, S. 14 ff., Rn. 219). Sivakumaran, The Law of Non-International Armed Conflict, S. 223 verweist zudem auf die Bundesregierung, die im Rahmen der NATO-Intervention im Kosovo 1999 von einem internationalen bewaffneten Konflikt zwischen den NATO-Staaten und der Republik Jugoslawien sowie von einem nichtinternationalen Konflikt zwischen der Republik Jugoslawien und der Befreiungsarmee des Kosovo ausging (vgl. Auswärtiges Amt, Pressemitteilung vom 12. Mai 1999, zitiert in: McDonald, Correspondents Report, A guide to state practice concerning International Humanitarian Law 1999, Yearbook of International Humanitarian Law 2 (1999), S. 364). Abzugrenzen ist die Frage der Konfliktauslösung eines nichtinternationalen bewaffneten Konflikts durch interne oder externe Auslöser. Siehe dazu z. B. Brown, The Causes and Regional Dimensions of Internal Conflict, in: Brown (Hrsg.), The International Dimensions of Internal Conflict, S. 582 f. Das durch den IGH angenommene Ergebnis hat den Vorteil der Realitätsnähe, verlangt es von den Staaten doch nicht die häufig unrealistische Behandlung nichtstaatlicher Kämpfer als Kombattanten (Moir, The Law of Internal Armed Conflict, S. 52 mit Verweis auf Baxter, Ius in Bello Interno: The Present and Future Law, in: Baxter et al. (Hrsg.), Humanizing the laws of war: Selected writings of Richard Baxter, S. 265 ff.). Es ist ebenso präzise, da es das Verhältnis der einzelnen, prinzipiell unabhängigen, Konfliktparteien widerspiegelt. In vielen Fällen wird jedoch nicht eindeutig zu ermitteln sein, wie eng die Verbindung zwischen dem Drittstaat und der bewaffneten Gruppe ist, beziehungsweise ob diese nicht lediglich ein ausführendes Organ des Drittstaates darstellt. Die rechtliche Internationalisierung des gesamten Konflikts würde diese Schwierigkeit umgehen. Sie wurde durch die Verfahrenskammer des ICTY im Verfahren gegen ˇ erkez vertreten: Die Intervention kroatischer Truppen in den Konflikt zwiKordic´ und C schen bosnischen Kroaten und Muslimen habe diesen insgesamt internationalisiert ˇ erkez, Urteil der Verfahrenskammer vom (ICTY, Prosecutor v. Dario Kordic´, Mario C 26. Februar 2001, Case No. IT-95-14/2-T, Rn. 109. Kritisch zu dieser Einordnung: Stewart, Towards a single definition of armed conflict in international humanitarian law: A critique of internationalized armed conflict, International Review of the Red Cross 85 (2003), S. 329 ff.). Die Klarheit der Rechtslage spricht für dieses Ergebnis. Dass es
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In welchen Fällen agiert die nichtstaatliche Konfliktpartei aber als bloßes Werkzeug des hinter ihr stehenden Drittstaates, dessen Partizipation das Vorhandensein des internationalen bewaffneten Konflikts auslöst? In Wissenschaft und Praxis noch immer ungeklärt ist, ob ein strenger Test effektiver Kontrolle durch den Drittstaat („effective control“) angelegt werden muss, wie es der IGH im Nicaragua-Verfahren annahm102, oder ob eine übergreifende Kontrolle („overall control“) als durch die Berufungskammer des ICTY im Tadic´-Verfahren103 favorisierter Maßstab vorgezogen werden sollte. Für die Anwendbarkeit von Art. 2 GA ist richtigerweise dem Maßstab übergreifender Kontrolle Vorzug zu geben. Die Einordnung als nichtinternationaler bewaffneter Konflikt nach Art. 3 GA kommt schließlich nur dann infrage, wenn kein internationaler Charakter des Konflikts vorhanden ist.104 Die Widerlegung dieses Negativtests darf nicht nur aus Schutzmaximierungsgründen nicht an zu hohe Anforderungen geknüpft werden. Selbst wenn ein Drittstaat nicht jede einzelne Handlung einer bewaffneten Gruppe im Sinne effektiver Kontrolle bestimmt, stellt seine Beteiligung doch ein Eingreifen in interne Angelegenheiten eines Staates dar. Die staatliche Handlung durchbricht bereits den Souveränitätsmantel des Territorialstaats, nicht erst die Anwendung humanitären Völkerrechts auf einen sonst rein innerstaatlichen Sachverhalt. Auf eine effektive Kontrolle im Sinne einer Lenkung und Durchsetzung von Staaten, die in Konsequenz den Kombattantenstatus gegnerischer nichtstaatlicher Kämpfer anzuerkennen hätten, akzeptiert werden könnte, ist allerdings unwahrscheinlich (Sivakumaran, Re-envisaging the International Law of Internal Armed Conflict, European Journal of International Law 22 (2011), S. 224). Im Einzelfall wird also zu analysieren sein, ob mehrere abtrennbare Konflikte oder lediglich ein Konflikt in einem Gebiet herrscht und ob dieser, sofern er denn existiert, direkt oder indirekt von zwei oder mehr Staaten ausgetragen wird. So z. B. die UN-Untersuchungskommission für den Libanon, die zu dem Ergebnis kam, dass 2006 ein internationaler bewaffneter Konflikt zwischen Israel, dem Libanon und Hisbollah bestand, obwohl Kämpfe lediglich zwischen Israel und der Hisbollah aufgetreten waren: Commission of Inquiry on Lebanon, Report of the Commission of Inquiry on Lebanon pursuant to Human Rights Council resolution S-2/1, 23. November 2006, A/HRC/3/2, Rn. 8 f.: „The fact that the Lebanese Armed Forces did not take an active part [. . .] neither denies the character of the conflict as a legally cognizable international armed conflict, nor does it negate that Israel, Lebanon and Hezbollah were parties to it.“ Für eine Analyse des Berichts: Stewart, The UN Commission of Inquiry on Lebanon – A Legal Appraisal, Journal of International Criminal Justice 5 (2007), S. 1042 ff. Eine solche Lösung kann durchaus zur Internationalisierung aller Konfliktaspekte führen, behält jedoch die Konstellation des Einzelfalls im Blick. Eine pauschale Lösung kann den hinter der Internationalisierungsidee stehenden Überlegungen staatlicher Souveränität nicht gerecht werden. 102 IGH, Case Concerning Military and Paramilitary Activities in and against Nicaragua (Nicaragua v. United States of America), Urteil vom 27. Juni 1986, I.C.J. Reports 86, S. 14 ff., S. 65, Rn. 115. 103 ICTY, Prosecutor v. Dus ˇko Tadic´, Urteil der Berufungskammer vom 15. Juli 1999, Case No. IT-94-1-TA, Rn. 110 ff., 120 ff. 104 Beziehungsweise sie kommt in Betracht, wenn der Konflikt zwischen dem Staat und der bewaffneten Gruppe von einem parallel geführten Konflikt zwischen zwei Staaten abgetrennt werden kann. Vgl. die Ausführungen in den vorherigen Fn.
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einzelner Operationen105 kann es nicht mehr ankommen. Die Trennbarkeit der Konfliktparteien, die letztlich Maßstab der Analyse sein sollte, ist schon bei einer übergreifenden Kontrolle durch den Drittstaat nicht mehr gegeben. Das Richtmaß effektiver Kontrolle, das der IGH im Nicaragua-Verfahren aufstellte, ist für diese Situation zudem nicht direkt einschlägig, denn während der IGH über die Verantwortlichkeit der USA aufgrund ihrer Unterstützung der Contras zu urteilen hatte, erging das Urteil der Berufungskammer des ICTY zu den Voraussetzungen der Internationalisierung eines Konflikts und damit zu dem hier diskutierten Problemfeld.106 Die beiden Themenkreise sind grundverschieden. Während die Klassifikation des Konflikts die gesamten Genfer Abkommen und das ZP I erst zur Anwendung bringt, beschäftigt sich die Frage völkerrechtlicher Verantwortlichkeit mit einer einzelnen, bereits verübten, völkerrechtswidrigen Handlung. Dass die Voraussetzungen der Verantwortlichkeit eines Staates für die Handlungen Dritter enger zu ziehen sind, als der Auslöser eines verstärkten Schutzrechts, das präventiv bestimmte Handlungen unterbinden und Rechte gewähren soll, ist uneingeschränkt vertretbar.107 Die Stringenz des Rechts macht es nicht notwendig, beide Schwellen den gleichen Kriterien zu unterwerfen.108 Eine 105 Diese sah der IGH als Voraussetzung der Zurechnung der Handlungen nach der Staatenverantwortlichkeit. IGH, Case Concerning Military and Paramilitary Activities in and against Nicaragua (Nicaragua v. United States of America), Urteil vom 27. Juni 1986, I.C.J. Reports 86, S. 14 ff., Rn. 115. 106 Siehe zur Abgrenzung der beiden Urteile auch die Argumentation des IGH, Case Concerning the Application of the Convention on the Prevention and Punishment of the Crime of Genocide (Bosnia and Herzegovina v. Serbia and Montenegro) Urteil vom 26. Februar 2007, I.C.J. Reports 2007, S. 43 ff., Rn. 399–406. 107 So auch z. B. Del Mar, The Requirement of ,Belonging‘ under International Humanitarian Law, European Journal of International Law 21 (2010), S. 106. 108 In der Folgezeit bestätigte der IGH seine Ansicht nochmals (IGH, Case Concerning the Application of the Convention on the Prevention and Punishment of the Crime of Genocide (Bosnia and Herzegovina v. Serbia and Montenegro) Urteil vom 26. Februar 2007, I.C.J. Reports 2007, S. 43 ff., Rn. 406), dennoch ist die Anwendung des „overall control“-Tests als Kriterium der Internationalisierung weiterhin möglich und vorzuziehen. Knotenpunkt der Auseinandersetzung zwischen IGH und ICTY war letztlich auch nicht die Nutzung unterschiedlicher Tests für die Prüfung der Internationalisierung eines Konflikts in Abgrenzung zur Auslösung völkerrechtlicher Staatenverantwortlichkeit, sondern die Tatsache, dass die Berufungskammer des ICTY den von ihr vertretenen Kontrollmaßstab zu Unrecht auch für die Frage der Staatenverantwortlichkeit für maßgeblich erklärte und damit die Kriterien des IGH ausdrücklich überging (ICTY, Prosecutor v. Dusˇko Tadic´, Urteil der Berufungskammer vom 15. Juli 1999, Case No. IT94-1-TA, Rn. 115). Zu den Folgen: Cassese, The Nicaragua and Tadic´ Tests Revisited in Light of the ICJ Judgment on Genocide in Bosnia, European Journal of International Law 18 (2007), S. 655 ff.; anknüpfend an Cassese: Simma, Universality of International Law from the Perspective of a Practitioner, European Journal of International Law 20 (2009), S. 280, der den Konflikt selbst als „dialogoue des sourds“ bezeichnet (S. 280). Zu den verschiedenen Tests im Rahmen der Staatenverantwortlichkeit u. a. Talmon, The various control tests in the law of state responsibility and the responsibility of outside powers for acts of secessionist, Legal Research Paper Series (2009), S. 493 ff.
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Unterscheidung bietet sich vielmehr sogar an,109 kann so doch ein möglichst hohes Schutzniveau durch anwendbare Normen des humanitären Völkerrechts erreicht werden. Dies bestätigte im Ergebnis auch der IStGH 2007 in seiner Entscheidung im Fall Lubanga.110 Doch auch der Maßstab übergreifender Kontrolle unterliegt der in der Praxis oft unsicheren Faktenlage, die zwangsläufig ein hohes Maß an Rechtsunsicherheit mit sich bringt.111 Gleich welcher Kontrolltest zur Anwendung kommt, kann die Konfliktklassifikation jedenfalls nicht von einer starren Prüfung vorgegebener Kriterien abhängen.112 Insoweit im Ergebnis ein interner Konflikt durch Ein109 So auch Richterin Higgins: Statement by the President of the ICJ, Speech by Judge Rosalyn Higgins, President of the International Court of Justice, at the meeting of Legal Advisors of the Ministries of Foreign Affairs, 29. Oktober 2007, abrufbar unter: https://www.icj-cij.org/public/files/press-releases/7/14097.pdf [abgerufen am 26.10.2020], S. 4. Higgins stellt zu Recht klar, dass es nicht Aufgabe des ICTY gewesen war, über den von ihm zu entscheidenden strafrechtlichen Fall hinaus die Voraussetzungen der Staatenverantwortlichkeit zu bestimmen. Ähnlich auch ILC, Report of the Study Group of the International Law Commission, finalized by Martti Koskenniemi, Fragmentation of International Law: Difficulties arising from the diversification and expansion of International Law, 13. April 2006, A/CN.4/L.682, Rn. 50. 110 IStGH, Prosecutor v. Thomas Lubanga Dyilo, Decision on the Confirmation of Charges, 29. Januar 2007, No. ICC-01/04-01/06 Rn. 211. Die Umgehung des Fragmentierungsproblems auf diese Weise ist allerdings nicht unumstritten, schließlich entwickelte der ICTY den „overall control“-Test bewusst auch für die Frage der Staatenverantwortlichkeit. Für eine Kritik an der hier vertretenen Lösung: Ventura, Two Controversies in the Lubanga Trial Judgment of the ICC: The Nature of Co-perpetration’s Common Plan and the Classification of the Armed Conflict, in: Casey-Maslen (Hrsg.), The War Report, 2012, S. 17. Die Ungereimtheiten, die Ventura durch diese Lösung sieht (S. 17, Fn. 86), sind jedoch keineswegs vorhanden. Weder Logik noch Sinn und Zweck der Rechtsregime sprechen dagegen, dass ein Konflikt durch Kontrolle einer bewaffneten Gruppe durch einen Drittstaat zwar internationalisiert wird, nicht jede der Handlungen der Gruppe aber diesem Staat zuzurechnen ist. 111 Zum Problem der Faktenfindung im Rahmen bewaffneter Konflikte (in Bezug auf die Ermittlung eines Genozides), sowie zu der Auseinandersetzung des IGH und des ICTY: Goldstone/Hamilton, Bosnia v. Serbia: Lessons from the Encounter of the International Court of Justice with the International Criminal Tribunal for the Former Yugoslavia, Leiden Journal of International Law 21 (2008), S. 95 ff. 112 Das Verhältnis eines Staates zu einer bewaffneten Gruppe kann vielgestaltig sein. Die Zurechnung des nichtstaatlichen Handelns mit der Konsequenz der Konfliktinternationalisierung könnte sich auch aus zuvor nicht bedachten Gesichtspunkten ergeben. Beispielsweise bejahte die UN-Untersuchungskommission zum Konflikt im Libanon 2006 eine Zurechnung der Hisbollah zum Libanon auch aufgrund der Beteiligung der Gruppe an dessen Regierung: Commission of Inquiry on Lebanon, Report of the Commission of Inquiry on Lebanon pursuant to Human Rights Council resolution S-2/1, 23. November 2006, A/HRC/3/2, Rn. 55–62. Im Ergebnis nahm die Kommission die Existenz eines einzigen internationalen bewaffneten Konflikts zwischen den Parteien Israel, Libanon und Hisbollah an (Rn. 55–62). Damit bestätigte die Kommission die Position der Regierung des Libanon sowie die erste Einschätzung Israels. Zu Beginn des Konflikts hatte Israel erklärt, es befinde sich in einem internationalen Konflikt mit dem Libanon, dem die Handlungen der Hisbollah zuzurechnen seien (UNSC, 5489th meeting vom 14 Juli 2006, S/PV.5489, S. 6; Permanent Representative of Israel to the
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flussnahme eines Drittstaats als internationalisiert kategorisiert werden kann, stellt er nicht länger einen nichtinternationalen bewaffneten Konflikt nach humanitärem Völkerrecht dar.113 Solche Konflikte sind nicht Gegenstand dieser Darstellung. 2. Transnationale bewaffnete Konflikte
Ebenfalls an der Grenze zwischen den durch Vertragsrecht vorgesehenen Konflikttypen angesiedelt sind die sogenannten transnationalen bewaffneten Konflikte. Diese Erscheinungsform wurde durch den globalen Kampf der USA gegen Al-Qaida und gegen den sogenannten Islamischen Staat (IS) geprägt.114 Sie ist gekennzeichnet durch die bewaffnete Auseinandersetzung eines Staates mit einer nichtstaatlichen Konfliktpartei, die sich maßgeblich auch außerhalb der eigenen Staatsgrenzen abspielt. Diese geografische Internationalität eines Konflikts zwischen einem Staat und nichtstaatlichen Gruppen ist im humanitären Völkerrecht allerdings nicht vorgesehen. Zwar sind auch transnationale Konflikte zwingend in die Dichotomie bewaffneter Konflikte nach humanitärem Völkerrecht einzuordnen115 und daher entweder als internationale oder nichtinternationale bewaffnete United Nations, Identical letters dated 12 July 2006 from the Permanent Representative of Israel to the United Nations addressed to the Secretary-General and the President of the Security Council, A/60/937–S/2006/515). Später relativierte Israel allerdings seine Position und gab an, sich nicht in einem Konflikt mit dem Libanon zu befinden. Vielmehr begegnete Israel einer durch die Hisbollah ausgelösten regionalen Bedrohungslage (UNSC, 5508th meeting vom 8. August 2006, S/PV.5508, S. 6). Diese Argumentation wurde u. a. mit Verweis auf die durch israelische Streitkräfte durchgesetzte Seeblockade, die sich gegen den Staat Libanon richtete, durch die Untersuchungskommission zurückgewiesen (Commission of Inquiry on Lebanon, Report of the Commission of Inquiry on Lebanon pursuant to Human Rights Council resolution S-2/1, 23. November 2006, A/HRC/3/2, Rn. 58). Obwohl die Regierung des Libanon eine Unterstützung der Hisbollah verneinte und libanesische Streitkräfte zu keinem Zeitpunkt an den Feindlichkeiten beteiligt waren, ging auch sie vom Vorliegen eines internationalen bewaffneten Konflikts aus, der durch die feindlichen Handlungen der israelischen Streitkräfte gegen den Libanon ausgelöst worden sei (UNSC, 5489th meeting vom 14. Juli 2006, S/PV.5489, S. 4). Für die Zurechnung der Hisbollah zum Libanon siehe oben Teil 1, Fn. 101. Ausführlich zum Verlauf des Konflikts: Yuile, At the fault-lines of armed conflict: the 2006 Israel-Hezbollah conflict and the framework of international humanitarian law, Australian International Law Journal 16 (2009), S. 189 ff.; Bloom, The Classification of Hezbollah in Both International and Non-International Armed Conflicts, Annual Survey of International & Comparative Law 14 (2008), S. 61 ff.; Scobbie, Southern Lebanon 2006, in: Wilmshurst (Hrsg.), International Law and the Classification of Conflicts, S. 394 f. 113 Ob sich diese Klassifikation auf alle Konfliktbestandteile erstreckt, muss davon abhängen, ob verschiedene Aspekte des Konflikts und ihre Akteure abtrennbar sind. Dies ist vor allem eine Frage der Fakten und Faktenermittlung. 114 Zum sogenannten „war on terror“ der USA siehe Teil 1, Fn. 90. 115 Siehe auch die für die Vereinigten Staaten richtungsweisende Entscheidung Supreme Court of the United States, Hamdan v. Rumsfeld, Secretary of Defense et al., Urteil vom 29. Juni 2006, No. 05–184, insb. Abschnitt D, ii. Zu der Bedeutung des Urteils kritisch u. a.: Keller/Forowicz, A New Era for the Supreme Court After Hamdan v.
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Konflikte zu klassifizieren116, die in Art. 2 und 3 GA vorgesehenen Konflikttypen passen jedoch nicht vollständig auf die vorgefundenen Szenarien. Mangels Beteiligung mindestens zweier Staaten können transnationale Konflikte nicht unter Art. 2 GA gefasst werden. Sie stellen also keine internationalen bewaffneten Konflikte dar. Sollen keine rechtsfreien Räume entstehen, müssen sie daher zwingend als nichtinternationale bewaffnete Konflikte klassifiziert werden.117 Auch Art. 3 GA behandelt allerdings zunächst andere Ereignisse. Nach seinem Wortlaut erfasst er Konflikte, die keinen internationalen Charakter aufweisen und die auf dem Gebiet einer der Hohen Vertragsparteien entstehen. Diese Merkmale liegen bei transnationalen Konflikten nicht vor. Sie sind schließlich primär grenzüberschreitend. Ein räumlich abgegrenztes Schlachtfeld ist teilweise nicht mehr zu identifizieren.118 Von Nichtinternationalität kann daher eigentlich nicht geRumsfeld? ZaöRV 67 (2007), S. 1 ff., die die mangelnde Reichweite des Urteils insb. bezüglich des „enemy combatant status“ kritisieren (S. 36–40). 116 Einführend: Waxman, Temporality and Terrorism in International Humanitarian Law, Yearbook of International Humanitarian Law 14 (2011), S. 411 ff.; Kreß, Some Reflections on the International Legal Framework Governing Transnational Armed Conflicts, Journal of Conflict & Security Law 15 (2010), S. 245 ff. Teilweise wird auch die Klassifikation als dritte Konfliktart nach humanitärem Völkerrecht vertreten: Schöndorf, Extra-State Armed Conflicts: Is There a Need For a New Legal Regime? N.Y.U. Journal of International Law and Politics 37 (2004–2005), S. 16–18, 75–77 argumentiert, dass transnationale Konflikte eine dritte Kategorie außerhalb der Dichotomie der Genfer Abkommen darstellten (mit Verweis (S. 16) auf Slaughter/Burke-White, An International Constitutional Moment, Harvard International Law Journal 43 (2002), S. 2, die anders als Schöndorf selbst aber nicht von der Notwendigkeit neuer Regeln ausgehen, sondern ausdrücklich (S. 8) das Recht nichtinternationaler bewaffneter Konflikte für anwendbar erklären). Laut Schöndorf seien transnationale Konflikte nicht durch die Genfer Abkommen, sondern lediglich durch die Regeln des Völkergewohnheitsrechts und der Grundprinzipien des HVR normiert. Diese Ansicht ist allerdings abzulehnen. humanitäres Völkerrecht gestattet die Annahme einer Konfliktform außerhalb der Art. 2 und 3 GA schlicht nicht. 117 Supreme Court of the United States, Hamdan v. Rumsfeld, Secretary of Defense et al., Urteil vom 29. Juni 2006, No. 05–184, Abschnitt D, ii. Siehe auch Slaughter/ Burke-White, An International Constitutional Moment, Harvard International Law Journal 43 (2002), S. 8. Margulies/Sinnot, Crossing Borders to Target Al-Qaeda and Its Affiliates: Defining Networks as Organized Armed Groups in Non-International Armed Conflicts, in: Gill et al. (Hrsg.), Yearbook of International Humanitarian Law 2013, S. 321 f. 118 Nicht nur brechen in ihrem Verlauf bewaffnete Auseinandersetzungen im Sinne klassischer Kämpfe kaum aus, da die Kampfstrategie der bewaffneten Organisation dies zu vermeiden sucht (Pfanner, Asymmetrical warfare from the perspective of humanitarian law and humanitarian action, International Review of the Red Cross 87 (2005), S. 155), gezielte Anschläge terroristischer Gruppierungen können zudem weltweit auftreten. Der nahezu globale Terror Al-Qaidas und die Vielzahl regionaler Ausprägungen des Terrornetzwerks (z. B. im Jemen, in Pakistan, Algerien u. a.) kennzeichnen das wohl prägnanteste Beispiel transnationaler Konfliktakteure. Die Bekämpfung des Terrornetzwerks durch die USA fand über Jahre auf mehreren Staatsgebieten statt. Die Ausprägung terroristischer Netzwerke in Staaten, die entweder selbst kein wirkliches Interesse an der effektiven Verfolgung der Organisation haben oder lediglich über eine schwache Regierung verfügen beziehungsweise keine vollständige Kontrolle über ihr
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sprochen werden.119 Dennoch werden solche bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen einem Staat und nichtstaatlichen (Terror-)Organisationen mangels Territorium besitzen, führt dazu, dass Operationen des am Konflikt beteiligten Staats gegen Knotenpunkte oder Mitglieder des Terrornetzwerks auf dem Gebiet von Drittstaaten ausgeführt werden. Das Terrornetzwerk selbst arbeitet im Verborgenen, so dass kaum ermittelt werden kann, von welchem Staatsgebiet aus operiert wird. Das langfristige Einschleusen von Schläfern in einer Vielzahl von Staatsgebieten erschwert die Lokalisierung der Organisation zusätzlich. 119 Dieses Erscheinungsbild führte in Vergangenheit teilweise zu der Annahme, die bisherigen Regeln humanitären Völkerrechts seien nicht adäquat und daher auf diese Kriege nicht anwendbar. Eine neue Konfliktkategorie müsse geschaffen werden (Schöndorf, Extra-State Armed Conflicts: Is There a Need For a New Legal Regime? N.Y.U. Journal of International Law and Politics 37 (2004–2005), S. 16–18; Corn/Jensen, Transnational Armed Conflict: A „Principled“ Approach to the Regulation of Counter-Terror Combat Operations, Israel Law Review 42 (2009), S. 2 ff. die ebenso von einer dritten Kategorie bewaffneter Konflikte auf Basis von Art. 3 GA ausgehen und anstreben, diesen den Grundprinzipien des humanitären Völkerrechts zu unterwerfen). Die Vorteile einer auf die besonderen Gegebenheiten solcher Konflikte angepassten Konfliktkategorie können die verbundenen Risiken nicht ausgleichen. Die Aussichten auf einen breiten Konsens der Staaten zur Einführung zusätzlicher Regelungen in den Kanon der Genfer Abkommen sind gering. Wäre er zu erreichen, würde er kaum über den Mindestschutz des gemeinsamen Art. 3 GA hinausreichen. Zusätzlich würden in den Jahren bis zu einer Einigung höchst bedenkliche rechtsfreie Räume entstehen, fiele der Konflikt bis dahin doch in eine Lücke vertraglicher Regelungen. Schöndorf (a. a. O., S. 77) rät der internationalen Gemeinschaft dagegen, derartige Lücken zu akzeptieren. Auch wenn er die bislang bestehenden Vorgaben des Gewohnheitsrechts für anwendbar hält, ist im Fall einer staatlichen Krisensituation das Vertrauen auf die Räson politischer Entscheidungsträger kein vielversprechender Weg. Die freiwillige Anerkennung eines gewissen Schutzstandards bei gleichzeitiger Ablehnung bestehender rechtlicher Regelung ist im Angesicht der Terrorismusbekämpfung utopisch. Der schon bestehende vertragliche (Mindest-)Schutz darf durch solche Forderungen nicht in seiner Geltungskraft und bedroht werden. Sinnvoll dagegen ist der Vorschlag von Holland, unter Beibehaltung der bisherigen Dichotomie Konfliktparteien zur freiwilligen Einhaltung strengerer Regeln zu animieren (Holland, The Qualification Framework of International Humanitarian Law: Too Rigid to Accommodate Contemporary Conflicts? Suffolk Transnational Law Review 34 (2011), S. 181). Die Einordnung in eine der bestehenden Konfliktkategorien ist daher zwingend (so auch Waxman, Cyber-Attacks and the Use of Force: Back to the Future of 2 (4), The Yale Journal of International Law 36 (2011), S. 414). Für die Vereinigten Staaten, deren politische Entscheider die Anwendbarkeit der Genfer Abkommen auf die im Zusammenhang mit 9/11 gefassten Personen zunächst anzuzweifeln suchten, stellte der United States Supreme Court in seiner wegweisenden Entscheidung in Hamdan v. Rumsfeld fest, dass der Minimalschutz des Art. 3 GA auch bei transnationalen Konflikten gegen nichtstaatliche Gruppen anwendbar ist und erteilte damit Gegenansichten, die solche Auseinandersetzungen im völkerrechtsfreien Raum auszutragen wünschten, eine wichtige Absage (Supreme Court of the United States, Hamdan v. Rumsfeld, Secretary of Defense et al., Urteil vom 29. Juni 2006, No. 05–184, D, ii, S. 67. Für eine Analyse siehe z. B. Corn, Hamdan, Lebanon, and the Regulation of Hostilities: The Need to Recognize a Hybrid Category of Armed Conflict, Vanderbilt Journal of Transnational Law 40 (2007), S. 295 ff. der für eine stärkere Umsetzung des Genfer Rechts in die Rechtsvorschriften der Vereinigten Staaten plädiert. Zudem: Holland, The Qualification Framework of International Humanitarian Law: Too Rigid to Accommodate Contemporary Conflicts? Suffolk Transnational Law Review 34 (2011), S. 167 ff.). Die Stimmen der Gegner (siehe z. B. das als „torture
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1. Teil: Umwelt – Konflikt – Recht
Staatsbeteiligung auf der gegnerischen Seite heute überwiegend als nichtinternationale bewaffnete Konflikte im Sinn des Art. 3 GA eingeordnet.120 Dieses Ergebnis resultiert allerdings nicht allein aus Ermangelung der Beteiligtenvoraussetzungen des Art. 2 GA. Die Qualifizierung als internationaler bewaffneter Konflikt würde den Mitgliedern bewaffneter Organisationen den Kombattantenstatus und damit ein Recht zur Beteiligung an der Konfliktführung gewähren. Was bestimmte Staaten schon im Fall nationaler Befreiungsbewegungen schwer akzeptieren können, wäre hier schlicht undenkbar. Nicht jeder Kampf eines Staates gegen eine international agierende bewaffnete Organisation ist jedoch als nichtinternationaler bewaffneter Konflikt zu klassifizieren. Die Kriterien der Konfliktintensität und des Organisationsgrads der nichtstaatlichen Partei als Voraussetzung des Bestehens eines nichtinternationalen bewaffneten Konflikts müssen in jedem einzelnen Konfliktszenario erreicht sein. Eine pauschale Entscheidung über das Bestehen eines „Kriegs gegen den Terrorismus“ ist nicht ausreichend.121 Anschläge terroristischer Organisationen erscheinen in der Außenansicht aber häufig als Einzelakte.122 Zwischen ihnen können mehrere Jahre und tausende Kilometer liegen. Für sich stehend könnten sie keinen bewaffneten Konflikt auslösen. Ihre Einordnung in eine Zielstrategie oder eine Reihe geplanter Vorhaben der organisierten Gruppe ist daher notwendig.123 Für Terrornetzwerke wie Al-Qaida, die frühere Al-Shabaab Miliz in Somemo“ bekannt gewordene Memorandum von Bybee von August 2002: Bybee, Memorandum from Assistant Attorny General to Alberto R. Gonzales, Counsel to the President, Re: Standards of Conduct for Interrogation under 18 US.C. §§ 2340–2340A, 1. August 2002, abrufbar unter: http://www.justice.gov/sites/default/files/olc/legacy/ 2010/08/05/memo-gonzales-aug2002.pdf [abgerufen am 26.10.2020]) sind heute ganz überwiegend verstummt; die Geltungskraft humanitärrechtlicher Grundentscheidungen weitestgehend anerkannt. 120 Siehe Nachweise in Teil 1, Fn. 117. Sollte ein Drittstaat die transnational agierende Terrororganisation unterstützen, kann der Konflikt – wie im Fall der Unterstützung einer lediglich staatsintern operierenden Organisation – als internationalisierter Konflikt unter Art. 2 GA fallen. Siehe Marauhn/Ntoubandi, Armed Conflict, Non-International, in: Wolfrum (Hrsg.), The Max Planck Encyclopedia of Public International Law, opil.ouplaw.com/home/EPIL, Rn. 7. 121 IKRK, International humanitarian law and the challenges of contemporary armed conflicts (Document prepared by the International Committee of the Red Cross for the 30th International Conference of the Red Cross and Red Crescent, Genf, 26.–30. November 2007), International Review of the Red Cross 89 (2007), S. 724. Eine kategorische Einordnung des „global war on terror“, selbst wenn dieser auf Al-Qaida und verbündete Kräfte beschränkt werde, lehnt das IKRK ausdrücklich ab (S. 724, Fn. 3). 122 Ähnlich auch Greenwood, International law and the ,war against terrorism‘, International Affairs 78 (2002), S. 311 f. der sich im Rahmen einer ius ad bellum-Analyse der Anschläge von 9/11 damit beschäftigt, ob diese als Einzelakte zu werten oder in eine Gesamtstrategie einzuordnen sind. 123 Die verfolgten Ziele einer Organisation sind im Zuge der Trennung des ius ad bellum und des ius in bello für die Annahme eines bewaffneten Konflikts unerheblich. Das Wissen um eine längerfristige Strategie der Gruppe erleichtert es jedoch, scheinbar unabhängige Einzelaktionen miteinander zu verknüpfen, um die Schwere der Kampf-
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malia124 und den sogenannten IS ist die nötige Intensität der Konfliktführung in vielen regionalen Einzelfallszenarien gegeben.125 Für andere Gruppierungen und vereinzelte, regional nicht verknüpfte Terrorakte, gilt dies nicht unbedingt. Auch die zweite Schwelle des Art. 3 GA, der ausreichend starke Organisationsgrad der Gruppierung, führt in der Praxis zu Abgrenzungsproblemen. Es ist bekannt, dass Terrororganisationen wie Al-Qaida oder zuletzt der sogenannte IS über ein hohes Maß an interner Organisation verfügen.126 Eine Herausforderung rechtlicher Bewertung stellen jedoch die einer Dachorganisation untergeordneten Regionalorganisationen, Splittergruppen und Terrorzellen in Drittstaaten dar.127 Ob und unter welchen Voraussetzungen die Verbindung einzelner Splitterorganisationen für eine einheitliche Konfliktbewertung ausreichend ist, ist derzeit noch unklar.128 handlungen insgesamt bewerten zu können. Dieses Wissen zu erlangen, erfordert ein enormes Maß an Aufklärungsarbeit. Häufig wird die intensive Planung von einzelnen Attentaten erst im Nachhinein ersichtlich sein. Siehe Margulies/Sinnot, Crossing Borders to Target Al-Qaeda and Its Affiliates: Defining Networks as Organized Armed Groups in Non-International Armed Conflicts, in: Gill et al. (Hrsg.), Yearbook of International Humanitarian Law 2013, S. 328 mit Verweis auf Hoffman, The Myth of GrassRoots Terrorism: Why Osama Bin Laden Still Matters (Book Review), Foreign Affairs 87 (2008), S. 135 f. 124 In den letzten Jahren verstärkte Al-Shabaab ihre Verbindung zu Al-Qaida und erklärte 2012 eine Unterwerfung unter diese Gruppe. Vgl. Al Shabaab Joins Al-Qaeda, Africa Research Bulletin: Political, Social and Cultural Series 49 (2012), 19150A– 19150B; S. Solomon, Somalia’s Al Shabaab: Clans vs Islamist nationalism, South African Journal of International Affairs 21 (2014), S. 357. 125 Doch auch hier stellt sich die Frage, wie lange nach einer Attacke das Recht auf Selbstverteidigung im Rahmen des ius ad bellum noch ausgeübt werden darf. Zu dieser Problematik: Brennan, A New Approach to Safeguarding Americans, Rede am Center for Strategic and International Studies Washington, DC, 6. August 2009, abrufbar unter: https://www.whitehouse.gov/the-press-office/remarks-john-brennan-center-strategic-andinternational-studies [abgerufen am 26.10.2020]: „We are finding increasing recognition in the international community that a more flexible understanding of ,imminence‘ may be appropriate when dealing with terrorist groups, in part because threats posed by non-state actors do not present themselves in the ways that evidenced imminence in more traditional conflicts.“ 126 Für Details: Margulies/Sinnot, Crossing Borders to Target Al-Qaeda and Its Affiliates: Defining Networks as Organized Armed Groups in Non-International Armed Conflicts, in: Gill et al. (Hrsg.), Yearbook of International Humanitarian Law 2013, S. 328 ff. 127 Beispielsweise verfügt Al-Qaida neben dem Standort in Pakistan und zuvor in Afghanistan über Splittergruppen in vielen weiteren Staaten. Bekannte Gruppierungen sind z. B. Al-Qaida im Jemen, in Maghreb, sowie auf der arabischen Halbinsel. Für eine Übersicht durch die US-Regierung anerkannter Terrororganisationen, siehe: http:// www.state.gov/j/ct/rls/other/des/123085.htm [abgerufen am 26.10.2020]. Ob diese im Rahmen eines einzelnen Konflikts attackiert werden könnten, hängt auch von der internen Organisation der Terrororganisation ab. 128 Angedeutet bei Waxman, Temporality and Terrorism in International Humanitarian Law, Yearbook of International Humanitarian Law 14 (2011), S. 414 f. Denkbar wäre ein ähnlicher Maßstab der Zurechnung wie im Fall staatlichen Einwirkens auf eine bewaffnete Gruppe. Demnach könnte eine Gruppierung der Dachorganisation zugerechnet werden, sollte diese ein gewisses Maß an Kontrolle – auch hier bietet sich der Maß-
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1. Teil: Umwelt – Konflikt – Recht
Im Ergebnis wird jedenfalls nicht jeder grenzüberschreitende Kampf gegen Terroristen als bewaffneter Konflikt zu werten sein.129
C. Fazit Moderne bewaffnete Konflikte beachten keine Staatsgrenzen.130 Auseinandersetzungen, die als rein interne Konflikte zunächst nur auf dem Gebiet eines Staates und ohne das Mitwirken anderer Völkerrechtsakteure einsetzen, werden durch äußere Faktoren internationalisiert. Konflikte, die zwischen einem Staat und einer nichtstaatlichen Gruppe ausgetragen werden, entsprechen nicht mehr dem bekannten Erscheinungsbild innerstaatlicher Konflikte. In der Praxis verschwimmen die Grenzen zwischen internationalen und nichtinternationalen Konflikten. Zudem wechseln Konflikte, die über einen längeren Zeitraum in einer Region ausgetragen werden, nicht selten ihren rechtlichen Charakter. So änderten die seit stab der „overall control“ an – über die Regionalorganisation besitzen. Sollte dieser nicht erreicht sein, muss die Bekämpfung der regionalen Organisation gesondert betrachtet werden. Diese Auffassung spiegelt sich auch in der Liste anerkannter Terrororganisationen des US-Bureau of Counterterrorism (Teil 1, Fn. 127) wieder. In ihr werden z. B. „al-Qa’ida in the Arabian Peninsula (AQAP)“ und „al-Qaida in the Islamic Maghreb (AQIM)“ getrennt aufgeführt 129 Selbst wenn regionale Gruppierungen aufgrund ausreichender Kontrolle einer Dachorganisation zugerechnet werden könnten (so könnte das Vorgehen z. B. der USA gegen Al-Qaida in Afghanistan und in Teilen Pakistans eventuell als einheitlicher Konflikt gewertet werden. Siehe Waxman, Cyber-Attacks and the Use of Force: Back to the Future of 2 (4), The Yale Journal of International Law 36 (2011), S. 413 ff.), erschweren weitere Hindernisse die Konfliktkategorisierung: Zum einen wird das Schlachtfeld, auf dem die Terrororganisation bekämpft wird, global ausgedehnt. Zum anderen ist auch eine zeitliche Begrenzung des Konflikts nur noch schwer zu erfassen (Waxman, a. a. O., S. 413). Eine Aufgabe der absoluten Geltungskraft und der Grundentscheidungen humanitären Völkerrechts verbietet sich dennoch (so auch Heintschel von Heinegg, Asymmetric Warfare, in: Wolfrum (Hrsg.), The Max Planck Encyclopedia of Public International Law, opil.ouplaw.com/home/EPIL, Rn. 33 mit Hinweis auf Schaller, Humanitäres Völkerrecht und nichtstaatliche Gewaltakteure, S. 29–31 der sich ebenso gegen die Einführung neuer Regeln ausspricht. Siehe auch Heintschel von Heinegg, Asymmetric Warfare How to Respond? Israel Yearbook on Human Rights 41 (2011), S. 31 ff.). PoKempner formuliert treffend: „In a war of ideas and values, the law’s ideas and values are important.“ (PoKempner, The New Non-State Actors in International Humanitarian Law, George Washington International Law Review 38 (2006), 558). Nicht nur sind die Werte des Rechts von moralischer Bedeutung. Die Einhaltung oder Nichteinhaltung fundamentaler Prinzipien des humanitären Völkerrechts hat zudem Einfluss auf die interne und externe Unterstützung einer Konfliktpartei. Über globale Nachrichten und Soziale Netzwerke weltweit verbreitet, spielt die staatliche Missachtung der absoluten Geltungshoheit bestehenden Rechts letztlich den Terrorgruppen in die Hände (vgl. PoKempner, a. a. O., S. 558 m.w. N.). Dies ist nur ein weiterer Grund, warum die Annahme eines rechtsfreien Raums – und sei es nur bis zu Entwicklung neuen Rechts – keine Option darstellt. Insofern ein bewaffneter Konflikt im Einzelfall vorliegt, ist, abhängig von drittstaatlicher Partizipation, also zwingend das Recht nichtinternationaler Konflikte anzuwenden. 130 Zu dieser Entwicklung auch Crawford, The treatment of combatants and insurgents under the law of armed conflict, S. 11 ff.
§ 3 Humanitäres Völkerrecht nichtinternationaler bewaffneter Konflikte
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1996 andauernden bewaffneten Auseinandersetzungen in der Demokratischen Republik Kongo (DRK) zwischenzeitlich ihre rechtliche Klassifikation von internationale in nichtinternationale bewaffnete Konflikte.131 Ähnlich ist die Situation in Afghanistan seit dem Sturz der Taliban-Regierung 2001. Ob ein bewaffneter Konflikt als international oder nichtinternational eingeordnet werden muss, ist gerade bei Einflussnahme durch mehrere Staaten von den jeweiligen Einzelumständen abhängig. Zusätzlich sind nichtinternationale bewaffnete Konflikte selbst keine einheitliche Erscheinung. Interne Konflikte wie in Kolumbien, Sierra Leone oder Sri Lanka sind in vielerlei Hinsicht von Auseinandersetzungen wie der zwischen den USA und Al-Qaida zu unterscheiden.132 Das anwendbare Recht muss diesem Umstand Rechnung tragen. Es muss in der Lage sein, trotz enormer Einzelfallunterschiede für alle Situationen maßgebliche Grundregeln aufzustellen. Dagegen verliert die Aufrechterhaltung der rechtlichen Unterscheidung der Konflikttypen angesichts dieser enormen Vielgestaltigkeit sowie des teils fließenden Übergangs zwischen internationalen und nichtinternationalen Konflikten mehr und mehr Stringenz.133 Und doch ist die Unterscheidung weiterhin von signifikanter Relevanz. Ihr folgen auch heute noch gravierende rechtliche Auswirkungen.
§ 3 Das humanitäre Völkerrecht nichtinternationaler bewaffneter Konflikte Das auf nichtinternationale bewaffnete Konflikte anwendbare humanitäre Völkerrecht ist weiterhin strikt von dem konventioneller Kriege zu trennen.134 Noch 131 Im ersten und zweiten Kongokrieg (1996–97, 1998–2003) waren mehrere Staaten wie Ruanda, Angola und Uganda beteiligt und unterstützten teilweise bewaffnete Rebellengruppen. Nach Ende des zweiten Kongokrieges wurde allerdings kein Ende der Gewalt erreicht. Bewaffnete Gruppen kämpften weiter über Jahre innerhalb der DRK im Rahmen eines nichtinternationalen bewaffneten Konflikts. Vgl. zu den rechtlichen Auswirkungen: Sjöstedt, The Role of Multilateral Environmental Agreements in Armed Conflict: ,Green-keeping‘ in Virunga Park. Applying the UNESCO World Heritage Convention in the Armed Conflict of the Democratic Republic of Congo, Nordic Journal of International Law 82 (2013), S. 135. 132 Al-Qaida ist ein schwer zu fassender Dachverband der, anders als zeitweise die FARC-EP in Kolumbien, heute wenigstens in seiner Gesamtheit weder feste Kontrolle über einen Teil eines Staatsgebiets besitzt noch selbst durch eine weitgehend homogene Gruppe von Staatsangehörigen eines Staates gebildet wird. Dagegen kontrollieren einzelne Regionalgruppen, beispielsweise im Jemen, zeitweise oder auch längerfristig Gebiete des jeweiligen Staats. Für weitere Beispiele unterschiedlicher Konflikttypen nichtinternationaler bewaffneter Konflikte: Blum, Re-envisaging the International Law of Internal Armed Conflict: A Reply to Sandesh Sivakumaran, European Journal of International Law 22 (2011), S. 267. 133 ICTY, Prosecutor v. Dus ˇko Tadic´, Appeals Chamber Decision on the Defence Motion for Interlocutory Appeal on Jurisdiction, 2. Oktober 1995, Case No. IT-94-1-AR72, Rn. 97 f. 134 Wenngleich in den letzten Jahrzehnten eine deutliche Annäherung beider Regelungssysteme zu verzeichnen ist, ist die Dichotomie der Konflikttypen weiterhin zentra-
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1. Teil: Umwelt – Konflikt – Recht
immer ist es weniger umfangreich135 und oft schwächer in der vermittelten Schutzwirkung als das für internationale bewaffnete Konflikte zur Verfügung stehende Recht.136 Die zur Regelung nichtinternationaler bewaffneter Konflikte ver-
les Merkmal humanitären Völkerrechts (Dinstein, Non-International Armed Conflicts in International Law, S. 212; Bartels, Timelines, borderlines and conflicts: The historical evolution of the legal divide between international and non-international armed conflicts, International Review of the Red Cross 91 (2009), S. 41). Ausschlaggebend für das Fortbestehen dieser rechtlicher Trennung ist nicht nur die unterschiedliche Entwicklungsgeschichte der beiden Systeme – im Gegensatz zu konventionellen Kriegen galten bewaffnete Konflikte ohne internationalen Charakter bis zur Schaffung des gemeinsamen Art. 3 GA grundsätzlich als Angelegenheit innerstaatlicher Rechtssysteme – sondern vor allem auch der Unwillen vieler Staatsregierungen, die in ihrer Wahrnehmung als innerstaatliche Angelegenheiten zu bezeichnenden Sachverhalte internationaler Regulierung zu unterwerfen. Siehe nur zum Beispiel die Rede des Vertreters der UdSSR bei den Verhandlungen zur Schaffung des gemeinsamen Art. 3 GA (Diplomatic Conference for the Establishment of International Conventions for the Protection of War, Final Record of the Diplomatic Conference of Geneva of 1949, Band II, Section B, S. 330): „I do not understand why foreign governments would like to come and protect our people. Internal matters cannot be ruled by international law or Conventions.“ Yoram Dinstein weist allerdings zu Recht darauf hin, dass interne Konflikte auch in anderen Völkerrechtsregimen nicht gänzlich ignoriert werden konnten. So haben das Recht der Staatenverantwortlichkeit sowie die Regime der Nichtintervention und Staatenanerkennung zwingende Bezugspunkte zu dieser Art der Konflikte. Siehe Dinstein, Non-International Armed Conflicts in International Law, S. 3 sowie ausführlich Kapitel 5–7. Zwar hat das Prinzip der Staatensouveränität, das letztlich Ursprung der Nichteinmischung des Völkerrechts in innere Angelegenheiten eines Staates ist, durch die Anerkennung globaler Menschenrechte in der zweiten Hälfte des 20ten Jahrhunderts insgesamt eine deutliche Eindämmung erfahren (diesen Prozess bezeichnet Meron als Humanisierung des humanitären Völkerrechts: Meron, The humanization of humanitarian law, American Journal of International Law 94 (2000), S. 243 f.). Das Spektrum der Handlungsautonomie der Staaten mit Blick auf nichtinternationale Konflikte ist durch Völkerrecht aber noch immer weniger beschränkt als im Fall zwischenstaatlicher Konflikte. 135 Boothby, The Law of Targeting, S. 453; UK Ministry of Defence, The Manual of the Law of Armed Conflict, S. 27; ILC, Second Report on the Protection of the Environment in Relation to Armed Conflicts, submitted by Marie G. Jacobsson, Special Rapporteur, 28. Mai 2015, A/CN.4/685, Rn. 122. 136 Eines der deutlichsten Unterscheidungsmerkmale zwischen den beiden Konflikttypen ist das Fehlen des Kombattantenstatus im nichtinternationalen bewaffneten Konflikt, welcher Voraussetzung des Kriegsgefangenenstatus (Art. 44 (1) ZP I) und des Rechts aktiver Teilnahme an Kampfhandlungen (Art. 43 (2) ZP I) ist. Ein anderes Beispiel ist die Begrenzung der Anwendbarkeit des Okkupationsrechts auf Konflikte i. S. d. gemeinsamen Art. 2 GA. Bewaffnete Gruppen, welche die Kontrolle über einen Teil des Staatsgebiets im innerstaatlichen Konflikt erlangen, werden nicht zu Besatzungsmächten i. S. d. IV. Genfer Abkommens und sind an die in diesem Abkommen verankerten Normen nur insoweit gebunden, als diese Gewohnheitsrecht auch für nichtinternationale bewaffnete Konflikte darstellen (Kleffner, Scope of Application of International Humanitarian Law, in: Fleck (Hrsg.), The Handbook of International Humanitarian Law, S. 51, Section 209, Rn. 4; Gasser/Melzer, Humanitäres Völkerrecht, S. 87, 140). Die Anwendung des Besetzungsrechts auch im nichtinternationalen Konflikt befürwortend: Benvenisti, The International Law of Occupation, S. 61. Weitere Unterschiede ergeben
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fügbaren Vorschriften sind Grundlage für die Analyse eines durch sie vermittelten Umweltschutzes. Sie sollen daher im Folgenden knapp dargestellt werden.
A. Vertragsrecht „I do not understand why foreign governments would like to come and protect our people.“ 137 So äußerte sich der damalige Vertreter der UdSSR bei den Verhandlungen zur Schaffung des gemeinsamen Art. 3 GA, der ersten völkerrechtlichen Vertragsvorschrift, die sich mit der Regelung nichtinternationaler bewaffneter Konflikte befasste. Er war mit dieser Ansicht nicht allein. Auch 1949 war es noch alles andere als selbstverständlich, dass internationales Recht rein interne Konflikte reglementieren sollte. Von Jean Pictet als „almost unhoped for extension“ des gemeinsamen Art. 2 GA bezeichnet138, markierte Art. 3 GA bei seiner Einführung tatsächlich eine revolutionäre Weiterentwicklung des humanitären Völkerrechts.139 Durch ihn war es möglich, auch die Opfer nichtinternationaler Konflikte unter einen wenigstens minimalen Schutz durch Völkerrecht zu stellen. Auch heute ist er Kern und Ausgangspunkt des gesamten ius in bello nichtinternationaler Konflikte. Ergänzung erhielt Art. 3 GA im Jahr 1977 durch das bislang einzige allgemeine Vertragswerk humanitären Völkerrechts nichtinternationaler bewaffneter Konflikte, das 2. Zusatzprotokoll von 1977 (ZP II). Obwohl das ZP II im direkten Vergleich mit seinem Gegenpart, dem 1. Zusatzprotokoll über den Schutz der Opfer internationaler bewaffneter Konflikte (ZP I), in mehreren Regelungsbereisich aber auch bei der Anwendbarkeit einzelner Regelungen zulässiger Mittel und Methoden der Konfliktführung. 137 So der Vertreter der UdSSR bei den Verhandlungen zur Schaffung des gemeinsamen Art. 3 GA (Diplomatic Conference for the Establishment of International Conventions for the Protection of War, Final Record of the Diplomatic Conference of Geneva of 1949, Band II, Section B, S. 330). 138 Pictet (Hrsg.), Commentary on the IV. Geneva Conventions of 12 August 1949 relative to the Protection of Civilian Persons in Time of War, S. 38. 139 Der gemeinsame Art. 3 GA stellt die erste völkervertragliche Normierung nichtinternationaler bewaffneter Konflikte dar (Sivakumaran, Re-envisaging the International Law of Internal Armed Conflict, European Journal of International Law 22 (2011), S. 220). Seit dem 19ten Jahrhundert existierten allerdings gewohnheitsrechtliche Regelungen für den Fall der Anerkennung des Kriegszustands durch die de jure-Regierung des fraglichen Gebiets oder durch neutrale Drittstaaten (als Auslöser der Anwendbarkeit des Neutralitätsrechts). Diese Anerkennung war jedoch, neben den Möglichkeiten einer ad hoc-Vereinbarung oder einer einseitigen Bindungserklärung einer der Streitparteien (siehe zu diesen Alternativen m.w. N. Sivakumaran, a. a. O., S. 222), der einzige Weg, das Kriegsrecht auf interne Konflikte anwendbar zu machen. Detailliert: Moir, The Law of Internal Armed Conflict, S. 3–11; zur Staatenpraxis der Anerkennung Moir, a. a. O., S. 11–18; Cullen, The concept of non-international armed conflict in international humanitarian law, S. 7–23; UK Ministry of Defence, The Manual of the Law of Armed Conflict, S. 31.
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chen einen geringeren Schutzstandard vermittelt140, ist es aufgrund seiner damaligen Fortschrittlichkeit und seiner bisherigen Alleinstellung das Herzstück verfügbaren Vertragsrechts. Zusätzlich existiert mittlerweile eine Vielzahl spezifischer vertraglicher Instrumente, die bestimmte Aspekte der Kriegsführung auch für nichtinternationale bewaffnete Konflikte reglementieren. Hervorzuheben ist hier unter anderem die Haager Konvention zum Schutz von Kulturgut bei bewaffneten Konflikten (HK 1954) mit ihrem zweiten Zusatzprotokoll von 1999 (Prot. II HK).141 Darüber hinaus entfalten mittlerweile auch einige Instrumente zur Begrenzung zulässiger Mittel und Methoden der Kriegsführung auch in nichtinternationalen Konflikten Wirkung. Bedeutend ist vor allem das Übereinkommen über das Verbot oder die Beschränkung des Einsatzes bestimmter konventioneller Waffen, die übermäßige Leiden verursachen oder unterschiedslos wirken können (Certain Conventional Weapons Convention; CCW), das aufgrund des Amendements von 2001 auch auf nichtinternationale Konflikte anwendbar ist.142 Auch das 1996 geänderte und verschärfte Protokoll II zur CCW über das Verbot oder die Beschränkung des Einsatzes von Minen, Sprengfallen und anderen Vorrich140 Siehe z. B. Abi-Saab, Droit humanitaire et conflits internes, S. 131–187, die ihren Fokus auf die Entstehungsgeschichte des ZP II legt. Sivakumaran, The Law of Non-International Armed Conflict, S. 513–567, der sich mit den notwendigen Weiterentwicklungen des Rechts beschäftigt. Zu dem spezifischen Aspekt des Kombattantenstatus und dem Recht zur Teilnahme am Konflikt: Kreß/Mégret, The regulation of non-international armed conflicts: Can a privilege of belligerency be envisioned in the law of noninternational armed conflicts? International Review of the Red Cross 96 (2014), S. 29 ff. Sivakumaran, Re-envisaging the International Law of Internal Armed Conflict, European Journal of International Law 22 (2011), S. 223 beschreibt das ZP II kritisch als „a pared-back version of what had been hoped for and its sparse text betrays its nature as a last-minute compromise“. 141 Convention for the Protection of Cultural Property in the Event of Armed Conflict with Regulations for the Execution of the Convention vom 14. Mai 1954, 249 UNTS 240; Second Protocol to the Hague Convention of 1954 for the Protection of Cultural Property in the Event of Armed Conflict vom 26. März 1999, 2253 UNTS 212 (Prot. II HK). Die Existenz ausgeprägten rechtlichen Schutzes von Kulturgütern auch während interner Konflikte ist für die Frage des Schutzes natürlicher Umwelt von besonderer Bedeutung. Gerade Umweltbestandteile, die aufgrund ihrer Ästhetik und oder ihrer Seltenheit kulturübergreifend Anerkennung finden, sind mit Kulturgütern vergleichbar. Sie könnten in vielen Aspekten durch ähnliche Mechanismen geschützt werden, wie es derzeit für Kulturgüter vorgesehen ist. Siehe ausführlich 2. Teil, § 2, B., III., 2., c). 142 Convention on Prohibitions or Restrictions on the Use of Certain Conventional Weapons Which May be Deemed to be Excessively Injurious or to Have Indiscriminate Effects vom 10. Oktober 1980, 1342 UNTS 137; Amendment to Article 1 of the Convention on Prohibitions or Restrictions on the Use of Certain Conventional Weapons Which May be Deemed to be Excessively Injurious or to Have Indiscriminate Effects vom 21. Dezember 2001, 2260 UNTS 82. ILC, Second Report on the Protection of the Environment in Relation to Armed Conflicts, submitted by Marie G. Jacobsson, Special Rapporteur, 28. Mai 2015, A/CN.4/685, Rn. 122 bezeichnet die Schaffung des Amendments, das die Rahmenkonvention CCW auf nichtinternationale bewaffnete Konflikte anwendbar macht, als wichtigste Entwicklung vertraglicher Ausweitung humanitären Völkerrechts dieses Konflikttyps.
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tungen verdient Erwähnung.143 Darüber hinaus ist eine wachsende Zahl spezifischer Konventionen betreffend des grundsätzlichen Verbots der Herstellung, des Handels und des Einsatzes bestimmter Waffensysteme auch auf nichtinternationale bewaffnete Konflikte anwendbar.144 Von einer Situation der vertraglichen Nichtregulierung beziehungsweise lediglich marginaler Regulierung kann nicht länger ausgegangen werden.145 Verglichen mit der Reglementierung konventioneller Kriege durch humanitäres Völkerrecht ist die Regelungsdichte von Verträgen mit Bezug zu nichtinternationalen Konflikten dennoch bis heute geringer.146 Die beispielsweise durch den Internationalen Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien (ICTY) befürwortete Gleichsetzung beider Konflikttypen147 konnte durch Vertragsrecht bislang nicht erreicht werden.148 143 Amended Protocol on Prohibitions or Restrictions on the Use of Mines, BoobyTraps and Other Devices, geändert am 3. Mai 1996 (amended CCW Protokoll II) annexed to the Convention on Prohibitions or Restrictions on the Use of Certain Conventional Weapons Which May be Deemed to be Excessively Injurious or to Have Indiscriminate Effects, 2048 UNTS 93. Da interne Konflikte noch immer überwiegend mit leichten Waffen ausgetragen werden, kommt der Anwendbarkeit des Protokolls besondere Relevanz zu. Zu leichten Waffen zählen u. a. Handfeuerwaffen, Maschinengewehre, Granaten, Landminen, Leichtgeschütze wie Panzerfäuste sowie andere leicht zu transportierende Waffen (im Detail Spear, Arms Limitations, Confidence-Building Measures, and Internal Conflict, in: Brown (Hrsg.), The International Dimensions of Internal Conflict, S. 377). 144 Zu nennen sind hier insbesondere das Übereinkommen über das Verbot des Einsatzes, der Lagerung, der Herstellung und der Weitergabe von Antipersonenminen und über deren Vernichtung (Convention on the Prohibition of the Use, Stockpiling, Production and Transfer of Anti-Personnel Mines and on their Destruction vom 18. September 1997, 2056 UNTS 211, Ottawa-Konvention), die Chemiewaffenkonvention (Convention on the Prohibition of the Development, Production, Stockpiling and Use of Chemical Weapons and on their Destruction vom 3. September 1992, 1974 UNTS 45) sowie die Biowaffenkonvention (Convention on the Prohibition of the Development, Production and Stockpiling of Bacteriological (Biological) and Toxin Weapons and on their Destruction vom 10. April 1972, 1015 UNTS 163). 145 Sivakumaran, The Law of Non-International Armed Conflict, S. 102. Dies ist vor allem der Rechtsentwicklung seit den 1980er Jahren geschuldet, die von einer exponentiellen Erweiterung verfügbaren Vertragsrechts geprägt ist. In diese Zeit fallen die genannten spezialisierten Verbots- und Limitierungskonventionen, die entweder von Beginn an oder durch nachträgliche Öffnung gleichermaßen für internationale und nichtinternationale bewaffnete Konflikte Anwendung finden. Ausführlich Perna, The formation of the treaty rules applicable in non-international armed conflicts, S. 114. 146 So u. a. auch Schoiswohl, De facto Regimes and Human Rights Obligations – The twilight Zone of Public International Law? Austrian Review of International and European Law Online 6 (2001), S. 62. 147 „What is inhumane, and consequently proscribed, in international wars, cannot but be inhumane and inadmissible in civil strife.“ ICTY, Prosecutor v. Dusˇko Tadic´, Appeals Chamber Decision on the Defence Motion for Interlocutory Appeal on Jurisdiction, 2. Oktober 1995, Case No. IT-94-1-AR72, Rn. 119. Siehe u. a. Perna, The formation of the treaty rules applicable in non-international armed conflicts, S. 155; Cryer et al., An introduction to international criminal law and procedure, S. 586. 148 Das Ungleichgewicht vertragsrechtlicher Regelungen wird beispielsweise im Statut des Internationalen Strafgerichthofs erneut deutlich. Obwohl das IStGH-Statut nicht
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B. Gewohnheitsrecht Die Tendenz steigender Normdichte ist nicht auf das Vertragsrecht begrenzt. Die rechtliche Eingrenzung zulässiger Handlungen in nichtinternationalen bewaffneten Konflikten durch Regeln des Gewohnheitsrechts ist heute von höchster Relevanz. Auch ihre Zahl ist seit Verabschiedung des ZP II 1977 exponentiell gewachsen.149 Dabei folgte die Gewohnheitsrechtsbildung überwiegend den Inhalten der großen humanitärrechtlichen Regelungswerke, den Genfer Abkommen sowie deren Zusatzprotokollen von 1977. Statt der Schöpfung neuer Regelungen bewirkte diese Entwicklung also eine flächendeckende Anwendbarkeit vieler dort niedergelegter Gebote und Verbote auch auf Nichtvertragsstaaten150 sowie in vertraglich zunächst nicht erfassten Konfliktszenarien. Nicht allein die pro-
mit humanitärrechtlichen Primärverboten befasst ist, gibt es Aufschluss über die noch immer in der Staatengemeinschaft herrschende Überzeugung der Begrenzung internationaler Regelungen interner Konflikte. Ohne Zweifel stellt die alleinige Existenz völkerstrafrechtlicher Normen in Bezug auf interne Konflikte im IStGH-Statut eine enorme und vor wenigen Jahren noch undenkbare Weiterentwicklung internationalen Rechts dar. Die Frage individueller strafrechtlicher Verantwortung für Kriegsverbrechen in internen Konflikten stellte sich nicht zuletzt als eine der umstrittensten Punkte der befassten Vertragskonferenz heraus. Das Ergebnis der Diskussionen ist einmal mehr ein Kompromiss widerstreitender Interessen, der jedoch gleichzeitig eine nicht zu unterschätzende Errungenschaft internationaler Bemühungen darstellt. Für Details siehe Perna, The formation of the treaty rules applicable in non-international armed conflicts, S. 154 f. 149 Sivakumaran, Re-envisaging the International Law of Internal Armed Conflict, European Journal of International Law 22 (2011), S. 228; Crawford, Blurring the lines between international and non-international armed conflicts – the evolution of customary international law applicable in internal armed conflicts, Australian International Law Journal 15 (2008), S. 29 f. 150 Mit Ausnahme derer Staaten, die sich durch ihren Status als persistent objector der entstandenen Norm entziehen. Es ist allerdings fraglich, ob der dauernde Widerstand einzelner, wenn auch bedeutender, Staaten die Bildung der nötigen opinio iuris als Voraussetzung von Gewohnheitsrecht verhindern kann, oder ob diese Staaten nicht lediglich als persistent objector von der Bindungswirkung einer existierenden Gewohnheitsrechtsnorm ausgenommen wären. Statt vieler: Guldahl, The Role of Persistent Objection in International Humanitarian Law, Nordic Journal of International Law 77 (2008), S. 53 ff. (Rechtsfigur des persistent objector), S. 62 ff. (zur Haltung insb. der USA und Israels ggü. dem ZP I). Die Existenz und Bedeutung der Rechtsfigur im Völkerrecht ist umstritten. U. a. Crawford bezweifelt, ob der persistent objector Status überhaupt existiert (Crawford, Blurring the lines between international and non-international armed conflicts – the evolution of customary international law applicable in internal armed conflicts, Australian International Law Journal 15 (2008), S. 34). Siehe dazu auch Lau, Rethinking the persistent objector doctrine in international human rights law, Chicago Journal of International Law 6 (2005), S. 496 ff. der für eine Einschränkung des Prinzips insbesondere im Rahmen der Menschenrechte plädiert; Dumberry, Incoherent and Ineffective: The Concept of Persistent Objector revisited, International and Comparative Law Quarterly 59 (2010), S. 780 ff., der das Konzept an sich als willkürlich und daher für das Völkerrecht insgesamt als schädlich erachtet (S. 802).
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gressive Rechtsprechung des ICTY151 trug zu dieser exponentiellen Rechtsausweitung bei und bewirkte die Akzeptanz152 einer Reihe anwendbarer Normen humanitärrechtlichen Gewohnheitsrechts in nichtinternationalen bewaffneten Konflikten. Aufgrund des Charakters als ungeschriebenes Recht kommt den Kriterien der Identifikation anwendbaren Gewohnheitsrechts auch für die Frage humanitärrechtlichen Umweltschutzes im nichtinternationalen Konflikt enorme Bedeutung zu. Eine kurze Befassung mit den anerkannten Erkenntnisquellen ist daher unumgänglich. I. Überzeugung und Praxis Das Bestehen gewohnheitsrechtlicher Normen humanitären Völkerrechts setzt die Existenz von consuetudo, einer Handlungsgewohnheit als Ausdruck einer allgemeinen, als Recht anerkannten und daher durch eine opinio juris sive necessitatis getragenen Übung voraus.153 Maßgeblich ist Handlungspraxis und Rechtsüberzeugung der Völkerrechtssubjekte und damit primär der Staaten.154 Handeln und Überzeugung nichtstaatlicher Akteure sind selbst für das Recht
151 Mehrere Urteile des ICTY identifizieren Normen des Gewohnheitsrechts für nichtinternationale bewaffnete Konflikte. Zu nennen sind z. B. ICTY, Prosecutor v. Dusˇko Tadic´, Appeals Chamber Decision on the Defence Motion for Interlocutory Appeal on Jurisdiction, 2. Oktober 1995, Case No. IT-94-1-AR72, Rn. 100–118; ICTY, Prosecutor v. Pavle Strugar, Urteil der Verfahrenskammer vom 31. Januar 2005, Case No. IT-01-42-T, Rn. 220–229; ICTY, Prosecutor v. Enver Hadzˇihasanovic´, Amir Kubura, Appeals Chamber Decision on Joint Defence Interlocutory Appeal of Trial Chamber Decision on Rule 98bis Motions for Acquittal, 11. März 2005, Case No. IT-01-47AR73.3, Rn. 26 ff., 37 f., 44 ff. 152 Sivakumaran, Re-envisaging the International Law of Internal Armed Conflict, European Journal of International Law 22 (2011), S. 228 f. und Kreß, War Crimes Committed in Non-International Armed Conflict and the Emerging System of International Criminal Justice, Israel Yearbook on Human Rights 30 (2000), S. 107 sehen die ursprüngliche Kritik (beispielsweise durch Greenwood, International Humanitarian Law and the Tadic´ Case, European Journal of International Law 7 (1996), S. 278) als mittlerweile verstummt an. Die überwiegende Zahl der Staaten habe die Rechtsprechung des ICTY und dessen Darstellung existierenden Gewohnheitsrechts akzeptiert. 153 Art. 38 (1) (b) IGH-Statut (Statute of the International Court of Justice vom 24. Oktober 1945, 33 UNTS 933). 154 Siehe dazu die Arbeit der ILC zur Identifizierung von Gewohnheitsrecht und insbesondere Draft Conclusion 4 (ILC, Report of the International Law Commission on the Work of its 68th Session 2016, UN GAOR 71st Session, Supp. No. 10, A/71/10, S. 76; ILC, Identification of customary international law, Text of the Draft Conclusions provisionally adopted by the Drafting Committee, 30. Mai 2016, 68th Session, A/CN.4/ L.872) die sich mit den Voraussetzungen allgemeiner Übung befasst. Nach Conclusion 4 trage vor allem die Übung von Staaten zu Formierung und Ausdruck von Gewohnheitsrecht bei (Absatz 1). In manchen Fällen könne aber auch der Übung internationaler Organisationen diese Wirkung zukommen (Absatz 2). Andere nichtstaatliche Akteure seien von der Bildung der für Gewohnheitsrecht relevanten Übung ausgeschlossen (Absatz 3).
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nichtinternationaler bewaffneter Konflikte, an deren Führung sie als Parteien maßgeblich beteiligt sind, irrelevant.155 Opinio iuris setzt die subjektive Überzeugung156 eines Staats voraus, durch eine Handlung eine verpflichtende Regel des Völkergewohnheitsrechts auszufüh155 Als Konfliktparteien sind sie zwar ebenso in der Lage, durch spezifisches Verhalten die Realität der Auseinandersetzungen zu bestimmen, von der Entwicklung internationalen Rechts sind sie jedoch grundsätzlich ausgeschlossen. So z. B. führt ein nunmehr entfallener Entwurf der ILC zur Identifikation von Gewohnheitsrecht von 2015 (Draft Conclusion 3 (3)) aus: „Conduct by other non-State actors is not practice for the purposes of formation or identification of customary international law.“ (ILC, Third Report on identification of customary international law, submitted by Michael Wood, Special Rapporteur, 27. März 2015 A/CN.4/682, Rn. 79; Annex, Draft Conclusion 3 mit Hinweis auf die interne Diskussion der Sitzungen 2014). Ausdrücklich auch: ILC, Identification of customary international law, Statement of the Chairman of the Drafting Committee, Mr. Gilberto Saboia, 7. August 2014, ILC 66th Session, abrufbar unter: http://legal.un.org/docs/?path=./ilc/sessions/66pdfs/english/dc_chairman_state ment_identification_of_custom.pdf&lang=E [abgerufen am 26.10.2020], S. 9: Mehrere Mitglieder der ILC hätten betont, dass das Verhalten nichtstaatlicher Akteure im Kontext des Gewohnheitsrechts nicht von Relevanz sei. Das Komitee zur Erarbeitung der Draft Conclusions habe es daher vorgezogen, die Frage der Relevanz dieses Verhaltens aus der Arbeit der ILC herauszuhalten. Bislang wird das Verhalten nichtstaatlicher Akteure bei der Analyse vorliegender Handlungspraxis gänzlich vernachlässigt. Eine Rechtssetzung oder Rechtsbeeinflussung durch nichtstaatliche Akteure wäre tatsächlich auch nur schwer mit den Grundprinzipien der Völkerrechtsentstehung zu vereinbaren (ebenso Scobbie, The approach to customary international law in the Study, in: Wilmshurst/Breau (Hrsg.), Perspectives on the ICRC study on customary international humanitarian law, S. 26; kritisch: Noortmann, Aufständische Gruppen und private Militärunternehmen – Theoretische und praktische Überlegungen zur Position bewaffneter nichtstaatlicher Akteure im humanitären Völkerrecht, in: Heintze/Ipsen (Hrsg.), Heutige bewaffnete Konflikte als Herausforderungen an das Humanitäre Völkerrecht, S. 193). Nichtsdestotrotz ist Kenntnis über die Handlungspraxis nichtstaatlicher Gruppen für die Auseinandersetzung mit geltendem Recht von Bedeutung, sind sie doch ebenso an das existierende Recht gebunden. Zudem kann ihr Verhalten Einfluss auf spätere Staatenpraxis haben, kann doch die Handlungspraxis der Staaten durch ihre Interaktion mit nichtstaatlichen Gruppen identifiziert werden (so auch Jacobsson in ihrem zweiten ILC Bericht: ILC, Second Report on the Protection of the Environment in Relation to Armed Conflicts, submitted by Marie G. Jacobsson, Special Rapporteur, 28. Mai 2015, A/CN.4/685, Rn. 8 f.; ähnlich auch Clapham, Human Rights Obligations of NonState Actors, S. 28). Über diesen indirekten Einfluss hinaus hat ihr Handeln bislang jedoch keine Relevanz. 156 An diesem Punkt zeigt sich bereits ein sprachliches Problem des opinio iurisPrinzips. Ein striktes Verständnis des Begriffs der Rechtsüberzeugung führt zu wenig überzeugenden Ergebnissen: „It is an anthropomorphic fallacy to think that the entities we call states can „believe“ anything [. . .]“ (D’Amato, Custom and Treaty: A Response to Professor Weisburd, Vanderbilt Journal of Transnational Law 21 (1988), S. 471). Eine Loslösung der Begriffsbedeutung ist daher notwendig. So auch So Cheng, Custom: The Future of general State Practice In a Divided World, in: MacDonald/Johnston (Hrsg.), The Structure and Process of International Law: Essays in Legal Philosophy, Doctrine and Theory, S. 530: „In law, one has no difficulty in ascertaining the ,intention of the parties‘, the ,intention of the legislator,‘ [. . .]. In law, these psychological elements need not correspond to reality“; zitiert auch bei: ILC, Second Report on identification of customary international law, submitted by Michael Wood, Special Rappor-
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ren.157 Sie ist von bloßer Handlungspraxis oder reinem Brauchtum abzugrenzen.158 Ihre Ermittlung in der Praxis stellt nicht selten eine enorme Herausforderung dar.159 Die entsprechende Handlungspraxis sollte grundsätzlich extensiv und nahezu einheitlich sein160 und in besonderem Maße von der Materie berührter Staaten
teur, 22. Mai 2014, A/CN.4/672, S. 52, Fn. 208. Der Bericht findet eine einfache Lösung für dieses letztlich ausschließlich sprachliche Problem, indem er in Draft Conclusion 10 die Wortwahl des IGH (IGH, Case concerning Right of Passage over Indian Territory, Urteil vom 12. April 1960, Merits, I.C.J. Reports 1960, S. 6 ff., S. 40) übernimmt: „The requirement [. . .] that the general practice be accepted as law“. 157 IGH, North Sea Continental Shelf Cases (Federal Republic of Germany v. Denmark; Federal Republic of Germany v. Netherlands), Urteil vom 20. Februar 1969, I.C.J. Reports 1969, S. 3 ff., S. 44, Rn. 76 ff. 158 Die Annahme rechtlicher Verpflichtung ist selbst von Überlegungen wirtschaftlicher, sozialer oder politischer Art, von Gefälligkeiten und Akten guter Nachbarschaft zu unterscheiden. Siehe ILC, Second Report on identification of customary international law, submitted by Michael Wood, Special Rapporteur, 22. Mai 2014, A/CN.4/672, S. 46, Rn. 60 f. m.w. N. 159 Nicht nur kann eine Handlung, die mit einer Regel angeblichen Gewohnheitsrechts übereinstimmt, rein politisch motiviert sein. In seiner Dissenting Opinion im Nicaragua-Verfahren wirft Richter Jennings ein weiteres Problem auf: Ist ein Staat gleichzeitig an einen parallel anwendbaren Vertrag gebunden, kann seine Handlung dann Ausdruck von Völkergewohnheitsrecht sein, oder muss sie in jedem Fall lediglich als Ausführung des Vertrags gewertet werden (Jennings, Dissenting Opinion zu IGH, Case Concerning Military and Paramilitary Activities in and against Nicaragua (Nicaragua v. United States of America), Urteil vom 27. Juni 1986, I.C.J. Reports 86, S. 14 ff.; S. 521)? In diesem Zusammenhang weist Bethlehem, The methodological framework of the Study, in: Wilmshurst/Breau (Hrsg.), Perspectives on the ICRC study on customary international humanitarian law, S. 8 auf ein weiteres Problem hin: In von Verträgen stark regulierten Bereichen könnte die Bildung parallelen Gewohnheitsrechts als problematische Umgehung des Zustimmungserfordernisses zur Bindung an die, auch vertraglich niedergelegte, Norm gewertet werden. Rechtliche Unsicherheiten und mangelnde Befolgung der gewohnheitsrechtlichen Norm durch die vertraglich nicht gebundenen Staaten könnten folgen. Die aktuellen Draft Conclusions der ILC zur Identifizierung von Gewohnheitsrecht gehen allerdings davon aus, dass auf Grundlage eines Vertrags eine gewohnheitsrechtliche Norm entstehen kann, wenn die in dem Vertrag niedergelegte Regel nachträglich von Rechtsüberzeugung getragene Staatenpraxis hervorgerufen habe (Draft Conclusion 11 (c), in: ILC, Report of the International Law Commission on the Work of its 68th Session 2016, UN GAOR 71st Session, Supp. No. 10, A/71/10, S. 78). Eine spezielle Befassung mit der vorgenannten Problematik enthält der Bericht gleichwohl nicht. In seinem zweiten Bericht erklärte Special Rapporteur Wood allerdings, dass die bloße Vertragserfüllung nicht als Nachweis für das Bestehen von opinio iuris bezüglich einer parallel zu einem Vertrag existierenden Norm des Gewohnheitsrechts genüge.: ILC, Second Report on identification of customary international law, submitted by Michael Wood, Special Rapporteur, 22. Mai 2014, A/CN.4/672, S. 46, Rn. 62. 160 Draft Conclusion 8 (1) schlägt folgende Formulierung vor: „The relevant practice must be general, meaning that it must be sufficiently widespread and representative, as well as consistent.“ (ILC, Report of the International Law Commission on the Work of its 68th Session 2016, UN GAOR 71st Session, Supp. No. 10, A/71/10, S. 77).
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getragen werden.161 Das Erfordernis einheitlicher Übung darf aber gerade mit Blick auf das während bewaffneter Konflikte anwendbare Recht nicht überreizt werden. Nicht jeder Verstoß gegen eine gewohnheitsrechtliche Norm kann ihre Nichtexistenz nach sich ziehen.162 Anderenfalls müsste fast jede Gewohnheitsrechtsnorm zur Regelung zulässiger Kriegshandlungen infrage gezogen werden.163 Um dieses Dilemma aufzulösen, können auch verurteilende Reaktionen anderer Staaten auf die Nichtbeachtung sowie etwaige Rechtfertigungsversuche des handelnden Staates als Indiz der Existenz einer Norm gewertet werden.164 II. Ermittlungsansätze Nicht nur die Vielzahl gravierender Verstöße gegen vermeintliche Handlungsverbote stellt deren Identifikation als Gewohnheitsrecht vor eine Herausforderung. Die nur begrenzten Beispiele tatsächlicher Handlungspraxis kommen erschwerend hinzu. Eine als moderner Positivismus165 bezeichnete Strategie der Ermittlung von Gewohnheitsrecht geht daher davon aus, dass gewohnheitsrechtliche Normen bereits aus einer Rechtsüberzeugung der Staatengemeinschaft entstehen, welche die Mitglieder der Gemeinschaft auch willens sind in Taten umzusetzen.166 Eine extensive Übung sei nicht mehr ausschlaggebend.167 Sowohl 161 IGH, North Sea Continental Shelf Cases (Federal Republic of Germany v. Denmark; Federal Republic of Germany v. Netherlands), Urteil vom 20. Februar 1969, I.C.J. Reports 1969, S. 3 ff., S. 43, Rn. 74. 162 Crawford, Blurring the lines between international and non-international armed conflicts – the evolution of customary international law applicable in internal armed conflicts, Australian International Law Journal 15 (2008), S. 33. 163 Robert Jennings, ehemaliger Richter am IGH, brachte das Dilemma auf den Punkt (Jennings, The Identification of International Law, in: Cheng (Hrsg.), International Law: Teaching and Practice, S. 5): „Certainly practice [. . .] is an essential ingredient of customary law. But most of what we perversely persist in calling customary international law is not only not customary law: it does not even faintly resemble a customary law.“ 164 IGH, Legality of the Threat or Use of Nuclear Weapons, Advisory Opinion vom 8. Juli 1996, I.C.J. Reports 1996, S. 226 ff. 165 Simma/Paulus, The Responsibility of Individuals for Human Rights Abuses in Internal Conflicts: A Positivist View, The American Journal of International Law 93 (1999), S. 306 f. sehen in diesem Ansatz eine Anpassungsmöglichkeit an neue Entwicklungen internationaler Angelegenheiten. Er führe allerdings dann fehl, wenn er sich von der Notwendigkeit formeller Rechtsquellen abwende und das Recht willkürlich mache (S. 307 f.). 166 Ibid. 167 An dem formelhaften Konstrukt aus Überzeugung und Praxis wird nach dieser Ansicht nicht mehr festgehalten. Überzeugend im Kontext friedensumweltrechtlicher Normen: Bodansky, The Art and Craft of International Environmental Law, S. 192 ff. Eine klassische Prüfung findet sich dagegen z. B. bei Schadtle, Das völkerrechtliche Verbot des Einsatzes chemischer Waffen im Bürgerkrieg: Der Syrienkonflikt als Fallstudie, Archiv des Völkerrechts 53 (2015) insb. S. 137 ff., der die Nichtbefolgung des (fraglichen) gewohnheitsrechtlichen Verbots des Einsatzes von Chemiewaffen in mindestens vier Fällen als Hinderungsgrund für die Entstehung von Gewohnheitsrecht
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physische als auch rein verbale Staatshandlungen tragen nach dieser mittlerweile weit verbreiteten Ansicht zur Bildung von Gewohnheitsrecht bei.168 Staatenpraxis könne demnach auch auf Grundlage staatlichen Abstimmungsverhaltens, Vertragsschlüssen oder nationalen Gesetzen und Militärhandbüchern ermittelt werden.169 Gerade für die Ermittlung humanitärrechtlicher Handlungsverbote ist dieser Ermittlungsentwicklung im Grundsatz zuzustimmen, schließlich kann bei einer Verbotsnorm grundsätzlich nicht auf eine positive Handlungspraxis gehofft werden. Da die Einhaltung eines Handlungsverbots sich nur durch Unterlassen der Handlung ausdrücken kann, muss dieses, in Verbindung mit einer Verurteilung der Handlung Anderer, auch als Praxis gewertet werden können. Mit Blick gerade auf die konkreten Szenarien nichtinternationaler Konflikte ist diese Vorgehensweise auch praktisch vorteilhaft, denn Handlungspraxis ist in ihnen oftmals nicht zu ermitteln.170 Häufig haben objektive Beobachter, selbst das IKRK, keinen ausreichenden Zugang zum Konfliktgeschehen. Staatenpraxis ergibt sich dann lediglich aus den Stellungnahmen eines Staates, aus Militärhandbüchern oder nachträglichen Gerichtsentscheidungen.171 Die besondere Betonung der opinio iuris kann diesem Praxisproblem entgegenwirken. Wird eine Regel von einer breiten Unterstützergruppe beispielsweise als Ausdruck des Prinzips der Humanität gewertet172, ist das Fehlen einer weit verbreiteten Handlungspraxis ein überwindbares Hindernis für die Entstehung des Gewohnheitsrechts.173 identifiziert. Diese Argumentation überzeugt nicht. Sie würde dazu führen, dass keine vertragsrechtliche Norm humanitären Völkerrechts je in Gewohnheitsrecht erstarken könnte, solange auch nur einzelne Beispiele ihrer Verletzung aufkämen. 168 Henckaerts/Doswald-Beck/Alvermann, Customary International Humanitarian Law, ICRC Study, Band I: Rules, S. xxxviii. 169 Simma/Paulus, The Responsibility of Individuals for Human Rights Abuses in Internal Conflicts: A Positivist View, The American Journal of International Law 93 (1999), S. 306 f. Siehe in diesem Zusammenhang erneut die bisherigen Ergebnisse der Arbeit der ILC zu den Voraussetzungen von Gewohnheitsrecht in: ILC, Report of the International Law Commission on the Work of its 68th Session 2016, UN GAOR 71st Session, Supp. No. 10, A/71/10, S. 76, Draft Conclusion 3 (2): „Each element is to be separately ascertained. This requires an assessment of evidence for each element.“ Draft Conclusion 6 beschäftigt sich sodann mit den Arten der Praxis. 170 Crawford, Blurring the lines between international and non-international armed conflicts – the evolution of customary international law applicable in internal armed conflicts, Australian International Law Journal 15 (2008), S. 37. 171 ICTY, Prosecutor v. Dus ˇko Tadic´, Appeals Chamber Decision on the Defence Motion for Interlocutory Appeal on Jurisdiction, 2. Oktober 1995, Case No. IT-94-1-AR72, Rn. 99. Das IKRK bestätigte in der Studie zum Gewohnheitsrecht zudem: „During work on the study it proved very difficult and largely theoretical to strictly separate elements of practice and legal conviction. More often than not, one and the same act reflects practice and legal conviction.“ Henckaerts/Doswald-Beck/Alvermann, Customary International Humanitarian Law, ICRC Study, Band I: Rules, Introduction, S. xlvi. Der Grund dieser Problematik ist in der Anerkennung rein verbaler Akte als Staatenpraxis zu finden. 172 Für diese Einordnung siehe z. B. ICTY, Prosecutor v. Kupres ˇkic´ et al., Urteil der Verfahrenskammer vom 14. Januar 2000, Case No. IT-95-16-T, Rn. 531.
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Die Auswirkungen dieses auf Überzeugung der Staaten fokussierten Ermittlungsansatzes zeigten sich unter anderem in der IKRK-Studie zum humanitären Gewohnheitsrecht, die ein Resultat dieser Vorgehensweise ist.174 Ebenso sind sie in der jüngeren Rechtsprechungspraxis internationaler Gerichte zu finden, die maßgeblich an der Identifikation gewohnheitsrechtlicher Normen humanitären Völkerrechts gerade für nichtinternationale bewaffnete Konflikte beteiligt waren. Insbesondere wurde die Identifikationsstrategie auch durch den IGH seit dem Nicaragua-Verfahren genutzt.175 173 Meron (Meron, The humanization of humanitarian law, American Journal of International Law 94 (2000), S. 244 sowie Meron, War Crimes Law Comes of Age, in: Ders. (Hrsg.), War crimes law comes of age, S. 303) beobachtet diese Tendenz auch bei der Entstehung des IStGH-Statuts und der Gewohnheitsrechtsstudie des IKRK. Auch Meron betont aber, dass im humanitären Völkerrecht eine Analyse beider Voraussetzungen des Gewohnheitsrechts noch immer von hoher Relevanz sei (Meron, Revival of Customary Humanitarian Law, The American Journal of International Law 99 (2005), S. 817 f.). Vor allem sei dies für die internationalen Straftribunale der Fall. Das Prinzip nullum crimen nulla poena sine lege erfordere eine genaue Prüfung, ob eine Norm des Gewohnheitsrechts schon zum Zeitpunkt der Handlung existiert hatte. Gerichte wie der ICTY müssten daher, anders als beispielsweise der IGH, Fokus auch auf die Ermittlung existierender Staatenpraxis legen. 174 Siehe Henckaerts/Doswald-Beck/Alvermann, Customary International Humanitarian Law, ICRC Study, Band I: Rules, S. xxxviii mit Verweis auf die unterstützende Rechtsprechung des IGH (IGH, Fisheries Jurisdiction (United Kingdom of Great Britain and Northern Ireland v. Iceland), Urteil vom 25. Juli 1974, I.C.J. Reports 1974, S. 3 ff., S. 47; 81–88, 119 f., 135, 161; IGH, Fisheries Jurisdiction (Federal Republic of Germany v. Iceland), Urteil vom 25. Juli 1974, I.C.J. Reports 1974, S. 175 ff.; IGH, Case Concerning Military and Paramilitary Activities in and against Nicaragua (Nicaragua v. United States of America), Urteil vom 27. Juni 1986, I.C.J. Reports 86, S. 14 ff., S. 100, Rn. 190; IGH, Case concerning the Gabcˇíkovo-Nagymaros Project (Hungary v. Slovakia), Urteil vom 25. September 1997, I.C.J. Reports 1997, S. 7 ff., S. 39–46, Rn. 49–58). Ebenso ICTY, Prosecutor v. Dusˇko Tadic´, Appeals Chamber Decision on the Defence Motion for Interlocutory Appeal on Jurisdiction, 2. Oktober 1995, Case No. IT-94-1-AR72, Rn. 99. 175 Detailliert: Alvarez-Jiménez, Methods for the Identification of Customary International Law in the International Court of Justice’s Jurisprudence: 2000–2009, International and Comparative Law Quarterly 60 (2011), insb. S. 687 ff. zu der flexiblen Handhabe des Gewohnheitsrechts durch den Gerichtshof; ebenso Meron, Revival of Customary Humanitarian Law, The American Journal of International Law 99 (2005), S. 819 ff. Meron begründet diese Praxis u. a. mit dem faktischen Problem, einem Gericht aus nur 15 Richtern im Rahmen einer detaillierten Verfahrensordnung ausreichend Beweise für Staatenpraxis zu präsentieren. Im Nicaragua-Verfahren erklärte der IGH, die in Art. 3 GA enthaltenen Konfliktregeln seien Ausdruck fundamentaler Grundprinzipien des humanitären Völkerrechts. Sie verpflichteten die USA auch unabhängig von einer vertraglichen Bindung an Art. 3 GA (IGH, Case Concerning Military and Paramilitary Activities in and against Nicaragua (Nicaragua v. United States of America), Urteil vom 27. Juni 1986, I.C.J. Reports 86, S. 14 ff., S. 103, Rn. 218). Der IGH stellte damit (ohne den Ausdruck Gewohnheitsrecht zu verwenden) fest, dass Gewohnheitsrecht auch parallel zu multilateralen Verträgen existieren könne und Staaten daher auch an Normen humanitären Gewohnheitsrechts gebunden sein können, obwohl sie die inhaltlich gleichlaufenden Verträge nicht ratifiziert hatten oder diese aus anderen Gründen (wie im Fall der USA aufgrund eines Vorbehalts) nicht anwendbar sind (Rn. 218–
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Zusätzlich scheint die Identifikationspraxis der Gerichte aber durch einen Abwägungsprozess geleitet zu sein, bei dem die Stärke bestehender Staatenüberzeugung die Schwäche ausgeprägter Handlungspraxis insbesondere dann auszugleichen vermochte, wenn die infrage stehende Vorschrift Ausdruck einer starken moralischen Wertentscheidung war. Meron führte dazu durchaus kritisch aus: „The ,ought‘ merges with the ,is‘, the lex ferenda with the lex lata. [. . .] The more heinous the act, the more willing the tribunal will be to assume that it violates not only a moral principle of humanity but also a positive norm of customary law.“ 176
Die Stärke einer moralischen Überzeugung als Ausgangspunkt einer Gewohnheitsrechtsnorm verhilft ihr somit unter Umständen auch bei Zweifeln über das Maß entsprechender Staatenpraxis zu gewohnheitsrechtlicher Geltung.177 Was moralisch nicht akzeptiert werden kann, dessen Verbot erwächst leichter in posi220). Siehe dazu auch die Kritik von Richter Jennings in seiner Dissenting Opinion (oben Teil 1, Fn. 159). Ähnlich verhält es sich mit dem IGH-Urteil von 2002 zum Fall des belgischen Haftbefehls gegen den amtierenden Außenminister der DRK. In IGH, Case Concerning the Arrest Warrant of 11 April 2000 (Democratic Republic of the Congo v. Belgium), Urteil vom 14. Februar 2002, I.C.J. Reports 2002, S. 3 ff., S. 24, Rn. 58 erklärte der IGH, er habe opinio iuris und Staatenpraxis hinsichtlich einer Ausnahme zur Regel der Immunität amtierender Minister sorgfältig analysiert. Kein einziges Beispiel der analysierten Staatenpraxis wurde jedoch im Urteil genannt. Ad hocRichterin Van den Wyngaert kritisierte das Urteil deutlich für diesen Mangel (Dissenting Opinion, Rn. 12 f.) Siehe in diesem Zusammenhang auch die ausführliche Darstellung der Staatenpraxis in der Joint Separate Opinion der Richter Higgins, Kooijmans und Buergenthal (S. 63 ff.). Ähnliche Kritik an dem Umgang mit Fakten und deren Gewichtung durch den IGH findet sich u. a. in der Erklärung von Richter Buergenthal im Mauerbau-Gutachten von 2004 (IGH, Legal Consequences of the Construction of a Wall in the Occupied Palestinian Territory, Advisory Opinion vom 9. Juli 2004, I.C.J. Reports 2004, S. 136 ff., S. 243, Rn.7) in der er dem IGH vorwirft, relevante Fakten nicht beachtet, beziehungsweise nicht in die Argumentation des Urteils eingebracht zu haben. 176 Meron, Human rights and humanitarian norms as customary law, S. 42. Ähnlich auch Kirgis, der das Phänomen der Abwägung als eine „Sliding Scale“ bezeichnet, die bei schwächerer moralischer Fundierung die Identifikation von Gewohnheitsrecht auch verhindern kann: „The more destabilizing or morally distasteful the activity [. . .] the more readily international decision makers will substitute one element for the other [. . .]. The converse, of course, will be true as well. If the activity is not so destructive of widely accepted human values [. . .] the decision maker is likely to be more exacting in finding the necessary elements for the rule.“ Kirgis, Custom on a Sliding Scale, The American Journal of International Law 81 (1987), S. 149. 177 Meron, The humanization of humanitarian law, American Journal of International Law 94 (2000), S. 244; Crawford, Blurring the lines between international and noninternational armed conflicts – the evolution of customary international law applicable in internal armed conflicts, Australian International Law Journal 15 (2008), S. 36 ff.; Kirgis, Custom on a Sliding Scale, The American Journal of International Law 81 (1987), S. 149 ff. Siehe auch Baxter, Multilateral Treaties as Evidence of Customary International Law, British Yearbook of International Law 41 (1965–1966), S. 300, der die Bedeutung von opinio iuris über die der Staatenpraxis stellt.
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tives Recht. Diese Vorgehensweise ist gleichwohl risikoreich. Ansichten über das Ausmaß moralischer Verwerflichkeit einer Handlung divergieren weltweit in hohem Maße. Gerichte und Expertengremien werden nicht immer die gleichen moralischen Ansichten halten, wie die Akteure bewaffneter Konflikte. Kann der Nachweis beider Gewohnheitsrechtselemente nicht überzeugend geführt werden, ist die identifizierte Norm kritikanfällig und daher weniger widerstandsfest.178 Aus diesem Grund kann die Behauptung des Bestehens einer gewohnheitsrechtlichen Norm durch Gerichte und andere Akteure nicht unreflektiert übernommen werden. Dies gilt gerade auch bei der Analyse umweltschützenden Gewohnheitsrechts, denn die unbedingte Bewahrung der Umwelt ist sicherlich noch nicht Gegenstand zwingender moralischer Überzeugung der gesamten internationalen Gemeinschaft. Die Begründung eines Schädigungsverbots mit starken moralischen Prinzipien und nur schwachen Nachweisen bezüglich Staatenpraxis und Rechtsüberzeugung wird im Zweifel nicht ausreichen, um seinen Charakter als Gewohnheitsrecht zu rechtfertigen, dennoch darf die Bedeutung der moralischen Fundierung einer Rechtsnorm nicht unterschätzt werden. Gesellschaftlicher Wertewandel stellt neben wirtschaftlichen und politischen Interessen einen Hauptbeweggrund für die Fortentwicklung des Rechts dar. III. Erkenntnisquellen humanitären Gewohnheitsrechts zum Schutz der Umwelt Neben den Entscheidungen internationaler Gerichte kommt der 2005 erstmals veröffentlichten179 und weiterhin ständig aktualisierten180 Gewohnheitsrechtsstudie des IKRK größte Bedeutung bei der Ermittlung bestehender Gewohnheitsrechtsnormen zu. Obwohl der gewohnheitsrechtliche Status einiger in der Studie aufgeführter Regeln gerade für nichtinternationale Konflikte umstritten ist181, hat 178 Ebenso Simma/Paulus, The Responsibility of Individuals for Human Rights Abuses in Internal Conflicts: A Positivist View, The American Journal of International Law 93 (1999), S. 308 oben zur Notwendigkeit formeller Rechtsquellen. 179 Henckaerts/Doswald-Beck/Alvermann, Customary International Humanitarian Law, ICRC Study, Band I: Rules; Doswald-Beck/Henckaerts, Customary International Humanitarian Law, ICRC Study, Band II: Practice, Parts 1 and 2. 180 Die Datenbank ist auf der Internetpräsenz https://www.icrc.org/customary-ihl/ eng/docs/home [abgerufen am 26.10.2020] abrufbar und wird in regelmäßigen Abständen um aktuelle Staatenpraxis erweitert. 181 Scobbie, The approach to customary international law in the Study, in: Wilmshurst/Breau (Hrsg.), Perspectives on the ICRC study on customary international humanitarian law, S. 15 ff.; Bethlehem, The methodological framework of the Study, in: Wilmshurst/Breau (Hrsg.), Perspectives on the ICRC study on customary international humanitarian law, S. 4 ff., insb. 9 ff., der unter anderem die starke Anknüpfung der formulierten Regeln an das ZP I kritisiert und ein zurückhaltendes Vorgehen bei der Erklärung einer Norm als Gewohnheitsrecht als realitätsnäher erachtet hätte. Zitiert bei ILC, Second Report on the Protection of the Environment in Relation to Armed Conflicts,
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die Studie einzigartige Relevanz für Theorie und Praxis.182 Selbst Regeln, deren gewohnheitsrechtliche Geltung bei Aufnahme in die Studie zweifelhaft183 war, könnten aufgrund der Aufnahme und des ihr folgenden vermehrten Praxisgebrauchs in Zukunft zu Gewohnheitsrecht erstarken.184 Staaten, die von Regeln der Studie abweichen wollen, sehen sich einer verstärkten politischen Rechtfertigungsnotwendigkeit ausgesetzt.185 Neben der Studie des IKRK sind auch die aktuellen Militärhandbücher internationaler Expertengruppen, wie beispielsweise das Manual on the Law of NonInternational Armed Conflict von 2006 (NIAC Manual)186 und das HPCR Manual on International Law applicable to Air and Missile Warfare von 2009 (HPCR Manual)187 für die Identifikation von Gewohnheitsrecht von Belang. Obwohl diese Handbücher selbst keine rechtliche Bindungswirkung entfalten, können sie als Rechtserkenntnisquellen dienen.188 Für die Identifikation gewohnsubmitted by Marie G. Jacobsson, Special Rapporteur, 28. Mai 2015, A/CN.4/685, Rn. 9. Siehe für eine Kritik hinsichtlich der Auswirkung der aufgenommenen Regeln auf das innerstaatliche Recht: Rowe, The Effect on National Law of the Customary International Humanitarian Law Study, Journal of Conflict and Security Law 11 (2006), S. 165 ff. McCormack, An Australian Perspective on the ICRC Customary International Humanitarian Law Study, in: Helm (Hrsg.), The law of war in the 21st century: Weaponry and the use of force, S. 88 ff. argumentiert, Kritik an der Studie sei letztlich unvermeidbar und wenig überraschend. Es liege in der Natur der Sache, dass Staaten sich gegen eine Präzisierung der sie einschränkenden Regeln zu wehren bemühten. 182 Für Akteure in der Praxis, für Richter und Wissenschaftler, die mit Fragen des humanitären Völkerrechts befasst sind, ist die Studie notwendig eine der ersten Erkenntnisquellen für die Erläuterung existierenden Gewohnheitsrechts. So u. a. auch McCormack, a. a. O., S. 87; Sivakumaran, Re-envisaging the International Law of Internal Armed Conflict, European Journal of International Law 22 (2011), S. 229 f. 183 Ziel der Studie war es, das bestehende Gewohnheitsrecht so präzise wie möglich zu ermitteln. So formulierte Sandoz in der Einführung zur Studie: „The study is a still photograph of reality, taken with great concern for absolute honesty, that is, without trying to make the law say what one wishes it would say.“ (Henckaerts/Doswald-Beck/ Alvermann, Customary International Humanitarian Law, ICRC Study, Band I: Rules, S. xxiii). Trotz dieses Ziels ist nicht jede der aufgenommenen Regeln von allen Staaten als geltendes Recht akzeptiert worden. 184 Auch den Autoren der IKRK-Studie war klar, dass das Resultat ihrer Kodifikationsbemühungen weder unfehlbar noch ein abschließendes Werk sein konnte: „But though it represents the truest possible reflection of reality, the study makes no claim to be the final word. It is not all-encompassing – choices had to be made – and no one is infallible.“ (Henckaerts/Doswald-Beck/Alvermann, a. a. O., S. xxiii). 185 Scobbie, The approach to customary international law in the Study, in: Wilmshurst/Breau (Hrsg.), Perspectives on the ICRC study on customary international humanitarian law, S. 21. 186 Schmitt/Garraway/Dinstein (Hrsg.), The Manual on the Law of Non-International Armed Conflict: with Commentary. 187 HPCR, Manual on International Law applicable to Air and Missile Warfare. 188 ILC, Second Report on the Protection of the Environment in Relation to Armed Conflicts, submitted by Marie G. Jacobsson, Special Rapporteur, 28. Mai 2015, A/ CN.4/685, S. 55, Rn. 180. Die Beteiligung von Entscheidungsträgern aus der Praxis so-
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heitsrechtlicher Regeln zum Schutz der Umwelt während bewaffneter Konflikte haben zusätzlich auch das Tallinn Manual on the International Law applicable to Cyber Warfare von 2012 (Tallinn Manual)189 sowie das San Remo Manual on International Law Applicable to Armed Conflicts at Sea von 1994 (San Remo Manual)190 Relevanz. Mit Ausnahme des NIAC Manual legen alle genannten Handbücher ihren Fokus allerdings auf das Recht internationaler bewaffneter Konflikte und behandeln die Rechtslage nichtinternationaler Konflikte lediglich annexhaft.191 Die Relevanz der Handbücher für den Schutz der Umwelt speziell in nichtinternationalen Konflikten schwankt daher im Einzelfall.
C. Bindung der Konfliktparteien an humanitäres Vertrags- und Gewohnheitsrecht Die Identifikation anwendbarer Rechtsnormen kennzeichnet jedoch nicht die einzige Problematik in der völkerrechtlichen Regelung nichtinternationaler bewaffneter Konflikte, denn Völkerrecht richtet sich zunächst an Staaten. Dass auch nichtstaatliche Konfliktparteien durch die Vorschriften humanitären Völkerrechts verpflichtet werden können, ist nicht selbstverständlich. Ausdrücklich bejaht wurde die Bindung bewaffneter Gruppen, die ihre Waffen gegen den Staat erheben, erst 2004 durch die Berufungskammer des Sondergerichtshofs für Sierra Leone (Special Court for Sierra Leone/SCSL). Im Verfahren gegen Sam Hinga Norman erklärte die Kammer erstmals192, es sei anerkannt, dass alle Parteien eines Konflikts, unabhängig davon, ob sie das Recht haben, völkerrechtlichen Verträgen beizutreten, durch humanitäres Völkerrecht gebunden seien.193 Sowohl
wie der häufige Verweis auf nationale Militärhandbücher bestärken die Praxisrelevanz der Handbücher. Gleichzeitig führen sie aber auch zu einem starken Kompromisscharakter der Regeln. Im Vergleich zu Studien des IKRK oder anderer (Nichtregierungs-) Organisationen wird sich häufig ein restriktiverer Ansatz zu bestehenden Verboten finden lassen (ILC, a. a. O.). 189 Schmitt, Tallinn Manual on the International Law applicable to Cyber Warfare. 190 Doswald-Beck, San Remo Manual on International Law applicable to Armed Conflicts at Sea. 191 Nur in den jeder Regel beigefügten Kommentierungen sind Hinweise zur Geltung der jeweiligen Regel auch in nichtinternationalen bewaffneten Konflikten enthalten. Diese sind, sofern sie denn vorhanden sind, häufig weniger detailliert verfasst. Siehe beispielsweise HPCR, Manual on International Law applicable to Air and Missile Warfare, Introduction, E; Schmitt, Tallinn Manual on the International Law applicable to Cyber Warfare, Introduction S. 19. 192 Vgl. Daboné, International law: armed groups in a state-centric system, International Review of the Red Cross 93 (2011), S. 408. 193 SCSL, Prosecutor v. Sam Hinga Norman, Decision on Preliminary Motion Based on Lack of Jurisdiction, 31. Mai 2004, Case No. SCSL-2004-14-Ar72(E), Rn. 22; siehe auch Clapham, Focusing on armed non-state actors, in: Clapham/Gaeta (Hrsg.), The Oxford Handbook of International Law in Armed Conflict, S. 771.
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der UN-Sicherheitsrat, als auch die Generalversammlung betonten zuletzt die humanitärvölkerrechtlichen Verpflichtungen nichtstaatlicher Akteure.194 In ihrem jüngsten Bericht von 2019 bezeichnete ILC Special Rapporteur Lehto die Bindung dieser Akteure an humanitäres Völkerrecht als generell akzeptiert.195 Wie diese Bindung allerdings dogmatisch herzuleiten ist und ob alle Normen humanitären Völkerrechts alle Arten bewaffneter Konfliktakteure zu verpflichten in der Lage sind, ist erstaunlicherweise bis heute nicht geklärt. I. Vertragsrecht Die Verpflichtung bewaffneter Akteure durch die verfügbaren Vorschriften des Vertragsrechts kann nicht einheitlich bejaht werden. Art. 3 GA bindet schon nach seinem Wortlaut jede an nichtinternationalen Konflikten beteiligte Partei und damit zwingend auch nichtstaatliche Konfliktakteure. Anders verhält es sich mit den Normen des ZP II, die aufgrund bewusster Entscheidung in der CDDH196 keinen Verweis auf die Adressaten des Protokolls enthalten.197 Andere Verträge, wie die Ottawa-Konvention, sind bislang nur an Staaten adressiert.198 Aber auch
194 UNSC, Resolution 2286 vom 3. Mai 2016, S/RES/2286 (2016); Resolution 2139 vom 22. Februar 2014, S/RES/2139 (2014); UNGA, Resolution 73/204 vom 20. Dezember 2018 on the Status of the Protocols Additional to the Geneva Conventions of 1949 and relating to the protection of victims of armed conflicts, A/RES/73/204. 195 ILC, Second Report on Protection of the Environment in Relation to Armed Conflicts by Marja Lehto, Special Rapporteur, 27. März 2019, A/CN.4/728, Rn. 52. 196 Eine durch das IKRK vorgeschlagene Vorschrift, welche die Anwendung auf alle Konfliktparteien ausdrücklich erwähnt hätte, scheiterte in den Vertragsverhandlungen am Widerstand der Staaten, die eine indirekte Anerkennung bewaffneter Gruppen vermeiden wollten. Siehe Draft Art. 5, in: IKRK, Draft Additional Protocols to the Geneva Conventions vom 12. August 1949, Commentary; vgl. auch Junod, in: Sandoz/Swinarski/Zimmermann (Hrsg.), Commentary on the Additional Protocols of 8 June 1977 to the Geneva Conventions of 12 August 1949, Rn. 4443; ebenso Sassòli, Taking Armed Groups Seriously: Ways to Improve their Compliance with International Humanitarian Law, Journal of International Humanitarian Legal Studies 1 (2010), S. 12. Deutlich waren die Worte des Vertreters des Heiligen Stuhls in den letzten Tagen der Verhandlungen um die Normen des ZP II: „When the Conference had decided to delete any reference to ,Parties to the conflict‘ in draft Protocol II, it had, as it were, abandoned attempts to draft a real legal instrument and instead had restricted itself to a statement of good intentions which in terms of humanitarian law came down to a ,legal ectoplasm‘; for the text would be devoid of any real humanitarian substance and of any mandatory character.“ (CDDH/SR. 52, in: CDDH, Official Records of the Diplomatic Conference on the Reaffirmation and Development of International Humanitarian Law applicable in Armed Conflicts, Genf, 1974–1977, Band VII, S. 136, Rn. 81). 197 Ausführlich: Cassese, The Status of Rebels under the 1977 Geneva Protocol on Non-International Armed Conflicts, International and Comparative Law Quarterly 30 (1981), S. 420 ff. 198 Vgl. Art. 1 Ottawa-Konvention (Teil 1, Fn. 144).
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der Wortlaut des Art. 3 GA vermag nicht zu erklären, woraus die Bindung von nichtstaatlichen Konfliktparteien abzuleiten ist.199 Schließlich können allein Staaten die Genfer Abkommen und andere völkerrechtliche Verträge ratifizieren. Um das Ergebnis an dieser Stelle vorwegzunehmen: Die Bindung nichtstaatlicher Gruppen an wenigstens einige Grundnormen humanitären Vertragsrechts wird heute einheitlich bejaht. Wie dieses Ergebnis zu begründen ist, ist dagegen offen. Etliche Argumentationsstränge versuchen derzeit, das allgemein gewünschte und praktisch notwendige Ergebnis dogmatisch überzeugend herzuleiten.200 So wird teils angenommen, dass nichtstaatliche Konfliktparteien, die de facto Regierungsgewalt ausüben, aufgrund ihrer Repräsentationsfunktion an Völkerrecht gebunden sind.201 Doch dieses Argument würde Gruppen ohne Territorialhoheit von jeglicher Verpflichtung zur Einhaltung humanitären Völkerrechts ausschließen. Zudem ist nicht klar, warum eine Bindung für solche Individuen und Gruppen nur aufgrund ihrer Staatsähnlichkeit ohne ihre Zustimmung zu dem jeweiligen Vertrag bestehen soll. Die Verpflichtung nichtstaatlicher Gruppen kann auch nicht, wie teils angenommen wird, auf Grundlage des pacta tertiis Prinzips hergeleitet werden.202 Zweifelhaft ist bereits, ob dieses Prinzip überhaupt auf nichtstaatliche Gruppen anwendbar ist.203 Dies wäre schließlich möglich, wenn die Vorgaben der Art. 34 bis 36 der Wiener Vertragsrechtskonvention (WVRK)204, die aufgrund ihres Wortlauts direkt nur auf Fälle unbeteiligter Drittstaaten anwendbar sind, gewohnheitsrechtlich auch für bewaffnete Gruppen ein-
199 Pictet formulierte schon in seiner Kommentierung zu Art. 3 GA wenig aussagekräftig: „If an insurgent party applies Article 3, so much the better for the victims of the conflict. No one will complain. If it does not apply it, it will prove that those who regard its actions as mere acts of anarchy or brigandage are right.“ (Commentary Article 3, in: Pictet (Hrsg.), Commentary on the IV. Geneva Conventions of 12 August 1949 relative to the Protection of Civilian Persons in Time of War, S. 37). 200 Für eine Darstellung der verschiedenen Argumente, siehe u. a. Murray, How International Humanitarian Law Treaties Bind Non-State Armed Groups, Journal of Conflict & Security Law 20 (2015), S. 105 ff.; Zegveld, Accountability of armed opposition groups in international law, S. 14 ff.; Clapham, Human rights obligations of non-state actors in conflict situations, International Review of the Red Cross 88 (2006), S. 498 ff. 201 Kleffner, The applicability of international humanitarian law to organized armed groups, International Review of the Red Cross 93 (2011), S. 451. 202 So aber Cassese, The Status of Rebels under the 1977 Geneva Protocol on NonInternational Armed Conflicts, International and Comparative Law Quarterly 30 (1981), S. 423, der das ZP II unter Heranziehung der Wiener Vertragsrechtskonvention daraufhin untersucht, ob es Effekte auch für dritte Parteien haben könnte; siehe auch Sivakumaran, Binding Armed Opposition Groups, International and Comparative Law Quarterly 55 (2006), S. 377 ff. 203 Murray, How International Humanitarian Law Treaties Bind Non-State Armed Groups, Journal of Conflict & Security Law 20 (2015), S. 118 sowie ab S. 109 ff. ausführlich zur pacta tertiis-Theorie. 204 Vienna Convention on the Law of Treaties vom 23. Mai 1969, 1155 UNTS 331.
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schlägig wären.205 Selbst wenn dies zu bejahen wäre, ergäbe sich sodann das Problem nötiger Zustimmung der Gruppe als Voraussetzung einer vertraglichen Bindung.206 Organisationen wie Boko Haram oder der sogenannte IS unterlägen in Konsequenz keiner Bindung.207 Die wohl überwiegende Ansicht208 verweist auch aufgrund dieses sonst unbilligen Ergebnisses auf die legislativen Befugnisse des Territorialstaats als Ausgangspunkt der Bindungswirkung.209 Durch Vertragsschluss brächten Staaten das jeweilige völkerrechtliche Abkommen für ihr gesamtes Staatsgebiet und alle ihrer Hoheitsgewalt unterstehenden Personen zur Anwendung.210 Grundlage dieser bereits älteren Ansicht211 ist die Souveränität der Staaten, die es ihnen gestatte, Recht für ihr gesamtes Territorium und alle Individuen in ihrem Hoheitsgebiet zu schaffen. Bewaffnete Gruppen sind nach dieser Argumentation dann durch Wil205 So Cassese, The Status of Rebels under the 1977 Geneva Protocol on Non-International Armed Conflicts, International and Comparative Law Quarterly 30 (1981), S. 423. 206 Vergleiche den (nicht direkt anwendbaren) Art. 35 WVRK: „An obligation arises for a third State from a provision of a treaty if the parties to the treaty intend the provision to be the means of establishing the obligation and the third State expressly accepts that obligation in writing“. 207 Gegen das Erfordernis der Zustimmung aber: Murray, How International Humanitarian Law Treaties Bind Non-State Armed Groups, Journal of Conflict & Security Law 20 (2015), S. 118 f., der darauf verweist, dass schon jetzt Beispiele rechtlicher Verpflichtungen nichtstaatlicher Akteure ohne deren Einwilligung bestehen. Dabei verweist er unter anderem auf die Verantwortlichkeit eines durch eine Aufstandsbewegung neu erschaffenen Staates für Taten der Aufstandsbewegung vor Gründung desselben (mit Verweis auf Art. 10 ILC, Draft Articles on responsibility of states for internationally wrongful acts, with commentaries, 2001, Report on the Work of its 53rd Session, A/56/ 10, S. 31 ff.). Ebenso Howe, Can the 1954 Hague Convention apply to non-state actors? A study of Iraq and Libya, Texas International Law Journal 47 (2012), S. 421. 208 Z. B. Kleffner, The applicability of international humanitarian law to organized armed groups, International Review of the Red Cross 93 (2011), S. 445; Murray, How International Humanitarian Law Treaties Bind Non-State Armed Groups, Journal of Conflict & Security Law 20 (2015), S. 122; Wilson, International Law and the Use of Force by National Liberation Movements, S. 51; Junod, in: Sandoz/Swinarski/Zimmermann (Hrsg.), Commentary on the Additional Protocols of 8 June 1977 to the Geneva Conventions of 12 August 1949, Rn. 4444. 209 Peters, Jenseits der Menschenrechte, S. 208 spricht von dem „Prinzip der legislativen Zuständigkeit“. 210 So schon die Argumentation zur Zeit der Schaffung der Genfer Abkommen 1949. Statt vieler: Kleffner, The applicability of international humanitarian law to organized armed groups, International Review of the Red Cross 93 (2011), S. 445. 211 Diese Argumentation wurde schon bei Entstehung des Art. 3 GA von Staatsvertretern vorgebracht. Siehe Junod in: Sandoz/Swinarski/Zimmermann (Hrsg.), Commentary on the Additional Protocols of 8 June 1977 to the Geneva Conventions of 12 August 1949, Rn. 4444; ebenfalls mit Textpassagen der diplomatischen Konferenz in Genf von 1949: Murray, How International Humanitarian Law Treaties Bind Non-State Armed Groups, Journal of Conflict & Security Law 20 (2015), S. 123; ebenfalls: Marauhn/Ntoubandi, Armed Conflict, Non-International, in: Wolfrum (Hrsg.), The Max Planck Encyclopedia of Public International Law, opil.ouplaw.com/home/EPIL, Rn. 39.
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1. Teil: Umwelt – Konflikt – Recht
len und Handeln des Staates gebunden, wenn auch die Verfasser des Vertrags diese Bindung intendiert hatten.212 Dies ist bei Art. 3 GA unproblematisch anzunehmen, schließlich verweist schon der Wortlaut auf alle Parteien des Konflikts. Für das ZP II, das nach Art. 1 (1) ZP II als Ergänzung des Art. 3 GA fungiert, wäre eine entsprechende Bindungsintention ebenso zu bejahen.213 Aber auch diese Argumentation leidet an Schwächen. Für Staaten, in denen das Verhältnis zwischen nationalem Recht und Völkerrecht durch Dualismus, beziehungsweise nicht durch strengen Monismus, bestimmt ist, ist die Argumentation nicht einfach zu halten. In solchen Staaten ergibt sich die Bindung aller Individuen erst durch ein Transformationsgesetz und nicht durch den völkerrechtlichen Vertrag selbst.214 Neben diesem Einwand systematischer Art stellt sich vor allem die Frage des Vertretungsvermögens: Die Annahme, dass bewaffnete Gruppen aufgrund Repräsentation durch ihren Territorialstaat automatisch an Verträge gebunden sind, obwohl ihre Existenz oftmals durch die Anzweifelung der Repräsentationsautorität des Territorialstaats begründet ist, ist nicht ohne Makel.215 Zudem ergibt sich auch bei dieser Begründungslinie das Problem wachsender Transnationalität der Konfliktakteure. International agierende Organisationen wie Al-Qaida oder zuletzt der sogenannte IS lassen sich nicht länger einem einzigen Heimatstaat zuordnen. In Folge wären sie mangels Repräsentation durch einen Territorialstaat nicht an Vertragsrecht gebunden. Ihre Transnationalität gäbe ihnen schwer erträgliche rechtliche Vorteile. Dieses Argument kann allerdings nicht gegen die Bindungstheorie als solche sprechen. Nur weil die Theorie nicht 212 Murray, How International Humanitarian Law Treaties Bind Non-State Armed Groups, Journal of Conflict & Security Law 20 (2015), S. 124. 213 Cassese leitete diese Absicht aus dem Wortlaut des Art. 1 (1) ZP II ab, laut dem das Protokoll lediglich eine Ergänzung des Art. 3 darstellen soll (vgl. Art. 1 (1) ZP II: „This Protocol, which develops and supplements Article 3 [. . .]“). Ebenso könne aus den Voraussetzungen der Anwendbarkeit des Zusatzprotokolls auf eine entsprechende Intention geschlossen werden, schließlich ist das ZP II nach dessen Art. 1 erst anwendbar, wenn eine nichtstaatliche Gruppe eine gewisse Organisation sowie eine verantwortliche Kommandostruktur besitzt. Die Anwendung des ZP II an diese Voraussetzungen zu knüpfen, wäre laut Cassese absurd, wenn die bewaffneten Gruppen nicht auch Pflichten und Rechte durch das Protokoll erlangten (Cassese, The Status of Rebels under the 1977 Geneva Protocol on Non-International Armed Conflicts, International and Comparative Law Quarterly 30 (1981), S. 424). 214 Siehe Klabbers, (I Can’t Get No) Recognition: Subjects Doctrine and the Emergence of Non-State Actors, in: Koskenniemi/Petman/Klabbers (Hrsg.), Nordic cosmopolitanism, S. 358. Für Gegenargumente: Kleffner, The applicability of international humanitarian law to organized armed groups, International Review of the Red Cross 93 (2011), S. 447. 215 Klabbers, (I Can’t Get No) Recognition: Subjects Doctrine and the Emergence of Non-State Actors, in: Koskenniemi/Petman/Klabbers (Hrsg.), Nordic cosmopolitanism, S. 359. Ebenso Peters, Jenseits der Menschenrechte, S. 209. Befürwortend aber Sivakumaran, Binding Armed Opposition Groups, International and Comparative Law Quarterly 55 (2006), S. 394.
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in der Lage ist, für alle Fälle ein befriedigendes Ergebnis zu erzielen, ist sie in ihrem Grundsatz nicht weniger valide. Vielmehr liegt der Wert ihrer Schwachstelle auch in der aufgezeigten Notwendigkeit, die Frage der Rechtsbindung aller Arten nichtstaatlicher Akteure unter Einbezug transnationaler Konflikte weiterhin auf internationaler Ebene zu thematisieren. Selbst wenn das Problem transnationaler Konflikte gelöst werden könnte, bliebe aber die Frage der Repräsentationsbefugnis des bekämpften Territorialstaats216 ebenso wie das Problem der Vermischung innerstaatlichen und internationalen Rechts217 bestehen. Der Grundgedanke eines auch auf Humanität beruhenden Rechts macht es jedoch schwer erträglich, Konfliktakteure aus dogmatischen Gründen gänzlich unreglementiert handeln zu lassen. Ohne erga omnes-Wirkung wenigstens der humanitärrechtlichen Mindeststandards bestünde ein Schutzdefizit, das auch aufgrund der Schwäche der innerstaatlichen Regulierung während bewaffneter Konflikte kaum hingenommen werden kann.218 Peters rechtfertigt die Bindung aller Konfliktparteien nichtinternationaler bewaffneter Konflikte daher unmittelbar mit der Bedeutung der durch Art. 3 GA geschützten Rechtsgüter.219 Die Begründung vertraglicher Verpflichtung mit ihrer puren Notwendigkeit befriedigt argumentativ sicherlich nicht. Dies gilt jedoch für jede der genannten Verpflichtungsbegründungen. Letztlich besteht eine unüberwindbare praktische Notwendigkeit, alle Konfliktakteure an das speziell für die von ihnen geführten Auseinandersetzungen geschaffene Recht zu binden. Die Verpflichtung unmittelbar mit ihrer Notwendigkeit zu begründen, trifft daher den Kern der Bindungsproblematik wie keine andere Argumentation. Wie weit eine durch Notwendigkeit begründete Verpflichtung reichen kann, ist allerdings unklar. Die Bindung nichtstaatlicher Akteure allein an die in Art. 3 GA niedergelegten Grundentscheidungen humanitären Völkerrechts mag zwar für schwach organisierte Gruppen ohne Gebietskontrolle Sinn ergeben, sind sie doch womöglich nicht in der Lage, strengere Verpflichtungen einzuhalten. Wenig befriedigend ist das Ergebnis dagegen mit Blick auf bewaffnete Gruppen, die die Anforderungen des Art. 1 (1) ZP II erfüllen und deren Organisationsgrad und Territorialgewalt das Protokoll überhaupt erst zur Anwendung bringen. Spezielle Verträge, die beispielsweise den Einsatz von Landminen explizit auch in nichtinternationalen Konflikten untersagen, es jedoch unterlassen, die Bindung aller Konfliktakteure explizit anzusprechen, verlören einen Großteil ihrer praktischen Relevanz. 216 Waschefort, The pseudo legal personality of non-state armed groups in international law, South African Journal of International Law 36 (2011), S. 232 f. bezweifelt zudem die Möglichkeit eines Staates, durch die Unterwerfung unter ein Abkommen auch erst zukünftig entstehende Gruppen auf seinem Gebiet an die durch das Abkommen vermittelten Verpflichtungen zu binden. 217 Im Detail: Peters, Jenseits der Menschenrechte, S. 67. 218 So überzeugend Peters, a. a. O., S. 67. 219 Peters, a. a. O., S. 209.
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1. Teil: Umwelt – Konflikt – Recht
Letztlich fehlen stringente und in jeder Konstellation überzeugende Argumente der im Ergebnis zwingend anzunehmenden Bindungswirkung. Da sich die Verpflichtungsbegründungen in ihrer Reichweite unterscheiden, ist bis heute tatsächlich nicht klar, an welche Verträge nichtstaatliche Konfliktparteien gebunden sind. Es ist ein überraschender und kaum erträglicher Zustand. II. Gewohnheitsrecht Von ähnlichem Begründungsaufwand ist auch die im Ergebnis einheitlich bejahte220 Bindung nichtstaatlicher Akteure an humanitäres Gewohnheitsrecht.221 Zwar erklärte der IGH bereits 1969, dass gewohnheitsrechtliche Normen schon 220 Auch der UN-Sicherheitsrat nahm die Verpflichtung durch humanitäres Völkerrecht an. Siehe UNSC, Resolution 1882 vom 4. August 2009, S/RES/1882 (2009). Der Sondergerichtshof für Sierra Leone führte in zwei Fällen aus, dass eine rechtliche Bindung nicht nur an völkerrechtliche Verträge, sondern auch an Gewohnheitsrecht bestehe: SCSL, Prosecutor v. Morris Kallon and Brima Bazzy Kamara, Berufungskammer, Decision on Challenge to Jurisdiction: Lomé Accord Amnesty vom 13. März 2004, Case No. SCSL-2004-15-AR72(E), Case No. SCSL-2004-16-AR72(E) Rn. 47 sowie SCSL, Prosecutor v. Sam Hinga Norman, Decision on Preliminary Motion Based on Lack of Jurisdiction, 31. Mai 2004, Case No. SCSL-2004-14-Ar72(E), Rn. 771. Dies sei Ausdruck des „common standard of behaviour within the international community“ (a. a. O., Rn. 771) und müsse damit auch von bewaffneten Gruppen beachtet werden. Bejahend auch Heffes, The Responsibility of armed opposition groups for Violations of International Humanitarian Law: Challenging the State-Centric System of International Law, Journal of International Humanitarian Legal Studies 4 (2014), S. 82; Ryngaert, Non-state actors in international law, in: d’Aspremont/Reisman/Noortmann (Hrsg.), Participants in the international legal system, S. 285. 221 Nicht überzeugend ist die teils vertretene Ansicht, bewaffnete Gruppen seien an ein durch Handlungspraxis und Rechtsüberzeugung nichtstaatlicher Konfliktakteure erzeugtes Gewohnheitsrecht gebunden. Ein derartiges Gewohnheitsrecht existiert nicht. Vgl. allerdings Sassòli, Taking Armed Groups Seriously: Ways to Improve their Compliance with International Humanitarian Law, Journal of International Humanitarian Legal Studies 1 (2010), S. 21. Zu Gewohnheitsrecht unterschiedlicher Akteure allgemein: Villiger, Commentary on the 1969 Vienna Convention on the Law of Treaties, Commentary on Article 3, S. 104, Rn. 6; Wilson, International Law and the Use of Force by National Liberation Movements, S. 50. Siehe die Verweise bei Murray, How International Humanitarian Law Treaties Bind Non-State Armed Groups, Journal of Conflict & Security Law 20 (2015), S. 106 und Sivakumaran, Binding Armed Opposition Groups, International and Comparative Law Quarterly 55 (2006), S. 373. Die in den Kreis der Völkerrechtssubjekte erwachsenden Gruppen und Organisationen sind, soweit aufgrund ihrer Natur möglich, an den gleichen Satz geltenden Gewohnheitsrechts gebunden. Unterschiede ergeben sich dann, wenn Völkerrechtssubjekte aufgrund ihrer Zusammensetzung oder Handlungsweise nicht durch identische Regeln verpflichtet werden können. So sah z. B. die ILC in ihrer Arbeit zur Verantwortlichkeit von Staaten beziehungsweise von internationalen Organisationen die Notwendigkeit, letztere gesondert zu betrachten. Dies war durchaus sinnvoll, da unterschiedlich agierende Institutionen teilweise gar nicht nach identischen Regeln operieren können. Siehe ILC, Draft Articles on responsibility of states for internationally wrongful acts, with commentaries, 2001, Report on the Work of its 53rd Session, A/56/10, S. 31 ff.; ILC, Draft Articles on the responsibility of international organizations, with commentaries 2011, Report on the Work of its 63rd Session, A/66/10, Chapter V, E.
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aufgrund ihrer Natur für alle Mitglieder der internationalen Gemeinschaft in gleicher Weise bindend sein müssen,222 doch wer zu dieser Gemeinschaft zu zählen ist, blieb ungeklärt.223 Heute wird die Bindungswirkung des Völkerrechts ganz überwiegend an die Völkerrechtssubjektivität des jeweiligen Akteurs geknüpft.224 Die Anwendbarkeit von Völkergewohnheitsrecht auf Völkerrechtssubjekte ist unstreitig.225 Die Verpflichtung nichtstaatlicher Konfliktparteien durch humanitäres Gewohnheitsrecht ist also allein von ihrem Status als Subjekt des Völkerrechts abhängig. Die begrenzte Völkerrechtssubjektivität bestimmter nichtstaatlicher Gruppen als Parteien bewaffneter Konflikte wird heute weitestgehend als Notwendigkeit angenommen.226 Die Darfur-Kommission der Vereinten Nationen bestätigte sie 222 IGH, North Sea Continental Shelf Cases (Federal Republic of Germany v. Denmark; Federal Republic of Germany v. Netherlands), Urteil vom 20. Februar 1969, I.C.J. Reports 1969, S. 3 ff., Rn. 67. Siehe Murray, How International Humanitarian Law Treaties Bind Non-State Armed Groups, Journal of Conflict & Security Law 20 (2015), S. 106. 223 Ausführlich zum Begriff der internationalen Gemeinschaft im Wandel der Zeit: Paulus, International Community, in: Wolfrum (Hrsg.), The Max Planck Encyclopedia of Public International Law, opil.ouplaw.com/home/EPIL. 224 Voraussetzung der Subjektivität ist das Bestehen als Rechtspersönlichkeiten des Völkerrechts. Anderenfalls ist es Individuen oder Einheiten nicht möglich, in einer von Recht geregelten Situation zu agieren. Klabbers beschreibt übereinstimmend mit Kelsen (Kelsen, General theory of law and state, S. 94 f.; zitiert bei Klabbers, The Concept of Legal Personality, Ius Gentium 11 (2005), S. 45 f.) das Bestehen von Rechtspersönlichkeit als ein Bündel von Rechten, Verpflichtungen und Kompetenzen (Klabbers, a. a. O., S. 46 f.). Zumindest partielle Völkerrechtssubjekte sind alle diejenigen Individuen oder Einheiten, die in der Lage sind, internationale Rechte und Pflichten zu tragen (Walter, Subjects of International Law, in: Wolfrum (Hrsg.), The Max Planck Encyclopedia of Public International Law, opil.ouplaw.com/home/EPIL, Rn. 1; Aust, Handbook of international law, S. 12; Döhring, Völkerrecht, S. 14), diese Rechte vor internationalen Institutionen beziehungsweise Tribunalen einzufordern sowie für Verletzungen der Pflichten verantwortlich zu sein (Crawford/Brownlie, Brownlie’s principles of public international law, S. 115). Das Völkerrecht spricht diese Akteure direkt an, Rechte und Pflichten werden nicht erst durch innerstaatliches Recht vermittelt (Higgins, Problems and process: international law and how we use it, S. 49 f. sieht die Unterscheidung zwischen Subjekten und Objekten des Völkerrechts als überholt an und spricht vielmehr von Teilnehmern („participants“). Sowohl Individuen als auch Staaten und Organisationen seien solche Teilnehmer; das Festhalten an der Subjekt-Objekt Dichotomie hätte keinen funktionellen Sinn (S. 49)). Dass neben Staaten auch andere Akteure zumindest in begrenzter Weise diese Rolle einnehmen können, ist weitgehend geklärt. Fraglich ist, unter welchen Umständen dies für bewaffnete Gruppen in nichtinternationalen Konflikten gelten kann. 225 Murray, How International Humanitarian Law Treaties Bind Non-State Armed Groups, Journal of Conflict & Security Law 20 (2015), S. 107; Sivakumaran, Binding Armed Opposition Groups, International and Comparative Law Quarterly 55 (2006), S. 373 m.w. N. 226 Beispielsweise Kleffner, The applicability of international humanitarian law to organized armed groups, International Review of the Red Cross 93 (2011), S. 444 m.w. N. Ablehnend: Dinstein, Non-International Armed Conflicts in International Law,
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1. Teil: Umwelt – Konflikt – Recht
wenigstens für nichtstaatliche Konfliktparteien, die über einen gewissen Organisationsgrad sowie über Kontrolle über ein Territorium verfügen, ausdrücklich.227 Das Begründungsproblem völkerrechtlicher Bindung verlagert sich durch diese Feststellung allerdings nur auf die Frage der Herleitung der Subjektivität. Traditionell bestanden völkerrechtliche Rechte und Pflichten für Rebellen und bewaffnete Gruppen erst dann, wenn sie durch die Regierung des Konfliktstaates als Aufstand anerkannt wurden.228 Die Wirkung der Anerkennung war allerdings auf interne Beziehungen beschränkt.229 Aufstände, die von der Staatsregierung nicht nur als solche, sondern als kriegsführende Partei anerkannt wurden, erlangten Rechte und Pflichten des ius in bello gleich einem souveränen Staat.230 Heute ist das Konzept der Anerkennung als Statusvoraussetzung nicht länger von Bedeutung. In einem Völkerrechtssystem, das sich nicht länger allein mit den Beziehungen von Staaten, sondern auch mit dem unveräußerlichen Schutz des Einzelnen befasst, kann die rechtliche Verpflichtung von Konfliktparteien nicht mehr von einer eventuell politisch motivierten Anerkennung abhängen. Die Herleitung der Verpflichtung durch Gewohnheitsrecht ist allerdings nicht unproblematisch: Als Voraussetzung der Bindung an Gewohnheitsrecht müssen bewaffnete Gruppen Akteure des Völkerrechts sein. Dies sind sie, insofern sie RechtspersönlichS. 65, der zwar die Rechtspersönlichkeit solcher Gruppen ablehnt, im Ergebnis aber dennoch eine rechtliche Verpflichtung durch die Normen des humanitären Völkerrechts annimmt. Diese ergäbe sich jedoch nicht aus einer (beschränkten) Rechtspersönlichkeit der Gruppe, sondern durch die Verpflichtung jedes einzelnen Individuums (S. 66). Damit verlagert Dinstein das Problem der Verpflichtungsbegründung jedoch nur. Zudem wird nicht ersichtlich, warum eine hierarchisch strukturierte Gruppierung rechtlich nicht als Gesamtkonstrukt eingeordnet werden sollte. 227 International Commission of Inquiry on Darfur, Report to the United Nations Secretary-General vom 25. Januar 2005, pursuant to Security Council Resolution 1564 vom 18. September 2004, abrufbar unter: https://www.un.org/ruleoflaw/files/com_inq_ darfur.pdf [abgerufen am 26.10.2020], Rn. 172. 228 Clapham, Human Rights Obligations of Non-State Actors, S. 271. Welche Kriterien der Anerkennung eines Aufstands vorausgesetzt sind, ist jedoch nicht gänzlich eindeutig. Vgl. Wilson, International Law and the Use of Force by National Liberation Movements, S. 24. Siehe auch Cullen, The concept of non-international armed conflict in international humanitarian law, S. 12 der argumentiert, die Notwendigkeit der Anerkennung bestehe dann, wenn der Heimatstaat oder ein Drittstaat aufgrund des Ausmaßes der Konfliktführung mit den Rebellen eine durch Normen geregelte Beziehung halten müsse. Teilweise wird vertreten, dass eine gewisse Gebietskontrolle durch die Aufständischen ebenso Voraussetzung völkerrechtlicher Verpflichtung gewesen war (so Cassese, International Law, S. 125). Andere Stimmen sehen die Gebietskontrolle lediglich als Ausdruck der Intensität des Konflikts, durch die eine Anerkennung faktisch nötig wurde (so Cullen, a. a. O., S. 271; Wilson, a. a. O., S. 24). 229 Lauterpacht gab zu bedenken, dass die Anerkennung eines Aufstands eine faktische Beziehung herstelle „in the meaning that legal rights and duties as between insurgents and outside States exist only in so far as they are expressly conceded and agreed upon for reasons of convenience, of humanity, or of economic interest“. (Lauterpacht, Recognition in international law, S. 277). 230 Clapham, Human Rights Obligations of Non-State Actors, S. 271.
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keit im Völkerrecht besitzen, welche das Bestehen von Rechten und Pflichten nach Völkerrecht voraussetzt. Nun können sich diese aus der Anwendung von Art. 3 GA, der ausdrücklich allen Parteien des Konflikts Pflichten auferlegt, ergeben. Dies würde aber die Bindung an den Vertrag voraussetzen, die, wie zuvor beschrieben, zwar überwiegend angenommen wird, aber nicht ohne Hürden hergeleitet werden kann.231 Die Verpflichtungsbegründung führt also notwendig zu einem Zirkelschluss: Als Träger von Rechten und Pflichten nach humanitärem Völkerrecht kommt bewaffneten Gruppen Rechtspersönlichkeit zu. Die Trägerschaft selbst ist aber erst durch das Bestehen von Rechtspersönlichkeit möglich.232 Trotz aller argumentativen Bedenken spricht – wie im Fall vertraglicher Bindung233 – letztlich die schiere Notwendigkeit der rechtlichen Verpflichtung für dieses Ergebnis.234 Auf eine konstitutive Anerkennung durch den Staat darf es aus Gründen der Rechtssicherheit nicht ankommen.235 Die Qualität des dogmatischen Konstrukts der Völkerrechtssubjektivität muss hinter der praktischen Notwenigkeit zurücktreten. So äußerte sich bereits Lauterpacht: „[T]he range of subjects of international law is not rigidly and immutably circumscribed by any definition of the nature of international law but is capable of modification and development in accordance with the will of states and the requirements of international intercourse.“ 236
Nicht das Funktionieren internationaler Beziehungen, sondern die Effektivität eines für den Schutz unzähliger Menschen grundlegenden Rechtssystems verlangt die Anerkennung bewaffneter Gruppen als wenigstens partielle Adressaten des Rechts. Ihre Bindung an Gewohnheitsrecht ist Resultat ihrer Machtstellung im Konflikt. Anderenfalls droht dem Regelungssystem humanitären Völkerrechts die endgültige Bedeutungslosigkeit im Konflikt. Peters’ Argumentation von der Notwendigkeit einer Verpflichtung durch Vertragsrecht aufgrund der Zentralität der durch Art. 3 GA geschützten Rechtspositionen237 lässt sich ohne weiteres auf das humanitärrechtliche Gewohnheitsrecht übertragen. Sie hat an dieser Stelle 231
Siehe oben, § 3, C., I. So auch Kleffner, The applicability of international humanitarian law to organized armed groups, International Review of the Red Cross 93 (2011), S. 456. 233 Siehe oben, § 3, C., I. 234 Waschefort, The pseudo legal personality of non-state armed groups in international law, South African Journal of International Law 36 (2011), S. 233 verweist auf die Notwendigkeit der Bindung aller Konfliktparteien als Voraussetzung der Gleichberechtigung der Konfliktparteien, die wiederum für die Befolgung des Rechts grundlegend sei. 235 Siehe erneut Dinstein, Non-International Armed Conflicts in International Law, S. 72 der allerdings ebenfalls nicht in der Lage ist, die Bindung an Gewohnheitsrecht überzeugend zu begründen. 236 Lauterpacht, International Law – The General Part, in: Lauterpacht (Hrsg.), International law: Being the collected papers of Hersch Lauterpacht, Band I, The General Works, S. 137. 237 Peters, Jenseits der Menschenrechte, S. 209. 232
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1. Teil: Umwelt – Konflikt – Recht
sogar noch mehr Kraft: Die Annahme partieller Völkerrechtssubjektivität bewaffneter Gruppen aufgrund der Notwendigkeit ihrer Bindung an Gewohnheitsrecht und aufgrund ihrer faktischen Stellung als Konfliktparteien überzeugt argumentativ in stärkerem Maß als die Verpflichtung durch Verträge, die bewaffnete Gruppen nicht ausdrücklich nennen und die ganz allgemein nur für Vertragsmitglieder Wirkung entfalten. Dies liegt auch daran, dass die Entstehung von Gewohnheitsrecht selbst nicht derart stringenten Regeln folgt, wie die Ratifikation eines Vertrags, denn es wäre sogar denkbar, die Verpflichtung nichtstaatlicher Gruppen durch Gewohnheitsrecht selbst als Regel des Gewohnheitsrechts anzusehen. Hinreichende Rechtsüberzeugung der Staaten und entsprechende Handlungspraxis würden die Bindungswirkung automatisch herleiten. Angesichts der allgemeinen Akzeptanz der Verpflichtung nichtstaatlicher Konfliktparteien durch Gewohnheitsrecht, ließe sich das Bestehen einer derartigen Gewohnheitsrechtsnorm wohl bejahen.
D. Fazit Das humanitäre Völkerrecht nichtinternationaler bewaffneter Konflikte hat sich in den letzten Jahrzehnten in beachtlichem Umfang weiterentwickelt. Obwohl Art. 3 GA als Kern des Regimes nicht an Bedeutung verloren hat, besteht nun eine Vielzahl weiterer Schutznormen und Handlungsschranken; dennoch steht die Wirkung vorhandener Regelungen hinter der des Rechts internationaler bewaffneter Konflikte zurück. Nicht alle einschlägigen Konventionen sind auch auf nichtinternationale Konflikte anwendbar. Auch einschlägiges Gewohnheitsrecht ist in seinem Umfang begrenzter. Und obwohl im Ergebnis zwingend von der Bindung aller Konfliktakteure an humanitäres Völkerrecht ausgegangen werden muss, sind die Defizite der Verpflichtungsbegründung vor allem hinsichtlich der Bindung an Vertragsrecht enorm. Jede Variante lässt sich argumentativ entkräften. Eine Entscheidung für und wider eine bestimmte Argumentationslinie fällt daher schwer. Überdies führt jede Strategie zu gesonderten Regelungslücken. Die Theorie vertraglicher Verpflichtung durch Legislativbefugnis des Territorialstaats begründet zwar die Verpflichtung zur Einhaltung auch spezieller Verträge des humanitären Völkerrechts, sie lässt das Handeln transnationaler Konfliktparteien jedoch gänzlich unreglementiert. Die Theorie vertraglicher Verpflichtung aufgrund purer Verpflichtungsnotwendigkeit erfasst zwar auch transnationale Konflikte, begründet aber allein die Bindung an grundlegende Normen humanitären Völkerrechts. Ob also ausschließlich die in Art. 3 GA erfassten Garantien oder auch die Vorschriften des ZP II nichtstaatliche Akteure verpflichten, ist überraschend ungeklärt. Spezielle Verträge zum Verbot des Einsatzes spezifischer Mittel und Methoden der Kriegsführung bleiben nach dieser Argumentation in jedem Fall unanwend-
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bar. Insbesondere die Verpflichtung nichtstaatlicher Parteien transnationaler Konflikte durch Normen humanitärrechtlicher Verträge, die selbst kein Abbild geltenden Gewohnheitsrechts sind, lässt sich bislang durch keine der vorgebrachten Argumentationslinien herleiten. Einig sind sich die unterschiedlichen Ansätze allein in einem Teilergebnis: Bewaffnete Gruppen als organisierte Parteien nichtinternationaler Konflikte sind als Minimum an diejenigen Normen humanitären Völkerrechts gebunden, denen gewohnheitsrechtliche Geltung in nichtinternationalen bewaffneten Konflikten zukommt. Dass auch die Begründung dieser Verpflichtung teilweise auf einem Zirkelschluss beruht, ändert nichts an der Notwendigkeit des Ergebnisses. Sollten umweltschützende Vorschriften humanitären Völkerrechts im Folgenden identifiziert werden können, hat also auch ihr Status als Vertrags- oder Gewohnheitsrecht sowie das Ausmaß ihrer Bedeutung im Kriegsrecht Einfluss auf ihre Anwendungs- und Regelungsreichweite in Konflikten, die notwendig mit nichtstaatlicher Beteiligung geführt werden.
2. Teil
Das geltende Recht und seine Wirkung zum Erhalt der Umwelt § 1 Humanitärer Umweltschutz „But man is a part of nature, and his war against nature is inevitably a war against himself.“ 1
Humanitäres Völkerrecht ist, wie es schon seine Bezeichnung vermuten lässt, ein primär auf dem Gedanken der Menschlichkeit2 beruhendes Schutzrecht. Die Bewahrung des Menschen vor den Auswirkungen bewaffneter Konflikte steht im zentralen Fokus der Schutzbegründung. Dass dieses Recht auch der Umwelt Schutz vor Schädigungen vermittelt, ist durch die Konzeption des ius in bello allerdings nicht ausgeschlossen. Umweltrecht ist nahezu immer ein rein anthropozentrisches3 Schutzrecht.4 Der Mensch steht im Fokus der Begründung fast jeder Umweltschutznorm. Seine Er1 So Rachel Carson in einer späten CBS Dokumentation. Zitiert nach: Quaratiello, Rachel Carson: A Biography, S. 113. 2 Ursprünglich diente das humanitäre Völkerrecht nicht nur der Eindämmung der Kriege und ihrer Humanisierung, sondern auch der Effektivität ihrer Führung. Durch reziproke Verhaltensmaßstäbe erwirkte das Kriegsrecht Sicherheit im Verhältnis der Staaten zueinander (Khan, Der Krieg: Ein menschenrechtlicher Ausnahmezustand? in: Reder et al. (Hrsg.), Zur Praxis der Menschenrechte, S. 72) und erleichterte dadurch möglicherweise sogar die Kriegsführung. Obwohl im Verlauf der Zeit der Gedanke der Humanität in der Abwägung zu militärischen Interessen immer mehr Gewicht erlangte, ist die Idee des proportionalen Ausgleichs zwischen dem Schutz der Konfliktopfer und der militärischen Notwendigkeit der Kriegsführung noch immer Kern humanitären Völkerrechts (Khan, a. a. O.). 3 Abgeleitet von griechisch: ánthropos – der Mensch. Anthropozentrisches Denken geht davon aus, dass der Mensch im Mittelpunkt jeder Existenz steht. Gemäß anthropozentrischen Überlegungen ist zu erhalten, was dem Menschen dient. Ein anthropozentrisches Umweltschutzrecht geht also nur soweit, wie der Schutz der Umwelt dem Menschen einen Vorteil bringt. Historisch kann ein Ursprung des Anthropozentrismus in den Überlegungen zum Wesen des Menschen in der philosophischen Anthropologie des Westens gefunden werden (kritisch: Illies, Philosophische Anthropologie im biologischen Zeitalter, S. 156 ff.; zudem: Münk, Welchen moralischen Status für Pflanzen? in: Vogt/Ostheimer/Uekötter (Hrsg.), Wo steht die Umweltethik?, S. 166). Grundlegend nicht nur für das Verständnis des Menschen selbst, sondern auch für dessen Verhältnis zur Welt, ist schon das platonische Menschenbild als Ausgangspunkt einer anthropozentrischen Anthropologie (Pleger, Handbuch der Anthropologie, S. 56 ff. Scheler, Die Stellung des Menschen im Kosmos, S. 38 f., 73 f.). Platons Philosophie zur Trennung
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haltung sowie die Förderung seiner Interessen sind nahezu immer Ziel der Umwelterhaltung, sei es durch Rechtsvorschriften oder durch ethische Überlegungen.5 Wenn wir davon sprechen, die Umwelt vor Schäden zu schützen, so geht es uns ganz überwiegend nicht um den Erhalt der Umwelt an sich, sondern um unsere eigenen Interessen als Individuum und Menschheit.6 Der Wert der Umwelt besteht also in ihrem Wert für den Menschen.7 Primär auf die Erhaltung der Umvon Geist und Körper ist grundlegendes Element jüdisch-christlicher Lehre. Als Krone der Schöpfung steht der Mensch nach alttestamentlicher Darstellung gottesebenbildlich als Herrscher über die Schöpfung (so z. B. in Genesis 1,28). Nicht gänzlich unähnlich ist das Verhältnis des Menschen zur Welt nach dem Koran, welcher den Menschen als Stellvertreter aber auch als Treuhänder Gottes beschreibt: „Und als dein Herr zu den Engeln sprach: „Ich werde auf der Erde einen Nachfolger einsetzen [. . .]“ (Koran 2, 30). Dieses Bild des Menschen war über Jahrhunderte prägend für das abendländische Weltverständnis. 4 Hulme, Armed conflict, Wanton ecological devastation and scorched earth policies: How the 1990–91 Gulf conflict revealed the inadequacies of the current laws to ensure effective protection and preservation of the natural environment, Journal of Armed Conflict 2 (1997), S. 45. 5 Siehe Teil 2, Fn. 3. Zudem Leib, Human rights and the environment, S. 26. 6 Callicot, Non-Anthropocentric Value Theory and Environmental Ethics, American Philosophical Quarterly 21 (1984), S. 300. 7 Für die Überlegung zur Werthaftigkeit der Umwelt ist bereits Immanuel Kants Moralphilosophie aufschlussreich. Gemäß seiner Grundlegung zur Metaphysik der Sitten ist der Selbstzweck mit der Fähigkeit der Freiheit, nur aus der Vernunft heraus zu handeln, verbunden (vgl. Kant, Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, IV, S. 446). Nur dem vernunftbegabten Wesen kommt (aufgrund eben dieser Fähigkeit zur Vernunft) ein Zweck an sich selbst zu. Sittlichkeit steht danach im Verhältnis zur Freiheit als Ausgangspunkt vernunftgeleiteten Handelns (kritisch: Held, Kant über Willensfreiheit und Moralität, in: Prauss/Baumgarten/Held (Hrsg.), Systematische Ethik mit Kant, S. 124). Selbstreflexion ist demnach notwendiger Ausgangspunkt für Handlungsfreiheit und damit Voraussetzung der Moral. Allein dem Menschen komme als vernunftbegabtem Wesen Moral zu, allein ihm gegenüber bestehe eine moralische Verpflichtung (vgl. erläuternd Breitenbach, Die Analogie von Vernunft und Natur, S. 198, die sich jedoch anschließend bemüht, den Kant zugeschriebenen Anthropozentrismus zu überwinden und in seiner Moralphilosophie eine Werthaftigkeit der Natur zu begründen. Erläuternd zudem Richter, Kants „Grundlegung zur Metaphysik der Sitten“, S. 86). Aus dem Wesen des Menschen als vernunftbegabtem Individuum erklärt Kant die dem Einzelnen obliegenden moralischen Handlungsgrundsätze. Da die Verpflichtungen moralischen Handelns des Einzelnen nur gegenüber der Person selbst sowie seinen Mitmenschen, den ebenfalls vernunftbegabten Individuen, bestehen, existieren gegenüber der natürlichen Umwelt, beziehungsweise gegenüber allem Nichtmenschlichen, nur indirekte Verpflichtungen. In seiner ,Metaphysik der Sitten‘ geht Kant direkt auf das Verhältnis des Menschen zu seiner nichtmenschlichen Umwelt ein. „In Ansehung des Schönen, obgleich Leblosen in der Natur“ sei eine grundlose Zerstörung dieser eine Verletzung der Pflicht des Menschen gegen sich selbst, führe sie doch zu einer Schwächung moralischer Voraussetzungen im Menschen – nämlich derer, auch ohne Nutzen zu lieben (Kant, Die Metaphysik der Sitten, Berliner Ausgabe nach Erstdruck 1797, § 17). Kant macht an dieser Stelle deutlich, dass Moral als Wesenshaltung und Pflicht gegenüber der Natur nicht existiert. Die sinnlose Zerstörung des nicht Nützlichen ist selbst nicht moralisch verwerflich, sondern droht zu einer Wesensänderung des Handelnden zu führen, welche diesem letztlich eine moralische Haltung gegenüber den Mitmenschen erschwert. Die
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2. Teil: Das geltende Recht und seine Wirkung zum Erhalt der Umwelt
welt um ihrer selbst willen gerichtete Denkansätze sind sowohl im Rechtsdiskurs als auch in der Ethik noch immer die Ausnahme.8
achtende Haltung gegenüber dem nicht Nützlichen (und demnach im Sinne eines reinen Anthropozentrismus Wertlosen) ist für Kant eine als positiv zu bewertende Grundhaltung. Ein zuwiderlaufendes Verhalten muss der Einzelne jedoch nur gegenüber seiner selbst rechtfertigen. Auch das Absehen von grausamer Behandlung der Tiere erklärt sich nach Kants Ethik als Reflexion einer von dem Individuum gegenüber seiner selbst zu fordernden Aufrechterhaltung der Moral gegenüber dem Mitmenschen (Kant, a. a. O., § 18. Eine, für die moderne Tierethik grundlegende, kritische Auseinandersetzung findet sich bei Wolf, Das Tier in der Moral, S. 35). Ein Tier zu quälen, führe nach Kant zur Verrohung des Menschen, welche auch das moralische Verhalten gegenüber anderen Menschen zu beschädigen in der Lage sei, indem es die Voraussetzungen der Moral im Menschen schädige. So heißt es weiter, das gerechte Verhalten gegenüber dem Tier „gehört indirect zur Pflicht des Menschen, nämlich in Ansehung dieser Thiere, direct aber betrachtet ist sie immer nur Pflicht des Menschen gegen sich selbst.“ (Kant, a. a. O., § 18). 8 Als Gegenkonzept zu anthropozentrischen Wertvorstellungen haben sich in den letzten Jahrzehnten verschiedene Denkansätze etabliert, die oft mit dem Begriff einer ökozentrischen Ethik beschrieben werden. Obwohl sie sich untereinander stark unterscheiden, haben sie alle als Gemeinsamkeit eine Anerkennung der Werthaftigkeit der Umwelt um ihrer selbst. Statt eines rein instrumentellen Umweltwerts komme der Umwelt eine immanente Werthaftigkeit zu. Diese rechtfertige es, die Umwelt um ihrer selbst willen zu schützen. Derartige Überlegungen haben zur Konsequenz, dass das Schutzobjekt einer Verhaltensnorm (sei sie rechtlicher oder bloß moralischer Natur) die Umwelt selbst wäre, und nicht, wie es Kants Moralethik vorsieht, Schutz nur in Ansehung der Umwelt letztlich allein für den Menschen existiert (vgl. Teil 2, Fn. 7). Der Gedanke einer nichtinstrumentellen und damit originär eigenen Werthaftigkeit nichtmenschlichen Seins ist allerdings eine vergleichsweise junge Entwicklung ethischer Überlegungen (siehe Ott, Ökologie und Ethik, S. 24 ff. für einen Überblick über die Entstehung naturzentrierter Ethik sowie Callicot, Non-Anthropocentric Value Theory and Environmental Ethics, American Philosophical Quarterly 21 (1984), S. 300 ff. für ein Beispiel einer nicht anthropozentrischen Wertetheorie). Das Aufkommen einer solchen Ethik steht in geschichtlichem Zusammenhang mit einer technologischen Entwicklung, die erst die Voraussetzungen für die Notwendigkeit einer neuen Ethik schaffte. Hans Jonas erklärte diese neue „Dimension der Verantwortung“ (Jonas, Das Prinzip Verantwortung, S. 26) mit einer neuen und zuvor ungeahnten Verletzlichkeit der Natur, welche erst durch eine neue Qualität möglichen menschlichen Handelns entstanden sei. In Anbetracht dieser sei es „zumindest nicht mehr sinnlos, zu fragen, ob der Zustand der außermenschlichen Natur [. . .] so etwas wie einen moralischen Anspruch an uns hat – nicht nur um unsretwillen, sondern auch um ihrer selbst willen und aus eigenem Recht“ (Jonas, a. a. O., S. 29). Ähnlich auch Spaemann, Technische Eingriffe in die Natur als Problem einer politischen Ethik, in: Birnbacher (Hrsg.), Ökologie und Ethik, S. 191: Der Zustand der natürlichen Umwelt mache es notwendig, unsere bisherige Moral zu hinterfragen. Als Begriff der Umweltethik erlangte die Idee eines ökozentristischen Denkens erst in den letzten 40 Jahren wirklich an Bedeutung. Zur Entwicklung umweltzentrierter Ethik insbesondere in Folge der Theorien Aldo Leopolds: Nash, Aldo Leopold’s Intellectual Heritage, in: Callicot (Hrsg.), Companion to A Sand County Almanac, S. 63 ff. Zudem: Eckersley, Environmentalism and Political Theory, S. 7 ff. Für einen Überblick über Strömungen einer umweltzentrierten Ethik: Curry, Ecological Ethics, S. 28 ff. Für eine praktische Anwendung der Thesen, siehe Kortenkamp/Moore, Ecocentrism and Anthropocentrism: Moral Reasoning about Ecological Commons Dilemmas, Journal of
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Diese Grundentscheidung schließt, unabhängig von der berechtigten Kritik an einer auf eine anthropozentrische Werthaftigkeit begrenzten Umweltschutzbegründung9, den Schutz der Umwelt durch humanitäres Völkerrecht allerdings nicht aus.10 Die absolute Abhängigkeit des Menschen von seiner natürlichen Umwelt macht es zu einer vernünftigen, ja notwendigen Forderung, diese zu schützen.11 Menschliches Überleben ist ohne das Vorhandensein einer ebenso überlebensfähigen, in ihren wichtigsten Funktionen also intakten Umwelt auf lange Sicht unmöglich. Ist die Existenz des Einzelnen sowie jeder Bevölkerung ohne eine lebendige Umwelt nicht möglich, ist es rational, diese zu schützen. Doch nicht nur menschliche Überlebensinteressen werden durch den Schutz der Umwelt ge-
Environmental Psychology 21 (2001), 1. Aus völkerrechtlicher Perspektive: Taylor, Ecological Approach to International Law. Die Begriffe anthropozentrischer oder ökozentrischer Schutzbegründung sind aber lediglich als Kategorisierungsversuche zu verstehen. Für beide Konzepte existiert eine Vielzahl konkreterer und abweichender Begrifflichkeiten. Vor allem für den Oberbegriff ökozentrischer Ethik wird aufgrund verschiedener Strömungen auch die Bezeichnung nicht anthropozentrische Ethik verwendet. Siehe z. B. Gillespie, International Environmental Law, Policy, and Ethics, S. 127 ff. Differenzierungsmerkmal aller umweltethischen Begründungen ist die Frage nach der Werthaftigkeit der Umwelt und ihrer Komponenten und die damit verbundene Unterscheidung zwischen instrumentellem, inhärentem oder immanentem Wert. Zu den Begriffen statt vieler: Bowman, The Nature, Development and Philosophical Foundations of the Biodiversity Concept in International Law, in: Bowman/Redgwell (Hrsg.), International Law and the Conservation of Biological Diversity, S. 15; Gillespie, International Environmental Law, Policy, and Ethics, S. 2. Implizit (inhaltlich argumentierend für die Kategorisierung der Umweltnutzung als Teil des Umweltschutzes) auch Reszat, Gemeinsame Naturgüter im Völkerrecht, S. 83 ff. 9 Dient Anthropozentrismus als Grundlage rechtlichen Schutzes nichtmenschlicher Existenz, so führt er zwingend zu einer Schutzbegrenzung auf menschliche Interessen. Jegliches Anderes ist in seiner Schutzwürdigkeit abhängig von dem Nutzen, den der Mensch aus ihm zu ziehen vermag. Als Konsequenz ergibt sich ein inhaltlich beschränktes Rechtsgefüge. Kritisch u. a. Gillespie, International Environmental Law, Policy, and Ethics, S. 5 und ab 127 ff.; Curry, Ecological Ethics, S. 267; Taylor, Die Ethik der Achtung gegenüber der Natur, in: Krebs (Hrsg.), Naturethik, S. 142. Andere Ansicht: Meyer, Der Wert der Natur, S. 164, die für die Anwendung ästhetischer Ethik plädiert. Krebs, Ethics of Nature, S. 137, die einen pathozentrischen Umgang (welcher an die Leidfähigkeit eines Wesens anknüpft und ihm aufgrund dieser Fähigkeit moralischen Wert zuordnet) mit der Umwelt befürwortet, Anthropozentrismus als Grundidee aber als überzeugend ansieht. Pathozentrismus ist insbesondere auf Jeremy Bentham zurückzuführen, der in seinem 1789 erschienen Werk Bentham, An Introduction to the Principles of Morals and Legislation fragte: „[. . .] the question is not, Can they reason? nor, Can they talk? but, Can they suffer?“ (Chapter XVII, Fußnote auf S. 235 f.; Herv. im Original). 10 Da Umweltschutz nicht notwendig mit einem altruistischen Konzept der Hinwendung zur Natur verbunden ist, sondern, wie dargestellt, auch unmittelbar dem eigenen, menschlichen Überleben – sei es nun als Individuum oder repräsentativ für die Gemeinschaft aller – dienen kann, hat seine Verankerung auch im humanitären Völkerrecht seine Berechtigung. 11 So beispielsweise schon Jonas, Das Prinzip Verantwortung, S. 27.
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2. Teil: Das geltende Recht und seine Wirkung zum Erhalt der Umwelt
fördert. Die Umwelt dient dem Menschen schließlich nicht nur als Lebensgrundlage; Bestandteile der Umwelt befriedigen auch menschliche Interessen der Kunst, Spiritualität und Religion. Umwelt ist Gegenstand ästhetischer Anschauung, Erholung und des Gefühls der Heimat.12 Nahezu jeder Aspekt der Umwelt kann also durch eine anthropozentrische Blickrichtung erfasst werden. Umweltschutz dient folglich nahezu immer dem Menschen. Dies gilt auch im Kontext bewaffneter Konflikte. Ein Verzicht auf bestimmte Mittel der Kriegsführung ist auch Ausdruck von Menschlichkeit im Sinne einer Hinwendung zum Nächsten. Eine auf den Menschen fokussierte Schutzbegründung und ein auf Humanität basierendes Schutzregime sind also nicht ungeeignet, ausreichenden Umweltschutz zu fordern. Vielmehr ist anthropozentrischer Umweltschutz notwendig vom Schutzzweck humanitären Völkerrechts umfasst.13 Das bedeutet nicht, dass Umweltschutz durch bestehendes humanitäres Völkerrecht auch verwirklicht wird. Eine Vielzahl von Widrigkeiten steht dem rechtlichen Schutz der Umwelt während bewaffneter Konflikte im Allgemeinen, und während nichtinternationaler bewaffneter Konflikte im Speziellen, entgegen. Nicht nur sind, wie bereits zuvor dargelegt, die während bewaffneter Konflikte
12 Zu den Funktionen der Umwelt für den Menschen, siehe auch unten, 2. Teil, § 2, B. sowie einführend Krebs, Ethics of Nature, S. 1 ff. 13 Teils anderer Ansicht: Hulme, A Darker Shade of Green: Is it Time to Ecocentrise the Laws of War? in: Quénivet/Shah-Davis (Hrsg.), International Law and Armed Conflict, S. 142 ff. Sie setzt sich mit der Forderung auseinander, humanitäres Völkerrecht müsse ökozentrisch begründet sein, solle es der Umwelt ausreichenden Schutz vermitteln. Überblickshaft zur parallelen Entwicklung heutiger Umweltethik und dem Schutz der Umwelt während bewaffneter Konflikte: Leebaw, Scorched Earth: Environmental War Crimes and International Justice, Perspectives on Politics 12 (2014), S. 770 ff. Siehe auch Bosselmann, Environmental and Human Rights in Ethical Context, in: Grear/Kotzé (Hrsg.), Research Handbook on Human Rights and the Environment, S. 539, der sich letztlich für eine ganzheitliche Betrachtungsweise entscheidet: Die Erhaltung der Umwelt dient dem Menschen als Bestandteil eben jener. Aus dieser Sichtweise besteht keine Notwendigkeit für einen explizit ökozentrischen Umweltschutz. Eine erstaunliche Neuerung stellt die Formulierung des Draft Principle 27 (vormals Draft Principle 16) der ILC zum Schutz der Umwelt im Verhältnis zu bewaffneten Konflikten dar. In Absatz 1 wird die Entfernung giftiger oder gefährlicher Kampfrückstände, die die Umwelt schädigen könnten, angeordnet. Ausdrücklich wird allein auf die Umwelt und nicht auf eine drohende Schädigung der Bevölkerung verwiesen (ILC, Protection of the Environment in Relation to Armed Conflicts, text and titles of the Draft Principles provisionally adopted by the Drafting Committee on first reading, 6. Juni 2019, 71st Session, A/CN.4/L.937). Damit würde bei Anerkennung des Prinzips die Umwelt nunmehr um ihrer selbst willen und nicht nur für den Menschen geschützt. Hulme bezeichnete den Passus daher als monumentalen Schritt für den Schutz der Umwelt im Konflikt (Hulme, The ILC’s work stream on protection of the environment in relation to armed conflict, Questions of International Law (2016), S. 38). Ob mit der Formulierung des Draft Principle 27 aber tatsächlich eine Abkehr von dem strengen Anthropozentrismus des humanitären Völkerrechts bezweckt ist, ist mehr als fraglich.
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anwendbaren Verhaltensregeln des Völkerrechts allgemein auf wenige Regeln beschränkt. Ihr Schutzniveau ist darüber hinaus fast immer geringer als das des in Friedenszeiten anwendbaren Rechts. Ihre Fortentwicklung ist zudem einem ständigen Kompromiss zwischen militärischen Interessen und humanitären Gesichtspunkten ausgesetzt. Der Schutz von Personen und Objekten in nichtinternationalen Konflikten ist zusätzlich weit weniger im Fokus der internationalen Gemeinschaft als die Normierung klassischer Kriege. Schlussendlich ist auch die Notwendigkeit nachhaltiger Umwelterhaltung weiterhin nicht im Bewusstsein aller maßgeblichen Akteure des Völkerrechts verankert. Ist es schon kaum möglich, ein effektives Umweltschutzregime für Friedenszeiten aufzustellen, kann die Schaffung eines solchen für Konfliktzeiten kaum erhofft werden. Trotz all dieser Herausforderungen entstand in den letzten Jahrzehnten ein bislang kaum systematisch gewürdigtes System humanitärrechtlicher Normen für nichtinternationale bewaffnete Konflikte, das in der Lage ist, auch der Umwelt direkt oder indirekt Schutz zu vermitteln. Seine Analyse ist Kern dieses Abschnitts. Ausgangspunkt ist das unmittelbar in nichtinternationalen Konflikten anwendbare Vertragsrecht (§ 2) sowie dessen direkte (§ 2, A.) beziehungsweise indirekte Wirkung für den Erhalt der Umwelt durch funktionsschützende (§ 2, B.) sowie handlungs- und mittelbeschränkende Vertragsnormen (§ 2, C.). In diesem Rahmen wird jeweils auch die gewohnheitsrechtliche Geltung der vertraglich niedergelegten Verbote und Gebote analysiert. Es folgt eine Befassung mit bestehendem Gewohnheitsrecht und dessen Regelungsvermögen zugunsten der Umwelt während nichtinternationaler Konflikte (§ 3). Ausgehend von dem Bestreben der rechtlichen Angleichung internationaler und nichtinternationaler Konflikte werden dessen Konsequenzen für den Schutz der Umwelt (§ 3, A.) nachgezeichnet. Es folgt eine Befassung mit den Grundprinzipien, deren veränderte Interpretation heute auch die Erhaltung der Umwelt zu fördern vermag (§ 3, B.). Sodann soll auf den Versuch der Formulierung genuinen Gewohnheitsrechts zum Schutz der Umwelt in allen Konflikten (§ 3, C.) sowie zuletzt auf die Wirkung der Martens’schen Klausel (§ 3, D.) eingegangen werden. Die Reichweite der entstandenen Normen zum Schutz der Umwelt im nichtinternationalen Konflikt sowie die verbleibenden Schutzlücken sind Kern der nachfolgenden Analyse.
§ 2 Umweltschützendes Vertragsrecht nichtinternationaler Konflikte A. Direkter Schutz der Umwelt – eine Lücke im Recht Der erste Blick auf die für nichtinternationale Konflikte anwendbaren Verträge ist ernüchternd. Auch wenn beispielsweise Theodor Meron schon vor fast zwei Jahrzehnten einen „emerging consensus“ der Staatengemeinschaft dahingehendend auszumachen glaubte, dass der Schutz der Umwelt in nichtinternationalen
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2. Teil: Das geltende Recht und seine Wirkung zum Erhalt der Umwelt
und internationalen Konflikten gleichlaufen solle,14 ist die vertragsrechtliche Situation noch immer eine andere: Anders als im Fall internationaler bewaffneter Konflikte vermittelt das humanitärrechtliche Vertragsrecht für nichtinternationale Konflikte der Umwelt als Ganzes keinen direkten Schutz. Weder in Art. 3 GA noch im ZP II findet sich der Begriff der Umwelt überhaupt. I. Regelungsdiskrepanz In Hinblick auf Art. 3 GA ist dies nicht verwunderlich, enthält er doch ausschließlich absolute Grundregeln der Kriegsführung zum direkten Schutz des Individuums vor unmenschlicher Konfliktführung.15 Dessen durch Konflikte gefährdeten Lebensraum nimmt Art. 3 noch nicht in den Blick. Zum Zeitpunkt seiner Entstehung war eine weitergehende Regelung politisch schlicht nicht erreichbar. Zudem wurde Art. 3 GA zu einer Zeit geschaffen, in der der Erhalt der Umwelt noch nicht als notwendiger Belang des (internationalen) Rechts erkannt worden war. Aber auch mit dem Aufkommen eines globalen Umweltbewusstseins in den späten 1960er und frühen 1970er Jahren und der Entstehung des Umweltvölkerrechts als neuen Regimes internationalen Rechts änderte sich für die Regelung nichtinternationaler Konflikte nichts. Während unter dem Eindruck der durch die Kriegsführung der USA in Vietnam verursachten Umweltbeeinträchtigungen zwar der Ruf nach Umweltschutz auch während bewaffneter Konflikte lauter wurde,16 erreichte er doch nur die Regelung konventioneller Kriege. Durch 14 Meron, Comment: Protection of the Environment During Non-international Armed Conflicts, in: Grunawalt/King/McClain (Hrsg.), Protection of the Environment during Armed Conflict and other Military Operations, S. 354. 15 Akande, Classification of Armed Conflicts: Relevant Legal Concepts, in: Wilmshurst (Hrsg.), International Law and the Classification of Conflicts, S. 33. Zur Bedeutung des gemeinsamen Art. 3 GA im Kontext damaliger Regelungen: Moir, The Law of Internal Armed Conflict, S. 1; Cullen, The concept of non-international armed conflict in international humanitarian law, S. 25; Moir, The Concept of Non-International Armed Conflict, in: Clapham/Gaeta/Sassòli (Hrsg.), The 1949 Geneva Conventions: A commentary, S. 391, Rn. 1. 16 Dank intensiver journalistischer Berichterstattung blieben der Welt die eingesetzten Mittel und Methoden der Kriegsführung in Vietnam nicht verborgen. Allein in der New York Times wurden in den Jahren 1964 bis 1988 mehr als 700 Artikel über die schädliche Wirkung von Dioxinen abgedruckt. Dies geschah unter dem Eindruck der zerstörerischen Wirkung des Einsatzes des Entlaubungsmittels Agent Orange und ähnlicher Herbizide, die herstellungsbedingt mit dem Dioxid TCDD verunreinigt waren und deren Einsatz im Vietnamkrieg zu verheerenden Schäden führen sollte. Zur Berichterstattung über Agent Orange: Friedman, The Never-Ending Story of Dioxin, in: Friedman/Dunwoody/Rogers (Hrsg.), Communicating uncertainty, S. 115 f. Zur Zusammensetzung der für den Vietnamkrieg getesteten und eingesetzten Entlaubungsmittel und Herbizide Agent Orange, Purple, Pink, Green, Blue und White: Young et al., Environmental fate and bioavailability of agent orange and its associated dioxin during the vietnam war, Environmental Science and Pollution Research 11 (2004), S. 359 ff. Für eine
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Art. 35 (3) und 55 des ersten Zusatzprotokolls zu den Genfer Abkommen von 1977 wurde der zulässigen Zerstörung der Umwelt in internationalen Konflikten zum ersten Mal eine ausdrückliche Schranke gesetzt. In das für nichtinternationale Konflikte maßgebliche Zusatzprotokoll II wurde dagegen keine entsprechende Vorschrift aufgenommen. Die genannten Art. 35 (3) und 55 ZP I, die erstmals untersagten, in internationalen Konflikten Mittel und Methoden der Konfliktführung zu nutzen, die dazu bestimmt sind oder von denen erwartet werden kann, dass sie ausgedehnte, langanhaltende und schwere Schäden der natürlichen Umwelt verursachen, fanden im ZP II keine Entsprechung. Diese Schutzdiskrepanz beruhte allerdings nicht auf einem fehlenden Bewusstsein der an der Entstehung der Protokolle beteiligten Staatenvertreter für die Notwendigkeit der Bewahrung der Umwelt auch in internen Konflikten. Ebenso wenig wurde sie allein durch einen grundsätzlichen Widerwillen, die staatliche Handlungsfreiheit in innerstaatlichen Sachverhalten weiter einzuschränken, bedingt. Tatsächlich hatte der Vertreter Australiens in der mit der Erarbeitung der Zusatzprotokolle befassten CDDH einen Ergänzungsvorschlag zur Regelung nichtinternationaler Konflikte vorgebracht, der auch der Umwelt Schutz vermitteln sollte. Art. 28 bis sollte untersagen, die natürliche Umwelt als Mittel der Kriegsführung zu plündern.17 Im Verlauf der CDDH wurde dieser Artikelentwurf an das Vorbild des späteren Art. 35 (3) ZP I angepasst.18 Auch im nichtinternaÜbersicht über das Ausmaß des Einsatzes von Herbiziden im Vietnamkrieg statt vieler: Stellman et al., The extent and patterns of usage of Agent Orange and other herbicides in Vietnam, Nature 422 (2003), S. 683 ff. Im Rahmen der Konfliktbeurteilung durch die internationale Gemeinschaft erreichte die Sorge um die Auswirkungen eingesetzter Chemikalien auf die natürliche Umwelt jedoch nicht das Zentrum der Aufmerksamkeit. Die Vorwürfe gegen den Einsatz umweltschädlicher Kampfmittel betrafen allein deren Auswirkungen auf Menschen. Im Detail: Spieker, Völkergewohnheitsrechtlicher Schutz der natürlichen Umwelt im internationalen bewaffneten Konflikt, S. 413 f. m.w. N. Siehe auch Stellman et al., The extent and patterns of usage of Agent Orange and other herbicides in Vietnam, Nature 422 (2003), S. 681 ff. sowie Westing, Environmental Aftermath of Warfare in Viet Nam, Natural Resource Journal 23 (1983), S. 365 ff. 17 Artikel 28 bis „Protection of the natural environment: It is forbidden to despoil the natural environment as a technique of warfare.“ CDDH/III/55, in: CDDH, Official Records of the Diplomatic Conference on the Reaffirmation and Development of International Humanitarian Law applicable in Armed Conflicts, Genf, 1974–1977, Band IV, S. 91. 18 Die spätere Fassung des Artikel 28 bis lautete sodann: „Protection of the natural environment: It is forbidden to employ methods or means of combat which are intended or may be expected to cause widespread, long-term. and severe damage to the natural environment.“ Siehe CDDH/2l5/Rev.l, in: CDDH, Official Records of the Diplomatic Conference on the Reaffirmation and Development of International Humanitarian Law Applicable in Armed Conflicts, Genf, 1974–1977, Band XV, S. 324. Interessant ist, dass, obwohl die Vorschrift in den Abschnitt der Begrenzung von Mitteln und Methoden der Konfliktführung und nicht in den Abschnitt zum Schutz von Zivilisten eingebunden werden sollte, einige der Delegierten im Dritten Komitee eine Verknüpfung der befürchteten Umweltzerstörung mit dem Überleben der Zivilbevölkerung für notwendig erachteten. Die genannten Kriterien der weitreichenden, langanhaltenden und schweren
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tionalen Konflikt sollten also solche Konflikthandlungen verboten sein, die ausgedehnte, langanhaltende und schwere Schäden der natürlichen Umwelt erwarten ließen. Und obwohl einige Staatenvertreter die Aufnahme einer Vorschrift zum Schutz der Umwelt in das Recht nichtinternationaler Konflikte insgesamt für unangemessen hielten, wurde Art. 28 bis zunächst mit der Mehrheit der Stimmen in dem befassten Dritten Komitee angenommen.19 Ein fehlender Handlungswille zum Schutz der Umwelt auch in internen Sachverhalten kann den Mitgliedern der CDDH also nicht unterstellt werden. Art. 28 bis ZP II fiel allein der Notwendigkeit einer ganz allgemeinen Konsensfindung zum Opfer. Nachdem die Verhandlungen um das Zusatzprotokoll II aufgrund starker Meinungsverschiedenheiten über Inhalt und Anwendungsbereich des Protokolls20 ins Stocken geraten waren, schien eine drastische Kürzung des Protokollentwurfs die einzige Möglichkeit, das ZP II für die Mehrheit der Staaten akzeptabel zu machen.21 Nur wenige Tage vor Beginn der Abstimmungen um die endgültige Fassung des Protokolls brachte Pakistan einen entsprechenden Vorschlag in die CDDH vor. Neben vielen anderen zuvor erarbeiteten Vorschriften war auch Art. 28 bis dort
Zerstörung wären also nur dann erreicht gewesen, wenn das Überleben der Bevölkerung gefährdet wäre. (CDDH/III/275, in: CDDH, a. a. O., S. 366) Umweltschutz nach dieser Vorschrift wäre damit streng anthropozentrisch und nur für den größtmöglichen Gefährdungsfall (Überleben der Bevölkerung) eingetreten. 19 Siehe CDDH/215/Rev.l, in: CDDH, a. a. O., S. 294, Rn. 144–146. 20 Realisten wie die kanadischen Delegierten wünschten ein einfaches Vertragswerk mit breiter Anwendbarkeit. Westeuropäische Staaten und Skandinavien befürworteten zwar den weiten Anwendungsbereich, forderten jedoch Normen, die ähnlich detailliert wie die des ZP I wären. Osteuropäische Staaten sowie einige Staaten der Dritten Welt befürworteten dagegen einen qualifizierten Anwendungsbereich des Protokolls, während wiederum andere auf möglichst einfach auszuführende Normen abzielten. Einige Staaten nahmen zwar an den Verhandlungen teil, standen dem Protokoll insgesamt aber negativ gegenüber und hofften auf eine einheitliche Anwendung des ZP I für beide Konfliktformen (so z. B. Norwegen). Siehe Junod, Additional Protocol II: History and Scope, American University Law Review 33 (1983), S. 33. 21 Am deutlichsten sprach sich der Delegierte des Vereinigten Königreichs gegen eine umweltschützende Norm im ZP II aus. Er fürchtete, dass die Aufnahme von Normen zur Beschränkung der Mittel und Methoden der Kriegsführung dem Schutz der Zivilbevölkerung in internen Konflikten eher schaden würde. Die Chancen der Beteiligung einer hohen Anzahl von Staaten an dem Zusatzprotokoll wären geringer, je strenger dessen Vorschriften gefasst würden. Rebellen wären von der Einhaltung aller Vorschriften womöglich abgeschreckt, wenn sie den Standard einiger Normen nicht einhalten könnten. Dies wiederum könnte staatlichen Parteien als Rechtfertigung für die Nichteinhaltung des Protokolls dienen. Daher sei es wichtiger, den Fokus auf den Schutz der Menschenrechte, statt auf eine Eingrenzung zulässiger militärischer Handlungen zu legen. Vgl. CDDH/III/SR.38, in: CDDH, Official Records of the Diplomatic Conference on the Reaffirmation and Development of International Humanitarian Law Applicable in Armed Conflicts, Geneva (1974–1977), Band XIV, S. 411 f. mit Verweis auf CDDH/III/275: „[T]he Protocol should be as short and cogent and direct as feasible in order that the parties might clearly see their obligations.“
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nicht länger enthalten.22 Wohl angesichts des sowieso nur begrenzten Anwendungsbereichs der Art. 35 (3) und 55 ZP I, deren hohe Anwendungsschwelle ihre praktische Bedeutung drastisch beschränkt23, wurde der Verlust von Art. 28 bis in der Wissenschaft als wenig bedauerlich eingestuft.24 Tatsächlich führte er aber dazu, dass das Hauptvertragswerk humanitären Völkerrechts für nichtinternationale bewaffnete Konflikte, das ZP II, bis heute keinen direkten Verweis auf die Umwelt enthält. Auch ihre Bestandteile wie Gewässer, Tiere, Pflanzen oder Ökosysteme werden nicht ausdrücklich erwähnt. Ein weiteres Handlungsfenster zur Schaffung eines zusätzlichen humanitärrechtlichen Vertrags für nichtinternationale Konflikte öffnete sich seitdem nicht mehr. Die Begriffe der Umwelt oder des Umweltschutzes sucht man im einschlägigen Vertragsrecht nichtinternationaler Konflikte bis heute vergeblich. So ist es wenig verwunderlich, dass auch das Römische Statut des Internationalen Strafgerichtshofs (IStGH-Statut)25 kein Verbrechen auflistet, das sich mit der Schädigung der Umwelt in diesen Konflikten befasst. Art. 8 (2) (b) (iv) IStGH-Statut ordnet nur für den Fall internationaler bewaffneter Konflikte eine auf gravierende Umweltschädigung gerichtete Handlung als unter die Gerichtsbarkeit des IStGH fallendes Kriegsverbrechen ein. II. Gefährdungsgleichlauf Die Praxis der Kriegsführung rechtfertigt die Diskrepanz rechtlicher Regelungen nicht, denn internationale und nichtinternationale bewaffnete Konflikte unterscheiden sich hinsichtlich ihrer schädlichen Wirkung auf die Umwelt kaum. Der Einsatz von Agent Orange im Vietnamkrieg, die durch irakische Truppen im zweiten Golfkrieg entzündeten Ölseen Kuwaits26, Luft- und Wasserkontaminationen als Folge der Zerstörung von Fabriken durch die NATO-Streitkräfte im ehe22 CDDH/427 in: CDDH, Official Records of the Diplomatic Conference on the Reaffirmation and Development of International Humanitarian Law applicable in Armed Conflicts, Genf, 1974–1977, Band IV, S. 91 (zu Art. 28 bis). Der Änderungsvorschlag (CDDH/427 and Corr. 1) wurde von Pakistan am 31. Mai 1977 – und damit nur wenige Tage bevor die Abstimmung über die endgültigen Normen des ZP II am 2. Juni 1977 begann (siehe CDDH/SR.49, in: CDDH, Official Records of the Diplomatic Conference on the Reaffirmation and Development of International Humanitarian Law applicable in Armed Conflicts, Genf, 1974–1977, Band VII, S. 49) – eingebracht. 23 Die Voraussetzungen werden im Rahmen der Frage nach einem auf diesen Normen ruhenden gewohnheitsrechtlichen Handlungsverbot genauer analysiert. Siehe § 3, A, I und III. 24 Bothe et al., New Rules for Victims of Armed Conflicts, Commentary on the two 1977 Protocols Additional to the Geneva Conventions of 1949, Protocol II, Part IV, S. 774. 25 Rome Statute of the International Criminal Court vom 17. Juli 1998, 2187 UNTS 90. 26 Siehe 2. Teil, § 2, C., I.
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maligen Jugoslawien oder die konfliktbedingte Verunreinigung von Trinkwasser im Gaza-Streifen27 – die bekanntesten Beispiele gravierender Umweltschäden in bewaffneten Konflikten der letzten Jahrzehnte wurden durch Mittel und Methoden der Kriegsführung verursacht, die unabhängig von der rechtlichen Einordnung des jeweiligen Konflikts eingesetzt werden können. So wurden in den 1980er Jahren auch im Bürgerkrieg in El Salvador durch die staatlichen Armeen Wälder und Farmland weitflächig bombardiert, um Verstecke der Aufständischen zu zerstören.28 Ähnliche Vorwürfe bestehen auch gegenüber der Regierung Sri Lankas29 sowie des Regimes al-Assads in Syrien.30 Die Ende August 2016 durch den sogenannten IS bei dessen Rückzug verursachten Brände irakischer Ölförderanlagen nahe der Stadt Al-Kajara (Qayyarah/Qayara)31 erinnern stark an die 1991 durch die irakischen Truppen entzündeten Ölseen Kuwaits, die als Leitmotiv eines über Jahre andauernden Bestrebens zur Verstärkung geltenden Umweltschutzes während internationaler bewaffneter Konflikte eine breite Öffentlichkeit erreicht hatten. Die ursprünglich für konventionelle Kriege entwickelte Politik verbrannter Erde findet heute weitreichende Anwendung sowohl in internationalen als auch nichtinternationalen Konflikten.32 27 Siehe UNEP, Environmental assessment of the Gaza Strip following the escalation of hostilities in December 2008–January 2009, S. 6; Hassoun, Droplets of Hope: Searching for Sustainability and Common Ground in the Arab/Israeli Conflict, in: Johnston et al. (Hrsg.), Water, Cultural Diversity, and Global Environmental Change, S. 500. 28 Bodansky, Legal regulation of the effects of military activity on the environment, S. 17. Durch die entstehenden Brände wurde ein Großteil der Vegetation vollständig vernichtet. Ökosysteme mit hoher Biodiversität wie die Gebirgswälder des Cerro El Pita, die als Lebensraum vieler bedrohter Arten dienten, wurden schwerwiegend geschädigt. Die Bombardierungen und Brände führten zu Landverödungen in Wassereinzugsgebieten, die Abtragung fruchtbarer Erde, durch Erosion verschmutzte Gewässer und zogen letztlich eine gravierende Wasserknappheit nach sich (Faber, Environment under fire, S. 206 f. m.w. N.). 29 Sie soll im Bürgerkrieg systematisch die Wohngebiete der Tamils bombardiert und in Folge gravierende Umweltzerstörungen hervorgerufen haben (Fernando, Is Sri Lanka in a Post-Conflict or Post-War Situation? in: Tolliday/Palme/Kim (Hrsg.), Asia-Pacific between conflict and reconciliation, S. 157). 30 McNaught, Syria’s forests pay a heavy price, Al Jazeera English, 22. Oktober 2012, abrufbar unter: https://www.youtube.com/watch?v=mV6apaqmnPw&feature= plcp [abgerufen am 26.10.2020]. 31 In dem seit mehreren Jahren wütenden syrischen Bürgerkrieg soll die Regierung al-Assads ebenfalls die Bombardierung bewaldeter Landflächen angeordnet haben, um u. a. der oppositionellen FSA (Free Syrian Army) ihre Deckung zu nehmen (Kalin, Oil fires cast black cloud over Iraqi town retaken from Islamic State; Chmaytelli, Iraqi Qayyara oil keeps burning six weeks after ouster of ISIS vom 5. Oktober 2016). 32 Ihre Durchführung wird den Regierungen u. a. Syriens im derzeit wütenden Bürgerkrieg, der libyschen Regierung im Bürgerkrieg von 2011, der Regierung Sri Lankas im Bürgerkrieg 2009 sowie der Regierung des Sudan im Darfur-Konflikt 2016 vorgeworfen. Vgl. Nachweise in Teil 2, Fn. 29 und 30 sowie Amnesty International, Scorched Earth, Poisoned Air, Sudanese Government Forces Ravage Jebel Marra, Darfur, AFR 54/4877/2016.
§ 2 Umweltschützendes Vertragsrecht
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Auch die Plünderung natürlicher Ressourcen eines Gebiets ist in internationalen wie in nichtinternationalen bewaffneten Konflikten zu beobachten.33 Zudem verwischt das Aufkommen transnationaler Konflikte zwischen Staaten und bewaffneten Organisationen, deren rechtliche Einordnung allein von der Zustimmung beziehungsweise dem Kontrolllevel des jeweiligen Heimatstaates abhängt34, die Unterschiede zwischen internationalen und nichtinternationalen Konflikten nochmals. Der im Sommer 2006 zwischen Israel und der Hisbollah im Libanon wütende Konflikt, der durch die Parteien sowie die UN-Untersuchungskommission zunächst als internationaler bewaffneter Konflikt klassifiziert wurde35, fällt in diese Kategorie. Die während des Konfliktverlaufs auf den Territorien beider Staaten hervorgerufenen Umweltschäden36 waren von der infrage stehenden Verbindung zwischen Hisbollah und der Regierung des Libanon, die in den Augen der israelischen Regierung ausschlaggebend für die Klassifikation als internationaler Konflikt war37, unabhängig. Insbesondere auch die Bombardie33 Siehe sogleich 2. Teil, § 2, B., II. Die Ausbeutung hochwertiger natürlicher Ressourcen wie Öl, Holz, Gas, Diamanten und Edelmetalle und die Frage gerechter Verteilung der erzielten Gewinne zwischen wenigen Eliten und großen Bevölkerungsteilen ist immer noch ein häufiger Auslöser für regionale Spannungen und den Ausbruch interner sowie grenzüberschreitender bewaffneter Konflikte. Einführend auch: Le Billon, Fuelling War: Natural Resources and Armed Conflicts; Webersik/Levy, Reducing the risk of conflict recurrence: The relevance of natural resource management, in: Bruch/ Muffett/Nichols (Hrsg.), Governance, Natural Resources, and Post-Conflict Peacebuilding, S. 44. Während bewaffneter Konflikte sichert die Kontrolle natürlicher Ressourcen für die Konfliktparteien die finanzielle Grundlage der Konfliktfortführung. Ihr Vorhandensein steigert also die Risiken eines langanhaltenden Konflikts. Der teils rücksichtslose und nicht nachhaltige Abbau von Rohstoffen vor und während bewaffneter Konflikte gefährdet Ökosysteme und die Stabilität eines erlangten Friedens auf lange Zeit. Auch aus diesem Grund wird das Vorhandensein hochwertiger natürlicher Ressourcen in einer Region als Ressourcen-Fluch bezeichnet (siehe für eine Definition: Le Billon, Fuelling War: Natural Resources and Armed Conflicts, S. 11 ff.; Le Billon, The political ecology of war: natural resources and armed conflicts, Political Geography 20 (2001), S. 561). Beispielsweise ist auch die Luftkriegsführung keine ausschließlich internationalen bewaffneten Konflikten vorbehaltene Kriegsmethode. Der Kampf der USA sowie Russlands gegen den sogenannten Islamischen Staat (IS) in Syrien ist bezeichnend für den Einsatz modernster Kampfmittel gerade auch in nichtinternationalen bewaffneten Konflikten. 34 Im Detail 1. Teil, § 2 B., II. 35 Commission of Inquiry on Lebanon, Report of the Commission of Inquiry on Lebanon pursuant to Human Rights Council resolution S-2/1, 23. November 2006, A/ HRC/3/2, Rn. 55–62. Israel revidierte später allerdings seine Auffassung. 36 Raketenangriffe der Hisbollah auf Israel führten zu einer Reihe schwerer Waldbrände auf israelischem Gebiet, die laut der Regierung Israels eine halbe Million Bäume zerstörten und eine Fläche von 52.000 m2 betrafen. Darüber hinaus trafen weitere Angriffe Asbest- und Zementfabriken in Israel, deren austretende Schadstoffe weitere 20.000 m2 verunreinigten. Vgl. die Ausführungen des Vertreters Israels in: UNGA, Second Committee, Summary Record of 31st meeting, 22. November 2006, General Assembly 61st Session, A/C2/61/SR.31. 37 Im Detail siehe die Nachweise in Teil 1, Fn. 112.
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2. Teil: Das geltende Recht und seine Wirkung zum Erhalt der Umwelt
rung des Jiyeh-Heizkraftwerks durch israelische Truppen, die zur Freisetzung von etwa 15.000 Tonnen Rohöl ins Mittelmeer führte und eine der schwersten Umweltkatastrophen in der Region verursachte38, wäre bei einer anderen Beurteilung der Konfliktnatur nicht weniger wahrscheinlich gewesen. Die ab 2014 vor allem in Syrien durchgeführten Angriffe der USA und ihrer Verbündeten gegen syrische Erdölanlagen in Gewalt des sogenannten IS bargen jedenfalls prinzipiell eine ähnliche Gefahr der Kontamination und Schädigung umliegender Gebiete.39 38 Der Ölteppich breitete sich auf einer Fläche von beinahe 150 Kilometern der libanesischen Küste sowie angrenzender Küstenabschnitte Syriens aus (UNGA, Report of the Secretary-General on Oil slick on Lebanese shores, 11. August 2010, A/65/278, Rn. 3; UNEP, Lebanon: Post-Conflict Environmental Assessment, S. 42 ff. Huang, The 2006 Israeli-Lebanese conflict: a case study for protection of the environment in times of armed conflict, Florida Journal of International Law 20 (2008), S. 108; Fattah, Hassan, M., Casualties of War: Lebanon’s Trees, Air and Sea, The New York Times vom 29. Jul 2006). Darüber hinaus wurden durch die Zerstörung des Jiyeh-Kraftwerks schwere Ölbrände entfacht, die insgesamt 27 Tage brannten und toxische Rußwolken in die Atmosphäre entließen (S. 45). Die durch Israel durchgesetzte Seeblockade verhinderte nötige Sofortmaßnahmen und trug dadurch noch zur Intensivierung der eingetretenen Umweltschäden bei. Die ebenso bestehende Luftblockade verhinderte auch eine Schadensüberwachung aus der Luft (Tucker, Mitigating Collateral Damage to the Natural Environment in Naval Warfare: An Examination of the Israeli Naval Blockade of 2006, Naval Law Review 57 (2009), S. 167: Noch am 15. August habe die israelische Regierung die Schadensanalyse durch Helikoptereinsatz der französischen Botschaft im Libanon untersagt). Nach der Bombardierung des Kraftwerks am 13. Juli 2006 dauerte es fast einen Monat, bis internationale Experten Zugang zu der Region bekamen. Erst nach Vereinbarung des Waffenstillstands vom 14. August 2006 konnte eine Expertengruppe von UNEP, der Europäischen Gemeinschaft (EG) und der International Maritime Organization (IMO) gebildet werden und mit der Planung der Aufräumarbeiten beginnen. Zu diesem Zeitpunkt hatte der Ölteppich den Meeresboden schon erreicht. Das Ausmaß der Umweltschäden in Atmosphäre und Ökosystemen an Land konnten im Nachhinein nicht mehr abschließend ermittelt werden. Gerade die Verschmutzung der Luft sowie die Menge des in den Boden gesickerten Öls konnte aufgrund der zeitlichen Verzögerung nicht mehr rekonstruiert werden. Zudem fehlten Referenzwerte von vor Ausbruch des Konflikts (Zeitoun/Eid-sabbagh/Loveless, The analytical framework of water and armed conflict: a focus on the 2006 Summer War between Israel and Lebanon, Disasters 38 (2014), S. 39; Takshe et al., Dealing with pollution from conflict: Analysis of discourses around the 2006 Lebanon oil spill, Journal of Environmental Management 91 (2010), S. 22; Caddell/Bang, The Year in Reports 2006: Regional Seas, Yearbook of International Environmental Law S. 323). Im Auftrag des UN-Generalsekretärs durchgeführte Studien des UNDP berechneten den Umweltschaden mit einem Gegenwert von 856,4 Millionen US-Dollar (UNGA, Report of the SecretaryGeneral on Oil slick on Lebanese shores, 14. August 2014, A/69/313, Rn. 11 sowie ausführlich World Bank, Republic of Lebanon Economic Assessment of Environmental Degradation Due to July 2006 Hostilities, Sector note vom 11. Oktober 2007, Report No. 39787-LB). 39 Allerdings bemühten sich die USA um strategische Angriffe, die nicht zur kompletten Zerstörung der Ölförderanlagen führen, sondern sie lediglich außer Betrieb setzen, um einen späteren Betrieb durch die Bevölkerung beziehungsweise eine spätere Regierung Syriens nicht zu vereiteln. Siehe Department of Defense, Transcript of Press Briefing by Rear Admiral Kirby vom 25. September 2014, abrufbar unter: http:// www.defense.gov/News/Transcripts/Transcript-View/Article/606932 [abgerufen am 26.10.2020]; zitiert bei Watkin, Targeting „Islamic State“ Oil Facilities, International
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Das Fehlen einer ausdrücklichen Verankerung der Umwelt als Schutzgut im Vertragsrecht nichtinternationaler Konflikte im Gegensatz zu dem Recht klassischer Kriege verdeutlicht schon zu Beginn der Analyse den schweren Stand des Umweltschutzes in dieser Konfliktart. So scheint es zunächst wenig wahrscheinlich, dass ein Rechtssystem, das die Umwelt nicht einmal vertraglich als Schutzgut verankert, zu ihrer Bewahrung ausreicht.
B. Umwelterhaltung durch den Schutz von Umweltfunktionen Dass die Umwelt als Dachbezeichnung durch Vertragsrecht keinen ausdrücklichen Schutz erlangt, dass nicht einmal einzelne Bestandteile wie Arten, Ökosysteme oder Landstriche ausdrücklich Erwähnung finden, muss aber nicht bedeuten, dass humanitäres Völkerrecht keinerlei Aussage über die Zulässigkeit von Zerstörungen einzelner Umweltbestandteile in nichtinternationalen Konflikten enthält. Vielmehr kann sich Umweltschutz auch indirekt aus der anthropozentrischen Schutzrichtung des Kriegsrechts ergeben. „Umwelt“ ist schließlich nur der Oberbegriff einer Vielzahl verschiedener Umweltbestandteile, die durch den Menschen in unterschiedlicher Weise genutzt werden. Jedem dieser Umweltaspekte kommt aufgrund ihrer Nutzung eine individuelle Bedeutung und Werthaftigkeit für den Menschen zu. Nicht allein die Umwelt, sondern ihre Funktion ist für uns also erhaltenswert. Auch an dieser Stelle kann rechtlicher Schutz anknüpfen. Die Bewahrung individueller und kollektiver Existenz erschöpft sich schließlich nicht im bloßen Überleben des einzelnen Individuums. So hat auch die Wahrung elementarer menschlicher Bedürfnisse und Interessen durch das Recht Anerkennung erfahren. Insofern Bestandteile der Umwelt solche elementaren Interessen sichern oder gewähren, kann ihr Schutz auch indirekt, durch Verbote der Beeinträchtigung ihrer Funktion für den Menschen erreicht werden. Eine ausdrückliche Nennung der Umwelt oder des infrage stehenden Umweltbestandteils ist in diesem Fall nicht zwingend notwendig. Deutlich wird dies vor allem hinsichtlich der Funktion der Umwelt als Lebensgrundlage des Menschen. Stellt das Recht die Lebensgrundlage einer Bevölkerung unter Schutz, so ist mit dieser indirekt ein Teil der Umwelt geschützt. Neben der Funktion als Lebensgrundlage kommen einzelnen Umweltbestandteilen zudem noch weitere Funktionen und Gründe der Werthaftigkeit zu. Viele Teile der Erdoberfläche sowie der lebenden und leblosen natürlichen Ressourcen stehen im Eigentum einzelner Menschen oder ganzer Bevölkerungen. Sie könnten also auch in ihrer Funktion als Eigentum rechtlich geschützt werden. Anthropozentrische Umweltethiken erkennen darüber hinaus auch die Werthaftigkeit der Law Studies 90 (2014), S. 502. Durch diese Angriffspraxis wird auch die Gefahr kollateraler Umweltschäden verringert.
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2. Teil: Das geltende Recht und seine Wirkung zum Erhalt der Umwelt
Umwelt auf Grundlage ihrer kulturellen, spirituellen oder religiösen, ja sogar aufgrund ihrer ästhetischen Bedeutung für Individuen, für Bevölkerungen sowie für die gesamte Menschheit an. Diese Gründe der Werthaftigkeit haben bereits als Basis von umweltvölkerrechtlichen Konventionen Anerkennung durch die Weltgemeinschaft erlangt.40 Auch im humanitären Völkerrecht fungieren sie als Grundlage von Handlungsbeschränkung. Die Möglichkeit indirekten Schutzes einzelner Umweltbestandteile ist ähnlich weit wie das Funktionsspektrum der Umwelt für den Menschen. Dem indirekten Schutz der Umwelt kommt daher potenziell eine enorme Bedeutung zu. Da nahezu jeder Aspekt der Umwelt eine Funktion für den Menschen erfüllt, kann effektiver Umweltschutz durchaus durch den Schutz von Umweltfunktionen erreicht werden. Voraussetzung für diese Erhaltungsstrategie ist allerdings, dass die Werthaftigkeit der jeweiligen Umweltfunktion ausreichend anerkannt ist und die Notwendigkeit ihrer Erhaltung auch während bewaffneter Konflikte gewürdigt wird. I. Die Umwelt als Lebensgrundlage des Menschen: Art. 14 ZP II „Ist es einfach die Klugheit, die gebietet, nicht [. . .] den Ast abzusägen, auf dem man sitzt?“ 41 1. Tatsächliche Gefährdung und ethische Begründungsgrundlage
Die durch Euphrat und Tigris geprägten Sumpfgebiete des südlichen Mesopotamiens stellten bis in die 1990er Jahre eines der größten Feuchtgebietökosysteme der Erde dar. In dieser Funktion besaß das Marschland nicht nur als Vegetations- und Lebensraum für die unmittelbare Region große Bedeutung.42 Die Bezeichnung „Fruchtbarer Halbmond“ tragend, bildete es über Jahrtausende die Lebens- und Kulturgrundlage der ansässigen Bevölkerungen.43 Noch bis Ende des letzten Jahrhunderts beruhte die Kultur und Lebensführung der beheimateten
40 So beruht beispielsweise der Schutz von Naturgütern durch die Welterbekonvention ausdrücklich auf dem ästhetischen Wert eines Naturgebildes. Vgl. Art. 2 Convention for the Protection of the World Cultural and Natural Heritage vom 16. November 1972 (World Heritage Convention, WHC), 1037 UNTS 151: „For the purposes of this Convention, the following shall be considered as ,natural heritage‘: natural features consisting of physical and biological formations or groups of such formations, which are of outstanding universal value from the aesthetic or scientific point of view [. . .]“ 41 Jonas, Das Prinzip Verantwortung, S. 27. 42 Lewis et al., Effect of armed conflict on health of Marsh Arabs in southern Iraq, Lancet 381 (2013), S. 959. 43 Becker, The Stalled Recovery of the Iraqi Marshes, Remote Sensing 6 (2014), S. 1261.
