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German Pages 355 Year 1976
Schriften zum Völkerrecht Band 50
Umweltschutz im völkerrechtlichen Nachbarrecht Von
Eberhard Klein
Duncker & Humblot · Berlin
EBERHARD
KLEIN
Umweltschutz i m völkerrechtlichen Nachbarrecht
Schriften zum
Völkerrecht
Band 50
Umweltschutz i m völkerrechtlichen Nachbarrecht
Von D r . Eberhard K l e i n
D U N C K E R & H U M B L O T / B E R L I N
Alle Rechte vorbehalten © 1976 Duncker & Humblot, Berlin 41 Gedruckt 1976 bei Buchdruckerei A. Sayffaerth - E. L. Krohn, Berlin 61 Printed in Germany
ISBN 3 428 03585 2
Vorwort Die vorliegende Untersuchung lag i m Sommersemester 1975 der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Freiburg i. Br. zur Annahme als Dissertation vor. Das Manuskript wurde ursprünglich nach dem Stande von Januar 1975 abgeschlossen. Neuere Entwicklungen w u r den soweit möglich bis September 1975 berücksichtigt und — insbesondere i n die Fußnoten — eingearbeitet. Nicht mehr berücksichtigt werden konnten u. a. die Ergebnisse der Brüsseler EG-Ministerratstagung vom Dezember 1975, die sich mit Problemen der Gewässerreinhaltung i m Bereich der Europäischen Gemeinschaften befaßte; die dort gefaßten Beschlüsse bestätigen jedoch i m wesentlichen die i n dieser Untersuchung gewonnenen Ergebnisse und aufgezeigten Tendenzen. Auf von Behördenseite vorgetragenen Wunsch habe ich der Untersuchung ein Sachverzeichnis hinzugefügt, das allerdings i n Anbetracht der detaillierten Gliederung der Arbeit auf die Wiedergabe der wichtigsten Fundstellen betreffend die einzelnen Staaten, geographischen Regionen, internationalen Organisationen und Gewässer beschränkt ist. Ich hoffe, hiermit i n ausreichender Weise der Praxis den Umgang mit dieser Arbeit zu erleichtern. Mein besonderer Dank gilt Herrn Prof. Dr. Werner von Simson für die Betreuung der Arbeit und die vielfache Förderung, die er mir hat zuteil werden lassen. Zu danken habe ich ferner Herrn Dr. Wolf gang Graf Vitzthum für manche Anregungen und klärende Gespräche sowie den Angehörigen all der nationalen und internationalen Behörden, die mir durch stets bereitwillige Hilfe die Anfertigung dieser Arbeit weitgehend erleichtert haben. Dank schulde ich auch der Wissenschaftlichen Gesellschaft in Freiburg i. Br. für die großzügige Förderung bei der Drucklegung. Schließlich danke ich Herrn Ministerialrat a. D. Dr. Johannes Broermann für die Aufnahme der Schrift i n seine Reihe. Saarbrücken, i m Januar 1976 Eberhard
Klein
Inhaltsverzeichnis Einführung
13
Umweltschutz als Problem, S. 13 — Völkerrechtliche Fragestellung, S. 15 — Abgrenzungs- u n d Definitionsfragen, S. 17 — Gang der Untersuchung, S. 25 Erster
Teil
Der tatsächliche Sachverhalt Erstes Kapitel:
Umweltstörungen
und ihre ökologischen
27 Auswirkungen
..
27
A. Die Verunreinigung der Binnengewässer
28
B. Die Luftverunreinigung u n d die Lärmbeeinträchtigung
35
Zweites Kapitel:
Einzelfälle
grenzüberschreitender
Umweltstörungen
41
A. Gewässerverunreinigungen
41
B. Luftverunreinigungen u n d Lärmbeeinträchtigungen
58
Drittes Kapitel:
Hindemisse
einer völkerrechtlichen
Regelung
66
A. Wirtschafts- u n d entwicklungspolitische Gesichtspunkte
66
B. Völkerrechtspolitische Gesichtspunkte
72
Zweiter
Teil
Die völkerrechtliche Problematik Erstes Kapitel: Zweites Kapitel:
Lösungsalternativen Die gegenwärtige
76 78
Rechtslage
86
A. Quellen u n d Grundlagen
87
B. Das materielle Völkerrecht
91
8
nsverzeichnis I. Umweltstörungen allgemein 1. Vertragspraxis
91 91
2. Sonstige völkerrechtliche Praxis 97 a) Praxis der Staaten 97 Zulässigkeit grenzüberschreitender Umweltstörungen, S. 97 — Ersatzverpflichtung, S. 106 b) Entscheidungen internationaler Gerichte u n d Schiedsgerichte 107 3. Allgemeine Rechtsgrundsätze 110 „Sic utero tuo u t alienum non laedas" und Verbot des Rechtsmißbrauchs, S. 111 — Treu u n d Glauben, S. 114 — Prinzip der guten Nachbarschaft, S. 115 — Allgemeine Rechtsgemeinschaft u n d Interdependenz der Staaten, S. 118 4. Völkerrechtliche D o k t r i n
119
5. Ergebnis
122
I I . Gewässerverunreinigung
124
1. Vertragspraxis 125 a) Verunreinigungsverböte 126 Absolute Verunreinigungs verböte, S. 126 — Relative V e r unreinigungsverbote, S. 133 — Geltungsbereich der V e r bote, S. 157 b) Ersatz Verpflichtung 158 2. Sonstige völkerrechtliche Praxis 161 a) Praxis der Staaten 161 Absolute Freiheit der Nutzung internationaler Gewässer, S. 161 — Absolutes Verunreinigungsverbot, S. 163 — Relative Nutzungsbeschränkung, S. 164 — Ersatzverpflichtung, S. 177 b) Entscheidungen internationaler Gerichte u n d Schiedsgerichte 178 3. Völkerrechtliche D o k t r i n 181 a) Absolute Nutzungsfreiheit u n d absolutes Verunreinigungsverbot 181 b) Relative Nutzungsbeschränkung 184 c) Ersatz Verpflichtung 192 4. Ergebnis I I I . Luftverunreinigung u n d Lärmbeeinträchtigung
193 212
1. Luftverunreinigung 212 a) Vertragspraxis 213 b) Sonstige völkerrechtliche Praxis 216 Praxis der Staaten, S. 216 — Der T r a i l Smelter-Schiedsspruch, S. 225 c) Völkerrechtliche D o k t r i n 227 d) Ergebnis 229 2. Lärmbeeinträchtigung
234
I V . Zusammenfassung: Grundsätze des materiellen nachbarrechtlichen Umweltschutzvölkerrechts 240
nsverzeichnis
9
C. Das Völkerverfahrensrecht
244
I. Grenzüberschreitende Zusammenarbeit
245
1. Zusammenarbeit auf inter-nationaler Ebene
245
2. Zusammenarbeit auf inter-regionaler u n d inter-lokaler Ebene 266 3. Grundzüge, Tendenzen, Zusammenarbeitspflicht I I . Zustimmungserfordernis, pflicht
Konsultationspflicht,
282 Informations-
291
I I I . Verhandlungspflicht, Streitentscheidung durch Schiedsgerichte .. 308 D. Ergebnis Drittes Kapitel : Fragen der künftigen I. Entwicklungsbedürftigkeit
314 Rechtsentwicklung
317
des gegenwärtigen Hechtszustandes 317
I I . Perspektiven der künftigen Rechtsentwicklung
319
Ausblick
327
Literaturverzeichnis
330
Sachverzeichnis
352
Abkürzungsverzeichnis a. Α .
= andere Ansicht
AAA
— Association des Auditeurs et Anciens Auditeurs l'Académie de Droit International de l a Haye
Abb.
=
Abbildung
Abg.
=
Abgeordneter
AFDI
= Annuaire Frangais de D r o i t International
AJIL
= American Journal of International L a w
Bad.-Württ.
=
BGB
= Bürgerliches Gesetzbuch
de
Baden-Württemberg
BGBl.
=
BRD
= Bundesrepublik Deutschland
Bundesgesetzblatt
BT
=
COMECON
= Council for M u t u a l Economic Assistance
DDR
= Deutsche Demokratische Republik
Bundestag
DM
= Deutsche M a r k
DöV
= Die öffentliche V e r w a l t u n g
Doc. oder Dok.
=
EG
= Europäische Gemeinschaften
Dokument
Euratom
= Europäische Atomgemeinschaft
FAO
=
(UN-) Food and A g r i c u l t u r a l Organization
GesBl.
=
Gesetzblatt
ICJ
= International Court of Justice
I C J Reports
= International Court of Justice, Reports of Judgements, Advisory Opinions and Orders
IDI
= I n s t i t u t de Droit International
i. d. R.
= i n der Regel
IGH ILA
= Internationaler Gerichtshof = International L a w Association
IUCN
= International U n i o n for Conservation of Nature and Natural Resources
km
=
1
=
Liter
m
=
Meter
m3
=
Kubikmeter
Martens N.R.G.
= Martens, Nouveau Recueil Général de Traités
Kilometer
Abkürzungsverzeichnis mg
=
Milligramm
Mill.
=
Million(en)
Mrd.
s
MW
11
Milliarde(n) Megawatt
m. w. N.
= m i t weiteren Nachweisen
NATO
= N o r t h Atlantic Treaty Organization
NJW
= Neue Juristische Wochenschrift
No. oder Nr.
=
OAS
= Organization of American States
OECD
= Organization for Economic Cooperation and Development
OAU
= Organization of A f r i c a n U n i t y
PCIJ
= Permanent Court of International Justice
Nummer
Recueil des Cours = Académie de D r o i t International de L a Haye, Recueil des Cours RGBl.
=
RGDIP
= Revue Générale de Droit International Public
Reichsgesetzblatt
RGZ
= Entscheidungen des Reichsgerichts i n Zivilsachen
RIAA
= Report of International A r b i t r a l A w a r d s
Sten. Ber.
= Stenografischer Bericht
StIGH
= Ständiger Internationaler Gerichtshof
Südd. Zeitung
= Süddeutsche Zeitung
t
=
UdSSR
= Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken
Tonne(n)
U N oder U N O
= United Nations (Organization)
UNTS
= United Nations Treaty Series
USA
= United States of America
vol.
=
volume
WHO
=
(UN-) W o r l d Health Organization
ZaöRV
= Zeitschrift f ü r ausländisches öffentliches Recht und V ö l kerrecht
ZLW
= Zeitschrift f ü r Luftrecht u n d Weltraumrechtsfragen
ZRP
= Zeitschrift f ü r Rechtspolitik
Einführung Umweltschutz als Problem
Die Sorge u m die Erhaltung der menschlichen Umwelt ist nicht erst i n den letzten Jahren zu einem Anliegen der Menschheit geworden. Schon die Städte der Antike und des Mittelalters sahen sich Problemen der Abwässerbeseitigung, der Luftverschmutzung und des Lärmes gegenüber 1 . Insbesondere Fragen der Gewässerverschmutzung waren schon i n früher Zeit Gegenstand rechtlicher Regelungen: Bereits das altpersische Recht soll ein Verbot der Verunreinigung von Flüssen ausgesprochen haben 2 ; auch das römische Recht 3 sowie das mittelalterliche deutsche4, englische 4 und französische 4 Recht kannten i n einzelnen Fällen Verbote von Gewässerverunreinigungen. Solche frühen rechtlichen Regelungen dürfen jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, daß derartige Umweltbeeinträchtigungen bis vor noch kurzer Zeit nur von geringer praktischer und somit auch rechtlicher Bedeutung waren. Der beängstigende Umfang, den die Gesamtheit der ökologischen Belastung mittlerweile erreicht hat und der den Umweltschutz zu einem der drängendsten Rechtsprobleme erhoben hat, ist ein Produkt der jüngsten Zeit. Zu lange wurde die Fähigkeit der Natur, schädliche Nebenprodukte menschlichen Lebens und menschlicher Tätigkeiten aufzunehmen, überschätzt und als unerschöpflich angesehen. I n erster Linie auf technischen Fortschritt und Wirtschaftlichkeit bedacht, hat man sämtliche anfallenden und unbrauchbaren Rückstände i n die Biosphäre entlassen, die alles verdünnt und verkraftet hat. L u f t und Wasser haben viele Jahrhunderte hindurch einen Großteil der entstandenen Abfallstoffe aufgenommen und hinweggetragen. Doch die Selbstreinigungskraft von Wasser, L u f t und Boden reicht schon heute i n vielen Fällen nicht mehr aus, die eingeleiteten Schadstoffe zu absorbieren und zu resorbieren. Das explosionsartige Anwachsen der Weltbevölkerung 5 sowie das von Pro1 Bothe, Umweltschutz als Aufgabe der Rechtswissenschaft. Völkerrecht u n d Rechtsvergleichung, ZaöRV 32 (1972), S. 483 ff. (483). 2 Dintelmann, Die Verunreinigung internationaler Binnengewässer insbesondere i n Westeuropa aus der Sicht des Völkerrechts, 1965, S. 1. 3 z. B. Codex Theodosianus 7,1,13; Cod. 12,35 (36), 12. 4 Vgl. Dintelmann, ebd. m. w. N. 5 I m Jahre 1950 lebten 2,5 Mrd. Menschen auf der Erde (dtv-Lexikon, Band 2, A r t i k e l „Bevölkerung"). Diese Z a h l w a r bis zum Jahre 1972 auf 3,6 Mrd. ange-
14
Einführung
duktions- und Konsumsteigerungen ungekannten Ausmaßes gekennzeichnete ungeheure Wirtschaftswachstum erhöhen die Belastung unserer Umwelt derart, daß die natürlichen Lebensgrundlagen überfordert sind. Während sich die Weltbevölkerung zahlenmäßig verdoppelt, werden sich Industrieproduktion und Konsum verdreifachen 6 . Die m i t dem Anwachsen der Industrieproduktion verbundene Steigerung des Rohstoffverbrauchs bringt wiederum eine starke Erhöhung des Pro-KopfBedarfs an Energie mit sich 7 . I n gleichem Maße, wie Produktion und Energieverbrauch steigen, erhöht sich aber auch die Menge der entstehenden Abfallprodukte 8 . Es zeigt sich, daß der Mensch i m Begriff ist, i n weitem Umfang biologischen Gesetzen zuwiderzuhandeln. „Biologische Prozesse verlaufen, was dem Charakter der Erde als geschlossenem System gemäß ist, kreisförmig: Wasser verdunstet und schlägt sich wieder nieder. Die Natur kennt keine Müllprobleme. Energien und Stoffe werden immer wieder weiterverwendet. Die menschlichen Kulturprozesse hingegen sind i n weitem Umfang linear: Entnahme von Rohstoff - Industrieproduktion Abfall. Solche linearen Entwicklungsprozesse sind i n einem geschlossenen System nur begrenzt möglich. Die Häufung solcher linearer Entwicklungsprozesse hat dazu geführt, daß w i r uns diesen Grenzen nähern 9 ." D i e E r k e n n t n i s , daß sozialer u n d technischer F o r t s c h r i t t d e n K e i m z u m V e r f a l l d e r n a t ü r l i c h e n H i l f s q u e l l e n , die i n q u a n t i t a t i v e r H i n s i c h t n u r b e g r e n z t v o r h a n d e n sind, i n sich t r a g e n , h a t i m v e r g a n g e n e n J a h r z e h n t insbesondere i n d e n i n d u s t r i a l i s i e r t e n S t a a t e n das B e w u ß t s e i n d e r W i s senschaftler, der P o l i t i k e r u n d auch der Ö f f e n t l i c h k e i t f ü r ökologische F r a g e n i n i m m e r s t ä r k e r e m M a ß e erobert. D i e v e r b r e i t e t e E r k e n n t n i s , daß die G e f ä h r d u n g unserer U m w e l t m i t t l e r w e i l e e i n riesiges u n d t e i l weise n i c h t m e h r behebbares A u s m a ß a n g e n o m m e n h a t 1 0 , h a t d e n U m stiegen. Schätzungen zufolge w i r d die Weltbevölkerung auf 7 M r d . Menschen i m Jahre 2000 u n d auf 15—30 Mrd. u m die M i t t e des nächsten Jahrhunderts anwachsen (Zahlen entnommen aus: Umweltschutzprogramm der EG, S. 10 Fußn. 2). Das bedeutete, daß sich die Weltbevölkerung innerhalb eines Zeitraumes von etwa 30 Jahren jeweils verdoppelte (vgl. i m einzelnen auch Ehrlich6 Vgl. Bevölkerungswachstum Humpstone, Pollution uand Prospect, Foreign Ä f f5airs Ehrlich, n d Umweltkrise, 1972, S. ff.). 50 (1971/72), S. 325 ff. (328). 7 Dieser Zusammenhang soll durch folgende Zahlen belegt werden: I n einer p r i m i t i v e n Gesellschaft entspricht der jährliche Energiebedarf eines Menschen einem Wert von etwa 0,1 SKE (Steinkohleneinheit. 1 SKE entspricht dem Energieinhalt von 1 t Steinkohle). I m Jahre 1970 entsprach der weltweite durchschnittliche Pro-Kopf-Verbrauch an Energie einem Wert von 2 SKE, i n den hochindustrialisierten Vereinigten Staaten v o n Nordamerika lag der Wert i m selben Jahr bereits bei 11 SKE (siehe Utton, International Water Quality L a w , natural resources j o u r n a l 13 [1973], S. 282 ff. [282]). 8 Vgl. Humpstone, Pollution, S. 328. 9 Bothe, Umweltschutz, S. 484. 10 Auch die Volksrepublik China, die noch i m Jahre 1970 vorgab, das Problem industrieller Umweltverschmutzung durch Sparsamkeit u n d maoistischen
Völkerrechtliche Fragestellung
15
weltschutz zu einem der beherrschenden Themen der Gegenwart erhoben. Völkerrechtliche Fragestellung
Umweltstörungen respektieren keine politischen Grenzen. Flüsse, Schallwellen, Luftmassen, radioaktive oder andere Strahlen bewegen sich nach Gesetzen der Natur, ohne auf Staatsgrenzen Rücksicht zu nehmen. Abwässer, die vom Gebiet der Oberliegerstaaten i n den Lauf eines internationalen Flusses eingeleitet werden, vermögen den Wasserlauf zum Nachteil der Unterliegerstaaten jeglichen Lebens zu berauben, seine Nutzbarkeit zu landwirtschaftlichen, industriellen oder anderen Zwekken zu beseitigen oder zu beeinträchtigen, insbesondere die vielfach lebensnotwendige Inanspruchnahme als Trinkwasserquelle unmöglich zu machen. Chemisch oder biologisch verunreinigte Luftmassen vermögen auch jenseits der Grenzen ihre schädlichen Wirkungen zu entfalten. Die regionalen Luftströmungen sind eingebettet i n die großen Luftbewegungen zwischen Meer und Land und die Strömungen zwischen Hoch- und Tiefzonen, welche sich wiederum als Folge der globalen Zirkulation einstellen 11 . Vor allem aber sorgen die Winde als Hauptverteiler der L u f t verunreinigungen für transnationale Umweltprobleme; dies gilt insbesondere dann, wenn Staatsgrenzen Industriegebiete durchziehen oder berühren. Flugplätze i m Grenzbereich können i m Zeitalter des Düsenund Uberschall-Luftverkehrs zu Quellen unzumutbarer Lärmbeeinträchtigungen für Bewohner jenseits der Staatsgrenze werden. Jede zwischenstaatliche Nachbarschaft birgt i m Grunde den Keim zu Immissionsproblemen i n sich 12 . Vor allem aufgrund des Strömungs- und Austauschcharakters der Ubertragungsmedien L u f t und Wasser bilden nationale umweltrelevante Aktivitäten häufig den Ausgangspunkt zu einer internationalen Beeinträchtigung ökologischer Verhältnisse. A u f den Bereich der Gewässerverschmutzung bezugnehmend, drückt Utton dies treffend so aus: "Since the flow of river waters follows the dictates of gravity rather than arbitrary political boundaries, one country's sanitation is another's poison 13 ." Erfindergeist überwunden zu haben (New Y o r k Times, 23, Febr. 1970, S. 12, Spalte 1), sucht mittlerweile verstärkt nach politischen u n d technischen L ö sungsmöglichkeiten f ü r die gegenwärtige Umweltmisere (New Y o r k Times, 18. Sept. 1971, S. 9, Spalten 2 - 7). 11 Es ist erwiesen, daß Verunreinigungen, die i n höhere Luftschichten gelangt sind, sogar über Kontinente hinwegziehen u n d sich zum T e i l weit entfernt v o n den Emissionsquellen niederschlagen (siehe: Europäisches Parlament, Dok. 181/71, S. 8). z. B. schlugen sich i m Jahre 1968 i n Großbritannien m i t starken Regenfällen auch größere Mengen von der Sahara herangetragenen roten Flugsandes nieder (siehe New Y o r k Times, 11. Jan. 1970, S. 24, Spalte 1). 12 v. Münch, Umweltschutz i m Völkerrecht, Archiv des Völkerrechts 15 (1971/ 72), S. 385 ff. (393). 13 Utton, International Water Quality L a w , S. 282.
16
Einführung
Infolge der grenzüberschreitenden W i r k u n g von Umweltbeeinträchtigungen verschiedenster A r t t r i t t also die Problematik des U m w e l t schutzes aus dem rein nationalen Bereich heraus und w i r d zu einer Frage der zwischenstaatlichen nachbarschaftlichen Beziehungen und damit zu einer Frage des Völkerrechts. I n der Regelung und Lösung der Rechtsfragen, die i m Zusammenhang m i t der Problematik transnationaler U m weltstörungen und der Erhaltung gemeinsamer Ressourcen 14 entstehen, liegt eine bedeutende Aufgabe des Völkerrechts. — Entgegen der Ansicht Lesters 15, der als fundamentales Ausgangsproblem die Frage nach der völkerrechtlichen Haftung eines Staates für von seinem Gebiet ausgegangene Umweltstörungen, die bereits Auswirkungen auf das Gebiet des Nachbarstaates gezeigt haben, ansieht, muß Ausgangspunkt einer völkerrechtlichen Untersuchung die Fragestellung sein, ob die zu einer derartigen Beeinträchtigung des Nachbarstaates führenden A k t i v i t ä t e n völkerrechtlich nicht überhaupt unzulässig sind und ob folglich möglicherweise eine Unterlassungs- oder Verhinderungspflicht seitens des Störerstaates besteht. Denn angesichts der schwerwiegenden, häufig kaum reparablen Konsequenzen bereits vollzogener Umweltschädigungen und der Tatsache, daß die Verhinderung einer Umweltstörung regelmäßig weitaus geringere Aufwendungen als der Ersatz durch sie verursachter Schäden erfordert, erscheint es eher angebracht, die Gefahr solcher Schädigungen m i t rechtlichen M i t t e l n von vornherein auszuschließen oder zu mindern, als nach Schadenseintritt eine haftungsrechtliche Ausgleichspflicht zu statuieren. Erst wenn eine Unterlassungs- oder Verhinderungspflicht nicht oder nur i n unvollständiger Weise bestehen sollte oder aber entgegen einer solchen Pflicht es dennoch zu einem Schadensfall kommen sollte, w i r d die Frage nach der völkerrechtlichen Haftung relevant. Dieser Untersuchung ist deshalb vornehmlich die Aufgabe gestellt zu klären, ob es für den Bereich des Umweltschutzes mehr oder minder präzise nachbarrechtliche Regelungen des Völkerrechts universaler oder regionaler A r t gibt, die grenzüberschreitende Umweltstörungen zu untersagen oder i n anderer Form einzuschränken suchen, welcher Natur und welchen Inhalts solche Regelungen sind und ob diese Regeln zur Lösung der von ihnen betroffenen Probleme geeignet und genügend sind. Allgemein gesprochen geht es also darum, welche Grundsätze benachbarte Staaten i n ihrem Verhalten zueinander bei Fragen gegenseitiger Umweltbeeinträchtigung gelten lassen müssen oder gelten lassen sollten.
14 Hierunter sind i n diesem Zusammenhang L u f t und Wasser i m Grenzbereich zu verstehen. 15 Lester, Pollution, in: Garretson u.a., The L a w of International Drainage Basins, Kapitel 3, S. 89 ff. (94).
Abgrenzungs- u n d Definitionsfragen
17
Abgrenzungs- und Definitionsfragen " L ' e n v i r o n n e m e n t c'est p e u t - é t r e u n m o t q u i n e v e u t r i e n d i r e parce q u ' i l v e u t t o u t d i r e 1 6 . " Diese W o r t e c h a r a k t e r i s i e r e n die W e i t e des B e griffes „ U m w e l t " , eine W e i t e , die diesen B e g r i f f e i n e r e x a k t e n u n d e i n d e u t i g e n D e f i n i t i o n n u r schwer z u g ä n g l i c h m a c h t 1 7 . Einer der zahlreichen, bisher vorgenommenen Definitionsversuche 18 stammt v o n der Kommission der Europäischen Gemeinschaften. I n ihren Mitteilungen an den Rat über ein Umweltschutzprogramm der Gemeinschaften 19 w i r d „ U m w e l t " umschrieben als die „Gesamtheit der Elemente, die — so wie sie sind oder wie sie empfunden werden — i n ihrem komplexen Zusammenwirken den Lebensrahmen, das M i l i e u u n d die Lebensbedingungen der Menschen u n d der Gesellschaft b i l d e n " 2 0 . I n solcher Weite definiert, ist die U m w e l t als Gesamtheit aller Erscheinungen, die den Menschen umgeben 2 1 , zu verstehen u n d umfaßt neben der N a t u r so vielschichtige Bereiche u n d Probleme w i e zum Beispiel Städtesanierung, Raumordnung, soziale Strukturen innerhalb der Staaten, Befriedigung kultureller und wirtschaftlicher Bedürfnisse der Bevölkerung oder Denkmalsschutz. Auch die Stockholmer U N O - D e k l a r a t i o n über die U m welt des Menschen 22 n i m m t v o r allem i n ihren Grundsätzen 8 u n d 10 ausdrücklich auf wirtschaftliche u n d soziale Aspekte der U m w e l t Bezug. Eine Behandlung derartiger Aspekte ist jedoch i m Rahmen einer Untersuchung nachbarschaftlicher Fragen des Völkerrechts wenig sinnvoll, da ein Auftreten speziell nachbarrechtlicher Konflikte unter solchen Gesichtspunkten höchst u n w a h r scheinlich ist. N a c h b a r r e c h t l i c h e n B e z u g g e w i n n t die T h e m a t i k „ U m w e l t " i n erster L i n i e , w e n n u n t e r diesem B e g r i f f das Gesamtgefüge d e r i r d i s c h e n N a t u r , das d i e L e b e n s g r u n d l a g e n f ü r d i e menschliche E x i s t e n z e n t h ä l t 2 3 , v e r s t a n d e n w i r d . U m w e l t s c h u t z b e d e u t e t d e m n a c h B e w a h r u n g dieser G r u n d l a g e n v o r R a u b b a u u n d sonstigen b e e i n t r ä c h t i g e n d e n Einflüssen. A u f g a b e n eines so v e r s t a n d e n e n U m w e l t s c h u t z e s s i n d d a m i t v o r a l l e m i n der E r h a l t u n g d e r n a t ü r l i c h e n H i l f s q u e l l e n ( n a t u r a l resources) u n d gesunder L e b e n s v e r h ä l t n i s s e f ü r d e n Menschen z u sehen 2 4 . D i e B e w a h r u n g d e r sich n i c h t e r n e u e r n d e n H i l f s q u e l l e n ( n o n r e n e w a b l e resources) 2 5 16 Touscoz, L'action des communautés européennes en matière d'environnement, revue trimestrielle de droit européen 1973, S. 29 ff. (31). 17 F ü r diese Feststellung spricht u. a. auch die Tatsache, daß bei der Stockholmer UNO-Umweltkonferenz die Abgrenzung des Begriffes „ U m w e l t " u n d der verwandten Begriffe erhebliche Schwierigkeiten bereitete (vgl. Der parlamentarische Standpunkt zur Stockholmer Konferenz, S. 152). 18 Touscoz, L'action, S. 31, spricht von einer an die hundert reichenden A n zahl vorhandener Definitionsversuche. 19 B u l l e t i n der Europäischen Gemeinschaften, Beilage 5/72. 20 Ebd., S. 10. 21 Ä h n l i c h Gräff-Spegele, Wörterbuch des Umweltschutzes, 1972, Stichwort „ U m w e l t " , S. 130. 22 U N Doc. A/CONF. 48/14; deutsche Übersetzung i n : Stockholmer Resultate (Beiträge zur Umweltgestaltung, Heft A 10), 1973, S. 161 ff. 23 So auch Bothe, Umweltschutz, S. 485. 24 Vgl. ebenda, S. 485 f.
2 Klein
18
Einführung
vor übermäßiger Nutzung als Problem des Umweltschutzes 26 soll i m Rahmen dieser Untersuchung außer Betracht bleiben. Nachbarrechtlich interessant erscheinen i m Hinblick auf die Aktualität der Problematik und die Vielzahl möglicher Konfliktfälle insbesondere die Bewahrung der ebenfalls nur i n begrenztem Umfang zur Verfügung stehenden sich erneuernden Hilfsquellen (renewable resources) — Luft, Wasser, Erde, Flora, Fauna — vor schädigenden Einflüssen sowie der Schutz der menschlichen Gesundheit vor Beeinträchtigungen jeglicher Art. Umweltschutz i m Sinne dieser Darstellung bedeutet somit: Schutz der Biosphäre vor nachteiligen Einflüssen oder Veränderungen, die insbesondere Leben oder Wohlbefinden der Menschen unmittelbar oder m i t telbar beeinträchtigen 27 . Solche Einflüsse können chemischer 28 , biologischer 29 oder physikalischer A r t 3 0 sein und haben die Eigenschaft, sich ohne Rücksicht auf künstlich gezogene Trennungslinien wie nationale Grenzen auszubreiten und auszuwirken. Aus dieser naturgesetzlichen Gegebenheit folgt ein breites Spektrum potentieller zwischenstaatlicher Konfliktsituationen, was schon i n der Vielzahl der verschiedenen Regelungsgegenstände völkerrechtlicher Vereinbarungen auf diesem Gebiet zum Ausdruck kommt. Wenn auch der Umweltschutz erst i m letzten Jahrzehnt als umfassendes Problem erkannt wurde und somit bisher als Gesamtkomplex nur sehr vereinzelt ausdrücklich genannter Gegenstand spezieller nachbarrechtlicher Völkerrechtsverträge w a r 3 1 , haben jedoch zahlreiche Einzelprobleme des Umweltschutzes ihren Niederschlag i n nachbarstaatlichen Vereinbarungen gefunden. Eine Aufzählung solcher Einzelprobleme enthält zum Beispiel die am 20. September 1973 zwischen den beiden deutschen Staaten getroffene Vereinbarung über Grundsätze zur Schadensbekämpfung an der beiderseitigen Staatsgrenze 32 . Diese Vereinbarung betrifft den Schutz der Vertragsstaaten vor grenzüberschreitenden Umweltstörungen, die vom Gebiet des Nachbarn 25
Dazu zählen Bodenschätze, Mineralien. Denkbar wären diesbezügliche nachbarrechtliche Konflikte w o h l hauptsächlich i n Zusammenhang m i t dem Abbau flüssiger oder gasförmiger Bodenschätze i m Grenzbereich. 27 So auch Rauschning, Umweltschutz als Problem des Völkerrechts, EuropaArchiv 27 (1972), S. 567 ff. (567). 28 z. B. Verunreinigung v o n L u f t oder Gewässern durch Chemieabfälle. 29 z. B. Verunreinigung v o n Gewässern durch übermäßige Fäkalienzufuhr. 30 z.B. Druck-, Stoß- oder Schallwellen, Staubimmissionen, Störungen der Lichtzufuhr. 31 So z. B. das Nordische Umweltschutzabkommen v o m 19. Februar 1974 (vgl. hierzu unten 2. T., 2. Kap. Β bei A n m . 5). (Erläuterung: Der Hinweis auf „ A n m . " i m folgenden bedeutet eine V e r w e i sung auf die Texistelle bei der betreffenden Anmerkungsziffer; der Hinweis auf „Fußn." bezieht sich dagegen auf den I n h a l t dieser Fußnote selbst.) 32 B u l l e t i n des Presse- u n d Informationsamtes der Bundesregierung v o m 21. Sept. 1973, Nr. 115/1973, S. 1141. Diese Vereinbarung ist als Demonstrationsobjekt deshalb besonders geeignet, w e i l sie i m Gegensatz zu den meisten ande26
Abgrenzungs- u n d Definitionsfragen
19
ausgehen. Insbesondere w e r d e n angesprochen: V e r u n r e i n i g u n g v o n W a s s e r 3 3 ( A r t . 2 f), L u f t ( A r t . 2 g) u n d B o d e n ( A r t . 2 f ) ; S t r a h l e n g e f a h r e n 3 4 ( A r t . 2 j ) ; seuchenhafte E r k r a n k u n g e n v o n Menschen u n d T i e r e n i m G r e n z g e b i e t 3 5 ( A r t . 2 d) sowie A u f t r e t e n u n d V e r b r e i t u n g v o n P f l a n z e n k r a n k h e i t e n u n d - S c h ä d l i n g e n 3 6 ( A r t . 2 e) ; B r ä n d e ( A r t . 2 a) ; Ä n d e r u n g d e r W a s s e r z u f u h r 3 7 ( A r t . 2 b); S t u r m - u n d Bergschäden a m u n m i t t e l b a r e n G r e n z v e r l a u f ( A r t . 2 c); E x p l o s i o n e n u n d S p r e n g u n g e n a n d e r G r e n ze ( A r t . 2 h) ; Schäden, die d u r c h V e r k e h r s u n f ä l l e i m u n m i t t e l b a r e n B e reich d e r Grenze e n t s t e h e n ( A r t . 2 i). N e b e n diesen E r s c h e i n u n g s f o r m e n zwischenstaatlicher U m w e l t b e e i n t r ä c h t i g u n g e n h a b e n noch w e i t e r e P r o b l e m e des nachbarschaftlichen U m w e l t s c h u t z e s i n v ö l k e r r e c h t l i c h e V e r e i n b a r u n g e n E i n g a n g g e f u n d e n , so z u m B e i s p i e l d e r Schutz v o r g r e n z ü b e r s c h r e i t e n d e n akustischen E i n w i r k u n g e n 3 8 , F r a g e n des Naturschutzes ren einschlägigen völkerrechtlichen Vereinbarungen, die sich i n der Regel n u r auf eine spezielle Erscheinungsform der möglichen Umweltstörungen beziehen, zwischenstaatliche Umweltprobleme unter einer Vielzahl v o n Aspekten behandelt. 33 Aus der Fülle weiterer, die Wasserverschmutzung betreffender internationaler Vereinbarungen sollen hier n u r zwei bedeutende Beispiele angeführt werden: — Übereinkommen über den Schutz des Bodensees gegen Verunreinigung v o m 27. Okt. I960 (GesBl. Bad.-Württ. 1962, S. 1) — Agreement between the U S A and Canada on Great Lakes Water Quality, 15. A p r . 1972 (International Legal Materials 11 [1972], S. 694). 34 Hierzu auch z.B. belgisch-französisches Ubereinkommen v o m 23. Sept. 1966, betreffend den Schutz v o r A u s w i r k u n g e n der nuklearen Einrichtungen i n den Ardennen (UNTS Bd. 588, S. 227). 35 Hierzu auch u. a.: — Internationale Gesundheitsvorschriften (WGO-Vorschriften Nr. 2), insbes. A r t . 5 Abs. 2 (BGBl. 1968 I I 2, S. 1130 [1135]) — Deutsch-holländischer Vertrag v o m 31. Jan. u n d 16. A p r i l 1958 über den K a m p f gegen die M a u l - u n d Klauenseuche i m Grenzgebiet (UNTS Bd. 486, S. 331). 36 Hierzu weiter u. a.: — Internationales Pflanzenschutzabkommen v o m 6. Dez. 1951, Präambel (BGBl. 1956 I I 1, S. 947 [948]) — jugoslawisch-bulgarisches Pflanzenschutzabkommen v o m 4. J u n i 1957 (UNTS Bd. 349, S. 35) — ungarisch-österreichisches A b k o m m e n v o m 9. J u l i 1963 über die Zusammenarbeit auf dem Gebiet des Pflanzenschutzes (UNTS Bd. 482, S. 29). 37 Z u dieser Problematik gibt es eine Fülle internationaler Vereinbarungen, z. B.: — „Indus Water Treaty" v o m 19. Sept. I960 zwischen I n d i e n u n d Pakistan (UNTS Bd. 419, S. 125) — N i l - V e r t r a g v o m 8. Nov. 1959 zwischen Ägypten u n d dem Sudan (UNTS Bd. 453, S. 51) — Übereinkommen v o m 30. A p r i l 1966 über die Regelung v o n Wasserentnahmen aus dem Bodensee zwischen Deutschland, Österreich u n d der Schweiz (BGBl. 1967 I I , S. 2313). 38 Vgl. z. B. den deutsch-österreichischen Vertrag v o m 19. Dez. 1967 über Auswirkungen der Anlage u n d des Betriebs des Flughafens Salzburg auf das Gebiet der B R D (BGBl. 1974 I I , S. 13). 2*
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Einführung
wie die Erhaltung seltener Tier- und Pflanzenarten, die von Ausrottung oder Aussterben bedroht sind 3 9 oder die Einrichtung gemeinsamer Naturparks i n Grenzgebieten 40 . Die eben vorgenommene Aufzählung möglicher Erscheinungsformen von Umweltstörungen mit potentiell nachbarrechtlicher Bedeutung erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Sie soll nur die Weite des Gebietes aufzeigen, welches von der Themenstellung dieser Untersuchung umfaßt wird. Aus dieser Weite folgt die Notwendigkeit einer selektiven Beschränkung der i m Rahmen der vorliegenden Darstellung zu untersuchenden Einzelaspekte. Zwar soll i n erster Linie der Umweltschutz i n seiner umfassenden Bedeutung als Problem völkerrechtlichen Nachbarrechts betrachtet werden. Die Behandlung der Einzelprobleme, an denen sich die Entwicklung des Nachbarrechts vornehmlich orientiert, soll jedoch auf die Fälle grenzüberschreitender JJmweltverunreinigungen
be-
schränkt werden. „Verunreinigung" als weit zu verstehender, übergeordneter Begriff umfaßt hierbei nicht nur Boden-, L u f t - und Wasserverschmutzung physisch-physikalischer 41 , biologischer oder chemischer A r t i m Sinne herkömmlichen Sprachgebrauchs, sondern auch „akustische" 42 und „thermische" 4 3 Verunreinigungen, die i m Zeitalter des Uberschallflugverkehrs und der verstärkten Energiegewinnung durch Kernkraftwerke zunehmend an Bedeutung gewinnen. Eine Beschränkung auf diese Problematik erscheint sinnvoll, zum einen, da hiermit ein großes Spektrum der möglichen und auch der größte Teil der bisher festgestellten Erscheinungsformen zwischenstaatlicher Umweltbeeinträchtigungen erfaßt wird, zum andern, weil sich die bisherige Entwicklung des nach39 z. B. mexikanisch-amerikanischer Vertrag v o m 7. Febr. 1936 zum Schutze der Zugvögel (G. F. de Martens, N.R.G. 3. sèrie, Bd. 34, S. 162). E i n ähnliches A b k o m m e n w a r bereits 20 Jahre zuvor m i t Großbritannien f ü r den amerikanisch-kanadischen Grenzbereich getroffen worden. Vgl. auch bolivianischperuanisches A b k o m m e n v o m 16. Aug. 1969 zur Rettung des Lamas (entnommen dem Archiv der IUCN/Bonn). 40 Vgl. die Vereinbarung über die Einrichtung eines deutsch-luxemburgischen Naturparks aus dem Jahre 1964 (Conseil de l'Europe, Doc. D E L A / I n f . [71] 3). 41 Der Begriff der physikalischen Verunreinigung dürfte auch das Problem des Strahlenschutzes mitumfassen. Vgl. auch Umweltschutzprogramm der Europäischen Gemeinschaften, S. 36, wo radioaktive Strahlung als Sonderfall der Verschmutzung bezeichnet w i r d . 42 So auch die Kommission der Europäischen Gemeinschaften, die L ä r m belästigungen als Verunreinigung besonderer A r t ansieht (Umweltschutzprogramm der Europäischen Gemeinschaften, S. 36). 43 Der Begriff der „thermischen Verunreinigung" hat sich v o r allem i n Z u sammenhang m i t dem verstärkten Bau leistungsstarker Atomkraftwerke, die das von ihnen benötigte Flußkühlwasser i n der Regel i n stark erwärmtem Z u stand wieder den Flüssen zuleiten, zu einem festen Bestandteil des U m w e l t schutz-Sprachkatalogs entwickelt; siehe statt vieler: Cole, T h e r m a l Pollution, i n : Detwyler, Man's Impact on Environment, 1971, S. 217 ff.; Graeub, Die sanften Mörder. A t o m k r a f t w e r k e demaskiert, 1972, S. 41 u n d 59; Frage des B T Abgeordneten Hirsch i n BT-Drucks. 7/1510, S. 7.
Abgrenzungs- u n d Definitionsfragen
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barrechtlichen Umweltschutzvölkerrechts fast ausschließlich an dieser Problematik orientiert hat. Nicht ohne Grund hat sich die Umweltdiskussion der vergangenen Jahre gerade an Fragen der Verunreinigung entzündet 44 . Während „Verunreinigung" i m allgemeinen Sprachgebrauch ebenso wie i m naturwissenschaftlichen Sinne jede qualitative Verschlechterung eines bestehenden Reinheitszustandes bezeichnet, bereitet die juristische Abgrenzung dieses Begriffes i m Rahmen des Umweltschutz-Rechtes einige Schwierigkeiten, die nicht zuletzt darauf beruhen, daß der negative Gehalt des Wortes dazu verleiten mag, von vornherein jeden A k t der Qualitätsbeeinträchtigung von zum Beispiel L u f t und Wasser für Unrecht zu halten 4 5 . So läßt auch eine Gesamtbetrachtung der sich mit Verschmutzungsfragen befassenden zwischenstaatlichen Vereinbarungen nicht den Schluß auf die Existenz einer allgemein anerkannten juristischen Definition zu 4 8 . Die meisten dieser Vereinbarungen verwenden den Begriff der Verunreinigung, ohne ihn näher zu erläutern 4 7 . Nur wenige völkerrechtliche Dokumente enthalten eine Begriffsbestimmung. Nach der Präambel der vom Europarat verfaßten Deklaration über Grundsätze zur Reinhaltung der L u f t 4 8 liegt eine Luftverunreinigung vor, „ w e n n luftfremde Stoffe oder eine wesentliche Veränderung der richtigen Luftzusammensetzung geeignet sind, Schäden, Nachteile oder Belästigungen hervorzurufen".
I m Hinblick auf die Verschmutzung der Grenzgewässer bestimmt A r t . 4 des finnisch-sowjetischen Grenzvertrages vom 24. A p r i l 1964 49 : "Les parties contractantes prendront des mesures pour éviter que les eaux frontières ne soient polluées par les eaux industrielles ou ménagères non épurées, . . . ou par d'autres matières de nature à provoquer immédiatement ou à la longue l'envasement des cours d'eau ou une détérioration de la composition de l'eau, à menacer les ressources halieutiques, à déparer considérablement le paysage, à nuire à l'hygiène publique ou à entrainer d'autres conséquences analogues néfastes pour la population et l'économie."
Eine weitere Definition ebenfalls für den Bereich des Wasserrechts enthält A r t . 1 d des Entwurfs einer Europäischen Gewässerschutzkonvention 5 0 . Übersetzt heißt es dort: 44 Vgl. Touscoz, L'action, S. 31. Auch das amerikanisch-sowjetische U m w e l t schutz-Abkommen v o m 23. M a i 1972 (siehe 2. T., 2. Kap. B, Fußn. 4) betrifft nahezu ausschließlich Verschmutzungsfragen, was f ü r die Bedeutung dieses Bereiches der Umweltprobleme spricht. 45 So auch Bourne, International L a w and Pollution of International Rivers and Lakes, University of Toronto L a w Journal 21 (1971), S. 193 ff. (194). 46 Auch aus einem Vergleich einschlägiger nationaler Gesetze der westlichen Welt ergibt sich keine allgemein verbindliche Definition, so Pelzer, Rechtsprobleme, S. 35 ff. 47 z. B. Vereinbarung der Rheinanliegerstaaten über die Internationale K o m mission zum Schutz des Rheins gegen Verunreinigung (BGBl. 1965 I I 2, S. 1432). 48 Europarat, Ministerausschuß, Entschließung (68) 4 v o m 8. März 1968 (BGBl. 1971 I I 2, S. 973). 49 U N T S Bd. 537, S. 231 (255).
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Einführung
„ »Gewässerverunreinigung' bedeutet jede Veränderung der Zusammensetzung oder des Zustandes des Wassers, die sich unmittelbar oder mittelbar aus menschlichen Handlungen ergibt u n d schädlich i s t . . . 5 1 ." Diese l e t z t e D e f i n i t i o n e n t s p r i c h t bis a u f g e r i n g f ü g i g e u n w e s e n t l i c h e A b w e i c h u n g e n w ö r t l i c h der i m J a h r e 1966 d u r c h die I n t e r n a t i o n a l L a w Association f ü r Wasserverunreinigungen getroffenen Begriffsbestimm u n g 5 2 , d i e v o r a l l e m i n n e r h a l b der v ö l k e r r e c h t l i c h e n L i t e r a t u r v e r b r e i t e t e A n e r k e n n u n g g e f u n d e n h a t u n d w e i t g e h e n d ü b e r n o m m e n w i r d 5 3 . Sie ist auf alle übrigen A r t e n der U m w e l t v e r u n r e i n i g u n g übertragbar u n d s o l l auch i m R a h m e n der v o r l i e g e n d e n U n t e r s u c h u n g z u r s t o f f l i c h e n A b g r e n z u n g dienen. D e n n diese D e f i n i t i o n erfaßt die w e s e n t l i c h e n E l e m e n te, d i e eine n a t u r w i s s e n s c h a f t l i c h m e ß b a r e V e r u n r e i n i g u n g z u e i n e m v ö l k e r r e c h t l i c h r e l e v a n t e n P r o b l e m erheben. Solche E l e m e n t e s i n d z u m e i n e n das E r f o r d e r n i s menschlichen H a n d e l n s als m i t t e l b a r e oder u n m i t t e l b a r e Ursache der U m w e l t s t ö r u n g , z u m a n d e r n die B e z u g n a h m e a u f d e n z u m i n d e s t m ö g l i c h erscheinenden E i n t r i t t eines Schadens a u f f r e m d e m Staatsgebiet. Menschliche A k t i v i t ä t als Voraussetzung für eine nachbarrechtlich relevante Verunreinigung anzusehen 54 , erscheint deshalb sinnvoll, w e i l eine auf rein natürlichem Wege erfolgte Qualitätsverschlechterung ökologischer Verhältnisse 55 w o h l k a u m geeignet ist, als Anknüpfungspunkt für völkerrechtliche V e r hinderungs- oder Verbesserungspflichten zu dienen 5 6 ; die bisherige E n t w i c k l u n g des Völkerrechts, die höchstens ansatzweise zur Regelung solcher Fragen „natürlicher Verunreinigung" beiträgt 5 7 , bestätigt diese Ansicht. Schädlichkeit 50 Conseil de l'Europe Doc. EXP./Eau (74)6, Addendum I. Z u r Konvention siehe unten 2. T., 2. Kap. Β nach A n m . 316. 51 Ähnlich A r t . 2 Abs. 1 des Übereinkommens zum Schutze der Meeresumwelt i n der Ostsee v o m 22. 3.1974 (zu diesem Ubereinkommen vgl. unten 2. T., 2. Kap. Β nach A n m . 347). 52 Siehe A r t . 9 der sog. „Helsinki Rules" ( I L A , Report on the 52nd conference, S. 484). 53 Vgl. u. a. Bystricky, L a pollution des eaux de surface du point de vue international, Revue de droit contemporain 13 (1966) Heft 2, S. 33 ff. (40); Lester, Pollution, S. 90; Pondaven, Les Lacs-Frontière, 1972, S. 349. Auch Dintelmann, Verunreinigung, S. 12, gelangte schon zu einer ähnlichen Definition. Pelzer, Rechtsprobleme der Beseitigung radioaktiver Abfälle i n das Meer, 1970, S. 41, verzichtet auf das Erfordernis menschlicher E i n w i r k u n g , gelangt i m übrigen jedoch zum gleichen Ergebnis. 54 Vgl. dazu u. a. Bystricky, L a pollution, S. 40; Dintelmann, Verunreinigung, S. 12; Lammers, The Activities of the Council of Europe Concerning the Protect i o n of Fresh Water against Pollution, Annuaire de l ' A A A 41 (1971), S. 55 (61); Kausch, Grundzüge des Umweltrechts der U S A am Beispiel der L u f t r e i n h a l tung, 1972, S. 17 m. w. N. Auch das kanadisch-amerikanische A b k o m m e n über die Wasserqualität der Großen Seen (oben Fußn. 33) stellt ausdrücklich diese Voraussetzung auf. 55 z. B. Erhöhung des Salzgehaltes oder der Salzablagerungen eines Gewässers i n Trockenperioden, Berg- u n d Erdrutsch. 56 So auch: Dintelmann, Verunreinigung, S. 12; a. A. offensichtlich Pelzer, Rechtsprobleme, S. 41. 57 Dintelmann, Verunreinigung, S. 12, bestreitet auch das n u r ansatzweise
Abgrenzungs- u n d Definitionsfragen
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als weiteres Element einer nachbarrechtlich relevanten Verunreinigung w i r d i n der einschlägigen völkerrechtlichen L i t e r a t u r fast einhellig als zwingend v o r ausgesetzt 58 . Der überzeugende G r u n d f ü r diese Übereinstimmung liegt darin, daß eine bloß naturwissenschaftlich meßbare Verunreinigung als Veränderung des „status quo ante" 5 9 , die auf das Leben innerhalb der Biosphäre keinen nachteiligen Einfluß haben kann 6 0 , auch (völker-)rechtlich unerheblich sein muß. Schädlichkeit der Verunreinigung setzt schon dem Wortlaut nach n u r die Geeignetheit zur Schadensverursachung, nicht aber tatsächlichen Schadenseint r i t t voraus 6 1 . D e r B e g r i f f „ V e r u n r e i n i g u n g " bezeichnet also i m R a h m e n dieser U n t e r s u c h u n g j e d e a u f menschliches H a n d e l n z u r ü c k z u f ü h r e n d e q u a l i t a t i v e Ä n d e r u n g d e r n a t ü r l i c h e n Z u s a m m e n s e t z u n g d e r B i o s p h ä r e , d i e geeign e t ist, Schäden i m N a c h b a r s t a a t h e r v o r z u r u f e n . Welche S t a a t e n s i n d n u n aber i m H i n b l i c k a u f zwischenstaatliche U m w e l t s t ö r u n g e n als „ N a c h b a r n " i m v ö l k e r r e c h t l i c h e n S i n n e anzusehen? Jedenfalls z ä h l e n h i e r z u a l l e u n m i t t e l b a r e n N a c h b a r n i m geographischen Sinne, das h e i ß t a l l e Staaten, d i e ü b e r eine gemeinsame Staatsgrenze v e r f ü g e n . W e s e n s m e r k m a l der Nachbarschaft, w i e sie i m A n s c h l u ß an d e n a l l g e m e i n e n Sprachgebrauch u n d i m geographischen S i n n e v e r s t a n d e n w i r d , ist die c o n t i n u i t é t e r r i t o r i a l e . Nachbarschaft i m v ö l k e r r e c h t l i c h e n S i n n e k a n n sich jedoch n i c h t a u f F ä l l e u n m i t t e l b a r e n r ä u m l i c h e n A n e i n a n d e r g r e n z e n s z w e i e r Staatsgebiete b e s c h r ä n k e n 6 2 . Es d a r f n ä m l i c h r e c h t l i c h k e i n e n U n t e r s c h i e d machen, ob v o n d e m G e b i e t eines Staates ausgehende S t ö r u n g e n sich l e d i g l i c h a u f das G e b i e t eines u n m i t t e l b a r a n g r e n z e n d e n Staates oder aber ü b e r diesen h i n w e g a u f d e n H o h e i t s bereich eines D r i t t s t a a t e s a u s w i r k e n . D e r a r t i g e F ä l l e w e r d e n aber gerade i m B e r e i c h der U m w e l t s t ö r u n g e n i m m e r z a h l r e i c h e r 6 3 . L u f t s t r ö Vorhandensein einer diesbezüglichen völkerrechtlichen Regelung. Vgl. aber den Vertrag zwischen den beiden deutschen Staaten v o m 20. Sept. 1973 (siehe oben Fußn. 32), der i n A r t . 2 auf Hochwasser u n d Eisgefahren sowie auf S t u r m und Bergschäden eingeht (lit. b u n d c). 58 Vgl. u. a. Bystricky, L a pollution, S. 40; Cavaré, Les problèmes juridiques posés par la pollution des eaux maritimes au point de vue interne et international, R G D I P 68 (1964), S. 617 (633); Dintelmann, Verunreinigung, S. 12 f.; Kausch, Grundzüge, S. 17; Pelzer, Rechtsprobleme, S. 40 f.; Kiss, L a protection de l'atmosphère en droit international, Etudes de droit contemporain (nouvelle sèrie) 1966, S. 369 ff. (369); Server, International Cooperation for Pollution Control, i n : L a w , Institutions and the Global Environment, 1972, S. 178 ff. (178). 59 Pelzer, Rechtsprobleme, S. 40. 60 I n Anlehnung an Pelzer, ebd., hierzu folgendes Beispiel: E i n Gewässer w i r d durch Zusatz eines absolut unschädlichen Mittels leicht verfärbt. H i e r i n liegt zweifellos eine auf chemischem oder physikalischem Weg erfolgte Änderung der Wasserqualität, also eine Verunreinigung i m naturwissenschaftlichen Sinne. Rechtliche Bedeutung k a n n einer solchen Verschmutzung jedoch nicht zukommen. 61 Dieser Ansicht sind auch die i n Fußn. 57 genannten Autoren, ebd. Vgl. ebenso Präambel der Deklaration des Europarates zur Reinhaltung der L u f t (oben bei Fußn. 48). 62 Auch i m innerstaatlichen Nachbarrecht w i r d meist nicht auf eine u n m i t t e l bare räumliche Verbindung abgestellt, vgl. z. B. § 906 BGB.
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Einführung
mungen und Flüsse vermögen Schadstoffe i n weit entfernte Länder zu tragen 64 . M i t Recht stellt deshalb Andrassy fest: " I I y a done fait de voisinage... sans qu'il y ait continuità territoriale 6 5 . , , Als „Nachbar" i n völkerrechtlichem Sinne muß jeder Staat gelten, dessen Gebiet durch die von einem Störerstaat ausgehenden Beeinträchtigungen i m konkreten Fall erreicht werden kann 6 6 . Dennoch w i r d diese Darstellung sich hauptsächlich m i t Umweltkonflikten befassen, die entstehen zwischen unmittelbaren — geographischen — Nachbarn oder aber zwischen den gemeinsamen Anliegern einer ökologisch und geographisch einheitlich zu behandelnden Region, wie sie zum Beispiel durch ein internationales Flußsystem geprägt wird. Denn eine internationale Praxis hat sich trotz der Aktualität des Sachverhaltes über diesen engen Bereich 67 hinaus bisher noch kaum zu entwickeln vermocht 68 , was vielleicht i n der Tatsache begründet liegen mag, daß über diesen Bereich hinausgehende konkrete Fälle derzeit noch selten m i t Sicherheit einem bestimmten Störerstaat zugeschrieben werden können. Nicht berücksichtigt werden i m Rahmen dieser Untersuchung die Verschmutzung der sogenannten res communes, also der Hohen See und des Weltraums, weil die mit der umweltschädlichen Nutzung solcher hoheitsfreier Räume zusammenhängenden rechtlichen Fragen anderer Natur sind als die hier anzusprechenden nachbarrechtlichen Probleme, die sich auf Rechtmäßigkeit oder Unrechtmäßigkeit der Ausübung territorialer Souveränität
beziehen 6 9 .
