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German Pages 354 Year 2017
Schriften zum Völkerrecht Band 226
Das Vergewaltigungsverbot im bewaffneten Konflikt Entwicklung, Definition und Durchsetzung
Von
Anke Biehler
Duncker & Humblot · Berlin
ANKE BIEHLER
Das Vergewaltigungsverbot im bewaffneten Konflikt
Schriften zum Völkerrecht Band 226
Das Vergewaltigungsverbot im bewaffneten Konflikt Entwicklung, Definition und Durchsetzung
Von
Anke Biehler
Duncker & Humblot · Berlin
Die Juristische Fakultät der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg hat diese Arbeit im Jahre 2015 als Dissertation angenommen.
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Afi, Christine, Rose, Véronique, Maman Françoise und all den anderen Frauen im Kongo
Vorwort Diese Arbeit hat sehr, sehr lange gedauert. Aber „Das Vergewaltigungsverbot im bewaffneten Konflikt“ lies mich nicht los und nach der Zeit in der Demokratischen Republik Kongo schien es zu wichtig um es auf sich beruhen zu lassen. Deshalb ist die Arbeit zwar über lange Zeit in verschiedenen Phasen entstanden, musste aber – das war ich den Frauen im Kongo schuldig – irgendwann fertig werden und so wurde sie es auch. Die Arbeit ist aufgrund der erwähnten Verzögerungen auf dem Stand von Mai 2015. Leider ist das Thema unter anderem im Osten der Demokratischen Republik Kongo immer noch viel zu relevant und betrifft neben Frauen und Mädchen auch viel zu viele Jungen und Männer. Wenn das Buch dazu beitragen kann, das Thema in Wissenschaft und Öffentlichkeit bewusster zu machen, hat die Arbeit ihren Zweck erreicht, denn das Leid der „Opfer und Überlebenden“ von Vergewaltigung im bewaffneten Konflikt ist unendlich – und menschengemacht. Meine beruflichen Erfahrungen, insbesondere während der Zeit in Kinshasa, prägten diese Arbeit, die ohne die Unterstützung vieler Menschen so nicht entstanden wäre. Allen voran ist hier mein Doktorvater Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Rüdiger Wolfrum zu nennen, der das Thema der Arbeit annahm und gegen Widerstände in der Fakultät verteidigte. Im Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Strafrecht in Freiburg/Brsg. hatte ich in der ersten und zweiten Arbeitsphase – fachlich und menschlich – hervorragende Bedingungen: Die bis in die späten Abendstunden zugängliche, hervorragend ausgestattete Bibliothek mit jederzeit hilfsbereiten Bibliothekarinnen und die ausgesprochen angenehme Arbeitsatmosphäre, in der ich immer wieder mit motivierenden und fachlich fundierten Hinweisen versorgt wurde, machten das Arbeiten dort zur Freude. Besonders nennen möchte ich in diesem Zusammenhang den verstorbenen Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Hans-Heinrich Jescheck, der mich ermutigte, das Thema fachübergreifend zu betrachten, Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Albin Eser und Prof. Dr. Helmut Gropengießer, die mich ans MPI holten, Prof. Dr. Jörg Arnold wegen seiner wissenschaftlich fundierten und trotzdem anderen Sicht der Dinge. Dr. Karin Cornils und Prof. Dr. Sabine Gless danke ich für ihr ,Mentoring‘ sowie Christiane Rabenstein und Dr. Michael Kilchling für ihre Freundschaft. Nach der Freiburger Zeit schürte Prof. Dr. Claus Kress meine Motivation mit seiner Begeisterung für das Thema. In der Berliner Zeit, in der diese Arbeit schließlich fertig wurde, fand ich in der Staatsbibliothek zu Berlin adäquaten Ersatz für die Freiburger MPI-Bibliothek. In dieser Zeit war ich lose mit dem Lehrstuhl Prof. Dr. Georg Nolte an der Humboldt-Universität verbunden, was wunderbar gegen die Krankheit der „wissenschaftlichen Einsiedelei“ geholfen hat. Frau Dr. Heike Spieker
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Vorwort
und Herr Dirk Roland Haupt haben mich mehrfach ermutigt am Thema zu bleiben. Meine Schwiegereltern und Philologen Ursula und Dr. Franz Schotten haben die Arbeit Korrektur gelesen. Prof. Dr. Helmut Gropengießer hat die ganze Arbeit schließlich trotz zahlreicher anderer Verpflichtungen in kürzester Zeit gelesen und klug kommentiert. Ihnen allen danke ich herzlich! Wegen der praktischen Relevanz der Arbeit gewährte das Auswärtige Amt einen großzügigen Druckkostenzuschuss, für den ich ebenfalls danken möchte. Meine heißgeliebten Rabeneltern Jürgen und Ursula Biehler mit ihren berühmt liebevoll-frechen Bemerkungen und ganz praktischer Unterstützung sind genau wie unsere Katze Cappuccino, die oft mit mir vor dem Computer saß und gelegentlich die Tatzen auf der Tastatur hatte, zu erwähnen. Unserer Tochter wünsche ich eine Welt ohne Vergewaltigungen! Ohne meinen Mann Dr. Gregor Schotten, der mich mit viel Geduld durch Durststrecken coachte und immer und immer wieder ermutigte, motivierte oder auch mal ablenkte wäre ich nicht die Person, die ich bin. Für diese Liebe kann ich nicht danken – sie ist ein Geschenk! Genf, im Juni 2017
Anke Biehler
Inhaltsverzeichnis Einführung in den Untersuchungsgegenstand der Arbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21 I. Untersuchungsgegenstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22 II. Abgrenzung des Untersuchungsgegenstandes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23
1. Kapitel Historische Entwicklung des Vergewaltigungsverbots im Kriegsvölkerrecht (Antike bis zum 1. Weltkrieg)
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A. Vergewaltigung im antiken Kriegsrecht (ca. 1100 v. Chr. – 4./6. Jhd.) . . . . . . . . . . . . . 26 I. Kriegsrecht und Kriegspraxis in der Antike . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26 1. Vergewaltigung in Kriegsgefangenschaft und Sklaverei . . . . . . . . . . . . . . . . . 27 2. Vergewaltigungsverbote antiker Feldherren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27 II. Schlussfolgerungen zu kriegsrechtlichen Vergewaltigungsverboten in der Antike 28 B. Vergewaltigung im Kriegsrecht des Mittelalters (ca. 4./6. Jhd. – 15. Jhd.) . . . . . . . . . . 28 I. Kriegsrecht und Kriegspraxis im europäischen Mittelalter . . . . . . . . . . . . . . . . . 28 1. Kriegsrecht und Vergewaltigungen während der Kreuzzüge (1096 – 1270) . . 29 2. Vergewaltigungsverbote in mittelalterlichen Kriegsordnungen . . . . . . . . . . . . 30 3. Der 100-jährige Krieg (1339 – 1453) und das Kriegsrecht Richards II. (1385) und Heinrichs V. (1419) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 4. Exkurs – Das Verfahren gegen den Ritter Peter von Hagenbach (1474) . . . . . 32 5. Bewertung des kriegsrechtlichen Vergewaltigungsverbots im europäischen Mittelalter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32 II. Das kriegsrechtliche Vergewaltigungsverbot in der Islamischen Welt des Mittelalters . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33 C. Die Entwicklung des Vergewaltigungsverbots im Kriegsrecht der frühen Neuzeit (1494 – 1648/„Spanisches Zeitalter“) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34 I. Kriegsrecht und Kriegspraxis der frühen Neuzeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34 II. Das kriegsrechtliche Vergewaltigungsverbot in der Theorie der Völkerrechtsklassiker (15. – 18. Jhd.) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35 1. Franciscus de Victoria (1486 – 1546) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35 2. Francisco Suárez (1548 – 1617) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36 3. Alberico Gentili (1582 – 1608) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36 4. Hugo Grotius (1583 – 1648) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37
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Inhaltsverzeichnis
D. Die Entwicklung des Vergewaltigungsverbots im Kriegsrecht zwischen Westfälischem Frieden und Wiener Kongress (1648 – 1815/„Französisches Zeitalter“) . . . . . . . . . . . . 38 I. Kriegsrecht und Kriegspraxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38 II. Völkerrechtslehre, insbesondere Emer de Vattel (1714 – 1767) . . . . . . . . . . . . . . 38 III. Entwicklung des Vergewaltigungsverbots in der Theorie der Völkerrechtslehre im spanischen und französischen Zeitalter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39 E. Die Entwicklung des Vergewaltigungsverbots im Kriegsrecht vom Wiener Kongress bis zum 1. Weltkrieg (1815 – 1914/„Britisches Zeitalter“) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40 I. Das Vergewaltigungsverbot in den Kodifikationen des Kriegsrechts . . . . . . . . . 40 1. Lieber-Code (General Order No8 100/1863) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40 2. Brüsseler Erklärung (1874) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41 3. Haager Landkriegsordnungen von 1899 und 1907 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42 II. Vergewaltigung in der Kriegspraxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43 III. Das Vergewaltigungsverbot in der Völkerrechtslehre des Britischen Zeitalters 43 1. Johann Caspar Bluntschli (1808 – 1881) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43 2. Friedrich von Martens (1845 – 1909) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44 3. Oxford Manual (1880) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45 F. Vergewaltigungen und ihre rechtliche Behandlung im 1. Weltkrieg und der Zwischenkriegszeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45 I. Propagandistisches Ausnutzen von Vergewaltigungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45 II. Pariser Vorfriedenskonferenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47 III. Versailler Vertrag und Leipziger Kriegsverbrecherprozesse . . . . . . . . . . . . . . . . 48 IV. Entwicklung des kriegsrechtlichen Vergewaltigungsverbots im 1. Weltkrieg . . . 49 V. Genfer Abkommen über die Behandlung von Kriegsgefangenen (1929) . . . . . . 50 G. Bewertung und Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50 I. Der völkerstrafrechtliche Schutz vor Vergewaltigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50 II. Die historische Entwicklung des Vergewaltigungsverbots . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52
2. Kapitel Das Vergewaltigungsverbot im 2. Weltkrieg
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A. Vergewaltigungen während des 2. Weltkriegs und ihre juristische Aufarbeitung in Europa . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54 I. Vorkommen von Vergewaltigungen während des 2. Weltkriegs in Europa . . . . . 55 1. Vergewaltigungen durch deutsche Soldaten und nationale Strafverfolgung 55 2. Vergewaltigungen durch die Rote Armee 1945 in Deutschland . . . . . . . . . . . 56 3. Vergewaltigungen anderer Kriegsparteien und nationale Strafverfolgung . . . 59
Inhaltsverzeichnis
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II. Kriegsverbrechertribunal von Nürnberg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60 1. Londoner Abkommen und Charta des Internationalen Militärtribunals (1945) 60 2. Vergewaltigung in den Nürnberger Prozessen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61 III. Allied Control Council Law No. 10 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63 IV. Bilanz der Verfolgung von Vergewaltigungen im 2. Weltkrieg in Europa . . . . . . 64 B. Vergewaltigungen während des japanisch-chinesischen Krieges (1937 – 45) und des 2. Weltkriegs im Pazifik und ihre juristische Aufarbeitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65 I. Vorkommen von Vergewaltigungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65 1. Die „Vergewaltigung von Nanking“ (1937) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65 2. Vergewaltigungen im Pazifikkrieg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68 II. Die juristische Aufarbeitung der Vergewaltigungen im Pazifikkrieg . . . . . . . . . . 68 1. Das Verfahren gegen General Yamashita . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68 2. Ein Verfahren in China . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69 3. Kriegsverbrechertribunal von Tokio . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70 a) Rechtsgrundlage und Statut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70 b) Anklage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71 c) Verteidigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72 d) Urteil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73 e) Minderheitsvotum Pal . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74 III. Problem der „Comfort Women“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75 IV. Bilanz der Verfolgung von Vergewaltigungen im fernen Osten . . . . . . . . . . . . . . 76 C. Bewertung und Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77
3. Kapitel Entwicklung des Vergewaltigungsverbots im bewaffneten Konflikt nach dem 2. Weltkrieg (seit 1949)
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A. Humanitär-völkerrechtliche Kodifikationen seit Ende des 2. Weltkriegs . . . . . . . . . . . 79 I. IV. Genfer Abkommen zum Schutz der Zivilbevölkerung (1949) . . . . . . . . . . . . 79 1. Artikel 27 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80 a) Achtung der Person, der Ehre und der Familienrechte (Art. 27 Absatz I Satz 1 IV. GA) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80 b) Gebot der menschlichen Behandlung (Art. 27 Absatz 1 Satz 2 IV. GA) . . 81 c) Artikel 27 Absatz 2 IV. GA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83 2. Artikel 32 IV. GA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83 3. Artikel 146 und 147 IV. GA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84 a) Schwere Verletzung im Sinne des Art. 147 IV. GA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85 b) Verpflichtungen des Art. 146 IV. GA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87 4. Gemeinsamer Artikel 3 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89
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Inhaltsverzeichnis II. III. Genfer Abkommen zum Schutz der Kriegsgefangenen (1949) . . . . . . . . . . . 91 III. Zusatzprotokoll I zu den Genfer Abkommen (1977) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92 1. Artikel 76 ZP I . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92 2. Artikel 77 ZP I . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93 3. Artikel 11 Absatz IV in Verbindung mit Artikel 85 ZP I („schwerer Verstoß“) 93 4. Artikel 75 ZP I . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93 5. Martens’sche Klausel (Artikel 1 Absatz II ZP I) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95 IV. Zusatzprotokoll II zu den Genfer Abkommen (1977) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95
B. Menschenrechtliche Vergewaltigungsverbote . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 96 I. Verhältnis humanitäres Völkerrecht und Menschenrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . 96 II. Völkermordkonvention . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97 III. Allgemeine Erklärung der Menschenrechte/Internationaler Pakt für bürgerliche und politische Rechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 1. Verbot der Folter und grausamer, unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung (Art. 7 IPbpR) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102 2. Recht auf Freiheit und Sicherheit der Person (Art. 9 Abs. I Satz 1 IPbpR) . . 103 3. Schutz der Privatsphäre (Art. 17 IPbpR) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104 IV. Folterkonvention . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 106 V. Kinderrechtskonvention . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107 C. Weiterentwicklung des völkervertragsrechtlichen Vergewaltigungsverbots im humanitären Völkerrecht seit 1949 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108 I. Entwicklung des Vergewaltigungsverbots durch die vier Genfer Abkommen und ihre Zusatzprotokolle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 II. Defizite des Vergewaltigungsverbots im humanitären Völkerrecht . . . . . . . . . . . 111 1. Mangelnde Bestimmtheit des Verbots . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111 2. Vergewaltigung von Männern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112 III. Revisionsbedürftigkeit des Vergewaltigungsverbots des humanitären Völkerrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112 D. Das Vergewaltigungsverbot in bewaffneten Konflikten als Völkergewohnheitsrecht
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I. Relevanz des Gewohnheitsrechts für ein Vergewaltigungsverbot in bewaffneten Konflikten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116 II. Methodik des Gewohnheitsrechtsnachweises im humanitären Völkerrecht . . . . 117 III. Einschlägige Regeln des Gewohnheitsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 E. Das Vergewaltigungsverbot im bewaffneten Konflikt als allgemeiner Rechtsgrundsatz 120
Inhaltsverzeichnis
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4. Kapitel Das Verbot von Vergewaltigung in bewaffneten Konflikten seit 1990 und Staatenverantwortlichkeit
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A. Konzept der Staatenverantwortlichkeit (,state responsibility‘) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123 B. Staatenverantwortlichkeit im humanitären Völkerrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124 I. Staatenverantwortlichkeit wegen Verstößen gegen das Vergewaltigungsverbot im internationalen bewaffneten Konflikt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125 1. Art. 3 IV. Haager Abkommen, Art. 91 ZP I . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125 a) Zurechnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125 b) Rechtsfolge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127 2. Gewohnheitsrechtsstudie des IKRK . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128 II. Staatenverantwortlichkeit wegen Verstößen gegen das Vergewaltigungsverbot im nicht-internationalen bewaffneten Konflikt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128 1. Die völkerrechtswidrige Handlung als Voraussetzung für die völkerrechtliche Verantwortlichkeit im nicht-internationalen bewaffneten Konflikt . . . . . . . . . 129 2. Das Vergewaltigungsverbot als ,erga omnes‘-Verpflichtung . . . . . . . . . . . . . . 130 3. Rechtsfolge bei Verstößen gegen das Vergewaltigungsverbot als Verletzung einer ,erga omnes‘-Verpflichtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131 III. Verantwortlichkeit von bewaffneten Oppositionsgruppen wegen Vergewaltigung im nicht-internationalen bewaffneten Konflikt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133 C. Die Verletzung des Vergewaltigungsverbots im bewaffneten Konflikt als schwerwiegende Verletzung zwingender völkerrechtlicher Normen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 135 D. Individualansprüche gegen einen verantwortlichen Staat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137 I. Rechtsgrundlage eines individuellen Entschädigungsanspruchs im internationalen bewaffneten Konflikt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137 II. Rechtsgrundlage eines individuellen Entschädigungsanspruchs im nicht-internationalen bewaffneten Konflikt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141
5. Kapitel Das Verbot von Vergewaltigung in den Statuten der internationalen Ad hoc-Tribunale für das ehemalige Jugoslawien und Ruanda (seit 1990)
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A. Die Strafbarkeit von Vergewaltigung nach dem Statut des International Criminal Tribunal for Yugoslavia (ICTY) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143 I. Vergewaltigung als völkerrechtliches Verbrechen nach dem Statut des ICTY . . 145 1. Schwere Verstöße gegen die Genfer Abkommen (Art. 2) . . . . . . . . . . . . . . . . 145 2. Verstöße gegen die Gesetze und Gebräuche des Krieges (Art. 3) . . . . . . . . . . 146 3. Völkermord (Art. 4) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147
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Inhaltsverzeichnis 4. Verbrechen gegen die Menschlichkeit (Art. 5) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 148 II. Verfahrens- und Beweisregeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149 1. Das Problem des „consent“ – Regel 96 (ii) und (iii) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 150 a) ,Consent‘ in der 1. Fassung der Regel 96 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 150 b) ,Consent‘ in der 2. Fassung der Regel 96 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 152 c) ,Consent‘ in der 3. Fassung der Regel 96 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153 d) ,Consent‘ als Tatbestandsmerkmal oder Verteidigung? . . . . . . . . . . . . . . . . 154 2. Die Erforderlichkeit der Bestätigung einer Zeugenaussage – Regel 96 (i) . . . 154 3. Die Unerheblichkeit früheren sexuellen Verhaltens – Regel 96 (iv) . . . . . . . . 155
B. Die Strafbarkeit von Vergewaltigung nach dem Statut des International Criminal Tribunal for Rwanda (ICTR) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 156 I. Vergewaltigung als völkerrechtliches Verbrechen nach dem Statut des ICTR . . 158 1. Völkermord (Art. 2) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158 2. Verbrechen gegen die Menschlichkeit (Art. 3) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159 3. Verletzungen des gemeinsamen Artikels 3 der GA und des ZP II (Art. 4) . . . 160 II. Verfahrens- und Beweisregeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 160
6. Kapitel Probleme des Tatbestands der Vergewaltigung in der Rechtsprechung der Ad hoc-Tribunale
162
A. Die völkerstrafrechtliche Definition des Tatbestands der Vergewaltigung . . . . . . . . . . 163 I. Akayesu (ICTR – 1998) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 164 1. Erwägungen hinsichtlich einer völker(straf)rechtlichen Definition von Vergewaltigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die konzeptionelle Definition der Vergewaltigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Bestätigung der konzeptionellen Definition der Vergewaltigung in Mucic´, Delic´, Landzˇ o, Delalic´ (ICTY – 1998) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Furundzˇ iya (ICTY – 1998) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die gewohnheitsrechtliche Qualität des Vergewaltigungsverbots und allgemeine Rechtsgrundsätze in der Definition von Vergewaltigung . . . . . . . . . . .
164 165 167 168 168
2. Die mechanische Definition der Vergewaltigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169 IV. Bestätigung der konzeptionellen Definition der Vergewaltigung in Musema (ICTR – 2000) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 172 V. Kunarac, Kovacˇ und Vukovic´ (ICTY – 2001/2002) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 173 1. Fehlendes Einverständnis (,non-consent‘) des Opfers statt Gewalt, Zwang oder Drohung mit Gewalt (1. Instanz) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 173 2. Das Nicht-Einverständnis (,non-consent‘) des Opfers als Tatbestandsmerkmal von Vergewaltigung als völkerrechtlichem Verbrechen (Appeal) . . . . . . . . . . 175 VI. Kvocˇ ka (ICTY – 2001) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177
Inhaltsverzeichnis
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VII. Semanza (ICTR – 2003) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 178 VIII. Niyitegeka (ICTR – 2003) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 179 IX. Stakic´ (ICTY – 2003/2006) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 179 X. Kajelijeli (ICTR – 2003) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 180 XI. Kamuhanda (ICTR) – 2004 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 180 XII. Muhimana (ICTR – 2005) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 180 XIII. Gacumbitsi (ICTR – 2004/2006) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 182 1. Trial Judgement . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 182 2. Appeal Judgement . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183 XIV. Weitere einschlägige Urteile der Ad hoc-Tribunale . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 186 B. Gesamtbetrachtung zur Definition des völkerstrafrechtlichen Tatbestands der Vergewaltigung mit Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 187 I. ,Non-consent‘ als Tatbestandselement der Vergewaltigung – Diskussion . . . . . . 188 II. Der Bestimmtheitsgrundsatz in der völkerstrafrechtlichen Definition von Vergewaltigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 192 C. Vergewaltigung als Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit in Form von Folter, unmenschlicher Behandlung und vorsätzlicher Verursachung großer Leiden oder schwerer Verletzungen der körperlichen Unversehrtheit sowie Verfolgung 194 I. Tadic´ (ICTY – 1997 und 1999) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 194 II. Mucic´, Delic´, Landzˇ o, Delalic´ (ICTY – 1998) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 195 III. Furundzˇ iya (ICTY – 1998) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 196 IV. Blasˇkic´ (ICTY – 2000/2004) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 197 V. Stakic´ (ICTR – 2003/2006) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 197 VI. Brd¯anin (ICTY – 2004) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 198 VII. Krajisˇnik (ICTY – 2006/2009) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 199 VIII. Nyiramasuhuko et al. (ICTR – 2011) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 199 IX. Karemera, Ngirumpatse (ICTR – 2012) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 200 D. Bewertung der Rechtsprechung zu Vergewaltigung als Folter und unmenschlicher Behandlung sowie vorsätzlicher Verursachung großer Leiden oder schwerer Verletzungen der körperlichen Unversehrtheit und Verfolgung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 200 E. Vergewaltigung als Völkermord . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 201 I. Vergewaltigung als Verursachung schwerer körperlicher und seelischer Schäden 201 II. Besonderheiten bei der Verwirklichung des Tatbestandes des Völkermordes durch Vergewaltigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 205 F. Probleme des Opfer- und Zeugenschutzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 205 I. Strafrechtliche Ermittlungen der Anklagebehörde und Prozessökonomie . . . . . . 206 II. Aussagebereitschaft der Opfer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 207 III. Re-Traumatisierung durch die Zeugenaussage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 208
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Inhaltsverzeichnis IV. Der Schutz von Opferzeugen vor und nach dem Hauptverfahren . . . . . . . . . . . . 210
G. Weiterentwicklung und Bewertung der Rechtsprechung der Ad hoc-Tribunale zum Tatbestand der Vergewaltigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 210 I. Strafrechtliche Auseinandersetzung mit dem Tatbestand der Vergewaltigung als völkerrechtlichem Verbrechen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 210 II. Entwicklung einer geschlechtsneutralen völkerstrafrechtlichen Definition des Tatbestandes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 212 III. Das „internationale Element“ als mögliche Lösung des Problems des NichtEinverständnisses des Opfers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 214
7. Kapitel Das Vergewaltigungsverbot im Statut des Internationalen Strafgerichtshofs (1998)
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A. Rechtsgrundlage und Jurisdiktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 216 B. Verbrechen gegen die Menschlichkeit (Art. 7) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 217 I. Vergewaltigung (Art. 7 Abs. 1g-1)) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 218 1. Penetration . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 219 2. Zwang oder Drohung mit Gewalt oder Zwang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 221 II. Sexuelle Sklaverei (Art. 7 Abs. 1g-2)) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 222 III. Nötigung zur Prostitution (Art. 7 Abs. 1g-3)) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 224 IV. Erzwungene Schwangerschaft (Art. 7 Abs. 1g-4)) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 226 V. Jede andere Form von sexueller Gewalt von vergleichbarer Schwere (Art. 7 Abs. 1g-6)) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 230 VI. Folter (Art. 7 Abs. 1 e)) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 232 VII. Versklavung (Art. 7 Abs. 1 c)) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 233 VIII. Der Auffangtatbestand der „anderen unmenschlichen Handlung“ (Art. 7 Abs. 1 k)) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 235 C. Kriegsverbrechen (Art. 8) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 237 I. Vergewaltigung als Kriegsverbrechen im internationalen bewaffneten Konflikt (Art. 8 Abs. 2 a) und b)) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 239 1. Vergewaltigung, sexuelle Sklaverei, Nötigung zur Prostitution, erzwungene Schwangerschaft im Sinne des Artikels 7 Abs. 2 Buchstabe f, Zwangssterilisationen oder jede andere Form sexueller Gewalt, die ebenfalls eine schwere Verletzung der Genfer Abkommen darstellt (Art. 8 Abs. 2 b) (xxii)) . . . . . . . 239 2. Beeinträchtigung der persönlichen Würde (Art. 8 Abs. 2 b) (xxi)) . . . . . . . . . 240 3. Folter (Art. 8 Abs. 2 a) (ii) 1. Alternative) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 240 4. Unmenschliche Behandlung (Art. 8 Abs. 2 a) (ii) 2. Alternative) . . . . . . . . . . 242 5. Vorsätzliche Verursachung großer Leiden oder schwerer Beeinträchtigung der körperlichen Unversehrtheit oder der Gesundheit (Art. 8 Abs. 2 a) (iii)) . . . . 242
Inhaltsverzeichnis
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6. Körperliche Verstümmelung von Personen, die sich in der Gewalt einer gegnerischen Partei befinden (Art. 8 Abs. 2 b) (x)) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 243 II. Vergewaltigung als Kriegsverbrechen im nicht-internationalen bewaffneten Konflikt (Art. 8 Abs. 2 c) und e)) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 244 1. Vergewaltigung, sexuelle Sklaverei, Nötigung zur Prostitution, erzwungene Schwangerschaft im Sinne des Artikels 7 Absatz 2 Buchstabe f, Zwangssterilisation und jede andere Form sexueller Gewalt, die ebenfalls einen schweren Verstoß gegen den gemeinsamen Artikel 3 der vier Genfer Abkommen darstellt (Art. 8 Abs. 2 e) (vi)) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 245 2. Folter (Art. 8 Abs. 2 c) (i) 4. Alternative) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 246 3. Grausame Behandlung (Art. 8 Abs. 2 c) (i) 3. Alternative) . . . . . . . . . . . . . . . 246 4. Beeinträchtigung der persönlichen Würde, insbesondere entwürdigende und erniedrigende Behandlung (Art. 8 Abs. 2 c) (ii) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 246 5. Angriffe auf Leib und Leben, insbesondere Verstümmelung (Art. 8 Abs. 2 c) (i) 2. Alternative) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 247 6. Körperliche Verstümmelung (Art. 8 Abs. 2 e) (xi)) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 247 D. Völkermord (Art. 6) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 248 I. Verursachung von schwerem körperlichem oder seelischem Schaden an Mitgliedern der Gruppe (Art. 6 lit. b) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 248 II. Vorsätzliche Auferlegung von Lebensbedingungen für die Gruppe, die geeignet sind, ihre körperliche Zerstörung ganz oder teilweise herbeizuführen (Art. 6 lit. c) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 249 III. Verhängung von Maßnahmen, die auf die Geburtenverhinderung innerhalb der Gruppe gerichtet sind (Art. 6 lit. d) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 250 E. Bewertung der Ausgestaltung des Vergewaltigungsverbots im römischen Statut . . . . . 251 I. Weiterentwicklung des Vergewaltigungsverbots . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 251 II. Bestimmtheitsgrundsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 252 III. Weiterer Einfluss der Rechtsprechung von ICTY und ICTR . . . . . . . . . . . . . . . . 252 IV. Geschlechtsneutrale Formulierung der Tatbestände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 253
8. Kapitel Vergewaltigung und sexuelle Gewalt im Verfahrensrecht des Internationalen Strafgerichtshofs
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A. Zeugenschutz nach dem römischen Statut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 256 I. Erscheinens- und Aussageverpflichtung von Zeugen vor dem IStGH . . . . . . . . . 257 II. Opfer- und Zeugenschutz nach Art. 68 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 259 III. Die Ausgestaltung des Opfer- und Zeugenschutzes für Vergewaltigungsopfer in den Verfahrens- und Beweisregeln des Internationalen Strafgerichtshofs . . . . . . 261 1. Anonymität gegenüber der Öffentlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 262
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Inhaltsverzeichnis 2. Anonymität gegenüber der Verteidigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 264 3. Beweisverwertungsverbot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 266 4. Zeugenschutzprogramm und Langzeitmaßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 266 IV. Besondere Beweisregeln in Verfahren wegen sexueller Gewalt . . . . . . . . . . . . . 267 1. Die (Nicht-)Erforderlichkeit der Bestätigung einer Zeugenaussage (Regel 63) 268 2. Die Zulässigkeit der Frage nach dem ,consent‘ (Regel 70) und der Ausschluss der Öffentlichkeit bei Entscheidungen hierüber . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 269 3. Die Relevanz anderweitigen sexuellen Verhaltens (Regel 70 d) und 71) . . . . 270
B. Die Beteiligung der Opfer von Vergewaltigungen an Verfahren vor dem IStGH . . . . . 271 I. Voraussetzung der Zulassung von Opfern als Verfahrensbeteiligten . . . . . . . . . . 273 1. Opfer im Sinne der Regel 85 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 273 2. Betroffenheit persönlicher Interessen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 274 3. Ausmaß und Umfang der Opferbeteiligung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 276 II. Zulassung von Opfern als Beteiligten zu Verfahren vor dem IStGH . . . . . . . . . . 277 1. Notifikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 277 2. Antrag des Opfers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 278 III. Beteiligungsrechte der Opfer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 279 1. Recht auf Information . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 279 2. Recht auf Gehör . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 280 3. Recht auf rechtliche Vertretung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 281 C. Wiedergutmachung für Opfer von Vergewaltigungen nach dem römischen Statut . . . 282 I. Voraussetzungen der Wiedergutmachung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 283 II. Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 283 III. Die Wiedergutmachungsleistung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 284 1. Wiedergutmachung auf individueller oder kollektiver Basis . . . . . . . . . . . . . . 285 2. Wiedergutmachung durch den Täter oder den Treuhandfonds . . . . . . . . . . . . 285 D. Gesamtbetrachtung der Stellung von Opfern sexueller Gewalt wie Vergewaltigung in Verfahren vor dem IStGH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 286
9. Kapitel Der völkerrechtliche Tatbestand der Vergewaltigung in der Praxis des Internationalen Strafgerichtshofes
289
A. Vergewaltigung und sexuelle Gewalt im Fall Lubanga (Demokratische Republik Kongo) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 289 I. Keine Anklagepunkte der sexuellen Gewalt, Vergewaltigung und sexuellen Sklaverei sowie unmenschlicher und grausamer Behandlung . . . . . . . . . . . . . . . 290 II. Vergewaltigung und sexuelle Gewalt im Urteil gegen Lubanga . . . . . . . . . . . . . 291
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III. Dissenting Opinion by Judge Odio Benito . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 293 IV. Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 294 B. Vergewaltigung und sexuelle Sklaverei in den Verfahren gegen Ngudjolo Chui und Katanga . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 295 I. Trennung der Verfahren und Freispruch von Ngudjolo Chui . . . . . . . . . . . . . . . . 295 II. Freispruch von Katanga bezüglich der Anklagepunkte wegen Vergewaltigung und sexueller Sklaverei als Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 296 III. Bewertung des Verfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 297 C. Weitere bisherige Anklagen wegen Vorwürfen der Vergewaltigung und der sexuellen Gewalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 299 I. Demokratische Republik Kongo . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 299 1. Fehlende Bestätigung der Anklage im Fall Mbarushimana . . . . . . . . . . . . . . . 299 2. Ntaganda . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 302 3. Mudacumura . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 303 II. Zentralafrikanische Republik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 303 III. Uganda . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 304 IV. Darfur, Sudan . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 304 V. Kenia . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 305 VI. Elfenbeinküste . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 307 D. Reparationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 307 E. Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 310
10. Kapitel Schlussfolgerungen zur Entwicklung, Definition und Durchsetzung des Vergewaltigungsverbots im bewaffneten Konflikt
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A. Entwicklung und Stand des Vergewaltigungsverbots im bewaffneten Konflikt . . . . . . 312 I. Historische Entwicklung des Vergewaltigungsverbots zum Völkergewohnheitsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 312 II. Das Vergewaltigungsverbot im bewaffneten Konflikt als jus cogens-Norm . . . . 314 B. Der völkerrechtliche Rahmen des Vergewaltigungsverbots und die völkerstrafrechtliche Definition des Tatbestandes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 317 I. Die völkerrechtlichen Anforderungen an das Vergewaltigungsverbot im bewaffneten Konflikt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 317 II. Die völkerstrafrechtliche Definition des Tatbestandes der Vergewaltigung . . . . . 318
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C. Durchsetzung des Vergewaltigungsverbots im bewaffneten Konflikt . . . . . . . . . . . . . . 319 I. Die Staatenverantwortlichkeit hinsichtlich der Durchsetzung des Vergewaltigungsverbots im bewaffneten Konflikt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 320 II. Die völkerstrafrechtliche Durchsetzung auf individueller Ebene . . . . . . . . . . . . . 321 III. Individuelle Ansprüche auf Wiedergutmachung bzw. Reparationen . . . . . . . . . . 323 D. Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 324 Summary . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 326 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 329 Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 351
Einführung in den Untersuchungsgegenstand der Arbeit Seit Menschengedenken gibt es Kriege und bewaffnete Konflikte. Vergewaltigungen wurden – und werden teilweise heute noch – als „unvermeidliches“ Nebenprodukt von bewaffneten Konflikten betrachtet.1 Dabei sind Vergewaltigungen in bewaffneten Konflikten keine zulässige Methode der Kriegsführung, da sie sich nicht auf das Ausschalten von Kämpfern beziehen und durch ihren Einsatz kein militärischer Vorteil zu erreichen ist. Vergewaltigungen in bewaffneten Konflikten unterscheiden sich erheblich von Vergewaltigungen zu Friedenszeiten, in denen Sicherheit und Ordnung durch die Polizei durchgesetzt wird. So sind Vergewaltigungen in bewaffneten Konflikten häufig ein Massenphänomen, bei dem es im Unterschied zu Friedenszeiten, in denen Vergewaltigungen „nur“ isoliert vorkommen und häufig Beziehungstaten sind, nicht auf ein bestimmtes Opfer ankommt. Bei Massenvergewaltigungen ist in der Regel die Schädigung, Degradierung und Entwürdigung einer gesamten (Volks-)Gruppe beabsichtigt, die nicht nur gegen die individuellen Opfer, sondern auch gegen ihre Familien und Gemeinschaften gerichtet sind bis hin zur völligen Zerstörung der vor dem bewaffneten Konflikt bestehenden Gesellschaftsstruktur. Durch Massenvergewaltigungen in bewaffneten Konflikten entstehen zudem individuelle und gesamtgesellschaftliche Traumata, die – auch aufgrund ihrer gesellschaftlichen Stigmatisierung – nur schwer aufzuarbeiten sind und die Aussöhnung nach einem bewaffneten Konflikt erheblich erschweren. 2 Trotz all dieser Folgen sind (Massen-)Vergewaltigungen heute ein alltägliches Phänomen in zahlreichen bewaffneten Konflikten. Dies gilt insbesondere für nichtinternationale bewaffneten Konflikte und Konflikte mit einer ethnischen Komponente. Der Bericht des VN-Generalsekretärs über „Conflict-related sexual violence“ von Januar 2012 nennt in Bezug auf das Vorkommen sexueller Gewalt in bewaffneten Konflikten nur auf den Zeitraum Dezember 2010 bis November 2011 bezogen acht Staaten – Kolumbien, die Elfenbeinküste, die Demokratische Republik Kongo, Libyen, Myanmar, Somalia sowie den Süd-Sudan und Sudan (Darfur).3 Die Vereinten Nationen bemühen sich daher seit etwa einem Jahrzehnt verstärkt um die Beendigung von sexueller Gewalt, wozu auch Vergewaltigung zählt, im Zusammenhang mit 1 Brownmiller, Gegen unseren Willen, S. 39; Askin, War Crimes Against Women, S. 1. Vgl. auch Quénivet, Sexual Offenses in Armed Conflict and International Law, S. 76. 2 Siehe dazu etwa Report of the Secretary-General on Conflict-related sexual violence, UN Doc A/66/657 sowie S/2012/33 vom 13. Januar 2012, Abs. 68, 71. 3 Report of the Secretary-General on Conflict-related sexual violence, UN Doc A/66/657 sowie S/2012/33 vom 13. Januar 2012, Abs. 17 – 57.
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bewaffneten Konflikten.4 So hat der VN-Sicherheitsrat zuletzt 2010 in Resolution 1960 festgestellt, dass „sexual violence, when used or commissioned as a tactic of war or as a part of a widespread or systematic attack against civilian populations, can significantly exacerbate and prolong situations of armed conflict and may impede the restoration of international peace and security.“
Weiter erläutert er im gleichen Absatz, dass „effective steps to prevent and respond to such acts of sexual violence can significantly contribute to the maintenance of international peace“
und bekräftigt seine Bereitschaft „to take, where necessary, appropriate steps to address widespread or systematic sexual violence in situations of armed conflict.“5
Die Bekämpfung sexueller Gewalt in bewaffneten Konflikten spielt auch eine zunehmende Rolle in UN-Missionen. Dort wird mehr darauf geachtet konfliktbezogener sexueller Gewalt zu begegnen und die Bekämpfung dieser in Waffenstillstands- und Friedensabkommen zu berücksichtigen. Des Weiteren spielt die internationale Strafjustiz im Kampf gegen die Straflosigkeit von sexueller Gewalt wie Vergewaltigung in bewaffneten Konflikten eine bedeutende Rolle.6 In diesen Zusammenhang der Bekämpfung von sexueller Gewalt in bewaffneten Konflikten fällt der Untersuchungsgegenstand der Arbeit, die den rechtlichen Rahmen des Vergewaltigungsverbots im bewaffneten Konflikt untersucht.
I. Untersuchungsgegenstand Untersuchungsgegenstand der Arbeit ist das Vergewaltigungsverbot im bewaffneten Konflikt wie es heute besteht. Hierzu wird anhand der historischen Entwicklung des Verbots von der Antike bis heute nachvollzogen, wann und in welchen Rechtsinstrumenten das Vergewaltigungsverbot entstand, was es völker- und völ4 Siehe etwa Security Council Resolution 1325 (2000) on Women, Peace and Security, UN Doc S/RES/1325, 31. Oktober 2000, worin u. a. gefordert wird völkerrechtliche Verbrechen an Frauen zu verfolgen und Frauen und Mädchen in Konfliktgebieten besonders zu schützen; Security Council Resolution 1820 (2008) on Women, Peace and Security, UN Doc S/RES/1820, 19. Juni 2008; Security Council Resolution 1888 (2009) on Women, Peace and Security, UN Doc S/RES/1888, 30. September 2009, die die Schaffung eines Special Representative for Sexual Violence vorsieht (Abs. 4) sowie Security Council Resolution 1960 (2010), UN Doc S/ RES/1960, 16. Dezember 2010, die Monitoring, Untersuchungs- und Berichtsmechanismen für sexuelle Gewalt in Konflikten schafft. 5 Security Council Resolution 1960 (2010) on Women, Peace and Security, UN Doc S/RES/ 1960, 16. Dezember 2010, Abs. 1. 6 Report of the Secretary-General on Conflict-related sexual violence, UN Doc A/66/657 sowie S/2012/33 vom 13. Januar 2012, Abs. 115.
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kerstrafrechtlich genau umfasst und welche rechtlichen Möglichkeiten es auf völkerrechtlicher und individueller Ebene zu seiner Durchsetzung gibt. Der Untersuchung der historischen Entwicklung des Vergewaltigungsverbots im bewaffneten Konflikt schließt sich die Untersuchung der Staatenverantwortlichkeit wegen fehlender oder mangelhafter Durchsetzung des völkerrechtlichen Vergewaltigungsverbots im bewaffneten Konflikt an. Anschließend wird die Strafbarkeit von Vergewaltigungen in den Statuten der beiden Ad hoc-Straftribunale für das ehemalige Jugoslawien und Ruanda unter Berücksichtigung von verfahrensrechtlichen Besonderheiten in Fällen sexueller Gewalt untersucht und ihre Rechtsprechung mit Blick auf die Tatbestände der Vergewaltigung und der sexuellen Gewalt analysiert. Im Anschluss wird auf die Strafbarkeit von Vergewaltigung und anderer eng mit dieser zusammenhängender Verbrechen der sexuellen Gewalt nach dem römischen Statut eingegangen, wobei auch hier auf verfahrensrechtliche Besonderheiten für Opfer sexueller Gewalt eingegangen wird. Abschließend wird auf den Umgang mit den Tatbeständen der Vergewaltigung und anderer eng mit diesen zusammenhängenden Tatbeständen sexueller Gewalt in der bisherigen Praxis des Internationalen Strafgerichtshofs eingegangen. In den Schlussbetrachtungen schließlich werden die Ergebnisse der Untersuchung zusammengefasst und die Frage, ob das Vergewaltigungsverbot im bewaffneten Konflikt den Status einer jus cogens-Norm hat, erörtert.
II. Abgrenzung des Untersuchungsgegenstandes Das Phänomen des Vorkommens von sexueller Gewalt und/oder von Vergewaltigungen in bewaffneten Konflikten allgemein und der Ursachen hierfür, ist ebenso wie die Frage nach dem gezielten Einsatz von Vergewaltigung als Methode der Kriegsführung, als überwiegend psychologische, soziologische und kriminologische Fragestellung nicht Gegenstand dieser juristischen Untersuchung. Auf die Fragen wieso Vergewaltigungen in bewaffneten Konflikten als „unvermeidliches“ Nebenprodukt von bewaffneten Konflikten angesehen wurden, warum in bewaffneten Konflikten – teilweise im großen Stil – vergewaltigt wird und was die Motivation der Täter in einem bewaffneten Konflikt zu vergewaltigen ist, wird in dieser Arbeit nicht eingegangen.7 Gegenstand der Untersuchung ist ausschließlich das völkerrechtliche Verbot, im bewaffneten Konflikt zu vergewaltigen. Dabei wird im Laufe der Untersuchung zwischen dem völkerrechtlichen Verbot der Vergewaltigung im Umfeld bewaffneter Konflikte, das sich an Staaten als Völkerrechtssubjekte richtet einerseits und andererseits dem völkerstrafrechtlichen Tatbestand der Vergewaltigung, das sich an einem Konflikt teilnehmende Individuen richtet, unterschieden. Zwar beruht der völkerstrafrechtliche Tatbestand der Vergewaltigung etwa als Kriegsverbrechen oder Verbrechen gegen die Menschlichkeit auf dem völker(gewohnheits)rechtlichen 7
Zu diesen Fragen siehe etwa Leatherman, Sexual Violence and Armed Conflict.
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Verbot im bewaffneten Konflikt zu vergewaltigen; die Unterscheidung ist aber schon deshalb wesentlich, weil nicht jedes völkerrechtliche Verbot, das sich primär an Staaten als Völkerrechtssubjekte richtet, ein Verbot auf individueller Ebene verlangt oder nach sich zieht. Folglich ist der völkerstrafrechtliche Tatbestand der Vergewaltigung Folge des völkerrechtlichen Verbots im bewaffneten Konflikt zu vergewaltigen. In diesem Zusammenhang bedarf weiter die Tatsache, dass nicht nur Frauen, sondern auch Männer Opfer von Vergewaltigungen in bewaffneten Konflikten sind und dass diese mit ähnlichen Folgen der Tat, wie etwa sozialer Stigmatisierung, zu kämpfen haben, der Erwähnung.8 Männer bedürfen im gleichen Umfang des völkerund völkerstrafrechtlichen Schutzes vor Vergewaltigung, weshalb sich die Untersuchung auf das Vergewaltigungsverbot im bewaffneten Konflikt allgemein bezieht und nicht zwischen Vergewaltigungen an Frauen und Männern unterscheidet. Angesichts der weit verbreiteten Tendenz, Frauen in bewaffneten Konflikten als „verletzlich“ oder als „Opfer“ zu klassifizieren, ist an dieser Stelle erwähnenswert, dass Frauen sämtliche Rollen, die auch Männer in bewaffneten Konflikten einnehmen, ebenfalls einnehmen (können) und somit nicht automatisch nur Opfer bewaffneter Konflikte sind. In diesen verschiedenen Rollen können selbstverständlich auch Frauen Verstöße gegen das humanitäre Völkerrecht zu verantworten haben und völkerrechtliche Verbrechen begehen.9 Der Schwerpunkt der Untersuchung liegt auf dem völker- und völkerstrafrechtlichen Vergewaltigungsverbot. Vergewaltigung im Sinne von erzwungenem Geschlechtsverkehr ist jedoch nur eine Form von sexueller Gewalt. Sexuelle Gewalt kann darüber hinaus ,allgemeine‘ sexualisierte Gewalt vergleichbarer Schwere sein bei der es nicht zum Geschlechtsverkehr kommt, aber – um nur die speziellen Tatbestände des römischen Statuts zu nennen – auch in Form von sexueller Sklaverei, Nötigung zur Prostitution bzw. Zwangsprostitution und erzwungenen Schwangerschaften auftreten. Häufig ist sexuelle Gewalt eng mit Vergewaltigungen verbunden oder schwierig von diesen abzugrenzen. Deshalb werden bei der Untersuchung der Rechtsprechung der Ad hoc-Straftribunale für das ehemalige Jugoslawien und Ruanda sowie bei der Untersuchung des römischen Statuts und der bisher vorhandenen Rechtsprechung des Internationalen Strafgerichtshofs (IStGH) auch diese Tatbestände in die Untersuchung einbezogen, soweit sie unmittelbar mit dem Tatbestand der Vergewaltigung zusammenhängen, diesen beinhalten oder von ihm abgegrenzt werden müssen.
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Zu Männern als Opfer sexueller Gewalt im bewaffneten Konflikt siehe Sivakumaran, Sexual Violence Against Men in Armed Conflict, EJIL 18 (2007), S. 253 – 276 sowie allgemein zu Vergewaltigungen von Männern, McMullen, Male Rape, Breaking the Silence on the Last Taboo. 9 ICRC, Addressing the Needs of Women Affected by Armed Conflict, S. 8; Lindsey, The Impact of Armed Conflict on Women, in: Durham/Gurd, Listening to the Silences, S. 35.
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Eng mit Vergewaltigung im bewaffneten Konflikt verknüpft ist auch das Phänomen der sexuellen Sklaverei und der Zwangsprostitution, da sie den erzwungenen Geschlechtsverkehr quasi beinhalten. Im Unterschied zur ,bloßen‘ Vergewaltigung erfordern diese beiden Verbrechenstatbestände jedoch über die Vergewaltigung hinausgehende Elemente, nämlich die Anmaßung von Eigentumsrechten im Fall der sexuellen Sklaverei und der Erlangung eines geldwerten Vorteils im Fall der Zwangsprostitution. Die genaue Untersuchung dieser Verbrechensvarianten würde daher den Rahmen dieser Arbeit, die das Vergewaltigungsverbot untersucht, sprengen. Deshalb werden Zwangsprostitution und sexuelle Sklaverei aufgrund ihrer engen Verknüpfung mit dem Tatbestand der Vergewaltigung nur insoweit erwähnt als sie für die Untersuchung des Vergewaltigungsverbots wesentlich sind bzw. eng mit dem Tatbestand zusammenhängen wie etwa im Fall Kunarac, Kovacˇ und Vukovic´ des ICTY oder in den Tatbeständen des römischen Statuts. Phänomene wie das der sogenannten ,Comfort Women‘ der japanischen Armee im zweiten Weltkrieg oder der sogenannte Batavia-Fall werden jedoch nicht im Detail untersucht.
1. Kapitel
Historische Entwicklung des Vergewaltigungsverbots im Kriegsvölkerrecht (Antike bis zum 1. Weltkrieg) Gegenstand des ersten Teils der Untersuchung ist die historische Entwicklung des Vergewaltigungsverbots im Kriegsrecht im Hinblick auf eine mögliche völkergewohnheitsrechtliche Geltung des Verbots. Dazu wird das in den verschiedenen Epochen von der Antike über das Mittelalter bis zum zweiten Weltkrieg geltende Kriegsrecht auf ein Vergewaltigungsverbot, sowie dessen Um- und Durchsetzung – etwa im Rahmen von Kriegsverbrecherprozessen – untersucht. Dies ist für die rechtshistorische Einordnung von Vergewaltigungen im Zusammenhang mit bewaffneten Konflikten insofern wesentlich als die Verfolgung von Vergewaltigung als völkerrechtlicher Straftat das Bestehen eines entsprechenden Verbots voraussetzt. Wichtig für die Frage nach der strafrechtlichen Einordnung ist darüber hinaus, unter welchen Umständen die Taten erfolgten, also ob sie beispielsweise Teil eines systematischen ausgedehnten Angriffs gegen die Zivilbevölkerung waren. Diese Umstände der Vergewaltigungen bieten wesentliche Unterscheidungsmerkmale für die rechtliche Einordnung der Tat(en) etwa als Kriegsverbrechen, als Verbrechen gegen die Menschlichkeit oder als Völkermord.1
A. Vergewaltigung im antiken Kriegsrecht (ca. 1100 v. Chr. – 4./6. Jhd.) I. Kriegsrecht und Kriegspraxis in der Antike In der Antike war ein internationales Kriegsrecht, wie wir es heute kennen, noch wenig ausgebildet. Grundsätzlich war der Sieger sowohl bei den Griechen als auch später bei den Römern Herr über Leben und Besitz der Besiegten. Die Zerstörung einer besiegten feindlichen Stadt und die Ausrottung, Vertreibung oder Versklavung ihrer Bevölkerung war – im Extremfall – bei allen antiken Großmächten möglich.2 Zwar hat es in den Stadtstaaten des antiken Griechenlands Versuche gegeben, die prinzipiell schrankenlose Kriegführung aus Menschlichkeit oder politischer Klug1
Askin, War Crimes Against Women, S. 2. Stadtmüller, Geschichte des Völkerrechts, S. 13, 26, 33; Ziegler, Völkerrechtsgeschichte, § 4 II. 4., § 7 II. 6., § 9 II 5. c). 2
A. Vergewaltigung im antiken Kriegsrecht
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heit einzuschränken. Diese Versuche waren jedoch nicht von Erfolg gekrönt und so konnte sich daraus kein allgemeines Kriegsrecht entwickeln.3 1. Vergewaltigung in Kriegsgefangenschaft und Sklaverei Vergewaltigen war in der Antike etwa bei den Hebräern oder den Griechen ein in Kriegen gesellschaftlich akzeptiertes Verhalten.4 Der Besitz von Frauen selbst konnte aber auch ausdrückliches Kriegsziel sein, wobei es dabei nicht nur um die Erbeutung der Frauen allein, sondern explizit um den Geschlechtsverkehr mit ihnen ging.5 Aus Sicht des Siegers war der Geschlechtsverkehr mit erbeuteten Frauen dabei ein Siegesritual, das dem Besiegten seine Unterlegenheit vor Augen führen sollte; aus Sicht des Besiegten die Demonstration seiner Unterlegenheit und Unfähigkeit, für den Schutz seiner Frau(en) zu sorgen.6 In allen Kulturen des Altertums galt die Kriegsgefangenschaft als einer der Ursprünge für Sklaverei.7 In der Sklaverei gab es aber – überspitzt ausgedrückt – „keine Vergewaltigung von Sklaven – jedenfalls nicht im Sinne eines Unrechtsaktes“, da nur der Wille des Herrn, nicht der des Sklaven zählte. Erzwungener Geschlechtsverkehr mit den eigenen Sklaven wurde von antiken Schriftstellern grundsätzlich gebilligt.8 Eine Kriegsgefangene, die versklavt wurde, musste daher damit rechnen, ihrem zukünftigen Herrn zu Diensten sein zu müssen. Diese soziale Dimension von Vergewaltigung in der Antike kommt auch in der Bibel zum Ausdruck und zeigt, dass das Recht der (sexuellen) „Herrschaft“ über Frauen mit der Eroberung von den Ehemännern auf den oder die Eroberer übergegangen ist, ohne dass das als sexueller Missbrauch oder als Straftat angesehen wurde.9 2. Vergewaltigungsverbote antiker Feldherren Trotz der grundsätzlich unbeschränkten Kriegführung in der Antike gibt es Hinweise auf Verbote einzelner Feldherren, während eines Krieges oder nach einer Eroberung zu vergewaltigen. Schon von Alexander dem Großen berichtet Gentili in seinem Werk „De jure belli libri tres“ von 1589, dass er anordnete, alle gefangen genommenen persischen Frauen „unbefleckt“ freizulassen. Als er sich bei der Eroberung Baktriens im Jahre 327 v. Chr. in die gefangen genommene Prinzessin 3
Ziegler, Völkerrechtsgeschichte, § 7 II. 6. Brownmiller, Gegen unseren Willen, S. 40. 5 Doblhofer, Vergewaltigung in der Antike, S. 23 ff. (24) mit weiteren Nachweisen. 6 Doblhofer, Vergewaltigung in der Antike, S. 25 f.; vgl. auch Brownmiller, Gegen unseren Willen, S. 44. 7 Stadtmüller, Geschichte des Völkerrechts, S. 26, 33; Ziegler, Völkerrechtsgeschichte, § 4 II. 4.(S. 20), § 7 II. 6. (S. 37), § 9 II 5. c) (S. 51). 8 Doblhofer, Vergewaltigung in der Antike, S. 18 ff. 9 Meyers/Meyers, Zechariah 9 – 14 S. 414 f. 4
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1. Kap.: Historische Entwicklung
Roxana verliebte, soll er sie geheiratet und nicht geschändet haben.10 Der Ostgote Totila, der als „eine aufrechte ritterliche Gestalt in barbarischer Zeit“ galt und 546 n. Chr. Rom eroberte, soll seinen Soldaten untersagt haben, römische Frauen zu vergewaltigen.11
II. Schlussfolgerungen zu kriegsrechtlichen Vergewaltigungsverboten in der Antike Da in der antiken Kriegsführung Übergriffe gegen die Zivilbevölkerung grundsätzlich erlaubt und Vergewaltigungen im Zusammenhang mit Kriegen gesellschaftlich akzeptiert waren, kann – trotz des Nachweises isolierter Vergewaltigungsverbote einzelner Feldherren – nicht von einem allgemeinen kriegsrechtlichen Vergewaltigungsverbot ausgegangen werden. Hinsichtlich der bedeutenden sozialen Dimension von Massenvergewaltigungen im Zusammenhang mit Kriegen ist die große Zeitspanne der Antike ergiebiger. Vergewaltigungen der Frauen des besiegten Volkes hatten einen starken, die Unterwerfung des Gegners demonstrierenden Symbolcharakter.12 Besonders auffällig wird dieser Symbolcharakter im Hinblick auf die Tatsache, dass Vergewaltigungen besonders dann vorkamen, wenn eine Stadt völlig vernichtet werden sollte. Parallelen zu Massenvergewaltigungen in heutigen Kriegen – wie etwa im ehemaligen Jugoslawien – erscheinen daher besonders in Bezug auf eine Vertreibungspolitik möglich.
B. Vergewaltigung im Kriegsrecht des Mittelalters (ca. 4./6. Jhd. – 15. Jhd.) I. Kriegsrecht und Kriegspraxis im europäischen Mittelalter In der Regel war die Kriegführung im Mittelalter gewalttätig; „es wurde abgeschlachtet, gemordet und vergewaltigt.“ 13 Grundsätzlich war nach der mittelalterlichen Rechtsauffassung im Rahmen einer militärischen Auseinandersetzung fast alles erlaubt, womit man den Feind schädigen konnte – auch Vergewaltigungen.14 Es 10
Gentili, De jure belli libri tres, 2. Buch, Kapitel 21, Rn. 422 (S. 257 f.). Walker, A History of the Law of Nations, Bd. I, S. 65; siehe auch Gentili, De jure belli libri tres, 2. Buch, Kapitel 21, Rn. 423 (S. 258). 12 Doblhofer, Vergewaltigung in der Antike, S. 27. 13 Althoff, Schranken der Gewalt, S. 3 und Schmidtchen, Ius in bello und militärischer Alltag, S. 39 beide in: Brunner, Der Krieg im Mittelalter und in der Frühen Neuzeit. 14 Schmidtchen, Ius in bello und militärischer Alltag, in: Brunner, Der Krieg im Mittelalter und in der Frühen Neuzeit, S. 40; Keen, The Laws of War in the Late Middle Ages, S. 121. 11
B. Vergewaltigung im Kriegsrecht des Mittelalters
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gab allerdings auch eine weitgehend unbekannte „Kehrseite der Medaille“, nämlich die klassischen Fehderegeln, die der Gewalt im Rahmen von kriegerischen Auseinandersetzungen eine ganze Reihe von Schranken setzten.15 So bestimmte insbesondere nicht zwangsläufig die Suche nach der Entscheidungsschlacht den Ablauf einer Fehde, sondern Demonstrationen der Stärke, die den Kontrahenten die Möglichkeit ließen einzulenken und so eine Abwägung ermöglichten, ob Gegenwehr in einer Situation sinnvoll war oder nicht.16 Der erbarmungslose Umgang mit den jeweiligen Feinden konnte jedoch im Einzelfall auch Mittel „psychologischer Kriegsführung“ sein.17 So waren Vergewaltigungen beispielsweise nach Martens „ein in der Ordnung der Dinge begründeter Kriegsbrauch.“18 1. Kriegsrecht und Vergewaltigungen während der Kreuzzüge (1096 – 1270) Während der Kreuzzüge gibt es sowohl Hinweise auf ein geltendes Vergewaltigungsverbot als auch solche auf Übertretungen dieses Verbots im großen Stil. So wird von Rittern und Pilgern berichtet, die während des ersten Kreuzzuges (1096 – 1099) auf ihrem Weg nach Konstantinopel Frauen geschändet haben.19 Während des Dritten Kreuzzuges (1189 – 1192), so ist historisch belegt, hielt Richard I. von England („Richard Löwenherz“) Gericht über die Leute in seiner Gefolgschaft, die ihm nach Sizilien vorausgereist waren und dort geplündert, geraubt und vergewaltigt hatten. Ohne Unterschiede soll er alle Täter „dem Gesetz und dem königlichen Urteil, das für Kreuzfahrer vorgesehen war, die sich während der Reise irgendwelcher Vergehen schuldig machten“
und das den Galgen vorsah, unterworfen haben. Gleichzeitig soll jedoch Philippe II. Auguste von Frankreich gleichartige Verbrechen seiner Leute vertuscht und verschwiegen haben.20 Aus zeitgenössischen Berichten über den vierten Kreuzzug (1202 – 1204) ergibt sich, dass die Kreuzfahrer vor der Eroberung von Konstantinopel schwören mussten, „dass sie keiner Frau Gewalt antun und sie keiner Kleidungsstücke, die sie trügen, berauben würden“, 15 Althoff, Schranken der Gewalt, in: Brunner, Der Krieg im Mittelalter und in der Frühen Neuzeit, S. 4; Stadtmüller, Geschichte des Völkerrechts, S. 68 f. 16 Althoff, Schranken der Gewalt, in: Brunner, Der Krieg im Mittelalter und in der Frühen Neuzeit, S. 9 f. 17 Schmidtchen, Ius in bello und militärischer Alltag, in: Brunner, Der Krieg im Mittelalter und in der Frühen Neuzeit, S. 43. 18 Martens, Völkerrecht, S. 480. 19 Wilson, A Casebook of Murder, S. 27; Brownmiller, Gegen unseren Willen, S. 38. 20 Pernoud, Der Abenteurer auf dem Thron: Richard Löwenherz, König von England, S. 109.
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1. Kap.: Historische Entwicklung
da jeder, der eine solche Tat beginge, getötet würde.21 Brownmiller berichtet allerdings, dass Vergewaltigungen – offensichtlich trotz dieses Verbots – bei der 2. Eroberung von Konstantinopel 1204 durch die Kreuzfahrer Hand in Hand mit der Plünderung gingen.22 Trotz des hieraus zu schließenden allgemeinen Vergewaltigungsverbots während der sieben Kreuzzüge ist davon auszugehen, dass Vergewaltigungen in einem nicht unerheblichen Ausmaß vorkamen, da sie sonst der Erwähnung nicht wert gewesen wären. Die Durchsetzung des Rechts in der mittelalterlichen Feudalgesellschaft, die auf den Verbindungen zwischen Herrn und Vasall beruhte,23 war Sache des jeweiligen Herrn. Deshalb ist anzunehmen, dass die Durchsetzung des Vergewaltigungsverbots durch die Bestrafung der Täter von der Einstellung des jeweiligen Herrn abhing und damit – aus heutiger Sicht – willkürlich erfolgte. 2. Vergewaltigungsverbote in mittelalterlichen Kriegsordnungen Neben den bereits erwähnten klassischen Fehderegeln gibt es im Mittelalter auch Beispiele für kodifizierte Begrenzungen der Gewalt gegen die Zivilbevölkerung. Grund für diese Limitierung der Gewalt – vor allem in Kriegen größeren Ausmaßes – war pures Eigeninteresse, da auch die eigene Versorgung des Feldzuges aus dem Lande erfolgen musste. So schrieben bereits der Sempacherbrief von 1393, die Berner Kriegsordnungen von 1410, 1415, 1443 und 1448 sowie die Zürcher Ordnung von 1444 die Schonung von Frauen vor.24 Ein ebensolches Gebot enthielten die eidgenössische Kriegsordnung von 1476 – aus Anlass des Krieges gegen Karl den Kühnen von Burgund – genauso wie die für den gleichen Krieg auf der gegnerischen Seite erlassene „Nouvelle ordonnance Militaire faite par le Duc de Bourgogne au camp de Lausanne en Mai 1476“. Während die „Ordonnance“ Karls des Kühnen die Androhung der Todesstrafe für den Fall der Nichteinhaltung der darin enthaltenen Ge- und Verbote enthält, ist unklar, ob auch die eidgenössischen Kriegsordnungen eine Strafandrohung für den Fall der Nichtbeachtung der Vergewaltigungsverbote enthielten.25 In der hussitischen Kriegsordnung Ziskas von 1423 findet sich dagegen kein klares Vergewaltigungsverbot. Zwar enthält diese eine Vorschrift, dass 21
Sollbach, Chroniken des Vierten Kreuzzuges, Robert de Clari, Pkt. LXVIII, S. 117. Brownmiller, Gegen unseren Willen, S. 42. Die Plünderung Konstantinopels während des 4. Kreuzzuges gilt als die „größte Plünderung des Mittelalters an Reliquien, Kunst und Wertgegenständen“, vgl. dazu Kinder/Hilgemann, dtv-Atlas zur Weltgeschichte, Bd. 1, S. 153 und 207. 23 Meyers Enzyklopädisches Lexikon, Bd. 14, S. 760 (Lehnswesen). 24 Schmidtchen, Ius in bello und militärischer Alltag, in: Brunner, Der Krieg im Mittelalter und in der frühen Neuzeit, S. 40 f. 25 Dazu Schmidtchen, Ius in bello und militärischer Alltag, in: Brunner, Der Krieg im Mittelalter und in der frühen Neuzeit, S. 40 und S. 54 f. 22
B. Vergewaltigung im Kriegsrecht des Mittelalters
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„Treulose, Ungehorsame, Lügner, Diebe, Spieler, Räuber, Plünderer, Säufer, Gotteslästerer, Lüstlinge, Ehebrecher, Huren, ungetreue Eheweiber und alle offenkundigen Sünder beiderlei Geschlechts“
nichts im hussitischen Heer zu suchen haben,26 diese Vorschrift muss aber selbst in Anbetracht des damaligen Zeitgeistes als zu allgemein angesehen werden, um aus ihr ein Vergewaltigungsverbot abzuleiten. 3. Der 100-jährige Krieg (1339 – 1453) und das Kriegsrecht Richards II. (1385) und Heinrichs V. (1419) Die von Richard II. von England erlassenen Regelungen des Kriegsrechts gehören zu den ältesten kriegsrechtlichen Überlieferungen. Die vierundzwanzig 1385 während des Hundertjährigen Krieges erlassenen Artikel regeln das Verhalten seiner Soldaten. Einer dieser Artikel lautete: „Bei der Strafe des Hängens vermesse sich niemand, eine Frau zu zwingen.“27
Auch im Militärcode seines Nachfolgers, Heinrichs V. von England, von 1419 findet sich ein Vergewaltigungsverbot bei Todesstrafe.28 Allerdings ist der 100-jährige Krieg durch die Diskrepanz zwischen geltendem Recht und Rechtswirklichkeit gekennzeichnet. So verbot das im 100-jährigen Krieg geltende Kriegsrecht zwar Übergriffe gegen die Zivilbevölkerung; es konnte aber zumeist nicht effektiv durchgesetzt werden.29 Die meisten Übergriffe gegen die Zivilbevölkerung – wozu auch Vergewaltigungen zählten – gingen jedoch auf das Konto der so genannten écorcheurs, also Freischärlern.30 Die kriegsrechtlichen Regelungen Richards II. und Heinrichs V. von England mit dem Vergewaltigungsverbot waren Vorläufer für spätere britische Kriegsordnungen, die ebenfalls ein klares Vergewaltigungsverbot enthielten, wie die „Lawes and Ordinances of Warre, for the Better Government of his Majesties Army Royall, in the resent Expedition for the Northern Parts, and Safety of the Kingdome, under the Conduct of … Thomas Earl of Arundel and Surrey“
26 Schmidtchen, Ius in bello und militärischer Alltag, in: Brunner, Der Krieg im Mittelalter und in der Frühen Neuzeit, S. 48. 27 Brownmiller, Gegen unseren Willen, S. 41; Kushalani, Dignity and Honour of Women as Basic and Fundamental Human Rights, S. 3; Meron, War Crimes Law Comes of Age, S. 2; Ziegler, Völkerrechtsgeschichte, § 24 IV. 2; vgl. auch Winthrop, Military Law and Precedents, S. 18. 28 Meron, Henry’s Wars and Shakespeare’s Laws, S. 111; ders., Rape as a Crime under International Humanitarian Law, AJIL 87 (1993), S. 424 – 428 (425). 29 Keen, The Laws of War in the Late Middle Ages, S. 192; Meron, Henry’s Wars and Shakespeare’s Laws, S. 111. 30 Keen, The Laws of War in the Late Middle Ages, S. 121 bzw. 192.
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1. Kap.: Historische Entwicklung
von 1639,31 die Kriegsordnung Charles I. von 1640 und die „Articles and Ordinances of War for the Present Expedition of the Army of the Kingdom of Scotland, by the Committee of Estates (and) the Lord General of the Army“ 32
von 1643. 4. Exkurs – Das Verfahren gegen den Ritter Peter von Hagenbach (1474) Im Spätmittelalter fand der bekannte Prozess gegen den Ritter Peter von Hagenbach statt. Dieser Prozess wird häufig – besonders in der amerikanischen Literatur – als das erste internationale Kriegsverbrechertribunal überhaupt zitiert. Interessant für das hier untersuchte Problem von Vergewaltigung in bewaffneten Konflikten ist dieser Fall in Anbetracht der Tatsache, dass der Beschuldigte von Hagenbach unter anderem wegen Vergewaltigungen – zum Tode – verurteilt worden sei.33 Die genauere Beschäftigung mit dem Breisacher Verfahren von 1474 ergibt jedoch, dass Hagenbach wegen Taten, die er in seiner legitimen Position als Landvogt der Stadt Breisach begangen hatte und für die er persönlich verantwortlich war,34 und nicht wegen Kriegsverbrechen im eigentlichen Sinne angeklagt wurde.35 5. Bewertung des kriegsrechtlichen Vergewaltigungsverbots im europäischen Mittelalter Insgesamt lässt sich im europäischen Mittelalter, besonders seit dem 14. Jahrhundert, eine Entwicklung zu einer theoretisch schonenderen Behandlung der nicht 31
Clode, Charles M., The Military Forces of the Crown (1869) S. 429 zitiert nach Meron, War Crimes Law Comes of Age, S. 8. 32 Grose, Francis, Military Antiquities, (vol ii, 1788) S. 127 zitiert nach Meron, War Crimes Law Comes of Age, S. 9. 33 Askin, War Crimes against Women, S. 29; Bassiouni, The Prosecution of International Crimes and the Establishment of an International Criminal Court, in: ders., International Criminal Law, Vol. III, S. 3; Green, Essays on the modern law of war, S. 30; Schwarzenberger, International Law, Volume II, S. 462 – 466; Sunga, The Emerging System of Internationale Criminal Law, S. 175 und 279; Taylor, Nuremberg and Vietnam: an American Tragedy, S. 81. 34 Hagenbach verteidigte sich gegen die ersten drei Anklagepunkte damit, dass er auf Befehl seines Herrn, Herzog Karls, gehandelt habe, also letztlich mit Handeln auf Befehl. Diese Verteidigung war jedoch erfolglos; Witte, Der Zusammenbruch der burgundischen Herrschaft am Oberrhein, Zeitschrift für die Geschichte des Oberrheins 41, S. 225; Heimpel, Das Verfahren gegen Peter von Hagenbach zu Breisach, Zeitschrift für die Geschichte des Oberrheins 94, S. 328, 333 f. 35 Heimpel, Mittelalter und Nürnberger Prozeß, S. 449; Schwarzenberger, International Law, Volume II, S. 466 (Schwarzenberger bezeichnet die Taten Hagenbachs stattdessen als Verbrechen gegen die Menschlichkeit, was Heimpel widerlegt.) Hätte Hagenbach die gleichen Taten während eines – erklärten – Krieges begangen, wären sie rechtmäßig gewesen. Vgl. dazu ausführlich: Keen, The Laws of War in the Late Middle Ages, S. 119 – 133.
B. Vergewaltigung im Kriegsrecht des Mittelalters
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kämpfenden Zivilbevölkerung beobachten. Diese Entwicklung kommt in den verschiedenen Kriegsordnungen, die – mit Ausnahme der hussitischen Heeresordnung – alle den Schutz vor Vergewaltigung beinhalten, zum Ausdruck. Besonders die Kriegsordnung Richards II. von England von 1386 und der so genannte Sempacherbrief der Schweizer Kantone von 1393 sind in diesem Zusammenhang als früheste Kodifikationen von besonderer Bedeutung.36 Das eigentliche Problem des mittelalterlichen Kriegsrechts war jedoch seine Durchsetzung, weshalb in der Kriegspraxis von einer schonenderen Behandlung der Zivilbevölkerung nichts zu bemerken war. So gelang es beispielsweise Heinrich V. und später Charles dem VII. von England während des Hundertjährigen Krieges nur mit großem persönlichem Einsatz, das von ihnen erlassene Kriegsrecht – zumindest teilweise – durchzusetzen.37 Erwähnenswert scheint zuletzt die im Krieg zwischen den süddeutschen und eidgenössischen Städtevereinigungen gegen Karl den Kühnen von Burgund wohl erstmalig zu beobachtende gewisse Gegenseitigkeit des Gebots der Schonung von Zivilisten einschließlich des Vergewaltigungsverbots. Das Gebot, die Zivilbevölkerung zu schonen, war ebenso wie das Vergewaltigungsverbot sowohl in der „Ordonnance“ Karls des Kühnen von Burgund als auch in der eidgenössischen Kriegsordnung enthalten, was darauf hindeutet, dass die Gegenseitigkeit dieser Regeln ihre Durchsetzung erleichtern könnte.
II. Das kriegsrechtliche Vergewaltigungsverbot in der Islamischen Welt des Mittelalters Im 7. Jahrhundert n. Chr. entstand der Islam („Ergebung in den Willen Gottes“) und mit ihm das islamische Weltreich.38 Dieses war durch die untrennbare Verbindung von Recht und Religion gekennzeichnet; eine Trennung zwischen Theologie und Rechtswissenschaften nach europäischem Verständnis gab es nicht. Die kriegsrechtlichen Regelungen des Islam waren deshalb genau genommen keine Regeln des Völkerrechts als zwischen gleichberechtigten Staaten anwendbaren Rechts, sondern Teil des muslimischen religiösen Rechts.39 Das islamische Recht enthielt in erheblichem Umfang Vorschriften über die Kriegführung gegen „Ungläubige“, die für Muslime Glaubenskrieg und damit heiliger Krieg (dschihad) war. In diesem gab es allerdings Schranken der Kriegführung, deren Einhaltung ebenfalls religiöse Pflicht war. Zu diesen zählte das Verbot, Per36
Ziegler, Völkerrechtsgeschichte § 24 IV. 2. (S. 132). Keen, The Laws of War in the Late Middle Ages, S. 191 f.; Meron, War Crimes Law Comes of Age, S. 3 f., 46 f. 38 Kinder/Hilgemann, dtv-Atlas zur Weltgeschichte, Bd. 1, S. 134 – 137. 39 Stadtmüller, Geschichte des Völkerrechts, S. 49; Ziegler, Völkerrechtsgeschichte, § 14 II. 1. und 2. 37
34
1. Kap.: Historische Entwicklung
sonen, die heute zum Personenkreis der Zivilisten gerechnet werden, wie Frauen, Kinder, Alte, Kranke und Mönche, die nicht am Kampf teilnahmen, zu töten, ebenso wie das Verbot der Vergewaltigung von Frauen. Damit lässt sich feststellen, dass der Islam bereits im frühen Mittelalter Regeln für eine humanere Kriegführung kannte, die sich in Europa erst viel später durchsetzen konnten.40 Obwohl die Kriegführung nach den Regeln des dschihad gegen Ungläubige im frühen und hohen Mittelalter eher menschlicher war als im christlichen Europa, lässt sich im weiteren Verlauf des Mittelalters keine weitere Milderung der Kriegsbräuche feststellen. Im Gegenteil war die Kriegführung der Muslime im Spätmittelalter wie überall von großer Grausamkeit.41 Rechtstheorie und Kriegspraxis stimmten also auch in der islamischen Welt nicht überein.42 Zurückzuführen ist die fehlende Weiterentwicklung der islamischen Kriegführungsregeln auf die frühe Erstarrung des islamischen Rechts insgesamt, das sich ab dem 8. Jahrhundert nur noch rudimentär weiterentwickelte.43 Allerdings lassen sich die humanitären Ansätze im islamischen heiligen Krieg durch die verschiedentlichen Klagen osmanischer Geschichtsschreiber auch im Spätmittelalter nachweisen, die militärische Niederlagen muslimischer Truppen darauf zurückführen, dass diese etwa durch „Morden, Plündern oder Vergewaltigen die Regeln des dschihad verletzt hätten.“44
C. Die Entwicklung des Vergewaltigungsverbots im Kriegsrecht der frühen Neuzeit (1494 – 1648/„Spanisches Zeitalter“) I. Kriegsrecht und Kriegspraxis der frühen Neuzeit Fortschritte sind im Kriegsrecht des Spanischen Zeitalters vor allem in der völkerrechtstheoretischen Weiterentwicklung zu finden.45 Gegenüber dem Mittelalter änderte sich die tatsächliche Kriegspraxis jedoch kaum, so wurde die Zivilbevölkerung nur selten geschont und war in der Regel großer Brutalität ausgesetzt. Besonders der 30-jährige Krieg wurde bereits von Zeitgenossen als auch retrospektiv von Historikern als besonders brutal bezeichnet. Neben Berichten über vergewaltigende Soldaten im „Simplicissimus“ gab es auch eine Reihe weiterer 40
Hierzu ausführlich Ziegler, Völkerrechtsgeschichte, § 14 II. 4. Siehe oben 1. Kapitel B. II. 42 Stadtmüller, Geschichte des Völkerrechts, S. 50 f.; Ziegler, Völkerrechtsgeschichte, § 27 II. 3., § 33 II. 3. 43 Ziegler, Völkerrechtsgeschichte, § 21 III. 1., § 33 III. 44 Ziegler, Völkerrechtsgeschichte, § 27 II 3. 45 Ziegler, Völkerrechtsgeschichte, § 30 IV 4. 41
C. Entwicklung des Vergewaltigungsverbots („Spanisches Zeitalter“)
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zeitgenössischer Berichte über Vergewaltigungen im 30-jährigen Krieg.46 So bezeichnet der Völkerrechtler Bluntschli im 19. Jahrhundert die Kriegsführung im 30jährigen Krieg und danach als „noch entsetzlich roh.“47 Angesichts dieser Praxis kann – trotz fortschrittlicherer Auffassung der damaligen Völkerrechtler – nicht von einem Vergewaltigungsverbot im spanischen Zeitalter ausgegangen werden.
II. Das kriegsrechtliche Vergewaltigungsverbot in der Theorie der Völkerrechtsklassiker (15. – 18. Jhd.) Die Renaissance, der Humanismus und das Naturrecht beeinflussten die Entwicklung des Völkerrechts im 16. und 17. Jahrhundert. Hinsichtlich des Kriegsvölkerrechts betraf die entscheidende Entwicklung die Unterscheidung des Rechts, einen Krieg zu führen (ius ad bellum) und des Rechts im Krieg, also der Art und Weise der Kriegführung (ius in bello).48 Gelehrte aus ganz Europa beschäftigten sich in der Folgezeit mit dem geltenden Völkerrecht und der Weiterentwicklung seiner Ideen. 1. Franciscus de Victoria (1486 – 1546) Der spanische Dominikanermönch Franciscus de Victoria ist der klassische Vertreter der Lehre, dass der Sieger Richter über den Besiegten sei. Voraussetzung dafür sei jedoch, dass der Sieger der unschuldig Angegriffene sei und den Sieg mit Besonnenheit und „christlicher Bescheidenheit“ nutze.49 Franciscus de Victoria, dessen Werke die wichtigste Quelle für die Theorien von Hugo Grotius waren, äußerte sich in seiner Vorlesung über das Kriegsrecht auch über die Kriegführung. Das Problem von Vergewaltigungen während eines Krieges spricht er in seiner dritten These im Zusammenhang mit der Frage, ob eine Stadt den Soldaten als Beute überlassen werden darf, an: Grundsätzlich sei dies nicht verboten, wenn es nützlich erscheine, „um den Krieg weiterzuführen, die Feinde abzuschrecken oder den Mut der Soldaten zu heben.“
46
Kaiser, „Ärger als der Türck“, Kriegsgreuel und ihre Funktionalisierung in der Zeit des Dreißigjährigen Kriegs, in: Neitzel/Hohrath, Kriegsgreuel, S. 155 – 184 (159 ff.). 47 Bluntschli, Das moderne Völkerrecht der civilisierten Staaten, S. 325: „Die Kriegsführung im Dreissigjährigen Krieg und selbst in den Zeiten Ludwigs XIV. war in Europa noch entsetzlich roh. Die scheusslichsten Misshandlungen und Folterqualen, wie die Nothzucht an den Weibern kamen damals noch häufig vor.“ 48 Wegner, Handbuch des Völkerrechts, Erster Band: Geschichte des Völkerrechts, S. 158. 49 Hadrossek, in: Franciscus de Victoria, De Indis Recenter inventis et de jure belli hispanorum in barbaros, reflectiones, S. XXVI und Nr. 60 tertius canon (S. 171).
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1. Kap.: Historische Entwicklung
Da sich aus der Überlassung einer Stadt als Beute jedoch „viel Schreckliches und gegen alle Menschlichkeit verstoßende Grausamkeiten ergebe(n), die von barbarischen Soldaten begangen werden, wie z. B. Mord und Folterung Unschuldiger, Raub von Jungfrauen, Schändung von Frauen, (…)“, sei es „zweifellos im höchsten Grade unbillig, ohne besondere Not und Ursache eine christliche Stadt der Plünderung preiszugeben.“50
Hieraus ist zu schließen, dass de Victoria nicht von einem grundsätzlich bestehenden Vergewaltigungsverbot ausging. Er betrachtete Vergewaltigungen aber als Übergriffe gegen die Zivilbevölkerung und suchte sie – wenn möglich – zu vermeiden. 2. Francisco Suárez (1548 – 1617) Ausdrücklich hat sich Suárez nicht zu der Behandlung von Frauen in Kriegen geäußert, außer dass diese „sozusagen naturrechtlich“ schuldlos seien.51 Schlussfolgerungen zu seiner Einstellung gegenüber Vergewaltigungen im Zusammenhang mit Kriegen erlaubt aber seine folgende zweite These zur Gerechtigkeit in der Kriegführung: „Es entspricht der Gerechtigkeit, im ganzen Verlauf vom Kriegsbeginn bis zum Sieg den Feinden jeglichen Schaden zuzufügen, der zur Genugtuung oder zur Erlangung des Sieges notwendig erscheint, wenn damit nur kein Unrecht gegen Schuldlose verbunden ist; denn ein solches ist in sich sittlich verwerflich, (…). Der Grund dafür ist: Wenn das Ziel erlaubt ist, sind auch die notwendigen Mittel erlaubt. Daher gibt es im ganzen Kriegsverlauf kaum ein Unternehmen gegen die Feinde, das eine Ungerechtigkeit enthielte, ausgenommen die Tötung Schuldloser; denn alle übrigen Schädigungen werden gewöhnlich als für den Zweck des Krieges notwendig angesehen.“52
Da Frauen demnach als „Schuldlose“ anzusehen sind gegen die kein Unrecht begangen werden durfte, ist insoweit wohl von einem Verbot der Vergewaltigung von Frauen auszugehen. 3. Alberico Gentili (1582 – 1608) Alberico Gentili zählt wie nach ihm Grotius zu den Wegbereitern des modernen Völkerrechts. Der in Oxford lehrende Italiener gab in seinem 1589 erstmals erschienenen Werk „De iure belli libri tres“ eine vollständige Darstellung des damaligen Kriegsrechts, wobei er zahlreiche antike Autoren und mittelalterliche Juristen
50 Franciscus de Victoria, De Indis Recenter inventis et de jure belli hispanorum in barbaros, reflectiones, Nr. 52 teria propositio, S. 165. 51 Suárez, Ausgewählte Texte zum Völkerrecht, S. 185. 52 Suárez, Ausgewählte Texte zum Völkerrecht, S. 181.
C. Entwicklung des Vergewaltigungsverbots („Spanisches Zeitalter“)
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zitiert.53 Eindeutiger als vor ihm de Victoria und Suárez ging Gentili von einem allgemeinen Vergewaltigungsverbot in Kriegs- wie auch in Friedenszeiten aus. Nach seiner Auffassung ist das Verbot, Frauen und Mädchen des Gegners zu vergewaltigen, absolut. Vergewaltigung sei sogar dann verboten, wenn die Tötung oder Versklavung der betreffenden Frau rechtmäßig wäre (wie z. B. die Tötung einer kämpfenden Frau während eines Krieges). Das Verbot schützt sowohl zivile als auch kämpfende Frauen.54 Der Grund für dieses absolute allgemeine Vergewaltigungsverbot liegt nach Gentili darin, dass zwar die Tötung bzw. die Versklavung eines Feindes unter Umständen rechtmäßig sein könne, niemals jedoch die Beleidigung oder Schändung. Dies gelte auch für Frauen, die „männliche“ Tätigkeiten ausübten oder sich wie Männer verhielten.55 Darüber, wie Verstöße gegen das Vergewaltigungsverbot zu ahnden seien, äußert sich Gentili nicht. 4. Hugo Grotius (1583 – 1648) Hugo Grotius gilt wegen seines Versuchs, als erster das gesamte Völkerrecht zu systematisieren und zusammenzufassen, als Vater des Völkerrechts.56 Wie vor ihm bereits Gentili geht auch er von einem Vergewaltigungsverbot aus. Bei Grotius ist dieses jedoch nicht universell wie bei Gentili; Vergewaltigungen seien nur im Völkerrecht der „besseren“ Nationen verboten. In zwei kurzen Absätzen im dritten seiner 1625 – während des dreißigjährigen Krieges – erschienenen Bücher zum Recht des Krieges und des Friedens wird die Rechtslage bezüglich der „Gewalttaten gegen die Unschuld der Frauen“ behandelt. Diese sei – bei antiken Autoren wie Marcellus, Livian und Aelian – nicht einheitlich. Die Vergewaltigung erlaubenden Schriftsteller stellten aber fälschlicherweise nur auf die körperliche Verletzung ab und betrachteten sie nicht „als Ausdruck einer zügellosen Begierde“, weshalb Grotius ihrer Auffassung nicht folgt. Das Vergewaltigungsverbot sei in das Völkerrecht der „besseren Nationen“ übergegangen. Soldaten, die „die Unschuld geschändet“, also vergewaltigt haben, sind daher nach Grotius im Kriege wie im Frieden zu bestrafen.57
53 54 55 56 57
Reibstein, Völkerrecht, Bd. I, S. 310. Gentili, De jure belli libri tres, 2. Buch, Kapitel 21, Rn. 412 ff. (S. 252 ff.). Gentili, De jure belli libri tres, 2. Buch, Kapitel 21 Rn. 421 ff. (S. 257 ff.). Vgl. Grotius, De jure belli ac pacis, Einleitung, S. XVIII. Grotius, De jure belli ac pacis, 3. Buch, 4. Kapitel, XIX, S. 457 f.
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1. Kap.: Historische Entwicklung
D. Die Entwicklung des Vergewaltigungsverbots im Kriegsrecht zwischen Westfälischem Frieden und Wiener Kongress (1648 – 1815/„Französisches Zeitalter“) I. Kriegsrecht und Kriegspraxis Vergewaltigung galt noch im 17. Jahrhundert als Belohnung der Soldaten dafür, die Stadt eingenommen zu haben.58 Die Kriegspraxis des 18. Jahrhunderts war humaner als die des Mittelalters oder des vorausgegangenen Spanischen Zeitalters. Dies lag an den sogenannten „Kabinettskriegen“ dieser Epoche, in denen die europäischen Fürsten vor allem nach einer Ausweitung ihrer Herrschaftsbereiche trachteten, wobei es ihnen nicht um die Zerstörung von feindlichem Gebiet ging. Aus dieser Zeit stammt erstmalig der Gedanke, dass Kriege zwischen Staaten und nicht zwischen Privaten geführt werden mit der Konsequenz, dass unbeteiligte Zivilisten nicht am Krieg Beteiligte sind.59 Ende des 18. Jahrhunderts gab es eine Reihe bilateraler Handelsverträge, die auch Regelungen für den Kriegsfall enthielten. Der preußisch-amerikanische Vertrag von 1785 enthielt bereits ein ausdrückliches Vergewaltigungsverbot und war somit ein Vorreiter seiner Zeit.60 Trotzdem gab es im französischen Zeitalter noch kein völkervertragliches oder – gewohnheitsrechtliches Vergewaltigungsverbot im bewaffneten Konflikt. In den napoleonischen Kriegen soll es überall Vergewaltigungen gegeben haben, allerdings ist deren Ausmaß historisch noch nicht ausreichend erforscht.61
II. Völkerrechtslehre, insbesondere Emer de Vattel (1714 – 1767) Der schweizerische Völkerrechtler Emer de Vattel unterscheidet in seinem 1758 erschienenen Werk über das Völkerrecht oder Grundsätze des Naturrechts im Gegensatz zu Grotius zwischen privaten und öffentlichen Kriegen. Nur letztere seien dem Völkerrecht zuzurechnen.62 58
Askin, War Crimes Against Women, S. 27; Brownmiller, Gegen unseren Willen, S. 42. Schindler, J. C. Bluntschli’s Contribution to the Law of War, in: Kohen, Promoting Justice, Human Rights and Conflict Resolution through International Law, S. 437 – 454 (445). 60 Beispielsweise seien die Handelsverträge der USA mit Frankreich (1778), den Niederlanden (1782) und Preußen (1785) genannt. Das Vergewaltigungsverbot in dem Vertrags mit Preußen war folgendermaßen formuliert: „If war should arise between the two contracting parties … and all women and children … shall not be molested in their persons.“; siehe auch Kushalani, Dignity and Honour of Women as Basic and Fundamental Human Rights, S. 3. 61 Beck, Wehrmacht und sexuelle Gewalt, S. 37. 62 de Vattel, Le droit des gens ou principes de la loi naturelle, 3. Buch, Kapitel I, § 2, S. 367. 59
D. Entwicklung des Vergewaltigungsverbots („Französisches Zeitalter“)
39
Nach ihm gelten Frauen und Kinder des Gegners als Feinde, über die der Kriegführende Rechte hat.63 Da sie aber keinen Widerstand leisten, habe man kein „Recht, sie schlecht zu behandeln, Gewalt gegen sie zu gebrauchen oder ihnen sogar das Leben zu nehmen.“
Keine gesittete Nation würde sich diesem Grundsatz verschließen, sofern sich die Frauen verhielten „wie es ihrem Geschlecht zukommt“.64 de Vattels Vergewaltigungsverbot ist also nicht absolut wie das von Gentili, da im Umkehrschluss – und im Gegensatz zu letzterem – Vergewaltigungen von Frauen, die sich nicht „ihrem Geschlecht angemessen“ verhalten, nicht verboten sind. Wie bereits Grotius hält auch de Vattel Verstöße gegen das Vergewaltigungsverbot für strafbar: „Sollte sich mitunter ein zuchtloser Soldat dazu hinreißen lassen, Frauen und Mädchen zu vergewaltigen oder zu töten, Kinder und Greise niederzumetzeln, so sind dies Ausschreitungen, die gewöhnlich den Offizieren viel Kummer bereiten, denen sie nach Möglichkeit vorbeugen und die von einem weisen und menschlichen Befehlshaber bestraft werden.“65
III. Entwicklung des Vergewaltigungsverbots in der Theorie der Völkerrechtslehre im spanischen und französischen Zeitalter Die Weiterentwicklung des Kriegsvölkerrechts – und damit des kriegsrechtlichen Vergewaltigungsverbots – ist in den Werken der Völkerrechtsklassiker nachzuvollziehen. Franciscus de Victoria und Francisco Suárez als früheste Autoren kennen noch kein ausdrückliches kriegsrechtliches Vergewaltigungsverbot. de Victoria vertrat die Auffassung, dass Vergewaltigungen in Kriegen zwar möglichst zu vermeiden seien, sah diese aber nicht als grundsätzlich verboten an. Aus Suárez Werk kann geschlossen werden, dass Frauen als „Schuldlose“ kein Unrecht – wozu Vergewaltigungen gehören – widerfahren dürfe. Nach dem – im Vergleich zu Suárez – nur wenig jüngeren Alberico Gentili ist Vergewaltigung in Kriegen bereits verboten. Diese Auffassung teilte auch sein Zeitgenosse Hugo Grotius, der noch stark von der Lehre, dass dem Sieger uneingeschränkte Macht über den Besiegten zustehe, beeinflusst war und der lediglich im Verbot, die Frauen des Feindes zu schänden, die Grenze des Erlaubten sah.66 In der Folgezeit stützt auch Emer de Vattel das kriegsvölkerrechtliche Vergewaltigungsverbot.
63 de Vattel, Le droit des gens ou principes de la loi naturelle, 3. Buch, Kapitel V, § 72, S. 403. 64 de Vattel, Le droit des gens ou principes de la loi naturelle, 3. Buch, Kapitel VIII, § 145, S. 437 f. 65 de Vattel, Le droit des gens ou principes de la loi naturelle, 3. Buch, Kapitel VIII, § 145, S. 437 f. 66 Bluntschli, Das moderne Völkerrecht der civilisirten Staten, Einleitung, S. 35.
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1. Kap.: Historische Entwicklung
Das kriegsrechtliche Vergewaltigungsverbot hat demnach bei den Völkerrechtsklassikern verschiedene Nuancen. Unterschiede bestehen vor allem in der Frage, ob das Verbot auch dann gilt, wenn die Frau rechtmäßig getötet werden könnte. Während sich Grotius zu dieser Frage nicht explizit äußerst und de Vattel ein Vergewaltigungsverbot nur dann anzunehmen scheint, wenn sich die Frau verhält „wie es ihrem Geschlecht zukommt“, geht Gentili davon aus, dass Vergewaltigung in jedem Fall kriegsrechtlich verboten ist.
E. Die Entwicklung des Vergewaltigungsverbots im Kriegsrecht vom Wiener Kongress bis zum 1. Weltkrieg (1815 – 1914/„Britisches Zeitalter“) I. Das Vergewaltigungsverbot in den Kodifikationen des Kriegsrechts Von der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts entstanden – begünstigt durch einen im Laufe der Zeit gewachsenen Bestand an gewohnheitsrechtlichen Regeln der Kriegführung und kriegsrechtlichen Bestimmungen in bilateralen völkerrechtlichen Verträgen – die ersten multilateralen kriegsvölkerrechtlichen Kodifikationen. In dieser Zeit setzte sich endgültig der Gedanke durch, dass es im Völkerrecht kein absolutes und uneingeschränktes Recht der Kriegsführung gibt und unbeteiligte Zivilisten vor den Auswirkungen der Feindseligkeiten zu schützen sind.67 1. Lieber-Code (General Order No88 100/1863)68 Der erste Versuch die damals gültigen kriegsrechtlichen Regeln zu kodifizieren stammt aus der Feder des deutschstämmigen Amerikaners Francis Lieber. Während des amerikanischen Sezessionskrieges verfasste dieser die „Instructions for the Government of Armies of the United States in the Field“, die Präsident Lincoln 1863 erließ. Der nach seinem Autor bezeichnete „Lieber-Code“ bestand aus Vorschriften für die Armee und das Verhalten einzelner Kombattanten und anderer Kriegsteilnehmer. Obwohl der Lieber-Code lediglich innerstaatlicher Rechtsnatur war, erfuhr er internationale Beachtung, weil er den damaligen Stand der völkergewohnheits-
67 Bluntschli, Das moderne Völkerrecht der civilisirten Staten, S. 320; Martens, Völkerrecht, S. 486. 68 Instructions for the Government of Armies of the United States in the Field by Order of the Secretary of War, April 24, 1863, abgedruckt in Friedman (Hrsg.), The Law of War, Vol. I, S. 158 ff.
E. Entwicklung des Vergewaltigungsverbot („Britisches Zeitalter“)
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rechtlich geltenden Kriegsregeln wiedergab und so die Rechtsentwicklung der Folgezeit beeinflusste.69 Der Lieber-Code schreibt in Artikel 37 das Gebot, Frauen besonders zu schützen, fest und enthält in Artikel 44 ein klares Vergewaltigungsverbot.70 Artikel 47 regelt, dass Vergewaltigungen auf dem Gebiet einer feindlichen Macht nicht nur „wie zu Hause“, sondern sogar – sofern die Tat nicht mit der Todesstrafe geahndet wird – strenger zu bestrafen sind.71 2. Brüsseler Erklärung (1874) Der erste Versuch der Staaten, die damals gültigen kriegsrechtlichen Bestimmungen einer umfassenden Kodifikation zuzuführen, erfolgte auf Initiative des russischen Zaren Alexander II. auf der Brüsseler Konferenz 1874. Auch wenn die Konferenz zu keinem völkerrechtlichen Vertrag führte, war ihr Ergebnis die „Brüsseler Erklärung“ beachtlich, weil sie den Stand der damals geltenden kriegsrechtlichen Regelungen widerspiegelte.72 Damit war die Brüsseler Erklärung der Grundstein für die Haager Konferenz von 1907. Im Gegensatz zum Lieber-Code, der ein explizites Vergewaltigungsverbot enthält, leitet sich das Vergewaltigungsverbot der Brüsseler Erklärung aus der in ihr vorgeschriebenen Achtung der Familienehre und -rechte ab.73 Artikel 38 der Brüs69
Ipsen, Völkerrecht, § 2 Rn 58 f. (S. 34 f.); Vöneky, Der Lieber’s Code und die Wurzeln des modernen Kriegsvölkerrechts, ZaöRV 62 (2002), S. 423 – 460 (423 und 42). 70 Art. XXXVII The United States acknowledge and protect, in hostile countries occupied by them, religion and morality; strictly private property; the persons of the inhabitants, especially those of women; and the sacredness of domestic relations. Offenses to the contrary shall be rigorously punished. (…) Art. XLIV All wanton violence committed against persons in the invaded country, (…) all rape, wounding, maiming, or killing of such inhabitants, are prohibited under the penalty of death, or such other severe punishment, as may seem adequate for the gravity of the offence. A soldier, officer or private, in the act of committing such violence, and disobeying a superior ordering him to abstain from it, may be lawfully killed on the spot by such superior. Zitiert nach Friedman (Hrsg.), The Law of War, Vol. I, S. 165 ff. 71 Art. XLVI Crimes punishable by all penal codes, such as arson, murder, maiming, assaults, highway robbery, theft, burglary, fraud, forgery, and rape, if committed by an American soldier in a hostile country against its inhabitants, are not only punishable as at home, but in all cases in which death is not inflicted the severer punishment shall be preferred. Zitiert nach Friedman (Hrsg.), The Law of War, Vol. I, S. 167. 72 Martens, Völkerrecht, S. 484; Meurer, Das Kriegsrecht der Haager Konferenz, S. 23. 73 Art. 38 L’honneur et les droits de la famille, la vie et la propriété des individus, ainsi que leurs convictions religieuses et l’exercice de leur culte doivent être respectés. (…)
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1. Kap.: Historische Entwicklung
seler Erklärung zeigt, dass bereits in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts der Grundsatz galt, Leben, Ehre und Familie von unbeteiligten Zivilisten zu schützen.74 3. Haager Landkriegsordnungen von 1899 und 1907 Artikel 38 der Brüsseler Erklärung wurde in der Folgezeit fast wortgleich in Artikel 46 der Haager Landkriegsordnung (HLKO) übernommen.75 Obwohl sich die Vorschrift im 3. Abschnitt der HLKO, der mit „Militärische Gewalt auf besetztem feindlichem Gebiete“ betitelt ist, befindet, zeigen die travaux préparatoires, dass die Vorschrift nicht auf besetzte Gebiete beschränkt ist, sondern den „envahisseur“ wie den „occupant“ gleichermaßen bindet.76 Der Schutz der Familienehre und -rechte umfasst auch den Schutz vor Vergewaltigung. Artikel 8 der Präambel zum IV. Haager Abkommen enthält die so genannte Martens’sche Klausel aus der sich ergibt, dass nicht ausdrücklich verbotene Schädigungshandlungen keinesfalls in einen rechtsfreien Raum fallen: „in den Fällen, die den Bestimmungen der von ihnen angenommenen Ordnung nicht einbegriffen sind, (bleiben) die Bevölkerung und die Kriegführenden unter dem Schutz und der Herrschaft des Völkerrechts (…), wie sie sich ergeben aus den unter gesitteten Völkern feststehenden Gebräuchen, aus den Gesetzen der Menschlichkeit und aus den Forderungen des öffentlichen Gewissens.“77
Da sexuelle Übergriffe und Vergewaltigungen sowohl den Gesetzen der Menschlichkeit als auch den Forderungen des öffentlichen Gewissens zuwiderlaufen und auch nicht als feststehender Gebrauch unter gesitteten Völkern angesehen werden können, kann bereits davon ausgegangen werden, dass entsprechende Übergriffe bereits durch die Martens’sche Klausel verboten werden.78
74
Martens, Völkerrecht, S. 513. Art. 46 L’honneur et les droits de la famille, la vie des individus et la propriété privée, ainsi que les convictions religieuses et l’exercice des cultes, doivent être respectés. (…) zitiert nach Holland, The Laws of War on Land, S. 107. Die deutsche Übersetzung lautet: „Die Ehre der Familie, das Leben der Bürger und das Privateigentum sowie die religiösen Überzeugungen und gottesdienstlichen Handlungen sollen geachtet werden. Das Privateigentum darf nicht eingezogen werden.“ 76 Mechelynck, La Convention de la Haye, S. 349; Meurer, Das Kriegsrecht der Haager Konvention, S. 243 und 251. 77 Französischer Originalwortlaut in Holland, The Laws of War on Land, S. 97: „dans les cas non compris dans les dispositions réglementaires adoptées par Elles, les populations et les belligérants restent sous la sauvegarde et sous l’empire des principes du droit des gens, tels qu’ils résultent des usages établis entre nations civilisées, des lois de l’humanité et des exigences de la conscience publique.“ 78 Vgl. Kushalani, Dignity and Honour of Women as Basic and Fundamental Human Rights, S. 73. 75
E. Entwicklung des Vergewaltigungsverbot („Britisches Zeitalter“)
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II. Vergewaltigung in der Kriegspraxis In der Kriegspraxis der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts ist eine Tendenz zur Verbesserung des Schutzes der Zivilbevölkerung zu beobachten. So gab Kaiser Wilhelm I. zu Kriegsbeginn 1870 den Befehl die französische Zivilbevölkerung zu schonen. Friedliche Einwohner seien keine Feinde und entsprechend zu schützen.79 Im Einklang mit diesem Befehl kommt die historische Forschung hinsichtlich des deutsch-französischen Krieges 1870/71 zu dem Ergebnis, dass Vergewaltigungen Ausnahmeerscheinungen waren.80 Der amerikanische Bürgerkrieg ist das erste Beispiel für einen nicht-internationalen bewaffneten Konflikt. In diesem spielte – ähnlich wie sehr viel später in den Konflikten im ehemaligen Jugoslawien und Ruanda – hinsichtlich des Vorkommens von Vergewaltigungen eine ethnische Diskriminierung eine Rolle. Während Vergewaltigungen von Weißen so gut wie nicht vorkamen, gab es jedoch Vergewaltigungen an Mitgliedern der schwarzen und indianischen Bevölkerung.
III. Das Vergewaltigungsverbot in der Völkerrechtslehre des Britischen Zeitalters Die Entwicklung der Völkerrechtslehre der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts war durch eine große Dynamik gekennzeichnet. 1873 wurde das Institut de droit international als internationale Initiative führender europäischer und amerikanischer Völkerrechtler gegründet. Zwei Wissenschaftler und ihre Werke stehen bei einer Betrachtung dieser Zeit aus Sicht des Kriegsrechts besonders im Fokus, zumal beide auch die staatlichen Kodifikationsbemühungen entscheidend beeinflussten: Johann Caspar Bluntschli und Friedrich von Martens. 1. Johann Caspar Bluntschli (1808 – 1881) Der gebürtige Zürcher Bluntschli wirkte ab 1861 als ordentlicher Professor in Heidelberg und war mit dem Autor der ersten modernen Kodifikation des Kriegsrechts, Francis Lieber, befreundet.81 Sein 1878 in dritter Auflage erschienenes Buch „Das moderne Völkerrecht der civilisirten Staten“ gibt Hinweise auf das damalige Verständnis des Kriegsführungsrechts wieder. Nach Bluntschli erkennt „das moderne Völkerrecht (…) kein absolutes Recht der Kriegsgewalt an weder über die feindlichen Bewohner in dem feindlichen Land, noch selbst über die kriegerischen Angehörigen des feindlichen Stats.“ 79 80 81
Meurer, Das Kriegsrecht der Haager Konferenz, S. 250. Beck, Wehrmacht und sexuelle Gewalt, S. 40. Dazu siehe in diesem (1.) Kapitel E. I. 1.
44
1. Kap.: Historische Entwicklung
Die friedlichen Bewohner in Feindesland seien deshalb „nicht als öffentliche Feinde zu betrachten und zu behandeln.“82
Ein ausdrückliches Vergewaltigungsverbot findet sich bei Bluntschli unter Nr. 574: „Weder die Kriegsgewalt noch die einzelnen siegreichen Krieger sind berechtigt, einzelne Personen willkürlich und zwecklos zu töten, zu verwunden, zu misshandeln, zu quälen, zu Sklaven zu machen oder zu verkaufen, die Frauen zu missbrauchen oder ihre Keuschheit zu verletzen.“
Verstöße gegen dieses Verbot sind zu bestrafen: „Die Kriegsgewalt ist verpflichtet, das Menschenrecht auch in den feindlichen Personen zu beachten und durch ihre Autorität zu schützen und wenn solche Missethaten von Soldaten verübt werden, die Thäter zu bestrafen.“83
2. Friedrich von Martens (1845 – 1909) Der Professor für Völkerrecht in St. Petersburg war sowohl Mitglied der russischen diplomatischen Delegation bei der Brüsseler Konferenz 1874 als auch bei den Haager Konferenzen 1899/1907. Eine Reihe der von Russland auf diesen Konferenzen eingebrachten Vorschläge gehen auf von Martens zurück; auch sein Völkerrechtslehrbuch, das erstmals 1882 auf russisch erschien, war sehr erfolgreich.84 Von Martens Ausführungen legen ausführlich dar, dass die Staatenpraxis dieser Zeit die Unverletzlichkeit der unbeteiligten Zivilbevölkerung bereits akzeptiert hatte.85 Im Hinblick auf das kriegsrechtliche Vergewaltigungsverbot findet sich bei von Martens der Hinweis auf den Schutz der Familienehre; er geht – wie die meisten Völkerrechtler seiner Zeit – von der gewohnheitsrechtlichen Geltung der Brüsseler Erklärung aus. Bezüglich des kriegsrechtlichen Vergewaltigungsverbots leitet von Martens her, dass sich dieses erst seit dem 16. Jahrhundert mit dem Ende der uneingeschränkten Kriegsführung und gleichzeitig mit dem Gedanken des Kampfes zwischen Staaten herausgebildet hat.86
82
Bluntschli, Das moderne Völkerrecht der civilisirten Staten, 8. Buch, Nr. 568, 573 (S. 320, 323 ff.). 83 Bluntschli, Das moderne Völkerrecht der civilisirten Staten, 8. Buch, Nr. 574, 575 (S. 325). 84 Martens, Völkerrecht, Das internationale Recht der civilisierten Nationen. 85 Martens, Völkerrecht, S. 513. 86 Martens, Völkerrecht, S. 478, 482.
F. Vergewaltigungen und ihre rechtliche Behandlung
45
3. Oxford Manual (1880) Das Oxford Manual war eines der ersten Projekte des neugegründeten Institut de droit international. Ausgehend von dem Gedanken die Kodifikationsbemühungen der Brüsseler Konferenz aufrechtzuerhalten, hatten die Institutsmitglieder unter ihnen Francis Lieber, Johann Caspar Bluntschli und Friedrich von Martens die Brüsseler Erklärung zu einem Handbuch zusammengefasst, welches vor allem als ein Modell für nationale Gesetzgebung dienen sollte.87 So findet sich im Oxford Manual Art. 38 der Brüsseler Erklärung fast wortgleich in Artikel 49 wieder.88 Dies zeigt einmal mehr, dass das später in Art. 46 HLKO kodifizierte Vergewaltigungsverbot bereits in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts völkergewohnheitsrechtlich galt.
F. Vergewaltigungen und ihre rechtliche Behandlung im 1. Weltkrieg und der Zwischenkriegszeit I. Propagandistisches Ausnutzen von Vergewaltigungen Zu Beginn des ersten Weltkrieges 1914 besetzten deutsche Truppen Belgien und Teile Frankreichs. Neben der Frage, ob der deutsche Einmarsch in Belgien völkerrechtsmäßig oder völkerrechtswidrig war,89 waren insbesondere die Geschehnisse während des so genannten „belgischen Volkskrieges“90 in den ersten Monaten des
87
Meurer, Das Kriegsrecht der Haager Konvention, S. 32. Art. 49 L’honneur et les droits de la famille, la vie des individus, ainsi que leurs convictions religieuses et l’exercice de leur culte, doivent être respectés (art. 4). Zitiert nach Institut de Droit International, Manuel des lois de la guerre sur terre, Annuaire de l’Institut de Droit International, Band 5 (1880 – 81), S. 170; englische Fassung in: Schindler/ Toman, The Law of Armed Conflict, Genf 1981, S. 43. 89 Vgl. dazu Pohl, Der deutsche Einmarsch in Belgien (mit weiteren Nachweisen); vgl. auch Bericht der Pariser Vorfriedenskonferenz: „Rapport présenté à la conférence des préliminaires de paix par la commission des responsabilités des auteurs de la guerre et sanctions“ vom 29. März 1919, AJIL 14 (1920), S. 95 – 154 (englische Fassung); Bell, Völkerrecht im Weltkrieg 1914 – 1918, 2. Band, S. 129 – 260. 90 Als „belgischer Volkskrieg“ wurde die Zeit von August – Dezember 1914 bezeichnet, während der es zu zahlreichen Auseinandersetzungen zwischen der belgischen Zivilbevölkerung und deutschen Truppen kam. Strittig war lange vor allem, ob Teile der belgischen Zivilbevölkerung beim Einmarsch deutscher Truppen in Belgien völkerrechtswidrige Angriffe auf diese verübten und ob die deutschen Vergeltungsmaßnahmen kriegsvölkerrechtlich berechtigt waren oder nicht. Man hat sich inzwischen darauf geeinigt, dass zumindest in der Stadt Löwen kein Überfall auf deutsche Truppen stattgefunden hat, diese jedoch trotzdem diesen Eindruck hatten, weshalb ihre Gegenmaßnahmen zumindest subjektiv berechtigt waren. 88
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1. Kap.: Historische Entwicklung
Krieges Gegenstand kontroverser nationaler und internationaler Auseinandersetzungen während und nach Ende des 1. Weltkrieges.91 Bereits kurz nach Kriegsbeginn 1914 enthielten die Zeitungen aller kriegsbeteiligten Staaten Berichte, in denen den jeweiligen gegnerischen Truppen Verstöße gegen grundlegende Regeln des humanitären Völkerrechts nachgesagt wurden. Diese Meldungen betrafen neben anderen „Gräueltaten“ wie Morden und Kindesmißhandlungen vor allem Vergewaltigungen, die zunächst als Taten einzelner Soldaten erschienen.92 Nachdem die Regierungen kurz darauf anfingen, sich gegenseitig völkerrechtswidriger Kriegshandlungen zu beschuldigen, richteten alle am Krieg beteiligten Staaten Stellen ein, die Beweismaterial über kriegsrechtliche Verstöße sammelten. Diese Stellen gaben im Laufe des 1. Weltkrieges zahlreiche Druckschriften heraus, in denen die wirklichen oder vermeintlichen Verstöße gegen das Kriegsrecht geschildert wurden und die vor allem – unter dem Deckmantel der objektiven Information – der Kriegspropaganda dienten. Diese „Gräuelpropaganda“ bezweckte die Werbung für Kriegsanleihen, sowie von Kriegsfreiwilligen in Großbritannien und die Stärkung der Kampfmoral der eigenen Truppen.93 Insbesondere eigneten sich Berichte von Vergewaltigungen für die Kriegspropaganda, die das Schlagwort „Rape of the Hun“ als Bild für die Vergewaltigung ganzer Nationen, nämlich des kleinen unschuldigen Belgiens und von „La Belle France“ benutzten.94 Das tatsächliche Ausmaß von Vergewaltigungen durch die Deutschen im ersten Weltkrieg kann an dieser Stelle nicht beurteilt werden, da die Berichte aller Seiten zu stark der Kriegspropaganda dienten, um heute noch objektiv überprüfbar zu sein.95 Abschließend ist festzustellen, dass die Deutschen ihrerseits russische Truppen in Ostpreußen völkerrechtswidriger Handlungen beschuldigten.96
91 Dazu mit historischem Abstand Schwengler, Völkerrecht, Versailler Vertrag und Auslieferungsfrage, S. 71 – 124. 92 Auf Englisch und Französisch „atrocities“ bzw. „atrocités“. Dazu Schwengler, Völkerrecht, Versailler Vertrag und Auslieferungsfrage, S. 56 f. 93 Brownmiller, Gegen unseren Willen, S. 47 – 54; Schwengler, Völkerrecht, Versailler Vertrag und Auslieferungsfrage, S. 56 f. mit weiteren Nachweisen; als Beispiel für eine Druckschrift siehe Toynbee, The German Terror in France. 94 Ausführlich dazu Harris, „The Child of the Barbarian“, Past and Present 141 (1993), S. 170 – 206. 95 Vgl. dazu Brownmiller, Gegen unseren Willen, S. 53; Harris, „The Child of the Barbarian“, Past and Present 141 (1993), S. 172; Glueck, War Criminals, S. 66 ff.; Bell, Völkerrecht im Weltkrieg 1914 – 1918, 2. Band, S. 129 – 260; Beck, Vergewaltigung von Frauen als Kriegsstrategie im Zweiten Weltkrieg? in: Gestrich, Gewalt im Krieg, S. 34 – 50 (37). 96 Schwengler, Völkerrecht, Versailler Vertrag und Auslieferungsfrage, S. 57.
F. Vergewaltigungen und ihre rechtliche Behandlung
47
II. Pariser Vorfriedenskonferenz Am 18. Januar 1919 begann die Pariser Vorfriedenskonferenz, die den Friedensvertrag der 27 Siegermächte für den Frieden mit Deutschland ausarbeiten sollte. Mit Blick auf die Frage nach Vergewaltigung als Verbrechen im Krieg interessiert besonders die Frage der Kriegsverbrechen, die in einer von der Konferenz eingesetzten Kommission, der „Commission des responsabilités des auteurs de la guerre et sanctions“ behandelt wurde. Dort fanden die eigentlichen Diskussionen, die zu den Strafbestimmungen im Versailler Vertrag (Artt. 227 – 230) führten, statt. Diese Kommission setzte ihrerseits drei Unterausschüsse ein, von denen für die hier untersuchte Frage nach dem Vorkommen von Vergewaltigungen in 1. Weltkrieg und der Durchsetzung des Vergewaltigungsverbots nur zwei, nämlich der erste und dritte, von Bedeutung sind. Der erste Unterausschuss sollte Beweismaterial sammeln und Tatsachen feststellen, die zum einen den Krieg verursacht hatten und zum anderen – während des Krieges – Kriegsrechtsverletzungen darstellten (Sous-commission des faits criminels). Aufgabe des dritten Unterausschusses war die Frage nach der möglichen Bestrafung von während des Krieges begangenen Verstößen gegen das jus in bello und – bei einem positiven Ergebnis – die Bezeichnung der in Frage kommenden Gerichtsbarkeit (Sous-commission des violations des lois et coutumes de la guerre).97 Die Untersuchungen der Kommission und ihrer Unterausschüsse wurden mit ihrem am 29. März 1919 vorgelegten Abschlussbericht abgeschlossen.98 Während sich die Kommission hinsichtlich der deutschen Schuld am Kriegsausbruch einig war, waren die zu ziehenden Schlussfolgerungen sowie die Frage nach der völkerrechtlichen Verantwortlichkeit einzelner Täter und der daraus resultierenden Strafbarkeit sehr umstritten.99 Insgesamt kam die Kommission zu dem Schluss, dass die Achsenmächte den Krieg mit „barbarous and illegitimate methods in violation of the established laws and customs of war and the elementary laws of humanity“
geführt hatten.100 Sie präsentierte eine Liste der aus ihrer Sicht bewiesenen Verletzungen von Gesetzen und Gebräuchen im Krieg. Nummer fünf dieser Liste betrifft Vergewaltigungen, Nummer sechs die Verschleppung bzw. Entführung von Mädchen 97
Puttkamer, Die Haftung der politischen und militärischen Führung des Ersten Weltkrieges für Kriegsurheberschaft und Kriegsverbrechen, ArchVR 1 (1948/49), S. 430 f.; Schwengler, Völkerrecht, Versailler Vertrag und Auslieferungsfrage, S. 90 ff. 98 Commission on the Responsibility of the Authors of the War and on Enforcement of Penalties, Report Presented to the Preliminary Peace Conference, 29. März 1919, AJIL 14 (1920), S. 95 – 154. 99 Puttkamer, Die Haftung der politischen und militärischen Führung des Ersten Weltkrieges für Kriegsurheberschaft und Kriegsverbrechen, ArchVR 1 (1948/49), S. 431. 100 Commission on the Responsibility of the Authors of the War and on Enforcement of Penalties, Report presented to the Preliminary Peace Conference, 29. März 1919, AJIL 14 (1920), S. 115.
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1. Kap.: Historische Entwicklung
und Frauen zum Zwecke der Prostitution.101 Die Kommission sah also einerseits das Vorkommen von Vergewaltigungen – in einem nicht ganz unerheblichen Ausmaß – als erwiesen an, zum anderen betrachtete sie Vergewaltigungen als Kriegsverbrechen. Hinsichtlich der Bestrafung der Kriegsverbrecher empfahl die Kommission, die Einrichtung eines internationalen bzw. inter-alliierten Gerichts.102
III. Versailler Vertrag und Leipziger Kriegsverbrecherprozesse Die Empfehlungen der Kommission wurden im Versailler Vertrag nicht vollständig umgesetzt. Statt der Einrichtung eines internationalen bzw. inter-alliierten Gerichts – gegen das sich die USA von vornherein wandten103 – einigte man sich in Art. 228 des Versailler Vertrags – trotz des deutschen Widerstands – auf eine Verpflichtung zur Auslieferung der Kriegsverbrecher.104 Obwohl die Alliierten dann auch insgesamt 895 Kriegsverbrecher anforderten,105 kam es in der Folgezeit nicht zu den vorgesehenen Auslieferungen.106 Stattdessen wurde das Verfahren gegen die wegen Kriegsverbrechen auf der Anforderungsliste der Alliierten stehenden Personen in Deutschland eröffnet. Hierbei erwies sich allerdings die Beweissituation als äußerst schwierig, zumal die Alliierten ihr Beweismaterial nur zögerlich an die deutschen Behörden weitergaben. Von den ur101
Commission on the Responsibility of the Authors of the War and on Enforcement of Penalties, Report presented to the Preliminary Peace Conference, 29. März 1919, AJIL 14 (1920), S. 114, deutsche Übersetzungen der Liste in Puttkamer, Die Haftung der politischen und militärischen Führung des Ersten Weltkrieges für Kriegsurheberschaft und Kriegsverbrechen, ArchVR 1 (1948/49) S. 444 f.; Schwengler, Völkerrecht, Versailler Vertrag und Auslieferungsrecht, S. 100; Zander, Das Verbrechen im Kriege, S. 4 f. 102 AJIL 14 (1920), S. 123 f.; zum Hintergrund ausführlich: Schwengler, Völkerrecht, Versailler Vertrag und Auslieferungsfrage, S. 101 ff. 103 Schwengler, Völkerrecht, Versailler Vertrag und Auslieferungsfrage, S. 103. 104 Art. 228 Versailler Vertrag: Die deutsche Regierung räumt den alliierten und assoziierten Mächten die Befugnis ein, die wegen eines Verstoßes gegen die Gesetze und Gebräuche des Krieges angeklagten Personen vor ihre Militärgerichte zu ziehen. Werden sie schuldig befunden, so finden die gesetzlich vorgesehenen Strafen auf sie Anwendung. Diese Bestimmung greift ohne Rücksicht auf ein etwaiges Verfahren oder eine etwaige Verfolgung vor einem Gerichte Deutschlands oder seiner Verbündeten Platz. Die deutsche Regierung hat den alliierten und assoziierten Mächten oder derjenigen Macht von ihnen, die einen entsprechenden Antrag stellt, alle Personen auszuliefern, die ihr auf Grund der Anklage, sich gegen die Gesetze und Gebräuche des Krieges vergangen zu haben, sei es namentlich, sei es nach dem Dienstgrade oder nach der ihnen von den deutschen Behörden übertragenen Dienststellung oder sonstigen Verwendung bezeichnet werden. In Kraft getreten am 10. Januar 1920, zitiert nach Auswärtiges Amt, Der Friedensvertrag, S. 104; englische und französische Fassung, S. 103. 105 Bell, Völkerrecht im Weltkrieg 1914 – 1918, 2. Band, S. 147. 106 Ausführlich hierzu Schwengler, Völkerrecht, Versailler Vertrag und Auslieferungsfrage, S. 300 – 343.
F. Vergewaltigungen und ihre rechtliche Behandlung
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sprünglich 907 aufgrund der alliierten Auslieferungsliste anhängigen Verfahren wurden daher nur neun durch ein gerichtliches Urteil abgeschlossen. Alle übrigen Verfahren wurden eingestellt oder „in ähnlicher Weise erledigt“.107
Unter den neun Verfahren, die durch ein Urteil abgeschlossen wurden, war kein Verfahren wegen Vergewaltigung.108
IV. Entwicklung des kriegsrechtlichen Vergewaltigungsverbots im 1. Weltkrieg Es liegt nahe, die Bemühungen, Kriegsverbrecher des ersten Weltkrieges individuell zur Verantwortung zu ziehen, als gescheitert anzusehen, weil es weder zu den in Art. 228 Versailler Vertrag vorgesehenen Auslieferungen kam noch die Leipziger Kriegsverbrecherprozesse als Erfolg angesehen werden können.109 Trotzdem bedeutete allein die Aufnahme der Artikel 227 und 228 in den Versailler Vertrag einen Fortschritt, wenn nicht sogar einen der Ausgangspunkte für die Entwicklung des internationalen Strafrechts, da bis dahin Vorschriften zur Bestrafung von Kriegsverbrechern in völkerrechtlichen Verträgen, insbesondere Friedensverträgen unbekannt waren. Vor diesem Hintergrund sind Artt. 227 und 228 des Versailler Vertrages wohl als Anstoß für die Überlegungen der Völkerrechtswissenschaft zur Entwicklung des Völkerstrafrechts und der internationalen Strafgerichtsbarkeit zu betrachten, die in den 20er Jahren des 20. Jahrhunderts begannen.110 Im Hinblick auf die hier untersuchte Frage nach einem völkerrechtlichen Vergewaltigungsverbot in bewaffneten Konflikten lässt sich aus dem bereits erwähnten Bericht der War Crimes Commission von 1919 schließen, dass Vergewaltigungen in Kriegen bereits damals (völker-)gewohnheitsrechtlich verboten waren. Ein entsprechendes gewohnheitsrechtliches Verbot ist auch in Bezug auf die Verschleppung 107 United Nations War Crimes Commission, History of the United Nations War Crimes Commission, S. 48; siehe auch Schwarzenberger, International Law and Totalitarian Lawlessness 1943, S. 71 – 73 und zu Berichten über einzelne Kriegsverbrecherprozesse in Deutschland S. 113 – 147; Schwengler, Völkerrecht, Versailler Vertrag und Auslieferungsfrage, S. 359. 108 Von den neun Urteilen lauteten fünf auf Freispruch. Ausführlich zu den Leipziger Kriegsverbrecherprozessen: United Nations War Crimes Commission, History of the United Nations War Crimes Commission, S. 46 – 52; Schwengler, Völkerrecht, Versailler Vertrag und Auslieferungsfrage, S. 344 – 359; siehe auch Askin, War Crimes Against Women, S. 42 – 44, die ohne Rücksicht auf die Gründe ein Versagen bei der Verfolgung der Kriegsverbrecher des 1. Weltkrieges annimmt. 109 So etwa United Nations War Crimes Commission, History of the United Nations War Crimes Commission, S. 51 f.; Askin, War Crimes Against Women, S. 45. 110 Vgl. Werle, Völkerstrafrecht, Rn. 9 – 12; zur Entwicklung des Völkerstrafrechts siehe Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht Bd. I, 3. Teilband § 191 (S. 1023 – 1043).
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1. Kap.: Historische Entwicklung
von Mädchen und Frauen zum Zwecke der Prostitution anzunehmen, wobei die War Crimes Commission – wie bereits erwähnt – das Vorkommen dieser beiden Verbrechen durch Deutsche im 1. Weltkrieg als erwiesen ansah.111
V. Genfer Abkommen über die Behandlung von Kriegsgefangenen (1929) Obwohl Frauen – zumindest damals – wohl selten Kriegsgefangene waren, schlug sich ihre besondere Schutzbedürftigkeit in Artikel 3 des Genfer Abkommens von 1929 über die Behandlung von Kriegsgefangenen nieder.112 Auch das Genfer Abkommen über die Behandlung von Kriegsgefangenen schützt Frauen damit über den so bezeichneten „Ehrenschutz“ vor Vergewaltigung. Die Möglichkeit von Übergriffen gegen Frauen oder gar von Vergewaltigungen wird nicht erwähnt. Insgesamt ist die Vorschrift daher zu vage, um weibliche Kriegsgefangene effektiv zu schützen, Männer werden in diesem Zusammenhang gar nicht erwähnt.
G. Bewertung und Ergebnisse I. Der völkerstrafrechtliche Schutz vor Vergewaltigung Es fällt auf, dass der Wortlaut der Brüsseler Erklärung, des Oxford Manual, der Haager Landkriegsordnungen von 1899 bzw. 1907 und des Genfer Abkommens zum Schutz der Kriegsgefangenen von 1929 fast identisch ist und nur auf den Schutz der Familienehre und -rechte abstellt. In den Formulierungen aller vier Kodifikationen kommt das Wort Vergewaltigung – im Gegensatz zum eindeutigen Wortlaut des Lieber-Code – nicht vor. Fraglich ist daher, ob der Schutz der Familienehre auch ein strafrechtliches Verbot von Vergewaltigung beinhaltet. Dagegen spricht, dass die Formulierung „Familienehre“ sehr vage erscheint. Andererseits lässt sich aus dem positiven Gebot, die Familienehre zu schützen, insofern ein Vergewaltigungsverbot ableiten, als diese durch eine Vergewaltigung verletzt würde. Diese Interpretation entspricht dem zu Beginn des letzten Jahrhunderts zeitgenössischen Verständnis des Begriffs der „Familienehre“, deren Schutz nach damaliger Auffassung notwendigerweise den 111
Siehe in diesem (1.) Kapitel F. II. Art. 3 Les prisonniers de guerre ont droit au respect de leur personnalité et de leur honneur. Les femmes seront traitées avec tous les égards dus à leur sexe. Les prisonniers conservent leur pleine capacité civile. Zitiert nach League of Nations Treaty Series, Vol. 118, S. 343 – 411 (französische und englische Übersetzung); englische Fassung abgedruckt in Schindler/Toman, The Laws of Armed Conflicts, Genf 1981, S. 274. 112
G. Bewertung und Ergebnisse
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Schutz vor Vergewaltigung umfassen musste. Auch die Tatsache, dass der LieberCode ein ausdrückliches Vergewaltigungsverbot enthält, stützt diese Auslegung, da er als Niederschrift der im 19. Jahrhundert gewohnheitsrechtlich geltenden Kriegsführungsregeln gilt. Insgesamt ist daher heute anerkannt, dass der Schutz der Familienehre – zumindest indirekt113 – ein Vergewaltigungsverbot von Frauen beinhaltet; an die Möglichkeit der Vergewaltigung von Männern wurde damals nicht gedacht.114 Es ist damit von einem Vergewaltigungsverbot außer im Lieber-Code auch in der Brüsseler Erklärung, dem Oxford Manual und den Haager Landkriegsordnungen auszugehen. Die Formulierung im Genfer Abkommen zum Schutz der Kriegsgefangenen von 1929, die nur die durch ihr Geschlecht gebotene Rücksichtnahme auf Frauen gebietet, erscheint dagegen trotz der nach zeitgenössischem Verständnis gebotenen weiten Auslegung als zu vage, um weibliche Kriegsgefangene effektiv vor Übergriffen zu schützen, hat allerdings auch nur die Lage weiblicher Kriegsgefangenen im Blick.115 Weiter fällt auf, dass der Lieber-Code als einzige innerstaatliche Konvention eine ausdrückliche Strafandrohung für den Fall der Zuwiderhandlung gegen das Vergewaltigungsverbot enthält (Art. 47). Die Brüsseler Erklärung, das Oxford Manual und die Haager Landkriegsordnungen enthalten dagegen keine Strafvorschrift. Dies könnte auf die Tatsache zurückzuführen sein, dass im Lieber-Code als einem nationalen Gesetz auch die Bestrafung der Täter zu regeln war, während man bei den völkerrechtlichen Abkommen davon ausging, dass die Bestrafung von Kriegsverbrechern Sache der jeweiligen Vertragsstaaten war. Zuletzt kann man aus der Formulierung des Vergewaltigungsverbots als Schutz der Familienehre den Schluss ziehen, dass Vergewaltigung entsprechend dem damaligen Zeitgeist von den Verfassern der Brüsseler Erklärung, des Oxford Manuals, der Haager Landkriegsordnungen und des Genfer Abkommens zum Schutz der Kriegsgefangenen nicht als ein Gewaltverbrechen gegen den Körper und die Persönlichkeit einer Frau, sondern lediglich als eine Ehrverletzung betrachtet wurde. Ein Aspekt könnte auch sein, dass das Wort „Vergewaltigung“ damals als so anstößig empfunden wurde, dass man davon absah, es in einen völkerrechtlichen Vertrag bzw. Vertragsvorschlag aufzunehmen.
113
Nach Meron verbietet Art. 46 HLKO Vergewaltigung nur indirekt bei weiter Auslegung und bleibt daher partiell, Meron, Rape as a Crime under International Humanitarian Law, AJIL 87 (1993), S. 424 – 428 (425); ders., Henry’s Wars and Shakespeare’s Laws, S. 112 f. 114 Askin, War Crimes Against Women, S. 40; Khushalani, Dignity and Honour of Women as Basic and Fundamental Human Rights, S. 10; Möller, Das tatbestandliche Verbot sexueller Gewalt in bewaffneten Konflikten, S+F 2000, S. 36 – 42 (37); Sunga, The Emerging System of International Criminal Law, S. 179 f., UN Commission on Human Rights, Report of the Special Rapporteur on Violence against Women on the Issue of Military Sexual Slavery in Wartime, UN Doc. E/CN.4/1996/53/Add.1, para. 101. 115 Meron, Henry’s Wars and Shakespeare’s Laws, S. 113.
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1. Kap.: Historische Entwicklung
II. Die historische Entwicklung des Vergewaltigungsverbots Die historische Untersuchung des Vergewaltigungsverbots in Kriegen zeigt, dass es dieses – besonders wenn es um die völlige Zerstörung oder Unterwerfung einer Stadt oder einer Volksgruppe ging – immer gegeben hat. Isolierte Vergewaltigungsverbote sind bereits bei antiken Feldherren nachzuweisen. Im Mittelalter kamen Vergewaltigungen sowohl in Europa als auch in der so genannten islamischen Welt in Kriegen trotz vereinzelter Vergewaltigungsverbote vor; diese wurden außerdem – soweit sie überhaupt bestanden – nicht effektiv durchgesetzt. In den Werken der Völkerrechtsklassiker ist einerseits die Weiterentwicklung und die breiter werdende Akzeptanz des kriegsrechtlichen Vergewaltigungsverbots nachzuvollziehen, andererseits sind Vergewaltigungen und andere sexuelle Übergriffe gegen Frauen in der Kriegspraxis der frühen Neuzeit weiter ungeahndet vorgekommen. Die theoretische Weiterentwicklung des Vergewaltigungsverbots korrespondierte folglich nicht mit der Staatenpraxis und trug auch nicht zur effektiveren Durchsetzung dieses Verbots bei. Obwohl nach Gentili und Grotius ein allgemeines kriegsrechtliches Vergewaltigungsverbot bestand, hatte dies keinerlei Auswirkungen auf die Kriegspraktiken während des Dreißigjährigen Krieges. In diesem wurden noch ganze Heere durch Plünderung finanziert und „die scheusslichsten Misshandlungen und Folterqualen, wie die Notzucht an den Weibern“
kamen häufig vor.116 Ein Grund für die Nichtbeachtung des theoretisch existierenden Vergewaltigungsverbots könnte in der damals in Militärkreisen herrschenden Überzeugung, wonach auch Nicht-Kombattanten und Zivilisten, wie Frauen und Kinder, Feinde waren, über die dem Sieger das Recht des Stärkeren zustand, zu finden sein.117 Andererseits sind Massenvergewaltigungen in Kriegen der frühen Neuzeit und vorher wohl nicht bewusst eingesetzt worden, um den Gegner zu demoralisieren, sondern eher als verdiente Belohnung dafür, den Krieg gewonnen zu haben. In der fehlenden Durchsetzung des kriegsvölkerrechtlichen Vergewaltigungsverbots und der damit einhergehenden Duldung von (Massen-)Vergewaltigungen ist jedoch keine bewusste Anordnung von Vergewaltigungen zu erkennen.118 Ab Mitte des 19. Jahrhunderts entwickelte sich das heute als humanitäres Völkerrecht bezeichnete moderne Kriegsführungsrecht. Nach diesem waren und sind sexuelle Übergriffe gegen Frauen im Allgemeinen und Vergewaltigungen im Besonderen verboten. Ein Meilenstein war insoweit Art. 46 HLKO, der über den Schutz der Familienehre auch Vergewaltigung verbietet. Keine der völkerrechtlichen Vertragsentwürfe und Vertragswerke enthielt jedoch eine Verpflichtung der Mitgliedstaaten, Übertretungen dieses und anderer Verbote durch ihre Soldaten zu bestrafen, 116 117 118
Bluntschli, Das moderne Völkerrecht der civilisirten Staten, 8. Buch zu Nr. 575 (S. 325). Wells, War Crimes and Laws of War, S. 31. Askin, War Crimes Against Women, S. 28.