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arabischen Bevölkerung vollständig auf den Ressourcen des Feuchtgebietes. Das Marschland selbst war berühmt für die reiche Vegetation seiner Biotope.44 Während des ersten Golfkriegs 1991 stand die überwiegend schiitische Bevölkerung des irakischen Marschlands der damaligen Regierung Saddam Husseins kritisch gegenüber. Ihr Streben nach einem Machtwechsel wird häufig als Auslöser einer durch die Regierung Husseins veranlassten Umweltkatastrophe genannt,45 deren Folgen noch immer andauern: Durch den Bau von Dämmen, Deichen und Kanälen wurde das Gebiet des irakischen Marschlands systematisch entwässert, bis nur noch ein kleiner Prozentsatz des ehemaligen Feuchtgebiets verblieb. Während die Regierung mit diesem Vorgehen offiziell eine Nutzbarmachung größerer Teile des Landes anstrebte, wird in der Literatur heute überwiegend ein anderes Ziel vermutet: Durch die Austrocknung der Gebiete sollten Regimekritiker und Oppositionelle ihres Versteckes beraubt werden.46 Dem Raub ihrer Lebensgrundlage, so wird teilweise behauptet, sollte die Bevölkerung und Kultur der arabischen Bewohner des Marschlands zum Opfer fallen.47 Tatsächlich führte die Entwässerung des irakischen Marschlands zu einer Katastrophe für Bevölkerung und Umwelt. In wenigen Jahren wurde das zuvor eine Fläche von 15.000–20.000 km2 bedeckende fruchtbare Feuchtgebiet in eine salzige Wüste verwandelt.48 Bei Fall der Regierung Husseins im Jahr 2003 war über 90 % des Marschlandes zerstört. Ein Großteil der indigenen Bevölkerung hatte die Gebiete verlassen.49 Die ehemals so reiche Biodiversität war ebenso verloren gegangen wie die einzigartige Kultur der indigenen Marschlandbewohner.50 Bis heute dauern die nationalen und internationalen Bemühungen um die Wiederherstellung des Marschlands als funktionierendem Ökosystem an.51 44 Schwabach, Ecocide and genocide in Iraq: international law, the Marsh Arabs, and environmental damage in non-international conflicts, Colorado Journal of International Environmental Law and Policy 15 (2004), S. 3. 45 Schwabach, a. a. O., S. 7. 46 Adriansen, The Iraqi Marshlands: Is Environmental Rehabilitation possible? Papers of the Applied Geography Conferences 29 (2006), S. 216. 47 Schwabach, Ecocide and genocide in Iraq: international law, the Marsh Arabs, and environmental damage in non-international conflicts, Colorado Journal of International Environmental Law and Policy 15 (2004), S. 7. 48 Lewis et al., Effect of armed conflict on health of Marsh Arabs in southern Iraq, Lancet 381 (2013), S. 959 ff.; Adriansen, The Iraqi Marshlands: Is Environmental Rehabilitation possible? Papers of the Applied Geography Conferences 29 (2006), S. 215. 49 UNEP, Support for Environmental Management of The Iraqi Marshlands 2004– 2009, S. 13. 50 UNEP, Back to Life: Environmental Management of the Iraqi Marshlands, S. 1. 51 Seit 2004 engagiert sich UNEP für eine Wiederherstellung des Marschlands als Lebensraum und funktionierendem Ökosystem (detailliert zur Flutung des Marschlandes nach 2003 sowie dem Folgeproblem der Kontamination des Wassers mit Salz und Pestiziden der ausgetrockneten Gebiete: UNEP, Support for Environmental Management of The Iraqi Marshlands 2004–2009, S. 13 ff.). Seit 2009 besteht ein gemeinsames Projekt von UNEP und UNESCO das auf eine nachhaltige Sicherung und Nutzung des
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2. Teil: Das geltende Recht und seine Wirkung zum Erhalt der Umwelt
Als lebender Organismus ist der Mensch auf seine Umwelt angewiesen. Als Bereitsteller von Wasser, Nahrung und Sauerstoff dient sie dem Menschen unmittelbar als Grundlage des Lebens und Überlebens. Langfristig ist das Überleben der Bevölkerung zudem von klimatischen Bedingungen, von der Höhe des Meeresspiegels, der Verfügbarkeit von Licht und Niederschlägen, der Struktur der Böden sowie auch der Zusammensetzung der Atmosphäre abhängig. Ohne das Funktionieren eines globalen Ökosystems ist kein Überleben denkbar. Die Abhängigkeit des Menschen von seiner natürlichen Umwelt macht es zu einer vernünftigen und notwendigen Forderung, diese zu schützen. So fragte z. B. 1979 der Umweltethiker Hans Jonas, ob es nicht einfach die Klugheit gebiete, uns nicht des Astes zu berauben, auf dem wir sitzen.52 Dieses grundsätzlich utilitaristische Basic-Needs-Argument53 ist eines der ursprünglichsten Begründungselemente internationalen Umweltschutzes und Kern der ersten Umweltdeklarationen der 1970er Jahre.54 Zu dieser Zeit war das humanitäre Völkerrecht schon einen Schritt weiter gegangen. Nicht nur bedachte es dem sprichwörtlichen Ast unter den eigenen Füßen des Kriegstreibenden. Auf Basis einer humanitären Zuwendung zu den am Konflikt Unbeteiligten stellte es schon früh elementare Interessen Unbeteiligter mit in den Fokus. Während das Eigentum von Zivilisten bereits im Lieber Code in den Fokus humanitärrechtlichen Schutz rückte55, sahen die Zusatzprotokolle von 1977 nunmehr auch die Bewahrung der Lebensgrundlage der Zivilbevölkerung vor. Dies gilt nicht nur für konventionelle Kriege. Mit dem Marschlands als Lebens- und Wirtschaftsraum abzielt (siehe dazu die Darstellung des Projekts unter: http://www.unep.or.jp/ietc/IraqWH/activities.html [abgerufen am 26.10.2020]). Vor allem der erhöhte Salzgehalt des in das Marschland geleiteten Wassers hat noch immer weitreichende Folgen für das empfindliche Ökosystem. Tier- und Pflanzenarten verschwinden; die veränderten Umweltbedingungen haben Einfluss auf Ernten und Viehbestand und damit auch auf die Perspektiven zurückkehrender Bevölkerungsteile. 52 Jonas, Das Prinzip Verantwortung, S. 27. 53 Einführend: Krebs, Ethics of Nature, S. 29 ff. sowie Gillespie, International Environmental Law, Policy, and Ethics, S. 14 ff. 54 So beispielsweise das erste Prinzip der Erklärung von Stockholm (Teil 1, Fn. 10): „[. . .] Both aspects of man’s environment, the natural and the man-made, are essential to his well-being and to the enjoyment of basic human rights the right to life itself.“ Vier Jahre zuvor verabschiedete die UN-Generalversammlung eine Resolution, in der sie ihre Befürchtungen über die fortschreitende Zerstörung der Umwelt zum Ausdruck brachte und diese klar mit der Zukunft menschlichen Wohlergehens in Verbindung setzte (UNGA, Resolution 2398 (XXIII) vom 3. Dezember 1968 on Problems of the human environment, UN GAOR 23rd Session, Supp. No. 18, S. 2 f.). Ausführlich Gillespie, International Environmental Law, Policy, and Ethics, S. 14. 55 Schon Art. 22 Lieber Code schützte nicht nur den am Konflikt unbeteiligten Zivilisten, sondern bezog dessen Eigentum als Bewahrungsobjekt mit ein: „[. . .] The principle has been more and more acknowledged that the unarmed citizen is to be spared in person, property, and honor as much as the exigencies of war will admit.“ (Instructions for the Government of Armies of the United States in the Field vom 24. April 1863, General Orders No. 100 (Lieber Code), abrufbar unter: http://avalon.law.yale.edu/ 19th_century/lieber.asp [abgerufen am 26.10.2020]).
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ZP II wurde erstmals auch im Recht nichtinternationaler Konflikte der Gefährdung der Zivilbevölkerung durch die Zerstörung ihrer Lebensgrundlage bedacht. Zu dem damaligen Zeitpunkt war dies keine Selbstverständlichkeit, denn ein grundlegender Schutz ziviler Objekte wurde, anders als im ZP I für internationale Konflikte56, gerade nicht Bestandteil des ZP II.57 2. Vertraglicher Schutz
Art. 14 ZP II untersagt den Angriff, die Entfernung, das Unbrauchbarmachen sowie die Zerstörung solcher Objekte, die für die Zivilbevölkerung lebensnotwendig sind. Zu diesen zählen nach dem Wortlaut der Vorschrift insbesondere Nahrungsmittel, zu ihrer Erzeugung genutzte landwirtschaftliche Gebiete, Ernteund Viehbestände, Trinkwasserversorgungsanlagen und -vorräte sowie Bewässerungssysteme. Bei Vorliegen aller Normvoraussetzungen kann auch militärische Notwendigkeit die Unbrauchbarmachung nicht rechtfertigen. Die Aufzählung der geschützten Objekte ist zudem nicht abschließend („such as“). Das Verbot begegnet einer Kriegspraktik, die gerade in nichtinternationalen Konflikten sowohl von der staatlichen Seite wie auch von nichtstaatlichen Akteuren vielfach verübt wird. Die Zerstörung des mesopotamischen Marschlandes mag ein besonders drastisches Beispiel der Vernichtung der menschlichen Lebensgrundlage im Konflikt sein, sie ist aber längst nicht das Einzige. Das massive Vorgehen der Roten Khmer gegen die Bevölkerung von Kambodscha resultierte unter anderem in verbrannten Reisernten und -feldern, mit Minen versetzten Anbaugebieten und verseuchten Wasservorräten.58 In Darfur schlachteten 56
Art. 52 ZP I. Der Schutz der Zivilbevölkerung war Kernelement der Bestrebungen zur Entwicklung des humanitären Völkerrechts nach 1949. Lange hatte sich das IKRK bemüht, einen einheitlichen Katalog von Schutznormen zugunsten der Zivilbevölkerung für beide Arten bewaffneter Konflikte zu entwickeln. Ausdruck für dieses Bestreben waren u. a. die New Delhi Rules (IKRK, Draft Rules for the Limitation of the Dangers incurred by the Civilian Population in Time of War, 1956, submitted to the XIXth Conference of the Red Cross, Neu Delhi, 1957). Auch die UN-Generalversammlung unterstützte einen einheitlichen Regelungskatalog (siehe z. B. UNGA, Resolution 2675 (XXV) v 9. Dezember 1970 on the basic principles for the protection of civilian populations in armed conflicts, UN GAOR 25th Session, Supp. No. 28, S. 76. Angesichts bezweifelter Akzeptanz der Normen durch die Staaten sowie unsicherer Durchsetzung durch die Parteien auch in internen Konflikten wurde noch vor Beginn der Verhandlungen um die Zusatzprotokolle 1972 von der Idee der Einheitlichkeit abgerückt. Die Protokollentwürfe des IKRK gingen schließlich von der bekannten Trennung beider Konflikte aus (siehe die Draft Additional Protocols in: CDDH, Official Records of the Diplomatic Conference on the Reaffirmation and Development of International Humanitarian Law applicable in Armed Conflicts, Genf, 1974–1977, Band I, Part Three). Im Detail: Junod, Commentary on Protocol II, Part IV Civilian population in: Sandoz/Swinarski/Zimmermann (Hrsg.), Commentary on the Additional Protocols of 8 June 1977 to the Geneva Conventions of 12 August 1949, S. 1444 f., Rn. 4753–4758. 58 Ausführlich: PoKempner, Cambodia at War, S. 22. 57
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sowohl Regierungstruppen als auch die gegnerischen Janjaweed Viehbestände, verbrannten Getreidefelder und zerstörten Wassersysteme.59 Mitglieder der Revolutionary United Front (RUF) in Sierra Leone attackierten wiederholt Frischwassertanks und wasserleitende Infrastruktur.60 Gerade in Konfliktregionen, in denen die Staatsregierung schwach und wenig durchsetzungsfähig ist, tragen überwiegend nichtstaatliche Akteure zur Zerstörung ganzer Landstriche bei.61 Das Schutzpotenzial des Art. 14 ZP II erstreckt sich aber nicht nur auf die beispielhaft aufgezählten Güter. So untersagt die Verbotsnorm beispielsweise auch den Einsatz von Entlaubungsmitteln gegen Nutzpflanzen.62 Ihre indirekte Wirkung geht allerdings noch weiter. Werden Seen und Wasserläufe als Trinkwasservorräte genutzt und stellen in Folge die Lebensgrundlage der ansässigen Bevölkerung dar, bringt ihr Schutz auch den Erhalt aller anderen dort vorzufindenden Ökosystembestandteile, insbesondere auch der heimischen Flora und Fauna, mit sich. Bei fließenden Wasserläufen entsteht in Konsequenz ein gewisser Schutz auch für flussabwärts gelegene Gebiete. Gleiches gilt für den Erhalt von Nutzwäldern. Wenigstens potenziell ergibt sich über das Schädigungsverbot eine nicht unerhebliche Schonungswirkung zugunsten einer Vielzahl unterschiedlicher Umweltaspekte. In Realität ist die Wirkung des Art. 14 ZP II jedoch beträchtlich geringer. a) Lebensgrundlage einer Bevölkerung Unmittelbaren Schutz erlangen schließlich nur solche Umweltbestandteile, die die Lebensgrundlage der jeweiligen Bevölkerung darstellen. Welche Objekte für das Überleben einer Bevölkerung notwendig sind, kann nur in begrenztem Umfang abstrakt entschieden werden. Frischwasser, Lebensmittel, Atemluft sowie ein gewisses Maß an Schutz vor Witterungseinflüssen sind essenziell zur Erhaltung der Körperfunktionen und damit Grundvoraussetzung jedes menschlichen Überlebens. Der Begriff der Lebensgrundlage umfasst als Mindestmaß eben solche Objekte, insbesondere also Wasser und Nahrungsmittel.63 Art. 14 ZP II stellt 59 Natsios, Moving Beyond the Sense of Alarm, in: Markusen/Totten (Hrsg.), Genocide in Darfur: Investigating the atrocities in the Sudan, S. 33; Yihdego, Darfur and Humanitarian Law: The Protection of Civilians and Civilian Objects, Journal of Conflict & Security Law 14 (2009), S. 56, 65. 60 UNEP, Sierra Leone: Environment, Conflict and Peacebuilding Assessment, S. 44. 61 Jha, Armed Conflict and Environmental Damage, S. 108. 62 Junod, in: Sandoz/Swinarski/Zimmermann (Hrsg.), Commentary on the Additional Protocols of 8 June 1977 to the Geneva Conventions of 12 August 1949, S. 1458, Rn. 4801. 63 Darüber hinaus werden aber auch Kleidung, Zelte sowie die Wohnstätten von Zivilisten unter den Begriff der Lebensgrundlage gefasst. Mit Verweis auf Art. 11 IPwskR („[. . .] the States Parties to the present Covenant recognize the right of everyone to [. . .] adequate food, clothing and housing“): International Commission of Inquiry on Darfur, Report to the United Nations Secretary-General vom 25. Januar 2005, pursuant to Secu-
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darüber hinaus klar, dass nicht nur bereits geerntete Lebensmittel oder bereits aufbereitetes Wasser unter diesen Begriff fallen, sondern auch deren Quellen und Anbaugebiete. Richtigerweise ist das Überleben einer Bevölkerung aber von mehr Faktoren abhängig als das unmittelbare Überleben einer Einzelperson. Dies ist vor allem abseits ländlicher Regionen sichtbar. In der heutigen Zeit ist das Abhängigkeitsverhältnis zwischen einer Bevölkerung und ihrer Lebensgrundlage häufig örtlich aufgebrochen. Die Bewohner einer Stadt beziehen die zum Erhalt ihrer Lebensgrundlage notwendigen Güter nicht aus ihrer unmittelbaren Umgebung. Aber auch ländliche Bevölkerungen fungieren stark arbeitsteilig. Die Lebensgrundlage eines Minenarbeiters mag selbstverständlich noch immer auf Äckern gedeihen. Sein konkretes Überleben ist jedoch in gleichem Maß von dem Einkommen abhängig, mit dem er die Ernte der Äcker erstehen kann. Wird einer Bevölkerung durch kriegerische Handlungen jede Einkommensmöglichkeit genommen, ist ihr Überleben ähnlich gefährdet, als wären ihre Anbaugebiete zerstört. Auf einen längeren Zeitraum kann fehlendes Einkommen genauso verheerende Wirkungen haben, wie z. B. der Verlust der Nutztierpopulation. Eine an den tatsächlichen Bedürfnissen einer Zivilbevölkerung angelehnte Auslegung des Begriffs der Lebensgrundlage muss also auch diejenigen Objekte umfassen, die zwar nicht direkt der Ernährung dienen, diese aber als wirtschaftliche Lebensgrundlage in ähnlichem Maß erst ermöglichen. Im Fall einer vom Abbau natürlicher Ressourcen abhängigen Bevölkerung müssten daher auch diese Umweltressourcen zur elementaren Lebensgrundlage im Sinne des Art. 14 ZP II gezählt werden. Diese Auslegung wird jedoch überwiegend abgelehnt. Die Mehrheit der Staaten beschränkt die Wirkung des Art. 14 ZP II bislang auf Nahrungs-, Wasser- und Unterkunftlieferanten. Somit begrenzen sie die Effektivität der Vorschrift für die Erhaltung von Individuum, Bevölkerung und Umwelt in gravierendem Ausmaß.64 Dabei ist die Gefahrenlage auf internationaler Ebene durchaus bekannt. So stellt beispielsweise der mit einfachen Mitteln betriebene Kleinbergwerkbau in einigen Regionen der DRK die Hauptlebensgrundlage der gesamten ansässigen Bevölkerung dar.65 Der Verkauf der durch sogenannten artisanalen Bergbau gewonnenen Rohstoffe ist oft einzige Einkommensquelle und ermöglicht das Überleben von Familien und ganzen Dörfern. Gerade diese Ab-
rity Council Resolution 1564 vom 18. September 2004, abrufbar unter: https://www. un.org/ruleoflaw/files/com_inq_darfur.pdf [abgerufen am 26.10.2020], S. 83, Rn. 318. 64 Vgl. die Nachweise nationaler Militärhandbücher zu Regel 54 der IKRK-Gewohnheitsrechtsstudie bei IKRK, Customary IHL Database, Practice, abrufbar unter: https:// www.icrc.org/customary-ihl/eng/docs/v2 [abgerufen am 26.10.2020]. 65 UNSC, Report of the Secretary-General pursuant to Paragraph 8 of Resolution 1698 (2006) concerning the Democratic Republic of the Congo, 8. Februar 2007, S/ 2007/68, S. 5, Rn. 15. Vgl. auch Dam-de Jong, International law and governance of natural resources in conflict and post-conflict situations, S. 237.
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hängigkeit der Bevölkerung war mitausschlaggebend dafür, dass der UN-Sicherheitsrat von einer Einführung gezielter Sanktionen zur Eindämmung des Handels mit natürlichen Ressourcen der Region während des bis 2009 andauernden Konflikts zwischen Regierung und Tutsi-Rebellen abgesehen hatte.66 Bereits im Rahmen der CDDH hatten sich einige Öl-produzierende Staaten, darunter u. a. Ägypten, Saudi Arabien und Kuwait, bemüht, Erdölreservate und -raffinerien ausdrücklich als geschützte Objekte in den Wortlaut des Art. 14 ZP II einzubeziehen.67 Wenngleich sicher auch Handelsinteressen der Regierungen eine Rolle bei diesem Vorhaben gespielt hatten, ist der Grundgedanke des Erhalts der wirtschaftlichen Grundlage einer Bevölkerung doch einleuchtend. Rohstoffproduktionsstätten wie Bergbaustätten für Edelmetalle und Diamanten oder Wälder als Lieferant für Nutzholzhandel und Lebensraum von in Eigenbedarf gejagter Wildtiere, die zentral für die wirtschaftliche Lebensgrundlage der Zivilbevölkerung sind und ohne die ihr Erhalt nicht gesichert wäre, sollten nach Sinn und Zweck von Art. 14 ZP II ebenfalls als Lebensgrundlage geschützt werden. Diese, an den Bedürfnissen einer konkreten Bevölkerung orientierte Interpretation würde nicht nur den veränderten Lebensbedingungen einer arbeitsteiligen Weltbevölkerung, sondern auch der tatsächlichen Gefährdung der Ressourcenquellen und damit auch der Umwelt im Konflikt Rechnung tragen. Für diese Auslegung spricht auch ein Vergleich mit internationalen Menschenrechten. Auch die identischen Art. 1 (2) des Internationalen Pakts über bürgerliche und politische Rechte (IPbpR) und des Internationalen Pakts über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (IPwskR) nennen die Lebensgrundlage („means of subsistence“) eines Volkes in systematischem Zusammenhang mit ihren natürlichen Reichtümern und Ressourcen und verbieten ausnahmslos und in jeder Situation den Entzug dieser Existenzmittel. 68 Eine an Sinn und Zweck orientierte Auslegung des Art. 14 ZP II würde mit diesem Verbot in Einklang stehen.69
66 UNSC, Report of the Secretary-General pursuant to Paragraph 8 of Resolution 1698 (2006) concerning the Democratic Republic of the Congo, 8. Februar 2007, S/ 2007/68, S. 5. 67 Vgl. CDDHIIII/63 and Add.l, in: CDDH, Official Records of the Diplomatic Conference on the Reaffirmation and Development of International Humanitarian Law applicable in Armed Conflicts, Genf, 1974–1977, Band III, S. 218. Letztlich konnte sich das Bestreben aber nicht durchsetzen. 68 Article 1 (2) IpbR/IPwskR: „All peoples may, for their own ends, freely dispose of their natural wealth and resources [. . .]. In no case may a people be deprived of its own means of subsistence“ (International Covenant on Civil and Political Rights vom 16. Dezember 1966, 999 UNTS 171; International Covenant on Economic, Social and Cultural Rights vom 16. Dezember 1966, 993 UNTS 3). 69 So auch Dam-de Jong, International law and governance of natural resources in conflict and post-conflict situations, S. 238.
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Zudem umfasst Art. 14 ZP II schon jetzt Umweltgüter, die von einer Bevölkerung auch als wirtschaftliche Lebensgrundlage verwendet werden. Viehbestände und Anbaugebiete sind schließlich unabhängig davon geschützt, ob sie in Eigenbedarf genutzt werden, oder ob ihre wirtschaftliche Verwertung durch Handel im Einzelfall im Vordergrund steht. Eine Differenzierung wäre auch abzulehnen, sie böte ein zu leichtes Risiko der Verbotsumgehung. Werden die genannten Schutzobjekte aber unabhängig von ihrer konkreten Nutzung in Art. 14 ZP II erfasst, wäre es sinnwidrig, andere wirtschaftlich genutzte natürliche Ressourcen auszuschließen. b) Intention des Aushungerns Selbst die Hoffnung, wertvolle Ökosysteme, die durch eine Bevölkerung als elementarste Existenzgrundlage genutzt werden, durch Art. 14 ZP II absolut schützen zu können, geht jedoch fehl. Abseits der durch die Staaten favorisierten engen Auslegung des Begriffs der Lebensgrundlage ist die Schutzwirkung der Norm auf eine zweite Art stark begrenzt: Nur solche Angriffe beziehungsweise Zerstörungen sind nach dem Wortlaut der Vorschrift verboten, die in Zusammenhang mit des Aushungerns der Bevölkerung stehen.70 Das Erfordernis einer bestimmten Handlungsintention war erst im Verlauf der CDDH als zusätzliche Begrenzung des zuvor durch das IKRK vorgeschlagenen Verbots aufgenommen worden.71 Es beschränkt die Anwendbarkeit sowie den praktischen Nutzen der Vorschrift enorm. Zwar darf der Begriff des Aushungerns nicht allein auf die Absicht, die Bevölkerung durch Wegnahme von Lebensmitteln hungern zu lassen, begrenzt werden, sondern muss als Intention des Vorenthaltens jedweder lebensnotwendigen Güter verstanden werden.72 Viele Fälle der 70 Art. 14 ZP II: „Starvation of civilians as a method of combat is prohibited. It is therefore prohibited to attack, destroy, remove or render useless for that purpose [. . .].“ 71 Die Eingrenzung war in dem durch das IKRK vorbereiteten Draft Protocol von 1973 und insbesondere in dem damaligen Draft Art. 27 („Protection of objects indispensable to the survival of the civilian population“) noch nicht enthalten. Dieser lautete: „It is forbidden to attack, destroy or render useless objects indispensable to the survival of the civilian population, namely, foodstuffs and food-producing areas, crops, livestock, drinking water supplies and irrigation works, whether it is to starve out civilians, to cause them to move away or for any other reason.“ (Draft Protocol II, in: CDDH, Official Records of the Diplomatic Conference on the Reaffirmation and Development of International Humanitarian Law applicable in Armed Conflicts, Genf, 1974–1977, Band I, Part III, S. 40). 72 Für diese am Rahmen der tatsächlichen Bedürfnisse einer Bevölkerung orientierte Auslegung sprechen auch die Verhandlungen der Preparatory Commission for the International Criminal Court zu den Elementen von Kriegsverbrechen. Bei den Diskussionen über Art. 8 (2) (b) (xxv) IStGH-Statut, der ebenso den Begriff „starvation“ enthält, wurde auf die Uneindeutigkeit des Ausdrucks verwiesen. „Starvation“, beziehungsweise Aushungern, dürfe nicht nur das Vorenthalten von Lebensmitteln betreffen, sondern müsse insgesamt das Vorenthalten lebensnotwendiger Güter beziehungsweise Rohstoffe
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Zerstörung von Gütern, die für das menschliche Überleben von Bedeutung sind, fallen so dennoch aus dem Anwendungsbereich der Norm. Wird die Lebensgrundlage der Bevölkerung aus einem anderen Zweck als des Aushungerns, beziehungsweise der Vertreibung oder Tötung als notwendige Folge der Wegnahme der Existenzmittel entzogen oder zerstört, fällt diese Handlung nicht unter Art. 14 ZP II. So verbleibt gerade in nichtinternationalen Konflikten eine gravierende Schutzlücke: Natürliche Ressourcen werden einer Bevölkerung oftmals aus ganz anderen Gründen vorenthalten oder entzogen, schließlich ist die Ressourcenausbeutung zur Finanzierung von Konfliktparteien ein weitverbreitetes Problem gerade in dieser Art bewaffneter Auseinandersetzungen.73 Der Handel mit Rohdiamanten, durch den die RUF den Konflikt in Sierra Leone über Jahre hinweg finanzierte, ist eines der bekanntesten Beispiele.74 Auch mit Blick auf die DRK äußerte sich der UN-Sicherheitsrat mehrfach besorgt über die illegale Plünderung natürlicher Ressourcen sowie ihre konfliktentfachende und -verlängernde Wirkung.75 Diese Szenarien werden jedoch nicht von Art. 14 ZP II erfasst. Verhindert die Präsenz bewaffneter Gruppen den Zugang der Zivilbevölkerung zu einer Rohstoffquelle, deren Ressourcen wie im Fall der DRK das Überleben von Zivilisten sichern, so erfüllt das Verwehren des Zugangs unter Umständen das Merkmal der Unbrauchbarmachung oder Entfernung der Lebensgrundlage im Sinn des Art. 14, dennoch greift das Verbot in diesen Fällen nicht, denn der Zivilbevölkerung wird der Zugang zu den natürlichen Ressourcen nur aufgrund von Eigenver-
umfassen. Genannt wurden unter anderem auch Medikamente. Zwar wurde die Definition des Begriffs auch in Art. 8 (2) (b) (xxv) IStGH-Statut letztlich nicht ausdrücklich ergänzt, die Verhandlungsteilnehmer machten jedoch deutlich, dass die Vorschrift über den Kern des Aushungerns hinausgehen solle (siehe Dörmann, Preparatory Commission for the International Criminal Court: The Elements of War Crimes Part II, International Review of the Red Cross 83 (2001), S. 475). Rohstoffe und andere Güter einer wirtschaftlichen Lebensgrundlage können daher leichter subsumiert werden. 73 Statt vieler: Herik/Dam-de Jong, Revitalizing the Antique War Crime of Pillage: The Potential and Pitfalls of Using International Criminal Law to Address Illegal Resource Exploitation during Armed Conflict, Criminal Law Forum 22 (2011), S. 238 ff. 74 Die angenommenen Exportsummen konnten aufgrund illegalen Handels nur ungefähr ermittelt werden. Verschiedene Quellen gehen von jährlichen Summen zwischen $ 25 Millionen und $ 125 Millionen aus, die die Hauptfinanzierung der RUF in den Konfliktjahren ausmachten. Siehe UNSC, Report of the Panel of Experts appointed pursuant to Security Council Resolution 1306 (2000) Paragraph 19, in relation to Sierra Leone, 20. Dezember 2000, S/2000/1195, S. 17 f., Rn. 78, 80; UNEP, Sierra Leone: Environment, Conflict and Peacebuilding Assessment, S. 22. Vgl. auch UNSC, Resolution 1306 vom 5. Juli 2000 on Sierra Leone, A/RES/1306 (2000) in der der Sicherheitsrat den Zusammenhang zwischen der Ausbeutung der Diamantenminen und dem Fortgang des Konflikts hervorhob (Abschnitt A). 75 UNSC, Resolution 1457 vom 24. Januar 2003 on the DRC, S/RES/1457 (2003), Rn. 3; UNSC, Resolution 1856 vom 22. Dezember 2008 on the DRC, S/RES/1856 (2008), UNSC, Resolution 1952 vom 29. November 2010 on the DRC, A/RES/1952 (2010), UNSC, Resolution 2293 vom 23. Juni 2016 on the DRC, S/RES/2293 (2016).
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wertungsinteressen der Konfliktparteien unmöglich gemacht. Mangels Intention des Aushungerns ist die Norm also nicht anwendbar. Auch die mit der wirtschaftlichen Verwertung einhergehende Degradierung von Land oder Verschmutzung von Gewässern76, die unter Umständen katastrophale Auswirkungen für die Bevölkerung mit sich bringen, sind von Art. 14 ZP II somit nicht untersagt. Anderes würde nur gelten, wenn der Maßstab der Intention des Aushungerns auch die rücksichtlose Missachtung der Handlungskonsequenzen bei Ausbeutung natürlicher Ressourcen mit umfasste.77 Gesichtspunkt der Effektivität des Schutzes für Zivilisten und Umwelt sprächen zwar für eine derartige Auslegung, der eng gefasste Wortlaut des Art. 14 ZP II („for that purpose“) lässt sie im Ergebnis aber nicht zu. Auch in einem weiteren Fall beschränkt die notwendige Intention der Konfliktakteure den Schutzumfang des Art. 14 ZP II: Selbst Zerstörungen, die zum Zweck des Aushungerns durchgeführt werden, bleiben dann unreglementiert, wenn die Folge nicht die Zivilbevölkerung, sondern die gegnerischen Konfliktakteure treffen soll. Diese Einschränkung ist nachvollziehbar, schließlich wurden die Art. 13 bis 17 ZP II ausdrücklich zum Schutz der Zivilbevölkerung und nicht zur Schonung der Konflikttreibenden in das Protokoll aufgenommen. Der potenziell durch die Vorschrift vermittelte Schutz für Bestandteile der Umwelt wird so allerdings noch weiter geschmälert. Gerade unter Gesichtspunkten der Nachhaltigkeit ist diese Einschränkung wenig sinnvoll. Ein Wald, dessen Ressourcen durch eine Konfliktpartei genutzt werden, steht der Zerstörung frei, selbst wenn er nach Ende des Konflikts oder auch nur nach Rückzug der jeweiligen Truppen erneut Lebensgrundlage der Bevölkerung hätte sein können. Ein zerstörtes Bauwerk mag durch geringe Anstrengung in Friedenszeiten wieder zu errichten sein. Ökosysteme und Ressourcen bleiben aber womöglich nachhaltig gestört, ihre Funktion für spätere Bevölkerungen oder kommende Generationen verloren. Nichts anderes droht weiterhin im Fall des mesopotamischen Marschlandes.78 Durch die Verknüpfung der Handlungsverbote mit der bestimmten Intention des Aushungerns ist das Verbot deutlich enger gefasst als es für internationale bewaffnete Konflikte der Fall ist. Durch den für konventionelle Kriege anwendbaren Art. 54 (2) ZP I ist die Zerstörung genannter Objekte untersagt, wenn sie der Vorenthaltung für den Lebensunterhalt der Zivilbevölkerung oder der gegnerischen Partei dient. Ausdrücklich soll dieses Verbot unabhängig von der jeweili-
76 UNEP, Sierra Leone: Environment, Conflict and Peacebuilding Assessment, S. 44 für eine Bewertung der Nachwirkungen des Konflikts in Sierra Leone. 77 So Dam-de Jong, International law and governance of natural resources in conflict and post-conflict situations, S. 235. 78 Siehe beispielsweise: Malfatto, Iraq’s wetland paradise under threat, Beitrag von Februar 2017 abrufbar unter: https://p.dw.com/p/2WMuC [abgerufen am 26.10.2020].
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gen Intention des Aggressors gelten.79 Während in klassischen Kriegen also eine Vielzahl an Handlungsmotiven unter das entsprechende Verbot gefasst wird, besteht Schutz in nichtinternationalen Konflikten nur in eng umgrenzten Szenarien. Dieser wortlautbedingte Regelungsunterschied spricht zusätzlich gegen die Möglichkeit einer erweiterten Auslegung von Art. 14 hinsichtlich der geforderten Handlungsintention. Das in der Praxis wohl größte Hindernis eines effektiven Schutzes durch Art. 14 ZP II wird bei erneuter Heranziehung des einleitend dargelegten Falls der Zerstörung des südirakischen Marschlands deutlich: Selbst bei Ratifikation des ZP II, die der Irak bis heute nicht vorgenommen hat, wäre ein Verbot der massiven Umweltzerstörung durch Art. 14 ZP II80 von der spezifischen Intention des Aushungerns der Bevölkerung durch die damalige Regierung Husseins abhängig gewesen. Nicht nur ist eine solche Intention schwer zu beweisen, ihr Erfordernis öffnet auch Einfallstore zur Umgehung der Norm. Behauptet eine Konfliktpartei andere Motive eines Angriffs, kann die Validität der vorgebrachten Gründe, wenn überhaupt, nur in einer nachträglichen Bewertung des Angriffs ermittelt werden. Der Schaden ist dann aber schon eingetreten. So befand die UN-Kommission für Eritrea und Äthiopien in Ermangelung gegenteiliger Beweise, Äthiopien habe bei Angriff auf ein Wasserreservoir in Eritrea im Bewusstsein um die Rolle des Reservoirs für die Ernährung der Zivilbevölkerung gehandelt und nicht, wie es Äthiopien vorbrachte, in der fälschlichen Annahme, das Wasser werde ausschließlich für die gegnerischen Streitkräfte genutzt.81 Eine solche von Beweisen abhängige Entscheidung ist nicht sicher vorherzusehen. Ihre Abschreckungswirkung in späteren Konfliktfällen ist daher beschränkt. Solange die Exkulpation durch die Behauptung anderer verfolgter Motive faktisch möglich ist, besteht die Gefahr, dass sie auch von den Konfliktparteien genutzt wird. Für den Zweck effektiver Erhaltung der menschlichen Lebensgrundlage ist Art. 14 ZP II, gerade auch im Vergleich zu Art. 54 (2) ZP I, somit zu eng gefasst.
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Ausdrücklich gilt das Verbot für Zerstörungen „[. . .] for the specific purpose of denying them for their sustenance value to the civilian population or to the adverse Party, whatever the motive, whether in order to starve out civilians, to cause them to move away, or for any other motive.“ Anders als in Art. 14 ZP II ist das Verbot des Aushungerns in Art. 54 (1) ZP I und damit von dem Zerstörungsverbot getrennt aufgelistet. 80 Für eine detaillierte Prüfung der Übereinstimmung der Zerstörung des Marschlands mit humanitärem Völkerrecht: Schwabach, Ecocide and genocide in Iraq: international law, the Marsh Arabs, and environmental damage in non-international conflicts, Colorado Journal of International Environmental Law and Policy 15 (2004), insb. S. 24–26. 81 Eritrea-Ethiopia Claims Commission, Partial Award Western Front, Aerial Bombardment and Related Claims, Eritrea’s Claims 1, 3, 5, 9–13, 14, 21, 25 & 26, Entscheidung vom 19. Dezember 2005 Rn. 104 f.
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c) Gewohnheitsrechtliche Verankerung und Weiterentwicklung Das Bewusstsein um die Notwendigkeit eines effektiven Schutzes von Bevölkerungen, aber auch der Umwelt, hat seit Verabschiedung der Zusatzprotokolle allerdings auch in der internationalen Gemeinschaft Steigerung erfahren. Gleichzeitig schritt die Entwicklung humanitären Gewohnheitsrechts auch für nichtinternationale Konflikte voran. Ein nicht unerheblicher Teil, der in den Zusatzprotokollen erstmals aufgestellten Handlungsverbote ist heute auch gewohnheitsrechtlich verankert. Ein Zusammenspiel dieser Entwicklungen könnte den ursprünglich unzureichenden Schutz des Art. 14 ZP II sowohl hinsichtlich des Merkmals der Handlungsintention als auch bezüglich der Definition der geschützten Lebensgrundlage überwunden haben, denn es erscheint durchaus möglich, dass das Verbot der Zerstörung der Lebensgrundlage mittlerweile Bestandteil des Gewohnheitsrechts ist. Ebenso ist es denkbar, dass dieses gewohnheitsrechtliche Verbot nicht unter den strengen Beschränkungen des Art. 14 ZP II leidet. Die erste Voraussetzung, die Verankerung einer dem Schutzziel des Art. 14 ZP II ähnlichen Verbotsnorm im Gewohnheitsrecht nichtinternationaler Konflikte, wird mittlerweile als erfüllt anerkannt.82 Dementsprechend heißt es auch in Regel 54 der IKRK-Gewohnheitsrechtsstudie: „Attacking, destroying, removing or rendering useless objects indispensable to the survival of the civilian population is prohibited.“ 83
aa) Unerheblichkeit der Handlungsintention Im Vergleich zu Art. 14 II enthält der Wortlaut der IKRK-Regel keinen Hinweis auf die Notwendigkeit einer spezifischen Handlungsmotivation als Verbotsauslöser. Sie ist dem Maßstab des Art. 54 (2) ZP I näher, scheint sogar über diesen hinauszugehen, indem sie jeden Verweis auf die Intention des Handelnden entbehrt. Der Wortlaut der Regel 54 vermittelt damit den Eindruck, das gewohnheitsrechtliche Verbot halte einen deutlich stärkeren Schutz für Bevölkerungen und Umweltbestandteile bereit, als es durch Art. 14 ZP II vorgesehen ist. Beide Merkmale, nämlich die Wortlautähnlichkeit mit Art. 54 (2) ZP I sowie das Fehlen jeglichen Verweises auf die Handlungsintention, lassen sich erklären. 82 Vgl. Henckaerts/Doswald-Beck/Alvermann, Customary International Humanitarian Law, ICRC Study, Band I: Rules, S. 189, Regel 54; Schmitt/Garraway/Dinstein (Hrsg.), The Manual on the Law of Non-International Armed Conflict: with Commentary, Regel 2.3.10; International Commission of Inquiry on Darfur, Report to the United Nations Secretary-General vom 25. Januar 2005, pursuant to Security Council Resolution 1564 vom 18. September 2004, abrufbar unter: https://www.un.org/ruleoflaw/files/ com_inq_darfur.pdf [abgerufen am 26.10.2020], S. 49, Rn. 166 (x); Hutter, Starvation as a Weapon, S. 214. 83 Henckaerts/Doswald-Beck/Alvermann, Customary International Humanitarian Law, ICRC Study, Band I: Rules, S. 189 ff.
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In gleicher Weise wie viele andere Bestandteile der Gewohnheitsrechtsstudie wurde auch Regel 54 mit Fokus auf den internationalen bewaffneten Konflikt formuliert. Entsprechend ihrem Vorbild, dem gesamten Set humanitärrechtlicher Normen, behandelt die Studie die Regelung nichtinternationaler Konflikte weitgehend als bloßen Annex. Ihre Formulierung wurde primär mit Blick auf das für konventionelle Kriege entwickelte Recht gewählt. Die Prämisse einer einfachen, möglichst kurz gehaltenen Zusammenstellung von Vorschriften erklärt zudem die Vereinfachung des Wortlauts, der den Verweis auf eine bestimmte Handlungsintention entbehrt. Die Verbindung zu dem Verbot des Aushungerns der Bevölkerung wird lediglich in der Kommentierung zu Regel 54 festgehalten: Das Verbot des Entzugs der Lebensgrundlage sei eine logische Konsequenz zu dem Verbot des Aushungerns als Methode der Konfliktführung.84 Ob mit der Trennung beider Verbote in der Gewohnheitsrechtsstudie auf das Bestehen eines intentionsunabhängigen Zerstörungsverbots im Gewohnheitsrecht hingewiesen werden sollte, lässt sich weder aus dem Wortlaut der Regel 54, aus ihrer Stellung in der Studie noch aus ihrer Kommentierung unmittelbar erkennen. Regel 54 der IKRK-Studie ist dem Kapitel 17 „Starvation and access to humanitarian relief“ untergeordnet und folgt direkt auf das Verbot des Aushungerns als Methode der Konfliktführung (Regel 53). Während die Kapitelüberschrift das Erfordernis der Intention unterstützt, spricht die Trennung beider Regeln eher dagegen. In den Ausführungen zu opinio iuris und Staatenpraxis zu Regel 54 wird durch die Verfasser der Studie nicht zwischen Nachweisen, die sich mit dem Verbot des Aushungerns befassen, und solchen, die sich mit einem weitergehenden Verbot der Zerstörung der Lebensgrundlage beschäftigen, unterschieden.85 Dies spräche wiederum gegen eine Überwindung des Intentionsmerkmals im heutigen
84 Vgl. die Kommentierung zu Regel 54, IKRK, Customary IHL Database, Rules, abrufbar unter: https://www.icrc.org/customary-ihl/eng/docs/v1_rul [abgerufen am 26.10.2020]. 85 Beispielsweise wird auf das 1999 Bulletin des UN-Generalsekretärs (UN Secretary General, Secretary-General’s Bulletin vom 6. August 1999, Observance by United Nations forces of international humanitarian law, ST/SGB/1999/13, Section 6.7) verwiesen, in dem es heißt: „The United Nations force is prohibited from attacking, destroying, removing or rendering useless objects indispensable to the survival of the civilian population, such as foodstuff, crops, livestock and drinking-water installations and supplies.“ Im gleichen Rahmen genannt wird Art. 8 (2) (b) (xxv) des IStGH-Statuts, sowie Sektion 6 (1) (b) (xxv) der Regulation 2000/15 zur Errichtung der Sonderkammern für OstTimor (Special Panels for Serious Crimes/SPSC); UNTAET, Regulation No. 2000/15 vom 6. Juni 2000 on the establishment of panels with exclusive jurisdiction over serious criminal offences, UNTAET/REG/2000/15), welche das Verbot ausdrücklich nur bei Vorhandensein der Intention des Aushungerns unter Strafe stellen. Anders als das Bulletin des Generalsekretärs von 1999 sind die beiden letztgenannten Normen allerdings zusätzlich nur auf internationale bewaffnete Konflikte anwendbar. Siehe die aktualisierte Datenbank der Staatenpraxis zu Regel 54 unter: https://www.icrc.org/customary-ihl/ eng/docs/v2_rul_rule54 [abgerufen am 26.10.2020].
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Recht. Allerdings sind Aufbau und Inhalt der IKRK-Studie nicht unbedingt identische Abbilder des tatsächlich existierenden Gewohnheitsrechts.86 Das Fehlen eines Verweises auf die Intention des Aushungerns der Bevölkerung in Regel 54 mag zwar ein starkes Argument für die Ausdehnung gewohnheitsrechtlichen Schutzes sein, als alleinige Begründung genügt es aber nicht. Allerdings beinhaltet auch die überwiegende Mehrheit der in der Studie aufgezählten nationalen Vorschriften kein Erfordernis einer bestimmten Handlungsintention als Bestandteil des Verbots. Stattdessen stellt die überwiegende Zahl innerstaatlicher Normen Objekte, die für das Überleben der Bevölkerung unerlässlich sind, unabhängig von dem durch die Zerstörung oder Wegnahme verfolgten Ziel unter besonderen Schutz.87 Weitere Beispiele nationaler Regelungen verweisen auf den Wortlaut des Art. 54 (2) ZP I88 beziehungsweise lediglich auf die Intention, der Zivilbevölkerung diese Objekte vorzuenthalten.89 Beide Formulierungsvarianten erlauben einen weiteren Anwendungsbereich des gewohnheitsrechtlichen Verbots, als es bei Art. 14 ZP II der Fall ist. Allerdings befasst sich nur ein kleiner Teil der genannten nationalen Beispiele ausdrücklich auch mit nichtinternationalen bewaffneten Konflikten.90 In den allermeisten Fällen aufge86 Allein die teils heftige Kritik an der Studie verbietet eine derartige Argumentationsführung. Deutlich: United States General Counsel of the Department of Defense and the Legal Adviser for the Department of State, Initial response of U.S. to ICRC study on Customary International Humanitarian Law with Illustrative Comments, 3. November 2006, abrufbar unter: https://2009-2017.state.gov/s/l/2006/98860.htm [abgerufen am 26.10.2020]. 87 Nur beispielsweise: Militärhandbuch der Niederlande (2005): „0534. It is prohibited to starve civilians. It is also prohibited to attack, destroy, remove or render useless such objects as are indispensable to the survival of the civilian population, such as foodstuffs, agricultural areas where foodstuffs are produced, crops, livestock, drinking-water installations and irrigation systems. It is irrelevant here whether the motive of the action is to starve the civilian population or some other motive“; (zitiert nach IKRK, Customary IHL Database, Practice, abrufbar unter: https://www. icrc.org/customary-ihl/eng/docs/v2 [abgerufen am 26.10.2020]). 88 Z. B. das Militärhandbuch Schwedens (Übersetzung in: Doswald-Beck/Henckaerts, Customary International Humanitarian Law, ICRC Study, Band II: Practice, Parts 1 and 2, Chapter 17, S. 1153, Rn. 222). Der Verweis bezieht sich allerdings nicht auf eine Ausweitung des Schutzes auch für nichtinternationale Konflikte. 89 Siehe z. B. das Militärhandbuch des ehem. Jugoslawien (abgedruckt bei DoswaldBeck/Henckaerts, a. a. O., Chapter 17, S. 1154, Rn. 228), sowie das Marinehandbuch von Ecuador (ibid., Rn. 205), das allerdings nur auf internationale bewaffnete Konflikte anzuwenden ist. 90 Eines der wenigen Beispiele ist das Militärhandbuch Argentiniens von 1989 (Ministerio de Defensa de la Republica Argentina, Leyes de Guerra, PC-08-01, Público, Edición 1989, Estado Mayor Conjunto de las Fuerzas Armadas, aprobado por Resolución, 23. April 1990, No. 489/89, nach dem während nichtinternationaler bewaffneter Konflikte Objekte, die für das Überleben der Zivilbevölkerung notwendig sind, unter besonderem Schutz stehen (vgl. IKRK, Customary IHL Database, Practice, abrufbar unter: https://www.icrc.org/customary-ihl/eng/docs/v2 [abgerufen am 26.10.2020], Regel 54, Section A).
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führter Staatenpraxis in Form von nationalen Militärhandbüchern findet sich auch kein Hinweis darauf, ob diese auch für nichtinternationale bewaffnete Konflikte Geltung besitzen.91 Mangels inhaltlicher Trennung der genannten Staatenpraxis in der Gewohnheitsrechtsstudie wird letztlich nicht klar, wie viele der aufgeführten Nachweise auch für diese Konfliktform Anwendung finden und damit die Existenz einer über Art. 14 ZP II hinausgehenden gewohnheitsrechtlichen Norm unterstützen. Die Mehrheit derjenigen Beispiele, die sich ausdrücklich mit nichtinternationalen Konflikten befassen, verlangt als Voraussetzung des Verbots dann aber tatsächlich keine besondere Intention des Aushungerns der Bevölkerung.92 Beispiele nationaler Gerichtsentscheidungen unterstützen die Existenz 91 Nur in einigen Fällen nationaler Vorgaben und Regelungen ist ihre Anwendbarkeit auch in nichtinternationalen Konflikten ersichtlich. Siehe die nationalen Beispiele von Argentinien (Doswald-Beck/Henckaerts, Customary International Humanitarian Law, ICRC Study, Band II: Practice, Parts 1 and 2, Kapitel 17, Rn. 198: die Intention der Zerstörung ist unerheblich); Australien (ibid., Rn. 199 f.: die Zerstörung ist zwar unabhängig von der Handlungsintention verboten, Kollateralschäden stellen jedoch keine Verletzung des Verbots dar, wenn sie nicht mit der Intention der Schädigung der Zivilbevölkerung geführt wurden. Die Ausführungen des Handbuchs sind somit nicht gänzlich widerspruchsfrei). Siehe ebenso die Beispiele des Benin (ibid., Rn. 202: Das Verbot ist unabhängig von jeder Intention); Kanada (ibid., Rn. 203: ausdrücklich unabhängig von der Handlungsintention); Kolumbien (ibid., Rn. 204: Auch hier besteht das Verbot unabhängig von einer bestimmten Intention); Ecuador (ibid., Rn. 205: Das Verbot besteht nur für Zerstörungen/Unbrauchbarmachungen von Objekten „for the specific purpose of denying the civilian population of their use“); Frankreich (ibid., Rn. 208: Art. 54 (2) ZP I wird im Wortlaut der Regelung inkorporiert. Allerdings bezieht sich das Militärhandbuch Frankreichs von 2012 auf die Konsequenz des Aushungerns der Bevölkerung: „La famine ne peut être utilisée comme méthode de guerre. Il est interdit de mener des attaques contre les biens indispensables à la survie de la population civile, tels les récoltes, le bétail, les installations et réserves d’eau potable et les ouvrages d’irrigation, et qui auraient pour conséquence d’affamer la population ou de la forcer à se déplace.“ [Herv. d. d.Verf.]; Ministère de la Défense, Manuel de Droit des Conflits Armés, S. 25. Auf eine Intention dieser Folge kommt es aber nicht an); Deutschland (ibid., Rn. 209 f. Das Handbuch von 2013 gibt lediglich den Inhalt des Art. 14 ZP II wieder; Bundesministerium der Verteidigung, Humanitäres Völkerrecht in bewaffneten Konflikten, Handbuch, ZDv 15/2, 2013, S. 181, Rn. 1324); Kenia (ibid., Rn. 214: unabhängig von der Handlungsintention); Madagascar (ibid., Rn. 215: Unabhängig von der Handlungsintention); Niederlande (ibid., Rn. 216: unabhängig von der Handlungsintention auch für nichtinternationale bewaffnete Konflikte); Neuseeland (ibid., Rn. 218: Das Handbuch gibt den Wortlaut von Art. 14 ZP II wider und führt aus, dass solche Zerstörungen/Unbrauchbarmachungen daher als Druckmittel gegenüber Zivilisten, die Rebellen unterstützen, verboten sind); Nigeria (ibid., Rn. 219: unabhängig von der Handlungsintention); Südafrika (ibid., Rn. 220: unabhängig von der Handlungsintention); Spanien (ibid., Rn. 221: nur bei Intention des Aushungerns verboten); Togo (ibid., Rn. 224: unabhängig von der Handlungsintention); dem ehemaligen Jugoslawien (ibid., Rn. 228: es kommt allein auf die Absicht, Zivilisten diese Objekte vorzuenthalten, an). Genannt in: Henckaerts/ Doswald-Beck/Alvermann, Customary International Humanitarian Law, ICRC Study, Band I: Rules, S. 191, Regel 54, Fn. 39. 92 Von den zwölf genannten Beispielen nationaler Gesetze (beziehungsweise nationaler Gesetzesentwürfe) mit direkter beziehungsweise nicht ausgeschlossener Anwend-
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eines vorsatzunabhängigen gewohnheitsrechtlichen Zerstörungsverbots zusätzlich.93 Die in der Studie genannten Beispiele derzeitiger Staatenpraxis lassen zumindest eine Tendenz erkennen, die Lebensgrundlage der Zivilbevölkerung unabhängig von einer bestimmten Schädigungsintention des jeweiligen Handlungsträgers unter Schutz zu stellen. Gerade in Bezug auf das Recht nichtinternationaler Konflikte, dessen anwendbares Vertragsrecht mit Art. 14 ZP II deutlich enger ist als das Pendant für konventionelle Kriege, zeigt sich die Nachweispraxis der IKRK-Studie aber zu ungenau. Dies mag an einem Zusammenspiel zweier Faktoren liegen: Einerseits unterließ das IKRK eine zur Untermauerung des Geltungsanspruchs der Regel auch in nichtinternationalen Konflikten förderliche Spezifikation derjenigen Staatenpraxis, die sich auch auf nichtinternationale Konflikte bezog. Andererseits scheinen auch die Nationalstaaten selbst die Geltung der in ihren Militärhandbüchern aufgenommenen Handlungsregeln in nichtinternationalen Konflikten nicht immer ausdrücklich zu kennzeichnen. Diese Unsicherheiten sind nur Beispiele der allgemeinen Problematik der Identifikation von Gewohnheitsrecht bei Vorliegen einer nur begrenzten Zahl eindeutiger Beispiele von Staatenpraxis und opinio iuris. Das Ausmaß notwendiger Nachweise für die Entstehung von Gewohnheitsrecht darf auch nicht überspannt werden. Zumindest derzeit hat sich das Verbot der Zerstörung, Entfernung oder Unbrauchbarmachung der Lebensgrundlage des Menschen in nichtinternationalen Konflikten trotz des starken Eindrucks der in der IKRK-Studie enthaltenen Praxisbeispiele bislang nicht gänzlich vom Erfordernis einer Handlungsintention lösen können. Das Vorhandensein restriktiverer Ansätze im derzeitigen Rechtsdiskurs, wie beispielsweise im NIAC Manual, in dem explizit ein Vorsatzelement vorausgesetzt wird94, erlaubt es (noch) nicht, einen schon geschehenen Rechtsfortschritt ohne Zweifel anzunehmen. barkeit auf nichtinternationale bewaffnete Konflikte setzen nur drei die Intention des Aushungerns der Bevölkerung voraus (Deutschland, Irland, Norwegen). Siehe Henckaerts/Doswald-Beck/Alvermann, a. a. O., S. 191, Regel 54, Fn. 40, i.V. m. DoswaldBeck/Henckaerts, Customary International Humanitarian Law, ICRC Study, Band II: Practice, Parts 1 and 2, Kapitel 17, S. 1155 ff., Rn. 229 ff. Zehn der 17 genannten Beispiele nationaler Militärhandbücher verbieten Zerstörungen unabhängig von einer bestimmten Intention. Nur vier der 17 Beispiele haben die spezifische Intention des Aushungerns der Zivilbevölkerung als Voraussetzung des Verbots (siehe Teil 2, Fn. 91). 93 Z. B. Corte Constitucional de la República de Colombia, Sentencia C-291/07; Sala Plena, Urteil der Großen Kammer vom 25. April 2007, abrufbar unter: https://www. corteconstitucional.gov.co/relatoria/2007/c-291-07.htm [abgerufen am 26.10.2020], S. 84–86 nach dem das Unterscheidungsprinzip in nichtinternationalen bewaffneten Konflikten auch das Verbot direkter Angriffe gegen Bestandteile der Lebensgrundlage der Zivilbevölkerung beinhalte. Das Gericht verweist an anderer Stelle allerdings nur auf Art. 14 ZP II als Gegenstand des Gewohnheitsrechts, ohne dessen Schutzbereich selbst erweitert zu sehen. Übersetzte Zitate bei: IKRK, Customary IHL Database, Practice, abrufbar unter: https://www.icrc.org/customary-ihl/eng/docs/v2 [abgerufen am 26.10.2020], Kapitel 17, Regel 54, V. Abschnitt: Nationale Gerichtsentscheidungen. 94 Die Formulierung des dort genannten Verbots verweist ausschließlich auf das Aushungern der Bevölkerung als Mittel der Kampfführung („Deliberate starvation of
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2. Teil: Das geltende Recht und seine Wirkung zum Erhalt der Umwelt
bb) Wirtschaftlich genutzte Umweltressourcen als Lebensgrundlage Soll durch das Verbot der Zerstörung der Lebensgrundlage auch nur ansatzweise das nachhaltige Überleben einer Bevölkerung gesichert werden, müsste es wenigstens auf einer den tatsächlichen Bedürfnissen angepassten Definition der Lebensgrundlage beruhen. Dass Art. 14 ZP II durchaus in der Lage wäre, über den Schutz von Existenzmitteln wie Nahrung und deren Anbaugebiete auch natürliche Ressourcen als wirtschaftliche Grundlage des Überlebens zu schützen, wurde bereits klargestellt. Eine an Sinn und Zweck orientierte Auslegung kommt unproblematisch zu diesem Ergebnis. Dieser Weg kann in Bezug auf das gewohnheitsrechtliche Verbot jedoch nicht eingeschlagen werden. Sein Regelungsumfang ist schließlich allein von Überzeugung und Praxis der Staaten abhängig und daher nicht in gleichem Maß der Auslegung offen.95 Vielmehr bedarf es diesbezüglich Nachweise in opinio iuris und Staatenpraxis. Sollten die Staaten davon ausgehen, dass auch wirtschaftlich verwertete Umweltressourcen als Lebensgrundlage zu schützen seien, nur dann wären sie auch gewohnheitsrechtlich geschützt. Die in der IKRK-Studie genannte Praxis bezog bislang aber allein solche Umweltelemente mit in den Schutzbereich, die unmittelbar dem Überleben der Bevölkerung dienen.96 Einzig der in der Kommentierung der Regel 54 enthaltene Verweis auf einen Hinweis der mit der Ausarbeitung der Verbrechenselemente des IStGH befassten Vorbereitungskommission lässt hoffen. Das Verbot des Aushungerns, so die Staatendelegationen, müsse im Völkerstrafrecht mehr civilians as a method of warfare is forbidden“). Ein Verbot eines als bloße Nebenfolge der Kriegshandlungen auftretenden Aushungerns wird in der Kommentierung explizit abgelehnt (Schmitt/Garraway/Dinstein (Hrsg.), The Manual on the Law of Non-International Armed Conflict: with Commentary, Kapitel 2.3.10, S. 45 f., insb. Rn. 3). Hinweise auf den gewohnheitsrechtlichen Status der Regel sind, anders als bei anderen Handlungsverboten, in der Kommentierung nicht genannt. Auch Hinweise darauf, ob allein die für das primäre Überleben notwendigen Güter wie Nahrung (aber auch Medikamente) und ihre Produktionsstätten, oder auch die wirtschaftliche Grundlage des Überlebens der Bevölkerung von dem Verbot umfasst sind, fehlen. Ähnlich formuliert ist auch Regel 97 (a) des HPCR, Manual on International Law applicable to Air and Missile Warfare, die laut Kommentierung auch in nichtinternationalen bewaffneten Konflikten Anwendung findet (Regel 97 (a), Kommentierung, Rn. 6). Daneben ähnelt Regel 97 (b) dem Vorbild Art. 54 (2) ZP I. Auch 97 (b) versteht die Intention des Aushungerns als notwendiges Verbotselement (Regel 97 (b), Kommentierung, Rn. 2). Ob auch Güter zur wirtschaftlichen Verwertung als Lebensgrundlage von dem Verbot in der Fassung des HPCR Manual umfasst sind, wird in der Kommentierung nicht erläutert. 95 Zu den Grenzen der Auslegung von Gewohnheitsrecht, siehe ausführlicher unten 2. Teil, § 3, B., IV., 2., c). Siehe zudem Koskenniemi, Theory: Implications for the Practitioner, in: Allott (Hrsg.), Theory and International Law: An Introduction, S. 22; Schlütter, Developments in Customary International Law, S. 89; Herdegen, Interpretation in International Law, in: Wolfrum (Hrsg.), The Max Planck Encyclopedia of Public International Law, opil.ouplaw.com/home/EPIL, Rn. 61. 96 Vgl. die Ausführungen zu Regel 54, IKRK, Customary IHL Database, Rules, abrufbar unter: https://www.icrc.org/customary-ihl/eng/docs/v1_rul [abgerufen am 26.10.2020].
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umfassen als das Vorenthalten von Nahrungsmitteln. „[S]tarvation“ so die an der Ausarbeitung der Verbrechenselemente beteiligten Staatenvertreter, sollte nicht nur eine restriktive Bedeutung als „starving as killing by hunger or depriving of nourishment“ besitzen, sondern allgemeiner auch den Entzug beziehungsweise die nicht ausreichende Zurverfügungstellung von lebensnotwendigen Gütern („of some essential commodity, of something necessary to live“) beinhalten.97 Unter diese weite Definition könnten unproblematisch auch Umweltressourcen als wirtschaftliche Lebensgrundlage gefasst werden. Trotz dieses Verweises kann noch nicht davon ausgegangen werden, dass ein weites Verständnis des Begriffs der Lebensgrundlage mittlerweile auch gewohnheitsrechtliche Anerkennung findet. Beispielsweise befasste sich nur wenige Jahre nach der Ausarbeitung der Verbrechenselemente auch die UN-Untersuchungskommission zu Darfur mit dem gewohnheitsrechtlichen Verbot des Entzugs der Lebensgrundlage. Sie bestimmte die Reichweite des Verbots erneut allein nach dem Maßstab eines drohenden Aushungerns durch den Entzug von Lebensmitteln oder deren Anbaugebiete.98 Eine Anpassung des gewohnheitsrechtlichen Schutzes der Lebensgrundlage an die tatsächlichen Bedürfnisse einer Bevölkerung, bezogen nicht nur auf eine Mahlzeit, einige Tage oder eine Ernteperiode, steht also noch aus. Der gewohnheitsrechtlich bewirkte Schutz natürlicher Ressourcen ist daher weiterhin stark begrenzt. 3. Bewertung und Ansätze der Schutzverstärkung
Nach einer an Sinn und Zweck orientierten Auslegung des Art. 14 ZP II können neben den als Ernährungsgrundlage verwendeten Umweltkomponenten auch solche Bestandteile der Umwelt, welche die wirtschaftliche Lebensgrundlage einer Zivilbevölkerung darstellen, geschützt werden. Richtigerweise wären neben landwirtschaftlich genutzten Flächen und Wäldern, Gewässern, Nutztieren und -pflanzen, auch Abbaugebiete wirtschaftlich genutzter natürlicher Ressourcen erfasst. Das Zerstören, aber auch der Entzug dieser Rohstoffquellen durch Zugangsverwehrung, kann durch Art. 14 ZP II grundsätzlich verboten werden. Bislang besteht in dieser Hinsicht jedoch noch keine Einigkeit. Welche Umweltbestandteile 97 Dörmann, Preparatory Commission for the International Criminal Court: The Elements of War Crimes Part II, International Review of the Red Cross 83 (2001), S. 475. 98 International Commission of Inquiry on Darfur, Report to the United Nations Secretary-General vom 25. Januar 2005, pursuant to Security Council Resolution 1564 vom 18. September 2004, abrufbar unter: https://www.un.org/ruleoflaw/files/com_inq_ darfur.pdf [abgerufen am 26.10.2020], Rn. 166 Nr. (x), Fn. 90. Zur gewohnheitsrechtlichen Herleitung des Verbots der Zerstörung der Lebensgrundlage der Bevölkerung wird allein auf das Militärhandbuch des Vereinigten Königreichs verwiesen (United Kingdom Ministry of Defence, The Joint Service Manual of the law of armed conflict of 2004, 15.19.1). Dort heißt es: „[T]he right to life is a non-derogable human right. Violence to the life and person of civilians is prohibited, whatever method is adopted to achieve it. It follows that the destruction of crops, foodstuffs, and water sources, to such an extent that starvation is likely to follow, is also prohibited.“
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2. Teil: Das geltende Recht und seine Wirkung zum Erhalt der Umwelt
oder Rohstoffe als für die Bevölkerung lebensnotwendig angesehen werden, liegt aufgrund der Offenheit der Norm bislang in der Diskretion der handelnden Konfliktparteien.99 Durch das Erfordernis der Intention des Aushungerns ist das Verbot jedenfalls aber zu eng gefasst, um den tatsächlichen Gefahren für die lebensnotwendige Umwelt in nichtinternationalen Konflikten zu begegnen. Der Ausbeutung natürlicher Ressourcen zur Konfliktfinanzierung, die so häufig Ursprung verheerender Umweltzerstörungen in internen Konflikten ist, kann durch das Verbot kein Einhalt geboten werden. Selbst schwerste Zerstörungen der Lebensgrundlage einer Bevölkerung, wie sie z. B. durch den Einsatz von Entlaubungsmitteln im Vietnamkrieg und den innerstaatlichen Konflikten in Guatemala und El Salvador in den 1980er Jahren100 hervorgerufen wurden, fallen bei Verweis auf die Verfolgung anderer Ziele aus dem Rahmen der Norm.101 Eine gewisse Erhöhung bestehenden Umweltschutzes kann allerdings durch die derzeitige Gewohnheitsrechtsentwicklung ausgemacht werden. Nicht nur ist das Verbot der Zerstörung der Lebensgrundlage der Bevölkerung auch in nichtinternationalen Konflikten gewohnheitsrechtlich verankert, die derzeitige Entwicklungstendenz deutet auch gegen das Erfordernis einer spezifischen Handlungsintention bei der Auslösung der Verbotsnorm. Solange diese Entwicklung aber noch keine überwiegende Unterstützung durch Staaten und Gerichte erfahren hat und gewichtige Gegenstimmen beispielsweise durch die Darfur-Kommission102 oder die Autoren des NIAC Manual103 geäußert werden, kann von einem bereits etablierten gewohnheitsrechtlichen Schutz nicht ausgegangen werden. Zukünftige Entwicklungen sind jedoch möglich. Im nationalen Recht existieren schon heute positiv wirkende Ansätze. Ein solcher findet sich beispielsweise im 99 Diese Diskretion führt allerdings auch zu nicht unbeträchtlicher Rechtsunsicherheit und gibt Akteuren eine unter Umständen bedenkliche Möglichkeit, die Anwendbarkeit der (aufgrund der verlangten Intention) sowieso sehr engen Norm zu umgehen. So auch Mollard-Bannelier, La protection de l’environnement en temps de conflit armé, S. 188 f. 100 Entlaubungsmittel wurden, wenn auch nicht im gleichen Umfang wie in Vietnam, auch durch staatliche Streitkräfte in Guatemala und El Salvador eingesetzt. Vgl. Gardner/Wiliams, Guatemala A political ecology, EPOCA Green Paper No. 5 S. 13; Hall/ Faber, El Salvador: Ecology of Conflict, EPOCA Green Paper No. 4, S. 8 f.; Austin/ Bruch, Introduction, in: Austin/Bruch (Hrsg.), The environmental consequences of war, S. 2. 101 So urteilte der United States Court of Appeals (2nd Circuit), Vietnam Association for Victims of Agent Orange/Dioxin v. Dow Chemicals Co., Urteil vom 22. Februar 2008, No. 05-1953-cv, abrufbar unter: http://www.vn-agentorange.org/AO_2nd_Cir cuit_Opinion_20080222.pdf [abgerufen am 26.10.2020], S. 26), schon für den Fall internationaler bewaffneter Konflikte, dass die Intention der Schädigung von Zivilisten Voraussetzung des (im konkreten Fall gewohnheitsrechtlichen) Verbots sei. Das Gericht ging daher davon aus, dass der Einsatz von Agent Orange in Vietnam nicht gegen ein existierendes internationales Verbot dieser Art verstieß. 102 Vgl. Teil 2, Fn. 98. 103 Vgl. Teil 2, Fn. 94.
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aktuellen Militärhandbuch Frankreichs.104 Anders als Art. 14 ZP II geht das Handbuch bei seinem Verbot nicht von der Intention, sondern von der tatsächlichen Folge des Aushungerns, beziehungsweise deren Möglichkeit und Vorhersehbarkeit, aus. Das Vorsatzelement wird durch die französische Herangehensweise also nicht gänzlich aufgegeben, erfährt jedoch eine praxisgerechte Modifikation, die auch der Problematik der Nachweisbarkeit eines entsprechenden Vorsatzes Rechnung trägt. Gegen ein derart formuliertes Verbot hätte die durch Saddam Hussein angeordnete Austrocknung des mesopotamischen Marschlandes in jedem Fall verstoßen. Auf das Bekanntwerden einer gegen die Zivilbevölkerung gerichteten Handlungsintention wäre es nicht mehr angekommen. Auch der durch die Eritrea-Äthiopien-Kommission behandelte Fall der Zerstörung eines Wasserreservoirs wäre wohl anders entschieden worden.105 Das Absehen von der Notwendigkeit einer Vorsatzermittlung zugunsten des Maßstabs der Vorhersehbarkeit mag nur wie ein geringer Unterschied im Recht wirken. Gerade in internen Konflikten, in denen Informationen über Planung und Ausführung von feindlichen Handlungen für Außenstehende nur in sehr begrenztem Umfang zu erlangen sind106, kann diese Modifikation aber einen maßgeblichen Effektivitätsunterschied machen. Aber selbst, wenn das Intentionselement zukünftig kein Bestandteil des gewohnheitsrechtlichen Verbots mehr darstellen würde, wäre die Umwelt als Existenzgrundlage des Menschen nicht ausreichend geschützt. Die Aussichten darauf, auch die wirtschaftliche Lebensgrundlage einer Bevölkerung, oder, wie zuletzt von ILC Special Rapporteur Lehto vorgeschlagen wurde, sogar alle Bestandteile der Umwelt an sich107 unter das gewohnheitsrechtliche Handlungsverbot subsumieren zu können, sind nochmals geringer. Trotz begrüßenswerter Bestrebungen, 104
Für den Text der Vorschrift siehe Teil 2, Fn. 91. Zur Zerstörung des Reservoirs siehe oben, Teil 2, Fn. 81. 106 Jha, Armed Conflict and Environmental Damage, S. 108. 107 So ILC Special Rapporteur Letho in ihrem Bericht von 2018. In Bezug auf den Schutz der Umwelt speziell in besetzten Gebieten (Art. 54 ZP I) argumentierte sie, die erfassten Umweltbestandteile müssten weit definiert werden, um einen möglichst effektiven Schutz zu erreichen. Art. 54 ZP I könne daher dahingehend interpretiert werden, dass die Umwelt allgemein, inklusive der Qualität von Wasser, Erde und eines gesunden Ökosystems geschützt sei, „to the extent that civilian populations depend on it“ (ILC, First Report on Protection of the Environment in Relation to Armed Conflicts by Marja Lehto, Special Rapporteur, 30. April 2018, A/CN.4/720, Rn. 42 mit einem nicht weiterführenden Verweis auf die United Nations Environmental Assembly, Resolution on Environment and Health, UNEP/EA.3/Res.4, die sich mit der Auslegung des Verbots jedoch gar nicht befasst). Diese Formulierung kann leicht dahingehend missverstanden werden, dass die Umwelt an sich insoweit durch das bestehende Verbot geschützt sei, als Zivilbevölkerungen von ihr abhängig sind. Die (langfristige) Abhängigkeit einer Bevölkerung von der Qualität von Umweltbestandteilen und dem Funktionieren von Ökosystemen ist jedoch nicht mit der Notwendigkeit der Verfügbarkeit eines Umweltbestandteils für das unmittelbare Überleben der Zivilbevölkerung gleichzusetzen. Ein an dem langfristigen Überleben der Menschen orientiertes Verständnis liegt jedoch (noch) nicht dem bestehenden Zerstörungsverbot zugrunde. 105
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u. a. von ILC Special Rapporteur Marja Lehto, die Reichweite entsprechender Zerstörungsverbote auf möglichst viele Bestandteile der Umwelt zu erstrecken108, entspricht ein weitgehendes Verbot der Schädigung der Umwelt als Überlebensgrundlage des Menschen jedenfalls noch nicht gewohnheitsrechtlicher Realität. Nur ein sehr begrenzter Ausschnitt der natürlichen Lebensgrundlage des Menschen kann derzeit durch Art. 14 ZP II beziehungsweise dessen gewohnheitsrechtliches Pendant geschützt werden. Gemessen an den heutigen Erkenntnissen über Ökosystemabhängigkeiten, die das Leben einer ansässigen Bevölkerung ermöglichen, erleichtern und mehr oder weniger stark beeinflussen, ist der durch das Verbot bewirkte Schutz marginal. Die kurzsichtige Abwägung von Erhaltungs- und Handlungsinteressen, die eine langfristige, eigenständige Existenzsicherung der Bevölkerung durch wirtschaftliche Verwertung ihrer Ressourcen gänzlich außer Acht lässt, bewirkt zu wenig. II. Die Umwelt als Eigentum: Das Plünderungsverbot des Art. 4 (2) (g) ZP II „The war in Sierra Leone is simply about diamonds.“ 109 1. Ausbeutung natürlicher Ressourcen: Plünderungen in neuzeitlichen Konflikten
Der Reichtum an Diamanten wurde Sierra Leone zum Verhängnis. Doch waren die Bodenschätze des Staates kein Ziel feindlicher Zerstörungshandlungen. Es
108 Ibid. Allerdings bezieht sich die von Special Rapporteur Lehto gewählte Interpretation auf die Reichweite von Art. 54 ZP I und damit auf Vertragsrecht (für internationale Konflikte), das anders als Gewohnheitsrecht der Auslegung nach Sinn und Zweck offensteht. Im Kontext der Darstellung bestehenden Vertragsrechts ist diese Interpretation also durchaus vertretbar. Aufgrund der begrenzten Auslegbarkeit gewohnheitsrechtlicher Normen, die allein aus der Überzeugung und Praxis von Staaten erwachsen, muss jedoch zwischen der Reichweite von Vertragsrecht und Gewohnheitsrecht getrennt werden. 109 Das Zitat stammt aus einer Rede des ehemaligen Finanzministers von Sierra Leone, die er anlässlich einer Veranstaltung der Deutschen Stiftung für internationale Entwicklung (DSE) im Jahr 2000 hielt (Jonah, Economic dimensions of the conflict in Sierra Leone. Speech presented by the Minister of Finance of Sierra Leone in Development and Disarmament, Development Policy Forum of the German Foundation for International Development, Bonn, Oktober 2000; zitiert in: Francis, Diamonds and the civil war in Sierra Leone, The Courier (2001), S. 75 sowie in Lujala/Gleditsch/Gilmore, A Diamond Curse? Civil War and a Lootable Resource, Conflict Resolution 49 (2005), S. 539. Differenzierend u. a. Gberie, A dirty war in West Africa: The RUF and the destruction of Sierra Leone, S. 6; Fichtelberg, Resource Wars, Environmental Crime, and the Laws of War: Updating War Crimes in a Resource Scarce World, in: Brisman/ South/White (Hrsg.), Environmental Crime and Social Conflict, S. 180. Einführend auch UNEP, Sierra Leone: Environment, Conflict and Peacebuilding Assessment; Lujala, The spoils of nature: Armed civil conflict and rebel access to natural resources, Journal of Peace Research 47 (2010), S. 15 ff.
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war der interne Kampf um ihren Besitz, ihre Ausbeutung und Verwertung, der das Land nachhaltig schädigte. Seit der Unabhängigkeit Sierra Leones im Jahr 1961 lag die Kontrolle der Diamantenminen und des aus ihnen resultierenden Reichtums in den Händen eines kleinen Personenkreises. Die Teilhabe der Bevölkerung an Nutzung und Verwertung der natürlichen Ressourcen des Territoriums wurde durch ihn gänzlich ausgeschlossen.110 Getrieben und begünstigt durch den benachbarten Bürgerkrieg in Liberia brach 1991 ein Aufstand perspektivenloser und unter Misswirtschaft und Korruption leidender RUF-Rebellen gegen die Regierung aus. Er sollte sich in den Folgejahren zu einem blutigen Konflikt um die Herrschaft über die Diamantenvorkommen entwickeln.111 Unter Führung von Charles Taylor gelang der RUF schon im frühen Verlauf der Auseinandersetzungen die Kontrolle über die im Osten des Staatsgebiets befindlichen Diamantenminen. Der illegale Handel mit Rohdiamanten brachte den Rebellen Millionen ein112 und ermöglichte die Fortführung des Bürgerkriegs bis in die späten 1990er Jahre.113 Die Ausbeutung und Nutzung der Diamanten zur Ausweitung geografischer, militärischer und wirtschaftlicher Kontrolle wurde schrittweise zum Hauptinteresse aller am Konflikt beteiligten Gruppierungen.114 Während die durch mehrere Putsche geschwächte Staatsregierung der RUF zunächst kaum etwas entgegensetzen konnte, beachtete auch die internationale Gemeinschaft die gravierenden Gewaltanwendungen sowie die Ursachen für den Ausbruch und die Fortführung des Bürgerkriegs erst spät.115 Als der Konflikt 2002 endete, waren schätzungsweise 70.000 Tote zu beklagen.116 Über die Hälfte der Bevölkerung hatte ihr Heim und ihren Wohnort verloren.117 Der Einsatz von Kindersoldaten sowie der grausame Umgang mit der unterdrückten Zivilbevölkerung als Folge eines ressourcengetriebenen Konflikts verblieben in der Erinnerung der Weltöffentlichkeit. 110 Das, Environmental Protection, Security and Armed Conflict: A sustainable development perspective, S. 97; Kabia, Humanitarian Intervention and Conflict Resolution in West Africa, S. 104 f.; Kaldor/Vincent, Evaluation of UNDP Assistance to Conflict Affected Countries-Human Security: Case Study Sierra Leone, S. 8. 111 UNEP, Sierra Leone: Environment, Conflict and Peacebuilding Assessment, S. 11; Das, Environmental Protection, Security and Armed Conflict: A sustainable development perspective, S. 97. 112 Vgl. Teil 2, Fn. 74. 113 Okowa, Environmental Justice in situations of armed conflict, in: Ebbesson/ Okawa (Hrsg.), Environmental Law and Justice in Context, S. 235. 114 Harwell, Building momentum and constituncies for peace: The role of natural resources in transitional justice and peacebuilding, in: Bruch/Muffett/Nichols (Hrsg.), Governance, Natural Resources, and Post-Conflict Peacebuilding, S. 647. 115 Erst 1997 reagierte der Sicherheitsrat mit einer Resolution nach Kapitel VII: UNSC, Resolution 1132 vom 8. Oktober 1997 on Sierra Leone, S/RES/1132 (1997). 116 Kaldor/Vincent, Evaluation of UNDP Assistance to Conflict Affected CountriesHuman Security: Case Study Sierra Leone, S. 6. Akkurate Statistiken über die Opferzahlen existieren allerdings nicht. 117 Kaldor/Vincent, a. a. O.
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Eine ähnliche Steuerungswirkung kam auch den Bodenschätzen Angolas zu. Vor allem die späte Bürgerkriegsphase zwischen 1992 und dem Ende des Konflikts 2002 wurde maßgeblich durch die Ausbeutung natürlicher Ressourcen gelenkt. Als die Unabhängigkeitsbewegung UNITA (União Nacional para a Independência Total de Angola) nach Nichtanerkennung der Wahlergebnisse von 1991 und Wiederaufnahme bewaffneter Auseinandersetzungen einen Großteil internationaler Unterstützung verloren hatte, finanzierten die Rebellen die Konfliktführung über zehn weitere Jahre durch den Abbau und Verkauf von Diamanten. Aber auch die MPLA-Regierung, die sich aus der vorherigen Befreiungsbewegung Movimento Popular de Libertação de Angola zu einer sozialdemokratischen Partei gewandelt und 1991 als Wahlsieger die Regierung übernommen hatte, finanzierte die Fortsetzung des Konflikts durch den Handel mit natürlichen Ressourcen, insbesondere mit Rohöl. Die Preise von Diamanten und Öl auf dem Weltmarkt bestimmten letztlich sogar den Verlauf des Konfliktes in Angola.118 Ein ähnliches Bild zeigte sich auch in Kambodscha: Als nach Ende des Kalten Krieges die finanzielle Unterstützung sowohl der Regierung als auch der Khmer Rouge austrocknete, gingen die damaligen Konfliktakteure dazu über, die Fortführung des Bürgerkriegs durch die Rodung und den Verkauf von Holz zu finanzieren.119 Das Vorhandensein natürlicher Ressourcen ist nicht nur Ursache für einige der blutigsten Auseinandersetzungen der letzten Jahrzehnte120, der Handel mit geplünderten Umweltgütern stellt heute sogar die Hauptfinanzierungsquelle bewaffneter Konflikte dar.121 Der Begriff des Ressourcenfluchs ist kennzeichnend für eine Welt, in der die ressourcenreichsten Staaten die geringste soziale und wirtschaftliche Entwicklung verzeichnen und häufigste Schauplätze bewaffneter Konflikte sind.122 Diamanten, Rohöl, Holz, Coltan, Elfenbein so lauten die För118 Vgl. insg. Collier, The bottom billion, S. 26 der den Bürgerkrieg in Angola aus diesem Grund als „ultimate natural resource war“ bezeichnet. 119 Dam-de Jong, From Engines for Conflict into Engines for Sustainable Development: The Potential of international Law to Address Predatory Exploitation of Natural Resources in Situations of Internal Armed Conflict, Nordic Journal of International Law 82 (2013), S. 157; Le Billon/Springer, Between War and Peace: Violence and Accomodation in the Cambodian Logging Sector, in: Jong/Donovan/Abe (Hrsg.), Extreme Conflict and Tropical Forests, S. 20. 120 ILC, Second Report on Protection of the Environment in Relation to Armed Conflicts by Marja Lehto, Special Rapporteur, 27. März 2019, A/CN.4/728, Rn. 17. 121 UNEP, From conflict to peacebuilding, S. 11; Stewart, Corporate war crimes: Prosecuting the pillage of natural resources, S. 9; Bannon/Collier, Natural Resources and Conflict: What We Can Do, in: Bannon/Collier (Hrsg.), Natural Resources and Violent Conflict, S. 3; Lujala/Gleditsch/Gilmore, A Diamond Curse? Civil War and a Lootable Resource, Conflict Resolution 49 (2005), S. 538; Ezekiel, The application of international criminal law to resource exploitation: Ituri, Democratic Republic of Congo, Natural Resources Journal 47 (2007), S. 225. 122 Stewart, a. a. O., S. 9; Le Billon, The political ecology of war: natural resources and armed conflicts, Political Geography 20 (2001), S. 563; Ross, How Do Natural Re-
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derer bewaffneter Konflikte in Sierra Leone, in Angola, dem Sudan, Liberia oder der DRK.123 Aber auch der Handel mit Wildfleisch und seltenen Arten ist zu ihnen zu zählen.124 Mit ihrem Verkauf sichern sich Regierungen ihre Machtposition und finanzieren bewaffnete Gruppen die Fortführung gewaltsamer Auseinandersetzungen. Benachbarte Staaten und multinationale Unternehmen profitieren durch Handelsbeziehungen mit beiden Konfliktparteien und erhalten die Nachfrage und damit den Handelswert der extrahierten Ressourcen.125 Und wenngleich humanitäres Völkerrecht oft nicht in der Lage scheint, diesem Treiben Einhalt zu gebieten, ist seine klare Antwort auf die Frage der Zulässigkeit der Ausbeutung und Plünderung natürlicher Ressourcen notwendiger Ausgangspunkt einer breiteren politischen und rechtlichen Reaktion. An dieser Stelle tritt der humanitärrechtliche Eigentumsschutz auf die Bildfläche der Handlungsbegrenzungen. 2. Herleitung und Schutzfunktion des Plünderungsverbots
Ähnlich dem Schutz der menschlichen Lebensgrundlage vermittelt dieses, dem Kriegsrecht seit frühen Zeiten zugehörige Handlungsverbot Bestandteilen der Umwelt indirekt Schutz auch in nichtinternationalen Konflikten. Noch lange vor der Verankerung eines ausdrücklichen Gebots der Schonung ziviler Objekte im ersten Zusatzprotokoll von 1977 beschränkte das ius in bello den zulässigen Umgang mit Objekten, die im Eigentum der Zivilbevölkerung stehen. Auch vor dem Hintergrund einer moralischen Überlegung der Ritterlichkeit untersagten bereits Art. 28 und 47 der Haager Landkriegsordnung (HLKO)126 Plünderungen feindlicher Städte sowie besetzter Gebiete. Schon zuvor war ein ähnliches Verbot in Art. 44 des Lieber Codes von 1863 sowie in Art. 32 des 1880 durch das Institut de Droit international erarbeiteten Manuel des lois de la guerre sur terre (Oxford sources Influence Civil War? Evidence from Thirteen Cases, International Organization 58 (2004), S. 49 ff. 123 Illegale Ausbeutungen der natürlichen Ressourcen durch Mitglieder der UPDF in der DRK prägten den Konflikt zwischen der DRK und Uganda. 2005 stellte der IGH fest, dass Uganda durch diese Aktionen gegen seine gewohnheitsrechtlichen Pflichten als Besatzungsmacht auf Basis des Artikels 43 HLKO verstoßen hatte (IGH, Case Concerning Armed Activities on the Territory of the Congo, Urteil vom 19. Dezember 2005, I.C.J. Reports 2005, S. 168 ff., Rn. 237 ff.). Mit dieser Feststellung blieb der IGH allerdings noch hinter den Anträgen der DRK zurück. Diese hatte u. a. vorgebracht, Uganda hätte das Recht der DRK auf Souveränität bezüglich ihrer natürlichen Ressourcen verletzt (Rn. 226). Einführend: Okowa, Case concerning Armed Activities on the Territory of the Congo (Democratic Republic of the Congo v Uganda), The International and Comparative Law Quarterly 55 (2006), S. 742 ff. 124 ILC, Second Report on Protection of the Environment in Relation to Armed Conflicts by Marja Lehto, Special Rapporteur, 27. März 2019, A/CN.4/728, Rn. 17 m.w. N. 125 Gathii, War, Commerce, and International Law, S. 212. 126 Annex to the Hague Convention (IV) respecting the Laws and Customs of War on Land: Regulations concerning the Laws and Customs of War on Land vom 18. Oktober 1907, 187 CTS 227.
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2. Teil: Das geltende Recht und seine Wirkung zum Erhalt der Umwelt
Manual) enthalten.127 Die Genfer Abkommen von 1949 griffen das Verbot zugunsten verwundeter Kombattanten und Zivilisten sowie im Kontext besetzter Gebiete erneut auf.128 Laut der Kommentierung des Vierten Genfer Abkommens habe das Verbot sowohl in besetzten Gebieten als auch in Gebieten feindlicher Konfliktparteien außerhalb einer Okkupation Relevanz.129 Durch Art. 4 (2) (g) ZP II wurde das Verbot der Plünderung erstmals auch für den Kontext nichtinternationaler bewaffneter Konflikte angeordnet.130 Mittlerweile ist auch der gewohnheitsrechtliche Charakter des Plünderungsverbots in nichtinternationalen Konflikten unstrittig anerkannt.131 Obwohl humanitäres Völkerrecht an keiner Stelle weitere Ausführungen zum Regelungsumfang des Plünderungsverbots macht, ergibt sich aus dessen Begriff die notwendige Verbindung zu fremdem Eigentum. „Pillage“, so heißt es beispielsweise im Oxford English Dictionary, ist der durch Gewalt bewirkte Raub oder Diebstahl vor allem im Kontext bewaffneter Konflikte.132 Traditionell wurde durch das Verbot der durch einzelne Soldaten oder als organisierte Plünderungen vollzogene Raub im Rahmen kriegerischer Auseinandersetzungen erfasst, der in früheren Konflikten teils noch als Belohnung der Truppen für geleistete Dienste als zulässig erachtet worden war133.134 Dieses auf eine gewaltsame Weg127 Instructions for the Government of Armies of the United States in the Field vom 24. April 1863, General Orders No. 100 (Lieber Code), abrufbar unter: http://avalon. law.yale.edu/19th_century/lieber.asp [abgerufen am 26.10.2020]; Institut de Droit International, Manuel des lois de la guerre sur terre, 9. September 1880 (Oxford Manual), abrufbar unter: https://ihl-databases.icrc.org/applic/ihl/dih.nsf/Treaty.xsp?action=open Document&documentId=385327CC858DD0CBC12563140043A18E [abgerufen am 26.10.2020]. 128 Art. 15 (1) GA I zum Schutz der Verwundeten sowie Art. 16 GA IV zugunsten verwundeter Zivilisten. Art. 33 GA IV untersagt Plünderungen in besetzten Gebieten. 129 Vgl. die Kommentierung zu 33 GA IV, in: Pictet (Hrsg.), Commentary on the IV. Geneva Conventions of 12 August 1949 relative to the Protection of Civilian Persons in Time of War, S. 225. 130 Art. 4 (2) (g) ZP II lautet: „Without prejudice to the generality of the foregoing, the following acts against the persons referred to in paragraph 1 are and shall remain prohibited at any time and in any place whatsoever: (g) pillage.“ 131 ICTY, Prosecutor v. Enver Hadz ˇ ihasanovic´, Amir Kubura, Appeals Chamber Decision on Joint Defence Interlocutory Appeal of Trial Chamber Decision on Rule 98bis Motions for Acquittal, 11. März 2005, Case No. IT-01-47-AR73.3, Rn. 37; SCSL, Prosecutor v. Moinina Fofana and Allieu Kondewa, Urteil der Berufungskammer vom 28. Mai 2008, Case No. SCSL-04-14-A, Rn. 390. Siehe zudem Regel 52 der IKRKStudie sowie die in ihr genannten Praxisnachweise (IKRK, Customary IHL Database, Practice, abrufbar unter: https://www.icrc.org/customary-ihl/eng/docs/v2 [abgerufen am 26.10.2020], Praxis zu Regel 52). 132 Pillage, in: Oxford University Press (Hrsg.), Oxford English dictionary: the definitive record of the English language online, www.oed.com. 133 Dam-de Jong, International law and governance of natural resources in conflict and post-conflict situations, S. 219. 134 Nuernberg Military Tribunals, US v. Carl Krauch et al. (The I.G. Farben Case), Trials of War Criminals before the Nuernberg Military Tribunals under Control Council
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nahme von Eigentumsgegenständen fokussierte Verständnis von Plünderungen erfuhr im Rahmen des I.G. Farben-Verfahrens der Nürnberger Nachfolgeprozesse eine erhebliche Ausweitung. Nunmehr erfüllte auch die ohne Einwilligung des Berechtigten erfolgte Inbesitznahme fremden Eigentums oder fremder Eigentumsrechte das Verbot. Auf eine gewaltsame Aneignung kam es nicht mehr an. Sowohl öffentliches als auch privates Eigentum wurde erfasst.135 Eine autoritative Definition des Begriffs der Plünderung im humanitären Völkerrecht bildete sich jedoch auch in den folgenden Jahrzehnten nicht heraus. Im Rahmen einer strafrechtlichen Bewertung beschrieb der ICTY im Kordic´-Verfahren Plünderungen als Aspekt illegaler Inbesitznahme von Eigentum im Kontext bewaffneter Konflikte.136 Im Verfahren zu dem Gefangenenlager Cˇelebic´i grenzte sich die Verfahrenskammer dann jedoch von der im I.G. Farben-Prozess genutzten Auslegung137 ab, indem sie angab, Plünderungen implizierten grundsätzlich ein gewaltsames Vorgehen.138 Diese Beschränkung erfährt allerdings überwiegend Ablehnung.139 Sie ist laut den Elements of Crime des IStGH auch kein Bestandteil des Art. 8 (2) (e) (v) IStGH-Statut, der die Plünderung von Städten in nichtinternationalen Konflikten unter Strafe stellt.140 Auf eine gewaltsame Wegnahme kommt es richtigerweise also nicht an. Notwendige Komponente des Plünderungstatbestands ist dagegen die subjektive Voraussetzung der Aneignungsintention sowie deren Umsetzung durch einen No. 10, Oktober 1946–April 1949, Band 8, S. 1 ff. (Section VIII ff.), S. 898; Carducci/ Pillage, in: Wolfrum (Hrsg.), The Max Planck Encyclopedia of Public International Law, opil.ouplaw.com/home/EPIL, Rn. 7 der allerdings auch darauf hinweist, dass Plünderungen schon in früheren Zeiten als schädlich für die militärische Disziplin angesehen worden waren. Junod, Commentary on Art. 4 Protocol II, in: Sandoz/Swinarski/ Zimmermann (Hrsg.), Commentary on the Additional Protocols of 8 June 1977 to the Geneva Conventions of 12 August 1949, Rn. 4542; Dam-de Jong, International law and governance of natural resources in conflict and post-conflict situations, S. 219. 135 Nuernberg Military Tribunals, US v. Carl Krauch et al. (The I.G. Farben Case), Trials of War Criminals before the Nuernberg Military Tribunals under Control Council No. 10, Oktober 1946–April 1949, Band 8, S. 1 ff. (Section VIII ff.), S. 1134. 136 ICTY, Prosecutor v. Dario Kordic ˇ erkez, Urteil der Berufungskammer ´ , Mario C vom 17. Dezember 2004, Case No. IT-95-14/2-A, Rn. 79 mit Verweis auf Rn. 352 des Urteils der Verfahrenskammer. Das Statut des ICTY verweist selbst nicht auf den Begriff „pillage“, nennt allerdings in Art. 3 (e) ICTY-Statut (Statute of the International Criminal Tribunal for the Former Yugoslavia vom 25. Mai 1993, adopted by Resolution 827 (geändert am 7. Juli 2009 durch Resolution 1877) „plunder of public or private property“ als strafrechtlich relevante Handlungen. 137 Teil 2, Fn. 135. 138 Prosecutor v. Zejnil Delalic ´ , Zdavko Mucic´, Hazim Delic´ and Esad Landzˇo (Celebici Case), Urteil der Verfahrenskammer vom 16. November 1998, IT-96-21-T, Rn. 591. 139 Moir, Conduct of Hostilities – War Crimes, in: Doria/Gasser/Bassiouni (Hrsg.), The legal regime of the International Criminal Court, S. 528; Stewart, Corporate war crimes: Prosecuting the pillage of natural resources, S. 16; Sivakumaran, The Law of Non-International Armed Conflict, S. 426. 140 Vgl. IStGH, Elements of crimes, Art. 8 (2) (e) (v) und 8 (2) (b) (xvi).
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2. Teil: Das geltende Recht und seine Wirkung zum Erhalt der Umwelt
Aneignungsakt. Das Plünderungsverbot ist somit eine spezifische Anwendung des allgemeinen Rechtsgrundsatzes zum Schutz vor Diebstahl.141 Das Erfordernis der Aneignungsintention ist unter anderem in den korrespondierenden Straftatbeständen des ICTY, des Internationalen Strafgerichtshofs für Ruanda (ICTR), des SCSL sowie des IStGH142 zu finden.143 Laut den Elements of Crime des IStGH ist der völkerstrafrechtliche Tatbestand der Plünderung darüber hinaus nur erfüllt, wenn die Aneignung für den privaten oder persönlichen Gebrauch erfolgt.144 Eine durch militärische Notwendigkeit getragene Plünderung erfülle, so die Ausführungen der Elements of Crime, den Straftatbestand nicht.145 Allerdings ist nicht geklärt, ob der in den Elements of Crime geschilderte enge Maßstab des völkerstrafrechtlichen Verbots, der Aneignungen aus militärischer Notwendigkeit nicht erfasst, für die Definition des Begriffs der Plünderung, wie er in Art. 4 (2) (g) ZP II verwendet wird, maßgeblich ist. Der Wortlaut des ZP II unterstützt eine derart begrenzte Definition nicht. Ein gewisser Vorsatz zur Nutzung des geplünderten Objekts ist dem Begriff jedoch sicher inhärent.146 Dies unterscheidet das Plünderungsverbot von einem bloßen Verbot der Zerstörungen fremden Eigentums. Das in nichtinternationalen Konflikten häufige Abbrennen von Dörfern, Feldern und Wäldern wird daher nicht von Art. 4 (2) (g) ZP II erfasst.147
141 So auch IKRK, Customary IHL Database, Practice, abrufbar unter: https://www. icrc.org/customary-ihl/eng/docs/v2 [abgerufen am: 26.10.2020], Regel 52. 142 Art. 8 (2) (e) (v) IStGH-Statut, Art. 3 (e) ICTY-Statut unter dem Begriff der Plünderung, Art. 3 (f) SCSL-Statut (Agreement for and Statute of the Special Court for Sierra Leone, 16. Januar 2002, Annex II to a Letter dated 6 March 2002 from the Security-General addressed to the President of the Security Council, S/2002/246) sowie 4 (f) des ICTR-Statut (Statute of the International Criminal Tribunal for the Prosecution of Persons Responsible for Genocide and Other Serious Violations of International Humanitarian Law Committed in the Territory of Rwanda and Rwandan Citizens Responsible for Genocide and Other Such Violations Committed in the Territory of Neighbouring States, between 1 January 1994 and 31 December 1994, adopted by S/RES/955 (1994) vom 8. November 1994 zuletzt geändert durch S/RES/1717 (2006) vom 13. Oktober 2006). 143 ICTY, Prosecutor v. Dario Kordic ˇ erkez, Urteil der Berufungskammer ´ , Mario C vom 17. Dezember 2004, Case No. IT-95-14/2-A, Rn. 83; Prosecutor v. Zejnil Delalic´, Zdavko Mucic´, Hazim Delic´ and Esad Landzˇo (Celebici Case), Urteil der Verfahrenskammer vom 16. November 1998, IT-96-21-T, Rn. 590; ICTY, Prosecutor v. Mladen Naletilic´, Vinko Martinovic´ Urteil der Verfahrenskammer vom 31. März 2003, Case No. IT-98-34-T, Rn. 612, Fn. 1489. 144 IStGH, Elements of crimes Art. 8 (2) (e) (v) und 8 (2) (b) (xvi). 145 Ibid., Fn. 47. 146 So letztlich auch ILC Special Rapporteur Lehto, die es für fraglich hält, ob Plünderungen ohne ein Motiv der Bereicherung überhaupt denkbar seien (ILC, Second Report on Protection of the Environment in Relation to Armed Conflicts by Marja Lehto, Special Rapporteur, 27. März 2019, A/CN.4/728, Rn. 62). 147 SCSL, Prosecutor v. Moinina Fofana and Allieu Kondewa, Urteil der Berufungskammer vom 28. Mai 2008, Case No. SCSL-04-14-A, Rn. 409; SCSL, Prosecutor v.
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3. Plünderung der natürlichen Umwelt
Unproblematisch fallen unter das Plünderungsverbot auch eigentumsfähige Bestandteile der natürlichen Umwelt eines feindlichen Gebiets. Im nichtinternationalen Konflikt dürften, im Einklang mit der I.G. Farben-Rechtsprechung148, darunter alle im Privat- oder Staatseigentum stehenden fremden Umweltbestandteile eines Staatsgebiets zu verstehen sein. Neben den auch zum Kernbereich der Lebensgrundlage des Menschen zu zählenden Umweltgütern wie kultivierte Felder, Wälder und Trinkwasservorräte sind ohne Weiteres auch Naturschutzgebiete und Nationalparks in staatlichem oder privatem Eigentum zu den Schutzobjekten des Plünderungsverbots zu zählen. In dieser Hinsicht ist die Vorschrift deutlich weiter als Art. 14 ZP II. Über diesen Kern der im Erhaltungsinteresse der Zivilbevölkerungen stehenden Umweltbestandteile hinaus, unterfallen aber auch andere Elemente der Umwelt dem potenziellen Eigentum eines Staates oder Individuums. Auch die im Kontext bewaffneter Konflikte mit Beteiligung nichtstaatlicher Gruppen besonders gefährdeten natürlichen Ressourcen eines Staates können unter diesen Eigentumsbegriff gezählt werden. Damit ist auch die Erbeutung von in situ Vorkommen149 von Holz, Edelmetallen oder Diamanten aber auch von Elfenbein und bedrohten Arten möglicher Aspekt des Art. 4 (2) (g) ZP II.150 Tatsächlich markiert das Verbot von Beutezügen die am häufigsten genannte Vorschrift im Kontext illegaler Ausbeutung natürlicher Ressourcen im Konfliktkontext.151 a) Ausbeutung natürlicher Ressourcen im Konfliktkontext Das auf Art. 4 (2) (g) ZP II gestützte Verbot der Plünderung natürlicher Ressourcen nimmt aufgrund des wiederholten Auftretens ressourcengetriebener KonIssa Hassan Sesay, Morris Kallon and Augustine Gbao, Urteil der Verfahrenskammer vom 2. März 2009, Case No. SCSL-04-15-T, Rn. 211 f. 148 Siehe soeben Teil 2, Fn. 135. 149 Im Gegensatz zu ex situ Rohstoffen befinden sich in situ Rohstoffe noch in Böden oder Pflanzen und zählen daher zu nichtbeweglichem Eigentum. Vgl. Dam-de Jong, International law and resource plunder, Yearbook of International Environmental Law 19 (2008), S. 217 f. 150 Herik/Dam-de Jong, Revitalizing the Antique War Crime of Pillage: The Potential and Pitfalls of Using International Criminal Law to Address Illegal Resource Exploitation during Armed Conflict, Criminal Law Forum 22 (2011), S. 264 ff.; Dam-de Jong, Armed Opposition Groups and the Right to Exercise Control over Public Natural Resources: A Legal Analysis of the Cases of Libya and Syria, Netherlands International Law Review 62 (2015), S. 6. 151 So Herik/Dam-de Jong, Revitalizing the Antique War Crime of Pillage: The Potential and Pitfalls of Using International Criminal Law to Address Illegal Resource Exploitation during Armed Conflict, Criminal Law Forum 22 (2011), S. 264; ähnlich Stewart, Corporate war crimes: Prosecuting the pillage of natural resources, S. 9; zur hervorgehobenen Bedeutung auch Henckaerts/Constantin, Protection of the Natural Environment, in: Clapham/Gaeta (Hrsg.), The Oxford Handbook of International Law in Armed Conflict, S. 473.
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2. Teil: Das geltende Recht und seine Wirkung zum Erhalt der Umwelt
flikte eine bedeutende Stellung bei der Eingrenzung nichtinternationaler Konflikte ein. Unter dem Gesichtspunkt nachhaltigen Friedens besitzt es zusätzliche Relevanz, dennoch wurde es von befassten internationalen Gerichten lange Zeit nicht genutzt. Selbst als sich der SCSL als erster internationalisierter Gerichtshof mit einem überwiegend auf Ressourcenausbeutung beruhenden Konflikt befasste, war die Ausbeutung natürlicher Ressourcen in Sierra Leone, nicht Teil der unter dem Tatbestand der Plünderung angeklagten Handlungen der Mitglieder des Armed Forces Revolutionary Council (AFRC), der Civil Defence Forces (CDF) sowie der RUF.152 Die Anklage bezog sich ausschließlich auf das Niederbrennen von Häusern sowie anderer Eigentumsgüter. Mangels eines Aneignungsakts wurden aber auch diese Taten letztlich nicht als Plünderung beurteilt.153 Die Plünderung natürlicher Ressourcen, und vor allem der als sogenannte Blutdiamanten international bekannten Diamantenvorkommen, wurden in der Anklageschrift zwar vorgetragen, unter anderem aufgrund der fehlerhaft engen Klageformulierung aber nicht strafrechtlich durch den SCSL beurteilt.154 Selbst im Verfahren gegen Charles Taylor wurde die Plünderung der Diamantenvorkommen nicht in die endgültige Anklageschrift von 2007 aufgenommen.155 In der früheren Anklage von 2003 war ein entsprechender Passus dagegen noch enthalten. Eine bewusste Ausklammerung der rechtlichen Problematik ist hier sichtbar.156 Mit ihr wurde eine unnötige und im Kontext der gravierenden Ausbeutung natür-
152 Herik/Dam-de Jong, Revitalizing the Antique War Crime of Pillage: The Potential and Pitfalls of Using International Criminal Law to Address Illegal Resource Exploitation during Armed Conflict, Criminal Law Forum 22 (2011), S. 266 f. 153 SCSL, Prosecutor v. Moinina Fofana and Allieu Kondewa, Urteil der Berufungskammer vom 28. Mai 2008, Case No. SCSL-04-14-A, Rn. 409; SCSL, Prosecutor v. Issa Hassan Sesay, Morris Kallon and Augustine Gbao, Urteil der Verfahrenskammer vom 2. März 2009, Case No. SCSL-04-15-T, Rn. 211 f. 154 SCSL, a. a. O., Rn. 1339. Im Detail Herik/Dam-de Jong, Revitalizing the Antique War Crime of Pillage: The Potential and Pitfalls of Using International Criminal Law to Address Illegal Resource Exploitation during Armed Conflict, Criminal Law Forum 22 (2011), S. 267 f.; Tiwari, Breaking the ,Resource Curse‘: Prosecuting Pillage of Natural Resources, in: Romanin Jacur/Bonfanti/Seatzu (Hrsg.), Natural Resources Grabbing: An International Law Perspective, S. 418 f. 155 Siehe SCSL, Prosecutor v. Charles Ghankay Taylor, Indictment vom 7. März 2003, Case No. SCSL-03-01-I-003, Rn. 20–25 im Vergleich zur späteren Anklageschrift von 2007 (SCSL, Prosecutor v. Charles Ghankay Taylor, Prosecution’s Second Amended Indictment vom 29 Mai 2007, Case No. SCSL-03-01-PT) in der keinerlei Ausführung zu der Plünderung der Diamantenvorkommen mehr zu finden ist. Siehe auch den entsprechend begrenzten Umfang des Urteils: SCSL, Prosecutor v. Charles Ghankay Taylor, Urteil der Verfahrenskammer vom 30. Mai 2012, Case No. SCSL-0301-T, Rn. 1877 ff. 156 So auch Tiwari, Breaking the ,Resource Curse‘: Prosecuting Pillage of Natural Resources, in: Romanin Jacur/Bonfanti/Seatzu (Hrsg.), Natural Resources Grabbing: An International Law Perspective, S. 419.
§ 2 Umweltschützendes Vertragsrecht
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licher Ressourcen in Sierra Leone klar unzureichende Auslegung des Tatbestands der Plünderung vollzogen.157 Als erstes internationales Gericht urteilte erst der IGH in Congo v. Uganda158 über die Ausbeutung und Plünderung natürlicher Ressourcen als durch das Genfer Recht untersagte Kriegshandlung in internationalen bewaffneten Konflikten.159 Die Feststellung des IGH, dass diese Handlungen den Tatbestand der Plünderung im humanitären Völkerrecht erfüllen können160, ist ohne weitere Anforderungen auch auf das in Art. 4 (2) (g) ZP II enthaltene Verbot übertragbar. b) Eigentumszuordnung an natürlichen Ressourcen und ihre Folgen Die Heranziehung des schon lange vor Auftreten dieser Konflikte entwickelten humanitärrechtlichen Plünderungsverbots im Kontext nichtinternationaler Konflikte wirft allerdings ein Problem auf, mit dem sich der IGH nicht zu befassen hatte: Kern des Plünderungsverbots im Sinne auch des Art. 4 (2) (g) ZP II ist das Verbot der Aneignung öffentlichen oder privaten Eigentums im Konfliktkontext. Soll dieser Tatbestand durch die Ausbeutung natürlicher Ressourcen verwirklicht werden, stellt sich notwendig die Frage ihrer rechtmäßigen Eigentümerschaft. Während in einem konventionellen Krieg die konkrete Eigentümerstellung von nachrangiger Bedeutung ist, weil sich der Eigentumsbruch schon aus der Plünderung auf fremdem Staatsgebiet ergibt, bedarf es im innerstaatlichen Kontext hinsichtlich solcher Naturgüter und Ressourcen, die nicht im Privateigentum stehen, der Konkretisierung. Diese wird durch Völkerrecht allerdings nicht vorgenommen. Vielmehr ist es dem nationalen Recht überlassen, die Identität des rechtmäßigen Eigentümers zu bestimmen. Natürliche Ressourcen werden also im Allgemeinen dem staatlichen Eigentum zuzuordnen sein. In Konsequenz trifft das Verbot der Plünderung natürlicher Ressourcen in innerstaatlichen Konflikten nahezu ausschließlich die nichtstaatlichen Konfliktakteure. Ihre Nutzung der Naturgüter und Bodenschätze fällt sodann allerdings unabhängig von Ausmaß und Zweck unter das Verbot des Art. 4 (2) (g) ZP II. Auf der anderen Seite kann selbst eine kurzsichtige und die Bevölkerung schädigende Ausbeutung der nicht im Privateigentum stehenden Ressourcen durch den Territorialstaat nicht als Plünderung im Sinne der Vorschrift erfasst werden. Dieses Ergebnis findet Unterstützung im 157 An Introduction to the Taylor Case and its Likely Impact on International Criminal Law, in: Jalloh/Meisenberg (Hrsg.), The Law Reports of the Special Court for Sierra Leone, Band III, Prosecutor v Charles Ghankay Taylor, Book I, S. lxviii; Tiwari, Breaking the ,Resource Curse‘: Prosecuting Pillage of Natural Resources, in: Romanin Jacur/Bonfanti/Seatzu (Hrsg.), Natural Resources Grabbing: An International Law Perspective, S. 419. 158 IGH, Case Concerning Armed Activities on the Territory of the Congo, Urteil vom 19. Dezember 2005, I.C.J. Reports 2005, S. 168 ff., Rn. 345 (4). 159 In diesem Fall Art. 33 GA IV. 160 IGH, a. a. O., Rn. 222 ff.
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2. Teil: Das geltende Recht und seine Wirkung zum Erhalt der Umwelt
umweltvölkerrechtlichen Prinzip dauerhafter Souveränität der Völker über ihre eigenen Ressourcen.161 Da die Vertretung der Völker im internationalen Recht durch den Nationalstaat ausgeübt wird162, manifestiert sich das mit der Souveränität eines Volkes verbundene Nutzungs- und Ausbeutungsrecht ausschließlich in der staatlichen Verfügung über die Ressourcen des Territoriums. Sowohl nach Umweltvölkerrecht wie auch nach humanitärem Völkerrecht steht die Ausbeutung natürlicher Ressourcen also dem Nationalstaat zu. Derartige Autorität gewährt Völkerrecht bewaffneten Gruppen, selbst wenn diese im Interesse des Volkes handeln oder zu handeln beabsichtigen, unter keinem Umstand.163 Die resultierende Einseitigkeit des Nutzungsverbots ist mindestens unglücklich.164 Selbst eine sinnvolle und nachhaltige Nutzung der Ressourcen eines durch bewaffnete Gruppen gehaltenen Gebiets könnte unter Umständen als Plünderung und somit als ein Verstoß gegen humanitäres Völkerrecht klassifiziert werden.165 Dass dieser Umstand wenig geeignet ist, die Einhaltung des
161 Das Prinzip ist unter anderem in Art. 21 (1) der Afrikanischen Charta der Menschenrechte und Rechte der Völker (African Charter on Human and Peoples’ Rights vom 27. Juni 1981, 1520 UNTS 217) enthalten. Maßgeblich für seine Entwicklung und Anerkennung: UNGA, Resolution 1803 (XVII) vom 14. Dezember 1962 on Permanent Sovereignty over Natural Resources, UN Doc. A/5217 sowie u. a. bestätigt in: UNSC, Resolution 1457 vom 24. Januar 2003 on the DRC, S/RES/1457 (2003); UNSC, Statement by the President of the Security Council on the maintenance of international peace and security: natural resources and conflict, 25. Juni 2007, S/PRST/2007/22. Auch der IGH befasste sich mit Geltung und Reichweite des Prinzips: IGH, Case Concerning Armed Activities on the Territory of the Congo, Urteil vom 19. Dezember 2005, I.C.J. Reports 2005, S. 168 ff., Rn. 244: Status als Gewohnheitsrecht. Zur Einordnung als Gewohnheitsrecht ebenfalls: Dam-de Jong, The Role of Informal Normative Processes in Improving Governance over Natural Resources in Conflict-Torn States, Hague Journal on the Rule of Law 7 (2015), S. 222. Zu den Ursprüngen des Prinzips, das ursprünglich als Vehikel wirtschaftlicher und politischer Dekolonialisierung aufgestellt wurde: Schrijver, Permanent Sovereignty over Natural Resources, in: Wolfrum (Hrsg.), The Max Planck Encyclopedia of Public International Law, opil.ouplaw.com/ home/EPIL, Rn. 7. 162 Im Detail Dam-de Jong, Armed Opposition Groups and the Right to Exercise Control over Public Natural Resources: A Legal Analysis of the Cases of Libya and Syria, Netherlands International Law Review 62 (2015), S. 8 f. 163 Dam-de Jong, Armed Opposition Groups and the Right to Exercise Control over Public Natural Resources: A Legal Analysis of the Cases of Libya and Syria, Netherlands International Law Review 62 (2015), S. 15 ff. 164 Sivakumaran, The Law of Non-International Armed Conflict, 426: „unfortunate“. 165 Selbst wenn der Begriff der Plünderung nach humanitärem Völkerrecht ähnlich eng zu verstehen wäre, wie es die Elements of Crime des IStGH für das völkerstrafrechtliche Plünderungsverbot vorsehen (siehe oben, Teil 2, Fn. 144 und 145) wäre eine solche Ausbeutung natürlicher Ressourcen ein Verstoß gegen das humanitärrechtliche Verbot, schließlich begrenzen die Elements of Crime den Akt der Plünderung lediglich auf von Aneignungsvorsatz getragene Handlungen, eine weitere Begrenzung auf solche Handlungen, die als objektiv verwerflich anzusehen wären, kennt auch das Völkerstrafrecht nicht.
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Kriegsrechts durch nichtstaatliche Akteure zu fördern, liegt auf der Hand.166 Das absolute Verbot der Nutzung natürlicher Ressourcen durch nichtstaatliche Konfliktparteien steht zudem unter Umständen den Interessen der Zivilbevölkerung entgegen. Übt eine bewaffnete Gruppe die effektive Kontrolle über ein Territorium aus, kann die Nutzung der natürlichen Ressourcen auch zugunsten der ansässigen Bevölkerung sowie als Finanzierungsmittel für die Aufrechterhaltung öffentlicher Funktionen verübt werden.167 Ihr Ausschluss von jeder Ausbeutungsmöglichkeit widerspricht letztlich also sogar dem Gedanken des Zivilschutzes im humanitären Völkerrecht. Ein Ausweg aus diesem Ungleichgewicht ist nach geltendem Recht nicht möglich. Während des Verlaufs eines Konflikts ist es aus Sicht des Völkerrechts nicht zulässig, die nichtstaatliche Konfliktpartei als Vertreter ihres Volkes zu betrachten und ihr in Konsequenz die freie Verfügung der Ressourcen eines von ihr gehaltenen Territoriums zu gestatten, schließlich würde dies die rechtliche Anerkennung der bewaffneten Gruppe als Regierung des jeweiligen Gebiets mit sich bringen, die auch heute noch als unzulässige Intervention in die Souveränität eines Nationalstaats gewertet wird.168 Bis zum Ausgang des Konflikts verbleibt die Regierung die einzige Vertretung des Volkes.169 Sie ist damit ausschließlich berechtigte Ausführerin der permanenten Souveränität über natürliche Ressourcen sowie in der Regel die einzige nach nationalem Recht zur Ausbeutung der Naturgüter berufene Institution. Auch in dieser Hinsicht unterscheidet das Recht zwischen staatlichen und nichtstaatlichen Konfliktakteuren sowie zwischen konventionellen Kriegen und nichtinternationalen Konflikten, denn im Kontext der Besetzung eines Staatsgebiets durch eine fremde Armee, die gemäß Art. 2 GA dem Recht internationaler bewaffneter Konflikte unterstellt ist, vermittelt humanitäres Völkerrecht der Okkupationsmacht wenigstens begrenzte Nutzungsrechte. Art. 55 HLKO überlässt dem besetzenden Staat das Recht, als Verwalter und Nutznießer der öffentlichen
166 Stewart, Corporate war crimes: Prosecuting the pillage of natural resources, Rn. 22 schlägt vor, bewaffneten Gruppen die Nutzung bestimmter Ressourcen im Einzelfall zu erlauben, um einen Anreiz für die Einhaltung humanitären Völkerrechts zu geben. 167 Dam-de Jong, Armed Opposition Groups and the Right to Exercise Control over Public Natural Resources: A Legal Analysis of the Cases of Libya and Syria, Netherlands International Law Review 62 (2015), S. 23. 168 Lauterpacht, Recognition in international law, S. 94; Dam-de Jong, Armed Opposition Groups and the Right to Exercise Control over Public Natural Resources: A Legal Analysis of the Cases of Libya and Syria, Netherlands International Law Review 62 (2015), S. 10. 169 Crawford, The Rights of Peoples: ,Peoples‘ or ,Governments‘? in: Crawford (Hrsg.), The Rights of Peoples, S. 55 f. Talmon, Recognition of Opposition Groups as the Legitimate Representative of a People, Chinese Journal of International Law 12 (2013), S 235.
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2. Teil: Das geltende Recht und seine Wirkung zum Erhalt der Umwelt
Gebäude, Liegenschaften, Wälder und landwirtschaftlichen Betriebe zu wirken und den Bestand dieser Güter nach den Regeln des Nießbrauchs zu verwalten. Zwar werden in Art. 55 natürliche Ressourcen nicht ausdrücklich unter die zu verwaltenden Güter gestellt, die Nennung von Wäldern und landwirtschaftlichen Betrieben erlaubt allerdings wenigstens die Subsumtion nachwachsender Ressourcen.170 Damit ist ihre Nutzung gestattet, insofern diese einem Nießbrauch entspricht und zugunsten der Bevölkerung und Sicherheit des besetzten Gebiets ausgeführt wird.171 Obgleich Bevölkerungen in durch nichtstaatliche Akteure beherrschten Gebieten in einer der Okkupation vergleichbaren Situation sind, existieren zu ihren Gunsten keine entsprechenden Vorschriften. Die Nutzung territorialer Ressourcen ist den nichtstaatlichen „Besatzungs-“Mächten vollständig untersagt. Das eindeutige Interesse der Staaten an einer Nichtanerkennung derartiger Kontrollzustände steht bislang jeder analogen Anwendung des Art. 55
170 Ob darüber hinaus auch die Ausbeutung nicht erneuerbarer Güter wie fossiler Brennstoffe, Diamanten und anderer Bodenschätze unter das durch die Vorschrift belassene Nießbrauchrecht fällt, ist stark umstritten. Da durch den Verbrauch dieser Güter zwingend eine (Wert-)minderung der Ressourcen eines Staates herbeigeführt wird, spricht der Art. 55 HLKO unterliegende Gedanke der Erhaltung des Reichtums eines besetzten Gebiets gegen das Recht zur Nutzung dieser Güter. Unter anderem aus diesem Grund wurde die Ausbeutung ägyptischer Ölvorkommen auf der Sinai-Halbinsel durch Israel als Verstoß gegen Art. 55 HLKO bewertet (m.w. N. Arai-Takahashi, The Law of Occupation, S. 213 ff.; Clagett/Johnson, May Israel as a Belligerent Occupant Lawfully Exploit Previously Unexploited Oil Resources of the Gulf of Suez? The American Journal of International Law 72 (1978), S. 580 f.; United States Department of State, Memorandum of Law on Israel’s Right to Develope New Oil Fields in Sinai and the Gulf of Suez, International Legal Materials 16 (1977), S. 743: zulässig „only for the purpose of the occupation itself“; Benvenisti, The International Law of Occupation, S. 82). Mangels Regelung nichtinternationaler Konflikte ist eine Entscheidung über die Auslegung an dieser Stelle allerdings nicht nötig. Vgl. zum Streitpunkt: Schrijver, Sovereignty over natural resources, S. 268 f.; Langenkamp/Zedalis, What Happens to the Iraqi Oil?: Thoughts on Some Significant, Unexamined International Legal Questions Regarding Occupation of Oil Fields, European Journal of International Law 14 (2003), S. 422 ff.; Schrijver, Permanent Sovereignty over Natural Resources, in: Wolfrum (Hrsg.), The Max Planck Encyclopedia of Public International Law, opil.ouplaw.com/ home/EPIL, Rn. 20. Zuletzt befasste sich auch der erste Bericht von ILC Special Rapporteur Marja Lehto ausführlich mit dem Umfang der Schutzwirkung von Art. 55 HLKO zugunsten natürlicher Ressourcen während militärischer Besetzungen (ILC, First Report on Protection of the Environment in Relation to Armed Conflicts by Marja Lehto, Special Rapporteur, 30. April 2018, A/CN.4/720, Rn. 29 ff.). Eine Anwendung dieser Vorschrift auf nichtinternationale Konflikte schlägt auch sie jedoch nicht vor. Das auf Grundlage von Art. 55 HLKO vorgeschlagene Draft Principle der ILC wird nicht dazu führen, den Umfang existenten Schutzes in dieser Form bewaffneter Konflikte zu klären oder zu erweitern. 171 Benvenisti, The International Law of Occupation, S. 82. Vgl. auch die Versicherung der USA und des Vereinigten Königreichs, die Ölvorkommen des Irak während der Okkupation 2003 zugunsten der irakischen Bevölkerung zu schützen und zu nutzen: Letter from the Permanent Representatives of the United Kingdom of Great Britain and Northern Ireland and the United States of America to the United Nations addressed to the President of the Security Council, 8. Mai 2003, S/2003/538.
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HLKO172 entgegen. Zwar wird mittlerweile vereinzelt vorgetragen, auch nichtstaatliche Konfliktparteien sollten im Fall faktischer Kontrolle eines Gebiets Art. 55 einhalten173, diese Forderungen beziehen sich jedoch primär auf eine Auferlegung von Pflichten, nicht eine Gewährung von (begrenzten) Rechten. Zudem fehlt es diesen Vorschlägen bislang an breiter Unterstützung.174 Nicht nur das Fehlen einer begrenzten Nutzungserlaubnis bewaffneter Gruppen zugunsten der Zivilbevölkerung erscheint aus humanitären Gründen ungenügend. Auch die unbegrenzte Freiheit des Nationalstaates, natürliche Ressourcen im Konfliktkontext nach Belieben und womöglich nur zum Zweck der Erhaltung der eigenen Macht und des eigenen Reichtums auszubeuten, widerspricht einem auf Humanität beruhenden Recht. Selbst wenn die staatliche Nutzung der Ressourcen den äußeren Anschein einer Plünderung macht oder die Bevölkerung offensichtlich zugunsten privater Interessen der Regierungsmitglieder ihrer natürlichen Reichtümer beraubt wird, greift das humanitärrechtliche Plünderungsverbots nicht. Staatliche Souveränität verhindert den Eingriff in die innerstaatliche Regelung der Eigentumszuordnung. Auch ein Unrechtsregime ist zunächst Vertreter des im Staat vereinten Volkes175 und damit durch staatliche Souveränität begünstigt. Die gegen die Interessen der Bevölkerung durchgeführte Ressourcenausbeutung durch den Staat kann durch Art. 4 (2) (g) ZP II jedenfalls nicht erfasst werden. Innerstaatliche strafbewehrte Vorschriften über die Ausführung öffentlicher Ämter dürften an dieser Stelle nützlicher sein.176 Ihre Durchsetzbarkeit in einem von staatlicher Unterdrückung geprägten Umfeld bleibt allerdings fraglich. 4. Bewertung und zukünftige Regelungsmöglichkeiten
Fremdes Eigentum erfährt in nichtinternationalen bewaffneten Konflikten durch anwendbares Vertragsrecht keinen umfassenden Schutz. Nur unter dem Aspekt der Aneignung besteht ein Handlungsverbot, das bloße Zerstörungen gleich welchen Umfangs nicht abzudecken vermag. Mit Blick auf die Erhaltung 172 Angedacht von Dam-de Jong, Armed Opposition Groups and the Right to Exercise Control over Public Natural Resources: A Legal Analysis of the Cases of Libya and Syria, Netherlands International Law Review 62 (2015), S. 19 ff. 173 Sivakumaran, The Law of Non-International Armed Conflict, S. 531; Dam-de Jong, International Law and Governance of Natural Resources in Conflict and PostConflict Situations, S. 259; Benvenisti, The International Law of Occupation, S. 60 f.; vgl. auch ILC, Second Report on Protection of the Environment in Relation to Armed Conflicts by Marja Lehto, Special Rapporteur, 27. März 2019, A/CN.4/728, Rn. 53. 174 Vgl. ILC, ibid. 175 Talmon, Recognition of Opposition Groups as the Legitimate Representative of a People, Chinese Journal of International Law 12 (2013), S. 235. 176 Mit Verweis auf nationale Korruptionsverbote: Herik/Dam-de Jong, Revitalizing the Antique War Crime of Pillage: The Potential and Pitfalls of Using International Criminal Law to Address Illegal Resource Exploitation during Armed Conflict, Criminal Law Forum 22 (2011), S. 273.
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2. Teil: Das geltende Recht und seine Wirkung zum Erhalt der Umwelt
der Umwelt im Konfliktkontext kommt dem Plünderungsverbot des Art. 4 (2) (g) ZP II dennoch herausragende Bedeutung zu. Die Möglichkeit, die Ausbeutung natürlicher Ressourcen unter das ursprüngliche Verbot von Beutezügen auf Schlachtfeldern und in angrenzenden Dörfern zu subsumieren, wertet die Schutzvorschrift maßgeblich auf. Das Plünderungsverbot hat heute eine zentrale Stellung in ressourcengetriebenen Konflikten. Darüber hinaus ist es Ausgangspunkt und Voraussetzung einer Vielzahl rechtlicher und politischer Bemühungen, auch den späteren Handel mit Konfliktressourcen zu unterbinden.177 In nichtinternationalen Konflikten kann durch die Vorschrift allerdings nur das Verhalten nichtstaatlicher Konfliktparteien erfasst werden. Die Regelung der durch den Staat selbst ausgeübten Ressourcenausbeutung jedenfalls durch humanitäres Völkerrecht bleibt unmöglich. Eine Ausweitung des humanitärrechtlichen Plünderungsverbots auf staatliches Konflikthandeln setzt allerdings die Einordnung natürlicher Ressourcen in die Eigentumssphäre des Volkes auch im Verhältnis zu ihrer eigenen Regierung voraus. Zudem wäre eine Beschränkung staatlichen Handelns gegenüber dem Eigentum der eigenen Bevölkerung notwendig. Dies würde eine in den Konflikt hineinwirkende völkerrechtliche Loslösung der einem Volk zustehenden Ressourcen aus der nationalstaatlichen Verwaltungstreuhand bedeuten, die im Fall gravierender staatlicher Verfehlungen gegenüber den Interessen der Bevölkerung allerdings uneingeschränkt zu befürworten wäre. Ein derartiger Ansatz ist dem humanitären Völkerrecht bislang fremd, nicht jedoch dem Völkerrecht insgesamt. Das bereits erwähnte umweltrechtliche Prinzip der Souveränität über die eigenen Ressourcen178 wird schon heute herangezogen, um für die Begrenzung staatlicher Handlungsfreiheit gegenüber den natürlichen Ressourcen eines Staatsgebiets zu plädieren.179 Denn nach einem modernen Verständnis dieses Prinzips findet die Ausübung der Souveränität über die eigenen Ressourcen durch einen Nationalstaat ihre Grenze in den Bedürfnissen der jeweiligen Bevölkerung.180 Ob das Prinzip dem Nationalstaat in nichtinternationalen 177 Siehe ausführlich zu regionalen und internationalen Initiativen: ILC, Second Report on Protection of the Environment in Relation to Armed Conflicts by Marja Lehto, Special Rapporteur, 27. März 2019, A/CN.4/728, Rn. 24 bis 38. Der aktuelle Bericht von ILC Special Rapporteur Lehto befasst sich darüber hinaus ausführlich mit der Verankerung des Verbots von Plünderungen im Regime der Menschenrechte und der friedensrechtlichen Umweltprinzipien. 178 Siehe Teil 2, Fn. 161. 179 Ausführlich: Dam-de Jong, International law and resource plunder, Yearbook of International Environmental Law 19 (2008), S. 29 ff. Dam-de Jong, The Role of Informal Normative Processes in Improving Governance over Natural Resources in Conflict-Torn States, Hague Journal on the Rule of Law 7 (2015), S. 222 f. 180 UNGA, Resolution 1803 (XVII) vom 14. Dezember 1962 on Permanent Sovereignty over Natural Resources, UN Doc. A/5217: „The right of peoples and nations to permanent sovereignty over their natural wealth and resources must be exercised in the interest of their national development and of the well-being of the people of the State concerned.“
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bewaffneten Konflikten ähnliche Handlungsschranken auferlegt, wie es humanitäres Völkerrecht gegenüber nichtstaatlichen Konfliktparteien tut, ist bislang nicht geklärt. Im Fall Congo v. Uganda stand der IGH der Anwendbarkeit des Prinzips sogar im Kontext eines grenzüberschreitenden bewaffneten Konflikts kritisch gegenüber.181 Anderer Ansicht war bislang die UN-Generalversammlung, die die Geltung des Prinzips im Israel-Palästina Konflikt auch während einer Okkupation bejahte.182 Jedenfalls für nichtinternationale Konflikte lässt sich die Anwendbarkeit des Prinzips durchaus begründen, denn ein innerstaatlicher Konflikt ändert das grundlegende Verhältnis des Staates zu seiner eigenen Bevölkerung, insoweit diese nicht aktiv am Konfliktgeschehen teilnimmt, nicht maßgeblich.183 Ist es dem Staat in Friedenszeiten verwehrt, dem eigenen Volk die natürlichen Ressourcen gänzlich zu rauben, sollte nach Ausbruch eines innerstaatlichen Konflikts nichts anderes gelten. Aber auch bei Fortgeltung des Prinzips permanenter Souveränität über die eigenen Ressourcen während innerstaatlicher Konflikte ist nur ein Grundsatz aufgestellt, dessen Konkretisierung heute allenfalls im nationalen Recht zu finden wäre.184 Die mit dem Prinzip der SouveEbenso: UNSC, Resolution 1457 vom 24. Januar 2003 on the DRC, S/RES/1457 (2003), para. 4; UNSC, Resolution 1521 vom 22. Dezember 2003 on the Situation in Liberia, S/RES/1521 (2003), para. 13. 181 In diesem Fall (IGH, Case Concerning Armed Activities on the Territory of the Congo, Urteil vom 19. Dezember 2005, I.C.J. Reports 2005, S. 168 ff., Rn. 29 f.) verneinte der IGH die Relevanz des Prinzips bei grenzüberschreitenden Plünderungen natürlicher Ressourcen im Rahmen einer militärischen Intervention in einem anderen Staat (IGH, a. a. O., Rn. 244; abweichend Richter Koroma, IGH, a. a. O., S. 284, Rn. 11, der von der Anwendbarkeit des Prinzips auch neben humanitärem Völkerrecht ausgeht). Unklar bleibt allerdings, ob der Gerichtshof die Anwendbarkeit des Prinzips während bewaffneter Konflikte allgemein oder lediglich in ähnlich dem konkreten Fall gelagerten Sachverhalten ausgeschlossen sah. Siehe dazu auch Schrijver, Permanent Sovereignty over Natural Resources, in: Wolfrum (Hrsg.), The Max Planck Encyclopedia of Public International Law, opil.ouplaw.com/home/EPIL, Rn. 18. 182 UNGA, Resolution 3336 (XXIX) vom 17. Dezember 1974 on permanent sovereignty over natural resources in the occupied Arab territories; UNGA, Resolution 62/ 181 vom 19. Dezember 2007 on the permanent sovereignty of the Palestinian people over their natural resources, A/RES/62/181 sowie UNGA, Resolution 71/247 vom 21. Dezember 2016, A/RES/71/247 zum gleichen Sachverhalt. Befürwortend wohl auch ILC, First Report on Protection of the Environment in Relation to Armed Conflicts by Marja Lehto, Special Rapporteur, 30. April 2018, A/CN.4/720, Rn. 34. Special Rapporteur Lehto verweist an dieser Stelle auf den Einfluss des Prinzips permanenter Souveränität auf Art. 55 HLKO. Diese Vorschrift ist für nichtinternationale Konflikte jedoch nicht relevant. 183 Zur Fortgeltung von Friedensrecht während bewaffneter Konflikte, siehe unten 3. Teil, § 2. 184 Das für den Kontext bewaffneter Konflikte geschaffene Recht ist letztlich auch nicht das richtige Werkzeug, um durch staatliche Willkür und die Eigeninteressen seiner Mitglieder motivierte Ausbeutungen der Reichtümer eines Volkes zu begegnen, schließlich steht diese auch nur indirekt im Kontext bewaffneter Konflikte. Auch eine Angleichung des Art. 4 (2) (g) ZP II an zukünftig konkretisierte Pflichten der Ressourcennutzung zum Wohl der Bevölkerung wird die staatliche Ausbeutung von Ressourcen zur
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2. Teil: Das geltende Recht und seine Wirkung zum Erhalt der Umwelt
ränität verbundene Nutzungsverpflichtung zum Wohl des Volkes führt noch nicht zu einer Schwächung der grundsätzlichen Eigentumszuordnung der Ressourcen in die Hand des Staates als völkerrechtlich anerkanntem Vertreter des Volkes. Solange diese Eigentumszuweisung aufrechterhalten ist, kann Art. 4 (2) (g) ZP II, dessen Kern der Eigentumsbruch ist, nicht greifen. III. Umwelt als Zeugnis von Wissen, Glauben und menschlicher Ästhetik „Kei raro i nga tarutaru, ko nga tuhinga a nga tupuna.“ „Unter den Kräutern und Pflanzen, sind die Überlieferungen unserer Ahnen.“ 185 1. Ethische Schutzbegründungen und ihre heutige Anerkennung
Die Bedeutung der Umwelt für den Menschen erschöpft sich nicht nur in ihrer Funktion als Lebensgrundlage oder nutzbares Eigentum, sondern ist deutlich vielfältiger. In der Geschichte der Zivilisationen nimmt die Umwelt eine besondere Stellung ein. Jeder Lebensraum prägte die Entwicklung seiner Bevölkerung. Die Anpassung an die natürlichen Gegebenheiten einer Landschaft sicherte das Überleben ansässiger Menschen und steuerte maßgeblich ihre Lebensweise: Das Lopé-Okanda-Schutzgebiet in Gabun, das als Schauplatz einer außergewöhnlichen Geozonenverkettung Heimat einer einzigartigen Flora und Fauna sowie Zeugnis über 400.000-jähriger Besiedlung ist186, das Ennedi-Massiv im Tschad, gleichermaßen Schauplatz früher Menschheitsgeschichte und Lebensraum bedrohter Arten187, das Bamiyan-Tal in Afghanistan, Ort buddhistischer und islami-
Fortführung des Konflikts aber nicht beeinträchtigen. Die zur Finanzierung des Kampfs gegen nichtstaatliche Akteure ausgeführte Ressourcennutzung dürften schließlich immer im vermuteten Interesse eines Volkes stehen. Die Begrenzung staatlichen Handelns muss daher abseits humanitären Völkerrechts und primär in der innerstaatlichen Gestaltung staatlicher Handlungsbefugnisse zu finden sein. Die ungleiche Verpflichtung der Konfliktakteure ist an dieser Stelle unvermeidbar. 185 Sprichwort der Maori. Traditionelles Wissen der Maori (matauranga Maori) ist ¯ ¯ nach ihrer Überzeugung in ihrer Umwelt zu finden. Kultur und Umwelt sind demnach untrennbar verbunden. In englischer Übersetzung aufgeführt und erläutert bei: Waitangi Tribunal, Ko Aotearoa tçnei: A report into claims concerning New Zealand law and policy affecting Ma¯ori culture and identity. Te taumata tuatahi, Wai 262, abrufbar unter: www.waitangitribunal.govt.nz [abgerufen am 26.10.2020], S. 103 ff. Freie Übersetzung d. d. Verf. 186 Aus diesem Grund wurde der Lopé-Okanda Nationalpark 2007 auf die Liste der Weltnaturerbe aufgenommen. Zu den Kriterien der Aufnahme und der Bedeutung des Parks: IUCN, World Heritage Nomination, Technical Evaluation, Ecosystem and relic cultural landscape of Lopé-Okanda, ID No. 1147 Rev, IUCN Evaluation Report, Mai 2007, S. 96 ff. 187 Vgl. IUCN, World Heritage Nomination, Technical Evaluation, Enndi Massif: Natural and Cultural Landscape (Chad), ID No. 1475, IUCN Evaluation Report, Mai 2016, S. 98 ff.
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scher Religions- und Kulturgeschichte und Mahnmal für die mutwillige Zerstörung fremder Kulturgüter in Konflikten188, oder die uralten Terrassengärten des palästinensischen Dorfes Battir189, deren Fortdauer von dem weiteren Bau der Mauer bedroht wird190 – diese Orte sind nur beispielhaft für die enge Verkettung einzigartiger Umwelt und menschlicher Kulturgeschichte. Kulturen, deren Leben und Entwicklung durch die jeweiligen geologischen und klimatischen Gegebenheiten geprägt wurden, gestalteten in späterer Zeit selbst das Antlitz ihres Lebensraums, beeinflussten Flora und Fauna und gaben ihnen eine besondere Bedeutung in der jeweiligen Kultur oder Religion. So kommt zum Beispiel dem Tongariro Nationalpark in Neuseeland für die Maori noch immer kulturelle und religiöse Bedeutung als Verbindung zwischen menschlicher Gemeinschaft und Umwelt zu.191 Die spirituelle Verehrung des Fuji auch im modernen Japan war nicht zuletzt ein Grund, das gesamte Gebiet des Vulkans auf die Liste des UNESCO-Kulturerbes aufzunehmen.192 Fast alle Teile der Erde sind mittlerweile Schauplatz menschlicher Evolution, Kultur- und Religionsentwicklung. Für jedes Volk, aber auch für die Menschheit als Ganzes, ist die Erde und ihre Regionen als Ausgangspunkt vielfältigen Wissens über die eigene Vergangenheit, als Hintergrund menschlicher Architektur und Kunst und als Gegenstand religiöser Praktiken wertvoll. Diese Werthaftigkeit ist Grund, nicht nur ein gewisses Maß allgemeiner Umwelterhaltung anzustreben, 188 Weltweite Bekanntheit erlangte die Region durch die endgültige Zerstörung der großen Buddha-Statuen von Bamiyan durch die Taliban im Jahr 2001. 2003 wurde die gesamte Region aufgrund ihrer kulturellen Bedeutung sowie ihrer ästhetischen Naturschönheit als Kulturerbe in die UNESCO-Welterbeliste aufgenommen. Ausführlich zu den Kriterien der Eintragung sowie zur Zerstörung der bis dahin weltweit größten sitzenden Buddha-Statuen: Transitional Islamic State of Afghanistan, World Heritage Nomination for the Cultural Landscape and Archaeological Remains of the Bamiyan Valley for inscription on the World Heritage List and the List of World Heritage in Danger, 2003, Nomination File 208rev, S. 4 ff. 189 Vgl. ICOMOS, World Heritage Nomination, Evaluation Report, Cultural Landscape of Southern Jerusalem, Battir (Palestine) No 1492, Report vom Mai 2014, abrufbar unter: http://whc.unesco.org/en/list/1492/documents/ [abgerufen am 26.10.2020]. 190 Der drohende Bau der Mauer in der Region Battir war letztlich ausschlaggebender Grund für die Bevölkerung, eine Eintragung der Kulturlandschaft in der Welterbeliste zu erreichen. Zu den Hintergründen: Barnard/Muamer, Ongoing dispossession and a heritage of resistance: the village of Battir vs. Israeli settler-colonialism, in: Isaac/ Hall/Higgins-Desbiolles (Hrsg.), The Politics and Power of Tourism in Palestine, S. 63 ff. 191 Zur Bedeutung der Umwelt in der Kultur der Maori: Waitangi Tribunal, Ko Aotearoa tçnei: A report into claims concerning New Zealand law and policy affecting Ma¯ori culture and identity, Te taumata tuatahi. Wai 262, abrufbar unter: www.waitangi tribunal.govt.nz [abgerufen am 26.10.2020], Kapitel 3, S. 105 ff.; Magallanes, Maori Cultural Rights in Aotearoa New Zealand: Protecting the Cosmology that protects the Environment, Widener Law Review 21 (2015), S. 273 ff. 192 Vgl. ICOMOS, World Heritage Nomination, Technical Evaluation Report, Fujisan (Japan) No 1417, 6. März 2013, abrufbar unter: http://whc.unesco.org/en/list/1418/do cuments/ [abgerufen am 26.10.2020].
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das auch späteren Generationen eine ausreichende Lebensgrundlage sichert, sondern bestimmte Orte, ähnlich menschlich errichteter Kulturstätten, unter spezifischen Schutz zu stellen. Dieses Schutzbedürfnis ergibt sich in gleichem Maß aus dem menschlichen Vermögen ästhetischer Wahrnehmung. Der Genuss der Umwelt durch Sinneswahrnehmung, ja sogar das reine Wissen um die Existenz eines physisch unerreichbaren Ökosystems, stellt Befriedigung für den Menschen dar.193 Menschliche Genussinteressen sprechen also ebenso wie kulturhistorische und religiöse Überlegungen für den Erhalt eines ästhetisch wertvollen Gebiets und die Bewahrung einzelner Spezies. Dieses Ziel kann jedoch nur erreicht werden, wenn Gebiete, Flora und Fauna vor Schädigungen durch den Menschen in jedem Handlungsszenario geschützt werden. Sollen beispielsweise die letzten verbleibenden Berggorillas im VirungaNationalpark eine Überlebenschance haben, muss ihr Lebensraum auch vor bewaffneten Auseinandersetzungen, vor Plünderungen und der Nutzung des Habitats als Rückzugsbereich von Truppen bewahrt werden.194 Die Funktion der Umwelt als Befriedigung menschlicher Kultur-, Erholungs- und Genussinteressen sowie als Zeugnis menschlicher Entstehungsgeschichte, Kultur und Religion fordert und rechtfertigt den Schutz von Umweltstätten von besonderer Schönheit, reicher Artenvielfalt, kultureller oder spiritueller Bedeutsamkeit in vergleichbarer Weise wie klassische, durch den Menschen geschaffene Kulturgüter und -stätten. Dass die Umwelt der Erde insgesamt, und werthafte Umweltstätten im Besonderen, unabhängig von Staatsgrenzen ein gemeinsames Erbe der Menschheit darstellen, ist eine immer weiter reifende Erkenntnis unserer Zeit. Schwere Umweltzerstörungen in Friedens- wie Kriegszeiten werden von der Öffentlichkeit vieler Staaten immer weniger toleriert. Die Bedrohung eines aus ästhetischen und/oder kulturellen Gründen als wertvoll erachteten Landstrichs oder das Verschwinden bestimmter Tierarten löst heute ähnliche Reaktionen vieler Bevölkerungen aus, wie es bei Zerstörung eines Kulturdenkmals der Fall ist. Die anerkannte Werthaftigkeit von Umwelt und Kulturgut haben sich einander angenähert; das internationale Recht, zumindest für Friedenszeiten, ist dieser Entwicklung gefolgt. Dass auch der Umwelt beziehungsweise bestimmten Landstrichen und Ökosystemen eine mit Kulturgütern vergleichbare Bedeutung zukommen kann, ist 193 Vgl. u. a. Passmore, Den Unrat beseitigen. Überlegungen zur ökologischen Mode, in: Birnbacher (Hrsg.), Ökologie und Ethik, S. 232, der die sinnliche Betrachtung der Umwelt in der westlichen Zivilisation allerdings durch die Folgen des Puritanismus begrenzt sieht. 194 Zur Bedrohung der Berggorilla u. a.: Crawford/Bernstein, MEAs, Conservation and Conflict A case study of Virunga National Park, DRC, S. 3 ff.; Nellemann et al., The last stand of the Gorilla: Environmental crime and conflict in the Congo basin, S. 19 ff.
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spätestens seit ihrer Einordnung Seite an Seite mit Kulturgütern in Art. 1 und 2 der UNESCO-Welterbekonvention (Convention Concerning the Protection of the World Cultural and Natural Heritage/WHC)195 weitreichend anerkannt. Maßgeblich für die Aufnahme eines Naturguts auf die durch die WHC begründete Welterbeliste ist nicht nur eine Werthaftigkeit des infrage stehenden Ortes für die Kultur oder Religion seiner Bevölkerung. Laut der Aufnahmekriterien des Welterbekomitees können auch „überragende Naturerscheinungen oder Gebiete von außergewöhnlicher Naturschönheit und ästhetischer Bedeutung“ (Kriterium vii) oder „außergewöhnliche Beispiele bedeutender im Gang befindlicher ökologischer und biologischer Prozesse“ (Kriterium ix) sowie Orte, „die bedrohte Arten enthalten, welche aus wissenschaftlichen Gründen oder ihrer Erhaltung wegen von außergewöhnlichem universellem Wert sind“ (Kriterium x) auf die Liste des Erbes der Welt gemäß Art. 11 (2) WHC aufgenommen werden.196 Daneben schützt die WHC auch solche unbeweglichen Naturgüter, die wie der japanische Fuji oder die hawaiianische Inselkette Papaha¯naumokua¯kea197 spirituelle Bedeutsamkeit besitzen, die wie das Ennedi-Massiv in der Republik Tschad Aufschluss über eine bestimmte Phase menschlicher Kulturentwicklung zu geben vermögen oder wie die Terrassengärten von Battir Zeugnis einer Wechselbeziehung von Mensch und Umwelt sind.198 Umwelt und durch den Menschen geschaffene Güter werden durch die WHC auf eine Wertebene gestellt. Verschiedenste ethische Begründungsvarianten werden in der Konvention als Ausgang völkerrechtlichen Handlungsverpflichtungen für den betreffenden Staat sowie die Gemeinschaft der Vertragsstaaten anerkannt. Der mit den insbesondere durch Art. 4 bis 7 WHC vermittelten Erhaltungs- und Kooperationspflichten korrespondierende Schutz besteht im Grundsatz gerade auch während (nicht)internationaler bewaffneter Konflikte fort.199 Mangels der Vermittlung von Schädi195 Art. 2 (Naturgüter), Art. 1 (Kulturgüter); Convention for the Protection of the World Cultural and Natural Heritage vom 16. November 1972 (World Heritage Convention, WHC), 1037 UNTS 151. 196 Ein für die Aufnahme infrage kommendes Gebiet muss mindestens eines der zehn Kriterien des Komitees erfüllen. Diese finden sich z. B. in UNESCO, Operational Guidelines for the Implementation of the World Heritage Convention vom 12. Juli 2017, WHC.17/01, Rn. 77. 197 Papahanaumokuakea kommt in der hawaiianischen Religion spirituelle Bedeu¯ ¯ tung als Wiege des Lebens zu. Obwohl die polynesischen Religionen nach Ansiedlung der Europäer verdrängt wurden, war die religiöse Bedeutung der Inselkette bei Entscheidung über die Aufnahme auf die Liste der WHC mitausschlaggebend. Vgl. UNESCO, Decisions adopted by the World Heritage Committee at its 34th session, Brasilien, 2010, WHC-10/34.COM/20. 198 Vgl. insbesondere die Aufnahmekriterien iii und v, a. a. O. (Teil 2, Fn. 196). 199 Aus Art. 4 WHC lässt sich die primäre Pflicht der Vertragsstaaten entnehmen: „the duty of ensuring the identification, protection, conservation, presentation and transmission to future generations of the cultural and natural heritage [. . .]“. Für bewaffnete Konflikte kommt der Konvention insoweit Bedeutung zu, als dass durch ihren Ausbruch oder ihr Vorhandensein bedrohte Natur- und Kulturgüter in eine besondere
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gungsverboten für alle Konfliktparteien kann ein Vertragswerk wie die WHC einen durch humanitären Völkerrecht gewährleisteten Schutz aber nicht ersetzen. Ein korrespondierendes Vertragswerk, das ausdrücklich Naturgüter beziehungsweise natürliche Kulturgüter vor feindlichen Handlungen in Konflikten schützt, existiert bislang nicht. Humanitäres Vertragsrecht vermag relevante Umweltstätten damit erneut nur indirekt zu schützen. Durch den Schutz der für ihre Werthaftigkeit ausschlaggebenden menschlichen Interessen können auch diese Umweltelemente aber in den Anwendungsbereich humanitären Vertragsrechts einbezogen werden. 2. Die Umwelt als kulturell oder spirituell bedeutendes Gut
Im Gegensatz zum Schutz der Umwelt während bewaffneter Konflikte ist die Schonung von Kulturgütern und -stätten im humanitären Völkerrecht seit dessen Anfängen fest verankert.200 Schon Emer de Vattel postulierte ein Verbot ihrer Zerstörung.201 Im Lieber Code sowie den Haager Abkommen von 1899 und 1907 sind Vorläufer heutiger Schutznormen zu finden.202 Auch im Recht nichtListe („List of World Heritage in Danger“, Art. 11 (4) WHC) als Ausdruck besonderen Handlungsdrucks aufgenommen werden können. Ihrer Bewahrung beziehungsweise Restauration oder Wiederherstellung kann und soll im Rahmen der Konvention besondere Hilfe zukommen. Eine Handlungsbeschränkung im Sinne humanitären Völkerrechts enthält die Konvention allerdings nicht. 200 Zur historischen Entwicklung des Kulturgüterschutzes im (internationalen) Recht: Howe, Can the 1954 Hague Convention apply to non-state actors? A study of Iraq and Libya, Texas International Law Journal 47 (2012), S. 405 ff.; außerdem Arimatsu/ Choudhury, Protecting Cultural Property in Non-International Armed Conflicts: Syria and Iraq, International Law Studies 91 (2015), S. 650 zu den Gründen des Schutzes; Cunning, The Safeguarding of Cultural Property in Times of War & Peace, Tulsa Journal of Comparative and International Law 11 (2003), S. 212 ff. zu den Schutzanfängen und dem antiken Prinzip des Beuterechts. 201 de Vattel, Le droit des gens, ou Principes de la loi naturelle/The law of nations or principles of the law of nature, Book III, Chapter ix, Rn. 168: „[F]or whatever cause a country be devastated, these buildings should be spared which are an honour to the human race and which do not add to the strength of the enemy, such as temples, tombs, public buildings and all edifices of remarkable beauty.“ 202 Art. 31 des Lieber Codes erlaubte die Beschlagnahme von Eigentum durch die siegreiche Konfliktpartei noch ausdrücklich. Kultureigentum, das in Art. 34 Aufzählung fand, sollte nach Art. 34 allerdings von diesem Recht ausgeschlossen sein. Die mutwillige Zerstörung oder Beschädigung von Kunstwerken, Bibliotheken und Sammlungen wurde durch Art. 36 Lieber Code ausdrücklich untersagt. Durch Art. 56 des Zweiten Haager Abkommens von 1899 (Convention (II) with Respect to the Laws and Customs of War on Land and its annex: Regulations concerning the Laws and Customs of War on Land vom 29. Juli 1899) sowie durch den identischen Art. 56 des Vierten Haager Abkommens von 1907 (Convention (IV) respecting the Laws and Customs of War on Land and its annex: Regulations concerning the Laws and Customs of War on Land vom 18. Oktober 1907) wurde der Bedeutung von Kulturgütern erstmals durch ein Schonungsgebot des humanitären Völkerrechts Beachtung gezollt. Unter Art. 56 des Abkommens waren Kulturgüter allerdings nur im Rahmen der Ausübung militärischer Ge-
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internationaler Konflikte finden sich heute Schädigungsverbote. Durch Art. 16 ZP II, das Zweite Protokoll zum 1954 Haager Abkommen von 1999 (Prot. II HK)203 sowie zuvor schon in begrenztem Maß durch Art. 19 des Haager Abkommens zum Schutz von Kulturgütern während bewaffneter Konflikte (HK 1954)204, sind bestimmte Kulturgüter und Kultstätten auch während nichtinternationaler bewaffneter Konflikte vor Angriffen geschützt. Art. 8 (2) (e) (iv) IStGH-Statut fasst die Zerstörung bestimmter Kulturgüter in dieser Konfliktform sogar unter den Katalog der Kriegsverbrechen. Diese Normen können nicht nur, wie es unter anderem Lixinski vorschlägt205, als Vorbild denkbarer Abkommen zum Schutz besonders relevanter Ökosysteme und Landstriche dienen. Die Anerkennung von Umweltstätten als ebenso relevante Zeugen kultureller Entwicklung und Identität sowie als Stätten von spiritueller Bedeutung für frühere und heutige Völker ermöglichen es unter Umständen, Umweltbestandteile, die gleichzeitig Kultstätten beziehungsweise Kulturstätten früherer Generationen sind (natürliche Kulturgüter)206, auch unter die Definitionen geschützter Kulturgüter in bestehenden Normen zu fassen. a) Die Umwelt als Kulturstätte des Haager Kulturgüterschutzregimes aa) Einführung Mehrere Jahrzehnte bevor durch das erste Zusatzprotokoll zu den Genfer Abkommen ein grundlegender Schutz ziviler Objekte in das humanitäre Völkerrecht aufgenommen wurde, bestimmte bereits ein spezielles Abkommen den Umgang mit kulturell bedeutenden Objekten in Konfliktzeiten. Wenngleich das Haager Abkommen von 1954207 primär zur Regelung konventioneller Kriege geschaffen worden war, ist es gemäß seines Art. 19 zumindest in Teilen auch für nichtinternationale bewaffnete Konflikte anwendbar.208 Unter dem Eindruck der verheewalt auf besetztem feindlichem Gebiet geschützt (vgl. Überschrift des III. Abschnitts). Art. 27 HLKO schrieb zudem Vorsichtsmaßnahmen bei Bombardements und Belagerungen vor, um Gebäude zu schonen, die der Kunst, Kultur, Religion, Wissenschaft oder gemeinnützigen Zwecken gewidmet sind. Auf nichtinternationale bewaffnete Konflikte sind diese Vorschriften nicht anwendbar. 203 Teil 1, Fn. 141. 204 Teil 1, Fn. 141. 205 Lixinski, Environment and War: Lessons from International Cultural Heritage Law, in: Rayfuse (Hrsg.), War and the environment, S. 157 ff. 206 Französisch: „biens culturels naturels“. Vgl. Fraoua, Le trafic illicite des biens culturels et leur restitution, S. 10; zitiert bei Schorlemer, Internationaler Kulturgüterschutz, S. 51. Zur Definition im Rahmen des Begriffs der Umwelt siehe Teil 1, § 1, B., III. 207 Teil 1, Fn. 141. 208 Anwendbar sind gemäß Art. 19 (1) HK 1954 zumindest die Normen, die sich mit der Respektierung von Kulturgütern durch Konfliktparteien befassen. Dies schließt insbesondere Art. 4 HK 1954 ein, der das Verbot feindlicher Handlungen gegen erfasstes
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renden Wirkungen des Jugoslawienkonflikts wurde es 1999 durch das Prot. II HK209, das gemäß Art. 22 Prot. II HK vollumfänglich auch in nichtinternationalen Konflikten anzuwenden ist, nochmals inhaltlich verstärkt. Das Hauptabkommen von 1954 sowie dessen zweites Protokoll schützen gemäß Art. 1 (a) HK 1954 i.V. m. Art. 1 b) Prot. II HK bewegliches oder unbewegliches Eigentum, das für das kulturelle Erbe aller Völker von großer Bedeutung ist („[. . .] movable or immovable property of great importance to the cultural heritage of every people“).210 Der offene Wortlaut dieser Schutzanordnung erlaubt es im Grundsatz, auch Umweltbestandteile unter das Abkommen zu fassen, denn welche Erwägungen für die besondere Bedeutung des geschützten Eigentums ausschlaggebend sind, wird durch Art. 1 HK 1954 nicht weiter ausgeführt. Grundsätzlich könnte daher jedes erdenkliche eigentumsfähige Gebiet unter diesen Begriff fallen. Kulturell, ästhetisch oder spirituell bedeutsame Umweltstätten sind von dieser Formulierung im Grundsatz also mit umfasst. Ausschlaggebend für die Subsumtionsmöglichkeit ist allerdings von vorneherein der kulturelle Wert des jeweiligen Gebiets. Anders als in der WHC, die ausdrücklich neben Kulturgütern auch Naturgüter ohne kulturelle Bedeutung unter Schutz stellt, können durch die HK 1954 sowie durch das Prot. II HK aufgrund des Wortlautes von Art. 1 (a) HK 1954 nur solche Eigentümer erfasst werden, die „cultural property“ darstellen. Dies schließt zwar die Subsumtion rein natürlicher, ohne einen menschlichen Schaffungsakt entstandener Gebiete und Güter nicht aus, begrenzt aber die Bandbreite möglichen Umweltschutzes. Deutlich wird diese Einschränkung bei einem Blick auf die Entstehungsgeschichte des Abkommens. bb) Natürliche Kulturgüter als erfasste Objekte (1) Naturstätten von großer Schönheit Auch wenn das Aufkommen einer internationalen Umweltbewegung zumeist mit späteren Jahrzehnten in Verbindung gebracht wird, waren auch frühere Akteure der internationalen Gemeinschaft nicht immer blind gegenüber der Werthaftigkeit der Umwelt für den Menschen. Nach einem Vorschlag der USA und Japans diskutierte die mit der Entwicklung der HK 1954 befasste Staatenkonferenz schon 1954 über die Aufnahme von „natural sites of great beauty“ als durch das Vertragswerk geschützte Orte. Dass der Umwelt ein ästhetischer Wert zukommen kann, der die infrage stehende Stätte erhaltens- und dadurch schützenswert wirken lässt, war also schon zu dieser Zeit eine valide Überlegung bei der Kultureigentum festschreibt. Zur Anwendbarkeit weiterer Normen detailliert: Ehlert, Prosecuting the Destruction of Cultural Property in International Criminal Law, S. 46 f. 209 Teil 1, Fn. 141. 210 Art. 1 (a) HK 1954.
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Entwicklung von Völkerrecht. Durchsetzen konnte sich dieser Ansatz allerdings nicht. Eine Aufnahme des Merkmals in das spätere Abkommen scheiterte an deutlichem Widerstand einiger Staatenvertreter.211 Vor allem der Vertreter Frankreichs brachte eine Vielzahl von Argumenten gegen die Aufnahme natürlicher Umweltstätten vor: Orte wie der Himalaya oder der Mont Blanc seien nicht Ausdruck menschlicher Kultur und hätten daher, anders als die zu schützenden Kulturgüter, keinen edukativen Wert.212 Ihre große Anzahl würde zudem die Anwendung der Konvention in der Praxis gefährden.213 Die Notwendigkeit, nach objektiven Kriterien eine Auswahl über die von einer bestimmten Kategorie umfassten Güter eines Staates zu treffen, mache die Einbeziehung von reinen Umweltstätten ebenso unmöglich, schließlich sei Schönheit – und der mit Schönheit verbundene ästhetische Wert – nicht objektiv bestimmbar.214 Das Resilienzvermögen der Umwelt führe zudem zu einer schnellen Wiederherstellung nach einer Zerstörung.215 Die genannten Ablehnungsgründe zeugen von einer erwartbaren Ignoranz hinsichtlich schädlicher Umweltfolgen des Einsatzes von Waffengewalt. Angesichts auch zu diesem Zeitpunkt schon verfügbarer Massenvernichtungswaffen hatte das Argument der Resilienz der Umwelt wenig inhaltliche Stärke. Sollte, um eines der vorgebrachten Beispiele aufzugreifen, die spezifische Felsformation oder der Gletscher des Mont Blanc durch den Einschlag eines mit hoher Sprengkraft ausgestatteten Geschosses zerstört werden, wäre der Zustand unumkehrbar, verfügt doch nicht jeder Bestandteil der Umwelt über die Fähigkeit der Regeneration. Der als „great beauty“ umschriebene ästhetische Wert der Naturstätte wäre für immer verloren. Viele vor oder im Zweiten Weltkrieg entwickelten und eingesetzten Waffentechnologien, vor allem solche mit biologischer, chemischer oder nuklearer Wirkung, übersteigen die Regenerationsfähigkeit fast jedes Umweltbestandteils und Ökosystems. Bereits in den ersten Jahrzehnten nach Ende des Zweiten Weltkriegs war dieser Umstand angesichts erfahrener Zerstörungen wenigstens in Wissenschaftskreisen bekannt. Auch dass die Auswahl potenziell geschützter Naturstätten nicht von geringerer oder höherer Schwierigkeit als die Selektion als wertvoll erachteter Kulturstätten ist, liegt näher als die Behauptung des Gegenteils. Dies bewies sich spätes211 Toman, The Protection of Cultural Property in the Event of Armed Conflict, Commentary on Art. 1 HK 1954, S. 53. 212 Intergovernmental Conference on the Protection of Cultural Property in the Event of Armed Conflict, Records of the Conference/Actes de la Conférence convened by UNESCO, Den Haag, 21. April–14. Mai 1954, publiés par le gouvernement des PaysBas, S. 127, Rn. 164. 213 Ibid. 214 Intergovernmental Conference on the Protection of Cultural Property in the Event of Armed Conflict, a. a. O., S. 115, Rn. 129. 215 Ibid.
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tens mit der Verabschiedung der Welterbekonvention von 1972, deren mehrstufiges Erfassungssystem bis heute von Erfolg gezeichnet ist, schließlich erschöpft sich der edukative Wert einer Landschaft nicht in ihrer kulturellen Bedeutung. Umweltstätten, die Aufschluss über die Entstehung der Erde, die Entwicklung von Kontinenten und Spezies zu liefern vermögen, sind zweifelsohne von edukativem und wissenschaftlichem Wert für heutige und künftige Generationen. Die Qualität der durch den französischen Vertreter vorgebrachten Argumente war aber mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht ausschlaggebend dafür, dass Umweltstätten von ausschließlich ästhetischem Wert nicht in den Kanon der durch die HK 1954 geschützten Güter aufgenommen wurden. Es war wohl eher eine mangelnde Akzeptanz der Werthaftigkeit der Umwelt als solche, die dieses Ergebnis herbeiführte.216 Dass der Umwelt zum fraglichen Zeitpunkt im Allgemeinen weit weniger Relevanz zuerkannt wurde als den durch Menschen geschaffenen Kunst- und Architekturobjekten, ist nicht von der Hand zu weisen. Zudem fehlte es aber wohl auch am Bewusstsein einer tatsächlichen Gefährdungslage. Die Wahrscheinlichkeit, dass der Mont Blanc Ziel eines feindlichen Angriffs werden könnte, war und ist weit weniger hoch als die der Zerstörung einer Kathedrale oder einer bedeutenden Kunstsammlung durch feindliche Handlungen. Dass dagegen auch Nationalparks und mit ihnen einzigartige Tier- und Pflanzenarten durch eben diese Konfliktmaßnahmen in erheblichem Umfang vernichtet werden könnten, war in den 1950er Jahren kein drängender Punkt auf der Tagesordnung der internationalen Gemeinschaft. Ihr Blick war konzentriert auf die in der westlichen Welt drohenden Gefahren. Darüber hinaus war das Vorbringen der USA und Japans womöglich von Vorneherein durch eine ungeschickte Formulierung geschwächt. Der Vorschlag, Umweltstätten allein aufgrund ihrer großen Schönheit mit Kulturgütern gleich zu stellen, übersah eine Reihe weiterer Umweltfunktionen, die eine Gleichstellung von natürlicher Umwelt und Kulturgut zusätzlich gestärkt hätten. Eine offenere Formulierung, die neben dem ästhetischen auch den edukativen oder spirituellen Wert der Umwelt in den Fokus gesetzt hätte, hätte der Vielzahl der mit Kulturgütern im allgemeinen verbundenen Werthaftigkeiten217 deutlicher entsprochen.
216 Ähnlich Toman, The Protection of Cultural Property in the Event of Armed Conflict, Commentary to Art. 1 HK 1954, S. 53. 217 So ergibt sich die Bedeutung z. B. der Vatikanstadt oder des Tempelbergs aus einem Zusammenspiel von edukativem, spirituellen und ästhetischen Wertschätzungen. Ein Kulturgut kann Ausdruck einer bestimmten Menschheitsepoche, einer bestimmten Zivilisation, eines bestimmten Kunststils und -empfindens sowie der Ausübung individueller und kollektiver Menschenrechte wie der Religionsfreiheit oder der Meinungsfreiheit sein. Das Zusammenkommen all dieser Funktionen im besagten Objekt bestimmt ihren Wert für den Einzelnen oder die (Welt-)Gemeinschaft. Knapp: Wolfrum, Cultural Property, Protection in Armed Conflict, in: Wolfrum (Hrsg.), The Max Planck Encyclopedia of Public International Law, opil.ouplaw.com/home/EPIL, Rn. 4.
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(2) Natürliche Kulturstätten als Kulturgut der HK 1954 (a) Die Kulturgüterdefinition der HK 1954 Obgleich der Vorschlag zur Einbeziehung allein ästhetisch bedeutender Umweltstätten scheiterte, verblieb in der endgültigen Fassung des Haager Abkommens die Möglichkeit, Teile der Umwelt unter den Begriff des „Eigentums von besonderer Bedeutung für das kulturelle Erbe der Völker“ zu subsumieren. Diese Option besteht aufgrund der offenen Definition des Kulturgüterbegriffs in Art. 1 (a) HK 1954, die geschützte Güter anhand ihrer Bedeutung für das kulturelle Erbe der Völker beschreibt und damit allein an den Schutzzweck statt an den Eigenschaften des Objekts anknüpft. Zwar werden in Art. 1 (a) HK 1954 im Nachgang an die Definition der erfassten Güter bewegliche und unbewegliche Objekte wie Bauwerke, archäologische Stätten, Kunstwerke und wissenschaftliche Sammlungen aufgeführt, die nach Ansicht der Konventionsmitglieder in den Rahmen geschützter Güter zu fallen vermögen,218 diese Aufzählung ist jedoch nur beispielhaft und nicht abschließend („such as“). Ebenso relevant wie die exemplarische Nennung bestimmter Objekte sind die in den Beispielen erwähnten Gründe, die zur Annahme der großen Bedeutung für das kulturelle Erbe im Sinne der der Kulturgüterdefinition führen könnten. Ausdrücklich erfasst Art. 1 (a) HK 1954 zusätzlich zu den ausdrücklich aufgezählten Objekten solche Güter, die von religiöser aber auch von säkularer Bedeutung, von historischem, künstlerischem oder edukativem Wert sein können („other objects of artistic, historical or archaeological interest“). Die eigentliche Beschaffenheit des Objekts steht nicht im Fokus der Definition. Solange eine Umweltstätte aus einem der genannten Gründe Bedeutung für das kulturelle Erbe der Völker besitzt, sind keine weiteren Anforderungen durch Art. 1 (a) HK 1954 gesetzt. Die im Haager Abkommen und seinen Zusatzprotokollen relevante Definition umgeht durch ihre Offenheit das größte Hindernis eines durch Kulturgüterschutznormen bewirkten Umweltschutzes: die Notwendigkeit eines menschlichen Schaffungsakts als Voraussetzung jeden Kulturguts. Während der hinter dem Kulturgüterschutz stehende Gedanke der Bewahrung der wertvollsten Ergebnisse menschlicher Kulturentwicklung in den meisten Fällen dazu führen wird, durch den Menschen geschaffene Objekte als Kulturgüter zu klassifizieren, ist es in der Literatur umstritten, ob ein solcher Schaffungsakt notwendige Voraussetzung
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Art. 1 (a) erfasst: „movable or immovable property of great importance to the cultural heritage of every people, such as monuments of architecture, art or history, whether religious or secular; archaeological sites; [. . .] and other objects of artistic, historical or archaeological interest; as well as scientific collections and important collections of books or archives or of reproductions of the property defined above“ [Herv. d. d.Verf.].
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jedes Kulturguts ist.219 Nicht nur Sinn und Zweck eines möglichst effektiven Schutzes derzeitiger und vergangener Kulturen sprechen aber gegen dieses Erfordernis. Die Annahme, ein menschlicher Schaffungsakt sei zwingender Bestandteil der Kulturgüterdefinition verkennt zudem, dass eine solche Definition im Völkerrecht nicht einheitlich besteht. Verschiedene Kulturgüterschutzverträge gehen von gänzlich unterschiedlichen Definitionen eines Kulturguts aus.220 Nicht jede Konvention setzt einen menschlichen Schaffungsakt voraus. Einige internationale Abkommen wie die WHC oder die UNESCO-Konvention gegen illegalen Handel mit Kulturgütern221 zollen der kulturellen Bedeutung natürlicher Objekte ausdrücklich Tribut, indem sie natürliche Umweltstätten beziehungsweise rein natürliche Umweltbestandteile ausdrücklich in den Schutzbereich ihrer Vorschriften aufnehmen.222 Andere Verträge schließen rein natürliche Güter durch ihren Wortlaut aus. Art. 8 (2) (e) (iv) IStGH-Statut beispielsweise enthält eine abschließende Liste geschützter Kulturobjekte223 und ist damit deutlich enger als Art. 1 (a) HK 1954. Maßgeblich für den Anwendungsbereich eines bestimmten Vertrags ist also allein das Kulturgutverständnis der jeweiligen Vertragsnormen. Das Haager Abkommen und seine Protokolle enthalten in ihrem Wortlaut kein Erfordernis eines menschlichen Schaffungsaktes. Wenngleich alle in Art. 1 (a) HK 1954 beispielhaft auf-
219 Das Erfordernis ablehnend Streinz, Handbuch des Museumsrechts 4: Internationaler Schutz von Museumsgut, S. 27 f.; Schorlemer, Internationaler Kulturgüterschutz, S. 51; Blake, International cultural heritage law, S. 117; eher befürwortend Rietschel, Internationale Vorgaben zum Kulturgüterschutz und ihre Umsetzung in Deutschland, S. 10 f. Befürwortend auch die in Teil 1, Fn. 48 genannten Autoren. 220 Ein interessantes Beispiel ist der Leichnam des „Mannes vom Hauslabjoch“ der der breiten Bevölkerung unter dem Namen Ötzi bekannt ist. Ob dieser neben seiner Kleidung und Ausrüstung nach § 1 des österreichischen Denkmalschutzgesetzes eingeordnet und bewahrt werden könnte, war Gegenstand kontroverser Diskussionen. Obwohl das Gesetz das Vorhandensein eines menschlichen Schöpfungsaktes voraussetzte, wurden letztlich auch die sterblichen Überreste unter Denkmalschutz gestellt. Vgl. Rietschel, a. a. O., S. 11. 221 Convention on the Means of Prohibiting and Preventing the Illicit Import, Export and Transfer of Ownership of Cultural Property vom 14. November 1970, 823 UNTS 231. 222 Vgl. Art. 1 (a) der UNESCO Kulturgüterschutzkonvention: „For the purposes of this Convention, the term ,cultural property‘ means property which, on religious or secular grounds, is specifically designated by each State as being of importance for archaeology, prehistory, history, literature, art or science and which belongs to the following categories: Rare collections and specimens of fauna, flora, minerals and anatomy, and objects of palaeontological interest [. . .].“ 223 Vorsätzliche Angriffe auf Gebäude, die dem Gottesdienst, der Erziehung, der Kunst, der Wissenschaft oder der Wohltätigkeit gewidmet sind, stellen gemäß Art. 8 (2) (e) (iv) IStGH-Statut Kriegsverbrechen in nichtinternationalen Konflikten dar.
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gezählten Objekte diesen zur Gemeinsamkeit haben, kann er doch nicht einfach als Erfordernis in die Definition gelesen werden. Nicht nur der Hauptfokus des Wortlauts auf die kulturelle Bedeutung der bewusst nicht abschließend aufgezählten Güter spricht gegen eine Beschränkung. Auch die Entstehungsgeschichte der Norm unterstützt dieses Ergebnis: Den Teilnehmern der Haager Konferenz zur Vorbereitung des Abkommens war durchaus bewusst, dass auch rein natürliche Güter unter den Wortlaut des Art. 1 (a) HK 1954 subsumiert werden könnten. Diese Einbeziehung befürworteten im Grundsatz selbst Delegierte, die dem US-amerikanischen und japanischen Vorschlag zum Schutz von Umweltstätten von großer Schönheit kritisch gegenüberstanden. So argumentierte sogar der Vertreter Frankreichs, dass beispielsweise ein besonders außergewöhnlicher Baum durchaus unter den Begriff unbeweglichen Eigentums („property of great importance to the cultural heritage of every people“) in Art. 1 (a) HK 1954 gefasst werden könne.224 Das Erfordernis der großen Bedeutung für das kulturelle Erbe der Völker gemäß Art. 1 (a) HK 1954 könne bei diesem Beispiel allerdings kaum erreicht werden.225 Tatsächlich wehrte sich aber kein Staatenvertreter gegen die Subsumtion von Kultureigentum rein natürlichen Ursprungs. Möglicherweise sahen die damaligen Delegierten die relevanten Beispiele natürlicher Stätten von kultureller Bedeutung für alle Völker schlicht nicht vorher. Umweltstätten wie dem für die Religion der Maori bedeutenden Tongariro Nationalpark in Neuseeland, dem UluruKata Tjuta Nationalpark in Australien, der in das traditionelle Eigentum des Anangu Aboriginal Stammes fällt, sowie dem Tikal Nationalpark als Wiege der Maya-Zivilisation in Guatemala226 kann die geforderte hohe Bedeutung aber durchaus zugesprochen werden. Derartige natürliche Kulturgüter können folglich unter den Begriff des Kultureigentums des Art. 1 (a) HK 1954 subsumiert werden.227 Daran ändert auch die Verwendung des Begriffs „cultural property“, der treffenderweise mit Kultureigentum und nicht wie im Bundesgesetzblatt vorgenommen mit Kulturgut zu übersetzen wäre228, statt der in der WHC verwendeten Bezeichnung Kulturerbe („cultural heritage“), nichts. Die sich aus der speziellen 224 Intergovernmental Conference on the Protection of Cultural Property in the Event of Armed Conflict, Records of the Conference/Actes de la Conférence convened by UNESCO, Den Haag, 21. April–14. Mai 1954, publiés par le gouvernement des PaysBas, S. 115, Rn. 129. 225 Ibid. 226 Alle genannten Beispiele sind als herausragende Natur- und Kulturerbe, als „mixed properties“, in der Welterbeliste der WHC aufgenommen. Vgl. zu Eintragung und Bedeutung die unter http://whc.unesco.org/en/list/ aufgeführte Liste aufgenommener Weltkulturerbe [abgerufen am 26.10.2020]. 227 Z. B. Hulme, War Torn Environment: Interpreting the Legal Threshold, S. 114. 228 BGBl. 1967 II S. 1233 ff.
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Wortwahl ergebenden Konsequenzen sind lediglich für die Erfassung immaterieller Kulturgüter von Bedeutung.229 Umweltstätten sind als greifbare Objekte unproblematisch eigentumsfähig.230 Auf eine bestimmte Eigentumsposition nach nationalem Recht kann es nach Sinn und Zweck des Haager Kulturgüterschutzabkommens nicht ankommen. Dass natürliche Kulturgüter sehr wohl unter die bestehende Definition des Art. 1 (a) HK 1954 subsumiert werden können, und die Staatenkonferenz bei Entstehung der Konvention lediglich eine zusätzliche Erweiterung um Naturstätten ohne kulturelle Bedeutung ablehnte, wurde allerdings bislang nicht durchgängig erkannt. So erklärte der UNESCO-Generalsekretär 1993, es wäre vereinbart worden, dass die HK 1954 nicht zum Schutz von Naturgütern ausgeweitet werden solle, da das Regime des Abkommens für diesen Zweck nicht geeignet sei.231 Zwar ist es richtig, dass die Konvention Naturerbe im Allgemeinen bislang nicht zu erfassen vermag, die Äußerung ist aber zumindest in der Hinsicht ungenau, dass natürliche Kulturgüter sehr wohl schon jetzt in den Anwendungsbereich der Konvention zu fallen vermögen und Nichtangriffs- und Schutzvorschriften daher auch auf solche Güter angewendet werden können. Wie soeben dargelegt, hatte die befasste Staatenkonferenz dies auch vorhergesehen und gebilligt. Diesen Umstand erkannte zuletzt auch das Drafting Committee der ILC im Rahmen des 2013 initiierten Projekts zur Erarbeitung von Vorschriften zum Schutz der Umwelt während bewaffneter Konflikte. Bei Ausarbeitung eines Artikelentwurfs zum Schutz bestimmter ökologisch bedeutender Gebiete wies der 229 Ob zwischen den beiden Begriffen auch heute noch ein signifikanter Unterschied besteht, ist nicht abschließend geklärt (vgl. Blake, On Defining the Cultural Heritage, The International and Comparative Law Quarterly 49 (2000), S. 62 ff.; Hulme, War Torn Environment: Interpreting the Legal Threshold, S. 114). Sollte Kulturgut bzw. „cultural property“ aber als Ausschnitt des Begriffs des Kulturerbes/„cultural heritage“ enger gefasst sein, so liegt der Unterschied beider allein in der Erfassung solcher Güter, die nicht als Eigentum gefasst werden können. Problematisch ist dies insbesondere im Fall immateriellen Kulturerbes wie den Bräuchen, Sitten und Ritualen eines Volkes sowie auch dessen überlieferten Wissens und seiner darstellenden Künste (vgl. Frigo, Cultural property vom cultural heritage: A „battle of concepts“ in international law? International Review of the Red Cross 86 (2004), S. 369 sowie die Begriffsbestimmung in Art. 2 des Übereinkommens zur Erhaltung des immateriellen Kulturerbes (Convention for the Safeguarding of the Intangible Cultural Heritage vom 17. Oktober 2003, UNESCO Doc. MISC/2003/CLT/CH/14). 230 Auch Dam-de Jong weist für den speziellen Fall natürlicher Ressourcen und im Kontext des Art. 23 (g) HLKO darauf hin, dass diese unproblematisch „property“ sein können, da sie imstande sind, Eigentum darzustellen (Dam-de Jong, From Engines for Conflict into Engines for Sustainable Development: The Potential of international Law to Address Predatory Exploitation of Natural Resources in Situations of Internal Armed Conflict, Nordic Journal of International Law 82 (2013), S. 162). 231 UNESCO, Report by the Director-General on the reinforcement of UNESCO’s action for the protection of the world cultural and natural heritage, 18. August 1993, 142 EX/15, Annex, S. 2.
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Vorsitzende des Komitees auch auf das Haager Abkommen und dessen Schutzregime hin. Dabei betonte er die enge Verknüpfung von Umwelt und Kultur und verwies als Beispiel auf die Verbundenheit indigener Völker mit ihrem angestammten Land, das sie als Grundlage ihrer Kultur und ihres Überlebens benötigen.232 Eben solche Gebiete können durch den Begriff des Kultureigentums in der HK 1954 erfasst werden. Einen Verweis auf diese enge Verbindung von Kultur und Umwelt findet sich mittlerweile auch in der Kommentierung des derzeitigen ILC Draft Principle 4 über die Kennzeichnung von Gebieten mit besonderer ökologischer oder kultureller Bedeutung als geschützte Zonen.233 Während die ILC betont, dass das Regime der HK 1954 nicht durch ILC Draft Principle 4 angetastet oder repliziert werden soll, regt sie doch an, dass auch kulturell bedeutende natürliche Gebiete von den Staaten – auf freiwilliger Basis – als besonders geschützte Zonen deklariert werden sollen.234 (b) Kulturerbe der Völker Das Ausmaß der Erfassung von Umweltgütern durch das Haager Abkommen und dessen Protokoll II hängt allerdings von einer zusätzlichen Auslegungsfrage ab. Die Vergangenheit hat gezeigt, dass gerade in nichtinternationalen Konflikten, in denen unterschiedliche ethnische oder ethnisch-religiöse Gruppen als gegnerische Parteien auftreten, Zeugnisse der jeweils anderen Kultur Opfer feindlicher Handlungen werden. Derartige Handlungen zielen spezifisch auf die ideologische Schwächung des Gegners ab. Die systematischen Angriffe auf gegnerisches Kulturgut durch serbische Truppen im Jugoslawienkrieg235, die Sprengung der großen Buddha-Statuen von Bamiyan durch die Taliban sowie zuletzt die Zerstörung des Baal-Tempels in Palmyra durch den sogenannten IS sind nur einige Beispiele eines gezielten Kampfes gegen die religiöse und kulturelle Identität eines Volkes oder einer Volksgruppe. Kommt einer Kulturstätte innerhalb eines Staates nur für eine Minderheit außergewöhnliche Bedeutung zu, besteht die Gefahr, dass die Schädigung dieses Guts in einem späteren Konflikt außerhalb des Anwendungsbereichs des Haager 232 ILC, Provisional summary record vom 22. September 2015 of the 3281th meeting vom 30. Juli 2015, A/CN.4/SR.3281, S. 5. 233 Draft Principle 4: „Designation of protected zones: States should designate, by agreement or otherwise, areas of major environmental and cultural importance as protected zones.“ (Siehe ILC, Report of the International Law Commission on the Work of its 71st Session 2019, UN GAOR 74th Session, Supp. No. 10, A/74/10, S. 221.) 234 Siehe die Kommentierung zu Draft Principle 4, ibid. 235 Statt vieler: Detling, Eternal Silence: the Destruction of Cultural Property in Yugoslavia, Maryland Journal of International Law 17 (1993), S. 66 ff.; Abtahi, The protection of cultural property in times of armed conflict: the practice of the International Criminal Tribunal for the former Yugoslavia, Harvard Human Rights Journal 14 (2001), S. 1 ff.
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2. Teil: Das geltende Recht und seine Wirkung zum Erhalt der Umwelt
Abkommens betrieben wird. Ausgangspunkt dieser Sorge ist erneut Art. 1 (a) HK 1954, der nur solche Güter umfasst, denen eine herausragende Bedeutung für das kulturelle Erbe jeden Volkes („great importance to the cultural heritage of every people“) zukommt. Wie ist diese Bedeutung zu messen? Offensichtlich ist zumindest, dass die Konventionsstaaten den materiellen Wert der erfassten Stätte nicht als relevant erachteten. Eindeutig ist die Bedeutung („importance“) und nicht die Werthaftigkeit („value“) des Eigentums ausschlaggebend.236 Problematischer ist jedoch die Fassung des für die Bestimmung relevanten Volkes. Zwei Lesarten stehen zur Auslegung zur Verfügung: Teilweise wird vertreten, dass der Verweis auf die Bedeutung für „every people“ Signifikanz des Objekts für die gesamte internationale Gemeinschaft voraussetze.237 Mit Blick auf den Wortlaut der Präambel238 plädieren Gegenstimmen für eine Auslegung des Art. 1 (a) HK 1954, die es jedem Mitgliedstaat überlässt, welche Objekte auf seinem Territorium er als schutzwürdig erachtet, und daher die Bedeutung für ein einziges Volk genügen lässt.239 Diese Auslegung entspricht der Systematik des Abkommens, das die Auswahl bedeutenden Kultureigentums grundsätzlich in die Diskretion einzelner Vertragsstaaten legt und nur für den Fall besonderen Schutzes nach Art. 8 HK 1954 eine Entscheidung über die Registereintragung erfordert. Auch unter Effektivitätsgesichtspunkten ist diese Lesart vorzuziehen. So argumentierte der Delegierte der Schweiz in der Staatenkonferenz von 1954: „Les biens culturels à respecter en général ne doivent pas être trop peu nombreux, sinon on arriverait à l’absurdité suivante: en vertu des articles 3 et 4, qui ne protégeraient que les biens de grande importance, le pillage, le vol seraient implicitement permis à l’égard de tous les autres biens.“ 240
Die Einbeziehung einer höheren Anzahl an Kulturgütern durch Anwendung des Maßstabs der Relevanz für ein einziges Volk gefährdet auch nicht, wie bei-
236 Vgl. Commentary on Article 1, in: Toman, The Protection of Cultural Property in the Event of Armed Conflict, S. 50. 237 So z. B. Green, The contemporary law of armed conflict, S. 179, Fn. 208. 238 „[. . .] damage to cultural property belonging to any people whatsoever means damage to the cultural heritage of all mankind, since each people makes its contribution to the culture of the world [. . .]“ (Präambel HK 1954). 239 O’Keefe, The Meaning of ,Cultural Property‘ under the 1954 Hague Convention, Netherlands International Law Review 46 (1999), S. 36; ebenso: Ehlert, Prosecuting the Destruction of Cultural Property in International Criminal Law, S. 49; Wolfrum, Cultural Property, Protection in Armed Conflict, in: Wolfrum (Hrsg.), The Max Planck Encyclopedia of Public International Law, opil.ouplaw.com/home/EPIL, Rn. 8; Becerril, The Meaning and Protection of ,Cultural Objects and Places of Worship‘ under the 1977 Additional Protocols, Netherlands International Law Review 59 (2012), S. 456 f. beschreibt O’Keefe’s Ansicht als mittlerweile unbestritten akzeptiert. 240 Intergovernmental Conference on the Protection of Cultural Property in the Event of Armed Conflict, Records of the Conference/Actes de la Conférence convened by UNESCO, Den Haag, 21. April–14. Mai 1954, Rn. 407.
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spielsweise Toman befürchtet241, die Akzeptanz des Schutzstatus durch die Konfliktparteien im Angesicht einer Vielzahl unzulässiger Angriffsziele. Um dies zu verhindern, reicht das Kriterium der „great importance“ aus. Effektivitätshemmnis ist in Realität die bewusste Missachtung humanitären Völkerrechts, nicht die mangelnde Anzahl legitimer Angriffsziele. Vor oder bei Ausbruch eines nichtinternationalen bewaffneten Konflikts obliegt es also der Staatsregierung als Vertreterin ihres Volkes, die Naturstätten mit besonderer kultureller Bedeutung für ihr Volk zu identifizieren und gemäß Art. 3 HK 1954 beziehungsweise Art. 5 Prot. II HK geeignete Maßnahmen zu ihrem Schutz zu ergreifen.242 Aber auch dieser Maßstab individueller Kulturbedeutung birgt Effektivitätsprobleme. Die Entscheidung für die Souveränität und Diskretion des Nationalstaats ist dann heikel, wenn innerhalb seines Staatsgebiets unterschiedliche ethnische Gruppen leben, die die Kultur der jeweils anderen Gruppe nicht respektieren. Gleiches gilt, wenn die Staatsregierung selbst die Kultur einer Minderheit unterdrückt. Gerade in nichtinternationalen bewaffneten Konflikten spielen Religions- und Ethnienzugehörigkeit eine große Bedeutung als Ausgangspunkt, Legitimation oder Element gefühlter Parteizugehörigkeit. Die Entscheidung über den Schutzstatus einer Kulturstätte darf daher nicht allein in den Händen einer autoritären Herrschaft liegen – ganz gleich, ob diese die Bevölkerungsmehrheit ausmacht. Hier kommt der internationalen Gemeinschaft auch die Verantwortung zu, die Stimmen der schwächeren ethnischen Gruppe(n) zu hören. Ist der kulturelle Wert einer Umweltstätte für eine Bevölkerungsgruppe eindeutig gegeben, darf die Anwendung der HK 1954 nicht mehr von der Anerkennung des Werts durch die Staatsregierung abhängen. Die Einhaltung der Schutznormen durch einen Staat, der den kulturellen Wert der Stätte nicht akzeptiert, ist allerdings nicht gesichert. Dies ist im Kriegsrecht selten der Fall; jedoch darf die Weite einer Definition von diesem Umstand nicht abhängig gemacht werden. cc) Schutzumfang (1) Verpflichtungsadressaten und Anwendungsfälle Fällt eine Naturstätte unter die eben genannten Voraussetzungen, legen die HK 1954 sowie Prot. II HK den Vertragsstaaten und Akteuren unterschiedliche Verhaltenspflichten auf. Bemerkenswert, gerade in Bezug auf nichtinternationale bewaffnete Konflikte, ist die ausdrückliche Verpflichtung aller am Konflikt beteiligten Parteien durch Art. 19 (1) und (2) HK 1954 beziehungsweise Art. 7 und 241 Commentary on Article 1, in: Toman, The Protection of Cultural Property in the Event of Armed Conflict, S. 50. 242 Ob Art. 3 HK 1954 über Art. 19 auch in nichtinternationalen bewaffneten Konflikten Anwendung findet, ist allerdings nicht gesichert. Lediglich Art. 4 weist den in Art. 19 aufgegriffenen Wortlaut auf und ist damit unproblematisch anwendbar.
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8 Prot. II HK, feindliche Akte gegen geschützte Güter zu unterlassen. Art. 15 Prot. II HK verstärkt die Inpflichtnahme nichtstaatlicher Akteure durch die Festlegung strafrechtlicher Verantwortlichkeit zusätzlich. Primär gebunden sind durch beide Instrumente allerdings die Vertragsstaaten, denen zusätzlich Pflichten zum vorsorglichen Schutz der erfassten Güter in Friedens- wie in Konfliktzeiten auferlegt werden. Das Abkommen sowie dessen zweites Protokoll bilden parallele Systeme unterschiedlichen Standards. Das Protokoll komplementiert für seine Mitgliedsstaaten gemäß Art. 2 Prot. II HK das Regime des Abkommens, ohne es zu ersetzen. Insofern alle beteiligten Konfliktparteien das Protokoll ratifiziert haben, tritt gemäß Art. 3 Prot. II HK dessen höheres Schutzniveau in Kraft.243 Es soll nach Art. 3 (2) S. 2 Prot. II HK auch dann anwendbar sein, wenn und solange die vertraglich nicht verpflichtete Partei die Vorschriften des Protokolls akzeptiert und einhält. Ob mit dieser Anordnung die Verpflichtungsproblematik nichtstaatlicher Akteure gelöst werden kann, ist allerdings fraglich. Sie resultiert schließlich aus der Tatsache, dass sowohl Abkommen wie Protokoll nichtstaatlichen Konfliktparteien Verpflichtungen auferlegen, ohne ihnen die Möglichkeit zu geben, Parteien des jeweiligen Instruments zu werden. Ohne Ratifikation durch den Konfliktgegner, die ja in dieser Konfliktform gar nicht möglich ist, ergibt sich daraus auch hinsichtlich der Verpflichtung des Staates ein Problem. Nach dem Wortlaut des Art. 3 (2) S. 1 Prot. II HK wäre ein Mitgliedsstaat, der in einen nichtinternationalen bewaffneten Konflikt verwickelt ist, mangels Ratifikation des Protokolls durch die gegnerische Partei im Verhältnis zu dieser nicht an das Protokoll gebunden. Dies ist nicht nur in Theorie problematisch. Da Art. 4 HK 1954, der über Art. 6 und 7 Prot. II HK auch Grundlage des Schutzes nach dem zweiten Protokoll ist, ausdrücklich festhält, dass auch Kulturgüter auf dem eigenen Territorium eines Mitgliedsstaats den Schutz der Vorschriften genießen244, ist es auch in innerstaatlichen Konflikten, in denen Kulturgüter anderer Vertragsstaaten nicht gefährdet werden, relevant, welcher Schutzstandard einzuhalten ist. Ein Ausweg bestünde nun theoretisch auf Basis des Wortlauts von Art. 3 (2) S. 2 Prot. II HK: Solange und soweit die nichtstaatliche Partei die Vorschriften des Protokolls beachtet, ist auch der Territorialstaat gebunden. Auf die Ratifikation durch den Gegner kommt es in dieser Variante nicht an. Dies würde aber bedeuten, dass die Anwendbarkeit des zweiten Protokolls in nichtbewaffneten Konflikten gänzlich davon abhinge, ob die am Konflikt beteiligten Gruppen das 243 Zu den Erwägungsgründen die zur Schaffung des zweiten Protokolls und dessen vollständiger Anwendbarkeit auf nichtinternationale bewaffnete Konflikte führten: Perna, The formation of the treaty rules applicable in non-international armed conflicts, S. 129. 244 Art. 4 (1) HK 1954: „The High Contracting Parties undertake to respect cultural property situated within their own territory as well as within the territory of other High Contracting Parties [. . .].“
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Protokoll freiwillig einhielten. Im schlimmsten Fall läge die Entscheidung über das durch den Staat einzuhaltende Schutzniveau in den Händen terroristischer Organisationen. Der Reziprozitätsgedanke, der Grund für den Ausschluss der Anwendbarkeit des Protokolls im Fall fehlender Ratifikation durch einen Staat ist, greift bei innerstaatlichen Konflikten nicht. In zwischenstaatlichen Konflikten sind häufig Kulturstätten beider Konfliktparteien bedroht, sodass die Nichtanwendbarkeit auch für die Nichtvertragspartei nachteilig wäre. In nichtinternationalen Konflikten bedroht nicht selten eine ethnische Bevölkerungsgruppe die Kulturstätten eines anderen Volkes innerhalb eines Territoriums, ohne dabei die Zerstörung eigener Kulturgüter zu fürchten. Reziprozität hilft hier nicht weiter. Aus Effektivitätsgründen muss also davon ausgegangen werden, dass ein Mitgliedstaat des Protokolls in einem innerstaatlichen Konflikt mit einer oder mehreren nichtstaatlichen Gruppen, die aufgrund ihrer mangelnden Staatlichkeit das Protokoll selbst nicht ratifizieren können, dennoch an die strengeren Vorschriften des Protokolls gebunden ist. Dass die Formulierung der Anwendungserlaubnis in Art. 3 (2) S. 1 Prot. II HK nur den Fall staatlicher Nichtvertragsparteien im Auge hat, unterstützt der Wortlaut von Art. 4 (b) Prot. II HK ebenfalls.245 Auch Art. 16 (2) (b) Prot. II HK scheint nur diesen Fall zu kennen.246 Die Verpflichtung nichtstaatlicher Konfliktparteien wurde wohl einfach nicht bedacht. Die Begründung völkerrechtlicher Verpflichtungen nichtstaatlicher Parteien durch Ratifikation des Territorialstaats247 kann dieses Ergebnis rechtfertigen.248 Dies gilt allerdings nur insoweit bewaffnete Gruppen über die Zugehörigkeit zu einem Staat überhaupt an das für diesen geltende Vertragsrecht gebunden werden können. Hier zeigt sich die zuvor dargelegte und bislang ungelöste Problematik der Bindung nichtstaatlicher Konfliktparteien in transnationalen Konflikten.249 (2) Zentrale Schutznormen und ihre Wirkung zugunsten der Umwelt Nicht alle Schutznormen des Abkommens sind gemäß Art. 19 HK 1954 auch in nichtinternationalen bewaffneten Konflikten anwendbar. Einzuhalten sind in jedem Fall aber die Inhalte des Art. 4 (1) HK 1954. Dieser verbietet es, geschützte Kulturgüter zum Gegenstand feindlicher Handlungen während bewaff245 „[. . .] as between a Party and a State which accepts and applies this Protocol in accordance with Article 3 paragraph 2 [. . .].“ 246 „[. . .] in so far as a State which is not Party to this Protocol may accept and apply its provisions in accordance with Article 3 paragraph 2 [. . .].“ 247 Siehe oben, 1. Teil, § 3, C., I. 248 So argumentiert auch Henckaerts, New rules for the protection of cultural property in armed conflict, International Review of the Red Cross 81 (1999), S. 620 knapp. Auf das Problem transnational agierender Gruppen geht er allerdings nicht ein. 249 Siehe oben, 1. Teil, § 3, C., I.
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neter Konflikte zu machen. Zudem ist es untersagt, die geschützten Güter oder ihre unmittelbare Umgebung in einer Weise zu nutzen, welche sie im Fall bewaffneter Konflikte gefährden könnte. Diese Verbote gelten allerdings nicht absolut, sondern können gemäß Abs. 2 der Vorschrift in Fällen zwingender militärischer Notwendigkeit außer Acht gelassen werden („in cases where military necessity imperatively requires such a waiver“). Sollte also, wie es in den letzten Jahren unter anderem in Syrien und dem Irak immer wieder der Fall war250, eine Kulturstätte durch feindliche Kräfte militärisch genutzt werden und keine andere Möglichkeit bestehen, diese auszuschalten, wäre ein Angriff rechtmäßig. Dies ändert sich in Realität auch nicht durch das Bestehen des Art. 8 HK 1954, der für besonders bedeutende Objekte einen erhöhten Schutz vorsieht. Art. 8 HK 1954 erlaubt besonderen Schutz eines Guts nur für den Fall, dass dieses nicht militärisch genutzt wird. Bei militärischer Nutzung wäre die Schonungspflicht also auch hier aufgehoben und ein Angriff ebenfalls zulässig. In der Praxis hat sich der verstärkte Schutz über Art. 8 zudem als „dead letter“ 251 ohne relevante Anwendungsfälle erwiesen.252 Zum Schutz natürlicher Kulturstätten ist das Haager Abkommen daher nicht ausreichend, schließlich besteht eine der Hauptgefahren für Umweltgebiete während nichtinternationaler Konflikte in ihrer Nutzung als Rückzugsort für Konfliktparteien. Kann diese Nutzung aber über den Hebel militärischer Notwendigkeit das Schonungsgebot des Abkommens ausschalten, wäre das Gebiet erneut schutzlos. 250 Während der Kämpfe gegen den sogenannten IS in Syrien wurden unter anderem die antiken Stätten von Palmyra, die Zitadelle von Aleppo, der Krak des Chevaliers sowie die St. Simeon Kirche nördlich von Aleppo für militärische Zwecke genutzt. Vgl. Statement by UN Secretary-General Ban Ki-moon, UNESCO Director-General Irina Boko-va and UN and League of Arab States Joint Special Representative for Syria Lakhdar Brahimi, The Destruction of Syria’s Cultural Heritage Must Stop, UN News Centre, 12. März 2014, http://www.unesco.org/new/en/media-services/in-focus-ar ticles/the-destruction-of-syrias-cultural-heritage-must-stop [abgerufen am 26.10.2020]. Vgl. mit weiteren Beispielen zu Syrien und dem Irak sowie zu der praktischen Bedeutung militärischer Nutzung dieser Kulturstätten: Arimatsu/Choudhury, Protecting Cultural Property in Non-International Armed Conflicts: Syria and Iraq, International Law Studies 91 (2015), S. 682 ff. 251 O’Keefe, Protection of cultural property, in: Clapham/Gaeta (Hrsg.), The Oxford Handbook of International Law in Armed Conflict, S. 495. 252 Lediglich vier Stätten weltweit wurden bis 2015 auf der Liste der speziell geschützten Objekte aufgeführt (der Zentrale Bergungsort – Barbarastollen – in Oberried, die Vatikanstadt sowie drei weitere Stätten in den Niederlanden). Vgl. UNESCO, International Register of Cultural Property under Special Protection, CLT/CIH/MCO/2008/ PI/46 (2000), händisch aktualisiert, abrufbar unter: https://whc.unesco.org/ [abgerufen am 26.10.2020]). 2015 wurde die Liste um mehrere Stätten in Mexiko ergänzt (vgl. UNESCO, International Register of Cultural Property under Special Protection, 23. Juli 2015, CLT/HER/CHP, http://www.unesco.org/new/fileadmin/MULTIMEDIA/HQ/ CLT/pdf/Register2015EN.pdf [abgerufen am 26.10.2020]). Ob diese Ergänzung ein Ausdruck erneuter Wertschätzung der Liste ist und ob sie langfristig praktische Bedeutung erhalten wird, ist durch die Neueintragung bislang aber nicht abzusehen. Seit 2015 wurden jedenfalls keine neuen Objekte auf die Liste aufgenommen (Stand Mitte 2020).
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Das zweite Zusatzprotokoll ist dagegen gemäß Art. 22 Prot. II HK in seiner Gesamtheit auf nichtinternationale Konflikte anwendbar. Seine Errungenschaft für die Schonung der erfassten Güter ist einerseits die Konkretisierung jener Fälle, in denen feindliche Handlungen ausnahmsweise doch gestattet sind.253 Andererseits ist es die Bereitstellung einer neuen Schutzkategorie, welche den in der Praxis obsoleten Art. 8 HK 1954 ersetzt (Art. 11 Prot. II HK: „enhanced protection“). Ähnlich wie im Fall der WHC-Welterbeliste können Staaten Kultureigentum von höchster Bedeutung für die gesamte Menschheit zur Aufnahme auf die Liste der Kulturgüter unter erhöhtem Schutz nach Art. 11 Prot. II HK254 vorschlagen. Über eine Eintragung entscheidet gemäß Art. 11 Prot. II HK ein durch Art. 24 Prot. II HK errichtetes Komitee.255 Bis Mitte 2020 wurden 17 Kulturstätten in zehn Staaten aufgenommen.256 Weitere Anträge liegen vor.257 Besondere Bedeutung für den Schutz von Naturgütern könnte dabei u. a. dem Antrag von Bosnien und Herzegowina über die Eintragung des natürlichen und architektonischen Ensembles von Blagaj zukommen.258 Die außergewöhnliche Qualität und Werthaftigkeit der Stätte begründet sich im Zusammenspiel natürlicher Umweltbestandteile mit durch den Menschen errichteten Bauwerken. Das gleiche Gebiet soll gemäß eines bereits 2007 gestellten Antrages auch in die WHC-Liste der Weltkultur- und Naturerbe aufgenommen werden. In diesem Antrag beruft sich Bosnien und Herzegowina gerade auch auf das Kriterium außergewöhnlicher natürlicher Schönheit und ästhetischer Bedeutung einer Stätte
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Vgl. Art. 6 Prot. II HK. UNESCO, List of Cultural Property under Enhanced Protection, abrufbar unter: http://www.unesco.org/new/fileadmin/MULTIMEDIA/HQ/CLT/pdf/Enhanced-Protec tion-List-2019_Eng_04.pdf [abgerufen am 26.10.2020]. 255 Das Synergiepotenzial zwischen den Organen der WHC und den der Haager Abkommen wurde 2015 durch das unter Art. 24 Prot. II HK errichtete zwischenstaatliche Komitee für den Schutz von Kultureigentum während bewaffneter Konflikte erkannt. Seitdem bemüht sich das Komitee um eine strategische Zusammenarbeit der Organe beider Konventionen. Zu den Aktivitäten des Komitees: http://www.unesco.org/new/en/ culture/themes/dynamic-content-single-view/news/committee_takes_decisions_for_the_ protection_of_cultural_pro/ sowie unter http://www.unesco.org/new/en/culture/themes/ armed-conflict-and-heritage/ [abgerufen am 26.10.2020]. 256 Stand Mitte 2020. Siehe die Liste in Teil 2, Fn. 254. 257 Vgl. die Liste mit Vorschlägen unter: http://www.unesco.org/new/en/culture/ themes/armed-conflict-and-heritage/protection/enhanced-protection/tentative-list/ [abgerufen am 26.10.2020]. 258 Zu den Anträgen vgl. auch die Berichte des Sekretariats von 2015 und 2016: Committee for the Protection of Cultural Property in the Event of Armed Conflict, Report of the Secretariat on its activities, 10th Meeting of the Committee UNESCO Headquarters, Paris, 10.–11. Dezember 2015, CLT-/10.COM/CONF.203/INF.2/REV, S. 12, Rn. 50; Committee for the Protection of Cultural Property in the Event of Armed Conflict, Report of the Secretariat on its activities, 11th Meeting of the Committee UNESCO Headquarters, Paris, 9.–10. Dezember 2016, C54/16/11.COM/4/REV, S. 2. 254
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(Kriterium vii259), das als Merkmal für die Findung von Weltnaturerbe nach der WHC gilt.260 Laut WHC-Antrag soll die Stätte als „Mixed Cultural and Natural Heritage“ in die WHC-Liste aufgenommen werden.261 Würde die Stätte für die Liste der nach Art. 11 Prot. II HK besonders geschützten Kulturgüter akzeptiert werden, wäre dies, trotz der in der Stätte eindeutig vorhandenen Bauwerke, ein deutliches Zeichen für die Relevanz auch der Umwelt im Rahmen erfasster Kulturstätten. Bis Mitte 2020 wurde eine entsprechende Entscheidung allerdings nicht getroffen.262 Aber selbst wenn zukünftig Umweltstätten in vermehrtem Umfang erfasst würden, wäre kein grenzenloser Schutz durch das zweite Protokoll zu erreichen. Gemäß Art. 6 (a) Prot. II HK ist ein Abweichen von der grundsätzlichen Verpflichtung zur Schonung eines Kultureigentums immer noch möglich. Voraussetzung für eine feindselige Handlung gegen das Kulturgut ist dessen Funktion als militärisches Ziel (i) sowie das Fehlen anderer praktischer Möglichkeiten, einen vergleichbaren militärischen Vorteil zu erlangen (ii). Auch ein gemäß Art. 11 Prot. II HK unter verstärkten Schutz gestelltes Kulturgut verliert seinen Status nach Art. 13 (1) (a) Prot. II HK sofern und solange es aufgrund seiner Verwendung ein militärisches Ziel geworden ist. In diesem Fall präzisiert Art. 13 (2) Prot. II HK die Voraussetzungen eines legitimen Angriffs auf das Kulturgut, die unter anderem die Einhaltung strenger Vorsichtsmaßnahmen sowie eine Anordnung des Angriffs auf höchster Befehlsebene beinhalten.263 Auch durch das Protokoll wird ein absoluter Schutz bei militärischer Nutzung eines Guts also nicht gewährt. Ein militärisch genutzter Nationalpark wäre damit weiterhin nicht absolut vor Schäden zu bewahren. Dieses Ergebnis ist typisch für den im humanitären Völkerrecht herrschenden – auch politisch gewünschten – Gedanken der Abwägung 259 Kriterium (vii): „to contain superlative natural phenomena or areas of exceptional natural beauty and aesthetic importance“, http://whc.unesco.org/en/criteria/ [abgerufen am 26.10.2020]. 260 Vgl. die Begründung der Antragstellung bezüglich des natürlichen und architektonischen Ensembles von Blagaj auf den Seiten der vorläufigen Listen der WHC (Tentative Lists), abrufbar unter: http://whc.unesco.org/en/tentativelists/5280/ [abgerufen am 26.10.2020]. 261 Ibid. 262 Stand Mitte 2020. Siehe die Liste in Teil 2, Fn. 254. 263 Die Zulässigkeit eines feindlichen Aktes gegen ein durch verstärkten Schutz erfasstes Gut setzt gemäß Art. 13 (2) Prot. II HK im Einzelnen voraus, dass der Angriff das einzige praktisch mögliche Mittel ist, die militärische Nutzung des Guts zu beenden und dass darüber hinaus bei Wahl der Mittel und Methoden des Angriffs alle praktisch möglichen Vorsichtsmaßnahmen getroffen wurden, um bei Unterbindung der militärischen Nutzung eine Beschädigung des Guts zu verhindern oder zumindest zu minimieren (Art. 13 (2) (a) und (b) Prot. II HK). Sofern Erfordernisse der unmittelbaren Selbstverteidigung es nicht verbieten, muss der Angriff zudem auf höchster Befehlsebene angeordnet werden, eine wirksame Warnung an die gegnerische Partei vorausgehen und dieser Partei zunächst ausreichend Zeit zur Aufgabe der militärischen Verwendung eingeräumt werden (Art. 13 (2) (c) Prot. II HK).
