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German Pages 130 [131] Year 1980
MICHAEL GORRINGER
Trennung von Infrastruktur und Verkehrsleistungsproduktion im Bereich des Schienenverkehrs
Schriften zu Regional· und Verkehrsproblernen in Industrie· und Entwicklungsländern Herauegegeben von]. Heinz Müller und Theodor Dame
Band 29
Trennung von Infrastruktur und Verkehrsleistungsproduktion im Bereich des Schienenverkehrs Eine Betrachtung unter besonderer Berücksichtigung der aktuellen Diskussion in der Bundesrepublik Deutschland
Von
Dr. Michael Göhringer
DUNCKER &
HUMBLOT / BERLIN
Alle Rechte vorbehalten
@ 1980 Duncker & Humblot, Berlin 41
Gedruckt 1980 bei fotokop wilhelm weihert, Darmstadt Prlnted in Germany ISBN 3 428 04688 9
Vorwort Die Vorstellung vom Eisenbahnwesen als öffentlicher Aufgabe hat sich speziell in Deutschland über mehr als ein Jahrhundert hinweg in einer Weise verfestigt, daß sie kaum mehr zum Problem erhoben wird. Vielen stellt sich dieser Status der Eisenbahn geradezu als Ergebnis von Zwangsläufigkeiten dar. Aber Zwangsläufigkeiten sind keine ökonomische Denkkategorie, und die tiefe Krise der Deuts..::hen Bundesbahn - die sich aus vielen Quellen speist - ist zur unreflektierten Hinnahme des institutionellen Rahmens, in dem sie operiert, wenig angetan. Dies gilt um so mehr, als es im Vergleich zum Status quo nicht nur die Alternative der Privatisierung, sondern eine Vielzahl von Abstufungen zwischen beiden Extremen gibt. Zu ihnen gehört die Trennung von "Weg" und "Betrieb", von Infra- und Superstruktur des Schienenverkehrs, die Michael Göhringer in der vorliegenden Abhandlung aufgreift. Es ficht den Verfasser - und mit ihm die Herausgeber dieser Schriftenreihe - nicht an, daß Denkanstöße zu einem sol..::hen Modell aus Kreisen der verladenden Wirts..::haft vorerst nur kurzzeitig im politischen Raum auf Widerhall stießen. Sollte sich nämlich die Vorhersage bewahrheiten, daß es sich bei dem relativ günstigen Geschäftsverlauf der Deutschen Bundesbahn im Jahre 1979 nur um ein kurzes Zwischenho..::h handelt und daß für die Zukunft wiederum ein Anwachsen der Fehlbeträge zu erwarten steht, kommt möglicherweise doch einmal der Zeitpunkt, zu dem tiefergreifende Sanierungskonzepte sich auch als politisch durchsetzbar erweisen. Die Trennung von Weg und Betrieb dürfte dann erneut in das Blickfeld rücken. Daß eine auflebende Debatte über das Für und Wider auf der Grundlage eines verbesserten Informationsstandes stattfinden kann - das ist das Verdienst der Arbeit von Michael Göhringer. Freiburg, im Mai 1980 Theodor Dams
J. Heinz Müller
Inhaltsverzeichnis 1. 1.1 1.2
2. 2.1 2.1.1 2.1.2 2.1.3 2.1.4 2.1.5 2.2 2.2.1 2.2.1.1 2.2.1.2 2.2.2 2.2.2.1 2.2.2.2 2.2.2.3 2.2.2.4 2.2.3 2.2.3.1 2.2.3.2 2.2.4 3. 3.1 3.2 3.2.1 3.2.2 3.2.3 3.3 3.3.1
Einleitung ....... .. ............... . . ... ............. .. .. . .. . Problemstellung .. .. ................... . . . ........... .. ..... . Gang der Untersuchung ... . ............ . ............ . ... . . . Die Entwicklung der Staatseisenbahn ......... . .. .. . . . .. . . .. . Die Gründe für die Übernahme der Eisenbahnen durch den Staat ............. .. . .............. . . . .............. .. . .... . Wirtschaftspolitische Gründe ....... . . .. ............. .. .. . . . . Finanzwirtschaftliche Gründe .... .... ... . ............ . ... .. . Gemeinwirtschaftliche Gründe . . . . .. .. . . .... . . .. .. . ........ . Politische Gr ünde .. . . .... . ....... .. .. .. . .... .. . ... ... .... . . Folgerungen ..... . . .. ............... . ............... .... ... . Die Ursachen der defizitären Entwicklung der Deutschen Bundesbahn ............................................... . . .. . Strukturelle Faktoren ................ . . . .... . ............. . . Verschiebungen in der Angebotsstruktur Verschiebungen in der Nachfragestruktur ... . .. . ..... .. ..... . Produktivitätshemmende Vorschriften . . . .. .. .. ...... .... ... . Verfassungsrecht . . . .. .............. . ..... . ........... . ..... . Haushaltsrecht ...................................... .. .... . . Öffentliches Dienstrecht ........... .. ................ ... .. .. . Bundesbahngesetz ................................. . ....... . Gemeinwirtschaftlichkeit . ... ...... . ........ . ........ . ...... . Ziela däquanz der gemeinwirtschaftliehen Verkehrsbedienung Auswir kungen der p auschalen Verlustübernahme . . . . . . . . . . . . Folgerungen ..... .. ................... . ............ . . ... ... . Grundproblematik einer Trennung von Infrastruktur und Verkehrsleistungsproduktion . . ............. . ... . ........... . ... . Begründung einer T r ennung am Beispiel der Deutschen Bundesbahn . . .. . ..... .. . .. .... . ... . . . .. . ..... . .... ... . . . . .. ... . Analyse des Berichts der Deutschen Bundesbahn . . . ... . . ... . Modelldefinition en und Prämissen . .. . ............ . .. .. .. . . . Kritische Würdigung der Berichtsergebnisse ......... .. .... . . Folgerungen für den Untersuchungsablauf ... .. ....... . .... . . Abstimmung von Infrastruktur und Superstruktur Abgrenzung der Fahrweg- und Betriebsfunktionen .... . .... .
1 1
2 4
4
4
6 7
8 9 11 11
11 12 14 14 15
16 17 18 18 19 20 22 22
28 28 31
36 38 38
VIII
Inhaltsverzeichnis
3.3.2 3.3.3
Differierende Zielsetzungen beider Organisationseinheiten 40 Gründe für die Schwierigkeiten einer v ertikalen Koordination 41
4.
Analyse vorhandener Systeme einer Trennung von Fahrweg und Betrieb im Schienenverkehr . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42
4.1
Die italienischen Betriebsgesellschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
42
4.1.1
4.1.2 4.1.3
Trennungsursachen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Eigentums- und Gesellschaftsverhältnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Trennungslinie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
42 42 43
4.1.4
Abstimmungsprobleme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
44
4.1.4.1 4.1.4.2 4.1.4.3 4.1.4.4 4.1.5
Unterhaltungs- und Erneuerungsarbeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B au- und Investitionsprogramme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Fahrpläne . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Betriebssicherheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
44 45 46 47 48
4.2
Die niederländischen Betriebsgesellschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . .
48
4.2.1
Trennungsursachen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
48
4.2.2 4.2.3 4.2.4 4.2.4.1 4.2.4.2 4.2.4.3 4.2.4.4 4.2.5 4.3 4.3.1 4.3.2 4.3.3 4.3.4 4.3.4.1 4.3.4.2 4.3.4.3
Eigentums- und Gesellschaftsverhältnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Trennungslinie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abstimmungsprobleme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Unterhaltungs- und Erneuerungsarbeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Bau- und Investitionsprogramme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Fahrpläne . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Betriebssicherheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . National Railroad Passenger Corporation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Trennungsursachen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Eigentums- und Gesellschaftsverhältnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . T r ennungslinie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abstimmungsprobleme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zugbildung und Verkehrslenkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Bau- und Investit ionsprogramme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Produktionsplanung und F ahrwegkapa zitäten . . . . . . . . . . . . . . . .
49 50 51 51 51 53 53 55 56 56 57 59 60 60 62 64
4.3.5 4.4
Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Bremer Straßenbahn AG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
66 67
4.4.1
Trennungsursachen
.......... ................ ........ .......
67
4.4.2 4.4.3
Eigentums- und Gesellschaftsverhältnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Trennun gslinie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
67 69
4.4.4 4.4.4.1
Abstimmungsp r obleme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
70
Unterhaltungs- und Erneuerungsarbeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
70
4.4.4.2 4.4.4.3
Bau- und Investitionsprogramme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B etriebssicherheit Zusammenfassung
71
4.4.5
70 72
Inhaltsverzeichnis 5.
5.1 5.1.1 5.1.2 5.1.2.1 5.1.2.2 5.1.2.3 5.2 5.2.1 5.2.1.1 5.2.1.2 5.2.1.2.1 5.2.1.2.2 5.2.2 5.2.2.1
Diskussion aktueller Probleme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Vorschläge für ein Trennungsmodell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Trennungslinie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Lösungsansätze für verbleibende Abstimmungsprobleme . . . . . Bau- und Investitionsprogramme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Verkehrslenkung und Fahrwegsicherung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Offene Fragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Wegeabgabenmodelle für den Schienenverkehr . . . . . . . . . . . . . . Pauschalabgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ansatzpunkte für die Gestaltung von Pauschalabgaben . . . . . . Auswertung der Erfahrungen mit Pauschalabgaben . . . . . . . . . . Bemessung der Abgabe in Abhängigkeit von der Höhe der Betriebseinnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Bemessung der Abgabe in Abhängigkeit von der Höhe der Fahrwegkosten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Benutzungsabhängige Abgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Ansatzpunkte für die Gestaltung benutzungsabhängiger Abgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kostenorientierte Preisbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.2.2.2 5.2.2.2.1 Durchschnittskostenpreisbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.2.2.2.2 Grenzkostenpreisbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Nachfrageorientierte Preisbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.2.2.3 Wegeabgaben als Instrument einer Mengenpolitik . . . . . . . . . . . . 5.2.2.3.1 5.2.2.3.1.1 Maßnahmen zur Ausweitung der Nachfrage nach Verkehrswegeleistungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.2.2.3.1.2 Maßnahmen zur Einschränkung der Nachfrage nach Verkehrswegeleistungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Wegeabgaben als Instrument einer Belastungspolitik . . .. .... 5.2.2.3.2 5.2.3 Folgerungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.
IX 73 73 73 76 76 79 81 82 82 82 82 82 87 90 90 93 93 97 101 102 102 104 108 109
Abschließende Beurteilung des Trennungskonzepts . . . . . . . . . . 111 Literaturverzeichnis . .. ........ . ........ .. . .. . ..... . . . ... .. .. 113
Abkürzungsverzeichnis A.f.E.
Archiv für Eisenbahnwesen
BBahnG
Bundesbahngesetz
DIHT
Deutscher Industrie- und Handelstag
DVWG
Deutsche Verkehrswissenschaftliche Gesellschaft
DVZ
Deutsche Verkehrs-Zeitung
EG-VO
Verordnung der Europäischen Gemeinschaft
GVK-CH
Gesamtverkehrskonzeption Schweiz
Z. f . V.
Zeitschrift für Verkehrswissenschaft
1.
1. I
Einleitung
Problemstellung
In der vorliegenden Arbeit sollen die wirtschaftlichen Auswirkungen einer Trennung von Fahrweg und Betrieb im Schienenverkehr untersucht werden. Dabei wird ausgegangen von einer Ubertragung des Schienennetzes (mit der dazugehörigen Verwaltung) in die rechtliche und finanzielle Zuständigkeit des Staates und einer Durchführung des Schienenverkehrs im Rahmen einer privaten Betriebsgesellschaft. Eine Trennung von Weg und Betrieb kann damit begründet werden, daß die Möglichkeit des DB-Managements, eine Geschäftspolitik wie ein Wirtschaftsunternehmen mit dem Ziel der Kostendeckung zu betreiben, allenfalls im Betriebsbereich gegeben ist, während im Netzbereich alle wesentlichen Entscheidungen beim Staat liegen. Der Versuch, auch das Schienennetz mit Hilfe des Konzepts eines "betriebswirtschaftlich optimalen Netzes" l)
in einen Verantwortungsbereich der Bundesbahn (betriebswirt-
schaftlich optimales Kernnetz) und in einen Verantwortungsbereich des Staates (gesamtwirts c haftlich notwendige Ergä nzungs strecken) aufzuspalten, hat sich als nicht durchführbar erwiesen. Demnach kann man heute davon ausgehen, daß die Vorhaltung des Schienennetzes eine Aufgabe des Staates ist, die eher nach politischen und gesamtwirtschaftlichen denn nach betriebswirtschaftliehen Gesichtspunkten wahrgenommen wird. Ziel der Trennung von Fahrweg und Betrieb ist die strenge Abgrenz ung staatlicher und unternehmerischer Aufgaben und damit eine Neuregelung der Beziehungen zwischen Eisenbahn und Staat. Das Trennungsmodell kann eine Ausgangsbasis bilden, von der aus die wirtschaftliche Gesun-
I) Zur Abgrenzung des "betriebswirts c haftlich optimalen Netzes" vgl. Rahn, T. : Das betriebswirtschaftlich optimale Netz der DB: Methodische Grundlagen seiner Abgrenzung, in: Deutsche Verkehrswissenschaftliche Gesellschaft (DVWG) {Hrsg. ): Das betriebswirtschaftlich optimale Netz der Deutschen Bundesbahn als Problem der Regionalpolitik, Schr iftenreihe der DVWG, Band B 37, Köln 1977, S. 1 - 34. - 1 -
dung des Betriebsbereichs verfolgt werden könnte. Unabdingbare Voraussetzung hierfür ist aber die Abkoppelung der Betriebsgesellschaft vorn staatlichen Haushalt. Die Eisenbahn muß hinsichtlich des Verkehrsbetriebes unter Erfolgszwang gestellt werden, d. h. ihr ist die Verantwortung für den Kostenausgleich des Betriebs zu übertragen. Andernfalls liefe die Trennung von Fahrweg und Betrieb lediglich auf einen mehr oder minder untauglichen Versuch hinaus, die finanzielle Notlage der Deutschen Bundesbahn zu Lasten des Bundeshaushalts zu konsolidieren, und wäre damit nichts weiter als eine Umbuchung von Verlusten. Die Trennung hoheitlicher und unternehrnerischer Aufgaben bei unterschiedlichen Eigenturnsverhältnissen bewirkt, daß die Erfordernisse einer Abstimmung von Verkehrsinfrastruktur und Verkehrssuperstruktur in den Mittelpunkt der Uberlegungen rücken. Für die Bedeutung des Konzepts als Beitrag zur eisenbahnpolitischen Diskussion ist letztlich entschei dend, inwieweit es gelingt, den Koordinationserfordernissen der Organisationseinheiten Fahrweg und Betrieb Rechnung zu tragen. Es wird deshalb zu untersuchen sein, ob nach einer Eingewöhnungszeit beide Funktionsbereiche getrennt voneinander betrieben werden können, ohne daß im Vergleich zur herkömmlichen Organisationsform des Schienenverkehrs Effizienzeinbußen auftreten. Der Diskussion einer Schienenbenutzungsgebühr kommt neben dem Gesichtspunkt einer Abstimmung von Infrastruktur und Superstruktur im Schienenverkehr auch unter dem Aspekt einer Angleichung der Wettbewerbsbedingungen im Verkehr Bedeutung zu, da Struktur und Niveau einer Schienenbenutzungsgebühr neue Wettbewerbsverzerrungen im Verkehr verursachen können.
1. 2
Gang der Untersuchung
Die Analyse der Ausgangssituation beschäftigt sich mit den Gründen, die in Deutschland zur derzeitigen Organisationsform des Schienenverkehrs geführt haben, und den Ursachen, die die Wirtschafts- und Finanz-
" 2 -
kriseder Bundesbahn bewirken (Kapitel 2). Daraus ergeben sich Ansatzpunkte für die Neuorganisation des Schienenverkehrs durch eine Trennung der Funktionsbereiche Fahrweg und Betrieb. Gleichzeitig wird auf der Grundlage des Untersuchungsberichts der Deutschen Bundesbahn eine Problematisierung des institutionellen Rahmens alternativer Trennungsmodelle angestrebt, um Aufschluß hinsichtlich der Voraussetzungen zu erhalten, die an ein sinnvolles Trennungsmodell zu stellen sind (Kapitel 3). Die Auswertung der mit realen Trennungsmodellen gemachten Erfahrungen soll klären, welche konkreten Abstimmungsprobleme sich in anderen Staaten als Folge der vollzogenen Trennungslinie ergeben haben. Diese werden auf ihre Ursachen hin untersucht (Kapitel 4). Hiernuf aufbauend werden Vorschläge für ein Trennungsmodell abgeleitet. Es wird eine Trennungslinie gezogen, die geeignet ist, eine wechselseitige Anpassung der getrennten Organisationseinheiten Fahrweg und Betrieb zu ermöglichen. Die aus dieser Trennungslinie resultierenden Abstimmungsprobleme werden dargestellt und Lösungsansätze aufgezeigt. Unter Berüc ksic htigung vorhandene r Erfahrungen werden alt e rnative Abgabenmodelle für den Schienenverkehr untersucht. Benutzungsuna bhä ngige Gebührensysteme werden benutzungsabhängigen gegenübergestellt (Kapitel 5). Es folgt eine abschließende Beurteilung des Trennungskonzepts (Kapitel 6).