G. Bewertung und Ergebnisse
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wie sie etwa die vier Genfer Abkommen von 1949 für die so genannten „schweren Verstöße“ vorsehen. Trotz des Verbotes aus Art. 46 HLKO kam es im 1. Weltkrieg zu Vergewaltigungen. Welches Ausmaß diese Vergewaltigungen hatten, ist heute nicht mehr festzustellen, da dieser auch ein Propagandakrieg war, in dem Vergewaltigungen eine nicht ganz untergeordnete Rolle spielten. Im Anschluss an den 1. Weltkrieg gab es jedoch erste internationale Versuche, Verstöße gegen das Kriegsrecht durch Einzelne strafrechtlich zu ahnden. Zu den nach der War Crimes Commission von 1919 eindeutig völkerrechtswidrigen Handlungen gehörten auch Vergewaltigungen. Auch wenn diese Bemühungen letztlich nur mit wenigen Verurteilungen – darunter keine einzige wegen sexueller Gewalt und Vergewaltigungen – endeten, trugen sie doch wesentlich zur Entwicklung der völkerstrafrechtlichen Verantwortlichkeit des Einzelnen bei.
2. Kapitel
Das Vergewaltigungsverbot im 2. Weltkrieg Im ersten Kapitel wurde das Vergewaltigungsverbot im bewaffneten Konflikt bis nach dem ersten Weltkrieg mit dem Ergebnis, dass – spätestens – ab dem Inkrafttreten der Haager Landkriegsordnungen von 1899 und 1907 von einem völkerrechtlichen Verbot im bewaffneten Konflikt ausgegangen werden kann, untersucht. In diesem Kapitel wird darauf aufbauend untersucht, inwieweit dieses Verbot im Zweiten Weltkrieg eingehalten wurde beziehungsweise wie mit Verstößen hiergegen auf zwischenstaatlicher, staatlicher und individuell-strafrechtlicher Ebene umgegangen wurde. Dies ist unter anderem für die Entwicklung des völkerrechtlichen Vergewaltigungsverbots als Norm des Völkergewohnheitsrechts relevant.
A. Vergewaltigungen während des 2. Weltkriegs und ihre juristische Aufarbeitung in Europa Vergewaltigungen kamen im Zweiten Weltkrieg durch fast alle Kriegsparteien vor.1 Insbesondere gab es neben einzelnen Vergewaltigungen, die an allen Kriegsschauplätzen vorkamen, 1937/38 Massenvergewaltigungen im chinesischen Nanking und 1944/45 in Ostdeutschland.
1
So Beck, Vergewaltigung von Frauen als Kriegsstrategie im Zweiten Weltkrieg? in: Gestrich, Gewalt im Krieg, S. 34 – 50 (49); von Münch, Die Massenvergewaltigungen deutscher Frauen und Mädchen 1944/45, S. 15; Möller, Völkerstrafrecht und Internationaler Strafgerichtshof, S. 357 f., die von „relativ wenig“ Dokumentarmaterial über Massenvergewaltigungen, die von britischen, oder US-amerikanischen Soldaten begangen wurden, ausgeht. A. A. Brownmiller, Gegen unseren Willen, S. 79 ff., insbesondere S. 81 mit Zahlenmaterial, ebenso in Bezug auf Japan, Tanaka, Japan’s Comfort Women, S. 116 – 132 und Askin, War Crimes Against Women, S. 57.
A. Vergewaltigungen während des 2. Weltkriegs
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I. Vorkommen von Vergewaltigungen während des 2. Weltkriegs in Europa 1. Vergewaltigungen durch deutsche Soldaten und nationale Strafverfolgung Über Vergewaltigungen durch deutsche Soldaten im Zweiten Weltkrieg gibt es kein verlässliches Zahlenmaterial.2 Militärhistorische Forschungen belegen jedoch, dass (einzelne) Vergewaltigungen durch deutsche Soldaten in allen Frontabschnitten vorkamen. Anders als etwa in Nanking gibt es aber keine Belege für Massenvergewaltigungen, weshalb die militärgeschichtliche Forschung davon ausgeht, dass Vergewaltigungen und andere sexuelle Gewalt von der Wehrmacht kein Massenphänomen waren oder bewusst eingesetzt wurden.3 Nach damals geltendem deutschen Recht war Vergewaltigung im Krieg wie zu Friedenszeiten verboten: Gemäß § 3 Militärstrafgesetzbuch4 war das allgemeine Reichsstrafgesetzbuch auf alle Straftaten, die keine militärischen Straftaten darstellten, anwendbar.5 Nach dessen §§ 176, 177 waren sexuelle Nötigung und Notzucht, also Vergewaltigung, ohne Strafantrag strafbar.6 Anderes ergab sich allerdings aus dem „Erlass über die Ausübung der Kriegsgerichtsbarkeit im Gebiet ,Barbarossa‘ und über die besonderen Maßnahmen der Truppe“ vom 13. Mai 1941, der sich räumlich auf die besetzten Gebiete der Sowjetunion bezog. In diesem wurde die Verfolgung und Bestrafung von Straftaten, einschließlich Vergewaltigungen, die Wehrmachtsangehörige gegenüber der einheimischen Zivilbevölkerung begangen hatten, in das Ermessen der Frontkommandeure gestellt.7 Ein solcher Erlass war weder mit dem damals bereits gültigen Unterscheidungsprinzip zwischen Kombattanten und Zivilisten noch mit Art. 46 HLKO, der Vergewaltigungen verbietet, vereinbar. Obwohl also weder die Völker2
Beck, Wehrmacht und sexuelle Gewalt, S. 54. Beck, Wehrmacht und sexuelle Gewalt, S. 335. 4 Reichsgesetzblatt I, S. 1021 vom 16. 07. 1935. 5 Strafgesetzbuch für das deutsche Reich vom 15. Mai 1871 in der Fassung der Bekanntmachung vom 26. Februar 1896 (RGBl. 1871, S. 127; 1896, S. 39). 6 Nach Paul, Zwangsprostitution, S. 102 (ebenso Möller, Völkerstrafrecht und Internationaler Strafgerichtshof, S. 358) seien alle Verbrechen und Vergehen wider die Sittlichkeit durch Angehörige der Wehrmacht ab 1940 wegen des Wegfalls von § 127 MStGB Antragsdelikte gewesen. Dabei wurde jedoch übersehen, dass das allgemeine Strafrecht für die meisten Unsittlichkeitstaten kein Antragserfordernis enthielt. 7 Zitiert in Beck, Wehrmacht und sexuelle Gewalt, S. 179: „Für Handlungen, die Angehörige der Wehrmacht und des Gefolges gegen feindliche Zivilpersonen begehen, besteht kein Verfolgungszwang, auch dann nicht, wenn die Tat zugleich ein militärisches Verbrechen oder Vergehen ist. (…) Der Gerichtsherr ordnet die Verfolgung von Taten gegen Landeseinwohner im kriegsgerichtlichen Verfahren nur dann an, wenn es die Aufrechterhaltung der Manneszucht oder die Sicherung der Truppe erfordert. Dies gilt z. B. für Taten, die auf geschlechtlicher Hemmungslosigkeit beruhen, einer verbrecherischen Veranlagung entspringen oder ein Anzeichen dafür sind, dass die Truppe zu verwildern droht.“ 3
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2. Kap.: Das Vergewaltigungsverbot im 2. Weltkrieg
rechtslage noch die innerstaatliche Gesetzeslage Differenzierungen zwischen feindlichen Zivilbevölkerungen zuließ, zeichnete sich mit diesem Erlass die unterschiedliche Behandlung von Zivilpersonen an West- und Ostfront in der Praxis der deutschen Wehrmacht ab.8 Übergriffe gegenüber der Zivilbevölkerung in den von deutschen Truppen besetzten Gebieten wurden im Westen nicht nur weitaus häufiger von den Betroffenen angezeigt, sondern dort auch wesentlich häufiger und konsequenter von den Militärgerichten geahndet.9 Allerdings war die Zahl der Verurteilungen von Wehrmachtsangehörigen wegen „Sittlichkeitsvergehen“ nach der offiziellen Wehrmachtskriminalstatistik mit 5.349 gemessen an insgesamt 1,5 Millionen Verurteilungen durch Militärgerichte sehr gering, was die untergeordnete Rolle der Verfolgung von Sexualdelikten in der Praxis der deutschen Militärgerichte verdeutlicht.10 Zusammenfassend lässt sich hieraus folgern, dass die deutsche Praxis bezüglich des völkerrechtlichen Vergewaltigungsverbots im Zweiten Weltkrieg ambivalent war. Vergewaltigungen und sexuelle Gewalt wurden teilweise sanktioniert und bestraft, sie wurden aber auch bagatellisiert und geduldet, abhängig davon was den Interessen des Regimes und der Wehrmacht entsprach.11 Indem das Deutsche Reich die Verfolgung von Vergewaltigungsdelikten von Wehrmachtsangehörigen an der Ostfront militärischen Zweckerwägungen unterwarf, verletzte es das damals bereits bestehende völkerrechtliche Verbot in bewaffneten Konflikten zu vergewaltigen. Folglich trug die Praxis des nationalsozialistischen Regimes nicht zu einer Verfestigung des Vergewaltigungsverbots im bewaffneten Konflikt bei. 2. Vergewaltigungen durch die Rote Armee 1945 in Deutschland Im Osten Deutschlands und in Berlin kam es Ende 1944 bis Mai 1945 zu Massenvergewaltigungen deutscher Frauen und Mädchen durch russische Truppen.12 So kam eine 1954 von der Bundesregierung eingesetzte unabhängige Wissenschaftliche Kommission zur „Dokumentation der Vertreibung der Deutschen aus Ost-und Mitteleuropa“ unter Leitung des Historikers Theodor Schieder zu dem Ergebnis, dass es sich bei den Vergewaltigungen deutscher Frauen und Mädchen durch sowjetische Soldaten um ein Massenphänomen und nicht um Einzelfälle handelte.13 8
Beck, Wehrmacht und sexuelle Gewalt, S. 335. Beck, Wehrmacht und sexuelle Gewalt, S. 179. 10 Ausführlich Beck, Wehrmacht und sexuelle Gewalt, S. 326. 11 Ausführlich zur historischen Analyse Beck, Wehrmacht und sexuelle Gewalt, S. 335. 12 Siehe dazu im einzelnen zu Berlin Schmidt-Harzbach, Eine Woche in Berlin, in: Sander/ Johr, Befreier und Befreite S. 21 – 45; Kuby, Die Russen in Berlin 1945; zu den Ostgebieten Schieder, Die Vertreibung der Deutschen aus Ost-Mitteleuropa S. 60 ff., Augenzeugenberichte z. Bsp. auf S. 30 f., 224 ff., 297 ff., 303, 470 ff., 474 ff. 13 Bundesministerium für Vertriebene (Hrsg.), Die Vertreibung der deutschen Bevölkerung aus den Gebieten östlich der Oder-Neiße, Band I/1, S. 299: „Unter den Ausschreitungen der einziehenden russischen Truppen hatten ganz besonders die deutschen Frauen zu leiden. Bei 9
A. Vergewaltigungen während des 2. Weltkriegs
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Genaue Zahlen existieren nicht, selbst Schätzungen sind unter Historikern umstritten. Einigermaßen konsolidiert ist die grobe Schätzung von ca. 1,4 Millionen Frauen, die im Zuge des russischen Einmarsches nach Ost- und Mitteldeutschland vergewaltigt worden sein sollen.14 Obwohl Vergewaltigungen durch das im 2. Weltkrieg geltende Völkerrecht verboten waren, wurden die russischen Truppen für ihre Übergriffe nicht zur Verantwortung gezogen.15 Im Gegenteil soll Stalin das Verhalten seiner Truppen nach Aussage von Djilas, einem Verbindungsmann Titos in Moskau während des 2. Weltkrieges, gerechtfertigt haben: „Kann er (Djilas) (…) es denn nicht verstehen, wenn ein Soldat, der Tausende von Kilometern durch Blut und Feuer und Tod gegangen ist, an einer Frau seine Freude hat oder eine Kleinigkeit mitgehen lässt?“
Ob der Bericht Djilas glaubwürdig ist, kann und muss hier nicht entschieden werden.16 Auch aus den Reihen der sowjetischen Frontkommandeure gibt es Berichte über Aussagen, die die Vergewaltigungen rechtfertigten. So soll Marschall Wassilewski, der Befehlshaber der 3. Weißrussischen Front, 1945 angesprochen auf von seinen Soldaten begangene Übergriffe bemerkt haben: „Das interessiert mich einen Dreck. Es ist Zeit, dass unsere Soldaten das Recht selbst in die Hand nehmen“.17
Fest steht, dass die sowjetische Armeeführung und die Truppenführer in Deutschland – wenigstens in den ersten Wochen der Besatzung der deutschen Gebiete – gegen die zahlreichen Vergewaltigungen nicht eingeschritten sind. Diese passive Haltung der vorgesetzten militärischen Dienststellen lässt zumindest auf eine bewusste Duldung der Vergewaltigungen schließen.18 Allerdings gab es unter den russischen Soldaten auch solche, die sich nicht an den Vergewaltigungen beteiligten den zahlreichen Erlebnisberichten, die vom Einzug der Roten Armee handeln, gibt es kaum einen, der nicht von Vergewaltigungen deutscher Frauen und Mädchen zu berichten weiss. (…) Es kann auch bei kritischster Prüfung dieser Berichte kein Zweifel sein, dass es sich bei den Vergewaltigungen deutscher Frauen und Mädchen durch sowjetische Soldaten um ein Massenvergehen im wahren Sinne des Wortes handelt, keineswegs um Einzelfälle.“ 14 Ausführlich v. Münch, Die Massenvergewaltigungen deutscher Frauen und Mädchen 1944/45, S. 42 m.w.N. 15 Beck, Vergewaltigung von Frauen als Kriegsstrategie im Zweiten Weltkrieg? in: Gestrich, Gewalt im Krieg, S. 34 – 50 (39). 16 Djilas, Gespräche mit Stalin, S. 123, vgl. auch S. 141 f.; siehe auch Sander/Johr, Befreier und Befreite, S. 16. Nach Djilas, S. 115 kam es während der Durchquerung des Nordostzipfels Jugoslawiens durch die Rote Armee zu 121 Vergewaltigungen, von denen 111 mit dem Tod des Opfers endeten. Brownmiller, Gegen unseren Willen, S. 76 gibt aber zu bedenken, dass Djilas Buch – da zu emotionsgeladen – nicht sehr vertrauenswürdig ist. 17 Zitiert in v. Münch, Die Massenvergewaltigungen deutscher Frauen und Mädchen 1944/ 45, S. 35. 18 Schieder, Die Vertreibung der Deutschen aus Ost-Mitteleuropa, S. 62 m.w.N.; Beck, Vergewaltigung von Frauen als Kriegsstrategie im Zweiten Weltkrieg? in: Gestrich, Gewalt im Krieg, S. 34 – 50 (39).
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2. Kap.: Das Vergewaltigungsverbot im 2. Weltkrieg
oder diese sogar verhinderten.19 Die Auswirkungen der – zum Teil sehr grausamen – Vergewaltigungen auf die Zivilbevölkerung waren dramatisch.20 Die Analyse von Zeugenaussagen russischer Soldaten ergibt, dass Rache für die Übergriffe deutscher Soldaten in Russland, als Motiv für die Vergewaltigungen angesehen werden muss.21 Von der überwiegenden Anzahl russischer militärischer Vorgesetzter wurden die Vergewaltigungstaten also weder unterbunden noch geahndet, während gleichzeitig von Aussagen aus Regierungs- und Armeespitze auszugehen ist, die diese sogar rechtfertigen. Dies führt zu der Frage, ob die Vergewaltigungen aus Sicht der sowjetischen Regierung als Racheakte und damit als Kriegsrepressalie gerechtfertigt waren. Für die vorliegende Untersuchung würde die Annahme von Vergewaltigung als Kriegsrepressalie zu dem Schluss führen, dass Praxis und opinio iuris der Sowjetunion im Zweiten Weltkrieg gegen ein völkergewohnheitsrechtliches Vergewaltigungsverbot sprechen insoweit Vergewaltigungen als Repressalie zulässig gewesen wären. Kriegsrepressalien sind spätestens seit Inkrafttreten des ZP I unzulässig und waren bereits 1945 für ihre Zulässigkeit an das Vorliegen einer Reihe von Voraussetzungen geknüpft. So musste der Zweck der Kriegsrepressalie sein, ein vorangegangenes rechtswidriges Handeln des Gegners durch sie zu beenden.22 Weiterhin musste die Kriegsrepressalie ausdrücklich durch den Oberbefehlshaber der Streitkräfte angeordnet sein.23 Die Massenvergewaltigungen deutscher Frauen 1944/45 hatten jedoch nie das Ziel, den deutschen Kriegsgegner zu veranlassen, seine eigenen Völkerrechtsverletzungen zu beenden.24 Zum einen war Deutschland zu diesem Zeitpunkt militärisch auf dem Rückzug und nicht mehr in der Lage Kriegsverbrechen an der russischen Zivilbevölkerung zu begehen und zum anderen konnte Deutschland zumindest nach seiner Kapitulation im Mai 1945 zunächst keine Völkerrechtsverletzungen mehr begehen. Auch eine offizielle Anordnung der Vergewaltigungen von 19
Schieder, Die Vertreibung der Deutschen aus Ost-Mitteleuropa, S. 62 m.w.N. Ryan, Der letzte Kampf, S. 393 – 399; u. a. wird dort von einer Mutter mit drei kleinen Kindern berichtet, die – nachdem die russischen Soldaten sie von zu Hause verschleppt und eine ganze Nacht vergewaltigt hatten – nach Hause zurückkehrt und sehen muss, dass ihre Mutter und ihr Bruder sich und die drei Kinder aufgehängt haben. Die Frau beging daraufhin Selbstmord (S. 399). 21 Brownmiller, Gegen unseren Willen, S. 76; Beck, Vergewaltigung von Frauen als Kriegsstrategie im Zweiten Weltkrieg? in: Gestrich, Gewalt im Krieg, S. 34 – 50; vgl. auch die Einschätzung von Kopelew, Aufbewahren für alle Zeit, S. 129, die – obwohl in einem Roman erzählt – auf tatsächlichen Begebenheiten beruht. 22 Darcy, What future for the doctrine of belligerent reprisals?, in: YIHL 5 (2002), S. 107 (108). 23 Dies sah das Oxford Manual of Wars on Land in Art 86 vor, was 1945 als Ausdruck von geltendem Völkergewohnheitsrecht anzusehen war, vgl. Darcy, What future for the doctrine of belligerent reprisals?, in: YIHL 5 (2002), S. 107 (108). 24 v. Münch, Die Massenvergewaltigungen deutscher Frauen und Mädchen 1944/45, S. 48, der noch darauf hinweist, dass die Vergewaltigungen in Ostdeutschland auch nach dem formellen Kriegsende im Mai 1945 zunächst nicht aufhörten. 20
A. Vergewaltigungen während des 2. Weltkriegs
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sowjetischer Seite hat es nie gegeben. Schließlich mussten auch nach damaligem Völkerrecht Kriegsrepressalien in allen Fällen den „Gesetzen der Menschlichkeit und Moral“ entsprechen.25 Massenvergewaltigungen an unbeteiligten Zivilisten sind auch nach damaligen Maßstäben als unvereinbar mit den Gesetzen der Menschlichkeit und Moral anzusehen. Folglich handelte es sich bei den Massenvergewaltigungen 1944/45 in Deutschland nicht um eine zulässige Kriegsrepressalie. Allerdings offenbart das Vorkommen der Massenvergewaltigungen ein erhebliches Durchsetzungsdefizit des bereits bestehenden völkerrechtlichen Verbotes. Es wäre jedoch zu weitgehend dieses Durchsetzungsdefizit als der gewohnheitsrechtlichen Entwicklung des Vergewaltigungsverbotes entgegenstehende Praxis und opinio iuris zu qualifizieren. Schließlich handelte es sich bei den obengenannten Zitaten nicht um offizielle Stellungnahmen der Sowjetunion. Zudem gab es vereinzelte Versuche durch Vorgesetzte Vergewaltigungen zu unterbinden. Deshalb illustriert die erdrückende Praxis der Nicht-Beachtung des völkerrechtlichen Vergewaltigungsverbots während der Massenvergewaltigungen 1944/45 nur die Diskrepanz zwischen tatsächlich bestehendem Verbot und der Rechtspraxis. Weitergehende völkerrechtliche Schlüsse erlauben die vorliegenden Ergebnisse nicht. 3. Vergewaltigungen anderer Kriegsparteien und nationale Strafverfolgung Außer den bereits genannten Vorkommnissen gibt es Berichte über Vergewaltigungen durch Marokkaner bzw. die französische Armee in Italien und Südwestdeutschland,26 von Vergewaltigungen deutscher Frauen durch polnische Soldaten,27 sowie von Vergewaltigungen jugoslawischer Frauen durch sowjetische Truppen.28 Hinsichtlich der Vergewaltigungen durch die französische Restarmee in Italien ist überliefert, dass der französische Kommandeur seinen Soldaten vorher explizit das Recht zu plündern und zu vergewaltigen garantiert hatte. Nach dem Krieg hat die italienische Regierung den betroffenen Frauen eine Kriegsopferrente zugestanden.29 Brownmiller untersuchte die Häufigkeit von Vergewaltigungen während des 2. Weltkrieges bzw. in der anschließenden Besatzungszeit durch US-amerikanische Soldaten mit dem Ergebnis, dass auch bei diesen – in einem nicht unerheblichen 25
Art. 86 Oxford Manual of Wars on Land. Brownmiller, Gegen unseren Willen, S. 77 f. (S. 79); Seifert, Der weibliche Körper als Symbol und Zeichen, in: Gestrich, Gewalt im Krieg, S. 13 – 33 (17 f.). Bzgl. der Vergewaltigungen französischer Soldaten in Südwestdeutschland siehe Johr, Die Ereignisse in Zahlen, in: Sander/Johr, Befreier und Befreite, S. 46 – 77 (62). 27 Schieder, Die Vertreibung der Deutschen aus Ost-Mitteleuropa, z. Bsp. Bericht Nr. 223 (S. 357); Brownmiller, Gegen unseren Willen, S. 73. 28 Djilas, Gespräche mit Stalin, S. 115; vgl. auch Brownmiller, Gegen unseren Willen, S. 76. 29 Seifert, Der weibliche Körper als Symbol und Zeichen, in: Gestrich, Gewalt im Krieg, S. 13 – 33 (17). 26
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2. Kap.: Das Vergewaltigungsverbot im 2. Weltkrieg
Ausmaß – Vergewaltigungen vorkamen. Allerdings seien diese – so Brownmiller – regelmäßiger von den eigenen Truppen bestraft worden als die Übergriffe deutscher Soldaten.30 Die allermeisten Vergewaltigungen – unabhängig von der Nationalität der Soldaten – wurden während Besatzungszeiten, nicht während der Kampfhandlungen begangen. Dies zeigt, dass Vergewaltigungen im Zweiten Weltkrieg nicht auf bestimmte Kriegsparteien oder -regionen beschränkt war. Trotzdem sind im Hinblick auf die von einzelnen Kriegsparteien begangenen Vergewaltigungen notwendige Differenzierungen zu machen. Diese sind aber mehr Aufgabe historischer als völkerrechtlicher Untersuchung.
II. Kriegsverbrechertribunal von Nürnberg 1. Londoner Abkommen und Charta des Internationalen Militärtribunals (1945) Das Statut des Kriegsverbrechertribunals von Nürnberg ist im Anhang des Londoner Abkommens von 1945 enthalten.31 Mit dem Londoner Abkommen einigten sich die „großen Vier“ auf die Modalitäten der Bestrafung der Hauptkriegsverbrecher und luden andere Staaten ein zu unterzeichnen, was 19 Staaten taten. Die Formulierung des Artikels 6 des Nürnberger Statuts zeigt deutlich,32 dass 30 Brownmiller, Gegen unseren Willen, S. 79 – 82. S. 81 enthält Zahlenmaterial über die Verurteilungen durch US-Militärgerichte wegen Notzucht während des 2. Weltkrieges und der Besatzungszeit, wonach die Zahl der Vergewaltigungen im zweiten Halbjahr 1945 sprunghaft anstieg und im zweiten Halbjahr 1946 wieder genauso sprunghaft zurückging. 31 Agreement for the Prosecution and Punishment of Major War Criminals of the Europeans Axis, London 8. August 1945, UNTS Vol. 82, S. 280 – 311. Abgedruckt bei Friedman, Vol I, S. 883 – 893; Schindler/Toman, S. 823 – 831. 32 Art. 6 The following acts, or any of them, are crimes coming within the jurisdiction of the Tribunal for which there shall be individual responsibility. Crimes against Peace: (…). Conventional War Crimes: Namely, violations of the laws or customs of war. Such violations shall include, but not be limited to, murder, ill-treatment or deportation to slave labour or for any other purpose of civilian population of or in occupied territory, murder or ill-treatment of prisoners of war or persons on the seas, killing of hostages, plunder of public or private property, wanton destruction of cities, towns or villages, or devastation not justified by military necessity. Crimes against Humanity: Namely, murder, extermination, enslavement, deportation, and other inhumane acts committed against any civilian population, before or during the war, or persecution on political, racial or religious grounds in execution of a common plan or conspiracy to commit any of the foregoing crimes are responsible for all acts performed by any persons in execution of such a plan. Agreement for the Prosecution and Punishment of the Major War Criminals of the European Axis and the Charter of the International Military Tribunal London, August 8, 1945,
A. Vergewaltigungen während des 2. Weltkriegs
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die Regelung über die Verbrechen gegen die Menschlichkeit auf das Bedürfnis, die Gräueltaten der Nazis, die diese sowohl auf dem Gebiet der Siegermächte und anderer Staaten als auch auf eigenem Territorium begangen hatten, zu bestrafen, zurückzuführen ist.33 Vergewaltigungen hätten demnach also – gemäß des oben dargestellten Verständnis des Vergewaltigungsverbots – als Kriegsverbrechen nach dem Statut des Kriegsverbrechertribunals von Nürnberg bestraft werden können.34 Darüber hinaus wären Vergewaltigungen als andere unmenschliche Handlung („inhumane act“) auch als Verbrechen gegen die Menschlichkeit strafbar gewesen, sofern diese als Teil eines aufgrund politischer, rassischer oder religiöser Gründe gegen die Zivilbevölkerung gerichteten allgemeinen Plans oder Verschwörung während oder vor dem 2. Weltkrieg und in Zusammenhang mit einem Verbrechen innerhalb der Jurisdiktion des Nürnberger Kriegsverbrechertribunals begangen wurde.35 In Anbetracht der Tatsache, dass Vergewaltigungen bereits nach dem 1. Weltkrieg ausdrücklich als Kriegsverbrechen genannt wurden, erscheint die fehlende ausdrückliche Erwähnung von Vergewaltigung als Kriegsverbrechen defizitär. Bemerkenswert an dieser Stelle ist außerdem, dass die im Statut des Kriegsverbrechertribunals von Nürnberg genannten Kriegsverbrechen weitestgehend dem damaligen Völkerrecht entsprachen, die Kategorien der Verbrechen gegen den Frieden und Verbrechen gegen die Menschlichkeit jedoch bis dahin nie ausdrücklich als zu bestrafende völkerrechtliche Verbrechen definiert waren. Dies galt als Revolution des internationalen Strafrechts, rief aber gleichzeitig Bedenken aufgrund des strafrechtlichen Rückwirkungsverbots hervor.36 2. Vergewaltigung in den Nürnberger Prozessen Weder in den Anklagen noch in den Urteilen des Kriegsverbrechertribunals von Nürnberg wurden Vergewaltigungen oder andere Formen sexueller Gewalt er-
zitiert nach Khushalani, Dignity and Honour of Women as Basic and Fundamental Human Rights, S. 15; deutsche Fassung, abgedruckt in Roggemann, Die Internationalen Strafgerichtshöfe, S. 377 f. 33 So Khushalani, Dignity and Honour of Women as Basic and Fundamental Human Rights, S. 15. 34 Dazu siehe oben 1. Kapitel G. I. 35 Möller, Das tatbestandliche Verbot sexueller Gewalt in bewaffneten Konflikten, S+F 2000 S. 36 – 42 (29), Askin, War Crimes Against Women, S. 163; im Ergebnis ebenfalls Final Report of the United Nations Commission of Experts Established pursuant to Security Council Resolution 780 (1992), Annex II, Rape and Sexual Assault: A Legal Study, S/1994/674/Annex II vom 27. 05. 1994, Nr. 29 (S. 8). 36 So Pradelle, „Une Révolution dans le Droit Pénal International“, in: Nouvelle Revue de Droit International Privé, No. 2 (1946); Khushalani, Dignity and Honour of Women as Basic and Fundamental Human Rights, S. 15.
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2. Kap.: Das Vergewaltigungsverbot im 2. Weltkrieg
wähnt.37 In den veröffentlichten Mitschriften der Nürnberger Prozesse finden sich gleichwohl Hinweise auf sexuelle Gewalt und Vergewaltigungen durch deutsche Soldaten, die im Urteil des Kriegsverbrechertribunals keinen Niederschlag fanden. So enthält Beweisstück Nr. 51 der UdSSR, die so genannte „Molotow-Note“, Berichte über Massenvergewaltigungen. Ursprünglich war die „Molotow-Note“ von dem damaligen sowjetischen Außenminister Molotow im Januar 1942 als Zwischenkriegsbericht über die von den Nazis im Laufe des Jahres 1941 begangenen Grausamkeiten vorbereitet worden.38 Allerdings blieben die Täter in der „MolotowNote“ anonym und auch die Aussagen waren zu vage, um eine – historische – Auswertung zu erlauben.39 Diese Unbestimmtheit der Aussagen in der „MolotowNote“ könnte auch der Grund dafür sein, dass die vorgelegten Beweise als zu unbestimmt nicht in das Nürnberger Urteil einflossen. Auch der französische Ankläger berichtete von Vergewaltigungen im Sommer 1944.40 Die Vergewaltigungen in Frankreich waren Methode militärischer Vergeltung als Antwort auf Aktivitäten des französischen Widerstands und wurden als stichhaltig in die Anklageschrift des Kriegsverbrechertribunals von Nürnberg aufgenommen.41 Bemerkenswert ist, dass der französische Ankläger auf die Beschreibung der Details der Vergewaltigungen (als zu unappetitlich) verzichtete: „Der Gerichtshof wird entschuldigen, wenn ich die folgenden scheußlichen Einzelheiten übergehe, nämlich (…). In Crest wurden 2 Frauen vergewaltigt. In Saillans wurden 3 Frauen vergewaltigt. (…) Ärztliche Bescheinigung von Dr. Nicolaides, der die vergewaltigten Frauen in dieser Gegend untersucht hat, sind beigefügt.“42
Obwohl damit Vergewaltigungen in der Beweisaufnahme zur Kenntnis des Kriegsverbrechertribunals von Nürnberg gelangten, fanden diese, wie bereits erwähnt, keinen Niederschlag im Urteil.43
37 Cottier, in: Triffterer, Commentary on the Rome Statute of the International Criminal Court, Art. 8 Rn. 202. 38 Der Prozess gegen die Hauptkriegsverbrecher vor dem Internationalen Militärgerichtshof, Amtlicher Text in deutscher Sprache, Bd. 7, S. 499 – 503; siehe auch Brownmiller, S. 60, vgl. Möller, Das tatbestandliche Verbot sexueller Gewalt in bewaffneten Konflikten, S + F 2000, S. 38. 39 Beck, Vergewaltigung von Frauen als Kriegsstrategie im Zweiten Weltkrieg, S. 35 – 50 (41 f.). 40 Der Prozess gegen die Hauptkriegsverbrecher vor dem Internationalen Militärgerichtshof, Amtlicher Text in deutscher Sprache, Bd. 6, S. 445 – 448. 41 Es fällt auf, dass nach dem Kriegsverbrechertribunal von Tokio (IMTFE) Vergewaltigungen – wie auch hier behauptet – niemals eine Repressalie darstellen konnten. Vgl. in diesem (2.) Kapitel unten B. II. 3. d). 42 Der Prozess gegen die Hauptkriegsverbrecher vor dem Internationalen Militärgerichtshof, Amtlicher Text in deutscher Sprache, Bd. 6, S. 446; siehe auch Brownmiller, S. 61 f. 43 Henry, War and Rape. S. 28 – 36.
A. Vergewaltigungen während des 2. Weltkriegs
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III. Allied Control Council Law No. 10 Das ,Control Council Law No. 10‘ (Kontrollratsgesetz Nr. 10) war Rechtsgrundlage für die Verfolgung minderer Kriegsverbrecher in Deutschland durch nationale Strafgerichte und beruhte auf einer Vereinbarung der vier Siegermächte des 2. Weltkriegs. Nach Art. 1 des Kontrollratsgesetzes Nr. 10 ist das Londoner Abkommen in dieses inkorporiert. Im Gegensatz zum Statut des Kriegsverbrechertribunals von Nürnberg, in dem Vergewaltigung nicht ausdrücklich erwähnt und als solche auch nicht verfolgt wurde, wurde sie im Kontrollratsgesetz Nr. 10 explizit in Art. 2 genannt und als Verbrechen gegen die Menschlichkeit unter Strafe gestellt.44 Zwischen dem Londoner Abkommen und dem Kontrollratsgesetz Nr. 10 gibt es einige auffällige Unterschiede. So sind im Londoner Abkommen, in dessen Annex das Statut des Kriegsverbrechertribunals von Nürnberg enthalten ist, Mord, Ausrottung etc. „before or during the war“ unter Strafe gestellt. Diese Beschränkung auf Taten, die vor oder während des 2. Weltkrieges begangen wurden, fehlt im Kontrollratsgesetz Nr. 10. Hieraus läßt sich schließen, dass auch nach dem 2. Weltkrieg begangene Taten nach dem Kontrollratsgesetz strafbar sein sollten.45 Der grundlegende und weitestreichende Unterschied zwischen dem Kontrollratsgesetz Nr. 10 und dem Statuts des Kriegsverbrechertribunals von Nürnberg liegt jedoch darin, dass die Klausel „in execution of or in connection with any crime within the jurisdiction of this Tribunal“,
die im Statut des Kriegsverbrechertribunals von Nürnberg enthalten ist, im Kontrollratsgesetz Nr. 10 fehlt. Damit fehlt die entscheidende Klausel, die die Zustän44
Art. 2 Each of the following acts is recognized as a crime: Crimes against Peace: (…) War Crimes: Atrocities or offences against persons or property constituting violations of the laws or customs of war, including, but not limited to, murder, ill treatment or deportation to slave labour or for any other purpose, of civilian population from occupied territory, murder or ill treatment of prisoners of war or persons on the seas, killing of hostages, plunder of public or private property, wanton destruction of cities, towns or villages, or devastation not justified by military necessity. Crimes against Humanity: Atrocities and offences, including but not limited to murder, extermination, enslavement, deportation, imprisonment, torture, rape, or other inhuman acts committed against any civilian population, or persecutions on political, racial or religious grounds whether or not in violation of the domestic laws of the country where perpetrated. (…) (2) (…) Control Council Law No. 10; Official Gazette of the Control Council for Germany, No8 3, S. 22; Military Government Gazette, Germany, British Zone of Control, No8 5, S. 46; Journal Officiel du Commandement en chef Français en Allemagne, No8 12 vom 11. 01. 1946; Amtsblatt des Kontrollrats in Deutschland Nr. 3 vom 31. 01. 1946, S. 50 – 55. Abgedruckt bei Friedman, The Law of War, Vol. I, S. 908 f. 45 Bassiouni, Crimes Against Humanity, S. 35 f., Gardam, Women, Armed Conflict and International Law, S. 79; Khushalani, Dignity and Honour of Women as Basic and Fundamental Human Rights, S. 23 f.
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2. Kap.: Das Vergewaltigungsverbot im 2. Weltkrieg
digkeit des Nürnberger Kriegsverbrechertribunals einschränkt. Hieraus ist zu folgern, dass der Begriff und das Verständnis der Verbrechen gegen die Menschlichkeit, so wie sie das Kriegsverbrechertribunal von Nürnberg benutzt hat, in bezug auf Kontrollratsgesetz Nr. 10 wesentlich weiter als nach dem Statut des Kriegsverbrechertribunals von Nürnberg sind.46 Weiter könnte die Präambel von Kontrollratsgesetz Nr. 10 „(i)n order to give effect to the terms of the Moscow Declaration of 30 October 1943 and the London Agreement of 8 August 1945, and the Charter issued pursuant thereto …“
den Schluss erlauben, dass Kontrollratsgesetz Nr. 10 die Tatbestände des Nürnberger Statuts nicht nur in nationales Recht übernahm, sondern diese auch genauer definierte, indem es den Tatbestand der Verbrechen gegen die Menschlichkeit präzisierte und mehr Handlungen aufzählte.47 Es scheint jedoch Konsens zu sein, dass, selbst wenn Kontrollratsgesetz Nr. 10 den Anwendungsbereich des Tatbestands der Verbrechen gegen die Menschlichkeit ausdehnt, es dies nur auf nationaler Ebene und nicht auf völkerrechtlicher Ebene vermag.48 Kontrollratsgesetz Nr. 10 war das erste Gesetz, nach dem Vergewaltigungen Verbrechen gegen die Menschlichkeit darstellten, und daher ein Meilenstein in der Entwicklung der Strafbarkeit von Vergewaltigungen als Verbrechen gegen die Menschlichkeit.49
IV. Bilanz der Verfolgung von Vergewaltigungen im 2. Weltkrieg in Europa Angesichts des dargestellten Ausmaßes von sexueller Gewalt im Allgemeinen und Vergewaltigungen im Besonderen im 2. Weltkrieg in Europa wurde deren Bedeutung lange unterschätzt. Ein Grund für diese Unterschätzung liegt sicher darin, dass Vergewaltigungen als ein „anstößiges“ Thema galten (und teilweise auch heute noch gelten), über das man als gesitteter Mensch nicht spricht. Das oben erwähnte Beispiel des französischen Anklägers bei der Beweisaufnahme in den Nürnberger Prozessen spricht insofern Bände. Gleiches gilt für die Nichtbeachtung oder sogar das „Totschweigen“ von Vergewaltigungen im Urteil des Kriegsverbrechertribunals 46
S. 24.
Khushalani, Dignity and Honour of Women as Basic and Fundamental Human Rights,
47 Kushalani, Dignity and Honour of Women as Basic and Fundamental Human Rights, S. 27. Vgl. dazu und zu der Frage, ob Kontrollratsgeetz Nr. 10 nationales oder internationals Recht war, Bassiouni, Crimes Against Humanity, S. 35 – 38. 48 Khushalani, Dignity and Honour of Women as Basic and Fundamental Human Rights, S. 24; Schwelb, Crimes Against Humanity, The British Yearbook of International Law, Vol. XXIII (1946), S. 218. 49 Khushalani, Dignity and Honour of Women as Basic and Fundamental Human Rights, S. 27.
B. Vergewaltigungen während des japanisch-chinesischen Krieges
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von Nürnberg trotz deren Erwähnung während der Beweisaufnahme50 und der Tatsache, dass das Statut des Kriegsverbrechertribunals von Nürnberg die Verfolgung von sexueller Gewalt und Vergewaltigungen – je nach tatsächlichen Gegebenheiten – als Kriegsverbrechen oder Verbrechen gegen die Menschlichkeit erlaubt hätte. Im Gegensatz zu den Massenvergewaltigungen des 2. Weltkriegs in Fernost, die durch ein justitielles Organ, nämlich das Kriegsverbrechertribunal von Tokio dokumentiert wurden, fehlt eine solche zeitnahe unabhängige Dokumentation von Vergewaltigungen während des 2. Weltkriegs in Europa, da sie im Urteil des Kriegsverbrechertribunals von Nürnberg nicht erwähnt werden. Die Dokumentation der Massenvergewaltigungen in Asien kann insofern als juristisch stichhaltiger angesehen werden.
B. Vergewaltigungen während des japanisch-chinesischen Krieges (1937 – 45) und des 2. Weltkriegs im Pazifik und ihre juristische Aufarbeitung I. Vorkommen von Vergewaltigungen 1. Die „Vergewaltigung von Nanking“ (1937) Während des chinesisch-japanischen Krieges (1937 – 1945) eroberten die Japaner Nanking, die damalige Hauptstadt Nationalchinas, am 13. Dezember 1937. In den ersten zwei Monaten der Besatzung der Stadt kam es zu einem „Amoklauf von Mord und Vergewaltigung“51 dem nach Schätzungen, die auch das Kriegsverbrechertribunal von Tokio („International Military Tribunal for the Far East, IMTFE“) zugrunde legte, ca. 200.000 Zivilisten zum Opfer fielen. Zu den von Soldaten der japanischen Armee in Nanking begangenen Übergriffen gegen die Zivilbevölkerung gehörten neben der willkürlichen Tötung von Zivilisten so viele Vergewaltigungen von chinesischen Frauen, dass die Geschehnisse als „Vergewaltigung von Nanking“ bezeichnet und unter diesem Schlagwort bekannt und aufgearbeitet wurden.52 Im VIII. Kapitel des Urteils des IMTFE über konventionelle Kriegsverbrechen werden die Geschehnisse in Nanking auf mehr als zwei Seiten ausführlich dargestellt, wozu unter anderem Massenvergewaltigungen zählten.53 50
Siehe in diesem (2.) Kapitel oben A. II. 2. Kindermann, Der Aufstieg Ostasiens in der Weltpolitik 1840 – 2000, S. 232. 52 Kindermann, Der Aufstieg Ostasiens in der Weltpolitik 1840 – 2000, S. 233; Chang, The Rape of Nanking, S. 81 – 104. 53 International Military Tribunal for the Far East, Majority Judgement, Rn. 49,606, abgedruckt in Boister/Cryer (Hrsg.), Documents on The Tokyo International Military Tribunal, S. 536: „There were many cases of rape. Death was a frequent penalty for the slightest resistance on the part of a victim or the members of her family who sought to protect her. Even girls 51
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2. Kap.: Das Vergewaltigungsverbot im 2. Weltkrieg
Schätzungen über die Zahl der Vergewaltigungsopfer reichen von 20.000 bis 80.000 Frauen.54 Das Urteil des IMTFE ging von ungefähr 20.000 Vergewaltigungen im ersten Monat der Besetzung der Stadt aus.55 Unabhängig von der tatsächlichen Zahl der Opfer gehört das Geschehen in Nanking zwischen Dezember 1937 und Februar 1938 zu einer der größten dokumentierten Massenvergewaltigungen.56 Dies lag daran, dass anders als von anderen Kriegsschauplätzen im Pazifik aus dem besetzten Nanking zahlreiche Nachrichten nach außen gelangten. Die meisten der in Nanking tätigen diplomatischen Missionen waren nach der Besetzung weiter aktiv, auch ausländische Geschäftsleute und Journalisten waren noch in der Stadt. Vor allem aber hatte sich Anfang Dezember 1937 eine Gruppe von 27 Ausländern in Nanking zum „International Committee for the Nanking Safety Zone“ zusammengeschlossen. Diese Gruppe hatte die Reste ziviler Verwaltung von den chinesischen Behörden übernommen und sich zum Ziel gesetzt, die Versorgung der Zivilbevölkerung mit lebenswichtigen Gütern zu organisieren.57 Die Mitglieder des Komitees unter dem Vorsitz des deutschen Geschäftsmanns, John Rabe, verfassten eine Vielzahl von Briefen und Berichten an die japanische Botschaft in Nanking sowie an andere diplomatische Vertretungen in der besetzten Stadt, in denen sie neben der kritischen Versorgungssituation der Zivilbevölkerung insgesamt auch Einzelfälle von Übergriffen durch japanische Soldaten detailliert auflisteten. Eine Vielzahl von Vergewaltigungsfällen ist so – unter genauer Angabe von anwesenden Zeugen – genau dokumentiert und diente dem IMTFE später als Beweismaterial. Das Geschehen in Nanking stieß auf weltweite Entrüstung.58 Diese drückte sich auf internationaler Ebene zunächst nur in einer moralischen Verurteilung Japans aus, politische Gegenmaßnahmen blieben aus, was sich aus dem politischen Kontext der Vorkriegsjahre erklären lässt, in denen weder die USA, noch Russland oder Großbritannien eine Konfrontation mit Japan suchen wollte, von Nazi-Deutschland, das sich bereits als Verbündeter Japans ansah, ganz zu schweigen.59 Allerdings gibt es durchaus einige staatliche Reaktionen, die belegen, dass das Verhalten der japanischen Armee in Nanking neben einer moralischen Verurteilung auch als völkerrechtswidrig eingestuft wurde: Das IMTFE zitiert einen Bericht des deutschen
of tender years and old women were raped in large numbers throughout the city, and many cases of abnormal and sadistic behaviour in connection with these rapings occurred. Many women were killed after the act and their bodies mutilated.“ 54 Beck, Wehrmacht und sexuelle Gewalt, S. 45; Chang, The Rape of Nanking, S. 6. 55 Röling/Rüter, The Tokyo Judgement, Bd. I, S. 389. 56 Brownmiller, Gegen unseren Willen, S. 62 ff.; Chang, The Rape of Nanking, S. 89; Kushalani, Dignity and Honour of Women as Basic and Fundamental Human Rights, S. 1. 57 Ausführlich Brook, Introduction, in: ders. (Hrsg.), Documents on the rape of Nanking, S. 11 ff. 58 Kershaw, Wendepunkte, S. 129. 59 Kershaw, Wendepunkte, S. 130 charakterisierte dies wie folgt: „Die moralische Verurteilung Japans ging Hand in Hand mit politischer Untätigkeit“.
B. Vergewaltigungen während des japanisch-chinesischen Krieges
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Botschafters in Nationalchina über die Vorkommnisse in Nanking, in dem dieser von „atrocities“ und „criminal acts“ der japanischen Armee schreibt60. Die japanische Militärführung und Regierung warfen dem Ausland „Propaganda“ vor und reagierten mit der Verhängung eines Nachrichtenverbotes über die Stadt.61 Allerdings lässt sich aus dem damaligen Verhalten der Regierung und Armeeführung nicht schließen, dass diese davon ausgingen, die Gräueltaten der Armee, und hier konkret die Vergewaltigungen, seien erlaubt oder gerechtfertigt. Der japanische Oberkommandierende, General Matsui, hatte vor Beginn der Offensive folgenden Befehl ausgegeben: „Entry of the Imperial Army into a foreign capital is a great event in our history (…). Therefore let no unit enter the city disorderly (…) and above all let them be absolutely free from unlawful deeds. (…) Let the discipline and morality of every unit be especially strict (…) and insure that no act whatsoever, which tends to disgrace honor be perpetrated“.62
Als Matsui erfuhr, dass es im Zuge der Eroberung Nankings zu massive Übergriffen gegenüber der Zivilbevölkerung gekommen war erließ er Ende Dezember 1937 einen erneuten Befehl: „It is rumored that illegal acts are being committed in Nanking by Japanese troops. As I gave instructions on the occasion of the entry ceremony into Nanking, no such acts should be taken under any circumstances for the honour of the Japanse Army. (…) Anyone who would misconduct himself must severely be punished.“63
Faktisch wurden Matsuis Befehle von seinen Truppen weitgehend ignoriert. Auch stellt sich im Hinblick auf Matsuis Verhalten – wie dies dann auch beim Tokyoter Tribunal geschah – die Frage nach der Vorgesetztenverantwortlichkeit. Im Hinblick auf die gewohnheitsrechtliche Entwicklung des Vergewaltigungsverbotes im bewaffneten Konflikt ist zunächst jedoch nur von Interesse, dass die japanische Armeeführung in Nanking offenbar nicht davon ausging, dass die Vergewaltigungen völkerrechtlich erlaubt oder gerechtfertigt waren, sondern ebenfalls von einem Verbot zu vergewaltigen. Auch das Verhalten der zivilen japanischen Regierung bestätigt diesen Befund: Außenminister Hirota hatte aufgrund von Berichten der japanischen Botschaft Nanking die Thematik gegenüber dem Kriegsministerium angesprochen und von dort die Zusicherung erhalten, dass 60 International Military Tribunal for the Far East, Majority Judgement, Rn. 49, 607 abgedruckt in Boister/Cryer (Hrsg.), Documents on The Tokyo International Military Tribunal, S. 536. 61 Askin, War Crimes Against Women, S. 63. 62 Zitiert in: International Military Tribunal for the Far East, Dissenting Opinion Justice Pal, abgedruckt in Boister/Cryer (Hrsg.), Documents on The Tokyo International Military Tribunal, S. 1366. 63 Zitiert in: International Military Tribunal for the Far East, Dissenting Opinion Justice Pal, abgedruckt in Boister/Cryer (Hrsg.), Documents on The Tokyo International Military Tribunal, S. 1367.
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2. Kap.: Das Vergewaltigungsverbot im 2. Weltkrieg „atrocities would be stopped“. 64
Dass auch diese Intervention des Außenministeriums letztlich leerlief, ändert nichts daran, dass die zuständigen japanischen Ministerien offenbar von einem gültigen und bindenden Vergewaltigungsverbot ausgingen. 2. Vergewaltigungen im Pazifikkrieg Auch wenn Nanking im Hinblick auf seine Dimensionen aber auch den Grad der Dokumentation einen Sonderfall darstellt, gab es Vergewaltigungen und andere sexuellen Übergriffen an zahlreichen anderen Kriegsschauplätzen des Pazifiks. Ein Beispiel dafür ist etwa die sogenannte „Vergewaltigung von Manila“ als im Frühjahr 1945 die sich zurückziehende japanische Armee Manila weitgehend zerstörte und es zu zahlreichen Fällen von Vergewaltigung durch japanische Soldaten kam.65 Berichte gibt es ebenfalls über wiederholte Vergewaltigungen von Krankenschwestern der japanischen Armee durch russische Soldaten66 und von japanischen Frauen durch US-amerikanische Soldaten. So sind 1336 Fälle von Vergewaltigungen japanischer Frauen durch US-amerikanische Soldaten zwischen dem 30. August und dem 10. September 1945 allein in der Präfektur Kanagawa (wozu Yokosuka und Yokohama gehören) belegt.67
II. Die juristische Aufarbeitung der Vergewaltigungen im Pazifikkrieg 1. Das Verfahren gegen General Yamashita Yamashita war Kommandeur der 14. Japanischen Armee auf den Philippinen und wurde vor einem US-amerikanischen Militärgericht in Manila wegen Kriegsverbrechen angeklagt.68 Das Verfahren gegen General Yamashita, das aus heutiger Sicht als Meilenstein in der Entwicklung der ,Command Responsibility‘, also der Verantwortlichkeit des Befehlshabers im Völker- und Völkerstrafrecht, gilt, war der erste 64 International Military Tribunal for the Far East, Majority Judgement, Rn. 49,791 abgedruckt in Boister/Cryer (Hrsg.), Documents on The Tokyo International Military Tribunal, S. 604. 65 Zu Massenvergewaltigungen in Manila, siehe Tanaka, Hidden Horrrors, S. xiii; siehe auch S. 81 – 88. Ausführlich zu Massenvergewaltigungen in Asien im 2. Weltkrieg Askin, War Crimes Against Women, S. 62 – 71 mit zahlreichen weiteren Nachweisen. 66 Tanaka, Hidden Horrors, S. 102 mit weiteren Nachweisen. 67 Tanaka, Hidden Horrors, S. 103 und S. 234 (Note 80 und 97), sowie ders., in: Japan’s Comfort Women, S. 116 – 127 mit Bezug auf offizielle Berichte und Zahlenmaterial, sowie S. 127 – 132 mit Augenzeugenberichten. 68 Askin, War Crimes Against Women, S. 192 ff.
B. Vergewaltigungen während des japanisch-chinesischen Krieges
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Kriegsverbrecherprozess der Alliierten nach dem 2. Weltkrieg.69 Er wurde bereits vor Beginn der Prozesse vor dem Kriegsverbrechertribunal von Tokio abgeschlossen.70 Yamashita wurde Vergewaltigung nicht persönlich vorgeworfen, sondern ihm wurden – neben anderen Verbrechen – zahlreiche aus Sicht des Militärgerichts hinreichend bewiesene Vergewaltigungen durch seine Soldaten in seiner Eigenschaft als Vorgesetzter zur Last gelegt, der die ihm untergegebenen Truppen nicht angemessen überwacht und kontrolliert hatte. Die Verantwortlichkeit des Vorgesetzten begründete das Militärgericht damit, dass wenn sich ein Kommandeur bei ausgedehnten Verbrechen nicht ernsthaft um deren Aufdeckung und Verfolgung bemüht, er selbst für diese Verbrechen strafrechtlich verantwortlich zu machen ist.71 Es verurteilte den General deshalb zum Tode. Seine Berufungen sowohl zum Oberbefehlshaber der Alliierten Streitkräfte im Pazifik als auch zum US-Supreme Court blieben erfolglos.72 2. Ein Verfahren in China Weiter gibt es eine bekannte Verurteilung durch ein chinesisches Kriegsverbrechertribunal wegen sexueller Gewalt, unter anderem wegen der Folterung einer Schwangeren, sowie der Vergewaltigung und Verstümmelung mehrerer Frauen. Dieses Urteil befand den japanischen Angeklagten Takashi Sakai darüber hinaus für schuldig, Vergewaltigungen durch seine Untergebenen erlaubt zu haben. Er wurde aufgrund dieser Übergriffe wegen Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit zum Tode verurteilt.73 69
So u. a. Askin, War Crimes Against Women, S. 192; Taylor, Nuremberg and Vietnam, S. 91. Der Yamashita Case ist abgedruckt bei Friedman, The Law of War, Vol. II, S. 1569 – 1624 (Decision of the United States Military Commission at Manila, December 7, 1945, S. 1596 – 1598; Order of General Douglas MacArthur Confirming the Death Sentence of General Tomoyuki Yamashita, February 6, 1946, S. 1598 – 1599; Berufung zum US Supreme Court „In Re Yamashita“, S. 1599 – 1623). 70 Das Verfahren gegen General Yamashita begann am 8. Oktober 1945; das Urteil erging am 7. Dezember 1945. Zum Vergleich: Die Nürnberger Kriegsverbrecherprozesse begannen am 14. bzw. 20. November 1945 und dauerten bis zum 1. Oktober 1946. 71 United Nations War Crimes Commission (ed.), Law Reports of Trials of War Criminals, Band 4, London 1947 – 1949, S. 35: „Where murder and rape and vicious, revengeful actions are widespread offences, and there is no effective attempt by a commander to discover and control criminal acts, such a commander may be held responsible, even criminally liable, for the lawless acts of his troops (…).“ 72 Order of General D. MacArthur Confirming the Death Sentence of General Tomoyuki Yamashita, February 6, 1946, abgedruckt in Friedman, The Law of War, Vol. II, S. 1598 – 1599. United States Supreme Court, In Re Yamashita, abgedruckt in Friedman, The Law of War, Vol. II, S. 1599 – 1623. 73 Chinese War Crimes Military Tribunal of the Ministry of National Defence, Nanking 29th August 1946, Trial of Takashi Sakai, in: United Nations War Crimes Commission, Law Reports of Trials of War Criminals, Vol. XIV, Case No. 83, S. 1 – 7. Das Verfahren ist auch eines der seltenen Beispiele, in denen Art. 46 HLKO gerichtlich als verletzt festgestellt wurde.
70
2. Kap.: Das Vergewaltigungsverbot im 2. Weltkrieg
3. Kriegsverbrechertribunal von Tokio a) Rechtsgrundlage und Statut Im Gegensatz zum Kriegsverbrechertribunal von Nürnberg, dessen Rechtsgrundlage das Londoner Abkommen zwischen den vier Siegermächten war, war das Kriegsverbrechertribunal von Tokio primär ein amerikanisches Gericht. Seine Rechtsgrundlage war eine „Special Proclamation“ des US-amerikanischen Generals Douglas MacArthur.74 Das Tribunal setzte sich aus elf Richtern aus allen Staaten, mit denen Japan Krieg geführt hatte und die die bedingungslose Kapitulation Japans mitunterzeichnet hatten, zusammen.75 Es gab 28 (japanische) Angeklagte; der Chefankläger war US-Amerikaner.76 Insgesamt ähnelt das Statut des Kriegsverbrechertribunals von Tokio sehr dem des Kriegsverbrechertribunals von Nürnberg. Unterschiede finden sich lediglich in bezug auf die Definition der Verbrechen, die in die Jurisdiktion des Tribunals fallen.77 Insbesondere der Wortlaut des Artikels fünf des Statuts von Tokio ist fast identisch mit dem von Artikel sechs des Statuts von Nürnberg.78 Vergewaltigung war durch das 74 Pritchard/Zaide, The Tokyo War Crimes Trial, Vol. I, Pre-Trial Documents S. 1 f.; General MacArthur war Oberbefehlshaber der alliierten Mächte (Supreme Commander for the Allied Powers). Ebenfalls abgedruckt bei Friedman, The Law of War, Vol. I, S. 894 – 907. 75 Dazu gehörten die USA, China, das Vereinigte Königreich, die UdSSR, Australien, Kanada, Frankreich, die Niederlande, Neuseeland, Indien und die Philippinen. Siehe Röling, in: Röling/Rüter, The Tokyo Judgment, Bd. I; S. XI; vgl. auch Khushalani, Dignity and Honour of Women as Basic and Fundamental Human Rights, S. 21. 76 Röling, in: Röling/Rüter, The Tokyo Judgment, Bd. I, S. XI. Askin, War Crimes Against Women, S. 166 f. führt die Tatsache, dass sexuelle Übergriffe gegen Frauen im Kriegsverbrechertribunal von Tokio eine etwas bedeutendere Rolle als in Nürnberg spielten, darauf zurück, dass es in Tokio drei Assistentinnen der Anklage gab. 77 Die Definition der Verbrechen gegen die Menschlichkeit in Art. 5 (c) des Statuts des Kriegsverbrechertribunals von Tokio enthält im Gegensatz zu Art. 6 (c) des Statuts des Kriegsverbrechertribunals von Nürnberg nicht die Phrase „against any civilian population“. Die Definition der Verbrechen gegen die Menschlichkeit ist damit nach dem Tokioter Statut weiter und ermöglichte so auch die Bestrafung unrechtmäßiger Massenexekutionen von Militärpersonen. Außerdem erlaubte das Statut von Tokio nur die Strafverfolgung von Einzelpersonen, nicht auch die Strafverfolgung krimineller Organisationen wie das Statut von Nürnberg. Ausführlich zu den Unterschieden zwischen der Charta des Nürnberger und des Tokioter Kriegsverbrechertribunals: Röling/Cassese, The Tokyo Trial and Beyond, S. 2 f. 78 Art. 5 Jurisdiction over persons and offences: The Tribunal shall have the power to try and punish Far Eastern war criminals who as individuals or as members of organizations are charged with offences which include crimes against peace. The following acts, or any of them, are crimes coming within the jurisdiction of the Tribunal for which there shall be individual responsibility. Crimes against peace (…) Conventional war crimes: Namely, violations of the laws or customs of war. Crimes against humanity: Namely, murder, extermination, enslavement, deportation, and other inhumane acts committed against any civilian population, before or during the war, or persecutions on political or racial grounds in execution of or in connection with any crime within the jurisdiction of the Tribunal, whether or not in violation of the domestic law of the
B. Vergewaltigungen während des japanisch-chinesischen Krieges
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Statut des Kriegsverbrechertribunals von Tokio, wie durch das Nürnberger Statut, nicht explizit unter Strafe gestellt. Trotzdem erlaubte die Formulierung des Art. 5 Abs. 1 (c) die Bestrafung von Vergewaltigungen als Verbrechen gegen die Menschlichkeit im Sinne einer „anderen unmenschlichen Behandlung“.79 Darüber hinaus galten Übergriffe gegen Frauen als Verletzung der Sitten und Gebräuche des Krieges.80 Damit war die Bestrafung von Vergewaltigung und anderen sexuellen Übergriffen gegen Frauen nach dem Statut des Kriegsverbrechertribunals von Tokio sowohl als konventionelles Kriegsverbrechen als auch als Verbrechen gegen die Menschlichkeit möglich. b) Anklage Der Gedanke, Vergewaltigung als konventionelles Kriegsverbrechen zu bestrafen, fand – im Gegensatz zu Nürnberg – Eingang in die Anklageschrift von Tokio. Vergewaltigungen werden im Zusammenhang mit einem verschwörerischen Plan zur Sicherung der Vorherrschaft und der Ausnutzung des Restes der Welt durch die aggressiven Staaten erwähnt. 81 Konventionelle Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit wurden gemeinsam in der dritten von drei Verbrechensgruppen angeklagt82 und nach Art. 5 (b) des Tokioter Statuts unter Anklagepunkt („Count“) 53 als country where perpetrated. Leaders, organizers, instigators and accomplices participating in the formulation of the foregoing crimes are responsible for all acts performed by any person in execution of such plan. Charter of the International Military Tribunal for the Far East siehe Pritchard/Zaide, The Tokyo War Crimes Trial, Vol. I, Pre-Trial Documents S. 1 – 7, Roggemann, Die Internationalen Strafgerichtshöfe, S. 385 f.; Khushalani, Dignity and Honour of Women as Basic and Fundamental Human Rights, S. 21 f. 79 Möller, Das tatbestandliche Verbot sexueller Gewalt in bewaffneten Konflikten, S + F 2000, S. 36 – 42 (38); Khushalani, Dignity and Honour of Women as Basic and Fundamental Human Rights, S. 22; Sunga, The Emerging System of International Criminal Law, S. 176, im Ergebnis auch der Final Report of the United Nations Commission of Experts Established pursuant to Security Council Resolution 780 (1992), Annex II, Rape and Sexual Assault: A Legal Study, S. 1994/674/Add.2 vom 28. Dezember 1994, S. 8. 80 Khushalani, Dignity and Honour of Women as Basic and Fundamental Human Rights, S. 22; Sunga, The Emerging System of International Criminal Law, S. 173 f. Siehe auch 1. Kapitel E. I. 3. 81 „In the promotion and accomplishment of that scheme, these defendants, taking advantage of their power (…), intended to and did plan, prepare, initiate or wage aggressive war against the United States of America (…) and other peaceful nations, in violation of international law as well as in violation of sacred treaty commitments, (…); such plan contemplated and carried out the violation of recognized customs and conventions of war by murdering, (…); perpetrating mass murder, rape, (…) and other barbaric cruelties upon the helpless civilian population of the over-run countries; (…)“; Pritchard/Zaide, The Tokyo War Crimes Trial, Vol. 1, Indictment, S. 1 f. 82 Die erste Gruppe der angeklagten Verbrechen bezieht sich auf Verbrechen gegen den Frieden und die zweite auf Mord. Verbrechen gegen die Menschlichkeit spielten – im Gegensatz
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2. Kap.: Das Vergewaltigungsverbot im 2. Weltkrieg „breaches of the Laws and Customs of War (…) as referred to in Appendix D“
verfolgt.83 Appendix D wiederum nimmt in den Sections 1, 5 (c) und 12 unter der Überschrift „Particulars Of Breaches“ Bezug auf Vergewaltigungen von Frauen.84 Im Hinblick auf den Untersuchungsgegenstand steht die Behandlung der Ereignisse in Nanking 1937/38 durch das IMTFE im Zentrum des Interesses. Allerdings betrafen nur zwei Anklagen diese Vorgänge und damit Vergewaltigungen: die Anklage gegen den japanischen Außenminister Hirota und die gegen den für Nanking verantwortlichen militärischen japanischen Oberbefehlshaber Matsui. Matsui wurde in seiner Eigenschaft als Vorgesetzter vorgeworfen, den Vergewaltigungen keinen Einhalt geboten zu haben und die japanischen Truppen in Nanking nicht entsprechend kontrolliert zu haben. Hirota wurde entgegengehalten, dass ihm eine Reihe von Botschaftsberichten aus Nanking über die dortigen Vorkommnisse vorlagen und er im Rahmen seiner Möglichkeiten nichts dagegen unternommen habe. c) Verteidigung Auffällig an der Verteidigung der beiden Angeklagten ist, dass sie die Strafbarkeit von Vergewaltigung im Krieg einschließlich der Strafbarkeit von Vergewaltigung im Rahmen der Vorgesetztenverantwortlichkeit, nicht in Zweifel zog. Vielmehr versuchte die Verteidigung die Anwendbarkeit des Kriegsrechts in Frage zu stellen, da Japan Nationalchina 1937 nicht den Krieg erklärt hatte und im damaligen Völkerzu Nürnberg – in Tokio keine zentrale Rolle, da die japanische Regierung keine Massenexekutionen ihrer eigenen Staatsangehörigen wie die Regierung Hitler-Deutschlands zu verantworten hatte; vgl. dazu Röling/Cassese, The Tokyo Trial and Beyond, S. 55 f. 83 Pritchard/Zaide, The Tokyo War Crimes Trial, Vol. 1, Indictment, Transkript S. 13. 84 Section One Inhumane treatment, contrary to Article 4 of the Annex to the said Hague Conventions and the whole of the said Geneva Convention and to the said assurances. In addition to the inhumane treatment alleged in Sections Two to Six (…), prisoners of war and civilian internees were murdered, beaten, tortured and otherwise ill-treated, and female prisoners were raped by members of the Japanese forces. Section Five Mistreatment of the sick and wounded, medical personnel and female nurses, contrary to Articles 3, 14, 15 and 25 of the said Geneva Conventions and Articles 1, 9, 10 and 12 of the said Red Cross Convention, and to the said assurances: (…) female nurses were raped, murdered and ill-treated. Section Twelve Failure to respect family honour and rights, individual life, private property and religious convictions (…), contrary to Articles 46 of the said Annex to the said Hague Convention and to the Laws and Customs of War: Large numbers of the inhabitants of such territories were murdered, tortured, raped and otherwise ill-treated, arrested, and interned without justification, sent to forced labour, and their property destroyed or confiscated. Pritchard/Zaide, The Tokyo War Crimes Trial, Vol. 1, Indictment, Appendix D, S. iii, iv und vi.
B. Vergewaltigungen während des japanisch-chinesischen Krieges
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recht die Kriegserklärung noch konstitutiv für die Anwendung des Kriegsrechts war.85 Die nächste Verteidigungslinie war das Bestreiten der Anwendbarkeit der HLKO wegen der si omnes-Klausel in Art 2 HLKO. Schließlich argumentierte die Verteidigung im Fall beider Angeklagten, dass diesen im Rahmen ihrer Möglichkeit kein strafrechtlicher Vorwurf gemacht werden könne, da beide versucht hätten, die Vorgänge in Nanking zu stoppen. d) Urteil Das IMTFE bejahte – wie das Nürnberger Kriegsverbrechertribunal – den gewohnheitsrechtlichen Charakter der Haager Landkriegsordnung. Die Strafbarkeit von Vergewaltigung im Krieg stand für das Gericht außer Frage, so dass diese im Urteil nicht ausführlich erörtert wurde. In Bezug auf die Beweisaufnahme ist ein Hinweis, den der Präsident des IMTFE Justice Webb einem Verteidiger gab, besonders erwähnenswert. Der Verteidiger wollte im Kreuzverhör die Theorie, dass auch chinesische Soldaten in Japan vergewaltigt hätten, entwickeln. Der Präsident sagte daraufhin: „I must remind you that rape and the murder of women could never be just reprisals. You are assuming that, if the Japanese did the things said to be done by the witness, they were just reprisals. Rape and the murder of women and such things could never be just reprisals, and it is useless to continue your cross-examination along those lines.“86
Damit vertrat das Gericht die Auffassung, dass Vergewaltigung niemals eine – völkerrechtlich zulässige – Repressalie darstellen kann.87 Die Aussage des Kriegsverbrechertribunals von Tokio ist auch vor dem Hintergrund der oben erörterten Massenvergewaltigungen in Ostdeutschland 1944/45 von Bedeutung, da sie bestätigt, dass Vergewaltigung im Krieg keine völkerrechtlich zulässige Repressalie sein kann. Der Großteil der Erörterungen in Bezug auf die Angeklagten Matsui und Hirota betraf die Frage der Vorgesetztenverantwortlichkeit. Das Kriegsverbrechertribunal von Tokio (IMTFE) war der Auffassung, dass die Übergriffe gegen die chinesische Zivilbevölkerung angeordnet waren: „During a period of several months the Tribunal heard evidence, orally or by affidavit, from witnesses who testified in detail to atrocities committed in all theatres, that only one conclusion is possible – the atrocities were either secretly ordered or wilfully permitted by the Japanese Government or individual members thereof and by leaders of the armed forces.“88
85 86 87 88
Ausführlich Boister/Cyrer, The Tokyo International Military Tribunal, S. 180 m.w.N. Pritchard/Zaide, The Tokyo War Crimes Trial, Vol. 2, Transkript S. 2595. Siehe 2. Kapitel A. I. 2. Röling/Rüter, The Tokyo Judgment, Bd. I, S. 385.
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2. Kap.: Das Vergewaltigungsverbot im 2. Weltkrieg
Darüber hinaus sah es in Anbetracht aller dem Tribunal vorliegenden Beweise die Übergriffe der japanischen Soldaten in Nanking auch nicht als entschuldbar an: „The barbarous behaviour of the Japanese Army cannot be excused as the acts of a soldiery which had temporarily gotten out of hand when at last a stubbornly defended scale for at last a stubbornly defended position had capitulated – rape, arson and murder continued to be committed on large scale for at least six weeks after the city had been taken and for at least four weeks after Matsui and Muto had entered the city.“89
Mit Blick auf den Angeklagten Matsui kam das IMTFE zu dem Ergebnis, dass er wusste, was in Nanking geschah und dagegen nicht effektiv einschritt. Als Kommandeur der japanischen Truppen wäre er verpflichtet gewesen, seine Truppen entsprechend zu kontrollieren und die Einwohner von Nanking zu schützen.90 Bei Außenminister Hirota gelangte das IMTFE ebenfalls zu einer Strafbarkeit aufgrund von Vorgesetztenverantwortlichkeit. Es verurteilte den zum Zeitpunkt des Massakers amtierenden Außenminister, weil er es unterlassen habe, trotz der zahlreichen Berichte, die ihm über das Geschehen in Nanking vorlagen, effektiv dagegen einzuschreiten.91 Das Urteil zeigt und belegt damit, dass Vergewaltigungen im 2. Weltkrieg durch das geltende Völkerrecht verboten waren. Nach dem Urteil des IMTFE waren Vergewaltigungen als „unmenschliche Behandlung“, „Misshandlung“ und „fehlende Achtung von Familienehre und -rechten“ zu bestrafende Kriegsverbrechen. e) Minderheitsvotum Pal In bezug auf die Behandlung von Vergewaltigung durch das Kriegsverbrechertribunal von Tokio ist insbesondere die abweichende Meinung des indischen Richters Pal erwähnenswert.92 Pal stellte die Strafbarkeit von Vergewaltigung im Krieg nicht in Frage und bezweifelte auch nicht, dass es in Nanking zu Vergewaltigungen gekommen war, er erachtete jedoch das dem Tribunal vorgelegte Beweismaterial für 89 Röling/Rüter, The Tokyo Judgment, Bd. I, S. 391. Wie weit die Tatsache, dass eine Armee „vorübergehend außer Kontrolle“ geraten ist, potentiell dazu geeignet ist, Vergewaltigungen und andere Übergriffe gegen die Zivilbevölkerung zu „entschuldigen“, sei hier dahingestellt. 90 International Military Tribunal for the Far East, Majority Judgement, Rn. 49,816, abgedruckt in Boister/Cyrer (Hrsg.), Documents on the Tokyo International Military Tribunal, S. 612: „The Tribunal is satisfied that Matsui knew what was happening. He did nothing, or nothing effectiv to abate these horrors. (…) He had the power, as he had the duty, to control his troops and to protect the unfortunate citizens of Nanking.“ 91 International Military Tribunal for the Far East, Majority Judgement, Rn. 49,792, abgedruckt in Boister/Cyrer (Hrsg.), Documents on the Tokyo International Military Tribunal, S. 604: „The Tribunal is of opinion that Hirota was derelict in his duty in not insisting before the cabinet that immediate action be taken to put an end to the atrocities.(…) He was content to rely on assurances which he knew were not being implemented while hundreds of murders, violations of women, and other atrocities were being committed daily. His inaction amounted to criminal negligence.“ 92 Abgedruckt bei Röling/Rüter, The Tokyo Judgment, Bd. 2, S. 517 – 1039; Pritchard/ Zaide, The Tokyo War Crimes Trial, Vol. 21, Transkript S. 1060 – 1235.
B. Vergewaltigungen während des japanisch-chinesischen Krieges
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nicht ausreichend. Er zweifelte am Wahrheitsgehalt der Zeugenberichte über die Massenvergewaltigungen und sexuellen Übergriffe in Nanking.
III. Problem der „Comfort Women“ Eine – besonders gravierende – Fallgruppe von Vergewaltigungen im 2. Weltkrieg betrifft die so genannten „Trostfrauen“.93 Damit sind die Frauen und Mädchen gemeint, die von der japanischen Armee im ganzen asiatisch-pazifischen Raum zur Prostitution in Frontbordellen gezwungen wurden. Insgesamt betraf die Zwangsprostitution bzw. sexuelle Versklavung94 im perfekt organisierten System von Frontbordellen der Japaner etwa 200.000 Frauen und Mädchen ab einem Alter von etwa 12 Jahren.95 Die Betroffenen waren zu 80 % koreanischer Herkunft und wurden – in winzige Räume gesperrt – bis zu 70-mal täglich vergewaltigt. Weigerten sie sich, wurden sie geschlagen und auch im Übrigen wie gegenständlicher Besitz behandelt. Schätzungsweise haben nur etwa 30 % der so genannten „Trostfrauen“ das Kriegsende er- bzw. überlebt.96 Das Phänomen der sogenannten „Trostfrauen“ geht aufgrund des Versklavungsaspekts und der Tatsache, dass die überwiegende Anzahl der Vergewaltigungen nicht unmittelbar mit einem bewaffneten Konflikt im Zusammenhang steht, weit über die hier untersuchte Frage des völkerrechtlichen
93 Die betroffenen Frauen selbst lehnen ihre Bezeichnung als „Trostfrauen“ ab, da dieser der Tätersprache entstammt und angenehme Assoziationen wie Trost und Wohlbefinden erweckt, obwohl dieser auf Freiheitsberaubung und brutaler Gewalt beruhte. Andererseits bezeichnet der Begriff klar Frauen, die in so bisher einmaliger Weise sexuell versklavt wurden, vgl. Tanaka, Japan’s Comfort Women, S. 6 f.; Lipinsky, in: Terre des Femmes (Hrsg.), Trostfrauen, S. 17 f. In dieser Arbeit wird der Begriff „Trostfrauen“ bzw. „Comfort Women“ in Anführungszeichen gebraucht, um einerseits keine neue, möglicherweise verwirrende Bezeichnung zu verwenden, andererseits aber die Gefühle der Betroffenen nicht zu verletzen. 94 Traditionell wurde in bezug auf die „Trostfrauen“ von „Zwangsprostitution“ gesprochen. Es wurde jedoch kritisiert, dass diese Bezeichnung den Zwangscharakter und die mit der Zwangsprostitution verbundene Gewalt nicht ausreichend deutlich macht; man schlägt stattdessen die Einführung eines neuen Tatbestands der „sexuellen Versklavung“ vor. Vgl. in diesem Sinne Askin, War Crimes Against Women, S. 74 f. In Bezug auf die Fallgruppe der „Trostfrauen“ werden hier beide Bezeichnungen synonym verwendet. 95 Cho, Byung-Sun, Comfort Women und Völkerstrafrecht, in: Marxen/Miyazawa/Werle, Der Umgang mit Kriegs- und Besatzungsunrecht in Japan und Deutschland, S. 73; Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, Materialien zur Gleichstellungspolitik Nr. 96/2002, S. 17 f.; Ikenaga, in: Terre des Femmes (Hrsg.), Wucherzinsen, S. 15. Andere Autoren gehen von Zahlen zwischen 80.000 und 100.000 Frauen aus, so etwa Tanaka, Japan’s Comfort Women, S. 31. Zum gesamten Problem der Trostfrauen ausführlich Stetz/Oh, Legacies of the Comfort Women of World War II; Yoshimi, Comfort Women; Tanaka, Japan’s Comfort Women, siehe auch ders., Hidden Horrors, S. 88 – 100. 96 Lipinsky, in: Terre des Femmes, Trostfrauen, S. 19 – 21; Möller, Völkerstrafrecht und Internationaler Strafgerichtshof, S. 361 m.w.N. Berichte von überlebenden Zeugen finden sich bei Schellstede, Comfort Women Speak.
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2. Kap.: Das Vergewaltigungsverbot im 2. Weltkrieg
Vergewaltigungsverbots hinaus. Deshalb kann auf das Phänomen der „Trostfrauen“ in dieser Arbeit nicht angemessen eingegangen werden.
IV. Bilanz der Verfolgung von Vergewaltigungen im fernen Osten Im Hinblick auf die Entwicklung des völkerrechtlichen Vergewaltigungsverbotes ist zunächst eine Errungenschaft beider Tribunale ihre Feststellung des gewohnheitsrechtlichen Charakters der HLKO zum Zeitpunkt des Zweiten Weltkriegs. Damit war der durch Art. 46 HLKO vermittelte Schutz auch dort anwendbar, wo die Konfliktparteien – etwa wegen fehlender Ratifikation und folglich der Anwendbarkeit der si omnes-Klausel – nicht vertraglich an die HLKO gebunden waren. Das Kriegsverbrechertribunal von Tokio erhielt weniger weltweite Aufmerksamkeit als das Kriegsverbrechertribunal von Nürnberg, da letzteres zuerst stattfand und das Verfahren in Tokio wesentlich länger als das in Nürnberg dauerte.97 In Bezug auf sexuelle Übergriffe gegen Frauen im Allgemeinen und Vergewaltigungen im Besonderen kommt dem Kriegsverbrechertribunal von Tokio jedoch eine weitaus größere Bedeutung zu als dem Kriegsverbrechertribunal von Nürnberg. Ihm ist die Dokumentation dieser Verbrechen besser gelungen, indem es sie – etwa in dem Abschnitt „Rape of Nanking“ – explizit benannt und beschrieben hat, so dass diese Übergriffe nicht geleugnet werden können. Im Gegensatz zum Kriegsverbrechertribunal von Nürnberg haben die Richter des Tribunals von Tokio immerhin ansatzweise versucht Massenvergewaltigungen wie in Nanking und andere sexuelle Übergriffe gegen Frauen als Kriegsverbrechen zu verurteilen. Auch haben sie Vergewaltigung als möglicher Repressalie eine kategorische Absage erteilt. Durch die Verfolgung von Vergewaltigungen als Kriegsverbrechen im Sinne von „unmenschlicher Behandlung“, „Misshandlung“ und „fehlender Achtung von Familienehre und -rechten“, schaffte das Kriegsverbrechertribunal in Tokio einen gewichtigen Präzedenzfall für die Verfolgung von (Massen-)Vergewaltigung als Kriegsverbrechen.98 Trotzdem fehlte es wie in Nürnberg auch hier an einer eigenständigen Verurteilung wegen verbotener sexueller Gewalt. Ein weiteres Manko des Tokioter Urteils liegt darin, dass die zahlreichen Fälle von der als Zwangsprostitution bezeichneten sexuellen Sklaverei der so genannten „Comfort Women“ keinen Eingang in die Verfahren vor dem Kriegsverbrechertribunal von Tokio fanden.99 Auch das Verfahren gegen General Yamashita ist ein positives Beispiel für die strafrechtliche Verantwortlichkeit der Befehlshaber für ihre Untergebenen und die Durchsetzung des humanitären Völkerrechts. Wie bereits in Bezug auf das 97 Während das Kriegsverbrechertribunal von Nürnberg weniger als ein Jahr tagte, dauerten die Prozesse in Tokio zweieinhalb Jahre. 98 So im Ergebnis auch Askin, War Crimes Against Women, S. 180. 99 Zum Problem der „Comfort Women“ siehe in diesem (2.) Kapitel oben B. III.
C. Bewertung und Ergebnisse
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Kriegsverbrechertribunal von Nürnberg festgestellt, können sich auch das Kriegsverbrechertribunal von Tokio wie auch das Verfahren gegen General Yamashita und die anderen erwähnten Verfahren nicht ganz des Verdachts der Siegerjustiz erwehren, da entsprechende Straftaten durch Soldaten der Siegermächte gerichtlich nicht entsprechend geahndet wurden.100
C. Bewertung und Ergebnisse Im Gegensatz zum 1. Weltkrieg sind Massenvergewaltigungen erheblichen Ausmaßes während des 2. Weltkriegs sowohl im Fernen Osten als auch in Europa historisch dokumentiert. Trotzdem waren Vergewaltigungen im bewaffneten Konflikt – wie im 1. Kapitel festgestellt – schon damals völkerrechtlich verboten. Es fragt sich daher wie dieser augenscheinliche Widerspruch völkerrechtlich zu bewerten ist. Durch die Massenvergewaltigungen von russischen Soldaten von deutschen Frauen 1944/45 kam die Nichtbeachtung des völkerrechtlichen Verbots klar zum Ausdruck. Auch wenn einzelne Aussagen dafür sprechen, dass manche russischen Kommandeure diese als gerechtfertigt ansahen, fehlt es insoweit an offiziellen Stellungnahmen der sowjetischen Regierung. Folglich ist in der Nichteinhaltung des völkerrechtlichen Vergewaltigungsverbots der sowjetischen Truppen in Deutschland weder eine Repressalie zu sehen noch scheint die sowjetische Praxis offizielle der Geltung des Vergewaltigungsverbots entgegenstehende Staatenpraxis zu sein, sondern vielmehr für eine völlige Ignoranz des völkerrechtlichen Vergewaltigungsverbotes zu sprechen. Dies spricht nicht für eine Festigung des gewohnheitsrechtlichen Vergewaltigungsverbot im bewaffneten Konflikt steht der Entwicklung eines gewohnheitsrechtlichen Verbotes durch andere aber auch nicht entgegen. Ähnlich muss die deutsche Staatenpraxis während des Zweiten Weltkriegs gesehen werden: Während einerseits das damals geltende StGB Vergewaltigung im Krieg wie im Frieden unter Strafe stellte, spricht andererseits etwa der für die Ostfront ergangene Erlass, der die Bestrafung von Vergewaltigung in das Ermessen des Kommandeurs stellt, sogar für eine – räumlich beschränkte – entgegenstehende Staatenpraxis NaziDeutschlands. Trotzdem wurden Vergewaltigungen auch an der Ostfront teilweise bestraft, so dass andererseits im Gegensatz zu dem sowjetischen Umgang mit dem Vergewaltigungsverbot nicht von einer völligen Ignoranz des völkerrechtlichen Verbots ausgegangen werden kann. Die Tatsache, dass das Kriegsverbrechertribunal von Tokio feststellte, dass die HLKO und mit ihr das darin enthaltene völkerrechtliche Vergewaltigungsverbot im bewaffneten Konflikt gewohnheitsrechtlich im Pazifikkrieg galt ist dagegen ein starkes Argument dafür, dass das Vergewaltigungsverbot bereits damals gewohnheitsrechtlichen Status hatte. Hierfür spricht auch, dass das Kriegsverbrechertribunal 100 Minear, Victor’s Justice, S. 10 – 19; Röling/Cassese, The Tokyo Trial and Beyond, S. 87; Sunga, The Emerging System of International Criminal Law, S. 281 – 284.
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2. Kap.: Das Vergewaltigungsverbot im 2. Weltkrieg
von Tokio in zwei Fällen, nämlich Hiroto und Matsui aufgrund der Vorkommnisse in Nanking u. a. wegen Vergewaltigungen aufgrund von Vorgesetztenverantwortlichkeit verurteilte. Ähnlich auch das Verfahren vor einem amerikanischen Militärgericht gegen Yamashita, der ebenfalls u. a. wegen Vergewaltigungen durch ihm untergebene Soldaten aufgrund seiner Verantwortlichkeit als Vorgesetzter verurteilt wurde. Das Kriegsverbrechertribunal von Nürnberg hat dagegen sexuelle Gewalt oder Vergewaltigungen im Zweiten Weltkrieg nicht verfolgt. Allerdings wurden von den vor ihm ausschließlich angeklagten Deutschen anders als von den in Tokio angeklagten Japanern auch keine Massenvergewaltigungen im Zweiten Weltkrieg begangen. Für die Annahme eines gewohnheitsrechtlichen Vergewaltigungsverbots im bewaffneten Konflikt durch das Kriegsverbrechertribunal von Nürnberg spricht ebenfalls dass auch dieses Gericht von der gewohnheitsrechtlichen Geltung der HLKO ausging. Trotzdem trugen beide Kriegsverbrechertribunale wesentlich zur Entwicklung des internationalen Strafrechts und damit auch zu einer – damals noch auf die „Verlierer“ des Konflikts beschränkten – Durchsetzung des völkerrechtlichen Vergewaltigungsverbots bei. Insgesamt ist in Bezug auf die Geltung des völkerrechtlichen Vergewaltigungsverbots im bewaffneten Konflikt im Zweiten Weltkrieg damit die erhebliche Diskrepanz zwischen geltendem Völkerrecht und der Rechtswirklichkeit, in der das völkerrechtliche Vergewaltigungsverbot nicht durchgesetzt wurde, auffällig. Trotzdem lässt sich insbesondere durch die Tokioter Urteile schließen, dass das völkerrechtliche Verbot im bewaffneten Konflikt zu vergewaltigen bereits im Zweiten Weltkrieg gewohnheitsrechtlich galt.
3. Kapitel
Entwicklung des Vergewaltigungsverbots im bewaffneten Konflikt nach dem 2. Weltkrieg (seit 1949) A. Humanitär-völkerrechtliche Kodifikationen seit Ende des 2. Weltkriegs Geprägt durch die Erfahrungen des zweiten Weltkrieges, die die Notwendigkeit der Revision des Kriegsrechts überdeutlich machten,1 schuf die Genfer Diplomatische Konferenz 1949 mit den vier Genfer Abkommen (I. – IV. GA) den bis heute umfassendsten Kanon humanitär-völkerrechtlicher Kodifikationen. Ziel der vier Genfer Abkommen ist der Schutz der Opfer bewaffneter Konflikte. Obwohl mit den vier Genfer Abkommen der Schutz der Opfer internationaler bewaffneter Konflikte erheblich verbessert wurde, wurde in der Folgezeit deutlich, dass zum einen der Schutz von Opfern internationaler bewaffneter Konflikte besonders im Hinblick auf Mittel und Methoden der Kriegsführung nicht ausreichte und zum anderen – durch die erhebliche Zunahme der Zahl nicht-internationaler bewaffneter Konflikte – dass der Schutz für die Opfer nicht-internationaler bewaffneter Konflikte weit hinter dem der Opfer internationaler bewaffneter Konflikte zurückblieb. Diese Erkenntnisse führten 1977 zu den beiden Zusatzprotokollen zu den Genfer Abkommen zum Schutz der Opfer bewaffneter Konflikte.
I. IV. Genfer Abkommen zum Schutz der Zivilbevölkerung (1949) Im vierten Genfer Abkommen (IV. GA) wurde der Schutz der Zivilbevölkerung erstmals ausführlich in einem eigenen Vertragswerk geregelt. Wie alle vier GA findet es ausschließlich in internationalen bewaffneten Konflikten Anwendung.2 Es schützt nur Zivilpersonen der gegnerischen Partei sowie unter bestimmten Voraussetzungen auch drittstaatsangehörige Zivilisten, die sich in der Gewalt einer Konfliktpartei oder einer Besatzungsmacht befinden.3 Insofern wird kein Schutz vor Übergriffen des „eigenen“ Staates gewährt.4 1 2 3
Ipsen, Völkerrecht § 63 Rn. 6 f. (S. 1043). Gemeinsamer Artikel 2 der vier Genfer Abkommen. Art. 4 IV. GA.
80
3. Kap.: Entwicklung des Vergewaltigungsverbots nach 1949
1. Artikel 27 Das IV. GA enthält an mehreren Stellen besondere Vorschriften zum Schutz vor Vergewaltigungen. Für die Frage nach einem Vergewaltigungsverbot ist insbesondere Artikel 27 maßgeblich.5 a) Achtung der Person, der Ehre und der Familienrechte (Art. 27 Absatz I Satz 1 IV. GA) Während der Wortlaut von Artikel 27 Absatz I IV. GA also alle Zivilisten gleichermaßen schützt, schützt Absatz II Frauen explizit und besonders vor An- und Übergriffen, die gegen ihre Person bzw. ihre Ehre als Frau gerichtet sind; wozu namentlich Vergewaltigung zählt. Absatz I nennt dagegen Vergewaltigung nicht ausdrücklich, was die Frage aufwirft, ob Vergewaltigung auch eine Verletzung des Gebotes der Achtung der Person, der Ehre und der Familienrechte sowie des Gebotes menschlicher Behandlung im Sinne von Absatz I ist. Jean Pictet beschreibt die Stellung von Artikel 27 IV. GA als „une position-clef dans le système de la Convention. Il en est la base, énonçant les principes dont s’inspire tout le droit de Genève“.6
Der Anspruch auf Achtung der geschützten Person im Sinne von Artikel 27 Absatz I, Satz 1, 1. Alternative ist dabei umfassend zu verstehen: „Il couvre l’ensemble des droits de la personnalité, c’est-à-dire les droits et qualités qui sont, comme tels, indissolublement liés à la personne humaine, à raison de son existence, de ses forces psychiques et physiques; il s’entend notamment des droits à l’intégrité corporelle, morale et intellectuelle, attributs indispensables de la personne humaine“.7
Zu dem Recht auf Achtung der physischen Integrität gehört dabei insbesondere das Verbot von Handlungen, die das Leben oder die Gesundheit einer Person beeinträchtigen; es wird durch das Gebot der menschlichen Behandlung in Satz zwei sowie durch Artikel 32 IV. GA, der 4
Art. 4 IV. GA. UNTS Band 75, S. 287, amtliche deutsche Übersetzung in BGBl. 1954 II S. 838. Art. 27 IV. GA lautet: (1) Die geschützten Personen haben unter allen Umständen Anspruch auf Achtung ihrer Person, ihrer Ehre, ihrer Familienrechte, ihrer religiösen Überzeugung und Gepflogenheiten, ihrer Gewohnheiten und Gebräuche. Sie werden jederzeit mit Menschlichkeit behandelt und insbesondere vor Gewalttätigkeit oder Einschüchterung, vor Beleidigungen und der öffentlichen Neugier geschützt. (2) Die Frauen werden besonders vor jedem Angriff auf ihre Ehre und namentlich vor Vergewaltigung, Nötigung zur gewerbsmäßigen Unzucht und jeder unzüchtigen Handlung geschützt. (…) 6 Pictet, IV. Convention de Genève, Commentaire, Art. 27 (S. 215). 7 Pictet, IV. Convention de Genève, Commentaire, Art. 27 I. A (S. 216); Werle, Völkerstrafrecht, Rn. 909. 5
A. Humanitär-völkerrechtliche Kodifikationen
81
„jede Maßnahme, die körperliche Leiden (…) der (…) geschützten Personen zu Folge haben könnte, ausdrücklich untersagt,“
bekräftigt. Das Recht auf Achtung der moralischen und intellektuellen Integrität beinhaltet die Achtung aller sittlichen Werte, die Teil des menschlichen Erbes sind.8 Durch eine Vergewaltigung wird die physische Integrität einer Person erheblich beeinträchtigt. Weiter drückt sich in einer solchen auch die Missachtung der moralischen Werte einer geschützten Person aus, weshalb Vergewaltigung eine Missachtung der Person im Sinne des Artikels 27 Absatz I, Satz 1, 1. Alternative IV. GA ist. Unter dem Begriff der Ehre im Sinne des Artikels 27 Absatz I, Satz 1 IV. GA ist die ethisch-moralische Ordnung zu verstehen, die einem Menschen als vernünftigem Wesen mit einem Gewissen innewohnt.9 Da eine Vergewaltigung in allen Kulturen eine Missachtung der ethisch-moralischen Ordnung des Opfers darstellt, ist sie immer auch ein Angriff auf die Ehre einer Person. Das Gebot des Schutzes der Familienehre (Artikel 27 Absatz I, Satz 1, 3. Alternative IV. GA) war vor Inkrafttreten der GA bereits in Artikel 46 HLKO kodifiziert und beinhaltet – wie oben bereits dargelegt – neben dem Schutz der „Familienbande“ auch ein Vergewaltigungsverbot.10
b) Gebot der menschlichen Behandlung (Art. 27 Absatz 1 Satz 2 IV. GA) Das Gebot, geschützte Personen unter allen Umständen mit Menschlichkeit (Artikel 27 Absatz I, Satz 2 IV. GA) zu behandeln, hat Pictet als das „Leitmotiv“ der Vier Genfer Abkommen bezeichnet. Es geht auf ein entsprechendes Gebot aus der HLKO und den Genfer Abkommen von 1929 zurück und ist auch im gemeinsamen Artikel 3 enthalten.11 In Artikel 27 wird das Gebot der menschlichen Behandlung nicht weiter konkretisiert. Stattdessen werden lediglich beispielhaft Handlungen aufgeführt, die jedenfalls „unmenschlich“ sind. Dazu zählen Gewalttätigkeiten, Einschüchterungen, Beleidigungen oder die Aussetzung von geschützten Personen der öffentlichen Neugier. Die Liste wird durch Artikel 32 IV. GA ergänzt, der weitere verbotene „unmenschliche“ Behandlungen aufzählt. Nach Sinn und Zweck des IV. GA, das die Zivilbevölkerung als geschützten Personenkreis vor den Auswirkungen bewaffneter Schädigungshandlungen so weit wie möglich schützen will, 8
Pictet, IV. Convention de Genève, Commentaire, Art. 27 I. A. (S. 216). Pictet, IV. Convention de Genève, Commentaire, Art. 27 I. B. (S. 217). 10 Pictet, IV. Convention de Genève, Commentaire, Art. 27 Abs. I, Satz 1 C. (S. 218). Zum Verständnis des Begriffs der Familienehre in Art. 46 HLKO siehe oben 1. Kapitel E. I. 2. und 3. 11 Pictet, IV. Convention de Genève, Commentaire, Art. 27 Abs. I Satz 2 (S. 219). Vgl. oben 1. Kapitel, E. I. 3 sowie F. V. und in diesem (3.) Kapitel unten A. I 4. 9
82
3. Kap.: Entwicklung des Vergewaltigungsverbots nach 1949
muss „menschliche Behandlung“ folglich als ein Gebot verstanden werden, das jede Gewaltanwendung oder Einschüchterung, die sich nicht aus militärischer Notwendigkeit oder einem legitimen Sicherheitsbedürfnis ergibt, verbietet.12 Hierzu zählt jede Behandlung, die die Würde des Menschen wesentlich beeinträchtigt.13 Das Gebot der menschlichen Behandlung beinhaltet nicht nur das Verbot „unmenschlicher“ Behandlung, sondern verpflichtet die Vertragsstaaten darüber hinaus auch alle Vorkehrungen zu treffen, um „unmenschliche“ Übergriffe von vornherein zu verhindern und die Opfer etwaiger Übergriffe zu unterstützen.14 Zu einer Vergewaltigung gehört die Ausübung von (sexueller) Gewalt, bei der die Würde des Opfers in ganz erheblichem Maße missachtet wird. Eine Vergewaltigung richtet sich immer gegen eine Person als solche. Da eine Person als solche aber kein militärisches Ziel sein kann, kann eine Vergewaltigung niemals mit militärischer Notwendigkeit gerechtfertigt werden. Damit ist eine Vergewaltigung immer eine unmenschliche Behandlung im Sinne von Artikel 27 Absatz I Satz 2 IV. GA.15 Hierfür spricht auch, dass sowohl die humanitär-völkerrechtlichen als auch die menschenrechtlichen Kodifikationen nicht zwischen grausamer und unmenschlicher Behandlung unterscheiden.16 Vielmehr wird ein ähnlicher Intensitätsgrad im Hinblick auf die Zufügung von Schmerzen vorausgesetzt.17 Daraus folgt ebenfalls, dass Vergewaltigung „unmenschliche Behandlung“ ist, wenn sie – wie unten noch zu prüfen ist – im Rahmen des gemeinsamen Artikels 3 als grausame Behandlung eingestuft wird.18 Artikel 27 Absatz I IV. GA bezieht sich im Gegensatz zu Absatz II, dessen Wortlaut sich nur auf Frauen bezieht, auf alle Zivilisten und ist somit geschlechtsneutral formuliert. Folglich sind auch Männer durch das im Absatz I enthaltene Verbot von Vergewaltigung geschützt.
12
Wolfrum, in: Fleck, Handbuch des humanitären Völkerrechts im bewaffneten Konflikt, Nr. 1209 6. (S. 426); Khushalani, Dignity and Honour of Women as Basic and Fundamental Rights, S. 43. Zu „notwendigen Sicherheitsmassnahmen“ vgl. Art. 27 Abs. IV, IV. GA mit Kommentar von Pictet, Convention de Genève, Commentaire, Art. 27 IV. (S. 222). Zum Begriff der militärischen Notwendigkeit siehe Oeter, in: Fleck, Handbuch des humanitären Völkerrechts in bewaffneten Konflikten, vor Nr. 401 (S. 89) sowie Nr. 441 (S. 126). 13 Wolfrum, in: Fleck, Handbuch des humanitären Völkerrechts in bewaffneten Konflikten, Nr. 1209 6. (S. 426). 14 Pictet, Convention de Genève, Commentaire, Art. 27 Abs. I Satz 2 (S. 220). 15 Dahm/Delbrück, Wolfrum, Völkerrecht, Band I/3, 2. Auflage, S. 1135; Khushalani, Dignity and Honour of Women as Basic and Fundamental Rights, S. 43; Lindsey, Women facing War, S. 58, Meron, Rape as a Crime under International Humanitarian Law, AJIL 87 (1995), S. 424 (426). 16 Zimmermann, in: Triffterer, Commentary on the Rome Statute of the International Criminal Court, Art. 8 Rn. 274. 17 Nowak, UN Covenant on Civil and Political Rights, ICCPR-Commentary, Art. 7 Rn 11. 18 Siehe in diesem (3.) Kapitel unten A. I. 4.
A. Humanitär-völkerrechtliche Kodifikationen
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c) Artikel 27 Absatz 2 IV. GA Artikel 27 Absatz II IV. GA schützt Frauen explizit vor „jedem Angriff auf ihre Ehre und namentlich vor Vergewaltigung(…)“.
Anlass für die Einfügung dieser besonderen Schutzvorschrift waren nach Pictet „certaines pratiques suivies notamment durant la dernière guerre mondiale, d’innombrables femmes (…) ayant été l’objet des pires outrages: viols commis en territoire occupés, brutalités (…), mutilations, etc.“,
die die Notwendigkeit des besonderen Schutzes von Frauen deutlich machten. Die Vorschrift basiert auf den in Absatz 1 enthaltenen Prinzipien der „Achtung der Person“, der „Ehre“ und der „Familienrechte“ (Satz 1, 1., 2. und 3. Alternative), die – wie dargestellt – bereits ein Vergewaltigungsverbot beinhalten. Ziel der Vorschrift ist, Frauen ein zusätzliches eindeutiges Recht auf besonderen Schutz zu gewähren und so ihrer größeren Schutzbedürftigkeit in ihrer Eigenschaft als Frau Rechnung zu tragen.19 Genau genommen handelt es sich bei dem expliziten Vergewaltigungsverbot in Artikel 27 Absatz II IV. GA also „nur“ um eine Klarstellung und Hervorhebung des bereits in Absatz I enthaltenen Verbots, ausschließlich auf Frauen bezogen. 2. Artikel 32 IV. GA Ziel des Artikels 32 IV. GA ist, das Prinzip der Achtung der Person aus Artikel 27, das für sich genommen bereits eine ausreichende Schutzgarantie darstellt, zu bekräftigen.20 Artikel 32 IV. GA konkretisiert den Grundsatz der menschlichen Behandlung durch eine Aufzählung von Handlungen, die jedenfalls nicht mit menschlicher Behandlung zu vereinbaren sind und von den „hohen Vertragsparteien“ als solche ausdrücklich verboten sind.21 Es wurde bereits festgestellt, dass Vergewaltigung dem Prinzip der menschlichen Behandlung widerspricht und sowohl als Missachtung der Person, ihrer Ehre und ihrer Familienrechte, als auch ausdrücklich durch Artikel 27 Absatz I und II verboten ist. Im Unterschied zu der allgemein anerkannten menschenrechtlichen Folterdefinition aus Artikel 1 des „Übereinkommens gegen Folter und andere grausame, un19
Pictet, Convention de Genève, Commentaire, Art. 27 Abs. II (S. 221). Art. 32 IV. GA lautet: Den Hohen Vertragsparteien ist jede Maßnahme, die körperliche Leiden oder den Tod der in ihrem Machtbereich befindlichen geschützten Personen zur Folge haben könnte, ausdrücklich untersagt. Dieses Verbot betrifft nicht nur Tötung, Folterung, körperliche Strafen, Verstümmelungen und medizinische oder wissenschaftliche, nicht durch ärztliche Behandlung einer geschützten Person gerechtfertigte biologische Versuch, sondern auch alle anderen Grausamkeiten, gleichgültig, ob sie durch zivile Bedienstete oder Militärpersonen begangen werden. 21 Pictet, IV. Convention de Genève, Commentaire, Art. 32 (S. 238). 20
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3. Kap.: Entwicklung des Vergewaltigungsverbots nach 1949
menschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe“22 (im folgenden Folterkonvention) wird Folter in den Genfer Abkommen selbst nicht definiert. Im Allgemeinen wird Folter im humanitären Völkerrecht als die (1) vorsätzliche Herbeiführung heftiger körperlicher oder seelischer Schmerzen oder großer Leiden, um (2) ein bestimmtes Ziel – wie etwa die Erlangung eines Geständnisses oder von Informationen – zu erreichen, definiert. Auf das Element der Handlung in amtlicher Eigenschaft kommt es also bei der humanitär-völkerrechtlichen Definition von Folter nicht an.23 Eine Vergewaltigung kann große körperliche Schmerzen und Leiden hervorrufen und verursacht immer seelische Schmerzen und Leiden. Wenn Vergewaltigung folglich eingesetzt wird, um einen bestimmten Zweck zu erreichen, handelt es sich um Folter im Sinne des humanitären Völkerrechts. Für diese Subsumtion sprechen auch die Ergebnisse klinischer Untersuchungen von Vergewaltigungsopfern, die ergaben, dass die erlittenen physischen und psychischen Traumata denen anderer Folteropfer sehr ähnlich sind.24 Das Verbot der „anderen Grausamkeiten“ verbietet Handlungen, die – obwohl sie nicht in der Liste der ausdrücklich verbotenen Handlungen enthalten sind – Leiden von geschützten Personen verursachen.25 Es ergänzt insofern das Verbot der Folter. Grausame Behandlung erfasst alle Formen der Zufügung von starkem Leid oder erheblichen Schmerzen, die in Ermangelung eines für die Folter erforderlichen Tatbestandsmerkmals nicht als solche zu qualifizieren sind.26 Daraus folgt, dass Folter immer auch eine „andere Grausamkeit“ ist, während letztere nicht immer Folter sein muss.27 Insgesamt lässt sich schließen, dass das Verbot des Artikels 32 IV. GA Vergewaltigung insbesondere als eine Form verbotener „Folter“ und „andere(r) Grausamkeiten“ (Satz 2, 2. und 7. Alternative) umfasst. 3. Artikel 146 und 147 IV. GA Für das völkerrechtliche Vergewaltigungsverbot von besonderer Bedeutung ist die Einordnung von Vergewaltigung als „schwere Verletzung“ des IV. GA im Sinne
22 UNTS Band 1465, S. 85, amtliche deutsche Übersetzung abgedruckt in BGBl. 1990 II, S. 246. Zur Definition von Folter nach der Folterkonvention siehe in diesem (3.) Kapitel unten ausführlich B. IV., siehe auch III. 1. 23 Pictet, IV. Convention de Genève, Art. 32 2. B. sowie Art. 147-Torture; Dörmann, Elements of War Crimes, S. 50. Vgl. auch Wolfrum, in: Fleck, Handbuch des humanitären Völkerrechts in bewaffneten Konflikten, Nr. 1410 (Nr. 5) (S. 426). 24 Pearce, An Examination of the International Understanding of Political Rape and the Significance of Labeling it Torture, International Journal of Refugee Law 14 (2003), S. 534 – 560 (539 f.). 25 Pictet, IV. Convention de Genève, Commentaire, Art. 32 2. E. (S. 242). 26 Nowak, UN Covenant on Civil and Political Rights, ICCPR Commentary, Art. 7 Rn. 11. 27 Vgl. Zimmermann, in: Triffterer, Commentary on the Rome Statute of the International Criminal Court, Art. 8 Rn. 274.
A. Humanitär-völkerrechtliche Kodifikationen
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von Artikel 147.28 Nur bei solchen sind die Mitgliedstaaten gemäß Art. 146 IV. GA nämlich verpflichtet, „gesetzgeberische Maßnahmen für solche Personen zu treffen, die irgendeine der (…) schweren Verletzungen (…) begehen oder zu einer solchen Verletzung den Befehl erteilen“, sowie entsprechende Verstöße auch tatsächlich zu verfolgen. a) Schwere Verletzung im Sinne des Art. 147 IV. GA Eine individuelle strafrechtliche Verantwortlichkeit des Einzelnen für Verstöße gegen das IV. GA besteht – unmittelbar – nur bei Begehung der in Artikel 147 IV. GA genannten schweren Verletzungen.29 Zwar wird Vergewaltigung in Artikel 147 IV. GA nicht ausdrücklich als schwere Verletzung des Abkommens genannt. Hieraus lässt sich jedoch nicht schließen, dass Vergewaltigung keine schwere Verletzung des IV. GA ist. Vielmehr könnten die in Artikel 147 IV. GA genannten schweren Verletzungen der „Folter“, der „unmenschlichen Behandlung“ sowie der „vorsätzlichen Verursachung großer Leiden oder schweren Beeinträchtigung der körperlichen Unversehrtheit oder der Gesundheit“ auch Vergewaltigung umfassen. Wenn Vergewaltigung zur Verfolgung eines bestimmten Zweckes eingesetzt wird, kann sie – wie bereits erörtert – Folter sein und ist als solche eine schwere Verletzung des IV. GA.30 Der Begriff der unmenschlichen Behandlung im Sinne des Artikels 147 IV. GA ist im Kontext des – oben bereits auf ein Vergewaltigungsverbot untersuchten – Artikels 27 zu verstehen und auszulegen.31 Wie dort bereits festgestellt, ist jede Vergewaltigung ein Verstoß gegen das Gebot der menschlichen Behandlung aus Artikel 27 Absatz I und dadurch als unmenschliche Behandlung im Sinne des Artikels 147 eine schwere Verletzung des IV. GA. Als schwere Verletzung stuft Artikel 147 IV. GA. weiter die „vorsätzliche Verursachung großer Leiden oder schwerer Beeinträchtigung der körperlichen Unversehrtheit oder der Gesundheit“ ein. Diese Alternative soll wie die unmenschliche Behandlung Handlungen erfassen, die in ihrem Unwertgehalt der Folter nahe 28 Art. 147 IV. GA lautet: Als schwere Verletzung im Sinne des vorstehenden Artikels gilt jede der folgenden Handlungen, sofern sie gegen durch das Abkommen geschützte Personen oder Güter begangen wird: (…), Folterung oder unmenschliche Behandlung einschließlich biologischer Versuche, vorsätzliche Verursachung großer Leiden oder schwere Beeinträchtigungen der körperlichen Unversehrtheit oder der Gesundheit, (…), rechtswidrige Gefangenhaltung, (…). 29 In diesem Zusammenhang ist anzumerken, dass die nicht ausdrückliche Erwähnung von Vergewaltigung als schwere Verletzungen des IV. GA und damit als Kriegsverbrechen zwar den Statuten der Kriegsverbrechertribunale von Nürnberg und Tokio entspricht, das (nationale) Kontrollratsgesetz Nr. 10 Vergewaltigung jedoch schon ausdrücklich als – strafbares – Verbrechen gegen die Menschlichkeit nannte; siehe oben 2. Kapitel A. III. sowie A. II., B. II. 3. und C. 30 Siehe in diesem (3.) Kapitel oben A. 1. b); vgl. Pictet, IV. Convention de Genève, Commentaire, Art. 147 (S. 639). 31 Pictet, IV. Convention de Genève, Commentaire, Art. 147 (S. 640).
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3. Kap.: Entwicklung des Vergewaltigungsverbots nach 1949
kommen, bei denen aber bestimmte Definitionsmerkmale, wie etwa ein durch die Handlung verfolgter Zweck, nicht erfüllt sind.32 Das Verbot der Verursachung „großer Leiden“ deckt sich im Wesentlichen mit dem Verbot der Folter und unmenschlicher Behandlung; wie bei Folter ist die Zufügung großer körperlicher oder seelischer Leiden Tatbestandsvoraussetzung.33 Jede Vergewaltigung verursacht sowohl erhebliche körperliche als auch erhebliche psychische Leiden. Diese sind schon aufgrund der Kombination körperlicher und seelischer Leiden groß. Zudem wird die körperliche Unversehrtheit durch die mit einer Vergewaltigung in aller Regel verbundenen Verletzungen beeinträchtigt und die körperliche und geistige Gesundheit längerfristig zumindest gefährdet. Vergewaltigung ist somit – soweit mit ihr ein bestimmter Zweck verfolgt wird – als Folter, sonst als unmenschliche Behandlung und/oder als vorsätzliche Verursachung großer Leiden oder schwere Beeinträchtigung der körperlichen Unversehrtheit eine schwere Verletzung des IV. GA.34 Die Tatsache, dass Vergewaltigungen als „Folter“ oder „unmenschliche Behandlung“ oder „vorsätzlichen Verursachung großer Leiden oder schweren Beeinträchtigung der körperlichen Unversehrtheit oder der Gesundheit“ eine schwere Verletzung des IV. GA darstellt, bedeutet auch, dass Männer im gleichen Maße durch diese Strafvorschriften geschützt werden wie Frauen. Die Auffassung, dass die Vergewaltigung einer geschützten Person eine schwere Verletzung des IV. GA darstellt, wird auch durch die Staatenpraxis gestützt. Dies belegen zahlreiche Beispiele aus der Praxis der Staaten und internationaler Organisationen, die zeigen, dass die Staatengemeinschaft Vergewaltigung als schwere Verletzung des IV. GA und damit als Kriegsverbrechen ansieht. So hat das IKRK bereits 1992 in einem Aide-mémoire darauf hingewiesen, dass die vorsätzliche Verursachung großer Leiden in Artikel 147 IV. GA „not only rape, but also any other attack on a women’s dignity“
umfasst.35 Den gleichen Standpunkt hat es 1997 in seiner Stellungnahme vor dem Preparatory Committee und im Juli 1998 in seinen Empfehlungen für die Diplo-
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Pictet, Geneva Convention IV, Commentary, Art. 147 (S. 598); Fenrick, in: Triffterer, Commentary on the Rome Statute of the International Criminal Court, Art. 8 Rn. 13. 33 Pictet, IV. Convention de Gènève, Commentaire, Art. 147 (S. 598); Wolfrum/Fleck, in: Fleck, Handbook of International Humanitarian Law, Rn. 1410, Nr. 8. 34 Cottier, in: Triffterer, Commentary on the Rome Statute of the International Criminal Court, Art. 8 Rn. 203; Fischer, Grundlagen der völkerstrafrechtlichen Verfolgung von Vergewaltigungen im bosnischen Krieg, S+F 1993, S. 71 (74); Khushalani, Dignity and Honour of Women as Basic and Fundamental Rights, S. 44; Meron, Rape as a Crime under International Humanitarian Law, in: AJIL 87 (1995), S. 424 (426); Möller, Das tatbestandliche Verbot sexueller Gewalt in bewaffneten Konflikten, S+F 2000, S. 36 (37); Papaconstantinou, Rape as a Crime under International Humanitarian Law, RHDI 51 (1998), S. 477 (491 f.). 35 ICRC, Aide-mémoire, 3. Dezember 1992 zitiert nach Gardam, Women, Human Rights and International Humanitarian Law, IRRC 80 (1998), S. 449 – 462 (Fn. 31) und Meron, Rape as a Crime under International Humanitarian Law, AJIL 87 (1993), S. 424 – 428 (Fn. 20).
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matische Konferenz in Rom vertreten.36 Ebenfalls 1992 bezeichnete die US-Regierung sexuelle Gewalt und Vergewaltigung in ihrem Bericht an den VN-Sicherheitsrat gemäß Resolution 771 (1992) als „schwere Verletzungen“ des IV. GAs.37 Der VN-Sicherheitsrat bezeichnete 1995 in einer Resolution, die sich auf die Situation in Bosnien-Herzegovina bezog, Vergewaltigungen im bewaffneten Konflikt als „grave violations of international humanitarian law“.38 Auch die VN-Generalversammlung verurteilte im Laufe der neunziger Jahre wiederholt Vergewaltigung als Kriegsverbrechen.39 Des Weiteren bezeichneten verschiedene – unter anderem mit der Situation im ehemaligen Jugoslawien befasste – VN-Sonderberichterstatter Vergewaltigung im Laufe der neunziger Jahre als „schweren Verstoß“ gegen die GA und somit als Kriegsverbrechen. Hierzu gehörten etwa der VN-Sonderberichterstatter über die Situation der Menschenrechte im ehemaligen Jugoslawien bereits 1992,40 die jeweiligen Sonderberichterstatterinnen über die Situation von systematischen Vergewaltigungen, sexueller Sklaverei und Sklaverei-ähnlichen Praktiken 1996 und 1998,41 sowie die Sonderberichterstatterin über Gewalt gegen Frauen 1998.42 b) Verpflichtungen des Art. 146 IV. GA Aus der Tatsache, dass Vergewaltigungen als schwere Verletzungen im Sinne des IV. GA anzusehen sind, ergibt sich eine dreifache Verpflichtung der (Vertrags-) Staaten: Zum einen müssen sie angemessene nationale Strafbestimmungen festsetzen, damit schwere Verletzungen wie Vergewaltigungen im nationalen Recht adäquat verfolgt werden können. Zum anderen sind sie verpflichtet, „Personen, die der Begehung oder der Erteilung eines Befehls zur Begehung einer dieser schweren Verletzungen beschuldigt sind“
zu ermitteln. Schließlich sind Täter solcher schweren Verletzungen gemäß dem Grundsatz aut dedere aut judicare unabhängig von ihrer Nationalität entweder vor 36
Statement of 14th Feb. 1997 to the Preparatory Committee, ICRC-Recommendations to the Rome Dipomatic Conference, vgl. Cottier, in: Triffterer, Art. 8 Rn. 203 Fn. 353. 37 UN Doc. S/24538, Ann. V, Art. VI (1) (b) (iv) S. 7, 8. 38 United Nations Security Council, Res. 1019 (1995), Präambel. 39 United Nations General Assembly, Res. 48/143 (1993), paras. 1 – 3; United Nations General Assembly, Res. 50/192 (1995), paras. 1 – 3. 40 Mackowiecki, Special Rapporteur of the Commission on Human Rights, Report on the Situation of Human Rights in the Territory of the Former Yugoslavia pursuant to Commission Resolution 1992/S-1/1 of 14 Aug. 1992, UN Doc E/CN.4/1993/50 (1993), Abs. 89. 41 Chavez, Special Rapporteur on the Situation of Systematic Rape, Sexual Slavery and Slavery-like practices during Periods of Armed Conflict, Preliminary Report, UN Doc E/CN.4/ Sub.2/1996/26 vom 16. Juli 1996, paras. 14 und 15 (vgl. auch paras. 16 – 19 und 25); McDougall, Special Rapporteur on the Situation of Systematic Rape, Sexual Slavery and Slavery-like practices during Periods of Armed Conflict, Final Report, UN Doc E/CN.4/Sub.2/ 1998/13 vom 22. Juni 1998, paras. 56 – 66. 42 Coomaraswamy, Special Rapporteur on Violence against Women, its Causes and Consequences, Report, UN Doc. E/CN.4/1998/54 vom 26. Januar 1998, Abs. 64.
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3. Kap.: Entwicklung des Vergewaltigungsverbots nach 1949
die eigenen nationalen Gerichte zu stellen oder sie an einen anderen, an der Strafverfolgung interessierten Staat auszuliefern, sofern dieser „ausreichendes Belastungsmaterial“ vorlegt. Aus diesen Verpflichtungen der Vertragsstaaten folgt die große praktische und politische Bedeutung der Subsumtion von Vergewaltigung unter den Tatbestand der „grave breaches“ für die Strafverfolgung, denn nur dadurch sind alle Vertragsstaaten der Genfer Abkommen verpflichtet, entsprechende Taten unter Anwendung des Universalitätsprinzips innerstaatlich zu verfolgen oder den oder die Täter an einen verfolgungswilligen anderen Staat auszuliefern. Dies hat zur Konsequenz, dass Täter einer Vergewaltigung im Rahmen eines bewaffneten Konflikts grundsätzlich in allen Vertragsstaaten der GA mit Strafverfolgung rechnen müssen.43 Der Verpflichtung aus Art. 146 IV. GA, bereits in Friedenszeiten einen entsprechenden Vergewaltigungstatbstands in den nationalen Rechtsordnungen der Vertragsstaaten zu schaffen, ist nicht immer, wie schon 1949 vertraglich vorgesehen, nachgekommen worden.44 So stellten viele Vertragsstaaten entsprechende Taten wie Vergewaltigung lange – zumindest nicht explizit als „schwere Verletzungen“ gegen die vier GA oder zumindest als Kriegsverbrechen– unter Strafe.45 Dies zog – zumindest in Staaten mit einem so genannten institutorischen oder inquisitorischen Strafrecht – ein Problem der Strafbarkeit von Vergewaltigungen im Zusammenhang mit bewaffneten Konflikten nach sich, da die GA keine Strafrahmen enthalten und sie deshalb aufgrund des nulla poena sine lege-Grundsatzes nicht unmittelbar in den jeweiligen nationalen Rechtsordnungen anwendbar waren.46 In den letzten Jahren wurden jedoch aufgrund der Schaffung des Internationalen Strafgerichtshofes erhebliche Fortschritte bei der weltweiten Umsetzung in nationales Recht gemacht.47
43 Möller, Das „Celebici“-Urteil des ad-hoc Kriegsverbrechertribunals der Vereinten Nationen für das ehemalige Jugoslawien – eine Urteilsanmerkung, Streit 2000, S. 51 – 60 (56). 44 Vgl. Wolfrum, in: Fleck, Handbuch des humanitären Völkerrechts im bewaffneten Konflikt, Nr. 1208 1. (S. 424). 45 In Bezug auf die Bundesrepublik Deutschland siehe Kreicker, in: Eser/Kreicker, Nationale Strafverfolgung völkerrechtlicher Interessen Bd. 1, S. 85 ff. (88); anders in Schweden vgl. Cornils, in: Eser/Kreicker, Nationale Strafverfolgung völkerrechtlicher Interessen Bd. 2, S. 200 ff. (201). 46 Ausführlich etwa zum Gesetzlichkeitsprinzip des deutschen Grundgesetzes Kreicker, in: Eser/Kreicker, Nationale Strafverfolgung völkerrechtlicher Interessen Bd. 1, S. 54 ff. (56), vgl. auch ders., S. 390 ff. Gleiches in Österreich, siehe Zerbes, in: Eser/Sieber/Kreicker, Nationale Strafverfolgung völkerrechtlicher Interessen Bd. 3, S. 94 f., vgl. auch S. 107; sowie ähnlich in Italien, Jarvers/Grammer, in: Eser/Sieber/Kreicker, Nationale Strafverfolgung völkerrechtlicher Interessen Bd. 4, S. 357 und Frankreich, Lelieur-Fischer, in: Eser/Sieber/Kreicker, Nationale Strafverfolgung völkerrechtlicher Interessen Bd. 4, S. 257. Vergleichbar auch in Côte d’Ivoire, Kouassi/Paulenz, in: Eser/Sieber/Kreicker, Nationale Strafverfolgung völkerrechtlicher Interessen Bd. 4, S. 26 ff., vgl. auch S. 78. 47 Siehe dazu Eser/Sieber/Kreicker, Nationale Strafverfolgung völkerrechtlicher Interessen, Bd. 1 – 7.
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4. Gemeinsamer Artikel 3 Für die Frage nach einem Vergewaltigungsverbot im humanitären Völkerrecht sind die gemeinsamen Artikel 3 der vier Genfer Abkommen besonders bedeutsam, da sie – im Gegensatz zu allen anderen Artikeln der Konventionen – außerhalb des klassischen zwischenstaatlichen Konflikts in nicht-internationalen bewaffneten Konflikten anwendbar sind. Dies gilt auch für Konflikte, in denen das ZP II mangels Ratifikation nicht anwendbar ist und/oder in Konflikten, in denen keine Partei als Regierungspartei im Sinne des ZP II qualifiziert werden kann.48 Die Artikel 3 der GA werden heute überwiegend als Völkergewohnheitsrecht betrachtet und gelten zudem auch als allgemeine Grundsätze des Völkerrechts.49 Der gemeinsame Artikel 3 wird gern als „Miniaturkonvention“ bezeichnet, weil er die fundamentalen Garantien des humanitären Völkerrechts in einem einzigen Artikel zusammenfasst.50 So hat der IGH in seinem Nicaragua-Urteil festgestellt, dass Artikel 3 Regeln enthält „which, in the Court’s opinion reflect what the Court in 1949 called ,elementary considerations of humanity‘“.51
Artikel 3 Absatz I Nr. 1 enthält zunächst das Gebot der menschlichen Behandlung und verbietet dann dieses präzisierend die „grausame Behandlung und Folterung“ (lit. a) sowie die „Beeinträchtigung der persönlichen Würde, namentlich erniedrigende und entwürdigende Behandlung“ (lit. c). „Menschliche Behandlung“ als solche ist schwierig zu definieren und wird deshalb in Artikel 27 IV. GA präzisiert.52 Weniger Schwierigkeiten bestehen dagegen, Handlungen aufzuzählen, die mit solcher jedenfalls unvereinbar und deshalb „unmenschlich“ sind, wie in lit. a bis d geschehen.53 Unter Folter wird im humanitären Völkerrecht – wie bei Erörterung des Art. 32 IV. GA bereits dargelegt – (1) die vorsätzliche Herbeiführung heftiger körperlicher oder seelischer Schmerzen oder großer Leiden, um (2) ein bestimmtes Ziel zu erreichen, verstanden.54 Das erste Element ist bei jeder Vergewaltigung geschützter 48
Ausführlich zur Anwendung des gemeinsamen Artikels 3 in Konflikten, in denen keine Konfliktpartei als Regierungspartei qualifiziert werden kann, Chetail, The Contribution of the International Court of Justice to international humanitarian law, IRRC 85 (2003), S. 235 (260 ff.). 49 ICJ, Military and Paramilitary Activities In and Against Nicaragua (Nicaragua vs. United States of America), ICJ Reports 1986, S. 114 (Abs. 218). 50 Siehe statt vieler Pictet, IV. Convention de Genève, Commentaire, Art. 3 (S. 39). 51 ICJ, Military and Paramilitary Activities In and Against Nicaragua (Nicaragua vs. United States of America), ICJ Reports 1986, S. 114 (Abs. 218). Ausführlich zu diesem Urteil: Chetail, The Contribution of the International Court of Justice to international humanitarian law, IRRC 85 (2003), S. 235 (245). Näher zum Völkergewohnheitsrecht in diesem (3.) Kapitel unten 3.; sowie 10. Kapitel 1. 52 Siehe dazu die Ausführungen zu Art. 27 IV. GA in diesem (3.) Kapitel oben A. I. 1. 53 Pictet, IV. Convention de Genève, Commentaire, Art. 3 2. A. (S. 44). 54 Siehe dazu in diesem (3.) Kapitel oben A. I. 2.
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3. Kap.: Entwicklung des Vergewaltigungsverbots nach 1949
Personen gegeben, das zweite möglicherweise. Folglich kann die Vergewaltigung geschützter Personen, wenn diese begangen wird, um ein bestimmtes Ziel zu erreichen, Folter im Sinne des Artikels 3 sein. Folter im Sinne des Artikels 3 gilt als die Handlungsform mit der höchsten Anwendungsschwelle und umfasst somit immer „grausame Behandlung“, während letztere nicht immer auch Folter sein muss.55 Das Verbot der „grausamen Behandlung“ erstreckt sich jedoch auch auf alle weiteren Handlungen, die schwere psychische oder physische Leiden oder Verletzungen verursachen oder schwere Angriffe auf die Menschenwürde darstellen; es ergänzt insoweit das Folterverbot.56 Da eine Vergewaltigung immer schwere psychische oder physische Leiden verursacht und einen schweren Angriff auf die Würde des Opfers darstellt, ist jede Vergewaltigung einer geschützten Person eine „grausame Behandlung“ im Sinne des Artikels 3. Der gemeinsame Artikel 3 verbietet weiter die „Beeinträchtigung der persönlichen Würde, namentlich erniedrigende und entwürdigende Behandlung“. Auch diese Tatbestandsalternative ist Ausfluss des Gebotes menschlicher Behandlung.57 Geschützt wird der Mensch in seiner Würde als Person; das Prinzip der Achtung der Menschenwürde „is intended to shield human beings from outrages upon their personal dignity, whether such outrages are carried out by unlawfully attacking the body or by humiliating and debasing the honour, the self-respect or the mental well being of a person“.58
Im Gegensatz zur unmenschlichen oder grausamen Behandlung stellt diese Tatbestandsalternative weniger auf die Intensität der zugefügten Schmerzen ab, als auf die Demütigung des Opfers, sei es in den Augen anderer oder des Opfers selbst.59 Dem Opfer einer Vergewaltigung wird fremder Wille aufgezwungen und die Herrschaft über seinen persönlichsten und intimsten Bereich entzogen; es wird häufig auch gesellschaftlich stigmatisiert. Solche Handlungen bzw. Behandlungen sind immer mit Erniedrigung und Entwürdigung des Opfers verbunden. In vielen Fällen kommen noch zusätzliche Umstände, wie etwa das Vollziehen der Tat vor Zuschauern, hinzu, die diese Erniedrigung noch verstärken. Vergewaltigungen ist somit auch eine erniedrigende und entwürdigende Behandlung im Sinne des gemeinsamen Artikel 3 Nr. 1 lit c). Eine Vergewaltigung geschützter Personen verletzt damit gleich mehrere Tatbestandalternativen des gemeinsamen Artikels 3, indem sie sowohl „unmenschliche“ 55 Zimmermann, in: Triffterer, Commentary on the Rome Statute of the International Criminal Court, Art. 8 Rn. 288. 56 The Prosecutor v. Zejnil Delalic´, Zdravko Mucic´, Hazim Delic´, Esad Landzˇ o, IT-96 – 21, Judgement, 16. November 1998, Abs. 443. 57 Viseur Sellers, in: Triffterer, Commentary on the Rome Statute of the International Criminal Court, Art. 8 Rn. 195. 58 The Prosecutor v. Anto Furundzˇ iya, IT-95 – 17/1-T, Judgement, 10. Dezember 1998, Abs. 183. 59 Nowak, UN Covenant on Civil and Political Rights, ICCPR Commentary, Art. 7 Rn 14.
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als auch „grausame“, sowie „entwürdigende und erniedrigende Behandlung“ ist. Diese Feststellung hat weitreichende Konsequenzen für das völkerrechtliche Vergewaltigungsverbot, denn damit ist Vergewaltigung in jedem bewaffneten Konflikt – unabhängig von dessen Qualifikation als internationaler oder nicht-internationaler bewaffneter Konflikt – durch den zu den allgemeinen Grundsätzen des Gewohnheitsrechts zählenden gemeinsamen Artikel 3 verboten.
II. III. Genfer Abkommen zum Schutz der Kriegsgefangenen (1949) Auch wenn Frauen als (Kriegs-)Gefangene in der öffentlichen Wahrnehmung nicht oder kaum präsent sind, beläuft sich die Zahl der vom IKRK jedes Jahr besuchten weiblichen Gefangenen auf mehrere Tausend.60 Frauen in Haft sind – unabhängig vom Grund ihrer Inhaftierung – besonders verletzlich und einer größeren Gefahr der Misshandlung, wie Folter, grausamer, unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung, ausgesetzt als männliche Gefangene. Dies beruht darauf, dass sich Frauen in Haft in der Regel außerhalb ihrer schützenden traditionellen sozialen Umgebung befinden und für ihren Schutz vollständig auf andere angewiesen sind.61 Dieser besonderen Gefährdung von Frauen muss daher durch entsprechende Schutzvorschriften entgegengewirkt werden. Zunächst beinhaltet das auch im Anwendungsbereich des III. GA geltende Gebot der menschlichen Behandlung ein Vergewaltigungsverbot.62 Dieses hat besondere Relevanz im Hinblick auf den Schutz von Personen männlichen Geschlechts vor Vergewaltigung, da auf diese die speziell für Frauen geltenden Schutzvorschriften nicht anwendbar sind. Im internationalen bewaffneten Konflikt werden Frauen als Kriegsgefangene darüber hinaus besonders durch Artikel 14 Absatz II III. Genfer Abkommen (III. GA) geschützt. Nach dieser Vorschrift werden Frauen „mit aller ihrem Geschlecht gebührenden Rücksicht behandelt und erfahren auf jeden Fall eine ebenso günstige Behandlung wie die Männer.“
Nach Pictet sind drei Punkte im Hinblick auf die „gebührende Rücksichtnahme“ auf Frauen besonders zu berücksichtigen: (1) Die größere (körperliche) Schwäche von Frauen; (2) Ehre und Sittsamkeit und (3) Schwangerschaft und Geburt.63 Während sich der erste Punkt vor allem auf die Arbeitsbedingungen von Frauen bezieht, umfasst der erforderliche Schutz von Ehre und Sittsamkeit von Frauen – wie
60 61 62 63
Lindsay, The detention of women in wartime, in: IRRC 83 (2001), S. 505 (505 f.). Lindsay, Women facing War, S. 171. Art. 13 Satz 1 III. GA; vgl. in diesem (3.) Kapitel oben 1. a) aa) (2). Pictet, III. Convention de Gènève, Commentaire, Art. 14 Absatz II 2. (S. 156).
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3. Kap.: Entwicklung des Vergewaltigungsverbots nach 1949
oben bereits erörtert – auch den Schutz vor Vergewaltigung.64 Selbstverständlich stehen Frauen daneben auch als Gefangene, unabhängig davon, ob sie im Rahmen eines internationalen oder nicht-internationalen bewaffneten Konflikts gefangen genommen wurden, unter dem Schutz des gemeinsamen Artikels 3, der – wie erörtert – ein Vergewaltigungsverbot geschützter kriegsgefangener Personen beinhaltet.65
III. Zusatzprotokoll I zu den Genfer Abkommen (1977) Das erste Zusatzprotokoll zu den Genfer Abkommen von 1977 (ZP I) verbessert den Schutz der Opfer internationaler bewaffneter Konflikte und ergänzt insofern die Schutzbestimmungen der vier GA von 1949. Es stellt im Vergleich zum IV. GA dadurch eine Weiterentwicklung dar, dass eigene Staatsangehörige und andere nicht durch das IV. GA geschützte Personen durch die Auffangbestimmung des Art. 75 ZP I geschützt werden. 1. Artikel 76 ZP I Wie das IV. GA enthält auch das ZP I in Artikel 76 Absatz I ein explizites Vergewaltigungsverbot von Frauen.66 Nach diesem Wortlaut werden nur Frauen, nicht aber Männer vor Vergewaltigung geschützt. Darüber hinaus zeigt der Wortlaut, insbesondere im französischen und englischen Original, in der deutschen Übersetzung ist dies weniger deutlich,67 dass Artikel 76 eine doppelte Verpflichtung der Staaten enthält: Zum einen die Verpflichtung die Achtung von Frauen sicherzustellen (Art. 76 Absatz I 1. Halbsatz: „les femmes doivent faire l’objet d’un respect particulier“ bzw. „women shall be protected“) und sie zum anderen zu schützen (Art. 76 Absatz I 2. Halbsatz: „les femmes (…) seront protégées“ bzw. „shall be protected“).68 Aus beiden staatlichen Verpflichtungen ergibt sich ein klares Vergewaltigungsverbot. Auffällig an der Formulierung im ZP I ist weiter, dass Vergewaltigung in diesem 64 Gardam/Jarvis, Women, Armed Conflict and International Law, S. 62; Pictet, III. Convention de Gènève, Commentaire, Art. 14 Abs. II 2. B. (S. 157). 65 Siehe in diesem (3.) Kapitel oben A. I. 4. 66 Artikel 76 (1) Frauen werden besonders geschont, sie werden namentlich vor Vergewaltigung, Nötigung zur Prostitution und jeder anderen unzüchtigen Handlung geschützt. (2) (…); UNTS Band 1125, S. 3. Amtliche deutsche Übersetzung abgedruckt in BGBl. 1990 II S. 1551. 67 Nach Art. 102 ZP I sind der arabische, chinesische, englische, französische, russische und spanische Wortlaut gleichermaßen verbindlich. 68 Kushalani, Dignity and Honour of Women as Basic and Fundamental Human Rights, S. 57; Quénivet; Feminist scholars and international (humanitarian) law: are their claims justified?, HuV-I 2002, S. 227 (231).
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nicht (mehr) in Zusammenhang mit einem Ehrdelikt genannt wird wie noch im IV. GA und dass Männer nicht geschützt werden. 2. Artikel 77 ZP I Nach Artikel 77 Absatz I ZP I werden Kinder besonders geschont und „vor jeder unzüchtigen Handlung geschützt“.