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gegenläufiger Interessen. Aber schon das Erfordernis besonderer Vorsichtsmaßnahmen kann im Fall natürlicher Kulturgüter einen praktischen Unterschied machen, schließlich kann es den Angriff auf Umweltstätten, in die sich beispielsweise gegnerische Truppen zurückgezogen haben, auf eine möglichst geringe Schadensverursachung beschränken. dd) Bewertung Unter dem Blickwinkel des Umweltschutzes ist die Anwendungsweite des Haager Abkommens und seiner Protokolle von höherer Bedeutung als das Erreichen eines absoluten Schädigungsverbots, denn natürliche Kulturgüter sind zwar, wie zuvor dargelegt, richtigerweise durch den Kulturgüterbegriff des Abkommens umfasst, doch dieser Tatsache wird, wohl auch mangels ausdrücklicher Erwähnung der Umwelt im Wortlaut, in der Praxis kaum Rechnung getragen. Die Möglichkeit, kulturell bedeutsame Umweltgebiete über das Haager Abkommen im Konflikt zu schützen, wird bislang weder durch die Vertragsstaaten noch andere (Nichtregierungs-)Organisationen in ausreichendem Maß proklamiert. b) Die Umwelt als spirituelle oder religiöse Kultstätte: Art. 16 ZP II aa) Einführung Neben dem Haager Abkommen sowie dessen zweiten Protokolls besteht seit Schaffung der Zusatzprotokolle zu den Genfer Abkommen noch eine weitere Vertragsnorm zum Schutz von Kulturgütern während nichtinternationaler bewaffneter Konflikte. Auch sie kann, wenngleich auch unter einem gänzlich anderen Gesichtspunkt, zur Bewahrung und Schonung bestimmter Umweltbestandteile herangezogen werden. Art. 16 ZP II verbietet es, feindselige Handlungen gegen historische Denkmäler, Kunstwerke oder Kultstätten zu richten, die zum kulturellen oder geistigen Erbe der Völker gehören.264 Gleichzeitig ist es untersagt, diese Objekte zur Unterstützung eines militärischen Einsatzes zu verwenden. Als eine der wenigen Normen, die nicht der Schonung der Zivilbevölkerung, sondern dem Schutz bestimmter Objekte in nichtinternationalen Konflikten gewidmet sind, überdauerte Art. 16 ZP II die weitreichenden Kürzungen des Protokollvorschlags in der CDDH und wurde in das endgültige Zusatzprotokoll II aufgenommen. Ob dies als positiver Ausdruck der besonderen Bedeutung des Erbes der Menschheit265 oder aber, wie teils vertreten wird, als störender Faktor des Ungleichgewichts in dem vereinfachten Protokoll, das nicht einmal den generellen Schutz 264 Art. 16 ZP II: „[. . .] historic monuments, works of art or places of worship which constitute the cultural or spiritual heritage of peoples [. . .].“ 265 So Junod, Commentary on Article 16, in: Sandoz/Swinarski/Zimmermann (Hrsg.), Commentary on the Additional Protocols of 8 June 1977 to the Geneva Conventions of 12 August 1949, S. 1466, Rn. 4827.
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ziviler Objekte oder die Geltung des Vorsorgeprinzips ausspricht266, anzusehen ist, kann unterschiedlich bewertet werden. Ein – wenn auch nur partielles – Mehr an Schutz sollte allein aus Gründen der Systemstringenz allerdings keine Ablehnung erfahren. Zudem vermögen Entwicklungen im Gewohnheitsrecht die fehlende Verankerung grundlegender Prinzipien des humanitären Völkerrechts im ZP II mehr und mehr abzufedern.267 bb) Anwendbarkeit zum Schutz der natürlichen Umwelt (1) Natürliche Kultstätten Auf den ersten Blick scheint Art. 16 ZP II die bereits durch das Haager Kulturgüterschutzabkommen auferlegten Handlungsverbote lediglich zu wiederholen. Bei der Suche nach einem über den kulturellen Wert der Umwelt vermittelten Schonungsgebot ergeben sich allerdings deutliche Unterschiede zu dem soeben dargestellten Abkommen. Während Art. 16 ZP II einen durch die HK 1954 erfassten Aspekt der Umwelt unbeachtet lässt, ist die Vorschrift gleichzeitig in der Lage, bestimmte Umweltaspekte aufzugreifen, die wiederum durch das Kulturgüterschutzabkommen und dessen Protokolle nicht erfasst werden. Anders als bei der Definition des Kulturguts in Art. 1 a) HK 1954 ist die Subsumtion von Umweltstätten mit hoher kultureller Bedeutung als Kulturgut unter Art. 16 ZP II nicht möglich. Im Gegensatz zur Haager Konvention ist der Anwendungsbereich der Norm abschließend gefasst. Durch Art. 16 ZP II werden allein feindliche Handlungen gegen historische Monumente, Kunstgegenstände und Kultstätten als Bestandteil des kulturellen Erbes der Völker untersagt. Einen offenen Begriff wie den des Kultureigentums in Art. 1 a) HK 1954 sucht man vergeblich. Dennoch verbleiben spezielle Sachverhalte, in denen Art. 16 ZP II für Umweltbestandteile Relevanz zukommt, denn während sich die Begriffe der geschichtlichen Denkmäler und Kunstwerke eindeutig auf durch den Menschen erzeugte Objekte beziehen268, kann der Begriff der Kultstätte auch rein natürliche 266 So Solf, Commentary on Article 16, in: Bothe et al., New Rules for Victims of Armed Conflicts, Commentary on the two 1977 Protocols Additional to the Geneva Conventions of 1949, S. 793, Rn. 2.6. 267 Zu bisherigen Entwicklungen im Gewohnheitsrecht, siehe 2. Teil, § 3. 268 Ob unabhängig von spezifischen Definitionsversuchen ein Element menschlichen Schaffens oder Gestaltens als zentraler Ausdruck kultureller Bedeutung elementarer Bestandteil jeglichen Kulturguts ist, ist an dieser Stelle nicht von Relevanz. Der Wortlaut des Art. 16 ZP II ist insofern eindeutig, als dass er ausdrücklich nur durch den Menschen erschaffene Güter („historic monuments, works of art“) aufzählt. Natürliche Kulturgüter sind offensichtlich von diesen Begriffen nicht erfasst. Vgl. z. B. Schorlemer, Internationaler Kulturgüterschutz S. 53. Auch O’Keefe, der argumentiert, der Inhalt der Art. 16 ZP II und 53 ZP I müsse mit dem der HK 1954 gleichlaufen, erkennt die Begrenzung zulässiger Auslegung durch den eindeutigen Wortlaut (O’Keefe, The Protection of Cultural Property in Armed Conflict, S. 209). Einen Vergleich gemeinsamer Ele-
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Stätten mit spiritueller Bedeutung erfassen, schließlich werden Kultstätten regelmäßig allein als „Stätte[n], an der kultische Handlungen vollzogen werden“ 269 definiert. Die englische Formulierung „places of worship“ bezeichnet unter anderem „a place where believers regularly meet for religious worship“ 270, aber auch Orte, die einer „hommage or reference paid to deity, especially in a formal service“ und „acts, rites, or ceremonies of worship“ dienen.271 Wenngleich mit dieser Bezeichnung überwiegend Gebäude und von Menschenhand errichtete Plätze bezeichnet werden, ist dies nicht notwendigerweise der Fall. Auch im Rahmen des Zusatzprotokolls enthält die Betitelung „places of worship“ keinerlei notwendigen Hinweis auf die physischen Anforderungen an geschützte Orte. Darüber hinaus macht der Wortlaut des Art. 16 ZP II deutlich, dass der historische oder künstlerische Wert der Stätte keine zwingende Voraussetzung der Verbotsnorm ist, solange ihr stattdessen Bedeutung als spirituelles Erbe zukommt („[. . .] places of worship which constitute the cultural or spiritual heritage of peoples“ [Herv. d. d. Verf.]).272 Dies ergibt sich auch aus der Entstehungsgeschichte der Vorschrift. Im Verlauf der CDDH war der Verweis auf „places of worship“ zeitweise gelöscht worden. Diejenigen Kultstätten, die eine besondere historische oder künstlerische Bedeutung hätten, wären, so wurde argumentiert, schließlich weiterhin von der Norm erfasst.273 Die Wiedereinführung des Begriffs macht deutlich, dass die Verfasser der Protokolle Kultstätten nicht nur aufgrund eines kulturhistorischen Werts, sondern auch allein wegen ihrer spirituellen Bedeutung als besonders schützenswert erachteten. Dieser Schutzzweck ermöglicht und verlangt eine vielfältige Gruppe an Bauten, Objekten und Orten unter den Begriff der Kultstätte in Art. 16 ZP II zu subsumieren.274 Auch natürliche Umgebungen mente bisheriger Vertragsinstrumente liefert Abtahi, The protection of cultural property in times of armed conflict: the practice of the International Criminal Tribunal for the former Yugoslavia, Harvard Human Rights Journal 14 (2001), S. 5–9; ebenso Toman, The Protection of Cultural Property in the Event of Armed Conflict, Commentary on Article 1, S. 46 ff. 269 Duden online (http://www.duden.de/rechtschreibung/Kultstaette [abgerufen am 26.10.2020]). 270 Oxford University Press (Hrsg.), Oxford English dictionary: the definitive record of the English language online, www.oed.com, Stichwort: „place of worship“ [abgerufen am 26.10.2020]. 271 Pearsall/Trumble (Hrsg.), The Oxford Encyclopedic English Dictionary, S. 1667, Stichwort „worship“. 272 Junod, Commentary on Article 16, in: Sandoz/Swinarski/Zimmermann (Hrsg.), Commentary on the Additional Protocols of 8 June 1977 to the Geneva Conventions of 12 August 1949, S. 1469, Rn. 4839; ebenso die Kommentierung zu Article 53 ZP I, a. a. O., S. 647, Rn. 2067. 273 CDDH/407/Rev. 1, in: CDDH, Official Records of the Diplomatic Conference on the Reaffirmation and Development of International Humanitarian Law Applicable in Armed Conflicts, Genf, 1974–1977, Band XV, S. 456, Rn. 30. 274 Pabst, Kulturgüterschutz in nichtinternationalen bewaffneten Konflikten, S. 212 mit einem Vergleich zu Art. 1 HK 1954. Allerdings lässt Pabst die mögliche Einbeziehung rein natürlicher Stätten außer Acht.
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wie Wälder, Berge und ähnliche Orte, die zur Ausübung religiöser Praktiken genutzt werden oder eine spirituelle Bedeutung besitzen, können prinzipiell unter den Wortlaut gefasst werden. Eine derartige Auslegung war zwar, soweit ersichtlich, nicht Bestandteil der Diskussionen der CDDH, kann aber aufgrund der Wortbedeutung der „places of worship“ sowie des Zwecks der Aufnahme von Kultstätten in Art. 16 ZP II nicht ausgeschlossen werden.275 Dieses Ergebnis wird auch durch die Überschrift des Art. 16 („Protection of cultural objects and of places of worship“), die ein ausdrückliches Nebeneinander von Kulturgütern und Kultstätten beschreibt, unterstützt. Fallen Kultstätten aufgrund ihrer religiösen oder spirituellen Bedeutung unter den Anwendungsbereich des Art. 16 ZP II, erlauben Sinn und Zweck des Schutzgebots keine Ignoranz hinsichtlich der Verschiedenartigkeit weltweit praktizierter Religionen, in denen auch Naturschauplätze als Kultstätten genutzt wurden. Vielmehr unterstützen die Bewahrungsintention sowie der von den Verfassern des Protokolls mit Bedacht gewählte Wortlaut eben auch die Einbeziehung rein natürlicher Kultstätten. In vielen Fällen hilft diese Auslegung jedoch kaum, denn die Nutzung rein natürlicher Orte als Kultstätte ist in der Mehrheit der Weltreligionen nicht mehr weit verbreitet. Art. 16 ZP II vermittelt also nur in Einzelfällen Schutz für die natürliche Umwelt. Zusätzlich sind die potenziell erfassten Stätten von den durch die Norm gestellten Anforderungen an ihre spirituelle Bedeutung nochmals begrenzt. (2) Zugehörigkeit zum kulturellen oder geistigen Erbe der Völker Art. 16 ZP II umfasst nur solche Kultstätten, die zum kulturellen oder geistigen Erbe der Völker („spiritual heritage of peoples“) gezählt werden können. Auf diese Schutzbegrenzung einigte sich die CDDH nach langer Diskussion.276 Sie ist zunächst nötig, um den nach Art. 16 ZP II absolut gewährten Schutz, der wenigstens nach dem Wortlaut nicht einmal bei Vorhandensein starker militärischer Interessen aufgelöst werden kann, nicht auf eine unzählige Zahl von Schreinen, Altären, Kirchen, Kapellen und ähnlichen Orten auszuweiten. Unklar ist allerdings, wie eng diese Einschränkung zu verstehen ist. In Abgrenzung zu Art. 1 (a) HK 1954, der die Bedeutung des Objekts für ein einziges Volk („heritage of 275 Ob mit der Wiedereinführung der Formulierung zu einem späteren Zeitpunkt auch der Gedanke an Umweltkultstätten verbunden gewesen war, ist aus den Protokollen der CDDH ebenso nicht ersichtlich (vgl. CDDH/SR. 51, in: CDDH, Official Records of the Diplomatic Conference on the Reaffirmation and Development of International Humanitarian Law applicable in Armed Conflicts, Genf, 1974–1977, Band VII, S. 114, Rn. 57 ff.). 276 Überlegungen, alle Kultstätten unabhängig von einer weiteren Qualifikation durch Art. 16 ZP II zu schützen, konnten sich in der CDDH nicht durchsetzen. Vgl. CDDH/236/Rev.1, in: CDDH, Official Records of the Diplomatic Conference on the Reaffirmation and Development of International Humanitarian Law Applicable in Armed Conflicts, Genf, 1974–1977, Band XV, S. 395, Rn. 62.
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every people“) genügen lässt, könnten von Art. 16 womöglich nur Kultstätten von grenz- beziehungsweise ethnienübergreifender Bedeutung, die dem Erbe der Völker staatsübergreifend zugeordnet werden können, erfasst sein.277 So argumentierte beispielsweise die UN-Kommission für Äthiopien und Eritrea in Bezug auf den für internationale bewaffnete Konflikte entsprechenden Art. 53 ZP I: „[I]t was intended to cover only a few of the most famous monuments, such as the Acropolis in Athens and St. Peter’s Basilica in Rome.“ 278 In Umsetzung führt diese Auslegung zu einer Annäherung an den Schutzrahmen der WHC, der ebenfalls nur die wichtigsten Stätten der Völker umfasst.279 Sie ist allerdings stark umstritten. Andere Stimmen bringen dagegen vor, die CDDH habe Art. 16 ZP II sowie den für internationale Konflikte geltenden Art. 53 ZP I als vereinfachtes Abbild der HK 1954 geschaffen, sodass es allein auf die Bedeutungsbestimmung durch den Nationalstaat ankäme.280 Dieser Ansicht folgte auch der ICTY in Kordic´ und Cˇerkez.281 Die Argumentation überzeugt jedoch nicht gänzlich. Durch die Einbeziehung der Kultstätten in Art. 16 ZP II und Art. 53 ZP I vollzog die CDDH eine deutliche Abgrenzung von der HK 1954. In Abkehr von der älteren Konvention sind Kultstätten nicht nur aufgrund ihrer kulturellen Bedeutung geschützt, sondern auch allein aufgrund ihres spirituellen und religiösen Werts. Eine einfache Übernahme des Schutzrahmens der HK 1954 in Art. 16 ZP II ist daher nicht möglich. Allerdings überzeugt auch die Argumentation der UN-Kommission für Äthiopien und Eritrea nicht.282 Zwar mag es möglich sein, die Be277 So z. B. Ehlert, Prosecuting the Destruction of Cultural Property in International Criminal Law, S. 71 der argumentiert, die erfassten Objekte müssten für die gesamte Menschheit derart bedeutend sein, dass eine Kennzeichnung schon gar nicht nötig wäre. Ähnlich Toman, The Protection of Cultural Property in the Event of Armed Conflict, S. 388; Wolfrum, Protection of Cultural Property in Armed Conflict, Israel Yearbook on Human Rights 32 (2002), S. 317; Pabst, Kulturgüterschutz in nichtinternationalen bewaffneten Konflikten, S. 213; Solf, Commentary on Article 16, in: Bothe et al., New Rules for Victims of Armed Conflicts, Commentary on the two 1977 Protocols Additional to the Geneva Conventions of 1949, S. 790, Rn. 2.2.2. 278 Eritrea-Ethiopia Claims Commission, Partial Award Central Front Eritrea’s Claims 2, 4, 6, 7, 8 and 22, Entscheidung vom 28. April 2004, Rn. 113. 279 Becerril, The Meaning and Protection of ,Cultural Objects and Places of Worship‘ under the 1977 Additional Protocols, Netherlands International Law Review 59 (2012), S. 461. 280 O’Keefe, The Meaning of ,Cultural Property‘ under the 1954 Hague Convention, Netherlands International Law Review 46 (1999), S. 32; O’Keefe, The Protection of Cultural Property in Armed Conflict, S. 209. 281 „[D]espite this difference in terminology, the basic idea is the same.“ ICTY, Proˇ erkez, Urteil der Berufungskammer vom 17. Dezember secutor v. Dario Kordic´, Mario C 2004, Case No. IT-95-14/2-A, Rn. 91. Vgl. dagegen ICTY, Prosecutor v. Pavle Strugar, Urteil der Verfahrenskammer vom 31. Januar 2005, Case No. IT-01-42-T, Rn. 307. In diesem Fall ließ die Kammer offen, ob die unterschiedliche Terminologie zu einem unterschiedlichen Anwendungsbereich führt. 282 Man muss der Kommission allerdings zugutehalten, dass sie letztlich allein auf die (vermutete) Intention der Autoren der Zusatzprotokolle abstellte und sich ihre Aus-
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deutung von kulturhistorisch relevanten Bauwerken ansatzweise objektiviert anhand des Maßstabs der Bedeutung für die gesamte Menschheit zu bestimmen, doch ist allein die spirituelle Bedeutung einer Stätte entscheidend, so muss diese zwingend aus dem Blickwinkel der jeweiligen Glaubensgruppe ermittelt werden. Schon das Bestehen einer Vielzahl von Religionen weltweit spricht gegen die Existenz eines gemeinsamen spirituellen Erbes aller Völker, das Grundlage der Schutzgewährung durch Art. 16 ZP II zu sein vermag. Eine weltweite, staatsübergreifende Bedeutung einer Kultstätte für das Erbe aller Völker kann folglich nicht der relevante Maßstab sein. Vielmehr muss die Bedeutung für das spirituelle Erbe der jeweiligen Bevölkerung ausschlaggebend sein; schließlich wird ein spirituell bedeutendes Objekt für die gesamte Menschheit nie den Wert haben, der ihm für die jeweiligen Glaubensanhänger zukommt. Aus systematischen Gründen muss Gleiches dann allerdings ebenso für das kulturelle Erbe der Völker gelten, sodass auch hier ein subjektivierter Maßstab anzuwenden ist. Ausreichend für die Zugehörigkeit der natürlichen Kultstätte zu dem kulturellen oder spirituellen Erbe im Sinne des Art. 16 ZP II ist also die Zugehörigkeit zum Erbe eines einzigen Volkes. Dieses Ergebnis resultiert allerdings nicht, wie es O’Keefe annimmt, aus einer Gleichführung des Haager Abkommens und der Zusatzprotokolle283, sondern aus der Anerkennung spirituell bedeutender Plätze und Güter durch die Protokolle von 1977. Sie ist Ausdruck einer signifikanten Bewegung des internationalen Kulturgüterschutzrechts hin zur Anerkennung einer menschlichen Dimension des Kulturgüterschutzes284 in der nicht nur der ästhetische oder historische Wert eines Objekts, sondern die hinter dem Kulturgut und der Kultstätte stehende Gemeinschaft und ihre Identität von Belang sind.285 Dies bedeutet jedoch nicht, dass jede Stätte, die spirituelle oder kulturelle Bedeutung für ein Volk besitzt, unter Art. 16 ZP II fällt. Als Bestandteil des Erbes des betreffenden Volkes ist eine hervorgehobene Bedeutsamkeit dennoch Voraussetzung für die Kategorisierung unter Art. 16 ZP II. Anderenfalls wäre es auch für den jeweiligen Angreifer nicht mehr ersichtlich, welches Objekt nun von dem Handlungsverbot erfasst ist. Unabhängig davon, wie eng diese Qualifikation zu sage nicht auf eine Auslegung nach Sinn und Zweck der Vorschrift bezog (vgl. Teil 2, Fn. 278). 283 Siehe Teil 2, Fn. 280. 284 Francioni verwendet den Begriff der „human dimension of international cultural heritage law“ (Francioni, The Human Dimension of International Cultural Heritage Law: An Introduction, European Journal of International Law 22 (2011), S. 9–16). 285 Vgl. Vrdoljak, Cultural Heritage in Human Rights and Humanitarian Law, in: Ben-Naftali (Hrsg.), International humanitarian law and international human rights, S. 299 sowie Vrdoljak, Intentional Destruction of Cultural Heritage and International Law, Thesaurus Acroasium (2007), S. 380 die argumentiert, internationaler Kulturgüterschutz habe sich vom Schutz der Kunst hin zu einem Schutz (auch) der jeweiligen Gemeinschaften entwickelt; zustimmend Becerril, The Meaning and Protection of ,Cultural Objects and Places of Worship‘ under the 1977 Additional Protocols, Netherlands International Law Review 59 (2012), S. 465.
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verstehen ist und nach welchen Kriterien sich die Festlegung dieser Bedeutung richtet, dürfte die Norm in der Praxis nur in wenigen Fällen für den Erhalt der Umwelt relevant sein. Rein natürliche und nicht baulich erzeugte beziehungsweise veränderte Kultstätten sind zwar in Religionen wie dem Shintoismus tief verwurzelt286, solchen Kultstätten wird aber nur in Einzelfällen eine ausreichende Bedeutung zuerkannt werden, die eine Bezeichnung als spirituelles Erbe des jeweiligen Volkes zulassen würde. Für die betreffenden Völker signifikante natürliche Kultstätten bestehen dennoch. Sie sind unter anderem im Buddhismus, Hinduismus oder – wie soeben erwähnt – im Shintoismus zu finden. Prominentes Beispiel ist der Vulkan Fuji in Japan, der als spiritueller Ort des Buddhismus und Shintoismus unabhängig von der Existenz einer Reihe bedeutender Bauwerke als spirituelles sowie als kulturelles Erbe des japanischen Volkes bezeichnet werden kann.287 Ihm kommt eindeutig der Charakter einer Kultstätte zu. Ähnliches dürfte für den Berg Taishan in China gelten, der seit über dreitausend Jahren Ort und Gegenstand religiöser Praktiken ist288, sowie für die Inselkette Papaha¯naumokua¯kea, die als Teil Hawaiis zu den Vereinigten Staaten zählt und im Glauben der hawaiianischen Religion als Wiege des Lebens und Ort der Wiedergeburt gilt.289 Ihre heute fehlende aktive Nutzung als Ort religiöser Praktik spricht mög-
286 Siehe z. B. für die Bedeutung der Umwelt für Religionsausübung in Japan: Matsui, Geography of Religion in Japan: Religious space, landscape, and behavior, S. 17 ff. Gerade Wälder und Berge, aber auch einzelne Bäume sind Gegenstand religiösen Glaubens und Praktizierens. 287 Dem Fuji kommt zentrale kulturelle sowie religiöse Bedeutung für das gesamte japanische Volk zu. Die als Fuji Shinko¯ bezeichnete religiöse Verehrung des Vulkans ist über Jahrhunderte hinweg bis in die Neuzeit bedeutende Grundlage und Gegenstand japanischer Kunst und Literatur. Die rituelle Besteigung des Berges ist im Buddhismus (speziell des Shugendo¯, einer japanischen Religion mit Wurzeln im Buddhismus) sowie im Shintoismus verankert (vgl. statt vieler Kitagawa, On Understanding Japanese Religion; Matsui, Geography of Religion in Japan: Religious space, landscape, and behavior, S. 27 ff.). 2013 wurden der Fuji sowie eine Reihe von Shinto-Schreinen, aber auch von Seen, Wasserfällen und Wäldern in seiner Umgebung auf die UNESCO Liste der Weltkulturgüter aufgenommen. Dass der Berg nicht zum Weltnaturerbe erklärt wurde, lag weniger an einer überwiegenden Eigenschaft als Kulturerbe, sondern eher an dem Umstand, dass ein vorheriger Antrag auf Eintragung als Weltnaturerbe an den Vorgaben einer Eintragung gescheitert war. Die erfolgreiche Eintragung als Weltkulturerbe wurde unter anderem mit der spirituellen Bedeutung des Vulkans begründet. Siehe Decision 37 COM 8B.29, in: UNESCO, Decisions adopted by the World Heritage Committee at its 37th session, Phnom Penh, 2013, WHC-13/37.COM/20, S. 191. 288 Der Berg Taishan wurde zusammen mit den auf und in seiner Nähe errichteten religiösen Bauwerken 1987 als „mixed object“ in die Liste der Weltkultur- und Naturerbe aufgenommen (Vgl. International Council on Monuments and Sites (ICOMOS), Advisory Opinion on Mt. Taishan, World Heritage List No. 437, 29. Dezember 1986, abrufbar unter: http://whc.unesco.org/archive/advisory_body_evaluation/437.pdf [abgerufen am 26.10.2020]; sowie UNESCO, Report of the World Heritage Committee at its 11th session, UNESCO Headquarters, 1987, SC-87/CONF.005/9 mit weiteren Details zur religiösen Bedeutung des Bergs). 289 Zur Aufnahme in die Liste der WHC, siehe Teil 2, Fn. 197.
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licherweise aber gegen die Einordnung als Kultstätte im Sinne der Zusatzprotokolle.290 Das Bestehen aktiver Nutzung als Voraussetzung für die Einordnung als Kultstätte ist nach dem Wortlaut von Art. 16 ZP II allerdings nicht zwingend. Abseits von derartigen Fällen, die zweifellos kaum der Gefahr der Zerstörung durch nichtinternationale Konflikte ausgesetzt sind, gestaltet sich die Ermittlung geschützter Kultstätten schwierig. Wann ein Ort als spirituelles oder kulturelles Erbe eines Volkes kategorisiert werden kann und sollte, ergibt sich nicht aus dem Wortlaut des Art. 16 ZP II. Ähnlich wie in der HK 1954 steht die Klassifikationsentscheidung in der Diskretion des einzelnen Vertragsstaates. Im Einzelfall kann und muss es aber auf die Bedeutung der Stätte für das jeweilige Volk ankommen. Sind mehrere nach Glauben zu trennende Volksgruppen innerhalb eines Staates angesiedelt, muss die Entscheidung über die Schutzwürdigkeit eigentlich aus Perspektive des jeweiligen Volkes getroffen werden. Dies zieht aber ganz praktische Probleme mit sich. Die Bedeutung einer Stätte für das spirituelle Erbe eines Volkes muss wenigstens objektiv nachvollziehbar oder erkennbar sein.291 Ande290 Hawaiianische Religionen werden heute kaum mehr praktiziert. Zudem ist es fraglich, ob ein derart großes und schwer zugängliches Gebiet (Papaha¯naumokua¯kea erstreckt sich in dem durch die UNESCO geschützten Gebiet auf ca. 1931 km) überhaupt als Ort religiöser Praktiken verstanden werden kann. Für die Anwendung des humanitären Völkerrechts ist dies wohl abzulehnen. 291 Um dieser Problematik zu begegnen, wählen internationale Abkommen zum Teil die Möglichkeit der Enumeration erfasster Objekte (Streinz, Handbuch des Museumsrechts 4: Internationaler Schutz von Museumsgut, S. 25 mit Verweis auf Art. 3 WHC sowie auf das Übereinkommen über Maßnahmen zum Verbot und zur Verhütung der unzulässigen Einfuhr, Ausfuhr und Übereignung von Kulturgut; Convention on the Means of Prohibiting and Preventing the Illicit Import, Export and Transfer of Ownership of Cultural Property vom 14. November 1970, 823 UNTS 231). Ein Ausweg zum Erhalt der Operabilität der Norm wäre daher, ebenso wie im Rahmen der HK 1954, die Heranziehung von Klassifizierungen anderer Konventionen, die Aufschluss über geschützte Objekte geben könnten. Auf Grund des Verweises in Art. 16 ZP II auf das Haager Abkommen von 1954 kommt dieses zunächst als Aufzählungsvorbild in Betracht. Da der Begriff der „places of worship“ in der HK 1954 aber fehlt und zusätzlich auch im Kontext dieses Abkommens die Klassifikationsfrage geschützter Objekte ungelöst ist, ist das Haager Kulturgüterabkommen nicht geeignet, Hinweise für das Bestehen von geschützten natürlichen Kultstätten zu geben. Ein Verweis auf die Liste besonders geschützten Kultureigentums des Art. 11 Prot. II HK hilft ebenso nicht weiter. Zum einen übernimmt das zweite Protokoll den Anwendungsbereich des Abkommens und umfasst somit ebenso wenig „places of worship“ mit rein spirituellem Wert. Zum anderen können nur Kultureigentümer von höchster Bedeutung für die gesamte Menschheit erfasst werden. Die Anforderungen an eine Liste ist im Vergleich zu Art. 16 ZP II daher zu eng umrahmt. Möglicherweise kann aber auf andere Instrumente zurückgegriffen werden, um die Bedeutung bestimmter Kultstätten zu ermitteln. Zwingende Vorgaben durch ein externes Instrument können für den Schutzumfang des Art. 16 ZP II zwar in keinem Fall entstehen. Bestehende Kategorisierungen könnten aber Hinweise auf die Bedeutung einer Stätte für Völker geben. Die prominenteste Klassifikationsliste von Kultur- und Naturgütern mit herausragendem Gewicht für die ganze Menschheit wird durch das UNESCO-Welterbekomitee nach Art. 11 (2) WHC erstellt. Als Vorbild einer Auslegung ist sie jedoch nur von begrenztem Wert, schließlich werden von ihr, anders als von der HK 1954 und wie soeben dargelegt von Art. 16 ZP II, allein solche Güter, die als von
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renfalls können die Parteien eines Konflikts zwischen verschiedenen Ethnien Art. 16 ZP II mangels Erkennbarkeit eines konkreten Handlungsverbots kaum einhalten. cc) Schutzumfang (1) Grundsatz absoluten Schutzes Die im Grundsatz gegebene Möglichkeit, bedeutende Umweltstätten unter den Anwendungsbereich des Art. 16 ZP II zu subsumieren, rechtfertigt dennoch eine Befassung mit dem in Konsequenz vermittelten Schutzumfang. Die Vorschrift verbietet jede feindliche Handlung gegen Kulturstätten und somit nicht nur Angriffe einer gegnerischen Partei, sondern auch Zerstörungen durch die eigenen Truppen eines Staates. In dieser Hinsicht ist das Verbot weiter gefasst als z. B. Art. 15 ZP II, der eine Angriffshandlung voraussetzt.292 Ebenso ist es verboten, die geschützten Güter und Stätten zur Unterstützung des militärischen Einsatzes zu verwenden, wobei die Verwendung keine Schädigung oder Schädigungsabsicht voraussetzt. Erfasst werden also die besonders umweltrelevanten Fälle der Nutzung einer Stätte als Rückzugs- und Truppenstationierungsort. Besondere Beachtung verdient Art. 16 ZP II aber aus einem weiteren Umstand: Das Schädigungsverbot sowie das Verbot der militärischen Nutzung gelten laut Wortlaut der „outstanding universal value“ (Art. 1 und 2 WHC) anerkannt wurden, erfasst. Zudem wären nur solche in der Welterbeliste aufgenommenen Güter potenzielle „places of worship“ im Sinn des Art. 16 ZP II, die erstens ein natürlicher Teil der Umwelt sind und zweitens über eine spirituelle Bedeutung für zumindest ein Volk verfügen. Die Zuhilfenahme der WHC wird also nur in Einzelfällen der Umwelt über Art. 16 ZP II Schutz verleihen. Die nach Art. 11 (2) WHC vorgesehene Liste der Weltkulturgüter und innerhalb dieser insbesondere die Kategorie der Weltnaturgüter ist nicht darauf ausgelegt, natürliche Denkmäler oder Kultstätten nach ihrer spirituellen oder religiösen Bedeutung aufzuführen und anzuerkennen (vgl. Art. 2 WHC, der das erfasste Naturerbe definiert. Eine spezifische Relevanz spiritueller oder religiöser Bedeutung ist für Naturerbe dort nicht vorgesehen). Dies liegt auch daran, dass die gemäß Art. 11 (5) WHC aufgestellten Kriterien für die Aufnahme in die Liste keinen direkten Hinweis auf die religiöse beziehungsweise spirituelle Bedeutung oder Nutzung einer Stätte enthalten. Der stärkste Hinweis ist in Kriterium (vi) zu finden, gemäß dem das Komitee den außergewöhnlichen universellen Wert einer Stätte annehmen kann, wenn sie folgende Merkmale aufweist: „(vi) to be directly or tangibly associated with events or living traditions, with ideas, or with beliefs, with artistic and literary works of outstanding universal significance.“ Vgl. UNESCO, Operational Guidelines for the Implementation of the World Heritage Convention vom 12. Juli 2017, WHC. 17/01, S. 16, Rn. 77. Die Anforderungen der WHC, die das Vorhandensein eines „outstanding universal value“ eines Objekts oder einer Gegend verlangt, sind zudem durch das Merkmal außergewöhnlichen Werts enger als das Erfordernis der Einordnung als Bestandteil des kulturellen oder geistigen Erbes eines Volkes. Die Liste der WHC kann daher höchstens ein Anhaltspunkt für die Anerkennung einiger natürlicher Kultstätten sein. Das Problem der Bestimmung im Konfliktfall besteht fort und bedroht die Operabilität der Norm in nicht unerheblichen Maß. 292 A. A. Ehlert, Prosecuting the Destruction of Cultural Property in International Criminal Law, S. 74 die (ohne Hinweis auf Art. 15 ZP II) lediglich einen Gleichlaut der Begrifflichkeiten mit dem Haager Abkommen von 1954 sieht.
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Norm absolut und können daher, anders als es Art. 4 (2) HK 1954 vorsieht, nicht durch überwiegende militärische Interessen ausgehebelt werden. (2) Derogationsmöglichkeit durch Verweis auf die HK 1954 Absolute Schädigungsverbote sind im humanitären Vertragsrecht jedoch selten, schließlich stellen sie eine vom Einzelfall losgelöste Vorentscheidung der Abwägung militärischer Interessen mit humanitären Schutzüberlegungen dar, die durch das Recht meist nur zugunsten nicht am Konflikt beteiligter Personen und nicht zugunsten von Objekten angeordnet wird. Dieser Umstand, kombiniert mit der Existenz des Art. 16 ZP II als einziger Norm des vierten Teils des ZP II, die nicht nur direkt oder indirekt das Überleben einzelner Zivilisten und der Zivilbevölkerung als Ganzes sichern soll, führen dazu, dass trotz des eigentlich eindeutigen Wortlauts des Art. 16 ZP II eine Derogationsmöglichkeit angenommen wird.293 Diese, so wird argumentiert, ergäbe sich indirekt durch den in Art. 16 ZP II enthaltenen Verweis auf die HK 1954 sowie die Erklärung, der Geltungsbereich und Schutzgehalt der Kulturgüterkonvention solle nicht durch die Vorschrift des zweiten Zusatzprotokolls berührt werden.294 Da die HK 1954 mit Art. 4 (2) eine ausdrückliche Beschränkung des dort enthaltenen Schädigungsverbots bei Vorliegen zwingender militärischer Notwendigkeit enthält, wird angenommen, dass auch das Entfallen des Schutzes über den Verweis des Art. 16 ZP II für diesen Geltung beanspruche.295 Diese Ansicht deckt sich mit den Aussagen mehrerer Teilnehmer der CDDH, die ein absolutes Schädigungsverbot keinesfalls als Bestandteil der Zusatzprotokolle schaffen wollten.296 Ein Blick in die Dokumentationen der CDDH bestätigt: Der unklare Verweis auf die Haager Konvention wurde in Art. 16 ZP II vor allem aus einem Grund beibehalten – er sollte die 293
Vgl. m.w. N. Odendahl, Kulturgüterschutz, S. 122. Art. 16 ZP II: „Without prejudice to the provisions of the Hague Convention for the Protection of Cultural Property in the Event of Armed Conflict of 14 May 1954, it is prohibited [. . .].“ 295 M. w. N. Odendahl, a. a. O. 296 Siehe die Erklärung einiger Staatenvertreter in der CDDH zu dem für internationale bewaffnete Konflikte geltenden Pendant zu Art. 16 ZP II, Art. 53 ZP I. Die Beteiligten gingen ausdrücklich von einer Schutzaufhebung bei militärischer Nutzung aus: „We note that the use of these objects in support of the military effort is a violation of this Article. Should they be used in support of the military effort, it is our clear understanding that these objects will lose their special protection of this article.“ (CDDH/SR. 42, para. 16, abgedruckt in: Bothe et al., New Rules for Victims of Armed Conflicts, Commentary on the two 1977 Protocols Additional to the Geneva Conventions of 1949, S. 375, Rn. 2.5). Diese Ansicht schlägt sich im Wortlaut des Art. 16 allerdings nicht nieder. Schon im Verlauf der CDDH wurde der Verweis des Art. 16 auf die HK 1954 aus eben diesen Erwägungen kritisiert. Vgl. z. B. die Erklärung des belgischen Delegierten in: CDDH/SR.52, in: CDDH, Official Records of the Diplomatic Conference on the Reaffirmation and Development of International Humanitarian Law applicable in Armed Conflicts, Genf, 1974–1977, Band VII, S. 125, Rn. 2. 294
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Einschränkbarkeit der sonst schrankenlosen Vorschrift gewährleisten.297 Über den Verweis des Art. 16 ZP II bleibt letztlich nichts von dem im Wortlaut zu findenden absoluten Schutz der Kultstätten erhalten. Die Diskrepanz zwischen Schutzgehalt und Wortlaut lässt sich nicht zufriedenstellend beseitigen. (3) Systemwidrigkeit und Grenzen des Verweises Der Verweis ist aus zwei weiteren systematischen Gründen problematisch: Erstens kann er nur für diejenigen Staaten Wirkung entfalten, die sowohl das ZP II als auch das 1954 Haager Abkommen ratifiziert haben.298 Verwiesen wird schließlich nicht nur auf die Derogationsmöglichkeit des Haager Abkommens, sondern auf das komplette Vertragswerk und damit auch auf die in ihm enthaltenen Pflichten. An diese sind Nichtvertragsstaaten gemäß den in Art. 34–36 WVRK niedergelegten Grundregeln des Völkervertragsrechts aber nicht ohne Zustimmung gebunden.299 In nichtinternationalen bewaffneten Konflikten könnten sich dagegen auch nichtstaatliche Konfliktparteien über den Wortlaut des Art. 19 HK 1954 („each party to the conflict shall be bound“) auf die Derogation berufen. Anders als es z. B. der Delegierte Westdeutschlands in der CDDH vorgebracht hatte,300 bewirkt der durch den Verweis heraufbeschworene schwankende 297 Vgl. die Diskussion in: CDDH/SR.52 und CDDH/SR.53, in: CDDH, a. a. O., S. 126 f., Rn. 11 ff. sowie S. 141 ff., Rn. 2 ff. Insbesondere der Delegierte der Niederlande (CDDH/SR.52, a. a. O., Rn. 11 ff.) sprach sich vehement gegen Art. 16 ZP II als unbegrenztes Verbot der Schädigung aus. Ein absolutes Verbot des Angriffs würde lediglich dazu führen, dass Konfliktparteien die Norm regelmäßig verletzten und eventuell sogar von vorneherein von einer Anwendung absähen. Die Abwägung militärischer und humanitärer Interessen, die in der HK 1954 vorgenommen worden war und von diesem zugelassen ist, hätte auch im Wortlaut des Art. 16 ZP II Abbildung finden sollen. Trotz eines fehlenden Wortlauthinweises auf eine Derogationsmöglichkeit bei Vorlage militärischer Interessen sei diese aber durch den Verweis auf das Haager Abkommen in Art. 16 ZP II implizit enthalten. Explizit gegen den Wegfall des Verweises auf das Haager Abkommen äußerte sich auch Bothe als Delegierter Westdeutschlands: Die unterschiedlichen Schutzweiten beider Vertragswerke würden bei gleichzeitiger Anwendbarkeit ohne eine Harmonisierungsregel zu Konfusion führen (CDDH/SR.53, CDDH, a. a. O., S. 142, Rn. 4). Dieses Argument überzeugt nicht. Staaten, die sich beiden Instrumenten unterworfen haben, müssten sich auch an dem jeweils höheren Schutzstandard messen lassen können. Trotz Widerstands vieler anderer Staaten gegen den Erhalt des Verweises blieb ein Antrag auf Löschung in der folgenden Abstimmung erfolglos. Die nötige Zweidrittelmehrheit konnte nicht erreicht werden (32 Staaten stimmten für die Löschung des Verweises, 20 dagegen, 33 enthielten sich, vgl. CDDH/SR.53, in: CDDH, a. a. O., Rn. 6). 298 Dieses Problem sah auch der griechische Delegierte in der CDDH, der davor warnte, auch Nichtvertragsstaaten der HK 1954 könnten sich angesprochen fühlen (CDDH/SR.53, in: CDDH, a. a. O., S. 141, Rn. 3). 299 Es kann auch nicht davon ausgegangen werden, dass Staaten durch Ratifikation des ZP II gleichzeitig ihren Willen zur Bindung an das Haager Abkommen ausdrücken wollen. 300 Vgl. Teil 2, Fn. 296.
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Schutzstandard im Endeffekt keine Abwendung von Konfusion bei der Anwendung der Schutznormen, sondern führt diese erst herbei. Seit Einführung des Prot. II HK ist diese Problematik sogar noch erhöht, da nicht ersichtlich ist, ob Art. 16 ZP II für Vertragsparteien des Prot. II HK auch auf dieses und die in ihm enthaltenen Derogationsgründe verweisen soll. Zweitens kann aus der Geltungsanerkennung des Haager Abkommens in Art. 16 nur insoweit eine Derogationsmöglichkeit entstehen, wie das Abkommen überhaupt Geltung entfacht. Umfassend wäre die Genehmigung zur Abweichung von dem Verbot nur dann, wenn der Anwendungsbereich der HK 1954 gleich oder enger als der des Art. 16 ZP II wäre. Tatsächlich befasst sich das Haager Abkommen aber allein mit „property of great importance to the cultural heritage“ und damit mit dem Schutz von Kulturgütern. Der Begriff „places of worship“ ist in Art. 1 HK 1954 nicht enthalten, ebensowenig ist es eine andere Formulierung, die allein spirituell bedeutsame (Natur-)Kultstätten ohne Wert als Kulturerbe eines Volkes abzudecken vermag. Die Zielrichtung der Schutzinstrumente ist nicht deckungsgleich. Während die Kulturgüterkonvention allein dem Schutz kulturell bedeutsamen Eigentums dient, ist das Zusatzprotokoll ein Werk humanitärer Überlegungen zum elementaren Schutz des Menschen und seiner Gemeinschaft. Durch die Schonung von Kultstätten zollt das Zusatzprotokoll der Bedeutung religiöser Praktiken in allen Zivilgesellschaften Tribut. Die Differenz in Schutzrichtung und Regelungsumfang führt notwendig dazu, dass diejenigen Kultstätten, die mangels Klassifikation als „property of great importance to the cultural heritage“ i. S. d. Art. 1 HK 1954 nicht in den Anwendungsbereich des Haager Abkommens fallen, durch Art. 16 ZP II eigentlich absolut und ohne Derogationsmöglichkeit geschützt sein müssten. Dies trifft vor allem auf die wenigen Naturstätten mit spiritueller Bedeutung für ein Volk zu. Diese Einschränkung der Derogationsmöglichkeit war in der CDDH von den Befürwortern der Berücksichtigung militärischer Interessen sicherlich nicht bedacht worden. Anderenfalls wäre wohl eine ausdrückliche Beschränkung in Art. 16 ZP II aufgenommen, oder die zu dieser Zeit wohl überwiegend noch als weniger schutzwürdig erachteten Naturstätten durch eine engere Definition der „places of worship“ aus Art. 16 ZP II ausgeschlossen worden. Insoweit der Ausdruck „places of worship“ anhand des Sinn und Zwecks der Vorschrift verstanden wird, und nicht nur einige wenige (zumeist westliche) Religionen in den Blick nimmt, ist dieses Ergebnis allerdings zwingend.301 Es zeigt einmal mehr die inhaltlichen Unsauberkeiten der Zusatz301 Ehlert, Prosecuting the Destruction of Cultural Property in International Criminal Law, S. 74 ff. geht einen gänzlich anderen Weg. Während sie den in Art. 16 ZP II und Art. 53 ZP I enthaltenen Verweis auf das Haager Abkommen beiseitelässt, argumentiert sie für einen Schutzverlust des Objekts im Fall militärischer Nutzung. Diesen scheint sie in dem Verbot militärischer Nutzung des geschützten Objekts und damit im Wortlaut der beiden Vorschriften vorzufinden. Im Ergebnis kommt sie zu einer Schutzeinschränkung sowohl im Haager Abkommen als auch in den ZP I und II, die allerdings qualitativ zu unterscheiden wäre. Ähnlich äußert sich auch der von Ehlert zitierte Dinstein
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protokolle als Resultat der Notwendigkeit eines diplomatischen Konsens in der CDDH. dd) Zwischenbewertung Art. 16 ZP II leidet unter einem unpräzisen Wortlaut. Der durch die Staatengemeinschaft anvisierte eingeschränkte Regelungseffekt kann nur bei unsystematischer und wortlautwidriger Auslegung erreicht werden. Gleichzeitig lässt seine Formulierung es unproblematisch zu, über die primär mit ihm in Verbindung gebrachten Kulturdenkmäler auch Aspekte der Umwelt zu schützen. Natürlich könnte diese Regelungswirkung als unbeabsichtigte Anomalie beiseitegeschoben werden. Bedeutende Schauplätze der Vereinigung von Religionsausübung mit mehr oder weniger kultivierter Umwelt sind nach Wortlaut, Sinn und Zweck der Vorschrift jedoch zweifellos erfasst. Wenngleich diese Auslegungsmöglichkeit bislang kaum Anerkennung gefunden hat, ist sie in der Formulierung des Artikels eindeutig angelegt und wird durch seine Entstehungsgeschichte unterstützt. Es besteht also kein Grund, sie abzulehnen. Sie hat den Vorteil, bestimmte Schauplätze mit enormer religiöser Bedeutung unabhängig von den kulturellen Ausprägungen gerade westlicher Religionen und losgelöst von einer kulturhistorischen Bedeutung des Schauplatzes umfassen zu können. Im Vergleich zu der HK 1954 besitzt Art. 16 ZP II also einen zusätzlichen Regelungswert. Dieser steht im Einklang mit der der Welterbekonvention zugrunde gelegten Erkenntnis, dass auch Naturschauplätze relevanter Ausdruck menschlichen Lebens und Glaubens darstellen. Dass Art. 16 ZP II bei wortlautgetreuer Auslegung Kultstätten im Sinne spirituell bedeutender Umweltstätten absoluten Schutz auch bei militärischer Nutzung verleiht, war sicherlich nicht beabsichtigtes Resultat der CDDH und dürfte, sollte diese Problematik in den Fokus der Staatengemeinschaft rücken, wohl überwiegend Ablehnung erfahren. Angesichts der steigenden Erkenntnis der Bedeutung herausragender Naturschauplätze für die Identität der gesamten Menschheit sollte die in Art. 16 ZP II enthaltene Möglichkeit allerdings wenigstens angedacht werden. Gleichwohl kann nur eine kleine Anzahl spirituell bedeutender Naturstätten unter die Vorschrift subsumiert werden, deren Konfliktrelevanz darüber hinaus eher marginal sein dürfte. Die in Art. 16 ZP II verborgene Möglichkeit zum Schutz der Umwelt bleibt daher mehr ein erstaunlicher Umstand als ein Mittel effektiven Schutzes, dennoch zeigt sie, dass ein an der Funktion der Umwelt ausgerichteter Umweltschutz bereits jetzt Bestandteil humanitären Völkerrecht ist. (Dinstein, The Protection of Cultural Property and Places of Worship in International Armed Conflicts, Studi di diritto internazionale in onore di Gaetano Arangio-Ruiz, Band 3, S. 1918). Allerdings wird der von Ehlert und Dinstein angenommene Schutzverlust durch den Wortlaut von Art. 16 ZP II und 53 ZP I nicht getragen. Zudem übersehen beide die durch die CDDH beabsichtige Derogationsmöglichkeit durch Verweis auf das Haager Abkommen.
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2. Teil: Das geltende Recht und seine Wirkung zum Erhalt der Umwelt
c) Gewohnheitsrechtlicher Schutz natürlicher Kulturgüter und Kultstätten Das Potenzial der für den Schutz von Kulturgütern im Konflikt bestehenden Vertragsnormen zur Schonung auch der Umwelt wurde bislang durch die Staaten weder ausreichend genutzt noch anerkannt. Vor allem für die Bildung korrespondierenden Gewohnheitsrechts hat dieses Aufmerksamkeitsdefizit Folgen, denn selbst für den Fall, dass die Kerngebote der Haager Kulturgüterkonvention, deren zweiten Protokolls sowie des Art. 16 ZP II grundsätzlich in Gewohnheitsrecht übertragen würden, würde Gewohnheitsrecht nur diejenigen Objekte schützen, die von den Staaten als geschützt anerkannt sind. Die Anwendungsreichweite einer gewohnheitsrechtlichen Norm ist schließlich nicht in gleichem Maß der Auslegung offen, wie im Fall ihrer vertraglichen Niederlegung.302 Eine Auslegung nach Sinn und Zweck der Vorschrift kann über mangelnde Staatenpraxis und vor allem opinio iuris nicht hinweghelfen. Die Problematik zeigt sich sowohl hinsichtlich eines gewohnheitsrechtlichen Schutzes natürlicher Kulturgüter auf Basis der HK 1954 wie auch im Fall der durch Art. 16 ZP II erfassten rein natürlichen Kultstätten, wird jedoch vor allem bei Ersterem deutlich. aa) Natürliche Kulturgüter Ob und in welchem Umfang die in der Kulturgüterkonvention und ihrem zweiten Protokoll niedergelegten Schutzvorschriften auch gewohnheitsrechtlich für nichtinternationale Konflikte Geltung besitzen, ist an dieser Stelle nachrangig.303 Selbst wenn, wie beispielsweise die UNESCO Generalkonferenz304, das IKRK305 sowie der ICTY306 annehmen, ein gewohnheitsrechtlicher Schutz 302
Siehe bereits Teil 2, Fn. 95. Ausführlich statt vieler: O’Keefe, The Protection of Cultural Property in Armed Conflict, S. 316 ff. 304 Schon 1993 äußerte sich die UNESCO-Generalkonferenz in dieser Hinsicht: Zumindest den grundlegenden Normen des humanitären Völkerrechts zum Schutz und zur Erhaltung von Kulturgütern könne Gewohnheitsrechtsstatus zukommen (UNESCO General Conference, Resolution 3.5 adopted by the General Conference at its 27th Session, 13. November 1993, Records of the General Conference, 27th Session 1993, Band I., S. 40, Präambel). Allerdings ist diese Aussage allein wenig hilfreich, schließlich ist ihr nicht zu entnehmen, welche Handlungsgebote nun tatsächlich Bestandteil des Gewohnheitsrechts sein sollen. Darüber hinaus deutet auch die vorsichtige Wortwahl der Generalkonferenz („the fundamental principles [. . .] could be considered [. . .]“) darauf hin, dass zumindest 1993 die gewohnheitsrechtliche Geltung kulturgutschützender Normen nicht umfassend anerkannt war. Ob und in welchem Umfang die von der Generalkonferenz angenommene Geltung auch für nichtinternationale Konflikte von Relevanz sei, ist ebenso nicht ersichtlich. 305 So heißt es in Regel 38 B der Gewohnheitsrechtstudie des IKRK: „Property of great importance to the cultural heritage of every people must not be the object of attack unless imperatively required by military necessity.“ (Henckaerts/Doswald-Beck/ Alvermann, Customary International Humanitarian Law, ICRC Study, Band I: Rules, S. 127, Regel 38 B). Zur Begründung der Geltung dieser Regel verweist das IKRK auf die weitgehende Anerkennung der HK 1954 in der Staatengemeinschaft. Tatsächlich 303
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für Kulturgüter und -stätten im heutigen Recht verankert sei307, käme dieser den Umweltstätten von kultureller Bedeutung nur dann zu Gute, wenn diese in den Anwendungsbereich der gewohnheitsrechtlichen Vorschrift fielen. Natürliche Kulturgüter machen aber lediglich eine Randerscheinung humanitärrechtlichen haben bislang 133 Staaten das Abkommen ratifiziert. Die Ratifikationszahl des zweiten Protokolls ist allerdings noch niedriger und liegt derzeit lediglich bei 82 Mitgliedstaaten. (vgl. https://ihl-databases.icrc.org/applic/ihl/ihl.nsf/Treaty.xsp?action=openDo cument&documentId=F0628265ED4F2118412567BB003E0B0C [abgerufen am 26.10. 2020]). Als Konsequenz folgt dem Angriffsverbot in der Studie das Verbot, genanntes Kultureigentum für Zwecke zu verwenden, die eine Schädigung oder Zerstörung wahrscheinlich machen (Regel 39). Plünderungen und Unterschlagungen sowie Vandalismus sind laut Regel 40 B ebenso gewohnheitsrechtlich verboten. 306 Laut der Berufungskammer im Fall Tadic ´ beinhalte das für nichtinternationale Konflikte geltende humanitäre Gewohnheitsrecht auch den Schutz von Kulturgütern. Dies begründete die Kammer mit einem Verweis auf Art. 19 HK 1954 der laut dem Gericht mittlerweile gewohnheitsrechtliche Geltung erlangt habe (ICTY, Prosecutor v. Dusˇko Tadic´, Appeals Chamber Decision on the Defence Motion for Interlocutory Appeal on Jurisdiction, 2. Oktober 1995, Case No. IT-94-1-AR72, Rn. 98, 127). Diese Ansicht wurde von der Verfahrenskammer bei der rechtlichen Aufarbeitung der Bombardierung der Altstadt von Dubrovnik im Bürgerkrieg in Jugoslawien bestätigt (ICTY, Prosecutor v. Pavle Strugar, Urteil der Verfahrenskammer vom 31. Januar 2005, Case No. IT-01-42-T, Rn. 229). 307 Auch das Aufgreifen eines Zerstörungsverbots durch das IStGH-Statut (Art. 8 (2) (e) (iv)) sowie beispielsweise auch durch das Statut des irakischen Sondertribunals (Art. 13 (d) (4)) ist ein Argument für die Überzeugung der Staatengemeinschaft, dass die Zerstörung bestimmter Kulturgüter in nichtinternationalen bewaffneten Konflikten unabhängig von der Ratifikation des Haager Abkommens oder dessen Protokollen nicht mit humanitärem Völkerrecht übereinstimmt. Die gewohnheitsrechtliche Geltung des Haager Abkommens, beziehungsweise des Art. 19 (1) i.V. m. Art. 4 HK 1954 in nichtinternationalen Konflikten bejahend u. a. Arimatsu/Choudhury, Protecting Cultural Property in Non-International Armed Conflicts: Syria and Iraq, International Law Studies 91 (2015), S. 672, Teil 1, Fn. 138; ausführlich O’Keefe, The Protection of Cultural Property in Armed Conflict, S. 316 ff. Unter dem Eindruck des Jugoslawienkriegs und der einhergehenden massiven Zerstörung von Kulturgütern argumentierte Meyer, The 1954 Hague Cultural Property Convention and Its Emergence into Customary International Law, Boston University International Law Journal 11 (1993), S. 387, dass zwar die Kerngebote der HK 1954 zum Zeitpunkt des Konflikts Gewohnheitsrecht für nichtinternationale Auseinandersetzungen darstellten, die vorhandenen Regelungen aber keinen ausreichenden Schutz böten. Letzterer Ansicht war auch ein großer Teil der Mitgliedstaaten des Abkommens. Die Eindrücke des Jugoslawienkonflikts waren schließlich Hauptbeweggründe für die Erarbeitung des zweiten Protokolls von 1999, mit dem die Schwächen des Abkommens überwunden werden sollten. Im Nachgang des Jugoslawienkonflikts anderer Ansicht und ausschließlich in Bezug auf internationale Konflikte: Kastenberg, The Legal Regime for Protecting Cultural Property During Armed Conflict, Air Force Law Review 42 (1997), S. 280 ff. der den Ursprung des HK 1954 zwar im Gewohnheitsrecht sieht, das Abkommen aber selbst nicht als dessen Bestandteil erachtete und daher eine Bindung vor allem der USA ausschloss. Seit der Ratifikation des Abkommens durch die Vereinigten Staaten im Jahr 2009 hat sich diese Problematik allerdings erübrigt. Von der gewohnheitsrechtlichen Geltung des Verbots der Zerstörung von Kultureigentum gehen auch die Autoren des NIAC Manual aus (Regel 4.2.2, Schmitt/Garraway/Dinstein (Hrsg.), The Manual on the Law of Non-International Armed Conflict: with Commentary, S. 56).
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2. Teil: Das geltende Recht und seine Wirkung zum Erhalt der Umwelt
Kulturgüterschutzes aus, die im Rahmen der Kulturgüterdefinitionen nicht selten übersehen wird. Dies erschwert die Annahme einer entsprechenden Gewohnheitsrechtsregel enorm. Im Kontext der Vertragsauslegung kann aus einer nicht abschließenden Definition des Kulturguts auch bei Schweigen der Vertragspartner zu einer bestimmten Auslegung auf Basis einer an Sinn und Zweck orientierten Auslegung gemäß Art. 31 (1) WVRK deren Validität angenommen werden. Bei der Ermittlung von Völkergewohnheitsrecht stellt Schweigen ein noch größeres Problem dar. Äußern sich Staaten nicht zur Existenz einer Norm, beziehungsweise zu den unter eine bestehende Regel fallenden Sachverhalten, kann die fehlende Äußerung nicht durch Auslegung ersetzt werden. Nur wenige nationale Strafrechtsvorschriften mit Konfliktbezug, die als Ausdruck einer Rechtsüberzeugung gewertet werden können, ziehen eine Verbindung zwischen dem Schutz von Kulturgütern und der Erhaltung der Umwelt und erkennen somit den Wert der Umwelt als Kulturgut an. Beispielsweise stellt das Militärstrafgesetzbuch Spaniens schon seit 1985 die durch militärische Notwendigkeit nicht gerechtfertigte Zerstörung von Orten von historischer oder ökologischer Bedeutung, von Naturstätten, Gärten und Parks von historisch-künstlerischem oder anthropologischem Wert unter Strafe.308 Der gleiche Wortlaut ist auch im Militärstrafrecht Nicaraguas von 1996 enthalten.309 Strafrechtliche Vorschriften Uruguays erkennen zumindest im Ansatz die Verknüpfung von Naturund Kulturgütern. Als Kriegsverbrechen auch in nichtinternationalen bewaffneten Konflikten gilt seit 2006 auch die Zerstörung von „[. . .] cultural heritage of great importance to humanity, including cultural heritage linked to a site of natural heritage, irrespective of whether it is included in the lists maintained by UNESCO or any other international organization [. . .]“.310 Noch deutlicher ist das Militärstrafgesetz der DRK, das die Zerstörung des „universal natural or cultural heritage“ als Verbrechen gegen die Menschlichkeit bezeichnet.311 Soweit ersichtlich sind dies allerdings Einzelfälle. Deutlich häufiger wird durch nationale Vorschriften auf den Schutz von Kulturerbe oder Kultureigentum hingewiesen, ohne dass dieser Begriff weiter erläutert wird.312 Aus diesem Schweigen 308 Art. 77 des Military Criminal Codes von 1985, abgedruckt in englischer Übersetzung in Doswald-Beck/Henckaerts, Customary International Humanitarian Law, ICRC Study, Band II: Practice, Parts 1 and 2, Regel 38, Rn. 159. 309 Art. 61 des Militärstrafgesetzbuchs 1996, abgedruckt auf Englisch in: DoswaldBeck/Henckaerts, a. a. O., Practice, Part 1, Regel 38, S. 752, Rn. 148. 310 Uruguay, Law on Cooperation with the ICC (2006), Art. 26.3.39, aufgeführt auf: IKRK, Customary IHL Database, Practice, abrufbar unter: https://www.icrc.org/custo mary-ihl/eng/docs/v2 [abgerufen am 26.10.2020], Regel 38. 311 Die Vorbildfunktion dieser Vorschrift ist angesichts der angeordneten Strafe „is punished by death“ aber zweifelhaft. Siehe Art. 169 des Militärstrafgesetzes der DRK von 2002, aufgeführt auf: IKRK, a. a. O. 312 U. a. die Militärhandbücher von Australien, Kanada, Äthiopien, Ungarn. Zitiert bei IKRK, a. a. O.
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wird nicht ersichtlich, ob die jeweiligen Staaten den Schutz von Umweltstätten lediglich nicht mitbedacht hatten, Umweltstätten unproblematisch als Bestandteil des Kulturgutbegriffs ansehen oder einen menschlichen Schaffungsakt als maßgebliche Voraussetzung jedes Kulturguts erachten. Ähnliches gilt für die Gewohnheitsrechtsstudie des IKRK. Als Erkenntnisquelle kommt ihr in diesem Kontext kein Wert zu, denn auch die Autoren der Studie äußern sich nicht zu der Problematik rein natürlicher Güter und Umweltstätten als Komponenten erfassten Kultureigentums. In Regel 40 A (Verbot der Beschlagnahmung und mutwilliger Zerstörung) werden allein durch Menschenhand geschaffene Institutionen, historische Monumente sowie Werke der Kunst und Wissenschaft genannt.313 Auch das ebenso mit dem Anspruch der Widergabe geltenden Gewohnheitsrecht geschaffene NIAC Manual erwähnt keine abschließende Definition der laut Regel 4.2.2 zu schützenden Kulturobjekte und -plätze, zählt als Beispiele aber erneut nur durch menschlichen Schaffungsprozess erzeugte Güter auf.314 Das HPCR Manual nennt in seiner Definition des Kultureigentums ebenso lediglich durch Menschenhand geschaffene Güter.315 Auch die Statute internationaler beziehungsweise hybrider Straftribunale, die sich mit der Zerstörung von Kulturgut befassen, lassen kaum Rückschlüsse zu. So enthalten Art. 8 (2) (e) (iv) IStGHStatut, Art. 3 (d) ICTY-Statut, Sektion 6.1. (e) (iv) der Regulation 2000/15 zur Errichtung der Sonderkammern für Ost-Timor316 sowie Art. 13 (d) (4) des irakischen Sondertribunals (Iraqi Special Tribunal/IST, mittlerweile umbenannt in Iraqi High Tribunal/IHT)317 lediglich ein eng umrahmtes Set geschützter Güter, 313 Regel 40 A, Henckaerts/Doswald-Beck/Alvermann, Customary International Humanitarian Law, ICRC Study, Band I: Rules, S. 133. 314 Regel 4.2.2, Schmitt/Garraway/Dinstein (Hrsg.), The Manual on the Law of NonInternational Armed Conflict: with Commentary, S. 56. 315 Regel 1 (o), HPCR, Manual on International Law applicable to Air and Missile Warfare, S. 36. 316 Siehe Teil 2, Fn. 85. 317 Statute of the Iraqi Special Tribunal vom 10. Dezember 2003, Annex to the Coalition Provisional Authority Order No 48, Delegation of Authority Regarding an Iraqi Tribunal, CPA/ORD/9 Dec 2003/48 (2003). In Realität ist das irakische Sondertribunal ein rein innerstaatliches Gericht. Zwar können laut seinem ursprünglichen Statut auch internationale Richter und Ankläger ernannt werden, dies ist allerdings nie geschehen. Das Tribunal agiert weitgehend ohne internationale Kontrolle und wendet hauptsächlich irakisches Recht an, um das Verhalten irakischer Bürger, denen ein Verstoß gegen internationales Strafrecht während der Herrschaft Saddam Husseins vorgeworfen wird, zu beurteilen. Zu der internationalen Kritik an der rein nationalen Aufstellung des Tribunals: Newton, Iraqi Special Tribunal, in: Wolfrum (Hrsg.), The Max Planck Encyclopedia of Public International Law, opil.ouplaw.com/home/EPIL, Rn. 6. Zur Einordnung als gemischtes Tribunal: Romano, Mixed Criminal Tribunals (Sierra Leone, East Timor, Kosovo, Cambodia), in: Wolfrum (Hrsg.), The Max Planck Encyclopedia of Public International Law, opil.ouplaw.com/home/EPIL, Rn. 5. Das Statut wurde 2005 geändert, seitdem wird das Gericht als Iraqi High Tribunal bezeichnet. Die Änderung führte zu einer weiteren Schwächung der internationalen Aspekte des Tribunals. Für Details: Mettraux, The 2005 Revision of the Statute of the Iraqi Special Tribunal, Journal of
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deren Zerstörung in nichtinternationalen Konflikten unter Strafe gestellt wird. Natürliche Kultstätten und -güter können nicht unter ihren Wortlaut subsumiert werden.318 Auch die vereinzelten Regelungen nationaler Gesetze, die eine Verbindung zwischen Umwelt und Kulturgütern ziehen, reichen für die Bildung von Gewohnheitsrecht bislang nicht aus. Ihre Bedeutung als opinio iuris zur Unterstützung einer gewohnheitsrechtlichen Schutznorm ist auch deshalb beschränkt, da nicht klar ersichtlich ist, aus welchem Grund eine bestimmte nationale Regelung geschaffen wurde. Verweise auf die Schonung bestimmter Umweltstätten auch während bewaffneter Konflikte, wie beispielsweise im Militärstrafrecht der DRK319 können auch Folge einer Bindung des Staates an die WHC sein, die den Mitgliedstaaten durch Art. 5 WHC die Pflicht auferlegt, nationale Vorschriften zum Schutz der in der Welterbeliste enthaltenen Stätten zu schaffen. Die Überzeugung von der Existenz einer gewohnheitsrechtlichen Norm kann, muss aber nicht mit derartiger Normsetzung verbunden sein. Mangels ausreichender Nachweise einer entsprechenden Rechtsüberzeugung kann derzeit also nicht davon ausgegangen werden, dass kulturell bedeutende Umweltstätten unter einen speziellen gewohnheitsrechtlichen Schutz von Kulturgütern fallen. Dieser Umstand ist umso bedauerlicher, da er wohl teilweise darauf zurückzuführen ist, dass den relevanten Akteuren die kulturelle Bedeutung von Umweltstätten und -gütern nicht hinreichend bewusst war und ist. Die Diskrepanz zwischen der möglichen Vertragsauslegung und der derzeitigen Reichweite bestehenden Gewohnheitsrechts hat vor allem in nichtinternationalen Konflikten eine weitere negative Folge: Solange der Ursprung der Bindung nichtstaatlicher International Criminal Justice 5 (2007), S. 287 ff.; Scharf, The Iraqi High Tribunal: A Viable Experiment in International Justice? Journal of International Criminal Justice 5 (2007), S. 258 ff.; Newton, The Iraqi High Criminal Court: controversy and contributions, International Review of the Red Cross 88 (2006), S. 399 ff. 318 Nach Art. 3 (d) ICTY-Statut hat das Tribunal Jurisdiktionsbefugnis über „seizure of, destruction or wilful damage done to institutions dedicated to religion, charity and education, the arts and sciences, historic monuments and works of art and science [. . .]“. Kriegsverbrechen liegen gemäß Art. 8 (2) (e) (iv) IStGH-Statut bei folgenden kulturrelevanten Akten vor: „(iv) Intentionally directing attacks against buildings dedicated to religion, education, art, science or charitable purposes, historic monuments [. . .], provided they are not military objectives;“. Sektion 6.1. (e) (iv) Regulation 2000/ 15 zur Errichtung der SPSC (Teil 2, Fn. 85) sowie Art. 13 (d) (4) Statut des irakischen Sondertribunals (Teil 2, Fn. 317) enthalten den gleichen Wortlaut wie Art. 8 (2) (e) (iv) IStGH-Statut, dennoch darf nicht übersehen werden, dass strafrechtliche Vorschriften regelmäßig enger gefasst sind als das ursprüngliche völkerrechtliche Handlungsverbot. Ihre begrenzte Reichweite schließt die Existenz eines primären Handlungsverbots mit weiterem Anwendungsbereich im humanitären Völkerrecht nicht aus. Ein offenerer Wortlaut oder gar der Verweis auf natürliche Kulturgüter hätte jedoch einen Anhaltspunkt für die Überzeugung der Staaten bezüglich der Existenz einer entsprechenden Verbotsnorm darstellen können. 319 Vgl. Teil 2, Fn. 311.
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Akteure an humanitäres Völkerrecht nicht gänzlich geklärt und im Fall transnational agierender Gruppen nur eine Verpflichtung zur Einhaltung humanitären Gewohnheitsrechts hergeleitet werden kann320, können bedeutende Umweltstätten in Konflikten mit Beteiligung solcher Akteure nicht aufgrund ihrer kulturellen Werthaftigkeit Schutz erfahren. Da aber gerade in bewaffneten Auseinandersetzungen mit nichtstaatlichen Akteuren Umweltstätten häufig als Rückzugsort genutzt und hierdurch gefährdet werden, wäre es umso wichtiger, die Bindung aller Konfliktparteien an das gleiche Recht dogmatisch sauber begründen zu können. bb) Natürliche Kultstätten Ähnliches gilt auch für die Suche nach einem gewohnheitsrechtlichen Verbot der Zerstörung natürlicher Kultstätten. Soweit ersichtlich wurde bislang weder Art. 53 ZP I noch Art. 16 ZP II genutzt, um den Schutz gefährdeter Umweltstätten zu begründen. Zwar liegt dies mitunter an der Seltenheit solcher Stätten mit ausreichender Bedeutung für das spirituelle Erbe der Völker, doch darüber hinaus ist es sehr fraglich, ob sich die Staaten der Möglichkeit einer derartigen Auslegung bewusst sind und in Konsequenz den Schutz natürlicher Kultstätten als Bestandteil ihrer Verpflichtungen ansehen. Einen Hinweis auf den zu engen Blick der Staaten gibt erneut die Gewohnheitsrechtsstudie des IKRK, die auch in Bezug auf den gewohnheitsrechtlichen Schutz natürlicher Kultstätten schweigt. Im Gegensatz zu dem Schutz natürlicher Kulturgüter wird durch die Formulierung der Regel 38 allerdings eindeutig klar, dass natürliche Kultstätten von den Autoren der Studie nicht als gewohnheitsrechtlich geschützt erachtet wurden. Regel 38 der Studie gibt zwar den Inhalt des Art. 16 ZP II sowie des Art. 53 ZP I weitestgehend wieder321, allerdings findet sich in der besagten Regel kein Hinweis auf Kultstätten („places of worship“). Erwähnt werden stattdessen allein Gebäude, die der Religionsausübung dienen („buildings dedicated to religion“). Und Regel 38 B, nach der „property of great importance to the cultural heritage of every people“ zu schonen ist322, verweist, anders als Art. 16 ZP II, nicht auf das spirituelle Erbe der Völker als Schutzgrund. Begründung mag dieser Umstand darin finden, dass eine auf dem konkreten Wortlaut basierende Auslegung des Art. 16 ZP II selten vorgenommen wird und den Verfassern der Studie womöglich selbst der Reichweiteunterschied zwischen Kultstätten und Gebäuden, die der Religionsausübung dienen, nicht klar war. Andererseits könnte der weitere Begriff der Kultstätten bewusst umgangen worden sein, um klarzustellen, 320
Siehe erneut 1. Teil, § 3, C., I. und II. Regel 38, Henckaerts/Doswald-Beck/Alvermann, Customary International Humanitarian Law, ICRC Study, Band I: Rules, S. 127. 322 Regel 38 B.: „Property of great importance to the cultural heritage of every people must not be the object of attack unless imperatively required by military necessity.“ Henckaerts/Doswald-Beck/Alvermann, a. a. O. 321
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dass rein natürliche Kultstätten keinem gewohnheitsrechtlichen Schutz unterfallen. Anders verhält es sich mit dem NIAC Manual, in dem sich ein ausdrücklicher Verweis auf den besonderen Schutz von Kultstätten findet.323 Ob durch den Begriff auch natürliche Stätten erfasst sein sollen, die Autoren des Handbuchs diese also als gewohnheitsrechtlich geschützt ansahen, wird in der Erläuterung aber nicht aufgeführt. Im Gegenteil: Sowohl im NIAC Manual als auch im HPCR Manual werden Kultstätten allein in ihrer Definition als geschaffene Gebäude der Religionsausübung und aufgrund ihrer Bedeutung als Zeuge menschlicher Schaffenskunst erfasst.324 Letztlich muss vor allem angesichts der eindeutig mangelnden Nachweise bestätigender opinio iuris und Staatenpraxis davon ausgegangen werden, dass humanitäres Gewohnheitsrecht derzeit nur Kultstätten als baulich erschaffene Orte schützt. Die oben genannten Nachteile wirken auch hier entsprechend. 3. Jenseits des Rechts: Umwelt als Gegenstand der Ästhetik, Heimat und Erholung
a) Schutzbedürftigkeit ökologisch und ästhetisch bedeutsamer Regionen Der bislang verfügbare Umweltschutz durch den Schutz menschlicher Kultur und Religion ist in seiner derzeitigen Form zu eng, um werthafte Umweltstätten in ausreichendem Umfang zu bewahren. Dies liegt vor allem daran, dass Gebiete von besonderer Schönheit oder reicher Artenvielfalt nicht allein aufgrund dieser Merkmale erfasst werden. Lebensräume seltener Arten, einzigartige Ökosysteme oder Gebiete mit besonders ausgeprägter Biodiversität machen aber diejenigen Umweltbestandteile aus, die überwiegend als wertvoll und schützenswert erachtet werden. Gleichzeitig sind sie durch innerstaatliche Konflikte besonders gefährdet. Ein Großteil der seit Mitte des 20ten Jahrhunderts geführten Auseinandersetzungen wurde in Regionen ausgetragen, die zu sogenannten Biodiversitäts-Hotspots zu zählen sind. Dies sind Gebiete mit einem besonderen Reichtum ende-
323 4.2.2 (d): „Certain cultural property is entitled to enhanced protection.“ Die Kommentierung führt dazu aus: „Cultural property consists of buildings and objects dedicated to religion, art, or history that form part of the spiritual or cultural heritage of a people. Examples include: [. . .] b) Places of worship“ Schmitt/Garraway/Dinstein (Hrsg.), The Manual on the Law of Non-International Armed Conflict: with Commentary, S. 57, Rn. 1. 324 Vgl. 4.2.2. NIAC Manual. Ein ähnlich strenger Bezug der Kultstätten zu menschlich geschaffenen Kulturstätten wird durch die Kommentierung der Definition von „cultural property“ in Regel 1 (o) (i) HPCR Manual ausgedrückt (HPCR, Manual on International Law applicable to Air and Missile Warfare, S. 36). In der Definition fehlt der Ausdruck der „places of worship“ vollständig; die Kommentierung der Regel 1 (o) verweist nur auf den Wortlaut von Art. 53 ZP I und 16 ZP II. Unklar bleibt die Kommentierung zu Art. 70 Talinn Manual, das keine Definition der „places of worship“ enthält (Schmitt, Tallinn Manual on the International Law applicable to Cyber Warfare, S. 168, Rn. 3).
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mischer Flora und Fauna, deren Bestand und Fläche gefährdet sind.325 Mehr als 90 % aller größeren bewaffneten Konflikte zwischen 1950 und 2000 wurden in Staaten ausgetragen, in denen mindestens einer der 34 weltweit identifizierten Hotspots liegt. Mehr als 80 % dieser Konflikte fand sogar direkt innerhalb dieser Gebiete statt.326 Das Merkmal der Biodiversität kann jedoch nicht unter den Begriff des Kulturguts, so wie er im Haager Kulturgüterschutzabkommen oder in Art. 16 ZP II definiert wird, subsumiert werden. Artenschutz ist hauptsächlich eine Frage ästhetischer Wertschätzung, dem Genuss der Umwelt als Erholungsraum, als Gegenstand eines positiven Heimatempfindens327 oder wissenschaftlich-edukativer Überlegungen. Diese Funktionen der Umwelt vermag das bestehende humanitäre Völkerrecht nicht direkt anzusprechen. Im Umweltvölkerrecht ist dies anders. Die Welterbekonvention stellt diese Funktionen als Kriterien geschützter Naturgüter auf eine Stufe mit der kulturellen Funktion bestimmter Regionen. Sie folgt damit der Überzeugung, dass ästhetisch herausragende oder wissenschaftlich bedeutende Umweltstätten oder -phänomene für unsere kollektive Gemeinschaft und Identität einen vergleichbaren Wert besitzen, wie historische Bauten oder Kunstwerke.328 Eine ähnliche Feststellung fehlt im derzeitigen humanitären Völkerrecht. b) Bisherige Regelungsversuche aa) Gescheiterte Bemühungen Die Werthaftigkeit von Gebieten mit hoher Biodiversität oder herausragender Naturschönheit führte immer wieder zu dem Versuch, diese Aspekte der Umwelt durch Normen des humanitären Völkerrechts speziell zu schützen. Wie zuvor dargestellt, war bei der Ausarbeitung des Haager Kulturgüterschutzabkommens erwogen worden, auch „natural sites of great beauty“ mit in den Kreis der geschützten Objekte aufzunehmen. Der Versuch scheiterte, die Idee sollte jedoch erhalten bleiben. Im Verlauf der Verhandlung um die Zusatzprotokolle der Genfer Abkommen wurde ein ähnlicher Vorschlag durch die inoffizielle, der Arbeitsgruppe des Dritten Komitee untergeordneten Gruppe „Biotope“ vorgebracht: Art. 48 ter ZP I, der allerdings nur für internationale Konflikte Geltung erlangen sollte, lautete:
325 Zur Definition der Hotspots im Detail: Myers et al., Biodiversity hotspots for conservation priorities, Nature 403 (2000), S. 853; Myers, The biodiversity challenge: Expanded hot-spots analysis, Environmentalist 10 (1990), S. 243 ff.; Myers, Threatened biotas: „Hot spots“ in tropical forests, Environmentalist 8 (1988), S. 187 ff. 326 Hanson et al., Warfare in Biodiversity Hotspots, Conservation Biology 23 (2009), S. 578; Jha, Armed Conflict and Environmental Damage, S. 108. 327 Zur Heimat als Umweltschutzargument: Krebs, Ethics of Nature, S. 55. 328 Vgl. erneut die Kriterien der Welterbeliste, Teil 2, Fn. 196.
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„Publicly recognized nature reserves with adequate markings and boundaries declared as such to the adversary shall be protected and respected except when such reserves are used specifically for military purposes.“ 329
Der Vorschlag wurde weder durch die Arbeitsgruppe noch durch das Dritte Komitee enthusiastisch begrüßt.330 Nach Entscheidung des Komitees über eine Rückverweisung an die Arbeitsgruppe331 verschwand Art. 48 ter aus den weiteren Aufzeichnungen der CDDH. Eine vergleichbare Vorschrift ist weder im ZP I noch im ZP II zu finden. Dies war bislang aber nicht der letzte Versuch, ästhetisch werthafte Gebiete vor feindlichen Handlungen zu schützen. Auch in dem durch die International Union for Conservation of Nature (IUCN) entwickelten Entwurf eines internationalen Abkommens über Umwelt und Entwicklung (Draft International Covenant on Environment and Development)332 findet sich in der fünften, derzeit aktuellsten Auflage von 2015 eine verwandte Vorschrift, die ebenso Kultur- und Naturgüter gleichermaßen umfasst und mit Blick auf bewaffnete Konflikte unter eine Schutzanordnung stellt: „Parties shall take the necessary measures to protect natural and cultural sites of special interest, in particular sites designated for protection under applicable national laws and international treaties [. . .], from being subject to attack as a result of armed conflict [. . .].“ 333
329 Vgl. CDDH/III/275, in: CDDH, Official Records of the Diplomatic Conference on the Reaffirmation and Development of International Humanitarian Law Applicable in Armed Conflicts, Genf, 1974–1977, Band XV, S. 358. Art. 48 ter ist abgedruckt in: Pilloud/Pictet, Commentary on Article 55, in: Sandoz/Swinarski/Zimmermann (Hrsg.), Commentary on the Additional Protocols of 8 June 1977 to the Geneva Conventions of 12 August 1949, Rn. 2138. In den Official Records der CDDH ist der Wortlaut des Art. 48 ter nicht enthalten. 330 CDDH/III/275, in: CDDH, Official Records of the Diplomatic Conference on the Reaffirmation and Development of International Humanitarian Law Applicable in Armed Conflicts, Genf, 1974–1977, Band XV, S. 360; CDDH/III/SR.38, in: CDDH, Official Records of the Diplomatic Conference on the Reaffirmation and Development of International Humanitarian Law Applicable in Armed Conflicts, Geneva (1974– 1977), Band XIV, S. 406 f., Rn. 18 ff. 331 CDDH/III/SR.38, a. a. O., S. 407, Rn. 27. 332 IUCN, Draft International Covenant on Environment and Development, – Implementing Sustainability – Fifth Edition: Updated Text. Der Vertragsentwurf sollte, ähnlich wie die beiden internationalen Pakte zum Schutz der Menschenrechte, die Inhalte der völkerrechtlich nicht bindenden Erklärung von Stockholm (1972), der Weltcharta für die Natur (1982) und der Erklärung von Rio zu Umwelt und Entwicklung (1992) in bindendes Recht transportieren. Vgl. die Einleitung zur ersten Fassung, in IUCN, a. a. O., S. xvii. 333 IUCN, a. a. O., Art. 40 (3). So auch schon in der vierten Fassung des Entwurfs (dort Art. 32 (3)). Streng genommen wäre die Vorschrift allerdings nicht dem humanitären Völkerrecht, sondern dem Friedensrecht zuzuordnen, sodass sie eher mit den Inhalten der WHC als mit denen des ZP II oder der HK 1954 zu vergleichen wäre.
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Der durch die IUCN entwickelte Vertragsentwurf ist allerdings bislang nicht bindend. Dass aus ihm jemals ein rechtlich verpflichtendes Abkommen entstehen wird, ist weder gesichert noch absehbar. Auch die IUCN scheint diese Entwicklung in nächster Zeit nicht zu erwarten.334 Seit der zweiten Aktualisierung des Entwurfs betont sie daher immer wieder auch die Funktion des Entwurfs als Vorlage und Formulierungsvorschlag für eigene Bemühungen nationaler Gesetzgeber und Interessenvertreter.335 bb) Der jüngste Vorschlag der ILC Der jüngste Versuch, ökologisch besonders werthafte Regionen vor den Auswirkungen bewaffneter Konflikte rechtlich zu schützen, wird derzeit durch die ILC im Rahmen ihrer Arbeit zum Schutz der Umwelt im Kontext bewaffneter Konflikte unternommen. Ein entsprechender Vorschriftsentwurf wurde 2015 von ILC Special Rapporteur Jacobsson in ihrem zweiten Bericht vorgebracht. Mit dem nunmehr als Draft Principle 4 nummerierten Prinzip schlägt die ILC, ausdrücklich unter Verweis auf das Haager Kulturgüterschutzabkommen, auf die enge Verbindung zwischen Kultur- und Umweltschutz sowie die kulturelle Bedeutung von Landschaften und Regionen, vor: „States should designate, by agreement or otherwise, areas of major environmental and cultural importance as protected zones.“ 336
Auf Grundlage dieses Prinzips enthält Draft Principle 17 den Vorschlag spezifischen Schutzes von Gebieten mit besonderer ökologischer Relevanz. Diese sollen durch Vereinbarung der Konfliktparteien als besonders geschützte Gebiete vor feindlichen Handlungen bewahrt werden: „An area of major environmental and cultural importance designated by agreement as a protected zone shall be protected against any attack, as long as it does not contain a military objective.“ 337 334 In der Auflage der neusten Fassung betont sie allerdings erneut die Hoffnung, der Entwurf möge „eines Tages“ als Grundlage multilateraler Verhandlungen um ein bindendes Abkommen dienen. IUCN, a. a. O., S. xiii. 335 Vgl. die Vorworte der zweiten, dritten und vierten Fassung, IUCN, a. a. O., S. xix, xviii, xv. 336 Ursprünglich lautete das Draft Principle: „States should designate areas of major ecological importance as demilitarized zones before the commencement of an armed conflict, or at least at its outset.“ Siehe ILC, Second Report on the Protection of the Environment in Relation to Armed Conflicts, submitted by Marie G. Jacobsson, Special Rapporteur, 28. Mai 2015, A/CN.4/685, S. 70, Rn. 229. Die in der ersten Lesung 2019 durch die ILC angenommenen Artikelentwürfe sind enthalten in: ILC, Protection of the Environment in Relation to Armed Conflicts text and titles of the Draft Principles provisionally adopted by the Drafting Committee on first reading, 6. Juni 2019, 71st Session, A/CN.4/L.937. Die Kommentierung zu Draft Principle 4 ist enthalten in: ILC, Report of the International Law Commission on the Work of its 71st Session 2019, UN GAOR 74th Session, Supp. No. 10, A/74/10, S. 221ff. 337 ILC, a. a. O.
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2. Teil: Das geltende Recht und seine Wirkung zum Erhalt der Umwelt
Beide Draft Principles besitzen sowohl für internationale wie auch für nichtinternationale Konflikte Geltungsanspruch; die Kommentierung zu Draft Principle 17 verweist ausdrücklich darauf, dass auch unilaterale Erklärungen und Vereinbarungen mit nichtstaatlichen Konfliktakteuren unter die genannten Vereinbarungen fallen sollten.338 Bei der Ausformulierung der Prinzipien nahm das befasste ILC Redaktionskomitee ausdrücklich die HK 1954 als Kern derzeitigen Kulturgüterschutzes zum Vorbild, machte aber deutlich, dass die neuen Regelungen das Regime nicht replizieren, sondern eine eigenständige Vorschrift zum Schutz nicht nur, aber auch, kulturell wertvoller Umweltregionen schaffen sollten.339 Nicht weiter ausgeführt ist zwar das in Draft Principle 4 und 17 maßgebliche Kriterium hoher ökologischer Bedeutung, es ist jedoch eindeutig weit genug, um Regionen aufgrund ihres ästhetischen Werts, ihrer reichen Biodiversität, ihrer Heimat als Lebensraum bedrohter Arten oder auch ihrer wissenschaftlichen Aussagekraft über die Entstehung der Erde zu umfassen. Den Konfliktakteuren ist keine Grenze dahingehend auferlegt, welche Gebiete sie unter Schutz stellen wollen. Dies bleibt der Diskretion der Staaten und Konfliktparteien überlassen. Die Freiheit der Konfliktakteure bleibt auch in anderer Hinsicht erhalten, denn die ILC Draft Principles 4 und 17 laufen nicht auf ein neues Handlungsverbot humanitären Völkerrechts hinaus, sondern nutzen über den Aufruf zur Benennung besonders geschützter Zonen die bereits im Kriegsrecht bestehende Rechtsfigur demilitarisierter Zonen.340 Staaten und (durch die Kommentierung von Draft Principle 17 erwähnte) nichtstaatliche Konfliktakteure sind rechtlich nicht zur Vereinbarung solcher Zonen verpflichtet. Diese Lösung ist dem Umstand zuzuschreiben, dass die ILC – jedenfalls in Hinblick auf den überwiegenden Teil der Draft Principles – nicht den Anspruch erhob, geltendes Recht weiterzuentwickeln.341 Ein eigenes Zerstörungsverbot neuer Qualität hätte es also schwer, in 338 Siehe die Kommentierung zu Draft Principle 17 in: ILC, Report of the International Law Commission on the Work of its 71st Session 2019, UN GAOR 74th Session, Supp. No. 10, A/74/10, S. 260 ff. 339 Vgl. ILC, Provisional summary record vom 22. September 2015 of the 3281th meeting vom 30. Juli 2015, A/CN.4/SR.3281, S. 5. 340 Laut Regel 36 der IKRK-Gewohnheitsrechtsstudie ist ein Angriff gegen eine zwischen den Parteien des Konflikts vereinbarte demilitarisierte Zone gewohnheitsrechtlich in internationalen und nichtinternationalen Konflikten verboten. Henckaerts/DoswaldBeck/Alvermann, Customary International Humanitarian Law, ICRC Study, Band I: Rules, S. 120. 341 ILC, Second Report on the Protection of the Environment in Relation to Armed Conflicts, submitted by Marie G. Jacobsson, Special Rapporteur, 28. Mai 2015, A/ CN.4/685, S. 3, Rn. 4. Special Rapporteur Jacobsson erklärte ausdrücklich, dass eine Ausdehnung des Rechts bewaffneter Konflikte nicht angestrebtes Ziel der Arbeit sei. Der Vorsitzende des ILC Drafting Committee, Mathias Forteau, stellte aber darüber hinaus klar, dass die im Rahmen des Projekts verfassten Draft Principles zudem keine reine Wiederholung anerkannter Rechtssätze sein sollten: „It had been recognized that the draft principles were general in nature and that the intention was not to reformulate rules and principles already recognized by the law of armed conflict.“ (Vgl. ILC, Pro-
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einem endgültigen Set von ILC Prinzipien erhalten zu bleiben.342 Sollten die Staaten die Draft Principles in ihrer derzeitigen Form zukünftig als Abbild bestehenden Rechts bestätigen, wäre daher aber auch kein mit dem Kulturgüterschutzabkommen vergleichbarer Schutz bewirkt, denn die Identifikation und Vereinbarung ökologisch bedeutender Regionen als geschützte Gebiete läge weiterhin vollständig in der Hand der Nationalstaaten, die gemäß Draft Principle 4 die Benennung demilitarisierter Zonen frei handhaben können, beziehungsweise es läge in der Diskretion der Konfliktakteure, sich auf eine Vereinbarung im Sinn von Draft Principle 17 einzulassen. Doch nicht nur die Diskretion der einzelnen Staaten hinsichtlich der Schutzwürdigkeit ihrer Regionen bleibt auf diese Weise gewahrt. Draft Principle 17 macht deutlich, dass für die Bestimmung einer besonders geschützten Zone eine Vereinbarung („designated by agreement“) notwendig ist. Im Einklang mit den im humanitären Völkerrecht geltenden Anforderungen an eine demilitarisierte Zone kann dies nur eine Vereinbarung zwischen den jeweiligen Konfliktparteien sein.343 In nichtinternationalen bewaffneten Konflikten wäre also eine Vereinbarung zwischen dem Staat und der jeweiligen nichtstaatlichen Konfliktpartei oder zwischen mehreren nichtstaatlichen Parteien erforderlich. Mit dieser Lösung sind sowohl Vor- wie Nachteile verbunden. Einerseits ermöglicht der Verweis auf das bereits bestehende Konzept demilitarisierter Zonen die Nennung ökologisch bedeutender Regionen als geschützte Gebiete in den auf bereits bestehendes Recht beschränkten Draft Principles. Zudem erleichtert die Erhaltung staatlicher Diskretion die mögliche Anerkennung der Prinzipien durch eine höhere Anzahl von Staaten und verhilft den ILC Principles womöglich zu stärkerem Erfolg. Andererseits bleibt die Vermittlung von Schutz für eine bestimmte Region über zwei Stuvisional summary record vom 22. September 2015 of the 3281th meeting vom 30. Juli 2015, A/CN.4/SR.3281, S. 6.) Beide Aussagen sind nicht ohne inhaltlichen Widerspruch zu verstehen. Dieser Widerspruch zeigt sich auch an der im Sommer 2019 veröffentlichten Kommentierung der Draft Principles (ILC, Report of the International Law Commission on the Work of its 71st Session 2019, UN GAOR 74th Session, Supp. No. 10, A/74/10, S. 215ff.). So findet sich beispielsweise in der Kommentierung zu Draft Principle 16, das ein Verbot von Angriffen auf die Umwelt in der Form von Repressalien enthält, der ausdrückliche Hinweis, dass die Kommission sich zwar bewusst ist, dass der Status dieses Verbots als Gewohnheitsrecht in nichtinternationalen bewaffneten Konflikten strittig ist, sie sich aber dennoch dazu entschieden habe, das Prinzip aufzunehmen. Mit der Aufnahme dieses Prinzips folge die ILC ihrer Aufgabe der Förderung der progressiven Entwicklung des Völkerrechts und ihrem Ziel, den Schutz der Umwelt im Verhältnis zu bewaffneten Konflikten zu erhöhen (so ausdrücklich die Kommentierung zu Draft Principle 16, in: ILC, Report of the International Law Commission on the Work of its 71st Session 2019, UN GAOR 74th Session, Supp. No. 10, A/74/10, S. 259f.). An dieser Stelle wird also ganz bewusst auf eine Fortentwicklung geltenden Rechts hingearbeitet. Die Reaktionen der Staatengemeinschaft bleiben abzuwarten. 342 Siehe jedoch die Anmerkungen zu Draft Principle 16 soeben in Teil 2, Fn. 341. 343 Vgl. die Kommentierung zu Regel 36 in Henckaerts/Doswald-Beck/Alvermann, Customary International Humanitarian Law, ICRC Study, Band I: Rules, S. 120 f.
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2. Teil: Das geltende Recht und seine Wirkung zum Erhalt der Umwelt
fen ungewiss: Zunächst muss die Benennung einer Region als Gebiet im Sinn des Draft Principle 4 im Interesse der jeweiligen Staatsregierung stehen. Diese dürfte gerade bei drohenden nichtinternationalen Konflikten womöglich aber kein Interesse daran haben, ihre eigenen Handlungen auf ihrem Staatsgebiet zu begrenzen und feindlichen Aufständischen dadurch einen denkbaren Vorteil zu vermitteln. Auf einer zweiten Ebene ist die Möglichkeit einer entsprechenden Vereinbarung zwischen den Konfliktparteien ungewiss. Auch hier dürfte weder der Nationalstaat noch eine am Konflikt beteiligte nichtstaatliche Gruppe in jedem Konfliktfall ein Interesse daran haben, für sie vorteilhafte Kampfgebiete von Auseinandersetzungen frei zu halten. Nutzt eine Gruppe beispielsweise ein Nationalparkgebiet als Rückzugsort, dürfte sie kaum gewillt sein, eine Einigung über dessen Status als demilitarisierte Zone zu treffen. Auch wenn – wie es die Kommentierung zu Draft Principle 17 vorsieht344 – unilaterale Verpflichtungserklärungen unter den Begriff der Vereinbarung im Sinne des ILC Draft Principle 17 gezählt werden könnten und einzelne Konfliktakteure zu einer solchen Erklärung bereit wären, könnte die einseitige Erklärung das Handeln anderer Konfliktparteien nicht beeinflussen. Nicht zuletzt könnte eine Vereinbarung aus politischen Gründen scheitern, schließlich liegt ihr Abschluss in der Diskretion verfeindeter Parteien. Eine Pflicht zur Vereinbarung besteht nach humanitärem Völkerrecht nicht. Sie kann auch nicht durch die Draft Principles erzeugt werden, da diesen selbst keine rechtliche Bindungswirkung zukommt. Sie dienen vielmehr lediglich als Rechtserkenntnisquelle bezüglich bereits bestehender Pflichten oder als Ausgangspunkt späterer Vertragswerte.345 Der Wert der Draft Principles darf trotz allem nicht unterschätzt werden. Sollte die fortlaufende Arbeit der ILC zu einem erfolgreichen Abschluss führen, reiht sie sich in eine lange Geschichte bedeutender, wenngleich nicht unmittelbar bindender Regelungswerke ein, die zumindest als Erkenntnisquelle für das Handeln von Staaten hohe Relevanz besitzen. Auch wenn einzigartigen Ökosystemen oder ökologisch besonders werthaften Regionen kein unmittelbarer Schutz durch die ILC Draft Principles 4 und 17 zukommen kann, könnte der Vorschlag der ILC in Einzelfällen Wirkung entfalten. Die Vereinbarung demilitarisierter Zonen zwischen den Parteien nichtinternationaler Konflikte mag zwar mit hohen Hürden verbunden sein, unmöglich ist sie jedoch nicht. So konnte in der DRK 2008 eine ad hoc-Vereinbarung zwischen der Regierung und einer großen Anzahl nicht344 Siehe die Kommentierung zu Draft Principle 17 in ILC, Report of the International Law Commission on the Work of its 71st Session 2019, UN GAOR 74th Session, Supp. No. 10, A/74/10, S. 260. 345 Das prominenteste Beispiel eines Vertragsentwurfes durch die ILC sind die Draft Articles on the Law of Treaties (1966, with commentaries, Yearbook of the International Law Commission, 1966, Band II., S. 187 ff.) die der Wiener Konferenz als Vorlage für die Ausarbeitung der späteren WVRK dienten.
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staatlicher Gruppen und Konfliktakteuren über die Einrichtung einer demilitarisierten Zone als Voraussetzung der Entsendung von UN-Beobachtern geschlossen werden.346 Der Versuch einer Lösung der bisherigen Schutzlücke über die Brücke demilitarisierter Zonen ist also nicht gänzlich aussichtslos.347 Die Instrumente des potenziell erreichbaren Schutzes stehen natürlich schon jetzt offen. Jedem Staat steht frei, Regionen auf seinem Gebiet zu bestimmen und zu kennzeichnen, die er im Falle eines bewaffneten Konflikts als besonders schützenswert erachtet. Ebenso können Parteien bewaffneter Konflikte jederzeit bi- oder multilaterale Vereinbarungen über die Demilitarisierung einzelner ökologisch relevanter Regionen treffen. Der große Gewinn durch die Arbeit der ILC könnte allerdings darin bestehen, diese Möglichkeit verstärkt in den Fokus der Verantwortlichen zu rücken. Sollte die UN-Generalversammlung und die Staatengemeinschaft ein späteres Endergebnis der Kommission unterstützen, stünden Staatsregierungen zumindest unter einem gewissen politischen Druck, die Möglichkeit der Vereinbarung ernst zu nehmen. Im Ergebnis besteht trotz all dieser Bemühungen nach derzeitigem humanitärem Völkerrecht kein besonderer Schutz für Regionen, die aufgrund ihrer einzigartigen Biodiversität, ihrer ästhetischen Schönheit oder ihrer Funktion als Erkenntnisquelle über die Entstehung der Erde oder der Menschheit für die Identität eines Volkes sowie für jeden Einzelnen Werthaftigkeit besitzen. Angesichts der unzweifelhaften Wertschätzung dieser Funktionen durch einen großen Teil der Weltbevölkerung, die sich unter anderem in den Bemühungen um den Erhalt solcher Gebiete beispielsweise durch die Schaffung der WHC oder der RamsarKonvention zeigt, ist dieses Ergebnis unbefriedigend und unzureichend. 4. Bewertung zum Schutz der Umwelt aufgrund ihrer kulturellen, spirituellen und ästhetischen Funktion
Die Geschichte, Kultur und Identität eines Volkes sowie der gesamten Menschheit sind verknüpft mit der Umgebung, in der die jeweilige Gemeinschaft heranwächst und sich entwickelt. Der Mensch machte seine Umwelt zu einem Lebensraum, zum Abbild seines kulturellen Wachstums und Gegenstand spiritueller und 346 Acte d’engagement signé par le CNDP-Mouvement Politico-Militaire, la PARECO/FAP, les Mai-Mai Kasindien, les Mai-Mai Kifuafua, les Mai-Mai Vurondo, les Mai-Mai Mongol, l’UJPS, les Mai-Mai Rwenzori et le Simba avec l’engagement solennel des Représentants de la Communauté Internationale, facilitateurs du présent acte d’engagement – les Nations-Unies, la Conférence Internationale sur la Région des Grands Lacs, les Etats-Unis d’Amérique, l’Union Africaine, l’Union Européenne et le Gouvernement, Goma, 23. Januar 2008, abrufbar unter: https://www.essex.ac.uk/ar medcon/story_id/000720.pdf [abgerufen am 26.10.2020]. 347 Mit der Vereinbarung einer solchen Zone zwischen Parteien nichtinternationaler Konflikte sind natürlich weitere Probleme verbunden. Insbesondere die rechtliche Bindungswirkung derartiger ad hoc-Abkommen wird immer wieder, vor allem von staatlicher Seite, angezweifelt. Im Detail siehe 3. Teil, § 3, C.
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2. Teil: Das geltende Recht und seine Wirkung zum Erhalt der Umwelt
ästhetischer Wertschätzung. So sind nicht nur die von menschlicher Hand geschaffenen Bauwerke und Kunstgegenstände Ausdruck seiner Kultur, Religion und seines Empfindens für Schönheit, die natürliche Umwelt ist es in vielen Fällen gleichermaßen. Die Anerkennung der Umwelt an Maßstäben ästhetischer, kultureller und spiritueller Werthaftigkeit spiegelt diese Erkenntnis wider. In der Umweltethik sind diese und viele weitere Wertbegründungskategorien fest verankert; auch das internationale Recht gibt ihnen in einigen seiner Ausprägungen Ausdruck. Die WHC-Kriterien zur Aufnahme in die UNESCO-Welterbeliste sind bislang die deutlichste Antwort der internationalen Gemeinschaft auf diese noch neue Erkenntnis. Die auf ihrer Basis entstandene Liste verdeutlicht, dass sich die Kategorien Umwelt und Kultur oftmals überschneiden, rein natürliche Stätten eben auch Kulturgüter oder Kulturerbe darstellen können.348 Die beinahe universale Ratifikation der WHC349 ist zudem Anhaltspunkt dafür, dass die Weltgemeinschaft zumindest in gewissen Konstellationen einzigartigen Umweltstätten und durch den Menschen geschaffene Kunst und Architektur als gleichwertig erachtet. Umweltschutz durch die zur Bewahrung von Kulturgut geschaffenen Instrumente zu bewirken, liegt aber nicht nur inhaltlich nahe; dieser Weg ist auch deshalb verlockend, da Kulturgüter im humanitären Völkerrecht unter anderem durch die Haager Konvention von 1954 und deren Protokolle vergleichsweise detailliert geschützt sind. Doch bei Weitem nicht alle humanitärrechtlichen Instrumente zum Schutz kulturellen Erbes sind geeignet, der Umwelt aufgrund ihrer kulturellen, spirituellen oder ästhetischen Werthaftigkeit in bewaffneten Konflikten und insbesondere in nichtinternationalen Konflikten Schutz zu vermitteln. Art. 16 ZP II sowie die HK 1954 und deren zweites Protokoll mögen zwar in begrenztem Umfang dazu in der Lage sein, doch andere Normen, insbesondere die Statute internationaler Strafgerichtshöfe wie Art. 8 (2) (e) (iv) IStGH-Statut oder Art. 3 (d) ICTY-Statut lassen Ähnliches nicht zu.350 Auch die verfügbaren Schutzmöglichkeiten sind inhaltlich begrenzt. Vor allem aber hat der bestehende Schutzumfang solange kaum praktische Relevanz, wie die Möglichkeit der Anwendung bestehender Vorschriften des Vertragsrechts auf die Umwelt nicht ausreichend erkannt wird. Diese Ignoranz verhindert die Entstehung gewohnheitsrechtlichen Kulturgüterschutzes zugunsten der Umwelt. Vor allem ist das humanitäre Völkerrecht jedoch bislang nicht in der Lage, ökologisch besonders bedeutende Gebiete, die aufgrund ihrer Naturschönheit, ihrer Artenvielfalt oder ihrer einzigartigen Ökosysteme für den Menschen einen 348 Hier sei erneut auf die Eintragung des Fuji als Kultur- und nicht als Naturerbe in der Welterbeliste hingewiesen. 349 194 Mitgliedstaaten haben die WHC bislang ratifiziert (Stand Mitte 2020). Vgl. http://whc.unesco.org/en/statesparties/ [abgerufen am 26.10.2020]. 350 Siehe Teil 2, Fn. 318.
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ästhetischen Genusswert besitzen, besonders unter Schutz zu stellen. Mehrere Versuche, diesen Zustand durch die Verabschiedung neuer Vertragsnormen zu ändern, scheiterten bislang. Der von der ILC in Draft Principle 17 vorgesehene Ausweg entsprechender (ad hoc-)Vereinbarungen kann das Fehlen eines primären Schädigungsverbots nicht ausgleichen, liegt die Schutzgewährung auch bei Beachtung der Draft Principles 4 und 17 weiterhin in der Hand und Diskretion verfeindeter Konfliktparteien. Auch wenn die Schaffung neuer Vertragsnormen oder, wie es die IUCN vorschlägt, einer vollständigen neuen Konvention derzeit mehr Wunsch als Möglichkeit ist, ist die Situation nicht gänzlich ausweglos. Denkbar wäre beispielsweise die Nutzung des bereits etablierten Haager Kulturgüterschutzregimes als Grundlage der Einführung eines verstärkten Umweltschutzes. Dieser könnte auf Basis einer langfristigen Annäherung der Schutzbereiche der humanitärrechtlichen Verträge an die WHC ermöglicht werden. In den letzten Jahren bemühten sich die unter dem Mantel der UNESCO vereinten Organe der WHC und des Haager Kulturschutzregimes, insbesondere das Komitee des zweiten Protokolls, um vermehrte Synergien bei der Eintragung besonders geschützter Kulturgüter in die Liste des zweiten Protokolls sowie in die WHC-Liste der Weltkultur- und Naturerbe.351 Nicht ohne Grund sind alle bisher auf der Liste nach Art. 11 Prot. II HK eingetragenen Kultureigentümer auch auf der Welterbeliste geführt. Beide Verträge bedienen in weiten Teilen die gleichen Schutzobjekte. Es verbleibt allerdings der Unterschied, dass die WHC auch reine Naturgüter ohne spirituelle oder kulturelle Bedeutung aufzunehmen vermag. Ob aus solchen Kooperationsbemühungen irgendwann ein einheitliches Schutzsystem entstehen könnte, bleibt abzuwarten. Dennoch erscheint es zusehends ungenügend, dass die durch die WHC erfassten reinen Naturgüter, im Gegensatz zu Kulturgütern oder gemischten Gütern, nicht durch das inhaltlich verwandte zweite Protokoll beziehungsweise das Haager Kulturgüterabkommen erfasst werden können. Diese Unterscheidung spiegelt eine qualitative Differenzierung zwischen der Werthaftigkeit bedeutender Naturstätten und Kulturgüter für die Menschheit wider, die dem Umweltbewusstsein vieler Völker nicht mehr entsprechen dürfte. Die von den Organen beider Vertragsregime angestrebte Zusammenarbeit könnte als erster zaghafter Schritt zu einer inhaltlichen Annäherung der Verträge verstanden werden, an deren Ende das Gleichlaufen der Anwendungsbereiche von WHC und HK 1954 stehen könnte. Gänzlich ohne Änderung der Verträge wäre sie allerdings nicht zu erreichen. Das Einfügen des Begriffs der Naturgüter 351 Siehe beispielsweise Committee for the Protection of Cultural Property in the Event of Armed Conflict, Report of the Secretariat on its activities, 10th Meeting of the Committee UNESCO Headquarters, Paris, 10.–11. Dezember 2015, CLT-/10.COM/ CONF.203/INF.2/REV, S. 11, Rn. 42 ff.
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oder, wie ursprünglich bei der Erarbeitung des Abkommens geplant, der „Umweltstätten von großer Schönheit“ in den durch Art. 1 festgelegten Schutzbereich der HK 1954 würde eine vergleichsweise kleine Wortlautänderung bedeuten. Sie hätte allerdings große Wirkung für den im bewaffneten Konflikt möglichen Umweltschutz. Mit den bestehenden Verpflichtungen des Kulturgüterabkommens wäre die Anwendungserweiterung auch ohne größere Probleme vereinbar. Anders als die kritischen Argumente des französischen Delegierten bei der Erarbeitung der HK 1954 es glauben machen wollten352, sind die in dem Vertrag vorgesehenen Pflichten und Verbote inhaltlich doch geeignet, auch auf rein natürliche Stätten und Regionen Anwendung zu finden. Zu beachten ist hierbei natürlich, dass sich Naturgüter allein schon in ihrem räumlichen Ausmaß von den zunächst im Haager Abkommen anvisierten Bauwerken und Kunstgegenständen unterscheiden, sodass eine Kennzeichnung der geschützten Stätte nach Art. 6 HK 1954 nicht in gleicher Weise wie bei einem einzelnen Gebäude durchgeführt werden kann. Die konfliktrelevanten Hauptpflichten aus Art. 4 HK 1954, nämlich das Verbot feindlicher Handlungen gegen das erfasste Eigentum (Art. 4 (1)) sowie das Verbot von Repressalien (Art. 4 (4)), sind aber gleichermaßen gegenüber weitläufigen Gebieten, wie beispielsweise abgrenzbaren Nationalparks, einzuhalten. Doch auch jenseits zukünftiger rechtlicher Schutzerweiterungen besteht für den Schutz natürlicher Kultstätten und kulturell bedeutsamer Umweltstätten ein gravierendes praktisches Schutzproblem, das ganz typisch für die Bewahrung von Kulturgütern im Allgemeinen ist: Die kulturellen und spirituellen Zeugnisse eines Volkes sind in nichtinternationalen bewaffneten Konflikten durch die Auseinandersetzung verschiedener ethnischer Gruppen besonders bedroht. Der bewaffnete Konflikt mit dem sogenannten IS in Syrien und im Irak erlangte gerade auch aufgrund der gezeigten Zerstörungswut gegenüber Kulturstätten und -gütern weltweites Aufsehen. Als Beispiel absolut enthemmter Kriegsführung gegen die kulturelle Identität anderer Volksgruppen verdeutlicht er die Grenzen jeder rechtlichen Regelung. Mit Recht zeigen sich daher u. a. Arimatsu und Choudhury zurückhaltend: Zum Schutz unbeweglichen Eigentums bestünde kaum eine weitere Handlungsmöglichkeit, als den Parteien ihre Pflicht zur Einhaltung des Kriegsrechts vor Augen zu halten.353 In manchen Konflikten, wie dem andauernden Kampf gegen den sogenannten IS, wird dies nicht genügen. In anderen Konstellationen kann Aufklärung über die Pflichten der Parteien ihr Handeln beeinflussen. Für den hier dargestellten Schutz der Umwelt hat dies besondere Relevanz. Weder bei der Entstehung der HK 1954 noch bei der Formulierung des Art. 16 ZP II stand die Umwelt als Schutzobjekt im Fokus. Die durch Auslegung erreich-
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Vgl. Teil 2, Fn. 212. Arimatsu/Choudhury, Protecting Cultural Property in Non-International Armed Conflicts: Syria and Iraq, International Law Studies 91 (2015), S. 674 f. 353
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bare Anwendungsweite bestehender Normen hat nur dann praktische Relevanz, wenn die Parteien diesen Schutz auch gewähren wollen. Voraussetzung wiederum ist, dass der Anwendbarkeitsumfang der jeweiligen Norm allen Akteuren hinreichend bekannt ist. Da der Schutz kulturell oder spirituell bedeutender Umweltstätten im Wortlaut der erwähnten Normen nicht ausdrücklich gefordert ist und Naturgüter nur von einem Teil existierender Vorschriften erfasst sind, bedarf es deutlich vermehrter Aufklärungsarbeit. Gleiches gilt für die durch die ILC in Draft Principle 17 vorgesehene Vereinbarung von Zonen zum Schutz ökologisch oder kulturell bedeutender Gebiete. Jede Übereinkunft setzt voraus, dass sich die Parteien dieser Möglichkeit sowie der Schutzwürdigkeit der Umwelt als Objekt der Übereinkunft bewusst sind. Das Bewusstsein aller Konfliktparteien um den Inhalt bestehender Verpflichtungen und um die Gründe der Schutzwürdigkeit der Umwelt als Voraussetzung ihrer Schonung ist an dieser Stelle das vielleicht drängendste Ziel notwendiger Bemühungen. Gerade in dieser Hinsicht ist die Aufnahme entsprechender Prinzipien in den ILC Draft Principles von hervorzuhebendem Wert. IV. Fazit zum Schutz der Umwelt durch die Bewahrung ihrer Funktionen Das Schweigen humanitären Vertragsrechts führt nicht zu einer vollständigen Schutzlosigkeit der Umwelt und ihrer Bestandteile im nichtinternationalen Konflikt. In einigen speziellen Bereichen können Handlungseinschränkungen über die Funktion eines Umweltaspekts für den Menschen generiert werden. Ursprünglich eng umrissene Verbotsnormen, wie das der Plünderungen fremden Eigentums, sind in der Lage, dem Wandel des Krieges und seiner Ausdehnung über Schlachtfelder hinaus zu folgen und zuvor ungeahnten Schädigungsgefahren zu begegnen. Eine an der kulturellen Werthaftigkeit der Umwelt orientierte Auslegung bestehender Kulturgüterschutznormen erfasst über die ursprüngliche Intention der Vertragsstaaten hinaus auch in ihrer Funktion für den Menschen vergleichbare Umweltgüter. Gleichwohl ist das Potenzial funktionsbedingten Umweltschutzes durch die verfügbaren Handlungsbeschränkungen begrenzt. Wortlaut und Blickrichtung der Schädigungsverbote sind überwiegend nicht in der Lage, den tatsächlich bestehenden Gefährdungen der subsumtionsfähigen Umweltbestandteile in ausreichendem Umfang zu begegnen. In anderen Fällen sind die Staaten als maßgebliche Herren über die Auslegung einer Norm nicht gewillt, das bestehende Regelungspotenzial voll auszuschöpfen. Art. 4 (2) (g) ZP II bleibt ein einseitiges Verbot zulasten nichtstaatlicher Akteure. Art. 14 ZP II ist nicht in der Lage, die Lebensgrundlage der Bevölkerung abseits der schwer nachweisbaren Fälle eines intendierten Aushungerns zu bewahren. Die fehlende Verankerung des Begriffs „Umwelt“ beziehungsweise einzelner Umweltbestandteile im Wortlaut der analysierten Vorschriften ist zudem höchst problematisch. Es besteht die Gefahr, dass
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Umweltkomponenten, deren Funktion sich für den Menschen nicht auf den ersten Blick erschließt, bei der Anwendung einer Norm unberücksichtigt bleiben. Der funktionsbedingte Umweltschutz durch bestehendes Vertragsrecht bleibt trotz erstaunlicher Auslegungsweite – und im Einzelfall wertvollen Schutzgewährungen ein Flickenteppich unterschiedlichen Schutzniveaus, der überwiegend aus Schutzlücken besteht.
C. Regelung umweltgefährdender Mittel und Methoden der Kriegsführung Neben dem Schutz der Umwelt durch Vertragsnormen, die an die Funktion eines Objekts für den Menschen anknüpfen, besteht auch im Vertragsrecht nichtinternationaler bewaffneter Konflikte eine weitere Quelle indirekter Umweltschädigungsverbote, denn Umweltschutz resultiert auch aus der, ursprünglich als Haager Recht bezeichneten,354 Begrenzung der Mittel und Methoden der Kriegsführung. Schon aufgrund ihrer Wirkung als Beschränkung der Art und Weise der Kriegsführung wirkt jede unter diese Kategorie fallende Vertragsnorm in gewissem Maße auch umweltschützend, schließlich sind Bestandteile der natürlichen Umwelt allgegenwärtig und damit fast immer kollateral durch eine feindliche Handlung betroffen. Einige Vorschriften des Rechts nichtinternationaler Konflikte sind allerdings gesondert hervorzuheben. Sie greifen Konfliktsituationen auf, in denen Bevölkerungen, aber auch Aspekte der Umwelt, entweder durch die Freisetzung, beziehungsweise die Nutzung gefährlicher Kräfte (I.) oder durch den Einsatz bestimmter Kriegsmittel (II.) in besonderem Maße bedroht sind. I. Verbote der Nutzung oder Freisetzung gefährlicher Kräfte Am 2. August 1990 überquerten irakische Streitkräfte Saddam Husseins die Grenze nach Kuwait und lösten so einen erneuten Krieg am Persischen Golf aus.355 Die Internationale Gemeinschaft reagierte schnell: In einer Reihe von Resolutionen zwischen August und November 1990 verlangte der UN-Sicherheitsrat den Rückzug des Iraks, untersagte Handel mit dem Aggressor und kritisierte dessen Umgang mit der Zivilbevölkerung Kuwaits.356 Schließlich ermächtigte er 354 Ursprünglich galt das sogenannte Haager Recht als zweite Säule humanitären Völkerrechts neben den Genfer Abkommen. Durch die Regelungen der beiden Zusatzprotokolle von 1977, die sowohl Normen zur Begrenzung der Mittel und Methoden der Kriegsführung, als auch individualschützende Normen des sogenannten Genfer Rechts beinhalten, wurde die einst strikte Trennung der beiden Säulen aufgeweicht. 355 Zu dem Verlauf des Konflikts statt vieler: Zedalis, Burning of the Kuwaiti Oilfields and the Laws of War, Vanderbilt Journal of Transnational Law 24 (1991), S. 712 ff. 356 UNSC, Resolution 661 vom 2. August 1990; Resolution 661 vom 6. August 1990; Resolution 664 vom 18. August 1990, Resolution 665 vom 25. August 1990, 666 vom 13. September 1990, 667 vom 16. September 1990, 669 vom 24. September 1990,
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durch Resolution 678 die Staaten, die Einhaltung der vorherigen Resolutionen notfalls mit Waffengewalt zu sichern und durchzusetzen.357 Als sich die irakischen Streitkräfte trotz Ablauf des bis Mitte Januar 1991 gesetzten Ultimatums nicht zurückgezogen hatten, leitete ein vereinigtes Militärbündnis unter Führung der USA Operation Desert Storm ein. Die Luftkriegsführung der Koalition war den Truppen Iraks deutlich überlegen. Als die USA Ende Februar eine Bodenoffensive starteten, war der Krieg schnell entschieden. Nur zwei Tage später begann der offizielle Rückzug der irakischen Truppen.358 Dies war jedoch erst der Beginn einer Katastrophe, deren verheerende Auswirkungen noch viele Jahre fortwirken sollten: Auf ihrem Rückzug entzündeten die irakischen Streitkräfte über 500 Ölquellen und Ölseen auf dem Gebiet Kuwaits.359 Teilweise wurde angenommen, die irakischen Streitkräfte hätten die durch die Verbrennung erzeugten Rauchwolken bewusst herbeigeführt, um eine Luftkriegsführung durch die gegnerische Koalition unmöglich zu machen.360 Die wirklichen Motive der Zerstörung sind unbekannt. Die Folgen der Brände für die Umwelt waren jedenfalls gravierend. Durch die Verbrennung austretende Giftstoffe verbreiteten sich in der Atmosphäre der gesamten Region.361 Große Mengen an Kohlenmonoxid und Schwefelsäure verunreinigten die Atemluft; Bäume und Wälder litten ebenso wie die Bevölkerung.362 Rohöl kontaminierte Sandböden und Gesteinsschichten. Das ganze Ausmaß der Katastrophe konnte noch Jahre später nicht abschließend erfasst werden.363 Zudem zerstörten die irakiResolution 670 vom 25. September 1990, 674 vom 9. Oktober 1990 und Resolution 677 vom 8. November 1990. 357 UNSC, Resolution 678 vom 7. November 1990, S/RES/678 (1990). 358 Zedalis, Burning of the Kuwaiti Oilfields and the Laws of War, Vanderbilt Journal of Transnational Law 24 (1991), S. 714. 359 Roberts, Environmental Destruction in the 1991 Gulf War, International Review of the Red Cross 32 (1992), S. 541. 360 Bell, Kuwait Oil Fires (1991): A Deliberate Environmental Disaster During Wartime, in: Brimblecombe: Air Pollution Episodes, S. 147 ff., 149. m.w. N. Zu den Motiven der Freisetzung von Öl im Persischen Golf: Joyner/Kirkhope, The Persian Gulf War Oil Spill: Reassessing the Law of Environmental Protection and the Law of Armed Conflict, Case Western Reserve Journal of International Law 24 (1992), S. 29 ff. 361 Literathy, Environmental Consequences of the Gulf War in Kuwait – impact on water-resources, water science and technology, Water Science & Technology 26 (1992), S. 22 im Detail. 362 M. w. N. Lijnzaad/Tanja, Protection of the Environment in Times of Armed Conflict: The Iraq-Kuwait War, Netherlands International Law Review 40 (1993), S. 171. 363 Die Folgen der 1990/91 im Golfkrieg verursachten Ölkatastrophe waren auch viele Jahre nach Kriegsende nicht vollständig wissenschaftlich aufgearbeitet. Während es möglich war, die durch die Zerstörung der Ölquellen verursachten Ölseen in den Jahren nach Kriegsende oberflächlich abzutragen, bestand lange Ungewissheit hinsichtlich der andauernden Kontamination des Bodens mit Rohöl. Siehe ausführlich zu den Umweltfolgen des Golfkriegs: Omar et al., The Gulf War impact on the terrestrial environment of Kuwait: an overview, in: Austin/Bruch (Hrsg.), The environmental consequences of war, S. 316 ff.; zur biologischen Sanierung des Bodens S. 333 f.; zudem
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schen Truppen kuwaitische Ölversorgungsanlagen und Pipelines.364 Durch die absichtliche Öffnung der Ventile des Mina al-Ahmadi Sea Island Terminals flossen mehrere Millionen Liter Rohöl ungehindert in den Persischen Golf. Sie verursachten eine Umweltkatastrophe von zuvor ungesehenem Ausmaß. Die Küsten Kuwaits, Bahrains sowie Saudi-Arabiens wurden nachhaltig geschädigt. Die Fischerei litt ebenso wie die empfindlichen Korallenriffe des Persischen Golfs.365 Die ökologische Balance der gesamten Region war gestört.366 Wenngleich das Ausmaß der Kontaminationen in Kuwait bis dato einmalig war, sind Umweltschäden dieser Art keine Seltenheit in bewaffneten Konflikten. So nutzte zuletzt auch der sogenannte IS im Irak die Entzündung von Ölquellen als Methode der Kriegsführung.367 Die rechtliche Eindämmung derartiger Schädigungen durch Begrenzungen zulässiger Mittel und Methoden der Kriegsführung kann auf zwei unterschiedlichen Wegen verfolgt werden: Zum einen kann an der Wirkung einer feindlichen Handlung auf die Umwelt angesetzt werden, indem die negative Beeinflussung und Veränderung der Umwelt selbst untersagt wird. Zum anderen kann die Kontamination der Umwelt dadurch verhindert werden, dass schon der Angriff auf Anlagen, die schädliche Stoffe enthalten, ver-
Lijnzaad/Tanja, Protection of the Environment in Times of Armed Conflict: The IraqKuwait War, Netherlands International Law Review 40 (1993), S. 169 ff.; spezifisch für eine Analyse der Kontamination der Küste und des Meeres: Literathy, Environmental Consequences of the Gulf War in Kuwait – impact on water-resources, water science and technology, Water Science & Technology 26 (1992), S. 21 ff. Eine ausführliche Analyse der Folgen für verschiedene Ökosystemkomponenten findet sich bei El-Baz/ Makharita (Hrsg.), The Gulf War and the Environment. 364 Vgl. Bodansky, Legal regulation of the effects of military activity on the environment, S. 28; Schmitt, Green war: an assessment of the environmental law of international armed conflict, The Yale Journal of International Law 22 (1997), S. 75; Simonds, Conventional warfare and environmental protection: a proposal for international legal reform, Stanford Journal of International Law 29 (1992), S. 207. Weitere Beispiele bei Koppe, The Use of Nuclear Weapons and the Protection of the Environment during International Armed Conflict S. 125 f. 365 Im Detail: Joyner/Kirkhope, The Persian Gulf War Oil Spill: Reassessing the Law of Environmental Protection and the Law of Armed Conflict, Case Western Reserve Journal of International Law 24 (1992), S. 30 f. Zum Ausmaß der Umweltverschmutzung auch Roberts, Environmental Destruction in the 1991 Gulf War, International Review of the Red Cross 32 (1992), S. 541. 366 Für eine rechtliche Bewertung der durch die Ölpest im Persischen Golf sowie die Ölbrände hervorgerufenen Umweltschäden: Zedalis, Burning of the Kuwaiti Oilfields and the Laws of War, Vanderbilt Journal of Transnational Law 24 (1991), S. 711; Okorodudu-Furara, Oil in the Persian Gulf War: legal appraisal of an environmental warfare, St. Mary’s Law Journal 23 (1991), S. 123 ff.; Joyner/Kirkhope, The Persian Gulf War Oil Spill: Reassessing the Law of Environmental Protection and the Law of Armed Conflict, Case Western Reserve Journal of International Law 24 (1992), S. 29 ff. 367 Siehe beispielsweise Chmaytelli, Iraqi Qayyara oil keeps burning six weeks after ouster of ISIS vom 05. Okt 2016; OXFAM, Oil wells set on fire by ISIS leave thousands of Iraqi families suffering beneath skies of black smoke.
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boten wird. Zur Unterstützung beider Strategien können durch Vertragsrecht formulierte Handlungsschranken herangezogen werden. So bestehen Bestrebungen, die ENMOD-Konvention, welche die Manipulation der Umwelt als Mittel der Kriegsführung untersagt, zu nutzen, um kriegsbedingte Veränderungen der Umwelt zu verhindern (1.). Auch die Freisetzung gefährlicher Stoffe wird durch ein Angriffsverbot im Rahmen des Zusatzprotokolls II aufgegriffen (2.). Ob durch diese Vorschriften die Herbeiführung derartiger Umweltschäden tatsächlich rechtlich aufgegriffen und untersagt wird, ist jedoch fraglich. 1. Das Verbot der Manipulation der Umwelt: Die ENMOD-Konvention von 1976
a) Hintergrund Schon Jahre vor dieser Katastrophe hatte die Staatengemeinschaft versucht, kriegsbedingte Umweltveränderungen zu unterbinden. Die weitreichenden Umweltzerstörungen, die durch die Kampfstrategie der USA im Vietnamkrieg hervorgerufen worden waren, waren nicht nur auslösend für die Verabschiedung der Art. 35 (3) und 55 ZP I, den ersten Normen des humanitären Völkerrechts, die unmittelbar dem Schutz der Umwelt galten. In Vietnam hatte die USA zum ersten Mal eine bis dahin unerprobte Methode der Kriegsführung eingesetzt: Durch wetterverändernde Techniken versuchten die US-amerikanischen Streitkräfte die Niederschlagsmenge über Vietnam zu erhöhen und die Dauer der jährlichen Regenzeit zu verlängern.368 Die aus dem sogenannten „cloud seeding“ 369 resultie368 SIPRI/Westing, Weapons of mass destruction and the environment, S. 55 ff.; Juda, Negotiating a treaty on environmental modification warfare: the convention on environmental warfare and its impact upon arms control negotiations, International Organization 32 (1978), S. 976; Caggiano, The Legitimacy of Environmental Destructions in Modern Warfare: Customary Substance over Conventional Form, Boston College Environmental Affairs Law Review 20 (1993), S. 488; Tarasofsky, Protecting specially important areas during international armed conflict, S. 43. Mehrere Senatoren im USSenat forderten daher das Verbot umweltmodifizierender Maßnahmen während bewaffneter Konflikte. Seit 1972 beschäftigte sich das Subcommittee on Oceans and International Environment des US-Senats mit der Ermittlung der Erfolgsaussichten eines Verbots durch einen völkerrechtlichen Vertrag. Auf Basis seiner Ergebnisse empfahl der Senat 1973 die Aushandlung eines solchen Vertrags. Vgl. Witteler, Die Regelungen der neuen Verträge des humanitären Völkerrechts und des Rechts der Rüstungsbegrenzung mit direktem Umweltbezug, S. 194 f.; Zum Einsatz umweltmodifizierender Techniken im Vietnamkrieg sowie zu den Möglichkeiten und Grenzen der Entwicklung und Nutzung derartiger Techniken als Kriegsmittel: United States Senate, United States Committee on Foreign Relations, Subcommittee on Oceans and International Environment, Weather Modification: Hearings before the Subcommitte on Oceans and International Environment, Ninety-Third Congress, Second Session, 25. Januar und 20. März 1974, S. 30 ff. (Umweltmodifikationstechniken); 87–123 (Umweltmodifikation im Vietnamkrieg). 369 Wetterbeeinflussungen durch sog. Wolkenimpfen, das auf die Erzeugung vermehrten Niederschlags aber auch auf die Abwehr von Hagel oder Nebel abzielen kann, werden seit mehreren Jahrzehnten weltweit durchgeführt. Als „cloud seeding“ wird das Ein-
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rende Aufweichung der Böden sollte die Versorgungsrouten der Nordvietnamesen unbrauchbar machen.370 Angesichts dieser neuen Bedrohungen wurde fast zeitgleich zur Entstehung der beiden Zusatzprotokolle der Genfer Abkommen auch über eine spezielle Konvention zum Verbot militärischer und sonstiger feindseliger Nutzung umweltverändernder Techniken verhandelt. Die angedachten Gefährdungsszenarien gingen deutlich über die im Vietnamkrieg bewirkten Umweltmodifikationen hinaus. In der Hochphase des Kalten Kriegs befürchtete man, die in Vietnam genutzten Methoden könnten nur die erste Phase einer neuartigen Kriegsführung sein, die bald zur Nutzung von Tsunami oder Wirbelstürmen als Waffe der Supermächte führen könnte. An der Verhinderung solcher Szenarien waren die beiden Mächte selbst interessiert. So waren es ursprünglich bilaterale Bestrebungen der USA und Sowjetunion, welche die weitere Rechtsentwicklung erst in Gang setzten.371 Sie beabsichtigten, die Möglichkeiten der Nutzung solcher Mittel schon vor einem ersten gravierenden Einsatz zu begrenzen. Nach einer Überweisung durch die UN-Generalversammlung führte dieses Vorhaben 1974 zur Befassung der Konferenz des UN-Komitees für Abrüstung (Conference of the Committee on Disarmament/CCD) mit der Thematik.372 Zur gleichen Zeit bereitete auch die bringen von Chemikalien wie Silberjodid in Wolken bezeichnet, das durch Kondensation zu Niederschlägen führen soll. Diese Technik wird heute durch etliche Staaten zu friedlichen Zwecken erforscht und genutzt (Koppe, The Use of Nuclear Weapons and the Protection of the Environment during International Armed Conflict, S. 124). Vor allem China wandte diese Technologie zur lokalen Wetterbeeinflussung in den letzten Jahren (mehr oder weniger erfolgreich) medienwirksam an (siehe z. B. Watts, China’s largest cloud seeding assault aims to stop rain on the national parade vom 23. Sept. 2009). Auch in vielen anderen Staaten wird Wetterbeeinflussung erforscht oder genutzt. Zu den naturwissenschaftlichen Hintergründen: Cotton/Pielke, Human Impacts on Weather and Climate. 370 Schon im Verlauf des Vietnamkrieges gab es Hinweise darauf, dass die USA diese umweltmodifizierenden Techniken eingesetzt hatte. SIPRI/Westing, Weapons of mass destruction and the environment, S. 55 ff. 371 Vgl. Joint Statement of the United States of America and the Union of the Soviet Socialist Republics on the Most Effective Measures Possible to Overcome the Dangers of the Use of environmental Modification Techniques for Military Purposes, Annex IV to the Letter dated 8 August 1974 from the representatives of the Union of the Socialist Republics and the United States of America to the United Nations addressed to the Secretary-General, A/9698, abrufbar unter http://www.un.org/ga/search/view_doc. asp?symbol=A/9698 [abgerufen am 26.10.2020]; übersetzte Fassung in Delbrück, Friedensdokumente aus fünf Jahrhunderten, Band 2, S. 902. 372 Trotz der ursprünglich bilateralen Bemühungen unterbreitete die UdSSR der UNGeneralversammlung einen Konventionsentwurf, den diese sodann an das UN-Komitee für Abrüstung überwies. Vgl. UNGA, Resolution 3264 (XXIX) vom 9. Dezember 1974 on the Prohibition of action to influence the environment and climate for military and other purposes incompatible with the maintenance of international security, human well-being and health, A/RES/29/3264. Der Konventionsentwurf der UdSSR vom 26.9.1974 findet sich übersetzt bei Delbrück, Friedensdokumente aus fünf Jahrhunderten, Band 2, S. 902. Zu den möglichen Gründen für das Vorgehen der UdSSR, siehe Juda, Negotiating a treaty on environmental modification warfare: the convention on
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CDDH die Inhalte der späteren Zusatzprotokolle der Genfer Abkommen von 1977 vor. In den folgenden Jahren verhandelten also zwei große Konferenzen, die CDD und die CDDH, über mögliche Einschränkungen der Mittel und Methoden der Kriegsführung mit direktem und indirektem Umweltbezug und kamen nahezu gleichzeitig zu einem Ergebnis. Die durch die CDD verabschiedete ENMOD-Konvention (Convention on the Prohibition of Military or Any Other Hostile Use of Environmental Modification Techniques) von 1976373 wurde nur wenige Tage vor Abschluss der Verhandlungen der CDDH zum ZP I fertig gestellt.374 Schon aufgrund der unterschiedlichen Foren, in denen die Zusatzprotokolle und die ENMOD-Konvention geschaffen worden waren, sind beide Instrumente allerdings zwingend voneinander abzugrenzen. Die ENMOD-Konvention ist neben den Art. 35 (3) und 55 ZP I heute sicherlich die bekannteste Regelung des humanitären Völkerrechts mit unmittelbarem Umweltbezug. Ob sie für den Schutz der Umwelt in nichtinternationalen Konflikten aber überhaupt Wirkung entfaltet, ist nicht gesichert. b) Umweltmanipulationen als Methode der Kriegsführung Anders als Art. 35 (3) und 55 ZP I bezweckt die ENMOD-Konvention keinen generellen Umweltschutz während bewaffneter Konflikte.375 Dies war jedoch nicht von vorneherein so beabsichtigt. Ein erster Entwurf der UdSSR, den sie der UN-Generalversammlung unterbreitete, ging weit über den Anwendungsbereich des späteren Abkommens hinaus. Nach den Vorstellungen der UdSSR sollte jede verändernde Einwirkung auf die Umwelt verboten werden, unter anderem auch die Vernichtung von Vegetation oder ähnliche Aktivitäten, die zu einer Störung eines Ökosystems führen. Nach Artikel II des Entwurfes sollten untersagt sein: „Einwirkungen auf die Erdoberfläche [. . .], auf das Wasser, auf die Atmosphäre und auf andere Elemente der natürlichen Umwelt, die auf die Herbeiführung eines Schadens durch folgende Methoden gerichtet wären: i) Veränderungen des natürlichen Zustands der Flüsse, Seen Sümpfe und anderer Wasserobjekte des Festlands durch Methoden und Mittel aller Art, die zur Versandung, Austrocknung, zu Überschwemmungen, Überflutungen und zur Zerstörung hydrotechnischer Anlagen sowie zu anderen schädlichen Folgen führen; [. . .] environmental warfare and its impact upon arms control negotiations, International Organization 32 (1978), S. 977 f. 373 Teil 1, Fn. 5. 374 Die ENMOD-Konvention hatte daher sogar noch Einfluss auf die Vertragsverhandlungen der umweltrelevanten Aspekte des ZP I. Ausführlich de Preux, Commentary on Article 35, in: Sandoz/Swinarski/Zimmermann (Hrsg.), Commentary on the Additional Protocols of 8 June 1977 to the Geneva Conventions of 12 August 1949, Rn. 1448 ff. 375 McNeill, Protection of the environment in times of armed conflict: Environmental protection in military practice, Hague Yearbook of International Law 6 (1993), S. 77.
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k) Vernichtung der Vegetation und andere Aktivitäten, die zur Störung der Ökologie der Pflanzen- und Tierwelt führen; [. . .].“ 376
Durch diesen Vorschlag wären lokale Ökosysteme, Seen und Wasserläufe vor feindlichen Veränderungen geschützt gewesen. Durch das Verbot der „Störung der Ökologie der Pflanzen- und Tierwelt“ gemäß Artikel II k) wäre zudem ein bemerkenswert weitgehendes Umweltschutzgebot in humanitäres Völkerrecht aufgenommen worden. Dieser ursprüngliche Vorschlag der UdSSR wurde nachträglich jedoch durch einen deutlich begrenzteren Vorschlag der USA und UdSSR ersetzt. Dieser neue Entwurf von 1975 beschränkte nicht nur die durch die Konvention verbotenen Handlungen, sondern auch die ursprünglich ausführlichen Beispiele erfasster Umweltveränderungen. Lediglich lokal wirkende Veränderungen, wie z. B. die Vernichtung von Seen oder Flüssen sollten nicht länger verboten werden. In den Fokus rückten dagegen rein global oder zumindest überregional wirkende Worst-Case-Szenarien.377 Vor allem aber entfiel der durch den UdSSR-Entwurf vorgeschlagene Schutz der Umwelt vor schädlichen Veränderungen. In ihrer Endfassung ist die ENMOD-Konvention nicht dem Erhalt der Umwelt im Krieg gewidmet; sie dient allein dem Schutz des Menschen vor der Nutzung der Umwelt als Waffe.378 Ihr Anwendungsbereich ist folglich auf sehr spezifische Sachverhalte beschränkt. Die enthaltenen Regelungen kommen erneut nur indirekt der Erhaltung der Umwelt zugute. aa) Umweltmodifizierende Maßnahmen Art. I (1) ENMOD verbietet den feindlichen Einsatz umweltmodifizierender Maßnahmen, die weitreichende, langanhaltende oder schwere Auswirkungen in einem anderen Mitgliedstaat verursachen. Diese können, müssen aber nicht die Umwelt eines anderen Staates treffen.379 Gemeint sind gemäß Art. II solche Techniken, die durch bewusste Manipulation natürlicher Prozesse die Dynamik, Komposition oder Struktur der Erde, einschließlich ihrer Lithosphäre, Hydrosphäre, Atmosphäre sowie der Flora und Fauna oder des Weltraums verändern. Welche Manipulationen von dem Verbot erfasst sein sollen, lässt sich aus den Understandings zu Art. II beispielhaft380 entnehmen.381 Erdbeben, Tsunami, 376 Übersetzung des Entwurfs in Delbrück, Friedensdokumente aus fünf Jahrhunderten, Band 2, S. 902. 377 Ausführlich Witteler, Die Regelungen der neuen Verträge des humanitären Völkerrechts und des Rechts der Rüstungsbegrenzung mit direktem Umweltbezug, S. 198. 378 So ausdrücklich auch: United States Department of Defence, Law of War Manual, 2015 (updated 2016), S. 376. 379 Der Ausdruck „destruction, damage or injury“ sollte laut den Delegierten in der CCD möglichst weit verstanden werden. Die Vertreter der USA nannten u. a. Schäden an Militär, Zivilbevölkerung, Städten, Industrie, Landwirtschaft oder natürlichen Ressourcen (CCD, Report of the Conference of Committee on Disarmament to the General Assembly, 17. Februar–3. September 1976) Band I, A/31/27, S. 73, Rn. 332). 380 Diese haben keinen abschließenden Charakter; vgl. CCD, a. a. O., S. 73, 334 ff.
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Veränderungen der Wetter- oder Klimamuster einer Region einschließlich des Hervorrufens von Wolken, Niederschlägen oder Stürmen, Veränderung der Meeresströmungen, der Ozonschicht oder Ionosphäre werden als mögliche Resultate umfasster Umweltmanipulationen aufgeführt.382 Fast alle dieser Manipulationen waren in den 1970er Jahren nicht mehr als wissenschaftliche Spekulationen,383 die eher einem Science-Fiction-Roman als den tatsächlichen Möglichkeiten der Kriegsführungspraxis entsprangen. Auch heute und in absehbarer Zukunft dürften viele der genannten Beispiele die technischen Möglichkeiten fast aller Staaten überschreiten.384 Die Nutzung einiger solcher Manipulationen als Methode der Kriegsführung, wie beispielsweise die Umleitung von Meeresströmungen, wäre angesichts ihrer unkontrollierbaren Auswirkungen zudem weder besonnen noch mit geltendem humanitärem Völkerrecht zum Schutz unbeteiligter Personen in Einklang zu bringen. Weniger abwegige Maßnahmen, wie die Veränderung des Wettermusters einer Region, z. B. durch sogenanntes „cloud seeding“, sind dagegen nur bei Erwartung einer gewissen Schadensschwelle von Art. I (1)
381 Die Understandings wurden ebenso wie der Vertragstext von der CCD erarbeitet und sollen Aufschluss über die Inhalte und Regelungsbereiche der Konvention geben. Obwohl sie nicht Teil der Konvention selbst sind, sind sie integraler Bestandteil ihrer Regelung. Ihr rechtlicher Status ist allerdings umstritten. Richtigerweise wird man sie aber als Vertragsbestandteile i. S. d. Art. 31 (2) WVRK ansehen müssen; vgl. überzeugend Witteler, Die Regelungen der neuen Verträge des humanitären Völkerrechts und des Rechts der Rüstungsbegrenzung mit direktem Umweltbezug, S. 208 ff., ebenso Vöneky, Die Fortgeltung des Umweltvölkerrechts in internationalen bewaffneten Konflikten, S. 53, Fn. 101; wohl auch Schmitt, Green war: an assessment of the environmental law of international armed conflict, The Yale Journal of International Law 22 (1997), S. 83 wenn auch nicht ausdrücklich; a. A. Simonds, Conventional warfare and environmental protection: a proposal for international legal reform, Stanford Journal of International Law 29 (1992), S. 186 (Wirkung nur als travaux préparatoires). Keine eindeutige Antwort gibt Tarasofsky, Legal protection of the environment during international armed conflict, Netherlands yearbook of international law 24 (1993), S. 46, der aber darauf hinweist, dass die Delegierten den Understandings einen autoritativen Charakter zukommen lassen wollten. 382 Ein solches Szenario klingt wenig wahrscheinlich. Gerade in der Endphase des Zweiten Weltkriegs wurden allerdings auch zu derartig „kreativen“ Kriegsmethoden ernsthafte Forschungen ausgeführt. Alle in den Understandings zu Art. II genannten Beispiele waren nach intensiver Diskussion einer Expertengruppe über denkbare durch den Menschen beeinflussbare Umweltphänomene aufgenommen worden (vgl. CCD, Report of the Conference of Committee on Disarmament to the General Assembly, 17. Februar–3. September 1976) Band I, A/31/27, S. 73, Rn. 335). 383 Dies war den Staatenvertretern bewusst. Die Konvention sollte gerade auch solche Effekte umfassen, deren Verursachung nur zukünftig erreicht werden könnte. CCD, a. a. O., S. 73, Rn. 334 ff.; Goldblat, The Environmental Warfare Convention: How Meaningful Is It? Ambio 6 (1977), S. 220; Dinstein, Protection of the Environment in International Armed Conflict, Max Planck Yearbook of United Nations Law Online 5 (2001), S. 530. 384 Ausführlich: Witteler, Die Regelungen der neuen Verträge des humanitären Völkerrechts und des Rechts der Rüstungsbegrenzung mit direktem Umweltbezug, S. 94– 120. Zur Umwelt als Waffe siehe S. 136 ff.
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ENMOD erfasst. Die Relevanz der Konvention für tatsächliche Kriegsführungsszenarien ist daher auf den ersten Blick kaum zu erkennen. In Hinblick auf nichtinternationale bewaffnete Konflikte verstärkt sich dieses Ergebnis nochmals. Der potenzielle Einsatz der im Anhang der Konvention aufgezählten Manipulationen ist von der Verfügbarkeit ausgereifter technischer Möglichkeiten abhängig. Der Einsatz solcher umweltverändernden Techniken durch nichtstaatliche Akteure, aber auch durch Regierungen finanziell schwacher oder weniger entwickelter Staaten, die tendenziell häufiger in diese Art von Konflikten verwickelt sind, ist vollkommen unwahrscheinlich. Vermehrte Praxisbedeutung hätte die ENMOD-Konvention lediglich dann, wenn auch niedrigtechnologische Umweltmanipulationen unter das Verbot des Art. I (1) ENMOD fallen würden. Unter dem Eindruck der durch irakische Truppen im zweiten Golfkrieg entzündeten Ölquellen Kuwaits sowie der durch die mutwillige Öffnung von Pipelines verursachten Ölpest im Persischen Golf 385 wurde die Frage der Anwendungsschwelle im Rahmen der zweiten Revisionskonferenz nach Art. VIII ENMOD erstmals aufgeworfen.386 Eine Einigung über die Ausweitung des Anwendungsbereichs konnte letztlich jedoch nicht erzielt werden.387 Trotz des proklamierten „climate of revolutionary change“ 388 wurde nicht mehr erreicht als eine Bestätigung des nicht abschließenden Charakters der Aufzählungen in dem Art. II zugeordneten Understanding.389 Die gezielte Modifikation der Umwelt als alleiniger Gegenstand des Verbots blieb unverändert, das Szenario brennender Ölfelder als Anwendungsszenario des Art. I unerwähnt. Durch konventionelle Kriegshandlungen, wie die im Golfkrieg 1991–92 erfolgte Zerstörung einer Vielzahl von Ölförderanlagen, dürfte die Anwendungsschwelle daher selbst dann nicht zu erreichen sein, wenn diese einen einer Umweltmodifi-
385
Siehe 2. Teil, § 2, C., I. Eine ausführliche Fallstudie findet sich bei: Okorodudu-Furara, Oil in the Persian Gulf War: legal appraisal of an environmental warfare, St. Mary’s Law Journal 23 (1991), S. 123 ff. 387 Kritisch zu den Ergebnissen der Konferenz: Bouvier, Recent studies on the protection of the environment in time of armed conflict, International Review of the Red Cross 32 (1992), S. 561 ff.; ausführlich zu ihrem Gang: Koppe, The Use of Nuclear Weapons and the Protection of the Environment during International Armed Conflict, S. 130–133. 388 ENMOD/CONF.II/SR.6, in: Final Document of the Second Review Conference of the Parties to the Convention on the Prohibition of Military or Any Other Hostile Use of Environmental Modification Techniques, 22. September 1992, ENMOD/ CONF.II/12, Part III, Rn. 21. 389 Vgl. die Ausführungen zu Art. II in der Final Declaration, a. a. O., Part II. Die Understandings sind enthalten in: CCD, Report of the Conference of Committee on Disarmament to the General Assembly, 17. Februar–3. September 1976) Band I, A/31/27, S. 91 ff. 386
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kation ähnlichen Effekt aufwiesen.390 In den Augen der Konvention stellen solche Handlungen keine Manipulation der Umwelt dar.391 Eine Ausnahme besteht dagegen für den Einsatz von Herbiziden im Rahmen bewaffneter Konflikte. Auch die Frage des Verbots ihres Einsatzes zu militärischen Zwecken kam im Rahmen der Revisionskonferenz von 1992 erneut auf. Einzig in diesem Punkt konnte durch die Konferenz in geringem Umfang Klarheit geschaffen werden. Während zuvor nicht ersichtlich war, ob die Anwendung von Herbiziden überhaupt unter den Anwendungsbereich der Konvention fallen könnte, konnten sich die Delegierten der Konferenz überraschend dazu durchringen, ihr Verbot zu bestätigen. Der feindliche Einsatz von Herbiziden sei jedenfalls dann durch die ENMOD-Konvention untersagt, wenn ihr Einsatz die ökologische Balance einer Region stört und in Konsequenz weitreichende, langanhaltende oder schwere Auswirkungen herbeiführt.392 Diese Feststellung ist nicht unbeachtlich. Der Einsatz von Herbiziden ist schließlich ein Mittel zur Zerstörung von Vegetation und nicht zu ihrer Modifikation. Grundsätzlich dürfte ihr
390 Koppe führt als Beispiel die Verhinderung von Photosynthese durch starke Rauchentwicklung in Folge eines Angriffs auf Ölquellen an. Er bezeichnet eine solche Auslegung aber selbst als künstlich. (Koppe, The Principle of Ambituity and the Prohibition against Excessive Collateral Damage to the Environment during Armed Conflict, Nordic Journal of International Law 82 (2013), S. 132). 391 Roberts, Environmental Destruction in the 1991 Gulf War, International Review of the Red Cross 32 (1992), S. 544; Schmitt, Green war: an assessment of the environmental law of international armed conflict, The Yale Journal of International Law 22 (1997), S. 84. Zum Begriff der Modifikation im Vergleich zu einer bloßen Zerstörung: Witteler, Die Regelungen der neuen Verträge des humanitären Völkerrechts und des Rechts der Rüstungsbegrenzung mit direktem Umweltbezug, S. 240 ff. 392 „[. . .] such uses of herbicides upset the ecological balance of a region, thus causing widespread, long-lasting or severe effects as means of destruction, damage, or injury to any other state party“ (Final Declaration, in Final Document of the Second Review Conference of the Parties to the Convention on the Prohibition of Military or Any Other Hostile Use of Environmental Modification Techniques, 22. September 1992, ENMOD/CONF.II/12, Art. II). Schon 1976 erklärten die Vereinigten Staaten, der Einsatz von Herbiziden sei von der ENMOD-Konvention erfasst. Diese Aussage wurde Jahre später bei der Entwicklung der Chemiewaffenkonvention CWC von den Niederlanden als Argument gegen die explizite Nennung von Herbiziden als durch die CWC verbotene Kampfstoffe genutzt (siehe Sussex-Harvard rolling CBW chronology, Februar–Mai 1992, Chemical Weapons Convention Bulletin (1992), S. 14 mit Verweis auf Conference on Disarmament, Final Record of the 618th plenary meeting, held at the Palais des Nations, Genf, 24. März 1992, CD/PV.618). Bei Abschluss der CWC bedauerten einige Staatenvertreter das Fehlen einer ausdrücklichen Regelung des Herbizideinsatzes in der CWC. Vgl. Conference on Disarmament, Report of the Ad Hoc Committee on Chemical Weapons to the Conference on Disarmament, 26. August 1992, CD/1170, S. 21, 26, 37. Zum Umfang des Verbots des Einsatzes von Herbiziden im humanitären Völkerrecht, siehe 2. Teil, § 2, C., II., 3., b) sowie Gioia, The Chemical Weapons Convention and its application in time of armed conflict, in: Bothe/Ronzitti/ Rosas (Hrsg.), The new Chemical Weapons Convention: Implementation and Prospects, S. 387, Fn. 24.
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Einsatz daher nicht unter den Anwendungsbereich der Konvention fallen.393 Ihr nunmehr klargestelltes Verbot stellt also eine Anomalie dar. Sie könnte genutzt werden, um die Regelungsweite der ENMOD-Konvention insgesamt ausweiten, denn kommt es für die Auslösung des Art. I ENMOD lediglich auf eine Störung der ökologischen Balance einer Region an, können in Konsequenz konventionelle Umweltzerstörungshandlungen, wie etwa das Abbrennen von Wäldern oder das Einleiten von Rohöl in Gewässer, ebenfalls unter das Konventionsverbot subsumiert werden. Auch wenn sich die Mitglieder der zweiten Revisionskonferenz nicht dazu durchringen konnten, Umweltzerstörungen allgemein als von der Konvention erfasst zu proklamieren, stellt die Anerkennung von Herbiziden als untersagte Umweltmodifikationstechnologien also ein Einfallstor dar, um in Zukunft eine solche Anwendungsweite zu proklamieren.394 Besonders aussichtsreich dürfte dieser Versuch allerdings nicht sein, schließlich stellten die Ergebnisse der Revisionskonferenz klar, dass sogar die gravierenden Umweltzerstörungen der irakischen Truppen in Kuwait kein Regelungsszenario der ENMOD-Konvention darstellten. Eine einzelne Äußerung im spezifischen Kontext des Einsatzes von Herbiziden kann diese offensichtliche Anwendungsgrenze nicht aushebeln. Der marginale praktische Anwendungsbereich der Konvention bleibt also weiterhin bestehen. bb) Weitreichende, langanhaltende oder schwere Auswirkungen Durch die weitere Voraussetzung einer bestimmten Schädigungsgrenze wird die Relevanz der Konvention zudem nochmals beschränkt, denn nicht jede Form der Umweltmanipulation ist nach der ENMOD-Konvention im Krieg verboten. Das Verbot tritt nur für den Fall ein, dass die Manipulation „widespread, longlasting or severe effects“ erwarten lässt. Diese Formulierung erinnert stark an die Schwelle der Art. 35 (3) und 55 ZP I, deren Anwendung ebenso von der Möglichkeit der Verursachung ausgedehnter, langanhaltender und schwerer Schäden der natürlichen Umwelt abhängt. Die Formulierung der ENMOD-Konvention unterscheidet sich nur in einem, allerdings durchaus relevanten Punkt von dem in 393 Witteler, Die Regelungen der neuen Verträge des humanitären Völkerrechts und des Rechts der Rüstungsbegrenzung mit direktem Umweltbezug, S. 246. 394 Das IKRK griff diese Gelegenheit auf, um die gewohnheitsrechtliche Geltung eines Verbots der Nutzung der Umwelt als Waffe (Regel 45, Satz 2) zu unterstützen (Henckaerts/Doswald-Beck/Alvermann, Customary International Humanitarian Law, ICRC Study, Band I: Rules, S. 158, Regel 45). Die Begründung dieses Verbots mit der ENMOD-Konvention wurde z. B. von Hulme kritisiert (Hulme, Natural Environment, in: Wilmshurst/Breau (Hrsg.), Perspectives on the ICRC study on customary international humanitarian law, S. 235 f.), die den Autoren vorwirft, durch die Nennung der ENMOD-Konvention als Untermauerung eines Verbots der Umweltzerstörung Verwirrung zu verursachen. Tatsächlich zeigt sich bei einem genauen Blick auf die Begründung des Verbots, dass die Autoren der Studie nicht die ENMOD-Konvention selbst, sondern allein die besondere Feststellung zum Gebrauch von Herbiziden als Kampfmittel zur Unterstützung ihrer Argumentation heranzogen.
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Art. 35 (3) und 55 ZP I enthaltenen Dreiklang. Anders als umweltschädigende Mittel und Methoden der Kriegsführung, sind umweltmodifizierende Maßnahmen schon dann verboten, wenn sie nur eines der drei Qualifizierungsmerkmale erwarten lassen („or“ statt „and“). Darüber hinaus wurde sowohl in der CDDH, als auch durch die CCD klargestellt, dass der gleichlautende Wortlaut beider Verträge keine Aussage über die jeweilige Auslegung der Begriffe treffen solle und diese folglich für jedes Instrument unabhängig definiert werden müssten.395 Für die ENMOD-Konvention geben die beigefügten Understandings Aufschluss über die notwendige Schwere der Folgen: Als „widespread“ wären demnach Auswirkungen in einer Fläche von mehreren hundert Quadratkilometern zu verstehen. Eine Periode von mehreren Monaten oder ungefähr einer Jahreszeit wäre als „longlasting“ zu bezeichnen. Als „severe“ werden ernste oder signifikante Beeinträchtigungen oder Verletzungen menschlichen Lebens, natürlichen und wirtschaftlichen Ressourcen oder anderen Vermögenswerten von Art. I ENMOD erfasst.396 Obwohl die Anforderungen noch deutlich niedriger sind, als es im Rahmen der CDDH für die Art. 35 (3) und 55 ZP I festgelegt worden war,397 wurde das Erfordernis ihrer Erfüllung von beteiligten Staaten teilweise stark kritisiert.398 Ein weitreichenderes Verbot auch ohne qualifizierende Merkmale schei395 Vgl. zusammenfassend für die CDDH: de Preux, Commentary on Article 35 AP I, in: Sandoz/Swinarski/Zimmermann (Hrsg.), Commentary on the Additional Protocols of 8 June 1977 to the Geneva Conventions of 12 August 1949, Rn. 1459 mit Verweis auf die Erklärungen in der CDDH; siehe ausdrücklich das Understanding zu Art. I ENMOD (Teil 2, Fn. 389). Die beinahe gleichzeitige Verabschiedung des Art. 55 ZP I und der ENMOD-Konvention veranlasste mehrere Staaten zu Erklärungen hinsichtlich der unterschiedlichen Auslegung der Begriffe in ZP I und ENMOD-Konvention (siehe z. B. die Erklärungen von Italien, Mexiko und Peru, CDDH/SR.42, in: CDDH, Official Records of the Diplomatic Conference on the Reaffirmation and Development of International Humanitarian Law Applicable in Armed Conflicts, Genf, 1974–1977, Band VI, S. 208 f. Zu Art. 35 (3) und 55 ZP I und ihrer Geltung im nichtinternationalen bewaffneten Konflikt, siehe 2. Teil, § 3, A. Zu den Unterschieden zwischen diesen Normen und der ENMOD-Konvention vgl. Bothe et al., New Rules for Victims of Armed Conflicts, Commentary on the two 1977 Protocols Additional to the Geneva Conventions of 1949, Article 55, Rn. 2.6.2.; Sandoz/Swinarski/Zimmermann (Hrsg.), Commentary on the Additional Protocols of 8 June 1977 to the Geneva Conventions of 12 August 1949, Article 55, Rn. 2136. Zudem: Roberts, The law of war and environmental damage, in: Austin/Bruch (Hrsg.), The environmental consequences of war, S. 62 f.; Schmitt, War and the environment: fault lines in the prescriptive landscape, in: Austin/Bruch (Hrsg.), The environmental consequences of war, S. 92 f. 396 Understanding zu Art. I ENMOD, siehe Teil 2, Fn. 389. 397 Der Anwendungsbereich dieser Artikel sollte laut den Delegierten in der CDDH erst ab einer zu erwartenden Schadensdauer von mehreren Jahrzehnten eröffnet sein. Es besteht Einigkeit, dass die Begriffe im Rahmen des ZP I enger auszulegen sind als in der ENMOD-Konvention (vgl. nur z. B. auch Schmitt, a. a. O., S. 115). „long-lasting“ im Sinne der ENMOD-Konvention ist ein Schaden, der mehrere Monate, ungefähr eine Jahreszeit, andauert (vgl. Understanding zu Art. I, Teil 2, Fn. 389). 398 U. a. die Niederlande, Argentinien und Pakistan hielten ein absolutes Verbot für anstrebenswerter. Deutliche Kritik wurde durch den Vertreter Mexikos geäußert, der in der Aufnahme der Qualifikationsmerkmale die Erlaubnis zur Durchführung umweltmo-
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terte jedoch am Willen der beiden Supermächte USA und Sowjetunion, die den Inhalt der Konvention maßgeblich zu bestimmen vermochten.399 c) Anwendbarkeit in nichtinternationalen bewaffneten Konflikten Für den Schutz der Umwelt in nichtinternationalen bewaffneten Konflikten ist die Regelungswirkung der ENMOD-Konvention jedoch nur dann relevant, wenn das Vertragswerk in dieser Art bewaffneter Konflikte überhaupt anwendbar ist. Ob und in welchem Umfang die Konvention in diesen Szenarien Geltung besitzt, ist in erstaunlichem Maße ungeklärt. Zwar entstand die ENMOD-Konvention, ebenso wie fast alle Instrumente humanitären Völkerrechts, mit Blick auf internationale bewaffnete Konflikte, anders als beispielsweise die Genfer Zusatzprotokolle enthält sie aber keine ausdrücklichen Ausführungen zu ihrem Anwendungsbereich. Selbst den Begriff des bewaffneten Konflikts sucht man vergebens. Art. I (1) beschreibt lediglich das zuvor dargelegte Verbot feindlicher Nutzung von Umweltmodifikationen, Art. I (2) das Verbot, andere Staaten zu solchen Handlungen zu ermutigen oder sie darin zu unterstützen. Tatsächlich befasste sich die zur Ausarbeitung der Konvention berufene CCD mit keinem Wort mit nichtinternationalen Konflikten. Ihr Augenmerk galt eindeutig der im Kalten Krieg ständig drohenden Konfrontation der beiden Supermächte. Selbst nach Ende des Ost-West-Konflikts schenkten die Konventionsstaaten den Anwendbarkeitsgrenzen des Abkommens keinerlei Beachtung. Auch in der wissenschaftlichen Literatur findet sich, trotz wiederholten Vorbringens der einen oder anderen Ansicht zur Anwendbarkeit in nichtinternationalen Konflikten400, keine überzeugende Auseinandersetzung mit den Gründen für und wider. difizierender Kriegstaktiken unterhalb dieser Schwelle sah. Eine einfache Umformulierung unterstrich sein Vorbringen: „Each State Party to this Convention shall be entitled to use environmental modification techniques [. . .], provided that such techniques do not have widespread, long-lasting or severe effect.“ (CCD, Report of the Conference of Committee on Disarmament to the General Assembly, 17. Februar–3. September 1976) Band I, A/31/27, S. 66–68, Rn. 301–309). Kritisch auch Goldblat, The Environmental Warfare Convention: How Meaningful Is It? Ambio 6 (1977), S. 219; a. A. Vöneky, Die Fortgeltung des Umweltvölkerrechts in internationalen bewaffneten Konflikten, S. 54 die nur eine nicht relevante Schmälerung des Anwendungsbereichs erkennt und davon ausgeht, dass nur marginale Schäden nicht umfasst sind. 399 Deutlich CCD, Report of the Conference of Committee on Disarmament to the General Assembly, 17. Februar–3. September 1976) Band I, A/31/27, S. 66, Rn. 299 f. 400 U. a. Fischer, La Convention sur l’interdiction d’utiliser des techniques de modification de l’environnement à des fins hostiles, Annuaire français de droit international Année 23 (1977), S. 830; Spieker, The conduct of hostilities and the protection of the environment, in: Fischer-Lescano/Bothe (Hrsg.), Frieden in Freiheit, S. 753; Dinstein, The conduct of hostilities under the law of international armed conflict, S. 189; Lechtimiakytë, Preservation of Environment in times of Non-International Armed Conflict. Legal Framework, its Sufficiency and Suggestions, S. 573; Boothby, Differences in the
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Nun könnte mangels Verweises auf die Existenz eines bewaffneten Konflikts als Voraussetzung der Anwendbarkeit des Art. I (1) ENMOD angenommen werden, dass das Verbot sowohl in Friedens- wie auch in Kriegszeiten Geltung beansprucht. In diesem Fall müsste zwischen nichtinternationalen und internationalen Konflikten nicht differenziert werden. Für diese Ansicht spricht, dass Art. I ENMOD sowohl militärische, als auch alle anderen feindlichen Nutzungen umweltmodifizierender Techniken untersagt.401 Die Formulierung diente allerdings allein der Klarstellung, dass das Verbot auch dann greifen soll, wenn der Krieg nicht offen ausgetragen wird oder keine anderen Waffen als die Umweltmodifikation zur Anwendung kommen.402 Eine in Feindschaft ausgeführte Handlung, die auf dem Gebiet eines anderen Staates gravierende Schäden verursacht, würde als sogenannter erster Schuss sowieso den Beginn eines internationalen bewaffneten Konflikts auslösen. Das Bestehen eines bewaffneten Konflikts als Voraussetzung der Anwendbarkeit muss für zwischenstaatliche Konflikte also gar nicht erwähnt werden. Für nichtinternationale Konflikte greift dieses Argument nicht. Nachdem die Konventionsstaaten diesen Konflikt bei der Aufstellung des Verbots aber nicht bedacht hatten, kann aus dem Fehlen des Begriffs bewaffneter Konflikte im Wortlaut keine neue Erkenntnis über die Anwendungsreichweite gefolgert werden. Die Entscheidung über die Anwendbarkeit ist also an anderer Stelle zu suchen. Nach Art. I (1) verpflichten sich die Mitgliedstaaten zur Unterlassung feindlicher Nutzung umweltverändernder Techniken, deren schwere, weitreichende oder langanhaltende Auswirkungen „destruction, damage or injury to any other State Party“ darstellen würden. Einige Stimmen bejahen auf Grundlage dieses Wortlauts zumindest eine partielle Anwendbarkeit des Verbots in nichtinternationalen bewaffneten Konflikten.403 Sie wäre dann ausgelöst, wenn die durch einen Staat Law of Weaponry When Applied to Non-international Armed Conflicts, in: Watkin/ Norris (Hrsg.), Non-international armed conflict in the twenty-first century, S. 94; Sivakumaran, The Law of Non-International Armed Conflict, S. 527. 401 Meron, Comment: Protection of the Environment During Non-international Armed Conflicts, in: Grunawalt/King/McClain (Hrsg.), Protection of the Environment during Armed Conflict and other Military Operations, S. 354, der allerdings auf die Frage der Anwendbarkeit der ENMOD-Konvention spezifisch in nichtinternationalen Konflikten nicht eingeht. 402 Vgl. Final Document of the Second Review Conference of the Parties to the Convention on the Prohibition of Military or Any Other Hostile Use of Environmental Modification Techniques, 22. September 1992, ENMOD/CONF.II/12, S. 69, Rn. 310. 403 Fischer, La Convention sur l’interdiction d’utiliser des techniques de modification de l’environnement à des fins hostiles, Annuaire français de droit international Année 23 (1977), S. 830; Spieker, The conduct of hostilities and the protection of the environment, in: Fischer-Lescano/Bothe (Hrsg.), Frieden in Freiheit, S. 753; Dinstein, The conduct of hostilities under the law of international armed conflict, S. 189; Lechtimiakytë, Preservation of Environment in times of Non-International Armed Conflict. Legal Framework, its Sufficiency and Suggestions, S. 573 der ohne weitere Argumente annimmt, die Konvention sei vermutlich anwendbar. Ablehnend aber zum Beispiel Boothby, Differences in the Law of Weaponry When Applied to Non-international
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genutzten umweltverändernden Techniken, die dieser gegen den innerstaatlichen Konfliktpartner richtet, grenzüberschreitende Wirkungen in anderen Mitgliedstaaten der Konvention haben könnten.404 Diese Ansicht fußt auf einer schlichten Interpretation des Wortlauts: Eine militärische oder feindliche Nutzung umweltmodifizierender Maßnahmen durch einen Konventionsstaat, die über die eigene Territorialgrenze hinweg qualifizierte schädliche Auswirkungen in einem anderen Mitgliedstaat entfaltet, erfüllt alle offensichtlichen Anforderungen des Art. I (1) ENMOD. Eine Verknüpfung der militärischen Maßnahme mit dem geschädigten Mitgliedstaat findet nach dieser Auslegung nicht statt. Der Wortlaut setzt schließlich nicht voraus, dass sich die feindliche Nutzung gegen einen Mitgliedstaat richtet. Aufgrund der natürlichen Wechselwirkungen aller Umweltbestandteile, die weder staatliche Grenzen noch Konfliktarten kennen oder respektieren, scheint die Auslösung der Anwendbarkeit der Konvention in nichtinternationalen bewaffneten Konflikten nach dieser Argumentation zumindest nicht von vorneherein ausgeschlossen. Die Wirkung des Verbots wäre allerdings zwingend auf die staatliche Konfliktpartei beschränkt. Nichtstaatliche Akteure können durch den Wortlaut der ENMOD-Konvention nicht verpflichtet werden. Zwingend ist diese Wortlautinterpretation des Art. I (1) ENMOD allerdings nicht. Ebenso vom Wortlaut gedeckt ist eine gegenlaufende Auslegungsvariante, nach der die feindliche Handlung auf die Schädigung des anderen Mitgliedstaates gerichtet sein muss. Damit wäre die unbeabsichtigte Schädigung eines an einem zwischenstaatlichen Konflikt unbeteiligten Mitgliedstaats405 ebenso wenig erfasst, wie die kollaterale Schädigung eines Mitgliedsstaats durch konfliktbedingte Handlungen eines anderen, in einen nichtinternationalen bewaffneten Konflikt verwickelten Mitgliedstaats. Der Wortlaut des Art. I (1) lässt beide Auslegungen gleichermaßen zu. Die Auslegung am Wortlaut des Verbots führt also allein nicht weiter. Bewusst war in Art. I (1) jedoch der inter se-Charakter der Konvention verankert worden: Nur diejenigen Staaten, die sich den Verpflichtungen des Vertrags unterworfen hatten, sollten auch dessen Schutz genießen.406 So sollte vermieden Armed Conflicts, in: Watkin/Norris (Hrsg.), Non-international armed conflict in the twenty-first century, S. 94; Sivakumaran, The Law of Non-International Armed Conflict, S. 527. 404 Ibid. 405 Die Anwendbarkeit auf diesen Fall allerdings bejahend: Dinstein, Protection of the Environment in International Armed Conflict, Max Planck Yearbook of United Nations Law Online 5 (2001), S. 529. 406 CCD, Report of the Conference of Committee on Disarmament to the General Assembly, 17. Februar–3. September 1976, Band I, A/31/27, S. 71; Rn. 322; Fischer, La Convention sur l’interdiction d’utiliser des techniques de modification de l’environnement à des fins hostiles, Annuaire français de droit international Année 23 (1977), S. 831. Dies beschränkt den Anwendungsbereich der Konvention momentan auf 78 Vertragsstaaten (Mitte 2020), vgl. https://www.unog.ch/enmod [abgerufen am 26.10.2020].
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werden, dass Nichtvertragsstaaten zwar gegen einen Angriff durch umweltmodifizierende Techniken geschützt wären, selbst aber uneingeschränkt derartige Techniken gegen Vertragsstaaten nutzen könnten.407 Vorhergesehen war also auch hier die Situation eines Konflikts zwischen mehreren Staaten in dem die umweltmodifizierende Technik gegen einen anderen Staat eingesetzt und diesen nicht bloß unbeabsichtigt oder zufällig treffen würde. Deutlicher noch macht dies der Vorsatzaspekt im Wortlaut des Art. I ENMOD-Konvention: Umfasst ist allein die feindliche Nutzung der umweltmodifizierenden Technik. Jeder Mitgliedstaat verpflichtet sich, militärische sowie jegliche andere feindliche Nutzung umweltverändernder Techniken zu unterlassen, die qualifizierte Auswirkungen in einem anderen Mitgliedstaat hätten („having [. . .] effects [. . .] to any other State Party“). Zwar ist aus dieser Formulierung nicht eindeutig erkennbar, ob sich die feindliche Verwendung der Technik gegen einen Konventionsstaat richten muss, allerdings machten die USA als eine der zwei federführenden Vertragsmächte deutlich, dass die feindliche Absicht mit der Schädigung eines anderen Mitgliedstaates verbunden sein müsse: „The convention would not apply, however, to use of environmental modification other than as a means of destruction or damage to another State party“ (Herv. d. d. Verf.).408
Die Frage, ob ein Vertragsstaat auch als unbeteiligter Drittstaat eines internationalen bewaffneten Konflikts vor zufälligen Schäden durch gegen einen anderen Staat gerichtete Techniken geschützt wäre, wurde von den Verhandlungsteilnehmern nicht explizit aufgeworfen. Dies war allerdings auch nicht nötig – Drittstaaten waren schließlich schon durch die allgemeinen Regeln des Völkerrechts sowie das Neutralitätsrecht vor Auswirkungen bewaffneter Konflikte geschützt. Selbst wenn die Anwendbarkeit der Konvention zum Schutz neutraler Drittstaaten in internationalen bewaffneten Konflikten anzunehmen wäre, würde dies noch nicht unbedingt das Gleiche für die Situation nichtinternationaler bewaffneter Konflikte bedeuten. Wie soeben festgestellt, kann Art. I (1) nur in einer einzigen Konstellation nichtinternationaler Konflikte überhaupt greifen, nämlich bei der Schädigung eines Vertragsstaats durch die feindliche Handlung eines anderen Mitgliedstaates gegen eine nichtstaatliche Konfliktpartei. Ausschlaggebend ist also allein, ob die Regelung dieses Szenario mit der Intention der Parteien sowie dem Sinn und Zweck des Verbots in Einklang steht. Ursprünglicher Zweck der ENMOD-Konvention war es, den potenziellen Gefahren hoch technisierter internationaler Kriege zu entgegnen. Die federführende
407 So die Delegierten der UdSSR, deren Ansicht mehrere Staaten teilten. Siehe CCD, Report of the Conference of Committee on Disarmament to the General Assembly, 17. Februar–3. September 1976) Band I, A/31/27, S. 71, Rn. 322. 408 CCD, a. a. O., S. 72, Rn. 326.
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Stellung der USA und der Sowjetunion lassen keinen Zweifel daran, dass dieses Vertragswerk allein unter der Sorge des drohenden Übergangs des Kalten Krieges in einen neuen Weltkrieg verfasst worden war. Während der ursprüngliche Konventionsentwurf der UdSSR ein umfassendes Verbot der Entwicklung und Ausarbeitung umweltverändernder Methoden aufstellte409, ist der Wortlaut der endgültigen Konvention mehrfach auf ein spezifisches Kriegsszenario begrenzt. Die Frage der Anwendbarkeit in nichtinternationalen Konflikten war während der Verhandlungen schlichtweg nicht von Belang. Der Schutz vor umweltmodifizierenden Techniken in nichtinternationalen Konflikten wurde zu späterer Zeit, im Rahmen der Vorbereitung der zweiten Revisionskonferenz von 1992, zumindest von einigen Staaten doch noch angedacht. Ein Vorschlag zur Beachtung der in der Konvention niedergelegten Verbote auch gegenüber nichtstaatlichen Akteuren, die ihrerseits von diesen Techniken absahen, konnte sich in der Konferenz nicht durchsetzen.410 Die schwierigen Verhandlungen erzielten am Ende nur einen Minimalkonsens, der kaum ausreichte, um ein inhaltlich relevantes Abschlussdokument zu verfassen.411 Trotz des erkannten Klärungsbedarfs der Reichweite und Auslegung der Konvention412 wurde seit 1992 keine weitere Revisionskonferenz abgehalten. Somit ergab sich weiterhin keine Gelegenheit, die Frage der Anwendbarkeit zu klären. Ob die Konvention eine Schädigungsintention gegenüber dem potenziell getroffenen Mitgliedstaat voraussetzt, oder als inter se-Abkommen alle Vertragsstaaten vor allen schädlichen Folgen umweltverändernder Handlungen schützen sollte und daher auch in nichtinternationalen Konflikten Relevanz besitzt, lässt sich letztlich weder aus dem Wortlaut des Art. I (1) noch aus dessen Systematik oder Entstehungsgeschichte ermitteln. In der wissenschaftlichen Literatur ist die 409
Der relevante Passus des Art. I des UdSSR-Entwurfs lautete: „Jeder Teilnehmer des Übereinkommens verpflichtet sich [. . .] niemals und unter keinen Umständen zu derartigen Methoden der Einwirkung auf die Umwelt und das Klima zu greifen und keine Vorbereitungen zu deren Anwendung zu treffen.“ (Deutsche Übersetzung des russischen Originals in: Delbrück, Friedensdokumente aus fünf Jahrhunderten, Band 2, S. 902). In dieser Fassung wäre die Konvention unproblematisch auch auf die Handlungen der staatlichen Partei nichtinternationaler bewaffneter Konflikte anwendbar gewesen. 410 Siehe Annex IV des Final Document of the Second Review Conference of the Parties to the Convention on the Prohibition of Military or Any Other Hostile Use of Environmental Modification Techniques, 22. September 1992, ENMOD/CONF.II/12, S. 76: Proposals and Ideas presented at the Conference which did not enjoy Consensus for Inclusion in the Final Declaration. 411 Siehe u. a. die Ausführungen der kanadischen Delegierten in ENMOD/CONF.II/ SR.16, a. a. O., S. 35, Rn. 8–15. Auch der Vertreter Österreichs machte seine Enttäuschung über die geringen Kompromisse deutlich (Rn. 16). 412 Mehrere Staaten forderten schon vor Abschluss der zweiten Revisionskonferenz die Befassung eines beratenden Sachverständigenausschusses nach Art. V ENMODKonvention. Vgl. ENMOD/CONF.II/SR.6, a. a. O., S. 37, Rn. 14 (Kanada), Rn. 16 (Österreich), Rn. 25 (Schweden).
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Frage umstritten und wird meist mit nur wenig Argumentationsaufwand für die eine oder andere Seite entschieden.413 Sinn und Zweck der Konvention sprechen jedoch für die Anwendbarkeit in jeder Art bewaffneter Konflikte, schließlich soll die Konvention in ihrem engen Regelungsbereich die Gefahr des Einsatzes enorm gefährlicher umweltverändernder Methoden bannen. Angesichts der in den Understandings der Konvention aufgeführten Beispiele umweltverändernder Taktiken, deren Einsatz wenigstens theoretisch ganze Bevölkerungen bedrohen kann, muss doch der Fokus auf der Verhinderung solcher Szenarien gelegt werden. Die Motivation der Staaten für die Herbeiführung der Schäden darf nach Sinn und Zweck des Verbots nicht über dessen Anwendung entscheiden. Burger liegt richtig wenn er vorbringt, die ENMOD-Konvention stelle ein generelles Prinzip auf, dass unter allen Umständen, im Krieg ebenso wie im Frieden zu beachten sei.414 Angesichts des offenen Wortlauts des Art. I wäre es irrational zu behaupten, allein der Schutz eines Vertragsstaates vor einer gegen ihn gerichteten feindlichen Handlung läge im Sinn und Zweck der Konvention. Die Vorschrift ohne Notwendigkeit auf die Verhinderung der Umsetzung einer feindlichen Absicht zu reduzieren, darf nicht die Lösung der vorliegenden Interpretationsschwierigkeiten sein. Richtigerweise verbietet Art. I (1) ENMOD-Konvention also die feindliche Nutzung umweltverändernder Techniken unabhängig davon, gegen wen sie gerichtet sind, insofern schwerwiegende, langanhaltende oder weitreichende Schäden in einem anderen Mitgliedstaat verursacht werden könnten.415 Somit ist das Verbot, wenn auch in beschränktem Umfang, ebenfalls in nichtinternationalen 413 Vgl. die Nachweise in Teil 2, Fn. 403. Ohne weitere Diskussion ablehnend auch: Dam-de Jong, International law and governance of natural resources in conflict and post-conflict situations, S. 245; Domínguez Matés, New Weaponry Technologies, Environment and Hostile Purposes: The Revival of the Convention on Environmental Modification Techniques of 1976 up to day, Humanitäres Völkerrecht – Informationsschriften 19 (2006), S. 96; Witteler, Die Regelungen der neuen Verträge des humanitären Völkerrechts und des Rechts der Rüstungsbegrenzung mit direktem Umweltbezug, S. 271 f. der zumindest ein Argument (nämlich die nötige Schädigungsintention) gegen die Anwendbarkeit vorbringt; ablehnend wohl auch Sjöstedt, The Role of Multilateral Environmental Agreements in Armed Conflict: ,Green-keeping‘ in Virunga Park. Applying the UNESCO World Heritage Convention in the Armed Conflict of the Democratic Republic of Congo, Nordic Journal of International Law 82 (2013), S. 184; die Anwendbarkeit befürwortend aber Burger, Environmental aspects of non-international conflicts: the experience in former Yugoslavia, in: Grunawalt/King/McClain (Hrsg.), Protection of the Environment during Armed Conflict and other Military Operations, S. 339. 414 Burger, a. a. O., S. 339. 415 A. A. Domínguez Matés, New Weaponry Technologies, Environment and Hostile Purposes: The Revival of the Convention on Environmental Modification Techniques of 1976 up to day, Humanitäres Völkerrecht – Informationsschriften 19 (2006), S. 98; Witteler, Die Regelungen der neuen Verträge des humanitären Völkerrechts und des Rechts der Rüstungsbegrenzung mit direktem Umweltbezug, S. 272.
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Konflikten anwendbar.416 Geregelt ist allerdings nur der staatliche Einsatz umweltverändernder Techniken gegen nichtstaatliche Akteure. Diese sind selbst nicht verpflichtet. d) Gewohnheitsrechtliche Geltung eines Umweltmodifikationsverbots Nichtstaatliche Konfliktparteien ließen sich allerdings durch ein gewohnheitsrechtliches Verbot des Einsatzes umweltmodifizierender Techniken verpflichten. Ein derartiges Verbot könnte auch die begrenzte Wirksamkeit der ENMOD-Konvention in nichtinternationalen Konflikten überwinden und jeglichen Einsatz solcher Techniken untersagen, unabhängig davon, ob sie in einem anderen Konventionsstaat Schäden bewirken können. Ob ein Verbot umweltmodifizierender Techniken nach Vorbild des Art. I (1) ENMOD mittlerweile aber Bestandteil des Gewohnheitsrechts wurde, ist fraglich. Zum Zeitpunkt ihrer Entstehung stellte die ENMOD-Konvention unzweifelhaft keine Abbildung bestehenden Gewohnheitsrechts dar.417 Die Thematik umweltmodifizierender Techniken kam selbst erst in den 1970ern auf.418 Sollte ein gewohnheitsrechtlich geltendes Verbot des Einsatzes umweltmodifizierender Techniken als Mittel der Kriegsführung in nichtinternationalen bewaffneten Konflikten existieren, müsste es daher nachträglich auf Grundlage der ENMOD-Konvention entstanden sein. Mehrere Argumente sprechen gegen die Existenz eines derartigen Verbots im Gewohnheitsrecht. Auch wenn umweltmodifizierende Techniken als Mittel der Konfliktführung in den letzten Jahrzehnten seit Entstehung der ENMOD-Konvention nicht nachweislich in nichtinternationalen Konflikten eingesetzt wurden, kann daraus kaum eine entsprechende, von opinio iuris getragene Staatenpraxis abgeleitet werden. Nur eine geringe Anzahl von Staaten dürfte weltweit technisch in der Lage sein, derartige Methoden mit langanhaltenden, weitreichenden oder schweren Folgen zu entwickeln oder gar zu einzusetzen. Zudem ist der militärische Nutzen einiger in den Understandings aufgezählter Techniken eher zweifelhaft.419 Der Nichteinsatz umweltmodifizierender Techniken in nichtinternatio-
416 Mit Verweis lediglich auch den offenen Wortlaut so zuletzt auch ILC Special Rapporteur Lehto, in: ILC, Second Report on Protection of the Environment in Relation to Armed Conflicts by Marja Lehto, Special Rapporteur, 27. März 2019, A/CN.4/728, Rn. 165 f. 417 Dinstein, Protection of the Environment in International Armed Conflict, Max Planck Yearbook of United Nations Law Online 5 (2001), S. 530; sowie ausführlich Koppe, The Use of Nuclear Weapons and the Protection of the Environment during International Armed Conflict, S. 214 f.; ebenso detailliert Spieker, Völkergewohnheitsrechtlicher Schutz der natürlichen Umwelt im internationalen bewaffneten Konflikt, S. 371. 418 Goldblat, Arms control, S. 158. 419 So auch Koppe, The Use of Nuclear Weapons and the Protection of the Environment during International Armed Conflict, S. 216.
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nalen Konflikten kann auf mehrere Gründe zurückgeführt werden. Das Bestehen entsprechender opinio iuris ist dadurch nicht bewiesen. Auch das IKRK scheint bislang nicht von der gewohnheitsrechtlichen Geltung der Konvention in einer der beiden Konfliktformen auszugehen. Aufgenommen hatte es die Regelungen der ENMOD-Konvention zwar schon in ihre Guidelines for Military Manuals and Instructions on the Protection of the Environment in Times of Armed Conflict von 1993,420 mit dieser Nennung ist allerdings noch keine Behauptung eines gewohnheitsrechtlichen Status verbunden. Vielmehr muss davon ausgegangen werden, dass das IKRK mit dem Handbuch den Versuch unternahm, den bereits vorhandenen Vertragsnormen verstärktes Gewicht zu geben und die Handlungspraxis der Staaten zukünftig zu beeinflussen.421 Dass dies zumindest durch die Richtlinien nicht gelingen sollte, machte die Generalversammlung in Resolution 49/50 trotz einer diplomatischen Wortwahl unmissverständlich deutlich.422 In der Reaktion der Generalversammlung deutete nichts auf eine geänderte Rechtsüberzeugung hinsichtlich des Umweltmodifikationsverbots hin. Konsequent nahm das IKRK auch zehn Jahre später kein Verbot feindlicher Nutzung umweltmodifizierender Maßnahmen in seine Gewohnheitsrechtsstudie auf. In der Kommentierung des zweiten Satzes der Regel 45 („Destruction of the natural environment may not be used as a weapon.“) bezeichnen die Auto420 IKRK, Protection of the environment in time of armed conflict, submitted by the ICRC to the 48th session of the United Nations General Assembly, reprinted as Annex to the Report of the Secretary-General on the protection of the environment in times of armed conflict, 29. Juli 1993, A/48/269, S. 24 ff.; außerdem in Gasser, Follow-up to the International Conference for the Protection of War Victims (1993) – Guidelines for Military Manuals and Instructions on the Protection of the Environment in Times of Armed Conflict, International Review of the Red Cross 36 (1996), S. 232 ff. Das IKRK Manual wurde später im Rahmen eines Berichts des IKRK an den UN-Generalsekretär übergeben und in Resolution A/Res/49/50 durch die UN-Generalversammlung zur Kenntnis genommen (UNGA, Resolution 49/50 vom 9. Dezember 1994 on the United Nations Decade of International Law, para. 11). Mit dieser bloßen Kenntnisnahme blieb die Generalversammlung allerdings deutlich hinter den Hoffnungen der vorangegangenen Jahre, in denen unter dem Eindruck der Umweltschäden im zweiten Golfkrieg Forderungen nach einer Stärkung des Rechts laut geworden waren, zurück. Statt der Aufnahme der Guidelines in eine Resolution gab man sich mit der schwachen Formulierung einer Einladung, der Möglichkeit der Annahme der Regeln Beachtung zu schenken, zufrieden. Mit dieser Formulierung waren die Hoffnungen auf ein stärkeres Normwerk endgültig zunichtegemacht. Bothe et al., International law protecting the environment during armed conflict: gaps and opportunities, International Review of the Red Cross 92 (2010), S. 573: „The UN General Assembly politely buried it in 1994.“ 421 So heißt es in den Guidelines: „They have been compiled to promote an active interest in, and concern for, the protection of the environment within the armed forces of all States.“ (IKRK, Protection of the environment in time of armed conflict, submitted by the ICRC to the 48th session of the United Nations General Assembly, reprinted as Annex to the Report of the Secretary-General on the protection of the environment in times of armed conflict, 29. Juli 1993, A/48/269, S. 24 ff., Preliminary Remarks). Inwiefern die Guidelines Gewohnheitsrecht reflektieren, wird nicht erörtert. 422 Vgl. Teil 2, Fn. 420.
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ren die gewohnheitsrechtliche Geltung der Konvention als unklar.423 Auf die ENMOD-Konvention wird allein zur Unterstützung eines gänzlich anderen Verbots verwiesen, nämlich eines gewohnheitsrechtlichen Verbots, die Umwelt als Waffe zu benutzen.424 Dieses geht jedoch weit über die Untersagung umweltmodifizierender Konfliktmethoden hinaus und ist mit Art. I (1) ENMOD-Konvention kaum mehr verwandt.425 Die Nennung der Konvention im NIAC Manual426 beschränkt sich auf einen bloßen Hinweis ihrer Existenz. Auf eine Geltung als Gewohnheitsrecht wird nicht eingegangen. Auch die Expertengruppe zur Ausarbeitung des HPCR Manual war sich uneins, ob die ENMOD-Konvention mittlerweile in Gewohnheitsrecht erstarken konnte. Die Mehrheit ihrer Mitglieder lehnte dies letztlich ab.427 Die Autoren des Tallinn Manual schließlich begrenzen die Pflicht von Cyberattacken zur feindseligen Umweltmodifikation abzusehen klar auf die Vertragsstaaten der Konvention.428 Zuletzt gibt auch die bisherige Befassung der ILC mit Art. I ENMOD keinen Aufschluss auf dessen gewohnheitsrechtlichen Charakter. Zwar schlug Special Rapporteur Lehto in ihrem zweiten Bericht von 2019 zur Arbeit der Kommission zum Schutz der Umwelt im Verhältnis zu bewaffneten Konflikten die Aufnahme eines Draft Principle zum Verbot umweltmodifizierender Techniken vor, das auf dem Wortlaut von Art. I ENMOD beruht, nicht jedoch auf eine vertragliche Bindung als Verbotsvoraussetzung verweist.429 In ihrer Erläuterung zu dem Vorschlag erörterte Lehto allerdings, dass unklar sei, ob Art. I ENMOD gewohnheitsrechtliche Geltung zukomme.430 Ebenfalls ließ sie offen, 423 Henckaerts/Doswald-Beck/Alvermann, Customary International Humanitarian Law, ICRC Study, Band I: Rules, S. 155, Regel 45. 424 Vgl. Henckaerts/Doswald-Beck/Alvermann, a. a. O. 425 Zu Recht wurde die Anführung der ENMOD-Konvention zur Unterstützung dieser vermeintlichen gewohnheitsrechtlichen Regel in der Literatur kritisiert (so u. a. Hulme, Natural Environment, in: Wilmshurst/Breau (Hrsg.), Perspectives on the ICRC study on customary international humanitarian law, S. 235), zumal die IKRK-Studie wiederholt die gewohnheitsrechtliche Geltung der ENMOD-Konvention offen lässt (Henckaerts/Doswald-Beck/Alvermann, Customary International Humanitarian Law, ICRC Study, Band I: Rules, Kommentierung zu Regel 45, S. 151). 426 Schmitt/Garraway/Dinstein (Hrsg.), The Manual on the Law of Non-International Armed Conflict: with Commentary, S. 59. 427 HPCR, Manual on International Law applicable to Air and Missile Warfare, Section M, Rn. 5. 428 Schmitt, Tallinn Manual on the International Law applicable to Cyber Warfare, Regel 48, Rn. 10 und Fn. 367. 429 ILC, Second Report on Protection of the Environment in Relation to Armed Conflicts by Marja Lehto, Special Rapporteur, 27. März 2019, A/CN.4/728, Rn. 184, Draft Principle 13 bis: „Environmental modification techniques Military or any other hostile use of environmental modification techniques having widespread, long-lasting or severe effects as the means of destruction, damage or injury to another State is prohibited.“ 430 Ibid., Rn. 168 ff.
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ob und in welchem Umfang ein solches Verbot auch in nichtinternationalen Konflikten bereits anwendbar sei.431 In der durch das Redaktionskomitee modifizierten und durch die ILC im Sommer 2019 in der ersten Lesung angenommenen Fassung des Draft Principle (derzeit Draft Principle 19) findet sich nunmehr nur noch ein eingeschränktes Verbot, das ausdrücklich an bestehende internationale Verpflichtungen anknüpft: „In accordance with their international obligations, States shall not engage in military or any other hostile use of environmental modification techniques having widespread, long-lasting or severe effects as the means of destruction, damage or injury to any other State.“ 432
Dieser Wortlaut kann, auch angesichts des zuvor weitergehenden Vorschlags von Special Rapporteur Lehto433, nicht herangezogen werden, um die Existenz eines gewohnheitsrechtlichen Verbots zu untermauern. Auch die Kommentierung von ILC Draft Principle 19 gibt keinen weiteren Aufschluss, sondern verweist lediglich darauf, dass sich die in dem Prinzip genannte internationale Verpflichtung sowohl aus der ENMOD-Konvention, wie aus einer denkbaren Norm des Gewohnheitsrechts ergeben könne. Ob eine solche Gewohnheitsrechtsnorm derzeit aber existiert, lässt die ILC bislang offen.434 Mangels entsprechender Nachweise kann daher jedenfalls derzeit nicht davon ausgegangen werden, dass das Verbot des Art. I ENMOD Gewohnheitsrecht darstellt. Ein über die Regelungswirkung des Art. I hinausgehendes gewohnheitsrechtliches Umweltmodifikationsverbot mit Geltung in allen nichtinternationalen Konflikten besteht somit keinesfalls. e) Bewertung Die ENMOD-Konvention wurde bei ihrer Entstehung in den 1970er Jahren wesentlich durch die allgegenwärtige Angst vor dem Ausbruch eines weiteren globalen Krieges geprägt. Der Fokus der internationalen Politik war weitestgehend auf den Ost-West-Konflikt und damit auf die Großmächte USA und UdSSR reduziert. Die durch ihr Wettrüsten ausgelöste internationale Gefährdungslage sicherte den beiden Supermächten eine federführende Stellung bei der Ausgestaltung der Konvention. Gleichzeitig begrenzte die allgegenwärtige globale Bedrohung den Fokus erfolgreicher Verhandlungen auf Worst-Case-Szenarien, denen 431
Ibid., Rn. 165 ff. ILC, Protection of the Environment in Relation to Armed Conflicts text and titles of the Draft Principles provisionally adopted by the Drafting Committee on first reading, 6. Juni 2019, 71st Session, A/CN.4/L.937, Draft Principle 19. Ebenfalls in ILC, Report of the International Law Commission on the Work of its 71st Session 2019, UN GAOR 74th Session, Supp. No. 10, A/74/10, S. 264 ff. mit der dazugehörigen Kommentierung. 433 Siehe Teil 2, Fn. 429. 434 Siehe die Kommentierung zu Draft Principle 19 in: ILC, Report of the International Law Commission on the Work of its 71st Session 2019, UN GAOR 74th Session, Supp. No. 10, A/74/10, S. 264 f. 432
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durchaus der Vorwurf unrealistischer Zukunftsfantasien entgegengehalten werden kann. Diese politische Lage gehört heute der Vergangenheit an; ebenso die Befürchtung, Staaten könnten in absehbarer Zeit Kriege durch den Einsatz von Tsunami, Erdbeben oder Vulkanausbrüchen vorantreiben. Soll die Konvention zukünftig noch von Belang sein, so muss ihr Regelungsbereich anhand der heute tatsächlich drohenden Gefährdungen verstanden werden. Dies wäre nur zu erreichen, wenn auch konventionelle Attacken mit schwerwiegenden Folgen für die Umwelt unter den Begriff umweltverändernder Techniken im Sinne der Konvention fielen. Die Einordnung des Einsatzes von Herbiziden als potenzielle Verletzung der Pflicht aus Art. I ENMOD-Konvention, wie sie durch die Teilnehmer der letzten Revisionskonferenz zugelassen wurde435, könnte in dieser Hinsicht als Vorbild dienen. Könnte sich zukünftig der Maßstab der Verursachung einer schweren Störung der ökologischen Balance einer Region durchsetzen, käme der ENMODKonvention tatsächliche Relevanz für den Schutz der Umwelt im Krieg zu. Die Abhaltung einer weiteren Revisionskonferenz wäre der passende Rahmen für die Aussprache über einen derartigen zukünftigen Anwendungsbereich. In ihrem Kontext könnte auch die bislang nur mit Schwierigkeiten eindeutig zu beantwortende Frage der Anwendbarkeit auf nichtinternationale Konflikte abschließend geklärt werden. Die Möglichkeit der Einberufung von Revisionskonferenzen nach Art. VIII ENMOD-Konvention erlaubt es den Mitgliedstaaten schließlich, den Vertrag im Licht heutiger Gegebenheiten verbindlich auszulegen. Seit der wenig erfolgreichen letzten Revisionskonferenz 1992 ist jedoch keine weitere Versammlung der Mitgliedstaaten zusammengekommen. Auf die letzte Aufforderung des UN-Generalsekretärs im Jahr 2013, gemäß Art. VIII (1) ENMOD-Konvention eine weitere Konferenz zu initiieren, antworteten nicht einmal zehn Staaten. Das notwendige Quorum des Art. VIII (3) zur Einberufung der Konferenz war damit nicht erreicht.436 Solange sich diese Situation fehlenden Interesses nicht grundlegend ändert, ist das Vertragswerk in keiner Konfliktart praktisch relevant. In ihrer derzeitigen Auslegung ist die Konvention kaum mehr als ein kurioses Überbleibsel vergangener weltpolitischer Konstellationen. Die prominenteste Einschränkung der Mittel und Methoden der Kriegsführung mit Bezug zur natürlichen Umwelt ist zu ihrem Schutz derzeit also weitestgehend nutzlos. Praxisrelevante Handlungsschranken müssen, insofern eine erweiterte Auslegung der Konvention in näherer Zukunft nicht zu erwarten ist, also an anderer Stelle gesucht werden. 435
Siehe soeben § 2, C., II., 1., b), aa). Siehe UN Secretary General, Communication vom 20. März 2013 to the States parties of ENMOD, ODA/32-2013/ENMOD und UN Secretary General, Communication to the States parties of ENMOD, 27. Januar 2014, ODA/63-2013/ENMOD; abrufbar unter: www.unog.ch/enmod [abgerufen am 26.10.2020]. 436
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Hoffnung gibt allerdings erneut die Arbeit der International Law Commission an den in Entstehung befindlichen Draft Principles zum Schutz der Umwelt im Verhältnis zu bewaffneten Konflikten. Nachdem Special Rapporteur Lehto in ihrem jüngsten Bericht die Aufnahme eines Draft Principle zum Verbot der Manipulation der Umwelt nach dem Wortlaut des Art. I (1) ENMOD vorschlug437 und ein entsprechendes Prinzip nunmehr als Draft Principle 19 von der ILC angenommen wurde438, besteht für die Staatengemeinschaft erneut die Gelegenheit und Notwendigkeit, sich mit der Reichweite der ENMOD-Konvention auseinanderzusetzen und bislang ungeklärte Fragen in einem breiten Diskurs zu klären; zumal die ILC die gewohnheitsrechtliche Geltung des Verbots sowie seine Anwendbarkeit in nichtinternationalen bewaffneten Konflikten bislang ausdrücklich offen ließ.439 Noch vor kurzer Zeit schien die Chance einer Neuausrichtung des Verbots umweltmodifizierter Schädigungshandlungen mit Blick auf heutige Konflikte allerdings nochmals bedeutender, denn das von Lehto im Frühjahr 2019 vorgeschlagene Draft Principle sprach ursprünglich nicht nur (ENMOD-Vertrags-)Staaten an, sondern hätte gleichsam auch nichtstaatliche Konfliktakteure in die Pflicht genommen. Das von ihr formulierte Draft Principle 13 bis (jetzt Draft Principle 19) untersagte allgemein „[m]litary or any other hostile use of environmental modification techniques having widespread, long-lasting or severe effects as the means of destruction, damage or injury to another State [. . .]“.440 Diese Chance scheint bereits vergangen zu sein. Die durch das Redaktionskomitee der ILC überarbeitete Fassung von Draft Principle 19 verweist ausschließlich auf internationale Verpflichtungen der Staaten, derartige Techniken nicht zu nutzen.441 Auf Basis dieses Wortlauts ist eine Verpflichtung nichtstaatlicher Akteure nicht herzuleiten. Gleichwohl bietet die Existenz von Draft Principle 19 die Gelegenheit, der Staatengemeinschaft die Existenz, Reichweite und Mängel der ENMOD-Konvention in Erinnerung zu rufen. Wenngleich die ILC bislang in ihrer Kommentierung nicht auf alternative Auslegungsmöglichkeiten des Manipulationsverbots einging und insbesondere zur Frage der Anwendbarkeit bei Manipulationen von Ökosystemen durch konventionelle Kriegsführung [vgl. oben 1., b), aa)] schwieg, bietet sich angesichts der erneuten Proklamation des Verbots eine Diskursmöglichkeit, die wenigstens auf zukünftige Impulse hoffen lässt. 437
Siehe oben, Teil 2, Fn. 429. ILC, Report of the International Law Commission on the Work of its 71st Session 2019, UN GAOR 74th Session, Supp. No. 10, A/74/10, S. 264. 439 So ausdrücklich die Kommentierung zu Draft Principle 19. Ibid. 440 Siehe oben, Teil 2, Fn. 429. 441 Siehe ILC, Protection of the Environment in Relation to Armed Conflicts text and titles of the Draft Principles provisionally adopted by the Drafting Committee on first reading, 6. Juni 2019, 71st Session, A/CN.4/L.937, Draft Principle 19. 438
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2. Teil: Das geltende Recht und seine Wirkung zum Erhalt der Umwelt 2. Das Verbot der Freisetzung gefährlicher Kräfte: Art. 15 ZP II
Als die japanische Armee im zweiten Sino-Japanischen Krieg 1938 auf dem chinesischen Festland einmarschierte und eine Invasion des gesamten Staatsgebiets drohte, verursachte die chinesische Armee unter Führung von ChiangKai-shek den Bruch der Dämme des Huanghe442 nahe Zhengzhou, der Hauptstadt der Provinz Henan, um dem Vordringen der feindlichen Truppen Einhalt zu gebieten. Die ausgelöste Flut bedeckte eine Fläche von 54.000 km2 und forderte tausende Todesopfer in der Zivilbevölkerung, weit mehr noch wurden vertrieben.443 Ganze Dörfer wurden überrollt, Ernten und Viehbestände vernichtet. Die nachfolgende Lebensmittelknappheit war mitauslösend für eine schwere Hungersnot in den Jahren 1942–43, die die Zivilbevölkerung von Henan noch härter traf als die ursprüngliche Überschwemmung. Insgesamt starben Hunderttausende in den Fluten oder wurden Opfer ausbrechender Seuchen und Hungersnöte.444 Die unkontrollierten Wassermassen des Huanghe flossen noch bis nach Ende des Zweiten Weltkriegs durch die überschwemmten Regionen und führten zu einer der schwersten durch Kriegshandlungen ausgelösten Umweltkatastrophen in der Geschichte.445 Viele Schäden an der natürlichen Umwelt sind angesichts der enormen Zerstörungen kultivierter und menschlicher Umwelt kaum erfasst worden.446 Sie traten angesichts der verursachten menschlichen Leiden in den Hintergrund jeder Analyse. Die Zerstörung der Dämme des Gelben Flusses war aber kein Einzelfall in der Geschichte der Kriegsführung. Nur wenige Jahre später nutzten deutsche Truppen in den Niederlanden ein ähnliches Abwehrmittel gegen die heranrücken-
442 Auch als Gelber Fluss bezeichnet. Der Huanghe ist ein Strom im Norden Chinas und nach dem Jangtsekiang der zweitlängste Fluss des Staates. 443 Ungefähr 14.533.000 Menschen in der Provinz Henan (und damit über 40 % der damaligen Gesamtbevölkerung) lebten zwischen 1937 bis 1945 zumindest zeitweise als Binnenflüchtlinge. Für eine detaillierte Fallstudie: Muscolino, Ecology of War in China: Henan Province, the Yellow River, and Beyond, 1938–1950, S. 4 ff. 444 Bis heute ist die Anzahl der Opfer umstritten. Sie wird je nach Quelle zwischen 500.000 und 900.000 angegeben. Die angenommene Zahl derer, die durch die Flut ihre Heimat verloren, wird zwischen 500.000 und 5 Millionen geschätzt. Lary, Drowned Earth: The Strategic Breaching of the Yellow River Dyke, 1938, War in History 8 (2001), S. 205 f. erklärt diese starken Abweichungen mit der politischen Motivation vor allem der frühen Analysen durch japanische und chinesische Autoren. Diese hätten zudem nur auf vage Datensätze zugreifen können. Weder sei im Verlauf der Katastrophe eine Erhebung der Opferzahlen durchgeführt worden, noch sei diese möglich gewesen. Viele Gebiete wären vollständig verlassen worden; eine öffentliche Verwaltung habe teilweise noch Jahre später gefehlt. 445 Eine intensive Auseinandersetzung mit den Folgen der Katastrophe findet sich bei: Muscolino, Ecology of War in China: Henan Province, the Yellow River, and Beyond, 1938–1950. 446 So Lary, Drowned Earth: The Strategic Breaching of the Yellow River Dyke, 1938, War in History 8 (2001), S. 205 f.