- 3 -
2.
Die Entwicklung der Staatseisenbahn
2. 1
Die Gründe für die Obernahme der Eisenbahnen durch den Staat
2. 1. 1
Wirtschaftspolitische Gründe
Vornehmlich drei wirtschaftspolitische Gründe veranlaßten die Staaten mit Privatbahnen, in das Eisenbahnwesen einzugreifen: 1 ) - die Notwendigkeit einer Netzanlage unter gesamtwirtschaftlichen Gesichtspunkten das Erfordernis, gegen eine Ausnutzung des faktischen Transportmonopols der Eisenbahnen Vorkehrungen treffen zu müssen - die Möglichkeit, die Eisenbahnen als wirtschaftspolitisches Instrument benutzen zu können. Das Wegenetz ist mit der Existenz des Staates so eng verknüpft, daß es schon immer als Sache des Staates angesehen wurde, die Wege des öffentlichen Verkehrs zu planen, zu bauen und zu unterhalten. 2 ) diese
Er hat
Aufgabe stets unter gesamtwirtschaftlichen und politischen Gesichts-
punkten wahrgenommen, errichtete deshalb auch in Ländern mit Privatbahnsystem Eisenbahnlinien auf eigene Kosten, wenn sich das Privatkapital dazu nicht bereit fand, oder - und dies war der häufigere Fall - er gewährte den Privatunternehmen Zinsgarantien, falls sie Eisenbahnlinien zum Zwecke der gleichmäßigen verkehrliehen Erschließung des ganzen Landes auch abseits der Hauptstrecken errichteten. Die Zinsgarantie bewirkte, daß der Privatunternehmer zwar noch sein Kapital zur Verfügung stellte, aber das finanzielle Risiko dabei zum Teil der Staat trug.
1) Vgl. Napp-Zinn, A. -F.: Artikel "Eisenbahnen", in: Handwörterbuch der Sozialwissenschaften, Band 3, Göttingen 1961, S. 115. 2) Vgl. Ottmann, K.: Zur geschichtlichen Entwicklung der Rechts- und Organisationsformen der deutschen Eisenbahnen, in: Jahrbuch des Eisenbahnwesens, 15. Jg. (1964), 5. 115.
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Als der Staat jedoch in steigendem Maße zur Leistung dieser Zinsgarantie herangezogen wurde, ging er oftmals zur Verstaatlichung der betreffenden Linien über, um auch am Ertrag der Bahnen beteiligt zu sein. l) Da es kein vergleichbares Verkehrsmittel gab, setzten relativ frühzeitig Verstaatlichungstendenzen als Reaktion auf diese Machtposition der Eisenbahnen ein. 2.)
Die bestehenden privaten Gesellschaften wiesen eine star-
ke Tendenz zur Monopolisierung auf, um der für die Eisenbahn typischen Kostenstruktur - hohe fixe Kosten und flacher Verlauf der Grenzkostenkurve - besser gerecht werden zu können. Wegen der oftmals schlechten Auslastung der Betriebseinheiten war die Rentabilität vieler Bahnen nur gering. Erst der Zusammenschluß zu größeren Netzen durch Fusion, zumindest aber Verständigung, verbesserte die wirtschaftliche Situation. Die Möglichkeit dazu eröffnete die Staatsbahn ohne die Gefahr der Schädigung der Interessen der Allgemeinheit. 3 ) Der Linienwettbewerb der Privatgesellschaften führte vielfach zu einer Bevorzugung der Verkehrsknotenpunkte. Da auf der anderen Seite wirtschaftlich schwache Gebiete, die ein nur geringes Transportaufkommen versprachen, von Privatbahnen gemieden wurden, bot sich die Gelegenheit, raumordnungspolitische Ziele mittels einer Staatsbahn zu verwirklichen. Ebenso ließ sich die Eisenbahn als konjunktur- und wachstumspolitisches Mittel einsetzen. Dies war z. B. der Anlaß für den Bau der preußischen
Ostbahn~)
Bald erkannte der Staat auch, daß er mÜder Gestal-
tung der Tarifsätze e i n wichtiges wirtscha ftspolitisches Machtmittel in der Hand hatte. Die Verstaatlichung der Eisenbahnen bot hier weiterge-
1) Vgl. Just, R.: Die Verstaatlichung der europäischen Großeisenbahnen, Diss . Wien 1952, S . 30. 2) Vgl. Voigt, F.: Verkehr, Zweiter Band, Erste Hälfte, Berlin 1965, s. 515. 3) Vgl. Voigt, F.: a.a.O., S. 522.. 4) Vgl. ebenda, S. 516.
- 5 -
hende Möglichkeiten, da die Erfordernisse des Eisenbahnwesens den wirtschaftspolitischen Zielsetzungen leichter untergeordnet werden konnten als bei Fortbestehen des Privatbahnsystems. l)
Der Wunsch, die Tarifpoli-
tik der Eisenbahnen fest in die Hand des Staates zu bringen, war z. B. nach dem Ubergang von der Freihandels- zur Schutzzollpolitik maßgebend für die Verstaatlichung der preußischen Eisenbahnen. Danach konnte der Staat die Tarifgestaltung bewußt als Instrument der Wirtschaftslenkung einsetzen. 2 )
2. l. 2
Finanzwirtschaftliche Gründe
Ein weiterer Grund für die Ubernahme der privaten Eisenbahnen in staatliche Regie lag in der hohen Rendite, die erfolgreiche Eisenbahngesellschaften erwirtschafteten. Da der Staat vorher mehr am Mißerfolg als am Erfolg der Bahnen beteiligt worden war, wuchs sein Interesse, dieses Verkehrsmittel als eigene Einnahmequelle zu benutzen. Der Vorteil dieser Einnahmen gegenüber den Steuern oder der Staatsverschuldung lag darin, sie ohne Einschaltung des Parlaments in Anspruch nehmen zu können. 3 ) Auch hatte sich gezeigt, daß der finanzielle Erfolg der bereits in staatlicher Regie betriebenen Bahnen nicht hinter dem der privaten Gesellschaften zurückblieb, so daß sich keine Bedenken ergaben, zum Staatsbahnsystem überzugehen. 4 )
Daß die Betriebseinnahmen dann gegen Ende des
19. Jahrhunderts so stark anstiegen - sie deckten in Preußen zeitweilig ein Drittel des gesamten staatlichen Finanzbedarfs - konnte jedoch zur Zeit der meisten Verstaatlichungen nicht vorhergesehen werden. 5 )
1) Vgl. Just, R., a. a. 0., S. 20. 2) Vgl. Ottmann, K.: Zur geschichtlichen Entwicklung der Rechts- und Organisationsformen der deutschen Eisenbahnen, a. a. 0. , S. 120; vgl. auch Helander, S.: Nationale Verkehrsplanung, Jena 1937, S. 34. 3) Vgl. Schmidt, H.: Die Entwicklung der deutschen Eisenbahnen von einer wichtigen Einnahmequelle zu einem Verlustträger im Öffentlichen Haushalt, Diss. Stuttgart 1975, S. 12. 4) Vgl. Ottmann, K., a. a. 0., S. 119. 5) Vgl. Schmidt, H., a.a.O., S. 13.
- 6 -
2. 1. 3
Gemeinwirtschaftliche Gründe
Um im Sinne einer gemeinwirtschaftliehen Verkehrsbedienung l)
Einfluß
auf das Verhalten der Eisenbahnen ausüben zu können, sah sich der Staat veranlaßt, sie als öffentliche Unternehmen zu führen. Wenig wurde dabei beachtet, daß es auch mittels Privatbahnen möglich gewesen wa:re, gemeinwirtschaftliche Ziele zu verfolgen. Jedoch wurden durch die Handhabung des Konzessionswesen, insbesondere durch die Zulassung von Konkurrenzbahnen, die gemeinwirtschaftliehen Zielvorstellungen vom Staat oftmals selbst ins Gegenteil verkehrt. So führte der vermehrte Kapitalaufwand in vielen Fällen zu Tariferhöhungen, 2 )
oder es wurde seitens der bestehen-
den Bahnen versucht, entstandene Konkurrenzbahnen durch Schleudertarife zu ruinieren. Das Publikum profitierte zwar, solange die Tarife im gegenseitigen Kampf herabgesetzt wurden; war die Konkurrenz aber ausgeschaltet, wurden die ·Tarife wieder heraufgesetzt, und der Benutzer mußte gewöhnlich die "Kriegskosten" tragen. 3 )
1) Der Begriff der "Gemeinwirtschaft" ist außerordentlich vieldeutig. Jeweils aus volkswirtschaftlicher, betriebswirtschaftlicher oder sozialpolitischer Sicht werden sehr voneinander abweichende Definitionen aufgestellt, ohne daß es bisher gelungen ist, eine einheitliche Auffassung zu erreichen oder gar eine allgemeingültige Definition zu finden. Vgl. dazu Günther, A.: Die Gemeinwirtschaftlichkeit der deutschen Eisenbahnen in ihrer geschichtlichen und inhaltlichen Entwicklung, in: Archiv für Eisenbahnwesen (A.f. E.), 7o. Jg. (196o), S. 2. Ungeachtet der schwierigen Begriffsbestimmung soll hier "Gemeinwirtschaftlichkeit" verstanden werden als ein Muster von Verhaltensweisen wie es von Privatunternehmen unter Beachtung ihres üblichen Zielgefüges nicht erwartet werden kann. Vgl. Drude, M.: Sanierung der Deutschen Bundesbahn durch Privatisierung? in: Zeitschrift für Verkehrswissenschaft (Z. f. V.), 47. Jg. (1976), S. 197, Anmerkung 6. 2) Vgl. Hesse, K.: Die Bedeutung der Organisationsform für die Verkehrsleistungder Eisenbahn, Diss. Marburg 1947, S. 46. 3) Vgl. Sax, E.: Die Verkehrsmittel in Volks- und Staatswirtschaft, Band 3, Berlin 1922, S. 131.
- 7 -
Insbesondere waren es sozialpolitische Ziele, die der Staat mittels einer gemeinwirtschaftliehen Tarifierung zu verwnklichen suchte (Ermäßigung für Arbeiter, Angestellte, Schüler, Kriegs- und Arbeitsgeschädigte etc. ), aber auch produktionspolitische Ziele, wie die Förderung bestimmter Wirtschaftszweige (Landwirtschaft, einzelne Industriezweige, Außenhandel,
S ee h a''f en u. a.. .). 1)
2. 1. 4
Politische Gründe
Im Zuge des
Ausbaus der Verkehrsnetze wurde bald ersichtlich, daß den
Eisenbahnen auch militär-strategische Bedeutung zukam. Sie ermöglichten es, große Truppenkontingente rasch in bestimmte Gebiete zu verschieben, und erleichterten den Nachschub. Z)
Die Erfordernisse der Kriegs-
führung verlangten nach einer zentralistisch ausgerichteten Organisation und erzwangen den Bau von Eisenbahnlinien, die für den Transport von Truppen und Kriegsmaterialien unentbehrlich, volkswirtschaftlich dagegen eher von untergeordneter Bedeutung waren. 3 )
Der Staat konnte
zwar auf die Linienführung der Privatgesellschaften Einfluß nehmen, im Kriegsfall zeigten sich jedoch fühlbare Mängel im Organisationsablauf, die die Manövrierfähigkeit der Truppen beeinträchtigten. 4 ) Neben Problemen der Außenpolitik konnten auch solche der Innenpolitik für den Ubergang zum Staatsbahnsystem maßgebend sein. So wollte z. B. das Großherzogturn Baden den staatlichen Verschrnelzungsprozeß durch den Bau einer Staatsbahn beschleunigen. 5 )
Die anderen Klein- und Mit-
1) Vgl. Napp-Zinn, A.-F., a.a.O., S. 115!. 2) Vgl. Just, R., a. a. 0., S. 22f. 3) Vgl. Grunzel, J.: System der Verkehrspolitik, Leipzig 19o8, S. 79. 4) Vgl. Hesse, K., a. a. 0., S . 49. 5) Vgl. Voigt, F., a.a.O., S. 515.
- 8 -
telstaaten gingen bald, vornehmlich um die Autorität der Fürsten zu stärken, zum Staatsbahnsystem über. l)
Auch Bisrnarck wollte die Zentral-
gewalt des neu geschaffenen Deutschen Reiches durch ein einheitlich geordnetes Eisenbahnsystem festigen. 2 )
2. l. 5
Folgerungen
Die Entwicklung vorn Privatbahn- zum Staatsbahnsystem beruht nur zum Teil auf einem rationalen verkehrspolitischen Interventionisrnus. Außerdem spielen einerseits grundsätzliche wirtschaftspolitische Entscheidungen, andererseits eine Reihe wirtschaftlicher und politischer Zeitumstände eine wichtige Rolle. 3 ) Die Trennung von Fahrweg und Betrieb ist zu jener Zeit in Deuts c hland nicht als eigenständige Organisationsform des Schienenverkehrs aktuell die Alternative hieß nur Staats- oder Privatbahn unter Vereinigung beider Funktionen des
Schienenverkehrs. 4 )
Wenn man doch hier und da zu einer
Trennung beider Bereiche überging, so entsprang dies eher einer Notsituation wie z. B. in Sachsen. Da infolge der damaligen schlechten Finanzsituation des Staates ein Staatsbahnsystem undurchführbar war, mußte Sachsen sich entsprechend der ihm zur Verfügung stehenden Mittel mit einer Kapitalbeteiligung begnügen. Die Regierung wollte sich über eine staatliche Netzanlage einen weitgehenden Einfluß auf die privaten Schienenverkehrsgesellschaften sichern. Dieser Weg hat sich in Sachsen nicht bewährt. Da die staatlichen Baugesellschaften nicht in der Lage waren, ihre Aufga1) Vgl. Sax, E., a. a. 0., S. 473. 2) Vgl. Helander, S., a. a. 0., S. 32 f. 3) Vgl. Napp-Zinn, A.-F., a.a.O., S. 118. 4) Für eine Obergangszeit ist die Trennung zuweilen als Vorstufe der Verstaatlichung anzutreffen. So wurde in den Verträgen, die Preußen mit den Privatgesellschaften über den staatlic hen Erwerb der Linien abschloß, gewöhnlich vereinbart, daß die Betriebsübernahme durch den Staat sofort, dagegen der Ubergang in das Eigentum. des Staates zu einem späteren Zeitpunkt erfolgen sollte. Vgl. Enzyklopädie des Eisenbahnwesens, hrsg. von F. von Röll, 2 . Auflage, Band 2, Berlin 1912, S. 347.
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ben zufriedenstellend zu erfüllen, kam es zu ständigen Meinungsverschiedenheiten zwischen der Regierung und den Gesellschaften. l) Die zeitweilig bei der Deutschen Reichsba hn durchgeführte Trennung von Fahrweg und Betrieb ergab sich aus der besonderen politischen und wirtschaftlichen Situation nach dem ersten Weltkrieg. Die Entwicklung zu der weitgehenden wirtschaftlichen Selbständigkeit des Betriebsunternehmens Deutsche Reichsbahn hatte unter der Not des Währungsverfalls ihren Anfang genommen und war unter dem Druck der Regelung der Reparationsfrage wesentlich gefördert worden. Sie hatte in dieser zweiten Phase den alleinigen Zweck, einen möglichst großen Ertrag für Reparationszahlungen zu realisieren, unterlag also einer besonderen, eisenbahnfremden Zielsetzung. Die Trennung von Fahrweg und Betrieb entsprang einer Notlösung, um die Reparationslasten abtragen zu können, ohne das Eigentum des Reiches an den Eisenbahnen anzutasten. Da der Passivposten der Reparationslast durch einen Aktivposten ausgeglichen werden mußte und die Reichsbahngesellschaft nicht als Eigentümer der Reichsbahn auftreten sollte, kam man dazu, das Betriebsrecht bei einer Betriebsgesellschaft zu aktivieren. In Wirklichkeit sollte die Betriebsgesellschaft wie ein Eigentümer über die Anlagen verfügen dürfen, dafür aber verpflichtet sein, sie in ihrem Wert zu erhalten und fortzuentwickeln. 2 ) Der Trennung von Fahrweg und Betrieb liegt heute ein andet'es Motiv zugrunde. Sie würde sich daher auch in der
Durchführung unterscheiden.
