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German Pages 376 Year 2020
Robin K. Saalfeld Transgeschlechtlichkeit und Visualität
Queer Studies | Band 26
Robin K. Saalfeld, geb. 1986, ist wissenschaftlicher Mitarbeiter im Bereich Angewandte Sozialwissenschaften an der Fachhochschule Dortmund, wo er ein Forschungsprojekt zur Verbesserung der Gesundheitsversorgung von inter- und transgeschlechtlichen Menschen koordiniert. Er lehrt und forscht im Bereich von trans*/queer studies, der Visuellen Soziologie und den Gender Media Studies.
Robin K. Saalfeld
Transgeschlechtlichkeit und Visualität Sichtbarkeitsordnungen in Medizin, Subkultur und Spielfilm
Zugl.: Dissertation, Friedrich-Schiller-Universität Jena, 2019 Die Dissertation, die Grundlage der vorliegenden Publikation ist, wurde von Prof. Dr. Sylka Scholz (Friedrich-Schiller-Universität Jena) betreut, von ihr und Prof. Dr. Hedwig Wagner (Europa Universität Flensburg) begutachtet und am 30.09.2019 verteidigt.
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2020 transcript Verlag, Bielefeld Alle Rechte vorbehalten. Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen. Umschlaggestaltung: Maria Arndt, Bielefeld Druck: Majuskel Medienproduktion GmbH, Wetzlar Print-ISBN 978-3-8376-5076-1 PDF-ISBN 978-3-8394-5076-5 https://doi.org/10.14361/9783839450765 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet: https://www.transcript-verlag.de Unsere aktuelle Vorschau finden Sie unter www.transcript-verlag.de/vorschaudownload
Inhalt
Dank | 7 Einleitung | 9 1
Vorbemerkungen zum Zusammenhang von Sichtbarkeit, Diskurs und Geschlecht | 29
1.1
Zum Zusammenhang von (Un-)Sichtbarkeit von Geschlecht und Transgeschlechtlichkeit | 29 Reviewing Foucault | 39 Zur Rekonstruktion von Denksystemen in Vorher-Nachher-Bildern | 40 Die Verhaftung von Diskursgegenständen in (Un-)Sichtbarkeitsordnungen | 41 Die Ordnung der Dinge in der Malerei | 45 Der ärztliche Blick als Agens der Wahrheitsproduktion | 54
1.2 1.2.1 1.2.2 1.2.3 1.2.4 2
Zur Untersuchung von Sichtbarkeiten: Bilder von Transgeschlechtlichkeit interpretieren | 59
2.1 2.2 2.3 2.4
Bilder als Diskurse: Diskursanalytische Forschungsperspektive | 62 Forschungsmethode: Eine visuelle Grounded Theory | 70 Sampling und Arbeitsprogramm | 85 Selbstreflexivität | 91
3
Die Diskursebene der Medizin: Der medizinische Blick und die historische Genese von Transgeschlechtlichkeit als Abnormalität | 95
3.1
Die Medikalisierung der Geschlechtszuweisung über ‚Hermaphroditen‘ als Vorläufer von Transgeschlechtlichkeit | 97 Der Diskurs über gleichgeschlechtliches Begehren als Diskurs über ‚Zwischengeschlechtlichkeit‘ | 110 Die Ausdifferenzierung von ‚sexuellen Zwischenstufen‘ und ihre Bildlichkeit | 124 Kategoriale Ausdifferenzierungen: Die Medikalisierung des ‚Geschlechtswechsels‘ als Erfindung der Transsexualität | 142 Das Behandlungsprogramm als Management der ‚Geschlechtsidentitätsstörung‘ und neuere Entwicklungen in der Neuroanatomie | 148
3.2 3.3 3.4 3.5
3.6
Zwischenfazit: Medizin und Transgeschlechtlichkeit – ein visuelles Spannungsverhältnis | 159
4
Die Diskursebene der Transgender Subkultur | 165
4.1
Die Formierung der Transgender Bewegung: Von (trans-)feministischen Kämpfen und Widerständen gegen das psychomedizinische Regime | 168 Bilder des modifizierten Körpers | 187 Bilder des versehrten Körpers | 206 Hypersichtbare GeschlechtsKörper | 218 Bilder des androgynen Körpers | 229 Zwischenfazit: Der transgeschlechtliche Körper als angeeigneter Körper | 242
4.2 4.3 4.4 4.5 4.6
5
Filmische Diskursebene: Transgender Cinema | 249
5.1
Historiografische Skizze eines Cinema of Gender Role Change und die Entwicklung eines Transgender Cinemas | 251 Zur Dramaturgie der Trans*Filme | 261 Körperästhetik der Begrenzung | 271 Die visuelle Strategie der Naked-Body-Shots | 272 Das Spiegelmotiv als visuelle Begrenzung | 282 Von Spaltungen und Differenzen | 295 Subjektive Wirklichkeitsebenen: Zur Inszenierung transgeschlechtlicher Erfahrung | 300 Träumen und Fantasieren | 306 Cisgeschlechtliche Blickregime und der transgeschlechtliche Blick | 318 Zwischenfazit: Transgender Cinema zwischen VerAnderung und Subversion | 327
5.2 5.3 5.3.1 5.3.2 5.3.3 5.4 5.4.1 5.4.2 5.5
6
Fazit: Das visuelle Archiv der Transgeschlechtlichkeit | 331
6.1 6.2
Ergebnisse | 331 Ausblick und Schlussbetrachtungen | 340
Literaturverzeichnis | 347 Filmverzeichnis | 373
Dank „Schreiben ist Kämpfen, Widerstand leisten; Schreiben ist Werden; Schreiben ist Kartographieren [...].“ (Deleuze 2015 [1992]: 66)
Ich danke Sylka Scholz herzlichst und gern für ihre Unterstützung, ihren Zuspruch und ihre konstruktive Kritik an Teilen der Arbeit. Ihre wohlwollende Betreuung und ihr Vertrauen in mein Können haben mich sehr darin bestärkt, die Arbeit sukzessive voranzutreiben und letztlich zu Ende zu bringen. An zweiter Stelle möchte ich Hedwig Wagner für ihre Zweitbetreuung danken, die ich als unkompliziert und gutherzig wahrnahm. Dem Seminar für Kunstgeschichte und Filmwissenschaft der Friedrich-Schiller-Universität Jena danke ich ebenso für die kollegiale Zusammenarbeit über die Zeit meiner Promotion. Es gab verschiedenste Menschen, die mir im Verlaufe immer wieder gut zugesprochen, mich unterstützt, mir hilfreiche Anregungen und Motivationsschübe gegeben haben: Jeannette Bergfeld und Franziska Hausig danke ich für ihr tiefes Vertrauen in mich und meine Fähigkeiten. Ohne euch hätte ich mich gar nicht erst auf den Weg hin zu einer Promotion begeben. Danke für eure Liebe. Tilman Hesse danke ich für sein unerschütterliches An-meiner-Seite-Stehen. Ich danke Joris Gregor für das bestärkende Feedback zu Teilen meiner Arbeit, für den emotionalen Rückhalt und vor allem die Einsicht, „[that] the only way out is through“. Ich danke meinen Eltern für den sozialen Rückhalt, sodass ich meinen „Weg hindurch“ überhaupt realisieren konnte. Mein Dank geht außerdem an Samanta Berrutti für ihre so oft geleistete emotionale Unterstützung, wenn ich nicht mehr weiterwusste, an mir zweifelte oder einfach ein offenes Ohr brauchte. You are my hero. Danken möchte ich auch Judith von Seggern, die mir gerade in der Abschlussphase eine so wichtige Begleitung war. Ich danke all den vielen Menschen, die sich – wie ich – als transgeschlechtlich verstehen und die meinen Weg kreuzten, ob nun als Freund_innen, Bekannte oder
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scheinbar Anonyme in den Weiten des Internets. Ohne euch wäre ich so oft verzweifelt, hätte ich die Balance zwischen eigener Geschlechtsaffirmation und notweniger Distanz zum Thema nicht finden können. Danken möchte ich – last not least – Josch Hoenes, dessen Dissertation mir so viele konstruktive inhaltliche Impulse geliefert hat. In freudiger Erwartung war ich, meine Arbeit mit dir zu diskutieren. Es macht mich betroffen und traurig, dass du nicht mehr da bist. Mögen deine Gedanken in den sich etblierenden Trans* Studies weiterleben. Danke.
Einleitung „So beschloß ich, die Anziehungskraft, die bestimmte Photos [und Filme, Anm. R.K.S.] auf mich ausübten, zum Leitfaden meiner Untersuchung zu machen: dieser Anziehungskraft war ich mir zum mindesten sicher.“ (Barthes 1989: 26)
Bilder und Filme sind nicht nur Spiegel oder Illustrationen der sozialen Wirklichkeit. Sie bilden auch keine Fenster, die den Blick auf die gesellschaftliche Wirklichkeit unvermittelt freigeben. Vielmehr konstruieren sie als visuelle Medien die soziale Wirklichkeit mit (vgl. Peltzer und Keppler 2015). Sie liefern mit ihren (Bewegt-)Bildern, der in und zwischen diesen Bildern erzählten Geschichten, mit dem, was in und zwischen ihnen sicht- und hörbar ist und mit dem, was unsichtbar und verschwiegen bleibt, vielfache Interpretationen der Welt. Durch die Art und Weise, was und wie visuelle Medien etwas zeigen, legen sie Positionen fest, mit denen das Publikum auf bestimmte gesellschaftliche Phänomene blickt. Mittels der angelegten Interpretationsperspektiven und Interpretationsformen machen sie das Publikum gleichsam „sehend“. Durch die formale Strukturierung der Art und Weise des Zeigens und Repräsentierens wird ein „bestimmtes visuelles Wissen oder eine Vorstellung von einem (wissenschaftlichen) Objekt, einer Subjektposition oder einem Sachverhalt [...] zuallererst produziert“ (Prinz und Reckwitz 2012: 186). Visuelle Medien haben damit einen maßgeblichen Anteil an der Hervorbringung, Konsolidierung, Veränderung und Weitergabe von Interpretationsperspektiven als kulturelle Wissensbestände. Sie modifizieren soziale Wirklichkeit, ordnen diese Wirklichkeit neu oder bringen sie erst hervor. Im Forschungsfeld der visuellen Kultur (vgl. Schade und Wenk 2011) wird dieser Umstand als visuality (vgl. Foster 1988) bezeichnet. Dass die spezifischen Formen von Visualität die Konstruktion von Geschlecht beeinflussen, wurde vielfach herausgestellt (vgl. Lünenborg 2013). Visuelle Medien, wie Filme, Fernsehen, Internet und Werbung,
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die als Medien der Unterhaltung und Information fungieren, haben einen tiefgreifenden Effekt auf Fragen bezüglich der eigenen Geschlechtlichkeit 1 und der eigenen Geschlechtsidentität (vgl. Shelley 2008: 134). Die kanadische Geschlechtersoziologin Dawn H. Currie (1999) fand beispielsweise in ihrer Studie zur Wirkung von Jugendmagazinen, die weibliche Jugendliche als Zielgruppe adressieren, heraus, dass über Bild und Text diskursive Botschaften darüber verbreitet werden, was es in einer neoliberal-kapitalistischen Gesellschaft bedeutet, ein Mädchen bzw. eine Frau zu sein. Diese normativen Inhalte werden nicht nur internalisiert und beeinflussen die Konstruktion der weiblichen Geschlechtsidentität, sie verbreiten auch Bilder von Schönheitsidealen, an denen sich junge Mädchen und Frauen orientieren (sollen) (vgl. Currie 1999). Da es medial in den letzten Jahren zu einer „umfassenderen Sichtbarwerdung von Trans-Menschen“ (Krauß 2018: 166) kam, ist davon auszugehen, dass Visualitäten, die Transgeschlechtlichkeit thematisieren, ebenfalls diskursive Auswirkungen auf die Konstruktion des Phänomens haben. Peter Ringo konnte in seiner Studie, bei der er 19 trans*männliche Personen interviewte, nachweisen, dass Medien eine zentrale Rolle spielen hinsichtlich des eigenen Coming Outs und hinsichtlich der Ausbildung einer transgeschlechtlichen bzw. in diesem Falle (trans*)männlichen Identität. Mediale Darstellungen halfen Trans*Männern nicht nur ein neues Bewusstsein über ihr verkörpertes Selbst zu bilden, sie unterstützten die Betroffenen auch bei der Konstruktion und Stabilisierung ihrer Identität (vgl. Ringo 2002). Auch die Studie von Christopher Shelley dokumentiert, dass einigen Betroffenen mediale Darstellungen halfen, das Bewusstsein über ihre Transgeschlechtlichkeit zu stärken (vgl. Shelley 2008: 132-140). Mediale Bilder haben dabei jedoch nicht nur positive Effekte. Obwohl Repräsentationen der Informationsvermittlung dienen, insofern als dass sie nicht nur die Existenz des Phänomens dokumentieren sowie die Botschaft vermitteln können, dass ‚Heilung‘ des „missexed body“ (Shelley 2008: 135) möglich sei, so sind es gerade die stereotypen Repräsentationen von Trans*Menschen – deren exploitative Darstellung als Spektakel, als Soziopath_innen oder als „fiendish and frightening characters“ (ebd.) –, die negative Auswirkungen auf das Leben von Betroffenen haben. Die spezifischen Formen der Visualität von Transgeschlechtlichkeit beeinflussen die diskursive Konstruktion des Phänomens. Das, was (Bewegt-)Bilder sichtbar machen, das, was sie unsichtbar halten, und die Art und Weise, wie etwas gezeigt oder nicht gezeigt wird, konstituieren sogenannte Felder der Sichtbarkeit.
1
Die für diese Studie getroffenen Begriffsentscheidungen werden unter dem Punkt Sprachliche und begriffliche Entscheidungen am Ende der Einleitung thematisiert (s. S. 24).
Einleitung | 11
Die Kunsthistorikerin Johanna Schaffer führt den Begriff des „Feld[s] der Sichtbarkeit“ (Schaffer 2008a: 113) als deutsche Übersetzung zu Kaja Silvermans Konzept des „screen[s]“ (Silverman 1992: 150) ein, und beschreibt damit einen „[...] Gesamtkomplex an Repräsentationsparametern und -praktiken sowie Weisen des Wahrnehmens und Wahrgenommenwerdens, die Sichtbarkeit und Lesbarkeit ebenso wie Unsichtbarkeit und Unlesbarkeit bestimmen. Als Rahmen des Wahrnehmbaren, Sichtbaren, Intelligiblen bestimmt das Feld der Sichtbarkeit, wie die einzelnen sich als Selbst und als Subjekt wahrnehmen und wie sie die Welt und Realität als solche sehen.“ (Schaffer 2008a: 113)
Diese Felder produzieren Subjekte und weisen ihnen spezifische Positionen im gesellschaftlichen Gefüge zu (vgl. Rose 2007: 143). Die Sichtbarkeitsfelder sind damit zwangsläufig durchdrungen von Macht- und Herrschaftsverhältnissen, ebenso wie sie diese Relationen herstellen und tradieren. (Bewegt-)Bilder wirken damit an der Produktion und Reproduktion von sozialen Differenzierungen mit (vgl. Fyfe und Law 1988). John Berger hat diesen Umstand bereits 1972 festgestellt, als er bemerkte, dass soziale Ungleichheiten, Differenzen und Differenzierungen in Bildern nicht nur dadurch konstruiert werden, dass etwas gezeigt bzw. nicht gezeigt wird, sondern auch dadurch, dass Bilder in ihrer ästhetischen Gemachtheit zu einer bestimmten Sehweise auf soziale Distinktionskategorien einladen (vgl. Berger 1977). Indem die in (Bewegt-)Bildern angelegten Visualitäten (und Praktiken des Sehens) bestimmte gesellschaftliche Phänomene auf spezifische Art und Weise sichtbar machen, während andere unsichtbar oder marginalisiert bleiben, müssen sie folglich als diskursive Formation betrachtet und als solche in den analytischen Blick genommen werden. Erkenntnisinteresse Das Ziel der vorliegenden Arbeit ist es, die visuelle Produktion von diskursiven Botschaften am Beispiel von Transgeschlechtlichkeit zu untersuchen. Es gilt herauszuarbeiten, wie Bilder und Filme das Phänomen der Transgeschlechtlichkeit visuell hervorbringen. Im Konkreten geht es um die Untersuchung von Figuren, die „herkömmliche Geschlechtergrenzen überschreiten“ (Baumgartinger 2017: 45f.), denn am Phänomen der Transgeschlechtlichkeit lässt sich der Zusammenhang und die Verknüpfung von der Konstruktion von Visualität, den die Sichtbarkeitsfelder durchdringenden Machtverhältnisse (hier insbesondere das Machtverhältnis von Cis- und Zweigeschlechtlichkeit, ferner von Heteronormativität) und die diskursive Genese von Subjekten besonders deutlich studieren. Es geht es also
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nachfolgend um die Frage, wie das Phänomen der Transgeschlechtlichkeit in unterschiedlichen visuellen Medien (Bild und Film) und in unterschiedlichen Kontexten „zu sehen gegeben wird“ (Schade und Wenk 2011: 9), womit ganz wesentlich „Praktiken des Sehens [...] oder auch des Zuverstehen-Gebens, der Gesten und Rahmungen des Zeigens und Sehens“ (ebd.), aber auch Fragen nach „darin eingeschlossenen Effekten von Autorität, Macht und Begehren in der Konstitution von Relationen zwischen Individuen und Gemeinschaften“ (ebd.) fokussiert werden. Die Besonderheit der Untersuchung visueller Darstellung über Transgeschlechtlichkeit ergibt sich aus der Definition des Phänomens. Im Allgemeinen handelt es sich bei transgeschlechtlichen Menschen um Personen, die sich mit dem ihnen bei Geburt zugewiesenen Geschlecht nicht (vollständig) identifizieren können oder wollen (vgl. Sauer 2015: 118). Es handelt sich um Menschen, die sich gewissermaßen von ihrem bei Geburt zugewiesenen Geschlecht ‚wegbewegen‘ (vgl. Straube 2014: 32), sei es, indem sie eine andere als die von ihrem zugewiesenen Geschlecht erwartete Geschlechterperformance ausdrücken, und/oder sei es, indem sie ihren Körper hormonell, chirurgisch oder über andere Praktiken modifizieren. Bei Transgeschlechtlichkeit geht es also um Bewegung. Transgeschlechtlichkeit ist zudem ein äußerst bewegendes Phänomen. Für Betroffene stellt die Anerkennung und Herstellung ihres Geschlechts einen Konstruktionsprozess des leiblichen Selbst dar (vgl. Saalfeld 2017: 268f.). Gesa Lindemann (1993) hat in ihrer mikrosoziologischen Studie herausgearbeitet, dass erst am Ende dieses Konstruktionsprozesses das entwickelt sein wird, was transgeschlechtliche Menschen für deren Voraussetzung halten: eine Geschlechtsidentität, die mit dem bei Geburt zugewiesenem nicht übereinstimmt. Bei cisgeschlechtlichen Menschen ist die unauflösliche Verschränkung von Leib und Körper bereits präreflexiv vorhanden; bei Transsexuellen muss sie über verschiedene Mechanismen erst konstruiert werden. Das weist Lindemann in Rekurs auf leibphänomenologische Ansätze von Helmuth Plessner und Hermann Schmitz nach. Schriften aus dem Umkreis jener Neuen Phänomenologie betonen diese Doppelaspektivität des Körpers, die für den Menschen charakteristische Gleichzeitigkeit von ‚Körper haben‘ und ‚Leib sein‘, während die traditionelle Philosophie von einem Dualismus von Körper und Seele ausgeht. In Die Stufen des Organischen und der Mensch (1975) unterscheidet Plessner vor dem Hintergrund der Erkenntnisse der philosophischen Anthropologie das ‚Leib sein‘ vom ‚Körper haben‘, womit eine Trennung zwischen dem menschlichen Organismus bezeichnet ist: Der Mensch ist stets in dem Hier-und-Jetzt einer bestimmten raumzeitlichen Situation verhaftet, während er ebenso die Fähigkeit besitzt, sich von seinem leiblichen EingebundenSein in seine Umwelt zu distanzieren. Hermann Schmitz konstatiert in seiner
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Leibphänomenologie (1982) zudem, dass der Mensch von bestimmten Situationen auch derart affektiv betroffen sein kann, dass sie eigenleiblich gespürt werden. Für ihren körpersoziologischen Ansatz nimmt Lindemann die Impulse Plessners und Schmitz’ auf und belegt am Beispiel von transgeschlechtlichen Menschen, dass das geschlechtliche Körperwissen von reflexiven Bezugnahmen auf den eigenen Körper – als Objekt – bestimmt ist, während der Körper primär prä-reflexiv als unmittelbare Wirklichkeit erfahren wird. Der GeschlechtsKörper wird also vorrangig leiblich erfahren. Den Menschen gehen gesellschaftliche Ordnungsstrukturen, wie die des binär organisierten Geschlechts, gewissermaßen ‚unter die Haut‘ und können demgemäß nicht ohne Weiteres abgestreift werden (vgl. Saalfeld 2018: 154). „[The] moving away from the birth-assigned sex and gender“ (Straube 2014: 32) vollzieht sich folglich als leiblich spürbare Integration des Körpers in den Leib. Bei Transgeschlechtlichkeit handelt es sich also – mit Lindemann argumentiert – um ein Phänomen, das auch und vor allem im Inneren eines Menschen erfahren wird. Dergestalt ist es nicht nur mit (leiblicher) Bewegung, sondern mit Unsichtbarkeit verknüpft. Wenn nun visuelle Medien Transgeschlechtlichkeit ästhetisch vermitteln, müssen sie über die Präsenz von Bildern (und Tönen) ein Phänomen darstellbar machen, das sich nach Lindemann einer sicht- (und hör-)baren Präsenz entzieht. Da Transgeschlechtlichkeit ein von außen nicht unmittelbar sichtbares Phänomen darstellt, kann einerseits davon ausgegangen werden, dass dessen bildliche Darstellung in besonderer Weise von Repräsentationspolitiken („politics of representation“ (Hall 1997)) regiert ist, deren Analyse Zugang zu den kollektiven Vorstellungen über (Cis-, Trans*- und Zwei-) Geschlechtlichkeit ermöglicht. Es lassen sich die Konflikte um die zweigeschlechtliche Ordnung und ihre Regularien studieren, indem die Darstellungsweisen von Transgeschlechtlichkeit in den kulturkritischen Blick genommen werden.2 Andererseits ist mit dem Kunstphilosophen Tom Holert davon auszugehen, dass der diskursive Status von etwas nominell Unsichtbarem durch Visualisierungsaktivitäten irreversibel transformiert wird (vgl. Holert 2000). Visualisierungen von Transgeschlechtlichkeit wirken demgemäß an den Prozessen der gesellschaftlichen Konstruktion der
2
Indem die Studie dezidiert von einer (auch) leiblichen Komponente von Transgeschlechtlichkeit ausgeht, versucht sie sich in ihren theoretischen Prämissen an einer Versöhnung der beiden, vor allem in den 1990er Jahren diametral entgegengesetzten Seiten feministischer Theoriebildung: den leibphänomenologisch-orientierten Feminismus mit seinem de/konstruktivistischen Antagonisten. Vgl. zur Herausbildung der und aktuell durch die Strömung des New Materialism sich wandelnden Theoriedifferenz: Stammberger 2017.
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bipolar organisierten Geschlechterordnung mit. Zudem formt die Wirkmächtigkeit des auf visueller Ebene verhandelten Transgeschlechtlichkeitsdiskurses die Materialität des Phänomens. Beide Momente sollen in der vorliegenden Studie beleuchtet werden: Der Analyse der Repräsentationspolitiken schließt sich die Frage an, welchen Stellenwert visuelle Praktiken der Sichtbarkeit hinsichtlich der Erzeugung und Transformation diskursiver Botschaften einnehmen. Forschungsstand In der Film- wie den Bildwissenschaften ist bis dato eher ein Mangel an Monographien über die Repräsentation von Transgeschlechtlichkeit zu verzeichnen, was aufgrund der seit den 1990er Jahren im Zuge der Popularisierung der Queer Studies entstandenen Bedeutungszunahme der Transgender Studies verwunderlich erscheint. Die Transgender Studies verstehen sich als Forschungsfeld, „[that] is, in many ways, an effort to account for the profound shifts in culture, society, and political economy that are indexed by transgender’s dramatic emergence and rapid dissemination more than two decades ago. It has explored a range of phenomena related to deep, pervasive, and historically significant changes in attitudes toward, and understandings of, what gender means and does in our sometimes chaotically (post)modernizing world.“ (Stryker und Aizura 2013: 3)
Die Transgender Studies nehmen dezidiert kritischen Bezug auf Formen der Wissensproduktion um das Phänomen, die auf den Diskursebenen der Medizin und der Rechtsprechung stattfanden und stattfinden (vgl. ebd.), und setzen ihnen eigene Weisen der Wissensproduktion entgegen: „[S]elf-identified trans people found new ways to enter into conversation with others about the objective and subjective conditions of gendered embodiment, rather than remaining mere objects of knowledge in the discourse of others about them, or continuing to speak in constrained autobiographical modes that, for the most part, narrated diagnostic categories from first-person perspectives.“ (Ebd.:2)
Im Bereich der Filmwissenschaft liegen derzeitig mit der Dissertation von Wibke Straube (2014) und der Dissertation von Annette Raczuhn (2018) nur zwei im deutschsprachigen Raum entstandene Studien zur Darstellung von Transgeschlechtlichkeit im zeitgenössischen Erzählfilm vor. Auf dem internationalen Feld der genderorientierten Filmforschung wurden bisher einige wenige wissenschaftliche Publikationen zum Themenkomplex veröffentlicht. John Phillips reflektiert
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in seiner 2006 veröffentlichten Dissertationsschrift Transgender on Screen mittels des theoretischen Rüstzeugs der Psychoanalyse die filmischen Repräsentationen von Crossdressing, Transvestismus, auch Transsexualität. 2009 publizierte Joelle Ruby Ryan ihre Doktorarbeit Reel Gender. Examining the Politics of Trans Images in Film and Media, in der die Autorin einen ideologiekritischen Blick auf die Nutzung transgeschlechtlich identifizierter Film- und Fernsehfiguren in Filmen und TV-Serien der 1950er Jahre bis 2007 richtet, und arbeitet den Einsatz verschiedener Stereotype heraus, den sie als Miss- und Negativrepräsentation von Transgeschlechtlichkeit bewertet. Zwei Jahre später erschienen zwei weitere Dissertationen: Während sich Eliza Steinbock in Shimmering Images. On Transgender Embodiment and Cinematic Aesthetics vornehmlich auf die Darstellung von transgeschlechtlichen Körpern im Genre des pornografischen Films fokussiert und dabei feststellt, dass jene Bilder der ‚shimmering bodies‘ stellvertretend für das diskursive, zwischen Intelligibilität und Nichtintelligibilität changierende Phänomen stehen, bettet sich Jonathan Rachel Williams’ Studie (Trans Cinema – Trans Viewers) in das Feld der Rezeptionsforschung ein. Indem Williams narrative Interviews mit einem transgeschlechtlichen Publikum durchführte, ging sie_r der Frage nach, inwiefern die Interaktion zwischen einem queeren Publikum und einem sogenannten ‚Trans Cinema‘ hinsichtlich gelingender Subkultur- und Community-Entwicklungsprozesse gestaltet sein muss. In den kunstgeschichtlich orientierten Bildwissenschaften gibt es einige wenige Studien zur Visualisierung von Transgeschlechtlichkeit. J. Jack Halberstam nimmt in seinen_ihren Arbeiten immer wieder dezidierten Bezug auf die Sichtbarmachung der Diskursfigur des transgenders im Allgemeinen und des transgeschlechtlichen Körpers im Speziellen. In In a Queer Time and Place (2005) zeigt Halberstam an einer Vielzahl von aktuellen Malereien und Fotografien, die sowohl von etablierten als auch von subkulturellen (queeren) Künstler_innen stammen, auf, wie der transgeschlechtliche Körper in der zeitgenössischen Kunst als ein „gender-ambiguous body“ (Halberstam 2005b: 107) visualisiert wird, der ein postmodernes Verständnis von Zeit- und Örtlichkeit sowie kultureller Produktion liefert (vgl. ebd.: 105). Künstlerische Arbeiten von und zu transgeschlechtlichen Menschen fokussiert auch Josch Hoenes’ Dissertation Nicht Frosch – Nicht Laborratte: Transmännlichkeiten im Bild (2014). Anhand von Fotografien der subkulturell zu verortenden Künstler_innen Del LaGrace Volcano und Loren Cameron sowie des Films BOYS DON’T CRY (USA 1999, R: Kimberly Peirce) weist er nach, dass jene Trans*männlichkeitsrepräsentationen Einspruch gegen hegemoniale Wissensformationen zu Geschlecht und Sexualität erheben. Kathrin Peters Studie Rätselbilder des Geschlechts. Körperwissen und Medialität um 1900 (2010) setzt sich mit visuellen Repräsentationen zum Geschlecht auseinander, die
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im medizinischen Diskurs zur Jahrhundertwende zirkulierten. Obwohl ihr Fokus auf fotografischen Darstellung vom ‚uneindeutigen Geschlecht‘ (‚Hermaphroditismus‘) liegt, betrachtet Peters auch medizinische Illustrationen zu den ‚Zwischenstufen des Geschlechts‘, womit zu Beginn des 20. Jahrhunderts Geschlechtsund Sexualitätsentwürfe bezeichnet wurden, die sich jenseits des Männlichen und Weiblichen bzw. des Heterosexuellen verorten, und worunter später als transgeschlechtlich bzw. transsexuell benannte Menschen subsummiert wurden. Die Verbindung zwischen der Geschichte der Medizin und ihrer Visualisierungspraktiken stellen auch die Studien von Ludmilla Jordanova (Sexual Visions: Images of Gender in Science and Medicine between the Eighteenth and Twentieth Centuries [1989]) und Lisa Cartwright (Screening the Body. Tracing Medicine’s Visual Culture [1997]) her. Beide Studien enthalten keine expliziten Hinweise auf die Diskursgeschichte der Visualisierung von Transgeschlechtlichkeit, beleuchten jedoch die Bedeutung von Visualisierungspraktiken hinsichtlich der Generierung von medizinischem Wissen über Geschlecht. Trotz des Mangels an vor allem deutschsprachigen Studien ist seit den 1990er Jahren eine verstärkte mediale Sichtbarkeit des Phänomens zu verzeichnen. Mit dem Aufkommen der filmischen Bewegung des New Queer Cinema (NQC)3 wurden beispielsweise erstmalig sich explizit als transgeschlechtlich identifizierende Filmfiguren in diegetische Verläufe aufgenommen. Transgender Filme tauchten
3
Das mittlerweile als abgeebbt geltende NQC umfasst eine Gruppe an Independent-Filmen, die im Kontext der queeren Subkultur entstanden und in den 1990er Jahren auf diversen Filmfestivals publik wurden. Diese Filme legen den narrativen Fokus dezidiert auf die Vielfältigkeit nicht-heteronormativer Lebensweisen. Nicht nur finden sich Bewegtbilder von weißen Schwulen und Lesben der Mittelklasse. Vor allem auch die eher randständigen Subjekte der queeren Community, wie queere people of color, inter*und transgeschlechtliche Menschen erhielten im NQC ihren narrativen Platz. Während Rich (1992) die große Vielfalt der Filme über einen gemeinsamen Stil (der Stil des „homosexual postmodern“) verbunden sieht, der sich durch ästhetische Formula auszeichnet, die konventionalisierte Darstellungsformen herausfordern, sind sie laut Aaron (2004) über eine gemeinsame Haltung (die der „defiance“) verknüpft, die sich sowohl auf ästhetische Konventionen als auch auf tradierte Repräsentationspolitiken bezieht. So behaupten sich Filme nach Aaron dadurch als (new) queer, indem sie beispielsweise Genregrenzen überschreiten, tradierte Schnitt- und Narrationsmuster unterlaufen und Marginalisierte auf eine Art und Weise zu Wort (und ins Bild) kommen lassen, die sich gegen die von der schwul-lesbischen Identitätspolitik anvisierte Strategie der Schaffung ‚positiver‘ Bilder richtet. Vgl. zur Entwicklung und Nutzung der positive imagery im Kontext schwul-lesbischer Identitätspolitik: Dyer 1991.