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den Feinde, indem sie 1944 tausende Hektar Land mit Meerwasser fluteten.447 Die zur Herstellung von Wasserkraft genutzte Möhnetalsperre war nur ein Jahr zuvor durch britische Bombenangriffe stark beschädigt worden. Die verursachte Überflutung tötete 1200 Zivilisten und vernichtete die Jahresernte von ca. 3000 Hektar kultiviertem Land.448 Im Vietnamkrieg nutzten die USA die Angriffe auf Dämme ebenfalls als Kriegstaktik. Gravierende Umweltzerstörungen waren auch hier das Resultat.449 a) Art. 15 ZP II aa) Verbot der Freisetzung gefährlicher Kräfte Katastrophen wie die der Huanghe-Flut treffen Menschen und Umwelt gleichermaßen. Angesichts ihres gewaltigen Zerstörungspotenzials bemühte sich das IKRK schon bei Formulierung der später gescheiterten New Delhi Rules von 1956 um ihre Verhinderung.450 1977 wurde schließlich eine entsprechende Vorschrift Bestandteil auch des Rechts nichtinternationaler Konflikte. Nicht die Freisetzung gefährlicher Kräfte selbst, sondern schon der Angriff auf eine sie fassende Installation ist, insofern er zur Freisetzung der Kräfte führen könnte, durch Art. 15 ZP II als Methode der Kriegsführung verboten. Die Vorschrift verbietet es, Staudämme, Deiche und Kernkraftwerke zum Ziel einer Attacke zu machen, wenn dadurch gefährliche Kräfte freigesetzt und in Konsequenz schwere Verluste unter der Zivilbevölkerung verursacht werden können. Das Verbot gilt ohne Ausnahme und damit auch für den Fall militärischer Nutzung der genannten Objekte.
447 Schumann et al., Europa unterm Hakenkreuz: die Okkupationspolitik des deutschen Faschismus (1938–1945), Band 7: Die Okkupationspolitik des deutschen Faschismus in Dänemark und Norwegen (1940–1945), S. 76. 448 Deutsches Talsperren Komitee e. V. (Hrsg.), Talsperren in Deutschland, S. 26. 449 Im Korea- sowie im Vietnamkrieg wurden Dämme und Deiche in großem Ausmaß durch Angriffe beschädigt oder zerstört. Zu den Folgen der Zerstörungen im Vietnamkrieg im Detail, siehe die Argumentation des Delegierten Vietnams im Rahmen der CDDH: CDDH/III/SR.19, in: CDDH, Official Records of the Diplomatic Conference on the Reaffirmation and Development of International Humanitarian Law Applicable in Armed Conflicts, Geneva (1974–1977), Band XIV, S. 161, Rn. 2. Die USA bezeichneten die Zerstörungen allerdings als rein beiläufige, unbeabsichtigte Schäden. So jedenfalls äußerte sich ein US-amerikanisches Gericht im Jahr 2005: United States District Court Eastern District of New York, In Re „Agent Orange“ Product Liability Litigation, Verfügung und Urteil vom 10. März 2005, MDL No. 381, 04-CV-400, abrufbar unter: http://www.vn-agentorange.org/10_03_05_agentorange.pdf [abgerufen am 26.10.2020]. 450 Vgl. IKRK, Draft Rules for the Limitation of the Dangers incurred by the Civilian Population in Time of War, 1956, submitted to the XIXth Conference of the Red Cross, Neu-Delhi, 1957. Nach Scheitern der New Dehli Rules wurden letztlich nochmals verstärkte Verbote im Rahmen der Zusatzprotokolle von 1977 vereinbart. Vgl. insg. Pilloud/de Preux, Commentary on Art. 56 AP I, in: Sandoz/Swinarski/Zimmermann (Hrsg.), Commentary on the Additional Protocols of 8 June 1977 to the Geneva Conventions of 12 August 1949, Rn. 2143 ff. mit weiteren Beispielen ab Rn. 2142.
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In Art. 15 ZP II ist also schon eine Abwägung zwischen militärischer Notwendigkeit und Schutz der Zivilbevölkerung enthalten, die sonst für jeden Angriff nach Vorgaben der Verhältnismäßigkeit neu geführt werden müsste. In dieser Hinsicht ist die Vorschrift sogar strenger gefasst als ihr Pendant für internationale bewaffnete Konflikte, Art. 56 ZP I, das Ausnahmen von dem Angriffsverbot im Fall militärischer Nutzung der Objekte und zwingender militärischer Notwendigkeit der Attacke vorsieht.451 Wenngleich allein zum Schutz der Zivilbevölkerung geschaffen, kann Art. 15 ZP II eine erhebliche Gefahr kollateraler Umweltschäden eindämmen, die mit dem Austritt gefährlicher Kräfte fast zwangsläufig verbunden sind. Doch auch die Reichweite dieses Handlungsverbots zeigt sich bei näherer Analyse beschränkt. bb) Abschließende Aufzählung geschützter Anlagen Nicht die Freisetzung gefährlicher Kräfte selbst, sondern der Angriff auf bestimmte Anlagen, die gefährliche Kräfte enthalten, wird durch Art. 15 ZP II untersagt. Zudem kommt es nicht darauf an, ob gefährliche Kräfte tatsächlich freigesetzt würden. Schon der Gefahr einer Freisetzung, nicht erst ihrer Verwirklichung wird durch die Verbotsnorm begegnet. Der gewählte Ansatz hat gegenüber einem Verbot der Freisetzung gefährlicher Kräfte in seiner konkreten Formulierung allerdings einen gravierenden Nachteil, denn nach Art. 15 ZP II sind nur Angriffe auf die ausdrücklich im Wortlaut genannten Installationen untersagt. Zwar hatten manche Staatenvertreter dafür plädiert, die aufgezählten Anlagen nur als Beispiele geschützter Objekte zu verstehen452, eine Einigung in der 451 Art. 56 (2) ZP I erlaubt den Angriff bestimmter Anlagen in folgenden Fällen: Angriffe auf Dämme und Deiche sind dann zulässig, „if it is used for other than its normal function and in regular, significant and direct support of military operations and if such attack is the only feasible way to terminate such support“. Angriffe auf Kernkraftwerke sind zulässig, wenn „if it provides electric power in regular, significant and direct support of military operations and if such attack is the only feasible way to terminate such support“. Der strengere Schutzrahmen für interne Konflikte ist zunächst überraschend; er lässt sich allerdings mit der gewünschten einfachen Verständlichkeit und Übersichtlichkeit des Art. 15 ZP II im Vergleich zu Art. 56 ZP I erklären. Zudem könnte man argumentieren, dass das Fehlen von Ausnahmen i. S. d. Art. 56 ZP I den staatlichen Konfliktparteien zu Gute käme, da diese durch ihre ursprüngliche Machtposition im Staatsgebiet eher durch die genannten Installationen militärischen Nutzen ziehen könnten. Eine Ausnahme vom Verbot des Angriffs würde also vor allem bewaffneten Oppositionsgruppen nützen. Anders ist der Fall allerdings gelagert, wenn nichtstaatliche Gruppen einen großen Teil eines Staatsgebiets unter ihre Kontrolle gebracht haben. Beispielsweise kontrollierte der sogenannte IS Ende 2015 die Mehrheit aller Ölraffinerien in Syrien. Zur Kontrolle der Ölproduktion in Syrien Ende 2015 vgl. Solomon/Kwong/Bernard, Inside Isis Inc: The journey of a barrel of oil, Financial Times vom 11. Dezember 2015. 452 So forderte z. B. der österreichische Delegierte in den Verhandlungen um die korrespondierende Norm des ZP I, die Formulierung „namely“ durch „such as“ zu ersetzen. Ebenso wurde von einigen Delegierten (z. B. den Vertretern der UdSSR und des
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CDDH war letztlich aber nur hinsichtlich dieser Objekte möglich.453 Eine alternativ zu einem offenen Wortlaut vorgeschlagene Aufnahme von Ölplattformen, -speichern und -raffinerien in den Schutzumfang der Zusatzprotokolle scheiterte ebenso.454 Spätestens die gravierenden Umweltauswirkungen der durch die irakische Armee vorsätzlich herbeigeführten Brände von über 500 kuwaitischen Ölfeldern und Förderanlagen im Golfkrieg von 1991 verdeutlichen die Fehlerhaftigkeit dieser Entscheidung. Die wiederholten und international kaum kritisierten Angriffe auf zuletzt durch den sogenannten IS gehaltene Ölquellen im Irak zeigen allerdings, dass sich die Staaten auch heute noch ihre Freiheit der Kriegsführungsstrategie bewahren wollen. Die fehlende Nennung solcher Anlagen in Art. 15 ZP II führt zu einer gravierenden Schutzlücke. Zwar gilt für Angriffe auf solche Anlagen und Objekte der allgemeine Schutz des humanitären Völkerrechts, für nichtinternationale bewaffnete Konflikte besteht zumindest auf Basis geltenden Vertragsrechts jedoch keine Rückfallebene, denn diese würde, so wird zumindest argumentiert, in internationalen Konflikten durch das in Art. 55 ZP I normierte Verbot der Herbeiführung schwerer, langanhaltender und weitreichender Umweltschäden gebildet. Eine Ausweitung des mit Art. 15 ZP II korrespondierenden Art. 56 ZP I sei also, so wird vorgebracht, nicht notwendig.455 Unabhängig von der grundsätzlichen An-
Sudan), darauf hingewiesen, dass mit der Entwicklung neuer Technologien auch neue Objekte entstehen könnten, deren Schutz durch die Norm möglich sein müsse: CDDH/ III/SR.18, in: CDDH, Official Records of the Diplomatic Conference on the Reaffirmation and Development of International Humanitarian Law Applicable in Armed Conflicts, Geneva (1974–1977), Band XIV, S. 160, Rn. 48 (Österreich); CDDH/III/SR.19, in: CDDH, a. a. O., S. 163, Rn. 9 (UdSSR), Rn. 10 (Sudan), befürwortend zur Ausweitung auch z. B. Iran (CDDH/III/SR.19, Rn. 20) und Australien (Rn. 21). 453 Siehe z. B. die Ausführungen des schwedischen Delegierten, der zu bedenken gab, dass eine Ausweitung der geschützten Objekte die Einigung auf einen hohen Schutzstandard erschweren würde. Es sei sinnvoller, einer begrenzten Zahl von Objekten einen stärkeren Schutz zu vermitteln, als eine größere Zahl von Anlagen nur in geringem Maß schützen zu können (CDDH/III/SR.19, in: CDDH, a. a. O., S. 164 Rn. 12). 454 Zu den Schwierigkeiten der Verhandlung um den späteren Art. 56 ZP I, siehe CDDH/III/264/Rev.l, in: CDDH, Official Records of the Diplomatic Conference on the Reaffirmation and Development of International Humanitarian Law Applicable in Armed Conflicts, Genf, 1974–1977, Band XV, S. 350, insb. 352 (zur Einbeziehung von Öl- und Rohölinstallationen). Die befasste Arbeitsgruppe argumentierte, Ölraffinerien und Ölplattformen seien nicht mit den geschützten Werken vergleichbar und sollten, wenn überhaupt durch einen anderen Artikel Schutz erfahren. Allerdings könnte auch die starke Beschädigung von Ölraffinerien die Zivilbevölkerung und ihre Gesundheit langfristig schädigen. Der Antrag der Staaten wurde letztlich zurückgezogen (CDDH/ 407/Rev.1, in: CDDH, a. a. O., S. 449, Rn. 12). 455 Pilloud/de Preux, Commentary on Article 56 AP I, in: Sandoz/Swinarski/Zimmermann (Hrsg.), Commentary on the Additional Protocols of 8 June 1977 to the Geneva Conventions of 12 August 1949, S. 668, Rn. 2150.
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greifbarkeit456 dieses Arguments läuft es im Fall nichtinternationaler Konflikte vollständig leer. Ein Pendant zu Art. 55 ZP I ist im Recht dieses Konflikttyps nicht vorhanden. Es bliebe also allein bei der Abwägung der Proportionalität des Angriffs, die je nach militärischer Bedeutung des Ziels auch zugunsten der Attacke ausfallen kann.457 Die auf nur drei spezielle Anlagen beschränkte Fassung des Art. 15 ZP II ist angesichts der heute auch in nichtinternationalen Konflikten häufigen Angriffe auf ölenthaltende Anlagen und der mit ihnen verbundenen tatsächlich drohenden Umweltgefährdungen unzureichend. cc) Verbot des Angriffs, nicht der Zerstörung Ebenso problematisch ist die auf einer historischen Auslegung des Angriffsverbots beruhende Eingrenzung verbotener Schädigungshandlungen. Der ursprüngliche Vorschlag des IKRK zum Wortlaut des späteren Art. 15 ZP II untersagte sowohl den Angriff als auch die Zerstörung der genannten Anlagen.458 Dieser Wortlaut hätte also auch Vernichtungshandlungen umfasst, die nicht durch eine gegnerische Partei, sondern, wie im Fall der Huanghe-Flut, durch die Partei durchgeführt wird, welche die Anlage kontrolliert. Die endgültige Fassung von Art. 15 spricht allerdings nur noch ein Verbot des Angriffs aus.459 Der Wegfall dieser Alternative in der endgültigen Verbotsnorm beider Zusatzprotokolle wird teils auf den Widerstand einiger Staaten gegen die Einschränkung ihrer Souveränität auf dem eigenen Territorium zurückgeführt.460 Ausdrücklich hatten die Niederlande und Belgien eine Änderung des späteren Art. 56 ZP I beantragt, nach der das Angriffsverbot „without prejudice to the rights of the High Contracting Parties in their own territories“ 461 sein sollte. Den Staaten, so wurde argumentiert, solle durch das Angriffsverbot nicht das Recht genommen werden, im Rahmen der anwendbaren innerstaatlichen Vorschriften und unter Beachtung der Menschenrechte alle verfügbaren Ressourcen zur Verteidigung gegen Angrei456 Ob in einem solchen Fall Art. 55 ZP I wirklich in der Lage wäre, Schutz zu vermitteln, muss angesichts der hohen Anwendbarkeitsschwelle des Artikels zudem bezweifelt werden. Zur Reichweite des Art. 55 ZP I: 2. Teil, § 3, A., III. 457 Bothe, The Ethics, Principles and Objectives of Protection of the Environment in Times of Armed Conflict, in: Rayfuse (Hrsg.), War and the environment, S. 100 zur schwierigen Abwägung zwischen Vorteilen und Werten. 458 Draft Art. 28 (1): „It is forbidden to attack or destroy works or installations containing dangerous forces [. . .].“ [Herv. d. d.Verf.], IKRK, Draft Additional Protocols to the Geneva Conventions vom 12. August 1949, Commentary, S. 160. 459 Im endgültigen Art. 15 ZP II heißt es nunmehr nur noch, besagte Objekte „shall not be made the object of attack“. 460 Siehe Solf, Article 56 AP I, in: Bothe et al., New Rules for Victims of Armed Conflicts, Commentary on the two 1977 Protocols Additional to the Geneva Conventions of 1949, S. 396, Rn. 2.5.4. 461 CDDH/III/59/Rev.1, in: CDDH, Official Records of the Diplomatic Conference on the Reaffirmation and Development of International Humanitarian Law applicable in Armed Conflicts, Genf, 1974–1977, Band III, S. 225.
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fer zu nutzen.462 Die Zerstörung eigener Dämme zur Abwehr feindlicher Armeen als Bestandteil des Selbstverteidigungsrechts jedes souveränen Staates sollte nach diesem Änderungsvorschlag nicht angetastet werden. Obwohl dieses Änderungsgesuch keinen Weg in die endgültige Norm fand, spricht der alleinige Verweis auf das Angriffsverbot in Art. 56 ZP I und Art. 15 ZP II deutlich für den Erhalt staatlicher Handlungsfreiheit. Es muss davon ausgegangen werden, dass der Wegfall des Verbots der Zerstörung im Wortlaut den gleichen Effekt haben sollte, wie die durch die Niederlande und Belgien erhoffte Formulierung.463 In nichtinternationalen Konflikten führt der Wortlaut von Art. 15 ZP II allerdings nicht nur zum Erhalt staatlicher Souveränität. Er gewährt auch nichtstaatlichen Konfliktparteien einen Vorteil. Zwar wird in den meisten Fällen die Staatsregierung die Kontrolle über genannte Installationen besitzen und könnte diese in Konsequenz durch Freisetzung gefährlicher Kräfte ohne einen Verstoß gegen Art. 15 ZP II zur Abwehr innerstaatlicher Angreifer nutzen, doch diese Machtposition ist nicht immer gegeben. Nach Eroberung der Anlage oder der Erlangung der Kontrolle eines Teils des Staatsgebiets durch bewaffnete Gruppen wäre die Zerstörung von Anlagen durch diese Gruppen zur Abwehr des (staatlichen) Feindes nicht mehr durch den Wortlaut der Vorschrift untersagt. Der Zweck der Schonung staatlicher Souveränität verlangt diese Konsequenz zwar nicht, ein anderes Ergebnis ist angesichts des klar umfassten Angriffsverbots allerdings nicht möglich. Der in bedauerlicher Weise beschränkende Wortlaut hätte durch den alternativen Formulierungsvorschlag der Niederlande und Belgien, der sich speziell auf die Souveränität der staatlichen Konfliktpartei bezog, vermieden werden können. Wie in vielen anderen Fällen lag die Situation nichtinternationaler bewaffneter Konflikte jedoch nicht im Fokus der CDDH. Es ist gut möglich, dass diese Konsequenz von den beteiligten Staatenvertretern daher nicht vorhergesehen wurde. dd) Bedrohung der Zivilbevölkerung Auf dritte Weise ist die Wirkung der Vorschrift durch ihre alleinige Konzentration auf den Schutz der Zivilbevölkerung beschränkt. Angriffe auf die benannten Anlagen sind nur dann verboten, wenn durch Austritt gefährlicher Kräfte, wie Wassermassen oder radioaktiver Strahlung, schwere Verluste464 unter der Zivil462 CDDH/III/SR.l8, in: CDDH, Official Records of the Diplomatic Conference on the Reaffirmation and Development of International Humanitarian Law Applicable in Armed Conflicts, Geneva (1974–1977), Band XIV, S. 156, Rn. 27. 463 Beide Protokolle wurden in der CDDH gleichzeitig verhandelt. Solf, in: Bothe et al., New Rules for Victims of Armed Conflicts, Commentary on the two 1977 Protocols Additional to the Geneva Conventions of 1949, S. 787, Rn. 2.2.1. schließt daraus, dass auch die verwendeten übereinstimmenden Formulierungen gleichbedeutend sein sollten. 464 Der Begriff des schweren Verlustes wurde von einer ursprünglich militärischen Fachbezeichnung übernommen. Er ist und nach gutem Glauben anhand objektiver Kri-
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bevölkerung zu erwarten sind. Weder sind also die Anlagen selbst noch grundsätzlich alle Objekte in ihrer Umgebung geschützt. Dies hat zur Folge, dass Anlagen in dünn besiedelten Gebieten unter Umständen attackiert werden dürfen, selbst wenn dies schwere Folgen für natürliche Landstriche und Ökosysteme hätte. Nicht geklärt ist dagegen die Frage, ob nur direkte Verluste unter der Zivilbevölkerung in die Risikobewertung einzubeziehen sind, oder ob beispielsweise die Gefahr von Hungersnöten durch die Zerstörung von Anbauflächen, Jagdgebieten und Ernten ebenso das Verbot auslösen kann. Das Ziel eines effektiven Schutzes der Zivilbevölkerung, verbunden mit der realen Gefahr von Hungerkatastrophen bei der Freisetzung von Wassermassen oder Radioaktivität, macht eine solche an Sinn und Zweck orientierte Auslegung zwingend erforderlich. Der mit diesem Verständnis einhergehende Schutz der Umwelt ist ebenso zu begrüßen. Er dürfte allerdings nur dann greifen, wenn eine Freisetzung der gefährlichen Kräfte tatsächlich die Herbeiführung einer Hungersnot und durch sie eine Gefährdung von Zivilisten erwarten ließe. Dies wäre beispielsweise bei der drohenden Zerstörung oder Unbrauchbarmachung eines Großteils der kultivierten Anbaugebiete einer Region der Fall, müsste aber bei der drohenden Vernichtung von Wäldern, die zwar als Jagdgebiete genutzt werden, nicht jedoch die einzige Nahrungsquelle der Bevölkerung darstellten, angezweifelt werden. Weiterhin ungeschützt verbleiben auch Regionen, die überwiegend der Ernährung der Konfliktparteien dienen. Auch Art. 15 ZP II schützt ausschließlich die Zivilbevölkerung. b) Gewohnheitsrechtliche Verankerung und die Fehlerhaftigkeit der IKRK-Studie Art. 15 ZP II sowie 56 ZP I bilden die Grundlage der Regel 42 der IKRK-Gewohnheitsrechtsstudie, laut der eine Beschränkung zulässiger Angriffe gegen die in Art. 15 ZP II aufgezählten Anlagen in nichtinternationalen Konflikten auch gewohnheitsrechtlich verankert sei.465 Die durch das IKRK formulierte Regel bleibt allerdings noch hinter dem Schutzgehalt des Art. 15 ZP II zurück. Ausdrücklich beschreibt sie kein Angriffsverbot, sondern lediglich ein Gebot, besondere Vorsicht („particular care“) bei der Ausführung von Angriffen walten zu lassen, um den Austritt gefährlicher Kräfte und als Konsequenz schwere Verluste unter der Zivilbevölkerung zu vermeiden. Anstatt eines Angriffsverbots bestünde, terien zu ermitteln. Vgl. Junod, Commentary on Article 15 AP II, in: Sandoz/Swinarski/Zimmermann (Hrsg.), Commentary on the Additional Protocols of 8 June 1977 to the Geneva Conventions of 12 August 1949, S. 1463, Rn. 4821. 465 Regel 42: „Particular care must be taken if works and installations containing dangerous forces, namely dams, dykes and nuclear electrical generating stations, and other installations located at or in their vicinity are attacked, in order to avoid the release of dangerous forces and consequent severe losses among the civilian population.“ (Henckaerts/Doswald-Beck/Alvermann, Customary International Humanitarian Law, ICRC Study, Band I: Rules, S. 139).
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so das IKRK, allein eine erhöhte Pflicht, Vorsichtsmaßnahmen zu treffen. Angriffe, die notwendig zur Erreichung eines wichtigen militärischen Ziels sind, könnten daher auch auf die genannten Anlagen ausgeführt werden. Das IKRK begründet die deutlich geschwächte Formulierung der Regel insbesondere mit den Vorbehalten Frankreichs und des Vereinigten Königreichs bei Ratifizierung des ZP I. Beide Staaten hatten erklärt, einem absoluten Angriffsverbot nicht zustimmen zu können. Der Angriff auf eine Anlage, die ein militärisches Ziel darstelle, müsse möglich bleiben.466 Auch die ablehnende Haltung der USA467 und Israels468, die beide das Zusatzprotokoll nicht ratifiziert haben, spräche gegen ein absolutes Angriffsverbot.469 So argumentierte jedenfalls das IKRK. Diese Aussage ist allerdings nicht mehr vollumfänglich zutreffend. Israel erkannte bereits 2006 die gewohnheitsrechtliche Geltung eines Angriffsverbots und dessen Bezug zum Schutz der Umwelt ausdrücklich an.470 Darüber hinaus, und dieser Umstand wiegt deutlich schwerer, vermischt das IKRK in seiner Begründung erneut die Regelungen internationaler und nichtinternationaler Konflikte. Die genannten Vorbehalte des Vereinigten Königreichs und Frankreichs wurden bei Ratifikation des Zusatzprotokolls I und nicht der des Zusatzprotokolls II abgegeben. Auch die ablehnende Haltung der USA gegenüber einem absoluten Angriffsverbot bezieht sich primär auf das Recht zwischenstaat466 Allerdings werde das Vereinigte Königreich bei militärischen Operationen gegen und in der Umgebung solcher Anlagen alle möglichen Vorsichtsmaßnahmen auf Basis der zur Verfügung stehenden Informationen ergreifen, um schwere kollaterale Schäden an der Zivilbevölkerung zu vermeiden. Ähnlich auch der Vorbehalt Frankreichs, der ebenso Vorsichtsmaßnahmen versprach, ein absolutes Verbot aber ablehnte. Die Vorbehalte sind abrufbar unter: https://www.icrc.org/applic/ihl/ihl.nsf/States.xsp?xp_view States=XPages_NORMStatesParties&xp_treatySelected=470 [abgerufen am 26.10. 2020]. 467 Auch das Militärhandbuch von 2015 geht von der Möglichkeit eines Angriffs auf die in Art. 15 ZP II und 56 ZP I genannten Anlagen aus. Ausdrücklich heißt es, die USA gehe nicht davon aus, dass das Verbot in Art. 56 ZP I Gewohnheitsrecht in internationalen oder nichtinternationalen Konflikten darstelle (United States Department of Defence, Law of War Manual, 2015 (updated 2016), S. 378). 468 Henckaerts/Doswald-Beck/Alvermann, Customary International Humanitarian Law, ICRC Study, Band I: Rules, S. 140, Regel 42 mit Verweis auf die Praxis Israels von 1997 (abgedruckt in Doswald-Beck/Henckaerts, Customary International Humanitarian Law, ICRC Study, Band II: Practice, Parts 1 and 2, Regel 42, § 98). 469 Vgl. die Kommentierung zu Regel 42, IKRK, Customary IHL Database, Rules, abrufbar unter: https://www.icrc.org/customary-ihl/eng/docs/v1_rul [abgerufen am 26.10.2020]. 470 Deutlich ist in dieser Hinsicht das Militärhandbuch Israels von 2006 (ohne zwischen den Konfliktarten zu unterscheiden), Israel Military Advocate-General’s Corps Command, Rules of Warfare on the Battlefield, IDF School of Military Law, 2. Auflage 2006, S. 25: „Installations containing dangerous forces: one of the items in the Additional Protocols to the Geneva Conventions (even though the State of Israel is not bound by these protocols, these provisions are considered customary and are consequently binding) is the ban on attacking installations if doing so would damage the environment.“
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licher Kriege. In der Vergangenheit hatten sich die Vereinigten Staaten gegenüber Art. 15 ZP II deutlich offener gezeigt als es gegenüber Art. 56 ZP I noch immer der Fall ist. Zwar wird der Inhalt des Art. 15 ZP II auch im neusten Law of War Manual nicht als gewohnheitsrechtlich geltend anerkannt471, im Zuge der Beratung über eine Ratifizierung des Zusatzprotokolls II im Jahr 1987 sah die Exekutive der Vereinigten Staaten allerdings keine Notwendigkeit zur Abgabe eines Vorbehalts zu dieser Vorschrift. Auf Nachfrage zu der divergierenden Haltung der USA hinsichtlich der Ablehnung des Art. 56 ZP I und der Akzeptanz des Art. 15 ZP II erklärte der damalige stellvertretende Rechtsberater des US-Außenministeriums, die Ansicht der Vereinigten Staaten spiegle die unterschiedlichen Konfliktbedingungen in nichtinternationalen und internationalen bewaffneten Konflikten wider. In internen Konflikten bestehe in der Praxis die Notwendigkeit nicht, sich diese Angriffsoption offen zu halten.472 Diese Argumentation wird noch immer von den USA vertreten.473 Angesichts der Beteiligung US-amerikanischer Streitkräfte unter anderem im nichtinternationalen bewaffneten Konflikt gegen den sogenannten IS ist diese Aussage alles andere als leichtfertig. Dass Staaten zwischen den Handlungsnotwendigkeiten in unterschiedlichen Konfliktszenarien unterscheiden und in diesem Fall eine stärkere Verbotsnorm in nichtinternationalen Konflikten befürworten, wurde durch das IKRK anscheinend nicht in Erwägung gezogen. Nicht nur überging das Komitee eine Auseinandersetzung mit dem Regelungsinhalt des Art. 15 ZP II vollständig. Es übersah bei der Herleitung der gewohnheitsrechtlichen Regel474auch eine Reihe nationaler Militärhandbücher, die für den Fall nichtinternationaler bewaffneter Konflikte absolute Angriffsverbote aufstellen.475 Es scheint, dass das erhöhte Schutzniveau des ZP II bei der Ausarbeitung der Regel 42 gar nicht berücksichtigt wurde. Die Nichtbeachtung der spezifischen Rechtslage in nichtinternationalen bewaffneten Konflikten ist ein wiederkehrendes Defizit der Gewohnheitsrechtsstudie.476 Sie ist in dem Umstand begründet, dass Studien humanitären Völkerrechts 471 United States Department of Defence, Law of War Manual, 2015 (updated 2016), S. 1051. 472 Matheson, The United States Position on the Relation of Customary International Law to the 1977 Protocols Additional to the 1949 Geneva Conventions: Remarks of Michael J Matheson, American University Journal of International Law and Policy 2 (1987), S. 434. 473 Das United States Department of Defence, Law of War Manual, 2015 (updated 2016) weist noch immer auf die damalige Begründung hin (S. 1051). 474 Henckaerts/Doswald-Beck/Alvermann, Customary International Humanitarian Law, ICRC Study, Band I: Rules, S. 140–142, Regel 40. 475 Z. B. Argentinien, Kanada und die Niederlande. Diese wurden im Nachweisteil der Studie auch genannt. Siehe Doswald-Beck/Henckaerts, Customary International Humanitarian Law, ICRC Study, Band II: Practice, Parts 1 and 2, Regel 42, Rn. 11, 17, 32; vgl. auch Sivakumaran, The Law of Non-International Armed Conflict, S. 382. 476 Sivakumaran, The Law of Non-International Armed Conflict, S. 67, 383.
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allgemein, und die IKRK-Studie im Speziellen, die Rechtslage internationaler Konflikte als Vorbild für die Beschreibung des geltenden Rechts beider Konflikttypen heranziehen. Findet eine Differenzierung zwischen den Konflikten statt, so endet sie überwiegend allein in der Hervorhebung eines verstärkten Schutzes in internationalen Konflikten. Die umgekehrte Situation, nämlich die Geltung strengerer Verhaltensnormen in nichtinternationalen Konflikten wird durch die Autoren der IKRK-Studie an keiner Stelle in Betracht gezogen. Die Strategie der Nutzung des Rechts internationaler Konflikte als alleinige Grundlage der Identifikation gewohnheitsrechtlicher Regelungen nichtinternationaler bewaffneter Konflikte geht an dieser Stelle eindeutig nicht auf. Angesichts dieser eindeutigen Mängel der IKRK-Studie ist es fraglich, ob eine gewohnheitsrechtliche Norm mit Inhalt der Regel 42 in nichtinternationalen Konflikten wirklich Geltung hat, oder ob nicht doch ein absolutes Angriffsverbot durch die Praxis und Rechtsüberzeugung der Staaten erschaffen worden ist. Letzteres kann allerdings ebenso nur mit Vorsicht angenommen werden. Die Studie des IKRK ist nicht die einzige Zusammenstellung geltenden Gewohnheitsrechts, in der eine derart restriktive, von Art. 15 ZP II abweichende Verbotsnorm formuliert wurde. Im NIAC Manual von 2006 wird ein sogar noch engeres Angriffsverbot aufgestellt: Attacken auf die genannten Anlagen seien laut dieser Studie in nichtinternationalen bewaffneten Konflikten nach Gewohnheitsrecht nur unzulässig, falls sie zum Austritt von Wasser oder Radioaktivität und in Konsequenz zu einem unverhältnismäßigen Schaden an der Zivilbevölkerung und zivilen Objekten führen können.477 Zentral an dieser Formulierung ist nicht das Verbot, sondern die Frage der Verhältnismäßigkeit. Stehen befürchtete Verluste in der Zivilbevölkerung zu dem mit dem Angriff verfolgten Ziel im Verhältnis, steht diese Formulierung einer Attacke auch gegen ein Atomkraftwerk nicht im Wege. Ausdrücklich heißt es in der nachfolgenden Kommentierung, das in Art. 15 ZP II enthaltene, beinahe absolute Angriffsverbot gelte nur für Vertragsparteien des Protokolls. Der Verweis auf „excessive collateral damage“ lässt die Regel allerdings zu einer bloßen Ausprägung des allgemein geltenden Prinzips der Proportionalität schrumpfen.478 Eine detaillierte Auseinandersetzung mit der Ansicht der Staaten speziell mit Blick auf nichtinternationale Konflikte, die ja alleiniger Fokus des NIAC Manual sind, sucht der Leser erneut vergebens. Das HPCR Manual von 2009 schließlich verweist in Regel 36 direkt auf die restriktive Auffassung des IKRK und formuliert das Gebot gleichlautend mit der IKRK-Regel 42.479 Auf die Geltung der Regel in nichtinternationalen bewaffneten Konflikten 477 Schmitt/Garraway/Dinstein (Hrsg.), The Manual on the Law of Non-International Armed Conflict: with Commentary, Regel 4.2.3. 478 Insofern stimmt die Regel des NIAC Manual mit der Ansicht der USA (siehe Teil 2, Fn. 467) überein. 479 HPCR, Manual on International Law applicable to Air and Missile Warfare, Regel 36, Kommentierung Rn. 2.
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wird ohne ersichtlichen Grund mit keinem Wort eingegangen480, sodass das HPCR Manual in seiner Differenzierungsleistung sogar noch hinter den beiden anderen Handbüchern zurückbleibt. Ähnlich verhält es sich mit dem Tallinn Manual von 2012, das lediglich „particular care“ bei der Durchführung von Cyberangriffen auf die geschützten Anlagen vorschreibt.481 Auch hier wird mit Verweis auf die IKRK-Studie argumentiert, es bestünde Einigkeit darüber, dass Art. 56 ZP I und Art. 15 ZP II kein Gewohnheitsrecht darstellten.482 Die argumentative Schwäche der IKRK-Studie zieht sich also deutlich in den Folgewerken fort. Als Rechtserkenntnisquelle für Völkerrechtsakteure sowie für nationale und internationale Tribunale beeinflussen derartige Studien, und allen voran die IKRK-Studie, aber auch die Überzeugung von den Inhalten des Rechts. Sollten sich Staaten bei Formulierung ihrer nationalen Gesetze und Militärhandbücher sowie bei ihren Konflikthandlungen an den Studien orientieren, verfestigt sich deren Fehlerhaftigkeit und Ungenauigkeit weiter. Allein ihre Existenz mindert Chancen, dass das strengere Schutzgebot des Art. 15 ZP II in absehbarer Zeit als Gewohnheitsrecht anerkannt wird. c) Bewertung des Verbots sowie seiner gewohnheitsrechtlichen Formulierung Die Bedeutung des in Art. 15 ZP II enthaltenen Verbots in heutigen Konflikten ist unter anderem durch die abschließende Aufzählung der erfassten Anlagen begrenzt. Spätestens seit dem zweiten Golfkrieg sind die Auswirkungen von durch Konfliktführung verursachten Ölkatastrophen für Menschen und Umwelt bekannt. Im Irak drohten sie sich zumindest in begrenztem Umfang zu wiederho480 Obwohl die Regeln des HPCR-Handbuchs laut den Autoren aufgrund terminologischer Schwierigkeiten allein für internationale bewaffnete Konflikte formuliert wurden, sollte die Kommentierung jeder Regel Hinweise zu ihrer gewohnheitsrechtlichen Geltung beziehungsweise zu abweichenden Regelungen in nichtinternationalen bewaffneten Konflikten enthalten (HPCR, a. a. O., Introduction, E). Dies ist bei anderen Regeln auch der Fall. Warum bei Regel 36 kein Hinweis auf nichtinternationale bewaffnete Konflikte beziehungsweise auf Art. 15 ZP II enthalten sind, ist nicht ersichtlich. 481 Schmitt, Tallinn Manual on the International Law applicable to Cyber Warfare, Rule 80. „Particular care“ bedeute laut der Kommentierung, dass bei der Bestimmung praktisch durchführbarer Vorsichtsmaßnahmen die von den in der Anlage enthaltenen Kräften ausgehenden Gefahren besonders zu berücksichtigen seien (Rn. 3). Dieses Erfordernis gelte allerdings nicht für den Fall, dass die Anlage oder die dazugehörige Infrastruktur regelmäßig zur direkten Unterstützung militärischer Operationen genutzt würde und eine Attacke die einzige durchführbare Maßnahme zur Beendigung dieser Nutzung darstelle. Diese Ausnahme wird mit Verweis auf Art. 56 (2) ZP I begründet. Auch hier findet sich kein Verweis auf die Geltung des Verbots oder der genannten Ausnahme in nichtinternationalen bewaffneten Konflikten. Auch im weiteren Verlauf der Kommentierung der Regel 80 wird nicht auf eine unterschiedliche Behandlung in den Konfliktarten hingewiesen. Allein schon deshalb muss die Autorität des Tallinn Manual, wie auch des HPCR Manual, für nichtinternationale bewaffnete Konflikte infrage gestellt werden. 482 Schmitt, a. a. O., Regel 80, Rn. 1.
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len, denn auch hier ging der sogenannte IS 2016 dazu über, Ölquellen und -felder mutwillig in Brand zu setzen. Einige konnten erst im Frühjahr 2017 gelöscht werden, andere brannten noch Wochen später.483 Eine Ausweitung des Anwendungsbereichs zumindest des gewohnheitsrechtlichen Verbots ist mangels internationaler Unterstützung dennoch nicht zu erwarten. Die Angriffe der USA und Russlands auf durch den IS kontrollierte Ölförderanlagen484 verdeutlichen die unveränderte Rechtslage. Neben dem ungenügenden rechtlichen Anwendungsumfang besteht mit dem unsicheren Regelungsumfang des gewohnheitsrechtlichen Pendants zu Art. 15 ZP II ein weiteres Problem. Ob ein mit der vertraglichen Vorschrift gleichlaufendes, absolutes Angriffsverbot Bestandteil derzeitigen Gewohnheitsrechts ist, ist derzeit noch unklar. Die IKRK-Studie sowie auch das NIAC Manual gehen nur von einem Gebot besonderer Vorsicht, beziehungsweise von der Geltung des allgemeinen Proportionalitätsgebots aus. Die Defizite in der Erarbeitung dieser Studien sind jedoch gravierend. Weitestgehend unreflektiert wird der in zwischenstaatlichen Konflikten geltende Schutzstandard auf das Recht nichtinternationaler Konflikte übertragen. Dabei wird weder auf deren Besonderheiten eingegangen noch erkannt, dass Staaten wie die USA womöglich eher gewillt sind, in nichtinternationalen Konflikten ein absolutes Angriffsverbot anzuerkennen. Ist es wirklich nötig, sich die Option eines Angriffs auf ein Atomkraftwerk auf eigenem Staatsgebiet offen zu halten? Dass dies von einigen Staaten verneint wird, diese aber auf die Möglichkeit eines Angriffs gegen ein Atomkraftwerk auf dem Gebiet eines anderen Staates nicht gänzlich verzichten wollen, erscheint nicht abwegig. Anstatt solche Überlegungen gänzlich zu ignorieren, sollten sie doch genutzt werden, um den stärksten jeweils möglichen Schutz zu erreichen. Es ist bedauerlich, dass gerade die IKRK-Studie durch die unnötige Vereinheitlichung unterschiedlicher Konfliktsituationen und ihrer Rechtsregime den Weg für eine Verankerung des in Art. 15 ZP II enthaltenen Handlungsverbots in Gewohnheitsrecht 483 Meldungen über die verheerenden Wirkungen der Ölbrände erreichten nur langsam die internationale Öffentlichkeit. Berichterstattungen aus dem durch den sogenannten IS besetzen Gebieten waren kaum möglich und sind erst nach Verdrängung der Terroristen aus einem bestimmten Gebiet durchführbar. Zu den über Monate andauernden Ölbränden: Khoshnaw/Adamson, Desert on Fire, BBC News online, 5.4.2017, abrufbar unter: http://www.bbc.co.uk/news/resources/idt-sh/desert_on_fire [abgerufen am 26.10. 2020]; Weir, The environmental consequences of targeting Syria’s oil refineries, Toxic Remnants of War Blog, abrufbar unter: http://www.toxicremnantsofwar.info/targetingsyrias-oil-refineries/ [abgerufen am 26.10.2020]; Weir, The environment and conflict in 2016: a year in review, Toxic Remnants of War Blog, abrufbar unter: http://www.toxi cremnantsofwar.info/the-environment-and-conflict-in-2016-a-year-in-review/ [abgerufen am 26.10.2020]. 484 Die Angriffe der USA und Russlands auf die Anfang 2017 durch den IS kontrollierten Ölförderanlagen in Syrien wurden bislang primär unter einer ganz anderen Fragestellung diskutiert. Im Fokus der Diskussionen steht, ob Ölförderanlagen, die dem IS durch den Verkauf von Öl an Drittstaaten als Finanzierungsgrundlage dienen, überhaupt legitime militärische Ziele darstellen. Siehe 2. Teil, § 3, B., II., 4., c).
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erschwert. Dieser Fehler könnte nur durch eine Aktualisierung der Studie mit stärkerem Fokus auf die rechtlichen Unterschiede in internationalen und nichtinternationalen Konflikten aus der Welt geschafft werden. Die Chancen für eine grundlegende Revision der Studie stehen angesichts ihres verständlichen Ziels erstarkender Rechtssicherheit allerdings nicht gut. II. Verbot des Einsatzes bestimmter Kriegsmittel 1. Convention on Certain Conventional Weapons – CCW
Neben den auf die Verhinderung der Freisetzung gefährlicher Kräfte oder Umweltmanipulationen gerichteten Vertragsnormen besteht eine vergleichsweise große Zahl vertraglicher Verbote des Einsatzes bestimmter Kampfmittel, die als Vermittler indirekten Umweltschutzes herangezogen werden können. Von hervorgehobener Bekanntheit und Bedeutung für die Einschränkung der Mittel und Methoden der Kriegsführung ist dabei das Übereinkommen von 1980 über das Verbot oder die Beschränkung des Einsatzes bestimmter konventioneller Waffen, die übermäßige Leiden verursachen oder unterschiedslos wirken können (CCW).485 Dieses beschäftigt sich zwar nicht ausdrücklich mit dem allgemeinen Schutz der Umwelt durch die Beschränkung zulässiger Waffentypen, kann diesen aber teilweise fördern. Auch die CCW hat ihren Ursprung in den 1970er Jahren und damit zu derselben Zeit, als auch die Bemühungen der Staatengemeinschaft, das Regelungsregime der Genfer Abkommen durch Zusatzprotokolle zu erweitern, ihren Höhepunkt erreichten.486 Das Streben nach einem speziellen Waffenbeschränkungsabkom485
Teil 1, Fn. 142. Im Rahmen der CDDH, die auf die Entwicklung der beiden Genfer Zusatzprotokolle von 1977 hinauslief, wurden die Inhalte der späteren CCW allerdings nicht festgelegt. Das IKRK hatte zwar schon in den vorherigen Jahren Diskussionen zu der Frage spezifischer Waffenbeschränkungen eingeleitet, die heikle Thematik letztlich aber bei seinen Vertragsvorschlägen für die Zusatzprotokolle außenvor gelassen (Pictet, in: Sandoz/Swinarski/Zimmermann (Hrsg.), Commentary on the Additional Protocols of 8 June 1977 to the Geneva Conventions of 12 August 1949, S. xxxii). Zwei parallel zu den Verhandlungen der CDDH abgehaltene Expertentreffen hatten ebenso keinerlei Vertragsentwürfe hervorgebracht (1974 in Luzern und 1976 in Lugano; vgl. IKRK, Report of the Conference of Government Experts on the Use of Certain Conventional Weapons, First Session, Luzern, 24. September–18. Oktober 1974 und IKRK, Report of the Conference of Government Experts on the Use of Certain Conventional Weapons, Second Session, Lugano, 28. Januar–26. Februar 1976). In der CDDH war dennoch ein ad hoc-Komitee mit der Thematik konventioneller Waffen sowie den Ergebnissen der Expertentreffen befasst worden (Bothe et al., New Rules for Victims of Armed Conflicts, Commentary on the two 1977 Protocols Additional to the Geneva Conventions of 1949, General Introduction, S. 4). Dessen Arbeit mündete aber allein in dem Beschluss, die Kodifizierung der Verwendungsbeschränkungen und -verbote für bestimmte konventionelle Waffen nach Ende der Vertragsverhandlungen um die beiden Zusatzprotokolle weiter zu verfolgen (vgl. Final Act of the Diplomatic Conference on the Reaffirmation and Development of International Humanitarian Law Applicable in Armed Con486
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men manifestierte sich 1980 in der Verabschiedung einer Rahmenkonvention sowie drei thematisch gebundener Protokolle (zu nicht entdeckbaren Fragmenten487, zum Verbot und der Einschränkung der Nutzung von Landminen, Sprengfallen und anderen Vorrichtungen488 sowie von Brandwaffen489).490 1995 folgte das Protokoll IV zu Blendlasern.491 Das fünfte und derzeit letzte Protokoll V über explosive Kampfmittelrückstände wurde 2003 verabschiedet und trat 2006 in Kraft.492 flicts, in: CDDH, Official Records of the Diplomatic Conference on the Reaffirmation and Development of International Humanitarian Law applicable in Armed Conflicts, Genf, 1974–1977, Band I, S. 13, Rn. 14, Resolution 22 (IV)). Dass das Verbot des Einsatzes einiger dieser Waffen, wie z. B. Landminen, Sprengfallen oder Brandbomben, erstrebenswert wäre, war schon in der CDDH angeklungen (CDDH, Resolution 22 (IV) vom 9. Juni 1977 on the follow-up regarding prohibition or restriction of use of certain conventional weapons, adopted at the 57th plenary meeting in: CDDH, Official Records of the Diplomatic Conference on the Reaffirmation and Development of International Humanitarian Law applicable in Armed Conflicts, Genf, 1974–1977, Band I, S. 215 f.). Die Behandlung in einer gesonderten Konferenz und einem speziellen Vertragswerk hatte jedoch den Vorteil, nicht nur eine Einigung bezüglich speziellerer Verbote zu ermöglichen, sondern auch Diskussionen über weitere in Zukunft zu beschränkende Waffentechnologien zuzulassen (CDDH, a. a. O.). Wahrscheinlicher aber ist, dass das Gelingen der Zusatzprotokolle nicht durch die Einbringung eines umstrittenen Kodifikationsgebiets aufs Spiel gesetzt werden sollte. Das IKRK hatte zudem mit dem Argument, spezifische Waffenverbote seien nie Teil des Genfer Rechts gewesen und wären in dessen Weiterentwicklung daher systemfremd, eine Abtrennung der Verhandlungen gerechtfertigt. Wäre eine leichte Einigung abzusehen gewesen, wäre über diesen Stringenzfehler aber sicherlich hinweggesehen worden. 487 Protocol on Non-Detectable Fragments vom 10. Oktober 1980, annexed to the Convention on Prohibitions or Restrictions on the Use of Certain Conventional Weapons Which May be Deemed to be Excessively Injurious or to Have Indiscriminate Effects, 1342 UNTS 168 (CCW Protokoll I). 488 Protocol on Prohibitions or Restrictions on the Use of Mines, Booby-Traps and Other Devices vom 10. Oktober 1980, annexed to the Convention on Prohibitions or Restrictions on the Use of Certain Conventional Weapons Which May be Deemed to be Excessively Injurious or to Have Indiscriminate Effects, 1342 UNTS 169 (CCW Protokoll II). 489 Protocol on Prohibitions or Restrictions on the Use of Incendiary Weapons vom 10. Oktober 1980, annexed to the Convention on Prohibitions or Restrictions on the Use of Certain Conventional Weapons Which May be Deemed to be Excessively Injurious or to Have Indiscriminate Effects, 1342 UNTS 171 (CCW Protokoll III). 490 Die Strategie, alle materiellen Verbote allein in beigefügten Protokollen niederzulegen, sollte dem Vertragswerk die notwendige Flexibilität erteilen, zukünftige technische Entwicklungen in neuen Protokollen aufzugreifen, und die Rahmenkonvention gleichzeitig für möglichst viele Staaten ratifizierbar machen. 491 Protocol on Blinding Laser Weapons, Additional Protocol to the Convention on Prohibitions or Restrictions on the Use of Certain Conventional Weapons Which May be Deemed to be Excessively Injurious or to Have Indiscriminate Effects vom 13. Oktober 1995, 1380 UNTS 370 (CCW Protokoll IV). 492 Protocol on Explosive Remnants of War to the Convention on Prohibitions or Restrictions on the Use of Certain Conventional Weapons Which May be Deemed to be Excessively Injurious or to Have Indiscriminate Effects vom 28. November 2003, 2399 UNTS 100 (CCW Protokoll V).
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a) Anwendbarkeit in nichtinternationalen bewaffneten Konflikten Ursprünglich beschränkte sich die Anwendbarkeit der CCW sowie ihrer Protokolle allein auf zwischenstaatliche Konflikte. Dass diese Begrenzung der tatsächlichen Gefährdungslage nicht gerecht werden kann, wurde spätestens Mitte der 1990er Jahre, unter dem Eindruck der verheerenden Wirkungen von Landminen und Anti-Personenminen in innerstaatlichen Auseinandersetzungen, deutlich.493 Der verheerende Einsatz dieser Kriegsmittel in Jugoslawien und anderen Konfliktgebieten war treibender Grund für die Einberufung der ersten Revisionskonferenz 1996, in der vorranging eine Ausweitung des mit Landminen befassten Protokolls II zur Debatte stehen sollte.494 Die Erweiterung wurde schließlich von der Mehrheit der Konferenzteilnehmer getragen495 und führte zur einstimmigen Annahme des geänderten (amended) CCW Protokolls II496, das heute auch auf alle nichtinternationalen bewaffneten Konflikte im Sinn des Art. 3 GA anwendbar ist.497 Die Ausweitung des Protokolls ist als Erfolg zu bezeichnen. 106 der derzeit 125 Mitgliedstaaten der Rahmenkonvention haben das geänderte Protokoll bislang ratifiziert.498 Für diese Staaten gilt die erweiterte Anwendbarkeit auf nichtinternationale Konflikte. 493 Mathews, The Second Review Conference of the 1980 Convention on Certain Conventional Weapons 1, Yearbook of International Humanitarian Law 4 (2001), S. 406. 494 Matheson, The revision of the Mines Protocol, American Journal of International Law 91 (1997), S. 160. Ausführlich zu Landminen und den Grenzen des CCW Protokoll II (statt vieler): McCall, Jack H. Jr., Infernal Machines and Hidden Death: International Law and Limits on the indiscriminate use of Land Mine Warfare, Georgia Journal of International and Comparative Law 24 (1994), S. 252 ff. 495 Mehrfach wurde von den beteiligten Delegierten vorgebracht, dass der Einsatz von Minen gerade in Staaten, die in einen nichtinternationalen bewaffneten Konflikt verwickelt waren, die meisten Opfer verlange. Vgl. die Stellungnahme des spanischen Delegierten, CCW/CONF.I/SR.2, in: Documents and summary records of the First Review Conference of the States Parties to the Convention on Prohibitions or Restrictions on the Use of Certain Conventional Weapons Which May Be Deemed to be Excessively Injurious or to Have Indiscriminate Effects 1995/1996, CCW/CONF.I/16 (Part II), Rn. 16. Ähnlich auch (statt vieler weiterer) die knapperen Äußerungen Frankreichs (Rn. 44), Deutschlands (Rn. 49), des Beobachters für das IKRK (Rn. 85) sowie Australiens (CCW/CONF/I/SR.3, a. a. O., Rn. 29). Australien befürwortete auch zu diesem Zeitpunkt schon ausdrücklich die Anwendbarkeit der gesamten Konvention auf nichtinternationale Konflikte. 496 Final Report of the First Review Conference of the States Parties to the Convention on Prohibitions or Restrictions on the Use of Certain Conventional Weapons Which May Be Deemed to be Excessively Injurious or to Have Indiscriminate Effects 1995/ 1996, CCW/CONF.I/16 (Part I), Rn. 37. 497 Art. 1 (2) amended CCW Protokoll II (Teil 1, Fn. 143). 498 Stand Mitte 2020. Siehe https://treaties.un.org/Pages/ViewDetails.aspx?src= TREATY&mtdsg_no=XXVI-2&chapter=26&lang=en sowie https://treaties.un.org/ Pages/ViewDetails.aspx?src=TREATY&mtdsg_no=XXVI-2-b&chapter=26&clang=_en [abgerufen am 26.10.2020]. Die Ratifikation des CCW Protokoll II führt nicht automatisch zur Ratifikation des amended CCW Protokoll II. Ein Staat kann Mitglied des einen, aber nicht des anderen Protokolls sein. Boothby, The Law of Targeting, S. 270.
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In der 2001 gefolgten zweiten Revisionskonferenz wurde schließlich die Ausweitung der Rahmenkonvention selbst und damit aller ihrer bereits bestehenden Protokolle beschlossen.499 Umgesetzt wurde die Ausdehnung der CCW und ihrer Protokolle durch eine Erweiterung des Art. 1 CCW.500 Dieser müssen die Mitgliedstaaten erneut zustimmen, um eine Anwendbarkeit auf ihre nichtinternationalen Konflikte zu bewirken. 86 Mitgliedstaaten haben diesen Schritt bis Mitte 2020 vollzogen.501 Zwar führten Bedenken einiger Staaten dazu, dass der Erweiterungsvorschlag nicht in der weitesten Fassung angenommen wurde und daher gemäß amended Art. I (7) der Rahmenkonvention zukünftige Protokolle in ihrem Anwendungsbereich beschränkt gefasst werden können.502 Die zurückhaltende Formulierung hatte bislang aber keine Auswirkungen. Auch für das jüngste CCW Protokoll V wurde der weite Anwendungsbereich des amended Art. I CCW vereinbart. Die Anwendung der gesamten Konvention mit allen bisherigen Protokollen auf alle Arten bewaffneter Konflikte503 wurde als beachtliche Weiterentwicklung humanitären Völkerrechts aufgefasst.504 Außergewöhnlicher noch ist die in amended Art. 1 (3) CCW enthaltene Anweisung, nach der in Fällen nichtinternationaler bewaffneter Konflikte auf dem Gebiet eines Konventionsstaates jede Partei des Konflikts an die Vorschriften der Konvention sowie ihrer Protokolle gebunden ist. Die Formulierung, die zuvor schon in Art. I (3) des geänderten CCW Protokolls II aufgenommen worden war, bindet damit nicht nur die Vertragsstaaten der CCW, sondern erweitert den eigenen Anwendungsbereich ausdrücklich auf die Handlungen nichtstaatlicher Konfliktparteien. Dies ist überaus bemerkenswert, 499 Siehe Final Declaration, in: Final Document of the Second Review Conference of the States Parties to the Convention on the Prohibitions or Restrictions on the Use of Certain Conventional Weapons Which May be Deemed to be Excessively Injurous or to Have Indiscriminate Effects, 11.–21. Dezember 2001, CCW/CONF.II/2, S. 12, 2./3. Siehe zudem Maresca, Second Review Conference of the Convention on Certain Conventional Weapons, International Review of the Red Cross (2002), der die Konferenz als „distinct milestone“ bezeichnet. 500 Amendment to Article I of the Convention on Prohibitions or Restrictions on the Use of Certain Conventional Weapons Which May be Deemed to be Excessively Injurious or to Have Indiscriminate Effects vom 21 Dezember 2001, 2260 UNTS 82. 501 Die aktuelle Ratifikationszahl ist abrufbar unter: https://treaties.un.org/pages/ ViewDetails.aspx?src=TREATY&mtdsg_no=XXVI-2-c&chapter=26&lang=en [abgerufen am 26.10.2020]. 502 Vgl. den Wortlaut des amended Art. I (7) CCW. Zu den Hintergründen: Mathews, The Second Review Conference of the 1980 Convention on Certain Conventional Weapons 1, Yearbook of International Humanitarian Law 4 (2001), S. 411. 503 Auch der erweiterte Art. 1 CCW verweist auf den Anwendungsbereich des Art. 3 GA und macht diesen zum Maßstab der Geltung. 504 Kaye/Solomon, The Second Review Conference of the 1980 Convention on certain Conventional Weapons, American Journal of International Law 96 (2002), S. 922; Maresca, Second Review Conference of the Convention on Certain Conventional Weapons, International Review of the Red Cross (2002); S. 261.
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war doch eine Nennung nichtstaatlicher Akteure aus Sorge um eine hiermit verbundene Anerkennung bzw. Legitimation bewaffneter Gruppen im ZP II nicht durchsetzbar gewesen. b) Die Umwelt als Schutzobjekt der CCW aa) Absatz 4 der Präambel der CCW Die Rahmenkonvention selbst verweist auf den in Teilen des humanitären Völkerrechts geltenden Schutz der Umwelt, indem sie den Wortlaut des Art. 35 (3) ZP I sowie Bestandteile des Art. 55 ZP I in ihrer Präambel aufgreift. In Absatz 4 wird festgestellt, dass der Einsatz von Mitteln und Methoden der Kriegsführung, die darauf zielen oder von denen erwartet werden kann, dass sie weitreichende, langanhaltende und schwere Umweltschäden hervorrufen, unzulässig sei.505 Seit Einführung des geänderten Art. 1 CCW steht diese Feststellung auch den Begrenzungen der Konfliktführung in nichtinternationalen bewaffneten Konflikten voran. Der Verbotshinweis, dessen ungenaue Formulierung unter anderem als Argument der gewohnheitsrechtlichen Geltung der Art. 35 (3) und 55 ZP I herangezogen wird506, sollte in seiner Wirkung aber nicht überschätzt werden, schließlich werden Vertragsparteien durch den Inhalt von Präambeln grundsätzlich keine Rechte oder Pflichten auferlegt. Gänzlich unerheblich ist die Formulierung aber auch nicht. Als Hilfe zur Auslegung der restlichen Konvention nach Art. 31 (2) WVRK gibt sie einen Hinweis darauf, dass Umweltschutzgesichtspunkte im Kontext der CCW nicht von vorneherein unerheblich sind oder sein sollten. Angesichts des Ursprungs der Rahmenkonvention ist der Verweis in der Präambel konsequent. Die CCW entsprang der Regulierungsbewegung der CDDH und baute in ihrer Entstehung auf die dort geleistete Arbeit auf.507 Da auch der Anwendungsbereich der CCW zunächst nicht über internationale Konflikte hinausging, war ein Verweis auf die grundlegenden Beschränkungen der Mittel und Methoden der Kriegsführung durch das nur wenige Jahre zuvor verfasste ZP I konsequent. Mehr als ein Hinweis auf die der CCW vorangegangene Kodifikation sowie die Erkenntnis, dass die geregelten Waffen durchaus auch zu den genannten Umweltschäden zu führen vermögen, kann der Erklärung aber kaum ent505
Präambel para. 4. Zur gewohnheitsrechtlichen Geltung umweltschützender Normen des humanitären Völkerrechts siehe 2. Teil, § 3, A. Die Formulierung der Präambel bewegte Frankreich dazu, eine Vorbehaltserklärung bei Ratifikation der CCW abzugeben, nach der Frankreich Art. 35 (3) ZP I nicht als Gewohnheitsrecht anerkenne. Ähnlich äußerten sich auch die USA bei Ratifikation der CCW: Der auf Art. 35 (3) und 55 ZP I verweisende Absatz der Präambel gelte nur für diejenigen Staaten, welche die beiden Vorschriften akzeptiert hätten. Die Vorbehalte sind abrufbar unter: https://treaties.un.org/pages/View Details.aspx?src=TREATY&mtdsg_no=XXVI-2&chapter=26&lang=en#EndDec [abgerufen am 26.10.2020]. 507 Ausführlich Teil 2, Fn. 486. 506
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nommen werden. Zukünftige Protokolle mit stärkerem Umweltbezug könnten durch sie aber systematisch konsequent unter den Schirm der CCW gestellt werden. bb) Artikel 2 (4) CCW Protokoll III Als bislang einzige Norm aller CCW Protokolle bestimmt Art. 2 (4) CCW Protokoll III ausdrücklich den Schutz bestimmter Umweltelemente. Die Vorschrift verbietet es, Wälder oder andere Vegetationsarten zum Objekt eines Angriffs mit Brandwaffen zu machen, es sei denn, der Bewuchs wird von gegnerischen Konfliktakteuren zur Tarnung benutzt oder stellt auf andere Weise ein militärisches Objekt dar. Anders als beispielsweise Art. 35 (3) und 55 ZP I, enthält Art. 2 (4) CCW Protokoll III keine bestimmte Schadensschwelle, sondern gilt unabhängig von der Schwere möglicher Auswirkungen. Die Vorschrift ist allerdings auf andere Weise in mehrfacher Hinsicht stark begrenzt, beispielsweise sind nur bestimmte Komponenten der natürlichen Umwelt durch sie vor Angriffen geschützt. Zudem beschäftigt sich das Protokoll allein mit dem sehr spezifischen Einsatz von Brandwaffen.508 Dieser ist auch nicht absolut untersagt, sondern nur insoweit die geschützte Vegetation kein militärisches Ziel darstellt. Aus dem Wortlaut der Vorschrift ergibt sich zudem kein Verbot der Herbeiführung von Kollateralschäden. Der durch die Norm vermittelte Schutz ist also ebenfalls nur marginal.509 Untersagt ist allein der mutwillige, nicht durch legitime militärische Ziele gedeckte Angriff mit sehr spezifischen Waffen auf bestimmte Umweltkomponenten. Eine derartige Kampfstrategie dürfte nur in den wenigsten Fällen von militärischen Entscheidungsträgern verfolgt werden.510 Wenngleich die Anwendbarkeit 508 Eine Definition ist in Art. 1 (1) enthalten. Abs. (1) (b) enthält eine Reihe von Ausnahmen für bestimmte Arten von Munition. 509 Dabei war das Verbot des Einsatzes von Brandwaffen aufgrund der von den USA genutzten Napalmbomben im Vietnamkrieg eines der Hauptthemen bei den Verhandlungen um die CCW. Während mehrere Staaten wie Schweden und Mexiko ein vollständiges Verbot solcher Waffen, die nach ihrer Argumentation unnötige Leiden hervorriefen, forderten (IKRK, Report of the Conference of Government Experts on the Use of Certain Conventional Weapons, First Session, Luzern, 24. September–18. Oktober 1974, S. 31, Rn. 101; IKRK, Report of the Conference of Government Experts on the Use of Certain Conventional Weapons, Second Session, Lugano, 28. Januar–26. Februar 1976, S. 9, Rn. 16), betonten die Supermächte USA und UdSSR die herausragende militärische Bedeutung solcher Waffen (IKRK, a. a. O., S. 9 f., Rn. 17 und 19). Wenn überhaupt, so ihre Ansicht, müsse ein Verbot eng gefasst sein, um ihre Zustimmung zu erlangen. Nur aufgrund der Initiative der USA, die selbst den Einsatz von Brandbomben in dicht besiedelten Gebieten zu untersagen suchten, konnte ein (begrenztes) Verbot überhaupt noch erreicht werden. Vgl. auch Oeter, Methods and Means of Combat, in: Fleck (Hrsg.), The Handbook of International Humanitarian Law, S. 149, Rn. 423 m.w. N. 510 Koppe, The Use of Nuclear Weapons and the Protection of the Environment during International Armed Conflict, S. 188; Kalshoven/Zegveld, Constraints on the waging of war, S. 164.
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2. Teil: Das geltende Recht und seine Wirkung zum Erhalt der Umwelt
des Protokolls in nichtinternationalen bewaffneten Konflikten zu begrüßen ist, erwächst aus ihm kein signifikanter Schutz für die Umwelt. cc) Minen, Sprengfallen und schädigende Überreste der Konfliktführung Darüber hinaus enthalten die Protokolle der CCW eine Reihe weiterer Regelungen, die in ihrer Konsequenz zu einer nicht unerheblichen Schonung der Umwelt führen. Das CCW Protokoll II von 1980 verfolgt das Ziel, den Einsatz von Landminen, Sprengfallen und ähnlichen Vorrichtungen sowie die aus ihrer Nutzung resultierenden Gefahren während und nach Ende aller bewaffneten Konflikte einzudämmen. Der unterschiedslose Einsatz von Minen und Fallen sowie ihre Nutzung gegen die Zivilbevölkerung ist gemäß Art. 2 (2) und (3) CCW Protokoll II verboten. Darüber hinaus verhängt Art. 7 CCW Protokoll II die Verpflichtung, die Position verlegter Minen aufzuzeichnen (Abs. 1 und 2) und diese Informationen nach Konfliktende zum Schutz der Zivilbevölkerung, der gegnerischen Partei sowie den Vereinten Nationen zur Verfügung zu stellen, um eine Entfernung der Vorrichtungen nach Konfliktende zu ermöglichen (Abs. 3a). Gerade diese Verpflichtung hat positive Effekte auf die von Konflikten beeinträchtigte Umwelt, in der derartige Vorrichtungen anderenfalls über Jahrzehnte verbleiben und in Folge von Korrosion Böden und Gewässer mit Schadstoffen kontaminieren. Aufgrund der Gefahr ihrer Detonation würde ihr Vorhandensein zudem den Zugang zu Agrargebieten verhindern. In Regionen, die auf Bewässerung angewiesen sind, ist Bodendegradation und mit ihr die Schädigung des gesamten Ökosystems die drohende Folge.511 CCW Protokoll II, dessen Regelungsumfang aufgrund der bloßen Pflicht zur Kooperation bei der Entfernung von Minen als nicht ausreichend erachtet wurde512, erfuhr Anfang der 1990er Jahre eine weitreichende Änderung. Für die Mitgliedstaaten des geänderten CCW Protokoll II wurde das Verbot des Einsatzes bestimmter Landminen und Sprengsätze nochmals spezifiziert und verschärft.513 Vor allem besteht nach Art. 3 (2) und 10 des geänderten Protokolls nun eine ausdrückliche Pflicht, un511 Insbesondere in Hinblick auf den großflächigen Einsatz von Landminen wäre aber auch eine andere Ansicht denkbar. Dadurch, dass Gebiete, in denen nach Konfliktende Minen oder Sprengsätze vermutet werden, durch die Zivilbevölkerung kaum nutzbar sind, kann sich die Vegetation und Fauna erholen und womöglich reichhaltiger gedeihen als bei Nutzung durch den Menschen. Für das auf die Funktion der Umwelt für den Menschen fokussierte internationale Recht ist dieser Gesichtspunkt allerdings weitestgehend unerheblich. Ausführlich zur rechtlichen Eindämmung des Einsatzes von Landminen in nichtinternationalen Konflikten: Boothby, Weapons and the Law of Armed Conflict, S. 149 ff.; speziell zu dem der Umwelt vermittelten Schutz: Arnold, The protection of the environment, in: Liivoja/McCormack, Timothy L. H. (Hrsg.), Routledge Handbook of the Law of Armed Conflict, S. 396 f. 512 Arnold, a. a. O. 513 Vgl. Art. 3 des geänderten CCW Protokoll II (Teil 2, Fn. 497).
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verzüglich nach Ende der aktiven Konflikthandlungen alle in dem von ihnen beherrschten Gebiet verlegten Minen, Sprengsätze und andere Vorrichtungen zu entfernen oder anderweitig unschädlich zu machen. Diese Verpflichtung trifft gemäß Art. 10 (2) des geänderten CCW Protokoll II alle Parteien eines bewaffneten Konflikts und damit auch nichtstaatliche Konfliktakteure. Ausdrücklich wurden die Kernverpflichtungen des geänderten Protokolls von mehreren nichtstaatlichen Akteuren, unter anderem der FMLN in El Salvador514, der Ejército de Liberación Nacional (ELN) in Kolumbien515 sowie der Konfliktparteien in Bosnien und Kroatien516 als bindend anerkannt.517 Das CCW Protokoll V über explosive Kampfmittelrückstände widmet sich im Speziellen den Pflichten der Vertragsstaaten, nach Ende eines bewaffneten Konflikts die weiterhin gefährlichen Überreste des Kampfgeschehens zu beseitigen518 und führt dadurch in ähnlicher Weise zu einer indirekten Schonung der Umwelt. Als Vorschriften des ius post bellum müssen die Inhalte dieses Protokolls aber an anderer Stelle vertieft werden.519 514 Frente Farabundo Martiì para la Liberacioìn Nacional (FMLN), The Legitimacy of our methods of struggle, S. 10–14. 515 ELN/Comité Nacional de Paz, Acuerdo de Puerta del Cielo con el ELN vom 15. Juli 1998, abrufbar unter: http://www.eltiempo.com/archivo/documento/MAM776073 [abgerufen am 26.10.2020], Art. 15 D. 516 Art. 6 des Memorandum of Understanding on the Application of International Humanitarian Law between Croatia and the Socialist Federal Republic of Yugoslavia, Genf, 27. November 1991, abrufbar unter: http://theirwords.org/media/transfer/doc/ yu_croatia_serbia_1991_02-2a956567e705457f21f4837037ebcafc.pdf [abgerufen am 26.10.2020]; Art. 2.5 des Agreement on the Application of IHL between the Parties to the Conflict in Bosnia and Herzegovina vom 22. Mai 1992, abrufbar unter http://their words.org/media/transfer/doc/yu_sda_sds_hdz_1992_01-d2d62e36891dd6a31b4727538 c4ceb35.pdf [abgerufen am 26.10.2020]. 517 Ausführlich Sivakumaran, The Law of Non-International Armed Conflict, S. 406. 518 Teil 2, Fn. 492. 519 Zuletzt stellte auch die ILC ein Draft Principle zu toxischen und gefährlichen Kampfmittelrückständen auf. Draft Principle 27 („Remnants of war“) enthält die Aufforderung an alle Parteien bewaffneter Konflikte, nach Ende des Konflikts derartige Rückstände, die die Umwelt schädigen oder schädigen könnten, auf dem von ihnen (de jure oder de facto) beherrschten Gebiet zu beseitigen (vgl. ILC, Protection of the Environment in Relation to Armed Conflicts text and titles of the Draft Principles provisionally adopted by the Drafting Committee on first reading, 6. Juni 2019, 71st Session, A/CN.4/L.937; zuvor nummeriert als Draft Principle 16, in: ILC, Protection of the Environment in Relation to Armed Conflict: Text of the Draft Principles provisionally adopted during the present session by the Drafting Committee, 3. August 2016, A/ CN.4/L.876, S. 3). Eine erste Analyse bietet Hulme, The ILC’s work stream on protection of the environment in relation to armed conflict, Questions of International Law (2016), S. 38. Zu den Vorschlägen der ILC auch Dienelt/Sjöstedt, Is the ILC’s work enhancing protection for the environment in relation to warfare? A reply to StavrosEvdokimos Pantazopoulos and Karen Hulme, Questions of International Law 34 (2016), S. 53 ff. ILC Draft Principle 27 richtet sich auch an die Parteien nichtinternationaler Konflikte. Auch nichtstaatliche Konfliktakteure, die de facto Kontrolle über ein Gebiet be-
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c) Bedeutung und Regelungspotenzial Die CCW ist eine lebendige Konvention mit Potenzial für inhaltliche Weiterentwicklungen entlang der Entwicklung neuer Waffensysteme und dem Aufkommen spezifischer Gefährdungslagen.520 Gerade im Vergleich zur ENMOD-Konvention wird der Erfolg der CCW deutlich, dabei begann die Entstehungsgeschichte der CCW ähnlich problematisch wie die der ENMOD-Konvention. Beide Konventionen haben ihren Ursprung in der Kodifikationsbewegung der 1970er Jahre, wurden mit Hoffnung auf einen effektiven Schutz durch robuste Vertragsnormen entworfen und beide enttäuschten doch durch die Grenzen der konsensfähigen Verbotsnormen.521 Sowohl die CCW als auch die ENMOD-Konsitzen, sind aufgefordert, toxische und andere gefährliche Kampfrückstände zu beseitigen (so die Kommentierung zu Draft Principle 27, in: ILC, Report of the International Law Commission on the Work of its 71st Session 2019, UN GAOR 74th Session, Supp. No. 10, A/74/10, S. 292, 294). Damit trägt die ILC der heutigen Realität der Konfliktführung Rechnung, in der Staatsgebiete häufig über längere Zeit von nichtstaatlichen Gruppen kontrolliert werden. 520 Beispielsweise wurden seit 2013 informelle Expertentreffen zur Frage der Reglementierung autonomer Waffensysteme (Lethal Autonomous Weapons Systems, LAWS) abgehalten (vgl. http://www.unog.ch/80256EE600585943/ %28httpPages %29/8FA3C 2562A60FF81C1257CE600393DF6?OpenDocument [abgerufen am 26.10.2020]) sowie in den jährlich angesetzten Treffen der Konventionsstaaten des geänderten Art. 1 das Problem improvisierter Sprengsätze (Improvised Explosive Devices, IED) aufgeworfen (http://www.unog.ch/80256EE600585943/%28httpPages%29/9209F80002569F45C125 7D00003FA5F7?OpenDocument [abgerufen am 26.10.2020]). 521 Die Struktur der CCW als Rahmenkonvention hat sich seit Mitte der 1990er Jahre als durchaus erfolgreich erwiesen. Dies war allerdings nicht von Anfang an so. Die Konvention hatte zu Beginn ihres Bestehens bei vielen Staaten vor allem Enttäuschung hervorgerufen. Einige Staaten hatten ein vollständiges Verbot von Anti-Personenminen, Splitterwaffen und Brandbomben erhofft und lehnten die nur begrenzte Schutzwirkung der CCW zunächst ab. Dass diese Waffen nur in speziellen Ausformungen und nur bei speziellen Einsatzmethoden untersagt wurden, wurde als Sieg militärischer Interessen bei der Vertragsgestaltung aufgefasst, schließlich regelt das CCW Protokoll I allein das Verbot des Einsatzes von Waffen, die Verletzungen durch nicht mit Röntgenstrahlung zu entdeckende Splitter hervorrufen. Das CCW Protokoll III verbietet lediglich den Einsatz von Brandwaffen gegen Zivilisten oder zivile Objekte und nicht gegen Kombattanten oder Kämpfer. Andere Methoden der Kriegsführung, wie der Einsatz kleinkalibriger Munition, wurden in der CCW gar nicht aufgegriffen (Mathews, The 1980 Convention on Certain Conventional Weapons: A useful framework despite earlier disappointments, International Review of the Red Cross 83 (2001), S. 996). Auch ihre ursprüngliche Anwendbarkeit allein auf internationale Konflikte sowie das Fehlen von Vorgaben für eine Überwachung der Einhaltung verhinderten in den Augen Vieler die praktische Relevanz der CCW. Eine Vielzahl kleinerer Entwicklungsstaaten sowie relevanter Militärmächte sah wenig Gewinn in einer Ratifikation. In Staaten, in denen die Konvention ratifiziert worden war, wurde sie zudem wenig beachtet. Die enorme Ausbreitung und verheerenden Wirkungen von Antipersonenminen in den 1980er Jahren konnten durch die CCW nicht verhindert werden (Mathews, The Second Review Conference of the 1980 Convention on Certain Conventional Weapons 1, Yearbook of International Humanitarian Law 4 (2001), S. 415; Mathews, The 1980 Convention on Certain Conventional Weapons: A useful framework despite earlier disappointments, International Review of the Red Cross 83 (2001), S. 996 mit weiteren Details).
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vention rückten in den 1990er Jahren aufgrund der Einsätze potenziell erfasster Kriegsmethoden in aktuellen Konflikten wieder in den Fokus der internationalen Gemeinschaft. Anders als die ENMOD-Konvention erlangte die CCW unter dem Eindruck tatsächlicher Gefährdungslagen allerdings neue Impulse und konnte mit Blick auf reale Konfliktszenarien maßgeblich weiterentwickelt werden.522 Der Anstoß, den die erste Revisionskonferenz setzte, wirkt bis heute fort und erlaubt Hoffnung auf zusätzliche Protokolle in der Zukunft.523 Mehrere denkbare Gründe kommen für die unterschiedliche Entwicklung beider Instrumente sowohl in Bezug auf die inhaltliche Ausdehnung als auch die Anwendbarkeit in nichtinternationalen bewaffneten Konflikten in Betracht: Ein erster Grund kann in den Eigenschaften der durch die Verträge tatsächlich beschränkten Staaten liegen. Während die CCW vor allem leicht beschaffbare Mittel der Kriegsführung betrifft, die sowohl in internationalen wie auch nichtinternationalen bewaffneten Konflikten massenhaft zum Einsatz kommen können, sind die in den Understandings der ENMOD-Konvention angesprochenen umweltverändernden Mittel noch immer weitestgehend Zukunftsvision. Die ausdrückliche Ausweitung der ENMOD-Konvention auf nichtinternationale bewaffnete Konflikte scheint daher zunächst weniger dringend als dies bei der CCW der Fall war, deren erfasste Mittel der Kriegsführung überwiegend in internen Konflikten zur Anwendung kamen und kommen. Zusätzlich sind es meist die technisch entwickelten Staaten, denen in internationaler Politik Macht und Einfluss zukommen und die sich daher in Verhandlungen gegen Einschränkungen für sie potenziell relevanter Kampfmethoden behaupten können. Eine Ausweitung der Konvention gegen ihren Willen wäre weit weniger leicht zu erreichen als die Weiterentwicklung eines Vertragswerks, deren Einsatzschauplatz überwiegend in von Kriegen geplagten Entwicklungsländern liegt. Aber auch der Charakter der inhaltlichen Verstärkung hat Ausschlag auf die Erfolgschancen seiner Anerken522 Erst als Anfang der 1990er Jahre der Fokus der internationalen Gemeinschaft auf diese Wirkungen fiel, gewann die CCW wieder an Relevanz. In bislang fünf erfolgten Revisionskonferenzen konnte sie maßgeblich weiterentwickelt und ausgedehnt werden. Dies spiegelte sich auch in den Ratifikationszahlen wider: Trotz anfänglich zurückhaltenden Ratifikationen kann die CCW derzeit 125 Mitgliedstaaten (Mitte 2020) verbuchen (https://treaties.un.org/pages/ViewDetails.aspx?src=TREATY&mtdsg_no=XXVI2&chapter=26&lang=en [abgerufen am 26.10.2020]). Auch die Protokolle der CCW weisen ermutigende Ratifizierungszahlen auf: z. B. erweitertes Protokoll II: 106, Protokoll IV: 109; Protokoll V: 96 (a. a. O., Stand Mitte 2020). Bis 2001 hatten lediglich 30 Staaten die Konvention ratifiziert (vgl. Vöneky, Die Fortgeltung des Umweltvölkerrechts in internationalen bewaffneten Konflikten, S. 61, Fn. 143). 523 Mit den bisherigen Revisionskonferenzen sowie jährlich stattfindenden Treffen der jeweiligen Vertragsparteien der Konvention und der Protokolle (Anzahl und Zusammensetzung der Mitgliedstaaten variieren bei jedem der Protokolle. Somit ist eine Vielzahl paralleler Treffen notwendig. Protokoll II und V verfügen zudem über ihre eigenen Implementierungsmechanismen mit zusätzlichen jährlichen Konferenzen und Expertentreffen. Vgl. Art. 13 CCW Protokoll II, Art. 10 CCW Protokoll V) ist die CCW ein lebendiges Instrument mit tatsächlichem Potenzial zur Weiterentwicklung des Rechts.
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nung. Die während der zweiten Revisionskonferenz der ENMOD-Konvention vorgeschlagene Erweiterung des Verbots umweltmodifizierender Maßnahmen um solche Umweltzerstörungen, welche die ökologische Balance einer Region aus dem Gleichgewicht brächte, konnte sich wohl vor allem aufgrund ihrer potenziellen Reichweite nicht durchsetzen. Die Einordnung schwerer Umweltzerstörungen als Umweltmodifikationen im Sinne der ENMOD-Konvention hätte eine viel weitreichendere Beschränkung der Kriegsführung mächtiger Militärmächte bewirkt, als beispielsweise ein umfassendes Verbot des Einsatzes von Antipersonenminen.524 Die Anknüpfung des Verbots am Schutzobjekt (der ökologischen Balance einer Region) und nicht an einer bestimmten Waffenart hätte eine Vielzahl von Kampfmitteln und Konfliktkonstellationen erfasst. Dieser Punkt führt zu einem letzten Argument für die unterschiedliche Entwicklung von CCW und ENMOD-Konvention: Maßgeblich für die Entwicklungschancen beider Abkommen war auch die Reichweite der in ihnen verfassten Verbote. Während die nachfolgenden Protokolle sowie der geänderte Art. 1 der CCW auch Ausnahmen zuließen, enthält die ENMOD-Konvention ein absolutes und kurz gefasstes Handlungsverbot, dessen Ausweitung durch veränderte Auslegung den entgegenstehenden militärischen Interessen wenig Abwägungsraum zugestanden hätte. Auch im Rahmen der CCW scheiterte die Einführung eines absoluten Verbotes des Einsatzes von Antipersonenminen.525 In dieser Hinsicht entwickelte sich die CCW nicht anders als die ENMOD-Konvention. Fortschritt konnte nur hinsichtlich spezifischer, eng gefasster Verbote sowie der Anwendbarkeit auf interne Konflikte erreicht werden. Für einen Großteil der beteiligten Vertragsstaaten bedeutete dies keine zusätzlichen, erheblichen Handlungseinschränkungen. Die offene Fassung des Begriffs der Umweltmodifikation, gepaart mit dem an sie anknüpfenden absoluten Handlungsverbot in der ENMOD-Konvention, erschwerte eine vergleichbare Entwicklung. Der durch die CCW und ihre Protokolle vermittelte Umweltschutz während nichtinternationaler bewaffneter Konflikte ist allerdings stark fragmentiert und von unterschiedlichem Relevanzniveau. Während die Beschränkungen des Einsatzes von Landminen und Sprengfallen sowie die im CCW Protokoll II ebenfalls auferlegten Pflichten zur Kennzeichnung auch in nichtinternationalen Konflikten langanhaltende Umweltschäden vermeiden können, hat das in Artikel 2 (4) CCW Protokoll III enthaltene Verbot des Einsatzes von Brandwaffen gegen Wälder nur wenig substanzielle Relevanz. Der Wert des Rahmenabkommens liegt für die Umwelt daher auch in der Hoffnung auf zukünftige Weiterentwick-
524 Ein absolutes Verbot konnte auch im Rahmen des erweiterten CCW Protokolls II nicht erreicht werden. 525 Dieses Scheitern war ausschlaggebend für die Initiierung der Ottawa-Konvention, die ein vollständiges Verbot der Herstellung, Lagerung und des Einsatzes von Anti-Personenminen anstrebte.
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lungen. Angesichts des lebendigen Charakters des Vertragswerks ist diese Hoffnung nicht gänzlich unbegründet. Das Fortbestehen der Konvention und ihrer Protokolle als lebendige Instrumente, die durch regelmäßige Treffen und Verhandlungen stetig die Option des Fortschritts offen halten, ist an dieser Stelle der wohl größte Wert der CCW.526 Dies gilt umso mehr, da ihre Anwendbarkeit für nichtinternationale bewaffnete Konflikte umfassend angeordnet ist. Jedes zukünftige Protokoll, dessen Anwendungsbereich auf konventionelle Kriege beschränkt werden soll, sähe sich einem erhöhten Begründungsaufwand ausgesetzt. Ein vom Schutzobjekt der Umwelt aus argumentiertes Handlungsverbot könnte allerdings kaum in den Rahmen eines CCW Protokolls, deren gemeinsames Merkmal die spezifische Regelung einer bestimmten und eng umgrenzten Methode der Kriegsführung ist, gefasst werden. Für einen methodenübergreifenden Ansatz mit Fokus auf das Ziel eines vielgestaltigen Angriffs ist die CCW, wie jedes andere Vertragswerk, das allein die Mittel und Methoden der Kriegsführung reglementiert, das falsche Instrument. 2. Antipersonenminen und Streumunition
Dass auch ein so erfolgreiches Vertragssystem wie die CCW schnell an politische Grenzen stoßen kann, zeigte sich bei dem Versuch, den Einsatz von Antipersonenminen vollständig zu untersagen. Obwohl das Regelungssystem der CCW und im Speziellen des CCW Protokolls II für das Erreichen dieses Vorhabens prädestiniert gewesen wäre, war eine Einigung der Mitgliedsstaaten des Protokolls bei Revision des ursprünglichen Protokolls II und Formulierung des geänderten Protokolls II nicht zu erreichen. Dem Druck vieler NGOs und eines erstarkenden öffentlichen Bewusstseins über die grausamen Folgen dieser Kriegsmittel folgend, initiierten eine Reihe williger Staaten mit dem sogenannten Ottawa-Prozess daher die Erschaffung einer separaten Konvention.527 Das 1996 vervollständigte und 1999 in Kraft getretene Übereinkommen über das Verbot des Einsatzes, der Lagerung, der Herstellung und der Weitergabe von Antipersonenminen und über deren Vernichtung (Ottawa-Konvention)528 wurde bis Mitte 2020 von 164 Staaten ratifiziert.529 Ihr beachtlicher Gewinn liegt in dem vollständigen Verbot eines Kriegsführungsinstruments, das gerade in nichtinternationalen bewaffneten 526 In Bezug auf Art. 2 (4) CCW Protokoll III: Schmitt, Green war: an assessment of the environmental law of international armed conflict, The Yale Journal of International Law 22 (1997), S. 90. 527 Dörmann, Land Mines, in: Wolfrum (Hrsg.), The Max Planck Encyclopedia of Public International Law, opil. ouplaw.com/home/EPIL, Rn. 9. 528 Convention on the Prohibition of the Use, Stockpiling, Production and Transfer of Anti-Personnel Mines and on their Destruction vom 18. September 1997, 2056 UNTS 211. 529 Vgl. https://www.apminebanconvention.org/states-parties-to-the-convention/ [abgerufen am 26.10.2020].
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Konflikten aufgrund der Einfachheit seiner Beschaffung in enormem Umfang Verwendung fand.530 Der durch das CCW Protokoll II bewirkte indirekte Schutz der Umwelt wird durch sie ebenso weitergeführt. Zwei Gesichtspunkte sind zu erwähnen: Zum einen spricht die Konvention, anders als das CCW Protokoll II, nur die staatlichen Parteien nichtinternationaler bewaffneter Konflikte an. Nichtstaatlichen Akteuren wird unmittelbar keine Pflicht auferlegt.531 Dennoch haben sich bis heute 49 nichtstaatliche Konfliktakteure freiwillig dazu verpflichtet, in Anlehnung an die Vorgaben der Ottawa-Konvention auf den Einsatz von Personenminen zu verzichten und Maßnahmen ergriffen, um ihre Verpflichtungen umzusetzen.532 Zum anderen zeigt die Ottawa-Konvention die Relevanz internationaler Verhandlungen für die Weiterentwicklung des Rechts. Wenngleich es aufgrund politischen Widerstands nicht möglich gewesen war, ein absolutes Nutzungsverbot im Rahmen der CCW zu vereinbaren, gaben die Verhandlungen der Mitgliedstaaten des CCW Protokolls II den Hauptausschlag für die Initiierung des Ottawa-Prozesses.533 Starke Meinungsbildungen und das Zusammenfinden williger Akteure wurden durch den grundsätzlich funktionierenden Revisionsprozess erst ermöglicht. Letztlich zeigt sich also auch in der Existenz der OttawaKonvention das Potenzial des Regimes der CCW und ihrer Protokolle für zukünftige Beschränkungen der Kriegsführungsmittel. 530 Nach Art. 1 a) der Ottawa-Konvention verpflichten sich die Mitgliedstaaten, unter keinen Umständen jemals Antipersonenminen einzusetzen. Dies umfasst auch nichtinternationale bewaffnete Konflikte. 531 Die Verpflichtung nichtstaatlicher Akteure wurde zwar im Verlauf der Verhandlungen um die Konvention angesprochen, letztlich jedoch nicht in den Wortlaut des Abkommens eingefügt. Der Ausschluss nichtstaatlicher Akteure, die stark an der Nutzung der in der Konvention zentralen Antipersonenminen beteiligt waren, führte zur Gründung der NGO Geneva Call, die sich der Selbstverpflichtung bewaffneter Gruppen zur Einhaltung humanitären Völkerrechts widmet. Zur Arbeit von Geneva Call: Bongard, Engaging armed non-state actors on humanitarian norms: reflections on Geneva Call’s experience, Humanitarian Exchange Magazine (2013), S. 448 ff.; Lacroix/Bongard/ Rush, Engaging armed non-state actors in mechanisms for protection, Forced Migration Review (2011), S. 10; Stott, Armed Non-State Actors in Africa and the Ban on AntiPersonnel Landmines, African Security Review 13 (2004), S. 9 f. 532 Vgl. http://genevacall.org/de/was-wir-tun/landminen/ [abgerufen am 26.10. 2020]. Alle 49 Gruppierungen unterzeichneten die von der NGO Geneva Call entwickelte Verpflichtungserklärung zum Verbot von Antipersonenminen (Geneva Call, Deed of Commitment for Adherence to a Total Ban on Anti-Personnel Mines and for Cooperation in Mine Action, abrufbar unter https://www.genevacall.org/wp-content/ uploads/2020/09/DoC-Banning-anti-personnel-mines.pdf [abgerufen am 26.10.2020]). Laut Geneva Call führte diese Selbstverpflichtung in vielen Fällen zu aktiven Bemühungen der Gruppen gegen den Einsatz der Mienen beziehungsweise bezüglich der Verminderung der durch sie verursachten Schäden. Diese Verpflichtungserklärungen stellen inhaltliche Nachbildungen einzelner Bestimmungen des humanitären Völkerrechts und in diesem Fall der Ottawa-Konvention dar. Zur Thematik freiwilliger Verpflichtungen siehe 3. Teil, § 2. 533 Dörmann, Land Mines, in: Wolfrum (Hrsg.), The Max Planck Encyclopedia of Public International Law, opil.ouplaw.com/home/EPIL, Rn. 9.
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Ähnliche Bedrohungen für die natürliche Umwelt, wie sie durch Landminen und Antipersonenminen hervorgerufen werden, bestehen auch bei dem Einsatz von Streumunition in bewaffneten Konflikten.534 Nicht explodierte Munition kann auch nach Konfliktende über Jahre in Böden verbleiben und das Land für die Zivilbevölkerung unbenutzbar machen. Die Zersetzung der Munitionsrückstände belastet Böden und Gewässer zusätzlich. Das 2010 in Kraft getretene Übereinkommen über Streumunition (Convention on Cluster Munitions/CCM)535 begegnet dieser Umweltgefahr durch ein Nutzungs-, Entwicklungs- und Erwerbsverbot (Art. 1 (1) (a) (b) CCM), das erneut unter allen Umständen und daher auch in nichtinternationalen bewaffneten Konflikten Geltung beansprucht.536 Umweltbelange werden in Art. 4 (6) (h) im Kontext der Verpflichtung zur Räumung von Munitionsrückständen erwähnt; ein weiterer Verweis auf die Umwelt findet sich allerdings nicht. Bislang haben 110 Staaten die Konvention ratifiziert.537 Viele der Hauptnutzer von Streumunition sind allerdings noch nicht beigetreten.538 Nichtstaatliche Konfliktparteien werden, anders als in der Ottawa-Konvention, zwar in der Präambel der CCM genannt, die Artikel des Abkommens verpflichten allerdings erneut nur die Mitgliedstaaten. Da eine gewohnheitsrechtliche Verankerung des Nutzungsverbots angesichts der geringen Ratifikationszahl bislang nicht anzunehmen ist539, ergibt sich erneut das Problem rechtlicher Bindung aller Konfliktakteure. 3. Biologische und chemische Kampfmittel, Herbizide
a) Biologische und chemische Waffen Der Einsatz von erstickenden, giftigen oder ähnlichen Gasen wird seit 1925 durch das Genfer Giftgasprotokoll untersagt.540 Das Protokoll ist laut seinem 534
Sivakumaran, The Law of Non-International Armed Conflict, S. 409. Convention on Cluster Munitions vom 30. Mai 2008, 2688 UNTS 39. 536 Zu den Inhalten statt vieler: Di Ruzza, The Convention on Cluster Munitions: Towards a Balance between Humanitarian and Military Considerations Case-Law and Recent Developments, Military Law and Law of War Review 47 (2008), S. 406 ff. 537 Stand Mitte 2020. Siehe: https://treaties.un.org/Pages/ViewDetails.aspx?src= TREATY&mtdsg_no=XXVI-6&chapter=26&clang=_en [abgerufen am 26.10.2020]. 538 U. a. Israel und die USA. Vgl. die Übersicht unter http://www.stopclustermuni tions.org/en-gb/the-treaty/treaty-status.aspx [abgerufen am 26.10.2020]. Siehe auch Barak, None to Be Trusted: Israel’s Use of Cluster Munitions in the Second Lebanon War and the Case for the Convention on Cluster Munitions, American University International Law Review 25 (2010), S. 437 ff.; Sivakumaran, The Law of Non-International Armed Conflict, S. 409. Zu den Schwächen der Konvention siehe z. B. Raccuia, The Convention on Cluster Munitions: An Incomplete Solution to the Cluster Munition Problem, Vanderbilt Journal of Transnational Law 44 (2011), S. 465 ff. 539 Sivakumaran, The Law of Non-International Armed Conflict, S. 409 sieht vor allem angesichts der breiten Verurteilung des Einsatzes von Streumunition in Libyen eine Tendenz in Richtung der Entstehung einer gewohnheitsrechtlichen Norm. 540 Geneva Protocol for the Prohibition of the Use of Asphyxiating, Poisonous or Other Gases, and of Bacteriological Methods of Warfare vom 17. Juni 1925, 94 LNTS 535
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2. Teil: Das geltende Recht und seine Wirkung zum Erhalt der Umwelt
Wortlaut zwar nur zwischen seinen Vertragsparteien anwendbar und kann daher in nichtinternationalen bewaffneten Konflikten keine Bindungswirkung entfalten, mittlerweile ist die gewohnheitsrechtliche Geltung seines Inhalts aber auch für diese Art bewaffneter Konflikte anerkannt.541 Als Antwort auf die verheerenden Wirkungen des Einsatzes von Giftgasen gegen die gegnerischen Truppen im Ersten Weltkrieg wurde mit dem Protokoll zunächst ein ausschließlich anthropozentrischer Vertrag geschaffen542, der nur indirekt Umweltschäden verhindern kann. Unter Eindruck des Vietnamkrieges sowie des Einsetzens einer internationalen Umweltbewegung bemühte sich die UN-Generalversammlung 1969 aber, die Bedeutung des Protokolls auch zugunsten der Umwelt zu verfestigen, indem sie in Resolution 2603 (XXIV) den Einsatz chemischer und biologischer Kampfstoffe, die zur Schädigung von Mensch, Umwelt oder Pflanzen genutzt werden könnten, als mit den Regelungen des Giftgasprotokolls unvereinbar erklärte.543 Obwohl im Giftgasprotokoll nicht explizit angesprochen, sollten gemäß der Überzeugung mehrerer Vertragsstaaten auch als Kampfmittel eingesetzte Herbizide zu den nach der Resolution verbotenen Stoffen gehören.544 Und obwohl sich Resolution 2603 (XXIV) entsprechend dem Geltungsbereich des Giftgasprotokolls allein auf internationale bewaffnete Konflikte bezog und Herbizide und andere Gifte auch in der Folgezeit in nichtinternationalen Konflikten unter anderem in El Salvador und Guatemala Anwendung fanden545, forderte die Generalversammlung nur ein 65 (Genfer Prot. 1925). Schon die HLKO von 1907 untersagte in Art. 23 (a) die Verwendung von Gift oder vergifteten Waffen. 541 Ursprünglich war die Aufnahme eines entsprechenden Verbots in den gemeinsamen Art. 3 GA vorgeschlagen wurden, diese Idee wurde allerdings wieder fallen gelassen (vgl. den Vorschlag des Delegierten der USA, Federal Political Department (Hrsg.), Final Record of the Diplomatic Conference of Geneva of 1949, Band II, Section B, 32nd meeting, S. 90). Der ICTY nahm schließlich in den 1980er Jahren die gewohnheitsrechtliche Geltung des Verbots des Einsatzes von Giftgas auch in rein innerstaatlichen Konflikten an: ICTY, Prosecutor v. Dusˇko Tadic´, Appeals Chamber Decision on the Defence Motion for Interlocutory Appeal on Jurisdiction, 2. Oktober 1995, Case No. IT-94-1-AR72, Rn. 120–124; bestätigend: EGMR, van Anraat v. Niederlande, Third Section Decision as to the Admissibility of Application vom 6. Juli 2010, Nr. 65389/09, Rn. 94; Henckaerts/Doswald-Beck/Alvermann, Customary International Humanitarian Law, ICRC Study, Band I: Rules, S. 259 f., Regel 74; Schon in den 60er Jahren war der Einsatz von Giftgas im jemenitischen Bürgerkrieg unter anderem von den USA stark kritisiert worden. Vgl. Sivakumaran, The Law of Non-International Armed Conflict, S. 394 m.w. N. 542 Wyatt, Law-making at the intersection of international environmental, humanitarian and criminal law: the issue of damage to the environment in international armed conflict, International Review of the Red Cross 92 (2010), S. 607. 543 UNGA, Resolution 2603 (XXIV) vom 16. Dezember 1969 on the Question of chemical and bacteriological (biological) weapons, 24th Session, UN GAOR 24th Session, Supp. No. 30, S. 16. 544 Laut Generalversammlung fielen u. a. chemische Stoffe „which might be employed because of their direct toxic effects on man, animals or plants“ unter das Verbot des Giftgasprotokolls. 545 Siehe Nachweise in Teil 2, Fn. 100.
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Jahr später die Einhaltung der im Giftgasprotokoll niedergelegten Verbote von allen Parteien jedes bewaffneten Konflikts.546 Das Verbot des Einsatzes biologischer Waffen in jeder Art bewaffneter Konflikte wird zudem durch die Konvention über das Verbot der Entwicklung, Herstellung und Lagerung bakteriologischer (biologischer) Waffen von 1972 (Biological Weapons Convention/BWC)547 bestätigt. Als Abrüstungsvertrag enthält die Biowaffenkonvention zwar kein ausdrückliches Verbot des Einsatzes biologischer Waffen, sondern enthält lediglich die Verpflichtung, unter keinen Umständen Waffen auf der Basis von Mikroorganismen sowie anderen biologischen Substanzen oder Toxinen zu entwickeln, herzustellen, zu lagern oder zu beschaffen (Art. I BWC). Aus dem Wortlaut des Art. I („never in any circumstances“) wird allerdings nicht nur die Anwendbarkeit der BWC in nichtinternationalen Konflikten, sondern teils auch das Verbot des Einsatzes der Substanzen gefolgert.548 Ohne die Herstellung oder Besorgung der Substanzen sei ein Einsatz schließlich gar nicht möglich.549 Gleiches wird zudem aus der Präambel550 sowie aus dem in Art. VIII BWC enthaltenen Verweis auf die unbeeinträchtigte Fortgeltung des Giftgasprotokolls geschlossen.551 Spätestens seit der vierten Revisionskonferenz der BWC, in deren Abschlussdokument sich die Vertragsstaaten zu einem durch die Konvention ausgelösten Verbot des Einsatzes der reglementierten Kampfmittel bekannten552 sowie der Anerkennung des Einsatzverbots als Bestandteil humanitären Gewohnheitsrechts für alle Konfliktarten553, ist diese Frage endgültig geklärt. 546 UNGA, Resolution 2677 (XXIV) vom 9. Dezember 1970 on Respect for human rights in armed conflicts, UN GAOR 25th Session, Supp. No 28, S. 77 sowie UNGA, Resolution 2852 (XXVI) vom 20. Dezember 1971 on Respect for human rights in armed conflict, UN GAOR 26th Session, Supp. No. 29, S. 90. Siehe jedoch sogleich, Teil 2, Fn. 560. 547 Convention on the Prohibition of the Development, Production and Stockpiling of Bacteriological (Biological) and Toxic Weapons and on their Destruction vom 10. April 1972, 1015 UNTS 163. 548 Sivakumaran, The Law of Non-International Armed Conflict, S. 393; S ˇ varc, Biological Weapons and Warfare, in: Lachenmann/Wolfrum (Hrsg.), The Law of Armed Conflict and the Use of Force, S. 119. Ohne weitere Argumente a. A.: Arnold, The protection of the environment, in: Liivoja/McCormack (Hrsg.), Routledge Handbook of the Law of Armed Conflict, S. 397. 549 Sivakumaran, The Law of Non-International Armed Conflict, S. 393. 550 Präambel: „The States Parties to this Convention, [. . .] Reaffirming their adherence to the principles and objectives of that Protocol [. . .].“ 551 S ˇvarc, Biological Weapons and Warfare, in: Lachenmann/Wolfrum (Hrsg.), The Law of Armed Conflict and the Use of Force, S. 119. 552 Fourth Review Conference of the Parties to the Convention on the Prohibition of the Development, Production and Stockpiling of Bacteriological (Biological) and Toxic Weapons and on their Destruction, Genf, 25. November–6. Dezember 1996, Final Document, Part II, Final Declaration, BWC/CONF.IV/9, Final Declaration, Article I para. 4, S. 13. 553 Vgl. die Nachweise in Teil 2, Fn. 541.
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2. Teil: Das geltende Recht und seine Wirkung zum Erhalt der Umwelt
Das Verbot des Einsatzes von Chemiewaffen wird durch die nahezu universal ratifizierte Chemiewaffenkonvention (CWC)554 bestätigt. Diese verbietet nach Art. I CWC unter allen Umständen die Entwicklung, Produktion, den Erwerb, die Lagerung, Zurückbehaltung, Weitergabe sowie schließlich die Nutzung chemischer Waffen. Ihr umfassender Anwendungsbereich garantiert die Geltung auch in nichtinternationalen bewaffneten Konflikten.555 In Folge dieser Entwicklung erklärte der Verfassungsgerichtshof Kolumbiens 1995, der Einsatz chemischer Waffen in nichtinternationalen bewaffneten Konflikten verstoße gegen Gewohnheitsrecht.556 Nur wenig später und nach ausführlicher Auseinandersetzung mit Beispielen der Staatenpraxis kam die Berufungskammer des ICTY im Tadic´Verfahren zum gleichen Ergebnis.557 Die in mehreren Sicherheitsratsresolutionen jüngster Zeit ausgedrückte Verurteilung des Einsatzes chemischer Waffen durch Regierungstruppen und die Kämpfer des sogenannten IS im nichtinternationalen bewaffneten Konflikt in Syrien zeigt das Bestehen entsprechender opinio iuris eindeutig.558 Die Existenz eines gewohnheitsrechtlichen Verbots der Nutzung 554 Convention on the Prohibition of the Development, Production, Stockpiling and Use of Chemical Weapons and on their Destruction vom 3. September 1992, 1974 UNTS 45. Bis Mitte 2020 hatten 193 Staaten die Konvention ratifiziert. Lediglich vier Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen (Ägypten, Israel, Nordkorea und der Südsudan) sind bislang keine Mitglieder der CWC, wobei Israel den Vertrag mittlerweile unterschrieben, nicht jedoch ratifiziert hat. Zuletzt trat Palästina der Konvention im Mai 2018 bei. Siehe https://www.opcw.org/about-opcw/member-states/ [abgerufen am 26.10.2020]. Anders als im Giftgasprotokoll von 1925 sind staatliche Vorbehalte gegenüber dem Einsatz von Chemiewaffen im Rahmen der CWC nicht gestattet (Asada, A Path to a Comprehensive Prohibition of the Use of Chemical Weapons under International Law: From The Hague to Damascus, Journal of Conflict & Security Law 21 (2016), S. 205). 555 Krutzsch, Article I: General Obligations, in: Krutzsch et al. (Hrsg.), The Chemical Weapons Convention: A Commentary, S. 65; Gioia, The Chemical Weapons Convention and its application in time of armed conflict, in: Bothe/Ronzitti/Rosas (Hrsg.), The new Chemical Weapons Convention: Implementation and Prospects, S. 384; ausführlich Asada, A Path to a Comprehensive Prohibition of the Use of Chemical Weapons under International Law: From The Hague to Damascus, Journal of Conflict & Security Law 21 (2016), S. 184 ff. 556 Corte Constitucional de la República de Colombia, Sentencia C-225/95 vom 18. Mai 1995, L.A.T. 040, abrufbar unter: http://www.suin-juriscol.gov.co/viewDocu ment.asp?id=20016147 [abgerufen am 26.10.2020], Rn. 23. 557 ICTY, Prosecutor v. Dus ˇko Tadic´, Appeals Chamber Decision on the Defence Motion for Interlocutory Appeal on Jurisdiction, 2. Oktober 1995, Case No. IT-94-1-AR72, Rn. 120–124. 558 U. a. UNSC, Resolution 2118 vom 27. September 2013, S/RES/2118 (2013); UNSC, Resolution 2235 vom 7. August 2015, S/RES/2235 (2015); zum Einsatz von chemischen Waffen in Syrien: United Nations Mission to Investigate Allegations of the Use of Chemical Weapons in the Syrian Arab Republic, Final Report, Annex to the identical letters dated 13 December 2013 from the Secretary-General addressed to the President of the General Assembly and the President of the Security Council, A/68/ 663 – S/2013/735, S. 3 ff.; UN News Centre, Interview: The Syrian forces and ISIL used toxic chemicals as weapons, abrufbar unter: https://www.un.org/apps/news/ story.asp?NewsID=54795 [abgerufen am 26.10.2020]. Ausführlich zum gewohnheits-
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chemischer Waffen durch staatliche wie durch nichtstaatliche Akteure in jeder Art bewaffneter Konflikte wird heute allgemein anerkannt.559 Stärker noch als das Verbot des Einsatzes biologischer Waffen ist diese Handlungsschranke geeignet, Flora und Fauna indirekten Schutz vor Konfliktschäden zu vermitteln. b) Herbizide Unsicherheit besteht dagegen hinsichtlich des umweltrelevanten Verbots des Einsatzes von Herbiziden in nichtinternationalen bewaffneten Konflikten. Zwar untersagt das Giftgasprotokoll von 1925 den Einsatz von Herbiziden560, dieses rechtlichen Verbot des Einsatzes von Chemiewaffen auch in rein internen Konflikten: Asada, A Path to a Comprehensive Prohibition of the Use of Chemical Weapons under International Law: From The Hague to Damascus, Journal of Conflict & Security Law 21 (2016), S. 153 ff. 559 Krutzsch et al. (Hrsg.), The Chemical Weapons Convention: A Commentary, Introduction, S. 2; Henckaerts/Doswald-Beck/Alvermann, Customary International Humanitarian Law, ICRC Study, Band I: Rules, S. 259 f., Regel 74; Schmitt/Garraway/Dinstein (Hrsg.), The Manual on the Law of Non-International Armed Conflict: with Commentary, 2.2.2.; Zimmermann/Sener, Chemical Weapons and the International Criminal Court, The American Journal of International Law 108 (2014), S. 438; Boothby, Weapons and the Law of Armed Conflict, S. 125. 560 Dies ist zudem stark umstritten. Während sich die Generalversammlung unter Eindruck des Vietnamkriegs bemühte, den Anwendungsbereich des Protokolls durch eine entsprechende Erklärung auch auf die Schädigung von Tieren und Pflanzen zu erweitern (UNGA, Resolution 2603 (XXIV) vom 16. Dezember 1969 on the Question of chemical and bacteriological (biological) weapons, 24th Session, UN GAOR 24th Session, Supp. No. 30, S. 16, siehe oben Teil 2, Fn. 543, 544) vertraten vor allem die USA und Australien eine restriktive Interpretation. Dass nicht alle Vertragsstaaten des Protokolls das Bemühen der Generalversammlung befürworteten, zeigt auch das Abstimmverhalten bei Resolution 2603 (XXIV). Die Resolution selbst wurde mit 80 zu drei Stimmen (Australien, Portugal, USA) bei 36 Enthaltungen angenommen (vgl. Yearbook of the United Nations 1969, S. 30). Von den Mitgliedstaaten des Giftgasprotokolls (zu dieser Zeit insg. 67) stimmten 33 für und zwei (Australien, Portugal) gegen die Resolution. Es enthielten sich 25 Staaten (Boserup, The Problem of Chemical and Biological Warfare, Band III: CBW and the Law of War, S. 65). Zwar ist die hohe Rate der Enthaltungen nicht allein auf eine restriktive Interpretation des Verbotsgehalts des Protokolls zurückzuführen (einige Staaten waren vielmehr der Ansicht, dass die Generalversammlung weder befugt noch geeignet sei, um den Inhalt des Giftgasprotokolls zu definieren oder erweitern. Vgl. UNGA, First Committee, Official Report of the 1704th Meeting, 28. November 1969, UN GAOR 24th Session, A/C.1/PV.1704, Rn. 69 ff. – Australien; UNGA, First Committee, Official Report of the 1717th Meeting, 10. Dezember 1969, UN GAOR 24th Session, A/C.1/PV. 1717, Rn. 47 – USA), vor allem die USA und Australien wehrten sich jedoch auch substanziell gegen die Existenz eines vertraglichen oder gewohnheitsrechtlichen Verbots des Herbizideinsatzes, das, so argumentierte die USA, 1925 nicht vorhergesehen und daher nicht von dem Protokoll erfasst sein könne (a. a. O., Rn. 47; vgl. insg. Asada, A Path to a Comprehensive Prohibition of the Use of Chemical Weapons under International Law: From The Hague to Damascus, Journal of Conflict & Security Law 21 (2016), S. 159). Unmittelbar vor Ratifikation des Giftgasprotokolls erklärten die USA 1975 in einer Executive Order (United States, Executive Order 11850, issued by the US President, 8. April 1975, Federal Register 40 (1975), S. 16187) „as a matter of national policy“ auf den Ersteinsatz von Herbiziden im Krieg
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kann mangels Anwendbarkeit in nichtinternationalen Konflikten jedoch keine Wirkung entfalten. Eine explizite Erwähnung derartiger Stoffe als durch die CWC untersagte Kampfmittel wurde mit Verweis auf den Regelungsgehalt der ENMOD-Konvention bei Entwicklung der CWC als nicht notwendig erachtet,561 sodass lediglich ein Verweis auf die bereits vor Verabschiedung der CWC bestehende Rechtslage in die Präambel der CWC aufgenommen wurde.562 Insofern Herbizide als Mittel der Kriegsführung gegen Menschen oder Tiere eingesetzt werden, fallen sie unproblematisch unter das nunmehr auch gewohnheitsrechtlich geltende Verbot des Einsatzes biologischer oder chemischer Kampfmittel der CWC und BWC.563 Nicht geklärt ist jedoch die Frage, ob der Einsatz von Herbiziden, die keine Gefahr für Menschen oder Tiere darstellen, sondern ausschließlich Pflanzen durch Entlaubung oder andere Wirkungen schädigen, rechtlich durch spezielle Waffenverbote beschränkt ist. Vor allem die USA wehren sich noch immer gegen diese Ansicht. Auch in ihrem neusten Law of War Manual weisen sie daraufhin, dass der Einsatz derartiger Herbizide weder durch
zu verzichten. Ausgenommen sei nur der Einsatz zur Kontrolle der Vegetation in unmittelbarer Umgebung zu ihren Militärbasen. Trotz der kurz darauf vollzogenen Ratifikation des Protokolls wollte die USA offensichtlich nicht von ihrer Rechtsansicht abrücken. Bis heute hat sich die Sicht der Vereinigten Staaten nicht gewandelt (siehe zuletzt United States Department of Defence, Law of War Manual, 2015 (updated 2016), S. 369). 561 Tatsächlich erwuchsen lange Diskussionen um die Frage der Nennung von Herbiziden als unter der CWC verbotene Chemikalien. Siehe oben, Teil 2, Fn. 392. Im Detail: Krutzsch, Preamble, in: Krutzsch et al. (Hrsg.), The Chemical Weapons Convention: A Commentary, S. 56, Rn. 7 f.; Dinstein, The conduct of hostilities under the law of international armed conflict, S. 245. Ein US-amerikanisches Gericht, das sich mit der Frage der Haftung für den Einsatz von Agent Orange im Vietnamkrieg beschäftigte, erklärte 2005, zum Zeitpunkt des Einsatzes habe weder ein vertragliches noch ein gewohnheitsrechtliches Verbot der Nutzung existiert. Insbesondere das Giftgasprotokoll von 1925 habe dieses Mittel der Kriegsführung bis 1975 nicht untersagt (United States District Court Eastern District of New York, In Re „Agent Orange“ Product Liability Litigation, Verfügung und Urteil vom 10. März 2005, MDL No. 381, 04-CV-400, abrufbar unter: http://www.vn-agentorange.org/10_03_05_agentorange.pdf [abgerufen am 26.10.2020]). 562 Präambel CWC, Abs. 7: „Recognizing the prohibition, embodied in the pertinent agreements and relevant principles of international law, of the use of herbicides as a method of warfare.“ 563 Siehe für Details die Kommentierung zu Regel 76, in: Henckaerts/Doswald-Beck/ Alvermann, Customary International Humanitarian Law, ICRC Study, Band I: Rules, S. 266 f. Ein gewohnheitsrechtliches Verbot des Einsatzes von Herbiziden bestätigt u. a. auch Gioia, The Chemical Weapons Convention and its application in time of armed conflict, in: Bothe/Ronzitti/Rosas (Hrsg.), The new Chemical Weapons Convention: Implementation and Prospects, S. 387. Kritisch zum gewohnheitsrechtlichen Status des Verbots sowie den Ausführungen der IKRK-Studie: Turns, Weapons in the ICRC Study on Customary International Humanitarian Law, Journal of Conflict & Security Law 11 (2006), S. 224 f.; ausführlich Asada, A Path to a Comprehensive Prohibition of the Use of Chemical Weapons under International Law: From The Hague to Damascus, Journal of Conflict & Security Law 21 (2016), S. 157 ff.
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die CWC noch durch das Genfer Giftgasprotokoll erfasst sei.564 Tatsächlich stellen laut Art. II (1) (a) CWC toxische Chemikalien, die zu einem Zweck bestimmt sind, der nicht durch die CWC untersagt ist, keine chemische Waffen im Sinne der Konvention dar. Toxische Chemikalien im Sinne der CWC sind nach Art. II (2) CWC ausschließlich solche Stoffe, die durch ihre chemische Wirkung auf einen Organismus tödlich, handlungseinschränkend oder dauerhaft schädigend für Mensch oder Tier wirken können. Art. II (9) CWC gibt schließlich Aufschluss über die nach dem Übereinkommen nicht verbotenen Zwecke. Zu diesen zählen auch militärische Zwecke, „die nicht mit dem Einsatz chemischer Waffen zusammenhängen und die nicht von den toxischen Eigenschaften der Chemikalien als Mittel der Kriegführung abhängen“ (Abs. 9). Die Nutzung von Herbiziden, die keine schädliche Wirkung auf Menschen oder Tiere haben, fällt also schon nach Art. II (2) CWC aus dem Anwendungsbereich der Konvention. Ein Verbot der Schädigung von Pflanzen ist nicht Fokus des Abkommens.565 Selbst wenn der Gebrauch Auswirkungen auf den Organismus von Mensch und Tier haben kann, ist er nur dann verboten, wenn diese Auswirkungen speziell auf die toxische Wirkung des Herbizids zurückzuführen sind (Art. II (9) CWC). Schädliche Folgen durch den Entzug des Lebensraums von Tieren und Menschen oder die Beeinträchtigung eines Ökosystems durch die Vernichtung der vorhandenen Pflanzen sind nicht umfasst. Auch die ENMOD-Konvention verbietet den Einsatz von Herbiziden nur für den Fall, dass dieser die ökologische Balance einer Region stören und dadurch weitreichende, langanhaltende oder schwere Auswirkungen wie Schäden, Zerstörungen oder Verletzungen eines anderen Mitgliedstaates der ENMOD-Konvention hervorrufen könnte.566 Ist diese Schadensschwelle nicht erreicht, ist der Einsatz der Herbizide nicht untersagt. Zudem ist die Konvention nur in einigen Konstellationen nichtinternationaler bewaffneter Konflikte anwendbar. Der andauernde Widerstand der USA gegen ein umfassendes Verbot des Einsatzes von Herbiziden erschwert auch die Entwicklung entsprechenden Gewohnheitsrechts. Bislang erkennt daher auch die IKRK-Studie ein solches nicht an. Regel 76 beschreibt lediglich spezielle Fälle, in denen die Nutzung von Herbiziden im Konflikt untersagt sei. Diese entsprechen den Anwendungsgebieten des allgemeinen Unterscheidungsgrundsatzes (Regel 76 c) und des Proportionalitätsgebots (76 d), der CWC (76 a), der BWC (76 b) sowie der Art. 35 (3) und 55 ZP (I) zum Verbot schwerwiegender, langanhaltender und weitreichender Umweltschäden (76 e). In diesen Punkten beansprucht die Regel 76 sodann allerdings 564
Vgl. Teil 2, Fn. 560. Boothby, Weapons and the Law of Armed Conflict, S. 226. 566 So auch United States Department of Defence, Law of War Manual, 2015 (updated 2016), S. 369. Dinstein, The conduct of hostilities under the law of international armed conflict, S. 242 betont zu Recht, dass die Schadensschwelle des Art. I ENMOD dennoch Voraussetzung des Verbots bleibt. 565
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Relevanz sowohl in internationalen wie auch in nichtinternationalen bewaffneten Konflikten.567 Ein umfassendes Nutzungsverbot von Herbiziden wird auch von anderen Expertengremien bislang nicht angenommen.568 Die Begrenzung der IKRK-Studie auf spezifische Verbotsfälle ist daher im Grundsatz angebracht. In ihrer konkreten Formulierung ist das in der Studie genannte Verbot womöglich aber noch zu weitreichend gefasst. Zumindest in Bezug auf Regel 76 e), die eine gewohnheitsrechtliche Verankerung des Inhalts der Art. 35 (3) und 55 ZP I auch für nichtinternationale bewaffnete Konflikte voraussetzt, erwachsen Zweifel an der korrekten Wiedergabe bestehenden Gewohnheitsrechts.569 Ob und inwieweit das in den beiden Normen des ZP I enthaltene Verbot der Verursachung bestimmter Umweltschäden tatsächlich gewohnheitsrechtliche Geltung nicht nur in internationalen, sondern auch in nichtinternationalen Konflikten erlangen konnte, ist durchaus fraglich und weiterhin umstritten.570 Unabhängig von dieser Problematik macht aber auch das IKRK deutlich, dass kein umfassendes Verbot des Einsatzes von Herbiziden nach Gewohnheitsrecht besteht. Ihr Einsatz in internationalen Konflikten ist gewohnheitsrechtlich also nur dann verboten, wenn ihre konkrete Nutzung im Einzelfall ein anderes Handlungsverbot des Gewohnheitsrechts auslöst. Richtet sich der Einsatz z. B. allein gegen Wälder und andere Pflanzen, ergeben sich Verbotslücken. III. Ergebnis: umweltgefährdende Mittel und Methoden der Kriegsführung Die rechtlichen Einschränkungen der Mittel und Methoden der Kriegsführung sind bedeutende Aspekte des durch humanitäres Völkerrecht gewährleisteten Schutzes der Umwelt im Konflikt. Eine beachtliche Anzahl vertraglicher Vorgaben ist mittlerweile auch in nichtinternationalen Konflikten anwendbar. Je nach 567 Henckaerts/Doswald-Beck/Alvermann, Customary International Humanitarian Law, ICRC Study, Band I: Rules, S. 265, Regel 76. 568 Die Autoren des NIAC Manual halten die Existenz eines gewohnheitsrechtlichen Verbots des Einsatzes von Herbiziden (mit der Einschränkung des Vorbehalts der USA zum Einsatz gegen Vegetation in der Umgebung von Militärbasen) für durchaus vertretbar (Schmitt/Garraway/Dinstein (Hrsg.), The Manual on the Law of Non-International Armed Conflict: with Commentary, 2.2.2, Rn. 7). Das HPCR Manual geht nicht derart weit und verweist ohne Entscheidung über die Existenz von Gewohnheitsrecht lediglich auf den Wortlaut der CWC sowie die Executive Order der USA (HPCR, Manual on International Law applicable to Air and Missile Warfare, 6 b), S. 69, Rn. 4). Auch in der Literatur findet ein absolutes Verbot meist keine Unterstützung. Vgl. u. a. Krutzsch, Preamble, in: Krutzsch et al. (Hrsg.), The Chemical Weapons Convention: A Commentary, S. 56, Rn. 8; Dinstein, The conduct of hostilities under the law of international armed conflict, S. 245. 569 Turns, Weapons in the ICRC Study on Customary International Humanitarian Law, Journal of Conflict & Security Law 11 (2006), S. 225 bezeichnet Regel 76 aus weiteren Gründen als schwächsten Bestandteil der Gewohnheitsrechtsstudie. 570 Zur gewohnheitsrechtlichen Geltung der Art. 35 (3) und 55 ZP I in nichtinternationalen Konflikten, siehe 2. Teil, § 3, A., II.
§ 2 Umweltschützendes Vertragsrecht
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Formulierung der jeweiligen Konvention besteht allerdings weiterhin das Problem der unmittelbaren Bindung bewaffneter Gruppen. Werden sie, wie beispielsweise in der Ottawa-Konvention, nicht direkt in die Verantwortung genommen und besteht, als Konsequenz der Weigerung einiger Staaten, sich dem Verbot zu unterwerfen, keine entsprechende gewohnheitsrechtliche Norm, die nichtstaatliche Akteure zu binden vermag, kann das Verbot in nichtinternationalen bewaffneten Konflikten nicht seine volle Wirkung entfalten. Die völkerrechtliche Verpflichtung nichtstaatlicher Akteure steht dann auf einem nur schwachen Begründungsgerüst.571 Die Sorge, nichtstaatliche Akteure durch ausdrückliche Verpflichtung womöglich zu legitimieren, ist angesichts der Möglichkeit eines klarstellenden Passus im jeweiligen Vertragstext kein überzeugender Grund gegen ihre Inpflichtnahme. Dieses allgemeine Problem der vertraglichen Regelung nichtinternationaler bewaffneter Konflikte, kombiniert mit der noch immer nicht vollständigen Anwendbarkeit aller genannten Verträge in diesen Konfliktszenarien, hat im hier erläuterten Kontext ganz spezifische Konsequenzen: Da die Mitgliedstaaten des CCW Protokolls II nicht in der Lage waren, Herbizide als ausdrücklich untersagte Mittel der Kriegsführung in das Protokoll aufzunehmen, ist ihre Nutzung gegen Pflanzen in nichtinternationalen Konflikten selbst bei Verursachung gravierender Umweltschäden nur dann untersagt, wenn die Schäden in einem anderen Mitgliedsstaat der ENMOD-Konvention auftreten, denn nur in dieser Konstellation ist die ENMOD-Konvention überhaupt anwendbar und das in ihr enthaltene Verbot des Einsatzes von Herbiziden kann ausgelöst werden. Und während alle Konfliktakteure durch das CCW Protokoll II dazu verpflichtet sind, bestimmte Arten der Nutzung von Landminen zu unterlassen, gilt das absolute Verbot der Nutzung von Antipersonenminen in der Ottawa-Konvention zunächst nur für staatliche Akteure. Anders als Staaten haben es die nichtstaatlichen Gruppen nicht in der Hand, sich dem System in gleichem Maße zu unterwerfen. Genauso wie es der Weiterentwicklung des Systems spezifischer Waffenverbote, wie des Einsatzes von Herbiziden oder auch von umstrittener DU-Munition,572 be571 Zu der Bindungsbegründung aufgrund schierer Notwendigkeit, oben 1. Teil, § 3, C. 572 Dessen Bezeichnung wird von dem bekannteren englischen Begriff für abgereichertes Uran abgeleitet: Depleted Uranium. Bislang existiert kein Vertrag, der den Einsatz von Munition mit abgereichertem Uran beschränkt oder in sonstiger Weise direkt anspricht (UNEP, Protecting the environment during armed conflict, S. 16). Mit abgereichertem Uran hergestellte Projektile weisen eine im Vergleich zu konventionellen Projektilen erhöhte Dichte auf, die zu einer stärkeren Durchschlagkraft auch gegen Panzer u. ä. führt. DU-Munition wird heute von einer Vielzahl technologisch fortschrittlicher Armeen eingesetzt. Als radioaktives Schwermetall kann DU bei Inhalation, Aufnahme über Lebensmittel und Trinkwasser oder Kontakt mit der Haut zu Organschäden und schweren Erkrankungen wie Krebs führen (WHO, Health Effects of Depleted Uranium, Report by the Secretariat vom 26. April 2001, A54/19 Add. 1, Annex S. 3). Diese Gefahr trifft zunächst die mit der Munition hantierenden Angehörigen konfliktführender Parteien. Nach dem Einsatz in Böden verbleibende Projektile können allerdings auch von Zivilisten aufgenommen werden. Durch Zersetzung können die in der Munition
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2. Teil: Das geltende Recht und seine Wirkung zum Erhalt der Umwelt
darf, muss bei zukünftigen Vertragswerken der Fokus stärker auf die Schaffung eines kohärenten Systems auch in nichtinternationalen Konflikten gelegt werden.
D. Abschlussgedanken zu dem durch Vertragsrecht bewirkten Umweltschutz Obwohl die Umwelt durch humanitäres Vertragsrecht in nichtinternationalen Konflikten keinen direkten Schutz erfährt, profitiert die Bewahrung einiger ihrer Bestandteile in nicht unerheblichem Ausmaß von vertraglichen Handlungsbeschränkungen. Umfang und praktische Relevanz der jeweiligen Verbotsnormen variieren allerdings gravierend. Dass die vertraglich bewirkten Schonungsanordnungen angesichts tatsächlicher Gefährdungslagen oft nicht einmal in ihrem begrenzten Anwendungsbereich ausreichende Wirkung entfalten, ist an mehreren Stellen der Analyse deutlich geworden. Neben dem offensichtlichen Fehlen einer absoluten Schädigungsgrenze, die nur durch eine die Umwelt unmittelbar schützende Vorschrift erreicht werden könnte, sowie den bereits im Rahmen der ein-
enthaltenen Stoffe in Böden und Gewässer dringen. Die Verwendung von DU-Munition wurde daher seit Bekanntwerden ihres ersten Einsatzes im Golf-Krieg 1991 teils stark kritisiert. Mehrere Studien machen den Einsatz von Uranmunition für gestiegene Krebserkrankungszahlen und Missbildungen in der Bevölkerung verantwortlich. Auch das Golfkriegssyndrom wird teils mit DU-Munition in Verbindung gebracht. Die Ergebnisse dieser Studien sind allerdings nicht unumstritten. Sowohl WHO als auch UNEP verweisen auf fehlende wissenschaftliche Erkenntnisse hinsichtlich der radioaktiven Strahlung zurückbleibender Projektile sowie mangelnde Studien zur Langzeitwirkung von DUMunitionsrückständen in Böden und Gewässern. Allerdings sei die von zurückbleibenden DU-Projektilen ausgehende Strahlung in jedem Fall örtlich stark begrenzt, so dass ausgedehnte Umweltschäden durch den Einsatz von DU-Munition unwahrscheinlich seien (UNEP, Depleted Uranium in Serbia and Montenegro: Post-Conflict Environmental Assessment, S. 33; vgl. auch die Ergebnisse in UNEP, Depleted Uranium in Bosnia and Herzegovina: Post-conflict environmental assessment, S. 48 ff. und UNEP, Depleted Uranium in Kosovo: Post-Conflict Environmental Assessment, S. 34; zudem WHO, Health Effects of Depleted Uranium, Report by the Secretariat vom 26. April 2001, A54/19 Add. 1, S. 5; IKRK, Depleted Uranium Munitions, International Review of the Red Cross 83 (2001), S. 543). Aufgrund der noch immer ungesicherten wissenschaftlichen Erkenntnislage forderten IKRK, WHO und UNEP Zurückhaltung bei dem Einsatz von DU-Munition. Ausführlich zum Einsatz von DU-Munition im Kosovo: Hulme, War Torn Environment: Interpreting the Legal Threshold, S. 225 ff., die letztlich zu dem Schluss kommt, dass der Einsatz von DU-Munition nicht grundsätzlich gegen anwendbares humanitäres Völkerrecht verstoße (S. 249). Fehlende wissenschaftliche Erkenntnisse verhindern noch immer eine endgültige rechtliche Beurteilung des Einsatzes von DU-Munition. Vgl. z. B. Borrmann, The use of depleted uranium ammunition under contemporary international law: is there a need for a treaty-based ban on DU weapons? Medicine, Conflict and Survival 26 (2010), S. 268 ff. Zum Einsatz von DU-Munition durch NATO-Streitkräfte in Jugoslawien: Schwabach, Environmental damage resulting from the NATO military action against Yugoslavia, Columbia Journal of Environmental Law 25 (2000), S. 117 ff.; für eine naturwissenschaftliche Untersuchung von Uranresten als Folge der NATO-Einsätze, siehe: Milacˇic´ /Simicˇ, The Consequences of NATO Bombing on the Environment in Serbia.
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zelnen Schädigungsverbote herausgestellten Besonderheiten zeigt die Befassung mit dem vertraglichen Schutz der Umwelt weitere Defizite rechtlicher und politischer Natur: (1) Mangels ausdrücklicher Erwähnung der Umwelt im ZP II kann ihre Schonung nur durch die Heranziehung funktionsbedingter Schutzgebote des Protokolls erreicht werden. Diese Strategie hat allerdings notwendig zur Folge, dass nur einzelne Umweltaspekte aufgrund ihrer Werthaftigkeit erfasst werden können, während viele ihrer Bestandteile und Ausprägungen schutzlos verbleiben. Das Scheitern aller bisherigen Versuche, Ökosysteme von besonderer Biodiversität oder Regionen von herausragender Umweltschönheit spezifisch unter eine Schutzanordnung zu stellen, zeigt besonders gravierende verbleibende Lücken. Der Vorschlag der ILC, diese Lücke durch die Vereinbarung demilitarisierter Zonen zu schließen, mag für Einzelfälle eine erfolgversprechende Lösung bieten, die Idee kann aufgrund ihrer Abhängigkeit von der Vereinbarungsbereitschaft der jeweiligen Konfliktakteure ein flächendeckendes Schutzsystem aber nicht ersetzen. (2) Eine zweite, die rechtliche Regelung internationaler wie nichtinternationaler Konflikte gleichermaßen tangierende Schutzschwäche resultiert aus dem bislang andauernden Aufmerksamkeitsdefizit der mit dem ius in bello befassten Akteure gegenüber der potenziellen Reichweite bestehender Vertragsnormen. Besonders deutlich wird dies hinsichtlich der kulturellen und spirituellen Funktion der Umwelt. Das fehlende Bewusstsein um die Bedeutung von natürlichen Regionen und Umweltstätten für die kulturelle und spirituelle Entwicklung der Völker ist das größte Hindernis nicht nur für die Entstehung entsprechenden Gewohnheitsrechts, sondern auch der Subsumtion der Umwelt unter bereits existente Schutznormen, deren Auslegungsrahmen im Grundsatz weit genug wären, um einen verstärkten Schutz bestimmter Güter zu erreichen. (3) Bei einem Vergleich unterschiedlich weit interpretierter Vertragsnormen wird zudem ein ungleich starker staatlicher Unwille freiwilliger Schutzverstärkung deutlich. Auf der einen Seite steht das Verbot von Umweltmodifikationen nach Art. I ENMOD-Konvention. Die Nutzung dieses Verbots zur Begrenzung schwerer Umweltzerstörungen wurde unter Eindruck der Ölbrände in Kuwait durch die zweite Revisionskonferenz angeregt. Die Mitglieder der ENMOD-Konvention entschieden sich aber bewusst gegen eine Ausdehnung des ursprünglichen Handlungsverbots. Umweltzerstörungen, wie sie 1991 vor den Augen der Weltöffentlichkeit verübt worden waren, blieben weiterhin unreglementiert – obwohl mit Art. I ENMOD-Konvention ein potenzielles Verbotsinstrument zur Verfügung stand. Dagegen erfuhr das Verbot von Plünderungen im Kontext bewaffneter Konflikte eine enorme Entwicklung. Während sich seine ursprüngliche Bedeutung in der Regelung von Diebstählen auf dem Schlachtfeld und Raubzügen gegen ziviles Eigentum in Dörfern und Städten erschöpfte, ist es heute eine anerkannte Schranke auch der Ausbeutung natürlicher Ressourcen durch nichtstaat-
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2. Teil: Das geltende Recht und seine Wirkung zum Erhalt der Umwelt
liche Konfliktparteien. Diese Divergenz in der Entwicklung zweier ursprünglich eng gefasster Verbotsnormen ist nur auf den ersten Blick erstaunlich. Zum einen wurde die Ausweitung des Plünderungsverbots, sowohl auf öffentliches Eigentum wie auch auf die Ausbeutung natürlicher Ressourcen, maßgeblich durch die Nürnberger Tribunale bestimmt. Sie wurde damit in einem Szenario bewirkt, in dem nationale Interessen uneingeschränkter Handlungsfreiheit nicht im Fokus der Norminterpretation standen. Das Ziel einer möglichst umfassenden rechtlichen Verurteilung der Kriegsverbrechen der Nationalsozialisten ermöglichte eine erhebliche Weiterentwicklung des Plünderungsverbots. Dass sich die weite Auslegung des Plünderungsbegriffes in den nächsten Jahrzehnten festigen konnte und vor allem auch in nichtinternationalen Konflikten Anwendung fand, wurde zudem auch dadurch begünstigt, dass das Handlungsverbot in nichtinternationalen Konflikten allein die nichtstaatlichen Parteien in die Pflicht nimmt. Den Staaten kam eine möglichst breite Anwendung des Verbots in dieser Konfliktart also gelegen, hatten sie selbst doch keine Einbuße ihrer Handlungsfreiheit zu befürchten.573 Diese Konstellation ist für die ENMOD-Konvention nicht gegeben. Eine Ausweitung des Anwendungsbereichs von Art. I auf Umweltzerstörungen, welche die ökologische Balance einer Region aus dem Gleichgewicht zu bringen vermögen, hätte zukünftige Konfliktentscheidungen auch der mächtigen und technologisch gut ausgerüsteten Staaten deutlich eingeschränkt. Sie wird daher auch zukünftig nicht zu erreichen sein. Politischer Wille bestimmt auch heute das Ausmaß rechtlich möglichen Schutzes. Umweltschutzbestrebungen, die diesen Überlegungen Rechnung tragen, werden auch zukünftig stärkere Chancen auf Anerkennung haben. (4) Ein weiterer Aspekt betrifft allein das Recht nichtinternationaler bewaffneter Konflikte, ist allerdings mit der politischen Realität der Rechtserzeugung und -entwicklung eng verbunden: Bei der Formulierung angeblich gewohnheitsrechtlicher Handlungsschranken durch Expertengremien wie dem IKRK wird den tatsächlich in nichtinternationalen Konflikten bestehenden Gefahren und Gegebenheiten sowie den bereits bestehenden Vertragsnormen oftmals nicht ausreichend Rechnung getragen. Indem allein das Recht konventioneller Kriege als Vorbild für den Wortlaut einer vermeintlich in allen Konflikten geltenden Norm genutzt wird, geraten die Spezifika des Rechts nichtinternationaler Konflikte aus dem Blickfeld. Dieses Vorgehen lässt nicht nur Zweifel an der Legitimität der so ge-
573 Dies gilt auch für den Kontext internationaler Konflikte. Die maßgeblich an der Weiterentwicklung des humanitären Völkerrechts beteiligten Staaten nutzen konventionelle Plünderungen nicht länger als Mittel der Konfliktführung. Sollten sie Interesse an den Bodenschätzen einer feindlichen Konfliktpartei besitzen, bliebe ihnen noch immer das begrenzte Nutzungs- und Ausbeutungsrecht des Art. 55 HLKO. Dass die Grenzen zulässiger Ausbeutung in dieser Norm bei weitem nicht so klar verlaufen wie die des Art. 4 (2) (g) ZP II, unterstützt das Argument der Rechtsentwicklung nach politischen Interessen.
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fundenen Regel erwachsen. Auch die Möglichkeit, speziell auf die spezifischen Konfliktszenarien zu reagieren, bleibt ungenutzt. Dass beispielsweise ein absolutes Verbot des Angriffs auf Kernkraftwerke in nichtinternationalen Konflikten nicht nur dem Wortlaut des für diese Situationen anwendbaren Art. 15 ZP II entspricht, sondern auch durch bedeutende Staaten wie die USA Unterstützung fände, bleibt so gänzlich außer Acht. Stattdessen bewirkt die allein am Maßstab des Rechts internationaler Konflikte aufgestellte Niederschrift einer behaupteten Gewohnheitsrechtsnorm unter Umständen sogar die Hemmung eines sonst möglichen, strengeren Schonungsgebots. Nicht immer kann und darf davon ausgegangen werden, dass das derzeit existente und zukünftig mögliche Schutzlevel in nichtinternationalen bewaffneten Konflikten zwingend niedriger ist als in dem Recht konventioneller Kriege. Eine unreflektierte, annexhafte Analyse des anwendbaren Rechts verbietet sich also auch aus diesem Grund. Eine an heutige Umweltschutzbestrebungen angepasste Auslegung bestehenden Vertragsrechts hat nur dann Sinn, wenn das Recht auch die Akteure bewaffneter Konflikte in die Pflicht nehmen kann. Wie bereits eingangs (1. Teil, § 3, C., I.) erläutert, ist dies jedoch nur mit Blick auf fundamentalste Pflichten humanitärer Kriegsführung gesichert. Ob nichtstaatliche Konfliktakteure in transnationalen Auseinandersetzungen an Vorschriften des ZP II gebunden sind, ist nicht abschließend gesichert. In anderen Fällen, wie der ENMOD-Konvention, ist die Begrenzung von Handlungsverboten auf staatliche Konventionsmitglieder schon aus dem Wortlaut der Vorschriften ersichtlich. Eine erweiternde Auslegung entsprechender Vertragsnormen mit Blick auf die Schonung der Umwelt hätte also nur begrenzte Wirkung. Die Beschränkung völkerrechtlicher Pflichten auf Mitgliedstaaten eines Abkommens rechtfertigt sich zwar grundsätzlich durch die Anerkennung staatlicher Souveränität als Kernbestandteil des Völkerrechts, die Nutzung des Völkervertragsrechts zur Begrenzung von Konflikten zwischen nichtstaatlichen Akteuren wird durch dieses Konzept allerdings erschwert. Es bieten sich zwei Lösungskonzepte an: So kann versucht werden, bestehende Handlungsnormen durch Vertragsänderung auch auf nichtstaatliche Akteure in jedem Konfliktszenario anwendbar zu machen. Dieser Weg ist jedoch lang und beschwerlich. Die ausdrückliche Nennung nichtstaatlicher Akteure in Vertragstexten scheiterte teils schon in Vergangenheit am politischen Widerstand einzelner Mitgliedstaaten. Aussichtsreicher ist der zweite Weg effektiver Schutzgewährung – er besteht in der Heranziehung von Rechtsnormen, die unabhängig von theoretischer Ratifizierungsmöglichkeit und tatsächlicher Ratifikation alle Konfliktparteien zu verpflichten vermögen. Diese Eigenschaft kommt humanitärrechtlichem Gewohnheitsrecht wenigstens im Ergebnis (1. Teil, § 3 C., II.) zweifellos zu. Gewohnheitsrechtliche Schranken zulässiger Umweltschädigung haben schon deshalb eine besondere Bedeutung. Sie werden im Folgenden dargestellt.
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2. Teil: Das geltende Recht und seine Wirkung zum Erhalt der Umwelt
§ 3 Umweltschutz durch autonomes Gewohnheitsrecht nichtinternationaler Konflikte Nicht jede gewohnheitsrechtliche Norm findet ihren Ursprung oder ihre Entsprechung in Vorschriften des Vertragsrechts. Gerade im Recht nichtinternationaler bewaffneter Konflikte besteht eine Vielzahl von Vorschriften allein auf Basis von Gewohnheitsrecht. Diese Handlungsverbote wurden nie in entsprechende Konventionen aufgenommen. Teils entstammen sie ursprünglich einem Vertrag, der auf diese Form bewaffneter Auseinandersetzungen selbst nicht anwendbar ist, teils entstanden sie explizit für die Anwendung in bewaffneten Konflikten, ohne dass entsprechendes Vertragsrecht zuvor existiert hatte. Gerade im Kontext nichtinternationaler Konflikte kommt derartigen Gewohnheitsrechtsnormen eine besondere Bedeutung zu, denn anders als Völkervertragsrecht erhebt anwendbares Gewohnheitsrecht von vorneherein den Anspruch, jede Konfliktpartei in jedem Einzelfall zu verpflichten. Durch umweltschützende Vorschriften des humanitären Gewohnheitsrechts nichtinternationaler Konflikte wären also auch nichtstaatliche Konfliktparteien weitgehend unproblematisch verpflichtet. Die Analyse entsprechender Vorschriften ist Kern der folgenden Ausführungen. Die durch das Ratifikationserfordernis gesetzten Grenzen vertraglicher Schutznormen wurden der internationalen Gemeinschaft spätestens unter Eindruck der brennenden Ölfelder Kuwaits574 bewusst. Der Irak hatte zum damaligen Zeitpunkt weder die beiden Zusatzprotokolle von 1977 noch die ENMOD-Konvention ratifiziert. Eine Verurteilung der verursachten Umweltschäden auf Basis dieser Vertragsnormen schied also aus.575 Lösungen abseits vertraglicher Verbote waren nötig, sollte der Wiederholung derartiger Umweltschäden durch humanitäres Völkerrecht begegnet werden. In Folge wurden Umweltschutzvorschriften erstmals auch im Gewohnheitsrecht gesucht. Diese Bewegung der Rechtsverstärkung traf in den darauffolgenden Jahren der 1990er auf eine zweite Entwicklung humanitären Gewohnheitsrechts: Vorangetrieben vor allem durch die Rechtsprechung internationaler Straftribunale und insbesondere den ICTY, hatte sich das Bedürfnis verwirklicht, auch das Recht nichtinternationaler Konflikte insgesamt zu stärken und dem Recht konventioneller Kriege anzugleichen. Vorschriften zum Schutz von zivilen Objekten, zu nötigen Vorsichtsmaßnahmen und verbotenen Kampfhandlungen, die zuvor nur für internationale Kriege anwendbar waren, wurden in diesen Jahren zu Handlungsmaßstäben auch in nichtinternationalen Konflikten.
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2. Teil, § 2, C., I. Womöglich auch aus diesem Grund wurden die durch den Irak hervorgerufenen Umweltzerstörungen allein im Kontext der Führung eines illegalen Angriffskrieges gewürdigt. Eine Einordnung als Verstoß gegen humanitäres Völkerrecht fand nicht statt. Vgl. insb. UNSC, Resolution 687 vom 3. April 1991, S/RES/687, Rn. 16. 575
§ 3 Umweltschutz durch autonomes Gewohnheitsrecht
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Das Zusammentreffen dieser Rechtsentwicklungen führte in nur wenigen Jahren zu einer erheblichen Neujustierung des anwendbaren Gewohnheitsrechts auch zum Schutz der Umwelt. Womöglich brachten diese Jahre sogar spezifische neue, die Umwelt explizit schützende Regelungen des Gewohnheitsrechts hervor. Die beiden Bewegungen und die durch sie verursachten Rechtsänderungen können in mehrere Kategorien unterteilt werden. Diese sind in Herleitung sowie Geltungsund Regelungswirkung zu unterscheiden. Die erste Kategorie der Rechtsänderung beruht auf einer Herleitung verstärkten Schutzes während nichtinternationaler Konflikte aus dem Vertragsrecht beziehungsweise aus dem auf Vertragsrecht beruhenden Gewohnheitsrecht konventioneller Kriege (§ 3, A.). Sie fußt auf dem prominenten Bestreben einer rechtlichen Angleichung beider Konflikttypen. Ihr Vorteil liegt in der relativen Einfachheit ihrer Formulierung durch Ableitung von bereits existierenden Normen. Ihr Nachteil besteht dagegen in ihrer notwendigen Begrenzung auf das in internationalen bewaffneten Konflikten bestehende Schutzlevel. Eine zweite Kategorie möglicher Schutz- und Schonungsvorschriften beschreibt originäres, nicht allein aus der Reflexion verfasster Verträge entstandenes Gewohnheitsrecht. Solche Normen sind kein Abbild bestehender humanitärrechtlicher Vertragsnormen, sondern ergeben sich unmittelbar aus einer Fortentwicklung von Rechtsüberzeugung und Praxis der Staatengemeinschaft. Ihr Vorteil liegt in der Möglichkeit, das Recht ohne die Notwendigkeit neuer Verträge an moderne Überzeugungen, Wertvorstellungen und Entwicklungen anzupassen. Durch sie könnten auch seit 1977 erstarkte Umweltschutzüberzeugungen Einzug in das ius in bello erlangt haben. Diese Kategorie originärer Umweltschutznormen unterteilt sich nochmals in zwei Unterfälle: Einerseits sind dies solche Vorschriften, die zuvor schon im Recht verankert waren, aber erst durch Neuinterpretation anhand geänderter Wert- und Rechtsvorstellungen dem Schutz der Umwelt zu dienen vermögen (§ 3, B.). Andererseits könnten originäre Gewohnheitsrechtsnormen im engeren Sinn entstanden sein, die unmittelbar zum Schutz der Umwelt im Konflikt formuliert wurden (§ 3, C.). Aus keiner dieser beiden Entstehungsvarianten konnten und können allerdings speziell für nichtinternationale bewaffnete Konflikte formulierte Regelungen erwachsen. Der überwiegende Fokus in Praxis und Theorie auf das Recht internationaler Konflikte führt dazu, dass Fortentwicklungen humanitären Völkerrechts allein für interne Konflikte bislang kaum denkbar sind. Originäres Gewohnheitsrecht wird im humanitären Völkerrecht daher nur entweder primär für internationale Konflikte oder von Beginn an für beide Konfliktformen entstehen können. Selbst wenn eine die Umwelt in Konflikten beachtende Gewohnheitsrechtsnorm entwickelt werden konnte, muss hinterfragt werden, ob ihr auch für nichtinternationale Konflikte Relevanz zukommt.
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2. Teil: Das geltende Recht und seine Wirkung zum Erhalt der Umwelt
A. Kategorie 1: Übernahme humanitären Vertragsrechts internationaler Konflikte „State practice establishes this rule as a norm of customary international law [. . .] arguably [. . .] in non-international, armed conflicts.“ 576
I. Verbot der Verursachung qualifizierter Umweltschäden Das in Art. 35 (3) und 55 ZP I niedergelegte Verbot, Mittel und Methoden der Kriegsführung einzusetzen, die dazu bestimmt sind oder von denen erwartet werden kann, dass sie ausgedehnte, langanhaltende und schwere Schäden der natürlichen Umwelt verursachen, ist eine der bekanntesten Umweltschutznormen mit Konfliktbezug.577 Bei ihrer Einführung 1977 stellten beide Normen eine drastische Neuerung für das humanitäre Völkerrecht dar578, das der Umwelt zuvor keinerlei unmittelbare Beachtung geschenkt hatte. Über vierzig Jahre sind seitdem vergangen. Es sind die Jahrzehnte eines aufkommenden Umweltbewusstseins auf globaler Ebene, ausgedrückt unter anderem in der Entstehung des Umweltvölkerrechts als eigenem Regime internationalen Rechts. Zu gleicher Zeit ließ sich auch eine drastische Erweiterung des Rechts nichtinternationaler bewaffneter Konflikte durch die Entwicklung von Gewohnheitsrecht nach dem Vorbild des Rechts konventioneller Kriege beobachten. Warum sollten die einzigen und da-
576 Henckaerts/Doswald-Beck/Alvermann, Customary International Humanitarian Law, ICRC Study, Band I: Rules, Kommentierung u. a. zu Regel 43 und 45. 577 Obwohl beide Artikel in ihrer Schutzwirkung überlappen, wurden sie nicht als Duplikate verfasst (Pilloud/Pictet, Commentary on Art. 55 AP I, in: Sandoz/Swinarski/ Zimmermann (Hrsg.), Commentary on the Additional Protocols of 8 June 1977 to the Geneva Conventions of 12 August 1949, S. 663, Rn. 2133). Während Art. 35 (3) ZP I eine Beschränkung der Mittel und Methoden der Kriegsführung enthält, schreibt Art. 55 ZP I eine besondere Sorgfaltspflicht fest, die die Zivilbevölkerung vor schwerwiegenden Umweltzerstörungen bewahren soll. Zu den Unterschieden zwischen beiden Normen: Koppe, The Use of Nuclear Weapons and the Protection of the Environment during International Armed Conflict, S. 148 ff. m.w. N.; Hulme, War Torn Environment: Interpreting the Legal Threshold, S. 77 ff.; Spieker, Völkergewohnheitsrechtlicher Schutz der natürlichen Umwelt im internationalen bewaffneten Konflikt, S. 373 ff.; Hulme, Natural Environment, in: Wilmshurst/Breau (Hrsg.), Perspectives on the ICRC study on customary international humanitarian law, S. 229. 578 De Preux, Pilloud/Pictet, in: Sandoz/Swinarski/Zimmermann (Hrsg.), Commentary on the Additional Protocols of 8 June 1977 to the Geneva Conventions of 12 August 1949, S. 387, Rn. 1380, S. 663, Rn. 2125; Henckaerts/Doswald-Beck/Alvermann, Customary International Humanitarian Law, ICRC Study, Band I: Rules, Regel 45, S. 151 f.; Bothe et al., New Rules for Victims of Armed Conflicts, Commentary on the two 1977 Protocols Additional to the Geneva Conventions of 1949, Section I, Introduction, S. 319; Koppe, The Principle of Ambituity and the Prohibition against Excessive Collateral Damage to the Environment during Armed Conflict, in: Rayfuse (Hrsg.), War and the environment, S. 79.
§ 3 Umweltschutz durch autonomes Gewohnheitsrecht
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her für das Umweltschutzsystem des humanitären Völkerrechts zentralen Art. 35 (3) und 55 ZP I diesen Schritt nicht auch vollzogen haben? Die Autoren der IKRK-Studie sahen gute Argumente für die gewohnheitsrechtliche Verankerung der Norminhalte auch mit Blick auf nichtinternationale Konflikte. Mit ausdrücklichem Verweis auf ihre Ursprünge im ZP I nahmen sie mit Regel 45 Satz 1 eine entsprechende Regel auf, die in Wortlaut und Inhalt an Art. 35 (3) und 55 ZP I angelehnt ist: „The use of methods or means of warfare that are intended, or may be expected, to cause widespread, long-term and severe damage to the natural environment is prohibited.“ 579
Ihren Ursprung als Gewohnheitsrecht habe diese Vorschrift, so das IKRK, in der Akzeptanz der korrespondierenden Artikel des ZP I durch Vertrags- sowie auch Nichtvertragsstaaten.580 Wie Art. 35 (3) und 55 ZP I, erfasst Regel 45 Satz 1 lediglich solche Zerstörungen, die alle drei Qualifizierungsmerkmale des zu erwartenden oder beabsichtigten Umweltschadens aufweisen.581 Sind diese Merkmale erfüllt, gilt das Verbot aber absolut. Eine Abwägung mit militärischen Interessen kann nicht mehr zur Zulässigkeit der Handlung führen.582 Das durch das IKRK postulierte gewohnheitsrechtliche Verbot wäre in seinem Kern daher durchaus beachtlich. Absolute Grenzen zulässiger Schädigung sind im humanitären Völkerrecht selten, schließlich haben sie zur Folge, dass der jeweilige Handlungsträger selbst im äußersten Fall nationaler Bedrohung einen Angriff, der die Schadensschwelle der Verbotsnorm überschreiten könnte, nicht tätigen darf. Im Anwendungsbereich der Regel 45 wäre dieses Verbot sogar unabhängig davon, ob und in welchem Umfang die nicht am Konflikt beteiligten Individuen und Bevölkerungen, die sonst im Zentrum humanitärrechtlicher Handlungseinschränkungen stehen, durch die Zerstörung in Mitleidenschaft gezogen würden. Damit unterscheidet sich die Regel deutlich von anderen Handlungsverboten, wie bei579 Henckaerts/Doswald-Beck/Alvermann, Customary International Humanitarian Law, ICRC Study, Band I: Rules, S. 151 f., Regel 45. 580 Verwiesen wird insb. auf eine Vielzahl von Militärhandbüchern und Beispiele nationaler Gesetzgebung. Auch im Rahmen des Nuclear Weapons Gutachtens des IGH (IGH, Legality of the Threat or Use of Nuclear Weapons, Advisory Opinion vom 8. Juli 1996, I.C.J. Reports 1996, S. 226 ff.) gingen einige Staaten in ihren Erklärungen von der gewohnheitsrechtlichen Geltung der Art. 35 (3) und 55 ZP I aus. Vgl. die Nachweise bei Henckaerts/Doswald-Beck/Alvermann, Customary International Humanitarian Law, ICRC Study, Band I: Rules, S. 152 f., Regel 45. 581 In der Überschrift der Regel 45 werden diese Voraussetzungen als „Causing Serious Damage to the Natural Environment“ zusammengefasst. Diese Wortwahl ist unglücklich, wird im internationalen Umweltrecht doch zwischen „serious“ (Überschrift) und „severe“ (eines der drei Qualifikationsmerkmale der Regel) als unterschiedlich starken Schadenskategorien unterschieden. Vgl. Hulme, Natural Environment, in: Wilmshurst/Breau (Hrsg.), Perspectives on the ICRC study on customary international humanitarian law, S. 229. 582 Die absolute Geltung des Verbots erklärt auch die hohe Schwelle seiner Anwendbarkeit.
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2. Teil: Das geltende Recht und seine Wirkung zum Erhalt der Umwelt
spielsweise dem in Regel 42 enthaltenen Verbot eines Angriffs auf Anlagen, die gefährliche Kräfte beinhalten.583 Die Weite ihres Schutzobjekts („natural environment“ als allgegenwärtige Umgebung) erfordert, die Vorschrift bei einer Vielzahl von Angriffsentscheidungen zu beachten. II. Gewohnheitsrechtlicher Status in nichtinternationalen Konflikten Ob diese Regel aber tatsächlich über den ursprünglichen Geltungsbereich des ZP I hinaus als Gewohnheitsrecht Etablierung fand und in Ausweitung auch in nichtinternationalen bewaffneten Konflikten Wirkung entfaltet, ist nicht ohne Zweifel anzunehmen.584 Das IKRK selbst beantwortet die Frage weder abschlie583
Zu Regel 42, siehe oben Teil 2, Fn. 468 und 469. Unproblematisch ist dagegen die grundsätzliche Übertragung einer für internationale Konflikte geschaffenen Norm auf teils rein interne Sachverhalte, in denen ein Staat gezwungen ist, Ziele auf dem eigenen Staatsgebiet zu attackieren. Zwar wird, anders als im Fall internationaler Konflikte, die Zerstörung der Umwelt in nichtinternationalen Konflikten weitgehend auf dem eigenen Staatsgebiet und durch staatliche Kräfte verübt. Dies ist zunächst ein gänzlich anderer Fall als die Schädigung von Umweltkomponenten auf dem Gebiet eines anderen Völkerrechtssubjekts, wie z. B. des Konfliktgegners in internationalen Konflikten, welche durch das Prinzip territorialer Integrität und das Verbot grenzüberschreitender Umweltbeeinträchtigungen auch im Friedensvölkerrecht grundsätzlich untersagt ist. Schon das ZP I umfasste allerdings die Schädigung des eigenen Staatsgebiets als untersagte Handlung. Die örtliche Reichweite der Art. 35 (3) und 55 ZP I lässt sich aus Art. 49 (2) ZP I entnehmen. Danach finden die Bestimmungen des Protokolls zur Zulässigkeit von Angriffen unabhängig davon Anwendung, in welchem Gebiet der Angriff stattfindet. Ausdrücklich gelten sie auch für Angriffe auf dem Hoheitsgebiet einer Konfliktpartei, das der de facto-Kontrolle einer gegnerischen Partei unterliegt (Sandoz/Swinarski/Zimmermann (Hrsg.), Commentary on the Additional Protocols of 8 June 1977 to the Geneva Conventions of 12 August 1949, Article 49, Rn. 1889 mit Verweis auf die Diskussion im 3. Komitee der CCDH). Damit sind nach dem ZP I allein solche Zerstörungshandlungen auf dem eigenen Staatsgebiet, die keine Angriffe gegen eine gegnerische Partei, die de facto die Kontrolle eines bestimmten Gebiets ausübt, vom Anwendungsbereich ausgenommen. Auch schon in den Verhandlungen der CDDH kam die spezielle Frage auf, ob lediglich das Staatsgebiet der gegnerischen Partei durch den Schutz der Umwelt im Rahmen der Zusatzprotokolle umfasst und ein Staat demnach auf seinem eigenen Gebiet keinerlei einschränkenden Regelungen des humanitären Völkerrechts zum Schutz der Umwelt unterworfen sei. Diese Einschränkung wurde von Vertretern mehrerer Staaten infrage gestellt. Beispielsweise wies der Vertreter Irlands ausdrücklich auf die Möglichkeit interner Konflikte hin und nahm diese zum Anlass, eine territorial-unabhängige Schutzbestrebung zu formulieren: „He was convinced that the protection of the environment should not be a matter for the adversary alone, but also for the High Contracting Party itself because in the event of national conflict or fratricidal war a country might resort to methods such as defoliation or the use of herbicides.“ (CDDH, Official Records of the Diplomatic Conference on the Reaffirmation and Development of International Humanitarian Law Applicable in Armed Conflicts, Geneva (1974–1977), Band XIV, CDDH/III/SR.20, S. 172). Die Anwendung des Verbots auf rein interne Sachverhalte ohne grenzüberschreitende Wirkung stellt demnach keine grundlegende Neuerung dar. 584
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ßend noch einheitlich. Die Geltung der Regel 45 erstrecke sich laut Kommentierung lediglich „arguably“ auch auf diese Art bewaffneter Auseinandersetzungen. Allerdings, so argumentieren die Verfasser, gehe der derzeitige Trend in Richtung eines stärkeren Umweltschutzes während bewaffneter Konflikte sowie einer Erweiterung der in nichtinternationalen bewaffneten Konflikten anwendbaren Regelungen. Daher sei es wahrscheinlich, dass die Regel zumindest in naher Zukunft den Status als Völkergewohnheitsrecht erlange.585 Das letzte Jahrzehnt hat allerdings nicht ausgereicht, um in diesem Kontext Gewissheit zu erlangen.586 Die derzeitige Lage deutet eher in eine andere Richtung. Der gewohnheitsrechtliche Status der Norm ist schon für internationale bewaffnete Konflikte stark umstritten. Nur wenige Fälle von Staatenpraxis existieren, in denen Art. 55 und 35 (3) ZP I auch unabhängig von einer vertraglichen Bindung an das Zusatzprotokoll I vorgebracht wurden.587 Sie behandelten überwiegend Fälle, in denen mehrere Staaten am Konflikt teilnahmen.588 Die Studie des IKRK verweist zur Herleitung des gewohnheitsrechtlichen Status zwar zusätzlich auf nationale Militärhandbücher von Staaten, die das Zusatzprotokoll I nicht ratifiziert haben, jedoch lassen die Verweise nicht erkennen, ob die Aufnah585 Henckaerts/Doswald-Beck/Alvermann, Customary International Humanitarian Law, ICRC Study, Band I: Rules, S. 157, Regel 45. 586 Dies mag durchaus auch damit zusammenhängen, dass ein Verweis auf den Wortlaut der Studie („arguably“) in Theorie und Praxis leichter zu führen ist, als der Nachweis mittlerweile erstarkten Gewohnheitsrechts. Vgl. zu der andauernden Ungewissheit z. B. Henckaerts/Constantin, Protection of the Natural Environment, in: Clapham/Gaeta (Hrsg.), The Oxford Handbook of International Law in Armed Conflict, S. 486; Smith, The Prohibition of Environmental Damage during the Conduct of Hostilities in NonInternational Armed Conflict, S. 113; Boothby, Differences in the Law of Weaponry When Applied to Non-international Armed Conflicts, in: Watkin/Norris (Hrsg.), Noninternational armed conflict in the twenty-first century, S. 205; Freeland, Addressing the Intentional Destruction of the Environment during Warfare under the Rome Statute of the International Criminal Court, S. 168 f. Befürwortend Breau, Protection of the environment during armed conflict, in: Alam (Hrsg.), Routledge Handbook of International Environmental Law, S. 628 mit Verweis auf die ablehnende Haltung Dinsteins (Dinstein, Protection of the Environment in International Armed Conflict, Max Planck Yearbook of United Nations Law Online 5 (2001), S. 525). Dinstein hatte sich allerdings deutlich vor Veröffentlichung der IKRK-Studie geäußert. Die bestehende Ungewissheit wird bestärkt durch die ablehnende Haltung insb. der USA gegenüber einer Ausdehnung des Gewohnheitsrechts zugunsten verstärkten Umweltschutzes im Rahmen der Studie. Vgl. zuletzt United States Department of Defence, Law of War Manual, 2015 (updated 2016), S. 378. 587 Ausführlich Koppe, The Use of Nuclear Weapons and the Protection of the Environment during International Armed Conflict, S. 225 ff. 588 Beispielsweise wurde das Verbot durch den Iran im Iran-Irak-Krieg in den 1980er Jahren vorgebracht, obwohl weder der Iran noch der Irak zu diesem Zeitpunkt das ZP I ratifiziert hatten (vgl. Greenwood, Customary Status of the 1977 Additional Protocols, in: Delissen/Tanja (Hrsg.), Humanitarian Law of Armed Conflict: Challenges ahead, S. 101). Ebenso wurden Art. 35 (3) und 55 ZP I im Golfkrieg von 1990/1991 vorgebracht, als der Irak Ölfelder und -seen in Kuwait entzündete und Öl in den Persischen Golf leitete (siehe die Nachweise in Teil 2, Fn. 364).
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2. Teil: Das geltende Recht und seine Wirkung zum Erhalt der Umwelt
men solcher Regelungen in Militärhandbücher und Richtlinien aufgrund einer entsprechenden opinio iuris getätigt wurden.589 Ähnlich verhält es sich mit weiteren Erkenntnisquellen humanitären Gewohnheitsrechts, wie dem Bericht des UN-Generalsekretärs vom 6. August 1999, der eine entsprechende Handlungsuntersagung für UN-Truppen in internationalen und nichtinternationalen Konflikten proklamiert.590 Neben den wenigen Anhaltspunkten, die eine gewohnheitsrechtliche Geltung der Norm in jedweder Art bewaffneter Konflikte unterstützen, finden sich starke Positionierungen gegen eine solche Annahme. Frankreich und die USA lehnen die gewohnheitsrechtliche Geltung der Norm schon für internationale bewaffnete Konflikte entschieden ab.591 Anders als bezüglich der Zulässigkeit eines Angriffs auf Anlagen, die gefährliche Kräfte beinhalten, macht die USA bei dieser Regel keine Unterscheidung zwischen der Situation in internationalen und in nichtinternationalen bewaffneten Konflikten. Die Zweifel an einer 589 Koppe, a. a. O., S. 226 f.; Dam-de Jong, International law and governance of natural resources in conflict and post-conflict situations, S. 241. 590 UN Secretary General, Secretary-General’s Bulletin vom 6. August 1999, Observance by United Nations forces of international humanitarian law, ST/SGB/1999/13, Section 6.3. Es ist nicht nur unklar, ob alle der genannten Regeln tatsächlich gewohnheitsrechtliche Geltung besitzen. Zudem enthält der Bericht nicht zwingend eine Zusammenstellung bindender Vorschriften. Möglicherweise ist in ihm lediglich ein rein politisches Strategiepapier zu sehen. Im Detail Koppe, The Use of Nuclear Weapons and the Protection of the Environment during International Armed Conflict, S. 238 mit Verweis auf Zwanenburg, Accountability of peace support operations, S. 184. 591 Siehe den Vorbehalt Frankreichs bei Ratifikation der CCW, abgedruckt in Doswald-Beck/Henckaerts, Customary International Humanitarian Law, ICRC Study, Band II: Practice, Parts 1 and 2, Regel 45, § 152. Der Vorbehalt wurde allerdings schon 1988 geäußert. Deutlich wehrten sich die USA nach Veröffentlichung der Studie gegen den gewohnheitsrechtlichen Charakter der Regel 45. Vgl. United States General Counsel of the Department of Defense and the Legal Adviser for the Department of State, Initial response of U.S. to ICRC study on Customary International Humanitarian Law with Illustrative Comments, 3. November 2006, abrufbar unter https://2009-2017.state. gov/s/l/2006/98860.htm [abgerufen am 26.10.2020], wiedergegeben in Bellinger/ Haynes, A US government response to the International Committee of the Red Cross study ,Customary International Humanitarian Law‘, International Review of the Red Cross 89 (2007), S. 455 ff. zu Regel 45, S. 460 zu ihrer Geltung in nichtinternationalen bewaffneten Konflikten. Ausdrücklich wird nicht nur der gewohnheitsrechtliche Status, sondern auch der Inhalt des Verbots kritisiert. Ein absolutes Verbot würde, so die Ansicht der USA, dazu führen, dass selbst ein Arsenal biologischer und chemischer Waffen, dessen Einsatz gegen einen anderen Staat durch den Eigentumsstaat unmittelbar bevorstünde, das aber derzeit in einem Regenwald versteckt wäre, durch den bedrohten Staat nicht vernichtet werden könnte, selbst dann nicht, wenn auch der Abschuss der Waffen eine katastrophale Umweltzerstörung hervorrufen würde. Derartige Szenarien machten nach Sicht der USA deutlich, warum Staaten, die das Zusatzprotokoll I nicht ratifiziert hätten, die gewohnheitsrechtliche Geltung der Regel 45 ablehnten (a. a. O., Fn. 30). Auch im aktuellen Law of War Manual der USA kommt die Ablehnung der Art. 35 (3) und 55 ZP I sowie ihre denkbare gewohnheitsrechtliche Geltung deutlich zum Ausdruck (United States Department of Defence, Law of War Manual, 2015 (updated 2016), S. 378). Erneut wird vor allem die fehlende Möglichkeit der Abwägung zwischen dem Schutz der Umwelt und militärischen Interessen kritisiert (S. 456, Fn. 35).
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bereits bestehenden gewohnheitsrechtlichen Geltung werden auch durch die seit der IKRK-Studie erarbeiteten internationalen Militärhandbücher genährt: Das NIAC Manual, das sich als einziges Handbuch speziell mit dem geltenden Recht nichtinternationaler Konflikte befasst, enthält keine entsprechende Regel. Eine gewohnheitsrechtliche Geltung der Art. 35 (3) und 55 ZP I wird vielmehr ausdrücklich abgelehnt.592 Auch die Mehrheit der mit der Erstellung des HPCR Manual von 2009 befassten Experten äußerten Zweifel über den gewohnheitsrechtlichen Status eines solchen Verbots.593 In Konsequenz findet sich im HPCR Manual keine entsprechende Regel.594 Zuletzt konnten sich die mit der Erarbeitung des Tallinn Manual befassten Experten nicht auf die Anerkennung einer gewohnheitsrechtliche Geltung der Norm einigen.595 Sie formulierten die entsprechende Regel 83 (b) als nur für Vertragsstaaten des ZP I Wirkung entfaltend. Allerdings weist die Kommentierung der Regel darauf hin, dass einige Mitglieder der Expertengruppe die gewohnheitsrechtliche Geltung auch in nichtinternationalen bewaffneten Konflikten bejahten.596 Letztlich sahen die Verfasser keines der Handbücher ausreichende Nachweise entsprechender opinio iuris. Ganz eindeutig ist die Lage allerdings auch nicht, schließlich finden sich durchaus Hinweise für eine weiterhin wachsende Bedeutung der in Art. 35 (3) und 55 ZP I enthalten Handlungsschranke auch für nichtinternationale bewaffnete Konflikte. Als Bestandteil der Präambel der CCW597 kommt ihr seit 2004 durch das Amendement zu Art. 1 CCW598 auch vertragliche Bedeutung für nichtinternationale bewaffnete Konflikte zu.599 Ebenso enthält die revidierte Afrikani592 Schmitt/Garraway/Dinstein (Hrsg.), The Manual on the Law of Non-International Armed Conflict: with Commentary, 4.2.4 Natural Environment, Rn. 1. 593 HPCR, Manual on International Law applicable to Air and Missile Warfare, Section M, Rn. 5. Eine Unterscheidung hinsichtlich der Konfliktarten wurde nicht vorgenommen. 594 Ursprünglich sollten mehrere weitere Regeln zum Schutz der Umwelt in das HPCR Manual aufgenommen werden. Die endgültige, sehr restriktive Fassung des Handbuchs spiegelt einen nur kleinen gemeinsamen Nenner der beteiligten Akteure wider. ILC Special Rapporteur Jacobsson kritisierte die Fassung des HPCR stark. Angesichts der weitreichenden Ratifikation des ZP I, auch durch vier der fünf Mitglieder des Sicherheitsrats, sei der derart restriktive Ansatz des HPCR Manual sehr bedauerlich (ILC, Second Report on the Protection of the Environment in Relation to Armed Conflicts, submitted by Marie G. Jacobsson, Special Rapporteur, 28. Mai 2015, A/CN.4/ 685, Rn. 190–192). 595 Schmitt, Tallinn Manual on the International Law applicable to Cyber Warfare, Kapitel 9, Regel 83 (b). 596 Schmitt, a. a. O., Rn. 2. 597 Abs. 4 Präambel CCW. 598 Vgl. Amendment to Article 1 of the Convention on Prohibitions or Restrictions on the Use of Certain Conventional Weapons Which May be Deemed to be Excessively Injurious or to Have Indiscriminate Effects vom 21. Dezember 2001, 2260 UNTS 82. 599 Allerdings erklärte Frankreich bei Ratifikation in einem Vorbehalt, dass Abs. 4 allein für Vertragsstaaten des ZP I gelte (Vorbehalt Frankreichs bei Ratifikation der
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sche Naturschutzkonvention600 in Art. XV b) eine Regel mit ähnlichem Inhalt.601 Das Aufgreifen des Wortlauts der beiden Vorschriften des ZP I ist zumindest Anzeichen für ihre Bedeutung für eine Vielzahl der Staaten auch in Hinsicht auf nichtinternationale bewaffnete Konflikte. Selbst wenn, übereinstimmend mit modernen Ansätzen zur Gewohnheitsrechtsbildung, von dem strikten Erfordernis ausgedehnter Staatenpraxis abgerückt wird, dürften die vorhandenen Nachweise aber nicht ausreichen, um die unzweifelhafte Herausbildung einer entsprechenden Norm mit Geltung auch in nichtinternationalen bewaffneten Konflikten schon jetzt zu bejahen.602 Diese Gesichtspunkte haben wahrscheinlich auch das IKRK dazu bewogen, die Geltung der Regel lediglich als vertretbar zu erachten. Umso mehr überrascht es, dass Regel 76, die das spezielle Verbot des Einsatzes von Herbiziden auch in nichtinternationalen bewaffneten Konflikten beschreibt, mit Absatz e) ein Verbot für den Fall ausspricht, dass durch den Einsatz schwere, langanhaltende und weitreichende Umweltschäden bewirkt würden. Mangels eines spezifischen Verbots des Einsatzes von Herbiziden könnte diese Regelung nur aus der gleichen Quelle wie Regel 45 Satz 1 erwachsen. Dass das IKRK bei Regel 76 e) nicht die gleiche Einschränkung einer nur bloß vertretbaren Anwendbarkeit in internen Konflikten klarstellte, zeigt eine weitere der zahlreichen Ungenauigkeiten der Studie. Die Autorität und Unangreifbarkeit der Studie, die im Kontext bewaffneter Konflikte notwendige Voraussetzungen ihrer Befolgung sind, werden durch derartige Widersprüche nicht gestärkt.
CCW 1988, abrufbar unter: https://treaties.un.org/pages/ViewDetails.aspx?src=TREA TY&mtdsg_no=XXVI-2&chapter=26&lang=en#EndDec [abgerufen am 26.10.2020]. 600 African Convention on the Conservation of Nature and Natural Resources (Revised Version), adopted by the Second Ordinary Session of the African Union in Maputo, Mozambique, 11. Juli 2003, abrufbar unter: https://au.int/sites/default/files/ treaties/7782-treaty-0029_-_revised_african_convention_on_the_conservation_of_nature _and_natural_resources_e.pdf [abgerufen am 26.10.2020]. 601 Eine Unterscheidung zwischen verschiedenen Konflikttypen ist in Art. XV nicht vorgesehen, so dass davon ausgegangen werden kann, dass er auch für nichtinternationale bewaffnete Konflikte Geltung haben soll. Sein Wortlaut spricht dann jedoch allein von einer Bindung der staatlichen Konfliktpartei. Siehe ibid. sowie IUCN, An introduction to the African Convention on the conservation of nature and natural resources, S. 355. Das IUCN-Strategiepapier befasst sich unter Art. XV auch mit nichtinternationalen Konflikten. Sodann wird jedoch grob fehlerhaft behauptet, die umweltschützenden Normen des ZP I seien auch im ZP II niedergelegt. 602 Zukünftige Entwicklungen sind selbstverständlich nicht ausgeschlossen, schließlich wurden bis heute eine Vielzahl der ursprünglich bestehenden Unterschiede zwischen dem Recht nichtinternationaler und dem Recht internationaler bewaffneter Konflikte hinsichtlich der Mittel und Methoden der Konfliktführung mittlerweile durch Gewohnheitsrecht geschlossen. So Crawford, Blurring the lines between international and non-international armed conflicts – the evolution of customary international law applicable in internal armed conflicts, Australian International Law Journal 15 (2008), S. 31.
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III. Potenzielle Schutzwirkung 1. Schadensschwelle und Verbotswirkung
Selbst wenn eine gewohnheitsrechtliche Verankerung des Verbots auch für nichtinternationale bewaffnete Konflikte in naher Zukunft ausreichend Anerkennung erlangen sollte, ist fraglich, ob mit ihm ein substanzieller Anstieg des Schutzniveaus erreicht wäre. Das Kumulationserfordernis der Schadensschwelle schränkt den Anwendungsbereich des Verbots in hohem Maße ein. Nur solche Handlungen, die ausgedehnte, langanhaltende und schwere Umweltschäden erwarten lassen, sind erfasst. Ein hohes Maß an Umweltschutz ist mit dieser Formulierung nicht zu erreichen, schließlich können auch Schäden, die z. B. lediglich zwei der drei Merkmale aufweisen, verheerend für das Überdauern von Arten sein und die Resilienz betroffener Ökosysteme übersteigen. Der Anwendungsbereich der infrage stehenden Norm wäre in jedem Fall auch deshalb stark begrenzt, da die Interpretation des Elements langanhaltender Schäden im Allgemeinen (auch durch das IKRK), noch immer auf Basis der Ansichten der CDDH getätigt wird.603 Dieses Element, welches als einziges der drei Qualifizierungsmerkmale in der Konferenz Erklärung fand604, wurde in der CDDH von einigen Staatenvertretern in mehreren Jahrzehnten gemessen.605 Die Untergruppe Biotope bezeichnete eine Entscheidung über einen spezifischen Zeitraum als unmöglich.606 Von Beginn an bestand in der CDDH Einigkeit, dass durch konventionelle Kriegsführung verursachte Umweltschäden, z. B. auf Schlachtfeldern, nicht unter das Verbot des ersten Zusatzprotokolls fallen sollten.607 Und obwohl bezüglich der notwendigen Schadensdauer während der Konferenz keine Einigkeit bestand608, setzte sich in der Folge der Verabschiedung des Zusatzprotokolls die Ansicht durch, „long-term“ i. S. d. Art. 35 (3) und 55 ZP I sei ein zu erwartender Schaden erst ab der Grenze mehrerer Jahrzehnte.609 Eine Abweichung von dieser 603 Henckaerts/Doswald-Beck/Alvermann, Customary International Humanitarian Law, ICRC Study, Band I: Rules, S. 157. 604 Vgl. CDDH/215/Rev. 1, in: CDDH, Official Records of the Diplomatic Conference on the Reaffirmation and Development of International Humanitarian Law Applicable in Armed Conflicts, Genf, 1974–1977, Band XV, S. 268, Rn. 27. 605 CDDH/215/Rev. 1, in: CDDH, a. a. O., S. 268 f., Rn. 27. 606 Ibid. 607 Ibid. 608 Siehe z. B. den Vorschlag Schwedens, lediglich irreparable Schäden unter das Verbot des ZP I zu fassen (CDDH/III/SR.20, in: CDDH, Official Records of the Diplomatic Conference on the Reaffirmation and Development of International Humanitarian Law Applicable in Armed Conflicts, Geneva (1974–1977), Band XIV, S. 173). Der Vertreter Indiens widersprach diesem Vorschlag lediglich aufgrund der Schwierigkeiten, in der Praxis die Irreparabilität eines Schadens vorherzusehen (ibid.) 609 Häufig wird vor allem auf die bewusst unterschiedliche Auslegung der gleichen Begriffe „widespread, long-term and severe“ im ZP I und der ENMOD-Konvention hingewiesen. Vgl. oben 2. Teil, § 2, C., I., 1., b), bb). Die beinahe gleichzeitige Verabschie-
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Interpretation wird selbst von den Vertretern der Existenz einer gewohnheitsrechtlichen Norm nicht angenommen. Wenngleich die Höhe der Anwendungsschwelle immer wieder kritisiert wird610, deutet nichts darauf hin, dass sie derzeit niedriger verortet werden könnte. Da sich das Element des Vorsatzes beziehungsweise des Wissens um die Möglichkeit des Schadenseintritts auch auf das Erfordernis der Schadensdauer erstreckt, wird das Verbot selbst bei Anerkennung als Gewohnheitsrecht nur in den wenigsten Fällen überhaupt Anwendung finden können. Die Vorhersage der Auswirkungen einer Umweltzerstörung auf eine so lange Zeitspanne ist bei den meisten Kriegsakten kaum möglich, schließlich wäre es nicht nur nötig, Jahrzehnte andauernde Umweltschäden vorherzubestimmen. Diese müssten ebenso in einer gewissen Schwere vorhergesehen werden. Das Ausmaß von Umweltschäden ist aber aufgrund der Komplexität von Ökosystemen sowie der grenzüberschreitenden Verknüpfung aller Umweltelemente häufig erst im Nachhinein sichtbar. Wie stark das Resilienzvermögen eines Ökosystems beziehungsweise einzelner seiner Komponenten ist, lässt sich ohne vorherige Erfahrungswerte nur in begrenztem Umfang bestimmen. Bioakkumulation in wenig diversen Ökosystemen611, biologisch nicht abbaubare Stoffe sowie Umweltschäden auf genetischer Ebene können zu unvorhersehbaren Langzeitfolgen führen. Auch im Rahmen nachträglicher Studien bleiben nach heutigem Stand der Wissenschaft Ungewissheiten über die Langzeitfolgen von Umweltschäden.612 Sind die negativen Folgen einer Schädigung nicht vorhersehbar, kann das Verbot nicht greifen. Das Vorsatzdung des Art. 55 ZP I und der ENMOD-Konvention veranlasste mehrere Staaten zu Erklärungen hinsichtlich der unterschiedlichen Auslegung der Begriffe in beiden Abkommen (siehe z. B. die Erklärungen von Italien, Mexiko und Peru, CDDH/SR.42, in: CDDH, Official Records of the Diplomatic Conference on the Reaffirmation and Development of International Humanitarian Law Applicable in Armed Conflicts, Genf, 1974–1977, Band VI, S. 208 f.). Es besteht Einigkeit, dass die Begriffe im Rahmen des ZP I enger auszulegen sind als in der ENMOD-Konvention (vgl. nur z. B. auch Thomas, Advancing the Legal Protection of the Environment in Relation to Armed Conflict Protocol I’s Threshold of Impermissible Environmental Damage and Alternatives, Nordic Journal of International Law 82 (2013), S. 115), in welcher z. B. das Element des langanhaltenden Schadens nach mehreren Monaten erreicht ist (vgl. Understandings, Convention on the Prohibition of Military or Any Other Hostile Use of Environmental Modification Techniques vom 10. Dezember 1976, 1108 UNTS 151). Zu den Unterschieden vgl. Teil 2, Fn. 395, 397. 610 Dröge/Tougas, The protection of the natural environment in armed conflict – Existing rules and need for further legal protection, Nordic Journal of International Law 82 (2013), S. 32; Bothe et al., International law protecting the environment during armed conflict: gaps and opportunities, International Review of the Red Cross 92 (2010), S. 576. 611 Hulme, War Torn Environment: Interpreting the Legal Threshold, S. 95 nennt als Beispiel die relativ kurze Nahrungskette in der Antarktis. Die Aufnahme von giftigen Substanzen durch das antarktische Krill würde in kurzer Zeit zu einer enormen Schadstoffakkumulation in den sich von Krill ernährenden Walarten führen. 612 Siehe die Erläuterungen und Nachweise in Teil 2, Fn. 363.
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element („intended [. . .] to cause“) ist ebenso kaum geeignet, eine Handlung präventiv zu unterbinden.613 2. Einsatz bestimmter Waffentypen
Die hohe Schwelle des Schädigungsverbots könnte grundsätzlich durch den Einsatz nuklearer, biologischer und chemischer Waffen erreicht werden, deren Nutzung in nichtinternationalen bewaffneten Konflikten zwar bislang nicht vorgenommen wurde (Nuklearwaffen) beziehungsweise nicht immer dokumentiert werden konnte (chemische und biologische Waffen)614, jedoch nicht ausgeschlossen ist.615 Doch selbst bei einem schwerwiegenden Einsatz chemischer Waffen 613 Relevanz kommt ihm wohl eher bei der Frage der völkerrechtlichen Verantwortlichkeit für einen schon verursachten Schaden zu. Doch auch bei der Aufarbeitung bereits erfolgter Schäden erweist sich die enge Auslegung des Begriffs langanhaltender Schäden als problematisch. Hulme weist für den Anwendungsbereich der Art. 35 (3) und 55 ZP I darauf hin, dass die Verfolgung von Kriegsverbrechen an diesem Erfordernis scheitern könne. Sie verweist u. a. auf den Bericht des ad hoc-Prüfungskomitees zur Beratung der Anklägerin Carla Del Ponte im ICTY-Verfahren zu dem NATO-Bombardement im Jugoslawienkrieg. Das Komitee lehnte es ab, die aufgetretenen Umweltschäden unter die speziellen Normen des ZP I zu fassen. Nicht nur sei der Anwendungsbereich der Art. 35 (3) und 55 ZP I extrem eng, es sei auch kaum möglich, nur ein Jahr nach Auftreten der Zerstörung eine valide Analyse ihrer Langzeitfolgen zu tätigen (ICTY, Final Report to the Prosecutor by the Committee established to review the NATO Bombing Campaign against the Federal Republic of Yugoslavia, International Legal Materials 39 (2000), S. 1262, Rn. 17; für eine Kritik siehe Benvenuti, The ICTY Prosecutor and the Review of the NATO Bombing Campaign against the Federal Republic of Yugoslavia, European Journal of International Law 12 (2001), S. 509 ff.). Vgl. Hulme, War Torn Environment: Interpreting the Legal Threshold, S. 84. Die Bedenken, die Hulme aufwirft, sind berechtigt. Wenn sich das Ausmaß von Umweltschäden erst Jahre nach Vollendung der Kriegshandlung zeigt, ist eine strafrechtliche Aufarbeitung erst zu einem sehr späten Zeitpunkt denkbar. Doch dann wird eine Anerkennung der Verletzung der Art. 35 (3) und 55 ZP I an dem Merkmal der Vorhersehbarkeit scheitern. Hulme verweist aber auch auf die gegenteilige Ansicht, die eine Analyse auch kurz nach Auftreten des Schadens für möglich hält. So z. B. einige Mitglieder der ILC (ILC, Draft Code of Crimes against the Peace and Security of Mankind, Report on the Work of its 43rd Session, 29. April–19. Juli 1991, UN GAOR 46th Session, Supp. No. 10, Chapter D, Yearbook of the International Law Commission 1991, Band II S. 79 ff., Draft Commentary on Art. 26, S. 107, Rn. 5). Bei stärksten Zerstörungen ist dies natürlich richtig. Auch bei bestimmten Waffenarten (insb. Nuklearwaffen) sind die Langzeitfolgen hinreichend erforscht. In Bezug auf neue Kriegstechnologie und die meisten anderen denkbaren Umweltschäden ist dies allerdings nicht der Fall. 614 Der Einsatz chemischer Waffen gegen die eigene Bevölkerung wird meist von der jeweiligen Regierung verleugnet. So auch zuletzt im syrischen Bürgerkrieg, in dem die Regierung wiederholt chemische Waffen einsetzte (vgl. UNSC, Resolution 2235 vom 7. August 2015, S/RES/2235 (2015)). Zum Verbot des Einsatzes chemischer Waffen in nichtinternationalen bewaffneten Konflikten, siehe 2. Teil, C., II., 3., a). Für weitere Fälle wie z. B. dem Einsatz von Brandwaffen durch russische Truppen in Tschetschenien 1999 siehe La Haye, War crimes in Internal Armed Conflicts, S. 68 f. 615 Auch die Annahme, dass nur staatliche Akteure über diese Art von Waffen verfügen, geht fehl. Zwischen 1970 und 2014 wurden insgesamt 143 terroristische Attacken mit chemischen (95), biologischen (35) und radiologischen (13) Waffen aufgezeichnet
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ist nicht gesichert, dass der Anwendungsbereich der Verbotsnorm eröffnet wäre. Sogar der Einsatz von Defolianzien im Vietnamkrieg hinterließ, obwohl doch gerade dieses Szenario Auslöser der Normerzeugung gewesen war, Zweifel über die Vorhersehbarkeit des Erreichens der Schadensschwelle der im ZP I integrierten Verbotsnorm.616 (vgl. Maynard/Beecroft/Searle, Use of Chemical, Biological, Radiological and Nuclear Weapons by Non-State Actors, Emerging Risk Report 2016, S. 3). Eine Dunkelziffer besteht sicher auch hier. Die Möglichkeit auch nichtstaatlicher Akteure solche Waffen zu erlangen, hängt letztlich allein von ihrer Struktur, Macht und Finanzierung ab. Es ist nicht ausgeschlossen, dass solche Waffen in Zukunft verstärkt in die Hände nichtstaatlicher Konfliktparteien geraten. 616 Die überwiegende Ansicht geht mit Recht davon aus, dass die Anwendungsschwelle der Art. 35 (3) und 55 ZP I, und ebenso auch der ihnen nachgebildeten gewohnheitsrechtlichen Verbote, durch den Einsatz der Defolianzien erreicht worden wäre (vgl. nur z. B. Thürer, International Humanitarian Law: Theory, Practice, Context, S. 84; Crowe/Weston-Scheuber, Principles of international humanitarian law, S. 68; Kolb/Hyde, An introduction to the international law of armed conflicts, S. 148). Allerdings ergeben sich zusätzliche Unsicherheiten aus dem Erfordernis der Vorhersehbarkeit der Langzeitschäden für die Umwelt und nicht nur für den Menschen. Vgl. Martin, Vietnamese Victims of Agent Orange and U.S.-Vietnam Relations, CRS Report for Congress, S. 11; a. A. Thürer, International Humanitarian Law: Theory, Practice, Context, der betont, dass der US-Regierung die Langzeitschäden an der Zivilbevölkerung bekannt waren. Aus Thürers Formulierung lässt sich ein verbreitetes Phänomen erkennen: Auch im Rahmen direkt umweltschützender Normen sind Erwägungen um den Schutz des Menschen vorherrschend. Streng genommen würden die Langzeitfolgen für den Menschen z. B. durch den Einsatz von Agent Orange nur dann unter primär umweltschützende Normen fallen, wenn dies im Wortlaut der jeweiligen Norm ausgedrückt ist. Dies ist aber weder in Art. 35 (3) noch in Art. 55 ZP I der Fall. Art. 55 ZP I verweist lediglich auf solche Maßnahmen, die Schäden der natürlichen Umwelt verursachen und dadurch Gesundheit oder Überleben der Bevölkerung gefährden. Ein solcher Schaden, der in seiner Konsequenz die Gesundheit der Bevölkerung gefährdet, wäre z. B. die Zerstörung von Ernten und Nutzwäldern (die ebenso durch Agent Orange bezweckt worden waren, vgl. Thürer, a. a. O.), die einen Ausfall des Einkommens beziehungsweise der Nahrung mit sich zieht, beziehungsweise durch chemische Veränderungen der Vegetation die Gesundheit der Bevölkerung beeinträchtigt. Anders ist die Situation, wenn Chemikalien oder ähnliche Stoffe gegen die Umwelt eingesetzt werden und diese als Nebenwirkung enorme Schäden an der Zivilbevölkerung beziehungsweise eigenen und feindlichen Streitkräften verursachen. Gerade diese sind jedoch die bekanntesten Spätfolgen des Dioxineinsatzes in Vietnam, der Leukämie, Krebserkrankungen sowie schwere Geburtsfehler verursachte. Streng genommen sind dies keine unter dem Begriff ausgedehnter, langanhaltender und schwerer Umweltschäden fassbare Folgen. Dies wäre nur dann der Fall, wenn man unter den Begriff der Umwelt alle Lebensformen und damit auch den Menschen fassen würde. Für die Zwecke der Rechtsnormen und speziell des auf den Schutz des Menschen ausgerichteten humanitären Völkerrechts wäre eine derart weite Definition allerdings wenig brauchbar und unnötig unbestimmt. In der Aufarbeitung des Einsatzes von Agent Orange herrschen die Schäden für die Zivilbevölkerung klar vor. Als noch immer das einzige weitestgehend anerkannte Beispiel eines Umweltschadens im Sinne der Art. 35 (3) und 55 ZP I ist die Diskussion über den Defolianzieneinsatz und die durch ihn bewirkten Folgen für den Menschen bezeichnend für die anthropozentrische Prägung des Rechtsregimes. Dieses Phänomen ist allerdings nicht nur auf das humanitäre Völkerrecht begrenzt, sondern zeigt sich noch immer im Überwiegen anthropozentrischen Umweltschutzes durch internationales
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Nuklearwaffen, deren Einsatz die Schwelle des Verbots ohne weiteres übersteigen dürfte, könnten dagegen schon grundsätzlich aus dem Anwendungsbereich der potenziellen Gewohnheitsrechtsnorm ausgeschlossen sein. Die Atommächte Frankreich, das Vereinigte Königreich, Russland und die USA erklärten in der Vergangenheit, dass das ZP I insgesamt, beziehungsweise speziell die Art. 35 (3) und 55, nur für konventionelle, in jedem Fall aber nicht für Nuklearwaffen anwendbar seien.617 Frankreich und Großbritannien gaben entsprechende Vorbehalte zum ZP I ab.618 Selbst wenn dem in Art. 35 (3) und 55 enthaltenen Verbot der Status als Gewohnheit zukommen sollte, wäre der Einsatz von Nuklearwaffen ausgenommen.619 Nur eine Verbotserweiterung durch originäres Gewohnheitsrecht könnte diesen Zustand ändern. Solange ein Großteil der bekannten Atommächte als speziell betroffene Staaten von der Nichtexistenz eines Verbots des Einsatzes von Atomwaffen ausgeht, wären die genannten Waffen also auch bei gewohnheitsrechtlicher Verankerung des Verbots der Herbeiführung gravierender Umweltschäden nicht erfasst. Konventionelle Kriegsführung wird dagegen nur in den seltensten Fällen ein Ausmaß erreichen können, das die Schwelle der VerUmweltrecht (vgl. für eine ausführliche und aktuelle Analyse Gillespie, International Environmental Law, Policy, and Ethics). Es hat durchaus Konsequenzen für Überlegungen zur Rechtsgestaltung und den Erfolgsaussichten umweltbezogener Schutznormen. In einem stark anthropozentrisch geprägten Rechtsregime wird ein Umweltschutzbestreben, das keinen Bezug zum Schutz der Menschen hat, kaum Erfolgsaussichten haben. 617 Vgl. United States General Counsel of the Department of Defense and the Legal Adviser for the Department of State, Initial response of U.S. to ICRC study on Customary International Humanitarian Law with Illustrative Comments, 3. November 2006, abrufbar unter https://2009-2017.state.gov/s/l/2006/98860.htm [abgerufen am 26.10. 2020]; United Kingdom Ministry of Defence, The Joint Service Manual of the law of armed conflict of 2004, Rn. 5.29.3; vgl. die Äußerungen mehrerer Staaten im IGH, Legality of the Threat or Use of Nuclear Weapons, Advisory Opinion vom 8. Juli 1996, I.C.J. Reports 1996, S. 226 ff.: Foreign and Commonwealth Office of the United Kingdom of Great Britain and Northern Ireland, Letter dated 16 June 1995 from the Legal Adviser to the Foreign and Commonwealth Office of the United Kingdom of Great Britain and Northern Ireland, together with Written Comments of the United Kingdom to the ICJ, Nuclear Weapons Case, abrufbar unter: http://www.icj-cij.org/docket/files/ 95/8802.pdf [abgerufen am 26.10.2020], 3.77; Russian Federation, Written Statement and comments of the Russian Federation on the issue of the legality of the threat or use of nuclear weapons to the ICJ, Nuclear Weapons Case, 16. Juni 1995, S. 10 f.; Exposé écrit du Gouvernement de la République française du juin 1995, ICJ Nuclear Weapons Case, S. 31. 618 Frankreich, Vorbehalt vom 11. April 2001; Vereinigtes Königreich, Vorbehalt vom 28. Januar 1998 (bestätigt 2013), abrufbar unter: https://www.icrc.org/applic/ihl/ ihl.nsf/States.xsp?xp_viewStates=XPages_NORMStatesParties&xp_treatySelected=470 [abgerufen am 26.10.2020]. 619 Gleiches gilt allerdings nicht für den Einsatz von chemischen oder biologischen Waffen, die primär gegen den Menschen gerichtet sind. Auch wenn die genannten Staaten den Anwendungsbereich der Zusatzprotokolle auf den Einsatz konventioneller Waffen beschränkt hatten, ist der Einsatz dieser Waffentypen mittlerweile gewohnheitsrechtlich auch in nichtinternationalen bewaffneten Konflikten verboten (siehe oben, 2. Teil, § 2, C., II., 3.).
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2. Teil: Das geltende Recht und seine Wirkung zum Erhalt der Umwelt
botsnorm erreicht.620 Denkbar wäre dies jedoch bei der Zerstörung oder Beschädigung von Atomkraftwerken. Angriffe gegen sie sind allerdings schon durch eine spezielle Norm untersagt.621 Letztlich verhindert die hohe Anwendungsschwelle die praktische Relevanz eines entsprechenden Schädigungsverbots. Nicht einmal die schweren Umweltschäden, die durch das Einleiten von Rohöl in den Persischen Golf und das Zerstören der Ölquellen Kuwaits im zweiten Golfkrieg hervorgerufen worden waren, wurden einheitlich als „long-term“ Schäden anerkannt.622 Sollte der Inhalt der Regel 45 Satz 1 in Zukunft unbestrittenes Gewohnheitsrecht für jede Konfliktart darstellen, wäre letztlich also nicht viel gewonnen. IV. Fazit zur Übernahme von Gewohnheitsrecht Angesichts mangelnder Nachweise von Rechtsüberzeugung und Praxis ist eine derzeitige gewohnheitsrechtliche Geltung des absoluten Verbots der Herbeiführung qualifizierter gravierender Umweltschäden in nichtinternationalen Konflikten nur schwer zu bejahen. Darüber hinaus scheint es, als bemühe sich das IKRK um die Etablierung einer Regel, die aufgrund ihrer hohen Anwendungsschwelle in der überwiegenden Zahl aller denkbaren Zerstörungsszenarien keinen zusätzlichen Schutz verleihen kann. Die enormen Anforderungen an die Erfüllung gerade des Merkmals eines langanhaltenden Schadens machen es wenig sinnvoll, den Fokus der Schutzerweiterungsbemühungen auf die Akzeptanz dieser Vorschrift zu legen.623 Wenngleich das Bemühen um den Schutz der Umwelt vor Kriegsschäden gerade auch auf rechtlicher Ebene erfolgen muss, wird durch die denkbare Akzeptanz dieser Norm als Gewohnheitsrecht in ihrer derzeitigen Auslegung keine Erhöhung des bestehenden Schutzniveaus zu erzielen sein. Um der (potenziellen) gewohnheitsrechtlichen Handlungsschranke tatsächliche Wirkung zu verleihen, wäre es notwendig, die drei Qualifizierungsmerkmale anhand der-
620 Mit Bezug auf Art. 35 (3) und 55 ZP I z. B.: Vöneky, Die Fortgeltung des Umweltvölkerrechts in internationalen bewaffneten Konflikten, S. 41; Heintschel von Heinegg/Donner, New Developments in the Protection of the Natural Environment in Naval Armed Conflicts, German Yearbook of International Law 37 (1994), S. 288; Bothe et al., International law protecting the environment during armed conflict: gaps and opportunities, International Review of the Red Cross 92 (2010), S. 576. 621 Siehe die Ausführungen zu Art. 15 ZP II, 2. Teil, § 2, C., I., 2. 622 Vöneky/Wolfrum, Environment, Protection in Armed Conflict, in: Wolfrum (Hrsg.), The Max Planck Encyclopedia of Public International Law, Rn. 29. 623 So auch schon 1987 der damalige Deputy Legal Advisor der USA: „The United States, however, considers the rule on the protection of the environment contained in Article 55 of Protocol I as too broad and too ambiguous for effective use in military operations [. . .].“ (Matheson, The United States Position on the Relation of Customary International Law to the 1977 Protocols Additional to the 1949 Geneva Conventions: Remarks of Michael J Matheson, American University Journal of International Law and Policy 2 (1987), S. 436).