Das Motiv i st, der Eisenbahn die Verpflichtung zur Erhaltung und Weiterentwicklung des Streckennetzes abzunehmen, und die Durchführung zielt darauf ab, die Bahn als reine Betriebsgesellschaft zu sehen, die das Betriebsrecht nicht in ihrer Bilanz aktiviert, weil auch der korrespondierende Passivposten (die den Anlagewerten entsprechende Verschuldung)
1) Vgl. Hesse, K., a. a. 0., S . 57.
2) Vgl. Ottmann, K.: Ein Vorschlag zur Verwirklichung marktwirtschaftlicher Grundsätze im Verkehr, in: Internationales Archiv für Verkehrswesen, 12. Jg. (196o), Heft 3, S. 9o; vgl. auch Schnettler, A.: Öffentliche Betriebe, Essen 1956, S. 1o6 f. - 1o -
nicht in die Rechnung der Betriebsgesellschaft eingeht. l) Um die Gründe, die für eine Trennung von ·Fahrweg und Betrieb im Schienenverkehr sprechen, ableiten zu können, sollen im folgenden die Ursachen der defizitären Entwicklung der
Deutschen Bundesbahn (DB) analysiert
werden.
2. 2
Die Ursachen der defizitären Entwicklung der Deutschen Bundesbahn
Die jetzige schwierige Situation der DB ist nicht darauf zurückzuführen, daß sie in der Vergangenheit die Instrumente eines Preiswettbewerbs nicht ausreichend eingesetzt hätte. Ein beträchtlicher Teil der Ausnahmetarife der Bahn liegt unter den Frachtsätzen des Güterfernverkehrs; trotzdem laufen wesentliche Teile des entsprechenden Verkehrsaufkommens über die Straße. Dies resultiert aus gesamtwirtschaftlichen Strukturwandlungen, die sich nicht nur auf Seiten der verladenden Wirtschaft, in der Nachfrage nach Verkehrsleistungen, sondern ebenso im Verkehr selbst beim Angebot von Verkehrsleistungen vollziehen. 2. 2. 1
2. 2. 1. 1
Strukturelle Faktoren Verschiebungen in der Angebotsstruktur
Verschiebungen in der Angebotsstruktur des Verkehrs ergeben sich schon seit geraumer Zeit und sind noch nicht abgeschlossen. Die Marktchancen für die Konkurrenten der Eisenbahn sind deshalb so günstig, weil sie mit einem weitgehend spezialisierten Verkehrsangebot antreten. Die deutsche Verkehrspolitik ist über Jahrzehnte hinweg eine Schutzpolitik für die Eisenbahn gewesen. Dies dokumentiert sich nicht zuletzt in der
1) Vgl. Ottmann, K.: Ein Vorschlag zur Verwirklichungmarktwirtschaftlieber Grundsätze im Verkehr, a. a. 0., S. 9o. ·
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Art der Tariffestsetzung, besonders deutlich aber in der Kontingentierung und Konzessionierung konkurrierender Verkehrsträger. l)
Es ist dieser
Verkehrspolitik jedoch nicht gelungen, eine Konsolidierung des Verkehrsträgers Eisenbahn herbeizuführen. Kontingentierung und Konzessionierung des gewerblichen Straßengüterfernverkehrs und Sondersteuern für den Werkverkehr sind als Schutz für die Bundesbahn fast wirkungslos gewesen, "da das Zusammenwirken von Preisen und Leistungsqualitäten die Marktentscheidungen der Nachfrager bestimmt." 2 ) Die Bundesbahn müßte ihrerseits mit eigenen Schwerpunktbildungen reagieren, die deutlich durch die in der Eisenbahnökonomie bestehenden Kostenstrukturen vorgezeichnet sind. Die Schiene ist sowohl ein kapital-, als auch ein arbeitsintensives Instrument, d. h. die Eisenbahn ist mit hohen Kapital- und Abschreibungskosten, aber auch mit hohen Lohnkosten belastet . Sie muß daher wie jeder mit hohen fixen Kosten belastete Betrieb auf maximale Kapazitätsauslastung bedacht sein, muß sich also auf den gebündelten oder bündelungsfähigen Knotenpunktverkehr konzentrieren. 3 )
Nur als Fernverkehrsmittel erbringt die Eisenbahn relativ
billige Verkehrsleistungen und vermag dennoch ihre Kosten zu decken. 2.2.1.2
Verschiebungen in der Nachfragestruktur
Die Entwicklung des Güterverkehrsaufkommens der Eisenbahn ist in hohem Maße von der Aufkommensentwicklung der Massengüter wie Kohle, Eisen und Stahl abhängig. Insbesondere ist der Güterverkehr der DB bis
1) Vgl. Zachcial, M.: Unternehmensgrößenprobleme im Verkehrssektor, Reihe Beiträge zur Mittelstandsforschung, hrsg. vom Institut für Mittelstandsforschung, Göttingen 1975, S. 2. 2) Aberle, G.: Die Situation der Deutschen Bundesbahn, Ursachen und Lösungsmöglichkeiten eines gesellschafts- und wirtschaftspolitischen Problems, in: Jahrbuch des Eisenbahnwesens, 26. Jg. (1975), s. 11. 3) Vgl. Meyer, H. R.: Verkehrswirtschaft und Verkehrspolitik, Bern
1976,
s.
89.
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Anfang der 6oer Jahre durch einen hohen Kohleverkehrsanteil gekennzeichnet gewesen. Der Anteil dieses Gutes am gesamten Transportaufkommen der Eisenbahn hat sich jedoch ständig verringert und betrug 1977 nur noch 26
%.
l)
Die Ursache für den Rückgang der Kohletransporte in der
Nachkriegszeit lag darin, daß sich in der Energiewirtschaft ein tiefgreifender Strukturwandel vollzog, der durch den Rückgang des Verbrauchs an Kohle und die stark ansteigende Nachfrage nach Mineralöl bzw. dessen Produkten bestimmt war. 2 )
Aber auch Standortverschiebungen in der
Grundstoffindustrie und eine Verlagerung der Beschaffungsmärkte minderten den kostengünstigen Wagenladungsverkehr. So ist im Braunkohlenverkehr der Anteil der Schiene von 195o bis 1965 von 34, 3
% auf
12, 1
1•
ge-
sunken, wobei der Rückgang in den Jahren 1962 bis 1965 allein rund ein Drittel ausmachte. Dies war darauf zurückzuführen, daß die Versorgung der Kraftwerke, die in der Nähe der Braunkohlengruben errichtet wurden, im Eigenverkehr 3 )
sowie durch den Braunkohlenimport über die Bin-
nenschiffahrtsstraßen erfolgte. 4 ) Auch die längerfristige Entwicklung des Transportaufkommens von Eisen und Stahl stagniert seit einigen Jahren. Dies ist nicht auf Substitutionsvorgänge zwischen Schiene und Straße zurückzuführen, sondern auf eine strukturell bedingte Krise des Stahlmarktes. 5 ) Die verkehrs- und gesamtwirtschaftlichen Strukturveränderungen führen dazu, daß der Markt für Schienenverkehrsleistungen enger wird. Ange-
l) Vgl. o. V.: Verkehrswirtschaft im Fahrwasser der Gesamtkonjunktur, in: Wirtschaftskonjunktur, Monatsberichte des IFO-Instituts für Wirtschaftsforschung, München, 29. Jg. (1977), Heft 3, S. 25. 2) Vgl. Jürgensen, H.: Strukturtypen, Strukturwandlungen und Strukturprobleme in der Verkehrswirtschaft, in: Schriften des Vereins für Socialpolitik, Neue Folge, Band 3o/I, Berlin 1964, S. 29o. 3) Vgl. Stukenberg, H.: Zur Tarifpolitik der Bundesbahn, in: Die Bundesbahn, 4o. Jg. (1966), S. 592. 4) Vgl. Schlotterer, P.: Verkehrspolitik und Güterverkehr seit 1961, Reihe Volkswirtschaftliche Beiträge I, Berlin 1974, S. 2o4. 5) Vgl. o. V., Verkehrswirtschaft im Fahrwasser der Gesamtkonjunktur, a. a. 0., S. 26. - 13 -
sichts der rückläufigen Nachfrage ist es nicht mehr möglich, die Kapazität der Bundesbahn kostendeckend auszulasten. Deshalb kann die maximale Auslastung dieser Kapazität unter den heutigen Bedingungen kein sinnvolles Ziel der Verkehrspolitik oder gar der Geschäftspolitik der Bahn sein.
2. 2. 2
2.2.2. 1
Produktivitätshemmende Vorschriften
Verfassungsrecht
Das Eisenbahnrecht beinhaltet ein Höchstmaß an Eingriffsmöglichkeiten für den Staat. Sie sind als mittelbare oder unmittelbare Auswirkungen des Artikels 87 Abs. 1 Grundgesetz anzusehen, der die Führung der Bundesbahn in bundeseigener Verwaltung mit eigenem Verwaltungsunterbau vorschreibt. Eine Reprivatisierung der Deutschen Bundesbahn wie die der ehemaligen Deutschen Reichsbahngesellschaft - ist somit ausgeschlossen. l) Hierdurch wird verfassungsrechtlich verankert, daß die Zielsetzung der Bundesbahn - wie die anderer Verwaltungen auch - nicht größtmögliche Wirtschaftlichkeit sein kann; vielmehr fühlt sie sich vorrangig als Gemeinschaftsgut der Erfüllung einer Staatsaufgabe verpflichtet. 2 )
Infel-
ge des Status eines Sondervermögens des Bundes sind die Möglichkeiten
1) Vgl. Der Bundesminister der Justiz, Aktenzeichen 741/1-1783; Gutachten über die Auslegung des Art. 87 GG, in: A. f. E., 7o . Jg. (1960), S. 23o ff. Danach kann die DB in der Gestalt eines Regieunternehmens als unselbständige Abteilung der Bundesverwaltung, in der Form eines selbständigen öffentlichen Unternehmens ohne eigene Rechtspersönlichkeit oder eines öffentlichen Unternehmens mit eigener Rechtspersönlichkeit geführt werden.
2) Vgl. Deutscher Industrie- und Handelstag (DIHT): Die Anhörung zur Finanzsituation der Deutschen Bundesbahn, DIHT -Stellungnahme zum Fragenkatalog des Haushaltsausschusses des Bundestages, in: DIHT-Rundschreiben an die Industrie- und Handelskammern vom 31. 5. 197 8, Gliederungspunkt 5, S . 2 (im folgenden zitiert als DIHTStellungnahme). - 14 -
staatlicher Einflußnahme auf die DB sehr ausgeprägt. Zurückhaltung ist möglich, nach der Rechtslage aber ohne institutionelle Fundierung. l) 2. 2. 2. 2
Haushaltsrecht
§ 30 Abs. 2 Bundesbahngesetz (BBahnG) verpflichtet die DB zur Aufstellung eines Wirtschafts- und Haushaltsplans. Diesem Erfordernis alleine können keine produktivitätshemmenden Wirkungen beigemessen werden. Die Gefahr entsteht nach Ansicht des Deutschen Industrie- und Handelstages (DIHT) vielmehr erst dadurch, daß Wirtschafts- und Stellenplan gemäߧ 30 Abs. 3 BBahnG der Genehmigung des Bundesministers für Verkehr im Einvernehmen mit dem Bundesminister der Finanzen bedürfen, die auf diese Weise zugunsten unternehmensfremder, allgemeinpolitischer Zwecke auf die Wirtschaftsführung der DB Einfluß nehmen können. Es kommt hinzu, daß die Bindung an diese alljährlich im voraus aufzustellenden Pläne notwendigerweise die rasche Anpassung an die Änderung wirtschaftlicher Gegebenheiten erschweren muß. Dies gilt um so mehr, als nach § 30 Abs. 3 BBahnG auch wesentliche Änderungen der Pläne während des Geschäftsjahres von der Billigung politischer Instanzen abhängig sind. 2 ) Indirekte negative Wirkungen auf die Produktivität müssen- so der DIHT auch bei den Normen angenommen werden, die die Art und Weise der Aufstellung des Wirtschaftsplanes regeln. Als einzige Vorschrift befaßt sich damit § 30 Abs. 2 BBahnG. Er schreibt vor, daß die wirtschaftlichen Ergebnisse des Kraftverkehrs und der größeren gewerblichen Nebenbetriebe sowie die Ergebnisse der Beteiligungen gesondert darzustellen sind.
1) Vgl. Willeke, R., Aberle, G. : Wege zur Sanierung der Eisenbahn, Schriftenreihe des Verbandes der Automobilindustrie e. V., Nr. 14, Frankfurt 1973, S. 46. 2) Vgl. DIHT-Stellungnahme a. a. 0., Gliederungspunkt 5, S. 2 f.
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Im übrigen bleibt es der Bundesregierung freigestellt, Vorschriften über die Gliederung des Wirtschaftsplans zu erlassen. Angesichts der Größe des Unternehmens Deutsche Bundesbahn wäre es geboten, die unternehmerischen Entscheidungen und Erwartungen für jedes Jahr nach Geschäftszweigen getrennt zu veranschlagen. I)
2.2.2.3
öffentliches Dienstrecht
Im Hinblick auf die Produktivität der Bundesbahn muß die Bindung an das öffentliche Dienstrecht als einer der wesentlichen Gründe für mangelnde Beweglichkeit angesehen werden. 2 )
Das geltende Dienstrecht, insbe-
sondere die beamtenrechtlichen Vorschriften, stellen einschneidende Restriktionen einer an modernen Managementmethoden orientierten Betriebsführung dar. 3 )
Nach Ansicht des DIHT rührt dies daher, daß das öffent-
liche Dienstrecht auf die Verwaltung zugeschnitten ist, die in ihrer Personalwirtschaft von den Schwankungen der Ertrags- und Marktlage unabhängig ist, andererseits aber die Wahrnehmung hoheitlicher Auf gaben zu sichern hat und deshalb das (gegenseitige) "Treueverhältnis" zum Dienstherrn - nicht zuletzt mit seinen sozialpolitischen Bezügen - in den Vordergrund stellen muß. Der durch § 19 BBahnG festgesetzte Beamtenstatus des größten Teils der Mitarbeiter ist daher einer der bedeutsamsten Gesichtspunkte, die die Deutsche Bundesbahn als Verwaltung im Gegensatz zu einem Unternehmen kennzeichnen. 4 )
1) Vgl. DIHT-Stellungnahme, a. a. 0., Gliederungspunkt 5, S. 3 f. 2) Vgl. Aberle, G.: Die Situation der Deutschen Bundesbahn, a. a. 0., s. 12. 3) Vgl. Vogt, G.: Die Deutsche Bundesbahn, hrsg. vom Karl-BräuerInstitut des Bundes der Steuerzahler, Heft 37, Wiesbaden 1977, S. 32. 4) Vgl. DIHT-Stellungnahme, a.a. 0., Gliederungspunkt 5, S. 4; vgl. auch Böttger, W. , Dittmann, A. : Für Autonomie und Staatlichkeit der Deutschen Bundesbahn, in: Z.f. V., 49. Jg. (1978), S. 24o.
