134 86 72MB
German Pages 682 [683] Year 1992
Schriften zum Völkerrecht Band 102
Internationaler Kulturgüterschutz Ansätze zur Prävention im Frieden sowie im bewaffneten Konflikt
Von
Sabine von Schorlemer
Duncker & Humblot · Berlin
SABINE VON SCHORLEMER
Internationaler Kulturgüterschutz
Schriften zum Völkerrecht Band 102
Internationaler Kulturgüterschutz Ansätze zur Prävention im Frieden sowie im bewaffneten Konflikt
Von Sabine von Schorlemer
Duncker & Humblot * Berlin
Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Schorlemer, Sabine von: Internationaler Kulturgüterschutz : Ansätze zur Prävention im Frieden sowie im bewaffneten Konflikt / von Sabine von Schorlemer. - Berlin : Duncker und Humblot, 1992 (Schriften zum Völkerrecht ; Bd. 102) Zugl.: Hamburg, Univ., Diss., 1991 ISBN 3-428-07598-6 NE: GT
Alle Rechte vorbehalten © 1992 Duncker & Humblot GmbH, Berlin 41 Fotoprint: Wemer Hildebrand, Berlin 65 Printed in Germany ISSN 0582-0251 ISBN 3-428-07598-6
Meinen lieben Eltern
Alte Kunstwerke gehören als solche der gesamten gebildeten Menschheit an, und der Besitz derselben ist mit der Pflicht verbunden, Sorge für ihre Erhaltung zu tragen. J. W. v. Goethe, Propyläen (1799)
Vorwort Die vorliegende Studie lag Anfang 1991 der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Hamburg als Dissertation vor, wurde in der Folge von Prof. Dr. Rainer Lagoni sowie Prof. Dr. Meinhard Hilf begutachtet und zwischenzeitlich aktualisiert. Verständnis und Geduld bewiesen der Doktorvater Herr Lagoni, von dem nicht nur die Anregung zur Ausarbeitung des Themas, sondern auch wertvoller fachlicher Rat stammte, sowie Prof. Dr. Bruno Simma, der während meiner Assistententätigkeit am Institut für Völkerrecht den Fortgang des Projektes in großzügiger Weise unterstützt hat. Beiden Professoren schuldet die Verfasserin Dank. Von Wichtigkeit waren darüber hinaus einige inhaltliche Anregungen von Dr. Burkhard Hess, Universität München, - ihm sei ebenfalls besonderer Dank. Hilfreich bei der Beschaffung neuerer Literatur und einiger Urteile waren u.a. Prof. Dr. Christian Tomuschat, Universität Bonn, Dr. Stephan Breidenbach, seinerzeit zu einem Habilitationsaufenthalt in Berkely/San Francisco, Dr. Harald Baum, Max-Planck-Institut Hamburg, sowie von italienischer Seite Dr. Enzo Cannizzaro und Dr. Andrea Gattini. Gedankt sei auch Herrn José-Maria Ballester, Head of the Cultural Division des Europarats, für verschiedene Hintergrundinformationen, sowie Dr. Claus Völlers, Bundesministerium des Auswärtigen, und Dr. Regina Westhoff, Bundesministerium des Innern. Dank gebührt schließlich auch Jörn Blachnitzky von der Firma "Mind Designers", Christine Kumm und Dr. Wiseman vom Leibniz-Rechenzentrum, München, für die gewährte technische Unterstützung sowie all denjenigen, die den Fortgang des Projekts gefördert haben, an dieser Stelle aber nicht genannt werden können...
Frühjahr 1992
Sabine von Schorlemer
Inhalt Α. Einführung
23
I. Problemaufriß
23
II. Der Gedanke der Prävention
29
III. Untersuchungsziel und Methodik
32
B. Grundlagen I. Entwicklung des Schutzkonzeptes 1. International i sie rung des Kulturgüterschutzes 2. Hinwendung zum Ensembleschutz
36 36 36 38
3. Wandel von einer kunstästhetischen zur kulturgeschichtlichen Schutzkonzeption . .41 4. Kulturgüterschutz im Lichte kultureller Selbstbestimmung
42
5. Kulturgüterschutz als Element der Entwicklungsförderung
44
II. Annäherung an den Begriff "Kulturgut"
46
1. Problem der Anbindung an gehende Vorstellungen von "Kunst" und "Kultur" . . . . 46 2. Abgrenzung zu immateriellen Weiten
49
3. Differenzierung zwischen Kultur-und Naturerbe
51
4. Kulturgut als "Ware"
54
5. Herkunftskriterium
59
6. Kriterium der Beweglichkeit
65
7. Eigentumsverhältnisse
69
8. Originaleigenschaft
70
9. Alter bzw. Zugehörigkeit zu einer bestimmten Periode
73
10. Wert-, Bedeutungs-, Interessekriterium
76
11. Resümee
82
Inhalt
10
C. Schutz gegen natürliche Gefahren und Umwelteinflüsse I. Einführung
87 87
1. Kulturgüterschutz als Problem des Umweltrechts
87
2. Anthropozentrismus venus ökozentrismus
91
3. Erfolge internationaler Rettungsaktionen
95
II. Spezielle Problemfelder 1. Schutz gegen Urbanisierungs- und Industrialisierungsprobleme
101 101
a) Gefahrenpotential
101
b) Lösungsansätze
104
2. Schutz gegen Massentourismus
110
a) Gefahrenpotential
110
b) Empfehlungen des Europarates
113
c) Haager Deklaration über Tourismus
114
d) UNESCO Studie "The Effects of Tourism on Socio-cultural Value"
116
e) ICOMOS Charter of Cultural Tourism
116
f) Viertes AKP-EWG-Abkommen von Lomé vom 15. Dezember 1989
117
g) Fazit
119
3. Schutz gegen Natur- und sonstige Katastrophen
122
a) Gefahrenpotential
122
b) Aktivitäten der UNESCO
122
c) Aktivitäten des Europarates
125
d) Fazit
127
III. Das UNESCO Übereinkommen zum Schutz des Kultur-und Naturerbes der Welt . . 1 2 8 1. Nationale Anforderungen
129
2. Das "System internationaler Unterstützung"
133
a) Grundlagen
133
b) Aufnahme gefährdeter Kulturgüter in Listen
135
(aa) Uste des Eibes der Welt
135
(bb) Liste des gefährdeten Eibes der Welt
139
c) Arten der internationalen Unterstützung 3. Pflicht zur Unterlassung der Schädigung von fremdem Kulturgut IV. Ausblick: Prävention de lege ferenda
141 146 150
Inhalt
D. Schutz des archäologischen Erbes I. Archäologische Forschung als Gegenstand des Kulturgüterschutzes
156 156
1. Faktoren der Bedrohung
156
2. Historische Entwicklung
160
3. Ziele des archäologischen Kultuigüterschutzes
162
II. Pflichten zum Schutz des archäologischen Erbes
165
1. Pflichten des Fundortstaates
165
a) Genehmigungspflicht
165
b) Einrichtung nationaler Stellen
165
c) Regelung der Pflichten der Ausgrabenden
167
d) Inventarisierungspflichten
168
e) Schaffung "archäologischer Reservate"
169
f) Überwachung
171
g) Schutz der Ausgrabungsergebnisse
173
2. Internationale Unterstützung
175
a) Beteiligung ausländischer Forscher
175
b) Kooperationspflichten
177
c) Fallstudie: USA/Kanada
182
III. Kritische Würdigung 1. "Staatseigentum" als Mittel der Prävention
185 185
2. Verbesserung der Technologien als Schutzstrategie
190
3. Grenzen des Völkerrechts
191
E. Schutz des Unterwassererbes I. Hintergrund
193 193
1. Probleme der Meeresarchäologie
193
2. Anwendbarkeit allgemeiner kulturgüterrechtlicher Bestimmungen
1%
3. Theoretische Ansätze zum Schutz des Unterwassererbes
199
II. Fortschritte bei der Kodifizierong
200
1. Die Genfer Seerechtsübereinkommen von 1958
200
2. Die Seerechtskonvention der Vereinten Nationen von 1982
201
3. Der Entwurf einer Europäischen Konvention zum Schutz des Unterwassereibes . . 204
Inhalt
12
III. Erforschung und Bergung archäologischer Funde 1. Ausübung von Hoheitsrechten
208 209
a) Innere Gewässer, Köstenmeer und Archipelgewässer
210
b) Anschlußzone
214
c) Festlandsockel (FS)
218
d) Ausschließliche Wirtschaftszone (AWZ)
225
e) Hohe See außerhalb küstenstaatlicher Jurisdiktion
229
2. Pflicht zur Kooperation
236
3. Überwachung der Forschung und Bergung
240
4. Fundverteilung
242
5. Ergebnis
245
IV. Rechtspolitische Vorschläge
249
1. Ausschluß des "right to salvage and wreck"
249
2. Schaffung einer internationalen Kontrollkommission
252
3. Einführung von Kulturschutzzonen
253
4. ILA Draft Convention on the Protection of the Underwater Cultural Heritage . . . . 255 F. Schutz von Kulturgut bel bewaffneten Konflikten I. Herausbildung der Grundgedanken im humanitären Völkerrecht: überblick
258 258
1. Der sog. Lieber Code
261
2. Der Entwurf von Brüssel 1874
262
3. Das "Manuel dOxford" von 1880
263
4. Die Haager Konventionen von 1899 bzw. 1907
263
5. Das (IX). Haager Abkommen betr. die Beschießung durch Seestreitkräfte
266
6. Der niederländische Entwurf von 1919
267
7. Die Haager Luftkriegsregeln von 1923
268
8. Der Roerich-Pakt
269
9. Der Washingtoner Vertrag
270
10. Die Entwürfe des Internationalen Museumsbüros
271
II. Probleme des modernen Kulturgüterschutzes in der Folge des 2. Weltkrieges
272
1. Kriegserfahrungen in kultuigüterrechtlicher Hinsicht
272
2. Kodifikationen zum Schutz von Kulturgut bei bewaffneten Konflikten
276
a) Die UNESCO Kulturgüterschutzkonvention von 1954
276
Inhalt
b) Das I. Genfer Zusatzprotokoll von 1977
281
c) Das II. Genfer Zusatzprotokoll von 1977
293
d) Der ILC Draft Code of Crimes Against the Peace and Security of Mankind . . 296 3. Herausbildung von Volkergewohnheitsrecht
297
4. Schutz in besetzten Gebieten
300
III. Kritische Würdigung
304
1. Kulturgüterschutz im Frieden - eine Maßnahme der Kriegsvorbereitung?
304
2. Grenzen der Prävention
309
G. Schutz von Kulturgütern bei Staatensukzessionen I. Einführung: Kulturgüter als Gegenstand der Staatensukzession
313 313
1. Kulturgüter als staatliches Aktivvermögen
314
2. Differenzierung zwischen Archiven und sonstigen Kulturgütern
318
II. Staatennachfolge in Archive
321
1. Objekte und Konstellationen
321
2. Wahrung der Einheit von Archivkörpem
323
a) Geographisches Betreffsprinzip
323
b) Provenienzprinzip
325
c) Grundsatz der funktionellen Pertinenz
331
3. Pflichten zum Schutz staatlicher Archive
332
a) Vertragliche Pflichten
332
b) Pflichten nach allgemeinem Völkerrecht
333
4. Sondeibehandlung der "newly independent States"
336
III. Staatennachfolge in sonstige Kulturgüter
340
IV. Resümee
344
H. Schutz von Leihgaben und sonstigen ausländischen Kulturgütern I. Erleichterung des Austausche von Exponaten 1. Allgemeine Grundlagen der Kooperation auf dem Ausstellungssektor
347 347 350
2. Abbau von Einfuhihindemissen
354
3. Die Auffassung des EuGH hinsichtlich der zolltariflichen Praxis
357
4. Sonstige Probleme
361
14
Inhalt
II. Beschädigung von Leihgaben und sonstigen Kulturgütern im Ausland
363
1. Gefahrenpotential
363
2. Staatenpraxis
365
3. Völkerrechtliche Löeungsansätze
369
a) Verhältnis privater Leihgeber^rivater Aussteller
369
b) Verhältnis privater Leihgeber/staatlicher Aussteller
370
c) Verhältnis staatlicher Leihgeber/privater Aussteller
371
d) Verhältnis staatlicher Leihgeber/staatlicher Aussteller
372
III. Zugriff auf im Ausland befindliche Kulturgüter aufgrund Zwangsvollstreckung . . . . 374 1. Kulturgüter in Privatbesitz
375
2. Kulturgüter in Staatsvermögen
379
IV. Ausblick: Schutzinteressen im Lichte des internationalen Austauschs J. Schutz gegen illegalen Kunsthandel I. Einführung
384 386 386
1. Illegaler Kunsthandel heute
386
2. Ursachen für die Zunahme des illegalen Kunsthandels
390
3. Interessengegensätze
397
II. Staatenpraxis
402
1. Nationale Vorschriften zum Schutz gegen Abwanderung
402
2. Praxis der Zollbehörden
411
III. Bilaterale Abkommen
414
1. Frankreich/Monaco
414
2. USA/Mexiko
415
3. USA/Peru und USA/Guatemala
417
4. Kulturabkommen
418
5. Sonstige Abkommen
419
IV. Tätigkeit im Rahmen internationaler Organisationen 1. Schutzmaßnahmen in historischer Sicht
420 420
a) Die Entwurfskonventionen des Völkerbundes
420
b) Der Washingtoner Veitrag von 1935
423
2. Schutzmaßnahmen der UNESCO
424
Inhalt
a) Überblick
424
b) Das sog. Abkommen von Florenz von 1952
426
c) Das Protokoll zur UNESCO Kultuigüterschutzkonvention von 1954
426
d) Convention on the Illicit Movement of Art Treasures von 1970
427
(aa) Entstehungsgeschichte
428
(bb) Analyse des Vertragstextes
431
(cc) Implementierung der Konvention 3. Schutzmaßnahmen des Europarates
437 443
a) Überblick
443
b) Aufgabenteilung zwischen Europarat und EG
444
c) Das Europäische Kulturabkommen von 1954
449
d) Die Europäische Konvention zum Schutz des archäologischen Erbes von 1969 und ihre Revision
451
e) Draft Convention on the Protection of the Underwater Cultural Heritage . . . . 454 f) European Convention on Offences Relating to Cultural Property von 1985 . . . 456 4. Sonstige Organisationen
460
a) OAS und Lateinamerika
460
b) EFTA
463
c) GATT
467
d) International Law Commission
470
V. Schritte gegen den illegalen Kunsthandel im Rahmen der EG 1. Zuständigkeit der EG auf dem Gebiet des Kulturgüterschutzes a) Zunahme kultureller Aktivitäten der Gemeinschaft
477 477 479
b) Mögliche Rechtsgrundlagen für den präventiven Schutz von Kulturgütern . . . 483 2. Überwachung des Kunsthandels gegenüber Drittstaaten
489
3. Überwachung des innergemeinschaftlichen Handels mit Kulturgütern
495
a) Grundsatz der Warenverkehrsfreiheit von Kulturgütern
495
b) Rechtfertigung nationaler Schutzmaßnahmen
496
(aa) Rechtfertigung von nationalen Schutzmaßnahmen gem. Art. 36 EWGV . . 496 (bb) Rechtfertigung von Schutzmaßnahmen zur "Förderung der Kultur" c) Reformvorschläge VI. Zur Problematik von Verbotsgesetzen im Kunsthandel 1. Differenzierung zwischen "absoluten" und "selektiven" Verbotsgesetzen
504 507 518 518
16
Inhalt
a) Exportvorschriften
518
b) Importvorschrìften
522
2. Die Problematik der extratenitorialen Wirkung von Exportkontrollen
525
a) Situation im internationalen Schuldrecht
525
b) Situation im internationalen Sachenrecht
535
c) Lösung kulturgüterrechtlicher Streitfälle nach US-Strafrecht
543
3. Rechtspolitische Erwägungen K. Ausblick und weiterführende Überlegungen I. Das "Common Heritage-Prinzip": Eine Chance für den Kulturgüterschutz? 1. Entwicklung
549 560 560 560
a) Einführung des Common Heritage-Prinzips in den Kulturgüterschutz
560
b) Die Vorstellung einer "Treuhand" für das Kultureibe
564
2. Chancen
566
a) Erhaltung
566
b) Restitution
568
c) Forschung
568
d) Zugang und kultureller Austausch
569
e) Intervention zur Rettung von Kulturgut
571
0 Finanzieller Lastenausgleich
572
3. Grenzen und Einwände
573
a) Natur der Ressourcen
573
b) Territorialhoheit und staatliche Souveränität
574
c) Gebot der friedlichen Nutzung
576
d) Umstrittene Rechtssubjekte
578
e) Verhältnis zwischen nationalem,regionalemund universellem Erbe 4. Kritische Würdigung
579 581
II. Bestandsaufnahme im Hinblick auf kulturgüterrechtliche Prävention
583
III. Ausblick
588
IV. Überblicksartige Zusammenfassung
591
Literatur
603
Index
674
Abkürzungsverzeichnis
a.A.
anderer Ansicht
A.A.A.
Association des Auditeurs et Anciens Auditeurs de Γ Académie de la Haye
a.a.O.
am angegebenen Ort
ABl.
Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaft
Abs.
Absatz
AdG
Archiv der Gegenwart
AFDI
Annuaire Français de Droit International
AFP
Agence France Press
AJIL
American Journal of International Law
AKP
Staaten Afrikas, der Karibik und des Pazifiks
A11.E.R.
All England Reports
AnnIDI
Annuaire de l'Institut de Droit International
ASIL
American Society of International Law. Proceedings. Washington D.C.
AP
Associated Press
Art.
Artikel
Aufl.
Auflage(n)
AVR
Archiv des Völkerrechts
AWZ
Ausschließliche Wirtschaftszone
Bd.
Band
BerDGVR
Berichte der Deutschen Gesellschaft für Völkerrecht
BGBl
(deutsches) Bundesgesetzblatt
2 von Schorlemer
18
Abkürzungsverzeichnis
BGE
Bundesgerichtsentscheidung
BGH
Bundesgerichtshof
BR
Bundesrat
BT
Bundestag
Bull. EG
Bulletin der Europäischen Gemeinschaften
BVerfGE
Bundesverfassungsgericht, amtliche Entscheidungssammlung
BYIL
The British Year Book of International Law
CA.
Court of Appeal
CAHAQ
Ad Hoc Committee of Experts on the Underwater Cultural Heritage
CDU
Christlich Demokratische Union
CD UP
Steering Committee for Urban Policies and the Architectural Heritage
C.I.N.O.A.
Confédération internationale des négociants en oeuvres d'art
Cir.
Circuit
ders.
derselbe
dies.
dieselbe(n)
Diss.
Dissertation
Doc.
Dokument
Dpa
Deutsche Presse Agentur
DRV
Deutscher Restauratoren Verband
EA
Europa-Archiv
ebd.
ebendort
EEZ
Exclusive Economic Zone
EFTA
European Free Trade Association
EG
Europäische Gemeinschaften
EPIL
R. Bernhardt (Hrsg.), Encyclopedia of Public International Law, 12 Bände (1981 ff.)
EuGH
Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften
EuGRZ
Europäische Grundrechte-Zeitschrift
Abkürzungsverzcichnii
19
EuR
Europarecht
EWG
Europäische Wirtschaftsgemeinschaft
EWGV
Vertrag zur Gründung der Europaischen Wirtschaftsgemeinschaft
f., ff.
folgende Seite(n)
FAZ
Frankfurter Allgemeine Zeitung
FBI
Federal Bureau of Investigation
F.D.P.