63 z. B. beklagt Norwegen die zunehmende Verschmutzung südlicher Landesteile durch angeblich aus dem Ruhrgebiet stammende Rußniederschläge (hierzu: Moxness, The W o r l d Impact of the „Grey Snows of N o r w a y " , S. 17). Solche durch atmosphärische Inversionen herbeigeführten Verschmutzungen w u r d e n auch i n Westschweden festgestellt (New Y o r k Times v o m 11.1.1970, S. 24). 64 Thalmann, Grundprinzipien des modernen zwischenstaatlichen Nachbarrechts, 1951, S. 51, betrachtete solche Fälle wegen ihrer geringen praktischen Bedeutung noch als unproblematisch. 65 Andrassy, Les relations internationales de voisinage, Recueil des Cours 79 (1951 - II), S. 73 ff. (80). I n gleichem Sinne: Despax, L a pollution des eaux et ses problèmes juridiques, 1968, S. 149; Thalmann, A r t i k e l „Nachbarrecht, zwischenstaatliches", i n : Strupp-Schlochauer I I , S. 558 ff. (558). 66 So auch Thalmann, Grundprinzipien, S. 52. 67 Manche einschlägigen völkerrechtlichen A b k o m m e n beschränken ihren Anwendungsbereich sogar ausdrücklich n u r auf eine schmale Zone beiderseits der gemeinsamen Staatsgrenze, z. B. das jugoslawisch-bulgarische Pflanzenschutzabkommen v o m 4. J u n i 1957 (UNTS Bd. 349, S. 35), das sich auf einen jeweils 30 k m breiten Streifen beiderseits der gemeinsamen Grenze bezieht. 68 Vgl. auch Thalmann, Zwischenstaatliches Nachbarrecht, S. 558. 69 Diese Ansicht k a n n durch ein praktisches Beispiel gestützt werden: Das amerikanische State Department hat i n formeller Weise eine Anwendung der multilateralen A b k o m m e n zum Schutze der Hohen See gegen Verunreinigung auf den Bereich der nordamerikanischen Großen Seen abgelehnt (siehe Pondaven, Les Lacs-Frontière, S. 353 f.). Hilfsweise berücksichtigt w i r d allerdings die völkerrechtliche Praxis, die sich m i t der Verunreinigung des Meeres v o m L a n d aus befaßt, da auch i n diesen Fällen die Rechtmäßigkeit der Ausübung
Gang der Untersuchung
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Wenn i n den folgenden Darstellungen und Erörterungen den Verhältnissen i n Europa und i n Nordamerika besondere Bedeutung zugemessen wird, so liegt dies daran, daß i n diesen stark industrialisierten und meist dichtbevölkerten Räumen die transnationalen Umweltprobleme besonders dringend sind und vorwiegend hier eine relativ weit entwickelte Zusammenarbeit und Verständigung i n grenzüberschreitenden Umweltfragen besteht, die zumindest Ansatzpunkte zu einer befriedigenden Lösung der Problematik aufzeigt. Gang der Untersuchung
Die Arbeit gliedert sich in zwei Teile, i n einen rechtstatsächlich-beschreibenden (Erster Teil) und i n einen sowohl praktisch-dogmatischen als auch rechtspolitischen Abschnitt (Zweiter Teil). Der rechtlichen Untersuchung eine Darstellung der faktischen Grundlagen voranzustellen, erscheint aus mehreren Gründen erforderlich. Eine solche Darstellung vermag zunächst den notwendigen Aufschluß darüber zu geben, ob es sich bei der Themenstellung der vorliegenden Abhandlung nur u m einen weitgehend akademischen Sachverhalt oder aber u m eine aktuelle und brisante Rechtsfrage handelt. Eine juristische Arbeit sollte sich darüber hinaus gegebenenfalls dem Nachweis nicht entziehen, daß der Sachverhalt i n hohem Maße regelungsbedürftig ist. Weiterhin ist ein solcher Sachverhaltsaufriß wichtig für das Ermitteln, Verstehen und kritische Durchleuchten des bestehenden Rechtszustandes auf dem Gebiet des grenzübergreifenden Umweltschutzes. Denn losgelöst von der Materie, zu deren Regelung sie entstanden ist, von ihrer Dynamik und ihren besonderen Bedingungen und Problemen ist eine rechtliche Bestimmung kaum vollständig zu erfassen und auf ihre Lückenhaftigkeit hin zu überprüfen 7 0 . Der rechtstatsächlich-beschreibende Teil der Arbeit beginnt mit einer Darstellung möglicher nachbarrechtlich relevanter Umweltgefahren, ihrer Quellen und ihrer negativen Folgeerscheinungen (1. Kapitel). I n Anbetracht der Ausrichtung der Untersuchung auf die Vereinigungsproblemat i k w i r d diese Darstellung auf die Verunreinigung von Wasser und L u f t sowie auf Lärmbeeinträchtigungen beschränkt. Sodann werden Einzelfälle transnationaler Umweltstörungen aufgeführt, die sich i n der bisherigen Praxis ereignet haben und deutliche Hinweise auf die auftretenden nachbarschaftlichen Rechts- und Interessenkonflikte vermitteln (2. Kapitel). Die Kenntnis solcher Einzelfälle ist zum Verständnis des geltenden territorialer Souveränität i n Frage steht (vgl. z. B. das Pariser Übereinkommen v o m 11.6.1974 zur Verhütung der Meeresverschmutzung v o m Lande aus, unten 2. T., 2. Kap. B, Fußn. 341). 70 Z u dieser hier gewählten sachverhaltsnahen Methode siehe schon Graf Vitzthum, Der Rechtsstatus des Meeresbodens, 1972, S. 36 ff. m. w . N.
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Einführung
Umweltschutznachbarrechts und zur Ermittlung der de lege ferenda gegebenenfalls erforderlichen und möglichen Regelungen besonders wichtig. Der darstellende Teil der Arbeit schließt mit einer Beschreibung der Probleme, die sich einer völkerrechtlichen Regelung der Umweltproblematik entgegenstellen und an Hand derer die Schwierigkeiten einer befriedigenden und zügigen Rechtsentwicklung deutlich werden (3. Kapitel). I m Zweiten Teil der Arbeit werden dann nach einer Darstellung der i n Frage kommenden Lösungsalternativen (1. Kapitel) das geltende Recht (2. Kapitel) und die Zielvorstellungen für eine künftige Rechtsentwicklung (3. Kapitel) dargelegt. I m Rahmen der Untersuchung der geltenden Rechtslage w i r d vor allem eine Unterscheidung zwischen materiellem Völkerrecht und Völkerverfahrensrecht getroffen. Bei der Ermittlung des gegenwärtigen Rechtszustandes kommt zwangsläufig dem Wasserrecht hervorragende Bedeutung zu, da sich die Entwicklung des nachbarrechtlichen Umweltschutzvölkerrechts bisher vornehmlich an den Fragen grenzüberschreitender Gewässerverunreinigung vollzogen hat. Neben der Ermittlung des Wasserrechts soll auch die Untersuchung des geltenden Nachbarrechts zu Fragen transnationaler Luftverunreinigungen und Lärmbeeinträchtigungen dazu beitragen, die für den nachbarschaftlichen Umweltschutz allgemein geltenden Regeln herauszuarbeiten und zu konkretisieren. I m Rahmen des rechtspolitischen Abschnitts der Arbeit werden zunächst die Entwicklungs- und Verbesserungsbedürftigkeit des geltenden Rechtszustandes an Hand einer Gegenüberstellung der tatsächlichen Situation und der bestehenden rechtlichen Möglichkeiten untersucht. Hierauf aufbauend folgt eine Formulierung der Zielvorstellungen für eine künftige Rechtsentwicklung. I n dem die Arbeit abschließenden Ausblick w i r d kritisch darauf eingegangen, welche dieser Zielvorstellungen i n absehbarer Zukunft Realisierungschancen besitzen.
ERSTER T E I L
Der tatsächliche Sachverhalt Erstes
Kapitel
Umweltstörungen u n d ihre ökologischen Auswirkungen U m dem Betrachter die Problematik zwischenstaatlicher Umweltstörungen und ihre völkerrechtliche Relevanz zu verdeutlichen und u m die mögliche Tragweite der nachfolgend i m 2. Kapitel angeführten konkreten Einzelfälle solcher grenzüberschreitender Störungen offenkundig zu machen, sind zunächst A r t , Herkunft, Gefahren und Auswirkungen der i m Rahmen dieser Arbeit aus dem Gesamtbereich der Umweltstörungen besonders angesprochenen Verunreinigungen i n geraffter Form darzustellen. Nur unter Berücksichtigung des naturwissenschaftlichen Sachverhalts ist eine kritische Durchleuchtung und sinnvolle Weiterentwicklung des geltenden Rechts möglich. Hinweise auf die wesentlichen i n Frage kommenden Störungsquellen können i m Hinblick auf die tatsächliche Bedeutung dieser Quellen für den einzelnen Störerstaat dazu dienen, sich über die politischen, wirtschaftlichen oder sozialen Schwierigkeiten klarzuwerden, die sich dem internationalen Umweltschutz entgegenstellen, wenn es darum geht, solche Quellen auszuschalten oder i n ihren schädlichen Aktivitäten einzuschränken. Gegenstand der Betrachtung sind vor allem die Verunreinigung der Gewässer und der Atmosphäre einschließlich des Sonderfalles der akustischen Verunreinigung. Die Verschmutzung des Bodens, ein nicht zu unterschätzendes Phänomen der gegenwärtigen Umweltkrise, bleibt unberücksichtigt, da der Boden als feste Masse nicht über den Austauschcharakter der Ubertragungsmedien L u f t und Wasser verfügt, der einer i m nationalen Bereich verursachten Verunreinigung zu einer grenzüberschreitenden und damit völkerrechtlich relevanten Wirkung verhilft 1 . 1 Bodenverschmutzung ist höchstens mittelbar dann von nachbarrechtlichem Interesse, w e n n z. B. Schmutzpartikel durch niederschlagsbedingte Aus- oder Abwaschungen den Oberflächengewässern bzw. den von Staatsgrenzen durchschnittenen Grundwasserbecken oder durch Windeinfluß der Atmosphäre zugeführt werden; sollten hierdurch Umweltbeeinträchtigungen auf nachbarstaatlichem Gebiet eintreten, handelt es sich also, w e n n auch indirekt auf
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I . l . Kap.: Umweltstörungen und ihre ökologischen Auswirkungen A . D i e Verunreinigung der Binnengewässer
Die Verunreinigung der Binnengewässer stellt eine der ernstesten ökologischen Bedrohungen der Gegenwart dar. Die gesamten Wasservorkommen der Erde bestehen zu 97 °/o aus Meerwasser und nur zu knapp 3 o/o aus Süßwasser. Von diesen 3 °/o Süßwasser sind wiederum 98 °/o i n den Eiskappen Grönlands und der Antarktis gebunden 2 . I n die restlichen 2 o/o, das sind 0,06 °/o der Gesamtwassermenge, teilen sich Schnee und Gletscher, Atmosphäre, Grundwasserbecken und die Oberfiächengewässer. I n den Becken unserer Flüsse und Seen befinden sich somit nur wenige Hundertstel Prozent der gesamten Wasservorräte der Erde. Diese Binnengewässer, die nur einen so geringen Teil der gesamten Hydrosphäre ausmachen, sind die vom Menschen am intensivsten benutzten Ökosysteme. Ihnen kommt für unser Leben eine herausragende Bedeutung zu. Sie dienen u. a. als Fischgründe, Erholungsstätten und Verkehrswege, als Brauchwasserquelle für Industrie, Gewerbe und Landwirtschaft, zur Energiegewinnung und nicht zuletzt zur Versorgung von Mensch und Tier mit Trinkwasser 3 . Sie dienen aber auch, und das in ständig steigendem Maße, zur Beseitigung von Abfällen jeglicher A r t . Zwar besitzen Flüsse und Seen die Kraft, eingeleitete Fremdstoffe i n großem Umfang zu neutralisieren oder abzubauen, jedoch ist diese Selbstreinigungskraft in vielen Fällen bereits überfordert. Dies liegt zum einen an der Vielzahl der eingeleiteten Schadstoffe, mit denen die für die Selbstreinigung sorgenden Organismen 4 gar nicht oder nur zum Teil Bodenverschmutzung beruhend, u m Fälle der Wasser- oder L u f t v e r u n r e i n i gung. (Ein internationales Grundwasserbecken ist z. B. i n der oberrheinischen Tiefebene zwischen Schwarzwald und Vogesen gelegen. Z u den Fragen, welche die Verunreinigung unterirdischer Wasservorkommen allgemein und die V e r schmutzung dieses internationalen Grundwasserbeckens ganz speziell betreffen, vgl. die ausführlichen Erörterungen i n : Conseil de l'Europe Doc. 2904). 2 Ehrlich-Ehrlich, Bevölkerungswachstum u n d Umweltkrise, 1972, S. 84; siehe auch Moll, Taschenbuch f ü r Umweltschutz I : Chemische u n d technologische Informationen, 1973, S. 90; Voigt, Das große Gleichgewicht, Zerstörung oder Erhaltung unserer U m w e l t , 1969, S. 29 f. 3 Die Grundwasservorräte werden i n großem Ausmaß überbeansprucht u n d reichen schon heute nicht mehr überall zur Trinkwasserversorgung aus, so daß auf Oberflächengewässer zurückgegriffen werden muß (vgl. Moll, U m w e l t schutz I, S. 91). Untersuchungen haben f ü r das Rhein-Main-Gebiet ergeben, daß die f ü r diesen Raum zur Verfügung stehenden Grundwasserreserven bei weiter steigendem Bedarf n u r noch etwa bis zum Jahre 1980 i n der Lage sind, die Fehlmengen an Trinkwasser zu decken. V o n diesem Zeitpunkt an muß f ü r die Trinkwasserversorgung verstärkt auf Oberflächengewässer zurückgegriffen werden (Duda, Verunreinigung des Rheins, S. 6). 4 Die Oberflächengewässer enthalten winzige kleine Lebewesen i n Form von Bakterien u n d niederem Wasserleben. Dieser sog. Mikrofauna u n d -flora dient die i m Wasser befindliche organische Substanz als Rohstoff- u n d Nahrungsquelle: die Schmutzstoffe werden von den Kleinlebewesen aufgenommen u n d entweder i n körpereigene Substanz umgewandelt oder m i t H i l f e des i m Wasser gelösten Sauerstoffes oxydiert; hierdurch w i r d eine Selbstreinigung des
Α . Die Verunreinigung der Binnengewässer
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fertig werden 5 . Zum andern bewirkt auch die häufig festzustellende übermäßige Anreicherung des Wassers mit organischen Substanzen ein Absinken des Sauerstoffgehaltes des Wassers und somit eine Hemmung der Selbstreinigungskraft 6 . Welches sind nun die Hauptursachen der Verschmutzung der Binnengewässer? Belastend wirken vor allem die Einleitung häuslicher, gewerblicher, landwirtschaftlicher und industrieller Abwässer, der Schiffsverkehr durch Schadstoffeinleitungen oder Transportunfälle, die niederschlagsbedingten Anschwemmungen von i m Boden befindlichen Schadstoffen aus der Landwirtschaft (ζ. B. Mineraldünger, Pestizide), unsachgemäße Ablagerungen von Abfallprodukten am Rande der Gewässer, Wasserverunreinigungen i m Gefolge von Luftverunreinigungen (ζ. B. Absorption der bleihaltigen Kraftfahrzeugabgase) sowie die Zuführung von Warmwasser aus thermischen Kraftanlagen. M i t häuslichen, landwirtschaftlichen und tiergewerblichen Abfällen gelangen Viren und Bakterien i n unsere Gewässer 7. Teerstoffe, Erdöle, Mineralöle und Phenole werden teilweise von der chemischen Industrie, teilweise von der Schiffahrt i n die Flüsse und Seen entlassen. Diese Stoffe wirken sich negativ auf Geruch und Geschmack des Wassers aus 8 und fördern den Wuchs von Plankton. Verschiedene Planktonarten scheiden wiederum Substanzen mit spezifischem Geruch und Geschmack aus, die einen schädlichen Effekt für Qualität und Eignung des Wassers zu Trinkwasserzwecken mit sich bringen 9 . Von Bergwerken oder chemischen Fabriken eingeleitete Salze vermindern die Nutzbarkeit des Wassers zu T r i n k - und Β rauch wasserz wecken und beschleunigen die Korrosion industrieller Anlagen. Radioaktive Isotope können mit den Abwässern von nuklearen Forschungszentren, K l i n i k e n oder Kernkraftwerken i n Flüsse oder Seen gelangen und Strahlungsgefahren hervorrufen. Radioaktive Verschmutzung kann das Trinkwasser verseuchen und biologische Nahrungsketten vergiften: Uber Algen und Plankton, dann SpeiWassers b e w i r k t (vgl. Weinzierl, Das große Sterben. Umweltnotstand — Wege i n eine heile Welt, 1971, S. 7 f.). 5 Experten haben errechnet, daß durch Industrieabwässer verunreinigte Gewässer bis zu einer M i l l i o n verschiedener Schadstoffe enthalten (siehe Coenen und andere, Der Umweltschutz u n d seine chemisch-toxikologischen Probleme, 1972, S. 42). Z u diesen Schadstoffen zählen auch eine Menge toxischer I n d u strieabfälle, die nicht n u r die Mikroorganismen überfordern, sondern gar zur Vernichtung dieser Organismen führen (vgl. Eckoldt, Welche Ursachen hat die Wasserverunreinigung? [Quellen der Verunreinigung u n d verunreinigenden Stoffe.], i n : Umweltschutz [I], Z u r Sache 3/71, S. 44 f. [44]). 6 I m einzelnen siehe hierzu unten nach A n m . 16. 7 Bakteriologen fanden i n städtischen Abwässern u. a. Salmonellen (Typhuserreger), Tuberkel- u n d Milzbrandbakterien (Voigt, Gleichgewicht, S. 29). 8 E i n L i t e r ö l k a n n bis zu 5 M i l l i o n e n L i t e r Wasser ungenießbar machen. (Löbsack, U m w e l t i n Gefahr [3], Unsere Gewässer verfaulen, Kosmos 67 [1971], S. 192 ff. [193].) 9 Vgl. Lester, Pollution, S. 91.
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1.1. Kap.: Umweltstörungen u n d ihre ökologischen Auswirkungen
sefische und Wasservögel erreicht sie letztlich den Menschen 10 . Physikalische Verschmutzung, hauptsächlich verursacht von Metallindustrie und Bergbau 11 , kann zur Verschlammung eines Gewässers führen, die durch Reduzierung der als Nahrungsmittel dienenden Organismen die Fische zum „Auswandern" zwingt und die Entwicklung der Wasserflora beeinträchtigt. Hierdurch wiederum w i r d die Selbstreinigungskraft des Gewässers geschwächt, was eine Reduzierung der vielfältigen Nutzungsmöglichkeiten zur Folge hat. Industrie und Haushalte leiten große Mengen von Detergentien i n Flüsse und Seen, die teilweise biologisch nur schwer abbaubar sind. Meist nur spurenweise vorhanden, aber dennoch von großer schädlicher Wirkung, sind die Schwermetalle, die zum Teil mit industriellem Abwasser eingeleitet, teilweise aus Trinkwasserleitungen durch Korrosion freigesetzt werden 1 2 . Die Aufzählung der Schadstoffe läßt sich noch fortsetzen mit Trübungs- und Farbstoffen, hochgiftigen Arsen-, Chrom-, Cyan- und Quecksilberverbindungen und landwirtschaftlichen Schädlingsbekämpfungsmitteln. Die am häufigsten diskutierte Folge der Gewässerverunreinigung ist die Gefahr der Eutrophierung. Eutrophierung bezeichnet eine übermäßige Nährstoffanreicherung und stellt — wegen des dortigen geringen Wasseraustauschs — vor allem eine Bedrohung der stehenden oder langsam fließenden Gewässer dar. Eine der Hauptursachen liegt i m ständigen Ausbau der Schwemmkanalisation, die unsere Gewässer i m Übermaße mit nährstoffreichen Fäkalien von Mensch und Tier sowie anderem organischen Material versorgt 13 . Dazu kommen organische Abfälle aus der Holz-, Zellstoff- und Papierindustrie, der Lederindustrie sowie landwirtschaftliche Abfälle wie Gemüse- oder Fruchtreste, Stroh und ähnliches. Eine ganz wesentliche Rolle bei der Eutrophierung der Gewässer spielt die Uberdüngung des Wassers durch phosphor- und stickstoffhaltige Düngestoffe 14 , die sowohl aus den Abwässern der Industrie und der Haushalte (Fäkalien und Waschmittel) 15 , als auch i n beträchtlichen Mengen aus der Landwirtschaft stammen. Insbesondere niederschlagsbedingte Abwaschungen landwirtschaftlich genutzten Bodens führen dem Wasser stickstoff- und phosphathaltige Düngemittel i n beachtlichen Ausmaßen zu. 10
Vgl. Lester, Pollution, S. 91. Eine Zeche m i t einer Tagesförderung v o n 10 0001 Steinkohle erleidet durch die Kohlenwäsche einen jährlichen Kohlenstaubverlust von 100 000 t, was zu enormer Schlammablagerung führt (Moll, Umweltschutz I, S. 100 f.). 12 Eckoldt, Ursachen, S. 44. 13 Vgl. Eckoldt, Ursachen, S. 44. 14 Beeton, Eutrophication of the St. Lawrence Great Lakes, i n : Detwyler, Impact, S. 233 ff. (233), stellt f ü r den Bereich des Eriesees fest, daß 1 k g Phosphat bei sonstigen günstigen Voraussetzungen den Wuchs von bis zu 700 k g Algen verursachen kann. 15 Fäkalien u n d Waschmittel sind stark phosphathaltig, vgl. Repenning, U m weltschutz — eine Gemeinschaftsaufgabe, 1972, S. 30. 11
Α. Die Verunreinigung der Binnengewässer
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Die Zuleitung all dieser eben genannten Nährstoffe hat zahlreiche Gewässer aus einem ursprünglich oligotrophen, d. h. nährstoffarmem Zustand i n einen Zustand der Überdüngung, also der Eutrophierung, gebracht. Eine solche Überdüngung fördert ein zu intensives Wachstum der i m Wasser enthaltenen pflanzlichen Lebewesen. Sobald, vor allem i n warmen Sommermonaten, günstige klimatische Bedingungen gegeben sind, verursachen die zugeleiteten Nährstoffe eine starke Entwicklung des Phytoplanktons und auch höherer Algen i m Uferbereich („Wasserblüte") 1 6 . „Sekundär entwickelt sich daraus eine starke Zooplanktonfauna, die n u n aber nicht i n genügendem Ausmaß durch höhere Glieder der Nahrungskette abgebaut w i r d . Tierische w i e auch pflanzliche Planktonorganismen sterben fortwährend ab, u n d ihre Leichen sinken auf den Grund der Gewässer. Der dabei erfolgende bakterielle Abbau ist derart intensiv, daß der Sauerstoff von einer gewissen Tiefe an v ö l l i g aufgezehrt w i r d . Diese sauerstofffreie Zone rückt bei zunehmender Verschmutzung immer näher an die Oberfläche u n d bringt schwerwiegende hygienische Probleme m i t sich. Abgesehen davon können sich die sauerstoffbedürftigen Edelfische nicht mehr i n solchen Gewässern aufhalten. Die Einströmung von Haushalts- und Industrieabfällen n i m m t solche Ausmaße an, daß nicht mehr abbaubare Mengen direkt zu Boden sinken u n d die Faulschlammbildung steigern. Giftiger Schwefelwasserstoff steigt empor. Das Plankton stirbt noch rascher ab, u n d der zu Boden fallende Leichenregen n i m m t zu. Auch die Fäulnisentwicklung beansprucht Sauerstoff 1 7 ."
Mineralölfilme auf der Wasseroberfläche können überdies den Sauerstoffübergang an der Grenzfläche L u f t - Wasser stark behindern und somit das Ersticken des Gewässers beschleunigen 18 . Folgen dieser Prozesse sind neben einer möglichen Verschlammung und Verlandung des Gewässers Fischsterben, letztlich das Auslöschen jeglicher organischer Existenz. Die Selbstreinigungskraft des Gewässers ist somit zerstört — das Gewässer „kippt um". Ist die Gefahr der Eutrophierung bei fließenden Gewässern wegen des schnellen Wassertransports und der größeren Turbulenz nicht ganz so gravierend wie bei stehenden Gewässern, so besteht diese Gefahr bei dauernder Uberdüngung jedoch auch hier. Giftige, vor allem chemische Abfälle (wie ζ. B. verschiedene Pestizide, Schwermetallsalze und Ubersalzungen der Flüsse durch K a l i - und Chemieindustrie) gefährden Wasserfauna und -flora und behindern damit die Selbstreinigungskraft so stark, daß auch bei Fließgewässern die Gefahr des „Umkippens" von großer praktischer Bedeutung ist 1 9 . 16 Vgl. hierzu Egli, N a t u r i n Not. Gefahren der Zivilisationslandschaft, 1970, S. 62 u n d Weinzierl, Das große Sterben, S. 37. 17 Egli, N a t u r i n Not, S. 62; vgl. auch Repenning, Umweltschutz, S. 34; Duda, Verunreinigung des Rheins, S. 7. 18 Vgl. Coenen u. a., Umweltschutz, S. 47. 19 Siehe hierzu ebd.
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1.1. Kap.: Umweltstörungen u n d ihre ökologischen Auswirkungen
Z w a r werden insbesondere i n den hochentwickelten Ländern der Erde v e r stärkte Anstrengungen unternommen, diesen Gefahren durch Reinigung der Abwässer entgegenzutreten. Die Reinigung erfolgt über mechanische u n d biologische Kläranlagen 2 0 , wobei das mechanische Säuberungsverfahren jedoch als vollkommen unzureichend anzusehen ist. Wie wenig fortgeschritten die ernsthaften Bemühungen zur Reinhaltung unserer Gewässer derzeit noch sind, soll am Beispiel der Bundesrepublik Deutschland, einem auf diesem Gebiet als relativ fortschrittlich zu bezeichnenden Staat, dargestellt werden: I m Jahre 1968 w u r d e n die häuslichen Abwässer (letzte statistische Erhebungen bezifferten die täglich anfallenden Mengen i m Jahre 1969 auf 8,4 M i l l , m 3 ) n u r von 38 °/o der Bevölkerung zumindest teilbiologisch gereinigt 2 1 . Ä h n l i c h sieht die Lage bei den Industrieabwässern aus. Industriebetriebe leiten etwa 50°/o des anfallenden Schmutzwassers (1968 fielen täglich etwa 17 M i l l , m 3 — ohne Kühlwasser — an) über öffentliche Anlagen i n die Oberflächengewässer ein 2 2 . Die andere H ä l f t e des entstehenden Schmutzwassers w i r d unmittelbar u n d n u r zum T e i l über die Zwischenstation betriebseigener Kläranlagen den Flüssen u n d Seen zugeleitet 2 3 . Aber auch diese Kläranlagen bieten keine absolute Sicherheit für die Reinhaltung unserer Gewässer. Krankheitserregende V i r e n u n d Keime passieren teilweise unbehelligt die Kläreinrichtungen 2 4 , u n d bei aller Reinigung industrieller Abwässer werden einige nicht abbaubare Stoffe, wie z. B. Schwermetallverbindungen, nicht erfaßt 2 5 . Somit werden Statistiken glaubhaft, die besagen, daß sich jeder vierte K r a n k h e i t s f a l l in der Welt m i t t e l bar oder unmittelbar auf verseuchtes Wasser zurückführen läßt 2 «.
Weitere Gefahr droht den Oberflächengewässern infolge der ständig wachsenden Aufwärmung durch Zuleitung von Kühlwasser. I m Jahre 1968 ergossen sich aus Industriebetrieben (18,6 Mill, m 3 ) und öffentlichen Energieerzeugungsanlagen (15 Mill, m 3 ) allein i n der Bundesrepublik Deutschland täglich über 33 Mill, m 3 erwärmten Wassers i n Flüsse und Seen 27 . Durch den verstärkten Bau von Großkraftwerken w i r d die Si20
I n den biologischen Kläranlagen w i r d der Selbstreinigungsprozeß der natürlichen Gewässer durch U m w a n d l u n g der Schadstoffe i n Bakterien künstlich nachvollzogen (vgl. i m einzelnen Graeub, Die sanften Mörder, S. 40 f.). 21 Die Abwässer v o n 2 7 % der Bevölkerung wurden mechanisch u n d v o l l biologisch, die v o n 11 °/o mechanisch u n d teilbiologisch gereinigt. Die Abwässer v o n 21 °/o der Einwohner w u r d e n n u r mechanisch behandelt, von 16 °/o kanalisiert u n d behandelt, u n d für 25 %> der Bevölkerung fand weder eine Sammlung noch eine Reinigung der Abwässer statt. Während also bisher n u r die Abwässer v o n 38 °/o der bundesdeutschen Bevölkerung ausreichend gereinigt werden, so sollen zwischen 1985 u n d 1990 90°/o der Bevölkerung an öffentliche K a n a l i sation und biologische Kläranlagen angeschlossen sein. (Zahlen siehe: U m w e l t schutz. Sofortprogramm der Bundesregierung, „ b e t r i f f t " 1970, Heft 3, S. 18; Repenning, Umweltschutz, S. 32; Herder-Lexikon, U m w e l t , Stichwort „ A b w a s serbehandlung"). U m diesen Stand zu erreichen, sind Investitionen v o n 43 Mrd. M a r k erforderlich. (Umweltschutz, Das Umweltprogramm der Bundesregierung, 1972, S. 120.) 22 Umweltschutz, Umweltprogramm der Bundesregierung, S. 118/120. 23 Ebd., S. 120. 24 Vgl. Müller-Neuhaus, Welche Ursachen . . . ?, S. 35 f.; Voigt, Gleichgewicht, S. 29. 25 Vgl. Umweltschutz, Umweltprogramm der Bundesregierung, S. 120 f. 26 Vgl. Voigt, Gleichgewicht, S. 29. 27 I n den U S A ist die Wärmebelastung der Gewässer bis zu drei Vierteln auf die Energieerzeugung zurückzuführen.
Α . Die Verunreinigung der Binnengewässer
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tuation erheblich verschlimmert. Sowohl bei den herkömmlichen Wärmekraftwerken als auch bei den modernen Kernkraftwerken kann nur ein Teil der zur Energiegewinnung benötigten Wärmeenergie tatsächlich i n elektrische Energie umgewandelt werden 2 8 . E i n konventionelles Wärmek r a f t w e r k von 1 000 M W verbraucht bei Durchlaufkühlung 2 9 jede Sekunde bis zu 40 m 3 Kühlwasser, ein K e r n k r a f t w e r k derselben Leistungsstärke sogar bis zu 70 m 3 3 0 . Diese Zahlen machen verständlich, daß bei Durchlaufkühlung der natürliche Wärmehaushalt auch großer Flüsse erheblich verändert werden kann, insbesondere wenn sich eine Vielzahl von Wärmeeinleitungen an einem Fluß hintereinanderreiht. W i r d das erwärmte Kühlwasser — Cole 31 spricht von einer gewöhnlichen Erwärmung zwischen 6 und 9° C — den Oberflächengewässern wieder zugeleitet, ergeben sich folgende Konsequenzen: Steigende Temperaturen haben eine starke Vermehrung der Bakterien zur Folge, wodurch zwar der mikrobiologische Abbau der organischen Substanzen beschleunigt w i r d , gleichzeitig jedoch der Sauerstoffbedarf dieser Organismen stark ansteigt. Da aber die Löslichkeit des Sauerstoffs m i t zunehmender Wassertemperatur stetig abnimmt, dem erhöhten Sauerstoffbedarf also ein geringeres Sauerstoffangebot gegenübersteht, sind die Bakterienmassen zum Sterben verurteilt, setzen sich als Schlamm ab, der beim Faulungsprozeß weiteren Sauerstoff benötigt 3 2 . Thermische Verunreinigung f ü h r t somit zu einer Verringerung des Sauerstoffgehalts der Gewässer, hat demnach die gleiche W i r k u n g wie abfallbedingte Verschmutzung und kann letztlich vor allem i m Zusammenwirken m i t bereits vorhandener starker Schmutzbelastung ein „Umkippen" des betreffenden Flusses oder Sees m i t sich bringen 3 3 . Die Selbstreinigungskraft w i r d eingeschränkt oder zerstört, die Fischerei w i r d geschädigt 34 . Viren, Salmonellen, T y 28 Konventionelle Wärmekraftwerke wandeln etwas weniger als die Hälfte der Rohenergie i n elektrische Energie um, Kernkraftwerke n u r etwa ein D r i t t e l (Repenning, Umweltschutz, S. 32; Giebel, Auswirkungen des Kühlwassers über das Flußwasser auf das K l i m a , in: Braun u. a., Umweltschutz bei nuklearer u n d konventioneller Energiegewinnung. Ergebnisse der Strahlen- u n d U m w e l t forschung, 1973, S. 126; BT-Drucks. 6/3052, S. 2). 29 Bei Verwendung von Rücklauf-Kühltürmen liegen die Werte erheblich niedriger. Z u den verschiedenen Kühlverfahren vgl. BT-Drucks. 6/3052, S. 5 f. 30 Materialien zum Umweltprogramm der Bundesregierung, 1971, S. 130. Repenning, Umweltschutz, S. 32; bei einer zugelassenen Kühlwassererwärmung v o n 10° C liegen die Werte bei 30 bzw. 43 m 3 /sec (Guck, Kühlwasser, S. 79; Moll, Umweltschutz I, S. 151; vgl. auch Wärmelastplan Rhein-Aaremündung bis holländische Grenze — 2. Aufl. Oktober 1971, hrsg. v o n der A r beitsgemeinschaft der Länder zur Reinhaltung des Rheins, S. 11, wo die entsprechenden Werte m i t 33 - 35 bzw. 45 - 50 m 3 /sec angesetzt werden). Bei Rücklaufkühlung m i t Naßkühltürmen kann dieser Verbrauch u m bis zu 98 % v e r ringert werden (Repenning, ebd.), jedoch kann der i n diesen Fällen emittierte Wasserdampf zu unerwünschten klimatischen Veränderungen führen. 31 Thermal Pollution, S. 217. 32 Vgl. Cole, Thermal Pollution, S. 218. 83 Vgl. BT-Drucks. 6/3052, S. 1 u n d 3; so auch Graeub, S. 41.
3 Klein
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. Kap.: Umweltstörungen u n d ihre ökologischen A u s w i r k u n g e n
phus- und Choleraerreger finden i n warmem Wasser günstigere Ausbreitungsbedingungen als i n kühlem Wasser. Blaualgen, die hochtoxische Stoffe ausscheiden, vermehren sich stark 3 5 , worunter die Nutzbarkeit des Wassers zu Zwecken der Trinkwasserversorgung leidet. Überdies w i r k t sich eine Temperatur von über 15° C 3 e auch auf andere Weise nachteilig auf die Trinkwasserqualität aus: sie bewirkt einen faden Geschmack sowie ein Hervortreten von unangenehmen geruchlichen und geschmacklichen Eigenschaften des Wassers 37 . Weitere nachteilige Folgen thermischer Gewässerverunreinigung können die Erschöpfung der Kühlwasserkapazität, die geringere Belastbarkeit des erwärmten Gewässers m i t A b wässern zum Nachteil anderer Benutzer sowie klimatische Veränderungen wie Dunst-, Nebel- oder Eisbildung 3 8 sein. Die aufgeführten Gefahren, die sich aus den verschiedenen Arten der Wasserverunreinigung ergeben, machen nicht an künstlich gezogenen, nationalen Grenzen halt. Wenn auch ein Großteil der Schadstoffe dank der Selbstreinigungskraft der Gewässer noch auf dem Gebiet des einleitenden Staates abgebaut werden kann, so ist dennoch die Gesamtbelastung der Gewässer häufig so hoch, daß nicht abgebaute und nicht abbaubare Rückstände über die Grenzen des einleitenden Staates hinweggetragen werden und i m Nachbarstaat zu Einschränkungen der Wassernutzung oder anderen Schäden führen können. I n Anbetracht der Tatsache, daß es, abgesehen von reinen Inselstaaten, nur wenige Staaten auf der Erde gibt, die nicht zumindest mit einem ihrer Nachbarn ein gemeinsames Gewässer, sei es längsgeteilter oder quergeteilter A r t , besitzen, w i r d die Bedeutung des Völkerrechts auf dem Gebiet der Wasserverschmutzung offensichtlich. M i t der Aufzählung der hauptsächlich i n Frage kommenden Quellen und Ursachen der Verunreinigungen w i r d allerdings auch klar, daß das Völkerrecht i m Hinblick auf die Bekämpfung solcher Umweltstörungen vor eine schwierige Aufgabe gestellt ist. Da solche Störungen vorwiegend Nebenfolgen steigenden Lebensstandards und von für Mensch und Staat nützlichen Tätigkeiten und Maßnahmen sind, muß ihre Bekämpfung zwangsläufig mit Schwierigkeiten verbunden sein. 34 Bereits eine Temperaturerhöhung u m 1,5 bis 2° C k a n n unter bestimmten Voraussetzungen das Leben v o n Fischen u n d anderen Wasserlebewesen ernsthaft bedrohen, so jedenfalls Cole, Thermal Pollution, S. 218. Die Eiablage w i r d aufgrund des Ausbleibens der erforderlichen Minimaltemperatur verzögert oder verhindert, was zum Tod der Muttertiere f ü h r t (Koenig, Thermische Belastung der Fließgewässer, i n : Olschowy, Belastete Landschaft — Gefährdete U m w e l t , S. 51 ff. [58]). 35 Vgl. Moll, Umweltschutz I , S. 151 f. 36 Als erwünscht gelten Temperaturen zwischen 7 u n d 12° C, als tragbar 5 bis 15° C. 37 Vgl. Koenig, Belastung, S. 5Θ f. 38 v g l Fischerhof, Belastbarkeit, S. 101; siehe auch BT-Drucks. 7/2061, S. 3.
Β . Die L u f t v e r u n r e i n i g u n g u n d die Lärmbeeinträchtigung
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B. Die Luftverunreinigung und die Lärmbeeinträchtigung Die Luftverschmutzung ist neben der Verunreinigung des Wassers zu einem der meistgenannten und offenkundigsten Phänomene der modernen Umweltkrise geworden. Dies gilt vor allem für die hochentwickelten industrialisierten Regionen der Erde. Industrialisierung und die damit zusammenhängende Urbanisierung lassen Verdichtungsräume entstehen, i n denen vor allem die Quellen der zunehmenden Luftverschmutzung zu finden sind. Industrie und Gewerbe, L u f t - und Kraftfahrzeugverkehr, häusliche Heizfeuerungsanlagen, Müllverbrennungs- und Energiegewinnungsanlagen sind Hauptquellen dieser A r t von Umweltstörungen. Das Ausmaß der Gesamtverschmutzung und die jeweils hierzu beitragenden Anteile der einzelnen Ver schmutzungsquellen sind auch i m Rahmen der Luftverunreinigung von zu vielen verschiedenen Faktoren (ζ. B. Grad der Industrialisierung, Bevölkerungsdichte, K l i m a 3 9 , Höhe des Lebensstandards 40 ) abhängig, als daß allgemein verbindliche Werte festgestellt werden könnten. So betrug z u m Beispiel der A n t e i l des Verkehrswesens an der Gesamtverschmutzung der L u f t i n n e r h a l b der U S A i m Jahre 1965 60 %> (es handelte sich u m etwa 86 M i l l , t i n die Atmosphäre eingeleitete Schadstoffe) 4 1 , i n n e r h a l b der Bundesrepublik Deutschland, i m Jahre 1970 etwa 4 8 % (12,8 M i l l , t ) 4 2 ; i n nerhalb der UdSSR, die i m V e r h ä l t n i s zu den U S A bei etwa gleicher B e v ö l kerungszahl n u r über weniger als ein Z e h n t e l der Kraftfahrzeugdichte v e r fügt, macht dieser A n t e i l — trotz V e r w e n d u n g v o n weniger raffinierten u n d d a m i t abgasintensiveren Treibstoffen — einen weitaus geringeren Prozentsatz aus 4 3 .
Die durch Verbrennungsvorgänge verschiedenster A r t und sonstige technische Prozesse verseuchte L u f t breitet sich i n Bodennähe oder als Dunstglocke über den Ballungszentren aus 44 . Bestimmte meteorologische Verhältnisse sorgen neben hohen Schornsteinen für eine möglicherweise weiträumige Verbreitung solcher Luftschichten. Die aus der Luftverschmutzung resultierenden Gefahren für die menschliche Umwelt werden somit teilweise weit von den ursprünglichen Emissionsquellen, häufig auch über die Staatsgrenzen hinaus hinweggetragen. Die Gefahren der Luftverunreinigung sind vielfältiger A r t . Wenn auch die genauen Auswirkungen auf den Menschen und seine Umwelt 39
I n w a r m e n Regionen stellt sich das Problem der Luftverschmutzung durch Hausbrand naturgemäß weniger als i n k a l t e n Gebieten. 40 Je höher der Lebensstandard, desto höher z. B. der Energieverbrauch, der Kraftfahrzeugbestand. 41 Bush, Umweltschutzprobleme i n den sozialistischen L ä n d e r n — S o w j e t union, Osteuropäische Rundschau 19 (1973), S. 9 ff. (9). 42 M o l l , Umweltschutz I , S. 6. 43 Vgl. hierzu Bush, Umweltschutzprobleme, S. 9. 44 So liegt z . B . L e n i n g r a d zuweilen u n t e r einer Dunstglocke, die fast 50°/o des einfallenden Sonnenlichts absorbiert (Bush, Umweltprobleme, S. 11). 3*
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. Kap.: Umweltstörungen u n d ihre ökologischen A u s w i r k u n g e n
naturwissenschaftlich bei weitem nicht restlos geklärt sind 4 5 , so steht doch fest, daß Luftverunreinigungen u. a. ernste Gefahren für Gesundheit und Wohlbefinden des Menschen, Schädigungen der Landwirtschaft, Schäden an Gebäuden sowie anderen Sachgütern, Bedrohung der Verkehrssicherheit, vor allem i m Flugverkehr, und klimatische Veränderungen m i t sich bringen können. Industrie,
Gewerbe,
Hausfeuerungen
u n d Wärmekraftwerke
46
stoßen
vor allem Stäube, Schwefeldioxid, Stickoxide und Kohlenwasserstoffverbindungen aus 47 . Ruß und Stäube, insbesondere Feinstäube als lungengängige Schmutzpartikel, wirken gesundheitsschädigend und belästigend für den Menschen 48 und üben neben verschmutzender auch zerstörende Wirkung auf Gebäude und Kunstwerke aus Stein, Metall und Glas 49 sowie auf Textilien aus. Schwefeldioxide und Stickoxide schwächen die menschlichen und tierischen Atemwege und erhöhen ihre A n fälligkeit für Krankheiten 5 0 . Schwefeldioxid verbindet sich mit dem Wasserdampf der Atmosphäre zu aggressiver Schwefelsäure, die Pflanzen und Sachgüter, insbesondere historische Baudenkmäler, schädigt und bei Smogwetterlagen die Gefahren für die Gesundheit von Mensch und Tier erhöht 5 1 . Kohlenwasserstoffe samt ihren Verbindungen, vor allem von der erdölverarbeitenden Industrie emittiert 5 2 , wirken krebserregend 53 und bilden zusammen m i t den Stickoxiden unter dem Einfluß des Sonnenlichtes chemische Verbindungen, die i n bedeutendem Umfang zur Entstehung des Smogs beitragen 54 . L u f t - 5 5 und vor allem der Kraftfahrzeugverkehr tragen erheblich zur Bedrohung unserer Umwelt bei 5 6 . Kraftfahrzeuge m i t Otto- und Diesel45 Vgl. Kausch, Grundzüge, S. 21 m. w. N.; Moll, Umweltschutz I, S. 6. Dies g i l t v o r allem f ü r die Luftverunreinigung durch die chemische Industrie. G r u n d hierfür ist die rasche produktionstechnische E n t w i c k l u n g m i t einer sich schnell ändernden Zusammensetzung der Emissionen u n d die Abgabe weitgehend u n bekannter Emissionskomponenten (Dreyhaupt, Luftreinhaltetechnik, S. 50). 46 Uber die Größenordnung der Emissionen v o n K r a f t w e r k e n soll folgendes Beispiel Aufschluß geben: E i n Großkraftwerk m i t einer Leistung v o n 2000 M W emittiert je nach Brennstoff pro Stunde bis zu: 1,5 t Kohlenmonoxid, 20 t Schwefeldioxid, 6 t Stickoxide, 1 t Kohlenwasserstoffe, 1 t Staub — bei guter Entstaubung — u n d 0,5 t Ruß (Kleinhorst, Luftreinhaltetechnik, S. 51). 47 Vgl. Moll, Umweltschutz I, S. 6. 48 Vgl. Umweltschutz, U m w e l t p r o g r a m m der Bundesregierung, S. 145. 49 Vgl. Riederer, Zustand, S. 33. 50 Umweltschutz, U m w e l t p r o g r a m m der Bundesregierung, S. 144. 51 Ebd. 52 I n einer Raffinerie werden beispielsweise 3 t Kohlenwasserstoffe pro Stunde emittiert. 53 Siehe Grimmer, Stand der Luftverunreinigung, S. 21. 54 Ebd., S. 149 u n d 150. 55 Nach Angaben des amerikanischen Verbraucherschutz-Anwalts Ralph Nader entlassen allein i n Los Angeles Düsenflugzeuge ebensoviel feste
Β . Die Luftverunreinigung u n d die Lärmbeeinträchtigung
37
motoren verseuchen die L u f t mit Kohlenmonoxid, Kohlenwasserstoffen, Stickoxiden und Geruchsstoffen. Hinzu kommen bei Ottomotoren die Emission von Blei, bei Dieselmotoren die Abgabe von Schwefeldioxid 57 . Die umweltschädigende Wirkung der meisten dieser Emissionen wurde bereits angesprochen. Besorgniserregend ist neben dem hohen Ausstoß von Kohlenwasserstoffen vor allem die enorme Luftverseuchung durch toxisch wirksames Kohlenmonoxid 5 8 ; für den Bereich einer amerikanischen Großstadt ergaben Untersuchungen einen direkten Zusammenhang zwischen der Immissionskonzentration von Kohlenmonoxid und der Sterberate 59 . Bleistaub kann i m Gegensatz zu den wesentlich höheren, mit der Nahrung aufgenommenen Bleimengen, die den Körper zu etwa 95 % wieder verlassen, zu fast 100 °/o vom menschlichen Körper aufgenommen und i n den Knochen gespeichert werden 6 0 ; eine nur geringe Bleibelastung bewirkt jedoch schon eine Störung der Stoff wechselleistung 6 1 . Neben all diesen eben genannten Schadstoffen, die i n quantitativer Hinsicht besonders auffallen, gibt es noch eine Vielzahl mengenmäßig weniger bedeutender, dafür aber i n ihrer Wirkung nicht ungefährlicherer Schadstoffe 62 , wie zum Beispiel Arsen- und Zinkemissionen der Stahlwerke; Fluoremissionen von Stahlwerken, Aluminiumhütten, thermischen Kraftwerken und Müllverbrennungsanlagen oder Chlorwasserstoffemissionen, die vor allem bei der Verbrennung von Kunststoffen wie PVC i n Müllbeseitigungsanlagen entstehen 63 . Solche Stoffe werden i n der L u f t auf kaum nachweisbare Konzentrationen verdünnt und gelangen mit den Niederschlägen ins Wasser und i n den Boden. Sie werden durch Mikroorganismen in der Ernährungskette zu solchen KonSchmutzstoffe i n die Atmosphäre w i e 1 M i l l . Kraftfahrzeuge. Der ehemalige UN-Generalsekretär U - T h a n t wies darauf hin, daß eine Düsenverkehrsmaschine während eines 6stündigen Fluges durchschnittlich 35 t Sauerstoff i n Rauch u n d giftige Abgase (Kohlenmonoxid, Stickoxide, Schwefeloxide etc.) verwandele (siehe Sand, Internationaler Umweltschutz u n d neue Rechtsfragen der Atmosphärennutzung, Z L W 1971, S. 109 ff. [129]). Eine Boeing 707 emittiert beim Start die gleiche Giftmenge wie 6850 anfahrende Volkswagen 1200 (Spiegel Nr. 41/1970, S. 74). 56 I n der B R D betrug der Beitrag dieser Störungsquellen zur Gesamtluftverschmutzung i m Jahre 1970 48°/o (Moll, Umweltschutz I, S. 6). 57 Umweltschutz. U m w e l t p r o g r a m m der Bundesregierung, S. 150. 58 Auch die Müllverbrennungsanlagen tragen i n bedeutendem Umfang zur Verunreinigung der L u f t durch Kohlenmonoxid bei (vgl. Moll, Umweltschutz I, S. 6). 59 Vgl. Oelert, Kraftfahrzeugindustrie, S. 59. 60 Schlipköter, Stand der Luftverunreinigung, S. 20. 61 Ebd. 62 Vgl. Dreyhaupt, Luftreinhaltetechnik, S. 49 f.; Europäisches Parlament Dok. 181/71, S. 7. 63 Chlorwasserstoff ist ein starkes Reizgas, das Schleimhäute u n d Zähne empfindlich schädigt. Bereits 2 M i l l i g r a m m je L i t e r L u f t sind bei einstündiger E i n w i r k u n g tödlich (Weinzierl, Das große Sterben, S. 20).
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1.1. Kap.: Umweltstörungen u n d ihre ökologischen Auswirkungen
zentrationen angereichert, daß sie Gesundheit und Leben von Menschen und Tieren gefährden können 6 4 . Nicht zu vergessen sind auch die — wenngleich i n der Regel verschwindend geringen 65 — Verunreinigungen der Atmosphäre durch Strahlungen, vor allem radioaktiver Art. Bei der Energieerzeugung i n den Reaktoren der Kernkraftwerke werden auch bei ordnungsgemäßem Betrieb radioaktive Spalt- und Korrosionsprodukte frei, die zum Teil m i t A b gasen, aber auch m i t Abwässern und durch feste radioaktive Abfälle i n die Umwelt gelangen 66 ; auch Abtransport und Endlagerung 6 7 radioaktiven Mülls bringen Gefahren radioaktiver Umweltbelastungen m i t sich. Solche Umweltbelastungen können auch auf das Gebiet eines Nachbarstaates übergreifen; das konkrete Ausmaß derartiger Immissionen hängt von der jeweiligen meteorologischen Situation, insbesondere von der Windrichtung und dem Bestehen oder Nichtbestehen von Inversionswetterlagen i n dem betreffenden Gebiet, ab. I n Inversionsgebieten w i r d ein Aufsteigen von Abgaben, Dämpfen usw. i n höhere Luftschichten verhindert, was zur Folge hat, daß schädliche Substanzen — also zum Beispiel radioaktive Abgase i n Verbindung mit dem Wasserdampf aus K ü h l t ü r men der Kraftwerke — i n deren Nähe und somit auch möglicherweise auf dem Gebiet des Nachbarstaates als Niederschläge zu Boden gehen 68 . Neben dieser schon bei Normalbetrieb bestehenden Umweltgefährdung ist die Bedrohung der Umwelt durch den sogenannten GaU (größter anzunehmender Unfall) nicht zu vergessen, wenn auch die Wahrscheinlichkeit eines solchen Unfalls wegen der meist äußerst strengen Sicherheitsvorkehrungen praktisch sehr gering ist 6 9 . 64
Moll, Umweltschutz I, S. 7. Die mittlere Strahlenbelastung aus natürlichen Quellen beträgt i n der Bundesrepublik Deutschland etwa 120 M i l l i r e m i m Jahre (ohne Strahlenbelastung durch Röntgengeräte). Die Strahlenbelastung durch Kernwaffenversuche betrug i n den Jahren intensivster E i n w i r k u n g n u r etwa ein Zehntel der natürlichen Strahlenbelastung; sie hat seither bedeutend abgenommen (Umweltschutz. U m w e l t p r o g r a m m der Bundesregierung, S. 107). 66 Die zusätzlich zur natürlichen Belastung durch einen Reaktor verursachte Strahlenbelastung w i r d jedoch so gering gehalten, daß sie selbst a m ungünstigsten P u n k t i n der Umgebung wenige M i l l i r e m pro Jahr nicht überschreitet u n d damit n u r wenige Prozent der natürlichen Strahlenbelastung ausmacht (so: Umweltschutz. U m w e l t p r o g r a m m der Bundesregierung, S. 108. Vgl. auch B T Drucks. 7/2061, S. 4). 67 Die Endlagerung radioaktiven M ü l l s bereitet v o r allem deshalb Sorgen, w e i l bis zum Zerfall der langlebigen radioaktiven Stoffe auf umweltunschädliche Werte tausende v o n Jahren vergehen können u n d somit ein ständiges Anwachsen des Gesamtumfangs solcher Abfälle unvermeidbar ist. (Ein einziges 1000 M W - R e a k t o r k r a f t w e r k produziert i n einem Jahr so v i e l radioaktiven A b f a l l m i t langlebigem Charakter w i e 1000 Hiroshima-Atombomben, Tagesanzeiger v o m 15. Febr. 1972, zit. i n : regio gazette 2 [ A p r i l 1972], S. 34). 68 Randelzhofer-Simma, Das K e r n k r a f t w e r k an der Grenze. Eine „ u l t r a hazardous a c t i v i t y " i m Schnittpunkt v o n internationalem Nachbarrecht u n d Umweltschutz, i n : Festschrift f ü r Friedrich Berber, S. 389 ff. (391). 69 Siehe aber Novick, Katastrophe auf Raten. Wie sicher sind A t o m k r a f t werke? 1971, S. 9 ff., der mehrere Unglücksfälle samt ihren Folgen schildert. 65
Β. Die Luftverunreinigung u n d die Lärmbeeinträchtigung
39
Die Gefahr der radioaktiven Verunreinigung liegt v o r allem i n der A n r e i cherung von radioaktiven Spaltprodukten i n Organismen, die auf dem Weg über die Nahrungskette zur B i l d u n g v o n unheilbaren oder n u r schwer heilbaren Krankheiten, w i e zum Beispiel Krebs, Leukämie u n d Knochenmarktumoren, führen k a n n 7 0 . Darüber hinaus w i r d m i t dem Gebrauch v o n N a ß k ü h l t ü r men, die die bei der Energieerzeugung anfallende A b w ä r m e teilweise i n die Atmosphäre abführen, — je 1 000 M W Kraftwerksleistung werden bis zu 800 L i t e r Kühlwasser pro Sekunde verdunstet 7 1 — eine verstärkte Nebelbildung hervorgerufen 7 2 , die Klimaveränderungen zumindest lokaler A r t , w i e V e r stärkung von Niederschlägen u n d Glatteisbildung sowie Verringerung der Sonneneinstrahlung m i t sich bringen k a n n 7 3 . A l l e diesen e r w ä h n t e n G e f a h r e n d e r L u f t v e r u n r e i n i g u n g k ö n n e n sich — w i e gerade a m B e i s p i e l r a d i o a k t i v e r E m i s s i o n e n d a r g e s t e l l t — b e i u n g ü n s t i g e n meteorologischen V e r h ä l t n i s s e n auch ü b e r Staatsgrenzen h i n w e g a u f nachbarliches H o h e i t s g e b i e t a u s w i r k e n . E i n e v ö l k e r r e c h t l i c h e Regelung der d a m i t zusammenhängenden nachbarschaftlichen Probleme erscheint angesichts der m ö g l i c h e n B e d r o h u n g e n , w i e sie gerade e r ö r t e r t w u r d e n , als d r i n g e n d e r f o r d e r l i c h . Lärmbeeinträchtigungen als E r s c h e i n u n g e n d e r U m w e l t k r i s e h a b e n sich i n d e n l e t z t e n J a h r z e h n t e n als F o l g e n d e r T e c h n i s i e r u n g u n d V e r städterung i m m e r stärker bemerkbar gemacht74. Z u den wichtigsten L ä r m q u e l l e n z ä h l e n der S t r a ß e n v e r k e h r , d e r B e t r i e b v o n M a s c h i n e n i n g e w e r b l i c h e n oder a n d e r e n U n t e r n e h m e n u n d der L u f t v e r k e h r . W ä h r e n d die e r s t g e n a n n t e n S t ö r u n g s q u e l l e n zwischenstaatliche B e d e u t u n g i n d e r Regel n u r selten u n d d a n n höchstens i m engsten G r e n z b e r e i c h e n t f a l t e n 7 5 , e r l a n g t der s t ä n d i g z u n e h m e n d e 7 6 L u f t v e r k e h r als S t ö r u n g s q u e l l e 70 Vgl. Graeub, Die sanften Mörder, S. 59; Randelzhofer-Simma, K e r n k r a f t werk, S. 391; siehe auch die Resolution 2623 ( X X V ) der Generalversammlung der Vereinten Nationen v o m 13. Oktober 1970, die feststellt, daß die A u s w i r kungen radioaktiver Strahlung zwar i m m e r noch nicht genügend erforscht, aber w o h l noch gefährlicher seien als bisher angenommen (abgedruckt i n Yearbook of the United Nations 1970, S. 57). 71 BT-Drucks. 6/3052, S. 2. 72 Eine solche Nebelbildung w i r d m a n w o h l als Verunreinigung i m weiteren Sinne bezeichnen können. Die m i t Wasserdampf gesättigte L u f t bildet nach A u s t r i t t aus dem T u r m eine je nach Wetterlage mehr oder weniger umfangreiche Dunstschwade. Besonders ungünstig w i r k e n sich Inversionswetterlagen aus. 73 Siehe Graeub, Die sanften Mörder, S. 59; Neue Zürcher Zeitung v o m 26. Jan. 1972, zit. i n : regio gazette 2 ( A p r i l 1972), S. 32 f. 74 I n der Bundesrepublik Deutschland f ü h l t sich bereits jeder zweite Bewohner durch L ä r m belästigt u n d jeder vierte i n seiner Nachtruhe gestört. (Vgl. Olschowy, Bilanz der Lärmbelästigung, i n : Olschowy [Hrsg.], Belastete Landschaft — Gefährdete U m w e l t , 1971, S. 276 ff. [278]). 75 So auch Kiss, L a protection, S. 377. Lärmauswirkungen über Grenzen h i n weg kommen, abgesehen v o m Fluglärm, praktisch n u r dann i n Betracht, w e n n Industrien oder Ballungszentren i m unmittelbaren Grenzbereich gelegen sind. 76 I n der Bundesrepublik Deutschland hat sich die A n z a h l der Starts u n d Landungen i m gewerblichen L u f t v e r k e h r v o n 54 700 i m Jahre 1952 auf 280 700 i m Jahre 1969 erhöht (Olschowy, Bilanz der Lärmbelästigung, S. 278).
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1.1. Kap.: Umweltstörungen u n d ihre ökologischen A u s w i r k u n g e n
von grenzüberschreitender Relevanz immer stärkere Bedeutung. Besonders bemerkbar macht sich die Zunahme des Verkehrs von Düsen- 77 und vor allem von militärischen Überschallflugzeugen. Ein m i t 2 000 - 2 800 k m / h fliegender Düsenjäger läßt einen Lärmteppich von 80- 120 k m Breite hinter sich 78 . Ein Düsenflugzeug entfaltet eine Lautstärke von 100 Dezibel 79 während des Fluges und von 120 Dezibel beim Start 8 0 ; beim Start eines Uberschallverkehrsflugzeugs liegt der Wert bei 150 Dezibel 81 . Bei 90 Dezibel beginnt jedoch bereits die Lärmstufe I I I , innerhalb derer schädliche Folgen auf die menschliche Gesundheit zu verzeichnen sind 8 2 . Der Mensch w i r d von übermäßiger Lärmeinwirkung auf mehrfache Weise betroffen. Als negative Auswirkungen von Lärmeinflüssen seien genannt: Beinträchtigung der Nachtruhe bereits bei Lärmgraden von 50 - 55 Dezibel (zum Vergleich: die Unterhaltung zweier Personen entspricht einem Wert von 60 Dezibel) 83 , Verständigungsschwierigkeiten, Störungen des vegetativen Nervensystems 84 , i n Einzelfällen Mitverursachung von streßbezogenen Krankheiten wie Magen- oder Darmgeschwüren, hoher Blutdruck oder Gehörschäden (längere Einwirkungen hoher Lärmgrade können zum Gehörverlust führen) 8 5 . M i t der abstrakten Darstellung der möglichen Umweltverunreinigungen grenzüberschreitender Natur und der daraus resultierenden potentiellen Konsequenzen kann die sich aus dieser Ausgangslage ergebende völkerrechtliche Problematik jedoch nur teilweise dargestellt werden. Erforderlich ist darüber hinaus ein Eingehen auf Einzelfälle und Details der grenzüberschreitenden Umweltbeeinträchtigungen.