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2.2.2.4
Bundesbahngesetz
Bereits die Frage nach den Auswirkungen des Haushalts- sowie des öffentlichen Dienstrechts konnte nicht ohne Rückgriff auf die Vorschriften des Bundesbahngesetzes beantwortet werden. Uber die schon erörterten Bestimmungen hinaus bieten insbesondere die in § 14 Abs. 3 BBahnG geregelten Genehmigungsvorbehalte des Bundesministers für Verkehr sowie sein Einspruchsrecht nach§ 15 BBahnG und sein Eingriffsrecht nach§ 16 Abs. 4 BBahnG Gelegenheit für die Verfolgung externer politischer Zwekke. Diese Bestimmungen zielen darauf ab, auch in den wichtigsten Belangen der Bundesbahn, trotz ihrer Selbstverwaltung, der Bundesregierung als der höchsten Instanz der Bundesverwaltung die letzten Entscheidungsbefugnisse zu sichern. Dazu gehören namentlich die weitgehende Einwirkung der Bundesregierung auf die Zusammensetzung der Organe Verwaltungsrat und Vorstand (§ § 8, 54 BBahnG), die auch für die Bundesbahn verbindlichen Grundsätze der Politik 1 )
und die Entscheidungen über Wirt-
schaftsplan und Jahresabschluß. Das gleiche gilt für die Möglichkeiten der Einflußnahme, d i e den Ländern nac h den § § 43 ff. BBahnG eingeräumt wird. Laut DIHT kommt dabei diesen Vorschriften nicht nur für den Fall produktivitätshemmende Wirkung zu, daß der Bundesminister für Verkehr bzw. die Bundesländer von ihren Rechten in einem bestimmten Sinn Gebrauch machen, vielmehr besteht darüber hinaus die Tendenz, unternehmerischen Entscheidungen, die diesen Vorschriften unterfallen, allein wegen der eventuell zu befürchtenden politischen Auseinandersetzungen aus dem Wege zu gehen. 2 )
I) Als Beispiel sei§ 1 in Verbindung mit den§§ 13 Abs. 2, 19 ff. Stabilitätsgesetz genannt, wo auch die DB zur Verfolgung der gesamtwirtschaftlic hen Ziele dieses Gesetzes verpflichtet wird. 2) Vgl. DIHT-Stellungnahme, a. a. 0., Gliederungspunkt 5, S. 9.
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2. 2. 3 2. 2. 3. 1
Gemeinwirtschaftlichkeit Zieladäquanz der gemeinwirtschaftliehen Verkehrsbedienung
Die Tatsache, daß die Bundesbahn ein Staatsunternehmen ist, hat zwangsläufig zur Folge, daß sie als politisches Instrument benutzt wird. So hat sich die in § 28 BBahnG verankerte Verpflichtung des Vorstandes, die DB wie ein Wirtschaftsunternehmen zu führen, praktisch nie auswirken können. Der Bund - oft in Obereinstimmung mit den Ländern - deklariert die sog. gerneinwirtschaftlichen Aufgaben als Basisverpflichtung. Die kaufmännische Betriebsführung wird dieser Verpflichtung untergeordnet, obwohl dies dem § 28 BBahnG widerspricht. 1 )
In der offiziellen Be-
gründung des Bundesbahngesetzes heißt es zu § 4 u. a.: 2 ) "Bei aller Beobachtung betriebswirtschaftlicher Grundsätze ist daran festzuhalten, daß die Deutsche Bundesbahn die Aufgabe hat, dem deutschen Volk und seiner Wirtschaft zu dienen. Ihre Blickrichtung muß daher eine andere sein als die eines Gewerbebetriebs, dessen Streben in erster Linie der Erzielung von Gewinn dient. " Die gleichwertige Bedienung aller Landesteile durch den Schienenverkehr ist seit jeher herausragende Zielsetzung staatlicher Eisenbahnpolitik gewesen. Sie entstammt - wie oben dargestellt - der Zeit des faktischen Transportmonopols der Eisenbahn. Seit dem Aufkommen konkurrierender Verkehrsmittel auf allen Verkehrsrelationen verstößt jedoch eine Verkehrspolitik für die "Fläche", die als Instrument stets einseitig die Schiene bevorzugt, gegen die Grundregeln einer effizienten Faktorallokation, solange alternative Transportformen niedrigere volkswirtschaftliche Kosten aufweisen. 3 ) 1) Vgl. Aberle, G.: Die Situation der Deutschen Bundesbahn, a . a. 0., S. 11. 2) Zitiert nach Günther, A., a . a . 0., S. 33.
3) Vgl. Drude, M.: Sanierung der Deutschen Bundesbahn durch Privati-
sierung?, a. a. 0., S. 2o8 f.; vgl. auch Müller, J. H., Drude, M.: Eigenwirtschaftlichkeit der Eisenbahnen und aktive Sanierung ländlicher Räume- ein Zielkonflikt? in: Z. f. V., 42. Jg. {1971), S. 162 ff. - 18 -
Angesichts des fortschreitenden Rückgangs des Verkehrsaufkommens auf den Nebenstrecken wird der Nutzen der gemeinwirtschaftliehen Verkehrsbedienung im Rahmen des Schienenverkehrs in der Literatur durchweg gering bewertet. l)
Das Ende der gemeinwirtschaftliehen Verkehrsbedie-
nung im Schienenverkehr wäre demnach eine erwünschte Folge einer Privatisierung der Verkehrsleistungsproduktion nach einer
Trennung von
Fahrweg und Betrieb. Politische Aufträge würden dann nur noch gegen spezielle Erstattungen durchgeführt.
2.2.3.2
Auswirkungen der pauschalen Verlustübernahme
Als Ausglei ch für die gemeinwirtschaftliehen Lasten der Bundesbahn wird der Bund nach § 28 a BBahnG zu Ausgleichszahlungen verpflichtet. Tatsäc hlich jedoch scheitert eine spezielle Erstattung immer wieder an ihrer mangelnden politischen Durchsetzbarkeit. Solange aber keine kostengerechten Zuwendungen zwischen Bund und Bundesbahn vereinbart sind, kann für die DB auch keine verbindliche Verpflichtung geschaffen werden, ihre bilanzi ellen Jahresfehlbeträge zu vermindern. Die Gefa hr liegt dann darin, daß außer bila nzkosmetischen L a stenve rschiebungen von der Gewinn- und Verlustrechnung der DB auf den Bundeshaushalt keine sub stantiellen Effekte wirksam werden. 2 )
Die Subventionierung der Bahn wird
zum Selbstzweck. Es bleibt die Frage ungeklärt, ob die finanziellen Zuwendungen des Bundes wegen der politischen Auflagen oder wegen einer allgerneinen Unwirts c h a ftlichkeit des Eisenba hnbetr i ebs notw endig s i nd. Die Beibehaltung der Praktiken pauschaler Verlustübernahme und Subventionierung muß zwangsläufig dazu führen, daß die Bundesbahn nicht als Wirtschaftsunternehmen geführt werden kann, da die grundlegenden
1) Vgl. Drude, M. : Sanierung der Deutschen Bundesba hn dur c h Priv atisierung, a. a. 0., S. 21o. 2) Vgl. Willeke, R., Aberle, G.: Thesen zur Sanierung der Deutschen Bundesbahn, in: Z.f. V., 44. Jg. (1973), S . 46 .
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Voraussetzungen für eine Unternehmerische Tätigkeit fehlen. Die pauschale Defizitabdeckung hat dann die folgenden Konsequenzen: l) Der Zwang zur Kostendeckung und der Ansporn zu einem Höchstmaß an wirtschaftlicher Leistungsersta lung sind nicht mehr gegeben. Die Ubernahme oder Verminderung von Verlusten ohne klare "Spielregeln" fördert die Einflußnahme externer Faktoren. Das Fehlen klarer Finanzierungsgrundsätze gefährdet eigenverantwortliche Investitionsentscheidungen nach sachlichen Notwendigkeiten.
z. z. 4
Folgerungen
Es zeigt sich, daß für die Wirtschafts- und Finanzkrise der Deutschen Bundesbahn der widersprüchliche Gesetzesauftrag sowie faktische Abhängigkeiten mit Zwängen zu unternehmenspolitisch schlechten Kompromissen die entscheidenden Ursachen bilden. Z)
Um eine wirtschaftliche
Nutzung der Schienenverkehrstechnologie zu ermöglichen, muß die Bundesbahn in die Lage versetzt werden, schneller und gezielter auf die Erfordernisse des Marktes zu reagieren. Uber die Bedeutung des Schienenverkehrs in der Zukunft entscheidet daher letztlich die Bereitschaft, "die Produktionsbedingungen so zu gestalten, daß technische Leistungsmerkmale in ein 'nachfragegerechtes' Verkehrsangebot umgesetzt werden können." J)
Die Trennung von Fahrweg und Betrieb stellt einen
1) Vgl. Peters, W.: Probleme der Investitionsfinanzierung im öffentlichen Personennahverkehr durch die öffentliche Hand und deren Lösung in Bremen, in: Betriebswirtschaftliche Probleme des öffentlichen Personennahverkehrs , Schriftenreihe der DVWG (Hrsg. ), Band B 3Z, Köln 1976, S. 6. Z) Vgl. Willeke, R., Aberle, G.: Thesen zur Sanierung der Deutschen Bundesbahn, a. a. 0., S. 47 f.
3) Drude, M.: Sanierung der Deutschen Bundesbahn durch Privatisierung?, a. a. 0. , S. ZZo. - Zo -
Beitrag zu solchen Uberlegungen einer Neuorganisation des Schienenverkehrs dar. Das Trennungskonzept erhebt jedoch vorderhand nicht den Anspruch, ein Sanierungskonzept zu sein. Es könnte aber eine neue Grundlage für die Regelung der Beziehungen zwischen Bund und Bundesbahn und damit für die Abgrenzung staatlicher und unternehmerischer Aufgaben schaffen. Dies ist notwendig, wenn die Bundesbahn als Unternehmen wieder handlungsfähig werden soll.
- 21 -
3.
Grundproblematik einer Trennung von Infrastruktur und Verkehrsleistungsproduktion
3. 1
Begründung einer Trennung am Beispiel der Deutschen Bundesbahn
Die Diskussion um die Trennung von Fahrweg und Betrieb bei der Deutschen Bundesbahn setzte Ende der 5oer Jahre ein. Sie wurde ausgelöst durch Karl Ottmann, der sich dafür aussprach, die Schienenwege einschließlich· aller ortsfesten Anlagen in die Form einer haushaltsrechtlichen Staatsverwaltung zu bc·ingen und das Transportgeschäft einer selbständigen Betriebsgesellschaft zu übertragen. 1 )
Nach Ottmann soll
der Bundesverkehrsminister einen jährlichen Eisenbahnetat erstellen, in dem alle Ausgaben für die Schieneninfrastruktur veranschlagt und die entsprechenden Haushaltsmittel bereitgestellt werden. Die Betriebsführung hingegen soll die Bundesbahn nicht im Auftrag des Bundes, sondern in eigenem Namen und auf eigene Rechnung als selbständiges wirtschaftliches Unternehmen ausführen. Zu diesem Zweck erwirbt die DB das Eigentum am rollenden Material und allen Betriebsstoffen und entrichtet Steuern bzw. Abga ben wie jedes andere private Transportunternehmen. 2 ) Die Ubernahme des Netzes in staatliche Regie begründet Ottmann damit, daß die DB ohnehin keinen oder nur geringen Einfluß auf die Planung ihrer Wege hat, da die Gesta ltung der Infrastruktur nach gesamtwirtschaftlic hen Gesichtspunkten in Abstimmung mit der Gesamtwegeplanung v or-
1) Vgl. Ottmann, K.: Ein Vorschlag zur Verwirklichung marktwirtschaftlicher Grundsätze im Verkehr, a. a. 0., S . 94. 2) Vgl. ebenda. Analoge Uberlegungen finden sich s c hon in viel frü-
herer Zeit. Vgl. dazu H a nsemann, D.: Die Eisenbahn und deren Aktionä re in ihrem Verhältnis zum Staat, L e ipzig und Halle 1837; derselbe: Kritik des preußis c hen Eisenbahngesetzes vom 3. November 1838, Aachen und L e ipzig 1841; Kirchhof!, H.: Zur Neuordnung der preußischen Eisenbahn- und Staatsfinanzen, Münster i. W., 19lo, S. 46.
- 2 2-
genommen werden muß. Unter Anwendung privatwirtschaftlicher Rentabilitätskriterien - so Ottmann - kann sich kein volkswirtschaftlich befriedigendes Wegenetz entwickeln. Hingegen ist die beste Ergiebigkeit der im Betriebsbereich eingesetzten Faktoren bei Anwendung des Marktmechanismus gegeben. Für das Transportgeschäft auf der Schiene ist daher die gleiche Unternehmerische Freiheit angebracht, wie sie auch die anderen erwerbswirtschaftlichen Verkehrsbetriebe auszeichnet. 1 ) Konkrete Vorschläge hinsichtlich der Realisierung einer Trennung sind in diesem frühen Stadium der Diskussion noch nicht anzutreffen, lediglich die Folgerung, daß eine Trennung von Weg und Betrieb auch eine Trennung der Institutionen und demzufolge der Aufgabenbereiche bewirken muß. An eine lediglich haushaltsrechtliche, buchhalterische Trennung ist nicht gedacht. 2 )
Ein hoher Stellenwert wird dementsprechend
der Forderung nach Einführung einer Erfolgshaftung für ein Betriebsunternehmen DB beigemessen, wie sie für alle kaufmännisch geführten Wettbewerbsunternehmen selbstverständlich ist. Ottmann verspricht sich davon einen Schutz des Bundeshaushalts. An die Stelle der globalen Verlustabdeckung tritt die gezielte und zweckgebundene Hingabe von Mitteln, die ihren sichtbaren Gegenwert in einem Vermögenszuwachs des Bundes erfährt. 3 ) Peters gibt zu bedenken, daß eine staatliche Obernahme des Schienennetzes die DB den Verkehrsträgern Straßengüterverkehr und Binnenschiffahrt zwar formal gleichstellt. Es besteht jedoch die Gefahr, daß Struktur und Niveau einer Schienenbenutzungsgebühr zu Wettbewerbsverzerrungen zugunsten der Eisenbahn führt. 4 )
Inwieweit dieser
1) Vgl. Ottmann, K.: Neutralisierung der Wegekosten, in: A.!. E., 69. Jg. (1959). s. 498 f. 2) Vgl. etwa Schmidt, E.: Die Wegekosten, in: Deutsche VerkehrsZeitung (DVZ), 14. Jg. {!960), Nr. 4, S. I.
3) Vgl. Ottmann, K.: Ein Vorschlag zur Verwirklichung marktwirtschaftlicher Grundsätze im Verkehr, a. a. 0., S. 91 f. 4) Vgl. Peters, H. -R.: Marktwirtschaftliche Verkehrsordnung und die "Besonderheiten" des Güterverkehrs, Bad Godesberg 1966, S. loS !.
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Einwand gerechtfertigt ist, wird davon abhängen, ob die Gebühr für die Benutzung der Schieneninfrastruktur kostendeckend ausgestaltet werden kann. Aberle meint, daß Wettbewerbsverzerrungen zugunsten der Eisenbahn sich sicher dann ergeben, wenn die DB Benutzungsgebühren nur in Höhe der sehr niedrigen leistungsabhängigen (Grenz- )Kosten entrichten müßte, wie es in den 6oer Jahren gefordert wurde. 1 ) Stersberg verweist darauf, daß die Nachteile der bestehenden Organisationsform des Schienenverkehrs besonders bei der Stillegung unrentabler Strecken deutlich geworden sind. Die DB kann für eine stillgelegte Strekke keine Alternative anbieten, solange keine ausreichende Straßenverbindung vorhanden ist.
Deshalb ist auch der Widerstand gegen den Ab-
bau jeder Strecke sehr groß. Im Rahmen einer einheitlichen Bundesverkehrswegeverwaltung ist es leichter, ersatzweise eine Straße zu bauen oder auszubauen. Auch kann im Rahmen einer einheitlichen Wegebaupolitik leichter ein gewisser Spielraum für den Bau neuer Eisenbahnstrecken geschaffen werden. Die Bundesbahn als Bauherrin wird nach der Herkunft der Mittel und den Auswirkungen auf die Ertragslage gefragt. Von der Bundesregierung dagegen würde bei der Einstellung entsprechender Mittel in den Bundeshaushalt allenfalls eine Kosten-Nutzen-Analyse gefordert. Deshalb könnten sich die Aus sichten auf eine sinnvolle Erweiterung des Netzes durch dessen Ubertragung auf den Bund wahrscheinlich bessern. 2 ) Oettle 3 )
kritisiert, daß Verkehrsunternehmen, die eigene Wege be-
reithalten, selbst für deren Finanzierung sorgen und das investierte Kapital selbst riskieren müssen. Verkehrsunternehmen, die sich frem-
1) Vgl. Aberle, G.: Verkehrsinfrastruktur, Preispolitik und optimale Verkehrskoordination, in: Z.f. V., 4o Jg. (1969), S. 166, Anm. 56. 2) Vgl. Storsberg, G.: Die Zukunft der Eisenbahn, in: Vorträge und Studien aus dem Institut für Verkehrswissenschaft an der Universität Münster, hrsg. von H. St. Seidenfus, Heft 14, Göttingen 1972, s. 18 f.