Freie Demokokratische Partei Deutschland
F.I.D.E.
Fédération Internationale de Droit Européen
Fn.
Fußnote
FS
Festlandsockel
GATT
Allgemeines Zoll· und Handelsabkommen
GG
Gnindgesetz für die Bundesrepublik Deutschland
GmbH
Gesellschaft mit beschrankter Haftung
GYIL
German Yearbook of International Law
GZT
Gemeinsamer Zoiltraif
HILJ
Harvard International Law Journal
H.L
House of Lords
HLKO
Haager Landkriegsordnung
h.M.
herrschende Meinung
Hng.
Herausgeber
ICCROM
International Centre for the Study of the Preservation and the Restoration of Cultural Property
ICJ
International Court of Justice
ICNT
Informal Composite Negotiating Text
ICOM
Internationaler Museum s rat
ICOMOS
Internationaler Rat für Denkmalpflege
IFSA
Immunity From Seizure Act
IGH
Internationaler Gerichtshof
^
Abkürzungsverzeichnis
20
IL
International Lawyer
ILA
International Law Association
ILC
International Law Commission
ILM
International Legal Materials
ILR
International Law Reports
IMO
International Maritime Organization
ISNT
Informal Single Negotiating Text
IUCN
International Union for Conservation of Nature
JDI
Journal du Droit International
Jg.
Jahrgang
Jhdt.
Jahrhundert
JZ
Juristen-Zeitung
LNTS
League of Nations Treaty Series
m.E.
meines Erachtens
m.w.N.
mit weiteren Nachweisen
NILR
Netherlands International Law Review
NJW
Neue Juristische Wochenschrift
NSPA
National Stolen Property Act
N.Y.
New York
NYIL
Netherlands Yearbook of International Law
NZWehrR
Neue Zeitschrift für Wehrrecht
NZZ
Neue Züricher Zeitung
OAS
Organisation Amerikanischer Staaten
o.V.
ohne Verfasser
ÖZöffR(V)
österreichische Zeitschrift fur öffentliches Recht (und Völkerrecht)
PCLJ
Permanent Court of International Justice
Proc.
Proceedings
Abküzungsvezeichnis
Q.B.D.
Queen's Bench Division
RabelsZ
Rabeis Zeitschrift fQr Ausländisches und Internationales Privatrecht
RdC
Recueil des Cours de l'Académie de Droit International de la Haye
Rdnr.
Randnummer
RDPMetDG Revue de Droit Penal Militaire et de Droit de la Guerre Ree.
Recommendation (engl.); Recommandation (frz.)
Res.
Resolution
RGBl
(deutsches) Reichsgesetzblatt
RGDIP
Revue Générale de Droit International Public
RI DC
Revue Internationale de Droit Comparé
RIW
Recht der internationalen Wirtschaft
Rs.
Rechtssache
RSNT
Revised Single Negotiating Text
Rspr.
Rechtsprechung
S.
Seite, im Zusammenhang mitrechtlichenBestimmungen: Satz
s.a.
siehe auch
SchwJIR
Schweizerisches Jahrbuch für internationales Recht
SJZ
Schweizerische Juristenzeitung
Slg.
Sammlung
s.o.
siehe oben
Spa.
Spalte
SPD
Sozialdemokratische Partei Deutschland
SRÜ
UN-Seerechtsübereinkommen (1982)
STGB
Strafgesetzbuch
StIGH
Ständiger Internationaler Gerichtshof
s.u.
siehe unten
Supp.
Supplement
Abkürzungsverzeichnis
22
SZ
Süddeutsche Zeitung
u.a.
unter anderem
UN
United Nations
UNCITRAL Kommission der Vereinten Nationen für Internationales Handelsrecht UNESCO
United Nations Educational, Scientific and Cultural Organization
UNGA
United Nations General Assembly
UNIDROIT International Institute for the Unification of Private Law UNTS
United Nations Treaty Series
Urt.
Urteil
US
United States
Var.
Variante
v. Chr.
vor Christus
vgl.
vergleiche
VirgJIL
Virginia Journal of International Law
VN
Vereinte Nationen (Zeitschrift)
VO
Verordnung
Vol.
Volume (Band)
VVDStRL
Veröffentlichung der Vereinigung der deutschen Staatsrechtslehrer
WdV
K. Strupp / H.-J. Schlochauer (Hng.), Wörterbuch des Völkerrechts
W.L.R.
Weekly Law Report
WRV
Weimarer Reichsverfassung
WTO
World Tourism Organization
WVRK
Wiener Vertragsrechtskonvention
Yb
Yearbook
ZaöRV
Zeitschrift fur ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht
Α. Einführung L Problemaufriß Geheimnisse dieser Welt - es gibt sie noch. Wiederholt war die Öffentlichkeit in den letzten Jahren Zeuge einiger sensationeller Funde. So entdeckten Meeresarchäologen 1988 in 30 Meter Wassertiefe nördlich von Sizilien nahe der Insel Panarea in einem Unterwasserkrater ein 2400 Jahre altes Frachtschiff aus der "klassischen Periode" mit kostbarem Keramikschatz an Bord. Obwohl die Ausgrabungen lange geheimgehalten wurden, um Plünderungen zu verhindern, haben Unterwasseipiraten nach Darstellung der Archäologen Hunderte sehr wertvoller Töpfereien mit schwarzer Glasur gestohlen. Daraufhin wurde das Seegebiet von Schiffen und Hubschraubern der italienischen Küstenwache abgesichert...1 Ebenfalls Aufsehen erregte die Meldung, mexikanische Archäologen hätten tausend Kilometer nördlich von Mexiko-Stadt eine Maya-Siedlung mit zweistöckigen Gebäuden, Terrassen und Bewässerungssystemen entdeckt. Bei der Stadt, die auf den Namen X'kiche getauft wurde, handelt es sich ersten Untersuchungen zufolge um eine Siedlung aus der Spätzeit der Maya, etwa um 1000 nach Christus2. Erst Forscher unserer Tage entdeckten den frühesten, mehr als 9000 Jahre alten Tempel der Welt in "Nevali Cori, einer Siedlung aus der Jungsteinzeit im Südosten der Türkei3. Selbst die verhältnismäßig gut erforschten Fundstätten in Gizeh4, aber auch in Pompeji sorgen augenscheinlich
1
Dpa-Meldung, 16. März 1988. Gemeldet wurde im selben Zeitraum die Entdeckung eines Wracks durch amerikanische Schatzsucher, das vermutlich wie sein Schwesterschiff, das berühmte spanische Schatzschiff 'Nuestra Senora de Atocha*, 1622 während eines Hurricanes 110 Kilometer westlich von Key West (Florida) gesunken ist. 2 AFP-Meldung, 29./30. Juli 1989; sensationell mutet auch die Entdeckung der sagenhaften Wüstenstadt 'Ubar* im Süden des Sultanats Oman durch zwei amerikanische Amateurforscher an, vgl. DER SPIEGEL 8/1992, Metropole des Weihrauchs, S. 220-221. 3 DER SPIEGEL 33/1991, Die Schwelle zur Zivilisation, S. 160-165. 4 Gizeh, gegenüber Alt-Kairo am westlichen Nilufer gelegen, ist die berühmteste Gruppe altägyptischer Pyramiden (4. Dynastie, 3. Jt. v.Chr.); 1991 wurde südwestlich des Sphinx ein neuer Friedhof mit 11 großen und 58 kleinen Gräbern aus dem Alten Reich entdeckt, vgl. P. Günther; B. Geiger, Ägyptologie in Turin, in: NZZ Nr. 239, 16. Okt. 1991, S. 33.
24
Α. Einfühlung
noch für Überraschungen: Ein wertvoller Marmor-Putto wurde bei im Jahre 1990 vorgenommenen Ausgrabungen auf dem Gelände der 79 nach Chr. verschütteten, italienischen Stadt entdeckt3. Das Auftauchen "neuer" Schätze und deren Erforschung stellt zweifelsohne eine Bereicherung für die Menschheit dar. Es kann allerdings nicht über die bedrohliche Situation hinwegtäuschen, in der sich das Kulturerbe der Welt an der Schwelle zum nächsten Jahrtausend befindet: — Die Zahl der Neuentdeckungen ist begrenzt; einer pessimistischen Einschätzung zufolge ist es bei anhaltender Entwicklung nicht ausgeschlossen, daß bis zum Ende des Jahrhunderts keine unerforschten archäologischen Stätten mehr existieren6. — Eine Analyse der Rechtslage in den UNESCO-Mitgliedstaaten zu Anfang der achtziger Jahre ergab, daß nur etwa ein Fünftel von ihnen diejenigen Objekte, die zum Kulturerbe gerechnet werden, hinreichend schützt7. — Die Gefährdungen, denen Kulturgüter ausgesetzt sind, sind mannigfaltig, wie der folgende kurze Überblick zeigt. Die Geschichte kennt mehrere Epochen, in denen die Zerstörung von Kulturgut infolge weltanschaulicher Differenzen oder Habgier der Potentaten systematisch betrieben wurde. Zur erstgenannten Kategorie gehört jener vom 6. bis zum 9. Jahrhundert reichende, Ikonoklasmus genannte Bilderstreit, der zur Zerstörung von Heiligenbildern in der byzantinischen Kirche führte 8, aber auch das Zeitalter der beginnenden Reformation. Ausschreitungen der zweiten Kategorie stellen z.B. Napoleon Bonapartes Eroberungszüge und der von Hitler rücksichtslos und straff organisierte Raub wertvoller Kunstschätze in Österreich, der Tschechoslowakei, Polen, Frankreich, den Niederlanden, der Sowjetunion,
9
Art 4/1990, S. 28. Daß nicht allen "NeiT-entdeckungen zu trauen ist, zeigt die weitere Geschichte dieses Fundes: die kleine Brunnenfigur wurde offenbar bereits 1979 im New Yorker American Museum of Natural History im Rahmen der Ausstellung "Pompeji A.D.79" gezeigt und seit langem unter der Inventamummer 6112 des Museums in Neapel geführt, vgl. W. Ambergen Inszenierte Ausgrabung, in: Art 5/1990, S. 8. 4
Κ. E. Meyer, Geplünderte Vergangenheit (1977), S. 10. H. Meinel. Die museumsbezogenen Aktivitäten der UNESCO für die Dritte Welt, in: H. Auer (Hrsg.), Das Museum und die Dritte Welt, Bericht über ein internationales Symposium, veranstaltet von den ICOM-Nationalkomitees der Bundesrepublik Deutschland, Österreichs und der Schweiz vom 7. bis 10. Mai 1979 am Bodensee (1981), S. 117. 9 Einige der wenigen Werke, die die Anordnung des byzantinischen Kaisers, alle Heiligendarstellungen zu zerstören, überdauert haben, sind die aus der nord-zypriotischen Dorfkirche Lyth rank orni stammenden Mosaiken aus dem 6. Jahrhundert (sie zeigen Apostel Matthäus und Jacobus, einen Erzengel und Jesus). Auf deren Rückgabe wurde jüngst im Autocephalous Greek-Orthodox Church of Cyprus v. Goldberg Fine Arts Inc., 717 F. Sup (S.D.Ind. 1989) erkannt; zu diesem Fall siehe Kapitel J.I.l und VI.2 sowie Kapitel F.II.4. 7
I. Problemaufriß
25
Südosteuropa und Italien dar. Allein in Polen sollen Schätzungen zufolge während des NS-Regimes nahezu 95 Prozent des nationalen Kulturbesitzes geplündert worden sein9. Neben kriegsbedingtem Vandalismus, der von Alters her zu unersetzlichen Kunstverlusten führte, vermindert sich das Kulturerbe der Welt kontinuierlich durch physikalische Verfallsprozesse und natürliche Gefahren. So bedrohen Überschwemmungen 10, Erdbeben 11, Orkane und Feuersbrünste unbewegliche Kulturgüter gleichermaßen wie bewegliche. Alarmierend ist auch die Gefahr des Einsturzes von Kulturdenkmälern durch militärische Tiefflüge, wie sich bei einer der schönsten Barockkirchen in Bayern, der Wieskirche, zeigte 12 . Als Zerstörungsfaktoren müssen auch städtebauliche Aktivitäten 13 und fehlgeleitete industrielle Entwicklungen gelten. Die UNESCO 1 4 warnte, prähistorische, proto-historische und historische Monumente seien "increasingly
' Vgl. nur/. Kurz, Kunstraub in Europa 1938-1945 (1989); K.-H. Janßen, "Sonderauftrag Linz", immer noch geheimgehalten: der Kunstraub Adolf Hitlers, in: DIE ZEIT, Nr. 2,2. Jan. 1987, S. 9f. Zu den Erfahrungen des Zweiten Weltkriegs siehe auch Kapitel F.II.l. 10 Zur Überschwemmung von Florenz siehe auch BT-Dmcksache 10/6296, 3. Nov. 1986, S. 20. 11 Im Winter 1980/81 wurden zahlreiche Kulturdenkmäler wie Pompeji, Herkulaneum oder Museo di Capodimonte schwer von einer Erdbebenkatastrophe getroffen; dazu Schriftliche Fragen mit den in der Woche vom 12. Jan. 1981 eingegangenen Antworten der Bundesregierung, BTDrucksache 9/99, 16. Jan. 1981, S. 2 f. Von Erdbeben beschädigt wurden ebenfalls die auf der Weltkultur-Liste der UNESCO stehenden Mogao-Grotten bei Dunhuang westlich von Schanghai. Für sie wurde eine kostspielige Rettungsaktion organisiert, vgl. U. Henn % Willkommene Gäste in den Höhlen der tausend Buddhas, Art 4/1989, S. 16. Die Gefahr von Naturkatastrophen für Kulturgüter behandelt Kapitel C.II.3 a. 12 Vgl. dazu die Kleine Anfrage des Abgeordneten Sauermilch und der Fraktion DIE GRÜNEN, Durch militärische Objekte bedingte Schäden an Gebäuden, Kulturdenkmälern und Ingenieurbauwerken, BT-Dmcksache 10/2540,30. Nov. 1984, S. 1 ff., speziell Ziff. 13 und 15, und die sehr knappe Antwort der Bundesregierung in BT-Drucksache 10/2644, 14. Dez. 1984, S. 1 ff.: Die Regelungen für den militärischen Flugbetrieb seien so abgefaßt, daß bei sachgerechter Durchführung Schäden vermieden würden. Aufgrund des "sehr geringen Umfangs von Schäden" sei ein besonderer Etat für den Ausgleich von Tiefflugfolgeschäden nicht vorgesehen. Was die Wieskirche angeht, so sei der Bundesminister der Verteidigung "nach den vorliegenden Erkenntnissen nicht betroffen" (S. 3). 13 Mit dem Hinweis, daß man es im 16.-18. Jahiiiundert als sein gutes Recht betrachtete, Altes zu beseitigen, um für Neues, "Besseres" Raum zu schaffen, wies Georg Dehio zutreffend darauf hin, daß die Zerstörung von Werken älterer Kunstepochen auch die Folge "überströmender Schaffenslust einer sich selbstvertrauenden Gegenwart" sein kann, vgl. G. Dehio, Denkmalschutz und Denkmalpflege im neunzehnten Jahrhundert, in: G. Dehio; A. Riegl, Konservieren, nicht restaurieren, Streitschriften zur Denkmalpflege um 1900, hrsg. von U. Conrads, Bau weit Fundamente 80, S. 90. 14
UNESCO Recommendation Concerning the Preservation of Cultural Property Endangered by Public or Private Works, adopted by the General Conference at its fifteenth session, Paris, 19. Nov. 1968, Präambel Abs. 7.
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Α. Einfühlung
threatened by public and private works from industrial development and urbanization". Im gleichen Tenor mahnte die Erklärung von Mexiko-City über Kulturpolitik, daß das Kulturerbe häufig "durch Gedankenlosigkeit und im Verlauf des Urbanisierungs- und Industrialisierungsprozesses unseres Jahrhunderts durch eine immer stärkere Technisierung beschädigt oder zerstört" wird 13. So führte allein der Bau des Navaja-Staubeckens am San-Juan River Anfang der 60er Jahre zur Überflutung und damit zum Tod nicht nur zahlreicher Tiere, sondern auch zum Verlust von rund 300 archäologischen Fundstätten. Das Wettrennen mit der Zeit bei der Sicherung kultureller Schätze wird durch akute Umweltprobleme verschärft. Luftverschmutzung, Smog und durch sauren Regen verursachter Steinfraß führen zu unersetzlichen Schäden. Beispielsweise setzten die Niederschläge manchen Monumenten in Rom binnen weniger Jahre so sehr zu, daß inzwischen Einsturzgefahr droht16. Saurer Regen macht auch vor jahrtausendealten Denkmälern nicht Halt: 1988 löste sich ein mehr als 300 Kilogramm schwerer Brocken aus der Schulter des Sphinx, der ca. 2600 v. Chr. geschaffen wurde und heute durch Erosion, Luftverschmutzung und Abwässer stark angegriffen ist17. Emissionen der Ölindustrie, aber auch Abgase aus unzähligen Touristenbussen ließen den Säuregehalt des Regens auf der mexikanischen Halbinsel Yucatän so stark ansteigen, daß die noch erhaltenen Denkmäler der Maya-Kultur in ihrem Fortbestehen gefährdet sind. Vor allem in den Tempeln von Palenque lösen sich Farbfiragmente von den Wänden; über 1000 Jahre alte Reliefs wurden in den vergangenen zwei Jahrzehnten bis zur Unkenntlichkeit verstümmelt18. Das Absinken des Grundwasserspiegels kann Baudenkmäler ebenfalls bedrohen. So stürzte der 78 Meter hohe Glockenturm des Doms der norditalienischen Stadt Pavia, der neun Jahrhunderte sicheren Stand bewahrt hatte, nach der Trockenheit des Winters 1988/89 in seinen Grundfesten zusammen19.
13 UNESCO-Dienst, Sonderausgabc, Erklärung von Mexiko-City über Kulturpolitik, Weltkonferenz über Kulturpolitik, Mexiko, 26. Juli - 6. Aug. 1982. w Erschütternde Bilder aus Rom finden sich in dem Bericht von A. Bruno, Protecting and Preserving the Column of Marcus Aurelius, in: Museum 39 (1987), S. 3-7; P. Zänker, Marc Aurels Rückkehr auf das Kapitol, Symbol römischer Geschichte oder Museumsstück?, in: NZZ Nr. 153, 15. Juni 1990, S. 39, 1. Spa. beschreibt die Zerstörung des bronzenen Reiterdenkmals von Kaiser Marc Aurel. Selbst der Sockel überdauerte die Jahre derrestaurationsbedingten Entfernung des Denkmals nicht und muß deshalb inzwischen selbstrestauriert werden. 17 Zum Fortgang der Restaurierung vgl. NZZ Nr. 27, 2./3. Febr. 1991, S. 21, 2. Spa, Plastische Chirurgie für den Sphinx. Ιβ DER SPIEGEL 33/1989, S. 117. 19 Art 5/1989, S. 28; auch die mittelalterliche Hatzburg bei Wedel, sinkt aufgrund eines Großbrunnens der Hamburger Wasserwerke bedrohlich ab, vgl. W. Kramer, Hamburgischer Großbrunnen trocknet mittelalterliche Burg aus, in: Archäologie in Deutschland 4/1988, S. 4-7.