In dieser Formulierung liegt ein besonderes Verbot der Vergewaltigung von Kindern, das auch andere Formen sexueller Gewalt mit einschließt.69 3. Artikel 11 Absatz IV in Verbindung mit Artikel 85 ZP I („schwerer Verstoß“) Wie im IV. GA wird Vergewaltigung auch im ZP I nicht explizit als „schwerer Verstoß“ gegen das Protokoll, der eine Verpflichtung der Staaten zur strafrechtlichen Verfolgung begründet, genannt (Art. 85 Absatz I ZP I). Vergewaltigung könnte jedoch ein schwerer Verstoß im Sinne des Artikels 11 ZP I sein.70 Jede Vergewaltigung gefährdet die psychische und physische Gesundheit des Opfers erheblich und stellt einen Angriff auf seine Integrität der Person dar. Eine Vergewaltigung ohne Wissen und Wollen des Täters ist nicht vorstellbar, so dass es sich immer um ein vorsätzliches Delikt handelt. Folglich ist Vergewaltigung auch ein „schwerer Verstoß“ gegen das ZP I, der strafrechtlich entsprechend geahndet werden muss.71 4. Artikel 75 ZP I Artikel 75 ZP I wird gemeinhin als eine Miniaturkonvention über die im bewaffneten Konflikt anwendbaren elementaren, dem Einzelnen zustehenden Rechte 69
Vgl. Lindsay, Women facing War, S. 58. Art. 11 ZP I lautet: (1) Die körperliche oder geistige Gesundheit und Unversehrtheit von Personen, die sich in der Gewalt der gegnerischen Partei befinden, die infolge einer in Artikel 1 genannten Situation interniert oder in Haft gehalten sind oder denen anderweitig die Freiheit entzogen ist, dürfen nicht durch ungerechtfertigte Handlungen oder Unterlassungen gefährdet werden. (…) (4) Eine vorsätzliche Handlung oder Unterlassung, welche die körperliche oder geistige Gesundheit oder Unversehrtheit einer Person erheblich gefährdet, die sich in der Gewalt einer anderen Partei als derjenigen befindet, zu der sie gehört, und die entweder gegen eines der Verbote der Absätze 1 und 2 verstößt (…), stellt eine schwere Verletzung dieses Protokolls dar. 71 Khushalani, Dignity and Honour of Women as Basic and Fundamental Human Rights, S. 53 und 73. 70
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3. Kap.: Entwicklung des Vergewaltigungsverbots nach 1949
bezeichnet.72 Die Vorschrift ist parallel zum gemeinsamen Artikel 3 der Vier Genfer Abkommen zu lesen.73 Sinn und Zweck der Norm ist es, allen Personen, die sich während eines (internationalen) bewaffneten Konflikts in der Gewalt einer am Konflikt beteiligten Partei befinden und nicht bereits aufgrund der vier GA oder des ZP I besser gestellt sind, bestimmte grundlegende Garantien zu gewähren.74 Artikel 75 Absatz 1 ZP I beinhaltet zunächst wieder das Gebot der menschlichen Behandlung als „Leitmotiv“ und bestimmt, dass jede Partei „die Person, die Ehre, die Überzeugungen und die religiösen Gepflogenheiten“
zu achten hat. Bereits diese Formulierung enthält ein Vergewaltigungsverbot.75 Artikel 75 Absatz 2 präzisiert dieses Gebot.76 Im darin noch einmal statuierten Verbot der Folter ist – wie oben im Zusammenhang des Artikels 32 IV. GA bereits erörtert – ebenfalls ein Vergewaltigungsverbot enthalten, sofern die weiteren Voraussetzungen von Folter vorliegen. Daneben ist Vergewaltigung aufgrund der Folgen auch ein „Angriff auf das körperliche oder geistige Wohlbefinden“ einer Person. In Artikel 75 II lit. b) ZP I wurde der Begriff der entwürdigenden und erniedrigenden Behandlung aus dem gemeinsamen Artikel 3 der GA übernommen und durch die Hinzufügung von „Nötigung zur Prostitution und unzüchtige Handlungen jeder Art“
konkretisiert.77 Vergewaltigung und andere Formen sexueller Gewalt, ob gegen Frauen, Kinder oder Männer sind damit – je nach Umständen des Einzelfalles – sowohl durch das Folterverbot als auch durch das Verbot der entwürdigenden und erniedrigenden Behandlung in Artikel 75 ZP I umfasst und damit verboten. In Bezug auf Artikel 75 Absatz 2 b) ZP I lässt sich diese Folgerung auch aus einem a maiore ad minus Schluss ziehen: „Nötigung zur Prostitution und unzüchtige Handlungen jeder Art“ entsprechen in ihrem Unwertgehalt jedenfalls sexueller Gewalt und Verge72 Sandoz/Swinarski/Zimmermann, Commentary on the Additional Protocols of 8 June 1977 to the Geneva Conventions of 12 August 1949, Art 75 Rn. 3006. 73 Sandoz/Swinarski/Zimmermann, Commentary on the Additional Protocols of 8 June 1977 to the Geneva Conventions of 12 August 1949, Art. 75, Rn. 3007, 3037 f. 74 Art. 75 Absatz 1 ZP I. Siehe Gasser, Einführung in das humanitäre Völkerrecht, S. 34 f.; Sandoz/Swinarski/Zimmermann, Commentary on the Additional Protocols of 8 June 1977 to the Geneva Conventions of 12 August 1949, Art 75 Rn. 3006, 3009 ff. 75 Vgl. die Ausführungen zu Art. 27 Absatz 1 in diesem (3.) Kapitel oben A. I. 1. a) und b). 76 Art. 75 Absatz 2 ZP I lautet: (2) Folgende Handlungen sind und bleiben jederzeit und überall verboten, gleichviel ob sie durch zivile Bedienstete oder durch Militärpersonen begangen werden: a) Angriffe auf das Leben, die Gesundheit oder das körperliche oder geistige Wohlbefinden von Personen, insbesondere (…) ii) Folter (…) b) Beeinträchtigung der persönlichen Würde, insbesondere entwürdigende und erniedrigende Behandlung, Nötigung zur Prostitution und unzüchtige Handlungen jeder Art, c) (…). 77 Vgl. in diesem (3.) Kapitel oben A. I. 4.
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waltigung. Letztere müssen deshalb ebenfalls „Beeinträchtigungen der persönlichen Würde“ sein. Im Gegensatz zu Artikel 76 ZP I, der sich nur auf Frauen bezieht, schützt Artikel 75 ZP I alle geschützten Personen, also auch Männer vor Vergewaltigung. 5. Martens’sche Klausel (Artikel 1 Absatz II ZP I) Die bereits in der Präambel zu den Haager Landkriegsordnungen enthaltene Martens’sche Klausel wurde in Artikel 1 Absatz II ZP I übernommen. Wie oben schon dargelegt, bestimmt sie, dass Zivilpersonen immer „unter dem Schutz und der Herrschaft der Grundsätze des Völkerrechts, wie sie sich aus feststehenden Gebräuchen, aus den Grundsätzen der Menschlichkeit und aus den Forderungen des öffentlichen Gewissens ergeben“
verbleiben, wozu der Schutz vor sexuellen Übergriffen und vor allem vor Vergewaltigung zählt.78
IV. Zusatzprotokoll II zu den Genfer Abkommen (1977) Im Gegensatz zu den bisher erörterten Bestimmungen der vier GA und des ZP I – mit Ausnahme des gemeinsamen Artikels 3 – regelt das zweite Zusatzprotokoll zu den Genfer Abkommen (ZP II) den Schutz der Opfer in nicht-internationalen bewaffneten Konflikten.79 Aufgrund des Nichteinmischungsgrundsatzes war es politisch sehr viel heikler und damit schwieriger, Regelungen für den nicht-internationalen bewaffneten Konflikt zu finden. Das ZP II ist deshalb wesentlich kürzer und erheblich weniger detailliert als die vier GA und das ZP I; gleichwohl ergänzt es – auch durch die Schaffung des Internationalen Paktes für bürgerliche und politische Rechte inspiriert – die im gemeinsamen Artikel 3 der vier GA enthaltenen Regeln.80 Grundlegende Garantien für nicht (mehr) an den Feindseligkeiten teilnehmende Personen enthält Artikel 4 ZP II.81
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S. 50. 79
Kushalani, Dignity and Honour of Women as Basic and Fundamental Human Rights,
UNTS Band 1125, S. 609. Amtliche deutsche Übersetzung abgedruckt in BGBl. 1990 II, S. 1637. 80 Ipsen, Völkerrecht § 65 Rn. 16 – 18; Sandoz/Swinarski/Zimmermann, Commentary on the Additional Protocols of 8 June 1977 to the Geneva Conventions of 12 August 1949, Art 4 Rn. 4515. 81 Art. 4 ZP II lautet: (1) Alle Personen, die nicht unmittelbar oder nicht mehr an Feindseligkeiten teilnehmen, haben, gleichviel ob ihnen die Freiheit entzogen ist oder nicht, Anspruch auf Achtung ihrer Person, ihrer Ehre, ihrer Überzeugungen und ihrer religiösen Gepflogenheiten. Sie werden unter allen Umständen mit Menschlichkeit (…) behandelt. (…)
96
3. Kap.: Entwicklung des Vergewaltigungsverbots nach 1949
Da Vergewaltigung – wie bereits dargestellt – immer grausame Behandlung und unter der Voraussetzung, dass mit der Tat ein bestimmter Zweck verfolgt wird, auch Folter im Sinne des humanitären Völkerrechts ist und somit einen Angriff auf das körperliche oder geistige Wohlbefinden einer Person darstellt, ist Vergewaltigung im nicht-internationalen bewaffneten Konflikt außer durch den gemeinsamen Artikel 3 der vier Genfer Abkommen auch durch Artikel 4 Abs. 2 lit. a) ZP II verboten. Erstmalig bezeichnet Artikel 4 Absatz 2 lit. e) ZP II darüber hinaus Vergewaltigung ausdrücklich als eine – verbotene – „Beeinträchtigung der persönlichen Würde“ und „entwürdigende und erniedrigende Behandlung“.82 Weiter ist Vergewaltigung – soweit sie in Verbindung mit irgendeiner Form der Sklaverei gebracht werden kann – auch durch das Verbot der Sklaverei aus Artikel 4 Absatz 2 lit. f verboten, darüber hinaus darf schließlich nach lit. h mit keiner dieser – verbotenen – Handlungen gedroht werden.
B. Menschenrechtliche Vergewaltigungsverbote I. Verhältnis humanitäres Völkerrecht und Menschenrechte Im Gegensatz zu den Regelungen des humanitären Völkerrechts, die die Staaten verpflichten, im Falle eines bewaffneten Konfliktes grundlegende Prinzipien der Menschlichkeit zu beachten, ist das Individuum aus menschenrechtlicher Sicht selbst Träger von Rechten und insoweit partielles Völkerrechtssubjekt.83 Auch wenn Menschenrechte und humanitäres Völkerrecht verschiedene Ursprünge und vor allem unterschiedliche Zielsetzungen haben und auf unterschiedlichen theoretischen Grundlagen beruhen, teilen sie doch ein gemeinsames Ziel: „The safeguarding of elemental principles of humanity“.84 (2) Unbeschadet der allgemeinen Gültigkeit der vorstehenden Bestimmungen sind und bleiben in Bezug auf die in Absatz genannten Personen jederzeit und überall verboten: a) Angriffe auf das Leben, die Gesundheit und das körperliche oder geistige Wohlbefinden von Personen, insbesondere vorsätzliche Tötung und grausame Behandlung wie Folter, Verstümmelung oder jede Art körperlicher Züchtigung; (…) e) Beeinträchtigung der persönlichen Würde, insbesondere entwürdigende und erniedrigende Behandlung, Vergewaltigung, Nötigung zur Prostitution und unzüchtige Handlungen jeder Art; f) Sklaverei und Sklavenhandel in allen ihren Formen; (…) h) die Androhung einer dieser Handlungen. 82 Vgl. Papaconstantinou, Rape as a Crime under Internatonal Humanitarian Law, RHDI 51 (1998), S. 477 (492). 83 Lopez, Individuals as Subjects of International Humanitarian Law and Human Rights Law, in: Arnold/Quénivet, International Humanitarian Law and Human Rights Law, S. 199 – 235 (202). 84 Vinuesa, Interface, Correspondance and Convergence of Human Rights and International Humanitarian Law, in: YIHL 1 (1998), S. 69 (76). Ebenso ausführlich zum Unterschied zwi-
B. Menschenrechtliche Vergewaltigungsverbote
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Auch aus menschenrechtlichen Normen können sich folglich Verbote im bewaffneten Konflikt zu vergewaltigen ergeben. Sofern die parallele Anwendung von Menschenrechten und humanitärem Völkerrecht zu Überlappungen führt, sind inhaltliche Widersprüche nach den Grundsätzen des Vorranges der spezielleren Norm, der lex specialis-Regel, aufzulösen.85
II. Völkermordkonvention Die „Konvention über die Verhütung und Bestrafung des Völkermordes“86 vom 9. Dezember 1948 (Völkermordkonvention) entstand nach dem Zweiten Weltkrieg unter dem Eindruck der Ausrottungspolitik des nationalsozialistischen Regimes.87 Das darin kodifizierte Verbot des Völkermordes zählt nicht nur zum Völkergewohnheitsrecht sondern auch zum jus cogens.88 Im Zusammenhang mit der an dieser Stelle untersuchten Frage nach der Entwicklung des Vergewaltigungsverbot im bewaffneten Konflikt bis zur Schaffung der Ad hoc-Tribunale ist daher zu untersuchen, unter welchen Voraussetzungen Vergewaltigung theoretisch Völkermord darstellen kann. Dies ist besonders im Hinblick schen humanitärem Völkerrecht und Menschenrechten Bothe, Humanitäres Völkerrecht und Schutz der Menschenrechte, in: Dupuy/Fassbender/Shaw/Sommermann (Hrsg.), Völkerrecht als Wertordnung, S. 63 – 90 (64 ff); Doswald-Beck/Vité, International Humanitarian Law and Human Rights Law, RICR 293 (1993), S. 94 (101); Meron, The Humanization of Humanitarian Law, AJIL 94 (2000), S. 239 (273 ff.). 85 Hierzu führt der IGH im Nuklearwaffengutachten aus: „In principle the right not arbitrarily to be deprived of one’s life applies also in hostilities. The test of what is an arbitrary deprivation of life, however, then falls to be determined by the applicable lex specialis, namely, the law applicable in armed conflict which is designed to regulate the conduct of hostilities.“; International Court of Justice, Advisory Opinion on the Legality of the Threat or Use of Nuclear Weapons, ICJ Reports 1996, Abs. 25; identisch International Court of Justice, Advisory Opinion on Legal Consequences of a Wall in the Occupied Palestinian Territory, ICJ Reports 2004, Abs. 106. Ausführlich im Schrifttum: Meron, The Humanization of Humanitarian Law, AJIL 94 (2000), S. 239 (266 f.); Milanovic, Extraterritorial Application of Human Rights Treaties, S. 233 ff. 86 UNTS Band 78, S. 277. Amtliche deutsche Übersetzung abgedruckt in BGBl. 1954 II, S. 730. 87 Ausführlich zur Geschichte der Völkermordkonvention Hübner, Das Verbrechen des Völkermordes im internationalen und nationalen Recht, S. 63 ff.; Shany, The Road to the Genocide Convention and Beyond, in: Gaeta, The UN Genocide Convention, S. 3 – 26 (3 ff.); Schabas, in: Hankel, Recht und Moral, S. 189 (194), sowie ders., in: Cassese/Gaeta/Jones, The Rome Statute of the ICC, S. 338. 88 International Court of Justice Application of the Convention on the Prevention and Punishment of the Crime of Genocide (Bosnia and Herzegovina v. Yugoslavia (Serbia and Montenegro), Urteil vom 26. 02. 2007, ICJ Reports 2007, S. 111 para 161 – 162. Im Schrifttum siehe statt vieler Ben-Naftali, The Obligation to Prevent and to Punish Genocide, in: Gaeta, The UN Genocide Convention, S. 27 – 57 (36); Cassese, International Criminal Law, S. 98 m.w.N., sowie Schabas, An Introduction to the International Criminal Court, S. 37. Auch das Bundesverfassungsgericht bestätigt den gewohnheitsrechtlichen Charakter des Völkermordverbotes, BVerfGE NJW 2001, S. 1848.
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3. Kap.: Entwicklung des Vergewaltigungsverbots nach 1949
darauf, dass der Wortlaut der Definition von Völkermord später sowohl in die Statuten der Ad hoc-Tribunale für das ehemalige Jugoslawien (ICTY) und für Ruanda (ICTR) als auch in das Römische Statut für den Internationalen Strafgerichtshof übernommen wurde, bedeutsam.89 Artikel 2 der Völkermordkonvention enthält eine völkergewohnheitsrechtliche Definition von Völkermord90 und bestimmt in Artikel 3, dass alle entsprechenden Handlungen einschließlich Anstiftung und Teilnahme zu bestrafen sind.91 Allerdings ist die Subsumtion von Vergewaltigung unter den Tatbestand des Völkermords nicht offensichtlich, da Völkermord bereits begrifflich eine vielfache Tötung voraussetzt, während Vergewaltigung eine Gewalttat ist, die das Opfer in der Regel überlebt. Völkermord muss immer ein Angriff auf die Existenz einer „nationalen, ethnischen, rassischen oder religiösen Gruppe als solcher“ sein. Hieraus ergibt sich, dass dieser Tatbestand nicht durch einzelne, isolierte (Vergewaltigungs-)Taten erfüllt werden kann, sondern nur dann in Betracht kommt, wenn diese organisierter Teil einer auf die Zerstörung der Gruppe als solcher gerichteten absichtlichen Strategie sind und systematisch erfolgen. Ein Hinweis auf das Geschlecht als Gruppe, die zerstört werden kann, findet sich nicht in der Definition von Völkermord. Dies ist damit zu erklären, dass sich in den travaux préparatoires zur sogenannten Völkermordkonvention kein ausdrücklicher Hinweis auf Vergewaltigung als Methode des Völkermordes oder der Zerstörung einer durch das Merkmal des Geschlechts unterscheidbaren Gruppe findet, so dass davon auszugehen ist, dass diese Frage während der Verhandlungen der Konvention nicht diskutiert wurde.92 Bevor diese Frage durch die unten untersuchte Rechtsprechung der Tribunale insbesondere im Fall Akayesu gelöst wurde, wurde argumentiert, dass ,genocidal rape‘ die geschlechtliche Dimension des Verbrechens der Vergewaltigung verschwimmen ließe, da der Fokus des Völkermords auf der Gruppe als solcher und nicht auf dem einzelnen Individuum 89
Vgl. Art. 4 Absatz II ICTY-Statut; Art. 2 Absatz II ICTR-Statut, Art. 6 IStGH-Statut. Die Rechtsprechung der beiden Ad hoc-Tribunale in den Fällen Jelisic, Krstic, Kunarac, Akayesu und Rutaganda hat diese Definition in der Folgezeit konkretisiert; vgl. dazu unten 5. Kapitel A. I. 3. und B. I. 1., sowie 7. Kapitel D. 90 Art. 2 der Völkermordkonvention lautet: In dieser Konvention bedeutet Völkermord eine der folgenden Handlungen, die in der Absicht begangen wird, eine nationale, ethnische, rassische oder religiöse Gruppe als solche ganz oder teilweise zu zerstören: (a) Tötung von Mitgliedern der Gruppe; (b) Verursachung von schweren körperlichen oder seelischen Schäden an Mitgliedern der Gruppe; (c) vorsätzliche Auferlegung von Lebensbedingungen für die Gruppe, die geeignet sind ihre körperliche Zerstörung ganz oder teilweise herbeizuführen; (d) Verhängung von Maßnahmen, die auf die Geburtenverhinderung innerhalb der Gruppe gerichtet sind; (e) gewaltsame Überführung von Kindern der Gruppe in eine andere Gruppe. 91 Siehe statt vieler Schabas, in: Triffterer, Commentary on the Rome Statute of the International Criminal Court, Article 6, Rn. 1 m.w.N. insbesondere auf die IGH-Rechtsprechung. 92 de Brouwer, Supranational Criminal Prosecution of Sexual Violence, S. 43.
B. Menschenrechtliche Vergewaltigungsverbote
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liege.93 Eine andere Auffassung, die letztlich auch von der Rechtsprechung übernommen wurde, argumentierte, dass sich ,genocidal rape‘ gerade durch den doppelten Fokus der Täter auf der ethnischen Gruppe als solcher und auf der Geschlechtszugehörigkeit der Opfer auszeichne.94 Bezüglich des objektiven Tatbestands wird in der Literatur diskutiert systematische Vergewaltigungen unter lit. b, c, d und e zu fassen.95 Bezüglich der Verursachung von „schweren körperlichen oder seelischen Schäden“ (lit. b) wird gefordert, dass diese so zerstörerisch sein müssen, dass das Opfer nicht länger als ein „nützliches Mitglied der anvisierten Gruppe“ funktionieren könne und dadurch die Gruppe als Gruppe aufhöre zu existieren.96 Als systematische Praktik führe Vergewaltigung zu so schweren körperlichen, aber vor allem seelischen Schäden an Mitgliedern der Opfergruppe und könne daher – soweit auch der subjektive Tatbestand erfüllt sei (s. u.) – lit. b unterfallen.97 Schwieriger ist dagegen die Subsumtion unter lit. c als Auferlegung von zerstörerischen Lebensbedingungen für die Gruppe. Diese Lebensbedingungen müssen die Gruppe nicht als solche zerstören; es ist vielmehr ausreichend, wenn sie die ganze oder teilweise körperliche Zerstörung der Gruppe verursachen bzw. verursachen sollen.98 Es gibt Autoren, die dies im Falle systematischer Massenvergewaltigungen als gegeben betrachten: dadurch dass Massenvergewaltigungen ein Klima der Angst und des Schreckens schafften, würden zahlreiche Zivilisten veranlasst, aus ihren Wohnungen zu fliehen. In dem Moment, in dem sie ihre Dörfer verließen, würde die Gruppe versprengt und daher als solche nicht mehr existieren.99 Auch wenn dieser Argumentation insoweit zuzustimmen ist, als Massenvergewaltigungen ein wirksames Mittel der Vertreibung sind, kann hier nicht vom Vorliegen eines Völkermordtatbestandes ausgegangen werden: Vertreibung zerstört die Gruppe als solche nicht physisch, da sie – wenn auch in alle Winde zerstreut – weiter existiert. Die 93 Copelon, Gendered War Crimes: Reconceptualizing Rape in Time of War, in: Peters/ Wolper, Women’s Rights, Human Rights, S. 197 – 214. 94 de Brouwer, Supranational Criminal Prosecution of Sexual Violence, S. 45; Copelon, Gender Crimes as War Crimes, Integrating Crimes Against Women into International Criminal Law, McGill L.J. 46 (2000), S. 228; vgl. dazu unten 6. Kapitel E. 95 Bassiouni/Manikas, The Law of the International Criminal Tribunal for the Former Yugoslavia, S. 586 ff.; de Than/Shorts, International Criminal Law and Human Rights, Rn. 4003 ff. (S. 66 ff.); Webb, Genocide Treaty-Ethnic Cleansing-Substantive and Procedural Hurdles in the Application of the Genocide Convention to Alleged Crimes in the Former Yugoslavia, Georgia Journal of International and Comparative Law 23 (1993), S. 377 ff. 96 de Than/Shorts, International Criminal Law and Human Rights, Rn. 4-011 (S. 77). 97 Vest, Genozid durch organisatorische Machtapparate, S. 127 m.w.N.; vgl. – wenn auch etwas verkürzend – Wullweber, Vergewaltigung als Waffe und das Kriegsvölkerrecht, KJ 1993, S. 179 (183), Wing/Merchán, Rape, Ethnicity and Culture: Spirit Injury from Bosnia to Black America, Columbia Human Rights Law Review 25 (1993), S. 1 (18). 98 Than/Shorts, International Criminal Law and Human Rights, Rn. 4-012 (S. 78). 99 Wing/Merchán, Rape, Ethnicity and Culture: Spirit Injury from Bosnia to Black America, Columbia Human Rights Law Review 25 (1993), S. 1 (18).
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3. Kap.: Entwicklung des Vergewaltigungsverbots nach 1949
Völkermordkonvention stellt aber gerade auf die im Fall der Vertreibung nicht gegebene körperliche Zerstörung einer Gruppe als solcher bzw. deren Ausrottung ab.100 Folglich ist eine Gruppe, die vertrieben wurde, nicht „zerstört“ im Sinne der Konvention, weshalb Massenvergewaltigungen den Tatbestand des lit. c nicht erfüllen. Ebenso bereitet die Subsumtion von Massenvergewaltigungen unter lit. d und e als auf die Geburtenverhinderung gerichtete Maßnahmen bzw. gewaltsame Überführung von Kindern der Gruppe in eine andere Gruppe Schwierigkeiten. Einige Autoren sehen die Tatbestandsvariante lit. d zumindest für die Massenvergewaltigungen von Musliminnen im ehemaligen Jugoslawien als erfüllt an, da sich die ethnische Zugehörigkeit von Kindern nach islamischem Recht nach der des Vaters richte und Kinder serbischer Väter daher keine Muslime seien. Folglich sei die Vergewaltigung einer muslimischen Frau durch einen Nicht-Muslimen ein Mittel, die Geburt eines muslimischen Kindes zu verhindern. In den Fällen, in denen die vergewaltigten Frauen so lange festgehalten wurden, bis es zu einer Abtreibung zu spät war und sie somit gezwungen waren, das nichtmuslimische Kind zu gebären, liege darüber hinaus auch eine gewaltsame Überführung von Kindern in eine andere Gruppe nach lit. e vor.101 Hinsichtlich der Überführung von Kindern in eine andere Gruppe ist diese Interpretation jedoch abzulehnen, weil sie über den Wortlaut hinausgeht, indem sie die Überführung der Kinder auf die Zeugung des Kindes und damit auf einen Zeitpunkt vorverlegt, in dem es noch kein „Kind“ gibt.102 Die auf die Geburtenverhinderung gerichtete Maßnahme (lit. d) scheint dagegen nicht ausgeschlossen, auch wenn die oben angeführte Begründung der Verhinderung der Geburt eines muslimischen Kindes konstruiert und künstlich anmutet, zumal nicht jede Vergewaltigung zu einer Schwangerschaft führt. Allerdings sind (mehrfach) vergewaltigte Frauen regelmäßig psychisch so traumatisiert, dass ein normales Sexualleben auf unabsehbare Zeit unmöglich wird und somit die Zahl der Schwangerschaften erheblich abnimmt. Darüber hinaus haben die mit einer Vergewaltigung verbundenen körperlichen Verletzungen häufig Unfruchtbarkeit zur Folge. Für den Kontext der Vergewaltigungen muslimischer Frauen im ehemaligen Jugoslawien ist schließlich noch zu berücksichtigen, dass diese traditionell als durch die Vergewaltigung „beschmutzt“ und „untugendhaft“ galten und daher zur Rettung der Familienehre verstoßen werden mussten – was bereits die Gruppe als solche zerstört, aber vor allem zukünftige Geburten in der Gruppe verhindert. Da diese Auswirkungen den Tätern bekannt waren, ist die objektive Tatbestandsvariante lit. d theoretisch denkbar. Diese Interpretation geht – entgegen anderer Ansicht103 – auch 100
Than/Shorts, International Criminal Law and Human Rights, Rn. 4-009 (S. 76). Wing/Merchán, Rape, Ethnicity and Culture: Spirit Injury from Bosnia to Black America, Columbia Human Rights Law Review 25 (1993), S. 1 (18 ff.); Webb, Genocide Treaty-Ethnic Cleansing-Substantive and Procedural Hurdles in the Application of the Genocide Convention to Alleged Crimes in the Former Yugoslavia, Georgia Journal of International and Comparative Law 23 (1993), S. 377 (402). 102 So auch Vest, Genozid durch organisatorische Machtapparate, S. 127. 103 Vest, Genozid durch organisatorische Machtapparate, S. 127. 101
B. Menschenrechtliche Vergewaltigungsverbote
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nicht über den Wortlaut der Norm hinaus, da die genannten Folgen einer Vergewaltigung im Rahmen der allgemeinen Lebenserfahrung liegen. Der subjektive Tatbestand des Völkermords setzt die Absicht, eine Gruppe „als solche ganz oder teilweise zu zerstören, voraus“. Dieses Erfordernis des subjektiven Tatbestands wird auch als „Völkermord-Absicht“ bezeichnet und stellt das eigentliche Problem der Konvention dar, da es voraussetzt, dass den Tätern nachgewiesen wird, in der Absicht, eine bestimmte Gruppe als solche ganz oder teilweise zu zerstören, gehandelt zu haben.104 Sofern die erforderliche Völkermord-Absicht des subjektiven Tatbestands nachgewiesen werden kann, – womit in der Praxis erhebliche Schwierigkeiten verbunden sind – erscheint es daher tatbestandlich nicht ausgeschlossen, Vergewaltigung als Völkermord zu verurteilen. Dieser theoretische Ansatz begann sich jedoch erst in den 1990er Jahren mit der Rechtsprechung der Ad hoc-Tribunale zu konkretisieren.105
III. Allgemeine Erklärung der Menschenrechte/Internationaler Pakt für bürgerliche und politische Rechte Als Resolution der Generalversammlung der Vereinten Nationen hat die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte vom 10. Dezember 1948 (AEMR) keine die Staaten unmittelbar bindende Wirkung.106 Sie war jedoch Grundlage der beiden VNMenschenrechtspakte für bürgerliche und politische Rechte (IPbpR),107 sowie für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (IPwskR) von 1966.108 Darüber hinaus hat die AEMR, obwohl zu den Menschenrechten zählend, die Schaffung des gemeinsamen Artikels 3 der vier Genfer Abkommen beeinflusst.109 Die meisten der in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte enthaltenen Rechte werden inzwischen als Völkergewohnheitsrecht angesehen.110 Für die Frage nach einem Vergewaltigungsverbot in bewaffneten Konflikten könnten – ähnlich wie im humanitären Völkerrecht – das Verbot von Folter und 104 Schmidt am Busch, Die Kriegsverbrechen an Frauen im Jugoslawienkonflikt, KJ 1995, S. 1 (6); Vest, Genozid durch organisatorische Machtapparate, S. 128, sowie ausführlich zum Erfordernis der Zerstörungsabsicht, S. 101 – 118; Jessberger, The Definition and the Elements of the Crime of Genocide, in: Gaeta, The Genocide Convention, 87 – 111 (105 ff.). 105 Hierzu ausführlich unten 6. Kapitel E., sowie 7. Kapitel D. 106 Deutsche Übersetzung in Sartorius II, Internationale Verträge – Europarecht, Nr. 19. 107 UNTS Band 999, S. 171. Amtliche deutsche Übersetzung abgedruckt in BGBl. 1973 II, S. 1534. 108 UNTS Band 993, S. 3. Amtliche deutsche Übersetzung abgedruckt in BGBl. 1973 II, S. 1570. 109 Doswald-Beck/Vité, International Humanitarian Law and Human Rights Law, RICR 293 (1993), S. 94 ff. 110 Ausführlich dazu Lillich, The Growing Importance of Customary International Human Rights Law, Georgia Journal of International and Comparative Law 25 (1995/96), S. 1 (2 ff.).
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3. Kap.: Entwicklung des Vergewaltigungsverbots nach 1949
grausamer, unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung (Art. 5 AEMR, Art. 7 IPbpR) sowie das Verbot der Sklaverei (Art. 4 AEMR, Art. 8 IPbpR) und das Recht auf Schutz der Privatsphäre (Art. 12 AEMR, Art. 17 IPbpR) relevant sein. 1. Verbot der Folter und grausamer, unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung (Art. 7 IPbpR) Im Bereich der Menschenrechte wird die Definition von Folter aus Artikel 1 des „Übereinkommens gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe“ (Folterkonvention) heute als gewohnheitsrechtlich anerkannt betrachtet.111 Danach ist Folter (1) die vorsätzliche Herbeiführung heftiger körperlicher oder seelischer Schmerzen oder großer Leiden, um (2) ein bestimmtes Ziel zu erreichen, wenn dies – und hierin unterscheidet sich die menschenrechtliche von der humanitär-völkerrechtlichen Definition – (3) durch einen Angehörigen des öffentlichen Dienstes oder einer anderen Amtsperson, auf deren Veranlassung oder mit deren Einverständnis geschieht. Wie im humanitär-völkerrechtlichen Teil bereits festgestellt beinhaltet Vergewaltigung die vorsätzliche Herbeiführung heftiger körperlicher oder seelischer Schmerzen oder großer Leiden. Wenn eine Vergewaltigung mit einem bestimmten Ziel, etwa der Demoralisierung des Opfers, erfolgt, ist dies Folter im Sinne des humanitären Völkerrechts.112 Insoweit ergeben sich bei den beiden ersten Merkmalen keine Unterschiede zwischen der humanitär-völkerrechtlichen und der menschenrechtlichen Definition von Folter. Der menschenrechtliche Folterbegriff verlangt darüber hinaus das Handeln in amtlicher Eigenschaft, um zu verhindern, dass Staaten für Handlungen verantwortlich gemacht werden, die außerhalb ihres Einflussbereiches liegen.113 Wenn die Vergewaltigung also durch einen Angehörigen des öffentlichen Dienstes oder einer anderen in amtlicher Eigenschaft handelnden Person erfolgt, von einer solchen veranlasst wurde oder mit ihrem Einverständnis geschieht, ist sie Folter im Sinne des IPbpR. „Grausame“, „unmenschliche“ oder „erniedrigende Behandlung“ unterscheidet sich von Folter sowohl dadurch, dass mit ihr jeweils kein Zweck verfolgt werden muss als auch im Verzicht auf eine Handlung in amtlicher Eigenschaft.114 Darüber hinaus gilt Folter als die Handlungsform mit der höchsten Anwendungsschwelle, 111
ICJ, Questions Relating to the Obligation to Prosecute or to Extradite, (Belgium v. Senegal), Urteil vom 20. Juli 2012, Abs. 99; Casesse, International Criminal Law, S. 119; Joseph/Schultz/Castan, The International Covenant on Civil and Political Rights, Rn. 9.04; allgemein zur Folterkonvention siehe in diesem (3.) Kapitel unten B. IV. 112 Siehe in diesem (3.) Kapitel oben 1. a) bb). 113 Joseph/Schultz/Castan, The International Covenant on Civil and Political Rights, Rn. 9.10. 114 Joseph/Schultz/Castan, The International Covenant on Civil and Political Rights, Rn. 9.18.
B. Menschenrechtliche Vergewaltigungsverbote
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weshalb mit „Folter“ ein besonderes Stigma verbunden ist.115 Auf eine genauere Definition von „grausamer“, „unmenschlicher“ und „erniedrigender Behandlung“ wurde verzichtet; sie beinhaltet jedoch nicht nur physische, sondern auch psychische Leiden und Schmerzen, die in Ermangelung eines für die Folter erforderlichen Tatbestandsmerkmals nicht als solche zu qualifizieren sind.116 Weiterhin fallen auch alle Praktiken, bei denen die Zufügung von Leid die für die Folter notwendige Intensitätsgrenze nicht erreicht, unter diesen Begriff.117 Das Verbot der „grausamen Behandlung“ ergänzt somit das der Folter. Wie im humanitären Völkerrecht umfasst auch der menschenrechtliche Folterbegriff somit „grausame Behandlung“, während letztere nicht immer auch Folter sein muss.118 Hinsichtlich dieser Tatbestandsalternativen ergeben sich damit keine Unterschiede zu grausamer, unmenschlicher und erniedrigender Behandlung im Sinne der GA, so dass hier auf die oben bereits erfolgte Subsumtion von Vergewaltigung unter die jeweiligen Tatbestände verwiesen werden kann.119 Gemäß Artikel 4 Absatz 2 IPbpR kann das Folterverbot aus Artikel 7 unter keinen Umständen vorübergehend außer Kraft gesetzt werden. Es ist damit auch im bewaffneten Konflikt uneingeschränkt neben den entsprechenden humanitär-völkerrechtlichen Schutzvorschriften, die insoweit nicht spezieller sind, anwendbar. 2. Recht auf Freiheit und Sicherheit der Person (Art. 9 Abs. I Satz 1 IPbpR) Bereits in Artikel 3 AEMR enthalten, garantiert Artikel 9 Absatz I Satz 1 IPbpR jedem Menschen das Recht auf persönliche Freiheit und Sicherheit. Das Recht auf Freiheit ist eines der ältesten Grundrechte und ist – im Unterschied zu absoluten Rechten wie dem Folter- und Sklavereiverbot – nicht auf die Abschaffung sämtlicher freiheitsentziehender Maßnahmen ausgerichtet, sondern beinhaltet lediglich eine Verfahrensgarantie, die willkürliche Freiheitsentziehungen verbietet.120 Ob dem Recht auf persönliche Sicherheit eine eigenständige Bedeutung neben dem Recht auf Freiheit zukommt, ist umstritten: Während das Recht auf Sicherheit von einigen Autoren als Anspruch auf staatlichen Schutz gegen Rechtsbeeinträchtigungen auf horizontaler Ebene verstanden wird, misst ihm beispielsweise der Europäische 115
Joseph/Schultz/Castan, The International Covenant on Civil and Political Rights, Rn. 9.03; Nowak/McArthur, The United Nations Convention Against Torture, A Commentary, S. 66. 116 CCPR, General Comment No. 20, Replaces general comment 7 concerning prohibition of torture and cruel treatment or punishment (Art. 7), vom 10. 03. 1992, Abs. 2 und 5; Joseph/ Schultz/Castan, The International Covenant on Civil and Political Rights, Rn. 9.17 – 9.19. 117 Nowak, UN Covenant on Civil and Political Rights, CCPR-Commentary, Art. 7 Rn. 10. 118 Zimmermann, in: Triffterer, Commentary on the Rome Statute of the International Criminal Court, Art. 8 Rn. 274. 119 Siehe in diesem (3.) Kapitel oben A. I. 1. B) sowie 2. 120 Nowak, UN Covenant on Civil and Political Rights, ICCPR Commentary, Art. 9 Rn. 2.
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3. Kap.: Entwicklung des Vergewaltigungsverbots nach 1949
Gerichtshof für Menschenrechte keine eigenständige Bedeutung zu.121 Für die erste Auffassung sprechen jedoch sowohl Wortlaut und systematische Stellung als auch die Tatsache, dass eine Interpretation der Norm, die einer Vertragspartei in ihrem Hoheitsbereich erlaubte, Drohungen gegen die persönliche Sicherheit einer Person zu ignorieren, die Schutzgarantien des IPbpR wirkungslos werden ließe.122 Für die Frage nach einem Vergewaltigungsverbot bedeutet dies, dass Vergewaltigungen durch Angehörige des öffentlichen Dienstes oder andere, dem Staat zurechenbaren Handelnden insofern das Recht auf persönliche Freiheit verletzen, als dass damit – zumindest während des Vollzugs des Geschlechtsakts – immer die persönliche Freiheit im Sinne der körperlichen Bewegungsfreiheit eingeschränkt bzw. entzogen ist. Da eine Vergewaltigung immer die körperliche Integrität des Opfers verletzt, ist damit außerdem regelmäßig – unabhängig davon, ob die Vergewaltigung durch dem Staat zurechenbare Täter oder Private begangen wird – eine Verletzung des Rechts auf Sicherheit der Person verbunden. Die Rechte aus Artikel 9 Absatz 1 Satz 1 IPbpR können im Falle eines erklärten öffentlichen Notstandes gemäß Artikel 4 Absatz I IPbpR vorübergehend außer Kraft gesetzt werden; sie sind also nicht notstandsfest und können gegebenenfalls in einem bewaffneten Konflikt durch entsprechende Mitteilung derogiert werden. 3. Schutz der Privatsphäre (Art. 17 IPbpR) Im Zusammenhang mit einem Verbot von sexueller Gewalt und Vergewaltigung im bewaffneten Konflikt ist schließlich der bereits in Artikel 12 AEMR enthaltene und durch Artikel 17 IPbpR garantierte Schutz der Privatsphäre zu erörtern.123 Der Wortlaut des Artikels zeigt seine doppelte Zielrichtung: Zum einen gibt er allen Menschen einen Schutzanspruch, zum anderen begründet er positive Handlungspflichten der Staaten als Vertragsparteien zur Durchsetzung dieses Schutzanspruchs.124 Im vorliegenden Zusammenhang sind zwei geschützte Rechtsgüter von Interesse, nämlich der Schutz des Privatlebens und der Schutz vor rechtswidrigen Beeinträchtigungen der Ehre.
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Nowak, UN Covenant on Civil and Political Rights, ICCPR Commentary, Art. 9 Rn. 8. Joseph/Schultz/Castan, The International Covenant on Civil and Political Rights, Rn. 11.03 f., sowie Nowak, UN Covenant on Civil and Political Rights, ICCPR Commentary, Art. 9 Rn. 8. Vgl. Human Rights Committee, Delgada Páez v. Colombia (195/85) Abs. 5.5 und 5.6. 123 Art. 17 IPbpR lautet: (1) Niemand darf willkürlichen oder rechtswidrigen Eingriffen in sein Privatleben, seine Familie, seine Wohnung und seinen Schriftverkehr oder rechtswidrigen Beeinträchtigungen seiner Ehre und seines Rufes ausgesetzt werden. (2) Jedermann hat Anspruch auf rechtlichen Schutz gegen solche Eingriffe oder Beeinträchtigungen. 124 Nowak, UN Covenant on Civil and Political Rights, ICCPR Commentary, Art. 17 Rn. 6. 122
B. Menschenrechtliche Vergewaltigungsverbote
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Das Recht auf Privatleben schützt jenen Bereich der individuellen Existenz und Selbstbestimmtheit, der die Freiheitsrechte oder die Privatsphäre anderer nicht berührt. Es wurde jedoch bei der Ausarbeitung des Textes der Konvention kaum diskutiert und ist bisher auch durch Rechtsprechung und Literatur nicht weiter konkretisiert worden. Allerdings ist davon auszugehen, dass das „Privatleben“ im Sinne des Artikels 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention und Artikels 17 IPbpR grundsätzlich die gleiche Schutzrichtung haben, so dass bei der Auslegung hilfsweise auf die Judikatur des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte zurückgegriffen werden kann.125 Zu den wesentlichen den Begriff des „Privatlebens“ kennzeichnenden Elementen gehören auch die körperliche Integrität und geistige Gesundheit. So kann eine Zwangsmaßnahme staatlicher Stellen, die unterhalb der für Folter und grausame, unmenschliche oder entwürdigende Behandlung erforderlichen Schwere liegen, ein Verstoß gegen das Recht auf Privatleben sein, wenn sie die physische oder psychische Integrität einer Person erheblich nachteilig beeinflusst.126 Es wurde bereits mehrfach festgestellt, wie eine Vergewaltigung die physische und psychische Integrität einer Person verletzt. Folglich beinhaltet das Recht auf Schutz des Privatlebens auch den Schutz vor Vergewaltigung.127 Diese Auffassung hat auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in inzwischen mehreren Fällen vertreten, indem er entschied, dass sexueller Missbrauch eine Verletzung des Privatlebens darstellt.128 Durch die mit sexueller Gewalt und Vergewaltigung verbundene gesellschaftliche Stigmatisierung ist Vergewaltigung darüber hinaus auch – wie bereits mehrfach gezeigt – eine Verletzung der persönlichen Ehre. Rechtfertigungen für einen solchen Eingriff in das Recht auf Privatsphäre sind nicht ersichtlich, da alle Vergewaltigungen den Zielen des IPbpR, der die klassischen bürgerlichen Freiheitsrechte garantiert, zuwider laufen (würden) und somit unzulässig sind.129 Damit sind die Vertragsstaaten verpflichtet, ihre Bürger vor Vergewaltigungen als unzulässigen Eingriffen in deren Privatleben zu schützen.130 125
Kälin/Künzli, Universeller Menschenrechtsschutz, S. 379; Nowak, UN Covenant on Civil and Political Rights, ICCPR Commentary, Art. 17 Rn. 15 f. 126 Karpenstein/Mayer/Pätzold, EMRK-Kommentar Art. 8 Rn. 7 m.w.N.; Meyer-Ladewig, EMRK Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten, Art. 8 Rn. 3 und 5 (S. 136 f.); EGMR v. 25. 03. 1993, Serie A, Bd. 247 Nr. 36 – Costello-Roberts v. Vereinigtes Königreich sowie EGMR, III. Sektion vom 06. 02. 2001, Sammung 2002-I Nr. 46 – Bensaid v. Vereinigtes Königreich. 127 Scheinin, Sexual Rights as Human Rights – Protected under Existing Human Rights Treaties?, in: Nordic Journal of International Law 1998, S. 17 (23). 128 „X and Y gegen die Niederlande“ EGMR v. 26. 03. 1985, Series A, Bd. 91 – X and Y v. the Netherlands, Abs. 22; M.C.V. Bulgaria, Urteil vom 04. 12. 2003 ausführlich dazu Pitea, Rape as a Human Rights Violation and a Criminal Offence, JICJ 3 (2005), S. 447 – 462 (450). 129 In General Comment No. 16, „The right to respect privacy, family, home and correspondence, and protection of honour and reputation, Art. 17“, CCPR Doc. 08/04/88, Abs. 3 führt das Menschenrechtskomitee aus, dass Eingriffe in die durch Art. 17 geschützten Rechte nur auf
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3. Kap.: Entwicklung des Vergewaltigungsverbots nach 1949
Allerdings ist das Recht auf Privatsphäre kein notstandsfestes Recht, von ihm kann daher in Fällen eines gemäß Artikel 4 Absatz I IPbpR erklärten und gemäß Absatz III offiziell mitgeteilten öffentlichen Notstandes – wozu auch ein bewaffneter Konflikt gehören kann – abgewichen werden.
IV. Folterkonvention Ein Folterverbot findet sich nicht nur im „Übereinkommen gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe“ (Folterkonvention) von 1984, sondern auch, wie oben bereits festgestellt, in zahlreichen anderen menschenrechtlichen und in allen humanitär-völkerrechtlichen Kodifikationen.131 Es wird inzwischen nicht nur zum Völkergewohnheitsrecht sondern sogar zu den wenigen unumstrittenen jus cogens-Normen gezählt.132 Im Zusammenhang mit dem IPbpR wurde bereits erörtert, dass die Definition von Folter aus Artikel 1 der Folterkonvention heute allgemein anerkannt ist und warum Vergewaltigung Folter oder zumindest mit Folter gleichzustellende „grausame, unmenschliche und erniedrigende Behandlung“ im Sinne des Art. 16 der Konvention sein kann.133 Im Gegensatz zum Folterverbot der humanitär-völkerrechtlichen Kodifikationen setzt die Folterkonvention – wie bereits erwähnt – ein Handeln des Täters in amtlicher Eigenschaft voraus. Nach der Folterkonvention sind die Mitgliedstaaten nicht nur verpflichtet, dafür zu sorgen, dass Folter in ihrem jeweiligen Hoheitsbereich verboten ist, sondern auch alle gesetzgeberischen und tatsächlichen Vorkehrungen zu treffen, dass Folter in jeder Form strafrechtlich geahndet wird (Art. 4), wegen jedes hinreichenden Folterverdachts ermittelt wird (Art. 12 und 13) und dass nicht in ein Land abgeschoben oder ausgeliefert wird, wo dem Betroffenen Folter droht. Wie im Zusammenhang mit Artikel 32 IV. GA sowie mit dem gemeinsamen Artikel 3 bereits erörtert, entsprechen die durch Vergewaltigung verursachten menschlichen Leiden denen anderer Formen von Folter. Es muss in diesem Zusammenhang auch konstatiert werden, dass Vergewaltigung aus Sicht der Täter gegenüber anderer Formen von Folter einige „Vorteile“ hat: Vergewaltigungen verursachen – zunächst – keine Kosten, es werden unter gewöhnlichen Umständen keine äußeren Spuren von Folter sichtbar und die Tat zerstört häufig die PersönGrundlage eines Gesetzes, das selbst den Normen, dem Zweck und den Zielen des IPbpR entsprechen muss, zulässig sind. 130 Khushalani, Dignity and Honour of Women as Basic and Fundamental Rights, S. 88. 131 Aufzählung etwa bei Kretzmer, Torture, Prohibition of, in: Wolfrum (Hrsg.), The Max Planck Encyclopedia of Public International Law, online-edition, Rn. 4 – 5. 132 Aus dem Schrifttum siehe statt vieler: Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht, Band 1/ III, S. 1099; de Wet, The Prohibition of Torture as an International Norm of jus cogens and its Implications for National and Customary Law, EJIL 15 (2004), S. 97 – 121 (97 ff.). 133 Siehe in diesem (3.) Kapitel oben B. III. 1.
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lichkeit des Opfers, ob beabsichtigt oder nicht. Hinzu kommen das Leiden der betroffenen Opfer verschärfende weitere Risiken wie die Übertragungsgefahr von Krankheiten oder die Gefahr ungewollter Schwangerschaften.134 Im Hinblick darauf ist es auch unter menschenrechtlichen Gesichtspunkten unabdingbar Vergewaltigung unter den Folterbegriff zu subsumieren, wenn die weiteren Voraussetzungen für Folter erfüllt sind.135 In diesem Sinne entschied auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte, der in seiner Entscheidung Aydin v. Turkey die Vergewaltigung einer jungen Kurdin in einer türkischen Polizeistation als Folter verurteilte.136 Eine Derogierbarkeit des Folterverbotes ist in der Folterkonvention nicht vorgesehen, darüber hinaus dürfen nach Art. 2 Absatz 2 auch außergewöhnliche Umstände wie Krieg oder Kriegsgefahr nicht als Rechtfertigung für Folter geltend gemacht werden.
V. Kinderrechtskonvention Das „Übereinkommen über die Rechte des Kindes“ (Kinderrechtskonvention) schützt Personen, die das achtzehnte Lebensjahr noch nicht vollendet haben und damit „Kind“ im Sinne des Artikels 1 der Konvention sind; es weist einen fast universellen Verbreitungsgrad auf.137 Die für den Untersuchungsgegenstand relevanten Rechte wie der Anspruch eines Kindes auf Schutz seiner Privatsphäre (Artikel 16) sowie das Verbot der Folter bzw. der grausamen, unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung (Art. 37 lit. a) und das verfahrensrechtliche Garantien beinhaltende Recht auf Freiheit der Person (Artikel 37 lit. b) sind auch in anderen bereits untersuchten menschenrechtlichen Verträgen, insbesondere dem IPbpR enthalten, so dass insoweit auf die obigen Ausführungen verwiesen werden kann. Im Hinblick auf den Schutz von Kindern vor Vergewaltigung sind darüber hinaus Ar134 Pearce, An Examination of the International Understanding of Political Rape and the Significance of Labelling it Torture, International Journal of Refugee Law 14 (2003), S. 534 (540); ausführlich zu diesem Aspekt auch Nowak, Report of the Special Rapporteur on Torture and Other Cruel, Inhuman or Degrading Treatment, UN Doc. A/HRC/7/3 (2008), Abs. 36 (S. 10). 135 Report of the Special Rapporteur on Torture and Other Cruel, Inhuman or Degrading treatment, UN Doc. A/HRC/7/3 (2008), Abs. 35 (S. 9). 136 European Court of Human Rights, Case of Aydin v. Turkey, 57/1996/676/866, Abs. 82, 86: „Rape leaves psychological scars on the victim which do not respond to the passage of time as quickly as other forms of physical and mental violence. The applicant also experienced the acute physical pain of forced penetration, which must have left her feeling debased and violated both physically and emotionally. (…) Against this background the Court is satisfied that the accumulation of acts of physical and mental violence inflicted on the applicant and the especially cruel act of rape to which she was subjected amounted to torture (…). Indeed the Court would have reached this conclusion on either of these grounds taken separately.“ 137 Amtliche deutsche Übersetzung des Übereinkommens in BGBl. 1992 II, S. 122. Das Abkommen hat 194 Vertragsstaaten (Stand April 2007), vgl. United Nations (Hrsg.), UN Handbook 2014/15, S. 280.
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3. Kap.: Entwicklung des Vergewaltigungsverbots nach 1949
tikel 19, der Kinder allgemein vor Gewalt schützen soll, und Artikel 34, der den Schutz vor sexuellem Missbrauch zum Ziel hat, der Kinderrechtskonvention besonders zu erwähnen. Schließlich ist für die Frage nach einem Vergewaltigungsverbot im bewaffneten Konflikt Artikel 38 Absatz I der Kinderrechtskonvention zu nennen, der die Vertragsparteien verpflichtet, „die für sie verbindlichen Regeln des in bewaffneten Konflikten anwendbaren humanitären Völkerrechts, die für das Kind Bedeutung haben, zu beachten und für deren Beachtung zu sorgen.“
Wie oben dargestellt, ist Vergewaltigung von Zivilpersonen wie Kindern im bewaffneten Konflikt grundsätzlich verboten und im internationalen bewaffneten Konflikt sogar als „schwere Verletzung“ des IV. GA zu bestrafen.138 Trotzdem ergibt sich aus Artikel 38 Absatz 1 Kinderrechtskonvention kein eigenständiger Anspruch, denn dieser beruht allein auf den humanitär-völkerrechtlichen Normen; er wird lediglich durch die erneute Nennung in Erinnerung gerufen und verstärkt. Artikel 2 der Kinderrechtskonvention bindet die Staaten hinsichtlich jedes „ihrer Hoheitsgewalt unterstehenden“ Kindes, wozu nach dem IGH auch die Hoheitsgewalt, die im Rahmen einer militärischen Besatzung im Sinne des Vierten Genfer Abkommens ausgeübt wird, gehört.139
C. Weiterentwicklung des völkervertragsrechtlichen Vergewaltigungsverbots im humanitären Völkerrecht seit 1949 Seit den beiden Zusatzprotokollen zu den Genfer Abkommen von 1977 ist kein weiterer humanitär-völkerrechtlicher Vertrag zum Schutz der Opfer bewaffneter Konflikte hinzugekommen; das dritte Zusatzprotokoll von 2005 regelt ausschließlich die Annahme eines dritten Schutzzeichens. Schon aus dieser Tatsache ergibt sich, dass eine Weiterentwicklung des humanitären Völkerrechts seitdem ausschließlich durch die oben untersuchte Bildung von Völkergewohnheitsrecht stattgefunden haben kann. Von der Frage nach dem eigentlichen Vergewaltigungsverbot des humanitären Völkerrechts genau zu unterscheiden ist allerdings – die im weiteren Verlauf der Arbeit zu untersuchende – Frage nach der Rolle des Völkerstrafrechts bei der Präzisierung und der Durchsetzung dieses Vergewaltigungsverbots; einem Bereich der sich insbesondere in den letzten 20 Jahren entwickelt hat. Bereits an dieser Stelle ist folglich zu untersuchen, inwieweit erstens die vier GA von 1949 und die 138
Siehe in diesem (3.) Kapitel oben A. I. 3. ICJ, Advisory opinion on Legal Consequences of the Construction of a Wall in the Occupied Palestinian Territory, 9 July 2004, Abs. 113. 139
C. Weiterentwicklung des Vergewaltigungsverbots
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beiden Zusatzprotokolle von 1977 das Vergewaltigungsverbot im humanitären Völkerrecht weiterentwickelt haben, zweitens ob der Schutz dieses Vergewaltigungsverbots – rechtlich, nicht tatsächlich – ausreichend ist, um Opfer bewaffneter Konflikte vor Vergewaltigung zu schützen und drittens damit verbunden die Frage der Revisionsbedürftigkeit des humanitären Völkerrechts im Hinblick auf das Vergewaltigungsverbot.
I. Entwicklung des Vergewaltigungsverbots durch die vier Genfer Abkommen und ihre Zusatzprotokolle Vergleicht man die Formulierung des Vergewaltigungsverbots in früheren humanitär-völkerrechtlichen Kodifikationen wie der HLKO mit den vier Genfer Abkommen von 1949 sowie den beiden Zusatzprotokollen zu den Genfer Abkommen von 1977, so fällt auf, dass die Formulierungen des Verbots immer expliziter und konkreter werden. Während in der HLKO von 1907 das Vergewaltigungsverbot quasi noch im Schutz der Familienehre „versteckt“ und damit nur indirekt – wenn auch eindeutig – enthalten ist, wird der Schutz vor Vergewaltigung in Artikel 27 Absatz 2 IV. GA bereits ausdrücklich in Zusammenhang mit dem Schutz der Ehre genannt. Die Weiterentwicklung des Vergewaltigungsverbots durch Artikel 27 IV. GA liegt also gegenüber früheren Kodifikationen nicht in der Postulierung eines Vergewaltigungsverbots als solchem – dieses war ja bereits in dem gewohnheitsrechtlich fortgeltenden Artikel 46 HLKO enthalten140 –, sondern ist vielmehr darin zu sehen, dass Vergewaltigung erstmals in einer humanitär-völkerrechtlichen Kodifikation ausdrücklich und nicht nur indirekt über den Schutz der Familienehre untersagt wird. Durch diese explizite Nennung erhält das Vergewaltigungsverbot im IV. GA von 1949 einen besonderen Stellenwert und trägt damit der besonderen Verletzlichkeit und der daraus resultierenden Schutzbedürftigkeit von Frauen besser Rechnung als frühere Konventionen. Gleichwohl zeigt sowohl der Wortlaut des Artikels 27 IV. GA als auch Artikel 14 III. GA, dass Vergewaltigung 1949 – zumindest von den Delegierten der Genfer Diplomatischen Konferenz – noch immer primär als Verbrechen gegen die Ehre von Frauen angesehen wurde. Neben der Bezugnahme auf den „Ehrenschutz“ kommt in beiden Abkommen der Wortlaut „mit aller ihrem Geschlecht gebührenden Rücksicht“
unverändert vor, was auch zeigt, dass eine Vergewaltigung von Männern nicht denkbar erschien. Diese Bezeichnung von Vergewaltigung als Ehrdelikt war Gegenstand heftiger Kritik und wird nach heutiger Auffassung dem Charakter einer Vergewaltigungstat, 140 Statt vieler Ipsen, Völkerrecht § 63 Rn. 2 (S. 1041), Khushalani, Dignity and Honour of Women as Basic and Fundamental Human Rights, S. 39.
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3. Kap.: Entwicklung des Vergewaltigungsverbots nach 1949
die in erster Linie einen Angriff auf die physische und psychische Integrität des Opfers und demzufolge ein Gewaltdelikt darstellt, nicht gerecht.141 Im Gegenteil ist das Konzept von Vergewaltigung als Ehrdelikt, so die heutige Auffassung, geeignet, die Tat zu bagatellisieren und sie aufgrund vermeintlich fehlender Sittlichkeit des Opfers mit Scham zu besetzen und das Opfer gesellschaftlich als „schmutzig“ oder „verdorben“ erscheinen zu lassen.142 Allerdings ist die Formulierung des Vergewaltigungsverbots in den Genfer Abkommen von 1949 – wie auch in den genannten früheren Kodifikationen – historisch zu interpretieren.143 Die Bezeichnung als „Ehrdelikt“ ist daher unter Berücksichtigung des damaligen Zeitgeistes zu verstehen, als Vergewaltigung in Verkennung der tatsächlichen Auswirkungen und Folgen einer solchen Tat schamhaft umschrieben wurde. Dies ist unter anderem darauf zurückzuführen, dass Vergewaltigungstaten gesellschaftlich als so „unappetitlich“ galten, dass man sich scheute, das tatsächliche Delikt beim Namen zu nennen. Weiter ist „Ehre“ mehr als nur ein Begriff des „Wertes“, sondern ein Leitbild nach dem Menschen ihr Leben ausrichten und leben.144 In den beiden Zusatzprotokollen zu den Genfer Abkommen von 1977 wird Vergewaltigung nicht mehr im Zusammenhang mit Familienehre erwähnt, sondern explizit als solche verboten (etwa Art. 76 Absatz 1 ZP I). Im ZP I wird Vergewaltigung als „entwürdigende und erniedrigende Behandlung“ (Art. 75 Absatz 2 lit. b) umschrieben; im ZP II sogar im unmittelbaren Zusammenhang mit dieser erwähnt (Art. 4 Absatz II lit. e). Die Verknüpfung von Vergewaltigung mit einem Ehrdelikt wurde also in den neueren humanitär-völkerrechtlichen Abkommen aufgegeben. Dies scheint zum einen die Richtigkeit der historischen Interpretation der älteren Normen zu bestätigen, zum anderen zeigt die Entwicklung, dass die Schwere von Vergewaltigungstaten heute durch ihre Bezeichnung als solche weniger verkannt wird als früher und damit die Taten und ihre Folgen zunehmend als das anerkannt werden, was sie sind – nämlich brutale Angriffe auf das psychische und physische Wohlergehen des Opfers.145 Diese Gewaltverbrechen richten sich nicht nur gegen die unmittelbaren Opfer, sondern über diese hinaus auch gegen ihre Familien und sozialen Gemeinschaften. 141
Lindsay, Women facing War, S. 57. „By using the honour paradigm, linked as it is to concepts of chastity, purity and virginity, stereotypical concepts of femininity have been formally enshrined in humanitarian law. Thus, criminal sexual assault, in both international and national law, is linked to the morality of the victim. When rape is perceived as crime against honour or morality, shame commonly ensues for the victim, who is often viewed by the community as ,dirty‘ or ,spoiled‘. (…)“; UN Commission on Human Rights, Special Rapporteur on Violence against Women, its Causes and Consequences, Report, UN Doc. E/CN.4/1998/54, 26 January 1998, Abs. 11; Gardam/Jarvis, Women, Armed Conflict and International Law, S. 64. 143 Durham/O’Byrne, The Dialogue of Difference: Gender Perspectives on International Humanitarian Law, IRRC 92 (2010), S. 31 – 52 (35). 144 Lindsey, The Impact of Armed Conflict on Women, in: Durham/Gurd, Listening to the Silences, S. 21 – 35 (33 f.). 145 Lindsay, Women facing War, S. 57 f. 142
C. Weiterentwicklung des Vergewaltigungsverbots
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II. Defizite des Vergewaltigungsverbots im humanitären Völkerrecht Während die Bezeichnung von Vergewaltigung in bewaffneten Konflikten als Ehrdelikt zwar nicht mehr zeitgemäß ist, kann hierin bei Berücksichtigung der historischen Dimension jedoch kein inhaltliches Defizit des Vergewaltigungsverbotes im humanitären Völkerrecht gesehen werden. Anders könnte dies jedoch in Bezug auf andere Aspekte der Tat in bewaffneten Konflikten sein. 1. Mangelnde Bestimmtheit des Verbots Diesbezüglich ist zunächst und vor allem festzustellen, dass das humanitäre Völkerrecht in den verschiedenen Verträgen – wie dargestellt – zwar ein Vergewaltigungsverbot als solches enthält, aber nicht genau definiert welche Tatbestandsmerkmale eine Vergewaltigung genau ausmachen. Zwar stellt man sich unter einer Vergewaltigung landläufig erzwungenen Geschlechtsverkehr vor, aber dies lässt offen, ob darunter nur erzwungener Vaginalverkehr fällt oder ob auch erzwungener Anal- und Oralverkehr Vergewaltigung darstellen. Die Frage was ,erzwungener Geschlechtsverkehr‘ bedeutet, wird – obwohl insoweit universell als von einem weltweit bestehenden Verbot auszugehen ist – in verschiedenen Kulturkreisen unterschiedlich beantwortet.146 Des weiteren ist unklar, ob das Vergewaltigungsverbot nur erzwungenen Geschlechtsverkehr zwischen Mann und Frau oder möglicherweise auch – erzwungene – homosexuelle Verkehrspraktiken umfasst. Ebenfalls ist fraglich, was das „Erzwingen“ des Geschlechtsverkehrs ausmacht – Gewalt, Drohung mit Gewalt, Zwang oder das bloße Nichteinverständnis des Opfers mit dem Geschlechtsverkehr. Problematisch ist diese fehlende Definition von Vergewaltigung weniger in Bezug auf das völkerrechtliche Verbot, das aufgrund des landläufigen Verständnisses von Vergewaltigung als erzwungenem Geschlechtsverkehr im völkerrechtlichen Sinne hinreichend genau ist, sondern im Hinblick auf den – auf dem völkerrechtlichen Verbot aufbauenden – völkerstrafrechtlichen Tatbestand der Vergewaltigung. Schließlich setzt ein strafrechtlicher Tatbestand die Bestimmtheit der Tat vor ihrer Begehung voraus und diese ist den humanitär-völkerrechtlichen Normen nicht zu entnehmen. Hinsichtlich der Vorschriften bezüglich der so genannten ,schweren Verstöße‘ gegen die GA, insbesondere Artt. 146 und 147 IV. GA lässt sich noch argumentieren, dass es Sache der Vertragsstaaten der Genfer Abkommen sei, den strafrechtlichen Tatbestand der Vergewaltigung im Sinne des strafrechtlichen Bestimmtheitsgrundsatzes zu definieren. Bei der strafrechtlichen Verfolgung von Vergewaltigung in bewaffneten Konflikten durch supranationale Gerichte wie den Ad hoc-Tribunalen oder dem Internationalen Strafgerichtshof hat die fehlende völkerrechtliche Bestimmtheit der Tat jedoch erhebliche Probleme aufgeworfen, die in den folgenden Kapiteln näher dargestellt und untersucht werden. 146
Eriksson, Defining Rape, S. 616.
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3. Kap.: Entwicklung des Vergewaltigungsverbots nach 1949
2. Vergewaltigung von Männern Ein weiteres Defizit des Vergewaltigungsverbots im humanitären Völkerrecht betrifft den Schutz von Männern vor Vergewaltigung. Auch wenn Männer – wie oben untersucht – beispielsweise durch das Gebot der menschlichen Behandlung vor Vergewaltigung geschützt sind, schützen die Normen wie etwa Art. 27 Absatz 2 IV. GA, die Vergewaltigung explizit verbieten, ausschließlich Frauen. Angesichts der Tatsache, dass sexuelle Gewalt gegen und Vergewaltigungen von Männern sich zwar von den Formen sexueller Gewalt und Vergewaltigungen gegen Frauen unterscheiden, in bewaffneten Konflikten jedoch ebenfalls an der Tagesordnung sind, obwohl hierüber weniger gesprochen wird, erscheint dies als ernstes Versäumnis.147 Sexuelle Gewalt gegen Männer wird häufig in Form einer Kombination aus Vergewaltigung und sexueller Verstümmelung begangen, es gibt aber auch Berichte über Männer, die gezwungen wurden, Frauen – häufig eigene Familienangehörige – zu vergewaltigen, also Inzest zu begehen. Daneben gibt es Stimmen, die die psychosozialen Folgen der Vergewaltigung einer Familienangehörigen als psychische Folter des Mannes oder der Männer dieser Familie ansehen.148 Während Vergewaltigungen und sexuelle Gewalt nicht nur in bewaffneten Konflikten häufig nicht angezeigt werden, gilt dies umso mehr für Vergewaltigungen und sexuelle Gewalt die gegen Männer begangen werden.149 Die Gründe dafür liegen in einer Kombination aus Scham, Schuldgefühlen, Angst, Stigmatisierung und Verwirrung.150 Angesichts dieser Realität käme der expliziten Einbeziehung der Vergewaltigung von Männern zwar materiell nur eine klarstellende deklaratorische Bedeutung zu, trotzdem würde dies der Anerkennung des Verbrechens als dem was es ist, nämlich Vergewaltigung zugute kommen.151
III. Revisionsbedürftigkeit des Vergewaltigungsverbots des humanitären Völkerrechts Insbesondere in den letzten beiden Dekaden wurde die vermeintliche soziale Benachteiligung von Frauen im humanitären Völkerrecht von Vertretern der fe147 Durham/O’Byrne, The Dialogue of Difference: Gender Perspectives on International Humanitarian Law, IRRC 92 (2010), S. 31 – 52 (47 ff.). 148 Carpenter, Recognizing Gender-Based Violence Against Civilian Men and Boys in Conflict Situations, Security Dialogue 37 (2006), S. 83 – 103 (93 ff.); zum Vorkommen und den Folgen von Vergewaltigungen von Männern allgemein siehe ausführlich Abdullah-Khan, Male Rape, The Emergence of a Social and Legal Issue. 149 Sivakumaran, Sexual Violence Against Men in Armed Conflict, EJIL 18 (2007), S. 253 – 276 (255 f.). 150 Sivakumaran, Male/Male Rape and the „Taint“ of Homosexuality, HR Quarterly 27 (2005); S. 1274 – 1306 (1288). 151 Vgl. Sivakumaran, Sexual Violence Against Men in Armed Conflict, EJIL 18 (2007), S. 253 – 276 (256); ähnlich ders., Lost in Translation: UN Responses to Sexual Violence Against Men and Boys in Situations of Armed Conflict, IRRC 92 (2010); S. 259 – 277 (273).
C. Weiterentwicklung des Vergewaltigungsverbots
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ministischen Rechtstheorie kritisiert. Hauptkritikpunkt ist dabei in unterschiedlicher Ausprägung, dass das humanitäre Völkerrecht von Natur aus diskriminierend sei, da es den Bedürfnissen von Männern, insbesondere von männlichen Kombattanten bzw. Kämpfern Vorrang einräume und Frauen oft auf den Status des Opfers reduziere bzw. ihren Bedürfnisse nur in ihrer Rolle beim Gebären und Aufziehen von Kindern Rechnung trage.152 So bezögen sich beispielsweise die Hälfte von den 42 Vorschriften der GA und der beiden ZPe, die den Bedürfnissen von Frauen Rechnung tragen sollen, auf werdende und stillende Mütter.153 Zudem erlebten Frauen bewaffnete Konflikte anders als Männer und ihre Bedürfnisse würden im humanitären Völkerrecht nur in ihrer Eigenschaft als „Zivilisten“ – und damit nicht ausreichend – berücksichtigt.154 Als Beispiele für den mangelnden Schutz von Frauen wird außerdem etwa angeführt, dass die vier GA von 1949 das Vergewaltigungsverbot fälschlicherweise (noch) in Zusammenhang mit einem Ehrdelikt nennen und Vergewaltigung als solche nicht als „schwere Verletzung“ der GA genannt wird.155 Deshalb wird gefordert, das humanitäre Völkerrecht im Hinblick auf den – (vermeintlich) nicht ausreichenden – Schutz von Frauen auch vor Vergewaltigung zu revidieren.156 Gegen einen solchen Revisionsbedarf spricht jedoch – zumindest im Hinblick auf das hier untersuchte Vergewaltigungsverbot – zunächst, dass Vergewaltigung bereits unstrittig und eindeutig durch alle erörterten geltenden humanitärvölkerrechtlichen Kodifikationen verboten ist. Durch eine ausdrückliche Bezeichnung als Vergewaltigung oder eine – selbstverständlich wünschenswerte – Korrektur der Einordnung als „Ehrdelikt“ würde zunächst eine bereits verbotene Handlung nicht „verbotener“. Hinzu kommt, dass nach der hier vertretenen Auffassung Vergewaltigung im internationalen Konflikt als schwere Verletzung im Sinne des Artikels 147 IV. GA zu bestrafen ist. Aufgrund dieser Tatsache ist im humanitären Völkerrecht kein zwingendes Bedürfnis ersichtlich, eine bereits unstrittig als „Fol152 Durham/O’Byrne, The Dialogue of Difference: Gender Perspectives on International Humanitarian Law, IRRC 92 (2010), S. 31 – 52 (34); Chinkin, Rape and Sexual Abuse of Abuse of Women in International Law, EJIL 5 (1995), S. 340 f.; Gardam/Jarvis, Women, Armed Conflict and International Law, S. 134; Askin, War Crimes Against Women, S. 260; Gardam/ Charlesworth, Protection of Women in Armed Conflict, HR Quarterly 22 (2000), S. 148 (160). 153 Gardam/Jarvis, Women, Armed Conflict and International Law, S. 93. 154 Gardam/Charlesworth, Protection of Women in Armed Conflict, HR Quarterly 22 (2000), S. 148 (150); ähnlich Dixon, Rape as a Crime in International Humanitarian Law: Where to from Here?, EJIL 13 (2002), S. 697 – 719 (699). 155 Askin, War Crimes Against Women, S. 248; Chinkin, Rape and Sexual Abuse of Women in International Law, EJIL 5 (1995), S. 326 (332); Gardam, Women and Armed Conflict: The response of International Humanitarian Law, in: Durham, Listening to the Silences, S. 110 (117 ff.); Gardam/Jarvis, Women, Armed Confllict and International Law, S. 74; Quénivet, Feminist Scholars and International (Humanitarian) Law, HuV-I 2002, S. 227 (229); Vest, Genozid durch organisatorische Machtapparate, S. 126; vgl. auch Durham, Women, Armed Conflict and International Law, in: IRRC 84 (2002), S. 655 (656). 156 So etwa Gardam/Jarvis, Women, Armed Conflict and International Law, S. 134, 176, 253.
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ter“, „unmenschliche Behandlung“ und „schwere Beeinträchtigung der körperlichen Gesundheit“ verbotene Handlung nochmals ausdrücklich als „Vergewaltigung“ zu verbieten, da hierdurch weder dem Schutzbedürfnis der Opfer besser Rechnung getragen werden kann noch die Strafbarkeit ausgedehnt würde. Im Gegenteil ist eine gewisse Gefahr darin zu sehen, einzelne Ver- oder Gebote zu konkret zu definieren, so dass der Wortlaut auf neue, bei Formulierung der Ge- und Verbote noch nicht bekannte, aber gleichwohl in ihrem Unwertgehalt als „unmenschlich“ anzusehende Handlungen nicht mehr anwendbar ist und damit eine teleologische Interpretation der Vorschrift unmöglich wird.157 Ungeachtet dessen käme einem expliziten Verbot von Vergewaltigung und sexueller Gewalt in bewaffneten Konflikten trotzdem eine klarstellende deklaratorische Funktion zu, die erhebliche Wirkung auf das öffentliche Bewusstsein und die Ächtung der Taten als solche haben könnte. Es sei jedoch dahingestellt, ob diese Wirkung durch das völkerstrafrechtliche Verbot nicht besser zu erzielen ist bzw. in Teilen möglicherweise bereits erzielt wurde. In der feministischen Kritik werden die fehlende explizite Nennung des Vergewaltigungsverbots und die Unbestimmtheit der Normen zum Schutz von Frauen darauf zurückgeführt, dass das humanitäre Völkerrecht die gesellschaftliche Ungleichstellung von Frauen und Männern nicht berücksichtige.158 Dieser Kritik ist der – klar beschränkte – Zweck des humanitären Völkerrechts, das beabsichtigt, die Leiden aller (Kriegs-)Opfer zu minimieren und alle Opfer gleichermaßen und möglichst weitgehend zu schützen, die Ursachen eines Konflikts sowie möglicherweise bestehende strukturelle gesellschaftliche Probleme unberücksichtigt lassen muss, entgegenzuhalten.159 Im Hinblick auf den Schutz, den das humanitäre Völkerrecht vor Vergewaltigung in bewaffneten Konflikten gewährt, kommt es insofern nicht auf die – möglicherweise bestehende – ungleiche Situation von Männern und Frauen in der Gesellschaft an.160 Feministische Rechtstheorien, die ein System formaler Gleichheit wie im humanitären Völkerrecht aufgrund der unterschiedlichen Lebenswirklichkeiten von Frauen und Männern ablehnen, scheinen insoweit nicht oder nur sehr eingeschränkt auf den – beschränkten – Zweck des humanitären Völkerrechts zu passen.161 157 Vgl. Pictet, IV. Convention de Genève, Commentaire, Art. 3 2. A. (S. 44): „De plus, il est toujours dangereux, dans ce domaine surtout, de vouloir trop préciser. Quelque soin que l’on prît à énumérer toutes les sortes d’exactions, on serait toujours en retard sur l’imagination des tortionnaires éventuels qui voudraient, en dépit de toutes les interdictions, assouvir leur bestialité. Plus une énumération veut être précise et complète, plus elle prend un caractère limitatif.“ 158 Chinkin, Rape and Sexual Abuse of Abuse of Women in International Law, EJIL 5 (1995), S. 340 f.; Gardam/Jarvis, Women, Armed Conflict and International Law, S. 134; Askin, War Crimes Against Women, S. 260. 159 Durham, Women, Armed Conflict and International Law, IRRC 84, S. 655 (657). 160 Biehler, Protection of Women in International Humanitarian Law and Human Rights Law, in: Arnold/Quénivet, International Humanitarian Law and Human Rights Law, S. 355 – 381 (380). 161 Durham/O’Byrne, The Dialogue of Difference: Gender Perspectives on International Humanitarian Law, IRRC 92 (2010), S. 36, sowie Durham, International Humanitarian Law and
C. Weiterentwicklung des Vergewaltigungsverbots
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Das humanitäre Völkervertragsrecht ist folglich im Hinblick auf den Schutz von Frauen vor Vergewaltigung in bewaffneten Konflikten nicht als revisionsbedürftig anzusehen, da die existierenden Normen angemessene und ausreichende rechtliche Schutzvorschriften enthalten. Ähnliches gilt hinsichtlich des Schutzes von Männern vor Vergewaltigungen, obwohl hier – wie bereits erörtert – eine Klarstellung, dass Vergewaltigungen von Männern genau so von dem Verbot dieser umfasst werden wie im Fall von Vergewaltigungen von Frauen, das Verbot (noch) deutlicher machen würde. Probleme bezüglich des Schutzes vor Vergewaltigung im Anwendungsbereich des humanitären Völkerrechts sind folglich nicht in diesem selbst begründet, sondern liegen vielmehr in seiner Um- und Durchsetzung auf staatlicher und individueller Ebene.162 Insoweit ist es ein großer Verdienst der feministischen Rechtstheorie Vergewaltigung in bewaffneten Konflikten – unter anderem als mögliche Taktik der Kriegsführung – öffentlich und sichtbar zu machen, der nicht unterschätzt werden sollte.163 Die Weiterentwicklung des humanitären Völkervertragsrechts zur Verbesserung des Schutzes der Opfer aller bewaffneten Konflikte wäre gleichwohl wünschenswert. Allerdings sprechen die weltweiten politischen Realitäten, die in Bezug auf den Schutz von Frauen zudem noch stark kulturell geprägt sind, nicht dafür, dass eine entsprechende universelle Einigung in absehbarer Zukunft erreichbar wäre.164 Im Bereich des so genannten ,soft law‘ sind allerdings Bestrebungen und Bemühungen zu beobachten, den Schutz von Frauen einschließlich des Schutzes vor Vergewaltigung zu verbessern. Dies geschieht insbesondere durch die Einführung von Vorschriften, Richtlinien und Resolutionen durch die VN-Generalversammlung sowie den VN-Sicherheitsrat.165 Ein bekanntes Beispiel hinsichtlich des Schutzes von Frauen ist die Resolution 1325 des VN-Sicherheitsrates und die darauffolgenden Berichte und Erklärungen mit dem Titel Women, Peace and Security.166 Diese Resolutionen, Berichte und Erklärungen des ,soft law‘ sind deshalb so bedeutsam, weil the Protection of Women, in: Durham/Gurd, Listening to the Silences, S. 95 – 123 (97) und Biehler, Protection of Women in International Humanitarian Law and Human Rights Law, in: Arnold/Quénivet, International Humanitarian Law and Human Rights Law, S. 355 – 381 (380). 162 Lindsey, Women facing War, S. 213 f.; Durham, International Humanitarian Law and the Protection of Women, in: dies./Gurd, Listening to the Silences, S. 10 (99); a. A. Gardam, Women and Armed Conflict: The response of International Humanitarian Law, in: Durham, Listening to the Silences, S. 110 (118 – 120). 163 Eriksson, Defining Rape. S. 196. 164 Etwa Gardam, Women and the Law of Armed Conflict, Int’l Comp. L Quart. 46 (1997), S. 55 – 80 (77 ff., 80); Quènivet, Feminist Scholars and International (Humanitarian) Law, HuV-I 2002, S. 227 (233) schlägt statt der Einführung eines Zusatzprotokolls zum Schutz von Frauen ein Zusatzprotokoll zum Schutz von Zivilisten vor. Andere befürchten, dass eine Neuverhandlung der entsprechenden Vorschriften die bisherigen Schutzstandards des humanitären Völkerrechts sogar gefährden könnte, so Benoune, Do We Need New International Law to Protect Women in Armed Conflict, Case W. Res. J. Int’l L. 38 (2007), S. 363 – 391 (388). 165 Hierzu ausführlich Biehler, Protection of Women in International Humanitarian Law and Human Rights Law, in: Arnold/Quénivet, International Humanitarian Law and Human Rights Law, S. 355 – 381 (368 ff., insb. 375). 166 UN Security Council Resolution 1325, UN Doc S/RES/1325, 31. Oktober 2000.
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3. Kap.: Entwicklung des Vergewaltigungsverbots nach 1949
sie Hinweise auf die opinio juris und die (völkerrechtliche) Praxis der Staatengemeinschaft sind und insoweit zur Gewohnheitsrechtsbildung beitragen. Hinsichtlich des Verbots der Vergewaltigung und anderer sexueller Gewalt in bewaffneten Konflikten kommt in diesen Instrumenten, die Ansicht der internationalen Gemeinschaft zum Ausdruck, die die Auffassung, dass das bestehende kodifizierte humanitäre Völkerrecht Vergewaltigung in bewaffneten Konflikten verbietet, bestätigt. Folglich dient das ,soft law‘ über seinen Beitrag zur Bildung von Völkergewohnheitsrecht hinaus der im kodifizierten humanitären Völkerrecht vermissten Klarstellung des Vergewaltigungsverbots und schließt so die teilweise beklagte Schutzlücke – ohne neue bindende humanitär-völkerrechtliche Kodifikationen zu schaffen. Die Tatsache, dass das ,soft law‘ die – notwendige – Klarstellung übernehmen kann und übernimmt spricht ebenfalls dafür, dass die bestehenden Normen des humanitären Völkerrechts auch aus einer Perspektive des (sozialen) Geschlechts ausreichend Spielraum für ein effektiv durchsetzbares Verbot von Vergewaltigung und sexueller Gewalt gegen beide Geschlechter bieten.167
D. Das Vergewaltigungsverbot in bewaffneten Konflikten als Völkergewohnheitsrecht I. Relevanz des Gewohnheitsrechts für ein Vergewaltigungsverbot in bewaffneten Konflikten Neben dem bereits erörterten Völkervertragsrecht ist auch „das internationale Gewohnheitsrecht als Ausdruck einer allgemeinen als Recht anerkannten Übung“
Quelle des Völkerrechts.168 Fraglich ist daher, ob es auch ein völkergewohnheitsrechtliches Vergewaltigungsverbot in bewaffneten Konflikten gibt. Viele der in den vier Genfer Abkommen und ihren Zusatzprotokollen enthaltenen Prinzipien sind im Laufe der Zeit zu Völkergewohnheitsrecht geworden, was im Einzelfall – unabhängig von der völkervertragsrechtlichen Geltung – sowohl im internationalen als auch im nicht-internationalen bewaffneten Konflikt gilt und so, zumindest teilweise, die völkervertragsrechtlichen Lücken beim Schutz der Opfer bewaffneter Konflikte schließt. Das Vorliegen dieser Regeln hat folglich besondere Bedeutung in bewaffneten Konflikten, in denen weder die vier Genfer Abkommen noch die Zusatzprotokolle – etwa mangels eines internationalen Konfliktes oder mangels Ratifikation – anwendbar sind. Außerdem spielte und spielt die Frage, ob eine bestimmte humanitär-völkerrechtliche Regel, wie beispielsweise das Vergewaltigungsverbot, 167
Durham/O’Byrne, The Dialogue of Difference: Gender Perspectives on International Humanitarian Law, IRRC 92 (2010), S. 31 – 52 (37). 168 Art. 38 Absatz 1 lit. b IGH Statut, UNTS Band 2187, S. 3, amtliche deutsche Übersetzung abgedruckt in BGBl. 2000 II, S. 1394.
D. Vergewaltigungsverbot als Völkergewohnheitsrecht
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zu einem bestimmten Zeitpunkt Völkergewohnheitsrecht darstellt(e), für die abstrakte Feststellung der Strafbarkeit einer bestimmten Handlung in der Rechtsprechung der internationalen Strafgerichtshöfe seit dem 1. Weltkrieg aufgrund des nullum crimen-Prinzips eine entscheidende Rolle.169
II. Methodik des Gewohnheitsrechtsnachweises im humanitären Völkerrecht Völkergewohnheitsrecht entsteht nach Artikel 38 Abs. 1 lit. b IGH-Statut durch (1) ständige Übung aufgrund (2) einer entsprechenden Rechtsüberzeugung (opinio juris sive necessitatis).170 Die genaue Methodik der Feststellung, welche Regelungen im Einzelnen zum Völkergewohnheitsrecht zählen ist umstritten.171 Für die gemeinsamen Artikel 3 der vier Genfer Abkommen hat der IGH bereits 1986 in seinem Nicaragua-Urteil die gewohnheitsrechtliche Geltung festgestellt.172 Gleiches gilt für die vier Genfer Abkommen von 1949, die Anfang 2013 mit 195 Staaten eine (fast) universelle Ratifikationsrate aufweisen173 und für die der IGH den Gewohnheitsrechtsnachweis in seinem Nuklearwaffengutachten von 1996 als in toto erbracht ansah.174 Die sich direkt aus den Genfer Abkommen ergebenden Vergewaltigungsverbote im internationalen bewaffneten Konflikt gelten somit auch völkergewohnheitsrechtlich. Anders ist es allerdings im Hinblick auf die Regeln des ZP II denen derzeit jedenfalls noch nicht in toto Gewohnheitsrechtscharakter zugesprochen werden kann. Für nicht-internationale bewaffnete Konflikte ergibt sich ein gewohnheitsrechtliches Vergewaltigungsverbot – wie oben erörtert – implizit ebenfalls als verbotene „grausame Behandlung“ (Art. 3 Nr. 1 lit a. GA) und/oder „Beeinträchtigung der persönlichen Würde“ (lit c.) aus dem Gebot der menschlichen Behandlung der ge169 Das nullum crimen, sine lege-Prinzip besagt, dass eine Handlung für eine strafrechtliche Verurteilung im Zeitpunkt der Tatbegehung strafbar sein muss; siehe Cassese, International Criminal Law, S. 139 – 145. Zur Bedeutung des Völkergewohnheitsrechts für die Kriegsverbrechertribunale nach dem ersten und zweiten Weltkrieg siehe auch Dörmann, Elements of War Crimes under the Rome Statute of the International Criminal Court. 170 Siehe statt vieler Heintschel von Heinegg, in: Ipsen, Völkerrecht, § 16 Rn. 2 f. 171 Allgemein zu den Schwierigkeiten bestehendes Gewohnheitsrecht nachzuweisen, siehe etwa Heintschel von Heinegg, in: Ipsen, Völkerrecht, § 16 Rn. 3 – 39 (insb. 33 – 39). 172 ICJ, Military and Paramilitary Activities In and Against Nicaragua (Nicaragua vs. United States of America), ICJ Reports 1986, S. 114 (Abs. 218). Kritisch dazu Meron, The Geneva Conventions as Customary International Law, AJIL 81 (1987), S. 348; inzwischen geht aber auch dieser Autor von der gewohnheitsrechtlichen Geltung aus, siehe Meron, Revival of Customary International Law, AJIL 99 (2005), S. 819. 173 http://www.icrc.org/eng/resources/documents/misc/party_main_treaties.htm (besucht am 06. 10. 2015). 174 ICJ, Advisory Opinion on the Legality of the Use or Threat of Nuclear Weapons, ICJ Reports 1996, S. 28 (para 81).
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3. Kap.: Entwicklung des Vergewaltigungsverbots nach 1949
meinsamen Artikel 3 der GA. Ein darüber hinausgehendes, explizit auch als solches bezeichnetes gewohnheitsrechtliches Vergewaltigungsverbot für den nicht-internationalen bewaffneten Konflikt ist jedoch in Ermangelung der gewohnheitsrechtlichen Geltung der Regeln des ZP II nicht ohne weiteres zu konstatieren. Aufgrund der Tatsache, dass die gewohnheitsrechtliche Geltung vieler Rechtsregeln für den nicht-internationalen bewaffneten Konflikt, aber auch einiger Regeln des ZP I nicht abschließend geklärt ist, hat das Internationale Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) eine großangelegte Studie zum Völkergewohnheitsrecht, in der die Prinzipien des humanitären Völkerrechts auf ihre gewohnheitsrechtliche Geltung – sowohl in internationalen als auch nicht-internationalen – bewaffneten Konflikten untersucht wurden, initiiert.175 Dazu wurde Staatenpraxis und opinio juris zu sämtlichen Prinzipien zum Schutz der Opfer bewaffneter Konflikte gesammelt und von internationalen Wissenschaftlern aus verschiedenen Rechts- und Kulturkreisen darauf untersucht, ob daraus eine entsprechende gewohnheitsrechtliche Regel abzuleiten sei. Das Ergebnis dieser Untersuchung wurde in einem umfangreichen Werk, das zunächst die in bewaffneten Konflikten geltenden gewohnheitsrechtlichen Regeln benennt und anschließend die entsprechende Staatenpraxis und opinio juris als Grundlage der entsprechenden Regel, aufführt, veröffentlicht.176 Der teilweisen Kritik seitens der Wissenschaft und seitens der Vereinigten Staaten – als bisher einzigem Staat – am methodologischen Ansatz der Studie, müssen der umfassende Ansatz der Studie und die Tatsache der Beteiligung weltweit namhafter Völkerrechtsexperten aus Wissenschaft und Praxis, die sich gemeinsam auf die gewohnheitsrechtlichen Regeln einigten, entgegengehalten werden.177 Die Gewohnheitsrechtsstudie des IKRK ist bisher jedenfalls die umfassendste und genaueste Untersuchung zur Geltung gewohnheitsrechtlicher Prinzipien im bewaffneten Konflikt. Bezüglich der Frage nach einem Vergewaltigungsverbot kann die Frage nach der Berechtigung der Kritik an der Studie jedenfalls dahingestellt bleiben, da die umfassenden Nachweise der Staatenpraxis und opinio juris aus völkerrechtlichen Verträgen, weltweiter innerstaatlicher Rechtspraxis und Gesetzgebung, der Praxis internationaler Organisationen und Konferenzen sowie internationaler Gerichte bezüglich eines Vergewaltigungsverbots in bewaffneten Konflikten jedenfalls für 175 Meeting of the Intergovernmental Group of Experts for the Protection of War Victims, Genf, Januar 1995, Recommendation II, IRRC 310 (1996), S. 58; 26th International Conference of the Red Cross and Red Crescent, Genf, Dezember 1995, Resolution 1, „International humanitartian law: From law to action – Report on the follow-up to the International Conference for the Protection of War Victims“, IRRC 310 (1996), S. 84. 176 Henckaerts/Doswald-Beck (Hrsg.), Customary International Law, Vol. I: Rules, Vol. II: Practice, Cambridge 2005. 177 Kritisch zu der Gewohnheitsrechtsstudie: Aus der Wissenschaft etwa Aldrich, Customary International Humanitarian Law – An Interpretation on behalf of the ICRC, in: BYIL 75 (2005), S. 503 ff., als bisher einzige Regierungsposition siehe Bellinger/Haynes, A US government response to the International Committee of the Red Cross study Customary International Humanitarian Law, IRRC 868 (2007), S. 443 – 471, siehe auch Henckaerts, IRRC 898 (2007), S. 473 – 488 als Antwort auf Bellinger/Haynes.
D. Vergewaltigungsverbot als Völkergewohnheitsrecht
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einen entsprechenden Gewohnheitsrechtsnachweis als ausreichend anzusehen sind.178 Zudem ergibt sich – wie bereits erörtert – das Vergewaltigungsverbot bereits aus dem unstrittig gewohnheitsrechtlich geltenden gemeinsamen Art. 3 der vier GA.
III. Einschlägige Regeln des Gewohnheitsrechts Ein gewohnheitsrechtliches Vergewaltigungsverbot geht aus drei der insgesamt 161 gewohnheitsrechtlichen Regeln für bewaffnete Konflikte hervor, die alle drei zu den „fundamental guarantees“ zählen. Zunächst ergibt sich ein Verbot, in bewaffneten Konflikten zu vergewaltigen, aus Regel 87 „Civilians and persons hors de combat must be treated humanely.“179
Aus dem Gebot der menschlichen Behandlung ist im Umkehrschluss, wie oben in Bezug auf die gemeinsamen Artikel 3 bereits untersucht, ein Vergewaltigungsverbot zu entnehmen, da Vergewaltigung jedenfalls unmenschliche Behandlung ist. Regel 90 lautet: „Torture, cruel or inhuman treatment and outrages upon personal dignity, in particular humiliating and degrading treatment are prohibited.“
Dass Vergewaltigung Folter darstellen kann, jedenfalls aber „grausame“ und „unmenschliche Behandlung“, sowie eine „Beeinträchtigung der persönlichen Würde, insbesondere entwürdigende und erniedrigende Behandlung“ ist, wurde oben bereits diskutiert und wird auch in der Kommentierung der gewohnheitsrechtlichen Regel genannt, womit sich auch aus dieser gewohnheitsrechtlichen Regel ein Vergewaltigungsverbot ergibt.180 Ein explizites gewohnheitsrechtliches Vergewaltigungsverbot enthält schließlich Regel 93 „Rape and other forms of sexual violence are prohibited.“181
178 Henckaerts/Doswald-Beck (Hrsg.), Customary International Law, Vol. II: Practice, Chapter 32, G, §§ 1555 – 1753 (S. 2190 – 2225). 179 Henckaerts/Doswald-Beck (Hrsg.), Customary International Law, Vol. I: Rules, Rule 87, S. 306 – 308. 180 Henckaerts/Doswald-Beck (Hrsg.), Customary International Law, Vol. I: Rules, Rule 90, S. 315 – 319 (insbes. S. 318). 181 Henckaerts/Doswald-Beck (Hrsg.), Customary International Law, Vol. I: Rules, Rule 93, S. 323 – 327.
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3. Kap.: Entwicklung des Vergewaltigungsverbots nach 1949
E. Das Vergewaltigungsverbot im bewaffneten Konflikt als allgemeiner Rechtsgrundsatz Die Bedeutung allgemeiner Rechtsgrundsätze liegt in Fällen, in denen wie in Bezug auf den Untersuchungsgegenstand des Vergewaltigungsverbots in bewaffneten Konflikten bereits ein völkergewohnheitsrechtliches Verbot besteht, nicht in der Wiederholung oder Bekräftigung dieser Norm, sondern in der Präzisierung bereits bestehender Normen.182 Wie erörtert, ist dem Vergewaltigungsverbot des humanitären Völkerrechts, nicht zu entnehmen, welche Handlungen genau eine Vergewaltigung darstellen. Dies wirft im Bereich des Völkerstrafrechts und damit auch im Hinblick auf das untersuchte Vergewaltigungsverbot besondere Probleme auf, denn das Völkerstrafrecht, das aufgrund seiner recht kurzen Geschichte (noch) verhältnismäßig unentwickelt ist, weist was die Definition von Vergewaltigung im bewaffneten Konflikt angeht noch Lücken auf. Weiter bedürfen völkerstrafrechtliche Normen aufgrund des nullum crimen-Prinzips im Vergleich zum allgemeinen Völkerrecht der besonderen Präzisierung.183 Insofern können allgemeine Rechtsgrundsätze, die durch Rechtsvergleichung zu ermitteln sind, zur Präzisierung des völkerstrafrechtlichen Vergewaltigungstatbestandes heranzuziehen sein. Bei allgemeinen Rechtsgrundsätzen handelt es sich um aus dem innerstaatlichen Recht der einzelnen Staaten stammende grundlegende Regeln, die in allen oder jedenfalls den meisten nationalen Rechtsordnungen enthalten sind und somit ihren Ursprung im nationalen Recht und nicht im Völkerrecht haben.184 Klassischerweise gehören etwa Regeln über die Gültigkeit von Verträgen (beispielsweise „pacta sunt servanda“) zu den allgemeinen Rechtsgrundsätzen. Heute ist anerkannt, dass auf praktisch allen Gebieten innerstaatlicher Rechtsordnungen gleichartige Rechtsregeln entstehen können, die dann als allgemeine Rechtsgrundsätze auch als unter den Staaten anwendbar zu qualifizieren sind.185 So können auch substantielle Standards einen allgemeinen Rechtsgrundsatz darstellen. Um zu bestimmen, ob eine bestimmte Regel ein allgemeiner Rechtsgrundsatz im Sinne des Art. 38 IGH-Statuts ist, ist eine rechtsvergleichende Untersuchung erforderlich, wobei es auf die Übereinstimmung von Tatbestand und Rechtswirkungen ankommt.186 Im Hinblick auf ein Vergewaltigungsverbot in bewaffneten Konflikten ist in Anbetracht der weltweiten nationalen Praxis, die in der Gewohnheitsrechtsstudie ausführlich aufgeführt wird,187 nicht nur 182 Nach Art. 38 Abs. 1 lit. c des IGH-Statuts sind „die von den Kulturvölkern anerkannten allgemeinen Rechtsgrundsätze“ Quelle des Völkerrechts. 183 Kolb, Jus in bello, Rn. 102 – 104 (104). 184 Doehring, Völkerrecht, § 6 Rn. 407; Heintschel von Heinegg, in: Ipsen, § 17 Rn. 1 (S. 231). 185 Doehring, Völkerrecht, § 6 Rn. 409 – 410. 186 Doehring, Völkerrecht, § 6 Rn. 412. 187 Henckaerts/Doswald-Beck (Hrsg.), Customary International Law, Vol. II: Practice, Chapter 32, G, §§ 1584 – 1677.
E. Vergewaltigungsverbot als allgemeiner Rechtsgrundsatz
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von einer gewohnheitsrechtlichen Geltung des Verbots, sondern auch vom Bestehen eines entsprechenden allgemeinen Rechtsgrundsatzes auszugehen, welcher in der Praxis allerdings subsidiär hinter das völkergewohnheitsrechtliche Verbot tritt.188 Was dieser genau umfasst, wird unten im Zusammenhang mit dem Völkerstrafrecht untersucht.
188 Doehring, Völkerrecht, § 6 Rn. 414 – 415. Wenn ein allgemeiner Rechtsgrundsatz im zwischenstaatlichen Rechtsverkehr dauerhaft angewendet wird entsteht durch die ständige Übung Völkergewohnheitsrecht, welches als das speziellere Recht primär anzuwenden ist.
4. Kapitel
Das Verbot von Vergewaltigung in bewaffneten Konflikten seit 1990 und Staatenverantwortlichkeit Trotz des völkervertrags- und gewohnheitsrechtlichen Verbots der Vergewaltigung in bewaffneten Konflikten sowohl im internationalen als auch im nicht-internationalen Konflikt kam es etwa während der bewaffneten Konflikte im ehemaligen Jugoslawien und Ruanda in den 1990er Jahren zu zahlreichen (Massen-)Vergewaltigungen. Dies wirft die Frage nach der Durchsetzung des Vergewaltigungsverbots im bewaffneten Konflikt auf. Grundsätzlich gilt, dass ein Verbot im Allgemeinen nur dann respektiert und eingehalten wird, wenn es auch effektiv durchgesetzt wird oder – gemäß der alten Diplomaten-Regel, niemals mit einem Mittel zu drohen, das man nicht auch willens und in der Lage ist einzusetzen,1 – zumindest durchgesetzt werden kann. Folglich stellt sich die Frage, wie mit Verstößen gegen das Vergewaltigungsverbot im bewaffneten Konflikt auf internationaler Ebene seit 1990 umgegangen wurde und welche Möglichkeiten bestehen, um dieses auch effektiv durchzusetzen. Hierbei sind drei Ebenen voneinander zu unterscheiden: Einerseits die Ebene der internationalen Gemeinschaft als solche, die mit dem Phänomen der Vergewaltigungen in bewaffneten Konflikten konfrontiert ist, zweitens die Verantwortlichkeit eines einzelnen Staates, auch in einer Not- und Ausnahmesituation wie einem bewaffneten Konflikt die Praxis von Vergewaltigungen in seinem Hoheits- und Einflussbereich, insbesondere durch ihm zurechenbare Personen wie zum Beispiel Soldaten zu verbieten und gegebenenfalls zu unterbinden und zu bestrafen, und drittens die individuelle strafrechtliche Verantwortlichkeit des einzelnen Täters.2 Auf der Ebene der internationalen Gemeinschaft ermöglichte das Ende des kalten Krieges dem Sicherheitsrat der Vereinten Nationen klare Entscheidungen und Maßnahmen im Hinblick auf Situationen die dieser als Bedrohung des Weltfriedens im Sinne des Kapitels 7 der VN-Charta ansah.3 So konnten nach den Konflikten im ehemaligen Jugoslawien und Ruanda – in denen Vergewaltigungen in erheblichem Umfang 1
Schöllgen, Geschichte der Weltpolitik von Hitler bis Gorbatschow 1941 – 1991, S. 165. Zum Verhältnis von Staaten- und individueller strafrechtlicher Verantwortlichkeit siehe Bianchi, State Responsibility and Criminal Liability of Individuals, in: Cassese, The Oxford Companion to International Criminal Law, S. 16 – 24; Dupuy, International Criminal Responsibility of the Individual and International Responsibility of the State, in: Cassese/Gaeta/ Jones, The Rome Statute of the International Criminal Court, Vol. II, S. 1085 – 1099. 3 Siehe statt vieler Schwarz, Weltpolitik im alten Jahrhundert: Drei Perspektiven – 1900, 1995, 1999, in: Kaiser/Schwarz (Hrsg.), Weltpolitik im neuen Jahrhundert, S. 18. 2
A. Konzept der Staatenverantwortlichkeit
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vorgekommen waren – die Ad hoc-Straftribunale für das ehemalige Jugoslawien und Ruanda geschaffen werden, die die noch zu untersuchende individuelle Strafverfolgung von Vergewaltigungen in den jeweiligen Konflikten auf internationaler Ebene erst ermöglichten. Im Fall der kollektiven Verantwortlichkeit eines Staates für ihm zurechenbare (Massen-)Vergewaltigungen im bewaffneten Konflikt kann Wiedergutmachung durch (pekuniären) Schadensersatz die Durchsetzung dieses Rechts, hier des Vergewaltigungsverbots, stärken und ist damit auch ein Mittel der Generalprävention.4 Zudem kann gerade die Form der Wiedergutmachung in Form „des Geständnisses der Verletzung, eines Ausdrucks des Bedauerns, einer förmlichen Entschuldigung oder auf andere Weise“, in diesem Fall für Opfer besonders bedeutsam sein.5 In diesem Kapitel wird zunächst die kollektive Verantwortlichkeit des betreffenden Staates für Verstöße gegen das Vergewaltigungsverbot im bewaffneten Konflikt untersucht, bevor in den folgenden Kapiteln auf die individuelle strafrechtliche Verantwortlichkeit des einzelnen Täters eingegangen wird.
A. Konzept der Staatenverantwortlichkeit (,state responsibility‘) Grundsätzlich gilt, dass die Verletzung von Normen des Völkerrechts die Verantwortlichkeit des betreffenden Staates begründet.6 Dies bestätigt auch Resolution Nr. 56/83 der VN-Generalversammlung, die einen Entwurf der International Law Commission (ILC) zur Staatenverantwortlichkeit zum Inhalt hat. Dieser Entwurf lässt sich als Hilfsmittel heranziehen, um festzustellen, unter welchen gewohnheitsrechtlichen Voraussetzungen völkerrechtliche Verantwortlichkeit begründet wird.7 Demnach lässt sich grundsätzlich konstatieren, dass die völkerrechtliche Verantwortung eines Staates begründet wird, wenn durch ein einem Staat zurechenbares 4
Gillard, Reparation for Violations of International Humanitarian Law, IRRC 85 (2003), S. 529 – 553 (530). 5 Dies gilt besonders im Hinblick auf die Bedürfnisse der individuellen Opfer, weniger im Hinblick auf die Bedürfnisse des Staates. So war es den ehemaligen ,Comfort Women‘ beispielsweise wichtiger, ihre Geschichte angemessen erzählen zu können, als die – symbolische – Bestrafung des oder der Täter, vgl. statt vieler etwa Kalshoven, Some Comments on the International Responsibility of States, in: Heintschel v. Heinegg/Epping, Int’nl Humanitarian Law Facing New Challenges, S. 207 – 214 (213). 6 Etwa Crawford, The System of International Responsibility, in: Crawford/Pellet/Olleson, The Law of International Responsibility, S. 17 – 25 (17); Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht, § 173 I.1.; Verdross/Simma, Universelles Völkerrecht, § 1262; Ipsen, in: Ipsen, Völkerrecht, § 39, Rn. 1, vgl. Art. 1 UN GA Resolution 56/83 vom 12. 12. 2001. 7 Cassese, International Law, 13.3; Ipsen, in: Ipsen, Völkerrecht, § 39, Rn. 2; Dahm/Delbrück/Wolfrum, § 173 I.3.
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4. Kap.: Verbot von Vergewaltigung seit 1990
Verhalten – im hier untersuchten Fall zumeist die Vergewaltigungshandlung eines Soldaten8 – eine völkerrechtliche Pflicht dieses Staates – hier die Nichtdurchsetzung des Vergewaltigungsverbots – ohne Rechtfertigung verletzt wird oder wurde.9 Im Fall der Verletzung der völkerrechtlichen Pflicht, das Vergewaltigungsverbot im bewaffneten Konflikt durchzusetzen, ist das Vorliegen dieser Rechtfertigungsgründe jedoch kaum denkbar. Einwilligung, Selbstverteidigung, höhere Gewalt sowie eine Notlage oder Notstand kommen schon wegen des individuellen Charakters der Zuwiderhandlung, die primär gegen eine einzelne Person und nicht gegen den gegenüberstehenden Staat als solchen gerichtet ist, nicht in Betracht. Rechtsfolge der Staatenverantwortlichkeit ist gemäß Artt. 28 ff. zunächst die Pflicht zur Erfüllung der verletzten Pflicht bzw. zur Einstellung des andauernden völkerrechtswidrigen Verhaltens. Im Fall der Vergewaltigungen im bewaffneten Konflikt wäre dies die sofortige Durchsetzung des entsprechenden Verbots. Die Wiedergutmachung des Schadens erfolgt durch Restitution, Schadensersatz und Genugtuung (,satisfaction‘) (Artt. 34 ff. ILC-Entwurf). In diesem Fall kommt als Wiedergutmachung nur Schadensersatz sowie Genugtuung nach in Betracht (Art. 36 f. ILC-Entwurf). Grundsätzlich begründet eine einem Staat zurechenbare Vergewaltigungshandlung in einem bewaffneten Konflikt, wodurch dessen humanitär-völkerrechtliche Pflicht zur Durchsetzung des Vergewaltigungsverbots verletzt wird, damit die völkerrechtliche Verantwortlichkeit dieses Staates. Es ist zu untersuchen, ob und inwieweit Normen des humanitären Völkerrechts lex specialis gegenüber den allgemeinen Regeln der Staatenverantwortlichkeit aus dem ILC-Entwurf enthalten.10
B. Staatenverantwortlichkeit im humanitären Völkerrecht Das humanitäre Völkerrecht kennt über die gewohnheitsrechtlichen Regeln der ILC hinaus spezielle vertragsrechtliche Normen zur Staatenverantwortlichkeit wegen Verstößen im internationalen bewaffneten Konflikt. In Bezug auf den Untersuchungsgegenstand interessiert hier, inwieweit diese im Fall von Verstößen einer
8 Das Verhalten kann nach Art. 2 des ILC-Entwurfs sowohl in einem Tun als auch in einem Unterlassen bestehen. Eine Handlung durch Unterlassen kann beispielsweise ein vorgesetzter Befehlshaber begehen, der seiner Pflicht, Vergewaltigungen als Kriegsverbrechen zu verhindern und zu bestrafen, nicht nachkommt; vgl. Henkaerts/Doswald-Beck, Customary International Humanitarian Law, Vol. I, Rule 149, Ommissions, S. 532. 9 Die völkerrechtliche Pflichtverletzung korrespondiert mit dem Recht eines anderen Völkerrechtssubjekts auf Erfüllung ebendieser Pflicht; vgl. Ipsen, in: Ipsen, Völkerrecht, § 39, Rn. 31. 10 Ausführlich zur allgemeinen Staatenverantwortlichkeit wegen Verletzungen des humanitären Völkerrechts Sassòli, State responsibility for violations of international humanitarian law, IRRC 84 (2002), S. 401 – 434.
B. Staatenverantwortlichkeit im humanitären Völkerrecht
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Konfliktpartei gegen das humanitär-völkerrechtliche Vergewaltigungsverbot anwendbar sind.
I. Staatenverantwortlichkeit wegen Verstößen gegen das Vergewaltigungsverbot im internationalen bewaffneten Konflikt 1. Art. 3 IV. Haager Abkommen, Art. 91 ZP I Die älteste kodifizierte Bestimmung zur Verantwortlichkeit von Kriegsparteien findet sich in Art. 3 des IV. Haager Abkommens von 1907 und wurde fast wortgleich in Art. 91 ZP I übernommen.11 Die einschlägige Norm wird aufgrund ihrer knappen Formulierung von Tatbestand und Rechtsfolge zuweilen als „typisches Produkt einer Konferenz, die sich auf andere Fragen konzentrierte“ bezeichnet.12 Wie oben festgestellt, verbieten sowohl die Haager Landkriegsordnung- einerseits über den in Art. 46 HLKO festgeschriebenen Schutz der Familienehre und – rechte Vergewaltigungen in bewaffneten Konflikten, andererseits als Verstoß gegen die in Art. 8 der Präambel des IV. Haager Abkommens, der Martens’schen Klausel, enthaltenen Gesetze der Menschlichkeit – als auch das ZP I (Art. 75 Abs. 2 b)) Vergewaltigungen im internationalen bewaffneten Konflikt. Fraglich ist weiter, wann Vergewaltigungen in einem internationalen bewaffneten Konflikt einem Staat zurechenbar sind und welche Rechtsfolge dies hat. a) Zurechnung Nach dem Entwurf der ILC ist einem Staat ein Verhalten von Staatsorganen selbst (Art. 4) und von Personen oder Stellen, die hoheitliche Befugnisse ausüben (Art. 5), sowie ein faktisch von einem Staat geleitetes oder kontrolliertes Verhalten (Art. 8) oder ein von einem Staat als sein eigenes anerkanntes Verhalten (Art. 11) völkerrechtlich zurechenbar. Dies gilt auch in Fällen (völker-) rechtswidrigen Handelns, wenn dies durch eine zur Ausübung hoheitlicher Befugnisse ermächtigte Person, Stelle oder Organ erfolgt, welche dabei ihre Kompetenzen überschreitet oder Weisungen zuwider handelt (Art. 7). Demnach wären Vergewaltigungen durch hoheit11 Art. 3 IV. Haager Abkommen [Verantwortlichkeit der Kriegspartei]: Die Kriegspartei, welche die Bestimmungen der bezeichneten Ordnung verletzen sollte, ist gegebenen Falles zum Schadensersatze verpflichtet. Sie ist für alle Handlungen verantwortlich, die von den zu ihrer bewaffneten Macht gehörenden Personen begangen werden. Art. 91 ZP I [Haftung]: Eine am Konflikt beteiligte Partei, welche die Abkommen oder dieses Protokoll verletzt, ist gegebenenfalls zum Schadensersatz verpflichtet. Sie ist für alle Handlungen verantwortlich, die von den zu ihren Streitkräften gehörenden Personen begangen werden. 12 Kalshoven, Some Comments on the International Responsibility of States, in: Heintschel v. Heinegg/Epping, Int’nl Humanitarian Law Facing New Challenges, S. 207 – 214 (207).
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4. Kap.: Verbot von Vergewaltigung seit 1990
lich ermächtigte Personen, die im Regelfall durch nationale Rechtsvorschriften verboten sind trotz des darin beinhalteten Verstoßes gegen die nationale Rechtsordnung dem Staat zurechenbar.13 Art. 3 IV. Haager Abkommen sowie Art. 91 ZP I dagegen sprechen von der „Kriegspartei“ bzw. der „am Konflikt beteiligten Partei,“ welche die Bestimmungen der HLKO bzw. der Genfer Abkommen oder ihres ersten Zusatzprotokolls verletzt. Auch von diesem Wortlaut ist rechtswidriges oder weisungswidriges Verhalten umfasst.14 Folglich kann davon ausgegangen werden, dass eine (staatliche) Partei eines bewaffneten Konfliktes, deren Streitkräfte (oder andere dem Staat zurechenbare Personen) Angehörige der gegnerischen Partei zurechenbar vergewaltigen, die Bestimmungen sowohl der HLKO als auch des ZP I verletzt und daher für alle dieser Handlungen automatisch verantwortlich ist.15 Anderes könnte jedoch gelten, wenn die Vergewaltigung im bewaffneten Konflikt nicht in – rechtswidriger – Ausübung der offiziellen Funktion sondern als Privatperson begangen wurde. Grundsätzlich ist das Handeln in amtlicher Eigenschaft nach Art. 7 des ILC-Entwurfs Voraussetzung für die Zurechnung eines Verhaltens zu einem Staat.16 Diese Frage ist jedoch irrelevant, wenn das fragliche Verhalten – im hier untersuchten Fall Verstöße gegen das Vergewaltigungsverbot – systematisch und wiederholt begangen wurde, der betreffende Staat davon gewusst hat oder hätte wissen müssen und Präventionsmaßnahmen hätte ergreifen müssen.17 Zumindest für den Fall von Massenvergewaltigungen18 kann aufgrund des wiederholten oder sys-
13 Zum Verbot der Vergewaltigung im bewaffneten Konflikt durch Staatenpraxis und nationale Rechtsordnungen Henckaerts/Doswald-Beck, Customary International Humanitarian Law, Vol. II, Part 2, Nr. 1584 – 1677. 14 Wolfrum/Fleck, Enforcement of International Humanitarian Law, in: Fleck, Handbook on International Humanitarian Law, Rn. 14107 (S. 707); siehe auch Draft Articles on Responsibility of States for Internationally Wrongful Acts with commentaries, United Nations, International Law Commission, Report on the Work of its Fifty-third Session, General Assembly, Official Records, 55th Session, UN DOC A/56/10, Commentary zu Art. 7 (4); abrufbar im Internet: http://legal.un.org/ilc/texts/instruments/english/commentaries/9_6_2001.pdf (besucht am 06. 10. 2015). 15 Gillard, Reparation for violations of international humanitarian law, IRRC 85 (2003), S. 529 – 553 (532). 16 Draft Articles on Responsibility of States for Internationally Wrongful Acts with commentaries, United Nations, International Law Commission, Report on the Work of its Fifty-third Session, General Assembly, Official Records, 55th Session, UN DOC A/56/10, Commentary zu Art. 7 (7). 17 Draft Articles on Responsibility of States for Internationally Wrongful Acts with commentaries, United Nations, International Law Commission, Report on the Work of its Fifty-third Session, General Assembly, Official Records, 55th Session, UN DOC A/56/10, Commentary zu Art. 7 (8). 18 Zum Ausmaß der Vergewaltigungen in Deutschland nach Ende des 2. Weltkriegs, siehe oben 2. Kapitel, A. II. sowie von Münch, „Frau, komm!“, Die Massenvergewaltigungen deutscher Frauen und Mädchen 1944/45; zu den Vergewaltigungen im Kongo siehe etwa Rights
B. Staatenverantwortlichkeit im humanitären Völkerrecht
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tematischen Umfangs des völkerrechtswidrigen Handelns von einer Zurechenbarkeit der Vergewaltigungen zu dem betreffenden Staat ausgegangen werden. In Fällen, in denen „outrageous acts“ wie Vergewaltigungen isoliert durch einzelne Personen, die eine offizielle Funktion ausüben, begangen werden, bleibt die Frage nach der Unterscheidung zwischen dem Handeln in offizieller Funktion und als Privatperson jedoch relevant, wofür der Anschein des Handelns mit staatlicher Autorität entscheidend ist.19 Maßgeblich für die Zurechnung der Handlung zu einem Staat müssen hier die genauen Umstände des Einzelfalles sein. Aus dem Wortlaut der Artt. 3 IV. Haager Abkommen, 91 ZP I, die von Handlungen, „die von den zu ihren Streitkräften gehörenden Truppen begangen werden,“ sprechen, ergibt sich, dass jedenfalls Vergewaltigungshandlungen, die von zu Streitkräften gehörenden Personen begangen werden, dem betreffenden Staat zuzurechnen sind. Angesichts der Tatsache, dass sich Angehörige der Streitkräfte einer Partei während eines bewaffneten Konflikts immer an das humanitäre Völkerrecht halten müssen und sich als reine Privatpersonen niemals auf feindlichem Territorium aufhalten oder Kontakt mit Angehörigen der gegnerischen Macht haben würden, sind diese während des Konflikts bezüglich der Anwendbarkeit des humanitären Völkerrechts als immer im Dienst zu betrachten. Ein Widerspruch zwischen Art. 3 IV. Haager Abkommen und Art. 91 ZP I einerseits und Art. 7 des ILC-Entwurfs andererseits, der eine lex specialis Regelung erfordern würde, ist insoweit nicht erkennbar.20 b) Rechtsfolge Weiter ist erwähnenswert, dass die Rechtsfolge der Verletzung des Art. 3 IV. Haager Abkommen und des Art. 91 ZP I nach dem Wortlaut – neben der Einstellung des völkerrechtswidrigen Verhaltens – lediglich „gegebenen Falles“ die Verpflichtung zur Zahlung von Schadensersatz ist, Restitution im Sinne der Wiederherstellung des ursprünglichen Zustandes und Genugtuung jedoch nicht vorgesehen sind. Trotzdem ist aufgrund der Formulierung „gegebenen Falles“ davon auszugehen, dass entsprechend den allgemeinen völkerrechtlichen Regeln Schadensersatz subsidiär zur Wiederherstellung des ursprünglichen Zustandes ist und Wiedergutmachung neben der Zahlung von Schadensersatz – soweit möglich – auch in Form von
& Democracy (Hrsg.), Ending the Indifference, Sexual Violence during the 1993 – 2003 Armed Conflict in the Democratic Republic of the Congo. 19 Draft Articles on Responsibility of States for Internationally Wrongful Acts with commentaries, United Nations, International Law Commission, Report on the Work of its Fifty-third Session, General Assembly, Official Records, 55th Session, UN DOC A/56/10, Commentary zu Art. 7 (8). 20 Sassòli, State responsibility for violations of international humanitarian law, IRRC 84 (2002), S. 401 – 434 (406).
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4. Kap.: Verbot von Vergewaltigung seit 1990
Restitution und Genugtuung geleistet werden kann.21 In beiden Normen bleibt jedoch ungeklärt, wer den Staat verantwortlich machen kann, wann, wo und wie dies geschehen kann.22 Insoweit ist daher auf die allgemeinen Regeln der Artt. 42 ff. des ILC-Entwurfs zurückzugreifen. Abschließend lässt sich feststellen, dass Art. 3 IV. Haager Abkommen und Art. 91 ZP I nicht von den allgemeinen gewohnheitsrechtlichen Regeln zur Staatenverantwortlichkeit abweichen, sondern den Grundsatz der Staatenverantwortlichkeit für den Fall von Verletzungen der HLKO oder des ZP I – etwa durch Vergewaltigungen – auch völkervertraglich festschreiben. 2. Gewohnheitsrechtsstudie des IKRK Der Vollständigkeit halber sei erwähnt, dass das IKRK in der oben bereits genannten Studie zum humanitären Völkergewohnheitsrecht hinsichtlich der Staatenverantwortlichkeit zwei Regeln, Nr. 149 und 150, identifiziert hat.23 Inhaltlich reflektieren diese Regeln für den internationalen bewaffneten Konflikt jedoch nur die Verantwortlichkeit des Staates, wie sie sich bereits aus den Art. 3 IV. Haager Abkommen und Art. 91 ZP I sowie aus den allgemeinen gewohnheitsrechtlichen Regeln über Staatenverantwortlichkeit ergibt. Deshalb müssen sie an dieser Stelle nicht näher erörtert werden.
II. Staatenverantwortlichkeit wegen Verstößen gegen das Vergewaltigungsverbot im nicht-internationalen bewaffneten Konflikt Während sich die Staatenverantwortlichkeit bei zurechenbaren Verstößen gegen das Vergewaltigungsverbot im internationalen bewaffneten Konflikt relativ unproblematisch aus Völkergewohnheits- und -vertragsrecht ergibt, erscheint die Rechtslage im nicht-internationalen bewaffneten Konflikt komplizierter.
21 Sassòli, State responsibility for violations of international humanitarian law, IRRC 84 (2002), S. 401 – 434 (418); Gillard, Reparation for violations of international humanitarian law, IRRC 85 (2003), S. 529 – 553 (533). 22 Kalshoven, Some Comments on the International Responsibility of States, in: Heintschel v. Heinegg/Epping, International Humanitarian Law, Facing New Challenges, S. 207 – 223 (207). 23 Henckaerts/Doswald-Beck, Customary International Humanitarian Law, Vol. 1 – Rules.
B. Staatenverantwortlichkeit im humanitären Völkerrecht
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1. Die völkerrechtswidrige Handlung als Voraussetzung für die völkerrechtliche Verantwortlichkeit im nicht-internationalen bewaffneten Konflikt Zur Begründung der Staatenverantwortlichkeit wird häufig ausgeführt, dass die verletzte Pflicht das korrespondierende Recht eines anderen Staates auf Einhaltung eben dieser Pflicht verletzt.24 Ein nicht-internationaler bewaffneter Konflikt, findet jedoch im Normalfall auf dem Staatsgebiet des Staates statt, der gegen die im nichtinternationalen bewaffneten Konflikt geltenden Normen des humanitären Völkerrechts verstößt – wozu das Vergewaltigungsverbot zählt. Deshalb erscheint eine die Verantwortlichkeit des Staates begründende Verletzung des korrespondierenden Rechts eines anderen Völkerrechtssubjekts denklogisch zunächst ausgeschlossen. Nach der Formulierung des Art. 1 des ILC-Entwurfs ist ein Staat jedoch für jede völkerrechtswidrige Handlung – wie einem Staat zurechenbare Vergewaltigungen in einem nicht-internationalen bewaffneten Konflikt – völkerrechtlich verantwortlich. Eine einem Staat zurechenbare Vergewaltigung im Rahmen eines nicht-internationalen bewaffneten Konflikts ist, wie oben untersucht, eine völkerrechtswidrige Handlung im Sinne des Art. 1 des ILC-Entwurfs. Aus der Völkerrechtswidrigkeit einer Handlung – hier der Vergewaltigung – ergibt sich aber noch nicht, wem gegenüber der Staat völkerrechtlich verantwortlich ist.25 Nach Auffassung der ILC begründen einige bestimmte völkerrechtswidrige Handlungen die Verantwortlichkeit des betreffenden Staates gegenüber mehreren Staaten oder sogar gegenüber der internationalen Gemeinschaft als Ganzes.26 Auch der IGH geht seit dem Barcelona Traction Fall in ständiger Rechtsprechung von einer grundlegenden Unterscheidung zwischen Verpflichtungen eines Staates gegenüber der internationalen Gemeinschaft als Ganzes und solchen „nur“ gegenüber eines anderen Staates aus. Bei Verpflichtungen, die die internationale Gemeinschaft als Ganzes betreffen, hat jeder Staat – aufgrund der Natur und der Wichtigkeit der Verpflichtung – ein Interesse an deren Schutz. Es handelt sich um Verpflichtungen erga omnes, also gegenüber allen.27 24
Vgl. statt vieler etwa Gaja, The Concept of an Injured State, in: Crawford/Pellet/Olleson (Hrsg.), The Law of International Responsibility, S. 941 – 947 (943); Shaw, International Law, S. 694; Ipsen, in: Ipsen, Völkerrecht, § 39 Rn. 31. 25 Vgl. Draft Articles on Responsibility of States for Internationally Wrongful Acts with commentaries, United Nations, International Law Commission, Report on the Work of its Fiftythird Session, General Assembly, Official Records, 55th Session, UN DOC A/56/10, Commentary zu Art. 1 (5). 26 Draft Articles on Responsibility of States for Internationally Wrongful Acts with commentaries, United Nations, International Law Commission, Report on the Work of its Fifty-third Session, General Assembly, Official Records, 55th Session, UN DOC A/56/10, Commentary zu Art. 1 (4). 27 ICJ Barcelona Traction, Light and Power, Second Phase (Belgium v. Spain), Urteil vom 05. 02. 1970, ICJ Reports 1970, S. 32, para. 33; East Timor (Portugal v. Australia), Urteil vom 30. 06. 1995, ICJ Reports 1995, S. 102, para. 29; Application of the Convention on the Prevention and Punishment of the Crime of Genocide, Preliminary Objections, Urteil vom 11. 07. 1996, ICJ Reports 1996, S. 595, paras. 615 – 616; Application of the Convention on the Pre-
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Demnach begründen einem Staat zurechenbare Vergewaltigungen im nicht-internationalen bewaffneten Konflikt die völkerrechtliche Verantwortlichkeit dieses Staates, wenn diese eine Verletzung einer völkerrechtlichen Verpflichtung gegenüber der internationalen Gemeinschaft als Ganzes darstellen. 2. Das Vergewaltigungsverbot als ,erga omnes‘-Verpflichtung Fraglich ist daher, ob einem Staat zurechenbare Verstöße gegen das Vergewaltigungsverbot im nicht-internationalen bewaffneten Konflikt die Verletzung einer solchen erga omnes-Verpflichtung darstellen. Der IGH benutzte den Begriff der erga omnes-Verpflichtungen zum ersten Mal in seinem Urteil zum Barcelona TractionFall: „By their very nature the former are the concern of all States. In view of the importance of the rights involved, all States can be held to have a legal interest in their protection; they are obligations erga omnes.“28
Die ILC versteht darunter in Anlehnung an dieses Urteil „principles and rules concerning the basic rights of the human person.“29
In seiner Advisory Opinion on the Legality of the Threat or Use of Nuclear Weapons hat der IGH zur Geltung des humanitären Völkerrechts ausgeführt: „It is undoubtedly because a great many rules of humanitarian law applicable in armed conflict are so fundamental to the respect of the human person and ,elementary considerations of humanity‘ (…) that the Hague and Geneva Conventions have enjoyed a broad accession. Further these fundamental rules are to be observed by all States whether or not they have ratified the conventions that contain them, because they constitute intransgressible principles of international customary law.“30
In seiner Advisory Opinion zu den Legal Consequences of the Construction of a Wall in the Occupied Palestinian Territory stellt der IGH schließlich unter Bezugnahme auf seine eben zitierte Advisory Opinion zur Legality of the Threat or Use of Nuclear Weapons fest, dass
vention and Punishment of the Crime of Genocide (Bosnia and Herzegovina v. Yugoslavia), Counter Claims, Beschluss vom 17. 12. 1997, ICJ Reports 1997, S. 243, para 258. 28 ICJ Barcelona Traction, Light and Power, Second Phase (Belgium v. Spain), Urteil vom 05. 02. 1970, ICJ Reports 1970, S. 32, para. 33. 29 Draft Articles on Responsibility of States for Internationally Wrongful Acts with commentaries, United Nations, International Law Commission, Report on the Work of its Fifty-third Session, General Assembly, Official Records, 55th Session, UN DOC A/56/10, Commentary zu Art. 1 (5). 30 ICJ Advisory Opinion on the Legality of the Threat or Use of Nuclear Weapons, ICJ Reports 1996, S. 257, para. 79.
B. Staatenverantwortlichkeit im humanitären Völkerrecht
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„In the Court’s view, these rules incorporate obligations which are essentially of an erga omnes character.“31
Wie untersucht, ergibt sich das Vergewaltigungsverbot aufgrund seiner essentiellen Bedeutung für die Menschlichkeit im nicht-internationalen bewaffneten Konflikt über das explizite Verbot hinaus auch aus dem gemeinsamen Artikel 3 der Genfer Abkommen und der Martens’schen Klausel. Da diese die bereits im Corfu Channel Case vom IGH als entscheidend genannten ,elementary considerations of humanity‘ reflektieren, kann,32 ohne an dieser Stelle weiter auf das Verbot einzugehen, in Anbetracht der zitierten IGH-Entscheidungen davon ausgegangen werden, dass es sich bei dem Vergewaltigungsverbot um eine auch im nicht-internationalen bewaffneten Konflikt geltende erga omnes-Norm handelt. Damit ist ein Staat wegen Verstößen gegen das Vergewaltigungsverbot bei entsprechender Zurechenbarkeit auch im nicht-internationalen bewaffneten Konflikt völkerrechtlich verantwortlich. Zu diesem Ergebnis kommt – auch für den nicht-internationalen Konflikt – die Gewohnheitsrechtsstudie des IKRK ebenfalls, wenn auch ohne weitere dogmatische Begründung.33 3. Rechtsfolge bei Verstößen gegen das Vergewaltigungsverbot als Verletzung einer ,erga omnes‘-Verpflichtung Grundsätzlich sind die Rechtsfolgen der Staatenverantwortlichkeit im nicht-internationalen bewaffneten Konflikt die gleichen wie im internationalen bewaffneten Konflikt mit dem Unterschied, dass sie sich ausschließlich aus Völkergewohnheitsund nicht aus Vertragsrecht ergeben.34 Aus dem erga omnes-Charakter der verletzten 31
Advisory Opinion on the Legal Concequences of the Construction of a Wall in the Occupied Palestinian Territory, 09. 07. 2004, ICJ Reports 2004, S. 199, para. 157. 32 Corfu Channel Case, Urteil vom 09. 04. 1949, ICJ Reports 1949, S. 4, para. 22. 33 Henckaerts/Doswald-Beck, Customary International Humanitarian Law, Vol. 1, Rule 149: A State is responsible for violations of international humanitarian law attributable to it, including: (a) violations committed by its organs, including its armed forces; (b) violations committed by persons or entities it empowered to exercise elements of governmental authority (c) violations committed by persons or groups acting in fact on its instructions, or under its direction or control; and (d) violations committed by private persons or groups which it acknowledges and adopts as its own conduct. Nach den Erläuterungen ergibt sich die Staatenverantwortlichkeit im nicht-internationalen bewaffneten Konflikt „directly from the principle that a breach of law involves an obligation to make reaparation, as well as from the responsibility of a State for violations which are attributable to it.“, S. 545. 34 Artt. 28 – 39 Draft Articles on Responsibility of States for Internationally Wrongful Acts with commentaries, United Nations, International Law Commission, Report on the Work of its Fifty-third Session, General Assembly, Official Records, 55th Session, UN DOC A/56/10;
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4. Kap.: Verbot von Vergewaltigung seit 1990
völkerrechtlichen Norm folgt, dass jeder Staat die Pflichtverletzung des Verstoßes gegen das Vergewaltigungsverbot geltend machen (Art. 48 Abs. I b) ILC-Entwurf) und die Beendigung des völkerrechtlichen Verhaltens – hier der Vergewaltigungen – sowie Zusagen und Garantien der Nichtwiederholung fordern kann (Art. 48 Abs. II a). Darüberhinaus kann verlangt werden, dass die Wiedergutmachungsverpflichtung gegenüber dem verletzten Staat oder den Begünstigten der verletzten Verpflichtung erfüllt wird (Art. 48 Abs. II b)). Da der Staat im Falle von ihm zurechenbaren Vergewaltigungen während eines bewaffneten Konflikts selbst der Verursacher des Schadens ist, ist die erste Alternative insoweit irrelevant. Auf die Situation des nichtinternationalen bewaffneten Konflikts scheinen die üblichen völkerrechtlichen Wiedergutmachungsmechanismen zwischen Staaten zudem nicht zu passen. Hinsichtlich der zweiten Alternative, der Wiedergutmachung zu Gunsten der Begünstigten der verletzten Verpflichtung, führt die ILC in ihrem Kommentar aus, dass es sich um „a measure of progressive development“
handele und nicht mehr als ein allgemeines Prinzip darstellen könne.35 Auf zwischenstaatlicher Ebene erscheint es jedoch problematisch, einem anderen als dem Staat, dem die Betroffenen angehören, das Recht, deren Interessen geltend zu machen zu geben und es erscheint – zumindest im Bereich des nicht-internationalen bewaffneten Konflikts – als Einmischung in die inneren Angelegenheiten des Staates, auf dessen Gebiet der bewaffnete Konflikt stattfindet. Die betroffenen und vom Vergewaltigungsverbot geschützten Individualpersonen können weiter als „nur“ partielle Völkerrechtssubjekte keinen Anspruch auf Wiedergutmachung aus den Regeln über die Verantwortlichkeit von Staaten ableiten. In der Studie zum humanitären Völkergewohnheitsrecht wird aufgrund der Tatsache, dass die Opfer – hier der Vergewaltigungen – durch und in ihrem Staat verletzt wurden, auf den innerstaatlichen Rechtsweg verwiesen.36 Hierbei wird aber übersehen, dass sich der innerstaatliche Rechtsweg im Regelfall ausschließlich aus innerstaatlichem Recht ergibt und insoweit unabhängig von der völkerrechtlichen Verantwortlichkeit eines Staates besteht. Der Verweis auf Menschenrechtsinstrumente, in denen eine entsprechende Entschädigungsverpflichtung vorgesehen ist, passt an dieser Stelle nicht, weil es im Recht der Staatenverantwortlichkeit traditionell nicht um individuelle
Henckaerts/Doswald-Beck, Customary International Humanitarian Law, Vol. 1, Rule 150: A State responsible for violations of international humanitarian law is required to make full reparation for the loss or injury caused. 35 Draft Articles on Responsibility of States for Internationally Wrongful Acts with commentaries, United Nations, International Law Commission, Report on the Work of its Fifty-third Session, General Assembly, Official Records, 55th Session, UN DOC A/56/10, Commentary zu Art. 48 (12). 36 Henckaerts/Doswald-Beck, Customary International Humanitarian Law, Vol. 1, Rule 150, S. 546.