3) V gl. Oettle, K.: Eigenwirtschaftliche Wegenetze? in: Hamburger
Jahrbuch für Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik, 15. Jg. (197o}, 145. - 24 -
s.
der Wege bedienen, leisten zwar auch in dem Maße Beiträge für deren Finanzierung, wie sie Entgelte für die Wegenutzung entrichten. Finanzierungslasten werden von ihnen jedoch nur (oder auch) entsprechend der tatsächlichen Wegenutzung übernommen; sie können sich ihrer durch Ausscheiden aus dem betreffenden Verkehr entledigen. Risiken von Fehlinvestitionen bei einzelnen Teilen des Wegenetzes werden gewissermaßen von der Gemeinschaft aller Wegenutzer getragen, solange das Entgelt nicht für die Inanspruchnahme des Gesamtnetzes erhoben wird. l) Leistungsanpassungen im Schienenverkehr bleiben dagegen im wesentlichen auf investitionspolitische Maßnahmen beschränkt. Erschwerend kommt hinzu, daß sich Nachfrageschwankungen auf die festen Anlagen der Eisenbahn besonders stark auswirken, da die Leistungsfähigkeit der Infrastrukturanlagen aufgrund vorhandener Sicherheitsbestimmungen an dem Verkehrsmaximum ausgerichtet sein muß. Die Herbstspitze des Güterverkehrs setzt also den Maßstab für erforderliche Investitionsmaßnahmen in das Schienennetz. 2 ) Ausgangspunkt der Trennungsüberlegungen des Deutschen Industrie- und Handelsta ges (DIHT) ist einerseits die Tatsache, daß die Bundesbahn ohne finanzielle Bete iligung des Bundes k e ine ausgeglichene Erfolgsrechnung erreichen kann, andererseits die Erkenntnis, daß die gegenwärtige Form der Subventionierung nicht geeignet ist zu klären, für welchen Bereich der Bund und für welchen die Bahn die finanzielle Verantwortung übernehmen will. Zu klaren finanziellen Beziehungen zwischen Bundesbahn und Bundeshaushalt wird man erst kommen, wenn d i e Fra ge, ob die Benutzer der Bahn oder der Staa t die Kosten des Schienenverkehrs aufzubringen haben, präziser gestellt wird als bisher , d. h. spezifiziert nach
l) Vgl. Oettle, K., a.a.O, S. 145. 2) Vgl. Knagge, B.: Das Kapazitätsproblern d e r Eisenbahn, in: D a s Kapazitätsproblem in der Verkehrswirtschaft, Beiträge aus dem Institut für Verkehrswissenschaft an der Universität Münster, Heft 46, hrsg. von H. St. Seidenfus, Göttingen 1967, s; 68.
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den Funktionsbereichen Fahrweg und Betrieb. I) Auch der DIHT geht davon aus, daß Netzgröße und-strukturnicht alleine von betriebswirtschaftliehen Kriterien abhängen dürfen. Die von der Bundesregierung im Rahmen des koordinierten Investitionsprogramms getroffenen Entscheidungen über den langfristigen Ausbau und Neubau einiger Hauptstrecken der DB sind weitgehend nach gesamtwirtschaftlichen Bewertungen gefallen und wären unter betriebswirtschaftliehen Gesichtspunkten teilweise gar nicht vertretbar. 2 ) Die Möglichkeit des OB-Managements, eine Geschäftspolitik wie ein Wirtschaftsunternehrnen zu entwickeln, ist demnach von vornherein nur im Betriebsbereich realisierbar. 3 )
Nach der Trennung von Fahrweg und Be-
trieb soll eine DB-Betriebsgesellschaft daherfreie Hand hinsichtlich Investitions-, Beteiligungs-, Absatz- und Preispolitik erhalten und nicht mehr durch Betriebs- und Beförderungspflicht gezwungen werden, defizitäre Verkehrsleistungen zu erbringen. Auf der anderen Seite muß sichergestellt werden, daß ein Verlustausgleich aus Steuergeldern nicht mehr in Betracht kommt, mithin eine Abkoppelung der Betriebsgesellschaft vorn
I) Vgl. DIHT: Subventionierung ohne Ziel, Anmerkungen zum Haushaltsrisiko Bundesbahn, DIHT-Rundschreiben an die Industrieund Handelskammern vorn 3. April 1978, S. 5. 2) Vgl. DIHT: Organisation der Deutschen Bundesbahn als Unternehmen, DIHT-Rundschreiben an die Industrie- und Handelskammern vorn 3. April 1978, S. 6 f. 3) Der DIHT hält jedoch auch den Verkehrsbetrieb DB als Ganzes nicht für eine Umwandlung in ein Unternehmen für geeignet und plädiert lediglich für die Gründung einer "Güterverkehrs-AG". Nur im Güterverkehr .könne das Prinzip der Marktorientierung voll zum Tragen kommen. Vgl. DIHT: Organisation der Deutschen Bundesbahn als Unternehmen, a. a . 0., S. 8 ff. Es ist jedoch nicht einzusehen, daß auch der Personenfernverkehr dem "Vorhaltebereich" zugerechnet werden soll, hat sich doch gerade dieser Verkehrszweig zu einem der lukrativsten der DB überhaupt entwickelt und ist durch die Einführung des Einstundentakts im IC- Verkehr inzwischen weiter ausgebaut worden.
- 26 -
Bundeshaushalt gewährleistet ist. l) Die zuvor dargestellten Ansätze verdeutlichen die unterschiedlichen Motive, aus denen heraus eine Trennung von Fahrweg und Betrieb im Schienenverkehr erwogen wird. Die entscheidenden Argumente können wie folgt zusammengefaßt werden: Die Planung der Wegeinvestitionen
liegt zwar bei der Eis enbahnver-
waltung , über die Realisierung entscheiden aber letztlich nicht Organe der DB, sondern der Bundesverkehrsminister. Dies führt dazu, daß Investitionsentscheidungen bezüglich des Schienennetzes unter gesamtwirtschaftlichen und politischen Gesichtspunkten (insbesondere raumordnungs- und regionalpolitischen) getroffen werden, aber einzelwirtschaftlich zu verantworten sind. Verkehrsunternehmen, die sich fremder Wege bedienen, tragen zumindest einen Teil der Finanzierungslasten entsprechend der tatsächlichen Wegenutzung. Nach einer Ubertragung des Schienennetzes auf den Bund können auch einer DB-Betriebsgesellschaft die Fahrwegkosten in Form variabler Kosten angelastet und so das Risiko mangelnder Auslastung der Infrastruktur vom Verke hrsträger Eisenbahn auf den Eigentümer des Netzes übertragen werden. Ein sinnvolles Finanzierungsmodell für den Schienenverkehr setzt klare finanzielle Beziehungen zwischen Eisenbahn- und Staatshaushalt voraus. Diese sind entscheidende Voraussetzung dafür, die Bundesba hn als wirtschaftliches Unternehmen organisier en zu können. Eine Möglichkeit, die Zuständigkeitsbereiche exakt abzugrenzen, besteht in der Trennung von Fahrweg und Betrieb. Von besonderer Bedeutung ist hierbei das zuletzt angeführte Argument. Im Unterschied zu den vorangegangenen Argumenten - die für sich alleine genommen nicht ausreichen
und daher nur einen Teil des umfassende-
ren Konzepts darstellen können- wird hier durch die Trennung von Weg
1) Vgl. DIHT: Organisation der Deutschen Bundesbahn als Unternehmen, a . a . 0. , S . 11 f. - 27 -
und Betrieb nicht nur eine formale Gleichbehandlung der DB mit ihren Konkurrenten, sondern auf pragmatische Weise ein neuartiges Finanzierungsmodell des Schienenverkehrs verwirklicht. Die Trennung führt zu einer klaren Abgrenzung der politischen und Unternehmerischen Verantwortungsbereiche, indem sie den Teil der DB, der in Form eines Wirtschaftsunternehmens geführt werden kann, isoliert von jenem, der weiterhin in staatlicher Verwaltung belassen wird.
3. 2
Analyse des Berichts der Deutschen Bundesbahn
3. 2. l
Modelldefinition und Prämissen
Den zuvor angestellten Uberlegungen liegt letztlich die volle organisatorische Trennung der Unternehmensbereiche Fahrweg und Betrieb zugrunde,
wobei die Durchführung des Betriebes im Rahmen eines privaten Un-
ternehmens erfolgen soll. Sie laufen damit auf das im Untersuchungsbericht der Deutschen Bundesbahn genannte Grundmodell l hinaus, 1 )
das
jedoch nach Ansicht des DB- Vorstands nur eines von mehreren denkbaren Modellen darstellt. Dementsprechend diskutiert der DB- Vorstand vier verschiedene Grundmodelle: Modell 1 Verwaltung des Schienennetzes durch den Bund Durchführung des Personen- und Güterverkehrs durch eine oder mehrere privatrechtlich organisierte Betriebsgesellschaften.
1) Deutsche Bundesbahn (Hrsg. ): Bericht über die Untersuchungsergebnisse von Modellen einer Trennung von Fahrweg und Betrieb bei der Deutschen Bundesbahn für den Bundesminister für Verkehr, Frankfurt 1979 (im folgenden zitiert als: Bericht über die Untersuchungsergebnis se). Der DB-Bericht tritt jedoch auch im Fall einer privaten Betriebsgesellschaft für eine Aui rechterhaltung der gemeinwirtschaftliehen Pflichten in ihrer derzeitigen Form ein.
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Modell 2 Verwaltung des Schienennetzes durch den Bund Durchführung des Schienenverkehrs durch eine als Sondervermögen des Bundes organisierte Betriebsführungsgesellschaft. Modell 3 Erhaltung der DB als Fahrweg und Betrieb umfassendes Sondervermögen des Bundes Für Fahrweg und Betrieb werden getrennte Kostenrechnungen erstellt. Modell 4 Ubertragung des Schienennetzes auf den Bund Durchführung des Schienenverkehrs durch eine Betriebsgesellschaft im Auftrag und für Rechnung des Bundes. Die Modelle I und 2 sehen eine reale Trennung vor, während Modell 3 nur eine fiktive Trennung im Rahmen einer getrennten Kostenrechnung bewirkt. Hingegen ist Modell 4 nicht klar einzuordnen, da es sowohl auf eine reale als auch auf eine fiktive Trennung hinauslaufen kann. Fiktiv wäre sie, wenn die DB das Netz nach ihren eigenen Vorstellungen verwalten könnte, so daß der einzige Zweck der vermögensrechtlichen Ubertragung des Netzes auf den Bund darin bestünde, die Rechnung der DB von den Fahrwegkosten zu entlasten. Real wäre sie dagegen dann, wenn die DB-Betriebsgesellschaft das unmittelbar im Bundesvermögen liegende Schienennetz nur nach den Vorgaben des Bundes benutzen könnte. 1 )
1) So auch DIHT: Anmerkungen zum Ergebnisbericht der Deutschen Bundesbahn, Rundschreiben des DIHT an die Industrie- und Handelskammern vorn 17. Mai 1979, S. 2.
- 29 -
Für seine Modellanalysen waren dem DB- Vorstand bestimmte Prämissen vorgegeben. l)
Er hatte davon auszugehen, daß bei allen Modellen der
Betriebsbereich jeweils kostendeckend sowie nach den für die übrige Verkehrswirtschaft geltenden Bedingungen zu führen sei, wobei staatliche Auflagen nur gegen Abgeltung erfolgen sollten. Die der DB auferlegten Betriebs-, Tarif- und Beförderungspflichten wurden als unverändert weiterbestehend angenommen. Für die Benutzung des Fahrwegs war die Entrichtung eines "angemessenen Entgelts" vorzusehen. Wenn jedoch gefordert wird, den Betriebsbereich nach den für die übrige Verkehrswirtschaft geltenden Bedingungen zu führen, so ist dies allenfalls bei Modell 1 denkbar, da nur dieses die Durchführung des Betriebs im Rahmen einer privatwirtschaftlich organisierten Betriebsgesellschaft vorsieht. Aber selbst hier schließt die unver ä nderte
Aufre c hterhaltung der
gemeinwirtschaftliehen Pflichten eine eigenverantwortliche Unternehmensführung des Betriebsbereichs weitgehend aus. Von Interesse sind nicht zuletzt die Maßstäbe, nach denen die verschiedenen Modelle schließlich beurteilt werden. Der Bundesbahnbericht nennt die folgenden Kriter i e n: 2 ) -
Realisierbarkeit
-
Trennung hoheitlicher und unternehmerischer Aufgaben
-
Größere Flexibilität der DB als Unternehmen
-
Angleichung der Wettbewerbsbedingungen
- Auswirkungen auf den Bundesha ushalt -
Weiterentwicklung der Resultatsverantwortung im Betrie bs-
-
Höhere Motivation der DB-Mitarbeiter im Betriebsbereich.
hereich
1) Vgl. Bericht über die Untersuchungsergebnis Se, a. a. 0., S. lo ff. 2) Vgl. ebenda, S. 11.
- 3o -
3. 2. 2
Kritische Würdigung der Berichtsergebnisse
Der DB-Untersuchungsbericht analysiert nacheinander die organisatorischen, rechtlichen, personellen, finanz- und betriebswirtschaftliehen Auswirkungen der genannten Modelle. Es fehlt jedoch eine geschlossene Darstellung der Problematik der einzelnen Modelle, die eine abschließende Beurteilung überhaupt erst zuläßt. 1 )
Hierzu soll der einfachste Fall
einer fiktiven, nur in der Kostenrechnung vorgenommenen Trennung an den Anfang der Analyse gestellt werden, da jedes andere Trennungsmodell getrennte Rechnungen für Fahrweg und Betrieb einschließt. Für das Geschäftsjahr 1977 erstellt der DB-Bericht die folgende Rechnung (vgl. Tabelle 1): Tabelle 1 Kosten und Erträ ge der DB 1977 (Mrd. DM) (Betriebs- )Kosten des Schienenverkehrs abzüglich: 2) Kosten des Fahrwegs
2o, 1
7,6
verbleiben: Kosten des Betriebs
12 , 5
Gesamt-(Betriebs-)erträge des Schienenverkehrs
14,0
Uberschuß der Gesamterträge über die Kosten des Betriebs (W egekostendeckungsbeitrag)
1, 5
Quelle: Bericht über die Untersuchungsergebnisse, a. a. 0., S. 65.
1) Die Stellungna hme des DIHT zum DB-Untersuchungsbericht soll an dieser Stelle besondere Berücksic htigung finden, da sie als einzige Kritik veröffentlicht worden ist. 2) Trennungslinie entsprechend EG- VO 2598/7o. Zur Problematik der Fahrwegabgrenzung vgl. Kapital 3. 3. 1.
- 31 -
Danach arbeitete der Betriebsbereich 1977 mit einer Uberdeckung von 1, 5 Mrd. DM, der Fahrwegbereich mit einer Unterdeckung von 6, 1 Mrd. DM. Der Bilanzverlust der DB von 1977 in Höhe von 4, 5 Mrd. DM wäre folglich nur beim Fahrweg entstanden. Ob eine derartige fiktive Rechnung die Grundlage für den Ausgleich der ungedeckten Wegekosten durch den Bund bilden könnte, ist jedoch zweifelhaft, da nicht die gesamten Fahrwegkosten in Höhe von 7, 6 Mrd. DM der DB effektiv entstanden sind. Der DB-Bericht ermittelt Abs c hreibungen und kalkulatorische Zinsen auf der Basis von Wiederbeschaffungswerten. l)
Der DIHT meint dazu, daß der volle Ausgleich dieser Kosten
durch Haushaltsmittel des Bundes der DB ständig Investitionsmittel zuführen würde, die sie sogar im Betriebsbereich einsetzen könnte, sofern nicht eine Bildung von Inv estitionsrücklagen vorgeschrieben wäre. Konsequenterweise müßte dieses Verfahren aus Gründen der Wettbewerbsharmonisierung dann auch bei den anderen Verkehrsträgern angewendet werden. 2 ) Im Hinblick auf die oben genannten Beurteilungsma ßstäbe verma g eine fiktive Trennung auc h keine Transparenz im Sinne einer klaren Trennung hoheitlicher und unte r nehmerischer Aufgaben im Schienenverkehr herzustellen. Diese Aussage gilt jedenfalls, solange der Betriebsbereich der Betriebs- und Beförderungspflicht unterworfen bleibt. Der DIHT stellt dazu fest, daß Betriebs- und Beförderungspflicht in erster Linie die Ertragslage des Betriebs, nicht die des F a hrwegs beeinflussen. Je höher der Anteil der staatlichen Ausgleic hszahlungen an den Erträgen des Betriebs ist, desto mehr wird auch dieser zu einer hoheitlichen Aufgabe. 3 )
1) Vgl. Bericht über die Untersuchungsergebnis Se, a . a. 0., S. 64. 2) Vgl. DIHT: Anmerkungen zum Ergebnisbericht, a. a. 0., S . 7 3) Vgl. ebenda.