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zeitigen Wissens über die Gefährdung der Umwelt zu konkretisieren.624 Insbesondere muss das Erfordernis der Vorhersehbarkeit und Erwartung eines über Jahrzehnte anhaltenden Schadens überdacht werden. Nun ist es nicht ausgeschlossen, dass die ursprünglich so hohe Anwendbarkeitsschwelle der Art. 35 (3) und 55 ZP I als Vorbild eines gewohnheitsrechtlichen Verbots durch dynamische Interpretation einen Wandel unterlaufen wird, der einem veränderten Umweltbewusstsein sowie heutigen Kenntnissen über die Verknüpfung aller Umweltkomponenten in Ökosystemen Rechnung trägt.625 Die Erkenntnis, dass Schäden an einzelnen Umweltkomponenten ganze Ökosysteme aus dem Gleichgewicht zu bringen vermögen, könnte bei einer an der tatsächlichen Schutzbedürftigkeit orientierten Auslegung des Schädigungsverbots beachtet werden. Die Schwelle weitreichender, langanhaltender und schwerer Umweltschäden wäre sodann ausgelöst, wenn zu erwarten wäre, dass die Funktionsweise des Systems über Jahrzehnte beeinträchtigt wäre.626 Doch auch bei Anwendung eines Ökosystemansatzes wäre die Verbotsschwelle extrem hoch. Unsicherheiten um die ökologischen Folgen einer Zerstörung blieben erhalten. Die Analyse möglicher Langzeitfolgen würde stark von dem Wissen über Komponenten und Abläufe des jeweiligen Ökosystems abhängen. Ein Effektivitätsgewinn wäre kaum zu erzielen. Vielmehr müssten die Schwellen der Qualifikationselemente selbst überdacht werden, um der Norm tatsächliche Relevanz zuzuerkennen. Gerade für die Situation des nichtinternationalen Konflikts, in der die Geltung der Verbotsnorm mehr als unsicher ist, scheint diese Argumentation aber verfrüht und von wenig praktischer Hilfe. Unabhängig von der ungenügenden Schutzwirkung ist offen, ob ein absolutes Verbot der Verursachung weitreichender, langanhaltender und schwerer Umweltschäden in dieser Konfliktart zeitnah Geltung erlangen wird. Der nächste Akt der Auseinandersetzung mit der Existenz eines entsprechenden gewohnheitsrechtlichen Verbots wurde erst kürzlich durch die ILC in ihrer Arbeit zum Schutz der Umwelt im Rahmen bewaffneter Konflikte initiiert. Während Special Rapporteur Jacobsson zunächst davon Abstand genommen hatte, eine vergleichbare Vorschrift in die von ihr vorgeschlagenen Draft Principles aufzunehmen,627 enthält das nunmehr durch die angenommene ILC Draft Principle 13 (2) einen vor allem Art. 55 (1) Satz 1 ZP I ähnelnden Passus: 624 Vgl. u. a. Dröge/Tougas, The Protection of the natural environment in armed conflict – Existing rules and Need for Further Legal Protection, in: Rayfuse (Hrsg.), War and the environment, S. 33. 625 Bothe et al., International law protecting the environment during armed conflict: gaps and opportunities, International Review of the Red Cross 92 (2010), S. 576. 626 So Dam-de Jong, International law and governance of natural resources in conflict and post-conflict situations, S. 245. 627 Die Berichte dienen schließlich der Identifizierung geltenden Rechts und nicht dessen Weiterentwicklung de lege ferenda (vgl. ILC, Second Report on the Protection
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2. Teil: Das geltende Recht und seine Wirkung zum Erhalt der Umwelt
„Care shall be taken to protect the natural environment against widespread, longterm and severe damage.“ 628
Ein mit dem Wortlaut von Art. 55 (1) Satz 2 ZP I übereinstimmendes Verbot des Einsatzes von Mitteln und Methoden der Kriegsführung, die qualifizierte Umweltschäden erwarten lassen629, enthält Draft Principle 13 (2) allerdings nicht. So formuliert stellt es auch kein Verbot der Verursachung der genannten Schäden, sondern lediglich ein Gebot der Sorge zu ihrer Verhinderung dar. Dies ist keinem Versehen zuzuschreiben. Bereits in der 2016 vorbereiteten Kommentierung zu Draft Principle 13 (2) hieß es, der Ausdruck „care shall be taken“ solle als Hinweis auf die Existenz einer Pflicht der Konfliktparteien verstanden werden, wachsam gegenüber den potenziellen Auswirkungen ihrer militärischen Handlungen auf die natürliche Umwelt zu sein.630 Ein Verbot war also von vorneherein nicht beabsichtigt. Der durch einige Mitglieder der ILC geäußerten Kritik, das Fehlen eines ausdrücklichen Schädigungsverbots würde zu einer Abschwächung der endgültigen Regel führen631, begegnet die Kommentierung zu Draft Principle 13 (2) mittlerweile durch einen Verweis auf den allgemeinen Charakter der in Entstehung befindlichen Draft Principles sowie mit der erwünschten Anwendbarkeit des Prinzips auch in nichtinternationalen bewaffneten Konflikten.632
of the Environment in Relation to Armed Conflicts, submitted by Marie G. Jacobsson, Special Rapporteur, 28. Mai 2015, A/CN.4/685, S. 44, Rn. 4), so dass die Aufnahme einer entsprechenden Norm als Draft Principle ihre gewohnheitsrechtliche Geltung unterstützen würde. Die ILC sprach sich im Verlauf ihrer Arbeit nochmals dafür aus, den gewohnheitsrechtlichen Status der umweltschützenden Normen des HVR explizit zu analysieren (ILC, Report of the International Law Commission on the Work of its 67th Session 2015, UN GAOR 70th Session Supp. No. 10, A/70/10, S. 108, Rn. 144). 628 Erstmals 2015 vorgeschlagen: ILC, Protection of the Environment in Relation to Armed Conflict: Text of the Draft Principles provisionally adopted in 2015 and technically revised and renumbered during the present session by the Drafting Committee, 26. Juli 2016, 68th Session, A/CN.4/L.870/Rev.1, Draft Principle 8 (2). Mittlerweile hat sich die Nummerierung der Principles erneut geändert, so dass dieses Prinzip nun die Nummer 13 (2) trägt. Vgl. ILC, Protection of the Environment in Relation to Armed Conflicts text and titles of the Draft Principles provisionally adopted by the Drafting Committee on first reading, 6. Juni 2019, 71st Session, A/CN.4/L.937. 629 Art. 55 (1) S. 2 ZP I: „This protection includes a prohibition of the use of methods or means of warfare which are intended or may be expected to cause such damage to the natural environment and thereby to prejudice the health or survival of the population.“ 630 ILC, Report of the International Law Commission on the Work of its 68th Session 2016, UN GAOR 71st Session, Supp. No. 10, A/71/10, S. 329, Rn. 6. 631 ILC, Protection of the Environment in Relation to Armed Conflicts, Statement of the Chairman of the Drafting Committee, Mr. Mathias Forteau, 30. Juli 2015, ILC 67th Session, abrufbar unter: https://legal.un.org/ilc/documentation/english/statements/ 2015_dc_chairman_statement_peac.pdf [abgerufen am 26.10.2020], S. 7. 632 ILC, Report of the International Law Commission on the Work of its 71st Session 2019, UN GAOR 74th Session, Supp. No. 10, A/74/10, S. 252.
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Auch die ILC vermag derzeit also keine gewohnheitsrechtlich verankerte absolute Schädigungsgrenze im geltenden Recht zu erkennen. Und während sie an anderer Stelle durchaus gewillt war, Handlungsvorgaben als Draft Principles zu formulieren, die auch aus Sicht der ILC über das bislang bestehende Recht hinausgehen,633 beließ es die Kommission an dieser Stelle mit einem Hinweis darauf, dass das in Kriegszeiten geltende Recht – und damit auch Art. 35 und 55 ZP I – auf die natürliche Umwelt und mit Blick auf ihre Bewahrung angewendet werden sollen.634 Oder mit anderen Worten ausgedrückt: Auch die ILC stellt klar, dass Vertragsstaaten des ZP I im Anwendungsbereich des ZP I – also in internationalen bewaffneten Konflikten – die Vorgaben des ZP I einzuhalten haben. Ein weiteres Argument für die Existenz einer gewohnheitsrechtlich verankerten absoluten Schädigungsschwelle ist den ILC Draft Principles (bislang) folglich nicht zu entnehmen. Die Übernahme des Schutzbestands humanitären Vertragsrechts internationaler bewaffneter Konflikte in das (Gewohnheits-)Recht nichtinternationaler Konflikte ist bislang also nicht gelungen. Ohne eine Anpassung der Anwendungsschwelle des in Art. 35 (3) und 55 ZP I enthaltenen Schädigungsverbots an tatsächlich drohende Gefährdungen der Umwelt würde der Übergang der Norm in Gewohnheitsrecht allerdings auch keine substanzielle Schutzerweiterung mit sich bringen. Das grundsätzliche Erhaltungspotenzial, das durch eine absolute und daher abwägungsfeste Norm selbst bei der so häufigen militärischen Nutzung der Umwelt vermittelt werden könnte, wird vor allem durch das Erfordernis der Vorhersehbarkeit einer über Jahrzehnte drohenden Umweltzerstörung aufgelöst. Eine allein auf die Anpassung der Rechtsregime der beiden Konflikttypen fokussierte Strategie für die Zukunft hätte daher wenig Nutzen zum Erhalt der Umwelt in nichtinternationalen bewaffneten Konflikten.
B. Kategorie 2: Neuinterpretation der Grundprinzipien humanitären Völkerrechts I. Eine neue Strategie Auf elementaren Grundprinzipien humanitärer Forderungen errichtet, erstreckt sich das System des ius in bello mittlerweile in viele Einzelbereiche erfasster Konflikthandlungen. Die fundamentalen Grundprinzipien des humanitären Völkerrechts dienen dennoch weiterhin als Orientierungspunkte. An ihnen muss sich 633 So beispielsweise ausdrücklich hinsichtlich Draft Principle 16, durch das ein Verbot von Vergeltungsschlägen gegen die Umwelt auch für nichtinternationale bewaffnete Konflikte aufgestellt wird. Vgl. die Kommentierung zu Draft Principle 16, ibid., S. 257 f. 634 Siehe die Kommentierung zu Draft Principle 13 (2), ibid., S. 252, insbesondere den Verweis auf Draft Principle 14 unter (9) sowie Fn. 1203 im Rahmen der Kommentierung zu Draft Principle 14 (S. 254).
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jede Auslegung spezifischer Vorschriften messen lassen. Aus dem Prinzip der Humanität als Leitkonzept der Grundprinzipien bilden die Prinzipien der Unterscheidung zwischen militärischen und zivilen Zielen (I), der Proportionalität kollateraler Schäden (II) sowie der Vorsorge bei militärischen Handlungen (III) den Kern objektrelevanter Grundsätze635 des humanitären Völkerrechts. Ihr Ursprung in dem Konzept des Kriegsrechts als Kompromiss zwischen militärischer Notwendigkeit und Vorgaben der Humanität, das einen grenzenlosen Krieg moralisch verbietet, verleiht ihnen ein janusköpfiges Gesicht. Sie sind Schnittstelle zwischen positivem Recht und diesem vorgelagerten Geboten der Moral und Vernunft.636 Als Rechtsprinzipien, beziehungsweise Prinzipien der in das Recht wirkenden humanitären Moralvorstellungen einer breiten Weltöffentlichkeit, wirken sie als Hilfen und Richtungsgeber der Auslegung.637 Sie sind jedoch nicht nur Auslegungsmaßstäbe. Den Grundprinzipien kommt ein Charakter als Rechtsnorm insoweit zu, als sie mittlerweile konkretisiert in den Vertragswerken des humanitären Völkerrechts beziehungsweise in dessen Gewohnheitsrecht niedergelegt sind.638 Insoweit sie in positives Recht übergegangen sind, bilden sie selbst grundlegende Handlungsverbote und Schutzanordnungen. Bei Abwesenheit spezifischer Schutzvorschriften können sie in dieser Funktion auch die Bewahrung der Umwelt fördern. 635 Im Gegensatz zu solchen Prinzipien, deren Wirkung sich direkt auf den Menschen beziehen. Gemeint ist hier insbesondere das Prinzip der Vermeidung unnötiger Leiden. Das Prinzip militärischer Notwendigkeit wird erst im Rahmen der Diskussion über die Existenz genuinen Gewohnheitsrechts zum Schutz der Umwelt in § 3, C., I. besprochen. 636 Vgl. Sassòli/Bouvier/Quintin, How does Law protect in War? Online Version, abrufbar unter: https://www.icrc.org/casebook/ [abgerufen am 26.10.2020], III. Fundamental principles of International Humanitarian Law, Introductory text. Zu den unterschiedlichen Inhalten von Prinzipien im Völkerrecht: Wolfrum, General International Law (Principles, Rules, and Standards), in: Wolfrum (Hrsg.), The Max Planck Encyclopedia of Public International Law, opil.ouplaw.com/home/EPIL. 637 Pictet, Development and principles of international humanitarian law, S. 59 f. Diese Funktion führt zwar teilweise zu einer Einordnung der Grundprinzipien als allgemeine Grundsätze des Völkerrechts i. S. d. Art. 38 IGH-Statut, richtigerweise sind sie jedoch keine eigene Rechtsquelle, sondern durch moralische Vorgaben inspirierte positivrechtliche Normen (Sassòli/Bouvier/Quintin, How does Law protect in War? Online Version, abrufbar unter: https://www.icrc.org/casebook/ [abgerufen am 26.10.2020], III. Fundamental principles of International Humanitarian Law, Introductory text). 638 Vgl. grundlegend IGH, Case Concerning Military and Paramilitary Activities in and against Nicaragua (Nicaragua v. United States of America), Urteil vom 27. Juni 1986, I.C.J. Reports 86, S. 14 ff., Rn. 218 in dem der IGH die schon im Corfu ChannelFall (IGH, The Corfu Channel Case, Urteil vom 9. April 1949, Merits, I.C.J. Reports 1949, S. 4 ff., S. 22: „elementary considerations of humanity“) genannten Grundprinzipien als die in Art. 3 GA für nichtinternationale bewaffnete Konflikte niedergelegten Grundregeln identifiziert: „Article 3 which is common to al1 four Geneva Conventions of 12 August 1949 defines certain rules [. . .] which, in the Court’s opinion, reflect what the Court in 1949 called ,elementary considerations of humanity‘.“ Für eine kritische Analyse: Abi-Saab, The „General Principles“ of humanitarian law according to the International Court of Justice, International Review of the Red Cross 27 (1987), S. 369 ff.
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Das war freilich nicht immer so. Erst Angesichts der Umweltzerstörungen im Kuwaitkonflikt mehrten sich Stimmen, die die Anwendung der Grundprinzipien auch auf die Umwelt proklamierten; denn die wenige Jahre zuvor noch als revolutionäre Neuentwicklung erschaffenen Normen der Zusatzprotokolle hatten schon bei ihrer ersten Herausforderung in der Realität keine Wirkung gezeigt. Da der Irak das maßgebliche Zusatzprotokoll I nicht ratifiziert hatte, war eine Missbilligung der Taten mit Verweis auf die dort enthaltenen Normen nicht möglich.639 Das scheinbare Versagen des als Revolution erachteten Schutzstandards der neuen Protokolle führte zu einer beachtlichen Neuinterpretation des einzigen als allgegenwärtig geltend anerkannten Normbestands, nämlich der Grundprinzipien humanitären Völkerrechts. Diese Entwicklung markiert die nächste Kategorie der Schutzverstärkung durch Gewohnheitsrecht. In ihr wird nicht mehr allein eine Angleichung des Rechts konventioneller und nichtinternationaler Konflikte erprobt, sondern der Versuch unternommen, humanitäres Völkerrecht für alle Konflikte auszuweiten. II. Das Unterscheidungsgebot und die Umwelt als ziviles Objekt 1. Grundlage militärischer Notwendigkeit
Die argumentative Herleitung der Anwendung des Unterscheidungsgebots könnte kaum überzeugender sein. Grundprinzip humanitären Völkerrechts ist die Unterscheidung zwischen zulässigen und unzulässigen militärischen Zielen. Sie dient der schon durch Rousseau ausgedrückten Maxime, dass im Krieg nur das erlaubt ist, was nötig ist, um den Sieg zu erlangen.640 Bereits in der Sankt Petersburger Erklärung von 1868, die sich zum ersten Mal mit der Beschränkung der Mittel und Methoden der Kriegsführung befasste, wurde der Gedanke der Unterscheidung niedergelegt: „[. . .] the only legitimate object which States should endeavour to accomplish during war is to weaken the military forces of the enemy [. . .].“ 641
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Siehe bereits oben, Teil 2, Fn. 575. Zentral: „La guerre n’est donc point une relation d’homme à homme, mais une relation d’État à État, dans laquelle les particuliers ne sont ennemis qu’accidentellement, non point comme hommes ni même comme citoyens, mais comme soldats; non point comme membres de la patrie, mais comme ses défenseurs. Enfin chaque État ne peut avoir pour ennemis que d’autres États et non pas des hommes; attendu qu’entre choses de diverses natures on ne peut fixer aucun vrai rapport.“ (Rousseau, Contrat Social: Ou Principles du Droit Politique, Livre I, chapitre IV). 641 Declaration Renouncing the Use, in Time of War, of Explosive Projectiles Under 400 Grammes Weight vom 29. November/11. Dezember 1868 (St. Petersburger Erklärung), abrufbar unter: https://www.icrc.org/applic/ihl/ihl.nsf/Article.xsp?action=open Document&documentId=568842C2B90F4A29C12563CD0051547C [abgerufen am 26.10.2020]. 640
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Militärische Notwendigkeit verlangt die Schädigung der Zivilbevölkerung nicht; das Prinzip der Humanität als ihr Gegengewicht in den Waagschalen modernen humanitären Völkerrechts fordert sie zwingend. Der Ausgleich dieser Interessen im Kern des Regimes führt also zwingend zu einem Verbot, nichtmilitärische Elemente zum direkten Ziel eines Angriffs zu machen. Das Gebot der Unterscheidung ist heute als eines der Kernprinzipien humanitären Völkerrechts für jede Art bewaffneter Konflikte anerkannt.642 Neben der Unterscheidung zwischen Personen, die am Konflikt teilnehmen und daher legitimes Ziel eines Angriffs sein können, und der Zivilbevölkerung, die nicht an Feindseligkeiten teilhat und in Konsequenz von dem Grauen des Kriegs verschont werden soll, führt das Gebot nach seinem Sinn und Zweck wenigstens heute auch zu der Unterscheidung zwischen militärischen und zivilen Objekten. Trotz des universalen Geltungsanspruchs dieser Grundüberlegung bedurfte es zweier Schritte, um die Umwelt in nichtinternationalen Konflikten durch das Unterscheidungsprinzip erfassen zu können: Erstens musste das Unterscheidungsprinzip in nichtinternationalen Konflikten in gleichem Maße wie in konventionellen Kriegen unbedingte und umfassende Wirkung entfalten. Zweitens musste die natürliche Umwelt auch in dieser Art bewaffneter Auseinandersetzungen als Objekt im Sinne des humanitären Völkerrechts klassifiziert werden können. 2. Anerkennung in nichtinternationalen bewaffneten Konflikten
Angesichts der grundlegenden Bedeutung des Unterscheidungsgebots im System humanitären Völkerrechts erscheint seine Anwendung auf jede Art bewaffneter Konflikte zwingend. Und doch ist der umfassende Schutz ziviler Objekte im nichtinternationalen bewaffneten Konflikt eine vergleichsweise junge Forderung. Im Wortlaut des Zusatzprotokolls II findet sie noch keinen Eingang. Die Art. 13 ff. ZP II befassen sich zwar mit dem Schutz der Zivilbevölkerung sowie bestimmter, besonders geschützter ziviler Objekte (Art. 14–16). Ein allgemeines Verbot feindlicher Handlung gegenüber zivilen Objekten ist aber, anders als im ZP I für internationale Konflikte, nicht im Wortlaut der Artikel niedergelegt. Ein entsprechender Normvorschlag643 in der CDDH fiel den durch Pakistan vor-
642 Regel 1 der IKRK-Studie zum Gewohnheitsrecht, Henckaerts/Doswald-Beck/Alvermann, Customary International Humanitarian Law, ICRC Study, Band I: Rules, S. 3; Art. 13 ZP II; IGH, Legality of the Threat or Use of Nuclear Weapons, Advisory Opinion vom 8. Juli 1996, I.C.J. Reports 1996, S. 226 ff., Rn. 78; ICTY, Prosecutor v. Kupresˇkic´ et al., Urteil der Verfahrenskammer vom 14. Januar 2000, Case No. IT-9516-T, Rn. 521: „bedrock of modern humanitarian law“. 643 Art. 24 (2) des durch das IKRK vorgeschlagenen Protokollentwurfs lautete: „In order to ensure respect for the civilian population, the Parties to the conflict [. . .] shall make a distinction [. . .] between civilian objects and military objectives.“ IKRK, Draft Additional Protocols to the Geneva Conventions vom 12. August 1949, Commentary, S. 155.
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geschlagenen weitreichenden Kürzungen des ZP II zum Opfer.644 Diesem Makel wird heute mit Verweis auf den mehrdeutigen Wortlaut des Art. 13 ZP II begegnet. So wird vorgebracht, dass mit den Kürzungen des Protokolls nicht notwendig eine Begrenzung des durch den späteren Art. 13 ZP II vermittelten Schutzumfang verbunden gewesen wäre.645 Dass das Unterscheidungsgebot hinsichtlich ziviler Objekte im Anwendungsbereich des ZP II keine Wirkung entfalten sollte, ließe sich aus der Entstehungsgeschichte des Protokolls ebenso nicht entnehmen.646 Angesichts eindeutiger Äußerungen einiger Staatenvertreter in der CDDH, die deutlich zwischen dem anzustrebenden Schutzniveau in internationalen und nichtinternationalen bewaffneten Konflikten unterschieden und einen umfassenden Schutz ziviler Objekte in internen Konflikten explizit ablehnten647, ist diese Ansicht allerdings in Zweifel zu ziehen.648 Ob der dem Schutz der Zivilbevölkerung 644 Vgl. CDDH/427, in: CDDH, Official Records of the Diplomatic Conference on the Reaffirmation and Development of International Humanitarian Law applicable in Armed Conflicts, Genf, 1974–1977, Band IV, S. 71 ff. 645 Junod, Commentary on Article 13 AP II, in: Sandoz/Swinarski/Zimmermann (Hrsg.), Commentary on the Additional Protocols of 8 June 1977 to the Geneva Conventions of 12 August 1949, S. 1448, Rn. 4764; einschränkend Solf, Commentary on Article 13 AP II, in: Bothe et al., New Rules for Victims of Armed Conflicts, Commentary on the two 1977 Protocols Additional to the Geneva Conventions of 1949, S. 779, Rn. 2.3.1.; a. A. Sivakumaran, The Law of Non-International Armed Conflict, S. 342. 646 Den Interessen der Staaten der Dritten Welt, die die Mehrheit der beteiligten Verhandlungsstaaten gestellt hatten, entsprach es zu dieser Zeit nicht, detaillierte Normen zur Anwendung in nichtinternationalen bewaffneten Konflikten zu entwickeln. Die Erhaltung der uneingeschränkten Souveränität auf dem eigenen Staatsgebiet sprach gegen zusätzliche Handlungsverbote (Sassòli/Cameron, The Protection of Civilian Objects Current State of the Law and Issues de lege ferenda, in: Ronzitti/Venturini (Hrsg.), The law of Air Warfare: Contemporary issues, S. 45; Junod, Protocol II, General Introduction, in: Sandoz/Swinarski/Zimmermann (Hrsg.), Commentary on the Additional Protocols of 8 June 1977 to the Geneva Conventions of 12 August 1949, S. 1335, Rn. 4412). 647 Der Delegierte der USA sprach sich beispielsweise gegen den entsprechenden Artikelentwurf (Art. 24) aus, da dieser implizieren könne, dass Rebellen das Recht zukäme, ihre eigenen Kampfziele zu wählen (CDDH/SR. 52, in: CDDH, Official Records of the Diplomatic Conference on the Reaffirmation and Development of International Humanitarian Law applicable in Armed Conflicts, Genf, 1974–1977, Band VII, S. 132, Rn. 63). Ähnlich äußerte sich der Delegierte des Irak (ibid., S. 133, Rn. 69). Auch der Vertreter Kanadas betonte, wenn auch im speziellen Kontext des Verbots der Zerstörung der Lebensgrundlage der Bevölkerung, die Unterschiede zwischen internationalen und rein internen Konflikten, in denen die Konfliktparteien ausschließlich auf dem eigenen Staatsgebiet stritten: „In view of the fact that both parties to a non-international armed conflict were generally fighting on their own national territory, it would perhaps be inappropriate to suggest to them that they could not deal with certain objects as they saw fit.“ (CDDH/III/SR. 17, in: CDDH, Official Records of the Diplomatic Conference on the Reaffirmation and Development of International Humanitarian Law Applicable in Armed Conflicts, Geneva (1974–1977), Band XIV, S. 149. Rn. 41). 648 Zamir, Distinction Matters: Rethinking the Protection of Civilian Objects in NonInternational Armed Conflicts, Israel Law Review 48 (2015), S. 115 f.
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gewidmete Art. 13 ZP II auch dem Unterscheidungsgebot in seiner Ausprägung als Schonungsanordnung für alle zivilen Objekte unabhängig von seiner Entstehungsgeschichte Wirkung verleiht, ist weiterhin umstritten. Während z. B. der ICTY im Kupresˇkic´-Verfahren Art. 13 ZP II auch für den Schutz ziviler Objekte heranzog649, finden sich unter Hinweis auf den Wortlaut in der Literatur begrenzende Auslegungen.650 Insbesondere Art. 13 (1) ZP II, der den allgemeinen Schutz der Zivilbevölkerung als Grundsatz enthält651, erlaube dadurch, dass er die ihm nachfolgenden speziellen Schutzartikel als Ausdruck des grundlegenden Zivilschutzes beschreibe652, eine weite Interpretation. Die nachfolgenden Art. 14 bis 16 ZP II könnten schließlich als bloße Beispiele eines weitergehenden Schutzes der Zivilbevölkerung verstanden werden, der auch ihre Umgebung und damit zivile Objekte umfasse. Wie weit diese Auslegungsmöglichkeit reichen soll, ist jedoch ebenso ungelöst. Solf argumentiert beispielsweise, der in Art. 13 (1) ZP II genannte allgemeine Schutz könne denjenigen zivilen Objekten Schutz verleihen, die als Wohnstätte oder auf andere Weise von Zivilisten genutzt werden.653 Diese Auslegung ist allerdings zu eng. Wird im Hinblick auf die Maxime effektiven Schutzes der Zivilbevölkerung Art. 13 (1) ZP II über die primäre Bewahrung von Individuen hinaus auch als Grundanordnung zur Schonung ziviler Objekte herangezogen, kann sich diese nicht nur auf den unmittelbaren Lebensraum von Menschen beschränken, sondern muss zumindest die Lebensgrundlage der Bevölkerung, z. B. ihre Wasserversorgung, mit umfassen.654 Unbewohnte Umweltstätten, Ökosysteme und ähnliche Bestandteile der Umwelt, die nicht unmittelbar für das Überleben einzelner Individuen notwendig sind, können allerdings auch bei einer erweiterten Auslegung nicht unter diesen Schutz gefasst werden. Eine umfassende vertrag-
649 ICTY, Prosecutor v. Kupres ˇkic´ et al., Urteil der Verfahrenskammer vom 14. Januar 2000, Case No. IT-95-16-T, Rn. 220; a. A. Sivakumaran, The Law of Non-International Armed Conflict, S. 342. 650 Sivakumaran, a. a. O. 651 Art. 13 (1) S. 1: „The civilian population and individual civilians shall enjoy general protection against the dangers arising from military operations.“ 652 Vgl. Art. 13 (1) S. 2: „To give effect to this protection, the following rules shall be observed in all circumstances.“ 653 Solf, Commentary on Article 13, in: Bothe et al., New Rules for Victims of Armed Conflicts, Commentary on the two 1977 Protocols Additional to the Geneva Conventions of 1949, S. 779, Rn. 2.3.1. 654 Die von Solf angebrachte Argumentation scheint auf den ersten Blick eher darauf hinauszulaufen, das Risiko von Kollateralschäden an der Bevölkerung durch feindliche Handlungen gegen Gebäude und Räume, die häufig von Zivilisten betreten werden, zu minimieren. So verstanden würde Solf nicht für die Einbeziehung ziviler Objekte in den Schutzbereich des Art. 13 (1) ZP II, sondern für effektiven Schutz der Individuen selbst plädieren. Anschließend führt er jedoch aus: „The definition of civilian objects in Art. 52(2) of Protocol I provides the basis for construing the extent of such protection of civilian objects.“ (Solf, a. a. O.). So bleibt seine Aussage letztlich unbestimmt.
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liche Schonungsanordnung ziviler Objekte kann aus dem zweiten Zusatzprotokoll schlicht nicht abgeleitet werden. Unabhängig vom Schutzgehalt des Zusatzprotokolls II ist der Grundsatz der Unterscheidung zwischen zivilen und militärischen Objekten nunmehr, jedoch erst in den letzten Jahrzehnten, als Ausdruck grundlegender Prinzipien des humanitären Völkerrechts gewohnheitsrechtlich anerkannt.655 Insbesondere der ICTY, der die Anwendbarkeit des Grundsatzes durch geltendes Gewohnheitsrecht in mehreren Urteilen ausführlich begründete,656 trug zu dieser Entwicklung bei. Auch die jüngeren, dem ZP II nachfolgenden Vertragswerke wie z. B. das geänderte CCW Protokoll II657 sowie das CCW Protokoll III658 kodifizieren das Gebot für ihren speziellen Anwendungsbereich auch für nichtinternationale bewaffnete Konflikte.659
655 Heintschel von Heinegg, Methods and Means of Naval Warfare in Non-international Armed Conflicts, in: Watkin/Norris (Hrsg.), Non-international armed conflict in the twenty-first century, S. 221; Akande, Classification of Armed Conflicts: Relevant Legal Concepts, in: Wilmshurst (Hrsg.), International Law and the Classification of Conflicts, S. 37; ausführlich: Zamir, Distinction Matters: Rethinking the Protection of Civilian Objects in Non-International Armed Conflicts, Israel Law Review 48 (2015), S. 112 ff.; Steiger, Civilian Objects, in: Wolfrum (Hrsg.), The Max Planck Encyclopedia of Public International Law, opil.ouplaw.com/home/EPIL, Rn. 31 mit Verweis auf ICTY, Prosecutor v. Dusˇko Tadic´, Appeals Chamber Decision on the Defence Motion for Interlocutory Appeal on Jurisdiction, 2. Oktober 1995, Case No. IT-94-1-AR72, Rn. 126 f. in dem die gewohnheitsrechtliche Geltung des Prinzips für alle zivilen Objekte aber noch nicht deutlich wird. 656 Vgl. u. a. ICTY, Prosecutor v. Dario Kordic ˇ erkez, Trial Chamber Deci´ , Mario C sion on the Joint Defence Motion to Dismiss the Amended Indictment for Lack of Jurisdiction based on the limited Jurisdictional Reach of Articles 2 and 3, 2. März 1999, Case No. IT-95-14/2-PT, Rn. 31; ebenso ICTY, Prosecutor v. Enver Hadzˇihasanovic´, Amir Kubura, Appeals Chamber Decision on Joint Defence Interlocutory Appeal of Trial Chamber Decision on Rule 98bis Motions for Acquittal, 11. März 2005, Case No. IT-01-47-AR73.3, Rn. 28; ICTY, Prosecutor v. Pavle Strugar et al., Trial Chamber Decision on Defence Preliminary Motion Challenging Jurisdiction, 7. Juni 2002, Case No. IT-01-42-PT, Rn. 17–22: Art. 13 ZP II stelle eine erneute Bestätigung und Neuformulierung der gewohnheitsrechtlichen Normen zum Verbot von Angriffen auf Zivilisten und zivile Objekte dar (Rn. 22). Bestätigend: ICTY, Prosecutor v. Pavle Strugar et al., Appeals Chamber Decision on Interlocutory Appeal, 22. November 2002, Case No. IT01-42-AR72, Rn. 9. 657 Art. 3 (7) amended CCW Protokoll II (Teil 1, Fn. 143). 658 Art. 2 (1) Protocol on Prohibitions or Restrictions on the Use of Incendiary Weapons vom 10. Oktober 1980, annexed to the Convention on Prohibitions or Restrictions on the Use of Certain Conventional Weapons Which May be Deemed to be Excessively Injurious or to Have Indiscriminate Effects, 1342 UNTS 171 (CCW Protokoll III). 659 Vgl. Henckaerts/Doswald-Beck/Alvermann, Customary International Humanitarian Law, ICRC Study, Band I: Rules, S. 25: Erläuterungen zu Regel 7 mit Hinweis auf Art. 6 (a) Prot. II HK, der die Unterscheidung zwischen militärischen und zivilen Objekten als Grundlage des Schutzes kulturellen Eigentums in Konfliktszenarien beschreibt und der auch in nichtinternationalen Konflikten zu beachten ist.
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Das Statut des IStGH, wenngleich es doch die Zerstörung ziviler Objekte nicht zu einem Kriegsverbrechen in internen Konflikten erhebt, stellt die Zerstörung oder Beschlagnahme gegnerischen Eigentums unter Strafe, sofern diese nicht durch die Erfordernisse des Konflikts zwingend geboten ist.660 In Art. 8 (2) (e) (iii) IStGH-Statut wird der im Völkerrecht geltende Schutz ziviler Objekte ausdrücklich aufgegriffen.661 Mehrere internationale Militärhandbücher und insbesondere das NIAC Manual gehen von der gewohnheitsrechtlichen Geltung des Verbots aus.662 Der Verbindlichkeit entgegenstehende Ansichten werden auf internationaler Ebene kaum mehr vertreten. Gleichwohl ist diese gravierende Ausdehnung eines humanitärrechtlichen Handlungsverbots auch in rein internen Sachverhalten eine Entwicklung allein der letzten Jahrzehnte. Angesichts der derzeitigen Ausbreitung grenzüberschreitender nichtinternationaler Konflikte, die weit über das Gebiet eines einzelnen Staates hinaus Wirkung entfalten und in deren Kontext das in der CDDH so häufig erhobene Argument der Souveränitätsschonung durch Regelungsbegrenzung663 weit weniger Gewicht hat, scheint das Recht an dieser Stelle auch den Entwicklungen in der Realität zu folgen. Wie stark das Bestreben nach dem Schutz der Zivilbevölkerung und der mit ihm verbundenen Angleichung des humanitären Völkerrechts beider Konflikttypen auf bestehendes Gewohnheitsrecht in vergleichsweise wenigen Jahren Einfluss nahm, ist an dieser Stelle in besonderem Maß spürbar. 3. Zwingende Konsequenz und maßgeblicher Fortschritt: Die Umwelt als ziviles Objekt
a) Grundsatz der Negativdefinition Parallel zu der in den 1990er Jahren vollzogenen Geltungsanerkennung des Unterscheidungsgrundsatzes zugunsten von Objekten auch in nichtinternationa660 Art. 8 (2) (e) xii IStGH-Statut erklärt zum Kriegsverbrechen: „Destroying or seizing the property of an adversary unless such destruction or seizure be imperatively demanded by the necessities of the conflict.“ 661 Die gezielte Zerstörung bestimmter Objekte von Hilfs- oder Friedensmissionen ist demnach ein Kriegsverbrechen, insofern den Objekten nach humanitärem Völkerrecht Schutz zukommt. 662 Schmitt/Garraway/Dinstein (Hrsg.), The Manual on the Law of Non-International Armed Conflict: with Commentary, Regel 1.2.2; Doswald-Beck, San Remo Manual on International Law applicable to Armed Conflicts at Sea, para. 39; HPCR, Manual on International Law applicable to Air and Missile Warfare, Sektion D, Regel 11; Schmitt, Tallinn Manual on the International Law applicable to Cyber Warfare, Regel 37 mit ausdrücklichem Hinweis auch auf nichtinternationale Konflikte. 663 Auch der Vertreter Pakistans, auf dessen Initiative die weitreichenden Kürzungen des ZP II in der CDDH zurückzuführen sind, betonte, dass die Artikel des Protokolls nicht den Anschein erwecken dürften, die staatliche Souveränität zu beschränken (CDDH/SR. 49, in: CDDH, Official Records of the Diplomatic Conference on the Reaffirmation and Development of International Humanitarian Law applicable in Armed Conflicts, Genf, 1974–1977, Band VII, S. 61, Rn. 11).
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len Konflikten trat die zweite Voraussetzung der Schutzbegründung auf die Bildfläche völkerrechtlicher Argumentation: Die grundsätzlichen Argumente zum Schutz ziviler Objekte durch das Prinzip der Unterscheidung sollte nun auch auf die natürliche Umwelt und ihre Bestandteile Anwendung finden, schließlich, so wurde erkannt, steht mit der in Art. 52 (2) ZP I enthaltenen und nunmehr auch für nichtinternationale Konflikte gewohnheitsrechtlich maßgeblichen664 Definition zulässiger Ziele indirekt eine Beschreibung zu schonender Ziele zur Verfügung, die weit genug ist, um jedes denkbare Objekt zu umfassen: Militärische Objekte sind nach der in Art. 52 (2) ZP I enthaltenen Definition schließlich nur solche, die durch ihre Eigenschaften, ihren Standort, ihren Zweck oder ihre Verwendung einen effektiven Beitrag zu militärischen Handlungen der gegnerischen Partei leisten und deren Zerstörung, Neutralisation oder Einnahme unter den Umständen des jeweiligen Handlungszeitpunkts einen eindeutigen militärischen Vorteil darstellt.665 Alle Komponenten der Definition müssen kumulativ zum Zeitpunkt des Angriffs vorliegen. Jegliche Objekte, die diese Voraussetzungen nicht erfüllen, sind in systematischer Konsequenz als zivile Objekte zu behandeln und dürfen nicht Ziel einer Attacke sein.666 Darf als Grundregel nur ein solches Objekt attackiert werden, das unter die Definition eines militärischen Ziels fällt, so ist die Zulässigkeit der Attacke notwendig die zu begründende Ausnahme eines Grundsatzes der Schonung im Konflikt, der für jedes denkbare Objekt zunächst schutzvermittelnd wirken muss. Als Negativdefinition muss diese Kategorisierung nach Sinn und Zweck auf alle Objekte und damit zumindest alle physisch existenten Bestandteile eines Territoriums anwendbar sein. Ein bestimmtes Eigentumsverhältnis ist in dieser Systematik unerheblich. Daher kann und muss auch jeder Aspekt physischer Umwelt unter den Objektbegriff und damit, im Fall einer Attacke oder deren Planung, unter die Anwendung des Unterscheidungsgebots fallen. Dieses Ergebnis wird durch die weitgehend anerkannte (Minimal-)Wirkung der Martens’schen Klausel bestärkt, nach der die zulässigen Mittel und Methoden der Konfliktführung auch bei Fehlen spezifischer Verbotsvorschriften nicht unbegrenzt sind.667
664 ICTY, Final Report to the Prosecutor by the Committee established to review the NATO Bombing Campaign against the Federal Republic of Yugoslavia, International Legal Materials 39 (2000), S. 1269; Kommentierung zu Regel 8 und 9 in: Henckaerts/ Doswald-Beck/Alvermann, Customary International Humanitarian Law, ICRC Study, Band I: Rules, S. 29 f. und 32 f. 665 Vgl. Art. 52 (2) ZP I; IKRK-Regel 8 (Henckaerts/Doswald-Beck/Alvermann, a. a. O., S. 29 f.). 666 Vgl. IKRK-Regel 9 (Henckaerts/Doswald-Beck/Alvermann, a. a. O., S. 32 f.). 667 IGH, Legality of the Threat or Use of Nuclear Weapons, Advisory Opinion vom 8. Juli 1996, I.C.J. Reports 1996, S. 226 ff., Rn. 78 und 87. Statt vieler: Meron, The Martens Clause, Principles of Humanity, and Dictates of Public Conscience, American Journal of International Law 94 (2000), S. 88; Rensmann, Die Humanisierung des Völkerrechts durch das ius in bello – Von der Martens’schen Klausel zur „Responsibility to
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Mangels Regelungslücke im humanitären Völkerrecht kommt es noch nicht einmal auf die Klausel an. Das Unterscheidungsgebot muss nach seinem Sinn und Zweck sowie aufgrund der auch für nichtinternationale Konflikte anerkannten Definition zulässiger Ziele vielmehr unabhängig von einer Spezifikation auch für die Umwelt Geltung besitzen. Die Aufstellung einer spezifischen Regel zur Anwendung der humanitärrechtlichen Grundprinzipien auf die Umwelt, wie sie in der IKRK-Studie668 und nunmehr in den ILC Draft Principles669 enthalten ist, ist vor diesem Hintergrund nur von klarstellender Bedeutung. Doch dieses Ergebnis, so zwingend es aus Erwägungen über Sinn und Zweck und Systematik auch sein mag, ist nicht mit Selbstverständlichkeit anzunehmen, denn auch die Grundprinzipien des humanitären Völkerrechts können nur aufgrund ihrer Verankerung in positivem Recht Verpflichtungen auferlegen.670 Gerade in nichtinternationalen Konflikten, in deren Kontext die vertragliche Verankerung des Unterscheidungsgebots fraglich ist, kann eine abstrakte, wenngleich logisch zwingende Interpretation des Gebots nicht allein rechtliche Wirkung entfalten. Gewohnheitsrechtliche Normen, zu denen letztlich, trotz seiner hervorgehobenen Bedeutung, auch das Unterscheidungsgebot zu zählen ist, sind schließlich nicht in gleichem Maß wie vertragliche Normen einer an Sinn und Zweck sowie Systematik orientierten Auslegung offen. Zwar ist das Unterscheidungsgebot, anders als spezifische Handlungsverbote oder Schutzgebote, von einer so grundsätzlichen Natur, dass es in jedem Sachverhalt potenziell Bedeutung zu finden vermag, als Bestandteil des Gewohnheitsrechts kann aber auch eine grundlegende Norm nur die positivrechtlichen Verpflichtungen und Handlungsverbote vermitteln, die ihm von den Staaten als Bestandteil durch opinio iuris und umsetzende Handlungspraxis zuerkannt werden. Die Anwendbarkeit des Unterscheidungsgrundsatzes auf die natürliche Umwelt als solche, und nicht nur auf einzelne ihrer Bestandteile, wie beispielsweise Agrarflächen oder Trinkwasserreservoirs blieb auch nach Schaffung der Zusatzprotokolle von 1977 und damit der umfassenden Negativdefinition ziviler Objekte bis Anfang der 1990er Jahre unbeachtet. Während dieser Umstand in Protect“, ZaöRV 68 (2008), S. 111. Ausführlich zur Klausel und ihrer Wirkung zum Schutz der Umwelt, 2. Teil, § 3, D. 668 Regel 43: „The general principles on the conduct of hostilities apply to the natural environment.“ (Henckaerts/Doswald-Beck/Alvermann, Customary International Humanitarian Law, ICRC Study, Band I: Rules, S. 143). 669 ILC Draft Principle 14: „Application of the law of armed conflict to the natural environment: The law of armed conflict, including the principles and rules on distinction, proportionality, military necessity and precautions in attack, shall be applied to the natural environment, with a view to its protection.“ (ILC, Report of the International Law Commission on the Work of its 71st Session 2019, UN GAOR 74th Session, Supp. No. 10, A/74/10, S. 254). 670 Vgl. Teil 2, Fn. 638.
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Bezug auf die Reichweite des vertraglich in Art. 52 (2) ZP I niedergelegten Unterscheidungsprinzips für den Fall internationaler bewaffneter Konflikte keine Auswirkungen hatte, jeder Bestandteil der Umwelt also schon seit 1977 unproblematisch unter diesen Artikel subsumiert werden konnte, war das Schweigen der internationalen Gemeinschaft für das Recht nichtinternationaler Konflikte konstitutiv, schließlich ist die Reichweite des ausschließlich gewohnheitsrechtlich verankerten umfassenden Unterscheidungsgebots von der Überzeugung der Staaten vom Inhalt des Rechts abhängig. Solange die Umwelt also nicht als durch den Unterscheidungsgrundsatz tangiertes Objekt anerkannt wurde, entfaltete der gewohnheitsrechtliche Grundsatz für sie auch keine Wirkung. Ohne das Bewusstsein um die Schutzwürdigkeit und -notwendigkeit der Umwelt im bewaffneten Konflikt konnte eine entsprechende opinio iuris nicht reifen. Voraussetzung einer Änderung bestehenden Gewohnheitsrechts war also auch in diesem Zusammenhang zunächst das Bewusstsein um die Gefährdung der Umwelt durch Konflikthandlungen und um die Notwendigkeit, diese Handlungen rechtlich zu begrenzen. Diese Klarstellungsbewegung setzte erst Anfang der 1990er Jahre – einmal mehr sprichwörtlich einen Konflikt zu spät – ein. Unter Eindruck der gravierenden Umweltzerstörungen durch das Abbrennen der Ölquellen in Kuwait und die ebenso mutwillig herbeigeführte Ölpest im Persischen Golf671 nahmen die Vereinten Nationen das Thema des Umweltschutzes in Zeiten bewaffneter Konflikte in ihre Agenda auf672 und beauftragten das IKRK damit, sich mit der Ausarbeitung des Themas zu befassen.673 Wenngleich selbst von begrenztem Erfolg ge671 Ausdrücklich UNGA, Resolution 47/37 vom 9. Februar 1993 on Protection of the environment in times of armed conflict, A/RES/47/37. 672 Der Vorschlag wurde ursprünglich von Jordanien vorgebracht und 1991 von der Generalversammlung angenommen (UNGA, Request for the Inclusion of an Additional Item in the provicial Agenda of the 46th Session, 8. Juli 1991, A/46/141). 673 Die Generalversammlung nahm die Problematik 1992 als eigenständiges Thema auf ihre Agenda auf (UNGA, Decision 46/417 vom 9. Dezember 1991). Nach Aufforderung der Versammlung (UNGA, Resolution 47/37 vom 9. Februar 1993 on Protection of the environment in times of armed conflict, A/RES/47/37, Rn. 4) folgten auf Grundlage von Informationen des IKRK zwei Berichte des Generalsekretärs (UNGA, Report of the Secretary-General on the Protection of the Environment in Times of Armed Conflict, 31. Juli 1992, A/47/328, UNGA, Report of the Secretary General on the protection of the environment in times of armed conflict, 29. Juli 1993, A/48/269. Der zweite Bericht folgte aber nur noch als Teil der Agenda „United Nations Decade of International Law“ (siehe UNGA, Resolution 47/37 vom 9. Februar 1993 on Protection of the environment in times of armed conflict, A/RES/47/37, Rn. 4). Letztlich resultierte die Arbeit der Generalversammlung lediglich in der Empfehlung, die vom IKRK erarbeiteten Richtlinien zu verbreiten und der Möglichkeit, sie in nationale Militärhandbücher zu inkorporieren, Beachtung zu schenken (UNGA, Resolution 49/50 vom 9. Dezember 1994 on the United Nations Decade of International Law, A/Res/49/50). Es erscheint nicht unrealistisch, dieses Ergebnis mangelndem politischem Willen zu tiefergreifenden Veränderungen zuzusprechen. So ILC Special Rapporteur Jacobsson (ILC, Report of the International Law Commission on the Work of its 63rd Session 2011, UN
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krönt, führte die Initiative zumindest zu einer intensiven Auseinandersetzung des IKRK mit der Materie, die 1994 in den IKRK-Richtlinien und Anleitungen für Militärhandbücher zum Schutz der Umwelt in Zeiten bewaffneter Konflikte674 mündete. In diesen machte die Kommission zum ersten Mal deutlich, dass die allgemeinen Grundprinzipien des humanitären Völkerrechts auch auf die Umwelt anwendbar sind675 und die Umwelt daher nicht zum Gegenstand eines Angriffs gemacht werden dürfe, solange sie kein militärisches Objekt darstelle.676 Kurz zuvor hatte auch die Generalversammlung in diese Richtung verwiesen als sie erklärte, Zerstörungen der Umwelt, die nicht durch militärische Notwendigkeit gerechtfertigt werden könnten, seien mit geltendem internationalen Recht unvereinbar.677 Eine stille Revolution war in Gang gesetzt. Zwar sollte auch mit den Richtlinien des IKRK laut ihren Verfassern ausdrücklich keine Weiterentwicklung existierenden Rechts verbunden sein678, genau dies war jedoch der Fall. Die Befassung der Generalversammlung sowie des IKRK mit der Thematik hatte dazu geführt, dass sich eine relevante Zahl von Staaten sowie Experten mit der Klassifikation der Umwelt als durch das Unterscheidungsgebot tangiertes Objekt auseinandersetzten. Auch wenn dies nicht mit dem Vorsatz einer Rechtserweiterung geschah, beeinflusste die Klarstellung der universalen Anwendbarkeit des Unterscheidungsgebots auch vorhandene Ansichten von Inhalt und Reichweite existierenden Rechts. In der Folgezeit wurde eine ähnliche Klarstellung auch in das San Remo Manual aufgenommen; weitere Handbücher folgten.679 Letztlich ist es vor allem dem Atomwaffengutachten des IGH zuzuschreiben, dass dieses neue Verständnis der Umwelt als Objekt humanitären Völkerrechts nachhaltig Anerkennung erfuhr. In ihm erklärte der Gerichtshof ausdrücklich, dass das Ausmaß kollateraler Umweltschäden ein bei der Prüfung der ProportioGAOR 66th Session, Supp. No. 10, A/66/10, Annex E, Rn. 12). Siehe zudem oben Teil 2, Fn. 420. 674 IKRK, Guidelines for military manuals and instructions on the protection of the environment in times of armed conflict, 19. August 1994, Annex to UN Doc. A/49/323. 675 Regel 4, 8 und 9, a. a. O. 676 A. a. O. 677 UNGA, Resolution 47/37 vom 9. Februar 1993 on Protection of the environment in times of armed conflict, A/RES/47/37, Rn. 55. 678 IKRK, Guidelines for military manuals and instructions on the protection of the environment in times of armed conflict, 19. August 1994, Annex to UN Doc. A/49/323 Introduction. 679 Doswald-Beck, San Remo Manual on International Law applicable to Armed Conflicts at Sea, Regel 44. Hier wird die Umwelt zwar noch nicht ausdrücklich als ziviles Objekt bezeichnet, mit dem Prinzip der militärischen Notwendigkeit aber eines der Grundprinzipien auf sie angewendet. Ausdrücklich findet sich der Verweis auf den Status der Umwelt als ziviles Objekt im späteren NIAC Manual von 2006 (Ausführungen zu Regel 4.2.4., Schmitt/Garraway/Dinstein (Hrsg.), The Manual on the Law of NonInternational Armed Conflict: with Commentary, S. 59) und dem HPCR Manual von 2009 (HPCR, Manual on International Law applicable to Air and Missile Warfare, Section M, S. 204, Rn. 9).
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nalität eines Angriffs beachtlicher Faktor sei. Damit bestätigte er indirekt die Klassifikation der natürlichen Umwelt als ziviles Objekt.680 Während andere Aspekte des Gutachtens bis heute immer wieder in der Kritik standen, blieb diese Aussage, ähnlich wie schon die IKRK-Richtlinien zuvor, weitestgehend unumstritten. In Konsequenz wurde auch die zehn Jahre später entwickelte Regel 43 A der Gewohnheitsrechtsstudie, laut der ein Angriff gegen Teile der natürlichen Umwelt ausschließlich zulässig ist, insofern diese militärische Ziele darstellen681, hinsichtlich ihrer korrekten Wiedergabe bestehenden Gewohnheitsrechts nicht kritisiert.682 Vor allem die vergleichsweise große Zahl einschlägiger Vorschriften in nationalen Militär- und Strafgesetzbüchern683 ist Ausdruck gewandelter staatlicher Überzeugungen. Innerhalb eines überschaubaren Zeitraums hatte sich ein neues Verständnis des Anwendungsbereichs des Unterscheidungsgebots durchgesetzt. Es trug als Überzeugung der Staaten zur Bildung heute zumindest grundsätzlich anerkannten Gewohnheitsrechts bei. Unter dem Gesichtspunkt nichtinternationaler Konflikte ist dies besonders bemerkenswert, denn die Anerkennungsbewegung trennte nicht zwischen internationalen und nichtinternationalen bewaffneten Konflikten, sondern stellte die Reichweite des Unterscheidungsgrundsatzes ohne jede Spezifikation der Anwendungssituation fest. Angesichts der im gleichen Zeitraum vollzogenen Festschreibung des Unterscheidungsprinzips auch im Gewohnheitsrecht nichtinternationaler bewaffneter Konflikte ist dieser Umstand zwar folgerichtig und letztlich zwingend, gleichwohl aber nicht selbstverständlich, schließlich wird bei der Frage der gewohnheitsrechtlichen Anerkennung eines Verbots langfristiger, schwerer und langanhaltender Umweltschädigungen noch immer deutlich zwischen den beiden Konflikttypen unterschieden, obwohl in beiden Fällen eine entsprechende Vertragsnorm im ZP II fehlt. Dies mag damit zusammenhängen, dass, anders als es bei der gewohnheitsrechtlichen Anerkennung des in Art. 35 (3) und 55 ZP I enthaltenen Schädigungsverbots notwendig wäre, auf den ersten Blick lediglich eine Klarstellung des Anwendungsbereichs des Unterscheidungs680 IGH, Legality of the Threat or Use of Nuclear Weapons, Advisory Opinion vom 8. Juli 1996, I.C.J. Reports 1996, S. 226 ff., Rn. 30. 681 Henckaerts/Doswald-Beck/Alvermann, Customary International Humanitarian Law, ICRC Study, Band I: Rules, S. 143 f. 682 Selbst die der Studie sowie der Existenz gewohnheitsrechtlicher Regelungen zum Schutz der Umwelt während bewaffneter Konflikte kritisch gegenüberstehenden USA hatten an Regel 43 nichts auszusetzen. Vgl. Bellinger/Haynes, A US government response to the International Committee of the Red Cross study ,Customary International Humanitarian Law‘, International Review of the Red Cross 89 (2007), S. 443 ff. Anders als das absolute Verbot der Herbeiführung schwerer, langanhaltender und weitreichender Umweltschäden wird die Anwendung des Unterscheidungsgebots nicht einmal angesprochen. 683 Vgl. die ständig aktualisierten Praxisnachweise zu Regel 43 A: IKRK, Customary IHL Database, Practice, abrufbar unter: https://www.icrc.org/customary-ihl/eng/docs/ v2 [abgerufen am 26.10.2020].
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grundsatzes vorgenommen wurde. Gerade in nichtinternationalen Konflikten, in deren Recht diese Wirkung nicht durch eine lediglich veränderte Auslegung einer Vertragsnorm möglich war, stellte diese Klarstellung allerdings notwendig eine, wenngleich auch wenig bemerkte, Rechtsänderung dar. In diesem Kontext profitierte das Ziel erhöhten Umweltschutzes von dem scheinbaren Desinteresse internationaler Akteure bezüglich der Spezifika des Rechts nichtinternationaler Konflikte. b) Sonderfall Umwelt? Die grundsätzliche Anwendbarkeit des Gebots der Unterscheidung zwischen zivilen und militärischen Objekten auf die natürliche Umwelt wird zwar nicht länger als problematisch erachtet, im Detail ergeben sich aus der besonderen Natur der Umwelt allerdings noch immer Unsicherheiten. Diese zeigten sich zuletzt im Rahmen der Arbeit der ILC zum Schutz der Umwelt im Verhältnis zu bewaffneten Konflikten. So vertrat ILC Special Rapporteur Jacobsson schon in ihrem zweiten Bericht von 2015 die ausdrücklich auf das Unterscheidungsgebot gestützte Auffassung684, die Umwelt sei „civilian in nature“.685 Im Verlauf der Diskussion in der Kommission wurde die Formulierung jedoch zunächst gestrichen und jeder ausdrückliche Hinweis auf den zivilen Charakter der Umwelt insgesamt oder ihrer Bestandteile aus den Draft Principles entfernt.686 Mehrere Mitglieder der ILC hatten befürchtet, die ursprüngliche Formulierung könne eine 684 ILC, Report of the International Law Commission on the Work of its 67th Session 2015, UN GAOR 70th Session Supp. No. 10, A/70/10, Rn. 167. 685 ILC, Second Report on the Protection of the Environment in Relation to Armed Conflicts, submitted by Marie G. Jacobsson, Special Rapporteur, 28. Mai 2015, A/ CN.4/685, Annex I, Draft Principle 1: „The natural environment is civilian in nature and may not be the object of an attack, unless and until portions of it become a military objective. It shall be respected and protected, consistent with applicable international law and, in particular, international humanitarian law.“ 686 Vgl. die Formulierung des nach Abschluss der Diskussionen der ILC während ihrer 66. Tagung 2015 durch das Drafting Committee vorläufig angenommenen Draft Principle II-1 (mittlerweile Draft Principle 9): „1. The natural environment shall be respected and protected in accordance with applicable international law and, in particular, the law of armed conflict. [. . .]. 3. No part of the natural environment may be attacked, unless it has become a military objective.“ Siehe auch ILC, Protection of the Environment in Relation to Armed Conflict, Text of the Draft introductory Provisions and Draft Principles provisionally adopted so far by the Drafting Committee in the 66th Session, 22. Juli 2015, A/CN.4/L.870, zitiert in ILC, Report of the International Law Commission on the Work of its 67th Session 2015, UN GAOR 70th Session Supp. No. 10, A/70/10, S. 105, Fn. 378. Das Draft Principle II-1 wurde mehrmals neu nummeriert und ist seit Frühjahr 2019 als Draft Principle 9 mit gleichem Wortlaut im Satz der Draft Principles enthalten (ILC, Protection of the Environment in Relation to Armed Conflicts text and titles of the Draft Principles provisionally adopted by the Drafting Committee on first reading, 6. Juni 2019, 71st Session, A/CN.4/L.937).
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Gleichsetzung der Umwelt als Ganzes mit einem zivilen Objekt implizieren. Dies wiederum würde zu einer erschwerten Anwendung des Unterscheidungsgebots im Einzelfall führen. Es wurde eingebracht, das humanitäre Völkerrecht kenne keine abstrakte Klassifizierung von Personen oder Objekten, sondern erlaube allein eine Einordnung im Einzelfall.687 Die Einordnung als ziviles Objekt bringt unter Anwendung eines weiten Umweltbegriffs tatsächlich Schwierigkeiten mit sich. Werden Fauna, Flora, Klima, Licht sowie die Zusammensetzung von Boden und Wasser in die Definition der Umwelt einbezogen, so ergeben sich in Konsequenz deutlich stärkere Einschnitte in die Kriegsführungspraxis, als dies bei klassischen zivilen Objekten wie Dörfern und anderen Bauten der Fall ist. Die Umwelt ist allgegenwärtig. Selbst bei einer Begrenzung des Kriegsschauplatzes auf traditionelle Schlachtfelder können ihre Bestandteile in Mitleidenschaft gezogen werden. Ob Aspekte wie z. B. die Ozonschicht daher mit traditionellen zivilen Objekten verglichen werden können, ist nicht unumstritten.688 Gleiches gilt für die grundsätzliche Kategorisierung der Umwelt im Ganzen als ziviles Objekt.689 Vielleicht wurde auch aus diesem Grund die Formulierung des Special Rapporteur, die Umwelt an sich sei „civilian in nature“, von mehreren Mitgliedern der ILC abgelehnt.690 Dass sich aber auch die Klarstellung, dass Umweltbestandteile im Grundsatz zivile Objekte darstellen, zunächst nicht als Bestandteil der Draft Principles durchsetzen konnte691 und einige Staaten jeden Hinweis auf die mögliche Umwandlung von Umweltbestandteilen in militärische Ziele ablehnten692, kann alleine mit der Weite des 687 Vgl. ILC, Report of the International Law Commission on the Work of its 67th Session 2015, UN GAOR 70th Session Supp. No. 10, A/70/10, S. 110, Rn. 154. 688 Vgl. Dröge/Tougas, The protection of the natural environment in armed conflict – Existing rules and need for further legal protection, Nordic Journal of International Law 82 (2013), S. 26; Heintschel von Heinegg/Donner, New Developments in the Protection of the Natural Environment in Naval Armed Conflicts, German Yearbook of International Law 37 (1994), S. 289, die eine ausnahmslose Klassifikation der Umwelt als ziviles Objekt ablehnen, die Anwendbarkeit der Grundprinzipien auf die Umwelt im Einzelfall aber bejahen und damit im Ergebnis mit der hier vertretenen Ansicht übereinstimmen. 689 Ibid. 690 Special Rapporteur Jacobsson erklärte im Verlauf der Diskussion der Draft Principles, sie erkenne einen großen Unterschied zwischen der Erklärung, die Umwelt sei ziviles Objekt, und der Formulierung, sie sei daher „civilian by nature“. Jacobsson distanzierte sich in Folge von dieser Wortwahl. Vgl. ILC, Provisional summary record vom 22. September 2015 of the 3269th meeting vom 14. Juli 2015, A/CN.4/SR.3269, S. 10. 691 Siehe den Wortlaut des damaligen Draft Principle II-1, oben, Teil 2, Fn. 686. 692 Z. B. United Kingdom Mission to the United Nations, Statement on the Report of the International Law Commission on the Work of its 67th Session: Part III (A/70/10), Chapters IX (Protection of the environment in relation to armed conflict) by Ms. Sherin Shefik, Assistant Legal Adviser Foreign & Commonwealth Office, 9.–11. November 2015, abrufbar unter: http://statements.unmeetings.org/media2/7655107/united-kingdom.pdf [abgerufen am 26.10.2020], S. 2. Das Vereinigte Königreich favorisierte die Löschung des Verweises auf die Möglichkeit der Umwandlung in militärische Ziele. Ähnlich äußerte sich auch Kroatien (Croatia Permanent Mission to the United Nations
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2. Teil: Das geltende Recht und seine Wirkung zum Erhalt der Umwelt
Umweltbegriffs nicht gerechtfertigt werden. Eine ausdrückliche Klarstellung der Klassifikation zumindest spezifischer, womöglich auch räumlich begrenzter, Einzelaspekte der Umwelt als grundsätzlich zivile Objekte brächte kaum Unsicherheiten mit sich.693Aus der teils kategorischen Ablehnung jedes Verweises auf den grundsätzlich zivilen Charakter der Umwelt wird ersichtlich, dass zumindest einige Akteure der Einordnung der Umwelt aber auch ihrer Komponenten in die Dichotomie der zivilen und militärischen Ziele im humanitären Völkerrecht skeptisch gegenüber stehen.694 Ein Teilerfolg blieb dennoch: ILC Draft Principle 13 (3) enthält auch in der Mitte 2019 von der ILC angenommenen Fassung wenigstens die Feststellung, dass Bestandteile der Umwelt, solange sie kein militärisches Ziel darstellen, vor Angriffen geschützt sind.695 Indirekt ist ihr ziviler Charakter nunmehr also auch in den Draft Principles bestätigt. Die den Draft Principles 2019 beigefügte Kommentierung geht sogar noch weiter. So heißt es, Draft Principle 13 (3) unterstreiche die „inherently civilian nature of the natural environment“.696 An anderer Stelle heißt es außerdem, die Umwelt sei „not intrinsically military in nature“.697 Der ursprüngliche Vorschlag von Special Rapporteur Jacobsson wurde zwar nicht in einem Draft Principle umgesetzt, hat damit aber doch einen Platz in den Ergebnissen der ILC gefunden. Es bleibt abzuwarten, wie die Staatengemeinschaft auf diese Klarstellungen reagieren wird. Das heute weltweit anerkannte Verbot unbegrenzter Kriegsführung lässt kein anderes Ergebnis als die Klassifikation aller Umweltbestandteile als grundsätz-
New York, Statement by Mr. Sebastian Rogac, First Secretary, Legal Adviser, on Agenda Item 83, Report of the International Law Commission (Part III), 70th Session of the General Assembly, 10. November 2015, abrufbar unter: http://statements.un meetings.org/media2/7655124/croatia.pdf [abgerufen am 26.10.2020], S. 2). Diese Forderung konnte sich allerdings nicht durchsetzen. Die 2019 angenommenen Draft Principles enthalten noch immer einen Absatz zum Schutzverlust bei Umwandlung in militärische Ziele (vgl. Draft Principle 13 (3), in ILC, Report of the International Law Commission on the Work of its 71st Session 2019, UN GAOR 74th Session, Supp. No. 10, A/74/10, S. 213). 693 Ähnlich auch Special Rapporteur Jacobsson in Reaktion auf die Kritik an ihrer ursprünglichen Formulierung: ILC, Provisional summary record vom 22. September 2015 of the 3269th meeting vom 14. Juli 2015, A/CN.4/SR.3269, S. 10. 694 Vgl. auch Weir, What states said on conflict and the environment at the UN last week and why it matters, Toxic Remnants of War Blog, abrufbar unter: http://www. toxicremnantsofwar.info/what-governments-said-on-conflict-and-the-environment-at-theun-last-week-and-why-it-matters/ [abgerufen am 26.10.2020] mit Hinweisen zu den Positionen mehrerer weiterer Staaten. 695 Principle 13 (3): „General protection of the natural environment during armed conflict: [. . .] 3. No part of the natural environment may be attacked, unless it has become a military objective.“ (ILC, Report of the International Law Commission on the Work of its 71st Session 2019, UN GAOR 74th Session, Supp. No. 10, A/74/10, S. 213). 696 Ibid., S. 252. 697 Ibid., S. 255.
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lich zivile Objekte zu. Migrierende Tiere, Wasserläufe und eine durch Winde bewegte Atemluft erschweren zwar in Realität die Umsetzung des klassischen Schutzprinzips, indem sie den beteiligten Akteuren zusätzliche Überlegungspflichten auferlegen, dies kann jedoch die Grundentscheidung des Rechts nicht ändern. Tatsächlich scheinen die meisten Staaten auch keine Notwendigkeit partiellen Abweichens zu erkennen. Erklärungen zur Einordnung der Umwelt als Objekt humanitären Völkerrechts unterscheiden in Mehrzahl nicht zwischen einzelnen Aspekten. So hielt beispielsweise der Sicherheitsrat in seiner Resolution 687 von 1991 den Irak für alle Umweltschäden („any direct loss, damage, including environmental damage“) verantwortlich.698 Auch die UN-Generalversammlung erklärte 1992 ohne weitere Spezifikation Zerstörungen der Umwelt, die nicht durch militärische Notwendigkeit gerechtfertigt und mutwillig ausgeführt werden, als unvereinbar mit geltendem Recht.699 Es bestehen zudem keine Beispiele von Staatenpraxis, die bestimmte Elemente der Umwelt ausklammern.700 Auch die 2019 von der ILC angenommenen Draft Principles gehen, wie soeben dargelegt, wenigstens indirekt von dem Grundsatz der zivilen Natur der Umwelt aus.701 Draft Principle 13 (3) stellt ohne jede Einschränkung fest, dass kein Teil der natürlichen Umwelt attackiert werden dürfe, solange dieser kein ein militärisches Ziel darstellt.702 Draft Principle 14 bestimmt, dass das Kriegsrecht, inklusive u. a. dem Prinzip der Unterscheidung, auf die Umwelt anzuwenden sei, um diese zu schützen.703 Den durch die allgemeine Einordnung aller Umweltaspekte als zivile Objekte entstehenden Problemen muss in der praktischen Anwendung der Rechtsprinzipien begegnet werden. Das Verbot eines gezielten Angriffs auf bestimmte Umweltelemente, seien es nun Waldstücke oder die zunächst schwer zu fassende Zusammensetzung der Atmosphäre, dürfte allerdings in der Praxis kaum Umsetzungsschwierigkeiten mit sich bringen. Die Omnipräsenz der Umwelt sowie die 698
UNSC, Resolution 687 vom 3. April 1991, S/RES/687, Rn. 16. Siehe Teil 2, Fn. 677. Weitere Nachweise finden sich bei Dröge/Tougas, The protection of the natural environment in armed conflict – Existing rules and need for further legal protection, Nordic Journal of International Law 82 (2013), S. 26. Zum Verbot mutwilliger Umweltzerstörung und seinem rechtlichen Gehalt, 2. Teil, § 3, C., I. 700 Dröge/Tougas, The protection of the natural environment in armed conflict – Existing rules and need for further legal protection, Nordic Journal of International Law 82 (2013), S. 26. 701 Vgl. insb. ILC Draft Principle 13 (3), das den Angriff auf Teile der natürlichen Umwelt untersagt, solange diese kein militärisches Ziel darstellen. Hier wird zwar auf den Objektcharakter einzelner Umweltkomponenten verwiesen, die Klassifikation aber nicht inhaltlich auf z. B. greifbare Objekte beschränkt. Zum Wortlaut: ILC, Protection of the Environment in Relation to Armed Conflicts text and titles of the Draft Principles provisionally adopted by the Drafting Committee on first reading, 6. Juni 2019, 71st Session, A/CN.4/L.937. 702 Siehe Teil 2, Fn. 695. 703 Siehe Teil 2, Fn. 669. 699
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2. Teil: Das geltende Recht und seine Wirkung zum Erhalt der Umwelt
Schwierigkeiten der Ermittlung und Vorhersehbarkeit möglicher Auswirkungen einer Handlung sind eher Probleme kollateraler Schädigungen. 4. Schutzumfang und Schutzverlust
In Konsequenz der Geltung des Unterscheidungsgebots in jeder Konfliktsituation dürfen die Umwelt und ihre einzelnen Bestandteile auch in nichtinternationalen bewaffneten Konflikten nur dann Ziel eines gezielten Angriffs sein, insofern sie ein militärisches Ziel nach der oben angeführten Definition darstellen. Anderenfalls sind sie vor direkten sowie unterschiedslos wirkenden Angriffen geschützt. Die Existenz des Unterscheidungsgebots kann selbst schwere, langanhaltende und sogar dauerhafte Umweltschäden durch Konflikthandlungen in Realität jedoch kaum vermeiden. Dies ist auf mehrere Umstände zurückzuführen: a) Kollateralschäden Erstens ist durch das Unterscheidungsprinzip kein Verbot von Kollateralschäden an der Umwelt aufgestellt. Schäden, die durch feindliche Handlungen gegen ein militärisches Ziel in Konsequenz an einem zivilen Objekt entstehen, stellen nicht per se eine Verletzung des humanitären Völkerrechts dar, sondern sind unter dem Gesichtspunkt der Proportionalität sowie mit Hinblick auf zu treffende Vorsichtsmaßnahmen zu beurteilen.704 Aspekte der Umwelt sind durch Kollateralschädigungen im Besonderem bedroht, da Belastungen von Umweltbestandteilen nicht immer in Ausmaß und Intensität vorhersehbar sind. Schadstoffe können sich beispielsweise in Böden und Gewässern anreichern und so lange über das Konfliktende hinauswirken. Zudem sind Belastungen u. a. der Atmosphäre von einer Vielzahl weiterer Einflüsse wie Winden oder Niederschlägen abhängig und können nur mit moderner Wissenschaft und Technik vorherbestimmt werden. Das Ausmaß durch das Recht geforderter Vorsichtsmaßnahmen muss diese Gefährdung aufgreifen705; das Unterscheidungsgebot ist dazu nicht in der Lage. b) Umwandlung in militärische Ziele Der zweite maßgebliche Aspekt, der die Gefährdung der Umwelt im Konflikt mitbestimmt, ist die Möglichkeit der Umwandlung der Umwelt und ihrer Bestandteile in ein legitimes militärisches Ziel. Dient beispielsweise ein bewaldeter Landstrich bewaffneten Gruppen als Rückzugsort, so leistet er durch seine Verwendung einen effektiven Beitrag zu militärischen Handlungen der Gruppe. Eine Zerstörung der Vegetation gäbe der gegnerischen Partei unter Umständen einen militärischen Vorteil und wäre daher auf Grundlage des Unterscheidungsgebots 704 Zum Proportionalitätsgebot siehe § 3, B., III.; zur Geltung und dem Umfang des Vorsorgeprinzips, siehe § 3, B., IV. 705 Siehe § 3, B., III., 3., b) sowie IV., 1., b).
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zunächst zulässig. Diese leicht zu erreichende706 Umwandlung kann gerade in nichtinternationalen bewaffneten Konflikten, die meist durch asymmetrische Kriegsführung geprägt sind, potenziell große Teile eines Staatsgebiets betreffen.707 c) Sonderfall konfliktunterstützender Ressourcen Neben diesen beiden Aspekten, in denen das Unterscheidungsgebots schon aufgrund seiner Konzeption keine Schutzwirkung zu entfalten vermag, ergibt sich mit Blick auf die ökonomische Funktion bestimmter Naturgüter eine weitere aktuelle Problematik: Rohstoffe sowie die Orte ihrer Vorkommen sind als Teilaspekte natürlicher Ressourcen708 in besonderem Maß gefährdet, durch die Umwandlung in militärische Ziele jeglichen Schutz vor Angriffen zu verlieren. Der Ursprung dieses potenziellen Schutzverlusts liegt allerdings nicht im Grundkonzept des Unterscheidungsgebots, sondern in der Frage der Auslegung des für ihn ausschlaggebenden Begriffs militärischer Ziele sowie der mit der Auslegung in Zusammenhang stehenden Funktion natürlicher Ressourcen für die Konfliktparteien. Abseits der Verwendung als Rückzugsort und Tarnmittel, die u. a. sowohl den Vietnamkrieg als auch den Bürgerkrieg in El Salvador geprägt hatte, können Umweltaspekte auch als konfliktverlängernde Ressourcen einen militärischen Vorteil vermitteln.709 Neben Fällen, in denen die Verteilung der Ressourcen einen (Mit-)Konfliktauslöser darstellt710, ist, wie zuvor schon dargestellt wurde711, 706 Bothe et al., International law protecting the environment during armed conflict: gaps and opportunities, International Review of the Red Cross 92 (2010), S. 577; Vöneky, Die Fortgeltung des Umweltvölkerrechts in internationalen bewaffneten Konflikten, S. 46; Dröge/Tougas, The Protection of the natural environment in armed conflict – Existing rules and Need for Further Legal Protection, in: Rayfuse (Hrsg.), War and the environment, S. 17. 707 Allerdings muss in jedem Einzelfall geprüft werden, ob die spezifischen Voraussetzungen eines militärischen Ziels für das jeweilige Gebiet beziehungsweise dessen spezifische Umweltkomponenten tatsächlich gegeben sind. Insoweit einschränkend Dröge/Tougas, a. a. O., S. 17 f. 708 Neben Rohstoffen und Böden/Flächen zählen auch die Qualität von Umweltbestandteilen (Boden, Luft, Wasser, Klima, genetische Vielfalt) sowie nicht greifbare Ressourcenströme wie Sonnenlicht und Wind zu natürlichen Ressourcen. Maßgebliche Voraussetzung des Begriffs ist die Vermittlung eines Ge- oder Verbrauchsnutzens für den Menschen. Vgl. Schütz/Bringezu, Ressourcenverbrauch von Deutschland – aktuelle Kennzahlen und Begriffsbestimmungen, S. 7. 709 So ohne weitere Ausführungen Dam-de Jong, International law and governance of natural resources in conflict and post-conflict situations, S. 234. 710 UNEP zählte 2009 mindestens 18 Konflikte, die seit Ende des kalten Krieges durch die Ausbeutung natürlicher Ressourcen angetrieben wurden. Fast die Hälfte aller innerstaatlichen Konflikte der letzten Jahrzehnte könne direkt mit natürlichen Ressourcen in Verbindung gebracht werden (UNEP, From conflict to peacebuilding, S. 8). Diese Situation hat sich bei Entspannung der Ost-West-Beziehungen noch verdeutlicht. Innerstaatliche Konflikte treten heute hauptsächlich in Entwicklungsländern auf, in denen der Reichtum sowie das bloße Überleben der Bevölkerungsgruppen von Zugang zu und Verteilung von natürlichen Ressourcen abhängt. Ausführlich statt vieler: Bruch et al.,
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2. Teil: Das geltende Recht und seine Wirkung zum Erhalt der Umwelt
auch die Ausbeutung natürlicher Ressourcen durch bewaffnete Gruppen zur Finanzierung des Konflikts ein weitverbreitetes Phänomen aktueller Konfliktszenarien. Unabhängig von der Frage der Zulässigkeit der Ressourcenausbeutung im Konflikt712, stellen Orte natürlicher Ressourcenvorkommen aufgrund ihrer Funktion als Finanzierungsquelle für feindliche Truppen ein interessantes Ziel gegnerischer Angriffe dar. Diese Situation ist keineswegs realitätsfern. Die feindliche Zerstörung von Waldflächen oder Minengebieten ist letztlich nicht anders zu bewerten als Angriffe auf Ölförderanlagen und -felder, die gerade in den letzten Jahren durch den Kampf gegen den sogenannten IS im Irak wieder in den internationalen Fokus gerückt sind. Ob aber Produktions- und Abbaustätten, die allein der Finanzierung eines Konflikts durch Handel dienen, als militärische Ziele anzusehen sind, ist bei näherer Betrachtung zweifelhaft. Zentral für die Kategorisierung wirtschaftlich nutzbarer Ressourcen ist eine, schon seit Schaffung des Art. 52 (2) ZP I bestehende, Auslegungsdivergenz der Voraussetzung eines militärischen Vorteils. aa) Konfliktverlängernde Objekte als militärische Ziele Die in den letzten Jahren durchgeführten Luftangriffe auf Ölförderanlagen in der Hand des sogenannten IS markieren die neueste Umsetzung der von den USA schon seit den 1980er Jahren vertretenen Kategorisierung konfliktunterstützender Objekte („war-sustaining objects“) als militärischer Ziele.713 Derartige Post-Conflict Peace Building and Natural Resources, Yearbook of International Environmental Law 19 (2009), S. 58 ff. 711 Siehe oben 2. Teil, § 2, B., II., 3. 712 Ibid. 713 Bereits im Koreakrieg attackierten US-amerikanische Streitkräfte mehrere koreanische Dämme und verursachten dadurch eine Überflutung der Reisfelder. Ziel des Angriffs war nicht nur die Unbrauchbarmachung unterirdischer Bunker in den betroffenen Regionen, sondern auch eine Vernichtung der Reisernte, die angeblich zur Finanzierung des Konflikts verkauft wurde (Jachec-Neale, The Concept of Military Objectives in International Law and Practice, S. 99; Parks, Air War and the Law of War, Air Force Law Review 32 (1990), S. 208 m.w. N.). Mit dem Iran-Irak Krieg in den 1980er Jahren fand die Strategie Eingang in Militärhandbücher der Vereinigten Staaten. Zu dieser Zeit intervenierte die USA in den als Tanker-Krieg bekannt gewordenen Seekrieg. Nachdem zwei Schiffe der USA durch Angriffe beziehungsweise verlegte Minen Schaden genommen hatten, attackierte die USA im Rahmen der Operation Praying Mantis zwei iranische Ölplattformen. Im gleichen Jahr fand sich zum ersten Mal der Hinweis auf kriegsverlängernde Objekte als zulässige Ziele im Commander’s Handbook on the Law of Naval Operations (Department of the Navy Office of the Chief of Naval Operations and Headquarters/US Coast Guard/US Marine Corps, Commander’s Handbook on the Law of Naval Operations, Edition 1987, Naval Warfare Pub. No. NWP 9, 8.2.) sowie in dem kurz darauf folgenden Annotaded Supplement (United States, Annotated Supp. of The Commander’s Handbook, NWP 9 (REV.A)/FMFM 1–10) von 1989, 8.1.1.). Siehe auch Goodman, The Obama Administration and Targeting „War-Sustaining“ Objects in NonInternational Armed Conflict, American Journal of International Law 110 (2016), S. 675 f.
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Objekte dienen, anders als z. B. Munitionsfabriken oder sowohl militärisch wie auch zivil genutzte Dual-use-Objekte wie Brücken, nur indirekt der Konfliktführung. Im Zentrum ihrer konfliktunterstützenden Funktion steht die Finanzierung der Fortführung der bewaffneten Auseinandersetzung.714 Die beispielsweise in Ölförderanlagen zutage getragenen oder verarbeiteten Rohstoffe werden, anders als die Endprodukte einer Rüstungsbetriebsstätte, nicht unmittelbar zur Ausführung von Konflikthandlungen verwendet. Vielmehr wird ihr Verkauf durch die im Einzelfall die Anlage kontrollierende Konfliktpartei zu ihrer Finanzierung und schließlich der finanziellen Ermöglichung der Fortführung des Konflikts genutzt. Ob diese kriegserhaltende Funktion einer Anlage oder Ressource für die jeweilige Partei aber ausreicht, um einen direkten Angriff zu rechtfertigen, ist umstritten. Kern des andauernden Meinungsstreits ist die Frage, ob natürliche Ressourcen sowie ihre Förderungs-, Aufbereitungs- und Lagerungsanlagen, die wie die genannten Ölförderanlagen durch ihre Eigenschaften, ihren Zweck oder ihre Verwendung die Kriegsführungskapazität einer Partei unterstützen und so zur Verlängerung des Konflikts beitragen, einen effektiven Beitrag zu militärischen Handlungen der gegnerischen Partei im Sinne der Definition militärischer Ziele leisten, oder ob eine engere Verbindung zwischen der Unterstützungsfunktion des Objekts und der militärischen Handlung der jeweiligen Konfliktpartei als Voraussetzung zu fordern ist.715 Während US-Streitkräfte erstere Ansicht schon seit Jahren bejahen716, bis zuletzt eine indirekte oder sogar nur eine diskrete Verbindung zwischen der Funk714
Vgl. die Definition militärischer Objekte im aktuellen Militärhandbuch der USA: „[. . .] the object’s effective contribution to the war-fighting or war-sustaining capability of an opposing force is sufficient. Although terms such as ,war-fighting,‘ ,warsupporting,‘ and ,war-sustaining‘ are not explicitly reflected in the treaty definitions of military objective, the United States has interpreted the military objective definition to include these concepts.“ (United States Department of Defence, Law of War Manual, 2015 (updated 2016), S. 214, Fußnoten wurden ausgelassen). Schon zuvor: „Economic objects of the enemy that indirectly but effectively support and sustain the enemy’s war-fighting capability may also be attacked.“ (Department of the Navy Office of the Chief of Naval Operations and Headquarters et al., The Commander’s Handbook on the Law of Naval Operations, Juli 2007, NWP 1–14M, 8.2.5.). Siehe ebenso United States, Military Commissions Act of 2009, Title XVIII of the National Defense Authorization Act for Fiscal Year 2010, Pub. L. No. 111-84, 123 Stat. 2190, § 950 p (a) (1): „The term ,military objective‘ means [. . .] those objects during hostilities which, by their nature, location, purpose, or use, effectively contribute to the war-fighting or war-sustaining capability of an opposing force [. . .].“ 715 Vgl. den Wortlaut von Art. 52 (2) ZP I, dessen Formulierung mittlerweile als Gewohnheitsrecht angesehen werden kann (siehe Henckaerts/Doswald-Beck/Alvermann, Customary International Humanitarian Law, ICRC Study, Band I: Rules, S. 30, Regel 8). 716 Siehe die Nachweise in Teil 2, Fn. 713. Detailliert Dill, The 21st-Century Belligerent’s Trilemma, European Journal of International Law 26 (2015), S. 95. In der Vergangenheit bestanden Unsicherheiten dahingehend, ob das Prinzip der „war-sustaining objects“ tatsächlich Teil der offiziellen Kriegsführungsstrategie der USA ist oder ob es
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tion des Objekts und der Konfliktführung einer Partei genügen ließen717 und sogar auf eine gewohnheitsrechtliche Geltung dieser Definitionsvariante verwiesen718, stieß diese weite Auslegung des Begriffs militärischer Objekte in der Wissenschaft, die eine unmittelbare Verbindung zwischen Objekt und Konfliktführung fordert719, bislang überwiegend auf Ablehnung.720 nur eine von mehreren strategischen Optionen unterschiedlicher Teilstreitkräfte ausmachte (vgl. Report on the Expert Meeting „Targeting Military Objectives“ organized by the University Centre for International Humanitarian Law, Genf 2005, abrufbar unter: http://www.geneva-academy.ch/docs/expert-meetings/2005/1rapport_objectif_ militaire.pdf [abgerufen am 26.10.2020], S. 4 f. Angesichts der Kampfstrategie der Obama-Administration 2015 in Syrien besteht wenig Zweifel daran, dass das Prinzip Teil einer Gesamtstrategie der USA war (siehe z. B. Obama, Remarks by the President on Progress Against ISIL, 25. Februar 2016, abrufbar unter: https://www.whitehouse. gov/the-press-office/2016/02/25/remarks-president-progress-against-isil [abgerufen am 26.10.2020]). Detailliert zu den unterschiedlichen Wortlauten der Teilstreitkräftehandbücher: Jachec-Neale, The concept of military objectives in international law and targeting practice, S. 100 ff. Zu der Diskussion in Bezug auf die durch den sogenannten IS gehaltenen Ölförderanlagen: Watkin, Targeting „Islamic State“ Oil Facilities, International Law Studies 90 (2014), S. 499 ff. 717 Beispielsweise: Lee (Hrsg.), Operational Law Handbook 2015, S. 23: „The connection of some objects to an enemy’s war fighting or war-sustaining effort may be direct, indirect, or even discrete. A decision as to classification of an object as a military objective and allocation of resources for its attack depends upon its value to an enemy nation’s war fighting or war sustaining effort [. . .].“ In der Fassung des Handbuchs von 2018 ist dieser Abschnitt allerdings nicht (mehr) enthalten. 718 Siehe United States, Annotated Supp. of The Commander’s Handbook, NWP 9 (REV.A)/FMFM 1–10, insb. Fn. 9 in der zudem ausgeführt ist, dass die Einbeziehung kriegserhaltender Objekte in die Definition militärischer Ziele nach Art. 52 (2) ZP I dessen Inhalt nicht ändern soll. Vielmehr gehe die USA von der gewohnheitsrechtlichen Geltung der verwendeten Qualifizierungen aus. Ähnliches findet sich auch im Oceans Law and Policy Department, Center for Naval Warfare Studies, Naval War College, Annotated Supp. to the Commander’s Handbook on the Law of Naval Operations von 1997, 8.1.2., insb. Fn. 11. Begründet wird diese Ansicht u. a. mit einer Entscheidung der American-British Claims Commission, die 1871 zu dem Schluss kam, dass die Zerstörung von Baumwollplantagen als Hauptfinanzierungsquelle der Konföderierten durch die Union gerechtfertigt gewesen sei (ibid.). Vgl. American-British Claims Commission, Cotton Claims, in: Papers Relating to the Treaty of Washington, Band VI, Government Printing Office, Washington, 1974, S. 53 ff. Ausführlich Jachec-Neale, The concept of military objectives in international law and targeting practice, S. 98. Vgl. zudem die Nachweise in Teil 2, Fn. 713. 719 Sivakumaran, The Law of Non-International Armed Conflict, S. 345; Dinstein, The conduct of hostilities under the law of international armed conflict, S. 87. 720 Z. B. zuletzt die Autoren des HPCR, Manual on International Law applicable to Air and Missile Warfare, Regel 24, Rn. 2. Die befasste Expertengruppe hatte die Verbindung zwischen den finanziellen Einnahmen durch z. B. den Verkauf von Rohöl und den militärischen Handlungen der begünstigten Gruppe als zu fern liegend erachtet. Auch die an der Ausarbeitung des San Remo Manual beteiligten Experten lehnten kriegsverlängernde Objekte als zulässige militärische Ziele ausdrücklich ab. Exporte der gegnerischen Partei, die für die Finanzierung des Konflikts unerlässlich wären, sollten ausdrücklich nicht von der Definition erfasst sein (Doswald-Beck, San Remo Manual on International Law applicable to Armed Conflicts at Sea, 67.27, Explanation,
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Zunächst, so wird von Verfechtern einer engeren Auslegung vorgebracht, entspräche die Haltung der USA, die statt einem effektiven Beitrag zu militärischen Handlungen (Art. 52 (2) ZP I: „effective contribution to military action“) einen solchen Beitrag zum Kriegsführungs- beziehungsweise Kriegsverlängerungspotenzial („war-fighting or war-sustaining capability“) einer Partei ausreichen lässt721, nicht dem als Gewohnheitsrecht anerkannten Wortlaut des Art. 52 (2) ZP I. Diese Abweichung habe zur Konsequenz, dass der durch das Objekt erzielte militärische Vorteil erst nach vielen Zwischenschritten erreicht würde und damit unzureichend fern liegend sei722. Letztlich könne eine indirekte Unterstützung fortlaufender Konflikthandlungen fast jedem Objekt nachgewiesen werden.723 bb) Gefahr ungesicherter Abwägungsentscheidungen Diese Befürchtung ist berechtigt. Eine indirekte, ja womöglich lediglich diskrete Verbindung des Objekts zu der Konfliktführung einer Partei wird in fast jedem Einzelfall konstruierbar sein. Nicht nur kann die komplette Infrastruktur eines Gebiets als militärisches Ziel eingeordnet werden, jedes Wirtschaftsobjekt, von dem eine Partei finanziell profitiert, könnte grundsätzlich zur Konflikterhaltung beitragen. Eine derartige Ausreizung des Konzepts kriegsverlängernder Objekte ist allerdings nicht Realität. Bis jetzt konzentriert sich die von den USA geführte Diskussion auf Beispiele zentraler Finanzierungsquellen.724 AusgeS. 161). Ebenso äußerte sich auch die Expertengruppe zur Ausarbeitung des Tallinn Manual (vgl. Schmitt, Tallinn Manual on the International Law applicable to Cyber Warfare, Regel 38, Rn. 16). Anders dagegen argumentierten die Autoren des NIAC Manual (Schmitt/Garraway/Dinstein (Hrsg.), The Manual on the Law of Non-International Armed Conflict: with Commentary), die das Commander’s Handbook on the Law of Naval Operations zwar zitierten, die in ihm geäußerte Rechtsauffassung allerdings als für nichtinternationale Konflikte irrelevant bezeichneten. Zwar mag diese Ansicht bezüglich der Relevanz eines Marinehandbuchs für innerstaatliche Konflikte, deren Austragung auf See eher unwahrscheinlich ist, noch begründet sein, insgesamt trägt sie der Problematik aber zu wenig Rechnung. Dies hat sich spätestens seit Einführung des 2015 Militärhandbuchs der USA bewiesen. Die in diesem Handbuch enthaltenen Formulierungen haben Bedeutung für die Rechtauslegung in beiden Konfliktarten. Aber schon 2004 äußerte sich Dinstein kritisch zu der von den USA vertretenen weiten Auslegung. Zu Recht gab er zu bedenken, dass nach dieser Auslegungsstrategie fast jedes Objekt potenziell als militärisches Ziel eingestuft werden könnte. Vgl. Dinstein, The conduct of hostilities under the law of international armed conflict, S. 87; Boothby, The Law of Targeting, S. 106; a. A. Dunlap, Targeting Hearts and Minds: National Will and Other Legitimate Military Objectives of Modern War, in: Heintschel von Heinegg, Wolff/Epping (Hrsg.), International Humanitarian Law Facing New Challenges, S. 118. 721 Vgl. Teil 2, Fn. 716 und 717. 722 Vgl. die Ausführungen in Teil 2, Fn. 720. 723 Dinstein, The conduct of hostilities under the law of international armed conflict, S. 87. 724 Auch die als Rechtfertigung vorgebrachte Entscheidung der American-British Claims Commission (vgl. Teil 2, Fn. 718) bezieht sich auf die Zerstörung einer primären Finanzierungsquelle. Die Konfliktführung der Konföderierten beruhte ganz überwie-
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schlossen ist eine weitergehende Auslegung prinzipiell allerdings nicht. Gerade die im Operational Law Handbook von 2015 enthaltene Formulierung erscheint problematisch, erlaubt sie zur Ermittlung zulässiger Ziele eine Abwägungsentscheidung anhand des Werts des Objekts für die jeweilige Konfliktpartei: „A decision as to classification of an object as a military objective [. . .] depends upon its value to an enemy nation’s war fighting or war sustaining effort.“ 725
Das zweite Element der Definition militärischer Ziele, nämlich der definitive militärische Vorteil der angreifenden Partei, der durch die Zerstörung erzielt werden muss, fehlt in dieser Formulierung. Er scheint sich allein aus der Werthaftigkeit des Objekts für den Gegner zu ergeben.726 Diese Definitionsverkürzung ist kaum mehr mit dem gewohnheitsrechtlich verankerten Wortlaut des Art. 52 (2) ZP I in Einklang zu bringen. Das Erfordernis eines effektiven Beitrags zur Konfliktführung steht zudem verstärkt in Gefahr, allein durch die angreifende Partei bestimmt zu werden. Angesichts der oft unsicheren Faktenlage bei Konflikten mit Beteiligung nichtstaatlicher Parteien ist ein gewisses Missbrauchspotenzial nicht von der Hand zu weisen, denn anders als bei klassischen militärischen Zielen, deren militärischer Nutzen beziehungsweise deren militärische Nutzung von sichtbaren Eigenschaften des Objekts beziehungsweise unmittelbarer und damit beobachtbarer Nutzung abhängt, ergibt sich eine kriegsverlängernde Eigenschaft erst durch die Ermittlung von Finanzströmen sowie der späteren Verwendung erwirtschafteter Gelder.727 Dieses Praxisproblem sowie die Problematik objektiver
gend auf den durch den Verkauf von Baumwolle erzielten Einnahmen. Im Detail American-British Claims Commission, Cotton Claims, in: Papers Relating to the Treaty of Washington, Band VI, Government Printing Office, Washington, 1974, S. 52 f. 725 Lee (Hrsg.), Operational Law Handbook 2015, S. 23 (vgl. oben Teil 2, Fn. 717). 726 Der soeben genannte Satz wird im Operational Law Handbook von 2015 unter dem zweiten Aspekt der Definition des militärischen Ziels, nämlich dem Vorteil durch die Zerstörung, genannt (ibid.). Dadurch werden die zwei zu trennenden Voraussetzungen eines militärischen Ziels gänzlich verwischt. 727 Hier unterscheidet sich das kriegsverlängernde Objekt auch von sogenannten dual-use-Objekten als Sonderfall zulässiger militärischer Ziele. Dual-use-Objekte sind solche, die wie z. B. eine Brücke oder ein Flugfeld sowohl militärisch als auch zivil genutzt werden. Auch Fabriken, die Produkte zur zivilen wie auch militärischen Nutzung herstellen, fallen unter diese Beschreibung (vgl. Schmitt, Precision attack and international humanitarian law, International Review of the Red Cross 87 (2005), S. 453, Fn. 28). Richtigerweise existiert keine eigene rechtliche Kategorie von dual-use-Gütern (vgl. Greenwood, Customary international law and the First Geneva Protocol of 1977 in the Gulf Conflict, in: Rowe (Hrsg.), The Gulf War 1990–91 in international and English law, S. 73; Shue/Wippman, Limiting Attacks on Dual-Use Facilities Performing Indispensable Civilian Functions, Cornell International Law Journal 35 (2002) S. 565). Insofern sie die Kriterien militärischer Objekte erfüllen, sind sie rechtmäßiges Ziel militärischer Handlungen. Die zivile Nutzung des Objekts spielt allerdings im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung eine Rolle. Sollte der zivile Schaden unverhältnismäßig im Vergleich zu dem verfolgten militärischen Vorteil sein, wäre die feindliche Handlung unzulässig (ausführlich Byron, International Humanitarian Law and Bombing Cam-
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Bestimmung des subjektiv behafteten Wertbegriffs erschweren die Ermittlung einer klaren Trennlinie zwischen zulässigen und unzulässigen Zielen. Gleichwohl wie diese Entscheidung im Einzelfall zu ziehen ist, muss man der Interpretation der USA eine Aufweichung des Unterscheidungsgrundsatzes vorwerfen, die verstärkte Unsicherheit in der Praxis mit sich ziehen kann. cc) Natürliche Ressourcen im Kontext Die auf Grundlage des erweiterten Definitionsansatzes militärischer Ziele durch die USA in Syrien genutzte Kampfstrategie ist insoweit auch für die Zukunft richtungsweisend, als sie trotz internationaler Aufmerksamkeit kaum verurteilt wurde. Dies mag zum einen daran liegen, dass die durch Präzisionsattacken ausgeführten Angriffe nur geringe Kollateralschäden unter der Zivilbevölkerung hervorriefen728 und mögliche, durch den Austritt von Öl sowie dessen Verbrennung durchaus wahrscheinliche Umweltschäden keine breite Öffentlichkeit erreichten.729 Zum anderen lag und liegt die Zurückdrängung des sogenannten IS im Interesse des überwiegenden Teils der Staatengemeinschaft, die in anderen Konstellationen womöglich kritischer reagieren würde. Sollte sich diese Praxis allerdings in Zukunft als legitim durchsetzen, beziehungsweise zum Bestandteil der gewohnheitsrechtlichen Definition militärischer Ziele beitragen, hätte dies auch Auswirkungen auf die Umwelt in Konfliktregionen. Sämtliche Produktionsund Abbaugebiete von Holz, Edelmetallen und -steinen sowie andere Gebiete, in denen wertvolle Rohstoffe vorzufinden wären und die durch eine Konfliktpartei ausgebeutet würden, wären nach der durch die USA vertretenen Auffassung legitime Ziele feindlicher Handlungen. Zumindest in asymmetrischen Konflikten mit Beteiligung von Drittstaaten, in denen eine Partei nicht vom Erhalt der natürlichen Ressourcen abhängig ist, wäre die Umwelt durch ihre Einordnung als
paigns: Legitimate Military Objectives and Excessive Collateral Damage, Yearbook of International Humanitarian Law 13 (2010), S. 183; Henderson, The Contemporary Law of Targeting, S. 49). Die bei dual-use-Objekten durchzuführende Abwägungsentscheidung geschieht jedoch, wie bei jeder feindlichen Handlung, die Kollateralschäden befürchten lässt, auf Ebene der Verhältnismäßigkeitsprüfung und ist nicht, wie es eine strenge Lesung der von den USA vorgebrachten Argumentation zur Folge hätte, auf die Stufe der Objektkategorisierung vorverlagert. 728 So Bohm, Targeting objects of economic interest in contemporary warfare, Crieghton International and Comparative Law Journal 6 (2015), S. 83. Dass die Zerstörung von Ölförderanlagen aber weitgehend unabhängig von der Wahl der eingesetzten Angriffsmittel zur Freisetzung von Öl und damit zu gravierenden Umweltverseuchungen führen kann, beachtet Bohm nicht. 729 In den Fokus rücken derzeit primär die durch den sogenannten IS verursachten Umweltschäden durch mutwillige Entzündung von Ölquellen und -seen. Vgl. Chmaytelli, Iraqi Qayyara oil keeps burning six weeks after ouster of ISIS vom 05. Okt 2016; OXFAM, Oil wells set on fire by ISIS leave thousands of Iraqi families suffering beneath skies of black smoke.
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rechtmäßiges Ziel zusätzlich gefährdet.730 Gravierende Folgen für die Möglichkeit nachhaltigen Friedens in Regionen, in denen oft auch ganze Bevölkerungen von dem Reichtum der Umwelt abhängig sind, wären zudem zu befürchten. Gleichwohl entspricht die durch die USA bis zuletzt vertretene Definition (noch) nicht der herrschenden rechtlichen Einschätzung. Nur wenige Staaten wie beispielsweise Australien, Ecuador oder Neuseeland billigen offiziell wirtschaftlich verwertbare Objekte, die lediglich indirekt militärische Handlungen unterstützen, als potenzielle militärische Ziele.731 Attacken auf Gebiete, die dem (illegalen) Abbau natürlicher Ressourcen zur Finanzierung des Konflikts dienen, sind nach geltendem humanitärem Völkerrecht unzulässig.732 Die Auslegung des Begriffs militärischer Objekte durch die USA spiegelt weder den anerkannten Rahmen vertraglicher Unterscheidung, noch eine durch opinio iuris und Staatenpraxis getragene Gewohnheit. 5. Bewertung
Das Unterscheidungsgebot als Grundprinzip humanitären Völkerrechts und Teil gewohnheitsrechtlicher Normierung auch in nichtinternationalen Konflikten ist auf alle Umweltbestandteile anwendbar. In Konsequenz dürfen Umweltkomponenten nur dann Ziel feindlicher Handlungen werden, wenn sie im konkreten Szenario ein militärisches Ziel darstellen. Die zwingende Schlussfolgerung aus dem Grundprinzip sowie aus der durch das Prinzip Ausdruck erlangenden Begrenzung absoluter Kriegsführung erhielt allerdings erst durch eine junge, revo-
730 In vielen innerstaatlichen Konflikten sind Rohstoffvorkommen aufgrund ihres Werts für beide Konfliktparteien als haltenswertes Gut umkämpft. Sollte die angreifende Partei ein Interesse an der Einnahme der Finanzierungsquelle besitzen, beziehungsweise eine Gebietseroberung anvisieren, dürften Umwelt und Ressourcen kaum zusätzlich von Angriffen bedroht sein. Tatsächlich sind natürliche Ressourcen aber schon jetzt häufiges Ziel feindlicher Handlungen in innerstaatlichen Konflikten. Wasserpumpen, Nutzpflanzen, Wälder und Weideflächen wurden z. B. im Darfur-Konflikt von bewaffneten Milizen mutwillig attackiert und zerstört (UNEP, Sudan: Post-Conflict Environmental Assessment, S. 92). Entgegenlaufende Überlegungen der Wirtschaftlichkeit scheinen hier wenig relevant. Auch in internationalisierten Konflikten bestünde die Gefahr einseitiger Nutzungsinteressen. Staaten, die wie die USA als externe Parteien in einen Konflikt eingreifen und kein Eigeninteresse am Erhalt der Ressource haben, werden mit höherer Wahrscheinlichkeit auch auf Wirtschaftsziele mit allein kriegsverlängernder Funktion zurückgreifen. 731 Vgl. die Militärhandbücher der genannten Staaten. Diese sind zitiert in: DoswaldBeck/Henckaerts, Customary International Humanitarian Law, ICRC Study, Band II: Practice, Parts 1 and 2, Staatenpraxis zu Regel 8, S. 181 ff. 732 Dröge/Tougas, The protection of the natural environment in armed conflict – Existing rules and need for further legal protection, Nordic Journal of International Law 82 (2013), S. 29; UNEP, Protecting the environment during armed conflict, S. 13 wirft das Problem auf, lässt es aber unbeantwortet. Zu dem gleichen Ergebnis kommen Kritiker der US-amerikanischen Position. U. a. Henderson, The Contemporary Law of Targeting, S. 144.
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lutionäre Entwicklung im Gewohnheitsrecht positivrechtliche Geltung auch für nichtinternationale bewaffnete Konflikte. Diese Entwicklung ist beachtlich, sowohl hinsichtlich ihrer Entstehungsgeschichte wie auch ihres Regelungsgehalts für die Umwelt. Auf Ebene der vertraglichen Normierung des Unterscheidungsgebots in Art. 52 (2) ZP I stellt die ausdrückliche Einbeziehung der Umwelt lediglich eine dem Sinn und Zweck der Vorschrift folgende Interpretation einer schon bestehenden Schonungspflicht dar. Allein auf Ebene des Gewohnheitsrechts wurde mit der Neuinterpretation weitgehend ohne Diskussion ein zusätzlicher Rechtsinhalt geschaffen. In nur wenigen Jahren änderte sich die Rechtslage in nichtinternationalen bewaffneten Konflikten gravierend: Durch die nunmehr mögliche Anwendbarkeit des Unterscheidungsgrundsatzes standen auf einmal alle zivilen Objekte unter dem Schutz des Rechts. Kein Objekt, keine Umgebung und damit auch kein Bestandteil der Umwelt durfte weiterhin zum Ziel eines Angriffs gemacht werden, ohne dass die zweistufige Zulässigkeitsvoraussetzung der Kategorisierung als militärisches Ziel erreicht wäre. Die Möglichkeit eines so weiten Einschnitts auch in die Handlungsfreiheit souveräner Staaten auf ihrem eigenen Staatsgebiet wurde sicherlich auch durch die wenige Beachtung, die dem Recht nichtinternationaler Konflikte im Vergleich zu den Regelungen konventioneller Kriege auf internationaler Ebene zukommt, genährt, schließlich hatten sich die Staatsvertreter in der CDDH nicht einmal zwanzig Jahre zuvor deutlich und erfolgreich gegen Einschränkungen der möglichen Konflikthandlungen ausgesprochen. Gleichwohl dieser bahnbrechenden Entwicklung verloren die Staaten nicht in übermäßigem Maß ihre Handlungsfreiheit. Die Definition militärischer Ziele erlaubt bei militärischer Nutzung des Gebiets beziehungsweise der Ressourcenquelle die Umwandlung in ein militärisches Ziel. Eine ernste Gefahr einer Rechtsschutzlücke mit Umweltbezug stellt zudem die stetige Verfestigung der durch die USA vertretenen weiten Definition militärischer Ziele733 dar. Durch diese Handlungspraxis gefährden die Vereinigten Staaten nicht nur die unmittelbar durch ihre Kriegsführung betroffenen Gebiete, sondern unterstützen auch künftige Versuche anderer Akteure, den Rahmen zulässiger Ziele auszudehnen und so womöglich in Zukunft unter dem Mantel der Rechtmäßigkeit natürliche Ressourcen und ihre Abbaugebiete und -anlagen zu attackieren. Letztlich ist aber auch heute kein natürliches Objekt vor der Umwandlung in ein zulässiges militärisches Ziel geschützt. Der Lebensgrundlage der Bevölke733 Während anfänglich nur die Militärhandbücher einzelner Teilstreitkräfte den Angriff auch auf kriegsunterstützende wirtschaftliche Objekte erlaubten, scheint sich diese Definition in den letzten Jahren als offizielle Handlungspraxis der USA durchgesetzt zu haben. Im Detail Teil 2, Fn. 716 sowie Jachec-Neale, The Concept of Military Objectives in International Law and Practice, S. 99 ff.
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rung dienende kultivierte Landflächen oder Umweltressourcen sind also noch immer ebenso gefährdet wie Umweltstätten von herausragendem kulturellem oder ästhetischem Wert sowie aus anderen Gründen als besonders wertvoll erachtete Ökosysteme. Ebenso ist kein Element der Umwelt vor kollateralen Schädigungen gesichert. Gegenteilig hierzu sind Umweltbestandteile in besonderem Maß durch diese bedroht. Die Auswirkungen bewaffneter Konflikte auf z. B. migrierende Spezies, auf Böden, Gewässer sowie die Troposphäre sind bis heute nicht vollständig erforscht. Die Regenerationsdauer der Umweltbestandteile kann im Schadensfall lediglich geschätzt werden. Unter Umständen ist das Ausmaß tatsächlichen Regenerationsvermögens unbekannt. Das Grundprinzip der Unterscheidung, wenngleich bei eingrenzender Auslegung ein starkes Schutzinstrument, reicht allein nicht aus, um die Umwelt vor nachhaltigen Schäden zu bewahren. Es bedarf spezieller Regelungen, die die grundsätzliche Zulässigkeit von Kollateralschäden in besonderen Fällen begrenzen, die einer Umwandlung in militärische Ziele entgegenstehen und die die Frage zulässiger Kollateralschäden im Hinblick auf die Möglichkeit nachhaltigen Lebens auf der Erde im Allgemeinen zu beantworten vermögen. Das Prinzip der Proportionalität kann einen ersten Schritt in diese Richtung tun. III. Das Gebot der Proportionalität kollateraler Schäden 1. Ausgangspunkt
Am 24. März 1999 leiteten NATO-Staaten die Operation Allied Force und mit ihr das Bombardement militärischer Ziele in Jugoslawien ein, um nach eigenen Angaben eine drohende humanitäre Katastrophe zu verhindern.734 Die elf Wochen andauernde Militärkampagne wurde nicht nur Ausgangspunkt der internationalen Debatte um die Zulässigkeit humanitärer Interventionen in innerstaatlichen Konflikten bei fehlender Ermächtigung durch den Sicherheitsrat735, sondern auch Beispiel drohender Umweltgefährdungen durch den Einsatz moderner
734 Viel wurde geschrieben zu den Hintergründen, Ursachen und der völkerrechtlichen Zulässigkeit der Intervention der NATO-Staaten in den zuvor internen Konflikt in Jugoslawien. Statt vieler Koskenniemi, ,The Lady Doth Protest Too Much‘ Kosovo, and the Turn to Ethics in International Law, The Modern Law Review 65 (2002), S. 159 ff. zu den Argumenten moralischer Rechtfertigung des NATO-Einsatzes. 735 Berühmtheit erlangte die Erklärung des damaligen NATO-Generalsekretärs Javier Solana wenige Tage vor Beginn der Operation: „We must stop the violence and bring an end to the humanitarian catastrophe now taking place in Kosovo. We have a moral duty to do so.“ (NATO, Press release 041 (1999) vom 14. März 1999, abrufbar unter: http:// www.nato.int/cps/en/natohq/opinions_27612.htm?selectedLocale=en [abgerufen am 26.10.2020]; vgl. ebenso NATO/Robertson of Port Ellen, Kosovo one year on: Archivement and Challange, Report vom 21. März 2000, abrufbar unter: https://www. nato.int/ kosovo/repo2000/report-en.pdf [abgerufen am 26.10.2020], S. 10 ff. sowie OSCE, Kosovo/Kosova: As Seen, As Told, abrufbar unter: https://www.osce.org/odihr/17772 [abgerufen am 26.10.2020], Chapter III).
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Kampfmittel, wie beispielsweise DU-Munition736, und die Bombardierung von Anlagen, die umweltgefährdende Kräfte enthalten. Der Charakter der zuvor zumindest in Bezug auf Kollateralschäden an zivilen Objekten teils als niedrigintensiver Konflikt bezeichneten737 bewaffneten Auseinandersetzung zwischen der jugoslawischen Armee, serbischer paramilitärischer Kräfte und der sogenannten Befreiungsarmee des Kosovo (Ushtria Çlirimtare e Kosovës/UÇK) änderte sich schlagartig mit der durch die Intervention der NATO verursachten Internationalisierung und Intensivierung des Konflikts. Das im folgenden Luft-Boden-Krieg738 ausgeführte Bombardement von Fabriken, Kraftund Chemiewerken, die als strategische Ziele von militärischer Bedeutung ausgewählt worden waren, verursachte den Austritt großer Mengen toxischer Chemikalien in Böden, Gewässer und Atmosphäre. Wenngleich die Umweltschäden weniger schwerwiegend ausfielen als dies zunächst befürchtet worden war739, weder ein sogenannter Ökozid, noch eine landesweite Umweltkatastrophe eintrat,740 verursachten die Angriffe Kontaminationen der Umwelt, die teils noch in den 736 Neben der Bombardierung von Anlagen, die umweltgefährdende Stoffe enthielten, war es vor allem der Einsatz sogenannter DU-Munition durch die NATO-Staaten, der international hitzig diskutiert wurde. Zu den durch den Einsatz von DU-Munition befürchteten Umweltschäden siehe Teil 2, Fn. 572. 737 Bruch/Austin, Epilogue: The Kosovo Conflict: a case study of unresolved issues, in: Austin/Bruch (Hrsg.), The environmental consequences of war, S. 647; Das, Environmental Protection, Security and Armed Conflict: A sustainable development perspective, S. 162. Die Feststellung niedriger Intensität muss angesichts der schon zu Beginn des Konflikts verübten schweren Verbrechen gegen einzelne Bevölkerungsgruppen allein auf die Verursachung von Schäden an zivilen Objekten bezogen werden. Tötungen, sexueller Missbrauch und Vertreibung ethnischer Gruppen wurden u. a. von der OSCE ausführlich dokumentiert. Vgl. OSCE, Kosovo/Kosova: As Seen, As Told, abrufbar unter: https://www.osce.org/odihr/17772 [abgerufen am 26.10.2020], Part III). Zu den Gräueltaten auch: Francioni, Of War, Humanity and Justice: International Law after Kosovo, Max Planck Yearbook of United Nations Law 4 (2000), S. 109. 738 Zur Kriegsführung der NATO-Staaten also sog. „zero-casualty warfare“ bei der die eigenen am Luftkrieg beteiligten Soldaten durch eine erhöhte Flughöhe möglichst nicht gefährdet wurden: Rogers, Zero-casualty warfare, International Review of the Red Cross 82 (2000), S. 165 ff. Diese Art der Konfliktführung ist durch aus der Flughöhe resultierenden Schwierigkeiten bei der Verifizierung anvisierter Ziele nicht unumstritten. 739 Siehe den UNEP-Bericht zu Umweltsäuberungsarbeiten in Serbien nach Ende des Konflikts: UNEP, From conflict to sustainable development: Assessment and clean-up in Serbia and Montenegro, S. 22; Schwabach, Environmental damage resulting from the NATO military action against Yugoslavia, Columbia Journal of Environmental Law 25 (2000), S. 118; ebenso Bruch/Austin, Epilogue: The Kosovo Conflict: a case study of unresolved issues, in: Austin/Bruch (Hrsg.), The environmental consequences of war, S. 660. 740 „Perhaps the most endangered natural resource in times of war is truth“ so Pekka Haavisto, Leiter der Joint UNEP/UNCHS (Habitat) Balkans Task Force, zu den Befürchtungen der damaligen Zivilgesellschaften und den entgegenlaufenden Angaben der NATO über das Ausmaß möglicher Kollateralschäden in UNEP, The Kosovo Conflict: Consequences for the Environment & Human Settlements, S. 4.
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angrenzenden Staaten Albanien, Bulgarien, Mazedonien und Rumänien festgestellt werden konnten.741 UNEP identifizierte unmittelbar nach Konfliktende vier Hotspots (Pancˇevo, Kragujevac, Novi Sad und Bor) in denen Maßnahmen zur Verhinderung von Langzeitumweltschäden dringend erforderlich seien.742 Internationale Bekanntheit erlangte vor allem die serbische Stadt Pancˇevo, einer der wichtigsten Industriestandorte des ehemaligen Jugoslawiens, deren Name Sinnbild für die durch die NATO verursachte Umweltschädigung wurde.743 Das NATO-Bombardement petrochemischer Industrieanlagen, Düngemittelfabriken sowie Ölraffinerien in Pancˇevo führte zum Austritt toxischer Gase und Chemikalien, die Luft, Boden und Gewässer, insbesondere die Donau, kontaminierten.744 Unter anderem wurde Quecksilber, Ethylendichlorid, Vinylchlorid und Öl in teils enormem Umfang freigesetzt.745 Erhöhte Kontaminationswerte der Luft sowie der Niedergang sauren Regens wurden wenige Tage nach den stärksten Angriffen in mehreren osteuropäischen Staaten nachgewiesen.746 Auch die Belastung der
741 Das, Environmental Protection, Security and Armed Conflict: A sustainable development perspective, S. 167. 742 So Pekka Haavisto in: UNEP, The Kosovo Conflict: Consequences for the Environment & Human Settlements, S. 8 f.; siehe u. a. Schwabach, Environmental damage resulting from the NATO military action against Yugoslavia, Columbia Journal of Environmental Law 25 (2000), S. 119 sowie Das, Environmental Protection, Security and Armed Conflict: A sustainable development perspective, S. 163. 743 Siehe z. B. Hedges, Serbian Town Bombed by NATO Fears Effects of Toxic Chemicals, The New York Times vom 14. Juli 1999; Knauer/Rosenkranz, Warten auf die Giftwelle, Der Spiegel vom 03. Mai 1999; Ladurner, Die Fabrik und der Krieg, Die Zeit vom 25. Januar 2001. 744 Eine ausführliche Chronologie des Bombardements wurde durch UNEP zusammengestellt: UNEP, The Kosovo Conflict: Consequences for the Environment & Human Settlements, S. 12 ff. 745 Unter anderem wurden mehrere Tonnen Quecksilber und Chlor sowie mehrere tausend Tonnen Ethylendichlorid (EDC) und Natriumhydroxid durch das Bombardement der petrochemischen Anlagen freigesetzt. Mehrere hundert Tonnen Vinylchlorid (VCM) verbrannten. Die Beschädigung der Ölraffinerien führte zum Austritt von ca. 80.000 Tonnen Öl und Ölprodukten. Ähnlich wie Quecksilber sind auch EDC und VCM stark toxisch für Land- und Wasserorganismen. Bei Menschen wirken die Substanzen krebserregend und können schon in geringen Mengen Organschäden herbeiführen. Ausführlich zu den in Pancˇevo freigesetzten Schadstoffen und ihre schädlichen Wirkungen: UNEP, a. a. O., S. 31 ff.; zudem Thummarukudy/Brown/Moosa, Remediation of polluted sites in the Balkans, Iraq, and Sierra Leone, in: Jensen/Lonergan (Hrsg.), Assessing and restoring natural resources in post-conflict peacebuilding, S. 137; Schwabach, Environmental damage resulting from the NATO military action against Yugoslavia, Columbia Journal of Environmental Law 25 (2000), S. 119. 746 Vukmirovic ´ et al., Regional air pollution caused by a simultaneous destruction of major industrial sources in a war zone. The case of Serbia in April 1999, Atmospheric Environment 35 (2001), S. 2776; Regional Environmental Center for Central and Eastern Europe, Assessment of the Environmental Impact of Military Activities During the Yugoslavia Conflict, preliminary Findings, Juni 1999, abrufbar unter: https://relief web.int/sites/reliefweb.int/files/resources/Assessment%20of%20the%20Environmental %20Impact%20of%20Military%20Activities.pdf [abgerufen am 26.10.2020], 1.1.2.
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Donau und anderer Gewässer mit Quecksilber, Ammoniak und anderen toxischen Chemikalien wurde von UNEP festgestellt.747 Mögliche Umweltschäden durch Chemikalien im Wasserlauf anderer Donaustaaten, die zunächst befürchtet worden waren, blieben allerdings aus.748 Insgesamt erwies sich die Ermittlung tatsächlicher Umweltkontaminationen jedoch als schwierig. Zwar stellten regionale Umweltorganisationen atmosphärische Belastungen in teils tausendfacher Höhe der zulässigen Werte fest749, die gewonnenen Ergebnisse wurden allerdings nicht von unabhängigen wissenschaftlichen Quellen bestätigt.750 Zudem konnte nicht immer festgestellt werden, welcher Grad an Umweltbelastungen schon vor dem Angriff der NATO-Staaten vorhanden gewesen war.751 Fehlende Umweltkontrollsysteme im Krisengebiet und in angrenzenden Staaten erschwerten die Beurteilung der Schäden zusätzlich.752 Die schädlichen Wirkungen der freigesetzten Chemikalien, ihre Gefahren für Mensch und Umwelt753 sowie die großen Mengen der durch die Angriffe in die Umwelt entlassenen Stoffe754 wurden allerdings von keiner Seite bestritten.755 Trotz Unsicherheiten über ihr Ausmaß waren die durch die Bombardierung verursachten Kontaminationen über Jahre nach-
747 UNEP, The Kosovo Conflict: Consequences for the Environment & Human Settlements, S. 34 ff.; für Details auch Regional Environmental Center for Central and Eastern Europe, Assessment of the Environmental Impact of Military Activities During the Yugoslavia Conflict, preliminary Findings, Juni 1999, abrufbar unter: https://relief web.int/sites/reliefweb.int/files/resources/Assessment%20of%20the%20Environmental %20Impact%20of%20Military%20Activities.pdf [abgerufen am 26.10.2020], 1.1.1. 748 Schwabach, Environmental damage resulting from the NATO military action against Yugoslavia, Columbia Journal of Environmental Law 25 (2000), S. 120. 749 Vgl. Hulme, War Torn Environment: Interpreting the Legal Threshold, S. 189 m.w. N. 750 Hulme, a. a. O. 751 Bruch/Austin, Epilogue: The Kosovo Conflict: a case study of unresolved issues, in: Austin/Bruch (Hrsg.), The environmental consequences of war, S. 660, m.w. N. 752 Bruch/Austin, a. a. O. 753 Viele der Chemikalien führen zu erhöhten Sterblichkeitsraten, Geburtsfehlern und Gendefekten, 754 Mit Details: UNEP, The Kosovo Conflict: Consequences for the Environment & Human Settlements, S. 33 sowie UNEP, From conflict to sustainable development: Assessment and clean-up in Serbia and Montenegro, S. 23; Hulme, War Torn Environment: Interpreting the Legal Threshold, S. 189. 755 ICTY, Final Report to the Prosecutor by the Committee established to review the NATO Bombing Campaign against the Federal Republic of Yugoslavia, International Legal Materials 39 (2000), Rn. 16; Regional Environmental Center for Central and Eastern Europe, Assessment of the Environmental Impact of Military Activities During the Yugoslavia Conflict, preliminary Findings, Juni 1999, abrufbar unter: https://relief web.int/sites/reliefweb.int/files/resources/Assessment%20of%20the%20Environmental %20Impact%20of%20Military%20Activities.pdf [abgerufen am 26.10.2020]; Schwabach, Environmental damage resulting from the NATO military action against Yugoslavia, Columbia Journal of Environmental Law 25 (2000), S. 120.
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weisbar. Erst 2004 beendete UNEP die Säuberung belasteter Gebiete in Serbien.756 Umweltkollateralschäden, wie sie durch das NATO-Bombardement in Jugoslawien hervorgerufen worden waren, sind ebenso eine Gefahr in nichtinternationalen bewaffneten Konflikten. Die Luftangriffe der USA und Russland gegen durch den sogenannten Islamischen Staat gehaltene Ölförderanlagen in Syrien bergen, auch für den Fall, dass diese Anlagen als militärische Objekte klassifiziert werden können, letztlich eine ähnliche Gefahr von Böden-, Gewässer- und Luftkontaminationen durch austretendes Öl. Aber auch in klassischen innerstaatlichen Konflikten ohne die Beteiligung von technologisch exzellent ausgerüsteten Armeen können vergleichbare Belastungen bei Angriffen gegen schadstoffbeinhaltende Anlagen auftreten. Das Schadensrisiko ist umso höher in armen oder von langanhaltenden Bürgerkriegen geplagten Gebieten, in denen eine sichere Lagerung gefährlicher Stoffe aufgrund fehlender technischer Möglichkeiten, unzureichender Kapazitäten oder Mängeln in der Risikobewertung schon vor etwaigen Attacken nicht gesichert ist. Umweltkontaminationen, wie sie Pancˇevo und ihre Umgebung durch den Angriff der NATO-Staaten trafen, sind durch das humanitärrechtliche Gebot der Unterscheidung allerdings nicht verboten, denn anders als z. B. im Vietnamkrieg oder im Fall der Ölbrände im Golfkrieg von 1991 war die Umwelt in Jugoslawien nicht Ziel einer feindlichen Handlung, sondern wurde als bloße Nebenfolge durch Kollateralschaden in Mitleidenschaft gezogen.757 2. Anwendung zugunsten der Umwelt in nichtinternationalen Konflikten
Das Prinzip der Proportionalität füllt eine der durch das Unterscheidungsgebot hinterlassenen Lücken und kann als dessen notwendige Folge verstanden werden.758 Es besagt, dass auch Kollateralschäden bei Angriffen auf zulässige militärische Ziele nicht unbegrenzt verursacht werden dürfen.759 So ist es laut 756 UNEP, Kosovo conflict hot spots cleaned up, press release vom 7. Mai 2004, abrufbar unter http://www.unep.org/Documents.Multilingual/Default.asp?DocumentID= 397&ArticleID=4479&l=en [abgerufen am 26.10.2020]; ausführlich: UNEP, From conflict to sustainable development: Assessment and clean-up in Serbia and Montenegro, S. 23 f. 757 Schwabach, Environmental damage resulting from the NATO military action against Yugoslavia, Columbia Journal of Environmental Law 25 (2000), S. 119. 758 Heintschel von Heinegg, Proportionality and Collateral Damage, in: Wolfrum (Hrsg.), The Max Planck Encyclopedia of Public International Law, opil.ouplaw.com/ home/EPIL, Rn. 6. 759 Ausdrücklich ist das Prinzip für internationale bewaffnete Konflikte in Art. 51 (5) (b) ZP I niedergelegt. 85 (3) (b) ZP I stuft eine vorsätzliche Verletzung des Art. 51 (5) (b) als schwere Verletzung ein. Es existierte allerdings schon seit den Anfängen humanitären Völkerrechts. Vgl. schon Art. 15 des Lieber Code: „Military necessity admits of all direct destruction of life or limb of armed enemies, and of other persons whose destruction is incidentally unavoidable in the armed contests of war [. . .].“ Daraus folgert Hulme ein gewohnheitsrechtliches Verbot der Herbeiführung vermeidbarer Kollate-
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Art. 51 (5) ZP I verboten, einen Angriff gegen ein militärisches Ziel auszuführen, wenn erwartet werden kann, dass dadurch zivile Objekte beschädigt werden und an ihnen verursachte Schäden unverhältnismäßig im Vergleich zu dem direkten und konkreten militärischen Vorteil wären.760 Art. 51 (5) ZP I erklärt derartige Handlungen ausdrücklich zu unterschiedslosen Angriffen, die schon nach dem Unterscheidungsgrundsatz unzulässig sind. a) Geltung in nichtinternationalen Konflikten Allerdings ist auch das Proportionalitätsprinzip weder in Art. 3 GA noch im ZP II für nichtinternationale bewaffnete Konflikte ausdrücklich vertraglich normiert761. Teils wird zwar seine vertragliche Bindungswirkung aus der Niederlegung des Prinzips der Humanität als Teil der Martens’schen Klausel in der Präambel des ZP II gefolgert762, im Hinblick auf die Entstehungsgeschichte des Protokolls763 sowie aufgrund der umstrittenen rechtlichen Wirkung von Präambeln764 sowie der schweren Greifbarkeit des Humanitätsbegriffs überzeugt ralschäden (Hulme, War Torn Environment: Interpreting the Legal Threshold, S. 125). Die Unvermeidbarkeit ziviler Schäden ist allerdings weder Bestandteil des Art. 51 (5) (b) ZP I, noch gewohnheitsrechtlich anerkannt (vgl. die Nachweise zu Regel 14, IKRK, Customary IHL Database, Practice, abrufbar unter: https://www.icrc.org/customary-ihl/ eng/docs/v2 [abgerufen am 26.10.2020]). 760 Vgl. Henckaerts/Doswald-Beck/Alvermann, Customary International Humanitarian Law, ICRC Study, Band I: Rules, S. 46 f., Regel 14. 761 Art. 26 bis ZP II enthielt ursprünglich auch das Proportionalitätsgebot für nichtinternationale Konflikte. So sollte es verboten sein, „to [. . .] cause the destruction of civilian objects to an extent disproportionate to the direct and substantial military advantage anticipated “ (Art. 26 (3) Draft Protocol II, in: CDDH, Official Records of the Diplomatic Conference on the Reaffirmation and Development of International Humanitarian Law applicable in Armed Conflicts, Genf, 1974–1977, Band I, S. 40). Der gesamte Artikel wurde allerdings ebenso im Rahmen der durch Pakistan veranlassten Kürzungen gestrichen (CDDH/SR.52, in: CDDH, Official Records of the Diplomatic Conference on the Reaffirmation and Development of International Humanitarian Law applicable in Armed Conflicts, Genf, 1974–1977, Band VII, S. 135). Ausführlich Junod, Commentary on Article 4 Protocol II, in: Sandoz/Swinarski/Zimmermann (Hrsg.), Commentary on the Additional Protocols of 8 June 1977 to the Geneva Conventions of 12 August 1949, S. 1372, Fn. 18. 762 So z. B. Bothe/Partsch, Introduction to Protocol II, in: Bothe et al., New Rules for Victims of Armed Conflicts, Commentary on the two 1977 Protocols Additional to the Geneva Conventions of 1949, S. 773; verweisend: Henckaerts/Doswald-Beck/Alvermann, Customary International Humanitarian Law, ICRC Study, Band I: Rules, S. 43 f., Regel 13. 763 Die konkrete Bedeutung der Martens’schen Klausel im Rahmen der Präambel wurde in der CDDH nicht diskutiert. Auch die Frage, ob das Proportionalitätsgebot außerhalb Art. 26 bis im Protokoll verortet wäre, wurde nicht erhoben. 764 Vgl. IGH, South West Africa Cases (Ethiopia v. South Africa; Liberia v. South Africa), Second Phase, Urteil vom 18. Juli 1966, I.C.J. Reports 1966, S. 6 ff., S. 34, Rn. 50: „Humanitarian considerations may constitute the inspirational basis for rules of law [. . .]. Such considerations do not, however, in themselves amount to rules of law.“ Zur rechtlichen Wirkung von Präambeln allg: Mbengue, Preamble, in: Wolfrum (Hrsg.),
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diese Ansicht aber nicht. Mit ihr kann sicherlich die Geltung des Proportionalitätsgebots als bloßes Prinzip humanitären Völkerrechts und damit als Interpretationshilfe und Anwendungsleitlinie begründet werden,765 in seiner unmittelbar bindenden Funktion als positivrechtliche Handlungsbeschränkung lässt sich das Gebot jedoch nur schwerlich auf diese Weise herleiten. Gleichlaufend mit den Argumenten zur Verankerung des Unterscheidungsprinzips in Art. 13 ZP II wird teilweise und mit Recht darauf verwiesen, dass der in dieser Norm geforderte Schutz der Zivilbevölkerung ohne Berücksichtigung der Grundprinzipien und damit auch des Proportionalitätsgebots nicht verwirklicht werden könne und damit notwendig mit von Art. 13 ZP II umfasst sei.766 Angesichts der ausdrücklichen Normierung des Gebots im ZP I sowie der Ausführungen mancher Staaten zur Begrenzung vertraglichen Schutzes durch das ZP II in der CDDH767 kann diese Argumentation im Streitfall allerdings, ebenso wie im Fall des Unterscheidungsgebots, weiterhin beanstandet werden. Können, wie zuvor festgestellt, durch Art. 13 ZP II nicht alle Objekte unter den Schutz des Unterscheidungsgebots gestellt werden, ist systematisch auch eine umfassende Verpflichtung zur Anwendung des Proportionalitätsgebots nicht durch Art. 13 ZP II zu erreichen. Mit der gewohnheitsrechtlichen Anerkennung des Unterscheidungsprinzips und damit des Schutzes aller zivilen Objekte auch im nichtinternationalen Konflikt folgte allerdings notwendigerweise auch eine Ausdehnung des Proportionalitätsgebots auf diesen Konflikttyp. Wenn zivile Objekte nur unter der besonderen Voraussetzung ihres Schutzverlustes attackiert werden dürfen, unterschiedslose Angriffe also unzulässig sind, und wenn zu solchen gemäß der vertraglichen Fassung des Proportionalitätsgebots in Art. 51 (5) ZP I auch Angriffe zu zählen sind,
The Max Planck Encyclopedia of Public International Law, opil.ouplaw.com/home/ EPIL, insb. Rn. 11 ff. 765 In diese Richtung auch Bothe/Partsch, Introduction to Protocol II, in: Bothe et al., New Rules for Victims of Armed Conflicts, Commentary on the two 1977 Protocols Additional to the Geneva Conventions of 1949, S. 773. 766 Junod, Commentary on Article 13 Protocol II, in: Sandoz/Swinarski/Zimmermann (Hrsg.), Commentary on the Additional Protocols of 8 June 1977 to the Geneva Conventions of 12 August 1949, S. 1449 f., Rn. 4772 f.; Solf, Article 13 Protocol II, in: Bothe et al., New Rules for Victims of Armed Conflicts, Commentary on the two 1977 Protocols Additional to the Geneva Conventions of 1949, S. 779, Rn. 2.3. und 2.3.1.; Sivakumaran, The Law of Non-International Armed Conflict, S. 349. Ähnlich wie im Fall des Schutzes ziviler Objekte durch das Unterscheidungsgebot wird auch hier vorgebracht, die Streichung des Art. 26 bis habe nicht eindeutig das Ziel verfolgt, den Schutzstandard des ZP II zu verringern (Sivakumaran, a. a. O.; a. A. Gardam, Necessity, proportionality and the use of force by States, S. 125; Moir, The Law of Internal Armed Conflict, S. 117, Fn. 140). Angesichts der eindeutigen Ablehnung eines vertraglichen Schutzes aller zivilen Objekte im ZP II durch einige Staaten (zu dem Vorbringen in der CDDH, oben, Teil 2, Fn. 647) kann dieser Ansicht allerdings auch an dieser Stelle nicht gefolgt werden. 767 Siehe oben, Teil 2, Fn. 647.
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die einen unverhältnismäßig hohen Schaden an zivilen Objekten erwarten lassen, so sind Proportionalitätsgebot und Unterscheidungsgebot schon systematisch untrennbar miteinander verbunden. Die Geltung des ersten resultiert notwendig aus der Anerkennung des zweiten Prinzips als Gewohnheitsrecht in jeder Art bewaffneter Konflikte.768 Diese Konsequenz erkannten Gerichte und Akteure bewaffneter Konflikte gleichermaßen. Heute akzeptiert eine Vielzahl von Staaten und bewaffneten Gruppen die Bindungswirkung des Proportionalitätsgrundsatzes.769 Vor allem der ICTY betonte in den letzten Jahren immer wieder die Verpflichtung aller Konfliktparteien auch in internen Sachverhalten. Unter anderem in Strugar770, Kupresˇkic´ et al.771 und später in Hadzˇihasanovic´772 ging der Gerichtshof sogar so weit, den Grundsatz als schon vor 1977 bestehendes Gewohnheitsrecht zu beschreiben.773 Unabhängig von der Validität dieser Annahme bildete sich eine entsprechende gewohnheitsrechtliche Bindung spätestens im ersten Jahrzehnt des neuen Jahrtausends heraus. Neben der maßgeblichen Anerkennung durch Staaten wurde die gewohnheitsrechtliche Geltung des Gebots in nichtinternationalen Konflikten ebenso von der Darfur-Kommission774 sowie schon zuvor von der Interamerika-
768 Statt vieler die gewohnheitsrechtliche Anwendbarkeit bejahend: Heintschel von Heinegg, Proportionality and Collateral Damage, in: Wolfrum (Hrsg.), The Max Planck Encyclopedia of Public International Law, opil.ouplaw.com/home/EPIL, Rn. 8; Sivakumaran, The Law of Non-International Armed Conflict, S. 349; Schmitt, The law of targeting, in: Wilmshurst/Breau (Hrsg.), Perspectives on the ICRC study on customary international humanitarian law, S. 156. 769 Die FMLN in El Salvador berichtete 1988, sie habe Handlungen unterlassen, bei denen davon auszugehen war, dass sie unverhältnismäßige Schäden an der Zivilbevölkerung und zivilen Objekten hätten hervorrufen können, vgl. Frente Farabundo Martiì para la Liberacioìn Nacional (FMLN), The Legitimacy of our methods of struggle, S. 7. Auch das US-Verteidigungsministerium verwies in einem Bericht von 2009 zu der Bürgerkriegssituation in Sri Lanka auf das Proportionalitätsgebot: United States Department of State, Report to Congress on Incidents During the Recent Conflict in Sri Lanka, abrufbar unter: https://reliefweb.int/report/sri-lanka/report-congress-incidentsduring-recent-conflict-sri-lanka [abgerufen am 26.10.2020], S. 7. Für weitere Nachweise vgl. IKRK, Customary IHL Database, Practice, abrufbar unter: https://www.icrc.org/ customary-ihl/eng/docs/v2 [abgerufen am 26.10.2020], Regel 14. 770 ICTY, Prosecutor v. Pavle Strugar et al., Trial Chamber Decision on Defence Preliminary Motion Challenging Jurisdiction, 7. Juni 2002, Case No. IT-01-42-PT, Rn. 17–19. 771 ICTY, Prosecutor v. Kupres ˇkic´ et al., Urteil der Verfahrenskammer vom 14. Januar 2000, Case No. IT-95-16-T, Rn. 513. 772 ICTY, Prosecutor v. Enver Hadz ˇ ihasanovic´, Amir Kubura, Urteil der Verfahrenskammer vom 15. März 2006, Case No. IT-01-47-T, Rn. 45. 773 Siehe zudem die Nachweise in Teil 2, Fn. 656 oben. 774 International Commission of Inquiry on Darfur, Report to the United Nations Secretary-General vom 25. Januar 2005, pursuant to Security Council Resolution 1564 vom 18. September 2004, abrufbar unter: https://www.un.org/ruleoflaw/files/com_inq_ darfur.pdf [abgerufen am 26.10.2020], S. 47 f., Rn. 166, Nr. (viii).
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nischen Kommission für Menschenrechte in Bezug auf den Konflikt in Kolumbien775 angenommen. Der Grundsatz ist normierter Bestandteil der den Zusatzprotokollen von 1977 nachfolgenden Vertragswerke wie dem geänderten CCW Protokoll II776 und dem Prot. II HK777, die beide auch in nichtinternationalen bewaffneten Konflikten Geltung entfachen. Auf dieser Grundlage geht auch das IKRK in Regel 14 der Gewohnheitsrechtsstudie sowie das NIAC Manual von 2006 von der Bindungswirkung in beiden Konfliktarten aus.778 b) Anwendbarkeit zugunsten der Umwelt als ziviles Objekt Notwendige Folge dieser Anerkennung ist auch die Anwendbarkeit des Gebots zugunsten derjenigen Umweltbestandteile, die im Einzelfall ein ziviles Objekt darstellen, denn eine Trennung zwischen den unterschiedlichen Grundprinzipien ist nicht möglich. Das Proportionalitätsgebot ist logische Folge des Unterscheidungsgrundsatzes. Da dieser in allen bewaffneten Konflikten grundsätzlich auch auf die Umwelt anwendbar ist, muss Gleiches auch für das Proportionalitätsgebot gelten. Dies wurde auch durch die für die spätere Weiterentwicklung des Gewohnheitsrechts Anstoß gebenden Akteure, insbesondere durch das IKRK, den IGH und die UN-Generalversammlung angenommen.779 Die Unzulässigkeit der Herbeiführung unverhältnismäßiger Umweltkollateralschäden bestätigte auch die NATO im Kontext ihres Bombardements im Jugoslawienkrieg.780 Das zur Überprüfung der NATO-Attacken eingesetzte Komitee des ICTY bestätigte diese Ansicht.781 Die Gewohnheitsrechtsstudie des IKRK spezifiziert die Anwendbarkeit speziell in Regel 43 C, in der es heißt:
775 Inter-American Commission on Human Rights, Third Report on the Human Rights situation in Colombia, 26. Februar 1999, OEA/Ser.L/V/II.102, Doc. 9 rev. 1, Chapter IV, Rn. 82 mit Verweis auf das Urteil des ICTY in Kupresˇkic´ et al. (Teil 2, Fn. 649). 776 Art. 3 (8) (c) amended CCW Protokoll II (Teil 1, Fn. 143). 777 Art.7 (c) Prot. II HK. 778 Vgl. Henckaerts/Doswald-Beck/Alvermann, Customary International Humanitarian Law, ICRC Study, Band I: Rules, S. 46 f., Regel 14 sowie die Nachweise aus der Praxis zu Regel 14, IKRK, Customary IHL Database, Practice, abrufbar unter: https:// www.icrc.org/customary-ihl/eng/docs/v2 [abgerufen am 26.10.2020]; Schmitt/Garraway/Dinstein (Hrsg.), The Manual on the Law of Non-International Armed Conflict: with Commentary, S. 22, Regel 2.1.1.4. 779 Siehe Teil 2, Fn. 674, 677, 680 oben. 780 Im Anschluss an die Angriffe auf Industrieanlagen in Panc ˇ evo erklärte eine NATO-Sprecherin: „when targeting is done we take into account all possible collateral damage, be it environmental, human or to the civilian infrastructure.“ (Hedges, Serbian Town Bombed by NATO Fears Effects of Toxic Chemicals, The New York Times vom 14. Juli 1999). 781 ICTY, Final Report to the Prosecutor by the Committee established to review the NATO Bombing Campaign against the Federal Republic of Yugoslavia, International Legal Materials 39 (2000), S. 1263, Rn. 22 (zudem Rn. 15, 18, 22 ff.).
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„Launching an attack against a military objective which may be expected to cause incidental damage to the environment which would be excessive in relation to the concrete and direct military advantage anticipated is prohibited.“ 782
Die von der ILC entwickelten Draft Principles zum Schutz der Umwelt greifen die Relevanz der Umwelt im Rahmen der Proportionalitätsanalyse ebenso auf. Während Draft Principle 14 die Anwendbarkeit u. a. des Proportionalitätsgebots auf die Umwelt bestätigt, wendet sich Draft Principle 15 direkt an den militärischen Entscheider und gibt diesem auf, bei der Anwendung des Gebots auch Umweltbelange zu berücksichtigen.783 3. Umweltrelevante Aspekte des Proportionalitätsgebots
Die spezifischen Eigenschaften und Funktionen der Umwelt und ihrer Bestandteile bringen bei Anwendung des Gebots allerdings einige Besonderheiten mit sich, welche einerseits die rechtlichen Grenzen der Schutzvermittlung und andererseits die tatsächliche Umsetzung der Handlungsbeschränkung in der Praxis betreffen. a) Anwendungsgrenzen und Dual-use-Charakter der Umwelt Als Konsequenz des Unterscheidungsgebots befasst sich das Proportionalitätsgebot notwendig allein mit dem Schutz ziviler Personen und Objekte vor den Folgen rechtmäßiger Angriffe gegen militärische Ziele. Die Zulässigkeit der Neutralisation eines rechtmäßigen militärischen Ziels ist von dieser Konstellation grundlegend zu unterscheiden. Sie unterliegt keiner Proportionalitätsprüfung als Folge des Verbots unverhältnismäßiger Kollateralschäden. Die Existenz eines allgemeinen Proportionalitätsgebots, das jede feindliche Handlung im Konflikt einer Verhältnismäßigkeitsprüfung unterwirft und daher auch auf die Zerstörung 782 Henckaerts/Doswald-Beck/Alvermann, Customary International Humanitarian Law, ICRC Study, Band I: Rules, S. 143 f., Regel 43 C. Die räumliche Trennung des Proportionalitätsgebots als Grundsatz (Regel 14) von seiner Geltung auch für die natürliche Umwelt (Regel 43 C) ist einerseits als Ausdruck der Betonung geltenden Umweltschutzes zu begrüßen, andererseits der erst jungen Anwendbarkeit der Grundprinzipien auf die Umwelt geschuldet. Anders als Hulme es anbringt, ist diese Trennung vor dem historischen Hintergrund der Schutzerweiterung korrekt (a. A. Hulme, Natural Environment, in: Wilmshurst/Breau (Hrsg.), Perspectives on the ICRC study on customary international humanitarian law, S. 215 f.). Allein aus dem Blickwinkel des Rechts internationaler Konflikte wird die Notwendigkeit der Trennung aufgrund einer unterschiedlichen historischen Entstehung des Prinzips allgemein sowie der Anwendbarkeit des Prinzips auf die Umwelt in nichtinternationalen bewaffneten Konflikten allerdings tatsächlich nicht deutlich. 783 Vgl. ILC Draft Principle 14 (Teil 2, Fn. 669) sowie Draft Principle 15: „Environmental considerations shall be taken into account when applying the principle of proportionality and the rules on military necessity.“ (ILC, Report of the International Law Commission on the Work of its 71st Session 2019, UN GAOR 74th Session, Supp. No. 10, A/74/10, S. 213).
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militärischer Ziele anwendbar wäre, ist stark umstritten und wird selbst von ihren Befürwortern nur in engen Einzelfällen angenommen.784 Ob die vollständige Zerstörung eines militärischen Ziels selbst verhältnismäßig und insbesondere erforderlich zur Erreichung des militärischen Interesses ist, oder ob eine mildere Maßnahme oder nur eine partielle Schädigung ausreichen würde, ist für die Einhaltung des Proportionalitätsgebots nicht erheblich. Diese Begrenzung rechtlicher Handlungseinschränkung erfährt in Bezug auf die natürliche Umwelt als Schutzobjekt allerdings unter Umständen eine Einschränkung. Die Anwendungsbeschränkung auf den Schutz bedrohter ziviler Objekte vor Kollateralschäden führt im Grundsatz zunächst dazu, dass die intendierte Zerstörung einer Umweltkomponente, die selbst als militärisches Ziel zu klassifizieren ist, nicht anhand des Proportionalitätsgrundsatzes zu beurteilen wäre. Bei der Planung einer feindlichen Handlung gegen ein Waldgebiet, das einer Konfliktpartei als Rückzugsort dient und dessen Zerstörung dem Angreifer einen militärischen Vorteil vermitteln würde, wäre die Abwägung zwischen Zerstörungsgefahr und Erhaltungsinteressen, insofern keine Gefahr für dritte Personen oder Objekte bestünde, also nicht notwendig. An dieser Stelle muss jedoch die Besonderheit 784 Sie wird überwiegend anhand der „capture or kill“-Problematik, also der Frage, ob die Festnahme eines feindlichen Akteurs als milderes Mittel im Vergleich zur Tötung im Einzelfall vorgezogen werden muss, diskutiert. Das IKRK hatte diese Diskussion 2009 in seiner Studie zur unmittelbaren Teilnahme an Feindseligkeiten vorangetrieben. In einem Abschnitt der Studie heißt es, das Ausmaß der eingesetzten Gewalt gegenüber einer Person, die nicht durch humanitäres Recht vor feindlichen Handlungen geschützt sei, dürfe das Ausmaß nicht überschreiten, das zur Erreichung eines legitimen militärischen Ziels im konkreten Einzelfall notwendig sei (Melzer, Interpretive guidance on the notion of direct participation in hostilities under international humanitarian law, S. 77). In Konsequenz führt die Ansicht des IKRK dazu, dass die Festnahme des Individuums, insoweit sie denn möglich ist, der Tötung im Einzelfall vorzuziehen wäre. Mehr noch: Eine Tötung wäre sodann unverhältnismäßig und ein Verstoß gegen die Prinzipien der Humanität und der militärischen Notwendigkeit. Laut IKRK sei dies insbesondere in Situationen der Fall, in denen ein Individuum einer militärischen Kraft in ähnlicher Weise gegenübersteht, wie es im Rahmen eines Polizeieinsatzes in Friedenszeiten der Fall wäre. Solche Situationen, so das IKRK, seien gerade dann vorstellbar, wenn eine Partei die effektive Kontrolle über ein Territorium ausübt (S. 80 f.). Trotz der engen Umgrenzung dieses Ansatzes schlug dem IKRK teils harsche Kritik entgegen. Statt vieler sehr deutlich: US Colonel Parks, Part IX of the ICRC „Direct Participation in Hostilities“ Study: No Mandate, No Expertise, and legally incorrect, New York University Journal of International Law and Politics 42 (2010), S. 828; vgl. mit vielen w. N. Goodman, The Power to Kill or Capture Enemy Combatants, European Journal of International Law 24 (2013), S. 820 ff. der aber letztlich die Ansicht des IKRK unterstützt: Das geltende Recht erlaube die Tötung eines Kämpfers nicht, wenn diese offenkundig militärisch nicht nötig sei. Dies sei u. a. dann der Fall, wenn die Festnahme einer Einzelperson stattdessen möglich wäre und die eigenen Truppen nicht stärker gefährde (S. 853). Befürwortend zuletzt auch Geiß, The Distinction between International and Non-international Armed Conflicts: Challenges for IHL? speech held at the XXXVIII. Round Table on current issues of International Humanitarian Law, San Remo, 3.–5. September 2015, online abrufbar unter: http://www.iihl.org/wp-content/uploads/2015/11/Geiss.pdf [abgerufen am 26.10.2020], S. 5.
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der Umwelt zum gegenteiligen Ergebnis führen, denn in nahezu allen Fällen wird die Umwelt als Dual-use-Objekt zu klassifizieren sein, mit der Folge, dass eine unverhältnismäßige Zerstörung der Umwelt trotz Einordnung als militärisches Ziel unzulässig ist. Einen Dual-use-Charakter haben solche Objekte, die aufgrund ihrer militärischen Nutzung sowie des durch ihre Schädigung oder Zerstörung vermittelten militärischen Vorteils ein rechtmäßiges Ziel eines Angriffs darstellen, zusätzlich aber auch zivil genutzt werden. Diese Nutzung macht sie im Vergleich zu anderen militärischen Objekten und vor dem Hintergrund einer aus humanitären Überlegungen gefolgerten Begrenzung zulässiger Konfliktführung schutzwürdiger als ausschließlich militärisch genutzte Objekte. Im geltenden Recht stellen Dual-use-Güter dennoch keine eigene Objektkategorie dar. Insofern sie die Definition eines militärischen Objekts erfüllen, sind sie, ungeachtet ihrer Rolle für die Zivilbevölkerung, im Grundsatz rechtmäßiges Ziel von Angriffen.785 Die gleichzeitige zivile Nutzung ändert an dieser Klassifikation nichts.786 Der durch einen Angriff auf das Objekt zu erwartende Nachteil für die Zivilbevölkerung darf gleichwohl nicht gänzlich unbeachtet bleiben, sondern ist als drohender Kollateralschaden im Rahmen einer Proportionalitätsprüfung bei der
785 Siehe schon zuvor oben, Teil 2, Fn. 727. Zur rechtlichen Klassifikation u. a. Sassòli, Legitimate Targets of Attacks Under International Humanitarian Law, Background Paper Prepared for the Informal High-Level Expert Meeting on the Reaffirmation and Development of International Humanitarian Law, 27.–29. Januar 2003, abrufbar unter: http://www.humanrightsvoices.org/assets/attachments/documents/Session1.pdf [abgerufen am 26.10.2020] S. 7; Parks, Asymmetries in the Identification of Legitimate Military Objectives, in: Heintschel von Heinegg/Epping (Hrsg.), International Humanitarian Law Facing New Challenges, S. 106; Jachec-Neale, The Concept of Military Objectives in International Law and Practice, S. 68. Eine aufschlussreiche Analyse zu den moralischen Rechtfertigungsgründen für den Umgang mit dual-use-Gütern findet sich bei: Lamb, Ethics and the Laws of War: The Moral Justification of Legal Norms, S. 55 ff. 786 Abzugrenzen von dual-use-Gütern sind solche Objekte, deren rechtliche Einordnung aufgrund wechselnder Nutzung zwischen militärischen und zivilen Objekten wechselt. Diese fallen nicht in die Kategorie der dual-use-Güter. Die Rechtmäßigkeit ihrer Schädigung hängt von der Nutzung im Zeitraum der Attacke ab (Shue/Wippman, Limiting Attacks on Dual-Use Facilities Performing Indispensable Civilian Functions, Cornell International Law Journal 35 (2002), S. 562). Ob zum Zeitpunkt des Angriffs beide Arten der Nutzung tatsächlich gegeben sind, kann leicht zur Streitfrage zwischen den Konfliktparteien werden. Beispielsweise rechtfertigte Äthiopien mehrere Luftangriffe auf ein Wasserreservoir in der Nähe des Dorfes Harsil in Eritrea damit, dass das enthaltene Wasser zumindest auch zur Versorgung der Streitkräfte Eritreas genutzt wurde. Eritrea behauptete dagegen, das Reservoir wäre ausschließlich zivil genutzt worden. Mangelnde Beweise auf Seiten Äthiopiens ließen Eritrea vor der befassten Untersuchungskommission siegen. Eritrea-Ethiopia Claims Commission, Partial Award Western Front, Aerial Bombardment and Related Claims, Eritrea’s Claims 1, 3, 5, 9–13, 14, 21, 25 & 26, Entscheidung vom 19. Dezember 2005 Rn. 98 ff.; Beispiel bei Jachec-Neale, The Concept of Military Objectives in International Law and Practice, S. 70.
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Angriffsentscheidung miteinzubeziehen. 787Angriffe auf Dual-use-Objekte müssen also, anders als Angriffe auf herkömmliche militärische Ziele, selbst bei Ausschluss jeder Wahrscheinlichkeit der unmittelbaren Beeinträchtigung anderer ziviler Objekte oder Personen in der Umgebung des Ziels einer Proportionalitätsprüfung unterzogen werden. Die Zerstörung beispielsweise eines sowohl militärisch als auch zivil genutzten Solarkraftwerks in der Wüste, in dessen Umgebung weder zivile Personen noch andere schutzwürdige Objekte lokalisiert sind, müsste also, anders als die Zerstörung einer Militärbasis an gleicher Stelle, der Abwägung zwischen militärischen Interessen und humanitären Erhaltungserwägungen standhalten können. Bislang wurde der Umgang mit Dual-use-Gütern typischerweise an Infrastrukturobjekten wie Brücken oder Flughäfen, Versorgungsgrundlagen wie Strom- und Kommunikationsnetzwerken sowie Produktionsanlagen und Kraftwerken diskutiert. Dabei wurde gänzlich übersehen, dass fast jeder Aspekt der natürlichen Umwelt, sofern er aufgrund seiner Nutzung sowie des durch seine Schädigung potenziell vermittelten militärischen Vorteils für den Angreifer in ein militärisches Ziel umgewandelt wurde, den dual-use-Begriff erfüllt. Die konventionelle Nutzung eines Objekts oder Gebiets stellt dabei die offensichtlichste Form dualer Nutzung dar. Gerade in Entwicklungsländern, die am häufigsten Schauplatz nichtinternationaler Konflikte sind, hängt das Überleben der Bevölkerung unter Umständen von der Nutzung der gleichen Ressourcen und Umweltkomponenten ab, die auch von bewaffneten Gruppen zur Ermöglichung und Unterstützung der Konfliktführung ausgebeutet werden. Wird ein Landstrich, Wald oder auch Abbaugebiet natürlicher Ressourcen als Stützpunkt, Rückzugsort oder Versorgungsquelle einer Konfliktpartei militärisch genutzt, ist es, anders als bei konventionellen Objekten wie Gebäuden oder Anlagen, daher durchaus wahrscheinlich, dass zusätzlich auch eine zivile Nutzung besteht. Traurige Bekanntheit in dieser Hinsicht erlangte der in der DRK gelegene Virunga Nationalpark, der seit 1979 als Naturerbe in die UNESCO-Welterbeliste und seit 1994 in die Liste des bedrohten Welterbes eingetragen ist.788 Während der seit 1996 immer wieder neu entfachten bewaffneten Konflikten in der Region dienten sich überschneidende Teile des Nationalparks sowohl bewaffneten Gruppen wie auch hunderttausenden Zivilisten als Rückzugsort, Fluchtroute sowie als Nahrungs- und Ressourcenquelle.789 Zusätzlich lebte und lebt ein Großteil der in 787 Zur logischen Herleitung der rechtlichen Beurteilung ebenso Shue/Wippman, Limiting Attacks on Dual-Use Facilities Performing Indispensable Civilian Functions, Cornell International Law Journal 35 (2002), S. 563. 788 Siehe die Eintragung auf: http://whc.unesco.org/en/list/63 [abgerufen am 26.10. 2020]. 789 Crawford/Bernstein, MEAs, Conservation and Conflict A case study of Virunga National Park, DRC, S. 15 f.; Sjöstedt, The Role of Multilateral Environmental Agreements in Armed Conflict: ,Green-keeping‘ in Virunga Park. Applying the UNESCO
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Reichweite des Parks ansässigen Bevölkerung von der in ihm gewonnenen Holzkohle, der dort ausgeübten Fischerei und Jagd.790 Insofern eine räumliche oder zeitliche Trennung zwischen den unterschiedlichen Nutzungsgebieten nicht möglich war, beziehungsweise migrierende Spezies die Ressourcenquelle beider Personengruppen ausmachten791, stellten die jeweiligen Abschnitte daher zwar potenzielle militärische Ziele eines Angriffs792, als solche aber eben auch dualuse-Objekte dar. Neben diesem offensichtlichen Fall muss die zumindest zeitweise bestehende dual-use-Eigenschaft einiger Gebiete des Virunga Parks auch aus ihrer Nutzung als Tourismusdestination gefolgert werden.793 Parkabschnitte, in denen der für die Region bedeutsame Berggorillatourismus mit der Rodung der Wälder durch bewaffnete Gruppen kollidierte794 hätten – angenommen die Rodungsflächen stellten aufgrund ihrer Nutzung militärische Ziele dar – in gleicher Weise kategorisiert werden müssen. Über vergleichbare Sachverhalte hinaus ist fraglich, ob Umweltbestandteile selbst bei Fehlen unmittelbarer ziviler Nutzung eines Gebiets, beispielsweise als Lebensgrundlage der Zivilbevölkerung, nicht dennoch dual-use-Objekte darstellen. Der Wert des Virunga Nationalparks für die gesamte Menschheit erschöpft sich schließlich nicht in seiner Funktion als unmittelbare Ressourcenquelle. Seine Eintragung als UNESCO-Welterbe beruht vielmehr auf seiner Biodiversität, seinem Reichtum an ästhetisch bedeutenden Umweltkomponenten, seiner World Heritage Convention in the Armed Conflict of the Democratic Republic of Congo, Nordic Journal of International Law 82 (2013), S. 132. 790 Crawford/Bernstein, MEAs, Conservation and Conflict A case study of Virunga National Park, DRC, S. 17 ff. 791 Wilderei war und ist eine der größten Gefahren für die im Park lebenden Säugetiere. Nicht nur der Handel mit Elfenbein und Buschfleisch war und ist dafür ausschlaggebend. Antilopen, Büffel, Elefanten sowie die Fischbestände u. a. des Eduardsees wurden in Vergangenheit auch als Nahrungsquelle sowohl der bewaffneten Gruppen als auch der Binnenflüchtlinge genutzt. Für Details erneut Crawford/Bernstein, a. a. O., S. 16, 18 ff. 792 Vorausgesetzt eines zu erwartenden militärischen Vorteils für die Streitkräfte der DRK durch die Schädigung oder Zerstörung des jeweiligen Gebiets. 793 Die im südlichen Teil des Parks lebenden Berggorillas als Grundlage des Tourismus brachten trotz anhaltender bewaffneter Konflikte bis 2007 mehrere Millionen Dollar in die Region. Allein die behördlich ausgestellten Zutrittsgenehmigungen brachten 2006 ca. 300.000 Dollar ein (Crawford/Bernstein, a. a. O., S. 21). 794 Vgl. Sjöstedt, The Role of Multilateral Environmental Agreements in Armed Conflict: ,Green-keeping‘ in Virunga Park. Applying the UNESCO World Heritage Convention in the Armed Conflict of the Democratic Republic of Congo, Nordic Journal of International Law 82 (2013), S. 132. Zur Bedrohung der Berggorillapopulation insbesondere in den Jahren 2006 und 2007 siehe auch UNESCO, Report on the state of conservation of the properties inscribed on the List of World Heritage in Danger, World Heritage Committee, 32nd Session, 2.–10. Juli 2008, WHC-08/32.COM/7A, S. 8 f. Ein Teil der geschützten Gorillapopulation fiel allerdings nicht bewaffneten Gruppen zum Opfer, sondern einzelnen Angehörigen der Nationalparkverwaltung, die in den illegalen Verkauf von Holzkohle verwickelt waren (a. a. O.).
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kulturellen Bedeutung und seinem Wert für die Erhaltung von durch den Menschen als wertvoll erachteten Spezies.795 Für die Annahme eines dual-use-Objekts sollte diese Bedeutung nicht irrelevant sein, schließlich besteht keine Notwendigkeit, die zivile Nutzung als Voraussetzung eines dual-use-Objekts auf eine tatsächliche Nutzung als Lebensgrundlage eng zu begrenzen, beruht doch der Gedanke einer nötigen Proportionalitätsprüfung auf dem im Objekt verbleibenden Wert für die zu schonende Zivilbevölkerung.796 Es ist nicht ersichtlich, warum sich dieser aus einer unmittelbaren Nutzung ergeben muss. Die Annahme eines militärischen Objekts ist durch die Anerkennung des Unterscheidungsgebots mittlerweile schließlich die durch Völkerrecht normierte Ausnahme einer grundsätzlichen Schonungsanordnung. Besteht ein den Schutz grundsätzlich weiterhin rechtfertigender Wert, sollte dieser nicht gänzlich unerheblich sein. Die Existenz völkerrechtlicher Verträge zur Erhaltung bestimmter Gebiete, Umweltkomponenten und Spezies macht deutlich, dass die Annahme des Nutzungswerts der Umwelt als einziger ihr anheftender Wert im modernen Völkerrecht zu eng gedacht ist. Die Berücksichtigung eines erweiterten Nutzungsbegriffs im Rahmen der dual-use-Diskussion würde dieser Werteanerkennung, sofern sie eine ausreichende Festigung im positiven Recht erfahren hat797, in sinnvoller Weise Rechnung tragen. Derartige Überlegungen zur Ausweitung des dual-use-Begriffs wurden, soweit ersichtlich, bislang kaum getätigt.798 Sie werden auch dadurch erschwert, dass eine Verankerung und Anerkennung bestimmter soeben genannter Wertschätzungsgründe, wie u. a. der ästhetische Wert der Umwelt, nur in geringem Maß im derzeitigen humanitären Völkerrecht ermittelt werden kann. Dass das humanitäre
795 Zu den Kriterien der Eintragung erneut http://whc.unesco.org/en/list/63 [abgerufen am 26.10.2020]. 796 Zur moralischen Begründung auch hier Lamb, Ethics and the Laws of War: The Moral Justification of Legal Norms, S. 59 der für eine Schutzerhaltung von Dualuse-Gütern trotz militärischer Nutzung plädiert. 797 Sowohl die WHC als auch z. B. die Ramsar-Konvention zum Schutz von Feuchtgebieten mit internationaler Bedeutung (Convention on Wetlands of International Importance especially as Waterfowl Habitat vom 2. Februar 1971, 996 UNTS 246) wurden von der überwiegenden Mehrheit der Staaten (Ramsar-Konvention: 171; WHC: 194 Mitgliedstaaten, Stand Mitte 2020; vgl. http://whc.unesco.org/en/statesparties/ sowie http://www.unesco.org/eri/la/convention.asp?KO=15398&language=E&order=alpha [abgerufen am 26.10.2020]) ratifiziert. Beide vermitteln die Möglichkeit, bestimmte Gebiete eines Staates durch Aufnahme in eine Liste besonders zu schützen. Zur Schutzrichtung der Ramsar-Konvention und dem ihr zugrundeliegenden Verständnis des Werts der Umwelt: Vöneky, Die Fortgeltung des Umweltvölkerrechts in internationalen bewaffneten Konflikten, S. 440. 798 Mittlerweile finden sich Ansätze dieser Idee bei Smith, Critical perspectives on environmental protection in non-international armed conflict: Developing the principles of distinction, proportionality and necessity, Leiden Journal of International Law 32 (2019), S. 759 ff.
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Völkerrecht trotz seines lex specialis-Charakters nicht blind gegenüber den sich womöglich auch wandelnden Bedürfnissen der Zivilbevölkerungen sein darf, wird gleichwohl aus seinem heutigen Anspruch unbedingten Schutzes der Zivilbevölkerung gefolgert werden müssen. Unabhängig von der Beachtung von Werten, die in anderen Konventionen Anerkennung gefunden haben, sollte zumindest für jeden Einzelfall hinterfragt werden, ob spezifische Umweltkomponenten bei Umwandlung in militärische Ziele nicht dennoch eine bedeutsame Rolle für die Zivilbevölkerung spielen. Häufig wird dies im Ergebnis bejaht werden müssen, mit der Konsequenz, dass auch das Proportionalitätsgebot zu greifen hat. Inwieweit das Gebot bei Vorliegen militärischer Interessen letztendlich Auswirkung zukommt, ist allerdings eine andere Frage.799 b) Vorhersehbarkeit von Umweltschäden Eine zweite Besonderheit bei Anwendung des Proportionalitätsgrundsatzes auf die natürliche Umwelt ergibt sich unmittelbar aus der Begrenzung der Abwägungsverpflichtung allein auf vorhersehbare Schäden. Anders als bei der soeben erörterten Frage der Klassifikation der durch Kollateralschäden gefährdeten Objekte, drohen die spezifischen Eigenschaften der Umwelt die Wirkung des Gebots in der Realität eher zu schwächen. aa) Prognoseentscheidung Das Proportionalitätsgebot verbietet die Ausführung eines Angriffs, von dem erwartet werden kann, dass er unverhältnismäßige zivile Schäden verursacht. Die Beurteilung der Zulässigkeit erfordert also eine Prognoseentscheidung hinsichtlich der Vorhersehbarkeit zukünftiger Schäden sowie deren Schwere. Diese ist notwendig nach dem Wissensstand vor Ausführung der Attacke zu fällen.800 Als Maßstab der Vorhersehbarkeit unverhältnismäßiger Folgen des Angriffs weitestgehend anerkannt ist die hypothetische Sicht eines vernünftigen und gut informierten Befehlshabers in der Situation des tatsächlichen Entscheidungsträgers
799 Wenig Hoffnung hinsichtlich der Erhaltung von dual genutzten Gütern macht Lamb: „Where there is military advantage from attacking an object, the civilian use counts for little.“ (Lamb, Ethics and the Laws of War: The Moral Justification of Legal Norms, S. 57). 800 So u. a. auch die Erklärung Deutschlands vom 14. Februar 1991 zur Ratifikation des ZP I. Abrufbar unter: https://www.icrc.org/applic/ihl/ihl.nsf/States.xsp?xp_view States=XPages_NORMStatesParties&xp_treatySelected=470 [abgerufen am 26.10. 2020]. Ähnlich auch die Erklärungen Australiens (21. Juni 1991), Belgiens (20. Mai 1986), Italiens (27. Februar 1986), Kanadas (20. November 1990), Neuseelands (8. Februar 1988), der Niederlande (26. Juni 1987), Spaniens (21. April 1989) und der Schweiz (17. Februar 1982). Vgl. ICTY, Prosecutor v. Stanislav Galic´, Urteil der Verfahrenskammer vom 5. Dezember 2003, Case No. IT-98-29-T, Rn. 58, Fn. 109.
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bei sinnvoller Anwendung der zur Verfügung stehenden Informationen.801 Die geforderte Vorhersehbarkeit bezieht sich dabei sowohl auf die Schadensintensität und den zu erwartenden militärischen Vorteil, wie auch auf die Unverhältnismäßigkeit des Schadens in Relation zu dem zu erwartenden Nutzen.802 Soll die Umwelt durch das Proportionalitätsgebot vor unverhältnismäßigen Schäden geschützt werden, verursacht vor allem das Erfordernis der Schadensvorhersehbarkeit praktische Probleme. Das Proportionalitätsgebot soll in seinem Kern davor schützen, dass unbeteiligte Zivilisten bei Kampfhandlungen in unverhältnismäßiger Weise zu Schaden kommen. Der Entscheidungsträger muss also analysieren, ob und in welchem Umfang zivile Personen und Objekte von einem Angriff auf ein militärisches Ziel betroffen werden können. Die notwendige Ermittlung ist auf die Informationsgewinnung im Einzelfall (Vorhandensein ziviler Personen und Strukturen) gerichtet. Geht es um die Gefährdung der Umwelt, reicht dies allerdings nicht aus. Zwar muss das Vorhandensein, Umfang und Bedeutung der vorhandenen Umweltkomponenten in ähnlicher Weise ermittelt werden wie im Fall klassischer ziviler Strukturen, da Umweltschäden aufgrund der Diversität existierender Umweltkomponenten sowie der Komplexität ihrer Zusammenhänge aber in vielgestaltiger Weise auftreten können, ist ein vergleichsweise hoher Wissensstand über die möglichen Folgen einer feindlichen Handlung sowie über die Zusammenhänge in regionalen und globalen Ökosystemen notwendig, um eine den tatsächlichen Risiken einer Attacke gerechte Prognoseentscheidung zu treffen. Informationen über die Auswirkungen von Umwelteinflüssen könnten zwar grundsätzlich aus den Erfahrungen vergangener Konflikte gewonnen werden, diese Möglichkeit ist jedoch aus zwei Gründen beschränkt:
801 ICTY, a. a. O., Rn. 58 m.w. N. zu nationalen Militärhandbüchern. Vgl. auch Heintschel von Heinegg, Proportionality and Collateral Damage, in: Wolfrum (Hrsg.), The Max Planck Encyclopedia of Public International Law, opil.ouplaw.com/home/EPIL, Rn. 13; Boothby, The Law of Targeting, S. 94 f. Ob der angelegte Maßstab eine subjektive Evaluation der Fakten- und Interessenlage oder eine objektiv zu überprüfende Bewertung verlangt, ist bis heute nicht gänzlich geklärt. Zumindest eine rein subjektive Bewertung durch den jeweiligen Befehlshaber kann nicht ausreichen, um der geforderten Abwägung gegenläufiger Interessen gerecht zu werden. Aus diesem Grund wird der fiktive Maßstab eines vernünftigen Befehlshabers in der Situation des tatsächlichen Entscheidungsträgers für die Beurteilung der Proportionalität fingiert. Er darf gleichwohl nicht von den Möglichkeiten der jeweiligen Konfliktpartei abweichen. Eine Partei, die über weit entwickelte Informationsmöglichkeiten und -quellen verfügt, darf durch das Gebot nicht gänzlich anders behandelt werden als eine Partei, der diese nicht zur Verfügung stehen. Richtigerweise muss daher eine Balance aus objektiven und subjektiven Kriterien als Maßstab an die proportionale Entscheidung gelegt werden. Vgl. ausführlich und überzeugend: Cannizzaro, Proportionality in the Law of Armed Conflict, in: Clapham/Gaeta (Hrsg.), The Oxford Handbook of International Law in Armed Conflict, S. 337 ff., insb. S. 340, Fn. 17. 802 U. a. Schmitt, Targeting in Operational Law, in: Gill/Fleck (Hrsg.), The Handbook of the International Law of Military Operations, S. 284, Rn. 16.06.
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bb) Grundlagen der Prognose Eine erste Einschränkung besteht hinsichtlich der Verfügbarkeit von Analysen bereits eingetretener Umweltschäden als Voraussetzung zukünftiger Risikobewertungen. Dauer und Ausmaß kriegsbedingter Umweltschäden können meist erst nach Ende eines Konflikts ausreichend analysiert werden. Im ungünstigsten Fall liegen Jahre zwischen Verursachung und Ermittlung des Schadens. Kontaminationen können sich in der Zwischenzeit verlagert haben und sind unter Umständen nur noch mit erhöhtem Aufwand nachweisbar. So untersuchte UNEP erst 15 Jahre nach Ende des 1990 bis 1994 andauernden innerstaatlichen Konflikts und Genozids in Ruanda die durch den Konflikt verursachten Umweltschäden.803 Zu diesem Zeitpunkt war eine umfassende Analyse der Umweltauswirkungen nicht mehr realisierbar.804 Wird eine Analyse dagegen zeitnah nach Ende der feindlichen Handlungen durchgeführt, sind Langzeitschäden womöglich noch nicht absehbar.805 Fehlen wie im Fall des NATO-Bombardements in Jugoslawien Informationen über den ursprünglichen Zustand von Ökosystemen, ist eine nachträgliche Analyse zusätzlich erschwert und unter Umständen gar nicht abschließend möglich.806 Diese Probleme in der Schadensermittlung können dazu führen, dass auch nach Jahren des Einsatzes einer bestimmten Technologie oder der Wahl bestimmter Ziele keine Sicherheit hinsichtlich bereits eingetretener Schäden und möglicher Schadensrisiken bei zukünftigen Konflikthandlungen besteht.807 In derartigen Fällen kann das Proportionalitätsgebot zukünftige Beeinträchtigungen nicht verhindern.
803 UNEP, Rwanda: From post-conflict to environmentally sustainable development, S. 62 ff. 804 Ein enormes Ausmaß durch den Konflikt erzeugter indirekter Umweltschäden wie z. B. großflächige Abholzungen als Folge von Flüchtlingsbewegungen und der Errichtung von Flüchtlingscamps konnte UNEP gleichwohl feststellen. Das Ausmaß derartiger Umweltschäden war zumindest in Ruanda wohl deutlich gravierender als die durch den Konflikt direkt verursachten Umweltdegradierungen. Vgl. UNEP, a. a. O., S. 65 ff. 805 Dieses Problem stellte sich hinsichtlich der Schadensanalyse, die UNEP nur ein Jahr nach Ende des NATO-Bombardements im ehemaligen Jugoslawien durchführte. Das durch die Anklägerin des ICTY beauftragte Komitee sah sich außerstande, auf Grundlage des UNEP-Berichts Schlüsse auf mögliche Langzeitschäden zu ziehen. ICTY, Final Report to the Prosecutor by the Committee established to review the NATO Bombing Campaign against the Federal Republic of Yugoslavia, International Legal Materials 39 (2000), Rn. 17. 806 Vgl. Bruch/Austin, Epilogue: The Kosovo Conflict: a case study of unresolved issues, in: Austin/Bruch (Hrsg.), The environmental consequences of war, S. 660. 807 Dies ist z. B. bezüglich des Einsatzes von DU-Munition der Fall. Obwohl sie schon seit dem Golfkrieg 1991 von einer Vielzahl von Armeen in mehreren Konflikten eingesetzt wurde, besteht bis heute keine Einigkeit hinsichtlich ihrer Langzeitrisiken für Gesundheit und Umwelt. Auf Basis der unsicheren Faktenlage ist ein Einzelfallverbot ihres Einsatzes durch das Proportionalitätsgebot kaum möglich. Siehe m.w. N. Crawford/Pert, International Humanitarian Law, S. 221. Zu DU-Munition vgl. Teil 2, Fn. 736.
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An dieser Stelle knüpfen nationale und internationale Umwelt- und Gesundheitsschutzorganisationen an. Innerhalb des UN-Systems kommt neben der WHO vor allem UNEP eine herausragende Rolle bei der Ermittlung von Schäden und der Einschätzung von Schadensrisiken bei Bevölkerung und Umwelt zu.808 Im Auftrag der Vereinten Nationen und deren Mitgliedstaaten führt UNEP unparteiische Bewertungen der Konsequenzen bewaffneter Konflikte für die Umwelt durch.809 Die von UNEP verfassten Berichte zu konfliktbedingten Umweltschäden z. B. durch das NATO-Bombardement im ehemaligen Jugoslawien810 oder die langanhaltenden Bürgerkriege im Sudan811 sind nicht nur wertvolle Informationsquellen als Voraussetzung nötiger Säuberungs- und Wiederaufbaumaßnahmen. Das erlangte Wissen informiert auch die Beurteilung späterer Proportionalitätsprüfungen zumindest für staatliche Parteien auch innerstaatlicher Konflikte. Auch das IKRK verstärkte in den letzten Jahren seine Bemühungen der Aus- und Fortbildung im Hinblick auf den Schutz der Umwelt während bewaffneter Konflikte.812 Für staatliche Akteure außerhalb einer Notlage dürften diese Erkenntnisse und (Rechts-)Analysen auch tatsächlich als Informationsquelle zur Verfügung stehen oder wenigstens so leicht zugänglich sein, dass sie in zukünftige Proportionalitätserwägungen einzufließen hätten. Für nichtstaatliche Akteure 808 Seit 1999 führt UNEP in Krisenregionen und im Anschluss an bewaffnete Konflikte Umweltprüfungen durch, in deren Rahmen die durch bewaffnete Konflikte verursachten Zerstörungen und Kontaminationen ermittelt werden. Einen Überblick über die bisher durchgeführten Umweltanalysen findet sich unter http://www.unep.org/disaster sandconflicts/Introduction/PostCrisisEnvironmentalAssessment/UNEPsEnvironmental Assessments/tabid/54635/Default.aspx [abgerufen am 26.10.2020]. Technischer Fortschritt ermöglicht es darüber hinaus auch unabhängigen Forschern und kleineren Organisationen, Umweltanalysen in Konfliktregionen durchzuführen. Vgl. z. B. Gorsevski et al., Analysis of the Impacts of armed conflict on the Eastern Afromontane forest region on the South Sudan – Uganda border using multitemporal Landsat imagery, Remote Sensing of Environment 118 (2012), S. 10 ff. die Satellitenbilder zur Beurteilung der durch den Bürgerkrieg verursachten Umweltschäden heranzogen. Es kann jedoch nur im zu prüfenden Einzelfall angenommen werden, dass durch kleinere Studien gewonnene Erkenntnisse für Entscheidungsträger bei einer Proportionalitätsanalyse zur Verfügung stehen. Für Mitglieder nichtstaatlicher bewaffneter Gruppen ist dies gänzlich unwahrscheinlich und kann auch von einem vernünftigen Entscheidungsträger in der Situation des Befehlshabers einer bewaffneten Gruppe im Zweifel nicht angenommen werden. 809 Vgl. auch ILC, Third Report on the Protection of the Environment in Relation to Armed Conflicts, submitted by Marie G. Jacobsson, Special Rapporteur, 3. Juni 2016, A/CN.4/700, S. 5, Rn. 13. 810 UNEP, The Kosovo Conflict: Consequences for the Environment & Human Settlements. 811 UNEP, Sudan: Post-Conflict Environmental Assessment. 812 IKRK, Guidelines for military manuals and instructions on the protection of the environment in times of armed conflict, 19. August 1994, Annex to UN Doc. A/49/ 323; vgl. auch Fleck, The protection of the environment in armed conflict, Nordic Journal of International Law 82 (2013), S. 19 mit Verweis auf Bothe et al., International law protecting the environment during armed conflict: gaps and opportunities, International Review of the Red Cross 92 (2010), S. 569 ff.
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kann die Verfügbarkeit der Informationen dagegen nicht in gleichem Maß angenommen werden. cc) Verfügbarkeit von Informationen für den Entscheidungsträger Als zweite Einschränkung der Informationsnutzung besteht daher die Frage, welche Anforderungen der Informationsbeschaffung das Proportionalitätsgebot an den jeweiligen Entscheidungsträger stellt. Unabhängig von Risikoermittlungen in der Vergangenheit bleibt das Erfordernis der Vorhersehbarkeit eine im Einzelfall festzustellende Vorbedingung des Gebots. Ausreichend verlässliche Informationen müssen dem Befehlshaber, beziehungsweise dem fingierten Entscheidungsträger in dessen Situation, unter zumutbaren Bedingungen zur Verfügung stehen.813 Hält man sich die Realität eines Konflikts zwischen staatlichen und nichtstaatlichen Gruppierungen vor Auge, ergibt sich allerdings ein starkes Gefälle der Informationsverfügbarkeit. Während ein/e staatliche/r Befehlshaber/ in ihre/seine Angriffsentscheidung ohne große Probleme auf Basis der Ergebnisse früherer Erfahrungen oder wissenschaftlicher Erkenntnisse fällen kann, wird ein nichtstaatlicher Akteur in ähnlicher Position kaum jemals Zugang zu derartigen Informationen haben. Ebenso wenig wird er oder sie über vergleichbare technologische Mittel verfügen, um in ähnlichem Umfang Informationen über einen vorliegenden Einzelfall, wie die in einem militärischen Ziel enthaltenen gefährlichen Kräfte, zu ermitteln. Nähme das Proportionalitätsgebot keine Rücksicht auf dieses Technologie- und Informationsgefälle, könnte der nichtstaatliche Akteur im Zweifel keine ausreichend informierte Einzelfallentscheidung treffen und würde bei Durchführung des Angriffs mit hoher Wahrscheinlichkeit gegen das Proportionalitätsgebot verstoßen.814 Die staatliche Konfliktpartei wäre begünstigt; ein humanitäres Völkerrecht des Überlegenen bestünde. Richtigerweise ist eine starre Fassung des Proportionalitätsgebots abzulehnen. Es darf nicht der Informationsverfügbarkeitsmaßstab des am weitesten entwickelten, finanziell und technologisch überlegenen Staates oder Konfliktakteurs angelegt werden. Vielmehr muss die tatsächliche Situation des Entscheidungsträgers ausschlaggebend für die durch das Gebot auferlegten Handlungs- und Prüfungsanforderungen sein.815 Die Prognoseentscheidung muss also nicht auf Basis rein 813 Siehe oben, Teil 2, Fn. 801 und erneut mit Details Cannizzaro, Proportionality in the Law of Armed Conflict, in: Clapham/Gaeta (Hrsg.), The Oxford Handbook of International Law in Armed Conflict, S. 337 ff. 814 Cannizzaro, a. a. O., S. 340 f. 815 Schmitt, The law of targeting, in: Wilmshurst/Breau (Hrsg.), Perspectives on the ICRC study on customary international humanitarian law, S. 157 bezeichnet die Anwendung eines subjektivierten Beurteilungsmaßstabs als „seemingly self-evident“. Vgl. u. a. auch Boothby, The Law of Targeting, S. 95; IKRK, Customary IHL Database, Rules, abrufbar unter: https://www.icrc.org/customary-ihl/eng/docs/v1_rul [abgerufen am 26.10.2020], Regel 14, Interpretation: „[. . .] those responsible [. . .] have to reach their decisions on the basis of their assessment of the information from all sources which is
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theoretisch, sondern im Einzelfall des Entscheiders tatsächlich verfügbarer Informationen gefällt werden. Proportionalität verlangt von Staaten nicht, sich mit den neusten technischen Möglichkeiten auszustatten. Nicht Pflichten, deren Einhaltung unmöglich ist, sondern Auflagen, die jeder Staat einzuhalten vermag, sind durch Völkerrecht verlangt.816 Für nichtstaatliche Parteien kann nichts Anderes gelten. Auf der anderen Seite darf die Unwissenheit beziehungsweise Unerfahrenheit eines spezifischen Entscheidungsträgers nicht zu einer tatsächlichen Aushebelung des Proportionalitätsgebots führen. In diese bedenkliche Richtung ging die Argumentation der Grenzkommission für Eritrea und Äthiopien, die die Frage der Proportionalität allein anhand der spezifischen Situation und der Eigenschaften der Handelnden vor Ort beantwortete und Unerfahrenheit sowie menschliches Fehlverhalten als Exkulpation genügen ließ.817 Wäre fehlende Sorgfalt bei der Entscheidung über eine Attacke nicht schädlich, wäre von den Interessen der Humanität in der Abwägungsentscheidung wenig übrig. Der weitgehend anerkannte Maßstab des fiktiven vernünftigen Entscheidungsträgers in der Situation des tatsächlich Handelnden ist der notwendige Mittelweg zur Vermeidung einseitiger Risiken der Abwägungsentscheidung. Dieser Maßstab wurde auch in der Praxis, unter anderem durch das oberste Gericht Israels818 sowie im Goldstone-Bericht819, herangezogen. Sind Informationen über mögliche Umweltgefahren einem sorgfältig handelnden und planenden Entscheidungsträger in Position des available to them at the relevant time“ (Herv. d. d.Verf.). Eine Vielzahl von Staaten (u. a. Deutschland, UK, USA und weitere) bestätigte diese Auffassung zudem in der Vergangenheit. Vgl. die Praxisnachweise zu Regel 14, IKRK, Customary IHL Database, Practice, abrufbar unter: https://www.icrc.org/customary-ihl/eng/docs/v2 [abgerufen am 26.10.2020]. 816 Cannizzaro, Proportionality in the Law of Armed Conflict, in: Clapham/Gaeta (Hrsg.), The Oxford Handbook of International Law in Armed Conflict, S. 340 f., Fn. 17. 817 Die Unerfahrenheit der von Eritrea eingesetzten Piloten beziehungsweise menschliche Fehler bei der Programmierung von Zielen, die Ursache hoher Verluste in der Zivilbevölkerung waren, seien Eritrea grundsätzlich nicht anzulasten. So Eritrea-Ethiopia Claims Commission, Partial Award Central Front, Ethiopia’s Claim 2, Entscheidung vom 28. April 2004, S. 189 f., Rn. 109 f. Zwar beschäftigte sich die Kommission an dieser Stelle überwiegend mit dem humanitärrechtlichen Vorsorgeprinzip, die Eigenschaften des Entscheidungsträgers im Einzelfall sind jedoch speziell im Rahmen der Proportionalitätsprüfung ausschlaggebend. Kritisch auch Cannizzaro, Proportionality in the Law of Armed Conflict, in: Clapham/Gaeta (Hrsg.), The Oxford Handbook of International Law in Armed Conflict, S. 339. 818 Israel Supreme Court, Public Committee against Torture in Israel v. Government of Israel, Urteil vom 13. Dezember 2006, HCJ 769/02, abrufbar unter: http://elyon1. court.gov.il/files_eng/02/690/007/A34/02007690.a34.pdf [abgerufen am 26.10.2020], Rn. 57. 819 UN Human Rights Council, Report of the United Nations Fact-Finding Mission on the Gaza Conflict, 25. September 2009 (Goldstone Report), A/HRC/12/48, S. 20, Rn. 42.
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tatsächlichen Befehlshabers zugänglich, so müssen sie in seine Entscheidung einfließen. Ob drohende Kollateralschäden für die natürliche Umwelt in die Proportionalitätsanalyse des jeweiligen Befehlshabers in ausreichendem Maß einbezogen werden und werden müssen ist in der Praxis also davon abhängig, welche Informationen über die drohenden Umweltwirkungen spezifischer Mittel und Methoden der Konfliktführung der jeweiligen Partei zur Verfügung stehen. Die besondere Bedeutung der Aufklärungsarbeit der oben genannten NGOs liegt auf der Hand. dd) Indirekte Konsequenzen in ökologischen Kausalketten Die Komplexität ökologischer Zusammenhänge stellt die Vorhersehbarkeit durch einen Angriff hervorgerufener Umweltschäden und deren Ausmaß vor eine weitere Schwierigkeit: Sowohl innerhalb eines einzelnen Ökosystems als auch auf globaler Ebene kann eine durch den Angriff hervorgerufene, anfangs relativ geringe Abweichung vom Grundzustand, ähnlich wie der durch Edward Lorenz berühmt gewordene Flügelschlag eines Schmetterlings820, langfristig ungeahnte und womöglich schwere Konsequenzen nach sich ziehen. Zwar wird ein vergleichsweise wenig intensiver Angriff kaum zu bleibenden schweren Umweltschäden führen können, die in langfristiger Konsequenz verursachten Folgebeeinflussungen anderer Umweltaspekte entlang der Nahrungskette eines Ökosystems, des Verlaufs eines Wasserflusses oder dem Gang der Winde sind jedoch nur mit Schwierigkeiten vorherzusehen und zu bestimmen. Neben der letztlich nicht abstrakt zu beantwortenden Frage, welche spezifischen Kenntnisse über Umweltzusammenhänge ein Entscheidungsträger besitzen muss, besteht also das Problem des Zeitrahmens, der bei der Proportionalitätsprüfung einbezogen werden muss.821 Sind Konsequenzen, die nicht unmittelbar
820 Herangezogen von Schmitt, Green war: an assessment of the environmental law of international armed conflict, The Yale Journal of International Law 22 (1997), S. 60. Das Beispiel des Schmetterlingsflügels und dessen potenzieller Einfluss auf den Verlauf eines Tornados in einer völlig anderen Region wurde Sinnbild der von Lorenz maßgeblich beeinflussten Chaostheorie. Ursprung der Schmetterlings-Metapher ist ein Vortrag von Lorenz zu den zeitlichen Grenzen der Vorhersehbarkeit meteorologischer Phänomene (Lorenz, Predictability: Does the flap of a butterfly’s wings in Brazil set off a tornado in Texas?). 821 Nicht zu verwechseln sind die hier behandelten indirekten Schäden beziehungsweise Folgeschäden mit Langzeitschäden, die unmittelbar durch den Angriff verursacht werden, aber womöglich über Jahrzehnte andauern. Indirekte Schäden treten dagegen erst im Nachgang eines Angriffs mit räumlichem oder zeitlichem Abstand von dem ursprünglich verursachten Schaden und erst nach Verwirklichung weiterer Zwischenschritte auf. Für eine Definition vgl. United States Joint Chieffs of Staff, Joint Targeting, 13. April 2007, Joint Publication 3–60, abrufbar unter: http://www.bits-berlin.de/ NRANEU/others/jp-doctrine/jp3_60(07).pdf [abgerufen am 26.10.2020], S. II-36. Zu erwartende Langzeitschäden sind, soweit sie im Einzelfall vorhersehbar sind, unstrittig in die Proportionalitätsanalyse miteinzubeziehen (vgl. speziell für nichtinternationale
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durch den Angriff hervorgerufen werden, dennoch aber auf ihn zurückzuführen sind, für die Abwägungsentscheidung relevant? Auch abseits der Thematik des Umweltschutzes während bewaffneter Konflikte ist umstritten, ob indirekte Effekte eines Angriffs in die Proportionalitätsabwägung einbezogen werden müssen.822 Während beispielsweise das Tallinn Manual die Beachtung auch indirekter Konsequenzen, die erst als Folge weiterer Zwischenereignisse örtlich oder zeitlich versetzt in Erscheinung treten und die bei der Planung, der Entscheidung über den Angriff oder bei dessen Ausführung vorhersehbar sind, vorschreibt,823 konnten sich die Verfasser des HPCR Manual nicht darauf einigen, ob und inwieweit indirekte aber vorhersehbare Konsequenzen in die Prüfung mit einfließen müssen.824 Eine aussagekräftige Staatenpraxis sei nicht zu erkennen.825 Zumindest teilweise bejahen an Konflikten beteiligte Staaten die Relevanz von Folgeschäden. Mit Hinweis auf den möglichen Austritt gefährlicher Stoffe bei Bombardierung eines Öldepots verweist zum Beispiel das Militärhandbuch des Vereinigten Königreichs auf die notwendige Beachtung vorhersehbarer (Folge-) Schäden.826 Ein Blick in das US-amerikanische Law of War Manual des Verteidigungsministeriums (DoD Manual), das in vielen Punkten ein Beispiel restriktiver Interpretation des geltenden Kriegsrechts ist, stimmt in dieser Hinsicht dagegen zunächst nicht zuversichtlich: „Remote harms resulting from the attack“ müssten laut des Handbuchs nicht in die Proportionalitätsanalyse einbezogen werden.827 Beispielhaft herangezogen werden allerdings lediglich Fälle wirtschaftlicher Folgeschäden für die Familien eines im Kampf umgekommenen Soldaten sowie die Gefährdung von Zivilisten durch zunächst nicht detonierte Munition nach Ende des Konflikts.828 Dass wirtschaftliche Schäden hinzunehmende Konsequenz eines jeden bewaffneten Konflikts zu sein scheinen, ist bedauerliche Realität, die mit der Ausbreitung eines Schadens durch Mechanismen und Zusammenhänge in der Umwelt zunächst wenig gemeinsam hat. Auch das Beispiel Konflikte Schmitt/Garraway/Dinstein (Hrsg.), The Manual on the Law of Non-International Armed Conflict: with Commentary, 2.1.1.4, Rn. 9). 822 Heintschel von Heinegg, Proportionality and Collateral Damage, in: Wolfrum (Hrsg.), The Max Planck Encyclopedia of Public International Law, opil.ouplaw.com/ home/EPIL, Rn. 12. 823 Schmitt, Tallinn Manual on the International Law applicable to Cyber Warfare, Regel 51, Rn. 6. 824 HPCR, Manual on International Law applicable to Air and Missile Warfare, Regel 14, Rn. 4. 825 HPCR, a. a. O. 826 United Kingdom Ministry of Defence, The Joint Service Manual of the law of armed conflict of 2004, 5.33.4. Genannt bei Heintschel von Heinegg, Proportionality and Collateral Damage, in: Wolfrum (Hrsg.), The Max Planck Encyclopedia of Public International Law, opil.ouplaw.com/home/EPIL, Rn. 12. 827 United States Department of Defence, Law of War Manual, 2015 (updated 2016), 5.12.1.3, S. 261. 828 Ibid.
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nichtdetonierter Munition kann von dem hier erörterten Fall der Ausbreitung von Umweltschäden unterschieden werden, da die Verletzung von Zivilisten durch zurückgebliebene Munition schon an der Vorhersehbarkeit des Schadens scheitern dürfte. Das Militärhandbuch des US-Verteidigungsministeriums verweist explizit auf die Ausführungen Greenwoods, der argumentiert, dass die Gefahr der Verletzung von Zivilisten von zu vielen verschiedenen Faktoren abhängig sei, die im Zeitpunkt der Attacke nicht vorhergesehen werden können.829 Ob und wann es Zivilisten wieder gestattet wäre, sich in der fraglichen Umgebung aufzuhalten, welche Maßnahmen die das Gebiet kontrollierende Konfliktpartei einleiten würde, um nichtexplodierte Materialien zu räumen und welche Priorität die Partei dem Schutz der Zivilbevölkerung zumesse, sei nicht absehbar. Maßgeblich können daher nur die zum Zeitpunkt der Attacke vorliegenden Informationen sein.830 Der Fall zwar durch Zwischenschritte getrennter aber doch durch regionale oder globale Zusammenhänge in der Umwelt notwendig verknüpfter Umweltfolgeschäden ist dagegen anders gelagert. Diese sind direkte, wenn auch durch Zwischenschritte getrennte Folgen der Ausgangshandlung und werden nicht erst wie im Fall der nichtdetonierten Munition durch das Verhalten anderer Individuen und Entscheidungsträger herbeigeführt. Hier beschriebene Umweltfolgeschäden sind auch durch diese Argumentation also nicht notwendig ausgeschlossen. Auf der anderen Seite darf auch die Einschätzung des Tallinn Manual nicht unreflektiert auf alle weiteren Fälle ausgeweitet werden. Die in ihm enthaltenen Ausführungen beziehen sich schließlich speziell auf Cyberattacken, die niemals unmittelbar zu schädlichen Kollateralschäden außerhalb von Computersystemen führen, sondern zunächst nur Softwaremanipulationen und -schäden hervorrufen können. Folgeschäden in der realen Welt sind in diesen Fällen zwingend in die Proportionalitätsprüfung miteinzubeziehen. Konsequenzen außerhalb des Cyberspace stellen schließlich das beabsichtigte Ziel einer Cyberattacke dar. Eine Ausgrenzung vorhersehbarer Kollateralschäden an zivilen Personen und Objekten, die in Folge verursachter Softwarefehler durch Stromausfälle, Systemveränderungen in Kraftwerken oder Transport- oder Navigationssystemen auftreten, würde dem Proportionalitätsgebot für diese Konfliktführungspraxis jedwede Wirkung nehmen. Wo also ist die Grenze zwischen noch in die Prognoseentscheidung einzubeziehender Folgeschäden und für die Proportionalitätsprüfung unerheblicher fernliegender Auswirkungen zu ziehen? Eindeutig beachtlich sind derartige Kollateralschäden, die durch das In-Gang-Setzen einer Kausalkette durch den ursprüng829 Greenwood, Legal Issues Regarding Explosive Remnants of War, Group of Government Experts of States Parties to the Convention on Prohibitions or Restrictions on the Use of Certain Conventional Weapons, CCW/GGE/I/WP.10 (2002), S. 8; zitiert in United States Department of Defence, Law of War Manual, 2015 (updated 2016), S. 262, Fn. 388. 830 Ibid.
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lichen Angriff ausgelöst werden. Dies ist zum Beispiel dann der Fall, wenn erwartet werden kann, dass durch einen Angriff auf eine Anlage gefährliche Stoffe in die Umwelt freigesetzt werden und sich diese in Böden, Gewässer oder die Luft verbreiten und diese Elemente, ihre Zusammensetzung sowie die dort vorzufindende Flora und Fauna selbst schädigen. Sind Folgeschäden für Mensch und Umwelt zu erwarten, müssen diese in die Proportionalitätsabwägung bei Entscheidung über den Angriff einbezogen werden. Gleiches gilt bei einer Cyberattacke die zu Stromausfällen und dadurch beispielsweise zum Versagen von Klärwerken oder Wasseraufbereitungsanlagen führt und so im Einzelfall gravierende Auswirkungen auf die Qualität von Gewässern und Böden haben kann.831 Ist eine negative Beeinflussung eines Umweltaspekts in einem Gebiet vorhersehbar, müssen auch die durch die Schäden erwarteten Folgekonsequenzen (Aussterben von Tieren, Ausbleiben von Ernten in Folgejahren, Verseuchung auch größerer Gebiete durch Ausbreitung gefährlicher Stoffe über Jahre hinweg) berücksichtigt werden. Eine zeitliche Grenze darf nicht gesetzt werden. Nicht in ausreichendem Maße vorhersehbar dürften aber Folgekonsequenzen sein, deren Eintritt von weiteren Zwischenentscheidungen anderer Entscheidungsträger abhängt und die daher nicht Teil einer Kausalkette sind. Auch hier kann die Abgrenzung nur im Einzelfall geschehen. Für den Schutz der Umwelt erneut von überragender Bedeutung ist daher jede wissenschaftliche Erkenntnis über Ökosystemzusammenhänge sowie die kausalen Folgen von Schäden an einzelnen Aspekten der natürlichen Umwelt. Wissenschaftliche Erkenntnisse zeigen schon heute, dass bereits das Verschwinden einer einzigen Art gravierende Auswirkungen auf das umgebende Ökosystem und letztlich auf die in der Region ansässige Bevölkerung haben kann.832 Dass diese Informationen, soweit sie denn wissenschaftlich ermittelt sind, dem Entscheidungsträger einer nichtstaatlichen Konfliktpartei in Realität kaum zur Verfügung stehen werden, bleibt allerdings ein drängendes Problem fast aller nichtinternationalen Konflikte. c) Wert der Umwelt aa) Abwägung des Nichtabwägbaren Die abstrakte Formulierung des Proportionalitätsgebots, so kritikanfällig sie auch sein mag, fällt trotz aller Herausforderungen noch um einiges leichter als die Anwendung des Prinzips im Einzelfall einer realen Konfliktführung.833 In 831 Beispiel bei Dröge/Tougas, The protection of the natural environment in armed conflict – Existing rules and need for further legal protection, Nordic Journal of International Law 82 (2013), S. 30. 832 Vgl. Dröge/Tougas, a. a. O., S. 33. 833 ICTY, Final Report to the Prosecutor by the Committee established to review the NATO Bombing Campaign against the Federal Republic of Yugoslavia, International Legal Materials 39 (2000), Rn. 48; Boothby, The Law of Targeting, S. 96.
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der Praxis stellt das Gebot nicht nur aufgrund der soeben dargelegten Schwierigkeiten bei der Ermittlung des maßgeblichen Bewertungsmaßstabs sowie der speziellen Konstellation der Umwelt als Schutzgut eine nicht unumstrittene Schutzgarantie dar.834 Unabhängig von den Anforderungen an die Formulierung der Abwägungspflicht bleibt Kern der durchzuführenden Analyse eine Wertungsentscheidung, die wie jede andere Verhältnismäßigkeitsprüfung allein mit rechtlichen Maßstäben nicht zu lösen ist. Der Abwägung zwischen dem zu erwartenden militärischen Vorteil und dem drohenden Schaden an der im Grundsatz geschützten Zivilbevölkerung wird mitunter vorgeworfen, einen Vergleich zweier Dinge zu forcieren, für die kein Vergleichsmaßstab besteht.835 Baxter brachte die Problematik auf den Punkt: „One rebels at the thought that hundreds of thousands of civilians should be killed in order to destroy one enemy soldier who may be in their midst. But [. . .] how can a proper ratio be established between loss of civilian life and the destruction of railway carriages?“ 836
Die Wertungsproblematik verstärkt sich, sobald nicht das Leben eines oder mehrerer Zivilisten, sondern lediglich zivile Objekte als Gegenpol militärischer Vorteile der Abwägung unterzogen werden. Verglichen mit der Gewichtung menschlichen Lebens in einer Abwägung kann der Erhalt ziviler Objekte nur mit erhöhter Schwierigkeit militärische Vorteile eines Angriffs ausgleichen. Diese Problematik verschärft sich noch einmal, wenn das durch den Angriff gefährdete zivile Objekt eine wenig greifbare Umweltkomponente ist. Zwar gilt das Proportionalitätsgebot zweifelsohne auch zugunsten des Nichtmenschlichen, die Frage der konkreten Abwägung wird durch diese Grundentscheidung allerdings nicht beantwortet. In der Wissenschaft und Praxis wird der Problematik der Abwägung nicht vergleichbarer Güter teils notgedrungen durch die Beschränkung eines Verstoßes ge834 Deutliche Worte findet der oberste Gerichtshof Israels im vielbeachteten Targeted Killings-Verfahren. Der Gerichtshof spricht von einem wertebasierten Test, der moralische und ethische Probleme aufwerfe. Siehe Israel Supreme Court, Public Committee against Torture in Israel v. Government of Israel, Urteil vom 13. Dezember 2006, HCJ 769/02, abrufbar unter: http://elyon1.court.gov.il/files_eng/02/690/007/A34/02007690. a34.pdf [abgerufen am 26.10.2020], Rn. 45 f. 835 Cassese, A tentative appraisal of the old and the new humanitarian law of armed conflict, in: Cassese (Hrsg.), The new humanitarian law of armed conflict, S. 478; Baxter, Criteria of the Prohibition of Weapons in International Law, in: Ehmke et al. (Hrsg.), Festschrift für Ulrich Scheuner zum 70. Geburtstag, S. 48; vgl. m.w. N. Clarke, Proportionality in Armed Conflicts: A Principle in Need of Clarification? Journal of International Humanitarian Legal Studies 3 (2012), S. 82 ff.; Hulme, War Torn Environment: Interpreting the Legal Threshold, S. 127. 836 Baxter, Criteria of the Prohibition of Weapons in International Law, in: Ehmke et al. (Hrsg.), Festschrift für Ulrich Scheuner zum 70. Geburtstag, S. 48, genannt durch Sivakumaran, The Law of Non-International Armed Conflict, S. 349 und Cassese, A tentative appraisal of the old and the new humanitarian law of armed conflict, in: Cassese (Hrsg.), The new humanitarian law of armed conflict, S. 478.
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gen das Proportionalitätsgebots auf Fälle eines absolut offensichtlichen Ungleichgewichts zwischen Kollateralschaden und militärischem Vorteil begegnet.837 Offenkundige Fälle militärischen Ungleichgewichts seien, so u. a. Solf, durch das Gebot handhabbar.838 Doch selbst bei dieser Begrenzung ist eine Abwägung gegenstehender Interessen und Werte dem Gebot inhärent. Sie kann nur anhand des Werts des jeweiligen Objekts vollzogen werden. Doch wie ist der Wert eines abstrakten Guts wie der natürlichen Umwelt zu bemessen? Hulme weist zu Recht darauf hin, dass nicht die Umwelt als eigenständiges Objekt, sondern ihre Komponenten – Ökosysteme, gefährdete Arten, fragile Habitate oder Naturgüter – auf die Waagschale gelegt werden müssen.839 Doch auch bei dieser Spezifikation bleibt die grundlegende Gewichtungssituation erhalten. Die Beurteilung kollateraler Umweltschäden im Abwägungsprozess führt zwangsläufig zu einer mit juristischen Argumenten kaum zu beantwortenden Fragestellung: Welcher Wert kommt der natürlichen Umwelt und ihren einzelnen Bestandteilen im Abwägungsprozess zu? bb) Wertegewichtung auf Basis von Moral und Ethik Man ist geneigt, an dieser Stelle auf ethische Vorgaben menschlicher Entscheidungsfreiheit zu verweisen. Auch die Zahl derartiger Handlungssätze ist jedoch groß, ihre Inhalte nicht gleichlaufend und ihre Ergebnisse divers. Sie können nur beispielhaft bedacht werden. Anthropozentrisch geprägte Entscheidungsüberlegungen, wie sie beispielsweise Habermas aufstellt, weisen am deutlichsten auf das Dilemma der Abwägung hin: „Wenn ich [. . .] keine Wahl habe, als entweder das Schaf zu meiner Linken oder den Menschen zu meiner Rechten zu überfahren, steht es nicht in meinem Belieben, den Menschen zu überfahren um das Schaf zu schonen: Ich würde zum berechtigten Objekt moralischer Empörung.“ 840
Eine Gewichtung zugunsten des Menschen bei der Wahl einer ökologischen Ethik sei selbst bei Einbeziehung der Umwelt in die vom diesem gehaltenen Werte (beinahe) jedem vorgegeben, „weil das Schaf ein Schaf ist und der Mensch ein Mensch und weil wir Menschen sind“.841 Nun ist dieser Vergleich begrenzt in seiner Übertragbarkeit auf die dem Proportionalitätsgebot eigene Abwägung. Zumindest abstrakt argumentiert stehen 837 Solf, Commentary on Article 51, in: Bothe et al., New Rules for Victims of Armed Conflicts, Commentary on the two 1977 Protocols Additional to the Geneva Conventions of 1949, S. 127; S. 352, Rn. 2.6.2.; kritisch zu einer Beschränkung auf Extremfälle Cassese, International Law, S. 417. 838 Solf, a. a. O. 839 Hulme, War Torn Environment: Interpreting the Legal Threshold, S. 127. 840 Habermas, Die Herausforderung der ökologischen Ethik für eine anthropozentrisch ansetzende Konzeption, in: Krebs (Hrsg.), Naturethik, S. 106. 841 Habermas, a. a. O., S. 107.