B. Staatenverantwortlichkeit im humanitären Völkerrecht
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Ansprüche der jeweiligen Opfer, sondern um Ansprüche von und gegen Staaten als Völkerrechtssubjekte geht.37
III. Verantwortlichkeit von bewaffneten Oppositionsgruppen wegen Vergewaltigung im nicht-internationalen bewaffneten Konflikt Es kommt vor, dass nicht nur einem Staat zurechenbare Personen trotz des humanitär-völkerrechtlichen Verbots während eines nicht-internationalen bewaffneten Konflikts vergewaltigen, sondern auch Personen, die anderen bewaffneten Gruppen (sogenannten ,armed opposition groups‘) zuzurechnen sind. Beispielsweise wird in der Demokratischen Republik Kongo von sämtlichen am Konflikt Beteiligten – ob staatlich oder nicht-staatlich – regelmässig und massiv gegen das humanitär-völkerrechtliche Vergewaltigungsverbot verstoßen.38 Deshalb stellt sich die Frage, ob und inwieweit auch Gruppen der bewaffneten Opposition für Verstöße gegen das humanitär-völkerrechtliche Vergewaltigungsverbot völkerrechtlich verantwortlich sind.39 Auch wenn die Bindung von sogenannten ,armed opposition groups‘ an das humanitäre Völkerrecht insgesamt dogmatisch nicht unproblematisch ist, so ist die Staatenpraxis doch hinsichtlich der Geltung des Folterverbots und des Verbots der unmenschlichen Behandlung und damit auch des Vergewaltigungsverbots für organisierte bewaffnete Gruppen eindeutig.40 Fraglich ist, ob sich aus der Geltung des Verbots auch eine völkerrechtliche Verantwortlichkeit der betreffenden bewaffneten Gruppe(n) wegen Verstößen gegen das Verbot ergeben kann. In seiner Studie zum humanitär-völkerrechtlichen Gewohnheitsrecht argumentiert das IKRK, dass aus der Verpflichtung der bewaffneten Gruppen, das humanitäre Völkerrecht zu beachten, und der Notwendigkeit einer verantwortlichen Führung eine völkerrechtliche Ver37 Zu individuellen Entschädigungsansprüchen wegen Verletzungen des Vergewaltigungsverbots, siehe unten 4. Kapitel. 38 Siehe statt vieler: Peterman/Palermo/Bredenkamp, Estimates and Determinates of Sexual Violence Against Women in the Democratic Republic of Congo, American Journal of Public Health, Vol. 101 (2011), S. 1060 – 1067; Harvard Humanitarian Initiative, Characterizing Sexual Violence in the Democratic Republic of the Congo: Profiles of Violence, Community Responses, and Implications for the Protection of Women, abrufbar unter http://hhi.har vard.edu/publications/characterizing-sexual-violence-democratic-republic-congo-profiles-viol ence-community (besucht am 06. 10. 2015). 39 An dieser Stelle geht es ausschließlich um die völkerrechtliche Verantwortlichkeit der aufständischen Bewegung, nicht um individuelle (völker-)strafrechtliche Verantwortlichkeiten oder Fragen des Staatshaftungsrechts. 40 Zum Problem der Anwendbarkeit des humanitären Völkerrechts auf bewaffnete Widerstandsgruppen Zegveld, Accountability of Armed Opposition Groups in International Law, S. 9 – 39. Zur Geltung von Verbotsnormen für Gruppen der bewaffneten Widerstandsgruppen, dies., S. 92 – 93. Im 3. Kapitel wurde dargestellt, warum sich aus dem humanitär-völkerrechtlichem Folterverbot und dem Gebot der menschlichen Behandlung jeweils auch das Vergewaltigungsverbot ergibt.
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4. Kap.: Verbot von Vergewaltigung seit 1990
antwortlichkeit wegen Verstößen gegen das humanitäre Völkerrecht – wie durch Vergewaltigungen – geschlossen werden könne. Allerdings seien die Folgen einer solchen völkerrechtlichen Verantwortlichkeit unklar.41 Hierzu ist anzumerken, dass die betreffenden bewaffneten Gruppen mit dem ausschließlichen Zweck, Partei eines nicht-internationalen bewaffneten Konfliktes zu sein, unmittelbare Träger von humanitär-völkerrechtlichen Pflichten sind. Es ist aber nicht Intention des humanitären Völkerrechts und entspricht auch nicht dessen Sinn und Zweck, bewaffnete Gruppen – gleich welcher Genese – über ihre Eigenschaft als Partei eines bewaffneten Konflikts hinaus zum (partiellen) Völkerrechtssubjekt zu machen.42 Im Gegenteil, allein die Notwendigkeit, Handlungen von bewaffneten Gruppen während eines nicht-internationalen Konfliktes den völkerrechtlichen Schranken zu unterwerfen, macht sie zu einer Partei mit entsprechenden Rechten und Pflichten im Recht des nicht-internationalen bewaffneten Konflikts. Folglich kann aus dem Fakt, dass eine organisierte bewaffnete Gruppe Teil eines bewaffneten Konflikts ist, nicht geschlossen werden, dass die Gruppe über die sich unmittelbar aus dem humanitären Völkerrecht ergebenden Pflichten hinausgehende völkerrechtliche Rechte und Pflichten – wie ein Staat als Völkerrechtssubjekt – hat. Demzufolge kann aus der Tatsache, dass eine bewaffnete und organisierte Gruppe Partei eines bewaffneten Konflikts ist, nicht auf eine insoweit faktische Gleichstellung mit Staaten geschlossen werden.43 Eine solche faktische Gleichstellung im Hinblick auf die kollektive völkerrechtliche Verantwortlichkeit von bewaffneten Gruppen als Partei eines bewaffneten Konflikts und Staaten würde im Fall von Verstößen gegen das humanitäre Völkerrecht durch die bewaffneten Gruppen – wie durch Vergewaltigungshandlungen – in der Praxis auch erhebliche Probleme bereiten. Zum einen garantiert eine verantwortliche Führung mit einem Mindestmaß an Organisation und die Kontrolle über ein Gebiet noch keine staatsähnliche Organisation, deren Struktur es ermöglicht völkerrechtlich verantwortlich gemacht zu werden; zum anderen mangelt es schon an geeigneten Foren zur Rechtsdurchsetzung, da bewaffnete Gruppen mangels Völkerrechtssubjektivität nicht vor internationalen Gerichten oder anderen zwischenstaatlichen Gremien auftreten könnten. Darüber hinaus sind keine Fälle bekannt, in denen organisierte bewaffnete Gruppen im Sinne des Artikels 1 Abs. 1 ZP II Anstrengungen unternommen haben, Opfer von Völkerrechtsverletzungen, für die die Gruppe verantwortlich ist, zu entschädigen; bisher erfolgte ein zur
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Henckaerts/Doswald-Beck, Customary International Humanitarian Law, Vol. 1, Rule 149, S. 536; sowie Rule 150, S. 550. 42 Der gemeinsame Artikel 3, Absatz IV sieht ausdrücklich vor, dass „Die Anwendung der vorstehenden Bestimmungen (…) auf die Rechtsstellung der am Konflikt beteiligten Parteien keinen Einfluss (hat).“ Auch Art. 1 ZP II gibt einer bewaffneten Gruppe als Partei eines nichtinternationalen bewaffneten Konflikts keine völkerrechtliche Anerkennung; Sandoz/Swinarsky/Zimmermann, Commentary on the Additional Protocols, Rn. 4438. 43 Vgl. Crawford, The International Law Commission’s Articles on State Responsibility, Art. 10 (2), S. 116, der aufzeigt, dass die Handlungen der Mitglieder der bewaffneten Gruppen zunächst Handlungen von Privatpersonen sind.
C. Verletzung des Vergewaltigungsverbots
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Verantwortungziehen für solche Taten ausschließlich im Rahmen der (völker-) strafrechtlichen Verantwortlichkeit des einzelnen Täters.44 Die ILC geht in ihrem Entwurf zur völkerrechtlichen Verantwortlichkeit von Staaten nicht auf das Problem der völkerrechtlichen Verantwortlichkeit bewaffneter Gruppen, das außerhalb der eigentlichen Staatenverantwortlichkeit liegt, ein. Mit Blick auf bewaffnete Gruppen, die (später) die Regierung eines Staates übernehmen, wurde jedoch Art. 10 verabschiedet.45 Folglich ist zumindest die Vergewaltigung eines Mitglieds einer bewaffneten aufständischen Bewegung dann eine Handlung eines Staates, wenn diese zur neuen Regierung eines Staates wird oder einen neuen Staat gründet. In der Praxis wird es jedoch oft schwierig bis unmöglich sein, die aufständischen oder sonstigen Truppen tatsächlich zur Verantwortung zu ziehen. Im oben bereits erwähnten Beispiel der Demokratischen Republik Kongo, ergeben sich die diesbezüglichen Schwierigkeiten schon daraus, dass in so großem Ausmaß vergewaltigt wird, dass häufig schon die Zuordnung der Täter zu einer bestimmten Partei des bewaffneten Konflikts Schwierigkeiten macht.46
C. Die Verletzung des Vergewaltigungsverbots im bewaffneten Konflikt als schwerwiegende Verletzung zwingender völkerrechtlicher Normen Bei schwerwiegenden Verletzungen von zwingenden Normen des allgemeinen Völkerrechts sieht der Entwurf zur völkerrechtlichen Verantwortlichkeit von Staaten 44
Gillard, Reparation for Violations of International Humanitarian Law, IRRC 85 (2003), S. 529 – 553 (535). Es gibt jedoch wenige rühmliche Ausnahmen, in denen auch Gruppen der bewaffneten Opposition Verantwortung für Verletzungen des humanitären Völkerrechts übernommen haben, insbesondere ist in diesem Zusammenhang das „Comprehensive Agreement on Respect for Human Rights and International Humanitarian Law in the Philippines“ zu nennen, nach dem Schadensersatz für Opfer von Verletzungen des humanitären Völkerrechts gezahlt werden muss, vgl. Henckaerts/Doswald-Beck, Customary International Humanitarian Law, Vol. 1, Rule 150, S. 549 f. 45 Art. 10 ILC-Entwurf 1. Das Verhalten einer aufständischen Bewegung, die zur neuen Regierung eines Staates wird, ist als Handlung des Staates im Sinne des Völkerrechts zu werten. 2. Das Verhalten einer aufständischen oder sonstigen Bewegung, der es gelingt, in einem Teil des Hoheitsgebiets eines bestehenden Staates oder in einem seiner Verwaltung unterstehenden Gebiet einen neuen Staat zu gründen, ist als Handlung des neuen Staates im Sinne des Völkerrechts zu werten. Dieser Artikel berührt nicht die Zurechnung eines Verhaltens zu einem Staat, gleichviel in welcher Beziehung es zu dem der betreffenden Bewegung steht, wenn dieses Verhalten auf Grund der Artikel 4 bis 9 als Handlung dieses Staates zu gelten hat. 46 Zu dem Problem der Identifizierung der Täter(gruppen) etwa Human Rights Watch, The War within the War, Sexual Violence Against Women and Girls in Eastern Congo, S. 25.
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4. Kap.: Verbot von Vergewaltigung seit 1990
als besondere Folge vor (Art. 41), dass die Staaten zusammenarbeiten, um jeder schwerwiegenden Verletzung mit rechtmäßigen Mitteln ein Ende zu setzen (Art. 40 Abs. 1), und dass kein Staat einen Zustand, der durch eine schwerwiegende Verletzung herbeigeführt wurde, als rechtmäßig anerkennt oder zur Aufrechterhaltung dieses Zustandes Beihilfe oder Unterstützung leistet (Abs. 2). Auf Verstöße gegen das Vergewaltigungsverbot im bewaffneten Konflikt wären diese besonderen Folgen anwendbar, wenn es sich dabei (1) um eine schwerwiegende Verletzung (2) einer jus cogens-Norm handelt. Trotz der Definition von jus cogens in Art. 53 des Wiener Übereinkommens über das Recht der Verträge nahm der IGH erst 2006 erstmals explizit Bezug auf zwingendes Völkerrecht und stellte fest, dass das Verbot des Völkermordes jedenfalls dazu gehört.47 Auch das Folterverbot und die „basic rules of international humanitarian law“
zählen dazu.48 Trotz der hoch anzulegenden Messlatte für die Qualifizierung einer Norm als jus cogens, kann für das Vergewaltigungsverbot im bewaffneten Konflikt von allgemeiner zwingender Geltung zumindest insoweit als die Vergewaltigungen unter Folter oder Völkermord subsumiert werden können, ausgegangen werden. Die Verletzung einer Verpflichtung, hier durch Nichtbeachtung oder Nichtdurchsetzung des Vergewaltigungsverbots im bewaffneten Konflikt ist schwerwiegend, „wenn sie eine grobe oder systematische Nichterfüllung der Verpflichtung durch den verantwortlichen Staat bedeutet“ (Art. 40 Abs. 2).
Um systematisch zu sein, muss die Verletzung – hier die Vergewaltigungen im bewaffneten Konflikt – in organisierter und beabsichtigter Weise begangen werden; als grob ist sie aufgrund ihrer Intensität zu qualifizieren.49 Einzelne Verstöße gegen das Vergewaltigungsverbot im bewaffneten Konflikt werden damit die Schwelle der schwerwiegenden Verletzung jedenfalls nicht erreichen. Anders ist dies, wenn in einem bewaffneten Konflikt systematisch vergewaltigt wird und oder Vergewaltigungen als Methode der Kriegsführung eingesetzt werden und dies einem Staat zurechenbar ist. Hierzu zählen auch Konstellationen, in welchen ein Staat das 47 ICJ Armed Activities on the Territory of the Congo (Congo v. Rwanda), Urteil vom 03. 02. 2006, ICJ Reports 2006, S. 6 para. 64 und 125; vgl. auch Simma, Universality of International Law from the Perspective of a Practitioner, EJIL 20 (2009), S. 265 – 297 (272). 48 Draft Articles on Responsibility of States for Internationally Wrongful Acts with Commentaries, United Nations, International Law Commission, Report on the Work of its Fiftythird Session, General Assembly, Official Records, 55th Session, UN DOC A/56/10, Commentary zu Art. 40 para. 5; vgl. auch Frowein, ius cogens, in: Wolfrum (Hrsg.), The Max Planck Encyclopedia of Public International Law, online-edition, Rn. 8. 49 Draft Articles on Responsibility of States for Internationally Wrongful Acts with Commentaries, United Nations, International Law Commission, Report on the Work of its Fiftythird Session, General Assembly, Official Records, 55th Session, UN DOC A/56/10, Commentary zu Art. 40 para. 8.
D. Individualansprüche gegen einen verantwortlichen Staat
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Vergewaltigungsverbot im bewaffneten Konflikt – ob bei seinen Soldaten oder auch bei organisierten bewaffneten Gruppen – nicht oder nicht ausreichend durchsetzt. Verstöße gegen das Vergewaltigungsverbot im bewaffneten Konflikt können folglich schwerwiegende Verletzungen einer zwingenden Verpflichtung sein. Dies kann jedoch nur im Einzelfall aufgrund der spezifischen Umstände des Falles in welchem Tatsachen für eine grobe oder systematische Nichtdurchsetzung des Vergewaltigungsverbots sprechen müssen, festgestellt werden.
D. Individualansprüche gegen einen verantwortlichen Staat Zunehmend wird in jüngerer Zeit diskutiert, ob einzelne Opfer von einem Staat zurechenbaren völkerrechtswidrigen Handlungen, insbesondere wenn diese die Qualität eines schweren Verstoßes gegen Menschenrechte oder einer ernsten Verletzung des humanitären Völkerrechts haben, einen Individualanspruch auf Wiedergutmachung gegen den hierfür verantwortlichen Staat haben.50 Vergewaltigungen haben häufig unvorstellbar verheerende Konsequenzen für die Opfer.51 Folglich sind diese häufig besonders verletzlich und haben deshalb ein besonderes Bedürfnis entschädigt zu werden – soweit dies für ein Verbrechen dieser Schwere überhaupt möglich ist. Auch wenn dadurch der status quo ante nicht wieder hergestellt werden kann, kann eine Entschädigung – besonders wenn sie zeitnah und angemessen erfolgt – den Opfern aber zumindest helfen, ihr Leben wieder selbstbestimmt „in den Griff zu bekommen.“52
I. Rechtsgrundlage eines individuellen Entschädigungsanspruchs im internationalen bewaffneten Konflikt Folglich stellt sich die Frage, ob – neben dem verletzten Staat – auch Individuen ein Recht auf Wiedergutmachung in Form von Schadensersatz oder Entschädigung 50 Vgl. Basic Principles and Guidelines on the Right to a Remedy and Reparation for Victims of Gross Violations of International Human Rights Law and Serious Violations of International Humanitarian Law, UN Doc A/Res/60/174 vom 21. 3. 2006 (von der Generalversammlung angenommen am 16. 12. 2005). Die Frage nach individuellen Entschädigungen wegen Kriegsverbrechen wurde vom IGH in dem Verfahren Jurisdictional Immunities of the State (Germany v. Italy: Greece intervening), Urteil vom 03. 02. 2012, para. 108 ausdrücklich offengelassen, da sie nicht Gegenstand des Verfahrens war. Das Urteil und die Schriftsätze sind im Internet abrufbar unter http://www.icj-cij.org/docket/index.php?p1=3&p2=3&k=60& case=143&code=ai&p3=0 (besucht am 06. 10. 2015). 51 Ausführlich zum besonderen Entschädigungsbedürfnis von Opfern sexueller Gewalt siehe de Brouwer, Supranational Criminal Procedure of Sexual Violence, S. 386 – 388. 52 Gillard, Reparation for Violations of International Humanitarian Law, IRRC 85 (2003), S. 529 – 553 (530).
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4. Kap.: Verbot von Vergewaltigung seit 1990
haben und wie dieser Anspruch gegebenenfalls durchgesetzt werden kann. Der Entwurf der ILC über die Verantwortlichkeit der Staaten für völkerrechtswidrige Handlungen schließt zwar nicht aus, dass ein solcher Anspruch auch einem Individuum, beispielsweise aufgrund einer einem Staat zurechenbaren völkerrechtswidrigen Vergewaltigung im bewaffneten Konflikt, zustehen kann;53 nach Art. 42 – 48 des Entwurfs können jedoch ausschließlich Staaten Ansprüche auf Wiedergutmachung wegen völkerrechtlicher Pflichtverletzungen durchsetzen, so dass keine Möglichkeit der Durchsetzung eines möglichen individuellen Anspruchs besteht. Insoweit maßgeblich für die Frage nach einem auch individuellen Entschädigungsanspruch im internationalen bewaffneten Konflikt sind daher zunächst die oben bereits erörterten Vorschriften des Art. 3 IV. Haager Abkommen sowie des Art. 91 ZP I. Der Wortlaut der beiden Vorschriften schließt zunächst individuelle Ansprüche des Opfers gegen den Normen des humanitären Völkerrechts verletzenden Staat nicht aus. Auch die systematische Auslegung der Vorschriften im Zusammenhang der beiden Verträge ergibt keinen Hinweis darauf, dass individuelle Opfer von Völkerrechtsverletzungen keinen Anspruch auf Entschädigung haben. Schließlich ergibt auch die Frage nach Sinn und Zweck der beiden Vorschriften, der darin liegt, Verstöße gegen das humanitäre Völkerrecht zu sanktionieren, da nicht erwartet wurde, dass die entsprechenden Instruktionen der Streitkräfte sämtliche Verstöße würden verhindern können, keinen Anhaltspunkt für einen Ausschluss individueller Wiedergutmachungs- oder Entschädigungsansprüche. Im Gegenteil wurde ein Entschädigungsanspruch des einzelnen Geschädigten nur dann für realistisch gehalten, wenn die Möglichkeit besteht, diesen durch die Regierung des Staates des Geschädigten gegenüber der Regierung des die Pflicht verletzenden Staates geltend zu machen und durchzusetzen.54 Insoweit scheint nach den Auslegungsmethoden des Art. 31 WVK kein theoretischer Grund ersichtlich, dem individuellen Opfer keine Ansprüche auf Entschädigung aufgrund der von ihm erlittenen ernsten Verletzung(en) des humanitären Völkerrechts zuzusprechen.55 Trotzdem scheint die Staatenpraxis nicht dafür zu sprechen, dass Individuen, die Opfer von ernsten Verletzungen des humanitären Völkerrechts geworden sind, ein unmittel53
Draft Articles on Responsibility of States for Internationally Wrongful Acts with commentaries, United Nations, International Law Commission, Report on the Work of its Fifty-third Session, General Assembly, Official Records, 55th Session, UN DOC A/56/10, Commentary vor Art. 1, para. 5. 54 Sandoz/Swinarski/Zimmermann, Commentary on the Additional Protocols, Protocol 1, Art. 91, Rn. 3646. 55 Frulli, When are States Liable towards Individuals for Serious Violations of Humanitarian Law?, The Markovic Case, JICJ 1 (2003), S. 406 – 427 (415); Zegveld, Remedies for Victims of Violations of International Humanitarian Law In IRRC 85 (2003), 497 – 526 (507). Zur Anerkennung des Rechts auf Entschädigung siehe Principle 15, Basic Principles and Guidelines on the Right to a Remedy and Reparation for Victims of Gross Violations of International Human Rights Law and Serious Violations of International Humanitarian Law, UN Doc A/Res/60/174 vom 21. 3. 2006 (von der Generalversammlung angenommen am 16. 12. 2005). Vgl. auch Fleck, Individual and State Responsibility for Violations of the Ius in Bello, in: Heintschel v. Heinegg/Epping Int’nl Humanitarian Law Facing New Challenges, S. 193.
D. Individualansprüche gegen einen verantwortlichen Staat
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barer Anspruch auf Entschädigung zusteht, da unmittelbare Klagen auf Entschädigung bisher weltweit selten Erfolg hatten.56 Die meisten Klagen auf individuelle Entschädigung wegen erlittener Verletzungen des humanitären Völkerrechts wurden in der Regel aus einem von drei Gründen abgewiesen: Erstens seien entweder Individualansprüche durch einen völkerrechtlichen (Friedens-)Vertrag ausgeschlossen oder, zweitens, schließe die völkerrechtliche Immunität des Staates die Durchsetzung einer Entschädigung vor einem Gericht eines anderen Staates aus oder, drittens, seien die völkerrechtlichen Normen, die einen Entschädigungsanspruch begründen, nicht unmittelbar im nationalen Recht anwendbar.57 Alle drei Argumente haben damit ihren Ursprung in der traditionellen völkerrechtlichen Auffassung, dass nur Staaten Völkerrechtssubjekte mit allen völkerrechtlichen Rechten und Pflichten sind, während Individuen als „nur“ partielle Völkerrechtssubjekte gelten, die ihre Ansprüche über den Staat, dessen Staatsangehörige sie sind, durchsetzen müssen.58 Bei genauerer Betrachtung stehen diese Argumente wie auch das ihnen zugrundeliegende traditionelle Verständnis der Völkerrechtssubjektivität jedoch lediglich der Durchsetzung eines individuellen Rechts auf Entschädigung im Einzelfall entgegen, nicht jedoch dem – zumindest theoretisch bestehenden – Anspruch auf Individualentschädigung als solchem.59 Hinsichtlich des ersten Argumentes sind Staaten zwar frei, die Frage von Entschädigungen mit Wirkung für ihre Staatsbürger zu regeln oder auf diese zu verzichten. Die Wirkung eines solchen Vertrages, der Entschädigungszahlungen abschließend regelt, muss jedoch sein, dass die individuellen Entschädigungsansprüche auf den Staat übergehen, der die abschließende völkerrechtliche Regelung für seine Staatsangehörigen getroffen – und in der Regel eine Pauschalsumme als Entschädigung erhalten – hat. Könnte ein Staat ohne die Wirkung des Übergangs der individuellen Entschädigungsansprüche abschließende Entschädigungsregelungen treffen, würden entweder die individuellen Opfer der Völkerrechtsverletzung unangemessen benachteiligt oder der Staat, dem die Verletzung zuzurechnen ist, könnte keine endgültig abschließende Regelung treffen. Dies würde aber der grundlegenden Befriedungsfunktion des Völkerrechts, wie sie in 56
Einen Individualanspruch bejahte das Landgericht Livadia, Griechenland im „Distomo“Verfahren, vgl. ausführlich Hofmann, Violations of International Law: A Right to Reparation?, in: Dupuy/Fassbender/Shaw/Sommermann, Völkerrecht als Wertordnung, S. 341 – 359 (344 ff.) sowie der italienische Corte di Cassazione im sog. „Ferrini“-Urteil, vgl. ausführlich Ferrini v. Federal Republic of Germany, Decision No. 5044/2004, abgedruckt in Rivista di diretto internationale 87 /2004), S. 539. 57 Gillard, Reparation for Violations of International Humanitarian Law, IRRC 85 (2003), S. 529 – 553 (536 f.). 58 Heintschel von Heinegg, Entschädigung für Verletzungen des humanitären Völkerrechts, in: Heintschel von Heinegg (Hrsg.), Entschädigung nach bewaffneten Konflikten: Die Konstitutionalisierung der Welthandelsordnung, Berichte der deutschen Gesellschaft für Völkerrecht, S. 1 – 61 (31). 59 Hofmann, Draft Declaration of International Law Principles on Reparation for Victims of Armed Conflict, Report of the International Committee on Reparation for Victims of Armed Conflict, in: International Law Association (Hrsg.), Report of the 74th Conference, London 2010, S. 310 f.
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4. Kap.: Verbot von Vergewaltigung seit 1990
Art. 1 der Charta der Vereinten Nationen festgeschrieben ist, widersprechen, da es unmöglich würde, Entschädigungsfragen abschließend zu regeln, was Anlass für weitere langdauernde Konflikte sein könnte. Hinsichtlich des zweiten Arguments ist festzustellen, dass es den Opfern von schweren Verletzungen des humanitären Völkerrechts zunächst aufgrund der Staatenimmunität unmöglich ist, vor nationalen Gerichten eines anderen Staates auf Entschädigung zu klagen, da diese keine Jurisdiktion über andere Staaten – inklusive des Staates, dem die Verletzung zuzurechnen ist – haben. Trotzdem steht dies weder dem Anspruch als solchem, noch der Durchsetzung vor den zuständigen Gerichten des für die Völkerrechtsverletzung verantwortlichen Staates entgegen, vor denen der zur Entschädigung führende Rechtsweg aufgrund der Verpflichtung, das humanitäre Völkerrecht in nationales Recht umzusetzen, möglich sein muss. Auch das dritte Argument, dass sich die einen Anspruch auf Entschädigung gewährenden Normen ausschließlich an Staaten, nicht jedoch unmittelbar an die von der Rechtsverletzung betroffenen Menschen richtet, schließt einen Anspruch des Einzelnen auf Entschädigung nicht aus. Dies ergibt sich zum einen daraus, dass, wie erwähnt, Staaten im Völkerrecht allgemein – und besonders im internationalen bewaffneten Konflikt gemäß dem gemeinsamen Artikel 1 der GA – verpflichtet sind, die zwischenstaatlichen Regelungen in ihr nationales Recht umzusetzen und dort durchzusetzen. Hierzu gehört auch die Möglichkeit für durch eine entsprechende Rechtsverletzung geschädigte Individuen den – innerstaatlichen – Rechtsweg zu beschreiten. Für die Auffassung, dass das traditionelle Völkerrecht einem unmittelbaren Anspruch des Individuums, dessen Rechte verletzt wurden, auf Entschädigung nicht entgegensteht, spricht auch die von der Generalversammlung der Vereinten Nationen im Dezember 2005 verabschiedete Resolution 69/174 „Basic Principles and Guidelines on the Right to a Remedy and Reparation for Victims of Gross Violations of International Human Rights Law and Serious Violations of International Humanitarian Law“.60 Hieraus ergibt sich, dass individuellen Opfern von ernsten Verletzungen des humanitären Völkerrechts, wie von im bewaffneten
60 Principle 2: If they have not already done so, States shall, as required under international law, ensure that their domestic law is consistent with their international legal obligations by: (a) Incorporating norms of international human rights law and international humanitarian law into their domestic law, or otherwise implementing them in their domestic legal system; (b) Adopting appropriate and effective legislative and administrative procedures and other appropriate measures that provide fair, effective and prompt access to justice; (c) Making available adequate, effective, prompt and appropriate remedies, including reparation, as defined below; (d) Ensuring that their domestic law provides at least the same level of protection for victims as that required by their international obligations. Basic Principles and Guidelines on the Right to a Remedy and Reparation for Victims of Gross Violations of International Human Rights Law and Serious Violations of International Humanitarian Law, UN Doc A/Res/60/174 vom 21. 3. 2006 (von der Generalversammlung angenommen am 16. 12. 2005).
D. Individualansprüche gegen einen verantwortlichen Staat
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Konflikt verbotenen Vergewaltigungen, Rechtsmittel, die insbesondere auch die Möglichkeit der Entschädigung vorsehen, zur Verfügung stehen müssen. Folglich haben individuelle Opfer von ernsten Verletzungen des humanitären Völkerrechts einen völkerrechtlichen Anspruch auf Entschädigung, der jedoch – zur Geltendmachung und Durchsetzung – gemäß der völkerrechtlichen Verpflichtung des Staates in das innerstaatliche Recht jedes verpflichteten Staates übernommen werden muss. Dies beinhaltet auch, dass die Staaten einen Rechtsweg für eine Klage auf Entschädigung wegen einer ernsten Verletzung des humanitären Völkerrechts vorsehen müssen.61 Ein solcher Individualanspruch auf Entschädigung steht neben dem Wiedergutmachungsanspruch ihres Staates, auf den – sofern der Staat einen Vertrag schließt, der die weitere Geltendmachung von individuellen Ansprüchen gegen den verletzenden Staat ausschließt – die individuellen Entschädigungsansprüche übergehen. Abschließend ist noch zu erwähnen, dass sich Art. 3 IV. Haager Abkommen und Art. 91 ZP I ausschließlich auf Verletzungen des humanitären Völkerrechts im internationalen bewaffneten Konflikt beziehen, dort aber von einer automatischen Entschädigungsverpflichtung des die völkerrechtliche Pflicht verletzenden Staates ausgehen.
II. Rechtsgrundlage eines individuellen Entschädigungsanspruchs im nicht-internationalen bewaffneten Konflikt Art. 3 IV. Haager Abkommen und Art. 91 ZP I sind ausschließlich im internationalen bewaffneten Konflikt anwendbar. Folglich stellt sich die Frage, ob Opfer von schweren Verletzungen des humanitären Völkerrechts, wie von Vergewaltigungen, auch im nicht-internationalen bewaffneten Konflikt Entschädigungsansprüche gegen den für die Pflichtverletzung verantwortlichen Staat, dessen Staatsangehörige sie im Regelfall sein werden, haben. Weder der gemeinsame Artikel 3 der GA noch das ZP II erwähnen einen Anspruch auf Reparationen im nicht-internationalen bewaffneten Konflikt, so dass sich aus Normen des humanitären Völkerrechts zunächst kein Anspruch auf individuelle Entschädigung aufgrund zurechenbarer völkerrechtlicher Pflichtverletzungen zu ergeben scheint. Allerdings handelt es sich bei dem Vergewaltigungsverbot im bewaffneten Konflikt um eine erga omnes-Verpflichtung, deren Verletzung auch im nicht-internationalen bewaffneten Konflikt eine grundsätzliche völkerrechtliche Verantwortlichkeit des Staates, dem eine Vergewaltigungshandlung zugerechnet werden kann, begründet. Wenn jedoch jeder Staat durch die Verletzung des Vergewaltigungsverbots im bewaffneten Konflikt betroffen ist, wäre es inkonsequent, den individuellen Opfern, die ja von dem dem Staat zurechenbaren Fehlverhalten noch deutlich mehr 61 Sofern ein Staat die völkerrechtlichen Verpflichtungen, den Opfern Entschädigung zu leisten, nicht in innerstaatliches Recht übernimmt, ist darin wiederum eine völkerrechtliche Pflichtverletzung im Sinne des ILC Entwurfs zur Staatenverantwortlichkeit zu sehen.
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4. Kap.: Verbot von Vergewaltigung seit 1990
betroffen sind, keinen eigenen Entschädigungsanspruch zuzugestehen – auch wenn dieser in der Praxis nur schwer durchsetzbar sein kann. Es ist weder juristisch noch moralisch zu begründen, dass einem Drittstaat Entschädigungsansprüche wegen der Verletzung einer erga omnes-Verpflichtung zustehen, dem eigentlich betroffenen Individuum als nur partiellem Völkerrechtssubjekt aber nicht. Dies ergibt sich aus dem allgemeinen völkerrechtlichen Prinzip, dass ein Staat seine nationale Rechtsordnung in Einklang mit seinen völkerrechtlichen Verpflichtungen bringen muss, da er sonst seine völkerrechtliche Verpflichtung, die völkerrechtlichen Regeln in nationales Recht umzusetzen, verletzt – und dafür verantwortlich ist.62 Zu einer effektiven Umsetzung des humanitär-völkerrechtlichen Vergewaltigungsverbots gehört es, diese im internationalen wie im nicht-internationalen bewaffneten Konflikt zu verbieten und das Verbot effektiv durchzusetzen. Gelingt dies dem Staat – aus welchen Gründen auch immer – nicht, muss er dafür zur Verantwortung gezogen werden können, zwischenstaatlich über die Regeln der Staatenverantwortlichkeit, innerstaatlich über die Regeln der Amtshaftung. Außer aus allgemeinen völkerrechtlichen Erwägungen ergibt sich dies auch aus den erwähnten Prinzipien und Richtlinien der VN-Generalversammlung,63 in deren Prinzip 1 Nr. 2 (a) die Verpflichtung zur Umsetzung der Menschenrechte und des humanitären Völkerrechts in nationales Recht explizit enthalten ist, wozu nach Prinzip 2 Nr. 3 (b) auch die Gewährleistung eines Rechtsweges und wirksame Entschädigungsmechanismen (c) gehören. Folglich hat ein Vergewaltigungsopfer im nicht-internationalen bewaffneten Konflikt ebenfalls einen Anspruch auf Entschädigung. Im Gegensatz zum Entschädigungsanspruch im internationalen bewaffneten Konflikt ergibt sich dieser jedoch nicht unmittelbar aus Völkerrecht, sondern aus der Verpflichtung der Staaten, das Völkerrecht, zu dem das Vergewaltigungsverbot im bewaffneten Konflikt gehört, effektiv in nationales Recht umzusetzen. Dazu gehört, dass Entschädigung für Zuwiderhandlungen – zumindest theoretisch – vor den Gerichten des Staates, der das Verbot nicht effektiv durchgesetzt hat, einklagbar und durchsetzbar sein müssen. Ob dies tatsächlich möglich ist, hängt davon ab, ob der Staat seine Verpflichtungen aus dem humanitären Völkerrecht in innerstaatliches Recht umgesetzt hat. Fehlt es daran, hat das individuelle Opfer keine Möglichkeit, seinen Entschädigungsanspruch durchzusetzen; da dies aber eine völkerrechtliche Pflichtverletzung darstellt, stellt sich dann wiederum die Frage nach der völkerrechtlichen Verantwortlichkeit hierfür.
62
Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht Bd. I/1, S. 103; Geiger, Grundgesetz und Völkerrecht, S. 139, § 33. 63 Basic Principles and Guidelines on the Right to a Remedy and Reparation for Victims of Gross Violations of International Human Rights Law and Serious Violations of International Humanitarian Law, UN Doc A/Res/60/174 vom 21. 3. 2006 (von der Generalversammlung angenommen am 16. 12. 2005).
5. Kapitel
Das Verbot von Vergewaltigung in den Statuten der internationalen Ad hoc-Tribunale für das ehemalige Jugoslawien und Ruanda (seit 1990) Neben der Verantwortlichkeit der Staaten, das Vergewaltigungsverbot im bewaffneten Konflikt in ihrem Hoheitsbereich durchzusetzen, steht die individuelle strafrechtliche Verantwortlichkeit des einzelnen Täters auf nationaler Ebene, die Sache des betreffenden Staates ist. Auf internationaler Ebene kann ein Verbot völkerrechtlicher Verbrechen, die ein Verantwortung eines Täters durch die Einsetzung internationaler Strafgerichtshöfe durchgesetzt werden. In den Jahren 1993 und 1994 wurden – erstmalig nach den Kriegsverbrechertribunalen von Nürnberg und Tokio – zunächst zwei Ad hoc-Tribunale durch den Sicherheitsrat der Vereinten Nationen eingesetzt, bevor 1998 ein ständiger Internationaler Strafgerichtshof von der Staatengemeinschaft geschaffen wurde, dessen Statut zum 1. Juli 2002 in Kraft trat.1 In diesem Kapitel wird untersucht, nach welchen der drei völkerrechtlichen Tatbestände des Völkermordes, der Verbrechen gegen die Menschlichkeit und der Kriegsverbrechen Vergewaltigung – theoretisch und abstrakt – bei Vorliegen aller übrigen Strafbarkeitsvoraussetzungen verfolgt werden kann und welche Besonderheiten für die Beweisaufnahme bei Sexualdelikten gelten.
A. Die Strafbarkeit von Vergewaltigung nach dem Statut des International Criminal Tribunal for Yugoslavia (ICTY) Im Hinblick auf den Untersuchungsgegenstand ist bemerkenswert, dass bereits die vom Sicherheitsrat der Vereinten Nationen eingesetzte Expertenkommission unter Leitung von Cherif Bassiouni zur Untersuchung der Geschehnisse im ehemaligen Jugoslawien in ihrem Abschlussbericht von zahlreichen – systematischen – Misshandlungen aller Bevölkerungsgruppen, die auch Vergewaltigungen beinhalteten, berichtete.2 Insbesondere beschrieb der Abschlussbericht fünf verschiedene 1
„Rome Statute of the International Criminal Court“, UNTS Bd. 2187, S. 3; die amtliche deutsche Übersetzung ist abgedruckt in BGBl 2000 II, S. 1394 ff. 2 UN Doc. S/RES/780 vom 6. Oktober 1992; vgl. auch UN Doc. S/RES/771 vom 13. August 1992; sowie UN Doc. S/25274 vom 10. Februar 1993.
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5. Kap.: Verbot von Vergewaltigung in den internationalen Ad hoc-Tribunalen
Muster von Vergewaltigungen und sexuellen Übergriffen: (1) durch Einzeltäter oder kleine Gruppen in Verbindung mit Plünderungen und Einschüchterungsversuchen vor Ausbruch der allgemeinen Feindseligkeiten in einem Gebiet, (2) durch Einzeltäter oder Gruppen während der Feindseligkeiten in einem Gebiet, (3) durch Einzeltäter oder Gruppen an Gefangenen, (4) durch Einzeltäter oder Gruppen gegen Frauen, die zu diesem Zweck festgehalten wurden und um diese Frauen zu verletzen, und schließlich (5) in Gefangenenlagern, die ausschließlich zum Zweck der Vergewaltigungen und sexuellen Übergriffe gegen Frauen eingerichtet wurden und die Täter belohnen sollten.3 Weiter erörterte die Expertenkommission in ihrem Abschlussbericht kurz die mögliche Strafbarkeit der dokumentierten Vergewaltigungen und sexuellen Übergriffe und kam zu dem Schluss, dass diese sowohl „schwere Verletzungen“ der Genfer Abkommen von 1949 und Verstöße gegen die Gesetze und Gebräuche des Krieges als auch Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Völkermord darstellen können.4 Die Schätzungen der Zahl der Vergewaltigungen im ehemaligen Jugoslawien reichen von 20.000 durch den VN-Sonderberichterstatter bis zu 50.000 bis 70.000 durch die bosnische Regierung.5 Die bosnische Regierung schätzt, dass 35.000 Frauen, hauptsächlich Musliminnen, aber auch Kroatinnen durch Vergewaltigungen schwanger wurden.6 Während im Bosnien-Konflikt alle Seiten Vergewaltigungen begingen scheint der größte Teil der Vergewaltigungen von serbischen Truppen hauptsächlich gegen muslimische Frauen begangen worden zu sein.7 Die zahlreichen Kriegsverbrechen, darunter systematische Vergewaltigungen trugen dazu bei, dass der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen die Situation in Jugoslawien als eine Bedrohung des Weltfriedens ansah und die Einrichtung eines internationalen Tribunals – bis dato einmalig als Maßnahme gemäß Art. 41 VNCharta – beschloss.8 Das durch Resolution 827 des Sicherheitsrates geschaffene Tribunal hat 3 „Final Report of the United Nations Commission of Experts established pursuant to Security Council Resolution 780 (1992)“, UN Doc. S/1994/674/Add.2, Annex IX (Abs. 244). 4 „Final Report of the United Nations Commission of Experts established pursuant to Security Council Resolution 780 (1992)“, UN Doc. S/1994/674/Add.2, Annex II. 5 Report on the Situation of Human Rights in the Territory of the Former Yugoslavia Submitted by Mr. Tadeusz Mazowiecki, Special Rapporteur of the Commission on Human Rights, UN Doc. E/CN.4/1993/50 (1993); Salzman, Rape Camps as a Means of Ethnic Cleansing: Religious, Cultural, and Ethical Responses to Rape Victims in the Former Yugoslavia, Hum. Rts. Q. 20 (1998), S. 345 – 378 (362); Daniel-Wrabetz, Children Born of War Rape in Bosnia-Herzegovina, in: Carpenter, Born of War, S. 21 – 39 (24). 6 Salzman, Rape Camps as a Means of Ethnic Cleansing: Religious, Cultural, and Ethical Responses to Rape Victims in the Former Yugoslavia, Hum. Rts. Q. 20 (1998), S. 345 – 378 (362). 7 Daniel-Wrabetz, Children Bron of War Rape in Bosnia-Herzegovina, in: Carpenter, Born of War, S. 21 – 39 (23). 8 UN Doc. S/RES/808 (1993) vom 22. Februar 1993. Man stützte die Errichtung des Jugoslawien-Tribunals vor allem auf Art. 41 SVN, um die Kooperationspflicht von nicht un-
A. Strafbarkeit von Vergewaltigung nach dem Statut des ICTY
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„the sole purpose of prosecuting persons responsible for serious violations of international humanitarian law committed in the territory of the former Yugoslavia“.9
Der ICTY hat Gerichtsbarkeit über alle Personen, die seit dem 1. Januar 1991 auf dem Gebiet des ehemaligen Jugoslawien schwere Verstöße gegen das humanitäre Völkerrecht begangen haben.10 Die noch offenen Aufgaben des ICTY gingen nach Ablauf des ihm erteilten Mandats auf den zum 1. Juli 2013 geschaffenen ,Residual Mechanism‘, der zunächst parallel zum ICTY existierte.11
I. Vergewaltigung als völkerrechtliches Verbrechen nach dem Statut des ICTY Art. 2 bis Art. 5 des Statuts des Jugoslawien-Tribunals definieren die Taten, wegen welcher das Jugoslawien-Tribunal bestrafen kann, unter Berücksichtigung ihrer Geltung als Völkergewohnheitsrecht. Letzteres ist im Hinblick auf den Grundsatz des strafrechtlichen Rückwirkungsverbots im Sinne des nullum crimen, nulla poena sine lege von besonderer Bedeutung.12 1. Schwere Verstöße gegen die Genfer Abkommen (Art. 2) Art. 2 regelt die Strafbarkeit von schweren Verstößen gegen die Genfer Abkommen.13 Der Wortlaut entspricht der Verpflichtung der Vertragsstaaten, schwere mittelbar am Jugoslawien-Tribunal beteiligten Staaten sicherzustellen; Dahm/Delbrück/ Wolfrum, Völkerrecht Bd. I/3, S. 1132. 9 „Report of the Secretary-General Pursuant to Paragraph 2 of Security Council Resolution 808 (1993)“, UN Doc. S/25704, Corr. 1 und Add. 1; UN Doc. S/RES/827 (1993) vom 25. Mai 1993 Nr. 2. 10 UN Doc. S/RES/827 (1993) vom 25. Mai 1993 Nr. 2; Artt. 1 und 8 ICTY-Statut. 11 UN Doc. S/RES/1966 (2010) vom 22. Dezember 2010. 12 Dies betonte auch der VN-Generalsekretär in seinem Bericht zum Statut des ICTY: „In the view of the Secretary-General, the application of the principle nullum crimen sine lege requires that the international tribunal should apply rules of international humanitarian law which are beyond any doubt part of customary law so that the problem of adherence of some but not all States to specific conventions does not arise“. Zu diesem Aspekt ausführlich auch Cassese, The International Criminal Tribunal for the Former Yugoslavia and the implementation of international humanitarian law, in: Condorelli/LaRosa/Scherrer (Hrsg.), Les Nations Unies et le Droit International Humanitaire, Genf 1995, S. 229 (230). 13 Art. 2 ICTY-Statut lautet: Art. 2 Grave breaches of the Geneva Conventions of 1949 The International Tribunal shall have the power to prosecute persons committing or ordering to be committed grave breaches of the Geneva Conventions of 12 August 1949, namely the following acts against persons or property protected under the provisions of the relevant Geneva Convention: (a) (…); (b) torture or inhuman treatment, including biological experiments;
146
5. Kap.: Verbot von Vergewaltigung in den internationalen Ad hoc-Tribunalen
Verstöße im Sinne der vier Genfer Abkommen von 1949 zu bestrafen, die es ausschließlich im internationalen bewaffneten Konflikt gibt.14 Am Wortlaut des Artikels 2 des Statuts des Jugoslawien-Tribunals fällt auf, dass sexuelle Gewalt oder Vergewaltigungen nicht ausdrücklich strafbewehrt sind, obwohl man diese aufgrund der Tatsache, dass Vergewaltigungen gemäß Art. 27 Abs. 2 IV. GA in Verbindung mit Art. 147 IV. GA schwere Verstöße gegen das IV. Genfer Abkommen sind, in den Katalog der strafbaren Handlungen hätte aufnehmen können.15 Dies schließt jedoch eine Strafbarkeit von sexueller Gewalt und Vergewaltigungen als schwere Verstöße gegen die Genfer Abkommen nicht aus, denn sexuelle Gewalt und Vergewaltigung sind nach Art. 2 – je nach den Umständen des Einzelfalles – als Folter und oder unmenschliche Behandlung (Art. 2 (b)), sowie als vorsätzliche Verursachung großer Leiden und oder schwerer Verletzungen der körperlichen Unversehrtheit(Art. 2 (c)) strafbar.16 2. Verstöße gegen die Gesetze und Gebräuche des Krieges (Art. 3) Art. 3 des Jugoslawien-Statuts regelt die Strafbarkeit von Verstößen gegen die Gesetze und Gebräuche des Krieges.17 Er stellt auch Handlungen unter Strafe, die im nicht-internationalen bewaffneten Konflikt begangen wurden. Problematisch an Art. 3 ist die Tatsache, dass er einerseits konkrete Verstöße gegen die Gesetze und Gebräuche nennt, diese andererseits aber nicht abschließend sind. So wird auch der Tatbestand der Vergewaltigung nicht genannt. Grund für diesen Wortlaut war das Bestreben sicherzustellen, dass alle gewohnheitsrechtlich anerkannten Regeln der Kriegsführung unter Art. 3 fallen.18 Damit handelt es sich bei Art. 3 des Statuts des Jugoslawien-Tribunals um einen Auffangtatbestand, der alle Tatbestände umfasst, die nicht als schwere Verstöße gegen die GA unter Art. 2 fallen und weder Ver(c) wilfully causing great suffering or serious injury to body or health; (d) – (h) (…). 14 Nach dem gemeinsamen Artikel 2 der GA gelten diese nur im Falle eines „bewaffneten Konfliktes, der zwischen zwei oder mehreren der Hohen Vertragsparteien“ besteht. Interne bewaffnete Konflikte werden lediglich vom gemeinsamen Artikel 3 geregelt, Verstöße gegen diesen gelten jedoch nicht als „schwere Verletzung“ der vier GA. Ausführlich zum Anwendungsbereich der Genfer Abkommen, siehe oben 3. Kapitel, A. I. 15 Siehe 3. Kapitel, A. I. 1. 16 So auch Viseur Sellers, The Context of Sexual Violence: Sexual Violence as Violations of International Humanitarian Law, in: Kirk McDonald/Swaak-Goldman, Substantive and Procedural Aspects of International Criminal Law, S. 263 – 332 (305 f.); vgl. auch Dahm/Delbrück/ Wolfrum, Völkerrecht Bd. I/3, S. 1135. 17 Art. 3 Violations of the laws and customs of war The International Tribunal shall have the power to prosecute persons violating the laws or customs of war. Such violations shall include, but not be limited to: (a) employment of poisonous weapons calculated to cause unnecessary suffering; (b) – (e) (…). 18 Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht Bd. I/3, S. 1136.
A. Strafbarkeit von Vergewaltigung nach dem Statut des ICTY
147
brechen gegen die Menschlichkeit noch Völkermord darstellen (Artt. 4 und 5). Dazu zählen insbesondere Verletzungen der Haager Landkriegsordnung, Verstöße gegen Regelungen der GA, die keine schweren Verstöße im Sinne letzterer darstellen, Verletzungen des gemeinsamen Artikels 3 der GA sowie anderer gewohnheitsrechtlicher Normen des internen bewaffneten Konflikts und Verstöße gegen von den Parteien geschlossene Abkommen.19 In Bezug auf sexuelle Gewalt und Vergewaltigung kann zwar nicht angenommen werden, dass diese „Waffen, die so ausgelegt sind, dass sie unnötige Leiden verursachen“, sind. Allerdings ist aufgrund der nicht abschließenden Aufzählung des Art. 3 und der Tatsache, dass sowohl die Haager Landkriegsordnung (Art. 46) als auch der gemeinsame Artikel 3 der GA sexuelle Gewalt und Vergewaltigungen verbieten, davon auszugehen, dass Vergewaltigung auch im internen bewaffneten Konflikt gemäß Art. 3 des Jugoslawien-Statuts als Verstoß gegen die Sitten und Gebräuche des Krieges strafbar sein kann.20 3. Völkermord (Art. 4) Der Tatbestand des Verbrechens des Völkermords ist in Art. 4 des Statuts des Jugoslawien-Tribunals geregelt.21 Dessen Wortlaut entspricht Art. 2 und 3 der Konvention über die Verhütung und Bestrafung des Völkermordes, so dass für den Tatbestand hier auf die obigen Ausführungen zur Völkermord-Konvention verwiesen werden kann.22 Wichtig ist dabei, dass der Tatbestand, die so genannte Völkermordabsicht, als die Absicht, eine nationale, ethnische, rassische oder religiöse Gruppe als solche ganz oder teilweise zu zerstören, verwirklicht sein muss. Auf das Vorliegen eines bewaffneten Konflikts wie bei Kriegsverbrechen oder eines ausge19
Buchwald, Der Fall Tadic vor dem Internationalen Jugoslawientribunal, S. 157. Viseur Sellers, The Context of Sexual Violence: Sexual Violence as Violations of International Humanitarian Law, in: Kirk McDonald/Swaak-Goldman, Substantive and Procedural Aspects of International Criminal Law, S. 263 – 332 (306). Zur HLKO siehe oben 1. Kapitel E. I. 3, zum gemeinsamen Artikel 3, 3. Kapitel A. I. 4. 21 Art. 4 des ICTY-Status lautet: Art. 4 Genocide 1. The International Tribunal shall have the power to prosecute persons committing genocide as defined in paragraph 2 of this article or of committing any of the other acts enumerated in paragraph 3 of this article. 2. Genocide means any of the following acts committed with intent to destroy, in whole or in part, a national, ethnical, racial or religious group, as such: (a) (…); (b) causing serious bodily or mental harm to members of the group; (c) deliberately inflicting on the group conditions of life calculated to bring its physical destruction in whole or in part; (d) imposing measures intended to prevent births within the group; (e) (…). 3. (…). 22 Oben 3. Kapitel B. II. 20
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5. Kap.: Verbot von Vergewaltigung in den internationalen Ad hoc-Tribunalen
dehnten systematischen Angriffs gegen die Zivilbevölkerung wie bei Verbrechen gegen die Menschlichkeit kommt es für diesen Tatbestand dagegen nicht an. Der Tatbestand kann also unabhängig von einem bewaffneten Konflikt oder einem ausgedehnten systematischen Angriffs gegen die Zivilbevölkerung unter anderem in Form von Vergewaltigung(en) verwirklicht werden – maßgeblich ist allein die so genannte Völkermordabsicht.23 4. Verbrechen gegen die Menschlichkeit (Art. 5) Art. 5 des Statuts schließlich enthält den Tatbestand der Verbrechen gegen die Menschlichkeit.24 An der Formulierung dieses Tatbestands fällt zum einen auf, dass dieser als Begehungsform zwar Vergewaltigung nennt, aber – wie bis dato im Völkerrecht üblich – nicht näher definiert, was genau hierunter zu verstehen ist, wie dies im Hinblick auf den strafrechtlichen Bestimmtheitsgrundsatz etwa in § 177 des deutschen StGB erfolgt. Folglich musste der ICTY den Begriff der Vergewaltigung in der Folgezeit auslegen und im völkerstrafrechtlichen Sinne näher definieren.25 Dies ist ein Beispiel für den – im Vergleich zum nationalen deutschen Recht – weniger strengen Bestimmtheitsgrundsatz im Völkerstrafrecht.26 Zum anderen setzt Art. 5 des ICTY Statuts das Vorliegen eines bewaffneten Konflikts voraus. Hierin liegt der wesentliche Unterschied zu den Definitionen des Tatbestands der Verbrechen gegen die Menschlichkeit im Statut des Kriegsverbrechertribunals von Nürnberg, dem Statut des ICTR sowie dem römischen Statut des Internationalen Strafgerichtshofs, in denen das Vorliegen eines bewaffneten Konflikts kein Tatbestandsmerkmal von Verbrechen gegen die Menschlichkeit ist.27 23
Viseur Sellers, The Context of Sexual Violence: Sexual Violence as Violations of International Humanitarian Law, in: Kirk McDonald/Swaak-Goldman, Substantive and Procedural Aspects of International Criminal Law, S. 263 – 332 (306). 24 Art. 5 des ICTY-Statuts lautet: Art. 5 Crimes against humanity The International Tribunal shall have the power to prosecute persons responsible for the following crimes when committed in armed conflict, whether international or internal in character, and directed against any civilian population: (a) – (b) (…); (c) enslavement; (d) – (e) (…); (f) torture; (g) rape; (h) (…); (i) other inhumane acts. 25 Vgl. Ni Aolain, Radical Rules: The Effects of Evidential and Procedural Rules on the Regulation of Sexual Violence in War, 60 Alb. L. Rev.(1996 – 97), S. 883 – 905 (891). Siehe unten 6. Kapitel A. und B. 26 Ausführlicher dazu etwa Werle, Völkerstrafrecht, Rn. 100 m.w.N. 27 Ausführlich zu den Gründen: Schabas, The UN International Criminal Tribunals, S. 187.
A. Strafbarkeit von Vergewaltigung nach dem Statut des ICTY
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Sexuelle Gewalt in Form von (sexueller) Versklavung, Folter, Vergewaltigung und anderer unmenschlicher Behandlung sind demnach – trotz ihrer expliziten Nennung in Art. 5 – als Verbrechen gegen die Menschlichkeit nach dem Statut des ICTY nur strafbar, sofern der Tatbestand während eines bewaffneten Konflikts erfüllt wurde und sich die Tat gegen die – gesamte – Zivilbevölkerung richtete.28
II. Verfahrens- und Beweisregeln Die Art. 15 ff. des Statuts des ICTY enthalten die wesentlichen Verfahrensregeln, darunter die Garantie der wesentlichen Justizgrundrechte zum Schutz der Angeklagten (Art. 21). Die über das Statut hinausgehenden Verfahrens- und Beweisregeln legt das Gericht selbst fest, was Legitimationsprobleme aufwerfen kann, da die Regeln jederzeit nach Bedarf geändert werden (können).29 Andererseits versuchen sie, einen gerechten Ausgleich zwischen den Interessen der Angeklagten, der Opfer und Zeugen und der internationalen Gemeinschaft zu schaffen.30 Im Unterschied zu deutschen Strafverfahren, in denen das Gericht von den zur Verurteilung führenden Tatsachen überzeugt sein muss, müssen für eine Verurteilung durch den ICTY die Tatsachen –– „beyond reasonable doubt“, also ohne vernünftigen Zweifel des Gerichts, bewiesen sein.31 Sollten bei der Beweisaufnahme Fragen entstehen, auf die in den Verfahrens- und Beweisregeln des ICTY keine Antwort zu finden ist, sind diese von der zuständigen Kammer im Einklang mit dem Geist des Statuts und allgemeinen Rechtsgrundsätzen so zu lösen, dass eine gerechte Entscheidung bestmöglich begünstigt wird.32 Insgesamt ist das Verfahrensrecht des ICTY sehr vom Common Law geprägt. Für das Vergewaltigungsverbot im bewaffneten Konflikt ist insbesondere Regel 96 der Verfahrens- und Beweisregeln des ICTY, die spezifische Beweisregeln für Fälle sexueller Gewalt enthält, zu untersuchen. Ziel dieser Regel ist es, die Beweisaufnahme zum Schutz der Opfer von sexueller Gewalt zu beschränken. Dabei geht Regel 96 zugunsten der Vergewaltigungsopfer über die traditionellen Grenzen der freien Beweiserhebung in nationalen Rechtsordnungen hinaus. Hierdurch wird versucht, den Interessenskonflikt zwischen den Rechten der Angeklagten auf ein 28
Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht Bd. I/3, S. 1137. Werle, Völkerstrafrecht, Rn. 52. Vgl. auch Boas, in: Boas/Schabas (Hrsg.), International Criminal Law Developments in the Case Law of the ICTY, S. 1 ff. Seit Bestehen des ICTY wurden die Rules of Procedure and Evidence 50-mal geändert, siehe http://www.icty.org/sid/13 6 (besucht am 06. 10. 2015). 30 Fitzgerald, Prosecution of Rape and Other Sexual Assaults under International Law, 8 EJIL (1997), S. 638 – 663 (638). 31 Rule 87 (A) ICTY Rules of Procedure and Evidence, UN Doc. IT/32/Rev. 46 vom 20. Oktober 2011; vgl. Cassese, International Criminal Law, S. 422. 32 Rule 89 (B) ICTY Rules of Procedure and Evidence, UN Doc. IT/32/Rev. 46 vom 20. Oktober 2011. 29
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5. Kap.: Verbot von Vergewaltigung in den internationalen Ad hoc-Tribunalen
faires Verfahren und der Gefahr der sekundären Viktimisierung und Diskriminierung der – überwiegend weiblichen – Opfer, der ein Problem für ein rechtsstaatliches Verfahren sein kann, zu lösen.33,34 1. Das Problem des „consent“ – Regel 96 (ii) und (iii) Nach Inkrafttreten der ersten Fassung der Rules of Procedure and Evidence des ICTY im Februar 1994 wurde die Regel 96 im ersten Jahr drei Mal mit Blick auf die Regelung des möglichen ,consent‘ des Opfers mit der Tat geändert; seit Januar 1995 blieb sie unverändert. Folglich lässt sich die Frage nach der Regelung des consent in den Verfahrens- und Beweisregeln des ICTYam einfachsten anhand der Entwicklung der Regel 96 analysieren. a) ,Consent‘ in der 1. Fassung der Regel 96 Die erste und ursprüngliche Fassung der Regel 96 stammt vom 11. Februar 1994. Sie lautete: Evidence in Cases of Sexual Assault In cases of sexual assault: i.
no corroboration of the victim’s testimony shall be required;
ii. consent shall not be allowed as a defence; iii. prior sexual conduct of the victim shall not be admitted in evidence.35
Dieser Formulierung der Regel 96 lag die Auffassung zugrunde, dass bereits die Umstände eines bewaffneten Konflikts ein freiwilliges Einverständnis des Opfers (mit dem Geschlechtsverkehr) – ungeachtet des Einsatzes spezifischer physischer Gewalt oder psychologischen Zwangs gegen das Opfer – ausschließen.36 Deshalb war das Einverständnis des Opfers als Verteidigung des Täters ausgeschlossen. Durch das Verbot, sich mit dem – vermeintlichen oder tatsächlichen – freiwilligen Einverständnis des Opfers mit der Tat zu verteidigen, sollten daneben Vorurteile
33
Auch in innerstaatlichen Zusammenhängen mit Fällen von sexueller Gewalt und Vergewaltigung werden ähnliche Fragestellungen regelmäßig als problematisch angesehen, vgl. daher § 255a Abs. 2 StPO als erster Ansatz für eine Sonderregelung zum Ausgleich des Widerspruchs. 34 Ni Aolain, Radical Rules: The Effects of Evidential and Procedural Rules on the Regulation of Sexual Violence in War, 60 Alb. Law Review (1997), S. 883 – 905 (892); Quénivet, Sexual Offenses in Armed Conflict and International Law, S. 24; Fitzgerald, Prosecution of Rape and Other Sexual Assaults under International Law, 8 EJIL (1997), S. 638 – 663 (639); vgl. zu den Fragen der Vernehmung auch Greuel, Polizeiliche Vernehmung vergewaltigter Frauen. 35 Rule 96 ICTY Rules of Procedure and Evidence, UN Doc IT/32 vom 11. Februar 1994. 36 Quénivet, Sexual Offenses in Armed Conflict and International Law, S. 25.
A. Strafbarkeit von Vergewaltigung nach dem Statut des ICTY
151
aufgrund des (überwiegend weiblichen) Geschlechts des Opfers ausgeschaltet werden.37 Auch wenn diese erste Fassung der Regel 96 von feministischen Autoren mit Blick auf den Opferschutz begrüßt wurde und die Unterscheidung zwischen einer Vergewaltigung während eines bewaffneten Konflikts und zu Friedenszeiten aufgrund der Atmosphäre allgemeiner Gewalt in der Bevölkerung während eines bewaffneten Konflikts wesentlich ist, erscheint es doch als zu weitgehend, unter den Umständen eines bewaffneten Konflikts jedes Einverständnis mit einem Geschlechtsakt als unerheblich zu betrachten und deshalb die Verteidigung mit dem – möglichen – völlig freiwilligen Einverständnis eines Opfers grundsätzlich auszuschließen. Denn würde man dies tun, wäre jeder sexuelle Kontakt zwischen Angehörigen gegnerischer Parteien des Konflikts als Straftat anzusehen, gegen die eine Verteidigung mit der freiwilligen Einvernehmlichkeit des Geschlechtsverkehrs unmöglich wäre. Die Folge wäre gewesen, dass auch bei wirklich einverständlichem Geschlechtsverkehr als einzig mögliche Verteidigung des Angeklagten die Behauptung geblieben wäre, dass die Umstände der Tat nicht die eines bewaffneten Konfliktes gewesen seien. Angesichts der Tatsache, dass der Kernpunkt einer Vergewaltigung gerade das Erzwingen des Geschlechtsverkehrs mit dem Opfer, das diesem nicht zugestimmt hat, ist, hätte die ursprüngliche Fassung der Rule 96 damit die strafrechtliche Unschuldsvermutung außer Kraft gesetzt.38 Ein weiterer praktischer Grund für diese erste Fassung der Regel 96 war das Bestreben, dem (Vergewaltigungs-)Opfer das Kreuzverhör, das in der von adversatorischen Strafverfahrenselementen geprägten Verfahrensordnung des ICTY eine entscheidende Rolle spielt, zu ersparen. Es ist für ein Vergewaltigungsopfer bereits schwierig, den genauen Tathergang – öffentlich – vor Gericht zu schildern; Fragen nach einem etwaigen Einverständnis des Opfers mit dem Geschlechtsakt können die Gefühle der Scham und Demütigung nur verstärken. Folglich gehört das öffentliche Kreuzverhör des Opfers bezüglich seines Einverständnisses mit dem Geschlechtsakt zu den Teilen eines Strafverfahrens, die das Opfer mit am meisten demütigen und (re-)traumatisieren.39 Vor diesem Hintergrund erscheint die feministische Argumentation das Einverständnis des Opfers als Verteidigung auszuschließen, auf den ersten Blick verständlich. Allerdings scheinen diese Probleme überwiegend in der Natur des Kreuzverhörs zu liegen als besonders mit Taten sexueller Gewalt zusammenzuhängen. Ein Folteropfer, welches vor Gericht von besonders grausamen 37 Fitzgerald, Problems of Prosecution and Adjudication of Rape and Other Sexual Assaults under International Law, 8 EJIL (1997), S. 638 – 663 (641). 38 Zum Kern des Verbrechens der Vergewaltigung siehe Naffine, Windows on the Legal Mind: The Evocation of Rape in Legal Writings, 18 Melb. U. L. Rev. (1991/92), S. 741 – 767 (757); zu den Problemen der strafrechtlichen Unschuldsvermutung siehe Quénivet, Sexual Offenses in Armed Conflict and International Law, S. 25; vgl. auch Fitzgerald, Problems of Prosecution and Adjudication of Rape and Other Sexual Assaults under International Law, 8 EJIL (1997), S. 638 – 663 (641). 39 Ellison, Cross Examination in Rape Trials, Cr. L. Rev. 1998, S. 605 – 615 (606).
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5. Kap.: Verbot von Vergewaltigung in den internationalen Ad hoc-Tribunalen
und demütigenden Folterhandlungen berichten müsste, würde zweifellos ähnlich wie ein Vergewaltigungsopfer fühlen. Mit der Art der Beweisaufnahme in Form des Kreuzverhörs zusammenhängende Probleme können aber auf andere, weniger radikale Weise, wie etwa durch strenge gerichtliche Kontrolle der Fragen oder durch den Ausschluss der Öffentlichkeit, gelöst werden, so dass ein – faktisches – AußerKraft-setzen der Unschuldsvermutung auch unter diesem Aspekt unnötig ist.40 b) ,Consent‘ in der 2. Fassung der Regel 96 Aufgrund der Kritik mit dem schwerwiegenden Vorwurf der Außerkraftsetzung der Unschuldsvermutung wurde die Regel 96 der Verfahrens- und Beweisregeln des ICTY bereits nach wenigen Monaten neu gefasst. Die zweite Fassung, die das Einverständnis des Opfers mit der Tat nicht mehr unter allen Umständen ausschloss, lautete (Änderungen kursiv hervorgehoben): Evidence in Cases of Sexual Assault (i)
no corroboration of the victim’s testimony shall be required;
(ii) consent shall not be allowed as a defence if the victim (a) has bee subjected to or threatened with or has had reason to fear violence, duress, detention or pychological oppression, or (b) reasonably believed that if she did not submit, another might be so subjected, threatened or put in fear; (iii) prior sexual conduct of the victim shall not be admitted in evidence.41
Nach diesem Wortlaut wurde eine Verteidigung des Angeklagten mit dem Einverständnis des Opfers nicht mehr grundsätzlich ausgeschlossen, sondern stattdessen mit – gewichtigen – Einschränkungen versehen. Dadurch wird die Unschuldsvermutung für den Täter einerseits gewahrt, da ihm die Verteidigung mit dem Einverständnis des Opfers für den Fall der theoretischen Möglichkeit eines falschen Vergewaltigungsvorwurfs bleibt; andererseits werden auch die Interessen des Opferschutzes durch die Beschränkung der Verteidigung mit dem Einverständnis des Opfers geschützt.42 In der Beschränkung der Verteidigung mit dem Einverständnis des Opfers bleibt auch der Grundgedanke, dass die Existenz eines bewaffneten Konflikts das mögliche Einverständnis des Opfers mit dem Geschlechtsakt beeinflusst und einschränkt, erhalten. Insoweit erscheint diese Fassung des ,consent‘ als ein gelungener Balanceakt zwischen den Rechten des Angeklagten auf ein faires Verfahren und den Interessen der Opfer bzw. der Notwendigkeit eines angemessenen
40
Quénivet, Sexual Offenses in Armed Conflict and International Law, S. 27. Rule 96 ICTY Rules of Procedure and Evidence, UN Doc IT/32/Rev. 1 vom 5. Mai 1994. 42 Fitzgerald, Problems of Prosecution and Adjudication of Rape and Other Sexual Assaults under International Law, 8 EJIL (1997), S. 638 – 663 (642). 41
A. Strafbarkeit von Vergewaltigung nach dem Statut des ICTY
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Opferschutzes.43 Allerdings entstanden durch die Wiederzulassung der Verteidigung des Angeklagten mit dem Einverständnis des Opfers auch wieder die bereits erwähnten mit dem Kreuzverhör verbundenen Probleme des Opferschutzes insbesondere in Fällen, die nicht eindeutig den in Regel 96 ii) genannten entsprechen.44 c) ,Consent‘ in der 3. Fassung der Regel 96 Angesichts der Probleme des Opferschutzes bei der Beweisaufnahme und besonders im Kreuzverhör wurde in der dritten und letzten Version der Regel 96 von Januar 1995 Absatz iii) eingeführt. Diese lautet nun (Änderungen kursiv hervorgehoben): Evidence in Cases of Sexual Assault In cases of sexual assault: (i)
no corroboration of the victim’s testimony shall be required;
(ii) consent shall not be allowed as a defence if the victim (a) has been subjected to or threatened with or has had reason to fear violence, duress, detention or psychological oppression, or (b) reasonably believed that if the victim did not submit, another (iii) might be so subjected, threatened or put in fear; (iv) before evidence of the victim’s consent is admitted, the accused shall satisfy the Trial Chamber in camera that the evidence is relevant and (v)
credible;
(vi) prior sexual conduct of the victim shall not be admitted in evidence.“45
Beweise bezüglich des Einverständnisses des Opfers mit der Tathandlung sind demnach im Verfahren nur zulässig, wenn der Angeklagte das Gericht vorher in camera – also unter Ausschluss der Öffentlichkeit- überzeugt, dass diese glaubwürdig und für das Verfahren relevant sind (iii). Damit wurde ein Kontrollmechanismus eingeführt, der das Opfer vor Unterstellungen, es sei mit dem Geschlechtsakt einverstanden gewesen, und es dadurch – unnötig – belästigt und belastet, schützt. Diese Regelung scheint das Problem des Kreuzverhörs in Fällen sexueller Gewalt 43 Sellers/Okuizumi, Intentional Prosecution of Sexual Assaults, 7 Transnat’l Law & Contemp. Probs., S. 45 – 80 (53); Viseur Sellers, The Context of Sexual Violence: Sexual Violence as Violations of International Humanitarian Law, in: Kirk McDonald/Swaak-Goldman, Substantive and Procedural Aspects of International Criminal Law, S. 263 – 332 (313); Quénivet, Sexual Offenses in Armed Conflict and International Law, S. 27; Ni Aolain, Radical Rules: The Effects of Evidential and Procedural Rules on the Regulation of Sexual Violence in War, 60 Alb. L. Rev., S. 883 – 905 (892). 44 Fitzgerald, Problems of Prosecution and Adjudication of Rape and Other Sexual Assaults under International Law, 8 EJIL (1997), S. 638 – 663 (642). 45 Rule 96 ICTY Rules of Procedure and Evidence, UN Doc. IT/32/Rev. 3 vom 30. Januar 1995.
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5. Kap.: Verbot von Vergewaltigung in den internationalen Ad hoc-Tribunalen
interessengerecht lösen, da es einerseits die Verteidigung und notwendige Beweisaufnahme nicht ausschließt, andererseits aber tatsächliche und prozessuale Hürden aufstellt, die den besonderen mit Zwang verbundenen Umständen während eines bewaffneten Konflikts Rechnung tragen.46 d) ,Consent‘ als Tatbestandsmerkmal oder Verteidigung? Hinsichtlich dieses Teils der Regel 96 ist umstritten, ob die Nichteinwilligung (non-consent) des Opfers ein Tatbestandsmerkmal (element of crime) oder lediglich eine Verteidigung (affirmative defense) darstellt. Während die Anklagebehörde der Auffassung ist, dass ,consent‘ des Opfers mit der Tat eine Verteidigung des Täters ist, behandelt der ICTY selbst ,non-consent‘ des Opfers als Tatbestandsmerkmal.47 Die Bedeutung dieser Unterscheidung liegt nach dem Verfahrens- und Beweisrecht des ICTY einerseits in der Verteilung der Beweislast: Wenn das Nichteinverständnis des Opfers mit der Tat ein element of crime darstellt, muss die Anklage dem Gericht ohne vernünftigen Zweifel beweisen, dass das Opfer mit der Tathandlung nicht einverstanden war. Wenn das Einverständnis des Opfers ein affirmative defense darstellt, muss der Täter auf Basis von Wahrscheinlichkeiten das Einverständnis des Opfers mit der Tathandlung beweisen.48 Andererseits spielt die Frage nach dem ,consent‘ des Opfers mit der Tat eine zentrale Frage bei der Definition des völkerstrafrechtlichen Vergewaltigungstatbestandes.49 Deshalb haben sich beide Ad hoc-Tribunale in ihrer Rechtsprechung mit ihr auseinandersetzen müssen, so dass auf sie unten im Rahmen der Rechtsprechung der Tribunale zurückzukommen sein wird. 2. Die Erforderlichkeit der Bestätigung einer Zeugenaussage – Regel 96 (i) Neben der Frage nach dem ,consent‘ des Opfers mit der Tat, weist Regel 96 der Verfahrens- und Beweisregeln des ICTY weitere Besonderheiten im Vergleich zu nationalen Rechtsordnungen auf. Die Regel versucht, die traditionellen Schwierigkeiten der Beweiserhebung für das Opfer bzw. die Zeugin oder den Zeugen in Fällen sexueller Gewalt und Vergewaltigung vor nationalen Strafgerichten zu umgehen, indem sie Zeugen schützt, ohne die rechtsstaatlichen Verfahrensrechte des Ange46 Sellers/Okuizumi, Intentional Prosecution of Sexual Assaults, 7 Transnat’l L. & Contemp. Probs., S. 45 – 80 (52 f.); Askin, War Crimes Against Women beschreibt Regel 96 als „one of the most progressive in the history of gender jurisprudence, taking into account the coercive nature of rape.“, S. 303 f.; Greve, Vergewaltigung als Völkermord, S. 124 f. 47 Kalosieh, Consent to Genocide?: The ICTY’s Improper Use of the Consent Paradigm to Prosecute Genocidal Rape, 24 Women’s Rts. L. Rep., S. 121 – 135 (133 sowie 135). 48 Schomburg/Petersen, Genuine Consent to Sexual Violence under International Criminal Law, AJIL 110 (2007), S. 121 – 140 (124). 49 Vgl. Cryer/Friman/Robinson/Wilmshurst, An Introduction to International Criminal Law and Procedure, Section 11.3.8; S. 208 – 210.
A. Strafbarkeit von Vergewaltigung nach dem Statut des ICTY
155
klagten zu gefährden.50 Folglich muss sie als wegweisender Ansatz betrachtet werden. So muss nach Pkt. (i) die Zeugenaussage eines Opfers sexueller Gewalt nicht durch eine weitere Zeugenaussage bestätigt werden. Diese Regel ist auf die traditionelle Praxis im common law-Rechtskreis zurückzuführen, nach der eine Verurteilung wegen Vergewaltigung einen Hinweis des Gerichts an die Jury auf die Gefahr von unbestätigten Aussagen des (An)Klägers (der im common law-Rechtskreis wie der Angeklagte und seine Verteidigung Partei des Strafprozesses ist) voraussetzt, da der Vorwurf der Vergewaltigung „einfach erhoben und schwer zu widerlegen“ sei. Letztlich führt diese Annahme – die auf einer Vorstellung aus dem 17. Jahrhundert, dass Vorwürfe sexueller Gewalt erfunden würden und Frauen daher nicht zu trauen sei, beruht51 – häufig dazu, dass das Erfordernis der Bestätigung der Aussage eine effektive Strafverfolgung verhindert, da eine Vergewaltigung als „intimes“ Verbrechen häufig in einem Umfeld ohne Zuschauer stattfindet.52 Deshalb wurde es bereits aus vielen Rechtsordnungen entfernt.53 Indem das Gericht in seinen Verfahrens- und Beweisregeln ausdrücklich auf das überholte Erfordernis der Bestätigung der Zeugenaussage in Fällen von sexueller Gewalt verzichtete, brachte es sein Bemühen um eine vorurteilsfreie und nichtdiskriminierende Rechtsprechung zum Ausdruck.54 3. Die Unerheblichkeit früheren sexuellen Verhaltens – Regel 96 (iv) Als letzte Besonderheit für Fälle von sexuellen Übergriffen schließlich sind nach Regel 96 (iv) Beweise über das frühere sexuelle Verhalten des Opfers unzulässig. In der Geschichte von Vergewaltigungsprozessen war das frühere „sexuelle“ Verhalten 50 Einwände gegen die traditionelle Beweisaufnahme in Vergewaltigungsfällen betreffen beispielsweise die Art der Zeugenbefragung, die die Opfer bereits bei Anzeige der Tat aber auch vor Gericht als unglaubwürdig erscheinen lässt und diese (re-)traumatisiert; Ellison, The CrossExamination in Rape Trials, Cr. L. Rev. 1998, S. 605 – 615; ausführlich aus feministischer Sicht Brownmiller, Gegen unseren Willen, S. 273 – 283; allgemein Greuel, Polizeiliche Vernehmung vergewaltigter Frauen. 51 Sir Matthew Hale, Lord Chief Justice of the King’s Bench in England schrieb 1671 in seinem Buch Historia placitorum coronae, The History of the Pleas of the Crown, Bd. 1 S. 634: „It is true that rape is a most detestable crime, and therefore ought severely and impartially to be punished with death; but it must be remembered, that it is an accusation easy to be made and hard to be proved, and harder to be defended by the party accused, tho never so innocent.“ 52 Vgl. Cleiren/Tijssen, Rape and Other Forms of Sexual Assault in Armed Conflict in the Former Yugoslavia: Legal, Procedural and Evidentiary Issues, Cr. L. F. 5 (1994), S. 471 – 506 (505); Ni Aolain, Radical Rules: The Effects of Evidential and Procedural Rules on the Regulation of Sexual Violence in War, 60 Alb. Law Rev. S. 883 – 905 (900); vgl. auch Brownmiller, Gegen unseren Willen, S. 273 f. sowie allgemein Bohner, Vergewaltigungsmythen. 53 Fitzgerald, Problems of Prosecution and Adjudication of Rape and Other Sexual Assaults under International Law, 8 EJIL (1997), S. 638 – 663 (646). 54 Ni Aolain, Radical Rules: The Effects of Evidential and Procedural Rules on the Regulation of Sexual Violence in War, 60 Alb. Law Review (1997), S. 883 – 905 (900); vgl. auch Greve, Sexuelle Gewalt als Völkermord, S. 125 f.
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5. Kap.: Verbot von Vergewaltigung in den internationalen Ad hoc-Tribunalen
des Opfers häufig Gegenstand der Beweisaufnahme, da man promiskuitives Verhalten als Indiz für das Einverständnis mit dem Geschlechtsverkehr betrachtete. Weiter spielte das frühere Verhalten des Opfers eine Rolle bei der Bestimmung seiner Glaubwürdigkeit und der „Schwere“ des Verbrechens. In Regel 96 (iv) der Verfahrens- und Beweisregeln kommt damit zum Ausdruck, dass früheres Verhalten des Opfers irrelevant für Vergewaltigungstaten ist, die unter die Jurisdiktion des ICTY fallen und somit unter den besonderen Umständen eines bewaffneten Konflikts begangen wurden. Mit der Unzulässigkeit von irrelevanten und potentiell erniedrigenden Fragen nach dem früheren Verhalten des oder der Opfer soll diesen weiter ermöglicht werden, im Rahmen von Zeugenaussagen ihre Geschichte ohne Befürchtungen, dass Einzelheiten über ihre Sexualität und ihren Charakter öffentlich werden, zu erzählen.55 Damit bedeutet Regel 96 (iv) einen wesentlichen Fortschritt bei der völkerrechtlichen Kodifizierung der Gleichheit der Geschlechter vor dem Gesetz.56
B. Die Strafbarkeit von Vergewaltigung nach dem Statut des International Criminal Tribunal for Rwanda (ICTR) Zwischen Anfang April und Mitte Juli 1994 kam es in Ruanda zu dem so genannten „Völkermord“. Dabei tötete die Hutu-Mehrheit etwa 75 % der Tutsi-Minderheit. Die Schätzungen reichen von fünfhunderttausend bis zu einer Million Toten. Vielen dieser Tötungen gingen andere Gewalttaten, unter anderem sexuelle Demütigungen und Vergewaltigungen, voraus.57 Der Hintergrund der systematischen sexuellen Gewalt gegen Tutsi-Frauen war, dass Frauen in Ruanda als bloße Anhängsel ihrer Ehemänner oder anderer männlicher Verwandter angesehen wurden. Folglich galten Tutsi-Frauen – insbesondere in der dem „Völkermord“ vorausgehenden Propaganda als schöne (weil „europäischer“ im Aussehen als Hutu) und für Hutu-Männer unerreichbare, aber berechnende Agentinnen, die es darauf abgesehen hatten, die Volksgruppe der Hutu zu dominieren und zu unterwerfen. Die Verge55 Sellers/Okuizumi, Intentional Prosecution of Sexual Assaults, 7 Transnat’l L. & Contemp. Probs., S. 45 – 80 (52); Fitzgerald, Problems of Prosecution and Adjudication of Rape and Other Sexual Assaults under International Law, 8 EJIL (1997), S. 638 – 663 (647). 56 Greve, Vergewaltigung als Völkermord, S. 131; Fitzgerald, Problems of Prosecution and Adjudication of Rape and Other Sexual Assaults under International Law, 8 EJIL (1997), S. 638 – 663 (646). 57 „Report of the Secretary-General pursuant to paragraph 3 of resolution 935 (1994) of 1 July 1994“, UN Doc. S/1994/879; „Report of the Secretary-General pursuant to paragraph 3 of resolution 935 (1994) of 1 July 1994“, UN Doc. S/1994/906, „Reports of the Special Rapporteur for Rwanda of the United Nations Commission on Human Rights“, UN Doc. S/1994/1157, annex I and annex II; „Preliminary Report of the Independent Commission of Experts established in accordance with Security Council Resolution 935 (1994) transmitted by the SecretaryGeneral’s letter of 1 October 1994“, UN Doc. S/1994/1125.
B. Strafbarkeit von Vergewaltigung nach dem Statut des ICTR
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waltigungen dienten dazu, die Tutsi-Frauen zu erniedrigen, zu demütigen und dadurch zu zerstören, um damit letztlich die gesamte Volksgruppe der Tutsi zu zerstören.58 Der UN-Sonderberichterstatter für Ruanda schätzte die Zahl der Vergewaltigungen auf zwischen 250.000 und 500.000 und schloss daraus, dass „Vergewaltigungen die Regel und ihre Abwesenheit die Ausnahme“ war und sexuelle Gewalt systematisch als Waffe eingesetzt wurden.59 Höchstwahrscheinlich wurden 84.000 bis 166.000 ruandische Frauen und Mädchen unter Bedingungen der sexuellen Sklaverei gehalten.60 Aufgrund dieser Geschehnisse errichtete der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen als Maßnahme nach Kapitel VII der VN-Charta sowie aufgrund einer entsprechenden Bitte der ruandischen Regierung das International Criminal Tribunal for Rwanda (ICTR).61 Das Ruanda-Tribunal war für Taten, die von natürlichen Personen im Jahr 1994 auf dem Gebiet Ruandas oder von ruandischen Staatsangehörigen in den Nachbarstaaten begangen wurden zuständig (Artt. 1, 5, 7, 8 des Statuts). Die grundlegenden Unterschiede zum Statut des ICTY lagen also zum einen in dem genau definierten Zeitraum der Zuständigkeit und zum anderen in der Ausdehnung der Gerichtsbarkeit auf Taten, die in benachbarten Staaten begangen wurden. Zum 1. Juli 2012 hat der so genannte ,Residual Mechanism‘ für die beiden Ad hoc-Tribunale die noch offenen Aufgaben des ICTR übernommen.62
58
Coomaraswamy, Annex Rwanda, UN Doc E/CN.4/1998/54/Add.1, 4. 2. 1998, § 19; Greve, Vergewaltigung als Völkermord, S. 58 f. 59 Report on the Situation of Human Rights in Rwanda submitted by Mr. René Degni-Séqui, UN Doc. E/CN.4/1996/68 vom 29. Januar 1996, para. 16. In diesem Bericht wird geschätzt, dass 100 Vergewaltigungen in einer Schwangerschaft resultieren, weshalb von den etwa 2.000 bis 5.000 aufgrund der Vergewaltigungen geborenen Kinder auf die Zahl der Vergewaltigungen geschlossen werden kann. Zur Zahl der geschätzten Geburten aufgrund von Vergewaltigungen in Ruanda, vgl. auch Mukagendo, Caring for Children Born of Rape in Rwanda, in: Carpenter, Born of Rape, S. 40 – 52 (40); zur Zahl der Schwangerschaften aufgrund von Vergewaltigungen; vgl. auch Salzman, Rape Camps as a Means of Ethnic Cleansing: Religious, Cultural, and Ethical Responses to Rape Victims in the Former Yugoslavia, Hum. Rts. Q. 20 (1998), S. 345 – 378 (362). 60 de Brouwer, Supranational Criminal Prosecution of Sexual Violence, S. 55. 61 UN Doc. S/RES/955 vom 8. November 1994, sowie UN Doc S/1994/1119. Zu den Gründen für den Wunsch Ruandas siehe etwa Kushen/Harris, The International Criminal Tribunal for Rwanda: The Politics and Pragmatics of Punishment, AJIL 90 (1996), S. 501 – 518 (504 f.). Man stützte die Errichtung des Ruanda-Tribunals auch auf Kap. 7 UN-Charta, weil dadurch die Justiz nicht nur in Ruanda, sondern auch in den Nachbarstaaten zur Zusammenarbeit verpflichtet wurde; Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht Bd. I/3, S. 1138. 62 UN Doc. S/RES/1966 (2010) vom 22. Dezember 2010.
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5. Kap.: Verbot von Vergewaltigung in den internationalen Ad hoc-Tribunalen
I. Vergewaltigung als völkerrechtliches Verbrechen nach dem Statut des ICTR Das Ruanda-Tribunal konnte drei verschiedene völkerrechtliche Verbrechen verfolgen: Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Verletzungen des gemeinsamen Artikels 3 der Genfer Abkommen und des Zusatzprotokolls II.63 Auch wenn hinsichtlich der letztgenannten Kategorie zur Zeit insgesamt wohl noch nicht von einer völkergewohnheitsrechtlichen Geltung in toto ausgegangen werden kann,64 ist jedoch zumindest das Vergewaltigungsverbot im bewaffneten Konflikt – als Voraussetzung für die Strafbarkeit – Völkergewohnheitsrecht.65 Entsprechend dem Charakter des Bürgerkriegs in Ruanda hatte das Ruanda-Tribunal Jurisdiktion nur für Taten, die (auch) im nicht-internationalen bewaffneten Konflikt strafbar sind.66 1. Völkermord (Art. 2) Der Straftatbestand des Völkermords ist in Art. 2 des Statuts des Ruanda-Tribunals geregelt.67 Da dessen Formulierung Art. 2 und 3 der Völkermordkonvention sowie Art. 4 des Statuts des Jugoslawien-Tribunals entspricht, kann hier auf die entsprechenden Ausführungen oben verwiesen werden.68
63
Zum gemeinsamen Art. 3 und ZP II siehe oben 3. Kapitel. Dies räumt so der Bericht des Generalsekretärs der VN zu Resolution 955 UN Doc S/ 1995/134, Nr. 12 (13. Februar 1995) ein, und auf dieser Annahme basiert auch die Studie zum humanitären Völkergewohnheitsrecht des IKRK, vgl. Henckaerts/Doswald-Beck, Customary International Humanitarian Law, Bd. 1, S. XXVIII. 65 Vgl. oben 3. Kapitel D., sowie die an dieser Stelle ebenfalls bereits erörterte Studie des IKRK zum Völkergewohnheitsrecht Henckaerts/Doswald-Beck (Hrsg.), Customary International Law. 66 Während es sich bei dem Konflikt in Jugoslawien – zumindest teilweise – um einen internationalen bewaffneten Konflikt handelte, war der Konflikt in Ruanda ein nicht-internationaler bewaffneter Konflikt, in dem entsprechend andere Normen gelten. 67 Dieser lautet: Art. 2 Genocide 1. The International Tribunal for Rwanda shall have the power to prosecute persons committing genocide as defined in paragraph 2 of this article or of committing any of the other acts enumerated in paragraph 3 of this article. 2. Genocide means any of the following acts committed with the intent to destroy, in whole or in part, a national, ethnical, racial or religious group, as such: (a) (…); (b) Causing serious bodily or mental harm to members of the group; (c) (…); (d) Imposing measures intended to prevent births within the group; (e) (…). 3. The following acts shall be punishable: (…). 68 3. Kapitel B. II. bzw. in diesem (5.) Kapitel oben A. I. 3. 64
B. Strafbarkeit von Vergewaltigung nach dem Statut des ICTR
159
2. Verbrechen gegen die Menschlichkeit (Art. 3) Artikel 3 des Statuts des Ruanda-Tribunals stellt Verbrechen gegen die Menschlichkeit unter Strafe.69 Der Wortlaut ähnelt dem entsprechenden Artikel im Statut des ICTY insoweit als er dessen Handlungsformen übernimmt. Für eine Verurteilung wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit durch das ICTR ist folglich zum einen ein Plan eines ausgedehnten oder systematischen Angriffs gegen die Zivilbevölkerung, der zumindest teilweise verwirklicht sein muss, und zum anderen der bestimmte Vorsatz aus nationalen, politischen, ethnischen, rassischen oder religiösen Gründen Voraussetzung. Damit weist der Wortlaut zwei entscheidende Unterschiede zu dem des Statuts des ICTY auf. Er stellt nämlich – wie das Statut des Kriegsverbrechertribunals von Nürnberg – auf einen „ausgedehnten oder systematischen Angriff gegen die Zivilbevölkerung“ aufgrund „nationaler, politischer, ethnischer, rassischer oder religiöser Gründe“ und nicht, wie das Statut des ICTY, auf das Vorliegen eines bewaffneten Konflikts ab. Dadurch ist der Tatbestand der Verbrechen gegen die Menschlichkeit im Statut des ICTR aufgrund der besonderen Merkmale, die die angegriffene Bevölkerungsgruppe aufweisen muss, ähnlich dem Tatbestand des Völkermords und ist insoweit von diesem nicht immer eindeutig zu unterscheiden.70 Sexuelle Gewalt und Vergewaltigung können demnach nach dem Statut des ICTR – je nach Lage des Einzelfalles unter der Voraussetzung, dass alle Tatbestandsmerkmale erfüllt sind – als Verbrechen gegen die Menschlichkeit in Form von Versklavung, Folter, Vergewaltigung oder anderer unmenschlicher Behandlung bestraft werden.
69 Art. 3 des ICTR-Statuts lautet: Art. 3 Crimes against humanity The International Tribunal for Rwanda shall have the power to prosecute persons responsible for the following crimes when committed as part of a widespread or systematic attack against any civilian populations on national, political, ethnic, racial or religious grounds: (a) – (b) (…); (c) Enslavement; (d) – (e) (…); (f) Torture; (g) Rape; (h) Persecution on political, racial and religious grounds; (i) other inhumane acts. 70 Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht Bd. I/3, S. 1140. Problematisch an der Forderung der bestimmten Motivation im Ruanda-Statut ist die Annäherung des Tatbestands der Verbrechen gegen die Menschlichkeit an den des Völkermords. Dadurch werde – so manche Autoren – der eigene Unrechtsgehalt von Verbrechen gegen die Menschlichkeit in Frage gestellt; Meron, Internationalization of Internal Atrocities, AJIL 89 (1995), S. 554 – 577 (557).
160
5. Kap.: Verbot von Vergewaltigung in den internationalen Ad hoc-Tribunalen
3. Verletzungen des gemeinsamen Artikels 3 der GA und des ZP II (Art. 4) Artikel 4 des Ruanda-Statuts definiert die Verstöße gegen den gemeinsamen Artikel 3 der Genfer Abkommen und des Zusatzprotokolls II.71 Art. 4 Satz 2 enthält also eine Aufzählung der oben bereits im 2. Teil diskutierten Verstöße gegen den gemeinsamen Artikel 3 der Genfer Abkommen und das Zusatzprotokoll II, wonach sexuelle Gewalt und Vergewaltigung oder deren Androhung je nach Sachlage unter (a) oder (e), gegebenenfalls in Verbindung mit (h), fallen kann. Erwähnenswert ist in diesem Zusammenhang, dass im Statut des ICTR – im Gegensatz zu dem Statut des ICTY – ausdrücklich auf Regelungen des ZP II Bezug nimmt und dass das ICTRStatut Vergewaltigung ausdrücklich als Verletzung des gemeinsamen Art. 3 der GA von 1949 nennt. Wichtig ist jedoch, dass die in Art. 4 enthaltene Liste nicht abschließend ist und auch andere Begehungsformen darunter fallen können, soweit sie gegen Personen gerichtet waren, die sich entweder nicht an den Kämpfen beteiligt haben, die Waffen niedergelegt haben oder kampfunfähig (hors de combat) waren. Der entscheidende Unterschied zwischen Art. 3 und 4 des Ruanda-Statuts liegt darin, dass der in Art. 4 enthaltene Tatbestand von Verstößen gegen den gemeinsamen Art. 3 der GA und gegen das ZP II weder das Vorliegen eines übergeordneten Planes noch einen besonderen Vorsatz voraussetzt.72
II. Verfahrens- und Beweisregeln Das Statut des ICTR enthält ebenso wie das Statut des ICTY in Artt. 14 ff. wesentliche Verfahrens- und Beweisregeln, darunter die Rechte des Angeklagten. Wie das Jugoslawien-Tribunal regelt das Ruanda-Tribunal die Details der Verfahrensund Beweisregeln nach eigenem Ermessen, was zu häufigen Änderungen und den 71
Art. 4 des ICTR-Statuts lautet: Article 4 Violations of Article 3 common to the Geneva Conventions and of Additional Protocol II The International Criminal Tribunal for Rwanda shall have the power to prosecute persons committing or ordering to be committed serious violations of Article 3 common to the Geneva Conventions of 12 August 1949 for the Protection of War Victims, and of Additional Protocol II thereto of 8 June 1977. These violations shall include, but shall not be limited to: (a) Violence to life, health and physical or mental well-being of persons, in particular murder as well as cruel treatment such as torture, mutilation or any form of corporal punishment; (b) – (d) (…); (e) Outrages upon personal dignity, in particular humiliating and degrading treatment, rape, enforced prostitution and any form of indecent assault; (f) – (g) (…); (h) Threats to commit any of the foregoing acts. 72 Art. 4 ZP II definiert den Opferkreis entsprechend. Vgl. Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht Bd. I/3, S. 1140.
B. Strafbarkeit von Vergewaltigung nach dem Statut des ICTR
161
damit verbundenen Legitimationsproblemen führt.73 Auch beim ICTR kann nach Regel 87 (A) eine Verurteilung nur erfolgen, wenn die Mehrheit der Richter „beyond reasonable doubt“, also ohne vernünftige Zweifel, von der Schuld des Angeklagten überzeugt ist. Ähnlich wie in den Verfahrens- und Beweisregeln des ICTY regelt Regel 96 der Verfahrens- und Beweisregeln des ICTR die Beweisaufnahme in Fällen sexueller Gewalt in der Absicht, die Opfer dieser Tat(en) zu schützen. Regel 96 ist mit der Abweichung in (i), nach der „notwithstanding rule 90 C“ eine Bestätigung der Zeugenaussage eines Opfers sexueller Gewalt nicht erforderlich ist, wortgleich mit der entsprechenden Verfahrensregel 96 des ICTY für Fälle sexueller Übergriffe, weshalb hier auf die obigen Ausführungen dazu verwiesen wird.74
73 Siehe oben 5. Kapitel, A. II. Die Rules of Procedure and Evidence des Ruanda-Tribunals wurden 23-mal geändert, siehe http://www.unictr.org/sites/unictr.org/files/legal-library/150513rpe-en-fr.pdf (besucht am 06. 10. 2015). 74 Regel 90 C regelt, dass ein Kind, das die Natur der vom ICTR verlangten feierlichen Erklärung vor einer Zeugenaussage nur die Wahrheit zu sagen, nicht erfasst, seine Aussage auch ohne diese Erklärung machen kann und ist insoweit für den Untersuchungsgegenstand an dieser Stelle von untergeordneter Bedeutung.
6. Kapitel
Probleme des Tatbestands der Vergewaltigung in der Rechtsprechung der Ad hoc-Tribunale Die beiden Ad hoc-Tribunale für das ehemalige Jugoslawien und Ruanda standen in der Folgezeit vor der Aufgabe die für die Verbrechen verantwortlichen Hauptdrahtzieher unter Beachtung der Grundsätze eines rechtsstaatlichen Verfahrens auf Basis ihrer Statuten strafrechtlich zu verfolgen und zur Verantwortung zu ziehen. Angesichts der Tatsachen, dass es bis dato – abgesehen von den Kriegsverbrechertribunalen von Nürnberg und Tokio – keine systematische strafrechtliche Verfolgung von völkerrechtlichen Verbrechen gegeben hatte und kein Verfahrensrecht existierte, sowie der Unbestimmtheit von Normen wie dem Verbot der Vergewaltigung war dies eine große Herausforderung. Gegenstand der Untersuchung dieses Kapitels ist die Rechtsprechung der beiden Ad hoc-Straftribunale für das ehemalige Jugoslawien und Ruanda bezüglich des völkerstrafrechtlichen Verbots der Vergewaltigung im bewaffneten Konflikt. Durch diese Rechtsprechung wurde das Vergewaltigungsverbot des humanitären Völkerrechts, das sich außer aus den Statuten der beiden Ad hoc-Tribunale – wie im 3. Kapitel erörtert – gewohnheitsrechtlich implizit, aber eindeutig aus den vier Genfer Abkommen ergibt und auch in den beiden Zusatzprotokollen enthalten ist, erstmals von internationalen Strafgerichten, die das Erfordernis des strafrechtlichen Bestimmtheitsgrundsatzes zu beachten haben, angewandt. Neben der explizit genannten Verfolgung von Vergewaltigung als Verbrechen gegen die Menschlichkeit erlaubt der Rahmen des humanitären Völkerrechts und der Statute der Ad hoc-Tribunale auch die strafrechtliche Verfolgung von Vergewaltigung als Verbrechen gegen die Menschlichkeit in Form von Folter oder anderer unmenschlicher Behandlung sowie als Kriegsverbrechen durch vorsätzliche Verursachung großer Leiden oder schwerer Verletzungen der körperlichen Unversehrtheit als Kriegsverbrechen, sowie – bei Vorliegen der sogenannten Völkermordabsicht – als Völkermord. Diesen Rahmen mussten die Ad hoc-Tribunale mit Rechtsprechung füllen, die dem Unrechtsgehalt des Verbrechens der Vergewaltigung gerecht wird. Hierbei ist der im Strafrecht grundsätzlich erforderliche Interessenausgleich zwischen den Rechten des Angeklagten und den Interessen der Opfer aufgrund des besonderen Charakters des Verbrechens der Vergewaltigung besonders schwierig.1 Zudem ist weder im humanitären Völkerrecht noch in den Statuten der Ad hoc-Tribunale de1 Vgl. Schomburg/Petersen, Genuine Consent to Sexual Violence under International Criminal Law, AJIL 101 (2007), S. 121 – 140 (123).
A. Völkerstrafrechtliche Definition
163
finiert, was genau unter Vergewaltigung zu verstehen ist, so dass es eine Notwendigkeit für die Tribunale war den Tatbestand – um den strafrechtlichen Bestimmtheitsgrundsatz nicht zu verletzen – innerhalb der vom humanitären Völkerrecht vorgegebenen Linien zu präzisieren und zu konkretisieren.2
A. Die völkerstrafrechtliche Definition des Tatbestands der Vergewaltigung Insgesamt befassten sich die Tribunale in einundzwanzig Fällen mit dem Tatbestand der Vergewaltigung.3 Aus drei dieser Fälle ergaben sich unterschiedliche Definitionen des Tatbestands der Vergewaltigung, die aufeinander aufbauend jeweils entscheidend auf unterschiedliche Aspekte des Verbrechens abstellen. Bei diesen Fällen handelt es sich um die Entscheidungen in Akayesu und Furundzˇ iya sowie Kunarac, Kovacˇ und Vukovic´, denen die weitere Rechtsprechung folgte. In allen anderen Verfahren, in denen der Tatbestand der Vergewaltigung zu prüfen war, wurde die bis dahin geltende Rechtsprechung bestätigt, so dass sie für die Entwicklung und Präzisierung des Tatbestandes unwesentlicher sind – nicht aber für die völkerrechtliche Praxis, die zur Festigung des Völkergewohnheitsrechts beiträgt. Da die Urteile der beiden Ad hoc-Tribunale in den Fällen Akayesu, Furundzˇ iya und Kunarac aufeinander Bezug nehmen, wird hier entsprechend dem Entwicklungsgedanken chronologisch vorgegangen und die Urteile in ihrer zeitlichen Abfolge untersucht.
2 Auch im Völkerstrafrecht ist Voraussetzung der Strafbarkeit, dass zum Tatzeitpunkt eine hinreichend bestimmte strafbarkeitsbegründende Norm gilt. Auch wenn dieser Grundsatz des nullum crimen, nulla poena sine lege im Vergleich zum deutschen Recht etwa hinsichtlich der Bestimmtheit der Strafrahmen als weniger streng erscheint, da er kein geschriebenes Gesetz voraussetzt, ist er jedoch als Bestandteil des Völkergewohnheitsrechts auch im Völkerstrafrecht zu beachten. Dazu Werle, Völkerstrafrecht, Rn. 100; Bassiouni, Introduction to International Criminal Law, S. 218 ff., vgl. auch S. 178 ff.; vgl. Ambos, Der allgemeine Teil des Völkerstrafrechts, S. 514. 3 In chronologischer Reihenfolge: Akayesu (ICTR-96-4) – 1998; Mucic´, Delic´, Landzˇ o, Delalic´ (IT-96-21) – 1998 („Cˇ elebic´i Camp“); Furundzˇ iya einschl. des Appeal Judgements (IT95-17) – 1998; Musema (ICTR-96-13) – 2000; Kunarac, Kovacˇ and Vukovic´ einschl. des Appeal Judgements (IT-96-23) – 2001 bzw. 2002; Kvocˇ ka et al. – 2001; Semanza (ICTR-97-20) – 2003; Niyitegeka (ICTR-96-14) – 2003; Stakic´ (IT-97-24) – 2003; Kajelijeli (ICTR-98-44A) – 2003; Kamuhanda (ICTR-99-54) – 2004; Gacumbitsi einschließlich des Appeal Judgements (ICTR-01-64) – 2004 bzw. 2006; Muhimana (ICTR-95-1B) – 2005; Zelenovic´ (IT-96-23) – 2007; Haradinaj, Balaj and Brahimaj (IT-04-84) – 2008; Delic´ (IT-04-83) – 2008; Krajisˇnik (IT00-39) – 2006 und 2009; Bagosora, Kabiligi, Ntabakuze, Nsengiyumva (ICTR-98-41) einschließlich des Appeal Judgements – 2008 bzw. 2011; Ðord¯evic´ (IT-05-87) – 2011, Nyiramasuhuko, Ntahobali, Nsabimana, Nzeziryayo, Kanyabashi, Ndayambaje (ICTR-98-42) – 2011 und Karemera, Ngirumpatse (ICTR-98-44) – 2012.
164
6. Kap.: Probleme des Tatbestands der Vergewaltigung
I. Akayesu (ICTR – 1998) Der Angeklagte Jean-Paul Akayesu war zur Tatzeit Bourgmestre der Gemeinde Taba, Präfektur Gitarama in Ruanda. Er war wegen Vergewaltigung und anderer unmenschlicher Handlungen als Verbrechen gegen die Menschlichkeit gemäß Artikel 3 (g) und (i) des Statuts, sowie wegen Verletzung des gemeinsamen Artikels 3 der GA und Artikels 4 Abs. 2 (e) des ZP 2 gemäß Artikel 4 Abs. 2 des Statuts angeklagt.4 Darüber hinaus prüfte das Gericht, ob sexuelle Gewalt und Vergewaltigungen Völkermordhandlungen darstellen können.5 Die Anklage gegen Akayesu beruhte auf Geschehnissen am bureau communal, dem Amtssitz des Angeklagten, wo während des „Völkermordes“ zahlreiche vertriebene Zivilisten aus der Volksgruppe der Tutsi Schutz vor den Verfolgungen gesucht hatten. Weibliche Vertriebene (Tutsi) wurden dort regelmäßig von bewaffneten Milizen und/oder der kommunalen Polizei geholt und sexueller Gewalt, einschließlich Vergewaltigungen ausgesetzt. Systematisch und im großen Stil wurden Angehörige der Volksgruppe der Tutsi getötet. Viele der Frauen wurde mit Ermordung oder körperlichen Schmerzen gedroht, damit sie wiederholte Vergewaltigungen – häufig durch mehrere Täter – über sich ergehen ließen.6 Das Gericht sah es dabei als erwiesen an, dass der Angeklagte von den Geschehnissen einschließlich der sexuellen Übergriffe, der Schläge und Ermordungen am bureau communal wusste und diese durch seine zumindest gelegentliche Anwesenheit unterstützte und förderte.7 1. Erwägungen hinsichtlich einer völker(straf)rechtlichen Definition von Vergewaltigung In seinem Urteil gegen Akayesu stellte das Gericht zunächst fest, dass es keine allgemein anerkannte völkerrechtliche Definition von Vergewaltigung gebe, weshalb es gezwungen war, selbst eine solche zu finden. Dabei stellte das Gericht fest, dass Vergewaltigung historisch in nationalen Rechtsordnungen als nicht-einverständlicher Geschlechtsverkehr definiert wird; Unterschiede bestünden bezüglich der Vergewaltigungsformen, die zum Teil das Einführen von Gegenständen in oder die anderweitige Nutzung von – nicht sexuellen – Körperöffnungen wie etwa den Anus beinhalten.8 Es betrachtete Vergewaltigung als eine Form der Aggression, die eine 4
Prosecutor versus Jean-Paul Akayesu, Judgement, IT-96-4-T, 2. September 1998, Nr. 6. Vgl. in diesem (6.) Kapitel E. II. 6 Prosecutor versus Jean-Paul Akayesu, IT-96-4-T, Judgement, 2. September 1998, Punkt 12A der geänderten Anklage. 7 Prosecutor versus Jean-Paul Akayesu, IT-96-4-T, Judgement, 2. September 1998, Abs. 706; vgl. auch Nr. 6. Absatz 12A und B der geänderten Anklage. 8 Prosecutor versus Jean-Paul Akayesu, IT-96-4-T, Judgement, 2. September 1998, Abs. 596 und ausführlicher 686: „(…) Rape has been historically defined in national jurisdictions as non-consensual sexual intercourse, variations on the form of rape may include acts which involve the insertion of objects and/or the use of bodily orifices not considered to be intrinsically sexual.“ 5
A. Völkerstrafrechtliche Definition
165
ausschließlich mechanische Beschreibung von Dingen und Körperteilen nicht erfassen könne und die in der öffentlichen Diskussion mit erheblichen kulturellen Tabus belegt sei. Anstelle einer genauen mechanischen Definition, verglich das Gericht daher Vergewaltigung mit Folter, für welche es keinen abschließenden Katalog gibt, sondern die stattdessen auf den konzeptionellen Rahmen der Gewalt abstellt. Diesen Grundgedanken griff das Gericht für die völkerrechtliche Definition von Vergewaltigung auf, da Vergewaltigung und Folter zahlreiche Parallelen aufweisen und ähnlichen Zwecken dienen würden.9 2. Die konzeptionelle Definition der Vergewaltigung Aufgrund dieser Überlegungen definierte der ICTR Vergewaltigung in seinem Urteil gegen Akayesu als „a physical invasion of a sexual nature, committed on a person under circumstances which are coercive.“
Sexuelle Gewalt, die Vergewaltigung umfasst, erachtete die Kammer, als „any act of a sexual nature which is committed on a person under circumstances which are coercive.“
Sexuelle Gewalt sei demnach „not limited to physical invasion of the human body“
und könne Handlungen beinhalten „which do not involve penetration or even physical contact.“10
Entsprechend definierte die Kammer die zwingenden Umstände: „(…) (C)oercive circumstances need not be evidenced by a show of physical force. Threats, intimidation, extortion and other forms of duress which prey on fear or desperation may constitute coercion, and coercion may be inherent in certain circumstances, such as armed conflict or the military presence of Interahamwe among refugee Tutsi women at the bureau communal“.11 9 Prosecutor versus Jean-Paul Akayesu, IT-96-4-T, Judgement, 2. September 1998, Abs. 597 und 687: „The United Nations Convention Against Torture and Other Cruel, Inhuman and Degrading Treatment or Punishment does not catalogue specific acts in its definition of torture, focusing rather on the conceptual framework of state-sanctioned violence. The Tribunal finds this approach more useful in the context of international law. Like torture, rape is used for such purposes as intimidation, degradation, humiliation, discrimination, punishment, control or destruction of a person. Like torture, rape is a violation of personal dignity, and rape in fact constitutes torture when it is inflicted by or at the instigation of or with the consent or acquiescence of a public official or other person acting in an official capacity.“ 10 Prosecutor versus Jean-Paul Akayesu, IT-96-4-T, Judgement, 2. September 1998, Abs. 598, 688. 11 Prosecutor versus Jean-Paul Akayesu, IT-96-4-T, Judgement, 2. September 1998, Abs. 688.
166
6. Kap.: Probleme des Tatbestands der Vergewaltigung
Mit dieser Definition lehnte das Gericht eine mechanische Definition von Vergewaltigung – wie sie in zahlreichen nationalen Rechtsordnungen enthalten ist – ab und wählte stattdessen einen konzeptionellen Ansatz, der einerseits einen umfassenderen Schutz gefährdeter Personen in Situationen der Gewalt gewährleisten soll und andererseits kulturellen Sensitivitäten der Opfer Rechnung tragen soll. Hiermit ist gemeint, dass eine konzeptionelle Definition von Vergewaltigung nach Auffassung der Kammer, Situationen vorbeugt in denen Opfer öffentlich die kleinsten anatomischen Details sexueller Gewalt erläutern (müssen), obwohl dies kulturell tabuisiert ist.12 Darüber hinaus kann Vergewaltigung nach dieser Definition sowohl gegen Frauen als auch gegen Männer begangen werden und ist somit geschlechtsneutral. Bei der Definition von Vergewaltigung in Akayesu handelt es sich damit um eine weite Definition, die eben nicht auf die Penetration als solche oder das fehlende Einverständnis des Opfers mit der Tat abstellt, sondern beschreibt was Vergewaltigung ausmacht – ein gewaltsamer physischer Übergriff sexueller Natur. Damit wechselt die Definition des Verbrechens aus der Perspektive des Täters, aus dessen Sicht die Tathandlung allein die Penetration ist, in die Perspektive des Opfers, auf welches gewaltsam physisch eingewirkt wird.13 Der Begriff der invasion als dem gewaltsamen physischen Eindringen sexueller Natur unter Zwang ist somit weiter als der Begriff der Penetration und umfasst auch sexuelle Handlungen, die keine Penetration im eigentlichen Sinne darstellen, jedoch ebenso verheerend für die Opfer sind wie etwa Fellatio. Zudem entspricht eine solche konzeptionelle Definition von Vergewaltigung dem Verständnis von anderen völkerrechtlichen Verbrechen, insbesondere etwa der Folter, die eben nicht genauer aufgezählt oder definiert werden können, ohne (zu) restriktiv zu werden.14 Auch andere Begehungsformen von völkerrechtlichen Verbrechen wie etwa Mord oder Folter werden nicht durch die Aufzählung von an der Tathandlung beteiligten Körperteilen definiert, sondern wie die konzeptionelle Definition von Vergewaltigung im Völkerstrafrecht aus Akayesu am beabsichtigten Erfolg der Tat aus Opfersicht.15 Die Frage des Einverständnisses des Opfers mit der Tat stellte sich aufgrund der besonders gewaltsamen Umstände des Falles Akayesu nicht. Es bleibt aber festzuhalten, dass „zwingende Umstände“ genau das sind, was die Tat im Völkerstrafrecht ausmacht: Denn wenn im Zusammenhang mit völkerrechtlichen Verbrechen wie Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen unter Zwang in sexueller Weise physisch in
12
de Brouwer, Supranational Criminal Prosecution of Sexual Violence, S. 107. Boon, Rape and Forced Pregnancy under the ICC Statute: Human Dignity, Autonomy and Consent, Col. Hum. Rts. L. Rev. 32 (2001), S. 624 – 674 (648 f.); de Brouwer, Supranational Criminal Prosecution of Sexual Violence, S. 107. 14 Pictet, IV. Geneva Convention, Commentary, Art. 3 (2.A): „However great the care taken in drawing up a list of all the various forms of infliction, it would never be possible to catch up with the imagination of future torturers who wished to satisfy their bestial instincts; and the more specific and complete a list tries to be, the more restrictive it becomes.“ 15 de Brouwer, Supranational Criminal Prosecution of Sexual Violence, S. 108. 13
A. Völkerstrafrechtliche Definition
167
den Körper des Opfers eingedrungen wird, stellt sich die Frage nach dessen Einverständnis nicht.16 Die völkerstrafrechtliche Definition von Vergewaltigung im Fall Akayesu wurde viel beachtet und kommentiert. Während sie von einigen Autoren anerkennend als wegweisend und als Revolution im juristischen Denken bezeichnet wurde,17 sehen andere die Definition kritisch. Diese Kritik wird vor allem damit begründet, dass die Definition aus dem Fall Akayesu zu weit und insbesondere hinsichtlich der Handlungen, die über die eigentliche Penetration hinaus gehen, zu unbestimmt sei, wodurch das mit dem Bestimmtheitsgrundsatz einhergehende Legalitätsprinzip verletzt würde.18 Andere finden (auch) die Argumentation mit den Parallelen zum Tatbestand der Folter unzutreffend, da nach dieser Auffassung Vergewaltigung ein spezifischeres Verbrechen und als solches genauer zu definieren sei.19
II. Bestätigung der konzeptionellen Definition der Vergewaltigung in Mucic´, Delic´, Landzˇ o, Delalic´ (ICTY – 1998) Die konzeptionelle Definition der Vergewaltigung aus dem Fall gegen Akayesu wurde in der Entscheidung des ICTY gegen Mucic´, Delic´, Landzˇ o, Delalic´ (1998), auch bekannt unter der Bezeichnung „Cˇ elebic´i Camp“ bestätigt, da die Hauptverfahrenskammer keinen Grund sah, von der Definition des ICTR aus Akayesu abzuweichen.20 Es kam zu dem Ergebnis, dass vaginale und anale Penetration durch den 16 Askin, Sexual Violence in Decisions and Indictments of the Yugoslav and Rwandan Tribunals, AJIL 93 (1999), S. 97 – 123 (109); de Brouwer, Supranational Criminal Prosecution of Sexual Violence, S. 108, siehe auch Kalosieh, Consent to Genocide?: The ICTYs Improper Use of the Consent Paradigm to Prosecute Genocidal Rape, in: Foca, Women’s Rts. L. Rep. 24 (2002/03), S. 121 – 135 (128, vgl. auch S. 132); Schomburg/Petersen, Genuine Consent to Sexual Violence Under International Criminal Law, AJIL 101 (2007); S. 121 – 140 (138) sowie Werle, Völkerstrafrecht, Rn. 840. 17 Vgl. Statement by UN Secretary-General Kofi Annan on the Occasion of the Announcement of the First Judgement in a Case of Genocide by the International Criminal Tribunal for Rwanda. UN Doc PR/10/98/UNIC, 1998, UN Information Centre (Pretoria); Amann, Prosecutor v. Akayesu – Case Note, AJIL 93 (1999), S. 195 – 199 (199); Kirk, Forecasting the Legacy of the International Criminal Tribunal for Rwanda, ISLR 15 (2007), S. 26 – 43 (30); MacKinnon, Defining Rape Internationally: A Comment on Akayesu, Columb. J. Transnat’l Law 44 (2005/06), S. 940 – 958 (944): „(…) (A)rguably for the first time, rape was defined in law as what it is in life.“; siehe auch Hayes, Creating a Definition of Rape in International Law, in: Darcy/Powderly (Hrsg.), Judicial Creativity at the International Criminal Tribunals, S. 129 – 156 (135) m.w.N. 18 Eriksson, Defining Rape, S. 425; McDonald, Sex Crimes at the ad hoc-Tribunals, Nemesis 15 (1999), S. 72 – 82 (77); vgl. auch Hunt, The International Criminal Court, J Int’l Crim. Justice 2 (2004), S. 56 – 70, nach dem die Definition aus Akayesu sehr eng ist. 19 McDonald, Sex Crimes at the ad hoc-Tribunals, Nemesis 15 (1999), S. 72 – 82 (77). 20 The Prosecutor v. Zejnil Delalic´, Zdravko Mucic´, Hazim Delic´, Esad Landzˇ o, IT-96-21, Judgement, 16. November 1998, Abs. 479.
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6. Kap.: Probleme des Tatbestands der Vergewaltigung
Penis unter mit Zwang verbundenen Umständen Vergewaltigung darstellt.21 Darüber hinaus führte die Kammer aus, dass auch Fellatio als Vergewaltigung strafbar hätte sein können, wäre die Tat entsprechend angeklagt gewesen.22
III. Furundzˇ iya (ICTY – 1998) Der Fall des ICTY gegen Anto Furundzˇ iya war der erste Fall der Strafverfolgung von Kriegsverbrechen, in dem Vergewaltigung und sexuelle Gewalt als Verstöße gegen die Gesetze und Gebräuche des Krieges in Form von Folter und unmenschlicher Behandlung, Folter und Verbrechen gegen die persönliche Würde, einschließlich Vergewaltigung (nach Art. 3 des Statuts des ICTY) die einzigen Anklagepunkte darstellten. Furundzˇ iya, einem kroatischen Kommandeur der „Jokers“, einer Sondereinheit der Militärpolizei des kroatischen Verteidigungsrates wurde vorgeworfen, als Vorgesetzter für die sexuelle Gewalt und Vergewaltigung einer bosnisch-muslimischen Frau verantwortlich zu sein. Die Frau wurde in der Polizeistation während eines Verhörs durch den Angeklagten mehrfach von einem anderen, dem Angeklagten untergebenen, Soldaten sexuell bedroht und später vor einer Gruppe von Soldaten mehrfach vergewaltigt – während ein Bekannter des Opfers gezwungen wurde, zuzusehen. Physisch beteiligte sich der Angeklagte also nicht an den Übergriffen, duldete und unterstützte sie aber, indem er sie in seiner Anwesenheit nicht unterband. 1. Die gewohnheitsrechtliche Qualität des Vergewaltigungsverbots und allgemeine Rechtsgrundsätze in der Definition von Vergewaltigung Der ICTY stellte zunächst fest, dass sowohl der Lieber Code, die Martens’sche Klausel, die Statuten der Kriegsverbrechertribunale von Nürnberg und Tokio als auch die Genfer Abkommen von 1949 ein Vergewaltigungsverbot enthalten, weshalb das Vergewaltigungsverbot des humanitären Völkerrechts Gewohnheitsrecht ist.23 Außerdem verstießen Vergewaltigungen gegen das menschenrechtliche Verbot der Folter und das Recht auf körperliche Unversehrtheit.24 21 The Prosecutor v. Zejnil Delalic´, Zdravko Mucic´, Hazim Delic´, Esad Landzˇ o, IT-96-21, Judgement, 16. November 1998, Abs. 940, 962. 22 Im zu entscheidenden Fall waren zwei Brüder dazu gezwungen worden aneinander Fellatio zu vollziehen. Der ICTY verurteilte dies als Angriff auf ihre Würde und unmenschliche Behandlung gem. Art. 2 sowie als grausame Behandlung gem. Art. 3 seines Statuts. Zudem stellte es als obiter dictum fest, dass dieses Verhalten auch als Vergewaltigung hätte strafbar sein können, wäre es entsprechend angeklagt worden. Siehe The Prosecutor v. Zejnil Delalic´, Zdravko Mucic´, Hazim Delic´, Esad Landzˇ o, IT-96-21, Judgement, 16. November 1998, Abs. 1065 f. 23 The Prosecutor v. Anto Furundzˇ iya, IT-95-17/1-T, Judgement, 10. Dezember 1998, Abs. 168 – 169, vgl. auch oben 3. Kapitel D. 24 The Prosecutor v. Anto Furundzˇ iya, IT-95-17/1-T, Judgement, 10. Dezember 1998, Abs. 170 – 171.
A. Völkerstrafrechtliche Definition
169
Weiter setzte sich die Kammer des Gerichts mit der Definition von Vergewaltigung im Fall Akayesu des ICTR, die vom ICTY im Fall Delalic et al. übernommen wurde auseinander, wonach Vergewaltigung eine „physical invasion of a sexual nature, committed on a person under circumstances which are coercive“
ist und stellte fest, dass dem Völkervertrags- und Gewohnheitsrecht keine genaueren Tatbestandsmerkmale zu entnehmen sind und auch die allgemeinen Rechtsgrundsätze des Völkerstrafrechts oder des allgemeinen Völkerrechts nichts Genaueres enthalten. Das Gericht erachtete es deshalb für notwendig zur Wahrung des Bestimmtheitsgrundsatzes auf gemeinsame Rechtsprinzipien der großen – nationalen – Rechtsordnungen zurückzugreifen.25 Das Gericht kam zu folgendem Schluss: „Whenever international criminal rules do not define a notion of criminal law, reliance upon national legislation is justified, subject to the following conditions: (i) unless indicated by an international rule, reference should not be made to one national legal system only, say that of common-law or that of civil-law States. Rather, international courts must draw upon the general concepts and legal institutions common to all the major legal systems of the world. This presupposes a process of identification of the common denominators in these legal systems so as to pinpoint the basic notions they share; (ii) since ,international trials exhibit a number of features that differentiate them from national criminal proceedings‘ account must be taken of the specificity of international criminal proceedings when utilising national law notions. In this way a mechanical importation or transposition from national law into international criminal proceedings is avoided, as well as the attendant distortions of the unique traits of such proceedings.“ 26
Implizit lässt sich einerseits aus den Feststellungen zum Bestimmtheitsgrundsatz und andererseits aus der Suche nach einer Definition von Vergewaltigung in allgemeinen Rechtsprinzipien schließen, dass der ICTY die Definition der Vergewaltigung aus dem Fall Akayesu für nicht hinreichend bestimmt hielt und deshalb als Verletzung des nullum crimen Prinzips betrachtete.27 2. Die mechanische Definition der Vergewaltigung Unter Berücksichtigung der Schwierigkeiten ,common denominators‘ für den strafrechtlichen Tatbestand der Vergewaltigung in den bedeutenden Rechtsordnungen der Welt zu finden, kam der ICTY zu dem Ergebnis, dass der Tatbestand der Vergewaltigung in den meisten Rechtsordnungen ein Element des Eindringens unter Zwangs oder mit Gewalt verlangt. Die Kammer des ICTY schloss daraus, dass die meisten Rechtsordnungen unter Vergewaltigung eine 25 The Prosecutor v. Anto Furundzˇ iya, IT-95-17/1-T, Judgement, 10. Dezember 1998, Abs. 175 – 177. 26 The Prosecutor v. Anto Furundzˇ iya, IT-95-17/1-T, Judgement, 10. Dezember 1998, Abs. 178. 27 McDonald, Sex Crimes at the ad hoc-Tribunals, Nemesis 15 (1999), S. 72 – 82 (80); de Brouwer, Supranational Criminal Prosecution of Sexual Violene, S. 112.
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6. Kap.: Probleme des Tatbestands der Vergewaltigung
„forcible sexual penetration of the human body by the penis or the forcible insertion of any other object into either the vagina or the anus“
verstehen,28 während erhebliche Diskrepanzen hinsichtlich der Frage, ob erzwungener Oralverkehr (Fellatio) unter Vergewaltigung zu subsumieren sei, bestünden.29 Obwohl nicht alle nationalen Rechtsordnungen erzwungenen Oralsex als Vergewaltigung ansehen, war die Kammer des ICTY der Meinung, dass erzwungene fellatio ein entwürdigender und erniedrigender Angriff auf die Menschenwürde ist. Der Schutz der Menschenwürde sei jedoch das Wesen und damit Sinn und Zweck des humanitären Völkerrechts und der Menschenrechte, weshalb ein so ernster Verstoß gegen die Menschenwürde wie erzwungener Oralverkehr für das Opfer ähnlich traumatisch wie eine erzwungene Penetration und deshalb auch als Vergewaltigung zu klassifizieren sei.30 Weiter sieht das Gericht den Grundsatz des nullum crimen, sine lege bei dieser Definition auch dann nicht als verletzt an, wenn in der nationalen Rechtsordnung des Angeklagten, erzwungener Oralsex „nur“ als sexuelle Nötigung strafbar ist. Schließlich sei auch diese ein schweres Verbrechen und im Zuständigkeitsbereich des ICTY handele es sich zudem nicht um sexuelle Nötigung als solche, sondern um sexuelle Nötigung als Kriegsverbrechen oder als Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Solange der Angeklagte daher aufgrund erzwungener fellatio verurteilt würde, sei der Bestimmtheitsgrundsatz durch die Klassifizierung als Vergewaltigung und nicht (nur) als sexuelle Nötigung nicht zum Nachteil des Angeklagten verletzt. Das grundlegende Prinzip des Schutzes der Menschenwürde erfordere eine weite(re) Definition von Vergewaltigung.31 Vergewaltigung ist folglich nach Auffassung des ICTY in Furundzˇ iya: (i) the sexual penetration, however slight: (a) of the vagina or anus of the victim by the penis of the perpetrator or any other object used by the perpetrator; or (b) of the mouth of the victim by the penis of the perpetrator; (ii) by coercion or force or threat of force against the victim or a third person.32 28 The Prosecutor v. Anto Furundzˇ iya, IT-95-17/1-T, Judgement, 10. Dezember 1998, Abs. 181. 29 The Prosecutor v. Anto Furundzˇ iya, IT-95-17/1-T, Judgement, 10. Dezember 1998, Abs. 182. 30 The Prosecutor v. Anto Furundzˇ iya, IT-95-17/1-T, Judgement, 10. Dezember 1998, Abs. 183. 31 The Prosecutor v. Anto Furundzˇ iya, IT-95-17/1-T, Judgement, 10. Dezember 1998, Abs. 184. Zur Frage, ob der Angeklagte von der universellen Strafbarkeit seiner Handlung in Form von Vergewaltigung oder sexueller Nötigung wissen musste, siehe auch Cleiren/Tijssen, Rape and Other Forms of Sexual Assault in the Armed Conflict in the Former Yugoslawia, Cr. L. F. 5 (1994), S. 471 – 506 (484). 32 The Prosecutor v. Anto Furundzˇ iya, IT-95-17/1-T, Judgement, 10. Dezember 1998, Abs. 185.
A. Völkerstrafrechtliche Definition
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Diese Definition stellt im Gegensatz zur konzeptionellen Definition auf die mechanische Beteiligung bestimmter Körperteile ab und ist damit wesentlich enger als die konzeptionelle Definition. Die Genauigkeit der Definition von Vergewaltigung aus Furundzˇ iya erscheint auch als eine Reaktion auf die Kritik an der Unbestimmtheit der konzeptionellen Definition aus Akayesu.33 Insoweit scheint diese Definition, die auf einer gründlich(er)en Untersuchung der zur Verfügung stehenden Rechtsquellen aus Völkergewohnheitsrecht und allgemeinen Rechtsgrundsätzen beruht, dem strafrechtlichen Bestimmtheitsgrundsatz, nachdem eine strafbare Handlung vor der Tat definiert sein muss, im Vergleich zu der Rechtsprechung aus Akayesu besser zu entsprechen.34 Im Hinblick auf die Formulierung der ,circumstances which are coercive‘ aus Akayesu, scheint die entsprechende Formulierung aus Furundzˇ iya ,by coercion or force or threat of force against the victim or a third person’ zunächst als eine Präzisierung und damit als Weiterentwicklung. In der Feststellung, dass Vergewaltigung eine gewaltsame Handlung darstellt,35 liegt auch ein erster Hinweis auf einen spezifischen subjektiven Tatbestand des Verbrechens der Vergewaltigung (mens rea), nämlich der Notwendigkeit des Nicht-Einverständnisses (,non-consent‘) des Opfers.36 Problematisch an dieser vermeintlichen Präzisierung ist aber, dass – wie der Fall Kunarac et al. in der Folgezeit zeigte – Geschlechtsverkehr aus mit Zwang verbundenen Umständen resultieren kann, ohne dass unmittelbarer Zwang oder Gewalt gegen das Opfer ausgeübt wurde oder dem Opfer mit Gewalt gedroht wurde.37 Allerdings schließt die Definition aus Furundzˇ iya sexuelle Penetrationen, die nicht explizit genannt sind, wie etwa die sexuelle Penetration der Vagina oder des Anus des Opfers durch die Finger oder die Zunge des Täters, die schwerlich als „any other object“ anzusehen sind, aus.38 Das für die Einbeziehung von erzwungenem Oralverkehr benutzte überzeugende Argument, dass Fellatio für das Opfer genau so traumatisierend wie die erzwungene Penetration der Scheide durch den Penis des Täters ist, scheint jedoch auch für die nicht genannten und damit von der Definition ausgeschlossenen sexuellen Penetrationen zu gelten, so dass kein Grund ersichtlich scheint, die Definition von Vergewaltigung im Hinblick auf solche Handlungen – wie geschehen – einzuschränken. Das von der Kammer benutzte Argument der durch erzwungenen Oralverkehr gleichermaßen verletzten Menschenwürde, scheint zudem ebenfalls auf die von der Definition nicht umfassten Penetrationshandlungen zu-
33
de Brouwer, Supranational Prosecution of Sexual Violence, S. 108. Eriksson, Defining Rape, S. 433; McDonald, Sex Crimes at the ad hoc-Tribunals, Nemesis 15 (1999), S. 72 – 82 (80). 35 The Prosecutor v. Anto Furundzˇ iya, IT-95-17/1-T, Judgement, 10. Dezember 1998, Abs. 174. 36 Hayes, Creating a Definition of Rape in International Law, in: Darcy/Powderly (Hrsg.), Judicial Creativity at the International Criminal Tribunals, S. 129 – 156 (139). 37 Siehe in diesem (6.) Kapitel unten A. V. 38 de Brouwer, Supranational Criminal Prosecution of Sexual Violence, S. 115. 34
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6. Kap.: Probleme des Tatbestands der Vergewaltigung
zutreffen.39 Eine einzig auf die Penetration abstellende Definition von Vergewaltigung verkennt zudem das mit der Handlung aus der Perspektive der Opfer verbundene Leid, da eine Vergewaltigung nicht ausschließlich auf bestimmte intime Körperteile bezogen ist.40 Der Wortlaut der Definition aus Furundzˇ iya ist wie die Definition aus Akayesu geschlechtsneutral, so dass Vergewaltigung – zutreffend – nicht auf Frauen als Opfer beschränkt wird, sondern auch Männer als Opfer und homosexuelle Handlungen umfasst.41 Obwohl weder der ICTY selbst noch der ICTR in späteren Urteilen die Definition der Vergewaltigung aus Furundzˇ iya, bestätigten, hatte das Urteil erheblichen Einfluss bei der Entwicklung der Verbrechenselemente des IStGHs.42
IV. Bestätigung der konzeptionellen Definition der Vergewaltigung in Musema (ICTR – 2000) Im Verfahren gegen Musema untersuchte der ICTR Vergewaltigung als Völkermord in Form der Alternative der ,Verursachung von schwerem körperlichen oder seelischem Schaden‘ und als Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Es schloss sich dabei der konzeptionellen Definition der Vergewaltigung aus Akayesu an, da das Wesen des Verbrechens der Vergewaltigung nicht in der Beteiligung von bestimmten Körperteilen oder Gegenständen liege, sondern in der Aggression, die in sexueller Weise unter Zwang zum Ausdruck gebracht wird.43 Die Verfahrenskammer des ICTR zog also die konzeptionelle ,offenere‘ Definition der Vergewaltigung aus dem Verfahren gegen Akayesu gegenüber der ,engen‘ mechanischen Definition des ICTY aus dem Verfahren gegen Furundzˇ iya, in dem das Urteil kurz vorher erging, vor.44
39 So The Prosecutor v. Anto Furundzˇ iya, IT-95-17/1-T, Judgement, 10. Dezember 1998, Abs. 184; vgl. de Brouwer, Supranational Criminal Prosecution of Sexual Violence, S. 115. 40 de Brouwer, Supranational Criminal Prosecution of Sexual Violence, S. 114; Eriksson, Defining Rape, S. 433 f. 41 Vgl. Eriksson, Defining Rape, S. 433, sowie de Brouwer, Supranational Criminal Prosecution of Sexual Violence, S. 116. 42 Eriksson, Defining Rape, S. 434. 43 The Prosecutor v. Alfred Musema, ICTR-96-13, Judgement and Sentence, 20. Januar 2000, Abs. 226: „(…) the essence of rape is not the particular details of the body parts and objects involved, but rather the aggression that is expressed in a sexual manner under conditions of coercion.“ sowie Abs. 227 f.; siehe auch de Brouwer, Supranational Criminal Prosecution of Sexual Violence, S. 109 f. 44 Das Urteil im Fall Furundzˇ iya erging am 10. Dezember 1998, das im Fall Musema am 27. Januar 2000.