- 32
Der DB- Vorstand ist der Ansicht, daß eine für Fahrweg und Betrieb getrennte Bilanz sowie Gewinn- und Verlustrechnung nur im Falle einer realen Trennung erforderlich sind. Im Rahmen einer reinen kostenrechnerischen (fiktiven) Trennung bleibt die DB und damit die Bilanz in ihrer jetzigen Form erhalten. 1 )
Die für den Fall der realen Trennung
aufgemachte Gewinn- und Verlustrechnung für das Jahr 1977 zeigt Tabelle 2:
1) Vgl. Bericht über die Untersuchungsergebnisse, a. a. 0., S . 68.
- 33 -
Tabelle 2 Gewinn- und Verlustrechnung der DB für 1977 in Mrd. DM l) Gesamt-OB Verkehrserträge
Fahrweg
12,6
Betrieb 12,6
Sonstige Betriebserträge
1, 1
o,4
o, 7
Ausghichszahlungen des Bundes für betrieblichen Aufwand
3, 9
5, 6
1, 8
Andere Ausgleichzah1ungen des Bundes
1, 6
1, 3
o, 3
Ubrige Erträge
2,o
1, 1
o,9
22,9
4,5
18,4
17,4
5, 9
11, 5
Sachausgaben für lfd. Betrieb
Personalaufwendungen
2, 9
o, 1
2, 7
Abschreibungen auf Sachanlagen
2,o
o,9
1, 1
Zinsaufwand
2,4
1, 9
o,5
Ubrige Aufwendungen
2,8
1, 3
1, 5
27. 5
1o, 2
17. 3
-4,5
-5,7 +1, 2
+1, 2 -1, 2
Jahresergebnis
-4,5 Quelle: Bericht über die Untersuchungsergebnis Se, a. a. 0., S. 72. Differenzen sind durch Auf- und Abrundungen bedingt.
1) Trennungslinie gemäß EG- VO 2598/7o.
- 34 -
Hinsichtlich des für 1977 mit l, 2 Mrd. DM errechneten Uberschusses des Betriebs stellt der DB-Bericht einschränkend fest, daß er auf Dauer nicht gehalten werden kann, falls Personalkostensteigerungen nicht durch entsprechend höhere Verkehrserträge mittels Tariferhöhungen oder Absatzsteigerungen kompensiert bzw. Rationalisierungen durchgeführt werden können. l)
Die größten Erfolgschancen sind hierbei sicherlich einer pri-
vatrechtlich organisierten Betriebsgesellschaft einzuräumen, die ihre Geschäftspolitik alleine nach den Erfordernissen des Marktes auszurichten vermag. Unter Hinweis auf die Kostendeckungsprämisse für den Betriebsbereich, die eine Erfüllung der Zinsverpflichtungen mit einschließt, rechnet der 2) Bahnbericht fast das gesamte Eigenkapital dem Betriebsbereich zu. Eine Verzinsung des diesem zur Verfügung g e stellten Eigenkapitals ble ibt unberücksichtigt. Damit könnte zwar - so der DIHT - die Vorgabe, den Betriebsbereich kostendeckend zu führen, eventuell erfüllt werden, nicht jedoch die andere Forderung des Bundesverkehrsministers, daß der Betriebsbereich nach den gleichen Bedingungen arbeiten müsse wie die Konkurrenten der Bahn. 3 ) Der DB-Bericht erkennt an, daß die klare Abgrenzung hoheitlicher und unternehmerischer Funktionen geeignet ist, eine effiziente Betriebsführung zu bewirken. 4 )
An einer öffentlichrechtlich organisierten Betriebs-
gesellschaft wird jedoch festgehalten. Gegenüber Modell 1, das den Betrieb einer privatrec htli ch organisie rten Betri ebsgesellschaft übert ragen und insofern die konsequenteste L ö sung darstellen würde, erhebt der Bahnbericht rechtliche, insbesondere verfassungs- und personalrechtliche
1) Vgl. Bericht über die Unte rsuc hungsergebnisse, a. a . O., S. 7 3. 2) Vgl. ebenda, S. 7o. 3) Vgl. DIHT: Anmerkungen zum Ergebnisbericht, a. a. 0., S. 9. 4) Vgl. Bericht über die Untersuchungsergebnisse , a. a. 0., S. 76.
- 35 -
Bedenken. l)
Genaugenammen handelt es sich bei den diskutierten Rechts-
problernen jedoch immer nur um die Frage, ob die erforderlichen Gesetzesänderungen politisch realisierbar sind. l) Aus organisatorischer Sicht gibt der Bahnbericht Modell 4 den Vorzug, da es - so der DB- Vorstand - "ohne volle organisatorische Trennung eine Trennung der hoheitlichen von der Unternehmerischen Verantwortlichkeit, bei weitgehender Vermeidung der Trennungsproblematik" 3 )
verwirk-
licht. Hieraus ist ersichtlich, daß auch bei Modell 4 lediglich an eine fiktive und nicht an eine reale Trennung gedacht ist. Die Erwartung, daß keine Trennungsprobleme auftreten, könnte sich nur dann erfüllen, wenn sich der Bund als Eigentümer des Netzes darauf beschränken würde, nur als Kostenträger zu fungieren. 3. 2. 3
Folgerungen für den Untersuchungsablauf
Die vorstehenden Uberlegungen zeigen, daß die Modelle 2, 3 und 4 sich kaum dazu eignen, eine klare Trennung hoheitlicher und unternehmerischer Aufgaben zu verwirklichen. Auch die Bundesregierung hält diese Modelle für nic ht realisierungswürdig, da sie am gegenwärtigen Zustand der Bahn nur wenig ändern und den eigentlichen Vorteil des Konzepts, den Bahnbetrieb nach privatwirtschaftliehen Grundsätzen zu organisieren, nicht verwirklichen könnten. 4 )
Bei der Realisierung eines dieser Modelle würde
der Umstellungsaufwand in kdnem Verhältnis zu den zu erwartenden Er. s en ste h en. 5) ge b n1s
1) Vgl. Bericht über die Untersuchungsergebnis Se, a. a. 0., S. 41 ff. 2) So auch Drude, der eine rechtliche Betrachtung für zweitrangig hält. Vgl. Drude, M.: Sanierung der Deutschen Bundesbahn durch Privatisierung, a. a. 0. , S. 195. 3) Bericht über die Untersuchungsergebnisse, a. a. 0, S. 32.
4) Vgl. o. V. : Keine Trennung von Schienenweg und Betrieb, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung Nr. 138, 2o. 6. 1979, S. 13. 5) Vgl. o. V.: Bahnkonzept im Kabinett gescheitert, in: Handelsblatt Nr. 117, 21.6.1979, S. 1.
- 36 -
Damit rückt Modell l, das die Betriebsführung in Form eines privatwirtschaftliehen Unternehmens vorsieht, in den Mittelpunkt der Uberlegungen. Anders als im Bundesbahnbericht wird hier jedoch vorausgesetzt, daß eine Privatisierung der Verkehrsleistungsproduktion das Ende der gemeinwirtschaftliehen Pflichten in ihrer derzeitigen Form bedeutet. Wie bereits begründet, ist eine eigenverantwortliche Betriebsführung nur dann gewährleistet, wenn politische Aufträge gegen spezielle Erstattungen durchgeführt werden. Unter diesen Vorzeichen bedeutet die Trennung von Fahrweg und Betrieb: Für den Bereich des Fahrwegs : Der Staat ist politisch und finanziell zuständig für Entscheidungen über Investitionen und Desinvestitionen in das Schienennetz. Der Staat ist verantwortlich für die Regelung der Frage, wiewe it die Wegekosten von den Benutzern zu übernehmen sind. Im Fall einer variablen Wegeabgabe trägt der Staat das Auslastungsrisiko für das Netz. Für den Betriebsbereich: Die Betriebsführung erfolgt unter erwerbswirtschaftlichen Gesichtspunkten. Die Eisenbahn wird hinsichtlich des Verkehrsbetriebs unter Erfolgszwang gestellt. Sie ist verantwortlich für den Kostenausgleich des Verkehrsbetriebs. Die gemeinwirtschaftliehen Pflichten werden aufgehoben. Politische Aufträge werden nur noch in Form spezieller Aufträge gegen Kostenerstattung durchgeführt. Eine in dieser Weise vorgenommene Trennung, die eine Trennung hoheitlicher und unternehmerischer Aufgaben im Rahmen unterschiedlicher Eigentumsverhältnisse bewirkt, führt zu unterschiedlichen Interessenlagen und damit differierenden Zielfunktionen bei den Betreibern der
- 37 -
Verkehrsinfrastruktur und den Betreibern der Verkehrssuperstruktur. Gesamtwirtschaftliche Nutzenfunktionen konkurrieren mit einzelwirtschaftliehen, unternehmensindividuellen Nutzenfunktionen. 1 )
Dies hat zur Fol-
ge, daß den organisatorischen Aspekten einer Trennung besondere Bedeutung zukommt. Inwieweit den Koordinationserfordernissen von Schieneninfrastruktur und Schienensuperstruktur, die sich aus der gewählten Abgrenzung der Fahrweg- und Betriebsfunktionen ergeben, Rechnung getragen werden kann, entscheidet letztlich über die Realisierbarkeit des Konzepts. 3. 3
3. 3. 1
Abstimmung von Infra- und Superstruktur
Abgrenzung der Fahrweg- und Betriebsfunktionen
Wie Häusler ausführt, liegt das eigentliche Problern einer Trennung von Fahrweg und Betrieb nicht so sehr im theoretischen Ansatz, sondern in zahllosen Details, die sich nach der Trennung des historisch zu einer Einheit entwickelten Systems ergeben. Schwierig gestaltet sich schon eine praktikable Definition des Begriffs "Fahrweg". 2 ) Wo im Schienenverkehr die Trennungslinie zwischen Fahrweg und Betrieb verläuft, ist nicht ohne weiteres vorgegeben. Es sind alternative Definitionen denkbar, die von der Zurechnung allein des eigentlichen Schienennetzes zum Fahrweg bis hin zu einer funktionellen Definition bestimmter EG- Verordnungen reichen. 3 )
Der Bereich "Fahrweg" ist im Sinne des
Baukastenprinzips erweiterungsfähig. Die kleinste Lösung beinhaltet ledig-
1) Vgl. Aberle, G.: Zur Abstimmung von Infra- und Superstrukturinvestitionen im Verkehr, in: Investitionsmangel im Verkehr? Schriftenreihe der DVWG, Band B 42, Köln 1978, S. 167. 2) Vgl. Häusler, U.: Die Trennung von Fahrweg und Betrieb - ein richtiger Ansatz? in: Die Bundesbahn, 52. Jg. (1978), S. 937. 3) Vgl. ebenda; vgl. auch: EG-Verordnung Nr. 1108/70, in: Amtsblatt der europäischen Gemeinschaften, Nr. L 130/7; EG-Verordnung Nr. 2598/70, in: Amtsblatt der europäischen Gemeinschaften, Nr. L 278/2.
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lieh den Baustein "Fahrweginvestition"; eine erweiterte Lösung kann zusätzlich den Baustein "Fahrwegerneuerung", vielleicht auch "Fahrwegunterhaltung" enthalten, eine große Lösung darüber hinaus die Bausteine "Stromversorgung" und "Fahrwegsicherung". Dabei haben die Betriebsgesellschaften ein Interesse daran, den Infrastrukturbegriff möglichst weit zu fassen, um dadurch finanziell umso stärker entlastet zu werden. 1)
Es muß berücksichtigt werden, daß der Be-
griff "Betrieb" eine Restgröße ist, die sich nach Abgrenzung des so oder so definierten Fahrwegs ergibt. Wird bei der Abgrenzung großz.ügl_g verfahren, können Betriebskosten in Wegekosten umgewandelt werden. Z) Kritisch ist anzumerken, daß gerade im Hinblick auf eine Angleichung der Wettbewerbsbedingungen im Verkehr eine Bestimmung des
Fahrwegbe-
griffs bei der Eisenbahn äußerst problematisch ist. Da.ß Fahrweg tlicht gleich Fahrweg ist, zeigt sich deutlich bei einem Vergleich der Umschreibungen des Fahrwegbegriffs für Eisenbahn, Straßenverkehr und BU!nenschiffahrt, die in der EG- Verordnung Z598/7o abgegeben ist. Willeke 3 ) weist darauf hin, daß das Schienennetz systembedingt .einen breiteren Leistungsfächer für Lenkung, Disposition, Kommunikation, Energiezuführung und Sicherheit beinhaltet, als Straßen und Wasserstraßen bereitstellen. Die Entlastung von Wegekosten würde deshalb bei der Bahn ein wesentlich weiteres Kostenfeld abdecken als bei der Konkurrenz. Willeke folgert daraus, daß eine Trennung von Fahrweg und Betrieb keine Angleichung der Wettbewerbsverhältnisse im Verkehr mit sich bringt, aondern geradezu daran vorbeizielt. 4 )
Dieses Argument kann nur dadurch ent-
1) Vgl. Meyer, H. R.: Zur These der Trennung von Schienenweg und Betrieb, in: Internationale Transport- Zeitschrift, Nr. 17/1979, 5 . 1961. Z) Vgl. Riebe!, P.: Zweiteilung der Bundesbahn? in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, Nr. 72, 26.3.1979, S. 11. 3) Vgl. Willeke, R.: Trennung von Fahrweg und Betrieb - Ausweg oder Falle? in: Informationen aus dem Institut für Verkehrswissenschaft atl der Universität Köln, XIII. Jg. (1978), Nr. 1/2, S. 3.
4) Vgl. ebenda. - 39 -
kräftet werden, daß der Finanzierungsaspekt der Infrastruktur mit in die Uberlegungen einbezogen wird. Wettbewerbsverzerrungen zugunsten der Eisenbahn treten dann nicht ein, wenn es gelingt, kostendeckende Infrastrukturbenutzungsgebühren in Rechnung zu stellen.
3. 3. 2
Differierende Zielsetzungen beider Organisationseinheiten
Nach einer Trennung von Weg und Betrieb wird das Produkt Schienenverkehrsleistung von zwei getrennten Organisationseinheiten gemeinsam erstellt. Entsprechend der für die Verwirklichung dieses Ziels unterschiedlich gestalteten Teilaufgaben entstehen bei der Fahrweg- und Betriebsorganisation verschiedene Teilziele. Auf der Seite der Fahrwegverwaltung wird ein uneingeschränkter Handlungsspielraum zur Gestaltung der Schieneninfrastruktur hinsichtlich Netzumfang und -struktur, Netzauslastung, Sicherheit sowie technischem Standard angestrebt. l) Auf der Seite des Betriebsbereichs wird ein uneingeschränkter Handlungsspielraum zur Gestaltung eines marktorientierten Leistungsangebots und damit eine indirekte Einflußnahme auf die Gestaltung des Streckennetzes verfolgt. Angestrebt wird ein bedarfsgerec htes Zugangebot sowie kundengerechte Leistungsqualität (Pünktlichkeit, Serviceumfang, Schadensfreiheit etc. ). 2 ) Während innerhalb eines Unternehmens Zielkonflikte für eine Leistungssteigerung durchaus förderlich sein können, besteht bei einer realen Trennung vonWeg und Betrieb grundsätzlich die Gefahr, daß Zielkonflikte nicht mehr im Sinne eines Gesamtoptimums gelöst werden. Eine fehlende oder unvollständige Abstimmung der unterschiedlichen Teilziele kann dann eine auseinanderlaufende Entwicklung der beiden voneinander getrennten Organisationseinheiten zur Folge haben. 3 ) 1) Vgl. Bericht über die Untersuchungsergebnisse, a. a. 0 ., S . 3o. 2) Vgl. ebenda, S. 3o f. 3) Vgl. ebenda, S . 31. - 4o -
3. 3. 3
Gründe für die Schwierigkeiten einer vertikalen Koordination
Die Ursachen für die Schwierigkeiten einer vertikalen Abstimmung von Infra- und Superstruktur im Verkehr lassen sich grundsätzlich wie folgt charakterisieren: 1 ) - Abweichende rechtliche Eigenturnsverhältnisse und Planungskornpetenzen -
Differierende Zielsetzungen beider Organisationseinheiten stark divergierende Nutzungszeiträume bei Verkehrsmitteln und den immobilen Anlageinvestitionen der Infrastruktur
-
unterschiedliche Geschwindigkeiten des Auftretens technischer Fortschritte, letztlich auch verursacht durch die i. d. R . kürzere Lebensdauer der Superstrukturinvestitonen stark divergierende Teilbarkeiten bei Infra- und Superstrukturinvestitionen stark unterschiedliche Höhe des Finanzmittelbedarfs
-
Kombination einer Vielzahl von Superstrukturinvestitonen mit einer veralteten Generation Infrastruktur.