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sich weder Menschen noch Schafe in direkter Erhaltungskonkurrenz gegenüber, sondern es sind militärische Vorteile mit Schäden an der Umwelt in Relation zu setzen. Dass gerade die militärischen Vorteile mit dem Erhalt von Menschenleben gleichzusetzen sind, ist in Realität nur selten einfach zu begründen. Selbst wenn, wie es z. B. Australien, Kanada und Neuseeland vertreten, die Sicherheit der eigenen Streitkräfte als Teil militärischer Vorteile anzusehen ist842, können die Interessen der angreifenden Partei nicht auf den Erhalt von Menschenleben reduziert werden. Dies gilt umso mehr, wenn der militärische Vorteil als Teil der Proportionalitätsprüfung nicht auf eine einzelne spezifische Maßnahme reduziert wird, sondern der mit der Attacke als Ganzes verfolgte Vorteil ausschlaggebend ist.843 Auf der anderen Seite der Abwägung steht selbstverständlich auch keine Schafherde, deren kollaterale Tötung durch eine Konflikthandlung in überwiegenden Fällen als normales Kriegsgeschehen deutlich unterhalb der durch das Proportionalitätsgebot gezogenen Grenzen zu beurteilen wäre. Die Realität sieht anders aus. Durch Angriffe auf Anlagen, die Öl oder andere chemische Stoffe enthalten, werden Schadstoffe in Böden und Atmosphäre freigesetzt, Flüsse ver-
842 Die genannten Staaten gaben bei Ratifikation des ZP I entsprechende Erklärungen ab. Vgl. den Wortlaut der jeweiligen Erklärung unter: https://www.icrc.org/applic/ ihl/ihl.nsf/States.xsp?xp_viewStates=XPages_NORMStatesParties&xp_treatySelected= 470 [abgerufen am 26.10.2020]. Diese Ansicht ist bis heute nicht unumstritten. In der Praxis hat sie deutliche Auswirkungen. So wurden in Vergangenheit schwere Kollateralschäden bei Bombardements aus der Luft durch Konfliktparteien damit gerechtfertigt, dass eine genauere Anvisierung des Ziels nur möglich wäre, wenn der Pilot eine niedrigere Flughöhe einnähme und sich dadurch selbst in erhöhte Gefahr brächte. Die Sicherheit des Piloten läge aber auf Seiten der militärischen Interessen in der Waagschale der Proportionalität und könne den schwereren Schaden daher rechtfertigen. Vgl. Cannizzaro, Proportionality in the Law of Armed Conflict, in: Clapham/Gaeta (Hrsg.), The Oxford Handbook of International Law in Armed Conflict, S. 338. 843 Diese Ansicht vertreten eine Reihe von Staaten, u. a. Australien, Belgien, Deutschland, Frankreich, Spanien sowie die USA und das Vereinigte Königreich in ihren jeweiligen Militärhandbüchern (vgl. die Praxisnachweise in: Doswald-Beck/Henckaerts, Customary International Humanitarian Law, ICRC Study, Band II: Practice, Parts 1 and 2, Chapter 4, Proportionality in Attack, S. 328 f., §§ 167–174. Diese Ansicht hat nachträglich in der Wortwahl des Art. 8 (2) (b) (iv) IStGH-Statut („in relation to the concrete and direct overall military advantage anticipated“, Herv. d. d.Verf.) Niederschlag gefunden und findet Unterstützung als für die Anwendung des Art. 51 (5) ZP I maßgebliche Lesart auch in den Protokollen der CDDH. Vgl. die Äußerungen des Vertreters des Vereinigten Königreichs, CDDH/SR. 41, in: CDDH, Official Records of the Diplomatic Conference on the Reaffirmation and Development of International Humanitarian Law Applicable in Armed Conflicts, Genf, 1974–1977, Band VI, S. 164, Rn. 120; zudem Solf, Article 51 AP I, in: Bothe et al., New Rules for Victims of Armed Conflicts, Commentary on the two 1977 Protocols Additional to the Geneva Conventions of 1949, S. 352, Rn. 2.6.3.; ausführlich auch Neuman, Applying the Rule of Proportionality: Force Protection and cumulative assesment in International Law and Morality, Yearbook of International Humanitarian Law 7 (2004), S. 96 ff.; a. A. Brown, The Proportionality Principle in the Humanitarian Law of Warfare: Recent Efforts at Codification, Cornell International Law Journal 10 (1976), S. 141 der die Ansichten der CDDH gegenteilig interpretierte.
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seucht, Ökosysteme langfristig geschädigt und in Konsequenz Zivilbevölkerungen und deren nachhaltige Entwicklung ernsthaft bedroht. Während das humanitäre Völkerrecht der einzelnen Schafsherde meist mit relativer Gleichgültigkeit begegnen darf, sind letztere Gefahren durch geltendes Recht maßgeblich in den Abwägungsprozess miteinzubeziehen. Doch bleibt das Proportionalitätsgebot eine Abwägung von Werten – militärischen, humanitären, ökologischen.844 Sie ist schon ohne Einbeziehung der Umwelt kaum zu lösen. „[C]enturies of discussion by philosophers and jurists about the meanings of necessity and proportionality in human affairs do not seem to have produced general definitions capable of answering concrete issues.“ 845
Die Frage der Werthaftigkeit der Umwelt ist im Vergleich zu dieser Diskussion jung. Die ökologische Ethik konnte noch nicht einmal weitgehend einstimmig die vorgelagerte Frage des Ursprungs der Werthaftigkeit der Umwelt beantworten846; weder ihre grundsätzliche Beantwortbarkeit noch die Bedeutung einer Antwort steht fest.847 Das (humanitäre) Völkerrecht ist einer Antwort nicht näher. Grundkonzepte jedes Rechtsgebiets, so argumentiert Schmitt, werden durch Kodifizierung greifbarer.848 In keinem anderen Rechtsgebiet als dem humanitären Völkerrecht wird dies deutlicher. Jede seiner Normen kann auf die Abwägung humanitärer Bewahrungs- mit militärischen Handlungsinteressen zurückgeführt werden. Für die Abwägung vorhersehbarer Umweltschäden in nichtinternationalen bewaffneten Konflikten besteht jedoch keine kodifizierte Spezialvorschrift, die als Orientierungshilfe eine Gewichtungsentscheidung dienen könnte. Art. 35 (3) und 55 ZP I, die als äußerstes Maß einer Abwägung Grenzen setzen könnten, sind durch ihren Fundort im ZP I in ihrer Wirkungsentfaltung auf internationale bewaffnete Konflikte beschränkt. Eine vergleichbare, vertraglich normierte Vor844 Schmitt, Green war: an assessment of the environmental law of international armed conflict, The Yale Journal of International Law 22 (1997), S. 55 f.; Desgagné, The Prevention of Environmental Damage in Time of Armed Conflict: Proportionality and Precautionary Measures, Yearbook of International Humanitarian Law 3 (2000), S. 117. 845 Schachter/Kalshoven, Implementing Limitations on the Use of Force: The Doctrine of Proportionality and Necessity – Remarks by Oscar Schachter, Proceedings of the Annual Meeting (American Society of International Law) 86 (1992), S. 39; zitiert bei Desgagné, The Prevention of Environmental Damage in Time of Armed Conflict: Proportionality and Precautionary Measures, Yearbook of International Humanitarian Law 3 (2000), S. 116. 846 Zu den Begründungsvarianten statt vieler Krebs, Ethics of Nature. 847 Alexander Gillespie, der sich über Jahre intensiv mit der umweltethischen Begründbarkeit völkerrechtlicher Maßnahmen zum Schutz der Umwelt beschäftigt hatte, lehnte eine Entscheidung für eine ethische Begründung umweltrelevanten Handelns letztlich ab. Er plädiert stattdessen für einen moralischen Pluralismus („moral pluralism“). Vgl. die zweite Auflage seines Werks: Gillespie, International Environmental Law, Policy, and Ethics, S. 3. 848 Schmitt, Green war: an assessment of the environmental law of international armed conflict, The Yale Journal of International Law 22 (1997), S. 56.
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schrift für nichtinternationale Konflikte findet sich zumindest derzeit nicht. Selbst bei Annahme zukünftiger Geltung einer entsprechenden Vorschrift durch Vertrags- oder Gewohnheitsrecht auch für diese Konfliktform, wäre die Abwägungsentscheidung nur wenig vereinfacht – der in Art. 35 (3) und 55 ZP I maßgebliche Begriff des (weiträumigen, langanhaltenden und schwerwiegenden) Umweltschadens ist erneut ein unbestimmter und in der Praxis kaum handhabbarer Rechtsbegriff. Muss mangels kodifizierter Umweltschutznormen noch immer davon ausgegangen werden, dass dem Erhalt der Umwelt im nichtinternationalen Konflikt keinerlei Bedeutung zukommt und dass das Rechtssystem einen entsprechenden Bewahrungsanspruch gänzlich außenvor lässt, sodass eine Abwägung, ähnlich wie im Habermas’schen Beispiel der Schafherde, zwingend zu Lasten der Umwelt entschieden werden muss? Die heutige Anerkennung menschlicher Abhängigkeit von der Umwelt, das Bestehen von Umweltschutzbestrebungen auf nationaler wie globaler Ebene, die Existenz eines stetig wachsenden Netzes völkerrechtlichen Umweltschutzes sowie die Momente des Aufschreis auch der Akteure humanitären Völkerrechts im Angesicht gravierender Umweltschäden in jeder Form bewaffneter Konflikte – diese und weitere Argumente lassen eine derart einfache, einseitige Abwägungslösung nicht mehr zu. Doch anhand welcher Maßstäbe ist die Proportionalitätsprüfung eines Umweltkollateralschadens dann vorzunehmen? Unser System moralischer Werte, beziehungsweise das durch die internationale Gemeinschaft als maßgeblich anerkannte Wertesystem, sei, so Schmitt, unsere einzige verbleibende Richtschnur.849 Dass individuelle Moral nicht Maßstab zulässiger Kriegshandlungen sein kann, liegt auf der Hand. Ob aber die internationale Gemeinschaft bereits über ein die Umwelt einbeziehendes, kohärentes Wertesystem geteilter Moralvorstellungen verfügt, welches operabler Maßstab einer Abwägungsentscheidung zu sein vermag, kann nicht leichtfertig angenommen werden. Jede wertebasierte Entscheidung, gleichwohl ob sie im Namen einer angeblichen globalen Überzeugung der internationalen Gemeinschaft oder auf Basis scheinbar anerkannter ethischer Entscheidungssätze basiert, birgt die Gefahr rechtlicher Unsicherheit und Widersprüchlichkeit. Werthaftigkeit ist letztlich ein kulturelles und kontextabhängiges Konzept.850 Ob die Zerstörung eines Naturschutzgebiets, der Jahresernte eines Dorfes oder des Lebensraumes einer bedrohten Spezies, die Verschmutzung der Luft oder eines Gewässers oder die Verstärkung globaler Erderwärmung durch den Gebrauch von Kriegsmitteln in Relation zu einem militärischen Vorteil stehen kann, wird selbst innerhalb eines Kulturkreises, ja sogar innerhalb einer Bevölkerungsgruppe unterschiedlich bewertet 849 850
Schmitt, a. a. O., S. 56. Ibid.
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werden. Zudem ist der Wert der Umwelt im zeitlichen Verlauf in zweierlei Hinsicht wandelbar: Was noch vor wenigen Jahrzehnten oder auch nur Jahren als akzeptable Zerstörung der Umwelt gewertet worden wäre, mag angesichts eines erstarkten Umweltbewusstseins vieler Bevölkerungen heute als unzulässig angesehen werden.851 Je nachdem, an welcher ethischen Begründung der Wert der Umwelt gemessen wird, werden sich unterschiedliche Abwägungsergebnisse ergeben. Ein Wald, dessen Wert in der Proportionalitätsabwägung allein auf Basis seines Nutzens als Rohstoffquelle für den Menschen bestimmt wird, kann darüber hinaus in Folge einer ökozentrischen umweltethischen Haltung auch als wertvoll in sich selbst und daher in höherem Maß als schützenswert verstanden werden.852 Je nach der durch den Entscheidungsträger im Einzelfall vertretenen ethischen Leitlinie wird das Gewicht des Erhaltungsinteresses zu bewerten sein. Selbst wenn eine anthropozentrische Ethik als logische Schlussfolgerung des dem Menschen gewidmeten und auf Humanität fokussierten ius in bello als einzig valide Ethik der Wertermittlung zugrunde gelegt wird, ergeben sich je nach konkreter Begründung des instrumentellen Umweltwerts höchstwahrscheinlich Unterschiede in der Wertegewichtung.853 So könnte der eben erwähnte Wald erneut allein als Ressourcenquelle der Grundbedürfnisse der Menschen gesehen werden oder aber in einem erweiterten Verständnis anthropozentrischer Werte aufgrund seiner besonderen Erscheinung als schützenswertes Gut menschlicher Ästhetik klassifiziert werden.854 In Staaten mit höherem Wohlstandsstandard und einer aufgeklärten und liberalen Öffentlichkeit dürfte die Anerkennung des Letzteren, zumindest im gesellschaftlichen Diskurs, häufiger zu einer für den Erhalt der Umwelt positiven Gewichtung führen.855 In Konfliktregionen, in denen natürliche Ressourcen Man851 So auch Desgagné, The Prevention of Environmental Damage in Time of Armed Conflict: Proportionality and Precautionary Measures, Yearbook of International Humanitarian Law 3 (2000), S. 116; Tarasofsky, Protecting specially important areas during international armed conflict, S. 30; Bothe, The Protection of the Environment in Times of Armed Conflict, German Yearbook of International Law 34 (1991), S. 56. 852 Beispiel bei Schmitt, Green war: an assessment of the environmental law of international armed conflict, The Yale Journal of International Law 22 (1997), S. 57. 853 Allein sieben deutlich voneinander abzugrenzende Begründungen anthropozentrischer Ethik sind bei Krebs, Ethics of Nature, S. 27 ff. zu finden. So könne der Wert der Umwelt u. a. aus ihrer Eigenschaft als Befrieder menschlicher Grundbedürfnisse, aufgrund ihrer ästhetischen oder pädagogischen Attribute oder auch ihrem Wesenszug als „Heimat“ des Menschen ermittelt werden. 854 Vgl. insb. das Kriterium vii der WHC zur Klassifikation eines Gebiets als Weltnaturerbe (die Kriterien sind abzurufen unter: http://whc.unesco.org/en/criteria/ [abgerufen am 26.10.2020]. 855 Dass militärische Entscheidungsträger des gleichen Staats im Einzelfall zu einer mit der gesellschaftlichen Überzeugung übereinstimmenden Abwägungsentscheidung kommen werden, ist allerdings eine zu trennende Frage. Schon politische Entscheidun-
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gelware sind und die Erfüllung menschlicher Grundbedürfnisse nicht gesichert ist, werden ästhetische und andere immaterielle Wertigkeiten dagegen weniger ausschlaggebend sein. Die Identifikation einer einheitlichen Leitlinie globaler Wertermittlung kann allein auf Basis moralischer Wertentscheidungen nicht gelingen; schon gar nicht in der Auseinandersetzung eines Nationalstaats mit bewaffneten Gruppen, deren Differenzierungsmerkmal oft auch in einem markanten Wohlstandsgefälle liegt. Wenn die Entscheidung über den Angriff darüber hinaus letztlich von der Person des Befehlshabenden abhängt, ist es sein oder ihr individuelles Werteempfinden, das innerhalb eines extrem weiten Ermessensrahmens de facto über die Herbeiführung von Umweltschäden entscheidet.856 In Abwesenheit vereinbarter regionaler oder internationaler Wertegewichtungen kann die von ihr oder ihm gewählte Wertung tatsächlich nur in Extremfällen beanstandet werden. Das Proportionalitätsgebot scheint der Umwelt folglich nur in derartigen Sonderfällen Schutz vor Kollateralschäden vermitteln zu können.857 Selbst in Extremfällen ist seine Effektivität durch die ungewisse Werteentscheidung angreifbar. cc) Regimefremde Prinzipien als Gewichtungsargumente? Das offensichtliche Fehlen einer Vorentscheidung humanitären Völkerrechts zur Ermittlung der Proportionalität beinhaltet jedoch gleichwohl eine Chance: Womöglich erlaubt die Unbestimmtheit und Offenheit der Grundprinzipien die Beachtung systemfremder Rechtsnormen, durch deren Vorgaben sodann der Abwägungsprozess des Proportionalitätsgebots informiert werden könnte. Derzeit noch zögerliche Überlegungen, unter anderem auch durch Mitglieder der ILC858, gen werden häufig genug nicht der mehrheitlichen Überzeugung einer Gesellschaft entsprechen. Das zugesprochene Gewicht militärischer Notwendigkeit wird zudem von der Situation der konkreten Gesellschaft abhängen. Findet der fragliche Konflikt beispielsweise nicht auf dem eigenen Territorium statt, wird die Notwendigkeit der Zerstörung gesellschaftlich nochmals anders bewertet werden. 856 ICTY, Final Report to the Prosecutor by the Committee established to review the NATO Bombing Campaign against the Federal Republic of Yugoslavia, International Legal Materials 39 (2000), Rn. 49; zitiert bei Bothe, The Protection of the Civilian Population and NATO Bombing on Yugoslavia: Comments on a Report to the Prosecutor of the ICTY, European Journal of International Law 12 (2001), S. 535. 857 So auch Schmitt, Green war: an assessment of the environmental law of international armed conflict, The Yale Journal of International Law 22 (1997), S. 61. 858 ILC, Report of the International Law Commission on the Work of its 66th Session 2014, UN GAOR 69th Session, Supp. No. 10, A/69/10, Rn. 208 f.; zudem auch Dienelt/ Sjöstedt, Is the ILC’s work enhancing protection for the environment in relation to warfare? A reply to Stavros-Evdokimos Pantazopoulos and Karen Hulme, Questions of International Law 34 (2016), S. 56. Auch die Kommentierung der ILC Draft Principles von 2019 verweist nunmehr darauf, dass das Kriegsrecht zwar lex specialis zu anderen Rechtsregimen sei, andere Regeln des Völkerrechts, insbesondere das Umweltvölkerrecht sowie die Menschenrechte weiterhin auch während bewaffneter Konflikte Relevanz besäßen und den Schutz der Umwelt in diesem Kontext stärken könnten (siehe (5) der Kommentierung zu Draft Principle 13, in: ILC, Report of the International Law
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sehen die Unbestimmtheit als Ansatzmöglichkeit für Rechtsprinzipien, deren Ursprung außerhalb des humanitären Völkerrechts liegt. Sie plädieren für eine Abschwächung des grundsätzlich anerkannten lex specialis-Charakters humanitären Völkerrechts. Die umweltvölkerrechtlichen Prinzipien der intra- und intergenerationellen Gerechtigkeit sowie das Dachkonzept nachhaltiger Entwicklung859 könnten, so die Vertreter dieser Ansicht, womöglich auch in nichtinternationalen Konflikten in die Proportionalitätsanalyse zur Stärkung umweltbewahrender Abwägungsinteressen mit einfließen und so das Gewicht der Umweltbewahrungsinteressen stärken.860
Commission on the Work of its 71st Session 2019, UN GAOR 74th Session, Supp. No. 10, A/74/10, S. 251). 859 Das Prinzip intergenerationeller Gerechtigkeit geht davon aus, dass jede Generation die Erde und ihre Schätze gemeinsam mit zukünftigen Generationen hält. Die Ressourcen der Erde dürfen zwar zum Wohlstand derzeitiger Generationen genutzt werden, der in dem Prinzip verankerte Gedanke der Fairness erlaubt die Nutzung der Reichtümer und Ressourcen des Planeten jedoch nicht auf Kosten zukünftiger Generationen. Diesen soll der Genuss der Erde nicht durch die heutige Generation entzogen werden (einführend: Weiss, Intergenerational Equity, in: Wolfrum (Hrsg.), The Max Planck Encyclopedia of Public International Law, opil.ouplaw.com/home/EPIL, Rn. 5–7). Das Prinzip nachhaltiger Entwicklung bezeichnet ebenso ein Verhalten, das den Bedürfnissen derzeitiger Generationen dient, ohne die Möglichkeiten noch kommender Generationen zu gefährden. Es bezieht sich dabei nicht nur auf ökologische, sondern auch auf soziale und ökonomische Aspekte. Durch nachhaltige Entwicklung soll sowohl innerhalb der jetzigen Generation als auch in Bezug auf noch folgende Generationen eine faire Verteilung von Ressourcennutzungsmöglichkeiten und Überlebenschancen erwirkt werden. Darüber hinaus werden dem Konzept die Prinzipien der Gerechtigkeit, der Vorsorge hinsichtlich der menschlichen Gesundheit und dem Wohlergehen der Umwelt, dem Recht auf Zugang zu Informationen sowie einer verantwortungsbewussten Regierungsführung (good governance) zugeschrieben. (grundlegend: World Commission on Environment and Development, Our Common Future, Annex to A/42/427 (Brundtland Report); zu den variierenden Inhalten: Fitzmaurice, Contemporary Issues in International Environmental Law, S. 69 sowie ausführlich Gehne, Nachhaltige Entwicklung als Rechtsprinzip, S. 107 ff.; einführend zum Konzept nachhaltiger Entwicklung: Beyerlin, Sustainable Development, in: Wolfrum (Hrsg.), The Max Planck Encyclopedia of Public International Law, opil.ouplaw.com/home/EPIL, Rn. 1). Die Abgrenzung der sich überschneidenden Prinzipien wird bislang nicht einheitlich vollzogen. So wird das Prinzip der Generationengerechtigkeit teils als unabhängige Konsequenz des Konzepts nachhaltiger Entwicklung verstanden, teils als dessen Ursprung (vgl. Weiss, Intergenerational Equity, in: Wolfrum (Hrsg.), The Max Planck Encyclopedia of Public International Law, opil.ouplaw.com/home/EPIL, Rn. 1; Beyerlin, Sustainable Development, in: Wolfrum (Hrsg.), The Max Planck Encyclopedia of Public International Law, opil.ouplaw.com/home/EPIL, Rn. 10). Zwar kann einer der Ursprünge des Konzepts nachhaltiger Entwicklung in dem Prinzip der Generationengerechtigkeit gesehen werden, dieses ist mittlerweile jedoch umfassender und weiterreichend. Gemeinsam ist beiden Konzepten die anthropozentrische Fokussierung auf den Menschen und dessen Bedürfnisse, die auch jede Auslegung des humanitären Völkerrechts mitbestimmt (vgl. World Commission on Environment and Development, Our Common Future, Annex to A/42/427, S. 54). 860 ILC, Report of the International Law Commission on the Work of its 66th Session 2014, UN GAOR 69th Session, Supp. No. 10, A/69/10, Rn. 208 f.; ausführlich zum Ein-
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Diese Idee ergibt auf den ersten Blick Sinn, denn obwohl die Prinzipien des Umweltvölkerrechts einem speziellen Rechtsregime entfließen, das von dem System des humanitären Völkerrechts traditionell zu trennen ist, sind die hinter den Prinzipien stehenden Grundideen dem humanitären Völkerrecht nicht fremd. Die genannten Prinzipien stellen gleichzeitig starke moralische Argumente sowie Überlegungen praktischer Vernunft dar. Dass durch bewaffnete Konflikte verursachte Zerstörungen nicht derart gravierend sein dürfen, dass sie kommende Generationen den Genuss der Erde und ihrer Umwelt entziehen oder die soziale, kulturelle oder wirtschaftliche Entwicklung eines Staates oder einer Region nachwirkend hindern, ist eine wohl annähernd global geteilte Vernunftüberlegung auch zur Vermeidung zukünftiger Konflikte in einer Region. Auch das Prinzip der Humanität als allgegenwärtiges Kontergewicht militärischer Notwendigkeit kann als Dach für Überlegungen nachhaltiger Entwicklung und Interessen zukünftiger Generationen dienen. Wenigstens in Theorie kann es daher gleichermaßen in Richtung der Umwelterhaltung deuten. Die Berücksichtigung der hinter den Prinzipien stehenden Vernunftüberlegungen, sei es nun durch eine dynamisch-evolutive Interpretation des humanitären Völkerrechts mit Blick auf das Friedensumweltrecht861 oder durch Einbeziehung ethischer Vorgaben ähnlichen Inhalts, ist daher keine revolutionäre Überlegung zur Fortentwicklung humanitären Völkerrechts. Es ist vielmehr eine Frage der Wertschätzung der Umwelt in ihrer Rolle für das Wohlergehen der Menschen. Der Begriff der Humanität ist grundsätzlich weit genug, um diese Überlegungen zu fassen. Spätestens durch die bislang bereits ermittelte positivrechtliche Verankerung des Interesses der Umweltbewahrung im humanitären Vertragsrecht ist die Heranziehung von Umweltschutzerwägungen schließlich bereits jetzt Pflicht eines Entscheidungsträgers. Das Novum einer Einbeziehung umweltvölkerrechtlicher Prinzipien läge – neben einer freilich für die Völkerrechtswissenschaft beachtlichen Neujustierung des Verhältnisses von Friedensumweltrecht und humanitärem Völkerrecht – wohl höchstens in dem erhöhten Gewicht nachhaltiger Umwelterhaltung gegenüber gegenlaufenden militärischen Interessen in der Einzelfallentscheidung. Ob ein Entscheidungsträger in einem solchen Einzelfall der Erhaltung der Umwelt vor dem Hintergrund der Interessen zukünftiger Generationen oder einer nachhaltigen Entwicklung verstärkt Gewicht zuweisen wird, ist dann aber erneut nur im Extremfall ersichtlich.
fluss des Prinzips nachhaltiger Entwicklung sowie dessen spezielleren Ausformungen auf das Recht bewaffneter Konflikte: Das, Environmental Protection, Security and Armed Conflict: A sustainable development perspective, S. 120 ff., insb. S. 142. Das sieht allerdings große Schwierigkeiten bei der Verfolgung der Prinzipien in Zeiten bewaffneter Konflikte. Sie plädiert daher dafür, das Augenmerk auf Konfliktprävention und Wiederaufbau in post-Konflikt-Phasen zu legen (ibid., S. 181). 861 Befürwortend u. a. Dam-de Jong, International law and resource plunder, Yearbook of International Environmental Law 19 (2008), S. 55 m.w. N.
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Ob die vorzunehmende Proportionalitätsanalyse durch die Heranziehung umweltrechtlicher Prinzipien und Konzepte objektiviert beziehungsweise zu Gunsten der Umwelt maßgeblich beeinflusst werden kann, bleibt damit fraglich. Die genannten Prinzipien des Umweltvölkerrechts sind in Aussage und Wirkungsweise weder gefestigt noch stärker konkretisiert als es das Proportionalitätsgebot selbst ist.862 Anders als Letzteres ist die Existenz des Prinzips der Generationengerechtigkeit sowie des Konzepts nachhaltiger Entwicklung als staatenverpflichtende Handlungs- beziehungsweise Unterlassungspflichten international noch nicht einmal umfassend anerkannt und konkretisiert.863 Als reine Rechtsprinzipien formuliert, käme ihnen selbst bei Annahme vollständiger Etablierung im Völkerrecht zunächst auch nicht der Zweck zu, eine Entscheidung durch konkrete Vorgaben zu informieren. Die Konzepte beziehungsweise Prinzipien sind selbst, ähnlich wie das Prinzip der Proportionalität, auslegbare und auslegungsbedürftige Grundsätze, die eine Entscheidung im Einzelfall kaum mit Sicherheit vorherbestimmen können. Und doch gilt auch hier: Je stärker die Prinzipien international in Politik und Recht verankert sind, desto eher wird ein vernunftgesteuerter Entscheidungsträger aufgrund von ihnen eine feindliche Handlung, die zur Gefährdung der in den Prinzipien enthaltenden Werten führen könnte, unterlassen oder modifizieren.864 Allein schon aus diesem Grund ist diese Überlegung nicht vergebens. 862 ILC, Preliminary Report on the Protection of the Environment in Relation to Armed Conflicts, 30. Mai 2014, submitted by Marie G. Jacobsson, Special Rapporteur, A/ CN.4/674, Rn. 122; Fitzmaurice, Contemporary Issues in International Environmental Law, S. 67, 110. 863 Vgl. Special Rapporteur Jacobsson, die die Unsicherheiten hinsichtlich des Inhalts und der Bindungswirkung der Konzepte beziehungsweise Prinzipien deutlich anspricht: ILC, Preliminary Report on the Protection of the Environment in Relation to Armed Conflicts, 30. Mai 2014, submitted by Marie G. Jacobsson, Special Rapporteur, A/CN.4/674, Rn. 122 ff. Ob u. a. das Vorsorgeprinzip mittlerweile bindendes Völkergewohnheitsrecht für alle Staaten darstellt, ist nicht abschließend geklärt. Starke Argumente sprechen zwar für eine zumindest regionale Geltung des Prinzips als Gewohnheitsrecht insb. in Europa (die Verankerung des Vorsorge- und Vorbeugungsprinzips in Art. 191 (2) AEUV als Grundsatz der Umweltpolitik der EU-Staaten kann als Ausdruck von opinio iuris der beteiligten Staaten gewertet werden), ob darüber hinaus aber eine weltweit anerkannte Norm des Gewohnheitsrechts besteht, kann nicht mit Sicherheit angenommen werden. Einige Autoren bezeichnen das Prinzip daher als Gewohnheitsrecht im Entstehen. Vgl. Schröder, Precautionary Approach/Principle, in: Wolfrum (Hrsg.), The Max Planck Encyclopedia of Public International Law, opil.ouplaw.com/home/ EPIL, Rn. 16; Zander, The Application of the Precautionary Principle in Practice, S. 328; ausführlich Erben, Das Vorsorgegebot im Völkerrecht, insb. S. 245 ff. Auch die eng miteinander verbundenen Konzepte nachhaltiger Entwicklung sowie der Generationengerechtigkeit sind bislang nicht zwingend bindende Prinzipien internationalen Rechts. Zu der unsicheren Einordnung sowie dem Verhältnis der Konzepte zueinander: Das, Environmental Protection, Security and Armed Conflict: A sustainable development perspective, S. 10 ff. 864 Erneut vorausgesetzt, dass auch nichtstaatliche Entscheidungsträger die Rechtslage sowie die in die Abwägung einzubeziehenden Überlegungen kennen. Die Aufklä-
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Konkretere Gewichtungsvorgaben ergäben sich dagegen durch die Beachtung der Wertentscheidungen und -kriterien spezieller umweltvölkerrechtlicher Verträge und insbesondere solcher Verträge, die bestimmte Regionen wie ästhetisch oder kulturell bedeutsame Schauplätze im Sinne der WHC oder Feuchtgebiete nach der Ramsar-Konvention unter speziellen Schutz stellen. Die mit der Eintragung der Gebiete auf eine entsprechende Schutzliste verbundene Wertanerkennung könnte die Wertungsentscheidung der Analyse zugunsten der Umwelterhaltung beeinflussen. Insoweit die Fortgeltung und die Fortwirkung des entsprechenden Umweltschutzvertrags während nichtinternationaler bewaffneter Konflikte gegeben sind, könnte zumindest die staatliche Partei gebunden sein, die durch den Umweltvertrag ausgedrückte Werthaftigkeit der Region oder Ressource in der Abwägung besonders zu gewichten. Nichtstaatliche Konfliktparteien, die durch den umweltvölkerrechtlichen Vertrag nicht unmittelbar verpflichtet werden können, wären allerdings nur schwer durch eine derartige Überlegung zu fassen. Der mit diesem Ansatz verbundenen Herausforderungen wird an späterer Stelle865 bedacht. Im Kontext des Proportionalitätsgebots genügt es zu bedenken, dass die gewohnheitsrechtliche Pflicht der Verhältnismäßigkeitsabwägung zumindest derzeit noch nicht durch eine auf die Fortgeltung friedensrechtlicher Verträge gerichtete opinio iuris modifiziert wurde. Die Beachtung weiterer völkerrechtlicher Verpflichtungen im Rahmen der Entscheidung über eine Attacke ist dadurch nicht ausgeschlossen. Humanitäres Völkerrecht verlangt die Abwägung der Erhaltungs- und Handlungsinteressen; allgemeines Völkerrecht beziehungsweise spezielle Verträge des Umweltvölkerrechts verlangen möglicherweise Zusätzliches. d) Grenzen und Ausblick aa) Unsichere Abwägungsgewichtung Das Proportionalitätsgebot bietet im nichtinternationalen bewaffneten Konflikt enormes Potenzial zum Schutz der Umwelt als ziviles Objekt. Das Ausmaß seiner Schutzwirkung im Einzelfall ist allerdings von der Abwägung gegengelagerter Interessen bestimmt, die auch davon abhängt, welcher Wert dem Erhalt der Umwelt und ihrer Komponenten beigemessen wird. Konzepte der Nachhaltigkeit oder der ethisch-moralischen Wertschätzung der Umwelt werden sich bei Vorhandensein militärischer Interessen an einem Angriff nur in seltenen Fällen in der konkreten Abwägung durchsetzen. Eine stärkere Berücksichtigung auch drohender Umweltgefahren kann vor dem Hintergrund eines erstarkten Bewusstseins für die Notwendigkeit eines nachhaltigen Umgangs mit der Umwelt zwar auf
rung aller Parteien über relevante Rechte und Pflichten (seien sie rechtlicher Art oder Konsequenz von Vernunftüberlegungen) ist erneut zwingende Voraussetzung effektiven Schutzes. 865 3. Teil, § 2.
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2. Teil: Das geltende Recht und seine Wirkung zum Erhalt der Umwelt
Druck internationaler Akteure oder Zivilgesellschaften erwirkt werden, ihr Einfluss wird jedoch häufig nicht bis zu den Konfliktparteien gerade nichtinternationaler Auseinandersetzungen vordringen. Solange eine ausreichende Berücksichtigung negativer Umweltfolgen in der Abwägungsentscheidung nicht gesichert ist, kann das Proportionalitätsgebot keinen sicheren Schutz verleihen. Diesem Problem kann grundsätzlich auf zwei Pfaden begegnet werden: Als erste Alternative bietet sich zweifelsohne die Kodifizierung der Gewichtungsentscheidung durch spezielle Schutznormen des humanitären Völkerrechts, wie sie z. B. im Fall feindlicher Handlungen gegen ganz bestimmte Anlagen, die gefährliche Kräfte beinhalten, bestehen.866 Solche Normen können, losgelöst vom Einzelfall, die Abwägungsentscheidung vorwegnehmen. Im Recht nichtinternationaler Konflikte sind sie jedoch selten; ihre zukünftige Entstehung ist derzeit wenig wahrscheinlich. Bothe und weitere schlagen als zweite Alternative daher die Erörterung typischer Konfliktszenarien in internationalen Expertengruppen vor.867 Diese könnten Richtlinien für die Proportionalitätsprüfung in bestimmten Fallkategorien erstellen.868 Letztlich bleibt die Abwägungsentscheidung aber eine individuelle Balance von Werten, die niemals frei von subjektiven Einschätzungen sein kann.869 Relevanter noch zum Schutz der Umwelt ist daher die Maxime, ein globales Umweltbewusstsein zum Erstarken zu bringen, das, unabhängig von der Wahl der ihn begründenden Umweltethik, den Wert der Umwelt und ihrer Komponenten für jede Gesellschaft in Krieg und in Frieden kenntlich macht. Wäre die Notwendigkeit des nachhaltigen Erhalts der Umwelt eine jedem Entscheidungsträger bekannte Überlegung, wie es beispielsweise der Schutz der am Konflikt nicht beteiligten Personen ist, so wäre die Gefahr gravierender Umweltkollateralschäden geringer.870 Die Erreichbarkeit dieses Wertewandels auf globaler Ebene ist die Aufgabe aller Gesellschaften. Ob ein entsprechendes Bewusstsein am Ende genügen wird, um im Extremfall zu Gunsten der Erhaltung zu entscheiden, ist selbst in diesem Fall jedoch nicht gesichert. bb) Nachträgliche Überprüfung Zu den genannten Wertungsproblemen gesellt sich zuletzt die Frage der objektiven Überprüfbarkeit der Proportionalitätsentscheidung. Als Streitkräfte der 866
Vgl. Art. 15 ZP II. Bothe et al., International law protecting the environment during armed conflict: gaps and opportunities, International Review of the Red Cross 92 (2010), S. 578. 868 Ibid. 869 Dröge/Tougas, The protection of the natural environment in armed conflict – Existing rules and need for further legal protection, Nordic Journal of International Law 82 (2013), S. 32. 870 Das Aufstellen einer klaren Verhaltensregel führt allerdings nicht zwingend zu ihrer Einhaltung. Auch das Gebot der Schonung der Zivilbevölkerung wird oft genug verletzt. 867
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NATO-Staaten 1999 das Gebiet des ehemaligen Jugoslawiens bombardierten und dadurch schwerwiegende kollaterale Umweltschäden verursachten871, stand den Entscheidungsträgern mit hoher Wahrscheinlichkeit ein weit größeres Maß an Informationen zu den schädlichen Folgen des Bombardements für die natürliche Umwelt zur Verfügung, als dies für den Großteil nichtstaatlicher Gruppen in nichtinternationalen Konflikten weltweit jemals der Fall sein dürfte, dennoch entschied sich das durch die damalige Chefanklägerin des ICTY einberufene Komitee zur völkerrechtlichen Beurteilung des Einsatzes ausdrücklich gegen eine Empfehlung der weiteren Untersuchung kollateraler Umweltschäden. Dies begründete das Komitee mit den investigativen und rechtlichen Schwierigkeiten bei der Beurteilung der Proportionalität. Die Beurteilung setze Wissen über den Kenntnisstand der NATO hinsichtlich des Charakters der als Ziel ausgewählten Industrieanlagen sowie der dortigen Lagerung von Chemikalien voraus. Es müsse zudem ermittelt werden, inwieweit die Verursachung von Umweltschäden in dem tatsächlich verursachten Ausmaß für die NATO vorhersehbar gewesen war und ob ihr alternative, umweltverträglichere, Kampfmethoden zur Verfügung standen.872 Zwar bezweifelte das Komitee nicht die Bindung der Parteien an das Gebot, indem es aber davon ausging, dass eine Analyse der Einhaltung des Proportionalitätserfordernisses kaum durchführbar sei, sprach es dem Gebot in großem Maß Wirkung ab.873 Die durch das Komitee aufgeworfenen Fragen wären, wenn auch mit erhöhtem Investigationsaufwand, durchaus zu beantworten gewesen. Das Ausweichen des Komitees ist die ernstzunehmende Folge der mit dem Proportionalitätsgebot in Wissenschaft und Praxis verbundenen Unsicherheiten sowie des nicht zu vernachlässigenden Aufwands in der Prüfung eines auch subjektiven Prognosemaßstabs. Derartige Praxisbeispiele sind, zumal die Befassung internationaler Bewertungsgremien mit Umweltzerstörungen im Rahmen von Konflikten sowieso selten ist, dennoch Gift für die Nutzung des Proportionalitätsgebots zum Schutz der Umwelt in zukünftigen Fällen. Nicht nur wurde eine Gelegenheit zur Klärung der Wertungsschwierigkeiten verpasst, eine inhaltliche Bewertung hätte, unabhängig von ihrem Ergebnis, ein starkes Signal zur Bestätigung der Relevanz auch der Umwelterhaltung im humanitären Völkerrecht gesendet. 871 Anders als im Fall der Ölbrände in Kuwait oder der Entlaubung vietnamesischer Wälder war die Umwelt im Jugoslawienkonflikt nicht Ziel feindlicher Angriffe, sondern lediglich kollaterales Opfer von auf andere militärische Ziele gerichteter Handlungen, dennoch waren zunächst ähnlich schwere Umweltschädigungen befürchtet worden. 872 ICTY, Final Report to the Prosecutor by the Committee established to review the NATO Bombing Campaign against the Federal Republic of Yugoslavia, International Legal Materials 39 (2000), Rn. 24. Zudem sei das Ausmaß der Umweltschäden sowohl zum Zeitpunkt der Beurteilung wie auch auf lange Frist unbekannt und nur schwer zu beurteilen (Rn. 23). 873 Kritisch zur Entscheidung des Komitees auch Benvenuti, The ICTY Prosecutor and the Review of the NATO Bombing Campaign against the Federal Republic of Yugoslavia, European Journal of International Law 12 (2001), S. 509 f.
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2. Teil: Das geltende Recht und seine Wirkung zum Erhalt der Umwelt 4. Bewertung
Das Proportionalitätsgebot ist von Grund auf kein Instrument zur Vorbestimmung spezifischer Unterlassungsgebote in bewaffneten Konflikten.874 Eine Abwägungsentscheidung kann nur anhand jedes Einzelfalls vollzogen werden. In Sachverhalten, in denen weder der militärische Vorteil noch der befürchtete Schaden klar überwiegt, ist das jeweilige Ergebnis der Abwägung von der individuellen Wertehaltung der Entscheidungsträger abhängig. Dies ist aber nicht nur Nachteil des Prinzips, sondern gleichzeitig Garant seiner Flexibilität, ohne die eine Anwendung auch auf unvorhergesehene Fälle kaum wirksam möglich wäre. In einem Rechtsregime wie dem humanitären Völkerrecht, in dem die Neuentwicklung von Schutznormen oft mehrere Jahrzehnte in Anspruch nimmt und aufgrund der Zurückhaltung vieler relevanter Staaten nur begrenzt möglich ist, ist eine unbestimmte aber auf alle Sachverhalte anwendbare Richtlinie von mindestens ebenso großer Bedeutung, wie es eine präzise aber dafür eng umgrenzte Spezialvorschrift zu sein vermag. Dies zeigt sich deutlich in Bezug auf die natürliche Umwelt und ihren Schutz gerade in nichtinternationalen Konflikten. Wo politischer Wille zur Kodifikation spezieller Schutzvorschriften fehlt, kann das Proportionalitätsgebot dem in den letzten Jahrzehnten entstandenen und gewachsenen Umweltbewusstsein der internationalen Gemeinschaft im humanitären Völkerrecht Wirkung verleihen. Dass die in dem Gebot enthaltene Wertegewichtung nicht vorgegeben ist, sondern sich auch über die Zeit verändern kann, muss daher nicht nur als Mangel, sondern auch als Möglichkeit verstanden werden. Die Offenheit des Gebots ermöglichte auch die eher unproblematische Ausdehnung seines Anwendungsbereichs auf den zuvor kaum beachteten Fall gravierender Umweltzerstörungen im Verlauf der 1990er Jahre. Dennoch liegen die Grenzen der Abwägungspflicht auf der Hand. Ist schon in Friedenszeiten eine nachhaltige Umweltpolitik aufgrund fehlenden politischen Willens, Armut oder mangelhaften Wissens nicht gesichert, sind die Chancen, dass der Erhalt einer sauberen Umwelt, funktionierender Ökosysteme oder natürlicher Ressourcenvorkommen im Ausnahmefall bewaffneter Konflikte Beachtung erhält, wenig realistisch. Zudem fehlt, anders als in internationalen Konflikten, in denen Art. 35 (3) und 55 ZP I eine absolute Schranke zulässiger Kollateralschäden aussprechen, in nichtinternationalen Konflikten eine vertraglich normierte Grenze möglicher Abwägungsgewichtungen.875 Um dem Proportionalitätsgebot auch in diesen Konfliktsituationen Bedeutung zum Erhalt der Umwelt zu geben, bedarf es letztlich Anstrengungen nicht nur im Recht, sondern vor allem in der 874 Schmitt/Garraway/Dinstein (Hrsg.), The Manual on the Law of Non-International Armed Conflict: with Commentary, 2.1.1.4., Rn. 5: Proportionalität ist keine exakte Wissenschaft. 875 Allerdings ist die Grenze der Art. 35 (3) und 55 ZP I bekanntlich derart hoch, dass fraglich ist, ob sie durch konventionelle Kriegsführung jemals zu erreichen ist.
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internationalen Gemeinschaft. Zivilbevölkerungen, internationale Akteure sowie (nichtstaatliche) Organisationen können und müssen darauf hinwirken, dass die Notwendigkeit eines nachhaltigen Umgangs mit der natürlichen Umwelt jeder Konfliktpartei und jedem Konfliktakteur im Grundsatz bewusst ist. Da die Wirkung des Gebots vor allem von dem erwartbaren und voraussetzbaren Wissensstand eines Entscheidungsträgers oder einer Entscheidungsträgerin hinsichtlich der Möglichkeit und der zu erwartenden Schwere von Umweltkollateralschäden abhängt und es seine oder ihre individuelle Werteorientierung ist, die das Gewicht des Umwelterhaltungsinteresses im Einzelfall bestimmt, muss an dieser Stelle angesetzt werden. Die Lösung kann hier nicht allein in der (Rechts-)Wissenschaft gefunden werden. IV. Das Gebot der Vorsorge 1. Vorsorge bei militärischen Handlungen
Ergänzend zum Proportionalitätsgebot schützt das Prinzip der Vorsorge bei Angriffen die Zivilbevölkerung sowie zivile Objekte vor Schäden. Ausdrücklich normiert in Art. 57 ZP I verlangt es von dem militärischen Entscheidungsträger, alle praktisch möglichen Maßnahmen vorzunehmen, um geschützte Personen und Objekte zu schonen. a) Anwendbarkeit zu Gunsten der Umwelt in nichtinternationalen Konflikten Obwohl ebenfalls nicht im ZP II vertraglich niedergelegt, wird die gewohnheitsrechtliche Geltung des Gebots zugunsten ziviler Objekte auch in nichtinternationalen bewaffneten Konflikten mittlerweile angenommen.876 Als direkte Folge der Gebote der Unterscheidung und Proportionalität877 sowie letztlich auch als (vertraglich nicht normierte) Voraussetzung und Konkretisierung des in Art. 13 ZP II angeordneten Schutzes des Zivilbevölkerung878 ist die Geltung eines Ge876 Vgl. IKRK, Customary IHL Database, Rules, abrufbar unter: https://www.icrc. org/customary-ihl/eng/docs/v1_rul [abgerufen am 26.10.2020], Regel 15; Schmitt/ Garraway/Dinstein (Hrsg.), The Manual on the Law of Non-International Armed Conflict: with Commentary, 2.1.2.; ICTY, Prosecutor v. Dusˇko Tadic´, Appeals Chamber Decision on the Defence Motion for Interlocutory Appeal on Jurisdiction, 2. Oktober 1995, Case No. IT-94-1-AR72, Rn. 111 f. mit Verweis auf UNGA, Resolution 2675 (XXV) v 9. Dezember 1970 on the basic principles for the protection of civilian populations in armed conflicts, UN GAOR 25th Session, Supp. No. 28, S. 76. 877 ICTY, Prosecutor v. Stanislav Galic ´ , Urteil der Verfahrenskammer vom 5. Dezember 2003, Case No. IT-98-29-T, Rn. 58; Rogers, Law on the Battlefield, S. 231; vgl. Sivakumaran, The Law of Non-International Armed Conflict, S. 351. 878 Wird eine weite Auslegung des Art. 13 ZP II angelegt, kann das Prinzip ähnlich wie das Proportionalitätsgebot ebenso in Art. 13 (1) ZP II verortet werden (vgl. Israel Supreme Court, Public Committee against Torture in Israel v. Government of Israel, Urteil vom 13. Dezember 2006, HCJ 769/02, abrufbar unter: http://elyon1.court.gov.il/ files_eng/02/690/007/A34/02007690.a34.pdf [abgerufen am 26.10.2020], Rn. 26 zur
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bots der Vorsorge im Vorlauf späterer Angriffe systematisch und teleologisch zwingend. Ihre gewohnheitsrechtliche Annahme folgte im Laufe der 1990er Jahre gleichzeitig und im notwendigen Kontext mit der Anerkennung des Unterscheidungs- sowie des Proportionalitätsgrundsatzes als positivrechtliche Verpflichtungen in jeder Art bewaffneter Konflikte. Erklärungen bewaffneter Gruppen, u. a. der FMLN in El Salvador879, der Taliban in Afghanistan880, der MILF (Moro Islamic Liberation Front) auf den Philippinen881 sowie der SPLM im Sudan882, unterstützen heute die Bindung aller Konfliktparteien.883 gewohnheitsrechtlichen Geltung des Zivilschutzes noch vor Niederlegung in den Zusatzprotokollen). Die zuvor bereits erörterten Gegenargumente gegen die Annahme eines auf Art. 13 ZP II stützenden vertraglichen Gebots gelten allerdings auch an dieser Stelle, so dass im Ergebnis eine vertragliche Normierung für nichtinternationale bewaffnete Konflikte abzulehnen ist. 879 Frente Farabundo Martiì para la Liberacioìn Nacional (FMLN), The Legitimacy of our methods of struggle, S. 7 und 24. Darin gibt die FLMN an, bei Angriffen und dem Einsatz von Minen Vorsichtsmaßnahmen zum Schutz der Zivilbevölkerung getroffen zu haben. 880 In der Layha for Mujahids, dem Verhaltenskodex der Taliban-Kämpfer, die ausdrückliche Regelungen sogar für die Anforderungen an Selbstmordanschläge enthält, wird ausgeführt: „In martyrdom attacks, much more care should be taken to prevent the deaths and injuries of common people.“ (in einer übersetzten Fassung abgedruckt: The Islamic Emirate of Afghanistan, The Layha For Mujahids, Dritte Fassung vom 29. Mai 2010; übersetzt und abgedruckt als Annex zu Munir, Muhammad, The Layha for the Mujahideen: an analysis of the code of conduct for the Taliban fighters under Islamic law, International Review of the Red Cross 93 (2011), S. 116, Regel 57. Das IKRK verweist im weiteren Verlauf der Übersetzung auf die gleiche Bedeutung der Begriffe „civilian“ und „common people“ (S. 114, Rn. 17)). Sicherlich muss eine solche Erklärung vor dem Hintergrund tatsächlichen Verhaltens beurteilt werden. Aufschlussreich zu Praxis und rechtlicher Bewertung ist daher die soeben genannte Einschätzung von Munir (ibid.), der sich kritisch mit der Layha und ihrer Grundlegung im Islam befasst. 881 Vgl. Art. 1 Agreement on the Civilian Protection Component of the International Monitoring Team vom 27. Oktober 2009 between the Government of the Republic of the Philippines (GRP) and the Moro Islamic Liberation Front (MILF), abrufbar unter: http://www.opapp.gov.ph/resources/agreement-civilian-protection-component-internatio nal-monitoring-team-imt [abgerufen am 26.10.2020]. 882 Vgl. Art. 1 Agreement between the Government of the Republic of Sudan and the Sudan People’s Liberation Movement to Protect Non-Combatant Civilians and Civilian Facilities from Military Attack vom 31. März 2002, abrufbar unter: http://peace maker.un.org/sites/peacemaker.un.org/files/SD_020331_Agreement%20to%20Protect% 20Non-Combatant%20Civilians%20from%20Military%20Attack.pdf [abgerufen am 26.10.2020]. 883 Diese und weitere Beispiele bei Sivakumaran, The Law of Non-International Armed Conflict, S. 352 f. Schon im Rahmen des Spanischen Bürgerkriegs machte der damalige Premierminister des Vereinigten Königreichs darauf aufmerksam, dass auch in dem innerstaatlichen Konflikt bei der Attacke militärischer Ziele mit angemessener Sorgfalt vorgegangen werden müsse, um zu verhindern, dass durch Nachlässigkeit die Bevölkerung angrenzender Nachbarschaften bombardiert würde (United Kingdom Parliament, House of Commons Sitting vom 21. Juni 1938, Hansard Band 337, Cols 337-8; zitiert bei ICTY, Prosecutor v. Dusˇko Tadic´, Appeals Chamber Decision on the Defence Motion for Interlocutory Appeal on Jurisdiction, 2. Oktober 1995, Case No. IT-94-1AR72, Rn. 100).
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Als Konsequenz des Schutzes ziviler Personen und Objekte beinhaltet das Gebot eine Vielzahl einzelner Pflichten, die auf eine Minimierung ziviler Schäden gerichtet sind: Neben der Verifikation anvisierter Objekte als zulässige militärische Ziele, der Prognose, ob und in welchem Ausmaß Kollateralschäden zu erwarten sind sowie der Pflicht, den Angriff abzubrechen, sobald bekannt wird, dass das anvisierte Ziel nach geltendem Recht nicht attackiert werden dürfte, wird von dem Entscheidungsträger verlangt, unter mehreren möglichen Zielen dasjenige zu wählen, dessen Schädigung oder Zerstörung bei gleichem militärischen Vorteil den geringsten Kollateralschaden erwarten lässt.884 Zwar dürfen diese zunächst für internationale bewaffnete Konflikte konkretisierten Pflichten nicht unreflektiert als Folge der Anerkennung der grundsätzlichen Gebotsgeltung auf nichtinternationale Konflikte übertragen werden – der ICTY erklärte in Tadic´ mit Recht, dass die Ausweitung des Rechts interner Konflikte durch gewohnheitsrechtliche Anerkennung der Normen internationaler Konflikte nicht durch eine mechanische Übertragung aller detaillierten Regelungen, sondern vielmehr zunächst nur durch positivrechtliche Anerkennung des Normkerns („general essence“) vollzogen wurde885 – als notwendige Folge des Unterscheidungs- und Proportionalitätsgrundsatzes müssen diese Einzelverpflichtungen bei Anerkennung der Grundprinzipien aber zwingend auch in nichtinternationalen Konflikten beachtet werden. Der Umfang der durch sie im Einzelfall auferlegten Prüfungsund Prognosepflichten ist mit dieser Anerkennung allerdings nicht vorherbestimmt. In Konsequenz der nunmehr anerkannten Einordnung der natürlichen Umwelt als ziviles Objekt sind die genannten Überlegungen auch mit Blick auf die Umwelt und ihre Bestandteile zu tätigen. Mit Entwicklung der zuvor dargelegten Prinzipien der Unterscheidung und Proportionalität wurde auch die gewohnheitsrechtliche Anerkennung der Geltung dieses Grundsatzes zu Gunsten der Umwelt vollzogen.886 Der zweite Satz der Regel 44 der IKRK-Gewohnheitsrechtsstudie ist insofern mittlerweile allein deklaratorisch887 und seine räumliche Trennung 884 Für diese sowie weitere Elemente des Gebots vgl. den Wortlaut von Art. 57 ZP I. Vgl. auch die Regeln 16 bis 21 Henckaerts/Doswald-Beck/Alvermann, Customary International Humanitarian Law, ICRC Study, Band I: Rules, S. 55 ff. 885 ICTY, Prosecutor v. Dus ˇko Tadic´, Appeals Chamber Decision on the Defence Motion for Interlocutory Appeal on Jurisdiction, 2. Oktober 1995, Case No. IT-94-1-AR72, Rn. 126. 886 Vgl. die Äußerungen des IKRK sowie der UN-Generalversammlung (Teil 2, Fn. 673) sowie die Nachweise zur Staatenpraxis zu Regel 43 Doswald-Beck/Henckaerts, Customary International Humanitarian Law, ICRC Study, Band II: Practice, Parts 1 and 2, Part 1, S. 844 ff. Klarstellend nun auch die ILC Draft Principles 13 und 14 (siehe Teil 2, Fn. 669 und 783). 887 Regel 44, Satz 2: „In the conduct of military operations, all feasible precautions must be taken to avoid, and in any event to minimize, incidental damage to the environment.“ Henckaerts/Doswald-Beck/Alvermann, Customary International Humanitarian Law, ICRC Study, Band I: Rules, S. 147.
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von den für alle zivilen Objekte anwendbaren Gewohnheitsrechtsregeln 15–21 zwar folgerichtig, nunmehr allerdings ohne inhaltliche Auswirkung.888 Für die Schonung der natürlichen Umwelt scheinen vor allem zwei Aspekte des Gebots von Bedeutung:889 So muss jede Konfliktpartei im Rahmen der Planung eines Angriffs bei Auswahl der anzuwendenden Mittel und Methoden der Konfliktführung ihre negativen Wirkung auf die Umwelt als ziviles Objekt beachten um diese, wenn möglich zu vermeiden oder zumindest zu minimieren.890 Zusätzlich muss auch das dem Gebot der Vorsorge bei militärischen Handlungen untergeordnete Gebot der Schadensminimierung durch Zielauswahl bei Vorhandensein mehrerer gleich relevanter Ziele unter Hinblick auf Konsequenzen für die Umwelt zu erfolgen. b) Das wiederholte Problem der Vorhersehbarkeit und Durchführbarkeit Ähnlich wie im Fall des Proportionalitätsgebots ergeben sich bei Anwendung auf die natürliche Umwelt allerdings Schwierigkeiten, die vor allem mit der Vorhersehbarkeit möglicher Schäden in Bezug stehen. Auch hier gilt das zuvor Gesagte: Die Beurteilung von zukünftig möglichen sowie schon erfolgten Umweltschäden ist deutlich komplexer als die Analyse anderer ziviler Objekte. Die unter dem Dach des Vorsorgegebots bei militärischen Handlungen gefassten Pflichten greifen aber nur dann, wenn der Entscheidungsträger im Einzelfall die drohen888 Die Trennung ist dennoch folgerichtig. Kern der Regel 43 ist nämlich nicht die Geltung der Grundprinzipien, sondern die gewohnheitsrechtliche Pflicht der Anwendung der Grundprinzipien auf die natürliche Umwelt. Da diese Anwendungspflicht zunächst unabhängig von der gewohnheitsrechtlichen Geltung der Prinzipien selbst zu Gewohnheitsrecht erstarkte, ist die räumliche Trennung in der Studie eine konsequente Nachbildung geltenden Rechts. Kritisch dagegen Hulme, Natural Environment, in: Wilmshurst/Breau (Hrsg.), Perspectives on the ICRC study on customary international humanitarian law, S. 216 f., die auf den verkürzten Wortlaut der Regel 44 verweist. Durch die Trennung sei nicht geklärt, ob die allgemeinen Regeln 15–21 auch auf die Umwelt anzuwenden seien, zumal der Inhalt der Regel 19 (Vorsorge bei Attacken) in Regel 44 nicht zu finden sei. Die Sonderstellung der natürlichen Umwelt provoziere die Frage der Anwendbarkeit. Hulme hätte daher einen Verweis auf die Umwelt schon in den allgemeinen Regeln präferiert. Trotz dieser Bedenken hat die Sonderstellung der Umwelt aber auch einen positiven Effekt, lenkt sie doch durch die ausdrückliche Nennung in eigenständigen Regeln den Fokus auf einen bislang noch immer eher vernachlässigten Anwendungsbereich. 889 Ebenso Dröge/Tougas, The Protection of the natural environment in armed conflict – Existing rules and Need for Further Legal Protection, in: Rayfuse (Hrsg.), War and the environment, S. 24. 890 Vgl. Regel 17 und Regel 44 der IKRK-Gewohnheitsrechtsstudie (Henckaerts/ Doswald-Beck/Alvermann, Customary International Humanitarian Law, ICRC Study, Band I: Rules, S. 56 und 147) sowie Dröge/Tougas, The Protection of the natural environment in armed conflict – Existing rules and Need for Further Legal Protection, in: Rayfuse (Hrsg.), War and the environment, S. 24.
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den Schäden durch den Einsatz eines bestimmten Mittels oder einer Methode der Kriegsführung vorhersehen und realitätsnah einschätzen kann. Welche Informationen über die Wirkungsweise eines geplanten Angriffs aber auch über Umweltzusammenhänge dem Entscheidungsträger zur Verfügung stehen und stehen müssen, ist also auch an dieser Stelle maßgeblich. Dass den am Entscheidungsprozess beteiligten Personen im Verlauf eines bewaffneten Konflikts nicht Unmögliches abverlangt werden darf, diesem Umstand wird auch durch die weitgehend anerkannte Begrenzung des Vorsorgegebots auf praktisch mögliche Maßnahmen begegnet.891 Die Durchführung einer Umweltverträglichkeitsprüfung quasi in der Hitze des Gefechts kann nach diesem Maßstab auch in internationalen Konflikten, gleichwohl auf welcher Befehlsebene die Entscheidung über den Angriff erfolgt, nicht verlangt werden.892 In nichtinternationalen Konflikten können weder an die Mitglieder der Streitkräfte noch an bewaffnete Gruppen strengere Anforderungen gestellt werden. Für die nichtstaatlichen Parteien wäre die Durchführung selbst mit zeitlichem Vorlauf vor einer Attacke kaum technisch möglich. Die Realität derartiger Konflikte lässt den Gedanken an Umweltverträglichkeitsprüfungen durch nichtstaatliche Parteien beinahe absurd erscheinen. 891 Ausdrücklich zur Begrenzung des Prinzips der Vorsorge im ZP I der Vertreter des IKRK in der CDDH: „[T]he ideal was the complete elimination, in all circumstances, of losses among the civilian population. But to formulate that ideal in terms of impracticable rules would not promote either the credibility or the effectiveness of humanitarian law.“ (CDDH/III/SR. 21, in: CDDH, Official Records of the Diplomatic Conference on the Reaffirmation and Development of International Humanitarian Law Applicable in Armed Conflicts, Geneva (1974–1977), Band XIV, S. 183, Rn. 7.) Auf Grundlage der Erklärungen mehrerer Staaten bei Ratifikation des ZP I sowie im Einklang mit dem Wortlaut des Art. 3 (10) des geänderten CCW Protokoll II werden praktisch mögliche Maßnahmen überwiegend als solche Maßnahmen definiert, die unter Einbeziehung aller Umstände des Einzelfalls zum Zeitpunkt der Entscheidung, inklusive sowohl militärischer wie auch humanitärer Überlegungen, durchführbar und praktisch möglich sind. Vgl. amended CCW Protokoll II: Teil 1, Fn. 143 sowie u. a. die Vorbehalte von Algerien, Belgien, Deutschland, Frankreich, UK und weiteren Staaten bei Ratifikation des ZP I, abrufbar unter: https://ihl-databases.icrc.org/applic/ihl/ihl.nsf/States.xsp?xp_view States=XPages_NORMStatesParties&xp_treatySelected=470 [abgerufen am 26.10. 2020]. Auch die USA erklärten im Rahmen der CDDH eine ähnliche Auffassung (CDDH/SR.42 in: CDDH, Official Records of the Diplomatic Conference on the Reaffirmation and Development of International Humanitarian Law Applicable in Armed Conflicts, Genf, 1974–1977, Band VI, S. 241). Diese Definition scheint mittlerweile allgemein anerkannt zu sein (vgl. die Ausführungen zu Regel 15, IKRK, Customary IHL Database, Rules, abrufbar unter: https://www.icrc.org/customary-ihl/eng/docs/ v1_rul [abgerufen am 26.10.2020]; Schmitt, Tallinn Manual on the International Law applicable to Cyber Warfare, Regel 53, Rn. 5; Schmitt/Garraway/Dinstein (Hrsg.), The Manual on the Law of Non-International Armed Conflict: with Commentary, Regel 2.1.2, Rn. 4). 892 Dröge/Tougas, The Protection of the natural environment in armed conflict – Existing rules and Need for Further Legal Protection, in: Rayfuse (Hrsg.), War and the environment, S. 25.
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Die Grenzen des Umweltschutzes durch das Vorsorgegebot sind in nichtinternationalen Konflikten auf einer nochmals niedrigeren Stufe zu suchen. Schon die Einhaltung der zuvor genannten Pflichten, nämlich der Wahl der Mittel und Methoden der Konfliktführung sowie der Auswahl des zu attackierenden Ziels im Hinblick auf eine Schonung der Umwelt, dürfte die Grenzen praktischer Möglichkeit berühren. Nach Art. 57 (2) ZP I richten sich diese Pflichten an die an Planung und Beschluss der Handlung beteiligten Personen. In der konventionellen Form bewaffneter Auseinandersetzungen zwischen staatlichen Armeen verläuft die Beschlussfassung aber unter Umständen in anderer Weise und wird auf einer anderen Ebene getätigt als in Konflikten mit Beteiligung nichtstaatlicher Gruppierungen. Während in den Armeen der wohlhabenden Industriestaaten, die Kämpfe meist ausschließlich auf den Territorien anderer Staates ausführen, die Entscheidung über einen Angriff auf höherer Ebene und im Vorfeld eines Gefechts getroffen werden kann, zumindest in Theorie also ein größerer Planungsaufwand umsetzbar ist, kann von einer vielgliedrigen Kommandostruktur und der mit ihr verbundenen zentralen Vorausplanung von Angriffen in nichtinternationalen Konflikten nicht im gleichen Maß ausgegangen werden. Durch die in den letzten Jahrzehnten erfolgte Geltungsübertragung des Gebots auch auf diese Art von Konflikten treffen die genannten Pflichten diejenigen Personen, die im Einzelfall mit der jeweiligen Entscheidung betraut sind.893 Dass für diese – in unmittelbare Kampfhandlungen oftmals näher eingebundenen – Entscheidungsträger weit weniger Vorsorgemaßnahmen praktisch möglich sind, führt letztlich auch zu einem geringeren Pflichtenumfang für weniger stark organisierte Konfliktparteien und damit im Einzelfall zu einem Pflichtengefälle zwischen den am Konflikt beteiligten staatlichen und nichtstaatlichen Parteien.894 Welche Maßnahmen durch den konkreten Entscheidungsträger praktisch möglich sind, ist nur im Einzelfall für jede Partei anhand ihrer Organisationsstruktur und ihrer Konfliktführungskapazität zu ermitteln. Die Einhaltung des Gebots kann daher nur insoweit von außen kontrolliert werden, wie detaillierte Informationen über Aufbau und Hierarchie verfügbar sind. Die Befolgung der Handlungspflicht ist im Vergleich zu der Einhaltung spezifischer Handlungsverbote von einem erhöhten Maß an Eigeninitiative, Willen der beteiligten Personen sowie ihrer schlichten Kapazität zur Normentsprechung abhängig. Auch an dieser 893 Vgl. schon für die Parteien internationaler Konflikte i. S. d. Art. 1 (4) ZP I: Solf, Commentary on Article 57 AP I, in: Bothe et al., New Rules for Victims of Armed Conflicts, Commentary on the two 1977 Protocols Additional to the Geneva Conventions of 1949, Rn. 2.4.3. 894 Heintschel von Heinegg, Precautions in Attack, in: Wolfrum (Hrsg.), The Max Planck Encyclopedia of Public International Law, opil.ouplaw.com/home/EPIL, Rn. 10; gefordert auch von Sivakumaran, The Law of Non-International Armed Conflict, S. 73. In diesem Zusammenhang auch ICTY, Prosecutor v. Dusˇko Tadic´, Appeals Chamber Decision on the Defence Motion for Interlocutory Appeal on Jurisdiction, 2. Oktober 1995, Case No. IT-94-1-AR72, Rn. 126.
§ 3 Umweltschutz durch autonomes Gewohnheitsrecht
353
Stelle hängt das vermittelte Schutzlevel für die Umwelt nicht zuletzt davon ab, welcher Wert ihrer Erhaltung im Vergleich zu anderen verfolgten Interessen zugesprochen wird.895 2. Vorsorgepflicht auch bei Unvorhersehbarkeit
Das Prinzip der Vorsorge bei Attacken ist in seiner Wirkungsweise für die natürliche Umwelt durch die Begrenzung auf durchführbare Maßnahmen und, speziell im Rahmen der durchzuführenden Proportionalitätsprüfung, durch die ausschließliche Beachtung vorhersehbarer Schäden doppelt eingeengt. Begutachtet am Maßstab eines auch im nichtinternationalen bewaffneten Konflikt einhaltbaren Rechts, ist es allerdings notwendig, die Verpflichtungen der beteiligten Akteure auf solche Maßnahmen festzulegen, deren Durchführung ihnen möglich ist. Vorhersehbarkeit eines Schadens sowie die Durchführbarkeit von Vorsichtsmaßnahmen sind dabei notwendig verknüpft: Ist ein drohender Schaden nicht vorhersehbar, ist es kaum möglich, seinen Eintritt durch Vorsichtsmaßnahmen gezielt zu verhindern. a) Das IKRK und das umweltvölkerrechtliche Prinzip der Vorsorge Strengere Anforderungen an die Vorausplanung potenziell umweltschädigender Handlungen werden dagegen mit Intensität in Bezug auf das Umweltvölkerrecht diskutiert. Das friedensumweltrechtliche Vorsorgeprinzip oder -konzept896 895 Teilweise wird argumentiert, dass die Existenz des Vorsorgegebots der Umwelt im Konflikt sogar schaden könne. Smith, The Prohibition of Environmental Damage during the Conduct of Hostilities in Non-International Armed Conflict, S. 108 bringt vor, dass das Prinzip in Vergangenheit dazu führte, dass geplante Angriffe aufgrund der Gefährdung von Zivilisten im letzten Moment umgeleitet wurden, um statt den ursprünglich geplanten Zielen Flüsse oder Wälder zu treffen (mit Verweis auf die Beispiele bei Quéguiner, Precautions under the law governing the conduct of hostilities, International Review of the Red Cross 88 (2006), S. 804). Es fällt allerdings schwer, diese Fälle als moralisch fehlerhaft und daher änderungswürdig aufzufassen. Es ist kaum erdenklich, dass eine Einzelfallabwägung zwischen der Tötung von Zivilisten und der Zerstörung eines Waldgebiets ohne Langzeitschäden zu dem Ergebnis kommen wird, die Umwelt auf Kosten der Zivilisten zu schonen. Habermas würde wohl auf den notwendigen Tod des Schafes verweisen (Teil 2, Fn. 840). 896 Uneinigkeit besteht schon dahingehend, ob es sich um ein rechtlich noch nicht verankertes Konzept oder um ein zumindest in gewisser Weise rechtlich normiertes Prinzip handelt (vgl. Sadeleer, Origin, Status and Effects of the Precautionary Principle, in: Sadeleer (Hrsg.), Implementing the precautionary principle, S. 3). Einführend zum Vorsorgeprinzip sowie dem an dieser Stelle nicht weiter erwähnten, im internationalen Recht aber weitgehender anerkannten Prinzip der Vermeidung grenzüberschreitender Umweltschäden (auch als Vorbeugungsprinzip/principle of prevention bezeichnet) sowie zu ihrer unterschiedlichen Blickrichtung: Sadeleer, The principles of prevention and precaution in international law: two heads of the same coin? in: Fitzmaurice/Ong/ Merkouris (Hrsg.), Research Handbook on International Environmental Law, S. 182 ff.; zudem Schröder, Precautionary Approach/Principle, in: Wolfrum (Hrsg.), The Max Planck Encyclopedia of Public International Law, opil.ouplaw.com/home/EPIL, Rn. 2 ff.
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2. Teil: Das geltende Recht und seine Wirkung zum Erhalt der Umwelt
entstand aus eben dem Umstand, dass die Langzeitauswirkungen menschlichen Verhaltens auf die Umwelt kaum jemals mit Sicherheit vorhergesehen werden können.897 In Konsequenz beschreibt das Konzept, dass umweltsensible Aktivitäten vermieden und Vorkehrungsmaßnahmen durchgeführt werden sollen, selbst dann, wenn wissenschaftliche Erkenntnisse hinsichtlich des Bestehens eines Gefahrenpotenzials oder dessen möglichen Ausmaßes fehlen.898 Kann die Schwere möglicher Handlungsfolgen für die Umwelt aufgrund fehlenden Wissens nicht vorhergesehen werden, verlangt der Gedanke der Vorsorge dennoch Vorsichtsmaßnahmen.899 Denkbare, bislang aber umstrittene Folge des Konzepts wäre also eine Umkehrung der Beweislast zu Lasten des Entscheidungsträgers, der die Unschädlichkeit seines Vorhabens durch Vorsorgemaßnahmen zu beweisen hat.900 Vor diesem Hintergrund stellt auch der letzte Satz der Regel 44 der IKRK-Gewohnheitsrechtsstudie fest:
Das Vorbeugeprinzip, das seinen Ursprung im Trail-Smelter-Schiedsverfahren hat und letztlich vor allem die Souveränität und territoriale Unversehrtheit der Staaten schützt, ist mit dem derzeitigen Stand humanitären Völkerrechts durch eine ähnliche Blickrichtung enger verbunden (vgl. Hulme, Environmental protection in armed conflict, in: Fitzmaurice/Ong/Merkouris (Hrsg.), Research Handbook on International Environmental Law, S. 595). 897 Schröder, Precautionary Approach/Principle, in: Wolfrum (Hrsg.), The Max Planck Encyclopedia of Public International Law, opil.ouplaw.com/home/EPIL, Rn. 8. 898 Sadeleer, Origin, Status and Effects of the Precautionary Principle, in: Sadeleer (Hrsg.), Implementing the precautionary principle, S. 3; Cooney, The Precautionary Principle in Biodiversity Conservation and Natural Resource Management, S. 3; Schröder, Precautionary Approach/Principle, in: Wolfrum (Hrsg.), The Max Planck Encyclopedia of Public International Law, opil.ouplaw.com/home/EPIL, Rn. 8; Bothe, Precaution in International Environmental Law and Precautions in the Law of Armed Conflict, Goettingen Journal of International Law 10 (2020), S. 267 ff. 899 Formulierungen des Prinzips sind u. a. zu finden in Prinzip 11 der Weltcharta für die Natur von 1982 (UNGA, World Charter for Nature, 28. Oktober 1982, A/RES/37/7); Art. 15 der Rio-Erklärung (United Nations Conference on Environment and Development, Rio Declaration on Environment and Development vom 14. Juni 1992, Annex to the Report of the United Nations Conference on Environment and Development, UN Doc. A/CONF.151/26, Band I; Art. 11 (8) des Cartagena-Protokolls (Cartagena Protocol on Biosafety to the Convention on Biological Diversity (Cartagena Protocol) vom 29. Januar 2000, 2226 UNTS 208) sowie in vielen weiteren Erklärungen und Vertragswerken. Das Prinzip ist mittlerweile in nahezu allen Verträgen und Absichtserklärungen zum Schutz der Umwelt enthalten (so schon 1996: Freestone/Hey, Origins and Development of the Precautionary Principle, in: Freestone/Hey (Hrsg.), The Precautionary Principle and International Law, S. 3). 900 Hulme, Environmental protection in armed conflict, in: Fitzmaurice/Ong/Merkouris (Hrsg.), Research Handbook on International Environmental Law, S. 594. Diese Beweislastumkehr als Bestandteil des Konzepts ist allerdings selbst noch strittig. Der IGH lehnte eine notwendige Verknüpfung eines Ansatzes der Vorsorge mit der Umkehr der Beweislast ab: „[. . .] while a precautionary approach may be relevant in the interpretation and application of the provisions of the Statute, it does not follow that it operates as a reversal of the burden of proof.“ (IGH, Pulp Mills on River Uruguay (Argentina v. Uruguay), Urteil vom 20. April 2010, I.C.J. Reports 2010, S. 14 ff., Rn. 164).
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„Lack of scientific certainty as to the effects on the environment of certain military operations does not absolve a party to the conflict from taking such precautions.“ 901
Die Anwendbarkeit dieser Regel auch in nichtinternationalen bewaffneten Konflikten sei, so das IKRK, zumindest vertretbar.902 Ein so verstandenes humanitärrechtliches Prinzip der Vorsorge könnte in Folge also nicht nur dann Vorsichtsmaßnahmen fordern, wenn der jeweilige Entscheidungsträger die schädlichen Folgen eines Angriffs für die Umwelt vorhersehen kann, sondern auch, wenn die Schädigung der Umwelt für ihn aufgrund mangelnder Verfügbarkeit wissenschaftlicher Erkenntnisse nicht klar einzuschätzen ist. Nun ist es ist nicht der Wortlaut von Regel 44, der Probleme hervorruft. Nach diesem verbiete Gewohnheitsrecht allein die Nichtdurchführung von Vorsichtsmaßnahmen mit der Begründung wissenschaftlicher Unsicherheiten. Damit geht die Regel inhaltlich nicht zwingend über das hinaus, was das Vorsorgegebot anerkannt fordert, nämlich die Durchführung aller im Einzelfall möglichen und zumutbaren Vorsichtsmaßnahmen durch den Entscheidungsträger. Probleme wirft vielmehr die Herleitung der Regel 44 in der beigefügten Kommentierung auf, deren Existenz das IKRK mit dem umweltvölkerrechtlichen Prinzip der Vorsorge begründet und in deren Rahmen es heißt, es bestünde Praxis dahingehend, dass das umweltrechtliche Prinzip der Vorsorge auch in bewaffneten Konflikten Anwendung fände.903 Dieser Verweis auf ein Prinzip des Friedensumweltrechts verursacht in Konsequenz einige Verwunderung.904 Nicht nur ist der Inhalt eines gewohnheitsrechtlich normierten Vorsorgeprinzips schon im Umweltvölkerrecht Gegenstand nicht abreißender Diskussionen.905 Die Übertragbarkeit eines für Friedenszeiten ge901 Regel 44, Henckaerts/Doswald-Beck/Alvermann, Customary International Humanitarian Law, ICRC Study, Band I: Rules, S. 147. 902 Henckaerts/Doswald-Beck/Alvermann, a. a. O. 903 Vgl. Kommentierung zu Regel 44, IKRK, Customary IHL Database, Rules, abrufbar unter: https://www.icrc.org/customary-ihl/eng/docs/v1_rul [abgerufen am 26.10. 2020]. 904 Hulme, Natural Environment, in: Wilmshurst/Breau (Hrsg.), Perspectives on the ICRC study on customary international humanitarian law, S. 805 bezeichnet die Übertragung eines friedensumweltrechtlichen Prinzips auf den Kontext bewaffneter Konflikte als „surprising“. Bothe et al., International law protecting the environment during armed conflict: gaps and opportunities, International Review of the Red Cross 92 (2010), S. 575: die Nennung des Prinzips im Kontext humanitären Völkerrechts „amounts to a revolution“. 905 Das Konzept ist zwar in einer großen Reihe regionaler und internationaler Vertragswerke niedergelegt, ob es zusätzlich aber den Charakter von Völkergewohnheitsrecht besitzt, ist noch immer umstritten. Statt vieler: Erben, Das Vorsorgegebot im Völkerrecht; Schröder, Precautionary Approach/Principle, in: Wolfrum (Hrsg.), The Max Planck Encyclopedia of Public International Law, opil.ouplaw.com/home/EPIL, Rn. 16 ff. Aufschlussreich zu den unterschiedlichen Prinzipien der Vorsorge im humanitären Völkerrecht und im Umweltvölkerrecht: Bothe, Precaution in International Environmental Law and Precautions in the Law of Armed Conflict, Goettingen Journal of International Law 10 (2020), S. 267 ff.
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2. Teil: Das geltende Recht und seine Wirkung zum Erhalt der Umwelt
schaffenen Gebots in das überwiegend als lex specialis bezeichnete humanitäre Völkerrecht, nicht nur als zusätzliche Erkenntnisquelle der Werthaftigkeit im Rahmen einer auch auf nicht rechtlichen Wertentscheidungen beruhenden Proportionalitätsprüfung, sondern als Verursacher einer positivrechtlichen Handlungspflicht, wirft zudem Fragen auf, schließlich ist schon die Fortgeltung friedensumweltrechtlicher Vorschriften während bewaffneter Konflikte und vor allem ihr Anwendungsverhältnis in Relation zu humanitärem Völkerrecht in Konfliktsituationen bislang nicht abschließend geklärt.906 Dies stellt auch das IKRK in seiner Kommentierung klar.907 Regel 44 befasst sich allerdings nicht nur mit einer gleichzeitigen Fortgeltung des friedensrechtlichen Prinzips der Vorsorge neben humanitärem Völkerrecht. Vielmehr beschrieb das IKRK das Konzept im Rahmen seiner Darstellung gewohnheitsrechtlich geltenden humanitären Völkerrechts und daher zumindest implizit als Bestandteil des ius in bello. b) Das umweltrechtliche Vorsorgeprinzip als Teil humanitären Völkerrechts Die IKRK-Gewohnheitsrechtsstudie wurde bezüglich ihres Inhalts, ihrer Struktur sowie der verwerteten Quellen vielfach kritisiert.908 An kaum einer Stelle ist eine Rüge jedoch derart berechtigt, wie im Hinblick auf den dritten Satz der Re906 Während die Fortgeltung der Verträge während internationalen Konflikten mittlerweile im Grundsatz anerkannt wird, ist die Frage der Konkurrenz bei Anwendung sowohl der Verträge als auch humanitären Völkerrechts bislang noch nicht abschließend gelöst. Wegweisend allein zur Fortgeltung: Vöneky, Die Fortgeltung des Umweltvölkerrechts in internationalen bewaffneten Konflikten. Zuletzt befasste sich auch die ILC mit der Thematik, stellte allerdings lediglich fest, dass das Vorhandensein eines bewaffneten Konflikts nicht automatisch zur Suspendierung eines Vertrags führe: Draft Article 3 ILC, Draft Articles on the effects of armed conflicts on treaties, with commentaries 2011, Report on the Work of its 63rd Session, A/66/10, Chapter VI, E. In ihrer Arbeit zum Schutz der Umwelt im Verhältnis zu bewaffneten Konflikten gab die ILC bislang keine abschließende Stellungnahme. Im Verlauf der Ausarbeitung der Draft Principles befürworteten einige Mitglieder der ILC eine Analyse relevanter Umweltprinzipien im Verhältnis zu bewaffneten Konflikten. Sowohl Special Rapporteur Jacobsson als auch weitere Mitglieder der Kommission betonten dagegen den lex specialis-Charakter humanitären Völkerrechts, der zumindest während bewaffneter Konflikte Wirkung entfalte: ILC, Second Report on the Protection of the Environment in Relation to Armed Conflicts, submitted by Marie G. Jacobsson, Special Rapporteur, 28. Mai 2015, A/CN.4/ 685, Rn. 17 und 19. Die Kommentierung der 2019 in einer ersten Lesung angenommenen Draft Principles betont die Bedeutung auch des Umweltvölkerrechts sowie der Menschenrechte für den Schutz der Umwelt im Kontext bewaffneter Konflikte, erläutert aber nicht, in welchem Umfang welche Vorschriften anzuwenden wären. Vgl. die Kommentierung zu Draft Principle 3 in: ILC, Report of the International Law Commission on the Work of its 71st Session 2019, UN GAOR 74th Session, Supp. No. 10, A/74/10, S. 217). Zum Verhältnis von Umweltvölkerrecht und humanitärem Völkerrecht sogleich 3. Teil, § 2. 907 IKRK, Customary IHL Database, Rules, abrufbar unter: https://www.icrc.org/cus tomary-ihl/eng/docs/v1_rul [abgerufen am 26.10.2020], Commentary on Regel 44: „Continued application of environmental law during armed conflict.“ 908 Vgl. Nachweise in Teil 1, Fn. 181.
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gel 44.909 Für die Unterstützung des gewohnheitsrechtlichen Charakters des vermeintlichen Verbots, wissenschaftliche Unsicherheiten als Grund für die Nichtdurchführung von Vorsichtsmaßnahmen heranzuziehen, nennt das IKRK vergleichsweise wenige Praxisbeispiele. Neben Verweisen auf die Präambel des Übereinkommens über biologische Vielfalt, einem für Friedenszeiten geschlossenen Vertrag, sowie des Prinzips 15 der Rio-Erklärung über Umwelt und Entwicklung910, einer Deklaration ohne völkerrechtliche Bindungswirkung, verweist die Studie allein auf vereinzelte Äußerungen von UN-Organisationen wie z. B. UNEP, einer Erklärung des IKRK selbst911 sowie Ausführungen des IGH und der beteiligten Staaten Frankreich und Neuseeland im Nukleartest-Fall von 1995.912 Verweise auf die für die Bildung von Gewohnheitsrecht essentielle Staatenpraxis findet sich nicht. Weitere Beispiele, die auf eine entsprechende Rechtsüberzeugung einer relevanten Gruppe von Staaten schließen lassen, bleibt das IKRK ebenso schuldig. Von den beiden genannten Staaten behauptete lediglich Neuseeland die gewohnheitsrechtliche Geltung des Vorsorgeprinzips; Frankreich zweifelte sie ausdrücklich an.913 Selbst die Erklärungen der erwähnten Organisationen, die für die Bildung von Gewohnheitsrecht nicht ausschlaggebend sind, sprechen sich nicht deutlich für die Anwendbarkeit des umweltvölkerrechtlichen Vorsorgeprinzips oder dessen Eingliederung in humanitäres Völkerrecht zur Anwendung während bewaffneter Konflikte aus. So beschreibt der in der Studie erwähnte Bericht des IKRK von 1993 das Vorsorgeprinzip lediglich als „emerging [. . .] principle of international law“.914 Andere als Praxisnachweis aufgezählte 909 Dennoch wurde diese Passage der Studie eher selten gerügt. Unter anderem die USA, die die Existenz eines gewohnheitsrechtlichen Verbots mit Inhalt der Regel 45 zum Schutz der Umwelt vor ausgedehnten, langanhaltenden und schweren Schädigungen entschieden zurückwiesen, bedachte der Regel 44 in keinem Satz. Allein Hulme setzt sich mit den Herleitungsmängeln dieser Regel auseinander (Hulme, Natural Environment, in: Wilmshurst/Breau (Hrsg.), Perspectives on the ICRC study on customary international humanitarian law, S. 222 ff.). 910 Teil 2, Fn. 899. 911 IKRK, Protection of the environment in time of armed conflict, submitted by the ICRC to the 48th session of the United Nations General Assembly, reprinted as Annex to the Report of the Secretary-General on the protection of the environment in times of armed conflict, 29. Juli 1993, A/48/269, S. 24 ff. 912 IGH, Request for an Examination of the Situation in Accordance with Paragraph 63 of the Courts Judgment of 20 December 1974 in the Nuclear Tests (New Zealand v. France) Case, Order vom 22. September 1995, I.C.J. Reports 1995, S. 288 ff. 913 Dennoch habe Frankreich Umweltauswirkungsprüfungen durchgeführt und daher mit Sorgfalt gehandelt: IGH, Request for an Examination of the Situation in accordance with Paragraph 63 of the Court’s 1974 Judgment in the case concerning Nuclear Tests (New Zealand v. France), Verbatim Record vom 12. September 1995, CR 95/20, S. 56 ff.; für die Position Neuseelands vgl. die Nachweise zu Regel 44 B bei IKRK, Customary IHL Database, Practice, abrufbar unter: https://www.icrc.org/customary-ihl/ eng/docs/v2 [abgerufen am 26.10.2020]. 914 IKRK, Protection of the environment in time of armed conflict, submitted by the ICRC to the 48th session of the United Nations General Assembly, reprinted as Annex
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2. Teil: Das geltende Recht und seine Wirkung zum Erhalt der Umwelt
Erklärungen von UNEP oder der UNCC befassten sich weder mit der Geltung des Vorsorgeprinzips als Bestandteil humanitären Völkerrechts noch mit der Anwendbarkeit des umweltvölkerrechtlichen Prinzips während bewaffneter Konflikte.915 Unabhängig von der Bedeutung, die das Prinzip der Umweltvorsorge mittlerweile im Umweltvölkerrecht erlangt haben mag, reichen die aufgezählten Beispiele jedenfalls nicht aus, um die Existenz einer gewohnheitsrechtlichen Norm humanitären Völkerrechts zu begründen.916 Das Prinzip der Umweltvorsorge kann also bislang noch nicht als Bestandteil des humanitären Gewohnheitsrechts verstanden werden. Dieses Ergebnis ist angesichts der kargen Nachweissammlung derart offensichtlich, dass sich die Frage aufdrängt, ob das IKRK das Prinzip wirklich als Teil entwickelten humanitären Gewohnheitsrechts beschreiben wollte. Muss davon ausgegangen werden, dass das durch das Komitee herangezogene Prinzip allein im Umweltvölkerrecht und nicht im humanitären Völkerrecht anerkannt ist und es bislang weder neben noch zusätzlich zu humanitärem Völkerrecht im Krieg gewohnheitsrechtliche Anwendung für alle Konfliktparteien findet, bleibt eine weitere Alternative, um die Herangehensweise des IKRK zu verstehen: Das Umweltvorsorgeprinzip könnte auch als bloße Auslegungshilfe herangezogen worden sein, um der Bedeutung des Umweltvölkerrechts durch Auslegung humanitären Völkerrechts gerecht zu werden. c) Umweltrecht als Auslegungshilfe Grundlage dieser Idee ist das häufig beschworene Komplementärverhältnis zwischen humanitärem Völkerrecht und den Menschenrechten, das in Konsequenz zu einer Beachtung der Menschenrechte bei Auslegung humanitären Völkerrechts führen könne und müsse.917 Übertragen auf das bislang weit weniger beachtete Verhältnis zwischen humanitärem Völkerrecht und Umweltvölkerrecht könnten die Ausführungen des IKRK als Harmonisierungsversuch durch Auslegung des gewohnheitsrechtlichen Prinzips der Vorsorge bei Angriffen verstanden to the Report of the Secretary-General on the protection of the environment in times of armed conflict, 29. Juli 1993, A/48/269, S. 24 ff., § 91. 915 Die zitierte Passage eines Berichts von UNEP befasst sich ausschließlich mit verschiedenen Kriterien der Evaluation eines eingetretenen Umweltschadens. Auch das angeführte Kommissionskollegium der UNCC befasste sich in dem durch das IKRK genannten Bericht nicht mit einer gewohnheitsrechtlichen Geltung des Umweltvorsorgeprinzips. Vgl. die Praxisbeispiele zu Regel 44 B bei IKRK, Customary IHL Database, Practice, abrufbar unter: https://www.icrc.org/customary-ihl/eng/docs/v2 [abgerufen am 26.10.2020]. 916 Zur Anwendbarkeit des friedensrechtlichen Vorsorgeprinzips auch während bewaffneter Konflikte neben bestehendem ius in bello: Bothe, Precaution in International Environmental Law and Precautions in the Law of Armed Conflict, Goettingen Journal of International Law 10 (2020), S. 278 ff. 917 Siehe auch 3. Teil, § 2.
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werden. Immerhin behauptete das IKRK nicht ausdrücklich, dass das Prinzip selbst Bestandteil humanitären Völkerrechts sei, sondern dass es trotz seines Charakters als ursprünglich friedensrechtliches Prinzip neben dem humanitären Völkerrecht gelte und zu dessen Auslegung beitragen müsse.918 Unter dem Gesichtspunkt der Fragmentierung internationalen Rechts ist die Inkorporation eines einem ursprünglichen Vertrag nachfolgenden Konzepts in eine für Interpretation offene Regelung eben jenes Vertrags durchaus möglich.919 Unter dem Stichwort der Harmonisierung des Völkerrechts ist sie sogar, soweit möglich, geboten.920 Art. 31 (3) (c) WVRK, nach dem „[a]ny relevant rules of international law applicable in the relations between the parties“ bei der Auslegung eines Vertrags zu berücksichtigen sind, führt zu dem gleichen Ergebnis.921 Dennoch ist die Vorgehensweise des IKRK kritisch zu betrachten, denn es stellt sich bei der Frage der Interpretation einer gewohnheitsrechtlichen Regel ein anderes Szenario als bei der Auslegung von Verträgen922: Aufgrund ihrer Bildung auch auf Grundlage konkreter Staatenpraxis und geäußerter Überzeugung sind 918 So ausdrücklich die Autoren der Studie: „There is, furthermore, practice to the effect that this environmental law principle applies in armed conflict.“ (Kommentierung der Regel 44, IKRK, Customary IHL Database, Rules, abrufbar unter: https://www. icrc.org/customary-ihl/eng/docs/v1_rul [abgerufen am 26.10.2020]). 919 Dies stellte zumindest die ILC in ihrem Abschlussbericht zur Fragmentierung des Völkerrechts fest (ILC, Conclusions of the work of the Study Group on the Fragmentation of International Law: Difficulties arising from the Diversification and Expansion of International Law, Yearbook of the International Law Commission 2006, Band II, Part Two, S. 177 ff., Rn. 251 ff., Conclusion 23). Zwar sind die gefundenen Ergebnisse selbst nicht bindend (die Generalversammlung nahm die Ergebnisse der ILC lediglich zur Kenntnis: UNGA, Resolution 61/34 vom 4. Dezember 2006 on the report of the Sixth Committee (A/61/454), A/RES/61/34), die mittlerweile weit verbreitete Idee des Völkerrechts als System (Pauwelyn, Fragmentation of International Law, in: Wolfrum (Hrsg.), The Max Planck Encyclopedia of Public International Law, opil.ouplaw.com/ home/EPIL, Rn. 27; ILC, Conclusions of the work of the Study Group on the Fragmentation of International Law: Difficulties arising from the Diversification and Expansion of International Law, Yearbook of the International Law Commission 2006, Band II, Part Two, S. 177 ff., Rn. 251 ff., Conclusion 1) legt es allerdings nahe, eine Harmonisierung unterschiedlicher Völkerrechtsregime durch Interpretation zu finden. 920 ILC, a. a. O., Conclusion 1 (4), Prinzip der Harmonisierung: „It is a generally accepted principle that when several norms bear on a single issue they should, to the extent possible, be interpreted so as to give rise to a single set of compatible obligations.“ 921 Für die Interpretation von Gewohnheitsrecht ist die WVRK jedoch nicht anwendbar. Zudem kann die Vorschrift im Verhältnis zwischen Staaten und nichtstaatlichen Konfliktparteien höchstens analog Wirkung entfalten, schließlich bestehen zwischen diesen keine völkervertraglichen Beziehungen. 922 Die ILC führt dazu aus, die in Art. 31 (3) (c) WVRK genannten anderen Regeln seien dann von besonderer Bedeutung bei der Auslegung von Verträgen, wenn die Vertragspartner des zu interpretierenden Vertrags auch an den jeweils anderen Vertrag gebunden seien oder wenn die infrage stehende Vertragsnorm mittlerweile Gewohnheitsrecht darstelle oder Beweis über ein Verständnis der Parteien hinsichtlich Bedeutung und Inhalt des zu interpretierenden Vertrags oder einer enthaltenen Einzelregelung böte (ILC, a. a. O., Conclusion 21).
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Gewohnheitsrechtsregeln nicht derart unbestimmt, dass sie in gleicher Weise der Interpretation zugänglich wären. Ihr Charakter als Rechtsnorm auf Basis von Überzeugung und tatsächlicher Praxis unterscheidet sie derart von Vertragsnormen, dass die für diese anerkannten Auslegungsregeln nicht ohne weiteres auf Gewohnheitsrecht übertragen werden können.923 Teilweise wird die Möglichkeit der Auslegung von Gewohnheitsrecht sogar gänzlich verneint.924 Anders als eine Vertragsnorm unbestimmten und daher auslegungsbedürftigen Inhalts ist eine Norm des Gewohnheitsrechts aufgrund ihrer Entstehung in der Praxis von dem Beginn ihrer Existenz an in gewisser Weise konkretisiert. Eine weitere Konkretisierung, Erweiterung oder Fortentwicklung kann nicht durch konventionelle Auslegung, sondern nur durch opinio iuris und entsprechende Staatenpraxis erzeugt werden. Für eine derartige Entwicklung liefert das IKRK allerdings, wie soeben festgestellt, keinen ausreichenden Nachweis. Die Zusammenführung zweier Prinzipien des Völkergewohnheitsrechts, die durch das IKRK angedacht wurde, ist dennoch auf Grundlage zweier Begründungsansätze grundsätzlich denkbar: Zunächst muss es unter dem Leitsatz einer werteorientierten Auslegung des Rechts auch möglich sein, eine gewohnheitsrechtliche Norm anhand eines Grundwerts der internationalen Gemeinschaft fortzuentwickeln beziehungsweise das Prinzip im Lichte des Grundwerts zu verstehen. Mehrere unterschiedliche Prinzipien könnten durch Abwägung der hinter ihnen stehenden Werte in eine angemessene Beziehung zueinander gesetzt werden. U. a. nach Herdegen verstehe diese Art der Interpretation die grundlegenden Werte der internationalen Rechtsordnung nicht als isolierte Prinzipien, sondern als System gegenseitiger Interaktionen, das einen Ausgleich einzelner Werte fordere.925 Sie ziele auf die Schaffung eines kohärenten, durch gemeinsame Werte geleiteten Völkerrechtssystems.926 Voraussetzung wäre allerdings die – bislang zweifelhafte – Existenz eines gemeinsamen Wertekanons der internationalen Gemeinschaft. Unabhängig von dem Vorhandensein einiger weniger Grundwerte des gesamten Völkerrechts hat das umweltvölkerrechtliche Konzept der Vorsorge den Rang eines solchen Grundwerts wohl noch nicht. Zudem verlangen auch Vertreter der soeben dargestellten Theorie Zurückhaltung bei der Anwendung eines wertebasierten Ansatzes, bestehe doch das Risiko, die Grenzen zwischen Interpretation und der Schaffung neuen Rechts verschwimmen zu lassen.927
923
Schlütter, Developments in Customary International Law, S. 91 f. m.w. N. Koskenniemi, Theory: Implications for the Practitioner, in: Allott (Hrsg.), Theory and International Law: An Introduction, S. 22; Schlütter, Developments in Customary International Law, S. 89; Herdegen, Interpretation in International Law, in: Wolfrum (Hrsg.), The Max Planck Encyclopedia of Public International Law, opil.ouplaw.com/ home/EPIL, Rn. 61. 925 Herdegen, a. a. O., Rn. 64. 926 Ibid. 927 Herdegen, a. a. O., Rn. 65. 924
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Der andere Weg der Nutzung umweltrechtlicher Normen als Auslegungsmaßstab humanitären Völkerrechts wird unter dem bereits erwähnten Stichwort der Harmonisierung humanitären Völkerrechts mit Vorschriften des Friedensrechts und insbesondere der Menschenrechte diskutiert. So wird teilweise angenommen, friedensrechtliche Vorschriften könnten, insofern sie während bewaffneter Konflikte fortwirkten, die Auslegung des ius in bello ändern und in Folge zu einem erhöhten Schutzniveau dieser Normen führen. Dieser, an späterer Stelle behandelte928 Argumentationsansatz ist im vorliegenden Kontext gleichermaßen problematisch. Derzeit sind das umweltrechtliche Prinzip der Vorsorge sowie das humanitärrechtliche Vorsorgegebot schlicht unterschiedliche Regelungen mit unterschiedlichen Anwendungsbereichen und Blickrichtungen.929 Darüber hinaus besteht erneut das dogmatische Problem der Auslegung gewohnheitsrechtlicher Normen. Die Änderung ihres Inhalts aufgrund eines Ausgleichs zwischen zwei Prinzipien unterschiedlicher Völkerrechtsregime kann nur durch die Fortentwicklung des jeweiligen Gewohnheitsrechts durch Überzeugung und Praxis der Staaten erfolgen. Kann diese, wie hier, nicht ausgemacht werden, besteht keine Grundlage für eine Änderung einer gewohnheitsrechtlichen Norm. d) Zwischenbewertung Die Kommentierung des IKRK zur Reichweite des humanitärrechtlichen Vorsorgegebots bei wissenschaftlicher Unsicherheit bleibt also zumindest in Hinblick auf die Passagen zum Umweltfriedensrecht bislang für das humanitäre Völkerrecht insgesamt, und daher auch für das Recht nichtinternationaler Konflikte, ohne Relevanz. Für den Entscheidungsträger bleibt es zunächst bei der gewohnheitsrechtlich anerkannten Erleichterung der Durchführbarkeit der nötigen Vorsichtsmaßnahme sowie der Grenze der Vorhersehbarkeit bei der Umsetzung des Proportionalitätsgebots. Die Kommentierung des IKRK verursacht an dieser Stelle mehr Unsicherheiten als nötig. Ein weitreichenderes Gebot der Vorsorge, das, wie es das friedensrechtliche Prinzip fordert, zum Absehen von einer umweltgefährdenden Tätigkeit bei wissenschaftlicher Unsicherheit über negative Folgen führen könnte, existiert im humanitären Völkerrecht nicht. Dem Entscheidungsträger ist es gestattet, auf Basis der für ihn oder sie zu erlangenden Informationen einen Entschluss über den Angriff zu tätigen.930 Weitere Pflichten zur Vorsorge wären auf dieser Ebene der Konfliktführung auch gänzlich unrealistisch. In Friedenszeiten, in denen bis zur 928
3. Teil, § 2. Zu den unterschiedlichen Konzepten nochmals Bothe, Precaution in International Environmental Law and Precautions in the Law of Armed Conflict, Goettingen Journal of International Law 10 (2020), S. 267 ff. 930 Siehe erneut Kommentierung zu Regel 15, IKRK, Customary IHL Database, Rules, abrufbar unter: https://www.icrc.org/customary-ihl/eng/docs/v1_rul [abgerufen am 26.10.2020]. 929
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Umsetzung einer potenziell umweltgefährdenden Handlung Zeit bleibt, um die Folgen eines Vorhabens auch bei wissenschaftlicher Unsicherheit zu analysieren, kann ein höheres Maß an Vorsicht verlangt werden, als es im Ernstfall des Konflikts möglich ist. Eine Übertragung der einem gesamten Staat womöglich durch das Konzept der Umweltvorsorge auferlegten Pflichten auf einzelne Entscheidungsträger auch nichtstaatlicher Konfliktparteien scheint nur in engen Grenzen möglich. Es fehlt schlicht an der Vergleichbarkeit der Entscheidungssituationen und Pflichtenträger. Bislang fehlt aber schon jede rechtliche Grundlage für eine Geltungsannahme. 3. Exkurs: Vorsichtsmaßnahmen im Vorfeld bewaffneter Konflikte
Das Gebot der Vorsorge bei militärischen Handlungen ist zwar, wie jede andere rechtliche Beschränkung der Kriegsführung, geeignet, auch die Bewahrung der Umwelt zu fördern, seine Wirkung hängt jedoch von dem individuellen Wissen und Handlungsvermögen des jeweiligen Entscheidungsträgers ab. Bei Beteiligung nichtstaatlicher Konfliktparteien dürfte dem Gebot daher nur wenig praktische Wirkung zukommen. Seine Schutzwirkung kann nur dadurch erhöht werden, dass ausreichend Informationen über Wirkungsweise, Schadensrisiko und -ausmaß für jede Konfliktpartei und jeden Entscheidungsträger verfügbar und leicht zugänglich sind. Um ein erhöhtes Kenntnisniveau zu erreichen, wäre es notwendig, schon weit vor der Planung einer spezifischen Attacke und abseits der Hitze des Gefechts Risikoanalysen durchzuführen und dessen Ergebnisse möglichst weit zu verbreiten. Das humanitäre Völkerrecht hat zu dieser Konfliktphase jedoch nur wenig beizutragen, beginnt seine Anwendbarkeit doch erst mit Ausbruch eines bewaffneten Konflikts. Eine Ausnahme, die auch unter dem Gesichtspunkt der Umweltbewahrung nicht zu unterschätzen ist, stellt Art. 36 ZP I dar. Die Vorschrift legt den Vertragsstaaten die Verpflichtung auf, schon bei Entwicklung neuartiger Waffen deren Kompatibilität sowie die Vereinbarkeit ihrer konkreten Nutzung mit geltendem Recht zu prüfen. Zwar ist diese Norm zunächst nur für Vertragsparteien des ZP I relevant und hat streng genommen keine Wirkung in nichtinternationalen Konflikten, da neuartige Waffensysteme aber nicht nur für eine rechtliche Kategorie bewaffneter Konflikte entwickelt werden, hat die Vorgabe des Art. 36 ZP I über den Kontext internationaler Konflikte hinaus Bedeutung. Das IKRK geht sogar noch weiter und argumentiert wohl zu Recht, dass die Verpflichtung für alle Staaten unabhängig von einer Ratifikation des ZP I als logische Folge des Verbots, illegale Mittel und Methoden der Kriegsführung einzusetzen, besteht.931 931 IKRK, A Guide to the Legal Review of New Weapons, Means and Methods of Warfare: Measures to Implement Article 36 of Additional Protocol I of 1977, International Review of the Red Cross 88 (2006), S. 933; Dröge/Tougas, The Protection of the natural environment in armed conflict – Existing rules and Need for Further Legal Protection, in: Rayfuse (Hrsg.), War and the environment, S. 26.
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Ähnlich äußerte sich zuletzt auch die ILC und betonte in Konsequenz die indirekte Bedeutung dieser Vorgabe auch für nichtinternationale bewaffnete Konflikte.932 Die in Art. 36 ZP I enthaltene Pflicht ist jedoch ausschließlich auf die staatliche Entwicklung oder Akquisition grundlegend neuer Waffen933 sowie neuartiger Kampfmethoden gerichtet und nicht auf bereits etablierte Maßnahmen wie beispielsweise aus der Luft ausgeführte Bombardements von Fabriken. Für nichtstaatliche Konfliktakteure hat die Norm schon aufgrund ihrer Verortung im ZP I keine Bedeutung. Zudem mangelt es nichtstaatlichen Gruppen schlicht an der Fähigkeit, die erlangten Waffen934 einer Wirksamkeitsprüfung zu unterziehen. Die Existenz des Art. 36 ZP I kann die Vorhersehbarkeit eines Umweltschadens daher nur in begrenzten Fallkonstellationen stärken.935 Angesichts der derzeitigen Nutzung von Kampfmitteln, die während Bestehens des Art. 36 ZP I entwickelt wurden und die zumindest potenziell ernsthafte Umweltschäden herbeizuführen vermögen, beziehungsweise deren Umweltwirkung bislang nicht endgültig geklärt ist, darf auch die Diskrepanz zwischen Schutzpotenzial und Realität der Umweltbeachtung nicht aus den Augen verloren werden.936 Ein umfassendes Konzept zum Schutz der Umwelt auch bei wissenschaftlicher Unsicherheit über die Folgen einer feindlichen Handlung ist dem humanitären Völkerrecht bislang fremd. Zwar schreiben einige Staaten, darunter auch Deutschland, die Durchführung spezifischer Umweltverträglichkeitsanalysen militärischer Maßnahmen im Vorfeld eines Konflikts vor,937 derartige Vorschriften sind nach humanitärem Völkerrecht aber nicht zwingend vorgegeben. Nichtstaatliche Konfliktparteien, die sich häufig erst in zeitlicher Nähe zum Ausbruch ei932 Siehe die Kommentierung zu ILC Draft Principle 3, in ILC, Report of the International Law Commission on the Work of its 71st Session 2019, UN GAOR 74th Session, Supp. No. 10, A/74/10, S. 219 unter (9). 933 Vgl. McClelland, The review of weapons in accordance with Article 36 of Additional Protocol I, International Review of the Red Cross 2003 (85) S. 404. 934 Art. 36 ZP I ist nicht nur bei der Entwicklung neuartiger Waffen, sondern für jeden Staat auch bei erstmaliger Erlangung für ihn neuer Systeme zu beachten. Vgl. McClelland, a. a. O., S. 404. 935 Dies bedeutet jedoch nicht, dass Art. 36 ZP I für den engen Bereich seiner Bedeutung nicht dennoch umweltschützend wirken kann. Zu den erforderlichen Prüfungspunkten im Rahmen einer Umweltrisikobewertung nach Art. 36 ZP I: Dröge/Tougas, The Protection of the natural environment in armed conflict – Existing rules and Need for Further Legal Protection, in: Rayfuse (Hrsg.), War and the environment, S. 27. 936 Siehe insb. Teil 2, Fn. 572 zum Einsatz von DU-Munition und ihrer bislang noch nicht abschließend geklärten Umweltfolgen. Zudem Hulme, Environmental protection in armed conflict, in: Fitzmaurice/Ong/Merkouris (Hrsg.), Research Handbook on International Environmental Law, S. 594. 937 Vgl. zum Beispiel die Verordnung zur Durchführung des § 3 Absatz 2 des Gesetzes über die Umweltverträglichkeitsprüfung bei Vorhaben der Verteidigung (UVP-V Verteidigung) vom 19. April 2013, BGBl. 2013 I S. 938, die nur als Ausnahme für Vorhaben der Bundeswehr und der NATO Abweichungen vom Erfordernis der Umweltverträglichkeitsprüfung zulässt.
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nes bewaffneten Konflikts formieren, könnten sie nicht erbringen. Geltendes humanitäres Recht verlangt dies auch nicht. 4. Bewertung
Hauptprobleme der Schutzwirkung des Gebots der Vorsorge bei militärischen Handlungen sind erneut das beschränkte Wissen der Entscheidungsträger über die Umweltauswirkungen einer feindlichen Handlung sowie die Grenzen durchführbarer Vorsorgemaßnahmen. Das Gefälle zwischen für die Erhaltung der Umwelt notwendigen Maßnahmen und dem tatsächlichen Handlungsvermögen der Konfliktakteure ist bei Beteiligung nichtstaatlicher Konfliktparteien besonders hoch. Nichtstaatliche bewaffnete Akteure werden häufig nicht in der Lage sein, der Umwelt gebührend zu bedenken. Das humanitäre Völkerrecht muss, wenn es den Anspruch haben soll, jede Art des Konflikts zu regulieren, diesem Umstand gerecht werden. Der Maßstab durchführbarer Vorsichtsmaßnahmen ist notwendige Voraussetzung eines umfassenden Geltungsanspruchs. Er führt aber im Gegenzug zu einem im Einzelfall unter Umständen spärlichen Pflichtenumfang. Das Prinzip der Vorsorge bei militärischen Handlungen hat nicht das Ziel, den Konfliktparteien unrealistische Informationsbeschaffungs- oder Analysepflichten aufzuerlegen. Seine zeitliche Begrenzung auf die Entscheidungs- und Durchführungsphase einer Attacke begrenzt den Rahmen möglicher Vorsorge im Ergebnis auf eine Achtsamkeitspflicht, nicht wider besseres Vermögen die Grundprinzipien der Unterscheidung und Proportionalität durch eine Attacke zu verletzen. In nichtinternationalen Konflikten, die nicht zwischen hoch technisierten Parteien, sondern meist mit den einfachsten Mitteln der Kriegsführung ausgetragen werden, profitiert die Umwelt von diesem Gebot wenig. Eine Vorsorgepflicht, die vergleichbar oder identisch mit dem im Friedensumweltrecht verankerten Konzept der Vorsorge wäre, besteht im humanitären Völkerrecht nicht. Sollte sie sich in Zukunft als unbestritten bindendes Recht etablieren, bleibt dennoch ihre Anwendbarkeit auf die Situation nichtinternationaler Konflikte fraglich. Umweltrisikoeinschätzungen sind das Produkt der noch immer jungen Umweltbewegung und erfordern im Vergleich zu relativ einfachen Einschätzungen erwartbarer Kollateralschäden an Gebäuden und anderen errichteten Objekten ein erhöhtes Wissen u. a. über den Abbau von schädlichen Stoffen in Luft, Gewässern und Böden. Dieses steht Entscheidungsträgern nichtstaatlicher Konfliktparteien im Zweifel nicht zur Verfügung. Besteht die Möglichkeit der Durchführung einer Umweltanalyse nicht, ist es auch nicht sinnvoll, diese verpflichtend zu fordern.938 Abseits hoch technisierter und strategisch geplanter Konflikte, in denen Vorlaufzeiten vor der Durchführung einer Attacke die Samm938 Ob und unter welchen Umständen das Konzept oder Prinzip der Vorsorge derartige Analysen in Friedenszeiten fordert, ist bislang zudem nicht klar. Die aus dem Konzept potenziell fließenden Einzelverpflichtungen sind bislang noch immer umstritten. Vgl. die Ausführungen und Nachweise in Teil 2, Fn. 859 und 863.
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lung weiterer Informationen über mögliche schädigende Auswirkungen erlauben, bleibt enttäuschend wenig Raum für die Einführung umweltschützender Vorsichtspflichten. In dieser Hinsicht wird das humanitäre Völkerrecht ein schwächer schützendes lex specialis bleiben müssen. Es muss auch zukünftig dem Umstand Rechnung tragen, dass im Konfliktgeschehen weder die Zeit noch die tatsächliche Möglichkeit besteht, die gleiche Sorgfalt wie in Friedenszeiten walten zu lassen. Soll die Umwelt vor Gefahren geschützt werden, die durch das Umweltvorsorgekonzept abzudecken versucht wird, bedarf es im Konfliktfall anderer Instrumente. Spezifische Waffenverbote sowie Einschränkungen zulässiger Ziele verlagern die Beseitigung wissenschaftlicher Unsicherheiten in die Zeit vor der Normschaffung und daher in eine Periode, in der zumindest abstrakt die Möglichkeit besteht, die drohenden Folgen einer Handlung vor dem Hintergrund eines möglichst hohen Wissensstands zu prognostizieren. Dem Entscheidungsträger im Einzelfall sind sie ein einfach zu handhabender Maßstab und daher ein tatsächlich geeignetes Mittel, die mit dem Umweltvorsorgekonzept verfolgten Nachhaltigkeitsziele in Kriegszeiten zu verfolgen. Die geringe Wahrscheinlichkeit der Schaffung und Akzeptanz zusätzlicher humanitärrechtlicher Handlungseinschränkungen schmälern das Schutzerhöhungspotenzial dieser Option auf nahezu null. Die Konzentration aller Akteure auf Informationsgewinnung in der Phase nach Ende eines Konflikts, die möglichst weite Verbreitung erlangter Informationen in Friedenszeiten sowie die Aufklärung aller Parteien in nachfolgenden Konflikten kann dagegen nicht nur einen tatsächlichen, sondern auch einen rechtlichen Unterschied machen. Sind einem Entscheidungsträger drohende Umweltgefahren bekannt, muss er diese zumindest in seine Entscheidung einfließen lassen. Das IKRK formulierte treffend „there are no lack of rules that can contribute to maintaining the conditions for sustainable development during armed conflicts“ 939 und schlussfolgerte die Notwendigkeit effektiver Durchsetzung. Informationsverbreitung ist nur ein weiterer Aspekt des gleichen Ansatzes. V. Fazit zur Wirkung der Grundprinzipien Die heute womöglich als selbstverständliche Konsequenz universal anwendbarer Grundprinzipien des humanitären Völkerrechts wahrgenommene Kategorisierung der Umwelt als ziviles Objekt ist in Wirklichkeit Resultat einer eher jungen Entwicklung. Sie wurde nicht so sehr durch systematische Überlegungen zur Eta939 IKRK, Statement by Mrs Anne Petitpierre, Vice-President of the International Committee of the Red Cross at the World Summit on Sustainable Development, Johannesburg, 29. August 2002, abrufbar unter: https://sustainabledevelopment.un.org/index. php?page=view&type=255&nr=19637 [abgerufen am 26.10.2020]. Zitiert bei Das, The Impact of Armed Conflict on sustainable Development: A Holistic Approach, in: Quénivet/Shah-Davis (Hrsg.), International Law and Armed Conflict, S. 137.
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2. Teil: Das geltende Recht und seine Wirkung zum Erhalt der Umwelt
blierung von Rechtsnormen, die in allen denkbaren Konstellationen anwendbar sind, in Gang gesetzt, sondern ganz spezifisch mit dem Ziel eines effektiveren Schutzes der natürlichen Umwelt.940 Die gefundene Lösung der Einordnung der Umwelt als Gegenstand des Unterscheidungsprinzips und damit als im Grundsatz ziviles Objekt, auf das sodann alle Grundprinzipien des ius in bello anzuwenden sind, hätte eleganter kaum sein können, schließlich vermied diese Strategie die Formulierung spezifischer neuer Schutznormen, deren Anerkennung weit schwieriger zu erreichen gewesen wäre. Die Erklärung der Geltungsreichweite der Grundprinzipien, deren Anwendbarkeit in jeder Konfliktsituation zur gleichen Zeit international Bestätigung fand, auf Bestandteile der Umwelt, die schon im allgemeinen Sprachgebrauch ohne Schwierigkeiten als Objekte bezeichnet werden konnten, provozierte tatsächlich keine starke Kritik. Die durch nationale Militärhandbücher und Gesetzgebung ausgedrückte Staatenpraxis festigte in nur wenigen Jahren eine substanzielle Änderung bestehenden Gewohnheitsrechts. Der Umstand, dass diese Entwicklung gleichzeitig auch für nichtinternationale Konflikte vollzogen wurde, war das wenig beachtete Resultat der Nutzung allgemeiner Gebote als Vermittler der Umweltschutzverstärkung. Angesichts der gleichzeitig verfestigten Anwendung der Grundprinzipien in dieser Konfliktform hätte sich ein anderes Ergebnis nicht erzielen lassen. Geradezu zwangsläufig wurde eine gravierende Rechtserweiterung bewirkt. Während die Anwendung der vertraglich normierten Grundprinzipien im internationalen Konflikt durch reine Auslegung erreicht werden konnte, erzielte die internationale Gemeinschaft unbeachtet und womöglich sogar unbewusst im Kontext nichtinternationaler Konflikte die Entstehung neuer Rechtsnormen. Die konkrete Umsetzung der Schutzverstärkung durch die in nichtinternationalen Konflikten mangels vertraglicher Regelungen notwendige Gewohnheitsrechtsentwicklung ist für sich genommen eine Revolution für den Schutz der Umwelt. In Hinblick auf die Herausforderungen nichtinternationaler Konflikte kommt der konkreten Umsetzung ein zusätzlicher Vorteil zu, denn nur durch die auf Gewohnheitsrecht beruhende Verpflichtung ist es unproblematisch möglich, auch das Verhalten nichtstaatlicher Konfliktparteien – unabhängig von ihrer Bindung an Vertragsnormen die in transnationalen Konflikten schwer zu begründen ist941 – aufzugreifen und auch von diesen Akteuren die Beachtung der Umwelt bei jeder Konflikthandlung zu fordern. Und doch verbleiben Defizite. Die Geltung des Unterscheidungs- sowie des Proportionalitätsgebots verpflichtet alle Konfliktparteien, die Umwelt als relevanten Aspekt jeder Angriffsentscheidung miteinzubeziehen. Gleichwohl führt 940 Insofern ist die getrennte Darlegung der Geltung der Grundprinzipien in der IKRK-Gewohnheitsrechtstudie einerseits in den Regeln 9 bis 16 als allgemeine Pflichten und in Regel 43 in ihrer Anwendbarkeit auf die Umwelt eine Abbildung neuester Rechtsgeschichte. Kritisch dagegen Hulme, Teil 2, Fn. 888. 941 Zum Meinungsstreit: 1. Teil, § 3, C.
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sie nicht zwingend zu einem maßgeblich erhöhten Schonungsgebot. Kein Element der Umwelt ist vor der Umwandlung in ein militärisches Ziel – mit der gleichzeitig ein Verlust des rechtlichen Schutzes einhergeht – gewahrt. Ein absolutes Verbot der Herbeiführung besonders schwerer Zerstörungen wird durch die Grundprinzipien nicht vermittelt. Schutz ließe sich zwar durch die Einordnung vieler Umweltbestandteile als dual-use-Objekte bei gegenwärtiger militärischer Nutzung erreichen, diese Möglichkeit wird bislang jedoch, soweit ersichtlich, nicht in Erwägung gezogen. Auch das Proportionalitätsgebot kann nur in Extremfällen zur Schonung der Umwelt verpflichten. In fast allen anderen Fällen wird der – noch immer schwer zu fassende – Wert der Umwelt in der Abwägung unterliegen. Auch zukünftige Annäherungsentwicklungen an friedensumweltrechtliche Prinzipien dürften daran wenig ändern. Erweiterte Vorsichtsmaßnahmen, wie sie in Friedenszeiten verstärkt gefordert sind, sind in Konfliktsituation schlicht nicht durchführbar. Selbst wenn umweltvölkerrechtliche Konzepte nachhaltiger Entwicklung im humanitären Völkerrecht Anwendung finden sollten, wird sich das Abwägungsresultat kaum maßgeblich wandeln. Bislang in Entwicklung stehende Umweltschutzprinzipien sind noch immer maßgeblich von einer Mehrgewichtung kurzfristiger (Wirtschafts-)Interessen geprägt. Die Erhaltung der Umwelt, selbst wenn sie zur Wahrung nachhaltigen Wohlstands eine Bevölkerung notwendig wäre, kann sich schon im Frieden kaum gegen entgegenstehende Interessen durchsetzen. Dieses Phänomen gilt weltweit, ist in armen Regionen, die zudem häufiger Schauplatz interner Konflikte sind, aber nochmals verstärkt. Schränken friedensumweltrechtliche Prinzipien die nachhaltige Zerstörung der Umwelt nur in Extremfällen ein, kann gerade in nichtinternationalen Konflikten, in denen das Hervorrufen von Umweltschäden überwiegend nicht mit einer Beeinträchtigung territorialer Unversehrtheit eines anderen Staats und damit staatlicher Souveränität einhergeht, selbst bei Annäherung friedensrechtlicher und humanitärrechtlicher Prinzipien auch zukünftig nichts Anderes gelten. Das Abwägungsergebnis könnte nur durch spezifische Umweltschutznormen abseits des Extremfalls modifiziert werden.
C. Kategorie 3: originäres Gewohnheitsrecht zum Schutz der Umwelt Das Fehlen spezifischer Umweltschutznormen im humanitären Völkerrecht ist ausschlaggebend für das Postulat einer dritten Kategorie von Gewohnheitsrechtsnormen zur Eindämmung zulässiger Umweltzerstörungen in Konfliktzeiten. Anders als die Ausweitung der Grundprinzipien zum Schutz der Umwelt seien sie, so zumindest wird vorgebracht942, genuin umweltschützender Natur. Damit seien 942 Koppe, The Use of Nuclear Weapons and the Protection of the Environment during International Armed Conflict, S. 256 ff.; Bothe et al., International law protecting
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2. Teil: Das geltende Recht und seine Wirkung zum Erhalt der Umwelt
sie in der Lage, die Umwelt über ihren Status als ziviles Objekt hinaus als Ganzes zu schützen. Ihre Formulierung erschöpft sich daher auch nicht in einer Anwendbarkeitserklärung der bereits bekannten Prinzipien und Normen. Vielmehr stellen sie wenigstens partiell eigenständige Handlungs- oder Unterlassungspflichten als originär gewohnheitsrechtliche Normen auf. Inwieweit das in diesem Kontext vorgebrachte Verbot mutwilliger Zerstörung der Umwelt sowie das Gebot ihrer gebührenden Beachtung als neuste Vorbringen vermeintlichen Gewohnheitsrechts allerdings tatsächlich positivrechtliche Verankerung erlangt hat, ist fraglich. Ebenso ist ungewiss, ob die vermeintlichen Gewohnheitsrechtsnormen auch in nichtinternationalen Konflikten Wirkung entfachen, die über die bereits in Konsequenz der Grundprinzipien bestehenden Verpflichtungen hinausgeht. I. Das Verbot mutwilliger Zerstörung der Umwelt Eine der beiden wiederholt vorgebrachten Regelungssätze zur Einschränkung zulässiger Umweltschädigungen während bewaffneter Konflikte ist das Verbot mutwilliger Zerstörung der Umwelt.943 Auch sein historischer Ursprung liegt in der Gewohnheitsrechtsentwicklung der 1990er Jahre. So erklärte die UN-Generalversammlung 1992 in der Präambel zur Resolution 47/37 auf Basis rechtlicher Vorarbeit des IKRK944, „destruction of the environment, not justified by military necessity and carried out wantonly“ sei eindeutig gegenläufig zu bereits bestehendem humanitärem Völkerrecht.945 In der Folgezeit fand das Verbot mutwilliger Zerstörung der Umwelt Erwähnung in Militärhandbüchern unter anderem der USA und des Vereinigten Königreichs946 sowie im HPCR Manual947
the environment during armed conflict: gaps and opportunities, International Review of the Red Cross 92 (2010), S. 576. 943 Koppe, a. a. O., S. 256; Bothe et al., a. a. O., S. 576. 944 Abgedruckt in UNGA, Report of the Secretary-General on the Protection of the Environment in Times of Armed Conflict, 31. Juli 1992, A/47/328. 945 UNGA, Resolution 47/37 vom 9. Februar 1993 on Protection of the environment in times of armed conflict, A/RES/47/37, Präambel, para. 5. 946 Department of the Navy Office of the Chief of Naval Operations and Headquarters et al., The Commander’s Handbook on the Law of Naval Operations, August 2017, NWP 1–14M, 8.4: „Destruction of the natural environment not necessitated by mission accomplishment and carried out wantonly is prohibited.“ United Kingdom Ministry of Defence, The Joint Service Manual of the law of armed conflict of 2004, 12.24: „Damage to or destruction of the natural environment not justified by military necessity and carried out wantonly is prohibited.“ Ein ähnlicher Wortlaut findet sich auch im Militärhandbuch Australiens: Australian Defence Force, Law of Armed Conflict, Australian Defence Force Publication (ADFP) 37, Rn. 545 c): „The general prohibition on destroying civilian objects, unless justified by military necessity, also protects the environment.“ 947 HPCR, Manual on International Law applicable to Air and Missile Warfare, Regel 88: „The destruction of the natural environment carried out wantonly is prohibited.“ Diese Regel gelte auch in nichtinternationalen Konflikten (ibid., Rn. 5).
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oder dem Tallinn Manual948. Das IKRK erklärte das Verbot mutwilliger Umweltzerstörung in Regel 43 B zu Gewohnheitsrecht für internationale wie für nichtinternationale Konflikte.949 1. Ursprünge im Recht
a) Militärische Notwendigkeit als Handlungsvoraussetzung Auf den ersten Blick komplementiert dieses Verbot die Anwendbarkeitserklärung der Grundprinzipien auf die Umwelt, indem es die Geltung des Prinzips militärischer Notwendigkeit hervorhebt. Als Gegengewicht zum Grundsatz der Humanität vertritt dieses Prinzip die Interessen der kriegsführenden Parteien an einer durch rechtliche Handlungsverbote möglichst ungehinderten Konfliktführung.950 Gleichzeitig wird durch das Fehlen militärischer Notwendigkeit im Einzelfall eine absolute Schranke zulässiger Konflikthandlungen aufgestellt: Durch die dem humanitären Völkerrecht zentrale Abwägung zwischen militärischer Notwendigkeit und gegenstreitenden Interessen der Humanität markiert auch das Gebot der Notwendigkeit die äußerste Grenze erlaubter Schädigungshandlungen. Liegt militärische Notwendigkeit nicht vor, überwiegt automatisch der Erhaltungsgedanke der Humanität, sodass die Schädigung nicht rechtmäßig durchgeführt werden darf.951 Die Beschränkung modernen Kriegsrechts auf die Handlungen die nötig sind, um den Gegner zu besiegen952, erlaubt kein anderes Ergebnis. Die Relevanz dieser Überlegungen auch zu Gunsten der Umwelt ist erster Aspekt der als Verbot mutwilliger Umweltzerstörungen bezeichneten Handlungsbeschränkung. Während die Verhaltensregel in dieser Hinsicht zu den im letz948 Schmitt, Tallinn Manual on the International Law applicable to Cyber Warfare, Section 9, Regel 83, Rn. 5. Mutwillig sei die Zerstörung dann, wenn eine vorsätzliche Handlung böswillig und ohne militärische Notwendigkeit verübt würde. Dies sei beispielsweise der Fall, wenn mittels einer unrechtmäßigen Online-Attacke der Austritt von Öl aus einer Anlage mit dem alleinigen Zweck der Umweltschädigung verursacht würde. 949 IKRK, Customary IHL Database, Rules, abrufbar unter: https://www.icrc.org/cus tomary-ihl/eng/docs/v1_rul [abgerufen am 26.10.2020], Regel 43: „Destruction of any part of the natural environment is prohibited, unless required by imperative military necessity.“ 950 Eine der bekanntesten Definitionen militärischer Notwendigkeit wurde im Geiselmord-Prozess, dem siebten Nachfolgeverfahren der Nürnberger Prozesse, formuliert: „Military necessity permits a belligerent, subject to the laws of war, to apply any amount and kind of force to compel the complete submission of the enemy with the least possible expenditure of time, life, and money.“ (Nuernberg Military Tribunals, US v. Wilhelm List et al. (The Hostages Trial/Prozess Generäle in Südosteuropa), Trials of War Criminals before the Nuernberg Military Tribunals under Control Council Law No. 10, Oktober 1946–April 1949, Band 11, S. 757 ff., 1253 f.). 951 Dinstein, Military Necessity, in: Wolfrum (Hrsg.), The Max Planck Encyclopedia of Public International Law, opil.ouplaw.com/home/EPIL, Rn. 2. 952 Rousseau, Contrat Social: Ou Principles du Droit Politique, Livre I, chapitre IV (siehe oben, Teil 2, Fn. 640).
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ten Kapitel erläuterten gewohnheitsrechtlichen Anwendbarkeitserklärungen der Grundprinzipien zu zählen ist, geht ihr Wortlaut in der unter anderem durch das IKRK genutzten Fassung in einem zweiten Aspekt allerdings weiter. Es sind die durch Generalversammlung, IKRK und weitere Akteure in unterschiedlicher Weise genutzten Formulierungen des Verbots, die Fragen des Regelungscharakters und dessen Weite aufwerfen, schließlich verweist die Generalversammlung zusätzlich zu den Vorgaben der Notwendigkeit auf die Mutwilligkeit der Zerstörung der Umwelt („and carried out wantonly“). Das IKRK geht von der Zulässigkeit der Schädigung allein bei zwingender („imperative“) Notwendigkeit aus. Beide Kriterien können nicht allein aus der Vorgabe militärischer Notwendigkeit abgeleitet werden. Die Vielgestaltigkeit der für das Verbot genutzten Formulierungen953 sowie die scheinbare Existenz zusätzlicher Auslösungskriterien führten teils dazu, dass der Regelungssatz als Ausdruck eines humanitärrechtlichen Umweltschutzes neuer Qualität verstanden wurde.954 Welche Handlungen diesem Verbot aber konkret unterfallen und inwieweit die Umwelt durch seine Existenz tatsächlich ein Mehr an Schutz zukommt, bleibt zunächst unklar. b) Schutz feindlichen Eigentums als Verbotsvorbild Die Unklarheit der fraglichen Regelung folgt auch dem Umstand, dass zur Formulierung des Verbots mutwilliger Umweltzerstörung Rückgriff auf ein bereits seit den Haager Abkommen bestehendes Handlungsverbot genommen wurde, nämlich das Verbot mutwilliger Zerstörung gegnerischen Eigentums.955 Nach diesem ist es auch in nichtinternationalen Konflikten956 gewohnheitsrechtlich un953
Siehe auch Teil 2, Fn. 946, 947. Siehe Nachweise in Teil 2, Fn. 946 und 949. 955 Vgl. Henckaerts/Doswald-Beck/Alvermann, Customary International Humanitarian Law, ICRC Study, Band I: Rules, S. 144 f., Kommentierung zu Regel 43 B. 956 Wenngleich nicht ausdrücklich für nichtinternationale Konflikte normiert, kann die gewohnheitsrechtliche Geltung des Verbots der Zerstörung des Eigentums der gegnerischen Partei aus internationalem Strafrecht und speziell aus Art. 8 (2) (e) (xii) IStGH-Statut gefolgert werden. Danach stellt die Zerstörung oder Beschlagnahme gegnerischen Eigentums ein Kriegsverbrechen dar, insofern sie nicht „imperatively“ durch die „necessities of the conflict“ verlangt wird. Sowohl der ICTY als auch der SCSL bestätigten die gewohnheitsrechtliche Geltung des Verbots mutwilliger Zerstörung gegnerischen Eigentums auch in nichtinternationalen Konflikten (ICTY, Prosecutor v. Dario ˇ erkez, Urteil der Verfahrenskammer vom 26. Februar 2001, Case Kordic´, Mario C No. IT-95-14/2-T, Rn. 205; ICTY, Prosecutor v. Enver Hadzˇihasanovic´, Amir Kubura, Appeals Chamber Decision on Joint Defence Interlocutory Appeal of Trial Chamber Decision on Rule 98bis Motions for Acquittal, 11. März 2005, Case No. IT-01-47AR73.3, Rn. 30, 38; SCSL, Prosecutor v. Moinina Fofana and Allieu Kondewa, Urteil der Berufungskammer vom 28. Mai 2008, Case No. SCSL-04-14-A, Rn. 390; siehe auch Dam-de Jong, International law and governance of natural resources in conflict and post-conflict situations, S. 221 f. Zum gewohnheitsrechtlichen Status des Verbots in nichtinternationalen Konflikten siehe Henckaerts/Doswald-Beck/Alvermann, Customary 954
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tersagt, gegnerisches Eigentum zu zerstören oder an sich zu nehmen, es sei denn, Zerstörung oder Inbesitznahme sind durch die Notwendigkeiten des Konflikts dringend erforderlich.957 Die Nutzung dieses Wortlauts für das scheinbar neu entstandene Verbot der Zerstörung der Umwelt legt nahe, dessen Ursprung und Reichweite als Ausgang einer Interpretation heranzuziehen. Sollte die auf das gegnerische Eigentum gerichtete Schonungsanordnung eine über das Gebot der Notwendigkeit hinausgehende Regelungswirkung besitzen, läge es nahe, diese auch in dem neu formulierten Verbot mutwilliger Umweltzerstörung zu suchen. aa) Schutz feindlichen Eigentums durch Art. 23 (g) HLKO Das ursprüngliche Verbot mutwilliger Zerstörung gegnerischen Eigentums in Art. 23 (g) HLKO muss vor dem Hintergrund der damaligen Rechtslage verstanden werden. Ein allgemeiner Schutz ziviler Objekte vor feindlichen Handlungen bestand Anfang des 20. Jahrhunderts auch für internationale bewaffnete Konflikte noch nicht. Das Ideal der Kriegsführung auf Schlachtfeldern abseits ziviler Einrichtungen drängte noch nicht auf eine vollständige Aufteilung alles Existierenden in zivile und militärische Objekte; der vorherrschende Fokus auf militärische Interessen ließ keinen absoluten Schutz der Zivilbevölkerung zu.958 In dieser Situation bewirkte Art. 23 (g) HLKO als Vorläufer des Schutzes ziviler Objekte die Schonung des Eigentums der Zivilbevölkerung, zollte aber gleichzeitig den Handlungsinteressen der Armeen durch die Ausnahme militärischer Notwendigkeit Tribut. Nach Verankerung der Dichotomie ziviler und militärischer Ziele im humanitären Völkerrecht sowie des grundlegenden Schutzes der erstgenannten, trat die Bedeutung der ursprünglichen Eigentumsschonung in den Hintergrund, schließlich darf greifbares Eigentum nach dem Grundsatz der Unterscheidung nur dann Ziel einer feindlichen Handlung sein, wenn es einen effektiven Beitrag zur Konfliktführung einer Partei leistet und seine Zerstörung oder Schädigung dem Angreifer einen deutlichen Vorteil gewährt. In einem solchen Fall wäre die ur-
International Humanitarian Law, ICRC Study, Band I: Rules, S. 175 f., Regel 50 sowie Schmitt/Garraway/Dinstein (Hrsg.), The Manual on the Law of Non-International Armed Conflict: with Commentary, Regel 4.1. b). In Art. 53 GA IV ist das Verbot mutwilliger Zerstörung und Beschlagnahmung speziell für den Fall besetzter Gebiete ebenfalls normiert. Die mutwillige Zerstörung oder Beschlagnahme fremden Eigentums stellt auch nach Art. 50 GA I, Art. 51 GA II sowie Art. 147 GA IV einen schweren Verstoß gegen die Genfer Abkommen dar. 957 Art. 23 (g) HLKO: „[. . .] unless such destruction or seizure be imperatively demanded by the necessities of war.“ 958 Ausführlich zur überragenden Rolle und Bedeutung militärischer Notwendigkeit in den Ergebnissen der Haager Friedenskonferenzen: Alexander, A Short History of International Humanitarian Law, European Journal of International Law 26 (2015), S. 116 f. m.w. N.
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2. Teil: Das geltende Recht und seine Wirkung zum Erhalt der Umwelt
sprünglich extensiv verstandene959 Schutzausnahme des Art. 23 (g) HLKO bei Vorliegen militärischer Notwendigkeit ebenso ausgelöst worden. Die Bedeutung des Eigentumsschutzes als eigenständige Norm verlagerte sich daher mit Aufkommen des allgemeinen Schutzes ziviler Objekte in den Bereich des Völkerstrafrechts, das die Zerstörung gegnerischen Eigentums als Qualifikation der Verletzung des Unterscheidungsgrundsatzes behandelt und deren vorsätzliche Herbeiführung ahndet.960 Wenngleich das Verbot der Zerstörung fremden Eigentums durch die Entwicklung des Zivilschutzes im humanitären Völkerrecht weitgehend obsolet wurde, wurde sein Wortlaut als Vorbild der Verbotsformulierung nicht von zwingender Notwendigkeit getragener, beziehungsweise mutwilliger Umweltzerstörungen unter anderem durch die UN-Generalversammlung herangezogen. Beide Vorschriften sind hinsichtlich ihres Regelungsgehalts zugunsten der Umwelt sowie hinsichtlich ihrer Auslösungskriterien voneinander zu trennen. Obwohl auch das Verbot der Zerstörung fremden Eigentums ein gewisses Maß an Umweltschutz bewirkt, insbesondere eigentumsfähige Teile der Umwelt wie Felder, Wälder, Gewässer, Berge, Wege, Moorgebiete und Weideflächen im tatsächlichen Eigentum der gegnerischen Partei schon immer unter den Schutzbereich des Art. 23 (g) HLKO subsumiert werden konnten,961 beschreibt das u. a. von IKRK und Generalversammlung formulierte Verbot mutwilliger Umweltzerstörung andere Anwendungsszenarien, die sich nicht nur aus der Erfassung nunmehr aller Bestandteile der Umwelt ergeben. Im Detail besteht zwischen beiden Verboten ein deutlicher Unterschied, der vor allem in nichtinternationalen Konflikten Auswirkung hat. bb) Zusätzliche Regelungswirkung in innerstaatlichen Konflikten Zwar bezieht sich das gewohnheitsrechtliche Verbot der Zerstörung von Eigentum nicht mehr allein auf das Hab und Gut der Bevölkerung eines gegnerischen Staats962, sondern stellt das Eigentum jeden Gegners963 unter Schutz, so dass die 959 Jochnick/Normand, The Legitimation of Violence: A Critical History of the Laws of War, Harvard International Law Journal 35 (1994), S. 76, Fn. 123: „[T]he Hague Conferences demonstrated that states tended to interpret military necessity to mean mere utility – anything useful or advantageous in war.“ 960 Art. 8 (2) (a) (iv) und 8 (2) (e) (xii) IStGH-Statut. 961 Ähnlich wie im Fall des Plünderungsverbots nach Art. 4 (2) (g) ZP II. Siehe zu diesem oben, 2. Teil, § 2, B., II. 962 So noch nach Art. 23 (g) HLKO der selbstverständlich allein internationale Kriege normierte. 963 „Property of an adversary“ (vgl. den Wortlaut der IKRK-Regel 50: „The destruction or seizure of the property of an adversary is prohibited, unless required by imperative military necessity.“ IKRK, Customary IHL Database, Rules, abrufbar unter: https:// www.icrc.org/customary-ihl/eng/docs/v1_rul [abgerufen am 26.10.2020]). Gegner („adversary“) im Kontext des gleichlautenden Art. 8 (2) (e) (xii) IStGH-Statut ist jede Person, die als Angehörige der gegnerischen Konfliktpartei betrachtet werden kann. So
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Vorschrift grundsätzlich auch in rein internen Sachverhalten Wirkung entfachen kann, gerade in nichtinternationalen Konflikten beschränkt die Begrenzung auf das Eigentum der gegnerischen Partei aber das Schutzpotenzial für die natürliche Umwelt. Wie bereits im Kontext von Art. 4 (2) (g) ZP II erläutert, ist die Verteilung von Eigentum eine Aufgabe innerstaatlichen Rechts, das natürliche Ressourcen und Umweltbestandteile in fast allen Fällen dem Staatseigentum zuordnen wird.964 In innerstaatlichen Konflikten trifft das Verbot der Zerstörung gegnerischen Eigentums, ähnlich wie Art. 4 (2) (g) ZP II, daher ganz überwiegend die nichtstaatlichen Parteien.965 Vor Handlungen staatlicher Streitkräfte vermittelt es in Konsequenz kaum Schutz.966 In bewaffneten Konflikten zwischen mehreren nichtstaatlichen Gruppen, in denen der Staat nicht als Partei des Konflikts auftritt, ist es zudem kaum relevant, da natürliche Ressourcen und andere Umweltaspekte grundsätzlich nicht dem Eigentum bewaffneter Gruppen zuzuordnen sind und damit nicht Eigentum des Gegners darstellen.967 Durch die Etablierung eines Verbots mit spezifischen Umweltbezug, das nicht länger an bestimmte Eigentumsverhältnisse gebunden ist968, ändert sich diese Situation. Staatlichen wie nichtstaatlichen Akteuren ist dadurch gleichermaßen untersagt, die Umwelt grundlos zu zerstören, unabhängig davon, ob diese einer der Konfliktparteien zugeordnet werden kann. In dieser Hinsicht stellt das Verbot der Umweltzerstörung Zimmermann/Geiß, Commentary on Art. 8 (2) (e) (xii), in: Triffterer/Ambos (Hrsg.), Rome Statute of the International Criminal Court, A commentary, Rn. 969. 964 2. Teil, § 2, B., II. 965 Dam-de Jong, International law and governance of natural resources in conflict and post-conflict situations, S. 223. 966 Eine Ausnahme könnte bezüglich solcher Umweltkomponenten bestehen, die dem Privateigentum von Zivilpersonen, die unter der Kontrolle bewaffneter Gruppen stehen, zuzuordnen sind. In Bezug auf Art. 8 (2) (e) (xii) IStGH-Statut argumentieren Zimmermann und Geiß, dass, anders als in Art. 8 (2) (e) (ix), nicht nur die am Konflikt beteiligten Kämpfer geschützt seien („adversary“ in Nr. (xii) statt qualifizierend „combatant adversary“ in Nr. (xii)), sondern auch das Eigentum der Zivilbevölkerung unter den Schutzbereich der Strafnorm falle (Zimmermann/Geiß, Commentary on Article 8 (2) (e) (xii), in: Triffterer/Ambos (Hrsg.), Rome Statute of the International Criminal Court, A commentary, Rn. 970). In der Praxis ergibt sich jedoch das Problem der Zuordnung der Zivilbevölkerung zu einer Konfliktpartei. Selbst eine vermeintlich einfach zu handhabende räumliche Zuordnung am Maßstab kontrollierter Gebiete dürfte in umkämpften Gebieten scheitern. Die grundlegende Prämisse möglichst umfassender Schonung der nicht am Konflikt beteiligten Personen spricht dennoch für eine möglichst weite Auslegung speziell des Primärverbots. Der Schutz zivilen Eigentums ist auch Ursprung der Verbotsnorm (Art. 23 (g) HLKO). Es wäre sinnwidrig, diesen bei Übertragung auf interne Konflikte nur für Zerstörungen durch nichtstaatliche Akteure zu gewähren. 967 Vgl. auch Dam-de Jong, International law and governance of natural resources in conflict and post-conflict situations, S. 224, Fn. 68. 968 Vgl. den Wortlaut der Regel 43 B der IKRK-Studie, nach der die Zerstörung „of any part of the natural environment“ untersagt ist (Regel 43, Henckaerts/DoswaldBeck/Alvermann, Customary International Humanitarian Law, ICRC Study, Band I: Rules, S. 143, Herv. d. d.Verf.).
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2. Teil: Das geltende Recht und seine Wirkung zum Erhalt der Umwelt
keine bloße Konkretisierung der Grundnorm des Art. 23 (g) HLKO um den Begriff der Umwelt, sondern eine qualitative Erweiterung des ursprünglichen Verbots dar.969 2. Schutzgehalt und Abgrenzung
Der Umfang zusätzlichen Schutzes für Bestandteile der natürlichen Umwelt ergibt sich allerdings nicht nur in Abgrenzung zum Schonungsgebot fremden Eigentums. In gleicher Weise wie der Gehalt des Art. 23 (g) HLKO durch die Weiterentwicklung humanitären Völkerrechts mit den Genfer Abkommen an Bedeutung verloren hat, könnte auch ein Verbot mutwilliger Zerstörung der Umwelt neben dem bereits durch die Klassifikation der Umwelt als zivilem Objekt bewirkten Schutz an Relevanz entbehren. Unter Umständen stellt das vermeintlich genuine Umweltschutzgebot lediglich eine sprachliche Abwandlung der durch die Grundprinzipien erwirkten Handlungsverbote ohne eigenen Regelungsinhalt dar; schließlich gebietet das Unterscheidungsgebot den Schutz aller ziviler Objekte und auch aller Umweltbestandteile, die kein militärisches Ziel darstellen. Ein weitergehendes Handlungsverbot wurde auch durch das Gebot der Schonung gegnerischen Eigentums nicht vermittelt. Das Verbot mutwilliger Umweltzerstörung ist jedoch weit jünger als Art. 23 (g) HLKO. Es wurde zeitgleich zur Erklärung der Klassifikation der Umwelt als Objekt des Unterscheidungsgebots zusätzlich formuliert, so dass angenommen werden muss, dass es trotz und in Kenntnis dessen entwickelt wurde. Wie stehen Unterscheidungsgebot und das Verbot mutwilliger Umweltzerstörung letztlich aber zueinander? a) Das Verbot als Modifikation des Unterscheidungsgebots Nach dem Wortlaut der Regel 43 B der IKRK-Gewohnheitsrechtsstudie untersagt das Verbot die Zerstörung der Umwelt ohne dringende militärische Notwendigkeit. Unklar bleibt dabei jedoch, in welchem Verhältnis dieses Verbot zum Schutz ziviler Objekte durch das Unterscheidungsgebot stehen soll. Möglich sind mehrere Verhältnisvariationen, die in ihrer Schutzweite deutlich divergieren: Die stärkste Schutzvermittlung ergäbe sich bei der Interpretation des Verbots mutwilliger Umweltzerstörung als eine zusätzlich zum Grundsatz der Unterscheidung bestehende Handlungseinschränkung. Systematische Gründe sprechen für diese Auslegung. Durch sie ließe sich erklären, warum neben der Anwendbarkeit des Unterscheidungsgrundsatzes die zusätzliche Regel 43 B in der Studie aufgenommen wurde. Bei Annahme eines zusätzlichen Verbots wäre die Zerstörung einer Umweltkomponente auch bei ihrer Klassifikation als militärisches Ziel und unabhängig von ihrer Rolle als Ziel oder kollateral getroffenes Objekt erst dann erlaubt, wenn zwingende militärische Notwendigkeit sie geböte. Der Ursprung 969 Hulme, Natural Environment, in: Wilmshurst/Breau (Hrsg.), Perspectives on the ICRC study on customary international humanitarian law, S. 214.
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der Verbotsformulierung im Schutz des Eigentums, der historisch gesehen nur eine Vorform und kein Zusatz zum Unterscheidungsgrundsatz darstellte, spricht allerdings gegen diese Auslegung. Gemessen an dem bislang marginalen Stellenwert des Umweltschutzes im System humanitären Völkerrechts scheint diese Interpretation vor allem aber realitätsfremd. Eine derartige Regelung wäre eine klare Revolution bestehenden Rechts, deren Eintritt nicht zu erkennen ist und deren Bestehen im Kontext eines realitätsnahen und befolgbaren ius in bello kaum möglich erscheint. Gegenpolig könnte die Verbotsnorm allerdings auch als Gewährung zusätzlicher Handlungsfreiheit und damit letztlich als Instrument der Schutzminderung interpretiert werden. Ist die Zerstörung der Umwelt nach der Verbotsformulierung unzulässig solange dringende militärische Notwendigkeit sie nicht erfordert, kann im Umkehrschluss auf ihre Zulässigkeit bei Vorlage eben jener Notwendigkeit geschlossen werden. Die Schädigung, so vertritt es z. B. Hulme im Kontext des Art. 23 (g) HLKO, wäre nach dem bisher verwendeten Wortlaut der Vorschrift sogar dann zulässig, wenn die spezifische Umweltkomponente mangels effektiver Unterstützung militärischer Handlungen kein militärisches Ziel im Sinne des Unterscheidungsgebots darstellt.970 Das Verbot wäre damit als Ausnahme des Unterscheidungsgrundsatzes zu verstehen. Die zwingende Unterscheidung zwischen zivilen und militärischen Zielen im Konflikt lässt es allerdings nicht zu, Objekte zu attackieren, welche die Definition eines militärischen Ziels nicht erfüllen. Durch die gewohnheitsrechtliche Anerkennung der Umwelt und ihrer Bestandteile als Anwendungsobjekte des Unterscheidungsgrundsatzes erlangte das Gebot umfassende Geltung. Eine Ausnahmeregelung in einer räumlich und inhaltlich getrennten und mehrdeutig formulierten Schutznorm zu verankern, wäre allein schon aus systematischen Gründen abzulehnen.971 Zusätzlich 970 So Dam-de Jong, International law and governance of natural resources in conflict and post-conflict situations, S. 223 zu Art. 23 (g) HLKO, den sie als Ausnahme zu dem grundsätzlichen Verbot des Angriffs gegen zivilem Objekte beschreibt. 971 Als Gegenargument ungeeignet ist dagegen der Verweis auf das Verbot der Rechtfertigung eines Verstoßes gegen positives Recht auf Basis militärischer Notwendigkeit, denn würde das Verbot mutwilliger Umweltzerstörung zur Aushebelung des Unterscheidungsgebots in bestimmten Fällen führen, wäre dies eine positivrechtlich veranlasste Ausnahme, die geltendes Recht schlicht ändern würde. Zum Verbot der Rechtfertigung durch militärische Notwendigkeit: Nuernberg Military Tribunals, US v. Wilhelm List et al. (The Hostages Trial/Prozess Generäle in Südosteuropa), Trials of War Criminals before the Nuernberg Military Tribunals under Control Council Law No. 10, Oktober 1946–April 1949, Band 11, S. 757 ff., S. 1256: „Military necessity or expediency do not justify a violation of positive rules. International law is prohibitive law.“ Nuernberg Military Tribunals, US v. Wilhelm von Leeb et al. (High Command Trial/Prozess Oberkommando der Wehrmacht) Trials of War Criminals before the Nuernberg Military Tribunals under Control Council Law No. 10, Oktober 1946–April 1949, Band 11, S. 1 ff., S. 541: „It has been the viewpoint [. . .] that military necessity includes the right to do anything that contributes to the winning of a war. [..S]uch a view would eliminate all
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spricht die ausdrückliche Formulierung des Verbots unnötiger Umweltzerstörung für die Intention der beteiligten Handlungsträger, ein Mehr und nicht ein Weniger an Schutz zu erreichen. b) Regelungsfälle In Betracht käme also nur erstens eine zusätzliche Beschränkung zulässiger Kollateralschäden durch Modifikation des Proportionalitätsgebots um das in Regel 43 B der IKRK-Studie genannte Erfordernis dringender Notwendigkeit („imperative military necessity“) sowie zweitens das Verbot solcher Schäden, die abseits der Führung von Attacken getätigt werden. Ersteres, nämlich die Modifikation des Proportionalitätsgebots bei Kollateralschäden muss allerdings sogleich abgelehnt werden. Ein derart weitreichendes Verbot findet in der Staatenpraxis keine Unterstützung. Aufgrund der Allgegenwärtigkeit von Umweltbestandteilen würde es die Konfliktführung streng genommen praktisch unmöglich machen, wenigstens aber die Einhaltung des Kriegsrechts enorm erschweren. Im Kontext des Proportionalitätsgebots wird dem Grundsatz militärischer Notwendigkeit bei einem Angriff schon durch den Prüfungspunkt des militärischen Vorteils Rechnung getragen.972 Strengere Voraussetzungen an die Zulässigkeit militärischer Handlungen werden vom geltenden Recht, insbesondere auch von Art. 23 (g) HLKO beziehungsweise dessen gewohnheitsrechtlich geltenden Pendant, nicht gestellt.973 Ihre Einführung kann nicht durch das Verbot bezweckt sein. Eine Modifikation zulässiger Handlungen ist daher nur abseits klassischer Angriffshandlungen denkbar. aa) Zwingende Notwendigkeit abseits militärischer Angriffshandlungen Die Qualifikation zwingender militärischer Notwendigkeit, die unter anderem in Regel 43 der IKRK-Studie enthalten ist, lässt zunächst darauf schließen, dass eine Zerstörung der Umwelt abseits ihrer für Angriffe maßgeblichen Kategorisierung als militärisches oder ziviles Ziel nur im äußersten Fall zulässig und der vermittelte Umweltschutz in Konsequenz weitreichend wäre. Der Begriff zwingender Notwendigkeit wurde aus Art. 23 (g) HLKO entnommen, findet sich aber auch in anderen Bereichen humanitären Völkerrechts wie beispielsweise den humanity and decency and all law from the conduct of war and it is a contention which this Tribunal repudiates as contrary to the accepted usages of civilized nations.“ 972 Hulme, Natural Environment, in: Wilmshurst/Breau (Hrsg.), Perspectives on the ICRC study on customary international humanitarian law, S. 212; Fleck, The protection of the environment in armed conflict, Nordic Journal of International Law 82 (2013), S. 13. 973 Ausführlich zur Bedeutung der Qualifikation zwingender Notwendigkeit auch im Rahmen des Art. 23 (g) HLKO m.w. N. Dinstein, Military Necessity, in: Wolfrum (Hrsg.), The Max Planck Encyclopedia of Public International Law, opil.ouplaw.com/ home/EPIL, Rn. 12 f.
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Vorschriften über den Kulturgüterschutz während bewaffneter Konflikte.974 In diesem Kontext ist eine Schädigung erst dann zwingend notwendig und damit ausnahmsweise zulässig, wenn keine durchführbare Alternative besteht, um die jeweilige Situation zu handhaben.975 Eine Gleichsetzung der Qualifikation mit militärischer Nützlichkeit976 oder das Ausreichen bloßer militärischer Notwendigkeit ist angesichts des besonderen Schutzes von Kulturgütern zumindest in diesem Regime nicht zulässig.977 Divergierende Qualifikationsformulierungen finden sich an anderer Stelle, beispielsweise in Art. 53 GA IV („absolutely necessary“). Die Tendenz geht heute allerdings in die Richtung, diese Qualifizierungsmerkmale als in der Angriffssituation gleichbedeutend anzusehen.978 Militärische Notwendigkeit, so wird vertreten, liege grundsätzlich nur dann vor, wenn sie zwingend ist.979 Abseits der Zulässigkeit von Attacken ist jedoch fraglich, ob der gleiche Maßstab zwingender militärischer Notwendigkeit angelegt werden kann und darf. Grundsätzlich könnten alle umweltrelevanten Handlungen, die nicht direkt mit der Konfliktführung verbunden sind, aber dennoch in deren Kontext verübt werden, vom Anwendungsbereich des Zerstörungsverbots erfasst werden. Dieses bezieht sich in der Wortlautfassung der IKRK-Studie nämlich nicht allein auf Angriffe, sondern auf alle Arten der Zerstörung der Umwelt.980 Erfasst wären also auch beispielsweise Truppenbewegungen und durch sie verursachte Schäden. In diesem Kontext ist jedoch wenig Raum für ein Verbot von Umweltzerstörungen, die nicht von dringenden Notwendigkeiten getragen werden. Könnte seine Existenz angenommen werden, würde es doch auf täglicher Basis gebrochen.981 Die Rodung eines Waldstücks, das den Weg eines Panzers blockiert oder das Aufstellen eines Camps verhindert, könnte allgemein kaum unter die Anforderung einer zwingenden Notwendigkeit gefasst werden. Ein Verbot dieses Ausmaßes würde jeglichen Sinns entbehren. Von derzeitiger Staatenpraxis wird es 974
So z. B. nach Art. 4 (2) HK 1954. O’Keefe, Protection of cultural property, in: Clapham/Gaeta (Hrsg.), The Oxford Handbook of International Law in Armed Conflict, S. 440, Rn. 4. 976 UNESCO, Third Meeting of the High Contracting Parties to the Convention for the Protection of Cultural Property in the Event of Armed Conflict, 13. November 1997, CLT-97/CONF.208/3, Rn. 5 (II); zitiert bei Sivakumaran, The Law of Non-International Armed Conflict, S. 377. 977 Sivakumaran, a. a. O., S. 377. 978 Dinstein, Military Necessity, in: Wolfrum (Hrsg.), The Max Planck Encyclopedia of Public International Law, opil.ouplaw.com/home/EPIL, Rn. 13. 979 A. a. O. 980 Vgl. den Wortlaut von Regel 43 B („Destruction of any part of the natural environment is prohibited, unless required by imperative military necessity“) in Abgrenzung beispielsweise zu Regel 38 B („Property of great importance [. . .] must not be the object of attack unless imperatively required by military necessity“). 981 So auch Hulme, Natural Environment, in: Wilmshurst/Breau (Hrsg.), Perspectives on the ICRC study on customary international humanitarian law, S. 211. 975
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zudem nicht getragen. Als Gewohnheitsrecht kann das Verbot daher nicht derart einschränkend wirken. Anders ist dies womöglich aber im Fall defensiver Zerstörung der Umwelt, die mangels Vorliegens eines Angriffs zunächst ebenfalls nicht unter den Hauptanwendungsfall des Unterscheidungsgebots fällt.982 Hier könnte dem Erfordernis erhöhter Notwendigkeit als Voraussetzung der Schädigungszulässigkeit auch in der Praxis Sinn zukommen. bb) Zwingende Notwendigkeit als Legitimation defensiver Umweltzerstörung Eine der wenigen, dem Kriegsrecht seit seiner Entstehung bekannten Gründe für die Zerstörung ganzer Landstriche auch des eigenen Staatsgebiets, die im Moment der Schädigung durch die eigene Partei dem Gegner noch keinen Vorteil bieten und schon deshalb nicht in die Definition militärischer Ziele passen, besteht in der sogenannten Politik der verbrannten Erde. Die Zerstörung aller Ressourcen eines Gebiets, die für die anrückende gegnerische Partei auch nur potenziell nützlich sein könnten, durch die auf dem Rückzug befindlichen Streitkräfte zählte zu den anerkannten Ausnahmen des Art. 23 (g) HLKO.983 Ihr wird noch immer in Art. 54 (5) ZP I Tribut gezollt: Absatz 5 erlaubt bei Vorliegen dringender militärischer Notwendigkeit in Ausnahme zum grundsätzlichen Verbot der Schädigung der Lebensgrundlage der Zivilbevölkerung deren Zerstörung durch die das Gebiet kontrollierende Konfliktpartei.984 Es liegt nahe, die Zulässigkeit der defensiven Zerstörung eines Teils der Umwelt, die nicht unter den offensiven Angriffsbegriff gefasst werden kann, nach eben diesem Maßstab zu beurteilen. Zumindest hinsichtlich der Umweltkomponenten, die zur Lebensgrundlage der Zivilbevölkerung zu zählen sind, hätte das infrage stehende gewohnheitsrechtliche Umweltzerstörungsverbot zusammen mit seiner Ausnahme zwingender Notwendigkeit damit eine Grundlage im Vertragsrecht. Für Umweltkomponenten, die nicht der Lebensgrundlage der Bevölkerung dienen, kann aufgrund ihres geringeren anthropozentrischen Werts jedenfalls kein strengerer Maßstab angenommen werden.
982 So z. B. Regel 7 der IKRK-Studie: „[. . .] Attacks must not be directed against civilian objects.“ Henckaerts/Doswald-Beck/Alvermann, Customary International Humanitarian Law, ICRC Study, Band I: Rules, S. 25, Regel 7. 983 Nuernberg Military Tribunals, US v. Wilhelm List et al. (The Hostages Trial/Prozess Generäle in Südosteuropa), Trials of War Criminals before the Nuernberg Military Tribunals under Control Council Law No. 10, Oktober 1946–April 1949, Band 11, S. 757 ff., S. 1297. 984 Art. 54 (5) ZP I: „In recognition of the vital requirements of any Party to the conflict in the defence of its national territory against invasion, derogation from the prohibitions [. . .] may be made by a Party to the conflict within such territory under its own control where required by imperative military necessity.“
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Von der in Art. 54 (5) ZP I enthaltenen Ausnahme erfasst sind allerdings nur solche Zerstörungen, die in Verteidigung des eigenen Staatsgebiets in einem Territorium unter der Kontrolle der handelnden Partei ausgeführt werden. Weder die Zerstörung der Umwelt auf fremdem Staatsgebiet985 noch durch eine Partei, die über kein ihr zuzuordnendes Staatsgebiet verfügt, kann durch diese Ausnahme gerechtfertigt werden. Ob es überhaupt einen mit humanitärem Völkerrecht vereinbaren Anwendungsbereich der Politik verbrannter Erde in nichtinternationalen Konflikten gibt, ist darüber hinaus schon im Grundsatz fraglich. Der mit Art. 54 ZP I korrespondierende und im Vergleich zu diesem vereinfachte Art. 14 ZP II enthält keine Ausnahme von dem Verbot der Schädigung der Lebensgrundlage der Zivilbevölkerung.986 Aus diesem Grund wird die Zulässigkeit der Politik verbrannter Erde in nichtinternationalen Konflikten überwiegend verneint.987 Dieses Argument überzeugt allerdings nur im ersten Augenblick. Art. 14 ZP II verbietet allein die mit der Intention des Aushungerns der Zivilbevölkerung betriebene Zerstörung ihrer Lebensgrundlage. Da die Politik verbrannter Erde aber darauf zielt, der gegnerischen Partei wertvolle Güter vorzuenthalten und nicht von der Lebensgrundlage abhängige Zivilbevölkerungen auszuhungern, wäre Art. 14 ZP II sowieso nicht einschlägig. Und dennoch sprechen überzeugende Gründe 985 Beispielsweise im Verlauf einer Okkupation zum Schutz der eigenen Truppen bei Rückzug. Nach Art. 23 (g) HLKO war dies noch gestattet. Vgl. erneut Nuernberg Military Tribunals, US v. Wilhelm von Leeb et al. (High Command Trial/Prozess Oberkommando der Wehrmacht) Trials of War Criminals before the Nuernberg Military Tribunals under Control Council Law No. 10, Oktober 1946–April 1949, Band 11, S. 1 ff., S. 541; Nuernberg Military Tribunals, US v. Wilhelm List et al. (The Hostages Trial/ Prozess Generäle in Südosteuropa), Trials of War Criminals before the Nuernberg Military Tribunals under Control Council Law No. 10, Oktober 1946–April 1949, Band 11, S. 757 ff., S. 1297; Solf, Commentary on Article 54 AP I, in: Bothe et al., New Rules for Victims of Armed Conflicts, Commentary on the two 1977 Protocols Additional to the Geneva Conventions of 1949, S. 384, Rn. 2.6. 986 Der Vertreter des IKRK in der CDDH argumentierte bei der Präsentation der Vorschrift für eine Verpflichtung jeder Konfliktpartei, sowohl das eigene als auch das gegnerische Eigentum zu schützen (CDDH/III/SR.16, in: CDDH, Official Records of the Diplomatic Conference on the Reaffirmation and Development of International Humanitarian Law Applicable in Armed Conflicts, Geneva (1974–1977), Band XIV, Rn. 43). Eine mögliche Ausnahme von Art. 14 ZP II nach Vorbild des Art. 54 (5) ZP I wurde im Anschluss nicht diskutiert (Junod, Commentary on Article 14 AP II, in: Sandoz/Swinarski/Zimmermann (Hrsg.), Commentary on the Additional Protocols of 8 June 1977 to the Geneva Conventions of 12 August 1949, Rn. 4809). 987 Dinstein, Non-International Armed Conflicts in International Law, S. 193; Sivakumaran, The Law of Non-International Armed Conflict, S. 426; Hutter, Starvation as a Weapon, S. 222. Hutter verweist u. a. auf eine Äußerung des Delegierten der Sowjetunion in der CDDH, nach der das Kernziel des ZP II die Verminderung schädlicher Auswirkungen nichtinternationaler Konflikte für die Zivilbevölkerung sei (CDDH/III/ SR.18, in: CDDH, Official Records of the Diplomatic Conference on the Reaffirmation and Development of International Humanitarian Law Applicable in Armed Conflicts, Geneva (1974–1977), Band XIV, Rn. 3). Aus dieser und anderen Äußerungen mehrerer Delegierter könne geschlossen werden, dass die Zulässigkeit der Politik verbrannter Erde in internen Konflikten nicht der Intention der Staaten in der CDDH entsprach.
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gegen die Zulässigkeit dieser Konfliktführungstaktik in nichtinternationalen Konflikten. Die Zerstörung eigenen Staatsgebiets zur Abwehr eines herannahenden Feindes wird Staaten meist nur bei drohender Invasion von außen anerkannt988, eine Gefahr, die in nichtinternationalen Konflikten kaum auftreten kann.989 Zudem wäre die Ausnahmeregel in bewaffneten Konflikten zwischen Regierungen und nichtstaatlichen Gruppen auch bei Übertragung des Art. 54 (5) ZP I unter dem Gesichtspunkt der Gleichheit der Konfliktparteien nicht funktionsfähig, da der Wortlaut allein der Staatspartei das Recht gäbe, das zu ihrem Staat gehörende Territorium unter ihrer Kontrolle zu zerstören. Der nichtstaatlichen Gruppe wäre dies auch bei Kontrolle über ein Gebiet niemals möglich.990 Tatsächliche Gewalt ist rechtlich schließlich nicht gleichzusetzen mit einer auf Legitimationserwägungen fundierten Zuschreibung eines Territoriums im Sinne eines eigenen Staatsgebiets. Die zumindest potenziell denkbare Adaption des Wortlauts von Art. 54 (5) ZP I („in the defence of its national territory“) auf bewaffnete Gruppen, die langfristig Kontrolle über ein Gebiet ausüben, ist aufgrund der damit verbundenen Legitimation des Herrschaftsanspruchs realpolitisch undenkbar. Der Unzulässigkeit defensiver Zerstörung im nichtinternationalen Konflikt ist daher im Ergebnis zuzustimmen. Die Politik verbrannter Erde, wäre sie doch als durch zwingende Notwendigkeit getragene Ausnahme von einem Verbot mutwilliger Umweltzerstörungen grundsätzlich denkbar, kann daher in nichtinternationalen Konflikten nicht genutzt werden, um die Lebensgrundlage der Bevölkerung zu zerstören. Gewohnheitsrechtlich ist eine derartige Handlung nicht gestattet. Eine mit dieser Taktik vergleichbare Zerstörung anderer Umweltkomponenten des eigenen Staatsgebiets, z. B. von Wäldern, in denen sich feindliche Truppen unbemerkt den eigenen, auf dem Rückzug befindlichen Truppen nähern könnten, wäre bei Annahme zwingender Notwendigkeit allerdings weiterhin möglich. Doch selbst mit Identifikation eines möglichen Anwendungsszenarios erschließt sich die Regelungswirkung des Verbots und seiner Ausnahme nicht eindeutig.
988 Vgl. z. B. das Militärhandbuch Schwedens: „Such steps are permitted under 54:5 where they are required by overriding military necessity and concern only one party’s national territory. [. . .] Thus it is not allowed to attack [. . .] an area occupied by the adversary [. . .]“ (Herv. im Original; zitiert bei IKRK, Customary IHL Database, Practice, abrufbar unter: https://www.icrc.org/customary-ihl/eng/docs/v2 [abgerufen am 26.10.2020]). Das Zitat enthält offensichtlich einen Fehler. Es müsste stattdessen only on one party’s national territory lauten. Aus der nachfolgenden Erläuterung des Verbots der Bombardierung von eigenen Gebieten unter fremder Okkupation wird der Sinn der Vorschrift allerdings klar. Ähnlich auch die an gleicher Stelle genannten Handbücher Australiens (2006) und Kanadas (2001). Mit weiteren Nachweisen auch Hutter, Starvation as a Weapon, S. 223, Fn. 250. 989 Denkbar wäre allein der grenzüberschreitende Angriff einer bewaffneten Gruppe auf einen anderen Staat. 990 So Sivakumaran, The Law of Non-International Armed Conflict, S. 346.
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cc) Wortlautdivergenz und die Suche nach dem Regelungskern Die Ermittlung der Szenarien, die unter die Ausnahme des Umweltzerstörungsverbots subsumiert werden können, erschwert sich noch dadurch, dass die in Art. 23 (g) HLKO enthaltene und in Regel 43 B der Gewohnheitsrechtsstudie aufgenommene Qualifizierung zwingender Notwendigkeit nicht in jeder Formulierung des Verbots unnötiger Umweltzerstörung enthalten ist. Sowohl die Resolution 47/37 der Generalversammlung991 als auch u. a. das San Remo Manual992 enthalten keine zusätzliche Qualifizierung militärischer Notwendigkeit, sondern verbieten allein die mutwillige und nicht von Notwendigkeit getragene Zerstörung der Umwelt. Ein ähnlicher Wortlaut ist auch in den Militärvorschriften u. a. der USA und des Vereinigten Königreichs zu finden.993 Die durch das IKRK in die Gewohnheitsrechtsstudie aufgenommene Qualifikation zwingender Notwendigkeit findet sich dagegen in keinem der aufgeführten Praxisnachweise.994 Auch an dieser Stelle bleiben daher Zweifel an der Übereinstimmung der IKRKRegel mit geltendem Gewohnheitsrecht.995 Die defensive Zerstörung der eigenen Umwelt durch einen im nichtinternationalen bewaffneten Konflikt befindlichen Staat unterliegt daher, insofern sie nicht zur Lebensgrundlage der Bevölkerung zu zählen ist und daher schon dem Verbot des Art. 14 ZP II unterfällt, im Ergebnis keiner erhöhten Schwelle zwingender Notwendigkeit. Was bleibt von dem ursprünglich als genuin neues Gewohnheitsrecht vorgebrachten Regelungssatz? Schädigungen der Umwelt sind untersagt, wenn sie nicht notwendig sein. c) Regelungsumfang Im Rahmen militärischer Attacken läuft das Verbot mutwilliger Umweltzerstörungen also mit der durch das Unterscheidungsverbot bewirkten Handlungsgrenze gleich. Militärische Objekte dürfen attackiert werden, zivile Objekte sind zu schonen. Sie dürfen nur innerhalb der Proportionalitätsgrenze durch Angriffe auf militärische Ziele als Kollateralschäden in Mitleidenschaft gezogen werden. 991 UNGA, Resolution 47/37 vom 9. Februar 1993 on Protection of the environment in times of armed conflict, A/RES/47/37, siehe Teil 2, Fn. 673. 992 Doswald-Beck, San Remo Manual on International Law applicable to Armed Conflicts at Sea, para. 44: „Methods and means of warfare should be employed with due regard for the natural environment taking into account the relevant rules of international law. Damage to or destruction of the natural environment not justified by military necessity and carried out wantonly is prohibited.“ 993 Siehe die Nachweise in Teil 2, Fn. 946. 994 Vgl. die Praxisnachweise zu Regel 43 B unter: IKRK, Customary IHL Database, Practice, abrufbar unter: https://www.icrc.org/customary-ihl/eng/docs/v2 [abgerufen am 26.10.2020]. 995 Mit anderer Begründung i. E. zustimmend Hulme, Natural Environment, in: Wilmshurst/Breau (Hrsg.), Perspectives on the ICRC study on customary international humanitarian law, S. 215.
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Abseits militärischer Angriffe besteht kein strenges Verbot der Umweltschädigung abseits zwingender Notwendigkeit. Dieses entspräche den Gegebenheiten der Realität sowieso nicht. Dagegen ist die defensive Zerstörung des eigenen Staatsgebiets im Sinne einer Politik verbrannter Erde in nichtinternationalen Konflikten auch unabhängig von der Auslegung des Verbots mutwilliger Umweltzerstörung von vorneherein nicht gestattet.996Als zusätzlicher Regelungsfall verbleibt also nur die Situation von Umweltschädigungen abseits von Konflikthandlungen. Können sie aus Praxiserwägungen sowie mangels entsprechender opinio iuris997 nicht am Maßstab einer erhöhten, zwingenden militärischen Notwendigkeit gemessen werden, bleibt angesichts tatsächlicher Konfliktsituationen nur die durch fehlende Notwendigkeit gekennzeichnete Grenze der Mutwilligkeit. Dass Zerstörungen im Konfliktkontext auch auf eigenem Staatsgebiet nicht mutwillig ohne die Verfolgung jeder militärischen Notwendigkeit durchgeführt werden dürfen, erscheint vor dem Hintergrund des auch in nichtinternationalen bewaffneten Konflikten geltenden Schutzes der Zivilbevölkerung und ihrer Lebensgrundlage zwar nicht unrealistisch, bedeutet gleichwohl aber einen zumindest auf dem Papier existierenden Einschnitt in die Souveränität eines Staates. Die Anwendungsschwelle des Handlungsverbots wird hier aber nicht niedrig zu setzen sein. Mit der Kriegsführung in jedweder Art verbundene Schäden dürften durch allgemeine militärische Notwendigkeit zu rechtfertigen sein. Diese Auslegung stünde auch im Einklang mit der Rechtsprechung im Nürnberger Nachfolgeprozess gegen die sogenannten Südost-Generäle zum Verbot der Zerstörung gegnerischen Eigentums: „Destruction as an end in itself is a violation of international law. There must be some reasonable connection between the destruction of property and the overcoming of the enemy forces.“ 998
Wenngleich das verbleibende Verbot mutwilliger Umweltzerstörung999 also keinen großen Schutzgewinn erzielt, ist es dem Versuch einer konstruierten 996
Art. 14 ZP II. Die durch das IKRK behauptete Qualifizierung zwingender Notwendigkeit findet zumindest derzeit keine eindeutige Fundierung in opinio iuris und Staatenpraxis. Vgl. erneut die Praxisnachweise zu Regel 43 B (Teil 2, Fn. 994). 998 Nuernberg Military Tribunals, US v. Wilhelm List et al. (The Hostages Trial/Prozess Generäle in Südosteuropa), Trials of War Criminals before the Nuernberg Military Tribunals under Control Council Law No. 10, Oktober 1946–April 1949, Band 11, S. 757 ff., S. 1253. 62. Zitiert bei Hulme, Natural Environment, in: Wilmshurst/Breau (Hrsg.), Perspectives on the ICRC study on customary international humanitarian law, S. 213. 999 Darüber hinaus wirft auch die Verwendung des Begriffs der Zerstörung, sowohl durch das IKRK als auch zuvor durch die Generalversammlung, die Frage auf, wann überhaupt von einer Zerstörung der Umwelt oder ihrer Bestandteile gesprochen werden kann. Angesicht der Regenerationsfähigkeit vieler Umweltkomponenten wird nicht jede Schädigung gleichzeitig eine Zerstörung darstellen (Hulme, a. a. O., S. 214). Wo diese Schwelle zu ziehen ist, wird durch bestehendes Recht nicht vorgegeben und kann der997
§ 3 Umweltschutz durch autonomes Gewohnheitsrecht
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Schutzerhöhung durch Annahme eines beinahe umfassenden Zerstörungsverbots vorzuziehen. Wie soeben gezeigt, lässt sich eine Schutzverstärkung auch bei Anerkennung einer erhöhten, zwingenden Notwendigkeit als Normgrenze nicht sinnvoll und realitätsnah konstruieren. Das Verbot mutwilliger Umweltzerstörung wurde durch Mitglieder der internationalen Gemeinschaft zwar wiederholt postuliert, die Behauptung eines aus ihm resultierenden höheren Schutzniveaus unterblieb dagegen. Im Gegenteil: sowohl die USA als auch das Vereinigte Königreich, die beide in ihren Militärvorschriften auf das Verbot hinweisen1000, interpretieren den durch humanitäres Völkerrecht vermittelten Umweltschutz grundsätzlich eher restriktiv. Vor allem die Vereinigten Staaten sind starke Gegner umweltschützenden Vertragsrechts und dessen gewohnheitsrechtlicher Geltung.1001 Es kann nicht davon ausgegangen werden, dass sie einer noch vergleichsweise jungen gewohnheitsrechtlichen Regelung zustimmen würden, würde diese in ihren Augen über das hinausgehen, was das humanitäre Völkerrecht schon zuvor zwingend verlangte. Allgemeine Umweltzerstörungen durch Truppenbewegungen oder Vorbereitungen späterer Konflikthandlungen sind mit der Existenz bewaffneter Konflikte schließlich derart notwendig verbunden, dass es rechtlich kaum denkbar wäre, Erstere zu verbieten, Letztere aber weiterhin als zulässig anzusehen. Nur ein Ergebnis ist mit jeder Formulierung des Verbots sowie mit dem geäußerten Willen restriktiver Staaten vereinbar und vor dem Hintergrund einer realitätsnahen Normfassung auf Basis eines dem Unterscheidungsgrundsatz historisch vorgelagerten Verbots stringent: Das Verbot mutwilliger Zerstörung der Umwelt geht im Ergebnis nicht über das hinaus, was humanitäres Völkerrecht durch die Einbeziehung der natürlichen Umwelt in die Definition ziviler Objekte und der Konsequenz der Herrschaft des Unterscheidungsgebots nicht schon sowieso verlangt – ohne das Vorliegen militärischer Notwendigkeit als Gegengewicht humanitärer Erhaltungserwägungen darf auch die Umwelt nicht zerstört werden. Schädigungen, die keine Angriffshandlungen darstellen, aber im Kontext bewaffneter Konflikte durchgeführt werden, unterliegen allein der Schwelle der Mutwilligkeit, beziehungsweise sind auf einen vernünftigen Zusammenhang zu den Zielen der Konfliktführung hin zu prüfen. Das Verbot mutwilliger Umweltzerstörungen ist in Relation zu den Prinzipien militärischer Notwendigkeit und Unterscheidung daher keine Regelung neuer Qualität, sondern ihre Umsetzung in neuem Wortzeit nicht aus der geäußerten Überzeugung oder Praxis der Staaten gefolgert werden. Abseits von Angriffshandlungen gestaltet sich das Verbot daher zu unbestimmt, als dass ohne weitere Staatenpraxis oder opinio iuris-Nachweise ein relevantes Level an Umweltschutz konstruiert werden könnte. Ein Verbot neuer Qualität, das auch dem Staat auf eigenem Territorium starke Einschränkungen hinsichtlich seines konfliktbezogenen Umgangs mit der Umwelt auferlegt, ist derzeit nicht ersichtlich. 1000 Vgl. Teil 2, Fn. 946. 1001 Vgl. United States Department of Defence, Law of War Manual, 2015 (updated 2016), S. 378.
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2. Teil: Das geltende Recht und seine Wirkung zum Erhalt der Umwelt
laut. Aus diesem Grund aber erübrigt sich zumindest eines: Die tatsächliche Etablierung des aufgestellten Verbots im Gewohnheitsrecht allgemein sowie im Recht nichtinternationaler bewaffneter Konflikte im Speziellen muss an dieser Stelle nicht mehr hinterfragt werden. Sie ergibt sich aus der umfassenden Geltung der Grundprinzipien. 3. Klarstellungsfunktion und potenzieller Nutzen
Spätestens im Verlauf der 1990er Jahre erkannte ein Großteil der Staaten die Notwendigkeit, zumindest die Grundprinzipien humanitären Völkerrechts auch auf die Umwelt anzuwenden, um drohende Auswirkungen der Kriegsführung rechtlich zu begrenzen. Das wiederholte Postulat eines Verbots mutwilliger Umweltzerstörung hatte aber nicht den Zweck, eine neue Dimension des Schutzes speziell für die natürliche Umwelt zu erreichen. Im Kern führte die Formulierung des Verbots nicht zur Entstehung genuin neuen, von den Grundprinzipien zu trennenden Gewohnheitsrechts1002, sondern bestärkte bestehende Grundnormen in ihrer nunmehr gewohnheitsrechtlichen Anwendbarkeit auf die Umwelt.1003 Und dennoch ist die wiederholte Formulierung des Verbots auf internationaler Ebene nicht obsolet.1004 Staaten, die wie die USA oder das Vereinigte Königreich eventuell davor zurückschrecken, den grundsätzlich zivilen Charakter der Umwelt zu bestätigen oder für bestimmte Konstellationen ein absolutes Schonungsgebot zu akzeptieren, haben durch Heranziehung des Verbots mutwilliger Zerstörungen eine Formulierungsalternative erhalten, mit der zwar einerseits geltendes Recht bekräftigt wird, andererseits aber ein gewisser Interpretationsspielraum des Schutzniveaus verbleibt (Stichwort: Mutwilligkeit).1005 Zudem könnte die Ausformulierung des Verbots zukünftig die Etablierung einer neuen Qualifikationsebene unzulässiger Schäden fördern. Tatsächlich hat sich die Bedeutung des Verbots unnötiger Zerstörung fremden Eigentums, das 1002 Andere Ansicht Koppe, The Use of Nuclear Weapons and the Protection of the Environment during International Armed Conflict, S. 257. 1003 McNeill, Protection of the environment in times of armed conflict: Environmental protection in military practice, Hague Yearbook of International Law 6 (1993), S. 81; Heintschel von Heinegg/Donner, New Developments in the Protection of the Natural Environment in Naval Armed Conflicts, German Yearbook of International Law 37 (1994), S. 294. Wohl auch Dröge/Tougas, The protection of the natural environment in armed conflict – Existing rules and need for further legal protection, Nordic Journal of International Law 82 (2013), S. 37. 1004 Anderer Ansicht Hulme, Natural Environment, in: Wilmshurst/Breau (Hrsg.), Perspectives on the ICRC study on customary international humanitarian law, S. 215: Regel 43B sei möglicherweise überflüssig. 1005 Wenngleich zwar die Einhaltung eines einheitlich hohen Schutzniveaus auf globaler Ebene anzustreben ist, mag es eventuell sinnvoll sein, einzelnen Staaten im Einzelfall einen gewissen Spielraum zu gewähren, um ihren grundsätzlichen Willen zur Befolgung des Rechts (an dessen Entstehung sie durch Praxis und Überzeugung schließlich beteiligt sind) aufrecht zu erhalten.
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Vorstufe und Vorbild des hier dargestellten Verbots ist, mittlerweile auch in das Völkerstrafrecht verlagert. Bei Bestehen einer entsprechenden Intention der Mutwilligkeit kann sowohl der IStGH wie auch schon zuvor der ICTY die Zerstörung von gegnerischem Eigentum als Kriegsverbrechen ahnden1006. Das wiederholte Postulat eines Verbots der Umweltzerstörungen könnte zukünftig womöglich ähnliche strafrechtliche Relevanz haben. Dass die Ahndung schwerer Umweltzerstörungen künftig auch im Fokus des IStGH stehen wird, erklärte erst im Herbst 2016 Chefanklägerin Bensouda.1007 Die Ähnlichkeit des Verbots mutwilliger Umweltzerstörungen zu einer bereits in den Kanon des Art. 8 IStGH-Statut aufgenommenen Strafvorschrift könnte dieser Entwicklung zusätzlich nutzen. 4. Bewertung
Das unter anderem in Regel 43 B der IKRK-Gewohnheitsrechtsstudie enthaltene Verbot mutwilliger Umweltzerstörungen ist prägnantes Beispiel für ein wiederkehrendes Problem des Versuchs progressiver Rechtsentwicklung: Eine Vielzahl von Akteuren formuliert in vielen unterschiedlichen Foren Regelungen, Schutznormen oder Richtlinien, deren Wortlaute nicht immer geltendem Recht entsprechen und deren tatsächlicher Regelungsgehalte nicht selten hinter einer vielversprechenden Formulierung zurückstehen. Auch wenn schon das wiederholte Formulieren von Umweltschutzgeboten die Umwelterhaltung fördern kann, ist die mit der Existenz unterschiedlicher Richtlinien schlussendlich gleichen Inhalts verbundene Rechtsunsicherheit auch schädlich. Gerade die Wortlautunterschiede, die bei Formulierungen durch verschiedene Akteure auftreten, machen es nötig, jede behauptete Regel eingehend auf ihre Validität zu prüfen. Anderenfalls droht eine als vermeintlich anerkanntes Gewohnheitsrecht aufgestellte Norm von Kritikern als unvereinbar mit geltendem Recht zurückgewiesen zu werden. Das Problem des Verbots mutwilliger Umweltzerstörung besteht in der nur selten vorgenommenen Analyse seiner Regelungswirkung. Welche Handlungen tatsächlich untersagt sein sollen, ist weiterhin offen. In der Kommentierung der IKRK-Gewohnheitsrechtsregel 43 B ist dieser Mangel gut zu erkennen. Sie beschäftigt sich überwiegend mit dem Verbot der Zerstörung fremden Eigen1006 Art. 8 (2) (a) (iv) und 8 (2) (e) (xii) IStGH-Statut. Zuvor schon Art. 2 (d) („extensive destruction and appropriation of property, not justified by military necessity and carried out unlawfully and wantonly“) und 3 (b) („wanton destruction of cities, towns or villages, or devastation not justified by military necessity“) ICTY-Statut auf Basis der Art. 50 GA I, Art. 51 GA II sowie Art. 147 GA IV, durch die eine übermäßiger Eigentumszerstörungen als schwere Verletzung der Genfer Abkommen kategorisiert wird. 1007 IStGH Office of the Prosecutor, Policy Paper on Case Selection and Prioritisation, 15. September 2016, abrufbar unter: https://www.icc-cpi.int/itemsdocuments/ 20160915_otp-policy_case-selection_eng.pdf [abgerufen am 26.10.2020]. Für eine Einschätzung: Pereira, After the ICC Office of the Prosecutor’s 2016 Policy Paper on Case Selection and Prioritisation: Towards an International Crime of Ecocide?, Criminal Law Forum 31 (2020), S. 179 ff.
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2. Teil: Das geltende Recht und seine Wirkung zum Erhalt der Umwelt
tums,1008 ohne ob und wie einer Anwendung auf die Umwelt weiter zu erläutern. Auch heute ist dieser Umstand kaum weiter geklärt. Zwar befürworteten einige Mitglieder der ILC die Aufnahme der Vorschrift in die entstehenden Draft Principles zum Schutz der Umwelt im Verhältnis zu bewaffneten Konflikten mit dem Hinweis, das Verbot der Zerstörung ginge weiter als Beschränkungen zulässiger Angriffe und sei deshalb nicht umfassend in den bereits entwickelten Draft Principles verankert.1009 In welchen Fällen einem solchen Verbot aber eine eigene Regelungswirkung zukommt, die über die Wirkung der Grundprinzipien und des Prinzips militärischer Notwendigkeit hinausgeht1010, blieb unerwähnt. Ein entsprechendes ILC Draft Principle wurde dementsprechend auch nicht aufgestellt. Derzeit muss im Ergebnis davon ausgegangen werden, dass dem Verbot mutwilliger Zerstörung keine eigenständige Bedeutung zukommt. II. Das Gebot gebührender Beachtung der Umwelt Neben dem Verbot mutwilliger Zerstörung findet sich in der einschlägigen Literatur der letzten Jahre ein weiteres Gebot vermeintlichen Gewohnheitsrechts. Gebührende Berücksichtigung, „due regard“, so heißt es in der einmal mehr für die Diskussion zentralen IKRK-Studie, müsse bei Anwendung der Mittel und Methoden der Kriegsführung hinsichtlich des Schutzes und der Bewahrung der Umwelt beachtet werden.1011 Dieser erste Satz der Regel 44, die sich anschließend mit der Anwendbarkeit des Gebots der Vorsorge bei Attacken beschäftigt, scheint auf den ersten Blick kaum eigene Bedeutung zu haben. Dass vorhersehbare Umweltschäden bei der Entscheidung über einen Angriff mitbeachtet werden müssen, ist schließlich schon Konsequenz des Unterscheidungs- sowie des Proportionalitätsgebots. Die Aufforderung, Mittel und Methoden der Kriegsführung müssten „with due regard to the protection and preservation of the natural environment“ angewendet werden1012, wirkt daher zunächst allein klarstellend.
1008 Henckaerts/Doswald-Beck/Alvermann, Customary International Humanitarian Law, ICRC Study, Band I: Rules, S. 144 f. 1009 ILC, Report of the International Law Commission on the Work of its 67th Session 2015, UN GAOR 70th Session Supp. No. 10, A/70/10, S. 109, Rn. 150. 1010 Diese sind bereits Bestandteil der bis heute erarbeiteten Draft Principles. Siehe ILC, Protection of the Environment in Relation to Armed Conflicts text and titles of the Draft Principles provisionally adopted by the Drafting Committee on first reading, 6. Juni 2019, 71st Session, A/CN.4/L.937, Draft Principle 14: „The law of armed conflict, including the principles and rules on distinction, proportionality, military necessity and precautions in attack, shall be applied to the natural environment, with a view to its protection.“ 1011 Regel 44 Satz 1, Henckaerts/Doswald-Beck/Alvermann, Customary International Humanitarian Law, ICRC Study, Band I: Rules, S. 147: „Methods and means of warfare must be employed with due regard to the protection and preservation of the natural environment.“ 1012 Ibid.
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Aber ähnlich wie im Fall des Verbots mutwilliger Umweltzerstörungen verbirgt sich hinter dem Wortlaut der Versuch einer substanziellen Schutzerweiterung sowie der Ausgangspunkt aktueller Diskussionen um die Existenz einer oder gar mehrerer gewohnheitsrechtlicher Vorschriften zum Schutz der Umwelt während bewaffneter Konflikte. 1. Gebührende Berücksichtigung, Sorgfalt oder aktive Fürsorgepflicht?
Die Existenz eines gewohnheitsrechtlichen Gebots der Sorge beziehungsweise der Sorgfalt gegenüber der Verursachung von Umweltschäden ist im Grundsatz anerkannt.1013 Teils wird es sogar als vielleicht wichtigste gewohnheitsrechtliche Verpflichtung auf Basis staatlicher Handlungspraxis bezeichnet.1014 Andere sehen in ihm „a real step forward“.1015 Eine Vielzahl nationaler Militärhandbücher erkennt eine Pflicht gebührender Berücksichtigung als Bestandteil geltenden Rechts an, darunter auch die Handbücher der USA und des Vereinigten Königreichs.1016 Neben Regel 44 der IKRK-Studie verweisen auch das HPCR Manual von 20091017 sowie bereits seit 1994 das San Remo Manual zum Recht der Kriegsführung zur See1018 auf eine Pflicht gebührender Beachtung der Umwelt bei Planung und Ausführung eines Angriffs. Die beiden Erstgenannten begreifen 1013 Bothe et al., a. a. O., S. 575; Koppe, The Use of Nuclear Weapons and the Protection of the Environment during International Armed Conflict, S. 248 ff.; Heintschel von Heinegg, Methods and Means of Naval Warfare in Non-international Armed Conflicts, in: Watkin/Norris (Hrsg.), Non-international armed conflict in the twenty-first century, S. 223 zustimmend in Bezug auf internationale, aber kritisch zur Geltung in nichtinternationalen Konflikten; darüber hinaus Fleck, The protection of the environment in armed conflict, Nordic Journal of International Law 82 (2013), S. 19; Spieker, The conduct of hostilities and the protection of the environment, in: Fischer-Lescano/Bothe (Hrsg.), Frieden in Freiheit, S. 763. 1014 Hulme, Environmental protection in armed conflict, in: Fitzmaurice/Ong/Merkouris (Hrsg.), Research Handbook on International Environmental Law, S. 592. 1015 Bothe et al., International law protecting the environment during armed conflict: gaps and opportunities, International Review of the Red Cross 92 (2010), S. 574. 1016 Department of the Navy Office of the Chief of Naval Operations and Headquarters et al., The Commander’s Handbook on the Law of Naval Operations, August 2017, NWP 1–14M, 8.4; United Kingdom Ministry of Defence, The Joint Service Manual of the law of armed conflict of 2004, 13.30; vgl. zusätzlich die der Regel 44 beigefügten Nachweise auf nationale Militärhandbücher: IKRK, Customary IHL Database, Practice, abrufbar unter: https://www.icrc.org/customary-ihl/eng/docs/v2 [abgerufen am 26.10. 2020]. 1017 Regel 89 HPCR, Manual on International Law applicable to Air and Missile Warfare, S. 207: „When planning and conducting air or missile operations, due regard ought to be given to the natural environment.“ 1018 Doswald-Beck, San Remo Manual on International Law applicable to Armed Conflicts at Sea, S. 119, Regel 44: „Methods and means of warfare should be employed with due regard for the natural environment taking into account the relevant rules of international law.“
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die Verpflichtung bereits als Teil geltenden Gewohnheitsrechts.1019 Das HPCR Manual bestätigt ausdrücklich die Geltung des Gebots auch während nichtinternationaler bewaffneter Konflikte.1020 Der durch die infrage stehende Vorschrift auferlegte Handlungs- beziehungsweise Unterlassungsauftrag ist allerdings Gegenstand teils kontroverser Diskussionen. Sie setzen schon bei der Bezeichnung des Gebots an: Stellenweise wird die Vorschrift in Übereinstimmung mit der Studie des IKRK als Pflicht beschrieben, die Umwelt bei Angriffshandlungen gebührend zu berücksichtigen („due regard“).1021 Teils wird sie darüber hinaus als allgemeine Sorgfalts- („due care“)1022 beziehungsweise aktive Schadensvermeidungspflicht1023 formuliert. Hinter diesen Bezeichnungen stehen korrespondierend unterschiedliche Auslegungsvarianten. Sie führen zu einem breiten Fächer denkbarer Wirkungsweisen des Gebots, die von einer bloßen Einleitungsfunktion ohne eigene Aussage hin zu einem Verbot gänzlich neuer Qualität reichen. So hält Koppe es für möglich, dass aus dem als Fürsorgepflicht bestehenden Gebot eine Verpflichtung der Staaten erwachse, aktiv Forschung zu den möglichen negativen Auswirkungen einer feindlichen Handlung auf die natürliche Umwelt zu betreiben.1024 So verstanden käme das Gebot einer Umsetzung des friedensumweltrechtlichen Vorsorgegebots nahe. Auch Bothe et al. sehen im „due regard“-Gebot eine inhaltliche Weiterentwicklung wenigstens im Vergleich zu den Normen des ersten Zusatzprotokolls. Es sei flexibler als diese und für den Schutz der Umwelt vorteilhafter.1025 Gegensätzlich zu dieser Einschätzung argumentiert Hulme, eine Pflicht zur Sorge bestehe schon auf Grundlage des Art. 55 ZP I1026, eine weitergehende Verpflichtung, wie sie in Regel 44 Satz 1 der IKRK-Studie aufgenommen worden sei, 1019 HPCR, Manual on International Law applicable to Air and Missile Warfare, Regel 89, S. 207, Rn. 3; Henckaerts/Doswald-Beck/Alvermann, Customary International Humanitarian Law, ICRC Study, Band I: Rules, Regel 44, S. 147. 1020 HPCR, Manual on International Law applicable to Air and Missile Warfare, Regel 89, S. 207, Rn. 4. 1021 Fleck, The protection of the environment in armed conflict, Nordic Journal of International Law 82 (2013), S. 12. 1022 Koppe, The Principle of Ambituity and the Prohibition against Excessive Collateral Damage to the Environment during Armed Conflict, Nordic Journal of International Law 82 (2013), S. 60; Koppe, The Use of Nuclear Weapons and the Protection of the Environment during International Armed Conflict, S. 248 ff. 1023 Analysiert bei Hulme, Taking care to protect the environment against damage: a meaningless obligation? International Review of the Red Cross 92 (2010), S. 684 ff. Sie selbst vertritt diese Ansicht allerdings nicht. 1024 Koppe, The Principle of Ambituity and the Prohibition against Excessive Collateral Damage to the Environment during Armed Conflict, Nordic Journal of International Law 82 (2013), S. 79, Fn. 80. 1025 Bothe et al., International law protecting the environment during armed conflict: gaps and opportunities, International Review of the Red Cross 92 (2010), S. 575. 1026 Hulme, Taking care to protect the environment against damage: a meaningless obligation? International Review of the Red Cross 92 (2010), S. 677 ff.
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fände keine Bestätigung in der Praxis der Staaten.1027 Auch Aldrich sieht nur wenige Nachweise für die Existenz einer derartigen Regel im positiven Recht.1028 Auf der anderen Seite stehen Autoren wie Fleck und Spieker, die die Existenz einer gewohnheitsrechtlichen Regel zur Beachtung der Umwelt als zweifellos gegeben erachten, durch sie aber wenig gewonnen sehen. Die jeweiligen Formulierungen des San Remo Manual sowie der IKRK-Studie dienten ihrer Ansicht nach allein der Begründung nachfolgender Verbote. Sie seien „legally binding, but not self-executing“ 1029, „descriptive rather than prescriptive“.1030 Ein Minimalkonsens ist in der Literatur nicht auszumachen. Das Fehlen einer einheitlichen Formulierung der vermeintlichen Gewohnheitsrechtsnorm ist einer Konsensfindung auf Basis einer Wortlautauslegung wenig zuträglich. Die inhaltliche Reichweite des Gebots sowie dessen Anwendbarkeit in nichtinternationalen Fragen ist daher vor allem von seiner Herleitung abhängig. 2. Herleitung
a) Begründung des IKRK Die dem Beachtungsgebot in der IKRK-Studie zugeordnete Kommentierung gibt zunächst wenig Aufschluss. So heißt es, der für die Umwelt geltende Schutz resultiere nicht nur aus dem Schutz ziviler Objekte, sondern auch aus der Einsicht, dass die Umwelt als solche speziell geschützt werden müsse.1031 Diese Erkenntnis leiten die Autoren der Studie aus dem Urteil des IGH zum GabcíkovoNagymaros-Projekt1032, aus der Sicherheitsratsresolution 687, in welcher der Rat die Verantwortlichkeit des Irak für die durch den Angriff auf Kuwait hervorgerufenen Umweltschäden bestätigte,1033 sowie die Generalversammlungsresolutionen 46/417 und 47/151 von 1991/92 zu den Folgen dieser Zerstörungen1034 ab. 1027 Hulme, a. a. O., S. 686; Hulme, Natural Environment, in: Wilmshurst/Breau (Hrsg.), Perspectives on the ICRC study on customary international humanitarian law, S. 221 f. 1028 Aldrich, Customary International Humanitarian Law – An Interpretation on behalf of the International Committee of the Red Cross, The British Year Book of International Law 76 (2006), S. 515. 1029 Spieker, The conduct of hostilities and the protection of the environment, in: Fischer-Lescano/Bothe (Hrsg.), Frieden in Freiheit, S. 763. 1030 Fleck, The protection of the environment in armed conflict, Nordic Journal of International Law 82 (2013), S. 12. 1031 Kommentierung zu Regel 44, Henckaerts/Doswald-Beck/Alvermann, Customary International Humanitarian Law, ICRC Study, Band I: Rules, S. 147 f. 1032 IGH, Case concerning the Gabc ˇ íkovo-Nagymaros Project (Hungary v. Slovakia), Urteil vom 25. September 1997, I.C.J. Reports 1997, S. 7 ff. 1033 UNSC, Resolution 687 vom 3. April 1991, S/RES/687. 1034 UNGA, Resolution 46/216 vom 20. Dezember 1991 on International cooperation to mitigate the environmental consequences on Kuwait and other countries in the region resulting from the situation between Iraq and Kuwait, A/RES/46/216; UNGA, Resolu-
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Die Überzeugung der Staatengemeinschaft, die sich primär in der rapiden Weiterentwicklung des Umweltvölkerrechts für Friedenszeiten ausdrücke, habe auch das Recht bewaffneter Konflikte beeinflusst und in Konsequenz zu dieser Gewohnheitsrechtsnorm geführt. Begründet wird dieses Vorbringen zudem mit Verweis auf eine Reihe nationaler Militärhandbücher, internationaler Erklärungen wie der Weltcharta für die Natur1035 und der Rio-Erklärung1036 sowie den IKRKRichtlinien für Militärhandbücher zum Schutz der Umwelt von 1994.1037 Das in den genannten Instrumenten erklärte Bedürfnis der Erhaltung der Umwelt auch während bewaffneter Konflikte ergebe sich zudem aus Erklärungen vieler Staaten im Rahmen der IGH-Verfahren zur Zulässigkeit des Einsatzes von Nuklearwaffen.1038 An dieser Argumentation ist zunächst nichts auszusetzen. Der Umstand, dass eine Vielzahl von Staaten seit Beginn der 1990er Jahre für die Schonung der Umwelt auch während bewaffneter Konflikte plädierte, bezeugt die Anerkennung der Umwelt als zu schützendes Gut. Ob mit den genannten Erklärungen allerdings eine gewohnheitsrechtliche Norm entstand, die über das Maß des für zivile Objekte anerkannten Schutzes hinaus eine Schonung der Umwelt anordnet, ist fraglich. Die Erklärung von Rio sowie die Weltcharta für die Natur sind ebenso wie die IKRK-Richtlinien von 1994 rechtlich nicht bindend; die in ihnen geäution 47/151 vom 18. Dezember 1992 on International cooperation to mitigate the environmental consequences on Kuwait and other countries in the region resulting from the situation between Iraq and Kuwait, A/RES/47/151. 1035 Teil 2, Fn. 899. 1036 Teil 2, Fn. 899. 1037 IKRK, Guidelines for military manuals and instructions on the protection of the environment in times of armed conflict, 19. August 1994, Annex to UN Doc. A/49/323. 1038 Gemeint sind die Erklärungen u. a. im Rahmen der durch die WHO sowie die Generalversammlung initiierten Gutachtenverfahren. Während der Antrag der Generalversammlung zu dem berühmten Gutachten des IGH zu Nuklearwaffen führte (IGH, Legality of the Threat or Use of Nuclear Weapons, Advisory Opinion vom 8. Juli 1996, I.C.J. Reports 1996, S. 226 ff.) lehnte das Gericht den Antrag der WHO mit Verweis auf deren begrenzte Handlungskompetenz als ultra vires-Handeln ab (IGH, Legality of the Use by a State of Nuclear Weapons in Armed Conflict (Nuclear Weapons WHO Case), Advisory Opinion vom 8. Juli 1996, I.C.J. Reports 1996, S. 66 ff. Unter anderem Costa Rica, Mexiko und Sri Lanka äußerten sich dennoch im Rahmen des durch die WHO angestoßenen Verfahrens und plädierten für die Existenz eines rechtlich verankerten Schutzgebots zugunsten der Umwelt auch in Kriegszeiten (Republica de Costa Rica Ministerio de Relaciones Exteriores y Cultures, Written Statement of the Government of Costa Rica in the ICJ Nuclear Weapons WHO case, Juni 1994, abrufbar unter: https://www.icj-cij.org/public/files/case-related/93/8774.pdf [abgerufen am 26.10. 2020]; Government of Mexico, Written Statement of the Government of Mexico on the Request for an Advisory Opinion submitted to the International Court of Justice by the 46th World Health Assembly, 9. Juni 1994, abrufbar unter: http://www.icj-cij.org/ docket/files/93/8776.pdf [abgerufen am 26.10.2020]; Government of Sri Lanka, Written Statement of the Government of Sri Lanka in the ICJ Nuclear Weapons WHO case, 20. September 1994, abrufbar unter: https://www.icj-cij.org/public/files/case-related/ 93/8782.pdf [abgerufen am 26.10.2020]).