Einleitung | 17
im Zuge der Erstarkung der Transgender Bewegung als politischer und emanzipatorischer Teilbewegung der Queer Politics innerhalb des Kontexts der Populärkultur auf4. Im Jahr 2000 gewann Hilary Swank beispielsweise einen Oscar als beste Hauptdarstellerin für ihr filmisches Portrait des Trans*Manns Brandon Teena in BOYS DON’T CRY (USA 1999, R: Kimberly Peirce). Auch die preisgekrönte Netflix-Serie ORANGE IS THE NEW BLACK (USA 2013, R: Jenji Kohan) thematisiert Transgeschlechtlichkeit, hier durch die Figur der Sophia Bursett, die von der transsexuellen Schauspielerin und LGBT Aktivistin Laverne Cox gespielt wird. Die Amazon-Prime-Serie TRANSPARENT (USA 2014-2019, R: Jill Soloway) erfreut sich mit dem Portrait einer Rentnerin, die sich im hohen Alter als Trans*Frau outet, großer Beliebtheit. Mittlerweile gibt es sogar Filmfestivals, die sich eigens dem Transgender Film widmen. Auch im Bereich der Bildkünste genießt das Phänomen aktuell Prominenz. Im Jahr 2014 erregte die Fotoserie Relationship von Rhys Ernst und Zackary Drucker mediales Aufsehen bei der Whitney Biennale. Das Ausstellungsprojekt dokumentiert die gemeinsame Beziehungsgeschichte der Künstler_innen, die sich beide jeweils als transgender verstehen und geschlechtlich transitionierten, während über einen Zeitraum von sechs Jahren die autobiographischen Fotografien angefertigt wurden. Beide Künstler_innen sind Co-Produzent_innen der Serie TRANSPARENT (USA 2014, R: Jill Soloway) sowie der Emmy-nominierten Dokuserie THIS IS ME (USA 2015, R: Xan Aranda et al.). Auch auf der social media Plattform YouTube häuften sich in den letzten 20 Jahren Kanäle, die von transgeschlechtlichen Menschen betrieben wurden und den eigens durchlebten Prozess der geschlechtlichen Affirmation für ein breites Publikum dokumentieren. Im medialen Bereich sind also kulturelle Produkte entstanden, die sich auf das Leben transgeschlechtlicher Menschen konzentrieren, und Teil eines gesellschaftlichen Diskurses über die Normierung und Normativität von Geschlecht, Geschlechtsidentität und Körper sind. Es ist zu vermuten, dass diese ‚neue Sichtbarkeit‘ durch die wachsende Relevanz hervorgerufen wurde, die das Thema gesamtgesellschaftlich in den letzten Jahren erfahren hat. Halberstam begründet die zunehmende filmische Thematisie-
4
Vgl. u.a. MA VIE EN ROSE (F 1997, R: Alain Berliner), TRANSAMERICA (USA 2005, R: Duncan Tucker), EN SOAP (DK/S 2006, R: Pernille Fischer Christensen), TOMBOY (F 2011, R: Céline Sciamma), LAURENCE ANYWAYS (CDN 2010, R: Xavier Dolan), DALLAS BUYERS CLUB (USA 2013, R: Jean-Marc Vallée), THE DANISH GIRL (USA/GB 2015, R: Tom Hooper).
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rung von Geschlechtergrenzen überschreitenden Phänomenen über die sich sukzessive aufweichenden gesellschaftlichen Vorstellungen um Körper(lichkeit) und Identität: „The potentiality of the body to morph, shift, change, and become fluid is a powerful phantasy in transmodern cinema [...] [T]he body in transition indelibly marks late-twentieth-andearly-twenty-first-century visual phantasy. The phantasy of the shape-shifting and identitymorphing body has been nowhere more powerfully realized recently than in transgender film.“ (Halberstam 2005b: 76)
Sie_r geht sogar so weit zu behaupten, dass „gender ambiguity, in some sense, results from and contests the dominance of the visual within postmodernism“ (ebd.). Andere bewerten die zunehmende Sichtbarkeit eher als „spectacularization of transgender phenomena in the media“ (Stryker und Aizura 2013: 6). Es drängt sich also die Frage auf, welche ästhetischen Muster ausfindig gemacht werden können, wenn Transgeschlechtlichkeit visuell vermittelt wird, und wie der Beitrag dieser Darstellungsmuster hinsichtlich der Aktualisierung, Reproduktion aber auch Transformation des binär organisierten Geschlechterregimes zu bewerten ist. Aufbau der Arbeit Die vorliegende Studie interessiert sich für die diskursiven Funktionen von Visualität hinsichtlich der Konstruktion von Transgeschlechtlichkeit. Aus diskursanalytischer Perspektive und mit den Methoden einer Visuellen Grounded Theory ist sie dabei dem interpretativen Paradigma verpflichtet. 5 Am Beispiel von Transgeschlechtlichkeit, und ausgehend von der Diagnose einer derzeitig im kulturellen Bereich wahrnehmbaren verstärkten Sichtbarkeit des Phänomens, gilt es herauszuarbeiten, wie der Nexus von visuellen Transgeschlechterrepräsentationen und diskursiven Deutungsweisen gestaltet ist, womit ganz wesentlich auch die Frage nach dem Stellenwert von ästhetischen/künstlerischen Strukturen an der Reproduktion wie Transformation von Diskursstrukturen virulent wird. Das konkrete Forschungsziel besteht in der Rekonstruktion von ästhetischen Möglichkeiten und Strategien der Visualisierung von Transgeschlechtlichkeit, anhand derer die in
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Zur Explikation der gewählten Forschungsperspektive und des methodischen Vorgehens: vgl. das Kapitel 2. Zur Untersuchung von Sichtbarkeiten: Bilder von Transgeschlechtlichkeit interpretieren in dieser Arbeit.
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ihnen eingeschriebenen Sinn- und Deutungsmuster dokumentiert und problematisiert werden sollen. Die Arbeit untergliedert sich zur Beantwortung dieser Forschungsanliegen in drei Bestandteile: Das erste – theoretische – Kapitel, das gleichsam im Sinne des von der Grounded Theory Forschungstradition (vgl. Strauss und Corbin 1996) vorgeschlagenen Prozesses der theoretischen Sensibilität den Weg für die anschließenden Bild- und Filmanalysen bereitet und begleitet, widmet sich der Problematik von Sicht- und Unsichtbarkeit, die nicht nur konstitutiv für visuelle Repräsentationen und diskursive Prozesse ist, sondern auch im Erleben von transgeschlechtlichen Menschen eine wesentliche Rolle spielt. Michel Foucault war einer der ersten Denker, für den das Visuelle nicht nur als ein Bereich fungierte, der gesehen wurde, sondern vor allem eine Manifestation dessen darstellt, was gesehen werden konnte, was offensichtlich, ersichtlich und sichtbar ist. Oder wie der Philosoph und Kunsthistoriker John Rajchman in Rekurs auf Foucault feststellt: „In dem, was wir sehen können, liegt viel mehr Regelmaß, viel mehr Zwang, als wir annehmen“ (Rajchman 2000: 42). Bereits 1963 hat Foucault mit seiner Studie Die Geburt der Klinik (1988 [1963] eine kritische Betrachtung der Entwicklung und Veränderung medizinischen Wissens vorgelegt, in der er am Beispiel des ärztlichen Blicks deutlich macht, dass Sichtbarkeit eng mit Verhältnissen von Macht und Wissen verquickt ist. Für Foucault gibt es kein Wissen, das nicht Manifestation oder Voraussetzung einer sich entfaltenden Macht wäre, genauso wie für ihn kein auf Wissen basierendes Wahrheitsmodell existiert, das nicht auf eine bestimmte Form von Macht verwiese, und alles „Wissen [und jede Wahrheit, Anm. R.K.S.] geht von einem Sichtbaren zu einem Sagbaren und umgekehrt“ (Deleuze 2015 [1992]: 59). Macht ist für Foucault die Ursache (und auch die Wirkung) von Wissen, das das Sichtbare mit dem Sagbaren verknüpft, und diskursive Botschaften strukturiert. Im ersten Kapitel wird dieser Zusammenhang von Sehen, Sichtbarkeit und Diskurs theoretisch gefasst durch eine Re-Lektüre von Foucaults Schriften. Im zweiten Kapitel zeichne ich mein methodisches Vorgehen nach. Ganz zentral geht es mir darum, zu begründen, wie medial vermittelte Formen der Sichtbarkeit von Transgeschlechtlichkeit gegenstandsangemessen analysiert werden können. Dabei gilt es dem Umstand Rechnung zu tragen, dass visuelle Medien wesentliche „Element[e] der Repräsentationsordnung einer Gesellschaft“ (Mai und Winter 2006: 10) und damit wesentliche Elemente der Repräsentationsordnung des Geschlechts darstellen, die einerseits gesellschaftliche Werte und Meinungen über Geschlechtlichkeit zum Ausdruck bringen, während sie jene Ansichten und Deutungen andererseits ästhetisch vermitteln und reflektieren. (Bewegt-)Bilder sind folglich nicht nur als Medien zu verstehen, die diskursiv zirkulierende Deutungsmuster über Transgeschlechtlichkeit abbilden. Indem sie als Kunstwerke mit
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ästhetischen Parametern, Strukturen und Konventionen experimentieren, wohnt ihnen hinsichtlich der Vermittlung diskursiver Sinnmuster auch ein eigensinniges Potential inne, das – so die Prämisse der Studie – im Stande ist, diskursive Verschiebungen zu erzielen. Dass dieses Potential angenommen wird, bedeutet nicht, dass von einer Hegemonie des Visuellen, d.h. einer „Übermacht der [Bewegt-]Bilder“ (Schaffer 2008a: 45f.) in einer vollständig vom Visuellen regierten Kultur der Gegenwart ausgegangen wird, so wie sie beispielsweise von Marshall McLuhan, Jean Baudrillard oder Vilém Flusser behauptet wird. Tom Holert (2000) diskutiert diesen im Zuge des ausgerufenen pictorial turn debattierten, veränderten epistemologischen Status von Bildlichkeit in der sogenannten ‚Bildergesellschaft‘ kritisch, und plädiert hinsichtlich der Analyse von verschiedenen Formen von Visualität und Sichtbarkeit für eine im Anschluss an Reflektionen von Foucault informierte Repräsentationskritik. Sichtbarkeit müsse auf ihre gesellschaftlichen und epistemologischen Möglichkeitsbedingungen, d.h. auf das Verhältnis von Wissen und Macht, hin untersucht werden (vgl. Holert 2000: 20). Das Forschungsfeld der visual culture bildet einen Kontext an Ansätzen, in dem kulturelle Phänomene als Effekte der Verwobenheit von Macht und Wissen betrachtet werden. 6 (Bewegt-)Bilder über Transgeschlechtlichkeit zählen zu solch kulturellen Phänomenen. Sie stellen einen wichtigen Bereich der Bedeutungsproduktion um das System der Zweigeschlechtlichkeit dar. Sie werden in dieser Studie folglich in den Blick genommen als diskursive Ereignisse im Diskurs. In dieser Studie übersetzt sich der von Holert (2000) vorgeschlagene repräsentationskritische Anspruch gleichsam in das Vorhaben, die Entwicklung, Wandlung und Etablierung eines Bilderrepertoires, eines sogenannten visuellen Archivs, zum Phänomen der Transgeschlechtlichkeit in Zusammenhang zu seiner diskursiven Genese zu bringen. Dieses Vorhaben realisiere ich durch ein vor dem Hintergrund einer diskursanalytischen Forschungsperspektive angewandtes methodisches Programm, das ich als Visuelle Grounded Theory bezeichne. Es ermöglicht nicht nur, der verschiedenen visuellen Formate (insbesondere dem Einzel- und Bewegtbild) Rechnung zu tragen, es befähigte mich vor allem durch den offenen und zirkulär organisierten Forschungsstil der Grounded Theory, die verschiedenen visuellen Dimensionen
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Die meisten Publikationen des sich vor allem in den 1990er Jahren herausbildenden Forschungsfeldes stammen aus dem angloamerikanischen Umfeld. Diese Impulse aufnehmend sind seither auch einige deutschsprachige Veröffentlichungen zu verzeichnen. Vgl. beispielhaft für den englischsprachigen Kontext: Bryson et al. 1994; Mirzoeff 1998; Evans und Hall 1999. Vgl. beispielhaft für das deutschsprachige Umfeld: Kleinspehn 1991; Schaffer 2008a; Helbig 2014.
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von diskursiven Ereignissen herauszuschälen. Ein möglichst offen gestalteter Forschungsprozess war notwendig, schließlich ging es mir um die Analyse einer großen Bandbreite von visuellen Dokumenten: Einerseits war es für mich zentral, herauszuarbeiten, wie Transgeschlechtlichkeit überhaupt bildfähig wurde. Dafür war die Beschäftigung mit medizinischen Sichtbarkeitsformen unerlässlich. Andererseits ging es mir um weitere (auch alternative) Formen von Sichtbarkeit, weshalb ich mich mit visuellen Dokumenten auf subkultureller Diskursebene und auf Ebene der Populärkultur beschäftigte. Im dritten Kapitel wird die Genese von Transgeschlechtlichkeit als sichtbares medizinisches Phänomen nachgezeichnet. Die Rekonstruktion solch einer visuellen (medizinischen) Diskursgeschichte der Transgeschlechtlichkeit geschieht anhand der Analyse zentraler diskursiver Ereignisse, zu denen auch der Transgeschlechtlichkeit vorläufige Konzepte, wie das des ‚Hermaphroditismus‘ (3.1) oder das des gleichgeschlechtlichen Begehrens (3.2) gehören. Die auf medizinischer Ebene rekonstruierbare Diskursgeschichte lässt sich gleichsam als Viskursgeschichte der Transgeschlechtlichkeit beschreiben. Knorr Cetina (2011) verwendet den Begriff des Viskurses in Analogie zum Diskursbegriff. Sie führte ihn ein, um zu verdeutlichen, dass visuelle Logiken vor allem im Bereich der naturwissenschaftlichen Forschung eine zentrale Rolle bei der Konstituierung legitimen Wissens spielen. Hinsichtlich der diskursiven Genese der medizinischen Diagnose(n) um Transgeschlechtlichkeit lässt sich zeigen, wie visuelle Darstellungsformen – beispielsweise der Einsatz medizinischer Abbildungen zu Genitalien und die Nutzung spezifischer medizinischer Sichtbarkeitsverfahren – wesentlich zur Ordnung des Wissenschaftsgebietes der Sexualwissenschaft beitrugen. Wie sich herausstellen wird, konstruiert die Sexualwissenschaft Transgeschlechtlichkeit als abnormales Phänomen, das über die Bearbeitung des Körpers normalisiert wird. Damit einher geht eine klinische Sichtbarkeit, die den ärztlichen Blick gegenüber dem Betroffenenkörper privilegiert. Besonderes Augenmerk liegt in dem Kapitel auf den Abbildungen, die von Magnus Hirschfeld in den sexualwissenschaftlichen Diskurs eingebracht wurden (3.3), weil Hirschfeld der erste Sexologe war, der dezidiert mit visuellen Dokumenten arbeitete. Obwohl mit der Etablierung des transsexuellen Phänomens als eigenständige psychiatrische Diagnose (3.4) dessen Visualisierung abnahm, lassen sich anhand des eingeführten Behandlungsprogramms dennoch diskursive Strukturen ableiten, die mit dem Verhältnis von Sicht- bzw. Unsichtbarkeit in Zusammenhang stehen. Ziel des Behandlungsmanagements war und ist eine Normalisierung des Geschlechts, die mit der Herstellung eines ‚echt‘ aussehenden GeschlechtsKörpers einhergeht. Eine Renaissance der medizinischen Visualität von Transgeschlechtlichkeit wird derzeitig im Feld der
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Neuroanatomie erlebt. Die Visualisierungen des Gehirns dokumentieren einen binären Blick auf Geschlechtlichkeit, der Transsexualität visuell (und damit auch diskursiv) als Abweichung und Pathologie markiert. Diese ‚neueren‘ Entwicklung werden unter 3.5 zusammengetragen. Das vierte Kapitel schließt direkt an das erste an, insofern als dass der Befund der durch die Medizin stattfindenden Normalisierung und Vereindeutigung des Körpers zum Anlass genommen wird, um über alternative Sichtbarkeitsformen zu reflektieren, wie sie auf YouTube, in Fotografien von Betroffenen und in Kunstprojekten realisiert werden. Ich arbeite heraus, dass die subkulturelle Ebene dezidiert daran interessiert ist, den ‚Stimmen‘ (und Blicken) von transgeschlechtlichen Menschen Raum zu geben (4.1). Dieser Anspruch manifestiert sich auch in den Sichtbarkeitspraktiken. Besonders augenfällig ist an den auf subkultureller Ebene verorteten visuellen Dokumenten die Beschäftigung mit dem transgeschlechtlichen Körper. Die Dokumente scheinen in ihren Sujets an das auf medizinischer Ebene etablierte visuelle Archiv an Nackt- und Genitalaufnahmen anzuknüpfen. Während die Sichtbarkeitspolitiken auf medizinischer/sexualwissenschaftlicher Diskursebene allerdings auf der Tendenz der Objektivierung und VerAnderung bei anschließender Vereindeutigung der Betroffenen(-körper) beruhen, so kommt es auf subkultureller Ebene zur Umschreibung exhibitionistischer Qualitäten. Der transgeschlechtliche Körper wird visuell aufgefächert. Diese Vervielfältigung der visuellen Entwürfe des Körpers wird hier typisiert. Ausgehend von YouTube-Kanälen, die von transgeschlechtlichen Menschen betrieben werden, dokumentiere ich zuerst den visuellen Entwurf des modifizierten transgeschlechtlichen Körpers (4.2). Hier wird der geschlechtlich codierte Körper im Prozess der Affirmation (Transition) zu sehen gegeben, der sich sowohl auf hegemoniale Geschlechter-, Körper- und Schönheitsnormen bezieht, als auch gegen jene richtet. Dann stelle ich, ausgehend von den YouTube-Kanälen und der Bildreihe Relationship (2016) von Rhys Ernst und Zackary Drucker, den visuellen Entwurf des versehrten transgeschlechtlichen Körpers vor (4.3), bei dem die Spuren des chirurgischen Blicks durch das Sichtbarmachen von Narben, Wunden und Hämatomen dokumentiert werden, womit er einen Gegenentwurf zum schönen und gesunden Körper bildet. Anschließend beschreibe ich vor dem Hintergrund der Fotoreihe TransGenital Landscapes (1996) des Künstlers Del LaGrace Volcano den visuellen Entwurf des hypersichtbaren GeschlechtsKörpers (4.4). Die Fotografien liefern eine Kritik an der Tradition der sexualwissenschaftlichen Fotografie. Übergroße Genitalien, die sich als fast schon haptisch spürbare Landschaften präsentieren, unterlaufen übliche Wahrnehmungskonventionen hinsichtlich des Geschlechts. Schließlich stelle ich den visuellen Entwurf des androgynen Körpers vor (4.5), den ich in dem Bild-
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band von Rhys Ernst und Zackary Drucker entdecke. Das Kapitel schließt mit Reflexionen zum Verhältnis der jeweiligen auf medizinischer und subkultureller Diskursebene eingesetzten Visualisierungsweisen des transgeschlechtlichen Körpers ab und verbindet dieses mit dem von Butler und Athanasiou (2014) vorgelegten Konzept der Ent- bzw. Aneignung (4.6). Die aktuelle Sichtbarwerdung von Trans*Personen zeigt sich wohl am stärksten im filmischen Bereich. In einem aktuellen Artikel des Berliner Stadtmagazins Siegessäule heißt es: „[Q]ueere Filme ha[b]en nicht nur einen festen Platz in den Arthouse-, sondern auch in den Multiplex-Kinos [...] Queere Figuren, wohin man schaut, mehr noch: ihre Sexualität und ihre Identität sind sichtbar, ohne zum Selbstzweck zu werden“ (Schock 2019: 25, 27). Das fünfte Kapitel widmet sich fünf Langspielfilmen, bei denen eine Trans*Figur im Zentrum der Handlung steht. Während die Filme zunächst in einen filmhistorischen Kontext eingeordnet werden (5.1), skizziere ich das dramaturgische Modell, an denen die Transgender Filme hinsichtlich ihrer Erzählweise orientiert sind (5.2). Es wird sich zeigen, dass die Spielfilme die Trans*Figur als zentrale Protagonist_in einsetzen, die im Laufe der narrativen Entwicklungen zunehmend vereinzelt wird. Sie unterscheiden sich allerdings in Bezug auf die spezifische Figurencharakterisierung. Während BOYS DON’T CRY (USA 1999, R: Kimberly Peirce), TRANSAMERICA (USA 2005, R: Duncan Tucker) und THE DANISH GIRL (USA/GB 2015, R: Tom Hooper) Trans*Figuren präsentieren, die dem transsexuellen Typus, wie er innerhalb der Medizin konstruiert wird, ähneln, liefern MA VIE EN ROSE (F 1997, R: Alain Berliner) und TOMBOY (F 2011, R: Céline Sciamma) Beispiele für transgeschlechtliche Figuren, die sich ambivalent gegenüber ‚klassischen Trans*-Narrativen‘ und gegenüber konventionellen Weiblich- und Männlichkeitsvorstellungen präsentieren. Das alle Filme einende narrative Moment der Vereinzelung dokumentiert sich auch ‚im Kleinen‘, d.h. auf visueller Ebene. Anhand einiger visueller Parameter (Bildaufbau, Kadrage, Bildmotivik, Mise-en-scène) beschreibe ich eine Körperästhetik der Begrenzung (5.3), die den Körper der Trans*Figuren im Kader fixiert und exponiert. Er fungiert als hypersichtbares Element eines regelrechten visuellen Spektakels. Gleichwohl lassen sich dabei geschlechtersubversive Momente ausmachen. Einige der Filme versuchen sich an der filmischen Vermittlung einer subjektiven, transgeschlechtlichen Erfahrensperspektive. Diese filmischen Momente und Szenen betrachte ich im Unterkapitel 5.4 genauer und arbeite heraus, dass sie eine Kritik nicht nur an der Verfasstheit der heteronormativen Zweigeschlechterordnung, die den diegetischen Welten zugrunde liegt, liefert, sondern auch filmästhetische Konventionen zugunsten einer trans*sensiblen Perspektivierung umarbeitet.
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Im Schlussteil sind die zentralen Folgerungen aus den visuellen Analysen dokumentiert. Die Studie beschreibt die verschiedenartigen Prozesse der Visualisierung eines Phänomens, das sich genuin (s)einer Sichtbarkeit entzieht. Daran schließen sich Überlegungen für zukünftige Forschungen im Bereich der visuellorientierten Transgender Studies an. Es werden erste Vorschläge und Ideen für eine in Zukunft weiter zu realisierende anerkennende Sichtbarkeit geäußert. Sprachliche und begriffliche Entscheidungen Gender_Gap, Gender Sternchen und das Generische Maskulinum Um auch durch mein Sprachhandeln7 meinem Forschungsgegenstand gerecht zu werden, bemühe ich mich um eine möglichst geschlechterinklusive Schreibweise, indem ich den Unterstrich (gender_gap) verwende, der den Raum zwischen den Geschlechtern öffnen soll. Die Leerstelle (der _gap) symbolisiert vielfältige geschlechtliche Möglichkeiten und Spielräume der geschlechtlichen Gestaltung und Verortung. Bei Substantiven nutze ich den statischen Unterstrich, um, trotz des Anspruchs der Weitung geschlechtlicher Möglichkeiten, auf die gesellschaftlich etablierte zweigeschlechtliche Logik hinzuweisen, die die Konstitution des Phänomens der Transgeschlechtlichkeit mitbestimmt (vgl. Hornscheidt 2012: 304). Bei vergeschlechtlichten Pronomina und Artikeln verwende ich statt des statischen Unterstrichs den dynamischen Unterstrich, um leseunfreundliche Wiederholungen, wie der_die, er_sie, zu vermeiden. Der dynamische Unterstrich verweist also nicht nur kritisch auf die gesellschaftlich verankerte Logik des ZweiGenderings, er bringt vor allem die Vorstellung, dass es nur Frauen und Männer gäbe, in Bewegung. Beim dynamischen Unterstrich gibt es keinen festen Ort, an dem der Unterstrich eingesetzt wird. Formen, wie „si_er“ oder „eine_r“, sind genauso legitim wie „sie_r“ bzw. „ein_er“. Dieses „Wandern des Unterstrichs“ (AG Feministisch Sprachhandeln 2014: 18) macht kenntlich, dass es keine feste Stelle gibt, an der sich der Bruch mit der Logik des Zwei-Genderings vollzieht. An einigen Stellen verwende ich zudem das Gender Sternchen (*), um auf die Vielfältigkeit von Positionierungen hinzuweisen. Das Sternchen ist der Informatik entlehnt und dient als unspezifischer Platzhalter. So verweist „trans*“ beispielsweise auf
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Unter Sprachhandeln verstehe ich die Tatsache, dass der Gebrauch von Sprache nicht darauf abzielt, auf neutrale Art und Weise Informationen zu vermitteln. Vielmehr gehe ich davon aus, dass über das Benutzen bestimmter Begrifflichkeiten soziale Wirklichkeit geschaffen wird. Sprache ist also immer als konkrete Handlung zu verstehen (Vgl. AG Feministisch Sprachhandeln 2014: 6ff.).
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vielfältige Verortungen, wie transgeschlechtlich, transgender, transsexuell, transident, etc. Im Kapitel zur medizinischen Diskursebene nutze ich zur Bezeichnung des ärztlichen Personals allerdings das generische Maskulinum, um nicht die Tatsache zu verschleiern, dass es sich bei den Medizinern primär um cisgeschlechtliche Männer handelte. Das generische Maskulinum macht an der Stelle auch auf das zwischen Ärzten und Patient_innen bestehende Machtverhältnis aufmerksam. Transgeschlechtlichkeit Die im Jahre 2015 vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend veröffentlichte Studie Geschlechtliche Vielfalt. Begrifflichkeiten, Definitionen und disziplinäre Zugänge zur Trans- und Intergeschlechtlichkeit weist darauf hin, dass in den unterschiedlichen wissenschaftlichen Disziplinen mit diversen Definitionen und Begrifflichkeiten hinsichtlich des Phänomens gearbeitet wird. Obwohl keine allgemeingültige, Disziplinen übergreifende Definition bestehe, ist in der Studie die folgende Definition als größter gemeinsamer Nenner der Auseinandersetzung vermerkt: „Trans*Menschen [...] ist gemein, dass sie sich in ihrem bei Geburt zugewiesenen Geschlecht nicht, zeitweise nicht oder teilweise nicht zuordnen wollen und/oder können bzw. den Rollenerwartungen, die an ihr bei Geburt zugewiesenes Geschlecht herangetragen werden, nicht entsprechen können und/oder wollen.“ (Sauer 2015: 118)
Transgeschlechtlichkeit bezeichnet folglich Menschen, bei denen keine (vollständige) Kongruenz zwischen dem bei Geburt zugewiesenen und gelebtem und/oder gefühltem Geschlecht vorliegt (vgl. Saalfeld 2017: 267). Es handelt sich um einen Oberbegriff, der möglichst weit gefasst ist. Di_er Kulturwissenschaftler_in J. Jack Halberstam, di_er als eine_r der federführenden Figuren im Bereich der Transgender Studies gilt, definiert Transgeschlechtlichkeit wie folgt: „Transgender is for the most part a vernacular term developed within gender communities to account for the cross-identification experiences of people who may not accept all of the protocols and structures of transsexuality. Such people understand cross-identification as a crucial part of their gendered self, but they may pick and choose among the options of body modification, social representation, and legal recognition available to them [...] The term transgender in this context refuses the stability that the term transsexual may offer to some folks, and it embraces more hybrid possibilities for embodiment and identification. “ (Halberstam 2005b: 53)
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Beide Definitionen umgehen die problematischen Implikationen, die eine sonst so übliche Differenzierung in ‚transgender‘ und ‚transsexuell‘ nahelegt. In dieser Unterscheidung werden meist all jene als ‚transgender‘ bezeichnet, die keine medizinischen Interventionen an ihrem Körper vorsehen, während Menschen, die im Laufe ihrer Geschlechtsaffirmation eine Hormontherapie beginnen und/oder sich chirurgischen Eingriffen unterziehen, als transsexuell klassifiziert werden. Um der Definitionsmacht der Medizin entgegenzutreten, lehne ich hier die Differenzierung in transgender vs. transsexuell ab, und folge damit der Bewertung Susan Strykers, die feststellt, dass es sich bei dem Begriff transgender um „the term of choice“ (Stryker 2006: 3) handele „for a wide range of phenomena that call attention to the fact that ‚gender‘, as it is lived, embodied, experienced, performed, and encountered, is more complex and varied than can be accounted for by the currently dominant sex/gender ideology of Eurocentric modernity“ (ebd.). Beide Positionen, die des ‚transgenders‘ wie die des ‚Transsexuellen‘, können sich überlappen, überkreuzen und/oder gelegentlich voneinander abgrenzen. Gerade dadurch entsteht die Vielfalt des Phänomens. Eine Trennung zwischen beiden Positionen aufrecht zu erhalten, käme der Konsolidierung der Geschichte der Transsexualität als Gegenstand der dominanten medizinischen Praxis gleich (vgl. Halberstam 1998: 171, Williams 2011: 39, Straube 2014: 31). Transgeschlechtlichkeit impliziert also ein sehr bewegtes und bewegliches Konzept, das in seinen vielfältigen Ausdrucksformen und den diversen selbstgewählten Identitätspositionen dadurch gekennzeichnet ist, dass sich Betroffene von ihrem bei Geburt zugeordneten Geschlecht ‚wegbewegen‘ (vgl. Enke 2012: 5). Transgeschlechtlichkeit bezeichnet folglich keine statische Kategorie, sondern verweist vielmehr auf das Moment der Bewegung, nicht nur im Sinne einer Grenzüberschreitung, die die Idee einer auf Binaritäten beruhenden Bewegung impliziert (eine Bewegung von einer Seite auf die gegenüberliegende), sondern auch und vor allem im Sinne einer ‚queeren Bewegung‘, d.h.: „[t]rans is not only a doing but also a movement, and this relates to [...] trans as a moving away from the birth-assigned sex and gender [...] Trans as an ‚away from‘ is a queering phenomenon and not a point in time that leads to coherence“ (Straube 2014: 32). Transgeschlechtlichkeit wird also verstanden als ein vielfältiges Konzept, „that refers to all identities or practices that cross over, cut across, move between or otherwise queer socially constructed sex/gender boundaries“ (Stryker 1994: 251). Vor allem im Kapitel zur medizinischen Diskursebene verwende ich mitunter Begrifflichkeiten, die mittlerweile unüblich und überholt sind, aber aus historischer Sicht die korrekten Benennungen von Phänomenen darstellen, so z.B. ‚Zwittertum‘, ‚Hermaphroditismus‘, ‚Inversion‘, ‚Zwischen- und Conträrgeschlecht-
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lichkeit‘, ‚Geschlechtswechsel‘, ‚Transvestismus‘, etc. Ich setze die Termini bewusst in einfache Anführungszeichen, um kenntlich zu machen, dass es sich zwar um die je historisch korrekten Bezeichnungen handelt, ich aber in Distanz zu ihnen trete. Geschlechtlichkeit An manchen Stellen spreche ich von Geschlecht, an anderen von Geschlechtlichkeit. Den Begriff Geschlechtlichkeit verwende ich dann, wenn ich deutlich machen will, dass Geschlecht nicht in einer Binarität bzw. der Dichotomie von Frau/Mann aufgeht, sondern sich als Konzept präsentiert, das vielfältige, jenseits der Binarität und/oder zwischen der Dichotomie verortete Positionen und Positionierungen beinhaltet. Wenn ich den Begriff Geschlecht verwende, verweise ich also auf die soziale Kategorie Geschlecht, die historisch und gesellschaftlich gewachsen und binär sowie dichotom organisiert ist. Geschlechtsaffirmation und Transition Einige Trans*Personen bedienen sich medizinischer Interventionen (Hormoneinnahme, chirurgische Maßnahmen, etc.), um ihre Geschlechtlichkeit zu leben und sich in ihrem Körper wohl(er) zu fühlen. Andere lehnen das für sich ab, aber bemühen sich häufig ebenso, z.B. durch das Kaschieren oder Hinzufügen bestimmter körperlicher Merkmale, um ein der geschlechtlichen Verortung entsprechendes Auftreten. Die Phase, in der eine Trans*Person sich von ihrer bei Geburt zugewiesenen geschlechtlichen Position ‚wegbewegt‘, wird häufig als Transition bezeichnet. Im medizinischen Bereich wird diese Phase auch als ‚Geschlechtsangleichung‘ bezeichnet. Ich wähle in dieser Arbeit stattdessen den Begriff der Geschlechtsaffirmation, um deutlich zu machen, dass Betroffene sich nicht an ein Geschlecht (bzw. an eine Vorstellung eines intelligiblen Geschlechts) angleichen, sondern ihre Geschlechtlichkeit gleichsam bejahen und bekräftigen. Der Begriff der Geschlechtsaffirmation betont also das emanzipatorische Potenzial der Transitionsphase. GeschlechtsKörper Der Begriff des GeschlechtsKörpers verweist auf den Umstand, dass der Körper als vergeschlechtlicht zu betrachten ist. Der Körper hängt dezidiert mit der gesellschaftlichen Konstruktion des Geschlechts zusammen, und vice versa. Die besondere Schreibweise betont, dass beide Aspekte des Wortes Relevanz besitzen und Aufmerksamkeit verdienen. Obwohl also der Körper als vergeschlechtlichter zu verstehen ist, gilt es, ihn als eigenständige soziologische Kategorie zu betrachten,
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die über Geschlecht hinausweist, genauso wie sich Geschlecht nicht auf den Körper reduzieren lässt (vgl. Gregor 2015: 18).