Im folgenden sollen reale Systeme einer Trennung von Fahrweg und Betrieb im Schienenverkehr untersucht werden. Es soll geklärt werden, welche Abstimmungsproblerne sich in anderen Staaten infolge der gezogenen Trennungslinie ergeben haben. Eine Auswertung der vorhandenen Erfahrungen soll zeigen, welche Trennungslinie arn ehesten geeignet sein dürfte, eine wechselseitige Anpassung beider Organisationseinheiten im Sinne einer Optimierung zu gewährleisten.
1) Vgl. Aberle, G.: Zur Abstimmung von Infra- und Superstrukturinvestitionen im Verkehr, a . a. 0., S. 164 f.
- 41 -
4.
Analyse vorhandener Systeme einer Trennung von Fahrweg und Betrieb im Schienenverkehr
4. I
Die italienischen Betriebsgesellschaften ( 1885 - 19o5)
4. I. I
Trennungsursachen
Ursache für den Abschluß der Betriebsführungsverträge war die finanzielle Notlage des italienischen Staates. Die Regierung sah im Verkauf des rollenden Materials eine Möglichkeit, sich die notwendigen finanziellen Mittel zur Wiederherstellung des Netzes zu beschaffen und gleichzei tig das Staatsbudget von den Betriebskosten zu entlasten.
4. I. 2
Eigentums- und Gesellschaftsverhältnisse
Nach dem Gesetz vom 27. April 1885 l)
wurden die italienischen Eisen-
bahnen in drei Netze - das Mittelmeernetz, das Adriatische und das Sizilianische Netz - eingeteilt und der Betrieb drei privaten Kapitalgesellschaften übertragen, deren Aktionäre Banken, Firmen und Privatleute waren. Der Staat besaß keine Anteile. 2 )
Die Mitglieder der Verwaltungs-
räte wurden alleine von den Gesellschaftern gewählt, ihre Wahl der Regierung zur Bestätigung unterbreitet. Uber Beschlüsse dieser Gremien war die staatliche Eisenbahnbehörde lediglich zu unterrichten. 3 )
Die
offenkundig unterschiedlich ausgeprägten Eigentums- und Gesellschaftsverhältnisse im Fahrweg- und Betriebsbereich führten in der Folgezeit zu
1) Vgl. Gesetz vom 27. April 1885, betreffend den Betrieb des Mittel-
ländischen, Adriatischen und Sizilianischen Netzes sowie den Bau der Ergänzungs bahnen, in: A . f. E . , 9 . Jg. (1886), S. 364 ff.
Die Verträge mit den drei genannten Gesellschaften, die auf dieses Gesetz zurückgehen, gleichen sich bis a uf wenige, hier nicht interessier ende Details. Um Wiederholungen zu vermeiden, wird im folgenden stets auf die Verträge mit der Mittelmeerbahn verwiesen. 2) Vgl. Gesetz vom 27. April 1885, a. a. 0., S . 364 (Art. 1). 3) Vgl. Vertrag vom 23. April 1884, betreffend das Mittelmeernetz, in: A . f. E., 9. Jg. ( 1886) , S. 369 (Art. 5) . - 42 -
Problemen in der Zusammenarbeit beider getrennter Organisationseinheiten. Sie waren so erheblich, daß die Betriebsverträge, obwohl auf sechzig Jahre geschlossen, den ersten möglichen Kündigungstermin nach zwanzig Jahren nicht überdauert haben.
4. 1. 3
Trennungslinie
Nach der italienischen Definition waren die Betriebsgesellschaften für Fahrwegsicheruns und -Unterhaltung selbst verantwortlich, der Staat also nur für die Erneuerung und Erweiterung des Netzes zuständig. l)
Daß diese
Bestimmung sich von vornherein als problematisch erweisen mußte, ist darin begründet, daß Unterhaltungs- und Erneuerungskosten einer Eisenbahnstrecke in einem reziproken Abhängigkeitsverhältnis zueinander stehen, mithin Konfliktstoff zwischen Staat und Gesellschaften bei ungenauer Abgrenzung der Zuständigkeiten schon vorprogrammiert war. Die Gesellschaften hatten gemäß Vertrag aus den Einnahmen alle Betriebsausgaben unter Einschluß der Kosten für Fahrwegsicherung und -Unterhaltung zu bestreiten. Auf Kosten des Staates sollten dagegen folgende Arbeiten ausgeführt werden: -
Behebung der an den Strec ken durch höhere Gewalt entstandenen Schäden
-
Erneuerung der Gleise
-
Erweiterung des Netzes
-
Erneuerung des rollenden Materials und
-
Vermehrung des rollenden Materials. Z)
Die hierzu erforderlichen Beträge wurden mehreren Reservefonds entnommen. Die Rücklagen für alle Fonds wurden aus den Bruttoerträgen der Be-
1) Vgl. Bedingnisheft für die Mittelmeer bahn, in: A. f. E., 9. Jg. (1886), S. 381 (Art. 11). Z) Vgl. Vertrag mit der Mitte lmeerbahn, a. a.O., S. 37Z f. (Art. 19);
Zur Dotierung der Fonds vgl. Bedingnisheft für die Mittelmeerbahn, a. a. 0 . , S. 395 f. (Art. 56 bis 59) . - 43 -
triebsgesellschaft vor der Verteilung der Einnahmen zwischen dem Staat und der Gesellschaft gebildet. 1 )
Als sehr problematisch hat sich dabei
die Tatsache erwiesen, daß die Fonds zwar dem Staat gehörten, aber durch die Gesellschaften zu verwalten und auch die angesammelten Fondsmittel durch die Gesellschaften zu verausgaben waren. 4. 1. 4 4. 1. 4. 1
Abstimmungsprobleme Unterhaltungs- und Erneuerungsarbeiten
Die genannten Reservefonds wiesen in den folgenden Jahren einen ständig wachsenden Fehlbetrag auf. Die Ursachen lagen weniger in der Unzulänglichkeit der Dotierung als vielmehr darin begründet, daß die Gesellschaften versuchten, alle
Fahrwegausgaben auf die Reservefonds zu überwälzen,
um dadurch Ausgaben einzusparen, die ihrer Natur nach reine Unterhaltungsausgaben waren und demgemäß von ihnen hätten bestritten werden müssen. Da sie nur wenig Interesse an einer wirtschaftlichen Verwendung der Fondmittel besaßen, kümmerten sich die Gesellschaften nicht um eine sorgfältige Unterhaltung des Oberbaus, ließen ihn öfter als notwendig erneuern oder gaben für Reparaturen als Ursache höhere Gewalt an. Die Ausführung dieser Arbeiten, ebenso die Neigung der Gesellschaften, in relativ kurzen Zeitabständen das rollende Material zu erneuern, gab zu vielen Meinungsverschiedenheiten zwischen den Vertragspartnern Anlaß. 2 ) Die Reservefonds mußten schließlich aufgelöst und die erforderlichen Mittel aus dem Staatshaushalt bereitgestellt werden bei einer festgelegten Beteiligung seitens der Gesellschaften. 3 )
1) Bezüglic h der Verteilung der Einnahmen vgl. Kap . 5. 2. 1. 2. 1 2) Vgl. Bresciani, C.: Die Eisenbahnfrage in Italien, Wirkungen der Betriebsüberlassungsv erträge von 1885 und die Neuordnung des italienischen Eisenbahnwesens, in: A. f. E., 28. Jg. (19o5), S. 1o27 ff. 3) Vgl. Claus, H.: Italienische Eisenbahnverhältnisse, in: A. f. E., 2o. Jg. (1897) , S. 2o. - 44 -
Es zeigte sich, daß die italienischen Betriebsüberlassungsverträge nur eine sehr ungenaue Abgrenzung der Zuständigkeitsbereiche von Staat und Gesellschaften hinsichtlich der Unterhaltungs- und Erneuerungsarbeiten vornahmen und sich daraus vielfache Uberschneidungen ergaben. Dies war einer sinnvollen Abstimmung beider Funktionsbereiche wenig förderlich. Wie oben dargestellt, bestand einer der gravierendsten Mängel der Vertragsbedingungen darin, daß der Staat einseitig die finanziellen Folgewirkungen der Unstimmigkeiten zu tragen hatte.
4. 1. 4. 2
Bau- und Investitionsprogramme
Neben den Gleiserneuerungsarbeiten hatten die Betriebsgesellschaften auch die Netzerweiterungen im Auftrag des Staates und auf dessen Kosten auszuführen. Begründet wurde dieser Schritt damit, daß die Gesellschaften ein Eigeninteresse an einer ordnungsgemäßen Durchführung der Arbeiten hätten. 1 ) Ihre starke Stellung bei der Ausführung der Bauarbeiten brachte für die Betriebsgesellschaften die Möglichkeit mit sich, Einfluß auf die Gestaltung und den Verlauf der Linien auszuüben. Sie hatten das Recht, auch auf Abänderungen bereits genehmigter Projekte hinzuwirken. Z)
Da die
Betriebsgesellschaften den Schienenverkehr umso billiger betreiben konnten, je besser die Streckenführung war, traten sie fortwährend mit Forderungen an die Regierung heran, die sie stets mit der ihnen auferlegten Verantwortlichkeit für die Sicherheit des Betriebs begründeten. Die Frage, ob die geforderten Verbesserungen wirklich notwendig waren oder ob ihnen nicht gleichermaßen durch Verbesserungen im Betriebsbereich {z. B. vermehrten Personalbestand), deren Kosten von den Gesellschaften zu tragen gewesen wären, hätte entsprochen werden können, war im
1) Vgl. o. V.: Die Erweiterung des italienischen Eisenbahnnetzes seit Erlaß des Gesetzes vom 29. Juli 1879, in: A. f. E., 12. Jg. {1889), s. 87 f.
2.) Vgl. Bedingnisheft für die Mittelmeerbahn, a. a. 0., S. 4ol {Art. 84).
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Einzelfall nicht zu beweisen. 1 )
Die staatliche Kontrolle war nur man-
gelhaft organisiert. Sie verfügte über eine viel zu geringe Zahl von Beamten, die außerdem zumeist nur eine dürftige technische Ausbildung auf-
.
zuwe1sen hatten.
2)
So war auch diese Abstimmungsfrage nicht in beiderseitigem Einvernehmen zu bewältigen. Die mächtigen Betriebsgesellschaften setzten einseitig die Anforderungen eines marktorientierten Produktionsplans an den Fahrweg durch. Umgekehrt fanden Restriktionen, die sich aus den Kapazitätsmöglichkeiten eines vorhandenen Fahrwegs für die Gestaltung des Produktionsplans ergaben, nur ungenügend Beachtung.
4. 1. 4. 3
Fahrpläne
Weitgehende Befugnisse hatte sich die Regierung hinsichtlich des Personenfahrdienstes vorbehalten. Sie setzte nach Anhörung der Gesellschaften die Fahrpläne fest und bestimmte die Klassifikation der Züge, deren Anzahl auf den bereits in Betrieb befindlichen Strecken gegenüber dem Stand vor Abschluß der Betriebsführungsverträge nicht verringert werden durfte. Bei der Eröffnung neuer Linien hatte der Betrieb mit mindestens zwei Zügen täglich in jeder Richtung zu beginnen. Sobald bestimmte Mindesterträge bei den Betriebseinnahmen überschritten wurden, konnte die Regierung den Einsatz eines dritten und vierten Zugpaares anordnen. Sollte jedoch das Betriebsergebnis sich infolge der Einrichtung eines neuen Zugpaares verschlechtern, konnte die Zahl der Züge nach Ablauf eines einjährigen Versuchs wieder reduziert werden. 3 )
Darüber hinaus wurden
Bestimmungen getroffen, nach denen die Betriebsgesellschaften ohne Re-
1) V gl. Claus, H. : Die Eisenbahnen Italiens in den Jahren 1885 bis 1887, in: A. f. E., 13. Jg. (189o), S . 3oo. 2) Vgl. Bresciani, C., a. a. 0., S. lo37. 3) Vgl. Bedingsnisheft für die Mittelmeerbahn, a. a . 0., S. 384 (Art. 24) und S. 399 (Art. 7o).
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gierungsgenehmigung keine Station oder Haltestelle schließen konnten. Auch durfte der Güterverkehr nicht ohne Regierungsgenehmigung
ver~
mindert werden. 1 ) Von trennungsspezifischem Wert und daher auch heute noch von Interesse sind die zwischen Staat und Betriebsgesellschaften getroffenen
Vereinba~
rungen bezüglich der Eröffnung neuer Strecken, die zwar eine
Betriebs~
pflicht für die Gesellschaften enthielten, andererseits aber die Zahl der eingesetzten Züge von ökonomischen Kriterien abhängig machten. Würden diese Bestimmungen verallgemeinert und auf das gesamte
Strek~
kennetz bezogen, hätte der Staat auch heute nach einer Trennung von
Fahr~
weg und Betrieb einen gewissen Einfluß auf den Umfang der Erstellung der Verkehrsleistungen, wobei sich dann allerdings a ls neues
Abstimmungs~
problern die Frage ergäbe, wie die Bedingungen zu definieren wären, die für die Inbetriebnahme eines weiteren Zugpaares maßgebend sein sollen. 4. 1. 4. 4
Betriebssicherheit
Um eine sichere Transportabwicklung auch nach einer Trennung von weg und Betrieb zu gewä hrleisten, mußten Dienstvorschriften und
Fahr~
Anord~
nungen erlassen und deren Einhaltung überwacht werden. So wurden z. B. bezüglich des rollenden Materials die Sicherheitsanforderungen als nicht erfüllt angesehen, wenn Lokomotiven und Wagen die festgesetzten terhöchstleistungen pro Jahr überschritten. 2 )
Kilome~
Weniger genaue Sicher-
heitsanweisungen bestanden in bezug auf den Fahrweg, was die Inspektionsarbeiten der ohnehin wenigen und technisch schlec ht ausgebildeten Aufsichtsbeamten sehr erschwert haben dürfte. Trennungsspezifische
Si~
cherheitsprobleme ergaben sich in Italien allerdings nicht, da sämtliche Fahrwegarbeiten von den Betriebsgesellschaften ausgeführt wurden.
1) Vgl. Bedingnisheft für die Mittelmeerbahn, a. a . 0., S. 386 (Art. 28). 2) Vgl. ebenda, S. 383 (Art. 19).
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4. l. 5
Zusammenfassung
In praxi führten die Erfordernisse der Koordination zu ständigen Reibungen zwischen der Regierung und den Gesellschaften. Sehr oft weigerten sich die Gesellschaften, den Vertragsbestimmungen nachzukommen, ohne daß es dem Staat gelungen wäre, sie zur Erfüllung ihrer Verpflichtungen zu zwingen. Der seinerzeit noch junge italienische Staat konnte sich gegenüber den mächtigen Betriebsgesellschaften nicht behaupten. l) Das Versage n der Verträ ge war nicht nur auf die völlig unzureichende staatliche Kontrolle zurückzuführen, sondern war vor allem darin begründet, daß die Pflichten der Gesellschaften nicht präzise genug festgelegt waren bzw. eine ungenaue Abgrenzung der Zuständigkeitsbereiche von Staat und Gesellschaften vielfache Uberschneidungen zuließ. Unter diesen Umständen sind Konfliktsituationen unabwendbar und ist das Versagen der staa tlichen Kontrolle e i ne fast zwa ngslä ufig e Folge. 2 )
4. 2
4 .2. 1
Die niederländischen Betriebsgesellschaften {1863 - 1921)
Trennungsursac hen
Die Konkurrenz der Binnenwasserwege war die hauptsächliche Ursache dafür, daß der Ausbau des niederländischen Eisenbahnnetzes dem Privatkapital nicht rentabel erschien. Die Regierung sah sich daher gezwungen, den Bau der Strec ken auf Staatskosten zu übernehmen, wollte aber unter dem Einfluß des damals vorherrschenden Privatbahngedankens den Betrieb der fertiggestellten Bahne n nicht selbst übernehmen. Sie holte sic h dazu das Angebot einer Privatgesellschaft ein, die sich ursprünglich gebildet
1) Vgl. Bresciani, C. , a. a.O. , S. lo37• 2) Zwar wurden Streitfä lle, die sich in bezug auf die Auslegung der Verträge ergaben, e inem Schiedsgericht übe rtragen, doch konnte auch dieses keinen Beitrag zur Lösung der anstehenden Probleme erbringen. Zur Zusammensetzung des Schiedsgerichts vgl. Bedingnisheft für die Mittelmeerbahn, a. a. 0., S. 4o5 (Art. lo6).