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ßerten Intentionen sind nicht mit dem Ausdruck einer opinio iuris gleichzusetzen. Anders ist dies zwar mit den Erklärungen einiger Staaten im Rahmen der Atomwaffenverfahren des IGH, ihnen entgegen stand jedoch das Vorbringen einer ebenso großen Zahl anderer Staaten, die den Schutz der Umwelt nicht in gleichem Maß im Völkerrecht verankert sahen.1039 Das Bestehen einer konkreten gewohnheitsrechtlichen Norm zum Schutz der Umwelt, die mit dem „due regards“-Gebot des ersten Satzes der Regel 44 beschrieben sein könnte, kann durch diese Beispiele nicht überzeugend hergeleitet werden. b) Ursprung des Beachtungsgebots im Seerecht Die Formulierung einer „due regards“-Regelung zum Schutz der Umwelt während bewaffneter Konflikte findet sich in historischer Betrachtung zuerst in dem für die Seekriegsführung entwickelten San Remo Manual von 1994.1040 Angestoßen wurde auch sie durch die massiven Umweltzerstörungen im Golfkrieg von 1991. Neben der mutwilligen Entzündung hunderter Ölquellen hatte die irakische Armee auch die absichtliche Verursachung einer marinen Ölpest als Methode der Kriegsführung genutzt. Durch Öffnung der Ventile des Mina al-Ahmadi Sea Island Terminals in Kuwait gelangten mehrere Millionen Tonnen Rohöl in den Persischen Golf und verseuchten die Küsten Kuwaits, Bahrains sowie Saudi Arabiens in bis dato unerreichtem Maße.1041 War die Eingliederung einer Regel zum Schutz der Umwelt bislang unter den mit der Entwicklung des San Remo Manual befassten Experten umstritten1042, änderte sich nach 1991 die Blickrichtung des Expertengremiums. Unter dem Eindruck des Golfkrieges sei, so letztlich die Kommentierung des San Remo Manual, eine zumindest in Entstehung befindliche Regel der internationalen Gemeinschaft fassbar, die eine mut1039 Vgl. IGH, Legality of the Threat or Use of Nuclear Weapons, Advisory Opinion vom 8. Juli 1996, I.C.J. Reports 1996, S. 226 ff., S. 241 Rn. 28. 1040 Auch im San Remo Manual ist es Regel 44, die aufträgt, die (marine) Umwelt bei Kampfhandlungen zu beachten (Doswald-Beck, San Remo Manual on International Law applicable to Armed Conflicts at Sea, S. 119). 1041 Im Detail: Joyner/Kirkhope, The Persian Gulf War Oil Spill: Reassessing the Law of Environmental Protection and the Law of Armed Conflict, Case Western Reserve Journal of International Law 24 (1992), S. 30 f. 1042 Schon zu Beginn der Erarbeitungsphase 1987 bemerken die beteiligten Experten, dass neue Technologien und Möglichkeiten in der Seekriegsführung sowie Neuerungen im humanitären Völkerrecht und Seerecht (dieser Zusammenhang wurde allerdings nicht erläutert) die Risiken gravierender Umweltschäden als Konsequenz eines Seekriegs verstärkt hätten und daher eine Befassung mit dem rechtlichen Schutz der Umwelt während des Kriegs zur See geboten sei, dennoch wurde das Thema zunächst nicht auf die weitere Agenda der Expertentreffen gesetzt. Erst nach 1993 wurde ein zuvor nur in Klammern hinzugefügter Entwurf einer Regel zum Schutz der Umwelt im Rahmen der Seekriegführung (Paragraph 37 im Programm des Expertentreffens von Toulon 1989) in das vereinbarte Arbeitsprogramm aufgenommen. Vgl. Kommentierung der Regel 44 Doswald-Beck, San Remo Manual on International Law applicable to Armed Conflicts at Sea, S. 119, Rn. 44.1. ff.
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willige Zerstörung der Umwelt in bewaffneten Konflikten nicht länger gestatte.1043 Wie die Grenze militärischer Notwendigkeit sowie die durch bestehende Verträge gesetzten Grenzen zulässiger Umweltzerstörung allerdings im San Remo Manual zu formulieren seien, diese Fragen wurden Gegenstand langanhaltender Diskussionen.1044 An dieser Stelle trat zum ersten Mal der Begriff gebührender Berücksichtigung („due regard“) als maßgeblicher operativer Standard der Umweltbeachtung in Konfliktszenarien in Erscheinung. Als bereits durch das Seerechtsübereinkommen der Vereinten Nationen (United Nations Convention on the Law of the Sea/UNCLOS)1045 etablierter allgemeiner Sorgfaltsmaßstab wurde er zunächst einem Erfordernis der Respektierung („respect for“) vorgezogen und konnte sich auch in der abschließenden Formulierung der Regel 44 des San Remo Manual durchsetzen.1046 Nicht nur seine Verankerung in vielen anderen Schutzvorschriften des Seerechts, teils auch zum Schutz der marinen Umwelt1047, sondern vor allem die durch den Begriff gesicherte Flexibilität der Konfliktparteien machte ihn für die Experten vorzugswürdig. Der Begriff gebührender Berücksichtigung lasse eine Balance gegenläufiger Interessen zu und komme daher dem Grundgedanken des Ausgleichs zwischen militärischen Interessen und Erwägungen der Humanität im Kriegsrecht näher.1048 Die als Vermittlung einer stärkeren Verpflichtung der Konfliktparteien empfundene „respect for“-Formulierung konnte sich dagegen nicht durchsetzen. Im Rahmen des San Remo Manual sicherte der Begriff gebührender Beachtung also die Einbeziehung der Umwelt in konfliktrelevante Entscheidungen, erlaubte aber gleichzeitig eine Abwägung des Umwelterhaltungsinteresses mit den Interessen der konfliktführenden Parteien. Beschrieben ist damit aber letztlich nichts anderes als die inhaltliche Anwendung der Grundprinzipien humanitären Völkerrechts, insbesondere der Gebote der Unterscheidung, Proportionalität und Notwendigkeit auf die marine Umwelt. Die Nutzung eines offenen Begriffs wie dem der gebührenden Beachtung erlaubt, ähnlich wie auch die Grundprinzipien, eine zukünftige Verstärkung des Schutzstandards. In diesem Sinne formulierte das San Remo Manual das unter dem Eindruck des Golfkrieges erstarkte Bedürfnis, die Umwelt ähnlich 1043
Doswald-Beck, a. a. O., S. 119, Rn. 44.4. Doswald-Beck, a. a. O., S. 120, Rn. 44.5. ff. 1045 Vgl. Art. 27 (4), 39 (3) (a), 56 (2), 58 (3), 60 (3), 66 (3) (a), 79 (5), 87 (2), 142 (1), 148, und 234 UNCLOS (United Nations Convention on the Law of the Sea vom 10. Dezember 1982, 1833 UNTS 3. Diese Normen befassten sich jedoch nicht ausschließlich mit dem Schutz der Umwelt. Der Maßstab gebührender Berücksichtigung bezog sich dagegen auf eine Vielzahl unterschiedlicher Regelungsbereiche. 1046 Doswald-Beck, San Remo Manual on International Law applicable to Armed Conflicts at Sea, S. 120 ff., Rn. 44.6. ff. 1047 U. a. gebietet Art. 60 (3) UNCLOS die gebührende Beachtung auch des Schutzes der marinen Umwelt bei der Entfernung von künstlichen Inseln. 1048 Vgl. Kommentierung zu Regel 12 des San Remo Manuals, die gebührende Beachtung der Interessen neutraler Staaten vorschreibt, Doswald-Beck, a. a. O., S. 84, Rn. 12.2. 1044
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jedem anderen Objekt im Konflikt zu beachten. Dabei nutzte das Handbuch ein dem Rechtsregime des Seerechts bereits bekanntes Wortgewand. Ein über die Wirkung der Grundprinzipien, deren Anwendung auf die natürliche Umwelt im San Remo Manual allerdings noch nicht explizit festgestellt wurde, hinausgehender Regelungsgehalt wird nicht identifiziert. Diesen Hintergrund erwähnen die Autoren die IKRK-Studie womöglich bewusst nur am Rande,1049 schließlich bestehen nur wenige Nachweise für die Ausdehnung eines speziell für den Kontext des Seerechts und der Kriegsführung zur See identifizierten Beachtungsmaßstabs auf alle Bereiche der Konfliktführung.1050 c) Sorgfaltspflicht und Art. 55 ZP I Auch aufgrund dieses offensichtlichen Mangels wird die Existenz eines Sorgebeziehungsweise Sorgfaltsgebots in der Literatur auf eine weitere Säule der Herleitung gestellt. Diese verweist auf den ersten Satz des Art. 55 (1) ZP I, der im Rahmen der Kriegsführung Sorge dahingehend verlangt, die Umwelt gegen ausgedehnte, langanhaltende und schwere Umweltschäden zu schützen.1051 Aufgrund seiner Ähnlichkeit zu dem in IKRK Regel 44 genutzten Beachtungsbegriff könne auch das Gebot der Sorge für den Schutz der Umwelt als Vorgänger und Ursprung identifiziert werden.1052 Bei der Heranziehung des Art. 55 (1) ZP I ergeben sich allerdings gleich mehrere Probleme: Nicht nur ist der gewohnheitsrechtliche Status der im ZP I enthaltenen Normen mit direktem Umweltbezug äußerst fraglich, Art. 55 ZP I beschränkt zudem die Pflicht zur Sorge auf den Schutz der Umwelt allein vor Schäden, welche die dreifache Intensitätsschwelle zu überschreiten vermögen. Ist die Schwelle allerdings überschritten, ist eine 1049 In der Kommentierung der Regel 44 wird auf den Wortlautursprung nicht eingegangen. Ein Verweis auf das San Remo Manual findet sich allerdings im Abschnitt der unterstützenden Staatenpraxis (Doswald-Beck/Henckaerts, Customary International Humanitarian Law, ICRC Study, Band II: Practice, Parts 1 and 2, Part 1, S. 861, Rn. 78). 1050 Die IKRK-Studie enthält lediglich einen einzigen Praxisnachweis, das Militärhandbuch des Vereinigten Königreichs, in dem der Begriff gebührender Berücksichtigung im bewaffneten Konflikt auch über den Kontext der Seekriegsführung hinaus auf die Umwelt angewendet wird. Insgesamt findet sich die Formulierung nur an drei Stellen: dem San Remo Manual, dem Militärhandbuch des Vereinigten Königreichs sowie dem US Naval Handbook. 1051 Art. 55 S. 1: „Care shall be taken in warfare to protect the natural environment against widespread, long-term and severe damage.“ 1052 Anklingend, bei Koppe, The Principle of Ambituity and the Prohibition against Excessive Collateral Damage to the Environment during Armed Conflict, Nordic Journal of International Law 82 (2013), S. 60, der die „duty of care“ mit dem in der Gewohnheitsrechtsstudie enthaltenen „due regard“ Gebot gleichsetzt. Ähnlich auch Hulme, Natural Environment, in: Wilmshurst/Breau (Hrsg.), Perspectives on the ICRC study on customary international humanitarian law, S. 218 die ihren Standpunkt allerdings später ändert (ausdrücklich Hulme, Taking care to protect the environment against damage: a meaningless obligation? International Review of the Red Cross 92 (2010), S. 686 insb. Fn. 46.
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Schädigung der Umwelt nach Art. 55 und 35 (3) ZP I ohne jede Rechtfertigungsmöglichkeit durch militärische Notwendigkeit verboten. Diese Anwendungsschwelle fehlt in Regel 44 Satz 1 der IKRK-Studie, die eine Berücksichtigungspflicht unabhängig von der Schwere des zu erwartenden Schadens enthält. Sollte mit Regel 44 tatsächlich der unbegrenzte Sorgfaltsmaßstab des Art. 55 (1) Satz 1 ZP I anvisiert worden sein, dürfte es fast unmöglich sein, unterstützende Praxisbeispiele zu nennen. Eine Pflicht zur Sorge hinsichtlich der Vermeidung jeglichen Umweltschadens wäre erneut gänzlich praxisfern. Aber auch die unterschiedliche Begriffswahl in Art. 55 ZP I sowie Satz 1 der Regel 44 sprechen gegen eine inhaltliche Gleichstellung beider Vorschriften. Die Flexibilität des „due regard“-Begriffs (Regel 44 S. 1) ist in der Aufforderung „care shall be taken [. . .] to protect“ (Art. 55 ZP I) weit weniger stark ausgeprägt. Während eine Berücksichtigungspflicht lediglich eine Abwägung gegenstehender Interessen bei Entscheidung über eine Handlung verlangt, ordnet Art. 55 (1) Satz 1 ZP I die Vermeidung von qualifizierten Schäden unabhängig von jedem entgegenstehenden Interesse an. Die Pflicht zur Vermeidung setzt, anders als eine Beachtungsregel, ein auf ein bestimmtes Ergebnis gerichtetes Handeln beziehungsweise Unterlassen voraus. Die Durchführung einer Interessensbalance genügt nach Art. 55 ZP I nicht. Vielmehr wird eine starre Pflicht auferlegt. Diese geht aber weit über das Schutzmaß hinaus, das sich in den Praxisnachweisen zu Regel 44 findet1053 oder zukünftig als Maßstab einer Sorgfaltspflicht zur Vermeidung von Umweltschäden, die nicht durch eine besondere Schwere qualifiziert sind, erstrebenswert wäre.1054 Die in Regel 44 Satz 1 formulierte Pflicht kann im Ergebnis also nicht mit einer gewohnheitsrechtlichen Verankerung des Sorgegebots in Satz 1 des Art. 55 ZP I begründet werden.
1053 Eine detaillierte Interpretation der „care“-Komponente des Art. 55 ZP I findet sich bei Hulme, a. a. O., S. 677 ff. sowie kürzer bei Cohan, Modes of warfare and evolving standards of environmental protection under the international law of war, Florida Journal of International Law 15 (2003), S. 504 und Dinstein, Protection of the Environment in International Armed Conflict, Max Planck Yearbook of United Nations Law Online 5 (2001), S. 531. Während Dinstein und Cohan die „care“-Komponente als Ausdruck eines der Norm zugrundeliegenden Konzepts verstehen, argumentiert Hulme, die Formulierung führe zu einer aktiven Handlungspflicht zur Analyse möglicher Schäden jenseits der Anwendungsschwelle der Norm. Mangels Anwendbarkeit des ZP I auf nichtinternationale Konflikte hat die Wahl der Interpretation an dieser Stelle keine Bedeutung. 1054 Ohne jede Anwendungsbeschränkung durch eine Schwelle des erwartbaren Schadens würde eine zumindest denkbare gewohnheitsrechtliche Vermeidungspflicht eine zu starke Last auf die handelnden Staaten legen (so auch Hulme, Taking care to protect the environment against damage: a meaningless obligation? International Review of the Red Cross 92 (2010), S. 691). Das Resultat wäre entweder die Nichtbefolgung oder eine Aufweichung des Schutzstandards durch abschwächende Interpretationen der auferlegten Handlungs- beziehungsweise Vermeidungspflichten. Ein absolutes Verbot der Schädigung kann, soll es den Erfordernissen der Realität genügen, nur ab einer gewissen Anwendungsschwelle greifen.
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Auch die ILC beschreibt im Rahmen ihrer andauernden Arbeit zum Umweltschutz während bewaffneter Konflikte in Draft Principle 13 (2) ein Gebot der Sorge als bestehende Pflicht, wachsam gegenüber möglichen Umweltauswirkungen einer militärischen Handlung zu sein: „Care shall be taken to protect the natural environment against widespread, long-term and severe damage.“1055 Die Kommission erklärt diese Vorgabe als einen durch Art. 55 ZP I inspirierten Hinweis darauf, dass im internationalen Recht eine Pflicht der Konfliktparteien bestünde, wachsam gegenüber den möglichen Folgen militärischer Aktivitäten für die Umwelt zu sein.1056 Ob die ILC konkrete Handlungsvorgaben als Bestandteil dieser Wachsamkeitsverpflichtung erachtet und welche dies sein könnten, lässt sich der Kommentierung von Draft Principle 13 (2) bislang nicht entnehmen. Eine bloße Pflicht, die Umwelt bei Planung einer Maßnahme nicht gänzlich zu ignorieren, hätte wenig Gehalt. Gleichwohl ist ein Aspekt der gewählten Formulierung beachtlich: Durch Aussparung eines Verweises in Draft Principle 13 (2) auf ein Art. 55 (1) Satz 2 ZP I ähnliches Verbot des Einsatzes von Mittel und Methoden, die gravierende Umweltschäden erwarten lassen, verliert das Gebot jeden Bezug zu seiner Geltung bei Angriffen. Dies macht auch die ILC deutlich, wenn sie eine Pflicht zur Achtsamkeit bei militärischen Aktivitäten1057 als Kern des Draft Principle 13 (2) beschreibt. Eine gewohnheitsrechtliche Pflicht, die Umwelt bei jeder mit dem Konflikt verbundenen Handlung, also auch bei Truppenbewegungen oder dem Aufbau und Betrieb von Militärbasen, zu beachten, wäre selbst bemerkenswert. Durch den mit dem Wortlaut des Art. 55 ZP I vergleichbaren Verweis auf die Verhinderung allein schwerer, langanhaltender und weitreichender Schäden in Draft Principle 13 (2) beschränkt die ILC im selben Schritt allerdings jede denkbare Wirkung. Auch aus den ILC Draft Principles ergibt sich also kein Aufschluss über Existenz und Reichweite eines neuen gewohnheitsrechtlichen Verbots gebührender 1055 ILC, Report of the International Law Commission on the Work of its 71st Session 2019, UN GAOR 74th Session, Supp. No. 10, A/74/10, S. 213. Zuvor bereits als Draft Principle 9 (2) in: Report of the International Law Commission on the Work of its 68th Session 2016, UN GAOR 71st Session, Supp. No. 10, A/71/10, S. 329, Rn. 6; ursprünglich als Draft Principle 8 (2) bezeichnet, in: ILC, Protection of the Environment in Relation to Armed Conflict: Text of the Draft Principles provisionally adopted in 2015 and technically revised and renumbered during the present session by the Drafting Committee, 26. Juli 2016, 68th Session, A/CN.4/L.870/Rev.1. 1056 ILC, Report of the International Law Commission on the Work of its 71st Session 2019, UN GAOR 74th Session, Supp. No. 10, A/74/10, S. 252, unter (6). 1057 ILC, Report of the International Law Commission on the Work of its 68th Session 2016, UN GAOR 71st Session, Supp. No. 10, A/71/10, S. 329, Rn. 6, damals noch Draft Principle 9 (2). Nunmehr ILC, Report of the International Law Commission on the Work of its 71st Session 2019, UN GAOR 74th Session, Supp. No. 10, A/74/10, S. 252, unter (6).
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Beachtung. Insbesondere kann auch die ILC bislang nicht klären, ob Art. 55 ZP I mittlerweile als Gewohnheitsrecht Anerkennung findet und das Verbot darüber hinaus auch in nichtinternationalen Konflikten anzuwenden ist.1058 Selbst der im Frühjahr 2019 veröffentlichte Bericht von Special Rapporteur Lehto, in dem sie ursprünglich die Anwendbarkeit der einzelnen Draft Principles in nichtinternationalen Konflikten darlegen wollte1059, enthielt keine weiteren Ausführungen zu dieser Problematik.1060 Nachdem nunmehr bereits die Kommentierung der Kommission zu den Draft Principles vorliegt, erscheint es derzeit eher zweifelhaft, dass eine Klärung dieser Frage durch die ILC noch erfolgen wird. 3. Gewohnheitsrecht mit eigenem Regelungsgehalt?
a) Pflicht gebührender Berücksichtigung Bei dem infrage stehenden Gebot handelt es sich also mit Sicherheit weder um ein starres Verbot der Herbeiführung von Umweltschäden noch um die Auferlegung einer absoluten Pflicht zur Vermeidung dieser Schäden. Ein auf ein bestimmtes Ergebnis, den Nichteintritt jeglicher Schäden, gerichtetes Gebot existiert gewohnheitsrechtlich nicht. Welcher Regelungsgehalt kann dem „due regard“-Gebot daher noch zukommen? Die Übertragung einer Beachtungspflicht aus dem Kontext des Seerechts auf jede Situation bewaffneter Konflikte wird bislang nicht von ausreichend starker Staatenpraxis und -überzeugung getragen. Selbst wenn dies der Fall wäre, ergäbe sich kein anderer Schutzgehalt als bereits durch Anwendbarkeit der Grundprinzipien, insbesondere des Proportionalitätsgebots, erreicht ist. Andere Herleitungsmöglichkeiten sind ebenso wenig ersichtlich. Damit bleibt für die Annahme eines eigenen Regelungsgehalts wenig Spielraum. Hulme sieht den Wert des Gebots daher auch allein in der Auferlegung einer neuen Denkweise, die die Umwelt nicht nur als dem Menschen nützliches, ziviles Objekt, sondern als Wert in sich selbst begreift.1061 Auch für den Fall, dass ein derartiger Wille einer relevanten Mehrheit der Staaten hinsichtlich die-
1058 In ihrer derzeitigen Kommentierung zu Draft Principle 13 (2) (zu diesem Zeitpunkt noch Principle 9 (2)) erklärt die ILC auch die im Vergleich zu Art. 55 ZP I erweiterte Reichweite des Prinzips und macht deutlich, dass dieses, anders als Art. 55 ZP I, auch in dieser Art bewaffneter Konflikte anwendbar sein soll (a. a. O., S. 329, Rn. 7). Woraus die ILC die Existenz entsprechenden Gewohnheitsrechts schlussfolgert, wird allerdings nicht erläutert. 1059 Siehe ILC, Report of the International Law Commission on the Work of its 70th Session 2018, UN GAOR 73rd, Supp. No. 10, A/73/10, Rn. 206. 1060 Stattdessen befasst sich der Bericht lediglich ausschnitthaft mit einigen Herausforderungen nichtinternationaler Konflikte. So auch ausdrücklich: ILC, Second Report on Protection of the Environment in Relation to Armed Conflicts by Marja Lehto, Special Rapporteur, 27. März 2019, A/CN.4/728, Rn. 11. 1061 Hulme, Environmental protection in armed conflict, in: Fitzmaurice/Ong/Merkouris (Hrsg.), Research Handbook on International Environmental Law, S. 593.
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ses Wechsels ethischer Schutzbegründung zukünftig identifiziert werden könnte, wäre auf materieller Schutzebene aber zunächst nichts gewonnen. Im Ergebnis ist Fleck und Spieker, die zwar von der rechtlichen Bindungswirkung des „due regard“-Gebots ausgehen, ihm aber keine zusätzliche materielle Regelungswirkung zusprechen1062, zuzustimmen. Über die durch die Anwendung der Grundprinzipien bewirkte Handlungsbeschränkung hinaus, enthält das Gebot gebührender Beachtung bislang folglich keine zusätzliche Regelungswirkung. Dieses Ergebnis unterstützt auch die Begründung des in Regel 89 enthaltenen „due regard“-Gebots des HPCR Manual. Das Gebot erfordere es, die Umwelt bei Entscheidung über eine Handlung im Blick zu behalten1063 und sie nach den Regeln über den Schutz ziviler Objekte zu schonen.1064 Eine darüberhinausgehende Pflicht wird nicht beschrieben. Regel 89 ist deshalb aber nicht obsolet, denn das Manual enthält selbst keine spezielle Regel zur Kategorisierung der Umwelt als Gegenstand der Unterscheidung ziviler und militärischer Objekte. Das „due regards“-Gebot dient hier also als Ersatz für die Anwendung des Unterscheidungsgebots sowie der Gebote der Proportionalität und der Vorsorge bei militärischen Handlungen zugunsten der Umwelt. Können sich einzelne Staaten nicht dazu durchringen, die Anwendbarkeit des Unterscheidungsgebots auf alle Komponenten der Umwelt anzuerkennen, bleibt ihnen damit die „due regards“-Formulierung, ähnlich wie das Verbot mutwilliger Umweltschädigungen, als Mittel vagerer Schutzbekundung. Die Nutzung dieser Strategie lässt sich beispielsweise im Commander’s Handbook on the Law of Naval Operations der USA erkennen. In diesem fand sich, wenig überraschend, lange Zeit keine Ausführung zur Anwendung der Grundprinzipien auf die natürliche Umwelt oder ihre Komponenten. Stattdessen heißt es auch in der Fassung von 2017: „A commander has an affirmative obligation to avoid unnecessary damage to the environment to the extent that it is practicable to do so consistent with mission accomplishment. To that end, and as far as military requirements permit, methods or means of warfare should be employed with due regard to the protection and preservation of the natural environment.“ 1065
Die „due regards“-Formel wurde an dieser Stelle wohl genutzt, um die eigenen Schutzverpflichtungen möglichst flexibel zu halten und einen größtmöglichen Handlungsspielraum zu bewahren. Ein ausdrücklicher Hinweis auf die Geltung
1062
Siehe Teil 2, Fn. 1029 und 1030. HPCR, Manual on International Law applicable to Air and Missile Warfare, Regel 89, S. 207, Rn. 1. 1064 HPCR, a. a. O., Section M, S. 205, Rn. 10. 1065 Department of the Navy Office of the Chief of Naval Operations and Headquarters et al., The Commander’s Handbook on the Law of Naval Operations, Edition August 2017, NWP 1–14M, 8.4. 1063
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der Grundprinzipien fehlt weiterhin.1066 Das geltende humanitäre Völkerrecht wäre allerdings falsch verstanden, wenn die Umwelt nur dann Beachtung fände, wenn dies für das Ziel der Mission gerade praktikabel wäre. Militärische Notwendigkeit und Proportionalität bleiben auch für die USA die maßgeblichen Beurteilungsmaßstäbe. Die Möglichkeit abgeschwächter Umschreibungen bestehender Verpflichtungen kann jedoch ein Anreiz sein, sich als Staat überhaupt zu einer grundsätzlichen Pflicht zu bekennen. Die Unbestimmtheit des Sorgfaltsgebots wird derzeit also in mehreren Richtungen genutzt, um das jeweils angestrebte Maß an Handlungsbeschränkung zu rechtfertigen. So dient es dem humanitären Völkerrecht restriktiv gegenüberstehenden Staaten wie den USA als Werkzeug möglichst flexibler Bindungserklärung. In einer auf die Ausweitung geltender Schutzpflichten zielenden Argumentation kann die Formulierung dagegen als Ausdruck eines in Gewohnheitsrecht erstarkten Umdenkens der internationalen Gemeinschaft herangezogen werden. Ein zukünftiger Nutzen als Ankerpunkt einer Anwendung umweltrechtlicher Prinzipien auch im Konflikt erscheint ebenso denkbar.1067 In einer Ausarbeitung geltenden Rechts, die wie auch das HPCR Manual auf einer Einigung mehrerer unterschiedlicher Interessenvertreter fußt, erleichtert die Heranziehung der „due regards“-Formel daher auch die Konsensfindung. Die mehrdeutige Formulierung ermöglicht so die Integration umweltschützender Regeln in Vertrags- und Absichtsdokumente, die bei Nutzung strikter Gebote unter Umständen nicht möglich gewesen wäre. Ihre Nutzung führte bislang jedoch zu keiner inhaltlichen Modifikation geltenden Gewohnheitsrechts. b) Schonung und aktive Bewahrung der Umwelt Das durch das IKRK in Satz 1 der Regel 44 formulierte Beachtungsgebot steht auf der progressiven Seite dieses Nutzungsspektrums, besteht es doch zusätzlich zu den laut Regel 43 auch auf die Umwelt anzuwendenden Grundprinzipien. Die Existenz der zusätzlichen Regel suggeriert einen über den Inhalt der Regel 43 hinausgehenden, eigenen Schutzgehalt. Diese Erwartung wird dadurch verstärkt, dass die Regel über eine Beachtungspflicht des Schutzes der Umwelt hinausgeht. So heißt es, bei Einsatz der Mittel und Methoden der Kriegsführung müssten „protection and preservation of the natural environment“ gebührend berücksich1066 Wobei die Kommentierung im Handbuch von 2017 – im Vergleich zu der Version von 2007 – wenigstens einen indirekten Hinweis auf die Geltung des Proportionalitäts- sowie des Unterscheidungsgebots enthält. Vgl. die beiden Versionen: Ibid. sowie Department of the Navy Office of the Chief of Naval Operations and Headquarters et al., The Commander’s Handbook on the Law of Naval Operations, Juli 2007, NWP 1–14M, 8.4. 1067 Anklingend Koppe, The Principle of Ambituity and the Prohibition against Excessive Collateral Damage to the Environment during Armed Conflict, Nordic Journal of International Law 82 (2013), S. 79, Fn. 87.
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tigt werden. Der neben dem Verweis auf den Schutz der Umwelt enthaltene Begriff der Bewahrung entstammt ebenfalls dem Kontext des Seerechts.1068 Durch Art. 192–194 UNCLOS ist den Staaten eine Pflicht auferlegt, die marine Umwelt zu schützen und zu bewahren.1069 Diese Pflicht zur Bewahrung der Umwelt geht über den bloßen Schutz im Sinne einer Nichtschädigung der Umwelt hinaus. Während der Schutz der Umwelt auf die Abwehr von Schäden abzielt, ist mit dem Begriff der Bewahrung eine der Konservierung verwandte, aktive Pflicht zum Erhalt einer gewissen Umweltqualität, wie der nachhaltigen Bewahrung bestimmter Spezies, verbunden.1070 Bewahrungsanordnungen im Völkerrecht beziehen sich darüber hinaus teilweise auch auf eine schonende Ausbeutung bestimmter Spezies und den Erhalt eines lebensfähigen Bestands einer Art.1071 Ist eine nachhaltige Bewahrung der Umwelt gefährdet, verlangt der Begriff der „preservation“ mehr als bloßes Unterlassen der Schädigung, sondern aktive Maßnahmen zum Erhalt oder gar der Verbesserung des derzeitigen Zustands.1072 Das Gebot der Bewahrung wurde in Regel 35 des San Remo Manual, die sich mit der Verlegung von Minen in Gebiete der ausschließlichen Wirtschaftszonen neutraler Staaten beschäftigt, aufgenommen, findet sich allerdings nicht in Regel 44 des San Remo Manual zur Ausübung der Mittel und Methoden der Kriegsführung.1073 Allein im US Handbook on Naval Operations wird die Anordnung gebührender Beachtung bei Ausübung der Mittel und Methoden der Kriegsführung auch auf die Bewahrung der Umwelt ausgedehnt.1074 Weitere Staatenpraxis und 1068 Nordquist (Hrsg.), United Nations Convention on the Law of the Sea 1982, A Commentary, Band IV, Part XII, S. 10, Rn. XII.13. 1069 Art. 192 UNCLOS: „States have the obligation to protect and preserve the marine environment“. 1070 Nordquist (Hrsg.), a. a. O., Part XII, Article 192, S. 40, Rn. 192.9. 1071 Z. B. Convention on Fishing and Conservation of the Living Resources of the High Seas vom 29. April 1958, 550 UNTS 285; Convention on Fishing and Conservation of the Living Resources in the Baltic Sea and the Belts vom 13. September 1973, 12 ILM 1973, 129. 1072 Nordquist (Hrsg.), United Nations Convention on the Law of the Sea 1982, A Commentary, Band IV, Part XII, S. 11, Rn. XII.13. 1073 Hulme, Natural Environment, in: Wilmshurst/Breau (Hrsg.), Perspectives on the ICRC study on customary international humanitarian law, S. 219 argumentiert allerdings, man könne die durch Art. 192 UNCLOS auferlegte Pflicht in den Wortlaut der Regel 44 des San Remo Manual („taking into account the relevant rules of international law“) hineinlesen. Es muss allerdings bezweifelt werden, dass die am San Remo Manual beteiligten Experten die Anwendung friedensumweltrechtlicher Verpflichtungen über die Formulierung der Regel 44 zulassen wollten. Die vorherigen Formulierungen der Regel, die den Verweis auf die relevanten Regeln des Völkerrechts auf solche beschränkten, die speziell auch in Kriegszeiten anzuwenden seien, sprechen gegen Hulmes Auffassung (siehe Doswald-Beck, San Remo Manual on International Law applicable to Armed Conflicts at Sea, S. 120 f., Rn. 44.8 und 44.10). 1074 Department of the Navy Office of the Chief of Naval Operations and Headquarters et al., The Commander’s Handbook on the Law of Naval Operations, August 2017, NWP 1–14M, 8.4.
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Hinweise für eine Ausdehnung eines derartigen Gebots auch auf die Kriegsführung zu Land oder zu Luft finden sich nicht. Auch im internationalen Umweltrecht ist der Begriff der „preservation“ eher selten zu finden.1075 Die IKRK-Studie selbst liefert keine Erklärung für die Anordnung auch der Bewahrung der Umwelt bei Einsatz der Mittel und Methoden der Konfliktführung. Zwar ließe sich argumentieren, die in Teil XII UNCLOS genannte Pflicht zu Bewahrung der Umwelt verlöre bei Vorliegen eines bewaffneten Konflikts nicht gänzlich an Wirkung1076, damit wäre aber weder die Ausweitung der Verpflichtung über die Meeresumwelt hinaus noch die durch das IKRK behauptete Geltung des Gebots als humanitärrechtliches Gewohnheitsrecht erklärt. Satz 1 der Regel 44 ist also in zweifacher Weise keine akkurate Abbildung geltenden Gewohnheitsrechts: Die Nennung des „due regards“-Gebots zusätzlich zu der in Regel 43 enthaltenen Anwendung der Grundprinzipien auf die natürliche Umwelt suggeriert eine im derzeitigen Gewohnheitsrecht nicht bestehende zusätzliche materielle Regelungswirkung des Beachtungsgebots. Auch die Ausweitung des Gebots auf die Beachtung einer Bewahrung der Umwelt findet keine Unterstützung in opinio iuris und Praxis der Staaten. Freilich könnte Satz 1 der Regel 44 auch als bloße Einleitung zu dem im zweiten Satz genannten Gebot der Vorsorge bei militärischen Operationen verstanden werden. In der genutzten Formulierung stiftet die Regel allerdings mehr Unsicherheit, als dass sie Nutzen brächte. 4. Bedeutung zur Regelung des nichtinternationalen Konflikts
Da mit dem Gebot gebührender Beachtung also zunächst keine inhaltliche Schutzerweiterung verbunden ist, besteht auch kein Wirkungsunterschied in internationalen und nichtinternationalen Konflikten. Die Pflicht zur Beachtung der Umwelt bei Auswahl und Einsatz der Mittel und Methoden der Kriegsführung ergibt sich schon aus den Geboten der Unterscheidung und Proportionalität. Darüberhinausgehende Pflichten zur Achtung und Schonung der Umwelt bestehen zumindest derzeit noch nicht. Da ein gewohnheitsrechtliches Gebot jedoch nie ganz statisch ist, die IKRK-Regel 44 also durchaus auch dazu beitragen kann, die 1075 Hulme, Natural Environment, in: Wilmshurst/Breau (Hrsg.), Perspectives on the ICRC study on customary international humanitarian law, S. 219. 1076 So Vöneky, Peacetime environmental law as a basis of state responsibility for environmental damage caused by war, in: Austin/Bruch (Hrsg.), The environmental consequences of war, S. 207 die von einer grundsätzlichen Fortgeltung der UNCLOS auch in Kriegszeiten ausgeht: Art. 236 UNCLOS, der Kriegs- und Flottenhilfsschiffe oder sonstige Schiffe oder Luftfahrzeuge von der Anwendung der Bestimmungen über den Schutz und die Bewahrung der Meeresumwelt ausnimmt, umfasse schließlich nicht alle denkbaren umweltrelevanten Kriegshandlungen. Z.B die Verschmutzung des Meeres durch die Öffnung von Ölleitungen an Land sei nicht von der Ausnahme des Art. 236 UNCLOS erfasst. Da Art. 192 ff. UNCLOS die marine Umwelt als Gemeinschaftsgut schützten, seien sie auch von allen Parteien eines bewaffneten Konflikts zu beachten.
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bislang fälschlich in ihr verwendeten Formulierungen zukünftig in Gewohnheitsrecht zu verwandeln, bleiben auch die Ausführungen des IKRK zur Geltung des „due regard“-Gebots in nichtinternationalen Konflikten relevant. Vertretbar, so führen es die Kommentatoren der IKRK-Studie aus, sei es, Regel 44 auch in dieser Art bewaffneter Konflikte anzuwenden. Diese Feststellung, die auch an anderen Stellen der Studie Verwendung findet, um auszudrücken, dass eine gewohnheitsrechtliche Geltung einer Regel (noch) nicht mit ausreichender Staatenpraxis und opinio iuris belegt werden kann1077, ist zwar konsequent, gleichzeitig aber nicht unproblematisch. Der Nachweis der Existenz einer der Regel 44 Satz 1 entsprechenden Gewohnheitsrechtsnorm fällt dem IKRK schon für internationale Konflikte schwer und gelingt bereits dort nicht. Den Autoren der Studie war offensichtlich aber bewusst, dass ihre Begründung der Regel 44 mit Prinzipien und Geboten internationalen Umweltrechts nicht zur Unterstützung der Anwendung auf nichtinternationale Konflikte ausreichen kann. Auch Umweltvölkerrecht regelt schließlich primär zwischenstaatliche Beziehungen. Ebenso hätte ein deutlicherer Verweis auf den Ursprung und die primäre Verortung des Gebots gebührender Berücksichtigung im Seerecht nicht weitergeholfen, schließlich befasst sich auch dieses Rechtssystem allein mit Verhältnissen der Staaten untereinander und spart rein innerstaatliche Sachverhalte naturgemäß aus. Die in der Studie aufgezählten Urteile des IGH und Resolutionen der UNOrgane1078, die sich ebenso allein mit zwischenstaatlichen Streitigkeiten befassen, helfen ebenso nicht weiter. Das Ergebnis vertretbarer Anwendbarkeit in nichtinternationalen Konflikten ist vor diesem Hintergrund schon optimistisch. Allein die Existenz der IKRK-Regel könnte jedoch zu weiteren Problemen führen. Derzeit verweisen vor allem Staaten, die dem Schutz der Umwelt während bewaffneter Konflikte skeptisch gegenüberstehen, auf das Gebot gebührender Beachtung der Umwelt, mit dem Ziel, die starreren Vorgaben der Prinzipien der Unterscheidung, Proportionalität und Notwendigkeit zu vermeiden. Dies wird jedoch erst bei näherer Befassung mit der Vielzahl derzeitig verwendeter Formulierungsansätze für Umweltschutzgebote deutlich. Die Autorität und Bekanntheit der Studie darf jedoch nicht dazu führen, die hinter dem Gebot gebührender Beachtung stehende Wirkung der Grundprinzipien in nichtinternationalen Konflikten infrage zu stellen. Diese Gefahr besteht vor allem angesichts des unklaren Inhalts der Regel 44 sowie ihrer wenig aussagekräftigen Kommentierung, die kaum erkennen lässt, welche Wirkung die vermeintliche Gewohnheitsrechtsregel
1077 Vgl. auch Regel 45 zur gewohnheitsrechtlichen Verankerung der Art. 35 (3) und 55 ZP I, Henckaerts/Doswald-Beck/Alvermann, Customary International Humanitarian Law, ICRC Study, Band I: Rules, S. 151 ff. 1078 Siehe die Praxisnachweise zu Regel 44 der Studie unter: IKRK, Customary IHL Database, Practice, abrufbar unter: https://www.icrc.org/customary-ihl/eng/docs/v2 [abgerufen am 26.10.2020].
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denn nun besitzen soll. Dies ist nur eine weitere Schattenseite des Versuchs, der Umwelt durch die Formulierung teils sehr progressiver, nicht unbedingt die rechtliche Realität spiegelnder Regeln Schutz zu vermitteln. Ob eine Weiterentwicklung geltenden Gewohnheitsrechts jemals dazu führen wird, dem Gebot gebührender Beachtung zusätzliche Wirkung zu verleihen, bleibt fraglich. Satz 1 der Regel 44 hat diese Entwicklung für nichtinternationale bewaffnete Konflikte jedenfalls nicht begünstigt. 5. Bewertung
Auch das Gebot gebührender Berücksichtigung ist beispielhaft für die verbreitete Strategie, durch die Behauptung neuer gewohnheitsrechtlicher Normen die Schwächen veralteter Verträge abzumildern. Stärker als in vielen anderen Bereichen des Völkerrechts ist das Entwicklungspotenzial der humanitärrechtlichen Verträge beschränkt. Soll ihr Stand den geänderten technologischen und politischen Realitäten, aber auch den moralischen Überzeugungen der heutigen Zeit, die sich u. a. durch die rapide Entwicklung internationalen Umweltrechts ausdrückten, entsprechen, bedarf es irgendwann einer Anpassung. Durch eine durch Rechtsüberzeugung getragene Praxis können die Staaten diese erreichen, ohne explizit einem neuen Vertragswerk zustimmen zu müssen. Doch der Weg zur Entstehung einer neuen Rechtspflicht ist lang und steinig und nicht selten gekennzeichnet durch den Widerstreit mehrerer Formulierungsund Regelungsansätze. Zeit vergeht, bis sich ein Ansatz ausreichend durchsetzen und verfestigen kann. Nicht immer ist das Ergebnis dieses Prozesses eine stärkere Handlungsbeschränkung und ein Mehr an Schutz. Es ist wenig verwunderlich, dass Akteure wie das IKRK, die sich der Milderung der Konsequenzen bewaffneter Konflikte verschrieben haben, diesen Prozess gerne zugunsten der Entwicklung stärkeren Schutzes beschleunigt sähen und bei ihrer Formulierung die Grenzen möglicher Interpretation ausreizen. Staaten wie die USA, die einer Schutzverstärkung eher ablehnend gegenüberstehen, nutzen die gleiche Strategie mit gegenläufigem Ziel. Das Resultat ist die Formulierung vieler unterschiedlicher Schutzansätze, deren Inhalte stark von den Interessen des jeweiligen Kommentators abhängen. Dieser Prozess ist natürlich und notwendig für die Herausbildung einer durch Konsens getragenen Gewohnheitsrechtsnorm. Problematisch ist die Situation allerdings dann, wenn die Grenzen zwischen lex lata und lex ferenda derart verwischt werden, dass kaum mehr ersichtlich ist, was geltendes Recht und was bloßer Ausdruck eines Wunsches nach Weiterentwicklung ist.1079 In der Aufnahme eines Gebots gebührender Beachtung der Umwelt in die IKRK-Studie und insbesondere in der Postulation, dieses Gebot gelte womöglich auch für nichtinternationale Konflikte, sehen manche Autoren genau diese Gefahr ver1079
Dinstein, Non-International Armed Conflicts in International Law, S. 206.
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wirklicht.1080 Mit Blick auf die Herleitung des Gebots ist diese Kritik nicht unberechtigt. Auch unabhängig von der Anwendbarkeit auf nichtinternationale Konflikte trägt Regel 44 Satz 1 mehr zu rechtlicher Unsicherheit bei, als ihr ein Nutzen zukommt. Zu dieser Unsicherheit tragen aber auch Akteure bei, die „due regards“-Formulierungen als flexible Alternative zur Anerkennung der Geltung der Grundprinzipien auch für die natürliche Umwelt nutzen und durch die Offenheit des Beachtungsbegriffs die durch ihn ausgedrückten Pflichten verschleiern. Wird dann auch noch die Anwendbarkeit des Beachtungsgebots in nichtinternationalen Konflikten womöglich mit Verweis auf die IKRK-Studie oder den angeblichen Ursprung des Gebots in Art. 55 ZP I infrage gestellt, verschwimmen die Grenzen zwischen geltendem Recht und politischen Wünschen gänzlich. Die ILC begeht diesen Fehler in ihrer Arbeit zum Schutz der Umwelt nicht. Die enge Anlehnung des Draft Principle 13 (2) an Art. 55 ZP I1081 und die gleichzeitige, und zudem noch unbegründete, Erklärung, das Prinzip habe dennoch auch in nichtinternationalen Konflikten Geltung, führt allerdings erneut rechtliche Unsicherheiten mit sich.1082 Zumindest derzeit und insbesondere in Bezug auf nichtinternationale bewaffnete Konflikte sollte von der Nutzung und Formulierung eines „due regards“Gebots daher abgesehen werden. Stattdessen sollte der Fokus von Schutzbemühungen auf die umfassende Anerkennung der Anwendung der Grundprinzipien gelegt werden. Sollte die zukünftige Rechtsentwicklung dem Gebot gebührender Beachtung der Umwelt doch einen zusätzlichen Inhalt verleihen, bedürfte es sodann einer genaueren Analyse der durch das Gebot auferlegten Pflichten. Die Einhaltung des Rechts in der Extremsituation bewaffneter Konflikte kann nur dann erhofft werden, wenn seine Normen einfach und klar genug sind, um von allen Akteuren im Konflikt verstanden und angenommen zu werden.
1080 Dinstein, a. a. O.: Ausreichender Zuspruch für eine derartige Regel sei schlicht nicht existent. Die natürliche Umwelt sei einfache noch kein Objekt spezifischen gewohnheitsrechtlichen Schutzes im Kontext nichtinternationaler Konflikte. 1081 Nach diesem bestehe lediglich eine Pflicht gebührender Sorge zur Verhinderung schwerer, langanhaltender und weitreichender Umweltschäden und damit keine allgemeine Sorgfaltspflicht. Siehe oben, Teil 2, Fn. 1055. 1082 Wobei der Versuch, auch Maßnahmen der Konfliktparteien, die keine Angriffshandlungen darstellen, mit Blick auf die Erhaltung der Umwelt zu beschränken, sicher lobenswert ist. Hier wäre jedoch eine ausführliche Begründung und Herleitung der vermeintlichen Pflicht zur Sorge wünschenswert gewesen. Die derzeit gerade einmal sechs Zeilen umfassende Kommentierung zu Draft Principle 13 (2) (ILC, Report of the International Law Commission on the Work of its 71st Session 2019, UN GAOR 74th Session, Supp. No. 10, A/74/10, S. 252, unter (6)) ist nicht ausreichend, um zu verdeutlichen, dass die Pflicht über eine Einschränkung der Kampfmaßnahmen hinausgehen soll.
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III. Fazit zur Existenz originären Gewohnheitsrechts Originäres Gewohnheitsrecht, das den Akteuren nichtinternationaler Konflikte zusätzliche Schonungspflichten zugunsten der Umwelt auferlegt, existiert jedenfalls derzeit nicht. Weder das Verbot mutwilliger Umweltzerstörung noch das Gebot gebührender Sorgfalt hat eine solche Wirkung. Beide Vorschriften, insofern sie denn überhaupt als Gewohnheitsrecht nichtinternationaler Konflikte bezeichnet werden können, unterscheiden sich in ihrem Regelungsanspruch kaum von Grundprinzipien humanitären Völkerrechts, dennoch wurden die beiden Konzepte in den letzten Jahren wiederholt von Expertengremien und Staaten vorgebracht. Die Unklarheit der Verbots- beziehungsweise Gebotsinhalte war für die häufige Nutzung sicher mitausschlaggebend. Sie ermöglichte es Akteuren in Praxis und Wissenschaft, die vermeintlichen Gewohnheitsrechtsregeln entweder mit dem Ziel einer Schutzerhöhung oder zur Behauptung eines niedrigeren Schutzniveaus heranzuziehen. Variationen in der jeweiligen Formulierung der Regeln unterstützten das jeweils favorisierte Ziel. Keine Seite konnte bislang eine substanzielle Rechtsänderung bewirken. Stattdessen beschwört die Handhabung beider Gewohnheitsrechtsformulierungen derzeit überwiegend Probleme hervor. Ihr wiederholtes Vorbringen ohne Spezifikation ihres Regelungsinhaltes führt zu nicht unerheblicher Rechtsunsicherheit. Werden die Gebote als Ersatz der Grundprinzipien herangezogen, gefährden sie sogar das bereits erreichte Niveau des durch die Prinzipien vermittelten Umweltschutzes. Dass aus den beiden Konzepten in Zukunft originäres Gewohnheitsrecht entstehen könnte, dessen Regelungsumfang dann tatsächlich eine stärkere Schonung der Umwelt verlangt, ist zwar nicht ausgeschlossen, eine derartige Entwicklung hätte jedoch eine deutliche Spezifikation und Klarstellung des anvisierten Regelungsgehalts zur Voraussetzung. Nur wenn ansatzweise Einigkeit hinsichtlich des Inhalts eines Verbots unter den maßgeblichen Akteuren besteht, kann durch opinio iuris und Staatenpraxis eine neue Handlungseinschränkung entstehen. Dies ist bislang allerdings nicht ersichtlich.
D. Deus ex Machina Martens’sche Klausel? „[T]he international law of war is not formulated simply on the basis of humanitarian feelings.“ 1083
Gewohnheitsrecht entsteht oft nur langsam. Die auf diese Weise erschaffenen Rechtsnormen verfügen zudem nicht zwingend über ein hohes Schutzniveau. Wenngleich insgesamt erfolgversprechender als das Hoffen auf neue Verträge, können die Inhalte sowie die Entstehungsdauer solcher Schutzvorschriften nicht 1083 Tokyo chihosaibansho, Ryuichi Shimoda et al. v. The State, Urteil vom 7. De¯ ¯ ¯ zember 1963, englische Übersetzung in: 8 Japanese Annual of International Law 1964, S. 212 ff., Rn. I. 11.
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immer mit den Vorstellungen und Wünschen vieler Bevölkerungen mithalten. Was aber, wenn sich die moralischen Überzeugungen einer Öffentlichkeit ändern, das Recht aber unverändert bleibt? Diese Diskrepanz zwischen herrschender Moral und geltendem Recht sehen nicht wenige Stimmen hinsichtlich der Umwelt als Opfer bewaffneter Konflikte als gegeben.1084 Eine stetig wachsende Weltbevölkerung habe die nachhaltige Bewahrung der Umwelt als Notwendigkeit erkannt; das bislang dargestellte humanitäre Völkerrecht trage diesem Umstand nur ungenügend Rechnung.1085 Letztlich, so könnte argumentiert werden, sei es nur der Fragmentierung internationalen Rechts geschuldet, dass die auf Basis einer veränderten Moral vollzogene exponentielle Entwicklung internationalen Umweltrechts während bewaffneter Konflikte keine Geltung erlange. Was aber, wenn humanitäres Völkerrecht am Maßstab umweltvölkerrechtlicher Schutzideen modifiziert werden könnte? Was, wenn das durch die Weiterentwicklung internationalen Umweltrechts ausgedrückte Bedürfnis der Weltgemeinschaft, die Umwelt nachhaltig zu bewahren, über ein Einfallstor in humanitäres Völkerrecht einwirken und dieses im Sinne herrschender Moral modifizieren könnte? Auch diese Variante der Schutzerhöhung wurde in Vergangenheit angedacht. Ein solches Einfallstor, eine Öffnungsklausel für Maßstäbe jenseits des humanitären Völkerrechts, sehen nicht wenige in der beinahe legendären Martens’schen Klausel verwirklicht.1086 1084 Implizit Vöneky, Die Fortgeltung des Umweltvölkerrechts in internationalen bewaffneten Konflikten, S. 353 die argumentiert, das öffentliche Gewissen fordere heute den Schutz der Umwelt; Simonds, Conventional warfare and environmental protection: a proposal for international legal reform, Stanford Journal of International Law 29 (1992), S. 188 die eine Anwendung friedensrechtlicher Umweltverträge im Krieg als im Einklang mit dem öffentlichen Gewissen beschreibt; zudem: Bothe, The Protection of the Environment in Times of Armed Conflict, German Yearbook of International Law 34 (1991), S. 56; Tietje, Die Völkerrechtswidrigkeit des Einsatzes von Atomwaffen im bewaffneten Konflikt unter Umwelt- und Gesundheitsschutzaspekten, Archiv des Völkerrechts 33 (1995), S. 288; Hulme, Armed conflict, Wanton ecological devastation and scorched earth policies: How the 1990–91 Gulf conflict revealed the inadequacies of the current laws to ensure effective protection and preservation of the natural environment, Journal of Armed Conflict 2 (1997). 1085 Tarasofsky, Legal protection of the environment during international armed conflict, Netherlands yearbook of international law 24 (1993), S. 78. 1086 In Bezug auf den Schutz der Umwelt vgl. die Nachweise in Teil 2, Fn. 1084 und 1085. Zuletzt: Fleck, The Martens Clause and Environmental Protection in Relation to Armed Conflicts, Goettingen Journal of International Law 10 (2020), S. 243 ff. Zudem Tietje, Die Völkerrechtswidrigkeit des Einsatzes von Atomwaffen im bewaffneten Konflikt unter Umwelt- und Gesundheitsschutzaspekten – Zur Gutachtenanfrage der WHO an den IGH –, Archiv des Völkerrechts 33 (1995), S. 288 f.; Plant/Tarasofsky, Armed Conflict and the Environment: The UN General Assembly Sixth Committee’s Task, in: Spieker (Hrsg.), Naturwissenschaftliche und völkerrechtliche Perspektiven für den Schutz der Umwelt im bewaffneten Konflikt?, S. 194; Sands et al., Principles of International Environmental Law, S. 793; Hey, Advanced Introduction to International Environmental Law, S. 128; Vöneky/Wolfrum, Environment, Protection in Armed Conflict, in: Wolfrum (Hrsg.), The Max Planck Encyclopedia of Public International Law,
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I. Ursprünge und Variationen der Martens’schen Klausel Bezeichnet als Vermächtnis der Haager Abkommen1087, als normatives Mysterium der internationalen Gemeinschaft1088, als Inszenierung bloßer Ironie1089, aber auch als realitätsferne Hoffnung1090, genießt die Martens’sche Klausel den Ruf, eine der bekanntesten, gleichzeitig aber auch missverständlichsten und mehrdeutigsten Regeln humanitären Völkerrechts zu sein. Seit ihrer ersten Nennung in der Präambel des Zweiten Haager Abkommens von 18991091 wurde die Klausel in leicht verändertem Wortlaut in mehrere nachfolgende Vertragswerke, u. a. in das Vierte Haager Abkommen von 19071092, in die Vorschriften zur Kündigung der Genfer Abkommens von 19491093 sowie die beiden Zusatzprotokolle von 1977 aufgenommen.1094 Ihre heute gebräuchliche Formulierung entspricht der des Art. 1 (2) ZP I: opil.ouplaw.com/home/EPIL, Rn. 48; so auch schon 1991 u. a. die Vertreter Kanadas und der Schweiz vor dem sechsten Komitee der Generalversammlung in den (später scheiternden) Debatten zur Entwicklung von Richtlinien zum Schutz der Umwelt während bewaffneter Konflikte (UNGA, Sixth Committee, Summary Record of the 18th meeting of the 46th Session, 22. Oktober 1991, Agenda item 140: Exploitation of the Environment as a Weapon in Times of Armed Conflict and the practical Measures to prevent such Exploitation, A/C.6/46/SR.18, Rn. 4). Ähnlich äußerte sich in diesem Zusammenhang auch das IKRK (vgl. UNGA, Report of the Secretary General on the protection of the environment in times of armed conflict, 29. Juli 1993, A/48/269, S. 15, Rn. 77). 1087 Meron, The Martens Clause, Principles of Humanity, and Dictates of Public Conscience, American Journal of International Law 94 (2000), S. 78. 1088 Cassese, The Martens Clause: half a loaf or simply pie in the sky? European Journal of International Law 11 (2000), S. 187. 1089 Giladi, The Enactment of Irony: Reflections on the Origins of the Martens Clause, European Journal of International Law 25 (2014), S. 7847 ff. 1090 Cassese (Teil 2, Fn. 1088) verwendet den schönen Begriff „pie in the sky“. 1091 Hague Convention (II) with Respect to the Laws and Customs of War on Land and its annex: Regulations concerning the Laws and Customs of War on Land vom 29. Juli 1899, 187 CTS 429 (Zweites Haager Abkommen 1899), Präambel: „Until a more complete code of the laws of war is issued, the High Contracting Parties think it right to declare that in cases not included in the Regulations adopted by them, populations and belligerents remain under the protection and empire of the principles of international law, as they result from the usages established between civilized nations, from the laws of humanity and the requirements of the public conscience“. 1092 Hague Convention (IV) respecting the Laws and Customs of War on Land and its annex: Regulations concerning the Laws and Customs of War on Land vom 18. Oktober 1907, 187 CTS 227 (IV. Haager Abkommen 1907), Präambel. 1093 Art. 63 (4) GA I, Art. 142 (4) GA III, Art. 158 (4) GA IV. 1094 Darüber hinaus finden sich Teile der Klausel in der Präambel des Protokolls über das Verbot der Verwendung von erstickenden, giftigen oder ähnlichen Gasen sowie von bakteriologischen Mitteln im Kriege von 1928 (Geneva Protocol for the Prohibition of the Use of Asphyxiating, Poisonous or Other Gases, and of Bacteriological Methods of Warfare vom 17. Juni 1925, 94 LNTS 65 (Genfer Prot. 1925)) sowie der Präambel der CCW.
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„In cases not covered by this Protocol or by other international agreements, civilians and combatants remain under the protection and authority of the principles of international law derived from established custom, from the principles of humanity and from the dictates of public conscience.“
Ursprünglich als inhaltsloses Instrument diplomatischer Finesse durch ihren Namensgeber, den russischen Diplomaten Friedrich Martens1095, eingeführt, um die festgefahrenen Verhandlungen der Haager Friedenskonferenz von 1899 zum Erfolg zu führen1096, wurde die Klausel vor allem durch internationale Gerichte zu einem zentralen Konzept humanitären Völkerrechts weiterentwickelt.1097 Die 1095 Zum Leben des Diplomaten und der Entstehung der Martens’schen Klausel: Pustogarov, Fyodor Fyodorovich Martens (1845–1909) a humanist of modern times, International Review of the Red Cross 36 (1996), S. 300 ff. 1096 Die Verhandlungen drohten über einem Streit zwischen kleineren Staaten wie Belgien und militärisch starken Staaten wie Russland und Preußen über das Recht von Zivilpersonen, sich gegen eine fremde Besatzung aufzulehnen, zu scheitern. Während u. a. Russland, als dessen Delegierter Martens auftrat, das Recht zum Aufstand einzuschränken suchte, wollte vor allem Belgien keinen Nachteil für die Bevölkerungen besetzter Staaten durch eine begrenzende Definition rechtmäßiger Kombattanten zulassen. Um die Blockade der kleineren Staaten aufzulösen, schlug Martens eine Erklärung vor, nach der die Frage zusätzlicher rechtmäßiger oder unrechtmäßiger Kombattanten unter der Herrschaft der Prinzipien des Völkerrechts verbleibe, wie sie sich aus den Gebräuchen zivilisierter Staaten, aus den Gesetzen der Humanität und den Vorgaben des öffentlichen Gewissens ergäben. Da damaliges Gewohnheitsrecht aber kein Recht zum Aufstand gegen Besatzungsmächte vermittelte (Cassese, The Martens Clause: half a loaf or simply pie in the sky? European Journal of International Law 11 (2000), S. 197), bot die Klausel nichts mehr als eine Formulierung moralischer Werte ohne substanziellen Inhalt. Und dennoch reichte sie aus, um die Blockade der kleineren Staaten zu lösen und den Verhandlungen der Haager Konferenz zum Erfolg zu verhelfen. Die Protokolle der Konferenz sind abgedruckt in: Scott (Hrsg.), The Proceedings of the Hague Peace Conferences: Translation of the Official Texts, The Conference of 1899. Die Position des belgischen Delegierten findet sich u. a. auf S. 504 f. (zweite Kommission, sechstes Treffen vom 6. Juni 1899); die Position Russlands, vorgetragen durch Martens, findet sich im Anschluss auf S. 505 f. Am 20. Juni 1899, im Rahmen des elften Treffens der zweiten Kommission, verlas Martens seine Erklärung und mit ihr die Worte, die als Martens’sche Klausel in die Geschichte eingehen sollten (a. a. O., S. 545 ff., 548). Sie bezogen sich zu diesem Zeitpunkt ausdrücklich auf bewaffnete Aufstände gegen eine fremde Besetzung. Erst in späteren Jahren fand die Klausel eine Ausdehnung auf das gesamte humanitäre Völkerrecht. Der Entstehungsgeschichte der Klausel widmen sich u. a. auch: Giladi, The Enactment of Irony: Reflections on the Origins of the Martens Clause, European Journal of International Law 25 (2014), S. 847 ff.; und knapper auch Crawford, Road to Nowhere? The Future for a Declaration on Fundamental Standards of Humanity, Journal of International Humanitarian Legal Studies 3 (2012), S. 46 f. 1097 Das US-Militärtribunal in Nürnberg bezeichnete die Klausel 1948 als „general clause, making the usages established among civilized nations, the laws of humanity and the dictates of public conscience into [. . .] legal yardsticks“ (Nuernberg Military Tribunals, US v. Alfred Krupp et al., Urteil vom 31. Juli 1948, Trials of War Criminals Before the Nuremberg Military Tribunals under Control Council Law No. 10, Oktober 1946–April 1949, Band IX, S. 1327 ff., S. 1340). Die ursprünglich zu einem Problem bewaffneter Okkupation eingeführte Klausel erlangte so erstmals Bedeutung für das gesamte Kriegsrecht. Diese Bedeutung wurde durch nachfolgende Gerichte aufgegriffen und auf unterschiedliche Bereiche humanitären Völkerrechts angewendet. So erklärte
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Erklärung, Zivilpersonen und Kombattanten verblieben auch in den durch internationale Übereinkünfte nicht erfassten Fällen unter dem Schutz und der Herrschaft der Grundsätze des Völkerrechts, wie sie sich aus feststehenden Gebräuchen, aus den Grundsätzen der Menschlichkeit und aus den Forderungen des öffentlichen Gewissens ergeben1098, gilt heute im Grundsatz als Bestandteil nicht nur der soeben genannten Vertragswerke, sondern ebenso des humanitären Gewohnheitsrechts.1099 Es ist jedoch nicht nur ihre Verankerung in vielen Instrumenten des humanitären Völkerrechts, die der Martens’schen Klausel ihren einzigartigen Ruf bescherte. Seit nunmehr über einhundert Jahren liegt ein Nebel der Mehrdeutigkeit über der Klausel, der zumindest einen Teil ihrer Bekanntheit zu erklären mag. Ihr offener Wortlaut, der in ihr enthaltene Verweis auf nichtrechtliche bzw. moralische Begriffe der Menschlichkeit und des öffentlichen Gewissens sowie ihre häufige Heranziehung durch Gerichte, die teils versäumten, die durch sie konstatierte Wirkung der Klausel zu begründen, all dies führte dazu, dass bis heute eine Vielzahl möglicher Interpretationen der Martens’schen Klausel zur Verfügung steht. der ICTY in Martic´, das Verbot der Attacke gegen Zivilisten sowie das Verbot der Zufügung unnötiger Leiden würde auch aus der Martens’schen Klausel erwachsen (ICTY, Prosecutor v. Milan Martic´, Trail Chamber Rule 61 Decision, 8. März 1996, Case No. IT-95-11/R61, Rn. 13). Später zog der ICTY die Klausel heran, um die Verbote von Folter und Vergewaltigung zu begründen (ICTY, Prosecutor v. Anto Furundzˇija, Urteil der Verfahrenskammer vom 10. Dezember 1998, Case No. IT-95-17/1-T, Rn. 137, 168). Und in seinem viel diskutierten Atomwaffen-Gutachten erklärte der IGH, die Klausel „has proved to be an effective means of addressing the rapid evolution of military technology“ (IGH, Legality of the Threat or Use of Nuclear Weapons, Advisory Opinion vom 8. Juli 1996, I.C.J. Reports 1996, S. 226 ff., Rn. 78). Siehe zudem Prosecutor v. Zejnil Delalic´, Zdravko Mucic´, Hazim Delic´ and Esad Landzˇo (Celebici Case), Urteil der Berufungskammer vom 20. Februar 2001, IT-96-21-A, Rn. 143, Fn. 187; EGMR, Kononov v. Lettland, Urteil der Großen Kammer vom 17. Mai 2010, Nr. 36376/04, Rn. 87, 92, 207. 1098 Diese Formulierung entspricht der in Art. 1 (2) ZP I enthaltenen Fassung der Klausel. 1099 So ausdrücklich der IGH in seinem Atomwaffengutachten (IGH, Legality of the Threat or Use of Nuclear Weapons, Advisory Opinion vom 8. Juli 1996, I.C.J. Reports 1996, S. 226 ff., Rn. 84), der argumentierte, die Martens’sche Klausel sei schon vor 1977 Gewohnheitsrecht gewesen und in Art. 1 ZP I nur erneut bestätigt worden. Ähnlich schon die Kommentierung des IKRK zu den Zusatzprotokollen von 1977 (Zimmermann, Commentary on Art. 1 AP I, in: Sandoz/Swinarski/Zimmermann (Hrsg.), Commentary on the Additional Protocols of 8 June 1977 to the Geneva Conventions of 12 August 1949, S. 39, Rn. 56). Zum gewohnheitsrechtlichen Status auch: Meron, The Martens Clause, Principles of Humanity, and Dictates of Public Conscience, American Journal of International Law 94 (2000), S. 87; Bernstorff, Martens Clause, in: Wolfrum (Hrsg.), The Max Planck Encyclopedia of Public International Law, opil.ouplaw.com/ home/EPIL, Rn. 14; Bothe, The Protection of the Environment in Times of Armed Conflict, German Yearbook of International Law 34 (1991), S. 56; Vöneky, Die Fortgeltung des Umweltvölkerrechts in internationalen bewaffneten Konflikten, S. 286; kritisch zur Argumentation des IGH: Cassese, The Martens Clause: half a loaf or simply pie in the sky? European Journal of International Law 11 (2000), S. 206.
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Der (kleinste) gemeinsame Nenner der Auslegungsvarianten liegt in der Ablehnung rechtsfreier Räume:1100 In Fällen, in denen humanitärrechtliche Verträge keine Antworten liefern, verbleibt der Mensch dennoch unter dem Schutz völkerrechtlicher Prinzipien. Der Verweis auf die sich aus den feststehenden Gebräuchen ergebende Prinzipien des Völkerrechts verdeutlicht als Minimum das Nebeneinander von Vertrags- und Gewohnheitsrecht und fungiert als Erinnerung an die absolute Geltung bestehenden Gewohnheitsrechts auch bei Entstehung neuen Vertragsrechts. Eine erste und zentrale Konsequenz ist die vermittelte Absolutheit humanitärrechtlicher Grundentscheidungen. Schon in ihrer engsten Interpretation fungiert die Klausel also auch als Schutz bereits bestehenden Gewohnheitsrechts. Ihre Existenz verhindert das e contrario-Argument, dass jede Handlung, die durch die Verträge nicht ausdrücklich verboten sei, nach dem Recht des Krieges zulässig wäre.1101 Neben dieser Bewahrungsfunktion enthält die Martens’sche 1100 Rensmann, Die Humanisierung des Völkerrechts durch das ius in bello – Von der Martens’schen Klausel zur „Responsibility to Protect“, ZaöRV 68 (2008), S. 114. 1101 Diese Ansicht wurde durch das Vereinigte Königreich und die USA in dem durch die WHO angestrebten Nukleartest-Verfahren vor dem IGH vertreten: Obwohl die Klausel deutlich mache, dass in Abwesenheit eines ausdrücklichen Verbots des Einsatzes von Atomwaffen nicht automatisch auf ihre Legalität geschlossen werden könne, verbiete sie ihren Einsatz selbst aber auch nicht. Vielmehr mache es der Wortlaut der Klausel notwendig, ein entsprechendes Verbot durch geltendes Gewohnheitsrecht zu identifizieren. Da ein gewohnheitsrechtliches Verbot des Einsatzes von Atomwaffen aber gerade fraglich sei, könne die Martens’sche Klausel nicht weiterhelfen. Siehe Government of the United Kingdom, Written Statement of the Government of the United Kingdom, 20. September 1994 concerning the Request for Advisory Opinion on the Legality of the Use by a State of Nuclear Weapons in Armed Conflict (Nuclear Weapons WHO case), abrufbar unter: https://www.icj-cij.org/public/files/case-related/ 93/8742.pdf [abgerufen am 26.10.2020], S. 84, Rn. 32; mündliche Stellungnahme von John McNeill, Senior Deputy General Counsel des US-Verteidigungsministeriums, in: IGH, Verbatim Record vom 15. November 1995 in the case Legality of the Use by a State of Nuclear Weapons in Armed Conflict (Request for Advisory Opinion Submitted by the World Health Organization) and Legality of the Threat or Use of Nuclear Weapons (Request for Advisory Opinion Submitted by the General Assembly of the United Nations), CR 1995/34, S. 78. Siehe auch Crawford, The Modern Relevance of the Martens Clause, ISIL Yearbook of International Humanitarian and Refugee Law 6 (2006), S. 17. Aufgrund der e contrario-Wirkung der Klausel sind Konflikttypen außerhalb der Dichotomie internationaler und nichtinternationaler Konflikte, die dem Recht der Genfer Abkommen (womöglich) nicht länger unterworfen wären, ebenso wenig denkbar wie die Kategorisierung sogenannter ungesetzlicher Kombattanten („unlawful enemy combatants“) als durch humanitäres Völkerrecht nicht länger erfasste Personen, denen aufgrund ihres Verstoßes gegen das Recht selbst kein grundlegender Schutz mehr gewährt werden müsse. Zu der durch die Vereinigten Staaten zeitweise angenommenen Kategorie der ungesetzlichen Kombattanten vgl. Hobe, Das humanitäre Völkerrecht in asymmetrischen Konflikten: Anwendbarkeit, modifizierende Interpretation, Notwendigkeit einer Reform? in: Zimmermann et al. (Hrsg.), Moderne Konfliktformen, S. 58, Fn. 81 und Pejic, „Unlawful/Enemy Combatants:“ Interpretations and Consequences, in: Schmitt/Pejic (Hrsg.), International law and armed conflict: Exploring the faultlines, S. 343 f. Zu der vor allem durch die Bush-Regierung vertretene und später durch den US Supreme Court als unzulässig eingestufte Position statt vieler: Pejic, a. a. O.,
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Klausel unbestritten auch eine dynamische Komponente: Die absolute Geltung bestehenden Gewohnheitsrechts verpflichtet zu seiner Anwendung auch auf zuvor unvorhergesehene Fälle1102 und garantiert damit die Relevanz humanitärrechtlicher Prinzipien auch bei technischem und gesellschaftlichem Fortschritt. Dies erklärte nicht zuletzt der IGH in seinem Atomwaffengutachten.1103 Für den Schutz der natürlichen Umwelt sind diese beiden Bedeutungen der Klausel allerdings nicht zusätzlich weiterführend. Sie bestätigen lediglich die bislang identifizierten Ergebnisse und dienen zur Unterstützung der dargelegten Gewohnheitsrechtsentwicklung. Neben dem Verweis auf die aus feststehenden Gebräuchen resultierenden Völkerrechtsprinzipien enthält die Martens’sche Klausel allerdings zwei weitere Konzepte, deren Inhalt und Wirkung weit weniger klar zu fassen sind: Die Prinzipien der Menschlichkeit und die Forderungen des öffentlichen Gewissens als Ursprünge des Völkerrechts treten durch den Wortlaut der Klausel gleichberechtigt neben den Verweis auf Gewohnheitsrecht. Als mögliche Brücke zwischen positivem Recht und gewandelten Bedürfnissen und Werten heutiger Generationen sind sie denkbarer Anknüpfungspunkt eines in Recht transformierten Umweltschutzbestrebens (siehe sogleich unter II., 3.). Voraussetzung jeglicher Schutzwirkungen ist jedoch die Anwendbarkeit der Klausel zugunsten der Umwelt (II., 1.) sowie auch in nichtinternationalen bewaffneten Konflikten (II., 2.).
II. Deus ex Machina zum Schutz der Umwelt in nichtinternationalen Konflikten 1. Anwendbarkeit zugunsten der Umwelt
Nun ist die Anwendung der Martens’schen Klausel als Schutzinstrument für die Umwelt beziehungsweise ihre Bestandteile nicht selbstverständlich. Die erste Formulierung der Klausel in der Präambel der Haager Abkommen von 1899 verwies auf den Schutz von Kampftreibenden und Bevölkerungen. Auch die in den S. 335 ff.; Sassòli, The Status of Persons Held in Guantnamo under International Humanitarian Law, Journal of International Criminal Justice 2 (2004), S. 96 ff.; Gill/van Sliedregt, Guantanamo Bay: A Reflection on the Legal Status and Rights of ,Unlawful Enemy Combatants‘, Utrecht Law Review 1 (2005), S. 28 ff.; Solis, The Law of Armed Conflict, S. 242; McLeod, Rule of Law in War, S. 52 ff.; Alkatout, The Legality of Targeted Killings in View of Direct Participation in Hostilities, S. 84 ff.; siehe zudem die Nachweise in Teil 1, Fn. 89. 1102 Zimmermann, Commentary on Art. 1 AP I, in: Sandoz/Swinarski/Zimmermann (Hrsg.), Commentary on the Additional Protocols of 8 June 1977 to the Geneva Conventions of 12 August 1949, S. 39, Rn. 56. 1103 IGH, Legality of the Threat or Use of Nuclear Weapons, Advisory Opinion vom 8. Juli 1996, I.C.J. Reports 1996, S. 226 ff., Rn. 87: „Finally, the Court points to the Martens Clause [. . .] as an affirmation that the principles and rules of humanitarian law apply to nuclear weapons.“
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beiden Zusatzprotokollen von 1977 enthaltenen Fassungen beziehen sich allein auf den Schutz von Zivilpersonen und Kombattanten (ZP I) beziehungsweise der menschlichen Person (ZP II). Eine Schutzvermittlung zugunsten der natürlichen Umwelt beziehungsweise ihrer Bestandteile ist in den gebräuchlichen Formulierungen der Klausel zunächst nicht angelegt. Sie ist gleichwohl nicht zwingend ausgeschlossen. Sinn und Zweck des die Klausel umrahmenden Rechtssystems sprechen vielmehr für diese Anwendungsreichweite. Das humanitäre Völkerrecht ist in seiner Gesamtheit anthropozentrisch, es dient – wie jedes andere (völker-) rechtliche System1104 – dem Schutz des Menschen beziehungsweise seiner Interessen. Dies bedeutet jedoch nicht, dass die Umwelt durch Völkerrecht und speziell durch humanitäres Völkerrecht keinen unmittelbaren Schutz erlangen kann und erlangen sollte. Wie bereits festgestellt, dient die Bewahrung der Umwelt als Lebensgrundlage und Lebensraum jedes Menschen den Interessen der Menschheit und jedes Individuums.1105 Jeder Schaden an der natürlichen Umwelt beeinträchtigt Interessen ihrer Bewohner.1106 Der Schutz des Menschen und seiner individuellen Lebensweise gebietet die Beachtung der Umwelt in einer Vielzahl ihrer Wertaspekte.1107 Die Verortung der Umwelt als Anwendungsobjekt der Martens’schen Klausel steht zudem nicht im Widerspruch zu der heute anerkannten Grundsatzbedeutung der Klausel oder dem heutigen System humanitären Völkerrechts. Die Existenz der unmittelbar umweltschützenden Art. 35 (3) und 55 ZP I sowie die gewohnheitsrechtliche Anerkennung der Umwelt als ziviles Objekt verdeutlichen heute die grundsätzliche Anwendbarkeit humanitären Völkerrechts zur Erhaltung der Umwelt. Wenngleich der Wortlaut der Martens’schen Klausel seit ihrer Entstehung vor mehr als einhundert Jahren keine gravierende Ausdehnung erfuhr, wurde sie durch Gerichte und Gelehrte von einer inhaltsleeren Formel mit rein 1104 Gillespie, International Environmental Law, Policy, and Ethics, S. 149 schlussfolgert auf Basis einer Analyse internationalen Umweltrechts und internationaler Umweltpolitik, dass wenigstens in diesem Bereich des Völkerrechts nicht anthropozentrische Argumente durchaus an Popularität gewännen und mittlerweile Einfluss auf die Rechtsentstehung nähmen. Doch auch im Rahmen moralischer Argumentationen, die der Umwelt oder auch Ökosystemen eigene Werte vermitteln, seien Mensch und Umwelt auf internationaler Ebene niemals als gleichgestellt anerkannt. „Echte“ ökozentrische Ansichten spielten laut Gillespie weiterhin keine wirkliche Rolle. 1105 Vgl. nur den Wortlaut des Art. 55 ZP I, der den Umweltschutz direkt mit der Gesundheit der Bevölkerung verknüpft. 1106 So auch Christiansen, Climate Conflicts – A Case of International Environmental and Humanitarian Law, S. 208 die argumentiert, die Martens’sche Klausel vermittle einen hinter den Schutz des Menschen zurücktretenden Schutz auch für die Umwelt. Die Subsidiarität ist jedoch nicht angezeigt. Da die Schutzbelange der Umwelt und des Menschen in der Klausel nicht kollidieren, besteht keine Veranlassung, den ersteren als zurücktretend zu erachten. 1107 Zu den primär für die Begründung eines rechtlichen Schonungsgebots maßgeblichen Aspekten anthropozentrischer Werthaftigkeit, siehe oben im Rahmen der Prüfung bestehenden humanitären Vertragsrechts, 2. Teil, § 2, B.
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strategischer Bedeutung in eine zentrale und generalklauselartige Vorschrift des gesamten Systems erweitert. Diese Entwicklung sowie das heutige nahezu global verbreitete Verständnis der Abhängigkeit des Menschen von seiner Umwelt erlauben, ja fordern geradezu die Beachtung auch der menschlichen Umwelt bei der Auslegung der Klausel.1108 Aus Gründen der Klarstellung präsentierten mehrere Institutionen in den vergangenen Jahren abgewandelte Versionen der Martens’schen Klausel, die in ihrem Wortlaut unmittelbar Bezug auf die Umwelt nahmen. So enthielten beispielsweise die IKRK-Richtlinien für Militärhandbücher zum Schutz der Umwelt während bewaffneter Konflikte von 1994 eine modifizierte Version der Martens’schen Klausel, die unmittelbar an den Schutz der Umwelt anknüpft: „In cases not covered by international agreements, the environment remains under the protection and authority of the principles of international law derived from established custom, the principles of humanity and the dictates of public conscience.“ 1109
Auch die IUCN stellte im Rahmen ihres Weltkongresses 2000 eine Abwandlung der Martens’schen Klausel mit unmittelbarem Umweltbezug vor. Die als Amman Klausel bezeichnete Formulierung sollte die Forderung eines Minimalschutzes der Umwelt in Friedens- wie in Kriegszeiten verdeutlichen. Die rechtlich nicht bindende Klausel besagte, dass, bis zur Verabschiedung eines umfassenderen internationalen Umweltrechts, die Biosphäre und all ihre Bestandteile und Prozesse auch dann unter dem Schutz und der Herrschaft der Grundsätze des Völkerrechts verblieben, wie sie sich aus den feststehenden Gebräuchen, aus den Forderungen des öffentlichen Gewissens sowie aus den Grundsätzen und fundamentalen Werten der Menschheit als Verwalter derzeitiger und kommender Generationen ergeben, wenn internationale Vereinbarungen und Regulierungen den jeweiligen Einzelfall nicht abdeckten.1110 1108 So auch ILC, Second Report on Protection of the Environment in Relation to Armed Conflicts by Marja Lehto, Special Rapporteur, 27. März 2019, A/CN.4/728, Rn. 181. 1109 IKRK, Guidelines for military manuals and instructions on the protection of the environment in times of armed conflict, 19. August 1994, Annex to UN Doc. A/9/323, 7. 1110 IUCN, A Martens Clause for Environmental Protection, World Conservation Congress Oktober 2000, Resolution 2.97: „Until a more complete international code of environmental protection has been adopted, in cases not covered by international agreements and regulations, the biosphere and all its constituent elements and processes remain under the protection and authority of the principles of international law derived from established custom, from dictates of the public conscience, and from the principles and fundamental values of humanity acting as steward for present and future generations.“ Zur Amman Klausel siehe auch Shelton/Kiss, Martens Clause for Environmental Protection, Environmental Policy and Law 30 (2000), S. 285 f.). Ebenfalls zitiert in ILC, Second Report on Protection of the Environment in Relation to Armed Conflicts by Marja Lehto, Special Rapporteur, 27. März 2019, A/CN.4/728, Rn. 179.
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Zuletzt empfahl ILC Special Rapporteur Lehto in die in Entstehung befindlichen Draft Principles on protection of the environment in relation to armed conflicts eine Fassung der Martens’schen Klausel aufzunehmen, die sich ausdrücklich dem Schutz der Umwelt widmete. Das von Lehto im Frühjahr 2019 vorgeschlagene und durch das Entwurfskomitee der ILC leicht abgewandelte Draft Principle 12 lautet in der 2019 durch die Kommission angenommenen Fassung nunmehr: „Martens Clause with respect to the protection of the environment in relation to armed conflict. In cases not covered by international agreements, the environment remains under the protection and authority of the principles of international law derived from established custom, from the principles of humanity and from the dictates of public conscience.“ 1111
Da die von Special Rapporteur Lehto vorgeschlagenen Draft Principles (überwiegend) ein Abbild bereits bestehenden Rechts darstellen und nicht selbst das Recht bewaffneter Konflikte fortentwickeln sollen1112, geht wohl auch Lehto davon aus, dass diese Version der Martens’schen Formel keine Abwandlung ihrer Wirkung, sondern lediglich eine Klarstellung dieser bezweckt. Die Kommission selbst ließ in der Kommentierung des Draft Principle ausdrücklich offen, welche der in der Literatur diskutierten Wirkungsvarianten der ursprünglichen Klausel durch Draft Principle 12 unterstützt werde.1113 Die Reaktionen der Staaten auf die Draft Principles bleiben freilich abzuwarten.1114 Die Martens’sche Klausel selbst bedarf freilich keiner Modifikation, wie sie z. B. in den Richtlinien des IKRK für Militärhandbücher von 1994 oder der 1111 ILC, Report of the International Law Commission on the Work of its 71st Session 2019, UN GAOR 74th Session, Supp. No. 10, A/74/10, S. 247. Der ursprüngliche Vorschlag von Special Rapporteur Lehto enthielt darüber hinaus noch einen weiteren Zusatz, der durch den Verweis auf die Interessen zukünftiger Generationen auch das umweltrechtliche Prinzip intergenerationeller Gerechtigkeit enthielt: „In cases not covered by international agreements, the environment remains under the protection and authority of the principles of international law derived from established custom, the principles of humanity and the dictates of public conscience in the interest of present and future generations.“ (ILC, Second Report on Protection of the Environment in Relation to Armed Conflicts by Marja Lehto, Special Rapporteur, 27. März 2019, A/CN.4/728, Rn. 184). Dieser Vorschlag wurde offensichtlich durch den Wortlaut der sogenannten Amman Klausel inspiriert (siehe Teil 2, Fn. 1110). Der Zusatz der Interessen zukünftiger Generationen ist in dem durch das Entwurfskomitee vorläufig angenommenen Draft Principle allerdings nicht mehr enthalten. 1112 Zuletzt nochmals betonend: ILC, Second Report on Protection of the Environment in Relation to Armed Conflicts by Marja Lehto, Special Rapporteur, 27. März 2019, A/CN.4/728, Rn. 3 mit Verweis auf entsprechende Äußerungen mehrerer Staaten. 1113 ILC, Report of the International Law Commission on the Work of its 71st Session 2019, UN GAOR 74th Session, Supp. No. 10, A/74/10, S. 248. 1114 Die Kommission erbat Anmerkungen bis Dezember 2020.
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durch die IUCN aufgestellten Amman Klausel aus Klarstellungsgründen vorzufinden ist, um auch der Umwelt potenziell Schutz zu vermitteln. Schädlich sind solche Klarstellungen allerdings nicht. 2. Die Martens’sche Klausel in nichtinternationalen Konflikten
Die grundsätzliche Trennung der Konflikttypen verbietet es selbst im Fall der Martens’schen Klausel ohne Weiteres von der Anwendbarkeit in internationalen Konflikten auf eine gleichlaufende Geltung auch in nichtinternationalen Konflikten zu schließen. Zweifel in dieser Hinsicht nähren sich vor allem aus einem Vergleich ihrer Fassung in den beiden Zusatzprotokollen von 1977. Zwar findet sich die Klausel auch in dem für nichtinternationale Konflikte relevanten ZP II, der in der Präambel dieses Protokolls vorzufindende Wortlaut ist allerdings im Vergleich zu der sonst gebräuchlichen Formulierung der Klausel, die auch in Art. 1 (2) ZP I aufgenommen wurde, verkürzt und gleich in zweifacher Weise modifiziert: „[I]n cases not covered by the law in force, the human person remains under the protection of the principles of humanity and the dictates of the public conscience.“ 1115
Anders als in allen anderen Fassungen der Klausel und insbesondere in der im ZP I enthaltenen Version fehlt in dieser Formulierung der Verweis auf den Schutz des Individuums durch die sich aus feststehenden Gebräuchen ergebenden Grundsätze des Völkerrechts. Auch hinsichtlich der enthaltenen Prinzipien der Humanität und der Vorgaben des öffentlichen Gewissens fehlt der Verweis auf die sich aus ihnen ergebenden Grundsätze des Völkerrechts. Damit sind es laut ZP II nicht die Grundsätze des Völkerrechts unter deren Schutz der Einzelne verbleibt. Stattdessen findet sich lediglich der Hinweis auf die (moralischen) Prinzipien der Humanität und des öffentlichen Gewissens unter deren Schutz der Mensch verbleibe.1116 Diese Modifikation hat, ebenso wie die Verortung der Klausel in der Präambel – statt wie im ZP I in Art. 1 des Protokolls1117 –, seine Gründe. Sie ergäben sich, so die IKRK-Kommentierung von 1987, unmittelbar aus der spezifischen Natur nichtinternationaler Konflikte.1118 Welche Natur das sein soll, wird in der Kommentierung allerdings nicht erörtert. Es drängt sich 1115
Präambel ZP I, Erwägungsgrund 4. Vgl. auch Cassese, The Martens Clause: half a loaf or simply pie in the sky? European Journal of International Law 11 (2000), S. 209. 1117 Darüber hinaus fehlt in der Fassung des ZP II ein weiterer Begriff. So steht das Individuum nicht unter dem Schutz und der Autorität der Prinzipien des Völkerrechts, wie es in Art. 1 (2) ZP I heißt. Verwiesen wird allein auf den Begriff des Schutzes, der Begriff der Herrschaft wurde ausgelassen. Zu diesem Unterschied und seiner möglichen Begründung: Kahn, „Protection and Empire“: The Martens Clause, State Sovereignty, and Individual Rights, Virginia Journal of International Law 56 (2016), S. 32. 1118 Junod, Commentary on Protocol II – Preamble, in: Sandoz/Swinarski/Zimmermann (Hrsg.), Commentary on the Additional Protocols of 8 June 1977 to the Geneva Conventions of 12 August 1949, Rn. 4433. 1116
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geradezu der Gedanke auf, dieses Spezifikum im Unwillen der in der CDDH vertretenen Staaten zu suchen, ihre Souveränität und Handlungsfreiheit bei der Regelung innerstaatlicher Konflikte einschränken zu lassen.1119 Tatsächlich wurde ein entsprechender Vorschlag aber gar nicht durch die Beteiligten der CCDH zurückgewiesen. Vielmehr hatte das IKRK bei der Vorbereitung des ZP II nicht einmal die Empfehlung gegeben, einen Verweis auf aus Gewohnheit abgeleitetes Völkerrecht in das Protokoll aufzunehmen.1120 Ein als Hinweis auf den Schutz der Person durch Gewohnheitsrecht auslegbarer Abschnitt für das Recht nichtinternationaler Konflikte schien zur damaligen Zeit wohl zu weit zu gehen, schließlich wurde diese Art von Konflikten im ZP II zum ersten Mal überhaupt ausführlich geregelt.1121 Angesichts der dennoch verbleibenden Regelungsunterschiede zwischen internationalen und nichtinternationalen Konflikten sollte wohl jeder Zweifel an einer strikten Trennung der anwendbaren Rechtsregime vermieden werden. Die Zurückhaltung der beteiligten Akteure erklärt auch das Fehlen eines Verweises auf die Grundsätze des Völkerrechts sowie die Verortung der Klausel lediglich in der Präambel und damit außerhalb des Kanons bindender Vorschriften.1122 Es sollte wohl nichts dahingehend ausgelegt werden können, dass die im ZP II nicht enthaltenen Schutz- und Statusvorschriften humanitären Völkerrechts dennoch in internen Konflikten Anwendung fänden. Die Klausel, deren potenzielle Auslegung als Instrument zur Öffnung und Weiterentwicklung des Rechts dem IKRK bei Erarbeitung der Protokollentwürfe offensichtlich bekannt war, wurde in ihrem vertraglichen Bindungspotenzial also bewusst beschränkt. Hat die Martens’sche Klausel in nichtinternationalen Konflikten also gar nicht in gleichem Umfang rechtliche Relevanz wie in internationalen Konflikten? Diese Annahme wäre verfrüht. Das humanitäre Völkerrecht nichtinternationaler Konflikte wurde seit Entstehung der Zusatzprotokolle maßgeblich fortentwickelt und in nicht unerheblichem Maß an das Recht konventioneller Kriege angenähert. Ein weitreichendes Set gewohnheitsrechtlicher Normen besteht nun auch für rein interne Konflikte1123, sodass die Kürzung der Klausel um den Hinweis 1119 So mit Sicherheit nicht ganz zu Unrecht Cassese, The Martens Clause: half a loaf or simply pie in the sky? European Journal of International Law 11 (2000), S. 209. 1120 Junod, Commentary on Protocol II – Preamble, in: Sandoz/Swinarski/Zimmermann (Hrsg.), Commentary on the Additional Protocols of 8 June 1977 to the Geneva Conventions of 12 August 1949, Rn. 4435. 1121 Junod, a. a. O.; Partsch, Commentary on Protocol II – Preamble, in: Bothe et al., New Rules for Victims of Armed Conflicts, Commentary on the two 1977 Protocols Additional to the Geneva Conventions of 1949, S. 709, Rn. 2.6. 1122 Dem Inhalt von Präambeln kommt nur in Ausnahmefällen rechtliche Bindungswirkung zu. Siehe Mbengue, Preamble, in: Wolfrum (Hrsg.), The Max Planck Encyclopedia of Public International Law, opil.ouplaw.com/home/EPIL, Rn. 11 ff. 1123 Vgl. z. B. International Commission of Inquiry on Darfur, Report to the United Nations Secretary-General vom 25. Januar 2005, pursuant to Security Council Resolution 1564 vom 18. September 2004, abrufbar unter: https://www.un.org/ruleoflaw/files/
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auf die Fortgeltung gewohnheitsrechtlicher Prinzipien im Nachhinein wenig erheblich erscheint. Auch das Fehlen des Verweises auf aus Humanität und öffentlichem Gewissen gefolgerten Rechtsprinzipien ist heute nicht länger Abbildung geltenden Rechts. Die lückenlose Anwendung der Grundprinzipien humanitären Völkerrechts als Garanten eines grundlegenden Schutzes des Einzelnen in jeder Art bewaffneter Konflikte und deutlichster Ausdruck moralischer Wertentscheidungen im positiven Recht wird zumindest heute nicht mehr in großem Umfang angezweifelt.1124 Auch die Nichtanerkennung der Geltung der Grundprinzipien für bislang unvorhergesehene Einzelfälle ist nunmehr Mindermeinung.1125 Angesichts dieser Entwicklung ließe sich vermuten, dass auch die Martens’sche Klausel zu dem mittlerweile auf nichtinternationale bewaffnete Konflikte übertragenen Gewohnheitsrecht zu zählen ist. Internationale und nationale Gerichte nehmen dies jedenfalls seit Mitte der 1990er Jahre an. So befasste sich beispielsweise der Verfassungsgerichtshof Kolumbiens in einem 1995 gefällten Urteil zur Umsetzung des ZP II in kolumbianisches Recht auch mit der Martens’schen Klausel. Diese, so der Gerichtshof, sei durch die Präambel auch in das ZP II aufgenommen worden und stelle klar, dass das Zusatzprotokoll nicht isoliert, sondern im Kontext des gesamten humanitären Völkerrechts verstanden werden müsse. Daraus folgert das Gericht auch die grundsätzliche Anwendbarkeit solcher Normen humanitären Völkerrechts, die zwar im ZP II nicht enthalten, wohl aber mit dem Charakter nichtinternationaler Konflikte vereinbar seien.1126 Der Wortlautunterschied zwischen der Präambel des ZP II und der Martens’schen Klausel findet in der Entscheidung keine weitere Beachtung. Auch der ICTY nutzte in mehreren Entscheidungen auf Grundlage des Rechts nichtinternationaler Konflikte die Martens’sche Klausel oder ihre Komponenten, com_inq_darfur.pdf [abgerufen am 26.10.2020], Rn. 159 sowie die Gewohnheitsrechtsstudie des IKRK. 1124 Sich der Illusion hinzugeben, beide Aspekte wären mittlerweile umfassend anerkannt, wäre allerdings ebenso unrichtig. Die Leichtigkeit, mit der sich die US-amerikanische Politik in Folge des 11. September 2001 über den Schutz der menschlichen Person durch grundlegendes Völkerrecht – und insbesondere durch das Folterverbot und das Gebot menschlicher Behandlung des gemeinsamen Art. 3 GA – hinwegsetzte, ist Warnung genug, nicht der Illusion universell und ausnahmslos anerkannter Schutzrechte zu verfallen. 1125 Sie wurde anfangs für den sogenannten Cyberwarfare diskutiert. Mittlerweile wird die Anwendung humanitären Völkerrechts aber ganz überwiegend auch in diesem Kontext angenommen. Vgl. Hathaway et al., The Law of Cyber-Attack, California Law Review 100 (2012), S. 841 ff.; Waxman, Cyber-Attacks and the Use of Force: Back to the Future of 2 (4), The Yale Journal of International Law 36 (2011), S. 426 ff.; Roscini, World Wide Warfare – Jus ad bellum and the Use of Cyber Force, in: Bogdandy/Wolfrum (Hrsg.), Max Planck Yearbook of United Nations Law, Band 14, S. 106–108. 1126 Corte Constitucional de la República de Colombia, Sentencia C-225/95 vom 18. Mai 1995, L.A.T. 040, abrufbar unter http://www.suin-juriscol.gov.co/viewDocu ment.asp?id=20016147 [abgerufen am 26.10.2020], Rn. 22 ff.
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ohne auf die konkrete Formulierung des ZP II einzugehen. So führte er im Tadic´Verfahren mit den „elementary considerations of humanity“ eine Komponente der Klausel an, die zuvor schon der IGH im Nicaragua-Urteil als Bestandteil des gemeinsamen Art. 3 GA und damit als relevant für nichtinternationale Konflikte klassifiziert und später im Atomwaffen-Gutachten mit der Martens’schen Klausel verbunden hatte.1127 Mit diesem Hinweis begründete der ICTY sodann die Anwendbarkeit der Regeln der Haager Abkommen auch in nichtinternationalen Konflikten.1128 Diese Rechtsprechung1129 übernahm später auch der ICTR.1130 1127 Der IGH nutzte schon im Corfu Channel Fall die elementaren Gebote der Humanität als Grundlage positivrechtlicher Verpflichtungen der Staaten in Friedens- wie in Kriegszeiten: IGH, The Corfu Channel Case, Urteil vom 9. April 1949, Merits, I.C.J. Reports 1949, S. 4 ff., S. 22. Wenngleich der Gerichtshof nicht ausdrücklich auf die Martens’sche Klausel verwies, wurden die in ihr enthaltenen Gebote der Humanität in der Folgezeit als Begründung einer rechtlichen Verpflichtung während bewaffneter Konflikte herangezogen (so z. B. im Nicaragua-Urteil, in dem der Gerichtshof die Gebote der Humanität als Bestandteil des gemeinsamen Art. 3 GA und als bindend für internationale wie für nichtinternationale Konflikte erklärte; IGH, Case Concerning Military and Paramilitary Activities in and against Nicaragua (Nicaragua v. United States of America), Urteil vom 27. Juni 1986, I.C.J. Reports 86, S. 14 ff., S. 114, Rn. 218) und schließlich im Atomwaffengutachten mit der Martens’schen Klausel unmittelbar in Verbindung gebracht (IGH, Legality of the Threat or Use of Nuclear Weapons, Advisory Opinion vom 8. Juli 1996, I.C.J. Reports 1996, S. 226 ff., Rn. 78 f.). Die bisherige Rechtsprechung des IGH erlaubt allerdings auch keine Gleichsetzung der Martens’schen Klausel beziehungsweise ihrer Bestandteile mit der durch den Gerichtshof seit dem Corfu Channel Fall genutzten Sprache. Eine – wenngleich auch in Einzelheiten durch den IGH offen gelassene – Verbindung ist auf Grundlage des Atomwaffengutachtens gleichwohl zu ziehen. Mit dem Zusammenhang zwischen den Geboten der Humanität als Rechtsprinzipien und der Martens’schen Klausel beschäftigen sich u. a.: Momtaz/Amirhandeh, The Interaction between International Humanitarian Law and Human Rights Law and the Contribution of the ICJ, and, in: Bannelier/Christakis/Heathcote (Hrsg.), The ICJ and the Evolution of International Law, S. 258; Zagor, Elementary considerations of humanity, in: Bannelier/Christakis/Heathcote (Hrsg.), The ICJ and the Evolution of International Law, S. 264, 268 sowie Raimondo, The International Court of Justice as a Guardian of the Unity of Humanitarian Law, Leiden Journal of International Law 20 (2007), S. 610 der durch die Nicaragua-Entscheidung die Martens’sche Klausel in den gemeinsamen Art. 3 GA integriert sieht. 1128 ICTY, Prosecutor v. Dus ˇko Tadic´, Appeals Chamber Decision on the Defence Motion for Interlocutory Appeal on Jurisdiction, 2. Oktober 1995, Case No. IT-94-1AR72, Rn. 119. 1129 In Martic ´ (ICTY, Prosecutor v. Milan Martic´, Trail Chamber Rule 61 Decision, 8. März 1996, Case No. IT-95-11/R61, Rn. 13) zog die Verfahrenskammer des ICTY die elementaren Überlegungen der Humanität, die in den Augen des Gerichts die Grundlage des gesamten humanitären Völkerrechts darstellten, als Quelle des Verbots von Attacken auf Zivilisten in nichtinternationalen Konflikten heran. In Furundzˇija (ICTY, Prosecutor v. Anto Furundzˇija, Urteil der Verfahrenskammer vom 10. Dezember 1998, Case No. IT-95-17/1-T, Rn. 137) verwies die Verfahrenskammer schließlich ausdrücklich auf die Martens’sche Klausel in der Präambel des Vierten Haager Abkommens von 1907 als weiteren Nachweis für den gewohnheitsrechtlichen Status des Folterverbots in internationalen wie nichtinternationalen Konflikten. Zu diesen und weiteren Urteilen des ICTY: Darcy, Judges, Law and War, S. 161.
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Sicherlich folgt der ICTY grundsätzlich einer das Individuum besonders stark schützenden Linie, die Anwendbarkeit der Martens’schen Klausel in ihrer vollständigen Form auch in nichtinternationalen Konflikten wird allerdings noch durch einen weiteren Umstand unterstützt: Als die CCW, die in ihrer Präambel ebenso die vollständige Martens’sche Klausel enthält, durch die Änderung des Art. 1 CCW im Jahr 2001 auf nichtinternationale Konflikte ausgedehnt wurde, wurde auch der Geltungsbereich der Klausel in der CCW erweitert, sodass sie nunmehr für alle Arten bewaffneter Konflikte Anwendung findet. Zu diesem Zeitpunkt befanden es die beteiligten Akteure anscheinend nicht länger für nötig, den Wortlaut der Klausel für den Einsatz bestimmter Waffen in nichtinternationalen Konflikten abzuschwächen. Eine unterschiedliche Regelungswirkung der Klausel wird trotz des abweichenden Wortlauts in der Präambel des ZP II durch Staatenvertreter derzeit nicht mehr behauptet. Auch das entsprechende ILC Draft Principle 12 ist nicht auf internationale Konflikte beschränkt, wenngleich die Kommission auch darauf verweist, dass seine Formulierung der Fassung der Klausel im ZP I folge.1131 Die scheinbare Anerkennung konflikttypenübergreifender Geltung der Klausel mag einerseits durch ihren Sinn und Zweck als Ausdruck der unbegrenzten Geltung der Grundprinzipien humanitären Völkerrechts begründet sein1132, andererseits durch die Ausdehnung ursprünglich für internationale Konflikte entwickelten Gewohnheitsrechts auch auf nichtinternationale Sachverhalte. Zu diesem Gewohnheitsrecht kann auch die aus dem ZP I bekannte Formulierung der Martens’schen Klausel gezählt werden. Vielleicht liegt der Grund des scheinbaren Konsenses über eine gleichlaufende Bindungswirkung in jeder Art bewaffneter Konflikte aber auch in dem Umstand, dass Ausmaß, Umfang und Inhalt der Regelungswirkung der Klausel im Allgemeinen stark umstritten sind. So kann die Martens’sche Klausel im Ergebnis zwar auch in nichtinternationalen Konflikten zum 1130 ICTR, Prosecutor v. Édouard Karemera et al., Trial Chamber III Decision on count seven of the amended Indictment: violence of Life, health and physical or mental well-being of persons, 5. August 2005, Case No. ICTR-98-44-A4(a), Rn. 9. 1131 ILC, Report of the International Law Commission on the Work of its 71st Session 2019, UN GAOR 74th Session, Supp. No. 10, A/74/10, S. 249. Die bislang mangelnde Auseinandersetzung der ILC mit der Geltung der einzelnen Draft Principle speziell auch in nichtinternationalen Konflikten wurde immer wieder durch mehrere Staaten angemerkt (vgl. ILC, Second Report on Protection of the Environment in Relation to Armed Conflicts by Marja Lehto, Special Rapporteur, 27. März 2019, A/CN.4/728, Rn. 4 mit Verweis auf die Stellungnahmen u. a. der Delegierten von China (UNGA, Sixth Committee, Summary record of the 25th meeting of the 73rd Session, 26. Oktober 2018, Agenda item 82: Report of the International Law Commission on the work of its seventieth session, A/C.6/73/SR.25; Rn. 18) und Brasilien (UNGA, Sixth Committee, Summary record of the 28th meeting of the 73rd Session, 30. Oktober 2018, Agenda item 82: Report of the International Law Commission on the work of its seventieth session, A/C.6/73/SR.28; Rn. 69). 1132 Cassese, The Martens Clause: half a loaf or simply pie in the sky? European Journal of International Law 11 (2000), S. 209 f.
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Schutz der Umwelt herangezogen werden, ihre tatsächliche Wirkung muss allerdings auch weiterhin vor dem Hintergrund dieser Konfliktart und im Kontext ihrer rechtlichen Normierung analysiert werden. 3. Variationen der Auslegung zum Schutz der Umwelt
Jedenfalls als Gewohnheitsrecht ist die Martens’sche Klausel in ihrer vollständigen Fassung auch in nichtinternationalen Konflikten anwendbar. Die Umwelt als Voraussetzung, Garant und Förderin menschlichen Lebens wird indirekt auch in dieser Konfliktform von der Klausel erfasst. Ob durch die Existenz und Anwendung der Klausel aber eine tatsächliche Schutzwirkung zugunsten der Umwelt bewirkt ist, ist durch diese Feststellungen noch nicht geklärt. Vor allem ein Aspekt der Klausel ist in dieser Hinsicht unklar: So steht die Umwelt indirekt, über den Schutz der Zivilpersonen und Kombattanten, auch unter dem in der Klausel erwähnten Schutz der Grundsätze des Völkerrechts, wie sie sich „aus den Grundsätzen der Menschlichkeit sowie den Forderungen des öffentlichen Gewissens ergeben“.1133 Die mit dieser Formulierung verbundenen rechtlichen Konsequenzen sind allein aus dem Wortlaut nicht zu ermitteln. Mit Verweis vor allem auf die Vorgaben des öffentlichen Gewissens argumentieren zwei in ihrer Wirkungsweise zu unterscheidende Interpretationslinien für einen durch die Martens’sche Klausel bewirkten Umweltschutz während internationaler bewaffneter Konflikte. Ihr Vorbringen könnte auch eine Modifikation des Rechts nichtinternationaler Konflikte bedeuten. a) Einfallstor für Fortgeltung und Anwendung friedensrechtlicher Umweltschutznormen Die erste Ansicht interpretiert die Klausel als Einfallstor für die Anwendung zusätzlicher Schutznormen neben denen des humanitären Völkerrechts.1134 Die auch zur Begründung des Komplementärverhältnisses von Menschenrechten und humanitärem Völkerrecht genutzte1135 Argumentation sieht in der Klausel einen Ausdruck der Offenheit humanitären Völkerrechts für Belange jenseits des eigenen Rechtsregimes. Ihr Wortlaut erkläre explizit die Möglichkeit der Vervollständigung der Regeln des ius in bello durch die erwähnten Forderungen des öffent1133
So die deutsche Übersetzung des Art. 1 (2) ZP I. So u. a. Scobbie, Natural Resources and Belligerent Occupation: Mutation through permanent sovereignty, in: Bowen (Hrsg.), Human rights, self-determination and political change in the occupied Palestinian territories, S. 246 ff.; Vöneky, Die Fortgeltung des Umweltvölkerrechts in internationalen bewaffneten Konflikten, S. 352. 1135 Heintze, Theorien zum Verhältnis von Menschenrechten und humanitärem Völkerrecht, Humanitäres Völkerrecht – Informationsschriften 24 (2011), S. 4; Kolb/Hyde, An introduction to the international law of armed conflicts, S. 63; Johann, Menschenrechte im internationalen bewaffneten Konflikt, S. 147 ff. mit teils abweichender Ansicht. 1134
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lichen Gewissens und wende sich damit selbst gegen einen strikten und absoluten lex specialis-Charakter des eigenen Rechtsregimes. Da zu den Forderungen des öffentlichen Gewissens heute auch der Schutz der Umwelt zu zählen sei, unterstütze die Martens’sche Klausel die Fortgeltung umweltvölkerrechtlicher Verträge oder Prinzipien, u. a. des Gebots nachhaltiger Entwicklung oder des Prinzips intergenerationeller Gerechtigkeit, neben humanitärem Völkerrecht.1136 Diese Argumentation findet sich – jedenfalls in Ansätzen – auch im letzten Bericht von ILC Special Rapporteur Lehto zur Arbeit der Kommission zum Schutz der Umwelt im Verhältnis zu bewaffneten Konflikten von 2019. Dort führt Lehto aus, die Martens’sche Klausel gebe zusätzliche Unterstützung für den von ihr gewählten Ansatz, Regeln und Prinzipien der Menschenrechte sowie des Umweltvölkerrechts heranzuziehen, um die Interpretation des Rechts bewaffneter Konflikte in Hinblick auf eine Stärkung des Umweltschutzes zu informieren.1137 Welche konkreten Auswirkungen eine solche Interpretation auf das Recht bewaffneter Konflikte hätte, ließ Lehto zu diesem Zeitpunkt (wohl bewusst) offen. Die u. a. von Vöneky für den Fall internationaler bewaffneter Konflikte im Detail dargelegten1138 und von der ILC zumindest partiell angeschnittenen1139 Argumente1140 fortdauernder Anwendbarkeit friedensumweltrechtlicher Verträge 1136 Ausführlich Vöneky, Die Fortgeltung des Umweltvölkerrechts in internationalen bewaffneten Konflikten, S. 352 ff.; zuvor schon Simonds, Conventional warfare and environmental protection: a proposal for international legal reform, Stanford Journal of International Law 29 (1992), S. 188 der sowohl das humanitäre Völkerrecht als auch das Umweltfriedensrecht als spezialisierte Rechtssysteme begreift, die nicht in einem lex specialis – lex generalis Verhältnis zueinanderstehen könnten. 1137 „[. . .] to inform the interpretation of the law of armed conflict with a view to enhancing the protection of the environment.“ ILC Special Rapporteur Lehto, in: ILC, Second Report on Protection of the Environment in Relation to Armed Conflicts by Marja Lehto, Special Rapporteur, 27. März 2019, A/CN.4/728, Rn. 183. 1138 Vöneky, Die Fortgeltung des Umweltvölkerrechts in internationalen bewaffneten Konflikten; Vöneky, Peacetime environmental law as a basis of state responsibility for environmental damage caused by war, in: Austin/Bruch (Hrsg.), The environmental consequences of war, S. 190 ff. 1139 Verträge zum internationalen Umweltschutz werden von der ILC in der unverbindlichen Liste derjenigen Verträge geführt, die gemäß Draft Art. 7 on the effects of armed conflicts on treaties grundsätzlich während bewaffneter Konflikte fortgelten. ILC, Draft Articles on the effects of armed conflicts on treaties, with commentaries 2011, Report on the Work of its 63rd Session, A/66/10, Chapter VI, E, Annex, (g) i.V. m. Draft Art. 7 sowie die Kommentierung zu Annex (g) in Rn. 52–55. 1140 Neben der Martens’schen Klausel wird meist auf die Ausführungen des IGH im Atomwaffengutachten verwiesen, in dem der Gerichtshof die Fortgeltung friedensumweltrechtlicher Verträge im Ergebnis offen lässt. Nicht die Anwendbarkeit umweltrechtlicher Verträge während bewaffneter Konflikte sei, so der Gerichtshof, bei der Frage der Zulässigkeit des Einsatzes von Atomwaffen maßgeblich, sondern die Frage, ob diese Verträge absolute Verbotsvorschriften auch für den Fall militärischer Konflikte enthielten (IGH, Legality of the Threat or Use of Nuclear Weapons, Advisory Opinion vom 8. Juli 1996, I.C.J. Reports 1996, S. 226 ff., Rn. 30). Vgl. auch ILC, Draft Articles on the effects of armed conflicts on treaties, with commentaries 2011, Report on the Work
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neben humanitärem Völkerrecht führen allerdings nicht zwingend zu einer Modifikation humanitären Völkerrechts selbst. Eine inhaltliche Änderung humanitären Völkerrechts könnte allenfalls als zusätzlicher Schritt folgen: In Konsequenz der fortdauernden Anwendung umweltrechtlicher Verträge ständen zwei gleichzeitig Geltung beanspruchende Rechtsregime nebeneinander. Die sodann durchzuführende Harmonisierung konkurrierender Regelungen könnte unter Umständen Einfluss auf die Regelungsweise humanitären Völkerrechts haben.1141 Eine derartige Modifikation kann allein durch Anordnung in der Martens’schen Klausel allerdings nicht gelingen. Die vereinzelt vertretene Annahme1142, die Klausel könne die Öffnung humanitären Völkerrechts für jegliche Verträge des Friedensrechts bezwecken und bewirken, überdehnt eindeutig ihren Wortlaut1143 und ist mit dem Zweck des humanitären Völkerrechts als Ausgleich zwischen Schutzerwägungen und militärischen Interessen in einer menschlichen Ausnahmesituation nicht zu vereinbaren. Anderenfalls wäre zudem allein durch die Existenz der Martens’schen Klausel die Spezialität humanitären Völkerrechts gegenüber dem in Friedenszeiten geltenden Recht teilweise aufgehoben, ohne dass klar wäre, welche friedensrechtlichen Gebote und Verbote nun über die Klausel in Kriegsrecht Einzug erhalten würden. Eine Öffnungsklausel im Sinne einer Anwendungsanordnung zugunsten friedensumweltrechtlicher Prinzipien kann allein in der Martens’schen Klausel also nicht gesehen werden. Gleichwohl bedeutet dies nicht, dass die Klausel nicht als (zusätzliches) Unterstützungsargument für die grundsätzliche Offenheit humanitären Völkerrechts für Weiterentwicklungen und für den Einfluss allgemeiner Rechtsentscheidungen herangezogen werden kann. So erscheint es sinnig, wenn die ILC in ihrer Kommentierung zu Draft Principle 12 nunmehr insbesondere das Element der zwingenden Vorgaben des öffentlichen Gewissens hervorhebt, durch das auch ein – u. a. durch die Fortentwicklung des Friedensumweltrechts ausgedrücktes – verändertes Umweltbewusstsein die Anwendung der Martens’schen Klausel auf die
of its 63rd Session, A/66/10, Chapter VI, E, Annex, Rn. 53 f.; Vöneky, Die Fortgeltung des Umweltvölkerrechts in internationalen bewaffneten Konflikten, S. 355; Sands, Principles of International Environmental Law, S. 310. 1141 Siehe dazu 3. Teil, § 2, B. 1142 Diese Wirkung schreibt Ian Scobbie der Klausel in seinen Ausführungen zum Schutz natürlicher Ressourcen in Konfliktsituationen zu. Die Martens’sche Klausel integriere das nach 1907 entstandene allgemeine Völkerrecht in das Haager Recht und mache es in Situationen mit Konfliktbezug anwendbar. Scobbie, Natural Resources and Belligerent Occupation: Mutation through permanent sovereignty, in: Bowen (Hrsg.), Human rights, self-determination and political change in the occupied Palestinian territories, S. 246 ff. 1143 So auch Dam-de Jong, International law and governance of natural resources in conflict and post-conflict situations, S. 250.
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2. Teil: Das geltende Recht und seine Wirkung zum Erhalt der Umwelt
Umwelt rechtfertige.1144 Darüber hinaus bemerkenswert ist, dass die Kommission auf umweltrechtliche Prinzipien und insbesondere das Prinzip der Generationengerechtigkeit verwies, diese als Bestandteil der ethischen Basis des Umweltvölkerrechts deklarierte und sodann feststellte, der Begriff des öffentlichen Gewissens in der Martens’schen Klausel könne also auch das Prinzip der Generationengerechtigkeit umfassen.1145 Ob durch die Zuschreibung umweltethischer Prinzipien zum öffentlichen Gewissen tatsächlich eine Änderung der Reichweite und Regelungswirkung humanitären Völkerrechts bewirkt werden kann, ist durch diese Argumentation freilich nicht beantwortet.1146 b) Öffnungsklausel zur Integration moralischer Wertentscheidungen Neben dem Konzept der Fortgeltung friedensrechtlicher Verträge besteht jedoch eine weitere Möglichkeit, über den Wortlaut der Martens’schen Klausel Umweltschutzerwägungen in das während bewaffneter Konflikte anwendbare Recht zu integrieren. Diese Auslegungsvariante zielt allerdings nicht auf eine Erweiterung des Kreises anwendbarer Normen, sondern auf eine Modifikation bestehenden humanitären Völkerrechts. Ihre Vertreter sehen in der Martens’schen Klausel nicht nur eine Klarstellung der absoluten Geltung humanitärrechtlicher Grundentscheidungen auch in unvorhergesehenen Sachverhalten. Die Klausel sei vielmehr das Instrument eines dynamischen Rechtssystems1147, in dem die Prinzipien der Humanität und die Vorgaben des öffentlichen Gewissens je nach Ansicht als eigene Rechtsquellen, als Modifikation des Entstehungsprozesses von Gewohnheitsrecht1148 oder als moralische, nicht dem positiven Recht zuzuordnende Prinzipien mit Einfluss auf das positive Recht1149 fungieren. Durch diese Argumentationsstränge wäre eine dynamische Entwicklung des durch humanitäres Völkerrecht vermittelten Umweltschutzes denkbar.
1144 ILC, Report of the International Law Commission on the Work of its 71st Session 2019, UN GAOR 74th Session, Supp. No. 10, A/74/10, S. 249. 1145 Ibid., S. 250. 1146 Teil 3, § 2 befasst sich deshalb nochmals mit der Fortgeltung von Friedensrecht und seinem Verhältnis zu humanitärem Völkerrecht. 1147 So ausdrücklich auch ILC Special Rapporteur Lehto, in: ILC, Second Report on Protection of the Environment in Relation to Armed Conflicts by Marja Lehto, Special Rapporteur, 27. März 2019, A/CN.4/728, Rn. 182. 1148 Diese Argumentation prägte vor allem Cassese, der in dem Verweis der Klausel auf die Vorgaben des öffentlichen Gewissens eine Modifikation der Anforderungen an die Entstehung von Gewohnheitsrecht erkannte (Cassese, The Martens Clause: half a loaf or simply pie in the sky? European Journal of International Law 11 (2000), S. 214). 1149 Ticehurst, The Martens Clause and the Laws of Armed Conflict, International Review of the Red Cross 37 (1997), S. 133.
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aa) Theorie der zusätzlichen Rechtsquelle Am progressiven Ende des Interpretationsspektrums ist die Argumentation von Richter Shahabuddeen in seiner abweichenden Stellungnahme zum Atomwaffengutachten des IGH zu verorten. Nach dieser Ansicht vermittle die Martens’schen Klausel die Möglichkeit, die in ihr genannten Prinzipien der Humanität und des öffentlichen Gewissens als bindende Rechtsprinzipien zu behandeln, deren konkreter Inhalt im Lichte der jeweiligen Zeit und unter Berücksichtigung der jeweils technisch möglichen Mittel und Methoden der Kriegsführung sowie der jeweiligen Toleranz und Einstellung der internationalen Gemeinschaft zu ermitteln sei.1150 Humanität und öffentliches Gewissen fungierten also als zusätzliche Quellen völkerrechtlicher Prinzipien beziehungsweise völkerrechtlicher Gebote und Verbote. Laut Shahabuddeen sei es daher nicht ausschlaggebend, ob ausreichende opinio iuris den Einsatz von Atomwaffen derzeit ablehne. Die Ansichten und Überzeugungen der Staaten seien im Kontext dieser zusätzlichen Prinzipien nur insoweit beachtenswert, als sie Auskunft über den Status des öffentlichen Interesses geben könnten.1151 Für Shahabuddeen könnte ein völkerrechtliches Verbot des Atomwaffeneinsatzes also direkt aus den Vorgaben der Humanität und des öffentlichen Gewissens gefolgert werden, sollte eines oder beide Elemente der Martens’schen Klausel den Einsatz verbieten. Dass diese Argumentation – übertragen auf die breitere Problemstellung der Zerstörung der Umwelt während bewaffneter Konflikte – ein enormes Schutzpotenzial enthielte, ist offensichtlich; dass sie nicht der völkerrechtlichen Realität entspricht und entsprechen kann, ist allerdings nicht weniger klar. Zwar lässt sich die Ansicht Shahabuddeens auf die im Wortlaut der Martens’schen Klausel grundsätzlich angelegte Gleichstellung der aus feststehenden Gebräuchen resultierenden Völkerrechtsprinzipien mit denjenigen, die aus den Prinzipien der Humanität und aus den Vorgaben des öffentlichen Gewissens gebildet seien, stützen. Weitere Argumente zu ihrer Unterstützung finden sich jedoch nicht. Das Gegenteil ist der Fall: Da die Klausel zum Zeitpunkt ihrer Einführung weitestgehend unbestritten keine derartige Wirkung besaß, könnte sie nur nachträglich und auf Basis des Willens der internationalen Gemeinschaft entstanden sein. Hierfür bestehen jedoch keinerlei Anhaltspunkte. Shahabuddeens Interpretation der Klausel ist noch immer eine Mindermeinung, die weder durch Staaten noch durch Entscheidungen internationaler Gerichte, die Rechtsveränderungen identifizieren und nicht selten vorantreiben, Bestätigung erfuhr. Sie konnte auch die Mehrheit der Richter des IGH nicht überzeugen. Darüber hinaus wären die praktischen 1150 Shahabuddeen, Dissenting Opinion zu: IGH, Legality of the Threat or Use of Nuclear Weapons, Advisory Opinion vom 8. Juli 1996, I.C.J. Reports 1996, S. 226 ff., S. 375 ff. Ausdrücklich bejahend auch Koppe, The Principle of Ambituity and the Prohibition against Excessive Collateral Damage to the Environment during Armed Conflict, in: Rayfuse (Hrsg.), War and the environment, S. 73. 1151 Shahabuddeen, Dissenting Opinion, a. a. O., S. 411.
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Probleme der Bildung, Identifikation und Interpretation eines allein auf Prinzipien der Humanität und Grundsätzen des öffentlichen Gewissens fußenden Rechts kaum zu lösen. Richter Shahabuddeen bemühte sich in seiner abweichenden Stellungnahme zwar, zumindest in Ansätzen darzulegen, wie das öffentliche Gewissen zu ermitteln sei1152, auf Basis welcher Erkenntnisgrundlagen die erwähnten Prinzipien der Humanität allerdings ausfindig zu machen wären, ist gänzlich ungewiss. Ein sich unmittelbar aus moralischen beziehungsweise ethischen Überlegungen ergebendes Recht ist kein Bestandteil heutigen Völkerrechts. Internationales Recht beruht nicht allein auf der Basis humanitärer Gefühle.1153 Dies hat sich bis heute nicht geändert. bb) Theorie der Rechtsquellenmodifikation Das Set völkerrechtlicher Rechtsquellen wird durch die Martens’sche Klausel also nicht erweitert.1154 Eine zweite, kaum weniger progressive Ansicht erkennt diesen Umstand zwar an, hält auf Grundlage der Formulierungen der Klausel aber eine Modifikation der bereits anerkannten Rechtsquelle des Völkergewohnheitsrechts für möglich. Diese primär durch Cassese geprägte Interpretation sieht in den in der Klausel aufgeführten Vorgaben des öffentlichen Gewissens eine Modifikation der Anforderungen an die Entstehung von Gewohnheitsrecht. Diese Abweichung schwäche die Notwendigkeit des Bestehens ausreichender Staatenpraxis zu Gunsten einer verstärkten Relevanz von opinio iuris ab.1155 Cassese begründete diese Annahme mit der Nennung der Vorgaben des öffentlichen Gewissens neben und zusätzlich zu den feststehenden Gebräuchen als Quelle völkerrechtlicher Prinzipien in der Klausel. Etablierte Gebräuche seien als Quelle des internationalen Gewohnheitsrechts anerkannt, der Dreiklang ihrer Nennung zusammen mit den Prinzipien der Humanität und den Vorgaben des öffentlichen Gewissens führe in Konsequenz dazu, letztere ebenso als Quellen des Völkergewohnheitsrechts zu klassifizieren. Dies könne im Einzelfall dazu führen, dass für die Entstehung von Gewohnheitsrecht, das durch moralische und soziale Überzeugungen einer Vielzahl von Staatsbevölkerungen getragen wird, nicht in gleichem Umfang Staatenpraxis vorauszusetzen sei, wie dies u. a. bei Normen auf Basis ökonomischer Erwägungen der Fall wäre. In diesen Fällen könne die Mar1152
Ibid. So 1963 das Bezirksgericht von Tokio, das sich mit der Forderung nach Reparationszahlungen durch Überlebende der Atombombenangriffe auf Hiroshima und Nagasaki befasste: To¯kyo¯ chiho¯saibansho, Ryuichi Shimoda et al. v. The State, Urteil vom 7. Dezember 1963, englische Übersetzung in: Japanese Annual of International Law 8 (1964), S. 212 ff., Rn. I. 11: „[T]he international law of war is not formulated simply on the basis of humanitarian feelings.“ 1154 So u. a. auch ICTY, Prosecutor v. Kupres ˇkic´ et al., Urteil der Verfahrenskammer vom 14. Januar 2000, Case No. IT-95-16-T, Rn. 525. 1155 Cassese, The Martens Clause: half a loaf or simply pie in the sky? European Journal of International Law 11 (2000), S. 214. 1153
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tens’sche Klausel das Erfordernis der Staatenpraxis zu Gunsten eines stärken Gewichts von opinio iuris modifizieren. Seine Ansicht bekräftigte Cassese auch mit moralischen Erwägungen: Müsste bei der Entstehung von humanitärem Gewohnheitsrecht auf das Vorliegen ausgeweiteter Staatenpraxis gewartet werden, bedeute dies nichts anderes, als dass im Zweifel der Tod tausender Zivilisten abgewartet und hingenommen werden müsse, bevor das Recht eingreifen könne.1156 Anders als Shahabuddeen1157, der opinio iuris und öffentliches Gewissen deutlich voneinander abtrennte1158, vermischte Cassese allerdings die beiden Begriffe. Während opinio iuris die Überzeugung von dem Bestehen einer Norm als positives Recht darstellt, beschreibt das öffentliche Gewissen die moralischen Überzeugungen einer (globalen) Öffentlichkeit, die gerade nicht mit positivem Recht übereinstimmen muss. Auch sind die relevanten Träger der rechtlichen oder moralischen Überzeugung bei beiden Konzepten nicht zwingend identisch: Das öffentliche Gewissen ist nicht auf Akteure des Völkerrechts (deren Überzeugung allein maßgeblich für das Bestehen von opinio iuris ist) begrenzt. Trotz dieser Problempunkte wurde die von Cassese vorgebrachte Argumentation durch die Verfahrenskammer des ICTY, deren Vorsitz Cassese zu diesem Zeitpunkt hielt, im Fall Kupresˇkic´ et al. übernommen. Die Kammer befand, dass das im ZP I enthaltene Verbot von Repressalien gegen Zivilisten mittlerweile Gewohnheitsrecht darstelle1159 und begründete dies mit einem Verweis auf Elemente der Martens’schen Klausel. Der durch die Erfordernisse der Humanität und die Vorgaben des öffentlichen Gewissens ausgeübte Druck habe die Entstehung der Gewohnheitsrechtsnorm bewirkt.1160 Diese Argumente ließen sich unproblematisch auch zugunsten eines verstärkten Umweltschutzes auf Basis gewandelter moralischer Vorstellungen über den notwendigen Umgang mit unserem gemeinsamen Lebensraum nutzen. Allerdings ist die durch die Verfahrenskammer des ICTY geäußerte – und teils als Ausdruck richterlicher Rechtserzeugung kritisierte1161 – Ansicht nur insofern vertretbar, wie sie nicht von der Bildung von Gewohnheitsrecht allein auf Basis humanitärer Prinzipien oder der Vorgaben des öffentlichen Gewissens ausgeht. Diese Elemente der Martens’schen Klausel sind nach geltendem Recht schlicht nicht in der Lage, die Entstehung von Gewohnheitsrecht zu modifizieren. Dass die Bedeutung von opinio iuris in den letzten Jahrzehnten bei der Bildung und Identifikation von Völkergewohnheitsrecht eine Stärkung erfuhr, die nicht zuletzt durch 1156
Cassese, a. a. O., S. 215. Siehe Teil 2, Fn. 1150. 1158 Shahabuddeen, Dissenting Opinion, a. a. O. (Teil 2, Fn. 1150), S. 411. 1159 ICTY, Prosecutor v. Kupres ˇkic´ et al., Urteil der Verfahrenskammer vom 14. Januar 2000, Case No. IT-95-16-T, Rn. 531. 1160 ICTY, a. a. O. 1161 Darcy, Judges, Law and War, S. 162. 1157
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Entscheidungen internationaler Gerichtshöfe vorangetrieben wurde, wurde eingangs erläutert.1162 Diese Entwicklung ist aber kein nur auf das humanitäre Völkerrecht begrenztes Phänomen, das folglich auch nicht mit der Existenz einer einzigen Norm dieses Rechtsregimes begründet werden kann. Praktische Erwägungen angestrebter Schutzverstärkungen, die, wie soeben erwähnt, auch Cassese als Motiv seiner Argumentation anbrachte, sind noch immer hauptmaßgeblich für diesen Trend. Die Martens’sche Klausel eignet sich aber nur begrenzt als Legitimationsgeber dieses Strebens. Die mit der Argumentation einhergehende Vermischung der Begriffe opinio iuris und öffentliches Gewissen sprechen deutlich gegen diese Begründungslinie. Tatsächlich ist eine Beachtung humanitärer Überlegungen dem modernen System humanitären Völkerrechts grundsätzlich inhärent. Sie wird nicht zuletzt durch die Grundprinzipien des Regimes gewährleistet. Die Bedeutung der Humanität als Kernidee des modernen Kriegsrechts rechtfertigt jedoch noch keine Modifikation bestehender Rechtserzeugungsgrundsätze ohne den Willen und die Akzeptanz der das Recht formenden Staaten. Die Martens’sche Klausel mag aufgrund ihrer Offenheit und Mehrdeutigkeit ein verlockendes Mittel sein, um eine Wandlung des Systems dogmatisch zu fundieren. Letztlich kann der Klausel diese Wirkung aber nur dann zukommen, wenn sie ihr durch Weiterentwicklung des (Gewohnheits-)rechts zuerkannt wird. Dies ist zumindest bislang nicht geschehen. Der Martens’schen Klausel kommt, wenngleich sie auch im Grundsatz die natürliche Umwelt zu umfassen vermag, keine zusätzliche und von den bisherigen Gewohnheitsrechtsentwicklungen zu trennende Rechtswirkung zum Schutz dieser oder ihrer Bestandteile in internationalen oder nichtinternationalen Konflikten zu. c) Erinnerung an die Humanität – Was von der Klausel bleibt Die Offenheit und Mehrdeutigkeit der Klausel sind Segen und Fluch zugleich. Ähnlich den Grundprinzipien humanitären Völkerrechts garantieren sie die potenzielle Anwendbarkeit und Relevanz der Klausel in allen denkbaren Szenarien. Die Unklarheit ihrer Regelungswirkung macht die Martens’sche Klausel nutzbar als Argument für die Universalität des humanitären Völkerrechts, für seine Offenheit gegenüber anderen Rechtsregimen sowie für Belange außerrecht1162 Teil 1, § 3, B. Lesenswert ist der Beitrag von Fleck zu den Wirkungen der Martens’schen Klausel zum Schutz der Umwelt (The Martens Clause and Environmental Protection in Relation to Armed Conflicts, Goettingen Journal of International Law 10 (2020), S. 243 ff.). In ihm setzt sich Fleck mit der Rechtsprechung nationaler und internationaler Gerichte zum Bestehen bestimmter humanitärrechtlicher Gewohnheitsrechtsnormen auseinander. Er kommt zu dem Schluss, dass opinio iuris schon jetzt der entscheidende Faktor für die Entstehung von Gewohnheitsrecht ist, Cassese mit seiner Argumentation daher durchaus die Realität beschrieben habe (S. 253 ff., S. 260). Allerdings stellt sich auch vor dem Hintergrund dieser Analyse die Frage, ob die tatsächliche Bedeutung von opinio iuris wirklich auf die Martens’sche Klause zurückzuführen ist, oder ob sich die gesteigerte Bedeutung dieses Elements der Gewohnheitsrechtsentstehung nicht unabhängig von der Existenz der Klausel entwickelte.
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lichen, moralischen Empfindens.1163 Gleichzeitig stellt ihre fehlende Festlegung auch immer das Gegenargument jedes argumentativen Voranschreitens. Wenngleich die Klausel im Ergebnis keine Wunder bewirken kann, sie, wie es Meron formuliert, nicht erlaubt, Schlösser aus Sand zu bauen um bestimmte Mittel und Methoden der Kriegsführung zu unterbinden1164, deren juristische Fundamente ohne das Hinzukommen konkreter Verbote und Gebote im humanitären Völkerrecht nicht standhalten würden, bedeutet dies doch auch nicht, dass der Martens’schen Klausel keine Relevanz zukommt. Auch Meron betont die Bedeutung der Klausel, die wiederholt von Regierungen, internationalen Konferenzen sowie den Medien aufgegriffen wurde und daher für die Arbeit internationaler Normsetzung durch Konferenzen, Gerichte und UN-Berichterstattern von hoher Signifikanz gewesen sei. Dies, so Meron überzeugend, bedeute jedoch nicht, dass die Klausel selbst irgendeinen Unterschied auf den blutigen Schlachtfeldern gerade nichtinternationaler Konflikte zu machen vermochte.1165 Auch hier wird man ihm zustimmen müssen. Auf den Schauplätzen gerade nichtinternationaler Konflikte bedarf es klarer Verhaltensregeln, deren Formulierung und Bedeutung nicht allein vom Willen des jeweiligen Interpreten abhängen darf. Die Martens’sche Klausel erfüllt diesen Anspruch nicht. Als deus ex machina zur Erhöhung eines nicht ausreichend im Recht verankerten Schutzlevels ist sie nicht geeignet. III. Fazit Die Martens’sche Klausel vermag zwar vor einem rechtlichen Vakuum zu schützen und in nicht vorhergesehenen Situationen die Herrschaft und Autorität der humanitären Grundwerte zu untermauern, verbleibende Schutzlücken im humanitären Völkerrecht können allein durch sie allerdings nicht geschlossen zu werden. In Konsequenz kann sie der Umwelt im nichtinternationalen Konflikt nicht unmittelbar zu stärkerem Schutz zu verhelfen. Zwei weitere Feststellungen drängen sich zudem auf: (1) Wenngleich moralische Prinzipien und Forderungen des öffentlichen Gewissens durch die Martens’sche Klausel nicht unmittelbar in positives Recht transformiert werden, sind sie den Regelungen humanitären Völkerrechts dennoch nicht gleichgültig. Geänderte gesellschaftliche Vorstellungen von dem „richtigen“ Umgang mit der Umwelt beeinflussen sehr wohl, wenngleich auch nicht allein als Folge der Martens’schen Klausel, das geltende Recht. Ein neues 1163 Eine Kombination aus all diesen Elementen beschreibt Fleck, a. a. O., S. 243 ff., zusammenfassend, S. 265 ff. 1164 Meron, The Martens Clause, Principles of Humanity, and Dictates of Public Conscience, American Journal of International Law 94 (2000), S. 88. Ähnlich bildlich formuliert es Dam-de Jong, International law and governance of natural resources in conflict and post-conflict situations, S. 250: „The Martens Clause cannot be seen as a magic wand which can be used to fill all the gaps in IHL.“ 1165 Ibid.
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Verständnis für die Notwendigkeit eines nachhaltigen Umgangs mit den Ressourcen der Erde hat schließlich bereits dazu geführt, die Umwelt als Schutzgut der humanitärrechtlichen Grundprinzipien anzuerkennen, ohne dass dafür eine neue Vertragsnorm nötig gewesen wäre. Hier nahmen moralische Vorstellungen, vermittelt durch Regierungen und Gerichte, Einfluss auf die Modifikation von Gewohnheitsrecht. Zusätzlich hat die moralische Bewertung einer Handlung nicht nur bei der Entstehung neuen Rechts Relevanz. Dies wurde bereits im Rahmen der Analyse des Proportionalitätsprinzips erläutert.1166 Moralische Wertvorstellungen beeinflussen auch die konkrete Beurteilung der Rechtmäßigkeit einer Handlung im Einzelfall. Bei der Anwendung des Proportionalitätsprinzips im Rahmen der Planung einer konkreten Kampfhandlung spielen auch (außerrechtliche) Fragen der Werthaftigkeit eines Objekts eine gravierende Rolle. Die Martens’sche Klausel ist für diesen Einfluss der Moral auf das positive Recht nicht ausschlaggebend. Aber sie ist ein Zusatzargument dafür, Humanität – auch mit Blick auf die Erhaltung der Umwelt1167 – als Bestandteil (gewandelter) menschlicher Wertvorstellungen auch bei der Rechtsanwendung im Einzelfall nicht aus dem Blick zu verlieren. Auch aus diesem Grund ist die Klausel nicht gänzlich obsolet. (2) Als Erinnerung an die humanitären Grundwerte des Rechts hilft ihre Erwähnung durch Staaten, Gerichte und Wissenschaftler der Förderung der Menschlichkeit im Krieg. Daher ist es auch bedeutend anzuerkennen, dass ihre Aussagen auch zum Schutz der Umwelt im Grundsatz Relevanz haben. Dam-de Jong spricht zusätzlich einen weiteren Aspekt an: Die Martens’sche Klausel zeige auch nichtstaatlichen Konfliktparteien dass sie, wenngleich sie durch Menschenrechte nicht in gleichem Maß wie Staaten gebunden sind, Lücken im derzeitigen Recht nicht dazu nutzen dürfen, um Menschenrechtsverletzungen zu begehen.1168 Dieser Grundgedanke lässt sich auch auf den Schutz der Umwelt übertragen: Wenngleich nichtstaatliche Akteure durch Umweltschutzverträge wie beispielsweise die WHC nicht gebunden werden können und daher nicht vertraglich verpflichtet sind, als Naturerbe eingetragene Regionen vor Schäden zu bewahren, bedeutet dies nicht, dass sie den durch die Eintragung des Naturerbes von der Weltgemeinschaft anerkannten Wert der jeweiligen Region bei Entscheidung über eine Konflikthandlung gänzlich ignorieren dürfen.1169 Der Wortlaut der Martens’schen Klausel kann an diese nichtrechtliche Verpflichtung erinnern. 1166
2. Teil, § 3, B., III., 3., c). In diese Richtung auch die Kommentierung zu ILC Draft Principle 12, in: ILC, Report of the International Law Commission on the Work of its 71st Session 2019, UN GAOR 74th Session, Supp. No. 10, A/74/10, S. 249 f. unter (7). 1168 Dam-de Jong, International law and governance of natural resources in conflict and post-conflict situations, S. 249. 1169 Insofern dem nichtstaatlichen Akteur die Existenz des jeweiligen Umweltvölkerrechts überhaupt bekannt ist. Auch hier erlauben sich keine unrealistischen Ansichten. 1167
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E. Abschlussgedanken: Gewohnheitsrecht als Vermittler humanitärrechtlichen Umweltschutzes Humanitärrechtlicher Umweltschutz in nichtinternationalen Konflikten ist primär gewohnheitsrechtlich verankert. Wenngleich schon durch die Normen des ZP II in einzelnen Bereichen indirekt nicht unerhebliche Schonungsgebote bewirkt wurden, blieb die Umwelt als Ganzes unerwähnt und schutzlos. Die sprunghafte Entwicklung des Gewohnheitsrechts nichtinternationaler Konflikte sowie die in den gleichen Jahren vollzogene Entdeckung der Umwelt als Gegenstand der Regelung der Grundprinzipien humanitären Völkerrechts führten in kürzester Zeit zur einer exponentiell verstärkten Schutzanordnung. Durch die gewohnheitsrechtlich veranlasste Anwendbarkeitserklärung der Grundprinzipien wurde die Umwelt als solche, sowie jedes ihrer Bestandteile, zum Regelungsobjekt humanitären Völkerrechts. Jeder Angriff und jede kollaterale Schädigung ist damit in Theorie rechtfertigungsbedürftig. Die nunmehr notwendige Beachtung der Umwelt und ihrer Komponenten in jeder konfliktrelevanten Handlung stellen den Kern dieser Rechtsrevolution dar. Gleichwohl konnte sich nicht jede proklamierte Vorschrift potenziellen Gewohnheitsrechts durchsetzen. In Gewohnheitsrecht wurden bislang allein diejenigen Schonungsgebote transformiert, die erstens, keine grundlegend neuen Handlungseinschränkungen auferlegten und zweitens, weiterhin eine Abwägung entgegenstehender Interessen erlauben. (1) Der größte Schritt in der Schutzgewinnung wurde durch die Anwendbarkeitserklärung der objektbezogenen Grundprinzipien humanitären Völkerrechts erreicht. Die zuvor schon mit Ziel einer universal gültigen Regelung gewählte Formulierung der Prinzipien erlaubte eine Schutzerhöhung, ohne dass es nötig gewesen wäre, genuin neue, explizit die Umwelt schützende Gewohnheitsrechtsnormen aufzustellen. Die in den 1990er Jahren bewirkte Ausweitung wurde schließlich allein durch eine scheinbar deklaratorische Anerkennung des Unterfallens aller Umweltaspekte unter den Regelungsbereich der Prinzipien erreicht. Ähnlich verhielt es sich mit der, inhaltlich zwar nicht über die Grundprinzipien hinausreichende, ihre Anwendbarkeit aber bestätigende Übertragung des im Seerecht schon zuvor etablierten Gebots gebührender Beachtung auf die Situation bewaffneter Konflikte und den in ihrem Kontext angestrebten Schutz der Umwelt. Die Nutzung bereits anerkannter Formulierungen und zentraler Gebote des jeweiligen Rechtssystems erleichterte die Akzeptanz dieser materiell durchaus bemerkenswerten Schutzerweiterung. Während die im Zusatzprotokoll I als Novum integrierten Art. 35 (3) und 55 bis heute weder für nichtinternationale noch für internationale Konflikte als gewohnheitsrechtlich geltend anerkannt sind, war
Ohne Aufklärungsarbeit durch NGOs kann in Einzelfällen nicht einmal davon ausgegangen werden, dass sämtliche Normen humanitären Völkerrechts jeder Konfliktpartei bekannt sind.
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eine Zurückweisung der Anwendung der Grundprinzipien auf alle denkbaren Schutzobjekte, und damit auch auf die Umwelt, schon in der frühen Phase ihrer Geltungsproklamation mit einem höheren Rechtfertigungsaufwand verbunden; schließlich hätte Kritik an dieser Anwendung die Stellung der Grundprinzipien als universal wirkende Kernnormen des ius in bello selbst infrage gestellt. Während neu aufgestellte Regelungsversuche wie das Gebot gebührender Berücksichtigung der Umwelt noch immer um Anerkennung und Zuteilung zusätzlicher Regelungswirkung ringen und bislang kein einziges genuin umweltschützendes Verbot gewohnheitsrechtliche Geltung erlangen konnte, scheint die Schutzwirkung der Grundprinzipien zu Gunsten der Umwelt in Retrospektive als reine Selbstverständlichkeit. Die mangelnde Sichtbarkeit der Schutzrevolution war vielleicht der stärkste Garant ihrer Akzeptanz. (2) Dass von allen vorgebrachten Versuchen gewohnheitsrechtlicher Schutzverstärkung ausschließlich die durch die Grundprinzipien bewirkte Schonungsanordnung in unbestrittenes Gewohnheitsrecht überzugehen vermochte, hat allerdings noch einen weiteren Grund: Die Staaten verloren nichts. Im Gegensatz zu den eben genannten Normen des ZP I stellen die Grundprinzipien keine absoluten Handlungsschranken auf. Kern ihrer Anordnung ist die Abwägung jedes Bewahrungsstrebens mit militärischen Interessen. Auch das Unterscheidungsgebot führt nicht zu einem absoluten Handlungsverbot, schließlich ist die Umwandlung eines Objekts in ein militärisches Ziel weiterhin uneingeschränkt möglich. Auch die kollaterale Schädigung grundsätzlich durch das Gebot geschützter Güter ist zulässig. Die Anwendbarkeit der Grundprinzipien auf die natürliche Umwelt verlangt von den Staaten als Rechtserzeugern zwar die Beachtung aller Umweltkomponenten bei jeder Konflikthandlung und lässt mutwillige, nicht durch militärische Interessen motivierte Zerstörungen nicht länger zu, sie stellt staatlicher Handlungsfreiheit aber keine unüberwindbare Hürde in den Weg. Die Einhaltung der humanitärrechtlichen Pflichten zugunsten der Umwelt verlangt in militärisch relevanten Schädigungsszenarien kein Absehen von einer Handlung. Im Ernstfall verbleibt den Staaten immer die Möglichkeit der Rechtfertigung mit dringenden militärischen Interessen. Diese Befreiung von Handlungsverboten durch Rechtfertigungsmöglichkeiten stellt für Staaten im Vergleich zu absoluten Schonungsanordnungen ein kleineres Übel dar. Für einen großen Teil der Staaten besteht kein Bedürfnis mehr, Konflikte in absoluter Form auszutragen und Handlungen ohne jedes militärische Interesse und in extrem und eindeutig unverhältnismäßiger Weise durchzuführen. Die herausragende Bedeutung der Abwägungsmöglichkeit für staatliche Konfliktakteure zeigt sich vor allem anhand derjenigen Handlungsgebote, deren Verankerung in Gewohnheitsrecht bislang nicht gelungen ist. Schon die ferne, durch konventionelle Kriegsführung nur im Extremfall erreichbare, sodann jedoch absolute Verbotsschwelle der Art. 35 (3) und 55 ZP I verhinderte bislang die Anerkennung der Norm durch alle relevanten Staatsmächte. Sie wird ihr wohl auch in Zukunft entgegenstehen. Der Verzicht auf absolute Hand-
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lungsschranken ist neben ihrer Flexibilität, die eine Regelung jedes denkbaren Szenarios erlaubt, ein zentraler Vorzug der Grundprinzipien. Allen voran den USA, die wohl auch in Zukunft bedeutender Akteur im weltweiten Konfliktgeschehen sein werden, erleichtert diese Abwesenheit „harter“ Verbote die Anerkennung.1170 (3) Der Siegeszug der Grundprinzipien als Maßstab des gewohnheitsrechtlichen Schutzes der Umwelt in nichtinternationalen Konflikten, aber auch der Charakter der erfolglos gebliebenen Schonungspostulate lässt mit Blick gerade auf die konkrete Konfliktform einen weiteren Schluss zu: Obwohl konventionelle Kriege nicht mehr im alleinigen Fokus des Weltgeschehens stehen, werden gewohnheitsrechtliche Normen noch immer ausschließlich für sie konzipiert und formuliert. Die durchaus mögliche, und angesichts der teils unterschiedlichen Interessenlage der Staaten in nichtinternationalen Konflikten unter Umständen1171 sogar vorteilhafte Formulierung von speziell auf diese Art von Konflikten angepassten Handlungsgrenzen wird in Realität nicht einmal angedacht. Ungeachtet des Wandels weltweiter Konflikte sowie des Wissens, dass gerade interne Konflikte besonders verheerende Auswirkungen auf Mensch und Umwelt haben, kann humanitäres Völkerrecht nichtinternationaler Konflikte auch in absehbarer Zukunft keinen stärkeren Schutz verleihen, als sein Pendant für konventionelle Kriege. Eine wirkliche Notwendigkeit für diesen Zustand gibt es nicht. (4) Diese Erkenntnis zieht eine weitere Konsequenz nach sich: Da das Recht nichtinternationaler Konflikte noch immer als Annex humanitären Völkerrechts zwischenstaatlicher Kriege verstanden wird, hängt die Möglichkeit der Etablierung einer gewohnheitsrechtlichen Norm für nichtinternationale Konflikte von ihrer Anerkennung in konventionellen Kriegen ab. Ist der gewohnheitsrechtliche Status beispielsweise des Verbots der Herbeiführung schwerer, langanhaltender und weitreichender Umweltschäden oder auch eines möglichen umfassenden Gebots der Vorsorge gegenüber weitgehend unbekannten Umweltschäden schon im Recht internationaler Konflikte fraglich, wird es, so zeigen die bisherigen Beispiele, zur Anwendung in nichtinternationalen Konflikten noch nicht einmal in Betracht gezogen. Je stärker etabliert eine Vorschrift dagegen im Recht zwi1170 Deutlich zur Nichtanerkennung einer gewohnheitsrechtlichen Geltung der Art. 35 (3) und 55 ZP I: United States Department of Defence, Law of War Manual, 2015 (updated 2016), S. 378. 1171 Man denke hier nur an die Zulässigkeit von Attacken auf bestimmte Anlagen, die gefährliche Stoffe enthalten. Ein in einem Konflikt auf dem eigenen Staatsgebiet verwickelter Staat hat unter Umständen kein Interesse daran, die Zulässigkeit feindlicher Handlungen gegen solche Anlagen aufrecht zu erhalten, da die Angriffsmöglichkeit angesichts der fortdauernden staatlichen Verpflichtungen gegenüber den eigenen Staatsangehörigen womöglich sowieso nur den nichtstaatlichen bewaffneten Gruppen offen stünde. In diese Richtung ging auch die Aussage der USA, in nichtinternationalen Konflikten keine Ausnahme zum Verbot der Attacke gegen die in Art. 15 ZP II geschützten Anlagen zu benötigen. Siehe oben 2. Teil, § 2, C., I., 2., b).
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2. Teil: Das geltende Recht und seine Wirkung zum Erhalt der Umwelt
schenstaatlicher Konflikte ist, desto wahrscheinlicher ist auch ihre Übernahme in das Recht nichtinternationaler Konflikte. (5) Die durch die Anwendbarkeit der Grundprinzipien bewirkte Schutzrevolution hat dennoch in nichtinternationalen Konflikten eine Schwäche, die auch durch eine gewohnheitsrechtliche Angleichung beider Konfliktformen nicht zu überbrücken sein wird: Anders als im Recht internationaler Konflikte beanspruchen die Grundprinzipien hier nur aufgrund gewohnheitsrechtlicher Anordnung Wirkung. Eine Verankerung im Vertragsrecht ist nicht gegeben. Dieser Umstand schränkt nicht nur die Möglichkeiten progressiver Auslegung einer Schutznorm erheblich ein, die Verwurzelung von Gewohnheitsrechtsnormen in Überzeugung und Praxis der Staaten macht sie im Vergleich zu solchen, die dem Vertragsrecht entstammen, auch anfälliger für veränderte Ansichten und Handlungsinteressen der Völkerrechtsakteure. Ändert ein maßgeblicher Anteil der Staaten seine Ansichten zu kriegerischer Notwendigkeit und unbedingt notwendiger Handlungsfreiheit im Krieg, kann dies eine Änderung auch der rechtlichen Beurteilung einer Handlung zur Folge haben. Für den durch die Grundprinzipien bewirkten Schutz der Umwelt kann dieser Umstand zum Problem werden, sollte versucht werden, die Geltung der Prinzipien durch begrenzende Pflichtformulierungen auf staatlicher Seite aufzuweichen. Dieser Versuch kann schon heute in der Nutzung des Gebots gebührender Sorgfalt gegenüber denkbaren Umweltschäden als Minus zur Anerkennung des Unterscheidungsgebots beobachtet werden. Sollte sich der Verweis auf das Gebot der Sorgfalt als Alternative zur Anerkennung der Umwelt als ziviles Objekt weiter durchsetzen, könnte dies im Extremfall eine Änderung des umweltrelevanten Gewohnheitsrechts zur Folge haben. Würde die überwiegende Zahl der Staaten davon ausgehen, dass gebührende Sorge für die Umwelt ausreiche, um rechtliche Vorgaben einzuhalten, würde dies letztlich auch zum gewohnheitsrechtlichen Maßstab. Diese Gefahr liegt momentan fern, dennoch macht sie deutlich, wie relevant die Bewusstwerdung und das Verständnis der Inhalte, aber auch des Ursprungs vermeintlich gewohnheitsrechtlicher Normen sind. Die Reichweite rechtlicher Verpflichtungen muss bekannt sein, damit diese beachtet und vor Milderungsversuchen bewahrt werden können.
§ 4 Ergebnis: Schutzumfang und Defizite Das humanitäre Völkerrecht nichtinternationaler Konflikte mag zwar zum Schutz der Umwelt weitgehend schweigen, schutzlos ist diese jedoch nicht. Während mit der Entwicklung des zweiten Zusatzprotokolls von 1977 der Grundstein sowohl einer differenzierten Regelung zulässiger Handlungen in innerstaatlichen Konflikten im Allgemeinen, als auch des indirekten Schutzes einzelner Umweltbestandteile im Speziellen gelegt wurde, vollzog sich der bislang bedeutendste Sprung rechtlicher Schädigungsbegrenzungen Mitte der 1990er Jahre. Nicht nur hatten die durch die irakische Armee im Golfkrieg verursachten Umweltschäden
§ 4 Ergebnis: Schutzumfang und Defizite
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die Wirkungsgrenzen bestehender Schutzgebote in ernüchternder Weise aufgezeigt, auch das allgemein für nichtinternationale Konflikte bestehende Recht erwies sich in der Realität als unzureichend. Beide Erkenntnisse setzten im Verlauf weniger Jahre durch Gerichtsentscheidungen, staatliche Erklärungen in und außerhalb der Vereinten Nationen und durch Vorbringen von Expertengruppen eine Welle der Schutzerhöhungen in Gang. Das Zusammenkommen dieser Bewegungen im Recht nichtinternationaler Konflikte erweiterte das zugunsten der Umwelterhaltung anwendbare Recht in bemerkenswertem Umfang. Das heute bestehende Schutzniveau ist maßgeblich durch diese Entwicklungsphase geprägt. In den folgenden Jahrzehnten konnte es sich (bislang) kaum mehr weiterentwickeln. Die zu dieser Zeit belassenen Schutzlücken bestehen daher heute noch immer. Neuere Ansätze erweiterter Handlungsgrenzen, wie beispielsweise die Aufstellung originären Gewohnheitsrechts zum Schutz der Umwelt oder die Nutzung der Martens’schen Klausel als Anwendungsanordnung für das in Friedenszeiten geltende Umweltrecht, konnten sich bislang nicht durchsetzen. Vor allem die erreichte Einordnung aller Bestandteile der natürlichen Umwelt als dem Unterscheidungs- und Proportionalitätsgebot unterfallende Objekte erlaubt die Feststellung eines nicht grundsätzlich unzureichenden Levels rechtlich vermittelten Schutzes. Und dennoch verbleiben Defizite, deren Fortbestand nicht hingenommen werden sollte: (1) Humanitäres Völkerrecht bewahrt die Umwelt zwar im Grundsatz vor feindlichen Handlungen mit dem Ziel ihrer Schädigung, dies gilt allerdings nur so lange, wie ihre anvisierten Bestandteile nicht als militärische Ziele zu klassifizieren sind. Als Umgebung des Konfliktgeschehens, als Rückzugsort und Versorgungsquelle einer Konfliktpartei sind bestimmte Umweltkomponenten wie Wälder, Felder und Nahrungsressourcen besonders von einer solchen Umwandlung gefährdet. Dies gilt insbesondere auch für einzelne Nationalparks und andere Umweltstätten, die aufgrund ihrer ökologischen Vielfalt oder ihrer Naturschönheit von großen Teilen der Weltbevölkerung als besonders werthaltig erachtet werden. Darüber hinaus kann die Doppel- und Mehrfachfunktion beispielsweise eines Waldes sowohl als Rückzugsort wie auch als Lebensraum bedrohter Arten und Nahrungsquelle der Bevölkerung dazu führen, dass seine Zerstörung weit gravierendere und weitreichendere Folgen nach sich zieht, als eine in Umfang und Zerstörungsweite vergleichbare Vernichtung eines ebenfalls als Rückzugsort genutzten Gebäudekomplexes oder eines Standorts der Rüstungsindustrie. Die begrenzte Resilienz von Ökosystemen und Umweltbestandteilen verstärkt langfristige Gefährdungen der betroffenen Lebensräume. Selbst wenn eine Wiederherstellung des ursprünglichen Zustands der Umweltkomponente möglich ist, vergehen – wie im Fall des mesopotamischen Marschlands – womöglich Jahre oder gar Jahrzehnte, bis das Gebiet oder Ökosystem seine volle Funktionsfähigkeit zurückerlangt. Unter Umständen sind Arten und Ökosystemmerkmale für immer verloren. Die in jeder Konstellation mögliche Umwandlung bestimmter
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2. Teil: Das geltende Recht und seine Wirkung zum Erhalt der Umwelt
Umweltbestandteile in militärische Ziele scheint daher ungenügend. Humanitäre Interessen sprechen wenigstens für die Begrenzung eines möglichen Schutzverlustes für Umweltbestandteile, die als Nahrungsquelle oder Wirtschaftsgrundlage einen nicht unerheblichen Nutzen für die jeweilige Zivilbevölkerung besitzen, sowie für Regionen, die aufgrund ihrer ökologischen, kulturellen oder ästhetischen Werthaftigkeit besonders erhaltenswert sind. Derzeit bestehendes humanitäres Völkerrecht setzt diese Erhaltensinteressen nur teilweise um. Zwar ist die Lebensgrundlage der Bevölkerung vor Zerstörung geschützt, dies gilt bislang allerdings nur für auf ein Aushungern der Zivilbevölkerung gerichtete Handlungen. Zudem ist die Reichweite des Schutzes gewohnheitsrechtlich auf elementare Güter des unmittelbaren Überlebens begrenzt und damit nicht an die Realität einer arbeitsteiligen Welt angepasst. Eine ausreichende Begrenzung der Umwandlungsmöglichkeit in militärische Ziele besteht also nicht. Allerdings ließe humanitäres Völkerrecht schon jetzt zu, Umweltbestandteile und Gebiete als dual-use-Objekte anzuerkennen. Diese hätte zur Folge, dass die für die Bevölkerung resultierenden Nachteile im Zuge der Proportionalitätsprüfung eines Angriffs beachtet werden müssten, denn nahezu jede Umweltkomponente wird, selbst bei militärischer Nutzung, zusätzlich auch zivil genutzt oder durch zivile Interessen wertgeschätzt.1172 Militärisch genutzte Umwelt ist daher nahezu immer dual-use-Objekt. Im Fall ökologisch oder ästhetisch herausragender Gebiete, für die eine zivile Nutzung bereits aus dem Umstand der Wertschätzung abgeleitet werden sollte, kann dieses Ergebnis im Einzelfall aber dennoch ungenügend sein. Ihr Nutzen für ein Staatsvolk und womöglich für die gesamte internationale Gemeinschaft kann bei Zerstörung nicht durch den Menschen ersetzt werden. Lebensmittellieferungen oder die Zurverfügungstellung alternativer Handelsgüter nach Konfliktende helfen hier nicht. Anders als ein beschädigtes Kunstwerk kann ein vernichtetes Ökosystem vergleichbarer ästhetischer Schönheit oder kultureller Bedeutung nicht rekonstruiert werden. In diesem Kontext würde es auch nicht helfen, die Grenze der Zulässigkeit von Schädigungen in der Proportionalitätsbetrachtung aufgrund der Werthaftigkeit des Umweltbestandteils unendlich zu verschieben, um einem absoluten Schädigungsverbot möglichst nah zu kommen. Gerade in nichtinternationalen Konflikten bedarf es einfacher und klarer Handlungsbeschränkungen. Diese können durch eine Abwägungsanordnung nicht ersetzt werden. Der Erhalt einer besonders werthaften Umweltstätte sollte nicht der Abwägungsentscheidung eines an der Konfliktführung interessierten Entscheidungsträgers obliegen. 1172 Zivile Wertschätzung ist mit ziviler Nutzung für die Klassifikation eines Objekts im Grundsatz nicht gleichzusetzen. Fraglich ist allerdings, ob die ästhetische, spirituelle oder religiöse Wertschätzung eines Orts oder Gegenstands nicht als relevante Nutzung zu klassifizieren ist. Dient ein Objekt allein der ästhetischen Wahrnehmung oder Wertschätzung, wäre es sinnwidrig anzunehmen, dass dieses Objekt keiner Nutzung unterliegt. Warum sollte Nutzung in diesem Fall nicht die schlichte Betrachtung oder sogar allein das befriedigende Wissen um die Existenz des wertgeschätzten Objekts sein?
§ 4 Ergebnis: Schutzumfang und Defizite
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Das bestehende Kulturgüterschutzregime kann die Schutzlücke ebenfalls nicht schließen. Es kann zwar einzelnen kulturell oder spirituell werthaften Umweltstätten zu verstärktem Schutz verhelfen, dies gilt jedoch nur auf Basis vertraglicher, nicht gewohnheitsrechtlicher Bindung. Nichtvertragsstaaten sowie transnational agierende nichtstaatliche Konfliktparteien sind an diese Vorschriften nicht gebunden. Zudem gilt der durch das Kulturgüterschutzregime vermittelte Schutz nicht für Umweltgüter, die, wie das in der WHC erfasste Naturerbe, aufgrund ihrer ästhetischen oder ökologischen Bedeutung als werthaft erachtet werden. Eine Abwägungsanordnung kann ein absolutes Verbot im Ergebnis nicht ersetzen. Das Fehlen absoluter oder wenigstens explizit verstärkter Schädigungsverbote zugunsten dieser besonders werthaften Umweltstätten ist damit das erste verbleibende Defizit derzeitigen Rechts. (2) Aber selbst als ziviles Objekt ist die Umwelt nicht gegen konfliktbedingte Schäden gefeit. Als Umgebung allen Konfliktgeschehens ist sie unweigerlich von jeder feindlichen Handlung kollateral betroffen. Diese Betroffenheit kann von kurzfristigen Kontaminationen von Luft, Böden und Gewässern zu potenziell Jahrzehnte überdauernden, weitreichenden und schwersten Zerstörungen reichen. Dass Konflikte notwendig schädliche Wirkungen verursachen, ist ebenso wie der Umstand, dass die Umwelt in Krieg und in Frieden nicht vor jeder marginalen Schädigung geschützt werden kann und sollte, logische Notwendigkeit jedes menschlichen Handelns. Problematisch können daher nur solche Schäden sein, die in Intensität und Reichweite eine gewisse Schadensschwelle überschreiten. Das derzeitige Kriegsrecht kennt jedoch überhaupt keine feste Grenze zulässiger Umweltschädigungen – weder für kollaterale Schäden an als zivile Objekte zu klassifizierenden Umweltgütern noch für gezielte Zerstörungen militärisch genutzter Umwelt. Das vollständige Fehlen einer Schadensgrenze im Recht nichtinternationaler Konflikte sowie die umstrittene Stellung und Anwendungsschwelle der durch Art. 35 (3) und 55 ZP I im Recht konventioneller Kriege bewirkten Schädigungsgrenze gelten als zwei der größten Mängel derzeitigen Umweltschutzes durch Kriegsrecht. Dabei kann eine absolute Schadensgrenze zumindest hinsichtlich kollateraler Schäden durchaus über die konsequente Anwendung des Proportionalitätsprinzips erzielt werden. Da die Entscheidung über die Zulässigkeit der feindlichen Handlung durch eine Abwägung von Handlungs- und Erhaltungsinteressen zu finden ist, müssen Fälle möglich sein, in denen das Schonungsinteresse zugunsten der Umwelt überwiegt, Handlungsinteressen also nicht mehr ausreichen, um die Herbeiführung eines derart schweren Schadens zu rechtfertigen. So gesehen besteht eine absolute Grenze zulässiger Kollateralschäden bereits jetzt. Aus zwei Gesichtspunkten ist diese allerdings unzureichend: Zum einen kann sie nur kollaterale Schäden abdecken, eine absolute Schadensgrenze bei militärischer Nutzung der Umwelt also nicht herbeiführen, zum anderen ist sie schlicht nicht effektiv. Der erste Mangel, die fehlende Grenze zulässiger Zerstörungen der militärisch genutzten Umwelt, kann durch bestehendes Recht theoretisch noch aufgefangen
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2. Teil: Das geltende Recht und seine Wirkung zum Erhalt der Umwelt
werden. Wie zuvor festgestellt, werden militärisch genutzte Umweltbestandteile häufig auch einer zivilen Nutzung unterfallen. Gerade bei schwersten und langanhaltenden Zerstörungen der Umwelt wird fast immer auch ein ziviles Nutzungsinteresse beeinträchtigt sein. Die pauschale Klassifikation großer Teile eines Staatsgebiets als militärische Ziele entspräche in diesen Fällen keinesfalls dem Gedanken des Unterscheidungsgebots. Die Anerkennung des dual-useCharakters nahezu aller Umweltbestandteile und Gebiete wäre daher ein erster Schritt, um der Umwelt auch bei Klassifikation als militärisches Objekt einen gewissen Schonungsanspruch zu gewähren. Oftmals würde dieser allerdings ein funktionales Verständnis ziviler Nutzung voraussetzen. Anders als ein Bauwerk, dessen duale Nutzung durch das Vorhandensein von Zivilisten leicht von außen erfasst werden kann, zeigt sich die Nutzung der Umwelt durch die Zivilbevölkerung nicht immer in gleichem Umfang. Mangels spezifischer Anordnungen des humanitären Völkerrechts ist die Beachtung auch dieser Nutzung daher vom Kenntnisstand des (nichtstaatlichen) Handlungsträgers sowie von der durch den Handlungsträger durchgeführten Klassifikation und Interessengewichtung abhängig. Der zweite Mangel, die fehlende Effektivität einer über das Proportionalitätsgebot vermittelten Schädigungsgrenze, bleibt bestehen. Hier gelten die bereits unter (1) aufgezählten Erwägungen. Abwägungen im Einzelfall haben zudem die Charakteristik, nicht abstrakt vorgenommen werden zu können. Außerhalb der konkreten Konfliktsituation ist also nicht bekannt, welche Schädigungen gerade noch oder nicht mehr zulässig sind. Darüber hinaus lässt sich die Einhaltung des Proportionalitätsgebots nur in Extremfällen objektiv nachprüfen. Hängt es von einem militärischen Handlungsträger ab, weitgehend autonom über die Bedeutung von Handlungs- und Erhaltungsinteressen zu urteilen, dürfte sich die Grenze der Unzulässigkeit der Schadensherbeiführung der Unendlichkeit annähern. Es bedarf also objektiv nachvollziehbarer Anhaltspunkte, die eine Entscheidung über die Gewichtung des jeweiligen Erhaltungsinteresses informieren und das Proportionalitätsgebot somit erst operabel machen. Wertentscheidungen, die bestimmte Umweltgüter als besonders erhaltenswert, oder bestimmte, nachhaltige Schädigungen als besonders schwerwiegend klassifizieren, fehlen im Recht bewaffneter Konflikte aber. Kann nach heutigem Verständnis von der Bedeutung der Umwelt für die Menschheit ihre grenzenlose Schädigung aber unter keinen Umständen mehr hingenommen werden, genügt bestehendes ius in bello nicht. Es ist letztlich eine Frage der Rationalität: Können wir uns angesichts der Grenzen unseres Planeten, seiner Ressourcen und Lebensräume, noch leisten, kurzoder mittelfristige Handlungsinteressen gegenüber der Bewahrung der Umwelt stets obsiegen zu lassen? (3) Die Herbeiführung besonders schwerer Umweltschäden kann auch in Theorie nur auf zwei Arten verhindert werden: Entweder werden bestimmte, besonders gefährliche Tätigkeiten unabhängig von jedem Einzelfall durch ein
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Handlungsverbot untersagt, oder die Verursachung entsprechender Schäden wird losgelöst von der Art und Weise ihrer Herbeiführung verboten. Humanitäres Völkerrecht kennt grundsätzlich beide Varianten der Schadensverhinderung. Spezifische Verbote des Einsatzes bestimmter Mittel und Methoden der Kriegsführung, insbesondere das Verbot des Angriffs auf bestimmte Anlagen die gefährliche Kräfte enthalten sowie das Verbot des Einsatzes von chemischen Waffen, tragen erheblich zur Erhaltung der Umwelt auch während bewaffneter Konflikte bei. Das Gebot der Vorsorge bei militärischen Handlungen untersagt Schädigungen, deren Wirkung im Verhältnis zu den verfolgten militärischen Interessen exzessiv wäre. Beide Varianten rechtlicher Verhinderung des Schadenseintritts haben im Hinblick auf ein sinnvolles Schutzlevel zugunsten der Umwelt im bestehenden Recht ihre Grenzen. Das Verbot des Angriffs auf bestimmte Anlagen, das im Grundsatz in der Lage ist, schwere Umweltschäden zu verhindern, ist angesichts tatsächlicher Bedrohungslagen zu eng formuliert. Insbesondere Angriffe auf ölenthaltende Anlagen sind in derzeitigen Konflikten häufig und tragen ein enormes Kontaminationsrisiko mit sich. Ähnliches gilt für feindliche Handlungen gegen Chemiefabriken, die beispielsweise im Fall des NATO-Bombardements von Industrieanlagen in Pancˇevo schwere Umweltschäden verursachten. Gleichwohl sind beide durch das Verbot nicht erfasst. Die Praxis der USA, Ölförderungsanlagen, die allein zur Finanzierung des Konflikts genutzt werden, unter der Bezeichnung kriegsverlängernder Objekte als zulässige militärische Ziele zu klassifizieren, kann in Konflikten mit Beteiligung nichtstaatlicher Konfliktakteure, die häufig auf die Ausbeutung natürlicher Ressourcen zur Finanzierung des Konflikts zurückgreifen, zu wiederholten Attacken auf diese Art von Anlagen führen. Die Gefahr des Austritts (umwelt-)gefährdender Stoffe steigt mit jedem Angriff. Selbst wenn die USA grundsätzlich in der Lage sein dürften, schwere Umweltschäden durch Präzisionsangriffe zu verhindern, rücken sie derartige Anlagen doch in den Kreis möglicher Angriffsziele. In Folge könnten auch andere Konfliktakteure diese juristischen Rechtfertigungsversuche für sich in Anspruch nehmen. Eine auch umweltgefährdende Abschwächung geltenden Gewohnheitsrechts wäre die drohende Folge. Nun könnte dieses Defizit spezifischer Verbote durch Heranziehung der zweiten Schutzoption, der Verhinderung eines Schadens durch das Verbot der Handlung bei Vorhersehbarkeit ihrer Unverhältnismäßigkeit, geschlossen werden. Hier schließt sich jedoch die nächste Herausforderung für den Erhalt des Schutzobjekts Umwelt an: Im Vergleich zu feindlichen Handlungen gegen Gebäude oder Personen erfordert die Vorhersehbarkeit schädlicher Wirkungen einer Konflikthandlung auf die Umwelt einen erhöhten Wissensstand. Die Umwelt ist kein in sich geschlossenes System oder ein abgegrenzter Körper. Schädigungen einer Umweltkomponente verteilen sich über Ökosystemzusammenhänge, Wasserläufe und Luftströme weiter. Unter Umständen kann das konkrete Ausmaß eines Schadens erst nach Jahren ermittelt werden – falls technische Möglichkeiten und poli-
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tische Gegebenheiten dies überhaupt gestatten. Maßgeblich zur Einhaltung des Gebots der Vorsorge bei militärischen Handlungen ist aber nur der Wissensstand ex ante eines vernünftigen Entscheiders in der Situation des jeweiligen Entscheidungsträgers. Dass von einem Kommandeur einer bewaffneten Gruppe keine vertieften Kenntnisse über Umweltzusammenhänge erwartet werden können, liegt auf der Hand. Sie dürfen auch nicht vorausgesetzt werden, soll das Recht einfach, befolgbar und damit effektiv bleiben. Ein umfassendes Gebot der Vorsorge, das gewisse Ermittlungspflichten auch bei Unwissen über denkbare Folgen auferlegt, existiert im humanitären Völkerrecht nicht. Es wäre auch gänzlich impraktikabel. Das Schutzniveau des Rechts ist an dieser Stelle also von der Aufklärungsarbeit von NGOs sowie von post-conflict-Beurteilungen bereits eingetretener Umweltschäden, wie sie beispielsweise durch UNEP oder die IUCN durchgeführt werden, als Informationsgrundlage zukünftiger Konflikte abhängig. Soll das Niveau rechtlicher Handlungsgrenzen aber nicht vom beliebigen Wissensstand eines Entscheidungsträgers, und damit auch vom Zugang neutraler Organisationen zu bewaffneten Gruppen abhängig sein, stellt sich doch die Frage, ob spezifische Verbote besonders umweltgefährdender Handlungen gerade in Konflikten mit Beteiligung nichtstaatlicher Akteure nicht die sinnvollere Lösung wären. (4) Die identifizierten Defizite betreffen im Grundsatz jede Art bewaffneter Konflikte. Selbst eine absolute Schwelle zulässiger Schädigungen, die in Art. 35 (3) und 55 ZP I für internationale Konflikte angeordnet ist, entfaltet in vielen denkbaren Konfliktszenarien mangels Ratifikation des Zusatzprotokolls durch Staaten wie die USA, Israel, Iran, Irak, Pakistan und Indien keine Wirkung. Darüber hinaus wurde die Geltungskraft des vertraglichen Verbots durch die Atommächte Frankreich und Großbritannien auf die Nutzung konventioneller Waffen begrenzt. Es ist also nicht allein das durch die Dichotomie der Konfliktarten ursprünglich bestehende Schutzungleichgewicht, das die existenten Handlungsgrenzen im nichtinternationalen Konflikt ungenügend erscheinen lässt. Das Recht beider Konflikttypen hat sich in weiten Teilen aneinander angeglichen. Zwar bestehen noch immer Schutzunterschiede, diese sind mit Blick auf die absoluten Defizite des Rechts beider Konfliktformen aber nicht das einzige Problem. Und dennoch erübrigt sich die spezielle Befassung mit dem Recht nichtinternationaler Konflikte noch nicht. Wird der Blick auf den Umgang mit den identifizierten Schutzlücken sowie auf Strategien für ihre Schließung durch Rechtsveränderung gelegt, müssen die Besonderheiten bewaffneter Konflikte mit Beteiligung nichtstaatlicher Akteure erneut mitbedacht werden. Nicht alle Ideen und Methoden praktischer Schutzerhöhung sind für beide Konflikttypen gleich praktikabel und erfolgversprechend.
3. Teil
Zukunftsstrategien für den Schutz der Umwelt durch humanitäres Völkerrecht Wie lassen sich die identifizierten Schutzlücken zukünftig schließen? Eine denkbare Strategie, nämlich der Versuch einer vollständigen Angleichung des Vertragsrechts internationaler und nichtinternationaler Konflikte, kann als Lösung der aufgeworfenen Defizite sogleich ausgeschlossen werden. Die größten Mängel rechtlicher Schutzgewährung für die Umwelt bestehen nicht nur im Recht nichtinternationaler Konflikte, sondern betreffen das Recht beider Konfliktformen gleichermaßen. Die umfassende Anwendung der für internationale Konflikte geschaffenen Normen im Kontext nichtinternationaler Konflikte könnte zwar in anderen bedeutenden Bereichen, wie etwa der Behandlung von Kriegsgefangenen, zu beachtlichen Auswirkungen in der Realität führen. Für den Schutz der Umwelt gilt dies jedoch nicht. Der größte Unterschied der beiden Regelungssysteme humanitären Völkerrechts besteht in der Existenz der Art. 35 (3) und 55 ZP I sowie der ENMOD-Konvention im Recht internationaler Konflikte. Praktisch relevant sind diese Regelungen jedoch (derzeit) nicht. Eine Angleichung geltenden Rechts für beide Konflikttypen darf daher nicht länger im primären Fokus der Schutzverstärkung stehen. Die Schließung verbleibender Rechtslücken bedarf vielmehr eines konflikttypenübergreifenden Ansatzes, der dennoch in der Lage sein muss, auch den Besonderheiten nichtinternationaler Konflikte, insbesondere der beteiligten Parteien, gerecht zu werden. Nachfolgend sollen nur einige der bislang in der Rechtswissenschaft diskutierten Zukunftsstrategien umrissen, die mit ihnen verbundenen Herausforderungen analysiert und ihre Erfolgsaussichten bewertet werden.1
1 Der Fokus dieser Darstellung bleibt allerdings auf eine Analyse humanitären Völkerrechts beschränkt. Zusätzliche Handlungsbeschränkungen und durch sie bewirkte Schutzverstärkungen könnten selbstverständlich auch von außerhalb des humanitären Völkerrechts auf die am Konflikt beteiligten Akteure einwirken. Beispielsweise stehen nichtstaatliche Konfliktparteien bis zum Sturz der Regierung unter der Autorität nationaler Rechtsvorschriften. Nationales Umweltschutzrecht, insofern es Regelungen auch für Konfliktphasen vorsieht, gilt daher unter Umständen parallel zu Kriegsvölkerrecht. Seine Durchsetzbarkeit und damit seine praktische Relevanz in bürgerkriegsähnlichen Szenarien dürfte sich in vielen Fällen gleichwohl gen Null bewegen. Neben nationalem Recht und humanitärem Völkerrecht verlieren allerdings auch die den Staaten durch Völkerrecht für Friedenszeiten auferlegten Verhaltenspflichten bei Konfliktbeginn nicht automatisch ihre Wirkung. Auch sie könnten das Ausmaß zulässiger Umweltschädigun-
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3. Teil: Schutz der Umwelt durch humanitäres Völkerrecht
§ 1 Strategie der Normentwicklung A. Konventionelle Normentwicklung Der direkteste Weg, geltendes Recht in seiner Wirkung zu verstärken, wäre sicherlich die Schaffung neuer humanitärrechtlicher Handlungsverbote und Schonungsanordnungen. Die Erfolgsaussichten eines zusätzlichen Vertragswerks sind allerdings kaum nennenswert. Vorschläge wie die eines fünften Genfer Abkommens, eines vierten Zusatzprotokolls oder einer Konvention zur Verhinderung sogenannter Ökozide waren in der Vergangenheit zwar zahlreich, erlangten jedoch selbst in der Hochphase der Fortentwicklung humanitären Völkerrechts nichtinternationaler Konflikte in den 1990er Jahren kaum ernsthafte staatliche Unterstützung.2 Seit dieser Zeit ist das Klima der internationalen Politik deutlich vertragsunfreundlicher geworden. Die letzten Jahre haben diesen Trend nochmals verschärft. Aber nicht nur sind neue Abkommen humanitären Völkerrechts kaum zu erwarten, ein Befassen des potenziellen Konfliktrechts mit dem Schutz der Umwelt wäre zudem nicht gesichert. Wenngleich unser Umgang mit der Umwelt gen begrenzen (siehe sogleich 3. Teil, § 2). Ihre Wirkung ist allerdings nicht zentraler Gegenstand der Analyse. 2 Für eine Diskussion der Vorschläge: Lechtimiakytë, Preservation of Environment in Times of Non-International Armed Conflict. Legal Framework, its Sufficiency and Suggestions, S. 584. Die Inhalte der Londoner Konferenz von 1991, eines Expertentreffens zur Frage der Verabschiedung eines fünften Genfer Abkommens zum Schutz der Umwelt sowohl in internationalen wie in nichtinternationalen bewaffneten Konflikten (London Round Table Conference on a „Fifth Geneva“ Convention on the Protection of the Environment in Time of Armed Conflict of 3 June 1991) sind enthalten in: Plant (Hrsg.), Environmental protection and the law of war: A ,Fifth Geneva‘ Convention on the Protection of the Environment in the Time of Armed Conflict. Für eine Diskussion der Initiative: Verwey, Protection of the Environment in Times of Armed Conflict: In Search of a New Legal Perspective, Leiden Journal of International Law 8 (1995); ablehnend Islam, Laws of War and Environment, Environmental Policy and Law 44 (2014), S. 367; ähnlich Aznar-Gómez, Environmental Damages and the 1991 Gulf War: Some Yardsticks Before the UNCC, Leiden Journal of International Law 14 (2001), S. 334, der die Stärkung von Durchsetzungsmechanismen als sinnvoller erachtet als die Schaffung neuen Primärrechts. Ähnlich auch Bunker, Protection of the Environment During Armed Conflict: One Gulf, Two Wars, Review of European Community & International Environmental Law 13 (2004), S. 212 der ein solches Vorhaben nur insofern als erstrebenswert beurteilt, als das neue Instrument über Durchsetzungsmechanismen verfüge. Das derzeitige Fehlen effektiver Durchsetzungsmöglichkeiten sowie die mangelnde Beteilung relevanter Staaten an existierenden Konventionen seien die Hauptprobleme für den Schutz der Umwelt im Konflikt. Vergleiche zu den Vorschlägen auch Wilcox, Environmental protection in combat, Southern Illinois University Law Journal 17 (1993), S. 311 ff. sowie Witteler, Die Regelungen der neuen Verträge des humanitären Völkerrechts und des Rechts der Rüstungsbegrenzung mit direktem Umweltbezug, S. 468 ff. Auch der vertragliche Schutz bedeutender Ökosysteme wurde vielfach angedacht. Schon 1992 schlug z. B. Diederich, „Law of war“ and ecology – a proposal for a workable approach to protecting the environment through the law of war, Military Law Review 136 (1992), S. 159 einen besonderen Schutz von „environmental ,sanctuaries‘“ für besonders sensible Ökosysteme vor.
§ 1 Strategie der Normentwicklung
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in den letzten Jahren verstärkt in den Fokus der Weltöffentlichkeit rückte, stehen konfliktbedingte Umweltzerstörungen derzeit (noch) nicht im Zentrum internationaler politischer Aufmerksamkeit. Dem Anreiz der Schutzverstärkung müsste wohl zunächst ein erneuter Fall gravierender Zerstörung vorangehen, vergleichbar mit dem Einsatz von Defolianzien in Vietnam oder den brennenden Ölfeldern Kuwaits. Aber auch dann wäre eine Erweiterung derzeitigen Normbestands nicht zwingende Folge. Wirtschaftliche oder militärische Antworten im Einzelfall sind stattdessen ebenso denkbar. Die Ära globaler Rechtsentwicklungskonferenzen, die, wie im Nachgang des Vietnam-Kriegs, anknüpfend an die Eindrücke eines erlebten Konflikts zu einer erheblichen Weiterentwicklung humanitären Völkerrechts führten, ist vergangen. Wenigstens ist sie auf absehbare Zeit unterbrochen.3 Und doch ist die Lage nicht gänzlich ausweglos. Die Schaffung großer Konventionen mag derzeit eher unwahrscheinlich sein. Dies bedeutet jedoch nicht, dass die Einführung einzelner neuer Regelungen, gerade im Wege der Herausbildung von Gewohnheitsrecht, für alle Zeiten ausgeschlossen wäre. Voraussetzung für eine solche Entwicklung ist an erster Stelle eine Sensibilisierung für bestehende Defizite. Diese schreitet auch durch die Befassung internationaler Kommissionen und Arbeitsgruppen, die allgemein oder im Einzelfall nicht den Auftrag der Fortentwicklung des Rechts haben, voran. So hat auch die bisherige Arbeit der ILC zur Identifikation bestehender Regeln zum Schutz der Umwelt im Kontext bewaffneter Konflikte das Potenzial, eine gewisse Fortentwicklung des Rechts zu begünstigen. Obwohl der ILC die Weiterentwicklung des geltenden Rechts bewaffneter Konflikte zum Schutz der Umwelt eigentlich verwehrt ist4, fällt doch jedenfalls die Förderung einer solchen Fortentwicklung gemäß Art. 13 (1) (a) UN-Charta in den Aufgabenbereich der Kommission.5 Im Rahmen dieser Mandatierung konnte die ILC im Verlauf ihrer noch andauernden Befassung mit der Thematik jedenfalls einige Bestrebungen konventioneller Normentwicklungen aufzeigen. Beispielsweise wies Special Rapporteur Lehto in ihrem letzten 3 Sandoz, Preface to the new Edition, in: Bothe et al., New Rules for Victims of Armed Conflicts, Commentary on the two 1977 Protocols Additional to the Geneva Conventions of 1949, S. xxiii. 4 Dass die ILC im Rahmen ihrer Arbeit die Grenzen geltenden humanitären Völkerrechts beachten solle, wurde im Verlauf der Befassung mit dem Thema wiederholt von mehreren Staaten angemahnt. Siehe z. B. ILC, Second Report on Protection of the Environment in Relation to Armed Conflicts by Marja Lehto, Special Rapporteur, 27. März 2019, A/CN.4/728, Rn. 3 m.w. N. 5 Zu weitgehend Dienelt und Sjöstedt, die davon sprechen, die Kommission sei „tasked with the progressive development of international law [. . .]“ (Dienelt/Sjöstedt, Is the ILC’s work enhancing protection for the environment in relation to warfare? A reply to Stavros-Evdokimos Pantazopoulos and Karen Hulme, Questions of International Law 34 (2016), S. 46). Diese Formulierung entspricht nicht dem Wortlaut on Art. 13 UN-Charta, der lediglich eine Förderung der Fortentwicklung („[. . .] encouraging the progressive development of international law [. . .]“) vorsieht.
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3. Teil: Schutz der Umwelt durch humanitäres Völkerrecht
Bericht von 2019 zwar darauf hin, dass humanitäres Völkerrecht bislang keine identifizierbaren Vorschriften über die völkerrechtliche Verantwortung nichtstaatlicher Konfliktakteure für verursachte (Umwelt-)Schäden enthalte6, gleichzeitig verwies sie jedoch auf aktuelle Bestrebungen, eben solche Regeln zu etablieren.7 Die Erwähnung entsprechender Bemühungen an prominenter Stelle, beispielsweise in Berichten eines ILC Special Rapporteur, kann eine breitere Aufmerksamkeit der Staaten erzeugen und so spätere Rechtsentwicklungen begünstigen. Ein absoluter Stillstand des Rechts ist also nicht notwendig anzunehmen.
B. Normklärung und Normverstärkung durch nichtstaatliche Organisationen, Gremien und Gerichte Die staatliche Zurückhaltung bei der Normentwicklung führte zu einer Verlagerung des Prozesses wenigstens der Normklärung auf nicht- oder semi-staatliche Expertengruppen und Institutionen sowie auf internationale Gerichte.8 Gerade letztere haben in den vergangenen Jahrzehnten zu einer beachtlichen Ausweitung humanitären Völkerrechts in nichtinternationalen Konflikten beigetragen. Auch der Schutz der Umwelt während bewaffneter Konflikte wurde durch Gerichtsentscheidungen verstärkt, schließlich geht die Anerkennung der Schutzwirkung der Grundprinzipien zugunsten der Umwelt auf Entscheidungen internationaler Gerichte zurück. Angesichts des derzeitigen weltpolitischen Klimas wird der Anstoß zur Akzeptanz verstärkter gewohnheitsrechtlicher Schutzvorschriften allerdings kaum in den Gerichtssälen internationaler Tribunale erfolgen. Während insbesondere die Rechtsprechung des ICTY in der Vergangenheit maßgeblich zur Fortentwicklung des Rechts nichtinternationaler Konflikte beitrug, müssen sich regionale und internationale Gerichte heute vermehrt um Unterstützung durch die Vertragsstaaten sorgen. Dies mag, wie im Fall des IStGH, zwar unter Umständen zu Profilschärfungen und vorsichtigen Verlagerungen des Kreises verfolgter Fälle führen9, eine progressive Rechtsprechung, die potenziell auch die Hand6 ILC, Second Report on Protection of the Environment in Relation to Armed Conflicts by Marja Lehto, Special Rapporteur, 27. März 2019, A/CN.4/728, Rn. 58 sowie 119 f. 7 Ibid. mit Verweis auf ILA Committee on Non State Actors, Third Report of the Committee on Non State Actors, prepared by the co-rapporteurs, Cedric Ryngaert and Jean d’Aspremont, 2014, S. 11. Laut dem Bericht kann eine Doktrin völkerrechtlicher Verantwortung nichtstaatlicher Akteure bislang lediglich als „in statu nascendi“ bezeichnet werden. 8 Bothe, Protection of the environment in and after armed conflict: overview and trends, S. 6. 9 Derzeit sind Versuche des IStGH zu beobachten, durch eine veränderte Auswahl der behandelten Fälle dem Vorwurf eines einseitigen Blicks in Richtung der afrikanischen Staaten zu entkommen, gleichzeitig aber nicht die begrenzte Zahl an Unterstützern der restlichen Welt abzuschrecken. Siehe insb. IStGH Office of the Prosecutor, Policy Paper on Case Selection and Prioritisation, 15. September 2016, abrufbar unter:
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lungsfreiheit der eigenen Vertragsstaaten weiter beschränken würde, ist derzeit aber eher unwahrscheinlich. Anders ist diese Situation in Hinblick auf die Arbeit von Expertengremien zu beurteilen. Mehrere solcher Gremien befassten sich in den letzten Jahren nicht nur mit der Gesamtheit des ius in bello, sondern teils auch speziell mit dem Recht nichtinternationaler Konflikte und den Einzelfragen geltender Umweltschutznormen. Rechtlich nicht bindende Richtlinien und Militärhandbücher, wie das Tallinn Manual on Cyber Warfare, das NIAC Manual oder das HPCR Manual on Air and Missile Warfare, sind, ebenso wie die Gewohnheitsrechtsstudie des IKRK sowie die in Entstehung befindlichen Draft Principles der ILC zum Schutz der Umwelt im Zusammenhang mit bewaffneten Konflikten im Grundsatz durchaus dazu geeignet, bestehende Rechtsnormen hinsichtlich ihres Anwendungsbereichs sowie ihrer Schutzwirkung auszuweiten. Vorschriften, deren Regelungsvermögen bislang nicht ausreichend bekannt ist, können auch zukünftig durch Auslegung von Vertragsnormen und Interpretation von Gewohnheitsrecht im Rahmen der Erstellung von Leitfäden neue Anwendungsgebiete finden. Das Schutzpotenzial einzelner Vertragsnormen zugunsten der Umwelt während nichtinternationaler Konflikte ist bislang schließlich noch nicht umfassend genutzt worden. So wurde die geradezu zwingende Klassifikation von Umweltbestandteilen als dual-use-Objekte im rechtswissenschaftlichen Diskurs bislang nicht gewürdigt.10 Ebenso kommt den Vorschriften humanitären Völkerrechts zum Schutz von Kulturgütern und Kultstätten hinsichtlich ihrer potenziellen Regelungswirkung zugunsten spirituell oder kulturell bedeutender Umweltstätten bislang keine Aufmerksamkeit zu.11 In diesen Bereichen ist weiterhin Raum für eine auf Schutzerhöhung gerichtete Auslegung, die durchaus auch durch die Arbeit von Expertengremien gefördert werden könnte. Vor allem die nunmehr nahezu abgeschlossene Arbeit der ILC zum Schutz der Umwelt im Kontext bewaffneter Konflikte ist in diesem Zusammenhang hervorzuheben. 2013 beschloss die Kommission, die Thematik in ihr Arbeitsprogramm aufzunehmen. Etliche Jahre und mehrere Berichte der zwei berufenen Special Rapporteurs – Marie Jacobsson (2013 bis 2016) und Marja Lehto (seit 2017) – später, nahm die ILC 2019 ein Set von 28 Draft Principles in der ersten Lesung an und unterbreitete sie zusammen mit einer Kommentierung den Staaten zur Diskus-
https://www.icc-cpi.int /itemsdocuments/20160915_otp-policy_case-selection_eng.pdf [abgerufen am 26.10.2020]. In dem Strategiepapier kündigte die derzeitige Chefanklägerin des IStGH erstmals die verstärkte Beachtung strafrechtlicher Relevanz gravierender Umweltzerstörungen an. Eine zugunsten der Umwelterhaltung veränderte der Auslegung der Strafnormen des IStGH-Statuts scheint damit nicht mehr ausgeschlossen. 10 Ausführlich 1. Teil, § 2, B., III. 11 Zur Umwelt als Dual-use-Objekt: 2. Teil, § 3, C., III., 3., a).
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3. Teil: Schutz der Umwelt durch humanitäres Völkerrecht
sion.12 Das erhoffte Ergebnis ist ein Set von Prinzipien, das für die Phasen vor, während und nach Ende bewaffneter Konflikte zum Schutz der Umwelt beitragen soll. Die bestehenden Regelungen sind nunmehr in fünf Abschnitte aufgeteilt: Nach einer Einleitung zur Reichweite (Draft Principle 1) und dem Zweck der Prinzipien (Draft Principle 2)13 folgen in Teil 2 „principles of general application“, die unabhängig von dem Ausbruch bewaffneter Konflikte bereits in Friedenszeiten zu beachten wären.14 Teil 3 beinhaltet die – für die hier vorgenommene Darstellung besonders relevanten – Prinzipien, die während bewaffneter Konflikte Geltung beanspruchen15, während Teil 4 der besonderen Situation der Okkupation gewidmet ist.16 12 ILC, Report of the International Law Commission on the Work of its 71st Session 2019, UN GAOR 74th Session, Supp. No. 10, A/74/10, S. 209 ff. für eine Kurzdarstellung des Verlaufs der Bearbeitung. Eine ausführlichere Darstellung findet sich auch in Jacobsson/Letho, Protection of the Environment in Relation to Armed Conflicts – An Overview of the International Law Commission’s Ongoing Work, Goettingen Journal of International Law 10 (2020), S. 27 ff. 13 „Principle 1 Scope The present draft principles apply to the protection of the environment before, during or after an armed conflict. Principle 2 Purpose The present draft principles are aimed at enhancing the protection of the environment in relation to armed conflict, including through preventive measures for minimizing damage to the environment during armed conflict and through remedial measures.“ Ibid., S. 211 ff. 14 Diese beinhalten u. a. Prinzipien zur Stärkung des nationalen Rechts mit Blick auf den Schutz der Umwelt (Draft Principle 3), die Aufforderung an Staaten, Gebiete von besonderer ökologischer oder kultureller Bedeutung als geschützte Zonen zu benennen (Draft Principle 4), Maßnahmen zum Schutz der Umwelt mit Blick auf indigene Völker (Draft Principle 5), mit Blick auf Friedensoperationen (Draft Principle 7) und der konfliktbedingten Vertreibung von Bevölkerungen (Draft Principle 8) sowie zur Staatenverantwortlichkeit (Draft Principle 9), zu Corporate Due Diligence (Draft Principle 10) und der Haftung privater Unternehmen (Draft Principle 11). Ibid., S. 211 ff. 15 „Principle 12 Martens Clause with respect to the protection of the environment in relation to armed conflict In cases not covered by international agreements, the environment remains under the protection and authority of the principles of international law derived from established custom, from the principles of humanity and from the dictates of public conscience. Principle 13 General protection of the natural environment during armed conflict 1. The natural environment shall be respected and protected in accordance with applicable international law and, in particular, the law of armed conflict. 2. Care shall be taken to protect the natural environment against widespread, longterm and severe damage. 3. No part of the natural environment may be attacked, unless it has become a military objective. Principle 14 Application of the law of armed conflict to the natural environment The law of armed conflict, including the principles and rules on distinction, proportionality, military necessity and precautions in attack, shall be applied to the natural environment, with a view to its protection. Principle 15 Environmental considerations Environmental considerations shall be taken into account when applying the principle of proportionality and the rules on military necessity.
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Der abschließende fünfte Teil beinhaltet schließlich Prinzipien zum Schutz der Umwelt nach Ende bewaffneter Konflikte, insbesondere Vorgaben zum Austausch von Informationen, zu Abhilfemaßnahmen im Hinblick auf verursachte Schäden und dem Umgang mit schädlichen Überresten vorangegangener Kriege.17 Neben dem zeitlich umfassenden Anwendungsbereich sollen die Draft Principles auch in jeder Situation kriegerischer Auseinandersetzungen Bedeutung haben. Eine Trennung zwischen Prinzipien, die im Fall internationaler Konflikte Anwendung fänden und solchen, die in nichtinternationalen Konflikten zu beachten wären, nahm die Kommission ganz bewusst nicht vor.18 Eine spezifische Befassung mit dem Recht nichtinternationaler Konflikte sucht man also auch in den Ergebnissen der ILC vergebens. Etwas Anderes war aber auch nicht zu erwarten. Bereits der weite zeitliche Rahmen, für den die Prinzipien Relevanz besitzen sollen (vor, während und nach bewaffneten Konflikten), bringt eine notwendige Beschränkung der Draft Principles auf übergeordnete Konzepte und grundlegende Prinzipien mit sich. Detaillierte Darlegungen hätten den Rahmen dieses umfassenden Konzeptes womöglich gesprengt. Zudem bestand wohl die Hoffnung, durch eine konflikttypübergreifende Bearbeitung indirekt das in nichtinternationalen Konflikten geltende Level an Umweltschutz zu stärken.19 Die Bezeichnung der Draft Principles als reine Prinzipien – und nicht etwa als Draft Articles, die Vorlage eines bindenden Vertrags sein könnten – zeigt einerseits die Grenzen, andererseits aber auch die Möglichkeiten der verfolgten Strategie einer Normverstärkung. Es ist nicht das erste Mal, dass die Kommission sich entschied, das Ergebnis ihrer Arbeit zu einem bestimmten Themenkreis als Prin-
Principle 16 Prohibition of reprisals Attacks against the natural environment by way of reprisals are prohibited. Principle 17 Protected zones An area of major environmental and cultural importance designated by agreement as a protected zone shall be protected against any attack, as long as it does not contain a military objective. Principle 18 Prohibition of pillage Pillage of natural resources is prohibited. Principle 19 Environmental modification techniques In accordance with their international obligations, States shall not engage in military or any other hostile use of environmental modification techniques having widespread, long-lasting or severe effects as the means of destruction, damage or injury to any other State.“ Ibid., S. 211 ff. 16 Draft Principles 20 bis 22. Hervorzuheben ist Draft Principle 21 zur nachhaltigen Nutzung natürlicher Ressourcen durch die Besatzungsmacht. Ibid., S. 213 f. 17 Draft Principles 23 bis 28. Ibid., S. 214. 18 Kommentierung zu Draft Principle 1, ibid., S. 216 unter (3). 19 In der Kommentierung zu Draft Principle 16 stellt die Kommission beispielsweise ausdrücklich klar, dass sie diese Regel noch nicht als Bestandteil derzeitigen Rechts zur Anwendung in nichtinternationalen Konflikten erachtet (siehe oben Teil 2, Fn. 341).
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3. Teil: Schutz der Umwelt durch humanitäres Völkerrecht
zipien bzw. Leitsätze zu formulieren.20 Dies ist sicherlich auch dem Umstand geschuldet, dass, wie zuvor dargelegt, neue internationale Abkommen und Verträge zu bestimmten Themen derzeit wenig Chancen auf Zustimmung einer großen Zahl der Staaten hätten. Zusätzlich erhält sich die ILC durch die Aufstellung bloßer Prinzipien auch ein gewisses Maß an Freiheit, schließlich kann sie durch den Verweis auf den Charakter der Vorgaben als Leitsätze eine womöglich destruktive Diskussion über die Verankerung bestimmter Vorgaben im Völker(gewohnheits-)recht abschwächen. Mit Blick auf die Draft Principles zum Schutz der Umwelt im Kontext bewaffneter Konflikte erklärte die ILC selbst, die Benennung spiegle den unterschiedlichen normativen Wert der aufgestellten Bestimmungen, die teils eine Wiedergabe von Völkergewohnheitsrecht darstellten, teils mehr den Charakter einer Empfehlung hätten.21 Tatsächlich findet sich diese Beschreibung der Prinzipien in ihrer derzeitigen Formulierung sowie ihrer Kommentierung durch die Kommission wieder. An ihrem Beispiel wird gleichzeitig erkennbar, wie über die Klarstellung des Rechts durch Kommissionen und Gremien gleichzeitig eine Weiterentwicklung bestehender Rechtsvorgaben gefördert werden kann. So sind einige Prinzipien identifizierbar, die eindeutig nicht über eine Darstellung geltenden Rechts hinausreichen und deren progressiver Ansatz allein empfehlenden Charakter hat. Beispielsweise verfolgt der in Draft Principle 17 enthaltene Vorschlag der ILC, Umweltstätten von ökologischer Bedeutung als besonders geschützte Zonen durch Vereinbarungen der Konfliktparteien unter Schutz zu stellen22, die Strategie der Schutzverstärkung auf Basis bereits bekannter Konzepte. Die ILC greift auf das Konzept besonders geschützter Zonen zurück, das bereits in der Gewohnheitsrechtsstudie des IKRK Anerkennung gefunden hatte.23 Sodann schlägt die Kommission vor, dieses Schutzinstrument auf ein neues Szenario, nämlich den Schutz ökologisch bedeutender Gebiete, anzuwenden. Draft Principle 17 unterbreitet also kein neues Recht, sondern weist lediglich auf eine neue Anwendung bereits bestehender Schutzinstrumente hin. An dieser Stelle bewegt sich die ILC innerhalb des durch die Staaten vorgegebenen Auftrags der Normkonkretisierung24, der eine Proklamation neuer Verhaltensregeln ausschließt. Ähnlich verhält es sich mit Draft Principle 13 (2), mit dem die ILC aufgibt, in jeder Art bewaffneter Konflikte darauf zu achten, die Umwelt vor langandauernden,
20
Auf diese Beispiele verweist die Kommission selbst. Ibid., S. 215 unter (3). Ibid. 22 Siehe den Wortlaut in Teil 3, Fn. 15. 23 Kapitel 11 der Gewohnheitsrechtsstudie umfasst unter dem Begriff besonders geschützte Zonen die Regeln 35 bis 37, die sich mit dem Schutz neutraler und demilitarisierter Zonen befassen (Henckaerts/Doswald-Beck/Alvermann, Customary International Humanitarian Law, ICRC Study, Band I: Rules). 24 Ausführlich: Teil 2, Fn. 341. 21
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schweren und weitreichenden Umweltschäden zu schützen.25 Ein Verbot der Herbeiführung solcher Schäden ist in den Draft Principles nicht zu finden und hätte auch keine Aussicht auf Aufnahme, schließlich existiert ein entsprechendes Schädigungsverbot lediglich im ZP I und ist dieses für Nichtvertragsstaaten und nichtinternationale Konflikte nicht anwendbar. Warum also griff die ILC den Wortlaut dieser Vorschriften auf und erklärte, alle Konfliktparteien sollten darauf Acht geben, derartige Schäden nicht zu bewirken? Die Behauptung eines rechtlichen Schädigungsverbots ist in Draft Principle 13 (2) nicht zu finden, wohl aber die Hoffnung, durch diesen indirekten Verweis auf die Schädigungsverbote der Art. 35 (3) und 55 ZP I deren Bedeutung über ihren eigentlichen Anwendungsbereich hinaus für die Zukunft zu stärken. Auf der anderen Seite finden sich unter den Draft Principles nunmehr auch Elemente, die deutlich über den Bestand des derzeitigen Rechts hinausgehen und die von der Kommission selbst als Ausdruck der Förderung zukünftiger Rechtsverstärkung bezeichnet werden. Dies trifft insbesondere auf Draft Principle 16 und dem dort genannten Verbot von Repressalien in Form von Angriffen gegen die Umwelt zu.26 Wie bereits erläutert27, stellte die Kommission selbst klar, dass ein Verbot von Repressalien auch aus ihrer Sicht derzeit nicht Bestandteil des Rechts nichtinternationaler bewaffneter Konflikte ist und die Aufnahme von Draft Principle 16 als Förderung der fortschreitenden Entwicklung des Völkerrechts angesehen werden könne, was schließlich ebenso dem Mandat der Kommission entspreche.28 Mit diesen Ausführungen lässt die Kommission gleichzeitig erkennen, wie umstritten der Entwurf dieses Prinzips auch innerhalb der Kommission gewesen sein muss.29 Dass sie sich trotz des Umstands, dass jedenfalls ein Teil der Kommission offensichtlich der Ansicht ist, dass das Prinzip kein geltendes Recht widerspiegele, dazu entschied, Draft Principle 16 in der ersten Lesung anzunehmen, bestärkt die Hoffnung zukünftiger Rechtsverstärkungen mit Blick auf die Erhaltung der Umwelt. Dementsprechend positiv wurde die Aufnahme des Prinzips in ersten Bewertungen der Draft Principles in der Literatur aufgenommen.30 Ob solche progressiven Ansätze in den ILC Draft Principles allerdings überdauern werden, ist mit der Annahme der Prinzipien in der ersten Lesung noch 25
Siehe ausführlicher oben: 2. Teil, § 3, A., IV. Siehe den Wortlaut des Prinzips in Teil 3, Fn. 15. 27 Siehe Teil 2, Fn. 341. 28 ILC, Report of the International Law Commission on the Work of its 71st Session 2019, UN GAOR 74th Session, Supp. No. 10, A/74/10, S. 269, unter (10). 29 Die Kommission erwähnt die divergierenden Ansichten auch in ihrer Kommentierung: Ibid. unter (7) bis (9). 30 Pantazopoulos, Reflections on the Legality of Attacks Against the Natural Environment by Way of Reprisals, Goettingen Journal of International Law 10 (2020), S. 47 ff., S. 65 f. 26
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3. Teil: Schutz der Umwelt durch humanitäres Völkerrecht
nicht gesichert. Die Ergebnisse der Kommission und anderer Expertengruppen haben nur dann Aussicht auf internationale Beachtung, wenn sie Bestätigung durch die Staatengemeinschaft erfahren. Dementsprechend lud die ILC erneut die Staatengemeinschaft ein, bis Dezember 2020 Anmerkungen und Kommentare zu den Draft Principles zu tätigen. Sollte eine Vielzahl von Staaten harsche Kritik an den progressiven Vorschlägen äußern, könnte die ILC ihre Position womöglich nochmals überdenken. Ob umstrittene Bestandteile wie Draft Principle 16 in der für 2021 anvisierten zweiten Lesung erhalten bleiben, ist also noch offen.31 In dieser Hinsicht ist die Arbeit der ILC mit anderen durch Expertengremien verfassten Militärhandbüchern und Richtlinien vergleichbar. Sollen sie von der Staatengemeinschaft akzeptiert werden und die in ihnen niedergelegten Regeln das Verhalten der Völkerrechtsakteure beeinflussen, können sie nicht substanziell über das Niveau bereits anerkannten Rechts hinausgehen und beliebig zur Fortentwicklung defizitärer Schutzvorschriften beitragen. Andernfalls laufen die gefundenen Ergebnisse Gefahr, durch dauerhafte Kritik an einzelnen aufgeführten Regeln insgesamt an Anerkennung und damit auch praktischer Relevanz einzubüßen. Nicht ohne Grund gehen die Inhalte des NIAC Manual, des Tallinn Manual sowie des HPCR Manual in Sachen Umweltschutz nicht über das Mindestmaß derzeit akzeptierten Umweltschutzes hinaus. Selbst unter Schutzgesichtspunkten ist diese Zurückhaltung nicht nur nachteilig, denn starke Kritik an den Ergebnissen einer Expertenstudie kann sogar ein zusätzliches Hemmnis zukünftiger Gewohnheitsrechtsentwicklung darstellen. Um den Makel einer zu einem Zeitpunkt berechtigt geäußerten Ablehnung zu überwinden, bedarf es in der Folgezeit eines stärkeren Nachweises nachfolgend entstandener Überzeugung und Praxis. Die teils berechtigte Kritik der USA und anderer Staaten an Teilen der IKRK-Studie ist in dieser Hinsicht bezeichnend. Für die Behauptung des Gewohnheitsrechtsstatus beispielsweise des in Regel 45 der Studie proklamierten Verbots qualifizierter Umweltschäden bedarf es aufgrund der in Vergangenheit geäußerten Missbilligung32 zukünftig verstärkter Anstrengung. Die Sorge um die Anerkennung der in Erarbeitung befindlichen Draft Principles bewegte mit Sicherheit auch die ILC. Sie führte bereits zu einer deutlichen Abmilderung einiger ursprünglich vorgeschlagener Draft Principles und dämpfte somit frühere Hoffnungen auf eine durch die Ergebnisse der ILC initiierte Schutzerweiterung zugunsten der Umwelt im nichtinternationalen bewaffneten Konflikt. Mehrere Draft Principles die Special Rapporteur Lehto teils erst im 31 Ebenso Pantazopoulos, a. a. O., S. 66. Zum Fortgang der Arbeit der ILC an den Draft Principles: Jacobsson/Letho, Protection of the Environment in Relation to Armed Conflicts – An Overview of the International Law Commission’s Ongoing Work, Goettingen Journal of International Law 10 (2020), S. 45 f. 32 Siehe oben Teil 2, Fn. 591.