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Vorbemerkungen zum Zusammenhang von Sichtbarkeit, Diskurs und Geschlecht
1.1 ZUM VERHÄLTNIS VON (UN-)SICHTBARKEIT VON GESCHLECHT UND TRANSGESCHLECHTLICHKEIT Westliche Gesellschaften sind zweigeschlechtlich (und heteronormativ) strukturiert, wobei Geschlecht und gesellschaftliche Struktur derart tiefgreifend miteinander verwoben sind, dass das System der heteronormativen Zweigeschlechtlichkeit zur „Naturtatsache“ (Moser 2010: 81) wird. Für die meisten Mitglieder einer Gesellschaft bleibt es eine unhinterfragte Prämisse und selbstverständlich, dass sie entweder Frauen oder Männer sind, dass sie für ihr Geschlecht nichts können, weil es scheinbar biologisch gegeben ist und dass ihr Geschlecht ein Leben lang bestehen bleibt (vgl. ebd., Wobbe 2005: 460, Heintz 1993: 26). Das System der Zweigeschlechtlichkeit bleibt damit weitestgehend unsichtbar, auch wenn es innerhalb der gesellschaftlichen Ordnung eines der relevantesten Strukturprinzipien ist. Transgeschlechtlichkeit steht im Gegensatz zur alltagsweltlichen Selbstverständlichkeit, dass es von Natur aus nur zwei Geschlechter gebe und dass die Geschlechtszugehörigkeit am Körper eindeutig ablesbar, angeboren und unveränderlich sei. Transgeschlechtlichkeit ist dabei als Abweichung von der Zweigeschlechterordnung markiert, die mit Sichtbarkeit einhergeht. Aus sozialkonstruktivistischer Sicht entsteht die naturalisierte Geschlechterordnung durch soziale Interaktionen. In Alltagshandlungen wird das hergestellt, was subjektiv wie kollektiv als männlich bzw. weiblich gilt. Die jeweilige Darstellung von Geschlecht folgt dabei normativen Prinzipien. Während Goffman (1994) und Berger/Luckmann (1969) noch von einer der sozialen Dimension vorausgehenden biologischen Basis des Geschlechts ausgingen, lieferten ethnomethodologische, unter dem Konzept des doing gender verschlagwortete Ansätze den Nachweis dafür, dass Geschlecht nicht (nur) die Voraussetzung von Handlung (und Interaktion) sei, sondern vielmehr deren Ergebnis darstellt. Geschlecht wird
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als Effekt von sozialen Prozessen betrachtet, „in denen Geschlecht als sozial folgenreiche Unterscheidung hervorgebracht und reproduziert wird“ (Gildemeister 2010: 137). In ihrer wegweisenden Studie zur sozialen Konstruktion von Geschlecht fanden West und Zimmerman (1987) am Beispiel von Transsexualität heraus, dass die Geschlechtszugehörigkeit und die Geschlechtsidentität als ein fortwährender Herstellungsprozess zu betrachten ist, der mit jeder Tätigkeit vollzogen wird: „Das Herstellen von Geschlecht (doing gender) umfasst eine gebündelte Vielfalt sozial gesteuerter Tätigkeiten auf der Ebene der Wahrnehmung, der Interaktion und der Alltagspolitik, welche bestimmte Handlungen mit der Bedeutung versehen, Ausdruck weiblicher oder männlicher ‚Natur‘ zu sein. Wenn wir das Geschlecht (gender) als eine Leistung ansehen, als ein erworbenes Merkmal des Handelns in sozialen Situationen, wendet sich unsere Aufmerksamkeit von Faktoren ab, die im Individuum verankert sind, und konzentriert sich auf interaktive und letztlich institutionelle Bereiche. In gewissem Sinne sind es die Individuen, die das Geschlecht hervorbringen. Aber es ist ein Tun, das in der sozialen Situation verankert ist und das in der virtuellen oder realen Gegenwart anderer vollzogen wird, von denen wir annehmen, dass sie sich daran orientieren. Wir betrachten das Geschlecht weniger als Eigenschaft von Individuen, sondern vielmehr als ein Element, das in sozialen Situationen entsteht: Es ist sowohl das Ergebnis wie auch die Rechtfertigung verschiedener sozialer Arrangements sowie ein Mittel, eine der grundlegenden Teilungen der Gesellschaft zu legitimieren.“ (West und Zimmerman 1987: 14, deutsche Übersetzung entnommen aus: Gildemeister/Wetterer 1992: 237)
Geschlecht wird für sich selbst und für andere hergestellt, wobei die beiden gültigen Geschlechter in einem „fortwährende[n] Sortierungsvorgang“ (Goffman 1994: 109) nicht nur sozial konstruiert und voneinander getrennt, sondern auch unterschiedlich sozialisiert und gesellschaftlich unterschiedlich behandelt werden. Im Handeln sedimentiert sich Geschlecht als „biologische Tatsache“ (Berger und Luckmann 1969: 147), wenngleich Geschlecht ebenso als handlungsstrukturierender Code fungiert. Dadurch stellt die „‚Natur der Zweigeschlechtlichkeit‘ eine soziale Konstruktion dar, ein generatives Muster zur Herstellung sozialer Ordnung“ (Gildemeister und Wetterer 1992: 230, Hervorh. i.O.). Der Körper spielt in diesem Zusammenhang eine entscheidende Rolle. „Den Körper haben wir immer dabei“, stellt Goffman (1994: 152) fest und verweist damit nicht nur auf den Umstand, dass Interaktionsgegenüber sinnlich wahrgenommen, geschlechtlich identifiziert und dementsprechend behandelt werden. Wir nehmen auch uns selbst leiblich und als Geschlecht wahr (vgl. Jäger 2004, Lindemann 1993). Interaktion entsteht immer dann, wenn Personen physisch, d.h.
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körperlich wie leiblich, präsent sind, sich wechselseitig wahrnehmen und ihr Handeln aufeinander beziehen (können). Dabei wird Geschlecht stets relevant. Es strukturiert die Interaktion (vgl. Goffman 1994), indem es gleichsam einen „Zwang zur kategorialen und individuellen Identifikation der Interaktionsteilnehmer“ (Gildemeister 2010: 133) gibt, der (auch) die Zuweisung der Geschlechtszugehörigkeit betrifft. Dass eine Person in eine der beiden gültigen Geschlechtskategorien eingeordnet wird, scheint eine grundlegende Gegebenheit zu sein (vgl. Hirschauer 1994). West und Zimmerman (1987) bezeichnen die soziale Zuordnung zu einem Geschlecht als Identifikation der sex category, die sich auf Grundlage „der sozial geforderten Darstellung einer erkennbaren Zugehörigkeit zur einen oder anderen Kategorie“ (Gildemeister 2010: 133, Hervorh. R.K.S.) vollzieht. Im Alltag basiert das Wissen um Zweigeschlechtlichkeit also nicht auf der Physiologie, der scheinbaren ‚Natur‘ bzw. ‚Biologie‘ des Körpers, sondern auf den Darstellungsweisen und Interpretationen dieser Darstellungen (vgl. Garfinkel 1967). Wie Kessler und McKenna (1978) herausarbeiteten, sind es vor allem körperlich sichtbare Merkmale, wie Kleidung, Frisur, Mimik und Gestik, aufgrund derer eine Geschlechtsattribution geschieht. Auf Basis dieser Zuschreibung wird angenommen, dass bestimmte genitale Merkmale existieren. Ist die Geschlechtszuschreibung einmal vollzogen, bleibt sie schließlich relativ stabil: „[O]nce people decide what you are, they interpret everything you do in light of that“ (West und Zimmerman 1987: 6). Der Körper fungiert also sowohl als sichtbare Ausdrucksfläche, als auch als sichtbares Erkennungsmerkmal von Geschlecht. Wesentlich beteiligt an der Aufrechterhaltung einer zweigeschlechtlichen Ordnung ist der Körper überdies durch die Praxis des Sehens: Die Wahrnehmung von Personen und ihre daran schließende Klassifikation als vergeschlechtlichte_r Interaktionspartner_innen geschieht durch die Brille der Zweigeschlechtlichkeit. Bei diesem Wahrnehmungsschema, auf Basis derer Personen geschlechtlich ‚eingelesen‘ werden, handelt es sich um die Inkorporierung zweigeschlechtlicher sozialer Strukturen, d.h. um einen Teil des Habitus (vgl. Bourdieu 1982 [1979]). Die Praxisform des Sehens beschreibt folglich nicht eine rein physikalische Operation, sondern ist als kulturelle Form des Handelns zu verstehen, die zum einen Ausdruck und zum anderen generatives Erzeugungsprinzip zweigeschlechtlicher Grundstrukturen ist. Aus konstruktivistischer Perspektive ist das Geschlecht also stets omnirelevant, sowohl für sich selbst, als auch für und bei anderen. Es muss dergestalt inszeniert und damit wahrnehm- und sichtbar sein, dass es in selbstevidenter Weise auf kollektiv geteilte Vorstellungen trifft. Gleichwohl bleibt Geschlecht unhinterfragt und unsichtbar, solange es nicht zu einem Bruch mit den Verhaltenserwar-
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tungen, Normen und Handlungsroutinen kommt. Der zugeschriebene geschlechtliche Status fungiert als unveränderlicher, unbemerkter Hintergrund des alltäglichen Lebens (vgl. Garfinkel 1967: 118). Der Vollzug der sozialen Konstruktion von Geschlecht bleibt also unsichtbar und tritt als hochgradig selbstverständliche Tatsache in Erscheinung. In dieser aus Sicht- und Unsichtbarkeit bestehenden Ordnung von Geschlecht gilt Transgeschlechtlichkeit aufgrund des Umstands, dass es zur Infragestellung des auf Binarität und Exklusivität beruhenden Typisierungsmusters von Geschlecht kommen kann, als anormales Drittes, das mit Sichtbarkeit einhergeht. Das Alltagsverständnis von Geschlecht basiert auf einer angenommenen Kohärenz von biologischem Körper, dem geschlechtlich zugewiesenen Körper, der Verhaltenserwartungen beinhaltenden Geschlechtsrolle und der Geschlechtsidentität (sowie einem sexuellen Begehren, das auf das ‚gegenüberliegende‘ Geschlecht gerichtet ist) (vgl. Butler 1997). Dass es sich bei diesen vermeintlich selbstverständlichen Annahmen um gesellschaftliche Konstruktionen handelt, wurde nicht nur durch Geschlechterstudien belegt, die aus einer sozialkonstruktivistischen Perspektive argumentierten. Aus dekonstruktivistischer Sicht gilt die in westlichen Gesellschaften übliche Einteilung von Individuen in jeweils eines von zwei gültigen Geschlechtern als Effekt diskursiver Praktiken, der Individuen als vergeschlechtlichte Subjekte hervorbringt. Während in den sozialkonstruktivistischen Ansätzen die Unterscheidung in sex und gender noch relevant war, behaupten dekonstruktivistische Ansätze Butler’scher Prägung, dass es eine Verkürzung darstellt, die Vorgegebenheit des Körpers anzunehmen und nur die dem Körper zugeordneten Geschlechterrollen und Geschlechtsidentitäten als sozial konstruiert zu denken (vgl. Gugutzer 2004: 126). Für Butler ist das ‚biologische Geschlecht‘ „von Anfang an normativ“ (Butler 1997: 21), es ist „ein regulierendes Ideal“ (ebd.), „ein ideales Konstrukt, das mit der Zeit zwangsweise materialisiert wird“ (ebd.). Die Vorstellung von der Existenz eines biologischen Geschlechts ist folglich ein diskursiver Effekt, der durch die fortwährende Wiederholung von Geschlechternormen erzielt wird. Bei der fortwährenden Wiederholung handelt es sich um eine „zitierende Praxis, durch die der Diskurs die Wirkung erzeugt, die er benennt“ (ebd.: 22). Das ‚soziale Geschlecht‘ lässt sich dementsprechend nicht als Konstrukt fassen, das das ‚biologische Geschlecht‘ oder den Körper bemantelt. Das bedeutet allerdings nicht, dass es keinen vergeschlechtlichten Körper bzw. ein ‚biologisches Geschlecht‘ gäbe. Vielmehr muss die Vorstellung vom GeschlechtsKörper als Materialisierung einer regulierenden Geschlechternorm betrachtet werden. Diese Norm ist, wie oben bereits beschrieben, binär und dichotom verfasst.
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Während sozialkonstruktivistische Ansätze allerdings vom System der Zweigeschlechtlichkeit sprechen und damit auf die situationsgebundenen und interaktionellen Konstruktionsprozesse abzielen, fokussieren dekonstruktivistische Ansätze auf den Bereich der symbolisch-diskursiven Ordnung, die sich hinsichtlich des Geschlechts als heterosexuelle Matrix (vgl. Butler 1991) zeigt. Beiden Perspektiven liegen unterschiedliche methodologische Prämissen zugrunde. Sozialkonstruktivistischen Studien geht es um die Dimension des sozialen Tuns, wohingegen dekonstruktivistische Ansätze in Rekurs auf Derrida „nach textimmanenten Differenzen und deren produktiver Kraft für die Schaffung von Sinn“ (Villa 2004: 143) suchen. Dekonstruktivistische Ansätze beantworten die Fragen nach Geschlecht, verstanden als Identität und Körper, auf einer diskursanalytischen Ebene. Auf dieser Ebene artikuliert sich die Zweigeschlechterordnung als symbolische Ordnung, die bestimmte Geschlechtspositionen als intelligible Subjektpositionen festlegt, während sie andere marginalisiert und ausschließt: „Diese Matrix mit Ausschlußcharakter, durch die Subjekte gebildet werden, verlangt somit gleichzeitig, einen Bereich verworfener Wesen hervorzubringen, die noch nicht ‚Subjekte‘ sind, sondern das konstitutive Außen zum Bereich des Subjekts abgeben“ (Butler 1997: 23). Bei Transgeschlechtlichkeit handelt es sich um eine marginalisierte Geschlechtsposition, insofern als dass hier sex, gender und desire (Begehren) nicht in kohärenter Weise aufeinander bezogen sind. Dergestalt fällt aus beiden Perspektiven – der sozialkonstruktivistischen wie der dekonstruktivistischen – der Blick auf Transgeschlechtlichkeit ähnlich aus, auch wenn auf unterschiedlichen Ebenen argumentiert wird. Transgeschlechtlichkeit markiert das ausgeschlossene Andere bzw. gilt als Irritation der interaktiven Ordnung. Sie ist als Abweichung sichtbar gemacht und verweist auf die unmarkierte (unsichtbare) Norm bzw. auf den unbemerkten Konstruktionsprozess von Geschlecht. Hinzu kommt, dass Transgeschlechtlichkeit aufgrund ihres Verworfenen-Status kulturelle Anerkennung fehlt, wodurch es auch an einer anerkennenden Sichtbarkeit mangelt. Das spiegelt sich in den verschiedenen medialen Repräsentationen wider. Aus geschlechterpolitischer Perspektive wird deshalb meist für ein Mehr an Sichtbarkeit plädiert. Sichtbarkeitspolitiken Im Rahmen des vielfältigen LGBT*-Aktivismus besteht zumeist die Hoffnung, über die Sichtbarmachung und Sichtbarkeit minorisierter Subjektpositionen, ein Mehr an gesellschaftlicher Teilhabe zu generieren. Im Jahr 2009 wurde beispielsweise für den 31. März der Transgender Day of Visibility ins Leben gerufen. Die
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Begründerin und Transgender-Aktivistin Rachel Crandall erklärt in einem Interview mit der Zeitung Between the Lines, dass sie den Tag in notwendiger Ergänzung zum Transgender Day of Remembrance sehe: „The day of remembrance is exactly what it is. It remembers people who died. [The Transgender Day of Visibility] focuses on the living. People have told me they love Remembrance Day but it really focuses on the negative aspect of it. Isn't there anything that could focus on the positive aspect of being trans?“ (Carreras 2009)
Auf der Webseite des Internationalen Tags gegen Homo-, Trans- & Biphobie, der jährlich am 17. Mai stattfindet und auf die im Jahre 1990 vorgenommene Streichung von Homosexualität aus dem Register mentaler Krankheiten (DSM) verweist, werden zahlreiche Aktionsformen vorgeschlagen, die mit einer verstärkten Sichtbarkeit von LGBT* Belangen im öffentlichen Raum in Verbindung stehen: die Einfärbung von Zebrasteifen in Regenbogenfarben, die Durchführung von flashmobs, freeze actions und kiss-ins, oder auch die Montage von Kunstinstallationen im öffentlichen Raum (vgl. IDAHO 2016). Die Forderung nach „Mehr Sichtbarkeit!“ scheint in den verschiedenen lesbischwultrans-, auch queerpolitischen, Zusammenhängen ein gängiger Anspruch zu sein. Als klassischer Topos von LGBT*-politischer Rhetoriken ist Sichtbarkeit dabei durchweg positiv besetzt (vgl. Schaffer 2008b: 60). Es wird davon ausgegangen, dass eine erhöhte Sichtbarkeit unmittelbar mit einer Zunahme an Privilegien, mit einem erstärkten Durchsetzungsvermögen und mit mehr politischer Präsenz korrespondiere (vgl. ebd.: 51f.). Hinsichtlich visueller Medien übersetzt sich die lesbischwultrans*politische Forderung nach Sichtbarmachung in das Ziel, der Nichtrepräsentanz jener marginalisierten Subjektpositionen, d.h. der fehlenden Teilhabe an Prozessen der Bilderzirkulation, etwas entgegen zu setzen. So wird die Thematisierung nicht-normativer Lebensweisen – dem Schwul- oder Lesbisch-Sein, der Trans- oder Intergeschlechtlichkeit – in Fernsehformaten, in der Werbung, in Printmedien, im Film oder Internet von einigen bereits als politische Errungenschaft gewertet. Zwei üblicherweise verfolgte Strategien zum Umgang mit der visuellen Nichtrepräsentanz bestehen (a) in der Kritik an ‚falschen‘ Bildern nicht-normativer Lebensweisen, also in der Kritik an klischierten, stereotypisierenden und karikierten Darstellungen minorisierter Subjektpositionen, sowie (b) in der Produktion ‚richtiger‘ Bilder, wobei große Uneinigkeit darüber herrscht, was unter zutreffenden, affirmierenden bzw. anerkennenden Bildern zu verstehen sei. Beiden, dem Ziel der Repräsentationskritik verpflichteten Strategien ist gemeinsam, dass sie den
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Modus der Sichtbarkeit als denjenigen konzeptualisieren, der (positive) Veränderungen zu generieren im Stande sei. Setzt man sich mit der Visualität eines marginalisierten gesellschaftlichen Phänomens, wie es Transgeschlechtlichkeit darstellt, auseinander, darf der Modus der Unsichtbarkeit nicht außer Acht gelassen werden. Michel Foucault prägte die Einsicht, dass Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit ein und derselben diskursiven Anordnung entspringen und sich als aufeinander bezogene Modi gegenseitig modulieren. Er zeigte an diversen historischen Gegenständen, wie Sichtbarkeitsproduktionen neue Unsichtbarkeiten produzieren und alte Sichtbarkeiten verdrängen (vgl. Schaffer 2008b: 61, Foucault 1994 [1974], Foucault 1994, Foucault 1973). Bei der ausnahmslos positiven Beurteilung des Status der Sichtbarkeit wird also vergessen, dass es sich sowohl beim Modus der Sichtbarkeit als auch beim Modus der Unsichtbarkeit um diskursive Konstruktionen handelt, die sich gegenseitig bedingen und abhängig davon sind, was innerhalb eines spezifischen Diskurses und auf spezifischen diskursiven Ebenen gedacht bzw. gesehen werden kann. Vor dem Hintergrund von Foucaults Überlegungen zu diesem diskursiven Zusammenhang und der Tatsache Rechnung tragend, dass visuelle Repräsentationen Sichtbarkeitsordnungen modifizieren, lassen sich verschiedene Einwände vorbringen gegenüber gängigen ‚Sichtbarkeitseuphoriken‘, d.h. der „ausschließlich positiven Einschätzung des Modus und Status der Sichtbarkeit“ (Schaffer 2008a: 52). Solche Einwände hat Johanna Schaffer (2008b) in ihrer Studie (Ambivalenz der Sichtbarkeit) über die ästhetische Herstellung von Hegemonie innerhalb unterschiedlichster bildpolitischer Zusammenhänge systematisch herausgearbeitet, indem sie beide Modi kritisch hinterfragt. Zunächst weist Schaffer auf ein Paradox hinsichtlich der Sichtbarmachung minorisierter Subjektpositionen innerhalb einer etablierten Repräsentationsordnung hin. Eine tradierte Repräsentationsordnung zeichnet sich durch bestehende Repräsentationsparameter aus, die beansprucht werden müssen, um Subjektpositionen überhaupt les- und erkennbar zu machen. Aus dem Grund „produziert die Praxis der Sichtbarmachung minorisierter Positionen immer auch die paradoxe Situation der Affirmation der jeweiligen Minorisierung“ (ebd.: 52). Das zeigt sich beispielsweise darin, dass jene visuellen Dokumente, die beabsichtigen, die zweigeschlechtliche Ordnung durch spezifische Strategien zu destabilisieren – zumindest in deren Konstruktionscharakter zu entlarven – z.B. durch die Anwendung von Ironie, gleichzeitig an der Reifizierung jener Ordnung mitwirken. ‚Richtige‘ bzw. ‚positive‘ Bilder diskursiv zirkulieren zu lassen, um über sie stereotypisierende Darstellungen zu korrigieren, läuft als Strategie folglich potentiell Gefahr, sich anzupassen, ja anpassen zu müssen an die Parameter und Standards hegemonialer Sehregime. Die Forderung nach Sicht-
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barkeit minorisierter Subjektpositionen kann außerdem in einer extremen Sichtbarkeit, d.h. einer „visuellen Überdeterminiertheit“ (Schaffer 2008b: 55) münden, die sich in Bezug auf die Darstellung transgeschlechtlicher Bild- und Filmfiguren in Visualisierungsweisen mit spektakelartigem Charakter manifestiert. Die Potentialität der Darstellung von minorisierten Positionen als Spektakel geht dann mit visueller Vereinnahmung, und mit (erneuten) Ohnmachts- und Gewalterfahrungen einher (vgl. ebd.). Des Weiteren muss bedacht werden, dass auch der Modus der Unsichtbarkeit an Privilegiertheit und (politische) Dominanz geknüpft sein kann: Unsichtbarkeit ist in Bezug auf hegemoniale Subjektpositionen oftmals der diskursive Bereich, der unhinterfragt und evident bleibt (vgl. ebd.: 54f.). (Un-)Sichtbarkeit beim Passing Für transgeschlechtliche Menschen ist Unsichtbarkeit ein äußerst zentraler Modus. Das wird vor allem am Konzept des Passings evident. Passing bedeutet das Durchgehen als das gewünschte Geschlecht: Für andere erscheint die gewählte Geschlechtszugehörigkeit als eindeutig und natürlich, und wird folglich nicht weiter hinterfragt. Wie oben in Rekurs auf West und Zimmerman (1987) beschrieben, bedarf es für die Zuordnung zu einer der beiden gültigen Geschlechtskategorien einer möglichst bruchlosen Geschlechtsdarstellung. Transgeschlechtlichkeit darf in der Interaktion also für andere nicht erkennbar werden. In seiner wegweisenden Studie zur transsexuellen Frau Agnes wies Garfinkel (1967) darauf hin, dass transgeschlechtliche Menschen, die ein Passing anstreben, sich auf explizite Weise die Verhaltensweisen aneignen (müssen), die üblicherweise vom gewählten Geschlecht erwartet werden. Ethnomethodologische Ansätze bezeichnen den ‚gelungenen‘, d.h. bruchlosen, Ausdruck von Geschlecht als gender accomplishment (vgl. Garfinkel (1967), West/Zimmerman (1987)). Die Aneignung von Inszenierungsweisen dieser auf Eindeutigkeit zielenden Geschlechtsdarstellung erfordert eine konstante Arbeit an den eigenen, durch Sozialisation erlernten Verhaltensund habitualisierten Erscheinungsweisen. Agnes musste nach ihrer geschlechtsaffirmierenden Operation beispielweise erlernen, sich im kommunikativen Verhalten den kulturellen Erwartungen des ‚Frau-Seins‘ zu fügen: Sie musste daran arbeiten, sich in Argumenten nicht durchzusetzen, sondern einzulenken, nicht auf ihre Meinung zu insistieren, sondern diese stellenweise zu verschweigen. Agnes erlernte also die als selbstverständlich angesehenen Eigenschaften des ‚FrauSeins‘ mittels eines reflexiven Vorgangs. Was beim Passing unsichtbar bleibt, ist genau jener reflexiv stattfindende Konstruktionsprozess des doing genders, d.h. des (situationsbedingten) Einsatzes von Praktiken der alltäglichen Produktion des
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Geschlechts. Um erfolgreich zu passen, müssen jene kulturellen Inszenierungsweisen als natürlicher Ausdruck des Geschlechts angesehen werden (vgl. Lindemann 1993). Für transgeschlechtliche Individuen entsteht dadurch ein Sichtbarkeitsdilemma. Aufgrund der Tatsache, dass das Alltagswissen von der Annahme einer scheinbar naturhaft bedingten Kohärenz von Körper und Geschlecht strukturiert ist, werden transgeschlechtliche Individuen von anderen als cisgeschlechtlich ‚verortet‘. Nicht-transgeschlechtliche Menschen projizieren „their cissexuality onto all other people, thus transforming cissexuality into a human attribute that is taken for granted“ (Serano 2007: 165). Bei einem erfolgreichen Passing wird transgeschlechtlichen Menschen also Cisgeschlechtlichkeit unterstellt; oder anders gewendet: In dem Moment, wenn Transgeschlechtlichkeit in den Vordergrund tritt, z.B. aufgrund eines Bruches in der Geschlechterperformance oder aufgrund eines verbalen Selbstbekenntnisses, scheitert das Passing. Der Künstler Jamison Green bringt dieses Sichtbarkeitsdilemma prägnant auf den Punkt, wenn er schreibt: „[I]n order to be a good – or successful – transsexual person, one is supposed not to be a transsexual person at all“ (Green 2006: 501). Er führt aus: „Transsexual experience becomes invisible [...], in direct proportion to the success of appearing to others as a member of one’s subjectively experienced gender; conversely to the extent that one reveals a transsexual life course to others, one risks undermining the achieved gender status“ (ebd.: 499). Cisgeschlechtlichkeit stellt also den hegemonialen, unmarkierten Kontrast zur Transgeschlechtlichkeit dar (vgl. Edelman 2014: 153). Sie wird als unsichtbare Norm dadurch aufrechterhalten, dass Abweichungen von ihr immer mit Sichtbarkeit und Abwertungen einhergehen (vgl. ebd: 154, Serano 2007: 12). Die auf Dauer gestellte Form eines erfolgreichen Passings wird als stealth definiert. Stealth bezeichnet das dauerhafte Leben im gewünschten Geschlecht, und basiert darauf, den eigenen transgeschlechtlichen Status nicht offen zu legen. Forshee sieht darin die bewusste Entscheidung, einen Teil der biographischen Historie zu verschweigen (vgl. Forshee 2008: 223). Schilt betrachtet stealth als das Gegenstück zu öffentlich als transgeschlechtlich lebenden Menschen (vgl. Schilt 2006: 466). Edelman (2009) weist darauf hin, dass Betroffene den stealthModus auch je nach Kontext wählen: Während Betroffene in vermeintlich sicheren Kontexten ‚out‘ seien, bleiben sie in anderen eher unerkannt. Obwohl der stealth-Modus für einige female-to-male transgenders (FTMs) mit dem Erhalt der „patriarchalen Dividente“ (Connell 2006: 100) einhergeht, und er auch für maleto-female transgenders (MTFs) mit gewissen, wenn auch weitaus eingeschränkteren Vorteilen verknüpft sein kann, wird der Unsichtbarkeitsmodus vor vor allem gewählt, um potentiellen Diskriminierungserfahrungen zu entgehen. Er stellt für einige also eine sichere Überlebensnotwendigkeit dar (vgl. Schaffer
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2008a: 54). Stealth ist deshalb eine dynamische Praxis des kontextbedingten Offenlegens und Verschweigens (vgl. Edelman 2009: 165). Es handelt sich gerade nicht um einen statischen Zustand, der aufgrund der Aussicht auf den Zugang zu Privilegien angestrebt wird oder gar – wie manchmal unterstellt – Ausdruck von Selbsthass, -verleugnung oder internalisierter Transfeindlichkeit sei (vgl. Edelman 2014: 153). Vielmehr geht es bei dem kontextbedingten Aushandeln der Wahrung bzw. Offenbarung des transgeschlechtlichen Status darum, „to maintain physical and emotional safety, get or keep a job, and avoid alienation“ (Edelman 2009: 176). Unsichtbarkeit stellt für transgeschlechtliche Menschen damit einen höchst ambivalenten Modus dar. Ebenso ambivalent erscheint die Sichtbarmachung des transgeschlechtlichen Status. Wie sich in den Kapiteln drei, vier und fünf zeigen wird, multiplizieren sich diese konflikthaften Gleichzeitigkeiten, geht es um die Vermittlung jener Existenzweisen in visuellen Medien, schließlich beruhen Filme, Videos und Bilder dezidiert auf dem Verhältnis von Sicht- und Unsichtbarkeit, Licht und Schatten. Dem voran gestellt wird nachfolgend die theoretische Klärung des Zusammenhangs der Sichtbarkeits- und Unsichtbarkeitsmodi. Dabei beziehe ich mich primär auf das Œuvre von Michel Foucault, weil er derjenige Denker war, der vielfach darlegte, dass Wissen, Sehen und Macht derart miteinander verwoben sind, dass sich Sicht- und Sagbares konstituiert (vgl. Foucault 1994, Foucault 1994 [1974], Foucault 1993 [1973]). Er war einer der ersten, der erkannte, dass bestimmte historische Perioden gewisse Phänomene zu sehen geben, sie quasi beleuchten, während sie andere in den Schatten verbannen und unsichtbar belassen, sodass Foucault mit Recht als „großer Sehender“ („voyant“) (Deleuze 2015 [1992]: 73) bzw. als ein visueller Denker bezeichnet werden kann, der „dem zeitgenössischen Kino außerordentlich nahe“ (ebd.: 94) stand. Mit seinem machtkritischen Ansatz lässt sich die auf Sicht- und Unsichtbarkeitsrelationen bestehende Konstitution von diskursiven Phänomenen theoretisch begründen. Ist man schließlich an visuellen Repräsentationen eines Phänomens interessiert, kommt man nicht umhin, Sichtbarkeit auf ihre gesellschaftlichen und epistemologischen Möglichkeitsbedingungen, d.h. auf das Verhältnis von Wissen und Macht hin zu untersuchen (vgl. Holert 2000: 20). Hintergrund des Exkurses bildet also die Prämisse, dass Sicht- und Unsichtbarkeitsmodi die Rahmenbedingungen dafür liefern, dass und auf welche Art und Weise Transgeschlechtlichkeit in visuelle Erscheinung tritt. Die Analyse der Visualität von Transgeschlechtlichkeit ist aufgrund des Umstands, dass das Phänomen ohnedies mit der Sicht- bzw. Unsichtbarkeit von Geschlechtlichkeit beschäftigt ist, als besonders gewinnbringend anzusehen. Foucaults Ideen zu den „Ereignisse[n] des Sehens, dessen, was wir in einer Zeit
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und an einem Ort sehen bzw. nicht sehen können“ (Rajchman 2000: 41), dienen also gleichsam als theoretische Hintergrundfolie, auf der die Analysen zu den mit Transgeschlechtlichkeit beschäftigten, visuellen Dokumenten durchgeführt werden. Der Exkurs fungiert damit als Hinführung zur methodologischen Perspektive dieser Studie, die im darauffolgenden Kapitel expliziert und an eine Forschungsmethode angeschlossen wird.
1.2 REVIEWING FOUCAULT Dass die Konzepte von Sichtbarkeit, Sehen und das Visuelle zentrale Bestandteile in Foucaults Denken ausmachen, wurde in den meisten Foucault-Rezeptionen übersehen. Deleuze’ Buch (2015 [1992]) zu Foucault mit dem gleichnamigen Titel bildet dabei eine Ausnahme. Auch Martin Jay (1996) erkennt in Foucaults heterogenem, idiosynkratrischen Gesamtwerk einen wesentlichen Beitrag zum visuellen Diskurs. Maasen, Mayerhauser & Renggli betonen ebenfalls „die konstitutive Relevanz visueller Konzepte für Foucaults Werkzeugkiste“ (Maasen et al. 2006: 14). Maasen et al. versuchen vor dem Hintergrund von Foucaults Erkenntnissen zum wechselseitigen Verhältnis zwischen den Dimensionen des Sag- und Sichtbaren einen bilddiskursanalytischen Forschungsansatz zu begründen. Wenngleich Foucault nie systematisch die inhärente Verbindung zwischen Sehen, Sichtbarkeit, Wissen und Macht herausarbeitete, bieten seine Schriften fast ausnahmslos Referenzen auf diesen Zusammenhang, was im Grunde nicht verwunderlich ist, war er schließlich vor allem in seinen Werken bis Überwachen und Strafen (1994 [1976]) an der Frage interessiert, wie sich an der Schnittstelle von Wissen und Macht unter bestimmten historischen Gegebenheiten das durchsetzt, was als wahr gilt (vgl. Sarasin 2005: 12). Diese Wahrheiten drücken sich unter anderem in Sichtbarkeits- und Unsichtbarkeitsverhältnissen aus, und treten durch historisch bedingte Weisen des Sehens hervor. Nachfolgend soll die in Foucaults Werk angelegte Relation von Macht, Wissen, Sehen und Sichtbarkeit anhand von vier Komplexen rekonstruiert werden: (a) Foucaults Art und Weise genealogische Verbindungen bildlich zu schildern, (b) seine Diskussion von räumlichen Anordnungen, (c) seine Analysen von visuellen Artefakten, sowie (d) die Besprechung des Zusammenhangs zwischen ärztlichem Blick, Macht und Wissen.