77 Bezeichnend f ü r diese E n t w i c k l u n g sind die folgenden Zahlen: 1959 wurde nach der Luftverkehrsstatistik der Flughafen A G , Frankfurt/M., das erste zivile Düsenflugzeug eingesetzt. 1960 betrug der A n t e i l bereits 60%, 1969 w a r er auf 85,4% angestiegen (Olschowy, Bilanz der Lärmbelästigung, S. 278). 78 Ebd.; vgl. auch Sand, Internationaler Umweltschutz, S. 116. 79 Dezibel ist die dem subjektiven Hörempfinden des Menschen angepaßte Maßeinheit f ü r die Schallstärke (Herder-Lexikon. U m w e l t , Stichwort „Dezibel", S. 60). Die Hörschwelle liegt bei 1 Dezibel. 80 Siehe Ehrlich-Ehrlich, Bevölkerungswachstum, S. 187. 81 Olschowy, Bilanz der Lärmbelästigung, S. 276. 82 Genaueres zur Einteilung i n Lärmstufen siehe ebd., S. 277. 83 Vgl. Ehrlich-Ehrlich, Bevölkerungswachstum, S. 187 f. 84 Es hat sich gezeigt, daß L ä r m i m Bereich v o n 90 Dezibel bereits irreversible Veränderungen i m vegetativen Nervensystem hervorrufen k a n n (ebd., S. 188). 85 Ebd. Ausführliche Erörterung der Auswirkungen v o n Lärmbeeinträchtigungen auf den Menschen u n d seine U m w e l t , dargestellt am Beispiel des Uberschallfluglärms, siehe Conseil de l'Europe Doc. 3071.
Zweites
Kapitel
Einzelfälle grenzüberschreitender Umweltstörungen A . Gewässerverunreinigungen
Das internationale Binnengewässer, dessen übermäßige Verschmutzung bisher wohl für die meisten Schlagzeilen gesorgt hat, ist der Rhein. Der Zustand dieses i m Herzen Europas gelegenen Stromes soll wegen der überragenden Bedeutung, die dieser Strom für alle Anliegerstaaten hat, und der besonderen Evidenz nachbarschaftlicher Verwicklungen eingehender betrachtet werden. Die Zusammenballung von Industrien, von Kraftwerken und Städten an den Ufern und i m weiteren Einzugsgebiet des Rheins hat die Verunreinigung dieses Stromes zu einem der schwerwiegendsten und meistbeachteten transnationalen Umweltprobleme werden lassen. Schon vor mehr als eineinhalb Jahrhunderten mußte der englische Dichter Coleridge fragen: "The River Rhine, i t is w e l l known, D o t h wash your city of Cologne. B u t t e l l me, Nymphs, w h a t power divine, Shall henceforth wash the River Rhine?"
Heute ist die einst blühende Lebensader auf dem Weg vom Bodensee zur Nordsee, die Territorien der Schweiz, Frankreichs, Deutschlands und der Niederlande durchziehend oder berührend, zu einer mehr als tausend Kilometer langen, offenen Kloake geworden. Der Rhein hat sich zum größten Abwasserkanal Europas 1 und einem der schmutzigsten Flüsse der Erde überhaupt 2 entwickelt. Eine Masse von Abfällen, entsprechend der Menge, die von einer M i t telstadt i m Laufe eines Monats hervorgebracht wird, oder tausend Lastkraftwagen voller M ü l l — das war das Ergebnis einer eintägigen Reinigungsaktion, die i m Jahre 1971 auf etwa 1 100 k m Länge an den durch eine Trockenperiode freigelegten Ufern des Rheins durchgeführt wurde 3 . 1
So Der Spiegel Nr. 38/1970, S. 195. Vgl. Colliard, Evolution et aspects actuels du régime j u r i d i q u e des fleuves internationaux, Recueil des Cours 125 (1968), S. 337 ff. (395); Europäisches Parlament Dok. 161/1970, S. 5. 3 Siehe Wassermann, A n t i Pollution Measures for the Rhine, Journal of W o r l d Trade L a w 7 (1973), S. 598 ff. (598). 2
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I. 2. Kap.: Einzelfälle grenzüberschreitender Umweltstörungen
D i e A b f ä l l e aus H u n d e r t e n v o n I n d u s t r i e b e t r i e b e n u n d B e r g w e r k e n sow i e die u n z u r e i c h e n d g e r e i n i g t e n A b w ä s s e r aus M i l l i o n e n v o n H a u s h a l t e n ergießen sich i n diesen F l u ß , der g l e i c h z e i t i g M i l l i o n e n a n d e r e r M e n schen als T r i n k w a s s e r q u e l l e d i e n t 4 . 12 M i l l i a r d e n m 3 A b w ä s s e r , d a v o n 10 M i l l i a r d e n m 3 i n d u s t r i e l l e r P r o v e n i e n z , w ä l z e n sich a l l j ä h r l i c h i n d e n ehemals b l a u e n R h e i n 5 . Erster Leidtragender dieser unheilvollen E n t w i c k l u n g w a r die Fischindustrie der Rhein-Anliegerstaaten. Abwanderung u n d Fischsterben haben den Fischbestand erschreckend dezimiert. Der heute verbleibende Restbestand ist w e gen schlechter geschmacklicher Eigenschaften k a u m mehr verkäuflich. Hierzu ein Beispiel: Noch u m die Jahrhundertwende w u r d e n i m Rhein jährlich 150 000 bis 170 000 Lachse gefangen«, i m Jahre 1955 waren es n u r noch 3 000, von denen 2 400 wegen zu hohen Phenolgehaltes ungenießbar waren 7 . E i n i m Ruhrgebiet eingeleitetes hochgiftiges Pflanzenschutzmittel führte i m J u n i 1969 zum bisher größten Fischsterben. M i l l i o n e n von Fischen verendeten u n d w u r den größtenteils über die holländische Grenze getrieben. V o n dieser K a t a strophe w u r d e n auch zahlreiche Wirbeltiere betroffen, die — vermutlich nach dem Fressen der toten Fische — verendet a m Rheinufer aufgefunden w u r den«. I m Februar 1974 warnte das baden-württembergische Gesundheitsminister i u m vor dem Verzehr von Fischen, die i m Oberrhein zwischen Basel u n d Offenburg gefangen wurden. Der Grund: eine Quecksilberverseuchung des Wassers, die nach den bisherigen E r m i t t l u n g e n hauptsächlich v o n Basler u n d französischen Betrieben verursacht wurde 9 . Berichte über solche ökologischen Katastrophen sind leider keine Einzelerscheinungen, sondern tauchen fast täglich i n der Presse auf. D i e V e r s c h m u t z u n g des R h e i n s b e g i n n t g l e i c h u n t e r h a l b des Bodensees a u f Schweizer Gebiet, w o I n d u s t r i e a b w ä s s e r d e n S a l z g e h a l t des Flusses v e r v i e l f a c h e n . D i e erste B e l a s t u n g k a t a s t r o p h a l e n Ausmaßes e r f o l g t k u r z v o r der schweizerisch-deutschen Staatsgrenze i n Basel: D i e A b wässer d e r I n d u s t r i e b e t r i e b e , insbesondere der C h e m i e - K o n z e r n e , sowie d i e A b w ä s s e r v o n m e h r als e i n e r M i l l i o n Menschen fließen fast u n g e r e i n i g t i n d e n R h e i n 1 0 . M i t solcher F r a c h t beladen, ü b e r s c h r e i t e t der S t r o m 4
Fast 19 M i l l . Menschen sind auf den Rhein als Trinkwasserquelle angewiesen (Olschowy, Bilanz der Wasserverschmutzung, S. 24). 5 So Bundespräsident Heinemann bei der Eröffnung der Kölner Gartenschau am 29. A p r i l 1971, zit. i n : R G D I P 76 I (1972), S. 477. 6 Angeblich sollen die Hausangestellten i m Oberrheingebiet damals i n ihren Dienstverträgen die Bedingung gestellt haben, nicht mehr als zweimal w ö chentlich Lachs essen zu müssen (so Europäisches Parlament, Dok. 161/1970, S. 6). 7 Vgl. ebd. 8 Siehe Olschowy, Bilanz der Wasserverschmutzung, S. 25. 9 Siehe Badische Zeitung v o m 13. Februar 1974, S. 8 u n d v o m 20. Februar 1974, S. 8. 10 Siehe hierzu Lambert, Rhine Pollution, The Ecologist vol. 1, No. 18, Dec. 1971, S. 24 ff. (24); Wassermann, A n t i Pollution Measures, S. 600. Diesen u n tragbaren Verhältnissen soll jedoch schon bald Abhilfe geschaffen werden. Kläranlagen sollen auf schweizerischem u n d elsässischem Gebiet errichtet
Α. Gewässerverunreinigungen
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die Staatsgrenze. Ohne die erforderliche Zeit zur Selbstreinigung zu finden, sieht er sich schon bald der nächsten Belastungsprobe gegenüber: Fünf elsässische Kalibergwerke werfen täglich große Mengen 1 1 bei der Förderung anfallender und nicht verwertbarer Kochsalzrückstände i n den Rhein. Sie werden allgemein als die bedeutendsten Einzelverschmutzer des Flusses angesehen. Diese Monopolbetriebe des französischen Staates sind zu 40 Vo für den hohen Salzgehalt des Rheins verantwortlich 1 2 , der vor allem die Niederlande vor große Probleme stellt. Zu der Belastung des Rheins durch die eingeleiteten Salze kommen von französischer Seite noch die Abwässer der i m Ausbau befindlichen Industriegebiete zwischen Mülhausen und Straßburg sowie die gesamten — ungereinigten — Abwässer der Stadt Straßburg hinzu. Auf deutschem Territorium w i r d die Situation dann weiter verschlimmert. I m Raum Karlsruhe, vor allem aber i m Industriegebiet Mannheim-Ludwigshafen, n i m m t die Verschmutzung erneut i n starkem Unfang zu. Der Neckar mit seiner Abfallfracht aus den württembergischen Ballungszentren sowie Main und Mosel führen weitere beträchtliche Schmutz- und Schadstoffmengen herbei. Die Mosel bringt riesige Salzfrachten aus lothringischen Kaligruben, eisenhaltigen Schlamm aus lothringischen Stahlwerken sowie die Abwasserlast der Saar m i t sich, des Flusses, der i m saarländischen Eisen- und Kohlenzentrum den höchsten Verschmutzungsgrad aller Gewässer des gesamten Rheineinzugsgebietes aufzuweisen hat 1 3 . Von K ö l n aufwärts bis zur niederländischen Grenze hat der Rhein die wohl stärksten Belastungen zu ertragen. Hierfür sind nicht nur Industrien und die Vielzahl der Städte beiderseits der Ufer des Rheins verantwortlich, sondern auch die schmutzgesättigten Zuflüsse von Ruhr, Emscher und Wupper. werden u n d schon bald betriebsbereit sein (siehe Badische Zeitung vom 23. 9. 1974, S. 11). 11 Die Zahlenangaben schwanken zwischen 20 000 t (Lambert, Rhine Pollution, S. 24) u n d 30 0001 (Umweltschutz. Sofortprogramm der Bundesregierung, S. 46). 12 So Lambert, Rhine Pollution, S. 24. Duda, Verunreinigung des Rheins, S. 14, stellt fest, daß die an der deutsch-niederländischen Grenze v o m Rhein mitgeführte Salzfracht sogar zu 4 8 % aus der elsässischen K a l i - I n d u s t r i e stammt. Die zur Verminderung der Salzbelastung des Rheins projektierten Aufhaldungen der Rückstände (siehe hierzu u n t e n 2. T., 2. Kap. Β nach A n m . 472) stoßen i m Hinblick auf die französischerseits favorisierte Standortwahl i n unmittelbarer Nähe der deutschen Grenze auf erheblichen Widerstand seitens der Bundesrepublik: I n Deutschland wendet man sich m i t Nachdruck gegen die W a h l der Rheininsel Fessenheim u n d ähnlich gelegener Standorte (vgl. hierzu: BT-StenBer. 7/118. Sitzung, S. 7905 D), w e i l aufgrund geologischer Gutachten befürchtet w i r d , daß die Grundwasservorkommen auf den gegenüberliegenden deutschen Uferabschnitten, die schon heute erste Anzeichen einer Versalzung zeigen, beeinträchtigt werden (siehe Grawe, Probleme des Umweltschutzes i m Deutsch-Französischen Grenzgebiet, 1973, maschinengeschrieben, S. 13). 13 Lambert, Rhine Pollution, S. 25.
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I. 2. Kap.: Einzelfälle grenzüberschreitender Umweltstörungen
Wenn auch die ungeheuren Wassermengen, die der Rhein über Hunderte von Kilometern mit sich führt, für eine große Selbstreinigungsfähigkeit dieses Stromes sorgen, so ist doch ein natürlicher Abbau aller zugeführten Schmutz- und Schadstoffe nicht möglich. So passieren jährlich etwa 24 Millionen t Schmutz- und Giftstoffe die deutsch-niederländische Grenze 14 . Darunter befinden sich täglich etwa 3 t Arsen und 450 kg Quecksilber. Bei Emmerich transportiert der Rhein täglich i m Durchschnitt 6 900 Kubikmeter absetzbare Stoffe, mehr als 30 000 t Kochsalzionen, über 16 000 t Sulfate, über 2 200 t Nitrate und über 100 t Phosphate über die Grenze 15 . Experten haben über 6 000 giftige Stoffe gezählt, darunter Titan, Chrom, Kobalt, Nickel, Kupfer, Zink, Arsen, Barium, Quecksilber und Blei 1 6 . 2 640 t organischer Stoffe wie öle, Detergentien spült der Strom alltäglich i n die Niederlande 17 . Somit sind die Niederlande, i n ständig steigendem Maße auf das Wasser des Rheins angewiesen 18 , von der Verseuchung des Flusses besonders hart betroffen. Schon heute ist die Versorgung der westlichen Landesteile mit T r i n k wasser und landwirtschaftlichem Brauchwasser zu jeweils 60 °/o von den Wassern des Rheins abhängig 19 . Für die wachsenden Schwierigkeiten dieser Versorgung machen die holländischen Behörden vor allem die Industrien und Bergwerke Deutschlands, Frankreichs und der Schweiz verantwortlich 2 0 . Bereits i m Jahre 1954 machten die Niederlande auf einen zu hohen Salzgehalt des Rheins aufmerksam. Seitdem hat sich der Grad der Salzverschmutzung, der insbesondere auf die umfangreichen Salzeinleitungen elsässischer u n d lothringischer K a l i b e r g w e r k e 2 1 , aber auch deutscher K o h l e n g r u b e n 2 2 zurückzuführen ist, ständig erhöht 2 3 . Die Chloridkonzentration am K o n t r o l l 14 U m diese Menge auf der Schiene zum Meer zu transportieren, müßten — so hat man errechnet — täglich 3000 Güterwagen beladen werden, so Lambert, Rhine Pollution, S. 26. 15 Olschowy, Bilanz der Wasserverschmutzung, S. 25 ; insb. was die Salzfracht anbetrifft, werden teilweise noch höhere Zahlen genannt, vgl. u. a. Lambert, Rhine Pollution, S. 24; Der Spiegel Nr. 38/1970, S. 199. 19 Der Spiegel Nr. 38/1970, S. 199. 17 Ebd. 18 Der Süßwasserbedarf der Niederlande, der etwa 1,5 M i l l i a r d e n m 3 / J a h r beträgt, w i r d zu etwa einem D r i t t e l durch Oberflächenwasser gedeckt; davon wiederum stammen 65 Vo aus dem Rhein (Pressekommunique 24/74 der Europäischen Investitionsbank). 19 Vgl. Wassermann, S. 601. So ist z. B. die Trinkwasserversorgung der Städte Amsterdam u n d Den Haag auf das aus Uferfiltraten aufbereitete Rheinwasser angewiesen (Grawe, Probleme, S. 11). 20 Le Monde, 4. M a i 1972, S. 4; R G D I P 76 I (1972), S. 478. 21 Siehe hierzu Wassermann, A n t i Pollution Measures, S. 600. 22 Vgl. Lambert, Rhine Pollution, S. 26; Wolfrom, L a Pollution des Eaux du Rhin, A F D I 1964, S. 737 ff. (747). 23 Diese Entwicklung k o m m t auch i n folgenden Zahlen zum Ausdruck: I m Jahre 1953 schleppte der Rhein 200 k g Salz pro Sekunde über die deutschniederländische Grenze, 1960 waren es bereits 264 kg/sec, 1966 343,7 kg/sec
Α. Gewässerverunreinigungen
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p u n k t Emmerich/Lobith betrug i m Jahre 1965 124,9 m g / 1 2 4 ; während der Niedrigwasserperiode des Herbstes 1971 erreichte sie einen Wert v o n 350 mg/1 2 5 . Die Obergrenze des zulässigen Gehalts soll jedoch bei 250 mg/1 liegen 2 «. Schon bei einem Chloridgehalt des Gießwassers von 300 mg/1 treten beim Gemüseanbau Ernteverluste v o n 1 5 % e i n 2 7 . Die Versalzung des Rheins w i r k t sich damit f ü r die zahlreichen holländischen Intensivgemüsekulturen besonders nachteilig aus. Giftiges, verseuchtes oder salzreiches Wasser ist auch zur V i e h tränke unbrauchbar. Durch die Aufnahme von eisensulfidhaltigem Schlamm sind bereits Viehverluste eingetreten 2 8 . Auch i m Hafen von Rotterdam haben die zerstörerisch w i r k e n d e n Salze schon zu alarmierenden Schäden geführt 2 9 . B e s o r g n i s e r r e g e n d h a t sich auch d e r S a u e r s t o f f h a u s h a l t des R h e i n s i n H ö h e der d e u t s c h - n i e d e r l ä n d i s c h e n Grenze e n t w i c k e l t . W ä h r e n d 1968 i m J a h r e s m i t t e l der S a u e r s t o f f g e h a l t i n S t e i n a m R h e i n b e i 10,2 mg/1 u n d der biochemische S a u e r s t o f f b e d a r f (BSB5) 3 0 b e i 2,1 m g / 1 lagen, b e t r u g der S a u e r s t o f f g e h a l t i n E m m e r i c h ebenfalls i m J a h r e s m i t t e l n u r noch 5,9 mg/1, — z u m V e r g l e i c h : F o r e l l e n b e n ö t i g e n e i n e n S a u e r s t o f f g e h a l t v o n m i n d e s t e n s 7 m g / 1 — , d e r biochemische S a u e r s t o f f b e d a r f bereits 7,4 mg/1 3 1 . Diese M e s s u n g w u r d e i m g ü n s t i g e n , niederschlagsreichen J a h r 1968 d u r c h g e f ü h r t , i n r e g e n ä r m e r e n J a h r e n sehen die entsprechend e n W e r t e jedoch b e d e u t e n d u n g ü n s t i g e r aus u n d n ä h e r n sich k a u m m e h r t r a g b a r e n W e r t e n 3 2 . B e i e i n e r B e t r a c h t u n g der j ä h r l i c h e n S a u e r u n d 1970 sogar 365 kg/sec. Wassermann, A n t i Pollution Measures, S. 601 ; vgl. auch Tätigkeitsbericht 1966 der Internationalen Kommission zum Schutze des Rheins gegen Verunreinigung, S. 5. Niederländischen Experten zufolge sollte die Zuflußmenge keinesfalls 225 kg/sec überschreiten, siehe Wassermann, S. 600. 24 Tätigkeitsbericht der Internationalen Rheinkommission, 1966, S. 5. 25 Tätigkeitsbericht 1971 der Internationalen Kommission zum Schutze des Rheins gegen Verunreinigung, S. 13. 26 Dieser W e r t entspricht einem international geplanten Normalstandard, wie er i n A n n e x I der zukünftigen Europäischen Gewässerschutzkonvention (siehe hierzu unten 2. T., 2. Kap. Β nach A n m . 323) enthalten sein w i r d . 27 Europäisches Parlament, Dok. 161/1970, S. 6. 28 Ebd. 29 Siehe Le Monde, 4. M a i 1972, S. 4. 30 BSB5 ist eine Maßeinheit, welche die Menge Sauerstoff i n mg/1 bezeichnet, die die Bakterien benötigen, u m die organische Substanz i n 5 Tagen bei 20° C zu zersetzen (Herder-Lexikon. U m w e l t , Stichwort „Biochemischer Sauerstoffbedarf"). 31 Zahlen entnommen: Olschowy, Bilanz der Wasserverschmutzung, S. 24. Wie es zu einem solchen A b b a u des Sauerstoffgehaltes bei gleichzeitiger Steigerung des Sauerstoffbedarfs kommen kann, wurde bereits oben 1. Kap. bei A n m . 16 beschrieben. Dieser Prozeß w i r d beschleunigt durch einen den Sauerstoffaustausch behindernden Ölfilm an der Wasseroberfläche, der zu großem T e i l auf Einleitungen der 18 000 Einheiten (v. Münch, Umweltschutz i m V ö l k e r recht, S. 400) starken Fracht- u n d Fahrgastflotte dieses verkehrsreichsten Stromes der Erde zurückzuführen ist. 32 Als Grenzwerte f ü r ein noch gerade als biologisch gesund zu bezeichnendes Gewässer werden häufig angegeben: Sauerstoff gehalt mindestens 4 mg/1 u n d Sauerstoffverbrauch (BSB 5 ) höchstens 20 mg/1 (Siehe Müller-Neuhaus, Welcher Gewässerzustand...?, S. 46; Rincke, S. 47). Nach dem international
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I. 2. Kap.: Einzelfälle grenzüberschreitender Umweltstörungen
stoffminima 3 3 , wie sie bei Emmerich/Lobith gemessen wurden, w i r d erkennbar, daß der untere Grenzwert von 4 mg Sauerstoff pro Liter bereits seit dem Jahre 1957 alljährlich teilweise ganz erheblich unterboten wird. Aufgrund der ungünstigen Sauerstoffverhältnisse werden die weitere Belastbarkeit und die Nutzungsmöglichkeiten durch die Niederlande stark eingeschränkt. Eine Mitursache für das Sinken des Sauerstoffgehalts i m Rhein liegt i n der wachsenden thermischen Verunreinigung dieses Stromes. Bereits vor fünf Jahren ergossen sich alltäglich 1,3 M i l l i o n e n Tonnen erw ä r m t e n Wassers i n den Rhein» 4 . Der verstärkte B a u von konventionellen u n d vor allem nuklearen K r a f t w e r k e n beiderseits der Ufer des Rheins u n d seiner Nebenflüsse w i r d diese Belastung noch vervielfachen. Durch den Bau u n d die Planung solch starker Kühlwasserverbraucher ist die Nutzung der K ü h l k a p a zität des Rheins i m m e r mehr i n den B l i c k w i n k e l internationaler Betrachtung gerückt. Die Schweiz würde bei dem Ausbau ihrer Kernenergieanlagen, so w i e sie noch Anfang der siebziger Jahre geplant w a r e n 3 5 , etwa 80°/o der gesamten Kühlkapazität des Hochrheins zwischen Bodensee u n d Basel i n A n spruch nehmen u n d somit auf deutscher Seite die Nutzungsmöglichkeiten zu Kühlzwecken erheblich beschränken 3 6 ; überdies haben Berechnungen ergeben, daß von den zum Beispiel bei Schaffhausen eingeleiteten Wärmemengen an der M ü n d u n g des Rheins noch 18 °/o i m Rheinwasser vorhanden w ä r e n 3 7 . Aber nicht n u r die Schweiz, sondern auch Frankreich u n d Deutschland t r a gen zur Wärmebelastung des Rheins bei u n d werden diese Belastung i n den kommenden Jahren vor allem durch den B a u von leistungsstarken A t o m k r a f t w e r k e n ganz erheblich steigern. So w i r d nach den Angaben der deutschen Bundesregierung das französische K e r n k r a f t w e r k Fessenheim, f ü r das bisher noch keine K ü h l t ü r m e vorgesehen sind, die Kühlkapazität des Rheins so stark i n Anspruch nehmen, daß dadurch deutsche Interessen, insbesondere i m H i n blick auf die i m R a u m Wyhl/Mannheim/Biblis entstehenden oder geplanten Großkraftwerke beeinträchtigt werden k ö n n e n 3 8 . Die i n der Bundesrepublik Deutschland installierte Elektrizitätsleistung, die Ende 1970 r u n d 51 000 Megaw a t t (MW) betrug, w i r d auf ca. 100 000 M W i m Jahre 1980 u n d auf schätzungsweise 350 000 bis 400 000 M W zum Jahrhundertwechsel ansteigen 3 9 . E i n Großgeplanten Normalstandard (siehe oben Fußn. 26) liegt der Grenzwert f ü r den B S B 5 sogar bei 8 mg/1. 33 Siehe Materialien zum U m w e l t p r o g r a m m der Bundesregierung 1971, Abb. S. 171. 34 Siehe Umweltschutz. Sofortprogramm der Bundesregierung, S. 46. 35 Vgl. hierzu Übersichtskarte i n : regio gazette 2 ( A p r i l 1972), S. 4 - 5. 36 Vgl. hierzu Fischerhof, Belastbarkeit, S. 103. Dieser Prozentsatz verringert sich jedoch erheblich bei Verwendung von Rücklauf k ü h l türmen. 37 Olschowy, Bilanz der Wasserverschmutzung, S. 25. Lambert, Rhine Pollution, S. 25, spricht davon, daß das so erwähnte Rheinwasser selbst bei Durchlaufen des gesamten Stromes bis zur Rheinmündung n u r 7 0 % der künstlich zugeführten Wärme verlöre. 38 Badische Zeitung v o m 7. Febr. 1972, zit. i n : regio gazette 2 ( A p r i l 1972), S. 51. Den Stand der Planung f ü r die Errichtung von K e r n k r a f t w e r k e n i n der BRD, vgl. Koenig, Belastung, S. 52, u n d regio gazette 2 ( A p r i l 1972), S. 4 - 5. 39 Materialien zum U m w e l t p r o g r a m m der Bundesregierung 1971, S. 130; B T Drucks. 6/3052, S. 2.
Α. Gewässerverunreinigungen
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teil dieser Steigerungsraten soll i m Einzugsgebiet des Rheins produziert werden 4 0 . Da jedoch die ökologisch vertretbare Erwärmung der Flüsse u m 3° C (in Ausnahmefällen 5° C ) 4 1 entlang der Ströme Rhein, Donau, Weser, Elbe und I n n insgesamt nur noch die Installation von 35 000 M W erlaubt 4 2 , w i r d offensichtlich, daß auch unter diesem Aspekt die Bundesrepublik i n großem Maße zur ökologischen Herausforderung des Rheins beiträgt und weiterhin beitragen wird. Leidtragende dieser Entwicklung sind nicht nur die Bundesrepublik Deutschland selbst, sondern auch die Mitanliegerstaaten Frankreich und insbesondere die Niederlande. Neben der thermischen V e r u n r e i n i g u n g b i e t e t auch die r a d i o a k t i v e B e d r o h u n g , die sich b e i m B e t r i e b v o n K e r n k r a f t w e r k e n n i c h t m i t h u n dertprozentiger Sicherheit ausschließen l ä ß t 4 3 , A n s a t z p u n k t e f ü r z w i schenstaatliche K o n f l i k t e u n t e r den Rheinanliegerstaaten. So h a t das schweizerische P r o j e k t z u r E r r i c h t u n g eines A t o m k r a f t w e r k e s i n R ü t h i a m O b e r l a u f des Rheins i m österreichischen B u n d e s l a n d V o r a r l b e r g heftige K r i t i k hervorgerufen. Gleiches g i l t f ü r den g e p l a n t e n B a u v o n K e r n k r a f t w e r k e n auf der französischen w i e auf der deutschen Seite des Oberrheins zwischen Basel u n d K a r l s r u h e . Neben der V e r s c h m u t z u n g des Rheins als bedeutendstem FließgeWässer Europas bereitet auch die E u t r o p h i e r u n g u n d V e r u n r e i n i g u n g der beiden größten mitteleuropäischen Seen, des Bodensees u n d des Genfer Sees, den j e w e i l i g e n A n l i e g e r s t a a t e n erhebliches Kopfzerbrechen. Schon A n f a n g der sechziger J a h r e 4 4 w u r d e festgestellt, daß b e i w e i t e r fortschreitender V e r u n r e i n i g u n g der Bodensee i n absehbarer Z e i t seine B e d e u t u n g als w i c h t i g s t e T r i n k w a s s e r q u e l l e der angrenzenden Region e n 4 5 u n d als Erholungsgebiet v e r l i e r e n müsse. F ü r die wachsende V e r 40 A m Rhein sollen bis zum Jahre 2000 rund 70 bis 100 Kraftwerke mit Leistungen von jeweils 250 bis 600 M W entstehen (Mannheimer Morgen vom 19. März 1971, zit. i n : regio gazette 2 [ A p r i l 1972], S. 28). 41 Nach der Meinung von Biologen und Wasserfachleuten soll die Gesamtheit des eingeleiteten Kühlwassers aus ökologischen Gesichtspunkten das Flußsystem an keiner Stelle über diese Werte hinaus erwärmen, wobei die m a x i male Flußtemperatur 28° (20° C bei Forellengewässern) nicht überschreiten soll. Siehe Materialien zum Umweltprogramm der Bundesregierung 1971, S. 130; Giebel, Auswirkungen, S. 126; Lillinger, Wärmekraftwerke, S. 82; Moll, Umweltschutz I, S. 151; BT-Drucks. 6/3052, S. 3. 42 So Giebel, Auswirkungen, S. 126 (diese Zahl dürfte sich jedoch nur auf den Fall beziehen, daß die entstehende Abwärme i n vollem Umfang i n die Flüsse eingeleitet wird). 43 Wenn auch eine Umweltgefährdung durch Radioaktivität beim Normalbetrieb von Kernkraftwerken nach heutiger Erkenntnis ausgeschlossen sein mag (so zu dieser umstrittenen Frage das baden-württembergische Minister i u m für Wirtschaft, Mittelstand und Verkehr, Landtags-Drucks. Baden-Württemberg 6/3634 vom 2. Nov. 1973, S. 4; zweifelnd u.a. Novick, Katastrophe, S. 113; Ehrlich-Ehrlich, Bevölkerungswachstum, S. 183 f.), so läßt sich jedoch die Unfallgefahr nicht vollständig ausschließen. (Über bereits eingetretene Unglücksfälle und ihre Folgen siehe u. a. Novick, Katastrophe, S. 9 ff.) 44 Vgl. u. a. Gieseke, Neue Verträge der Bundesrepublik Deutschland und der deutschen Länder über internationale Gewässer, DöV 1961, S. 658 ff. (661).
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I. 2. Kap.: Einzelfälle grenzüberschreitender Umweltstörungen
unreinigung sind die Zuflüsse aus allen Anliegerstaaten verantwortlich; besonders betroffen von der eingeleiteten Abwasserflut sind der gesamte Untersee und der Ostteil des Sees, wo vor allem Schüssen und Argen deutscherseits, Bregenzer Ache und Dornbirner Ach von österreichischer Seite sowie Rheinkanal und Alter Rhein schweizerseits die größten Verschmutzer sind 4 6 . Schon vor über 15 Jahren sorgte folgender Zwischenfall f ü r nachbarschaftlichen Konfliktstoff: Aus der Tankanlage eines österreichischen Industriebetriebes ergossen sich etwa 60 Tonnen schweren Heizöls i n einen Bodenseezufluß u n d von dort weiter i n den See. Die Folgen waren unter anderem: Bedrohung des Lebens von Fischen u n d Vögeln u n d damit Schädigung der Fischerei- u n d Jagdrechte, Gefährdung der Trinkwasserversorgung deutscher Gemeinden, erhebliche Verschmutzung der Badestrände am deutschen U f e r 4 7 .
A u f dem Grund des Bodensees liegen gegenwärtig etwa 600 Tonnen ö l . Von den Vorarlberger Zuflüssen angeschwemmtes Treibgut verschmutzt häufig die deutschen Badeufer um Lindau. Derzeit sind Bevölkerung und Behörden auf der deutschen Seite des Sees über schweizerische Pläne beunruhigt, i m St. Galler Rheintal, etwa 30 k m oberhalb des Bodensees, ein Kernkraftwerk und eine Heizöl-Destillationsanlage zu errichten. Hiervon werden insbesondere negative Auswirkungen auf die Eignung des Bodenseewassers zur Trinkwasserversorgung befürchtet 48 . Das Ausmaß der Eutrophierung 4 0 des Bodensees — vor allem durch häusliche und landwirtschaftliche Abwässer bewirkt — w i r d an der Steigerung des Phosphatgehalts deutlich: Während vor dem Zweiten Weltkrieg keine Phosphate i m Bodenseewasser festgestellt wurden, betrug der Gehalt i m Jahre 1950 2 - 3 mg/m 3 , i m Jahre 1959 bereits 9 mg/m 8 und i m Jahre 1970 sogar über 40 mg/m 3 5 0 . Der Planktonwuchs hat sich seit 1920 verzehn- bis verdreißigfacht 51 , somit den Sauerstoffgehalt des Sees äußerst nachteilig beeinflußt 52 und bereits zum „Umkippen" von einzelnen flachen Seeteilen, insbesondere des Untersees, geführt. Der Gnadensee zwischen Allensbach und dem Schweizer Ufer gilt bereits als kaum mehr regenerationsfähig 53 . A u f die bedrohlichen Konsequenzen 45 Siehe Dintelmann, Verunreinigung, S. 6 m. w. N. — A l l e i n drei M i l l i o n e n Menschen des m i t t l e r e n Neckarraumes sind i n ihrer Frischwasserversorgung auf i h n angewiesen —, Olschowy, Bilanz der Wasserverschmutzung, S. 26. 46 Vgl. hierzu u n d zur Gewässergüte des Bodensees insgesamt: Materialien zum U m w e l t p r o g r a m m der Bundesregierung 1971, A b b i l d u n g nach S. 171. 47 Vgl. zu diesem F a l l Witzel, Schadensersatzpflicht von Ausländern wegen Verunreinigung von Grenzgewässern, Die Wasserwirtschaft 48 (1958), S. 81 f.
(81).
48 Vgl. hierzu Kleine Anfrage des Abg. M o r l o k i m baden-württembergischen Landtag, Landtags-Drucks. Bad.-Württ. 6/926. 49 Z u diesem Begriff vgl. oben 1. Kap. nach A n m . 12. 50 Siehe Olschowy, Bilanz der Wasserverschmutzung, S. 26. 51 Ebd. 52 Vgl. i m einzelnen hierzu oben 1. Kap. bei A n m . 16. 53 So Olschowy, Bilanz der Wasserverschmutzung, S. 26.
Α. Gewässerverunreinigungen
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dieser ungünstigen ökologischen Entwicklung f ü r die Anrainerstaaten muß nach den i m 1. K a p i t e l erfolgten Ausführungen w o h l nicht mehr i m einzelnen eingegangen werden 5 4 . Nicht weniger beunruhigend ist die ökologische Situation des Genfer Sees. Die zunehmende Verschmutzung erweckt die Sorge v o n Wissenschaftlern u n d Regierungen der beiden Anrainerstaaten Frankreich u n d Schweiz. Schon 1963 stellte der Schweizer Bundesrat eine generelle V e r schmutzung des Sees bis i n größere Tiefen fest 5 5 , die zu einem Badeverbot i n verschiedenen Uferbereichen führte 5 6 . Die Schuld an dieser E n t wicklung t r i f f t Schweizer wie Franzosen i n gleicher Weise. Nach offiziellen Schweizer Angaben wurden i m Jahre 1970 98,3% der Genfer, 53,7 % der Waadtländer und n u r 4,1 % der wallisischen Abwässer, die dem Genfer See zuflössen, i n Kläranlagen gereinigt 5 7 , u n d auf der französischen Seite w i r d erst 1975 m i t der Reinigung von etwa 7 5 % der eingeleiteten A b wässer zu rechnen sein 5 8 . Allerdings ist zu bedenken, daß das Schweizer Ufer m i t einer Bevölkerung von 600 000 Menschen w o h l mehr zur Gesamtverschmutzung des Sees beiträgt als das französische Ufer m i t n u r 75 000 E i n w o h nern59.
A u f g r u n d leichtfertiger Schmutzzuleitungen ist einer der schönsten Seen Europas i m Begriff, seinen Erholungswert zu verlieren. Der Sauerstoff gehalt seines Wassers sinkt i m m e r mehr: A l l e i n zwischen 1966 u n d 1968 hat der See 50 000 Tonnen Sauerstoff verloren 6 0 . Die Gefahr eines „Umkippens" des Genfer Sees rückt näher. Während i m Jahre 1936 sich die i m See befindliche Phosphormenge auf 150 Tonnen belief, so waren es 1957 bereits 1100 Tonnen; die Menge der Nitrate stieg i m gleichen Zeitraum von 7 000 Tonnen auf 23 000 Tonnen 6 1 . A l l j ä h r l i c h werden v o n neuem 300 bis 400 Tonnen die Eutrophierung fördernden Phosphors dem ohnehin belasteten Wasser zugeführt 6 2 . I m Jahre 1968 wurde selbst i n der M i t t e des Sees ein beängstigendes Anwachsen der Verunreinigung durch Mikroorganismen festgestellt: Innerhalb eines Jahres hatte sich das Ausmaß dieser A r t von Verschmutzung beinahe verdoppelt; die m i t menschlichen u n d tierischen Fäkalien eingeschwemmten Bakterien haben sich m i t t l e r w e i l e über das ganze Jahr hinweg i n sämtlichen Wasserschichten des Sees breitgemacht 6 3 . N u r gemeinsame Maßnahmen der Anliegerstaaten sind geeignet, das Leben dieses Sees zu retten. 54 55 56 57 58 59 60 81 62 63
Vgl. hierzu die Ausführungen oben 1. Kap. nach A n m . 17. Vgl. Pondaven, Les Lacs-Frontière, S. 358. Siehe Dintelmann, Verunreinigung, S. 6 m. w. N. Vgl. Pondaven, Les Lacs-Frontière, S. 362. Ebd. Zahlen siehe R G D I P 75 (1971), S. 234. R G D I P 75 (1971), S. 233. R G D I P 75 (1971), S. 233. R G D I P 76 I I (1972), S. 883. Vgl. R G D I P 75 (1971), S. 233.
4 Klein
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I. 2. Kap.: Einzelfälle grenzüberschreitender Umweltstörungen
Auch die Verschmutzung der Donau hat Ausmaße von internationaler Relevanz angenommen. Für zwischenstaatlichen Konfliktstoff sorgen vor allem die auf österreichischem Gebiet erfolgenden Einleitungen häuslicher und industrieller Abwässer, die dem Nachbarstaat Ungarn erhebliche Nachteile bereiten; Ungarn, dessen Wasserversorgung zu 96 % von Zuflüssen aus den Nachbarländern abhängig ist 0 4 , beklagt sich insbesondere über das Fehlen von Kläranlagen i n den Industrie- und Ballungszentren u m Linz und Wien 6 5 . Bewirkt durch die verstärkte Ansiedlung umweltfeindlicher Erdölraffinerien entlang der Donauufer sowie durch die Entdeckung bedeutender jugoslawischer, rumänischer und bulgarischer Erdölvorkommen i n der Nähe des Stromes, ist auch die Ölverschmutzung der Donau zu einem internationalen Problem geworden 66 . Der gemeinsam von Rumänien und Jugoslawien am Eisernen Tor errichtete Staudamm 6 7 ist ebenfalls geeignet, Proteste anderer Donauanliegerstaaten hervorzurufen, denn eine durch die Aufstauung bewirkte Abnahme der Strömungsgeschwindigkeit kann nachteilige Wirkungen auf die Selbstreinigungskraft des Flusses haben. Auch die Verunreinigungen einer Vielzahl kleinerer europäischer Gewässer, die durch Staatsgrenzen längs- oder quergeteilt sind, haben i n den vergangenen Jahren für das Entstehen vielfältiger internationaler Umweltprobleme gesorgt: Die französische Sodaindustrie leitet erhebliche Mengen von Salz i n die Mosel, die zusammen m i t eingeleiteten chemischen Schadstoffen i m deutschen und luxemburgischen Bereich dieses Flusses bereits mehrfach zu größeren Umweltschädigungen geführt haben 68 . Die Saar und ihre linksseitigen Zuflüsse Rossel, Bist und Nied befördern täglich eine enorme Schmutzfracht von französischem auf deutsches Gebiet. Besonders bemerkenswert ist hierbei die Verschmutzung der Rossel. Dieser kleine Nebenfluß trägt m i t seiner Einmündung i n die Saar bei Völklingen wesentlich zur Verunreinigung der Saar bei. Die ungeheuren Mengen Kohlenschlammes, die von der Rossel aus lothringischen Bergbaugebieten über die Grenze und anschließend i n die Saar transportiert werden, machen noch heute die Schiffahrt auf der unteren Saar unmöglich und stellen auch für die Moselschiffahrt eine ernsthafte Bedrohung dar. Wenn diese Schlammzufuhren i n den letzten Jahren 64 So Stein, The Potential of Regional Organizations i n Managing Man's Environment, i n : L a w , Institutions and the Global Environment, 1972, S. 253 ff. (269). 65 M i t der Inbetriebnahme solcher Anlagen ist nicht v o r 1980 zu rechnen, siehe Stein, ebd. 66 Vgl. Stainov, Les aspects juridiques de la lutte internationale contre la pollution du Danube, R G D I P 72 (1968), S. 97 ff. (112, Fußn. 20). 67 Hierzu Stein, Potential, S. 269. 68 Vgl. Dintelmann, Verunreinigung, S. 5 m. w. N.
Α . Gewässerverunreinigungen
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auch e r h e b l i c h nachgelassen h a b e n 6 9 , so n e h m e n die gelösten V e r u n r e i n i gungen v o n Jahr zu Jahr i n i m m e r bedrohlicherem Umfang zu70. I n besonders schnellem Maße stieg der Gehalt der Rossel an A m m o n i u m ; während nach einem international geplanten Normalstandard 7 1 der zulässige Grenzwert bei 2 m g A m m o n i u m (NH 4 ) pro L i t e r Wasser liegen soll, betrug der Ammoniumgehalt bei Messungen i m Dezember 1972 730 mg/1 7 2 . Das A m m o n i u m stammt zum geringeren T e i l aus Fäkalienabwässern; den weitaus größten Teil, etwa 7 0 % , steuern die chemischen Betriebe i m Bereich von Carling (Karlingen) b e i 7 3 . Der nach dem gleichen Standard vorgesehene höchstzulässige Sulfatgehalt von 150 mg/1 w u r d e m i t 1 800 mg/1 i m Dezember 1972 zwölffach, der zulässige Phenolgehalt (0,04 mg/1) i m selben Monat m i t 29 mg/1 mehr als siebenhundertfach überschritten 7 4 . Besorgniserregend ist auch der Chloridgehalt der Rossel, der zum Beispiel i m Oktober 1972 m i t 760 mg/1 75 den i m international geplanten Normalstandard 7 6 festgelegten Höchstwert von 250 mg/1 u m mehr als das Dreifache überstieg. Aber auch Saar (680 mg/1 ebenfalls i m Oktober 1972) 77 u n d Bist (720 mg/1 i m gleichen M o nat) führen an der saarländisch-lothringischen Grenze erhebliche Chloridmengen m i t sich. U n t e r den vielfältigen Beeinträchtigungen hat der Sauerstoffhaushalt der b e t r o f f e n e n Flüsse b e t r ä c h t l i c h g e l i t t e n . So l i e g t b e i m F l u ß ü b e r t r i t t a u f deutschem G e b i e t d e r biologische S a u e r s t o f f b e d a r f ( B S B 5 ) 7 8 i n d e r Rossel ständig, i n Saar u n d B i s t h ä u f i g ü b e r d e m ökologisch v e r t r e t b a r e n M a ß 7 9 . A l l diese besorgniserregenden A n g a b e n u n d Z a h l e n m a c h e n ersichtlich, w e l c h große B e d e u t u n g t r a n s n a t i o n a l e G e w ä s s e r v e r u n r e i n i g u n g e n i m s a a r l ä n d i s c h - l o t h r i n g i s c h e n G r e n z b e r e i c h e r l a n g t haben. 69 Während die Rossel i m Jahre 1965 beim Grenzübertritt noch täglich 1100 Tonnen Feststoffe (trocken) — das ergibt eine vielfache Menge Naßschlammes — m i t sich schleppte, waren es i m Jahre 1969 n u r noch 540 Tonnen u n d 1972 gar „nur"noch 92 Tonnen; Kurzdokumentation der saarländischen Landesregierung über grenzüberschreitende Probleme auf dem Gebiet des U m w e l t schutzes (Juli 1973, maschinengeschrieben). 70 Entsprach die gelöste Verunreinigung i m Jahre 1965 noch 390 000 EGW (Einwohnergleichwerte: Meßzahl f ü r Menge u n d Schmutzgehalt eines i n d u striellen oder gewerblichen Abwassers, abgeleitet aus dem Vergleich m i t den Normalwerten häuslicher Abwässer), waren es 1969 bereits 575 000 u n d 1972 sogar 830 000 EGW, Kurzdokumentation, ebd. 71 Siehe oben Fußn. 26. 72 Kurzdokumentation der saarländischen Landesregierung, siehe oben Fußn. 69. 73 Ebd. 74 Ebd. 75 Ebd. 76 Siehe oben Fußn. 26. 77 Die Chloride stammen größtenteils aus einem Soda produzierenden W e r k i n Saaralben, Kurzdokumentation der saarländischen Landesregierung, oben Fußn. 69. 78 Siehe oben Fußn. 30. 79 Als vertretbar werden Werte zwischen 8 u n d 20 mg/1 angegeben, siehe oben Fußn. 32. I m Dezember 1972 betrug der B S B 5 i n der Rossel 236 mg/1.
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I. 2. Kap.: Einzelfälle grenzüberschreitender Umweltstörungen
Das ursprünglich geplante, mittlerweile aber wieder aufgegebene niederländische Vorhaben, Abwassermengen i n der Größenordnung von 24 Mill. EGW (Einwohnergleichwerte) 80 ungereinigt i n die Emsmündung einzuleiten 81 , hat unter der deutschen Bevölkerung dieses Raumes große Beunruhigung hervorgerufen. Auch i m Bereich der Grenze zwischen den beiden deutschen Staaten ist es zu Gewässerverunreinigungen mit grenzüberschreitender Wirkung gekommen. So hat i m Februar 1974 eine auf dem Gebiet der DDR durch ein hochkonzentriertes G i f t 8 2 verursachte Wasserverseuchung der Leine dazu geführt, daß auf einer Strecke von 15-20 k m zwischen Friedland und Göttingen der gesamte A l t - und Jungfischbestand dieses Flusses vernichtet wurde 8 3 . Die DDR legte beim Westberliner Senat Protest gegen die „verstärkten Abwasserbelastungen des Teltow-Kanals i m Bereich von West-Berlin" ein, die den Sauerstoffgehalt dieses Gewässers nachteilig beeinflußten und am 15. Mai 1974 auf DDR-Gebiet i m Bereich der Schleuse Kleinmachnow zu einem umfangreichen Fischsterben geführt hätten 8 4 . Der Fluß Röden befördert beträchtliche Mengen A b wassers i n das deutsche Bundesgebiet. Ständiges Schlammtreiben, unerträglicher Geruch für die bundesdeutschen Anlieger und eine erhebliche Seuchengefahr für einen Teil des Coburger Landkreises zwangen die deutschen Behörden, auf Bundesgebiet ein Flußklärwerk zu errichten, das seit September 1974 die schädlichen DDR-Wässer reinigt 8 5 . Ein zwischen den beiden deutschen Staaten bestehendes Umweltproblem ersten Ranges ist i n der starken Versalzung der Werra zu sehen 8 5 a . Durch die thüringische Kaliindustrie i n den Fluß geleitete Höchstkonzentrationen an Chlorid sind wesentlicher Grund für die bis auf 2000 mg/1 ansteigende Versalzung der Weser bei Bremen, einer Stadt, die ihren Spitzenbedarf an Trinkwasser bis zu 20 % aus der Weser deckt. Die von der DDR betriebene Ausnutzung der Oberliegervorteile hat das biologische Leben i n der Werra nahezu zerstört. Auch die Elbe überschreitet i n mäßig bis stark verschmutztem Zustand die innerdeutsche Grenze, was zu erheblichen Problemen, vor allem i m Raum Hamburg, führt 8 6 . 80
Siehe oben Fußn. 70. Vgl. hierzu BT-Drucks. 6/3004. 82 Es handelte sich u m Galvanikabwässer aus einem W e r k bei Heiligenstadt. 83 Siehe Badische Zeitung v o m 13. Febr. 1974. 84 A D N - M e l d u n g v o m 17. 5.1974. 85 Siehe Südd. Zeitung v o m 23. 9.1974, S. 12. 85a Vgl. hierzu „Umweltgutachten 1974" des v o m Bundesminister des I n n e r n eingesetzten „Rates von Sachverständigen für Umweltfragen", BT-Drucks. 7/2802, S. 189. 81
86 Vgl. K a r t e i n : Umweltschutz. Sofortprogramm der Bundesregierung, S. 21. Siehe auch Kurzfassung des Umweltgutachtens 1974 des Rates von Sachverständigen für Umweltfragen, i n : U m w e l t b r i e f 5 v o m 12. 6.1974, S. 49.
Α. Gewässerverunreinigungen
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Auf DDR-Gebiet eingeleitete schwer abbaubare Substanzen und eine zunehmende Versalzung (bis zu 600 mg/1), die i n erster Linie auf die Abwässer mitteldeutscher Kali-Werke zurückzuführen ist, werfen ernste Probleme insbesondere für die Trinkwasserversorgung der ZweiMillionen-Stadt auf. Andererseits beklagt sich die DDR über die übermäßige V e r u n r e i n i g u n g der sächsischen Saale durch die Bundesrepublik.
Die Verschmutzung des bayerischen Chiemsees durch Zuleitungen von Abfällen aus der Tiroler Ache 8 7 sowie die Verunreinigung des Grenzflusses Salzach, vor allem durch die ungeklärten Abwässer des Salzburger Raumes und die Einleitungen der u m das bayerische Burghausen angesiedelten Chemie-Industrie, sorgen für nachbarschaftliche Probleme i m oberbayerisch-österreichischen Grenzraum. Probleme grenzübergreifender Wasserverschmutzung sind auch schon seit längerer Ziet i m hochindustrialisierten und dicht bevölkerten nordfranzösisch-belgischen Grenzgebiet 88 , ebenso wie i m Bereich der schweizerisch-oberitalienischen Grenzen existent 89 . Erwähnenswert ist schließlich die bis vor kurzem geübte schweizerische Praxis, die Anlagen verschiedener, an der Rhone gelegener Wasserkraftwerke alle fünf Jahre von angeschwemmtem Schmutz zu befreien, was auf französischem Gebiet zu teilweise erheblichen Beeinträchtigungen führt. So verursachte eine solche Reinigungsaktion, die i m J u l i 1965 zwischen Genf u n d Chancy (französisch-schweizerischer Grenzort 15 k m südwestlich von Genf) stattfand, auf französischem T e r r i t o r i u m Schäden großen Ausmaßes. Die bei der Leerung des Lac de Verbois i n die Rhóne geschwemmten Schmutzmassen haben einige Tage später flußabwärts gelegene französische T a l sperren derart verstopft, daß n u n auch diese zur Reinigung geleert werden mußten. Die infolge der Schweizer Operation abgeschwemmten Massen von einer M i l l i o n Tonnen fauligen Schlammes haben sich zum großen T e i l entlang des Unterlaufs der Rhóne abgesetzt u n d den französischen A n w o h n e r n schwere Schäden zugefügt. I n der Gegend u m Bellegarde ist der gesamte Fischbestand dieser Schlammlawine zum Opfer gefallen; die „Portes d u Rhone" w e i t h i n bekannte touristische Anziehungspunkte, sind von ekelerregendem, stinkendem Schlamm bedeckt worden. Sogar die Trinkwasserversorgung von L y o n ist beeinträchtigt w o r d e n 9 0 .
Ist es i n Europa hauptsächlich der Rhein, dessen Verschmutzung die meistdiskutierten internationalen Umweltprobleme m i t sich bringt, so ist es auf dem amerikanischen K o n t i n e n t das System der Großen
Seen,
dessen Verunreinigung die wohl bedeutendsten internationalen Ausmaße angenommen hat. 87 G r u n d der Verschmutzung dieses Zuflusses sind vor allem unsachgemäße Müllablagerungen an seinen Ufern. 88 Vgl. Dintelmann, Verunreinigung, S. 6 m. w. N. ; vgl. auch Conseil de l'Europe. Doc E X P / A i r (73) 2, S. 29. 89 Vgl. u. a. R G D I P 76 I (1972), S. 218. 00 Vgl. zu diesem V o r f a l l R G D I P 69 (1965), S. 1144 f.
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I. 2. Kap.: Einzelfälle grenzüberschreitender Umweltstörungen
Die Großen Seen stellen das größte zusammenhängende Süßwassersystem der Erde dar. I n i h m ist allein ein Viertel der gesamten Süßwasservorkommen der Erde — die polaren Eismassen ausgenommen — gespeichert 91 . Z w e i D r i t t e l dieser fast 250 000 Quadratkilometer großen Wasserfläche liegen i m Hoheitsgebiet der USA, ein D r i t t e l entfällt auf Kanada. Steigende Bevölkerungszahlen u n d ständige Verdichtung der bereits jetzt ungeheuren Industriekonzentration i m Gebiet u m diese Seen spiegeln die große Bedeutung dieser Hegion f ü r den nordamerikanische K o n t i n e n t w i d e r : I m Jahre 1966 bevölkerten 30 M i l l i o n e n Menschen diesen Raum; jeder dritte Kanadier sowie jeder achte U S - A m e r i k a n e r lebten i n den Ballungszentren u m Toronto, Hamilton, Port H u r o n u n d Windsor i n Kanada u n d D u l u t h , Milwaukee, Chicago, Detroit, Toledo, Cleveland, Erie, Buffalo u n d Rochester i n den U S A 9 2 ; f ü r das Jahr 2000 w i r d m i t einer Zunahme der Bevölkerung auf insgesamt 60 M i l l i o n e n Menschen gerechnet 9 3 . I n den u m die Seen gelegenen Industriezentren werden mehr als die Hälfte des kanadischen u n d über ein F ü n f t e l des U S - a m e r i kanischen Bruttosozialproduktes erzeugt; 50°/o der amerikanischen Stahlp r o d u k t i o n sowie ein Großteil der Automobilherstellung finden i m Raum u m die Großen Seen s t a t t 9 4 . Diese Z u s a m m e n b a l l u n g v o n B e v ö l k e r u n g u n d I n d u s t r i e h a t z u e i n e r s t ä n d i g e n V e r s c h l e c h t e r u n g d e r W a s s e r q u a l i t ä t der Seen g e f ü h r t ; g r e n z ü b e r s c h r e i t e n d e V e r s c h m u t z u n g e n h a b e n n i c h t n u r das Wasser d e r G r o ß e n Seen, s o n d e r n auch m e h r f a c h die a m e r i k a n i s c h - k a n a d i s c h e n B e z i e h u n g e n g e t r ü b t . Schon 1918 s t e l l t e d i e I n t e r n a t i o n a l J o i n t C o m m i s s i o n ( I J C ) 9 5 eine s t a r k e V e r s c h m u t z u n g der Grenzgewässer, v o r a l l e m aber des D e t r o i t R i v e r 9 6 u n d des N i a g a r a R i v e r 9 7 fest m i t d e r F o l g e r u n g , „ t h a t c o n d i t i o n s e x i s t w h i c h i m p e r i l t h e h e a l t h a n d w e l f a r e of t h e citizens of b o t h c o u n t r i e s " 9 8 . H e u t e ist das L e b e n a l l e r f ü n f Seen v o r a l l e m d u r c h die fortschreitende E u t r o p h i e r u n g ernsthaft bedroht. A m bedrohlichsten i s t d e r Z u s t a n d des Eriesees 9 9 , f ü r d e n das Schreckenswort v o m „ U m k i p p e n " d u r c h E u t r o p h i e r u n g z u m i n d e s t i n seinem w e s t l i c h e n T e i l b e r e i t s z u r W i r k l i c h k e i t g e w o r d e n i s t 1 0 0 . Dieser See, 8 0 m a l so groß w i e d e r Bodensee u n d noch v o r 25 J a h r e n als B a d e - u n d A n g l e r p a r a d i e s g e r ü h m t , i s t z u e i n e m t r ü b e n , t o t e n B i n n e n m e e r g e w o r d e n . D e r F i s c h f a n g sank 91 Vgl. Bilder, Controlling Great Lakes Pollution: A Study i n United StatesCanadian Environmental Cooperation, i n : L a w , Institutions and the Global Environment, 1972, S. 294 ff. (296). 92 Vgl. Bilder, ebd. Ders., Michigan L a w Review 70 (1971 - 72 I), S. 469 ff. (474). 93 Ebd. 94 Ebd. 95 Näheres zu dieser gemischten kanadisch-amerikanischen Kommission siehe unten 2. T., 2. Kap. C I nach A n m . 48. 96 Verbindungsfluß zwischen H u r o n - u n d Eriesee. 97 Verbindungsfluß zwischen Erie- u n d Ontariosee. 98 Z i t i e r t bei Stein, Potential, S. 270. 99 Auch die Eutrophierung des Ontariosees befindet sich i n einem besorgniserregenden Stadium; relativ günstiger sieht es i n den drei größeren der fünf Seen aus, vgl. Bilder, Michigan L a w Review, S. 475. 100 Siehe Spiegel Nr. 41/1970, S. 86; Bilder, Michigan L a w Review, S. 475.