I. Problemauf riß
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Die bloße Gegenwart von Touristen kann ebenfalls verheerende Auswirkungen haben, wie die mit Graffitis und Karikaturen beschmierten Palastwände rings um den Markusplatz in Venedig nach dem Pink-Floyd Konzert im Juli 1989 belegten. Als exemplarisch für Vandalenakte mag die lange Liste von in der Stadt Florenz begangenen Zerstörungen gelten. Danach wurden den Pferden von Bartolomeo Ammanatis (1511 bis 1592) mindestens viermal die Hufe abgebrochen, einmal das Ohr; den Rössern des berühmten Neptunbrunnens auf der Piazza della Signoria ging es nicht besser. Gar irreparabel ist der Schaden an einer Kleinplastik am Sockel von Benvenuto Cellinis "Perseus mit dem Haupt der Medusen" in der Loggia dei Lanzi: Sie wurde kurzer Hand enthauptet20. Das beliebte "piecemeal-souveniring" oder "pot-hunting" ausländischer Besucher tut ein übriges, um die Existenz kultureller Stätten zu gefährden. Bislang unerreicht an Rohheit scheint jedoch die systematisch betriebene und von westlichen Abnehmern geförderte Plünderung von Stein- und Bronzebildnissen, Holzschnitzereien und metallenen Schmuckschildern im nepalesischen Kathmandutal. Wie der Bildband von Jürgen Schick eindrucksvoll dokumentiert21, wurde im Verlauf weniger Jahre Stück für Stück der Bildnisse noch heute verehrten Götter und Göttinnen herausgebrochen · Füße, Köpfe, Hände, solange bis sie zur Unkenntlichkeit zerstört oder vollends verschwunden waren. Bei archäologischen Funden ist die Bilanz besonders betrüblich, da hier eine wissenschaftliche Dokumentation und Auswertung unerläßlich wäre, um für künftige Generationen wenigstens eine Art "Brücke" zur Vergangenheit zu schaffen. Grabräuber, die das schnelle Geld suchen und gewissenlose Mittelsmänner, denen daran liegt, die Ware möglichst rasch und lukrativ auf den internationalen Kunstmarkt zu schleusen, tragen die Verantwortung dafür, daß Objekte vielfach aus ihrem Kontext gerissen werden und ein Herkunftsnachweis nicht mehr möglich ist. Damit aber sind sie wissenschaftlich weitgehend wertlos. Wie Prott/O'Keefe in einer ihrer zahlreichen, dem Kulturgüterschutz gewidmeten Studien zutreffend hervorgehoben haben: "(T)he objects themselves, detached from the information they can give, are no longer of archaeological value"22.
20
Art 8/1989, S. 18; eine Reaktion der Stadtväter von Florenz auf diese Vandalenakte besteht darin, die Originale durch meist aus Kunststoff gefertigte Duplikate zu ersetzen, vgl. W. Prosinger, Plastik aus Plastik, in: Pan 8/1991, S. 72-73. 21 J. Schick, Die Götter verlassen das Land, Kunstraub in Nepal (1989); vgl. auch Art 4/1986. 22 L. V. Prott, P. J. Ο'Keefe, Law and the Cultural Heritage, Bd. 1, Discovery A Excavation (1984), S. 10, a.A. jedoch J. Thimme , Wachstum oder Stagnation in Antikenmuseen?, in: NZZ Nr. 135, 15. Juni 1990, S. 41, 4. Spa.; zum Gebot der Wahrung des Ensembles und der Kontextforschung siehe näher Kapitel B.I.2 und D.I.3.
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A. Einfuhning
So haben archäologische Plünderungen im afrikanischen Inland Niger Delta, im Nok Gebiet und dem Gebiet zwischen Limpopo und Sambesi Kenntnisse über frühere dort ansässige Zivilisationen sehr erschwert23. In der gebotenen Eile und Heimlichkeit wird nicht selten Sprengstoff verwendet, um schneller an Bodenfunde oder submarine archäologische Objekte zu gelangen. In China sägten Diebe quadratmetergroße Stücke aus den Wandgemälden der Mogao-Grotten bei Dunhuang24. Bei Museums- oder Galerieeinbrüchen werden Meisterwerke zum Teil kurzerhand aus den dazugehörigen Rahmen geschnitten, um sie einfacher transportieren zu können. Transportschäden und unsachgemäße Lagerung sind keine Seltenheit, wie jüngst die Beschädigung der Mosaiken im Fall Autocephalous Greek-Orthodox Church of Cyprus v. Goldberg Fine Arts, Inc. 25 zeigte. Auch die am 31. Januar 1976 im Papstpalast von Avignon gestohlenen 119 Werke von Picasso wurden zum Teil beschädigt wieder aufgefunden 26. Trotz der enormen Prosperität des internationalen Kunstmarktes ist die Wertschätzung, die der "Handelsware" selbst zuteil wird, beschämend: Auf jeden Dollar, der auf dem Kunstmarkt für Erwerbszwecke ausgegeben wird, kommt seit Jahren weniger als ein Cent für die Erhaltung27. Nach vermuteter abnehmender Relevanz werden seit den siebziger Jahren als Schädigungsfaktoren bei Denkmälern und Kunstgütern angesehen28: — Faktoren der Atmosphäre, des Klimas, der Witterung (Luftsauerstoff, Luftkohlensäure, Luft- und Bodenfeuchte, Kondenswasser, Regen, Eis, FrostTauwetter-Zyklen, Temperatursprünge, Licht und andere Strahlung, Wind) — Luftfremde Stoffe (Staub, Rauch, Dämpfe, saure bzw. oxidierende oder andere gasförmige Luftverunreinigungen) — Biologische Faktoren (Bakterien, Algen, Pilze, Flechten, Insektenexkremente, Taubenkot, Hundeurin) — Naturereignisse (Erdbeben, Erdrutsche, Überschwemmungen)
23 Dazu R. J. Mcintosh ; S. Κ. Mcintosh, Dilettantism and Plunder - Illicit Traffic in Ancient Malian Ait, in: Museum 38 (1986), S. 49-57. 24
U. Henn, S. 16. Zu diesem Fall siehe bereits den Verweis in Anm. 8. * Siehe BR-Drucksache 95/78 vom 9. Febr. 1978, S. 7. 17 Κ. E. Meyer, Geplünderte Vergangenheit (1977), S. 105. 28 Umweltbundesamt, Berichte 5/77, Aufgaben des Umweltschutzes im Bereich von Kunstgüterund Denkmalpflege, S. 7 f. 23
II. Der Gedanke der Prävention
29
— Weitcrc anthropogene Faktoren (z.B. schlechte Werkstoffauswahl bzw. Konstruktion, unsachgemäße Pflege bzw. Restaurierung oder Konservierung, Erschütterungen, mutwillige Beschädigungen, Brände) — Kriegseinwirkung An erster Stelle stehen damit auf Umwelteinflüsse zurückzuführende Schädigungen von Kulturgut29. Relativ große Gefahren gehen des weiteren von Naturkatastrophen wie Erdbeben, Erdrutschen und Überschwemmungen aus. Kriegsschäden figurieren an letzter Stelle dieser Aufstellung. Dieser Einsicht soll im Rahmen der Studie Rechnung getragen werden.
Π. Der Gedanke der Prävention Kulturgüter betreffende Bestimmungen waren von der Antike bis zu Anfang des 20. Jahrhunderts unlösbar mit Kriegen und der Erbeutung feindlicher Kunstschätze verbunden. Daneben gab es einige frühe Vorschriften, die das Außerlandesbringen von Kunstschätzen zu verhindern suchten30. Seit dem 19. Jahrhundert waren sich einige um Denkmalschutz bemühte Kreise der Bedeutung des öffentlichen Interesses an der Erhaltung von Kulturgütern bewußt und begannen, denkmalpflegerische Öffentlichkeitsarbeit zu leisten. So hieß es in den gesetzlichen Bestimmungen über den Wirkungskreis der "k.k. Central-Commission zur Erforschung und Erhaltung der Baudenkmale" der Konservatoren und Baubeamten aus dem Jahre 1853 (§ 15): "Alle durch die Kommission erfliessenden Belehrungen über die Schonung und Erhaltung der Denkmale sind in die I^andeszeitungen einzuschalten"31.
Erst die Entwicklung des Museumswesens, der Aufschwung des internationalen Kunsthandels und der auf breiter Ebene organisierte kulturelle Austausch nach dem Zweiten Weltkrieg brachten das Anliegen eines umfassenden Kulturgüterschutzes in das Bewußtsein einer breiteren Öffentlichkeit. Ein durch Kriege und Umwelteinflüsse geschärftes Bewußtsein für die menschliche Umgebung sowie ein wiedererwachtes Interesse an Vergangenem führten zu einer steten Weiterentwicklung kulturgüterrechtlicher Bestimmungen. Das Anliegen der Menschheit, das kulturelle Erbe vor einer weiteren, nicht
Ä
Vgl. aber Committee of Experts, Final Report on the Risks Incurred by Works of Art and Other Cultural Property in Particular the Risks of Theft and Other Forms of Illicit Transfer of Ownership, Brüssel, 19.-22. Nov. 1973, in: Museum 26 (1974), S. 61 ff. Dieser Bericht stellt stärker die unmittelbare menschliche Einwirkung in den Vordergrund. 30 Zu den Schutzmaßnahmen in historischer Sicht siehe auch Kapitel J.IV.l. 31 Vgl. Ρ. Müller, Zur Öffentlichkeitsarbeit in der Denkmalpflege, in: österreichische Zeitschrift für Kunst- und Denkmalpflege 3/4 (1991), S. 203.
30
Α. Einfühlung
wiedergutzumachenden Verschlechterung zu bewahren, kann insofern auch als Zeichen einer zivilisatorischen "Verlustangst" interpretiert werden. "Prävention" bzw. "Vorsorge" impliziert die Vermeidung von Kulturgut schädigenden Ereignissen anstelle einer nachträglichen Beseitigung von Schäden durch Restaurierungs- und Sanierungsmaßnahmen. In Anlehnung an die Ausweitung, welche die Kriminalprävention in den letzten Jahrzehnten von den in den 60er Jahren im juristischen Schrifttum vertretenen general- und spezialpräventiven Strafzwecktheorien hin zu primär-, sekundär- und tertiärpräventiven Ansätzen erfahren hat, wird Prävention im vorliegenden Kontext weit, und darüber hinaus untechnisch gefaßt. Idealiter bewirkt Prävention, daß Schädigungshandlungen unterbleiben. Dem Anliegen, im Kulturgüterschutz zu einer international organisierten Schadensvermeidung zu gelangen, kann eine gewisse Faszination nicht abgesprochen werden. In einer in Hinblick auf den Raum-Zeit-Bezug "kleiner" werdenden, die Individuen einer Vielzahl von Risiken aussetzenden Welt soll es möglich sein, durch kluge, vorausschauende Überlegung und Planung die durch Kulturgüter symbolisierte Brücke zwischen Vergangenheit und Zukunft zu erhalten und zu stabilisieren. Die Chancen dazu steigen nicht zuletzt aufgrund der Entwicklung auf dem Gebiet der Telekommunikation32. Der Schutz bestimmter Güter um ihrer selbst willen oder auch für nachfolgende Generationen setzt eine ethische Pflichtigkeit voraus, die auf die Wahl der möglichen Präventionsstrategien von Einfluß ist: — Eine denkbare Präventionsstrategie kann auf staatlichen Zwang bauen und eine Art Bewirtschaftung des knappen Gutes "Kulturgut" anstreben. Ansätze dazu finden sich in der statuierten Unveräußerlichkeit bestimmter Objekte, aber auch in Kontrollmechanismen der unterschiedlichsten Natur (Inventarisierung, Exportkontrollen, Deklaration als Staatseigentum etc.).
32
So wurde am 9. Sept. 1987 das "Conservation Information Network", ein 'joint venture' Netzwerk, eingerichtet, das Konservatoren und Institutionen in über 65 Ländern 'on line' Zugang zu umfänglichen, die Konservierung und Restaurierung von Kulturgütern betreffenden Informationen (einschließlich archäologische Stätten, Architektur und Ausstellungsstücke) erlaubt. Getragen wird diese Unternehmung vom Canadian Conservation Institute (CCI), dem Canadian Heritage Information Network (CHIN), dem Conservation Analytical Laboratory (CAL) des Smithsonian Institute, dem Getty Conservation Institute, ICCROM, ICOMOS und ICOM, vgl. ICOM News 40, Heft 3/4 (1987), S. 16. Nähere Informationen bei Registration Section, Conservation Information Network, 4503 Glencoe Ave, Martina del Rey, CA 90292, USA. Auch die Teilnehmer des Symposiums über das kulturelle Erbe der KSZE-Teilnehmerstaaten in Krakau (28. Mai bis 7. Juni 1991) waren sich einig über die "Nützlichkeit und die Bedeutung des Austausches von Informationen über die Erhaltung des kulturellen Erbes" und betonten, "daß die Verwendung von Datenbanken auf nationaler und multilateraler Ebene dazu einen nützlichen Beitrag leisten könnte", Art. 19, Presse- und Informationsamt der Bundesregierung, Bulletin Nr. 71, 20. Juni 1991, S. 574; EuGRZ 18 (1991), S. 251.
II. Der Gedanke der Prävention
31
Voraussetzung hierfür sind Interventionsräume sowie ein hohes Maß an staatlicher Steuerungskapazität ("Prävention durch Regulierung"). — Eine andere Präventionsstrategie kann bei der Eigenverantwortung des Bürgers ansetzen; im Vordergrund steht hier die individuelle Aufklärung und die Förderung privater Handlungsbereitschaft Ansätze dafür finden sich in Bereichen, wo ein unmittelbarer Kontakt Mensch/Objekt hergestellt wird, also etwa beim Schutz von Kulturdenkmälern vor unkontrolliertem Tourismus oder aber beim Schutz von Bodenfunden und submarinen Kulturgütern. Auch einige freiwillige Vereinbarungen in Form von Verhaltenskodizes, etwa auf der Ebene von Händlern/Sammlern/musealen Einrichtungen, sind dieser Strategie zuzuordnen ("Prävention durch Bewußtseinswandel")— Eine weitere, höchst komplexe Strategie setzt auf eine Verdichtung von Rechtsinstrumentarien. Dies kann sowohl in formeller (z.B. prozeduiale Erleichterung des Rechtswegs, größere Kompetenzen etwa für mit Aufgaben des Kulturgüterschutzes befaßte NGO's) wie in materieller Hinsicht geschehen (stärkere Verankerung des Zieles "Kulturgüterschutz", etwa auf der Verfassungsebene, "Bewehrung" von Schutzpflichten durch Sanktionen) ("Prävention durch rechtliche Verflechtung"). Welcher der möglichen rechtsethischen Konzeptionen man sich letztlich anvertraut, kann und soll an dieser Stelle nicht abschließend entschieden werden. Im Sinne eines möglichst breiten und umfassenden Kulturgüterschutzes erscheint zum heutigen Zeitpunkt eine Kombination unterschiedlicher Präventionsstrategien legitim. Priorität hat, um eine griffige Formel zu verwenden, der Erhalt möglichst vieler kostbarer Kunstschätze mit möglichst geringem Aufwand in optimaler Kondition. Das moderne Konzept des Kulturgüterschutzes zielt, wie es auf dem Kongreß über "International Protection of Cultural Property" in Delphi 1983 einprägsam formuliert wurde, "at a maximum in quantity and quality of available cultural property"33. Kulturgüterrechtliche Prävention ist eine gesellschaftliche Aufgabe, die eine eigene Lobby braucht. Dabei sollten die tieferliegenden Ursachen der Schädigungen von Kulturgut erforscht und versucht werden, in interdisziplinärer Ausrichtung bestehende Ansätze auszubauen und in ein eigenes Präventionskonzept zu integrieren.
33 C. D. Dicke , The Instruments and Agencies of the International Protection of Cultural Property, Proceedings of the Thirteenth Colloquy on European Law, Delphi, 20.-22. Sept 1983 (1984), S. 26.
32
Α. Einfühung
ΠΙ. Untersuchungsziel und Methodik Die vorliegende Untersuchung zielt darauf, die Grundlagen des modernen Kulturgüterschutzes zu erarbeiten und dessen Probleme sowie Defizite aufzuzeigen. Wenn möglich sollen Denkanstösse vermittelt werden, um die öffentliche Diskussion anzuregen, die, wie verschiedene Konferenzen zeigen34, gerade erst begonnen hat Ein wesentliches Anliegen ist es des weiteren, der verbreiteten Einstellung entgegenzuwirken, Kulturgüterschutz sei eine vergangenheitsbezogene Materie, die vornehmlich in historisch-gegenständlicher Perspektive zu reflektieren ist. Weder die Aktualität des Sujets und seine uns alle angehende zivilisatorische Brisanz noch seine dogmatische Komplexität und letztlich auch die auf dem Spiel stehenden Vermögenswerte rechtfertigen dies. Kulturgüterschutz kann in manchen Teilbereichen geradezu als ein Paradigma für aktuelle gesellschaftliche Probleme gelten · sei es hinsichtlich der Integration von (Kunst-)märkten, der grenzüberschreitenden Kooperation, Haftungsfragen oder des "Common Heritage-Prinzips". Wie bereits der Untertitel der Arbeit erkennen läßt, wird eine Gesamtschau präventiver Aspekte des Schutzes von Kulturgütern angestrebt und zwar sowohl
34 Bereits 1974 wurde ein Kongreß zu dem Thema "Protection Internationale du Patrimoine Culturel" abgehalten, vgl. Annuaire de ΓΑ.Α.Α. 44 (1974). 1983 fand in Delphi ein Kolloquium unter der Ägide des Europarates über "The International Legal Protection of Cultural Property" statt; vgl. hierzu: The Council of Europe, Proceedings of the Thirteenth Colloquy on European Ijiw (1984). Die 3e Journées juridiques franco-helléniques in Thessaloniki. 1.-4. Okt. 1986. wurden von der Société de législation comparée und der juristischen Fakultät Thessaloniki organisiert und waren dem Thema "Les biens culturels: aspects juridiques de leur protection et de leur commerce" gewidmet; vgl. den Konferenzbericht von A. Françon , 3e journées juridiques franco-helléniques, (Thessalonique, 1-4 octobre 1986), La protection des biens culturels, A. Aspects de droit public, in: RIDC 89 (1987), S. 247 ff. Vom 11.-13. April 1985 lud P. Lalive in Genf zu einem Kolloquium über die "Aspects Juridiques du Commerce International de l'Art" ein, vgl. dazu die Konferenzberichte E A 44 (1989) D 157 Abs. 52 und Ρ. Lalive (Hrsg.), The International Sales of Works of Art (1988). Die Professoren R. Dolzer, E. Jayme und R. Mußgnug führten vom 22. bis 23. Juni 1990 in Heidelberg ein Symposium über "Rechtsfragen des internationalen Kulturgüterschutzes" durch, Publikation in Vorbereitung. Im Juni 1990 fand in Amsterdam die Veranstaltung "International Art Trade and Law" statt, dazu K. Crüwell-Doertenbach, Museumsverkäufe, Neue Fragen, in: FAZ Nr. 161, 14. Juli 1990, S. 29. 6. Spa. Die International Bar Association behandelte auf der 23rd Biennal Conference vom 16.-21. Sept. 1990 in New York das Thema "Cultural Property, a Comparative Study of the Legislation of a Number of 'Source' Countries Designed to Control the Export of Art Objects and Cultural Property". Vom 18.-19. Okt. 1990 wurde unter der wissenschaftlichen Koordination von Ass.-Prof. Dr. Gerte Reichelt im Rahmen der österreichischen Akademie der Wissenschaften in Wien ein Symposion "Internationaler Kulturgüterschutz" organisiert; vom 28. Mai bis 7. Juni 1991 hat in Krakau ein Symposium über das kulturelle Erbe der KSZE-Staaten stattgefunden, vgl. Presse- und Informationsamt der Bundesregierung, Bulletin Nr. IQ/S. 77, Bonn, den 31. Jan. 1989, Abs. 62 und Dokument des Treffens, Presse- und Informationsamt der Bundesregierung, Bulletin Nr. 71, 20. Juni 1991, S. 573; EuGRZ 18 (1991), S. 250 ff.