A. Völkerstrafrechtliche Definition
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V. Kunarac, Kovacˇ und Vukovic´ (ICTY – 2001/2002) Dem Verfahren gegen die Angeklagten Kunarac, Kovacˇ und Vukovic´ lagen Geschehnisse in der Stadt und dem Bezirk Focˇ a (heute Bosnien-Herzegovina) im Jahr 1992 zugrunde. Im Zuge der sogenannten ethnischen Säuberungen wurden dort Muslime und Kroaten, die etwas mehr als die Hälfte der Bevölkerung ausmachten, systematisch inhaftiert. In den Haftstätten für muslimische Frauen, in diesem Fall der lokalen Sporthalle und nahegelegenen Apartments, wurden die festgehaltenen Frauen als „rechtmäßige sexuelle Beute“ der (sie festhaltenden) serbischen Soldaten betrachtet und systematisch vergewaltigt.45 Problematisch an diesem Fall war, dass einige der festgehaltenen Frauen Schlüssel zu den Häusern oder Appartements hatten, diese verlassen konnten, Hausarbeit verrichteten – und eine sexuelle Beziehung mit ihren „Fängern“ unterhielten. Die Angeklagten argumentierten deshalb, dass die sexuellen Beziehungen einverständlich gewesen seien und sie die Frauen lediglich beschützten.46 Durch diesen Sachverhalt stellten sich die Fragen nach der wahren Bedeutung des Einverständnisses des Opfers und der Auswirkungen von Zwang im Zusammenhang mit den Geschehnissen.47 Das Verfahren endete in mehrfacher Hinsicht mit der wegweisendsten Entscheidung im Bereich der Rechtsprechung internationaler Strafgerichte in Bezug auf Vergewaltigung: Zum einen definierte der ICTY Vergewaltigung erneut – abweichend von den Definitionen in den Fällen Akayesu und Furundzˇ iya – und zum anderen verurteilte er erstmals wegen Vergewaltigung, Vergewaltigung als Folter und Versklavung im Sinne von Verstößen gegen die Gesetze und Gebräuche des Krieges und Verbrechen gegen die Menschlichkeit gemäß der Art. 3 und 5 des ICTY-Statuts. 1. Fehlendes Einverständnis (,non-consent‘) des Opfers statt Gewalt, Zwang oder Drohung mit Gewalt (1. Instanz) Von dem Fehlen einer völkerrechtlichen Definition der Vergewaltigung ausgehend und angesichts der Definitionen von Vergewaltigung aus den Fällen Akayesu und Furundzˇ iya folgte die Kammer des ICTY zunächst der Definition des objektiven Tatbestands (actus reus) der Vergewaltigung aus dem Fall Furundzˇ iya. Allerdings betrachtete es das Gericht als notwendig, den zweiten Teil der Definition „(ii) by coercion or force or threat of force against the victim or a third person“ im Lichte des zu entscheidenden Falles genauer zu untersuchen, da Geschlechtsverkehr ohne 45 In seinem Appeal Judgement stellte der ICTY fest: „As the most egregious aspect of the conditions, the victims were considered the legitimate sexual prey of their captors. Typically, the women were raped by more than one perpetrator and with a regularity that is nearly inconceivable (Those who initially thought help or resisted were treated to an extra level of brutality.)“ The Prosecutor v. Kunarac, Kovacˇ and Vukovic´, IT-96-23 & IT-96-23/1, Appeals Judgement, 12. Juni 2002, Abs. 132. 46 The Prosecutor v. Kunarac, Kovacˇ and Vukovic´, IT-96-23 & IT-96-23/1, Judgement, 22. Februar 2001, Abs. 63, 156, 772, 780. 47 Eriksson, Defining Rape, S. 439.
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6. Kap.: Probleme des Tatbestands der Vergewaltigung
Einverständnis des Opfers, der nicht auf Gewalt oder Zwang beruht, von der Definition in Furundzˇ ija nicht umfasst und die Definition für den vorliegenden Fall deshalb zu eng sei.48 Daher wurden die bereits in Furundzˇ ija untersuchten Rechtsordnungen erneut untersucht, um den eigentlichen Kern der Gemeinsamkeit der Rechtsordnungen (,common denominators‘) präziser herauszuarbeiten. Dabei kam das Gericht zu dem Ergebnis, dass das eigentliche gemeinsame Element der Rechtsordnungen das grundlegendere und weitere Prinzip des Verstoßes gegen die sexuelle Autonomie des Opfers sei. Diese lassen sich – so das Urteil in drei – weite – Fallgruppen subsumieren: „(i) the sexual activity is accompanied by force or threat of force to the victim or a third party; (ii) the sexual activity is accompanied by force or a variety of other specified circumstances which made the victim particularly vulnerable or negated her ability to make an informed refusal; or (iii) the sexual activity occurs without the consent of the victim.“49
Dabei sei unter spezifischen Umständen nach der zweiten Fallgruppe, die das Opfer besonders verletzlich im Sinne der Definition machen, alles zu verstehen, das sich im Ergebnis über den Willen des Opfers hinwegsetzt oder es – zeitweise oder dauerhaft – unfähig machen, den Geschlechtsverkehr zu verweigern.50 Unter Berücksichtigung aller Gesichtspunkte präzisierte das Gericht die Definition von Vergewaltigung des Furundzˇ ija-Falles in Kunarac et al. wie folgt: „the actus reus of the crime of rape in international law is constituted by: sexual penetration, however slight (a) of the vagina or anus of the victim by the penis of the prosecutor or any other object used by the perpetrator; or (b) of the mouth of the victim by the penis of the perpetrator; where such sexual penetration occurs without the consent of the victim. Consent for this purpose must be consent given voluntarily, as a result of the victim’s free will, assessed in the context of the surrounding circumstances. The mens rea is the intention 48 The Prosecutor v. Kunarac, Kovacˇ and Vukovic´, IT-96-23 & IT-96-23/1, Judgement, 22. Februar 2001, Abs. 437 f. In dem zu entscheidenden Fall ging es u. a. um die Einordnung des Verhaltens der Zeugin D.B., der – nach mehrfachen Vergewaltigungen – von einem Soldaten gedroht wurde, dass er sie töten würde, sollte sie die sexuellen Bedürfnisse seines Kommandeurs (= des Angeklagten Kunarac) nicht erfüllen. Daraufhin initiierte die Zeugin aufgrund der Drohung den Geschlechtsverkehr mit dem Angeklagten, weshalb dieser angab, der Geschlechtsverkehr sei seitens der Zeugin freiwillig erfolgt. Dieser Auffassung folgte das Gericht nicht, sondern betrachtete Geschlechtsverkehr als für den Angeklagten erkennbar nicht einvernehmlich und deshalb als Vergewaltigung; The Prosecutor v. Kunarac, Kovacˇ and Vukovic´, IT-96-23 & IT-96-23/1, Judgement, 22. Februar 2001, Abs. 643 – 647. 49 The Prosecutor v. Kunarac, Kovac and Vukovic, IT-96-23 & IT-96-23/1, Judgement, 22. Februar 2001, Abs. 442, 457 ff. 50 The Prosecutor v. Kunarac, Kovac and Vukovic, IT-96-23 & IT-96-23/1, Judgement, 22. Februar 2001, Abs. 452.
A. Völkerstrafrechtliche Definition
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to effect this sexual penetration, and the knowledge that it occurs without the consent of the victim.“51
Damit stellt das Gericht statt auf Zwang, Gewalt oder Drohung mit Gewalt, die in vielen Rechtsordnungen berücksichtigt werden, maßgeblich auf die Freiwilligkeit des Geschlechtsverkehrs bzw. das Einverständnis des Opfers damit ab und gibt so dem Willen des Opfers entscheidende Bedeutung52 – im objektiven wie im subjektiven Tatbestand.53 Vergewaltigung sei damit ein Verbrechen gegen die sexuelle Autonomie des Opfers und liege vor, wenn das Opfer dem Geschlechtsakt nicht aus freien Stücken zu(ge)stimmt (hat).54 In dieser Präzisierung liegt nach Auffassung des Gerichts keine wesentliche Abweichung von der Rechtsprechung aus Furundzˇ ija55 – sondern wohl vielmehr eine Präzisierung aufgrund der Umstände des Falles. Damit ist nach der Definition aus dem Fall gegen Kunarac das fehlende Einverständnis des Opfers Tatbestandsmerkmal der Vergewaltigung als völkerrechtlichem Verbrechen. 2. Das Nicht-Einverständnis (,non-consent‘) des Opfers als Tatbestandsmerkmal von Vergewaltigung als völkerrechtlichem Verbrechen (Appeal) Die Angeklagten legten u. a. wegen dieser Definition von Vergewaltigung, die maßgeblich auf die (Nicht-)Einwilligung des Opfers mit dem Geschlechtsakt abstellt, Berufung ein. Sie legten insbesondere dar, dass eine Vergewaltigung ,andauernden‘ und ,echten Widerstand‘ des Opfers gegen den Sexualkontakt erfordere, da sonst anzunehmen sei, dass das Opfer mit dem Geschlechtsakt einverstanden (gewesen) sei.56 Die Berufungskammer des ICTY wies diese Begründung nachdrücklich zurück, da diese keine Grundlage im Völkergewohnheitsrecht finde und die Annahme, dass ausschließlich andauernder und echter Widerstand des Opfers dem Täter angemessen zu verstehen gebe, dass seine Handlungen unerwünscht sind, rechtlich falsch und faktisch abwegig sei.57 51 The Prosecutor v. Kunarac, Kovac and Vukovic, IT-96-23, Judgement, 22. Februar 2001, Abs. 460. 52 The Prosecutor v. Kunarac, Kovac and Vukovic, IT-96-23, Judgement, 22. Februar 2001, Abs. 440. 53 Vgl. Hayes, Creating a Definition or Rape in International Law, in: Darcy/Powderly, Judicial Creativity at the International Tribunals, S. 129 – 156 (142). 54 The Prosecutor v. Kunarac, Kovac and Vukovic, IT-96-23, Judgement, 22. Februar 2001, Abs. 457. 55 The Prosecutor v. Kunarac, Kovac and Vukovic, IT-96-23, Judgement, 22. Februar 2001, Abs. 459. 56 The Prosecutor v. Kunarac, Kovac and Vukovic, IT-96-23/1, Appeals Chamber Judgement, 12. Juni 2002, Abs. 125. 57 The Prosecutor v. Kunarac, Kovac and Vukovic, IT-96-23/1, Appeals Chamber Judgement, 12. Juni 2002, Abs. 128: „(…)(T)he Appeals Chamber believes that it is worth emphasising two points: First, it rejects the Apellants’ ,resistance‘ requirement, an addition for which they have offered no basis in customary international law. The Appellants’ bald assertion that
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6. Kap.: Probleme des Tatbestands der Vergewaltigung
Des Weiteren bestätigte die Berufungskammer im Wesentlichen die erstinstanzliche Definition der Vergewaltigung mit einigen wichtigen Änderungen: Das erstinstanzliche Urteil stellte auf das fehlende Einverständnis des Opfers statt auf den Einsatz von Gewalt ab, um die Möglichkeit auszuschließen, dass Täter der Verantwortung für sexuelle Handlungen gegen den Willen der Opfer entgehen, weil sie sich statt des Einsatzes physischer Gewalt mit Zwang verbundener Umständen bedienen.58 Dagegen rückte das Berufungsurteil die Tatsache, dass die Umstände von Taten, die als Kriegsverbrechen oder Verbrechen gegen die Menschlichkeit angeklagt werden, allgemein mit Zwang verbunden sind in den Vordergrund. Folglich sei ein wahres Einverständnis des Opfers unmöglich.59 Für diese Auffassung wurden nationale Rechtsordnungen zitiert, in denen sexuelle Kontakte zwischen Gefängnisinsassen und Gefängniswärtern ungeachtet des möglichen Einverständnisses der Beteiligten strafbar sind, da mit der Haftsituation ein Macht-Ungleichgewicht verbunden ist, dem auch ein gewisser Zwang für die Insassen innewohnt, was ein wirkliches Einverständnis des Insassen ausschließt. Dass diese Rechtsordnungen Gefängnisinsassen, die substantiellen Rechtsschutz genießen, schützen, zeige die Notwendigkeit im vorliegenden Fall das Nicht-Einverständnis des Opfers zu unterstellen.60 Die Berufungskammer schließt mit der Feststellung, dass die Umstände des Falles mit solchem Zwang verbunden waren, dass jedes Einverständnis ausgeschlossen sei.61 Auffällig an dieser Formulierung ist die Ähnlichkeit mit der Formulierung aus Akayesu, in der lediglich „mit Zwang verbundene Umstände“ (,coercive circumstances‘) gefordert waren.62 Hierin scheint – trotz der evidenten Unterschiede der einzelnen Urteile – ein Bemühen der Berufungskammer um eine einheitliche Rechtsprechung zum Ausdruck zu kommen. Hinsichtlich des Tatbestandsmerkmals des Nicht-Einverständnisses des Opfers mit dem Geschlechtsverkehr scheint sich die Argumentation sowohl des erstinstanzlichen Urteils als auch des Berufungsurteils im Kreis zu drehen: Einerseits wird das Tatbestandsmerkmal des Nicht-Einverständnisses des Opfers gefordert, da Genothing short of continuous resistance provides adequate notice to the perpetrator that his attentions are unwanted is wrong on the law and absurd on the facts.“ 58 The Prosecutor v. Kunarac, Kovac and Vukovic, IT-96-23/1, Appeals Chamber Judgement, 12. Juni 2002, Abs. 129. 59 The Prosecutor v. Kunarac, Kovac and Vukovic, IT-96-23/1, Appeals Chamber Judgement, 12. Juni 2002, Abs. 130: „(…) (I)t is worth observing that the circumstances giving raise to the instant appeal and that prevail in most cases charged as either war crime or crimes against humanity will be almost universally coercive. That is to say, true consent will not be possible.“ 60 The Prosecutor v. Kunarac, Kovac and Vukovic, IT-96-23/1, Appeals Chamber Judgement, 12. Juni 2002, Abs. 131. 61 The Prosecutor v. Kunarac, Kovac and Vukovic, IT-96-23/1, Appeals Chamber Judgement, 12. Juni 2002, Abs. 132: „(…) the coercive circumstances present in this case made consent to the instant sexual acts by the Appellants impossible.“ 62 Siehe oben a) bb); vgl. MacKinnon, Defining Rape Internationally, Columb. J. Transnat’l L. 44 (2006), S. 944 – 958 (951).
A. Völkerstrafrechtliche Definition
177
walt oder Zwang als Tatbestandsmerkmale zu eng seien und Nicht-Einverständnis auch in Fällen vorliegen könne, in denen Gewalt oder Zwang nicht unmittelbar vorlägen; andererseits schließen mit Zwang verbundene Umstände – wie hier die Quasi-Inhaftierung der Zeuginnen – das Einverständnis des Opfers, das im Zusammenhang mit den Umständen der Tat zu bestimmen ist, aus. Insoweit erscheint fraglich, welchen Mehrwert die Einführung des Tatbestandsmerkmals des NichtEinverständnisses des Opfers mit dem Geschlechtsverkehr gegenüber der Tatbestandsmerkmale der Gewalt, Drohung mit Gewalt oder Zwang aus Furundzˇ iya oder der mit Zwang verbundenen Umstände aus Akayesu hat.63
VI. Kvocˇ ka (ICTY – 2001) In dem Verfahren gegen die Angeklagten Miroslav Kvocˇ ka, Milojica Kos, Mlad¯o Radic´, Zoran Zˇ igic´ und Dragoljub Prcac´ ging es um Geschehnisse im serbischen Gefangenenlager Omarska, in dem die nicht-serbischen Häftlinge in einer Atmosphäre des Terrors unter unmenschlichen Bedingungen festgehalten wurden.64 Unter anderem war dort eine Gruppe von etwa 35 Frauen inhaftiert, die regelmäßig sexuell eingeschüchtert und genötigt wurden. Häufig wurden die inhaftierten Frauen nachts geholt und vergewaltigt oder anderweitig sexuell misshandelt.65 Die Angeklagten waren deshalb inter alia wegen den Vorwürfen der sexuellen Gewalt und der Vergewaltigung in Form der unmenschlichen Behandlung und Verfolgung wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit gemäß Art. 5 (h) und (i) sowie als Verstöße gegen die persönliche Würde als Verbrechen gegen die Gesetze und Gebräuche des Krieges gemäß Art. 3 (1) (c) des ICTY-Statuts angeklagt. Hinsichtlich der Definition des Tatbestands der Vergewaltigung wird in der Entscheidung im Fall Kvocˇ ka et al. zunächst die konzeptionelle Definition aus Akayesu erwähnt, deren Elemente durch die mechanische Definition aus Furundzˇ ija verdeutlicht worden seien.66 Die Entscheidung folgt weiter der Definition aus dem Verfahren gegen Kunarac et al. und betrachtet das Verbrechen der Vergewaltigung somit – ohne über die Erläuterungen aus dem Urteil im Verfahren gegen Kunarac et
63
de Brouwer, Supranational Criminal Prosecution of Sexual Violence, S. 119; Hayes, Creating a Definition of Rape in International Law, in: Darcy/Powderly, Judicial Creativity at the International Criminal Tribunals, S. 129 – 156 (143). 64 The Prosecutor v. Miroslav Kvocˇ ka, Milojica Kos, Mlad¯o Radic´, Zoran Zˇ igic´, Dragoljub Prcac´, IT-98-30, Judgement, 2. November 2001, Abs. 116 – 117. Für eine Zusammenfassung der Hintergründe und Geschehnisse siehe auch Grewe, Vergewaltigung als Völkermord, S. 216 – 219. 65 The Prosecutor v. Miroslav Kvocˇ ka, Milojica Kos, Mlad¯o Radic´, Zoran Zˇ igic´, Dragoljub Prcac´, IT-98-30, Judgement, 2. November 2001, Abs. 98 – 108. 66 The Prosecutor v. Miroslav Kvocˇ ka, Milojica Kos, Mlad¯o Radic´, Zoran Zˇ igic´, Dragoljub Prcac´, IT-98-30, Judgement, 2. November 2001, Abs. 175.
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6. Kap.: Probleme des Tatbestands der Vergewaltigung
al. hinauszugehen – als Verletzung der sexuellen Autonomie des Opfers.67 Weiter unterstreicht das Urteil die Erkenntnis aus dem Verfahren gegen Mucic´ et al., dass mit einem bewaffneten Konflikt auch mit Zwang verbundene Umstände einhergehen und die Erkenntnis aus dem Urteil gegen Furundzˇ ija, dass jede Form der Gefangenschaft das Einverständnis ausschließt.68 Im Gegensatz zu der Definition der Vergewaltigung aus der Entscheidung Kunarac et al. folgt das Urteil gegen Kvocˇ ka et al. jedoch der Definition von sexueller Gewalt aus Akayesu, wonach unter sexueller Gewalt „any act of a sexual nature which is committed under circumstances which are coercive“
zu verstehen ist.69 Bemerkenswert an diesem Urteil scheint das Bemühen des Gerichts – ähnlich wie bereits im Urteil der Berufungskammer im Fall Kunarac – die vorhergehenden Urteile, so widersprüchlich sie auf den ersten Blick erscheinen, homogen und miteinander konform auszulegen.
VII. Semanza (ICTR – 2003) Im Verfahren gegen Laurent Semanza, einem langjährigen Bourgmestre der Bicumbi Commune, Ruanda ging es um eine Anklage wegen Völkermords, Anstiftung zum Völkermord, Mittäterschaft/Beihilfe zum Völkermord sowie um Verbrechen gegen die Menschlichkeit in Form von Vergewaltigung, Verfolgung und Ausrottung und um Verletzungen des gemeinsamen Artikels drei der GA und des ZP II gemäß der Art. 2, 3 und 4 des Statuts des ICTR. Hinsichtlich der Definition der Vergewaltigung im Urteil gegen Semanza berücksichtigt die Verfahrenskammer des ICTR die konzeptionelle weite Definition aus dem Fall Akayesu sowie die engere mechanische Definition der Berufungskammer im Fall Kunarac et al. nach der das freiwillige und freie Einverständnis des Opfers mit dem Geschlechtsverkehr erforderlich und im Lichte der Umstände des Falles zu untersuchen ist.70 Trotz der ursprünglichen Ablehnung dieser mechanischen Definition der Vergewaltigung durch den ICTR, schließt sich das Urteil dieser Definition im Fall Semanza – erstmalig – an, da die vergleichende Analyse des Berufungsurteils im Fall Kunarac et al. überzeugend sei.71 Eine nähere Begründung für diese abweichende Rechtsprechung gibt das Urteil nicht. The Prosecutor v. Miroslav Kvocˇ ka, Milojica Kos, Mlad¯o Radic´, Zoran Zˇ igic´, Dragoljub Prcac´, IT-98-30, Judgement, 2. November 2001, Abs. 176. 68 The Prosecutor v. Miroslav Kvocˇ ka, Milojica Kos, Mlad¯o Radic´, Zoran Zˇ igic´, Dragoljub Prcac´, IT-98-30, Judgement, 2. November 2001, Abs. 178. 69 The Prosecutor v. Miroslav Kvocˇ ka, Milojica Kos, Mlad¯o Radic´, Zoran Zˇ igic´, Dragoljub Prcac´, IT-98-30, Judgement, 2. November 2001, Abs. 180 70 The Prosecutor v. Laurent Semanza, ICTR-97-20, Judgement and Sentence, 15. Mai 2003, Abs. 344. 71 The Prosecutor v. Laurent Semanza, ICTR-97-20, Judgement and Sentence, 15. Mai 2003, Abs. 345: „While this mechanical style of defining rape was originally rejected by this 67
A. Völkerstrafrechtliche Definition
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VIII. Niyitegeka (ICTR – 2003) Eliézer Niyitegeka hatte sich unter anderem wegen des Vorwurfs der Vergewaltigung als Verbrechen gegen die Menschlichkeit gemäß Art. 3 (g) des ICTR-Statuts zu verantworten. Auch wenn er aus Mangel an Beweisen von diesem Vorwurf – einen Tag nach dem das Urteil im Fall Semanza erging – freigesprochen wurde, bezog sich das Urteil wie selbstverständlich und ohne weitere Erklärung wieder auf die konzeptionelle Definition der Vergewaltigung, wonach letztere „a physical invasion of a sexual nature, committed under circumstances which are coercive“
ist.
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IX. Stakic´ (ICTY – 2003/2006) Auch wenn der ICTY seine Verurteilung im Verfahren gegen Milomir Stakic´ Vergewaltigung nicht als ,eigenes‘ völkerrechtliches Verbrechen, sondern als Verfolgung als Verbrechen gegen die Menschlichkeit gemäß Art. 5 seines Statuts verurteilte, bestätigte er in seinem Urteil die Definition der Vergewaltigung aus dem Verfahren gegen Kunarac, wonach es entscheidend auf das Nicht-Einverständnis des Opfers ankommt.73 Damit wich die Rechtsprechung des ICTY und ICTR erneut voneinander ab. Das Urteil stellt weiter fest, dass nicht nur Vergewaltigungen, sondern auch andere sexuelle Misshandlungen nach dem Völkerrecht strafbar sind.74 Erwähnenswert an dem erstinstanzlichen Urteil gegen Stakic´ erscheint darüber hinaus die Reminiszenz an die Qualifikation von Vergewaltigung als Verbrechen gegen die Ehre aus den GA von 1949: „For a women, rape is by far the ultimate offence, sometimes even worse than death because it brings shame on her.“75
Auch wenn hiermit die Schwere des Verbrechens zum Ausdruck gebracht werden soll, erscheint diese Aussage doch an der wahren Natur des Verbrechens der Ver-
Tribunal, the Chamber finds the comparative analysis in Kunarac to be persuasive and thus will adopt the definition of rape approved by the ICTY Appeals Chamber. In doing so, the Chamber recognises that other acts of sexual violence that do not satisfy this narrow definition may be prosecuted as other crimes against humanity within the jurisdiction of this Tribunal such as torture, persecution, enslavement, or other inhumane acts.“ 72 The Prosecutor v. Eliézer Niyitegeka, ICTR-96-14, Judgement and Sentence, 16. Mai 2003, Abs. 456 f. 73 The Prosecutor v. Milomir Stakic´, IT-97-24, Judgement and Sentence, 31. Juli 2003, Abs. 755 f. 74 The Prosecutor v. Milomir Stakic´, IT-97-24, Judgement and Sentence, 31. Juli 2003, Abs. 757. 75 The Prosecutor v. Milomir Stakic´, IT-97-24, Judgement and Sentence, 31. Juli 2003, Abs. 803.
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6. Kap.: Probleme des Tatbestands der Vergewaltigung
gewaltigung, nämlich der (völligen) gewaltsamen Unterwerfung des Opfers, vorbeizugehen.76
X. Kajelijeli (ICTR – 2003) Im einige Monate später ergangenen Urteil im Verfahren gegen Juvénal Kajelijeli argumentiert der ICTR wiederum ähnlich wie im Fall Semanza und stellte nach Erwähnung der konzeptionellen Definition aus Akayesu fest, dass die Definition der Vergewaltigung aus dem Fall Furundzˇ ija des ICTY, die mit Bezug auf den subjektiven Tatbestand durch die Entscheidung im Fall Kunarac et al. weiterentwickelt wurde, überzeugend sei: „Given the evolution of the law in this area, culminating in the endorsement of the Furundzˇ ija/Kunarac approach by the ICTY Appeals Chamber, the Chamber finds the latter approach of persuasive authority and hereby adopts the definition as given in Kunarac and quoted above. The mental element of the offence of rape as a crime against humanity is the intention to effect the above described sexual penetration, with the knowledge that it was being done without the consent of the victim.“77
XI. Kamuhanda (ICTR) – 2004 Gegenstand des Verfahrens gegen Jean de Dieu Kamuhanda, einem ehemaligen Minister für „Higher Education and Scientific Research“ der ruandischen Interimsregierung, vor dem ICTR waren ebenfalls Vorwürfe des Völkermordes und der Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Hinsichtlich der Definition der Vergewaltigung wiederholte die Verfahrenskammer die Argumente aus dem Urteil im Fall Kajelijeli fast wortgleich und folgte damit ebenfalls der mechanischen Definition der Vergewaltigung aus Furundzˇ ija/Kunarac et al. (nach Kenntnisnahme der konzeptionellen Definition aus Akayesu), wobei der subjektive Tatbestand die Kenntnis des fehlenden Einverständnisses des Opfers mit dem Geschlechtsverkehr voraussetzt.78
XII. Muhimana (ICTR – 2005) Im Gegensatz zu den Urteilen in den Fällen Kajelijeli und Kamuhanda folgte der ICTR in seinem Urteil gegen Mikaeli Muhimana jedoch wieder der konzeptionellen Definition der Vergewaltigung. Auch Muhimana, ein ehemaliger Conseiller im Sektor Gishyita, musste sich vor dem ICTR aufgrund von Anklagen wegen Völ76
Eriksson, Defining Rape, S. 442. The Prosecutor v. Juvénal Kajelijeli, ICTR-98-44A, Judgement and Sentence, 1. Dezember 2003, Abs. 915. 78 The Prosecutor v. Jean de Dieu Kamuhanda, ICTR-99-54, Judgement, 22. Januar 2004, Abs. 705 – 710. 77
A. Völkerstrafrechtliche Definition
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kermordes und Verbrechen gegen die Menschlichkeit – unter anderem durch Vergewaltigung sowie für Anstiftung und Anordnung von sexueller Gewalt79 – verantworten. In dem Verfahren hatten sich sowohl die Verteidigung als auch die Anklagebehörde übereinstimmend für die konzeptionelle Definition der Vergewaltigung aus Akayesu ausgesprochen. 80 Die Verfahrenskammer untersuchte daraufhin die völkerstrafrechtliche Entwicklung der Definition von Vergewaltigung und kam zu dem Ergebnis, dass die konzeptionelle Definition aus dem Urteil gegen Akayesu vom ICTY in dem Urteil gegen Kunarac et al. stillschweigend akzeptiert worden sei.81 Die Definitionen aus den Fällen Furundzˇ ija und Kunarac et al. stünden – trotz anderslautender Interpretationen des ICTRs selbst wie etwa im Urteil gegen Semanza – in einer Linie mit der Definition aus Akayesu und enthielten nur zusätzliche Hinweise, was genau unter Vergewaltigung zu verstehen sei.82 Die Kammer kommt daher in ihrem Urteil zu dem Schluss, dass die Definitionen aus Akayesu und Kunarac nicht unvereinbar oder grundlegend unterschiedlich in ihrer Anwendung sind – während die Defnition aus Akayesu sich auf das – weite – physische Eindringen sexueller Natur bezieht, verdeutlicht die Definition aus Kunarac die Faktoren, die ein physisches Eindringen sexueller Natur zur Vergewaltigung machen.83 Die Kammer folgte daher der konzeptionellen Definition aus Akayesu, die die in Kunarac enthaltenen Elemente umfasst.84 Das Urteil des ICTR im Fall Muhimana erscheint aufgrund des Versuchs, die bis dato augenscheinlich divergierende Rechtsprechung der Ad hoc- Tribunale miteinander in Einklang zu bringen, als sehr beachtlich. Indem das Urteil aufzeigt, dass das Element des Zwangs aus der konzeptionellen Definition der Vergewaltigung aus Akayesu auch in den beiden mechanischen Definitionen aus den Fällen Furundzˇ ija und Kunarac enthalten ist, hebt es die vermeintlichen Widersprüche zwischen den 79 The Prosecutor v. Mikaele Muhimanda, ICTR-95-1B, Judgement and Sentence, 28. April 2005, Abs. 16 – 33. 80 The Prosecutor v. Mikaele Muhimanda, ICTR-95-1B, Judgement and Sentence, 28. April 2005, Abs. 535. 81 The Prosecutor v. Mikaele Muhimanda, ICTR-95-1B, Judgement and Sentence, 28. April 2005, Abs. 541. 82 The Prosecutor v. Mikaele Muhimanda, ICTR-95-1B, Judgement and Sentence, 28. April 2005, Abs. 549: „This Chamber considers that Furundzˇija and Kunarac – which sometimes have been construed as departing from the Akayesu definition of rape – as was done in Semanza – actually are substantially aligned to this definition and provide additional details on the constituent elements of acts considered to be rape.“ 83 The Prosecutor v. Mikaele Muhimanda, ICTR-95-1B, Judgement and Sentence, 28. April 2005, Abs. 550: „The Chamber takes the view that the Akayesu definition and the Kunarac elements are not incompatible or substantially different in their application. Whereas Akayesu referred broadly to a ,physical invasion of a sexual nature’, Kunarac went on to articulate the parameters of what would constitute a physical invasion of a sexual nature amounting to rape.“ und Abs. 551: „On the basis of the foregoing analysis, the Chamber endorses the conceptual definition or rape established in Akayesu, which encompasses the elements set out in Kunarac.“ 84 The Prosecutor v. Mikaele Muhimanda, ICTR-95-1B, Judgement and Sentence, 28. April 2005, Abs. 551.
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6. Kap.: Probleme des Tatbestands der Vergewaltigung
Definitionen auf und kombiniert sie zu einer einheitlichen Linie.85 Dies gelingt insbesondere durch die Feststellung, dass einerseits das Vorhandensein von Zwang die Frage nach dem Einverständnis des Opfers mit dem Geschlechtsverkehr ausschließt und andererseits die Umstände in Verfahren wegen völkerstrafrechtlicher Taten wie Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit oder Kriegsverbrechen im Allgemeinen mit Zwang verbunden sind, so dass wahres Einverständnis des Opfers ausgeschlossen ist.86 Unklar bleibt in den Ausführungen dieses Urteils jedoch, ob das fehlende Einverständnis des Opfers (non-consent) oder Zwang das entscheidende (subjektive) Tatbestandsmerkmal des Verbrechens ist.87
XIII. Gacumbitsi (ICTR – 2004/2006) Aufgrund der Unklarheiten bezüglich der Tatbestandsmerkmale von Vergewaltigung als völkerrechtlichem Verbrechen bat die Anklagebehörde im Berufungsverfahren gegen Sylvestre Gacumbitsi das Gericht um Klärung der Frage, ob das fehlende Einverständnis des Opfers ein Tatbestandsmerkmal des völkerstrafrechtlichen Verbrechens der Vergewaltigung ist.88 1. Trial Judgement Vorausgegangen war ein erstinstanzliches Verfahren, in dem der angeklagte ehemalige langjährige Bourgmestre der Gemeinde Rusomo, Ruanda Sylvestre Gacumbitsi wegen Völkermordes und wegen Ausrottung und Anstiftung zur Vergewaltigung als Verbrechen gegen die Menschlichkeit nach Art. 3 (g) des ICTR-Statuts zu 30 Jahren Haft verurteilt worden war. Dieser Verurteilung lagen Geschehnisse während des so genannten Völkermordes in Ruanda zugrunde, während derer unter anderem einzelne oder mehrere Frauen Opfer von Gruppenvergewaltigungen durch mehr als zehn Täter, von sexueller Sklaverei und 85
Hayes, Creating a Definition of Rape in International Law, in: Darcy/Powderly, Judicial Creativity at the International Criminal Tribunals, S. 129 – 156 (145 f.). 86 The Prosecutor v. Mikaele Muhimanda, ICTR-95-1B, Judgement and Sentence, 28. April 2005, Abs. 546: „(…) (C)oercion is an element that may obviate the relevance of consent as an evidentiary factor in the crime of rape. Further, this Chamber concurs with the opinion that circumstances prevailing in most cases charged under international criminal law, as either genocide, crimes against humanity, or war crimes, will be almost universally coercive, thus vitiating true consent.“ 87 Hayes, Creating a Definition of Rape in International Law, in: Darcy/Powderly, Judicial Creativity at the International Criminal Tribunals, S. 129 – 156 (146). Vgl. auch Eriksson, Defining Rape, S. 421, die davon ausgeht, dass nach dem Urteil im Fall Muhimana das fehlende Einverständnis des Opfers kein Tatbestandsmerkmal, sondern Beweis für das Vorliegen von Zwang ist. 88 The Prosecutor v. Sylvestre Gacumbitsi, ICTR-2001-64, Appeal Judgement, 7. Juli 2006, Abs. 150. Siehe auch Schomburg/Peterson, Genuine Consent to Sexual Violence Under International Criminal Law, AJIL 101 (2007), S. 121 – 140 (136).
A. Völkerstrafrechtliche Definition
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anderer brutalster sexueller Handlungen – etwa dem gewaltsamen Einführen von Stöcken in die Vagina der Opfer – wurden, wobei diese Übergriffe gegen alle Tutsi Frauen gerichtet waren.89 Die Verfahrenskammer war dabei, ähnlich wie im Fall gegen Muhimana, von einer Definition der Vergewaltigung ausgegangen, die die konzeptionelle und die mechanische Definition miteinander verbindet: „(…) any penetration of the victim’s vagina by the rapist with his genitals or with any other object constitutes rape, although the definition or rape under Art. 3 (g) of the Statute is not limited to such acts alone. (…).“90
Ohne auf die Frage, ob Zwang oder das fehlende Einverständnis (non-consent) des Opfers mit der Tathandlung Tatbestandsmerkmal der Vergewaltigung als völkerrechtlichem Verbrechen ist, einzugehen, stellte die Verfahrenskammer weiter fest, dass die Aussagen des Angeklagten und die Tatsache, dass die Opfer vor ihren Angreifern flüchteten, das fehlende Einverständnis der Opfer mit den Vergewaltigungen hinreichend bewiesen.91 Wie im Urteil gegen Muhimana, das im folgenden Jahr erlassen wurde, versuchte die Kammer also die vorhergehende Rechtsprechung aus den Fällen Akayesu und Furundzˇ ija/Kunarac miteinander in Einklang zu bringen, ohne zu erläutern, ob Zwang oder das fehlende Einverständnis des Opfers Tatbestandsmerkmal des Verbrechens der Vergewaltigung ist. 2. Appeal Judgement Aufgrund der allgemeinen Bedeutung der Frage nach den Tatbestandsmerkmalen von Vergewaltigung bat die Anklagebehörde die Berufungskammer um Klärung – jedoch ohne einen Fehler der Verfahrenskammer zu behaupten, da diese festgestellt hatte, dass die Umstände des Falles aufgrund des damit verbundenen Zwangs, die Möglichkeit des Einverständnisses des Opfers ausschlossen.92 Die Anklagebehörde führte in ihrer Berufung an, dass das Nicht-Einverständnis des Opfers und das Wissen darum seitens des Täters kein Tatbestandselement des völkerrechtlichen Verbrechens der Vergewaltigung sein könne und folglich auch nicht bewiesen werden müsse. Stattdessen sei das – mögliche – Einverständnis des Opfers als affirmative defence, 89 The Prosecutor v. Sylvestre Gacumbitsi, ICTR-2001-64, Judgement and Sentence, 17. Juni 2004, Abs. 200 – 209; siehe auch Cole, Prosecutor v. Gacumbitsi: The New Definition for Prosecuting Rape, Int’l Crim. L. Rev. 8 (2008), S. 55 – 86 (63 – 65). 90 The Prosecutor v. Sylvestre Gacumbitsi, ICTR-2001-64, Judgement and Sentence, 17. Juni 2004, Abs. 321; Prosecutor v. Sylvestre Gacumbitsi, ICTR-2001-64, Appeal Judgement, 7. Juli 2006, Abs. 150. 91 The Prosecutor v. Sylvestre Gacumbitsi, ICTR-2001-64, Judgement and Sentence, 17. Juni 2004, Abs. 325: „Under such circumstances, the utterances made by the Accused to the effect that in case or resistance the victims should be killed in an atrocious manner, and the fact that rape victims were attacked by those they were fleeing from, adequately establish the victims’ lack of consent to the rapes.“ 92 The Prosecutor v. Sylvestre Gacumbitsi, ICTR-2001-64, Appeal Judgement, 7. Juli 2006, Abs. 150.
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6. Kap.: Probleme des Tatbestands der Vergewaltigung
also eine Verteidigungsmöglichkeit des Täters anzusehen, die den Beschränkungen der Verfahrens- und Beweisregel 96 unterliege.93 Hierfür brachte die Anklagebehörde zwei Argumente vor: (1) falle das Verbrechen der Vergewaltigung nur in den Zuständigkeitsbereich der Ad hoc-Tribunale, wenn es im Zusammenhang mit Völkermord, bewaffneten Konflikten, oder ausgedehnten oder systematischen Angriffen gegen die Zivilbevölkerung vorkäme – Umstände die ein wirkliches Einverständnis des Opfers unmöglich machten94 und (2) müsse Vergewaltigung im gleichen Licht wie andere völkerrechtliche Verbrechen, insbesondere Folter und Versklavung, gesehen werden, für die das Nicht-Einverständnis des Opfers ebenfalls kein Tatbestandsmerkmal sei und folglich nicht bewiesen werden müsse. Außerdem ergebe sich aus der Verfahrens- und Beweisregel 96, dass das Einverständnis ein Verteidigungsgrund (affirmative defence) sei, der durch den Angeklagten erhoben und bewiesen werden müsse.95 Für dieses Argument spricht, dass Vergewaltigung von den Ad hoc-Tribunalen wiederholt unter Folter subsumiert wurde und fehlendes Einverständnis ebenfalls kein Tatbestandsmerkmal von Versklavung ist.96 Die Berufungskammer schloss sich dem Vorbringen der Anklagebehörde hinsichtlich der Bedeutung für die Rechtsprechung der Ad hoc-Tribunale an. Sie befasste sich diesbezüglich mit zwei Fragen: 1. „(…)(A)re non-consent and the knowledge thereof elements of the crime of rape, or is consent instead an affirmative defence?“ und 2. „(…)(I)f they are elements, how may they be proved?.“97
Bezüglich der ersten Frage folgte die Berufungskammer der Entscheidung im Fall Kunarac, wonach das fehlende Einverständnis des Opfers und die Kenntnis des Angeklagten hiervon, Tatbestandsmerkmale (elements of crimes) von Vergewaltigung als Verbrechen gegen die Menschlichkeit sind. Hieraus ergibt sich, dass die Anklagebehörde das (Nicht-)Vorliegen dieser Tatbestandsmerkmale über vernünftige Zweifel hinaus, beweisen muss.98 Was die Verfahrens- und Beweisregel 96 betrifft, stellte die Berufungskammer wie im Fall Kunarac erneut fest, dass diese das 93 The Prosecutor v. Sylvestre Gacumbitsi, ICTR-2001-64, Appeal Judgement, 7. Juli 2006, Abs. 147. Zu den Beschränkungen der Verfahrens- und Beweisregel 96 siehe oben 5. Kapitel, A. II. 1. 94 The Prosecutor v. Sylvestre Gacumbitsi, ICTR-2001-64, Appeal Judgement, 7. Juli 2006, Abs. 148. 95 The Prosecutor v. Sylvestre Gacumbitsi, ICTR-2001-64, Appeal Judgement, 7. Juli 2006, Abs. 149. 96 Hayes, Creating a Definition of Rape in International Law, in: Darcy/Powderly (Hrsg.), Judicial Creativity at the International Criminal Tribunals, S. 129-156 (147); siehe auch The Prosecutor v. Kunarac, Kovac and Vukovic, IT-96-23/1, Appeals Chamber Judgement, 12. Juni 2002, Abs. 120. 97 The Prosecutor v. Sylvestre Gacumbitsi, ICTR-2001-64, Appeal Judgement, 7. Juli 2006, Abs. 152. 98 The Prosecutor v. Sylvestre Gacumbitsi, ICTR-2001-64, Appeal Judgement, 7. Juli 2006, Abs. 153.
A. Völkerstrafrechtliche Definition
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Einverständnis des Opfers zwar als Verteidigung nennt, die Verfahrens- und Beweisregeln jedoch die Tatbestandsmerkmale der Verbrechen im Zuständigkeitsbereich des Gerichtshofs, die sich aus seinem Statut und dem Völkerrecht ergeben, nicht umdefinieren. Folglich müsse die Verfahrens- und Beweisregel dahingehend verstanden werden, dass sie lediglich die Umstände nennt bei deren Vorliegen Beweise hinsichtlich eines (möglichen) Einverständnisses des Opfers zulässig sind.99 Hinsichtlich der Frage nach der möglichen Beweisführung berücksichtigte das Berufungsurteil im Fall Gacumbitsi die praktischen Schwierigkeiten der Anklagebehörde und führte aus, dass das Nicht-Einverständnis des Opfers über vernünftige Zweifel hinaus auch durch den Beweis zwingender Umstände unter denen ein wahres Einverständnis unmöglich ist, erfolgen kann. Dies heißt auch, dass – wie im zu entscheidenden Fall geschehen – aufgrund der Hintergründe des Falls wie etwa einer andauernden Völkermord-Kampagne oder der andauernden Haft des Opfers auf das fehlende Einverständnis geschlossen werden kann.100 Was die Kenntnis des Angeklagten vom Nicht-Einverständnis des Opfers betrifft, gelten ähnliche Erwägungen: So kann sie etwa durch den Beweis der Kenntnis des Angeklagten von den mit Zwang verbundenen Umständen, die die Möglichkeit des wahren Einverständnisses ausschließen, bewiesen werden.101 Damit hielt die gemeinsame Berufungskammer der beiden Ad hoc-Tribunale an dem fehlenden Einverständnis des Opfers mit dem Geschlechtsverkehr als völkerstrafrechtlichem Tatbestandsmerkmal der Vergewaltigung fest. Im Unterschied zur früheren Rechtsprechung im Fall Kunarac wurde das Erfordernis des fehlenden Einverständnisses im Fall Gacumbitisi jedoch nicht (mehr) auf nationale Rechtsordnungen als subsidiäre Quelle des Völkerrechts gestützt – ohne jedoch eine dogmatische Begründung dafür zu geben, warum das völkerrechtliche Verbrechen der Vergewaltigung statt Zwang das fehlende Einverständnis des Opfers mit dem Geschlechtsakt voraussetzt, wo doch das Vorliegen von Zwang selbiges beweist.102 99 The Prosecutor v. Sylvestre Gacumbitsi, ICTR-2001-64, Appeal Judgement, 7. Juli 2006, Abs. 154. 100 The Prosecutor v. Sylvestre Gacumbitsi, ICTR-2001-64, Appeal Judgement, 7. Juli 2006, Abs. 155: „(…) The Prosecution can prove non-consent beyond reasonable doubt by proving the existence of coercive circumstances under which meaningful consent is not possible. (…) (I)t is not necessary, as a legal matter, for the Prosecution to introduce evidence concerning the words or conduct of the victim or the victim’s relationship to the perpetrator. Nor need it introduce evidence of force. Rather, the Trial Chamber is free to infer non-consent from the background circumstances, such as an ongoing genocide campaign or the detention of the victim.“ 101 The Prosecutor v. Sylvestre Gacumbitsi, ICTR-2001-64, Appeal Judgement, 7. Juli 2006, Abs. 157: „As to the accused’s knowledge of the absence of consent of the victim, which as Kunarac establishes is also an element of the offence of rape, similar reasoning applies. Knowledge of non-consent may be proven, for instance, if the Prosecution establishes beyond reasonable doubt that the accused was aware, or had reason to be aware, of the coercive circumstances that undermined the possibility of genuine consent.“ 102 Hayes, Creating a Definition of Rape in International Law, in: Darcy/Powderly (Hrsg.), Judicial Creativity at the International Criminal Tribunals, S. 129 – 156 (148).
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6. Kap.: Probleme des Tatbestands der Vergewaltigung
XIV. Weitere einschlägige Urteile der Ad hoc-Tribunale Im Verfahren gegen Dragan Zelenovic´ (ICTY – 2007) bekannte sich der Angeklagte im Rahmen eines sogenannten Plea Agreement, einer offiziellen Absprache im Strafprozess, wegen Vergewaltigung und Folter als Verbrechen gegen die Menschlichkeit sowie wegen Vergewaltigung und Folter in Mittäterschaft als Verbrechen gegen die Menschlichkeit gemäß Art. 5 (f) und (g) des ICTY-Statuts schuldig.103 Aus dieser Tatsache ergibt sich, dass die Definition der Vergewaltigung in diesem Verfahren nicht strittig war. Auch im Verfahren gegen Ramush Haradinaj, Idriz Balaj und Lahi Brahimaj (ICTY – 2008) bestätigte der ICTY die Definition des völkerrechtlichen Verbrechens der Vergewaltigung aus dem Fall Kunarac ohne erneute oder weitere Begründung.104 Ebenfalls ergab das Verfahren gegen Razim Delic´ (ICTY – 2008) keine neuen Erkenntnisse hinsichtlich des völkerrechtlichen Tatbestands der Vergewaltigung, da der Angeklagte vom Vorwurf der Vergewaltigung als Verstoß gegen die Gesetze und Gebräuche des Krieges nach Art. 3 des ICTY-Statuts frei gesprochen wurde (und sich ,nur‘ wegen grausamer Behandlung verantworten musste).105 Der ICTR bestätigte die Rechtsprechung aus Kunarac bzw. Gacumbitsi noch einmal in seinem Urteil gegen Théoneste Bagosora, Gratien Kabiligi, Aloys Ntabakuze und Anatole Nsengiyumva (ICTR – 2008/11).106 Im Verfahren gegen Vlastimir Ðord¯evic´ (ICTY – 2011) waren keine Vorwürfe der Vergewaltigung, sondern ,nur‘ der sexuellen Gewalt als Verbrechen gegen die Menschlichkeit (Art. 5 des ICTY-Statuts) Gegenstand des Verfahrens. Im Rahmen der Definition der sexuellen Gewalt bestätigt das Urteil jedoch auch die mechanische Definition der Vergewaltigung und das Erfordernis des Nicht-Einverständnisses des Opfers aus dem Fall Kunarac.107 Auch in den relativ neuen erstinstanzlichen Urteilen des ICTR gegen Pauline Nyiramasuhuko et al. (2011) und gegen Édouard Karemera und Matthieu Ngirumpatse (2012) schließlich folgte der ICTR der Definition der Vergewaltigung aus 103 The Prosecutor v. Dragan Zelenovic´, IT-96-23, Sentencing Judgement, 4. April 2007, Abs. 13. 104 The Prosecutor v. Ramush Haradinaj, Idriz Balaj und Lahi Brahimaj, IT-04-84, 3. April 2008, Abs. 130: „The crime of rape consists of the following elements: (a) sexual penetration however slight: (i) of the vagina or anus of the victim by the penis of the perpetrator or any other object used by the perpetrator; or (ii) of the mouth of the victim by the penis of the perpetrator; (b) the sexual penetration ocurred without the consent of the victim. Consent for this purpose must be given voluntarily; and (c) the sexual penetration was committed with intent and the knowledge that it ocurred without the consent of the victim.“ 105 The Prosecutor v. Razim Delic´, IT-04-83, Judgement, 15. September 2008, Abs. 21. 106 The Prosecutor v. Théoneste Bagosora, Gratien Kabiligi, Aloys Ntabakuze, Anatole Nsengiyumva, ICTR-98-41, 18. September 2008, Abs. 2199 f. 107 The Prosecutor v. Vlastimir Ðord¯evic´, IT-05-87, Judgement, 23. Februar 2011, Abs. 1766.
B. Gesamtbetrachtung
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den Fällen Kunarac und Gacumbitsi, ohne dass die Frage der Definition des völkerrechtlichen Tatbestands der Vergewaltigung erneut problematisiert wurde.108
B. Gesamtbetrachtung zur Definition des völkerstrafrechtlichen Tatbestands der Vergewaltigung mit Bewertung Die Rechtsprechung der Ad hoc-Tribunale zur völkerstrafrechtlichen Definition von Vergewaltigung ergab also zunächst drei verschiedene erheblich voneinander divergierende Definitionen des Tatbestands. Zum einen die konzeptionelle Definition der Vergewaltigung als völkerrechtlichem Verbrechen aus Akayesu und zum anderen die mechanische Definition aus Furundzˇ iya, die im Fall Kunarac um ein weiteres Tatbestandsmerkmal, nämlich das fehlende Einverständnis des Opfers mit dem Geschlechtsverkehr ergänzt wurde. Diese Definitionen erscheinen auf den ersten Blick nur schwerlich miteinander in Einklang zu bringen zu sein. Im Fall Gacumbitsi gelang der gemeinsamen Berufungskammer der beiden Ad hoc-Tribunale jedoch der Kunstgriff alle drei Definitionen in eine logische, miteinander im Einklang stehende Reihe zu bringen, indem sie – wie oben bereits erläutert – darlegte, dass das fehlende Einverständnis des Opfers zwar ein Tatbestandselement des völkerrechtlichen Verbrechens der Vergewaltigung ist, dieses jedoch mit dem Beweis von zwingenden Umständen unter denen das Verbrechen geschehen ist, hinreichend bewiesen werden kann – ohne die Opfer selbst zu ihrem Einverständnis befragen zu müssen und dadurch erneut zu verletzen.109 Im Vergleich zu der Auffassung aus Kunarac, wonach das Nicht-Einverständnis des Opfers selbst bewiesen werden musste, liegt hierin eine wesentliche Verbesserung.110 Trotzdem erscheint das von der Anklage zu beweisende Tatbestandselement des Nicht-Einverständnisses des Opfers mit der Tat als nicht unproblematisch, so dass an dieser Stelle näher zu untersuchen 108 The Prosecutor v. Pauline Nyiramasuhuko, Arsène Shalom Ntahobali, Syvain Nsabimana, Alphnose Nteziryakyo, Joseph Kanyabashi, Élie Ndayambaje, ICTR-9-42, Judgement and Sentence, 24. Juni 2011, Abs. 6075: „The actus reus of rape involves the non-consensual penetration, however slight, of the vagina or anus of the victim by the penis of the perpetrator or any other object used by the perpetrator, or of the mouth of the victim by the penis of the perpetrator. Consent for this purpose must be given voluntarily, as a result of the victim’s free will, assessed in the context of the surrounding circumstances. The mens rea is the intention to effect this sexual penetration, and the knowledge that it occurs without the consent of the victim. Force or threat of force provides clear evidence of non-consent, but force is not an element per se of rape.“ sowie The Prosecutor v. Édouard Karemera, Matthieu Ngirumpatse, ICTR-98-44, Judgement and Sentence, 2. Februar 2012, Abs. 1676. 109 Zum Problem wie die Frage nach dem Einverständnis auf Opferzeugen wirkt, siehe de Brouwer, Supranational Criminal Prosecution of Sexual Violence, S. 122 f.; vgl. Hayes, Creating a Definition of Rape in International Law, in: Darcy/Powderly (Hrsg.), Judicial Creativity at the International Criminal Tribunals, S. 129 – 156 (150). 110 Schomburg/Petersen, Genuine Consent to Sexual Violence under International Criminal Law, AJIL 101 (2007), S. 121 – 140 (140).
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6. Kap.: Probleme des Tatbestands der Vergewaltigung
ist, ob es tatsächlich ein unverzichtbares Tatbestandsmerkmal des völkerrechtlichen Verbrechens der Vergewaltigung oder unter den Rahmenbedingungen von völkerrechtlichen Verbrechen entbehrlich ist.
I. ,Non-consent‘ als Tatbestandselement der Vergewaltigung – Diskussion Die Ansichten zum Nicht-Einverständnis des Opfers als Tatbestandsmerkmal der Vergewaltigung als völkerrechtlichem Verbrechen sind vielfältig und überwiegend, aber nicht ausschließlich, kritisch. So wird die Definition aus Kunarac, die auf die Unmöglichkeit des freien Willens des Opfers in den besonderen – mit Zwang verbundenen Umständen – eines bewaffneten Konflikts abstellt, auch als hervorragende Art und Weise bezeichnet, das Element des Nicht-Einverständnisses des Opfers beizubehalten ohne die besonderen Umstände eines bewaffneten Konflikts außer acht zu lassen.111 Zunächst bedeutet das Tatbestandselement des Nicht-Einverständnisses des Opfers ganz konkret, dass die Anklage die Beweislast hat und das Nicht-Einverständnis des Opfers mit der Tat im Verfahren vor den Ad hoc-Tribunalen beweisen muss.112 Auch wenn nach der Rechtsprechung aus Gacumbitsi der Beweis von zwingenden Umständen unter denen ein wirkliches Einverständnis nicht erfolgen kann, für den Beweis des Nicht-Einverständnisses des Opfers ausreichend ist, bedeutet es doch, dass Opferzeugen während ihrer Aussage mindestens implizit befragt werden, ob sie mit dem Geschlechtsakt einverstanden waren. Dass dies im Rahmen des Vorstellbaren liegt, zeigt der Fall Kunarac, in dem die Zeugin 95 nach der Beschreibung der grausamen Umstände ihrer mehr als 150 Vergewaltigungen in 40 Tagen gefragt wurde, ob diese gegen ihren Willen erfolgt seien.113 Eine solche Frage an das Opfer kann von diesem nur als Ausdruck mangelnder Wertschätzung und als fehlendes Verständnis der Tragweite der von ihm erlittenen Grausamkeiten verstanden werden und wird deshalb der Akzeptanz des internationalen Strafrechts nicht helfen.114 Vor allem aber erscheint die Frage nach dem Einverständnis des Opfers angesichts der Umstände von Vergewaltigungen, die als völkerrechtliche Verbrechen verfolgt werden, als mindestens unangemessen, wenn nicht sogar zynisch. Schließlich handelt es sich dabei um Taten, die im Zusammenhang mit einem bewaffneten Konflikt, mit Völkermord oder einem ausgedehnten systematischen 111
Eriksson, Defining Rape, S. 440. The Prosecutor v. Sylvestre Gacumbitsi, ICTR-2001-64, Appeal Judgement, 7. Juli 2006, Abs. 153; Schomburg/Petersen, Genuine Consent to Sexual Violence Under International Criminal Law, AJIL 101 (2007); S. 121 – 140 (124). 113 de Brouwer, Supranational Criminal Prosecution of Sexual Violence, S. 122. 114 de Brouwer, Supranational Criminal Prosecution of Sexual Violence, S. 123; ähnlich Kalosieh, Consent to Genocide?: The ICTYs Improper Use of the Consent Paradigm to Prosecute Genocidal Rape, in: Foca, Women’s Rts. L. Rep. 24 (2002/03), S. 121 – 135 (134). 112
B. Gesamtbetrachtung
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Angriff gegen die Zivilbevölkerung begangen werden und daher mit Umständen verbunden sind, die ein auf dem freien Willen des Opfers beruhendes Einverständnis ausschließen.115 Letztlich kommt auch die Rechtsprechung der Ad hoc-Tribunale zu keinem anderen Ergebnis, da sie in allen bisher entschiedenen Fällen – insbesondere in Furundzˇ ija, Kunarac und Gacumbitsi – urteilte, dass die Umstände des jeweiligen Falles ein auf dem freien Willen des Opfers beruhendes Einverständnis ausschließen.116 Welcher Nutzen das Tatbestandselement des Nicht-Einverständnisses des Opfers hat, wenn es bereits mit dem Nachweis der chapeau-Merkmale der völkerrechtlichen Verbrechen zusammen fällt, aus denen sich die mit Zwang verbundenen Umstände ergeben, ist daher fraglich.117 Weiter scheint nicht nachvollziehbar, warum das Nicht-Einverständnis des Opfers ein Tatbestandsmerkmal der Vergewaltigung sein soll, wenn die gleiche Handlung – wie häufig der Fall sein wird – auch unter den allgemeineren Tatbeständen der Folter, der Verbrechen gegen die persönlichen Würde, der Verfolgung oder der Versklavung oder sogar als Völkermord verfolgt werden kann, ohne dass der Wille des Opfers eine Rolle spielt.118 Eine Vergewaltigung kann in der Regel auch unter die Tatbestände der Folter und/oder der unmenschlichen Behandlung subsumiert werden, weshalb nicht ersichtlich ist, warum der Wille des Opfers bei der Erfüllung des Tatbestands der Vergewaltigung eine Rolle spielen soll, während für die anderen Verbrechen, die auf exakt dem gleichen Lebenssachverhalt beruhen, unstrittig ist, dass der Wille des Opfers für den Tatbestand unerheblich ist und die Einwilligung des Opfers die Erfüllung des Tatbestandes nicht ausschließen kann.119 Für diese Tatbestände ist eine rechtfertigende Einwilligung des Opfers anerkanntermaßen ausgeschlossen.120 Umso mehr muss dieses für den Tatbestand des Völkermordes, der ein so zentrales Rechtsgut schützt, dass ein individueller Betroffener hierauf nicht verzichten kann, gelten. Nach einer Ansicht wird deshalb vertreten, dass das Erfordernis des Nicht115 Cole, Prosecutor v. Gacumbitsi: The New Definition for Prosecuting Rape, Int’l Crim. L. Rev. 8 (2008), S. 55 – 86 (79); Hayes, Creating a Definition of Rape in International Law, in: Darcy/Powderly (Hrsg.), Judicial Creativity at the International Criminal Tribunals, S. 129 – 156 (150). 116 Schomburg/Petersen, Genuine Consent to Sexual Violence Under International Criminal Law, AJIL 101 (2007); S. 121 – 140 (131,138). 117 Hayes, Creating a Definition of Rape in International Law, in: Darcy/Powderly (Hrsg.), Judicial Creativity at the International Criminal Tribunals, S. 129 – 156 (150). 118 Hayes, Creating a Definition of Rape in International Law, in: Darcy/Powderly (Hrsg.), Judicial Creativity at the International Criminal Tribunals, S. 129 – 156 (148); vgl. Werle, Principles of International Criminal Law, Rn. 725, der das Problem nicht thematisiert. 119 Schomburg/Petersen, Genuine Consent to Sexual Violence Under International Criminal Law, AJIL 101 (2007); S. 121 – 140 (126). 120 Kreicker, in: Eser/Kreicker, Nationale Strafverfolgung völkerrechtlicher Verbrechen, Bd. 1 Deutschland, S. 405; Schomburg/Petersen, Genuine Consent to Sexual Violence Under International Criminal Law, AJIL 101 (2007); S. 121 – 140 (127). Werle, Principles of International Criminal Law, Rn. 566-70, 645, 817-18 legt dar, dass die völkerrechtlichen Verbrechenstatbestände – neben Individualinteressen des Opfers – vor allem auch völkerrechtliche Interessen schützt.
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6. Kap.: Probleme des Tatbestands der Vergewaltigung
Einverständnisses des Opfers als Tatbestandsmerkmal der Vergewaltigung im Umkehrschluss bedeute, dass das Opfer der Folter oder sogar dem Völkermord zustimmen könne.121 Auch vor diesem Hintergrund erscheint das Tatbestandselement des Nicht-Einverständnisses des Opfers den Realitäten des Verbrechens der Vergewaltigung als völkerrechtlichem Verbrechen nicht gerecht zu werden. Die ursprüngliche Begründung des ICTY für die Einführung des Tatbestandselements des Nicht-Einverständnisses des Opfers war – wie bereits erwähnt – die Identifizierung der sexuellen Autonomie des Opfers als das eigentliche geschützte Rechtsgut des Verbrechens der Vergewaltigung in nationalen Rechtsordnungen. Eine Überlegung, die für das Verbrechen der Vergewaltigung unter normalen Umständen, die nicht im Zusammenhang mit völkerrechtlichen Verbrechen stehen, logisch nachvollziehbar und begründet erscheint. Allerdings sind die Umstände von Vergewaltigung als völkerrechtlichem Verbrechen andere als in Fällen, die in nationalen Rechtsordnungen sanktioniert werden, wo der eigentliche Unrechtsgehalt des Verbrechens in der Missachtung des freien Willens des Opfers liegt. Bei Vergewaltigungen, die im Zusammenhang mit bewaffneten Konflikten, einem ausgedehnten systematischen Angriff gegen die Zivilbevölkerung und Völkermord begangen werden, befinden sich Opfer und Täter mehr als bei „gewöhnlichen“ Vergewaltigungen in aller Regel in einem extrem machtbezogenen Unter-/Überordnungsverhältnis, in dem die Opfer sehr wenig oder keine Möglichkeiten haben, auf ihr Leben Einfluss zu nehmen.122 Als Beispiel sei hier nur die Inhaftierung der Zeuginnen aus dem Verfahren gegen Kunarac in Lagern oder Apartments oder das verzweifelte Schutzsuchen der Opfer aus dem Fall Akayesu genannt. Folglich muss dieser Aspekt der ungleichen Machtverhältnisse bei der Frage nach dem auf freien Willen beruhenden Einverständnis des Opfers berücksichtigt werden. In ähnlichen Fällen, wie etwa dem Geschlechtsverkehr zwischen Gefangenen und ihren Aufsehern oder zwischen Lehrern und Schülern stellen auch die nationalen Rechtsordnungen für die Erfüllung des Tatbestandes nicht auf den Willen des Opfers ab, sondern sanktionieren solche Verhältnisse grundsätzlich (,statutory rape‘), da eine auf dem freien Willen beruhende Zustimmung des Opfers zu dem fraglichen Geschlechtsverkehr nicht gewährleistet scheint.123 Folglich erscheint dieser Aspekt erst recht im Völkerstrafrecht zu berücksichtigen zu sein, da die Machtverhältnisse zwischen Täter und Opfern unter mit völkerrechtlichen Verbrechen verbundenen Umständen noch ungleicher als in den genannten Beispielen aus nationalen Rechtsordnungen sind und 121
de Brouwer, Supranational Criminal Prosecution of Sexual Violence, S. 121; Kalosieh, Consent to Genocide?: The ICTYs Improper Use of the Consent Paradigm to Prosecute Genocidal Rape, in: Foca, Women’s Rts. L. Rep. 24 (2002/03), S. 121 – 135 (133). 122 de Brouwer, Supranational Criminal Prosecution of Sexual Violence, S. 120. 123 Siehe etwa §§ 174a StGB – Sexueller Missbrauch von Gefangenen, behördlich Verwahrten oder Kranken und Hilfsbedürftigen in Einrichtungen sowie 174b StGB – Sexueller Missbrauch unter Ausnutzung einer Amtsstellung. In diesem Sinne sind auch die Tatbestände des sexuellen Missbrauchs Schutzbefohlener (§174 StGB) und des sexuellen Missbrauchs unter Ausnutzung eines Beratungs-, Behandlungs- oder Betreuungsverhältnisses (§174c StGB) zu verstehen.
B. Gesamtbetrachtung
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die Opfer dem oder den Täter(n) häufig völlig ausgeliefert sind.124 Damit kann der methodologische Ansatz des ICTY aus dem Verfahren gegen Kunarac die sexuelle Autonomie des Opfers zu schützen, die Berechtigung des Tatbestandselements des Nicht-Einverständnisses des Opfers nicht stützen. Schließlich ist in diesem Zusammenhang die Regel 96 der Verfahrens- und Beweisregeln der Ad hoc-Tribunale zu nennen. Wie oben im 5. Kapitel dargestellt erlaubt diese die Einführung von Beweismaterial bezüglich des Einverständnisses des Opfers nur unter engen Voraussetzungen.125 Die Anklagebehörde argumentierte daher in der Berufung im Fall Gacumbitsi, dass das Nicht-Einverständnis des Opfers eine Verteidigungsmöglichkeit des Täters (affirmative defence) sei, da die Beschränkung der Zulässigkeit von Beweisen hinsichtlich des Einverständnisses des Opfers anderenfalls keinen Sinn mache. Die Berufungskammer führte daraufhin jedoch aus, dass die Verfahrens- und Beweisregeln keine Auswirkungen auf Tatbestandselemente hätten, so dass die Regel 96 lediglich die Umstände definiere unter denen Beweise hinsichtlich des Einverständnisses zulässig seien.126 Wenig überzeugend ist an dieser Argumentation, dass die Verfahrens- und Beweisregeln von den Ad hoc-Tribunalen geschaffen wurden, bevor eine Definition des Tatbestandes des völkerrechtlichen Verbrechens der Vergewaltigung erfolgte. Daraus lässt sich schließen, dass die Tribunale selbst zunächst nicht von einem Tatbestandsmerkmal des Nicht-Einverständnisses des Opfers ausgingen, sondern dieses erst nachträglich in ihrer Rechtsprechung entwickelten. Indem das Nicht-Einverständnis des Opfers zum Tatbestandsmerkmal der Vergewaltigung als völkerrechtlichem Verbrechen gemacht wird werden aber die in der Verfahrens- und Beweisregel zum Ausdruck kommenden Bemühungen um den Opferschutz – quasi durch die Hintertür – wieder zunichte gemacht.127 Im Ergebnis bleibt daher festzustellen, dass das Tatbestandselement des NichtEinverständnis des Opfers in der Definition der Vergewaltigung als völkerrechtlichem Verbrechen der Tat nicht gerecht werden kann. Die Verletzung der sexuellen Autonomie des Opfers durch die Vergewaltigung ergibt sich schon durch den Beweis der die Subsumtion der Tathandlung als völkerrechtliches Verbrechen rechtfertigenden sogenannten chapeau- Merkmalen, so dass die Elemente der Gewalt oder des Zwangs unter diesen Umständen als dem Verbrechen angemessener erscheinen. Schließlich sind mit dem Nicht-Einverständnis des Opfers als Tatbestandsmerkmal der Vergewaltigung auch unnötige Probleme hinsichtlich des Opferschutzes verbunden, die etwa mit Tatbestandsmerkmalen der Gewalt oder des Zwangs oder dem Vorliegen anderer Umstände, die der freien Willensbildung des Opfers entgegenstehen, leicht zu umgehen wären. 124 Cole, Prosecutor v. Gacumbitsi: The New Definition for Prosecuting Rape, Int’l Crim. L. Rev. 8 (2008), S. 55 – 86 (75). 125 5. Kapitel A. II. 126 Siehe in diesem (6.) Kapitel oben A. XIII. 1. und 2. 127 de Brouwer, Supranational Criminal Prosecution of Sexual Violence, S. 121 f.
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6. Kap.: Probleme des Tatbestands der Vergewaltigung
II. Der Bestimmtheitsgrundsatz in der völkerstrafrechtlichen Definition von Vergewaltigung Angesichts der Tatsache, dass der strafrechtliche Bestimmtheitsgrundsatz im Völkerstrafrecht aufgrund der bis dato fehlenden und daher neu zu entwickelnden Definitionen von völkerrechtlichen Verbrechen – nicht nur der Vergewaltigung – regelmäßig Probleme aufwirft und in Anbetracht der unterschiedlichen Definitionen von Vergewaltigung als völkerrechtlichem Verbrechen in der Rechtsprechung der Ad hoc-Tribunale stellt sich die Frage, ob die Definition der Vergewaltigung als völkerrechtlichem Verbrechen aus der Rechtsprechung der Ad hoc-Tribunale hinreichend bestimmt im Sinne des strafrechtlichen Bestimmtheitsgebotes ist.128 Grundsätzlich gilt der auf dem Legalitätsprinzip beruhende strafrechtliche Bestimmtheitsgrundsatz auch im Völkerstrafrecht. Allerdings sind die Anforderungen im Vergleich zum nationalen deutschen Recht insofern geringer als dass die feststehende Strafbarkeit nach dem Völker(gewohnheits)recht eines Verhaltens vor Begehung der Tat als für das Bestimmtheitsgebot im Völkerstrafrecht ausreichend erachtet wird. Ein vor der Tat genau feststehender Strafrahmen oder eine gesetzlich festgeschriebene Strafbarkeit sind dagegen nicht erforderlich.129 Da es bis zu den einschlägigen Entscheidungen der Ad hoc-Tribunale keine völkervertrags- oder -gewohnheitsrechtliche Definition der Vergewaltigung als völkerrechtlichem Verbrechen gab und auch deren Statute keine Definition enthielten, blieb den beiden Gerichtshöfen nichts anderes übrig als im Rahmen ihrer Rechtsprechung über die für eine Definition notwendigen Tatbestandsmerkmale zu entscheiden. Damit erfolgte die genaue Definition des Verbrechens post factum, also nach Begehung der Tat.130 Da das völkerrechtliche Verbot von Vergewaltigung – wie oben im 3. Kapitel untersucht – Gewohnheitsrecht ist und somit vorhersehbar war, wirft dies aber keine über die allgemeinen Probleme der Ad hoc-Tribunale mit dem Bestimmtheitsgrundsatz hinausgehenden Schwierigkeiten auf.131 Insbesondere bemühte sich der ICTY in dem Verfahren Furundzˇ ija sehr, den Anforderungen des strafrechtlichen Bestimmtheitsgrundsatzes genüge zu tun, indem er auf die Ge128 de Brouwer, Supranational Criminal Prosecution of Sexual Violence, S. 128; Eriksson, Defining Rape, S. 448. 129 Cassese, International Criminal Law, S. 157 f.; Werle, Völkerstrafrecht, Rn. 91. Zu den unterschiedlichen Anforderungen an den Bestimmtheitsgrundsatz nach Völker(straf)recht und nationalem deutschem Recht Kreicker, in: Eser/Kreicker, Nationale Strafverfolgung völkerrechtlicher Verbrechen, Bd. 1 Deutschland, S. 54 f. 130 Eriksson, Defining Rape, S. 448. 131 Ausführlich zum Legalitätsprinzip im Völkerstrafrecht Cassese, International Criminal Law, S. 139 – 158. Die allgemeinen Schwierigkeiten der Ad hoc-Tribunale mit dem sich aus dem Legalitätsprinzip ergebenden Bestimmtheitsgrundsatz liegen vor allem in der Tatsache begründet, dass das Völkerstrafrecht ein relativ neues Rechtsgebiet ist und die zu bestrafenden Taten bis dato strafrechtlich noch nicht definiert wurden. A. A. Eriksson, Defining Rape, S. 102, die an den völkerstrafrechtlichen Bestimmtheitsgrundsatz die gleichen Maßstäbe wie im nationalen Recht anlegen will und deshalb aufgrund der existierenden unterschiedlichen Definitionen des Verbrechens keine Vorhersehbarkeit der Strafbarkeit erkennen kann.
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meinsamkeiten nationaler Rechtsordnungen einging.132 In diesem Sinne sind auch die weiteren Entscheidungen in den Fällen Kunarac und Gacumbitsi zu sehen, die aufeinander aufbauen und schließlich zu einer Vereinheitlichung der Rechtsprechung führen. Die zunächst gefundenen Definitionen der Vergewaltigung als völkerrechtlichem Verbrechen, der konzeptionellen aus dem Verfahren gegen Akayesu, der mechanischen aus dem Fall Furundzˇ ija und der aus dem Fall Kunarac, die das – wie oben erörtert problematische – Tatbestandselement des Nicht-Einverständnisses des Opfers einführte, erschienen jedoch schon aufgrund ihrer Unterschiedlichkeit als heikel mit Blick auf den strafrechtlichen Bestimmtheitsgrundsatz. Schließlich erfordern die verhältnismäßig unbestimmten Tatbestände des Völkerstrafrechts ganz besonders die Einheitlichkeit der Rechtsprechung, um auszuschließen, dass ein Angeklagter wegen der gleichen Tat wegen Vergewaltigung und ein anderer ,nur‘ wegen sexueller Gewalt verurteilt wird. Eine Möglichkeit der Lösung dieses Problems wurde in der aus dem common law stammenden Rechtspraxis der stare decisis gesehen, nach der eine Abweichung von der Rechtsprechung eines früheren Urteil nur bei erheblichen Unterschieden der Sachverhalte zulässig ist, eine andere in der Schaffung von Legaldefinitionen, wie für den ICC in den Elements of Crimes.133 Da mit der Entscheidung im Berufungsverfahren im Fall Gacumbitsi die Rechtsprechung der Ad hoc-Tribunale aber – wenn auch nur mit einem Kunstgriff, der darin bestand Ähnlichkeit der Definitionen aus Akayesu und Furundzˇ ija zu finden – vereinheitlicht wurde und seitdem wie dargestellt auch ständige Rechtsprechung von ICTY und ICTR zu entsprechen scheint, stellt sich das Problem der Beachtung des Bestimmtheitsgrundsatzes bezüglich der Definition von Vergewaltigung so nicht mehr. Weiter scheint das Verbrechen hierdurch auch ausreichend bestimmt, so dass das strafbewehrte Verhalten vor Begehung der Tat erkennbar ist. Folglich ist davon auszugehen, dass die Definition des Tatbestandes der Vergewaltigung der Ad hocTribunale den strafrechtlichen Bestimmtheitsgrundsatz nicht verletzt.
132 The Prosecutor v. Anto Furundzˇ iya, IT-95-17/1-T, Judgement, 10. Dezember 1998, Abs. 177: „This Trial Chamber notes that no elements other than those emphasised may be drawn from international treaty or customary law, nor is resort to general principles of international criminal law or to genera principles of international law of any avail. The Trial Chamber therefore considers that, to arrive at an accurate definition of rape based on the criminal law principle of specificity (Bestimmtheitsgrundsatz, also referred to by the maxim ,nullum crimen sine lega stricta‘), it is necessary to look for principles of criminal law common to all major legal systems of the world. These principles may be derived, with all due caution, from national laws.“ 133 So auch de Brouwer, Supranational Criminal Prosecution of Sexual Violence, S. 129.
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6. Kap.: Probleme des Tatbestands der Vergewaltigung
C. Vergewaltigung als Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit in Form von Folter, unmenschlicher Behandlung und vorsätzlicher Verursachung großer Leiden oder schwerer Verletzungen der körperlichen Unversehrtheit sowie Verfolgung Nachdem die Definition des Tatbestands der Vergewaltigung als völkerrechtlichem Verbrechen geklärt wurde, stellt sich weiter die Frage, als welche Begehungsformen diese nach den Statuten der beiden Ad hoc-Tribunale verfolgt wurden. Der Tatbestand als solches ist explizit ,nur‘ als eine Begehungsform der Verbrechen gegen die Menschlichkeit nach dem ICTY-Statut (Art. 5) und als Verbrechen gegen die Menschlichkeit (Art. 3) oder als Verletzung des gemeinsamen Art. 3 und des ZP II (Art. 4) nach dem ICTR-Statut strafbar. Da Sexualstraftaten in beiden Kontexten in großem Stil begangen wurden, aber nur beschränkt explizit strafbar sind, mussten die Tribunale auf die allgemeinen Tatbestände der Folter, der unmenschlichen Behandlung, der Verursachung großer Leiden oder schwerer Verletzungen als Begehungsformen von Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit zurückgreifen um die bestehenden Strafbarkeitslücken zu schließen. Die Rechtsprechung des ICTR ist hinsichtlich der Frage nach Vergewaltigung als Folter und unmenschlicher Behandlung weniger ergiebig als die des ICTY, da vor ersterem aufgrund der unterschiedlichen Sachlage in Ruanda, Anklagen wegen Völkermordes überwiegen.
I. Tadic´ (ICTY – 1997 und 1999) Sexuelle Gewalt und Vergewaltigung wurden in mehreren Fällen vor dem ICTY als schwere Verstöße gegen die GA in Form von Folter und unmenschlicher Behandlung angeklagt und verurteilt. So lag der Verurteilung von Dusˇko Tadic´ unter anderem sexuelle Gewalt im Gefangenenlager Omarska zugrunde: Dort wurde ein Gefangener, der spätere Zeuge G, gezwungen einem anderen Gefangenen Fikret Harambasic, der seitdem verschwunden ist, einen Hoden abzubeissen, während ihn ein weiterer Gefangener, der Zeuge H, festhielt und eine Gruppe uniformierter Männer zusah.134 Der Angeklagte Tadic´, ein ehemaliger Aufseher des Lagers, wurde wegen Anstiftung und Beihilfe (,aiding and abetting‘) dieser sexuellen Gewalttaten135 in Tateinheit wegen grausamer Behandlung als Verstoß gegen die Sitten und Gebräuche des Krieges nach Art. 3 des ICTY-Statuts, wegen unmenschlicher Behandlung als Verbrechen gegen die Menschlichkeit nach Art. 5 sowie – im Berufungsverfahren – wegen Folter und unmenschlicher Behandlung und vorsätzlicher Verursachung großer Leiden oder schwerer Verletzungen der körperlichen Unver134 135
The Prosecutor v. Dusˇko Tadic´, IT-94-1, Judgement, 7. Mai 1997, Abs. 206. The Prosecutor v. Dusˇko Tadic´, IT-94-1, Judgement, 7. Mai 1997, Abs. 237, 726, 730.
C. Vergewaltigung als Verbrechen gegen die Menschlichkeit
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sehrtheit als schweren Verstößen gegen die GA gemäß Art. 2 (b) und (c) des ICTYStatuts verurteilt.136
II. Mucic´, Delic´, Landzˇ o, Delalic´ (ICTY – 1998) Im Fall Delalic´, Mucic´, Delic´, Landzˇ o wurde der Angeklagte Delic´, der Vizekommandeur des Lagers Cˇ elebic´i gewesen war, erstinstanzlich aufgrund der wiederholten Vergewaltigung von zwei Frauen wegen Vergewaltigung als schwerem Verstoß gegen die GA nach Art. 2 (b) des ICTY-Statuts und Verstoßes gegen die Gesetze und Gebräuche des Krieges nach Art. 3 des ICTY-Statuts verurteilt. 137 Das Berufungsurteil hob die Verurteilung gemäß Art. 3 des ICTY-Statuts jedoch auf, da die Verbrechen nach Art. 2 des Statuts (schwere Verstöße gegen die GA) spezieller sind. Zugrunde lagen der Verurteilung die mehrfachen Vergewaltigungen von zwei ´ ec´ez, wurde bosnischen Frauen in einem Gefangenenlager. Eine der Frauen, Ms. C nach ihrer Ankunft in dem Gefangenenlager mehrfach von dem Angeklagten Delic´ vergewaltigt, wobei sie wiederholt nach dem Aufenthaltsort ihres Mannes gefragt und ihr gesagt wurde, dass sie sich anstelle ihres Mannes in dem Lager befände.138 ´ ec´ez wurde in der dritten Nacht ihrer Haft sowie im Juli 1992 erneut mehrfach Ms. C vergewaltigt.139 Nach der Feststellung, dass die Handlungen des Angeklagten „quite clearly“ Vergewaltigung darstellten,140 führte die Kammer weiter die verbotenen Zwecke der Handlung aus.141 136 The Prosecutor v. Dusˇko Tadic´, IT-94-1, Judgement, 7. Mai 1997, Abs. 726, 730; The Prosecutor v. Dusˇko Tadic´, IT-94-1, Appeal Judgement, 15. Juli 1999, Abs. 171, 327. 137 The Prosecutor v. Zejnil Delalic´, Zdravko Mucic´, Hazim Delic´, Esad Landzˇ o, IT-96-21, Appeal Judgement, 2001, Abs. 427. 138 The Prosecutor v. Zejnil Delalic´, Zdravko Mucic´, Hazim Delic´, Esad Landzˇ o, IT-96-21, Judgement, 16. November 1998, Abs. 937. 139 The Prosecutor v. Zejnil Delalic´, Zdravko Mucic´, Hazim Delic´, Esad Landzˇ o, IT-96-21, Judgement, 16. November 1998, Abs. 938. 140 The Prosecutor v. Zejnil Delalic´, Zdravko Mucic´, Hazim Delic´, Esad Landzˇ o, IT-96-21, Judgement, 16. November 1998, Abs. 939. 141 The Prosecutor v. Zejnil Delalic´, Zdravko Mucic´, Hazim Delic´, Esad Landzˇ o, IT-96-21, Judgement, 16. November 1998, Abs. 940, 941: „The purposes of the rapes committed by Hazim Delic were, inter alia, to obtain information about the whereabouts of Ms. Cecez’s husband who was considered an armed rebel; to punish her for her inability to provide information about her husband; to coerce and intimidate her into providing such information; and to punish her for the acts of her husband. The fact that these acts were committed in a prisoncamp, by an armed official, and were known of by the commander of the prison-camp, the guards, other people who worked in the prison-camp and most importantly, the inmates, evidences Mr. Delic’s purpose of seeking to intimidate not only the victim but also other inmates, by creating an atmosphere of fear and powerlessness. In addition, the violence suffered by Ms. Cecez in the form of rape, was inflicted upon her by Delic because she is a woman. As discussed above, this represents a form of discrimination which constitutes a prohibited purpose for the offence of torture.“
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6. Kap.: Probleme des Tatbestands der Vergewaltigung
Die andere Frau, die von dem Angeklagten Delic´ mehrfach brutal – anal und vaginal – vergewaltigt wurde, war Ms. Antic.142 Auch in Bezug auf diese Vergewaltigungen stellte die Verfahrenskammer fest, dass ihr Zweck gewesen sei die Zeugin einzuschüchtern, zu nötigen und zu bestrafen. Während die erste Vergewaltigung auch zur (verbotenen) Informationsgewinnung diente, fanden die weiteren statt, weil die Zeugin eine Frau ist, worin eine Diskriminierung und damit ein verbotener Zweck im Sinne des Folterverbots liege.143 Da dem Opfer hierdurch schwere körperliche und seelische Schmerzen und Leiden zugefügt wurden, fand der ICTY den Angeklagten Delic´ auch aufgrund dieser Taten der Folter schuldig.144 Im gleichen Verfahren wurde der Angeklagte Mucic´, der Kommandant des Lagers ˇ elebic´i gewesen war, wegen eines schweren Verstoßes gegen die GA in Form von C unmenschlicher Behandlung nach Art. 2 (b) des ICTY-Statuts verurteilt, weil er seiner Verantwortlichkeit als Vorgesetzter nicht gerecht wurde, als sein Untergebener und Mitangeklagter Landzˇ o zwei Brüder vor anderen Häftlingen zum Oralverkehr gezwungen hatte.145 Das Gericht sah die erzwungene Fellatio zumindest als grundlegenden Angriff auf die Menschenwürde der Brüder und stellte darüber hinaus fest, dass diese Handlung auch als Vergewaltigung hätte verurteilt werden können, wenn die Tat entsprechend angeklagt gewesen wäre.146
III. Furundzˇ iya (ICTY – 1998) Im Fall Furundzˇ iya stellte das Gericht nach Ausführungen zu der Definition von Folter ebenfalls fest, dass Erniedrigung einen (verbotenen) Zweck der Folter darstellen kann.147 Darüber hinaus kommt es zu dem Schluss, dass Vergewaltigung als „Finally, there can be no question that these rapes caused severe mental pain and suffering to Ms. Cecez. The effects of the rapes that she suffered at the hands of Hazim Delic are readily apparent from her own testimony and included living in a state of constant fear and depression, suicidal tendencies, and exhaustion, both mental and physical.“ 142 Für den genauen Hergang der Vergewaltigungen siehe The Prosecutor v. Zejnil Delalic´, Zdravko Mucic´, Hazim Delic´, Esad Landzˇ o, IT-96-21, Judgement, 16. November 1998, Abs. 958 – 961. 143 The Prosecutor v. Zejnil Delalic´, Zdravko Mucic´, Hazim Delic´, Esad Landzˇ o, IT-96-21, Judgement, 16. November 1998, Abs. 963. 144 Die Zeugin wurde während der Vergewaltigungen mit dem Tod bedroht, erlitt Blutungen und extreme Schmerzen und wurde im Anschluß mit Tranquilizern behandelt, The Prosecutor v. Zejnil Delalic´, Zdravko Mucic´, Hazim Delic´, Esad Landzˇ o, IT-96-21, Judgement, 16. November 1998, Abs. 964 f. 145 The Prosecutor v. Zejnil Delalic´, Zdravko Mucic´, Hazim Delic´, Esad Landzˇ o, IT-96-21, Judgement, 16. November 1998, Abs. 1065. 146 The Prosecutor v. Zejnil Delalic´, Zdravko Mucic´, Hazim Delic´, Esad Landzˇ o, IT-96-21, Judgement, 16. November 1998, Abs. 1066. 147 The Prosecutor v. Anto Furundzˇ iya, IT-95-17/1-T, Judgement, 10. Dezember 1998, Abs. 162.
C. Vergewaltigung als Verbrechen gegen die Menschlichkeit
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eine Foltermethode im Zuge von Haft und Verhören völker(gewohnheits)rechtlich anerkannt ist.148 Je nach den Umständen des Falls kann Vergewaltigung im Völkerstrafrecht aber auch ein eigenständiges, von der Folter zu unterscheidendes Verbrechen darstellen.149
IV. Blasˇkic´ (ICTY – 2000/2004) Im Fall gegen Tihomir Blasˇkic´, einem ehemaligen General des kroatischen Verteidigungsrates (HVO) entschied das Gericht, dass der General von den Vergewaltigungen an bosnischen Musliminnen in dem Dorf Rotilj sowie in der Dubravica Grundschule durch Soldaten der HVO und die Militärpolizei, die er effektiv kontrollierte, hätte wissen müssen und trotzdem keine Maßnahmen ergriff um die Taten zu verhindern oder die Täter zu bestrafen.150 Ein solches Verhalten stellt jedoch keine Vergewaltigung durch den Angeklagten selbst dar, weswegen der ICTY auf allgemeinere Tatbestände zurückgreifen musste. Die Verfahrenskammer befand Blasˇkic´ deswegen der unmenschlichen Behandlung als schwerer Verletzung der GA nach Art. 2 (b) des Statuts, sowie wegen grausamer Behandlung als Verstoß gegen die Gesetze und Gebräuche des Krieges gemäß Art. 3 (a) des ICTY-Statuts für schuldig, die Berufungskammer verwarf später jedoch den Verstoß gegen die Gesetze und Gebräuche des Krieges.151 Folglich wurde Blasˇkic´ rechtskräftig nur wegen unmenschlicher Behandlung als schwerem Verstoß gegen die GA verurteilt.
V. Stakic´ (ICTR – 2003/2006) Den Angeklagten Stakic´ verurteilte der ICTY unter anderem wegen Vergewaltigungen in den Lagern Trnopolje, Keraterm und Omarska als Verbrechen gegen die Menschlichkeit durch Verfolgung mit diskriminierender Absicht.152 Die diskriminierende Absicht der Vergewaltigungshandlungen kam dabei durch das Verhalten der direkten Täter und Aussagen wie: „I want to see how Muslim women fuck.“ 148 The Prosecutor v. Anto Furundzˇ iya, IT-95-17/1-T, Judgement, 10. Dezember 1998, Abs. 163. 149 The Prosecutor v. Anto Furundzˇ iya, IT-95-17/1-T, Judgement, 10. Dezember 1998, Abs. 164. 150 The Prosecutor v. Tihomir Blasˇkic´, IT-95-14, Judgement, 3. März 2000, Abs. 692, 695, 732 f., 734. 151 The Prosecutor v. Tihomir Blasˇkic´, IT-95-14, Judgement, 3. März 2000, VI. Disposition, S. 267; The Prosecutor v. Tihomir Blasˇkic´, IT-95-14, Appeals Judgement, 29. Juli 2004, Abs. 633 f. 152 The Prosecutor v. Milomir Stakic´, IT-97-24, Judgement and Sentence, 31. Juli 2003, Abs. 234 – 236, 240 f., 806.
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6. Kap.: Probleme des Tatbestands der Vergewaltigung
zum Ausdruck.153 Hierzu führte das Gericht aus, dass der Tatbestand der Verfolgung immer spezieller ist als die anderen Tatbestände der Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Im Gegensatz zu den anderen Tatbeständen beinhaltet Verfolgung als Verbrechen gegen die Menschlichkeit nämlich das zusätzliche Element der diskriminierenden Absicht. Folglich sind die Vergewaltigungen – soweit sie dem Angeklagten zugerechnet werden können – Verfolgungshandlungen und als solche Verbrechen gegen die Menschlichkeit.154
VI. Brd¯anin (ICTY – 2004) Auch im bisher noch nicht erwähnten Verfahren gegen Radoslav Brd¯anin wurde der Angeklagte wegen Folter als schwerem Verstoß gegen die GA aufgrund von Vergewaltigung verurteilt. Die Verurteilung beruhte auf Sachverhalten aus dem Jahr 1992, in dem der Angeklagte, ein bosnischer Serbe und Präsident des Autonomous Region of Krajina Crisis Staff, Mitglieder der bosnisch-serbischen Streitkräfte dazu angestiftet und Beihilfe geleistet hatte, inter alia Vergewaltigungen zu begehen, die aufgrund ihrer Begehungsweisen auch Folter sind. In den Gefangenenlagern für bosnische Muslime Keraterm, Trnopolje und Omarska wurden Frauen für – häufig brutale und wiederholte – Vergewaltigungen ausgewählt, weil sie Musliminnen waren, worin eine Diskriminierung aufgrund ihres Geschlechts und ihrer Volksgruppenzugehörigkeit lag.155 Ähnlich in der Gemeinde Teslic´, wo zwischen Juli und Oktober 1992 etliche muslimische Frauen von Mitgliedern der bosnisch-serbischen Polizei und der bosnisch-serbischen Armee vergewaltigt wurden.156 Diese Vergewaltigungen „constituted severe pain and suffering amounting to torture, inflicted intentionally on the victims, who were all non-combatants.“157
Auch hier griff der ICTY mangels speziellerer Regelungen für Sexualstraftaten auf den allgemeineren Tatbestand der Folter zurück.
153
The Prosecutor v. Milomir Stakic´, IT-97-24, Judgement and Sentence, 31. Juli Abs. 793. 154 The Prosecutor v. Milomir Stakic´, IT-97-24, Judgement and Sentence, 31. Juli Abs. 879 – 801. 155 The Prosecutor v. Radoslav Brd¯anin, IT-99-36, Judgement, 1. September Abs. 518. Zu Details über die genauen Tathergänge siehe Abs. 512 – 517. 156 The Prosecutor v. Radoslav Brd¯anin, IT-99-36, Judgement, 1. September Abs. 523. 157 The Prosecutor v. Radoslav Brd¯anin, IT-99-36, Judgement, 1. September Abs. 524.
2003, 2003, 2004, 2004, 2004,
C. Vergewaltigung als Verbrechen gegen die Menschlichkeit
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VII. Krajisˇnik (ICTY – 2006/2009) Auch im Verfahren gegen Momcˇ ilo Krajisˇnik verurteilte der ICTY den Angeklagten aufgrund von Vergewaltigungen und sexueller Gewalt an kroatischen und muslimischen Frauen und Mädchen aber auch an männlichen Gefangenen in Gefangenenlagern als Verbrechen gegen die Menschlichkeit in Form der Verfolgung und anderer grausamer oder unmenschlicher Behandlung der muslimischen und kroatischen Bevölkerung.158
VIII. Nyiramasuhuko et al. (ICTR – 2011) Im Verfahren gegen Pauline Nyiramasuhuko, Arsène Shalom Ntahobali, Sylvain Nsabimana, Alphonse Nteziryayo, Joseph Kanyabashi, Élie Ndayambaje ging es um die Verschwörung eines ehemaligen Mitglieds der ruandischen Regierung und anderen höheren Politikern zum Völkermord, Völkermord und Völkermord in Mittäterschaft (,complicity‘), sowie um Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen. Die Anklage beruhte auf Geschehnissen von April bis Juli 1994 in Butare, Ruanda, während derer die Volksgruppe der Tutsi systematisch verfolgt, getötet und anderweitig misshandelt und zerstört wurde – u. a. etwa durch systematische Vergewaltigungen, die nach Auffassung des Gerichts eine Form des Völkermordes waren.159 Bei der Verschwörung und Anstachelung des Völkermordes an Angehörigen der Tutsi spielten die sechs Angeklagten eine wesentliche Rolle. Die beiden Angeklagten Nyiramasuhuko und Ntahobali wurden aufgrund der Anordnung von Vergewaltigungen, Vergewaltigungen (Ntahobali) und Anstiftung und Beihilfe zu Vergewaltigungen (Nyiramasuhuko) von Angehörigen der Volksgruppe der Tutsi und der Verantwortlichkeit als Vorgesetzte wegen Vergewaltigung als Verbrechen gegen die Menschlichkeit nach Art. 3 (g) und Vergewaltigungen als Verstößen gegen die persönliche Würde als Kriegsverbrechen nach Art. 4 (e) des ICTR-Statuts verurteilt, mangels entsprechender Anklage nicht jedoch wegen Völkermordes.160
158 The Prosecutor v. Momcˇ ilo Krajisˇnik, IT-00-39, Judgement, 27. September 2006, Abs. 800. 159 The Prosecutor v. Pauline Nyiramasuhuko, Arsène Shalom Ntahobali, Syvain Nsabimana, Alphnose Nteziryakyo, Joseph Kanyabashi, Élie Ndayambaje, ICTR-9-42, Summary of Judgement and Sentence, 24. Juni 2011, Abs. 11, 25: „(…) the evidence establishes in this case that rape was utilized as a form of genocide (…).“ 160 The Prosecutor v. Pauline Nyiramasuhuko, Arsène Shalom Ntahobali, Syvain Nsabimana, Alphnose Nteziryakyo, Joseph Kanyabashi, Élie Ndayambaje, ICTR-9-42, Judgement and Sentence, 24. Juni 2011, Abs. 6093, 6182 f. (Nyiramasuhuko), 6094, 6184 f. (Ntahobali).
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6. Kap.: Probleme des Tatbestands der Vergewaltigung
IX. Karemera, Ngirumpatse (ICTR – 2012) Auch im jüngsten Urteil des ICTR gegen Édouard Karemera und Matthieu Ngirumpatse, das zugleich das letzte gegen mehrere Angeklagte in einem Verfahren war, wurden die Angeklagten wegen Vergewaltigungen von Tutsi-Frauen und -Mädchen in ganz Ruanda durch die Interahamwe aus Kigali und Gisenyi aufgrund ihrer Verantwortlichkeit als Vorgesetzte wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit gemäß Art. 3 (g) verurteilt.161 Auch diesem Fall lagen – soweit er den Untersuchungsgegenstand, also den Tatbestand der Vergewaltigung betrifft – brutale systematische öffentliche Vergewaltigungen, häufig durch mehrere Täter zugrunde, die von den gleichen Milizen erfolgten, die die Gruppe der Tutsi insgesamt angriffen.162
D. Bewertung der Rechtsprechung zu Vergewaltigung als Folter und unmenschlicher Behandlung sowie vorsätzlicher Verursachung großer Leiden oder schwerer Verletzungen der körperlichen Unversehrtheit und Verfolgung Damit bestätigt die Rechtsprechung des ICTY – wie oben bereits als Möglichkeit aufgezeigt – dass Vergewaltigung eine Form der Folter sowie der unmenschlichen Behandlung darstellen und entsprechend verfolgt werden kann. Hierin kommt einerseits der Wille des Gerichts Vergewaltigung entsprechend der Schwere des Verbrechens zu verfolgen zum Ausdruck. Dies stellt im Vergleich zu der völkerrechtlichen Praxis bis zur Errichtung der Ad hoc-Tribunale einen entscheidenden Fortschritt dar. Andererseits zeigt diese Rechtsprechung, dass Vergewaltigung nach dem Statut des ICTY, obwohl explizit nur als Verbrechen gegen die Menschlichkeit gemäß Art. 5 (g) des ICTY-Statuts genannt, in der Praxis auch als schwere Verstöße gegen die GA nach Art. 2 sowie als Verstöße gegen die Gesetze und Gebräuche des Krieges nach Art. 3, die jeweils auch Folter verbieten, verfolgt werden kann. Beides ist positiv zu bewerten und zeigt, dass die jahrhundertealte Praxis das Verbrechen der Vergewaltigung in bewaffneten Konflikten nicht systematisch zu verfolgen, mit Errichtung der Tribunale aufgebrochen wurde. Darüber hinaus hat der ICTY in den Fällen Stakic´ und Krajisˇnik Vergewaltigungen und sexuelle Gewalt auch wegen Verfolgung als Verbrechen gegen die Menschlichkeit verurteilt. Auch hierin zeigen sich die Möglichkeiten der Strafjustiz durch die Tribunale, die das Gericht angemessen nutzt, um die Täter – bei ent161
The Prosecutor v. Édouard Karemera, Matthieu Ngirumpatse, ICTR-98-44, Judgement and Sentence, 2. Februar 2012, Abs. 1684. 162 The Prosecutor v. Édouard Karemera, Matthieu Ngirumpatse, ICTR-98-44, Judgement and Sentence, 2. Februar 2012, Abs. 1678 – 1684, siehe auch 1665 f.
E. Vergewaltigung als Völkermord
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sprechender Sach- und Beweislage – zu verurteilen, weshalb die Urteile der Ad hocTribunale einen wesentlichen Schritt gegen die Straflosigkeit von völkerrechtlichen Verbrechen im Allgemeinen und von Vergewaltigungen als völkerrechtlichen Verbrechen im Besonderen, darstellen.163 Weiter fällt an der Rechtsprechung zu Vergewaltigung als Folter, anderer unmenschlicher Behandlung und vorsätzlicher Verursachung großer Leiden auf, dass die Ad hoc-Tribunale keine Unterscheidung zwischen Vergewaltigungen und anderer sexueller Gewalt zwischen Männern und Frauen machen. In diesem Zusammenhang ist insbesondere das Urteil im Fall Mucic´ et al. zu nennen, in dem das Gericht ausdrücklich darauf hinwies, dass die Fellatio, zu der Brüder gezwungen worden waren, auch als Vergewaltigung hätte verurteilt werden können. Diese Entwicklung ist sachgerecht und deshalb ebenfalls zu begrüßen.
E. Vergewaltigung als Völkermord Wie bereits untersucht, kann Vergewaltigung, wenn sie unter eine der Tatbestandsalternativen des Verbrechens, des Völkermordes, zu subsumieren ist, eine Begehungsform des schwersten völkerrechtlichen Verbrechens des Völkermordes darstellen. Hierfür kommen grundsätzlich die Tatbestandsalternativen des Art. 4 Abs. 2 (b), (c) und (d) des ICTY-Statuts sowie des Art. 2 (b), (c) und (d) des ICTRStatuts in Betracht. Bisher hat der ICTY jedoch nur in einem Fall rechtskräftig, nämlich dem Verfahren gegen Radislav Krstic´ wegen Beihilfe („aiding and abetting“), zum Völkermord verurteilt.164 In diesem Verfahren spielten Anschuldigungen wegen Vergewaltigung jedoch keine Rolle, so dass die Rechtsprechung des ICTY für die Frage nach der Subsumtion von Vergewaltigung als Völkermord keine Rolle spielt.
I. Vergewaltigung als Verursachung schwerer körperlicher und seelischer Schäden Im Fall Akayesu (1998) verurteilte der ICTR erstmalig überhaupt Vergewaltigungshandlungen und andere sexuelle Gewalt als Völkermord gemäß Art. 2 Abs. 2 (b) seines Statuts. Das Gericht betonte, dass Vergewaltigungen und sexuelle Gewalt
163
Eriksson, Defining Rape, S. 441; Meron, The Humanization of International Law, S. 179. 164 The Prosecutor v. Radislav, IT-98-33, Judgement, 2. August 2011 sowie Appeal Judgement, 19. April 2004. Im erstinstanzlichen Verfahren war Krstic´ wg. direkter Beteiligung am Völkermord verurteilt, die Berufungskammer bekannte später auf Anstiftung und Beihilfe („aiding and abetting“) zum Völkermord.
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6. Kap.: Probleme des Tatbestands der Vergewaltigung
jeder anderen Völkermordhandlung gleich kämen.165 Das Gericht sah es als erwiesen an, dass die systematischen Vergewaltigungen als Schritt zur Zerstörung der ethnischen Gruppe der Tutsi eingesetzt wurden.166 Der durch die Vergewaltigungen verursachte körperliche und seelische Schaden an Mitgliedern der Gruppe, führe dazu, dass die betroffenen Gruppenmitglieder – zumeist Frauen – aufgrund ihrer Traumatisierung nicht mehr in der Lage sind ein normales Sexual- oder Familienleben zu führen, wodurch die Familie bzw. die ganze Gemeinschaft der Volksgruppe zerstört wird. Vergewaltigungen verursachten nicht nur körperliche und seelische Schäden der Opfer selbst, sondern träfen – auch aufgrund der mit solchen Taten verbundenen Stigmatisierung – auch ihre Ehemänner, Kinder und Familien und somit die gesamte ethnische Gruppe. Völkermord in Form der Verursachung schwerer körperlicher und seelischer Schäden an Angehörigen einer Gruppe gemäß Art. 2 Abs. 2 (b) seines Statuts durch Vergewaltigungen von Tutsi-Frauen war auch im Verfahren gegen Musema (2000) Gegenstand der Verurteilung des Angeklagten durch den ICTR.167 Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang, dass die Vergewaltigungen von einer Zeugin in dem Verfahren als schlimmer als der Tod beschrieben wurden.168 In dem bereits erwähnten erstinstanzlichen Urteil gegen Gacumbitsi (2004) befand der ICTR den Angeklagten wegen Anstiftung zur Vergewaltigung von TutsiFrauen und -Mädchen des Völkermordes durch Verursachung schwerer körperlicher 165
The Prosecutor v. Jean-Paul Akayesu, IT-96-4-T, Judgement, 2. September 1998, Abs. 731: „(…) (R)ape and sexual violence (…) constitute genocide in the same way as any other act as long as they were committed with the specific intent to destroy, in whole or in part, a particular group, targeted as such. Indeed, rape and sexual violence certainly constitute infliction of serious bodily and mental harm on the victims and are even, according to the Chamber, one of the worst ways of inflict(ing) harm on the victim as he or she suffers both bodily and mental harm.“ 166 The Prosecutor v. Jean-Paul Akayesu, IT-96-4-T, Judgement, 2. September 1998, Abs. 732: „(…) Sexual violence was a step in the process of destruction of the Tutsi group – destruction of the spirit, of the will to live, and of life itself.“ 167 The Prosecutor v. Alfred Musema, IT-96-13, Judgement and Sentence, 20. Januar 2000, Abs. 933, vgl. auch 908: „(…) The Chamber notes on the basis of the evidence presented, it emerges that acts of serious bodily and mental harm, including rape and other forms of sexual violence were often accompanied by humiliating utterances, which clearly indicated that the intention underlying each specific act was to destroy the Tutsi group as a whole. The Chamber notes, for example, that during the rape of Nyiramusugi Musema declared: ,The pride of the Tutsis will end today‘. In this context, the acts of rape and sexual violence were an integral part of the plan conceived to destroy the Tutsi group. Such acts targeted Tutsi women, in particular, and specifically contributed to their destruction and therefore that of the Tutsi group as such.“ 168 The Prosecutor v. Alfred Musema, IT-96-13, Judgement and Sentence, 20. Januar 2000, Abs. 933: „Witness N testified before the Chamber that Nyiramusugi, who was left for dead by those who raped her, had indeed been killed in a way. Indeed, the Witness specified that ,what they did to her is worse than death.‘“ Siehe auch Abs. 855. Im Berufungsverfahren wurde Musema allerdings von Vergewaltigung als Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Völkermord freigesprochen, Alfred Musema v. The Prosecutor, IT-96-13, 16. November 2001, Abs. 193 f.
E. Vergewaltigung als Völkermord
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Schäden an der Gruppe der Tutsi für schuldig gemäß Art. 2 Abs. 3 (a) und (b) seinem Statut.169 Dieser Schuldspruch blieb im Berufungsverfahren unangetastet. Im Fall Muhimana (2005) befand der ICTR den Angeklagten ebenfalls unter anderem aufgrund von Vergewaltigungen (mit Völkermordabsicht) des Völkermordes schuldig.170 Dabei konstatierte er in seinen rechtlichen Feststellungen zum Völkermord, dass jede körperliche Verletzung – bei Vorliegen der anderen Tatbestandsmerkmale schwere körperliche Schäden verursache.171 Auch im Fall gegen Athanase Seromba (2008), in dem der Tatbestand der Vergewaltigung jedoch keinen Anklagepunkt wegen Völkermordes darstellte, kam der ICTR in seinem Berufungsurteil zu dem Schluss, dass ernste körperliche oder seelische Schäden im Sinne des Art. 2 Abs. 2 (b) seines Statuts nicht definiert seien, die wesentlichen Beispiele hierfür aber Folter und Vergewaltigungen umfassten und fast alle Verurteilungen wegen Völkermordes in Form der Verursachung schwerer körperlicher und seelischer Schäden Vergewaltigungen oder Tötungen beträfen.172 Im erstinstanzlichen Verfahren des ICTR gegen Pauline Nyiramasuhuko et al. (2011) scheiterte die Verurteilung der Angeklagten Nyiramasuhuko und Ntahobali wegen Vergewaltigung als Völkermord – obwohl diese nach Auffassung des Gerichts eine Form des Völkermordes waren – ebenfalls daran, dass die Anklagebehörde die Vergewaltigungen nicht als Völkermord angeklagt hatte.173 Das Berufungsverfahren ist noch anhängig.
169 The Prosecutor v. Sylvestre Gacumbitsi, ICTR-2001-64, Judgement and Sentence, 17. Juni 2004, Abs. 292 f.: „(…) The Chamber finds that these rapes caused serious physical harm to members of the Tutsi ethnic group. Thus, the Chamber finds that, as to the specific crime of ersious bodily harm, Sylvestre Gacumbitsi incurs responsibility for the crime of genocide by instigating the rape of Tutsi women and girls. (…)“. 170 The Prosecutor v. Mikaele Muhimana, ICTR-95-1B, Judgement and Sentence, 28. April 2005, Abs. 512 f.: „The Accused targeted Tutsi civilians during these attacks by shooting and raping Tutsi victims. He also raped a young Hutu girl, Witness BJ, whom he believed to be Tutsi, but later apologised to her when he was informed that she was Hutu. During the course of some of the attacks and rapes, the Accused specifically referred to the Tutsi ethnic identity of his victims. (…)“. 171 The Prosecutor v. Mikaele Muhimana, ICTR-95-1B, Judgement and Sentence, 28. April 2005, Abs. 502: „Serious bodily harm is any physical injury to the victim, such as torture and sexual violence.“ 172 The Prosecutor v. Athanase Seromba, ICTR-2001-66, Appeals Judgement, 12. März 2008, Abs. 46: „The Appeals Chamber recalls that ,serious bodily or mental harm‘ is not defined in the Statute, and that the Apeals Chamber has not squarely addressed the definition of such harm. The quintessential examples of serious bodily harm are torture, rape (…). (…) Indeed, nearly all convictions for the causing of serious bodily or mental harm involve rapes or killings. (…).“ Im Berufungsverfahren wurde Seromba jedoch nicht wegen der Anstiftung und Beihilfe (,aiding and abetting‘) zur Verursachung schwerer körperlicher oder seelischer Schäden verurteilt (Abs. 66). 173 The Prosecutor v. Pauline Nyiramasuhuko, Arsène Shalom Ntahobali, Sylvain Nsabimana, Alphnose Nteziryakyo, Joseph Kanyabashi, Élie Ndayambaje, ICTR-9-42, Judgement
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6. Kap.: Probleme des Tatbestands der Vergewaltigung
Im Verfahren des ICTR gegen Édouard Karemera und Matthieu Ngirumpatse (2012) befand das Tribunal ebenfalls, dass die (Massen-)Vergewaltigungen und sexuellen Misshandlungen von Tutsi-Frauen und -Mädchen Teil eines ausgedehnten Angriffs gegen die ethnische Gruppe der Tutsi waren und diese zerstören sollten.174 In diesem Verfahren verurteilte es die Angeklagten deshalb unter anderem aufgrund der Vergewaltigungen durch die Interahamwe, von denen die Angeklagten wussten und gegen die sie nichts unternahmen als Teil der Verschwörung zum Völkermord an den Tutsi, wegen Völkermordes (und wie bereits erwähnt, der Verbrechen gegen die Menschlichkeit).175 Die Verfahrenskammer führte aus, dass die Vergewaltigungen nicht nur ernste körperliche und seelische Schäden der betroffenen Frauen, sondern aufgrund der mit den Vergewaltigungen verbundenen schweren Erniedrigung und physischen Verletzungen auch ernste körperliche und seelische Schäden in ihren Familien und Gemeinschaften hervorriefen und dass viele Frauen nach den (sexuellen) Misshandlungen getötet wurden.176 Das Gericht stellte fest, dass die Frauen vergewaltigt und sexuell misshandelt wurden, um ihr Leiden zu vergrößern, bevor ihre Angreifer sie in der Absicht die Gruppe der Tutsi ganz oder teilweise zu zerstören töteten.177
and Sentence, 24. Juni 2011, Abs. 5828 – 5837 (5835), 5857 – 5865 (5863), 5868, 5872, 5873, 5875, 5877, 5889. 174 The Prosecutor v. Édouard Karemera, Matthieu Ngirumpatse, ICTR-98-44, Judgement and Sentence, 2. Februar 2012, Abs. 1668, vgl. 1679; siehe auch The Prosecutor v. Édouard Karemera, Matthieu Ngirumpatse, ICTR-98-44, Judgement Summary, 21. Dezember 2011, Abs. 80 – 87. 175 The Prosecutor v. Édouard Karemera, Matthieu Ngirumpatse, ICTR-98-44, Judgement and Sentence, 2. Februar 2012, Abs. 1665 – 1671, insb. 1670 f. 176 The Prosecutor v. Édouard Karemera, Matthieu Ngirumpatse, ICTR-98-44, Judgement and Sentence, 2. Februar 2012, Abs. 1667: „In light of the evidence brought before it, the Chamber is satisfied that the rapes, mutilations and other acts of sexual violence against Tutsi women and girls were systematic and widespread. Many of these women were subjected to severe humiliation and physical injuries. As a consequence, these crimes did not only cause serious bodily and mental harm to the women themselves, but also, by extension, to their families and communities. Furthermore, many Tutsi women were killed after they were subjected to rapes and sexual assaults.“ 177 The Prosecutor v. Édouard Karemera, Matthieu Ngirumpatse, ICTR-98-44, Judgement and Sentence, 2. Februar 2012, Abs. 1668: „In this context, the Chamber finds it proven beyond a reasonable doubt that the rapes and sexual assaults that Tutsi women endured from April to June 1994 throughout Rwanda were acts of genocide and, thus, that the perpetrators had a genocidal intent.“ „The Chamber concludes that these women were raped and sexually assaulted in order to increase their suffering before they were killed by the assailants with the intent to destroy, in whole or in part, the Tutsi group.“
F. Probleme des Opfer- und Zeugenschutzes
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II. Besonderheiten bei der Verwirklichung des Tatbestandes des Völkermordes durch Vergewaltigung In all diesen Fällen wird deutlich, dass es bei Vergewaltigungen als Völkermord – wie bei allen Begehungsformen des Völkermordes – nicht um das individuelle Opfer, sondern um die Opfergruppe als Kollektiv geht. Die schweren körperlichen Schäden in Form der Vergewaltigung treffen zwar das individuelle Opfer müssen aber in Völkermordabsicht gegen die gesamte Gruppe des Opfers gerichtet sein um den Tatbestand des Völkermordes zu erfüllen. Trotzdem kann auch eine einzelne Vergewaltigung – sofern sie in Völkermordabsicht begangen wurde – den Tatbestand des Völkermordes erfüllen.
F. Probleme des Opfer- und Zeugenschutzes In den Verfahren vor den beiden Ad hoc-Tribunalen beschränkt sich die Rolle des Opfers auf seine Eigenschaft als Zeuge oder Zeugin der Tat(en). Damit ist der Einfluss des Opfers auf das Verfahren auf seine Zeugenaussage, die ausschließlich der gerichtlichen Wahrheitsfindung dient, begrenzt. Bedürfnisse des Opfers sind in dieser Konstellation insoweit zunächst nicht maßgeblich. Allerdings müssen die Opfer als Zeugen geschützt werden, da sie sonst nicht zur Aussage bereit sein werden. Dies ist der eigentliche Grund für Vorschriften und Maßnahmen des Zeugenschutzes, da die Strafverfahren vor dem ICTYund dem ICTR ohne Aussagen von Zeugen gar nicht oder zumindest nicht in der bekannten Form stattfinden könnten. Opfer sexueller Gewalt in bewaffneten Konflikten werden aber nicht zu einer Aussage zu bewegen sein, wenn sie aufgrund ihrer Aussage um ihr Leben oder persönliche Sicherheit fürchten müssen, gesellschaftliche Zurückweisung erfahren oder durch die Befragung vor Gericht selbst möglicherweise erneuter Traumatisierung ausgesetzt werden.178 In diesem Abschnitt werden die in der bisherigen Rechtsprechung der Ad hocTribunale aufgetauchten Probleme des Opfer- und Zeugenschutzes sowie der Ermittlungen wegen sexueller Gewalt und Vergewaltigung durch die Anklagebehörde – soweit bekannt und zugänglich – untersucht. Hierbei ist zwischen Problemen, die Ermittlungen wegen der Verbrechen betreffen, die unmittelbar mit der Art der Befragung vor Gericht zusammenhängen und Problemen, die Folge der Aussage vor Gericht sind und die Sicherheit oder das Wohlergehen des Vergewaltigungsopfers vor und nach der eigentlichen Aussage betreffen, zu unterscheiden. 178
de Brouwer, Supranational Criminal Prosecution of Sexual Violence, S. 231 f.; Ingabire, The Rape of Tutsi Women, S. 6. (Ingabire sollte als Sachverständige vor dem ICTR im Verfahren gegen Muhimana aussagen, aufgrund bürokratischer Verzögerungen wurde ihre Aussage jedoch in letzter Minute abgesagt; siehe de Brouwer, Supranational Criminal Prosecution of Sexual Violence, S. 234).
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6. Kap.: Probleme des Tatbestands der Vergewaltigung
I. Strafrechtliche Ermittlungen der Anklagebehörde und Prozessökonomie Im Verfahren des ICTR gegen Ntagerura, Bagambiki und Imanishimwe wurde die Anklagebehörde wegen verspäteter, zunächst lückenhafter Ermittlungen der Vergewaltigungen, so dass diese nicht Gegenstand der ersten Anklageschrift waren, kritisiert.179 Nachdem – noch vor Beginn des Hauptverfahrens – jedoch belastbare Aussagen über Vergewaltigungen gefunden wurden, wurde die Notwendigkeit die Anklagepunkte wegen Vergewaltigungen förmlich in das Verfahren aufzunehmen deutlich, so dass die Anklagebehörde darum bat, die Anklage auf Vergewaltigung als Verbrechen gegen die Menschlichkeit auszuweiten und so in das Verfahren zu integrieren. Da dies jedoch mit einiger Verzögerung geschah, war die Reaktion des Gerichts auf diesen Antrag ungnädig. Im Ergebnis wurde der Antrag auf Aufnahme von Anklagepunkten wegen Vergewaltigung als Verbrechen gegen die Menschlichkeit auf Anordnung der Anklägerin aus Gründen der Prozeßökonomie zurückgenommen. Als Zeuginnen später im Hauptverfahren über von ihnen erlittene sexuelle Gewalt und Vergewaltigungen aussagen wollten, legte die Verteidigung Einspruch ein, dem das Gericht stattgab. In der Folge wurden alle Hinweise auf sexuelle Gewalt aus den Gerichtsakten gelöscht.180 Insbesondere im Vergleich mit dem Verfahren im Fall gegen Akayesu, in dem der ICTR unter ähnlichen Umständen die Aufnahme von Anklagepunkten wegen sexueller Gewalt und Vergewaltigung erlaubt hatte, erscheint diese Vorgehensweise willkürlich.181 Ähnlich ist der Sachverhalt im bisher noch nicht erwähnten Fall Lukic´, in dem von der Anklage wegen sexueller Gewalt und Vergewaltigung vor dem ICTY zunächst aufgrund der Verpflichtung der Anklagebehörde für ein schnelles Verfahren zu sorgen abgesehen worden war, die sich aus der sog. Conclusion Strategy ergab.182 Später erlaubte die Vorverfahrenskammer die Aufnahme von Anklagepunkten wegen sexueller Gewalt nicht mehr, da diese weder neu seien noch die Verteidigung aufgrund des Zeitablaufs ausreichend Zeit zur Vorbereitung ihrer Verteidigung hätte, wodurch das Recht der Angeklagten auf ein faires Verfahren gefährdet worden wäre.183 Hier muss die Frage nach den dahinter stehenden Werten und sich daraus ergebenden Prioritäten gestattet sein. Es erschließt sich zumindest nicht sofort, warum das Bedürfnis nach einem schnellen Verfahren gewichtiger als die Straf179 The Prosecutor v. André Ntagerura, Emmanuel Bagambiki, Samuel Iminanishimwe, ICTR-99-46, Judgement and Sentence, 25. Februar 2004, Appeals Judgement, 7. Juli 2006. 180 Nowrojee, Your Justice Is Too Slow: Will the ICTR Fail Rwanda’s Rape Victims?, UNRISD, Occasional Paper n8 10, S. 15 f. 181 Nowrojee, Your Justice Is Too Slow: Will the ICTR Fail Rwanda’s Rape Victims?, UNRISD, Occasional Paper n8 10, S. 16. 182 IWPR, ICTY-Update 562, Simon Jennigns, 7. August 2008, Lukic Trial Provokes Outcry im Internet abrufbar unter: http://iwpr.net/report-news/lukic-trial-ruling-provokes-outcry (besucht am 06. 10. 2015). 183 The Prosecutor v. Milan Lukic´ and Sredoje Lukic´, IT-98-32/1, Decision on Prosecution Motion Seeking Leave to Amend the Second Indictment, 8. Juli 2008, Abs. 57-64.
F. Probleme des Opfer- und Zeugenschutzes
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verfolgung von so gewichtigen Taten wie Vergewaltigung sein soll oder warum den Angeklagten nicht ausreichend Zeit zur Vorbereitung ihrer Verteidigung gewährt werden konnte.184
II. Aussagebereitschaft der Opfer Ruandische Frauen, die 1994 während des Völkermordes Opfer von Vergewaltigung und sexueller Gewalt wurden, sind aufgrund der ruandischen Kultur mit massiver Stigmatisierung konfrontiert. Nach traditionellem Verständnis in Ruanda wird eine vergewaltigte Frau als – zumindest teilweise – für die Tat verantwortlich angesehen.185 Aus diesem Grund möchten viele der während des sogenannten Völkermordes vergewaltigten Frauen nicht vor dem ICTR aussagen. Ohne auf Belege zurückgreifen zu können, ist zu vermuten, dass die Situation von vergewaltigten Frauen im ehemaligen Jugoslawien ähnlich ist. Die befürchtete Zurückweisung durch Partner, Familie und Gesellschaft ist ein guter Grund die Aussage vor den beiden Tribunalen zu verweigern. Sie zeigt darüber hinaus aber auch die Bedeutung der Vertraulichkeit – sofern die Opfer diese wünschen – um sie in Fällen, in denen die Opfer trotzdem zu einer Aussage bereit sind vor gesellschaftlicher Stigmatisierung zu schützen.186 Im Verfahren des ICTY gegen Tadic´ wurde deshalb und bisher einmalig volle Anonymität eines Zeugen gewährt; in allen anderen Verfahren wurde die Identität der Zeugen nicht vollständig geheimgehalten.187 Eine beträchtliche Zahl – teilweise „nur“ potentieller – Zeugen wurde 184 Nowrojee, Your Justice Is Too Slow: Will the ICTR Fail Rwanda’s Rape Victims?, UNRISD, Occasional Paper n8 10, S. 17. 185 Ingabire, The Rape of a Tutsi Women, S. 4: „Sexuality is a taboo in the Rwandan culture. Being raped is a major social-cultural problem for a Rwandan girl or woman. In normal times, the Rwandan society does not usually consider a raped woman as a victim who requires compassion and rehabilitation. Society rather looks at her as if she was partly responsible for what happened to her! That is part of the mentality of Rwandans and the women who were raped during the genocide are aware of it. They therefore know that they will always be the objects of stigmatization once they were raped. They know that if is as if they were marked with red iron.“ 186 de Brouwer, Supranational Criminal Prosecution of Sexual Violence, S. 234 f. 187 Das Gericht erlaubte die volle Anonymität des Opfers unter den fünf folgenden Bedingungen in The Prosecutor v. Dusˇko Tadic´, IT-94-1, Decision on the Prosecutor’s Motion Requesting Protective Measures for Victims and Witnesses, 10. August 1995: „There must be real fear for the safety of the witness or her or his family. The horrendous nature and ruthless character of the crime would justify such fears; (2) The testimony of the particular witness must be important to the Prosecutor’s case. In this respect, it was noted that the Tribunal was heavily dependent on eyewitness testimony and the willingness of individuals to appear before the Trial Chamber to testify; (3) The Trial Chamber must be satisfied that there is no prima facie evidence that the witness is untrustworthy; (4) The ineffectiveness or non-existence of a witness protection programme: it was noted that the Tribunal did not have a police force available to protect witnesses after trial, nor does it provide for a long-term witness protection programme; (5) Any measures taken should be strictly necessary. If a less restictive measure can secure the required protection, that measure should be applied.“ Die Entscheidung wurde kritisiert, weil
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6. Kap.: Probleme des Tatbestands der Vergewaltigung
darüber hinaus bedroht und sogar getötet, so dass fraglich ist, ob die von den Ad hocTribunalen etablierten Opferschutzmechanismen während der Aussage ausreichenden Schutz der Intimsphäre und der Würde der Opfer sowie ihrer Sicherheit bieten.
III. Re-Traumatisierung durch die Zeugenaussage Die Art und Weise der Befragung von Opferzeugen im Prozeß selbst spielt besonders in Fällen von sexueller Gewalt und Vergewaltigung, in denen die Opfer meist traumatisiert und häufig auch gesellschaftlich stigmatisiert sind, eine entscheidende Rolle. Grundsätzlich gilt zwar, dass die Verfahrenskammer die an die Opfer gestellten Fragen kontrollieren soll, um Bedrohungen und Einschüchterungen zu vermeiden.188 Die Behandlung der Zeugin TA im Verfahren gegen Nyiramasuhuko et al. vor dem ICTR illustriert anschaulich, wie eine – möglicherweise zumindest von Seiten der Verteidigung bewußt unsensible – Befragung des Opfers vor Gericht zu einer erneuten Traumatisierung desselben führen kann.189 Die Zeugin wurde – nach Schilderung mehrerer brutaler Vergewaltigungen durch unterschiedliche Täter – unter anderem von den Verteidigern gefragt, ob sie den Penis eines der Angeklagten gesehen habe, ob sie ihn angefasst habe, wie der Penis in die Vagina des Opfers eingeführt wurde und ob der Angeklagte beschnitten war. Zudem unterstellte der Verteidiger der Zeugin kein Vergewaltigungsopfer sein zu können, da sie in Abwesenheit einer Waschgelegenheit hätte riechen müssen und deshalb ,unattraktiv‘ gewesen wäre.190 Gegen Ende seines Kreuzverhörs stellte ein Verteidiger die Zeugin TA als unglaubwürdig dar, indem er sie fragte, ob ihre Berichte möglicherweise auf Suggestion statt auf der Realität beruhen könnten.191 Die Verfahrenskammer intervenierte trotz der in den Verfahrens- und Beweisregeln vorgesehenen Möglichkeit auf keine dieser Fragen zum Schutz der Zeugin, sondern bemerkte lediglich, dass die die Anonymität des oder der Opferzeugen die Rechte des Angeklagten den Zeugen zu befragen beeinträchtige. Siehe de Brouwer, Supranational Criminal Prosecution of Sexual Violence, S. 249 ff. 188 Rule 75 (D) ICTY and ICTR Rules of Procedure and Evidence; siehe auch Rule 90 (F) und (H), sowie Rule 46 (A), wonach ein Richter oder eine Kammer den Verteidiger verwarnen kann, wenn dieser beleidigend oder ausfallend wird. 189 The Prosecutor v. Pauline Nyiramasuhuko, Arsène Shalom Ntahobali, Syvain Nsabimana, Alphnose Nteziryakyo, Joseph Kanyabashi, Élie Ndayambaje, ICTR-9-42, Judgement and Sentence, 24. Juni 2011. 190 The Prosecutor v. Pauline Nyiramasuhuko, Arsène Shalom Ntahobali, Syvain Nsabimana, Alphnose Nteziryakyo, Joseph Kanyabashi, Élie Ndayambaje, ICTR-9-42, Transcripts, 31. Oktober 2001, S. 60 – 63, 65, 67, 69 f., 89, 100 (zitiert nach de Brouwer, Supranational Criminal Prosecution of Sexual Violence, S. 272 f.). 191 The Prosecutor v. Pauline Nyiramasuhuko, Arsène Shalom Ntahobali, Syvain Nsabimana, Alphnose Nteziryakyo, Joseph Kanyabashi, Élie Ndayambaje, ICTR-9-42, Transcripts, 1. November 2001, S. 68.
F. Probleme des Opfer- und Zeugenschutzes
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Frage „eindrucksvoll“ sei.192 Schließlich verletzten die Richter die Zeugin während des gleichen Kreuzverhörs selbst, indem sie unvermittelt begannen zu lachen – ohne sich dafür jemals zu entschuldigen oder sich anderweitig rechtfertigen zu müssen.193 Dass die Art und Weise eines solchen Kreuzverhörs geeignet ist ein bereits traumatisiertes Opfer erneut zu traumatisieren und damit zu re-viktimisieren bedarf keiner weiteren Erläuterung. Die sekundäre Viktimisierung der Zeugin TA wurde durch die Dauer des Kreuzverhörs, das über mehr als sieben Verhandlungstage vor Gericht andauerte, noch verschärft.194 Selbst für einen physisch und psychisch gesunden Menschen kann ein Kreuzverhör vor Gericht eine ermüdende, anstrengende und frustrierende Erfahrung sein, ein Opfer von Vergewaltigungen, das aufgrund seiner Vorerfahrungen bereits traumatisiert ist, wird diese in der Regel als noch belastender erleben. Die ICTR Verfahrens- und Beweisregel 90 (F) hätte der Verfahrenskammer in diesem Zusammenhang die Möglichkeit gegeben zur Wahrung der Effizienz des Verfahrens und zur Verhinderung von Zeitverschwendung, einzugreifen.195 Dies ist aber nicht geschehen, was insbesondere vor dem Hintergrund, dass auch Verteidiger, die Angeklagte vertraten, die im vorliegenden Fall gar nicht wegen sexueller Gewalt angeklagt waren, die Opferzeugin über Details der Vergewaltigungen befragten, gedankenlos gegenüber der Opferzeugin erscheint.196 Hierdurch wird erneut demonstriert wie unsensibel und rücksichtslos mit der Zeugin umgegangen wurde. Auch wenn die Befragung der Zeugin TA im Verfahren gegen Nyiramasuhuko et al. ein unglücklicher Einzelfall gewesen sein mag, so zeigt er doch die Berechtigung der Forderungen etwa von ruandischen Frauenrechtsorganisatione nach besserem Schutz von Opferzeugen vor belästigenden und einschüchternden Fragen durch die Verteidigung, die der ICTR beschränken (hätte) könn(t)e.197 Fairerweise ist zu erwähnen, dass keine Berichte über ähnliche Vorkommnisse hinsichtlich der Behandlung von Opferzeugen sexueller Gewalt vor dem ICTY bekannt sind. Vor dem Hintergrund, wie sehr eine Aussage vor einem Ad hoc-Tribunal das Opfer erneut traumatisieren kann, muss auch das oben im Zusammenhang mit der Dis192 Rule 75 (D) ICTR Rules of Procedure and Evidence; The Prosecutor v. Pauline Nyiramasuhuko, Arsène Shalom Ntahobali, Syvain Nsabimana, Alphnose Nteziryakyo, Joseph Kanyabashi, Élie Ndayambaje, ICTR-9-42, Transcripts, 1. November 2001, S. 68 f. 193 Nowrojee, Your Justice Is Too Slow: Will the ICTR Fail Rwanda’s Rape Victims?, UNRISD, Occasional Paper n8 10, S. 24; de Brouwer, Supranational Criminal Prosecution of Sexual Violence, S. 273, wonach der Grund des Gelächters wohl das Gebaren des Verteidigers war, was für die aussagende Opferzeugin aber nicht erkennbar war. 194 de Brouwer, Supranational Criminal Prosecution of Sexual Violence, S. 274. 195 Rule 95 (F) ICTR Rules of Procedure and Evidence: „The Trial Chamber shall erxercise control over the mode and order of interrogating witnesses and presenting evidence so as to: (i) Make the interrogation and presentation effective for the ascertainment of truth, and (ii) avoid needless consumption of time.“ 196 de Brouwer, Supranational Criminal Prosecution of Sexual Violence, S. 274. 197 de Brouwer, Supranational Criminal Prosecution of Sexual Violence, S. 272.
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6. Kap.: Probleme des Tatbestands der Vergewaltigung
kussion um die völkerrechtliche Definition der Vergewaltigung diskutierte Problem, ob das Nicht-Einverständnis des Opfers mit der Tat Tatbestandsmerkmal ist, gesehen werden. Die glaubhafte Schilderung einer Vergewaltigung, die in der Regel mit Gewalt oder mit Zwang verbunden sein wird, sollte auch um die Gefahr der sekundären Viktimisierung des Opfers zu minimieren, ausreichen.
IV. Der Schutz von Opferzeugen vor und nach dem Hauptverfahren Im Fall der Zeugin TA führte ihre – sie erneut traumatisierende – Aussage vor dem ICTR dazu, dass ihr Verlobter davon erfuhr, dass sie vergewaltigt wurde und sie deswegen verließ. Darüberhinaus wurde sie nach ihrer Rückehr aus Arusha bedroht und ihr Haus angegriffen.198 Im Zusammenhang mit Verfahren vor dem ICTR wird von mehreren ähnlichen Vorkommnissen in denen Opfer eingeschüchtert, bedroht, angegriffen oder sogar getötet wurden oder untertauchen mussten, bevor oder nachdem sie in Arusha ausgesagt hatten, berichtet.199 Über die Bedrohung von Zeugen des ICTY gibt es ebenfalls keine belastbaren Statistiken. Nichtsdestotrotz wird auch hier von Hinweisen auf die Bedrohung von Zeugen vor oder nach ihrer Aussage berichtet.200 All dies illustriert die Notwendigkeit die Zeugen vor, während und nach ihrer Aussage vor Gericht effektiv vor Re-Traumatisierung sowie vor Angriffen auf ihre Sicherheit – etwa durch Geheimhaltung ihrer Identität – zu schützen.
G. Weiterentwicklung und Bewertung der Rechtsprechung der Ad hoc-Tribunale zum Tatbestand der Vergewaltigung I. Strafrechtliche Auseinandersetzung mit dem Tatbestand der Vergewaltigung als völkerrechtlichem Verbrechen Die Anerkennung von sexueller Gewalt und Vergewaltigung als völkerrechtlichen Verbrechen ist trotz der fehlenden expliziten Nennung in den Statuten – mit Aus198 Nowrojee, Your Justice Is Too Slow: Will the ICTR Fail Rwanda’s Rape Victims?, UNRISD, Occasional Paper n8 10, S. 24: „When I returned, everyone knew I had testified. My fiancée refused to marry me once he knew I had been raped. He said, you went to Arusha and told everyone that you were raped. Today I would not accept to testify, to be traumatized for a second time. No one apologized to me. Only Gregory Townsend congratulated me after the testimony for my courage. When you return you get threatened. My house was attacked. My fiancée has left me. In any case, I’m already dead.“ 199 de Brouwer, Supranational Criminal Prosecution of Sexual Violence, S. 233. 200 de Brouwer, Supranational Criminal Prosecution of Sexual Violence, S. 232.