Α. Gewässerverunreinigungen
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v o n 10 000 T o n n e n i m J a h r e 1920 a u f w e n i g e r als 4 T o n n e n i m J a h r e 1965 u n d fast a u f n u l l i n j ü n g s t e r Z e i t 1 0 1 . N e b e n d e n Fischen s i n d auch eine V i e l z a h l a n d e r e r W a s s e r t i e r e der e n o r m e n V e r s c h m u t z u n g z u m O p f e r g e f a l l e n 1 0 2 . D i e F r e m d e n v e r k e h r s i n d u s t r i e a u f b e i d e n S e i t e n des Sees h a t e m p f i n d l i c h e Rückschläge z u verzeichnen. A l s w i c h t i g s t e Q u e l l e n d e r V e r s c h m u t z u n g s i n d die E i n l e i t u n g e n v i e l f a c h u n g e r e i n i g t e r h ä u s licher u n d industrieller Abwässer 103, landwirtschaftlicher Ablaufwässer, S e d i m e n t b i l d u n g e n u n d S c h m u t z e i n l e i t u n g e n aus H a n d e l s - u n d V e r g n ü gungsschiffen a n z u s e h e n 1 0 4 . Wenn auch Kanadier w i e Amerikaner zur Verunreinigung der Großen Seen — hier insbesondere des Eriesees — beitragen, so dürfte wegen der stärkeren Zusammenballung von Bevölkerung u n d Industrie doch die amerikanische Seite die Hauptschuld an dieser ungünstigen E n t w i c k l u n g t r a g e n 1 0 5 . Bedeutendste Ursache der Eutrophierung ist die Anreicherung des Seewassers m i t Nitraten u n d Phosphaten. E i n großer T e i l der Nitrate, die als Düngemittel über die etwa 80 000 Quadratkilometer a m Eriesee gelegenen Farmlandes verteilt werden, gelangt m i t dem Schwemmwasser i n den See; täglich fließen etwa 9 Tonnen Phosphate, mehr als ein D r i t t e l hiervon allein aus dem Raum Detroit, i n den Eriesee 1 0 6 , was vor allem einen enormen Algenwuchs v e r ursacht 1 0 7 . Als Folge der Eutrophierung ist ein empfindliches Absinken des Sauerstoffgehaltes des Wassers — teilweise auf Werte unter 3 mg/1 — zu verzeichnen, eine Entwicklung, die durch wachsende Erwärmung, verursacht durch Kühlwassereinleitungen, u n d durch die zunehmende Ölverschmutzung des Sees, die den Sauerstoffaustausch b e h i n d e r t 1 0 8 , noch verstärkt w i r d . Den Sauerstofftod des Eriesees rückgängig zu machen, würde bei Verhinderung jeglicher weiterer Verschmutzung nach den Berechnungen amerikanischer Wissenschaftler fünfzig bis hundert Jahre d a u e r n 1 0 9 . Neben der E u t r o p h i e r u n g u n d i h r e n Folgeerscheinungen bereiten v o r a l l e m d i e V e r u n r e i n i g u n g des Eriesees d u r c h organische u n d t o x i s c h e 1 1 0 Substanzen s o w i e d u r c h A b l a g e r u n g e n u n d A n s a m m l u n g e n v o n Feststoff e n große Sorgen. W e n n auch die V e r s c h m u t z u n g des Eriesees w e g e n i h r e s ü b e r a u s f o r t geschrittenen S t a d i u m s besonders h e r v o r g e h o b e n w o r d e n ist, so ist doch 101 Der Spiegel Nr. 41/1970, S. 86; vgl. hierzu i m einzelnen Beeton, Eutrophication, S. 241. 102 Vgl. Ehrlich-Ehrlich, Bevölkerungswachstum, S. 249. 103 v g l hierzu i m einzelnen Ehrlich-Ehrlich, ebd. 104 So Bilder, Michigan L a w Review, S. 475. Die Z a h l der Sportboote w i r d allein für Erie- u n d Ontariosee auf über 250 000 geschätzt, Bilder, ebd. 105 So auch Bilder, Michigan L a w Review, S. 476. 108 Vgl. Beeton, Eutrophication, S. 233. 107 E i n K i l o g r a m m Phosphat k a n n unter günstigen Bedingungen den Wuchs von 700 K i l o g r a m m Algen verursachen (Beeton, ebd.). 108 Siehe oben 1. Kap. nach A n m . 16. 109 Vgl. Der Spiegel, Nr. 41/1970, S. 87. 110 ζ. B. w u r d e n i m Jahre 1970 starke Quecksilberablagerungen i n Fischkörpern gefunden, siehe Bilder, Michigan L a w Review, S. 476; R G D I P 75 (1971), S. 810.
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I. 2. Kap.: Einzelfälle grenzüberschreitender Umweltstörungen
die Lage i n den übrigen Seen nur i n gradueller Hinsicht verschieden. Auch die vier anderen Seen haben unter starker Verunreinigung zu leiden 1 1 1 . Der Ernst der Gesamtsituation i n diesem Gebiet w i r d durch die Feststellung des kanadischen Außenministers Sharp verdeutlicht, „ t h a t pollution of the Great Lakes has reached the point where t w o of the richest societies on earth are k n o w i n g l y and w a n t o n l y poisoning this unique resource, and by extension, each o t h e r " 1 1 2 .
Die i m Zusammenhang m i t der Verschmutzung von Binnengewässern entstehenden amerikanisch-kanadischen Nachbarschaftsprobleme sind nicht auf den Bereich des Großen-Seen-Systems beschränkt; entlang der gesamten beiderseitigen Grenze gibt es fast kein internationales Gewässer, das unverschmutzt die Grenze des Nachbarstaates berührt oder überschreitet. Schon 1918 hieß es i n einem Bericht der International Joint Commission, der i m Anschluß an eine Untersuchung der Grenzgewässer abgefaßt worden war: "The situation along the frontier . . . is generally chaotic, everywhere perilous, and i n some cases disgraceful 1 1 3 ."
A n der Südgrenze der USA sind es Rio Grande und Rio Colorado, deren Verunreinigung insbesondere durch Salze aus nord amerikanischen Bewässerungssystemen mehrfach zu amerikanisch-mexikanischen Nachbarschaftskonflikten geführt hat. Hierbei stellen die aus den Bewässerungsanlagen der amerikanischen Wüstenstaaten Utah, Colorado und Arizona stammenden, stark salzhaltigen Wasserzuleitungen i n den Rio Colorado das größte Problem dar. Die über die Grenze angeschwemmten Salze verursachen zeitweise i n den landwirtschaftlichen Anbaugebieten des auf mexikanischem Territorium gelegenen Mexicali-Tales beträchtliche Schäden 114 . I n Südamerika ist die Nutzung der Wasser des Parana zu einem Streitgegenstand unter den La Plata-Staaten Argentinien, Brasilien, Paraguay geworden. Argentinien befürchtet, daß der Betrieb eines am Oberlauf des Flusses auf brasilianischem Gebiet errichteten Groß-Kraftwerkes (Leistung 4 600 M W ) 1 1 5 und die damit verbundene Stauung und Erwärmung des Parana u. a. zu negativen Auswirkungen auf die Wasserfauna und -flora führen und somit eine Schädigung argentinischer Interessen m i t sich bringen könnte 1 1 6 . Noch größere Schäden für seine Umwelt be111
Vgl. hierzu u. a. Beeton, Eutrophication, S. 234. Z i t a t siehe Bilder, Michigan L a w Review, S. 476. 113 Z i t a t siehe Welsh, International Joint Commission, S. 78. 114 Siehe R G D I P 69 (1965), S. 806; Wolfrom, L a Pollution, S. 758; US-Department of State, W o r l d Environment Quality. A Challenge to the International Community (Department of State Publication 8730), Oct. 1973, S. 25. Z u m Rio Grande siehe R G D I P 66 (1962), S. 775 f. 115 Z u m Vergleich: Das deutsche A t o m k r a f t w e r k Biblis hat eine Leistung von 1150 M W , siehe Koenig, Belastung, S. 52. 112
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Α. Gwässerverunreinigungen
fürchtet der Unterliegerstaat Argentinien jedoch von der Ausführung des gemeinsamen paraguayisch-brasilianischen Großprojekts, bei Itaipù am Parana ein Super-Kraftwerk m i t einer Leistung von 10 700 M W / Stunde zu errichten. Dieses Kraftwerk soll i m Jahre 1980 die Stromerzeugung aufnehmen und w i r d dann wahrscheinlich das größte der Welt sein 1 1 7 . I n Asien
ist die V e r s c h m u t z u n g des Kaspischen
Meeres
w o h l der a m
intensivsten diskutierte Fall grenzübergreifender Gewässerverunreinigung. Persische Behörden beklagen, daß sich dieser riesige Binnensee durch die auf sowjetischer Seite erfolgenden Einleitungen insbesondere von ö l und Industrieabwässern zu einer gigantischen Kloake entwickelt habe. 65 000 Tonnen ö l ergießen sich nach russischen Angaben alljährlich allein die Bucht von Baku 1 1 8 . Nach persischen Berechnungen fließen aus den küstennahen russischen Bohrstationen i m Kaspischen Meer jährlich 300 000 bis 400 000 Tonnen Erdöl i n die umliegenden Wasser des Kaspischen Meeres 119 . Dieses Öl treibt mit den vorherrschenden Wasserströmungen nach Süden und Südwesten und lagert sich letztendlich i n beträchtlichem Umfang auf iranischen Ufern ab. Die Strände des Kaspischen Meeres, die zu den beliebtesten Ferienzielen der persischen Bevölkerung gehören, werden damit i n immer stärkerem Maße für Erholungszwecke unbrauchbar 1 2 0 . Weit bedrohlicher, und zwar für Wasserflora und Wasserfauna, sind jedoch die in großen Mengen eingeleiteten Pestizide sowie häusliche und industrielle Abwässer. Die Industrien am sowjetischen Nordufer sowie entlang der Wolga, die allein für 83 °/o der Frischwasserzuflüsse des Kaspischen Meeres sorgt, leiten Ätzstoffe und toxische Substanzen i n das Wasser. Uber die Wolga w i r d die Hälfte der gesamten sowjetischen Industrieabwässer i n das Kaspische Meer transportiert 1 2 1 . Die UdSSR gestand ein, daß allein die Stadt Astrachan i m Jahre 1970 täglich über 90 Millionen Liter Abwässer ungereinigt i n das Kaspische Meer entließ. Starker Chlor- und übermäßiger DDTGehalt des Wassers beunruhigen die persischen Behörden 1 2 2 . Augenfälliges Ergebnis dieser Verschmutzung des Kaspischen Meeres ist der Ertragsrückgang bei Roggenstör von jährlich über 50 000 Tonnen i m 17. Jahrhundert auf weniger als 10 000 Tonnen i n den letzten Jahren 1 2 3 . 116 Vgl. v. d. Heydte, Der Parana-Fall: Probleme der gemeinsamen Nutzung der Wasserkraft eines internationalen Stroms, i n : Festschrift für Friedrich Berber, S. 207 ff. (213). 117 v. d. Heydte, Der Paranä-Fall, S. 215. 118 Siehe Bush, Umweltschutzprobleme, S. 10 m. w. N. 119 Siehe Housego, Iran-Russia action for cleaner Caspian, The Times v o m 29. Apr. 1971, S. 9; R G D I P 76 I (1972), S. 565. 120 Vgl. hierzu Housego, ebd. 121 Bush, Umweltschutzprobleme, S. 10. 122 R G D I P 761 (1972), S. 565. 123 Bush, Umweltschutzprobleme, S. 10.
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I. 2. Kap.: Einzelfälle grenzüberschreitender Umweltstörungen
Gleichzeitig hat sich der Ertrag an russischem wie an iranischem Kaviar deutlich verringert 1 2 4 . Aus den unterentwickelten Regionen Afrikas sind bisher noch keine konkreten Einzelfälle international bedeutender Gewässerverunreinigungen größeren Ausmaßes bekannt geworden. Dies darf jedoch nicht zu dem Schluß verleiten, daß derartige Probleme i n diesen Gebieten überhaupt nicht existierten. Vielmehr beginnen auch dort die Verunreinigungen der Umwelt, insbesondere der Gewässer, teilweise erheblicheren Umfang anzunehmen 125 , was auch von seiten afrikanischer Politiker durchaus zugestanden w i r d 1 2 6 . Die Hauptursachen dieser negativen Entwicklung liegen wohl i m überstürzten Aufbau umweltfeindlicher Industrien ohne Berücksichtigung ökologischer Erfordernisse 127 , i m verstärkten Gebrauch von hochgiftigen Pflanzenschutzmitteln, wie zum Beispiel DDT i n der Landwirtschaft, i m Fehlen von Kläranlagen für Abwässer jeder A r t sowie i m schnellen Ausbau leistungsstarker K r a f t werke an internationalen Strömen. Die Verunreinigung der internationalen Gewässer i m afrikanischen Raum ist jedoch i m Verhältnis zur Verschmutzung der europäischen und nordamerikanischen Gewässer immer noch als relativ bescheiden anzusehen, so daß auch die nachbarschaftlichen Probleme, soweit ersichtlich, noch keine größeren Ausmaße gewinnen konnten. B. Luftverunreinigungen und Lärmbeeinträchtigungen
Seit einigen Jahren beklagen sich Schweden und Norwegen über die zunehmende Verschmutzung großer Flächen ihrer Staatsgebiete durch Niederschläge sogenannten „schwarzen Schnees". Ungünstige klimatische Bedingungen 1 2 8 bewirken, daß aus den Ballungszentren Großbritanniens und des Ruhrgebietes stammende Verbrennungsrückstände von atmosphärischen Strömungen bis i n den skandinavischen Luftraum getragen werden 1 2 9 . Dort schlagen sich diese Rückstände zusammen mit Immissionen skandinavischer Provenienz, insbesondere i n Verbindung m i t Schnee- oder Regenfällen, auf dem Boden nieder. Die sichtbaren, die schwarze Färbung ausmachenden Ablagerungen von Rußpartikeln sind 124
Vgl. u. a. Der Spiegel Nr. 41/1970, S. 75. Vgl. Chédal, L a conservation de la nature en Afrique et le droit international de l'environnement (la convention d'Alger 1968 et la conférence de Stockholm 1972), Verfassung u n d Recht i n Übersee 1973, S. 153 ff. (154). 126 Siehe Warner, The A f r i c a n Environment — is i t i n danger?, A f r i k a / Engl. Ed. München 13 (1972) No. 1, S. 6 ff. (6) m. w. N. 127 Vgl. hierzu auch Blair, The Environmental Crisis i n the T h i r d World, Intereconomics 7 (1972), S. 50 ff. (50). 128 Es handelt sich hierbei insbes. u m atmosphärische Inversionen. 129 Vgl. Moxness, W o r l d Impact, S. 17; New Y o r k Times, v o m 11. Jan. 1970, S. 24; Voirier, L a coopération, S. 3. 125
Β . Luftverunreinigungen u n d Lärmbeeinträchtigungen
59
hierbei weitaus weniger gefährlich als die unsichtbaren, schwefelsäurehaltigen Niederschläge. Das bei der Verbrennung schwefelhaltiger, fossiler Brennstoffe wie Erdöl und Kohle entstehende Schwefeldioxid verbindet sich mit Regen oder Schnee zu aggressiver Schwefelsäure, die das ökologische Gleichgewicht i n den skandinavischen Ländern zu beeinträchtigen droht 1 3 0 . Besonders betroffen sind die skandinavischen Wälder und Seen: Nach einem für die Stockholmer Umweltkonferenz von schwedischen Wissenschaftlern erstellten Bericht w i r d i m Jahre 2000, falls bis dahin keine wesentlichen Maßnahmen zur Eindämmung der schwefelsäurehaltigen Niederschläge getroffen werden sollten, die Hälfte der schwedischen Seen „biologisch tot" sein und der Baumwuchs i n den Wäldern u m zwanzig Prozent zurückgehen 131 . Wenn auch die Fälle solch weitreichender Luftverunreinigungen immer zahlreicher werden, so liegt das Schwergewicht nachbarrechtlich relevanter Luftverschmutzungen dennoch i n den Regionen unmittelbar beiderseits gemeinsamer Staatsgrenzen. So haben vor allem i m amerikanisch-kanadischen Grenzbereich grenzüberschreitende Luftverunreinigungen schon seit langer Zeit für zwischenstaatlichen Konfliktstoff gesorgt. Bereits i m Jahre 1925 verursachte eine bei Trail i n der kanadischen Provinz British Columbia gelegene Zink- und Bleischmelze durch einen übermäßigen Ausstoß von Schwefeldioxid größere Schäden i m US-Staat Washington 1 3 2 . Vor allem i n den letzten Jahren häuften sich derartige Fälle zwischenstaatlicher Umweltbeeinträchtigungen 1 3 3 , was die Regierungen der USA und Kanadas gleichermaßen beunruhigte. I n gleichlautenden Briefen der beiden Regierungen an die International Joint Commission vom 23. September 1966 heißt es: "as a result of expanding industrial and other activities along the international boundary of the U n i t e d States and Canada, the Governments of both countries have been increasingly aware of the problem of air pollution affecting citizens and property interests on either side of the boundary. I n particular, governments have received representations t h a t citizens and property i n the vicinities of Detroit-Windsor and Port Huron-Sarnia are being subjected to detrimental quantities of air pollutants crossing the boundary134."
Auch i n Europa hat sich das Problem grenzüberschreitender Luftverunreinigungen zu einem bedeutenden Faktor zwischenstaatlicher Nachbarschaftsverhältnisse entwickelt 1 3 5 . 130 Vgl. Hassett, A i r Pollution: Possible international legal and organizational responses, New Y o r k University Journal of International L a w & Politics 5 (1972), S. 1 ff. (2). 131 Vgl. Moxness, W o r l d Impact, S. 17. 132 Vgl. u. a. Schneider, A r t i k e l „ T r a i l Smelter Fall", i n : Strupp-Schlochauer, Bd. I I I , S. 447. Zu der auf diesem Sachverhalt beruhenden bekannten T r a i l Smelter-Entscheidung siehe unten 2. T., 2. Kap. Β I I I 1 b (nach A n m . 798). 133 Vgl. i m einzelnen Rempe, International A i r P o l l u t i o n - U n i t e d States and Canada — A Joint Approach, Arizona L a w Review 10 (1968/69), S. 138 ff. (142). 134 Siehe A J I L 61 (1967), S. 112.
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I. 2. Kap.: Einzelfälle grenzüberschreitender Umweltstörungen
Als vor wenigen Jahren schweizerische Pläne bekannt wurden, i m St. Galler Rheintal bei Rüthi ein ö l k r a f t w e r k zu erstellen, stieß dies auf den heftigen Widerstand Liechtensteins und Österreichs, die befürchteten, daß der Betrieb der Anlage bei den vorherrschenden ungünstigen Windverhältnissen zu erheblichen Rauch- und Geruchsbelästigungen auf ihren Territorien führen würde. Nachdem diese Pläne zugunsten der Errichtung eines Kernkraftwerkes fallengelassen worden sind, befürchtet die Bevölkerung des österreichischen Bundeslandes Vorarlberg nun vom Betrieb dieses Kernkraftwerkes nachteilige Auswirkungen infolge der Abgabe radioaktiver Stoffe und durch den Einsatz von Kühltürmen. Auch der Bau einer Erdölraffinerie i m benachbarten Ort Sennwald beunruhigt die Bevölkerungen Liechtensteins und Vorarlbergs gleichermaßen; insbesondere werden vom Betrieb dieser Anlage negative Auswirkungen auf den Nadelholzwuchs erwartet. Die Bewohner der an der Aaremündung gelegenen schweizerischen Grenzgemeinden beklagen sich seit langer Zeit über Geruchsbelästigungen, die von der Mülldeponie der deutschen Stadt Waldshut ausgehen 136 , sowie über Staub- und Geruchs-Emissionen eines Waldshuter Industriebetriebes 137 . A m deutschen Ufer des Hochrheins ist man andererseits besorgt über schweizerische Pläne, auf dem Sisseler Feld (gegenüber der deutschen Gemeinde Obersäckingen) i n Kürze die größte Vitamin-CFabrik der Welt zu errichten 1 3 8 , deren hoher Energieverbrauch (geplanter stündlicher Ölverbrauch 17,5 Tonnen) weitreichende Luftverschmutzungen mit sich bringen würde. Bereits seit längerer Zeit leiden verschiedene deutsche Gemeinden jenseits des Rheins unter starken Geruchsbelästigungen, die durch die Befeuerung eines thermischen K r a f t werks der Hoffmannn-La Roche-Werke auf dem Sisseler Feld m i t stark schwefelhaltigem ö l verursacht wird. Die südbadische Stadt Waldshut erhob in einer Resolution vom 22. November 1971 schwerwiegende Bedenken gegen den Bau eines bei Leibstadt i m schweizerischen Kanton Aargau geplanten Atomkraftwerks: „Das geplante A t o m k r a f t w e r k liegt n u r 2 k m L u f t l i n i e von der Kreisstadt Waldshut entfernt. I m Umkreis von 5 k m leben auf deutscher Seite ca. 24 000 Menschen. I n n u r 8 k m Entfernung sind bereits auf Schweizer Hoheitsgebiet die Reaktoranlagen Würenlingen u n d die A t o m k r a f t w e r k e Beznau I u n d I I errichtet. Durch den Bau der zusätzlich geplanten A t o m k r a f t w e r k e L e i b 135 Noch i m Jahre 1969 schrieb Jordan, Recent Developments i n International Environmental Pollution Control, The M c G i l l L a w Journal 15 (1969), S. 279 ff. (284) : . . transboundary air pollution does not appear at this time as a significant issue outside North America 136 Siehe Conseil de l'Europe. Doc. E X P / A i r (73) 2, S. 54. 137 Es handelt sich u m die Lonza-Werke Waldshut, vgl. Conseil de l'Europe. Doc. Exp./Air (73) 2, S. 54. 138 Diese Fabrik soll i m Jahre 1978 die Produktion aufnehmen.
Β . Luftverunreinigungen u n d Lärmbeeinträchtigungen
61
stadt w i r d eine nicht mehr vertretbare Gefahr f ü r das deutsche Grenzgebiet heraufbeschworen. Diese ist nicht n u r i n möglichen Strahlungsschäden, sondern insbesondere auch i n der zu erwartenden Klimaveränderung, bedingt durch die geplanten ca. 150 m hohen Naßkühltürme, zu sehen 1 3 9 ."
I m Dreiländereck u m Basel häufen sich die Klagen über grenzüberschreitende Luftverschmutzungen. I n den Jahren 1972 und 1973 mußte zeitweise ein Teil der i n dieser Region erzeugten Trinkmilch vernichtet werden, weil er einen gefährlich hohen Anteil an Insektiziden aufwies, der vor allem auf die Emissionen eines i m elsässischen Hüningen gelegenen Chemieunternehmens zurückzuführen war. Der betroffene Milchviehbestand mußte notgeschlachtet werden. Auch i n der Muttermilch waren Schadstoffanteile festgestellt worden 1 4 0 . Die Fluorimmissionen eines Aluminiumwerkes i m badischen Rheinfelden verursachen i m schweizerischen Fricktal beträchtliche Schäden i n Land- und Forstwirtschaft 141 . Die badische Stadt Müllheim, die Kurorte Badenweiler, Bad Krozingen und Bad Bellingen sowie mehrere Weinbaugemeinden i m Markgräflerland sind über französische Pläne beunruhigt, i n der Nähe des elsässischen Ortes Ottmarsheim ein immissionsträchtiges Hüttenwerk zu errichten 1 4 2 . Eine ebenfalls i n Ottmarsheim gelegene Ammoniakfabrik emittierte zeitweilig größere Mengen von Ammoniakdämpfen, die sich aufgrund der vorherrschenden westlichen Luftströmungen großenteils auf deutschem Territorium niederschlugen. Die Einwohner von Bad Bellingen befürchten vom Betrieb einer i m elsässischen Hombourg geplanten Behandlungs- und Verbrennungsanlage für Sondermüll nachteilige ökologische Auswirkungen auch auf ihr Gemeindegebiet 143 . A u f der französischen Rheinseite ist zwischen Mühlhausen und Colmar die Errichtung eines riesigen Industriekomplexes m i t Ölindustrien, Petro-Chemie und Düngemittelindustrien konkret geplant. Wegen der Standortnähe dieses Industriekomplexes, der vorherrschenden Windströmungsverhältnisse und häufiger Luftinversionen i m Oberrheintal w i r d auf der deutschen Seite des Rheins mit erheblichen Umweltbeeinträch139
regio gazette 2 ( A p r i l 1972), S. 77. Vgl. Landtags-Drucks. Bad.-Württ. 6/3894 f ü r den deutschen Grenzraum; Conseil de l'Europe. Doc. E X P / A i r (73) 2, S. 54 f ü r den Bereich des Schweizer Kantons Basel-Stadt. Verursacher w a r die F i r m a U g i n e - K u h l m a n n i n H ü n i n gen, die einen zyklischen Kohlenwasserstoff herstellt, der unter dem Namen „ L i n d a n " als Insektizid eingesetzt w i r d . Dabei entstehen ähnliche V e r b i n d u n gen als Nebenprodukte, die zwar weniger wirksam, aber bei entsprechender Konzentration letztlich ebenfalls für Lebewesen giftig sind. Sie werden auf offenen Halden abgelagert. Der W i n d trieb P a r t i k e l dieser Halden über die Grenzen hinweg auf die Weideflächen deutscher u n d schweizerischer Bauern; das Gras wurde durch diesen gefährlichen Staub großenteils verseucht (so Grawe, Probleme, S. 26). 141 Vgl. Conseil de l'Europe. Doc. E X P / A i r (73) 2, S. 54. 142 Siehe Badische Zeitung v o m 2./3. März 1974, S. 27. 143 Siehe Grawe, Probleme, S. 25. 140
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I. 2. Kap.: Einzelfälle grenzüberschreitender Umweltstörungen
tigungen gerechnet 144 . Die noch Anfang 1975 vorgesehene Errichtung eines Bleiverarbeitungswerkes i m elsässischen Marckolsheim stieß auf den erbitterten Widerstand vor allem der badische Weinbauern. Bei Betrieb dieses Werkes wäre mit einem Ausstoß von jährlich etwa sieben Tonnen Bleioxid zu rechnen. Durch die hohe Ausstoßgeschwindigkeit des Kamins würde dieses Gift i n einem Umkreis von fünf bis 15 K i l o metern niedergehen, was eine Beeinträchtigung von bis zu 4000 Hektar Rebfläche des Kaiserstuhls bedeuten könnte. Allein für die Fünf-Kilometer-Zone errechnete der Weinbauverband einen auf die Bleiverseuchung zurückzuführenden möglichen Ertragsausfall von 15 Millionen Mark145. Vom Betrieb des französischen Kernkraftwerks Fessenheim am Oberrhein erwarten elsässische wie badische Bauern sowie die Fremdenverkehrsindustrie des südlichen Oberrheingebietes ungünstige Veränderungen des Kleinklimas. Entsprechendes gilt für die weiteren, i m unmittelbaren Grenzbereich teilweise bereits konkret geplanten Kernkraftwerke beiderseits des Hoch- und Oberrheins 146 . Ähnliche Befürchtungen hegt auch die saarländische Bevölkerung i m Moselgebiet, seit Pläne bekannt sind, auf der luxemburgischen Seite der Mosel ein Kernkraftwerk zu errichten. Bei den Protesten gegen die Errichtung von Atomkraftwerken spielt i n der Regel auch die Furcht vor dem sogenannten „größten angenommenen Unfall" (GaU), der zur Unbewohnbarkeit einer viele K i l o meter breiten Zone um den Reaktor führen kann, eine bedeutende Rolle. A u f eine Anfrage i m deutschen Bundestag zu dem geplanten Betrieb eines Kernkraftwerks i n L u b m i n (DDR) lautete die A n t w o r t der Bundesregierung: „Das einem K e r n k r a f t w e r k durch das radioaktive Spaltproduktinventar innewohnende Gefahrenpotential könnte bei einer massiven Freisetzung dieser Stoffe u n d bei ungünstigsten Wetterbedingungen selbst i n zweihundert K i l o m e t e r n Entfernung — das ist etwa der Abstand des K e r n k r a f t werks L u b m i n zum Bundesgebiet — noch A u s w i r k u n g e n h a b e n 1 4 7 . "
I m lothringisch-saarländischen Grenzbereich haben Luftverunreinigungen bereits zu einer Fülle nachbarschaftlicher Probleme geführt. Schon lange klagt die saarländische Gemeinde Kleinblittersdorf über starke Staub- und Geruchsbelästigungen, die von dem auf der gegen144
regio gazette 2 ( A p r i l 1972), S. 47. Die Zeit, Nr. 47 v o m 15.11.1974, S. 16. Das Projekt ist m i t t l e r w e i l e — vor allem nach starkem Druck aus der elsässischen Bevölkerung — von der französischen Regierung zumindest vorerst aufgegeben worden. 146 Das sind auf Schweizer Seite Leibstadt u n d Kaiseraugst, auf deutscher Seite das K e r n k r a f t w e r k W y h l . A u f längere Sicht sind daneben noch je ein bis zwei weitere deutsche u n d französische A t o m k r a f t w e r k e geplant (vgl. i m einzelnen Landtags-Drucks. Bad.-Württ. 6/7247, S. l f . ; Übersichtskarte i n : regio gazette 2 [ A p r i l 19721, S. 4 f.). Z u einem gleichgelagerten Problem i m bayrisch-tirolischen Grenzbereich siehe Südd. Zeitung vom 6. 9.1974, S. 18. 147 B T Sten. Ber. 7/68. Sitzung, Anlage 22, S. 4089. 145
Β . Luftverunreinigungen u n d Lärmbeeinträchtigungen
63
ü b e r l i e g e n d e n Saarseite b e t r i e b e n e n französischen K r a f t w e r k G r o s b l i e d e r s t r o f f ausgehen. Bereits v o r mehr als zehn Jahren geriet auf deutscher Seite ein ehemals renommierter u n d vielbesuchter Hotel- u n d Gaststättenbetrieb i n wirtschaftliche Bedrängnis, da wegen der genannten Immissionen der gewohnte Besucherstrom ausblieb 1 4 8 . Das K r a f t w e r k sorgte auch noch i n jüngster Zeit f ü r zeitweise übermäßige Staubniederschläge auf deutscher Seite. Die Ergebnisse von Staubniederschlagsmessungen i n Kleinblittersdorf erbrachten i m Jahre 1971/72 teilweise erhebliche Überschreitungen sowohl des nach der T A L u f t 1 4 9 zulässigen Monats- als auch des Jahresmittelwertes 1 5 0 . U n m i t t e l b a r d e m saarländischen W a l d g e b i e t W a r n d t benachbart, l i e g t a u f französischer Seite das I n d u s t r i e z e n t r u m C a r l i n g ( K a r l i n g e n ) . D i e E m i s s i o n e n d e r d o r t angesiedelten K r a f t w e r k e , K o k e r e i e n u n d p e t r o chemischen A n l a g e n v e r u r s a c h e n i n d e n saarländischen G r e n z g e m e i n d e n b e i u n g ü n s t i g e r W i n d r i c h t u n g erhebliche G e r u c h s b e l ä s t i g u n g e n sow i e schwere Wuchsschäden a n d e n N a d e l h ö l z e r n des W a r n d t s 1 5 1 . H a u p t g r u n d dieser g r e n z ü b e r s c h r e i t e n d e n U m w e l t s c h ä d i g u n g e n i s t d e r v o n d e n C a r l i n g e r W e r k e n ausgehende hohe S c h w e f e l d i o x i d g e h a l t der L u f t . W ä h r e n d d e r M e ß z e i t v o n M a i 1972 bis A p r i l 1973 w u r d e n d i e nach d e r T A - L u f t zulässigen G r e n z w e r t e f ü r S c h w e f e l d i o x i d - I m m i s s i o n e n b e i d e n m a ß g e b e n d e n W i n d r i c h t u n g e n (Süd-West) m e h r f a c h ü b e r s c h r i t t e n 1 5 2 . 148 Vgl. hierzu die Entscheidung des O L G Saarbrücken v o m 22. Okt. 1957 (Nr. 2 U 45/57) i n Sachen Poro gegen Houllières d u Bassin de Lorraine (NJW 11 [1958], S. 752). 149 Technische A n l e i t u n g zur Reinhaltung der L u f t , eine von der deutschen Bundesregierung i m Jahre 1964 nach § 16 GewO erlassene Verwaltungsvorschrift über genehmigungsbedürftige Anlagen. 150 Ziffer 2.42 der T A - L u f t gibt für Staubniederschläge folgende zulässige Immissionsgrenzwerte an: a) allgemein: — Jahresmittelwert (Mittelwert aus den 12 Monatsmittelwerten) 0,42 g/m 2 . Tag — Monatsmittelwert 0,65 g/m 2 . Tag b) i n industriellen Ballungsgebieten: — Jahresmittelwert 0,85 g/m 2 . Tag — Monatsmittelwert 1,3 g/m 2 . Tag. A n einer der neun Meßstellen w u r d e n ζ. B. der höchstzulässige Jahresmittelwert (0,42 g/m 2 . Tag) m i t 0,55 g/m 2 . Tag u n d der höchstzulässige Monatsmittelwert (0,65 g/m 2 ) m i t 0,96 g/m 2 . Tag deutlich überschritten. Die Meßergebnisse sind i m einzelnen i n einer Kurzdokumentation der saarländischen Landesregierung über grenzüberschreitende Probleme des Umweltschutzes enthalten (siehe oben Fußn. 69). 151 Vgl. Landtags-Drucks. Saarland 6/1287. 152 Nach Ziffer 2.434 der T A - L u f t gelten folgende Grenzwerte: 0,4 m g S 0 2 / m 3 L u f t als Langzeitwert u n d 0,75 m g S 0 2 / m 3 L u f t als Kurzzeitwert, der n u r einm a l eine halbe Stunde innerhalb einer Zeitspanne v o n zwei Stunden auftreten darf, jeweils gemessen als Halbstundenmittelwert. Bei den Messungen i m Warndt lagen 34 Halbstundenmittel über 0,40 m g S02/m 3 L u f t u n d hiervon wiederum 5 über 0,75 m g S02/m 3 L u f t . So w u r d e n am 4. Nov. 1972 jeweils halbstündig Konzentrationen von 1,03 u n d 0,77 m g S02/m 3 L u f t gemessen (siehe Landtags-Drucks. Saarland 6/1287, S. 2). Die gesamten Meßergebnisse sind i n der erwähnten Kurzdokumentation [siehe oben Fußn. 150] aufgeführt.
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I. 2. Kap.: Einzelfälle grenzüberschreitender Umweltstörungen
Auch Mülldeponien und -Verbrennungsanlagen bringen i m saarländisch-lothringischen Grenzbereich häufig grenzüberschreitende Umweltbeeinträchtigungen mit sich. So wurde zum Beispiel die saarländische Gemeinde Uberherrn durch Feststoff-(Staub-) und Geruchs-Immissionen, die bei der Müllverbrennung auf der Deponie des lothringischen Ortes Kreuzwald entstanden, stark belästigt. Lothringische Gemeinden beklagten sich wiederum über gleichartige Belästigungen, die von der M ü l l deponie der Stadt Saarbrücken i n Velsen ausgingen. Aus dem Bereich der osteuropäischen Staaten sind, abgesehen von der erheblichen ökologischen Beeinträchtigung tschechoslowakischen Territoriums durch polnische und ostdeutsche Großkraftwerke 1 5 3 , bedeutendere Fälle transnationaler Luftverunreinigung nicht bekannt. Z u grenzüberschreitender Luftverunreinigung außerhalb Europas und Nordamerikas war zuverlässiges Informationsmaterial nicht zu erhalten. Dies bedeutet jedoch keineswegs, daß diese Erscheinungsform der Umweltbeeinträchtigung auf den Bereich Europas und Nordamerikas beschränkt sei. Vielmehr machen zunehmende Verstädterung und Industrialisierung auch i n den wenigen entwickelten Regionen der Erde das Entstehen solcher Probleme unumgänglich. Diese Probleme nehmen sich vorerst aber i m Verhältnis zu den i n den dichtbesiedelten und hochindustrialisierten Räumen Europas und Nordamerikas bestehenden Gefahren noch relativ bescheiden aus. Lärmbeeinträchtigungen grenzüberschreitender Natur wurden bisher nur selten und fast ausschließlich i m Zusammenhang mit dem Luftverkehr i n Grenzbereichen bekannt. So stellte zum Beispiel das Tribunal de Grande Instance von Montbéliard i n einer Entscheidung aus dem Jahre 1965 154 fest, es sei nicht auszuschließen, daß ein auf französischem Territorium eingetretener Uberschallflugschaden durch eine jenseits der Grenze über schweizerischem Hoheitsgebiet fliegende Maschine verursacht worden sei 1 5 5 . Transnationale Schädigungen und Belästigungen werden i m Zeitalter des Düsen- und Uberschallflugverkehrs vor allem bei dem Betrieb grenznaher ziviler oder militärischer Flughäfen praktisch unvermeidlich. So bringt zum Beispiel die Lage des Flughafens Salzburg unmittelbar an der deutsch-österreichischen Staatsgrenze notwendigerweise akustische Belästigungen durch A n - und Abflug der Maschinen m i t sich, die bis weit i n deutsches Hoheitsgebiet hineinreichen 156 . ir>3 Rummel, L u t t e contre la pollution de l'air sur le p l a n international (maschinengeschrieben, Warschau, ohne Datum). 154 Dame B r u n veuve Ethevenard c. Agent judiciaire d u Trésor, U r t e i l v o m 14. Dez. 1965, A F D I 13 (1967), S. 858. 155 Ebd. 156 H i e r v o n besonders betroffen ist die Gemeinde Freilassing. Vgl. i n diesem Zusammenhang die Beschwerde der Stadt Freilassing gegen einen Bescheid
Β . Luftverunreinigungen u n d Lärmbeeinträchtigungen
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Ähnliche internationale Probleme haben sich auch bereits bei anderen Grenzflughäfen wie Basel-Mulhouse oder Genf-Cointrin eingestellt 1 5 7 .
der österreichischen Zivilluftfahrtbehörde, der eine Erweiterung des Salzburger Flughafens vorsah, besprochen bei: Schreuer, Zur verwaltungs- u n d v ö l kerrechtlichen Problematik des Salzburger Flughafenfalles, österreichische Juristenzeitung 26 (1971), S. 542 ff. 157 Einer der wenigen bekannt gewordenen Fälle grenzüberschreitender Lärmbeeinträchtigungen, die nicht auf den L u f t v e r k e h r zurückzuführen sind, beschäftigt seit langem die Bewohner der am Rhein gelegenen südbadischen Gemeinde Grenzach: Lärmintensive Nachtarbeiten eines Kohlenlagerunternehmens i n den schweizerischen Industrie-Rheinhäfen Birsfelden u n d A u bewirken seit dem Jahre 1954 erhebliche Störungen der Nachtruhe i m gegenüberliegenden deutschen Grenzgebiet, worunter vor allem alte u n d kranke Menschen zu leiden haben. 5 Klein
Drittes
Kapitel
Hindernisse einer völkerrechtlichen Regelung Nachdem die bisherigen Ausführungen i m Rahmen des beschreibenden Teils der Untersuchung gezeigt haben, daß die nachbarschaftlichen Probleme, die sich i m Zusammenhang m i t Umweltstörungen ergeben können, vor allem für die hochindustrialisierten und -technisierten sowie dichtbevölkerten Regionen Europas und Nordamerikas dringend einer völkerrechtlichen Regelung bedürfen, sollen i m folgenden einige der tatsächlichen Schwierigkeiten aufgezeigt werden, die sich einer solchen Regelung zwangsläufig entgegenstellen. Die Völkergemeinschaft ist von extrem heterogener Natur. Z u groß sind häufig wirtschaftliche oder politische Interessengegensätze, eine Sachlage, die nicht ohne Auswirkungen auf das Völkerrecht bleiben kann. Dies gilt i n besonderem Maße für den Umweltschutz. So berichtete für den Bereich der Wassernutzung i m Jahre 1964 das „I.L.A. Committee on the Uses of the Waters of International Rivers", daß von allen völkerrechtlichen Problemen, m i t denen sich der Ausschuß befaßte, die Frage der Verschmutzung internationaler Gewässer die größten Lösungsschwierigkeiten bereitete: "Undoubtedly, this difficulty results f r o m the fact that the pollution of waters is a m a j o r problem of our era. The conflict of interests is most direct and the application of the rule of l a w w o u l d of course not be completely pleasing to any interested state 1 ."
Diese Feststellung gilt entsprechend für den Bereich transnationaler atmosphärischer und akustischer Verunreinigungen. A. Wirtschafts- und entwicklungspolitische Gesichtspunkte Die Schwierigkeiten, die sich einer völkerrechtlichen Lösung internationaler Umweltprobleme ganz allgemein, das heißt nicht nur unter dem Aspekt des Nachbarrechts, entgegenstellen, sind zunächst einmal wirtschaftlicher, sodann auch entwicklungspolitischer Natur. Umweltschutz ist nicht nur eine technologische, sondern auch — und zwar i n erster Linie — eine wirtschaftliche und finanzielle Frage 2 . Die 1
Zitiert nach Lester, Pollution, S. 93.
Α . Wirtschafts- u n d entwicklungspolitische Gesichtspunkte
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Größenordnung der finanziellen Anforderungen des Umweltschutzes soll durch einige Zahlen dokumentiert werden: Bereits 1961 mußte der amerikanische Präsident Kennedy i m Hinblick auf die Verschmutzung der amerikanischen Gewässer feststellen: "This year a national total of $ 350 000 000 w i l l be spent from all sources on municipal waste treatment works. B u t $ 600 000 000 of construction ig required annually to keep pace w i t h the growing rate of p o l l u t i o n 3 . "
Doch seither hat sich die Situation noch erheblich verschlechtert. I m Jahre 1968 bezifferte die US-Federal Water Pollution Control Administration die allein zur Rettung des Eriesees unmittelbar erforderliche Summe auf 1,3 Milliarden Dollar 4 . Zur Erreichung einer befriedigenden Wasserqualität i m Ontario-See und i m internationalen Teil des St. Lorenz-Stroms wurde i n einem Bericht aus dem Jahre 1968 ein Betrag von 300 Millionen Dollar als notwendig erachtet 5 . Nach Schätzungen der amerikanischen Umweltschutzbehörde w i r d damit gerechnet, daß i n den Jahren 1970 bis 1975 fast 24 Milliarden Dollar für die Kontrolle der L u f t verschmutzung 6 und etwa 105 Milliarden Dollar für den Umweltschutz insgesamt aufgebracht werden 7 . Eine Untersuchung der OECD über das Gesamtausmaß der Umweltverschmutzung i n den Vereinigten Staaten kommt zu dem Schluß, daß M i t t e l i n Höhe von zwei Prozent des Bruttosozialprodukts eingesetzt werden müßten, um eine spürbare Verlangsamung des Verseuchungsprozesses zu bewirken; um den Prozeß zu stoppen, benötigte man schon vier Prozent, während eine effektive Verbesserung der Umwelt acht bis zehn Prozent des Bruttosozialprodukts erfordern würde 8 . Für die hochindustrialisierten Staaten Mittel- und Westeuropas 9 sehen die Zahlen kaum günstiger aus. Aus einem von der deutschen Bundesregierung i m Jahre 1971 i n Auftrag gegebenen Gutachten 10 geht hervor, 2 Die Lösung der technologischen Probleme ist, insbes. was den Gewässerschutz anbetrifft, schon w e i t fortgeschritten. Vgl. auch Bourne, Toronto L a w Journal, S. 194. 3 Zitiert nach Lester, Pollution, S. 89. 4 Vgl. Jordan, Developments, S. 284. 5 Ebd. 8 Kausch, Grundzüge, S. 23. 7 Vgl. Council of Europe. Doc. 3080, S. 48. 8 Bush, Umweltschutzprobleme, S. 14. 9 F ü r die Industriestaaten des Obstblocks stand zuverlässiges Zahlenmater i a l nicht zur Verfügung. Die Meinung einiger sowjetischer Wirtschaftswissenschaftler, Umweltschutz würde das sowjetische Wirtschaftswachstum n u r u m wenige Zehntel hinter dem K o m m a verlangsamen, ist als Ausdruck wirtschaftlichen Wunschdenkens anzusehen, wenngleich die natürlichen Ressourcen der UdSSR wegen des niedrigen Entwicklungsstadiums ihrer Volkswirtschaft u n d der geringeren Bevölkerungsdichte noch nicht i n gleicher Weise i n Mitleidenschaft gezogen sind wie die der westlichen Industrieländer. Vgl. Bush, Umweltprobleme, S. 9 u n d 14 m. w. N.
5*
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I. 3. Kap.: Hindernisse einer völkerrechtlichen Regelung
daß die zusätzlichen Kosten, die sich durch die i m Umweltprogramm der Bundesregierung 11 vorgesehenen oder angeregten Maßnahmen für die deutsche Volkswirtschaft ergeben, allein für die Jahre 1971 bis 1975 etwa 36 Milliarden D M 1 2 — was etwa einem Prozent des Bruttosozialprodukts 1 3 entspräche — betrügen. Zusammen m i t den Betriebskosten und Ersatzinvestitionen für bereits bestehende Umweltschutzeinrichtungen (31,5 Milliarden Mark) sowie sonstige Sonderkosten (3 Milliarden Mark) belaufen sich die Gesamtaufwendungen der deutschen Volkswirtschaft für Umweltschutz von 1970 bis 1975 auf über 70 Milliarden Mark, was einem Anteil von 1,8 bis 2 Prozent am Bruttosozialprodukt gleichkommt 1 4 . Hierbei ist zu bedenken, daß diese Summe n u r die Kosten f ü r den ersten Schritt auf dem Wege zur Verbesserung der ökologischen Gesamtsituation i n der B R D abdecken soll. Wenn bis 1985, w i e vorgesehen, die Abwässer von 90 Prozent der deutschen Bevölkerung ausreichend gereinigt werden sollen, sind hierfür allein i m öffentlichen Bereich Investitionen i n Höhe von 43 M i l liarden D M erforderlich 1 5 . A l l e i n i m Niederschlagsgebiet des Rheins, i n dem etwa fünfzig Prozent der bundesdeutschen Bevölkerung leben, w i r d die I n vestitionssumme r u n d 22 M i l l i a r d e n D M betragen^. Die Industrie schätzt den Investitionsbedarf für den Bau von Kläranlagen m i t den zugehörigen Kanälen bis 1985 auf etwa 22 M i l l i a r d e n D M 1 7 . Davon w i r d die Industrie allein i m Rheingebiet wegen der dortigen hohen Industriekonzentration 15 M i l l i a r den M a r k aufbringen müssen 1 8 .
Wirksamer Umweltschutz erfordert demnach hohe finanzielle Aufwendungen, die nur von den wenigsten Staaten bereitwillig übernommen werden. Darüber hinaus erscheint es den meisten Staaten i n Anbetracht der immensen Investitionen, die der Umweltschutz erfordert, dringlicher, zunächst das „eigene Haus" zu säubern, als für eine gesunde Umwelt der Nachbarstaaten finanzielle Opfer zu erbringen. Unter dem allgemein verbreiteten Zwang zu Produktionserhöhung, Kostensenkung und Rentabilitätssteigerung und damit zur Erhaltung der Wettbewerbsfähigkeit leidet häufig die Bereitschaft, die für den Umweltschutz erforderlichen M i t t e l aufzubringen. Denn jede zusätzliche Belastung, die ein 10 Dieses Gutachten ist abgedruckt i n : Materialien zum U m w e l t p r o g r a m m der Bundesregierung 1971, S. 593 ff. Es ist zu beachten, daß diesem Betrag das Preisniveau des Jahres 1970 zugrunde lag, der effektive Betrag infolge der inflationären E n t w i c k l u n g also erheblich höher liegen dürfte. 11 Vollständiger Abdruck dieses Programms i n : BT-Drucks. 6/2710 v o m 14. Okt. 1971. 12 Vgl. Materialien zum U m w e l t p r o g r a m m der Bundesregierung 1971, S. 609 f. 13 Ebd., S. 614. 14 Ebd. 15 Stand 1971, siehe Materialien zum U m w e l t p r o g r a m m der Bundesregierung 1971, S. 128; Umweltschutz, U m w e l t p r o g r a m m der Bundesregierung, S. 120. 18 Duda, Verunreinigung des Rheins, S. 23. 17 Umweltschutz, U m w e l t p r o g r a m m der Bundesregierung, S. 121. 18 Duda, Verunreinigung des Rheins, S. 23.
Α. Wirtschafts- und entwicklungspolitische Gesichtspunkte
69
Staat seiner Wirtschaft zu Zwecken des Umweltschutzes überträgt, vermindert zumindest vorübergehend die Absatzchancen dieser Wirtschaft auf dem internationalen Markt. Wie kompliziert die Dinge w i r k l i c h liegen, w i r d am Beispiel des elsässischen Kalibergbaus deutlich. Würde m a n von französischer Seite die Einleitungen von Restsalzen i n den R h e i n 1 9 bis auf das ökologisch vertretbare Maß reduzieren, so wäre die durch Aufhaidung oder Abtransport der Salze entstehende finanzielle Mehrbelastung so groß, daß die elsässische Kaliindustrie ihre Wettbewerbsfähigkeit verlöre. Eine damit verbundene Stillegung der K a l i gruben würde für viele Tausende von Beschäftigten den Verlust ihrer A r beitsplätze m i t allen weiteren schwerwiegenden wirtschaftlichen u n d sozialen Konsequenzen bedeuten 2 0 .
Für den Bereich der sozialistischen Staaten sorgt neben dem Wettbewerbsdenken auch die marxistische Abneigung, für Naturschätze Geld zu zahlen, dafür, daß die Bereitschaft, die zum Schutz und Erhalt der Umwelt erforderlichen Investitionen vorzunehmen, nur langsam zunimmt 2 1 . Das Streben nach ungehemmtem Wirtschaftswachstum steht auch i n diesen Staaten noch an erster Stelle der wirtschaftspolitischen Überlegungen 22 . Unterschiedliche politische Auffassungen i m Hinblick auf die Priorität des Umweltschutzes vor wirtschaftlichen Belangen und damit zusammenhängende divergierende Anforderungen an ein „umweltgerechtes" Verhalten potentieller Umweltstörer können i m Einzelfall einer nachbarrechtlichen Regelung grenzübergreifender Umweltprobleme hinderlich sein 23 . Mangelndes Interesse der Entwicklungsländer für die Probleme des Umweltschutzes ganz allgemein stellt ein weiteres Hindernis für eine einheitliche (Nachbar-)Rechtsentwicklung auf diesem Gebiet dar. Ökologische Probleme und ihre Gefahren sowie die A r t der erforderlichen Gegenmaßnahmen unterliegen i n den weniger entwickelten Ländern einerseits und den Industrienationen der Erde andererseits teilweise einer sehr unterschiedlichen Einschätzung und Betrachtungsweise 24 . Diese Tatsache kam während der Vorbereitungen und der Durchführung der Stockholmer UNO-Umwelt-Konferenz besonders deutlich zum Aus19
Näheres hierzu siehe oben 2. Kap. A bei A n m . 11. Vgl. auch Burchard, Die Internationalität des Umweltschutzes, Außenp o l i t i k 23 (1972) 2, S. 740 ff. (743 f.). 21 Bush, Umweltschutzprobleme, S. 14. 22 Ebd., S. 20. 23 Der Kostenfaktor als bedeutendes Element der U m w e l t p o l i t i k der E n t wicklungsländer soll i n der folgenden Darstellung gesondert berücksichtigt werden. 24 Vgl. hierzu die ausführlichen Erörterungen von Doud, International E n vironmental Developments: Perceptions of Developing and Developed Countries, natural resources j o u r n a l 12 (1972), S. 520 ff., der auch die widersprüchliche H a l t u n g mehrerer Entwicklungsländer hervorhebt. 20
70
I. 3. Kap.: Hindernisse einer völkerrechtlichen Regelung
d r u c k 2 5 , b e i denen zahlreiche E n t w i c k l u n g s l ä n d e r die A u f a s s u n g v e r t r a t e n , die U m w e l t k r i s e sei ausschließlich e i n „ P r o b l e m des reichen M a n nes" u n d d a h e r f ü r sie selbst n i c h t a k t u e l l 2 6 . D e n n h a b e n Wasser- u n d L u f t v e r u n r e i n i g u n g auch i n d e n u n t e r e n t w i c k e l t e n R e g i o n e n der E r d e t e i l w e i s e bereits b e t r ä c h t l i c h e A u s m a ß e a n g e n o m m e n 2 7 , so i s t dennoch die U m w e l t dieser Gebiete derzeit noch w e s e n t l i c h gesünder u n d i n g r ö ß e r e m U m f a n g e b e l a s t b a r als die der I n d u s t r i e n a t i o n e n 2 8 . F ü r die E n t w i c k l u n g s l ä n d e r stehen derzeit ganz andere P r o b l e m e i m V o r d e r g r u n d , n ä m l i c h d e r K a m p f gegen H u n g e r , K r a n k h e i t u n d E l e n d . I n w e i t e n T e i l e n d e r E r d e l e i d e t fast die gesamte B e v ö l k e r u n g u n t e r E r k r a n k u n g e n der V e r d a u u n g s o r g a n e , w e l c h e i h r e Ursache i n m a n g e l n d e r H y g i e n e u n d daraus r e s u l t i e r e n d e r F ä u l n i s des T r i n k w a s s e r s haben. E t w a eine M i l l i a r d e Menschen l e b e n m i t z u w e n i g oder z u e i n s e i t i g e r N a h r u n g 2 9 . So ist die F o l g e r u n g des F o u n e x - R e p o r t s 3 0 v e r s t ä n d l i c h , daß die U m w e l t p r o b l e m e der E n t w i c k l u n g s l ä n d e r „are predominantly problems that reflect poverty and the very lack of development of their societies . . . Not merely the ,quality of life* b u t life itself is endangered by poor water, housing, sanitation and nutrition, by sickness and disease and by natural disasters" 3 1 . I n P u n k t 1 4 d e r S t o c k h o l m e r U m w e l t d e k l a r a t i o n 3 2 h e i ß t es: „ I n den Entwicklungsländern haben die meisten Umweltprobleme ihre Ursache i n der Unterentwicklung. M i l l i o n e n leben nach w i e v o r unter dem für eine menschenwürdige Existenz erforderlichen Mindestniveau, ohne ausreichende Nahrung u n d Kleidung, Obdach, Schulbildung, Gesundheitsfürsorge u n d sanitäre Einrichtungen. Die Entwicklungsländer müssen deshalb ihre Bemühungen auf die E n t w i c k l u n g richten . . . 3 3 . " Diese P r o b l e m e b e d r ä n g e n die E n t w i c k l u n g s l ä n d e r so sehr, daß daneben die Sorge u m die U m w e l t i n u n s e r e m S i n n e k a u m a u f k o m m e n k a n n . „ W e r Hunger hat, sieht i m D D T allein das M i t t e l zur Steigerung der N a h rungsmittelproduktion; die längerfristigen A u s w i r k u n g e n auf das ökologische Gleichgewicht interessieren i h n n i c h t 3 4 . " 25 So befaßte sich eine v o m 4. - 12. J u n i 1971 i n Founex/Schweiz tagende Konferenz ausschließlich m i t der Möglichkeit einer Annäherung der gegensätzlichen Standpunkte, wodurch die i n Frage gestellte Teilnahme mehrerer Entwicklungsländer an der Stockholmer Konferenz gesichert werden sollte. Vgl. Rausch, Die D r i t t e Welt u n d die Postulate des Umweltschutzes, i n : Neue Zürcher Zeit, Zeitfragen, 23. 7.1972. 20 Vgl. Rausch, Die D r i t t e Welt. 27 Vgl. Conway, Current Environmental Priorities for the T h i r d World, I D S - B u l l e t i n 4 (1971), No. 1, S. 4 ff. (8); Warner, A f r i c a n Environment, S. 6. 28 Vgl. Burchard, Die Internationalität des Umweltschutzes, S. 747; Warner, A f r i c a n Environment, S. 6. 29 Rausch, Die D r i t t e Welt. 30 Abgedruckt i n : A n n e x 1 zu U N Doc. 48/10 v o m 22. Dez. 1971. 31 eh. Α. 94; siehe auch Doud, Developments, S. 520. 32 Siehe unten 2. T., 2. Kap. Β Fußn. 38, 39. 83 Ubersetzung nach: Stockholmer Resultate, S. 161. 34 Rausch, Die D r i t t e W e l t ; ebenso Conway, Priorities, S. 8.
Α. Wirtschafts- u n d entwicklungspolitische Gesichtspunkte
71
Es muß diesen Ländern schwerfallen, Umweltgefährdungen, die als Nebenprodukt einer für sie meist nützlichen, ja existenznotwendigen Tätigkeit zwangsläufig entstehen, m i t Entschlossenheit entgegenzutreten 35 . Die Grundhaltung zum Umweltschutz w i r d denn auch durch solche oder ähnliche Aussagen von P o l i t i k e r n charakterisiert: „ W i r wollen zuerst I n d u strialisierung, u m die Verschmutzung k ü m m e r n w i r uns später", oder „Die N a t u r mag wichtig sein, aber doch nicht so wichtig w i e die E n t w i c k l u n g " 3 6 .