III. Untersuchungsziel und Methodik
33
im Frieden wie im bewaffneten Konflikt. Die Erhaltung von Kunstschätzen in ihrer ursprünglichen Umgebung ist aus Sicht des präventiven Kulturgüterschutzes nicht prioritär. Insofern ist Siehr 35 zuzustimmen, daß "im Vordergrund aller Bemühungen die Bewahrung und Erhaltung überkommener Kunstwerke stehen" muß. Unter dem Gesichtspunkt der Schadensvermeidung kann eine Bindung von Kunstschätzen an den jeweiligen Aufenthalts- oder Ursprungsort nur dann von Bedeutung sein, wenn auf diese Weise eindeutig die Erhaltungskonditionen für das betreffende Objekt verbessert werden36. Die Rechtsfolgenseite, also was im Falle einer eingetretenen Schädigung oder im Anschluß an eine völkerrechtswidrige Verlagerung eines Kulturguts geschieht, wird nur am Rande in die Untersuchung einfliessen. Folglich ist auch der gesamte Restitutionskomplex nicht Untersuchungsgegenstand. Die an geschehenes Unrecht anknüpfenden Rückführungsansprüche von Staaten sind den Schadensvermeidungs- und -Verhinderungspflichten, die im Zentrum dieser Studie stehen, nachgelagert. Es steht zu vermuten, daß es aufgrund der unterschiedlichen Lage von Kulturgütern (zu Land/zu Wasser, in- und außerhalb von Hoheitsgebieten etc.), der unterschiedlichen Beschaffenheit (beweglich/unbeweglich; Form, Struktur) und heterogener Schädigungsfaktoren kein homogenes Rechtsgebiet "Kulturgüterschutz" gibt, sondern eher eine Vielzahl unterschiedlicher Ansätze, die eines gemeinsam haben: den sowohl in quantitativer wie qualitativer Hinsicht umfassenden Erhalt der Gattung Kulturgut. Um eine "maßgerechte", dem jeweiligen Bedrohungspotential angemessene Analyse der rechtlichen Schutzinstrumentaricn zu ermöglichen, bietet sich eine Differenzierung nach einzelnen Problemfeldern an. Wie zutreffend hervorgehoben wurde, bedeutet die Verpflichtung zum Unterlassen schadensstiftenden Verhaltens auch "die Notwendigkeit von Untersuchungen über Art und Ausmaß aktueller oder potentieller Schäden"37. Die vorliegende Untersuchung konzentriert sich folglich auf sieben Bereiche, angefangen bei der höchst aktuellen Frage des Schutzes von Kulturgütern vor Umwelteinflüssen und Katastrophen, gefolgt von dem Erhalt des archäologischen Erbes und des Unterwassererbes, dem Schutz von Leihgaben und sonstigen ausländischen Kulturgütern gegen Risiken äußerer Einwirkungen sowie dem Schutz von Kulturgut im Falle einer Staatensukzession. Der Teil mit dem größten historischen Bezug, der Schutz von Kulturgütern bei bewaffneten Konflikten, wurde bewußt knapp gehalten, zumal der Kulturgüterschutz im humanitären Völkerrecht - von den beiden
33
K. Siehr, Kunstraub und das internationale Recht, in: SJZ 77 (1981), S. 211 Zu den Beschädigungen, die durch Kunstdiebstahl und illegalen Handel an Kulturgütern entstehen können, siehe Kapitel J.I.l. 37 H. H oh mann, Präventive Rechtspflichten und -prinzipien des modernen Umweltvölkerrechts, Zum Stand zwischen Umweltnutzung und Umweltschutz (1992), S. 56. 36
3 von Schorlemer
34
Α. Einfühung
Zusatzprotokollen aus dem Jahre 1977 abgesehen - zu den im deutschsprachigen Raum am intensivsten behandelten Gebieten zählt. Einen letzten umfangreichen Komplex stellt die Bekämpfung des illegalen Kunsthandels dar, auch hier unter dem Blickwinkel einer Vermeidung rechtswidriger, potentiell schadenverursachender Transaktionen. Abschließend wird der Vorstellung eines "Weltkulturerbes" nachgegangen, stellt sie doch einen Ansatz dar, über parochial-nationalstaatliche Verantwortung hinaus zu dem Ideal einer gemeinsamen, solidarisch ausgeübten Verantwortung der gesamten Menschheit über das Kulturerbe der Welt zu gelangen und damit unter Umständen zu einer schlagkräftigeren Schutzkonzeption. Aus diesem Grund werden in einem eigenen Abschnitt des Schlußkapitels die "Chancen", die das Common Heritage-Prinzip für den Kulturgüterschutz bietet, skizziert. Innerhalb dieser sieben Bereiche wird eine dreistufige angewandt:
Konzeption
— Auf jedem der zu behandelnden Teilgebiete wird zunächst in der gebotenen Kürze das Gefahrenpotential erfaßt. — In einem zweiten Schritt wird ein Überblick über den Normenbestand und bestehende Ansätze zur Prävention gegeben. — In einem dritten Schritt werden schließlich, soweit möglich, rechtsfortbildende Schritte erwogen, um den Schutz im Vorfeld akuter Bedrohung zu verbessern. Dort, wo im Bereich der präventiven Schutzvorschriften Lücken bestehen, sollen diese herausgearbeitet und durch rechtspolitische Erwägungen de lege ferenda ergänzt werden. Dabei ergeben sich insbesondere im Bereich von Erhaltungspflichten, die noch keine völkervertragliche oder völkergewohnheitsrechtliche Verankerung gefunden haben, methodisch verschiedene Möglichkeiten. Zum ersten könnte in einem deduktiven Ansatz versucht werden, von einem allgemeinen Rechtsprinzip der "kulturellen Verantwortlichkeit" ausgehend einzelne Verhaltenspfiichten abzuleiten. Der nomologische Charakter der Hypothese bzw. Theorie ("kulturelle Verantwortlichkeit") könnte daran überprüft werden, ob sich aus ihr Aussagen und nachprüfbare Sätze geringerer Allgemeinheit deduzieren lassen. Das bei dieser Vorgehensweise binnen Kürze entstehende Problem dürfte allerdings sein, daß wohl eine Fülle von Postulaten zum Erhalt von Kulturgütern gewonnen würde, ohne daß dies rechtlich als wesentlicher Fortschritt gewertet werden könnte. Die bloße Betonung ethisch-moralischer Verantwortung für das Kulturerbe bringt keine konkreten Verhaltenspflichten hervor und ohne eine entsprechende rechtliche Normierung gäbe es zumindest keine Gewähr für die Einhaltung der ermittelten Postulate. Zum zweiten ist eine induktive Prüfung von Einzelsituationen denkbar, in denen konkrete Verhaltenspflichten zum Tragen kommen. Vom Einzelnen auf
III. Untersuchungsziel und Methodik
35
das Allgemeine schließend könnte sich aus der Summe der Einzelverhaltenspflichten ein Indiz für das Bestehen einer allgemeinen Verantwortung im Kulturgüterschutz ergeben. Dieser Ansatz bietet den Vorteil, daß von der Situation lege lata ausgehend Schritt für Schritt Perspektiven für eine Weiterentwicklung des kulturgüterrechtlichen Instrumentariums aufgezeigt werden können, ist jedoch aufgrund seines impliziten Falsifikationismus ebenfalls anfällig für Kritik. Schließlich bietet sich die Möglichkeit, bestimmte Kulturgüter aufgrund ihres hohen Wertes und ihrer Bedeutung für die Menschheit als Rechtskategorie "sui generis " zu betrachten und ein eigenes Regime für ihre Nutzung zu entwickeln. Hierfür bietet die neuere kulturgüterrechtliche Entwicklung bereits einige interessante Ansatzpunkte, wie sich im Verlauf der Untersuchung zeigen wird. Nicht dazu in der Lage, fertige Lösungskonzepte zu bieten, beschränkt sich diese Studie darauf, einen Überblick über das Spektrum des modernen Kulturgüterschutzes zu geben und Ansätze zur Prävention innerhalb der einzelnen Problembereiche herauszuarbeiten. Dabei steht außer Frage, daß die gewonnenen Ergebnisse unter Hinzuziehung von Experten im einzelnen der Vertiefung und weiterer Diskussion bedürfen.
Β. Grundlagen Ι. Entwicklung des Schutzkonzeptes Wie festgestellt wurde, "there is no deep-rooted theory or philosphy of preservation"1. In groben Umrissen können die bisherigen Entwicklungslinien im völkerrechtlichen Kulturgüterschutz und damit die Ausgangssituation für die vorliegende Studie wie folgt nachgezeichnet werden: 1. internationalisierung
des Kulturgüter schütze s
War der Erhalt kultureller Schätze jahrhundertelang eine rein nationale Angelegenheit bzw. denjenigen Staatsangehörigen überlassen, in deren Eigentum sie standen, so führte die überragende Bedeutung einiger Werke zu einem gewachsenem Verantwortungsgefühl seitens der internationalen Staatengemeinschaft. Diese Entwicklung spiegelt sich deutlich in den großen Kodifikationsvorhaben auf dem Gebiet des humanitären Völkerrechts dieses Jahrhunderts. Innerstaatliche Gesichtspunkte traten mehr und mehr in den Hintergrund. Hatte das Abkommen, betreffend die Gesetze und Gebräuche des Landkrieges vom 18. Oktober 1907 in den zu schützenden Werken noch nationale Güter gesehen, für deren Erhalt diejenigen Staaten Verantwortung tragen sollten, in deren Machtbereich sie sich befanden, so unterscheidet sich die UNESCO Konvention zum Schutz von Kulturgut bei bewaffneten Konflikten aus dem Jahre 1954 bereits erheblich davon. Schon in der Präambel unterstreichen die vertragsschließenden Parteien, daß jede Schädigung von Kulturgut. "gleichgültig welchem Volk es gehört, eine Schädigung des kulturellen Erbes der ganzen Menschheit bedeutet, weil jedes Volk seinen Beitrag zur Kultur der Welt leistet."
Art. 1 sieht folgerichtig vor, daß Kulturgut "ohne Rücksicht auf Herkunft und Eigentumsverhältnisse" geschützt werden müsse, und zwar von allen
1 J. L. Sax , Heritage Preservation as a Public Duty: The Abbé Grégoire and the Origins of an Idea, in: Michigan I^iw Review 88 (1990), S. 1143; der Autor hält die französische Revolution und speziell die drei Bände über die Zerstörung von Kunstwerken des Abbé Grégoire aus dieser Zeit für die Keimzelle des modernen Kulturgüterschutzes ("genesis of modem preservationist thought").
I. Entwicklung des Schutzkonzeptes
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Vertragsparteien: Angreifer wie Angegriffene haben das auf ihrem eigenen Territorium oder auf dem Territorium anderer Vertragsparteien befindliche Kulturgut zu respektieren. Der Schutz von Kulturgütern bei bewaffneten Konflikten entwickelte sich nach und nach zu einem Anliegen der gesamten Menschheit. Auch im Friedensvölkerrecht gibt es Anzeichen für eine universale Orientierung. Zwar bestimmt nach Friedensvölkerrecht bislang grundsätzlich jeder Staat über seinen Kulturbesitz in souveräner Eigenverantwortlichkeit2, doch hat man allmählich erkannt, daß nationale Anstrengungen zur Bewahrung kultureller Schätze wegen der dafür erforderlichen Ressourcen und der transnationalen Problemdimension häufig unvollkommen bleiben. Internationale Kooperation ist insbesondere bei grenzübergreifenden Sachzusammenhängen unabdingbar, etwa beim Kunstschmuggel. So zeugen verschiedene Willensentschließungen internationaler Organisationen wie der UNESCO und des Europarates, aber auch die großen Kodifikationsvorhaben der letzten Jahre davon, daß Kulturgüterschutz nicht länger unter dem Schutzmantel staatlicher Souveränität in ausschließlich innerer Zuständigkeit der Staaten verbleiben soll3. Ausgehend von dem Gedanken, daß Kulturgüter ein kulturelles "Welterbe" repräsentieren, zu dessen Schutz die gesamte internationale Staatengemeinschaft zusammenarbeiten muß, sollen die Staaten in doppelter Weise für auf ihrem Territorium befindliche Kulturgüter kulturelle Verantwortung übernehmen, und zwar zum einen gegenüber dem eigenen Volk, zum anderen gegenüber der gesamten Zivilisation: "States areresponsible,however, not only to their own people, but also to the broader civilization of which they are a part"4.
2 Zutreffend R. Mußgnug, Das Kunstwerk im internationalen Recht, in: Deutsche Richterakademie (Hrsg.), Kunst und Recht (1985), S. 17. 3 Neben verschiedenen multilateralen sind auch einige bilaterale Verträge erwähnenswert; der Vertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Polen über gute Nachbarschaft und freundschaftliche Zusammenarbeit sieht in Art. 28 beispielsweise vor, daß die Vertragsparteien sich der auf ihrem Gebiet befindlichen Kulturgüter, die von geschichtlichen Ereignissen sowie kulturellen und wissenschaftlichen Leistungen und Traditionen der anderen Seite zeugen, "besonders annehmen" und zu ihnen freien Zugang gewähren werden. Die Kulturgüter stehen darüber hinaus "unter dem Schutz der Gesetze der jeweiligen Vertragspartei", vgl. Presse- und Informationsamt der Bundesregierung, Bulletin Nr. 68, 18. Juni 1991, S. 545; auch in dem Vertrag über gute Nachbarschaft, Partnerschaft und Zusammenarbeit zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken vom 13. Sept. 1990 kommt dieser Gedanke zum Tragen. Gem. Art. 16 Abs. 1 werden sich die Vertragsparteien "für die Erhaltung der in ihrem Gebiet befindlichen Kulturgüter der anderen Seite einsetzen". 4 A. Marchisotto, The Protection of Art in Transnational Law, in: Vanderbilt Journal of Transnational Law 7 (1974), S. 690.
38
Β. Grundlagen
Diesen Ansatz verfolgten bereits die Urheber des Europäischen Kulturabkommens aus dem Jahr 1954. Danach betrachtet jede Vertragspartei die europäischen Kulturgüter, die sich unter "ihrer" Kontrolle befinden, einerseits als "nationale" Objekte, andererseits zugleich als "Bestandteil des gemeinsamen europäischen kulturellen Erbes"5. Zu beobachten ist mithin eine Internationalisierung von Tatbeständen und es scheint so, als ob sich die Bewahrung einiger qualitativ hochwertiger Werke gegen Schädigungen allmählich zu "a matter of international concern" entwickelte. 2. Hinwendung zum Ensemble schütz Ging es in früheren Zeiten primär um die physische Sicherung eines Werkes, also beispielsweise um seine Unversehrtheit oder seinen Schutz vor Plünderung vor allem im Krieg, so ist die heutige Schutzkonzeption umfassender. Man erkannte, daß nicht nur die Integrität des Objektes selbst gewährleistet werden muß, sondern auch die des Sinnzusammenhangs, etwa einer Kollektion6 oder historischer Archive7. Der Bezug eines Kulturgutes zu seiner Umgebung ist unter Denkmalschutzgesichtspunkten eine wichtige Größe8. Insbesondere bei Bauund Kulturdenkmälern soll die direkte Verbindung zur Umgebung, aus der es hervorging oder in die es inkorporiert ist, nach Möglichkeit gewahrt werden. In der im Oktober 1975 in Amsterdam verabschiedeten European Charter of the Architectural Heritage wurde explizit bedauert, daß dieser Aspekt in der Vergangenheit vernachlässigt wurde.
5 Europäisches Kulturabkommen vom 19. Dez. 1954, Art. 5; das in Paris unterzeichnete Abkommen ist für die Bundesrepublik Deutschland am 17. Nov. 1955 in Kraft getreten, BGBl (1955 II), S. 1128 ff. * Auf ein frühes völkerrechtliches Dokument, das diesen Grundsatz anerkennt, verweist UNESCO, Means of Prohibiting and Preventing the Illicit Import, Export and Transfer of Ownership of Cultural Property, Preliminary Report Prepared in Compliance With Article 10 of the Rules of Procedure Concerning Recommendation to Member States and International Conventions Covered by the Terms of Article IV paragraph 4 of the Constitution, SHC/MD/2, Paris, 8. Aug. 1969, S. 3, Abs. 12; der österreichisch-italienische Vertrag vom 4. Mai 1920 hatte anerkannt, daß die Wiener Sammlungen "constitute an organic whole of undeniable value for the entire world." 7 Detailliert zur Behandlung von historischen Archiven siehe Kapitel G.II. 1 Darauf wies auch die schweizerische Delegation auf dem vom 28. Mai bis 7. Juni 1991 in Krakau stattfindenden Symposium über das kulturelle Erbe hin; sieregte die Ausweitung des Begriffs "kulturelles Erbe" im Sinne eines erweiterten Umgebungsschutzes bei Baudenkmälern an; 1978 hat der Ensemblegedanke auch bei der Novellierung des österreichischen Denkmalschutzgesetzes Berücksichtigung gefunden; G. Sailer , Symposium über das kulturelle Erbe (Krakau 1991 ), in: österreichische Zeitschrift für Kunst- und Denkmalpflege 3/4 (1991), S. 207 ff.
I. Entwicklung des Schutzkonzeptes
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"For many yean, only major monuments were protected and restored and then without reference to their surroundings. Morerecentlyit wasrealisedthat, if the surroundings are impaired, even those monuments can lose much of their character"9.
Die Convention for the Protection of the Architectural Heritage of Europe von 1985, die sog. Granada Konvention, wählte ebenfalls einen weiten, die Umgebung einschließenden Schutzbegriff. Zum architektonischen Erbe zählen z.B. Denkmäler "including their fixtures and fittings" 10. Basierend auf der Vorstellung, daß ein Denkmal untrennbar mit der Geschichte verbunden ist, von der es Zeugnis ablegt und in dessen Mitte es sich befindet, hebt die für die Denkmalpflege bedeutsame Charta von Venedig hervor, die Entfernung auch nur eines Teils eines Denkmals aus seiner Umgebung dürfe nicht geduldet werden, es sei denn aus Gründen des nationalen Interesses11. Die UNESCO forderte ebenfalls, Objekte soweit wie möglich an ihrem natürlichen Ort zu belassen und nicht von ihrer Umgebung zu separieren: "None of these worics and none of these items should, as a general rule, be dissociated from its environment"12.