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Frühjahr 2019 vorgestellt hatte, erfuhren nur wenige Wochen später deutliche Beschränkungen. Draft Principle 19, das sich mit umweltmodifizierenden Techniken befasst und durch Lehto ehrgeizig als für alle Konfliktparteien absolut bestehendes Verbot formuliert worden war33, wurde beispielsweise in der durch das Redaktionskomitee vorläufig angenommenen Fassung zu einem Verweis auf vertragliche Pflichten der Staaten nach der ENMOD-Konvention verengt.34 Auch die durch Lehto vorgeschlagene Formulierung der Martens’schen Klausel zum Schutz der Umwelt während bewaffneter Konflikte erfuhr eine sprachliche Begrenzung durch die Streichung des Verweises auf zukünftige Generationen.35 Draft Principle 13 (2), das an das Verbot des Art. 55 ZP I angelehnt ist, weitreichende, langandauernde und schwere Umweltschäden herbeizuführen, beschränkt sich schon seit 2015 auf die Anordnung, Sorgfalt walten zu lassen, um solche Schäden zu vermeiden.36 Diese Begrenzungen sind freilich nicht überraschend, schließlich wurde bereits erörtert, dass das in der ENMOD-Konvention enthaltene Verbot bislang kein Gewohnheitsrecht darstellt und daher nur Vertragsparteien bindet.37 Auch das in Art. 35 (3) ZP I niedergelegte Verbot, Mittel und Methoden der Kriegsführung einzusetzen, die gravierende Umweltschäden erwarten lassen, ist nicht derart in Gewohnheitsrecht erstarkt, dass es auch für nichtinternationale Konflikte unbedingte Geltung besitzt.38 Die ILC achtete an dieser Stelle also darauf, dass die von ihr aufgestellten Draft Principles – ganz überwiegend – nicht über das bereits bestehende humanitäre Völkerrecht hinausgehen. Damit entsprach die Kommission den Forderungen mehrerer Staaten39, die anderenfalls wahrscheinlich die Gesamtheit der in Entstehung befindlichen Draft Principles ablehnen würden. Es bleibt abzuwarten, wie die dennoch teils verbliebenen progressiven Draft Principles von den Staaten aufgenommen werden. Die überwiegende Begrenzung der in Entstehung befindlichen Draft Principles auf eine Darstellung bereits bestehenden Rechts ist angesichts der Zurückhaltung militärisch bedeutender Staaten im Ergebnis nicht nur wenig überraschend, sondern entspricht – wie bereits zuvor erwähnt – auch der Aufgabe der ILC, gemäß Art. 13 UN-Charta (lediglich) die Fortentwicklung des Rechts durch die Staaten zu fördern („[. . .] encouraging the progressive development of international law
33
Siehe oben, Teil 2, Fn. 429. Siehe oben, Teil 2, Fn. 432. 35 Siehe oben, Teil 2, Fn. 1111. 36 ILC, Protection of the Environment in Relation to Armed Conflicts text and titles of the Draft Principles provisionally adopted by the Drafting Committee on first reading, 6. Juni 2019, 71st Session, A/CN.4/L.937. 37 Siehe oben, 2. Teil, § 2, C., I., 1., d). 38 Siehe oben, 2. Teil, § 3, A., II. 39 Vgl. ILC, Second Report on Protection of the Environment in Relation to Armed Conflicts by Marja Lehto, Special Rapporteur, 27. März 2019, A/CN.4/728, Rn. 4 m.w. N. 34
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[. . .]“). Es ist Sache der Staaten, das für sie geltende Recht fortzuentwickeln. Die ILC kann dazu nur einen Anstoß geben. Stärker zu bedauern ist dagegen, dass die Kommission und insbesondere Special Rapporteur Lehto – jedenfalls bislang – nicht in der Lage waren, eine umfassende Darstellung des die Umwelt schützenden Rechts im Kontext bewaffneter Konflikte zu liefern. Gerade im Hinblick auf das während nichtinternationaler Konflikte geltende humanitäre Völkerrecht wird dieses Versäumnis sichtbar. Die Draft Principles unterscheiden in ihrer derzeitigen Fassung nicht zwischen internationalen und nichtinternationalen Konflikten.40 Dies mag einerseits auf den weiten Anwendungsbereich der Draft Principles (vor, während und nach bewaffneten Konflikten) zurückzuführen, und andererseits damit zu begründen sein, dass auch Special Rapporteur Lehto in Vergangenheit festgestellt hatte, dass sich das Recht internationaler und nichtinternationaler bewaffneter Konflikte immer weiter annähere.41 Auch sie scheint jedoch nicht davon auszugehen, dass beide Rechtsregime bereits identisch sind. Ob und in welchem Umfang jedes der bereits vorläufig formulierten Prinzipien auch in nichtinternationalen Konflikten Anwendung findet, wurde im Verlauf der Arbeit der ILC mehrmals infrage gestellt.42 Auch aus diesem Grund hatte die ILC während ihrer Sitzung 2018 betont, der nächste Bericht von Special Rapporteur Lehto solle sich speziell mit dieser Art bewaffneter Konflikte befassen und klären, inwieweit die einzelnen Draft Principles während solcher Konflikte anwendbar seien.43 Der im März 2019 veröffentlichte – und voraussichtlich letzte inhaltliche Neuerungen betreffende – Bericht erfüllte diese Forderung jedoch nicht. Nicht nur enthielt er keine Erläuterungen dazu, ob und in welchem Umfang die bereits zuvor formulierten Draft Principles auch in nichtinternationalen Konflikten anzuwenden seien. Das in diesen Konflikten anzuwendende Recht mit Umweltschutzbezug wurde insgesamt nur beispielhaft erläutert.44 Eine umfassende Darstellung des während dieser Art 40 Vgl. die derzeitige Fassung der in der ersten Lesung angenommenen Draft Principles in: ILC, Report of the International Law Commission on the Work of its 71st Session 2019, UN GAOR 74th Session, Supp. No. 10, A/74/10, S. 209 ff. 41 ILC, Report of the International Law Commission on the Work of its 70th Session 2018, UN GAOR 73rd, Supp. No. 10, A/73/10, Rn. 216. 42 Ibid., Rn. 206, 216 sowie die Erklärungen einiger Staaten, u. a.: UNGA, Sixth Committee, Summary record of the 30th meeting of the 73rd Session, 31. Oktober 2018, Agenda item 82: Report of the International Law Commission on the work of its seventieth session, A/C.6/73/SR.30, Rn. 52 (Iran), Summary record of the 29th meeting of the 73rd Session, 31. Oktober 2018, Agenda item 82: Report of the International Law Commission on the work of its seventieth session, A/C.6/73/SR.29, Rn. 73 (Weißrussland). 43 ILC, Report of the International Law Commission on the Work of its 70th Session 2018, UN GAOR 73rd, Supp. No. 10, A/73/10, Rn. 206. 44 So ausdrücklich auch Special Rapporteur Lehto: ILC, Second Report on Protection of the Environment in Relation to Armed Conflicts by Marja Lehto, Special Rapporteur, 27. März 2019, A/CN.4/728, Rn. 11.
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bewaffneter Konflikte geltenden humanitären Völkerrechts ist nicht zu finden. Diese ausschnitthafte Betrachtung ist enttäuschend, insbesondere da eine weitergehende Aufarbeitung in Form einer systematischen Darstellung speziell des Rechts nichtinternationaler Konflikte angesichts des fortgeschrittenen Stadiums der Draft Principles nicht mehr zu erwarten ist. Indem Lehto lediglich zwei Aspekte drohender Umweltschäden im Kontext nichtinternationaler Konflikte in ihrem Bericht aufgriff, die, wie sie selbst betonte, letztlich in jeder Art kriegerischer Auseinandersetzungen drohen45, vergab sie die seltene Chance, das spezifische Recht nichtinternationaler Konflikte mit Umweltbezug umfassend zu klären und darzustellen. Eine abschließende Beurteilung der durch die ILC aufgestellten Prinzipien war mit Blick auf die fortlaufende Arbeit der Kommission im Rahmen der vorliegenden Darstellung nicht mehr möglich.46 Angesichts des fortgeschrittenen Stadiums der Erarbeitung der Draft Principles in der Kommission sollten die Erwartungen in das Resultat der Arbeit allerdings nicht mehr zu hoch angesetzt werden. Jedenfalls ist mit einer Erweiterung der in der ersten Lesung angenommenen Prinzipien wohl nicht mehr zu rechnen. Abmilderungen der Formulierung einzelner Prinzipien sowie sogar die Streichung derzeit umstrittener Draft Principles als Konsequenz auf mögliche kritische Äußerungen durch die Staatengemeinschaft bleiben dagegen weiterhin möglich. Die Draft Principles zum Schutz der Umwelt im Verhältnis zu bewaffneten Konflikten werden sicherlich einen wertvollen Beitrag zur Normklärung und unter Umständen auch zu zukünftigen Normverstärkungen zugunsten der Umwelt im Kontext bewaffneter Konflikte leisten. Höchstwahrscheinlich werden sie es jedoch nicht vermögen, das Recht nichtinternationaler Konflikte mit Blick auf die Erhaltung der Umwelt umfassend zu klären oder gar bestehende Schutzlücken signifikant zu schmälern. Eine erhebliche Normverstärkung oder gar Erweiterung ist in nächster Zeit auf diesem Weg also nicht zu erwarten. Ist der direkte Weg der Schutzverstärkung durch die Erzeugung zusätzlicher vertraglicher oder gewohnheitsrechtlicher Normen des humanitären Völkerrechts versperrt, soll gleichzeitig aber das bestehende Schutzdefizit nicht hingenommen
45 Nämlich die Problemkreise illegaler Ausbeutung natürlicher Ressourcen sowie Umweltschäden im Zusammenhang mit konfliktbedingten Vertreibungen von Bevölkerungen. Ibid., Rn. 17 ff. 46 Erste Bewertungen der in der ersten Lesung angenommenen Draft Principles finden sich in mehreren Beiträgen in Dienelt/Sjöstedt (Hrsg.), Enhancing the Protection of the Environment in Relation to Armed Conflicts – the Draft Principles of the International Law Commission and Beyond, Goettingen Journal of International Law 10 (2020), S. 1 ff. sowie in dem sich bei Fertigstellung dieser Darstellung in Erscheinung befindlichen Werk von Britta Sjöstedt: Sjöstedt, The Role of Multilateral Environmental Agreements, u. a. unter IV, 4.
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werden, bedarf es alternativer Lösungsansätze. Vor allem ein Ansatz, dem partiell auch schon in der IKRK-Studie nachgegangen wurde47, mit dem sich auch ILC Rapporteur Lehto in Vergangenheit befasste48 und auf den nunmehr auch die Kommentierung der ILC zu den in erster Lesung angenommen Draft Principles verweist49, erlangte in den letzten Jahren immer mehr Unterstützer. Er zielt auf eine Erweiterung der derzeitigen Wirkung humanitären Völkerrechts nicht durch Rechtschaffung, sondern durch eine Harmonisierung mit Vorschriften anderer Regelungsbereiche.
§ 2 Strategie der Harmonisierung von Friedens- und Kriegsrecht Die durch die Zerstörung des Jiyeh-Wärmekraftwerks im Libanon hervorgerufene Verseuchung der Küste und des angrenzenden Mittelmeers mit tausenden Litern Rohöl rief international und vor allem in der UN-Generalversammlung deutliche Kritik hervor. Zuletzt Ende 2019 forderte die Generalversammlung in ihrer Resolution 74/208 Israel als Verursacher der Zerstörung auf, Verantwortung für die resultierenden Umweltschäden zu übernehmen und Kompensationszahlungen für die Beseitigung der Schäden an die Regierungen des Libanon und Syriens zu leisten.50 Die von Israel zu tätigenden Zahlungen wurden allerdings nicht mit einer Verletzung humanitären Völkerrechts oder – wie im Fall der durch den Sicherheitsrat und der Generalversammlung anerkannten Verantwortlichkeit des Irak für die im Kuwait-Konflikt verursachten Umweltschäden – mit 47
Siehe im Detail oben, 2. Teil, § 3, B., IV., 2. Vgl. insbesondere ihren Bericht von 2018: ILC, First Report on Protection of the Environment in Relation to Armed Conflicts by Marja Lehto, Special Rapporteur, 30. April 2018, A/CN.4/720, Rn. 51 ff. 49 Beispielsweise erklärt die Kommission: „The draft principles were prepared bearing in mind the intersection between the international law relating to the environment and the law of armed conflict.“ (ILC, Report of the International Law Commission on the Work of its 71st Session 2019, UN GAOR 74th Session, Supp. No. 10, A/74/10, S. 215 unter (4)). 50 UNGA, Resolution 74/208 vom 19. Dezember 2019 on the Oil slick on Lebanese shores, A/RES/74/208; zuvor schon UNGA, Resolution 73/224 vom 20. Dezember 2018, A/RES/73/224; UNGA, Resolution 72/209 vom 20. Dezember 2017, A/RES/72/ 209; UNGA, Resolution 71/218 vom 21. Dezember 2016, A/RES/71/218; UNGA, Resolution 70/194 vom 22. Dezember 2015, A/RES/70/194; UNGA, Resolution 69/212 vom 19. Dezember 2014, A/RES/69/212; UNGA, Resolution 68/206 vom 20. Dezember 2013, A/RES/68/206; UNGA, Resolution 67/201 vom 21. Dezember 2012, A/ RES/67/201; UNGA, Resolution 66/192 vom 22. Dezember 2011, A/RES/66/192; UNGA, Resolution 65/147 vom 20. Dezember 2010, A/RES/65/147; UNGA, Resolution 64/195 vom 21. Dezember 2009, A/RES/64/195; UNGA, Resolution 63/211 vom 19. Dezember 2008, A/RES/63/211; UNGA, Resolution 62/188 vom 19. Dezember 2007, A/RES/62/188; UNGA, Resolution 61/194 vom 20. Dezember 2006, A/RES/61/ 194. 48
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einer Verletzung des ius ad bellum durch Führen eines illegitimen Angriffskrieges51 gerechtfertigt. Im Fall des Jiyeh-Kraftwerks verwies die Generalversammlung ausschließlich auf Prinzipien des Friedensumweltrechts. Insbesondere führte sie das Verbot grenzüberschreitender Umweltschädigung und die resultierende Pflicht zur Kompensation bewirkter Schäden sowie das Prinzip nachhaltiger Entwicklung auf.52 Dass vor allem das Prinzip grenzüberschreitender Umweltschäden bei Vorliegen eines bewaffneten Konflikts womöglich modifiziert werden muss, wurde durch die Generalversammlung ebenso wenig angesprochen, wie die Existenz eines solchen Konflikts im Libanon.53 Die nicht bindenden und durch Israel nie anerkannten Resolutionen54 rufen in Hinblick auf den weitestgehend anerkannten lex specialis-Charakter humanitären Völkerrechts zumindest Irritation hervor, schließlich wäre es ebenso möglich gewesen, die in den Resolutionen proklamierte Verantwortlichkeit Israels für die erzeugten Umweltzerstörungen mit einer Verletzung humanitären Völkerrechts und insbesondere des Prinzips der Proportionalität bei Angriffen zu begründen.55 Die vorgefundene Wortwahl muss sicherlich als politisch motiviert verstanden werden. Dass aber überhaupt wiederholt auf die Relevanz umweltvölkerrechtlicher Prinzipien hingewiesen wird, dieser Umstand muss als Ausdruck einer geänderten Wahrnehmung vieler Staaten gegenüber schweren Umweltschäden verstanden werden. Abseits ihres politisch motivierten Hintergrunds knüpft die konkrete Wortwahl zudem aber an einen jungen Aspekt in der Diskussion über die rechtlichen Schranken zulässiger Umweltschäden während bewaffneter Konflikte an. Dieser befasst sich mit der Frage der fortgeltenden Anwendbarkeit des Friedensumweltrechts sowie dessen Vereinbarkeit und Verhältnis mit den Regeln des ius in
51 Diesen könnte man Israel auch nicht vorwerfen. Vgl. UNSC, Resolution 687 vom 3. April 1991, S/RES/687, para. 16; UNGA, Resolution 47/37 vom 9. Februar 1993 on Protection of the environment in times of armed conflict, A/RES/47/37, Rn. 55. Vgl. u. a. auch UNGA, Report of the Secretary-General on Oil slick on Lebanese shores, 11. August 2010, A/65/278; sowie zur gleichen Thematik UNGA, Report of the Secretary-General on Oil slick on Lebanese shores, 5. August 2015, A/70/291. 52 Siehe u. a. UNGA, Resolution 73/224 vom 20. Dezember 2018 on the Oil slick on Lebanese shores, A/RES/73/224; UNGA, Resolution 71/218 vom 21. Dezember 2016, A/RES/71/218 sowie UNGA, Report of the Secretary-General vom 6. August 2018 on the Oil slick on Lebanese shores, A/73/302. 53 Die USA kritisierten die 2006 geplante Resolution aus eben diesem Grund. Vgl. UNGA, Second Committee, Summary Record of 31st meeting, 22. November 2006, General Assembly 61st Session, A/C2/61/SR.31. 54 Ursprünglich wurde die im Zweiten Komitee der Generalversammlung entwickelte Resolution 61/194 von 2006 von Israel als einseitig und politisch befangen zurückgewiesen, da sie keinerlei Hinweis auf die von der Hisbollah verübten Umweltschäden in Israel enthielt. Vgl. die Ausführung des Vertreters Israels in: UNGA, a. a. O. 55 Eine weitestgehend überzeugende rechtliche Bewertung unter Berücksichtigung des lex specialis-Charakters humanitären Völkerrechts liefern u. a. Bronkhorst/Koppe, Lebanon Oil Spill Legal Assessment.
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3. Teil: Schutz der Umwelt durch humanitäres Völkerrecht
bello.56 Diese bislang nahezu ausschließlich mit Blick auf das Recht internationaler bewaffneter Konflikte geführte Fragestellung überschreitet den Rahmen der auf humanitäres Völkerrecht beschränkten Analyse, insofern sie sich allein mit der Fortgeltung einzelner friedensumweltrechtlicher Normen sowie der ausschließlich durch sie bewirkten Handlungsbeschränkungen befasst. Sie muss an anderer Stelle vertieft werden. Auch für die vorliegende Darstellung von Relevanz ist aber, ob und inwieweit die Fortgeltung friedensrechtlicher Umweltschutznormen zumindest potenziell zu einer Änderung der Regelungswirkung humanitären Völkerrechts führen könnte. Dies wäre dann der Fall, wenn friedensrechtliche Vorschriften auch während bewaffneter Konflikte fortgelten könnten (1.) und die resultierende gleichzeitige Anwendbarkeit von Umweltrecht und Kriegsrecht während bewaffneter Konflikte dazu führte, die Grenzen nach humanitärem Völkerrecht zulässiger Handlungen durch eine Modifikation dieses Rechtsregimes zu verschieben (2.). Ein solches Ergebnis wäre denkbar, wenn die nötige Harmonisierung der durch beide Systeme unterschiedlich bewirkten Schutzmaßstäbe zu einer abweichenden Interpretation des Kriegsrechts führen könnte. In diese Richtung deuten bislang nur junge Überlegungen. Sie sind getrieben von dem Streben nach einem stärkeren Schutz der Umwelt während bewaffneter Konflikte, der nicht von der unwahrscheinlichen Weiterentwicklung humanitären Vertragsrechts abhängig wäre. Ermöglicht durch die andauernde Diskussion über das Verhältnis des Kriegsrechts zu den ursprünglich für Friedenszeiten aufgestellten Menschenrechten, erreichen sie gerade die Bühne wissenschaftlicher Auseinandersetzung.57 Die durch sie intendierte Behauptung einer neuen Welle der Schutzverstärkung wird erst seit wenigen Jahren als Möglichkeit in Betracht gezogen.58 Sollte der Trend internationaler Aufmerksamkeit 56
Kürzlich: UNEA, Midterm review of the Fourth Programme for the Development and Periodic Review of Environmental Law (Montevideo Programme IV), Report of the Executive Director, 16. Dezember 2015, UNEP/EA.2/7/Add.2, Rn. 47: „In the area of environment and military activities, further support should be given to the development of international law in such matters as protecting the environment during armed conflict under international humanitarian law [. . .]. In this context, work should be launched [. . .] for the collection of existing information, with a view to updating the status of the application of environmental norms by military establishments.“ (Herv. d. d.Verf.). Speziell zum Schutz der Umwelt durch Menschenrechte in besetzten Gebieten zuletzt: Hulme, Enhancing Environmental Protection During Occupation Through Human Rights, Goettingen Journal of International Law 10 (2020), S. 203 ff. Ebenfalls an diese Problematik anknüpfend: Fleck, The Martens Clause and Environmental Protection in Relation to Armed Conflicts, Goettingen Journal of International Law 10 (2020), S. 243 ff., z. B. S. 246. 57 Vielversprechend scheint das bei Fertigstellung dieser Darstellung in Erscheinung befindliche Werk von Britta Sjöstedt: Sjöstedt, The Role of Multilateral Environmental Agreements. 58 Bothe et al., International law protecting the environment during armed conflict: gaps and opportunities, International Review of the Red Cross 92 (2010), S. 579 ff.; Stefanik, Restoring Humanity to Humanitarian Law: Borrowing from Environmental
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künftig allerdings in Richtung eines Nebeneinanders von Umweltrecht und humanitärem Völkerrecht gehen, müssen im Kontext nichtinternationaler Konflikte wenigstens die folgenden Überlegungen mitberücksichtigt werden:
A. Fortgeltung des Friedensumweltrechts während nichtinternationaler Konflikte Die Frage der Fortgeltung von Umweltvölkerrecht während bewaffneter Konflikte ist, anders als eine durch sie bewirkte Modifikation humanitären Völkerrechts selbst, seit nunmehr über zwanzig Jahren im wissenschaftlichen Diskurs präsent, schließlich hatte schon der IGH im Nuklearwaffengutachten von 1996 ausgeführt, dass völkerrechtliche Überlegungen zum Erhalt der Umwelt auch bei der Auslegung kriegsrechtlicher Prinzipien Relevanz besäßen.59 Die Relevanz umweltrechtlicher Prinzipien auch im Krieg ist dabei lediglich ein Aspekt einer grundlegenden Fragestellung: Können völkerrechtliche Verträge, die in Friedenszeiten mit Blick auf diese geschaffen wurden, auch während bewaffneter Konflikte Anwendung finden, oder führt die Existenz eines solchen Konflikts automatisch zur Termination von derartigem Vertragsrecht? Diese schon seit Anfang des letzten Jahrhunderts diskutierte Thematik60 ist heute weitgehend analysiert. Während ursprünglich davon ausgegangen worden war, dass der Ausbruch bewaffneter Auseinandersetzungen zumindest zwischen den Kriegsparteien alle völkerrechtlichen Vertragsbeziehungen beendet61, hat sich Law to Protect Civilians and the Environment, University of Western Ontario – Electronic Thesis and Dissertation Repository Paper 1400 (2013), S. 1 ff.; Kunz/Viñuales, Environmental approaches to nuclear weapons, in: Nystuen/Casey-Maslen/Bersagel (Hrsg.), Nuclear Weapons under International Law, S. 269 ff.; anklingend Dam-de Jong, International law and governance of natural resources in conflict and post-conflict situations, S. 216. 59 IGH, Legality of the Threat or Use of Nuclear Weapons, Advisory Opinion vom 8. Juli 1996, I.C.J. Reports 1996, S. 226 ff., Rn. 33. 60 Das Institut de Droit International (IDI) verfasste schon 1912 eine Resolution mit Normvorschlägen zu dieser Thematik (Institut de Droit International, Règlement concernant les effets de la guerre sur les traités, Session de Christiania, 1912, abrufbar unter: https://www.idi-iil.org/en/sessions/christiania-1912/?post_type=publication [abgerufen am 26.10.2020]). 1985 folgte eine neue Fassung (Institut de Droit International, The Effects of Armed Conflicts on Treaties, Helsinki 1985, abrufbar unter: https:// www.idi-iil.org/app/uploads/2017/06/1985_hel_03_en.pdf [abgerufen am 26.10.2020]). Auch in der Literatur wurde das Thema fortdauernd aufgeführt. Vgl. z. B. Hurst, The Effect of War on Treaties, British Yearbook of International Law 2 (1922–1923), S. 37 ff.; Rühland, Zur Theorie und Praxis des Einflusses des Kriegsbeginns auf Staatsverträge, Niemeyer’s Zeitschrift für internationales Recht 32 (1924), S. 74 ff.; McNair, Les effets de la guerre sur les traités, Recueil des cours de l’Académie internationale de la Haye 59 (1937), S. 523 ff.; McNair, War and Treaties; Ränk, Die Einwirkung des Krieges auf die nichtpolitischen Staatsverträge. 61 Die klassische Auffassung von der Termination der Verträge findet sich z. B. bei de Vattel, Le droit des gens, ou Principes de la loi naturelle/The law of nations or principles of the law of nature, Chapitre X, § 175:
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spätestens in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts die Ansicht durchgesetzt, nach der der Ausbruch eines Konfliktes nicht automatisch Einfluss auf die Geltung von Friedensverträgen habe. Vielmehr sei diese Frage im Einzelnen nach Art des Vertrags sowie der Konfliktform zu entscheiden.62 Die maßgeblichen Kriterien der Entscheidung sowie deren Anwendung im Einzelfall blieben jedoch offen. Die Wiener Vertragsrechtskonvention von 1969 war in dieser Hinsicht nicht von Hilfe. Sie erklärt in Art. 73 WVRK, dass das Übereinkommen Fragen unberührt lasse, die sich aus dem Ausbruch von Feindseligkeiten zwischen Staaten ergeben könnten. Auch die IKRK-Richtlinien von 1994 zum Schutz der Umwelt in Zeiten bewaffneter Konflikte63 gingen lediglich davon aus, dass umweltrechtliche Prinzipien und Verträge auch in Kriegszeiten anwendbar blieben, „to the extent that they are not inconsistent with the applicable law of armed conflict.“ 64 Erst 2001 wagte sich die ILC, die ein Einbeziehen der Thematik in die WVRK abgelehnt hatte65, erneut an diese Problemstellung.66 2011 verabschiedete „Les Conventions [. . .] sont rompus ou annulés par la Guerre qui s’élève entre les Contractants; soit parce qu’elles supposent tacitement l’état de paix, soit parce que chacun poucant dépouiller son enemi de ce qui lui appartient, il lui ôte les droits, qu’ils lui avait donnés parles Traités.“ 62 Vgl. Art. 2 der Resolution des Institut de Droit International von 1985: „The outbreak of an armed conflict does not ipso facto terminate or suspend the operation of treaties in force between the parties to the armed conflict.“ (Institut de Droit International, The Effects of Armed Conflicts on Treaties, Helsinki 1985, abrufbar unter: https:// www.idi-iil.org/app/uploads/2017/06/1985_hel_03_en.pdf [abgerufen am 26.10.2020]); ebenso Art. 3 ILC Draft Articles on the effects of armed conflicts on treaties: „The existence of an armed conflict does not ipso facto terminate or suspend the operation of treaties“ (ILC, Draft Articles on the effects of armed conflicts on treaties, with commentaries 2011, Report on the Work of its 63rd Session, A/66/10, Chapter VI, E). Den allmählichen Wandel der Auffassungen beschreibt u. a. Vöneky, Die Fortgeltung des Umweltvölkerrechts in internationalen bewaffneten Konflikten, S. 204 ff., 218 ff.; Vöneky, Armed Conflict, Effect on Treaties, in: Wolfrum (Hrsg.), The Max Planck Encyclopedia of Public International Law, opil.ouplaw.com/home/EPIL. 63 IKRK, Guidelines for military manuals and instructions on the protection of the environment in times of armed conflict, 19. August 1994, Annex to UN Doc. A/49/323. 64 Ibid., para. 5. 65 Vgl. Villiger, Commentary on the 1969 Vienna Convention on the Law of Treaties, Commentary on Art. 73, Rn. 4 m.w. N. Die ablehnende Haltung der ILC bezog sich grundsätzlich auf eine Kodifizierung des ius in bello. Nach dem zweiten Weltkrieg und unter Eindruck der Kodifizierung des Gewaltverbots in der UN-Charta zögerte die ILC, das Thema „Law of War“ in irgendeiner Weise zu bearbeiten, schließlich, so wurde befürchtet, könnte die Arbeit der Kommission von der Öffentlichkeit als Ausdruck mangelnden Glaubens an die Effektivität der Friedenserhaltung durch die Vereinten Nationen gewertet werden. Einige Mitglieder der Kommission stellten sich sogar grundsätzlich gegen jede Kodifizierung des Kriegsrechts: „It was suggested that, war having been outlawed, the regulation of its conduct had ceased to be relevant“ (ILC, Report of the International Law Commission on the Work of its 1st Session 1949, UN GAOR, 4th Session, Supp. No. 10, A/CN.4/13 and Corr. 1–3 S. 281, Rn. 18). 66 Nach Vorschlag der Arbeitsgruppe für das langfristige Arbeitsprogramm nahm die ILC das Thema 2000 in dieses Programm auf (ILC, Report of the International Law Commission on the Work of its 52nd Session 2000, UN GAOR, 55th Session, Supp.
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die Kommission die Draft Articles on the effect of armed conflict on treaties67, die anschließend von der UN-Generalversammlung in ihrer Resolution 66/99 zur Kenntnis genommen wurden68. Durch die Draft Articles wurden die verbliebenen Fragen der Einzelfallanwendung jedoch nicht gelöst. Aufgrund ihres allgemeinen Charakters kommt den Draft Articles lediglich Indizwirkung zu. Ob ein bestimmter Vertrag bei Ausbruch eines bestimmten bewaffneten Konflikts ausgesetzt, beendet oder widerrufen werden kann oder muss, dies klären auch die ILC Draft Articles nicht. Zwar ging auch die Kommission davon aus, dass die Ausführungen des IGH im Nuklearwaffengutachten die Anwendbarkeit umweltrechtlicher Verträge auch in Kriegszeiten grundsätzlich unterstützen69, dennoch heißt es in Draft Art. 6 lediglich: „regard shall be had to all relevant factors, including: (a) the nature of the treaty, [. . .] and (b) the characteristics of the armed conflict [. . .]“.70 Auch die Problematik der Fortgeltung einzelner Umweltverträge während bewaffneter Konflikte ist also nicht abschließend geklärt.71 No. 10, A/55/10, Rn. 726). 2004 wurde das Thema in Übereinstimmung mit dem Willen der Generalversammlung (vgl. UNGA, Resolution 55/152 vom 12. Dezember 2000 on the Report of the International Law Commission on the Work of its 52nd Session, A/ RES/55/152 sowie UNGA, Resolution 56/82 vom 12. Dezember 2001 on the Report of the International Law Commission on the Work of its 53rd Session, A/RES/56/82) in die Arbeitsagenda der ILC aufgenommen und Ian Brownlie als Special Rapporteur bestimmt (ILC, Report of the International Law Commission on the Work of its 56th Session 2004,UN GAOR 59th Session, Supp. No. 10, A/59/10, Rn. 364). 67 ILC, Draft Articles on the effects of armed conflicts on treaties, with commentaries 2011, Report on the Work of its 63rd Session, A/66/10, Chapter VI, E. 68 UNGA, Resolution 66/99 vom 9. Dezember 2011 on the effects of armed conflicts on treaties, A/RES/66/99, para. 3. 69 ILC, Draft Articles on the effects of armed conflicts on treaties, with commentaries 2011, Report on the Work of its 63rd Session, A/66/10, Chapter VI, S. 51. 70 ILC, Draft Articles on the effects of armed conflicts on treaties, with commentaries 2011, Report on the Work of its 63rd Session, A/66/10, Chapter VI, E. 6. Der vollständige Text des Draft Art. 6 lautet: „In order to ascertain whether a treaty is susceptible to termination, withdrawal or suspension in the event of an armed conflict, regard shall be had to all relevant factors, including: (a) the nature of the treaty, in particular its subject matter, its object and purpose, its content and the number of parties to the treaty; and (b) the characteristics of the armed conflict, such as its territorial extent, its scale and intensity, its duration and, in the case of non-international armed conflict, also the degree of outside involvement.“ 71 Im Detail: ILC, First Report on Protection of the Environment in Relation to Armed Conflicts by Marja Lehto, Special Rapporteur, 30. April 2018, A/CN.4/720, Rn. 78. Zuletzt argumentierte Bothe, ILC Draft Principle 3 zum Schutz der Umwelt im Kontext bewaffneter Konflikte setze die Fortgeltung des Friedensrechts während bewaffneter Konflikte voraus (Bothe, Precaution in International Environmental Law and Precautions in the Law of Armed Conflict, Goettingen Journal of International Law 10 (2020), S. 271). Dies lässt sich jedoch weder aus dem Wortlaut des Prinzips noch dessen derzeitiger Kommentierung zwingend ableiten (vgl. ILC, Report of the Internatio-
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Eine Vielzahl wissenschaftlicher Abhandlungen befasst sich mittlerweile mit unterschiedlichen Ansätzen zur Lösung der Anwendbarkeitsfrage speziell für umweltvölkerrechtliche Verträge.72 Auch diese Abhandlungen beschäftigten sich bislang nahezu ausschließlich mit dem Szenario internationaler bewaffneter Konflikte. Der Großteil aktueller Gefährdungslagen durch nichtinternationale Konflikte blieb erneut weitgehend außer Acht. Dies ist jedoch nachvollziehbar. Während die Fokussierung der rechtswissenschaftlichen Analyse humanitären Völkerrechts auf internationale Konflikte kaum zu rechtfertigen ist, führen die unterschiedlichen Konflikttypen für die Frage der kontinuierlichen Anwendbarkeit völkerrechtlicher Verträge tatsächlich zu qualitativ unterschiedlichen Bewertungsszenarien. Die traditionelle Ansicht, nach der internationale Verträge zwischen Kriegsparteien bei Konfliktbeginn beendet oder zumindest suspendiert seien73, passte nie auf die Situation klassischer nichtinternationaler Konflikte, in nal Law Commission on the Work of its 71st Session 2019, UN GAOR 74th Session, Supp. No. 10, A/74/10, S. 216 f.). 72 Vöneky wählte 2001 einen Klassifizierungsansatz, nach dem solche Verträge, die ius cogens oder erga omnes Regelungen enthalten ebenso anwendbar blieben, wie Verträge, die eine Anwendbarkeit explizit vorsehen oder mit bewaffneten Konflikten insgesamt vereinbar seien (Vöneky, Die Fortgeltung des Umweltvölkerrechts in internationalen bewaffneten Konflikten, zusammenfassend auf S. 534 ff.). Verschiedene Klassifizierungstheorien findet sich auch schon bei Prescott, How war affects treaties between belligerents: a case study of the Gulf War, Emory International Law Review 7 (1993), S. 201, 204. Boelaert-Suominen (International Environmental Law and Naval War, S. 125 ff.) ergänzt die Klassifizierungstheorie in Fällen, in denen durch sie keine eindeutige Antwort auf die Anwendbarkeitsfrage gegeben werden kann, um die Intentionstheorie, die nach der Absicht der Staaten bei Vertragsschluss fragt. Schmitt geht einen anderen Weg und fragt im Sinne einer „theory of differentiation“ nach der Vereinbarkeit kontinuierender Anwendbarkeit mit dem Kontext des spezifischen Konflikts sowie der Natur der multilateralen Vereinbarung (Schmitt, Green war: an assessment of the environmental law of international armed conflict, The Yale Journal of International Law 22 (1997), S. 55 ff.). Auch Sharp favorisiert eine Einzelfalllösung, die grundsätzlich von der Anwendbarkeit bilateraler und multilateraler Verträge für die Parteien internationaler Konflikte ausgeht und fragt, ob ein bewaffneter Konflikt im Einzelfall eine grundlegende Änderung der Umstände i. S. d. Art. 62 WVRK darstellen könnte (Sharp, The effective deterrence of environmental damage during armed conflict: a case analysis of the Persian Gulf War, Military Law Review 137 (1992), S. 25 ff.). Die beispielhafte Nennung der Autoren orientiert sich zum Teil an Bothe et al., International law protecting the environment during armed conflict: gaps and opportunities, International Review of the Red Cross 92 (2010), S. 587 f. Vgl. auch Loets, An Old Debate Revisited: Applicability of Environmental Treaties in Times of International Armed Conflict Pursuant to the International Law Commission’s ,Draft Articles on the Effects of Armed Conflict on Treaties‘, Review of European Community & International Environmental Law 21 (2012), S. 131 ff. m.w. N. 73 Vöneky, Peacetime environmental law as a basis of state responsibility for environmental damage caused by war, in: Austin/Bruch (Hrsg.), The environmental consequences of war, S. 197; Bunker, Protection of the Environment During Armed Conflict: One Gulf, Two Wars, Review of European Community & International Environmental Law 13 (2004), S. 203; Prescott, How war affects treaties between belligerents: a case study of the Gulf War, Emory International Law Review 7 (1993), S. 201.
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denen keine Identität der Konfliktparteien und der Parteien eines völkerrechtlichen Vertrags besteht. Die Frage, ob ein rein innerstaatlicher Sachverhalt wie das Vorhandensein eines nichtinternationalen bewaffneten Konflikts auf dem Gebiet eines Staates die Anwendbarkeit des völkerrechtlichen Vertrags beeinflusst, ist qualitativ eine andere als die, die sich im Fall einer kriegerischen Auseinandersetzung zwischen den Vertragsparteien des Abkommens stellen würde. Sie kann für traditionell nichtinternationale Konflikte mit weniger Begründungsaufwand im Grundsatz verneint werden. Das vertragliche Verhältnis zweier oder mehrerer Staaten ändert sich nicht dadurch, dass eine Vertragspartei in einen nichtinternationalen bewaffneten Konflikt verwickelt ist.74 Da nichtstaatliche Akteure friedensumweltrechtliche Verträge nicht ratifizieren können, anders als im Fall humanitären Völkerrechts durch sie auch nicht unmittelbar gebunden werden, treffen in dieser Konfliktform keine Vertragsmitglieder internationaler Umweltverträge als Gegner aufeinander. Das Problem der grundsätzlichen Fortgeltung zwischen den Konflikttreibenden stellt sich also nicht.75 Die friedensrechtlichen Verträge gelten folglich zunächst fort.76 Dies bestätigte unter anderem auch der ehemalige UN-Generalsekretär Boutros-Ghali in seinem auf Grundlage der Arbeit des IKRK von 1993 entstandenen Bericht an die Generalversammlung.77 74 Zuletzt auch Bothe, Precaution in International Environmental Law and Precautions in the Law of Armed Conflict, Goettingen Journal of International Law 10 (2020), S. 270. 75 Grundsätzlich stellen sich bei der Frage der Fortgeltung friedensrechtlicher Verträge zwei Konstellationen: Die Fortgeltung zwischen den Parteien eines Konflikts sowie die Fortgeltung zwischen einem am Konflikt beteiligten Staat und anderen, nicht beteiligten Staaten (vgl. Draft Art. 3 der ILC, Draft Articles on the effects of armed conflicts on treaties, with commentaries 2011, Report on the Work of its 63rd Session, A/66/10, Chapter VI, E). Während sich die erste Konstellation in nichtinternationalen Konflikten nicht stellt, ist die zweite Variante durchaus relevant. Zu dieser stellte die ILC fest, dass das Vorliegen eines nichtinternationalen Konflikts die Fortgeltung friedenrechtlicher Verträge im Verhältnis zu anderen Staaten grundsätzlich nicht berühre. Relevant sei im Einzelfall aber auch das Ausmaß, in dem Drittstaaten an dem innerstaatlichen Konflikt beteiligt seien. Je stärker ein Drittstaat an einem nichtinternationalen Konflikt beteiligt sei, desto stärker sei auch die Wahrscheinlichkeit, dass die Fortgeltung eines Vertrags zwischen dem Drittstaat und dem als Partei des internen Konflikts agierenden Staats beeinflusst ist (Kommentierung zu Draft Article 6, a. a. O., Rn. 4). 76 Ebenso: Dam-de Jong, International law and governance of natural resources in conflict and post-conflict situations, S. 167; Sjöstedt, The Role of Multilateral Environmental Agreements in Armed Conflict: ,Green-keeping‘ in Virunga Park. Applying the UNESCO World Heritage Convention in the Armed Conflict of the Democratic Republic of Congo, Nordic Journal of International Law 82 (2013), S. 136; Bothe et al., International law protecting the environment during armed conflict: gaps and opportunities, International Review of the Red Cross 92 (2010), S. 580. 77 „[O]ther legal provisions regarding the environment, for example, rules of general or bilateral international treaties, remain applicable in principle to a State in which there is an internal conflict“, UNGA, Report of the Secretary General on the protection of the environment in times of armed conflict, 29. Juli 1993, A/48/269, S. 9, Rn. 44.
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Eine Pauschalisierung verbietet sich dennoch. Eine einheitliche Bewertung nichtinternationaler Konflikte ist im 21ten Jahrhundert kaum mehr möglich. Dies erkannte auch die ILC bei der Entwicklung ihrer Draft Articles on the effect of armed conflict on treaties78, deren Besonderheit in ihrer übergreifenden Relevanz für beide Typen bewaffneter Konflikte liegt:79„Contemporary developments have blurred the distinction between international and non-international armed conflicts.“ 80 Viele Bürgerkriege enthielten heute externe Elemente, die sich in der Unterstützung durch Drittstaaten, in Waffenlieferungen, in der Zurverfügungstellung von Ausbildungsstätten oder finanziellen Zuschüssen verschiedener Intensität zeigten. Nichtinternationale Konflikte, so die ILC, könnten die Umsetzung und Einhaltung eines Vertrags daher in gleichem Maß beeinflussen, wie ihr internationales Pendant.81 Ist das Ausgehen von der Fortgeltung friedensrechtlicher Verträge bei diesen neuen nichtinternationalen Konflikten also fehlerhaft? Zwar gibt die ILC mit diesem Eingeständnis gewandelter Konflikte die zuvor angenommene Sicherheit der Fortgeltung der Verträge in nichtinternationalen Konflikten auf, gleichzeitig stellt die Kommission jedoch klar, dass im Grundsatz weiterhin die Fortgeltung anzunehmen sei: „The typical non-international armed conflict should not, in principle, call into question the treaty relations between States.“ 82 Während klassischer innerstaatlicher Konflikte ist also weiterhin von der ununterbrochenen Geltung völkerrechtlicher Verträge auszugehen. Die in den Draft Articles aufgenommenen Argumentationslinien zur Begründung der Fortgeltung, Suspendierung oder Termination einzelner Verträge kommen also nur zur Anwendung, wenn eine externe Beteiligung die klassische Gestalt nichtinternationaler Konflikte auflöst.83 In diesen Szenarien bietet sich sodann, je nach
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ILC, Draft Articles on the effects of armed conflicts on treaties, with commentaries 2011, Report on the Work of its 63rd Session, A/66/10, Chapter VI, E. 79 Siehe Draft Article 2 (b) ILC, a. a. O. Zwar sind im Grundsatz beide Typen bewaffneter Konflikte erfasst, nicht jeder nichtinternationale Konflikt fällt jedoch in den Anwendungsbereich. Nur solche nichtinternationalen Konflikte, in denen zumindest ein Staat als Partei involviert ist, unterliegen den Draft Articles. Bewaffnete Konflikte zwischen nichtstaatlichen Gruppen, an denen kein Staat beteiligt ist, werden nicht erfasst. Vgl. dagegen den Wortlaut des Art. 1 der IDI Resolution von 1985 (Institut de Droit International, The Effects of Armed Conflicts on Treaties, Helsinki 1985, abrufbar unter: https://www.idi-iil.org/app/uploads/2017/06/1985_hel_03_en.pdf [abgerufen am 26.10.2020]. 80 Commentary to Art. 2, ILC, Draft Articles on the effects of armed conflicts on treaties, with commentaries 2011, Report on the Work of its 63rd Session, A/66/10, Chapter VI, E, Rn. 8. 81 Ibid. 82 Vgl. Commentary to Art. 1, Rn. 2, ILC, a. a. O. 83 Vgl. Draft Art. 6: „In order to ascertain whether a treaty is susceptible to termination, withdrawal or suspension in the event of an armed conflict, regard shall be had to all relevant factors, including:
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Vergleichbarkeit im Einzelfall, die Übernahme der für internationale bewaffnete Konflikte aufgestellten Regelungen der Anwendbarkeit an, wobei zugunsten der Stabilität des Rechts im Grundsatz die Fortgeltung zu bejahen ist. Sollten die fraglichen Verträge selbst keine Entscheidung über ihre Fortdauer, Suspendierung oder modifizierte Anwendung enthalten, sehen die Draft Articles der ILC die Anwendbarkeit der völkerrechtlichen Auslegungsregeln, wie sie auch in der WVRK enthalten sind, vor.84 Das bloße Vorhandensein eines Konflikts führe nicht ipso facto zu einer Veränderung der Vertragsgeltung.85 Ob ein Vertrag in einem durch externe Auswirkungen oder externe Einflussnahme geprägten nichtinternationalen bewaffneten Konflikt suspendiert oder modifiziert ist, kann, wie im Fall internationaler Konflikte, nur für den Einzelfall eines spezifischen Konflikts und Vertrags entschieden werden. Der relevante ILC Draft Art. 6 lässt weiterhin Raum für bis dato entwickelte Theorien der Fortgeltung.
B. Verhältnis zu den Regeln humanitären Völkerrechts „[T]he issue is not whether treaties relating to the protection of the environment are or not applicable during an armed conflict, but rather whether the obligations stemming from these treaties were intended to be obligations of total restraint during military conflict.“ 86
Die Fortgeltung friedensumweltrechtlicher Verträge auch während nichtinternationaler Konflikte ist also wenigstens als Grundsatz gesichert. In ihrer Folge ist sie jedoch mit ungelösten Problemen verbunden. Bewaffnete Konflikte stellen unabhängig von ihrer Klassifizierung die grundlegendsten Funktionen eines Staates auf die Probe. Kann in einer solchen Situation, in der je nach Intensität, Dauer und Austragungsort des Konflikts der Staat in seinem Fundament gefährdet sein kann, die Einhaltung internationaler Verpflichtungen im gleichen Maß wie in Friedenszeiten verlangt werden? Das gewohnheitsrechtliche Prinzip der clausula rebus sic stantibus (Bestimmung gleichbleibender Umstände, vgl. Art. 62 WVRK), das unter bestimmten Voraussetzungen bei grundlegender Än[. . .] (b) the characteristics of the armed conflict, such as its territorial extent, its scale and intensity, its duration and, in the case of non-international armed conflict, also the degree of outside involvement.“ ILC, a. a. O. (Herv. d. d.Verf.). 84 Draft Art. 5. Dieser nennt die WVRK zwar nicht ausdrücklich, die ihm beigefügte Kommentierung verweist allerdings auf die Konvention. Die ILC verzichtet in ihren Artikelentwürfen grundsätzlich auf Querverweise zu anderen Rechtsinstrumenten. ILC, a. a. O., Commentary to Article 5, Rn. 2. 85 Draft Art. 3. 86 IGH, Legality of the Threat or Use of Nuclear Weapons, Advisory Opinion vom 8. Juli 1996, I.C.J. Reports 1996, S. 226 ff., S. 242, Rn. 30. Das Gericht verneint dies mit Verweis auf das anerkannte Recht auf Selbstverteidigung aller Staaten. Die natürliche Umwelt sei allerdings im Rahmen der Grundprinzipien des ius in bello, ausdrücklich der Prinzipien der Notwendigkeit und der Proportionalität, zu beachten.
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derung der Umstände ein Abweichen von Verpflichtungen erlaubt87, könnte das rechtliche Verhältnis des betroffenen Staates zu anderen Konflikt- oder Drittstaaten verändern.88 Gleiches gilt für Notstände, Notlagen oder force majeure als Rechtfertigung andernfalls rechtswidrigen staatlichen Handelns.89 Ist trotz diesen Möglichkeiten von der fortdauernden Anwendbarkeit friedensumweltrechtlicher Normen auszugehen, stellt sich die mit dem allgemeinen Problem der Fragmentierung des Völkerrechts verbundene Frage, in welchem Verhältnis das Umweltvertragsrecht zu dem klassisch als lex specialis deklarierten humanitären Völkerrecht steht. I. Harmonisierung durch Auslegung nach dem Vorbild der Menschenrechte Als einzig verfügbares Vorbild für die Bestimmung des Verhältnisses zwischen humanitärem Völkerrecht und fortgeltendem Umweltvölkerrecht bietet sich momentan dasjenige zwischen humanitärem Völkerrecht und den menschenrechtlichen Verträgen bzw. Gewohnheitsrecht an, das Hauptaugenmerk derzeitiger Diskussion über eine Aufweichung des lex specialis-Charakters des ius in bello ist. Das Verhältnis von Menschenrechten und Kriegsrecht wird heute unter anderem durch IGH90 und ICTY91 als Komplementärverhältnis verstanden, in dem 87 Einführend sowie zur Frage des Status als Gewohnheitsrecht: Heintschel von Heinegg, Treaties, Fundamental Change of Circumstances, in: Wolfrum (Hrsg.), The Max Planck Encyclopedia of Public International Law, opil.ouplaw.com/home/EPIL. 88 Bothe et al., International law protecting the environment during armed conflict: gaps and opportunities, International Review of the Red Cross 92 (2010), S. 580. 89 Vgl. ILC Draft Art. 23 bis 25 on State Responsibility (ILC, Draft Articles on responsibility of states for internationally wrongful acts, with commentaries, 2001, Report on the Work of its 53rd Session, A/56/10, S. 31 ff.). Lediglich für die Aussetzung menschenrechtlicher Verträge sind laut IGH strengere Maßstäbe anzusetzen. So seien Menschenrechtskonventionen, insbesondere der IPbpR sowie der IPwskR, in ihrer Geltung während bewaffneter Konflikte nur insoweit ausgesetzt, als sich der jeweilige Staat hinsichtlich des infrage stehenden Menschenrechts auf die im Vertrag enthaltenen Derogationsmöglichkeiten berufen könne. So IGH, Legal Consequences of the Construction of a Wall in the Occupied Palestinian Territory, Advisory Opinion vom 9. Juli 2004, I.C.J. Reports 2004, S. 136 ff., Rn. 136 f. Eine solche Derogationsmöglichkeit besteht mit Art. 4 IPbpR sowie beispielsweise auch mit Art. 15 der Europäischen Menschenrechtskonvention (European Convention for the Protection of Human Rights and Fundamental Freedoms vom 4. November 1950, 213 UNTS 222; EMRK). 90 Grundlegend: IGH, Legal Consequences of the Construction of a Wall in the Occupied Palestinian Territory, Advisory Opinion vom 9. Juli 2004, I.C.J. Reports 2004, S. 136 ff., Rn. 106. Zuvor schon IGH, Legality of the Threat or Use of Nuclear Weapons, Advisory Opinion vom 8. Juli 1996, I.C.J. Reports 1996, S. 226 ff., Rn. 24; nachfolgend: IGH, Case Concerning Armed Activities on the Territory of the Congo, Urteil vom 19. Dezember 2005, I.C.J. Reports 2005, S. 168 ff., Rn. 168 f. Für einen Überblick m.w. N. Gowlland-Debbas/Gaggioli, The relationship between human rights and humanitarian law: an overview, in: Kolb/Gaggioli (Hrsg.), Research Handbook on Human Rights and Humanitarian Law, S. 79 ff. 91 ICTY, Prosecutor v. Dragoljub Kunarac, Radomir Kovac and Zoran Vukovic, Urteil der Verfahrenskammer vom 22. Februar 2001, Case No. IT-96-23-T, Rn. 467.
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das humanitäre Völkerrecht seinen Status als spezielleres Rechtsregime nicht verliert, sondern in nicht geregelten Aspekten durch Menschenrechte Ergänzung findet.92 Auf Grundlage dieser Annahme bestehen mehrere Möglichkeiten der konkreten Harmonisierung, die auch für die Frage der Harmonisierung von Umweltrecht und Kriegsrecht attraktiv sind. So kann einerseits angenommen werden, dass je nach konkreter Situation innerhalb eines Konflikts entweder eine spezielle Norm humanitären Völkerrechts oder der Menschenrechte anzuwenden wäre. Konfliktbedingte Tötungen oder Inhaftierungen wären in dieser Alternative also allein anhand humanitären Völkerrechts zu bewerten. Nicht durch Kriegsrecht reglementierte Szenarien, wie beispielsweise die Religionsausübung von Bevölkerungen in besetzten Gebieten93, würden dagegen durch Menschenrechte abgedeckt. Lediglich in Fällen, in denen zwei spezifische Vorschriften beider Rechtsgebiete sachlich, zeitlich, persönlich und örtlich anwendbar wären, bestünde ein Normkonflikt94, der nach dem Grundsatz der spezielleren Norm zu lösen wäre.
92 Siehe beispielsweise Orakhelashvili, The Interaction between Human Rights and Humanitarian Law: Fragmentation, Conflict, Parallelism, or Convergence? European Journal of International Law 19 (2008), S. 161 ff.; Gowlland-Debbas/Gaggioli, The relationship between human rights and humanitarian law: an overview, in: Kolb/Gaggioli (Hrsg.), Research Handbook on Human Rights and Humanitarian Law, S. 77 ff.; Heintze, Theorien zum Verhältnis von Menschenrechten und humanitärem Völkerrecht, Humanitäres Völkerrecht – Informationsschriften 24 (2011), S. 1 ff.; Heintze, On the relationship between human rights law protection and international humanitarian law, International Review of the Red Cross 86 (2004), S. 789 ff.; Milanovic, The Lost Origins of Lex Specialis: Rethinking the Relationship between Human Rights and International Humanitarian Law, in: Ohlin (Hrsg.), Theoretical Boundaries of Armed Conflict and Human Rights, S. 78 ff.; Kolb, Human Rights and Humanitarian Law, in: Wolfrum (Hrsg.), The Max Planck Encyclopedia of Public International Law, opil.ouplaw.com/ home/EPIL, Rn. 32 ff.; Hill-Cawthorne, Just another case of treaty interpretation? Reconciling humanitarian law and human rights law in the ICJ, in: Andenas/Bjorge (Hrsg.), A Farewell to Fragmentation, S. 218 ff.; Gill, Some Thoughts on the Relationship Between International Humanitarian Law and International Human Rights Law: A Plea for Mutual Respect and a Common-Sense Approach, Yearbook of International Humanitarian Law 16 (2015), S. 251 ff.; Byron, A Blurring of the Boundaries: The Application of International Humanitarian Law by Human Rights Bodies, Virginia Journal of International Law 47 (2007), S. 839 ff.; Schmalz, Normative demarcations of the right to life in a globalized world, Kritische Vierteljahresschrift für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft 99 (2016), S. 234 ff.; Salomon, Zum Verhältnis von Menschenrechten und Humanitärem Völkerrecht: Normative und methodische Grundlagen, Humanitäres Völkerrecht – Informationsschriften 28 (2015), S. 155 f. und viele weitere. 93 Beispiel bei Milanovic, The Lost Origins of Lex Specialis: Rethinking the Relationship between Human Rights and International Humanitarian Law, in: Ohlin (Hrsg.), Theoretical Boundaries of Armed Conflict and Human Rights, S. 106. 94 So für das Verhältnis der Menschenrechte und des humanitären Völkerrechts in besetzten Gebieten ILC, First Report on Protection of the Environment in Relation to Armed Conflicts by Marja Lehto, Special Rapporteur, 30. April 2018, A/CN.4/720, Rn. 57.
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In der zweiten Umsetzungsvariante des Komplementärverhältnisses wäre diese Alternativanwendung dagegen aufgehoben. Vielmehr käme es zu einer Modifizierung des humanitären Völkerrechts selbst. Aufgrund ihrer ähnlichen Werte, Ziele und Terminologie könnten, so ausdrücklich der ICTY im Kunarac-Verfahren, Menschenrechte nämlich zudem als Auslegungshilfe für Vorgaben humanitären Völkerrechts herangezogen werden.95 In dieser Alternative bestimmt der Grundsatz des lex specialis ausschließlich die im konkreten Fall primär heranzuziehende Regelungsvorschrift. Diese Primärregelung würde sodann aber durch die gleichzeitig anwendbaren Alternativvorschriften informiert und in ihrer Auslegung beeinflusst.96 Humanitäres Völkerrecht wäre also noch immer primär maßgeblich für die Bestimmung zulässiger Konflikthandlungen. Die jeweils einschlägigen Normen wären jedoch am Maßstab gleichzeitig fortgeltender Menschenrechte zu interpretieren. Dies könnte im Ergebnis dazu führen, dass dem jeweiligen Konfliktakteur strengere Handlungsschranken oder stärkere Verpflichtungen auferlegt wären, als es humanitäres Völkerrecht in isolierter Betrachtung vorgeschrieben hätte.97 Ein konkretes Beispiel für eine derartige Harmonisierung zwischen den Vorschriften des humanitären Völkerrechts und der Menschenrechte zum Schutz der Umwelt in besetzten Gebieten gibt Special Rapporteur Lehto in ihrem Bericht von 2018: So könne die Reichweite des humanitärrechtlichen Verbots, die Lebensgrundlage der Bevölkerung in besetzten Gebieten zu zerstören (Art. 54 (2) ZP I) durch das menschenrechtliche Verbot des IPwskR, einem Volk seine Existenzgrundlage zu rauben (Art. 1 (2) IPwskR) ergänzt und verstärkt werden.98 Der Begriff lebensnotwendiger Gegenstände in Art. 54 (2) ZP I erfasse dabei die für das kurzfristige Überleben notwendigen Güter, wäh-
95 ICTY, Prosecutor v. Dragoljub Kunarac, Radomir Kovac and Zoran Vukovic, Urteil der Verfahrenskammer vom 22. Februar 2001, Case No. IT-96-23-T, Rn. 467: „Because of their resemblance, in terms of goals, values and terminology, such recourse is generally a welcome and needed assistance to determine the content of customary international law in the field of humanitarian law. With regard to certain of its aspects, international humanitarian law can be said to have fused with human rights law.“ 96 Ibid. Befürwortend auch Kunz/Viñuales, Environmental approaches to nuclear weapons, in: Nystuen/Casey-Maslen/Bersagel (Hrsg.), Nuclear Weapons under International Law, S. 280. 97 Milanovic, The Lost Origins of Lex Specialis: Rethinking the Relationship between Human Rights and International Humanitarian Law, in: Ohlin (Hrsg.), Theoretical Boundaries of Armed Conflict and Human Rights, S. 108. Ausführlich für die Situation der Besetzung: ILC, First Report on Protection of the Environment in Relation to Armed Conflicts by Marja Lehto, Special Rapporteur, 30. April 2018, A/CN.4/720, Rn. 51 ff. 98 Zum Schutz der Umwelt durch „Environmental Human Rights“ in besetzten Gebieten, siehe beispielsweise Hulme, Enhancing Environmental Protection During Occupation Through Human Rights, Goettingen Journal of International Law 10 (2020), S. 203 ff.
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rend die Existenzgrundlage die auf lange Sicht nötigen natürlichen Ressourcen erfasse.99 Beide Schädigungsverbote wären also gleichzeitig anwendbar. Doch das Beispiel von Special Rapporteur Lehto lässt sich nicht verallgemeinern. Die Besetzung eines Gebiets nimmt im Kontext bewaffneter Konflikte eine Sonderstellung ein. Durch die Notwendigkeit der Administration des besetzten Gebietes werden der Besatzungsmacht Aufgaben zugeteilt, die grundsätzlich auch einem Staat in Friedenszeiten auferlegt sind. Die Verwaltung des Gebiets muss unter Umständen auf lange Sicht anvisiert werden. Im Einzelfall kann die jeweilige Situation vor Ort eher einer post-Konflikt-Phase als einem bewaffneten Konflikt ähneln.100 Solche Szenarien rechtfertigen zweifellos die Anwendbarkeit von Art. 1 (2) IPwskR, die im Kontext nichtinternationaler Konflikte und gerade für nichtstaatliche Akteure weit fraglicher ist. Darüber hinaus ist bislang unklar, wie diese Strategie paralleler Normanwendung auf andere konkrete Handlungsverbote humanitären Völkerrechts zu übertragen wäre. Humanitäres Völkerrecht würde in dieser Konstellation streng genommen auch nicht im Sinne einer Harmonisierung modifiziert. Vielmehr regeln auch in dem durch Special Rapporteur Lehto angebrachten Beispiel lediglich zwei unterschiedliche Normen zwei unterschiedliche Schutzgüter (langfristig und kurzfristig notwendige natürliche Ressourcen). Letztlich wäre also keine Stärkung humanitären Völkerrechts, sondern eine Anerkennung der Anwendbarkeit weiterer Normregime bewirkt. Wie eine Harmonisierung und Weiterentwicklung durch tatsächliche Norminterpretation am Maßstab eines anderen gleichzeitig anwendbaren Rechtssatzes in der Praxis umzusetzen wäre, bleibt unklar.101 Beide Harmonisierungsansätze sind jedoch in ihren Grundgedanken auch für den Schutz der Umwelt während bewaffneter Konflikte attraktiv. 99 ILC, First Report on Protection of the Environment in Relation to Armed Conflicts by Marja Lehto, Special Rapporteur, 30. April 2018, A/CN.4/720, Rn. 59. 100 Ibid., Rn. 102. 101 Zum Stand der Diskussion m.w. N. Kolb, Human Rights and Humanitarian Law, in: Wolfrum (Hrsg.), The Max Planck Encyclopedia of Public International Law, opil.ouplaw.com/home/EPIL, Rn. 32 ff. sowie die Nachweise in Teil 3, Fn. 92; Milanovic, The Lost Origins of Lex Specialis: Rethinking the Relationship between Human Rights and International Humanitarian Law, in: Ohlin (Hrsg.), Theoretical Boundaries of Armed Conflict and Human Rights. Die Auseinandersetzung mit diesem Verhältnis füllt mittlerweile eine Vielzahl von Veröffentlichungen: Beispielsweise Arnold/Quénivet (Hrsg.), International humanitarian law and human rights law: Towards a new merger in international law; Ben-Naftali (Hrsg.), International humanitarian law and international human rights; Kolb/Gaggioli (Hrsg.), Research Handbook on Human Rights and Humanitarian Law; Oberleitner, Human Rights in Armed Conflict; Ohlin (Hrsg.), Theoretical Boundaries of Armed Conflict and Human Rights; Provost, International Human Rights and Humanitarian Law; Römer, Killing in a Gray Area between Humanitarian Law and Human Rights und eben zuletzt auch ILC, First Report on Protection of the Environment in Relation to Armed Conflicts by Marja Lehto, Special Rapporteur, 30. April 2018, A/CN.4/720, Rn. 51 ff. und 71 ff. zur konkreten Umsetzung für den Fall besetzter Gebiete.
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3. Teil: Schutz der Umwelt durch humanitäres Völkerrecht
Wird, wie soeben dargestellt102, von der grundsätzlichen Fortgeltung einer Vielzahl völkerrechtlicher Verträge auch während (nichtinternationaler) bewaffneter Konflikte ausgegangen, stellt sich die Frage des Verhältnisses der gleichzeitig anwendbaren Völkerrechtsnormen nicht nur hinsichtlich der Menschenrechte. Es liegt nahe, die durch IGH und ICTY unterstützte Rechtsfigur des Komplementärverhältnisses auch auf andere Konstellationen zu übertragen und das Verhältnis zwischen Umweltvölkerrecht und humanitärem Völkerrecht ähnlich zu beurteilen.103 In diesem Fall käme sowohl eine fortwirkende Anwendung umweltrechtlicher Vorgaben in Zeiten nichtinternationaler Konflikte wie auch – prinzipiell – eine Modifikation humanitären Völkerrechts durch fortwirkendes Umweltrecht in Betracht. Aufgrund der Beschränkung der vorliegenden Analyse auf eine Darstellung des durch humanitäres Völkerrecht vermittelten Umweltschutzes soll an dieser Stelle ausschließlich auf den zweiten genannten Aspekt, nämlich die mögliche Einwirkung des Umweltrechts auf die Interpretation humanitären Völkerrechts eingegangen werden.104 Inwieweit umweltrechtlichen Vorschriften eine Interpretationsfunktion zukommen kann, die eine Modifikation der Regelungsfolgen humanitären Völkerrechts herbeiführen könnte, ist jedoch fraglich. Im Kontext nichtinternationaler Konflikte drängen sich gleich mehrere Fragestellungen auf: II. Identifikation nutzbarer Regelungen des Umweltrechts Die Heranziehung umweltrechtlicher Normen als Auslegungsmaßstab für humanitärrechtliche Handlungsverbote setzt zunächst die Identifikation potenziell nutzbarer Vorschriften voraus, die in vergleichbarer Weise, wie es für den Fall elementarer Menschenrechte durch den ICTY proklamiert wird105, die Auslegung humanitären Völkerrechts beeinflussten könnten. Selbst wenn eine Harmonisierung durch Auslegung des Kriegsrechts am Maßstab parallel anwendbarer Schutzvorschriften im Grundsatz möglich wäre und in ihrem Ergebnis die Interpretation konkreter humanitärrechtlicher Vorschriften beeinflussen könnte – was auch bei Heranziehung der Menschenrechte als Auslegungsmaßstab bislang noch nicht endgültig geklärt ist – so ist nicht gesichert, dass derzeitiges Umweltvölkerrecht diese Rolle einnehmen kann. Nicht nur unterscheiden sich Menschenrechte und Regelungen des Umweltvölkerrechts in der ihnen allgemein beigemessenen Bedeutung. Bei einem Vergleich 102
3. Teil, § 2, A. So auch ILC, First Report on Protection of the Environment in Relation to Armed Conflicts by Marja Lehto, Special Rapporteur, 30. April 2018, A/CN.4/720, Rn. 77. 104 Einen anderen Ansatz verfolgt Sjöstedt, die ihre in Erscheinung befindliche Abhandlung der Wirkung von multilateralen Umweltverträgen zum Schutz der Umwelt während bewaffneter Konflikte gewidmet hat: Sjöstedt, The Role of Multilateral Environmental Agreements (im Erscheinen). 105 Vgl. Teil 3, Fn. 95. 103
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umweltvölkerrechtlicher Normen mit den in den großen Menschenrechtspakten niedergelegten Schutzvorschriften ergeben sich weitere Herausforderungen: In seiner Gesamtheit ist das Umweltvölkerrecht mit den Menschenrechten noch nicht zu vergleichen. Zweifellos ist es aus seiner Herausbildungsphase noch nicht derart erwachsen, wie es die Menschenrechte heute sind. Anders als der völkerrechtliche Menschenrechtsschutz verfügt Umweltvölkerrecht noch nicht über einen Kern nahezu universal anerkannter und zahlenmäßig umgrenzter Verbotsvorschriften, deren Handlungs- beziehungsweise Unterlassungsaufträge in ähnlicher Weise bestimmt wären und die global zumindest theoretisch auf jedes staatliche Subordinationsverhältnis anwendbar wären. Zwar weisen einige umweltvölkerrechtliche Verträge heute beträchtliche Ratifikationszahlen auf106, sie sind jedoch meist einzelnen Spezialaspekten der Umwelterhaltung, beispielsweise dem Schutz bestimmter Gebiete oder der Erhaltung einzelner Arten, gewidmet und in ihrem Anwendungsbereich deutlich spezifizierend. Unbedingte und situationsunabhängige Achtungsvorschriften, ähnlich z. B. der Religionsfreiheit und des korrespondierenden Verbots für den Staat, die freie Religionsausübung seiner Bevölkerung zu missachten, sind im Umweltvölkerrecht nicht mit vergleichbarer Klarheit zu finden. Selbst die als Kernprinzipien dieses Rechtsgebiets zu bezeichnenden Umweltschutzvorschriften, sind, noch unabhängig von der Frage, ob sie strenge Rechtsnormen, weitreichendere Rechtsprinzipien oder bloße „soft-law“-Regelungen darstellen, hinsichtlich der durch sie auferlegten Handlungsverbote und -pflichten überwiegend unbestimmt.107 Allein das weitgehend konkretisierte Verbot der Herbeiführung grenzüberschreitender Umweltschäden108 ist klar genug, um auch im Kontext bewaffneter Konflikte ein Handlungsverbot darzustellen.109 Allerdings untersagt es allein die Herbeiführung von Umweltschäden auf dem Hoheitsgebiet anderer Staaten.110 Im Kontext nichtinternationaler Konflikte kann dem Verbot selbst für den Fall seiner uneingeschränkten Geltung mangels grenzüberschreitender Konfliktfüh-
106 Vgl. die Aufzählung bei ILC, First Report on Protection of the Environment in Relation to Armed Conflicts by Marja Lehto, Special Rapporteur, 30. April 2018, A/ CN.4/720, Rn. 49 und Fn. 198 m.w. N. 107 Siehe bereits oben 2. Teil, § 3, B., III., 3., c), cc). 108 Das Verbot wurde durch den IGH als Bestandteil des Gewohnheitsrechts bezeichnet. Siehe IGH, Legality of the Threat or Use of Nuclear Weapons, Advisory Opinion vom 8. Juli 1996, I.C.J. Reports 1996, S. 226 ff., Rn. 29. Zur gewohnheitsrechtlichen Pflicht der Durchführung einer Umweltverträglichkeitsprüfung zur Verhinderung grenzüberschreitender Schäden im friedensrechtlichen Kontext: IGH, Pulp Mills on River Uruguay (Argentina v. Uruguay), Urteil vom 20. April 2010, I.C.J. Reports 2010, S. 14 ff., Rn. 204. 109 Ausführlich zu Grundlagen und Inhalt des Verbots m.w. N.: ILC, First Report on Protection of the Environment in Relation to Armed Conflicts by Marja Lehto, Special Rapporteur, 30. April 2018, A/CN.4/720, Rn. 81 ff. 110 Ibid., Rn. 89 m.w. N.
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3. Teil: Schutz der Umwelt durch humanitäres Völkerrecht
rung nur indirekte Bedeutung zukommen.111 Eine Auseinandersetzung mit den Argumenten für und wider seiner Anwendbarkeit ist daher primär für das Recht internationaler bewaffneter Konflikte zielführend. Zudem findet sich das Verbot der Herbeiführung grenzüberschreitender Umweltschäden für die spezielle Situation bewaffneter Konflikte bereits in Art. 35 (3) und Art. 55 ZP I. Die weit höhere Schwelle der Unzulässigkeit grenzüberschreitender Umweltschädigungen im Kriegsrecht ist nichts Anderes als der für diese Situation durch die Staaten vereinbarte Ausgleich von Handlungs- und Erhaltungsinteressen auf Basis staatlicher Vertragsfreiheit. Es bedürfte gewichtiger Gründe, diesen Ausgleich ohne Änderung des entsprechenden humanitärrechtlichen Verbots durch Überwindung der Spezialität des Kriegsrechts zu verändern. Neben diesem Verbot stehen im Zentrum elementarer umweltrechtlicher Überlegungen bislang insbesondere die in ihrer konkreten Wirkung eher unbestimmten Prinzipien der nachhaltigen Nutzung verfügbarer Ressourcen, der intergenerationellen Gerechtigkeit sowie als Dachbegriff das Prinzip der nachhaltigen Entwicklung.112 Auch das Prinzip der Vorsorge bei Unkenntnis über die Folgen einer Tätigkeit kann genannt werden.113 Zuletzt erwähnte die ILC das Prinzip der Generationengerechtigkeit im Kontext der Umwelterhaltung während bewaffneter Konflikte.114 Keines dieser Prinzipien ist bislang mit den in den Menschenrechtspakten niedergelegten Rechten und Pflichten vergleichbar. Selbst wenn von ihrer
111 Und zwar für den Fall, dass die Konfliktführung mittelbar, beispielsweise durch die Verseuchung von grenzüberschreitenden Gewässern, auch Auswirkungen in einem Drittstaat nach sich zieht. Im Fall der Schädigung des Territoriums eines Drittstaats dürften allgemein aber bereits die Regeln des Neutralitätsrechts ausreichen, um die Verursachung von Schäden zu untersagen. 112 Für eine Darstellung der Prinzipien sowie ihrer derzeitigen rechtlichen Wirkungen, siehe erneut m.w. N.: ILC, First Report on Protection of the Environment in Relation to Armed Conflicts by Marja Lehto, Special Rapporteur, 30. April 2018, A/CN.4/ 720, Rn. 90 ff. 113 Diese Prinzipien sind es auch, die bislang als umweltvölkerrechtliches Werkzeug der Harmonisierung herangezogen werden. So argumentiert beispielsweise Tougas im Rahmen ihrer Kommentierung zu Prinzip 24 der Rio-Erklärung mit Blick auf die Regel 44 der Gewohnheitsrechtsstudie des IKRK: „The principles of prevention and precaution [. . .] found an echo in IHL.“ Beide Prinzipien müssten, so Tougas, von humanitärem Völkerrecht beachtet werden. Das Prinzip 24 der Rio-Erklärung könne in diesem Zusammenhang eine Brücke zwischen Umweltrecht und humanitärem Völkerrecht schlagen (Tougas, Principle 24: The Environment in Armed Conflict, in: Viñuales (Hrsg.), The Rio Declaration on Environment and Development, S. 579). 114 Nachdem Special Rapporteur Letho vorgeschlagen hatte, das Prinzip als Bestandteil der Martens’schen Klausel zum Schutz der Umwelt in die ILC Draft Principles aufzunehmen, rechtfertigte die Kommission die Beibehaltung des ursprünglichen Wortlauts der Klausel u. a. damit, das „öffentliche Gewissen“ als Bestandteil der Klausel umfasse auch die moralischen Grundlagen des Prinzips der Generationengerechtigkeit. Beide Konzepte seien geeignet, den Schutz der Umwelt zu fördern. Siehe oben, Teil 2, Fn. 1144.
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positivrechtlichen Verankerung ausgegangen werden kann,115 stellen die Prinzipien eher Konzepte beziehungsweise Rechtsprinzipien dar, die es den Staaten als Normsetzer im Detail überlassen, wie sie das Ziel der Nachhaltigkeit, der Gerechtigkeit und der Vorsorge zu erreichen versuchen.116 Außerhalb eines konkreten Einzelfalls kann der Inhalt und die Schutzanordnung der Konzepte der Nachhaltigkeit nicht präzise erfasst werden.117 Eine Harmonisierung dieser Prinzipien mit humanitärem Völkerrecht durch Auslegung der Einzelvorschriften des ius in bello ist im Vergleich zu dem schon für Menschenrechte schwierig zu lösenden Koordinationsvorgang daher nochmals erschwert.118 Ist nicht ermittelt, welche konkreten Verbote oder Gebote mit einem umweltrechtlichen Prinzip verbunden sind, kann es die Auslegung humanitärrechtlicher Handlungsschranken höchstens im Extremfall modifizieren. Nur in dem Fall, dass humanitäres Völkerrecht beispielsweise die vollständige Missachtung des Prinzips nachhaltiger Entwicklung zuließe, bestünde auf Seiten des Umweltfriedensrechts eine ausreichend konkrete Gegenposition als Ausgangspunkt einer Harmonisierung. Ein solcher Fall ist aber kaum denkbar, schließlich enthält das humanitäre Völkerrecht durch seine Grundprinzipien selbst Handlungsbegrenzungen, die einer grenzenlosen Kriegsführung entgegenstehen. Strengere Maßstäbe können allein durch das Konzept der nachhaltigen Entwicklung derzeit nicht bewirkt werden. Durch die Heranziehung unbestimmter Umweltschutzkonzepte zur Auslegung des humanitären Völkerrechts wäre also überwiegend kein zusätzlicher Schutz gewonnen. Das ist allerdings nur die erste Herausforderung dieses Unterfangens. III. Ausmaß des Erreichbaren Nun könnten nicht nur die unbestimmten Prinzipien des Umweltrechts, sondern konkrete Schonungs- und Erhaltungsgebote, wie sie beispielsweise durch
115 Zum umweltvölkerrechtlichen Vorsorgegebot siehe schon oben, Teil 2, Fn. 905. Zum Konzept nachhaltiger Entwicklung sowie zum Prinzip intergenerationeller Gerechtigkeit und ihrem Status im Umweltvölkerrecht, siehe Teil 2, Fn. 859. Zum rechtlichen Status dieser Prinzipien beispielsweise m.w. N. Gehne, Nachhaltige Entwicklung als Rechtsprinzip; Weiss, Intergenerational Equity, in: Wolfrum (Hrsg.), The Max Planck Encyclopedia of Public International Law, opil.ouplaw.com/home/EPIL. 116 Vgl. Gehne, Nachhaltige Entwicklung als Rechtsprinzip, S. 314 ff.; ILC, First Report on Protection of the Environment in Relation to Armed Conflicts by Marja Lehto, Special Rapporteur, 30. April 2018, A/CN.4/720, Rn. 94 und 97 m.w. N. sowie bereits oben, 2. Teil, § 3, B., III., 3., c), cc) sowie 2. Teil, § 3, D., II., 3. 117 ILC, First Report on Protection of the Environment in Relation to Armed Conflicts by Marja Lehto, Special Rapporteur, 30. April 2018, A/CN.4/720, Rn. 94 und 97. 118 Dennoch befürwortend u. a. Bothe et al., International law protecting the environment during armed conflict: gaps and opportunities, International Review of the Red Cross 92 (2010), S. 584 ff. die aber hauptsächlich auf das im Vergleich unproblematische Verbot grenzüberschreitender Umweltschäden eingehen.
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3. Teil: Schutz der Umwelt durch humanitäres Völkerrecht
Art. 4 WHC119 zugunsten der auf der Welterbeliste eingetragenen Natur- und Kulturgüter aufgestellt werden, als Ausgangspunkt einer Harmonisierung herangezogen werden. Aber auch in diesem Fall wären Harmonisierungsbemühungen nur dann über ein bloßes akademisches Interesse hinaus relevant, wenn sie die im humanitären Völkerrecht verbleibenden Schutzdefizite verringern könnten. Ausgangspunkt jedes Harmonisierungsversuchs muss daher die Überlegung sein, welches Schutzziel durch die Interpretation einer konkreten Norm am Maßstab des Umweltvölkerrechts anvisiert werden soll und ob die zur Verfügung stehenden umweltvölkerrechtlichen Vorschriften zur Förderung dieses Vorhabens in der konkreten Konfliktkonstellation überhaupt geeignet sind. Die Möglichkeiten und Grenzen der Schutzverstärkung durch Harmonisierung mit Umweltvölkerrecht werden am Beispiel dreier Schutzdefizite humanitären Völkerrechts deutlich: (1) Zum einen vermittelt humanitäres Völkerrecht keine strikten Handlungsbeschränkungen hinsichtlich der Schädigung ökologisch oder ästhetisch besonders wertvoller Regionen. Diese dürfen, insofern sie militärische Ziele darstellen, feindlichen Handlungen ausgesetzt werden. Auch für Regionen und Nationalparks, denen aufgrund ihrer Naturschönheit und ihres ökologischen Reichtums globale Wertschätzung zukommt, bestimmt humanitäres Völkerrecht keine strengeren Handlungsbeschränkungen. Steht die betreffende Region allerdings unter dem Schutz umweltvölkerrechtlicher Vorschriften wie beispielsweise Art. 4 WHC oder Art. 3 (1) Ramsar-Konvention, wäre eine völlige Ignoranz der durch die Eintragung in die korrespondierenden Schutzlisten der Konventionen ausgedrückten Wertanerkennung unter dem Blickwinkel der Harmonisierung unbillig.120 Schon im Rahmen der Analyse des Proportionalitätsgebots wurde darauf hingewiesen, dass die in die Abwägung mit einfließende Bewertung der Werthaftigkeit der Umwelt auch am Maßstab friedensumweltrechtlicher Anerkennung vollzogen werden sollte.121 Im Ergebnis muss der Harmonisierungsgedanke in der durch das Proportionalitätsgebot verlangten Abwägung von Zerstörungs- und Erhaltungsinteressen also zu einem stärkeren Gewicht des Erhaltungsinteresses führen, als es bei einer 119
Art. 4 WHC: „Each State Party to this Convention recognizes that the duty of ensuring the identification, protection, conservation, presentation and transmission to future generations of the cultural and natural heritage referred to in Articles 1 and 2 and situated on its territory, belongs primarily to that State. It will do all it can to this end, to the utmost of its own resources and, where appropriate, with any international assistance and co-operation, in particular, financial, artistic, scientific and technical, which it may be able to obtain.“ 120 Beachte allerdings Art. 2 (3) Ramsar-Konvention: „The inclusion of a wetland in the List does not prejudice the exclusive sovereign rights of the Contracting Party in whose territory the wetland is situated.“ 121 2. Teil, § 3, B., IV., 2., c).
§ 2 Strategie der Harmonisierung von Friedens- und Kriegsrecht
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Attacke auf ein ökologisch und ästhetisch nicht herausragendes Gebiet der Fall wäre. Ob die Beachtung friedensumweltrechtlicher Schutzvorschriften im Rahmen der Proportionalitätsprüfung aber zwingend zur Schonung des Gebiets führen muss, ist anzuzweifeln, schließlich ist Kern des Gebots trotz allem ein Ausgleichsgedanke zwischen Handlungs- und Erhaltungsinteressen. Auch bei Berücksichtigung des im Umweltvölkerrecht anerkannten Werts einer Region dürfte sich der Abwägungsspielraum nur in Extremfällen in Richtung einer zwingenden Erhaltung verengen. Die begrenzte Überprüfbarkeit einer Abwägungsentscheidung käme zudem erschwerend hinzu. In nichtinternationalen bewaffneten Konflikten könnte durch Harmonisierung zudem nur das Handeln staatlicher Konfliktparteien stärker begrenzt werden, denn mangels (vertraglicher) Bindung nichtstaatlicher Akteure an Umweltvölkerrecht wären ihre Handlungen weiterhin allein nach humanitärem Völkerrecht zu beurteilen. Eine modifizierte Auslegung des ius in bello wäre mangels paralleler Verpflichtung durch die Fortgeltung des Umweltvölkerrechts für diese Akteure nicht möglich, beziehungsweise nur mit wesentlich erhöhtem Aufwand begründbar. Die Heranziehung von Umweltvölkerrecht als Mittel der Generierung eines erhöhten Schutzes für bestimmte Regionen ist also begrenzt. Ein in Einzelfällen besonders werthafter Gebiete nötiges absolutes Schädigungsverbot kann allein durch Auslegung nicht generiert werden. (2) Wenig aussichtsreich erscheint auch die Hoffnung, durch Harmonisierung mit Umweltvölkerrecht eine absolute Obergrenze zulässiger Umweltschäden auch in nichtinternationalen bewaffneten Konflikten zu erreichen. Zwar könnte, selbst bei Fehlen einer mit Art. 35 (3) und (55) ZP I korrespondierenden Schädigungsgrenze, durch Auslegung des Proportionalitätsgebots am Maßstab eines friedensrechtlichen Zerstörungsverbots eine absolute Schadensgrenze angedacht werden. Ein absolutes Verbot der Herbeiführung von Umweltschäden eines besonderen Ausmaßes ist, insofern diese – wie typischerweise in nichtinternationalen Konflikten – auf dem eigenen Staatsgebiet verübt werden und daher nicht durch das Verbot grenzüberschreitender Umweltschäden untersagt sind, auch im Friedensrecht nicht enthalten. Allein das Prinzip nachhaltiger Entwicklung könnte im Grundsatz zu diesem Zweck herangezogen werden. Wie zuvor festgestellt, ist der Maßstab der Nachhaltigkeit, insofern er überhaupt als positivrechtliche Vorgabe angesehen werden kann, bislang allerdings zu unbestimmt, um die Interpretation einer humanitärvölkerrechtlichen Handlungsvorschrift zu modifizieren.122 Er ist sogar nochmals unspezifischer als die nahezu unerreichbare Schädigungsgrenze des im ZP I enthaltenen Verbots weitreichender, langanhaltender und schwerer Umweltschäden. (3) Bestehen, wie in dem eben genannten Fall, in beiden maßgeblichen Rechtsregimen Schutzlücken, können diese durch Harmonisierung nicht beseitigt 122
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werden. Gleichwohl wie attraktiv die Heranziehung des Friedensumweltrechts zur Schutzverstärkung humanitären Völkerrechts auch sein mag, sie kann doch nicht darüber hinwegtäuschen, dass auch Umweltvölkerrecht in vielen Aspekten noch zu schwach ist, um massiven Umweltschäden effektiv entgegenzuwirken. Darüber hinaus hätte eine durch Umweltrecht modifizierte Auslegung des Proportionalitätsgebots – anders als die absolute Schädigungsgrenze der Art. 35 (3) und 55 ZP I – eine notwendige Begrenzung auf den Schutz ziviler Umweltkomponenten vor kollateralen Schädigungen zum Inhalt. Allein durch Auslegung kann das Gebot keine Modifikation erfahren, die über seine Wortlautgrenze und den in ihr ausgedrückten Regelungsgedanken hinausgeht. Insofern die von Zerstörung bedrohte Umwelt ein militärisches Ziel darstellt, könnte sie also auch durch eine erweiterte Auslegung des Proportionalitätsgebots nicht bewahrt werden. Eine absolute Schädigungsgrenze – und damit eine Umgehung der Beschränkung der Geltungsreichweite der Art. 35 (3) und (55) ZP I allein in internationalen bewaffneten Konflikten – kann auf diesem Weg nicht erreicht werden. Selbst die (unwahrscheinliche) umfassende Anerkennung von Umweltbestandteilen als dual-useObjekten123 kann ein absolutes Schädigungsverbot auch bei Vorhandensein starker militärischer Interessen nicht bewirken. Zwar wäre es unter der Annahme einer zukünftigen Konkretisierung des Gebots der Nachhaltigkeit denkbar, die für die Anwendbarkeit ausschlaggebende Schadensgrenze der beiden Vorschriften des ZP I durch harmonisierende Auslegung zu senken, beziehungsweise überhaupt praktisch operabel zu machen, ihre Ausweitung zur Regelung auch nichtinternationaler Konflikte ist so allerdings noch nicht erreicht. Das Potenzial des Harmonisierungsansatzes beschränkt sich auf die Modifikation bestehender Handlungsschranken. Über deren Wortlaut hinausreichende, neuartige Verpflichtungen sind durch Auslegung nicht zu erreichen. (4) Ein drittes Beispiel betrifft schließlich die Reichweite des durch das Gebot der Vorsorge bei militärischen Attacken auferlegten Handlungsauftrags.124 Selbst wenn das umweltrechtliche Gebot der Vorsorge zukünftig ausreichende Konkretisierung erfahren würde und nunmehr im Rahmen der Auslegung des Gebots der Vorsorge bei Attacken zu beachten wäre125, wäre im Ergebnis
123
Zur Umwelt als Dual-use-Objekt, siehe oben 2. Teil, § 3, B., III., 3., a). Zum humanitärrechtlichen Gebot der Vorsorge allgemein, siehe 2. Teil, § 3, B., IV. 125 Zur Einbeziehung des umweltvölkerrechtlichen Vorsorgegebots in humanitäres Völkerrecht und insbesondere in die Gewohnheitsrechtsstudie des IKRK, siehe oben 2. Teil, § 3, B., IV., 2. Zu den unterschiedlichen Prinzipien zuletzt Bothe, Precaution in International Environmental Law and Precautions in the Law of Armed Conflict, Goettingen Journal of International Law 10 (2020), S. 267 ff., der für eine Anwendung der umweltrechtlichen Prinzipien auch in Kriegszeiten plädiert und die entsprechenden Pflichten der Staaten hervorhebt (S. 278 ff.). 124
§ 2 Strategie der Harmonisierung von Friedens- und Kriegsrecht
473
keine maßgebliche Schutzveränderung zu erwarten. Wie bereits dargelegt126, ist es für den Entscheidungsträger im Konflikt gar nicht möglich, weitergehende Analysen hinsichtlich möglicher Umweltgefahren zu tätigen oder Informationen über solche zu erlangen, die nicht schon vor Aufkommen der Schädigungsmöglichkeit in seinem oder ihrem Besitz waren.127 Die Idee der Harmonisierung darf die Einhaltung von Handlungspflichten des ius in bello durch Auferlegung zu hoher Anforderungen nicht praktisch unmöglich machen. Dies erkannte auch der ICTY im Kontext der Harmonisierung von humanitärem Völkerrecht und Menschenrechten: Konzepte, die im Rahmen der Menschenrechte entwickelt wurden, könnten, so der ICTY, nur dann in humanitäres Völkerrecht transportiert werden, „if they take into consideration the specificities of the latter body of law“.128 Auch modernes Kriegsrecht ist noch immer Sonderrecht für Extremsituationen. Je stärker eine rechtliche Handlungseinschränkung den Kernbereich dieser Sondersituation – nämlich die Ausübung feindlicher Handlungen – berührt, desto stärker muss auch in der Auslegung einer humanitärrechtlichen Norm unter Beachtung umweltrechtlicher Vorgaben dieser Sondersituation Tribut gezollt werden.129 Durch die Vereinbarung humanitären Völkerrechts haben die Staaten für die spezielle Situation bewaffneter Konflikte einen eigenen Ausgleich zwischen Bewahrungs- und Handlungsinteressen geschaffen und in Vorschriften wie dem Gebot der Vorsorge bei militärischen Handlungen festgelegt. Im Kernbereich dieses Rechts muss es auch ihnen obliegen, den getätigten Ausgleich zugunsten der Umwelterhaltung abzuändern. Selbst die Existenz erst nachträglich entwickelter Umweltvorschriften lässt nicht zwingend die Vermutung zu, dass mit ihrer Entstehung auch das Sonderrecht des ius in bello Abänderung erfahren sollte. Mangels ausdrücklicher Änderung des humanitärrechtlichen 126
Ibid. 2. Teil, § 3, B., IV., 1., b). 128 ICTY, Prosecutor v. Dragoljub Kunarac, Radomir Kovac and Zoran Vukovic, Urteil der Verfahrenskammer vom 22. Februar 2001, Case No. IT-96-23-T, Rn. 471. 129 Je stärker eine im Rahmen bewaffneter Konflikte auftretende Situation dagegen mit einem in Friedenszeiten auftretenden Herrschaftsverhältnis vergleichbar ist, desto stärker dürften sodann allerdings die friedensrechtlichen Umweltschutzvorgaben in der Auslegung zu gewichten sein (so im Ergebnis auch Kunz/Viñuales, Environmental approaches to nuclear weapons, in: Nystuen/Casey-Maslen/Bersagel (Hrsg.), Nuclear Weapons under International Law, S. 280). Bezüglich der Menschenrechte wird dies (wie bereits erwähnt) im Rahmen von Okkupationen angenommen (Lubell, Human rights obligations in military occupation, International Review of the Red Cross 94 (2012), S. 317 ff.; Ferraro, the law of occupation and human rights law: some selected issues, in: Kolb/Gaggioli (Hrsg.), Research Handbook on Human Rights and Humanitarian Law, S. 273 ff.). In innerstaatlichen Konflikten dürfte der Maßstab effektiver Kontrolle eines Territoriums zu ähnlichen Ergebnissen führen. Bei Kontrolle eines Gebiets durch nichtstaatliche Gruppen stellt sich im Kontext der Menschenrechte weiterhin die Frage der Befolgbarkeit und im Zusammenhang mit Vorgaben des Umweltvölkerrechts nochmals verstärkt die der Bindung. 127
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3. Teil: Schutz der Umwelt durch humanitäres Völkerrecht
Spezialregimes ist zunächst das Gegenteil anzunehmen. Die Auslegung bestehender Schutznormen des humanitären Völkerrechts unter Beachtung umweltrechtlicher Schonungsvorschriften wird also nicht in jedem Fall zu einer Schutzerhöhung führen. Die Herausforderung wird sein, für spezifische Konfliktsituationen legitime und befolgbare Auslegungsergebnisse zu erzielen. Selbst im vielbeachteten Kontext der Harmonisierung mit grundlegenden Menschenrechten ist dies, trotz einer Vielzahl unterschiedlicher Konkretisierungsvorschläge in der Literatur,130 bislang nicht gelungen. Die hier beispielshaft aufgezeigten Problempunkte verdeutlichen, dass die Hoffnung auf eine effektive Schutzverstärkung durch harmonisierende Auslegung nicht zu groß sein sollte. IV. Nichtinternationale bewaffnete Konflikte als Herausforderung Die Idee der Schutzverstärkung durch harmonisierende Auslegung ist trotz dieser Feststellungen attraktiv. Neben der soeben behandelten Frage der tatsächlich erreichbaren Schutzverstärkung bestehen in der besonderen Situation nichtinternationaler Konflikte aber noch zwei weitere Erschwernisse: 1. Bindung der Konfliktparteien
Ausgangspunkt der Idee der Harmonisierung durch Auslegung ist Art. 31 (3) (c) WVRK. Dieser verlangt, dass bei der Auslegung von Verträgen – und damit auch humanitärem Vertragsrecht – jeder in den Beziehungen zwischen den Vertragsparteien anwendbare einschlägige Völkerrechtssatz – und damit auch Umweltvölkerrecht – zu beachten sei. Diese Vorschrift hat im Kontext nichtinternationaler Konflikte und mit Blick auf die hier in Frage stehenden Vertragsregime jedoch keine unmittelbare Wirkung, denn in diesen Konflikten stehen sich Vertragsparteien des Umweltvölkerrechts sowie menschenrechtlicher Verträge nicht gegenüber. Nichtstaatliche Konfliktakteure können schließlich nicht Vertragspartner einer umweltvölkerrechtlichen oder menschenrechtlichen Konvention werden. Zwar wird in jüngster Zeit vermehrt die Bindung (einiger) nichtstaatlicher Konfliktparteien an grundlegende Menschenrechte proklamiert,131 eine solche Bindung ist jedoch bei weitem nicht umfassend anerkannt. Sowohl der UNSicherheitsrat als auch die Generalversammlung betonten in den letzten Jahren lediglich, dass jedenfalls bestimmte nichtstaatliche Konfliktakteure auch an Men130
Vgl. Nachweise in Teil 3, Fn. 92. Zudem statt vieler Clapham, Human Rights Obligations of Non-State Actors, S. 278 ff. sowie Mastorodimos, Armed Non-State Actors in International Humanitarian and Human Rights Law zu den praktischen Möglichkeiten der Bindung nichtstaatlicher Konfliktparteien an Menschenrechte. 131
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schenrechte gebunden seien.132 Aus dieser Aussage lässt sich weder eine allgemeine Verpflichtung noch deren Reichweite und dogmatische Herleitung ableiten. Die Einhaltung und Durchsetzung aller anerkannten Menschenrechte durch alle nichtstaatlichen Konfliktparteien, und somit auch durch kleinere und lose organisierte bewaffnete Gruppen, ist zudem schlicht illusorisch. Ihre Forderung wird sich daher auch in Zukunft kaum durchsetzen. Eine Bindung nichtstaatlicher Konfliktparteien durch internationales Umweltrecht, sei es nun aufgrund einer vertraglichen Bindung oder einer Verpflichtung durch Gewohnheitsrecht, ist darüber hinaus nur in geringem Umfang überhaupt denkbar. Umweltrecht und elementare Menschenrechte sind (noch) nicht ausreichend vergleichbar. Ein Großteil der in umweltvölkerrechtlichen Verträgen enthaltenen Schutzprinzipien lässt sich nicht ohne Weiteres in klare und einfach umzusetzende Handlungsverbote ähnlich menschenrechtlichen Schädigungsverboten umformulieren, die auch durch weniger stark organisierte Gruppen und einzelne Mitglieder einer Gruppierung in Realität eingehalten werden können. Eine mit dem Recht auf Leben oder dem Verbot der Folter korrespondierende Unterlassungspflicht ist für jeden Konfliktbeteiligten im Grundsatz befolgbar. Gebote internationaler Umweltverträge wie die nachhaltige Erhaltung bestimmter Feuchtgebiete nach der Ramsar-Konvention oder der Bewahrung wandernder Tierarten als Verpflichtung aus der Bonner Konvention zur Erhaltung wandernder wild lebender Tierarten (Convention on Migratory Species of Wild Animals)133 sind weit weniger klar und nicht unbedingt durch Einzelpersonen bzw. kleinere Gruppierungen befolgbar. Sie dürften auch bei Identifikation spezifischer Handlungsund Unterlassungsforderungen nichtstaatliche Gruppierungen oftmals überfordern. Soll dennoch an der Idee der Modifikation humanitären Völkerrechts durch Auslegung festgehalten werden, könnte angedacht werden, die auferlegten Verhaltenspflichten im Einzelfall dem tatsächlichen Handlungsvermögen des Verpflichteten anzupassen. Nichtstaatliche Konfliktparteien müssten dann nicht in 132 Eine aktuelle Analyse u. a. von über 125 Sicherheitsratsresolutionen sowie 65 Resolutionen der Generalversammlung kam erst kürzlich zu dem Schluss, dass die beiden Organe davon ausgingen, dass jedenfalls einige bestimmte nichtstaatliche Akteure Menschenrechte verletzen könnten. Gleichzeitig, so die Studie, könne bislang nicht festgestellt werden, dass die UN-Organe von einer grundsätzlichen Bindung aller nichtstaatlichen Konfliktakteure an die Menschenrechte ausgingen (Burniske/Modirzadeh/Lewis, Armed Non-State Actors and International Human Rights Law: An Analysis of the Practice of the U.N. Security Council and U.N. General Assembly, Briefing report with annexes (Harvard Law School Program on International Law and Armed Conflict, 2017), S. 27 f., abrufbar unter: https://pilac.law.harvard.edu [abgerufen am 26.10. 2020]). Aufgeführt auch bei ILC, Second Report on Protection of the Environment in Relation to Armed Conflicts by Marja Lehto, Special Rapporteur, 27. März 2019, A/ CN.4/728, Rn. 53. 133 Convention on Migratory Species of Wild Animals vom 23. Juni 1979, 1651 UNTS 333 (Bonner Konvention).
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3. Teil: Schutz der Umwelt durch humanitäres Völkerrecht
gleichem Umfang Handlungspflichten befolgen, wie es von einer staatlichen Partei verlangt würde. Ein solches System unterschiedlich starker Verpflichtungen wird auch hinsichtlich der Einhaltung grundlegender Menschenrechte durch nichtstaatliche Gruppen diskutiert.134 In Hinblick auf umweltrechtliche Verpflichtungen wäre aber auch eine abgeschwächte Geltung überfordernd. Maßnahmen zur Erhaltung gefährdeter Arten oder Lebensräume erfordern von den jeweiligen Verpflichtungsadressaten ein hohes Maß interner Organisation und effektiver Kontrolle über ein Territorium. Letzteres wird nur in Fällen mittel- oder langfristiger Herrschaft einer Gruppe in einem bestimmten Gebiet denkbar sein. Zwar ließe sich die Verpflichtung zur Erhaltung einer Art, einer Region oder eines Ökosystems, wie sie u. a. in der Bonner Konvention oder der Ramsar-Konvention verankert ist, auf das Minimum eines Zerstörungsverbots reduzieren, schon dieses wäre aber aufgrund des jeweiligen Schutzobjekts (Umgebung, Flora und Fauna unbestimmter Größe) schwerer umzusetzen und einzuhalten als Individualverbote wie beispielsweise das Folterverbot. Schon aufgrund dieser praktischen Probleme der Einhaltung wird die Bindung nichtstaatlicher Konfliktparteien an Normen des Umweltvölkerrechts bislang nicht angenommen. Auch bei Fortgeltung umweltvölkerrechtlicher Verträge in nichtinternationalen Konflikten besteht also keine umweltrechtliche Verpflichtung aller Konfliktparteien. Eine weitere Intensivierung des rechtlichen Ungleichgewichts der Konfliktparteien in Konflikten zwischen Staaten und nichtstaatlichen Konfliktpartien ist die notwendige Folge. Somit würde auch eine Harmonisierung von humanitärem Völkerrecht und Umweltvölkerrecht durch Auslegung des ersten am Maßstab des zweiten Rechtsregimes ein ungleich wirkendes Rechtssystem erzeugen, denn nur für die staatliche Konfliktpartei bestünde ein Nebeneinander von fortgeltendem Umweltvölkerrecht und humanitärem Völkerrecht. Sollen dagegen die Vorschriften humanitären Völkerrechts auch zu Lasten nichtstaatlicher Konfliktparteien durch Auslegung am Maßstab geltenden Umweltvölkerrechts verstärkt werden, wäre 134 2012 forderte die unabhängige Untersuchungskommission für Syrien (Independent International Commission of Inquiry on the Syrian Arab Republic) die Einhaltung grundlegender Menschenrechte auch durch bewaffnete Gruppen in Syrien (vgl. Human Rights Council, Report of the Independent International Commission of Inquiry on the Syrian Arab Republic, 22. Februar 2012, A/HRC/19/69, Rn. 122, 133). Bemerkenswert an dieser Aufforderung war die Tatsache, dass die Kommission zuvor das Vorliegen eines bewaffneten Konflikts verneint hatte, folglich also eine Bindung nichtstaatlicher Akteure an Menschenrechte in Friedenszeiten proklamiert wurde. Darüber hinaus hatten die nichtstaatlichen Akteure keine Kontrolle über ein bestimmtes Territorium und erfüllten daher auch die zweite bislang angenommene Voraussetzung für die Bindung bewaffneter Gruppen an Menschenrechte, nämlich die mit einer Okkupation vergleichbare Kontrolle eines Gebiets, nicht. Vgl. für eine Auseinandersetzung mit dieser Bewertung: Rodenhäuser, Human Rights Obligations of Non-State Armed Groups in Other Situations of Violence: The Syria Example, Journal of International Humanitarian Legal Studies 3 (2012), S. 263 ff. der die Bindung nichtstaatlicher Gruppen an einen humanitär- und menschenrechtlichen Mindeststandard in und außerhalb bewaffneter Konflikte befürwortet.
§ 2 Strategie der Harmonisierung von Friedens- und Kriegsrecht
477
dies keine Harmonisierung zweier bereits geltender Normregime, sondern nichts anderes als die Erzeugung neuen Rechts. Nur für staatliche Konfliktparteien könnten streng genommen also die Verpflichtungen des ius in bello durch harmonisierende Auslegung Änderung erfahren. Die Annahme unterschiedlich strenger Verbote für unterschiedliche Akteure in unterschiedlichen Konfliktsituationen läuft dem Konzept eines einfachen und klaren Kriegsrechts entgegen. Dies gilt vor allem dann, wenn die unterschiedliche Verpflichtungswirkung nur durch Auslegung der betreffenden Handlungsnorm generiert ist und sich daher nicht im Wortlaut der Vorschrift zeigt. Was von einer bestimmten Konfliktpartei verlangt werden kann, ist losgelöst vom Einzelfall nicht mehr bestimmbar und im Nachhinein kaum objektiv zu überprüfen. Zwar bestehen schon jetzt ungleiche Verpflichtungen unterschiedlicher Konfliktparteien, beispielsweise im Rahmen des Gebots der Vorsorge bei militärischen Handlungen, die im Kontext dieser Vorschrift aufgezeigten Probleme135 würden aber nur ausgeweitet. 2. Harmonisierung durch Auslegung gewohnheitsrechtlicher Normen
Eine zweite Problematik der Schutzverstärkung durch auf Harmonisierung gerichtete Auslegung humanitären Völkerrechts besteht in der derzeitigen Fassung vor allem des Rechts nichtinternationaler Konflikte. Ein Großteil der umweltschützenden Normen dieser Konfliktform ist allein im Gewohnheitsrecht verankert. Wie bereits im Rahmen der Prüfung des Gebots der Vorsorge dargelegt, sind gewohnheitsrechtliche Vorschriften aber nicht gleichermaßen wie Vertragsnormen offen für eine Auslegung im Sinne des Art. 31 (3) (c) WVRK.136 Zwar ist es möglich und nötig, den Inhalt einer gewohnheitsrechtlichen Vorschrift durch Interpretation und der Nutzung von Syllogismen zu identifizieren,137 dies ist jedoch nicht durch Heranziehung der für Verträge entwickelten Auslegungsregeln möglich. Das Ziel der Schutzverstärkung durch eine inhaltliche Änderung humanitären Völkerrechts kann in diesem Kontext nur durch Weiterentwicklung des Gewohnheitsrechts selbst erreicht werden. Soll für internationale und nichtinternationale bewaffnete Konflikte ein ähnliches oder gleiches Harmonisierungsergebnis gefunden werden, muss dem Umstand unterschiedlicher Rechtsquellen und ihrer Folgen weit stärker Beachtung geschenkt werden, als es bislang der Fall ist. Die durch modifizierende Auslegung angestrebte Schutzverstärkung könnte für nichtinternationale Konflikte und die in ihnen allein durch Gewohnheitsrecht 135
2. Teil, § 3, B., IV., 1., b). Siehe oben sowie die Nachweise in Teil 2, Fn. 924. 137 IGH, North Sea Continental Shelf Cases (Federal Republic of Germany v. Denmark; Federal Republic of Germany v. Netherlands), Urteil vom 20. Februar 1969, I.C.J. Reports 1969, S. 3 ff., Rn. 37 argumentierte mit einer „juristischen Unvermeidbarkeit“. 136
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3. Teil: Schutz der Umwelt durch humanitäres Völkerrecht
geregelten Bereiche dennoch erreicht werden, allerdings nur über einen Umweg. Voraussetzung wäre eine zweistufige Rechtsentwicklung: Auf der ersten Stufe träte eine Wirkungsänderung der für internationale Konflikte anwendbaren Vertragsnormen des ius in bello durch ihre harmonisierende Auslegung am Maßstab des Umweltvölkerrechts ein. Auf der zweiten Stufe könnte die so bewirkte Schutzverstärkung durch staatliche Anerkennung über die Äußerung von opinio iuris und entsprechende Staatenpraxis (wie beispielsweise die Formulierung nationaler Strafrechtsvorschriften) in eine Veränderung des Gewohnheitsrechts mit Geltung auch für nichtinternationale Konflikte überführt werden. Da dieser zweite Schritt jedoch nicht zwingend dem ersten nachfolgt, muss notwendig zwischen der Interpretation des Vertragsrechts und der Entwicklung von Gewohnheitsrecht unterschieden werden. Dieser Umstand wurde in dem bisherigen Diskurs um die Harmonisierung durch Auslegung gänzlich übersehen.
C. Fazit Nur einige mit der Harmonisierung zweier Rechtsgebiete und ihrer Nutzung zur Schutzverstärkung für die Umwelt während nichtinternationaler Konflikte verbundenen Herausforderungen wurden hier aufgezeigt. Sie machen deutlich, dass sowohl eine stärkere Beachtung der rechtlichen und tatsächlichen Situation nichtinternationaler Konflikte, als auch des potenziellen Ausmaßes erreichbaren Schutzes notwendig sein wird, soll das Konzept der Harmonisierung durch modifizierende Auslegung nicht nur für internationaler Konflikte Relevanz haben. Ob eine intensive Auseinandersetzung mit den Vorgaben und Besonderheiten des Rechts nichtinternationaler Konflikte auf Staatenebene durchgeführt werden wird, ist allerdings fraglich. So zeigt die zuvor erwähnte Resolution 74/208 sowie die vorangegangenen Resolutionen der Generalversammlung zu den durch die Ölpest im Libanon verursachten Umweltschäden138 eine auch in internationalen Gremien nicht immer ausreichende Auseinandersetzung mit geltendem Recht, schließlich gingen die Resolutionen mit keinem Wort auf die humanitärrechtliche Zulässigkeit der Zerstörung des Jiyeh-Kraftwerks und die durch sie verursachte Ölpest ein und schwiegen in Konsequenz auch zur Frage des Verhältnisses zwischen humanitärem Völkerrecht und Umweltvölkerrecht, dennoch verurteilten sie die während des Libanon-Konflikts verursachten Schäden als eine Verletzung des Umweltvölkerrechts. Derartige politisch motivierte Bekundungen, die indirekt auf die Geltungskraft des für Friedenszeiten entwickelten Völkerrechts auch in Konfliktsituationen hinweisen, dabei aber dessen Verhältnis zu vorrangig anwendbarem ius in bello unerwähnt lassen, sind wenig hilfreich. Gerade durch militärisch starke Nationen wie die USA oder das Vereinigte Königreich wird eine Aufweichung des lex specialis-Grundsatzes schließlich weiterhin 138
Siehe oben, Teil 3, Fn. 50.
§ 2 Strategie der Harmonisierung von Friedens- und Kriegsrecht
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entschieden abgelehnt.139 Zuletzt äußerten sich diese und weitere Staaten beispielsweise kritisch gegenüber den Vorschlägen von ILC Special Rapporteur Lehto, auch umweltrechtliche Prinzipien im Rahmen anwendbaren Kriegsrechts zu beachten und diese in den Kanon der in Entstehung befindlichen Draft Principles zum Schutz der Umwelt im Verhältnis zu bewaffneten Konflikten aufzunehmen.140 Gegen den Widerstand dieser Nationen wird eine Fortentwicklung geltenden Rechts jedenfalls auf diesem Weg kaum möglich sein. Derartige Bemühungen verstärken zudem die systematischen Schwierigkeiten der Harmonisierung von Friedens- und Kriegsrecht durch Ungenauigkeit und führen letztlich zu Rechtsunsicherheit. Das bewaffnete Konflikte regelnde Recht muss, wenn es tatsächliche Handlungsbeschränkungen für die Zukunft bewirken und nicht bloßes Werkzeug politischer Verurteilung bereits eingetretener Schäden sein soll, einfaches Recht sein. Seine Anordnungen müssen klar, eindeutig und tatsächlich befolgbar sein. Das Konzept der Harmonisierung durch modifizierende Auslegung des humanitären Völkerrechts stellt auch diesen Anspruch auf die Probe. Allein durch eine Einbeziehung umweltvölkerrechtlicher Vorschriften in die Auslegung einer humanitärrechtlichen Norm kann zudem kein absolutes und in jeder Situation ausreichendes Schutz- und Erhaltungsniveau erreicht werden, denn auch Friedensumweltrecht leidet noch an Rechtslücken und Regelungsschwächen. Die bislang anerkannten Grundprinzipien des Umweltvölkerrechts sind nicht in der Lage, schwerste Umweltzerstörungen durch Staaten auf ihrem eigenen Gebiet absolut zu untersagen, selbst dann nicht, wenn dadurch die nachhaltige Entwicklung einer ganzen Region unmöglich erscheint. Wenn das Schutzniveau in Friedenszeiten aber Zerstörungen zulässt, deren Ausmaß vergleichbar mit den im Konflikt drohenden Schäden ist, kann durch Auslegung des Kriegsrechts am Maßstab der Friedenszeiten nicht unendlich viel gewonnen werden. Das Ziel der Harmonisierung darf auch nicht dazu genutzt werden, Handlungsverbote aufzustellen, die der menschlichen Anerkennung des Werts der Umwelt139 UNGA, Sixth Committee, Summary record of the 30th meeting of the 73rd Session, 31. Oktober 2018, Agenda item 82: Report of the International Law Commission on the work of its seventieth session, A/C.6/73/SR.30, Rn. 9 (Vereinigtes Königreich); Report of the International Law Commission on the work of its seventieth session, A/ C.6/73/SR.29, Rn. 41 (USA); vgl. ILC, Second Report on Protection of the Environment in Relation to Armed Conflicts by Marja Lehto, Special Rapporteur, 27. März 2019, A/CN.4/728, Rn. 3. 140 Ibid., sowie u. a., UNGA, Sixth Committee, Summary record of the 29th meeting of the 73rd Session, 31. Oktober 2018, Agenda item 82: Report of the International Law Commission on the work of its seventieth session, A/C.6/73/SR.29, Rn. 127 (Russland). Auch das IKRK wies darauf hin, dass es nicht Aufgabe der ILC sei, geltendes humanitäres Völkerrecht fortzuentwickeln (UNGA, Sixth Committee, Summary record of the 24th meeting of the 73rd Session, 25. Oktober 2018, Agenda item 82: Report of the International Law Commission on the work of its seventieth session, A/C.6/73/SR.24, Rn. 76). Eine Harmonisierung durch Anwendung von Umweltfriedensrecht würde aber eben dies befürchten lassen. Vgl. ILC, Second Report on Protection of the Environment in Relation to Armed Conflicts by Marja Lehto, a. a. O.
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3. Teil: Schutz der Umwelt durch humanitäres Völkerrecht
erhaltung im Kontext bewaffneter Auseinandersetzungen schlicht nicht entsprechen. Das Recht läuft sonst Gefahr, Schutzversprechen aufzustellen, die in der Realität nicht eingehalten werden können.141 Die Lücke zwischen Realität und Rechtsbehauptung droht gerade im Kontext der Strategie der Harmonisierung durch Norminterpretation weiter vergrößert zu werden, durch die Proklamation von Vorschriften, deren Einhaltbarkeit nicht gesichert ist und die Annahme von Rechtsprinzipien, die in Realität teils noch keinen ausreichenden Niederschlag gefunden haben.142 Doch die Lösung dieser Gefahr darf nicht in dem Ziel der Untätigkeit gefunden werden. Das Streben nach einem befolgbaren, gleichzeitig lückenlosen und angesichts drohender Gefahren angemessenen Umweltschutzniveau auch während bewaffneter Konflikte kann durch die Strategie einer Harmonisierung von Umwelt- und Kriegsrecht durch Auslegung humanitärrechtlicher Vorschriften durchaus gefördert zu werden. Es bedarf bedächtiger Schritte, sorgfältiger Analysen, nicht aber dagegen Stillstands.143 So ist es auch zu begrüßen, dass auch ILC Special Rapporteur Lehto in ihrem Bericht aus dem Frühjahr 2019 u. a. von der Möglichkeit der Interpretation geltenden Kriegsrechts unter Berücksichtigung von Prinzipien des Umweltrechts und der Menschenrechte sprach.144 Wenngleich die genauen Auswirkungen einer solchen Strategie auch in diesem Bericht unklar blieben, bewirkt ihr Vorbringen doch eine erneute Auseinandersetzung der Staaten mit dem bislang geltenden Niveau humanitärrechtlichen Umweltschutzes und dessen Defiziten gegenüber Vorschriften des Friedensrechts. Sollte das Konzept der Harmonisierung durch Auslegung in Folge zur Herausbildung einer progressiveren opinio iuris beitragen, wäre durch diese Strategie schon viel gewonnen. Der Weg zu einer solchen Entwicklung dürfte aber noch lang sein. Bereits in den ersten Sitzungen der ILC nach Veröffentlichung dieses Berichts von Special Rapporteur Lehto wurde die Bedeutung umweltrechtlicher Prinzipien im Rahmen der entstehenden Draft Principles kontrovers diskutiert.145 Während einige Mitglieder der Kommission einen progressiven Ansatz der Norminterpretation unter Einbezug umweltrechtlicher
141 So Sassòli, The implementation of international humanitarian law: Current and inherent challenges, Yearbook of International Humanitarian Law 10 (2007), S. 67 ff. 142 Sassòli, a. a. O., S. 71. 143 Zudem sollte nicht aus dem Blick geraten, dass bereits die parallele Anwendung von umweltvölkerrechtlichen Verträgen neben humanitärem Völkerrecht im Ergebnis positive Effekte in Bezug auf den Erhalt der Umwelt während bewaffneter Konflikte haben kann. Die Möglichkeit der Harmonisierung durch Auslegung ist nur eine von vielen alternativen Ansätzen. Einen anderen Ansatz verfolgt beispielsweise Sjöstedt in ihrem in Erscheinung befindlichen Werk über die Wirkung multilateraler Umweltabkommen zum Schutz der Umwelt im Kontext bewaffneter Konflikte: Sjöstedt, The Role of Multilateral Environmental Agreements. 144 Siehe Teil 2, Fn. 1137. 145 Audiodateien der einzelnen Sitzungstage sind unter http://legal.un.org/ilc/ses sions/71/bulletin.shtml abrufbar [abgerufen am 26.10.2020].
§ 3 Strategie der Beteiligung im Einzelfall
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Prinzipien befürworteten, lehnten andere eine Aufweichung des lex specialisCharakters humanitären Völkerrechts ab.146 Die Befürchtung, etliche Staaten würden im Fall einer zu progressiven Formulierung der entstehenden Draft Principles diesen die Anerkennung verweigern, resultierte in der Modifikation einiger der von Lehto vorgeschlagenen Draft Principles. Hinweise auf umweltrechtliche Prinzipien waren bereits in der durch das Redaktionskomitee der Kommission vorläufig angenommenen Fassung der Draft Principles kaum mehr zu finden.147 Ein schneller Fortschritt geltenden Rechts ist nicht zu erwarten.
§ 3 Strategie der Beteiligung im Einzelfall Während hinsichtlich einer Strategie der Harmonisierung der während nichtinternationaler Konflikte potenziell anwendbaren Rechtsnormen also noch viele Fragen offen sind, ist eine andere Taktik der Schutzverstärkung schon heute umsetzbar. Sie kommt den Spezifika nichtinternationaler bewaffneter Konflikte entgegen, denn sie ist in der Lage, alle Parteien dieses Konflikttypus gleichermaßen anzusprechen und in den Prozess der Umweltbewahrung miteinzubeziehen: Vereinbarungen aller Konfliktparteien im Einzelfall, beziehungsweise unilaterale Verpflichtungs- bzw. Unterwerfungserklärungen könnten genutzt werden, um den Parteien nichtinternationaler Konflikte zusätzliche Handlungsschranken aufzuerlegen und die Umwelt auch während kriegerischer Auseinandersetzungen verstärkt vor Schädigungen zu schützen. Auch diese Strategie gelangte in den letzten Jahren verstärkt in den Fokus wissenschaftlicher Überlegungen. So schlug ILC Rapporteur Jacobsson erst vor wenigen Jahren vor, Vereinbarungen der Konfliktparteien im Einzelfall könnten genutzt werden, um Gebiete von herausragender ökologischer und kultureller Bedeutung als besonders geschützte Zonen vor feindlichen Handlungen zu bewahren.148 Dieser Vorschlag wird nunmehr durch ILC Draft Principle 17 aufgegriffen, wobei die Kommission den Begriff der Vereinbarung bislang weit verstehen will und unter ihn sowohl Vereinbarungen u. a. mit nichtstaatlichen Akteuren sowie unilaterale Verpflichtungserklärungen fassen will.149
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Ibid. Beispielsweise wurde der Verweis auf das Wohl zukünftiger Generationen aus der Fassung der Martens’schen Klausel zum Schutz der Umwelt (derzeit Draft Principle 12) gestrichen. Vgl. die unterschiedlichen Formulierungen oben, Teil 2, Fn. 1110 und 1111. Auch das Draft Principle 19 zu umweltmodifizierenden Techniken erfuhr eine deutliche Beschränkung. Siehe dazu bereits oben, Teil 2, Fn. 429 und 432. 148 ILC, Protection of the Environment in Relation to Armed Conflict: Text of the Draft Principles provisionally adopted in 2015 and technically revised and renumbered during the present session by the Drafting Committee, 26. Juli 2016, 68th Session, A/ CN.4/L.870/Rev.1, ehemals Draft Principle 12, mittlerweile als Draft Principle 17 nummeriert. Siehe ILC, Report of the International Law Commission on the Work of its 71st Session 2019, UN GAOR 74th Session, Supp. No. 10, A/74/10, S. 212. 149 Ibid., S. 260. Zu Draft Principle 17 siehe oben, Teil 2, § 2, B., III., 3., b). 147
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3. Teil: Schutz der Umwelt durch humanitäres Völkerrecht
Tatsächlich können ad hoc-Vereinbarungen nicht nur die bestehenden Defizite humanitären Völkerrechts und insbesondere dessen Schweigen gegenüber der ökologischen und ästhetischen Werthaftigkeit der Umwelt überwinden. In nichtinternationalen Konflikten kommt Einzelfallvereinbarungen ebenso wie unilateralen Verpflichtungserklärungen zusätzliche Bedeutung zu: Als Instrument der freiwilligen Herbeiführung rechtlicher Verpflichtung mildern sie das bestehende Ungleichgewicht der Konfliktparteien und fördern so die Einhaltung des Rechts auch durch nichtstaatliche Akteure. Als aktueller Normierungsansatz insbesondere des Parteiverhaltens in nichtinternationalen Konflikten sind sie im Grundsatz geeignet, Schutznormen zu spezifizieren, zu verstärken und überhaupt erst anwendbar zu machen.150 Ihre Heranziehung kann im Einzelfall zumindest einige Defizite geltenden Rechts mildern.
A. Unilaterale Verpflichtungserklärungen und ad hoc-Vereinbarungen Die Bedeutung derartiger Einzelfallverpflichtungen in nichtinternationalen Konflikten erklärt sich mit Blick auf die Stellung nichtstaatlicher Akteure im System des Völkerrechts. Als bloße Verpflichtungsadressaten werden sie von der Vereinbarung und Auslegung des für sie verpflichtenden Rechts vollständig ausgeschlossen151 – ein Umstand auf den die tägliche Verletzung auch grundlegender Regeln humanitären Völkerrechts im innerstaatlichen Konflikt häufig zurückgeführt wird.152 Die Einhaltung von Vorschriften, an deren Entwicklung eine 150 Ad hoc-Vereinbarungen sowie Verpflichtungserklärungen einzelner Parteien sind keine neuartigen Instrumente des Rechts. Ihr Potenzial zur Verpflichtung und Selbstverpflichtung nichtstaatlicher Akteure blieb jedoch lange Zeit weitgehend unerwähnt. Das Engagement einzelner NGOs bei der Beratung und Schulung bewaffneter Gruppen sowie ein veränderter Fokus der internationalen Gemeinschaft und der Rechtswissenschaft auf das während nichtinternationaler Konflikte anwendbare Recht zeigten die Relevanz dieser Bindungsmöglichkeit verstärkt auf. Detailliert: Sivakumaran, The Law of NonInternational Armed Conflict, S. 107 ff.; Clapham, Focusing on armed non-state actors, in: Clapham/Gaeta (Hrsg.), The Oxford Handbook of International Law in Armed Conflict, S. 782 ff.; Ewumbue-Monono, Respect for international humanitarian law by armed non-state actors in Africa, International Review of the Red Cross 88 (2006), S. 907 ff. 151 Siehe bereits die Erläuterungen in Teil 1, Fn. 155. 152 Ryngaert/Van de Meulebroucke, Enhancing and Enforcing Compliance with International Humanitarian Law by Non-State Armed Groups: an Inquiry into some Mechanisms, Journal of Conflict & Security Law 16 (2011), S. 444; IKRK/Mack, Increasing Respect for International Humanitarian Law in Non-International Armed Conflict, S. 22. Im Detail auch Rondeau, Participation of armed groups in the development of the law applicable to armed conflicts, International Review of the Red Cross 93 (2011), S. 649 ff., die dafür plädiert, ad hoc-Vereinbarungen und Verpflichtungserklärungen im Entwicklungsprozess späterer multilateraler Verträge einzubeziehen und so bewaffnete Gruppen indirekt an der Rechtsentwicklung zu beteiligen (S. 662 mit Verweis auf die Argumentation der Geneva Academy of international humanitarian law and human
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Konfliktpartei nicht beteiligt war, unter die sie sich noch nicht einmal durch freie Willensentscheidung unterwerfen konnte und die zwar Verpflichtungen auferlegen, im Gegenzug aber weder innerstaatliche Legitimation, rechtliche Vorteile oder internationale Anerkennung ermöglichen, scheint tatsächlich wenig verlockend. Wird die Regierung des Territorialstaats, über dessen völkerrechtliche Vertragsautorität nach einer verbreiteten Ansicht die Bindung auch der bewaffneten Gruppe an Vertragsnormen hergeleitet wird153, als Unterdrücker und illegitimer Herrscher wahrgenommen, wird die durch den Staat vermittelte Verpflichtung von den gegen die Regierung kämpfenden Gruppen womöglich nochmals infrage gestellt.154 Und während die Einhaltung des Rechts für bewaffnete Gruppen keinen unmittelbaren Vorteil bringt, verstärken die durch humanitäres Völkerrecht auferlegten Handlungsbeschränkungen das Ungleichgewicht der Konfliktparteien, beispielsweise durch das nur einseitige wirkende Verbot der Ausbeutung natürlicher Ressourcen155. An dieser Stelle setzt die Strategie der Selbstverpflichtung an. Sie beruht auf dem Gedanken, dass eine nichtstaatliche Konfliktpartei eher gewillt ist, die durch das Recht vorgegebene Pflichtenverteilung hinzunehmen, wenn die Einhaltung des Rechts die Ziele der Konfliktpartei zu fördern vermag. In den wohl meisten Fällen innerstaatlicher Konflikte kämpfen nichtstaatliche Parteien um die dauerhafte Kontrolle eines Territoriums und Staatsvolkes. Zustimmung und Legitimation durch die Territorialbevölkerung sowie Anerkennung durch die internationale Gemeinschaft konstituieren gerade für Konfliktparteien, die sich selbst einer unrechtmäßigen Regierung gegenübersehen, ein erstes Fundament nachhaltigen Regierens. Einseitige oder mehrseitige Verpflichtungserklärungen, durch die eine bewaffnete Gruppe bestehende Rechtspflichten ausdrücklich anerkennt oder für sich sogar überhaupt erst anwendbar macht, zielen auch auf das Erlangen dieser Anerkennung. Dies ist nicht nur eine theoretische Annahme. Auch aus diesem Grund verpflichtete sich in Vergangenheit eine Vielzahl nichtstaatlicher Konfliktparteien durch einseitige Erklärungen oder ad hoc-Vereinbarungen zur Unterlassung bestimmter Schädigungshandlungen oder zur Respektierung von Normen humanitären Völkerrechts, an die sie
rights, Armed Non-State Actors and International Norms: Towards a better protection of civilians in armed conlicts, summary of initial research and discussions during an expert workshop, September 2010, abrufbar unter: http://www.geneva-academy.ch/ docs/reports/armednonstateactors.pdf [abgerufen am 26.10.2020], S. 8). 153 Siehe 1. Teil, § 3, C., I. 154 So u. a. Somer, Environmental protection and non-state armed groups: setting a place at the table for the elephant in the room, 4. Dezember 2015, abrufbar unter: http://www.trwn.org/blog-environmental-protection-and-non-state-armed-groups-settinga-place-at-the-table-for-the-elephant-in-the-room/ [abgerufen am 26.10.2020]; anklingend bei Klabbers, (I Can’t Get No) Recognition: Subjects Doctrine and the Emergence of Non-State Actors, in: Koskenniemi/Petman/Klabbers (Hrsg.), Nordic cosmopolitanism, S. 359. 155 Siehe 2. Teil, § 2, B., II., 3.
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anderenfalls gar nicht gebunden wären.156 Damit sind ad hoc-Vereinbarungen und unilaterale Verpflichtungserklärungen, obwohl sie im Grundsatz allen Konfliktakteuren in jeder Art bewaffneter Auseinandersetzungen offen stehen, ein Spezifikum gerade nichtinternationaler Konflikte, denn nur in diesen besitzt die überwiegende Zahl der Konfliktakteure keine andere rechtliche Möglichkeit der Selbstbindung. Obwohl derartige Erklärungen und Vereinbarungen aufgrund ihres Ursprungs in einer Handlung nichtstaatlicher Konfliktakteure nicht dem klassischen humanitären Völkerrecht zugeordnet werden können, sind ihre Wurzeln doch gleichwohl in diesem zu suchen. Die Möglichkeit der Vereinbarung und Erklärung von Einzelfallverpflichtungen nichtstaatlicher Akteure wird in mehreren Verträgen klargestellt und befürwortet. Bereits durch den gemeinsamen Art. 3 GA wurden Vereinbarungen zur Anwendung aller Vorschriften des Genfer Rechts zwischen den Parteien auch nichtinternationaler Konflikte angeregt157 und in Folge in einer Vielzahl bewaffneter Konflikte umgesetzt.158 Art. 19 (2) HK 1954 vermittelt für den Regelungsbereich des Haager Kulturgüterschutzabkommens sogar eine
156 Ein Großteil derartiger Erklärungen wurde durch die NGO Geneva Call zusammengetragen und im Internet zugänglich gemacht: Geneva Call, Their Words: the Directory of Armed Non-State Actor Humanitarian Commitments, http://theirwords.org/ pages/home [abgerufen am 26.10.2020]. 157 Art. 3 GA: „[. . .] The Parties to the conflict should further endeavour to bring into force, by means of special agreements, all or part of the other provisions of the present Convention.“ Zegveld, Accountability of armed opposition groups in international law, S. 29 weist darauf hin, dass Art. 3 den Vertragspartner eines solchen Abkommens nicht ausdrücklich bestimmt und Vereinbarungen im Sinne der Vorschrift daher auch z. B. mit dem IKRK geschlossen werden könnten. 158 Solche Abkommen wurden nach Verhandlungen unter Beteiligung von IKRK-Delegierten z. B. in Palästina in 1948, im Bürgerkrieg im Jemen 1963 sowie im Bürgerkrieg in Nigeria 1969 geschlossen. Jeweils erkannten beide Parteien die Vorgaben aller zu ihrer Zeit existierenden Genfer Abkommen an. Siehe Veuthey, Implementing International Humanitarian Law Old and New Ways, in: Ramcharan (Hrsg.), Human Rights Protection in the Field, S. 99. Teilweise werden solche Vereinbarungen auch gegenüber einer neutralen (dritten) Partei wie dem IKRK oder einer UN-Organisation erklärt. So z. B. das Comprehensive Agreement on Human Rights between the Government of the Republic of Guatemala and the Unidad Revolucionaria Nacional Guatemalteca, Mexico City, 29. März 1994, annexed to Letter dated 8 April 1994 from the UN SecretaryGeneral to the President of the UN General Assembly and to the President of the UN Security Council, UN Doc. A/48/928-S/1994/448, 19. April 1994, Annex I, das unter Aufsicht eines UN-Beobachters vereinbart wurde. Weitere Beispiele sind die der Front de Libération Nationale 1956 in Algeria, der Farabundo Martí para la Liberación Nacional (FMLN) 1988 in El Salvador, der National Democratic Front of the Philippines 1990 sowie der Ejército de Liberación Nacional 1995 in Kolumbien (vgl. Rondeau, Participation of armed groups in the development of the law applicable to armed conflicts, International Review of the Red Cross 93 (2011), S. 664 mit Verweis auf IKRK/Mack, Increasing Respect for International Humanitarian Law in Non-International Armed Conflict, S. 17).
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Pflicht, solche ad hoc-Übereinkünfte anzustreben.159 Art. 96 (3) ZP I erkennt ausdrücklich die Möglichkeit unilateraler Verpflichtungserklärungen der nichtstaatlichen Parteien in nationalen Befreiungskriegen mit der Folge der Anwendbarkeit aller Normen ZP I sowie der Genfer Abkommen für alle Konfliktparteien an.160 Auf diese Vorschrift bezugnehmend beschreibt auch Art. 7 (4) CCW die Möglichkeit der reziproken Anwendungsvereinbarung der Vorschriften der CCW und ihrer Protokolle für alle Parteien der in Art. 1 (4) ZP I genannten Befreiungskonflikte. Die Möglichkeit ein- oder mehrseitiger Unterwerfungs- und Verpflichtungserklärungen ist aber keinesfalls auf diese speziellen Fälle beschränkt. Jeder Konfliktpartei steht es schon aufgrund ihrer allgemeinen Handlungsfreiheit frei, sich den Normen des Völkerrechts zu unterwerfen. Beschränkungen können sich allein hinsichtlich der rechtlichen Folge solcher Erklärungen, der durch sie erreichbaren völkerrechtlichen Bindungswirkung ergeben.161 Diese Problematik tangiert jedoch nicht die grundlegende Vereinbarungs- und Erklärungsfreiheit. Einseitige Verpflichtungserklärungen und ad hoc-Vereinbarungen wurden weltweit in einer Vielzahl bewaffneter Konflikte genutzt.162 Ihre Abgabe beziehungsweise ihr Abschluss werden von NGOs wie dem IKRK oder Geneva Call, aber auch von UN-Organisationen und einzelnen Staaten wie der Schweiz, offensiv unterstützt, initiiert und begleitet.163 Inhaltlich reichen sie von einer bloßen 159 „[. . .] shall endeavour to bring into force, by means of special agreements, all or part of the other provisions of the present Convention“, Art. 19 (2) HK 1954. 160 Art. 96 (3) ZP I: „The authority representing a people engaged against a High Contracting Party in an armed conflict of the type referred to in Article 1, paragraph 4, may undertake to apply the Conventions and this Protocol in relation to that conflict by means of a unilateral declaration addressed to the depositary. [. . .].“ Die Anwendbarkeit der Vertragsnormen internationaler bewaffneter Konflikte für alle Konfliktparteien ist in Folge der Unterwerfung davon abhängig, ob auch die staatliche Partei die Abkommen sowie das Protokoll ratifiziert hat. Bis zum Zeitpunkt der Abgabe einer Erklärung nach Art. 96 (3) ZP I ist die bewaffnete Gruppe allein an die aus dem gemeinsamen Art. 3 GA fließenden Grundpflichten des humanitären Völkerrechts gebunden (Partsch, Commentary on Art. 96 AP I, in: Bothe et al., New Rules for Victims of Armed Conflicts, Commentary on the two 1977 Protocols Additional to the Geneva Conventions of 1949, S. 632, Rn. 2.7). 161 Dazu sogleich § 3, C. 162 Siehe erneut Teil 3, Fn. 156 sowie Geneva Call, Annual Report 2014 Protecting Civilians in Armed Conflict, Mai 2015, abrufbar unter: http://www.genevacall.org/wpcontent/uploads/dlm_uploads/2015/05/2014-Geneva-Call-Annual-Report-Short-version. pdf [abgerufen am 26.10.2020]. Vgl. ebenso die Beispiele bei IKRK/Mack, Increasing Respect for International Humanitarian Law in Non-International Armed Conflict, S. 22. 163 Gerade unparteiischen NGOs kommt in diesem Kontext eine besondere Stellung zu. Ihnen fällt es oft leichter, unmittelbar mit bewaffneten Gruppen in Kontakt zu treten und ihnen die Möglichkeiten und Vorteile derartiger Verpflichtungserklärungen zu unterbreiten. Siehe insbesondere für die Rolle von Geneva Call: Bongard/Somer, Monitoring armed non-state actor compliance with humanitarian norms: a look at international mechanisms and the Geneva Call Deed of Commitment, International Review of
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Bekräftigung der Anwendung aller Regeln des humanitären Völkerrechts sowie der Menschenrechte164 bis zu spezifischen Erklärungen über den Schutz von Kindern vor Rekrutierung165 oder der Vereinbarungen besonders geschützter Zonen.166
B. Umweltschutz durch Einzelfallvereinbarungen – Erfolgsaussichten Durch unilaterale oder mehrseitige ad hoc-Verpflichtungserklärungen kann auch die Umwelt vor kriegsbedingten Schäden geschützt werden. Die Parteien bewaffneter Konflikte können beispielsweise vereinbaren, Nationalparks und andere Regionen von herausragender ökologischer Bedeutung nicht militärisch zu nutzen und feindliche Handlungen im Umkreis dieser Regionen zu unterlassen. Diese Möglichkeit erkannte auch die ILC bei ihrer Analyse des zum Schutz der Umwelt während bewaffneter Konflikte anwendbaren Völkerrechts. Aus ökologischen oder kulturellen Gründen besonders erhaltenswerte Gebiete sollten, so heißt es in Draft Principle 17, durch Vereinbarung von feindlichen Handlungen ausgenommen werden.167 Neben der Schonung ökologisch wertvoller Umweltthe Red Cross 93 (2011), S. 673 ff. In gleicher Funktion treten auch einzelne UN-Organisationen sowie andere NGOs wie Human Rights Watch auf. Vor allem der Schweizer Kanton Genf unterstützt diese Bemühungen, indem er für viele Verpflichtungserklärungen als Hinterleger fungiert. Vgl. die von einer Vielzahl bewaffneter Gruppen abgegebenen Verpflichtungserklärungen („deeds of commitments“) von Geneva Call, abrufbar unter: https://genevacall.org/de/ressourcen/dokumente/ [abgerufen am 26.10.2020]. Auch das Eidgenössische Departement für Auswärtige Angelegenheiten nimmt die Rolle der Schweiz als Depositar völkerrechtlicher Verträge auch hinsichtlich einseitiger Verpflichtungserklärungen nichtstaatlicher Konfliktparteien wahr (vgl. die Mitteilung des Departement über die unilaterale Erklärung der PLO zur Anwendung der Genfer Abkommen und des ZP I: Swiss Federal Department of Foreign Affairs, Note of information: Palestine and the Geneva Conventions, International Review of the Red Cross, No. 274, Januar–Februar 1990, S. 64 f.). 164 Kritisch zu derartigen allgemeinen Erklärungen: Sassòli, The implementation of international humanitarian law: Current and inherent challenges, Yearbook of International Humanitarian Law 10 (2007), S. 64. Die Einhaltung aller Vorschriften der Genfer Abkommen sowie der Zusatzprotokolle sei für bewaffnete Gruppen kaum zu leisten. Spezifische Verpflichtungserklärungen, die auf die Einhaltung weniger Kernpflichten begrenzt sind, seien vorzugswürdig. 165 FARC-EP, Announcement on minors in the conflict vom 15. Februar 2015, abrufbar unter: http://theirwords.org/media/transfer/doc/farc_ep_announcement_on_minors_ in_the_conflict-e6c1d31649e5c1560d3487a1740e48c0.pdf [abgerufen am 26.10.2020]. 166 Agreement Relating to the Establishment of a Protected Zone Around the Hospital of Osijek vom 27. Dezember 1991 between the Yugoslav Federal Executive Council, the Yugoslav People’s Army, the Republic of Croatia and the Republic of Serbia, abrufbar unter: http://theirwords.org/media/transfer/doc/sc_yu_croatia_serbia_1991_05-a9cc 261d359aa66dc002e823921202f6.pdf [abgerufen am 26.10.2020]. 167 ILC, Report of the International Law Commission on the Work of its 71st Session 2019, UN GAOR 74th Session, Supp. No. 10, A/74/10, S. 260. Zu Draft Principle 17 siehe oben, Teil 2, § 2, B., III., 3., b). In ihrem neuesten Bericht von 2019 erwähnte Special Rapporteur Lehto ausdrücklich die Instrumente unilateraler Verpflichtungser-
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stätten wären aber auch Vereinbarungen oder Erklärungen denkbar, die feindliche Handlungen gegen bestimmte Anlagen wie Chemiefabriken oder Ölförder- und -aufbereitungsanlagen untersagen. In Theorie ist dem durch freiwillige Verpflichtungen bewirkten Umweltschutz keine Grenze gesetzt. Die grundsätzliche Möglichkeit freiwilliger Handlungsbegrenzungen hilft allein natürlich nicht weiter. Theoretisch könnten Konfliktparteien schließlich das vollständige Absehen von feindlichen Handlungen vereinbaren. Fraglich ist vielmehr, unter welchen Umständen sich Konfliktparteien tatsächlich bereit erklären, die Umwelt über bestehende Verpflichtungen hinaus zu schonen und welche Erklärungs- und Vereinbarungsinhalte im Konfliktszenario einen tatsächlichen Unterschied machen könnte. So dürfte die Erklärung einer nichtstaatlichen Partei, keine schweren, langanhaltenden und weitreichenden Umweltschäden im Sinne der Art. 35 (3) und 55 ZP I zu verursachen, dem Umweltschutz wenig nützen, schließlich sind nichtstaatliche Gruppen in den meisten Fällen sowieso nicht in der Lage, derart gravierende Schäden zu verursachen, die geeignet wären, die bislang angenommene Anwendungssschwelle des Verbots zu erreichen.168 Die Bezugnahme auf Vorschriften, die mangels realitätsnaher Regelung selbst keine Wirkung erzielen, nützt also auch bei freiwilliger Unterwerfung nichts. Dagegen müsste sich die Hoffnung, bewaffnete Gruppen könnten durch freiwillige Erklärung auf umweltund bevölkerungsschädigende Ausbeutungen natürlicher Ressourcen in den von ihnen faktisch beherrschten Gebieten verzichten, den Vorwurf der Naivität gefallen lassen. Das freiwillige Absehen von einer gewinnbringenden Handlung dürfte häufig nur dann von einer bewaffneten Gruppe in Erwägung gezogen werden, wenn das Unterlassen vergleichbare Vorteile einbrächte wie die Handlung selbst. Dies mag bei der Verpflichtung zur Einhaltung international bereits anerkannter und als zentral erachteter Pflichten humanitären Völkerrechts der Fall sein, nicht jedoch bei Unterlassungspflichten, deren Verletzung keinen starken moralischen Aufschrei der internationalen Gemeinschaft oder der Bevölkerung des jeweiligen Territoriums erwarten lässt. Dies gilt umso mehr, da die infrage stehende Handlung bei Abgabe einer unilateralen Verpflichtungserklärung für die gegnerische staatliche Konfliktpartei zulässig bliebe und daher das Absehen von der Handlung zunächst einen Nachteil mit sich brächte. klärungen nichtstaatlicher Akteure sowie ad hoc-Vereinbarungen zwischen den Konfliktparteien (ILC, Second Report on Protection of the Environment in Relation to Armed Conflicts by Marja Lehto, Special Rapporteur, 27. März 2019, A/CN.4/728, Rn. 54). Aber auch sie weist darauf hin, dass die rechtliche Wirkung solcher Vereinbarungen nicht immer klar sei (ibid.). 168 Wobei diese Feststellung überwiegend als Kritik an der derzeit akzeptierten Anwendungsschwelle verstanden werden muss. Würde eine an tatsächlichen Gefahren orientierte Anwendungsschwelle des Verbots der Herbeiführung qualifizierter Umweltschäden international akzeptiert werden, hätte auch eine entsprechende Verpflichtungserklärung ein tatsächliches Schutzpotenzial.
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Ein Blick auf die Inhalte vieler Verpflichtungserklärungen zeigt, dass im überwiegenden Fall solche Pflichten durch bewaffnete Gruppen akzeptiert beziehungsweise bestätigt wurden, die bereits für staatliche Konfliktparteien anerkannt sind. So wurden beispielsweise die Vorschriften der Genfer Abkommen sowie der Zusatzprotokolle als Ganzes169 oder die konfliktrelevanten Kerninhalte bestimmter Abkommen wie der UN-Kinderrechtskonvention170 oder dem Übereinkommen über die Beseitigung jeder Form der Diskriminierung von Frauen (CEDAW)171 in Verpflichtungserklärungen nichtstaatlicher Organisationen für anwendbar erklärt. Gerade die Verpflichtungen zur Einhaltung der Kernbestandteile der CEDAW sowie der Kinderrechtskonvention sind bezeichnend. Beide Konventionen enthalten Vorschriften wie das Verbot sexualisierter Gewalt im Konfliktkontext oder das Verbot der Nutzung von Kindersoldaten, deren Verletzung regelmäßig internationale Missbilligung erfährt. Durch die freiwillige Verpflichtung, die Kernbestandteile dieser Konventionen einzuhalten, verzichten bewaffnete Gruppen also nicht auf Handlungen, die den Staaten weiterhin offenstehen. Gleichzeitig dürfen nichtstaatliche Konfliktparteien darauf hoffen, durch Abgabe entsprechender Verpflichtungserklärungen den moralischen Überzeugungen großer Teile der Weltbevölkerung zu entsprechen und dadurch womöglich Unterstützung zu erlangen. Nicht ohne Grund wurde die Möglichkeit der Selbstverpflichtung zur Einhaltung der Kernelemente gerade dieser UN-Konventionen in den letzten Jahren vermehrt genutzt.172 169
Siehe erneut die Kritik von Sassòli, Teil 3, Fn. 164. Convention on the Rights of the Child vom 20. November 1989, 1577 UNTS 3; insb. Art. 38: Verbot der Rekrutierung von Kindern unter 15. 171 Insb. Art. 1 bis 3 und 5 a) CEDAW (Convention on the Elimination of All Forms of Discrimination against Women vom 18. Dezember 1979, 1249 UNTS 13): Maßnahmen gegen sexualisierte Gewalt. Zur Anwendbarkeit der Konvention im Kontext bewaffneter Konflikte: Committee on the Elimination of Discrimination against Women, General recommendation No. 30 on Women in conflict prevention, conflict and postconflict situation, 18. Oktober 2013, CEDAW/C/CGC/30, Rn. 8 ff. Das Komitee stellt allerdings auch klar, dass nichtstaatliche Konfliktakteure die CEDAW nicht ratifizieren können und daher allein an die innerstaatlichen Vorschriften, welche die Inhalte der CEDAW umsetzen, gebunden werden können (a. a. O., Rn. 13 ff.). 172 Die Abgabe derartiger Verpflichtungen ist vor allem der Vorbereitungsarbeit der NGO Geneva Call zu verdanken. Geneva Call entwickelte in den letzten Jahren mehrere Modelverpflichtungserklärungen nach dem Vorbild großer UN-Konventionen und bemühte sich darum, diese bewaffneten Gruppen zur Unterzeichnung und Selbstverpflichtung vorzulegen. In Folge unterzeichneten bis Mitte 2020 53 nichtstaatliche bewaffnete Gruppen die von Geneva Call entwickelte Verpflichtungserklärung zum Verbot von Antipersonenminen (vgl. Geneva Call, Deed of Commitment for Adherence to a Total Ban on Anti-Personnel Mines and for Cooperation in Mine Action, abrufbar unter https://www.genevacall.org/documents/ [abgerufen am 26.10.2020]). Laut Geneva Call führte diese Selbstverpflichtung in vielen Fällen zu aktiven Bemühungen der Gruppen gegen den Einsatz der Minen, beziehungsweise hinsichtlich der Verminderung der durch sie verursachten Schäden. Bezüglich des Schutzes von Kindern in bewaffneten Konflikten konnte Geneva Call bislang 27 Gruppierungen (Mitte 2020) zu einer Selbstverpflichtung bewegen (Geneva Call, Deed of Commitment for the Protection of Chil170
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Die Selbstverpflichtung nichtstaatlicher Akteure zur Einhaltung solcher Pflichten, die nicht einmal für die Parteien internationaler Konflikte bestehen, ist dagegen eher unwahrscheinlich. Derartige Erklärungen lassen mangels einer starken moralischen und politischen Akzeptanz ihres Inhalts nicht das gleiche Maß an internationaler Anerkennung erwarten. Darüber hinaus erleichtert die Orientierung an bereits bestehenden Vertragswerken bewaffneten Gruppen sowie initiierend tätig werdenden NGOs die Vorbereitung und Formulierung einer späteren Erklärung. Schließlich braucht es eine starke Initiative von innen oder von außerhalb der Gruppe, um diese zur Abgabe einer entsprechenden Erklärung zu bewegen. Diese wird eher zu generieren sein, wenn die infrage stehende Verpflichtung bereits an anderer Stelle formuliert wurde und ihre Relevanz durch die Einbettung in ein völkerrechtliches Abkommen bereits Bestätigung fand. Das Bestehen rechtlicher Vorbilder im Sinne bereits anerkannter Handlungsschranken erleichtert und motiviert auch die Arbeit neutraler Dritter als Vermittler und Unterstützer. So entwickelte die NGO Geneva Call in den letzten Jahren mehrere Modelverpflichtungserklärungen nach dem Vorbild eben jener UN-Konventionen, der Kinderrechtskonvention sowie der CEDAW, und legte diese Modelverpflichtungen bewaffneten Gruppen zur Unterzeichnung und Selbstverpflichtung vor. Dieses Vorgehen war Hauptauslöser für die große Zahl der Selbstverpflichtungen bewaffneter Gruppen zur Einhaltung der Kernprinzipien dieser UN-Konventionen.173 Die Existenz von Mustervorschriften erhöht die Wahrscheinlichkeit der Abgabe einer entsprechenden Erklärung also deutlich. Auch aus diesem Grund schlug Meron schon Mitte der 1990er Jahre die Aufstellung und Vorbereitung von Mustervorschriften und Musterverträgen zum Schutz der Umwelt während nichtinternationaler Konflikte vor, die dann im Einzelfall von bewaffneten Grupdren from the Effects of Armed Conflict, abrufbar unter https://www.genevacall.org/ documents/ [abgerufen am 26.10.2020]). Siehe https://www.genevacall.org/what-wedo/ [abgerufen am 26.10.2020]. Diese Verpflichtungserklärungen stellen inhaltliche Nachbildungen einzelner Bestimmungen des humanitären Völkerrechts dar (in Bezug auf den Schutz von Kindern: Art. 77 (2) ZP II, Art. 4 (3) (c) ZP II, die Convention on the Rights of the Child vom 20. November 1989, 1577 UNTS 3 sowie deren Optional Protocol to the Convention on the Rights of the Child on the Sale of Children, Child Prostitution and Child Pornography vom 25. Mai 2000, 2171 UNTS 227). Die Verpflichtungserklärung zum Verbot des Einsatzes von Antipersonenminen findet ihr Vorbild in der Ottawa-Konvention (siehe Ryngaert/Van de Meulebroucke, Enhancing and Enforcing Compliance with International Humanitarian Law by Non-State Armed Groups: an Inquiry into some Mechanisms, Journal of Conflict & Security Law 16 (2011), S. 448 ff.). Auch zu den Inhalten der CEDAW entwickelte Geneva Call eine entsprechende Modellverpflichtungserklärung, die bis Mitte 2020 25 bewaffnete Gruppen unterzeichneten (vgl. Geneva Call, Deed of Commitment for the Prohibition of Sexual Violence in Situations of Armed Conflict and towards the Elimination of Gender Discrimination, abrufbar unter: https://www.genevacall.org/documents/ [abgerufen am 26.10.2020]). 173 Ibid.
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pen anerkannt werden könnten.174 Ähnliche Ideen werden noch immer vorgebracht.175 Sie blieben bislang allerdings ohne praktische Umsetzung. Obwohl solche Mustervorschriften die Formulierung im Einzelfall obsolet machen und dadurch die Abgabe einer entsprechenden Verpflichtungserklärung erleichtern, unterbreitet ihre bloße Existenz natürlich noch keinen starken Anreiz für eine freiwillige Unterwerfung. Auch Mustervorschriften sind daher vor allem mit Blick auf solche Schutzvorschriften erfolgversprechend, die bereits internationale Anerkennung erlangt haben und deren Einhaltung der bewaffneten Gruppe einen moralischen und damit unter Umständen einen politischen Vorteil verschaffen könnte. Unilaterale Erklärungen und ad hoc-Vereinbarungen sind also wenig geeignet, das zulässige Maß der Umweltzerstörung in bewaffneten Konflikten losgelöst von bereits international existenten Handlungsschranken zu begrenzen oder bislang unbekannte Verbote der Mittel und Methoden der Kriegsführung erstmals festzusetzen. Größeren Erfolg versprechen dagegen Vereinbarungen, die sich auf bereits bestehende völkerrechtliche Verbote und Gebote beziehen. Ein Schutzgewinn ist durch sie dennoch möglich, schließlich kann Zweck der Vereinbarung sein, die entsprechende Schutzvorschrift für einen bestimmten Konflikttypus oder einen bestimmten Konfliktakteur überhaupt zur Anwendung zu bringen. Ad hoc-Vereinbarungen zur Schonung bestimmter ökologisch oder kulturell bedeutender Regionen fallen unter diese Kategorie der erfolgversprechenden Vereinbarungen, insofern sie sich auf Regionen beziehen, die beispielsweise bereits in der Welterbeliste der WHC geführt werden. Ähnliches gilt, wenn auch in abgeschwächtem Maß, wohl auch für die durch die Ramsar-Konvention geschützten Gebiete.176 Eine Vereinbarung der Schonung einer Umweltregion, die bereits auf der Welterbeliste der WHC geführt wird, wäre durchaus mit den bereits erfolggekrönten Musterverpflichtungen zu den Inhalten der UN-Kinderrechtskonvention oder der CEDAW vergleichbar.177 Da die Mitgliedstaaten der WHC auch bei Ausbruch eines bewaffneten Konflikts auf ihrem Territorium nicht vollständig von den durch die Konvention auferlegten Pflichten zum Schutz
174 Meron, Comment: Protection of the Environment During Non-international Armed Conflicts, in: Grunawalt/King/McClain (Hrsg.), Protection of the Environment during Armed Conflict and other Military Operations, S. 356. 175 Oswald, The Harmonization Project: Improving Compliance with the Law of War in Non-International Armed Conflicts, Columbia Journal of Transnational Law 53 (2014–2015), S. 109. 176 Die Ratifikationszahl der Ramsar-Konvention ist zwar immer noch hoch (Mitte 2020: 171 Mitgliedstaaten, vgl. http://www.ramsar.org/ [abgerufen am 26.10.2020]), steht allerdings noch deutlich hinter der der WHC zurück (193, vgl. http://whc.unesco. org/en/statesparties/ [abgerufen am 26.10.2020]). 177 Zu den Deeds of Commitment, siehe Teil 3, Fn. 172.
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der jeweils eingetragenen Gebiete befreit sind178, hätte eine einseitige Verpflichtungserklärung nichtstaatlicher Konfliktparteien auch keine Intensivierung ungleich auferlegter Verbote zur Folge. Die nahezu globale Anerkennung der WHC dürfte darüber hinaus einen Anerkennungsanreiz für die Abgabe einer entsprechenden Erklärung bieten. Die Bemühung um das Erreichen derartiger ad hocVereinbarungen und Erklärungen könnte der Erhaltung werthafter Umweltbestandteile im Konflikt also tatsächlich nutzen. Voraussetzung ist allerdings die bereits erfolgte Aufnahme des zu schützenden Objekts bzw. Gebiets in die jeweilige Liste geschützter Güter eines Umweltabkommens, insbesondere der WHC oder der Ramsar-Konvention.
C. Hindernisse, rechtliche Wirkung und Folgeprobleme Freiwillige Verpflichtungserklärungen nichtstaatlicher Konfliktakteure können eine rechtliche Regelung dennoch nicht mit vergleichbarer Effektivität ersetzen. Vereinbarungen im Einzelfall sind mit einem hohen Aufwand verbunden. Ihre Verhandlung benötigt lange Zeit und wird in einer Vielzahl bewaffneter Konflikte nicht gelingen. Selbst bei erfolgreicher Abgabe sind die Folgen der Erklärung oder Vereinbarung nicht gesichert. Ihre tatsächliche Einhaltung durch die Konfliktparteien ist ähnlich ungesichert wie die Erfüllung klassischer Rechtsnormen, ihre rechtliche Relevanz ist dagegen zusätzlich umstritten. Vergleichsweise wenig problematisch sind die Folgen bilateraler und multilateraler Vereinbarungen von staatlichen und nichtstaatlichen Parteien nichtinternationaler Konflikte. Der ICTY erkannte an, dass sie unter bestimmten Voraussetzungen Grundlage internationaler Strafverfolgung durch den Gerichtshof sein können. Voraussetzung sei, dass die jeweiligen Einzelfallverträge im Einklang mit ius cogens stünden und inhaltlich über Gewohnheitsrecht hinausgingen.179 Ebenso ging die Darfur-Kommission von der rechtlichen Bindungswirkung von
178 Zur Fortgeltung der WHC während bewaffneter Konflikte am Beispiel des Virunga-Nationalparks: Sjöstedt, The Role of Multilateral Environmental Agreements in Armed Conflict: ,Green-keeping‘ in Virunga Park. Applying the UNESCO World Heritage Convention in the Armed Conflict of the Democratic Republic of Congo, Nordic Journal of International Law 82 (2013), S. 129 ff. 179 ICTY, Prosecutor v. Dus ˇko Tadic´, Appeals Chamber Decision on the Defence Motion for Interlocutory Appeal on Jurisdiction, 2. Oktober 1995, Case No. IT-94-1-AR72, Rn. 143 f. Durch die Anerkennung der grundsätzlichen Zuständigkeit des ICTY ist aber noch keine Aussage über die Rechtsbindung beziehungsweise Anwendbarkeit einer solchen Vereinbarung getroffen. Ihre Eigenschaft als „Vertrag“ könnte aufgrund des Status der Parteien erneut infrage gezogen werden. Siehe für einen Überblick über die Rechtsprechung des ICTY in Bezug auf solche speziellen Vereinbarungen: Vierucci, ,Special Agreements‘ between Conflicting Parties in the Case-law of the ICTY, in: Swart, A. H. J/ Zahar/Sluiter (Hrsg.), The legacy of the International Criminal Tribunal for the Former Yugoslavia, S. 401 ff.
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3. Teil: Schutz der Umwelt durch humanitäres Völkerrecht
Abkommen zwischen den Rebellengruppen und der Regierung aus.180 Die Kommission beschränkte die Wirkung allerdings auf solche Gruppen, die über ein gewisses Maß an innerer Organisation verfügen.181 Auch der UN-Sicherheitsrat verlangte in der Vergangenheit die Einhaltung solcher Abkommen durch bewaffnete Gruppen und sprach ihnen somit indirekt Bindungswirkung zu.182 Die Gegenansicht, welche die völkerrechtliche Bindungskraft derartiger Abkommen mit dem Argument verneint, Vereinbarungen mit nichtstaatlichen Akteuren könnten keinen Vertrag im Sinne des Völkerrechts darstellen183, ist bislang allerdings noch nicht gänzlich verdrängt worden. So wies zuletzt auch ILC Special Rapporteur Lehto darauf hin, dass die rechtliche Wirkung solcher besonderen Vereinbarungen nicht immer klar sei.184 Die Behandlung einseitiger Verpflichtungserklärungen nichtstaatlicher Gruppen ist von dieser Klassifikation zu trennen. Während die rechtliche Relevanz einseitiger Erklärungen von Staaten insbesondere durch den IGH in Vergangenheit bejaht wurde185, wird die rechtliche Relevanz vergleichbarer Erklärungen nichtstaatlicher Akteure überwiegend abgelehnt.186 Erklärungen und Handlungen 180 International Commission of Inquiry on Darfur, Report to the United Nations Secretary-General vom 25. Januar 2005, pursuant to Security Council Resolution 1564 vom 18. September 2004, abrufbar unter: https://www.un.org/ruleoflaw/files/com_inq_ darfur.pdf [abgerufen am 26.10.2020], Rn. 173 f. 181 International Commission of Inquiry on Darfur, a. a. O., Rn. 174. Befürwortend Clapham, Focusing on armed non-state actors, in: Clapham/Gaeta (Hrsg.), The Oxford Handbook of International Law in Armed Conflict, S. 783. 182 Siehe beispielsweise UNSC, Resolution 1127 vom 28. August 1997 on Angola, S/RES/1127 (1997) in der der Sicherheitsrat UNITA dazu aufforderte, die eingegangenen Verpflichtungen aus dem Lusaka-Protokoll einzuhalten. Vgl. Sivakumaran, The Law of Non-International Armed Conflict, S. 109. 183 Siehe Erläuterungen bei Sivakumaran, a. a. O., S. 109. 184 ILC, Second Report on Protection of the Environment in Relation to Armed Conflicts by Marja Lehto, Special Rapporteur, 27. März 2019, A/CN.4/728, Rn. 54. 185 Zur Bindungswirkung einseitiger Erklärungen: IGH, Nuclear Tests Case (Australia v. France), Urteil vom 20. Dezember 1974, I.C.J. Reports 1974, S. 253 ff., Rn. 42– 46; IGH, Nuclear Tests Case (New Zealand v. France), Urteil vom 20. Dezember 1974, I.C.J. Reports 1974, S. 457 ff., Rn. 45–49. Im Frontier Dispute-Fall (IGH, Case concerning the Frontier Dispute (Burkina Faso v. Republic of Mali), Urteil vom 22. Dezember 1986, I.C.J. Reports 1986, S. 554 ff. machte der Gerichtshof aber deutlich, dass die rechtliche Bindungswirkung unilateraler Erklärungen nur zurückhaltend angenommen werden könne und insbesondere dann zu verneinen sei, wenn dem Akteur ein anderes Mittel rechtlicher Bindung (z. B. durch Verhandlung und Vertragsschluss) zur Verfügung stand (IGH, a. a. O., Rn. 40). 186 Roberts/Sivakumaran, Lawmaking by Nonstate Actors: Engaging Armed Groups in the Creation of International Humanitarian Law, The Yale Journal of International Law 37 (2012), S. 115 ff.; Sivakumaran, The Law of Non-International Armed Conflict, S. 109 weist darauf hin, dass der ICTR in Akayesu eine Bindungserklärung der RPFRebellenarmee (Rwandese Patriotic Front) gegenüber dem IKRK erwähnte als er das Vorhandensein eines Konflikts i. S. d. ZP II prüfte (ICTR, Prosecutor v. Jean-Paul Akayesu, Urteil der Verfahrenskammer vom 2. September 1998, Case No. ICTR-96-4-T, Rn. 627).
§ 3 Strategie der Beteiligung im Einzelfall
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nichtstaatlicher Akteure sind im System der Völkerrechtserzeugung tatsächlich nicht vorgesehen.187 Der begrenzte völkerrechtliche Status bewaffneter Gruppen sieht zwar eine Bindung an Normen, nicht aber die Partizipation bei ihrer Erschaffung vor. Zwar würde einiges dafür sprechen, eine rechtliche Bindungswirkung der jeweiligen Gruppe bei Vorhandensein eines Verpflichtungswillens, einer ausreichend konkreten Erklärung188 sowie der Fähigkeit zur Pflichtenbefolgung189, aufgrund bona fides anzunehmen190, die politische Realität lässt dies jedoch nicht zu. Allein schon die Befürchtung einer rechtlichen Aufwertung nichtstaatlicher Gruppen durch ihre Partizipation bei der Erzeugung von Völkerrecht steht einer derartigen Einordnung deutlich entgegen.
187 Ryngaert/Van de Meulebroucke, Enhancing and Enforcing Compliance with International Humanitarian Law by Non-State Armed Groups: an Inquiry into some Mechanisms, Journal of Conflict & Security Law 16 (2011), S. 446 argumentieren mit einer Parallele zu IGH, Reparation for Injuries Suffered in the Service of the United Nations, Advisory Opinion vom 11. April 1949, I.C.J. Reports 1949, S. 174 ff.: Die Bedürfnisse der internationalen Gemeinschaft könnten eine Bindungswirkung auch für nichtstaatliche Gruppen erfordern. Angesichts der Häufigkeit nichtinternationaler Konflikte und der damit verbundenen Bedeutung bewaffneter nichtstaatlicher Gruppen für die gesamte internationale Gemeinschaft ist dieses Argument durchaus valide. Clapham, Focusing on armed non-state actors, in: Clapham/Gaeta (Hrsg.), The Oxford Handbook of International Law in Armed Conflict, S. 783 verweist in diesem Zusammenhang auf das IKRK, das Verpflichtungserklärungen als denkbare Grundlage konkreter interner Verhaltensrichtlinien beschreibt (IKRK/Mack, Increasing Respect for International Humanitarian Law in Non-International Armed Conflict, S. 22). Eine völkerrechtliche Bindungswirkung wird bei dem durch Clapham vertretenen Ansatz aber nicht angenommen. 188 Diese wird man bei einer allgemeinen Erklärung der Respektierung sämtlichen humanitären Völkerrechts im Zweifel ablehnen müssen. 189 Diese kann auf Grundlage eines gewissen Organisationsgrad der Gruppe vermutet werden. Die Frage der Bindungswirkung kann wohl nicht pauschal für alle Parteien nichtinternationaler bewaffneter Konflikte beantwortet werden. Die Bandbreite nichtstaatlicher Akteure und Gruppen ist enorm weit. Sie reicht von Gruppen, die relativ stabile Kontrolle über einen Teil eines Staatsgebiets ausüben, dort faktische Hoheitsgewalt besitzen und zumindest in Ansätzen (unabhängig ihrer Legitimation) exekutiv, judikativ und legislativ tätig sind, bis zu losen bewaffneten Gruppierungen, die keine Kontrolle über Gebietsteile ausüben und deren interne Ordnung schwach und wenig hierarchisch aufgebaut ist. Transnationale Terrorismusorganisationen und Guerillakämpfer komplettieren das Bild. Es muss daher in jedem Einzelfall geprüft werden, ob die äußernde Instanz als Vertreter einer hierarchischen Gruppe auftritt, die auch in der Lage ist, die geäußerte Verpflichtungserklärung zumindest in der Theorie umzusetzen. Vgl. International Commission of Inquiry on Darfur, Report to the United Nations SecretaryGeneral vom 25. Januar 2005, pursuant to Security Council Resolution 1564 vom 18. September 2004, abrufbar unter: https://www.un.org/ruleoflaw/files/com_inq_dar fur.pdf [abgerufen am 26.10.2020], S. 174, die diese Ansicht für die Möglichkeit der Eingehung bindender ad hoc-Vereinbarungen teilt. 190 So auch Clapham, Focusing on armed non-state actors, in: Clapham/Gaeta (Hrsg.), The Oxford Handbook of International Law in Armed Conflict, S. 783; Klabbers, (I Can’t Get No) Recognition: Subjects Doctrine and the Emergence of Non-State Actors, in: Koskenniemi/Petman/Klabbers (Hrsg.), Nordic cosmopolitanism, S. 360.
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3. Teil: Schutz der Umwelt durch humanitäres Völkerrecht
Dies führt allerdings nicht nur dazu, dass bewaffnete Gruppen für Verstöße gegen die von ihnen abgegebenen Verpflichtungserklärungen nicht zur Rechenschaft gezogen werden können. Die Ablehnung rechtlicher Bindungskraft ist auch unter humanitären Gesichtspunkten wenig sinnvoll. Ein Rechtssystem, das bestimmte Konfliktakteure mit weniger Rechten versieht, sie in Klabbers Worten als „second-rank citizens“ behandelt, läuft Gefahr, dass diese Akteure nicht nur gegen ihren Konfliktgegner, sondern auch gegen das System selbst aufbegehren. Die Ausübung von Gewalt mag dann ein leicht zu ergreifendes Mittel sein, um Aufmerksamkeit und Gehör zu generieren.191 Die Ablehnung jeglicher Bindungswirkung einer durch Konfliktparteien erreichten Vereinbarung erscheint zudem angesichts der oft langen Bemühungen um ihren Abschluss sowie der faktischen Bedeutung ihres Eingehens für den Verlauf eines Konflikts als unzureichend. Der starre Verweis auf die Systematik der Völkerrechtsentstehung hat zudem nur begrenzte Aussagekraft, schließlich wird die Bindung nichtstaatlicher Gruppen an völkerrechtliche Normen des Vertrags- und Gewohnheitsrechts trotz dogmatischer Defizite der Herleitung heute weit überwiegend anerkannt.192 Die befürchtete Aufwertung dieser Konfliktakteure wurde gleichwohl nicht bewirkt. Sie wäre auch nicht notwendig mit der Anerkennung rechtlicher Bindungswirkung einer einseitigen Verpflichtungserklärung verbunden. Wird die Tragkraft des Arguments der rechtlichen Verpflichtung aufgrund ihrer bloßen Notwendigkeit im Kontext vertraglicher und gewohnheitsrechtlicher Normen anerkannt,193 sollte das gleiche Argument auch an dieser Stelle Akzeptanz erfahren. Die Nichtanerkennung jeglicher rechtlicher Relevanz von Verpflichtungserklärungen nichtstaatlicher Akteure, die im Fall ihrer Äußerung durch einen Staat Bindungswirkung besäßen,194 stellt ein fehlerhaftes Beharren auf Prinzipien der Rechtsentstehung dar. Es ist dem Schutz von Menschen und Umwelt im Krieg nicht zuträglich.195
D. Fazit Eine Strategie der Beteiligung nichtstaatlicher Akteure an der Aufstellung von Handlungsverboten ist sicherlich kein Allheilmittel gegen bestehende Schutzdefi191
So auch Klabbers, a. a. O., S. 368 f. Siehe oben 1. Teil, § 3, C. 193 1. Teil, § 3, C. 194 Vgl. Teil 3, Fn. 179 und 181. 195 Siehe auch Sassòli, The implementation of international humanitarian law: Current and inherent challenges, Yearbook of International Humanitarian Law 10 (2007), S. 66, der zu Recht zu bedenken gibt, dass auch wenn Gewaltausübung durch bewaffnete Gruppen inakzeptabel ist, dieser Umstand nicht dazu führen sollte, nicht mit diesen Gruppen zu interagieren. Die Realität lasse sich nicht verleugnen. Dies hätten auch die Erzeuger des heutigen ius in bello begriffen und Recht für einen Sachverhalt geschaffen, der ihnen sicherlich ebenso missfiel. 192
§ 3 Strategie der Beteiligung im Einzelfall
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zite des humanitären Völkerrechts. In einzelnen Aspekten rechtlicher Umweltbewahrung könnte die Beteiligung aller Konfliktparteien aber durchaus ein Mehr an Schutz bewirken. Der große Vorteil von Vereinbarungen und Erklärungen nichtstaatlicher Gruppen liegt in der möglichen Regelung des Einzelfalls durch vergleichsweise wenige Konfliktparteien. Schutznormen müssen in diesem Fall nicht mit einer großen Anzahl unterschiedlicher Akteure auf der Basis eines politisch schwer zu erreichenden Konsenses geschaffen werden. So ist es unter Umständen leichter, für die konkrete Konfliktsituation tatsächlich relevante Pflichten zu vereinbaren. Der spiegelbildliche Nachteil derartiger Vereinbarungen liegt allerdings in demselben Umstand. Ad hoc-Vereinbarungen und -erklärungen können zwar theoretisch auf die Besonderheiten jedes einzelnen Konflikts eingehen, müssen aber auch für jeden Konfliktakteur und jedes spezielle Szenario neu vereinbart werden. Langwierige Verhandlungen zwischen verfeindeten Parteien sowie das Engagement neutraler Dritter sind meist nötig, soll eine Vereinbarung getroffen oder eine Erklärung verfasst werden. Nicht immer sind die Bemühungen von Erfolg gekrönt. Ob eine bewaffnete Gruppe eine Verpflichtungserklärung abgeben wird und diese auch tatsächlich einzuhalten gedenkt, hängt unter anderem auch von den von der Gruppe verfolgten Zielen ab. Während Organisationen wie die PLO oder UNITA, die auch nach Anerkennung durch das jeweilige Staatsvolk und die internationale Gemeinschaft strebten, das Instrument freiwilliger Verpflichtung durchaus begrüßten,196 werden Gruppen wie Boko Haram, die auf eine Abkehr von jedwedem internationalen Recht gerichtet sind, nicht zu derartigen Erklärungen zu bewegen sein.197
196 La Rosa/Wuerzner, Armed groups, sanctions and the implementation of international humanitarian law, International Review of the Red Cross 90 (2008), S. 331; siehe erneut die unilaterale Erklärung der PLO (Swiss Federal Department of Foreign Affairs, Note of information: Palestine and the Geneva Conventions, International Review of the Red Cross, No. 274, Januar–Februar 1990, S. 64 f.) oder eine der Erklärungen der UNITA im Konflikt in Angola (National Union for the Total Independence of Angola, Declaration on the commitment to the Geneva Conventions, in: International Review of the Red Cross, No. 219, November–Dezember 1980, S. 320 sowie Memorandum of Understanding between the Government of the Republic of Angola and UNITA, Annex to the identical letters dated 25 April 2002 from the Permanent Representative of Angola to the United Nations addressed to the Secretary-General and the President of the Security Council, 26. April 2002, S/2002/483). Deutlicher noch zeigt sich das Bestreben um Beteiligung durch die Teilnahme an gemeinsamen Konferenzen, wie z. B. den Treffen der Unterzeichner der Geneva Call Deeds of Commitment. Beispielsweise versammelten sich zum dritten dieser Treffen im Jahr 2014 Vertreter von 36 bewaffneten nichtstaatlichen Gruppen und bestärkten ihren Willen, humanitäres Völkerrecht sowie die abgegebenen Verpflichtungserklärungen einzuhalten. Siehe Geneva Call, The Third Meeting of Signatories to Geneva Call’s Deeds of Commitment, Genf, 17.–20. November 2014, Summary Report, abrufbar unter: http://www.genevacall.org/wp-content/ uploads/dlm_uploads/2015/07/3rd-Meeting-of-Signatories-Report.pdf [abgerufen am 26.10.2020]. 197 In ihrem Fall kann aber auch traditionelles humanitäres Völkerrecht wenig bis nichts ausrichten.
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3. Teil: Schutz der Umwelt durch humanitäres Völkerrecht
Freiwillige Unterwerfungserklärungen können allgemeine, möglichst universell gültige und wenigstens theoretisch durchsetzbare Völkerrechtsnormen nicht ersetzen. Soweit sie im Einzelfall aber möglich erscheinen und eine Handlungsänderung bewaffneter Gruppen erwarten lassen, sollten sie auch mit Blick auf die Schonung der Umwelt angeregt werden. Hier sind NGOs ebenso in der Verantwortung wie vermittelnd auftretende Drittstaaten. Illusionen um ihre mögliche Reichweite sind jedoch fehl am Platz. Wenn schon die Staatengemeinschaft selbst in Friedenszeiten nicht willens ist, das Fortbestehen einer funktionsfähigen Umwelt auf globaler Ebene durch Rechtsentwicklung nachhaltig sichern, kann nicht von einzelnen Konfliktakteuren ein höheres Maß der Handlungsbeschränkung auf Basis von Freiwilligkeit erhofft werden. Nur wenn der Erhaltung der Umwelt und einzelner ihrer Bestandteile in der internationalen Gemeinschaft ausreichend Bedeutung zuerkannt wird, kann erhofft werden, dass auch bewaffnete Gruppen diese Überzeugung übernehmen. Anderenfalls fehlt es an Vorbildern für die Formulierung entsprechender Handlungsverbote sowie an jedem moralischen oder politischen Anreiz für die Eingehung einer freiwilligen Schonungsverpflichtung. Erste Voraussetzung der Strategie der Schutzerhöhung durch Beteiligung nichtstaatlicher Akteure ist also erneut die Anerkennung der Werthaftigkeit der schutzbedürftigen Umweltaspekte durch die internationale Gemeinschaft. Diese muss durch die Vereinbarung von Rechtsnormen ausgedrückt werden, sollen Vorbilder für die Formulierung von Unterwerfungserklärungen bestehen. Leitbild einer Unterlassungserklärung müssen allerdings nicht Normen humanitären Völkerrechts sein. Auch die Kernelemente umweltvölkerrechtlicher Verträge können, solange sie nur genügend anerkannt sind und im Idealfall für die staatlichen Parteien im Konflikt fortgeltende Wirkung entfachen, als Vorbild einer Musterverpflichtungserklärung herangezogen werden. Die WHC und das in ihr enthaltene Gebot der Schonung der auf der Welterbeliste eingetragenen Naturgüter können aufgrund ihrer globalen Anerkennung eine derartige Vorbildfunktion einnehmen. Doch nur wenige Naturschutzgebiete sind durch sie geschützt. Im Kontext vieler innerstaatlicher Konflikte wird ihre begrenzte Aufzählung nicht ausreichen; (zu) viele innerstaatlich bedeutsame Ökosysteme und Landschaften blieben ungeschützt. Ohne die Existenz vergleichbar starker nationaler oder internationaler Regelungen, die ihrem Schutz dienen, ihren Wert anerkennen und als Vorbilder für die Verpflichtung nichtstaatlicher Akteure dienen können, dürfte es nahezu unmöglich sein, diese Gebiete durch Einzelfallverpflichtungen vor Schäden zu bewahren. Lücken und Defizite im Friedens- und Kriegsrecht müssen zuerst geschlossen werden, soll auf eine Selbstverpflichtung nichtstaatlicher Konfliktparteien gehofft werden.
§ 4 Schlussbemerkungen
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§ 4 Schlussbemerkungen zu den Strategien zukünftiger Schutzverstärkung Jede der angesprochenen Zukunftsstrategien kann die Schonung und Erhaltung der Umwelt durch humanitäres Völkerrecht in nichtinternationalen Konflikten zumindest in einigen Einzelaspekten fördern. Die Beteiligung nichtstaatlicher Gruppen an der Auferlegung zusätzlicher Handlungsschranken durch Individualvereinbarungen im Einzelfall kann dazu führen, Umweltschutznormen, die aufgrund ihrer Verankerung in speziellen Konventionen oder im Umweltvölkerrecht eigentlich nur Staaten verpflichten, auch für nichtstaatliche Konfliktakteure anwendbar zu machen. Besonders erfolgversprechend erscheint der Versuch der Kennzeichnung ökologisch bedeutsamer Regionen als geschützte Gebiete, die während eines bewaffneten Konflikts von Schädigungshandlungen auszunehmen wären. Insbesondere wenn die Werthaftigkeit der jeweiligen Region schon für Friedenszeiten rechtliche Verankerung erfahren hat, besteht ein Anreiz für bewaffnete Gruppen, sich als legitime Akteure ebenfalls an entsprechende Schonungsgebote zu halten. Ohne enorme Anstrengungen neutraler Dritter wird eine solche Einzelfallverpflichtung aber nur selten zustande kommen. Ob eine Vereinbarung oder einseitige Verpflichtungserklärung im Einzelfall überhaupt (rechtzeitig) erreicht werden kann, um konfliktbedingte Schäden zu verhindern, ist zudem nicht gesichert. Auch die Strategie der Harmonisierung von Umweltvölkerrecht und humanitärem Völkerrecht durch die Auslegung von Schutzvorschriften des ius in bello am Maßstab umweltvölkerrechtlicher Schädigungsverbote verspricht in Einzelaspekten Erfolg. Insbesondere scheint es möglich, bei der Auslegung des humanitärrechtlichen Gebots der Proportionalität kollateraler Schäden auch umweltvölkerrechtliche Schutzvorschriften mit in die Abwägung einfließen zu lassen, um Erhaltungsinteressen zu stärken. Die Grenzen dieser Strategie liegen jedoch im Wortlaut der jeweils herangezogenen humanitärrechtlichen Schonungsvorschrift sowie in der Reichweite des durch Umweltvölkerrecht derzeit vermittelten Umweltschutzes. Defizite im Friedensrecht wirken an dieser Stelle fort. Existiert keinerlei einschlägige Schutzvorschrift im Kriegsrecht, kann die resultierende Schutzlücke allein durch Auslegung ebenfalls nicht geschlossen werden. Zusätzlich bestehen gerade im Regelungssystem nichtinternationaler bewaffneter Konflikte ungelöste Herausforderungen: Nichtstaatliche Konfliktparteien sind bislang nicht an Umweltvölkerrecht gebunden. Ihre Verpflichtung beruht zumindest derzeit ausschließlich auf Grundlage des humanitären Völkerrechts. Mangels parallel anwendbarer Verpflichtungen scheidet für sie eine Pflichtenerhöhung durch Harmonisierung unterschiedlicher Rechtsregime aus. Darüber hinaus kann selbst für die staatliche Partei eine Verpflichtungserhöhung durch harmonisierende Auslegung des ius in bello nur insoweit erfolgen, wie das Kriegsrecht die Auslegung zulässt. Ein Großteil des Rechts nichtinternationaler Konflikte stellt Ge-
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3. Teil: Schutz der Umwelt durch humanitäres Völkerrecht
wohnheitsrecht dar, auf das die für Vertragsrecht anerkannten Auslegungsregeln nicht ohne weiteres übertragen werden können. Eine Schutzerhöhung kann in diesem Fall nur dadurch bewirkt werden, dass der durch Harmonisierung angenommene veränderte Schutzgehalt einer Rechtsnorm tatsächlich in Gewohnheitsrecht erstarkt. Soll die Strategie der Harmonisierung auch zukünftig verfolgt werden, besteht gerade mit Blick auf nichtinternationale Konflikte verstärkter Klärungsbedarf. Zuletzt birgt auch die Strategie der Normkonkretisierung durch Expertengremien und Gerichte ein gewisses, wenngleich auch begrenztes Potenzial für die Weiterentwicklung humanitären Völkerrechts zugunsten eines verstärkten Umweltschutzes. Ob und in welchem Umfang die derzeitige politische Lage ein progressives Vorgehen erlaubt, wird sich in mancher Hinsicht bereits in Kürze zeigen. Derzeit erwartet die ILC die Anmerkungen und Kommentierungen der Staatengemeinschaft zu den in erster Lesung angenommenen ILC Draft Principles zum Schutz der Umwelt im Kontext bewaffneter Konflikte. Ob alle bislang in der ersten Lesung angenommenen Draft Principles die zweite Lesung in der Kommission überdauern werden, hängt auch von der Reaktion der Staaten auf die bisherige Fassung der Prinzipien ab. Es bleibt zu hoffen, dass die ILC ihre einmalige Chance nutzen kann, Regelungslücken im Recht aufzuzeigen und zu ihrer Verkleinerung beizutragen – nicht nur aber insbesondere auch mit Blick auf das humanitäre Völkerrecht nichtinternationaler bewaffneter Konflikte.
Abschluss Die Umwelt erfährt auch in nichtinternationalen bewaffneten Konflikten in bemerkenswertem Umfang Schutz durch humanitäres Völkerrecht, dennoch sind die bestehenden Normen lückenhaft und nicht ausreichend, um den Erhalt aller Umweltbestandteile auf einem Niveau zu sichern, das für die Befriedigung grundlegender menschlicher Bedürfnisse notwendig ist und das unserer grundsätzlichen Wertschätzung verschiedenster Umweltfunktionen entsprechen würde. Die vorangegangene Analyse hat eine Vielzahl einzelner Funktionen der Umwelt identifiziert, deren Erhaltung der Menschheit aus unterschiedlichsten Erwägungen der Vernunft und Moral vorgegeben scheint, durch bestehendes Recht aber (noch) nicht verwirklicht wird. Wir schätzen Ökosysteme, Arten und Regionen aufgrund ihres ästhetischen Werts für die Menschheit, haben ihre Zerstörung in nichtinternationalen Konflikten aber nicht untersagt. Wir wissen um die schädlichen Auswirkungen einer Ölpest auf Menschen und Umwelt und lassen es doch zu, dass Ölförderanlagen Ziel feindlicher Angriffe werden. Die internationale Gemeinschaft hat die Souveränität über die natürlichen Ressourcen eines Staates in die Hände der Völker gelegt, dennoch ist es nichtstaatlichen Konfliktparteien nach geltendem Kriegsrecht unmöglich, Umweltressourcen zum Wohle der Bevölkerung zu nutzen. Es wurden aber nicht nur die verbliebenen Lücken im Recht aufgedeckt. Auch die Defizite in der Nutzung bereits bestehender Schutzinstrumente wurden sichtbar. Eine an dem Ziel der Umwelterhaltung orientierte Auslegung von Vertragsnormen könnte bereits jetzt zu einer stärkeren Schonung von Umweltbestandteilen beitragen. Eine ausschließlich auf nichtinternationale Konflikte fokussierte Auslegung von Verbotsnormen würde es in Einzelfällen erlauben, ein im Vergleich zu konventionellen Kriegen erhöhtes Umweltschutzniveau zu erreichen. In anderen Bereichen sind Ansatzpunkte zukünftiger Rechtsentwicklungen durch denkbare Fusionen von kriegsvölkerrechtlichen Konventionen und Umweltschutzabkommen bereits zutage getreten. Das bestehende Recht bietet also Möglichkeiten, den Schutz der Umwelt während nichtinternationaler bewaffneter Konflikte auch ohne die Vereinbarung eines neuen völkerrechtlichen Abkommens deutlich zu verstärken. Wäre es nicht vernünftig, diese Möglichkeiten zu nutzen?
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diction based on the limited Jurisdictional Reach of Articles 2 and 3, 2. März 1999, Case No. IT-95-14/2-PT. ˇ erkez, Urteil der Verfahrenskammer vom ICTY: Prosecutor v. Dario Kordic´, Mario C 26. Februar 2001, Case No. IT-95-14/2-T. ICTY: Prosecutor v. Zejnil Delalic´, Zdavko Mucic´, Hazim Delic´ and Esad Landzˇo (Celebici Case), Urteil der Berufungskammer vom 20. Februar 2001, IT-96-21-A. ICTY: Prosecutor v. Zejnil Delalic´, Zdavko Mucic´, Hazim Delic´ and Esad Landzˇo (Celebici Case), Urteil der Verfahrenskammer vom 16. November 1998, IT-96-21-T. ICTY: Prosecutor v. Dragoljub Kunarac, Radomir Kovac and Zoran Vukovic, Urteil der Verfahrenskammer vom 22. Februar 2001, Case No. IT-96-23-T. ICTY: Prosecutor v. Dusˇko Tadic´, Entscheidung der Berufungskammer on the Defence Motion for Interlocutory Appeal on Jurisdiction, 2. Oktober 1995, Case No. IT-941-AR72. ICTY: Prosecutor v. Dusˇko Tadic´, Urteil der Berufungskammer vom 15. Juli 1999, Case No. IT-94-1-TA. ICTY: Prosecutor v. Dusˇko Tadic´, Urteil der Verfahrenskammer vom 7. Mai 1997, Case No. IT-94-1-T. ICTY: Prosecutor v. Enver Hadzˇihasanovic´, Amir Kubura, Entscheidung der Berufungskammer on Joint Defence Interlocutory Appeal of Trial Chamber Decision on Rule 98bis Motions for Acquittal, 11. März 2005, Case No. IT-01-47-AR73.3. ICTY: Prosecutor v. Enver Hadzˇihasanovic´, Amir Kubura, Urteil der Verfahrenskammer vom 15. März 2006, Case No. IT-01-47-T. ICTY: Prosecutor v. Fatmir Limaj, Haradin Bala, Isak Musliu, Urteil der Verfahrenskammer vom 30. November 2005, Case No. IT-03-66-T. ICTY: Prosecutor v. Kupresˇkic´ et al., Urteil der Verfahrenskammer vom 14. Januar 2000, Case No. IT-95-16-T. ICTY: Prosecutor v. Milan Martic´, Rule 61 Entscheidung der Verfahrenskammer vom 8. März 1996, Case No. IT-95-11/R61. ICTY: Prosecutor v. Mladen Naletilic´, Vinko Martinovic´, Urteil der Verfahrenskammer vom 31. März 2003, Case No. IT-98-34-T. ICTY: Prosecutor v. Pavle Strugar et al., Entscheidung der Berufungskammer on Interlocutory Appeal, 22. November 2002, Case No. IT-01-42-AR72. ICTY: Prosecutor v. Pavle Strugar et al., Entscheidung der Verfahrenskammer on Defence Preliminary Motion Challenging Jurisdiction, 7. Juni 2002, Case No. IT-0142-PT. ICTY: Prosecutor v. Pavle Strugar, Urteil der Verfahrenskammer vom 31. Januar 2005, Case No. IT-01-42-T. ICTY: Prosecutor v. Prlic´ et al., Urteil der Verfahrenskammer vom 29. März 2013, Case No. IT-04-74-T. ICTY: Prosecutor v. Prlic´ et al., Initial Indictment, 4. März 2004, Case No. IT-04-74.
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ICTY: Prosecutor v. Stanislav Galic´, Urteil der Verfahrenskammer vom 5. Dezember 2003, Case No. IT-98-29-T. IGH: Accordance with International Law of the Unilateral Declaration of Independence in Respect of Kosovo, Advisory Opinion vom 22. Juli 2010, I.C.J. Reports 2010, S. 403 ff. IGH: Barcelona Traction, Light and Power Company, Limited (Belgium v. Spain) (New Application: 1962), Urteil vom 5. Februar 1970, I.C.J. Reports 1970, S. 3 ff. IGH: Case Concerning Armed Activities on the Territory of the Congo (Democratic Republic of Congo v. Uganda), Urteil vom 19. Dezember 2005, I.C.J. Reports 2005, S. 168 ff. IGH: Case Concerning Military and Paramilitary Activities in and against Nicaragua (Nicaragua v. United States of America), Urteil vom 27. Juni 1986, I.C.J. Reports 86, S. 14 ff. IGH: Case concerning Right of Passage over Indian Territory, Urteil vom 12. April 1960, Merits, I.C.J. Reports 1960, S. 6 ff. IGH: Case Concerning the Application of the Convention on the Prevention and Punishment of the Crime of Genocide (Bosnia and Herzegovina v. Serbia and Montenegro) Urteil vom 26. Februar 2007, I.C.J. Reports 2007, S. 43 ff. IGH: Case Concerning the Arrest Warrant of 11 April 2000 (Democratic Republic of the Congo v. Belgium), Urteil vom 14. Februar 2002, I.C.J. Reports 2002, S. 3 ff. IGH: Case concerning the Frontier Dispute (Burkina Faso v. Republic of Mali), Urteil vom 22. Dezember 1986, I.C.J. Reports 1986, S. 554 ff. IGH: Case concerning the Gabcˇíkovo-Nagymaros Project (Hungary v. Slovakia), Urteil vom 25. September 1997, I.C.J. Reports 1997, S. 7 ff. IGH: East Timor (Portugal v. Australia), Urteil vom 30. Juni 1995, I.C.J. Reports 1995, S. 90 ff. IGH: Fisheries Jurisdiction (Federal Republic of Germany v. Iceland), Urteil vom 25. Juli 1974, I.C.J. Reports 1974, S. 175 ff. IGH: Fisheries Jurisdiction (United Kingdom of Great Britain and Northern Ireland v. Iceland), Urteil vom 25. Juli 1974, I.C.J. Reports 1974, S. 3 ff. IGH: Legal Consequences of the Construction of a Wall in the Occupied Palestinian Territory, Advisory Opinion vom 9. Juli 2004, I.C.J. Reports 2004, S. 136 ff. IGH: Legality of the Threat or Use of Nuclear Weapons (Nuclear Weapons Case), Advisory Opinion vom 8. Juli 1996, I.C.J. Reports 1996, S. 226 ff. IGH: Legality of the Use by a State of Nuclear Weapons in Armed Conflict (Nuclear Weapons WHO Case), Advisory Opinion vom 8. Juli 1996, I.C.J. Reports 1996, S. 66 ff. IGH: North Sea Continental Shelf Cases (Federal Republic of Germany v. Denmark; Federal Republic of Germany v. Netherlands), Urteil vom 20. Februar 1969, I.C.J. Reports 1969, S. 3 ff.
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IGH: Nuclear Tests Case (Australia v. France), Urteil vom 20. Dezember 1974, I.C.J. Reports 1974, S. 253 ff. IGH: Nuclear Tests Case (New Zealand v. France), Urteil vom 20. Dezember 1974, I.C.J. Reports 1974, S. 457 ff. IGH: Pulp Mills on River Uruguay (Argentina v. Uruguay), Urteil vom 20. April 2010, I.C.J. Reports 2010, S. 14 ff. IGH: Reparation for Injuries Suffered in the Service of the United Nations, Advisory Opinion vom 11. April 1949, I.C.J. Reports 1949, S. 174 ff. IGH: Request for an Examination of the Situation in Accordance with Paragraph 63 of the Courts Judgment of 20 December 1974 in the Nuclear Tests (New Zealand v. France) Case, Order vom 22. September 1995, I.C.J. Reports 1995, S. 288 ff. IGH: South West Africa Cases (Ethiopia v. South Africa; Liberia v. South Africa), Second Phase, Urteil vom 18. Juli 1966, I.C.J. Reports 1966, S. 6 ff. IGH: The Corfu Channel Case, Urteil vom 9. April 1949, Merits, I.C.J. Reports 1949, S. 4 ff. IGH: Western Sahara, Advisory Opinion vom 17. Oktober 1975, I.C.J. Reports 1975, S. 12 ff. Inter-American Commission on Human Rights: Juan Carlos Abella v. Argentina (La Tablada), Urteil vom 18. November 1997, Case 11.137, Report No. 55/97. Israel Supreme Court: Public Committee against Torture in Israel v. Government of Israel, Urteil vom 13. Dezember 2006, HCJ 769/02, abrufbar unter: http://elyon1. court.gov.il/files_eng/02/690/007/A34/02007690.a34.pdf [abgerufen am 26.10. 2020]. IStGH: Prosecutor v. Thomas Lubanga Dyilo, Entscheidung on the Confirmation of Charges, 29. Januar 2007, No. ICC-01/04-01/06. Nuernberg Military Tribunals: US v. Alfred Krupp et al., Urteil vom 31. Juli 1948, Trials of War Criminals Before the Nuernremberg Military Tribunals under Control Council Law No. 10, Oktober 1946–April 1949, Band IX, S. 1327 ff. Nuernberg Military Tribunals: US v. Carl Krauch et al. (The I.G. Farben Case), Trials of War Criminals before the Nuernberg Military Tribunals under Control Council No. 10, Oktober 1946–April 1949, Band 8, S. 1 ff. (Section VIII ff.). Nuernberg Military Tribunals: US v. Wilhelm von Leeb et al. (High Command Trial/ Prozess Oberkommando der Wehrmacht) Trials of War Criminals before the Nuernberg Military Tribunals under Control Council Law No. 10, Oktober 1946–April 1949, Band 11, S. 1 ff. Nuernberg Military Tribunals: US v. Wilhelm List et al. (The Hostages Trial/Prozess Generäle in Südosteuropa), Trials of War Criminals before the Nuernberg Military Tribunals under Control Council Law No. 10, Oktober 1946–April 1949, Band 11, S. 757 ff. SCSL: Prosecutor v. Charles Ghankay Taylor, Indictment, 7. März 2003, Case No. SCSL-03-01-I-003.
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SCSL: Prosecutor v. Charles Ghankay Taylor, Prosecution’s Second Amended Indictment, 29. Mai 2007, Case No. SCSL-03-01-PT. SCSL: Prosecutor v. Charles Ghankay Taylor, Urteil der Verfahrenskammer vom 30. Mai 2012, Case No. SCSL-03-01-T. SCSL: Prosecutor v. Issa Hassan Sesay, Morris Kallon and Augustine Gbao, Urteil der Verfahrenskammer vom 2. März 2009, Case No. SCSL-04-15-T. SCSL: Prosecutor v. Moinina Fofana and Allieu Kondewa, Urteil der Berufungskammer vom 28. Mai 2008, Case No. SCSL-04-14-A. SCSL: Prosecutor v. Morris Kallon and Brima Bazzy Kamara, Berufungskammer, Entscheidung on Challenge to Jurisdiction: Lomé Accord Amnesty, 13. März 2004, Case No. SCSL-2004-15-AR72(E), Case No. SCSL-2004-16-AR72(E). SCSL: Prosecutor v. Sam Hinga Norman, Entscheidung on Preliminary Motion Based on Lack of Jurisdiction, 31. Mai 2004, Case No. SCSL-2004-14-Ar72(E). Supreme Court of the United States: Hamdan v. Rumsfeld, Secretary of Defense et al., Urteil vom 29. Juni 2006, No. 05–184. To¯kyo¯ chiho¯saibansho: Ryuichi Shimoda et al. v. The State, Urteil vom 7. Dezember 1963, englische Übersetzung in: 8 Japanese Annual of International Law 1964, S. 212 ff. United States Court of Appeals (2nd Circuit): Vietnam Association for Victims of Agent Orange/Dioxin v. Dow Chemicals Co., Urteil vom 22. Februar 2008, No. 05-1953cv, abrufbar unter: http://www.vn-agentorange.org/AO_2nd_Circuit_Opinion_200 80222.pdf [abgerufen am 26.10.2020]. United States District Court Eastern District of New York: In Re „Agent Orange“ Product Liability Litigation, Verfügung und Urteil vom 10. März 2005, MDL No. 381, 04-CV-400, abrufbar unter: http://www.vn-agentorange.org/10_03_05_agentorange. pdf [abgerufen am 26.10.2020].
Stichwortverzeichnis Abwägungsentscheidungen 303 ff., 332 ff., 344, 471 Ad hoc-Vereinbarungen 196, 482 ff. Certain Conventional Weapons Convention (CCW) 76, 238 ff. Demilitarisierte Zonen 195 f., 201, 446, 481, 486 Dual Use-Objekte – Begriff 304, 317 – Umweltkomponenten als 317 ff., 434 ff., 472 ENMOD-Konvention 205 ff., 246 ff., 255 ff., 449 Freisetzung gefährlicher Kräfte 226 ff. Gewohnheitsrecht – abgeleitetes 105 ff., 266 ff. – autonomes 256 ff. – Bindung der Konfliktparteien 88 ff. – Erkenntnisquellen 86 ff. – Grundlagen 78 ff. – originäres 367 ff. Grundprinzipien 281 ff. Herbizide 252, 255 ff., 272 Humanitäres Völkerrecht – lex specialis-Charakter 323, 356, 420, 462, 481, – Rechtsquellen 73 ff. – Verpflichtungsadressaten siehe nichtstaatliche Konfliktparteien Humanität 100 ff., 282, 313, 341, 426 f.
International Law Commission (ILC) 28, 193 ff., 442 ff. – Draft Articles on the effects of armed conflicts on treaties 356, 420, 456 ff. – Draft Principles on the protection of the environment 28 ff., 163, 194 ff., 223, 279 ff., 395, 481, 498
Kultstätten, natürliche siehe Umwelt als Kultstätte Kulturgüterschutz – Abkommen 155 ff., 484 – als Vorbild von Umweltschutz 193 ff., 199 – Umweltschutz durch 42, 154 ff., 190 ff., 199, 435 Kulturstätten, natürliche siehe Umwelt als Kulturstätte Lebensgrundlage – Begriff 118 ff. – Umweltbestandteile siehe Umwelt – wirtschaftliche 130 ff. Martens’sche Klausel 404 ff., 449 Natürliche Ressourcen 120, 134 ff., 299 ff., 373 – Ausbeutung im Konfliktkontext 134 ff. – konfliktunterstützende 299 ff. – Plünderungsverbot siehe Umwelt als Eigentum Nichtinternationale bewaffnete Konflikte – Abgrenzung zu internationalen Konflikten 53 ff. – Abgrenzung zu Tumulten 45 ff.
Stichwortverzeichnis – anwendbares Recht 45 ff., 73 ff. – Bindung der Konfliktparteien 88 ff. Nichtstaatliche Konfliktparteien – Bindung an Humanitäres Völkerrecht 88 ff., 481 ff. – Bindung an Völkerrecht 88 ff., 474 ff., 491 ff. – Einfluss auf Rechtsentwicklung 88 ff., 481 ff. – Selbstverpflichtungen 482 ff. Öffnungsklausel 334 ff., 422 Ökologische Balance 204, 211, 248 Ökologische Kausalkette siehe Ökosystemansatz Ökosystemansatz 39, 329 ff. Plünderungsverbot siehe Umwelt als Eigentum Proportionalitätsgebot 308 ff., 332 ff. Umwelt – als Eigentum 134 ff. – als Lebensgrundlage 114 ff. – ästhetische Wertschätzung 190 ff. – Begriff 31 ff. – Bestandteile 37 ff. – Dual Use-Charakter siehe Dual UseObjekte – Funktionen 37 ff., 105 ff. – Gebot gebührender Beachtung 386 ff. – Kultstätte 171 ff. – Kulturstätte 154 ff. – Manipulation siehe ENMOD-Konvention – mutwillige Zerstörung 368 ff.
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– religiöse und spirituelle Bedeutung 171 ff. – Schutzbegründung siehe Umweltethik, 100 ff. – Wert 332 ff. – ziviles Objekt siehe Unterscheidungsgebot Umweltethik – anthropozentrische 42, 100 ff., 113, 334 ff., 411 – ökozentrische 42, 102 f., 338 Umweltschäden – qualifizierte 212 ff., 266 ff. – schwere, langanhaltende, weitreichende siehe qualifizierte – Vorhersehbarkeit 323 ff., 350 ff. Umweltvölkerrecht – als Auslegungshilfe 358, 461 ff., 477 ff. – Fortgeltung während bewaffneter Konflikte 353 ff., 419 ff., 455 ff. Unterscheidungsgebot 283 ff. Verpflichtungserklärungen 481 ff. Vorsorge – als Grundprinzip 347 ff., 472 – als umweltvölkerrechtliches Prinzip 353, 356 ff., 472 – bei Unvorhersehbarkeit 353 ff. Vorsorgemaßnahmen – bei militärischen Handlungen 347 ff. – vor Ausbruch eines Konflikts 362 ff. Welterbekonvention (WHC) 153, 158, 190 ff. Wertegewichtung 334 ff.