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1.2.1 Zur Rekonstruktion von Denksystemen in Vorher-Nachher-Bildern Foucaults Schriften unterliegen fast durchweg dem Anliegen zu beschreiben, wie man von einem Denksystem zu einem anderen gelangt ist. In Überwachen und Strafen (1994 [1976]) rekonstruiert er beispielsweise am Phänomen des Gefängnisses und des Systems des Strafens, wie in England und Frankreich des 18. Jahrhunderts die Schwelle zur Modernität überschritten wurde. Den Techniken des Strafens vor dem 18. Jahrhundert, die vor allem in der öffentlichen Tortur und Brandmarkung der Körper von Straftätern bestanden, stellt er die sich sukzessive verändernden Techniken des Strafens gegenüber, bis sich schließlich der Übergang zum modernen Strafsystem – der Geburt des Gefängnisses, in dem Delinquente ihrer Freiheit beraubt und deren Tagesablauf bis ins kleinste Detail durchgeplant wurden – vollzog. So kann er am historischen Wandel von der öffentlichen Marter hin zur Freiheitsstrafe zeigen, dass sich durch die veränderten Praktiken des Strafens nicht nur der Zugriff auf das Objekt der Schuld veränderte (von der Strafschuld, die sich an den Körper wendet, zur Strafschuld, die „in der Tiefe auf das Herz, das Denken, den Willen, die Anlagen wirkt“ (Foucault 1994: 25)), sondern damit eine Veränderung der Konzeption des Menschen bzw. die „Geburt des Menschen als Wissensgegenstand“ (ebd.: 34f.) einherging. Foucaults Rekonstruktionen der Veränderungen diskursiver Praktiken greifen dabei auf Beschreibungen in sehr lebhaften Bildern zurück. Wie Rajchman feststellt, wird in den historischen Schilderungen der „Kunstgriff des Vorher-Nachher-Bildes“ (Rajchman 2000: 41) verwendet: Als Leser_in bekommen wir zunächst ein Bild einer Zeitperiode geliefert, das in Kontrast gesetzt wird zum Bild einer darauffolgenden Periode. So finden wir in den Beschreibungen der öffentlichen Marter in Überwachen und Strafen (1994 [1976]) das sehr detailreiche Bild der grausamen Tortur und anschließenden öffentlichen Hinrichtung des Königsattentäters Damiens im Paris des 18. Jahrhunderts, das kontrastiert wird mit der minutiösen Schilderung der architektonischen Gestalt des Panopticons bei Bentham. Visualität zeigt sich hier also als rhetorische Strategie, nicht nur um historische Perioden zu charakterisieren, sondern auch um genealogische Verbindungen deutlich zu machen.
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1.2.2 Die Verhaftung von Diskursgegenständen in (Un-)Sichtbarkeitsordnungen Foucaults Schilderungen und Beschreibungen in ‚lebhaften Bildern‘ führen nicht nur vor, wie etwas aussah, sondern vor allem auch, wie etwas sichtbar gemacht wurde. Wenn Foucault in Wahnsinn und Gesellschaft (1993 [1973]) beispielsweise die Geschichte des Wahnsinns als Genese der (Ab-)Trennung von Unvernunft und Vernunft im klassischen Zeitalter (1650-1800) nachzeichnet, betont er dezidiert die problematischen Implikationen eines Okularzentrismus. Die Entwicklung der modernen Kategorie des Wahnsinns ist sowohl an die Organisation des sozialen Raumes als auch an eine neue Sichtbarkeits- und damit eine neue Wissens- und Machtordnung geknüpft. Während die Unvernunft zuvor (d.h. vor dem klassischen Zeitalter) eine gewisse Verbindung zur Vernunft aufrecht erhielt1, indem sie visuell und räumlich neben der Vernunft sowie auditiv als „unvollkommen[e] Worte ohne feste Syntax, die ein wenig an Gestammel erinnern“ (Foucault 1993 [1973]: 8), vernehmbar war, avancierte die Unvernunft in der klassischen Periode, bevor sie als Wahnsinn die Kategorie der Geisteskrankheit konstituierte, zum puren Spektakel, zum Theater der Unvernunft. Dadurch wurde die Unvernunft zwar einerseits übersichtbar gemacht. Andererseits wurde sie jedoch als Produkt des Sprechens über sie – „als Sprache der Psychiatrie, die ein Monolog der Vernunft über den Wahnsinn ist“ (ebd.) – und als Produkt des Beobachtens und Klassifizierens zum Schweigen gebracht und ihrer eigenen Sichtbarkeit beraubt. Für Foucault wurde die Wende im Umgang mit dem Wahnsinn über die Geste der Trennung vollzogen. Diese sich in Institutionen, juristischen und polizeilichen Maßnahmen sowie in wissenschaftlichen Termini verwirklichende Zäsur ist es, die die Kluft zwischen Vernunft und Nicht-Vernunft erwirkt. Die Geste der Trennung assoziiert Foucault mit einer neuen Sichtbarkeitsordnung: „die einfache Trennung zwischen Tag und Dunkelheit, zwischen Schatten und Licht, zwischen Traum und Wachsein, zwischen der Wahrheit der Sonne und den mitternächtlichen Kräften“ (ebd.: 15). Die diese Sichtbarkeitsordnung etablierende klassische, von der Gelehrsamkeit geprägte Erfahrung mit Wahnsinn lernte, „in ihr [der Unvernunft, Anm. R.K.S.] Tag und Nacht herzustellen, die Sonne der Wahrheit dem
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Indem er sich daran versucht, eine Geschichte des Wahnsinns zu (be-)schreiben, zielt Foucault darauf ab, „in der Geschichte jenen Punkt Null der Geschichte des Wahnsinns wiederzufinden“ (Foucault 1993 [1973]: 7). Er geht davon aus, dass der Wahnsinn bzw. die Unvernunft und die sich davon abtrennende Vernunft aus einer „dunkle[n], gemeinsame[n] Wurzel“ (ebd.: 13) emporwuchsen.
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schwachen Licht seiner Wahrheit unterzuordnen“ (ebd., Hervorh. i.O.), wodurch „der Wahnsinn aufhörte, Nacht zu sein, und flüchtiger Schatten im Bewußtsein wurde“ (ebd.). Sie kann damit als konstitutives Sichtbarkeitsregime bezeichnet werden, denn durch dieses auf der Geste der Trennung beruhende Sichtbarkeitsregime ist der Wahnsinn als das Verworfene und bald im Asyl und den Psychiatrien eingesperrte Andere der Vernunft historisch entstanden. Unter den Augen der Vernunft wurde der Wahnsinn sozusagen aus kritischer Distanz beäugt. Diese Distanz war notwendig (und konstitutiv für die Kategorie des Wahnsinns), denn für das Auge der Vernunft bestand die Essenz des Wahnsinns – so arbeitet es Foucault anhand der Artikel zu „folie“ aus den Enzyklopädien von Diderots und D’Alemberts heraus – in der Figur der Dunkelheit, in der Trübung, im Irrtum: Wahnsinnigen wurde die Unfähigkeit bescheinigt, die Wirklichkeit in ihrem ganzen Lichte erkennen zu können. Sie seien blind gegenüber oder verblendet von den Phänomenen der Wirklichkeit; sie irrten sich in ihrem Sehen und Wahrnehmen (vgl. Foucault 1993 [1973]: 243ff.). Für den ‚vernunftbegabten‘ Menschen ging die ‚Trübung der wahnsinnigen Erfahrung‘ mit Bedrohlichkeit und Chaos einher. Diese visuelle Definition des Wahnsinns fand ihren institutionellen Ausdruck schließlich in der Genese des Irrenasyls, das als Ort fungierte, an dem sich die Wissenschaft der mentalen Abweichungen – die Psychiatrie – herausbildete. Während zuvor sogenannte ‚Irre‘ in Narrentürmen eingesperrt, auf Narrenschiffe entsandt, in Hospitäler aufgenommen wurden oder schlichtweg inmitten der Gesellschaft leben durften, also eine Vielzahl an Orten und Räumen für die Unvernunft herrschte, wurde der Wahnsinn im 17. Jahrhundert mit der Herausbildung von Anstalten, in denen Wahnsinnige mit Arbeitsscheuen, Gesetzlosen und Libertins aufeinandertrafen, in „große Gefangenschaft“ (ebd.: 68) genommen. Da Wahnsinnige also in konstitutiver Abgrenzung zu den Vernunftbegabten definiert wurden, galt ihre (auch und vor allem sichtbare) Existenz und Erfahrung als bedrohlich und musste dementsprechend an spezifischen, für sie vorgesehenen Orten verwaltet und kontrolliert werden. In ‚zweite Gefangenschaft‘ genommen wurden Wahnsinnige sodann durch die Errichtung von speziellen für sie vorgesehenen Spitälern. An diesem, dem Wahnsinn fest zugeordneten Internierungsort bildete sich alsbald unter der trügerischen Argumentationsfigur der Befreiung die Disziplin der Psychiatrie und die Psychoanalyse heraus, wodurch der Wahnsinn in ein „noch einschränkendere[s] Raster der psychiatrischen Klassifikation“ (Sarasin 2005: 32) gezwängt wurde. Die Wissenschaft beobachtete und klassifizierte den Wahnsinn aus kritischer Distanz, und verunmöglichte so einen Dialog mit diesem. Während den Augen der Vernunft, mit denen die Wissenschaft begutachtete, diskursiv die Fähigkeit zugesprochen bekam, ein abweichendes Phänomen aus Distanz (besser) sehen und erkennen zu
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können, verblieben die Wahnsinnigen an diesem Ort im Dunkeln. Das dem Wahnsinnigen eigentümliche Spektakel seines ‚Tobens‘ und sein scheinbar ‚antwortloses Sprechen‘ galten als Indizien für seine krankhafte Unvernunft, die die Bedingungen, unter denen sich die Internierung erst begründete, in Form von Heilsversprechen weiter fortschrieben. Während der Wahnsinn jedoch während der Phase der ‚ersten Gefangenschaft‘ über räumliche Ausgrenzung zum Schweigen gebracht und in die Dunkelheit verbannt wurde, ergibt sich die Dunkelheit des Gegenstands während der im Dienste der medizinisch-therapeutischen Heilung stehenden Phase der ‚zweiten Gefangenschaft‘ über dessen Übersichtbarkeit: durch die ‚gelehrten‘ Beobachtungen, durch ärztliche Behandlungen und therapeutische Verfahrensweisen entsteht der Wahnsinn als von der Vernunft beschreib- und klassifizierbares, in die Strukturen des humanistischen Wissens „eingeschlossene[s] Objekt“ (Sarasin 2005: 20). Die ärztlichen und therapeutischen Praktiken, die den Wahnsinn ans Licht zerren, ergeben allerdings gleichzeitig seine Dunkelheit. Dies geschieht insofern, als dass man in der psychiatrischen Analyse des Wahnsinns stets nur die Vernunft fand, „wodurch der Wahnsinn paradoxerweise zur universalen Anwesenheit der Vernunft und Abwesenheit des Wahnsinns wurde“ (Foucault 1993 [1973]: 204). Dunkel ist der Wahnsinn, weil er in der klassischen Epoche nicht existierte, „wenn man darunter die natürliche Heimat des Wahnsinnigen [...], kurz die Verbindung des Wahnsinnigen mit seinem Wahnsinn versteht“ (ebd.: 203). Als moderne Krankheitskategorie ist der Wahnsinn in dieser Zeit übersichtbar – als spezifische Erfahrung wird er jedoch ausgelöscht: „‚Ich werde Wüste jenes Schloß nennen, das Du warst, Nacht jene Stimme, Abwesenheit dein Gesicht.‘ Diese dunkle Region ist doppeldeutig, denn sie ist reiner Ursprung, weil aus ihr die Sprache der Geschichte, die allmählich aus so viel Konfusion die Formen ihrer Syntax und die Konsistenz ihres Vokabulars gewinnt, entstehen wird, und gleichzeitig Bodensatz, sterile Uferfläche der Worte, einmal durchlaufener und sofort vergessener Sand, der in seiner Passivität nur die leere Spur der voraus erhobenen Gestalten bewahrt.“ (Ebd.: 11f.)
Lediglich abseits des nicht-psychiatrischen Diskurses, nämlich in der Kunst, vor allem bei Goya und de Sade, sieht Foucault den Wahnsinn in einem beschränkten Ausdrucksraum verwirklicht (vgl. Jay 1996). Am Beispiel des Umgangs mit dem Wahnsinn beschreibt Foucault damit das komplizierte diskursive Verhältnis von Licht und Sichtbarkeit zu Dunkelheit und Verblendung, das zur Konstitution des vernünftigen Menschen beitrug, denn das, was über die diskursiven Praktiken der Trennung, räumlichen Ausgrenzung und ärztlichen Behandlung von Wahnsinn sichtbar gemacht wurde, ist nicht der Wahnsinn selbst, sondern seine Gegenseite:
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das Normale bzw. die Vernunft des modernen Menschen. Im Kapitel 3 Die Diskursebene der Medizin: Der medizinische Blick und die historische Genese von Transgeschlechtlichkeit als Abnormalität wird sich zeigen, dass der Transgeschlechtlichkeit eine ähnliche genealogische Bewegung vorausging: ausgehend vom ‚Hermaphroditismus‘, der als sichtbar gemachte Anormalität der Zweigeschlechtlichkeit über die Geste der Trennung als das Verworfene konstituiert wurde, über die daraus erwachsene Vervielfältigung ‚zwischengeschlechtlicher‘ Phänomene, die durch den medizinischen Blick hervorgebracht und in Folge durch spezifische Behandlungsmethoden diskursiv verwaltet wurden, bis hin zur Übersichtbarkeit von Transgeschlechtlichkeit als von der (psychiatrischen) Vernunft beschreib- und klassifizierbare moderne Krankheitskategorie. In Überwachen und Strafen (1993 [1976]) liefert Foucault eine Weiterentwicklung der These, dass sich über Sichtbarkeitsregime Subjekte regulieren lassen. In Jeremy Benthams Gefängnismodell sieht er die expliziteste Version einer neuen okularen Technologie der Macht verwirklicht, bei der das Gefängnis durch eine visuelle Anordnung (den Panoptismus) definiert ist. Die visuelle Anordnung sieht vor, dass ein Wächter, positioniert in einem alle Einzelgefängniszellen überblickenden zentralen Turm in der Mitte, potentiell alles innerhalb der Anordnung Positionierte sehen kann, ohne selbst gesehen zu werden, während die Gefangenen selbst nicht sehen können, aber in jedem Augenblick sichtbar sind. Indem die Gefangenen den Eindruck haben, jederzeit über den Blick des Wärters kontrolliert zu werden, erwirkt dieses Sichtbarkeitssystem die Disziplinierung und scheinbare Rehabilitation von Kriminellen. Das moderne Sichtbarkeitsregime des Panopticons beruht also auf der disziplinierenden und normalisierenden Funktion des Blickes (gaze), die Folge einer diffusen und nunmehr anonymen Macht des Blickes ist. Denn einerseits ist die tatsächliche Präsenz eines alle Gefängniszellen überwachenden Wärters nicht notwendig – notwendig ist lediglich das Empfinden der Gefangenen, überwacht zu werden. Andererseits ist der Wächter kein König, Diktator oder Arzt, sondern lediglich ein austauschbarer Funktionsträger. Über die spezifische visuelle Anordnung wird das Überwachungssystem internalisiert und funktioniert als selbstregulierender Mechanismus. Die diskursive Funktion des Gefängnisses besteht also nicht (nur) darin, den Verbrecher und das Verbrechen sichtbar zu machen, so wie die Irrenasyle die moderne Kategorie des Wahnsinns und damit seine Kehrseite, die Vernunft, sichtbar machten. Sie besteht primär darin, ein Sichtbarkeitsregime zu generieren, das einerseits Subjekte in diesem Sichtbarkeitsfeld als Effekte von Machtbeziehungen konstituiert und andererseits Machtverhältnisse so moduliert, dass Subjekten ohne Vorhandensein eines Souveräns gewisse Verhaltensweisen aufgezwungen werden (moderne Disziplinierung und Kontrolle). Darüber hinaus handelt es sich bei der disziplinierenden
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Macht um eine „lichtscheue Kunst des Lichtes und der Sichtbarkeit“ (Foucault 1994 [1976]: 221), die „unbemerkt in den Unterwerfungstechniken und Ausnutzungsverfahren ein neues Wissen über den Menschen angebahnt [hat]“ (ebd.). Benthams Gefängnismodell betrachtet Foucault damit als paradigmatische Form einer Gesellschaft der Überwachung, die die Gesellschaft des Spektakels, wie er sie in Wahnsinn und Gesellschaft (1993 [1973]) beschreibt, sodann ablöst. Hinsichtlich des Geschlechtersystems sind Foucaults Beobachtungen zur Veränderung der Strafsysteme insofern von Relevanz, als dass sie den Wandel von einer unterdrückenden, repressiven Macht hin zu einer produktiv wirkenden Macht aufzeigen. Die „Art und Weise, in welcher der Körper von den Machtverhältnissen besetzt wird“ (Foucault 1994 [1976]: 34), hat sich in der Moderne transformiert. Die im Panopticon stattfindenden Disziplinierungsverfahren stehen paradigmatisch für eine moderne Gesellschaft, in der Disziplinierung, Dressur und Kontrolle Manifestationen von Macht darstellen und „gelehrige Körper“ (ebd.: 173) erschaffen. Auch wenn Foucault also daran interessiert war, eine Geschichte der Gefängnisinstitution zu verfassen, so sind die von ihm aufgefundenen Disziplinierungsverfahren nicht nur auf das Gefängnis beschränkt. Das leuchtet ein, führt man sich die Zeit-, Raum- und Tätigkeitseinteilungen in Schulen, Kasernen und Krankenhäusern vor Augen. Für die Gegenwart stellt Foucault nicht nur eine Vervielfältigung der Disziplinarinstitutionen fest, sondern konstatiert auch eine über die Institutionen hinausgehende Wirkung der Disziplinarmechanismen (vgl. ebd.: 271). Alle Gesellschaftsmitglieder sind bzw. haben gewissermaßen „gelehrige Körper“ (ebd.: 173). Auch der GeschlechtsKörper ist dabei ein gelehriger. Dass Sexualität und das Verständnis vom GeschlechtsKörper diszipliniert wird, beschreibt Foucault im ersten Band seiner Geschichte der Sexualität, in Der Wille zum Wissen (1983). Ähnlich zur Disziplinierung der Körper im Panopticon, ist es im Sexualitätsdispositiv die Bio-Macht, die den vergeschlechtlichten Menschen diszipliniert. Das entscheidende Mittel zur Kontrolle des GeschlechtsKörpers (und der Sexualität) ist nun die Herstellung einer gesellschaftlichen Norm und eines gesellschaftlichen Normierungsdrucks. Ähnlich zur im Panopticon wirkenden Macht ist die Bio-Macht, obwohl sie omnipräsent ist, nicht direkt sichtbar. 1.2.3 Die Ordnung der Dinge in der Malerei Am scheinbar offensichtlichsten verweist Foucault auf den Zusammenhang von Sehen, Sichtbarkeit, Macht und Wissen, wenn er sich ästhetischen Artefakten widmet. Obwohl Foucault nur vergleichsweise wenig zur Malerei geschrieben hat, ist seine „Leidenschaft des Sehens“ (Deleuze 2015 [1992]: 73) offensichtlich. Das prominenteste Beispiel für seine Beschäftigung mit der Malerei ist gewiss
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Foucaults Beschreibung der visuellen Szene in Velásquez’ „Las Meninas“, mit der er Die Ordnung der Dinge (1994 [1974]) eröffnet.2 Doch bereits in Wahnsinn und Gesellschaft (1993 [1973]) stellt Foucault immer wieder Verweise auf den Bereich der Kunst, vor allem der Malerei und Grafik bei Künstlern wie Bosch, Goya und de Sade, an, jedoch mit anderer Intention als bei der Besprechung von „Las Meninas“. In den Motiven, die sich in den Werken von Bosch und Goya zeigen, sieht Foucault in Wahnsinn und Gesellschaft (1993 [1973]) den Wahnsinn als ‚Macht der Faszination‘ verwirklicht, die mit dem Einbruch der Klassik durch die diskursive Auslöschung der wahnsinnigen Erfahrung verschwindet. Bei Bosch entdeckt er das „fasziniert-machtlose“ Verhältnis zum Wahnsinn, das sich mit den humanistischen Schriften im klassischen Zeitalter in ein „erkennend-beherrschendes“ (Gelhard 2001: 240) wandelt. So schreibt er beispielsweise über Boschs „Versuchung des heiligen Antonius“ (s. Abb. 1): „In der Versuchung von Lissabon sitzt gegenüber dem heiligen Antonius eine dieser in seiner Einsamkeit, seiner Buße, seinen Entbehrungen wahngeborenen Gestalten. Ein schmales Lächeln belebt dieses körperlose Gesicht, repräsentiert lediglich die Unruhe in der Form einer agilen Grimasse. Nun ist es gerade diese Silhouette eines Nachtmahr, die zugleich Subjekt und Objekt der Versuchung ist; sie fasziniert den Blick des Asketen – wobei beide Gefangene einer Art Spiegelbefragung bleiben, die für immer unbeantwortet bleibt in einem Schweigen, das nur von dem dämonischen Schwarm, der sie umgibt, bewohnt ist [...] Der Gryllus erinnert den Menschen in seiner satirischen Form nicht mehr an seine geistige, im Wahn seiner Begierden vergessene Berufung. Er ist der zur Versuchung gewordene Wahnsinn: alles Unmögliche, Phantastische, Unmenschliche an ihm, alles, was an ihm die Widernatürlichkeit und das Gekrabbel einer geisteskranken Präsenz an der Oberfläche der Erde erkennen läßt, all das gibt ihm gerade seine eigenartige Macht. Für den Menschen des fünfzehnten Jahrhunderts haben die Freiheit, selbst wenn sie erschreckend ist, seiner Träume und die Phantasmen seines Wahnsinns mehr Anziehungskraft als die begehrenswerte Realität des Fleisches [...] Am jener Natur der Dunkelheit entgegengesetzten Pol fasziniert der Wahnsinn, weil er Wissen ist, das heißt: zunächst, weil all diese absurden Gestalten in Wirklichkeit Elemente eines schwierigen, geschlossenen, esoterischen Wissens sind. Diese seltsamen Formen sind von Anfang an in den Raum des großen Geheimnisses gestellt, und der heilige Antonius, der durch sie versucht wird, ist nicht der Heftigkeit der Begierde ausgesetzt, sondern dem viel hinterhältigeren Stachel der Neugier.“ (Foucault 1993 [1973]: 38ff.)
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In der Disziplin der Kunstgeschichte hat diese Analyse jedoch wenig Resonanz erzeugt. Andreas Gelhard verweist in seinem Aufsatz Foucault und die Malerei auf die wenigen amerikanischen Zeitschriften, in denen zu Beginn der 1980er Jahre über Foucaults „Las Meninas“-Analyse debattiert wurde (vgl. Gelhard 2001: 260).
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Abbildung 1: Versuchung des heiligen Antonius (Hieronymus Bosch 1516)
Quelle: Kupferstichkabinett des Staatlichen Museums zu Berlin, Abbildung entnommen aus: https://library.a rtstor.org/asset/BERLIN_DB_10313800263 [zuletzt abgerufen am: 13.09.2019]
Nachdem die klassische Periode jene faszinierende Macht des Wahnsinns verdunkelt und auszulöschen versuchte, sieht Foucault sie neuerlich in Goyas Radierungsfolge der „Disparates“ und der Schwarzmalereien in „Quinta del Sordo“ (s. Abb. 2) übermittelt. Gelhard liefert die deutsche Übersetzung von Foucaults Passage zu Goya, die in der deutschen Übersetzung von Wahnsinn und Gesellschaft (1993 [1973]) fehlt: „Der Goya der Disparates und der Quinta del Sordo bezieht sich auf einen anderen Wahnsinn (als den des Irrenhauses). Nicht auf den der ins Gefängnis geworfenen Irren, sondern auf den des in seine Nacht geworfenen Menschen. Nimmt er nicht, jenseits des Gedächtnisses, wieder Kontakt auf mit den alten Welten der Zauberei, der phantastischen Austritte, der auf Ästen toter Bäume hockenden Hexen? Das Ungeheuer, das seine Geheimnisse in das
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Ohr des Mönches flüstert, ist es nicht dem Gnom verwandt, der Boschs Heiligen Antonius faszinierte? Auf gewisse Weise entdeckt Goya diese großen vergessenen Bilder des Wahnsinns wieder. Doch sind sie zugleich anders für ihn und ziehen ihren Reiz, der sich auf das gesamte späte Werk erstreckt, aus einer anderen Kraft. Bei Bosch [...] entsprangen diese Gestalten der Welt selbst; durch die Risse einer fremdartigen Poesie stiegen sie aus Steinen und Pflanzen auf, entsprangen sie einem tierischen Bellen; die gesamte Natur reichte gerade aus, um ihre Runde zu bilden. Die Gestalten Goyas entsprangen aus nichts: sie sind ohne Grund, in dem doppelten Sinne, daß sie sich nur von der monotonsten aller Nächte abheben und daß nichts ihren Ursprung, ihr Ziel und ihr Wesen anzeigen kann [...] In alledem spricht nichts von einer Welt, weder von dieser noch von einer anderen [...] [E]s handelt sich um eine Nacht, die zweifellos die der klassischen Unvernunft ist [...] Doch in dieser Nacht nimmt der Mensch Verbindung mit dem auf, was in ihm am tiefsten und einsamsten ist. Die Wüste des Heiligen Antonius von Bosch war unendlich bevölkert [...] Der Mönch Goyas [s. Abb. 2, Anm. R.K.S.] bleibt, mit dieser warmen Bestie an seinem Rücken, den Tatzen auf seinen Schultern und diesem Rachen, der in sein Ohr keucht, allein.“ (Foucault zitiert aus Histoire de la folie in: Gelhard 2001: 243f., Hervorh. i.O.)
Nicht nur diese Passage zeigt an, dass Foucaults Bemerkungen über Malerei und Grafik in Wahnsinn und Gesellschaft (1993 [1973]) ganz im Dienste der Argumentation stehen, die sich im Buch zu erfüllen hat (vgl. Gelhard 2001: 246). Foucault impliziert, dass sich der diskursive Ausschlussprozess des Wahnsinns in der Sphäre der Kunst nachvollziehen lässt. Der Verwerfungsprozess dokumentiert sich gewissermaßen in der Kunst. Gleichzeitig konzipiert Foucault diese Sphäre als einen Bereich, in dem sich die exkludierte, marginalisierte Erfahrung des Wahnsinns, wenn auch nur in rudimentärer Form, zu zeigen vermag. Foucault nutzt die von den Bildsujets ausgehenden Beschreibungen der Malereien und Grafiken, um zu verdeutlichen, wie sich die ‚Macht der Faszination‘ des Wahnsinns als ‚andere Erfahrung‘ in der Kunst manifestiert. Hier deutet sich bereits sehr explizit an, dass über die Analyse von visuellen Dokumenten Rückschlüsse auf diskursive Entwicklungslinien gezogen werden können. Gleichwohl deutet sich an, dass von der Visualität auch eine eigenlogische Kraft ausgeht, d.h. der Bereich des Visuellen eine Sphäre darstellt, in der sich das auszudrücken vermag, was diskursiv verdrängt/verworfen wird.
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Abbildung 2: Two Monks [aus Quinta del Sordo] (Francisco de Goya 1819- 1823)
Quelle: Museo del Prado, Abbildung entnommen aus: https://library.artstor.org/asset/LESSING_ART_1039 902183 [zuletzt abgerufen am: 13.09.2019]
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Mit der Analyse von „Las Meninas“ (s. Abb. 3) in Die Ordnung der Dinge (1994 [1974]), die weit über die Betrachtung des reinen Sujets hinausgeht, versucht Foucault zu zeigen, wie Velásquez’ Bild den denkgeschichtlichen Zusammenhangvisualisiert, den er in dem Buch zu beschreiben versucht. Diesen Zusammenhang zeichnet er anhand der Analyse der Muster von unbewussten Grundeinstellungen, den Strukturen des Denkens – „der stummen Ordnung“ (Dux 1998: 42) – nach, mit denen in den verschiedenen wissenschaftlichen Disziplinen operiert wird und die die Formen des legitimen Wissens regeln, ausgehend von der Denkweise der Renaissance hin zur Weltanschauung des klassischen Zeitalters, bis schließlich im 19. Jahrhundert der Mensch selbst als wissenschaftliches Themas begriffen wird und so in Erscheinung tritt. Diese epochenspezifischen Wissensordnungen oder auch die historisch je spezifischen Erkenntnislogiken nennt er episteme. Während die Wissensordnung der Renaissance geprägt ist von der episteme der Ähnlichkeit, folgt das klassische Zeitalter der episteme der Repräsentation. In der Zeit der Renaissance war das Wissen nach der Logik der Ähnlichkeit geordnet: „Die Welt drehte sich in sich selbst: die Erde war die Wiederholung des Himmels, die Gesichter spiegelten sich in den Sternen, und das Gras hüllte in seinen Halmen die Geheimnisse ein, die dem Menschen dienten. Die Malerei imitierte den Raum, und die Repräsentation, war sie nun Fest oder Wissenschaft (savoir), gab sich als Wiederholung: Theater des Lebens oder Spiegel der Welt, so lautete der Titel jeder Sprache, ihre Art, sich anzukündigen, und ihr Recht auf Sprache zu formulieren.“ (Foucault 1994 [1974]: 46, Hervorh. R.K.S.)
Das Denksystem des klassischen Zeitalters ging aus der Auflösung des Denkens in Ähnlichkeiten hervor, an dessen Stelle das auf „in Termini der Identität und des Unterschieds erstellten Analyse“ (ebd.: 87) beruhende Denken tritt: „Die Zeichen verlieren ihre Spiegelbildlichkeit gegenüber der bezeichneten Sache, werden zu autonomen Repräsentanten der Dinge und gehorchen ihrer eigenen, taxonomischen, formalisierbaren Logik“ (Sarasin 2005: 76). Während also im Zeitalter der Renaissance die Bedeutung eines Zeichens in seiner Abbildfunktion zur Welt aufging, garantiert die rationale Ordnung der Zeichen im klassischen Zeitalter die Erkennbarkeit der Welt (vgl. ebd.). Insofern als dass die Verbindung des Bildsujets mit den aufgrund der Bildkomposition angeregten Blickverhältnisse die „Repräsentation der klassischen Repräsentation“ (Foucault 1994 [1974]: 45) verwirklicht wird, kann „Las Meninas“ als visualisierter Ausdruck der Erkenntnislogik des klassischen Zeitalters betrachtet werden. In dem Gemälde manifestiert sich
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keine ‚andere Erfahrung‘. Das Bild gibt aufgrund seiner Komposition vielmehr Aufschluss über die Denkweise der klassischen Erfahrung. Abbildung 3: Las Meninas (Diego Velásquez ca. 1656)
Quelle: Museo del Prado, Abbildung entnommen aus: https://library.ar tstor.org/asset/AWSS35953_35953_31697826 [zuletzt abgerufen am: 13.09.2019]
Foucaults Analyse zu „Las Meninas“ Foucault beginnt seine Besprechung von „Las Meninas“, die als eigenständiger Essay im Mercure de France veröffentlicht und erst danach und mit einigem Zögern als erstes Kapitel in die Ordnung der Dinge (1994 [1974]) eingefügt wurde, weswegen die Bildanalyse eine gewisse Eigenständigkeit bewahrt, d.h. einen Überschuss an Bedeutung gegenüber der Gesamtargumentation seines Buches generiert (vgl. Gelhard 2001: 246f.), mit der Überlegung danach, was der am linken Bildrand positionierte Maler wohl auf seiner Leinwand repräsentierte. Für
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Foucault nimmt gerade die dem_r Betrachter_in nur mit der Rückseite sich zeigende Leinwand eine besondere Stellung in der Bildkomposition ein. Die Beziehung zwischen Maler, seiner Leinwand und dem, was der Maler auf seine Leinwand zu bringen versucht, ist für Foucault der Ausgangspunkt seiner Bildbetrachtung. Gerade deren inhärente Relation von Sichtbarkeit, Unsichtbarkeit, Licht und Schatten gibt Foucault Aufschluss darüber, wie sich im Zeitalter der episteme der Repräsentation das Sujet des Bildes „befreit“ von seiner ‚Abbildbeziehung‘, „die sie ankettete“ (Foucault 1994 [1974]: 45). Die dunkle Gestalt des Malers und sein helles Gesicht „bilden die Mitte zwischen Sichtbarem und Unsichtbarem. Er tritt hinter der für uns nicht einsehbaren Leinwand hervor und wird dadurch sichtbar [...]. Als könnte der Maler nicht gleichzeitig auf dem Bild, das ihn darstellt, gesehen werden und seinerseits dasjenige sehen, auf dem er gerade etwas darstellen will. Er herrscht an der Grenze dieser beiden unvereinbaren Sichtbarkeiten.“ (Ebd.: 31f.)