Als wegweisend muß ein vom Verwaltungsgerichtshof Mannheim erlassenes Urteil gelten, das klarstellte, daß auch die Umgebung eines eingetragenen Kulturdenkmals zu berücksichtigen ist. Sie sei für dessen Erscheinungsbild von erheblicher Bedeutung, "wenn die Ausstrahlungskraft des Kulturdenkmals wesentlich von der Gestaltung seiner Umgebung abhängt". Dies sei beispielsweise dann anzunehmen, wenn die Umgebung die Wirkung des Kulturdenkmals wegen des architektonischen Konzepts oder seiner topographischen Situation prägt13.
9 Council of Europe, Committee of Ministers, European Charter of the Architectural Heritage, Proclaimed at the Congress on the European Architectural Heritage, Amsterdam, 21. bis 25. Okt. 1975, Abs. 1. 10 Convention for the Protection of the Architectural Heritage of Europe", Granada, 3. Okt. 1985, Art. 1, ILM 25 (1986), S. 380 ff. 11 Art, 7 der Charta von Venedig (1964); vgl. auch Art. 8, ebd.: "Les éléments de sculpture, de peinture ou de décoration qui font partie intégrante du monument ne peuvent en être séparés lorsque cette mésure est la seule susceptible d'assurer leur conservation"; dazu R. M. Lemaire , La doctrine contemporaine de sauvegarde du patrimoine monumental, in: Rivista di Studi Politici Intemazionali Nr. 1% (1982), S. 587. 12
UNESCO Recommendation Concerning the Protection, at National Level, of the Cultural and Natural Heritage, adopted by the General Conference of UNESCO at its seventeenth session, Paris, 16. Nov. 1972, Abs. 6. 13 VGH Mannheim, Urt. v. 20. Juni 1989 - 1 S 98/88 = NVwZ-RR (1990), S. 296, Schutz der "Umgebung" eines eingetragenen Kulturdenkmals; vgl. auch die Veröffentlichung der EGKommission vom 31. Okt. 1991, Aufforderung zur Beteiligung an der Aktion von Pilotvorhaben zur Erhaltung von Baudenkmälern im Rahmen der entsprechenden Entschließung des Rats, ABl. Nr.C 284 vom 31. Okt. 1991 mit dem Inhalt, der Kommission bis spätestens 31. Jan. 1992 Restaurierongsvorhaben vorzulegen, die darauf abzielen, "historische Gebäude in die sie
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Β. Grundlagen
Neben das Einzelstück trat somit allmählich der Wert des "Ensembles" und der Wunsch nach Erhalt des Sinnzusammenhangs. So hat die Vereinigung der Landesdenkmalpfleger in einer Stellungnahme vom 11. Juni 1991 gemahnt, die Berliner Museumsinsel, die "als Ensemble von Baudenkmalen ... ein hervorragendes Denkmal europäischer Bildungsgeschichte und als solches (ein) Denkmal von allgemeiner Bedeutung und hohem Rang" ist, vor einer von der Stiftung Preußischer Kulturbesitz geplanten Neuordnung zu bewahren. Sie bilde eine einmalige Einheit von Baudenkmalen mit den dafür bestimmten Sammlungen14. Im Bereich der Archäologie wird dem Gedanken des organischen Ensembles, "der die einzelnen Ausgrabungsstücke als unzertrennliche Einheit an ihrem Fundort zusammenhält"15, bereits deutlich Rechnung getragen. Der kulturelle Wert archäologischer Funde vermindert sich, wenn keine Rücksicht auf das "Ensemble" genommen wird: "... beaucoup d'objets perdent leur valeur culturelle lorsqu'ils sont détachés d'un ensemble"16.
Ausgehend von der Überzeugung, daß gewachsene Einheiten nicht zerrissen werden dürfen, bestimmte bereits § 13 e der Schlußakte der Internationalen Ausgrabungskonferenz in Kairo 1937, daß die Überlassung von Objekten an den Ausgräber, die ein Ganzes darstellen, die Verpflichtung beinhaltet, das Ensemble zu respektieren17. Auch die jüngst angenommene European Convention on the Protection of the Archaeological Heritage von 1992 hebt hervor, daß zum archäologischen Erbe "structures, constructions, groups of buildings, developed sites, movable objects, monuments of other kinds as well as their context " zählen18. In dem Gedanken der Schutzwürdigkeit des "Ensembles" kann daher im Ergebnis ein wichtiger Baustein der sich entwickelnden, umfassenden kulturgüterrechtlichen Schutzkonzeption gesehen werden.
umgebenden öffentlichen Plätze und Straßen zu integrieren und dadurch aufzuwerten". Damit soll erreicht werden, "daß das Baudenkmal in seinem historischen Kontext besser zur Geltung kommt". 14 Stellungnahme der Mitgliederversammlung der Vereinigung der Landesdenkmalpfleger am 11. Juni 1991, "Berlin, Museumsinsel", in: Kunstchronik 44. Jg., Heft 7 (1991), S. 392. 15 L. Engstier, Die territoriale Bindung von Kulturgütern im Rahmen des Völkerrechts (1964), S. 67. 14
Q. Byrne -Sutton, Le trafic international des biens culturels sous Tangle de leur revendication par Γ F tat d'orìgine (1988), S. 55. Zur Kontextforschung vgl. auch die Ausführungen in Kapitel D.I.3. 17 Final Act of the International Conference on Excavations, convened at Cairo by the International Museums Office, 8.-14. März 1937; dazu siehe die Ausführungen unter Kapitel D.I.2. 18 Council of Europe, European Convention on the Protection of the Archaeological Heritage (revised), Valletta, 16. Jan. 1992, European Treaty Series 143, Art. 1 Abs. 3; der Explanatory Report der 3rd European Conference of Ministersresponsiblefor the cultural heritage, Malto, 16.17. Jan. 1992 (MPC (91) 8), S. 3, hebt hinsichtlich dieser Passage hervor, daß "traces are often as important as objects and this is stressed in the definition".
I. Entwicklung des Schutzkonzeptes
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3. Wandel von einer kunstästhetischen zur kulturgeschichtlichen Schutzkonzeption Dem Einflue der Forschungsarbeit von Historikern, Archäologen, Anthropologen und Ethnologen ist es zuzuschreiben, daß man auf rechtlicher Ebene die Qualität eines Objektes nicht mehr vorrangig mit kunstwissenschaftlichem Sachverstand würdigt. Nicht länger überwiegen kunstästhetische Gesichtspunkte, wie etwa die "bellezza" eines Kunstwerkes, die Harmonie des Ganzen oder sein Ausdruck, bei dem Urteil über die Schutzwürdigkeit eines Werkes. Weder die Zugehörigkeit zu bestimmten Stilrichtungen noch Gesetzmäßigkeiten der Darstellung sind alleine maßgeblich, vielmehr entwickelte sich der spezifische zivilisatorische "Informationsgehalt" eines Werkes, die Frage, inwieweit es Aufschluß über Evolutionszusammenhänge geben kann, zum entscheidenden Kriterium. Das impliziert für den modernen Kulturgüterschutz: "The shift from an aesthetic" to a "cultural" conception of property is clear"19.
Als zentraler Gesichtspunkt der präventiven Schutzkonzeption muß heute die Bewahrung des originalen Bestandes und der ursprünglichen Erscheinungsweise einschließlich späterer, den ursprünglichen Zustand modifizierender Veränderungen gesehen werden. All diejenigen Relikte, die Aufschluß über bedeutsame Epochen und Zivilisationen geben können, sollen dokumentiert und erhalten werden. Die European Charter of the Architectural Heritage stellt klar: "Each generation places a different interpretation on the past and derives new inspirations from it This capital has been built up over centuries: the destruction of any part of it leaves us poorer, since nothing new that we create, howeverfine, will make good the loss"30.
Wenn im Wege der Restauration Spuren vergangener Generationen getilgt werden, weil sie nicht dem zeitgenössischen Geschmacksurteil entsprechen, kann dies einen unersetzlichen Verlust darstellen. In diesem Sinn erhält auch die Bewahrung von Kulturgut eine neue Dimension, da "conservation has not only the traditional meaning of the physical protection of the individual object or the surrounding complex but also the maintenance of all those links which enable the object to bear witness of epochs and civilisations"21.
19 Council of Europe, Report on Art Trade, Explanatory Memorandum, (Rapporteur 5. Rodotà ), 3. Febr. 1988, (Doc. 5834), S. 1. 30 Council of Europe, Committee of Ministers, European Charter of the Architectural Heritage, Proclaimed at the Congress on the European Architectural Heritage, Amsterdam, 21.-25 Okt. 1975, Abs. 3. 21 Council of Europe, Report on Art Trade, Explanatory Memorandum (Rapporteur S. Rodotà ), 3. Febr. 1988, (Doc. 5934), S. 1.
42
Β. Grundlagen
Da die Bewahrung all deijenigen Objekte angestrebt wird, die von für die Menschheitsgeschichte bedeutsamen Kulturen und Epochen "Zeugnis" ablegen22, entwickelte sich im Laufe der Jahre ein verhältnismäßig breiter Kulturgutbegriff 23. Eine Vielzahl von Schutzobjekten wurde rechtsrelevant, die man unter kunsthistorischen Gesichtspunkten einst wohl eher vernachlässigt hätte.
Die quantitative Zunahme der schutzwürdigen Objekte spiegelt sich z.B. in der Europäischen Konvention über den Schutz archäologischen Kulturgutes vo 1969, wonach "alle Überreste und Gegenstände oder sonstigen Spuren menschlichen Lebens, die von Epochen und Kulturen zeugen...," erfaßt werden. Auch die UNESCO Convention on the illicit Movement of Art Treasures von 1970 sowie die Konvention zum Schutz des Kultur- und Naturerbes der Welt von 1972, auf die im Verlauf der Untersuchung im einzelnen einzugehen sein wird, zeugen von der Ausweitung des Kreises der Schutzobjekte und einer zunehmend breiteren Schutzkonzeption. 4. Kulturgüterschutz
im Lichte kultureller
Selbstbestimmung
Die Entwicklung eines präventiven Schutzkonzeptes für Kulturgüter, wie es sich seit dem Zweiten Weltkrieg andeutet, steht auch in Verbindung mit der Forderung nach kultureller Selbstbestimmung24. Die Existenz kultureller Schätze im Land, seien sie eigenen oder fremden Ursprungs, ist ein grundlegender Faktor für die Kunstproduktion sowie das intellektuelle Leben einer Nation. Durch die Verteidigung und Erhaltung des kulturellen Erbes soll es den Gesellschaften möglich sein, sich selbst durch Werte zu erkennen, "die für sie eine Quelle der schöpferischen Inspiration darstellen"25. Aus ethnologischer Sicht ist Kulturgut ein "grundlegendes
23 Zur "testimonianza" siehe M. S. Giannini, I beni culturali, in: Rivista trimestrale di diritto pubblico 26 (1976), S. 6; zu dieser Kategorie können seiner Ansicht nach alle möglichen Gegenstände gehören "anche oggetti modesti di uso, come un tipo di coltello, di vaso, di sgabello ecc", opus cit., S. 10. 23
Zu den unterschiedlichen Interpretationen des Begriffs "Kulturgut" siehe näher die Ausführungen in Kapitel B.II. 24 Die Forderungen nach Erhalt der eigenen Kultur behandelt V. van Dyke, The Cultural Rights of Peoples, in: Universal Human Rights 2 (1980), S. 2; H. Niec, Human Right to Culture, in: Annuaire de ΓΑ.Α.Α. 44 (1974), S. 109 f.; J. Κ. de Jager, Claims to Cultural Property Under International Law, in: Leiden Journal of International Law 1 (1988), S. 195. 23 UNESCO-Dienst, Sonderausgabe, Erklärung von Mexiko-City über Kulturpolitik, Weltkonferenz über Kulturpolitik, 26.Juli-6.Aug. 1982, Abs. 23; zu den Motiven, wamm Staaten ihre nationalen Schätze schützen /. Bernal, Protection of National Treasures, in: ASIL Proc. of the 68th Annual Meeting (1974), S. 118.
I. Entwicklung des Schutzkonzeptes
43
Element" der Identität. Im vollen Genuß des Kulturerbes zu stehen, soll für jedes Volk unerläßliche Voraussetzung zur Selbstverwirklichung sein26. Die Forderung nach einem intakten und für die Kultur eines Landes repräsentativen Bestand an Kulturgütern ist für Drittweltstaaten vielfach mit der post-kolonialen Forderung nach Wiedererlangung von "kultureller Identität" veiknüpft. Unter Betonung staatlicher Souveränität, verbunden mit dem Grundsatz der Nichteinmischung, wurde wiederholt die Schutzbedürftigkeit der eigenen kulturellen Tradition hervorgehoben. Die "Wiederaneignung", die Rückbesinnung auf die eigene Herkunft sind wesentliche Anliegen27. Die Anknüpfung an gemeinsame Traditionen und Wertvorstellungen, so eine vertretene Ansicht, werde zweifelsohne erleichtert durch die Existenz eines Kulturpatrimoniums, das Zeugnis von der gemeinsamen Vergangenheit ablegt. Von einem bestimmten Kulturkreis hervorgebracht, sind Kulturgüter "typisch" für eine bestimmte Lebensform, die sich von der anderer Nationen unterscheidet. Wie es im Schrifttum ausgedrückt wurde: "Objects of cultural property are 'species differentiae 1, the elements that distinguish one nation from another...."2*.
Aus diesem Grund ist der Schutz von Kulturgütern auch für nationale Minderheiten eine zentrale Größe. Gemäß Art. 27 des Internationalen Paktes über Bürgerliche und Politische Rechte vom 19. Dezember 1966 darf Angehörigen von Minderheiten nicht das Recht vorenthalten werden, gemeinsam mit anderen Angehörigen ihr eigenes kulturelles Leben zu pflegen, ihre eigene Religion zu bekennen und auszuüben oder sich ihrer eigenen Sprache zu bedienen. Zur Pflege der Kultur bedarf es - neben der vom Staat gewährten Möglichkeit dazu - der Existenz einer Anzahl "kulturtragender" 29, also für die jeweilige Kultur repräsentativer Objekte auf dem entsprechenden Territorium.
26
Vgl. nur E. Haberland, Überlegungen zum Problem der Restitution von Kulturgütern an die Dritte Welt aus der Sicht des Ethnologen, in: H. Auer (Hreg.), Das Museum und die Dritte Welt, Bericht über ein internationales Symposium, veranstaltet von den ICOM-Nationalkomitees der Bundesrepublik Deutschland, Österreichs und der Schweiz vom 7. bis 10. Mai 1979 am Bodensee (1981), S. 152. 27 Dazu M. Kadima-Nzuji, Le point de vue d(un africain, in: Institut France Tiers-Monde, Dialogue pour Γ identité culturelle (1982), S. 30; M. P. Wyss , Probleme des internationalen Kulturgüterschutzes, einerechtlicheStandortbestimmung, in: NZZ Nr. 18, 23. Jan. 1991, S. 23 m.w.N. weist auf das bekannte Beispiel des Nationalmuseums von Benin hin, das sich ausschließlich mit Photographien und Kopien seiner Nationalschätze begnügen muß, während die Originale sich an anderen Orten der Welt befinden. 28
Β. Philippaki, Greece, in: Museum 31 (1979), S. 15. W. Rudolf\ Über den internationalen Schutz von Kulturgütern, in: K. Hailbronner, G. Ress; T. Stein (Hrsg.), Staat und Völkerrechtsordnung, Festschrift für Karl Doehring (1989), S. 867. 29
44
Β. Grundlagen
Auch im Falle der Abwanderung einer Minderheit, wie etwa der Deutschen aus Rumänien30, kann sich das Problem der Erhaltung eines über Jahrhunderte hinweg gewachsenen Kulturerbes stellen. Das Recht eines Volkes auf "seine" Kultur kommt daneben im Kulturgüterschutz insbesondere dann zum Tragen, wenn es um den Erhalt von Kulturgütern zum Nutzen des Volkes und damit in Verbindung stehend um Exportbeschränkungen geht Auf einem im Mai 1974 abgehaltenen Symposium zu "Protection internationale du patrimoine culturel", dem 26. Kongreß der Association des Auditeurs et Anciens Auditeurs de l'Académie de la Haye, wurde bekräftigt, daß jedes Volk das Recht habe, seine nationalen Kulturschätze zugunsten der eigenen Bevölkerung im Land zu halten: "...le droit du peuple à sa culture, à ses biens culturels nationaux, emporte le droit à les conserver sur place à la disposition du peuple, le droit à en limiter la sortie, même dans un système de libre échange..."31.
Völkerrechtlicher Kulturgüterschutz ist somit auch, dies dürften vorstehende Ausführungen verdeutlicht haben, unter dem Aspekt kultureller Selbstbestimmung zu würdigen. 5. Kulturgüterschutz
als Element der Entwicklungsßrderung
Ohne den Zusammenhang zwischen Kultur und Entwicklung zu vertiefen, sei außerdem auf die Nähe des internationalen Kulturgüterschutzes zu Teilbereichen der Nord-Süd-Kooperation hingewiesen. Es besteht Einigkeit darüber, daß Entwicklung nicht bereits durch eine Übertragung von Kapital und Know-how induziert wird, sondern daß die Förderung der eigenständigen sozialen, politischen und geistigen Grundlagen im Entwicklungsland mindestens genauso wichtig ist. Dabei kann der Erhalt von Kulturgütern eine - wenngleich nicht tragende - so doch nicht völlig untergeordnete Rolle im Entwicklungskontext spielen. Dieser Tatsache tragen auch Entwicklungshilfeverträge, z.B. zwischen Belgien und Zaire, Rechnung, die den Aufbau der Museumsinfrastruktur fördern und Dauerleihgaben vorsehen. Verschiedene, die Restitution betreffende Resolutionen der UNGeneralversammlung unterstrichen in der Vergangenheit die Bedeutung von
30
Nachdem seit dem Sturz Ceausescus ca. 150.000 Deutsche Rumänien verlassen haben, droht die Gefahr, daß das von den Banater Schwaben und den Siebenbürger Sachsen über 850 Jahre hinweg geschaffene wertvolle Kulturerbe verloren geht (z.B. weltberühmte romanische und gotische Kirchenburgen, Teppiche, Gemälde). Zur Rettung dieses Erbes wurde eine gemeinnützige Stiftung in Stuttgart gegründet; vgl. FAZ, 20. März 1992, S. 33, 6. Spa. 31 R. Goy, Rapport de synthèse, in: Annuaire de ΓΑ.Α.Α. 44 (1974), S. 151 (Hervorhebung im Original).
I. Entwicklung des Schutzkonzeptes
45
Kunstwerken und anderen Kulturgütern für die Gesamtentwicklung eines Staates32. Die Delegierten hoben insbesondere hervor, daß: "... the cultural heritage of a people conditions the flowering of its artistic values and its over-all development, which are tokens of its authenticity"33. Die Notwendigkeit einer "territorialen Bindung"34 von Kulturgütern wird u.a. damit begründet, daß die kulturelle Entwicklung eine Bedingung der Überwindung der Unterentwicklung ist, was auf eine "entwicklungsorientierte Dimension"35 schließen läßt. Auch im Rahmen des Internationalen Museumsrates (ICOMOS) wurde anerkannt "that true development can only take place through an improvement in the quality of life, hence of the cultural dimension in each society"36. Für die Realisierung des "Rechts auf Entwicklung" wurde die Erhaltung und Restitution von Kulturgütern ebenfalls als wesentlich bezeichnet37. Wie es in dem dem Wirtschafts- und Sozialrat der Vereinten Nationen 1982 vorgelegten Report of the Working Group of Governmental Experts on the Right to Development hieß, "realization of the right to development, particularly in its cultural dimension, calls for the mobilization of national and international means for the preservation of cultural and historical relics" 38.