G. Weiterentwicklung und Bewertung der Rechtsprechung
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nahme von Art. 5 (g) ICTY-Statut – hinsichtlich des Untersuchungsgegenstands dieser Arbeit eine der wesentlichen Leistungen der Rechtsprechung der beiden Ad hoc-Tribunale.201 Die Kriegsverbrechertribunale von Nürnberg und Tokio setzten sich trotz entsprechender Indizien (noch) nicht mit der dem Verbrechen der Vergewaltigung in bewaffneten Konflikten angemessenen Tiefe auseinander.202 Anders die beiden Ad hoc-Tribunale, die sich in zahlreichen Urteilen mit dem Phänomen der sexuellen Gewalt in ihrer Zuständigkeit befassten und sich damit juristisch auseinandersetzten. Durch diese Urteile, die anerkannten, dass Vergewaltigung – je nach den Umständen des Falles – ein Kriegsverbrechen, ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit oder ein Instrument des Völkermordes, etwa in Form der Folter und Versklavung oder der Verfolgung ist,203 wurde ein deutliches Signal gesetzt, dass Vergewaltigungen heute als schwerste völkerrechtliche Verbrechen verfolgt werden (können). Diese Signalwirkung kann aufgrund ihrer Symbolkraft nicht unterschätzt werden. Welche Wirkung dies im Sinne einer – positiven wie negativen – Generalprävention auf den einzelnen potentiellen Täter hat, bleibt derzeit trotzdem noch fraglich und abzuwarten. Durch die Strafverfolgung von Vergewaltigungen und anderer sexueller Gewalt an weiblichen wie an männlichen Opfern als völkerrechtliche Verbrechen wird gezeigt, dass der Ansatz nach dem Vergewaltigung lediglich ein Verbrechen gegen die Ehre von Frauen, wie er sich noch in den GA von 1949 findet, heute überholt ist. Allerdings bleibt kritisch anzumerken, dass sich neben der überwiegend positiven Entwicklung Vergewaltigungen im Zuständigkeitsbereich der Ad hoc-Tribunale als das zu behandeln, was sie sind, nämlich schwer(st)e völkerrechtliche Verbrechen, auch immer noch einzelne Reminiszensen an die überholte Auffassung von Vergewaltigung als Verbrechen gegen die Familienehre in den Urteilen der Gerichte finden.204 In diesem Zusammenhang wurde an der Rechtsprechung der beiden Tribunale auch kritisiert, dass sie Vergewaltigung unter dem sog. Chapeau der drei völkerrechtlichen Verbrechen, nämlich als Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Völkermord verurteilten. Dadurch dass die Vergewaltigung als 201 Eriksson, Defining Rape, S. 441; Meron, The Humanization of International Law, S. 179. 202 Siehe 2. Kapitel, sowie Askin, War Crimes Against Women, S. 162 f.; Ni Aolain, Radical Rules: The Effects of Evidential and Procedural Regulation of Sexual Violence in War, Alb. L. Rev. 60 (1996/7), S. 883 – 905 (891); Seibert-Fohr, Kriegerische Gewalt gegen Frauen – der Schutz vor sexueller Gewalt im Völkerstrafrecht, in: Hankel (Hrsg.), Die Macht und das Recht, S. 157 – 188 (161 f.); Copelon, Gender Crimes as War Crimes, McGill L. J. 46 (2000), S. 217 – 240 (223). 203 Askin, Historical Reflection and Peace Building for the Region, in: Steinberg, Assessing the Legacy of the ICTY, S. 125 – 128 (125). 204 Siehe in diesem (6.) Kapitel, A. IX. für den Fall Stakic´, sowie Eriksson, Defining Rape, S. 441 f.
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6. Kap.: Probleme des Tatbestands der Vergewaltigung
solche nicht genannt werde, ginge die Abschreckung vor der Begehung sexueller Gewalt verloren, da nicht klar sei, dass es sich bei dem zu bestrafenden Verbrechen um sexuelle Gewalt bzw. Vergewaltigung handle.205 Angesichts der historischen Straflosigkeit von Vergewaltigung spiele dieser Aspekt eine entscheidende Rolle.206 Diesem Argument ist entgegenzuhalten, dass der Kanon der durch die Ad hoc-Tribunale strafbaren völkerrechtlichen Verbrechen begrenzt ist und von den Tribunalen selbst nicht über den Wortlaut ihrer Statuten ausgeweitet werden kann. Zudem spielt die Verurteilung des oder der Täter(s) aufgrund der Vergewaltigungen eine viel grössere und gewichtigere Rolle als die Titulierung des Verbrechens ob als Vergewaltigung oder als ein anderes völkerrechtliches Verbrechen. Darüber hinaus ist nicht ersichtlich, wieso Vergewaltigung und andere sexuelle Gewalt – bei Vorliegen der entsprechenden Chapeau-Elemente – nicht als Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Völkermord verfolgt und ggfs. bestraft werden soll. Schließlich ist zu berücksichtigen, dass Vergewaltigungen und andere sexuelle Gewalt nicht in gleichem Maße verfolgt werden könnten, würde man die Verfolgung dieser Taten auf die expliziten Straftatbestände der sexuellen Gewalt in den Statuten der Ad hoc-Tribunale beschränken.207 Im Ergebnis muss deshalb die Verurteilung und Bestrafung des Verbrechens der Vergewaltigung – aufgrund ihres Unrechtsgehaltes nicht aufgrund ihrer Bezeichnung – maßgeblich sein. Die Lösung der Ad hoc-Tribunale, die beide Elemente kombiniert und einen Täter beispielsweise wegen des Kriegsverbrechens der Vergewaltigung verurteilt ist daher als sachgerecht anzusehen.
II. Entwicklung einer geschlechtsneutralen völkerstrafrechtlichen Definition des Tatbestandes Die Rechtsprechung der Ad hoc-Tribunale hat außerdem wesentlich zur Entwicklung und Präzisierung einer Definition des völkerrechtlichen Tatbestands der Vergewaltigung beigetragen. Insbesondere in den Urteilsbegründungen der Fälle Akayesu, Furundzˇ iya und Kunarac wurde sich jeweils intensiv mit dem Kerngehalt des völkerrechtlichen Verbrechens der Vergewaltigung aufeinandergesetzt um dann den jeweiligen Sachverhalten angepasste, aufeinander aufbauende völkerstrafrechtliche Definitionen der Vergewaltigung zu finden. Insbesondere durch das Urteil im Fall Gacumbitsi kommt dabei auch das Bemühen der Ad hoc-Tribunale um Einheitlichkeit der Rechtsprechung zum Ausdruck. 205 Chinkin, Rape and Sexual Abuse of Women in International Law, EJIL 5 (1994), S. 326 – 341 (337); Eriksson, Defining Rape, S. 442. 206 Askin, The Jurisprudence of International War Crimes Tribunals, in: Durham/Gurd, Listening to the Silences, S. 125 – 153 (132 f.). 207 Viseur Sellers/Okuizumi, Intentional Prosecution of Sexual Assaults, Transnat’l L. & Contemp. Probs. 7 (1997) S. 45 – 80 (57 f.); de Brouwer, Supranational Criminal Prosecution of Sexual Violence, S. 18.
G. Weiterentwicklung und Bewertung der Rechtsprechung
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Positiv an der Definition der Vergewaltigung durch den ICTY und den ICTR ist außerdem, dass beide Gerichte den Tatbestand der Vergewaltigung geschlechtsneutral formulieren, so dass die Opfer – wie in der Realität – beiderlei Geschlechts sein können. Feministische Autoren argumentierten diesbezüglich, dass sexuelle Gewalt und Vergewaltigungen primär gegen Frauen gerichtet seien und diese Tatsache in der Sprache und der Bezeichnung der Verbrechen zum Ausdruck kommen müsse.208 Die Sorge dieser Autoren besteht darin, dass durch eine geschlechtsneutrale Definition von Vergewaltigung, die geschlechtliche Machtdimension, die in sexueller Gewalt von Männern gegenüber Frauen zum Ausdruck gebracht wird, keine ausreichende Berücksichtigung findet.209 Andere erkennen zwar die Tatsache an, dass Männer wie Frauen Opfer von sexueller Gewalt und Vergewaltigung werden, sind jedoch der Auffassung, dass die Situation von männlichen Opfern andere Probleme aufwirft.210 Männer würden in ähnlichen Umständen auf andere Weise verletzt oder vergewaltigt.211 Hiergegen ist jedoch einzuwenden, dass – beispielsweise im Jugoslawienkonflikt – Männer wie Frauen vergewaltigt wurden und jede Vergewaltigung gleich er- und abschreckend ist.212 Zudem würde die Hälfte der potentiellen und ein unbekannter geringerer Anteil unbekannter Teil der tatsächlichen Opfer durch eine auf das weibliche Geschlecht beschränkte Definition von Vergewaltigung von dem völkerstrafrechtlichen Schutzzweck ausgenommen, ohne dass dadurch der Schutz von weiblichen Opfern verbessert würde.213 Zuletzt vermag die Differenzierung nach dem Geschlecht der Opfer in bewaffneten Konflikten für den völkerrechtlichen Tatbestand der Vergewaltigung schon deshalb nicht zu überzeugen, weil es hier primär um die Machtverhältnisse zwischen den beiden Konfliktparteien, weniger um das Machtverhältnis zwischen Männern und Frauen geht. Zwar wurden Frauen in Ausnahmesituationen, die in die Zuständigkeit eines der beiden Ad hoc-Tribunale fällt, auch vergewaltigt, weil sie Frauen sind, aber primär wurden sie Opfer, weil sie – aus Sicht der Täter – der „gegnerischen“ Gruppe angehörten, was die Tatsache der Existenz von männlichen Opfern belegt. Die in der Rechtsprechung von ICTY und ICTR zum Ausdruck kommende Geschlechtsneutralität in den Definitionen der Verbrechen der Vergewaltigung und sexueller Gewalt ist deshalb als einzig sachgerecht zu begrüßen.
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Quénivet, Sexual Offenses in Armed Conflict and International Law, S. 14. Gillespie, Rape Crisis Centres and ,Male Rape‘: A Face of the Backlash, in: Hester/ Kelly/Radford, Women, Violence and Male Power, S. 148 – 165 sowie Quénivet, Sexual Offenses in Armed Conflict and International Law, S. 14. 210 Niarchos, Women, War and Rape, Hum. Rts. Q. 17 (1995), S. 649 – 690 (653, Fn. 13). 211 Jones, Gendercide and Genocide, in: Jones (Hrsg.), Gendercide and Genocide, S. 1 – 38; Quénivet, Sexual Offenses in Armed Conflict and International Law, S. 15. 212 The Prosecutor v. Anto Furundzˇ iya, IT-95-17/1-T, Judgement, 10. Dezember 1998, Abs. 186. 213 Eriksson, Defining Rape, S. 447. 209
214
6. Kap.: Probleme des Tatbestands der Vergewaltigung
III. Das „internationale Element“ als mögliche Lösung des Problems des Nicht-Einverständnisses des Opfers Hinsichtlich ihrer Fokussierung auf die Nicht-Einwilligung des Opfers erscheint die Definition der Vergewaltigung aus der inzwischen herrschenden Rechtsprechung der Ad hoc-Tribunale kritikwürdig. Trotzdem bleibt festzuhalten, dass diese völkerrechtliche Definition erst durch die Auseinandersetzung der beiden Tribunale in mehreren Urteilen mit dem Vergewaltigungstatbestand als völkerrechtlichem Verbrechen entstehen konnte und dass sie die erste – zumindest einigermaßen – gefestigte Definition darstellt. Die Diskussion in der Rechtsprechung der Ad hocTribunale um das Nicht-Einverständnis des Opfers als Tatbestandselement des völkerrechtlichen Verbrechens der Vergewaltigung zeigt auch, dass der Kontext, in dem Vergewaltigungen in einem bewaffneten Konflikt stattfinden, wesentlich für die Einordnung und Qualifizierung des Verbrechens sind. Zwar hat das Urteil im Fall Gacumbitsi eine praktische Lösung für das prozessuale Problem der Behandlung von zwingenden Umständen gefunden, indem es bei Vorliegen mit Zwang verbundener Umstände auf weitere Beweise für die Nicht-Einwilligung des Opfers mit der sexuellen Handlung verzichtet. Dadurch wird aber das Grundproblem, dass die NichtEinwilligung des Opfers – wie oben untersucht – kein sachgerechtes Tatbestandselement der Vergewaltigung als völkerrechtlichem Verbrechen ist, nicht gelöst.214 In diesem Zusammenhang darf nicht vergessen werden, dass die abstrakte Frage nach der Nicht-Einwilligung des Opfers die angesichts der tatsächlichen Umstände von Vergewaltigungen in der Zuständigkeit der beiden Ad hoc-Tribunale die mehr als unangemessene Befragung der Zeugen hierzu zur Folge haben kann.215 Auch wenn das Leid von Vergewaltigungsopfern zu Friedenszeiten und während bewaffneter Konflikte ähnlich sein kann, unterscheiden der große Umfang der Taten und die besonderen Umstände eines bewaffneten Konflikts Vergewaltigungen in bewaffneten Konflikten oder während eines ausgedehnten systematischen Angriffs gegen die Zivilbevölkerung als völkerrechtliche Verbrechen von anderen Vergewaltigungen. Bei Vergewaltigungen in einem bewaffneten Konflikt liegt der Fokus des hierdurch verursachten Leids auf der Gemeinschaft, weshalb diese als völkerrechtliche Verbrechen verfolgt werden (können) und in die Zuständigkeit der Tribunale fallen, während isolierte Vergewaltigungen – wie zu Friedenszeiten – in disziplinierten Truppen besser nach nationalem Strafrecht zu verfolgen sind.216 In diesem Zusammenhang vertritt die Rechtsprechung der Ad hoc-Tribunale, dass ,zwingende Umstände‘ der Vergewaltigung das Einverständnis des Opfers aus-
214
Siehe in diesem (6.) Kapitel oben B. I. sowie Schomburg/Petersen, Genuine Consent to Sexual Violence under International Criminal Law, AJIL 101 (2007), S. 121 – 140 (140). 215 Hayes, Creating a Definition of Rape in International Law, in: Darcy/Powderly (Hrsg.), Judicial Creativity at the International Criminal Tribunals, S. 129 – 156 (150). 216 Eriksson, Defining Rape, S. 441.
G. Weiterentwicklung und Bewertung der Rechtsprechung
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schließen und eine entsprechende Befragung desselben überflüssig machen.217 Andere vertreten die Auffassung, dass auf ein – mit den chapeau-Elementen völkerrechtlicher Verbrechen zusammenfallendes – internationales Element abgestellt werden könnte, mit dessen Vorliegen die Umstände des Tatbestands der Vergewaltigung mit Zwang verbunden sind, so dass sich die Frage nach dem – angesichts der Brutalität der Taten, meist nur theoretisch denkbarem – Nicht-Einverständnis des Opfers nicht mehr stellt.218 Für diese Auffassung spricht insbesondere, dass die mit den chapeau-Elementen zusammenfallende Prüfung des internationalen Elements bei positivem Ergebnis quasi auch die Untersuchung des Vorliegens von zwingenden Umständen beinhaltet, die auch nach Auffassung der Tribunale die Einwilligung des Opfers ausschließen. Durch das sachgerechte internationale Element blieben Opferzeugen somit schmerzhafte und möglicherweise erneut traumatisierende Befragungen erspart. Dies würde längerfristig zur Aussagebereitschaft der Opferzeugen beitragen. Alles in allem hat die Rechtsprechung des ICTY und des ICTR den völkerstrafrechtlichen Tatbestand der Vergewaltigung erheblich weiterentwickelt: Einerseits durch die Entwicklung der Definition von Vergewaltigung als völkerrechtlichem Verbrechen und andererseits durch die Anerkennung der Bedeutung von Vergewaltigung und sexueller Gewalt in bewaffneten Konflikten und als Begehungsform anderer völkerrechtlicher Verbrechen wie Völkermord, Ausrottung, Versklavung, Folter, Verfolung, anderer unmenschlicher Behandlung, schwere Verstöße, Verbrechen gegen die persönliche Würde und grausame Behandlung.219 Um alle völkerrechtlichen Taten der sexuellen Gewalt wie Vergewaltigung im Zuständigkeitsbereich der Ad hoc-Tribunale angemessen zu bestrafen, bleibt jedoch – nicht nur, aber insbesondere in allen Bereichen, die die Behandlung von Opferzeugen durch das Gericht und die Anklagebehörde betrifft – noch viel Raum für Verbesserungen. Teilweise werden diese Probleme bereits im römischen Statut des IStGHs berücksichtigt, der sich ebenfalls intensiv mit den Tatbeständen der sexuellen Gewalt und der Vergewaltigung als Begehungsformen völkerrechtlicher Verbrechen auseinandersetzen muss.
217 The Prosecutor v. Sylvestre Gacumbitsi, ICTR-2001-64, Appeal Judgement, 7. Juli 2006, Abs. 154; siehe in diesem (6.) Kapitel oben A. und B. 218 Schomburg/Petersen, Genuine Consent to Sexual Violence under International Criminal Law, AJIL 101 (2007), S. 121 – 140 (138). 219 Hayes, Creating a Definition of Rape in International Law, in: Darcy/Powderly (Hrsg.), Judicial Creativity at the International Criminal Tribunals, S. 129 – 156 (156).
7. Kapitel
Das Vergewaltigungsverbot im Statut des Internationalen Strafgerichtshofs (1998) Aufgrund der Erfahrungen der Kriegsverbrechertribunale von Nürnberg und Tokio sowie mit der Schaffung der beiden Ad hoc-Tribunale gekoppelt mit dem nach Ende des kalten Krieges günstigeren weltpolitischen Klima war in den 1990er Jahren die Schaffung eines ständigen Internationalen Strafgerichtshofs (IStGH) möglich. Obwohl dieser weltweit große Unterstützung erfahren hat, ist er (noch) kein universeller Weltstrafgerichtshof, da weltpolitisch einflussreiche Staaten wie China, Indien, Russland und die Vereinigten Staaten von Amerika das römische Statut bisher nicht ratifiziert haben.1 Aufgabe des IStGH ist es, „schwerste Verbrechen von internationalem Belang“
im Rahmen seiner Zuständigkeit zu verfolgen.2 Inwieweit und unter welchen Voraussetzungen hierunter auch der Tatbestand der Vergewaltigung fällt, ist Untersuchungsgegenstand dieses Kapitels. Dabei muss über den eigentlichen Vergewaltigungstatbestand hinaus auch auf solche Tatbestände eingegangen werden, die mit dem Verbrechen der Vergewaltigung verknüpft sein können – etwa weil sie durch eine Vergewaltigungshandlung begangen werden können oder diese ein Teil der Verwirklichung des Tatbestandes ist. Bei der Auslegung der völkerrechtlichen Tatbestände helfen dem Gerichtshof die so genannten „Verbrechenselemente“ (Art. 9), die die Tatbestände weiter präzisieren, jedoch nicht bindend sind.3
A. Rechtsgrundlage und Jurisdiktion Im Gegensatz zu den beiden Ad hoc-Tribunalen ist der Ständige Internationale Strafgerichtshof (IStGH) – wie der Name sagt – ein ständiges Gericht, das seine 1
Werle, Völkerstrafrecht, Rn. 68. Art. 1 römisches Statut. 3 Die Verbrechenselemente (elements of crimes) wurden auf der ersten Versammlung der Vertragsstaaten angenommen und sind am 09. 09. 2002 in Kraft getreten; ICC-ASP/1/3. Das Ziel der „Verbrechenselemente“ ist es, die wesentlichen Tatbestandsmerkmale qualitativ wie quantitativ im Hinblick auf das Legalitätsprinzip für jedes völkerrechtliche Verbrechen zu definieren, vgl. Dörmann, Elements of War Crimes, S. 8; Gadirov/Clark, in: Triffterer, Commentary on the Rome Statute, Art. 9 Rn. 1 und Cassese, in: Cassese/Gaeta/Jones, The Rome Statute of the International Criminal Court: A Commentary, S. 348. 2
B. Verbrechen gegen die Menschlichkeit (Art. 7)
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Rechtsgrundlage in einem eigenen völkerrechtlichen Vertrag hat, dem – nach dem Ort seiner Verhandlung und Unterzeichnung 1998 benannten – römischen Statut.4 Nach Artikel 1 des römischen Statuts hat der IStGH Gerichtsbarkeit über Personen wegen „schwersten Verbrechen von internationalem Belang“, die in Artikel 5 in Verbindung mit Artt. 6, 7 und 8 näher als Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen definiert sind. Der IStGH ist nur für Verbrechen zuständig, die nach Inkrafttreten seines Statuts auf dem Territorium oder von einem Angehörigen eines Vertragsstaates oder eines Staates, der die Gerichtsbarkeit des IStGH akzeptiert hat, begangen wurden (sog. Territorialitätsprinzip und aktives Personalitätsprinzip; Artt. 11, 12).5 Daneben kann der IStGH unabhängig von Tatort und Staatsangehörigkeit des Täters tätig werden, wenn ihm der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen eine Situation gemäß Kapitel 7 der VN-Charta überwiesen hat (Art. 13 b)).6
B. Verbrechen gegen die Menschlichkeit (Art. 7) Der Tatbestand der Verbrechen gegen die Menschlichkeit ist im römischen Statut im Vergleich zu den Definitionen in den Statuten der Ad hoc-Tribunale sehr ausführlich geregelt.7,8 Im Gegensatz zu den Statuten der Ad hoc-Tribunale verlangt das 4
UNTS Bd. 2187 S. 3, BGBl. 2000 II S. 1394. Zu den Anknüpfungspunkten im internationalen Strafrecht Ambos, Internationales Strafrecht, Rn. 2 ff. 6 Vgl. Werle, Völkerstrafrecht, Rn. 232. 7 Robinson, in: Lee, The International Criminal Court, S. 57 ff. 8 Art. 7 des römischen Statuts lautet in den für den Untersuchungsgegenstand relevanten Teilen: (1) Im Sinne dieses Statuts bedeutet „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ jede der folgenden Handlungen, die im Rahmen eines ausgedehnten Angriffs gegen die Zivilbevölkerung und in Kenntnis des Angriffs begangen wird: a) – b) …; c) Versklavung; d) – e) …; f) Folter; g) Vergewaltigung, sexuelle Sklaverei, Nötigung zur Prostitution, erzwungene Schwangerschaft, Zwangssterilisation oder jede andere Form von sexueller Gewalt von vergleichbarer Schwere; h) Verfolgung einer identifizierbaren Gruppe oder Gemeinschaft aus politischen, rassischen (…) Gründen, Gründen des Geschlechts im Sinne des Absatzes 3 oder aus anderen nach dem Völkerrecht universell als unzulässig anerkannten Gründen im Zusammenhang mit einer in diesem Absatz genannten Handlung oder einem der Gerichtsbarkeit des Gerichtshofes unterliegenden Verbrechen; i – j) (…); k) andere unmenschliche Handlungen ähnlicher Art, mit denen vorsätzlich große Leiden oder eine schwere Beeinträchtigung der körperlichen Unversehrtheit oder der geistigen oder körperlichen Gesundheit verursacht werden. 5
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7. Kap.: Vergewaltigungsverbot im Statut des IStGH (1998)
römische Statut als Voraussetzung von Verbrechen gegen die Menschlichkeit weder einen Bezug zu einem bewaffneten Konflikt wie der ICTY noch diskriminierende Beweggründe für die Tat wie der ICTR. Stattdessen wurde mit dem römischen Statut wachsender Konsens über die chapeau-Elemente der Verbrechen gegen die Menschlichkeit erzielt. Demnach muss ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit Teil eines ausgedehnten oder systematischen Angriffs gegen die Zivilbevölkerung sein. Auf der subjektiven Seite muss der Täter Kenntnis von dem Angriff haben.9 Darüber hinaus wurde die ursprünglich beschränkte Liste der Begehungsformen ausgedehnt. Nach dem römischen Statut sind auch zwangsweises Verschwindenlassen von Personen, das Verbrechen der Apartheid, sexuelle Versklavung, Nötigung zur Prostitution, erzwungene Schwangerschaft, Zwangssterilisation und ,jede andere Form sexueller Gewalt von vergleichbarer Schwere‘ Verbrechen gegen die Menschlichkeit, sofern die genannten chapeau-Tatbestandselemente erfüllt sind. Durch diese Erweiterung der Begehungsformen wurden auch die Möglichkeiten, die verschiedenen Formen sexueller Gewalt als Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu bestrafen, im römischen Statut erheblich weiterentwickelt und ausgedehnt.10
I. Vergewaltigung (Art. 7 Abs. 1g-1)) Art. 7 Abs. 2 des römischen Statuts enthält keine Legaldefinition der Vergewaltigung. Dafür enthalten die Verbrechenselemente zum römischen Statut eine Definition von Vergewaltigung.11 Diese Definition der Vergewaltigung in den Ver(2) Im Sinne des Absatzes 1 a) – g) (…) (Legaldefinitionen). (3) (…). 9 Dixon/Hall, in: Triffterer, Commentary on the Rome Statute of the International Criminal Court, Art. 7, Rn. 5. 10 Vgl. de Brouwer, Supranational Criminal Prosecution of Sexual Violence, S. 85. 11 Art. 7 (1) (g)-1 Crime against humanity of rape Elements 1. The perpetrator invaded15 the body of a person by conduct resulting in penetration, however slight, of any part of the body of the victim or of the perpetrator with a sexual organ, or of the anal or genital opening of the victim with any object or any other part of the body.16 2. This invasion was committed by force, or by threat of force or coercion, such as that caused by fear of violence, duress, detention, psychological oppression or abuse of power, against such person or another person, or by taking advantage of a coercive environment or the invasion was committed against a person incapable of giving genuine consent. 3. – 4. (…) Fn. 15: The concept of „invasion“ is intended to be broad enough to be gender-neutral. Fn. 16: It is understood that a person may be incapable of giving genuine consent if affected by natural, induced or age-related incapacity. This footnote also applies to the corresponding elements of article 7 (1) (g))-3, 5 and 6. Elements of Crimes zu Art. 7 (1) (g)-1 mit Fußnoten 15 und 16; Official Records of the Assembly of States Parties to the Rome Statute of the International Criminal Court, First Session, New York, 3. – 10. 09. 2002, ICC-ASP/1/3 (part II-B).
B. Verbrechen gegen die Menschlichkeit (Art. 7)
219
brechenselementen entspricht weitestgehend einer Kombination der Definition von Vergewaltigung des ICTR im Fall Akayesu, in der „a physical invasion of a sexual nature“,
also ein (gewaltsames) sexuelles Eindringen gefordert ist, und der des ICTY im Fall Furundzˇ iya, nach der eine „sexual penetration“ erforderlich ist.12 Die Rechtsprechung im Fall Kunarac, Kovacˇ und Vukovicˇ konnte schon deshalb keinen Einfluss auf die Verbrechenselemente haben, weil letztere vor der Kunarac Entscheidung (2001) im November 2000 von den Vertragsstaaten verabschiedet wurden. Ob diese Definition der Verbrechenselemente näher an der Definition des ICTR aus Akayesu oder an der des ICTY aus Furundzˇ iya liegt, ist für den Umgang mit dem Tatbestand der Vergewaltigung als Verbrechen gegen die Menschlichkeit in der Praxis wenig relevant. Trotzdem lässt sich feststellen, dass der weite Begriff der „physical invasion“ aus Akayesu durch das zusätzliche Erfordernis, dass dieser Eingriff zur (sexuellen) Penetration – wie in Furundzˇ iya – führen muss, eingeschränkt wird. Deshalb liegt die Definition der Vergewaltigung im Sinne des Art. 7 Abs. 1g) – 1 des römischen Statuts in den Verbrechenselementen wohl näher an der Entscheidung des ICTY im Fall Furundzˇ iya als an der des ICTR im Fall Akayesu.13 Nach den Verbrechenselementen sind die wesentlichen Merkmale von Vergewaltigung also (1) ein physischer Ein- oder Übergriff in oder auf den Körper des Opfers, der zur sexuellen Penetration führt, durch (2) Zwang oder Drohung mit Gewalt oder Zwang. Demnach ist das Nicht-Einverständnis des Opfers – im Gegensatz zu der Definition der Vergewaltigung aus der Rechtsprechung der Ad hocTribunale – kein Tatbestandsmerkmal des Verbrechens. Da das Tatbestandsmerkmal des Nicht-Einverständnisses des Opfers wie im 6. Kapitel untersucht den besonderen Umständen einer Vergewaltigung als völkerrechtlichem Verbrechen nicht gerecht wird, ist dies zu begrüssen und eröffnet dem IStGH die Möglichkeit eine der Tat besser gerecht werdende Definition des Tatbestandes zu finden. 1. Penetration Hinsichtlich des ersten Elements der Definition gibt es zwei Handlungsalternativen: Entweder die Penetration (irgend)eines Körperteils des Opfers oder des Täters mit einem Geschlechtsorgan oder die Penetration der Vagina oder des Anus des Opfers mit einem Objekt oder Körperteil. Unter die erste Handlungsalternative fällt 12
Vgl. oben 6. Kapitel A. I. und III. de Brouwer, Supranational Criminal Prosecution of Sexual Violence, S. 130 f.; Kuschnik, Der Gesamttatbestand des Verbrechens gegen die Menschlichkeit, S. 336. Nach Rückert/Witschel, Genocide and Crimes Against Humanity in the Elements of Crimes, in: Fischer/Kreß/ Lüder, International and National Prosecution of International Crimes, S. 59 – 93 (82) stellt die Definition der Vergewaltigung im Fall Akayesu den Ausgangspunkt dar; sie gehen jedoch nicht auf die Frage ein, ob diese durch das zusätzliche Erfordernis der Penetration wie in Furundzˇ iya eingeschränkt wurde. 13
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7. Kap.: Vergewaltigungsverbot im Statut des IStGH (1998)
zunächst die vaginale, orale oder anale Penetration des Opfers durch den Penis des Täters, aber auch die Penetration weiterer Körperteile wie der Ohren, der Nase oder der Augen des Opfers durch den Penis des Täters. Unter die zweite Handlungsalternative fallen die Penetration der Vagina oder des Anus des Opfers mit einem Körperteil (insb. wohl der Hände) oder einem Gegenstand. Daneben sind nach dem Wortlaut auch Fälle umfasst, in denen „der Täter einen Körperteil des Täters penetriert“.14 Auch wenn hiermit wohl Fälle, in denen der Täter das Opfer zur Penetration zwingt, gemeint sind, ist der Wortlaut diesbezüglich zumindest unklar und verwirrend.15 Weiter ist dem Wortlaut nicht zu entnehmen, ob erzwungene Masturbation des Opfers unter diese Definition von Vergewaltigung fällt. Zwar kann eine erzwungene Masturbation beinhalten, sich selbst mit einem Objekt zu penetrieren, es fehlt jedoch strenggenommen ein physischer Übergriff des Täters. Unklar ist ebenfalls, ob erzwungene Sodomie unter den Tatbestand subsumiert werden kann. Dies wäre denkbar, wenn Tiere unter den Begriff des Opfers im Sinne des Tatbestandes fallen. Von der Schutzrichtung jedenfalls wäre erzwungener Geschlechtsverkehr mit Tieren einer Vergewaltigung gleichzusetzen.16 Im Hinblick auf das Legalitätsprinzip mit dem strafrechtlichen Bestimmtheitsgrundsatz ist die Tatsache, dass eine von den Vertragsstaaten des ICC mit den Verbrechenselementen akzeptierte Definition von Vergewaltigung existiert, (wenn auch als nicht bindend) – ungeachtet der dargelegten noch bestehenden Unklarheiten – trotzdem als positiv zu bewerten.17 Positiv an der Definition von Vergewaltigung in den Verbrechenselementen zum römischen Statut ist weiter, dass sie nach Fußnote 15 explizit geschlechtsneutral zu verstehen ist und auch homosexuelle Praktiken des Geschlechtsverkehrs umfasst, wodurch auch männliche Vergewaltigungsopfer geschützt werden. Auch wenn die meisten Vergewaltigungsopfer weiblich sind, ist die Einbeziehung von männlichen Opfern einerseits angesichts der Tatsache, dass Vergewaltigung von Männern noch stärker tabuisiert ist, obwohl die dadurch hervorgerufenen Leiden vergleichbar sind, und andererseits mit Blick auf die Gleichstellung der Geschlechter zu begrüßen.18
14 „The perpetrator invaded the body of a person by conduct resulting in penetration (…) of any part of the body of (…) the perpetrator.“ Elements of Crimes zu Art. 7 (1) (g)-1 Abs. 1 (eigene Hervorhebungen). 15 Kuschnik, Der Gesamttatbestand des Verbrechens gegen die Menschlichkeit, S. 337; de Brouwer, Supranational Criminal Prosecution of Sexual Violence, S. 132. 16 Kuschnik, Der Gesamttatbestand der Verbrechen gegen die Menschlichkeit, S. 338; de Brouwer, Supranational Criminal Prosecution of Sexual Violence, S. 132. 17 de Brouwer, Supranational Criminal Prosecution of Sexual Violence, S. 132; zum strafrechtlichen Bestimmtheitsgrundsatz siehe auch Satzger, Die Internationalisierung des Strafrechts als Herausforderung für den strafrechtlichen Bestimmtheitsgrundsatz, JuS 2004, S. 943 – 948. 18 Zu sexueller Gewalt gegen Männer in bewaffneten Konflikten Sivakumaran, Sexual Violence Against Men in Armed Conflict, EJIL 18 (2007), S. 253 – 276; vgl. für ein Beispiel auch Prosecutor versus Ranko Cˇ esˇic´, IT-95-10, Judgement, 11. März 2004.
B. Verbrechen gegen die Menschlichkeit (Art. 7)
221
2. Zwang oder Drohung mit Gewalt oder Zwang Um nach den Verbrechenselementen Vergewaltigung zu sein, muss der Ein- oder Übergriff des Täters notwendigerweise mit 1. „force, or by threat of force or coercion“ verbunden sein oder 2. „by taking advantage of a coercive environment“ erfolgen oder 3. gegen eine Person „incapable of giving genuine consent“ begangen werden. Auch hieran zeigt sich der Versuch, die Definition von Vergewaltigungen aus den Entscheidungen der Ad hoc-Tribunale in den Fällen Akayesu und Furundzˇ iya zu kombinieren: Die Ausübung von Gewalt, Drohung mit Gewalt oder Zwang wurde aus dem Fall Furundzˇ iya übernommen (1.) und die von Zwang bestimmte Umgebung (2.) entspricht der Rechtsprechung im Fall Akayesu. Die nicht-abschließende Liste der Beispiele für letztere Variante zeigt, dass Zwang im Sinne der Definition auch ohne physische Gewaltanwendung ausgeübt werden kann. Unter die dritte Kategorie fallen nach Fußnote 16 beipielsweise Kinder, ältere Menschen und Menschen etwa unter Drogeneinfluss.19 Der Begriff des „consent“ ist aufgrund der zeitlichen Abfolge keineswegs gleichzusetzen mit „consent“ aus der Kunarac Entscheidung des ICTY, die erst nach Verabschiedung der Verbrechenselemente erfolgte. Diese Variante präzisiert vielmehr, dass der Tatbestand der Vergewaltigung unter den in Fußnote 16 genannten Umständen auch bei – anscheinend – vorliegendem Einverständnis des Opfers mit der Tat verwirklicht werden kann. Die Definition der Vergewaltigung in den Verbrechenselementen ist folglich stark an dem Erfordernis des Zwangs orientiert. Dies steht im Gegensatz zur Rechtsprechung des ICTY im Fall Kunarac, wonach das Nichteinverständnis des Opfers mit der Tat für die Erfüllung des Tatbestandes immer erforderlich ist.20 Vor diesem Hintergrund kann die Rechtsprechung aus den Fällen Kunarac und Gacumbitsi nicht ohne weiteres in die zukünftige Rechtsprechung des IStGHs übernommen werden. Da das Tatbestandselement des Nicht-Einverständnisses des Opfers – wie im 6. Kapitel erörtert – jedoch dem völkerrechtlichen Verbrechen der Vergewaltigung aufgrund der bei der Begehung solcher bestehenden ungleichen Machtverhältnisse zwischen Tätern und Opfern nicht gerecht wird, ist dies positiv zu bewerten.21 Die Formulierung der Verbrechenselemente gibt dem IStGH somit die Möglichkeit das völkerrechtliche Verbrechen der Vergewaltigung ohne Vorbelastung durch die Rechtsprechung der Ad hoc-Tribunale zu definieren. Damit besteht die berechtigte Hoffnung, dass der IStGH in seiner Rechtsprechung auf das Tatbestandselement des Nicht-Einverständnisses des Opfers verzichten wird.
19 20 21
La Haye, in: Lee, The International Criminal Court, Art. 8 (2) (b) (xxii)-1-Rape, S. 189. Vgl. oben 6. Kapitel, A. V. Siehe oben 6. Kapitel B. I.
222
7. Kap.: Vergewaltigungsverbot im Statut des IStGH (1998)
In subjektiver Hinsicht verlangt der Tatbestand neben der Kenntnis des ausgedehnten oder systematischen Angriffs gegen die Zivilbevölkerung die vorsätzliche Begehung gemäß Art. 30 des römischen Statuts.
II. Sexuelle Sklaverei (Art. 7 Abs. 1g-2)) Schon die Bezeichnung des Tatbestandes zeigt die Verbindung zu dem Verbrechen der Vergewaltigung, da sexuelle Sklaverei regelmässig auch die Vergewaltigung des Opfers beinhalten wird. Im römischen Statut wird sexuelle Sklaverei in Art. 7 Abs. 1g) erstmals als völkerrechtliches Verbrechen, das sich aus den Elementen der Sklaverei und der sexuellen Gewalt zusammensetzt, kodifiziert.22 Auch wenn die Einführung des gesonderten Tatbestandes nicht unumstritten war, weil sexuelle Versklavung zum Teil als eine Sonderform der Versklavung angesehen wird,23 zeigte beispielsweise das Verfahren gegen Kunarac, Kovacˇ und Vukovicˇ , in dem der ICTY, wie oben dargestellt, in Ermangelung eines Tatbestandes der sexuellen Sklaverei auf den allgemeinen Tatbestand der Sklaverei zurückgreifen musste, die Notwendigkeit der Schaffung eines eigenen Tatbestandes der sexuellen Sklaverei.24 Die Anerkennung des Tatbestandes der sexuellen Sklaverei trägt außerdem – im Vergleich zu den Tatbeständen der („normalen“) Versklavung und der Zwangsprostitution – dem spezifischen Unrechtsgehalt durch die Kombination der Elemente der Versklavung mit der strafbaren sexuellen Gewalt, von der es kein Entrinnen gibt, Rechnung und ist daher etwas anderes und mehr als „nur“ Versklavung und Vergewaltigung.25 Gleiches gilt für das Verhältnis von sexueller Versklavung und Nötigung zur Prostitution. Auch wenn beide Tatbestände ähnlich und eng miteinander verbunden sind, ist der Grad der Freiheitsberaubung des Opfers bei sexueller Versklavung regelmässig (noch) höher als bei Nötigung zur Prostitution und führt dadurch zu Leiden des Opfers, die von den beiden anderen Tatbeständen nicht adäquat erfasst werden.26 Folglich kann dem Unrechtsgehalt der Tat in einem gesonderten Tatbestand der sexuellen Sklaverei besser Rechnung getragen werden.27 22 Neben einem Verbrechen gegen die Menschlichkeit nach Art. 7 Abs. 1g) des römischen Statuts ist der Tatbestand der sexuellen Sklaverei auch ein Kriegsverbrechen im Sinne des Art. 8 Abs. 2 b) xxii und e) vi des römischen Statuts. 23 So Boot/Hall, in: Triffterer, Commentary on the Rome Statute of the International Criminal Court, Art. 7 Rn. 47; a.A. Meseke, Der Tatbestand der Verbrechen gegen die Menschlichkeit nach dem Römischen Statut des Internationalen Strafgerichtshofes, S. 224. 24 Siehe etwa Askin/Koenig, International Law and the International Criminal Court Statute: Crimes Against Women, in: König/Askin, Women and International Human Rights Law Bd. 2, S. 3 – 29; de Brouwer, Supranational Criminal Proscution of Sexual Violence Crimes, S. 92 f. sowie 137, vgl. auch 6. Kapitel A. V. (Kunarac), sowie in diesem (7.) Kapitel B. VII. (Versklavung). 25 Oosterveld, Sexual Slavery and the International Criminal Court, Mich. J Int’l Law 25 (2004), S. 605 – 651 (622 – 625). 26 Kuschnik, Der Gesamttatbestand des Verbrechens gegen die Menschlichkeit, S. 344.
B. Verbrechen gegen die Menschlichkeit (Art. 7)
223
Art. 7 Abs. 2 des römischen Statuts enthält keine Legaldefinition des Verbrechens der sexuellen Sklaverei. Der Tatbestand der sexuellen Sklaverei wird aber in den Verbrechenselementen zum römischen Statut definiert.28 Demnach beinhaltet das erste Element des Tatbestandes die Ausübung von Eigentumsrechten an einer Person und entspricht insoweit der Definition der Sklaverei aus Art. 7 Abs. 2 (c) des römischen Statuts und des Übereinkommens zur Abschaffung von Sklaverei von 1926. Diese Anmaßung von Eigentumsrechten kann durch das Kaufen, Verkaufen, Leihen oder Tauschen oder einer ähnlichen Freiheitsberaubung des oder der Opfer zum Ausdruck kommen. Auch wenn die in den Verbrechenselementen genannten Regelbeispiele alle ein gewerbliches Element beinhalten, ist ein pekuniärer Vorteil des Täters durch die sexuelle Sklaverei nicht erforderlich.29 Zwar kann ein solcher als Hinweis auf (sexuelle) Sklaverei verstanden werden, aber er ist im Gegensatz zum Verbrechen der Nötigung zur Prostitution, das einen geldwerten Vorteil des Täters voraussetzt, nicht Bestandteil des Tatbestandes. Auch die Rechtsprechung verlangte im oben bereits erwähnten Verfahren gegen Kunarac, Kovacˇ und Vukovicˇ keinen geldwerten Vorteil des Täters. Hierfür spricht auch die Präzisierung des Begriffs „einer ähnlichen Freiheitsberaubung“ durch Fußnote 18, die durch den Bezug auf die Sklavereikonvention von 1956 klarstellt, dass hierunter auch Leibeigenschaft, Zwangsheirat und Kinderarbeit fallen, die ebenfalls keinen Kauf, Verkauf, Leihe oder Tausch eines Menschen erfordern. 27 So Askin, Women and International Humanitarian Law, in: König/Askin, Women and International Human Rights Law Bd. 1, S. 41 – 87 (48), Oosterveld, Sexual Slavery and the International Criminal Court, Mich. J Int’l Law 25 (2004), S. 605 – 651 (622), Viseur Sellers, Wartime Female Slavery: Enslavement?, Cornell Int’l L.J. 115 (2011), S. 115 – 143 (143). 28 Art. 7 (1)(g)-2 Crime against humanity of sexual slavery17 Elements 1. The perpetrator exercised any or all of the powers attaching to the right of ownership over one or more persons, such as by purchasing, selling, lending or bartering such a person or persons, or by imposing on them a similar deprivation of liberty.18 2. The perpetrator caused such person or persons to engage in one or more acts of a sexual nature. 3. – 4. (…) Fn. 17: Given the complex nature of this crime, it is recognized that its commission could involve more than one perpetrator as a part of a common criminal purpose. Fn. 18: It is understood that such deprivation of liberty may, in some circumstances, include exacting forced labour or otherwise reducing a person to a servile status as defined in the Supplementary Convention on the Abolition of Slavery, the Slave Trade, and Institutions and Practices Similar to Slavery of 1956. It is also understood that the conduct described in this element includes trafficking in persons, in particular women and children. Elements of Crimes zu Art. 7 (1) (g)-2 mit Fußnote 17 und 18; Official Records of the Assembly of States Parties to the Rome Statute of the International Criminal Court, First Session, New York, 3. – 10. 09. 2002, ICC-ASP/1/3 (part II-B). 29 Vgl. UN Commission on Human Rights, Contemporary Forms of Slavery: Systematic Rape, Sexual Slavery and Slavery – like Practices During Armed Conflict, Final Report submitted by Gay J. McDougall, Special Rapporteur, UN Doc E/CN.4/Sub.2/1998/13 vom 22. Juni 1998, Abs. 8, 30. Siehe auch de Brouwer, Supranational Criminal Prosecution of Sexual Violence, S. 140 f.
224
7. Kap.: Vergewaltigungsverbot im Statut des IStGH (1998)
Das zweite Element des Tatbestandes der sexuellen Sklaverei bezieht sich auf die Notwendigkeit, dass der Täter die Teilnahme des Opfers an Handlungen sexueller Natur bewirkt hat. Durch dieses Element unterscheidet sich sexuelle Sklaverei von (normaler) Sklaverei im Sinne des Art. 7 Abs. 1 c), da hierin der spezifische Unrechtsgehalt des Tatbestandes, nämlich die Beschränkung der Selbstbestimmtheit, der Bewegungsfreiheit und des Rechts des Opfers, über seine sexuelle Aktivität zu entscheiden, liegt.30 Nach dem Wortlaut der Verbrechenselemente ist jedoch kein Zwang zur Ausübung der sexuellen Handlung des Opfers erforderlich, bloßes „Bewirken“ dieser ist ausreichend.31 Subjektiv verlangt der Tatbestand gemäß Art. 30 des römischen Statuts, dass der Täter die Absicht hatte, „Eigentumsrechte“ an einer Person auszuüben sowie die sexuellen Handlungen des Opfers zu bewirken. Weiter muss er von dem ausgedehnten oder systematischen Angriff gegen die Zivilbevölkerung Kenntnis gehabt haben.
III. Nötigung zur Prostitution (Art. 7 Abs. 1g-3)) Prostitution und Zwangsprostitution führen zum Geschlechtsverkehr, woraus sich die Nähe des Tatbestandes der Nötigung zur Prostitution zum in dieser Arbeit untersuchten völkerrechtlichen Vergewaltigungsverbot ergibt. In der amtlichen deutschen Übersetzung des römischen Statuts wird der Tatbestand als Nötigung zur Prostitution bezeichnet, was wohl damit zusammenhängt, dass Nötigung nach deutschem Verständnis per definitionem mit Gewalt oder Drohung mit einem empfindlichen Übel verbunden ist.32 Im englischen Originaltext des römischen Statuts wird der Tatbestand jedoch als „enforced prostitution“ bezeichnet, im französischen Originaltext als „prostitution forcée.“33 Da beide Begriffe korrekter mit „Zwang“ als mit „Nötigung“ zu übersetzen sind, wäre der Tatbestand mit „Zwangsprostitution“ wohl besser und genauer bezeichnet gewesen.34 Zudem erscheint der Begriff der Nötigung für einen Tatbestand, der den Einsatz von Gewalt voraussetzt, damit sich das Opfer auf einen sexuellen Akt einlässt, als (zu) euphe30 Oosterveld, Sexual Slavery and the International Criminal Court, Mich. J Int’l Law 25 (2004), S. 605 – 651 (624, 650); vgl. auch Bassiouni, Enslavement as an International Crime, 23 N.Y.U. J. Int’l Law and Pol. (1991) S. 445 – 517 (458). 31 Boot/Hall, in: Triffterer, Commentary on the Rome Statute of the International Criminal Court. Art. 7 Rn. 47. 32 Die amtliche deutsche Übersetzung findet sich im BGBL. 2000 II, S. 1394, die Legaldefinition der Nötigung in § 240 Abs. 1 StGB. 33 UNTS Bd. 2187, S. 3. 34 Übersetzungsmöglichkeiten des englischen Begriffs „to enforce“ finden sich im OnlineWörterbuch LEO unter http://dict.leo.org/ende?lp=ende&lang=de&searchLoc=0&cmpType= relaxed§Hdr=on&spellToler=&search=to+enforce (besucht am 06. 10. 2015); des französischen Begriffs „forcé“ unter http://dict.leo.org/frde?lp=frde&lang=de&searchLoc=0& cmpType=relaxed§Hdr=on&spellToler=&search=forcé (besucht am 06. 10. 2015).
B. Verbrechen gegen die Menschlichkeit (Art. 7)
225
mistisch, da diese Bezeichnung den Zwangscharakter der Tat nicht ausreichend verdeutlicht. Um nicht unnötig zu verwirren und im Sinne der einheitlichen Bezeichnung in der deutschen Literatur wird hier jedoch weiter der Begriff der „Nötigung zur Prostitution“ aus der amtlichen deutschen Übersetzung verwendet, auch wenn die Bezeichnung „Zwangsprostitution“ genauer erscheint. Wie für den Tatbestand der sexuellen Versklavung enthält Art. 7 Abs. 2 des römischen Statuts keine Legaldefinition für den Tatbestand der Nötigung zur Prostitution. Folglich muss zur Präzisierung desselben auf die Verbrechenselemente zurückgegriffen werden.35 Demnach muss der Täter durch Zwang oder Drohung mit Gewalt oder Zwang so auf das Opfer einwirken, dass es sich auf eine oder mehrere sexuelle Handlungen einlässt. Wie die Formulierung zeigt, muss der Zwang nicht unbedingt physisch sein, sondern kann auch in einer Drohung, welche etwa auf Angst vor Gewalt, Nötigung, Inhaftierung, psychologischer Unterdrückung oder Machtmissbrauch abzielt, bestehen. Die Möglichkeit der Unfähigkeit des oder der Opfer, der sexuellen Handlung zuzustimmen, welche im Rahmen des Vergewaltigungstatbestandes entwickelt und oben bereits diskutiert wurde, besteht ebenfalls für den Tatbestand der Nötigung zur Prostitution.36 Die Definition des Tatbestandes entspricht insoweit der Rechtsprechung der Ad hoc-Tribunale in den Fällen Akayesu und Furundzˇ iya, in denen das Element des Zwangs ebenfalls weit ausgelegt wurde.37 Das zweite Tatbestandselement stellt auf einen materiellen oder geldwerten Vorteil, den der Täter durch die Nötigung zu der sexuellen Handlung erlangt hat oder erlangen wollte, ab. Hierin liegt der Unterschied zu dem Verbrechen der sexuellen Versklavung, für den ein materieller Vorteil nicht erforderlich ist. Aus dieser Definition ergibt sich, dass in der Praxis fast alle Fälle von Nötigung zur Prostitution auch Fälle der sexuellen Sklaverei sind, da die Sexualdienste der Opfer dem entsprechen, was Frauen, die zu sexuellen Zwecken versklavt werden, tun müssen.38 Allerdings sind Fälle der Nötigung zur Prostitution vorstellbar, die keine sexuelle Versklavung 35 Article 7 (1) (g)-4 Crime against humanity of enforced prostitution Elements 1. The perpetrator caused one or more persons to engage in one or more acts of a sexual nature by force, or by threat of force or coercion, such as that caused by fear of violence, duress, detention, psychological oppression or abuse of power, against such a person or persons or another person, or by taking advantage of a coercive environment or such person’s or persons’ incapacity to give genuine consent. 2. The perpetrator or another person obtained or expected to obtain pecuniary or other advantage in exchange for or in connection with the acts of a sexual nature. 3. – 4. (…) Elements of Crimes zu Art. 7 (1) (g)-3; Official Records of the Assembly of States Parties to the Rome Statute of the International Criminal Court, First Session, New York, 3. – 10. 09. 2002, ICC-ASP/1/3 (part II-B). 36 Siehe in diesem (7.) Kapitel oben B. III. 37 6. Kapitel A. I. und III. 38 UN Commission on Human Rights, Contemporary Forms of Slavery: Systematic Rape, Sexual Slavery and Slavery-like Practices During Armed Conflict: Final Report Submitted by Gay J. McDougall, Special Rapporteur, UN Doc E/CN.4/Sub.2/1998/13 vom 22. 6. 1998, S. 10.
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7. Kap.: Vergewaltigungsverbot im Statut des IStGH (1998)
sind, etwa weil das andauernde Zwangselement fehlt, was die Koexistenz der beiden Tatbestände der sexuellen Sklaverei und der Nötigung zur Prostitution erklärt.39 Ein Beispiel für einen Fall, der zwar Nötigung zur Prostitution, nicht jedoch sexuelle Versklavung darstellt, ist das Phänomen des Ausnutzens von wirtschaftlicher Not – etwa die Duldung des Geschlechtsaktes oder anderer sexueller Handlungen durch ein Opfer in wirtschaftlicher Not, die eine Zwangslage im Sinne des Nr. 1 der Verbrechenselemente ist. Weiter ist der Tatbestand der Nötigung zur Prostitution als Verbrechen gegen die Menschlichkeit von dem Tatbestand der Vergewaltigung als Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu unterscheiden. Vergewaltigung ist ein Erfolgsdelikt, während der Tatbestand der sexuellen Sklaverei ein Dauerdelikt ist, das auch die Erfüllung des Tatbestands der Vergewaltigung (oder anderer Tatbestände) beinhalten kann. Der Tatbestand der Nötigung zur Prostitution dagegen kann je nach Einzelfall ein Erfolgsdelikt sein, wird jedoch häufiger ein Dauerdelikt, durch welches Zwang auf das Opfer ausgeübt wird, darstellen, das während seiner Begehung die Erfüllung des Tatbestandes der Vergewaltigung nicht ausschließt. Der Hauptunterschied zwischen „isolierter“ oder „bloßer“ Vergewaltigung und Nötigung zur Prostitution ist jedoch, dass im letzteren Fall, ein Austausch von – geldwerten – Leistungen zwischen dem Freier des Opfers und dem Täter als dem Zuhälter des Opfers stattfinden wird.40 Subjektiv setzt der Tatbestand der Nötigung zur Prostitution nach Art. 30 des römischen Statuts voraus, dass der Täter in Kenntnis des ausgedehnten oder systematischen Angriffs gegen die Zivilbevölkerung handelt und weiß, dass seine – vorsätzliche – Handlung Teil desselben ist.
IV. Erzwungene Schwangerschaft (Art. 7 Abs. 1g-4)) Einer erzwungenen Schwangerschaft wird regelmäßig – ebenfalls erzwungener – Geschlechtsverkehr vorausgehen, welcher entweder den Tatbestand der Vergewaltigung, der sexuellen Sklaverei oder der Nötigung zur Prostitution erfüllen wird. Dies zeigt die Nähe des Tatbestandes der erzwungenen Schwangerschaft zum hier untersuchten Vergewaltigungsverbot im bewaffneten Konflikt. Der Tatbestand der erzwungenen Schwangerschaft als Verbrechen gegen die Menschlichkeit wurde erstmals im römischen Statut für den Internationalen Strafgerichtshof geschaffen und kodifiziert. Auch wenn das Phänomen der erzwungenen Schwangerschaften schon vorher in menschenrechtlichen nicht-bindenden Berichten und Resolutionen der Vereinten Nationen erwähnt wurde,41 lässt sich angesichts des 39
de Brouwer, Supranational Criminal Prosecution of Sexual Violence, S. 142 f. Kuschnik, Der Gesamttatbestand des Verbrechens gegen die Menschlichkeit, S. 350. 41 Vgl. Vienna Declaration and Programme of Action, 12. Juli 1993, UN Doc. A/Conf. 157/ 23, Abs. 18 und 38; Bejing Declaration and Platform for Action, Fourth World Conference on Women, 15. September 1995, Abs. 114, 132, 135, sowie Resolutionen der Commission on 40
B. Verbrechen gegen die Menschlichkeit (Art. 7)
227
strafrechtlichen Bestimmtheitsgrundsatzes nicht schließen, dass der Tatbestand bereits gewohnheitsrechtlich existierte.42 Die Einführung und Ausarbeitung des Tatbestandes der erzwungenen Schwangerschaft war eines der strittigsten Themen während der Vertragsverhandlungen in Rom. Angesichts der Tatsache, dass der Tatbestand erst nach Vollendung der Vergewaltigung (und oder anderer Verbrechen sexueller Natur) greifen kann, nämlich dann, wenn die Frau – durch die Vergewaltigung – schwanger geworden ist, konnte man sich schließlich aufgrund der unterschiedlichen Schutzrichtungen der Verbrechen der erzwungenen Schwangerschaft und der Vergewaltigung, sexueller Sklaverei oder der Nötigung zur Prostitution auf die Schaffung dieses Tatbestands einigen.43 Nach Art. 7 Abs. 2f) des römischen Statuts bedeutet „,erzwungene Schwangerschaft‘ die rechtswidrige Gefangenhaltung einer zwangsweise geschwängerten Frau in der Absicht, die ethnische Zusammensetzung der Gruppe zu beeinflussen oder andere schwere Verstöße gegen das Völkerrecht zu begehen. Diese Begriffsbestimmung ist nicht so auszulegen, als berühre sie innerstaatliche Gesetze in Bezug auf Schwangerschaft.“
In den Verbrechenselementen wird der Tatbestand nicht weiter konkretisiert.44 Die Verbrechenselemente zum Verbrechen der erzwungenen Schwangerschaft entsprechen also der Definition aus Art. 7 Abs. 2f) des römischen Statuts, ohne diese – wie sonst üblich – näher zu präzisieren.45 Notwendig wäre eine Klarstellung des Human Rights on the Elimination of Violence against Women zwischen 1995 und 1998, etwa Res. 1998/52, Res. 1997/44 Abs. 4, Res. 1995/49 Abs. 5 sowie Res. 1995/85 Abs. 5. 42 de Brouwer, Supranational Criminal Prosecution of Sexual Violence, S. 143; Werle, Völkerstrafrecht, Rn. 845; a. A. Cryer, Prosecuting International Crimes, S. 258. Nach Cassese, International Criminal Law, S. 94 ist der Tatbestand der erzwungenen Schwangerschaft weiter als das bestehende Völkergewohnheitsrecht. 43 Ausführlich hierzu Steains, in: Lee, The International Criminal Court: The Making of the Rome Statute, S. 357 (367); Bedont/Hall-Martinez, Ending Impunity for Gender Crimes under the International Criminal Court, 6 Brown J. World Aff. (1999), S. 65 – 85 (73 f.). 44 Article 7 (1) (g) -4 Crime against humanity of forced pregnancy Elements 1. The perpetrator confined one or more women forcibly made pregnant, with the intent of affecting the ethnic composition of any population or carrying out other grave violations of international law. 2. – 3. (…) Elements of Crimes zu Art. 7 (1) (g)-4; Official Records of the Assembly of States Parties to the Rome Statute of the International Criminal Court, First Session, New York, 3. – 10. 09. 2002, ICC-ASP/1/3 (part II-B). 45 Aus Nr. 7 der General Introduction ergibt sich die allgemeine Struktur der Verbrechenselemente. Deren Richtlinien sind: (a) As the elements of crimes focus on the conduct, consequences and circumstances associated with each crime, they are generally listed in that order; (b) When required, a particular mental element is listed after the affected conduct, consequence or circumstance; (c) Contextual elements are listed last. Elements of Crimes, Official Records of the Assembly of States Parties to the Rome Statute of the International Criminal Court, First Session, New York, 3. – 10. 09. 2002, ICC-ASP/1/3 (part II-B).
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7. Kap.: Vergewaltigungsverbot im Statut des IStGH (1998)
Verhaltens (das Festhalten der schwangeren Frau), der Umstände (die gewaltsame Schwängerung dieser Frau) und der besonderen Absicht (die Frau schwanger zu halten, um dadurch die ethnische Zusammensetzung der Bevölkerung zu ändern oder andere schwere Verletzungen des Völkerrechts zu begehen) gewesen, was im ursprünglichen Entwurf der Preparatory Commission auch so vorgesehen war. Insbesondere die Fassung des letzten Elements der besonderen Absicht traf während der Verhandlungen jedoch auf so großen Widerstand bei manchen Delegationen, dass man sich nur auf die Wiederholung der Formulierung des römischen Statuts einigen konnte. Die Möglichkeit das Verbrechen der erzwungenen Schwangerschaft präziser zu definieren blieb somit leider ungenutzt.46 Trotzdem lässt sich aus der Definition des Tatbestandes der erzwungenen Schwangerschaft herauslesen, dass der Täter (1) eine zwangsweise geschwängerte Frau (2) rechtswidrig gefangen halten muss, um dadurch (3) die Zusammensetzung der Bevölkerung zu beeinflussen oder andere schwere Verstöße gegen das Völkerrecht zu begehen. Unter den Begriff der ,anderen schweren Verstöße gegen das Völkerrecht‘ fallen etwa Fälle der erzwungenen Schwangerschaft, um die Föten für medizinische Experimente zu verwenden.47 Insgesamt ist die existierende Definition eng, da die erzwungene Schwangerschaft allein nicht für die Begehung der Tat ausreicht, obwohl der Unrechtsgehalt einer solchen Handlung durch das Element des Erzwingens der Schwangerschaft schon über den einer „bloßen“ Vergewaltigung hinausgeht.48 Auch der Fall, in dem eine Frau durch einvernehmlichen Geschlechtsverkehr schwanger wird, dann aber rechtswidrig festgehalten wird, um sie zu zwingen ein Kind zur Welt zu bringen, dass dann auf dem Schwarzmarkt verkauft wird, fiele nicht unter die existierende Definition des Verbrechens der erzwungenen Schwangerschaft.49 Kuschnik schließlich schränkt den Anwendungsbereich des Tatbestands noch weiter ein, indem er behauptet, dass die Definition der erzwungenen Schwangerschaft so zu lesen sei, dass der Täter das Opfer kumulativ sowohl gewaltsam schwängern als auch rechtswidrig festhalten muss. Der primäre Schuldvorwurf gegenüber dem Täter liege nämlich in der erzwungen Schwangerschaft, nicht in der Haltung als Gefangene, die ohnehin als Freiheitsentzug von Art. 7 Abs. 1 e) des römischen Statuts erfasst werde.50 Diese Argumentation verkennt, dass eine Gefangenhaltung zum Zwecke der Aufrechterhaltung einer Schwangerschaft etwas qualitativ anderes als „gewöhnliche“ (illegale) Freiheitsentziehung ist und 46
Rückert/Witschel, Genocide and Crimes Against Humanity in the Elements of Crimes, in: Fischer/Kreß/Lüder, International and National Prosecution of Crimes under International Law, S. 59 – 93 (84 f.). 47 Robinson, Defining „Crimes Against Humanity“ at the Rome Conference, 93 AJIL (1999), S. 43 – 57, (53, Fn. 63); Bedont/Hall Martinez, Ending Impunity for Gender Crimes under the International Criminal Court, 6 Brown J. of World Aff. (1999), S. 65 – 85 (74). 48 de Brouwer, Supranational Criminal Prosecution of Sexual Violence, S. 145 f. 49 Bedont/Hall-Martinez, Ending Impunity for Gender Crimes under the International Criminal Court, 6 Brown J. of World Aff. (1999), S. 65 – 85 (74). 50 Kuschnik, Der Gesamttatbestand des Verbrechens gegen die Menschlichkeit, S. 357.
B. Verbrechen gegen die Menschlichkeit (Art. 7)
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daher im Unrechtsgehalt über diese hinausgeht. Laut Kuschnik liegt der Schutzzweck des Verbrechens der erzwungenen Schwangerschaft lediglich „im Schutz der körperlichen Unversehrtheit in Verbund mit der sexuellen Selbstbestimmung.“ Damit wird verkannt, dass der Tatbestand darüber hinaus nicht nur die körperliche Bewegungsfreiheit, sondern auch die körperliche und geistige Unversehrtheit und das Persönlichkeitsrecht des – notwendigerweise weiblichen – Opfers schützt, da eine Gefangenhaltung zum Zwecke der Aufrechterhaltung einer Schwangerschaft, in dessen höchstpersönliche Entscheidungsfreiheit, ein Kind zu bekommen oder nicht, massiv eingreift. Des Weiteren liegt der Unrechtsgehalt des Tatbestandes gerade in der Kombination der erzwungenen Schwangerschaft an sich, die im übrigen – folgte man der Argumentation Kuschniks – als solche auch unter den Tatbestand der Vergewaltigung fiele, so dass die Notwendigkeit des Tatbestands der erzwungenen Schwangerschaft in seiner Gesamtheit in Frage gestellt wäre, und der Freiheitsberaubung, um einen möglichen Schwangerschaftsabbruch zu verhindern. In der übrigen Literatur wird daher zutreffend davon ausgegangen, dass es sich bei der erzwungenen Schwängerung und der Gefangenhaltung zur Aufrechterhaltung der Schwangerschaft um zwei unterschiedliche Handlungen handelt, die nicht durch dieselbe Person begangen werden müssen.51 Art. 7 Abs. 2 f) Satz 2 stellt klar, dass der Tatbestand der erzwungenen Schwangerschaft die nationale Gesetzgebung zum Schwangerschaftsabbruch unberührt lässt. Solange und soweit nationale Gesetze, die einen Schwangerschaftsabbruch verbieten, nicht den Zweck verfolgen, die ethnische Zusammensetzung der Bevölkerung zu ändern oder schwere Verletzungen des Völkerrechts zu begehen, stehen sie folglich nicht im Widerspruch zum römischen Statut.52 Neben dem Erfordernis, dass der Tatbestand der erzwungenen Schwangerschaft mit der Absicht einhergehen muss, entweder die Zusammensetzung der Bevölkerung zu beeinflussen oder andere schwere Verletzungen des Völkerrechts zu begehen, erfordert die Tat auf subjektiver Seite gemäß Art. 30 des römischen Statuts neben Vorsatz Kenntnis des ausgedehnten oder systematischen Angriffs gegen die Zivilbevölkerung, wovon die Tat ein Teil ist.
51 Statt vieler etwa de Brouwer, Supranational Criminal Prosecution of Sexual Violence, S. 146; Boot/Hall, in: Triffterer, Commentary to the Rome Statute of the International Criminal Court, Art. 7 Rn. 112; Meseke, Der Tatbestand der Verbrechen gegen die Menschlichkeit nach dem Römischen Statut des Internationalen Strafgerichtshofes, S. 227; Rückert/Witschel, Genocide and Crimes against Humanity in the Elements of Crimes, in: Fischer/Kreß/Lüder, International and National Prosecution of Crimes under International Law, S. 59 – 93 (85). 52 Boot/Hall, in: Triffter, Commentary to the Rome Statute of the International Criminal Court, Art. 7, Rn. 114.
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7. Kap.: Vergewaltigungsverbot im Statut des IStGH (1998)
V. Jede andere Form von sexueller Gewalt von vergleichbarer Schwere (Art. 7 Abs. 1g-6)) Als letzte Tatbestandsalternative nennt Art. 7 Abs. 1g) des römischen Statuts „jede andere Form von sexueller Gewalt von vergleichbarer Schwere.“
Mit Einführung dieser Tatbestandsalternative wurde im römischen Statut erstmals auch explizit ein eigener (Auffang-)Tatbestand für völkerstrafrechtlich relevante sexuelle Gewalt geschaffen. Da durch die explizite Nennung von sexueller Gewalt als strafbewehrtem Verhalten, deren Ächtung deutlicher wird ist die Einführung dieses Tatbestandes sehr zu begrüßen.53 Sexuelle Gewalt wird ebenfalls in den Verbrechenselementen definiert.54 Das erste Merkmal des Verbrechens der sexuellen Gewalt nach den Verbrechenselementen entspricht damit der – weiten – Definition des ICTR im Fall Akayesu, in dem sexuelle Gewalt „which includes rape“
als „any act of a sexual nature committed on a person under circumstances which are coercive“
definiert wurde.55 Diese Handlung kann sowohl durch eine sexuelle Handlung des Täters gegen das oder die Opfer als auch durch vom Täter ausgeübten Zwang gegen das oder die Opfer, sich an einer sexuellen Handlung zu beteiligen, begangen werden. Hinsichtlich des Gewalterfordernisses kann daher auf die Ausführungen zu den Tatbeständen der Vergewaltigung sowohl als Verbrechen gegen die Menschlichkeit als auch als Kriegsverbrechen nach dem römischen Statut verwiesen werden.56
53 Askin/Koenig, International Law and the International Criminal Court Statute: Crimes Against Women, in: König/Askin, Women and International Human Rights Law Bd. 2, S. 3 – 29 (29). 54 Art. 7 (1)(g)-6 Crime against humanity of sexual violence Elements 1. The perpetrator committed an act of a sexual nature against one or more persons or caused such person or persons to engage in an act of a sexual nature by force, or by threat of force or coercion, such as that caused by fear of violence, duress, detention, psychological oppression or abuse of power, against such person or persons or another person, or by taking advantage of a coercive environment or such person’s or persons’ incapacity to give genuine consent. 2. Such conduct was of a gravity comparable to the other offences in article 7, paragraph 1 (g) of the Statute. 3. The perpetrator was aware of the factual circumstances that established the gravity of the conduct. Elements of Crimes zu Art. 7 (1) (g)-6; Official Records of the Assembly of States Parties to the Rome Statute of the International Criminal Court, First Session, New York, 3. – 10. 09. 2002, ICC-ASP/1/3 (part II-B). 55 The Prosecutor v. Akayesu, ICTR-96-4, Judgement, 2. September 1998, Abs. 688. 56 Vgl. in diesem (7.) Kapitel oben B. I und C. I. 1.
B. Verbrechen gegen die Menschlichkeit (Art. 7)
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Das zweite Merkmal ist die Schwere der Tat, die den anderen in Art. 7 Abs. 1g) des römischen Statuts genannten Taten entsprechen und objektiv bestimmt werden muss.57 Als problematisch wurde hierbei kritisiert, dass angesichts der Schwere der anderen dort genannten Taten der Vergewaltigung, sexuellen Sklaverei, Nötigung zur Prostitution, erzwungenen Schwangerschaft und Zwangssterilisation, unklar sei, ob mit der sexuellen Gewalt eine Penetration verbunden sein muss.58 Hiergegen ist zunächst einzuwenden, dass zumindest mit dem Tatbestand der Zwangssterilisation eine Penetration nicht verbunden sein kann, also nicht alle der in Art. 7 Abs. 1g) genannten Taten eine Penetration erfordern. Weiter ist zu berücksichtigen, dass die Tatbestände der sexuellen Gewalt als Verbrechen gegen die Menschlichkeit nicht nur die physische Integrität, sondern auch die psychische Integrität und auch die Würde des Opfers schützen – und für eine Verletzung dieser kann eine Penetration nicht Voraussetzung sein. Schließlich gibt es den Tatbestand der sexuellen Gewalt auch in nationalen Rechtsordnungen, in denen für die Erfüllung des Tatbestandes ebenfalls keine Penetration vorausgesetzt wird.59 Als Beispiel für einen Fall der sexuellen Gewalt, die keine Vergewaltigung darstellt, ist der Fall aus dem Akayesu-Urteil zu nennen, in dem eine Studentin gezwungen wurde, nackt vor einer Menschenmenge auf dem Marktplatz Turnübungen zu machen.60 Hieraus kann gefolgert werden, dass der Tatbestand der sexuellen Gewalt weit ist und alle ihre Formen einschließlich von Vergewaltigung umfasst, aber keine sexuelle Penetration oder nur physischen Kontakt zwischen Täter und Opfer voraussetzt. Um ganz klarzustellen, dass auch Handlungen wie erzwungenes Nacktsein oder die Verstümmelung von Brüsten unter sexuelle Gewalt im Sinne dieser Bestimmung fallen können, wird teilweise gefordert, in Nr. 2 der Verbrechenselemente zu Art. 7 Abs. 1g) den Bezug auf den Abs. g) zu streichen und stattdessen eine sexuelle Natur der tatbestandserfüllenden Handlung zu fordern. Dieser würde dann so lauten: „Such conduct is of a sexual nature and of a gravity comparable to the other offences in article 7, paragraph 1, of the Statute.“61
Da hierdurch nicht nur der Auffangtatbestand für sexuelle Gewalt (noch) deutlicher würde, sondern vor allem auch die Abgrenzung zum Auffangtatbestand aus Art. 7 Abs. 1 k) durch das Erfordernis der sexuellen Natur der Handlung eindeutig würde, was wiederum im Sinne des Bestimmtheitsgrundsatzes wäre, ist dieser Vorschlag zu unterstützen. 57
Boot/Hall, in: Trifterer, Commentary to the Rome Statute of the International Criminal Court, Art. 7 Rn. 52. 58 de Brouwer, Supranational Criminal Prosecution of Sexual Violence, S. 148 f. 59 Vgl. The Prosecutor v. Anto Furundzˇ iya, IT-95-17, Judgement, 10 Dezember 1998, Abs. 186. 60 The Prosecutor v. Akayesu, ICTR-96-4, Judgement, 2. September 1998, Abs. 697. Der ICTR musste im Fall Akayesu jedoch auf den Tatbestand der unmenschlichen Behandlung zurückgreifen, da das Statut des ICTRs den Tatbestand der sexuellen Gewalt nicht kennt; siehe auch 6. Kapitel A. I. 61 de Brouwer, Supranational Criminal Prosecution of Sexual Violence, S. 151.
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7. Kap.: Vergewaltigungsverbot im Statut des IStGH (1998)
Das dritte Merkmal stellt schließlich klar, dass die Kenntnis der die Schwere der Tat bestimmenden Fakten des Täters ausreichend ist, letzterer also die Schwere der Tat nicht (rechtlich) bewerten muss.62 Weiter muss der Täter gemäß Art. 30 des römischen Statuts Kenntnis von dem ausgedehnten oder systematischen Angriff gegen die Zivilbevölkerung gehabt haben und gewusst haben, dass seine Handlung Teil dieses Angriffs ist.
VI. Folter (Art. 7 Abs. 1 e)) In Anbetracht der untersuchten spezielleren Tatbestände zu Vergewaltigung und sexueller Gewalt, hat die bereits oben untersuchte mögliche Subsumtion von Vergewaltigung als Folter im römischen Statut an Bedeutung verloren. Folter kann gegebenenfalls jedoch weiter ein Auffangtatbestand für Vergewaltigung sein. Nach der Legaldefinition aus Art. 7 Abs. 2 e) „bedeutet ,Folter‘, dass einer im Gewahrsam oder unter der Kontrolle des Beschuldigten befindlichen Person vorsätzlich große körperliche oder seelische Schmerzen oder Leiden zugefügt werden; Folter umfasst jedoch nicht Schmerzen oder Leiden, die sich lediglich aus gesetzlich zulässigen Sanktionen ergeben, dazu gehören oder damit verbunden sind.“
Diese Definition wurde in den Verbrechenselementen übernommen und um Fußnote 14 ergänzt, nach der Folter keinen bestimmten Zweck erfüllen muss.63 Damit weist die Definition von Folter im römischen Statut im Einklang mit der Rechtsprechung des ICTY im Fall Kunarac, Kovacˇ und Vukovicˇ , nicht jedoch mit früherer Rechtsprechung der Ad hoc-Tribunale, zwei wesentliche Unterschiede zu der Definition aus Art. 1 Abs. 1 der Folterkonvention auf: Zum einen wird explizit auf einen durch die Folterhandlung zu erreichenden verbotenen Zweck verzichtet und zum zweiten ist kein Handeln in amtlicher Eigenschaft erforderlich. Weiter ergibt sich aus dem Zweck des humanitären Völkerrechts, die Kriegsführung zu begrenzen, um ihre Auswirkungen auf die Opfer möglichst gering zu halten, dass es unerheblich ist, wer foltert (Beamte oder Rebellengruppen) – wesentlich ist, ob bzw. dass gefoltert wird.64,65 62 Boot/Hall, in: Trifterer, Commentary to the Rome Statute of the International Criminal Court, Art. 7 Rn. 53. 63 Elements of Crimes zu Art. 7 (1) (e) mit Fußnote 14: „It is understood that no specific purpose need be proved for this crime.“; Official Records of the Assembly of States Parties to the Rome Statute of the International Criminal Court, First Session, New York, 3. – 10. 09. 2002, ICC-ASP/1/3 (part II-B). 64 de Brouwer, Supranational Prosecution of Sexual Violence, S. 99. 65 Die Unterschiede zur Definition der Folterkonvention sind darauf zurückzuführen, dass nach der Folterkonvention eine isolierte Handlung ein völkerrechtliches Verbrechen darstellen kann, während Folter als ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit Teil eines ausgedehnten oder systematischen Angriffs gegen die Zivilbevölkerung ist, worauf die Tatbestandsmerkmale des verbotenen Zwecks und des Handelns in amtlicher Eigenschaft nicht passen, siehe Report of the International Law Commission on the work of its forty-eighth session, UN Doc. A/51/10,
B. Verbrechen gegen die Menschlichkeit (Art. 7)
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Folter als Verbrechen gegen die Menschlichkeit im Sinne des römischen Statuts setzt damit – neben den chapeau-Elementen – voraus, dass (1) einer Person vorsätzlich große körperliche oder seelische Schmerzen oder Leiden zugefügt werden, die sich (2) im Gewahrsam oder unter der Kontrolle des Beschuldigten befindet. Die großen körperlichen oder seelischen Schmerzen oder Leiden dürfen dabei nicht von einer gesetzlich zugelassenen Sanktion verursacht worden sein (Art. 7 Abs. 2 (e) 2. Halbsatz des römischen Statuts). Ungeachtet der Diskussion um die Differenzierung, welche Handlungen aufgrund ihrer Schwere per se Folter darstellen und welche den Schweregrad von Folter erreichen können, verursacht jede Vergewaltigung große seelische und körperliche Schmerzen und Leiden, die für die Überschreitung der Schwelle zur Folter ausreichen.66 Weiter muss sich das Opfer entweder in Gewahrsam des Täters, also von diesem in Haft oder Arrest genommen worden sein, oder unter der Kontrolle des Beschuldigten befinden. Dabei bezeichnet ,unter der Kontrolle des Beschuldigten‘ alle anderen Formen der (Freiheits-)Beschränkung durch eine andere Person.67 Hierzu zählen auch Fälle, in denen das oder die Opfer zwar nicht physisch verhaftet waren, aber keine Zufluchtsstätte hatten.68 In Situationen sexueller Gewalt bzw. Vergewaltigungssituationen hat das Opfer in der Regel zumindest momentan keinen Einfluss auf seinen Aufenthaltsort, so dass auch dieses (objektive) Tatbestandselement in Fällen sexueller Gewalt oder Vergewaltigungen als Verbrechen gegen die Menschlichkeit erfüllt sein wird.69 In subjektiver Hinsicht muss der Täter dem Opfer die großen körperlichen oder seelischen Schmerzen oder Leiden – etwa durch eine Vergewaltigung – vorsätzlich zugefügt haben.70
VII. Versklavung (Art. 7 Abs. 1 c)) Ähnlich wie der Tatbestand der Folter hat der Tatbestand der Versklavung durch den spezielleren Tatbestand der sexuellen Versklavung im römischen Statut im Zusammenhang mit dem Vergewaltigungsverbot an Bedeutung verloren. In Anbetracht von Fällen wie dem, der Gegenstand des Verfahrens gegen Kunarac, Kovacˇ und Vukovicˇ war, in denen die Angeklagten Frauen wie Sklaven hielten, um sie zu
Abs. 98; Rückert/Witschel, Genocide and Crimes Against Humanity in the Elements of Crimes, in: Fischer/Kreß/Lüder, International and National Prosecution of Crimes under International Law, S. 59 – 93 (79). 66 Kuschnik, Der Gesamttatbestand des Verbrechens gegen die Menschlichkeit, S. 302. 67 Wobei „Gewahrsam“ und „unter der Kontrolle des Beschuldigten“ nicht synonym mit Haft oder anderem schwerwiegenden Freiheitsentzug ist, siehe Hall, in: Triffterer, Commentary on the Rome Statute of the International Criminal Court, Art. 7, Rn. 107. 68 de Brouwer, Supranational Prosecution of Sexual Violence, S. 101. 69 Vgl. de Brouwer, Supranational Prosecution of Sexual Violence, S. 100. 70 Kuschnik, Der Gesamttatbestand des Verbrechens gegen die Menschlichkeit, S. 315.
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7. Kap.: Vergewaltigungsverbot im Statut des IStGH (1998)
vergewaltigen, was zu einer Verurteilung wegen Versklavung führte, verdient der allgemeinere Tatbestand der Versklavung trotzdem Erwähnung.71 Das Verbrechen der Sklaverei ist eine der wenigen völkerrechtlichen Normen, der nach herrschender Meinung sowohl jus cogens Charakter als auch erga omnes Wirkung zukommt.72 Nach Art. 7 Abs. 2 c) des römischen Statuts und den Verbrechenselementen „bedeutet ,Versklavung‘ die Ausübung aller oder einzelner mit einem Eigentumsrecht an einer Person verbundenen Befugnisse im Rahmen des Handelns mit Menschen, insbesondere mit Frauen und Kindern.“73
In den Verbrechenselementen werden als Beispiele zusätzlich Kauf und Verkauf, sowie das Ausleihen oder Tauschen von Menschen genannt. Außerdem fallen hierunter nach Fußnote 11 zu den Verbrechenselementen auch „Zwangsarbeit“ sowie „Menschenhandel, insbesondere von Frauen und Kindern“ und alles „was eine Person auf einen unterwürfigen Status reduziert.“74 Wie oben dargestellt, befasste sich der ICTY in dem Verfahren gegen Kunarac, Kovacˇ und Vukovicˇ erstmalig als internationales Strafgericht mit Versklavung als Verbrechen gegen die Menschlichkeit.75 Das Urteil in diesem Verfahren wurde erst nach den Verhandlungen zum römischen Statut und den Verbrechenselementen gesprochen, weshalb es über die Legaldefinition und Verbrechenselemente hinaus für die Auslegung von Sklaverei als Verbrechen gegen die Menschlichkeit wesentliche Aspekte beleuchtet.76 Der ICTY stellte in seinem Urteil fest, dass inter alia die Kontrolle und das faktische Besitzrecht des „Eigentümers“ der versklavten Person, wie eingeschränkte Selbstbestimmung, Entscheidungs- und Bewegungsfreiheit des Opfers, Zwang, Drohungen, Nötigungen, Zwangsarbeit, die häufig mit Misshandlung, Prostitution und Menschenhandel einhergehen, sowie die Dauer dieses Zustandes Indizien für die Erfüllung des Tatbestandes der Sklaverei sind.77 Im hier untersuchten Zusammenhang mit dem Verbrechen der Vergewaltigung ist in71
Siehe oben 6. Kapitel A. V. Statt vieler siehe etwa ICJ, Case concerning the Barcelona Traction, Light and Power Company, Limited, Second Phase (Belgium v. Spain), Urteil vom 05. 02. 1970, ICJ Reports 1970, S. 3, Abs. 32. 73 Diese Definition entspricht der Definition von Sklaverei aus Art. 1 Abs. 1 des Abkommens betreffend die Sklaverei von 1926. 74 Elements of Crimes zu Art. 7 (1) (c) mit Fußnote 11; Official Records of the Assembly of States Parties to the Rome Statute of the International Criminal Court, First Session, New York, 3. – 10. 09. 2002, ICC-ASP/1/3 (part II-B). 75 Siehe oben 6. Kapitel A. V. 76 Oosterveld, Sexual Slavery and the International Criminal Court, Mich. J Int’l Law 25 (2004), S. 605 (647), vgl. auch Hall, in: Triffterer, Commentary on the Rome Statute of the International Criminal Court, Art. 7, Rn. 96. 77 Vgl. Kuschnik, Der Gesamttatbestand des Verbrechens gegen die Menschlichkeit, S. 386; Oosterveld, Sexual Slavery and the International Criminal Court, Mich. J Int’l Law 25 (2004), S. 605 (648). 72
B. Verbrechen gegen die Menschlichkeit (Art. 7)
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teressant, dass nach Auffassung des ICTY sexuelle Gewalt und Vergewaltigungen alleine, obwohl die wiederholten und während der Dauer der Versklavung der Opfer jederzeit möglichen Vergewaltigungen der eigentliche Zweck der Versklavung waren, den Tatbestand der Versklavung nicht erfüllen, sondern lediglich ein Gesichtspunkt für die Frage, ob eine Versklavungshandlung vorliege, sind.78 In diesem Zusammenhang stellte die Berufungskammer klar, dass Sklaverei und sexuelle Sklaverei unterschiedliche Tatbestände sind, sexuelle Sklaverei aber auch ,gewöhnliche‘ Sklaverei darstellen kann.79 Zusammenfassend lässt sich also feststellen, dass Sklaverei als Verbrechen gegen die Menschlichkeit sowohl nach der Legaldefinition und den Verbrechenselementen als auch nach dem Urteil im Fall Kunarac, Kovacˇ und Vukovicˇ „die Ausübung aller oder einzelner mit einem Eigentumsrecht an einer Person verbundenen Befugnisse“
ist. Mit (wiederholten) Vergewaltigungen kann eine solche Ausübung eines Eigentumsrechts an einer Person verbunden sein, weshalb Vergewaltigung – je nach den Umständen des Falles – mit Sklaverei verbunden sein kann. Subjektiv muss sich der Täter über die Kenntnis der chapeau-Elemente hinaus der Anmaßung der mit einem Eigentumsrecht an einer Person verbundenen Befugnisse zumindest bewusst gewesen sein.
VIII. Der Auffangtatbestand der „anderen unmenschlichen Handlung“ (Art. 7 Abs. 1 k)) Der Auffangtatbestand der „anderen unmenschlichen Handlung“ aus Art. 7 Abs. 1 k) des römischen Statuts könnte schließlich ebenfalls die Strafbarkeit von Vergewaltigungshandlungen ermöglichen. Im Gegensatz zu den Verbrechenstatbeständen der sexuellen Gewalt als Verbrechen gegen die Menschlichkeit aus lit. g ist der Tatbestand der „anderen unmenschlichen Behandlung“ aus lit. k kein neuer Tatbestand des römischen Statuts, sondern findet sich bereits – wie oben erwähnt – in Art. 2 Abs. 1 c) des Kontrollratsgesetzes Nr. 10, Art. 6 c) des Statuts des Kriegsverbrechertribunals von Nürnberg, in Art. 5 c) des Statuts des Kriegsverbrechertribunals von Tokio, sowie in Art. 5 (i) des ICTY-Statuts und Art. 3 (i) des ICTRStatuts. Der Tatbestand soll die Verfolgung von Verbrechen gegen die Menschlichkeit ermöglichen, die trotz ihrer Ähnlichkeit unter keinen der spezielleren Tatbestände fallen und deshalb nicht verfolgt werden könnten.80 Von den Ad hoc-Tri78 de Brouwer, Supranational Criminal Prosecution of Sexual Violence, S. 92 f.; Kuschnik, Der Gesamttatbestand des Verbrechens gegen die Menschlichkeit, S. 387. 79 The Prosecutor v. Kunarac, Kovac and Vukovic, IT-96-23 und IT-96-23/1-A, Judgement, 12. Juni 2002, Abs. 1117. 80 Dem liegt der Gedanke zu Grunde, dass es unmöglich ist, alle Grausamkeiten zu denen Menschen fähig sind, abschließend zu enumerieren; siehe Rückert/Witschel, Genocide and Crimes Against Humanity in the Elements of Crimes, in: Fischer/Kreß/Lüder, International and
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7. Kap.: Vergewaltigungsverbot im Statut des IStGH (1998)
bunalen wurde der Tatbestand in Ermangelung speziellerer Tatbestände in ihren Statuten mehrfach herangezogen, um Taten der sexuellen Gewalt zu verfolgen. Um dem Einwand der mangelnden Bestimmtheit dieses Auffangtatbestandes entgegen zu treten, wurden diese im römischen Statut als „unmenschliche Handlungen ähnlicher Art, mit denen vorsätzlich große Leiden oder eine schwere Beeinträchtigung der körperlichen oder der geistigen oder körperlichen Gesundheit verursacht werden“, präzisiert.81 Auch wenn die Bestimmtheit des Tatbestandes damit den Anforderungen des nullum crimen sine lege-Prinzips noch nicht genügt, konnte dem Erfordernis des Bestimmtheitsgrundsatzes durch die Konkretisierung des Tatbestandes in den Verbrechenselementen Rechnung getragen werden.82,83 Mit dieser Ausgestaltung wird zur Erfüllung des Tatbestandes neben der Verursachung großer Leiden oder der schweren Beeinträchtigung der körperlichen oder geistigen Unversehrtheit oder der körperlichen oder geistigen Gesundheit auch eine den anderen Tatbeständen der Verbrechen gegen die Menschlichkeit entsprechende Vergleichbarkeit der Handlung verlangt. Dass Handlungen der sexuellen Gewalt im Zusammenhang mit einem ausgedehnten oder systematischen Angriff gegen die Zivilbevölkerung, auch wenn sie mangels Penetration keine Vergewaltigung sind, große Leiden oder schwere Beeinträchtigungen der körperlichen oder geistigen Unversehrtheit sowie der körperlichen oder geistigen Gesundheit verursachen, bedarf keiner näheren Erläuterung und wurde zudem bereits bei der Untersuchung des National Prosecution of Crimes under International Law, S. 59 – 93 (92). Vgl. auch The Prosecutor v. Kupresˇkic, Kupresˇkic, Josipovic´, Papic´ and Santic´, IT-95-16, Judgement, 14. Januar 2000, Abs. 563; sowie Pictet, Commentary on the IVth Geneva Convention, Art. 3, S. 39: „(I)t is always dangerous to try to go into too much detail – especially in this domain. However great care is taken in drawing up a list of all the various forms of infliction, it would never be possible to catch up with the imagination of future torturers who wished to satisfy their bestial instincts; and the more specific and complete a list tries to be, the more restrictive it becomes.“ und 1996 Report of the International Law Commission on the work of its forty-eighth session, UN Doc A/ 51/10, Commentary on Art. 18, Abs. 17. 81 Robinson, Defining „Crimes Against Humanity“ at the Rome Conference, 93 AJIL (1999), S. 43 – 57 (56). 82 Meseke, Der Tatbestand der Verbrechen gegen die Menschlichkeit nach dem Römischen Statut des Internationalen Strafgerichtshofes, S. 234 f.; ausführlich zum Bestimmtheitsgrundsatz bzgl. des Tatbestandes der anderen unmenschlichen Behandlung Boot, Genocide, Crimes Against Humanity, War Crimes, S. 532. 83 Art. 7 (1) (k) Crime against humanity of other inhumane acts Elements 1. The perpetrator inflicted great suffering, or serious injury to body or to mental or physical health, by means of an inhumane act. 2. Such act was of a character similar to any other act referred to in article 7, paragraph 1 of the Statute.30 3. The perpetrator was aware of the factual circumstances that established the character of the act. Fn. 30: It is understood that „character“ refers to the nature and the gravity of the act. Elements of Crimes zu Art. 7 (1) (k) mit Fußnote 30; Official Records of the Assembly of States Parties to the Rome Statute of the International Criminal Court, First Session, New York, 3. – 10. 09. 2002, ICC-ASP/1/3 (part II-B).
C. Kriegsverbrechen (Art. 8)
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humanitären Völkerrechts auf ein Vergewaltigungsverbot erörtert.84 Wie im 6. Kapitel dargestellt, entspricht diese Subsumtion auch der Rechtsprechung der beiden Ad hoc-Tribunale. Der Unterscheidung zu Folter aus Art. 7 Abs. 1 f) liegt hier – im Gegensatz zu den Begrifflichkeiten aus dem humanitären Völkerrecht – nicht in dem mit der Handlung verbundenen verbotenen Zweck, sondern darin, dass Folter nach den Verbrechenselementen „severe physical or mental pain or suffering“
im Sinne von „schwer“ verlangt, während unmenschliche Behandlung „great suffering“ oder „serious injury“,
also große Leiden oder ernste Verletzungen voraussetzt.85 Auf subjektiver Seite bestehen keine von Art. 30 des römischen Statuts abweichende Besonderheiten. Damit ist der subjektive Tatbestand erfüllt, wenn der Täter die großen Leiden oder schweren Verletzungen durch eine unmenschliche Handlung absichtlich herbeigeführt hat und die tatsächlichen Umstände der Tat, wozu auch der ausgedehnte oder systematische Angriff gegen die Zivilbevölkerung gehört, kannte. Allerdings bezieht sich lit. k im Gegensatz zu lit. g nicht ausdrücklich auf sexuelle Gewalt, sondern deckt diese quasi „nur mit ab“. Folglich sollten Vergewaltigung und sexuelle Gewalt – wo immer möglich – nach Einführung der spezielleren Tatbestände auch als das verfolgt werden, was sie sind – nämlich Vergewaltigung und sexuelle Gewalt. Der Anwendungsbereich des Auffangtatbestandes der anderen unmenschlichen Handlungen für Taten der sexuellen Gewalt als Verbrechen gegen die Menschlichkeit ist somit nach dem römischen Statut deutlich eingeschränkter als nach den Statuten der Ad hoc-Tribunale.
C. Kriegsverbrechen (Art. 8) In Art. 8 des römischen Statuts des Internationalen Strafgerichtshofes sind Kriegsverbrechen so ausführlich wie nie zuvor definiert. Dazu gehören erstmals ausdrücklich auch Vergewaltigung und eine Reihe weiterer Tatbestände der sexuellen Gewalt.86 Bei den Kriegsverbrechen des römischen Statuts lassen sich zwei 84
Siehe 3. Kapitel A. Vgl. de Brouwer, Supranational Criminal Prosecution of Sexual Violence Crimes, S. 163; siehe auch oben 3. Kapitel, A. XXX., sowie C. II. 86 Art. 8 des römischen Statuts lautet in den für den Untersuchungsgegenstand der Vergewaltigung relevanten Teilen: (1) Der Gerichtshof hat Gerichtsbarkeit in Bezug auf Kriegsverbrechen, insbesondere wenn diese als Teil eines Planes oder einer Politik oder als Teil der Begehung solcher Verbrechen in großem Umfang verübt werden. (2) Im Sinne dieses Statuts bedeutet „Kriegsverbrechen“ a) schwere Verletzungen der Genfer Abkommen vom 12. August 1949, nämlich jede der folgenden Handlungen gegen die nach dem jeweiligen Genfer Abkommen geschützten Personen oder Güter: 85
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7. Kap.: Vergewaltigungsverbot im Statut des IStGH (1998)
Gruppen unterscheiden: Die – umfangreicher kodifizierten – Kriegsverbrechen im internationalen bewaffneten Konflikt, die aus den schweren Verletzungen der Genfer Abkommen (Abs. 2 (a)) und anderen schweren Verstößen gegen die im internationalen bewaffneten Konflikt anwendbaren Gesetze und Gebräuche (Abs. 2 (b)) bestehen, und die Kriegsverbrechen des nicht-internationalen bewaffneten Konflikts, namentlich schwere Verstöße gegen den gemeinsamen Art. 3 der vier Genfer Abkommen (Abs. 2 (c)) und andere schwere Verstöße gegen die Gesetze und Gebräuche im nicht-internationalen bewaffneten Konflikt (Abs. 2 (e)). Gegenstand der Unteri) (…); ii) Folter oder unmenschliche Behandlung einschließlich biologischer Versuche; iii) vorsätzliche Verursachung großer Leiden oder schwere Beeinträchtigung der körperlichen Unversehrtheit oder der Gesundheit; iv) – viii) (…); b) andere schwere Verstöße gegen die innerhalb des feststehenden Rahmens des Völkerrechts im internationalen bewaffneten Konflikt anwendbaren Gesetze und Gebräuche, nämlich jede der folgenden Handlungen: i) – xx) (…); xxi) die Beeinträchtigung der persönlichen Würde, insbesondere eine entwürdigende oder erniedrigende Behandlung; xxii) Vergewaltigung, sexuelle Sklaverei, Nötigung zur Prostitution, erzwungene Schwangerschaft im Sinne des Artikels 7 Abs. 2 Buchstabe f, Zwangssterilisation oder jede andere Form sexueller Gewalt, die ebenfalls eine schwere Verletzung der Genfer Abkommen darstellt; xxiii) – xxvi) (…); c) im Fall eines bewaffneten Konfliktes, der keinen internationalen Charakter hat, schwere Verstöße gegen den gemeinsamen Artikel 3 der vier Genfer Abkommen vom 12. August 1949, nämlich die Verübung jeder der folgenden Handlungen gegen Personen, die nicht unmittelbar an den Feindseligkeiten teilnehmen, (…): i) Angriffe auf Leib und Leben, insbesondere vorsätzliche Tötung jeder Art, Verstümmelung, grausame Behandlung und Folter; ii) die Beeinträchtigung der persönlichen Würde, insbesondere entwürdigende und erniedrigende Behandlung; iii) – iv)…; d) Absatz 2 Buchstabe c findet Anwendung auf bewaffnete Konflikte, die keinen internationalen Charakter haben, und somit nicht Fälle innerer Unruhe und Spannungen wie Tumulte, vereinzelt auftretende Gewalttaten oder andere ähnliche Handlungen; e) andere schwere Verstöße gegen die innerhalb des feststehenden Rahmens des Völkerrechts anwendbaren Gesetzen und Gebräuche im bewaffneten Konflikt, der keinen internationalen Charakter hat, nämlich jede der folgenden Handlungen: i) – v) (…) vi) Vergewaltigung, sexuelle Sklaverei, Nötigung zur Prostitution, erzwungene Schwangerschaft im Sinne des Artikels 7 Absatz 2 Buchstabe f, Zwangssterilisation und jede andere Form sexueller Gewalt, die ebenfalls einen schweren Verstoß gegen den gemeinsamen Artikel 3 der vier Genfer Abkommen darstellt; vii) – xii) (…); f) Absatz 2 Buchstabe e findet Anwendung auf bewaffnete Konflikte, die keinen internationalen Charakter haben, und somit nicht auf Fälle innerer Unruhen und Spannungen wie Tumulte, vereinzelt auftretende Gewalttaten oder andere ähnliche Handlungen. Er findet Anwendung auf bewaffnete Konflikte, die im Hoheitsgebiet eines Staates stattfinden, wenn zwischen den staatlichen Behörden und organisierten bewaffneten Gruppen oder zwischen solchen Gruppen ein lang anhaltender bewaffneter Konflikt besteht. (3) (…).
C. Kriegsverbrechen (Art. 8)
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suchung im folgenden Abschnitt ist somit die genaue Definition des Kriegsverbrechens der Vergewaltigung und damit zusammenhängender Taten der sexuellen Gewalt nach dem römischen Statut.
I. Vergewaltigung als Kriegsverbrechen im internationalen bewaffneten Konflikt (Art. 8 Abs. 2 a) und b)) Art. 8 Abs. 2 a) des römischen Statuts nennt nur die schweren Verletzungen der Genfer Abkommen von 1949, nicht jedoch schwere Verletzungen aus Art. 11 Abs. 4 und Art. 85 ZP I. Dass die Vergewaltigung einer geschützten Person – auch wenn sie in Art. 147 IV. GA nicht ausdrücklich erwähnt ist – eine schwere Verletzung des IV. GA darstellt, wurde im dritten Kapitel untersucht.87 Fraglich ist hier folglich nur, inwieweit das römische Statut und die Verbrechenselemente nach Art. 9 des Statuts die Definitionen der schweren Verletzungen der Genfer Abkommen – unter die Vergewaltigung je nach Umständen des Einzelfalles zu subsumieren ist – präzisieren. Der Unterschied zwischen schweren Verletzungen der Genfer Abkommen und anderen Verstößen gegen die anwendbaren Gesetze und Gebräuche im internationalen bewaffneten Konflikt liegt darin, dass die Staaten schwere Verletzungen der Genfer Abkommen verfolgen müssen, während sie hinsichtlich der anderen schweren Verstöße „nur“ die Möglichkeit der Strafverfolgung haben. Im Ergebnis ist diese Unterscheidung im Rahmen des römischen Statuts des IStGHs jedoch praktisch wenig relevant, da die Rechtsfolgen im römischen Statut für beide Kategorien die gleichen sind – weshalb auch in dieser Untersuchung nicht zwischen beiden Fallgruppen differenziert wird.88 1. Vergewaltigung, sexuelle Sklaverei, Nötigung zur Prostitution, erzwungene Schwangerschaft im Sinne des Artikels 7 Abs. 2 Buchstabe f, Zwangssterilisationen oder jede andere Form sexueller Gewalt, die ebenfalls eine schwere Verletzung der Genfer Abkommen darstellt (Art. 8 Abs. 2 b) (xxii)) Die Verbrechenselemente definieren die Tatbestände der Vergewaltigung, der sexuellen Sklaverei, der Nötigung zur Prostitution, der erzwungenen Schwangerschaft und jeder anderen Form von sexueller Gewalt als Kriegsverbrechen nach Art. 8 Abs. 2 b) abgesehen vom kontextuellen Element, das einen Zusammenhang mit und Bezug zu einem internationalen bewaffneten Konflikt verlangt, nicht abweichend von den bereits untersuchten entsprechenden Tatbeständen als Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Folglich kann an dieser Stelle auf die dort gemachten Ausführungen verwiesen werden. 87 88
Siehe oben 3. Kapitel A. I. 3. Dörmann, in: Lee, The International Criminal Court, Art. 8 (2) (a) (ii), S. 128.
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7. Kap.: Vergewaltigungsverbot im Statut des IStGH (1998)
2. Beeinträchtigung der persönlichen Würde (Art. 8 Abs. 2 b) (xxi)) Wie bereits erörtert, sind Vergewaltigungen in aller Regel Beeinträchtigungen der persönlichen Würde im Sinne des gemeinsamen Art. 3 Abs. 1 Nr. 1 c) der Genfer Abkommen.89 Nach der Definition der Verbrechenselemente stellt Vergewaltigung in einem bewaffneten Konflikt immer eine so schwere Demütigung, Erniedrigung und Verletzung der Würde des Opfers dar, dass sie als Verbrechen gegen die persönliche Würde des Opfers anzusehen ist.90 Aber auch andere sexuelle Gewalttaten – wie etwa erzwungenes Nackttanzen auf Tischen oder erzwungene gymnastische Übungen im nackten Zustand jeweils vor Zuschauern – können ein Verbrechen gegen die persönliche Würde des Opfers darstellen. Folglich erfüllt eine Vergewaltigung in einem internationalen bewaffneten Konflikt bei Vorliegen der subjektiven Voraussetzungen des Art. 30 des römischen Statuts den Tatbestand der Beeinträchtigung der persönlichen Würde als Kriegsverbrechen. 3. Folter (Art. 8 Abs. 2 a) (ii) 1. Alternative) Aus der Definition von Folter in den Verbrechenselementen ergibt sich, dass Folter als Kriegsverbrechen im Unterschied zu Folter als Verbrechen gegen die Menschlichkeit einen verbotenen Zweck des Handelns voraussetzt.91 Während zum Teil von keiner überzeugenden Erklärung für die in diesem Punkt unterschiedlichen Definitionen von Folter als Kriegsverbrechen und Folter als Verbrechen gegen die
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Siehe oben 3. Kapitel A. I. 4. Art. 8 (2) (b) (xxi) – War crime of outrages upon personal dignity 1. The perpetrator humiliated, degraded or otherwise violated the dignity of one or more persons.49 2. The severity of the humiliation, degradation or other violation was of such degree as to be generally recognized as an outrage upon personal dignity. Fn. 49: For this crime, „persons“ can include dead persons. It is understood that the victim need not personally be aware of the existence of the humiliation or degradation or other violations. This element takes into account relevant aspects of the cultural background of the victim. Elements of Crimes zu Art. 8 (2) (b) (xxi); Official Records of the Assembly of States Parties to the Rome Statute of the International Criminal Court, First Session, New York, 3. – 10. 09. 2002, ICC-ASP/1/3 (part II-B). 91 Art. 8 (2) (a)(ii)-1 War Crime of torture Elements 1. The perpetrator inflicted severe physical or mental pain or suffering upon one or more persons. 2. The perpetrator inflicted the pain or suffering for such purposes as: obtaining information or a confession, punishment, intimidation or coercion or for any reason based on discrimination of any kind. Elements of Crimes zu Art. 8 (2) (a) (ii)-1; Official Records of the Assembly of States Parties to the Rome Statute of the International Criminal Court, First Session, New York, 3. – 10. 09. 2002, ICC-ASP/1/3 (part II-B). 90
C. Kriegsverbrechen (Art. 8)
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Menschlichkeit ausgegangen wird,92 führen andere an, dass Folter als Kriegsverbrechen den Kriegserfolg fördern soll.93 Weiter wird im Einklang mit der Rechtsprechung der Ad hoc-Tribunale der humanitär-völkerrechtliche Folterbegriff verwendet, was bedeutet, dass Folter als Kriegsverbrechen im Gegensatz zum menschenrechtlichen Begriff der Folter ein Handeln in amtlicher Eigenschaft nicht voraussetzt.94 Dass die durch eine Vergewaltigung hervorgerufenen schweren körperlichen oder seelischen Leiden unter Folter subsumiert werden können wurde bereits in dieser Arbeit untersucht, so dass hier nicht erneut auf diese Subsumtion einzugehen ist. In dem mit der Folter verfolgten verbotenen Zweck des Täters liegt der Unterschied zwischen dem Kriegsverbrechen der Folter und dem der unmenschlichen Behandlung.95 Diesbezüglich ist festzustellen, dass die entsprechende Liste aus dem zweiten Verbrechenselement nach dem Wortlaut („such purposes“) nicht abschließend ist. Folglich können weitere verbotene Gründe berücksichtigt werden, was insbesondere – wie im 6. Kapitel untersucht – durch die Rechtsprechung der Ad hoc-Tribunale geschehen ist. Demnach können auch die mit einer Vergewaltigung verbundene Erniedrigung oder die Diskriminierung aus Gründen des Geschlechts verbotene Gründe im Sinne der Definition von Folter als Kriegsverbrechen sein.96 Auch die Absicht, eine Atmosphäre der Angst und Machtlosigkeit unter Häftlingen zu verbreiten, kann einen verbotenen Zweck darstellen.97 Hinsichtlich der erforderlichen Tatabsicht gilt Art. 30 des römischen Statuts; das den Tatbestand der Folter erfüllende Verhalten des Täters muss „deliberate and not accidental“
sein.98 Die Tat muss weiter an einer geschützten Person begangen werden und der Täter muss die Tatsachen, aus denen sich der Status einer geschützten Person ergibt, kennen (Verbrechenselemente 3 und 4). Schließlich muss die Tat im Zusammenhang mit einem internationalen bewaffneten Konflikt begangen sein, von dessen Existenz der Täter wusste (Verbrechenselemente 5 und 6).
92 Dörmann, Elements of War Crimes under the Rome Statute of the International Criminal Court, S. 128. 93 Kittichaisaree, International Criminal Law, S. 145. 94 Dörmann, in: Triffterer, Commentary on the Rome Statute of the International Criminal Court, Art. 8. Rn. 19. 95 Dörmann, in: Triffterer, Commentary on the Rome Statute of the International Criminal Court, Art. 8. Rn. 19; Dörmann, in: Lee, The International Criminal Court, Art. 8 (2) (a) (ii), S. 128. 96 de Brouwer, Supranational Criminal Prosecution of Sexual Violence, S. 187 f. 97 The Prosecutor v. Zejnil Delalic´, Zdravko Mucic´, Hazim Delic´, Esad Landzˇ o, IT-96-21, Judgement, 16. November 1998, Abs. 493. 98 The Prosecutor v. Zejnil Delalic´, Zdravko Mucic´, Hazim Delic´, Esad Landzˇ o, IT-96-21, Judgement, 16. November 1998, Abs. 468, vgl. auch de Brouwer, Supranational Criminal Prosecution of Sexual Violence, S. 189.
242
7. Kap.: Vergewaltigungsverbot im Statut des IStGH (1998)
4. Unmenschliche Behandlung (Art. 8 Abs. 2 a) (ii) 2. Alternative) Das erste Verbrechenselement des Tatbestandes der unmenschlichen Behandlung ist identisch mit dem ersten Verbrechenselement der Folter, es schließt sich – im Gegensatz zu den Verbrechenselementen der Folter – jedoch kein weiteres tatbezogenes Element an.99 Somit liegt der Unterschied des Kriegsverbrechens der unmenschlichen Behandlung zum Kriegsverbrechen der Folter ausschließlich im Fehlen des verbotenen Zwecks. Oben wurde bereits festgestellt, dass eine Vergewaltigung schwere körperliche und seelische Leiden hervorruft, so dass dieses Verbrechenselement durch jede Vergewaltigung erfüllt wird. Im Unterschied zur Rechtsprechung der Ad hoc-Tribunale, nach der aufgrund des Grades der Stärke der Schmerzen und Leiden zwischen Folter und unmenschlicher Behandlung differenziert wird, ist der Schweregrad der Schmerzen und Leiden nach den Verbrechenselementen des römischen Statuts kein Unterscheidungsmerkmal der beiden Tatbestände. Weiter ist ebenfalls kein Angriff auf die menschliche Würde erforderlich, da solche Beeinträchtigungen der persönlichen Würde unter Art. 8 Abs. 2 b) (xxi) des römischen Statuts fallen.100 Die Verbrechenselemente 2 bis 5 entsprechen den Verbrechenselementen 3 bis 6 der Folter, so dass auf die obigen Ausführungen verwiesen werden kann; hinsichtlich der Tatabsicht gilt Art. 30 des römischen Statuts. 5. Vorsätzliche Verursachung großer Leiden oder schwerer Beeinträchtigung der körperlichen Unversehrtheit oder der Gesundheit (Art. 8 Abs. 2 a) (iii)) Wie bereits im 3. Kapitel untersucht, ist die vorsätzliche Verursachung großer Leiden oder schwere Beeinträchtigung der körperlichen Unversehrtheit oder der Gesundheit eine schwere Verletzung der Genfer Abkommen von 1949, die Definition wurde in den Verbrechenselementen fast wörtlich übernommen.101 Der Unterschied 99
Article 8 (2) (a) (ii)-2 War crime of inhuman treatment Elements 1. The perpetrator inflicted severe physical or mental pain or suffering upon one or more persons. Elements of Crimes zu Art. 8 (2) (a) (ii)-2; Official Records of the Assembly of States Parties to the Rome Statute of the International Criminal Court, First Session, New York, 3. – 10. 09. 2002, ICC-ASP/1/3 (part II-B). 100 Dörmann, in: Triffterer, Commentary on the Rome Statute of the International Criminal Court, Art. 8. Rn. 20. 101 Art. 8 (2) (a)(iii)- War Crime of willfully causing great suffering Elements 1. The perpetrator caused great physical or mental pain or suffering to, or serious injury to body or health of, one or more persons. Elements of Crimes zu Art. 8 (2) (a) (iii); Official Records of the Assembly of States Parties to the Rome Statute of the International Criminal Court, First Session, New York, 3. – 10. 09. 2002, ICC-ASP/1/3 (part II-B).
C. Kriegsverbrechen (Art. 8)
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zu Folter als Kriegsverbrechen liegt darin, dass dieser Tatbestand keinen (verbotenen) Zweck voraussetzt. Zum Tatbestand der unmenschlichen Behandlung ist der Tatbestand der vorsätzlichen Verursachung großer Leiden nur schwer abzugrenzen, außer im Fall der Verursachung einer schweren Beeinträchtigung der körperlichen Unversehrtheit, die gleichzeitig nicht auch große physische oder seelische Schmerzen verursacht.102 Auch hinsichtlich dieses Tatbestandes der vorsätzlichen Verursachung großer Leiden oder schwerer Beeinträchtigung der körperlichen Unversehrtheit oder der Gesundheit wurde im dritten Kapitel bereits festgestellt, dass eine Vergewaltigung hierunter subsumiert werden kann. Dies entspricht auch der Rechtsprechung der Ad hoc-Tribunale, die wie im 6. Kapitel untersucht, Vergewaltigung mehrfach als vorsätzliche Verursachung großer Leiden oder schwerer Beeinträchtigung der körperlichen Unversehrtheit oder der Gesundheit verurteilten.103 Hinsichtlich der erforderlichen Tatabsicht gilt Art. 30 des römischen Statuts, wonach das den Tatbestand der vorsätzlichen Verursachung großer Leiden oder schwerer Beeinträchtigung der körperlichen Unversehrtheit oder der Gesundheit erfüllende Verhalten des Täters „deliberate and not accidental“
sein muss.104 6. Körperliche Verstümmelung von Personen, die sich in der Gewalt einer gegnerischen Partei befinden (Art. 8 Abs. 2 b) (x)) Eine Vergewaltigung kann zur Verstümmelung von Sexualorganen führen oder im Zusammenhang mit solchen Taten begangen werden. Deshalb bedarf der Tatbestand der Verstümmelung aus Art. 8 Abs. 2 b) (x) des römischen Statuts an dieser Stelle der Erwähnung.105 Der Tatbestand entspricht damit nicht dem weiter gefassten Verbot 102 Dörmann, in: Triffterer, Commentary on the Rome Statute of the International Criminal Court, Art. 8. Rn. 22. 103 The Prosecutor v. Zejnil Delalic´, Zdravko Mucic´, Hazim Delic´, Esad Landzˇ o, IT-96-21, Judgement, 16. November 1998, Abs. 1038 – 1040, 1046 – 1047, 1285, 427; The Prosecutor v. Dusˇko Tadic´, IT-94-1, Judgement, 7. Mai 1997, Abs. 171. Da das römische Statut im Gegensatz zu der Rechtsprechung der Ad hoc-Tribunale für den Tatbestand der unmenschlichen Behandlung keinen Angriff auf die persönliche Würde verlangt, kann ein Angriff auf die persönliche Würde auch nicht als Merkmal zur Abgrenzung zwischen den Tatbeständen der unmenschlichen Behandlung und der vorsätzlichen Verursachung großer Leiden herangezogen werden. 104 The Prosecutor v. Zejnil Delalic´, Zdravko Mucic´, Hazim Delic´, Esad Landzˇ o, IT-96-21, Judgement, 16. November 1998, Abs. 468, vgl. auch de Brouwer, Supranational Criminal Prosecution of Sexual Violence, S. 189. 105 Art. 8 (2) (b) (x)-1- War crime of mutilation 1. The perpetrator subjected one or more persons to mutilation, in particular by permanently disfiguring the person or persons, or by permanently disabling or removing an organ or appendage.
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7. Kap.: Vergewaltigungsverbot im Statut des IStGH (1998)
des Art. 11 des ZP I, der jede Gefährdung der körperlichen oder geistigen Unversehrtheit von Personen, die sich in der Gewalt der gegnerischen Partei befinden, durch ungerechtfertigte Handlungen oder Unterlassungen verbietet.106 Der Begriff der „körperlichen Verstümmelung“ umfasst jedenfalls die Verstümmelung von Sexualorganen, wenn diese durch die Tathandlung dauerhaft entstellt, in ihrer Funktion versehrt, also beeinträchtigt werden oder ganz oder teilweise entfernt werden.107 Hierdurch muss der Tod verursacht oder die geistige oder körperliche Gesundheit des Opfers ernstlich gefährdet werden. Zuletzt setzen die Verbrechenselemente voraus, dass die Handlung nicht durch eine medizinische Behandlung gerechtfertigt war und nicht im Interesse des Opfers erfolgte. Schließlich ist die Tat nach dem Wortlaut des Art. 8 Abs. 2 b) (x) des römischen Statuts nur strafbar, wenn sie an Personen, die sich in der Gewalt einer gegnerischen Partei befinden, begangen wird. Hinsichtlich des erforderlichen Vorsatzes gilt Art. 30 des römischen Statuts.
II. Vergewaltigung als Kriegsverbrechen im nicht-internationalen bewaffneten Konflikt (Art. 8 Abs. 2 c) und e)) Art. 8 Abs. 2 c) des römischen Statuts regelt die Strafbarkeit von schweren Verstößen gegen den gemeinsamen Artikel 3 als Kriegsverbrechen in nicht-internationalen bewaffneten Konflikten. Dieser definiert den völkerrechtlichen Mindeststandard in nicht-internationalen bewaffneten Konflikten, der – nach der Rechtsprechung der beiden Ad hoc-Tribunale – im Fall der Zuwiderhandlung die individuelle strafrechtliche Verantwortlichkeit des Täters beinhaltet.108 Art. 8 Abs. 2 e) umfasst 2. The conduct caused the death or seriously endangered the physical or mental health of such person or persons. 3. The conduct was neither justified by the medical, dental or hospital treatment of the person or persons concerned nor carried out in such person’s or persons’ interest.46 4. Such person or persons were in the power of an adverse party. Fn. 46: Consent is not a defence to this crime. The crime prohibits any medical procedure which is not indicated by the state of health of the person concerned and which is not consistent with generally accepted medical standards which would be applied under similar medical circumstances to persons who are nationals of the party conducting the procedure and who are in no way deprived of liberty. This footnote also applies to the same elements for article 8 (2) (b) (x)-2. Elements of Crimes zu Art. 8 (2) (b) (x)-1; Official Records of the Assembly of States Parties to the Rome Statute of the International Criminal Court, First Session, New York, 3. – 10. 09. 2002, ICC-ASP/1/3 (part II-B). 106 Art. 11 Abs. 1 S. 1 ZP I. 107 Zimmermann, in: Triffterer, Commentary on the Rome Statute of the International Criminal Court, Art. 8 Rn. 107 – 108. Vgl. auch The Prosecutor v. Tadic, IT-94-1, Judgement, 7. Mail 1997, Abs. 45. 108 ICJ, Case concerning Military and Paramilitary Activities in and against Nicaragua (Nicaragua v. United States of America), Urteil vom 27. Juni 1986, ICJ Reports 1986, Abs. 242; The Prosecutor v. Dusˇko Tadic´, IT-94-1, Judgement, 7. Mai 1997, Abs. 128 ff.; The Prosecutor v. Jean-Paul Akayesu, IT-96-4-T, Judgement, 2. September 1998, Abs. 608.
C. Kriegsverbrechen (Art. 8)
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„schwere Verstöße gegen die innerhalb des feststehenden Rahmens des Völkerrechts anwendbaren Gesetze und Gebräuche im bewaffneten Konflikt, der keinen internationalen Charakter hat.“109
Art. 8 Abs. 2 c) und e) sind nicht in Fällen von „inneren Unruhen und Spannungen wie Tumulte, vereinzelt auftretende Gewalttaten oder andere ähnliche Handlungen“
anwendbar.110 Während Kriegsverbrechen im Sinne von lit. c) voraussetzen, dass sie (1) in Zusammenhang und Verbindung mit einem nicht-internationalen bewaffneten Konflikt gegen (2) nicht aktiv an den Feindseligkeiten teilnehmende Personen begangen wurden und der Täter von diesen beiden tatsächlichen Umständen wusste;111 verlangen die Tatbestände des Art. 8 Abs. 2 e), dass die Tathandlung im Zusammenhang und Verbindung mit einem nicht-internationalen bewaffneten Konflikt begangen wurde und der Täter von den tatsächlichen Umständen dieses Konflikts Kenntnis hatte.112 1. Vergewaltigung, sexuelle Sklaverei, Nötigung zur Prostitution, erzwungene Schwangerschaft im Sinne des Artikels 7 Absatz 2 Buchstabe f, Zwangssterilisation und jede andere Form sexueller Gewalt, die ebenfalls einen schweren Verstoß gegen den gemeinsamen Artikel 3 der vier Genfer Abkommen darstellt (Art. 8 Abs. 2 e) (vi)) Der Tatbestand der Vergewaltigung und die der anderen Formen sexueller Gewalt als Kriegsverbrechen im nicht-internationalen bewaffneten Konflikt aus Art. 8 Abs. 2 e) (vi) entspricht mutatis mutandis in Wortlaut und Verbrechenselementen denselben Tatbeständen des internationalen bewaffneten Konflikt aus Art. 8 Abs. 2 b) (xxii), so dass auf die obigen Erörterungen hierzu verwiesen werden kann. Zu beachten ist allerdings, dass die Tatbestände der sexuellen Gewalt im internationalen bewaffneten Konflikt aus Art. 8 Abs. 2 b) (xxii) schwere Verstöße gegen die Genfer Abkommen darstellen, während dieselben Tatbestände der sexuellen Gewalt im nicht-internationalen bewaffneten Konflikt aus Art. 8 Abs. 2 e) (vi) auf einem Verstoß gegen den gemeinsamen Artikel 3 der Genfer Abkommen beruhen. Demzufolge unterscheiden sich die Verbrechenselemente in diesem Bezugspunkt.113
109
Art. 8 Abs. 2 f) römisches Statut. Art. 8 Abs. 2 d) des römischen Statuts. 111 Dörmann, Elements of War Crimes under the Rome Statute of the International Criminal Court, S. 383. 112 Vgl. Dörmann, Elements of War Crimes under the Rome Statute of the International Criminal Court, S. 441. 113 Zimmermann, in: Triffterer, Commentary on the Rome Statut of the International Criminal Court, Art. 8, Rn. 315. 110
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7. Kap.: Vergewaltigungsverbot im Statut des IStGH (1998)
Der Wortlaut des Abs. 2 e) (vi) zeigt durch die Formulierung „ebenfalls“, dass sexuelle Gewalttaten über die aufgezählten Tatbestandsalternativen hinaus nur dann strafbar sind und unter die Zuständigkeit des Internationalen Strafgerichtshofes fallen, wenn sie einen schweren Verstoß gegen den gemeinsamen Art. 3 darstellen.114 Die explizit genannten Taten der sexuellen Gewalt der Vergewaltigung, der sexuellen Sklaverei, der erzwungenen Schwangerschaft und der Nötigung zur Prostitution sind jedoch per se schwere Verstöße gegen den gemeinsamen Artikel 3.115 2. Folter (Art. 8 Abs. 2 c) (i) 4. Alternative) Auch die Definition der Folter als Kriegsverbrechen im nicht-internationalen bewaffneten Konflikt in den Verbrechenselementen zu lit. c (i) entspricht der Definition der Folter als Kriegsverbrechen im internationalen bewaffneten Konflikt in den Verbrechenselementen zu lit. a (i), weshalb auch hier auf die oben gemachten Ausführungen zu verweisen ist. Auch im nicht-internationalen bewaffneten Konflikt kann eine Vergewaltigung Folter sein. 3. Grausame Behandlung (Art. 8 Abs. 2 c) (i) 3. Alternative) Der Begriff der grausamen Behandlung aus lit. c (i) entspricht ebenfalls dem Begriff der unmenschlichen Behandlung aus lit. b) (ii), weshalb die Verbrechenselemente für beide Tatbestände insoweit identisch sind.116 Folglich kann auch an dieser Stelle auf die Untersuchung zu Art. 8 Abs. 2 a) (ii) verwiesen werden, wonach eine Vergewaltigung im Zusammenhang mit einem bewaffneten Konflikt in aller Regel eine grausame bzw. unmenschliche Behandlung ist. 4. Beeinträchtigung der persönlichen Würde, insbesondere entwürdigende und erniedrigende Behandlung (Art. 8 Abs. 2 c) (ii) Der Wortlaut des Art. 8 Abs. 2 c) (ii), der Beeinträchtigungen der persönlichen Würde als schweren Verstoß gegen den gemeinsamen Art. 3 der Genfer Abkommen im nicht-internationalen bewaffneten Konflikt verbietet, und die Verbrechenselemente hierzu entsprechen dem Wortlaut des Abs. 2 b) (xxi), so dass erneut auf die oben erfolgte Untersuchung verwiesen werden kann.
114
Zimmermann, in: Triffterer, Commentary on the Rome Statut of the International Criminal Court, Art. 8, Rn. 316. 115 Zimmermann, in: Triffterer, Commentary on the Rome Statut of the International Criminal Court, Art. 8, Rn. 317. 116 La Haye, in: Lee, The International Criminal Court, Art. 8 (2) (c)(i)-3, S. 209.
C. Kriegsverbrechen (Art. 8)
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5. Angriffe auf Leib und Leben, insbesondere Verstümmelung (Art. 8 Abs. 2 c) (i) 2. Alternative) Wie bereits oben bei den Kriegsverbrechen des Art. 8 Abs. 2 b) erwähnt, kann eine Vergewaltigung mit einer Verstümmelung von Sexualorganen verbunden sein oder im Zusammenhang mit einer solchen begangen werden. Der Wortlaut der Definition des Tatbestandes gemäß Art. 8 Abs. 2 c) (i) des römischen Statuts in den Verbrechenselementen entspricht bis auf den Verzicht des Erfordernisses der ernsthaften Gefährdung der körperlichen oder geistigen Gesundheit des Opfers sowie dem Ausschluss des Einverständnisses als Verteidigung aus den Fußnoten 46 und 68 den Tatbeständen der Verstümmelung aus Art. 8 Abs. 2 b) (x) und e) (xi),117 so dass auch hier auf die obigen Ausführungen verwiesen werden kann.118 Statt des Erfordernisses, dass sich das Opfer zum Tatzeitpunkt in der Gewalt der gegnerischen Partei befinden muss, verlangt die Definition der Verbrechenselemente hier, dass das Opfer als geschützte Person nicht aktiv an den Feindseligkeiten teilgenommen hat. 6. Körperliche Verstümmelung (Art. 8 Abs. 2 e) (xi)) In den Verbrechenselementen zu Art. 8 Abs. 2 e) (xi) wird körperliche Verstümmelung als Verstoß gegen die Gesetze und Gebräuche des nicht-internationalen bewaffneten Konflikts identisch mit der Verstümmelung als Verstoß gegen die Gesetze und Gebräuche des internationalen bewaffneten Konflikts aus Art. 8 Abs. 2 b) (x) definiert. Demnach setzt der Tatbestand der körperliche Verstümmelung nach Art. 8 Abs. 2 e) (xi), der in den hier untersuchten Fällen zumeist die Sexualorgane betreffen wird, voraus, dass durch die verstümmelnde Tathandlung der Tod des Opfers verursacht oder seine geistige oder körperliche Unversehrtheit ernsthaft gefährdet wird (was, wie bereits erwähnt, nicht in Art. 8 Abs. 2 c) (i) des römischen Statuts verlangt wird). Statt in der Gewalt der gegnerischen Partei muss sich das Opfer zum Tatzeitpunkt in der Gewalt einer anderen Konfliktpartei befinden. Hin-
117
Art. 8 (2) (c) (i)-1- War crime of mutilation 1. The perpetrator subjected one or more persons to mutilation, in particular by permanently disfiguring the person or persons, or by permanently disabling or removing an organ or appendage. 2. The conduct was neither justified by the medical, dental or hospital treatment of the person or persons concerned nor carried out in such person’s or persons’ interest. 3. Such person or persons were either hors de combat, or were civilians, medical personnel or religious personnel taking no active part in the hostilities. Elements of Crimes zu Art. 8 (2) (c) (i)-2; Official Records of the Assembly of States Parties to the Rome Statute of the International Criminal Court, First Session, New York, 3. – 10. 09. 2002, ICC-ASP/1/3 (part II-B). 118 Vgl. auch Dörmann, Elements of War Crimes under the Rome Statute of the International Criminal Court, S. 396.
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7. Kap.: Vergewaltigungsverbot im Statut des IStGH (1998)
sichtlich der übrigen Tatbestandserfordernisse kann wiederum auf die obigen Ausführungen verwiesen werden.
D. Völkermord (Art. 6) Der Wortlaut des Tatbestandes des Völkermordes in Art. 6 des römischen Statuts wurde wörtlich von der Definition des Völkermordes in Art. 2 der Konvention über die Verhütung und Bestrafung des Völkermordes übernommen.119 Insbesondere die Alternativen b) bis d) sind demnach für die Frage nach der Verwirklichung des Tatbestandes des Völkermordes durch Vergewaltigung relevant. Um den Tatbestand des Völkermordes zu erfüllen, müssen alle Handlungen in der sogenannten Völkermordabsicht, eine – bestimmte – Gruppe als solche ganz oder teilweise zu zerstören, verwirklicht werden.
I. Verursachung von schwerem körperlichem oder seelischem Schaden an Mitgliedern der Gruppe (Art. 6 lit. b) Art. 6 lit. b) war als einziger Punkt der Verwirklichungsformen des Völkermordes während der Vertragsverhandlungen der Preparatory Committee Working Group umstritten, wobei man sich schließlich auf eine Fußnote einigte, die besagte, dass mit „schwerem seelischem Schaden“ mehr als eine kleine oder vorübergehende Beeinträchtigung der mentalen Fähigkeiten gemeint ist. Auch wenn diese Fußnote in der Endfassung des römischen Statuts fehlt, wurde der Gedanke in einer Fußnote zu den bereits erwähnten Verbrechenselementen zu Art. 6 (b) wieder aufgenommen.120 Nach dieser können Folter, Vergewaltigung, sexuelle Gewalt oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung schweren körperlichen oder seelischen Schaden
119
Siehe oben 3. Kapitel B. II.; Art. 6 des römischen Statuts lautet: Im Sinne dieses Statuts bedeutet „Völkermord“ jede der folgenden Handlungen, die in der Absicht begangen wird, eine nationale, ethnische, rassische oder religiöse Gruppe als solche ganz oder teilweise zu zerstören: a) (…) b) Verursachung von schwerem körperlichem oder seelischem Schaden an Mitgliedern der Gruppe; c) vorsätzliche Auferlegung von Lebensbedingungen für die Gruppe, die geeignet sind, ihre körperliche Zerstörung ganz oder teilweise herbeizuführen; d) Verhängung von Maßnahmen, die auf die Geburtenverhinderung innerhalb der Gruppe gerichtet sind; e) (…). 120 Schabas, in: Triffterer, Commentary on the Rome Statute of the International Criminal Court, Art. 6 Rn. 19.
D. Völkermord (Art. 6)
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verursachen, sie sind aber nicht auf diese Handlungsformen beschränkt.121 Die Vergewaltigung einer Frau in der Absicht, eine Gruppe, zu der diese Frau gehört, ganz oder teilweise zu zerstören, verwirklicht damit den Tatbestand des Völkermordes nach Art. 6 lit. b des römischen Statuts.
II. Vorsätzliche Auferlegung von Lebensbedingungen für die Gruppe, die geeignet sind, ihre körperliche Zerstörung ganz oder teilweise herbeizuführen (Art. 6 lit. c) Mit der „vorsätzlichen Auferlegung von Lebensbedingungen, die geeignet sind, die körperliche Zerstörung der Gruppe ganz oder teilweise herbeizuführen“, ist nach den Verbrechenselementen der absichtliche Entzug von lebensnotwendigen Resourcen wie Nahrung, medizinischer Versorgung oder der systematischen Vertreibung aus Wohnhäusern gemeint, aber nicht darauf beschränkt.122 Andere Beispiele für solche Lebensbedingungen beinhalten Deportationen, unzureichende Lebensmittelversorgung der Gruppe, das Vorenthalten notwendiger medizinischer Hilfe unter einem Minimum oder von ausreichenden Wohnunterkünften, sofern und soweit diese Maßnahmen in der Absicht getroffen wurden, die Gruppe als solche ganz oder teilweise zu zerstören.123 Damit ist für die Verwirklichung der Tatbestandsalternative c) – im Gegensatz zu lit. a, b und d – kein Erfolg notwendig; die absichtliche Auferlegung der Lebensbedingungen ist ausreichend. Die physische Zerstörung durch Lebensbedingungen, die zu einem langsamen Tod führen – wozu nach dem Urteil des ICTR im Fall Kayishema auch Vergewaltigungen zählen – muss also beabsichtigt sein, nicht jedoch die sofortige Tötung.124 Obwohl (andauernde und wiederholte) Vergewaltigungen demnach als eine Lebensbedingung, die darauf gerichtet ist, die physische Zerstörung einer Gruppe herbeizuführen, betrachtet werden, wurde unter diesem Punkt bisher noch keine Anklage vor einem internationalen Strafgericht erhoben. Es lässt sich jedoch argumentieren, dass sexuelle Gewalt und Vergewaltigungen, die „schwere körperliche oder seelische Schäden“ im Sinne von lit. b verursachen, auch Lebensbedingungen 121 Elements of Crimes zu Art. 6 (b) mit Fußnote 3; Official Records of the Assembly of States Parties to the Rome Statute of the International Criminal Court, First Session, New York, 3. – 10. 09. 2002, ICC-ASP/1/3 (part II-B); vgl. Quénivet, Sexual Offenses in Armed Conflict and International Law, S. 160 f. 122 Elements of Crimes zu Art. 6 (c) mit Fußnote 4; Official Records of the Assembly of States Parties to the Rome Statute of the International Criminal Court, First Session, New York, 3. – 10. 09. 2002, ICC-ASP/1/3 (part II-B). 123 Vgl. The Prosecutor v. Akayesu, ICTR-96-4, Judgement, 2. September 1998, Abs. 506; sowie Schabas, in: Triffterer, Commentary on the Rome Statute of the International Criminal Court, Art. 6 Rn. 20. 124 Vgl. The Prosecutor v. Akayesu, ICTR-96-4, Judgement, 2. September 1998, Abs. 505, The Prosecutor v. Kayishema, ICTR-95-1, Judgement, 21. Mai 1999, Abs. 115 f.