Das Verbindungsglied zwischen Maler, Leinwand und der unsichtbaren Szenerie, die der Maler ins Visier nimmt, liegt in der Blickachse zwischen Maler und Betrachter_in des Gemäldes. Der unsichtbare, vom Maler fixierte Punkt fällt zusammen mit unserem Betrachter_innenstandpunkt, wodurch die unsichtbare, aber vom Maler beobachtete Szenerie zweimal unsichtbar ist: einmal, weil sie nicht im Bild repräsentiert wird und ein weiteres Mal, weil sie „genau in jenem blinden Punkt, in jenem essentiellen Versteck liegt, in dem sich unser eigener Blick unseren Augen in dem Augenblick entzieht, in dem wir blicken“ (ebd.: 32). Die Leinwand, deren Rückseite wir sehen, verweist auf den Umstand der doppelten Unsichtbarkeit bzw. auf die verweigerte Sichtbarkeit dessen, was sich für den Maler abspielt. Was erblickt der Maler in dem Augenblick, in dem wir ihn erblicken? „Sehen wir, oder werden wir gesehen?“, fragt Foucault (ebd.: 33) und die Problematik des Sehen und Gesehen-Werdens – die Ambiguität von Subjekt und Objekt – kann wohl als generelle, für die episteme der Repräsentation charakteristische Leitfrage gelten. In einem zweiten Schritt der Bildanalyse ist Foucault nun daran interessiert, diesen Platz vor dem Bilde – die nicht repräsentierte Szenerie, deren Nichtrepräsentanz sich durch die Leinwand repräsentiert, bzw. der ‚wirkliche‘ Raum, den di_er Betrachter_in besetzt, der mit dem ‚irrealen‘ Standort des Modells zusammenfällt – zu identifizieren. Hierfür sind für ihn zwei Elemente von entscheidender Bedeutung, die er über den ‚schneckenförmigen‘ Weg des Betrachter_innenblicks über das Bild verbunden sieht: Zunächst das an linker Bildseite liegende Fenster, das über die Fensterumrahmungen angedeutet ist, und über das das Licht
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auf die Bild-Szenerie scheint. Foucault sieht in dem durch das Fenster einbrechende Licht einerseits den gemeinsamen Punkt der gesamten Bildrepräsentation und andererseits das Gegengewicht zur unsichtbaren Leinwand (vgl. ebd.: 34). Das zweite, ob seiner Unscheinbarkeit im Vergleich zu den anderen Elementen des Bildes für Foucault zentralste Element, stellt der Spiegel an der Wand des auf dem Bild repräsentierten Zimmers dar. Positioniert neben einer Serie von Bildern, die Foucault als vollendete, aber von „illusorischen oder wirklichen Inhalten freigemachte“ (Foucault 1994 [1974]: 40) Repräsentation versteht, bildet der Spiegel das kompositorische Zentrum des Bildes, denn der Spiegel ist es, der „den Zauber, den ebenso die entfernt hängenden Gemälde wie das Licht des Vordergrundes mit der ironischen Leinwand verweigerten, frei[gibt]“ (ebd.: 35). Was sich in dem Spiegel als Bild reflektiert, ist nun auf zweierlei Weisen interessant. Zum einen reflektiert der Spiegel nichts, was sich mit ihm im Bildraum befindet. Er spiegelt nicht das auf dem Bild erkenntlich Sichtbare. Indem Foucault anmerkt, dass der Spiegel hier – im Gegensatz zur Tradition der holländischen Malerei – nicht die Funktion der Wiederholung einnimmt, sondern er stattdessen auf das unsichtbare Zentrum verweist, „um das sich die ganze Repräsentation ordnet“ (ebd.: 43), wird nicht nur deutlich, dass „Las Meninas“ den visuellen Ausdruck der Denkweise des klassischen Zeitalters darstellt, indem die Instanz (in dem Falle: König Philipp IV. und seine Frau Marianna) abwesend ist, die die Repräsentation ordnet und reguliert. Laut Foucault übernimmt der Spiegel hier die drei ‚betrachtenden‘ Funktionen des (a) Blick des Modells, (b) der_s die Szenerie betrachtenden Zuschauer_ins und (c) des Malers. Diese drei Blicke, die jeweils unterschiedlichen Ursprungs sind, laufen in dem vor dem Bild liegenden Platz zusammen und projizieren sich gleichermaßen in das Bild, „in drei Gestalten zerbrochen, die den drei Funktionen dieses idealen und realen Punktes entsprechen“ (ebd.: 44): der Maler mit seiner Palette in der Hand und vor der Leinwand positioniert, der Besucher an der Rückseite des Raumes, der das Zimmer betritt und das Geschehen im Hintergrund beobachtet, und das Spiegelbild des Königspaares, das dem Maler Modell steht. Der Sachverhalt des unsichtbaren Zentrums der Repräsentation weist zum anderen darauf hin – und das scheint von zentraler Bedeutung –, dass der Mensch nach dem klassischen Zeitalter, d.h. zu Beginn des 19. Jahrhunderts mit der Entwicklung der Humanwissenschaft, erst in Erscheinung treten muss. Diesen denkgeschichtlichen Zusammenhang beschreibt nicht nur die Gesamtargumentation in Die Ordnung der Dinge (1994 [1974]), sondern auch „Las Meninas“. Das Gemälde kann nicht nur als Ausdruck der Denkweise des klassischen Zeitalters verstanden werden, sondern auch als deren Dekonstruktion. Die Ordnung der Elemente, die sich aus der Bildkomposition, ihrer jeweils spezifischen Situierung im Bildraum und den sie bestimmenden Licht- und Schattenverhältnissen ergibt, repräsentiert nicht nur
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die Art und Weise, wie im klassischen Zeitalter die Welt wahrgenommen wird. Gerade die Eigentümlichkeit der Position des Spiegels und seine Funktion, die er in der Gesamtkomposition einnimmt, deutet darauf hin, dass der Mensch im 19. Jahrhundert erst hervortreten wird durch die sich herausbildenden humanwissenschaftlichen Disziplinen (Psychologie, Soziologie, Kultur-, Ideen- und Wissenschaftsgeschichte). Diesen Übergang von dem_r Betrachter_in, di_er sich nicht repräsentiert findet, zu dem_r Betrachter_in, di_er gleichermaßen Urheber und Fixpunkt des Bildes ist, ist visualisiert am Blicksystem, das die Sichtbarkeitsordnung von „Las Meninas“ reguliert. Eine ganz ähnliche Beziehung zwischen künstlerischem Werk und Betrachter_in manifestiert sich im Spielfilm. Der französische Filmtheoretiker Jean-Pierre Oudart war der erste, der diesen in Foucaults Bildanalyse angelegten Gedanken zur besonderen Positionierung des_r Betrachters_in – di_er Betrachter_in als implizierter Bestandteil des Bildes – aufnahm und auf das filmische Medium übertrug (vgl. Oudart 1977/78). In seinem Aufsatz La Suture, der den Beginn der filmwissenschaftlichen Auseinandersetzung mit der Problematik der Identifikation des_r Zuschauers_in mit und in dem Film markiert und als Suture-Theorie bekannt wurde, geht es Oudart um die Frage, wie das Zuschauer_innensubjekt im Verhältnis zum discourse des Films positioniert wird, was er am Beispiel des Montageverfahrens der Schuss-Gegenschuss-Struktur erläutert. Rekurs nehmend auf Jaques Lacan beschreibt Oudart, wie di_er Zuschauer_in einen Platz innerhalb der Schuss-Gegenschuss-Struktur zugewiesen bekommt und dadurch den Ort des abwesenden Anderen einnimmt. Während im Film dieser Ort mit der Position der Kamera verschaltet ist, wird der Platz in „Las Meninas“ besetzt von dem_r Betrachter_in bzw. von dem Maler Velásquez. Der Lacanschüler Alain Miller präzisierte in der Filmtheorie den Sachverhalt des Suturierens des_r Zuschauers_in in den Film, indem er schreibt, dass das Zuschauer_innensubjekt … „als fehlendes Element auftaucht, und das in Form eines Ersatzes. Obwohl es fehlt, ist es nicht einfach vollkommen abwesend. Suture ist, genauer betrachtet, die allgemeine Beziehung eines Mangels zu der Struktur, von der er selbst das Element ist, insofern er die Position eines Den-Platz-Einnehmen-Von impliziert.“ (Miller 1977/78: 25f.)
1.2.4 Der ärztliche Blick als Agens der Wahrheitsproduktion Für die Analyse der Diskursaussagen zu Transgeschlechtlichkeit wohl am relevantesten sind Foucaults Erkenntnisse zur Entwicklung des medizinischen Blicks, wie er sie in Die Geburt der Klinik (1988 [1963]) zusammenträgt. In Die Geburt der Klinik (1988 [1963]) verdeutlicht Foucault, dass Krankheiten im vorklinischen
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Denken (Mitte 18. Jahrhundert) als spezifische Wissensgegenstände durch den medizinischen Blick konstituiert wurden. Der medizinische Blick richtete sich nicht auf den individuellen Körper, sondern auf die ideale Krankheit, ihr Wesen an sich. Im Gegensatz zum Versuch, Krankheiten durch Klassifikationen zu erforschen, was die gängige Strategie des medizinischen Blicks der ‚alten Klinik‘ darstellte, zeichnet sich die ‚neue Klinik‘ dadurch aus, dass der ärztliche Blick nun in den Körper, in dessen Tiefe, eindringt. Diese beiden gegensätzlichen Strategien der Wissensformation bringt Foucault direkt in Zusammenhang mit Techniken der Sichtbarkeit, und beschreibt sie sogar anhand medialer Metaphern: „[D]ie erste Struktur der klassifizierenden Medizin [...] [ist] der flache Raum des Immerwährend-Gleichzeitigen – das Tableau“ (Foucault 1988 [1963]: 22, Hervorh. R.K.S.), das nicht hilft etwas zu erkennen, sondern nur etwas wiederzuerkennen, während „der erspähende Blick eine komplexe Organisation zur räumlichen Bestimmung des Unsichtbaren geworden [ist]“ (ebd.: 178). Der alte ‚Flächenblick‘ des Klinikers wird zur Bestimmung des Unsichtbaren, das sicht- und damit wissbar gemacht wird, also abgelöst vom ‚erspähenden Blick‘ in die Tiefe des Menschen: „Was nicht in den Bereich des Blickes fällt, fällt aus dem Bereich des möglichen Wissens heraus“ (ebd.: 180). Foucault zeichnet damit am Beispiel der Entwicklung der anatomischen Medizin nach, dass der ärztliche Blick nicht nur das Wahrnehmbare, das sich als Sichtbares auf der Oberfläche des Menschen offenbart, meistert, sondern dass der Blick das Erkenntnisinstrument darstellt, das „die dunklen Massen“ (ebd.: 132), die unsichtbaren Tiefenschichten, erforscht, indem er sie in den Bereich des Sichtbaren erhebt. Der Blick des Klinikers erzeugt damit die Phänomene, die er sieht – „er ist das die Wahrheiten herauslösende Agens“ (ebd.: 134). Die Sichtbarkeit bzw. Ersichtlichkeit von Krankheiten ist das Produkt „zweier Weisen, ‚den Raum, in dem sich die Körper und die Blicke kreuzen‘, zu organisieren“ (Rajchman 2000: 41). Dieser Wandel vom ärztlichen Blick, der zunächst die körperliche Oberfläche sondiert, hin zum in die Tiefen des menschlichen Körpers vordringenden Blicks lässt sich besonders am medizinischen Umgang mit ‚hermaphroditischen‘ Körpern nachvollziehen. Es wird sich im Kapitel 3.1 Die Medikalisierung der Geschlechtszuweisung über ‚Hermaphroditen‘ als Vorläufer von Transgeschlechtlichkeit zeigen, dass der in das Volumen des menschlichen Körpers vordringende ärztliche Blick ein Zweikörpermodell etablierte, indem immer tiefere Schichten des Körpers verzweigeschlechtlicht wurden. Der in das Körperinnere vordringende ärztliche Blick war getrieben durch die Suche nach einem „wahren“ Geschlecht (Foucault 1998). Gegen Ende des 19. Jahrhunderts waren fotografische Medien dezidiert am ärztlichen Blick beteiligt. Linda Williams (1995) arbeitete in Rekurs auf Foucaults
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in Sexualität und Wahrheit (1977) gewonnene Erkenntnisse heraus, dass jene Medien der Sichtbarkeit (bei Williams: Fotografie und Kinematografie) dabei mitwirkten, das Wissen über Geschlecht und Sexualität zu organisieren. Der in der scientia sexualis konstruierte Wille zum Wissen, der „die meßbaren, gestehbaren Wahrheiten einer Sexualität untersucht“ (Williams 1995: 66), fällt zusammen mit und wird vergegenständlicht durch die „Maschinen des Visuellen“ (Comolli 1980). Der humanwissenschaftliche Wunsch, mehr vom menschlichen Körper, seinen eigensinnigen Bewegungen, Abnormalitäten und Pathologien zu wissen und zu sehen, bildet nach Williams die Grundlage für die Erfindung des durch Fetischismus und Voyeurismus geprägten Kinos. Der menschliche Körper wird über die (kinematografische) Projektion als Filmkörper überlebensgroß und damit ideal sicht- und somit studierbar: „In anderen Worten, mit der Erfindung des Kinos erhielten Fetischismus und Voyeurismus, durch ihre Verbindung mit der positivistischen Suche nach der Wahrheit optischer Phänomene, eine neue Bedeutung und Normalität [...] [D]as Kino pflanzte [die] Perversionen noch fester ein, indem es sie für technologische und gesellschaftliche ‚Sehweisen‘ normalisierte.“ (Williams 1995: 79)
Allan Sekula (2003 [1986]) weist am Beispiel des im 19. Jahrhundert für die Strafjustiz eingesetzten Systems der Erfassung und Identifikation von Kriminellen über Porträtfotos darauf hin, dass der Einsatz von Fotografien dazu führte, „das Terrain des anderen zu konstituieren und abzustecken und sowohl das verallgemeinerte Aussehen – die Typologie – als auch den kontingenten Einzelfall der Abweichung und des sozial Pathologischen zu definieren“ (Sekula 2003 [1986]: 273, Hervorh. i.O.). Medial vermittelte Sichtbarkeitspraktiken reproduzieren demnach nicht schlichtweg diskursiv bestehende Aussagen, sondern müssen als Agenten der Gestaltung diskursiver Botschaften – der Bedeutungsproduktion – betrachtet werden. Insgesamt lässt sich festhalten, dass Foucault an zahlreichen Stellen seines Œuvres teilweise implizit, teilweise explizit, darauf verweist, dass historisch bedingte Veränderungen in Denksystemen mit Veränderungen von Sichtbarkeitsordnungen einhergehen. Und genauso wie sich Denksysteme herausbilden aus und basieren auf der historisch spezifischen Verteilung von Macht und Wissen, wodurch die Dinge und Aussagen entstehen, die als wahr und richtig gelten, so ist auch den Sichtbarkeitsordnungen die Relation von Wissen, Macht und Wahrheit eingeschrieben. Mit der Betonung der Wandelbarkeit von Wissensordnungen korreliert die Wandelbarkeit der Funktionen von Sicht- und Unsichtbarkeit. Auch innerhalb von Denksystemen variieren diese (Un-)Sichtbarkeitsfunktionen, je nach dem, um
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welchen diskursiven Gegenstand es sich handelt und welche diskursive Ebene betrachtet wird. So kann dem Bereich der Unsichtbarkeit nicht per se die Funktion einer diskursiven Auslöschung zugeschrieben werden, was an der Entwicklungsgeschichte des Wahnsinns zu beobachten ist. Der Bereich der Unsichtbarkeit kann ebenso als der hegemoniale Modus fungieren, aus dem heraus sehr wirkmächtiges Wissen erzeugt und Macht ausgeübt wird, was die Beispiele des medizinischen Blicks im klinischen Denken oder des anonymen Blicks im Panopticon, aber auch der unhinterfragte zwei- und cisgeschlechtliche Wahrnehmungsfilter von Individuen bezeugen. Eine analoge Variabilität weist der Bereich der Sichtbarkeit auf. Wie die Beispiele der diskursiven Genese des Wahnsinns oder der Krankheiten verdeutlichen, liegt die Funktion der Sichtbarkeit per definitionem nicht darin, eine Intensivierung von gesellschaftlicher Präsenz zu erzeugen. Wahnsinn und Krankheiten stellen in der Moderne vielmehr die Gegenstände dar, über deren diskursiv bedingte Übersichtbarkeit sich das ‚Normale‘ erst konstituiert. Maasen, Mayerhauser & Renggli verweisen in ihrer Re-Lektüre von Foucaults Schriften deshalb auf die „machttheoretische Vehemenz“ des Konzepts der Sichtbarkeit: „Sie [die Sichtbarkeit, ebenso die Unsichtbarkeit, Anm. R.K.S.] ist [...] fundamentaler Effekt von Machtmechanismen, die wiederum auf entsprechende Modi der Wissensgenerierung rekurrieren“ (Maasen et al. 2006: 13). Es gilt also nachfolgend, die Visualität von Transgeschlechtlichkeit als diskursives Phänomen zu begreifen, das sich sowohl aus der Verwobenheit von Macht und Wissen konstituiert, als auch ‚mächtige‘ Botschaften über Geschlecht(lichkeit) diskursiv in Umlauf bringt.
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Zur Untersuchung von Sichtbarkeiten: Bilder von Transgeschlechtlichkeit interpretieren
Spätestens seit der in den geistes- und sozialwissenschaftlichen Disziplinen vor allem in den 1990er Jahren einsetzenden verstärkten Hinwendung zum Bild scheint es einen theoretischen Konsens darüber zu geben, dass „Bilder nicht weniger sinnstiftend sind als Sprache“ (Keutzer et al. 2014: 1), und dass Bilder einen Sinn vermitteln, der nicht in Sprache aufgeht, sondern einer eigenen Logik folgt. Bilder zeigen stets etwas und dabei auch sich selbst (vgl. Boehm 2008). Der Zeigegestus des Bildes unterhält eine Verbindung zum außerbildlichen – gesellschaftlichen – Sichtbarkeitskorrelat, während er diese Beziehung nicht schlichtweg im Sinne einer Spiegelung deckungsgleich widergibt, sondern sie ästhetisch gestaltet zum Ausdruck bringt, also modifiziert. Das Bild ist damit kein Zeichen für etwas Abwesendes, das es sichtbar macht. Das Bild ist ebenso wenig nur ein Kunstwerk, das als eigenmächtiges Objekt erscheint (vgl. Frank und Lange 2010: 16ff.). Vielmehr scheint es ein komplexes Verhältnis von Bild(ern) und Wirklichkeit zu geben (vgl. Breckner 2010). Diese Erkenntnis wurde in den verschiedensten wissenschaftlichen Disziplinen – seien es die Kunst- und Kulturwissenschaften, die Geschichts- und Sozialwissenschaften oder die Medien- und Filmwissenschaft – aufgrund der Relevanz gewonnen, die Bildlichkeit durch die Verbreitung und Technisierung medialer Verfahren bekommt. Täglich werden wir mit Bildern aus der Werbung, der Kunst, der Politik und der Wirtschaft konfrontiert, ob im Fernsehen, auf Plakatwänden im öffentlichen Raum, in Zeitschriften oder im Internet. Bilder prägen unsere Alltagswahrnehmung und das Verständnis, das wir von sozialen Phänomenen gewinnen. Bilder liefern damit auch Deutungsangebote über den Menschen als vergeschlechtlichtes Subjekt. Goffman (1979) arbeitete beispielsweise anhand von Werbebildern heraus, dass in der Werbung eingesetzte Illustrationen eine „HyperRitualisierung“ (Goffman 1979: 84) von Szenen aus dem alltäglichen Leben sind,
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die auf Strategien wie Vereinfachung, Standardisierung und Übertreibung beruhen, und wesentlich zur Festschreibung von Geschlechterrollen beitragen. Auch der vermehrte Einsatz von bildgebenden Verfahren in der Medizin (der Einsatz von Ultraschall, Computertomographie, digitale Röntgentechnik, Magnetresonanzbildung, etc.) ist nicht nur ein weiterer Hinweis auf eine „visuelle Zeitenwende“ (Bredekamp 2000: 34), sondern prägt das Wissen, das über den (vergeschlechtlichten) Körper diskursiv zirkuliert. In ihrer Studie Doing Images. Zur Praxis medizinischer Bilder (2008) beschreibt die Züricher Soziologin Regula Valérie Burri z.B. die zunehmende Verwendung von Computerbildern des menschlichen Körpers in Medizin, Forschung und Massenmedien als eine soziale Praxis, die Wissen (über den Körper) nicht nur vermittelt und darstellt, sondern geradezu erzeugt. Auch Barbara Duden (1991, 1993) arbeitete vielfach heraus, dass die im 20. Jahrhundert aufkommende Pränataldiagnostik mit ihren zahlreichen bildgebenden Verfahren nicht nur den Embryo als „öffentlichem Fötus“ erschuf, sondern sowohl das Körperempfinden der Schwangeren, als auch das gesellschaftliche Verständnis von der schwangeren Frau prägte. Ein weiteres Beispiel für die diskursive Wirkung visueller Verfahren auf Ebene der Medizin beschreibt Katrin Nikoleyczik (2004), die anhand von neurowissenschaftlichen Bildern zeigte, dass Normen bzgl. Geschlecht und race in Visualisierungen eingehen und so zur Ontologisierung von Differenzen beitragen. Bildgebende Verfahren in den Neurowissenschaften wirken – so Nikoleyczik – an der Naturalisierung von Geschlecht insofern mit, als dass die in Studien gemessenen Unterschiede zwischen dem ‚männlichen‘ und ‚weiblichen Gehirn‘ mittels Visualisierungen evident gemacht werden (vgl. Nikoleyczik 2004: 139). Die Relevanz von Bildern, Filmen und weiteren medialen Formaten scheint in den verschiedenen wissenschaftlichen Disziplinen hinsichtlich der Produktion und Distribution von gesellschaftlichen Sinn- und Deutungspotentialen unbestritten. Die Rede von der Konjunktur des Bildes, die auch als „pictorial turn“ (Mitchell 2008) bezeichnet wurde, findet ihren gemeinsamen Nenner in der Einsicht, dass gesellschaftliche Wirklichkeit nicht nur „durch Bilder repräsentiert, sondern durch die Herstellung von Bildern tatsächlich konstituiert und zur Existenz gebracht [ist]“ (Mitchell 1994: 41). Nichtsdestotrotz herrscht in den verschiedenen Disziplinen Uneinigkeit darüber, welche Bedeutung Bilder (und Filme) hinsichtlich der Konstruktion von gesellschaftlicher Wirklichkeit und mithin von gesellschaftlichem Wissen einnehmen. Für die sich aktuell herausbildende Disziplin der Visuellen Soziologie (Raab 2008) stellen diese offenen Fragen zentrale Ausgangspunkte von Überlegungen dar. Die Visuelle Soziologie versteht sich als Vorhaben zur Analyse der „historischen, kulturellen und sozialen Bedingungen und Bedingtheiten der Wahrnehmung, der Darstellung und Deutung von sozialer Wirklichkeit
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in pluralistischen, medialisierten Gesellschaften“ (Raab 2008: 7). In den letzten Jahren finden verstärkt Diskussionen darüber statt, wie ein methodisch kontrollierter Zugang zum Bild vollzogen werden kann, der einerseits die gesellschaftliche Bedingtheit des Bildes und der Bilderzirkulation ins Auge fasst, der aber andererseits das Bild aufgrund seiner primären Eigenschaft als ästhetisches Phänomen nicht rückstandslos aufgehen lässt in einer gesellschaftlichen Abbildfunktion, sondern der gerade auch die ästhetischen Strukturen des Bildes als eigensinnige, dem visuellen Medium innewohnenden Ausdruckskräfte mitbedenkt. Erst kürzlich wird also aus soziologischer Perspektive die Frage geklärt, „[w]ie mit Bildern als wesentlichem Bestandteil sozialer Sinnbildungsprozesse methodisch umgegangen werden kann“ (Breckner 2010: 9). Visuellsoziologische Studien – wie die vorliegende –, die Bilder und Filme als kulturelle Dokumente, d.h. als Artefakte versteht, die gesellschaftliche Werte und Meinungen ästhetisch gestaltet zum Ausdruck bringen und Deutungsangebote machen, befinden sich daher in einer (noch) prekären Situation, was die methodische Ausrichtung und Verfahrensweise anbelangt. Es geht mir nachfolgend weder darum, eine eigenständige genderorientierte Methode für die visuelle Soziologie zu erfinden, noch darum, für ein sklavisches Befolgen einer bereits bestehenden methodischen Programmatik zu plädieren. Vielmehr beabsichtige ich, eine Forschungsperspektive einzunehmen und eine Methode anzuwenden, die ihrem Gegenstandsbereich – der diskursiven Genese und Entwicklung von Transgeschlechtlichkeit im und mittels des Bildes – gerecht wird, und die ich im Anschluss an J. Jack Halberstam (1998) als queere Methodologie bezeichne. Sie fungiert als eine entdeckende Methodologie, die sich bestehender Methoden bedient, aber gleichsam Raum lässt für Modifikationen, Kreativität und Offenheit des Forschungsprogramms: „A queer methodology, in a way, is a scavenger methodology that uses different methods to collect and produce information on subjects who have been deliberately or accidently excluded from traditional studies of human behavior“ (Halberstam 1998: 13). Ein gewisser Grad an Kreativität und Offenheit sind für das Forschungsvorhaben vonnöten, schließlich interessiere ich mich für die verschiedensten Funktionen von Visualität und Sichtbarkeit hinsichtlich der diskursiven Entwicklung von Transgeschlechtlichkeit. Daher wurden zahlreiche visuelle Dokumente in den analytischen Blick genommen. Jene Dokumente, die Transgeschlechtlichkeit bzw. deren diskursive Vorläufer visualisieren, sind nicht nur in den verschiedensten Kontexten angesiedelt: in der Sexualwissenschaft oder Medizin, um das Fachpublikum über die neusten ‚Entdeckungen‘ zu informieren; im Bereich der Subkultur, um Gegenentwürfe zu pathologisierenden Deutungen zu etablieren; oder als Spielfilme im mas-
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senmedialen Bereich in der Funktion, ein breites Publikum in den Kinos zu unterhalten. Sie werden auch in den unterschiedlichsten medialen Formaten vermittelt: in Fotografien, Gemälden, Zeichnungen, Skizzen, auf YouTube oder eben in Spielfilmen. In methodischer Hinsicht muss deshalb zwei Sachverhalten Rechnung getragen werden: zum einen dem Umstand, dass jene visuellen Dokumente auf unterschiedlichen Diskursebenen eingesetzt werden. Zum anderen müssen Methoden zur Anwendung kommen, die der Unterschiedlichkeit der Medien – dem Einzel- und dem Bewegtbild – gerecht werden. Die Verschiedenheit der Anwendungskontexte und die Vielfalt der medialen Formate hat Auswirkungen auf den Umgang mit dem Gesamtsample, das sich als sehr heterogen erweist. Anliegen dieses Methodenkapitels ist es deshalb, neben der Explizierung der Forschungsperspektive (2.1), die verwendeten Methoden der Bild- und Filminterpretation vorzustellen und deren Analyse- und Auswertungsschritte in ihrer Plausibilität zu rekonstruieren (2.2) sowie die Auswahl meines Datenkorpus (Sample) stichhaltig zu begründen (2.3). Vor dem Hintergrund der Einsichten zur „Überlagerung und Verquickung alltagsweltlicher und wissenschaftlicher Gegenstandskonstruktionen“ (Breuer 2010: 27) endet das Kapitel mit einer Reflexion meiner Rolle als vom Themenbereich in persönlicher Weise ergriffener Forscher (2.4).
2.1 BILDER ALS DISKURSE: DISKURSANALYTISCHE FORSCHUNGSPERSPEKTIVE Während das, was wir über Geschlechtlichkeit wissen, medial vermittelt ist, so ist genauso das, was sich in Bildern und Filmen an Botschaften, Sinngebungen und ästhetischen Strukturen niederschlägt, beeinflusst von diskursiven Zirkulationen. Bilder zu transgeschlechtlichen Phänomenen können – so eine Prämisse dieser Arbeit – in ihrer Gesamtheit als komplexer Diskurs betrachtet werden, der mittels des Visuellen stattfindet und dazu beiträgt, Deutungen über Geschlechtlichkeit(en) anzubieten. Diese Annahme basiert auf dem neuerdings entwickelten Vorschlag, das Visuelle in die Diskursforschung zu integrieren (vgl. Betscher 2013; Clarke 2012). Silke Betscher, die für eine Visuelle Diskursanalyse (VDA) plädiert, geht sogar so weit zu behaupten, dass „Bilder mit dem Mittel des Visuellen auch ohne Text Aussagen [generieren]“ und sich als „eigene Zeichensysteme innerhalb eines Feldes des [...] Darstellbaren [bewegen]“ (Betscher 2013: 286).
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Siegfried Jäger definiert einen Diskursstrang als „Abfolge von Mengen thematisch einheitlicher Diskursfragmente“ (Jäger 1993: 181), während ein Diskursfragment „ein Text oder Textteil [ist], der ein bestimmtes Thema behandelt“ (ebd.). Als diskursive Ereignisse sind solche Ereignisse zu betrachten, „die diskursiv groß herausgestellt worden sind und die Richtung und Qualität des Diskursstrangs, zu dem sie gehören, mehr oder weniger stark beeinflussen“ (Jäger 1993: 181). Reiner Keller spricht im Anschluss an Foucault von Aussageereignis bzw. diskursivem Ereignis und bezeichnet damit „die typisierbare materiale Gestalt von Äußerungen, in der ein Diskurs in Erscheinung tritt“ (Keller 2015: 38). Foucault unterscheidet zwischen normalen (oder banalen) diskursiven Mikroereignissen und seltenen diskursiven Makroereignissen. Schwab-Trapp (2011a) hingegen legt den Begriff des diskursiven Ereignisses nur für solche Ereignisse in einem Diskursverlauf an, die inhaltliche Wendepunkte darstellen. Ob es sich bei einer Aussage – verstanden als „Atom des Diskurses“ (Foucault 1973: 118) – um ein diskursives Ereignis im Sinne Schwab-Trapps bzw. im Sinne eines diskursiven Makroereignisses, oder um ein Mikroereignis handelt, kann nur anhand der empirischen Rekonstruktion entschieden werden. Aus dem Grund wird in dieser Studie mit der allgemeineren Definition eines Diskursereignisses nach Jäger (1993) gearbeitet. Überträgt man die Termini (Diskursstrang, Diskursfragment, Diskursereignis) auf das hier zu untersuchende Bild- und Filmmaterial, stellt ein einzelnes breit rezipiertes Gemälde, das beispielsweise ein Trans*-Künstler* zum transgeschlechtlichen Körper anfertigte, eine Bildserie, die in einem medizinischen Atlas zur Repräsentation von ‚Zwischengeschlechtlichkeit‘ zur Anwendung kommt, oder jeder publikumswirksame Kinofilm, der thematisch einem Transgender Cinema zugeordnet werden kann, jeweils ein diskursives Ereignis dar. Solch kulturelle Dokumente können jeweils mehrere Themen ansprechen, so z.B. wenn ein Transgender Film Szenen zum medizinischen Umgang mit Transgeschlechtlichkeit (also Transsexualität) enthält und einen Plotstrang etabliert, der das sexuelle Begehren der transgeschlechtlichen Figur thematisiert. Damit wären in einem ‚Text‘ zwei Diskursfragmente identifiziert. Die Gesamtheit der diskursiven Ereignisse (und Diskursfragmente) bilden das Datenkorpus und damit den visuellen Diskurs zur Transgeschlechtlichkeit, der sich in den gesamtgesellschaftlichen Geschlechterdiskurs einbettet und durch verschiedene Diskursstränge bestimmt ist. Visuelle Verhandlungsformen von Transgeschlechtlichkeit zu untersuchen, eröffnet die Möglichkeit, die bisher vernachlässigten Darstellungsweisen, Darstellungsvermögen und Darstellungsgrenzen des Überschreitens von Geschlechtergrenzen ästhetisch wie soziologisch zu erschließen. Dazu empfiehlt sich ein methodisches Vorgehen, das verschiedene Forschungsperspektiven und methodische Programme bündelt.