32
Siehe nur UNGA Res. 3187 (XXVIII), Restitution of Wortes of Ait to Countries Victims of Expropriation, 18. Dez. 1973, Präambel Abs. 6; UNGA Res. 3391 (XXX), Restitution of Wortes of Ait to Countries Victims of Expropriation, 19. Nov. 1975, Präambel Abs. 7; UNGA Res. 31/40, Protection and Restitution of Wortes of Art as Part of the Preservation and Further Development of Cultural Values, 30. Nov. 1976, Abs. 3; Res. 32/18, Restitution of Works of Art to Countries Victims of Expropriation, 11. Nov. 1977, Präambel Abs. 4; UNGA Res. 3026 A (XXVII), Human Rights and Technical Developments, 18. Dez. 1972: "conscious of the irreplaceable character of the cultural environment, which will acquire increasing importance with the progress of economic and social development". 33
UNGA Res. 3391 (XXX), Restitution of Works of Art to Countries Victims of Expropriation, 19. Nov. 1975, (UNGA, Official Records, thirtieth session, Supp. No. 34, S. 4 ff.), Präambel Abs.5. 34 Zur territorialen Bindung siehe Kapitel J.I.3 und K.III. 33 So D. Schuhe, Die Restitution von Kunstwerken, zur völkerrechtlichen Dimension der Restitutionsresolutionen der Generalversammlung der Vereinten Nationen (1983), S. 37. * Vgl. International Council of Museums, Resolution des Executive Council, 54. Sitzung, "Museums and Development", London, 24./30. Juli 1983, abgedruckt in ICOM News 36, Heft 2/3 (1983), S. 5 f. 37 Vgl. auch den für die "newly independent states" relevanten Verweis in Art. 28 Abs. 7 der Wiener Konvention über Staatennachfolge in Staatseigentum, Archive und Schulden von 1983 auf das 'Recht auf Entwicklung', dazu näher in Kapitel G.II.4. M ECOSOC, Commission on Human Rights, thirty-ninth session, UN Doc. E/CN. 4/1983/11, 9. Dez. 1982, Report of the Working Group of Governmental Experts on the Right to Development, (Rapporteur Chouraqui ), Annex IV, S. 16, Draft Declaration on the Right to Development, Abe. 9. Dieser Aspekt wurde in der Folgezeit jedoch nicht weiter vertieft, vgl. S. Bennigsen, Das "Recht auf Entwicklung" in der internationalen Diskussion (1989), S. 81, 144.
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Β. Grundlagen
Sollte der sich im Rahmen des Common Heritage-Konzepts abzeichnende, theoretisch mögliche Lastenausgleich, d.h. die finanzielle Unterstützung von Entwicklungsländern bei dem Erhalt von zum Weltkulturerbe gehörenden Schätzen39, konkretere Formen annehmen, könnte man Maßnahmen des Kulturgüterschutzes verstärkt auch als Element der internationalen Entwicklungshilfe durchführen. In diese Richtung weist beispielsweise das Vierte AKP-EWG-Abkommen von Lomé vom 15. Dezember 1989, in dem sich die Europäische Gemeinschaft verpflichtet, Maßnahmen der AKP-Staaten zu unterstützen, die die Erhaltung der historischen Denkmäler und Kulturdenkmäler zum Ziel haben40. Daß eine solche Entwicklung unter präventionsrechtlichen Gesichtspunkten sinnvoll ist, bedarf keiner weiteren Erläuterung...
Π. Annäherung an den Begriff "Kulturgut" 1. Problem der Anbindung an geltende Vorstellungen von "Kunst" und "Kultur" "Verschiedene Dinge können in gleicher Weise unseren Augen angenehm sein, so sehr, daß wir nur schwer entscheiden können, welchen wir den Vorzug geben wollen", so sinnierte Baidassare Castiglione (1478-1528) in seinem Werk "Ii Cortegiano" (1527). Das Problem besteht offenbar unverändert, auch auf rechtlicher Ebene. Sechs verschiedene Kulturgut-Definitionen wurden von einem Teilnehmer des Europaratskolloquiums über "International Protection of Cultural Property" in Delphi 1983 ausgemacht, was dieser auch auf mangelnde internationale Koordination zurückführte: "... this is due partly to the fact that there is no real international co-ordination of bodies dealing with these matters and partly to each instrument's objectives and especially its mandatory or optional nature"41.
Weder im Völkerrecht noch im innerstaatlichen Recht der Staaten existiert eine einheitliche Definition von "Kulturgut". Auch die Teilnehmer des Symposiums über das kulturelle Erbe der KSZE-Teilnehmerstaaten gingen von der Existenz mehrerer Definitionen "betreffend das archäologische Gut, das kulturelle und
39
Zu dieser Möglichkeit s.u. Kapitel K.I.2 f. Vgl. das Gesetz zu dem Vierten AKP-EWG-Abkommen von Lomé vom 15. Dez. 1989 sowie zu den mit diesem Abkommen in Zusammenhang stehenden Abkommen vom 17. Dez. 1990, BGBl (1991 II), S. 2 ff., Art. 146 b. Zum Spannungsverhältnis zwischen Kulturgüterschutz und Tourismusförderung näher Kapitel C.II.2. 41 E. Roucounas, General Report, in: Council of Europe, Proceedings of the Thirteenth Colloquy on European Law, Delphi, 20.-22. Sept. 1983 (1984), S. 136. 40
II. Annäherung an den Begriff "Kulturgut"
47
das architektonische Erbe" aus42. Dennoch wird allgemein davon ausgegangen • davon zeugen sämtliche Definitionsversuche -, daß es eine eigene Kategorie "Kulturgut" gibt und daß sie einer rechtlichen Durchdringung zugänglich ist 43 . Gleiches soll für die "Kunst" gelten: "L'art est donc objet de droit, depuis longtemps et partout"44. Die Weite des Kulturbegriffs, wie er zum Teil zugrundegelegt wird, spiegelt sich auch in Vorstellungen von dem wider, was alles zum erhaltenswerten Gut gehören soll 45 . Interpretiert man Kultur unspezifisch als Gesamtheit der Leistungen und Werke eines Volkes, dann sind "Kulturgüter" zunächst einmal sichtbarer Ausdruck dieser Kultur. "Kultur" birgt eine Vielzahl von künstlerischen Ausdrucksformen in sich "such as art, philosophy, religious belief and ideologies..."46. Als Ausdruck der Zivilisation soll Kultur "all symbolic expressions reflecting human concerns towards the ultimate" umfassen 47. Sprache, Religion, Rasse, Sitten, Traditionen, Gebräuche4* und Werte werden als grundlegend erachtet: "... we can today define culture as a totality of values, institutions and forms of behaviour transmitted within a society..."49.
43 Art. 11, Symposium über das kulturelle Erbe der KSZE-Teilnehmerstaaten, Dokument des Treffens vom 28. Mai-7. Juni 1991 in Krakau, Bulletin der Bundesregierung, Nr. 71,20. Juni 1991, S. 574: EuGRZ 18 (1991), S. 251. 43 Skepsis ob des Sinns und der Möglichkeit einer Definition von "Kulturgut" äußerten einige Teilnehmer des bereits erwähnten Kongresses in Thessaloniki 1986; vgl. den Konferenzbericht von A. Françon , S. 251 f. 44 J. Châtelain , La notion d'oeuvre d'art originale, l'œuvre d'art vue par le juriste, in: M. Vanden Abeele (Hrsg.), Le marché commun et le marché de l'art, journée d'études organisée par l'Institut d'Etudes européennes (1982), S. 21. 43 Wie weit der Kulturgutbegriff zum Teil gefaßt wird, verdeutlicht die Anfrage des Abgeordneten Niegel (CDU/CSU). Er wünschte eine Antwort darauf, ob die Bundesregierung in ausreichender Weise die ihr obliegende Schutzpflicht gegenüber den Rumäniendeutschen wahrgenommen hat, in dem sie sich gegen die Zerstörung des "deutschen Kulturgutes (z.B. Ausradierung deutscher Ortsnamen)..." eingesetzt hat, BT-Drucksache 11/2860, S. 1. 46 1. Munakata, Towards New Cultural Relations in the International World: From Unilateral to Reciprocal Cultural Relations, in: C. Boasson; M. Nurock (Hrsg.), The Changing International Community, Some Problems of Its Laws, Structures, Peace Research and the Middle East Conflict, Essays in Honour of Marion Mushkat (1973), S. 246. Von einem "Kulturbegriff', der diejenigen Symbole umschreibt, die gesamtgesellschaftlichen Sinn herstellen, tradieren oder verändern, geht LZechlin, Gerichtliche Verbote zeitkritischer Kunst, in: Kritische Justiz (1982), S. 248 aus. 47
/. Munakata, S. 246. V. van Dyke , S. 2: "I will assume that a culture is distinguished by such characteristics as language,religionand race and more broadly by shared attitudes, customs and traditions." 49 R. Preiswerk , The Place of Intercultural Relations in the Study of International Relations, in: Yearbook of World Affairs 32 (1978), S. 251. Zum Kulturbegriff siehe auch H. P. Ipsen % Der "Kulturbereich" im Zugriff der Europäischen Gemeinschaft, in: W. Fiedler, G. Ress (Hrsg.), 41
48
Β. Grundlagen
Die Schwierigkeit, zu einer universell akzeptablen Definition zu gelangen, wird durch einen sich stetig wandelnden Kunst· bzw. Kulturbegriff akzentuiert. Leyendecker zufolge "l'expression 'biens* ou 'patrimoine culturel' est très vaste puisqu'elle concerne tout ce qui se rattache à la culture considérée comme manifestation de civilisation..."50. Auch Fraoua erklärt sich die definitorischen Probleme mit der "complexité et l'évolution permanente du terme 'culture'" 51 . Gibt man der klassische Frage, "was ist Kunst", Raum und sucht im Anschluß daran, zu ermitteln, was ein erhaltungswürdiges Kunstwerk bzw. Kulturgut 52 ausmacht, so setzt man sich Strömungen aus, die als "Zeitgeist" zu umschreiben, wandelbar und schwer greifbar sind53. Belting hat in seiner Münchner Antrittsvorlesung im Februar 1983 ausgehend vom Verhältnis Kunst/Kunstwerk gefolgert, daß dem Druck der Fragen letztlich nur das Kunstwerk und "keine wie immer geartete Definition von Kunst" stand hält: "Das Kunstwerk steht für den Menschen (statt für Kunst) ein, der sich in der künstlerischen Aneignung der Welt von dieser nicht entfernt, sondern sie gerade bezeugt. In diesem Weric tritt seine Geschichtlichkeit im Spektrum einer gebundenen Weltauffassung, in der er denkt, und einer gebundenen Form, mit der er sich ausdrückt, zutage. In diesem Sinn ist das Werk ein Geschichtsdokument"34. Vor diesem Hintergrund soll - ohne die verschiedenen Kunst- und Kulturkonzeptionen zu vertiefen - eine Annäherung an den Begriff Kulturgut unternommen werden. Dabei wird zunächst eine Abgrenzung zu verwandten Konzeptionen angestrebt.
Verfassungsrecht und Völkerrecht, Gedächtnisschrift für Wilhelm Karl Geck (1989), S. 340, unter Verweis auf den Bergedorfer Gesprächskreis, Protokoll Nr. 82 (1987), S. 35. 30 R. S. Leyendecker , Une organisation internationale pour la sauvegarde et la récupération des oeuvres d'art, in: Annuaire de ΓΑ.Α.Α. 44 (1974), S. 90. 31 R. Fraoua , Le trafic illicite des biens culturels et leur restitution (1985), S. 5. 32 Zur Abgrenzung zwischen "Kunstwerk" und Kulturgut" siehe Kapitel B.II.8. Von der Erkenntnis ausgehend, daß es unmöglich ist, Kunst generell zu definieren, (vgl. BVerfGE 67, 213 (224 f.) und BVerfGE 75, 369 (377) erkannte das Bundesverfassungsgericht an, daß es keinen gefestigten Kunstbegriff gibt, vgl. BVerfGE 67, 213 (224 ff.); nicht weniger als 1083 Definitionen von Kunst giht A. Mäckler in seiner Zitatensammlung "Was ist Kunst" (2. Aufl. 1989). 33
Radikal formulierte es E . H. Gombrich, Die Geschichte der Kunst (2. Aufl. 1982), S. 9: "Genaugenommen gibt es 'die Kunst' gar nicht... Sie ist zu einer Art Götze geworden... Ich glaube nicht, daß es im Grunde gar so wichtig ist, warum einem ein Gemälde oder eine Statue gefällt". Bezeichnend ist auch folgende Begebenheit: Bilder des Künstlers Blaise Vincent wurden sogar von der Berliner Nationalgalerie ausgestellt. Nur - es gab ihn nicht, er war erfunden. In sechs Stunden Fließbandarbeit hatte der Berliner Ernst Voll and rund 40 "Vincent-Originale" hergestellt und dem internationalen Kunstbetrieb auf seine Weise eine Lektion erteilt, vgl. Dies Buch ist pure Fälschung, Verlag 2001. 54 H. Belting, Das Ende der Kunstgeschichte? (2. Aufl. 1984), S. 33.
II. Annäherung an den Begriff "Kulturgut"
2. Abgrenzung zu immateriellen
49
Werten
Zum kulturellen Besitzstand der Menschheit gehören materielle und geistige Mittel der Naturbeherrschung (geformte Landschaft, Technologie, Sachgüter) ebenso wie gesellschaftliche Beziehungen (Sitten, Institutionen, Gebräuche), Ergebnisse geistiger Tätigkeit (Ideale, ästhetische Beziehungen, Kunst) und die Mittel ihrer sprachlichen Mitteilung. Die ganze Bandbreite scheint in der Erklärung von Mexiko-City über Kulturpolitik von 1982 auf. Das Kulturerbe eines Volkes wird danach repräsentiert durch die "Werke seiner Künstler, Architekten, Musiker, Schriftsteller und Wissenschaftler sowie die Arbeiten namentlich nicht bekannter Künstler, geistige Werke des Volkes und das Wertsystem, das dem Leben Bedeutung gibt". Dazu sollen gleichermaßen materiell greifbare und "immaterielle Schöpfungen" zählen, durch die sich die Kreativität eines Volkes ausdrückt: Sprachen, Riten, Glaubensrichtungen, historische Stätten und Monumente, Literatur, Kunstwerke, Archive und Büchereien55. "Expressive activities" wie Sprache, Tanz etc. und das "intangible cultural heritage" wie Folklore, Rituale, Glaube, Tradition werden ebenfalls zum kulturellen Erbe im weiteren Sinn gerechnet56. "The cultural heritage consists of those things and traditions which express the way of life and thought of a particular society which are evidence of its intellectual and spiritual achievements"57. Sogar soziales Wissen (Beispiel Kochkunst)58 soll dazu gehören. Nach Edith Brown Weiss: "Cultural heritage includes the intellectual, artistic, social and historical record of the human species. It embraces both physical objects which we create or produce and the non-physical , as represented by knowledge and social practices"5'.
Das Kultur erbe im weiteren Sinn umfaßt somit nicht nur die sichtbaren und materiellen Manifestationen, sondern auch "die mündlich überlieferten Traditionen, das musische und ethnographische Erbe, die Folklore, selbst die Gesetze, Sitten und Lebensweisen, die das Wesen ethnischer oder nationaler
33 Vgl. Erklärung von Mexiko-City über Kulturpolitik, Weltkonferenz über Kulturpolitik, Mexiko, 26. Juli-6. Aug. 1982, Ziff. 23, in: UNESCO-Dienst, Sonderausgabe Sept. 1982. 34
P. J. O Keefe; L. V. Protu Law and the Cultural Heritage, Bd. 3, Movement (1989), S. 7. L. V. Prott , Problems of Private International Law for the Protection of the Cultural Heritage, in: RdC 217 (1989 V), S. 224. 38 Auf dem Krakauer Symposium über das kulturelle Erbe der KSZE-Teilnehmerstaaten (1991) wurde von Kubelka ein Referat über die Gefahren von Lebensmittelvorschriften der EG fur die traditionelle, ebenfalls kulturelles Erbe danteilende Kochkunst gehalten. M E.B. Weiss, In Fairness to Future Generations: International Law, Common Patrimony and Intergenerational Equity (1989), S. 257. 57
4 von Schorlemer
Β. Grundlagen
50
Mentalität ausdrücken"60. Der Terminus Kultur-"^«/" ("bien"; "property") impliziert demgegenüber eine gewisse Verdinglichung61. Kulturgütern ist · im Gegensatz zu spirituellen Formen des kulturellen Erbes - "Körperlichkeit" und "Stofflichkeit" zu eigen. Sie sind materieller Ausdruck unserer Zivilisation bzw. "cosa che costituisce testimonianza materiale avente valore di civiltà è accettabile anche sotto Taspete giuridico..."62. Der eingangs beschriebene weite Ansatz, dem etwa die Erklärung von Mexiko-City über Kulturpolitik verhaftet ist, kann für den präventiven völkerrechtlichen Kulturgüterschutz nicht übernommen werden63. Zwar sollte keine Rangordnung zwischen den "immateriellen" Zeugnissen menschlicher Kultur (Gebräuche, Sitten, Folklore, sprachliche Fertigkeiten etc.) und denjenigen, die "materieller" Ausdruck menschlicher Kultur sind (Kulturdenkmäler, Archive etc.), etabliert werden, denn der Erhalt beider Kategorien bedarf internationaler Anstrengungen, allerdings mittels eigens auf sie zugeschnittener Instrumentarien. Da der Erhalt immaterieller kultureller Werte andere Maßnahmen erfordert als der dinglicher Objekte, findet sich auf internationaler Ebene folgerichtig eine Art duales System; so hat während der letzten Jahre u.a. die Weltorganisation für geistiges Eigentum eine Reihe von Rechtsinstrumentarien zum Schutz immaterieller kultureller Werte geschaffen, etwa die Berner Übereinkunft zum Schutz von Werken der Literatur und Kunst. Die UNESCO und einige andere internationale Organisationen bemühen sich hingegen um den Erhalt physisch greifbarer Objekte wie Kulturgüter, welche im Mittelpunkt der vorliegenden Studie stehen. Im Ergebnis ist davon auszugehen, daß immaterielle Werte trotz ihrer im Einzelfall unbestrittenen Erhaltungswürdigkeit nicht zu den Kulturgütern im hier verwendeten engeren Sinn zählen.