Mag auch die Einsicht bestehen, daß unsere beschränkte Biosphäre keine unbeschränkt wachsende Zivilisation am Leben erhalten kann, so läßt jedoch derzeit nur die Aussicht auf wirtschaftliches Wachstum die Entwicklungsländer hoffen, für ihre Menschen allmählich auch menschenwürdige Lebensbedingungen schaffen zu können. Es ist verständlich, daß gerade die Entwicklungsländer die hohen Kosten scheuen, die wirksame Umweltschutzmaßnahmen erfordern 37 . Abgesehen von den negativen Auswirkungen auf andere Investitionsbereiche fürchten sie vor allem, durch hohe Umweltausgaben ihre komparativen Kostenvorteile, die ihnen einen Wettbewerbsvorsprung für ihre Produkte sichern oder attraktive Bedingungen für die Ansiedlung ausländischer Industrien darstellen, einzubüßen oder zu verringern und somit ihre eigene Entwicklung zu hemmen 38 . Obwohl denn auch zwischen Entwicklungs- und Industrienationen darüber Einigkeit besteht, daß der Entwicklung absolute Priorität zukomme 3 9 , befürchten die Entwicklungsländer dennoch weiterhin, ein gleichwie gearteter international geregelter Umweltschutz werde ihnen zumindest indirekt große Nachteile erbringen, insbesondere ihre w i r t schaftliche Expansion hemmen. Sie fürchten unter anderem, daß die Entwicklungshilfe der Industrienationen wegen deren eigener Umweltschutz-Investitionen gekürzt werde, daß sie, die Entwicklungsländer, letztendlich einen Teil der Umweltmaßnahmen i n den Industrieländern durch Zahlung von erhöhten Preisen für ihre dringend benötigten Einfuhren an Produktionsgütern mitfinanzieren müßten und daß die industrialisierten Staaten durch Aufstellung strenger Umweltstandards i n einen „Neo-Protektionismus" verfielen, der die Einfuhr von Waren, die i n Entwicklungsländern produziert werden und solchen Standards nicht entsprechen, unmöglich machen werde 4 0 . Aus all diesen Erwägungen 35
Vgl. auch Rauschning, Umweltschutz, S. 573. Rausch, Die D r i t t e Welt. 37 Vgl. Grundsätze 9 - 1 2 der Stockholmer Umweltdeklaration, wo der Kostenfaktor des Umweltschutzes f ü r die Entwicklungsländer besonders herausgestellt w i r d . 38 Burchard, Die Internationalität des Umweltschutzes, S. 747; vgl. auch Taubenfeld, International Environmental L a w : A i r and Outer Space, natural resources j o u r n a l 13 (1973), S. 315 ff. (325) ; Rausch, Die D r i t t e Welt. 39 Vgl. ζ. B. P u n k t I 4 u n d Grundsatz 11 der Stockholmer Umweltdeklaration; Rausch, Die D r i t t e Welt. 30
72
I. 3. Kap.: Hindernisse einer völkerrechtlichen Regelung
heraus ließen die Entwicklungsländer auf der Stockholmer Umweltkonferenz von 1972 keinen Zweifel daran aufkommen, daß es für sie die Alternative Entwicklung oder Umweltschutz nicht geben könne 4 1 . Noch am vorletzten Tag der Konferenz erklärte Indira Gandhi vor dem Plenum i n Stockholm: „ W i r haben der enterbten Mehrheit der Welt noch zu beweisen, daß die Sorgen f ü r die U m w e l t u n d deren Bewahrung nicht gegen ihre Interessen gerichtet sind, sondern f ü r i h r Leben eine Verbesserung bedeuten werden 4 2 ."
Somit w i r d deutlich, daß die Neigung, rechtliche Regelungen — seien sie nationaler oder internationaler A r t — zum Zwecke des Umweltschutzes aufzustellen, anzuerkennen oder zu befürworten, derzeit i n der Dritten Welt noch gering ist. B. Völkerrechtspolitische Gesichtspunkte Die Situation des Umweltschutzes i m Völkerrecht w i r d aber noch durch weitere Faktoren allgemein völkerrechtspolitischer A r t erschwert. Probleme ergeben sich zunächst aus der relativen Neuartigkeit des regelungsbedürftigen Sachverhaltes. Das Auftauchen neuer Sachverhalte löst i n aller Regel nicht einen Automatismus aus, der das Völkerrecht durch die erforderlichen Rechtsetzungsakte sofort den neuen Gegebenheiten anpaßt. Die Entwicklung einschlägiger völkerrechtlicher Normen vollzieht sich nicht von heute auf morgen, sondern bedarf regelmäßig eines längeren Zeitraumes. Dies gilt u m so mehr, wenn nicht einmal die nationalen Gesetzgeber i m innerstaatlichen Bereich m i t der erforderlichen Schnelligkeit und Intensität auf die neuen Gegebenheiten reagieren, wie es auf dem Gebiet des Umweltschutzes häufig der Fall ist. Voraussetzung zur Schaffung einer vernünftigen rechtlichen Regelung ist eine ausreichende Kenntnis des zu regelnden Sachverhalts. Die effek40 Vgl. auch Robinson, Problems of Definition and Scope, i n : Law, I n s t i t u tions & the Global Environment, 1972, S. 44 ff. (48 f.) ; Timmler, Die U m w e l t konferenz i n Stockholm, Außenpolitik 23 (1972), S. 618 ff. (623). Die letztgenannte Befürchtung hat sich bereits mehrfach realisiert: erwähnt sei n u r die Verschärfung der amerikanischen Bestimmungen über den zulässigen Quecksilbergehalt i n Thunfischen aus dem Jahre 1969, wodurch die peruanische u n d philippinische Fischindustrie stark betroffen wurde (vgl. Johnson, Brian, W i l l We Wonder Where Development Went, When We Wash Our Minds W i t h Environment, I D S - B u l l e t i n 4 [1971], S. 21 ff. [26]), oder aber die i n nordamerikanischen u n d europäischen Ländern erfolgte Festsetzung von niedrigen Toleranzwerten f ü r die zulässigen Rückstände von D D T i n Nahrungsmitteln, wodurch bereits der Export insbes. von Obst u n d Gemüse aus den E n t w i c k lungsländern, die nach ihrer Auffassung noch keine wirtschaftlich tragbare Alternative zum Gebrauch von D D T haben (Conway, Priorities, S. 8; Rausch, Die D r i t t e Welt), erschwert oder teilweise gar ausgeschlossen wurde (vgl. Johnson, Brian, Development, ebd.). 41 Timmler, Die Umweltkonferenz i n Stockholm, S. 623. 42 Zitiert nach Timmler, ebd.
Β. Völkerrechtspolitische Gesichtspunkte
73
tive Bekämpfung von Umweltstörungen setzt somit Kenntnis ihrer W i r kungen voraus 43 . Ein großer Teil des Komplexes „Umweltstörungen" und seiner Auswirkungen ist aber auch für die Naturwissenschaftler noch nicht genau erkennbar und übersehbar 44 . Besonders deutlich w i r d dies an der erbitterten und noch lange nicht abgeschlossenen Diskussion um die Umweltverträglichkeit von Kernkraftwerken, i n der sich Gegner und Befürworter der Erzeugung von Kernenergie jeweils unter Berufung auf naturwissenschaftliche Erkenntnisse unversöhnlich gegenüberstehen. „ W i r wissen zu wenig über das, was w i r t u n . . . W i r sind bei weitem mehr imstande, die Natur zu vernichten, als uns über ihre Handlungsweise k l a r zu werden. Uns fehlt das Wissen, wie groß die Belastbarkeit der Erde i s t 4 5 . "
Unter diesen Bedingungen steht das Recht und hiermit auch das Völkerrecht vor der schwierigen Aufgabe, Normen und Verfahren zu schaffen, die auf zum Teil unvollständiger wissenschaftlicher Erkenntnis der Zusammenhänge aufbauen müssen und überdies Einschränkungen durch eine unzureichende und sich schnell ändernde Technik unterliegen 46 . Solange das Völkerrecht Wirkungen berücksichtigen muß, die derzeit noch nicht oder noch nicht vollständig bewiesen werden können, dürfte es den Staaten schwerfallen, diesbezügliche Regelungen anzuerkennen. Probleme ergeben sich überdies daraus, daß die verantwortliche Quelle einer Umweltschädigung nicht immer eindeutig identifizierbar ist, weil häufig erst durch das Zusammenwirken verschiedener Einflüsse eine spürbare Schädigung erfolgt. Soll aber ein Staat für Schädigungen völkerrechtlich verantwortlich gemacht werden, die zum Beispiel durch eine von seinem Gebiet ausgehende, an sich absolut geringfügige transnationale Luftverunreinigung möglicherweise erst dadurch entstehen, daß diese transnationale Verunreinigung mit Emissionen des geschädigten Staates zusammenwirkt 4 7 ? Als letztes, wenn auch nicht umweltspezifisches Problem sei noch die unsichere Gesamtlage des heutigen Völkerrechts überhaupt 4 8 erwähnt. Wenn Verdross vor etwa fünfzig Jahren noch von der „Einheit des recht43
Umweltschutzprogramm der Europäischen Gemeinschaften, 1972, S. 22. Vgl. ζ. B. die ungeklärten Fragen zur Lärmbelastung u n d ihren A u s w i r kungen. Umweltschutz, U m w e l t p r o g r a m m der Bundesregierung, S. 161. 45 N u r eine Erde. Die Stockholmer Konferenz: Einleitung zu einer P o l i t i k des Uberlebens, 1972, S. 33. 48 Kausch, Grundzüge, S. 25 f. 47 Vgl. ζ. B. die Probleme, die sich i m T r a i l Smelter-Fall (hierzu unten 2. T., 2. Kap. Β I I I 1 b) bezüglich der Feststellung der n u n tatsächlich durch kanadische Luftverunreinigung i n den USA hervorgerufenen Schäden ergaben ( R I A A Bd. 3, S. 1911,1922 ff.). 48 Vgl. Pelzer, Rechtsprobleme, S. 28. 44
74
I. 3. Kap. : Hindernisse einer völkerrechtlichen Regelung
liehen Weltbildes auf der Grundlage der Völkerrechts Verfassung" 49 sprechen konnte 5 0 , so ist diese Einheit m i t der Bildung der sozialistischen Staaten und der Gründung neuer Staaten der sogenannten Dritten Welt seit einigen Jahrzehnten zumindest brüchig geworden 51 . „Zwischen den Ländern des sozialistischen Weltsystems ist ein neuer Typ internationaler Beziehungen entstanden" 52 , vom Prinzip des „proletarischen Internationalismus" beherrscht 53 , der sich i n seinen Grundlagen und Tendenzen vom klassischen europäischen Völkerrecht abhebt 54 . Den Jungen Staaten widersterbt es, die Regeln eines Völkerrechts, das ohne ihre M i t w i r k u n g i m wesentlichen von ihren früheren Kolonialherren, den K u l t u r - und Industriestaaten der westlichen Welt, geprägt und entwikkelt wurde, als Richtlinien ihres Handelns zu akzeptieren 55 : "The newly independent states together w i t h other less developed nations, may be disinclined to accept certain norms, developed m a i n l y by the more advanced and stronger states of the West, that have served to protect Western public and private interests 5 6 ."
Die mißtrauische Haltung der Jungen Staaten gegenüber dem klassischen Völkerrecht kommt i n der Feststellung eines bekannten Völkerrechtlers aus der Dritten Welt zum Ausdruck, daß das internationale Recht bisher nur den Starken geschützt habe, nunmehr aber endlich dem Schutz der Schwachen zugute kommen müsse 57 . Die Aussicht, ihre gerade mühsam erkämpfte Souveränität zugunsten völkerrechtlicher Reglementierungen teilweise wieder einbüßen zu müssen — ein effektiver internationaler Umweltschutz zum Beispiel muß die Handlungsfreiheit der Staaten zwangsläufig beschneiden — ist weiterhin geeignet, die zurückhaltende 49 Verdross, Die Einheit des rechtlichen Weltbildes auf der Grundlage der Völkerrechts Verfassung, 1923. 50 Schon damals — wenige Jahre nach Entstehen des Sowjetstaates — w a r es fragwürdig, noch v o n einer Einheit des rechtlichen Weltbildes zu sprechen, Pelzer, Rechtsprobleme, S. 28. 51 Dahm, Völkerrecht Bd. 1,1958, V o r w o r t u n d S. 3, spricht v o n der „heutigen Übergangslage des Völkerrechts". Vgl. auch Friedmann, The Changing Structure of International L a w , 1964, S. 5; T r u y o l y Serra, Der Wandel der Staatenw e l t i n neuerer Zeit i m Spiegel der Völkerrechtsliteratur des 19. u n d 20. J a h r hunderts, 1968, S. 37 f. 52 L e w i n - K a l j u s h n a j a , Völkerrecht. Lehrbuch, 1967, S. 19; vgl. u.a. auch Akademie der Wissenschaften der UdSSR, Völkerrecht, deutsche Übersetzung, 1960, S. 14; ausführlich: Kröger, Völkerrecht. Lehrbuch. T e i l 1, 1973, S. 27 ff. 53 Siehe u. a. Avakov, Diskussionsbeitrag auf der 1. Jahrestagung der Sowjetischen Gesellschaft für Völkerrecht, S. 36; Akademie der Wissenschaften der UdSSR, ebd. 54 Pelzer, Rechtsprobleme, S. 28; vgl. Kröger, Völkerrecht I, S. 37. — Das bedeutet allerdings noch nicht, daß sich bereits ein selbständiges sozialistisches Völkerrecht gebildet hat; vgl. i m einzelnen Pelzer, ebd. m. w. N. 55 Vgl. Lissitzyn, international l a w i n a divided world, 1963, S. 4; T u n k i n , Das Völkerrecht der Gegenwart. Theorie u n d Praxis, 1963, S. 87. 56 Lissitzyn, international law, S. 4. 57 Anand, New States and International L a w , 1972, S. 48.
Β . Völkerrechtspolitische Gesichtspunkte
75
Position der Entwicklungsländer und auch der meisten Ostblockstaaten gegenüber völkerrechtlichen Regelungen zu verstärken 58 . Diese schwierige Situation des heutigen internationalen Rechts führt zwangsläufig dazu, daß zumindest i m universalen Bereich der Versuch, „verbindliche und effektive neue Normenkomplexe zu schaffen, heute ein ungleich komplizierterer Vorgang ist, als es i n der überschaubaren Welt des vorigen Jahrhunderts der Fall w a r " 5 9 .
58 59
Vgl. auch Pelzer, Rechtsprobleme, S. 26 f. Pelzer, Rechtsprobleme, S. 28 f.
ZWEITER T E I L
Die völkerrechtliche Problematik Anhand des vorstehenden Sachverhalts- und Konfliktaufrisses w i r d die völkerrechtliche Regelungsbedürftigkeit der Problematik nachbarschaftlicher Umweltbeeinträchtigungen deutlich; der Umweltschutz stellt sich heute als eines der bedeutendsten Probleme des völkerrechtlichen Nachbarrechts dar. Als der Mensch vor nicht allzu langer Zeit begann, sich der von i h m selbst ausgehenden Gefahren für das ökologische Gleichgewicht i n verstärktem Maße bewußt zu werden, vollzog sich die rechtliche Ausprägung dieses Bewußtseins zunächst hauptsächlich i m nationalen Bereich. Nur zögernd vermochte sich der Umweltschutz als Gegenstand völkerrechtlicher Regelungen zu etablieren 1 . Diese Tatsache ist wenig erstaunlich, betrachtet man die Palette der i m ersten Teil der Untersuchung angeführten Einzelfälle grenzüberschreitender Umweltstörungen unter zeitlichem Aspekt: Die beschriebenen zwischenstaatlichen Nutzungskonflikte auf dem Gebiet des Umweltschutzes sind fast ausschließlich Erscheinungen der letzten 25 Jahre 2 , so daß auch das Völkerrecht auf diesem Gebiet erst seit etwa einem Vierteljahrhundert eine intensivere Entwicklung erfahren konnte 3 . I n dem nun folgenden Teil der Untersuchung soll nach der Beschreibung theoretischer Möglichkeiten zur völkerrechtlichen Lösung solcher transnationaler Umweltkonflikte (unten 1. Kapitel) der gegenwärtige 1 Es wurden allerdings schon gegen Ende des 19. Jahrhunderts sehr vereinzelt völkerrechtliche A b k o m m e n getroffen, die u. a. nachbarschaftliche U m weltprobleme, insbes. die Verschmutzung von Grenzgewässern, zumindest ansatzweise, zu regeln versuchten. Vgl. z. B. A r t . 3 des zwischen ÖsterreichUngarn u n d Italien am 9. August 1883 getroffenen Abkommens über die Fischerei i m Gardasee (österreichisches Reichsgesetzblatt 1885, S. 598 ff.). Eine chronologisch geordnete Liste der wichtigsten kontinentaleuropäischen A b kommen, die sich m i t Aspekten der grenzüberschreitenden Wasserverschmutzung befassen, siehe bei Halasi-Kun, International Developments i n Water Pollution Control. Principles of Responsibility: Continental Europe, i n : Proceedings of the Conference on International and Interstate Regulation of Water Pollution, March 12 - 13, 1970, Columbia University School of L a w , S. 40 ff. (47 ff.). 2 Als einen der wenigen früheren Fälle vgl. z. B. den F a l l „ T r a i l Smelter" an der amerikanisch-kanadischen Grenze, oben 1. T., 2. Kap. Β vor Anm. 132. 3 Vgl. hierzu auch Bilder, Michigan L a w Review, S. 507.
I I . Teil: Die völkerrechtliche Problematik
77
Stand des Völkerrechts für diesen Problembereich dargestellt werden (unten 2. Kapitel). Von der praktischen Wirksamkeit oder Unwirksamkeit des aktuellen Rechts w i r d die Gestaltung der rechtspolitischen Vorschläge des Verfassers (unten 3. Kapitel) abhängen.
Erstes
Kapitel
Lösungsalternativen Zur völkerrechtlichen Lösung der m i t grenzüberschreitenden Umweltstörungen zusammenhängenden Probleme kommen verschiedene Möglichkeiten materiellrechtlicher und verfahrensrechtlicher A r t i n Betracht. I m folgenden Abschnitt der Untersuchung werden die theoretisch denkbaren Prinzipien zur Regelung der mit grenzübergreifenden U m weltstörungen allgemein oder transnationalen Wasser- und Luftverunreinigungen sowie Lärmbeeinträchtigungen i m Speziellen verbundenen Fragen dargestellt. Da der Umweltschutz begrifflich den Schutz vor einer Vielzahl von verschiedenen Einzelerscheinungen ökologischer Beeinträchtigungen erfaßt und somit ein umfassender genereller Begriff ist, können auch die materiellrechtlichen Regeln des Völkerrechts zur Lösung dieses Problems nur Prinzipien sehr allgemeiner und wenig differenzierter Natur sein. Das generelle Problem des nachbarrechtlichen Umweltschutzes läßt sich theoretisch durch folgende Prinzipien lösen, die von der völkerrechtlichen Literatur ursprünglich i m Zusammenhang mit internationalen Wassernutzungskonflikten entwickelt worden sind, aber ohne weiteres auf transnationale Umweltstörungen jeglicher A r t übertragen werden können: das Prinzip absoluter territorialer Souveränität, das Prinzip absoluter territorialer Integrität oder ein zwischen diesen absoluten Positionen vermittelndes Prinzip beschränkter territorialer Souveränität und Integrität. N a c h d e m Prinzip
der absoluten
territorialen
Souveränität
hat jeder
Staat das Recht, das eigene Territorium nach freiem Belieben für seine Zwecke zu nutzen, selbst wenn eine solche Nutzung Umweltschädigungen jenseits der Staatsgrenzen verursachen sollte. Dieser Grundsatz, den Kliiber m i t den Worten umschrieb: „ q u i jure suo utitur nemini facit injuriam" 1 , w i r d meist nur dann zitiert, wenn es darum geht, die Haltung eines Staates, von dessen Territorium grenzüberschreitende Umweltstörungen ausgehen, gegen die Anschuldigungen des betroffenen Nachbarstaates zu rechtfertigen. Klassischen Ausdruck fand dieses Prinzip i n der Haltung der Vereinigten Staaten anläßlich eines Konflikts m i t Mexiko über die Wassernutzung des Rio Grande. I m Jahre 1895 stellte 1
Klüber, Europäisches Völkerrecht, 1851, S. 150.
I I . 1. Kap.: Lösungsalternativen
79
der damalige U. S.-amerikanische Attorney General Harmon i h m benannte „Harmon-Doktrin" 2 auf:
die nach
"There is no duty or obligation i n international l a w on any state to restrain its use of the waters w i t h i n its t e r r i t o r y to accomodate the needs of another state. Jurisdiction and control of a state over the waters of an international river w h o l l y i n its territory is exclusive 3 ." Das Prinzip
der absoluten
territorialen
Integrität
s o l l das Staatsge-
biet vor jeglichen Einwirkungen von außen schützen. Hieraus ergibt sich insbesondere das Verbot, die Eigenschaften solcher Elemente, die wegen ihres fluktuierenden Charakters i n der Lage sind, Staatsgrenzen zu überschreiten (so zum Beispiel Luft, das Wasser internationaler Flüsse), i n nachbarschädigender Weise zu beeinflussen. Somit darf sich kein Staat auf seinem Territorium i n einer Weise verhalten, die nachteilige Auswirkungen auf die ökologischen Verhältnisse innerhalb eines Nachbarstaates nach sich ziehen kann. Das Prinzip der absoluten territorialen Integrität w i r d bevorzugt von solchen Staaten zitiert, die sich gegen von fremdem Territorium ausgehende Schädigungen ihrer U m welt zur Wehr setzen wollen. Als Beispiel sei auf ein Gutachten des Eidgenössischen Politischen Departements vom 3. Mai 19524 zu nachbarrechtlichen Fragen hingewiesen, i n dem es i n Anlehnung an dieses Prinzip heißt: "for i t is a rule of International L a w that no State is allowed to alter the natural conditions of its o w n t e r r i t o r y to the disadvantage of the natural conditions of the territory of a neighbouring State 5 ."
Eine Lösung der Problematik transnationalen Umweltschutzes könnte auch darin gesehen werden, die beiden vorgenannten absoluten Prinzipien gewissen Schranken zu unterwerfen. I n diesem Zusammenhang k a n n m a n v o m Prinzip
der beschränkten
territorialen
Souveränität,
be-
schränkt durch Rücksichtnahme auf eine (ebenfalls beschränkte) Integrität des anderen Staatsgebietes gegenüber Einwirkungen von außen, sowie v o m Prinzip
der beschränkten
territorialen
Integrität,
begrenzt
durch die Rücksichtnahme auf die (beschränkte) territoriale Souveränität des anderen Staates, sprechen. Beide Prinzipien sind logisch und praktisch komplementär und daher identisch 6 , denn der Teil der territorialen Souveränität, der nicht durch Rücksichtnahme auf die territoriale Inte2 Vgl. hierzu u. a. K r a k a u , Die H a r m o n Doktrin. Eine These der Vereinigten Staaten zum Flußrecht, 1966; v a n Alstyne, International L a w and Interstate River Disputes, California L a w Review 48 (1960), S. 596 ff. (603 ff.); Dobbert, Water Pollution and International River Law, Annuaire de Γ Α Α Α 35 (1965), S. 60 ff. (72 f.). 3 Z i t i e r t nach van Alstyne, S. 603. 4 Siehe Guggenheim, L a pratique suisse (1956), Schweizerisches Jahrbuch für internationales Recht 14 (1957), S. 127 ff. (158 ff.). 5 Ebd., S. 163. 6 Berber, Rechtsquellen, S. 14; ders., Lehrbuch Bd. I, S. 309.
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I I . 1. Kap.: Lösungsalternativen
grität des Nachbarstaates beschränkt ist, entspricht i n identischer Weise den der territorialen Souveränität des Nachbarstaates auferlegten Beschränkungen 7 . Die dritte theoretische Möglichkeit zur Lösung nachbarrechtlicher Umweltkonflikte könnte man daher als das Prinzip der beschränkten
territorialen
Souveränität
und Integrität
bezeichnen, das i n
verschiedenen Abstufungen den Grundsatz der absoluten territorialen Souveränität ebenso begrenzt wie den Grundsatz der absoluten territorialen Integrität 8 . Seine natürliche Begründung findet dieses zwischen den konträren Interessenbereichen vermittelnde Prinzip i n der Tatsache, daß die nationalen Grenzen wohl die staatlichen Territorien voneinander trennen, aber in der Regel nicht die insbesondere durch Wasserläufe und Luftströmungen vorgegebene physische Einheit des Gebietes zerschneiden, das sie durchziehen 9 . Eine nähere Ausgestaltung des Grundsatzes der beschränkten territorialen Souveränität und Integrität könnte zum Beispiel durch die Statuierung eines Verbotes nur übermäßiger, erheblicher oder wesentlicher transnationaler Umweltschädigungen 10 , durch den Ausspruch eines Mißbrauchsverbotes oder einer allgemeinen Pflicht zur gebührenden Berücksichtigung nachbarlicher Interessen erfolgen. I m H i n b l i c k auf die P r o b l e m a t i k transnationaler Wasser Verschmut-
zung sind darüber hinaus weitere Konkretisierungen und Spezifizierungen des beschränkten Souveränitäts- und Integritätsprinzips denkbar 1 1 . Grenzüberschreitende Wasserverunreinigungen, w i e sie i m Rahmen dieser A r beit untersucht werden, treten i n der Regel innerhalb eines überschaubaren, 7
Ebd. Vgl. Berber, Rechtsquellen, S. 15; ders., Lehrbuch Bd. I, S. 310. 9 Vgl. Moser, Offene Fragen des Genehmigungsverfahrens bei K e r n k r a f t werken an der Staatsgrenze insbes. i m Hinblick auf das Völkerrecht, i n : D o k u mentation der 1. Internationalen Tagung f ü r Kernenergierecht Nuclear Inter Jura '73 v o m 11. bis 14. September i m Kernforschungszentrum Karlsruhe, S. 195 ff. (197). 10 So z. B. das argentinisch-brasilianische Übereinkommen über die Nutzung der natürlichen Ressourcen (nicht veröffentlichte M i t t e i l u n g der argentinischen Botschaft i n der Bundesrepublik Deutschland v o m 3. November 1972): "Los Cancilleros de Argentina y de Brasil... Subrayan que, en la exploration, la explotación y el desarollo de sus recur sos naturales, los Estados no deb en causar efectos perjudiciales sensibles en zonas situadas fuera de su jurisdiction national 11 Es versteht sich von selbst, daß auch i m Hinblick auf die Einzelerscheinungen transnationaler Umweltstörungen dieses Prinzip i n allgemeiner Form, d. h. unter Verwendung solch allgemeiner K r i t e r i e n w i e Zumutbarkeit oder Erheblichkeit des Schadens, angewandt werden kann. Als Beispiel k a n n hier auf den deutsch-niederländischen Grenzvertrag v o m 8. A p r i l 1960 (BGBl. 1963 I I 1, S. 463) verwiesen werden, i n dessen A r t . 58 I es heißt: „Die Vertragsparteien verpflichten sich, bei der Wahrnehmung ihrer wasserwirtschaftlichen Aufgaben die Interessen des Nachbarstaates an den Grenzgewässern gebührend zu berücksichtigen... und werden keine Maßnahmen vornehmen oder dulden, die den Nachbarstaat wesentlich beeinträchtigen" 8
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durch die hydrographische Einheit zum Beispiel eines gemeinsamen Flußeinzugsgebietes bestimmten u n d begrenzten räumlichen Bereiches auf, wodurch gleichzeitig der Kreis der möglicherweise i n Nutzungskonflikte verwickelten Staaten feststeht; diese Umstände erleichtern nicht n u r das Zustandekommen völkerrechtlicher Regelungen überhaupt, sondern vor allem eine konkrete gegenseitige Abgrenzung u n d Berücksichtigung der jeweiligen Interessen der beteiligten Staaten.
Eine Konkretisierung des Prinzips der beschränkten territorialen Souveränität und Integrität wäre i m Hinblick auf die Verunreinigung von Gewässern etwa i n folgender Weise denkbar: — Prinzip der Rechtsgemeinschaft an einem internationalen Gewässer — Prinzip der „equitable utilization" — Festsetzung von Güterstandards. Nach dem Prinzip der Rechtsgemeinschaft besteht zwischen den A n liegern eines internationalen Flusses oder Sees entweder eine Berechtigung zur gesamten Hand oder eine sonstige absolute Beschränkung i n dem freien Gebrauch des Gewässers. Dieses Prinzip, das auf einer fast völligen Aufgabe der Souveränität der Anliegerstaaten über den ihnen an sich jeweils zugehörigen Teil des Gewässers beruht 1 2 , fand zum Beispiel Niederschlag i n dem i n Anschluß an den Wiener Kongreß unterzeichneten deutsch-niederländischen Grenzvertrag von Aachen 13 . Die aus diesem Prinzip zwangsläufig folgenden Nutzungsbeschränkungen können neben materiellrechtlicher auch verfahrensrechtlicher A r t sein und sich i n Form von Zustimmungs- oder sonstigen Mitwirkungserfordernissen realisieren 14 . Das i n Anlehnung an die Entscheidungen des Supreme Court der Vereinigten Staaten benannte P r i n z i p des „equitable apportionment" oder „equitable utilization " beschränkt die freie N u t z u n g des einzelstaatlichen
Gewässerteils durch den Grundsatz, daß jeder Anliegerstaat ein Recht auf einen angemessenen und vernünftigen Teil der möglichen vorteilhaften Nutzung des Gewässers hat 1 5 . Diesem Prinzip liegt der Gedanke zugrunde, 12 A u f g r u n d dieser weitgehenden Aufgabe von Souveränitätsrechten könnte man diese Lösungsmöglichkeit, die mehr als nur eine bloße Beschränkung der Souveränität beinhaltet, als eigenes Prinzip neben dem Prinzip der beschränkten territorialen Souveränität u n d Integrität ansehen (so Berber, Rechtsquellen, S. 14; ders., Lehrbuch, Bd. I, S. 310), jedoch k o m m t dieser Frage keine praktische Bedeutung zu. 13 Martens, Nouveau Recueil de Traités, Bd. 3, S. 24 (insb. A r t . 27). Der V e r trag beschreibt den Grenzverlauf von der Mosel, Sauer und Our an bis etwa dorthin, wo sich die Maas nach Westen wendet (vgl. Dintelmann, Verunreinigung, S. 171 Fußn. 24). 14 So z. B. A r t . 27 des Aachener Grenzvertrags. Z u solchen verfassungsrechtlichen Lösungsmöglichkeiten vgl. noch i m folgenden. 15 Dräger, Die Wasserentnahme aus internationalen Binnengewässern, 1970, S. 25.
6 Klein
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„den größtmöglichen Nutzungsvorteil m i t dem geringstmöglichen Schaden f ü r jeden interessierten Staat i m Rahmen einer angemessenen Teilung zu verbinden 1 6 ."
Was „angemessen" und „vernünftig" ist, ist i m Rahmen einer Abwägung sämtlicher relevanter Faktoren, deren unterschiedliches Gewicht zu berücksichtigen ist, zu ermitteln. So jedenfalls sehen es die sogenannten „Helsinki-Rules" der International Law Association aus dem Jahre 1966 vor 1 7 , die den Grundsatz des „equitable apportionment" i n ausführlicher und wegweisender Form fixieren. Frühen vertraglichen Niederschlag fand dieses Prinzip i m Friedens- und Freundschaftsvertrag zwischen H a i t i und der Dominikanischen Republik vom 20. Februar 1929, in dessen A r t i k e l 10 es heißt: " . . . cette disposition ne pourra s'interpréter de manière à priver Tun ou l'autre des deux Etats du droit d'user d'une manière juste et équitable, dans les limites de leurs territoires respectifs, desdites rivières et autres cours d'eau pour fins agricoles et industrielles 1 8 ."
Hiermit gestehen sich beide Staaten einander das jeweilige Nutzungsrecht an den innerhalb ihres Staatsgebietes befindlichen Teilen der Grenzgewässer zu; dieses Recht soll jedoch nur i m Rahmen der tatsächlichen Bedürfnisse und unter Berücksichtigung des gleichen Rechts des Nachbarstaates gewährt werden. Eine weitere Konkretisierungsmöglichkeit besteht i n der Festsetzung von Gütestandards für internationale Gewässer. Die Kanalisierung der Verunreinigung i n den Becken der Wasserläufe oder durch nachweisbare Strömungsverhältnisse ermöglichtes, insbesondere bei durch Staatsgrenzen quergeteilten Gewässern, den Grad der Verunreinigung beim Ubertritt des Wassers über Staatsgrenzen oder an anderen bestimmten Punkten exakt zu messen und mit zuvor vereinbarten Qualitätsstandards zu vergleichen. Entspricht die Güte des Wassers an den bestimmten Kontrollpunkten nicht den festgesetzten Werten, hat der Störerstaat die Verunreinigung einzudämmen. Dieser Möglichkeit zur Lösung internationaler Gewässerverschmutzungsprobleme bedient sich zum Beispiel das U. S.-amerikanisch-kanadische Ubereinkommen vom 15. A p r i l 1972 über die Wasserqualität der Großen Seen 19 . 16
Ebd. International L a w Association, Report on the 52d Conference, S. 484 ff. 18 Council of Europe, Doc. EXP/Eau (72) 12, S. 3. 19 Agreement between the United States of America and Canada on Great Lakes Water Quality, International Legal Materials 11 (1972), S. 694 ff. Das Prinzip der „prior appropriation " w i r d i n der englischsprachigen L i t e r a t u r gelegentlich als Lösungsmöglichkeit für internationale Wassernutzungskonflikte angeführt (vgl. z.B. Share, Pollution of the Great Lakes: A Study of International Environmental Control Efforts, Wayne L a w Review 19.1. [1972 - 73], S. 165 ff. [167 Fußn. 11]). Dieses Prinzip, das als völkerrechtliche Ausprägung des Grundsatzes „ W e r zuerst kommt, m a h l t zuerst" bezeichnet werden kann, erscheint jedoch wenig geeignet, eine sinnvolle Lösung der Probleme zu ermöglichen. 17
I I . 1. Kap.: Lösungsalternativen
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Anders als i m Hinblick auf den K o m p l e x der grenzüberschreitenden Wasserverunreinigungen erscheint eine über den Ausspruch eines Übermaß- oder Mißbrauchsverbotes oder einer Verpflichtung zur Interessenberücksichtigung hinausgehende materiellrechtliche Konkretisierung des allgemeinen Prinzips der beschränkten territorialen Souveränität u n d Integrität f ü r den Bereich der Luftverunreinigungen problematisch. Denn hier fehlt es regelmäßig an der funktionellen Einheit eines bestimmten u n d begrenzten geographischen Raumes, w i e sie i m internationalen Wasserrecht zum Beispiel durch ein gemeinsames Flußbecken gestaltet w i r d u n d die vor allem einen konkreten I n teressenausgleich u n d eine gerechte A u f t e i l u n g der möglichen Nutzungsvorteile zwischen den beteiligten Staaten ermöglicht. Luftverunreinigungen lassen sich i m Gegensatz zu Wasserverschmutzungen nicht kanalisieren; ihre H e r k u n f t ist aufgrund der Wechselhaftigkeit atmosphärischer Strömungen u n d klimatischer Verhältnisse sowie wegen des enormen räumlichen Ausbreitungsvermögens 2 0 nicht immer meßbar u n d feststellbar. Diese Ungewißheiten u n d Unregelmäßigkeiten i n bezug auf den zugrundeliegenden Sachverhalt lassen eine Übertragung der f ü r das Wasserrecht ausgearbeiteten Formen der Konkretisierung des Prinzips der beschränkten territorialen Souveränität u n d Integrität auf die Problematik grenzüberschreitender Luftverunreinigungen als von geringem praktischem Wert erscheinen. Als sinnvoll könnte sich dagegen die internationale Festsetzung einheitlicher Emissionsgrenzwerte erweisen. Diese für grenzüberschreitende Luftverunreinigungen getroffenen Feststellungen gelten i n gleicher Weise auch f ü r die Problematik transnationaler Lärmbeeinträchtigung 2 1 .
Als Ergänzung oder Alternative zu den materiellrechtlichen Lösungsmöglichkeiten könnten auch Völker verfahrensrechtliche Regelungen zur Lösung nachbarschaftlicher Umweltkonflikte beitragen. Als verfahrensrechtliche Möglichkeit zur Verhinderung nachbarschaftlicher Umweltkonflikte bietet sich zunächst die Statuierung einer völkerrechtlichen Pflicht potentieller Störerstaaten an, vor einer Ausübung nachbargefährdender umweltschädlicher Aktivitäten die Zustimmung der möglicherweise hiervon betroffenen Nachbarstaaten zur Durchfüh20
Vgl. hierzu z. B. oben Einf. Fußn. 11. Anders als i n bezug auf transnationale Luftverunreinigungen erscheint jedoch hier eine Ausgestaltung des Prinzips der beschränkten territorialen Souveränität u n d Integrität dahingehend als denkbar, daß die v o m Territor i u m eines Staates ausgehenden Schallwellen beim Übertreten der Staatsgrenze eine bestimmte, zwischen den benachbarten Staaten m i t Hilfe von Grenzwerten festgesetzte Lärmschwelle, die sich an der jeweiligen Nutzung u n d Bevölkerungsdichte des Grenzgebietes des Nachbarstaates orientieren könnte, nicht überschreiten dürfen. Schon allein aufgrund des relativ geringen menschlich wahrnehmbaren räumlichen Ausbreitungsvermögens der Schallwellen u n d deren schwächerer Beeinflußbarkeit durch unterschiedliche äußere Bedingungen, insbesondere durch WitterungsVerhältnisse, sind die jeweiligen L ä r m quellen leichter identifizierbar als die Quellen von Luftverunreinigungen. Diese anders als bei Luftverunreinigungen gegebene Berechenbarkeit der H e r k u n f t akustischer Störungen ermöglicht es, die Verantwortlichkeit des jeweiligen Störerstaates i m konkreten F a l l regelmäßig feststellen zu können u n d begründet damit eine wesentliche Voraussetzung für eine praktisch sinnvolle nachbarrechtliche Festsetzung von Immissionsgrenzwerten. 21
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rung solcher Aktivitäten einzuholen. Demnach dürfte ein Staat auf seinem Territorium keine Handlung vornehmen oder dulden, die geeignet ist, Umweltstörungen auf fremdem Staatsgebiet hervorzurufen, wenn nicht der potentiell geschädigte Nachbarstaat seine diesbezügliche Zustimmung erteilt 2 2 . Die erforderliche Zustimmung könnte bei der Regierung oder bei anderen als zuständig erklärten Verwaltungsbehörden des betroffenen Staates eingeholt werden. Denkbar wäre aber auch eine Erteilung der Zustimmung durch eine eigens hierfür vorgesehene zwischenstaatliche Institution, wie zum Beispiel durch eine gemeinsame Umweltkommission. Neben einer Zustimmungspflicht kämen als Verfahrensregeln auch eine i n ihren Wirkungen weniger weitgehende Konsultationspflicht, wonach ein Staat bei der Planung möglicherweise nachbarschädigender Anlagen oder Aktivitäten eine Stellungnahme des potentiell geschädigten Nachbarstaates herbeizuführen hat, oder eine bloße Informationspflicht i n Frage, was dem potentiell geschädigten Staat wenigstens ermöglichte, gegenüber der drohenden Beeinträchtigung geeignete Abwehrmaßnahmen zu ergreifen. Konsultation oder Information könnten auch hier unmittelbar zwischen den betroffenen Regierungen, zwischen Verwaltungsbehörden oder aber i m Rahmen gemischter Kommissionen, Konferenzen o. ä. erfolgen. Denkbar wäre weiterhin eine Pflicht zu ehrlichem Verhandeln, die immer dann eingreift, wenn ein möglicherweise beeinträchtigter Staat i n Verhandlungen mit dem Störerstaat einzutreten wünscht. Überdies könnten nachbarschaftliche Umweltkonflikte durch die Verpflichtung der Parteien, den Streitfall der verbindlichen Entscheidungsgewalt eines Schiedsgerichts zu unterwerfen, einer Lösung zugeführt werden. Als verfahrensrechtliche Möglichkeit zur Lösung transnationaler Umweltprobleme ist letztendlich eine Pflicht zu grenzüberschreitender Zusammenarbeit i n gemeinsamen Kommissionen, Konferenzen oder sonstigen Gesprächsforen zu erwähnen, wobei die Kooperation möglichst auf die gemeinschaftliche Lösung aller grenzübergreifenden Umweltprobleme zu richten ist. Eine solche nachbarschaftliche Zusammenarbeit ist i n verschiedenen Formen möglich. Denkbar ist eine bilaterale oder multilaterale Zusammenarbeit auf nationaler 2 3 , regionaler 2 4 oder l o k a l e r 2 5 Ebene. Hierbei können die Fragen 22 Vgl. z. B. A r t . 9 I des polnisch-sowjetischen Grenzgewässervertrages v o m 17. 7. 1964 (UNTS Bd. 552, S. 175). 23 So z. B. die i n A r t . 12 der skandinavischen U m weit Schutzkonvention v o m 19. Februar 1974 (siehe unten 2. T., 2. Kap. B, Fußn. 5) vorgesehene K o m m i s sion. 24 So z. B. die i m Raum Basel-Mulhouse-Freiburg tätige deutsch-französischschweizerische Konferenz für regionale Zusammenarbeit („Conférence t r i partite permanente de coordination régionale"), i m einzelnen vgl. regio report, S. 42 ff.
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85
des Umweltschutzes ausschließlicher Gegenstand der Zusammenarbeit 2 6 oder aber n u r Ausschnitt aus einem weiteren umfassenderen Arbeitsbereich 2 7 sein. Die Zusammenarbeit k a n n i n ständigen oder nichtständigen Konferenzen oder Kommissionen m i t den verschiedensten Graden der I n s t i t u t i o n a l i sierung erfolgen. F ü r die personelle Zusammensetzung dieser Konferenzen u n d Kommissionen bietet sich eine Vielzahl verschiedener Möglichkeiten: V o r stellbar ist zum Beispiel die Zusammenarbeit zwischen Vertretern der nationalen oder — bei föderalistischen Staaten — der regionalen Regierungen, z w i schen nationalen oder regionalen Verwaltungsbehörden, zwischen K o m m u nalvertretern oder zwischen Vertretern anderer öffentlich-rechtlicher K ö r p e r schaften, w i e zum Beispiel der Industrie- u n d Handelskammern. Vorstellbar ist auch eine Mischform, w i e zum Beispiel eine Kooperation auf nationaler Regierungsebene unter Beteiligung der meist m i t größerer Sachkenntnis ausgestatteten Regionalbehörden 2 ^. Die Befugnisse der Kooperationsgremien k ö n nen unterschiedlicher A r t sein: Denkbar wären bloße Beratungs- oder U n t e r suchungsbefugnisse, aber auch Entscheidungs- u n d Verwaltungskompetenzen sowie Befugnisse zu verbindlicher Streitentscheidung.
25 So z. B. die interkommunale Zusammenarbeit i n der „Interessengemeinschaft Moyenne Alsace-Breisgau ( C I M A B ) " , hierzu siehe Europarat, Dok. AS/ COLL. Front (72) 8. 26 Dies gilt z. B. f ü r die oben Fußn. 23 erwähnte Kommission gem. A r t . 12 der skandinavischen Umweltschutzkonvention. 27 So z. B. die oben Fußn. 24 erwähnte deutsch-französisch-schweizerische Konferenz für regionale Zusammenarbeit. 28 Vgl. z. B. die i m deutsch-schweizerischen u n d deutsch-österreichischen Grenzgebiet tätigen Raumordnungskommissionen (unten 2. T., 2. Kap. C I 1).
Zweites
Kapitel
D i e gegenwärtige Rechtslage I m Mittelpunkt der Abhandlung einer rechtlichen Problematik steht die Bestandsaufnahme und Analyse des bestehenden Rechts auf dem zu untersuchenden Gebiet. Doch schon die Feststellung der bestehenden Regeln eines nachbarschaftlichen Umweltschutzvölkerrechts bereitet beträchtliche Schwierigkeiten, da der Umweltschutz als völkerrechtliches Problem erst i n jüngster Zeit stärkere Beachtung finden konnte. Der Grund für die ursprüngliche Vernachlässigung dieses völkerrechtlichen Problems liegt i n der objektiv geringen praktischen Bedeutung, welche die Umweltstörungen allgemein i n der Vergangenheit hatten 1 , und i n der bis in die jüngste Zeit hinein andauernden subjektiven Geringschätzung der damit zusammenhängenden Gefahren. Das i n der Regel geringe räumliche Ausbreitungsvermögen negativer Umwelteinflüsse sorgte i n der Vergangenheit zusammen mit den genannten Faktoren für eine nur mangelhafte völkerrechtliche Durchdringung der Umweltschutzproblematik 2 : Bis auf wenige Ausnahmen 3 wurden Umweltgefahren, wenn sie überhaupt als solche erkannt wurden, eher als Probleme nationaler, denn als Probleme internationaler A r t angesehen. Diese Anschauungsweise hat erst in neuerer Zeit eine grundlegende Wandlung erfahren: M i t der gewaltigen Industrialisierung und dem immer rascheren, sprunghaften Ansteigen der Erdbevölkerung gelang es dem Umweltschutz, zuerst i m späteren 19. Jahrhundert auf dem Gebiet des Wasserrechts, — i n jüngerer Zeit auch auf anderen Teilgebieten — völkerrechtliche Dimensionen und internationale Beachtung zu gewinnen. Hiermit rückte der Umweltschutz auch als nachbarschaftliche Problematik i n den Vordergrund. Heute werden wir, wie die Darstellung der Rechtstatsachen gezeigt hat, zumindest in Europa fast täglich mit neuen Problemen des nachbarschaftlichen Umweltschutzes konfrontiert, was eine rege völkerrechtliche A k t i v i t ä t unter den betroffenen Staaten verursacht hat. Die anfängliche „Dürre" des Materials und die 1 Vgl. hierzu Dintelmann, Verunreinigung, S. 2 (für den Bereich der Gewässerverschmutzung) ; Kiss, L a protection de l'atmosphère, S. 370 (für den Bereich der Luftverunreinigung). 2 Hassett, S. 4 spricht von einer daraus resultierenden „almost total dearth of materials". 3 Vgl. Bilder, Michigan L a w Review, S. 507.
Α. Quellen und Grundlagen
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nun über uns hinwegflutende, nur noch schwer übersehbare Masse neuer Informationen gestalten eine gesicherte Bestandsaufnahme des geltenden Rechts recht schwierig und mühsam. A. Quellen und Grundlagen Quellen des Völkerrechts und somit auch des nachbarschaftlichen Umweltschutzrechts sind Verträge, Gewohnheitsrecht und allgemeine Rechtsgrundsätze (Art. 38 Abs. 1 a - c IGH-Statut). Die gerichtlichen Entscheidungen und die Lehren der höchstqualifizierten Autoren der verschiedenen Völker können als Hilfsmittel zur Feststellung von Völkerrechtsregeln herangezogen werden (Art. 38 Abs. 1 d IGH-Statut). Insbesondere auf den Gebieten, die das Völkerrecht erst i n jüngster Vergangenheit erfaßt hat — und hierzu zählt der Bereich des nachbarschaftlichen Umweltschutzrechts —, stellt das Vertragsrecht die wichtigste und klarste Quelle des Völkerrechts dar 4 . Hierbei ist die Vertragspraxis nicht nur als eigenständige Rechtsquelle, sondern — wie noch darzulegen ist — als wesentlicher Faktor der Gewohnheitsrechtsbildung von großer Bedeutung. Völkergewohnheitsrecht entsteht durch längeres gleichartiges Verhalten (consuetudo) und die Überzeugung der beteiligten Staaten, daß dieses Verhalten rechtlich geboten ist (opinio iuris vel necessitatis) 5 . Die zur Bildung von Völkergewohnheitsrecht beitragenden Elemente sind zahlreich und umfassen i n erster Linie die Verhaltensweisen, Entscheidungen und Äußerungen der staatlichen Organe, die — wie zum Beispiel Regierungen, Botschaften oder konsularische Vertretungen — am 4 Vgl. u. a. Dahm, Bd. I, S. 20; Kolb, Intergovernmental Agreements, S. 399; Dobbert, Water Pollution, S. 66 Fußn. 25. 5 Vgl. Seidl-Hohenveldern, Völkerrecht, 1969, Randziffer 322; Berber, L e h r buch Bd. I, S. 43; Berber, Rechtsquellen, S. 37. Α. A. Guggenheim, der das V o r liegen des subjektiven Merkmals der Rechtsüberzeugung als nicht erforderlich ansieht (Lehrbuch des Völkerrechts, Bd. 1, S. 46 f.). Es w i r d vielfach vertreten, die tatsächliche Übung selbst stelle i n erster L i n i e ein Indiz für das n u r i n d i r e k t nachweisbare subjektive M e r k m a l der Rechtsüberzeugung dar (vgl. ζ. B. Brownlie, Principles of Public International L a w , 1973, S. 8; Dräger, Wasserentnahme, S. 30 m. w. N.; ausführlich: Dulsberg, Das Völkergewohnheitsrecht nach der Rechtsprechung der internationalen Gerichte, 1963, S. 87 ff. m. w. N.). Diese Ansicht, die von der bestehenden Übung auf die Rechtsüberzeugung schließt, hierbei allerdings den Nachweis des Nichtbestehens der Rechtsüberzeugung zuläßt (vgl. Brownlie, ebd., m. w. N.), hat große praktische Vorzüge gegenüber strengeren Ansichten, die den positiven Nachweis einer solchen Überzeugung verlangen (vgl. ζ. B. Wengler, V ö l k e r recht, Bd. I, 1964, S. 177, Fußn. 1); denn das Erfordernis, die Rechtsüberzeugung i n jedem Einzelfalle nachweisen zu müssen, ohne die hierfür notwendigen M i t t e l zu besitzen, muß häufig i n eine Sackgasse führen (so ζ. B. Sorensen, Les sources d u droit international. Etude sur la jurisprudence de la Cour Permanente de Justice Internationale, 1946, S. 108).
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I I . 2. Kap. : Die gegenwärtige Rechtslage
außenpolitischen Leben der einzelnen Staaten teilnehmen 6 . I n diesem Zusammenhang erlangen auch die Beschlüsse internationaler Organisationen immer stärkere Bedeutung. Erzeugen solche Beschlüsse, häufig als Deklarationen, Resolutionen oder in ähnlicher Weise bezeichnet, auch meist keine unmittelbare Rechtsverbindlichkeit 7 , so dürfen sie doch als wichtige Wegbereiter für die Entstehung völkergewohnheitsrechtlicher Normen nicht unterschätzt werden 8 . Überdies kann solchen Willensäußerungen internationaler Organisationen eine besondere Beweisfunktion i m Prozeß der Völkergewohnheitsrechtsbildung zukommen: Der Nachweis einer objektiv vorliegenden Übung und einer subjektiv vorhandenen Rechtsüberzeugung kann auch aufgrund des Abstimmungsverhaltens der Staaten i n solchen Organisationen erbracht werden. Die Beschlüsse internationaler Organisationen können den Bereich abstecken, für den eine Willensübereinstimmung der Mitgliedstaaten vorliegt, können also insofern Gewohnheitsrecht deklaratorisch feststellen 9 . Umstritten ist die Frage, ob der Vereinbarung gleichartiger Bestimmungen i n einer Vielzahl von völkerrechtlichen Verträgen gewohnheitsrechtsbildende bzw. gewohnheitsrechtsfeststellende Wirkung zukommen kann. Die Bedenken gegen eine solche Verwertung gleichartiger Vertragsbestimmungen stützen sich hauptsächlich darauf, daß die Parteien, wenn sie zu einem Vertragsabschluß gelangen, häufig gerade von ihren grundsätzlich konträren Rechtsstandpunkten abweichen, u m einen allseits annehmbaren Kompromiß zu erreichen 10 . Dennoch w i r d man mit 6 Eine beispielhafte Aufzählung solcher gewohnheitsrechtserheblicher A k t e gibt Brownlie, Principles, S. 5. 7 Vgl. u.a. Kröger, Völkerrecht 1, S. 212; L e w i n - K a l j u s h n a j a , Völkerrecht, S. 90; Sorensen, Manual of Public International L a w , 1968, S. 159. 8 Vgl. Sorensen, Manual, S. 159. Siehe auch von Glahn, L a w Among Nations. A n Introduction to Public International L a w , 1970, S. 13; Brown, The Conventional L a w of the Environment, natural resources j o u r n a l 13 (1973), S. 203 ff. (203). Als Beispiel für den wegbereitenden Charakter solcher Beschlüsse sei auf die Entschließung (71) 5 des Ministerkomitees des Europarates über die Luftverunreinigung i n Grenzgebieten (BGBl. 1971 I I 2, S. 975) hingewiesen. Die völkerrechtliche Relevanz dieser Entschließung wurde u. a. von der Schweiz inzidenter dadurch anerkannt, daß sie den auf dieser Entschließung begründeten Protesten Österreichs u n d Liechtensteins gegen den Bau eines ö l k r a f t werks bei R ü t h i nachgab. Anders als bei Beschlüssen n u r empfehlenden Charakters liegen die Dinge dann, w e n n die Mitgliedstaaten einer internationalen Organisation durch entsprechende Vereinbarungen z. B. i m Gründungsvertrag oder Statut der Organisation deren Organe ermächtigt haben, für die Organisation und sie selbst verbindliche Entschlüsse zu fassen. A u f solchen Vereinbarungen beruhende Beschlüsse begründen unmittelbare Rechtsverbindlichkeit für die jeweiligen Mitgliedstaaten (Kröger, Völkerrecht 1, S. 212 f.). 9 Vgl. hierzu die ausführlichen Erörterungen von Graf Vitzthum, Rechtsstatus, S. 274 m. w. N. Die dort insbesondere i m Hinblick auf UN-Resolutionen angestellten Erörterungen gelten auch f ü r die Willensäußerungen anderer internationaler Organisationen. 10 Vgl. z. B. den am 19. Sept. 1960 zwischen Indien u n d Pakistan geschlossenen „Indus-Water-Treaty" ( A J I L 55 [1961], S. 797 ff.), i n dessen A r t . 11 Abs. 2
Α. Quellen und Grundlagen
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d e r ü b e r w i e g e n d e n M e i n u n g i n der v ö l k e r r e c h t l i c h e n L i t e r a t u r 1 1 b e i A n w e n d u n g der gebotenen V o r s i c h t 1 2 d e n g e w o h n h e i t s r e c h t s b i l d e n d e n C h a r a k t e r v ö l k e r r e c h t l i c h e r V e r t r ä g e d a n n a n e r k e n n e n müssen, w e n n u n a b h ä n g i g v o n der Interessenlage i m E i n z e l f a l l i n einer b e t r ä c h t l i c h e n A n z a h l zwischen verschiedenen S t a a t e n geschlossener V e r t r ä g e g l e i c h a r t i g e R e g e l u n g e n i n e i n e m M a ß e n i e d e r g e l e g t sind, das eine gemeinsame Rechtsüberzeugung w i d e r s p i e g e l t 1 3 . W e n n also ü b e r e i n e n n e n n e n s w e r t e n Z e i t r a u m h i n w e g eine große A n z a h l v o n V e r t r ä g e n zwischen der M e h r z a h l der S t a a t e n ä h n l i c h e L ö s u n g e n gleichgelagerter P r o b l e m e e n t hält, „ein hiermit unvereinbares Verhalten sich wenigstens i n jüngster Zeit nicht mehr findet u n d selbst vertraglich nicht gebundene Staaten i n ihrer Praxis diesen Lösungen folgen, kann angenommen werden, daß ein entsprechendes Gewohnheitsrecht sich gebildet h a t 1 4 . " A u c h d i e Entscheidungen internationaler Gerichte u n d Schiedsgerichte zu völkerrechtlichen Streitfällen können zur B i l d u n g v o n V ö l k e r g e w o h n h e i t s r e c h t b e i t r a g e n . Z w a r w e r d e n solche E n t s c h e i d u n g e n gem ä ß A r t . 38 I d des I G H - S t a t u t s n u r als H i l f s m i t t e l z u r F e s t s t e l l u n g v o n Rechtsregeln bezeichnet, u n d i h r e B i n d u n g s w i r k u n g i s t nach A r t . 59 I G H - S t a t u t n u r a u f die i m S t r e i t b e f i n d l i c h e n P a r t e i e n s o w i e auf d e n k o n k r e t z u r E n t s c h e i d u n g stehenden F a l l b e s c h r ä n k t ; dennoch w i r d sich n i c h t b e s t r e i t e n lassen, daß i n t e r n a t i o n a l e G e r i c h t e n i c h t n u r auf die F e s t s t e l l u n g , s o n d e r n auch a u f die F o r t e n t w i c k l u n g v o n G e w o h n h e i t s rechtsregeln g r o ß e n E i n f l u ß a u s ü b e n 1 5 . es heißt: "Nothing in this Treaty shall be construed by the Parties as in any way establishing any general principle of law or any precedent " (ebd., S. 810). 11 Vgl. u.a. Andrassy, Les relations internationales, S. 124; Brownlie, P r i n ciples, S. 13 m. w. N.; Dintelmann, Verunreinigung, S. 60 u n d 77 m. w. Ν . ; Dräger, Wasserentnahme, S. 29 f. m. w. Ν. ; Goldie, D. Μ . M., International L a w and Development of International River Basins, University of B r i t i s h Columbia L a w Review 1 (1959 - 1963), S. 763 ff. (765); Rousseau, droit international public, 1973, S. 83; siehe auch Thalmann, Grundprinzipien, S. 135 f.; Dobbert, Water Pollution, S. 72. 12 Vgl. Dintelmann, Verunreinigung, S. 60 u n d 77. Siehe auch Brownlie, P r i n ciples, S. 13; Dräger, Wasserentnahme, S. 30. 13 Vgl. auch Utton, International Water Quality L a w , natural resources j o u r n a l 13 (1973), S. 282 ff. (285): "International treaties are important sources of international law in reflecting general practice accepted as law"; ebenso Dobbert, Water Pollution, S. 66 Fußn. 25. Sehr kritisch, aber nicht ablehnend Berber, Lehrbuch Bd. I, S. 56 ff.; ders., Rechtsquellen, S. 94 ff. Ablehnend Csillag, Umweltkrise, S. 22 f.; w o h l auch Chauhan, Rangordnung verschiedener A r t e n von Wassernutzungen nach internationalem Wasserrecht, 1963, S. 81. 14 Dräger, Wasserentnahme, S. 30 m. w. N. Auch der I G H hat i n seinem Festlandsockel-Urteil ausdrücklich die Möglichkeit dieser A r t der B i l d u n g von Völkergewohnheitsrecht anerkannt, ZaöRV Bd. 29 (1969), S. 476 (512) Ziff. 71. 15 Dintelmann, Verunreinigung, S. 60. Vgl. auch Lauterpacht, The Development of International L a w by the International Court, 1958, S. 155 f.; Wengler, Völkerrecht Bd. I, S. 175; Jaenicke, Stichwort „Völkerrechtsquellen", i n :
90
I I . 2. Kap.: Die gegenwärtige Rechtslage
Anders als die Entscheidungen internationaler Gerichte können die Entscheidungen innerstaatlicher Gerichte ebensowenig w i e die sonstige innerstaatliche Praxis zur B i l d u n g von Völkergewohnheitsrecht beitragen. Wenn auch häufig der Versuch unternommen w i r d , die Praxis innerhalb von B u n desstaaten, insbesondere die Entscheidungen oberster bundesstaatlicher Gerichtshöfe über Streitigkeiten zwischen den Gliedstaaten, als konstitutives Element der Gewohnheitsrechtsbildung zu betrachten 1 6 , so ist eine solche Betrachtungsweise abzulehnen, da das Verhältnis der einzelnen Glieder eines föderalistischen Staates untereinander m i t dem gegenseitigen Verhältnis souveräner Staaten nicht vergleichbar i s t 1 7 . Die Entscheidungen bundesstaatlicher Gerichte stützen sich auf den Gedanken, daß die streitenden Gliedstaaten durch Verfassung u n d Gesetz an die Entscheidungen dieser Gerichte u n d durch geistige, politische u n d wirtschaftliche Bande aneinander gebunden sind 1 8 , daß sie nicht n u r gegenüber dem Bund, sondern auch untereinander zu bundestreuem Verhalten verpflichtet sind u n d hierzu notfalls gar gezwungen werden können 1 9 . „Solche Entscheidungen setzen also einen Grad der I n tegration voraus, der i n der Völkerrechtsgemeinschaft jedenfalls heute nicht vorhanden i s t 2 0 . " Entsprechendes gilt auch f ü r die übrige bundesstaatliche Praxis. Daher w i r d die innerstaatliche, insbesondere die bundesstaatliche Praxis zu Fragen des Umweltschutzes i m Rahmen der folgenden Untersuchungen des Völkergewohnheitsrechts als rechtsbildender Faktor nicht berücksichtigt werden. Zur
Rechtsnatur
der allgemeinen
Rechtsgrundsätze
g e n ü g t es, a n
diesem Orte festzustellen, daß sie ausschließlich aus einem Vergleich der innerstaatlichen Rechtsordnungen gewonnen werden können 21 . A l lein die gesonderte Aufführung dieser Rechtsquellen i n Art. 38 IGHStatut müßte genügen, die immer noch umstrittene Frage nach dem Wesen der allgemeinen Rechtsgrundsätze i n diesem Sinne zu beantworten. Wenn es sich nämlich entsprechend einer noch weit verbreiteten Auffassung 22 hierbei u m Sätze handelte, die sich i m völkerrechtlichen Verkehr Strupp-Schlochauer Bd. I I I , S. 766 ff. (771 f.); Rousseau, droit international public, S. 84, stellt sogar fest: " O n doit enfin ranger les décisions arbitrales et judiciaires internationales parmi les éléments constitutifs les plus riches de la coutume internationale 16 Vgl. ζ. Β . Bourne, International L a w and Pollution of International Rivers and Lakes, University of B r i t i s h Columbia L a w Review, 6 (1971), S. 115 ff. (128 f.); Dobbert, Water Pollution, S. 67, 83; Utton, International Water Qualit y L a w , S. 288 ff.; vorsichtig Lester, Pollution, S. 106 f. 17 Vgl. Andrassy, Les relations internationales, S. 100 m. w. N.; Bystricky, La pollution, S. 59; Stainov, The International L a w Aspects of River Pollution Control, 1964, S. 150. Einen Uberblick zum Stand der Meinungen gibt Chauhan, Rangordnung, S. 112 ff. Ausführlich zu dieser Frage auch Berber, Rechtsquellen, S. 123 ff. m. w. N. 18 Hartig, Internationale Wasserwirtschaft u n d internationales Recht, 1955, S. 29. 19 Seidl-Hohenveldern, Völkerrecht, Randziffer 358. 20 Ebd.; siehe auch Berber, Rechtsquellen, S. 124. 21 Vgl. Berber, Rechtsquellen, S. 136 und Lehrbuch Bd. I, S. 69. Ders., Rechtsquellen, S. 134 ff.; Lehrbuch Bd. I, S. 66 ff. gibt einen ausführlichen Uberblick über den diesbezüglichen Stand der Meinungen. Ebenso Seidl-Hohenveldern, Völkerrecht, Randziffern 344 ff. 22 Z u m Stand der Meinungen siehe Berber, Rechtsquellen, S. 134 ff.