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Einerseits gehe ich mit Maasen/Mayerhauser/Renggli (2006) davon aus, dass Bilder aktuelle Diskurse artikulieren (vgl. auch Betscher 2013; Rose 2007). Manfred Mai und Rainer Winter sehen diesen Umstand auch für Kinofilme gegeben: „Kinofilme als Element der Repräsentationsordnung einer Gesellschaft [...] [sind] eingebunden in gesellschaftliche Konflikte und Auseinandersetzungen und deshalb mit sozialen Bedeutungen gesättigt“ (Mai und Winter 2006: 11). Diskurse verstehe ich im Anschluss an Siegfried Jäger, der sich an Foucaults Diskursbegriff(lichkeiten) orientiert, als Träger von Wissen, die wirklichkeits- und subjektkonstitutiv sind (vgl. Jäger 1993). Bilder und Filme sind beteiligt an der diskursiven Konstruktion von Wirklichkeit, insofern als dass sie verstanden werden müssen als materiale Manifestationen gesellschaftlicher Wissensordnungen. Aufgrund der Tatsache, dass Bilder und Filme kulturelle Dokumente darstellen, d.h. von Menschen produziert sind, die diskursives Wissen verinnerlicht haben1, bringen sie zwangsläufig diskursive Botschaften zum Ausdruck, sind folglich als Stabilisatoren dominanter Deutungsmuster zu betrachten. Andererseits besitzen Bilder und Filme mit ihren ästhetischen Strukturen einen Eigenwert als Kunstwerke, und können daher nicht als kongruentes Abbild gesellschaftlicher Verhältnisse verstanden werden. Max Imdahl zufolge besitzt das Bild eine Eigenlogik und Produktivität, die sich in einer unmittelbaren Evidenzerfahrung vermittelt, und außerhalb des Bildes kein Pendant hat. Imdahl bezeichnet dies als „ikonischen Bildsinn“ (Imdahl 1990: 308). Für ihn existieren Erfahrungen von sozialer Wirklichkeit, die ausschließlich durch das Bild zur Darstellung gebracht werden können. Das Bild sei ausgestattet mit ihm „innewohnenden Ausdruckskräften“ (Imdahl 1979: 189), die ins Unbekannte und Ungesehene vorzudringen vermögen. Das Bild ist damit nicht ausschließlich orientiert an einem „außerikonischen Sichtbarkeitskorrelat“ (ebd.: 190). Verknüpft man Imdahls Bildtheorie mit der diskursanalytischen Forschungsperspektive, stellen Bilder (und Filme) mit ihren je spezifischen Darbietungen Deutungsangebote und -potenziale bereit, die an der diskursiven Konstruktion von Wirklichkeit teilhaben, d.h. sie stabilisieren oder transformieren. In Bezug auf das Bild sprechen Maasen/Mayerhauser und Renggli deshalb von Bildern als „Vehikel von Dispositiven“ (Maasen et al. 2006: 7), die „ko-konstitutiv [sind] für die jeweils untersuchten soziokulturellen Phänomene und Prozesse“ (ebd.: 8), während Peltzer und Keppler in Bezug auf den Film von „Instanzen der Sinngebung“ und von „Generatoren als auch Transformatoren
1
Filmproduzierende können beispielsweise als „Soziologen avant la lettre“ betrachtet werden, weil sie „Entscheidungen über die Stimmigkeit von Handlungskonstellationen, Filmsets, Dialogen etc. treffen [müssen], die eine Interpretation sozialer Realität voraussetzen“ (Schmidtke und Schröder 2012: 17).
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sozialer Wirklichkeit“ (Peltzer und Keppler 2015: 10, 13) reden. Bilder und Filme sind außerdem deshalb nicht als Spiegel der Gesellschaft zu betrachten, weil sich beide Medien durch eine polyseme Struktur auszeichnen. Je nach gesellschaftlichem Standort, d.h. in Abhängigkeit vom eigenen milieu-, generations- und vor allem geschlechtsspezifischen Erfahrungsraum, entdecken Rezipient_innen eigene Geschichten, die die Bilder ‚erzählen‘ (vgl. Bohnsack 2011: 45ff., Hall 1980). Bilder und Filme sind daher in Bezug auf deren Auslegung und Bedeutungszuschreibung für das Publikum offen und vieldeutig. Ist man an den visuellen Verhandlungsweisen von Transgeschlechtlichkeit interessiert und versteht sie als diskursstabilisierend bzw. -transformierend, ist es aus meiner Sicht – des Weiteren – zentral herauszuarbeiten, wie Transgeschlechtlichkeit als diskursives Phänomen überhaupt erst „bildfähig“ (Holert 2000) wurde. Es gilt, die diskursiven Möglichkeitsbedingungen der Visualität des Phänomens zu rekonstruieren. Diese Möglichkeitsbedingungen, die – wie im Medizinkapitel (s. Die Diskursebene der Medizin: der medizinische Blick und die historische Genese von Transgeschlechtlichkeit als Abnormalität) beschrieben wird – hervorgehen aus Diskursen zur ‚Misch- und Zwischengeschlechtlichkeit‘, des normalen wie abnormalen Körpers sowie einer normgerechten Sexualität, bilden überhaupt erst die Basis zur Entwicklung eines visuellen Archivs2 zur Transgeschlechtlichkeit. Der Analyse von konkreten visuellen Sichtbarkeitsstrategien muss deshalb eine Genealogie der Sichtbarkeit des Phänomens vorangestellt werden. Bei dem Konzept der Genealogie beziehe ich mich auf Michel Foucault, der es in Abgrenzung zu den Verfahren der klassischen Geschichtsschreibung setzt. Foucault zufolge geht di_er Genealoge_in davon aus, dass „es hinter den Dingen ‚etwas ganz anderes‘ gibt: nicht deren geheimes, zeitloses Wesen, sondern das Geheimnis, dass sie gar kein Wesen haben oder dass ihr Wesen Stück für Stück aus Figuren konstruiert wurde, die ihnen fremd waren“ (Foucault 1971: 168f., Hervorh. R.K.S.). Die Rekonstruktion einer solchen (visuellen) Genealogie, d.h. der historisch gewachsenen, auch diskontinuierlichen visuellen Ereignisse, die den Untersuchungsgegenstand bilden, beantwortet die Frage, die Maasen/Mayerhauser/Renggli als zentral für eine Bild-Diskurs-Analyse erachten: „[W]ovon [kann] sich wer auf welche Weise zu welchem Zeitpunkt an welchem Ort (k)ein Bild
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Ich verstehe ein Archiv im Anschluss an Foucault, der Archive dadurch gekennzeichnet sieht, dass sie sich „nicht in eine bruchlose Linearität einschreiben und nicht alleine schon bei zufälligen äußeren Umständen verschwinden; sondern dass sie sich in distinkten Formen anordnen, sich aufgrund vielfältiger Beziehung miteinander verbinden, gemäß spezifischer Regelmäßigkeiten sich behaupten oder verfließen [...]“ (Foucault 2013: 614).
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machen“ (Maasen et al. 2006: 8). Sichtbarkeit wird im Medizinkapitel daher methodologisch weiter gefasst im Gegensatz zu den Folgekapiteln, die dezidiert die bildimmanenten Strukturen von Visualität in den Blick nehmen. Das Medizinkapitel rekonstruiert zunächst, wie Transgeschlechtlichkeit überhaupt ‚gesehen‘ werden konnte, und liefert den Nachweis für die Entstehung eines visuellen Archivs zu Transgeschlechtlichkeit, durch das über die Produktion und Zirkulation bestimmter Bilder eine „dominant fiction“ (Silverman 1997: 58) hergestellt wird, die bestehende Machtverhältnisse zu (Zwei-)Geschlechtlichkeit und (Hetero-)Sexualität rechtfertigt. Aufgrund meines Verständnisses zum Bedingungsverhältnis von Diskurs, Sichtbarkeit und Geschlecht erscheint eine diskursanalytische Forschungsperspektive geeignet. Es handelt sich bei der Diskursforschung tatsächlich eher um eine Forschungsperspektive, weniger um eine spezifische Methode, denn der Begriff des Diskurses bezieht sich in den jeweiligen Forschungsstudien auf sehr Unterschiedliches (vgl. Keller 2011a). Foucault hat selbst den Begriff des Diskurses in seinen einzelnen Werken nicht einheitlich verwendet (vgl. Knoblauch 2005). Die Rekonstruktion von Diskursen (oder Diskurssträngen) kann mit diversen Methoden untersucht werden, und ist als Forschungsvorhaben aufgrund von Foucaults Erkenntnissen zum Zusammenhang von Wissen, Wahrheit und Macht entstanden. Unter der Perspektive des Diskurses geht es darum, „die sozialen Mechanismen und Regeln der Produktion und Strukturierung von Wissensordnungen zu untersuchen“ (Keller 2011a: 83). Solche Wissensordnungen manifestieren sich in sprachlichen, handlungspraktischen, materialen und eben auch in bildlichen Formen (vgl. ebd.: 69). Für Sozialwissenschaftler_innen ist der Begriff des Diskurses als ein Konstrukt zu bewerten. Er unterstellt, dass „spezifischen empirischen Daten, die zunächst als singuläre, in Zeit und Raum verstreute Ereignisse (Äußerungen) existieren und dokumentiert sind, ein Zusammenhang, eine Regel oder Struktur unterliegt“ (ebd.: 83). Zur Untersuchung von diskursiven Strukturen wird sich zumeist an etablierten qualitativen Verfahren der Sozialforschung orientiert (vgl. Schwab-Trapp 2011b: 38): Einzelne Diskursereignisse und -fragmente werden feinanalysiert mittels der Methoden sozialwissenschaftlicher Hermeneutik, der Grounded Theory oder über den Einsatz sprach- und literaturwissenschaftlicher Auslegungsverfahren. Siegfried Jäger, der sich für eine an Foucault orientierte Kritische Diskursanalyse ausspricht, sieht die Aufgabe der Diskursforschung darin, dass sie „offenleg[t], worin die jeweiligen Wahrheiten der Diskurse und damit ihre Macht bestehen (und zudem ihre herrschaftslegitimierende Potenz)“ (Jäger 2013: 202, Hervorh. i.O.). Eine diskursanalytische Forschungsperspektive einzunehmen, ist damit auch ein politisches Unterfangen, insofern als dass durch sie ermöglicht
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wird, Diskurse als wirkmächtige Träger von kollektivem Wissen zu kritisieren. Die Kritik an Diskursen bzw. Diskurssträngen führt dazu, „auf diese Einfluss zu nehmen, sie zu irritieren, sie als ‚unvernünftig‘ bloßzustellen, sie ad absurdum zu führen oder auch mögliche Alternativen zu ihren Wahrheiten aufzuzeigen“ (Jäger 2013: 203). Während die sozialwissenschaftliche Forschungsperspektive des Diskurses in ihren jeweiligen Analysen auf eine große Bandbreite an Diskursfragmenten und diskursiven Ereignissen (Texte, Praktiken, Artefakte etc.) fokussiert, zielen meine Analysen vorrangig auf die Betrachtung des Visuellen ab. Wie oben beschrieben, gehe ich davon aus, dass (Bewegt-)Bilder mit ihren je spezifischen Darstellungsweisen eigene – auch eigensinnige – Zeichensysteme bilden, die sich innerhalb eines Feldes des Sag- bzw. Darstellbaren bewegen (vgl. Betscher 2013). Um diese eigenständige Wirkung hinsichtlich der Produktion und Stabilisation von Wissensordnungen zu beschreiben, prägte Karin Knorr-Cetina (2011) den Begriff des Viskurses. Die Begrifflichkeit stellt eine Wortschöpfung dar, die ihre Anleihen aus der Diskursforschung im Anschluss an Foucault nicht verbirgt, aber sie in Bezug auf die Bedeutung visueller Darstellungen erweitert: „Der Begriff des ‚Viskurses‘ soll das Zusammenspiel von visuellen Darstellungen und ihre Einbettung in einen fortlaufenden kommunikativen Diskurs betonen“ (Knorr Cetina 2011: 307). Die Soziologin führte den Begriff in die Wissenschaftsforschung ein, nachdem sie etwa zehn Jahre lang das Wissenschaftsgebiet der experimentellen Hochenergiephysik (HEP) ethnographisch untersuchte und dabei feststellte, dass es vor allem visuelle Abbildungen sind, die „die Einheit und Wissenschaftlichkeit des Feldes dar- und herstellen“ (ebd.). Für die HEP ist die Durchführung von Experimenten zentral. Knorr-Cetina arbeitet heraus, dass es nicht nur der Diskurs ist, der diese Experimente koordiniert, sondern visuelle Darstellungen dafür sorgen, dass Wissen strukturiert und generiert wird. Genau wie bei dem Begriff des Diskurses, der sich – so unterschiedlich er ausgelegt wurde – darüber auszeichnet, dass er das strukturierte Zusammenspiel von verschiedensten Aussagen zu fassen versucht, sind für den Viskurs „laterale Bezugnahmen und Verknüpfungen“ charakteristisch: „Darstellungen [sind] nicht isoliert, sondern [stehen] immer in Zusammenhang mit vorherigen, gleichzeitigen, neuen Darstellungen“ (ebd.: 308). Obwohl der Viskurs-Begriff von Knorr-Cetina hinsichtlich eines spezifischen Wissenschaftsfeldes geprägt wurde, kann sein dahinterliegendes Konzept bzw. die Idee der Betrachtung von visuellen, historisch gewachsenen Bezugnahmen auf diese Studie übertragen werden. Am deutlichsten wird diese Einsicht bzgl. der Firmierung der modernen Sexualwissenschaft, die – ähnlich zur Formation der HEP – auf der Heranziehung und Verwendung visueller Darstellungen beruht. Die ein-
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zelnen Bilder und Filme, nicht nur jene, die in der Sexualwissenschaft zur Anwendung kommen, sondern sämtliche visuellen Dokumente zur Transgeschlechtlichkeit, mit denen die aktivistische wie die populärfilmische Ebene hantieren, d.h. alle Elemente aus dem Gesamtdatenkorpus, werden in dieser Studie betrachtet als Diskursereignisse, deren „textübergreifende Verweisungszusammenhänge“ (Keller 2011b: 275) rekonstruiert wurden. Gillian Rose schlägt in ihrer Vorstellung einer diskursanalytisch orientierten visuellen Analyse vor, die folgenden Forschungsstrategien einzuhalten, an denen sich in dieser Studie im Groben, d.h. mit gewisser interpretationspraktischer Flexibilität und ganz einer queeren Methodologie folgend, orientiert wurde (vgl. Rose 2007: 165f.): • Sich dem Bildmaterial möglichst unvoreingenommen widmen • Immersion in das zu untersuchende Bildmaterial • Identifikation von Schlüsselthemen und wiederkehrenden Bildern/ästhetischen • • • •
Mustern Analyse von Wahrheitsgenerierenden Bildmomenten Aufmerksamkeit richten auf widersprüchliche Momente und Bildaussagen Aufmerksamkeit richten auf die sichtbaren wie die unsichtbaren Phänomene Aufmerksamkeit richten auf Bilddetails
Mich dem Sample (s. das Kapitel 2.3 Sampling und Arbeitsprogramm) unvoreingenommen zu widmen, erreichte ich einerseits, indem ich versuchte – auch und vor allem mit Hilfe von Interpretationsgruppen – mein eigenes Vorwissen im Sinne von Kontextwissen zum Untersuchungsgegenstand ‚einzuklammern‘. Andererseits war mir bewusst, dass eine gänzliche Unvoreingenommenheit nicht realisierbar ist. Deshalb sah ich es als meine Pflicht, meine eigene Rolle als auf bestimmte Weise gesellschaftlich positionierte_r Forscher zu reflektieren, was in Anlehnung an Franz Breuers Vorschläge zu einer reflexiven Grounded Theory (2010) geschah (s. Kapitel 2.4 Selbstreflexivität). Das intensive Eintauchen in das Bild- und Filmmaterial, d.h. das wiederholte Ansehen, Analysieren und Reflektieren der Einzelwerke, Filme, Schlüsselszenen und auffälligen Einzelbilder, ermöglichte es, mit dem Material so sehr vertraut zu sein, dass Schlüsselthemen, wiederkehrende Bilder und Bildmuster identifiziert werden konnten. Die Aufgabe bestand nun darin, die Beziehungen und Aussageverhältnisse zwischen diesen key themes zu bestimmen, denn Aussagen im Diskurs entstehen dann, wenn einzelne Diskursereignisse durch kontinuierliches Wiederholen den Bereich des Sagbaren, bzw. hier: des Darstellbaren, verdichten und manifestieren (vgl. Foucault 1973: 174ff.). Die Bestimmung von Schlüsselthemen
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und deren Beziehungen erfolgte mittels der Forschungsstrategien, die die Grounded Theory nahelegt (s. Kapitel 2.2 Forschungsmethode: Eine visuelle Grounded Theory). Wie vielfach herausgestellt wurde, erzeugen Diskurse Wahrheitsgenerierende Effekte. Sie überzeugen. Sie lassen Aussagen als natürlich, richtig und wahr erscheinen. Genau auf solche Effekte muss sich in der Feinanalyse konzentriert werden. Damit geht einher, sich auch den Widersprüchen und Kontrasten in den Bildern und Filmen zu widmen. An welchen Stellen und mit welchen Effekten tun sich narrativ, auf sequenz- und bildästhetischer Ebene Inkongruenzen, Ambiguitäten und Gegensätzlichkeiten auf? Roland Barthes (1990) unterscheidet in seinem semiotischen Modell der Bildinterpretation den „stumpfen Sinn“ („sense obtue“) vom weniger komplexen „entgegenkommenden Sinn“. Der „entgegenkommende Sinn“ tut sich auf, wenn man sich in der Bildinterpretation auf die konnotative Botschaft eines Bildes richtet. Dieser Sinn bleibt vornehmlich stereotypisierenden Zuschreibungen verhaftet. Der „stumpfe Sinn“ hingegen wird in der Analyse dadurch geborgen, dass man in die widersprüchlichen Momente eines Bildes eintaucht. Obwohl Barthes der Meinung ist, dass man diesen Sinngehalt nicht sprachlich beschreiben kann (vgl. Barthes 1990: 63), versuchte ich mit einem bildanalytischen, an den Ideen Max Imdahls orientierten Arbeitsprogramm den Blick für die Formalstruktur des Bildes zu schärfen, um so in die tieferliegenden Strukturen des Bildes einzutauchen (s. das nachfolgende Unterkapitel 2.2 Forschungsmethode: Eine visuelle Grounded Theory). In Zusammenhang mit dem Blick auf Gegensätzlichkeiten und Widersprüche steht der Blick für die sicht- wie unsichtbaren Elemente der Bilder und Filme. Die diskursanalytische Perspektive zeichnet sich dadurch aus, dass sie fragt, „wer in einem kommunikativen Ereignis wie, warum und wann Sprache gebraucht“ (Keller 2011a: 20). Im Transgender Film würde demnach die Frage gestellt, wer, wie, warum und wann welche Einstellungen (Bewegtbilder) benutzt. Auch bzgl. der Einstellungen – und analog in Bezug auf die einzelnen Bilder und Bildstrecken – muss gefragt werden, was, wer, wie, warum und wann sichtbar gemacht wird. Daran ist die Überlegung geknüpft, was, wer, wie, warum und wann unsichtbar gehalten wird, denn auch die Elemente, die ausgeschlossen, an den Rand (z.B. des Kaders oder Bildes) gedrängt werden, bestimmen die Botschaft eines diskursiven Ereignisses mit. Mein bildanalytisches Arbeitsprogramm ermöglichte durch die Fokussierung der Formalstruktur des Bildes den Nachvollzug und die Reflektion von innerbildlichen Ausschließungssystemen, d.h. der Bildelemente, die durch ästhetische Parameter wie Unschärfe, Positionierung, dem Einsatz von Licht- und Schatten etc. marginalisiert werden.
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Anknüpfend an Überlegungen darüber, was, wer, wann, warum und wie unsichtbar bzw. marginalisiert wird, muss sich der Fokus folglich auch auf sogenannte Leerstellen richten, die einen Auslegungsspielraum eröffnen, der vom rezipierenden bzw. ‚sehenden‘ Publikum gefüllt werden muss und unterschiedlich gefüllt werden kann. Einstellungen, Szenen und Plotstränge, die als unvollendet markiert sind, dienen dazu, „sich im Betrachter zu vollenden. Diese Unvollendetheit ist eine konstruktive, intendierte“ (Kemp 2003: 254).
2.2 FORSCHUNGSMETHODE: EINE VISUELLE GROUNDED THEORY Wenn mit Georg Seeßlen davon ausgegangen wird, dass „[e]ine Gesellschaft [...] eine Gemeinschaft von Menschen [ist], die sich darüber verständigt, was gesehen und gezeigt wird, was verborgen bleiben soll, und welche Ausnahmen es gibt“ (Seeßlen zitiert in: Schroer 2012: 26), dann gilt es methodisch zu erfassen, wie auf diese Weise Macht durch Bilder fließt. Gerade, wenn Geschlechter überschreitende Phänomene visualisiert werden, zeigt sich einerseits der ‚Wille zum Sehen‘, der einem Willen zur maximalen Sichtbarkeit gleicht. Andererseits werden bestimmte Momente ausgeblendet, visuell nicht thematisiert, und/oder wird der visuelle Fokus auf Teilbereiche des Phänomens (z.B. den nackten Körper) gelenkt. Visuelle Produkte können damit bereits existierende, zentrale Deutungsmuster und Werte bestärken, während gegenläufige ausgeschlossen oder in die Peripherie gedrängt werden (vgl. Kellner 1995). „Mediale Produkte erstellen [...] mit ihren fiktiven Versuchsanordnungen Zeitdiagnosen, die eine Gesellschaft mit sich selbst konfrontieren: entweder, indem sie den status quo reproduzieren und zur Anschauung bringen oder aber, indem sie andere Wege gehen. Bereits die Thematisierung – sowie auch die Ausblendung – bestimmter Aspekte zeitgenössischer Lebenswelten in den Medien hat Einfluss darauf, was im Alltag als ‚normal‘ oder eben auch als ‚abnormal‘ empfunden wird. Die filmischen Entwürfe erfüllen also keinen Selbstzweck, sondern sie reflektieren gesellschaftlich geteilte Vorstellungen und arbeiten stets an den Überzeugungen mit, die zu einer bestimmten Zeit das öffentliche Bewusstsein prägen.“ (Peltzer und Keppler 2015: 12)
Mir geht es bei der Frage nach der visuellen Konstruktion von Deutungsangeboten über Transgeschlechtlichkeit vor allem darum herauszuarbeiten, auf welche Art und Weise die jeweiligen Filme und Bilder uns etwas zu sehen geben – wie der
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‚Zeigemodus‘ operiert –, d.h. durch welche visuell-ästhetischen Mittel Teilphänomene angedeutet oder verborgen bleiben. Entscheidend für die Untersuchung ist also nicht nur, was (un-)sichtbar gemacht wird, sondern vor allem wie, auf welche spezifische Art und Weise, visuelle Produkte dies tun. Die Frage nach dem Wie der Gestaltung, d.h. die Frage nach den ästhetischen Feinstrukturen der visuellen Produkte, verlangt nach einer Forschungs- bzw. Analysemethode, die dezidiert bildanalytisch verfährt. Im Zuge der zunehmenden Etablierung einer Visuellen Soziologie wurden verschiedene, an der qualitativen Sozialforschung orientierte methodische Programme zur Interpretation von Bildern und audiovisuellen Daten erarbeitet. Während für die Analyse von Bildern mittlerweile einige qualitative Interpretationsmethoden vorliegen, erscheint die Entwicklung eines geeigneten methodischen Verfahrens, das, ausgehend von der Frage nach dem Wie der Darstellung, primär fiktionale Erzählfilme auf ihre sinnstiftenden gesellschaftlichen Potenziale hin interpretiert, nachzüglich. Das ist verwunderlich, bietet der Spielfilm schließlich einen komplexen Zugang zur sozialen Wirklichkeit, denn der fiktionale Erzählfilm als Produkt der Massenmedien hat einen maßgeblichen Anteil daran, welche Bilder von Geschlechtern, vom ‚Mann- und ‚Frau-Sein‘, von Sexualität etc. diskursiv zirkulieren (vgl. Lünenborg 2013: 13). Ein Grund für die erst neuerdings angestoßene Diskussion um qualitative Verfahren zur Analyse von Filmen im Sinne einer „Gesellschaftsanalyse“ (Winter 1992, Winter 2012) liegt sicherlich in der Entwicklung der Methodenreflektionen: Der Fokus der Diskussionen richtete sich zunächst und vorrangig auf Interpretationsverfahren von Einzelbildern3 (Fotografie, Gemälde, Standbilder etc.), später auf den Umgang mit im Kontext der Videografie4 sowie semiprofessionell produzierten Bewegtbildern 5, und der Analyse von Fernsehshows6. Die Analyse von Spielfilmen stellt daher in der Soziologie ein methodologisches und methodisches Desiderat dar (vgl. Scholz et al. 2014).
3
Vgl. Kauppert/Leser 2014, Reichertz 2005, Breckners Ansatz einer figurativen Hermeneutik (2010) sowie Müller 2012. Vgl. auch Foucaults Bildinterpretation am Beispiel des Gemäldes „Las Meninas“ von Velásquez in Die Ordnung der Dinge (1994) [1974].
4
Bei der Videographie werden visuelle Grunddaten zu Forschungszwecken produziert. Der Film bzw. das Video fungiert dabei also nicht als Analysegegenstand, sondern als Erhebungsinstrument sozialwissenschaftlicher Forschung.
5
Vgl. exemplarisch die wissenssoziologisch inspirierten Bewegtbildanalysen von Raab (2008) zu Videofilmen im Amateurbereich sowie zu semiprofessionell produzierten Hochzeitsfilmen.
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Vgl. exemplarisch Bohnsacks (2011) Analyse der Pro Sieben-Fernsehshow „Istanbul Total“.
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Mir war es wichtig, eine Methode anzuwenden, die beiden visuellen Formaten (dem Einzel- wie dem Bewegtbild) gerecht wird. Ein instruktives diskursanalytisches Methodenprogramm, das primär visuelle Produkte in den Blick nimmt, liegt derzeitig noch nicht vor. Wie oben erwähnt, ist es gerade das Charakteristikum der Diskursforschung, kein einheitliches methodisches Instrumentarium zu besitzen. Reiner Keller stellte zudem fest, dass die methodischen Programme vorhandener Diskurstheorien auch durch intransparente Analyseschritte gekennzeichnet sind (vgl. Keller 2011b: 11). Da sich mein Forschungsinteresse auf die visuelle Konstruktion der diskursiven Wirklichkeit zum Phänomen der Transgeschlechtlichkeit in den verschiedenen medialen Formaten richtet, vollzog sich die meiner Fragestellung angemessene Übersetzung der Forschungsperspektive in eine Forschungsmethode über den Forschungsstil der Grounded Theory. Eine Visuelle Grounded Theory Die Grounded Theory wird üblicherweise nicht damit assoziiert, dass sie sich visueller Daten annimmt. Nichtsdestotrotz sind in den letzten Jahren Studien entstanden, die der Bedeutung visueller Kommunikation Rechnung tragen, indem sie den Grounded Theory Forschungsstil nutzen (vgl. Konecki 2011, Clarke 2012). Nachfolgend wird die Entwicklung der Grounded Theory als Methodologie und als Forschungsstil skizziert, um den Methodenansatz einer Visuellen Grounded Theory vorzustellen, der mit einer diskursanalytischen Forschungsperspektive vereinbar ist. Barney G. Glaser und Anselm L. Strauss entwickelten 1967 in ihrer gemeinsamen Monografie The Discovery of Grounded Theory. Strategies for Qualitative Research Grundgedanken zu der Frage, wie die ihrer Meinung nach in der Sozialforschung zu beobachtende große Kluft zwischen Theorie und empirischer Forschung überbrückt werden könne. Sie waren der Auffassung, dass sich jene Lücke nicht schließen ließe durch den in der quantitativen Sozialforschung üblichen Versuch der Verbesserung von Prüfmethoden hinsichtlich theoriegenerierter Hypothesen. Ein Grund der Kritik stellte das ihrer Einschätzung nach eingeengte Theorieverständnis der quantitativen Sozialforschung dar: In diesem Bereich dienen empirische Daten vorrangig der Überprüfung (Verifizierung oder Falsifizierung) von Theorien; bei der Theoriegenerierung spielten sie bis dato eine untergeordnete Rolle (vgl. Lamnek und Krell 2016: 118).7 Ein zweiter Kritikpunkt betraf die überwiegend auf Feldforschung und Deskription fokussierende qualitative Tradition
7
Die Kritik richtete sich vor allem auf die Nutzung der Qualitativen Sozialforschung bei Barton und Lazarsfeld. Bei den Autoren stellt die Qualitative Sozialforschung – neben
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(vgl. Mey und Mruck 2011). Glaser und Strauss sahen es als relevant an, den Prozess des Entdeckens von Hypothesen und von Konzepten zu verbessern, um so Untersuchungsgegenstandsangemessene, also in der Empirie verankerte – eben grounded (begründete) – Theorien zu entwickeln. Zentral war für sie die Einsicht, dass die Art und Weise der Entstehung einer Theorie grundsätzliche Bedeutung hinsichtlich ihrer Fruchtbarkeit und Reichweite hat: „In contrasting grounded theory with logico-deductive theory and discussing and assessing their relative merits in ability to fit and work (predict, explain, and be relevant), we have taken the position that the adequacy of a theory for sociology today cannot be divorced from the process by which it is generated. Thus one canon for judging the usefulness of a theory is how it was generated – and we suggest that it is likely to be a better theory to the degree that is has been inductively developed from social research.“ (Glaser und Strauss 1967: 5)
Obwohl Glaser und Strauss in ihrem programmatischen Band nur sehr wenige Hinweise zu konkreten Forschungsstrategien geben, betonten sie, worum es ihnen mit der Grounded Theory Methodologie geht: um eine „regelgeleitete, kontrollierte und prüfbare ‚Entdeckung‘ von Theorie aus Daten/Empirie“ (Mey und Mruck 2011: 11). In einem Interview mit Heiner Legewie und Barbara SchervierLegewie benennt Anselm Strauss die drei Zielsetzungen, die mit dem Buch verbunden waren: „Erstens versuchten wir, qualitative Forschung, die damals nicht anerkannt wurde, zu legitimieren. In vielen Departments ist es ja immer noch so, dass qualitative Forschung nicht als wissenschaftlich gilt! So wurde das Buch auch benutzt. – Studenten konnte damit ihre qualitativen Studien vor den Prüfungsausschüssen rechtfertigen. Zweitens wollten wir Funktionalisten wie Parsons und Merton attackieren. Damals wurden deren Theorien von den Studenten und jungen Soziologen umstandslos übernommen und alles andere in Frage gestellt. Wie wandten uns gegen diese ‚überlieferten‘ Theorien [...] Der dritte Grund war die Darstellung der Möglichkeit von Theoriebildung aus den Daten heraus. Das wird ja bis heute von vielen qualitativen Forschern bezweifelt. Die meisten begnügen sich mit ethnographischen Beschreibungen wie die frühen Chicagoer.“ (Legewie und Schervier-Legewie 2004 [1995])
der Funktion, Theorien zu überprüfen – lediglich eine explorierende Vorstufe der quantitativen Forschung dar.
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Die zweite und dritte Zielsetzung ist erklärbar mit Glaser und Strauss’ wissenschaftlicher Sozialisation. Glaser war Doktorand bei den Wissenssoziologen Robert K. Merton und Paul Lazarsfeld, entstammte also der an quantitativen Methoden der Meinungsforschung orientierten Columbia School. Strauss war in der soziologischen Feldforschung beheimatet und Schüler von Herbert Blumer, der den Symbolischen Interaktionismus in der Tradition der Chicagoer Schule (mit-) begründete. Der Symbolische Interaktionismus, der sich 1950 herausbildete8, war eine Theorierichtung, die im Interpretativen Paradigma verortet ist. Anknüpfend an G. H. Meads pragmatistisch-naturalistischen Ansatz, geht es beim Symbolischen Interaktionismus um die „symbolisch vermittelte Interaktion, [die] auf der evolutiven Stufe der humanen Gattung konstitutionstheoretisch als Produktion, Reproduktion und Transformation sozialer Wirklichkeit [angesehen wird]“ (Wagner 2011: 148). Im Gegensatz zu den grand theories sowie standardisierten quantitativen Verfahren betont der Symbolische Interaktionismus im Allgemeinen die Bedeutung der „praktisch-interpretativen Leistung, die soziale Akteure in ihrem Handeln permanent erbringen müssen. Solche Interpretationsleistungen sind nicht nur für individuelles Handeln bedeutsam, sondern in gleichem Maße für wechselseitiges Handeln, also Interaktionen, und darüber hinaus für die Herstellung von über die jeweilige Handlungssituation hinausreichenden sozialen Phänomenen und gesellschaftlichen Ordnungen.“ (Keller 2012: 11)
Im Besonderen beabsichtigt die Theorierichtung des Symbolischen Interaktionismus individuelles Handeln und Bewusstsein aus dem sozialen Prozess heraus zu erklären; diesen sozialen Prozess sieht sie „selbst durch Muster aufeinander bezogenen Handelns strukturiert, die dem Individuum sprachlich vermittelt sind und es ihm ermöglichen, in sich selbst die Erwiderungen hervorzurufen, die sein Handeln im Partner hervorruft und diese Erwiderungen zur Kontrolle seines eigenen Verhaltens einzusetzen“ (Fuchs et al. 1978: 310). Dem Konzept des Symbols kommt in diesem interaktionistischen Prozess eine zentrale Bedeutung zu. Symbole werden als Vorgänge oder Gegenstände, d.h. als kulturelle Produkte, verstanden, die die soziale Interaktion strukturieren. Vertretern des Symbolischen Interaktionismus geht es also darum, „wie soziale Phänomene durch den menschlichen Gebrauch von Symbolen konstituiert werden“ (Keller 2012: 86). Glaser und Strauss lieferten mit der Grounded Theory die „empirische Anwendung dieses Theorieparadigmas“ (ebd.).