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hatte, um das rollende Material für die zu bauenden Staatsbahnstrecken herzustellen und die nun befürchtete, daß ein anderer Betriebsunternehmer auch eigene Werkstätten zur Herstellung und Reparatur seines rollenden Materials anlegen würde. 1863 wurde mit der Gesellschaft für den Betrieb der Staatsbahnen ein Betriebsführungsvertrag geschlossen. Einige andere Staatsbahnlinien wurden der gleichfalls privaten Holländischen Eisenbahngesellschaft übertragen, die sie neben eigenen Linien betrieb.
4. 2. 2
Eigentums- und Gesellschaftsverhältnisse
Der Staat besaß an keinem der Unternehmen Aktienanteile. Um größeren Einfluß auf den Betrieb der Bahnen zu erhalten, wurde eine Ubernahme von Aktien zwar mehrfach erwogen, aber niemals realisiert. Erst 1921 erwarb der Staat einen mehrheitlichen Anteil des Aktienkapitals . 1 ) Aufsichtsrat und Vorstand beider Gesellschaften wurden jeweils durch die Generalversammlung der Anteilseigner gewählt. Gewählt werden konnte nur, wer eine Kapitalbeteiligung an der jeweiligen Gesellschaft aufweisen konnte. Die Höhe des Mindestanteils wurde durch die Geschäftsordnung bestimmt. 2 ) Im Unterschied zu den italienischen Betriebsführungsverträgen waren die niederländischen Verträge unter den oben geschilderten Voraussetzungen über einen Zeitraum von fast sechzig Jahren von 1863 bis 1921 in Kraft und unterlagen zwischenzeitlic h vielfachen Verbesserungen. Im folgenden soll untersucht werden, welche Abstimmungsprobleme sic h bei der Koordination der Fahrweg- und Betriebsfunktionen in den Niederlanden ergaben.
1) Vgl. Overmann, J.: Beteiligung des niederländischen Staates an den Eisenbahngesellschaften, in: A. f. E. , 44 Jg. (1921) , S. 2o4. 2) Vgl. Die Geschäftsordnung der in: A.f.E., 4o. Jg. (1917), S. vgl. Die Geschäftsordnung der in: A.f.E., 4o. Jg. (1917), S.
Staatseisenbahnbetriebsge sellsc h a ft, 543 {Art. 1o) undS. 545 (Art. 14); Holländischen Eisenbahngesellschaft, 55o (Art. 1o und 14).
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4.2.3
Trennungslinie
Auch in den Niederlanden wurde die Trennungslinie so gezogen, daß die Betriebsgesellschaften für die Fahrwegunterhaltung und -sicherung selbst zuständig waren. 1 )
Wie in Italien wurden zunächst für die Behebung der
an den Strecken durch höhere Gewalt entstandenen Schäden sowie die Erneuerung der Gleise und des rollenden Materials Reservefonds eingerichtet. Die Rücklagen für alle Fonds wurden aus den Bruttoerträgen vor der Verteilung der Einnahmen zwischen dem Staat und den Betriebsgesellschaften gebildet. 2 )
In der Folgezeit kam es auch in den Niederlanden
zu vielfachen Meinungsverschiedenheiten zwischen Staat und Gesellschaften, da jene versuchten, alle Fahrwegausgaben auf die Reservefonds zu überwälzen. Durch die Verträ ge von l89o wurden daher die Reservefonds abgeschafft. Es wurde vertraglich genau festgelegt, welche Gleiserneuerungsarbeiten unter welchen Vorbedingungen auf Staatskosten auszuführen waren. 3 ) Die Beschaffung des rollenden Materials erfolgte ausschließlich auf Rechnung der Gesellschaften. 4 )
l) Vgl. Vertrag zwischen dem niederländischen Staat und der Gesellschaft für den Betrieb der Staatseisenbahnen, in: A. f. E., 15. Jg. (1892), S. 472 (Art. 2), S. 474 (Art. 9) und S. 475 (Art. 11). Auf den Vertrag des niederländischen Staates mit der Hollä ndischen Eisenbahngesells chaft soll hier nicht gesondert eingegangen werden, da die Artikel den gleichen oder sinnentsprechenden Inhalt aufweisen. Vgl. hierzu: Vertrag zwischen der niederländischen Regierung und der Holländischen Eisenbahngesellschaft, in: A. f. E., 15. Jg. (1892), S. 77o ff. 2) Vgl. Claus, H.: Das Eisenbahnwesen in den Niederlanden, in: A.!. E., 6. Jg. (1883), s. 581. 3) Vgl. Vertrag zwischen dem niederländi sche n Staa t und d e r Ges e lls chaft für den Betrieb der Staatsbahnen, a. a . 0., S. 474 (Art. lo). 4) Vgl. ebenda, S. 475 (Art. 11).
- 5o -
4. 2. 4
4. 2. 4. 1
Abstimmungsprobleme
Unterhaltungs- und Erneuerungs a rbeiten
Es hat sich gezeigt, daß die anfänglichen Probleme bei der Abstimmung der Unterhaltungs- und Erneuerungsarbeiten, die sich in den Niederlanden aus einer ungenauen Abgrenzung der Verantwortungsbereiche von Regierung und Gesellschaften ergaben, denen in Italien sehr ähnlich waren. In den Niederlanden wurde jedoch versucht, über eine Fortentwicklung der Verträge die Zuständigkeitsbereiche beider Parteien präziser zu fassen. Es wurde vertraglich genau festgelegt, welche Gleiserneuerungsarbeiten unter welchen Voraussetzungen auf Staatskosten auszuführen waren. Der Kommissionsbericht von 1911 stellte daraufhin fest, daß die Gesellschaften bezüglich der Unterhaltungsarbeiten der Bahna nlagen, die ihnen vertraglich zur Last fielen, allen Anforderungen Genüge leisteten. Die Kommission schränkte jedoch im weiteren diese Feststellung insofern wieder ein, als sie einräumte, daß auch weiterhin die Grenze zwischen Unterhaltungs- und Erneuerungsarbeiten oftmals nur schwer zu ziehen sei. 1 )
Das Ergebnis ist demnach etwas zwiespältig, obwohl nicht ver-
kannt werden soll, daß die Schwierigkeiten, die sich in den Niederlanden ergaben, infolge der gerraueren Fassung des Vertragstextes doch ungleic h geringer waren als in Italien. Gleichwohl zeigt die Untersuchung, daß eine Trennung der Kompetenzen bezüglich der Gleisunterhaltungs- und Erneuerungsarbeiten sehr schwierig ist. 4.2.4.2
Bau- und Investitionsp rogramme
Die Anforderungen eines marktorientierten Produktionsplans an die Kapazitätsmöglichkeiten des Fahrwegs führen - wie schon die italienischen Betriebsführungsverträge gezeigt habe n - zum Problem der Abstimmung der Planungen des Betriebsbereichs mit kapazitätsändernden Maßnahmen der
1) Vgl. Overmann, J.: Neuere Eisenbahnpolitik in Holland, in: A. f. E., 35. Jg. (1912), s. 48. - 51 -
Infrastruktur. Dabei ist die erstellte Verkehrsleistung Ergebnis des gemeinsamen Einsatzes der Produktionsfaktoren Schienenweg und Verkehrsmittel, die bis zu einem gewissen Grad insofern substituierbar sind, als ein aufwendig angelegter Fahrweg den sparsameren Einsatz der Faktoren des Betriebsbereichs ermöglicht. Dagegen begrenzt die Minimumwirkung eines Faktors (hier des Fahrwegs) die Produktion von Verkehrsleistungen im Güter- und Personenverkehr. Daraus resultierenden ständigen Forderungen seitens der Gesellschaften nach einer Verbesserung und Erweiterung der Streckenführung - ein in Italien ungelöstes Problem - wurde in den Niederlanden dadurch entgegengewirkt, daß nach Ubergabe der fertigen Strecken Verbesserungen und Erweiterungen des Fahrwegs von den Gesellschaften auf eigene Kosten auszuführen waren. Diese Arbeiten erfolgten jedoch insofern zu Lasten des Staates, als er bei der Verstaatlichung die Kosten den Gesellschaften zurückerstatten mußte. l)
Auch wenn im Kommissionsbericht nicht verkannt
wurde, daß die Grenze zwischen Unterhaltungs- und Verbesserungsarbeiten nicht leicht zu ziehen ist, wurde doch festgehalten, daß diese Bestimmung den Schlüssel für einen Interessenausgleich zwischen Regierung und Gesellschaften enthielt. Z)
Dadurch daß die Betriebsgesellschaften die
Kosten der Verbesserungsarbeiten bis zu einem unbestimmten zukünftigen Termin vorfinanzieren mußten, bestanden die Konflikte, die sich in Italien aus dieser Abstimmungsfrage ergaben, in den Niederlanden nicht. Zu diesem günstigen Ergebnis der Abstimmungsfrage hat sicherlich auch beigetragen, daß die Betriebsgesellschaften von vornherein an der Planung neuer Strecken aktiv beteiligt waren. Der Einfluß der niederländischen Betriebsgesellschaften war in dieser Beziehung insofern noch größer als der der italienischen Gesellschaften, als die Baupläne in Holland nur unter
1) Vgl. Vertrag zwischen dem niederländischen Staat und der Gesellschaft für den Betrieb der Staatsbahnen, a. a.O., S. 477 f. (Art. 2o). 2) Vgl. Overmann, J.: Neuere Eisenbahnpolitik in Holland, a. a. 0.,
s.
48.
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Hinzuziehung der Gesellschaften entworfen werden durften. Führten die gemeinsamen Beratungen zu keinem Ergebnis, so wurden die Pläne von einem unabhängigen Schiedsgericht festgestellt. 1 ) 4. 2. 4. 3
Fahrpläne
Weitgehende Befugnisse hatte sich die Regierung in Bezug auf die Fahrpläne vorbehalten. Die Gesellschaften waren verpflichtet, auf den ihnen übergebenen Strecken täglich mindestens fünf Personenzüge in jeder Richtung einzusetzen. Eine Vermehrung oder Verminderung dieser Zahl wurde nach Absprache zwischen Regierung und Gesellschaften festgelegt. Die Fahrpläne und die Zusammensetzung der Züge unterlagen der Genehmigung der Regierung. 2 ) Der Einfluß der Regierung auf Fragen der Verkehrsleistungsproduktion war demnach sehr groß. Die zuvor untersuchten italienischen Betriebsführungsverträge stellten insofern eine Weiterentwicklung dar, als sie die Lösung wichtiger Abstimmungsprobleme, wie z. B. die Zahl der täglich in jede Richtung abzulassenden Züge, von ökonomischen Kriterien abhängig gestalteten. 4. 2. 4. 4
Betriebssicherheit
Die staatliche Aufsicht über die Betriebsführung wurde durch ein der Regierung unterstelltes Aufsichtsamt wahrgenommen und beschränkte sich auf die Untersuchung der Betriebssicherheit der Netzanlage. Neben der ständigen Aufsicht erfolgte jährlich eine umfassende Inspektion aller
1) In allen Streitfragen bei der Auslegung der Verträge wurde ein Schiedsgericht angerufen, dessen Mitglieder der Oberste Gerichtshof bestellte. Vgl. Vertrag zwischen dem niederländischen Staat und der Gesellschaft für den Betrieb der Staatsbahnen, a. a. 0., S. 7 56 (Art. 48). 2) Vgl. ebenda, S. 476 (Art. 13).
- 53 -
Anlagen. l)
Zusätzlich stellte das Aufsichtsamt periodische Untersu-
chungen bei den Eisenbahnbrücken von 50 mundmehr Weite an. Die Gesellschaften stellten das dazu notwendige Personal und Material. 2 )
Die
Eisenbahnkommission von 1911 kam zu dem Ergebnis, daß die Gesellschaften bezüglich der Betriebssicherheit stets ihre Pflichten voll erfüllten. 3 ) Größte Bedenken waren zunächst gegen das Obereinkommen geäußert worden, das eine gemeinschaftliche Benutzung bestimmter ·Bahnstrecken durch beide Gesellschaften vorsah. 4 )
Es wurde von v ielen Kritikern v on vorn-
herein für unhaltbar gehalten, daß die eine Gesellschaft Strecken, die der anderen Gesellschaft. von der Regierung übergeben worden waren, mitbenutzen konnte. Die Bestimmung hat sich aber in der Folgezeit bewährt. Sicherheitsprobleme wurden dadurch ausgeschaltet, daß der mitbenutzenden Gesellschaft lediglich die Zugbildung oblag. Die Durchführung der Transp o rt e besorgte die Gesellschaft, die ihr e Anlagen zur Verfügung stellte. Die mitbenutzende Gesellschaft hatte für ihre Fahrten die andere Gesellschaft zu entschädigen. Jene war weiterhin alleine für die Unterhaltung der Strecken zuständig.
5)
Der vollständige Fahrplan wurde für die Zü-
ge auf den gemeinsam befahrenen Strecken in Beratungen festgestellt, wobei a ls Regel galt, d aß ein Schnellzug Vorrang vor einem gemischten Zug und ein gemischter Zug Vorrang vor einem Güterzug hatte,
1) Vgl. Claus, H.: D a s Eisenbahnwe sen in den Niederlande n, a. a. 0., s. 578.
2) Vgl. Vertrag zwischen dem niederländischen Staat und der Gesellschaft für den Betrieb der Staatsbahnen, a. a . 0., S. 474 (Art. 9).
3) Vgl. Overmann, J.: Neuere Eisenbahnpolitik in Holland, a. a. 0 . ,
s.
48.
4) Vgl. Obereinkommen zwischen der Gesellschaft für den Betrieb der Staatseisenbahnen und der Holländischen Eisenbahngesellschaft betreffend die gemeinscha ftliche B enutzung von Bahnstrecken, in: A. f. E., 15. Jg. (1892), S . 929 ff.
5) Vgl. ebenda, S. 933 (Art. 10).
- 54 -
- bei gleichartigen Zügen den Zügen der Vorrang eingeräumt werden sollte, die die größeren Entfernungen zurückzulegen hatten. l) Die aus der gemeinsamen Benutzung der gleichen Strecken durch mehrere Gesellschaften resultierenden Abstimmungsprobleme sollen in Kapitel 4. 3. 4. 1 und 4. 3. 4. 2 näher analysiert werden.
4. 2. 5
Zusammenfassung
Das niederländische Trennungsmodell kann als durchaus funktionsfähig bewertet werden. Vertragsbestimmungen, die Anlaß zu Meinungsverschiedenheiten zwischen Staat und Gesellschaften gaben, wurden nach und nach verbessert, die Funktionsbereiche beider Parteien exakter abgegrenzt.2 ) Die Zahl der Abstimmungsprobleme wurde in den Niederlanden wie auch in Italien allerdings dadurch reduziert, daß die Fahrwegfunktionen in der Regel von den Gesellschaften im Auftrag des Staates wahrgenommen wurden, die Gesellschaften also fast wie Eigentümer über den Schienenweg verfügen konnten. Die sich ergebenden Abstimmungsprobleme waren denn auch eher mittel- und langfristiger Natur. Kurzfristig zu lösende Probleme, wie die der Zugbildung und Transportsteuerung oder die von Baubetriebsplänen zur Durchführung von Bauarbeiten bei gleichzeitiger Aufrechterhaltung des Betriebs konnten intern im Betriebsbereich gelöst werden.
1) Vgl. Ubereinkommen zwischen der Gesellschaft für den Betrieb der Staatseisenbahnen und der Holländischen Eisenbahngesellschaft, a. a. 0., S. 936 (Art. 16). 2) Die Ubernahme der Aktienmajorität durch den Staat im Jahre 1921, die im Rahmen einer Kapitalerhöhung erfolgte, war Folge der schlechten Finanzsituation der Betriebsgesellschaften in der unmittelbaren Nachkriegszeit.
- 55 -
4. 3
4 . 3. 1
National Railroad Passenger Corporation l)
{seit 197o}
Trennungsursachen
Die Amtrak ist eine durch den US-Kongreß gegründete Körperschaft des öffentlichen Rechts. Sie hat mit mehreren privaten Eisenbahngesellschaften Verträge abgeschlossen, aufgrund derer sie den Intercity-Reisezugverkehr landesweit auf den bestehenden privaten Strecken ausführen kann. Die Amtral