Β. Das materielle Völkerrecht
91
herausgebildet haben, wären diese Regeln Bestandteil des Völkergewohnheitsrechts, was eine gesonderte Aufzählung als Rechtsquelle als sinnlos erscheinen ließe 23 . I m Völkerrecht anwendbare allgemeine Rechtsgrundsätze dürfen demnach nur dann als gegeben betrachtet werden, wenn ihre übereinstimmende Existenz zumindest i n dem größeren Teil der hauptsächlichsten innerstaatlichen Rechtssysteme nachgewiesen werden kann 2 4 . B. Das materielle Völkerrecht I. Umweltstörungen allgemein Es wurde bereits festgestellt 1 , daß die Internationalität des Umweltschutzes erst i n jüngerer Zeit zu einem auch völkerrechtlich anerkannten Faktum geworden ist. Ließ sich auch hinsichtlich verschiedener Teilbereiche des Umweltschutzes, so insbesondere für den Schutz der Gewässer vor Verunreinigung, eine vertragliche und außervertragliche völkerrechtliche Praxis vereinzelt bereits vor mehreren Jahrzehnten feststellen 2 , wobei für diese Praxis jedoch fast ausnahmslos wirtschaftliche, insbesondere fischereiwirtschaftliche und weniger ökologische Beweggründe eine Rolle gespielt haben 3 , so ist es eine absolut neue Erscheinung, daß der Umweltschutz als Gesamtproblem und nicht nur unter dem Gesichtspunkt umweltrelevanter Einzelfragen Eingang i n das Völkerrecht findet. Eine völkerrechtliche Praxis, die sich mit nachbarschaftlichem Umweltschutz als Gesamtkomplex befaßt, kann daher naturgemäß bisher nur von geringem Umfang sein. 1.
Vertragspraxis
Den Umweltschutz als Gesamtproblem erfassende Verträge sind — vor allem i n dem hier interessierenden nachbarrechtlichen Zusammenhang — noch recht selten anzutreffen. Zwar existiert eine Reihe unlängst abgeschlossener Verträge über die technologische, wissenschaftliche Zusammenarbeit auf dem Gebiet des Umweltschutzes 4 , Regelungen 23 Vgl. Seidl-Hohenveldern, Völkerrecht, Randziffer 346; Berber, Rechtsquellen, S. 136 f. Es geht auch aus der Auffassung der Schöpfer des S t l G H Statuts, dessen Wortlaut insoweit unverändert i n A r t . 38 I G H - S t a t u t übernommen wurde, hervor, daß die Autoren dieser Bestimmung die allgemeinen Rechtsgrundsätze als eigenständige Völkerrechtsquelle neben dem Gewohnheits- (und Vertrags-)Recht betrachteten (siehe Seidl-Hohenveldern, Völkerrecht, Randziffer 346; Kröger, Völkerrecht 1, S. 209). 24 So Berber, Rechtsquellen, S. 159. Vgl. auch Seidl-Hohenveldern, V ö l k e r recht, Randziffern 347 f. 1 Siehe oben Einführung zum 2. Teil. 2 Vgl. als eines der frühesten Beispiele A r t . 3 u n d 9 des am 9. August 1883 zwischen Österreich-Ungarn u n d Italien geschlossenen Vertrags über die Fischerei i m Garda-See (Österr. Reichsgesetzblatt 1885, S. 598 ff.). 3 Vgl. hierzu auch Colliard, Evolution et aspects actuels, S. 390.
92
I I . 2. Kap.: Die gegenwärtige Rechtslage
m i t speziell nachbarrechtlichem Bezug sind jedoch n u r i n wenigen Fällen bekannt. Wie so oft auf dem Gebiet des Umweltschutzes haben die skandinavischen Staaten auch für den Bereich des völkervertraglichen nachbarschaftlichen Umweltschutzrechts einen beispielhaften Schritt unternommen: Nach knapp zweijährigen Vorarbeiten unterzeichneten Dänemark, Finnland, Norwegen und Schweden am 19. Februar 1974 i n Stockholm die „Nordic Environmental
Protection
Convention" 5,
die nach D u r c h l a u -
fen der nationalen Ratifikationsverfahren i n der ersten Hälfte des Jahres 1975 i n K r a f t treten soll 6 . 4 Vgl. z. B. das sowjetisch-amerikanische Abkommen vom 23. M a i 1972 über die Zusammenarbeit i m Umweltschutz (International Legal Materials 11 [1972], S. 761; deutsche Ubersetzung: amerika dienst, United States Information Service, Bonn, Nr. 22/1972) sowie das deutsch-amerikanische Regierungsabkommen vom 9. M a i 1974 über die Zusammenarbeit i n Umweltfragen. 5 Die englische Übersetzung des Originaltextes sowie ein Kommentar zum Vertragstext sind einer maschinengeschriebenen Broschüre des Nordischen Rats entnommen (The Nordic Environmental Protection Convention w i t h a Commentary, ohne Datum). 6 So der Kommentar i n der o. a. Broschüre auf S. 2. Eine Berücksichtigung solcher unterzeichneter, aber noch nicht ratifizierter Verträge rechtfertigt sich aus folgenden Erwägungen. Wenn auch eine materielle Bindung an einen r a t i fikationsbedürftigen Vertrag erst durch den formellen A k t der Ratifikation erfolgen w i r d (vgl. aber die abweichende Meinung des Richters Lachs i n der Festlandsockelentscheidung des IGH, der u. a. aus der Unterzeichnung des Genfer Abkommens über den Kontinentalschelf durch die Bundesrepublik Deutschland bereits eine materielle Bindung an die sog. „equidistance-rule" ableiten w i l l [ICJ-Reports 1969, S. 218, 232]), so ist der unterzeichnete, aber nicht ratifizierte Vertrag dennoch mehr als n u r ein E n t w u r f (Dahm, Völkerrecht, Bd. I I I , S. 83). Das Völkerrecht k n ü p f t bereits an die Unterzeichnung gewisse Rechtsfolgen, die den Unterzeichnerstaaten schon vor Inkrafttreten des Vertrags eine Beschränkung ihrer Handlungsfreiheit auferlegen (siehe hierzu die ausführlichen Erörterungen von Bernhardt, Völkerrechtliche B i n dungen i n den Vorstadien des Vertragsschlusses, ZaöRV 18 [1957 - 58], S. 652 ff. Vgl. weiterhin Brownlie, Principles, S. 585; Dahm, Völkerrecht, Bd. I I I , S. 83; Guggenheim, Traité de droit international public, 1967, S. 155 f.; L o r d McNair, The L a w of Treaties, S. 199; Oppenheim-Lauterpacht, Bd. I, 1955, S. 909 f.). So sind die Parteien, solange die Ratifikation noch i n der Schwebe ist, insbes. gehalten, alles zu unterlassen, was den Vertragszweck vereiteln oder beeinträchtigen könnte (vgl. u.a. Dahm, Völkerrecht, Bd. I I I , S. 83; Guggenheim, Traité de droit international public, S. 155; Verdross, Völkerrecht, S. 164). I n der Entscheidung eines griechisch-türkischen Schiedsgerichtes aus dem Jahre 1928 w i r d diese Bindungswirkung m i t den Worten bekräftigt: . . que déjà avec la signature d'un Traité et avant sa mise en vigueur, il existe pour les parties contractantes une obligation de ne rien faire qui puisse nutre au Traité en diminuant la portée de ses clauses " (Aristoteles A. Megalidis c. Etat ture vom 26. J u l i 1928, Recueil des décisions des tribunaux arbitraux mixtes, Bd. V i l i [1928 - 1929] Nr. 199, S. 386, insbes. S. 395). Dieser Grundsatz, der i n A r t . 18 der Wiener Vertragsrechtskonvention vom 23. M a i 1969 (abgedruckt i n ZaöRV 29 [1969], S. 711 [721]) ausdrücklichen Niederschlag gefunden hat, ermöglicht es auch, i m Rahmen der weiteren Untersuchung des U m w e l t v e r tragsrechts der vor allem i m außereuropäischen Bereich trotz intensiver Recherchen häufig nicht feststellbaren Ratifikationsfrage nicht näher nachgehen zu müssen. Dies kann allerdings dann nicht gelten, wenn ein Vertrag
Β . Das materielle Völkerrecht
93
Diese Konvention umfaßt alle vom Boden, vom Festlandsockel oder von unbeweglichen Anlagen eines Vertragsstaates ausgehenden Umweltstörungen, die zu Schäden i n einem anderen Vertragsstaat führen. Art. 1 definiert die von der Konvention erfaßten umweltschädigenden A k t i v i täten als "the discharge f r o m the soil or f r o m buildings or installations of solid or l i q u i d waste, gas or any other substance into watercourses, lakes or the sea and the use of land, the seabed, buildings or installations i n any other w a y which entails or may entail environmental nuisance by water pollution or any other effect on water conditions, sand drift, air pollution, noise, v i b r a tion, changes i n temperature, ionizing radiation, light etc 7 ."
Das Ubereinkommen enthält als fundamentale Regelung, daß " i n considering the permissibility of environmentally h a r m f u l activities, the nuisance which such activities entail or may entail i n another Contracting State shall be equate w i t h a nuisance i n the State where the activities are carried out." (Art. 2)
Aus diesem Grundsatz ergibt sich zunächst, daß die nationalen Behörden der Vertragsstaaten i m Rahmen der für umweltschädliche Vorhaben nach innerstaatlichem Recht vorgesehenen Genehmigungsverfahren die Umweltschutzbelange des gestörten oder potentiell beeinträchtigten Nachbarstaates und seiner Bewohner i n gleichem Maße berücksichtigen müssen wie die eigenen innerstaatlichen Belange 8 . Dies gilt nicht nur für die Genehmigung neuer oder geplanter, sondern auch für die Uberwachung bereits betriebener umweltschädigender Aktivitäten 9 . Die Konvention sieht weiterhin vor, daß jedermann, der tatsächlich oder möglicherweise von einem Schaden betroffen wird, der durch eine umweltschädigende A k t i v i t ä t auf dem Gebiet eines anderen Vertragsstaates verursacht wird, gleich den Bürgern des Störerstaates das Recht haben soll, die Frage nach der Zulässigkeit solcher A k t i v i t ä t einschließlich der Frage nach eventuell anzuordnenden Verhütungsmaßnahmen vor das zuständige Gericht oder die zuständige Verwaltungsbehörde des Störerstaates zu bringen 1 0 . Gegen die Entscheidungen dieses Gerichts oder dieser Behörde stehen dem Geschädigten dieselben Rechtsmittel zur Verfügung, die von einer Rechtspersönlichkeit des Störerstaates wahrgenommen werden könnten (Art. 3 I der Konvention). Diese Bestimmungen finden auch auf das Geltendmachen von Schadensersatzansprüchen auf Dauer oder über lange Zeit hinweg die notwendigen Ratifikationen nicht zu erzielen vermag. 7 Das Versenken von Abfällen u n d Ablassen von ö l durch Schiffe sowie v o m L u f t v e r k e h r ausgehende Umweltstörungen werden somit ζ. B. von den Regelungen der Konvention ausgenommen (so ausdrücklich der Kommentar, S. 2). 8 Vgl. den Kommentar, S. 3 f. u n d A r t . 2 der Konvention. 9 Kommentar, S. 4. 10 Das gleiche Recht steht den i n jedem L a n d speziell zur Wahrung der nationalen Interessen vor grenzüberschreitenden Umweltschädigungen einzurichtenden „supervisory authorities" zu (Art. 4).
94
I I . 2. Kap. : Die gegenwärtige Rechtslage
entsprechende Anwendung (Art. 3 I I 1). Bei der Festsetzung der Höhe eines somit möglicherweise zu gewährenden Schadensersatzes darf nicht nach Normen vorgegangen werden, die dem Geschädigten weniger günstig als die i m Störerstaat geltenden Schadensersatzregeln sind (Art. 3 I I 2). Aus all diesen Regelungen spricht ein Leitgedanke dieser Konvention, den Bürgern der Vertragsstaaten i m Hinblick auf die Verfolgung ihrer rechtlichen Interessen gegenüber einer umweltschädigenden Aktivität, gleich in welchem dieser Staaten diese ihren Ursprung hat, jeweils denselben rechtlichen Status zu gewähren 11 . Die Anwendbarkeit der Konvention w i r d aus praktischen Gründen insofern begrenzt, als den für die Genehmigung umweltschädigender Aktivitäten zuständigen nationalen Gerichten und Verwaltungsbehörden eine Berücksichtigung nachbarstaatlicher Interessen nur dann vorgeschrieben ist, wenn sie der Meinung sind, daß die von ihnen untersuchte umweltschädigende A k t i v i t ä t geeignet ist, spürbare Schäden („nuisance of significance") i n einem Nachbarland hervorzurufen (Art. 4 der Konvention) 1 2 . Z u m besseren Verständnis dieses Ubereinkommens u n d zur Beurteilung der Wirksamkeit der i n i h m enthaltenen Regeln ist darauf hinzuweisen, daß sich die Umweltschutzanforderungen innerhalb der einzelnen nordischen Staaten weitgehend gleichen u n d die nationalen Umweltschutzgesetzgebungen i n allen Staaten p r i m ä r konzessionären Charakters sind, wonach eine (möglicherweise) umweltgefährdende Einrichtung n u r m i t behördlicher oder gerichtlicher Genehmigung installiert oder betrieben werden darf. A u f dieser Tatsache u n d der Voraussetzung, daß die nationalen Umweltschutzgesetzgebungen sich auch w e i t e r h i n an diesen Grundsätzen orientieren werden, beruht die Ausgestaltung u n d i n Z u k u n f t auch die praktische E f f e k t i v i t ä t dieser K o n v e n t i o n 1 3 .
Abschließend kann festgestellt werden, daß das Nordische Umweltschutzabkommen aufgrund der verhältnismäßig strengen i n den einzelnen Vertragsstaaten geltenden nationalen Umweltschutzanforderungen, die über dieses Abkommen auch i m zwischenstaatlichen Bereich A n wendung finden, eine bedeutende Einschränkung des absoluten Souveränitätsprinzips zugunsten eines Prinzips der beschränkten territorialen Souveränität und Integrität darstellt. Hiermit w i r d von den Vertragsparteien bewußt 1 4 dem Grundsatz 21 der Stockholmer Umweltdeklaration vom 16. Juni 1972 entsprochen, der eine Pflicht der Staaten statuiert, dafür zu sorgen, daß durch Tätigkeiten innerhalb ihres Hoheitsoder Kontrollbereichs der Umwelt i n anderen Staaten kein Schaden zugefügt w i r d 1 5 . Auch die Regelung der Schadensersatzfrage folgt einer Aufforderung der Stockholmer Deklaration 1 6 . 11 12 13 14 15
Vgl. Kommentar, S. 4. Vgl. hierzu auch den Kommentar, S. 2. Vgl. auch Kommentar, S. 1 f. Siehe Kommentar, S. 11. Siehe hierzu noch i m folgenden nach A n m . 38.
Β . Das materielle Völkerrecht
95
Ein dem nordischen Umweltschutzabkommen vergleichbar detailliertes Vertragswerk ist derzeit nirgendwo zu finden. Für den europäischen Raum ist dem Verfasser überhaupt nur ein weiteres Abkommen bekannt, das sich auf nachbarrechtliche Fragen des Umweltschutzes ganz generell bezieht: es handelt sich um die zwischen den Regierungen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik am 20. September 1973 i n Bonn getroffene Vereinbarung über Grundsätze
zur Schadensbekämpfung
an der innerdeutschen
Grenze 17.
W i r d auch der Umweltschutz als Terminus nicht ausdrücklich genannt, so ergibt sich doch aus der beispielhaften, nicht abschließenden A u f zählung möglicher Schadensfälle in Art. 2, daß dieses Abkommen i n erster Linie Problemen des nachbarschaftlichen Umweltschutzes gilt. Speziell erwähnt werden u. a. Verunreinigung der Grenzgewässer durch Schadstoffe, soweit sich Auswirkungen auf dem Gebiet des anderen Staates ergeben können (Art. 2 f.), Verunreinigungen der Luft, die i m Grenzgebiet entstehen oder dort auftreten, soweit eine unmittelbare Gefahr für Menschen, Tiere oder Pflanzen auf dem Gebiet des anderen Staates eintreten kann (Art. 2 g), oder Strahlengefahren (Art. 2 j). Zur Zulässigkeit solcher grenzüberschreitender Umweltbeeinträchtigungen bestimmt Art. 4 Abs. 1 des Abkommens: „Jede Seite w i r d alle möglichen Maßnahmen ergreifen, u m den E i n t r i t t von Schäden auf dem Gebiet des anderen Staates, die ihre Ursachen auf dem Gebiet des eigenen Staates haben, zu verhindern."
Ob aus dieser weitgefaßten Bestimmung die Anerkennung eines absoluten territorialen Integritätsprinzips oder aber eines Prinzips der beschränkten territorialen Souveränität und Integrität spricht, ist nicht ohne weiteres festzustellen. Eindeutig erkennbar ist nur die Ablehnung eines Prinzips absoluter territorialer Souveränität durch die Vertragsparteien. Es ist jedoch auch davon auszugehen, daß ein Prinzip absoluter territorialer Integrität ebenfalls nicht der Rechtsüberzeugung der Vertragspartner entspricht. Insbesondere der tatsächliche, zum Teil erheblich verschmutzte Zustand verschiedener Grenzgewässer 18 spricht da16
Grundsatz 22: „Die Staaten sollen bei der Weiterentwicklung des Völkerrechts in bezug auf Haftung und Entschädigung für die Opfer der Verschmutzung und sonstige Umweltschäden zusammenarbeiten, die durch Tätigkeiten innerhalb des Hoheits- oder Kontrollbereichs der Staaten in Gebieten außerhalb ihres Hoheitsbereichs entstehen." 17 B u l l e t i n der Bundesregierung Nr. 115 v o m 21. Sept. 1973, S. 1141 ff. Der Abschluß dieser Vereinbarung geht auf eine entsprechende Forderung des Zusatzprotokolls zu A r t . 3 des innerdeutschen Grundvertrages zurück. Bestehen nach Auffassung der Bundesrepublik Deutschland auch keine völkerrechtlichen Beziehungen zur DDR, so dürften die zwischen beiden Staaten getroffenen Übereinkommen zumindest völkerrechtsähnlichen Charakter haben, so daß der Berücksichtigung der Vereinbarung zur Schadensbekämpfung i m Rahmen dieser Untersuchung keine schwerwiegenden Bedenken entgegenstehen. 18 Siehe oben 1. T., 2. Kap. A nach A n m . 82.
96
I I . 2. Kap. : Die gegenwärtige Rechtslage
gegen, daß sich die beiden Staaten zugunsten eines absoluten Integritätsprinzips und somit eines absoluten Verbots grenzüberschreitender Umweltbeeinträchtigungen festlegen wollten 1 9 . Aus der außereuropäischen Vertragspraxis ist vor allem die am 15. September 1968 von 41 Mitgliedstaaten der Organisation für afrikanische Einheit (OAU) i n A l g i e r unterzeichnete afrikanische die Erhaltung
der Natur
und der natürlichen
Hilfsquellen
Konvention
über
zu erwähnen 20.
Diese Konvention stellt eine Fortentwicklung und thematische Erweiterung der Londoner Konvention von 1933 über den Schutz der natürlichen Formen der afrikanischen Flora und Fauna dar und nimmt i n sehr allgemeiner und relativ unverbindlicher F o r m 2 1 zu Fragen des Schutzes der Natur und der sich erneuernden Hilfsquellen 2 2 Stellung, I n erster Linie wohl als Grundlage für eine Ankurbelung und Harmonisierung einschlägiger nationaler Gesetzgebungsaktivitäten der afrikanischen Staaten gedacht 23 , enthält die Konvention von Algier nur wenige Bestimmungen speziell nachbarrechtlichen Charakters. Aus den vorhandenen nachbarrechtlich relevanten Vertragsartikeln, die ausschließlich die zwischenstaatliche Zusammenarbeit i m Falle nachbarschaftlicher Nutzungskonflikte betreffen 24 und deshalb erst unten C. behandelt werden sollen, ergibt sich jedoch schlüssig für das materielle Nachbarrecht zumindest die Regel, daß die Vertragsstaaten nicht nur für den Schutz von Natur und natürlichen Ressourcen innerhalb ihres eigenen Hoheitsgebietes zu sorgen haben, sondern bei ihren Handlungen und Entscheidungen auch die 19 Die Äußerung eines DDR-Regierungsmitglieds (siehe Deutsche Außenpolitik, Heft 1/1974, S. 58), daß dieses A b k o m m e n entsprechend der für diese Problematik „international üblichen Grundsätze" abgeschlossen worden sei, spricht ebenfalls für die Ablehnung auch eines absoluten Integritätsprinzips; denn ein solches entspricht, wie sich noch zeigen w i r d , keineswegs den ü b l i chen Grundsätzen. 20 Englischer u n d französischer Originaltext abgedruckt i n einer Veröffentlichung des Generalsekretariats der OAU, Addis Abeba (ohne Datum). Diese Veröffentlichung enthält auch eine Liste der 41 Signatarstaaten. Die K o n v e n tion, die noch nicht von allen Signatarstaaten ratifiziert worden ist, trat am 9. Oktober 1969 i n K r a f t . Entstehungsgeschichte u n d Kommentierung siehe Burhenne, Die afrikanische Konvention über die Erhaltung der N a t u r u n d der natürlichen Hilfsquellen von Algier 1968, A f r i k a heute 1969, S. 241 ff.; Chédal, L a conservation, S. 155 f. 21 So Chédal, L a conservation, S. 160. 22 Als solche werden i n A r t . I I I genannt: Boden, Wasser, Flora, Fauna. 23 Vgl. A r t . I I der Konvention: "Les Etats contractants s'engagent à prendre les mesures nécessaires pour assurer la conservation , Vutilisation et le developpement des sols, des eaux, de la flore et des ressources en faune .. 24 A r t . V Abs. 2 regelt die Konsultation u n d institutionelle Zusammenarbeit i m Hinblick auf von mehreren Vertragsstaaten gemeinsam genutzte Gewässer; A r t . X I V Abs. 3 sieht Konsultationen für den F a l l vor, daß nationale E n t w i c k lungspläne die natürlichen Hilfsquellen eines Nachbarstaates beeinträchtigen können, u n d A r t . X V I sieht eine nachbarschaftliche Kooperation immer dann vor, wenn diese erforderlich ist, u m die Vorschriften der Konvention zu realisieren u n d w e n n eine nationale Maßnahme geeignet ist, die natürlichen Ressourcen eines anderen Staates i n Mitleidenschaft zu ziehen.
97
Β . Das materielle Völkerrecht
Natur und Hilfsquellen anderer potentiell davon betroffener Vertragsstaaten berücksichtigen müssen. Eine solche Regel, ist sie auch noch so allgemeiner Natur, stellt eine Absage an das Prinzip der absoluten territorialen Souveränität dar. Deutliche Anerkennung findet das Prinzip einer beschränkten territorialen Souveränität und Integrität i n einem argentinisch-brasilianischen Abkommen
über die Nutzung
der natürlichen
Ressourcen,
das a m
29. September 1972 am Rande der damaligen UNO-Vollversammlung i n New York unterzeichnet und gleichzeitig als Resolutionsentwurf i n die Debatten der 27. UNO-Vollversammlung eingebracht wurde 2 5 . I n diesem Abkommen heißt es unter anderem: "Los Cancilleros de Argentina y de B r a s i l . . . , Subrayan que en la exploración, la explotación y el desarollo de sus recursos naturales, los Estados no deben causar efectos perjudiciales sensibles en zonas situadas fuera de su jurisdicción n a c i o n a l ; . . . "
Die Beschränkung territorialer Souveränität und Integrität findet hier ihren Ausdruck i n dem Verbot spürbarer grenzüberschreitender Schädigungen. Obwohl diesem Vertrag nur eine kurze Geltungsdauer beschieden war — Argentinien kündigte aufgrund einer angeblichen brasilianischen Vertragsverletzung mit einer Note vom 10. J u l i 1973 das A b kommen einseitig auf 2 6 —, verdient seine Existenz Erwähnung, weil er das bisher einzig bekannte Beispiel aus der außereuropäischen Vertragspraxis darstellt, das sich speziell mit dem Gesamtkomplex grenzüberschreitender Umweltstörungen befaßt. Die vorstehende Darstellung zeigt, daß sich das Völkervertragsrecht, was die Regelung des Gesamtproblems nachbarschaftlicher Umweltstörungen anbetrifft, erst i n den Anfängen seiner Entwicklung befindet. Die wenigen bisher zustandegekommenen einschlägigen Abkommen sind bis auf das Nordische Umweltschutzabkommen sehr allgemeiner A r t und lassen als gemeinsame Grundidee nur eine Ablehnung des Prinzips absoluter territorialer Souveränität und wohl auch des Prinzips absoluter territorialer Integrität erkennen. 2. Sonstige
völkerrechtliche
a) Praxis der Staaten Zulässigkeit
grenzüberschreitender
Praxis 27
Umweltstörungen
Auch die außervertragliche Staatenpraxis auf dem Gebiet des nachbarschaftlichen Umweltschutzes hat sich bisher vornehmlich auf die Aus25 E i n Abdruck dieses Abkommens ist i n einer von der argentinischen B o t schaft i n Bonn veröffentlichten Pressemitteilung des argentinischen Außenministeriums enthalten (maschinengeschrieben, ohne Datum). 26 Argentinien bezichtigte Brasilien, i m Zusammenhang m i t der Planung des brasilianisch-paraguayischen Staudamm-Projekts bei I t a i p ù eine i m V e r trag i n Aussicht gestellte Informationspflicht verletzt zu haben. Vgl. hierzu i m einzelnen R G D I P 77 (1973 II), S. 1150 ff.; v. d. Heydte, der Paranä-Fall, S. 215.
7 Klein
I I . 2. Kap.: Die gegenwärtige Rechtslage
98
einandersetzung m i t Teilaspekten des Umweltschutzes, wie zum Beispiel dem Schutz vor Gewässer- oder Luftverunreinigungen, beschränkt. I m Hinblick auf den grenzübergreifenden Umweltschutz als umfassende völkerrechtliche Gesamtproblematik ist die Praxis noch recht spärlich. D i e Vereinigten
Staaten
von
Nordamerika,
d i e noch z u B e g i n n des
20. Jahrhunderts zumindest i m internationalen Wasserrecht ein Prinzip absoluter territorialer Souveränität vertreten hatten, wonach das Völkerrecht keine Regel enthielte, die einen Staat daran hindern könnte, die natürlichen Ressourcen innerhalb seines Territoriums nach freiem Belieben und ohne Berücksichtigung nachbarlicher Interessen zu nutzen 28 , haben sich schon seit langem von dieser nationalistischen, nach ihrem Verfasser benannten „Harmon-Doktrin" abgekehrt 29 . Die Aufgabe der „Harmon-Doktrin" kommt deutlich i n einem Schreiben des stellvertretenden US-Außenministers vom 12. M a i 1955 zum Ausdruck, in dem es heißt: " . . . the principle of international l a w which obligates every state to respect the f u l l sovereignty of other states and to refrain f r o m creating or authorizing or countenancing the creation on its t e r r i t o r y of any a g e n c y . . . which causes i n j u r y to another state or its inhabitants, is one of longstanding and universal recognition 3 0 ."
Wenn auch die absolute Formulierung dieser Worte für eine Anerkennung des Prinzips absoluter territorialer Integrität durch die Vereinigten Staaten sprechen sollte, läßt das i m Sachverhaltsaufriß erkennbar gewordene große Ausmaß grenzüberschreitender Umweltbelastungen insbesondere i m amerikanisch-kanadischen Grenzgebiet nur schwerlich die Vorstellung zu, daß sich die USA mit der Anerkennung einer Theorie absoluter territorialer Integrität auch einem zwangsläufig daraus hervorgehenden absoluten Verbot grenzüberschreitender Umweltbeeinträchtigungen unterworfen haben sollten. Überdies spricht die einschlägige vertragliche und außervertragliche Praxis der USA auf dem Gebiet grenzübergreifenden Umweltschutzes eher für die Anerkennung eines Prinzips beschränkter territorialer Souveränität und Integrität. Da sich diese Praxis bisher jedoch fast ausschließlich i m Hinblick auf Einzelformen transnationaler Umweltstörungen herausgebildet hat, soll dieser Frage i m einzelnen bei der Behandlung dieser Einzelaspekte nachgegangen werden 3 1 . 27 Darstellungen u n d Hinweise zur Staatenpraxis, die i m weiteren Verlauf der Untersuchung ohne Zitatangabe erfolgen, beruhen i n der Regel auf persönlichen Gesprächen des Verfassers m i t Vertretern von Regierungen, Behörden, Körperschaften oder internationalen Organisationen. 28 Z u dieser von dem damaligen A t t o r n e y General H a r m o n begründeten u n d nach i h m benannten „ H a r m o n - D o k t r i n " siehe noch unten 2. T., 2. Kap. Β I I 2 a nach Anm. 384. 29 Vgl. u. a. Utton, International Environmental L a w and Consultation Mechanisms, Columbia Journal of Transnational L a w 12 (1973), S. 56 ff. (57). 30 Zitiert nach Randelzhofer-Simma, K e r n k r a f t w e r k , S. 401.
Β . Das materielle Völkerrecht
99
Neben den USA scheinen auch Kanada und Mexiko eine Theorie der beschränkten territorialen Souveränität und Integrität zu vertreten 3 2 . Dasselbe gilt auch für die Auffassung der belgischen Regierung, die i m Streitfall u m die Maasableitung vor dem Ständigen Internationalen Gerichtshof erklärte, es sei einem Staat aufgrund allgemeinen Völkerrechts verboten, auf seinem Territorium Vorhaben auszuführen, die einen schweren Schaden auf dem Gebiet eines anderen Staates verursachen könnten 3 3 . Die schweizerische Regierung schien i n einem Gutachten des Eidgenössischen Politischen Departements vom 3. Mai 1952, das sich m i t der Zulässigkeit der Konstruktion einer Seilschwebebahn von italienischem Territorium auf das Matterhorn befaßte und anläßlich dieser Frage grundsätzlich zum Problem grenzüberschreitender Einwirkungen auf fremdes Staatsgebiet Stellung nahm 3 4 , ein strenges Integritätsprinzip zu vertreten 3 5 : Das souveräne Recht eines Staates, innerhalb seines Gebietes frei zu handeln, finde „seine natürlichen Grenzen" i n der Verpflichtung, keine Handlungen vorzunehmen, die die territoriale Souveränität eines anderen Staates beeinträchtigen 36 . Wie der Sachverhaltsaufriß gezeigt hat — es sei hier u. a. auf den Bau und Betrieb von Atomkraftwerken sowie umweltbelastender chemischer und pharmazeutischer Industrie i m Grenzbereich oder auf das Basler Abwässerproblem hingewiesen —, scheint die Schweiz jedoch heute i n bezug auf transnationale Umweltstörungen, die von ihrem Gebiet ausgehen, ein absolutes Integritätsprinzip nicht (mehr) anzuerkennen. Eine genauere Bestimmung des schweizerischen Standpunktes kann allerdings mangels eindeutiger Staatenpraxis bezüglich des Gesamtproblems grenzüberschreitenden Umweltschutzes erst i m Rahmen der Behandlung der Einzelaspekte transnationaler Umweltstörungen wie Wasser- und Luftverunreinigung erfolgen. Die Anerkennung eines Prinzips beschränkter territorialer Souveränität und Integrität könnte auch der i m Zusatzprotokoll zu A r t i k e l 7 des innerdeutschen Grund Vertrags enthaltenen Absichtserklärung der beiden deutschen Staaten zu entnehmen sein, nach der die beiden Staaten 31 Hingewiesen sei hier n u r ζ. B. auf das amerikanisch-kanadische A b k o m men v o m 15. A p r i l 1972 über die Wasserqualität der Großen Seen (International Legal Materials vol. 11 [1972], S. 694; siehe hierzu auch unten 2. T., 2. Kap. Β I I 1 a nach A n m . 297). 32 So Enriquez, International Legal Implications of Industrial Development along the Mexican-U. S. Border, natural resources j o u r n a l 12 (1972), S. 567 ff. (574). 33 Zitiert nach Andrassy, Les relations internationales, S. 95. 34 Das Gutachten ist abgedruckt bei Guggenheim, L a pratique suisse (1956), S. 158 ff. 35 Vgl. auch Dintelmann, Gibt es völkergewohnheitsrechtliche Regeln auf dem Gebiet der Verunreinigung internationaler Binnengewässer?, Zeitschrift für Wasserrecht 4 (1965), S. 75 ff. (86). 36 Guggenheim, L a pratique suisse (1956), S. 159.
7*
100
I I . 2. Kap. : Die gegenwärtige Rechtslage
den Abschluß von Vereinbarungen auf dem Gebiet des Umweltschutzes anstreben werden, um zur Abwendung von Schäden für die jeweils andere Seite beizutragen 37 . Die weitgefaßte Formulierung dieser Klausel spricht wohl gegen die Anerkennung eines der beiden absoluten Prinzipien durch die Vertragsparteien. Die erste eindrucksvolle Stellungnahme der Staatengemeinschaft zur nachbarrechtlichen Problematik grenzüberschreitender Umweltstörungen ist mit der Verabschiedung der Deklaration über die Umwelt des Menschen durch die Stockholmer
UN-Umweltkonferenz
v o m J u n i 1972
erfolgt 3 8 . Grundsatz 21 der Deklaration lautet in deutscher Ubersetzzung 3 9 : „Die Staaten haben nach Maßgabe der Charta der Vereinten Nationen u n d der Grundsätze des Völkerrechts das souveräne Recht zur Ausbeutung ihrer eigenen Hilfsquellen nach Maßgabe ihrer eigenen U m w e l t p o l i t i k sowie die Pflicht, dafür zu sorgen, daß durch Tätigkeiten innerhalb ihres Hoheitsoder Kontrollbereichs der U m w e l t i n anderen Staaten . . . kein Schaden zugefügt w i r d . "
Dieser Grundsatz läßt nicht eindeutig erkennen, ob er i n Befolgung eines Prinzips absoluter territorialer Integrität auch ein absolutes Verbot grenzüberschreitender Umweltstörungen statuiert. Dem Wortlaut des i n diesem Zusammenhang primär interessierenden zweiten Halbsatzes könnte ein solches Verbot entnommen werden. Eine isolierte Betrachtungsweise dieses Halbsatzes erscheint jedoch unangebracht und falsch. Vielmehr ist er i n Verbindung mit dem ersten Teil des Grundsatzes 21 zu sehen, der allen Staaten das eigenverantwortliche souveräne Recht über die Nutzung ihrer eigenen Ressourcen zugesteht und som i t Ausdruck eines Prinzips absoluter territorialer Souveränität ist. Da aber nicht anzunehmen ist, daß die Deklaration zwei miteinander unvereinbaren Prinzipien zu gleichzeitiger Wirksamkeit verhelfen will, ist davon auszugehen, daß Grundsatz 21 der Stockholmer Umweltdeklaration eine gegenseitige Beschränkung der beiden absoluten Prinzipien i m Sinne eines Prinzips der beschränkten territorialen Souveränität und Integrität statuieren w i l l 4 0 . Überdies läßt auch die Ubersetzung des eng37
P u n k t 9 des Zusatzprotokolls zu A r t . 7 des Grundvertrags. Z u dieser Konferenz siehe U N Doc. A/CONF. 48/14 (Report of the United Nations Conference on the H u m a n Environment held at Stockholm, 5 - 1 6 June 1972). Z u r Bedeutung solcher Beschlüsse internationaler Organisationen für die B i l d u n g u n d Feststellung v o n Regeln des Völkerrechts, siehe oben 2. T., 2. Kap. A nach A n m . 6. 39 Deutsche Übersetzung des englischen bzw. französischen Originaltextes i n : Stockholmer Resultate, S. 161 (166). 40 Vgl. Brownlie, A Survey of International Customary Rules of E n v i r o n ment Protection, natural resources j o u r n a l 13 (1973), S. 179 ff. (188); v. d. Heydte, Der Parana-Fall, S. 214; Utton, International Water Quality L a w , S. 293. I m gleichen Sinne w o h l auch Sand, Neue internationale Aspekte des F l u g l ä r m problems, Studientagung f ü r Luftrecht: „Neue Tendenzen i m Luftrecht". Universität Basel 30.11. - 1.12.1972, S. 15 ff. (17). 38
Β. Das materielle Völkerrecht
101
lischen Originaltextes eine dahingehende Interpretation zu. Dort heißt es nämlich: "States h a v e . . . the responsibility to ensure that activities w i t h i n their jurisdiction . . . do not cause damage to the environment of other States . . U b e r s e t z t man „responsibility" nicht m i t dem absolut klingenden Terminus „Verpflichtung", sondern wohl zutreffender m i t dem dehnbareren Begriff „Verantwortlichkeit" 4 1 , so ergibt sich bereits aus dieser Übersetzung eine Einschränkung des Prinzips absoluter territorialer Integrität. Schließlich spricht auch die von der 27. UN-Vollversammlung ohne Gegenstimme verabschiedete Resolution 2995 (XXVII)* 2, die mit dem oben erwähnten argentinisch-brasilianischen Vertrag vom 29. September 1972 wörtlich übereinstimmt 4 3 , für eine dahingehende Interpretation des zweiten Halbsatzes von Grundsatz 21 der Stockholmer Deklaration. Diese Resolution, die sich ausdrücklich auf die Grundsätze der Stockholmer Erklärung beruft und somit als Interpretationsquelle dienen kann, schränkt das Prinzip absoluter territorialer Integrität insoweit ein, als die Staaten nur erhebliche grenzüberschreitende Umweltstörungen vermeiden sollen ( " . . . no deben causar efectos perjudiciales sensibles . . . " ) Eine ähnliche Interpretation des Grundsatzes 21, die allerdings auf einen gerechten Rechts- und Interessenausgleich abstellt, ist auch den Grundsätzen, betreffend die grenzüberschreitende Verunreinigung, zu entnehmen, die von den Umweltministern der OECD-Mitgliedstaaten i m November 1974 verabschiedet wurden. Dort heißt es nämlich, daß die Mitgliedstaaten in Ubereinstimmung mit Grundsatz 21 der Stockholmer Erklärung „should seek, as far as possible, an equitable balance of their rights and obligations as regards the zones concerned by transfrontier pollution" 4 4 . Problematischer als die Feststellung des Sinngehalts des Grundsatzes 21 erscheint die Frage, ob diesem Grundsatz bereits völkerrechtliche Wirksamkeit zukommt. Hauptzweck der Stockholmer UmweltKonferenz — so die Vollversammlung der Vereinten Nationen i n ihrem Beschluß 2581 (XXIV) — war es, Richtlinien für Maßnahmen von Regierungen und internationalen Organisationen aufzustellen 45 . Dementsprechend w i r d häufig die Meinung vertreten, die i n der Stockholmer Deklaration enthaltenen Prinzipien seien reine Programmsätze, bezüglich derer eine Bindungswirkung weder erkennbar noch beabsichtigt sei 46 . Andererseits wurde jedoch oben bereits darauf hingewiesen, daß 41 So auch die Übersetzung i n Archiv der Gegenwart 42 (1972), S. 17199 (17201). Dem deutschen Begriff „Verpflichtung" entspräche w o h l eher das englische „ d u t y " oder „obligation". 42 Siehe hierzu Archiv der Gegenwart 43 (1973), S. 17967; R G D I P 77 (1973 II), S.1151. 43 Siehe oben bei A n m . 25. 44 Siehe Annex, Title Β zu den Empfehlungen betreffend die grenzüberschreitende Verunreinigung (OECD Press A [74] 47, Paris, 14. Nov. 1974). 45 Z i t i e r t nach Timmler, Umweltkonferenz, S. 622. 46 Vgl. u. a. Brown, Conventional L a w , S. 209; Sand, Aspekte, S. 18.
102
I I . 2. Kap. : Die gegenwärtige Rechtslage
Beschlüsse internationaler Organisationen eine besondere Beweisfunktion i m Prozeß der Völkergewohnheitsrechtsbildung erfüllen können, indem durch einheitliche Stimmabgabe der Nachweis objektiv vorliegender Übung und subjektiv vorhandener Rechtsüberzeugung erbracht werden kann 4 7 . I n bezug auf Grundsatz 21 der Erklärung von Stockholm spricht einiges dafür, daß dieser Nachweis mit Verabschiedung der Erklärung erbracht worden ist. Die Tatsache, daß die Erklärung erst nach langjährigem zähen Ringen zustandekam 48 , spricht für die Bedeutung, die dieser Erklärung von den an der Konferenz beteiligten Staaten nicht zuletzt auch i n rechtlicher Hinsicht beigemessen wurde und spricht dagegen, daß es sich um die Formulierung eines unverbindlichen, belanglosen Lippenbekenntnisses handelte. Die einstimmige Billigung der Erklärung über die Umwelt des Menschen durch die 113 Teilnehmerstaaten 49 beweist einen Konsens der Staatengemeinschaft auch auf dem Gebiet des nachbarschaftlichen Umweltschutzes, der auf eine gemeinsame Rechtsüberzeugung schließen läßt 5 0 und der für das Vorliegen der für die Feststellung von Völkergewohnheitsrecht erforderlichen Elemente spricht. Demgemäß hat die kanadische Delegation i n Stockholm ausdrücklich die Ansicht vertreten, Grundsatz 21 entspreche dem geltenden Völkerrecht. I n ähnlichem Sinne äußert sich auch die Resolution 2996 (XXVII) der UN-Vollversammlung vom 15. Dezember 1972, die — mit 112 Ja-, keiner Gegenstimme und zehn Enthaltungen beschlossen — klarstellt, " t h a t no resolution adopted at the twenty-seventh session of the General Assembly can affect principles 21 and 22 of the Declaration of the United Nations Conference on the H u m a n E n v i r o n m e n t "
und darauf hinweist, daß (auch) Grundsatz 21 „lay(s) down the basic rules governing this matter" 5 1 . Diese Feststellungen können darauf schließen lassen, daß nach Ansicht der überwältigenden Mehrheit der UN-Mitgliedstaaten Grundsatz 21 der Stockholmer Erklärung allgemeinem Völkerrecht entspricht. Endlich spricht auch die bereits erwähnte Resolution 2995 (XXVII) 52 vom 15. 12. 1972, die mit 115 gegen n u l l Stim47
Siehe oben 2. T., 2. Kap. A nach Anm. 6. Z u r Entstehungsgeschichte der Stockholmer Deklaration vgl. die ausführliche Darstellung bei Timmler, Umweltkonferenz, S. 618 ff. 49 Vgl. Kay, U m w e l t p o l i t i k durch die Vereinten Nationen, Europa-Archiv 1973, S. 259 ff. (263); Timmler, Umweltkonferenz, S. 626. Die UdSSR u n d ihre Verbündeten Bulgarien, Polen, Tschechoslowakei u n d Ungarn waren zwar an den Vorarbeiten zur Stockholmer Konferenz beteiligt, nahmen aber aus Protest gegen die Nichtzulassung der D D R als stimmberechtigte Konferenzteilnehmer an der Tagung selbst nicht teil. Siehe hierzu Timmler, a.a.O., S. 619 f. 50 Ebenso Voirier, L a coopération internationale en matière de protection de l'air (maschinengeschrieben, 1972), S. 10; i n diesem Sinne w o h l auch BarrosJohnston, International Law, S. 71 f. 51 Zitiert nach Brownlie, Survey, S. 188 u n d Randelzhofer-Simma, K e r n k r a f t w e r k , S. 403 f. 52 Siehe oben Fußn. 42. 48
Β . Das materielle Völkerrecht
103
m e n b e i zehn E n t h a l t u n g e n a n g e n o m m e n w u r d e 5 3 u n d die die i n G r u n d satz 21 e n t h a l t e n e Regel i n k o n k r e t i s i e r t e r F o r m w i e d e r h o l t 5 4 , f ü r d i e v ö l k e r r e c h t l i c h e G e l t u n g s k r a f t dieser R e g e l 5 5 . D a a n e r k a n n t ist, daß U N - V o l l v e r s a m m l u n g s r e s o l u t i o n e n die z u r B i l d u n g v o n V ö l k e r g e w o h n h e i t s r e c h t e r f o r d e r l i c h e o p i n i o j u r i s n a c h w e i s e n u n d sogar selbst erzeugen k ö n n e n 5 6 u n d d a r ü b e r h i n a u s eine o f f e n s i c h t l i c h G r u n d s a t z 21 w i d e r s p r e c h e n d e Rechtsüberzeugung oder tatsächliche V e r h a l t e n s w e i s e i n j ü n g s t e r Z e i t i n der S t a a t e n p r a x i s k a u m m e h r e r s i c h t l i c h ist, erscheint d e r Schluß g e r e c h t f e r t i g t , G r u n d s a t z 21 d e r S t o c k h o l m e r D e k l a r a t i o n als g e l t e n d e n V ö l k e r r e c h t s s a t z z u betrachten. Diese Erkenntnis k a n n w o h l auch durch gelegentliches, scheinbar w i d e r sprüchliches Staatenverhalten nicht beseitigt werden. E i n solch widersprüchliches Verhalten könnte zum Beispiel angesichts der auf deutscher Seite drohenden Umweltgefahren i m weiteren Ausbau der oberelsässischen Industriezone durch Frankreich gesehen werden. Hierbei darf jedoch nicht übersehen werden, daß die Grundlagen zu dieser industriellen Erschließung durch den Ausbau der I n f r a s t r u k t u r u n d die Tätigung hoher Investitionen i n k a u m mehr rückgängig zu machender Weise bereits zu Zeiten gelegt wurden, als die Probleme grenzübergreifender Umweltstörungen noch gar nicht erkannt waren. A n h a n d dieses Beispiels w i r d deutlich, daß die erst jüngst v o m Bewußtsein der Staatengemeinschaft erfaßte Regelungsbedürftigkeit der Materie grenzüberschreitender Umweltstörungen u n d die daraufhin erfolgte F i x i e r u n g eines Völkerrechtssatzes nicht dazu führen können, bestehende oder sich unausweichlich anbahnende grenzüberschreitende Umweltstörungen von einem Tag auf den andern vollkommen auszuschalten 57 . Daß die Fakten gelegentlich noch stärker sind als das Recht, k a n n bei der Neuartigkeit der Materie transnationalen Umweltschutzes nicht verwundern u n d vermag noch nicht ein durch mehrfache Willensbekundung anerkanntes völkerrechtliches Prinzip zum bloßen Lippenbekenntnis zu degradieren. A b e r auch d i e j e n i g e n , d i e G r u n d s a t z 21 n u r als u n v e r b i n d l i c h e n P r o g r a m m s a t z betrachten, k ö n n e n n i c h t d a r ü b e r h i n w e g s e h e n , daß das d a r i n e n t h a l t e n e nachbarrechtliche P r i n z i p bereits v e r b r e i t e t e n E i n g a n g i n d i e sonstige S t a a t e n p r a x i s g e f u n d e n h a t u n d die D e k l a r a t i o n i n s o w e i t z u m i n d e s t eine B e s c h l e u n i g u n g s f u n k t i o n 5 8 i m i n t e r n a t i o n a l e n Rechtserzeugungsprozeß ausübt. 53
Siehe Archiv der Gegenwart 43 (1973), S. 17967. Siehe oben nach A n m . 43. 55 So auch Brownlie, Survey, S. 188 u n d Randelzhofer-Simma, K e r n k r a f t werk, S. 403 f. 56 Vgl. Graf Vitzthum, Rechtsstatus, S. 244 m. w. N. 57 Dies k a m ζ. B. auch i n den deutsch-österreichischen Gesprächen v o m März 1974 über eine vertragliche Regelung der wasserwirtschaftlichen Z u sammenarbeit zum Ausdruck, i n denen die deutsche Seite geltend machte, daß das „Rhein-Main-Donau-System" (Bau des Rhein-Main-Donau-Kanals, Überleitung von Betriebswasser i n das Regnitz-Main-Gebiet etc.) als bereits begonnenes Vorhaben nicht i n eine vertragliche Regelung miteinbezogen werden dürfe. 58 Z u diesem Begriff vgl. Graf Vitzthum, Rechtsstatus, S. 274 f. m. w. N. 54
104
I I . 2. Kap.: Die gegenwärtige
echtslage
Vor allem i m nord- und westeuropäischen Raum gewann das i n Grundsatz 21 niedergelegte nachbarrechtliche Prinzip rasche ausdrückliche A n erkennung. Bereits wenige Monate nach Verabschiedung der Stockholmer E r k l ä r u n g w u r d e auf der ersten Konferenz der Umweltminister der erweiterten
Europäischen
Gemeinschaften,
die i m O k t o b e r 1972 i n B o n n
stattfand, durchweg positiv zu diesem Prinzip Stellung bezogen. A m deutlichsten kam dies i n einer Rede des italienischen Ministers Romita zum Ausdruck, der die Verbindlichkeit der Stockholmer Erklärung m i t den Worten feststellte: "We have all signed the Stockholm Declaration and contributed to drawing up its recommendations. A n d these, along w i t h the Declaration of P r i n ciples, must remain the guidelines of the government's policy. Accordingly, I shall not dwell on these documents but w i l l i m p l i c i t l y consider them as accepted 59 ."
I m einstimmig von den neun Teilnehmerstaaten verabschiedeten A b schluBkommuniqué der Konferenz heißt es sinngemäß, die Minister seien der Ansicht, Umweltaktionen müßten unter anderem von dem gemeinsamen Prinzip bestimmt sein, daß i m Sinne der Stockholmer U m w e l t erklärung darüber gewacht werden müsse, daß die i n einem Staat betriebenen A k t i v i t ä t e n keine Umweltschäden i n einem anderen Staat verursachen 60 . I m selben Sinne äußert sich das „Aktionsprogramm der Europäischen
Gemeinschaften
für
den Umweltschutz"
61
,
das a m 22. N o -
62
vember 1973 vom Ministerrat angenommen wurde , i n seinem Grundsatz 6. Der für den Umweltschutz zuständige seinerzeitige deutsche Innenminister Genscher bekräftigte diese Ansicht für die deutsche Regierung anläßlich einer i m Dezember 1973 i n Bonn stattfindenden M i n i sterkonferenz der Rheinanliegerstaaten m i t der Erklärung, daß (auch) Grundsatz 21 der Stockholmer Deklaration bei umweltpolitischen E n t scheidungen stets berücksichtigt werden müsse 63 . Auch die nicht i n den Europäischen Gemeinschaften vertretenen skandinavischen Staaten Finnland, Norwegen u n d Schweden haben zusammen m i t Dänemark m i t der Unterzeichnung der „Nordic E n v i r o n m e n t a l Protection C o n v e n t i o n " (siehe oben I 1) bewußt dem Geist des Grundsatzes 21 der Umwelterklärung von Stockholm entsprochen 64 . Endlich 59 Zitat aus Erste Konferenz der Umweltminister der Europäischen Gemeinschaften (Beiträge zur Umweltgestaltung, Heft A 17), 1973, S. 23. 60 Siehe Erste Konferenz der Umweltminister der Europäischen Gemeinschaften, S. 52; OECD, Doc. AEU/ENV/73.1, S. 11. 61 Abgedruckt i n Bulletin der Europäischen Gemeinschaften, Beilage 3/73. 62 Siehe Bulletin der Europäischen Gemeinschaften Nr. 11/1973, S. 50. 63 Siehe B u l l e t i n der Bundesregierung vom 6. Dezember 1973, Nr. 158/S. 1581. Vgl. auch BT-Drucks. 7/2702, S. 1 f., wo die deutsche Bundesregierung versichert, sich bei der Lösung internationaler Umweltprobleme von den Grundsätzen der Stockholmer Deklaration leiten zu lassen. Die Bundesregierung geht darüber hinaus davon aus, daß sich auch die europäischen Nachbarstaaten von dieser Maxime leiten lassen (BT Sten. Ber. 7/128. Sitzung, S. 8617 A).
Β. Das materielle Völkerrecht
105
haben auch die Umweltminister der OECD-Mitgliedstaaten i m Rahmen der von ihnen i m November 1974 verabschiedeten Prinzipien zur grenzüberschreitenden Verunreinigung die verpflichtende Wirkung dieses Grundsatzes betont 6 5 . Somit liegen bis auf wenige Ausnahmen zumindest von allen nord-, mittel- und westeuropäischen Binnenstaaten Selbstverpflichtungen oder öffentliche Erklärungen vor, die darauf schließen lassen, daß das i n Grundsatz 21 der Stockholmer Deklaration enthaltene nachbarrechtliche Prinzip als geltender Völkerrechtssatz anerkannt wird. Dahingehende Äußerungen sind auch seitens Kanadas und der USA erfolgt 6 6 . Die außereuropäische und außernordamerikanische Staatenpraxis hat nach Verabschiedung der Stockholmer Deklaration, abgesehen von der erwähnten Resolution 2996 ( X X V I I ) der UN-Vollversammlung, noch kaum eine Stellungnahme zu der i m Grundsatz 21 der Stockholmer Erklärung niedergelegten Regelung der Gesamtproblematik transnationaler Umweltstörungen abgegeben. Eine der wenigen Ausnahmen stellt die ausdrückliche Anerkennung der in Grundsatz 21 festgehaltenen Prinzipien durch die argentinische und brasilianische Regierung i n ihrem bereits oben angeführten Vertrag vom 29. September 197267 dar. Ob allerdings Brasilien noch bereit ist, eine völkerrechtliche Verpflichtung anzuerkennen, durch Tätigkeit i m nationalen Bereich der Umwelt anderer Staaten keinen Schaden zuzufügen — so wie Grundsatz 21 es postuliert —, erscheint fraglich, nachdem bei der Planung des gemeinsamen brasilianisch-paraguayischen Kraftwerkprojekts bei Itaipù eine Berücksichtigung argentinischer Umweltinteressen wohl nicht erfolgt war, was schließlich zur Aufkündigung des Vertrags vom 29. September 1972 durch die argentinische Seite führte 6 8 . Wenn die außereuropäische Staatenpraxis sich bisher nur i n sehr geringem Maße mit der i n Grundsatz 21 der Stockholmer Erklärung ausgesprochenen Pflicht der Staaten zur Wahrung der Umweltinteressen benachbarter Länder befaßt hat, so liegt hierin nicht eine Mißachtung oder Ablehnung dieses Prinzips, sondern eine natürliche Folge der Tatsache, daß sich Umweltprobleme grenzüberschreitender Natur vor allem in der Dritten Welt derzeit noch sehr selten und nicht i n der geballten Form wie i n den mitteleuropäischen Grenzgebieten, sondern — wenn über64 So der v o m Nordischen Rat herausgegebene Kommentar zur Konvention (siehe oben Fußn. 5), S. 11. 65 Siehe Annex, T i t l e Β zu den Empfehlungen, betreffend die grenzüberschreitende Verunreinigung (OECD Press A [74] 47, Paris, 14. Nov. 1974). Der spanische Delegierte meldete zu diesem Punkt allerdings Vorbehalte an. 66 Siehe hierzu Barros-Johnston, International L a w , S. 345 f. 67 Siehe oben Fußn. 25. 68 Vgl. i m einzelnen v. d. Heydte, Der Paranä-Fall, S. 215; R G D I P 77 (1973 II), S. 1150 ff.