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Blumer prägte den Begriff des Symbolischen Interaktionismus jedoch bereits Ende der 1930er Jahre in einem Handbuchartikel über die Sozialpsychologie.
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Die Grounded Theory Methodologie nach Strauss und Glaser zielt darauf ab, eine erklärende Analyse eines sozialen Phänomens zu liefern, die auf Basis der empirischen Daten generiert wurde. Diese erklärende Analyse kann in Form einer materialen oder einer formalen Theorie vorliegen. Eine materiale (grounded) Theory stellt eine gegenstandbezogene Theorie dar, die durch die Untersuchung eines konkreten Gegenstandsbereichs gewonnen wurde. Sie ist die Vorstufe oder das „strategische Bindeglied zwischen der Formulierung und Entwicklung einer auf empirischen Daten basierenden formalen Theorie“ (Glaser und Strauss 1967: 108). Eine formale Theorie zeichnet sich im Vergleich zur materialen Theorie durch einen höheren Allgemeinheitsgrad aus (vgl. Lamnek und Krell 2016: 106). Sie ist eine Theorie mittlerer Reichweite, die durch die Integration verschiedener Gegenstandsbereiche gekennzeichnet ist. Sie trägt dabei jedoch nicht den Charakter einer Gesellschaftstheorie, d.h. einer grand theory, deren Entwicklung Glaser und Strauss dezidiert ablehnen (vgl. Hopf und Weingarten 1984: 31). Die für die Grounded Theory Methodologie besonderen Forschungsstrategien wurden erst in den Folgejahren expliziert: zunächst durch Glaser (1978) und Strauss (1991 [1987]), dann durch Strauss und Corbin (1996), sowie später durch Charmaz (2006), Clarke (2005) und Morse (2009), die gemeinsam mit Juliet Corbin der ‚second generation‘ zugeordnet werden. Zwischen Glaser und Strauss ist es in dem Zuge zu fachlichen Zerwürfnissen gekommen 9, wodurch schließlich zahlreiche Spielarten von „Grounded-Theory-Methodologien“ (Mey und Mruck 2011: 12, Hervorh. i.O.) hervorgingen. Ohne vertiefend auf die Differenzen zwischen den verschiedenen Methodologien und Auslegungsversuchen einzugehen 10, werden nachfolgend die Kernverfahren vorgestellt, die alle Ansätze einen und charakteristisch sind für die Grounded Theory als Forschungsstil. Im Allgemeinen ist der Forschungsstil der Grounded Theory als ein zyklischer Forschungsablauf zu betrachten, bei dem Erhebung, Auswertung und Theoriebildung eng miteinander verzahnte Prozesse darstellen. Die Grounded Theory unterscheidet sich damit von dem traditionellen Verständnis eines Forschungsablaufs, wonach Operationalisierung, Datenerhebung und Datenanalyse als jeweils getrennte, sequenziell ablaufende Arbeitsschritte stattfinden. Der Forschungsstil ist damit mit einer spezifischen Forschungshaltung verbunden, wofür das stete Pen-
9
Zum Bruch zwischen Glaser und Strauss kam es vor allem aufgrund unterschiedlicher Ansichten zum Auswertungsvorgehen. Vgl. zur Rekonstruktion der fachlichen Differenzen: Mey und Mruck 2011 sowie Strübing 2004.
10 Vgl. zu den unterschiedlichen Grounded Theory Ansätzen bei der ‚zweiten Generation‘: Morse et al. 2009.
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deln zwischen den Prozessen des Datenerhebens und Datenauswertens (Reflexion) typisch und zentral ist. In Bezug auf den Prozess des Verallgemeinerns von in den Daten identifizierbaren „empirische[n] Vorfäll[en]“ (Mey und Mruck 2011: 25) schlagen Strauss und Corbin (1996) verschiedene Forschungsstrategien vor, die die methodische Realisierung der Forschungshaltung darstellen. Eine zentrale Forschungsstrategie ist der Prozess des Kodierens, „durch den aus den Daten Theorien entwickelt werden“ (Strauss und Corbin 1996: 39), indem das empirische Material zunächst in Sinneinheiten zerlegt und jene Sinneinheiten kodiert werden, wobei die Codes nicht nur beschreibenden, sondern einen konzeptuellen Gehalt haben. Das Ziel des Kodierens ist es letztlich, die einzelnen Codes miteinander zu verknüpfen und zu übergeordneten Kategorien zusammenzufassen, die dimensionalisiert werden, bis sich schließlich für die Kategorien eine Schlüsselkategorie generieren lässt, um die herum sich die Theorie rankt. Für den Kodierprozess, der das Kernelement der Theorieentwickelung ausmacht, schlagen Strauss und Corbin drei Grundtypen von Kodierverfahren vor, die sich während des Auswertungsprozesses abwechseln: Bei der ersten Form des Kodierens – dem offenen Kodieren – werden die Daten aufgebrochen, konzeptualisiert, und kategorisiert, indem die im Datum auffindbaren Phänomene und Ergebnisse zu vorläufigen Konzepten zusammengefasst werden.11 In der Phase des offenen Kodierens geht es – neben dem ‚Aufbrechen‘ eines Falls – darum, „möglichst viele thematisch relevante Konzepte zu erarbeiten und deren Eigenschaften und Dimensionen systematisch zu entwickeln“ (Strübing 2011: 154). Das axiale Kodieren setzt die vorläufigen Konzepte miteinander in Beziehung und verdichtet sie in Kategorien. Diese Phase zielt also auf das Erarbeiten von Zusammenhängen zwischen Kategorien und Konzepten ab. Erst der nächste Schritt, der des selektiven Kodierens, bündelt dann die Ergebnisse zu Schlüssel- bzw. übergeordneten Kernkategorien. 12 Dafür wird einerseits neues Material erhoben, um bisherige Lücken in der Theorie zu schließen und diese zu überprüfen. Andererseits wird bereits vorhandenes Material unter neuen Gesichtspunkten ausgewählt und betrachtet (vgl. Strauss und Corbin 1996: 153ff.).
11 In dieser Anfangsphase des Kodierens bewährt sich die Arbeit mit Auswertungsteams, da dadurch die Offenheit und Vielperspektivität bei der Deutung stimuliert wird. 12 Die Grounded Theory unterscheidet in ihrem verwendeten Vokabular zwischen Konzepten, Kategorien, Eigenschaften und Dimensionen. Während Konzepte die kleinsten Sinneinheiten im untersuchten Material repräsentieren, Kategorien die Klassifizierung von Konzepten auf einer abstrakteren Ebene darstellen, sind mit Eigenschaften die einzelnen Attribute einer Kategorie bezeichnet. Die Eigenschaften werden schließlich dimensioniert, d.h. ihre Ausprägungen werden auf einem Kontinuum geordnet.
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Ein zweites „Essential“ (Mey und Mruck 2011: 22), das eng mit dem Kodierverfahren in Verbindung steht, stellt die Anwendung des Konzepts des theoretischen Samplings dar. Im Gegensatz zum statistischen Sampling steht beim theoretischen Sampling die Grundgesamtheit vorab nicht fest. Das bedeutet, dass die im Laufe des Auswertungsprozesses gewonnenen Ergebnisse den Einbezug weiterer Fälle anleiten. Das Konzept ist also als Auswahlverfahren zu betrachten, bei dem auf einen vorab festgelegten Auswahlplan verzichtet wird. Das Konzept zielt darauf ab, die Erkenntnisse sukzessive zu differenzieren und zu verfeinern. Dafür werden die Verfahren des maximalen bzw. minimalen Kontrastierens vorgeschlagen. Beim minimalen Kontrastieren werden bzgl. eines Phänomens möglichst viele homogene Fälle ausgewählt und untersucht, sodass theoretische Konzepte gewonnen und deren Eigenschaften herausgearbeitet werden können. Ist hierfür der Grad der theoretischen Sättigung erreicht, wird die Strategie des maximalen Vergleichs eingesetzt, d.h. es werden systematisch Daten ausgesucht, die Kontrastfälle zu bisherigen Fällen und Falldomänen darstellen, sodass noch nicht entdeckte Eigenschaften und Ausprägungen bestimmt und/oder noch unbekannte Konzepte erarbeitet werden können. Die Methoden des minimalen und maximalen Kontrastierens basieren auf dem dritten, für den Grounded Theory Forschungsstil charakteristischen Konzept des fortwährenden Ziehens von Vergleichen. Die im Rahmen des theoretischen Samplings in die Auswertung einbezogenen Daten können in vielfältigen Formaten daherkommen. Üblicherweise wird der Forschungsstil der Grounded Theory auf die Analyse von Interviewtranskripten angewendet. Glaser ist jedoch der Meinung „[that] [a]ll is data“ (Glaser 1998: 8). Eine Untersuchung im Rahmen eines an der Grounded Theory orientierten Forschungsdesigns könne sämtliche Datenformen nutzen, solange sie den Zweck erfüllen, einem Gegenstandsbereich näher auf die Spur zu kommen. In der Studie Awareness of Dying, in der Glaser und Strauss 1965 die Grounded Theory Methodologie zum ersten Mal anwendeten, wurden bereits diverse Datenformen ausgewertet: Interviews, Beobachtungsprotokolle und Feldnotizen. Glasers Diktum umfasst jedoch noch mehr als das. Plädiert wird für die Nutzung sämtlicher, ‚im Feld‘ auffindbarer Daten: bereits vorhandene, z.B. Texte, Plakate, Bilder, Diagramme, Statistiken, Filme, etc., oder von der_m Forscher_in generierte, wie Interviewtranskripte, Feldnotizen, Memos, Schaubilder, etc. Die Auswertung von visuellen Daten spielt jedoch in den zahlreichen Büchern, die mittlerweile zum Erlernen des Grounded Theory Forschungsstils existieren, kaum eine Rolle. Auch Konecki hält fest, dass Forscher_innen, die mit der Grounded Theory arbeiten, selten visuelle Daten heranziehen, weder als primäre noch als zusätzliche Datenquelle (vgl. Konecki 2011: 133f.). Um diese Forschungslücke zu schließen, schlägt er die Entwicklung einer Visuellen Grounded Theory vor (vgl. Konecki
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2011). Innerhalb eines an der Grounded Theory orientierten Forschungsprojekts können visuelle Daten unterschiedliche Status besitzen: Sie können hinsichtlich der Konstruktion einer Grounded Theory als ergänzende Daten oder als Hauptquelle des empirischen Materials genutzt werden (vgl. Konecki 2011: 137). Möglich erscheint auch die Nutzung visueller Daten, entweder als Haupt- oder ergänzende Daten, um die visuellen Dimensionen von Interaktionen und sozialen Tatbeständen auszuloten (vgl. ebd.: 138). Ein anderer Status kommt den visuellen Daten zu, wenn sie als Untersuchungsmaterial vorliegen, um visuelle Prozesse, Interaktionen und Phänomene zu fokussieren (vgl. ebd.). Gerade die letztere Möglichkeit der Nutzung visueller Daten wird in dieser Studie ins Auge gefasst. Konecki (2011) schlägt für die Analyse visueller Prozesse ein methodisches Programm vor, das er multislice imagining nennt. Der Ansatz basiert auf der am Konzept der Sozialen Welten (Strauss 1978) orientierten Auffassung, dass visuelle Prozesse nur dadurch angemessen verstanden werden können, wenn eine umfassende Beschreibung des mehrschichtigen Kontexts der Visualisierung erfolgt (vgl. Konecki 2011: 139). Dieser Kontext sei nach Konecki zu rekonstruieren, indem folgende Ebenen („layers“) einer Visualisierung analysiert werden: (a) der Produktionskontext, (b) der Präsentationskontext, (c) das visuelle Produkt selbst (Inhalts- und Formebene), und (d) der Rezeptionskontext (vgl. ebd.: 139ff.). Während Konecki hinsichtlich der Analyse der Produktions-, Präsentations- und Rezeptionskontexte etablierte, aus der Ethnografie stammende Methoden vorschlägt (Beobachtungsprotokolle, Interviews, Memos und Fragebögen), erscheinen seine Ideen in Bezug auf die Form- und Inhaltsanalyse des visuellen Produkts weniger instruktiv. Er empfiehlt, das Bild zunächst zu beschreiben, wobei er keine spezifische Verfahrensweise anrät. Anschließend sei das Bild im Sinne des Grounded Theory Forschungsstils offen bzw. selektiv zu kodieren (vgl. ebd.: 142). Koneckis Methodenentwurf einer Visuellen Grounded Theory ist damit sicher ertragreich, interessiert man sich vorrangig für den Zusammenhang von Interaktionskontexten, in denen visuelle Produkte hergestellt und verteilt werden. Steht jedoch die Formebene von Visualität als zentrale Dimension der diskursiven Bedeutungsproduktion im Mittelpunkt der Analyse, erscheint sein Entwurf wenig handlungsleitend. Nichtsdestotrotz liefert er mit seinem methodischen Entwurf einen wichtigen Beitrag hinsichtlich der Integration von visuellen Daten in an der Grounded Theory Methodologie orientierten Forschungsprojekten. Handlungsleitendere Hinweise zu Bildanalysen im Besonderen und der Rekonstruktion visueller diskursiver Prozesse im Allgemeinen liefert Adele Clarke in der Originalausgabe ihres weiterentwickelten Grounded Theory-Ansatzes: der Situational Analysis (Clarke 2005). Adele Clarke wird mit der Situationsanalyse der ‚zweiten Generation‘ von Vertreter_innen der Grounded Theory zugeordnet.
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Mit dem Ansatz beabsichtigt sie eine stärkere Gewichtung von Objekten und Macht und versucht sich an einem Einbezug von Foucaults Diskurskonzept. Die Notwendigkeit einer solchen Weiterentwicklung begründet Clarke – neben der Tatsache, dass es bisher keine diskursanalytische Methodologie gibt, die das Foucaultsche Diskurskonzept mit der Grounded Theory Methodologie zusammenbringt – mit dem postmodern turn, den sie als fächerübergreifendes Phänomen betrachtet, der zwar keine einheitlichen Annahmen und Überzeugungen beinhaltet, aber im Gegensatz zur Moderne den Blick lenkt auf „Partikularismus, Positionalitäten, Komplikationen, Substanzlosigkeit, Instabilitäten, Unregelmäßigkeiten, Widersprüchen, Heterogenitäten, Situiertheit und Fragmentierung – kurz: Komplexität“ (Clarke 2012: 26). Um dem postmodern turn methodologisch gerecht zu werden, schweben ihr Methoden vor, die a) Komplexität zu erfassen vermögen, statt sie zu vereinfachen, b) die „[die_n Analytiker_in] ermutigen, bisher illegitime und/oder marginalisierte Perspektiven und unterdrücktes Wissen vom sozialen Leben zu erläutern“ (ebd.: 31), und die c) den steten Fluss von Diskursen Beachtung schenken, was im Anschluss an Foucault bedeutet, nicht nur von einer Dezentrierung des ‚erkennend-wissenden Subjekts‘ auszugehen, sondern auch anzuerkennen, dass kulturelle Objekte, Technologien und Medien Situationen [und Diskurse] mitkonstituieren. Kurzum: „In der postmodernen Perspektive reicht das Studium des Handelns bei weitem nicht aus“ (ebd.: 32). Clarke schlägt also vor, die traditionelle Grounded Theory mit einem situationszentrierten Ansatz zu ergänzen. Eine Situation definiert Clarke als Gesamtheit des Handelns einzelner und kollektiver Akteure sowie nichtmenschlicher Elemente, worunter auch Diskurse fallen. Für die Analyse von Situationen schlägt Clarke das Erstellen von Maps vor: i. Situations-Maps, ii. Maps von Sozialen Welten/Arenen und iii. Positions-Maps. Ohne nun tiefergehend auf die Arbeit mit jenen Maps einzugehen, erscheinen mir Clarkes Hinweise zum Mapping von visuellen Diskursen für die hier vorliegende Studie zentral. In dem sechsten Kapitel von Situational Analysis (2005), das in der deutschen Ausgabe fehlt, argumentiert Clarke dafür, ihren methodischen Entwurf auf visuelle Diskurse zu erweitern. Ihr geht es darum, ein an der von ihr erweiterten Grounded Theory Methodologie orientiertes methodisches Programm zur Analyse von bestehendem visuellem Diskursmaterial vorzulegen: „[W]e can engage [visual materials], seek to understand how visuality is constitutive of those situations, and come to fuller terms with their rich and dense contributions to social life“ (Clarke 2005: 205). Unter visuellem Material versteht Clarke nicht nur Einzelbilder, sondern auch Film, Video und andere Formen multimedialer Bilder (vgl. ebd.: 206), die in verschiedenen sozialen Welten („social worlds“) zum Einsatz kom-
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men. Diese kollektiv geteilten Formen von Visualität, verstanden als visual cultures (vgl. Evans und Hall 1999) oder scopic regimes (vgl. Foucault 1988 [1963], Jay 1988), werden durch verschiedene Disziplinen und Diskurse (vgl. Foucault 1988 [1963]), soziale Welten (vgl. Strauss 1978) oder Subkulturen (vgl. Gelder und Thornton 1997) produziert. Gerade aus dem Grund müssen visuelle Kulturen in ihrer diskursiven Situiertheit analysiert werden: „Visual images are then analyzed as discursive cultural products of particular worlds or disciplines“ (Clarke 2005: 219, Hervorh. i.O.). Um einen umfassenden Überblick zur Visualität von Transgeschlechtlichkeit zu entwickeln, wurden in dieser Studie deshalb verschiedene soziale Welten, hier verstanden als verschiedene Diskursebenen, betrachtet: die Sexualwissenschaft, der subkulturelle Bereich und die massenmediale Ebene. Um Situationsanalysen visueller Diskurse durchzuführen, schlägt Clarke ein methodisches Programm vor, das sich grob in drei Schritte teilt: (a) Lokalisierung der Bilddaten, (b) das Anfertigen der Bildanalysen in Form von spezifischen Memos, und (c) das Kodieren der Memos. Das Durchführen der Bildanalysen mittels verschiedener Memos stellt das Herzstück des Verfahrens dar. An diesem analytischen Ablaufplan wurde sich in dieser Studie orientiert. Er wird nachfolgend kurz erläutert. Bevor die konkreten Bildanalysen durchgeführt werden, ist es zunächst von Bedeutung, das spezifische visuelle Material auszuwählen („deciding“ und „locating“ [ebd.: 223]) und zu katalogisieren („collecting and tracking“ [ebd.: 223f.]). Bei den anschließenden Bildanalysen geht es im Allgemeinen darum, sich der Untersuchung von drei Ebenen zu widmen: dem Bildinhalt, seinen Referenten und seine(n) Kontext(en). Im Besonderen schlägt Clarke für das Eintauchen in den visuellen Diskurs das Anfertigen von drei Formen von analytischen Memos vor – Locating Memos, Big Picture Memos und Specification Memos (ebd.: 224ff.) –, die analoge Verfahren darstellen zur in der Grounded Theory üblichen Technik des Satz-für-Satz vollzogenen, offenen Kodierens. Locating Memos dienen der Situierung des visuellen Produkts im Rahmen des Forschungsprojekts: Das Memo hält den Entstehungskontext (Ort, Urheber_in) fest, ordnet das Bild einer Diskursebene zu und gibt, sofern bekannt, Auskunft über die Rezipient_innengruppe. Das Big Picture Memo widmet sich der Frage, „what is going on overall in the visual“ (ebd.: 225), und ist unterteilt in drei Abschnitte. Zunächst werden erste Eindrücke („First impressions“ [ebd.: 226]) festgehalten. Hier sollten verschiedene Antworten auf die Frage notiert werden, wofür das Bild ein Beispiel ist. Wofür steht es? Der zweite Abschnitt („The big picture“ [ebd.]) dient der Beschreibung des Bildes. Der dritte Abschnitt erweitert und verfeinert die Bildbeschreibung dahingehend, dass einzelne Bildsegmente beschrieben und kodiert werden. Während das Big Picture Memo festhält, was auf einem Bild zu sehen ist, geht das Specification
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Memo der Frage nach, wie etwas zu sehen ist. Clarke bezeichnet diesen Schritt vom Was zum Wie von Visualität auch als „break[ing] the frame“ (Clarke 2005: 227). Für jenen Schritt der Dekonstruktion des Bildes schlägt sie die Beantwortung folgender Fragen vor: • Auswahl: Was wird repräsentiert? Was wird nicht repräsentiert? Warum denke •
• • • • • •
• • • •
• •
•
ich, wird X statt Y repräsentiert? Framing: Wie wird das Bildsubjekt gerahmt? Welche Elemente werden bildlich ausgeschlossen? Welche sind prominent platziert, welche an den Rand gedrängt? Platzierung: Was befindet sich im Vorder-, Mittel- und Hintergrund? Distanz zum Bildsubjekt: Mit welcher Bild- bzw. Einstellungsgröße wird gearbeitet? Beleuchtung: Welche Lichtstimmung wird eingesetzt? Welche Bildelemente werden durch die Beleuchtung besonders hervorgehoben? Farbe: Wie wird Farbe im Bild genutzt? Fokussiert der Farbeinsatz besondere Elemente des Bildes? Schärfe: Sind alle Ebenen und Elemente des Bildes scharf fokussiert? Welche erscheinen unscharf? Präsenz/Absenz: Wenn man sich das Thema des Bildes vor Augen führt, wird dann das, was man üblicherweise mit dem Thema verbindet, auch abgebildet? Was fehlt? Was ist anders als man es erwartet? Publikum/Betrachter_innen: Für welches Publikum wurde wohl das Bild entwickelt? Wer sollte das Bild nicht betrachten? Komposition: Ist der Bildaufbau stabil oder instabil? Welche Elemente stehen im Zentrum der Komposition? Struktur: Wie ist die Bildoberfläche beschaffen? Werden verschiedene Materialien verwendet? Bildformat und Proportionen: Ist das gewählte Bildformat erwartbar oder nicht? Welche Elemente werden durch die gewählten Bildproportionen betont bzw. weniger betont? Technische Besonderheiten: Sind technische Besonderheiten auffällig, so z.B. die Anwendung einer spezifischen Linse, eines spezifischen Objektivs, etc.? Referenzen: Können symbolische oder anderweitige Referenzen dekodiert werden? Woher stammen diese? Gibt es ein Muster an Referenzen in verschiedenen Dokumenten? Situationierung: Wie ist das Bild historisch, geografisch, zeitlich, auch diskursiv situiert?
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• Beziehung zu visuellen Kulturen: Wie fügt sich das Bild ein in vergangene oder
gegenwärtige visuelle Kulturen? • Besonderheit vs. Allgemeingültigkeit: Erscheint das Bild als etwas Besonderes?
Ist es besonders herausstechend und rar, oder eher gewöhnlich? • Normalisierung: Was wird durch das Bild implizit wie explizit normalisiert
bzw. marginalisiert? • Deutungen für die_n Betrachter_in: Werden die Betrachter_innen angerufen,
etwas Bestimmtes zu denken, zu tun oder auf eine bestimmte Weise zu handeln? Das Specification Memo kann als bildanalytische Umsetzung der Forschungsstrategien betrachtet werden, die Gillian Rose (2007) in ihrem Entwurf einer diskursanalytisch orientierten visuellen Analyse vorschlägt. Es lässt sich zudem verbinden mit Max Imdahls Einsichten zur Bildanalyse, die er als Ikonik bezeichnet. Der Kunsthistoriker Imdahl entwickelte in Erweiterung an Erwin Panofsky ein bildanalytisches Auslegungsverfahren, das von der Eigensinnigkeit des Bildes ausgeht. Diese Eigenlogik und Produktivität des Bildes vermittelt sich in einer unmittelbaren Evidenzerfahrung, die außerhalb des Bildes kein Pendant hat. Imdahl bezeichnet dies als „ikonischen Bildsinn“ (Imdahl 1990: 308), den es in der Analyse zu erfassen gelte. Das Bildliche am Bild müsse also in der Interpretation in den Blick genommen werden (vgl. Raab 2008: 58). Wie bereits erwähnt, existieren Imdahl zufolge Erfahrungen von sozialer Wirklichkeit, die ausschließlich durch das Bild zur Darstellung gebracht werden können (vgl. Imdahl 1979: 189). Das Bild ist damit in seiner Eigenlogik nicht (bzw. nicht ausschließlich), wie von Panofsky behauptet, orientiert an einem „außerikonischen Sichtbarkeitskorrelat“ (ebd.: 190). Im Gegensatz zu Panofsky, der davon ausgeht, dass die Funktion der Formen und Kompositionen des Bildes darin liegt, die einzelnen Gegenständlichkeiten des Bildes „wiedererkennbar zu gestalten“, ist für Imdahl das Bild zu erfassen als „ein nach immanenten Gesetzen konstruiertes und in seiner Eigengesetzlichkeit evidentes System“ (ebd.). Imdahl kritisiert Panofskys Interpretationsverfahren dahingehend, dass es „die Stimmung oder den ersten anschaulichen Charakter des Bildes wie überhaupt alle Erfahrungen eines sehenden, nicht nur Gegenstände identifizierenden Sehens nicht in Betracht zieht“ (Imdahl 1980: 102). Um die Strukturen jenes ‚sehenden Sehens‘ analytisch greifbar zu machen, ist die Formalstruktur des Bildes zu rekonstruieren. Dafür schlägt Imdahl ein ikonisches Auslegungsverfahren vor, das auf der Analyse der folgenden drei Dimensionen der Bildkomposition beruht: • Perspektivische Projektion
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• Szenische Choreographie • Planimetrie
Die Rekonstruktion der Dimension der perspektivischen Projektion zielt auf die Dokumentation der bildspezifischen Konstruktionsprozesse von Räumlichkeit und Körperlichkeit. Für die Spielfilmanalysen wurde diese Dimension spezifiziert, insofern als dass wir es im Erzählfilm generell mit der Zentralperspektive zu tun haben, sodass es bei der Rekonstruktion der perspektivischen Projektion einerseits von Belang ist, welcher Modus der Zentralperspektive gewählt wird. Andererseits gilt es zu rekonstruieren, welche Figuren, Objekte und Teilaspekte mittels des Fluchtpunktes, der Horizontlinie, d.h. qua des Kamerastandpunktes, ins Zentrum der Einstellung gerückt werden. In der Filmwissenschaft werden diese Gegebenheiten unter dem Konzept der (Bild-)Komposition bzw. der Kadrage verhandelt, das die organisatorischen Prinzipien zu fassen ersucht, nach denen ein filmisches Bild gestaltet ist. Der Begriff der Komposition „zielt auf die Anordnung der im Bild enthaltenen Elemente in Relation zur Bildgrenze“ (Keutzer et al. 2014: 75). Diese Definition macht auf zwei Sachverhalte aufmerksam: Einerseits ist das Filmbild zu verstehen als komponierte, inhaltsgefüllte Fläche, die etwas zeigt; andererseits verweist es als nach außen hin begrenzter Fläche, als das Ausschnitthafte des Gezeigten, auf das, was außerhalb des Kaders liegt. Filmtheoretisch wie filmanalytisch wird diese dialektische Funktion der Bildkomposition (repräsentative Funktion und limitierende Funktion) als Problematik des On und Off diskutiert. Mithilfe des Instrumentariums der Filmanalyse kann die Dimension der perspektivischen Projektion folglich differenziert werden in folgende Unterdimensionen: Kamerasicht (Auf-, Normal- und Untersicht), Kamerahöhe, Perspektivitätsmodi, Einstellungsgröße, Filmformat (8, 16, 35, 70mm), Kadrage (offene vs. geschlossene Form, Surkadrage), Kaschierungen. Bereits 1954 hat Arnheim in seiner Schrift Kunst und Sehen. Eine Psychologie des schöpferischen Auges darauf hingewiesen, dass es zum „Sehen eines Dinges gehört, daß ihm ein Platz im Ganzen zugewiesen wird: eine Stelle im Raum, eine Einstufung nach Größe, Helligkeit, Entfernung“ (Arnheim 2000 [1954]: 13f.). Die Dimension der szenischen Choreographie geht auf diesen Umstand mit Fokus auf „die szenische Konstellation der in bestimmter Weise handelnden oder sich verhaltenden Figuren in ihrem Verhältnis zueinander“ (Imdahl 1980: 19) ein. In der Filmwissenschaft wird auch diese Dimension unter den Aspekt der Bildkomposition gefasst. Hier steht jedoch nicht im Mittelpunkt, wie das Filmbild in Relation zu seiner äußeren Begrenzung gestaltet ist. Vielmehr geht es um die Relation der einzelnen im Bild sichtbaren (sozialen) Elemente zueinander, die in einen Bedeutungszusammenhang treten (vgl. Borstnar et al. 2008: 98).
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Während die Dimensionen der perspektivischen Projektion und der szenischen Choreographie für Imdahl die Grundlage bilden für das „wiedererkennende Sehen“, d.h. das Objekte und Figuren identifizierende Sehen, das an den Gesetzmäßigkeiten der im Bild dargestellten Außenwelt orientiert ist, kommt der Rekonstruktion der Dimension der planimetrischen Konstruktion besondere Bedeutung zu, insofern als dass die „planimetrische Ganzheitsstruktur“ (Imdahl 1979: 190) nicht durch den Maßstab der vorgegebenen Außenwelt vorstrukturiert ist, sondern vom Bildfeld selbst ausgeht und damit ein selbst-referentielles System mit eigenen Gesetzmäßigkeiten schafft (vgl. Bohnsack 2011: 39f.). Gerade die Logik der planimetrischen Bildordnung ist es, die das Bild als ausschließliche „gegebene Gesehenheit“ (Imdahl 1979: 191) determiniert, und die „keine andere Gesehenheit zuläßt als eben die verbildlichte“ (ebd.). Im Sinne Imdahls führt uns die Rekonstruktion der planimetrischen Komposition direkt zur Eigenlogik des Bildes (vgl. Bohnsack et al. 2015: 23). Bohnsack schlägt für die Rekonstruktion der planimetrischen Komposition vor, die Gesamtkomposition des Bildes in der Fläche durch möglichst wenige Linien zu markieren (vgl. Bohnsack 2011: 61), denn die Linien halten das Bild in seiner Flächigkeit zusammen und strukturieren es (vgl. Bohnsack et al. 2015: 23). Auch Keutzer et al. weisen darauf hin, dass die Komposition eines Filmbildes über dessen durch Konturen, der Arrangements der Elemente etc. vorgegebenen Linienführung erschlossen werden kann (vgl. Keutzer et al. 2014: 90). In Bezug auf die Filmanalysen erweist sich Imdahls Vorschlag, die Eigenlogik des Bildes über die Rekonstruktion der planimetrischen Konstruktion zu erfassen, als problematisch, schließlich zeigt sich der Eigensinn des Filmbildes nicht nur in der Struktur des Bildes in der Fläche (Planimetrie). Er zeigt sich vor allem in der Struktur des Bildes in der Bewegung. In der Analyse muss also der Eigengesetzlichkeit des filmischen Mediums als Medium der Bewegung Rechnung getragen werden. Aus dem Grund wurde der Analyse der Formalstruktur des Bildes die Analyse von Montage-, Narrations- und bildimmanenten Bewegungsverfahren zur Seite gestellt, sodass die Formalstruktur des Films – nicht nur des Filmstills – dokumentierbar und zugänglich wird. Bzgl. der Interpretationen der Filme wurde also das Specification Memo ergänzt durch Notizen, die die Montage- und Narrationsabläufe analytisch fokussieren. Diese zahlreichen Erkenntnisse zu einer Bild- und Filmanalyse, die aus einer diskursanalytischen Perspektive durchgeführt und an den Grundsätzen der Grounded Theory orientiert ist, wurden übertragen in ein Arbeitsprogramm, das nachfolgend beschrieben wird. Das Arbeitsprogramm gibt zunächst Auskunft über die
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Zusammenstellung des Samples. Danach werden die einzelnen Interpretationsschritte im Sinne einer verdichteten Auflistung der soeben benannten methodischen Strategien und Techniken benannt.