60 So H. Meinet, Museumsbezogene Aktivitäten der UNESCO für die Dritte Welt, in: H. Auer (Hrsg.), Das Museum und die Dritte Welt, Bericht über ein internationales Symposium, veranstaltet von den ICOM-Nationalkomitees der Bundesrepublik Deutschland, Österreichs und der Schweiz vom 7. bis 10. Mai 1979 am Bodensee (1981), (1981), S. 114 f. 61 A. A. M. P. Chiù , Tourism and Architectural Heritage, in: Istituto di Diritto Umanitario, La protezione intemazionale dei beni culturali. Atti del Convegno celebrativo del 30 anniversario dell Convenzione delTAja sulla protezione dei beni culturali nei conflitti armati, Florenz, 22.-24. Nov. 1984 (1986), S. 163, der den immateriellen Aspekt von Kultuigut hervorhebt: "... cultural property is not material property, but it is immaterial"; siehe ebenfalls einige Teilnehmer der 3e Journées juridiques franco-helléniques, Thessaloniki, 1.-4. Okt. 1986, wiedergegeben von A. Françon , S. 252. 63
M. S. Giannini , I beni culturali, in: Rivista trimestrale di diritto pubblico 26 (1976), S. 18 f. Vgl. aber die japanische Gesetzgebung, die auch "intangible cultural properties" umfaßt, dazu y. Greenfield, The Return of Cultural Treasures (1989), S. 253. 63
II. Annäherung an den Begriff "Kulturgut"
5. Differenzierung
zwischen Kultur-
51
und Naturerbe
Seit Alois Riegl bezieht die Denkmaltheorie nicht nur die "gewollten", sondern auch die "ungewollten" Denkmale mit ein und betrachtet das Denkmal auch als Naturwerk 64 . Menschliche und tierische Überreste und naturgeschichtliche Objekte, ebenso wie geologische Funde oder auch nur Fasem, Samen und Blütenpollen können Kulturgüter von höchstem Wert sein, vorausgesetzt sie befinden sich in einem Kontext, der Aufschluß über vergangene Kulturen und die Evolution des Menschen gibt 65 . Diese Objekte nennt Fraoua anschaulich "biens culturels naturels", also etwa "natürliche Kulturgüter". In dieser Kategorie überwiegt der wissenschaftliche Charakter: "Ces biens sont le produit d'un développement spontané de la matière inerte et vivante sur notre planète. Ils acquièrent une valeur culturelle à cause de leur qualités scientifiques et sont protégés en tant que témoignages de révolution de la nature"6*. Natürliche Kulturgüter oder auch "beni ambientali"67 sind Zeugnisse eines bestimmten Entwicklungsstadiums der Menschheit. Die UNESCO Convention on the Illicit Movement of Art Treasures von 1970 schützt in diesem Sinn seltene Stücke der Flora und Fauna 68 ebenso wie paläontologische Objekte 69 . Auch andere völkerrechtliche, den Kulturgüterschutz betreffende Dokumente nehmen Bezug auf solche "natürliche Kulturgüter" 70. So sieht die UNESCO
64
A. Riegl, Der moderne Denkmalskultus, Sein Wesen und seine Entstehung, in: G. Dehio; A. Riegl, Konservieren, nicht restaurieren, Streitschriften zur Denkmalpflege um 1900, hrsg. von U. Conrads, Bauwelt Fundamente 80, S. 43 ff. 63 In Anerkennung dieser Tatsache haben sich Wissenschaftshistoriker aus der Bundesrepublik Deutschland, der (ehemaligen) DDR, der Schweiz und den Niederlanden im Juli 1988 zu einer "Gesellschaft zur Gründung und Förderung eines Museums für die Geschichte der Biologie e.V." zusammengeschlossen. Die neugegründete Gesellschaft bemüht sich besonders um den Erwerb naturgeschichtlicher Sammlungen und die Organisation von Ausstellungen. w R. Fraoua, S. 10. 67 Vgl. V. C. trelli , Beni culturali e ambientali e pianificazione urbanistica, in: Istituto Intemazionale di Diritto Umanitario (Hrsg.), La protezione intemazionale dei beni culturali, Atti del Convegno celebrativo del 30 anniversario dell Convenzione dell'Aja sulla protezione dei beni culturali nei conflitti armati, Florenz, 22.-24. Nov. 1984 (1986), S. 237-244; M. S. Giannini , S. 10, unterscheidet im Anschluß an die Arbeit der in Italien eingesetzten "Commissione Franceschini" zwei große Typen der "beni ambientali": "quello paesaggistico e quello urbanistico". Zu ersteren sollen Kulturgüter natürlicher Art gehören wie "aree naturali", "aree ecologiche", paesaggi artificiali", zu den zweiten u.a. historische Gebäude. w UNESCO Konvention (1970), Art. 1 a. w UNESCO Konvention (1970), Art. 1 f. 70 A.A. der österr. Verfassungsgerichtshof in einem Urteil vom 19. März 1964, Κ II-4/63, Bundesgesetzblatt 1965/140, der streng zwischen "Naturdenkmal" und "menschlichem Denkmal" geschieden hatte, um eine größere Kompetenzklarheit zwischen Bund und Ländern zu erreichen; dazu G. Hajós , Das "Parkerkenntnis" des Verfassungsgerichtshofes (1964) aus kunsthistorischer Sicht, in: österreichische Zeitschrift für Kunst- und Denkmalpflege, Heft 3/4 (1991), S. 196-202.
52
Β. Grundlagen
Recommendation Concerning the International von 1976 vor:
Exchange of Cultural Property
"'Cultural property' shall be taken to mean items which are the expression and testimony of human creation and of the evolution of nature which.... are, or may be, of historical, artistic, scientific or technical value and interest, including items in the following categories: (a) zoological, botanical and geological specimen..."71.
Die zwei Jahre später verabschiedete Recommendation for the Protection of Movable Cultural Property zählte "zoological, botanical and geological specimen" zum beweglichen Kulturgut72. Die Einordnung dieser ohne menschlichen Schöpfungsakt entstandenen Objekte von wissenschaftlichem Wert als "Kulturgut" war nicht unumstritten. Die ältere Auffassung ging dahin, Naturgegenstände grundsätzlich nicht als Denkmäler und Altertümer zu betrachten73. Noch in der UNESCO Konvention zum Schutz von Kulturgut gegen bewaffnete Konflikte von 1954 wurden sie nicht aufgeführt und nur nach hartem Ringen fanden sie Eingang in die UNESCO Convention on the Illicit Movement of Art Treasures von 1970. Insbesondere die USA und Kanada formulierten ihre Ablehnung gegen eine Einbeziehung natürlicher Kulturgüter in dieses Vertragswerk 74. Der Widerstand mag damit in Verbindung gestanden haben, daß diese Objekte in den seltensten Fällen Gegenstand des Handels sind und ihr "Marktwert" im allgemeinen deutlich unter dem anderer Kulturgüter wie Gemälde, Inkunabeln etc. liegt. Zugleich wurde durch die Zulassung "natürlicher Kulturgüter" eine Verwässerung der den Kunsthandel betreffenden UNESCO Konvention befürchtet. Ebenfalls eine Rolle gespielt haben mag die Schwierigkeit, erhaltenswerte "natürliche" Schätze, die Gegenstand des Kulturgüterschutzes sind, und das Naturerbe, das nicht dazu zählt, voneinander abzugrenzen. In Einzelfallen, etwa hinsichtlich des Erhalts des archäologischen Erbes, können sich Überschneidungen ergeben. Selbst diejenige internationale Konvention, die ausdrücklich eine Begriffsbestimmung des "Kultur"- bzw. "Naturerbes" gibt, liefert kaum brauchbare Unterscheidungskriterien: Gemäß dem UNESCO
71
Recommendation Concerning the International Exchange of Cultural Property, adopted on 26 November 1976 by the General Conference of UNESCO at its nineteenth sesssion held in Nairobi, Abs. I. Die Recommendation on the Means of Prohibiting and Preventing the Illicit Export, Import and Transfer of Ownership of Cultural Property, adopted by the General Conference of UNESCO at its thirteenth session, Paris, 19. Nov. 1964, erwähnte erstmals "specimen of flora and fauna", Abs. I, 1. 72 Recommendation for the Protection of Movable Cultural Property, adopted on 28 November 1978 by the General Conference of UNESCO at its twentieth session held in Paris, Abs. 1 (xi). 73 Vgl. nur J. Kohler, Das Recht an Denkmälern und Altertumsfunden, in: Deutsche Juristenzeitung 9 (1904), S. 774. 74 Vgl. R. Fraoua, S. 12.
II. Annäherung an den Begriff "Kulturgut"
53
Übereinkommen zum Schutz des Kultur- und Naturerbes der Welt von 1972 sollen zum "Kulturerbe" zählen, "gemeinsame Werke von Natur und Mensch sowie Gebiete..., die aus geschichtlichen, ästhetischen, ethnologischen oder anthropologischen Gründen von außergewöhnlichem universellen Wert sind"73. Ähnlich verhält es sich mit der Definition des "architektonischen Ertes", wie sie in der Europaratskonvention zum Schutz des architektonischen Erbes Europas aus dem Jahre 1985 vorgenommen wird. Auch hier verschwimmt die Grenze zwischen Natur- und Kulturerbe, denn "sites" werden als "combined work of man and nature" umschrieben76. Daß eine trennscharfe Abgrenzung zwischen Natur- und Kulturdenkmälern nicht immer möglich ist, zeigt auch das deutsche Recht. Das Bundesgesetz zur Berücksichtigung des Denkmalschutzes im Bundesrecht verwendet die Begriffe des Denkmals und des Denkmalschutzes, ohne auf den Unterschied zwischen Kultur- und Naturdenkmal einzugehen. Historische Park- und Gartenanlagen können sowohl "Kultur"- wie "Naturdenkmäler" sein. Nach der Charta von Florenz von 1981, die die Charta von Venedig auf dem Gebiet der Garten- und Parkanlagen ergänzen soll, ist ein historischer Garten ein mit baulichen und pflanzlichen Mitteln geschaffenes Werk, an dem aus historischen oder künstlerischen Gründen öffentliches Interesse besteht, und als solches ein "lebendes Denkmal"77. Der Kulturdenkmalbegriff umfaßt nicht nur vom Menschen geschaffene Sachen, sondern auch die gestaltete, gepflanzte Natur. "Gartenkunstwerke" können folglich ebenfalls eine kulturgeschichtlich wichtige Leistung darstellen. Im Ergebnis ist entgegen einer im Schrifttum vertretenen Ansicht78 davon auszugehen, daß Kultur- und Naturerbe nicht identisch sind, daß es jedoch in der Formel der "natürlichen Kulturgüter" eine Schnittstelle gibt, die rechtlichen
73 Ait. 1 letzter Hs.; zu der Frage, wanim erdgeschichtliche Funde wie Fossilien und sonstige Zeugnisse der Urgeschichte der Tier- und Pflanzenwelt in den Kulturdenkmalbegriff einbezogen sind, meint Hönes, dies lasse sich vorwiegend aus der Entstehungsgeschichte des preußischen Ausgrabungsgesetzes von 1914 und des Naturschutzrechtes verstehen; E. R. Hönes, Die Unterschutzstellung von Kulturdenkmälern (1987), S. 89. 76 Convention for the Protection of the Architectural Heritage of Europe (1985), Art. 1 Abs. 3. 77 Art. 1 i.V. Art. 3 der Charta der historischen Gärten, genannt "Giarta von Florenz", die am 21. Mai 1981 von den Teilnehmern des in Florenz versammelten Internationalen Komitees für Historische Gärten ICOMOS-IFLA verabschiedet wurde, abgedruckt in: Deutsche Kunst- und Denkmalpflege 47 (1985), S. 146 ff.; österreichische Zeitschrift für Kunst- und Denkmalpflege 1/2 (1991), S. 122 ff.; zu den historischen Gärten im Spannungsfeld zwischen Natur- und Denkmalschutz siehe G. Hajós , S. 196 ff. 71 H. Trintignan, S. 63, geht davon aus, daß alle Naturgüter der UNESCO Konvention von 1972 zugleich Kulturgüter sind: "... le patrimoine naturel est aussi un patrimoine culturel" und: "... la distinction entre patrimoine naturel et patrimoine culturel n'est plus qu'une question de vocabulaire (S. 68); nach J. Greenfield, S. 254, sollen pauschal auch "natural objects" zu Kulturgütern zählen.
54
Β. Grundlagen
Natur- und Kulturgüterschutz ineinander greifen läßt. Die Abgrenzung zwischen "natürlichen Kulturgütern" und dem Natureibe, aber auch zwischen Natur- und Kulturerbe ist, dies wurde evident, problematisch und nur im Einzelfall unter Abwägung aller relevanten Gesichtspunkte möglich. Letztlich ist diese definitorische Unklarheit auch eine Konsequenz des Verzichtes auf das Kriterium der "Originaleigenschaft" im Rahmen der Definition von Kulturgut79. 4. Kulturgut
als "Ware"
"Der wahre Wert eines Kunstwerks, das ist sein Warenwert", mit diesem Satz eröffnete DIE ZEIT ein Dossier über die Superlative der internationalen Kunstszene, die mit kunstwissenschaftlichem Sachverstand nur mehr unzureichend gewürdigt werden können80. Was aus kommerzieller Sicht einleuchtend sein mag, der "Warencharakter" von Kunst, darum wurde auf rechtlicher Ebene gerungen: Ob Kulturgüter "Waren" im Sinne der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und damit verbunden die Frage, ob Kunstgegenstände und ähnliche Objekte den Normen des Gemeinsamen Marktes unterworfen sind, war u.a. Gegenstand einer EuGH Entscheidung im Verfahren der Kommission gegen Italien im Jahre 196881. Die Kommission hatte nach Art. 169 EWGV Klage erhoben mit dem Antrag, festzustellen, daß die Italienische Republik gegen ihre Verpflichtungen aus Art. 16 EWGV verstoßen hat, indem sie über den 1. Januar 1962 hinaus bei der Ausfuhr von Gegenständen von künstlerischem, geschichtlichem, archäologischem oder ethnographischem Interesse in andere Mitgliedstaaten der Gemeinschaft eine in Art. 37 des Gesetzes über den Schutz der Gegenstände von künstlerischem oder geschichtlichem Interesse vom 1. Juni 1939 (Gesetz
79
Zur Frage der Originaleigenschaft siehe Kapitel B.II.8. " J. Riedl: Κ Schmid , Kunst, Kunst kommt von Kommerz in: DIE ZEIT Nr. 14, 27. März 1987, S. 49; zu den teilweise schwer nachvollziehbaren Rekordpreisen siehe auch Kapitel J.I.2. 11 EuGH, Uit. v. 10. Dez. 1968, Rs. 7/68, (Kommission der Europäischen Gemeinschaften gegen Italienische Republik), Slg. 1968. S. 634-651; dazu BYIL 43 (1968/69). S. 259. Eine Besprechung dieses Urteils findet sich auch bei P. Pescatore , Le commerce de l'art et le Marché Commun, in: P. lalive (Hrsg.), International Sales of Works of Art, Geneva Workshop, 11.-13. April 1985 (1988), S. 582. Der verzögerte Vollzug des Urteils aus dem Jahre 1968 durch die italienischen Behörden führte zu einer weiteren Klage der Kommission, der der EuGH mit Urteil vom 13. Juli 1972 stattgegeben hat, vgl. Kommission der Europäischen Gemeinschaften gegen italienische Republik, "Vollzug des Urteils 7/68'\ Rs. 48/71, Slg. 1972, S. 529. Ein weiteres Urteil, bei dem der Europäische Gerichtshof sich mit dem Warencharakter von Gegenständen auseinandergesetzt hat, erging zehn Jahre später, vgl. EuGH, Urt. v. 23. Nov. 1978, Rs. 7/78 (Ernest George Thompson, Brian Albert Johnson und Colin Alex Norman Woodiwiss), S. 2247 ff.
II. Annäherung an den Begriff "Kulturgut"
55
Nr. 1089, verkündet in Gazetta Ufficiale Nr. 184) vorgesehene progressive Abgabe erhoben hat Die Kommission ging davon aus, daß Gegenstände der genannten Art, die durch das italienische Gesetz von 1939 erfaßt werden, unter die Vorschriften über die Zollunion fallen. Italien hingegen stellte sich auf den Standpunkt, daß das Gesetz von 1939 nur für eine bestimmte Kategorie von Sachen gelte, die nicht den "Verbrauchsgütern oder Gegenständen des täglichen Lebens" gleichgestellt werden könne und deshalb nicht den Vertragsvorschriften unterlägen, die auf Gegenstände des allgemeinen Handels anwendbar sind. Damit hätte sich aus italienischer Sicht die Zollunion der Europäischen Gemeinschaft nicht auf Kunstschätze erstreckt. Art. 16 wäre auf den konkreten Fall nicht anwendbar gewesen. In den Schlußanträgen des Generalanwaltes Gand vom 23. Oktober 1968 hieß es hingegen: "Daß Kunstwerke mehr sind als gewöhnliche grobe Waren, liegt auf der Hand. Doch läßl sich nicht leugnen, daß sie · wie die tägliche Erfahrung lehrt - Gegenstand des Handels sein können und auch tatsächlich sind. Die Rechtsgeschäfte, die über sie abgeschlossen werden, sind ein Teil des großen Marktes, den der Vertrag zu einem für alle Mitgliedstaaten gemeinsamen machen will. Sie entziehen sich also nicht dem allgemeinen Rahmen des Vertrages, auch wenn dieser in einigen Punkten für sie eine Sonderregelung trifft"".
Der EuGH hob hervor, daß die Gemeinschaft gem. Art. 9 auf eine Zolleinheit gegründet ist, die sich auf die Gesamtheit des Warenaustausches erstreckt. Der Argumentation der Beklagten, die Gegenstände des Schutzgesetzes von 1939 seien eine besondere Kategorie folgend, Schloß er nicht aus, daß die vom italienischen Gesetz geschützten Gegenstände einige Eigenschaften aufweisen, die sie von anderen Handelsgütern unterscheiden. Das entscheidende Merkmal würden sie aber mit den übrigen Handelsgütern teilen: "... daß sie einen Geldwert haben und deshalb Gegenstand von Handelsgeschäften sein können"'3.
Der italienische Gesetzgeber habe das nicht anders gesehen, da das umstrittene Gesetz die Steuer nach dem "Wert" der Gegenstände festsetze. Deshalb folgerte das Gericht, daß die Regeln des Gemeinsamen Marktes auf die Kunstwerke Anwendung zu finden haben. Sie sind den Gemeinschaftsnormen unterworfen, sofern nicht der Vertrag ausdrücklich etwas anderes vorsieht. Dafür, Kunstwerke und sonstige Kulturgüter als "Waren" im Sinne des EWG-Vertrages zu behandeln, spricht auch die Systematik von Art. 30 bis 36 EWGV, auf die im einzelnen noch einzugehen sein wird84. Der zu den
12 EuGH, Uit. v. 10. Dez. 1968, Rs. 7/68 (Kommission der Europäischen Gemeinschaften gegen italienische Republik), Schlußanträge des Generalanwaltes Herrn Joseph Gand vom 23. Okt. 1968, S. 649. 13 Opus cit., S. 642. M Siehe Kapitel J.V.3 b.
56
Β. Grundlagen
Artikeln 30 ff. im Regel-Ausnahmeverhältnis stehende Art 36 S. 1 EWGV enthält einen Rechtfertigungsgrund für Beschränkungen hinsichtlich nationalen Kulturgutes. Der Hinweis auf die besondere Schutzwürdigkeit von nationalem Kulturgut ist nur sinnvoll, wenn dieses überhaupt in den Anwendungsbereich der Vorschriften über die Beseitigung von Beschränkungen M t Wären nationale Kulturgüter nicht grundsätzlich dem freien Warenverkehr unterworfen, so hätte für diese Vorschrift keine Notwendigkeit bestanden. Im Ergebnis ist daher Pescatore zuzustimmen: "les oeuvres d'art, en tant qu'elles ont une valeur vénale et qu'elles font l'objet de transactions commerciales, sont des marchandises comme les autres"*5.