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7. Kap.: Vergewaltigungsverbot im Statut des IStGH (1998)
sind, die geeignet sind, die physische Zerstörung einer Gruppe herbeizuführen. Vor allem in patriarchalen Gesellschaften, in denen Frauen nach einer Vergewaltigung durch einen Angehörigen einer anderen ethnischen Gruppe als nicht mehr „heiratsfähig“ betrachtet werden, können Vergewaltigungen zur physischen Zerstörung der Gruppe führen.125 Auch Haftbedingungen in einer Atmosphäre des Schreckens durch Vergewaltigungen und der Angst vor Vergewaltigungen sowie Vergewaltigungen in der Absicht, solche Schäden herbeizuführen, dass das Opfer die Fähigkeit sich fortzupflanzen verliert, können unter Lebensbedingungen, die geeignet sind, die physische Zerstörung der Gruppe herbeizuführen, subsumiert werden.126 Einen erwähnenswerten Sonderfall der „Lebensbedingungen, die geeignet sind, die körperliche Zerstörung einer Gruppe ganz oder teilweise herbeizuführen“, stellt die absichtliche Infektion der Opfer von Vergewaltigungen mit HIV/AIDS dar. In Rwanda wurden während des Völkermordes 1994 zahlreiche Frauen von HIV-positiven Männern in der Absicht vergewaltigt, durch die Übertragung des Virus die Opfer langsam zu töten und das Virus auch an die Männer und ungeborenen Kinder der Opfer weiterzugeben.127 An dieser Stelle muss auch erwähnt werden, dass dieses grausame Phänomen nicht nur in Ruanda zu beobachten war, sondern dass auch einige der anderen heutigen oder erst kurz zurück liegenden Schauplätze von Massenvergewaltigungen in bewaffneten Konflikten im Aidsgürtel Afrikas liegen, wie etwa die Demokratische Republik Kongo oder Angola.128 Sofern mit den Vergewaltigungen die absichtliche Übertragung von HIV verbunden ist, sind diese daher als Lebensbedingungen, die geeignet sind, die Zerstörung der Gruppe ganz oder teilweise herbeizuführen, anzusehen.129
III. Verhängung von Maßnahmen, die auf die Geburtenverhinderung innerhalb der Gruppe gerichtet sind (Art. 6 lit. d) Aus den travaux préparatoires zum römischen Statut ergibt sich, dass unter „auf die Geburtenverhinderung innerhalb der Gruppe gerichteten Maßnahmen“ aus lit. d zunächst physische Maßnahmen wie Zwangssterilisierungen, Zwangsabtreibungen, 125 So Bassouni/Manikas, The Law of the International Tribunal for the former Yugoslavia, S. 587. 126 Vgl. de Brouwer, Supranational Criminal Prosecution of Sexual Violence, S. 56 f. 127 Jones, Gender and Genocide in Rwanda, Journal of Genocide Research 4 (2002), S. 65 – 94 (82); vgl. auch Quénivet, Sexual Offenses in Armed Conflict and International Law, S. 162. 128 Rehn/Sirleaf, Women, War, Peace: The Independent Experts’ Assessment on the Impact of Armed Conflict on Women and Women’s Pole in Peace-Building, S. 52 f.; Manjoo/McRaith, Gender-Based Violence and Justice in Conflict and Post-Conflict Areas, Cornell Int’l L.J. 44 (2011), S. 11 – 31 (16). 129 de Brouwer, Supranational Criminal Prosecution of Sexual Violence, S. 57 f.
E. Ausgestaltung des Vergewaltigungsverbots im römischen Statut
251
Geschlechtertrennung und Eheschließungshindernisse verstanden wurden.130 Der ICTR interpretierte diese Verwirklichungsform des Völkermordes im Urteil gegen Akayesu – wie im 6. Kapitel dargestellt – jedoch in zweierlei Hinsicht weiter: Zum einen führte er aus, dass eine Vergewaltigung einer Frau durch einen einer anderen Gruppe zugehörigen Mann in patriarchalen Gesellschaften, in denen die Gruppenzugehörigkeit des Kindes durch die Gruppenzugehörigkeit des Vaters bestimmt wird, eine Maßnahme zur Geburtenverhinderung der Gruppe der Mutter sei, da diese ein Kind bekäme (oder bekommen solle), welches nicht zur Gruppe der Mutter gehört.131 Zum anderen müsse lit. d nicht ausschließlich physisch verstanden werden, sondern könne auch psychisch sein – etwa in Fällen, in denen sich Vergewaltigungsopfer aufgrund des erlittenen Traumas nicht fortpflanzten oder Mitglieder einer Gruppe durch Drohungen oder erlittene Traumata an der Fortpflanzung gehindert würden.132 Dieses Verständnis von Art. 6 lit. d) wurde in der Kommentarliteratur zum römischen Statut übernommen.133 Damit können Vergewaltigungen, sofern sie mit der (Völkermord-)Absicht, eine definierte Gruppe ganz oder teilweise zu zerstören, erfolgen, auch unter den Tatbestand des Art. 6 lit. d des römischen Statuts fallen.
E. Bewertung der Ausgestaltung des Vergewaltigungsverbots im römischen Statut I. Weiterentwicklung des Vergewaltigungsverbots Auch wenn das Verbot der sexuellen Gewalt und insbesondere der Vergewaltigung bereits – wie im 3. Kapitel untersucht – in den genannten älteren humanitärvölkerrechtlichen Verträgen enthalten ist und Verstöße von den Ad hoc-Tribunalen – wie im 6. Kapitel gezeigt – auch ohne spezifische Tatbestände der sexuellen Gewalt verfolgt wurden, wurde das Verbot zu vergewaltigen durch die ausdrückliche Klassifizierung als Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit wesentlich genauer und dadurch weiterentwickelt. Bereits bei Lektüre des römischen Statuts fällt im Vergleich zu den Statuten der Ad hoc-Tribunale auf, dass es die einzelnen Tatbestände der Verbrechen des Völkermordes, der Verbrechen gegen die Menschlichkeit und der Kriegsverbrechen sehr viel detaillierter regelt. Dies gilt 130
UN Doc E/623/Add.2; UN Doc E/447, S. 26; UN Doc A/C.6/SR82. The Prosecutor v. Akayesu, ICTR-96-4, Judgement, 2. September 1998, Abs. 507; im Schrifttum etwa Schabas, in: Triffterer, Commentary on the Rome Statute of the International Criminal Court, Art. 6 Rn. 22. 132 The Prosecutor v. Akayesu, ICTR-96-4, Judgement, 2. September 1998, Abs. 508; vgl. oben 6. Kapitel E. I. 133 Bassiouni/Manikas, The Law of the International Criminal Tribunal for the Former Yugoslavia, S. 588; Quénivet, Sexual Offenses in Armed Conflict and International Law, S. 163; Schabas, in: Triffterer, Commentary on the Rome Statute of the International Criminal Court, Art. 6, Rn. 22. 131
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7. Kap.: Vergewaltigungsverbot im Statut des IStGH (1998)
insbesondere für Tatbestände, die Vergewaltigungen und andere Formen der sexuellen Gewalt völkerstrafrechtlich verbieten. So enthielten die Statute der Ad hocTribunale die Tatbestände der sexuellen Sklaverei, der Nötigung zur Prostitution, der erzwungenen Schwangerschaft, der anderer Formen der sexuellen Gewalt von vergleichbarer Schwere als Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit noch nicht. Damit zeigt sich im römischen Statut im Vergleich zu den Regeln des humanitären Völkerrechts, die bereits durch die Statute der Ad hoc-Tribunale im Sinne einer strafrechtlichen Durchsetzung weiterentwickelt und konkretisiert wurden, eine deutliche Weiterentwicklung des völkerrechtlichen Vergewaltigungsverbots hin zu einer strafrechtlichen Durchsetzung dieses Verbots. Dies ist insbesondere in Anbetracht des strafrechtlichen Bestimmtheitsgrundsatzes zu begrüssen, dem durch genauere und präziser definierte Tatbestände besser entsprochen wird. Zudem macht es potentiellen Tätern wie auch der Weltöffentlichkeit die strafrechtliche Relevanz von Vergewaltigungen und anderer sexueller Gewalt in bewaffneten Konflikten deutlich, was möglicherweise auch der Spezial- und Generalprävention von diesen Verbrechen dienen kann.
II. Bestimmtheitsgrundsatz Offen und damit im Hinblick auf den strafrechtlichen Bestimmtheitsgrundsatz problematisch bleibt jedoch die genaue Ausgestaltung der Definition des Tatbestands der Vergewaltigung in den Verbrechenselementen. Wie dargestellt, werden in den Verbrechenselementen Teile der Definitionen von Vergewaltigung aus den Urteilen gegen Akayesu und Furundzˇ iya übernommen, weshalb die Verbrechenselemente eine Mischung aus der konzeptionellen Definition der Vergewaltigung und der mechanischen Definition enthalten. Allerdings entwickelten der ICTYund der ICTR die Definition des Tatbestands in den Verfahren gegen Kunarac, Kovacˇ and Vukovic´ und Gacumbitsi weiter, so dass die Verbrechenselemente zum römischen Statut an dieser Stelle nicht dem Stand der Rechtsprechung der Ad hoc-Tribunale entsprechen.134 Diesbezüglich bleibt daher nur die Rechtsprechung des IStGHs abzuwarten.
III. Weiterer Einfluss der Rechtsprechung von ICTY und ICTR Interessant an der Ausgestaltung des römischen Statuts hinsichtlich des Verbots von Vergewaltigungen und sexueller Gewalt im bewaffneten Konflikt ist der offensichtliche Einfluss der Erfahrungen des ICTY und des ICTR mit diesen Verbrechen auch insgesamt. So ist beispielsweise die Einführung des Tatbestands der sexuellen Versklavung (Art. 7 Abs. 1g-2 des römischen Statuts) unter anderem auf 134
Vgl. oben 6. Kapitel A. V. und XIII.
E. Ausgestaltung des Vergewaltigungsverbots im römischen Statut
253
die Erfahrungen des ICTYs aus dem Fall Kunarac, Kovacˇ und Vukovic´ zurückzuführen, indem das Gericht in Ermangelung eines passenderen Tatbestands wegen des Festhaltens von muslimischen Frauen zum Zwecke der sexuellen Befriedigung serbischer Soldaten auf eine Verurteilung wegen Vergewaltigung und Versklavung zurückgreifen musste.135 Einen ähnlichen Hintergrund hat die Einführung des Tatbestands der „jeder anderen Form von sexueller Gewalt von vergleichbarer Schwere“ (Artt. 7 Abs. 1g-6, 8 Abs. 2 b) (xxii) des römischen Statuts), dessen Notwendigkeit unter anderem durch den Fall Akayesu, in dem eine Studentin gezwungen wurde nackt auf dem Marktplatz vor einer Menschenmenge Turnübungen zu machen, deutlich wurde.136 Ähnlich auch das Erzwingen des Abbeissens eines Hodens durch einen Mitgefangenen im Fall Tadic´,137 sowie der Fall Kunarac, Kovacˇ and Vukovic´, indem Frauen unter anderem gezwungen worden waren, nackt auf Tischen zu tanzen. Auch die Einführung des Tatbestands der erzwungenen Schwangerschaft beruht auf Erfahrungen mit den Vergewaltigungslagern im Jugoslawien-Konflikt, in denen schwangere Frauen so lange festgehalten wurden, bis es für eine Abtreibung zu spät war.
IV. Geschlechtsneutrale Formulierung der Tatbestände Positiv an der Ausgestaltung der Verbrechen der Vergewaltigung und der sexuellen Gewalt im römischen Statut und den Verbrechenselementen ist die grundsätzlich geschlechtsneutrale Formulierung der Tatbestände. Hierdurch wird deutlich, dass Vergewaltigung und andere eng mit diesem Tatbestand verknüpfte Verbrechen der sexuellen Gewalt auch gegen Männer und Jungen begangen werden und dies genauso strafbar ist wie die Begehung dieser Verbrechen gegen Frauen und Mädchen. Da diese in der öffentlichen Wahrnehmung und tatsächlich wohl die grössere Opfergruppe betreffen, Taten der sexuellen Gewalt gegen Männer aber genauso schlimme Schäden wie gegen Frauen verursachen und möglicherweise sogar (noch) mehr mit Stigmatisierung verbunden sind, wird dies dem tatsächlichen Unrechtsgehalt der Taten gerecht. Das römische Statut demonstriert damit, dass Vergewaltigung und sexuelle Gewalt in seinem Anwendungsbereich unabhängig davon gegen wen sie begangen werden völkerstrafrechtlich relevant sind. Insgesamt entwickelt das römische Statut das völkerrechtliche Verbot der Vergewaltigung durch seine Präzisierungen und Konkretisierungen des Tatbestands, die das Verbot endgültig zu einem allgemeingültigen auch völkerstrafrechtlich durchsetzbaren machen damit trotz kleinerer Lücken hinsichtlich der Definition erheblich weiter.
135 The Prosecutor v. Kunarac, Kovacˇ and Vukovic´, IT-96-23 & IT-96-23/1, Appeals Judgement, 12. Juni 2002; vgl. dazu auch 6. Kapitel A. V. 136 Siehe 6. Kapitel A. I. 137 Siehe 6. Kapitel C. I.
8. Kapitel
Vergewaltigung und sexuelle Gewalt im Verfahrensrecht des Internationalen Strafgerichtshofs Die historische Entwicklung des Vergewaltigungsverbots im bewaffneten Konflikt hat gezeigt, dass das materielle Vergewaltigungsverbot wenig effektiv ist, wenn es nicht auch aktiv durchgesetzt werden kann und wird. Demzufolge ist ein wesentlicher Strafzweck im Völkerstrafrecht die Generalprävention im Sinne der Normbekräftigung und der Abschreckung, um (zukünftige weitere) völkerrechtliche Verbrechen zu verhindern. Daneben darf aber auch die Ausgleichs- und Befriedungsfunktion des Völkerstrafrechts, die die Interessen und Bedürfnisse der Opfer befriedigt – und so letztlich auch die Voraussetzungen für einen Neuanfang schafft – nicht außer Acht gelassen werden.1 Zur Durchsetzung des Vergewaltigungsverbots im bewaffneten Konflikt ist zunächst der tatsächliche politische Wille das Verbot durchzusetzen Voraussetzung jeder – nationalen oder supranationalen – Strafverfolgung. Daneben werden die Möglichkeiten und die Effizienz der Strafverfolgung maßgeblich durch das Strafprozessrecht bestimmt. Weiter wird untersucht, wie die Opfer und Zeugen von Vergewaltigungen nach dem römischen Statut geschützt und – erstmalig in der Geschichte der internationalen Strafgerichtsbarkeit – an den Verfahren beteiligt und entschädigt werden (können) und welche prozessualen Besonderheiten das römische Statut bei Anklagen wegen Vergewaltigungen vorsieht. Jeder Strafprozess hat das Ziel, die tatsächlichen Geschehnisse und die sich daraus ergebende Schuld des Täters unter Beachtung der Grundsätze eines fairen Verfahrens möglichst zweifelsfrei zu ermitteln und gegebenenfalls das Tat und Täter angemessene Strafmaß zu bestimmen. Damit ist es sehr täterzentriert, während sich die Rolle des Opfers zumeist auf Zeugenaussagen zur Ermittlung der tatsächlichen Umstände der Tat beschränkt.2 Trotz der eher untergeordneten Rolle des Opfers im Strafprozess sind die Aussagen von Opfern als Zeugen für die Strafverfolgung unverzichtbar, da sie das Strafverfahren und ggfs. die Verurteilung des oder der Täter 1
Vgl. Bock, Das Opfer vor dem Internationalen Strafgerichtshof, S. 202 und 208. Demnach ist Generalprävention „problemlos mit einem opferorientierten Verständnis von Strafrecht“ zu kombinieren. Zu den Theorien der „restorative justice“ vor internationalen Strafgerichten siehe McGonigle Leyh, Procedural Justice?, S. 59 – 63. 2 Kreß, Witnesses in Proceedings Before the International Criminal Court, in: Fischer/Kreß/ Lüder, International and National Prosecution of Crimes under International Law, S. 309 – 383 (310); Olásolo, Systematic and Casuistic Approaches to the Role of Victims in Criminal Proceedings before the International Criminal Court, New Crim. L Rev. 12 (2009), S. 513 – 528 (513).
8. Kap.: Vergewaltigung im Verfahrensrecht des IStGH
255
erst ermöglichen. Dies gilt in Verfahren vor dem IStGH wegen völkerrechtlicher Verbrechen noch mehr als in nationalen Strafverfahren, da der Anklagebehörde und dem IStGH nicht die gleichen Möglichkeiten der polizeilichen Ermittlung zur Verfügung stehen – beispielsweise wird eine Tat im Regelfall erst Monate bis Jahre später untersucht werden können, wenn keine Spuren mehr am Tatort vorhanden sind, so dass der Zeugenbeweis häufig eines der wenigen überhaupt zur Verfügung stehenden Beweismittel ist.3 Allerdings ist eine Aussage von Opfern von Vergewaltigungen und sexueller Gewalt vor Gericht bereits in nationalen Strafverfahren häufig sehr schwierig und belastend für sie als Zeugen.4 Wie mit Bezug auf die Rechtsprechung der beiden Ad hoc-Tribunale im 6. Kapitel gezeigt, gilt dies aufgrund der Sensitivität des Verbrechens und der daraus resultierenden Vulnerabilität der Opfer um so mehr für Verfahren vor dem IStGH, weshalb eine Zeugenaussage mit ganz besonderen Schwierigkeiten für die Zeugen und das Gericht verbunden ist. Eine Aussage eines Opfers und Zeugen von Vergewaltigungen vor einem internationalen Strafgericht wie dem IStGH birgt erhöhte Risiken für die Sicherheit, die Privatsphäre und Würde, sowie die geistige und körperliche Gesundheit des Opfers und die Gefahr der gesellschaftlichen Stigmatisierung. In Folge dieser Risiken verweigern Opfer von Vergewaltigungen im bewaffneten Konflikt regelmäßig die Aussage vor Gericht, was wiederum ein Strafverfahren gegen die Täter be- oder sogar verhindert und somit zur Straflosigkeit des Verbrechens der Vergewaltigung im bewaffneten Konflikt beiträgt.5 Effizienter und glaubwürdiger Opferschutz ist somit Voraussetzung für ein Strafverfahren vor dem IStGH bei Anklagen wegen Vergewaltigung(en) und sexueller Gewalt und damit auch für die Durchsetzung des Vergewaltigungsverbots im bewaffneten Konflikt.6 Trotz des erhöhten Schutzbedürfnisses der Opfer bzw. Zeugen einerseits, müssen andererseits die Verfahrensrechte des Angeklagten gewahrt werden.7 Die Opfer von Verbrechen haben über ihre Rolle als Zeugen hinaus ein eigenes Interesse an der Strafverfolgung der Täter. Sie erwarten von der (internationalen) Strafverfolgung insbesondere Anerkennung, Wahrheit, Gerechtigkeit und Wieder3
Ambos, The Right of Non-Self-Incrimination of Witnesses Before the ICC, LJIL 15 (2002), S. 155 – 177 (173); Bock, Das Opfer vor dem Internationalen Strafgerichtshof, S. 372; Sluiter, I beg you, please come testify, New Crim. L Rev. 12 (2009), S. 590 – 608 (591). 4 Ausfürlich dazu Konradi, Taking the Stand; Temkin, Rape and the Legal Process. 5 de Brouwer, Supranational Criminal Prosecution of Sexual Violence, S. 234; zur allgemeinen Problematik Sluiter, I beg you, please come testify, New Crim. L Rev. 12 (2009), S. 590 – 608 (591). 6 Bedont, Gender-Specific Provisions in the Statute of the International Criminal Court, in: Lattanzi/Schabas, Essays on the Rome Statute of the International Criminal Court, S. 183 – 210 (202); de Brouwer, Supranational Criminal Prosecution of Sexual Violence, S. 235. 7 Siehe Art. 54 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 55 römisches Statut für die Ermittlungen, Art. 64 Abs. 2 römisches Statut für das Hauptverfahren: „Die Hauptverfahrenskammer stellt sicher, dass das Hauptverfahren fair und zügig verläuft und unter voller Beachtung der Rechte des Angeklagten und gebührender Berücksichtigung des Schutzes der Opfer und Zeugen geführt wird.“
256
8. Kap.: Vergewaltigung im Verfahrensrecht des IStGH
gutmachung.8 Diesem Interesse trägt das römische Statut insoweit erstmalig Rechnung, als es Opfern völkerrechtlicher Verbrechen über ihre Zeugenstellung hinaus die Möglichkeit der Beteiligung am Strafverfahren vor dem IStGH gibt.9 Insgesamt versucht das römische Statut, durch allgemeine Regeln zum Opferschutz, insbesondere dem Schutz der Identität des Opfers, sowie durch besondere Verfahrens- und Beweisregeln für Fälle sexueller Gewalt, inklusive Vergewaltigungen, sowie der Möglichkeit der Beteiligung von Opfern an Verfahren dem besonderen Schutzbedürfnis der Opfer bzw. Zeugen Rechnung zu tragen und deren Aussagen zu ermöglichen und gleichzeitig die Rechte und Interessen des Angeklagten zu wahren.10 In diesem Abschnitt wird untersucht, wie das Verfahrens- und Beweisrecht vor dem IStGH im Sinne eines solchen Interessenausgleiches zwischen den Opfern der Vergewaltigungen und den Tätern ausgestaltet ist und somit eine effiziente interessengerechte Strafverfolgung der Täter zur Durchsetzung des Vergewaltigungsverbots im bewaffneten Konflikt erlauben.
A. Zeugenschutz nach dem römischen Statut Im Vergleich zu nationalen Strafverfahren ist Zeugenschutz in Strafverfahren vor dem IStGH wegen völkerrechtlicher Verbrechen von wesentlich größerer Bedeutung. Dies gilt insbesondere für Fälle, in denen der bewaffnete Konflikt, in dem die Tat begangen wurde, andauert. Zudem muss in vielen Fällen davon ausgegangen werden, dass aufgrund der großen Anzahl nicht alle Täter vor Gericht zur Verantwortung gezogen werden können, so dass es eine Anzahl von Personen gibt, die die Ermittlungen gegen den oder die Täter – etwa aus Angst vor strafrechtlichen Ermittlungen gegen sie selbst oder aus politischer Überzeugung – verhindern möchten. Folglich sind mit dem IStGH kooperierende Opfer und Zeugen ständig durch diesen Personenkreis gefährdet – wobei diese Gefährdung bereits ab der Aufnahme der (Vor-)Ermittlungen besteht und mit ihrer Aussage nicht endet. Rache- und Vergeltungsmaßnahmen wegen der Zusammenarbeit von Opfern und Zeugen mit dem IStGH können diese auch noch lange nach der rechtskräftigen Verurteilung des oder der Täter treffen.11 Wie wichtig der Zeugenschutz vor diesem Hintergrund ist, zeigen insbesondere die im 6. Kapitel untersuchten Erfahrungen von Zeugen des ICTR, die Opfer von Vergewaltigungen waren.12
8
Bock, Das Opfer vor dem Internationalen Strafgerichtshof, S. 170 – 177 (177). Art. 68 Abs. 3 des römischen Statuts, dazu ausführlich in diesem (8.) Kapitel unten A. II. 10 Art. 64 Abs. 2 römisches Statut; vgl. de Brouwer, Supranational Criminal Prosecution of Sexual Violence, S. 236. 11 Bock, Das Opfer vor dem Internationalen Strafgerichtshof, S. 430; Donat-Cattin, in: Triffterer, Commentary on the Rome Statute of the International Criminal Court, Art. 68 Rn. 1. 12 Siehe oben 6. Kapitel F. II. – IV. 9
A. Zeugenschutz nach dem römischen Statut
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Neben der unmittelbaren Gefährdung von Opferzeugen sexueller Gewalt durch die Täter bzw. deren Umfeld besteht für Vergewaltigungsopfer auch die Gefahr der sekundären Viktimisierung durch ihre Aussage. Hierunter ist durch die Strafverfolgung des Täters verursachtes Leid des Opfers zu verstehen.13 Sekundäre Viktimisierung entsteht gerade in Fällen sexueller Gewalttaten wie Vergewaltigung, die in fast allen Gesellschaften tabuisiert und vorurteilsbehaftet sind, wenn die Tat im persönlichen Umfeld des Opfers bekannt wird und das soziale Umfeld mit Unverständnis und Misstrauen hinsichtlich des geschilderten Tathergangs reagiert oder gar dem Opfer die „Schuld“ an der Tat gibt. Besonders in patriarchalisch geprägten Gesellschaften können solche Reaktionen belastend für das Opfer sein. Neben dem Bekanntwerden der Tat im sozialen Umfeld des Opfers durch dessen Zeugenaussage birgt auch das Strafverfahren selbst in besonderem Maße die Gefahr der sekundären Viktimisierung eines Opfers sexueller Gewalt. Dies liegt zum einen darin begründet, dass die Verteidigung auf den genannten Vorurteilen aufbauen kann und versucht, das Opfer als den „wahren Schuldigen“ der Tat hinzustellen oder es wenigstens als unglaubwürdig erscheinen zu lassen; zum anderen ist die Zeugenaussage gerade bei sexuellen Gewaltdelikten häufig das einzige Beweismittel, weshalb sich das Gericht besonders vorsichtig und kritisch mit der Glaubwürdigkeit des Opferzeugen auseinandersetzen muss – was von diesem als Misstrauen gegenüber dem Wahrheitsgehalt seiner Aussage und damit der Tat erlebt wird. Zur sekundären Viktimisierung des Opfers im Strafverfahren kann – insbesondere bei bereits traumatisierten Zeugen – auch die Art und Anzahl der Befragungen durch die Anklagebehörde und vor Gericht beitragen, durch die Zeugen wiederholt gezwungen werden, die Details der sie traumatisierenden Tat zu erzählen.14
I. Erscheinens- und Aussageverpflichtung von Zeugen vor dem IStGH Grundlegend für die Frage nach dem Zeugenschutz ist zunächst die Frage, ob ein Zeuge vor dem IStGH erscheinen und aussagen muss. Nach Art. 64 Abs. 6 b) des römischen Statuts ist die Strafverfahrenskammer berechtigt, die Anwesenheit und 13 Die Vereinten Nationen definieren als „the harm that may be caused to a victim by the investigation and prosecution of the case or by publicizing the details of the case in the media“; United Nations Commission on Crime Prevention and Criminal Justice; Handbook on Justice for Victims on the Use and Application of the United Nations Declaration of Basic Principles of Justice for Victims of Crime and Abuse of Power, UN Doc E/CN.15/1998/1, S. 43. Sekundäre Viktimisierung wird auch als Re-Viktimisierung bezeichnet; vgl. Donat-Cattin, in: Triffterer, Commentary on the Rome Statute of the International Criminal Court, Art. 68 Rn. 13. 14 Zur Gefahr der sekundären Viktimisierung in Vergewaltigungsprozessen durch die Justiz siehe ausführlich Bock, Das Opfer vor dem Internationalen Strafgerichtshof, S. 134 – 136, sowie S. 403 f.; vgl. auch de Brouwer, Supranational Criminal Prosecution of Sexual Violence, S. 235. Zur sekundären Viktimisierung in nationalen Strafverfahren des common law exemplarisch Röhrs, Vergewaltigung von Frauen in Südafrika, S. 172 ff.; vgl. auch Konradi, Taking the Stand; Temkin, Rape and the Legal Process.
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8. Kap.: Vergewaltigung im Verfahrensrecht des IStGH
Aussage von Zeugen zu verlangen. Allerdings richtet sich diese Verpflichtung nicht unmittelbar an die Zeugen selbst, sondern an die Vertragsstaaten des römischen Statuts. Die Rechtshilfevorschriften aus Art. 93 Abs. 1 e) sowie Abs. 7 des römischen Statuts verpflichten die Vertragsstaaten nur, das freiwillige Erscheinen von Zeugen vor dem IStGH zu erleichtern, nicht jedoch zu Zwangsmaßnahmen. Folglich ist das Erscheinen von Zeugen vor dem IStGH freiwillig. Damit steht Zeugen das Recht zu, die Zusammenarbeit mit dem IStGH zu verweigern und nicht vor diesem zu erscheinen. Wenn ein Zeuge vor dem Gericht erscheint, muss er allerdings in allen gerichtlichen Verfahren aussagen.15 Wenn ein Zeuge selbst entscheiden kann, ob er vor dem Gerichtshof erscheinen und aussagen möchte, ist dies bereits Zeugenschutz, da er damit in die Lage versetzt wird, sein Interesse an der Strafverfolgung des Täters gegen seine Belastung und mögliche Gefährdung durch eine Aussage abzuwägen. Andererseits werden hierdurch die Möglichkeiten der Strafverfolgung erheblich eingeschränkt – was die potentielle Straflosigkeit von völkerrechtlichen Verbrechen einschließt.16 Aus der Perspektive des Zeugenschutzes, insbesondere des Opferzeugenschutzes ist das Prinzip des freiwilligen Erscheinens und der freiwilligen Aussage jedenfalls zu begrüßen, da hierdurch der sekundären Viktimisierung insbesondere von – regelmäßig bereits traumatisierten – Opferzeugen von Vergewaltigungen vorgebeugt wird, indem diese selbst entscheiden, ob sie die Kraft für eine Aussage vor dem IStGH aufbringen bzw. das damit verbundene Restrisiko in Kauf nehmen können.17 Zudem wird eine erzwungene Aussage selten der Wahrheitsfindung dienen, da sich der zum Erscheinen vor Gericht gezwungene Zeuge in der Regel im Gerichtssaal nicht an die Einzelheiten der Tat wird erinnern können oder wollen.18 Bei der Untersuchung der genauen Ausgestaltung des Schutzes von Vergewaltigungsopfern als Zeugen vor dem IStGH darf die Tatsache, dass die Zeugen freiwillig erscheinen und dies nur tun werden, wenn die damit verbundenen persönlichen Risiken für sie vertretbar sind, deshalb nicht unberücksichtigt bleiben.19 15 Rule 65, Rules of Procedure and Evidence, Official Records of the Assembly of States Parties to the Rome Statute of the International Criminal Court, First Session, New York, 3. – 10. 09. 2002, ICC-ASP/1/3 (part II-A). Im Umkehrschluss ergibt sich aus dieser Norm, dass ein Zeuge bei Vernehmungen durch den Ankläger im Ermittlungsverfahren nicht aussagen muss; vgl. Bock, Das Opfer vor dem Internationalen Strafgerichtshof, S. 373. 16 Kreß, Witnesses in Proceedings Before the International Criminal Court, in: Fischer/ Kreß/Lüder, International and National Prosecution of Crimes under International Law, S. 309 – 383 (323 – 325); Sluiter, I beg you, please come testify, New Cr. L Rev. 12 (2009), S. 590 – 608 (601 f.). 17 Bock, Das Opfer vor dem Internationalen Strafgerichtshof, S. 374; vgl. auch mit Bezug auf den ICTY Lakatos, Evaluating the Rules of Procedure and Evidence for the International Criminal Tribunal in the Former Yugoslawia, Hastings. L. J. 46 (1995), S. 909 – 940 (937). 18 Bock, Das Opfer vor dem Internationalen Strafgerichtshof, S. 374 19 Vgl. Kreß, Witnesses in Proceedings Before the International Criminal Court, in: Fischer/ Kreß/Lüder, International and National Prosecution of Crimes under International Law, S. 309 – 383 (325).
A. Zeugenschutz nach dem römischen Statut
259
II. Opfer- und Zeugenschutz nach Art. 68 Die wesentlichen Regelungen des römischen Statuts zum Opfer- und Zeugenschutz ergeben sich aus Art. 68. Für den Schutz von Opfern und Zeugen von sexueller Gewalt und Vergewaltigung im Verfahren vor dem IStGH sind die Regelungen der Abs. 1, 2, 4 und 5 maßgeblich. Vorläufer dieser Regelung waren die Normen der Art. 21 ICTY-, bzw. 22 ICTR-Statut, sowie die Regeln 69 und 75 der ICTY/ICTR Verfahrens- und Beweisregeln.20 Nach Art. 68 Abs. 1 trifft „(d)er Gerichtshof (…) geeignete Maßnahmen zum Schutz der Sicherheit, des körperlichen und seelischen Wohles, der Würde und der Privatsphäre der Opfer und Zeugen“,21 wobei alle „maßgeblichen Umstände (…), namentlich (…) Geschlecht im Sinne des Artikels 7 Abs. 3 und Gesundheitszustand sowie die Art des Verbrechens, insbesondere, jedoch nicht ausschließlich, soweit es mit sexueller oder geschlechtsspezifischer Gewalt (…) zusammenhängt“
in Betracht zu ziehen sind.22 „Diese Maßnahmen dürfen“ allerdings „die Rechte des Angeklagten sowie die Fairness und Unparteilichkeit des Verfahrens nicht beeinträchtigen oder damit unvereinbar sein.“23
Der Wortlaut ist hinsichtlich der Durchsetzung des völkerstrafrechtlichen Vergewaltigungsverbots in dreifacher Hinsicht aufschlussreich: Erstens wurde – wohl aufgrund der Erfahrungen der Ad hoc-Tribunale – bereits bei den Verhandlungen zum römischen Statut erkannt, wovor die Opfer und Zeugen zu schützen sind. Der Schutz der Sicherheit, des körperlichen und seelischen Wohles, der Privatsphäre und der Würde der Opfer ist identisch mit dem Schutz der Opfer vor Verletzungen ihrer – geschützten – Menschenrechte.24 Zweitens floss die Erkenntnis, dass Opfer und Zeugen von sexueller oder geschlechtsspezifischer Gewalt besonders verletzlich sind und besonders geschützt werden müssen, in den Vertragstext ein. Drittens wahrt S. 4 die Rechte des Angeklagten und das unparteiliche faire Verfahren, wodurch zum Ausdruck kommt, dass Rechte des Angeklagten, die insbesondere in Art. 67 des römischen Statuts enthalten sind, im Widerspruch zum Opfer- und Zeugenschutz stehen können.25 Art. 68 Abs. 2 römisches Statut eröffnet „insbesondere im Fall eines Opfers sexueller Gewalt“ 20 Jones, Protection of Victims and Witnesses, in: Cassese/Gaeta/Jones, The Rome Statute of the International Criminal Court: A Commentary, S. 1355 – 1370 (1355); vgl. oben 5. Kapitel A. II. 21 Art. 68 Abs. 1 S. 1 römisches Statut. 22 Art. 68 Abs. 1 S. 2 römisches Statut. 23 Art. 68 Abs. 1 S. 4 römisches Statut. 24 Donat-Cattin, in: Triffterer, Commentary on the Rome Statute of the International Criminal Court, Art. 68 Rn. 12. 25 Ausführlich zu diesem Spannungsfeld siehe de Brouwer, Supranational Criminal Prosecution of Sexual Violence, S. 235 – 238.
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8. Kap.: Vergewaltigung im Verfahrensrecht des IStGH
die Möglichkeit des Ausschlusses der Öffentlichkeit oder der Einführung von Beweisen mittels elektronischer Mittel – etwa durch eine Videokonferenz – als „Ausnahme vom Grundsatz der öffentlichen Verhandlung“.
Diese Maßnahmen, die entweder die Privatsphäre des Opfers schützen bzw. die direkte Konfrontation des Opfers mit dem Täter umgehen, erscheinen im Sinne des Opferschutzes geeignet, um einer sekundären Viktimisierung und Re-Traumatisierung des Opfers vorzubeugen.26 Auch hierin zeigt sich das grundsätzliche Bemühen um einen Ausgleich zwischen den Bedürfnissen und Rechten der Opfer und Täter – einerseits wird der besonderen Verletzlichkeit von Opfern sexueller Gewalt und Vergewaltigung Rechnung getragen, andererseits wird bereits im Vertragstext des römischen Statuts die Ausnahmenatur der Regelung eingeräumt. Nach Art. 68 Abs. 4 kann die Abteilung für Opfer und Zeugen den Ankläger und den IStGH „im Hinblick auf angemessene Schutzmaßnahmen und Sicherheitsvorkehrungen, Beratung und Hilfe nach Art. 43 Abs. 6 beraten.“
Der Wortlaut des Art. 43 Abs. 6 des römischen Statuts beschränkt die Tätigkeit der Abteilung für Opfer und Zeugen jedoch auf vor dem IStGH aussagende Opfer und Zeugen oder durch eine solche Aussage gefährdete Personen und schließt damit andere Opfer aus, für die die Abteilung nicht von sich aus tätig werden darf. Allerdings gilt dies nur für das eigenständige Tätigwerden der Abteilung für Opfer und Zeugen und die Empfehlungen an die Anklagebehörde und das Gericht, nicht jedoch für von der Verfahrenskammer gemäß Art. 68 Abs. 1 angeordnete Schutzmaßnahmen.27 Folglich steht es der Verfahrenskammer frei, weitere Schutzmaßnahmen für Opfer und Zeugen anzuordnen – soweit dafür genügend Mittel zur Verfügung stehen.28 Bemerkenswert mit Bezug auf das untersuchte Vergewaltigungsverbot ist außerdem, dass Art. 43 Abs. 6 S. 2 des römischen Statuts bestimmt, dass die Abteilung für Opfer und Zeugen auch „Personal mit Fachkenntnissen über Traumata, einschließlich der Traumata im Zusammenhang mit sexuellen Gewaltverbrechen“
umfassen muss, um sicherzustellen, dass die Bedürfnisse von Opfern sexueller Gewaltverbrechen adäquat berücksichtigt werden.29
26 Ausführlich hierzu de Brouwer, Supranational Criminal Prosecution of Sexual Violence, S. 238 – 248. 27 Donat-Cattin, in: Triffterer, Commentary on the Rome Statute of the International Criminal Court, Art. 68 Rn. 32; ders., Victims in ICC Proceedings, in: Lattanzi/Schabas, Essays on the Rome Statute of the International Criminal Court, S. 251 – 277 (267 f.). 28 Bock, Das Opfer vor dem Internationalen Strafgerichtshof, S. 432. 29 Tolbert, in: Triffterer, Commentary on the Rome Statute of the International Criminal Court, Art. 43 Rn. 18.
A. Zeugenschutz nach dem römischen Statut
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Art. 68 Abs. 5 des römischen Statuts gestaltet das bereits in Abs. 1 aufgestellte Prinzip, sowohl dem Schutzbedürfnis der Opfer und Zeugen Rechnung zu tragen als auch die Rechte des Angeklagten sowie die Grundsätze eines fairen und unparteilichen Verfahrens zu wahren, näher aus. Die Norm regelt die Möglichkeit der Zurückhaltung der Offenlegung von Beweismitteln und Informationen durch den Ankläger im Vorverfahren, wenn diese „zu einer ernsten Gefährdung der Sicherheit des Zeugen oder seiner Familie führen kann.“
Stattdessen muss der Ankläger eine Zusammenfassung vorlegen, wobei auch hier die „Rechte des Angeklagten sowie die Fairness und Unparteilichkeit des Verfahrens“
gewahrt werden müssen. Die Gewährung von Vertraulichkeit und Anonymität im Vorverfahren schützt das körperliche und psychische Wohlergehen des Opfers und ist damit für die extrem verletzlichen Opfer von sexueller Gewalt und Vergewaltigungen besonders wichtig.30 Auch hier wird dem Schutzbedürfnis der Opfer mit einer klar formulierten Ausnahmeregelung begegnet, wodurch die Absicht eines interessengerechten Ausgleichs zwischen den Schutzbedürfnissen der Opfer und den (Verfahrens-)Rechten des Angeklagten erneut betont wird.31
III. Die Ausgestaltung des Opfer- und Zeugenschutzes für Vergewaltigungsopfer in den Verfahrens- und Beweisregeln des Internationalen Strafgerichtshofs Zur weiteren Ausgestaltung des Verfahrens haben die Vertragsstaaten des römischen Statuts gemäß Art. 51 des römischen Statuts Verfahrens- und Beweisregeln erarbeitet und erlassen, die für alle Verfahren vor dem IStGH gelten.32 Opfer ist nach der Definition aus Regel 85 (a) jede natürliche Person, die durch die Begehung eines Verbrechens, das in die Zuständigkeit des IStGHs fällt, Schaden erlitten hat.33 Die Regeln 86 bis 88 der Verfahrens- und Beweisregeln bestimmen näher, was eine „geeignete Schutzmaßnahmen“ im Sinne des Art. 68 Abs. 1 des römischen Statuts ist. Nach dem Grundsatz der Regel 86 der Verfahrens- und Beweisregeln muss der 30
Donat-Cattin, in: Triffterer, Commentary on the Rome Statute of the International Criminal Court, Art. 68 Rn. 33. 31 Vgl. Bedont, Gender-Specific Provisions in the Statute of the International Criminal Court, in: Lattanzi/Schabas, Essays on the Rome Statute of the International Criminal Court, S. 183 – 210 (207). 32 Rules of Procedure and Evidence, Official Records of the Assembly of States Parties to the Rome Statute of the International Criminal Court, First Session, New York, 3. – 10. 09. 2002, ICC-ASP/1/3 (part II-A). 33 Rule 85 (a) Rules of Procedure and Evidence, Official Records of the Assembly of States Parties to the Rome Statute of the International Criminal Court, First Session, New York, 3. – 10. 09. 2002, ICC-ASP/1/3 (part II-A).
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8. Kap.: Vergewaltigung im Verfahrensrecht des IStGH
IStGH bei allen Anordnungen und Entscheidungen in Übereinstimmung mit Art. 68 des römischen Statuts die Bedürfnisse von Opfern und Zeugen, unter anderem insbesondere von Opfern sexueller und geschlechtsbezogener Gewalt berücksichtigen.34 Darüber hinaus beinhalten inter alia jedenfalls die Bestimmungen der Regeln 87 (,Protective Measures‘) und 88 (,Special Measures‘) sowie der Regel 112 Nr. 4 der Verfahrens- und Beweisregeln, der Bestimmungen 21, 41, 42, und 101 der Geschäftsordnung des Gerichts (,Regulations of the Court‘) und die Bestimmungen 79 und 100 der Geschäftsordnung der Kanzlei des Gerichtshofes (,Regulations of the Registry‘) geeignete Schutzmaßnahmen für Opfer und Zeugen.35 Die notwendigen und angemessenen Sicherheitsvorkehrungen für Zeugen müssen in jedem Einzelfall von der Verfahrenskammer, ggfs. in Zusammenarbeit mit der Abteilung für Opfer und Zeugen, getroffen werden.36 Wesentlich ist, dass die Anordnung der Schutzmaßnahmen durch die Verfahrenskammer des IStGHs auf Antrag der Anklage, des Opfers oder seines Rechtsbeistandes oder proprio motu nach Konsultation der Abteilung für Opfer und Zeugen – wann immer möglich – mit der Zustimmung des Opfers erfolgen soll.37 Für Opfer von Vergewaltigungen und sexueller Gewalt sind einige der möglichen Schutzmaßnahmen von besonderer Bedeutung und schaffen häufig überhaupt erst die Voraussetzungen für eine Aussage der oder des Opferzeugen, sind aber gleichzeitig nicht unproblematisch. Diese Schutzmaßnahmen seien deshalb an dieser Stelle exemplarisch untersucht. 1. Anonymität gegenüber der Öffentlichkeit Die Geheimhaltung der Identität von Zeugen gegenüber der Öffentlichkeit, insbesondere gegenüber der Presse, ist wohl die grundlegende Zeugenschutzmaßnahme.38 Denn wenn nicht bekannt ist, wer die belastende Aussage macht oder gemacht hat, kann der oder die Aussagende auch keinen Repressalien ausgesetzt werden. In Regel 87 der Verfahrens- und Beweisregeln des IStGHs sowie in Bestimmung 94 der Geschäftsordnung der Kanzlei sind daher vor allem Maßnahmen zur Wahrung der Anonymität des oder der Zeugen vorgesehen. Zu diesen Maßnahmen gehört die 34
Rule 86, Rules of Procedure and Evidence, Official Records of the Assembly of States Parties to the Rome Statute of the International Criminal Court, First Session, New York, 3. – 10. 09. 2002, ICC-ASP/1/3 (part II-A). 35 Donat-Cattin, in: Triffterer, Commentary on the Rome Statute of the International Criminal Court, Art. 68 Rn. 12; Regulations of the Court as amended on 14 June and 14 November 2007, entered into force on 18 November 2007, Official Document of the International Criminal Court, ICC-BD/01-02-07. 36 Bock, Das Opfer vor dem Internationalen Strafgerichtshof, S. 432. 37 Rule 87 Nr. 1, Rules of Procedure and Evidence, Official Records of the Assembly of States Parties to the Rome Statute of the International Criminal Court, First Session, New York, 3. – 10. 09. 2002, ICC-ASP/1/3 (part II-A). 38 Bock, Das Opfer vor dem Internationalen Strafgerichtshof, S. 435.
A. Zeugenschutz nach dem römischen Statut
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Möglichkeit, die Namen sowie weitere Informationen, die zur Identifizierung des Opfers, Zeugen oder anderer gefährdeter Personen führen können, aus öffentlichen Dokumenten zu löschen (Regel 87 Nr. 3 a)), die Weisung an Verfahrensbeteiligte, insbesondere Anklage und Verteidigung Informationen, die zur Identifizierung eines Zeugen führen können, nicht weiter zu geben (Nr. 3 b)), sowie die Verwendung von Pseudonymen für Opfer und/oder Zeugen und weiterer gefährdeter Personen (Nr. 3 d)). Darüber hinaus sieht Regel 87 die Möglichkeit des Einsatzes technischer Mittel wie der Aussage mittels Videokonferenzschaltung oder Stimm- und Bildverzerrern oder Hörmedien vor (Nr. 3 c)). Schließlich ist, wie bereits erwähnt, gemäß Art. 68 Abs. 2 des römischen Statuts in Verbindung mit der Verfahrens- und Beweisregel 87 Nr. 3 e) für Teile des Verfahrens auch der Ausschluss der Öffentlichkeit möglich. Nach dem Wortlaut des Art. 68 Abs. 2 S. 2 1. Hs.39 ist der Ausschluss der Öffentlichkeit während der Vernehmung von Opfern von sexueller Gewalt vor dem IStGH – im Gegensatz zu Verfahren vor den Ad hoc-Tribunalen – die Regel, nicht die Ausnahme und bedarf nicht des Antrags eines Verfahrensbeteiligten.40 Eine Ausnahme hiervon kann der Gerichtshof jedoch nach „Berücksichtigung aller Umstände, insbesondere der Auffassungen der Opfer und Zeugen“
machen.41 Dies wird vor allem in Fällen relevant, in denen die Opferzeugin oder der Opferzeuge den Ausschluss der Öffentlichkeit nicht möchte, was das Gericht gemäß Regel 87 Nr. 1 beachten muss.42 Zum Ausschluss der Öffentlichkeit zum Schutz der Zeugen wird teilweise angemerkt, dass diese zumindest in der Hauptverhandlung mit dem Recht des Angeklagten auf ein faires und damit öffentliches Verfahren kollidiere, weshalb sie nur in Ausnahmefällen in Betracht komme.43 Angesichts der Tatsache, dass der Ausschluss der Öffentlichkeit die Rechte des Angeklagten, den Zeugen zu vernehmen, nicht beeinträchtigt, ist jedoch eine Beeinträchtigung des Rechts auf ein öffentliches und faires Verfahren nicht ersichtlich.44 Hierfür spricht ebenfalls, dass die Möglichkeit des Ausschlusses der Öffentlichkeit auch in zahlreichen nationalen Strafprozessordnungen sowie in internationalen Menschen-
39 Dieser lautet: „(d)iese Maßnahmen werden insbesondere im Fall eines Opfers sexueller Gewalt (…) getroffen“. 40 Vgl. Rule 87 Nr. 1, Rules of Procedure and Evidence, Official Records of the Assembly of States Parties to the Rome Statute of the International Criminal Court, First Session, New York, 3. – 10. 09. 2002, ICC-ASP/1/3 (part II-A). 41 Art. 68 Abs. 2 S. 2 2. Hs. römisches Statut. Vgl. Garkawe, Victims and the International Criminal Court, Int’l Crim. L. Rev. 3 (2003), S. 345 – 367 (352); de Brouwer, Supranational Criminal Prosecution of Sexual Violence, S. 242. 42 Vgl. Sharratt, Interview with Patricia Viseur-Sellers, Legal Officer on Gender Issues, in: Sharatt/Kaschak (Hrsg.) Assault on the Soul, S. 53 – 78 (70). 43 Bock, Das Opfer vor dem Internationalen Strafgerichtshof, S. 435. 44 Vgl. de Brouwer, Supranational Criminal Prosecution of Sexual Violence, S. 243.
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8. Kap.: Vergewaltigung im Verfahrensrecht des IStGH
rechtsverträgen vorgesehen ist, unter anderem wenn dies der Schutz der Privatsphäre eines Prozessbeteiligten erfordert.45 Die Maßnahmen zum Schutz der Anonymität der Zeugen einschließlich des Ausschlusses der Öffentlichkeit von der Verhandlung scheinen zum Schutz der Opfer von sexueller Gewalt insoweit geeignet, als sie diese vor der Öffentlichkeit und damit (potentiell) verbundener sozialer Stigmatisierung schützen können – sofern sich alle Beteiligten an diese Maßnahmen halten. Insbesondere die Erfahrung mit dem ICTR zeigt, dass dies nicht immer gewährleistet ist.46 Zur Durchsetzung von Anordnungen des Gerichts, wie solcher zur Geheimhaltung der Identität von Zeugen, hat der IStGH die Möglichkeit, dies als „ordnungswidriges Verhalten“ gemäß Art. 71 des römischen Statuts zu bestrafen oder je nach Umständen des Falles auch gemäß Art. 70 Abs. 1 c) des römischen Statuts als „Straftat gegen die Rechtspflege“ in Form der Beeinflussung eines Zeugen. Inwieweit der Schutz der Identität von Zeugen bei entsprechender Anordnung tatsächlich gelingt, wird erst die Praxis des IStGH zeigen. 2. Anonymität gegenüber der Verteidigung Ein besonderes Problem stellt die Tatsache dar, dass zahlreiche Opfer – unter anderem häufig die von sexueller Gewalt – als Belastungszeugen um ihre Sicherheit fürchten, sofern ihre Identität der Verteidigung und damit auch dem Beschuldigten bekannt werden sollte. Andererseits könnte die Fairness des Verfahrens fraglich werden, sollte die Anonymität dieser Zeugen auch gegenüber der Verteidigung gewährt werden, da dies in das Recht des Angeklagten, bei der Vernehmung des Zeugen anwesend zu sein und diesem Fragen zu stellen, eingreift. Folglich wird die Frage der Anonymität von Belastungszeugen in Verfahren vor dem IStGH – ähnlich wie in Verfahren mit dieser Fragestellung vor den Ad hoc-Tribunalen47 – kontrovers diskutiert.48 Weder das römische Statut des IStGHs noch die Verfahrens- und Beweisregeln enthalten besondere Bestimmungen, die die Anonymität von Zeugen als Schutzmaßnahme regeln, da hierüber während der Verhandlungen des Preparatory Com45
Etwa § 171 b GVG, Art. 14 Abs. 1 S. 3 IPbpR, Art. 6 Abs. 1 S. 2 EMRK. Vgl. oben 6. Kapitel F. II. – IV.; zu den Erfahrungen des ICTR siehe beispielsweise den Vortrag von Allison Turner „ICTR Witness Protection?“ auf der Konferenz der Verteidiger vor internationalen Strafgerichten (,Defense Counsel Conference’) vom 14. – 16. November 2009, in: Den Haag mit dem Thema „The ICTR, Law and International Politics“, im Internet abrufbar unter: http://www.ictrlegacydefenseperspective.org/papers/Allison_Turner_ICTR_WItness_Pro tection1.pdf (besucht am 06. 10. 2015) sowie Nowrojee, Your Justice Is Too Slow: Will the ICTR Fail Rwanda’s Rape Victims?, UNRISD, Occasional Paper n8 10. 47 Siehe oben 6. Kapitel, F. IV. mit weiteren Nachweisen. 48 Zur Offenlegungspflicht von Beweisen Bock, Das Opfer vor dem Internationalen Strafgerichtshof, S. 229, zum Problem, S. 435. Siehe auch de Brouwer, Supranational Criminal Prosecution of Sexual Violence Crimes, S. 525. 46
A. Zeugenschutz nach dem römischen Statut
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mittee keine Einigung erzielt werden konnte.49 Grundsätzlich bleibt deshalb nur der Rückgriff auf den oben unter aa) dargestellten grundsätzlichen Interessenausgleich zwischen Beschuldigten und Opfern nach dem römischen Statut und den Verfahrensund Beweisregeln, insbesondere den bereits erwähnten Normen des Art. 67 Abs. 1, 2 und 5. Auch Art. 64 Abs. 2 des römischen Statuts bekräftigt den gewollten Interessenausgleich, indem er bestimmt „dass das Hauptverfahren (…) unter voller Beachtung der Rechte des Angeklagten und gebührender Berücksichtigung des Schutzes der Opfer und Zeugen geführt wird.“
Art. 69 Abs. 2, der vorbehaltlich der Regelungen des Art. 68 oder der in der Verfahrens- und Beweisordnung vorgesehenen Maßnahmen die persönliche Aussage des Zeugen in der Hauptverhandlung verlangt, führt in dieser Frage ebenfalls nicht weiter. Regel 88 der Verfahrens- und Beweisregeln schließlich sieht vor, dass die Verfahrenskammer „may order special measures such as, but not limited to measures to facilitate the testimony of a traumatized victim or witness (…).“
Auch hieraus lässt sich – wie von der Preparatory Commission beabsichtigt – nicht ableiten, ob die Anonymität von Zeugen auch gegenüber der Verteidigung in Verfahren vor dem IStGH – wie vor dem ICTY – zulässig ist. Aus verschiedenen nationalen – adversatorischen wie institutorischen – Rechtsordnungen wie auch aus der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte als auch aus menschenrechtlichen Verträgen scheint sich jedoch nicht ableiten zu lassen, dass die Anonymität von Zeugen gegenüber der Öffentlichkeit und der Verteidigung ein faires Verfahren grundsätzlich ausschließt.50 Allerdings müssen zur Wahrung der Rechte des Angeklagten entsprechende Kompensationsmechanismen geschaffen werden ähnlich denen der vom ICTY aufgestellten Grundsätze. Hier wird der IStGH zu gegebener Zeit eine interessengerechte Lösung finden müssen, bei der er die berechtigen Sicherheitsbedenken der Zeugen und die hinsichtlich des Opferschutzes besorgniserregenden Erfahrungen der Ad hoc-Tribunale ernst nehmen muss.
49 Bei den Verhandlungen des Preparatory Committee war die Frage, ob anonyme Zeugen in Verfahren zugelassen werden sollen, sehr strittig. Man einigte sich schließlich darauf die Frage dem IStGH zu überlassen; so Brady, Protective and Special Measures for Victims and Witnesses, in: Lee, The International Criminal Court: Elements of Crimes and Rules of Procedure and Evidence, S. 434 – 456; Kreß, Witnesses in Proceedings Before the International Criminal Court, in: Fischer/Kreß/Lüder, International and National Prosecution of Crimes under International Criminal Law, S. 309 – 383 (376 f.). 50 de Brouwer, Supranational Criminal Prosecution of Sexual Violence, S. 253 f.
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8. Kap.: Vergewaltigung im Verfahrensrecht des IStGH
3. Beweisverwertungsverbot Die Rechtsprechung des IStGHs, genauer der Pre-Trial Chamber I, verlangt, dass die Parteien die Zeugen, die sie im confirmation hearing in den Zeugenstand rufen wollen, im Vorfeld darüber informieren und über mögliche Schutzmaßnahmen und deren Grenzen aufklären. Sofern die Parteien dieser Verpflichtung oder der Information über Schutzmaßnahmen nicht nachkommen, dürfen die Aussagen nicht in das Verfahren eingebracht werden, was einem Beweisverwertungsverbot entspricht.51 Damit stellt die Vorverfahrenskammer im Sinne des Zeugenschutzes sicher, dass die aussagenden Zeugen die notwendigen Informationen haben, um ihr mit der Aussage verbundenes Risiko realistisch einschätzen zu können und ggfs. Schutzmaßnahmen zu treffen oder die Bereitschaft zum Erscheinen vor Gericht zurückzuziehen, was einer geeigneten Maßnahme zum Zeugenschutz im Sinne des Art. 68 Abs. 1 des römischen Statuts entspricht. Für die – besonders schutzbedürftigen – Opfer von Vergewaltigungen und sexueller Gewalt impliziert diese Informationspflicht – über die Möglichkeit der persönlichen Abwägung der mit ihrer Aussage verbundenen Risiken hinaus – auch die Anerkennung und Achtung ihrer persönlichen Bedürfnisse und ist daher zu begrüßen. 4. Zeugenschutzprogramm und Langzeitmaßnahmen Wie unter a) bereits erwähnt, kann die Gefährdung von zu einer Zeugenaussage bereiten Opfern bereits im Ermittlungsverfahren einsetzen und auch nach der Aussage vor dem IStGH andauern. Deshalb hat die Abteilung für Opfer und Zeugen der Kanzlei des Gerichtshofs ein Zeugenschutzprogramm entwickelt.52 In dieses können Zeugen und ihre Begleitpersonen, sowie andere durch eine Zeugenaussage gefährdete Personen aufgenommen werden.53 Die im Zeugenschutzprogramm befindlichen Personen werden mit einer neuen Identität versehen und an einen sicheren Ort umgesiedelt. Ausschlaggebend für die Aufnahme eines Zeugen in das Zeugenschutzprogramm des IStGHs ist das Maß seiner Beteiligung an dem Strafverfahren sowie seiner tatsächlichen Gefährdung.54 Die zusätzlich bestehenden Kriterien für die Aufnahme in das Zeugenschutzprogramm, auf die sich die Abteilung für 51 Situation in the Democratic Republic of Congo in the Case of The Prosecutor v. Thomas Lubanga Dyilo, Decision on the Confirmation of Charges, 29. Januar 2007, ICC-01/04-01/06803, Rn. 59 f., Situation in the Democratic Republic of Congo in the Case of The Prosecutor v. Germain Katanga and Mathieu Ngudjolo Chui, Corrigendum to the Decision on Evidentiary Scope of the Confirmation Hearing, Preventive Relocation and Disclosure under Article 67(2)of the Statute and Rule 77 of the Rules, 25. April 2008, ICC-01/04-01/07-428-Corr., Rn. 17 f. 52 Bzgl. der Abteilung für Opfer und Zeugen Rules 16 – 19, Rules of Procedure and Evidence, Official Records of the Assembly of States Parties to the Rome Statute of the International Criminal Court, First Session, New York, 3. – 10. 09. 2002, ICC-ASP/1/3 (part II-A); hinsichtlich des Zeugenschutzprogramms Regulation 96, Icc-BD/03-01-06, 06. 03. 2006. 53 Regulation 96 Nr. 1, Regulations of the Registry. 54 Bock, Das Opfer vor dem Internationalen Strafgerichtshof, S. 432 f.
A. Zeugenschutz nach dem römischen Statut
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Opfer und Zeugen mit der Anklagebehörde geeinigt haben, sind öffentlich nicht bekannt.55 Die Aufnahme in das Zeugenschutzprogramm ist ein sehr effektives, wenn auch drastisches Mittel, um Gefährdungen des Opfers durch das Umfeld des Täters oder Dritter auszuschließen. Allerdings ist die Beschaffung einer neuen Identität extrem aufwendig und verursacht hohe Kosten.56 Zudem bedeutet die Annahme einer neuen Identität auch einen enormen Einschnitt im Leben des betroffenen Zeugen, der hierdurch sein gesamtes soziales Umfeld verliert und mit diesem Verlust – zusätzlich zu dem durch die Vergewaltigung erlittenen Trauma – leben muss.57 Deshalb wird die Aufnahme eines Zeugen nur in wenigen besonders schwierigen Fällen, in denen die Zeugenaussage für die Strafverfolgung des Täters unverzichtbar ist und die Sicherheit des aussagenden Zeugen nicht anderweitig garantiert werden kann, in Betracht kommen.58
IV. Besondere Beweisregeln in Verfahren wegen sexueller Gewalt Eine weitere Methode, Zeugen insbesondere in Verfahren wegen sexueller Gewalt zu schützen, ist die Beschränkung der möglichen Fragen vor Gericht. Hierdurch soll die Re-Traumatisierung als sekundäre Viktimisierung des oder der Opferzeugen vermieden werden.59 Die Notwendigkeit besonderer Beweisregeln in Verfahren wegen sexueller Gewalt ergibt sich – wie im 5. und 6. Kapitel bereits in Bezug auf das Problem des ,consent‘ herausgearbeitet – aus den besonderen Umständen, unter denen völkerrechtliche Verbrechen begangen werden. Wenn Vergewaltigungen und andere sexuelle Gewalttaten unter Zwang und/oder Gewalt oder Drohung mit Gewalt oder Zwang als (Teil von) Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit oder Kriegsverbrechen begangen werden, erscheint die Frage des ,consent‘ oder Einverständnisses des Opfers nicht verfahrensrelevant, da Einverständnis in einer solchen Situation nicht wirksam erteilt werden kann.60 Zudem trägt die Vermeidung der Re-Traumatisierung des Opfers durch die zu erwartende Form der Befragung vor 55 Vgl. Situation in the Democratic Republic of Congo in the Case of The Prosecutor v. Thomas Lubanga Dyilo, Decision on Disclosure Issues, Responsibilities for Protective Measures and other Procedural Matters, 24. April 2008, ICC-01/04-01/06-1311-Anx2, Rn. 40 f. 56 Bock, Das Opfer vor dem Internationalen Strafgerichtshof, S. 433. 57 de Brouwer, Supranational Criminal Prosecution of Sexual Violence. S. 256 f.; Ingadottir/Ngendahayo/Viseur Sellers, The Victims and Witnesses Unit, in: Ingadottir, The International Criminal Court, S. 1 – 46 (23). 58 Bock, Das Opfer vor dem Internationalen Strafgerichtshof, S. 433. 59 de Brouwer, Supranational Criminal Prosecution of Sexual Violence. S. 260; Bock, Das Opfer vor dem Internationalen Strafgerichtshof, S. 422 f. 60 Bock, Das Opfer vor dem Internationalen Strafgerichtshof, S. 423; Schomburg/Petersen, Genuine Consent to Sexual Violence under International Criminal Law, AJIL 101 (2007), S. 121 – 140 (131). Vgl. 5. Kapitel A. II. 1. sowie 6. Kapitel B. I.
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8. Kap.: Vergewaltigung im Verfahrensrecht des IStGH
Gericht auch zur Erhöhung der notwendigen Bereitschaft des Zeugen zur Aussage bei, was im Interesse der internationalen Strafjustiz liegt. Obwohl sich, wie im 5. Kapitel diskutiert, ähnliche Sonderregelungen zur Beweisaufnahme in Fällen sexueller Gewalt daher bereits in den Verfahrens- und Beweisregeln der Ad hocTribunale finden, waren die Fragen der Beweisaufnahme in Fällen sexueller Gewalt in der Preparatory Commission zum römischen Statut höchst umstritten.61 1. Die (Nicht-)Erforderlichkeit der Bestätigung einer Zeugenaussage (Regel 63) Regel 63 Nr. 4 der Verfahrens- und Beweisregeln lautet: „Without prejudice to article 66, paragraph 3, a Chamber shall not impose a legal requirement that corroboration is required in order to prove any crime wihtin the jursidiction of the Court, in particular, crimes of sexual violence.“
und ähnelt damit sehr der im 5. Kapitel bereits diskutierten Regel 96 (i) der Verfahrens- und Beweisregeln der Ad hoc-Tribunale.62 Die besondere Erwähnung von sexueller Gewalt in Regel 63 Nr. 4 ist wie die entsprechende Regel der Verfahrensund Beweisregeln der Ad hoc-Tribunale vor dem Hintergrund zu verstehen, dass in manchen common law-Rechtsordnungen bei diesen Verbrechen die Aussage eines Zeugen durch eine weitere Aussage bestätigt werden muss – was ein grundsätzliches Misstrauen gegenüber Opferzeugen von sexueller Gewalt zum Ausdruck bringt.63 Indem Regel 63 Nr. 4 ausdrücklich klarstellt, dass eine solche Bestätigung der Aussage eines Zeugen sexueller Gewalt nicht erforderlich ist, wird der Diskriminierung aufgrund von „normativ verankertem Misstrauen“ vorgebeugt und der Beweiswert der Aussage des Zeugen dem der Aussage aller anderen Zeugen gleichgestellt. Folglich muss der IStGH die Glaubwürdigkeit einer Aussage über sexuelle Gewalt wie jede andere Aussage prüfen, um zu einem Urteil zu gelangen.64 61
Zur Beweisregelung in den Verfahrens- und Beweisregeln der Ad hoc-Tribunale siehe oben 5. Kapitel A. II. Zur Diskussion der Preparatory Commission hinsichtlich der Beweisaufnahme in Fällen sexueller Gewalt Piragoff, in: Lee, The International Criminal Court, S. 369 ff. 62 Rules of Procedure and Evidence, Official Records of the Assembly of States Parties to the Rome Statute of the International Criminal Court, First Session, New York, 3. – 10. 09. 2002, ICC-ASP/1/3 (part II-A); vgl. oben 5. Kapitel A. II. 1. 63 Die in einer Ungleichbehandlung des Beweiswerts von Aussagen durch Zeugen sexueller Gewalt und anderer Zeugen liegende Diskriminierung würde außerdem gegen Art. 21 Abs. 3 des römischen Statuts verstoßen; vgl. Piragoff, in: Lee, The Internationl Criminal Court, S. 355 sowie de Brouwer, Supranational Criminal Prosecution of Sexual Violence, S. 262. Zur traditionellen Erforderlichkeit der Bestätigung der Zeugenaussage in common law-Rechtsordnungen, vgl. Temkin, Rape and the Legal Stand, S. 255 ff. 64 Gemäß Art. 66 Abs. 3 des römischen Statuts muss „(f)ür eine Verurteilung des Angeklagten (…) der Gerichtshof von der Schuld des Angeklagten so überzeugt sein, dass kein vernünfiger Zweifel besteht.“ Vgl. Piragoff, in: Lee, The International Criminal Court, S. 357
A. Zeugenschutz nach dem römischen Statut
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2. Die Zulässigkeit der Frage nach dem ,consent‘ (Regel 70) und der Ausschluss der Öffentlichkeit bei Entscheidungen hierüber Die Regeln 70 bis 72 der Verfahrens- und Beweisregeln des Internationalen Strafgerichtshofs enthalten Sonderregeln für die Beweisaufnahme in Verfahren wegen sexueller Gewalt vor dem IStGH. Regel 70 behandelt die Frage des möglichen Einverständnisses des Opfers mit der sexuellen Gewalt und Regel 72 die (Un-)Zulässigkeit dieser Frage als Beweismittel.65 Unter den in a) bis c) genannten Umständen kann das Opfer demnach der sexuellen Gewalttat nicht wirksam zustimmen. Dies scheint in Anbetracht der Umstände von völkerrechtlichen Verbrechen in der Zuständigkeit des IStGHs, die das Opfer in eine Zwangslage bringen, der es nicht entgehen kann, als lebensnah und angemessen. Andererseits würden die Verteidigungsmöglichkeiten des Angeklagten unverhältnismäßig beschränkt, wenn die Berufung auf eine mögliche Einwilligung des Opfers per se ausgeschlossen würde – schließlich sind einvernehmliche sexuelle Kontakte auch unter einer Gewaltherrschaft nicht ausgeschlossen, sondern nur in den mit völkerrechtlichen Verbrechen verbundenen Zwangssituationen.66 Daher werden in den Verfahrens- und Beweisregeln die Möglichkeiten der Geltendmachung der Einwilligung des Opfers mit der sexuellen Gewalt nur beschränkt, worin das Bemühen um einen Ausgleich zwischen den Rechten des Angeklagten und dem Opferschutz und -interessen erneut zum Ausdruck kommt.67 de Brouwer bezeichnet Regel 70 daher als Ausdruck des Grundsatzes der Nichtdiskriminierung gemäß Art. 21 Abs. 3 des römischen Statuts als Ausdruck der Verpflichtung des Gerichtshofs zum Opfer- und Zeugenschutz
sowie ders., Procedural Justice Related to Crimes of Sexual Violence, in: Fischer/Kreß/Lüder, International and National Prosecution of Crimes under International Law, S. 385 – 421 (393). 65 Regel 70 lautet: Principles of evidence in cases of sexual violence In cases of sexual violence, the Court shall be guided by and, where appropriate, apply the following principles: (a) Consent cannot be inferred by reason of any words or conduct of a victim where force, threat of force, coercion or taking an advantage of a coercive environment undermined the victim’s ability to give voluntary and genuine consent; (b) Consent cannot be inferred by reason of any words or conduct of a victim where the victim is incapable of giving genuine consent; (c) Consent cannot be inferred by reason of the silence of, or lack of resistance by, a victim to the alleged sexual violence; (a) (…). Rules of Procedure and Evidence, Official Records of the Assembly of States Parties to the Rome Statute of the International Criminal Court, First Session, New York, 3. – 10. 09. 2002, ICC-ASP/1/3 (part II-A). 66 Bock, Das Opfer vor dem Internationalen Strafgerichtshof, S. 423; Piragoff, in: Lee, The Internationl Criminal Court, S. 374. 67 Vgl. Piragoff, in: Lee, The International Criminal Court, S. 373 sowie S. 381. Die Frage nach der wirksamen Einwilligung des Opfers in die Tat war ebenfalls in den verschiedenen Fassungen der Regel 96 der Verfahrens- und Beweisregeln der Ad hoc-Tribunale umstritten, siehe oben 5. Kapitel A. II 1.
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8. Kap.: Vergewaltigung im Verfahrensrecht des IStGH
gemäß Art. 68 Abs. 1 sowie als weitere Richtschnur bzgl. der Zulässigkeit von Beweisen gemäß Art. 69 Abs. 4.68 Wenn ein Verfahrensbeteiligter – in der Regel die Verteidigung – vor dem IStGH darlegen will, dass das Opfer in die Tathandlung eingewilligt hat, muss gemäß Regel 72 Abs. 1 der Verfahrens- und Beweisregeln die Kammer über diese Absicht informiert werden. Diese hört dann die Stellungnahmen der Anklage, der Verteidigung und des betroffenen Zeugen unter Ausschluß der Öffentlichkeit (= in camera), bevor sie über die Erheblichkeit und Zulässigkeit des Beweismittels entscheidet. Sofern sie aufgrund der Anhörung zu dem Ergebnis kommt, dass dem Beweismaterial hinreichende Bedeutung für den Fall zukommt, lässt sie die Einführung in die öffentliche Verhandlung zu. Auch dann gelten die Einschränkungen der Regel 70. Insoweit erscheint Regel 72 Nr. 1 als Wiederholung der Regel 70 (a) bis (c), die sich bereits mit dem Problem des Einverständnisses des Opfers befasst.69 Allerdings stellt Regel 72 der Verfahrens- und Beweisregeln über die Regel 70 hinaus im Verfahren sicher, dass die öffentliche Erörterung der Einwilligung des Opfers/Zeugen zu dessen Schutz nur dann erfolgt, wenn dies zur Wahrheitsfindung und zum Schutz der Rechte des Angeklagten unentbehrlich ist.70 3. Die Relevanz anderweitigen sexuellen Verhaltens (Regel 70 d) und 71) Fragen nach ihrem sexuellen (Vor-)Leben werden von Zeugen meist als sehr belastend empfunden, da sie private Dinge betreffen und deshalb einen Eingriff in die Intimsphäre darstellen. Folglich wohnt ihnen in besonderem Maße die Gefahr der sekundären Viktimisierung inne.71 Deshalb enthalten die Verfahrens- und Beweisregeln Sonderbestimmungen zur Frage des Verhaltens des Opfers sexueller Gewalt vor und nach der Tat.72 Regel 70 d) schließt Beweise, aus denen auf einen ,schlechten‘ 68
de Brouwer, Supranational Criminal Prosecution of Sexual Violence, S. 264. Piragoff, in: Lee, The International Criminal Court, S. 383; de Brouwer, Supranational Criminal Prosecution of Sexual Violence, S. 266. 70 Bock, Das Opfer vor dem Internationalen Strafgerichtshof, S. 423; Piragoff, in: Lee, The International Criminal Court, S. 383. 71 Bock, Das Opfer vor dem Internationalen Strafgerichtshof, S. 424. Vgl. Temkin, Rape and the Legal Process, S. 196 zur Ausgestaltung der Einführung von Beweisen über das sexuelle Verhalten des Opfers in common law-Rechtsordnungen. 72 Regel 70 (d) lautet: (…) (d) Credibility, character or predisposition to sexual availability of a victim or witness cannot be inferred by reason of the sexual nature of the prior or subsequent conduct of a victim or witness. Regel 71 lautet: Evidence of other sexual conduct In the light of the definition and nature of the crimes within the jurisdiction of the Court, and subject to article 69, paragraph 4, a Chamber shall not admit evidence of the prior or subsequent sexual conduct of a victim or witness. 69
B. Beteiligung der Opfer an Verfahren vor dem IStGH
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Charakter, mangelnde Glaubwürdigkeit oder Promiskuität des Opfers zu schließen wäre, von vornherein aus; diese dürfen also nicht in das Verfahren eingeführt werden. Regel 71 schließt darüber hinaus auch alle Beweise hinsichtlich des sonstigen sexuellen Verhaltens des Opfers vorbehaltlich des Art. 69 Abs. 4 des römischen Statuts aus, wonach der Gerichtshof „über die Erheblichkeit und Zulässigkeit jedes Beweismittels entscheiden“ kann, „wobei er unter anderem die Beweiskraft des Beweismittels und alle Nachteile in Betracht zieht, die sich für ein faires Verfahren oder für eine faire Bewertung des Zeugnisses eines Zeugen möglicherweise daraus ergeben.“
Demnach sind Beweise über das sonstige sexuelle Verhalten des Opfers – sofern sich nicht den Charakter, die Glaubwürdigkeit oder die sexuelle Verfügbarkeit des Opfers (Regel 70 d)) betreffen – dann zulässig, wenn der Gerichtshof sie für erheblich und zulässig erachtet. Allerdings sind Beweise über das sexuelle Verhalten des Opfers, die nicht die in Regel 70 d) genannten Fragen betreffen, schwer vorstellbar.73 Dazu kommt, dass Fragen nach dem vorherigen sexuellen Verhalten des Opfers im Rahmen der Verbrechen in der Zuständigkeit des IStGHs, also Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen keinerlei Beweiskraft haben.74 Auch Nachteile für ein faires Verfahren oder die faire Bewertung einer Zeugenaussage sind aus der Nichteinführung von Beweisen über das frühere sexuelle Verhalten des Opfers nicht ersichtlich.75 Folglich erscheint der Verweis der Regel 71 der Verfahrens- und Beweisregeln auf Art. 69 Abs. 4 des römischen Statuts verwirrend, da das vorherige sexuelle Verhalten des Opfers in Verfahren vor dem IStGH nicht Gegenstand der Beweisaufnahme sein kann.76
B. Die Beteiligung der Opfer von Vergewaltigungen an Verfahren vor dem IStGH Im römischen Statut wird Opfern von völkerrechtlichen Verbrechen erstmals ausdrücklich über die Zeugenrolle hinaus ein Recht auf Beteiligung an den StrafRules of Procedure and Evidence, Official Records of the Assembly of States Parties to the Rome Statute of the International Criminal Court, First Session, New York, 3. – 10. 09. 2002, ICC-ASP/1/3 (part II-A). 73 Piragoff, in: Lee, The Internationl Criminal Court, S. 386. 74 Bock, Das Opfer vor dem Internationalen Strafgerichtshof, S. 424; Piragoff, in: Lee, The Internationl Criminal Court, S. 386; vgl. auch mit Bezug auf den ICTY Lakatos, Evaluating the Rules of Procedure and Evidence for the International Criminal Tribunal in the Former Yugoslawia, Hastings. L. J. 46 (1995), S. 909 – 940 (935). 75 de Brouwer, Supranational Criminal Prosecution of Sexual Violence, S. 269; Gray, Evidence Before the ICC, in: McGoldrick/Rowe/Donelly (Hrsg.) The Permanent International Court, S. 287 – 313 (309). 76 de Brouwer, Supranational Criminal Prosecution of Sexual Violence, S. 269.
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8. Kap.: Vergewaltigung im Verfahrensrecht des IStGH
verfahren vor einem internationalen Strafgericht zugestanden. Dies ergibt sich aus drei Bestimmungen des römischen Statuts: Art. 15 Abs. 3 Satz 2 bestimmt „Opfer können in Übereinstimmung mit der Verfahrens- und Beweisordnung Eingaben an die Verfahrenskammer machen.“
Art. 19 Abs. 3 S. 2 lautet „In Verfahren über die Gerichtsbarkeit oder die Zulässigkeit können beim Gerichtshof auch (…) die Opfer Stellungnahmen abgeben.“
und insbesondere Art. 68 Abs. 3 besagt: „Sind die persönlichen Interessen der Opfer betroffen, so gestattet der Gerichtshof, dass ihre Auffassungen und Anliegen in von ihm für geeignet befundener Weise vorgetragen und behandelt werden, welche die Rechte des Angeklagten sowie die Fairness und Unparteilichkeit des Verfahrens nicht beeinträchtigt oder damit unvereinbar ist. Diese Auffassungen können in Übereinstimmung mit der Verfahrens- und Beweisordnung von den gesetzlichen Vertretern der Opfer vorgetragen werden, wenn der Gerichtshof dies für angebracht hält.“
Hierdurch sollen die Opfer der in die Jurisdiktion des IStGHs fallenden Verbrechen – aufbauend auf der Erkenntnis, dass Opferinteressen nicht identisch mit denen der Parteien des Strafprozesses, insbesondere der Anklage sind – in die Lage versetzt werden, ihre Interessen eigenständig und unabhängig zu verfolgen.77 Allerdings darf das Recht der Opfer, sich am Verfahren zu beteiligen, nicht mit der prozessualen Stellung von Ankläger und Verteidigung gleichgesetzt werden, sondern soll ihnen im Rahmen eines fairen Verfahrens, das den Interessen aller Beteiligten (des Beschuldigten mit der Verteidigung, des Anklägers und der Opfer) gerecht wird, lediglich ermöglichen, ihre Interessen aktiv im Strafverfahren zu vertreten.78 Darüber hinaus können Opferinteressen auch durch die Vorschriften der Art. 15 Abs. 2, nach denen der Ankläger auch „von anderen von ihm als geeignet erachteten Stellen“,
in der Praxis also den Opfern, Auskünfte einholen kann, die ggfs. die Grundlage eines Ermittlungsverfahrens bilden, sowie der Art. 75 Abs. 3 und 82 Abs. 4, die Opfern Stellungnahmen vor Wiedergutmachungsanordnungen des IStGHs bzw. Beschwerden dagegen erlauben79, und durch Art. 65, nach dem trotz eines Geständnisses „im Interesse der Gerechtigkeit, insbesondere im Interesse der Opfer“
die Fortsetzung der Hauptverhandlung angeordnet werden kann, in Strafverfahren vor dem IStGH Berücksichtigung finden. Die Opferbeteiligung am Strafverfahren wird gemäß Art. 51 des römischen Statuts durch die Regeln 85 bis 93 der von den 77 78 79
Bock, Das Opfer vor dem Internationalen Strafgerichtshof, S. 440. Bock, Das Opfer vor dem Internationalen Strafgerichtshof, S. 441. Zu den Möglichkeiten der Wiedergutmachung siehe in diesem (8.) Kapitel unten C.
B. Beteiligung der Opfer an Verfahren vor dem IStGH
273
Vertragsstaaten erlassenen Verfahrens- und Beweisregeln sowie den vom IStGH erarbeiteten Bestimmungen 86 bis 88 des Gerichtshofes, den Bestimmungen 102 bis 117 der Geschäftsordnung der Kanzlei des Gerichtshofes und den Regularien der Anklagebehörde, insbesondere Regel 16, näher ausgestaltet.80 In diesem Abschnitt wird untersucht, inwieweit Opfer von sexueller Gewalt als völkerrechtlichen Verbrechen von diesen Beteiligungsrechten profitieren (können). Dazu ist zunächst zu definieren, wer als Opfer anzusehen ist und worin – im Regelfall – die Interessen der Opfer bestehen. Anschließend ist zu prüfen, ob die vorgesehenen Beteiligungsmöglichkeiten am Strafverfahren vor dem IStGH den Interessen der Opfer sexueller Gewalt Rechnung tragen können.
I. Voraussetzung der Zulassung von Opfern als Verfahrensbeteiligten Gemäß Art. 68 Abs. 3 des römischen Statuts können Opfer nur Verfahrensbeteiligte sein, wenn sie (1) Opfer im Sinne der Verfahrens- und Beweisregel 85 sind und wenn (2) ihre persönliche Interessen betroffen sind. 1. Opfer im Sinne der Regel 85 Opfer sind in Verfahren vor dem IStGH gemäß Regel 85 lit. a der Verfahrens- und Beweisregeln alle natürlichen Personen, die durch die Begehung eines Verbrechens in der Zuständigkeit des IStGHs einen wie auch immer gearteten Schaden erlitten haben. Daneben sind gemäß lit. b auch Organisationen oder Institutionen Opfer, die durch das (völkerrechtliche) Verbrechen einen Schaden an ihrem Eigentum, welches der Religionsausübung, der Ausbildung, der Kunst, der Wissenschaft oder wohltätigen Zwecken dient, erlitten haben oder deren historische Denkmäler, Krankenhäuser oder humanitäre Einrichtungen beschädigt wurden. Der Opferbegriff ist damit weit gefasst und umfasst neben den direkten Opfern auch mittelbare Opfer wie Angehörige des direkten Opfers, die durch die Tat in Mitleidenschaft gezogen wurden, oder durch die Beobachtung der Tat traumatisierte Zeugen, sofern sie dadurch ursächlich einen Schaden erlitten.81 Im hier untersuchten Fall der sexuellen Gewalt als Verbrechen nach dem römischen Statut könnten demnach beispielsweise auch der Ehemann oder Partner einer Frau, die Opfer einer 80 Rules of Procedure and Evidence, Official Records of the Assembly of States Parties to the Rome Statute of the International Criminal Court, First Session, New York, 3. – 10. 09. 2002, ICC-ASP/1/3 (part II-A); Regulations of the Court as amended on 14 June and 14 November 2007, entered into force on 18 November 2007, Official Document of the International Criminal Court, ICC-BD/01-02-07; Regulations of the Registry, Icc-BD/03-01-06, 06. 03. 2006; Regulations of the Office of the Prosecutor, ICC-BD/05-01-09, 23. 04. 2009. 81 Bock, Das Opfer vor dem IStGH, S. 211.
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8. Kap.: Vergewaltigung im Verfahrensrecht des IStGH
Vergewaltigung wurde und durch die Tat so traumatisiert wurde, dass sie ihren alltäglichen Aufgaben nicht mehr gewachsen ist, (mittelbares) Opfer der Tat sein. Dies entspricht der Lebenswirklichkeit sowie Erkenntnissen der Psychotraumatologie und ist daher zu begrüßen.82 2. Betroffenheit persönlicher Interessen Hinsichtlich der Betroffenheit persönlicher Interessen der Opfer wird – je nach Kausalzusammenhang – zwischen Opfern des Verbrechens und Opfern der Situation unterschieden. Sofern der Schaden des Opfers anscheinend kausal durch ein im Haftbefehl oder der Anklage genanntes Verbrechen hervorgerufen wurde, ist dieses ein „Opfer des Falls.“ Wenn der Schaden des Opfers nur auf irgendeinem in der Situation begangenem Verbrechen beruht, ist das Opfer ein „Opfer der Situation.“83 Fraglich ist daher, was als persönliches Interesse im Sinne des Art. 68 Abs. 3 des römischen Statuts anzusehen ist. Im Regelfall beziehen sich die Interessen der Opfer eines völkerrechtlichen Verbrechens auf Anerkennung, Wahrheit, Gerechtigkeit und Wiedergutmachung.84 So lag beispielsweise der Wert des „Women’s International Tribunal on Japanese Military Sexual Slavery“, welches zur Aufarbeitung der von der japanischen Armee im zweiten Weltkrieg begangenen Verbrechen der sexuellen Sklaverei im Dezember 2000 in Tokio gehalten wurde und das – mangels Regierungsbeteiligung – keinerlei staatliche Legitimität hatte, neben dem moralischen Signal vor allem in der Anerkennung der Opfer und der historischen Aufzeichnung der an den „comfort women„ begangenen Verbrechen.85 Anerkennung bedeutet für die Opfer, dass die Taten an ihnen als Unrecht anerkannt und moralisch „verurteilt“ werden. Hierzu gehört auch ihre Anerkennung als (fühlender) Mensch, da sie durch das völkerrechtliche Verbrechen regelmäßig und als Opfer sexueller Gewalt insbesondere „entmenschlicht“ und zum bloßen Objekt degradiert wurden.86 Dies gilt insbesondere für Opfer von Vergewaltigungen und 82
Bock, Das Opfer vor dem IStGH, S. 213. Bock, Das Opfer vor dem IStGH, S. 446. 84 Siehe Declaration of Basic Principles for Victims of Crime and Abuse of Power, UNGA Resulution 49/43, 29. Dezember 1985; Study Concerning the Right to Restitution, Compensation and Rehabilitation for Victims of Gross Violations of Human Rights and Fundamental Freedoms, Final Report submitted by Mr. Theo van Boven, Special Rapporteur, E/CN.4/Sub.2/ 1992/8, 29. Juli 1992; Question of the Impunity of Perpetrators of Human Rights Violations (Civil and Political), Revised Final Report Prepared by Mr. Joinet pursuant to Sub-Commission Decision 1996/119, E/CN.4/Sub.2/1997/20Rev. 1, 20. Oktober 1997. Vgl. auch Bock, Das Opfer vor dem Internationalen Strafgerichtshof, S. 170 ff.; McGonigle Leyh, Procedural Justice?, S. 47 ff. 85 Chinkin, Women’s International Tribunal on Japanese Military Sexual Slavery, Am. J. Int’l L. 95 (2001), S. 335 – 340 (338 ff.). Zum Problem der „comfort women“ ausführlicher siehe oben 2. Kapitel B. III. 86 Bassiouni, Searching for Peace and Achieving Justice: The Need for Accountability, Law & Contemp. Probs. 59 (1996), S. 9 – 28 (25 f.); hinsichtlich der Opferinteressen in (nationalen) 83
B. Beteiligung der Opfer an Verfahren vor dem IStGH
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anderer sexueller Gewalt, da solche Taten die Macht des Täters über das – wehrlose – Opfer symbolisieren und demonstrieren, wobei die eigentlichen Beweggründe für die Tat außerhalb der Person des Opfers liegen.87 Grundvoraussetzung der Anerkennung von Opfern ist, dass diesen die Möglichkeit gegeben wird, die Tat und das dadurch erlittene Leid zu schildern – wobei hier die stark divergierenden Bedürfnisse der einzelnen Betroffenen zu berücksichtigen sind.88 Wahrheit aus der Perspektive des Opfers bezieht sich auf die tatsächlichen Geschehnisse während und evtl. vor und nach der Tat. Damit ist vor allem die historische Wahrheit im Sinne einer kollektiven Vergangenheitsbewältigung, die die Umstände, die zu der konkreten Tat führten, berücksichtigt und bewertet, gemeint.89 Diese ist aus der Perspektive der Opfer nicht unbedingt kongruent mit der gerichtlichen Wahrheit, welche auf Ermittlung des objektiven Tatgeschehens gerichtet ist, die historische Situation aber auf das beschränkt, was für die Beurteilung von Tat und Täter relevant ist.90 In Fällen von Vergewaltigungen als völkerrechtlichen Verbrechen, die in einem Kontext der Gewalt von identifizierbaren Tätern gegen bestimmte Opfer begangen werden, werden die Umstände der eigentlichen Tat vermutlich jedoch oft der historischen Wahrheit entsprechen, so dass – bei sensiblem Umgang mit den Opfern und Zeugen der Tat – Missverständnisse auf Seiten der Opfer durch unterschiedliche Wahrheitsbedürfnisse nicht entstehen sollten. Unter Gerechtigkeit verstehen Opfer eine auf der Aufarbeitung der Wahrheit beruhende, öffentliche und moralische Verurteilung der Tat.91 Obwohl diese häufig die Ermittlung der für das Unrecht der Tat Verantwortlichen und die Übernahme der Verantwortung im (strafrechtlichen) Sinne beinhaltet, muss dies nicht zwingend durch ein Strafverfahren erfolgen.92 Darüber hinaus kann Gerechtigkeit aus der Perspektive der Opfer auch das Verlangen nach einem Schuldbewusstsein des Täters Strafverfahren Kilchling, Opferinteressen und Strafverfolgung, S. 296, 650; Achilles/StutzmanAmstutz, Responding to the needs of victims, in: Sullivan/Tifft, Handbook of Restorative Justice, S. 211 – 220; so auch Stehle, Das Strafverfahren als immaterielle Wiedergutmachung, S. 46 – 49. Vgl. Lindsey, Women Facing War, S. 52: „The rape of women in conflict situations is intended not only as violence against women, but as an act of aggression against a nation or community.“ 87 Bock, Das Opfer vor dem Internationalen Strafgerichtshof, S. 139. 88 Während manche Opfer unbedingt von der Tat erzählen möchten, wollen andere lieber schweigen – wohl aus Angst vor schmerzlichen Erinnerungen; siehe Bock, Das Opfer vor dem Internationalen Strafgerichtshof, S. 172. 89 Bock, Das Opfer vor dem Internationalen Strafgerichtshof, S. 173 f. 90 Diggelmann, Staatsverbrechen und internationale Justiz, AVR 45 (2007), S. 382 – 399 (394). 91 Bock, Das Opfer vor dem Internationalen Strafgerichtshof, S. 174 f.; vgl. Stehle, Das Strafverfahren als immaterielle Wiedergutmachung, S. 217 f. 92 Ein Beispiel für die öffentliche Aufarbeitung von Menschenrechtsverletzungen sind Wahrheitskommissionen, die wohl bekanntesten davon in Südafrika. Vgl. dazu Stehle, Das Strafverfahren als immaterielle Wiedergutmachung, S. 45 f.; für Südafrika siehe insbesondere Tutu, No Future Without Forgiveness.
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8. Kap.: Vergewaltigung im Verfahrensrecht des IStGH
beinhalten, wobei dieses – gerade bei schwersten völkerrechtlichen Verbrechen – selten erfüllt werden wird.93 Gerade das Bedürfnis der Opfer nach Gerechtigkeit setzt ihre Beteiligung am Strafverfahren – oder alternativen öffentlichen Foren zur Aufarbeitung der Tat – voraus.94 Denn nur wenn Opfer einer Tat, insbesondere der sexuellen Gewalt, den Eindruck haben, dass ihre Interessen ausreichend berücksichtigt wurden, werden sie die Entscheidung des Gerichts akzeptieren können.95 Darüber hinaus ermöglichen Beteiligungsrechte Opfern, ihre Perspektive in den Strafprozess einzubringen und geben ihnen somit eine aktive Rolle, die im Gegensatz zu den Erfahrungen der Viktimisierung durch die Tat steht und deshalb zur Verarbeitung der Tat beitragen kann.96 Wiedergutmachung im Sinne des Ausgleichs des dem Opfer durch den Täter zugefügten Schadens ist ebenfalls ein zentrales Bedürfnis der Opfer – und besonders bedeutsam für Opfer von sexueller Gewalt.97 Dies kann sowohl den zeitnahen Ausgleich der aktuellen und unmittelbaren Tatfolgen als auch die – zeitlich in der Regel deutlich spätere – Entschädigung von Opfern für das erlittene Unrecht beinhalten. Da das römische Statut hinsichtlich der Wiedergutmachung eigene Regelungen enthält, wird diesbezüglich nach unten auf den eigenen Unterpunkt „Wiedergutmachung für Opfer von Vergewaltigungen nach dem römischen Statut“ verwiesen. 3. Ausmaß und Umfang der Opferbeteiligung Vom Betroffensein der dargestellten persönlichen Interessen des Opfers hängt nicht nur das „ob“, sondern auch das „wie“ der Beteiligung der Opfers ab, da das Recht auf Verfahrensbeteiligung nach Art. 68 Abs. 3 des römischen Statuts nur besteht, wenn und soweit die persönlichen Interessen der Opfer betroffen sind.98 Ob die persönlichen Interessen des Opfers im Sinne der Verfahrens- und Beweisregel 85 betroffen sind, muss das Gericht nach Sachlage des Einzelfalls entscheiden.99 Dabei legt das Gericht ebenfalls fest, welche Verfahrensabschnitte für die Beteiligung des 93
(395). 94
Diggelmann, Staatsverbrechen und internationale Justiz, AVR 45 (2007), S. 382 – 399
Stehle, Das Strafverfahren als immaterielle Wiedergutmachung, S. 47 f. McGonigle Leyh, Procedural Justice?, S. 50. 96 Bock, Das Opfer vor dem Internationalen Strafgerichtshof, S. 175. 97 Bock, Das Opfer vor dem Internationalen Strafgerichtshof, S. 176; de Brouwer, Supranational Criminal Prosecution of Sexual Violence, S. 383 ff.; Donat-Cattin, The Role of Victims in ICC Proceedings, in: Lattanzi/Schabas, Essays on the Rome Statute of the International Criminal Court, S. 251 – 277 (272). 98 Donat-Cattin, in: Triffterer, Commentary on the Rome Statute of the International Criminal Court, Art. 68, Rn. 25. Vgl. Regel 89 (1), Rules of Procedure and Evidence. 99 Donat-Cattin, in: Triffterer, Commentary on the Rome Statute of the International Criminal Court, Art. 68, Rn. 22; vgl. auch McGonigle Leyh, Procedural Justice?; S. 257 sowie Stehle, Das Strafrecht als immaterielle Wiedergutmachung, S. 242. 95
B. Beteiligung der Opfer an Verfahren vor dem IStGH
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Opfers geeignet sind, wobei kein gerichtlicher Verfahrensabschnitt als grundsätzlich ungeeignet anzusehen ist, die Opfer aber nicht an den Ermittlungen als solchen beteiligt werden sollen.100
II. Zulassung von Opfern als Beteiligten zu Verfahren vor dem IStGH 1. Notifikation Für Opfer von Vergewaltigungen und anderer sexueller Gewalt ist es häufig aufgrund der mit der Tat verbundenen Stigmatisierung, Scham und Angst besonders schwierig, ihre Beteiligungsrechte an Verfahren vor dem IStGH wahrzunehmen.101 Um jedoch möglichst allen Opfern die Möglichkeit zu geben, ihre Beteiligungsrechte in Verfahren vor dem IStGH wahrzunehmen, verpflichten die Verfahrens- und Beweisregeln den IStGH, die Opfer über ihre Beteiligungsmöglichkeiten in den verschiedenen Verfahrensstadien zu informieren. Hierzu gehören Verpflichtungen, Opfer, die bereits an Verfahren beteiligt waren oder mit dem Gerichtshof im Hinblick auf eine bestimmte Situation in Kontakt waren, über Entscheidungen, ein Untersuchungsverfahren nicht einzuleiten oder eine Tat nicht anzuklagen, sowie über die Anberaumung eines sogenannten confirmation hearings, in dem die Anklagepunkte bestätigt werden, zu informieren.102 Außerdem soll der Registrator des Gerichtshofs für „angemessene Öffentlichkeit“ der Verfahren sorgen, wofür er die Zusammenarbeit mit den betreffenden Staaten und Unterstützung von zwischenstaatlichen Organisationen anstreben kann.103 In Fällen, in denen der Ankläger proprio motu, also selbst, eine Untersuchung veranlassen will, muss er die ihm bekannten Opfer darüber informieren „unless the Prosecutor decides that doing so would pose a danger to the integrity of the investigation or the life or well-being of victims and witnesses.“
Daneben besteht die Möglichkeit, die Opfer mit allgemeinen Mitteln über die Einleitung der Untersuchung zu informieren, wenn der Ankläger der Ansicht ist, dass dies unter den Umständen des Falls weder die Ermittlungen noch die Sicherheit und das Wohl der Opfer gefährdet.104 Schließlich muss der Gerichtshof Opfer und ihre Vertreter über die Einleitung von Entschädigungsverfahren – soweit praktikabel – 100 Bock, Das Opfer vor dem Internationalen Strafgerichtshof, S. 463 f.; Donat-Cattin, in: Triffterer, Commentary on the Rome Statute of the International Criminal Court, Art. 68, Rn. 26; Stehle, Das Strafverfahren als immaterielle Wiedergutmachung, S. 242. 101 de Brouwer, Supranational Prosecution of Sexual Violence, S. 302. 102 Rule 92 (2) und (3), Rules of Procedure and Evidence, Official Records of the Assembly of States Parties to the Rome Statute of the International Criminal Court, First Session, New York, 3. – 10. 09. 2002, ICC-ASP/1/3 (part II-A). 103 Rule 92 (8), Rules of Procedure and Evidence. 104 Rule 50 (1), Rules of Procedure and Evidence.
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8. Kap.: Vergewaltigung im Verfahrensrecht des IStGH
informieren und soll darüber hinaus für „angemessene Öffentlichkeit“ des Entschädigungsverfahrens sorgen.105 Der IStGH muss die Opfer, die sich möglicherweise an dem Verfahren beteiligen möchten, also – spätestens vor dem Hauptverfahren – mit angemessener Öffentlichkeit informieren. Bis zu diesem Zeitpunkt erlauben ihm die Verfahrens- und Beweisregeln jedoch eine beträchtliche Flexibilität im Umgang mit der Notifikation der Opfer.106 In der Praxis ist die Abteilung für Opfer und Zeugen für die Notifikation der Opfer verantwortlich, die hierfür spezielles Informationsmaterial entwickelt hat.107 Die Abteilung für Opfer und Zeugen muss gemäß der Verfahrens- und Beweisregel 16 Abs. 1 lit. d auch „gender-sensitive“ Maßnahmen treffen, um die Beteiligung von Opfern sexueller Gewalt in allen Verfahrensstadien zu ermöglichen. Für Opfer von Vergewaltigungen und anderer sexueller Gewalt ist es aufgrund der – bereits mehrfach erwähnten – mit der Tat verbundenen sozialen Stigmatisierung und Scham besonders schwierig, ihre Beteiligungsrechte auszuüben, weshalb diese Gruppe der Opfer besondere Aufmerksamkeit benötigt – etwa durch die Zusammenarbeit mit internationalen oder nationalen Frauen(rechts)organisationen oder lokalen Frauengruppen.108 Das Problem besteht aber in der praktischen Umsetzung und erfordert neben der juristischen auch kulturelle, psychologische, linguistische und logistische Expertise, um mögliche Opfer in einer unzugänglichen Region wie zum Beispiel der Demokratischen Republik Kongo zu erreichen – ohne sie zu stigmatisieren. 2. Antrag des Opfers Um an einem Verfahren beteiligt zu werden, müssen die Opfer gemäß Regel 89 Abs. 1 der Verfahrens- und Beweisregeln einen schriftlichen Antrag auf Beteiligung an dem Verfahren an die Kanzlei des Gerichtshofs richten. Dieser Antrag kann nach Regel 89 Abs. 3 auch durch eine dritte Person, die mit dem Einverständnis des Opfers handelt, oder für ein Kind oder behindertes Opfer durch einen Vertreter gestellt werden. Damit werden Opfer sexueller Gewalt, die durch die Tat krank oder be-
105
Rule 96 (1), Rules of Procedure and Evidence. de Brouwer, Supranational Criminal Prosecution of Sexual Violence, S. 302 f. 107 Rule 16 Abs. 2 lit. a, Rules of Procedure and Evidence. Hinsichtlich des Informationsmaterials siehe Assembly of States Parties, Report on Participation of and Reparations to Victims, 25. August 2004, ICC-ASP/3/21, paras. 4 – 7. Im Internet abrufbar unter: http://www. icc-cpi.int/iccdocs/asp_docs/library/asp/ICC-ASP-3-21-English.pdf (besucht am 06. 10. 2015). 108 de Brouwer, Supranational Criminal Prosecution of Sexual Violence, S. 304. Der Report of the Court on the public information strategy 2011 – 2013, ICC-ASP/9/29 im Internet abrufbar unter: http://www.icc-cpi.int/en_menus/icc/reports%20on%20activities/court%20reports%2 0and%20statements/Pages/report%20of%20the%20court%20on%20the%20public%20informa tion%20strategy%202011_2013.aspx (besucht am 06. 10. 2015) enthält keine Hinweise auf ein besonderes Bemühen, um Opfer sexueller Gewalt zu erreichen. 106
B. Beteiligung der Opfer an Verfahren vor dem IStGH
279
hindert wurden, nicht benachteiligt.109 Der Antrag auf Beteiligung des Opfers an dem Verfahren kann von der Kammer oder auf Antrag des Anklägers oder der Verteidigung nur abgelehnt werden, wenn der Antragsteller oder die Antragstellerin kein Opfer im Sinne der Regel 85 ist und/oder seine persönlichen Interessen nicht betroffen sind (Art. 68 Abs. 3 des römischen Statuts).110
III. Beteiligungsrechte der Opfer Wenn das Gericht dem Antrag des Opfers auf Beteiligung an dem Verfahren stattgibt, muss es – wie bereits erwähnt – auch über die hierfür geeigneten Verfahrensstadien sowie die Art der Beteiligung des Opfers entscheiden,111 wobei es diese Entscheidung später ändern kann.112 Dadurch hat der Gerichtshof die Möglichkeit, auf neue oder unvorhergesehene Entwicklungen im Laufe des Verfahrens zu reagieren. Die Opfer oder ihre rechtlichen Vertreter können ihre Stellungnahmen auch schriftlich abgeben, wobei der Gerichtshof jederzeit die Möglichkeit hat, die Opfer um eine Stellungnahme zu bitten. Der Gerichtshof kann dabei auch Stellungnahmen nicht nur von förmlich beteiligten Opfern, sondern auch von nicht am Verfahren beteiligten Opfern zu erbitten.113 Der einzige Hinweis in den Verfahrens- und Beweisregeln, wie die Opfer beteiligt werden können, ergibt sich aus Regel 89 Abs. 1 letzter Halbsatz, der Stellungnahmen zur Eröffnung und Schluss des Hauptverfahrens erwähnt. Zum Verfahren zugelassene Opfer oder ihr(e) rechtlicher/n Vertreter haben zudem gemäß Regel 144 Abs. 1 der Verfahrens- und Beweisregeln das Recht, bei der Verkündung von Entscheidungen bezüglich der Zulässigkeit des Verfahrens, der Zuständigkeit des Gerichtshofes, der strafrechtlichen Verantwortlichkeit des Beschuldigten sowie bei der Verkündung des Strafmaßes im Gerichtssaal anwesend zu sein. Die wesentlichen Beteiligungsrechte für Opfer sexueller Gewalt sind das Recht auf Information, auf rechtliches Gehör und auf rechtliche Vertretung. 1. Recht auf Information Für Opfer von Straftaten ist das Bedürfnis nach Information eng mit dem bereits erwähnten Anerkennungsbedürfnis verbunden. Information über das Strafverfahren und dessen Fortgang gibt ihnen das Gefühl, als Opfer anerkannt und respektiert zu werden. So erkennt bereits die UN Declaration of Basic Principles of Justice for
109 110 111 112 113
de Brouwer, Supranational Criminal Prosecution of Sexual Violence, S. 304 f. Regel 89 (2), Rules of Procedure and Evidence. Regel 89 (1), Rules of Procedure and Evidence. Regel 91 (1), Rules of Procedure and Evidence. Regel 144 (1), Rules of Procedure and Evidence.
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8. Kap.: Vergewaltigung im Verfahrensrecht des IStGH
Victims of Crime and Abuse of Power von 1985 dieses Bedürfnis nach Information an.114 Das Recht auf Information der am Verfahren beteiligten Opfer ergibt sich aus Regel 92 Abs. 5 der Verfahrens- und Beweisregeln. Demnach haben am Verfahren beteiligte Opfer das Recht, über das Verfahren inklusive der anberaumten Anhörungstermine und der Termine von Urteilsverkündungen und etwaiger Verschiebungen sowie über Anträge, Eingaben und Gesuche und sich hierauf beziehende Dokumente informiert zu werden. Darüber hinaus haben die am Verfahren beteiligten Opfer oder ihre rechtlichen Vertreter das Recht, die Verfahrensakten einzusehen.115 Mit diesen Bestimmungen wird das Bedürfnis der Opfer nach Information über den Stand und Fortgang des Strafverfahrens anerkannt und entsprechend den Mindestanforderungen der UN Declaration of Basic Principles of Justice for Victims of Crime and Abuse of Power116 umgesetzt, obwohl dies aufgrund der möglichen großen Zahl von Opfern die Gefahr der potentiellen Überlastung des Gerichtshofes birgt.117 Auch hier wird allerdings erst die Zukunft mit der zunehmenden Praxis des IStGHs zeigen, ob den Bedürfnissen der Opfer durch ihre Beteiligung auch tatsächlich Rechnung getragen wird. 2. Recht auf Gehör Das Recht der Opfer auf Gehör durch die Verfahrenskammer des Gerichtshofes ist der Kern der Vorschrift des Art. 68 Abs. 3 des römischen Statuts. Die am Verfahren beteiligten Opfer haben das Recht, ihre Auffassungen und Anliegen vor Gericht vorzutragen. Darüber hinaus haben sie gemäß Bestimmung 24 Abs. 2 der Ge114 Declaration of Basic Principles of Justice for Victims of Crime and Abuse of Power, Annex zu UN Doc. A/RES/40/34, 29. November 1985, para 6: „The responsiveness of judicial and administrative processes to the needs of victims should be facilitated by: (a) Informing victims of their role and the scope, timing and progress of the proceedings and of the disposition of their cases, especially where serious crimes are involved and where they have requested such information; (b) Allowing the views and concerns of victims to be presented and considered at appropriate stages of the proceedings where their personal interests are affected, without prejudice to the accused and consistent with the relevant national criminal justice system; (c) Providing proper assistance to victims throughout the legal process; (d) Taking measures to minimize inconvenience to victims, protect their privacy, when necessary, and ensure their safety, as well as that of their families and witnesses on their behalf, from intimidation and retaliation; (e) Avoiding unnecessary delay in the disposition of cases and the execution of orders or decrees granting awards to victims.“ 115 Regel 131 (2), Rules of Procedure and Evidence. 116 Declaration of Basic Principles of Justice for Victims of Crime and Abuse of Power, Annex zu UN Doc. A/RES/40/34, 29. November 1985; vgl. auch Recommendation Nr. 85 (11) des Council of Europe, 28. 6. 1985. 117 Stehle, Das Strafverfahren als immaterielle Wiedergutmachung, S. 268.
B. Beteiligung der Opfer an Verfahren vor dem IStGH
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schäftsordnung des Gerichtshofes (,Regulations of the Court‘) die Möglichkeit, zu Eingaben anderer Verfahrensbeteiligter Stellung zu nehmen. Die Vorverfahrenskammer ist in diesem Zusammenhang verpflichtet, die Eingaben der Opfer zu prüfen und gegebenenfalls zu berücksichtigen. Besonders wichtig ist das Recht der Opfer auf Gehör in Fragen, die sie selbst unmittelbar betreffen, wie beispielsweise bei Maßnahmen, die ihrer Sicherheit und ihrem Schutz dienen sollen. Im Rahmen der Prüfung des Zeugenschutzes für Opfer sexueller Gewalt wurde bereits dargelegt, dass die Betroffenen vor Einleitung von Schutzmaßnahmen anzuhören sind. Die förmliche Beteiligung eines Opfers am Verfahren verbessert also auch dessen Möglichkeiten als Zeuge zur Durchsetzung seiner Interessen Einfluss zu nehmen. 3. Recht auf rechtliche Vertretung Angesichts der Komplexität des Verfahrens vor dem IStGH und der Tatsache, dass die Mitwirkungsrechte des rechtlichen Vertreters ausführlicher geregelt sind als die des Opfers selbst, erscheint eine qualifizierte rechtliche Vertretung als notwendig für die effektive Ausübung der Beteiligungsrechte von Opfern.118 Diese haben das Recht, sich durch einen von ihnen gewählten Rechtsbeistand vertreten zu lassen, sind hierzu aber nicht verpflichtet.119 Die Notwendigkeit eines Rechtsbeistandes für die effektive Wahrnehmung der Beteiligungsrechte des Opfers spiegelt sich auch in der Tatsache, dass die Verfahrens- und Beweisregeln die Mitwirkungsbefugnisse des Rechtsbeistandes der Opfer ausführlicher regeln als die des Opfers; der Rechtsbeistand hat folglich mehr Mitwirkungsrechte als das Opfer selbst.120 In Verfahren mit einer großen Zahl von beteiligten Opfern kann die Verfahrenskammer die Ernennung eines kollektiven Rechtsbeistandes verlangen,121 der von den Opfern zu wählen ist. Dies dient vor allem der Prozessökonomie und dem Recht des Beschuldigten auf ein faires Verfahren. Denn wenn sich Hunderte von Opfern am Verfahren beteiligen – was eher die Regel als die Ausnahme sein dürfte – und sich diese alle eigenständig und mit einem eigenen Rechtsbeistand am Verfahren beteiligen, wird dies zu einer erheblichen Verlangsamung des Verfahrens führen – welches entsprechend länger dauern wird.122 Nur wenn die Opfer sich nicht auf einen gemeinsamen Anwalt einigen können, kann die Kammer den Registrator bitten, einen 118
Stehle, Das Strafverfahren als immaterielle Wiedergutmachung, S. 317; Bock, Das Opfer im Verfahren vor dem Internationalen Strafgerichtshof, S. 495. 119 Rule 90 (1), Rules of Procedure and Evidence; Bock, Das Opfer vor dem Internationalen Strafgerichtshof, S. 496; Stehle, Das Strafverfahren als immaterielle Wiedergutmachung, S. 317; McGonigle Leyh, Procedural Justice?, S. 326 f. 120 Rule 91 Rules of Procedure and Evidence; vgl. Stehle, Das Strafverfahren als immaterielle Wiedergutmachung, S. 316 f. 121 Rule 90 (2), Rules of Procedure and Evidence. 122 Vgl. Bock, Das Opfer im Verfahren vor dem Internationalen Strafgerichtshof, S. 497, sowie de Brouwer, Supranational Criminal Prosecution of Sexual Violence, S. 307.
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8. Kap.: Vergewaltigung im Verfahrensrecht des IStGH
oder mehrere Opferanwälte auszuwählen.123 Trotzdem kann die Ernennung eines kollektiven Rechtsbeistandes für eine Gruppe von Opfern dem Wunsch dieser auf Anerkennung ihrer Individualität zuwiderlaufen.124 Angesichts der Notwendigkeit eines Rechtsbeistandes für die effiziente Wahrnehmung der Beteiligungsrechte des Opfers ist dessen Finanzierung von wesentlicher Bedeutung für das Opfer, das sich möglicherweise in einer finanziell schwachen Position befindet und einen Rechtsbeistand nicht bezahlen kann. Nach Rule 90 Abs. 5 der Verfahrens- und Beweisregeln gewährt der IStGH bedürftigen Opfern, die sich am Verfahren beteiligen wollen, lediglich eine finanzielle Unterstützung, die allerdings nach dem Wortlaut nicht die vollen Kosten für einen Rechtsbeistand – auch wenn es sich auf Veranlassung des Gerichts um einen kollektiven Rechtsbeistand handelt – abdecken muss. Opfer von Vergewaltigungen und anderer sexueller Gewalt sind aufgrund der Stigmatisierung durch die Tat überproportional häufig in einer wirtschaftlich prekären Lage. Deshalb kann diese Regelung eine große Hürde für sie darstellen, ihre Beteiligungsrechte auch tatsächlich auszuüben.125
C. Wiedergutmachung für Opfer von Vergewaltigungen nach dem römischen Statut Welche Bedeutung Wiedergutmachung für Opfer sexueller Gewalt wie Vergewaltigungen – besonders wenn materielle Wiedergutmachung verhältnismäßig zeitnah erfolgt und so einen Neustart ermöglicht – haben kann, wurde oben im 4. Kapitel bereits im Rahmen der Staatenverantwortlichkeit diskutiert.126 Im Gegensatz zu den Statuten der Ad hoc-Tribunale sieht das römische Statut deshalb in Art. 75 die Möglichkeit der Wiedergutmachung für die Opfer insbesondere in Form von Rückerstattung, Entschädigung und Rehabilitierung vor. Die erstmalige Aufnahme eines unmittelbaren Entschädigungsanspruchs der Opfer beruht auch auf Erkenntnissen der Viktimologie, nach denen Wiedergutmachung zu den primären Interessen der Opfer zählt.127 Die Verfahrens- und Beweisregeln 94 bis 98 des IStGHs regeln das Wiedergutmachungsverfahren für die Opfer näher. 123
Rule 90 (3), Rules of Procedure and Evidence. Bock, Das Opfer im Verfahren vor dem Internationalen Strafgerichtshof, S. 497. 125 So allgemein: ICC Report of the Court on Legal Aid: Legal and financial aspects of funding victims’ legal representation before the Court, Eighth session, The Hague, ICC-ASP/ (/25, 18. – 26. November 2009, S. 2; ebenfalls McGonigle Leyh, Procedural Justice, S. 328, sowie Bock, Das Opfer vor dem Internationalen Strafgerichtshof, S. 500 und Stehle, Das Strafverfahren als immaterielle Wiedergutmachung, S. 320. 126 Siehe Duggan/Jacobson, Reparation of Sexual and Reproductive Violence: Moving from Codification to Implementation, in: Rubio-Marín, The Gender of Reparations, S. 121 – 161 (125 – 131). 127 Vgl. in diesem (8.) Kapitel B. I. 2. 124
C. Wiedergutmachung für Opfer von Vergewaltigungen
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I. Voraussetzungen der Wiedergutmachung Alle Opfer im Sinne der Regel 85 der Verfahrens- und Beweisregeln, also alle geschädigten natürlichen Personen und geschädigten Institutionen sind berechtigt, einen Antrag auf Wiedergutmachung zu stellen.128 Dieser Antrag ist unabhängig von einer Beteiligung am Verfahren oder einer Zeugenaussage. Darüber hinaus sieht die Regel 95 der Verfahrens- und Beweisregeln für das Gericht auch proprio motu die Einleitung eines Wiedergutmachungsverfahrens vor, um unabhängig von der Bildung und Handlungsfähigkeit der Opfer sicherzustellen, dass die bedürftigsten Opfer in den Genuss von Wiedergutmachungsleistungen kommen.129 Im Verfahren nach Regel 95 soll der Kanzler – soweit möglich – alle Opfer, sowie alle interessierten Personen und interessierte Staaten über die vorgesehene Wiedergutmachungsanordnung informieren.130 So über die geplante Wiedergutmachung informiert, können die Opfer entweder einen Antrag (nach Regel 94) auf Wiedergutmachung stellen oder auf Reparationen verzichten.131 Problematisch an der Regelung, dass jedes Opfer einen Wiedergutmachungsantrag stellen kann, ist jedoch die Tatsache, dass es praktisch ausgeschlossen sein wird, allen Opfern eines Verbrechens im Zuständigkeitsbereich des IStGHs angemessene und umfassende Wiedergutmachung zu leisten. Folglich wird es auf späteren Ebenen, etwa beim Umfang des Schadensersatzes oder bei der Art der zu ersetzenden Schäden, eine Selektion geben müssen,132 wodurch – zumindest partiell – zunächst entstandene Erwartungen der Opfer enttäuscht werden müssen. Trotzdem werden Wiedergutmachungsanordnungen schon aus prozessökonomischen Gründen nur für Taten erlassen werden, für die der Angeklagte auch verurteilt wurde. Tatsächlich bedeutet dies eine Beschränkung des Wiedergutmachungsanspruchs auf die Opfer des Falls und schließt damit Ansprüche anderer Geschädigter aus.133
II. Verfahren Ähnlich wie im Strafverfahren – insbesondere vor dem IStGH – hinsichtlich der Bestrafung der Täter, ist es für die Opfer im Entschädigungsverfahren nicht nur bedeutsam, ob sie eine Wiedergutmachungsleistung erhalten, sondern auch, wie das entsprechende Verfahren abläuft.134
128 129 130 131 132 133 134
Rule 94 Rules of Procedure and Evidence Bock, Das Opfer vor dem Internationalen Strafgerichtshof, S. 558. Rule 95 Nr. 1 Rules of Procedure and Evidence. Rule 95 Nr. 2 Rules of Procedure and Evidence. Bock, Das Opfer vor dem Internationalen Strafgerichtshof, S. 559. Bock, Das Opfer vor dem Internationalen Strafgerichtshof, S. 591. Bock, Das Opfer vor dem Internationalen Strafgerichtshof, S. 589.
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8. Kap.: Vergewaltigung im Verfahrensrecht des IStGH
Aufgrund der zivilrechtlichen Natur des Wiedergutmachungsverfahrens wird in der Regel der oder die AntragstellerIn die Beweislast tragen müssen, so dass die Opfer darlegen müssen, dass, wodurch und in welchem Ausmaß sie von dem Verurteilten geschädigt wurden. Dies ist in der Praxis mit großen Schwierigkeiten verbunden, da in einer Gewaltsituation wie einem bewaffneten Konflikt zunächst das Überleben im Vordergrund steht. Darüber hinaus ist es schwierig, das Ausmaß erlittener psychischer Schäden zu quantifzieren. Zudem muss das Leid der unterschiedlichsten Opfer verglichen und bewertet werden, was zusammen mit der tatsächlichen Unmöglichkeit alle Schäden angemessen „wiedergutzumachen“ zu einem Kampf der Opfer(gruppen) um die begrenzten Ressourcen führen kann. Besonders schwierig ist diese „Quantifizierung des Leids“ bei Opfern, die wie Vergewaltigungsopfer hauptsächlich psychische Schäden erlitten haben.135 Soweit die Antragsteller auf Wiedergutmachung im Hauptverfahren Zeugen oder Beteiligte waren, wird im Wiedergutmachungsverfahren auf die in der Hauptverhandlung gewonnenen Erkenntnisse zurückgegriffen werden können. Opfer, die im Hauptverfahren nicht in der ein oder anderen Funktion beteiligt waren, haben diese Möglichkeit nicht, so dass über ihre Ansprüche ausschließlich im Wiedergutmachungsverfahren entschieden werden muss, was praktisch eine erhebliche Ungleichbehandlung der Antragsteller bedeutet und die Durchsetzung von Wiedergutmachung faktisch an eine Verfahrensbeteiligung knüpft.136 Nach Art. 75 Abs. 3 des römischen Status liegt es im Ermessen der Kammer, ob vor Erlass einer Wiedergutmachungsanordnung die Opfer angehört werden. Daneben bestehen auch die bereits erwähnten Beteiligungsmöglichkeiten der Opfer gemäß Art. 68 Abs. 3 des römischen Statuts. Auch im Entschädigungsverfahren besteht angesichts der genannten Schwierigkeit und aufgrund der Notwendigkeit für das Opfer, sich mit der Tat und deren Folgen auseinander zu setzen wie im Strafprozess selbst die Gefahr der sekundären Viktimisierung.137 Dies gilt aufgrund der bereits mehrfach erwähnten und auf die Stigmatisierung der Tat zurückzuführenden besonderen Verletzlichkeit von Opfern sexueller Gewalt wie Vergewaltigungen ganz besonders.
III. Die Wiedergutmachungsleistung Art. 75 des römischen Statuts nennt explizit als Wiedergutmachung Rückerstattung, Entschädigung und Rehabilitierung. Für Opfer von Vergewaltigungen und anderer sexueller Gewalt spielt die Rückerstattung schon insofern keine Rolle, als ihnen ihre körperliche und seelische Unversehrtheit nicht zurückgegeben werden 135
Ausführlich dazu Bock, Das Opfer vor dem Internationalen Strafgerichtshof, S. 589. Bock, Das Opfer vor dem Internationalen Strafgerichtshof, S. 597. 137 Bock, Das Opfer vor dem Internationalen Strafgerichtshof, S. 589; vgl. Schmeling, Nicht wieder gut zu machen, S. 129. 136
C. Wiedergutmachung für Opfer von Vergewaltigungen
285
kann. Rehabilitierung im Sinne des römischen Statuts meint alle Maßnahmen, die dem Opfer bei der Überwindung der Folgen des an ihm begangenen völkerrechtlichen Verbrechens helfen. Hierzu gehören etwa medizinische und psychologische Behandlungskosten, aber auch die Kosten eines Rechtsbeistandes etwa im Beteiligungsverfahren.138 Unter Entschädigung fallen auch Ansprüche auf Schmerzensgeld etwa aufgrund der durch Vergewaltigungen und anderer sexueller Gewalt erlittenen Schäden. 1. Wiedergutmachung auf individueller oder kollektiver Basis Das Gericht entscheidet nach Regel 97 Nr. 1 der Verfahrens- und Beweisregeln, ob die Wiedergutmachung auf individueller oder kollektiver Ebene zu leisten ist. Auch wenn die individuelle Wiedergutmachung, die einem bestimmten Opfer zugute kommt und dieses nach dem Grundsatz restitutio in integrum – theoretisch – wieder in den vor der Tat bestehenden Zustand versetzen soll, nach Regel 98 Nr. 1 der Verfahrens- und Beweisregeln den Regelfall darstellt, sind damit schon aufgrund der großen Zahl der Geschädigten erhebliche Schwierigkeiten bei der Umsetzung verbunden. Deshalb hat das Gericht auch die Möglichkeit, Wiedergutmachung auf kollektiver Ebene zuzusprechen. Wiedergutmachung auf kollektiver Basis kommt einem durch die Tat geschädigten Kollektiv zugute und kann unter anderem etwa der Errichtung von medizinischen Behandlungseinrichtungen für Traumaopfer, Schulen oder anderer Gemeinschaftseinrichtungen dienen. Für diese Form der Entschädigung spricht neben der Tatsache, dass hiervon eine größere Zahl von Opfern profitieren kann auch, dass Wiedergutmachung auf kollektiver Basis eine Ungleichbehandlung von Opfern vermeidet, da eine individuelle Wiedergutmachung aufgrund begrenzter Ressourcen nicht allen individuellen Opfern gleichermaßen zugute kommen kann. Zudem erfordern Reparationen auf kollektiver Basis keine so strenge Beweisführung zum Nachweis der Kausalität zwischen der Handlung des Täters und des dadurch entstandenen Schadens, welche die Gefahr der erneuten Viktimisierung birgt. Im Ergebnis scheint daher – gerade für die Gruppe der Opfer sexueller Gewalt, die in erhöhtem Maße der Gefahr der erneuten Viktimisierung ausgesetzt ist – eine Wiedergutmachung auf kollektiver Basis vorzugswürdig.139 2. Wiedergutmachung durch den Täter oder den Treuhandfonds Das Gericht kann die Wiedergutmachung entweder durch den individuellen Täter oder den von den Vertragsstaaten eingerichteten Treuhandfonds zugunsten der Opfer und ihrer Familien anordnen.140 Wiedergutmachungsanordnungen gegen den Ver138 Vgl. Donat-Cattin, in: Triffterer, Commentary on the Rome Statute of the International Criminal Court, Art. 75, Rn. 11. 139 Ausführlich Bock, Das Opfer vor dem Internationalen Strafgerichtshof, S. 568 – 575. 140 Art. 75 Abs. 2 sowie 79 des römischen Statuts.
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8. Kap.: Vergewaltigung im Verfahrensrecht des IStGH
urteilten werden in aller Regel dessen finanzielles Leistungsvermögen weit überschreiten, so dass eine solche Anordnung in der Praxis nicht effektiv sein wird. Die Wiedergutmachung durch den Treuhandfonds, der von der Kanzlei des Gerichtshofs zwar verwaltet wird, von diesem selbst aber unabhängig ist und größere finanzielle Möglichkeiten hat als ein einzelner verurteilter Straftäter, wird daher vorzugswürdig sein.141
D. Gesamtbetrachtung der Stellung von Opfern sexueller Gewalt wie Vergewaltigung in Verfahren vor dem IStGH Opfer haben – im Vergleich mit den Prozessordnungen älterer internationaler Strafgerichtshöfe wie den Ad hoc-Tribunalen – eine starke Stellung im Verfahren vor dem IStGH. Insbesondere für Opfer von sexueller Gewalt wie Vergewaltigungen wurden aufgrund ihrer besonderen Schutzbedürftigkeit und der mit Sexualverbrechen verbundenen Stigmatisierung der Opfer in den Verfahrens- und Beweisregeln des Gerichtshofs adäquate Schutzmechanismen vorgesehen, die eine Re-Viktimisierung durch die Zeugenaussage im Strafprozess vor dem IStGH verhindern sollen – und bei entsprechender Anwendung auch können. Als besonders fortschrittlich seien hier die speziellen Beweisvorschriften für sexuelle Gewalt genannt, die einen über viele nationale Prozessordnungen hinausgehenden Opferschutz ermöglichen. Trotzdem ist mit der Einführung der verfahrensrechtlichen Schutzmaßnahmen dem Schutz von Opfern sexueller Gewalt noch nicht ausreichend Rechnung getragen, da die eigentliche Herausforderung in der praktischen sensiblen Umsetzung dieser Beweisregeln besteht. Die fortschrittlichste Beweisregel zum Schutz von Opfern muss wirkungslos bleiben, wenn sie durch unsensibles oder ungeschultes Personal, das die besonderen Bedürfnisse dieser spezifischen Opfergruppe nicht kennt und deshalb für zaghafte Aussagen oder Bitten um Schutz unempfänglich ist, umgesetzt wird. Trotz des progressiven Beweisrechts, das den Bedürfnissen der Opfer sexueller Gewalt Rechnung tragen kann, wird daher erst die tatsächliche praktische Umsetzung in der Zukunft zeigen, ob die Bedürfnisse der speziellen Gruppe von Opfern sexueller Gewalt in Verfahren vor dem IStGH ausreichend berücksichtigt werden. Mit Einführung der Möglichkeit der offiziellen Beteiligung von Opfern in Verfahren vor dem IStGH wurde eine Forderung von Opferrechtsorganisationen erstmals umgesetzt. Die Übernahme einer aktiven Rolle durch das Opfers im Strafprozess kann die Verarbeitung der Tat begünstigen, sofern mit den Bedürfnissen der Opfer entsprechend sensibel umgegangen wird. Eine aktive Rolle steht – gerade bei Opfern von Vergewaltigungen – im Gegensatz zu ihrem Erleben der Tat, in der sie zum bloßen passiven Objekt degradiert wurden und die folglich von einem Gefühl 141
Ausführlich Bock, Das Opfer vor dem Internationalen Strafgerichtshof.
D. Gesamtbetrachtung der Stellung von Opfern sexueller Gewalt
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der Ohnmacht begleitet war. Die selbstbestimmte aktive Beteiligung am Strafverfahren kann dem Opfer deshalb helfen, seine Eigenständigkeit und Selbstachtung wiederzugewinnen.142 Schon die Existenz von Beteiligungsrechten für Opfer im römischen Statut zeigt, dass sich ernsthaft um einen wirklichen Interessenausgleich zwischen allen am Strafverfahren Beteiligten – mit all ihren divergierenden Interessen – bemüht wurde. Zudem wird der besonderen Schutzbedürftigkeit von Opfern sexueller Gewalt wie Vergewaltigungen in Art. 68 I S. 2 des römischen Statuts Rechnung getragen. Da diese Norm auch für die Beteiligung von Opfern sexueller Gewalt an Verfahren vor dem IStGH gilt, kann – abgesehen von kleineren Problemen wie der Finanzierung des Opferanwalts – zumindest auf normativer Ebene von einer ausreichenden Berücksichtigung ihrer Interessen ausgegangen werden. Auch die Tatsache, dass einer Gruppe von Opfern sexueller Gewalt – wie allen anderen Opfern – ein kollektiver Rechtsbeistand zur Seite gestellt werden kann, schränkt die Beteiligungsrechte der Opfer nicht unangemessen ein, da ein im Ergebnis gelungener Ausgleich zwischen Prozessökonomie und dem Recht des Angeklagten auf ein zügiges Verfahren und angemessener Opferbeteiligung gesucht und gefunden werden musste.143 Trotzdem wird erst die Zeit zeigen, inwieweit die Beteiligungsrechte auch in der Praxis Opfern von sexueller Gewalt wie Vergewaltigungen tatsächlich oder psychologisch nützen. Hierfür bleibt die retrospektive Einschätzung der Opfer abzuwarten. Praktisch beginnen die Schwierigkeiten der effektiven Umsetzung der Beteiligungsrechte von Opfern jedenfalls schon mit der Notifikation der Opfer über das Verfahren. Ähnliches gilt für die Möglichkeit einer Wiedergutmachungsanordnung, die den Opfern einen Neustart erheblich erleichtern kann, wenn sie zeitnah und angemessen erfolgt und den Forderungen von Opferrechtsbewegungen entspricht. Aufgrund der in der Regel beschränkten finanziellen Möglichkeiten der vom IStGH verurteilten Täter wird eine Wiedergutmachungsanordnung gegen diese häufig ins Leere laufen. Diese Schwierigkeit soll der von den Vertragsstaaten eingeführte Treuhandfonds für Opfer und ihre Familien lindern, indem anstelle der Täter der Treuhandfonds die Wiedergutmachung übernimmt. Hierbei ist jedoch fraglich, ob die durch einen Fonds geleistete Wiedergutmachung auch aus Sicht der Opfer die Genugtuungs- und Anerkennungsfunktion erfüllen kann. Zudem bleibt zu bedenken, dass eine Entschädigung für erlittenes erhebliches Unrecht, das nicht wieder gut gemacht werden kann, um so wirkungsvoller ist, je zeitnäher sie erfolgt, Wiedergutmachungsanordnungen aber einige Jahre dauern werden. Zusammenfassend ist daher festzustellen, dass hinsichtlich der prozessualen Stellung von Opfern sexueller Gewalt wie Vergewaltigungen im römischen Statut und den Verfahrens- und Beweisregeln erhebliche Fortschritte gemacht wurden und 142
Bock, Das Opfer vor dem Internationalen Strafgerichtshof, S. 175 m.w.N.; Olásolo, Systematic and Casuistic Approaches to the Role of Victims in Criminal Proceedings Before the International Criminal Court, New Crim. L. Rev. 12 (2009) S. 513 – 528 (523 f.). 143 Bock, Das Opfer im Verfahren vor dem Internationalen Strafgerichtshof, S. 497.
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8. Kap.: Vergewaltigung im Verfahrensrecht des IStGH
ein ernsthaftes Bemühen um einen Ausgleich zwischen den Rechten des Angeklagten, der notwendigen Prozessökonomie und den Interessen der durch die vor dem IStGH angeklagten Taten geschädigten Opfern versucht wurde. Trotzdem wird erst die Umsetzung dieser Regeln in der Praxis zeigen, ob die Interessen der Opfer ausreichend berücksichtigt werden.
9. Kapitel
Der völkerrechtliche Tatbestand der Vergewaltigung in der Praxis des Internationalen Strafgerichtshofes Obwohl der Internationale Strafgerichtshof (IStGH) bereits 2012 sein zehnjähriges Bestehen feierte, konnten bisher erst drei Hauptverfahren, die alle Geschehnisse in der Demokratischen Republik Kongo betreffen, abgeschlossen werden. In allen drei Hauptverfahren spielten Vorwürfe der Vergewaltigung bzw. der sexuellen Gewalt eine Rolle. So illustriert der IStGH die tatsächliche Dimension des Ausmaßes von Vergewaltigungen in bewaffneten Konflikten durch die Tatsache, dass der Tatbestand der Vergewaltigung in acht von derzeit neun Situationen, mit denen der IStGH befasst ist, eine Rolle spielt.1
A. Vergewaltigung und sexuelle Gewalt im Fall Lubanga (Demokratische Republik Kongo) Das Verfahren gegen Thomas Lubanga Dyilo ist eines der drei abgeschlossenen Hauptverfahren vor dem IStGH. Das Urteil des Hauptverfahrens wurde in der Berufung bestätigt.2 Gegenstand von Anklage, Verhandlung und anschließender Verurteilung zu einer 14-jährigen Haftstrafe war die Zwangsverpflichtung und Eingliederung von Kindern unter fünfzehn Jahren in Streitkräfte oder bewaffnete Gruppen und ihre Verwendung zur aktiven Teilnahme an Feindseligkeiten als Kriegsverbrechen im Sinne des Art. 8 Abs. 2 e) vii) des römischen Statuts im Osten der Demokratischen Republik Kongo. Die Anklage und das Urteil stützen sich also nicht auf Vorwürfe der Vergewaltigung oder anderer sexueller Gewalt als Kriegsverbrechen. Trotzdem sind die Verbrechen der Zwangsverpflichtung und Eingliederung von Kindern unter 15 Jahren eng mit den Verbrechen der Vergewaltigung und 1
Derzeit (Januar 2016) ist der IStGH mit neun Situationen befasst. Für einen Überblick der an den IStGH überwiesenen Situationen siehe http://www.icc-cpi.int/en_menus/icc/situa tions%20and%20cases/Pages/situations%20and%20cases.aspx (besucht am 25.01.16); lediglich hinsichtlich der Situation in Libyen sind der IStGH Homepage keine Anhaltspunkte für Vergewaltigungen zu entnehmen. 2 The Prosecutor v. Thomas Lubanga Dyilo, ICC-01/04-01/06, Judgment Pursuant to Art. 74 of the Statute, 14. März 2012; Decision on Sentence Pursuant to Art. 76 of the Statute, 10. Juli 2012, Judgment on the Appeal of Mr. Thomas Lubanga Dyilo against his conviction, ICC-01/04-01/06A5, 1. Dezember 2014.