106
I I . 2. Kap.: Die gegenwärtige Rechtslage
haupt — dann meist nur unter einem Teilaspekt wie Gewässer- oder Luftverunreinigung stellen. Für eine Anerkennung dieses Prinzips auch durch die nichteuropäischen Staaten spricht nicht nur die einstimmige Billigung der Stockholmer Grundsätze durch diese Staaten, sondern auch die bereits mehrfach erwähnte, am 15. Dezember 1972 von der 27. UN-Vollversammlung ohne Gegenstimme angenommene Resolution 2995 ( X X V I I ) 6 9 , i n der unter Hinweis auf Grundsatz 21 der Stockholmer Erklärung betont wird, daß sich die Staaten bei der Nutzung ihrer natürlichen Ressourcen aller Aktivitäten enthalten sollen, die zu größeren Umweltschäden außerhalb des eigenen Staatsgebietes führen können. Ersatzv
erpflichtung
Die Frage, unter welchen Umständen die Verursachung grenzüberschreitender Umweltstörungen generell eine Ersatzverpflichtung des Störerstaats begründet, w i r d von der Staatenpraxis noch nicht eindeutig beantwortet. Es entspricht zwar allgemeinen Grundsätzen des Völkerrechts, daß ein Staat, der völkerrechtliches Unrecht begeht, für die daraus entstehenden Schäden aufzukommen hat 7 0 . Doch ist das von der Staatengemeinschaft wohl akzeptierte Prinzip der beschränkten Souveränität und Integrität, wie Grundsatz 21 der Stockholmer UN-Umwelterklärung es statuiert, noch zu generell und vage formuliert, als daß für alle möglichen grenzüberschreitenden Umweltstörungen eine allgemein gültige Schwelle festgesetzt werden könnte, deren Überschreiten eine Störung zu völkerrechtlichem Unrecht erhebt und damit eine Schadensersatzpflicht des Störerstaats hervorruft. Eine konkrete Aussage läßt auch Grundsatz 22 der Deklaration von Stockholm vermissen, der sich zu diesem Problem nur wie folgt äußert: „Die Staaten sollen bei der Weiterentwicklung des Völkerrechts i n bezug auf Haftung u n d Entschädigung f ü r die Opfer der Verschmutzung u n d sonstiger Umweltschäden zusammenarbeiten, die durch Tätigkeiten innerhalb des Hoheits- und Kontrollbereichs der Staaten i n Gebieten außerhalb ihres H o heitsbereichs entstehen 7 1 ."
Dieser Grundsatz, der wie die gesamte Erklärung von allen 113 Teilnehmerstaaten der UN-Umweltkonferenz gebilligt wurde 7 2 , enthält — wenn er auch von einer Weiterentwicklung des Völkerrechts spricht und damit von der Existenz einschlägiger Völkerrechtsregeln ausgehen mag 7 3 — , wohl primär eine Absichtserklärung der Staatengemeinschaft, die darauf gerichtet ist, ein praktikables Ersatzrecht erst zu entwickeln, 69 Siehe hierzu Archiv der Gegenwart 43 (1973), S. 17967; R G D I P 77 (1973 II), S. 1151. 70 Siehe S t I G H sér. A 17, S. 29 (47), Chorzow-Fall; Seidl-Hohenveldern, V ö l kerrecht, S. 278. 71 Übersetzung nach Stockholmer Resultate, S. 166. 72 Siehe oben bei A n m . 49.
Β. Das materielle Völkerrecht
107
kann aber per se nicht als materielle Rechtsgrundlage für völkerrechtliche Schadensersatzansprüche wegen transnationaler Umweltstörungen angesehen werden. Daran können auch die von der 27. UN-Vollversammlung am 15. Dezember 1972 verabschiedeten Resolutionen 2995 und 2996 ( X X V I I ) nichts ändern, die zwar Grundsatz 22 der Stockholmer Umwelterklärung als unverrückbare Maxime anerkennen, eine weitere Konkretisierung dieses Grundsatzes jedoch auch vermissen lassen. Es ist festzustellen, daß sich die Diskussion, die i n der Staatenpraxis um Fragen der völkerrechtlichen Ersatzverpflichtung i m Zusammenhang mit grenzüberschreitenden Umweltbeeinträchtigungen geführt wird, vornehmlich an konkreten Einzelfällen orientiert, die meist Einzelerscheinungsformen wie L u f t - oder Gewässerverunreinigungen, nicht aber Umweltstörungen als Pauschalbegriff betreffen. Die Frage nach einer möglichen völkerrechtlichen Ersatzverpflichtung w i r d also i m weiteren Verlauf der Untersuchung unter den verschiedenen Fallgruppen transnationaler Umweltstörungen noch weiter untersucht werden. b) Entscheidungen internationaler Gerichte und Schiedsgerichte Die Spruchpraxis der internationalen Gerichte und Schiedsgerichte hat bisher nur wenige Beiträge zur Lösung der völkerrechtlichen Probleme geleistet, die sich i m Zusammenhang mit grenzüberschreitenden Umweltstörungen stellen. Eine Entscheidung, die sich mit dem Gesamtkomplex des nachbarschaftlichen Umweltschutzes befaßt, ist — soweit ersichtlich — bis heute noch überhaupt nicht ergangen 74 . Der bekannteste unter den wenigen bisher von internationalen Gerichten bearbeiteten Fällen, denen Einzelfragen aus Teilbereichen des nachbarschaftlichen Umweltschutzes zugrundelagen, ist der von einem amerikanisch-kanadischen Schiedsgericht i m Jahre 1941 endgültig entschiedene Trail
Smelter-Case
75
.
I n diesem Falle hatte sich das Gericht mit nachbarrechtlichen Fragen, die sich aus grenzüberschreitender Luftverunreinigung ergaben, zu beschäftigen — eine eingehende Erörterung der Entscheidung w i r d daher unten I I I . erfolgen —, nahm aber hierbei auch zu der Zulässigkeit transnationaler Störungen allgemein Stellung. I n seiner Entscheidung, bei der es um die Abgase einer i m kanadischen Ort Trail (British Columbia) 73 Dies bestätigt eine amerikanische Interpretation zu den Grundsätzen 21 u n d 22 der Stockholmer Erklärung, wo v o n einer „affirmation des règles en vigeur concernant la responsabilité" die Rede ist. Welcher A r t diese i n K r a f t befindlichen Regeln sein sollen, w i r d allerdings auch an dieser Stelle nicht erläutert (vgl. U N Doc A/CONF. 48/14 [franz. Ausgabe], S. 126). 74 Dies liegt w o h l i n der N a t u r der Sache, denn konkrete zwischenstaatliche Umweltkonflikte entzünden sich meist an eng begrenzten Einzelfragen. 75 T r a i l Smelter A r b i t r a l Tribunal, Decision, abgedruckt i n A J I L 35 (1941), S. 684 ff.
108
I I . 2. Kap.: Die gegenwärtige Rechtslage
betriebenen Zink- und Bleischmelze ging, die i m US-Staat Washington für erhebliche Schäden i n Land- und Forstwirtschaft sorgten 78 , stellte das Gericht fest: " A State owes at a l l times a duty to protect other States against injurious acts by individuals f r o m w i t h i n its j u r i s d i c t i o n 7 7 . "
Dieser Satz enthält jedoch nicht, obwohl dies aus seinem Wortlaut möglicherweise zu schließen wäre, eine Anerkennung des absoluten Integritätsprinzips 78 . Denn i m Rahmen der Untersuchung der Frage, was i m Einzelfall unter einem „injurious act" zu verstehen sei, kamen die Richter zu dem einschränkenden Ergebnis, daß nach den Grundsätzen des Völkerrechts ein Staat nur dann eine potentiell nachbarschädigende Nutzung seines Gebiets nicht zulassen dürfe, wenn hierdurch fremdes Staatsgebiet oder darauf lebende Personen i n erheblicher und offensichtlicher Weise geschädigt würden. ( " . . . when the case is of serious consequence and the i n j u r y established by clear and convincing evidence") 79 . Aus dieser Einschränkung des oben erwähnten Satzes ist zu schließen, daß auch das amerikanisch-kanadische Schiedsgericht — ebenso wie die heute festzustellende Staatenpraxis — von einem Prinzip beschränkter territorialer Souveränität und Integrität ausging. Ein weiteres Beispiel aus der Spruchpraxis internationaler Gerichte, das wegen seiner Bedeutung für allgemeine völkerrechtliche Haftungsfragen häufig bei der Erörterung der Problematik transnationaler Umweltstörungen berücksichtigt w i r d 8 0 , ist der vom I G H entschiedene Korfu-Kanal-Fall 81. Der I G H hatte in diesem Fall unter anderem über Schadensersatzansprüche Großbritanniens gegenüber Albanien wegen Zerstörung und Beschädigung zweier britischer Kriegsschiffe zu entscheiden, die i m Oktober 1946 beim Durchfahren albanischer Territorialgewässer in der Straße von K o r f u auf kurz zuvor gelegte Minen aufgefahren waren. Die Minen waren zwar nicht von Albanien selbst gelegt worden, jedoch schloß der I G H aufgrund verschiedener Umstände, daß Albanien von der Existenz des Minenfeldes Kenntnis hatte. Der I G H ging wegen dieser Kenntnis von der Verantwortlichkeit Albaniens aus. Zur Begründung dieser Haftung stützte er sich: „ . . . on certain general 76
Vgl. zum Sachverhalt unten 2. T., 2. Kap. Β I I I 1 b. A J I L 35 (1941), S. 713. 78 Α. A. w o h l Dintelmann, Verunreinigung, S. 71. 79 Siehe A J I L 35 (1941), S. 716. Vgl. auch Rauschning, Umweltschutz, S. 569. 80 Vgl. ζ. B. Bleicher, A n Overview of International Environmental Regulation, Ecology L a w Quarterly 2 (1972) No. 1, S. I f f . (16 ff.); Brownlie, Survey, S. 183. 81 Entscheidungen des I G H v o m 26. 3.1948 (über Zuständigkeitsfragen), I C J Reports 1947/48, S. 15 - 48 u n d v o m 9. 4.1949 (über den Grund), ICJ-Reports 1949, S. 4 - 169. I m Rahmen der vorliegenden Untersuchung ist allein die zweite Entscheidung von Interesse. 77
Β . Das materielle Völkerrecht
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a n d w e l l recognized p r i n c i p l e s " 8 2 , z u d e n e n er auch die V e r p f l i c h t u n g jedes Staates zählte, „ . . . n o t t o a l l o w k n o w i n g l y i t s t e r r i t o r y t o be used f o r acts c o n t r a r y to t h e r i g h t s of o t h e r s t a t e s " 8 3 . Aus dieser Feststellung des I G H w i r d häufig der Grundsatz abgeleitet, den Staaten sei eine völkerrechtliche Verpflichtung auferlegt, keine grenzüberschreitenden Umweltstörungen zu verursachen oder zu dulden 8 4 . Z w a r weist der dieser IGH-Entscheidung zugrunde liegende Sachverhalt erhebliche U n t e r schiede zu den i m Rahmen dieser Untersuchung interessierenden Fallkonstellationen auf: Während f ü r grenzüberschreitende U m w e l t Störungen die E i n w i r kung von Staatsgebiet zu Staatsgebiet charakteristisch ist, erfolgten i m K o r f u F a l l Verursachung u n d E i n t r i t t des Schadens auf dem gleichen, nämlich albanischen, Staatsgebiet, so daß dieser Sachverhalt größere Ähnlichkeit zu den Fällen besitzt, i n denen es u m den Schutz ausländischer Staatsangehöriger oder ausländischen Eigentums auf fremdem Staatsgebiet geht; überdies gibt der militärische Aspekt diesem F a l l eine andere Prägung: Der eingetretene Schaden w a r das beabsichtigte Ergebnis einer kriegerischen Handlung, wogegen grenzüberschreitende Umweltstörungen i n der Regel unbeabsichtigte Nebenerscheinungen einer wirtschaftlich sinnvollen Tätigkeit sind 8 5 . Dennoch läßt die v o m I G H äußerst allgemein gehaltene Formulierung der oben genannten völkerrechtlichen Verpflichtung eine A n w e n d u n g auch auf Fälle transnationaler Umweltbeeinträchtigung als berechtigt erscheinen 8 «. Ob a l l e r d i n g s das v o m I G H so a l l g e m e i n f o r m u l i e r t e P r i n z i p f ü r d i e L ö s u n g d e r dieser A r b e i t z u g r u n d e l i e g e n d e n P r o b l e m a t i k p r a k t i s c h e n N u t z e n e n t w i c k e l n k a n n , erscheint z w e i f e l h a f t . D i e F e s t s t e l l u n g , daß e i n Staat a u f seinem T e r r i t o r i u m n i c h t solche H a n d l u n g e n zulassen d ü r f e , welche die Rechte a n d e r e r S t a a t e n v e r l e t z e n , b l e i b t solange w i r k u n g s l o s , als diese Rechte a n d e r e r S t a a t e n n i c h t k o n k r e t i s i e r t w e r d e n . A u c h das Erfordernis der „wissentlichen" Rechtsverletzung trägt zur K o n k r e t i s i e r u n g der Rechte n i c h t bei, d e n n es b l e i b t u n k l a r , w o r a u f sich das Wissen z u erstrecken h a t . D e r v o m I G H i m K o r f u - F a l l aufgestellte G r u n d s a t z ist z u u n b e s t i m m t ; er e r f ü l l t n i c h t die a l l e n H a f t u n g s r e g e l n (auch) i n n e w o h n e n d e A u f g a b e , n e b e n der B e s t i m m u n g der V e r a n t w o r t l i c h k e i t f ü r vergangenes V e r h a l t e n eine R i c h t s c h n u r f ü r das k ü n f t i g e Handeln zu begründen 87. 82
ICJ-Reports 1949, S. 4 (22). Ebd. I m einzelnen führte das Gericht aus: "The obligations incumbent upon the A l b a n i a n authorities consisted i n notifying, for the benefit of shipping i n general, the existence of a minefield i n A l b a n i a n territorial waters and i n w a r n i n g the approaching B r i t i s h warships of the imminent danger to which the minefield exposed them. Such obligations are b a s e d . . . on certain general and well-recognized principles, namely: elementary considerations of humanity, even more exacting i n peace than i n w a r ; the principle of the freedom of m a r i t i m e communication; and every State's obligation not to allow k n o w i n g l y its territory to be used for acts contrary to the rights of other States." 84 Siehe ζ. Β . Bleicher, Overview, S. 16 m. w. N. 85 Vgl. hierzu auch Bleicher, Overview, S. 17. 86 Ebenso Bleicher, Overview, S. 17; Dintelmann, Verunreinigung, S. 74. 87 Dintelmann, Verunreinigung, S. 75. 83
110
I I . 2. Kap.: Die gegenwärtige Rechtslage
Wenn also das Urteil des I G H i m Hinblick auf die völkerrechtliche Zulässigkeit oder Unzulässigkeit grenzüberschreitender Umweltbeeinträchtigungen keine eindeutigen Erkenntnisse vermitteln kann, so ist es doch i n einem anderen Punkt auch für die vorliegende Untersuchung von Interesse. Nach den Ausführungen des Gerichtshofes ist zur Begründung der Haftung die Kenntnis des Störerstaates von dem rechtswidrigen A k t erforderlich. Eine Vermutung dieser Kenntnis allein aufgrund der Tatsache, daß die Störungshandlung von dem Territorium des i n Anspruch genommenen Staates ausging, lehnt das Gericht ebenso wie eine Verlagerung der Beweislast für diese Kenntnis auf den schädigenden Staat ab 88 . Damit ist auch eine reine Erfolgs- oder Gefährdungshaftung, die auf jedes subjektive Element verzichtet, ausgeschlossen. Für die hier zur Debatte stehende Frage der Umweltbeeinträchtigung w i r d man der Entscheidung des Korfu-Falles wohl entnehmen können, daß neben der objektiven Schädigung des Nachbarstaates ein — i m einzelnen noch nicht eindeutig definiertes — subjektives Element für die Begründung völkerrechtlicher Verantwortlichkeit vorliegen muß 8 9 . Eine reine Gefährdungshaftung auf dem Gebiet des nachbarrechtlichen Umweltschutzes mag zwar rechtspolitisch wünschenswert sein, k a n n aber w o h l allein schon aufgrund der teilweise noch unvollkommenen naturwissenschaftlichen Erkenntnisse über die umweltrelevanten A u s w i r k u n g e n menschlicher A k t i v i t ä t e n 9 0 noch nicht als geltendes Recht angesehen w e r d e n 9 1 : Noch dürfte es den meisten Staaten schwerfallen, sich einer völkerrechtlichen Regelung zu unterwerfen, die eine Haftung auch f ü r noch nicht bekannte U m w e l t gefahren begründet. I m m e r h i n läßt sich m i t der Korfu-Kanal-Entscheidung w o h l vereinbaren, daß die Kenntnis von der Umweltgefährlichkeit eines bestimmten Betriebes f ü r das Vorliegen des erforderlichen subjektiven haftungsbegründenden Elements ausreichender Nachweis i s t 9 2 . 3. Allgemeine
Rechtsgrundsätze
Allgemeine Rechtsgrundsätze, die ihrem Wesen nach auf übereinstimmenden Prinzipien der innerstaatlichen Rechtssysteme beruhende Regeln und somit Ausdruck gemeinsamer Rechtsüberzeugung der Völker sind 9 3 , werden häufig zur Lösung zwischenstaatlicher Umweltprobleme herangezogen. Wenn auch solche Grundsätze wesensnotwendig i n ihrer Formulierung allgemein, abstrakt und vage sind 9 4 , somit auch keine detaillierten Anordnungen zur Lösung eines konkreten Falles enthalten kön88
ICJ-Reports 1949, S. 4 (18). Vgl. Dintelmann, Verunreinigung, S. 77. 90 Vgl. hierzu schon oben 1. T., 3. Kap. B. 91 F ü r den Bereich der Wasserverunreinigung ebenso Dintelmann, V e r u n reinigung, S. 77. 92 So f ü r den Einzelbereich der Gewässerverunreinigung auch Dintelmann, ebd. 93 Siehe hierzu oben 2. T., 2. Kap. A . 94 Siehe Berber, Lehrbuch, Bd. I, S. 70. 89
Β . Das materielle Völkerrecht
111
nen 95 , so vermögen sie dennoch das der Staatengemeinschaft gebotene Verhalten i n groben Umrissen abzustecken 96 . Für den Bereich des grenzüberschreitenden Umweltschutzes kann nur wenigen solcher Sätze Bedeutung zukommen. Z u denken wäre hierbei vor allem an die Prinzipien des Rechtsmißbrauchs, der guten Nachbarschaft sowie von Treu und Glauben. Daneben w i r d gelegentlich i n diesem Zusammenhang auf die Gedanken der Rechtsgemeinschaft oder der Interdependenz der Staaten zurückgegriffen. Den nationalen Umweltschutzkodifikationen kann ein allgemeiner Rechtsgrundsatz, der sich auf die Gesamtproblematik transnationaler Umweltstörungen anwenden ließe, bisher noch nicht entnommen werden, weil bei weitem nicht alle innerstaatlichen Rechtssysteme bereits über ein umfassendes Umweltrecht verfügen 97 , so daß der erforderliche Nachweis der übereinstimmenden Existenz i m größeren Teil aller innerstaatlichen Rechtssysteme 98 noch nicht erbracht werden kann. „Sic utere tuo ut alienum non laedas" und Verbot des Rechtsmißbrauchs
Nach Meinung zahlreicher Autoren stellt der Grundsatz „sie utere tuo ut alienum non laedas" ein allgemeines Rechtsprinzip i m Sinne von A r t i kel 38 Absatz l c des IGH-Statuts dar 9 9 . Dementsprechend w i r d auch häufig eine Geltung dieses Grundsatzes i m nachbarschaftlichen Umweltschutzrecht anerkannt 1 0 0 . 95 Siehe hierzu B i n Cheng, General Principles of L a w as applied by I n t e r national Courts and Tribunals, 1953, S. 24. 96 Siehe Berber, Lehrbuch Bd. I, S. 70; B i n Cheng, ebd. 97 Die bisher vorhandenen Umweltschutzkodifikationen beziehen sich überdies zumeist auf Einzelaspekte des Umweltschutzes w i e Gewässer- oder L u f t verunreinigungen. 98 Siehe hierzu oben 2. T., 2. Kap. A . 99 Vgl. u. a. v. d. Heydte, Das Prinzip der guten Nachbarschaft i m Völkerrecht, i n : Völkerrecht u n d rechtliches Weltbild. Festschrift f ü r A l f r e d Verdross, 1960, S. 133 ff. (135); Oppenheim-Lauterpacht, International L a w , S. 346; V e r dross, Völkerrecht, 1964, S. 132. Ablehnend dagegen Berber, Rechtsquellen, S. 147. 100 Vgl. u. a. v. d. Heydte, Das Prinzip der guten Nachbarschaft, S. 136 u n d 142; Moser, Offene Fragen, S. 200; Sepulveda, Mexican-American International Water Quality Problems: Prospects and Perspectives, natural resources j o u r n a l 12 (1972), S. 487 ff. (492 f.). I n gleichem Sinne w o h l auch: Bleicher, Overview, S. 11 f.; Hassett, A i r Pollution, S. 5. Für den Bereich der Verschmutzung internationaler Binnengewässer w i r d sehr häufig auf die „sie utere tuo " - M a x i m e Bezug genommen. Vgl. statt aller Lester, Pollution, S. 96 m i t zahlreichen weiteren Nachweisen i n Fußnote 40. Obwohl i n diesem Zusammenhang v o n einem allgemeinen Rechtsgrundsatz gesprochen w i r d , k o m m t nicht immer k l a r zum Ausdruck, ob die verschiedenen Autoren das Prinzip „sie utere tuo u t alienum non laedas" als ein den nationalen Rechtsordnungen übereinstimmend zugrunde liegendes Prinzip oder aber als einen Satz des Völkergewohnheitsrechts, der sich i n der zwischenstaat-
112
I I . 2. Kap. : Die gegenwärtige Rechtslage
Welche i n h a l t l i c h e B e d e u t u n g diesem Satz i m einzelnen z u k o m m t , ist jedoch b i s h e r noch w e i t g e h e n d u n g e k l ä r t . A u s seiner H e r k u n f t lassen sich a u f seinen I n h a l t k e i n e Rückschlüsse ziehen. D i e F o r m u l i e r u n g des „sie u t e r e t u o " - G r u n d s a t z e s ist n ä m l i c h n i c h t auf das römische Recht zur ü c k z u f ü h r e n 1 0 1 , sondern s t a m m t w o h l v o n d e m englischen Rechtswissenschaftler S i r E d w a r d Coke (1552 - 1634), d e r sie i m 17. J a h r h u n d e r t p r ä g t e 1 0 2 , ohne h i e r b e i eine — heute a l l g e m e i n a n e r k a n n t e — D e f i n i t i o n m i t z u l i e f e r n . W e n n auch ähnliche Sätze i m klassischen u n d v o r a l l e m i m nachklassischen römischen Recht zu finden sind, so besteht aber auch ü b e r deren B e d e u t u n g k e i n e E i n i g k e i t 1 0 3 . Es w i r d daher versucht, das „sie utere t u o " - P r i n z i p m i t H i l f e anderer a l l g e m e i n e r Rechtsgrundsätze i n h a l t l i c h z u k o n k r e t i s i e r e n . V o n der Heydte 104 u n d Verdross 105 sehen dieses P r i n z i p als B e s t a n d t e i l des G r u n d satzes der g u t e n N a c h b a r s c h a f t 1 0 6 , w ä h r e n d Oppenheim - Lauterpacht es m i t d e m V e r b o t des Rechtsmißbrauchs g l e i c h s t e l l e n 1 0 7 . G e h t m a n v o n d e r F r a g e aus, w a s u n t e r der i n diesem G r u n d s a t z angesprochenen „ V e r l e t z u n g eines a n d e r e n " z u verstehen ist, w i r d m a n fests t e l l e n dürfen, daß sicher n i c h t jede W a h r n e h m u n g eines Rechts, d u r c h die bloße Interessen eines a n d e r e n v e r l e t z t w e r d e n , v e r b o t e n sein k a n n 1 0 8 . „Die Ausübung eines Rechts, z. B. des Eigentums, ist immer geeignet, andere i n ihren wirtschaftlichen oder sonstigen Interessen zu beeinträchtigen. Sie w i r d damit allein aber noch nicht unzulässig. Andererseits hätte es wenig Sinn, unter »Verletzung eines anderen' die Verletzung des Rechts' eines anderen zu verstehen. Daß jede Rechtsausübung an den Rechten eines anderen ihre Grenzen finden muß, ist eine Selbstverständlichkeit; wichtig ist lediglich zu bestimmen, wo die Grenzen der einander widerstreitenden Rechte liegende." liehen Praxis herausgebildet hat, ansehen (vgl. z. B. Dobbert, Water Pollution, S. 79; Utton, International Water Quality L a w , S. 286). ιοί v g l . Dintelmann, Verunreinigung, S. 135. 102 Siehe Dintelmann, Verunreinigung, S. 135, Fußn. 573; Sepulveda, Water Quality Problems, S. 492. 103 v g l . i m einzelnen hierzu Dintelmann, Verunreinigung, Fußn. 574 auf S. 135 f. 104
Das Prinzip der guten Nachbarschaft, S. 135. Völkerrecht, S. 132. 106 v. d. Heydte, Der „Wesenskern des Prinzips der guten Nachbarschaft". Verdross sieht dieses Prinzip „ i m Grundsatz der guten Nachbarschaft verankert". 107 Oppenheim-Lauterpacht, International L a w I, S. 346 f. 108 Vgl. Dintelmann, Verunreinigung, S. 136. Berber, Rechtsquellen, S. 148, unterstützt diese Ansicht: „Die bloße Tatsache eines Schadens für andere konstituiert keine Rechtsverletzung durch mich, weil Schaden nicht identisch ist mit Rechtswidrigkeit" E i n i m obigen Sinne geltendes Prnzip würde aber jeden Schaden zum Unrecht stempeln und somit eine reine Gefährdungshaftung begründen. Eine solche Haftung liegt den innerstaatlichen Rechten jedoch m i t Sicherheit nicht i n übereinstimmender Weise zugrunde. 109 Dintelmann, Verunreinigung, S. 136. 105
Β . Das materielle Völkerrecht
113
Uber diese Grenzen sagt der Satz „sie utere tuo ut alienum non laedas" jedoch nichts aus. „Unter diesen Umständen gewinnt der Satz ,sic utere tuo' konkreten Sinn nur, wenn man i h n w i e Lauterpacht als Ausdruck des Verbots des Rechtsmißbrauchs betrachtet 1 1 0 ."
Ein Rechtsmißbrauch liegt vor, wenn ein Recht i n einer A r t und Weise gebraucht wird, die dem Geiste der zugrundeliegenden Rechtsordnung widerspricht 1 1 1 . Das Verbot eines solchen Mißbrauchs (abus des droits, abuse of rights) stellt nach einer i n der völkerrechtlichen D o k t r i n häufig vertretenen Ansicht einen allgemeinen Rechtsgrundsatz i m Sinne von A r t . 38 Abs. I c des IGH-Statuts d a r 1 1 2 . Auch der S t I G H und der I G H haben mehrfach auf dieses Prinzip Bezug genommen 1 1 3 , ohne jedoch hierauf eine Entscheidung zu stützen. Uber Wesen und Inhalt des völkerrechtlichen Verbots des Rechtsmißbrauchs besteht dennoch bis heute noch keine Einigkeit 1 1 4 . Eine diesbezügliche Bestimmung kann sich nur aus einem Vergleich der innerstaatlichen Rechtssysteme herleiten lassen: Eine intensive Untersuchung der einzelnen nationalen Rechte, wie sie von Berber 115 bereits durchgeführt wurde, ergibt, daß ein Verbot des Rechtsmißbrauchs zwar i n fast allen Rechtsordnungen existiert, der I n halt dieses Verbotes jedoch unterschiedlich definiert ist. Der einzige Gedanke, der allen Rechtssystemen gemeinsam ist und somit den Inhalt eines entsprechenden völkerrechtlichen Grundsatzes umschreiben kann, ist i n dem Verbot absichtlicher Schadenszufügung zu sehen 116 . Ein Rechtsmißbrauch i m völkerrechtlichen Sinne liegt somit jedenfalls dann vor, wenn m i t einer Rechtsausübung nur der Zweck verfolgt wird, einen anderen zu schädigen 117 . Die praktische Bedeutung eines so eng zu verstehenden allgemeinen Rechtsgrundsatzes f ü r die Lösung nachbarschaftlicher Umweltprobleme kann nur sehr beschränkt sein, was allein schon aus der Lektüre des Ersten Teils der vorliegenden Untersuchung ersichtlich w i r d : Unter den zahlreichen aufgeführten Einzelfällen grenzüberschrei110
Ebd. Verdross, Völkerrecht, S. 132. 112 Vgl. u. a. Oppenheim-Lauterpacht, International L a w I, S. 345 ; SeidlHohenveldern, Völkerrecht, Randziffer 349; Verdross, Völkerrecht, S. 132. A b lehnend Wengler, Völkerrecht, Bd. I, S. 392; Stainov, International L a w Aspects, S. 150. Zweifelnd Brownlie, Principles, S. 431 f.; Dobbert, Water Pollution, S. 80 f. 113 Siehe die Nachweise bei Dintelmann, Verunreinigung, S. 136 Fußn. 577 und Dräger, Wasserentnahme, S. 110 Fußn. 13. 114 Vgl. die Erörterungen von Berber, Rechtsquellen, S. 138 ff. Siehe auch Moser, Offene Fragen, S. 198 f. 115 Berber, Rechtsquellen, S. 142 ff. 116 Vgl. Berber, Rechtsquellen, S. 150. 117 Ebd. Ebenso Bystricky, L a pollution, S. 46; Dintelmann, Verunreinigung, S. 137. 111
8 Klein
114
I I . 2. Kap. : Die gegenwärtige Rechtslage
tender Umweltstörungen ist nicht ein Beispiel zu finden, dem reine Schikaneabsicht des Störerstaates zugrunde lag. Eine i n der D o k t r i n vertretene weitere Auffassung, nach der das M i ß brauchsverbot auch a l l die Fälle erfasse, i n denen der Nutzen der Rechtsausübung gegenüber dem Schaden, den andere dadurch erleiden, unverhältnismäßig gering sei 1 1 8 , findet i n der Analyse der innerstaatlichen Rechtssysteme keine Rechtfertigung. Mögen auch i n allen Rechtssystemen Normen zu finden sein, die für bestimmte Einzelfälle eine A b w ä g u n g der jeweiligen Interessen des durch die Rechtsausübung Bevorteilten u n d des durch sie Benachteiligten anordnen, so ist eine solche Abwägung als allgemeiner Grundsatz, der f ü r alle Rechtsverhältnisse Geltung beansprucht, schon aus Gründen der Rechtssicherheit i n den einzelnen nationalen Rechtsordnungen nicht a n e r k a n n t 1 1 9 . Somit k a n n das Verbot des Rechtsmißbrauchs als allgemeiner Rechtsgrundsatz auch i m Völkerrecht eine derart weite Auslegung nicht erfahren.
Der Beitrag, den das Verbot des Rechtsmißbrauchs zur Lösung der Umweltschutzprobleme i m völkerrechtlichen Nachbarrecht leistet, kann nach diesen Ausführungen nur als gering bezeichnet werden. Das Schikaneverbot dürfte sich bereits aus der i n Grundsatz 21 der Stockholmer UN-Umweltdeklaration enthaltenen und wohl gewohnheitsrechtlich anerkannten Verpflichtung der Staaten zur Berücksichtigung nachbarstaatlicher Umweltschutzbelange ergeben. Treu und
Glauben
Das Prinzip von Treu und Glauben ist praktisch i n allen nationalen Rechtsordnungen anzutreffen 1 2 0 . Daher ist sich die Lehre darin einig, daß der Grundsatz von Treu und Glauben ein auch i m Völkerrecht geltender Rechtsgrundsatz ist 1 2 1 . Verdross 1 2 2 sieht i n diesem Grundsatz sogar einen tragenden Bestandteil des völkerrechtlichen Systems, ohne den dieses System i n sich zusammenbrechen müsse. Auch die Charta der Vereinten Nationen nimmt auf dieses Prinzip Bezug: Nach A r t i k e l 2 Nr. 2 haben alle Mitgliedstaaten ihre Verpflichtungen aus der Satzung nach Treu und Glauben zu erfüllen. Bestehen somit keine Bedenken, den Grundsatz von Treu und Glauben auch i m Bereich des nachbarschaftlichen Umweltschutzrechts anzuwenden, so erscheint es jedoch wegen der verschwommenen inhaltlichen Bestimmung dieses Satzes 123 schwierig, die sich aus i h m ergebenden völker118 So z. B. Lederle, Das Recht der internationalen Gewässer unter besonderer Berücksichtigung Europas, 1920, S. 209 ; Politis, L e problème de la l i m i t a t i o n de la souveraineté et l a théorie de l'abus des droits dans les rapports internationaux, Recueil des Cours 6 (1925 I), S. 5 ff. (89). 119 Vgl. Dintelmann, Verunreinigung, S. 137. 120 V g l Berber, Rechtsquellen, S. 150. 121 Vgl. ζ. Β . Verdross, Völkerrecht, S. 131 f., 148; Moser, Offene Fragen, S. 197; Berber, Lehrbuch Bd. I, S. 182. 122 Völkerrecht, S. 131. 123 Erich Kaufmann, Règles générales du droit de la paix, 1936, S. 202 f., u m schreibt den Grundsatz v o n T r e u u n d Glauben wie folgt: "L'idée qui est à sa
Β. Das materielle Völkerrecht
115
rechtlichen Pflichten b r a u c h b a r z u definieren. D e r Schluß Mosers 124, der jede staatliche Maßnahme, die auf das Nachbargebiet e i n w i r k t u n d d o r t einen Schaden verursacht oder verursachen k a n n , als einen Verstoß gegen T r e u u n d G l a u b e n u n d s o m i t als v ö l k e r r e c h t s w i d r i g erachtet, erscheint i n A n b e t r a c h t der U n b e s t i m m t h e i t dieses Rechtsgrundsatzes zumindest etwas gewagt. Das P r i n z i p v o n T r e u u n d G l a u b e n v e r m a g die i m Gewohnheitsrecht festzustellende Tendenz, w o n a c h e i n Staat m i t Rücksicht auf seine Nachb a r n i n der N u t z u n g seiner n a t ü r l i c h e n Ressourcen n i c h t schrankenlose F r e i h e i t genießt, z w a r z u bestätigen u n d z u bestärken, nicht aber zu k o n kretisieren. Prinzip
der guten
Nachbarschaft
V i e l f a c h w i r d i n L i t e r a t u r u n d v ö l k e r r e c h t l i c h e r P r a x i s auf nachbarrechtliche G r u n d s ä t z e 1 2 5 , insbesondere auf e i n P r i n z i p der g u t e n Nachbarschaft B e z u g genommen. Sollte sich die Existenz eines solchen P r i n z i p s tatsächlich beweisen u n d i n h a l t l i c h b e s t i m m e n lassen, k ö n n t e es p o s i t i v z u r L ö s u n g zwischenstaatlicher U m w e l t p r o b l e m e beitragen. Die Präambel der Charta der Vereinten Nationen sowie die Präambel zur UN-„Declaration on Principles of International L a w Concerning Friendly Relations among States i n Accordance w i t h the Charter of the United Nations" 1 2 6 sprechen i n übereinstimmendem Wortlaut von der Entschlossenheit der i n den Vereinten Nationen vertretenen Völker, „to practice tolerance and live together i n peace w i t h one another as good neighbours". A r t i k e l 74 der UN-Charta bezieht sich ausdrücklich auf ein „general principle of goodneighbourliness" 127 . Auch der argentinisch-brasilianische Vertrag vom 29. September 1972 über die Nutzung der natürlichen Ressourcen 128 , dessen Wortlaut der von der 27. UN-Vollversammlung verabschiedeten Resolution 2995 ( X X V I I ) 1 2 9 zugrunde lag, spricht vom Geist der guten Nachbarschaft („el mejor base est celle de la protection de la confiance. D'après ce principe chacun a le droit de ne pas ètre trompé dans les attentes légitimes qu'il avait au sujet du développement d'un rapport juridique dont il est partenaire; ces attentes étaient légitimes lorsqu'elles étaient fondées, soit sur la confiance dans les déclarations ou l'attitude concluante des autres partenaires , soit sur un développement normal, c'est-à-dire conforme aux lois intrinsèques du rapport social en question, que les autres partenaires sont obligés, vis-à-vis de lui, de ne pas troubler." 124 Moser, Offene Fragen, S. 197. 125 Grundlegend zum Nachbarrecht als völkerrechtliche Disziplin Andrassy, Les relations internationales, und Thalmann, Grundprinzipien. 126 U N Doc. A/RES 2625 (XXV) vom 24. Oktober 1970 (zit. nach Bramsen, Transnational Pollution and International Law, Nordisk Tidsskrift for International Ret 42 (1972), S. 153 ff. [154 Fußn. 11]). 127 Es ist jedoch umstritten, ob A r t . 74 überhaupt selbständige Bedeutung zugesprochen werden kann. Hierzu Dintelmann, Verunreinigung, S. 139 Fußn. 586. 128 Siehe oben 2. T., 2. Kap. Β I 1 Fußn. 25. 129 Siehe dazu schon oben 2. T., 2. Kap. Β I 2 a, Fußn. 42. *
116
I I . 2. Kap. : Die gegenwärtige Rechtslage
espiritu de buena vecindad"). I m deutsch-niederländischen Ausgleichsvertrag v o m 8. A p r i l I960 1 3 0 ist i n A r t i k e l 64 von einer „gutnachbarlichen Zusammenarbeit i n Grenzgewässerfragen" die Rede. Der französisch-schweizerische V e r trag v o m 7. August 1921 faßt Bestimmungen über den kleinen Grenzverkehr unter dem T i t e l eines „régime de bon voisinage" zusammen 1 3 1 . I n einer E n t scheidung des Schweizer Bundesrates v o m 24. J u n i 1952 über die Rücknahme der Konzession f ü r das Elektrizitätswerk Rheinau heißt es: „ L e principe des rapports de bon voisinage étant une règie positive d u droit international général .. ."132. Zahlreiche Autoren, die von der Existenz eines Prinzips der guten Nachbarschaft i m Völkerrecht ausgehen, vertreten ihre Ansicht unter Hinweis auf diese oder ähnliche Stellungnahmen der völkerrechtlichen Praxis 1 3 3 , ohne die innerstaatlichen Rechtssysteme unter diesem Aspekt zu durchleuchten. Somit w i r d häufig nicht ganz klar, ob ein solches Prinzip als Bestandteil des V ö l k e r gewohnheitsrechts oder aber als allgemeiner Rechtsgrundsatz i m Sinne von A r t i k e l 38 Absatz 1 c I G H - S t a t u t angesehen w i r d . Die ausschließliche Bezugnahme mancher Autoren auf die zwischenstaatliche Praxis spricht dafür, daß das Prinzip der guten Nachbarschaft teilweise trotz gegenteiliger Bezeichnung 1 3 4 eher als Satz des Völkergewohnheitsrechts denn als allgemeiner Rechtsgrundsatz betrachtet w i r d 1 3 5 . O b e i n a l l g e m e i n e r Rechtsgrundsatz d e r g u t e n Nachbarschaft i m V ö l k e r r e c h t e x i s t i e r t , k a n n a l l e i n a n H a n d eines V e r g l e i c h s der n a t i o n a l e n Rechtssysteme festgestellt w e r d e n . Berber, d e r eine D o k u m e n t a t i o n z u den nationalen Nachbarrechten zusammengestellt h a t 1 3 6 , k o m m t zu dem E r g e b n i s , daß z w a r i n a l l e n R e c h t s o r d n u n g e n die Tatsache d e r N a c h barschaft d e n Rechten B e s c h r ä n k u n g e n auferlege, die V e r s c h i e d e n h e i t d e r technischen u n d ins einzelne g e h e n d e n R e g e l u n g e n jedoch v e r h i n d e r e , h i e r a u s a u f e i n e n a l l g e m e i n e n Rechtsgrundsatz schließen z u k ö n n e n 1 3 7 . I m m e r h i n ist d e n i m e i n z e l n e n so verschiedenen R e g e l u n g e n doch d e r gemeinsame G r u n d g e d a n k e z u e n t n e h m e n , daß e i n N a c h b a r a u f das gleiche Recht seines N a c h b a r n Rücksicht z u n e h m e n h a t 1 3 8 u n d geringe, unbedeutende Beeinträchtigungen i n K a u f zu nehmen sind139. Eine w e i 130
BGBl. 1963 I I 1, S. 458 ff. Siehe Thévenaz, Les zones franches de la Haute-Savoie et du pays de Gex. Réflexions sur le passé, le présent et l'avenir, Schweizerisches Jahrbuch f ü r internationales Recht 14 (1957), S. 69 ff. (74). 132 Schweizerisches Jahrbuch f ü r internationales Recht 10 (1953), S. 193 (200). 133 Vgl. z. B. Verdross, Völkerrecht, S. 294. Andrassy, Les relations internationales, S. 94 stützt sich u. a. auf den T r a i l Smelter-Fall. 134 So z.B. v. d. Heydte, Das Prinzip der guten Nachbarschaft; desgleichen w o h l auch Verdross, Völkerrecht, S. 294. 135 Poeggel-Reintanz, Völkerrecht Lehrbuch T e i l 1, 1973, S. 370, sprechen ausdrücklich v o n dem „gewohnheitsrechtlichen Grundsatz der zwischenstaatlichen guten Nachbarschaft". 131
136
Berber, Rechtsquellen, S. 151 ff. Berber, Rechtsquellen, S. 154. I n seinem Lehrbuch Bd. I , S. 182 spricht Berber allerdings v o n einem allgemeinen Rechtsgrundsatz der guten nachbarlichen Beziehungen. 138 So auch Dräger, Wasserentnahme, S. 108. 139 So auch Lester, Pollution, S. 112 m. w. N., u n d Dräger, Wasserentnahme, S. 108. 137
Β . Das materielle Völkerrecht
117
tere Konkretisierung dieses sehr allgemeinen Satzes — nach Verdross zum Beispiel verbietet das Prinzip der guten Nachbarschaft alle Maßnahmen, die auf das Nachbargebiet hinüberwirken und dort einen Schaden verursachen oder verursachen können 1 4 0 — findet i n der vergleichenden Analyse der innerstaatlichen Nachbarrechtsbestimmungen jedoch keine Stütze. Der Auffassung, daß die Übertragung eines den nationalen Rechten gemeinsamen nachbarrechtlichen Grundsatzes auf völkerrechtliche Nachbarschaftsverhältnisse nicht möglich sei, weil die i m Völkerrecht zur Debatte stehende Souveränität der Staaten eine Eigenschaft des Souveräns sei und i m Gegensatz zum Eigentum als einer von den Landesrechten gewährten Verfügungsmacht immanenten Beschränkungen nicht unterworfen sei 1 4 1 , ist entgegenzuhalten, „daß auch Staaten Institutionen der Rechtsordnung sind und ihre Souveränität nicht unabhängig vom Recht besteht" 1 4 2 . Das Prinzip der guten Nachbarschaft kann somit als allgemeiner Rechtsgrundsatz i m Sinne von A r t i k e l 38 Absatz l c IGH-Statut angesehen werden. Zur Lösung zwischenstaatlicher Umweltkonflikte kann es jedoch nur wenig beitragen, denn inwieweit i m konkreten Falle eine Rücksichtnahme auf die Nachbarstaaten zu erfolgen hat, ist m i t der A n erkennung dieses Prinzips nicht geklärt. Der Grundsatz der guten Nachbarschaft ist zu generell und unpräzise, um aus sich allein heraus einen nachbarschaftlichen Umweltkonflikt lösen zu können 1 4 3 . Gleich, ob man i h n als Gewohnheitsrechtssatz oder als allgemeinen Rechtsgrundsatz betrachtet 144 , kann er doch als Interpretationshilfe für sonstige Vorschriften des Völkerrechts dienlich sein 1 4 5 . Überdies kommt i n i h m eine Ablehnung der Prinzipien absoluter territorialer Souveränität und Integ r i t ä t 1 4 6 und damit eine Bestätigung des wohl bereits gewohnheitsrechtlich verankerten Prinzips der beschränkten territorialen Souveränität und Integrität zum Ausdruck. 140
Völkerrecht, S. 294. So Berber, Rechtsquellen, S. 158. 142 Dräger, Wasserentnahme, S. 109. Siehe auch Brierly, The L a w of Nations, 1963, S. 54 f. 143 Ebenso Dobbert, Water Pollution, S. 81; Lester, Pollution, S. 97; Utton, International Environment L a w , S. 59 jeweils m. w . N. 144 Ganz ablehnend allerdings Stainov, International L a w Aspects, S. 147 f. Auch der I G H sprach i m Zusammenhang m i t der südamerikanischen A s y l gewährungspraxis v o n „good-neighbour relations" als einem „extra-legalfactor", der nicht zur B i l d u n g von Gewohnheitsrecht geführt habe (Entscheidung v o m 20.11.1950, ICJ-Reports 1950, S. 266 [286]). 145 Vgl. Dobbert, S. 81. Siehe auch v. d. Heydte, Das Prinzip der guten Nachbarschaft, S. 133 ff. 146 Die Ablehnung eines absoluten Souveränitätsprinzips folgt aus den obigen Ausführungen. Die Absage an ein absolutes Integritätsprinzip ergibt sich aus dem Umstand, daß es sicherlich k e i n den innerstaatlichen Rechtsordnungen übereinstimmend zugrundeliegendes Prinzip ist, jegliche nachbarbeeinträchtigenden E i n w i r k u n g e n zu untersagen. 141
118 Allgemeine
I I . 2. Kap.: Die gegenwärtige Rechtslage Rechtsgemeinschaft
und Interdependenz
der
Staaten
Gelegentlich ist die Auffassung vertreten worden, die Staaten bildeten i n all ihren Rechtsbeziehungen eine allgemeine Rechtsgemeinschaft 147 , aus der sich gleichsam automatisch eine Beschränkung der staatlichen Gebietshoheit ergebe. Teilweise ist auch von der Interdependenz der Staaten die Rede 148 , die vor allem bei räumlicher Koexistenz mehrerer Staaten auf der gegenseitigen sozialen, wirtschaftlichen und politischen Abhängigkeit beruhe und zu beträchtlichen Bindungen der Staaten untereinander führe 1 4 9 . Sowohl der Gedanke der Rechtsgemeinschaft als auch der der Interdependenz könnten auch i m nachbarschaftlichen Umweltschutzrecht Bedeutung insoweit erlangen, als nach ihnen grenzüberschreitende Umweltstörungen jedenfalls nicht unbeschränkt zulässig wären. Diese Gedanken können jedoch schon deshalb nicht als allgemeine Rechtsgrundsätze i m Sinne von A r t i k e l 38 Absatz l c IGH-Statut gelten, weil sie sich nicht aus übereinstimmenden Prinzipien der nationalen Rechtssysteme ergeben, sondern aus den völkerrechtlichen Beziehungen der Staaten untereinander abgeleitet werden 1 5 0 . Sie können auch nicht als weitgefaßte Sätze des Völkergewohnheitsrechts oder als völkerrechtliche Grundprinzipien betrachtet werden. „Die Idee der Gemeinschaft' oder der ,Interdependenz' der Staaten ist rechtlich n u r soweit von Bedeutung, als damit klargestellt w i r d , daß eine gewisse Gemeinsamkeit der Interessen u n d das Bewußtsein der Staaten hiervon die Grundlage allen Völkerrechts bildet. Aus dieser Gemeinsamkeit der Interessen, deren Umfang i n keiner Weise festliegt, können aber spezifische Rechtsfolgen nicht hergeleitet werden. Es handelt sich u m soziologische Voraussetzungen der Rechtsbildung, nicht aber u m Rechtsnormen 1 5 1 ."
Eine Anerkennung des Grundsatzes der Rechtsgemeinschaft oder der Interdependenz der Staaten könnte für das Gebiet des nachbarschaftlichen Umweltschutzvölkerrechts zwar zu dem Ergebnis führen, daß zwischen den Prinzipien absoluter territorialer Souveränität und absoluter territorialer Integrität eine vermittelnde Lösung gefunden wer147 So sagte z.B. das Reichsgericht i m „Donauversinkungs-Fall" (RGZ 116, A n h . S. 18 [30]), daß die Sätze des Völkerrechts i n seiner neueren Entwicklung i m wesentlichen auf einer Beschränkung der Gebietshoheit der einzelnen Staaten durch ihre Zugehörigkeit zur Völkerrechtsgemeinschaft beruhten. Aus dieser Zugehörigkeit ergebe sich die Pflicht der Staaten zu gegenseitiger Achtung u n d Rücksichtnahme, die Pflicht, einander nicht zu verletzen. 148 Vgl. z. B. Politis, L e problème, S. 87; Dräger, Wasserentnahme, S. 33 u n d 113 ff. 149 So Dräger, Wasserentnahme, S. 33. Auch F. de Martens sieht i n der r ä u m lichen Koexistenz mehrerer Staaten einen Umstand, durch den der Souveränität dieser Staaten zwangsläufig Beschränkungen auferlegt werden (zit. nach Andrassy, Les relations internationales, S. 103). 150 Siehe auch Dintelmann, Verunreinigung, S. 133. 151 Dintelmann, Verunreinigung, S. 133 f.
Β. Das materielle Völkerrecht
119
den muß, könnte aber nicht aufzeigen, wie eine solch vermittelnde Lösung i m einzelnen aussehen sollte. Die hier erörterten, auf den Gesamtkomplex des nachbarschaftlichen Umweltschutzrechts anwendbaren allgemeinen Rechtsgrundsätze gelten selbstverständlich auch für die einzelnen Teilbereiche des transnationalen Umweltrechtes. Das Verbot des Rechtsmißbrauchs, der Grundsatz von Treu und Glauben sowie die Pflicht zu guter Nachbarschaft sind somit auch zum Beispiel für Fälle grenzüberschreitender Gewässer- oder L u f t verunreinigungen oder transnationaler Lärmstörungen von Bedeutung. Der darüber hinaus von Berber nach eingehender Untersuchung der innerstaatlichen Wasserrechte abgeleitete allgemeine Rechtsgrundsatz, daß jeder Anlieger eines internationalen Gewässers i n allen Handlungen, die auf die Wassernutzung der Mitanlieger von Einfluß sein können, die Interessen der Mitanlieger gebührend berücksichtigen müsse 152 , stellt eine Bestätigung und eine Ausgestaltung der oben genannten Rechtsgrundsätze für den speziellen Bereich des Wasserrechts dar, die sich aus der besonders engen Interessengemeinschaft der Anlieger eines gemeinsamen Gewässers ergibt. 4. Völkerrechtliche
Doktrin
Die wissenschaftliche Diskussion der völkerrechtlichen Probleme auf dem Gebiet des nachbarschaftlichen Umweltschutzes konzentrierte sich bisher vorwiegend auf Fragen der Gewässerverunreinigung. Stellungnahmen der Völkerrechtslehre zum generellen Komplex grenzüberschreitender Umweltstörungen sind bis heute recht selten geblieben. Das Prinzip der absoluten territorialen Souveränität, wonach jeder Staat ohne Rücksicht auf nachbarliche Interessen sein Territorium nach freiem Belieben und ohne Beschränkung nutzen darf, fand nur i n der älteren völkerrechtlichen Literatur gelegentliche Anerkennung. So schrieb Klüber in seinem 1851 erschienenen Lehrbuch 1 5 3 , daß jeder Staat gemäß dem Grundsatz „ q u i jure suo utitur neminem facit i n j u r i a m " das Recht habe, sein Staatsgebiet für seine eigenen Zwecke zu nutzen, selbst wenn hierdurch ein anderer Staat geschädigt werde. Heffter stellte i n seinem 1888 veröffentlichen Werk „Das europäische Völkerrecht der Gegenw a r t " fest: „Gebietshoheit ist somit die Souveränität auf ein bestimmtes L a n d oder Gewässer angewendet, das Recht, über dasselbe m i t Ausschluß dritter Staaten u n d ihrer Angehörigen zu verfügen 1 5 4 ." 152 153 154
Berber, Rechtsquellen, S·. 159 ff. Klüber, Europäisches Völkerrecht, S. 150. Ebd.
120
I I . 2. Kap. : Die gegenwärtige Rechtslage
I n der neueren völkerrechtlichen Literatur läßt sich w o h l kein namhafter Befürworter einer solchen Auffassung mehr finden. Dagegen sind auch i n jüngerer Zeit vereinzelt Stimmen laut geworden, die einem Prinzip der absoluten territorialen Integrität, nach dem jede schädliche E i n w i r k u n g auf fremdes Staatsgebiet völkerrechtswidrig ist, das W o r t reden. Verdross bezeichnet alle grenzüberschreitenden Störungen, die zu Schäden i m Nachbarstaat führen oder führen können, als völkerrechtswidrig 1 5 5 . Kolb behauptet, es sei unbestreitbar, daß „international l a w treats as u n l a w f u l any immissions into the territory of a foreign State" 1 5 6 . Auch Kiss 157 und Manner 158 scheinen diese Auffassung zu teilen. Doch lehnt die heute vorherrschende Meinung i n der völkerrechtlichen D o k t r i n die beiden ebengenannten absoluten Prinzipien als ungeeignet für die Lösung nachbarschaftlicher Umweltkonflikte ab 1 5 9 . Die heutige Lehre geht überwiegend von der Geltung eines Prinzips beschränkter territorialer Souveränität und Integrität aus. Einige Autoren wollen die Völkerrechtswidrigkeit einer grenzüberschreitenden Umweltstörung anhand einer i n jedem Einzelfall durchzuführenden Abwägung der jeweiligen Interessen von störendem und gestörtem Staat feststellen. Nach von der Heydte 160 soll durch Unterlassen und Dulden ein Interessenausgleich erreicht werden, zu dem das Prinzip der guten Nachbarschaft aneinander angrenzende Staaten verpflichte. Schon vor einem halben Jahrhundert bemerkte Fauchille i n seinem Lehrbuch 1 6 1 , daß jeder Staat gehalten sei, die Interessen seiner Nachbarn i n gebührender und gerechter Weise zu berücksichtigen. Die Mehrzahl der Autoren stellt jedoch auf die Erheblichkeit des Schadens oder der möglichen Gefährdung ab 1 6 2 . Nach ihrer Ansicht ist eine iss Verdross, Völkerrecht, S. 194. Dieser Grundsatz widerspricht allerdings der von Verdross selbst zitierten T r a i l Smelter-Entscheidung, die nur ernstliche Schädigungen als unzulässig erachtet. 156 Intergovernmental Agreements, S. 401. 157 L a lutte contre la pollution de l'air sur le plan international, in: Conseil de l'Europe, Doc. E X P / A i r (72) 11, S. 14 ff. (18): " . . . est interdit en général tout acte qui peut produire des effets nuisibles sur le territoire ou dans V espace aérien d yun Etat étranger" Siehe auch ders., The Problem of Damage Caused by Supersonic Flights, Annuaire de l ' A A A 41 (1971), S. 99 ff. (100) und KissLamb rechts, Les dommages causés au sol par les vols supersoniques, A F D I 16 (1970), S. 769 ff. (772 f.). 158 Zitiert nach Bramsen, Pollution, S. 155. 159 Berber, Rechtsquellen, S. 15, bemerkt, daß diese Prinzipien „auf eine individualistische, anarchische Auffassung des Völkerrechts gegründet sind, i n der ausschließlich die eigenen egoistischen Interessen zur Richtschnur erhoben werden und keine Lösung für die widersprechenden Interessen... angeboten wird". 160 v. d. Heydte, Das Prinzip der guten Nachbarschaft, S. 136. 161 Fauchille, Traité de Droit International Public, Bd. 1, 2. Teil, 1925, S. 450 f.