Unter der Zielsetzung eines umfassenden präventiven Schutzes für Kulturgüter liegt es allerdings nahe, diesen einen Sonderstatus zuzubilligen und sie nicht nur als "Waren" zu betrachten. Dies gilt nicht nur für bewegliche Objekte wie die von Art. 36 EWGV erfaßten, sondern auch für unbewegliche. Der 1. Vorsitzende des XXII. Deutschen Kunsthistorikertages vom 16.-29. September 1990, Dethard von Winterfeld, warnte unter Berufung auf Willibald Sauerländer, daß die hemmungslose Kommerzialisierung der visuellen Szene "die alte Kunst genauso verschleißen wird wie alle ihre anderen Warenangebote"86. Kritisch hinsichtlich einer Einordnung von "Waren" äußerte sich auch Ipsen: Die Gemeinschaft verwahre sich zwar gegen den Vorbehalt, mit Aktionen gegenüber dem Handel "Kulturpolitik" zu betreiben, indem sie solche Objekte dem Begriff der "Waren" zuordne; sie betreibe damit in Wahrheit aber "unter Überschreitung ihrer Zuständigkeit Kulturpolitik, insoweit dieser Zugriff die mitgliedstaatliche Rechtserfassung dieser Aktivitäten tangiert"87. Ansätze zu einer Sonderbehandlung von Kulturgütern sind insbesondere im Bereich des Kunsthandels zu verzeichnen, wo die Einschränkung der Verkehrsfähigkeit und damit ein höheres Maß an präventiver Kontrolle angestrebt werden. Aufgrund des bestehenden öffentlichen Interesses an der
M
P. Pescatore , S. 581; in diesem Sinne auch G. Gaja , Le rôle de la C.E.E. à l'égard de l'exportation des biens culturels, in: Rivista di diritto intemazionale privato e processuale (1989), S. 791; J. Duquesne, Le libre-échange des oeuvres d'art in: M. Vanden Abeele (Hrsg.), Le marché commun et le marché de l'art, journée d'études organisées par l'Institut d'Etudes européennes, Brüssel, 1. März 1982 (1982), S. 35, hebt ebenfalls hervor, daß "ils sont aussi des marchandises". 14 Mitteilungen des Verbandes Deutscher Kunsthistoriker, XXII. Deutscher Kunsthistorikertag vom 26.-29. Sept. 1990 in Aachen, in: Kunstchronik 44. Jg., Heft 4 (1991), S. 222. 81 H. P. Ipsen, S. 343. Für den speziellen Fall der Qualifikation von Verlagserzeugnissen als "Ware" fordert er eine an den Maßstäben der Verhältnismäßigkeit orientierte Prüfung der Eignung und Erforderlichkeit, opus cit., S. 353; vgl. auch F. Fechner, Rechtlicher Schutz archäologischen Kulturguts, Regelungen im innerstaatlichen Recht, im Europa- und Völkerrecht sowie Möglichkeiten zu ihrer Verbesserung (1991), S. 82. Zum Problem der Kompetenz der EG in kulturellen Angelegenheiten eingehend Kapitel J.V.l.
II. Annäherung an den Begriff "Kulturgut"
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Erhaltung von Kulturgütern wird erwogen, diese anders als sonstige Wirtschaftsgüter und Waren zu behandeln. So wurde mit dem Argument, daß Kulturgüter zum gemeinsamen Erbe aller Menschen zählen, in dem Europaratsbericht Report on the Movement of Art Objects aus dem Jahre 1984 eine kritische Haltung gegenüber der zunehmenden Kommerzialisierung, aber auch gegenüber schrankenlos ausgeübtem Privateigentum eingenommen. Die "Bedeutung" eines Kulturgutes solle, so der Vorschlag, das Kriterium für die Existenz eines öffentlichen Interesses sein, das stärker als das Interesse an Privateigentum und Handelsfreiheit wirkt 88. Dieser kritische Ansatz verstärkte sich in der Folgezeit. In einer weiteren, im Rahmen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates 1988 von Berichterstatter Rodotà vorgestellten Studie hieß es, das allgemeine Interesse an der Erhaltung und dem öffentlichen Genuß an Kunstwerken könne so stark sein, daß es zu einer Beschneidung der "egoistischen" Interessen von Privateigentümern komme: "Hie general interest in the preservation and public enjoyment of works of art entails sacrificing te purely selfish interest of private owners"*9.
Die Versammlung des Europarates ihrerseits ging schließlich aus von "a concept of cultural and artistic property that is different from the concept of other goods traded, and hence a different concept of property law"90. Eine von Reichelt im Auftrag von UNIDROIT durchgeführte Studie kommt zu dem Schluß, daß sich in den letzten Jahren eine Abkehr vom rein materiellen Wert eines Kulturgutes als Gegenstand privater Investition hin zu dem geistigen Wert desselben als Zeugnis der Zivilisation vollzogen habe. Deshalb träten private Eigentumsrechte mehr und mehr in den Hintergrund: "... the protection of the ownership of the property therefore takes second place behind the concept of safeguarding the property itself and the context within which it was created"91.
Gefordert wird, die dem Kulturgut anhaftende soziale Funktion solle den Weg hin zu einer neuen eigenen Kategorie ebnen92. Ein "system of property rules
a Council of Europe, Parliamentary Assembly, Report on the Movement of Art Objects (Rapporteur Beithl Explanatory Memorandum, (Doc. 5110), 15. Sept. 1984, Abe. 6 (3). 19 Council of Europe, Report on Art Trade, Explanatory Memorandum (Rapporteur Rodotà ), (Doc. 5834), 3. Febr. 1988, S. 5. 90 Council of Europe, Parliamentary Assembly, thirty-ninth ordinary session, Recommendation 1072 (1988) on the International Protection of Cultural Property and the Circulation of Works of Art, 23. März 1988, Ziff. 4. 91 G. Reichelt, La protection internationale des biens culturels. International Protection of Cultural, UNIDROIT Studie (1986), S. 131. 92 Council of Europe, Report on Art Trade, Explanatory Memorandum (Rapporteur Rodotà ), (Doc. 5834), 3. Febr. 1988, S. 5.
Β. Grundlagen
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different from that applying to other categories of property"93 soll dafür sorgen, daß der Charakter von Kulturgut als Errungenschaft der Zivilisation bewahrt wird. Soweit das Ziel der freien Übertragbarkeit von Kulturgütern nicht mit den Schutzerfordernissen vereinbar sei, müsse es zurücktreten. Es sei ein Anachronismus, die Kulturgüterschutz betreffenden eigentumsrechtlichen Bestimmungen in die traditionellen Eigentumsvorschriften einzufügen, da auf diese Weise den speziellen Schutzerfordernissen für Kulturgut nicht genügt werde.
Insgesamt ist die Tendenz zu erkennen, Kulturgüter aufgrund ihres "unique character"94 von anderen Handelswaren zu unterscheiden und sie als Rechtskategorie "sui generis" zu behandeln95. Der gedankliche Ansatz, daß Kulturgüter, um mit der EG-Kommission zu sprechen, nicht als "reine Waren angesehen werden können"96, hat in den letzten Jahren erheblich an Boden gewonnen. Zeugnis davon legt nicht nur die erwähnte Studie des Europarates aus dem Jahre 1988 über den Kunsthandel ab, die davon ausgeht, daß "cultural value must now take precedence over the mere 'goods' aspect"97, sondern auch die am 25. Januar 1988 einstimmig von den Mitgliedern des Komitees für Kultur und Erziehung des Europarates angenommene Draft Recommendation on the International Protection of Cultural Property and the Circulation of Wor of Art". Fast wortgleich befürwortet die von der Parlamentarischen Versammlung auf ihrer 39. Tagung 1988 verabschiedete Empfehlung: "... a concept of cultural and artistic property that is different from the concept of other goods traded, and hence a different concept of property law concerning such goods, as in fact recognised in the Treaty establishing the European Economic Community (1957) and the Single European Act (1986)"".
93
Ebd., S. 6. S. A. Williams , The International and National Protection of Movable Cultural Property, a Comparative Study (1978), S. 64. 93 G. Reichelt, UNIDROIT Studie (1986), S. 141, sieht eine "progressive recognition of the sui generis nature of cultural property" (Hervorhebung im Original); siehe auch das Plädoyer für eine "new legal category" von L V. Prott, RdC 217 (1989 V), S. 307 ff. 96 Die Mitteilung der Kommission an den Rat über den Schutz nationalen Kulturguts von künstlerischem, geschichtlichem oder archäologischem Wert im Hinblick auf die Beseitigung der Binnengrenzen im Jahre 1992 vom 22. Nov. 1989, Rdnr. 2. 97 Council of Europe, Report on Art Trade, Explanatory Memorandum, (Rapporteur Rodotà ), (Doc. 5834), 3. Febr. 1988, S. 8. 98 Council of Europe, Draft Recommendation on the International Protection of Cultural Property and the Circulation of Works of Art Presented by the Committee on Culture and Education, (Doc. 5834), 3. Febr. 1988. 99 Council of Europe, Parliamentary Assembly, thirty-ninth ordinary session. Recommendation 1072 (1988) on the International Protection of Cultural Property and the Circulation of Works of Art, 23. März 1988, Abs. 4. 94
II. Annäherung an den Begriff "Kulturgut"
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Die klare Unterscheidung zwischen "cultural goods" und anderen "consumer goods" müsse ständig beachtet werden, wenn man versuche, den generellen Rechtsstatus von Kunstwerken zu definieren und Vorschriften für Transaktionen von Kulturgütern aufzustellen. Der Unterschied zwischen beiden sei sogar im Zunehmen begriffen 100. Die sich abzeichnende Differenzierung zwischen Kulturgütern und normalen Wirtschaftsgütern ist, wie sich im Laufe der Arbeit zeigen wird, aufgrund der besonderen Fragilität und Unersetzbarkeit der ersteren ein wichtiger Schritt hin zu einer wirksamen kulturgüterrechtlichen Schutzkonzeption. De lege lata gilt jedoch, daß sie normale "Waren" sind101. 5. Herkunftskriterium Art. 36 EWGV erlaubt Einfuhr-, Ausfuhr- und Durchfuhrverbote oder beschränkungen, die zum Schutz des "nationalen" Kulturguts von künstlerischem, geschichtlichem oder archäologischem Wert gerechtfertigt sind. Ähnlich bestimmt Art. 12 h des Übereinkommens zur Errichtung der Europäischen Freihandelsassoziation, daß, unter der Voraussetzung, daß sie nicht als ein Mittel "zur willkürlichen oder ungerechtfertigten Diskriminierung" oder als eine "verschleierte Beschränkung des Handels" zwischen den EFTAStaaten gehandhabt werden, keiner der Staaten gehindert ist, diejenigen Maßnahmen zu treffen oder durchzuführen, "die dem Schutz nationalen Kulturguts von künstlerischem, historischem oder archäologischem Wert dienen." In beiden Vorschriften wird von einer territorialen Verbindung zwischen dem Objekt und dem Territorialstaat ausgegangen, die es erlaubt, unter bestimmten Umständen Objekte als "national" anzusehen und sie als Teil des Kulturerbes zum Gegenstand besonderer Schutzbemühungen zu machen. Wann aber handelt es sich um ein Kulturgut102 und wodurch wird der nationale
100 Council of Europe, Report on Art Trade, Explanatory Memorandum (Rapporteur Rodotà ), (Doc. 5834), 3. Febr. 1988, S. 9. 101 Dies wird aus internationalprivatrechtlicher Perspektive bestätigt durch 0. Sandrock, Foreign Law Regulating the Export of Cultural Property: The Respect Due to Them by the Judge of the Lex Fori, in: P. Lalive (Hrsg.), International Sales of Works of Art, Geneva Workshop, 11.-13. April 1985 (1988), S. 462, betont, Kunsthandel sei regulärer Handel. Es gebe keine speziellen Regeln für Kunst- und Kulturgegenstände, es könne sie auch gar nicht geben, denn sonst würde der Bestand an internat ionalprivatrechtlichen Konfliktregeln unüberschaubar und nicht länger handhabbar. 102 Zur Frage der Schutzobjekte in Art. 36 vgl. C. D. Dicke, Commerce international de l'art entre commerce libre et protection des biens culturels, in: P. Lalive (Hng.), International Sales of Works of Art, Geneva Workshop, 11.-13. April 1985 (1988), S. 529 f.; P. Pescatore , S. 585; P. C. Miiller-Graff\ Art. 36, in: H. v. d. Groeben; J. Thiesing; C.-D. Ehlermann (Hrsg.), Kommentar zum EWG-Vertrag Bd. 1, Art. 1-84 (4. Aufl. 1991), S. 524 ff., Rdnr. 54-57; Council of Europe, Report on Art Trade, Explanatory Memorandum (Rapporteur Rodotà ), (Doc. 5834), 3. Febr. 1988, S. 4.
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Β. Grundlagen
Bezug bestimmt - durch den Ort der Schöpfung, die Staatsangehörigkeit des Künstlers oder den typischen Charakter eines Kunstwerkes? Wird ein Sachverhalt wie in Jeanneret v. Vichey y in dem es um ein in Italien befindliches Gemälde des Franzosen Matisse ging, das seitens Italiens als nationales Kulturgut betrachtet wurde, noch abgedeckt103? Da es hinreichend Beispiele gibt, in denen eine enge Verbindung eines Kunstwerkes zu einem Land besteht, ohne daß der Schöpfer des Werkes diesem Land angehört, fragt sich, ob man gegebenenfalls auch ausländische Werke als "nationale Kulturgüter" ansehen kann. Die Frage spitzt sich zu, wenn es um den Export eines Werkes in den Heimatstaat des Künstlers, etwa den Verkauf eines Michelangelo-Gemäldes von Deutschland nach Italien, geht. Das deutsche Gesetz zum Schutz deutschen Kulturguts gegen Abwanderung von 1955 differenziert nicht nach den Ursprüngen eines Objekts. Wertvolles Kulturgut, das in fremden Ländern entstanden ist, kann nationalen Restriktionen unterliegen, wenngleich der Prozentsatz deijenigen Stücke mit ausländischem Ursprung, die in dem Gesamtverzeichnis wertvollen Kulturgutes geführt werden, gering ist 104 . Das Schweigen des EWG-Vertrages und der EFTA-Übereinkunft sowie die etwas ambivalente Stellungnahme der EG-Kommission 105 hinsichtlich der
103
Im amerikanischen Schrifttum wurde im konkreten Fall bezweifelt, daß das Werk eine besondere Bedeutung für die Italiener habe. Es sei fraglich, ob die Ausfuhr eines von einem französischen Maler geschaffenen Bildes tatsächlich einen großen Verlust für das italienische Erbe darstelle. Hinter dem Vorgehen Italiens stünden protektionistische Absichten. Schon aus diesem Grund läge es im amerikanischen Interesse, die unfairen italienischen Exportpraktiken abzulehnen: "For reasons of law, policy, and the legislative history of the UNESCO Convention, it is important that the incipient Jeanneret doctrine be repudiated", Η. E. Nass, Jeanneret v. Vichey: Evaporating the Cloud, in: N.Y. U. J. Infi L & Pol. 15 (1983), S. 1019; näher zum Urteil Jeanneret v. Vichey siehe Kapitel J.VI.2 a. 104 Gesetz zum Schutz deutschen Kulturguts gegen Abwanderung vom 6. Aug. 1955, BGBl (1955 I), S. 501 ff.; geändert durch Art. 33 EGOWIG v. 24. Mai 1968 (BGBl 1968 I), S. 503 ff. und Art. 86 EGStGB v. 2. März 1974, (BGBl 1974 I), S. 469; der vollständige Text ist bei Sartorius I, Verfassungs- und Verwaltungsgesetze (Nr. 510) abgedruckt; Einzelheiten bei M. Hilf, Legal Aspects of Community Actions in the Field of Culture, National Report for the Federal Republic of Germany, in: F.I.D.E., Reports of the 13th Congress, Thessaloniki, 28. Sept.-l.Okt. 1988, Bd. I, Legal Aspects of Community Action in the Field of Culture, S. 129. Zu der deutschen Staatenpraxis hinsichtlich der Erfassung wertvollen nationalen Kulturgutes siehe Kapitel J.II.l. 105
Die Kommission hat lediglich in einerrechtlichnicht veibindlichen Stellungnahme betont, daß "it is for each Member State to determine its own criteria for identifying cultural objects that can beregarded as 'national treasures'; nevertheless, the concept of 'national treasures possessing artistic, historic or archaeological value' cannot be defined unilaterally by the Member States without verification by the Community institutions", vgl. Communication from the Commission to the Council on the Protection of National Treasures Possessing Artistic, Historic or Archaeological Value: Needs Arising from the Abolition of Frontiers in 1992, COM (89) 594 final of 22 November 1989.
II. Annäherung an den Begriff "Kulturgut"
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Bestimmung eines "nationalen" Kulturguts, lenkt bei der Suche nach möglichen Lösungen den Blick auf andere völkerrechtliche Übereinkünfte und damit auf den sog. "lien" bzw. "connection test", der es erlaubt, bestimmte Kulturgüter als national zu qualifizieren. Die Konvention von San Salvador aus dem Jahre 1976 unterscheidet gem. Art. 2 fünf Arten von Objekten, darunter u.a. Monumente, Gebäude, Bibliotheken und Archive. Art. 5 schließlich führt den Begriff des "cultural heritage" ein: "The cultural heritage of each state consists of property mentioned in Art. 2, found or created in its territory and legally acquired items of foreign origin".
Danach werden unter "Kulturgütern" im Sinne des Art. 2 allgemein Objekte bestimmter Qualität verstanden. Zum nationalen "Kulturerbe" eines Staates sollen hingegen nur diejenigen Objekte gehören, die erstens die Qualität von Kulturgut aufweisen und zweitens auf besondere Weise mit dem Staat verbunden sind. Diese besondere Verbindung, auch als "connection" oder frz. "lien" bezeichnet, kann sich aus verschiedenen Faktoren ergeben: — aus der Tatsache des Fundes auf dem Territorium des Schutzstaates (etwa bei einer archäologischen Grabung) — aus der Tatsache, daß das entsprechende Objekt, auf dem eigenen Territorium geschaffen wurde (z.B. weil ein einheimischer Künstler es gefertigt hat) — daraus, daß das Objekt zwar fremden Ursprungs ist, aber rechtmäßig erworben wurde. (z.B. Ankauf eines ausländischen Objektes durch ein Museum oder rechtmäßiger Erwerb durch Staatsangehörige) Ein ähnlicher, allerdings erweiterter "connection test" dieser Art findet sich auch in der UNESCO Convention on the Illicit Movement of Art Treasures von 1970,c*. Kulturgüter (cultural property) im allgemeinen Sinn sind Art. 1 zufolge bestimmte Kategorien von Objekten mit großer kultureller Bedeutung. Kulturgüter, die darüber hinaus eine besondere Verbindung zu einem Staat aufweisen, werden diesem als sein "cultural heritage" zugerechnet107. Die besondere Verbindung kann hier auf fünffache Weise Zustandekommen: — Kulturgut, das entweder von Staatsangehörigen eines Staates geschaffen wurde oder innerhalb der Grenzen dieses Staates von ausländischen Staatsangehörigen oder staatenlosen Personen, die innerhalb des Gebietes wohnhaft sind, geschaffen wurde (nationaler Schöpfungsakt)
106
Dazu S. A. Williams, The International and National Protection, S. 181; C. D. Dicke, The Instruments and Agencies of the International Protection of Cultural Property, Proceedings of the Thirteenth Colloquy on European Law, Delphi, 20.-22. Sept. 1983 (1984), S. 24. 1