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9. Kap.: Tatbestand der Vergewaltigung in der Praxis des IStGH
der sexuellen Gewalt verknüpft. So hat die UN-Sonderbeauftragte für Kinder in bewaffneten Konflikten in dem Verfahren vor dem ICC ausgesagt, dass Mädchen in bewaffneten Gruppen neben der eigentlichen Teilnahme an Kampfhandlungen zahlreiche militärische Funktionen von Aufklärung über Träger- und Küchendienste ausüben, sowie zu sexueller Sklaverei und Zwangsehen gezwungen werden. Während einige Mädchen hauptsächlich Kämpfer seien, seien andere überwiegend Sexsklaven – aber alle seien Teil der bewaffneten Gruppe.3 Auch Zeugen berichteten in dem Verfahren von den verschiedenen Rollen und der Behandlung der in die bewaffneten Gruppen eingegliederten Mädchen, wozu Vergewaltigungen und Zwangsheiraten (meist mit Kommandeuren) zählten.4
I. Keine Anklagepunkte der sexuellen Gewalt, Vergewaltigung und sexuellen Sklaverei sowie unmenschlicher und grausamer Behandlung Trotz vorliegender stichhaltiger Anhaltspunkte für den sexuellen Missbrauch der in die bewaffneten Gruppen eingegliederten Mädchen und ungeachtet der Interventionen von Frauen-NGOs, die Anschuldigungen wegen sexueller Gewalt in die Anklage aufzunehmen, wurden keine Anklagepunkte wegen sexueller Gewalt in die Anklage gegen Lubanga aufgenommen.5 Die zahlreichen Hinweise auf sexuelle Gewalt und Vergewaltigungen der in die bewaffneten Gruppen (zwangs-)eingegliederten Kindersoldaten bewegten die Rechtsvertreter der Opfer dazu, einen gemeinsamen Antrag auf Änderung der rechtlichen Bewertung der Tatsachen gemäß Regulation 55 der Regulations of the Court zu stellen.6 Dieser hätte die Erweiterung der Anklage auf Vorwürfe der sexuellen Sklaverei und unmenschlicher und grausamer Behandlung der Rekruten erlaubt.7 Obwohl die Verfahrenskammer diesem Antrag zunächst stattgab, entschied die Berufungskammer, dass Regulation 55 Abs. 2 und 3 keine Ausdehnung der in der Anklage enthaltenen Fakten und Um3
Siehe Official Transcript vom 7. Januar 2010, ICC-01/04-01/06-T-223-ENG, S. 30, Zeile 12 – 19, 25; S. 31, Zeile 1 – 2. 4 Siehe Official Transcripts vom 3. Februar 2009, ICC-01/04-01/06-T-114-ENG, S. 22, Zeile 16 – 19, S. 82, Zeile 1 – 3; vom 9. Februar 2009, ICC-01/04-01/06-T-122-ENG, S. 26, Zeile 23 – 25; vom 13. März 2009, ICC-01/04 – 01/06-T-148-Red-ENG, S. 49, Zeile 14 – 22. 5 Special Report on the Events in Ituri, January 2002-December 2003, UN Doc. S/2004/573, 16. Juli 2004, Abs. 151 – 154; Women’s Initiatives for Gender Justice, Gender Report Card 2011, S. 203; Report of the International Criminal Court, UN Doc. A/60/177, Abs. 37. Siehe auch Brief der NGO Women’s Initiatives for Gender Justice an die Anklagebehörde des ICC vom 16. August 2006, im Internet abrufbar unter: http://www.iccwomen.org/documents/Pro secutor_Letter_August_2006_Redacted.pdf (besucht am 06. 10. 2015). 6 Regulations of the Court ICC-BD/01-01-04. 7 Joint Application of the Legal Representatives of the Victims for the Implementation of the Procedure under Regulation 55 of the Regulations of the Court, 22. Mai 2009, ICC-01/0401/06-1891.
A. Vergewaltigung und sexuelle Gewalt im Fall Lubanga
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stände erlaube.8 Die Anklagepunkte der sexuellen Sklaverei und der unmenschlichen und grausamen Behandlung konnten somit nicht in das Verfahren aufgenommen werden.9
II. Vergewaltigung und sexuelle Gewalt im Urteil gegen Lubanga Aufgrund der oben erwähnten Aussagen von Zeugen über sexuelle Gewalt an den Kindersoldaten im Verfahren gegen Lubanga plädierte die Anklage in ihrem Schlussvortrag darauf, dass die – insbesondere mit der Eingliederung von Mädchen in bewaffnete Gruppen – verbundene sexuelle Gewalt Teil des Verbrechens der Eingliederung von Kindern in bewaffnete Gruppen sei. Der Angeklagte sei nicht wegen Vergewaltigungen, sondern wegen der Eingliederung von Kindern in bewaffnete Gruppen angeklagt und kannte den damit verbundenen sexuellen Missbrauch, insbesondere von Mädchen und das Phänomen ihrer Zwangsehen mit Kommandeuren. Es sei wichtig, das Verbrechen auf die Eingliederung der Kinder in die bewaffneten Gruppen zu beschränken und die gegen Mädchen begangenen Taten der sexuellen Gewalt in diesem Zusammenhang zu sehen, da anderenfalls die mit Kommandeuren zwangsverheirateten Mädchen als „Ehefrauen“ betrachtet würden – und nicht als zu schützende Opfer. Die gegen Mädchen begangenen Taten der Vergewaltigungen und der Zwangsehen seien Teil des Verbrechens der (Zwangs-) Eingliederung von Kindern in bewaffnete Gruppen.10 Auch die Anordnung der Entführung von Mädchen mit dem Zweck sie zu vergewaltigen sei ein Gebrauch von Kindern in Feindseligkeiten.11 Das Urteil im Verfahren gegen Lubanga bezieht sich den Darlegungen der Anklagebehörde zum Trotz nicht explizit auf sexuelle Gewalt. Im Gegenteil mangels entsprechender Anklagepunkte beschränkte sich die Verfahrenskammer auf von ihr als – im Sinne des Art. 74 Abs. 2 des römischen Statuts – relevant erachtete Beweise, 8 Decision giving notice to the parties and participants that the legal characterisation of the facts may be subject to change in accordance with Regulation 55 (2) of the Regulations of the Court, 14. Juli 2009, ICC-01/04-01/06-2049 sowie Judgment on the appeals of Mr. Lubanga Dyilo and the Prosecutor against the Decision of Trial Chamber I of 14 July 2009 entitled „Decision giving notice to the parties and participants that the legal characterisation of the facts may be subject to change in accordance with Regulation 55 (2) of the Regulations of the Court“, 8. Dezember 2009, Abs. 1 und 94. 9 Siehe auch Women’s Initiatives for Gender Justice, Gender Report Card on the International Criminal Court 2010, S. 129 – 132. 10 Siehe Official Transcripts vom 25. August 2011, ICC-01/04-01/06-T-356, S. 54 Zeile 8 – 22. Zur Bedeutung der sexuellen Gewalt im Verfahren gegen Lubanga siehe ebenfalls Inder, The ICC, Child Soldiers and Gender Justice, The Parliament Magazine November 2011, S. 54 – 55. 11 Siehe Official Transcripts vom 25. August 2011, ICC-01/04-01/06-T-356, S. 55 Zeile 11 – 21. Siehe auch Women’s Initiative for Gender Justice, Gender Report Card 2011, S. 208 f.
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9. Kap.: Tatbestand der Vergewaltigung in der Praxis des IStGH
wozu die Hinweise auf sexuelle Gewalt nur im Rahmen des Tatzusammenhangs zählten. Die Kammer untersuchte folglich nicht, ob der Angeklagte Lubanga für die Taten der sexuellen Gewalt im Zusammenhang mit der Zwangsrekrutierung und Eingliederung von Kindern in bewaffnete Gruppen sowie ihrer Verwendung zur aktiven Teilnahme an Feindseligkeiten verantwortlich ist.12 Am 10. Juli 2012 verurteilte die Verfahrenskammer Lubanga zu 14 Jahren Haft auf die die bereits in Haft verbrachte Zeit angerechnet wird.13Auch in der Entscheidung zur Strafzumessung folgte das Gericht nicht dem Antrag der Anklagebehörde sexuelle Gewalt als erschwerenden Umstand zu berücksichtigen. Dies sei zwar grundsätzlich möglich, hier habe die Anklage aber versäumt den Zusammenhang zwischen sexueller Gewalt und dem Angeklagten im Zusammenhang mit den angeklagten Taten „beyond reasonable doubt“
zu beweisen.14 Ob Hinweise auf sexuelle Gewalt im Rahmen der Reparationen zu berücksichtigen seien ließ das Gericht offen.15 Ebenfalls offen blieb die Frage, ob die Taten der sexuellen Gewalt als eigene Tatbestände, insbesondere als sexuelle Sklaverei hätten verfolgt werden können.16
12 Situation in the Democratic Republic of the Congo in the Case of The Prosecutor v. Thomas Lubanga Dyilo, Judgment, 14. März 2012, ICC-01/04-01/06-2842 Abs. 896: „In the view of the Majority, given the prosecution’s failure to include allegations of sexual violence in the charges, as discussed above, this evidence is irrelevant for the purposes of the Article 74 Decision save as regards providing context. Therefore, the Chamber has not made any findings of fact on the issue, particularly as to whether responsibility is to be attributed to the accused. (…).“ 13 Situation in the Democratic Republic of the Congo in the Case of The Prosecutor v. Thomas Lubanga Dyilo, Decision on Sentence pursuant to Art. 76 of the Statute, 10. Juli 2012, ICC-01/04-01/06-2901. 14 Situation in the Democratic Republic of the Congo in the Case of The Prosecutor v. Thomas Lubanga Dyilo, Decision on Sentence pursuant to Article 76 of the Statute, Abs. 60 ff. (75). 15 Situation in the Democratic Republic of the Congo in the Case of The Prosecutor v. Thomas Lubanga Dyilo, Judgment, 14. März 2012, ICC-01/04-01/06-2842, Abs. 631, 896. 16 Situation in the Democratic Republic of the Congo in the Case of The Prosecutor v. Thomas Lubanga Dyilo, Judgment, 14. März 2012, ICC-01/04-01/06-2842 Abs. 630: „In accordance with the jurisprudence of the Appeals Chamber, the Trial Chamber’s Article 74 Decision shall not exceed the facts and circumstances (i. e. the factual allegations) described in the charges and any amendments to them. The Trial Chamber has earlier pointed out that ,(f) actual allegations potentially supporting sexual slavery are simply not referred to at any stage in the Decision on the Confirmation of Charges.‘ Regardless of whether sexual violence may properly be included within the scope of ,using (children under the age of 15) to participate actively in hostilities‘ as a matter of law, because facts relating to sexual violence were not included in the Decision on the Confirmation of Charges, it would be impermissible for the Chamber to base its Decision pursuant to Article 74 (2) on the evidence introduced during the trial that is relevant to this issue.“ sowie Abs. 896.
A. Vergewaltigung und sexuelle Gewalt im Fall Lubanga
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III. Dissenting Opinion by Judge Odio Benito Die Richterin Odio Benito ging in ihrer ,separate and dissenting opinion‘, die dem Urteil des ICC beigefügt wurde, unter anderem auf die Frage der sexuellen Gewalt in Bezug auf die Zwangsverpflichtung, Eingliederung von Kindern in bewaffnete Gruppen und deren aktive Verwendung in Feindseligkeiten ein. Sie argumentiert darin, dass das Versäumnis der Kammer sexuelle Gewalt nicht unter die „Verwendung von Kindern zur aktiven Teilnahme an Feindseligkeiten“ zu subsumieren zu einer Vernachlässigung des Aspekts der sexuellen Gewalt führe. Dies diskriminiere Mädchen, denen nicht der gleiche völkerstrafrechtliche Schutz vor der Teilnahme an Feindseligkeiten wie Jungen gewährt würde.17 Folglich hätte – unabhängig von den prozessualen Beschränkungen gem. Art. 74 (2) des Statuts – sexuelle Gewalt im Urteil Teil der Definition des Verbrechens der Verwendung von Kindern zur aktiven Teilnahme an Feindseligkeiten sein müssen.18 Hierzu führt sie aus, dass Kinder nicht nur wegen des Risikos, zum potentiellen Ziel des „Feindes“ zu werden, von der Rekrutierung ausgeschlossen seien, sondern auch weil von der „eigenen“ bewaffneten Gruppe, die sie rekrutiert hat, die Gefahr ausgeht, dass sie brutalen Trainingsmethoden, Folter und Misshandlungen, sexueller Gewalt und anderen Tätigkeiten und Lebensbedingungen ausgesetzt werden, die unvereinbar mit den grundlegenden Rechten von Kindern sind.19 Nach Ansicht der Richterin ist sexuelle Gewalt ein Element des strafrechtlich relevanten Verhaltens der ,Verwendung von Kindern zur aktiven Teilnahme an Feindseligkeiten‘. Mädchen, die als Sexsklaven oder „Ehefrauen“ von Kommandeuren oder anderen Mitgliedern einer bewaffneten Gruppe benutzt werden, leisteten wesentliche Unterstützung der bewaffneten Gruppe. Alle sexuellen Misshandlungen verursachten beträchtliche Schäden und seien für Mädchen mit einem erhöhten Risiko für ungewollte Schwangerschaften, sexuell übertragbare Krankheiten, HIV, psychologische Traumatisierung und soziale Isolation verbunden. Trotzdem müsse zwischen sexueller Gewalt als Teil der Verbrechen der Zwangsverpflichtung, Eingliederung und Verwendung von Kindern unter 15 Jahren zur aktiven Teilnahme an Feindseligkeiten und Verbrechen der sexuellen Gewalt als solcher unterschieden werden, die von der Kammer hätten untersucht werden können, wenn sie angeklagt gewesen wären.20 17 Separate and Dissenting Opinion of Judge Odio Benito, 14. März 2012, ICC-01/04-01/ 06-2842, Abs. 16, 21: „(…) Sexual violence and enslavement are in the main crimes committed against girls and their illegal recruitment is often intended for that purpose (nevertheless they also often participate in direct combat). (…) It is discriminatory to exclude sexual violence which shows a clear gender differential impact from being a bodyguard or porter which is mainly a task given to young boys. The use of young girls and boys bodies by combatants within or outside the group is a war crime and as such encoded in the charges against the accused.“ 18 Separate and Dissenting Opinion of Judge Odio Benito, 14. März 2012, ICC-01/04-01/ 06-2842, Abs. 17. 19 Separate and Dissenting Opinion of Judge Odio Benito, 14. März 2012, ICC-01/04-01/ 06-2842, Abs. 19. 20 Separate and Dissenting Opinion of Judge Odio Benito, 14. März 2012, ICC-01/04-01/ 06-2842, Abs. 20: „Sexual violence committed against children in the armed groups causes
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9. Kap.: Tatbestand der Vergewaltigung in der Praxis des IStGH
IV. Kritik Auch wenn die Richterin Odio Benito von einem Bild ausgeht, das den Richtern erlaubt, die Verbrechen unabhängig von den vom Ankläger unterbreiteten Anklagepunkten zu interpretieren, zeigt das oben dargestellte prozessuale Verfahren im Fall Lubanga doch die Schwierigkeiten Anklagepunkte der sexuellen oder geschlechtsbezogenen Gewalt zu einem späteren Zeitpunkt in das Verfahren einzuführen. Diesbezüglich fällt für dieses erste abgeschlossene Verfahren vor dem IStGH eine gewisse Parallele zu der Praxis der Anklagebehörde der Ad hoc-Tribunale auf, die ebenfalls dafür kritisiert wurde, Taten der sexuellen Gewalt nicht immer ausreichend aufzuklären und anzuklagen.21 Der Fall Lubanga wie auch die Praxis der Anklagebehörde vor den Ad hoc-Tribunalen demonstriert jedenfalls die Notwendigkeit, alle Verbrechen, inklusive derer, in denen sexuelle Gewalt eine Rolle spielt, so früh wie möglich im Verfahren anzuklagen.22 Ob der Auffassung der Verfahrenskammer, dass nur die Zwangsrekrutierung, Eingliederung und Verwendung von Kindern zur aktiven Beteiligung an Feindseligkeiten Gegenstand des Verfahrens war, oder der Auffassung Odio Benitos, nach der sexuelle Gewalt Teil der o.g. Verbrechen ist, zu folgen ist, bleibt eine schwierige Frage. Für die Auffassung Odio Benitos spricht der im Verfahren deutlich gewordene tatsächliche Stellenwert der sexuellen Gewalt bei der Rekrutierung, Eingliederung und Verwendung von Kindern unter 15 Jahren zur aktiven Beteiligung an Feindseligkeiten. Andererseits scheint der Wortlaut des Verbrechenstatbestandes der ,Verwendung von Kindern unter 15 Jahren zur aktiven Beteiligung an Feindseligkeiten‘ – entgegen der Auffassung der Richterin Odio Benito und der Anklagebehörde – sexuelle Sklaverei und Zwangsehen nicht als wesentliche Unterstützungshandlung der Feindseligkeiten zu umfassen. Anderes scheint für die Tatbestandsalternativen der Zwangsverpflichtung und Eingliederung von Kindern in bewaffnete Gruppen zu gelten, denn Mädchen, die als „Ehefrauen“ Kommandeuren und anderen Kämpfern sexuell zu Diensten sind und im Lager der bewaffneten Gruppe leben, sind – in der Regel mit geschlechtsspezifischen Aufgaben betraut – in die bewaffnete irreparable harm and is a direct and inherent consequence to their involvement with the armed group. Sexual violence is an intrinsic element of the criminal conduct of ,use to participate actively in the hostilities‘. Girls who are used as sex slaves or ,wives‘ of commanders or other members of the armed group provide essential support to the armed groups. Sexual assault in all its manifestations produces considerable damage and it demonstrates a failure in the protection of the life and integrity of the victim. There is additionally a gender-specific potential consequence of unwanted pregnancies for girls that often lead to maternal or infant’s deaths, disease, HIV, psychological traumatisation and social isolation. It must be clarified, however, that although sexual violence is an element of the legal definition of the crimes of enlistment, conscription and use of children under the age of 15 to participate actively in hostilities, crimes of sexual violence are distinct and separate crimes that could have been evaluated separately by this Chamber if the Prosecutor would have presented charges against these criminal conducts.“ 21 Siehe 6. Kapitel F. I. 22 Women’s Initiatives for Gender Justice, Legal Eye on the ICC, Special Issue #1 – Mai 2012.
B. Vergewaltigung in Verfahren gegen Ngudjolo Chui und Katanga
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Gruppe eingegliedert und leisten dieser auch wesentliche Unterstützung. Folglich scheinen die Tatbestandsalternativen des Art. 8 Abs. 2 (e) (vii) des römischen Statuts der Zwangsverpflichtung und Eingliederung von Kindern besser als die der Verwendung von Kindern zur aktiven Beteiligung an Feindseligkeiten auf die Behandlung zu passen, die Mädchen in einer bewaffneten Gruppe widerfährt.
B. Vergewaltigung und sexuelle Sklaverei in den Verfahren gegen Ngudjolo Chui und Katanga In den Verfahren gegen Ngudjolo Chui und Katanga waren Vergewaltigungen und sexuelle Sklaverei erstmalig als Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen angeklagt. Gegenstand der Verfahren war ein Angriff auf das strategisch wichtige Dorf Bogoro in der Region Ituri im Osten der Demokratischen Republik Kongo am 23. Februar 2003, den die beiden Angeklagten als Rebellenführer befehligten. Dieser Angriff wurde – so die Anklage – zu einem „unterschiedslosen Tötungsgelage“, bei dem mindestens 200 Zivilisten getötet, Überlebende in einen Raum mit Leichen gesperrt und Frauen und Mädchen zu sexueller Sklaverei gezwungen wurden.23 Für den Untersuchungsgegenstand relevant sind insbesondere die darauf basierenden Anklagepunkte der sexuellen Sklaverei als Kriegsverbrechen (gemäß Art. 8(2)(b)(xxii) des römischen Statuts) und Verbrechen gegen die Menschlichkeit (gemäß Art. 7(1)(g)) sowie der Vergewaltigung als Kriegsverbrechen (Art. 8(2)(b)(xxii) und Verbrechen gegen die Menschlichkeit (Art. 7(1)(g)).24
I. Trennung der Verfahren und Freispruch von Ngudjolo Chui Nachdem im gemeinsamen Hauptverfahren deutlich geworden war, dass Germain Katanga möglicherweise nicht nur gemäß Art. 25 Abs. 3 (a), sondern darüber hinaus auch nach Art. 25 Abs. 3 (d) des römischen Statuts für die angeklagten Taten strafrechtlich verantwortlich ist, wurde im November 2012 das Verfahren gegen ihn von dem Verfahren gegen Ngudjolo Chui abgetrennt.25 23
Situation in the Democratic Republic of the Congo, Warrant of Arrest for Germain Katanga, 2. Juli 2007, ICC-01/04-01/07-1, S. 4 f.; Situation in the Democratic Republic of the Congo, Warrant of Arrest for Mathieu Ngudjolo Chui, 6. Juli 2007, ICC-01/04-01/07-260, S. 4. 24 Situation in the Democratic Republic of the Congo in the Case of The Prosecutor v. Germain Katanga and Mathieu Ngudjolo Chui, Decision on the Confirmation of Charges, 30. September 2008, ICC-01/04-01/07-717. 25 Situation in the Democratic Republic of the Congo in the Case of The Prosecutor v. Germain Katanga and Mathieu Ngudjolo Chui, Decision on the implementation of regulation 55 of the Regulations of the Court and severing the charges against the accused persons, 21. November 2012, ICC-01/04-01/07.
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9. Kap.: Tatbestand der Vergewaltigung in der Praxis des IStGH
Das Verfahren gegen Mathieu Ngudjolo Chui endete kurz darauf mit einem Freispruch des Angeklagten, der später im Berufungsverfahren bestätigt wurde.26 Dieser Freispruch beruhte darauf, dass das Gericht die strafrechtlich relevante Beteiligung des Angeklagten an dem Angriff auf das Dorf Bogoro gemäß Art. 25 Abs. 3 (a) des römischen Statuts nicht als ,beyond reasonable doubt‘ erwiesen ansah. Mangels erwiesener strafrechtlich relevanter Beteiligung des Angeklagten, setzte sich das Gericht folglich in diesem Urteil nicht mit den Vorwürfen der sexuellen Gewalt gegen den Angeklagten auseinander.
II. Freispruch von Katanga bezüglich der Anklagepunkte wegen Vergewaltigung und sexueller Sklaverei als Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen Das Urteil in dem Verfahren gegen Katanga wurde erst über ein Jahr später gefällt.27 Auch dieser wurde bezüglich der Vorwürfe der Vergewaltigung und der sexuellen Sklaverei als Verbrechen gegen die Menschlichkeit und als Kriegsverbrechen freigesprochen.28 Trotzdem interpretierte die Verfahrenskammer in diesem Urteil erstmalig die Verbrechenselemente des römischen Statuts zu Vergewaltigung.29 Sie betrachtete dabei jedes Verhalten das zur Penetration im Sinne des ersten Verbrechenselements führt als ausreichend selbst wenn der Täter sie nicht selbst vornimmt.30 Das zweite Verbrechenselement beschreibt – so die Verfahrenskammer – die Umstände und Bedingungen, die der Penetration den kriminellen Charakter geben, wobei in diesem Zusammenhang das Vorliegen mindestens eines mit Zwang 26
Situation in the Democratic Republic of the Congo in the Case of The Prosecutor v. Mathieu Ngudjolo, Judgment pursuant to article 74 of the Statute, 18. Dezember 2012, ICC-01/ 04-02/12; Judgment on the Prosecutor’s appeal against the decision of Trial Chamber II entitled „Judgment pursuant to article 74 of the Statute“, 7. April 2015, ICC-01/04-02/12A. 27 Situation in the Democratic Republic of the Congo in the Case of The Prosecutor v. Germain Katanga, Judgment pursuant to article 74 of the Statute, 7. March 2014, ICC-01/04-01/ 07. 28 Situation in the Democratic Republic of the Congo in the Case of The Prosecutor v. Germain Katanga, Judgment pursuant to article 74 of the Statute, 7. March 2014, ICC-01/04-01/ 07, 1663. Bezüglich der Vorwürfe der vorsätzlichen Tötung als Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit sowie wegen der Kriegsverbrechen eines vorsätzlichen Angriffs auf die Zivilbevölkerung als solche oder einzelne Zivilpersonen, die an den Feindseligkeiten nicht unmittelbar teilnehmen, der Zerstörung gegnerischen Eigentums und der Plünderung wurde Katanga jedoch verurteilt. Freigesprochen wurde er ebenfalls bezüglich des Kriegsverbrechens der Verwendung von Kindern unter 15 Jahren zur aktiven Teilnahme an Feindseligkeiten. 29 Vgl. 7. Kapitel B. I. und C. I. 30 Situation in the Democratic Republic of the Congo in the Case of The Prosecutor v. Germain Katanga, Judgment pursuant to article 74 of the Statute, 7. March 2014, ICC-01/04-01/ 07, para. 963.
B. Vergewaltigung in Verfahren gegen Ngudjolo Chui und Katanga
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verbundenen Umstandes oder Bedingung ausreichend ist um die Penetration zum völkerrechtlichen Verbrechen der Vergewaltigung zu machen.31 Das Gericht sah es als erwiesen an, dass es im Rahmen des Angriffs auf Bogoro zu Vergewaltigungen und sexueller Sklaverei durch Ngiti Milizen gekommen war.32 Obwohl die Vergewaltigungen und die sexuelle Sklaverei integraler Bestandteil der Planung vor allem die zivile Hema-Bevölkerung in Bogora anzugreifen gewesen sei, konnte die Kammer aufgrund der ihr vorgelegten Beweise jedoch nicht feststellen, dass der kriminelle Plan notwendigerweise die Begehung dieser Verbrechen vorsah. Damit sei nicht hinreichend bewiesen, dass Vergewaltigungen und sexuelle Sklaverei Teil des allgemeinen Plans der Ngiti Milizen, die militärischen Teile der UTC in Bogoro und vor allem die dort ansässigen Hema auszurotten, gewesen seien.33 Folglich musste sie Katanga bezüglich der Vorwürfe der Vergewaltigung und der sexuellen Gewalt freisprechen. Erwähnenswert ist in diesem Zusammenhang die Dissenting Opinion der Richterin Van den Wyngaert, die der Überzeugung war, dass die Beweislage für jegliche Verurteilung Katangas nicht ausreichte und dieser bereits gemeinsam mit Ngudjolo Chui hätte freigesprochen werden müssen.34
III. Bewertung des Verfahrens Frauen-NGO’s bezeichneten die fehlende Verurteilung Katangas wegen Vergewaltigungen und sexueller Sklaverei als Kriegsverbrechen bzw. Verbrechen gegen die Menschlichkeit als „verheerendes Resultat für die Opfer/Überlebenden des Angriffs von Bogoro und anderer Opfer dieser Verbrechen“.35 Zudem wurde die Überlegung angestrengt, ob das Gericht bei sexueller Gewalt als völkerrechtlichen
31 Situation in the Democratic Republic of the Congo in the Case of The Prosecutor v. Germain Katanga, Judgment pursuant to article 74 of the Statute, 7. March 2014, ICC-01/04-01/ 07, para. 964 f. 32 Situation in the Democratic Republic of the Congo in the Case of The Prosecutor v. Germain Katanga, Judgment pursuant to article 74 of the Statute, 7. March 2014, ICC-01/04-01/ 07, para. 989 ff., 993 ff., 997 ff., 1002 ff., 1009 ff., 1114 ff., 1120 ff., 1123. 33 Situation in the Democratic Republic of the Congo in the Case of The Prosecutor v. Germain Katanga, Judgment pursuant to article 74 of the Statute, 7. March 2014, ICC-01/04-01/ 07, para. 1664. 34 Situation in the Democratic Republic of the Congo in the Case of The Prosecutor v. Germain Katanga, Judgment pursuant to article 74 of the Statute, 7. March 2014, Minority Opinion of Judge Christine Van den Wyngaert, 7. March 2014, ICC-01/04-01/07-3436-AnxI, para. 319, 320. 35 So etwa das Statement der Women’s Initiatives for Gender Justice, Partial Conviction of the ICC by ICC, Acquittals for Sexual Violence and the Use of Child Soldiers, 7. März 2014, im Internet abrufbar unter: http://iccwomen.org/images/Katanga-Judgement-Statement-corr.pdf (besucht am 07. 03. 2016).
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9. Kap.: Tatbestand der Vergewaltigung in der Praxis des IStGH
Verbrechen höhere Maßstäbe an die Beweislage anlegt als an andere – in dem Verfahren abgeurteilte – völkerrechtliche Verbrechen.36 Hierzu ist festzustellen, dass das Gericht trotz des Freispruchs des Angeklagten von der Begehung von Vergewaltigung und sexueller Sklaverei als Kriegsverbrechen bzw. Verbrechen gegen die Menschlichkeit an den Zeugen ausging und zumindest dieser Fakt auch im Sinne der Opfer/Überlebenden im Urteil dokumentiert ist. Für die Legitimation und die Glaubwürdigkeit eines internationalen Strafgerichts ist es jedoch von entscheidender Bedeutung den Grundsatz, dass eine Tat für eine Verurteilung nach Auffassung des Gerichts „beyond reasonable doubt“, also ohne vernünftigen Zweifel vom jeweiligen Angeklagten begangen worden sein muss, zu wahren. Dies ist im Zusammenhang mit völkerrechtlichen Verbrechen in der Zuständigkeit des IStGHs aufgrund der Umstände dieser Verbrechen wie einem bewaffneten Konflikt oder einem ausgedehnten systematischen Angriff auf die Zivilbevölkerung mit besonderen Schwierigkeiten verbunden, die eine große Herausforderung sind. Insoweit ist die Kritik der Frauen-NGO’s, dass die Opfer/Überlebenden das Urteil als Versagen der Gerechtigkeit empfinden zwar aus deren Sicht verständlich, juristisch muss aber gerade in Verfahren vor dem IStGH der in dubio pro reo-Grundsatz strikt eingehalten werden – so dass der Freispruch angesichts der für eine eindeutige Zurechnung nicht ausreichenden Beweislage richtig war. Hinsichtlich des Vorwurfs der unterschiedlichen Anforderungen an die Beweislage muss daran erinnert werden, dass auch in innerstaatlichen Strafverfahren wegen Sexualverbrechen die Beweislage häufig schwierig ist. Zudem hat das Gericht detailliert dargelegt, warum es angesichts von drei erwiesenen Fällen nicht als insgesamt erwiesen angesehen werden kann, dass der Angeklagte einen Plan Vergewaltigungen und sexuelle Sklaverei bei dem Angriff auf Bogoro mitgetragen und unterstützt hat. Es sei dahingestellt, inwieweit der – juristisch richtige, aber Opfern nachvollziehbarerweise nicht vermittelbare – Freispruch des Angeklagten die generellen Probleme des Völkerstrafrechts in Beweisfragen illustriert, auf den Umständen des Einzelfalls oder einem möglichen Versagen der Anklagebehörde beruht.
36 Statement der Women’s Initiatives for Gender Justice, Partial Conviction of the ICC by ICC, Acquittals for Sexual Violence and the Use of Child Soldiers, 7. März 2014, im Internet abrufbar unter: http://iccwomen.org/images/Katanga-Judgement-Statement-corr.pdf (besucht am 07. 03. 2016).
C. Weitere Anklagen wegen Vorwürfen der Vergewaltigung
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C. Weitere bisherige Anklagen wegen Vorwürfen der Vergewaltigung und der sexuellen Gewalt I. Demokratische Republik Kongo Die Situation in der Demokratischen Republik Kongo betreffend gibt es über die bereits erwähnten Verfahren hinaus noch weitere für den Untersuchungsgegenstand wesentliche Verfahren. 1. Fehlende Bestätigung der Anklage im Fall Mbarushimana Im Verfahren gegen Callixte Mbarushimana betrafen acht von dreizehn Anklagepunkten des Falles sexuelle Gewalt und Vergewaltigungen, was das Ausmaß der sexuellen Gewalt im Osten der Demokratischen Republik Kongo zeigt. Allerdings wurde die Anklage vom IStGH nicht bestätigt und der Beschuldigte freigelassen. Mbarushimana war ,Executive Secretary‘ der ,Forces démocratiques pour la liberation du Rwanda (FDLR)‘, einer im kongolesischen Kivu aktiven ruandischen Rebellengruppe. Als solcher wurde er aufgrund eines Haftbefehls des IStGHs, in dem ihm Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit, darunter Vergewaltigung, Folter, Verstümmelung, grausame Behandlung, andere unmenschliche Behandlung und Verfolgung vorgeworfen wurden, im Oktober 2010 festgenommen.37 Die Vorwürfe bezogen sich auf Handlungen der FDLR in den kongolesischen Provinzen Nord- und Südkivu im Jahr 2009, zu denen der Beschuldigte als ,Executive Secretary‘ der FDLR ,auf sonstige Weise‘ im Sinne des Art. 25 Abs. 3 d) des römischen Statuts beigetragen hätte. Nach Auffassung der Anklage wollte die FDLR durch ihre ausgedehnten Angriffe auf die Zivilbevölkerung eine ,humanitäre Katastrophe‘ herbeiführen und so die Regierungen der Demokratischen Republik Kongo und Ruandas zu einer politischen Lösung zwingen, die den FDLR-Führern die Rückkehr nach Ruanda erlauben sollte. Mburushimana habe als politischer Führer und Mitglied des FDLR Vorstands zu diesem Plan von Paris aus beigetragen und die Medienkampagne für die FDLR geleitet.38 Erst fast ein Jahr nach Festnahme des Beschuldigten kam es im September 2011 zur Verhandlung über die Bestätigung der Anklage. Am 16. Dezember 2011 entschied die Vorverfahrenskammer in einer Mehrheitsentscheidung die Anklagepunkte wegen mangelnder Beweise nicht zu bestätigen und ordnete die unverzügliche
37 Situation in the Democratic Republic of the Congo, Warrant of Arrest for Callixte Mbarushimana, 28. September 2010, ICC-01/04-01/10-2. 38 Situation in the Democratic Republic of the Congo in the Case of The Prosecutor v. Callixte Mbarushimana, Decision on the confirmation of charges, 16. Dezember 2011, ICC-01/ 04-01/10-465Red, Abs. 5, 6 – 8.
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9. Kap.: Tatbestand der Vergewaltigung in der Praxis des IStGH
Freilassung des Beschuldigten an.39 Dies begründetet sie damit, dass es – mit Ausnahme der Folter40 – zwar ausreichende Anhaltspunkte für die Begehung der von der Anklage benannten Kriegsverbrechen,41 darunter Vergewaltigungen,42 Verstümmelungen und grausame Behandlung43 durch die FDLR gebe, aber – abgesehen von der Unklarheit der Anklagepunkte und der tatsächlichen Umstände44 – keine ausreichenden Gründe für die Annahme, dass der Beschuldigte individuelle strafrechtliche Verantwortung für die Taten trage, ersichtlich seien.45 Hinsichtlich der angeklagten Verbrechen gegen die Menschlichkeit befand die Vorverfahrenskammer, dass kein Zeuge die Anordnung der Herbeiführung einer ,humanitären Katastrophe‘ ,direkt und spontan‘ in seiner Aussage bestätigt hätte. Andere Beweise für einen entsprechenden Befehl stammten aus einem Bericht von Human Rights Watch und einer Erklärung einer UN-Expertengruppe für den Kongo.46 Solche Beweise seien allenfalls indirekt, weshalb nicht von einem Plan zum Herbeiführen einer humanitären Katastrophe und damit auch nicht von Verbrechen gegen die Menschlichkeit ausgegangen werden könne.47
39 Situation in the Democratic Republic of the Congo in the Case of The Prosecutor v. Callixte Mbarushimana, Decision on the confirmation of charges, 16. Dezember 2011, ICC-01/ 04-01/10-465Red, Abs. 340. 40 Situation in the Democratic Republic of the Congo in the Case of The Prosecutor v. Callixte Mbarushimana, Decision on the confirmation of charges, 16. Dezember 2011, ICC-01/ 04-01/10-465Red, Abs. 169. 41 Situation in the Democratic Republic of the Congo in the Case of The Prosecutor v. Callixte Mbarushimana, Decision on the confirmation of charges, 16. Dezember 2011, ICC-01/ 04-01/10-465Red, Abs. 107, 240 f. 42 Situation in the Democratic Republic of the Congo in the Case of The Prosecutor v. Callixte Mbarushimana, Decision on the confirmation of charges, 16. Dezember 2011, ICC-01/ 04-01/10-465Red, Abs. 164. 43 Situation in the Democratic Republic of the Congo in the Case of The Prosecutor v. Callixte Mbarushimana, Decision on the confirmation of charges, 16. Dezember 2011, ICC-01/ 04-01/10-465Red, Abs. 168, 192. 44 Situation in the Democratic Republic of the Congo in the Case of The Prosecutor v. Callixte Mbarushimana, Decision on the confirmation of charges, 16. Dezember 2011, ICC-01/ 04-01/10-465Red, Abs. 110: „At the outset, the Chamber wishes to highlight that the charges and the statements of facts in the DCC have been articulated in such vague terms that the Chamber had serious difficulties in determining, or could not determine at all, the factual ambit of a number of the charges. (…)“. 45 Situation in the Democratic Republic of the Congo in the Case of The Prosecutor v. Callixte Mbarushimana, Decision on the confirmation of charges, 16. Dezember 2011, ICC-01/ 04-01/10-465Red, Abs. 303, 315, 320, 340. 46 So etwa Situation in the Democratic Republic of the Congo in the Case of The Prosecutor v. Callixte Mbarushimana, Decision on the confirmation of charges, 16. Dezember 2011, ICC01/04-01/10-465Red, Abs. 117, 120, 194, 260 f. 47 Situation in the Democratic Republic of the Congo in the Case of The Prosecutor v. Callixte Mbarushimana, Decision on the confirmation of charges, 16. Dezember 2011, ICC-01/ 04-01/10-465Red, Abs. 260, 267.
C. Weitere Anklagen wegen Vorwürfen der Vergewaltigung
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Die Vorsitzende Richterin Monageng fügte dieser Entscheidung jedoch eine ,dissenting opinion‘ an. In dieser legte sie dar, dass die von der Anklagebehörde vorgelegten Beweise aus ihrer Sicht ausreichend seien, um das Hauptverfahren zu eröffnen. Die Richterin Monageng wäre von dringendem Tatverdacht (im Sinne des Art. 61 des römischen Statuts) ausgegangen und hätte die Anklagepunkte der vorsätzlichen Tötung, der Vergewaltigung und anderer unmenschlicher Handlungen als Verbrechen gegen die Menschlichkeit sowie alle Anklagepunkte wegen Kriegsverbrechen mit Ausnahme von Folter und Verfolgung bestätigt.48 Die aufgrund dieser Entscheidung der Vorverfahrenskammer eingelegte Berufung der Anklagebehörde – die unmittelbar nichts zum Untersuchungsgegenstand der Arbeit beiträgt – wurde von der Berufungskammer am 30. Mai 2012 zurückgewiesen.49 Frauen-NGO’s bedauerten die Entscheidung der Vorverfahrenskammer des IStGHs, die Anklage nicht zu bestätigen. Dies sei eine große Niederlage für die Opfer und Überlebenden im Kivu, die keine andere Möglichkeit hätten Gerechtigkeit zu erfahren.50 Liest man die Entscheidung der Vorverfahrenskammer, wirken jedoch die Versäumnisse in den Ermittlungen der Anklagebehörde – etwa Berichte der UN und von Menschenrechtsorganisationen als einzige Belege für völkerstrafrechtlich relevantes Verhalten anzuführen – als beträchtlich und gewichtig. Insoweit erscheint die Entscheidung der Vorverfahrenskammer, die vorliegenden Beweise als nicht ausreichend für dringenden Tatverdacht im Sinne des Art. 61 des römischen Statuts anzusehen als konsequent, nachvollziehbar und richtig. Andererseits wiederum erscheinen die Maßstäbe, die die Vorverfahrenskammer an das Vorliegen eines dringenden Tatverdachts anlegt, indem sie etwa die Glaubwürdigkeit von Zeugenaussagen untersucht, von denen ihr nur eine Mitschrift vorliegt, sehr streng. In diesem Sinne scheint auch die Richterin, das einzige weibliche Mitglied der Kammer in diesem Verfahren, in ihrer abweichenden Meinung zu argumentieren, die von der Stichhaltigkeit der Beweise für einen dringenden Tatverdacht ausging. Trotzdem können die möglicherweise (zu) hoch angesetzten Maßstäbe für das Vorliegen eines dringenden Tatverdachts in diesem Fall nicht über die Versäumnisse in den Ermittlungen hinwegtäuschen, die sowohl den Erfolg der strafrechtlichen Verfolgung der Taten – hier besonders der sexuellen Gewalt – gefährdet bzw. verhindert haben als auch die Ernsthaftigkeit der Bemühungen der Anklagebehörde, die Taten zu ver48 Situation in the Democratic Republic of the Congo in the Case of The Prosecutor v. Callixte Mbarushimana, Decision on the confirmation of charges, 16. Dezember 2011, ICC-01/ 04-01/10-465Red, Dissent, Abs. 134: „(…) The case against Mr Callixte Mbarushimana is not a conventional one, but what the Majority sees as ,insufficient evidence‘ I see as ,triable issues‘ deserving of the more rigorous fact finding that only a Trial Chamber can provide.“ sowie Abs. 135. 49 Situation in the Democratic Republic of the Congo in the Case of The Prosecutor v. Callixte Mbarushimana, Judgment on the appeal of the Prosecutor against the decision of PreTrial Chamber I of 16. December 2011 entitled „Decision on the confirmation of charges, 30. Mai 2012, ICC-01/04-01/10-514. 50 Women’s Initiatives for Gender Justice, Legal Eye on the ICC, März 2012, DRC – PreTrial Chamber I declines to confirm charges against Mbarushimana and orders his release.
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9. Kap.: Tatbestand der Vergewaltigung in der Praxis des IStGH
folgen, in Frage stellen. Die Leidtragenden solcher Versäumnisse in den Ermittlungen sind primär die Opfer und Überlebenden, die hierdurch jeder Chance auf eine Strafverfolgung der Täter und damit möglicherweise auch verbundenen Reparationsansprüche verlustig gehen. Daneben verliert aber durch solche Nachlässigkeiten auch das gesamte Völkerstrafrecht an Glaubwürdigkeit. 2. Ntaganda Bosco Ntaganda, einem ehemaligen Führer der ,Forces Patriotiques pour la libération du Congo (FPLC)‘ einer in der Kivu-Region aktiven Milizengruppe, muss sich in dreizehn Anklagepunkten wegen Kriegsverbrechen darunter zwei der Vergewaltigung und der sexuellen Sklaverei von Zivilisten bzw. sexueller Sklaverei und in fünf Anklagepunkten wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit darunter ebenfalls Vergewaltigung und sexuelle Gewalt vor dem IStGH verantworten. Die Vorwürfe gegen Ntaganda mit Bezug zum Untersuchungsgegenstand beziehen sich auf zwei Angriffe der FPLC in der kongolesischen Provinz Ituri genauer der Collectivité Banyali-Kilo zwischen etwa dem 20. November 2002 und etwa dem 6. Dezember 2002 und zwischen etwa dem 12. und etwa dem 27. Februar in der Collectivité Walendu-Djatsi. Laut der insoweit von der Vorverfahrenskammer bestätigten Anklage waren diese Teil eines systematischen und ausgedehnten Angriffs gegen „Nicht-Hema“ im Kontext eines nicht-internationalen bewaffneten Konflikts. Die Vorverfahrenskammer bestätigte die Anklage wegen Vergewaltigung als Verbrechen gegen die Menschlichkeit sowie als Kriegsverbrechen während beider Angriffe.51 Die Anklage wegen sexueller Sklaverei als Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen wurde jedoch nur bezüglich des zweiten Angriffs in der Collectivité Walendu-Djatsi bestätigt, da die Kammer die Anmaßung von Eigentumsrechten an den Opfern des ersten Angriffs nicht als hinreichend ansah – bloßer Freiheitsentzug sei dafür nicht ausreichend.52 Ntaganda hat sich dem IStGH 2013 freiwillig gestellt. Das Verfahren gegen ihn begann nach der gerichtlichen Bestätigung der Anklage im Juni 2014 am 2. September 2015 und dauert derzeit an.
51
Situation in the Democratic Republic of the Congo in the Case of The Prosecutor v. Bosco Ntaganda, Decision Pursuant to Article 61(7)(a) and (b) of the Rome Statute on the Charges of the Prosecutor Against Bosco Ntaganda, 9. Juni 2014, ICC-01/04-02/06, para. 36, 49 – 52. 52 Situation in the Democratic Republic of the Congo in the Case of The Prosecutor v. Bosco Ntaganda, Decision Pursuant to Article 61(7)(a) and (b) of the Rome Statute on the Charges of the Prosecutor Against Bosco Ntaganda, 9. Juni 2014, ICC-01/04-02/06, para. 53 – 57.
C. Weitere Anklagen wegen Vorwürfen der Vergewaltigung
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3. Mudacumura Sylvestre Mudacumura ist der Kommandeur des militärischen Arms der FDLR und wird seit dem 13. Juli 2012 per Haftbefehl gesucht.53 In diesem werden ihm Kriegsverbrechen in den beiden Kivu-Provinzen der Demokratischen Republik Kongo im Zeitraum von 2009 bis 2010 vorgeworfen, darunter Verstümmelungen, Vergewaltigungen, grausame Behandlung, Folter und Beeinträchtigungen der persönlichen Würde.54 Bisher konnte Mudacumura nicht festgenommen und an den IStGH überstellt werden.
II. Zentralafrikanische Republik In dem einzigen Verfahren, das die Situation in der Zentralafrikanischen Republik betrifft, beziehen sich zwei der fünf Anklagepunkte auf Vergewaltigung als Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Der Angeklagte JeanPierre Bemba Gombo muss sich vor dem IStGH verantworten, da er als Oberbefehlshaber des Mouvement de libération du Congo (MLC) beschuldigt wird, für Vergewaltigungen und vorsätzliche Tötungen als Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit seiner Truppen als Kriegsverbrechen während des bewaffneten Konflikts in der Zentralafrikanischen Republik zwischen Oktober 2002 und März 2003 verantwortlich zu sein. Nach Auffassung der Anklage wusste er von dem Fehlverhalten seiner Truppen ohne etwas dagegen zu unternehmen. Bemba wurde aufgrund eines Haftbefehls des IStGHs vom 23. Mai 2008 am 24. Mai 2008 in Belgien festgenommen.55 Dieser Haftbefehl wurde am 10. Juni 2008 durch einen neuen Haftbefehl ersetzt.56 In diesem wurde Bemba außer wegen der oben genannten bestätigten Anklagepunkte auch wegen Folter als Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Folter und Verbrechen gegen die persönliche Würde als Kriegsverbrechen beschuldigt. Das Hauptverfahren gegen den Angeklagten begann am 22. November 2009 und endete mit den Abschlussplädoyers am 12. und 53 Situation in the Democratic Republic of the Congo in the Case of The Prosecutor v. Sylvestre Mudacumura, Decision on the Prosecutor’s Application unter Article 58, 13. Juli 2012, ICC-01/04-01/12. 54 Nach der Entscheidung des IStGHs gibt es – entgegen der Auffassung der Anklagebehörde keine ausreichenden Anhaltspunkte für einen ,ausgedehnten und systematischen Angriff gegen die Zivilbevölkerung‘, weshalb sich der Haftbefehl gegen Mudacumura nicht auf Kriegsverbrechen stützt, dazu Situation in the Democratic Republic of the Congo in the Case of The Prosecutor v. Sylvestre Mudacumura, Decision on the Prosecutor’s Application unter Article 58, 13. Juli 2012, ICC-01/04-01/12, Abs. 27 – 29. Zu den Vorwürfen der Kriegsverbrechen, Abs. 30 ff., zu Vergewaltigungsvorwürfen Abs. 46 – 48. 55 Situation in the Central African Republic, Warrant of Arrest for Jean-Pierre Bemba Gombo, 23. Mai 2008, ICC-01/05-01/08-1. 56 Situation in the Central African Republic, Warrant of Arrest for Jean-Pierre Bemba Gombo Replacing the Warrant of Arrest issued on 23. May 2008, 10. Juni 2008, ICC-01/05-01/ 08-15.
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9. Kap.: Tatbestand der Vergewaltigung in der Praxis des IStGH
13. November 2014. Während des Verfahrens konzentrierte sich die Beweisaufnahme u. a. besonders auf Fragen des Vorkommens der sexuellen Gewalt.57 Erwähnenswert bezüglich dieses Verfahrens ist außerdem, dass über 4.000 Opfer beteiligt sind, darunter auch Vergewaltigungsopfer58 und dass der IStGH im November 2013 ein weiteres Verfahren gegen Bemba und vier Mitglieder seines Verteidigungsteams wegen möglicher Straftaten gegen die Rechtspflege gemäß Art. 70 Abs. 1(b) des römischen Statuts einleitete.59 Das Urteil steht derzeit (Februar 2016) noch aus.
III. Uganda Hinsichtlich der dem IStGH von Uganda selbst überwiesenen Situation in Uganda stehen ebenfalls Vorwürfe wegen Vergewaltigung, sexueller Sklaverei, Verbrechen gegen die persönliche Würde und Zwangsehen als Kriegsverbrechen als Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen im Raum. Zwei Beschuldigte Joseph Kony und Vincent Otti konnten noch nicht gefasst werden,60 im Verfahren gegen Dominic Ongween muss zunächst die Anklage bestätigt werden – darunter auch Anklagepunkte wegen sexueller und geschlechtsspezifischer Gewalt.61
IV. Darfur, Sudan Die Untersuchung der Situation in Darfur wurde dem IStGH durch den Sicherheitsrat übertragen.62 Bis heute hat der IStGH aufgrund der Situation in Darfur fünf Verfahren eingeleitet. In drei dieser Verfahren beziehen sich Anklagepunkte auf Vergewaltigung als Verbrechen gegen die Menschlichkeit und als Kriegsverbrechen. Dies betrifft die Verfahren gegen Ahmad Muhammad Harun und Ali Muhammad Ali
57 Women’s Initiatives for Gender Justice, Gender Report Card 2011, S. 234, wonach 14 der 40 Zeugen der Anklage über Vergewaltigungen und sexuelle Gewalt aussagen (sollen). 58 Women’s Initiatives for Gender Justice, Gender Report Card 2012, S. 265. 59 Situation in the Central African Republic in the case of The Prosecutor v. Jean-Pierre Bemba Gombo, Aimé Kilolo Musamba, Jean-Jacques Magenda Kabongo, Fidèle Babalu Wandu and Narcisse Arido, Warrant of Arrest for Jean-Pierre Bemba Gombo, Aimé Kilolo Musamba, Jean-Jacques Magenda Kabongo, Fidèle Babalu Wandu and Narcisse Arido, 20. November 2013, ICC-01/05-01/13. 60 Situation in Uganda, Warrant of Arrest for Joseph Kony issued on 8 July 2005 as Amended on 27 September 2005, 27. September 2005, ICC-02/04-01/05-53; Warrant of Arrest for Vincent Otti, 8. Juli 2005, ICC-02/04-01/05-54, Abs. 5, 16, 17. 61 Situation in Uganda, Warrant of Arrest for Dominic Ongwen, 8. Juli 2005, ICC-02/04-01/ 05-57; Prosecution’s submission of the document containing the charges, the pre-confirmation brief, and the list of evidence, 21. December 2015, ICC-02/04-01/15. 62 Security Council Resolution 1593 vom 31. März 2005, UN Doc S/RES/1593 (2005).
C. Weitere Anklagen wegen Vorwürfen der Vergewaltigung
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Abd-al-Rahman,63 Omar Hassan Ahmad Al-Bashir, den Präsidenten,64 sowie Abdel Raheem Muhammad Hussein, den Verteidigungsminister des Landes.65 Keiner dieser der Vergewaltigung Beschuldigten konnte bisher festgenommen werden, so dass die weitere Entwicklung abzuwarten ist.
V. Kenia Im Rahmen der den Wahlen im Januar 2008 folgenden Gewalt kam es – neben anderen Angriffen auf Anhänger der zivilen Opposition und soweit relevant für den Untersuchungsgegenstand – in Nakuru und Naivasha zu Vergewaltigungen, häufig durch mehrere Täter, teilweise in Anwesenheit der Ehemänner der Opfer sowie zu einer beträchtlichen Zahl von Zwangsbeschneidungen von Männern sowie einigen Penis-Amputationen.66 Aufgrund dieser Situation wurde zunächst in zwei Fällen proprio motu ermittelt. Nur in einem davon, in den Ermittlungen gegen die Beschuldigten Francis Kirimi Muthaura, Uhuru Muigai Kenyatta und Mohammed Hussein Ali spielten Anklagepunkte wegen Vergewaltigung, anderer Formen der sexuellen Gewalt und unmenschlicher Behandlung als Verbrechen gegen die Menschlichkeit eine Rolle. Kenyatta wurde verdächtigt, die Kikuyu-Miliz Mungiki bei den Unruhen in Kenia 2007/2008 organisiert zu haben, während Muthaura als Leiter des kenianischen öffentlichen Dienstes vorgeworfen wurde, Racheaktionen gegen die Opposition (mit-)geplant zu haben. Allerdings war die Vorverfahrenskammer der Ansicht, dass die Taten der Zwangsbeschneidungen und Penis-Amputationen nicht sexuell motiviert gewesen seien, sondern der Demonstration der ethnischen Überlegenheit einer Gruppe über die andere gedient hätten.67 63
Situation in Darfur, Sudan in the Case of The Prosecutor v. Ahmad Muhammad Harun („Ahmad Harun“) and Ali Muhammad Ali Abd-al-Rahman („Ali Kushayb“), Warrant of Arrest for Ahmad Harun, 27. April 2007, ICC-02/05-01/07-2 sowie Warrant of Arrest for Ali Kushayb, 27. April 2007, ICC-02/05-01/07-3. 64 Situation in Darfur, Sudan in the Case of The Prosecutor v. Omar Hassan Ahmad Al Bashir, Warrant of Arrest for Omar Hassan Ahmad Al Bashir, 4. März 2009, ICC-02/05-01/09-1 sowie Second Warrant of Arrest for Omar Hassan Ahmad Al Bashir, 12. Juli 2010, ICC-02/0501/09-95. 65 Situation in Darfur, Sudan in the Case of The Prosecutor v. Abdel Raheem Muhammad Hussein, Warrant of Arrest for Abdel Raheem Muhammad Hussein, 1. März 2012, ICC-02/0501/12-2 sowie Decision on the Prosecutor’s application under article 58 relating to Abdel Raheem Muhammad Hussein, 1. März 2012, ICC-02/05-01/12-1-Red. 66 Situation in the Republic of Kenya in the case of The Prosecutor v. Francis Kirimi Muthaura, Uhuru Muigai Kenyatta und Mohammed Hussein Ali, Decision on the Confirmation of Charges Pursuant to Article 61 (7) (a) and (b) of the Rome Statute, 23. Januar 2012, ICC-01/ 09-02/11-382, Abs. 254 – 256. 67 Situation in the Republic of Kenya in the case of The Prosecutor v. Francis Kirimi Muthaura, Uhuru Muigai Kenyatta und Mohammed Hussein Ali, Decision on the Confirmation of Charges Pursuant to Article 61 (7) (a) and (b) of the Rome Statute, 23. Januar 2012, ICC-01/ 09-02/11-382, Abs. 266: „The Chamber finds that the evidence placed before it does not
306
9. Kap.: Tatbestand der Vergewaltigung in der Praxis des IStGH
In seiner Entscheidung bestätigte die Vorverfahrenskammer die Anklage gegen Muthaura und Kenyatta daher – soweit sie den Untersuchungsgegenstand betreffen – nur wegen Vergewaltigung und anderer unmenschlicher Behandlung, nicht jedoch wegen sexueller Gewalt.68 Hinsichtlich des Beschuldigten Ali, dem ehemaligen kenianischen Polizeichef, ging das Gericht nicht davon aus, dass ,wesentliche Gründe vorl(a)gen, anzunehmen, dass die kenianische Polizei an den fraglichen Angriffen auf die Zivilbevölkerung in Nakuru und Naivasha teilgenommen hat.‘ Folglich lehnte die Kammer die Bestätigung der Anklage gegen Ali ab.69 Die Anklage gegen Muthaura wurde im März 2013 von der Anklagebehörde wegen fehlender Beweise zurückgezogen;70 ebenso aus dem gleichen Grund die Anklage gegen Kenyatta im März 2015.71 Ungeachtet der Tatsache, dass die Unmöglichkeit ausreichende Beweise, die ein Verfahren gegen die Beschuldigten ermöglichen, vorzulegen ein guter Grund für das Zurückziehen der Anklage gegen Muthaura und Kenyatta ist, wirkt die Aussage der Vorverfahrenskammer, dass Zwangsbeschneidungen und Penis-Amputationen der Demonstration der Überlegenheit einer ethnischen Gruppe gedient hätten und deshalb nicht als sexuelle Gewalt zu verfolgen seien, als nicht dem wahren Charakter des Verbrechens entsprechend und deshalb als verfehlt. Auch Vergewaltigungen dienen – insbesondere in bewaffneten Konflikten – nicht der sexuellen Befriedigung der Täter, sondern demonstrieren durch die sexuelle Komponente auf eine für das Opfer besonders demütigende Weise die Macht des oder der Täter über das Opfer. Zwangsbeschneidungen und Penis-Amputationen wie im vorliegenden Fall demonstrieren die Macht der Täter – ähnlich wie in Vergewaltigungsfällen – gerade durch ihre sexuelle Komponente, die das Opfer auf besondere Weise dauerhaft demütigt und zeichnet. Deshalb darf die sexuelle Herabwürdigung des Opfers oder der Opfer durch Zwangsbeschneidungen und Penis-Amputationen, die establish the sexual nature of the acts of forcible circumcision and penile amputation visited upon Luo men. Instead, it appears from the evidence that the acts were motivated by ethnic prejudice and intended to demonstrate cultural superiority of one tribe over the other. Therefore, the Chamber concludes that the acts under consideration do not qualify as other forms of sexual violence under Art. 7 (1) (g) of the Statute. (…)“. 68 Situation in the Republic of Kenya in the case of The Prosecutor v. Francis Kirimi Muthaura, Uhuru Muigai Kenyatta und Mohammed Hussein Ali, Decision on the Confirmation of Charges Pursuant to Article 61 (7) (a) and (b) of the Rome Statute, 23. Januar 2012, ICC-01/ 09-02/11-382, Abs. 428 f. 69 Situation in the Republic of Kenya in the case of The Prosecutor v. Francis Kirimi Mathaura, Uhuru Muigai Kenyatta und Mohammed Hussein Ali, Decision on the Confirmation of Charges Pursuant to Article 61 (7) (a) and (b) of the Rome Statute, 23. Januar 2012, ICC-01/ 09-02/11-382, Abs. 430, siehe auch 224 – 226, 425. 70 Situation in the Republic of Kenya in the case of The Prosceutor v. Francis Kirimi Mathaura and Uhuru Muigai Kenyatta, Decision on the withdrawal of charges against Mr. Mathaura, 18. März 2012, ICC-01/09-02/11. 71 Situation in the Republic of Kenya in the case of The Prosceutor v. Uhuru Muigai Kenyatta, Decision on the withdrawal of charges against Mr. Kenyatta, 13. März 2015, ICC-01/ 09-02/11.
D. Reparationen
307
im Ergebnis – soweit ist der Argumentation der Kammer zu folgen – der Demonstration der kulturellen Überlegenheit dient, nicht unberücksichtigt bleiben, da in ihr gerade der spezifische Unrechtsgehalt der Tat liegt.
VI. Elfenbeinküste Bereits in der propriu motu Entscheidung des Gerichts über die Eröffnung der Untersuchung der Situation in der Elfenbeinküste Verfahrens finden sich zahlreiche Hinweise auf Vergewaltigungen durch pro-Gbagbo und pro-Ouattara-Kräfte.72 Bisher wurden im Zusammenhang mit den Geschehnissen in der Elfenbeinküste zwei Angeklagte drei Haftbefehle gegen Laurent Koudou Gbagbo,73 den früheren Präsidenten des Landes sowie gegen seine Frau Simone Gbagbo74 und Charles Blé Goudé,75 einem Mitglied des inneren Kreises des früheren Präsidenten erlassen. Laurent Koudou Gbabgbo und Charles Blé Goudé befinden sich im Gewahrsam des ICC; die jeweiligen Anklagen gegen sie – unter anderem wegen Vergewaltigung als Verbrechen gegen die Menschlichkeit – wurden bestätigt und die Verfahren verbunden.76 Das Hauptverfahren begann Ende Januar 2016 und bleibt abzuwarten. Simone Gbagbo konnte bisher nicht festgenommen und dem IStGH überstellt werden.
D. Reparationen Am 7. August 2012 legte der IStGH seine erste Entscheidung bezüglich Reparationen vor. Diese bezieht sich auf den Fall Lubanga, dem – wie bereits erwähnt – bis dato einzigen erstinstanzlich abgeschlossenen Verfahren des IStGHs. In dieser Entscheidung stellt die Verfahrenskammer Grundsätze für die Entscheidung über Reparationen auf. Demnach sollen alle Opfer im Hinblick auf Reparationen gleich und fair behandelt werden und Zugang zu Informationen haben.77 Sie sollen schnelle, 72 Situation in the Republic of Côte d’Ivoire, Decision Pursuant to Article 15 of the Rome Statute on the Authorisation of an Investigation into the Situation of Côte d’Ivoire, 3. Oktober 2011, ICC-02/11-14, Abs. 72, 111, 161. 73 Situation in the Republic of Côte d’Ivoire, Warrant of Arrest for Laurent Koudou Gbagbo, 23. November 2011, ICC-02/11-01/11-1. 74 Situation in the Republic of Côte d’Ivoire, Warrant of Arrest for Simone Gagbo, 29. Februar 2012, ICC-02/11-01/12. 75 Situation in the Republic of Côte d’Ivoire, Warrant of Arrest for Charles Blé Goudé, 21. Dezember 2011, ICC-02/11-1. 76 Situation in the Republic of Côte d’Ivoire, Decision on the confirmation of charges against Laurent Gbagbo, 12. Juni 2014, ICC-02/11-01/11; Decision on the confirmation of charges against Charles Blé Goudé, 11. Dezember 2014, ICC-02/11-02/11. 77 Situation in the Democratic Republic of the Congo in the Case of The Prosecutor v. Thomas Lubanga Dyilo, Decision establishing the principles and procedures applied to reparations, 7. August 2012, ICC-01/04-01/06-2904, Abs. 187 f.
308
9. Kap.: Tatbestand der Vergewaltigung in der Praxis des IStGH
angemessene und adäquate Reparationen erhalten.78 Die Bedürfnisse aller Opfer – direkter und indirekter – sind ohne jede Diskriminierung zu berücksichtigen und alle Opfer mit Menschlichkeit und Würde zu behandeln.79 Wenn immer möglich, sollen Reparationen der Aussöhnung zwischen den verurteilten Personen, den Opfern und den betroffenen Gemeinschaften dienen.80 Neben den Opfern und ihren Familien sollen auch juristische Personen, die dem Gemeinwohl der Opfer dienen, Reparationen erhalten können.81 Opfer sind an den Reparationsverfahren zu beteiligen und sollen frei und informiert entscheiden können, ob sie Reparationen akzeptieren.82 Schließlich kommen sowohl individuelle als auch kollektive Reparationen durch Restitution (soweit möglich, was im Fall von sexueller Gewalt nicht der Fall sein wird), Schadensersatz bzw. Entschädigung und Wiederherstellung/Rehabilitation in Betracht.83 Für die Anordnung von Reparationen ist eine „Abwägung aufgrund von Wahrscheinlichkeiten“ – im Gegensatz zu Strafverfahren – ausreichend.84 Als integralem Bestandteil des gesamten Gerichtsverfahrens kommt der Verfahrenskammer für Reparationsverfahren eine Kontroll- und Aufsichtsfunktion zu, deren Durchführung überträgt es aber auf den Trust Fund for Victims (vgl. Art. 64 (2) und (3) a) des römischen Statuts).85 Unter anderem in Bezug auf Opfer sexueller Gewalt stellt das Gericht fest, dass besonders verletzliche Opfergruppen oder Opfer, die besonders dringend der Un78
Situation in the Democratic Republic of the Congo in the Case of The Prosecutor v. Thomas Lubanga Dyilo, Decision establishing the principles and procedures applied to reparations, 7. August 2012, ICC-01/04-01/06-2904, Abs. 242. 79 Situation in the Democratic Republic of the Congo in the Case of The Prosecutor v. Thomas Lubanga Dyilo, Decision establishing the principles and procedures applied to reparations, 7. August 2012, ICC-01/04-01/06-2904, Abs. 189 f.; 194. 80 Situation in the Democratic Republic of the Congo in the Case of The Prosecutor v. Thomas Lubanga Dyilo, Decision establishing the principles and procedures applied to reparations, 7. August 2012, ICC-01/04-01/06-2904, Abs. 193. 81 Situation in the Democratic Republic of the Congo in the Case of The Prosecutor v. Thomas Lubanga Dyilo, Decision establishing the principles and procedures applied to reparations, 7. August 2012, ICC-01/04-01/06-2904, Abs. 197. 82 Situation in the Democratic Republic of the Congo in the Case of The Prosecutor v. Thomas Lubanga Dyilo, Decision establishing the principles and procedures applied to reparations, 7. August 2012, ICC-01/04-01/06-2904, Abs. 203 f. 83 Situation in the Democratic Republic of the Congo in the Case of The Prosecutor v. Thomas Lubanga Dyilo, Decision establishing the principles and procedures applied to reparations, 7. August 2012, ICC-01/04-01/06-2904, Abs. 217 – 221; 223 – 225; 226 – 231; 232 – 236. 84 Situation in the Democratic Republic of the Congo in the Case of The Prosecutor v. Thomas Lubanga Dyilo, Decision establishing the principles and procedures applied to reparations, 7. August 2012, ICC-01/04-01/06-2904, Abs. 251 – 254, insb. 253 „balance of probabilities“. 85 Situation in the Democratic Republic of the Congo in the Case of The Prosecutor v. Thomas Lubanga Dyilo, Decision establishing the principles and procedures applied to reparations, 7. August 2012, ICC-01/04-01/06-2904, Abs. 260, 281 – 289.
D. Reparationen
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terstützung bedürfen, Priorität hinsichtlich der Reparationen genießen können.86 Insbesondere für Opfer sexueller Gewalt müssen adäquate Reparationen gefunden, formuliert und umgesetzt werden, in denen den komplizierten, vielschichtigen und lange Zeit anhaltenden Konsequenzen von Verbrechen der sexuellen Gewalt für die Opfer, ihre Familien und Gemeinschaften Rechnung getragen wird, was einen spezialisierten multidisziplinären Ansatz erfordert.87 Außerdem seien Maßnahmen erforderlich, die Hindernisse für Frauen und Mädchen beim Zugang zu Gerechtigkeit und der Gerichtsbarkeit berücksichtigen und abbauen und ihnen so die volle Beteiligung an Reparationen ermöglichen.88 Insgesamt erscheinen diese Grundsätze als sachgerecht und sowohl den Bedürfnissen der Opfer und ihrer Angehörigen auf schnelle und angemessene Reparationsleistungen als auch denen des Gerichts, sich nicht mit verhältnismäßig „technischen“ Details übermäßig zu belasten, sondern sich auf seine justiziellen Aufgaben zu beschränken, gerecht zu werden. Die (Verfahrens-)rechte des Angeklagten sind nach den von der Verfahrenskammer aufgestellten Prinzipien für Reparationsleistungen nicht betroffen,89 so dass sie insoweit nicht tangiert werden. Positiv an der Entscheidung ist die umfangreiche Berücksichtigung von Eingaben von Interessenvertretern, wie Parteien und Beteiligten des Prozesses, der Kanzlei des Gerichtshofs, des Trust Fund for Victims des Gerichtshofs und von Nichtregierungsorganisationen. Durch eine solche frühe und umfassende Beteiligung möglichst aller Interessenvertreter scheint – zumindest theoretisch – ein wirklicher Interessenausgleich für alle Beteiligten durch das Gericht gewährleistet. Inwieweit die zutreffend herausgearbeiteten Grundsätze insbesondere Opfern von Vergewaltigung und sexueller Gewalt in der Praxis dienen werden, bleibt abzuwarten. Zumindest in den Grundprinzipien werden ihre Bedürfnisse jedoch angemessen berücksichtigt, so dass die Hoffnung besteht, dass diese große praktische Herausforderung auch in der Praxis gelingt.
86 Situation in the Democratic Republic of the Congo in the Case of The Prosecutor v. Thomas Lubanga Dyilo, Decision establishing the principles and procedures applied to reparations, 7. August 2012, ICC-01/04-01/06-2904, Abs. 200. 87 Situation in the Democratic Republic of the Congo in the Case of The Prosecutor v. Thomas Lubanga Dyilo, Decision establishing the principles and procedures applied to reparations, 7. August 2012, ICC-01/04-01/06-2904, Abs. 207. 88 Situation in the Democratic Republic of the Congo in the Case of The Prosecutor v. Thomas Lubanga Dyilo, Decision establishing the principles and procedures applied to reparations, 7. August 2012, ICC-01/04-01/06-2904, Abs. 208 f. 89 Situation in the Democratic Republic of the Congo in the Case of The Prosecutor v. Thomas Lubanga Dyilo, Decision establishing the principles and procedures applied to reparations, 7. August 2012, ICC-01/04-01/06-2904, Abs. 255.
310
9. Kap.: Tatbestand der Vergewaltigung in der Praxis des IStGH
E. Ausblick Die Tatsache, dass – wie bereits erwähnt – Taten der sexuellen Gewalt in sechs von acht vom IStGH untersuchten Situationen vorkamen, zeigt einerseits die tatsächliche Dimension des Problems, andererseits aber auch die zunehmende Sensibilisierung des internationalen Strafrechts für Verbrechen der sexuellen Gewalt im Allgemeinen und der Vergewaltigung im Besonderen. Des Weiteren demonstriert die Häufigkeit die tatsächliche Rolle, die Vergewaltigungen und sexuelle Gewalt heute in bewaffneten Konflikten spielen. Einige Gemeinsamkeiten scheinen in allen erörterten Fällen, in denen das Verbrechen der Vergewaltigung in einem bewaffneten Konflikt eine Rolle spielt, vorzuliegen: Erstens handelt es sich bei allen Konflikten um nichtinternationale bewaffnete Konflikte mit ethnischem Hintergrund, in denen Vergewaltigungen scheinbar bewusst und planvoll eingesetzt wurden, um Angst und Schrecken unter der Bevölkerung zu verbreiten. Zweitens betreffen alle Verfahren Staaten in Afrika, und drittens ist auffällig, dass die Anklagepunkte der Vergewaltigung und der sexuellen Gewalt fast alle auf Anordnung, Unterstützung oder Beihilfe bzw. – wie etwa im Fall gegen Bemba – auf der Verantwortlichkeit des Oberbefehlshabers für seine Truppen, also auf einer Form der Vorgesetztenverantwortlichkeit beruhen. In keinem Fall wird dem Angeklagten vorgeworfen, selbst vergewaltigt zu haben. Zum Teil ist die letzte der drei Beobachtungen wohl auf die Tatsache zurückzuführen, dass besonders die Drahtzieher und Verantwortlichen für völkerrechtliche Verbrechen vor dem IStGH angeklagt werden und weniger die rangniedrigeren Ausführenden. Auch diese Erkenntnis deutet wieder auf den bewussten und planvollen Einsatz von Vergewaltigungen hin, um in einer Bevölkerungsgruppe – häufig nach ethnischen Kriterien definiert – Angst und Schrecken zu verbreiten, was insbesondere im Rahmen ethnischer Konflikte mit der Erreichung von Kriegszielen verbunden sein kann. Über die weiteren Gründe dieser Gemeinsamkeiten lässt sich viel spekulieren und es wird weitere Forschung – nicht nur auf juristischem Gebiet, sondern auch auf psychologischem, soziologischem, politischem und ethnischem Gebiet – nötig sein, um sie abschließend zu erklären. So lässt sich etwa die Zahl der Verfahren aufgrund von Situationen in Afrika nicht nur mit der dort signifikant besseren Akzeptanz des Völkerstrafrechts im Vergleich zu Asien erklären. Allerdings scheint durch die regelmässige Befassung des IStGHs mit dem völkerrechtlichen Verbrechen der Vergewaltigung die zunehmende Bereitschaft der internationalen Gemeinschaft zum Ausdruck zu kommen, Vergewaltigungen als Verbrechen gegen die Menschlichkeit oder als Kriegsverbrechen nicht länger stillschweigend hinzunehmen, sondern die Täter hierfür zur Verantwortung zu ziehen. Bisher hat – wie bereits diskutiert – der IStGH erst drei erstinstanzliche Urteile erlassen. Davon war sexuelle Gewalt als solche im Fall Lubanga nicht angeklagt. In den beiden anderen Fällen gegen Ngudjolo Chui und Katanga handelte es sich in bezug aus Taten der sexuellen Gewalt jeweils um einen Freispruch aus Mangel an Beweisen. Folglich hat sich das Gericht noch nicht zu Fragen der Definition des völkerstrafrechtlichen Vergewaltigungstatbestandes geäußert. Damit ist es derzeit zu
E. Ausblick
311
früh, um Prognosen darüber abzugeben, wie der IStGH aufgrund der Vorgaben des römischen Statuts und der Verbrechenselemente den Tatbestand definieren wird, da ja die weiterführende Rechtsprechung der Ad hoc-Tribunale aus dem Fall Gacumbitsi zum Zeitpunkt der Verhandlungen über die Verbrechenselemente noch nicht bekannt war.90 Das Urteil im Verfahren gegen Bemba wird daher im Hinblick auf die Definition des Vergewaltigungstatbestandes durch den IStGH mit Spannung zu erwarten sein und für größere Klarheit sorgen.
90
Vgl. oben 7. Kapitel B. I.
10. Kapitel
Schlussfolgerungen zur Entwicklung, Definition und Durchsetzung des Vergewaltigungsverbots im bewaffneten Konflikt A. Entwicklung und Stand des Vergewaltigungsverbots im bewaffneten Konflikt I. Historische Entwicklung des Vergewaltigungsverbots zum Völkergewohnheitsrecht Hinweise auf ein Vergewaltigungsverbot im Krieg finden sich im Kriegsrecht und der Kriegspraxis der Antike noch nicht, sondern es gibt im Gegenteil zahlreiche Nachweise dafür, dass Vergewaltigungen von Frauen der Besiegten etwa nach Einnahme einer Stadt an der Tagesordnung waren. Im Mittelalter dagegen gibt es – wie etwa das Kriegsrecht Richard II. und Heinrich V. zeigen – erste Hinweise auf ein Verbot der Vergewaltigung besonders von Frauen der Besiegten im Krieg. Die Hinweise auf ein solches Vergewaltigungsverbot sind jedoch isoliert und nicht durchgängig belegbar, so dass im Mittelalter nicht von der Geltung eines allgemeinen kriegsrechtlichen Vergewaltigungsverbots ausgegangen werden kann. Im spanischen Zeitalter sind der Lehre der damaligen Völkerrechtler erstmals Hinweise auf ein kriegsrechtliches Vergewaltigungsverbot zu entnehmen. Hier sind besonders Alberico Gentili und Hugo Grotius zu nennen, die beide von einem Verbot der Vergewaltigung im Krieg ausgingen. Der Staatenpraxis im 30-jährigen Krieg ist jedoch zu entnehmen, dass Vergewaltigungen der Frauen der Besiegten als quasi ,natürliches‘ Recht der Sieger galten, weshalb auch zu diesem Zeitpunkt noch nicht von einem Verbot der Vergewaltigung in Kriegen ausgegangen werden kann. Das kriegsrechtliche Vergewaltigungsverbot entwickelte sich allmählich in der Folgezeit. So enthalten die kriegsrechtlichen Kodifikationen des 19. und des frühen 20. Jahrhunderts, wie der Lieber Code, die Brüsseler Erklärung, das Oxford-Manual und die Haager Landkriegsordnungen von 1899 und 1907 alle ein klares Verbot von Vergewaltigung. Auch Bluntschli ging in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts von einem Verbot der Vergewaltigung durch die Kriegsgewalt oder einzelne ,siegreiche Krieger‘ – allerdings nur an Frauen – aus. Darüber hinaus ging er von einer Verpflichtung der Kriegsgewalt aus, (zivile) Angehörige der feindlichen Macht vor ,Missethaten‘ der eigenen Soldaten zu schützen und letztere bei Zuwiderhandlungen
A. Entwicklung und Stand des Vergewaltigungsverbots
313
zu bestrafen. Folglich kann von einer Entwicklung eines allgemeinen völkerrechtlichen Verbots der Vergewaltigung von (zivilen) Frauen der gegnerischen Kriegspartei in Kriegen bzw. bewaffneten Konflikten etwa ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts ausgegangen werden. Die Haager Landkriegsordnungen (HLKO) von 1899 und 1907 und mit ihnen das darin enthaltene Vergewaltigungsverbot wurden schnell von zahlreichen Staaten ratifiziert. Die Kriegsverbrechertribunale von Nürnberg und Tokio nach Ende des zweiten Weltkrieges gingen von einer völkergewohnheitsrechtliche Geltung der HLKO – was das darin enthaltene Verbot der Vergewaltigung durch den Schutz der Familienehre und – rechte aus Art. 46 einschließt – aus. Die Tatsache, dass es 1937/ 38 einerseits die ,Vergewaltigung von Nanking‘ gegeben hat und es nach Kriegsende zu Massenvergewaltigungen deutscher Frauen durch russische Soldaten kam, steht der Konstatierung dieses Verbots nicht entgegen. Im Fall Nanking ergibt sich das bereits aus der Tatsache, dass das Kriegsverbrechertribunal von Tokio die Vergewaltigungen als gewohnheitsrechtlich verboten ansah und in zwei Fällen der Zuwiderhandlungen, in denen Verantwortliche nicht gegen Vergewaltigungen im großen Stil eingeschritten waren, auch aufgrund von Vorgesetztenverantwortlichkeit verurteilte. Auch im Fall Yamashita verurteilte ein amerikanisches Militärgericht unter anderem wegen Vergewaltigungen aufgrund von Vorgesetztenverantwortlichkeit. Allerdings gab es keine Bemühungen seitens der russischen Oberbefehlshaber selbst oder der internationalen Gemeinschaft, die Massenvergewaltigungen von deutschen Frauen durch russische Soldaten zu unterbinden oder zu bestrafen. Im Gegenteil versuchten die Russen selbst, das Verhalten moralisch zu rechtfertigen, obwohl die Vergewaltigungen auch nach damaligen Maßstäben keine zulässige Kriegsrepressalie waren. Der IGH bestätigte die völkergewohnheitsrechtliche Geltung der HLKO und damit letztlich auch die völkergewohnheitsrechtliche Geltung des Vergewaltigungsverbots sowohl im Nuklearwaffen- als auch im Mauergutachten.1 Folglich kann seit Mitte des 20. Jahrhunderts auch von einem völkergewohnheitsrechtlichen Verbot der Vergewaltigung im bewaffneten Konflikt ausgegangen werden. Dieses gewohnheitsrechtliche Vergewaltigungsverbot war zunächst jedoch noch vage und überließ die Durchsetzung ausschließlich den Staaten, die für seine Durchsetzung sorgen sollten – es aber, wie das Beispiel der Vergewaltigungen von deutschen Frauen durch russische Soldaten nach Ende des zweiten Weltkrieges zeigt – auch ohne Konsequenzen fürchten zu müssen, lassen konnten. Bekräftigt wurde das Vergewaltigungsverbot in bewaffneten Konflikten wie im 3. Kapitel untersucht durch die Genfer Abkommen von 1949, insbesondere den Art. 27 IV. GA, sowie durch menschenrechtliche Normen und Verträge wie etwa der Folterkonvention.
1 ICJ, Legality of the Use by a State of Nuclear Weapons in Armed Conflict, Advisory Opinion, 8. Juli 1996, Abs. 79; ICJ, Legal Consequences of the Construction of a Wall in the Occupied Palestinian Territory, Advisory Opinion, 9. Juli 2004, Abs. 172.
314
10. Kap.: Schlussfolgerungen
II. Das Vergewaltigungsverbot im bewaffneten Konflikt als jus cogens-Norm Fraglich ist, ob das völkerrechtliche Verbot der Vergewaltigung im bewaffneten Konflikt heute die Qualität einer jus cogens-Norm hat. Diese Frage ist nicht nur für die Bestimmung des Rechtscharakters des Verbotes an sich wesentlich, sondern ist auch entscheidend für die Verantwortlichkeit der Staaten nach Art. 41 des Entwurfs zur völkerrechtlichen Verantwortlichkeit von Staaten der ILC, die bei „schwerwiegenden Verletzungen von zwingenden Normen des allgemeinen Völkerrechts“ im Sinne des Art. 40 Abs. 1 zusammen arbeiten, um dieser mit rechtmäßigen Mitteln ein Ende zu setzen.2 Nach Art. 53 des Wiener Vertragsrechtsübereinkommens „ist eine zwingende Norm des allgemeinen Völkerrechts eine Norm, die von der internationalen Gemeinschaft in ihrer Gesamtheit angenommen und anerkannt wird als eine Norm, von der nicht abgewichen werden darf und die nur durch eine spätere Norm des allgemeinen Völkerrechts derselben Rechtsnatur geändert werden kann.“
Obwohl die Staatenpraxis und die internationalen Gerichtshöfe eher zurückhaltend mit der Qualifizierung einer Norm als jus cogens sind, gehören nach Auffassung der ILC und herrschender Meinung neben dem Verbot der Sklaverei und des Völkermordes auch das Folterverbot, die grundlegenden Regeln des humanitären Völkerrechts sowie die fundamentalen Menschenrechte zum jus cogens.3 Wie im 3. Kapitel festgestellt, ist das Vergewaltigungsverbot im bewaffneten Konflikt Bestandteil des Gebotes der menschlichen Behandlung, das zu den grundlegenden Regeln des humanitären Völkerrechtes zählt. Außerdem stellt Vergewaltigung sowohl im Anwendungsbereich des humanitären Völkerrechts als auch nach den Menschenrechten, insbesondere dem nicht derogierbaren Art. 7 IPbpR grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung dar.4 Vergewaltigung als unmenschliche Behandlung und oder vorsätzliche Verursachung großer Leiden oder schwerer Beeinträchtigungen der körperlichen Unversehrtheit oder der Gesundheit ist auch einen schwere Verletzung im Sinne des Art. 147 IV. GA, den die Staaten verpflichtet sind strafrechtlich zu verfolgen.5 Sofern die Vergewaltigung im bewaffneten Konflikt darüber hinaus mit einem verbotenen Zweck verbunden ist, stellt sie im humanitären Völkerrecht auch Folter dar; nach dem Folterbegriff im Sinne des Art. 1 Folterkonvention erfordert Vergewaltigung als Folter zusätzlich noch das 2
Siehe 4. Kapitel C. Draft Articles on Responsibility of States for Internationally Wrongful Acts with Commentaries, United Nations, International Law Commission, Report on the Work of its Fifty-third Session, General Assembly, Official Records, 55th Session, UN DOC A/56/10, Commentary zu Art. 40 para. 5; Frowein, Ius cogens, in: Wolfrum (Hrsg.), The Max Planck Encyclopedia of Public International Law, online-edition, Rn. 7 f. 4 3. Kapitel, A. I. 1., 2. und 4. zum humanitären Völkerrecht sowie B. III. 1. und IV. bzgl. der Menschenrechte. 5 3. Kapitel A. I. 3. 3
A. Entwicklung und Stand des Vergewaltigungsverbots
315
Handeln des Täters in amtlicher Eigenschaft.6 Auch Vergewaltigung als Folter im Sinne des humanitären Völkerrechts ist eine schwere Verletzung im Sinne des Art. 147 IV. GA. Insoweit ist das Vergewaltigungsverbot im bewaffneten Konflikt Bestandteil der grundlegenden Regeln des humanitären Völkerrechtes sowie der fundamentalen Menschenrechte. Da beides – die grundlegenden Regeln des humanitären Völkerrechts wie auch die fundamentalen Menschenrechte – unstrittig zwingende Normen des Völkerrechts, also jus cogens sind, muss dies auch für das Vergewaltigungsverbot im bewaffneten Konflikt gelten. Sowohl die Statute als auch die Rechtsprechung der Ad hoc-Tribunale scheinen diese Auffassung zu bestätigen. So nennen die Statute des ICTY und des ICTR beide Vergewaltigung erstmalig explizit als Verbrechen gegen die Menschlichkeit, während die Strafbarkeit der Vergewaltigung als Kriegsverbrechen noch die vorherige Subsumtion von Vergewaltigung als Folter oder unmenschliche Behandlung voraussetzt.7 Der ICTY verurteilte sowohl im Fall Mucic´, Delic´, Landzˇ o, Delalic´ den Angeklagten Delic´ als auch in den Fällen Furundzˇ iya und Brd¯anin wegen Vergewaltigung als Folter und in den Fällen Blasˇkic´ und Krajisˇnik wegen Vergewaltigung als grausamer oder unmenschlicher Behandlung.8 Im Fall Kunarac, Kovacˇ , Vukovic´ verurteilte der ICTY darüber hinaus das Festhalten von Frauen und Mädchen zum Zwecke der Vergewaltigungen und anderer sexueller Gewalt als Sklaverei, was ebenfalls einen Verstoß gegen eine anerkannte zwingende Norm des Völkerrechts darstellt. Der ICTR verurteilte in den Fällen Akayesu, Musema, Gacumbitsi und Muhimana wegen Vergewaltigung als Völkermord durch Verursachung von schwerem körperlichen und seelischem Schaden an Mitgliedern der Gruppe der Tutsi.9 Im Fall Nyiramasuhuko, Ntohabali, Nsabimana, Nteziryako, Kanyabashi und Ndayamabje verurteilte der ICTR wegen Vergewaltigung als Verstoß gegen die persönliche Würde als Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit und im Fall Karemera und Ngirumpatse wegen Vergewaltigung als Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Völkermord durch Verursachung schwerer körperlicher und seelischer Schäden.10 Das römische Statut nennt Vergewaltigung außerdem explizit nicht nur als Verbrechen gegen die Menschlichkeit, sondern auch als Kriegsverbrechen.11 Dies ist als weiteres Indiz für den gewohnheitsrechtlichen Charakter des Vergewaltigungsverbots im bewaffneten Konflikt durch einen multilateralen Vertrag zu werten, auch wenn derzeit einige Staaten als persistent objectors verhindern, dass das römische Statut als solches durch ständige Übung und Rechtsüberzeugung zu Völkerge-
6
3. Kapitel A. I. 2. und B. III 1. sowie IV. Hierzu siehe 5. Kapitel A. I. 1., 2. und 4. sowie B. I. 2. 8 Ausführlich 6. Kapitel C. II., III. und VI. sowie IV. und VII. 9 6. Kapitel A. I., IV., XII., XIII. 10 6. Kapitel C. VIII. und IX. 11 7. Kapitel B. I. und C. I.
7
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10. Kap.: Schlussfolgerungen
wohnheitsrecht wird.12 Wie im 9. Kapitel untersucht sind – unter anderem – Vorwürfe der Vergewaltigung und anderer sexueller Gewalt Gegenstand der Anklage in der Mehrzahl der vor dem IStGH anhängigen Verfahren. In Anbetracht der Tatsache, dass Vergewaltigung im bewaffneten Konflikt immer eine grausame unmenschliche Behandlung und als solche ein Verstoß gegen die anerkannten grundlegenden Regeln des humanitären Völkerrechts sowie ein Verstoß gegen fundamentale Menschenrechte ist und angesichts der Entwicklung des Vergewaltigungsverbots im bewaffneten Konflikt in den letzten beiden Jahrzehnten durch das Völkerstrafrecht liegt der Schluss nahe dieses als Bestandteil von zwingenden Normen des allgemeinen Völkerrechts anzusehen. Hierfür spricht auch, dass das Vergewaltigungsverbot den Charakter eines allgemeinen Rechtsgrundsatzes hat, da Vergewaltigung in allen Rechtsordnungen der Welt strafbar ist.13 Im Einklang mit der These, dass das Konzept des jus cogens als solches die überwiegend „männliche“ Orientierung des Völkerrechts widerspiegelt,14 stellte Patricia Viseur Sellers, damals Legal Adviser for Gender Related Crimes der gemeinsamen Anklagebehörde von ICTY und ICTR noch 2002 die These auf, dass das Verbot der Vergewaltigung im bewaffneten Konflikt als solches zwar völkergewohnheitsrechtlichen Charakter habe und auch als allgemeiner Rechtsgrundsatz anzusehen sei, als solches aber nicht den Status einer jus cogens-Norm hätte. Diese These wird damit begründet, dass erst die Subsumtion von Vergewaltigung im bewaffneten Konflikt etwa unter grausame oder unmenschliche Behandlung – die sie immer darstellen wird – Folter, Völkermord oder Sklaverei, dieser den zwingenden Charakter verleihe. Dies sei zwar ein brillianter juristischer Kunstgriff, im Ergebnis aber nichts als „legal piggybacking“,
also „juristisches Huckepacknehmen“. Aus sich selbst heraus habe das Verbot der Vergewaltigung und anderer sexueller Gewalt jedoch nicht den Status von jus cogens.15 Hiergegen ist einzuwenden, dass bereits die anerkannte Subsumtion von Vergewaltigung als Verstoß gegen den Grundsatz der menschlichen Behandlung und somit als Verletzung von grundlegenden Regeln des humanitären Völkerrechts ausreicht, um diesem die Qualität einer jus cogens-Verletzung zu geben. Eine andere Argumentation verkennt, dass gerade die Abstraktheit der Regeln des humanitären Völkerrechts wesentlich für den Schutz der nicht (mehr) aktiv an den Feindseligkeiten teilnehmenden Personen ist. Wie Pictet schon mit Bezug auf den gemeinsamen Artikel 3 der GA festgestellt hat, wird ein Katalog verbotener Handlungen umso 12 Zum Begriff des persistent objector Olufemi, Persistant Objector, in: Wolfrum (Hrsg.), The Max Planck Encyclopedia of Public International Law, online-edition. 13 3. Kapitel E. sowie 6. Kapitel A. III. 1. und The Prosecutor v. Anto Furundzˇ iya, IT-95-17/ 1-T, Judgement, 10. Dezember 1998, Abs. 178. 14 Charlesworth/Chinkin, The Gender of Jus Cogens, Hum. R. Qu. 15 (1993), S. 63 – 76. 15 Viseur Sellers, Sexual Violence and Peremptory Norms: The Legal Value of Rape, Case W. Res. J. Int’l L 34 (2002), S. 287 – 303 (296).
B. Völkerrechtlicher Rahmen des Vergewaltigungsverbots
317
restriktiver je genauer er bestimmt wird, da es unmöglich sei mit der Fantasie zukünftiger Folterer Schritt zu halten.16 Weiter wird gegen die Qualifizierung des Vergewaltigungsverbots im bewaffneten Konflikt als zwingende Norm des Völkerrechts eingewandt, dass Vergewaltigung bisher auch nicht als Verstoß gegen eine jus cogens-Norm genannt wurde.17 Diese Argumentation lässt sich damit entkräften, dass hierzu auch keine Notwendigkeit bestand. Eine Vergewaltigung ist im humanitären Völkerrecht immer grausame, unmenschliche oder entwürdigende Behandlung und verletzt damit grundlegende Regeln des humanitären Völkerrechts, die unproblematisch als zwingendes Völkerrecht gelten. Eine explizite Nennung des Vergewaltigungsverbots im bewaffneten Konflikt als jus cogens ist insoweit nicht erforderlich. Nach Abwägung aller Argumente ist daher zu folgern, dass das Vergewaltigungsverbot im bewaffneten Konflikt heute als eine zwingende Norm des allgemeinen Völkerrechts anzusehen ist und somit den Charakter einer jus cogens-Verpflichtung hat.
B. Der völkerrechtliche Rahmen des Vergewaltigungsverbots und die völkerstrafrechtliche Definition des Tatbestandes I. Die völkerrechtlichen Anforderungen an das Vergewaltigungsverbot im bewaffneten Konflikt Nach der Feststellung, dass sich das Vergewaltigungsverbot im bewaffneten Konflikt sowohl aus Völkervertrags- als auch aus Völkergewohnheitsrecht ergibt sowie einen allgemeinen Rechtsgrundsatz darstellt und dass das Verbot den Status von jus cogens hat, stellt sich die Frage, wie dieses völkerrechtliche Verbot genau ausgestaltet ist. Adressaten der völkerrechtlichen Verbotsnorm sind zunächst ausschließlich Staaten als Völkerrechtssubjekte, nicht jedoch Individuen wie im Völkerstrafrecht. Aus dem Rahmen und Umfang des völkerrechtlichen Vergewaltigungsverbots ergeben sich also die entsprechenden Verpflichtungen der Staaten. Folglich ist an dieser Stelle fraglich, welche völkerrechtlichen Verpflichtungen sich aus dem im bewaffneten Konflikt geltenden Vergewaltigungsverbot für die Staaten ergeben. Vergewaltigung im bewaffneten Konflikt ist – wie im 3. Kapitel erörtert und oben unter 1. erörtert – im internationalen bewaffneten Konflikt immer ,unmenschliche Behandlung‘ und damit eine schwere Verletzung im Sinne des auch gewohnheitsrechtlich und damit für alle Staaten geltenden Art. 147 IV. GA. Schwere Verletzungen der GA sind von den Staaten gemäß Art. 146 IV. GA zunächst gesetzlich mit 16
Pictet, IV. Convention de Genève, Commentaire, Art. 3 2. A. Viseur Sellers, Sexual Violence and Peremptory Norms: The Legal Value of Rape, Case W. Res. J. Int’l L 34 (2002), S. 287 – 303 (303). 17
318
10. Kap.: Schlussfolgerungen
Strafe zu belegen und strafrechtlich zu verfolgen. Die Verantwortlichkeit des Individuums für Verstöße gegen das Vergewaltigungsverbot ergibt sich somit bereits mittelbar aus den GA, die entsprechend ihrer Bestimmungen und den innerstaatlichen Rechtsvorgaben von den Staaten in nationales Recht umzusetzen sind. Für den nicht-internationalen bewaffneten Konflikt ergibt sich die völkerrechtliche Geltung des Vergewaltigungsverbots aus dem gemeinsamen Art. 3 der GA, da Vergewaltigung immer ,grausame Behandlung‘ sowie ,erniedrigende und entwürdigende Behandlung‘ ist.18 Zwar stellen Verletzungen des gemeinsamen Art. 3 keine ,schweren Verletzungen‘ der GA dar. Trotzdem sind die Staaten aufgrund ihrer Verpflichtung für die Einhaltung und Durchsetzung der Bestimmungen des gemeinsamen Art. 3 der GA zu sorgen, letztlich zu einer strafrechtlichen Sanktionierung von Verstößen verpflichtet. Die Verpflichtung Vergewaltigung im bewaffneten Konflikt zu sanktionieren und gegebenenfalls strafrechtlich zu verfolgen ergibt sich damit sowohl für den internationalen als auch für den nicht-internationalen bewaffneten Konflikt unmittelbar aus dem Völkerrecht.
II. Die völkerstrafrechtliche Definition des Tatbestandes der Vergewaltigung Das völkerrechtliche Vergewaltigungsverbot in bewaffneten Konflikten verpflichtet die Staaten Verstöße hiergegen im nationalen (Straf-)Recht zu sanktionieren. Hierbei stellt sich die Frage, welche Anforderungen das Völkerrecht an die völkerstraf- und strafrechtliche Definition von Vergewaltigung stellt. Wie der ICTY bereits in Furundzˇ iya feststellte, gibt das Völkerrecht keine weiteren Anhaltspunkte über die in Akayesu gefundene konzeptionelle Definition des Tatbestandes des ICTR hinaus,19 wonach Vergewaltigung eine „physical invasion of a sexual nature, committed on a person under circumstances which are coercive“
ist.20 Da der strafrechtliche Bestimmtheitsgrundsatz erfordert, dass das strafbewehrte Verhalten – im hier untersuchten Fall der Vergewaltigung im bewaffneten Konflikt – hinreichend genau bestimmt wird, wurde diese Definition als nicht präzise genug angesehen. Der ICTY griff deshalb auf gemeinsame Rechtsprinzipien der großen – nationalen – Rechtsordnungen zurück und folgerte daraus die mechanische Definition der Vergewaltigung,21 die er im Fall Kunarac dahingehend präzisierte, dass 18
3. Kapitel A. I. 4. The Prosecutor v. Anto Furundzˇ iya, IT-95-17/1-T, Judgement, 10. Dezember 1998, Abs. 175 – 177; siehe auch 6. Kapitel A. III. 1. 20 The Prosecutor v. Jean-Paul Akayesu, IT-96-4-T, Judgement, 2. September 1998, Abs. 598, 688; siehe auch 6. Kapitel A. I. 2. 21 The Prosecutor v. Anto Furundzˇ iya, IT-95-17/1-T, Judgement, 10. Dezember 1998, Abs. 185. 19
C. Durchsetzung des Vergewaltigungsverbots
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statt Gewalt oder Zwang das Nicht-Einverständnis des Opfers Tatbestandsmerkmal von Vergewaltigung sei.22 Dieses Tatbestandsmerkmal birgt im Kontext völkerrechtlicher Verbrechen, die häufig eine freie Willensbildung des Opfers von vornherein ausschließen, große Schwierigkeiten. Deshalb divergierte in der Folgezeit die Rechtsprechung der Ad hoc-Tribunale hinsichtlich des Erfordernisses des Tatbestandsmerkmals bis die Berufungskammer im Fall Gacumbitsi 2006 entschied, dass das Nicht-Einverständnis des Opfers zwar Tatbestandsmerkmal der Vergewaltigung sei, von dem aber bei Vorliegen von zwingenden Umständen, die ein wirkliches Einverständnis des Opfers ausschließen, auszugehen sei.23 Nach den Verbrechenselementen zum römischen Statut, die noch vor der Kunarac Entscheidung des ICTY verhandelt wurden, sind die wesentlichen Merkmale von Vergewaltigung (1) ein physischer Ein- oder Übergriff in oder auf den Körper des Opfers, der zur sexuellen Penetration führt, durch (2) Zwang oder Drohung mit Gewalt oder Zwang.24 Das Nicht-Einverständnis des Opfers ist nach dieser Definition dagegen nicht Tatbestandsmerkmal des völkerrechtlichen Verbrechens der Vergewaltigung. Wie im 6. Kapitel untersucht, kann das Tatbestandselement des NichtEinverständnis des Opfers in der Definition der Vergewaltigung als völkerrechtlichem Verbrechen der Tat nicht gerecht werden, das sich die Verletzung der sexuellen Autonomie des Opfers durch die Vergewaltigung schon durch den Beweis der die Subsumtion der Tathandlung als völkerrechtliches Verbrechen rechtfertigenden sogenannten chapeau-Merkmalen ergibt.25 Folglich sind die Elemente der Gewalt oder des Zwangs – wie in den Verbrechenselementen zum römischen Statut – unter den Umständen eines völkerrechtlichen Verbrechens geeigneter den Tatbestand zu definieren. Die Tatsache, dass die Definition der Verbrechenselemente zum römischen Statut nicht auf das Nicht-Einverständnis des Opfers abstellt ist daher positiv zu werten. Insbesondere eröffnet sie dem ICC die Möglichkeit eine genauere Definition des völkerrechtlichen Verbrechens der Vergewaltigung zu finden, die der Tat besser als die bisherige Rechtsprechung der Ad hoc-Tribunale gerecht wird.
C. Durchsetzung des Vergewaltigungsverbots im bewaffneten Konflikt Die Beachtung und Einhaltung des völkerrechtlichen Vergewaltigungsverbots im bewaffneten Konflikt hängt wesentlich von seiner tatsächlichen Durchsetzung ab. Da es im Völkerrecht keine Exekutive wie im nationalen Recht gibt, hängt die 22
The Prosecutor v. Kunarac, Kovac and Vukovic, IT-96-23, Judgement, 22. Februar 2001, Abs. 460; siehe ebenfalls 6. Kapitel A. V. 2. 23 The Prosecutor v. Sylvestre Gacumbitsi, ICTR-2001-64, Appeal Judgement, 7. Juli 2006, Abs. 155. 24 7. Kapitel B. I. 1. (sowie C. I. 1.) 25 6. Kapitel B. I.
320
10. Kap.: Schlussfolgerungen
Durchsetzung des Vergewaltigungsverbots im bewaffneten Konflikt vom politischen Willen der Staaten und ihrer Gemeinschaft ab. Hierbei sind zwei Ebenen voneinander zu unterscheiden: Zum einen die völkerrechtliche Ebene, wonach Staaten für die Verletzung einer völkerrechtlichen Verpflichtung, wozu die Einhaltung des Vergewaltigungsverbots im bewaffneten Konflikt zählt, verantwortlich (zu machen) sind und zum anderen die individualstrafrechtliche Ebene auf der einzelne Täter von völkerrechtlichen Verbrechen wie der Vergewaltigung strafrechtlich verfolgt werden. Während durch die Entwicklung des Völkerstrafrechts auf der individuellen Ebene in den letzten zwei Jahrzehnten erhebliche Fortschritte erzielt wurden, sind die Fortschritte im Bereich der Staatenverantwortlichkeit schleppender. Eng mit den Fragen der Staatenverantwortlichkeit wegen Verstößen gegen das völkerrechtliche Vergewaltigungsverbot im bewaffneten Konflikt und den Bestimmungen des Völkerstrafrechts aus dem römischen Statut beginnt sich eine weitere – für die Opfer von Vergewaltigungen als völkerrechtlichem Verbrechen zentrale – Durchsetzungsmöglichkeit zu entwickeln, nämlich kollektive und individuelle Ansprüche auf Wiedergutmachung bzw. auf individuelle oder kollektive Reparationen.
I. Die Staatenverantwortlichkeit hinsichtlich der Durchsetzung des Vergewaltigungsverbots im bewaffneten Konflikt Bei Verletzung der völkerrechtlichen Pflicht der Staaten Vergewaltigungen in bewaffneten Konflikten zu verhindern und – falls sie trotzdem geschehen – zu bestrafen, um so das Vergewaltigungsverbot durchzusetzen gelten, wie im 4. Kapitel untersucht, die Regeln über die Staatenverantwortlichkeit. Demnach ist ein Staat sowohl aufgrund von Art. 3 IV. des Haager Abkommens und des Art. 91 ZP I völkervertragsrechtlich und nach den allgemeinen Regeln über die Staatenverantwortlichkeit völkergewohnheitsrechtlich für Verstöße gegen das Vergewaltigungsverbot im internationalen bewaffneten Konflikt verantwortlich, wenn ihm das völkerrechtswidrige Verhalten zugerechnet werden kann. Diese Zurechenbarkeit kann im Fall von systematischen oder wiederholten Verstößen gegen das Vergewaltigungsverbot im internationalen bewaffneten Konflikt als völkerrechtlicher Pflicht der Staaten auch dann gegeben sein, wenn der Staat von diesen gewusst hat oder hätte wissen müssen.26 Rechtsfolge einer entsprechenden völkerrechtlichen Pflichtverletzung ist – da im Falle von Vergewaltigungen der ursprünglich bestehende Zustand nicht wieder hergestellt werden kann – im Regelfall die Verpflichtung zur Leistung von Schadensersatz.27 Im nicht-internationalen bewaffneten Konflikt ist die Verantwortlichkeit eines Staates wegen Verletzungen des völkerrechtlichen Vergewaltigungsverbots komplizierter zu begründen und nur dann gegeben, wenn es sich bei der zurechenbar 26 27
4. Kapitel B. I. 1. a). 4. Kapitel B. I. 1. b).
C. Durchsetzung des Vergewaltigungsverbots
321
durch einen Staat verletzten völkerrechtlichen Norm um eine Verpflichtung gegenüber der internationalen Gemeinschaft als Ganzes handelt. Das Verbot im bewaffneten Konflikt zu vergewaltigen ergibt sich unter anderem aus dem gemeinsamen Artikel 3 der GA, der zu den ,elementary considerations of humanity‘ gehört, weshalb es sich um eine Verpflichtung erga omnes handelt. Deshalb begründen einem Staat zurechenbare Verstöße gegen das Vergewaltigungsverbot die völkerrechtliche Verantwortlichkeit dieses Staates auch im nicht-internationalen bewaffneten Konflikt.28 Auch wenn die Rechtsfolgen der völkerrechtlichen Verantwortlichkeit eines Staates wegen Verstößen gegen das Vergewaltigungsverbot im nichtinternationalen bewaffneten Konflikt grundsätzlich die gleichen sind wie im internationalen bewaffneten Konflikt und theoretisch von jedem Staat geltend gemacht werden könnten, wird dies in dieser Fallkonstellation in der Praxis wohl jedoch – schon wegen des völkerrechtlichen Nichteinmischungsgebots und der mit einer solchen Geltendmachung verbundenen politischen Verwicklungen – nicht geltend gemacht werden.29 Bewaffnete Oppositionsgruppen, die weder im Sinne des Art. 10 Abs. 2 des ILC-Entwurfs zur neuen Regierung eines Staates werden oder einen neuen Staat gründen, sind jedoch als solche, schon weil sie nur zum Zweck des bewaffneten Konflikts (partielle) Völkerrechtssubjektivität genießen völkerrechtlich nicht für Verletzungen des Vergewaltigungsverbots verantwortlich.30 Aus dem unter 1. b) festgestellten jus cogens Charakter des Vergewaltigungsverbots im bewaffneten Konflikt ergibt sich als besondere Folge aus Art. 41 des Entwurfs zur völkerrechtlichen Verantwortlichkeit von Staaten der ILC, dass die Staaten zusammen arbeiten um den Vergewaltigungen, sofern sie ,schwerwiegende Verletzungen‘ sind, mit rechtmäßigen Mitteln ein Ende zu setzen (Abs. 1).31 Auch hierin könnte eine Möglichkeit zur tatsächlichen politischen Durchsetzung des Vergewaltigungsverbots im bewaffneten Konflikt liegen, denn finanzielle Verpflichtungen wirken auch auf Staaten abschreckend.
II. Die völkerstrafrechtliche Durchsetzung auf individueller Ebene Die Arbeit zeigt, dass in den letzten 20 Jahren erhebliche Fortschritte bei der individual-strafrechtlichen Verfolgung von Verstößen gegen das völkerrechtliche Vergewaltigungsverbot im bewaffneten Konflikt gemacht wurden. Diese Fortschritte betreffen nicht nur die materielle Strafbarkeit, sondern auch das Prozessrecht ohne dass das materielle völkerstrafrechtliche Vergewaltigungsverbot nicht umgesetzt werden könnte. Während nach dem Statut des ICTY Vergewaltigung nur einen 28 29 30 31
4. Kapitel B. II. 4. Kapitel B. II. 3. 4. Kapitel B. III. 4. Kapitel C.
322
10. Kap.: Schlussfolgerungen
Tatbestand der Verbrechen gegen die Menschlichkeit darstellte und als Kriegsverbrechen zur strafrechtlichen Verfolgung der Täter noch unter Folter oder unmenschliche Behandlung bzw. das vorsätzliche Verursachung großer Leiden oder ernster Verletzungen des Körpers oder der Gesundheit subsumiert werden mussten, nannte das Statut des ICTR Vergewaltigung schon als Begehungsform von Kriegsverbrechen. Die weitestgehend identischen Verfahrens- und Beweisregeln beider Ad hoc-Tribunale bemühten sich ebenfalls um die Berücksichtigung der besonderen verfahrensrechtlichen Schwierigkeiten in Verfahren wegen Vergewaltigungen im bewaffneten Konflikt oder anderer sexueller Gewalt.32 Indem zahlreiche Fälle von Vergewaltigungen und sexuelle Gewalt vor den Tribunalen angeklagt und verhandelt wurden, entstand darüber hinaus auch eine internationale Judikatur, der eindeutig zu entnehmen ist, dass Vergewaltigung im bewaffneten Konflikt – je nach den Umständen des Einzelfalles – ein Kriegsverbrechen, ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit oder sogar Völkermord darstellt. Darüber hinaus definierte er den Tatbestand der Vergewaltigung – wie unter 2. erläutert – im Sinne des strafrechtlichen Bestimmtheitsgrundsatzes. Damit kann man die Schaffung der Ad hoc-Tribunale mit dem Beginn der individuellen strafrechtlichen Durchsetzung des völkerrechtlichen Vergewaltigungsverbots verbinden. Das römische Statut ist wie im 7. Kapitel gezeigt hinsichtlich der Tatbestände der Vergewaltigung und der sexuellen Gewalt als völkerrechtliche Verbrechen sehr viel präziser und detaillierter als die Statute der Ad hoc-Tribunale. So bestehen heute zwar immer noch kleinere Unklarheiten hinsichtlich der Definition des Tatbestandes der Vergewaltigung als völkerrechtlichem Verbrechen, insgesamt ist der Tatbestand aber bestimmter als vor Schaffung von ICTY und ICTR Anfang der 1990er Jahre. Das Verfahrensrecht des IStGHs berücksichtigt die Bedürfnisse von Opfern und Zeugen besser als die Verfahrens- und Beweisregeln der Ad hoc-Tribunale. Insbesondere trägt es der besonderen Schutzbedürftigkeit von Opfern sexueller Gewalt und Vergewaltigungen durch besondere Beweisvorschriften zum Schutz der Opfer von sexueller Gewalt Rechnung.33 Daneben eröffnet es Opfern von völkerrechtlichen Verbrechen wie der Vergewaltigung die Möglichkeit, sich am Verfahren zu beteiligen, was dafür sorgt, dass die Opferinteressen im Verfahren vor dem IStGH nicht völlig ignoriert werden können.34 Die Tatsache, dass in der Mehrzahl der bis heute anhängigen Verfahren vor dem IStGH Vorwürfe der Vergewaltigung und oder der sexuellen Gewalt einen oder mehrere Anklagepunkte, hauptsächlich aufgrund von Vorgesetztenverantwortlichkeit, darstellen bringt ebenfalls den Willen das völkerrechtliche Vergewaltigungsverbot auch tatsächlich durchzusetzen, zum Ausdruck.35 Andererseits konnte der IStGH trotz entsprechender Anklagen bisher aus Mangel an Beweisen keinen Angeklagten wegen Vergewaltigung(en) oder anderen Taten der 32 33 34 35
Siehe ausführlich 5. Kapitel A. II. 8. Kapitel A. III. 8. Kapitel B. Hierzu ausführlich 9. Kapitel.
C. Durchsetzung des Vergewaltigungsverbots
323
sexuellen Gewalt als völkerrechtliche Verbrechen verurteilen. Ob dies an den allgemeinen Schwierigkeiten in völkerrechtlichen Verbrechen zu ermitteln, spezifischen Beweisproblemen im Zusammenhang mit sexueller Gewalt als völkerrechtlichem Verbrechen oder nicht ausreichender Ermittlungen liegt, kann hier ohne Kenntnis der Abläufe innerhalb des Gerichts und der Anklagebehörde nicht beurteilt werden. Zusammengenommen lässt sich feststellen, dass die Ausgestaltung des römischen Statuts und die bisherige Praxis des IStGHs zwar Anlass zu der Hoffnung geben, dass Vergewaltigung als völkerrechtliches Verbrechen in der Zukunft auch tatsächlich verfolgt wird, hierzu jedoch noch praktische Schwierigkeiten insbesondere hinsichtlich der Beweislage überwunden werden müssen.
III. Individuelle Ansprüche auf Wiedergutmachung bzw. Reparationen Opfer von einem Staat zurechenbaren Vergewaltigungen im internationalen wie im nicht-internationalen bewaffneten Konflikt haben theoretisch individuelle Wiedergutmachungsansprüche gegen den für die völkerrechtliche Pflichtverletzung verantwortlichen Staat. In der Praxis hängt die Durchsetzung von individuellen Wiedergutmachungsansprüchen jedoch in beiden Fällen davon ab, ob das innerstaatliche Recht einen Rechtsweg für eine Klage auf Entschädigung wegen einer ernsten Verletzung des humanitären Völkerrechts vorsieht.36 Gibt es diesen innerstaatlichen Rechtsweg nicht, könnte man darin zwar eine weitere Verletzung einer völkerrechtlichen Pflicht sehen, die aber ebenfalls nicht durchsetzbar wäre. Die eigentliche Bedeutung eines individuellen Wiedergutmachungsanspruchs von Opfern einer völkerrechtlichen Pflichtverletzung wie etwa aufgrund von Verstößen gegen das Vergewaltigungsverbot liegt aber in der symbolischen Wirkung, wonach auch ein Staat für völkerrechtliches Fehlverhalten aufgrund von zurechenbaren Pflichtverletzungen verantwortlich gemacht werden kann. Neben den Ansprüchen der Opfer von Vergewaltigungen in bewaffneten Konflikten nach den völkerrechtlichen Regeln der Staatenverantwortlichkeit, sieht das römische Statut auch die Möglichkeit einer Wiedergutmachungsanordnung des IStGHs zugunsten der Opfer von völkerrechtlichen Verbrechen wie der Vergewaltigung vor. Diese Wiedergutmachungsanordnung kann sowohl gegen die individuellen Täter gerichtet sein als auch aus dem von den Vertragsstaaten eingerichteten Treuhandfonds zugunsten der Opfer und ihrer Familien erfolgen und in Form von Rückerstattung, Entschädigung und Rehabilitierung erfolgen.37 Die Wiedergutmachung kann auf kollektiver oder individueller Ebene zu leisten sein. In der Regel wird im Fall von Opfern von Vergewaltigung und sexueller Gewalt als völkerrechtlichen Verbrechen die Wiedergutmachung auf kollektiver Ebene der individuellen Wie36 37
4. Kapitel D. Art. 75 Abs. 2 sowie 79 des römischen Statuts. Siehe auch 8. Kapitel C. III.
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10. Kap.: Schlussfolgerungen
dergutmachung vorzugswürdig sein, weil hierdurch zum einen weniger strenge Anforderungen an die von den Opfern zu beweisende Kausalität und die Quantifizierung des erlittenen Schadens gestellt werden und zum anderen eine größere Zahl von Opfern an der Wiedergutmachung partizipieren kann.38 Die Bedeutung der Wiedergutmachung für Opfer von sexueller Gewalt wie Vergewaltigungen – besonders wenn materielle Wiedergutmachung verhältnismäßig zeitnah erfolgt und so einen Neustart ermöglicht – ist signifikant. Neben dem finanziellen Ausgleich des erlittenen Schadens soweit möglich, stellt sie auch eine Anerkennung des erlittenen Unrechts dar und kann so erheblich zur Aussöhnung nach völkerrechtlichen Verbrechen beitragen.39 Dies zeigt, dass die im römischen Statut geschaffene Möglichkeit des IStGHs Wiedergutmachung für die Opfer anzuordnen sehr weitsichtig und zukunftsträchtig ist. Neben der Anerkennung des Leids und des Schmerzes der Opfer und dem Versuch eines finanziellen Ausgleichs hierfür, was eine große Symbolwirkung beinhaltet, liegt hierin auch eine mögliche generalpräventive Wirkung, da der Täter zumindest theoretisch auch finanziell zur Verantwortung gezogen werden kann. Auch wenn in der Realität das Vermögen eines Täters auch für nur symbolische pekuniäre Wiedergutmachung nicht ausreichen wird, weshalb es den Treuhandfonds gibt, ist die Symbolkraft der persönlichen Verpflichtung des Täters zur Wiedergutmachung nicht zu unterschätzen. Die Zukunft wird zeigen, inwieweit Wiedergutmachung – ob nach dem römischen Statut oder bei entsprechender Zurechnung einer völkerrechtlichen Pflichtverletzung eines Staates nach den Regeln der Staatenverantwortlichkeit – dem Ziel das völkerrechtliche Vergewaltigungsverbot im bewaffneten Konflikt weltweit effektiv durchzusetzen, dienen kann.
D. Ausblick Angesichts des augenscheinlichen Widerspruchs, dass das Vergewaltigungsverbot im bewaffneten Konflikt einerseits als zwingendes Völkerrecht anzusehen ist, andererseits aber immer noch in zahlreichen bewaffneten Konflikten besonders in solchen nicht-internationaler Natur an der Tagesordnung ist, stellt sich die Frage, ob ausreichende Bemühungen der internationalen Gemeinschaft zu beobachten sind, die Praxis der Vergewaltigungen im bewaffneten Konflikt zu stoppen. In diesem Zusammenhang sind zwei voneinander unabhängige Entwicklungen zu beobachten: Zum einen wurde durch die Schaffung des Internationalen Strafgerichtshofs ein nicht nur symbolisches Zeichen gesetzt, dass Vergewaltigungen in einem bewaffneten Konflikt völkerrechtliche Verbrechen sind und als solche geahndet werden müssen. Wie ernst der IStGH diese Aufgabe nimmt, zeigt die Tatsache, dass die überwiegende Zahl der anhängigen Verfahren auch Vorwürfe der sexuellen Gewalt beinhalten. 38 39
8. Kapitel C. III. 1 8. Kapitel C.
D. Ausblick
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Positiv ist ebenfalls die Beobachtung, dass die meisten Vorwürfe aufgrund von Vergewaltigungen oder allgemeiner sexueller Gewalt aufgrund von Vorgesetztenverantwortlichkeit erhoben wurden. Dies zeigt, dass es der Anklagebehörde und dem IStGH um die Bestrafung der eigentlich für die völkerrechtlichen Verbrechen der Vergewaltigung und der sexuellen Gewalt Verantwortlichen geht. Trotz dieser positiven Ansätze bleibt jedoch die weitere Rechtsprechung des IStGHs, insbesondere vor dem Hintergrund der in Fällen von Vergewaltigung als völkerrechtlichem Verbrechen oft schwierigen Beweislage abzuwarten. Andererseits befassen sich die Vereinten Nationen seit der Sicherheitsratsresolution 1325 verstärkt mit dem Problem der sexuellen Gewalt einschließlich Vergewaltigungen im bewaffneten Konflikt. Dadurch erlangte das Problem über den völkerstrafrechtlichen Aspekt hinaus verstärkte weltweite Aufmerksamkeit, wodurch nicht nur die Finanzierung von Präventionsmaßnahmen erleichtert wird, sondern auch die – zunehmende – Ächtung des Phänomens der Vergewaltigung im bewaffneten Konflikt zum Ausdruck kommt. Insbesondere die Einrichtung der Stelle eines VN-Sonderbeauftragten für sexuelle Gewalt in bewaffneten Konflikten illustrierte sowohl die Relevanz des Problems als auch die Bemühungen dieses einzudämmen. Angesichts der vielfältigen Ursachen von Vergewaltigungen und sexueller Gewalt in bewaffneten Konflikten wird jedoch auch hier erst die Zukunft zeigen, wie effektiv diese Bemühungen sein werden. Zusammenfassend lässt sich schließen, dass die Bemühungen das Phänomen von Vergewaltigungen in bewaffneten Konflikten einzudämmen im letzten Jahrzehnt deutlich verstärkt wurden, aber erst die Zukunft zeigen wird, ob dies tatsächlich gelingt.
Summary The Prohibition of Rape in Armed Conflict – Development, Significance, Enforcement
Rape in armed conflict is a phenomenon as old as war and armed conflict itself. Nevertheless, in many armed conflicts throughout the world rape is still a common, daily practice with devastating consequences for the victims and their societies. This book examines the prohibition of rape in armed conflict as it exists today. The subtitle “development, definition and enforcement” signifies that not only is the historic prohibition examined, but also the significance of the prohibition in public international law, its definition as well as its enforcement today. To this end, the historic prohibition of rape in armed conflict from ancient times until today is examined first. While some attempts have been made to prohibit rape (of women) in armed conflict since ancient times, a consistent prohibition cannot be established until the end of the 19th century. The first codifications of the prohibition of rape in armed conflict in all circumstances are the Lieber Code 1861, the Brussels Declaration 1874, the Oxford Manual and the Hague Regulations 1899 and 1907. However, the prohibition of rape in armed conflict at the time was mostly subsumed as “protection of family honour”. After the description of the historic development, the status of the prohibition of rape in armed conflict is examined. To this end, international humanitarian law and international human rights law are analysed. Even though the Geneva Conventions 1949 and their Additional Protocols 1977 explicitly name the prohibition of rape of women in armed conflict, the questions remains whether the rape of men is equally prohibited. Therefore, in the book it is examined – and proven – that rape is always a violation of the principle of humane treatment and as such, prohibited. Consequently, the prohibition covers not only the rape of women in armed conflict as an international crime, but also the rape of men. In addition, it is explained why States that are party to the Geneva Conventions 1949 are obliged to prosecute violations. The next section of the book examines the enforcement of the prohibition of rape in armed conflict as it pertains to individual criminal responsibility. It is shown that the statutes of the two ad-hoc criminal tribunals for the former Yugoslavia and Rwanda in the 1990 s allowed for the prosecution of rape as a war crime, a crime against the laws and customs of war, as a crime against humanity and – in case the other elements of the crime are fulfilled – genocide. Neither statute, however, contained a definition of ‘rape’ as such. Therefore, it needs to be examined whether the crime of rape is sufficiently defined with regard to the principle of legality. The requirements of the principle of legality (nullum crimen sine lege) are less strict in
Summary
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international criminal law than in civil law-countries like Germany. It is sufficient, when a written or unwritten rule determines at the time of the commission of the crime that such conduct is prohibited. It is not required that the punishment as such is defined. Consequently, the principle of legality is not violated. The precise physical and mental elements that constitute the crime of rape remain unclear, though. In case international criminal law contains/offers no definition of the elements of the crime, the only way to find such a definition is recourse to ‘general principles of law recognized by civilized nations’. The significance of the prohibition of rape as a general principle of law is consequently not the prohibition as such, but the specification of the elements of the crime. That is exactly what the ad-hoc criminal tribunals did in the cases of Akayesu (ICTR 1998), Furundzˇ iya (ICTY 1998), Kunarac (ICTY 2001/02) and Gacumbitsi (ICTR 2004/06). While the ICTR followed a conceptual definition of rape in Akayesu according to which rape is “a physical invasion of a sexual nature, committed under circumstances that are coercive”, this was criticized as being indeterminate. The ICTY followed these arguments in Furundziya and examined the legal systems again. Subsequently, it defined the crime of rape as: “(i) the sexual penetration, however slight, (a) of the vagina or anus of the victim by the penis of the perpetrator; or (b) the mouth of the victim by the penis of the perpetrator (ii) by coercion or force or threat of force against the victim or a third person.”
However, this definition does not include coercive circumstances that do not include direct coercion or force or threat of force against the victim. In Kunarac, the ICTY therefore re-defined the second part of the definition as “where such sexual penetration occurs without the consent of the victim. Consent for this purpose must be consent given voluntarily, as a result of the victim’s free will, assessed in the context of the surrounding circumstances. The mens rea is the intention to effect this sexual penetration, and the knowledge that it occurs without the consent of the victim.” This definition of the ICTY of the elements of crime was confirmed by the ICTR in Gacumbitsi. With regard to a definition of the crime of “rape” according to the statute of the International Criminal Court, one needs to look at the elements of crime (as foreseen in Art. 9 of the Rome Statute of the International Criminal Code). The elements of the crime of rape as an international crime according to the Rome Statute were developed after the judgments in the cases of Akayesu and Furundzˇ iya were rendered, but before the judgment in the case against Kunarac was delivered. It is thus interesting to note that in the elements of crime of the ICC statute, it is attempted to merge both the conceptual and the mechanical definition. However, at the time of writing, there are no judgments of the ICC that deal with the definition of rape in armed conflict. Consequently, any jurisprudence of the ICC regarding the definition of rape as an international crime must be awaited.
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Summary
Considering the jurisprudence of the ICTY and the ICTR, it is then examined whether the prohibition of rape in armed conflict is a “general practice accepted as law” and as such part of customary international humanitarian law. It is subsequently examined whether the prohibition of rape in armed conflict is also a peremptory norm of international law (jus cogens). This book demonstrates that rape as an international crime always constitutes inhuman treatment. Therefore, it is as such a violation of the fundamental rule providing for humane treatment of international humanitarian law. It is argued that rape as an international crime is a violation of the principle of humane treatment and should be considered jus cogens. The book also looks at procedural issues that are relevant for the prosecution of rape as an international crime. While it is found that victims of rape require particular protection, especially in case they testify before a court (which in some cases is necessary in order to enable them to testify), it is also found that these requirements are generally reflected in the rules of procedure and evidence as far as the protection during the trial is concerned. However, significant gaps with regard to the protection of witnesses that were victims of rape and other sexual violence, seem to remain once the criminal trial is over. In addition, the ICC statute provides for a possibility for victims to participate in a trial and also foresees the possibility of – individual and collective – compensation. These provisions on participation as well as on compensation are also briefly examined looking at the specific needs of rape victimwitnesses. Moreover, the question of state responsibility is examined. In that regard it is found that in principle, all violations of norms of public international law – like the prohibition of rape as an international crime – establish the responsibility of the respective state in the case that the unlawful conduct can be attributed to a state. Consequently, in case a state did not prevent or prosecute the conduct of rape as an international crime, the respective state is responsible and can – in theory – be held accountable. However, since only a state can hold another state accountable and since there are no mechanisms to do so, this remains an academic question. Thus, even in the case that the norm violated has an erga omnes-character, like the prohibition of rape in armed conflict, it is – despite a theoretical right to compensation – impossible to enforce such a claim for compensation on the basis of state responsibility. Last, it is considered whether existing international humanitarian law needs to be revised considering the discrepancy between the prohibition of rape in international law and the opposing practice. It is shown, that there is a clear prohibition of rape as an international crime. Furthermore, a prohibited conduct does not become more prohibited by making the prohibition (even) more explicit. The problem regarding the prohibition of rape in armed conflict is thus not the law, but the enforcement of the law. Looking at the scale of the problem of rape in armed conflict and its devastating effects, not only on the victims but also on the affected societies, much remains to be done – including research on why the practice of rape in armed conflict persists and how it can be addressed.
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Stichwortverzeichnis 1. Weltkrieg 45 f., 50, 53, 61, 77, 117 2. Weltkrieg 77 – Asien 68 f., 75 – 77 – Europa 60, 62, 64 f. Ad hoc-Tribunale 97 f., 143, 162, 184 f., 187 – 189, 191 f., 201, 211 f., 215, 315, 322 – Residual Mechanism 145, 157 Advisory Opinion – on the Legal Consequences of the Construction of a Wall in the Occupied Palestinian Territory 130 – on the Legality of the Threat or Use of Nuclear Weapons 130 Akayesu, Jean-Paul 164, 167, 190, 201 allgemeiner Rechtsgrundsatz 121, 169, 171, 316 Anklagebehörde 154, 181 – 185, 191, 203, 205 – 207, 215, 255, 257, 260, 267, 273, 291 f., 294, 298, 301, 306, 316, 323, 325 Antike 28, 52, 312 Aussagebereitschaft der Opfer 207, 215 Barcelona Traction 129 f. Bemba Gombo, Jean-Pierre 304, 310 f. Bestätigung einer Zeugenaussage 154 f., 161, 268 Bestimmtheitsgrundsatz 111, 148, 162 f., 167, 169 – 171, 192 f., 220, 236, 252, 318, 322 Beteiligung der Opfer am Strafverfahren 256, 271 f., 276 – 279, 282, 286 f. Beweisverwertungsverbot 266 Bluntschli, Johann Caspar 35, 43 – 45, 312 Brüsseler Erklärung 41 f., 44 f., 50 f., 312 Comfort Women 75 f., 274 Consent 150 – 154, 167, 171, 175 – 177, 182 f., 185, 187 f., 191, 221, 267, 270, 319
Einverständnis des Opfers siehe Consent elementary considerations of humanity 89, 131, 321 Entschädigung 133, 137, 141 f., 276, 278, 282, 285, 287, 308, 323 erga omnes-Verpflichtung 129, 131, 133, 141 f., 234, 321 erniedrigende Behandlung 89 f., 96, 102, 119, 240, 314, 317 f. Familienehre 41 f., 44, 50 – 52, 74, 76, 81, 83, 92, 94, 100, 109, 125, 211, 313 Folter 84 – 86, 89 – 91, 94, 96, 101 – 103, 106 f., 112, 114, 119, 133, 136, 146, 149, 159, 162, 165, 168, 189 f., 194, 200, 203, 233, 240 f., 314 – Definition 84, 102 f., 106 f., 196, 233, 237, 246 Folterkonvention 84, 102, 106 f., 232, 314 Furundzˇ iya, Anto 168, 170, 196 Genfer Abkommen – (1929) 50 f. – (1949) 53, 79, 91 f., 110, 146 f., 158, 239 – gemeinsamer Artikel 3 91, 147, 160 Gentili, Alberico 27, 37, 39 grausame Behandlung 82, 84, 89 f., 96, 102 f., 117, 215, 246, 314, 317 f. Grotius, Hugo 37, 39, 52, 312 Hagenbach, Peter von HIV/AIDS 250, 293
32
ICTR 157 – 160, 210, 252 ICTY 145, 148 – 150, 168, 252 Individualansprüche gegen verantwortlichen Staat 137, 139, 141 International Law Commission (ILC) 123 – 125, 129 f., 132
352
Stichwortverzeichnis
Internationaler Gerichtshof (IGH) 89, 117, 129 – 131, 136, 313 Internationales Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) 86, 91, 118, 128, 133 Islam 34, 52, 100 jus cogens 23, 97, 106, 136, 234, 314, 317, 321 Katanga, Germain 295, 297 Kinderrechtskonvention 108 Kontrollratsgesetz Nr. 10 63 f. Kreuzverhör 73, 151 – 153, 208 f. Kreuzzüge 30 Kriegsgefangene 27, 50 f., 92 Kriegsordnung – HLKO 42, 50 – 52, 54, 73, 76, 78, 95, 125, 147, 312 f. – mittelalterliche 31 Kriegsverbrechen 47 f., 61, 65, 71, 74, 76, 86 – 88, 144, 162, 194, 211 f., 237, 239 – 242, 244 – 246, 251, 271, 295, 302 f., 310, 315, 322 Kriegsverbrecherprozesse von Leipzig 49 Kriegsverbrechertribunal – von Nürnberg 60 f., 65 – von Tokio 65 f., 70 f., 74, 76 Kunarac et al. 173 – 175, 188 Lieber-Code 41, 50 f. Londoner Abkommen 61, 63 Martens, Friedrich von 29, 42 – 45 Martens’sche Klausel 42, 95, 125, 131, 168 Massenvergewaltigung, historisches Verbot 59 Menschenrechte 96 f., 101 f., 259, 314 – 316 – Allgemeine Erklärung der 101 menschliche Behandlung 81 – 83, 85, 89 f. Mittelalter 32, 34 Nötigung zur Prostitution, Zwangsprostitution 94 Oxford Manual
45, 50 f.
Pariser Vorfriedenskonferenz 48 Prostitution 24, 48, 50, 95, 218, 222 f., 226 f., 231, 239, 246, 252 – Zwangsprostitution 24 f., 75, 222 Reparationen 141, 283, 285, 292, 309, 320, 324 Repressalie 58 f., 73, 76 f., 313 Revisionsbedürftigkeit 109, 112 römisches Statut des IStGHs 24, 98, 216 – 219, 222 – 224, 237, 239, 251 – 254, 256, 264, 271, 276, 282, 315, 322, 323 Schwangerschaft, erzwungene 24, 218, 226 – 229, 231, 246, 252 f. schwere Verletzung der Genfer Abkommen 84 – 88, 113, 144, 197, 239, 242, 314, 317 schwerer Verstoß gegen die Zusatzprotokolle zu den Genfer Abkommen 93 sexuelle Gewalt 24, 87, 149, 160, 165, 168, 230 f., 293 – gegen Männer 112 – VN-Sonderberichterstatter 325 Sklaverei 27, 96, 102 f., 234 f., 314 – sexuelle 24 f., 75 f., 87, 149, 157, 182, 224 – 227, 231, 235, 246, 252, 274, 290 – 292, 294 – 298, 302, 304, 316 Staatenpraxis 44, 52, 77, 86, 118, 133, 312, 314 Stigmatisierung 21, 24, 105, 112, 202, 207, 253, 255, 264, 277 f., 282, 284, 286 Suárez, Francisco 36 Traumatisierung 202, 205, 210, 260, 267, 293 Trostfrauen siehe Comfort Women unmenschliche Behandlung 61, 71, 74, 82, 85 f., 102, 114, 119, 146, 162, 168, 194, 200 f., 215, 235 – 237, 242, 246, 314 – 317, 322 Verbrechen gegen die Menschlichkeit 61, 63 – 65, 71, 148 f., 159, 162, 194, 200, 211, 217 f., 235, 241, 251, 271, 295, 302 f., 310, 315, 322 Verbrechenselemente zum römischen Statut 172, 216, 218 – 221, 223, 227, 236, 239, 252 f., 296, 319
Stichwortverzeichnis Vergewaltigung – als Folter 84, 106, 162, 168, 173, 184, 201, 232, 314 – als Völkermord 97 f., 101, 148, 172, 201 – historisches Verbot 28, 30 f., 33 – 37, 39, 41 f., 44 f., 49 f., 52, 55, 57 f., 63, 66 f., 70, 72, 76 f. – historisches Vorkommen 27 – 30, 38, 43, 47, 54, 56, 59, 62, 66, 68 – konzeptionelle Definition 166 f., 171 f., 177 f., 180 f., 183, 187, 252, 318 – mechanische Definition 166, 169, 171 f., 177 f., 181, 183, 187, 252, 318 – Verbot im humanitären Völkerrecht 80 – 90, 92 – 96, 108, 158, 160 – völkerstrafrechtlicher Tatbestand 108, 143, 149, 162 – 169, 171, 173, 175, 177, 180, 187, 191 f., 194, 201, 212, 215, 218, 221, 252, 318 f., 322 – von Männern 51, 95, 112, 201, 220 – von Nanking 65, 72, 76 Versailler Vertrag 49
353
Völkergewohnheitsrecht 26, 41, 45, 54, 58, 76 – 78, 89, 97, 101, 106, 108, 116 f., 119, 128, 132, 145, 158, 163, 168, 171, 175, 313, 316 f., 320 Völkermord 97 f., 101, 136, 147, 158, 164, 178, 182, 190, 199, 201, 203, 205, 211, 248 f., 251, 271, 322 Völkermordkonvention 97 f., 100, 147, 158, 248 Wiedergutmachung 123 f., 127, 132, 137 f., 256, 276, 286 f., 320, 324 Yamashita, General
69, 76 – 78, 313
Zeugenschutz 205, 256 – 259, 262, 266, 269, 281 Zusatzprotokolle zu den Genfer Abkommen 79, 108, 110 – 1. Zusatzprotokoll 92 – 2. Zusatzprotokoll 95, 158