Β . Das materielle Völkerrecht
121
grenzüberschreitende U m w e l t s t ö r u n g n u r d a n n v ö l k e r r e c h t s w i d r i g , w e n n sie eine erhebliche Schädigung des Nachbarstaates m i t sich b r i n g t . Andrassy v e r l a n g t einen Schaden v o n einer „ c e r t a i n e i m p o r t a n c e " 1 6 3 . Oppenheim - Lauterpacht gehen z w a r zunächst v o n e i n e m absoluten V e r b o t nachbarschädigender E i n w i r k u n g e n a u s 1 6 4 , r e l a t i v i e r e n dieses V e r b o t aber i m nächsten Satz m i t den W o r t e n : " A State is bound to prevent such use of its territory as, having regard to the circumstances, is unduly injurious to the inhabitants of the neighbouring State." A n d e r e b e j a h e n eine rechtliche V e r a n t w o r t l i c h k e i t des Störerstaates n u r b e i erheblichen u n d l ä s t i g e n E i n w i r k u n g e n , die überdies w i r t s c h a f t liche Schäden z u r Folge h a b e n m ü s s e n 1 6 5 . Nach Wengler 166 h a b e n sich Gewohnheitsrechtssätze gebildet, w o n a c h j e d e r Staat v e r p f l i c h t e t sei, d a f ü r zu sorgen, daß v o n seinem Gebiet aus „keine für menschliches Leben oder Gesundheit sowie für die von Menschen genutzten Sachen schädlichen Gegenstände oder Substanzen . . . i n einem nicht unerheblichen Umfang auf bewohntes fremdes Staatsgebiet gelangen". Randelzhof er u n d Simma k o m m e n zu e i n e m ä h n l i c h e n S c h l u ß 1 6 7 : Je gef ä h r l i c h e r eine A n l a g e u n d j e größer das A u s m a ß der m ö g l i c h e r w e i s e e i n t r e t e n d e n Schäden sei, desto eher müsse e i n V e r b o t der A n l a g e gelten168. 162 Hierbei ist allerdings festzuhalten, daß die Merkmale der Interessenabwägung u n d der Erheblichkeit nicht zwingend unterschiedlichen Gehaltes sein müssen, sondern sich sogar gegenseitig ergänzen können. So stellt ζ. B. v. d. Heydte (Der Parana-Fall, S. 209) auf die Schwere der E i n w i r k u n g ab, zitiert aber anschließend einen Satz M a x Hubers, wonach zu duldende unwesentliche Einwirkungen dann vorlägen, wenn sie Folge rechtmäßiger Eigentumsausübung seien u n d keine erheblichen Interessen des Nachbarn berühren. Ebenso Schultheß, zit. nach Berber, Rechtsquellen, S. 28 und Moser, Offene Fragen, S. 196 f. 163 Andrassy, L'Utilisation des eaux des bassins fluviaux internationaux, Revue Egyptienne de Droit International 16 (1960), S. 23 ff. (37); ebenso ders., Les relations internationales, S. 111. Ähnlich Rausch, Environmental Pollution as a Problem of International L a w (maschinengeschrieben, 1970), S. 43, der von einer „certain m i n i m u m intensity" spricht. 164 International L a w I, S. 291: „no State is allowed to alter the natural conditions of its own territory to the disadvantage of the natural conditions of the territory of a neighbouring State". 165 So Thalmann, Grundprinzipien, S. 155 u n d 161. Ähnlich Poeggel-Reintanz, Völkerrecht 1, S. 370, die von einer übermäßigen, die Gesundheit der Menschen oder die Volkswirtschaft des Nachbarstaates schädigenden E i n w i r k u n g ausgehen. les wengler, Völkerrecht Bd. I I , S. 1000'f. 167
Randelzhofer-Simma, Kernkraftwerk, S. 416. Die Folgerung der beiden Autoren, daß wegen der möglicherweise von Kernkraftwerken ausgehenden Gefahren die Errichtung solcher Kraftwerke i n grenznahen Bereichen verboten sei (ebd., S. 422), dürfte allerdings nicht dem geltenden Völkerrecht entsprechen. Eine dahingehende Staatenpraxis ist bisher auch noch nicht ansatzweise vorhanden. 168
122
I I . 2. Kap. : Die gegenwärtige Rechtslage
Es ist somit festzustellen, daß die Völkerrechtslehre angesichts der Problematik grenzüberschreitender Umweltstörungen keine einheitliche Position einnimmt. I n der neueren Literatur scheint sich jedoch eine Tendenz durchzusetzen, die durch die Ablehnung der Prinzipien absoluter territorialer Souveränität und absoluter territorialer Integrität und durch die Anerkennung eines vermittelnden Prinzips der beschränkten territorialen Souveränität und Integrität gekennzeichnet wird. Hierbei erfolgt die Einschränkung der absoluten Prinzipien insbesondere anhand des Erfordernisses eines — durch unbestimmte Rechtsbegriffe wie „erheblich", „wesentlich", „übermäßig" o. ä. bezeichneten — erhöhten Schadens- oder Gefährdungsgrades. 5.
Ergebnis
Aus den vorstehenden Untersuchungen der einzelnen Quellen und Grundlagen des Völkerrechts lassen sich i m Hinblick auf ihre Stellung zur Gesamtproblematik grenzüberschreitender Umweltstörungen — sieht man von den nur regional geltenden Bestimmungen des nordischen Umweltschutzabkommens 169 einmal ab — nur allgemeine und wenig konkrete Ergebnisse ableiten. Die Staatengemeinschaft scheint heute die früher teilweise vertretenen Prinzipien der absoluten territorialen Souveränität und Integrität abzulehnen und — vor allem i n Anlehnung an Grundsatz 21 der U N - U m weltdeklaration von Stockholm — ein vermittelndes Prinzip der beschränkten territorialen Souveränität und Integrität als geltendes Recht anzuerkennen. Ein solcher Schluß rechtfertigt sich insbesondere aus dem einheitlichen Abstimmungsverhalten der Staaten anläßlich der Verabschiedung der Stockholmer Erklärung selbst 170 sowie der eindeutigen Annahme der beiden, auf Grundsatz 21 dieser Erklärung Bezug nehmenden Resolutionen 2995 und 2996 ( X X V I I ) durch die UN-Vollversammlung 1 7 1 . Die i n diesem Zusammenhang immer wieder erwähnte und von der Staatenpraxis nicht widerlegte Entscheidung des amerikanisch-kanadischen Schiedsgerichts i m Trail Smelter-Fall 1 7 2 spricht ebenso für diese Folgerung wie die allgemeinen Rechtsgrundsätze von Treu und Glauben und der Pflicht zu guter Nachbarschaft. Auch i n der Völkerrechtslehre zeichnet sich eine dahingehende Ubereinstimmung der Ansichten ab. Ist man dennoch geneigt, dem Grundsatz der beschränkten territorialen Souveränität und Integrität etwa mangels ausreichender Übung noch nicht als gesicherten Rechtssatz anzuerkennen 173 , so ist dem entgegenzu169 170 171 172 173
Siehe hierzu oben 2. T., 2. Kap. Β 3 I 1 nach A n m . 5. Siehe oben 2. T., 2. Kap. Β I 2 a nach A n m . 46. Siehe oben 2. T., 2. Kap. Β I 2 a bei A n m . 51 u n d 52. Siehe oben 2. T., 2. Kap. Β I 2b. So ζ. Β . Sand, Aspekte, S. 18.
Β. Das materielle Völkerrecht
123
halten, daß eine dahingehende Übung nur sehr schwer feststellbar ist, da sich die i n diesem Grundsatz enthaltenen völkerrechtlichen Anordnungen auf ein kaum nachweisbares Unterlassen richten, und daß darüber hinaus Gewohnheitsrecht vor allem bei Dringlichkeit einer völkerrechtlichen Regelung auch ein schnell entstehendes Recht sein kann („instant customary l a w " ) 1 7 4 . Der Nachweis des Bestehens eines Völkerrechtssatzes muß sich hier zwangsläufig primär auf die geäußerte Rechtsüberzeugung der Staaten stützen. Das Prinzip der beschränkten territorialen Souveränität und Integrität wird, wie die vorhergehenden Untersuchungen gezeigt haben, von einer solchen Überzeugung getragen. Sollte man auch die universale Existenz dieser Überzeugung bestreiten — einer Überzeugung, die jedenfalls von fast allen mittel- und nordeuropäischen Staaten unzweifelhaft geteilt w i r d 1 7 5 , so daß man zumindest von einem i n diesem Raum geltenden regionalen Völkerrechtssatz sprechen muß —, so ist jedoch eine eindeutige Tendenz des nachbarschaftlichen Umweltschutzrechts zum beschränkten Souveränitäts- und Integritätsprinzip nicht abzuleugnen. M i t der Feststellung der völkerrechtlichen Anerkennung oder einer Tendenz zur Anerkennung des Prinzips beschränkter territorialer Souveränität und Integrität ist allerdings noch nicht viel gewonnen, wenn nicht eine Konkretisierung dieses allgemeinen Satzes erfolgt. Von einer solchen — erforderlichen — Konkretisierung geht auch Grundsatz 21 der Stockholmer Erklärung aus, wenn er von der Geltung dieses Prinzips „nach Maßgabe der Grundsätze des Völkerrechts" spricht. Die einschlägige Vertragspraxis ist allerdings noch zu wenig umfangreich, um A n haltspunkte zu einer generell verbindlichen Konkretisierung geben zu können. Jedoch ergibt sich aus dem Verbot des Rechtsmißbrauchs jedenfalls die Völkerrechtswidrigkeit absichtlicher transnationaler Umweltbeeinträchtigungen 176 . Darüber hinaus berechtigt die einschlägige völkerrechtliche Praxis wohl zu dem Schluß, daß auch erhebliche oder wesentliche grenzüberschreitende Umweltschädigungen m i t dem beschränkten Souveränitäts- und Integritätsprinzip nicht zu vereinbaren sind 1 7 7 ; dieser Ansicht folgt auch die heute überwiegende Auffassung der völkerrechtlichen D o k t r i n 1 7 8 . Eine weitere Konkretisierung des immer 174
Siehe Graf Vitzthum, Rechtsstatus, S. 244 m. w. N. Diese Uberzeugung k o m m t i n dem skandinavischen Umweltschutzabkommen ebenso zum Ausdruck w i e i n den Äußerungen maßgeblicher Regierungsorgane der Europäischen Gemeinschaften (vgl. oben 2. T., 2. Kap. Β I 2 a nach A n m . 58). 176 Vgl. hierzu oben 2. T., 2. Kap. Β I 3. 177 Es sei hier n u r auf die Resolution 2995 ( X X V I I ) der UN-Vollversammlung, die von „efectos perjudiciales sensibles" spricht, auf A r t . 5 des Nordischen Umweltschutzabkommens, wo v o n „nuisance of significance" die Rede ist oder auf die T r a i l Smelter-Entscheidung, die u. a. auf eine „serious consequence" abstellt, hingewiesen. 178 Siehe oben 2. T., 2. Kap. Β I 4 nach A n m . 159. 175
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I I . 2. Kap.: Die gegenwärtige Rechtslage
noch sehr unbestimmten Erfordernisses einer erheblichen Schädigung kann der völkerrechtlichen Praxis derzeit allerdings noch nicht entnommen werden. Das Gebot einer i n jedem Einzelfalle anzustellenden Interessenabwägung, wie von manchen Autoren verlangt 1 7 9 , wäre zwar rechtspolitisch wünschenswert und einer praktikablen Lösung der Problemat i k durchaus angemessen, kann jedoch aus der bisherigen völkerrechtlichen Praxis, soweit sie sich mit Fragen des nachbarschaftlichen Umweltschutzes als Gesamtkomplex beschäftigt hat, nicht abgeleitet werden. Ob sich aus der Haltung der Staaten i m Hinblick auf die Einzelaspekte transnationaler Umweltstörungen etwas anderes ergibt, bleibt noch zu untersuchen. Was die Ersatzpflicht für bereits eingetretene grenzüberschreitende Umweltschädigungen angeht, so ergibt sich schon aus allgemeinen Grundsätzen des Völkerrechts, daß ein Staat, der völkerrechtliches Unrecht begangen hat, für die daraus entstehenden Schäden aufzukommen hat. Die Frage, unter welchen Voraussetzungen eine transnationale Umweltbeeinträchtigung zum völkerrechtlichen Unrecht wird, ist bereits oben i n sehr genereller Weise beantwortet worden. Die Staatenpraxis, die zwar von der grundsätzlichen Möglichkeit einer Schadensersatzverpflichtung ausgeht 180 , hat — abgesehen von den detaillierten Bestimmungen des Nordischen Umweltschutzabkommens 181 — bisher zu der konkreten Ausgestaltung einer solchen Verpflichtung noch kaum Stellung genommen. Insbesondere ist auch auf dem Gebiet des nachbarschaftlichen Umweltschutzrechts die alte Streitfrage u m Schuld- oder Erfolgshaftung noch nicht gelöst worden, wenngleich auch davon auszugehen ist, daß sich derzeit sicherlich keine universale Bereitschaft zur Anerkennung des Prinzips der reinen Erfolgshaftung finden ließe 1 8 2 . Nach diesen Ausführungen zeigt sich, daß das geltende Völkerrecht zur Gesamtproblematik grenzüberschreitender Umweltstörungen bisher nur sehr generelle und unpräzise Aussagen macht. Ob diese Aussagen zu konkretisieren sind, soll anhand der nachfolgenden Untersuchungen der Einzelprobleme grenzübergreifenden Umweltschutzes geklärt werden. I I . Gewässerverunreinigung
Ein Blick auf die Weltkarte zeigt, daß fast alle Staaten der Erde — sieht man von solchen mit reiner Insellage einmal ab — Anteil an durch Staatsgrenzen längs- oder quergeteilten Gewässern haben 1 8 3 . 179
So ζ. Β . v. d. Heydte, Das Prinzip der guten Nachbarschaft, S. 136. V g l oben 2. T., 2. Kap. Β I 2 a. 181 Vgl. oben 2. T., 2. Kap. Β I 1 nach A n m . 10. 182 Auch der I G H scheint i n seiner Korfu-Kanal-Entscheidung eine reine Erfolgshaftung abzulehnen. 183 Einen beispielhaften Überblick über die bedeutendsten internationalen Flußsysteme gibt Ralph W. Johnson, Effect of Existing Uses on the Equitable 180
Β . Das materielle Völkerrecht
125
Die schon früh erkannte Bedeutung vor allem der Oberflächengewässer und damit auch solcher internationaler Gewässer führte bereits i m 19. Jahrhundert — vor allem auf dem europäischen Kontinent, der über eine besonders große Zahl grenzbildender und grenzüberquerender Gewässer verfügt 1 8 4 — zu einer völkerrechtlichen Erfassung internationaler Gewässerprobleme, wobei allerdings schiffahrts- und fischereirechtliche Fragen i m Vordergrund standen. Erst mit der späten Erkenntnis, daß die Belastbarkeit und Selbstreinigungskraft der Gewässer nicht unbegrenzt ist 1 8 5 , begannen völkerrechtliche Praxis und Theorie, sich i n verstärktem Maße mit Fragen der Verunreinigung von Grenzgewässern i n genereller Weise auseinanderzusetzen und somit dem internationalen Wasserrecht zu der heute bestehenden herausragenden Stellung im nachbarschaftlichen Umweltschutzvölkerrecht zu verhelfen 1 8 6 . 1.
Vertragspraxis
Schon i m 19. Jahrhundert wurde zur Lösung von Nutzungsproblemen an internationalen Binnengewässern eine Reihe völkerrechtlicher Verträge geschlossen, die jedoch fast ausnahmslos der Regelung von Schifffahrtsfragen gewidmet waren 1 8 7 . Bereits i n dieser Zeit vereinzelt zu findende Vertragsbestimmungen, die sich mit der Verunreinigung von Grenzgewässern befaßten, bezweckten eher, die Fischerei zu schützen, als das Verschmutzungsproblem in umfassender Weise zu regeln 1 8 8 . Heute dagegen machen die zahlreichen bilateralen und multilateralen Regelungen, die zwischen Nachbarstaaten zum Schutz der Grenzgewässer Apportionment of International Rivers, University of B r i t i s h Columbia L a w Review 1 (1959 - 1963), S. 389 ff. (391 f.). F ü r den westeuropäischen Raum siehe Council of Europe, Doc. EXP/Eau (72) 6. F ü r den südamerikanischen H a l b kontinent siehe U N Doc. E/CN. 12/511, S. 13 f. u n d Vassiliadès, L a pollution des eaux douces devant le droit international public, 1972, S. 88. 184 Vander Eist, L e pro jet de convention européenne relative à la protection des eaux douces contre la pollution, Revue belge de droit international 6 (1970), S. 79 ff. (79) behauptet: „trois quarts des fleuves du continent ont u n bassin international". 185 Vgl. hierzu oben 1. T., 1. Kap. A . 186 Die bisher umfassendste deutschsprachige Auseinandersetzung m i t den völkerrechtlichen Problemen grenzüberschreitender Wasserverunreinigung ist i n der 1965 veröffentlichten Dissertation Dintelmanns: „ D i e Verunreinigung internationaler Binnengewässer insbesondere i n Westeuropa aus der Sicht des Völkerrechts" zu sehen. Diese Untersuchung Dintelmanns lieferte auch für die vorliegende A r b e i t wertvolle Anregungen u n d Hinweise. 187 Berühmtes Beispiel ist die Rheinschiffahrtsakte v o n 1831, revidiert i m Jahre 1868. Vgl. auch Cavaré, L e droit international public positif Bd. I I , 1969, S. 881; Lester, Pollution, S. 95 m. w. N.; Stainov, International L a w Aspects, S. 138. iss Y g i Colliard, Evolution et aspects actuels, S. 390 f., m i t Beispielen aus der Vertragspraxis; Lester, Pollution, S. 95 m. w. N.; Revillard, Les Fleuves Internationaux, Annuaire de Γ A A A 41 (1971), S. 41 ff. (45); Wolfrom, La Pollution, S. 751.
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I I . 2. Kap.: Die gegenwärtige Rechtslage
vor Verunreinigung getroffen worden sind, den größten Teil des bestehenden nachbarschaftlichen Umweltvölkervertragsrechts aus 1 8 9 . Für die Erörterung dieser Regelungen spielt es keine Rolle, ob sie — wie meist — nur Einzelbestimmungen i m Rahmen eines umfassenden Vertragswerkes 1 9 0 oder den alleinigen Gegenstand eines speziell i m H i n blick auf Verunreinigungsfragen abgeschlossenen Abkommens 1 9 1 darstellen. Entscheidender ist die Frage, welche Verpflichtungen den Vertragsparteien durch solche Regelungen möglicherweise auferlegt werden. Von dieser Fragestellung ausgehend, sollen die einschlägigen Vertragsbestimmungen unter dem Aspekt beleuchtet werden, ob sie ein absolutes oder ein relatives Verunreinigungsverbot aussprechen, ob sie nur den Schutz der Gewässer vor Verunreinigungen erwähnen, ohne eine konkrete Reinhalteverpflichtung zu formulieren, oder ob sie eine Ersatzverpflichtung statuieren. a) Verunreinigungsverbote Absolute
Verunreinigungsverbote
Verträge, die i n Anlehnung an ein Prinzip absoluter territorialer Integrität ein ausnahmsloses Verbot jeglicher nachbarschädlicher Gewässerverunreinigung enthalten, sind i n der völkerrechtlichen Praxis nur vereinzelt anzutreffen. Ein allgemeines und nicht nur für einen konkreten Sonderfall oder für i m einzelnen bezeichnete Gewässer geltendes absolutes Verschmutzungsverbot erscheint gelegentlich i n Verträgen, die von Staaten des Ostblocks, sei es untereinander oder sei es mit ihren nichtsozialistischen Nachbarn i n den ersten eineinhalb Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg, abgeschlossen wurde. So heißt es i n den Grenzverträgen der UdSSR mit Norwegen vom 29. 12. 1949 192 , mit Finnland vom 9. 12. 1948 193 189 Vgl. auch Brown, Conventional L a w , S. 210. Einen Überblick über die bestehenden Regelungen geben Council of Europe, Doc. EXP/Eau (72) 12 u n d U n i t e d Nations, Doc. ST/LEG/SER. B/12. 190 So z. B. die A r t . 56 ff. des deutsch-niederländischen Vertrags über den Verlauf der gemeinsamen Landgrenze, die Grenzgewässer, den grenznahen Grundbesitz, den grenzüberschreitenden Binnenverkehr u n d andere Grenzfragen (Grenzvertrag) BGBl. 1963 I I 1, S. 463. 191 Solche A b k o m m e n sind durchweg jüngeren Datums. Siehe z. B. das unter den Bodensee-Anliegern getroffene Übereinkommen v o m 27.10.1960 über den Schutz des Bodensees gegen Verunreinigung (GesBl. Bad.-Württ. 1962, S. 1) oder das amerikanisch-kanadische A b k o m m e n v o m 15.4.1972 über die Wasserqualität der Großen Seen (International Legal Materials 11 [1972], S. 694 ff.). 192 Vertrag über das Regime der norwegisch-sowjetischen Grenze u n d über das Verfahren zur Regelung von Grenzstreitigkeiten, U N T S Bd. 83, S. 291 (insb. A r t . 14 Abs. 1). loa v e r t r a g über das Regime der finnisch-sowjetischen Grenze, U N T S Bd. 217, S. 135 (insb. A r t . 13).
Β . Das materielle Völkerrecht
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u n d v o m 23. 6. I 9 6 0 1 9 4 s o w i e m i t der Tschechoslowakei v o m 30. 11. 1956 1 9 5 in übereinstimmendem Wortlaut: "Les Parties contractantes veilleront à ce que les eaux frontières restent propres et ne subissent aucune pollution ou souillure artificielle." (Ubersetzung der UNTS) I n ä h n l i c h e r Weise b e s t i m m t A r t i k e l 13 des s o w j e t i s c h - a f g h a n i s c h e n G r e n z v e r t r a g s v o m 18. 1 . 1 9 5 8 1 9 6 , daß d i e z u s t ä n d i g e n B e h ö r d e n a l l e M a ß n a h m e n e r g r e i f e n w e r d e n , die e r f o r d e r l i c h sind, u m z u v e r h i n d e r n , „que les eaux frontières ne soient polluées par des acides ou déchets divers, ou souillées de toute autre manière". O b das i n diesen V e r t r ä g e n ausgesprochene absolute V e r u n r e i n i g u n g s v e r b o t auch p r a k t i s c h i n a l l e r K o n s e q u e n z a n g e w a n d t w i r d , erscheint allerdings fraglich 197. E i n absolutes I n t e g r i t ä t s p r i n z i p k o m m t auch i n d e m französisch-spanischen Z u s a t z a b k o m m e n v o m 26. M a i 1866 z u d e n d r e i g e m e i n s a m e n G r e n z v e r t r ä g e n 1 9 8 z u m A u s d r u c k . A r t i k e l 12, der a u f a l l e g r e n z b i l d e n d e n u n d g r e n z ü b e r s c h r e i t e n d e n Gewässer A n w e n d u n g f i n d e t 1 9 9 , l a u t e t : "Les fonds inférieurs sont assujettis à recevoir des fonds plus élevés d u pays voisin les eaux q u i en découlent naturellement avec ce qu'elles charrient, sans que la m a i n de l'homme y ait contribué. On n'y peut construire n i digue, n i obstacle quelconque susceptible de porter préjudice aux riverains supérieurs auxquels i l est également défendu de rien faire q u i aggrave la servitude des fonds inférieurs." E r w ä h n u n g v e r d i e n t auch das b r i t i s c h - b e l g i s c h e A b k o m m e n v o m 22. 11. 1934 ü b e r d i e Wasserrechte a n d e r Grenze zwischen T a n g a n y i k a u n d R u a n d a - U r u n d i 2 0 0 , dessen A r t i k e l 4 sehr d e u t l i c h e i n absolutes V e r s c h m u t z u n g s v e r b o t f ü r a l l e l ä n g s - u n d q u e r g e t e i l t e n Fließgewässer statuiert: "No operations of a m i n i n g or industrial nature shall be permitted by either of the contracting Governments . . . which may pollute or cause the deposit of any poisonous, noxious or polluting substance i n the waters 194 v e r t r a g über das Regime der finnisch-sowjetischen Grenze u n d über das Verfahren zur Regelung v o n Grenzzwischenfällen, UNTS Bd. 379, S. 277 (insb. A r t . 15). 195 v e r t r a g über das Regime der sowjetisch-tschechoslowakischen Grenze u n d über das Verfahren zur Regelung von Grenzzwischenfällen, U N T S Bd, 266, S. 243 (insb. A r t . 14 Abs. 1). 196 v e r t r a g über das Regime der sowjetisch-afghanischen Staatsgrenze, UNTS Bd. 321, S. 78. 197
So auch Dintelmann, Verunreinigung, S. 27. Acte Additionnel aux Traités de delimitation des 2 dèe. 1856, 14 avr. 1862 et 26 m a i 1866 (UN Doc. ST/LEG/SER. B/12, S. 672). 199 Vgl. A r t . 8, 20 des Zusatzabkommens. 200 Agreement between the U n i t e d K i n g d o m and Belgium regarding Water Rights on the Boundary between Tanganyika and Uranda-Urundi, State Papers Bd. 135 (1935), S. 746. 198
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I I . 2. Kap. : Die gegenwärtige Rechtslage
of any river or stream forming part of the boundary between the Tanganyika Territory and Ruanda-Urundi or any t r i b u t a r y river or stream thereof, or i n any river or stream flowing from one territory into the other." A u s der B e s c h r ä n k u n g dieses V e r b o t s auf V e r u n r e i n i g u n g e n d u r c h I n d u s t r i e u n d B e r g b a u k a n n w o h l noch n i c h t g e f o l g e r t w e r d e n , daß V e r u n r e i n i g u n g e n a n d e r e r A r t zulässig seien, d e n n diese B e s c h r ä n k u n g d ü r f t e i h r e n G r u n d u n t e r a n d e r e m d a r i n haben, daß andere V e r u n r e i n i g u n g s q u e l l e n z u r Z e i t des Vertragsschlusses i n der b e t r o f f e n e n R e g i o n w o h l k a u m eine R o l l e gespielt haben. E i n a l l g e m e i n geltendes absolutes V e r s c h m u t z u n g s v e r b o t scheint auch der a m 6. 2. 1952 v o n P o l e n u n d der D D R u n t e r z e i c h n e t e Grenzgewässerv e r t r a g 2 0 1 z u e n t h a l t e n . Das h i e r s t a t u i e r t e V e r b o t e r f ä h r t jedoch m ö g l i c h e r w e i s e eine R e l a t i v i e r u n g d u r c h d i e i n A r t i k e l 17 ausgesprochene V e r p f l i c h t u n g d e r P a r t e i e n , die Grenzgewässer n u r „ i m entsprechenden Z u s t a n d " u n t e r h a l t e n z u m ü s s e n 2 0 2 , w o b e i eine D e f i n i t i o n dieser sehr generellen u n d w o h l einschränkenden F o r m u l i e r u n g i m V e r t r a g allerdings n i c h t gegeben w i r d 2 0 3 . D e m W o r t l a u t nach s p r i c h t auch der a m e r i k a n i s c h - b r i t i s c h e V e r t r a g v o m 11. 1. 1909 ü b e r d i e Gewässer a n der k a n a d i s c h - a m e r i k a n i s c h e n Grenze 204, ein f ü r alle grenzbildenden u n d grenzüberschreitenden Gewässer geltendes absolutes V e r u n r e i n i g u n g s v e r b o t aus. A r t i k e l 4 A b satz 2 b e s t i m m t : 201 A b k o m m e n zwischen der Regierung der Republik Polen u n d der Regierung der DDR über die Schiffahrt auf den Grenzgewässern u n d über die A u s nutzung u n d Instandhaltung der Grenzgewässer, U N T S Bd. 304, S. 131. 202 A r t . 17: „ Z u r Unterhaltung der Grenzgewässer i m entsprechenden Z u stand verpflichten sich beide vertragsschließenden Parteien . . . 4. durch entsprechende M i t t e l u n d Anlagen die physikalische, chemische und bakteriologische Verunreinigung der Oder u n d der Lausitzer Neiße durch alle auf ihrem Grenzabschnitt einmündenden Gewässer, sowie durch Abflüsse aus Städten, Siedlungen u n d Industriezwecken unmöglich zu machen, insofern diese Verunreinigung ihrer Beschaffenheit u n d ihrem Ausmaß nach geeignet sind: a) auf die Benutzung des Wassers aus diesen Flüssen f ü r individuellen Bedarf, sowie f ü r Wasserleitungs-, Industrie- u n d Landwirtschaftszwecke schädlich einzuwirken, b) die Korrosion u n d das Ansetzen v o n Schlamm, Wasserflora und -fauna auf Brücken, Buhnen, andere Bauten u n d Anlagen sowie auf Fahrzeugen zu fördern, c) die Verschlammung der Flußbettsohlen u n d der Ufer über das durch den natürlichen Vorgang gegebene Maß hinaus zu erhöhen, d) die Entwicklung der f ü r diese Flüsse charakteristischen T i e r - u n d Pflanzenwelt zu beeinträchtigen." 203 Dintelmann, Verunreinigung, S. 28, geht davon aus, daß „ w o h l n u r der allgemein gesunde Zustand der Gewässer nicht beeinträchtigt werden darf". 204 Treaty Between the U n i t e d States and Great B r i t a i n Respecting Boundary Waters Between the U n i t e d States and Canada, A J I L 4 (1910), Suppl. S. 239. Eine auszugsweise deutsche Übersetzung siehe bei Hartig, Internationale Wasserwirtschaft, S. 91 ff.
Β . Das materielle Völkerrecht
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" I t is further agreed that the waters herein defined as boundary waters and waters flowing across the boundary shall not be polluted on either side to the i n j u r y of health or property on the other." O b dieses absolute V e r b o t a l l e r d i n g s auch d e m S i n n e nach als solches v e r s t a n d e n w e r d e n k a n n , erscheint fraglich. Es ist m i t D i n t e l m a n n 2 0 5 davon auszugehen, daß eine solch strenge Bestimmung bei der bereits i m Sachverhaltsaufriß erkennbar gewordenen 2 0 8 überragenden wirtschaftlichen Bedeutung der von i h r erfaßten Gewässer u n d deren teilweise intensiver Nutzung nicht s t r i k t eingehalten werden konnte. P r a k tischer Beweis hierfür ist die i m Ersten T e i l der Untersuchung trotz Bestehens der Vorschrift nachgewiesene teilweise katastrophale Verschlechterung der Wasserqualität, insbesondere des Erie-Sees. Neben der tatsächlichen D u l dung solcher Entwicklungen u n d Zustände i n den letzten Jahrzehnten spricht auch eine dem amerikanisch-kanadischen A b k o m m e n v o m 15. 4. 1972 über die Wasserqualität der Großen Seen 2 0 7 zu entnehmende Interpretationshilfe gewichtig dagegen, i n A r t i k e l 4 Absatz 2 des Vertrags von 1909 die Statuierung eines absoluten Verunreinigungsverbotes zu sehen. Dieses Abkommen, das für das Wasser der Großen Seen detaillierte Qualitätsanforderungen normiert u n d somit Ausdruck eines relativen Verunreinigungsverbotes ist 2 0 8 , bek r ä f t i g t i n seiner Präambel die Überzeugung der Vertragsparteien, daß die i n i h m enthaltenen Vereinbarungen i n Ubereinstimmung m i t den Vorschriften des Grenzgewässervertrags von 1909 getroffen worden sind 2 0 9 . Eine solche Ubereinstimmung k a n n aber n u r angenommen werden, wenn auch A r t i k e l 4 Absatz 2 des Vertrags von 1909 als eingeschränktes Verbot zu verstehen ist. Die i m folgenden aufzuführenden, vertraglich vereinbarten absoluten Verschmutzungsverbote betreffen n u n nicht mehr, w i e i n den bisher z i t i e r t e n F ä l l e n , d e n g e n e r e l l e n Schutz a l l e r Grenzgewässer, s o n d e r n beschränken sich a u f die R e g e l u n g v o n S o n d e r f ä l l e n . E i n solcher S o n d e r f a l l w i r d d u r c h das A b k o m m e n ü b e r d i e deutschbelgische Grenze v o m 7. 11. 1929 2 1 0 geregelt, das e i n absolutes V e r u n r e i n i g u n g s v e r b o t n u r f ü r w e n i g e u n d i m e i n z e l n e n b e s t i m m t e Gewässer v o n u n t e r g e o r d n e t e r B e d e u t u n g v o r s i e h t . A r t i k e l 60 des A b k o m m e n s s t e l l t fest: „ § 1 : Das Niederschlagsgebiet der Dreilägerbachsperre 2 1 1 , der i n Deutschland gelegene T e i l des Niederschlagsgebiets der Weser 2 1 2 u n d das Nieder205
Dintelmann, Verunreinigung, S. 26. Siehe oben 1. T., 2. Kap. A nach A n m . 93. 207 Agreement Between the U n i t e d States of America and Canada on Great Lakes Water Quality, International Legal Materials 11 (1972), S. 694. 208 Siehe hierzu unten 2. Τ., 2. Kap. Β I I 1 a nach A n m . 297. 209 «The Government of the U n i t e d States of America u n d the Government of C a n a d a . . . Reaffirming i n a spirit of friendship and cooperation the rights and obligations of both countries under the Boundary Waters Treaty signed on January 11, 1909, and i n particular their obligation, not to pollute boundary waters;..." 210 RGBl. 1931 I I , S. 126. 211 Talsperre i n der Nähe der deutschen Gemeinde Roetgen. 212 Der auf belgischem Gebiet entspringende Weserbach fließt auf etwa 3 k m Länge bei Roetgen/Schwerzfeld durch deutsches Gebiet, u m dann wiederum auf belgischem T e r r i t o r i u m eine Trinkwassertalsperre bei Eupen zu speisen. 206
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schlagsgebiet für die Wasserversorgung von L a m m e r s d o r f 2 1 3 dürfen durch keinerlei Anlage, Siedlung oder Betrieb beeinträchtigt werden, deren E n t wässerung die Zuflüsse verschmutzen kann. § 2 : V o r Errichtung irgendeiner Anlage, die den bisherigen Zustand ändert u n d auf die Beschaffenheit des Wassers nachteilig e i n w i r k e n kann, werden sich die Regierungen der beiden Staaten über die zu treffenden Maßnahmen einigen. Keinesfalls ist es zulässig, gesundheitsschädliche Abwässer i n die Bachläufe u n d Sammelgräben unmittelbar abzuführen."
Daß es sich bei diesen strengen Verunreinigungsverboten nur u m eng begrenzte Ausnahmefälle handeln kann, ergibt sich aus der allgemeinen, für alle anderen grenzüberschreitenden Gewässer geltenden Vorschrift des A r t i k e l 70 desselben Abkommens, wonach nur eine Verschlechterung des bestehenden Zustandes verboten, eine weitergehende Reinhalteverpflichtung aber nicht statuiert w i r d 2 1 4 . I m Hinblick auf den Weserbach konnte die strenge Reinhalteverpflichtung deutscherseits offensichtlich nicht eingehalten werden 2 1 5 . Unter Berücksichtigung der Bedeutung dieses Gewässers für die Trinkwasserversorgung i m belgischen Raum Eupen wurde daher das Verunreinigungsverbot i m deutsch-belgischen Grenzberichtigungsvertrag vom 24. 9. 1956 216 für den Weserbach erneut ausgesprochen. I n A r t i k e l 7 Absatz 1 heißt es: „ I m Hinblick auf die Bedeutung, die die Reinerhaltung des Wassers des Weserbaches f ü r Belgien hat, w i r d die Bundesregierung die erforderlichen Maßnahmen treffen, u m eine Verschmutzung des Wassers des Weserbaches i m Gebiet Roetgen/Schwerzfeld zu verhüten."
U m eine Gefährdung der belgischen Interessen gänzlich auszuschließen, hat man sich für die denkbar radikalste Lösung der Problematik entschieden: I n A r t i k e l 7 Absatz 2 des Vertrags von 1956 vereinbarten die Parteien, das Bett des Weserbachs gänzlich auf belgisches Gebiet zu verlegen und die bisher i n den Weserbach mündenden deutschen Zuflüsse dem auf deutschem Gebiet verlaufenden Grolisbach zuzuleiten 2 1 7 . Einen noch enger begrenzten Sonderfall umfaßt das amerikanischkanadische Abkommen vom 27. 2. 1959 über den Sankt Lorenz-Seeweg 218 , 213
Deutsche Ortschaft südöstlich v o n Roetgen. Siehe hierzu noch i m folgenden nach A n m . 252. 215 Vgl. BT-Drucks. 3/315, S. 32. 216 Vertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland u n d dem Königreich Belgien über die Berichtigung der deutsch-belgischen Grenze u n d andere, die Beziehung zwischen beiden Ländern betreffende Fragen, B G B l . 1958 I I , S. 263. 217 Eine ähnliche Maßnahme vereinbarten übrigens die U S A u n d Mexiko am 16. 6.1972: U m den Salzgehalt des Colorado zu reduzieren, sollten die aus den Bewässerungsanlagen des Wellton-Mohawk-Gebietes (USA) abfließenden Gewässer vorübergehend nicht mehr dem Colorado, sondern durch einen v o n den U S A angelegten K a n a l dem Golf von K a l i f o r n i e n zugeleitet werden. Siehe Sepulveda, Water Quality Problems, S. 495. 218 Exchange of Notes Constituting an Agreement Between the United States of America and Canada Relating to the St. Lawrence Seaway, 26.10.1956 u n d 27. 2.1959; auszugsweise abgedruckt i n : Council of Europe, Doc. EXP/Eau (72) 12, S. 20. 214
Β . Das materielle Völkerrecht
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dessen absolutes V e r s c h m u t z u n g s v e r b o t sich n i c h t n u r a u f e i n e n g e n a u bezeichneten Wasserlauf, s o n d e r n d a r ü b e r h i n a u s auch n u r a u f e i n ganz b e s t i m m t e s N u t z u n g s v o r h a b e n , n ä m l i c h auf e i n P r o j e k t z u r V e r t i e f u n g d e r zwischen d e n G r o ß e n Seen v e r l a u f e n d e n V e r b i n d u n g s k a n ä l e 2 1 9 , b e zieht. H i e r w u r d e festgelegt, „ . . . that any machine, plant, vessel, barge, or the operators or crews thereof, used on these works, shall not be permitted to tie up, discharge ashes, fuel oil, etc., i n a manner prejudicial to the health, w e l l - b e i n g and activities of the owners and/or users of land or water areas, or to commit any other nuisance i n Canadian territory during the progress of, or subsequent to, the carrying out of these works." A l s absolute V e r u n r e i n i g u n g s v e r b o t e w i r d m a n auch d i e R e g e l u n g solcher S o n d e r f ä l l e ansehen müssen, i n d e n e n n u r b e s t i m m t e Interessen, diese aber gegen j e g l i c h e A r t d e r V e r s c h m u t z u n g geschützt w e r d e n soll e n 2 2 0 . Solche R e g e l u n g e n s i n d g e l e g e n t l i c h v o r a l l e m z u m Schutze fischer e i w i r t s c h a f t l i c h e r Interessen g e t r o f f e n w o r d e n . So h e i ß t es i n A r t i k e l 11 N r . 3 des spanisch-französischen V e r t r a g s v o m 18. 2. 1866 ü b e r d i e Fischerei i n d e r Bidassoa i n d e r Fassung des Z u s a t z v e r t r a g s v o m 24. 9 . 1 9 5 2 2 2 1 : " I l est expressément défendu de jeter dans la rivière ou la baie d u Figuier des drogues, matières explosives ou appàts q u i seraient de nature à enivrer ou à détruire le poisson. E n particulier, les usines q u i déversent des eaux usées en quelque point que ce soit d u cours tant espagnol qu'international de la Bidassoa devront ètre munies d'un procédé de filtrage rendant ces eaux inoffensives pour les diverses espèces de poissons." E i n e ähnliche B e s t i m m u n g findet sich i m französisch-schweizerischen V e r t r a g v o m 15. 4. 1929 ü b e r d i e R e g e l u n g d e r Fischerei i n d e n G r e n z gewässern des D o u b s 2 2 2 . A r t i k e l 16 l a u t e t : „Fabriken u n d anderweitigen Anlagen i n der Nähe des Doubs ist es verboten, Abgänge oder sonstige Stoffe, die den Fischen, den Wasserpflanzen u n d Wassertieren schädlich sind, ins Wasser einzubringen. Solche U n t e r nehmen sind gehalten, auf ihre Kosten die nötigen Vorrichtungen für die wirksame Reinigung ihrer Abgänge zu erstellen. Es ist gleichfalls verboten, Gegenstände, wie Blechbüchsen, Drahtgitter, A s t w e r k usw., welche geeignet sind, die Ausübung der Fischerei zu beeinträchtigen, i n das Flußbett zu werfen." B e r e i t s d e r V e r t r a g v o m 9. 3. 1904 ü b e r die R e g e l u n g der Fischerei i n d e n französisch-schweizerischen G r e n z g e w ä s s e r n 2 2 3 , d e r v o n d e r Schweiz 219 Dieses Projekt erforderte ein Ausbaggern sowie eine Beseitigung der ausgehobenen Erde i m St. Clair-Fluß u n d i m St. Clair-See (vgl. Council of Europe, Doc. EXP/Eau [72] 12, S. 20). 220 So auch Dintelmann, Verunreinigung, S. 27. 221 Journal Officiel v. 6. Aug. 1955, S. 7885. 222 Auszugsweise abgedruckt bei Becker, Die Rechtsverhältnisse an der Schweizer Grenze, 1931, S. 74 f. 223 Auszugsweise abgedruckt bei Colliard, Aspects juridiques de la pollution transfrontière en ce q u i concerne les eaux douces, i n : OECD, Doc. A E U / E N V / 73.8 (Paris, 20. 7.1973), S. 10.
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I I . 2. Kap. : Die gegenwärtige Rechtslage
am 23. 6. 1910 aufgekündigt wurde 2 2 4 , enthielt ähnlich lautende Bestimmungen für den Genfer See (Artikel 6) und Doubs (Artikel 17). Auch die jugoslawisch-ungarische Übereinkunft vom 25. 5. 1957 über die Fischerei i n Grenzgewässern statuiert i n A r t i k e l 5 ein absolutes Verunreinigungsverbot : " I t shall be prohibited to let flax and hemp i n the frontier other substances h a r m f u l to aquatic wildlife, irrespective of i n which and the distance from which such substances reach waters. A Contracting Party failing to respect this provision compensation for any damage caused 2 2 5 ."
waters and the manner the frontier shall make
Und i m Vertrag zwischen den sozialistischen Donauanliegerstaaten Rumänien, Bulgarien, Jugoslawien und UdSSR vom 29. 1. 1958 über die Fischerei i n den Gewässern der Donau heißt es: "The Contracting Parties shall w o r k out and apply measures to prevent the contamination and pollution of the River Danube . . . by unclarified sewage and other waste from industrial and municipal undertaking which are h a r m f u l to fish and other aquatic organisms, and measures to regulate blasting operations 2 2 6 ."
A u f den ersten Blick scheint auch die Übereinkunft vom 18. 5. 1887 zwischen Baden, Elsaß-Lothringen und der Schweiz über die Anwendung gleichartiger Bestimmungen für die Fischerei i m Rhein und seinen Zuflüssen einschließlich des Bodensees 227 ein absolutes Verschmutzungsverbot auszusprechen: A r t i k e l 10 untersagt, „ i n Fischwasser Fabrikabgänge oder andere Stoffe von solcher Beschaffenheit u n d i n solchen Mengen einzuwerfen, einzuleiten oder einfließen zu lassen, daß dadurch dem Fischbestand Schaden erwächst oder die Fische vertrieben werden".
Durch die Bestimmung des Artikels 12, die i n den vorangegangenen Vertragsartikeln enthaltenen Bestimmungen nur „soweit thunlich" durchzuführen, w i r d jedoch auch das i n A r t i k e l 10 postulierte Verbot seines absoluten Charakters benommen. Das Abkommen zwischen Luxemburg und dem deutschen Bundesland Rheinland-Pfalz vom 10. 7. 1958 über den Bau von Kraftwerken an der O u r 2 2 8 spricht ein absolutes Verunreinigungsverbot zum Schutze eines Sonderinteresses aus. A r t i k e l 2 bestimmt, daß das Wasser nicht i n einer Weise verschmutzt werden darf, die dem Betrieb der Anlagen auf irgendeine A r t schädlich sein kann 2 2 9 . 224
Vgl. Dintelmann, Verunreinigung, S. 179 Fußn. 47. Council of Europe, Doc. EXP/Eau (72) 12, S. 17. 226 Council of Europe, Doc. EXP/Eau (72) 12, S. 18. 227 Amtliche Sammlung der Bundesgesetze u n d Verordnungen (Schweiz) Bd. 10 NF, S. 366. 228 L i n k e r Nebenfluß der Sauer u n d Grenzfluß zwischen L u x e m b u r g u n d Deutschland. 229 Council of Europe, Doc. EXP/Eau (72) 12, S. 19. 225
Β . Das materielle Völkerrecht
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Als Sonderfall eines absoluten Verunreinigungsverbots sei endlich noch A r t i k e l 1 des Moskauer Kernwaffen-Teststoppabkommens vom 5. August 1963 230 erwähnt, das eine grenzüberschreitende radioaktive Verunreinigung auch von Gewässern durch Erprobung von Kernwaffen und andere nukleare Explosionen strikt untersagt 2 3 1 . Dieser Bestimmung gebührt deshalb Beachtung, weil sie — wenn auch nur auf eine bestimmte A r t der Verunreinigung begrenzt — das einzige weltweit vertraglich anerkannte 2 3 2 absolute Verbot einer nachbarschädigenden Gewässerverunreinigung darstellt. Relative
Verunreinigungsverbote
Weitaus häufiger als ein absolutes Verbot grenzüberschreitender Wasserverunreinigung ist i m nachbarschaftlichen Völkervertragsrecht ein eingeschränktes, relatives Verbot anzutreffen. Als Ausdruck eines Prinzips beschränkter territorialer Souveränität und Integrität läßt dieses Verbot i m Hinblick auf eine für alle Seiten sinnvolle und vertretbare Ausnutzung des Gewässers Verschmutzungen i n einem gewissen Maße zu. Dies ist i n zahlreichen Fällen — sei es durch die Anordnung einer Abwägung zwischen den Interessen des störenden und des beeinträchtigten Staates, durch den Ausspruch einer Ubermaßverbots oder durch die Statuierung eines Ausnahmevorbehalts hinsichtlich eines absoluten Verbots — ausdrücklich i n einschlägigen Vertragsbestimmungen niedergelegt worden. Bereits i n einer Reihe älterer Verträge w i r d die Zulässigkeit einer G e w ä s s e r v e r u n r e i n i g u n g v o n e i n e r Abwägung
der gegenteiligen
Inter -
essen der Anliegerstaaten abhängig gemacht. So heißt es i n A r t i k e l 10 230 v e r t r a g über das Verbot v o n Kernwaffenversuchen i n der Atmosphäre, i m Weltraum und unter Wasser, B G B l . 1964 I I , S. 907. 231 A r t . 1 Abs. 1 : „Jede Vertragspartei verpflichtet sich, Versuchsexplosionen von Kernwaffen u n d andere nukleare Explosionen zu verbieten, zu verhindern u n d nicht durchzuführen, u n d zwar an jedem ihrer Hoheitsgewalt oder K o n trolle unterstehenden Ort a) i n der Atmosphäre; jenseits der Atmosphäre einschließlich des Weltraums; sowie unter Wasser einschließlich der Hoheitsgewässer u n d der Hohen See; b) i n jedem anderen Bereich, w e n n eine solche Explosion das Vorhandensein radioaktiven Schuttes außerhalb der Hoheitsgrenzen des Staates verursacht, unter dessen Hoheitsgewalt oder K o n t r o l l e die Explosion durchgeführt wird... Abs. 2: Jede Vertragspartei verpflichtet sich ferner, die Durchführung v o n Versuchsexplosionen v o n Kernwaffen sowie anderer nuklearer Explosionen, die i n einem der i n Absatz 1 erwähnten Bereiche stattfinden oder die i n dem genannten Absatz bezeichnete W i r k u n g haben würden, weder zu veranlassen noch zu fördern, noch sich i n irgendeiner Weise daran zu beteiligen, an welchem Ort es auch immer sei." 232 M i t Frankreich u n d der Volksrepublik China haben sich allerdings zwei „Atommächte" bisher noch nicht bereit erklärt, den Vertrag zu unterzeichnen.
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I I . 2. Kap.: Die gegenwärtige Rechtslage
A b s a t z 2 d e r badisch-schweizerischen U b e r e i n k u n f t v o m 9. 12.1869 ü b e r die Fischerei i m R h e i n u n d seinen Z u f l ü s s e n 2 3 3 : „ B e i überwiegendem Interesse der Landwirtschaft oder der Industrie k a n n das Einwerfen u n d Einleiten solcher Stoffe i n Fischwasser unter Anordnung geeigneter Maßnahmen, welche den möglichen Schaden für die Fische auf das tunlichst kleinste Maß beschränken, von der zuständigen Landesbehörde gestattet werden." E i n e ähnliche R e g e l u n g e n t h ä l t der noch h e u t e g e l t e n d e 2 3 4 preußischl u x e m b u r g i s c h e F i s c h e r e i v e r t r a g v o m 5 . 1 1 . 1 8 9 2 2 3 5 . A r t i k e l 2 § 11 l a u t e t : „Soweit nicht die i n den beiderseitigen Staatsgebieten bestehende Gesetzgebung die zur Zeit schon vorhandenen Ableitungen schützt, ist es v e r boten, i n die Gewässer aus landwirtschaftlichen oder gewerblichen Betrieben Stoffe von solcher Beschaffenheit u n d i n solcher Menge einzuwerfen, einzuleiten oder einfließen zu lassen, daß dadurch dem Fischbestande Nachteile erwachsen oder fremde Fischereirechte geschädigt werden können. Bei überwiegendem Interesse der Landwirtschaft oder der Industrie k a n n i m Einverständnis beider Regierungen das Einwerfen oder Einleiten solcher Stoffe i n die Gewässer gestattet werden, wobei dem Inhaber der Anlage die Ausführung von Einrichtungen aufgegeben ist, welche geeignet sind, den Schaden für die Fischerei möglichst zu beschränken." D e r V e r t r a g ü b e r die Fischerei i m Garda-See, der a m 9. 8.1883 z w i schen Ö s t e r r e i c h - U n g a r n u n d I t a l i e n geschlossen w u r d e 2 3 6 , g i b t den n a t i o n a l e n B e h ö r d e n der V e r t r a g s s t a a t e n das Recht, b e i ü b e r w i e g e n d e m f i s c h e r e i w i r t s c h a f t l i c h e m Interesse das E i n l e i t e n v o n schädlichen S t o f f e n i n d e n See oder seine Zuflüsse z u u n t e r s a g e n ( A r t i k e l 3 A b s a t z 1). E i n e ä h n l i c h e V e r e i n b a r u n g w u r d e auch f ü r die italienisch-schweizerischen Grenzgewässer g e t r o f f e n . A r t i k e l 14 des F i s c h e r e i v e r t r a g s v o m 13. 6. 1906 2 3 7 b e s t i m m t , daß die z u s t ä n d i g e n B e h ö r d e n jedes der b e i d e n Staaten i n gemeinschaftlichem Einverständnis beurteilen werden, „ i n w e l c h e n F ä l l e n die Interessen der Fischerei d e r a r t ü b e r w i e g e n , daß die A b l e i t u n g v o n d e n Fischen schädlichen Abwassers, w e l c h e r H e r k u n f t es 233 Übereinkunft betreffend gemeinsame Bestimmungen f ü r die Fischerei i m Rhein einschließlich des Untersees sowie i n ihren Zuflüssen zwischen Konstanz u n d Basel, Amtliche Sammlung der Bundesgesetze u n d Verordnungen (Schweiz) Bd. 10, S. 103. 234 Gerade i n neuester Zeit k a n n dieser Vertrag i m Zusammenhang m i t der geplanten Errichtung eines K e r n k r a f t w e r k s i m saarländisch-luxemburgischen Grenzbereich (siehe oben 1. T., 2. Kap. Β nach A n m . 146) wieder zur Geltung kommen. 235 Staatsvertrag zwischen Preußen u n d L u x e m b u r g betr. den B e i t r i t t L u xemburgs zum Vertrag wegen Regelung der Lachsflscherei i m Stromgebiet des Rheins v o m 30. J u n i 1885 u n d zur Regelung der Fischereiverhältnisse der unter gemeinschaftlicher Hoheit beider Staaten stehenden Gewässer, Martens, N.R.G. 2. sèrie Bd. 24, S. 153. 236 Text entnommen aus A r c h i v der I U C N / B o n n (ohne Quellenangabe). 237 Ubereinkunft zwischen der Schweiz u n d I t a l i e n betr. gleichartige Bestimmungen f ü r die Fischerei i n den beiden Staaten angehörenden Gewässern, Bereinigte Sammlung der Bundesgesetze u n d Verordnungen (Schweiz) Bd. 14, S. 263.
Β. Das materielle Völkerrecht
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auch sein mag, verlangt werden muß". Zum Erlaß zweckentsprechender Vorschriften sind die Behörden gleichfalls ermächtigt. Ganz deutlich verlangt auch das deutsch-dänische Abkommen vom 10. 4. 1922 zur Regelung der Wasser- und Deichverhältnisse an der gemeinsamen Staatsgrenze 238 ein überwiegendes Interesse des Verschmutzers. I n A r t i k e l 29 des Abkommens heißt es unter anderem: „Durch die Benutzung darf zum Nachteil anderer weder die Vorflut verändert noch das Wasser verunreinigt werden . . . es sei denn, daß die V o r teile, die durch die Anlage erreicht werden können, die zu erwartenden Schäden oder Nachteile erheblich übersteigen."
I n A r t i k e l 58 Absatz 1 des deutsch-niederländischen Grenzvertrags vom 8. 4. I960 2 3 9 verpflichten sich die Vertragsparteien, bei der Wahrnehmung ihrer wasserwirtschaftlichen Aufgaben die Interessen des Nachbarstaates an den Grenzgewässern — das sind alle längs- und quergeteilten Gewässer m i t Ausnahme von Rhein, Ems und D o l l a r t 2 4 0 — gebührend zu berücksichtigen. „Sie werden daher alle Maßnahmen ergreifen oder unterstützen, die erforderlich sind, u m einen den beiderseitigen Interessen entsprechenden ordnungsgemäßen Zustand der auf i h r Gebiet entfallenden Abschnitte der Grenzgewässer herzustellen oder zu unterhalten u n d werden keine Maßnahmen vornehmen oder dulden, die den Nachbarstaat wesentlich benachteiligen."
I n Konkretisierung dieser Verpflichtung vereinbarten die Parteien unter anderem, „ i n angemessener Frist" alle Maßnahmen zu ergreifen oder zu unterstützen, die erforderlich sind, u m eine „übermäßige Verunreinigung der Grenzgewässer, welche die übliche Benutzung des Wassers durch den Nachbarstaat wesentlich beeinträchtigen kann", zu vermeiden (Artikel 58 Absatz 2 d). Auch i n Verträgen zwischen Staaten des Ostblocks kommt der Gedanke der Interessenabwägung zum Ausdruck. Weniger konkret als das deutschniederländische Abkommen von 1960 bestimmt zum Beispiel der sowjetisch-polnische Grenzvertrag vom 15. 2. 1961 i n A r t i k e l 16 Absatz l 2 4 1 : "Chacune des Parties contractantes veillera à ce que les eaux frontières soient maintenues en bon état et à ce q u ' i l soit tenu compte des droits et intérèts de l'autre Partie dans ces e a u x . . ( Ü b e r s e t z u n g der UNTS).
Ein i n A r t i k e l 19 dieses Vertrags scheinbar enthaltenes absolutes Verschmutzungsverbot 242 w i r d durch die Bestimmung des A r t i k e l 16 weitgehend relativiert. 238
RGBl. 1922 I I , S. 152. Siehe oben Fußn. 190. 240 A r t . 56 Abs. 1 u n d 2 des Vertrags. 241 Vertrag über das Regime der sowjetisch-polnischen Staatsgrenze u n d über Zusammenarbeit u n d gegenseitigen Beistand i n Grenzangelegenheiten, U N T S Bd. 420, S. 161. 239
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I I . 2. Kap. : Die gegenwärtige Rechtslage
I n d i r e k t sieht auch der polnisch-tschechoslowakische Grenzgewässerv e r t r a g v o m 21. 3 . 1 9 5 8 2 4 3 eine A b w ä g u n g der w i d e r s t r e i t e n d e n I n t e r essen v o r . I n A r t i k e l 3 A b s a t z 4 h e i ß t es: "Les Parties contractantes sont convenues de réduire graduellement la pollution des eaux frontières et de maintenir lesdites eaux à u n degré de pureté q u i sera spécialement determine dans chaque cas particulier en fonction des possibilités et des besoins économiques et techniques des Parties contractantes" (Übersetzung der UNTS). Schließlich sei d e r z w i s c h e n d e r D o m i n i k a n i s c h e n R e p u b l i k u n d H a i t i a m 20. 2.1929 u n t e r z e i c h n e t e F r i e d e n s - u n d F r e u n d s c h a f t s v e r t r a g 2 4 4 e r w ä h n t , der sich h i n s i c h t l i c h der N u t z u n g der Grenzgewässer a u s d r ü c k l i c h a u f d e n G e d a n k e n des „ e q u i t a b l e a p p o r t i o n m e n t " 2 4 5 , d e r a u f e i n e r gerechten A b w ä g u n g d e r wechselseitigen Interessen b e r u h t , bezieht. A r t i k e l 10 des V e r t r a g s l a u t e t : " E n raison de ce que des rivières et autres cours d'eau naissent sur le territoire d'un des deux Etats, traversent sur le territoire de Γ autre o u leur servent de limites, les deux Hautes Parties contractantes s'engagent à ne faire n i consentir aucun ouvrage suseceptible soit de changer le cours naturel de ces eaux, soit d'altérer le débit de leurs sources. Cette disposition ne pourra s'interpréter de manière à p r i v e r l'un ou l'autre des deux Etats du droit d'user d'une manière juste et équitable, dans les limites de leurs territoires respectifs, desdites rivières et autres cours d'eau pour l'arrosage des terres et autres fins agricoles et industrielles 2 4 6 ." I n einigen Fällen werden relative Verunreinigungsverbote, w i e z u m B e i s p i e l auch i n A r t i k e l 58 des d e u t s c h - n i e d e r l ä n d i s c h e n V e r t r a g s v o n I96 0 2 4 7 (Verbot der „übermäßigen" V e r u n r e i n i g u n g u n d „wesentlicher" B e e i n t r ä c h t i g u n g ) , d u r c h d e n Ausspruch eines Übermaßverbots charakterisiert. So u n t e r s a g t d e r G r e n z g e w ä s s e r v e r t r a g zwischen P o l e n u n d d e r D D R v o m 6. 2 . 1 9 5 2 2 4 8 , b e i A u s ü b u n g der Fischerei i n d e n Grenzgewässern 242
" L e s . . . Parties contractantes prendront les mesures pour assurer la propreté des eaux frontières, et à cet effet, veilleront à ce qu'elles ne soient polluées n i souillées par des substances chimiques ou des déchets d'établissements industriels, par le rouissage du l i n ou du chanvre, ou de toute autre manière" (Übers, der UNTS). — Vgl. auch A r t . 17 des vorher geltenden sowjetisch-polnischen Grenzvertrags v o m 8. 7.1948 (UNTS Bd. 37, S. 25). 243 U N T S Bd. 538, S. 89. 244 Auszugsweise abgedruckt i n Council of Europe, Doc. EXP/Eau (72) 12, S. 3