2.3 SAMPLING UND ARBEITSPROGRAMM Die Studie interessiert sich für die Funktionen von Visualität hinsichtlich der Darstellung von Transgeschlechtlichkeit auf den drei Diskursebenen: (a) Medizin/Sexualwissenschaft, (b) der Transgender Subkultur und (c) im massenmedialem (populärfilmischen) Bereich. Es soll gezeigt werden, dass Bilder, die um und über Transgeschlechtlichkeit zirkulieren, nicht nur diskursiv-sprachliche Relevanz entfalten, sondern bildlich-relevant werden. Es wird dafür argumentiert, dass gerade die visuelle Relevanz des Phänomens den Phänomenbereich mitkonstituiert. Mich der Visualität auf den jeweils drei verschiedenen Diskursebenen zu widmen, war zunächst nicht Anliegen der Arbeit. Mein ursprüngliches Interesse galt den filmischen Repräsentationspolitiken zu Transgeschlechtlichkeit. Als ich begann, einige der bereits den Datenkorpus konstituierenden Transgender Filme zu analysieren und meine ersten Befunde codierte, bildeten sich bald Kategorien heraus, die darauf hindeuteten, dass jene für die vorläufige Fragestellung einschlägigen Filme mit einem visuellen Repertoire arbeiteten, das vor allem den transgeschlechtlichen Körper als geschlechtlich eindeutigen Körper präsentierte. Daraufhin erweiterte sich mein Interessenschwerpunkt dahingehend, dass ich mich (a) fragte, ob diese Körperdarstellungen in Zusammenhang stehen mit einem medizinischen Blick auf das Phänomen, und (b) ob und wo es visuelle Zeugnisse über den transgeschlechtlichen Körper als geschlechterambivalenten Körper gibt. J. Jack Halberstam ging in seiner_ihrer kulturwissenschaftlichen Studie zu Female Masculinity (1998) ähnlich vor. Si_er stellt im ersten Kapitel fest: „I do not believe that we can actually understand the meaning of contemporary AngloAmerican masculinities (male and female) without considering the history of the production of modern masculinity from the beginning of the nineteenth century to at least the 1920s. In other words, the momentous negotiations about gender that took place at and around the turn of the century, which were created by earlier developments, produced particular forms of femininity and masculinity […].“ (Halberstam 1998: 48)
Als übergeordnete Fragestellung bildete sich heraus, welchen Stellenwert die Bedeutung von Visualität hinsichtlich der diskursiven Deutungsmuster über Transgeschlechtlichkeit einnimmt. Weiterführende Fragestellungen waren:
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• Wann tauchte der visuelle Diskurs über Transgeschlechtlichkeit auf, und wie,
wo und mit welchen visuellen Praktiken wird er (re-)produziert? • Welche visuellen Mittel werden dafür eingesetzt? • Wie veränderte sich der Diskurs im Laufe der Zeit und lassen sich Unterschiede
auf verschiedenen diskursiven Ebenen finden? Die Wichtigkeit all dieser weiterführenden Fragestellungen bestätigte sich mir durch die Lektüre von einschlägiger Literatur zum Phänomen. Vor allem die Lektüre des für die Transgender Studies so zentralen Werks The Transgender Studies Reader I und II machte mir deutlich, dass eine Betrachtung der aktuellen filmischen Repräsentationspolitiken nicht ohne den Blick auf die beiden Diskursebenen der Medizin bzw. der Sexualwissenschaft und des subkulturellen Bereichs auskommt. Einer diskursanalytischen Forschungsperspektive verpflichtet, erschien mir die Ausweitung des analytischen Blicks auf weitere Diskursebenen auch dadurch plausibel, als dass ein „Diskursstrang eine Geschichte, eine Gegenwart und eine Zukunft [hat]“ (Jäger 1993: 185). Es ist daher erforderlich, „größere Zeiträume diskursiver Flüsse ebenfalls zu analysieren, um auf diese Weise ihre Stärke, die Dichte der Verzahnungen der jeweiligen Diskursstränge mit anderen etc. aufzeigen zu können“ (ebd.). Bzgl. der Zusammenstellung des Gesamtdatenkorpus bestand in Folge die Schwierigkeit darin, der Problematik der Visualität des Phänomens auf allen drei Diskursebenen nachzugehen, ohne eine solche Fülle an visuellen Dokumenten für das Gesamtsample zu generieren, dass eine tiefergehende Analyse im Rahmen der zeitlichen Begrenzungen, die eine Qualifikationsarbeit mit sich bringt, nicht zu gewährleisten wäre. In gewisser Weise befand ich mich mit meinem Vorhaben in einem Dilemma, schließlich beziehen sich Diskursanalysen in der Regel nicht auf wenige Einzeldokumente, sondern umfassen einen größeren Datenkorpus (vgl. Keller 2011a: 87); die qualitative Analyse von visuellen Daten ist jedoch mit einem hohen Aufwand verbunden, der es verunmöglicht, ein groß angelegtes Sample in einer begrenzten Zeit zu erfassen. Es galt also, die erweiterte Fragestellung nicht aus dem Blick zu verlieren, während ich gleichzeitig forschungsökonomisch vorzugehen versuchte. Ich konzentrierte mich daher in meinen Analysen auf sogenannte Schlüsseltexte bzw. Schlüsselbilder. Die Auswahl der zu untersuchenden medizinischen Abbildungen orientierte sich an den zentralen Diskursereignissen hinsichtlich der diskursiven Genese von Transsexualität als medizinische Kategorie. Ausgewählt wurden diejenigen Abbildungen und Bildserien, die in den zentralen Schriften zur ‚Zwischen- und Mischgeschlechtlichkeit‘ zum Einsatz kamen. Den verwendeten Abbildungen und Bildserien in Magnus Hirschfelds’ Schriften kam besondere Bedeutung zu, weil
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er derjenige Sexualwissenschaftler war, der seine medizinischen Befunde und Erkenntnisse am intensivsten anhand von Bildmaterial illustrierte. Die Auswahl der visuellen Produkte auf der subkulturellen Diskursebene gestaltete sich schwieriger, weil hier eine Vielzahl an potentiellem Analysematerial vorlag. Aus forschungsökonomischen Gründen verließ ich mich auf Hinweise, auf die ich während der Literaturrecherche stieß. Dabei zeigte sich, dass die Arbeiten des US-amerikanischen Fotografen und Performance Künstlers Del LaGrace Volcano eine zentrale Stellung auf dieser Diskursebene einnehmen. Seit 2013 existiert in San Francisco das Museum of Trans Hirstory & Art (MOTHA), das künstlerische Arbeiten von transgeschlechtlichen Menschen ausstellt. Im Eröffnungsstatement beschreibt der Kurator des Museums, Chris E. Vargas, die Gründe für die Entstehung des Museums: „Transgender people are creative and hardy folk—we’ve endured invisibility and hypervisibility; we’ve been demonized and pathologized, ridiculed and melodramatized. We have been the subject of suspicion, medical and anthropological research, academic theorizing, metaphor, and – at worst – violence and even murder. But what’s more important is that we’ve survived in creative and ingenious ways. We’ve even thrived in this trans-phobic world to such an extent that it’s now time to preserve the legacy of our triumphs for future generations.“ (Vargas 2013)
Nach kursorischer Durchsicht aller der im Rahmen des Museums ausgestellten Arbeiten wählte ich diejenigen aus, die als meinungsbildend und damit als diskursiv relevant gelten. Das Kriterium zur Einschätzung der meinungsbildenden Funktion war, ob die künstlerische Arbeit in einem eigens veröffentlichten Bildband publiziert wurde. Zwei weitere Kriterien für die Zusammenstellung des Materialkorpus waren die Selbstpositionierung der Künstler_innen und die Zirkulation der visuellen Dokumente innerhalb von Trans*Kontexten. Das heißt, die ausgewählten Arbeiten wurden zum einen von Künstler_innen produziert, die sich dezidiert als transgeschlechtlich verorten. Ich gehe allerdings nicht davon aus, dass eine eigene Betroffenheit direkt mit bestimmten künstlerischen Intentionen oder gar spezifischen Wirkungseffekten einhergeht. Nichtsdestotrotz gehe ich vor dem Hintergrund meiner Fragestellung und der Prämisse, dass sich Deutungsbotschaften in Abhängigkeit zur diskursiven Ebene unterscheiden, davon aus, dass im Rahmen subkultureller Trans*Kontexte Erfahrungen mit Geschlecht(lichkeit) und dem Umgang mit dem eigenen Körper gemacht werden, die sich von medizinischen Kontexten unterscheiden. Ich nehme also an, dass in subkulturellen Trans*Kontexten alternative Wissensformen entwickelt werden, die sich nicht nur
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kritisch auf Diskursbotschaften beziehen, wie sie auf medizinsicher Ebene verbreitet werden, sondern auch, dass die visuellen Dokumente dadurch, dass sie innerhalb der Trans*Kontexte zirkulieren, relevante Diskursartikulationen darstellen. Es ergab sich folgendes Sample: • Del LaGrace Volcano: Sublime Mutations (2000) • Zackary Drucker & Rhys Ernst: Relationship (2016)
Durch mein „nosing around“13 in der Transgender Community durften YouTube Videoblogs (Vlogs) von und für transgeschlechtliche Menschen in dem Sample nicht fehlen. Die Bezeichnung vlog ist die gängige Abkürzung für Videoblog. Videoblogging „is an umbrella term that covers a wide number of genres, including everything from short video footage of spontaneous, real-life, personal moments, to scripted and preplanned ‚shows‘“ (Lange 2007). Vlogs sind „web journal with entries that may include comments or other media (such as photographs)“ (ebd.). YouTube fungiert als online video hosting und online video sharing Dienst, der jene Videoblogs und dessen Einträge als komprimierte Videodaten speichert und für ein Publikum zugänglich macht. Für die Transgender Community stellt YouTube im Sinne einer „participatory culture“ (Burgess und Green 2009) ein emanzipatorischer Kommunikationsraum dar. Er bildet mit seinen Funktionen des Erstellens von Videos innerhalb personalisierter Nutzer_innenkanäle und dem textlichen wie audiovisuellen Kommentieren ein Ort, an dem über amateurhaften user-created content ein Sinn von Gemeinschaftlichkeit hergestellt wird (vgl. Raun 2016). Die Kanal-Suche nach dem Schlagwort „transgender“ ergab beispielsweise rund 325.000 Einträge [Stand: 23.09.2015], die vorrangig auf biografische Videotagebücher verweisen, in denen die eigene Geschlechtsaffirmation öffentlich dokumentiert wird. Die Videoblogs entsprechen den oben genannten Auswahlkriterien (Selbstpositionierung und Zirkulation). Das Kriterium der meinungsbildenden Funktion wurde über die Zahl der Abonent_innen der jeweiligen
13 Im Grunde handelte es sich bei meinem Eintauchen in das subkulturelle Feld nicht um ein nosing around, wie es in der Grounded Theory beschrieben und betrieben wird. Der Forschungsstil der Grounded Theory bezeichnet das nosing around als Strategie der vorläufigen Informationsgewinnung über ein Untersuchungsfeld, das dem_r Forscher_in selbst fremd ist, durch „aufmerksames aber relativ zielunspezifisches Herumhängen, Mitfließen, Bummeln und Schnüffeln im Feld“ (Breuer 2010: 62). Da ich mich als Privatperson seit Jahren in der Transgender Subkultur bewege, war ich bereits sehr vertraut mit dem Feld und konnte ganz gezielt mitverfolgen, welche visuellen Produkte ‚innerhalb der Szene‘ kontrovers diskutiert wurden.
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Vlogs abgedeckt. Untersucht wurden letztlich fünf YouTube Blogs: von The RealAlexBertie (Bertie 2010), Jammidodger (Raines 2011), Ty Turner (Turner 2008), ChandlerNWilson (Wilson 2010), und PrincessJoules (Vu 2010). Die zu untersuchenden Filme wurden anhand von Filmkatalogen, dem Verzeichnis von Filmen auf queerorientierten Filmfestivals sowie filmwissenschaftlicher Sekundärliteratur ausgewählt. Zentrales Auswahlkriterium stellte das Sujet des Films dar: Ausgewählt wurden aus der Vielzahl der Filme, die Geschlechtergrenzen überschreitendes Verhalten thematisieren, solche, bei denen die transgeschlechtliche Identifizierung des_r Protagonist_in im Mittelpunkt der Narration steht. Der in der Einleitung genannten Definition von Transgeschlechtlichkeit folgend, galten für mich all jene Filmfiguren als transgeschlechtlich, die sich in der diegetischen Welt als ebenso selbst identifizieren. Diese Einschränkung diente der Reduktion des Samples, denn so konnten Filme ausgeklammert werden, die sich dem innerhalb der Kultur- und Filmwissenschaft recht gut erforschten Sujet des Crossdressings widmen14. Das zweite Auswahlkriterium stellte der Publikumserfolg, gemessen am Einspielerfolg (box office gross) dar, denn dadurch kann den Filmen eine zentrale meinungsbildende Bedeutung unterstellt werden. Tabelle 1: Auswahl der Filmtitel (Filmsample) Fimtitel
Regisseur_in
Produktionsland
Produktionsjahr
Einspielerfolg in $ (laut IMDb15)
MA VIE EN ROSE
Alain Berliner
Frankreich, Belgien, UK
1997
2.280.573
BOYS DON’T CRY
Kimberly Peirce
USA
1999
11.533.945
TRANSAMERICA
Duncan Tucker
USA
2005
9.013.113
TOMBOY
Céline Sciamma
Frankreich
2011
1.299.834
THE DANISH GIRL
Tom Hooper
USA, UK
2015
12.706.393
14 Der Filmwissenschaftler Chris Straayer (1997) bezeichnet jene Filme auch als Transvestite Films, die er als Subtyp im Genre der Komödie verortet. Narrativ wird hier der Geschlechterwechsel nicht als identitäre Notwendigkeit vorgestellt, vielmehr sind die crossdressenden Figuren in der diegetischen Welt aufgrund äußerer Zwänge dazu bestimmt, ihr ‚Ursprungsgeschlecht‘ zu verschleiern. Vgl. auch zum Sujet des Crossdressings im Film: Kuhn 1994, Bell-Metereau 1993. 15 Stand: 13.01.2017.
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In Anlehnung an die Vorschläge zur Umsetzung einer visuellen Grounded Theory, die aus einer diskursanalytischen Perspektive durchgeführt wurde, wählte ich für die Analyse und Interpretation der verschiedenen visuellen Dokumente ein Arbeitsmodell, das sich nachfolgend als aus fünf Schritten bestehend darstellt. Es ist jedoch anzumerken, dass für die gesamte visuelle Diskursanalyse ein zirkulärer Verlauf typisch war. Dieses zirkuläre Vorgehen entspricht dem Prinzip des hermeneutischen Zirkels, der als grundsätzlicher Modus des qualitativen Forschens gilt. 1. 2. 3. 4.
5. 6.
Identifikation von visuellen Diskursereignissen im Sinne des theoretischen Samplings Lokalisierung und Katalogisierung des jeweiligen Diskursereignisses Auswahl von einzelnen Bildern und Schlüsselstellen für die Feinanalyse16 Feinanalyse des Diskursereignisses durch: (a) Locating Memos (b) Big Picture Memos 17 (c) Specification Memos (inklusive der Rekonstruktion der Formalstruktur des Bildes im Sinne Imdahls) Kodieren der Memos Verdichtung der Kodierungen durch Kategorienbildung
16 Aus forschungsökonomischen Gründen konnten nicht alle Bildserien, Einzelbilder und Filme in ihrer Gänze feinanalysiert werden. Deshalb wurden einzelne relevante Bildstrecken und Bilder bzw. Schlüsselszenen für die Feinanalyse bestimmt. Die Auswahl jener Diskursfragmente für die Feinanalyse erfolgte nach dem Kriterium der Fokussierung: Die Auswahl fiel auf solche Bilder und Schlüsselszenen, die sich in verdichteter (fokussierter) Form mit dem Thema auseinandersetzen. Ein guter Hinweis auf eine Fokussierung ist, wenn ein Bild oder eine Filmszene einem besonders auffällig erscheint, z.B. dadurch, dass sich das Bild durch eine besondere Bildkomposition auszeichnet oder dadurch, dass es einen Grundkonflikt verdeutlicht. Das Kriterium der Fokussierung ist quasi die forschungsökonomische Umsetzung des Postulats Hans Georg Gadamers: „Das erste, womit das Verstehen beginnt, ist, dass uns etwas anspricht“ (Gadamer 1986: 64). Es gilt zu „begreifen, was uns ergreift“ (ebd.: 108). 17 Hinsichtlich der Spielfilme erfolgte in Ergänzung zu den Big Picture Memos die Rekonstruktion des Handlungsverlaufs mittels eines Sequenzprotokolls.
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2.4 SELBSTREFLEXIVITÄT Hans-Georg Gadamer geht davon aus, dass „[d]as erste, womit das Verstehen beginnt, ist, dass uns etwas anspricht“ (Gadamer 1986: 64). Es gilt zu „begreifen, was uns ergreift“ (ebd.: 108). (Bewegt-)Bilder, die transgeschlechtliche Figuren sichtbar machen, ergreifen mich – als private Person und Betroffene_r wie als Forscher – in besonderer Weise. Das Forschungsanliegen der Studie geht für mich weit über das Ziel der Absolvierung eines formalen Qualifikationsabschlusses hinaus; es trägt Züge eines ‚persönlichen Projekts‘ (vgl. Breuer 2010:10). Persönlich ist es deshalb, weil ich als transgeschlechtlich-identifizierte Person einen gewissen Blick auf den Untersuchungskorpus einnehme. Damit einher geht, dass manche Bilder und Filme Resonanzen in mir erzeugen, die ich, selbst wenn ich die ‚Brille des Forschenden‘ aufsetze, nicht negiere(n) und verleugne(n kann). Einzelne Filmszenen, z.B. solche mit „anti-trans violence“ (Williams 2011: 111), rufen in mir Erinnerungen an eigene schmerzliche Erfahrungen wach. Über andere Bilder ärgere ich mich intensiv, spüre den Groll in mir, wenn ich medizinische Abbildungen als objektivierend deute. Ich erlebe sie als belastend und herausfordernd. Kurzum: Die Fähigkeit, das Bedürfnis und auch die Notwendigkeit mich in die transgeschlechtlichen Bild- und Filmfiguren hineinzuversetzen, mich mit ihnen zu identifizieren, ist sicher weitaus stärker ausgeprägt als das bei nicht-betroffenen Betrachter_innen der Fall ist. Diese Resonanzmomente möchte ich als konstruktive Erfahrungen in den Prozess des Forschens einfließen lassen. Mir geht es dezidiert darum, mich als Forscher, der auf bestimmte Weise von der Fragestellung ‚betroffen‘ ist, der gewisse Präkonzepte, Vorstellungen, Ideen und Meinungen zum Forschungsgegenstand mitbringt, und der diesen Gegenstand von einem spezifischen gesellschaftlichen Standpunkt aus erblickt, als vom Forschungsprozess abhängig zu verstehen. Die Erkenntnis, dass sozialwissenschaftliches Forschen wesentlich eine Interaktion zwischen der forschenden Person als eine Person „aus Fleisch und Blut, mit einem – historisch entstandenen und sich im Zeitverlauf wandelnden – sub/kulturellen, sozialen, institutionellen Hintergrund sowie im Rahmen einer persönlichen Lebensgeschichte“ (Breuer 2010: 140) und dem Forschungsfeld darstellt, ist nicht neu. In meinem Falle, d.h. hinsichtlich des Umstands, dass ich als transgeschlechtlich-identifizierte, weiße und vor einem akademischen Hintergrund agierende Person (Bewegt-)Bilder über transgeschlechtliche Figuren untersuche, bedarf es einer besonders intensiven und sensiblen Reflexion meiner Doppelrolle als Person und Forscher. Die von mir angewendeten Instrumentarien zur Selbstreflexion werden nachfolgend kurz beschrieben.
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Dass wir als Forschende aufgrund unserer Positionierung Wissen generieren, das stets partiell und situiert sowie standpunktgebunden ist, ist nicht nur eine Erkenntnis, die Vertreter_innen der feministischen Wissenschaftskritik hervorbrachten (vgl. Haraway (2007 [1988]); Harding (1990); Harding (2004)). In der hermeneutischen Wissenssoziologie wird dieser Umstand beschrieben als „‚Standortgebundenheit‘ von Deutendem, Deutungsgegenstand und Deutung“ (Soeffner 2004: 89). Mit Sandra Harding (1990) gesprochen kann es daher kein Ziel sein, das Prinzip der wertneutralen Objektivität im Erkenntnisprozess zu beanspruchen, denn die starre Dichotomisierung vom Wissenschaftler als erkennendem Subjekt, das dem Objekt seiner Untersuchung gegenübersteht, ist eine erkenntnistheoretische Annahme und Unterstellung, die bzgl. des Erkenntnisprozesses sozialwissenschaftlicher Studien allgemein, und bzgl. des Erkenntnisprozesses eines Projekts, das dezidiert randständige Subjekte in den Fokus der Betrachtung rückt, im Besonderen, nicht haltbar ist. Vielmehr ist die sozialwissenschaftliche Erkenntnis als subjektgebunden zu verstehen. Es könnte angenommen werden, dass das Einbringen „identifikatorischen Herzblut[s]“ (Breuer 2010: 10) in ein Forschungsprojekt weitere methodologische wie methodische Probleme aufwirft. Breuer legt jedoch in der Vorstellung seines Programms der Reflexiven Grounded Theory nahe, dass dieser Umstand erkenntnisproduktiv gewendet werden kann. Im Anschluss an seine Vorschläge bin ich deshalb mit meiner Doppelstellung als Person und Forscher – mit dem Mitbringen ‚eigener Anteile‘ in den Forschungsprozess – selbstreflexiv umgegangen, indem ich – erstens – von Beginn des Forschungsprozesses an ein Forschungstagebuch führte. Dort schrieb ich alle hinsichtlich des Forschungsthemas relevanten Gedanken, Ideen, Assoziationen, (leibliche) Resonanzen, angenehme wie unangenehme Gefühlsregungen, Überlegungen und Probleme nieder. Durch das Führen des Tagebuchs war es mir möglich, meine Selbstaufmerksamkeit und Achtsamkeit bzgl. des Themas zu schärfen. Des Weiteren bot es mir einen intimen, privaten Ort der Auseinandersetzung mit meinen eigenen Präkonzepten zum Untersuchungsgegenstand, d.h. den themenbezüglichen Vor(ein)stellungen, Meinungen, Erwartungen, Werthaltungen, Emotionen etc., zu denen ich durch das Niederschreiben und Analysieren Distanz gewinnen konnte. Für den Prozess der Selbstreflexion ist dieser Vorgang, d.h. das Distanzgewinnen zu eigenen affektiven, kognitiven und Handlungsmustern, notwendig, um auch im Erkenntnisprozess die Fähigkeit zu besitzen, einen Metastandpunkt gegenüber der eigenen Ausgangsperspektive einzunehmen, denn „[d]ie Kunst des entfremdeten Blicks erfüllt [...] eine unerlässliche Voraussetzung allen echten Verstehens. Sie hebt das Vertraute menschlicher Verhältnisse aus der Unsichtbarkeit, um in der Wiederbegegnung mit dem befremdend Auffälligen des eigentlich Vertrauten das Verständnis ins Spiel zu setzen“
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(Plessner 1982: 169f.). Die Dezentrierung, das Abstandgewinnen von eigenen vertrauten und selbstverständlichen Denk- und Wahrnehmungsschemata „ist der Umweg zur Vertrautheit, das Repoussoir, gegen das diese sich als Szene und Hintergrund abhebt und begreiflich wird“ (ebd.). Ein zweites Verfahren, das die Bereitschaft zur Selbstthematisierung förderte, bestand im kontinuierlichen Austausch meiner Ideen, Deutungen und Überlegungen mit Koforschenden. Im Laufe des Forschungsprozesses nutzte ich den Austausch mit Forschenden im Rahmen unterschiedlicher Gruppenkonstellationen. Eine kleine aus ebenfalls qualitativ-sozialwissenschaftlich arbeitenden Doktorand_innen bestehende Interpretationsgemeinschaft erwies sich für mich und meine Fähigkeit zur Selbstreflexion als fruchtbarste Gruppe. Ich rief die Gruppe Anfang 2015 informell ins Leben, nachdem ich meine ersten Deutungen am Bildmaterial mit weiteren Personen teilen und diskutieren wollte. Mir war wichtig zu erfahren, ob mein analytischer Blick, meine ‚Auswertungsbrille‘, zu sehr von meinen eigenen Anteilen getrübt war. In Bezug auf mein Forschungsthema besaß die Gruppe genau das richtige Maß an Heterogenität, um mögliche aufgrund meiner eigenen Involviertheit in das Forschungsthema bestehenden Verzerrungen in den Deutungen zu glätten, denn die Mehrzahl der Gruppenmitglieder war zwar mit der von mir gewählten Methodik vertraut und ebenfalls in deren Forschungsprojekten dem Grounded Theory Forschungsstil verpflichtet, jedoch bestand bei ihnen keine persönliche Betroffenheit zum Untersuchungsgegenstand. Die Interpretationsgruppe, die sich regelmäßig und kontinuierlich traf, avancierte für mich schnell zur Auswertungsgruppe, die mir bei der Deutungsarbeit am Bild- und Filmmaterial zur Seite stand. Außerdem konnte ich mit ihr meine über das Führen des Forschungstagebuchs gewonnenen Erkenntnisse thematisieren und reflektieren. Beide Verfahren, das Führen des Tagebuchs wie der kontinuierliche Austausch in der Interpretationsgruppe, erwiesen sich als äußerst hilfreich, um im Forschungsprozess selbstreflexiv und kontinuierlich zwischen den zwei Polen des Mich-Einlassens auf die Nähe und der für den Erkenntnisprozess ebenfalls notwendigen Distanznahme zum Forschungsgegenstand hin und her zu pendeln.
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Die Diskursebene der Medizin: Der medizinische Blick und die historische Genese von Transgeschlechtlichkeit als Abnormalität
Wie Foucault in Sexualität und Wahrheit (1977) beschreibt, zielt der in die Tiefenschichten des Menschen eindringende medizinische Blick auf die immer detailreichere Erforschung der wissenschaftlichen Wahrheiten über Sexualität und Geschlecht. Die in der Medizin konstruierte scientia sexualis spezifiziert und konsolidiert über die Verbindung von Macht, Wissen und Sichtbarkeit die zuvor verstreuten Sexualitäten und ‚Perversionen‘. Die folgenden Ausführungen begründen die auf medizinischer Ebene stattfindende Verquickung von Macht, Sichtbarkeit und Wahrheitsanspruch am Beispiel der Hervorbringung und Behandlung von Transgeschlechtlichkeit. Es wird sich zeigen, dass diese Verbindungen einen Diskursstrang konstituieren, der als Diskursstrang der Pathologisierung beschrieben werden kann und die hegemoniale Stellung im Transgeschlechtlichkeitsdiskurs einnimmt. Medizinische Abbildungen tragen dezidiert zu diesem Diskursstrang bei: Das Visuelle ist gekennzeichnet von einer Ästhetik der Vereindeutigung, die vor allem auf eine spektakelartige Ansicht auf den Körper von Betroffenen fokussiert. Die intensive Erforschung von Transgeschlechtlichkeit als medizinisch-psychiatrisches Phänomen begann am Anfang des 20. Jahrhunderts mit der Konstituierung des modernen Geschlechtsdispositivs. Zuvor galt Transgeschlechtlichkeit als unspezifisches, von der Medizin nicht näher bezeichnetes Phänomen, das vom ‚Hermaphroditismus‘ und von weiteren ‚zwischengeschlechtlichen‘ Phänomenen, wozu auch gleichgeschlechtliche Begehrensformen und Verhaltensweisen gezählt wurden, nicht zu trennen war. Gerade die genealogischen Verbindungen zum ‚Hermaphroditismus‘, zum ‚Transvestitismus‘ sowie zum gleichgeschlechtlichen sexuellen Begehren, jene „Ahnenreihe [also] von Phänomenen mit zunächst ver-
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worrenen Verwandtschaftsverhältnissen“ (Hirschauer 1993: 68), tragen zum heutigen medizinischen Verständnis von Transgeschlechtlichkeit als ‚Geschlechtsidentitätsstörung‘ (gender identity disorder) bei. Der auf medizinischer Ebene verhandelte Transgeschlechtlichkeitsdiskurs kann ohne den Blick auf seine historisch gewachsenen, angrenzenden Diskursfelder um ‚Misch- und Zwischengeschlechtlichkeit‘, dem temporären ‚Geschlechtswechsel‘ und das gleichgeschlechtliche sexuelle Begehren nicht angemessen beschrieben werden. Denn alle Phänomene weisen einen gemeinsamen Bezugspunkt auf, der in der Irritation lebensweltlicher Routinen der Geschlechtskonstruktion liegt (vgl. Hirschauer 1993: 68): Die Phänomene verstoßen alle auf mehr oder weniger offensichtliche Art und Weise gegen die Annahme, nach der eine Kohärenz von sex, gender und desire (vgl. Butler 1991, 1997) fraglos besteht. Als common sense wird angenommen, dass das Geschlecht (a) als Naturtatsache gegeben (vgl. Rendtorff und Moser 1999: 16ff.) sowie binär und exklusiv organisiert ist (vgl. Foucault 1998), dass es sich (b) aus körperlichen Gegebenheiten ableitet (vgl. Kessler und McKenna 1978), und (c) eine Begehrensstruktur aufweist, die auf das ‚komplementäre‘ Geschlecht orientiert ist. Die Vorstellung, nach der aus dem scheinbar natürlich gegebenen Geschlecht eine entsprechende Geschlechtsidentität erwächst, die die Übernahme einer spezifischen Geschlechterrolle, geschlechtsspezifische Verhaltens-, Empfindungs- und Wahrnehmungsweisen sowie eine heterosexuell ausgerichtete Begehrensstruktur beinhaltet, lässt jene oben benannten Phänomene als Störungen der interaktiven Ordnung (vgl. Goffman 1994, West und Zimmerman 1987), als Abweichungen von der Gender-Norm (vgl. Butler 2009c: 91) bzw. als ‚unordentliche‘ Elemente „innerhalb der Matrix der Intelligibilität“ (Butler 1991: 39), als „Irrtümer, die der Wirklichkeit nicht entspr[echen]“ (Foucault 1998: 10), oder eben als Pathologien erscheinen. Butler (2009c) beschreibt jene Kohärenz, die sie als dezidiert kontingent ausweist, als Gender-Regulierungen. Diesen machtvollen Regulierungen muss sich das Subjekt zuallererst annehmen, um existieren und „zu sich selbst kommen“ (Stammberger 2017: 93) zu können. Gender-Regulierungen, die als Norm verstanden werden müssen, – als „impliziter Standard der Normalisierung“ (Butler 2009c: 73) – „erleg[en] dem Sozialen ein Gitter der Lesbarkeit auf“ (ebd.). Für Butler ist Geschlecht (gender) ein „Apparat, durch den die Produktion und Normalisierung des Männlichen und Weiblichen vonstattengeht, zusammen mit den ineinander verschränkten hormonellen, chromosomalen, psychischen und performativen Formen, die Gender voraussetzt und annimmt“ (ebd.: 74). Transgeschlechtlichkeit als eine Spielart von gender, die sich nicht so recht in dieses ‚Gitter‘ einpasst, erscheint erst vor diesem Hintergrund als Problemlage. Aus einer
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diskursanalytischen Perspektive geht es nachfolgend um die „Konstruktion des [transgeschlechtlichen] Subjekts als [...] Problem“ (Butler 1995: 48). Es wird sich zeigen, dass der Transgeschlechtlichkeitsdiskurs auf Ebene der Medizin auf ältere Problemstellungen zum ‚Geschlechtswechsel‘, der ‚Zwischenbzw. Mischgeschlechtlichkeit‘ und zur sexuellen Orientierung antwortet, und schließlich in der Festschreibung der transgeschlechtlichen Erfahrung auf die Diagnose der ‚Geschlechtsidentitätsstörung‘ mündet. Das Kapitel dient daher der Rekonstruktion des auf medizinischer Diskursebene verhandelten Diskursstranges von Transgeschlechtlichkeit, indem der Blick auf seine historischen Vorläufer ausgeweitet wird.1 Dessen Rekonstruktion geschieht nicht nur durch die Auswertung von textbasierten Quellen, sondern bezieht sich dezidiert auf bildliche Repräsentationen, auch wenn im Sinne Foucaults Erkenntnisse zur Konstitution von diskursiven Sichtbarkeitsordnungen der Fokus auf der mit Sichtbarkeit verknüpften Etablierung einer medizinischen Wissensordnung über Geschlechtlichkeit liegt. Indem der Blick von textbasierten Argumenten auf visuelle Illustrationen erweitert wird, wird erkenntlich, dass jene Bilder als Medien betrachtet werden müssen, die das Verständnis von Transgeschlechtlichkeit mit herstellen und prägen. Sie stellen materielle „Tätigkeitsformen des Kulturellen“ (BachmannMedick 2010: 9) dar, die gleichsam Zeugnis von der Existenz eines visuellen Archivs zu ‚geschlechtsabweichenden‘ Phänomenen ablegen, dessen Elemente nicht nur in zeitgenössische mediale Verhandlungen von Transgeschlechtlichkeit Eingang finden, sondern auch das gesellschaftliche Verständnis von Transgeschlechtlichkeit beeinflussen.
3.1 DIE MEDIKALISIERUNG DER GESCHLECHTSZUWEISUNG ÜBER ‚HERMAPHRODITEN‘ ALS VORLÄUFER VON TRANSGESCHLECHTLICHKEIT Gerade die mit dem 16., aber vor allem im 17. und 18. Jahrhundert einsetzende medizinisch-naturwissenschaftliche Forschung zum ‚Hermaphroditismus‘ muss als Ausgangspunkt der modernen bipolar organisierten Geschlechterordnung angesehen werden, die den Weg zur Pathologisierung ‚uneindeutiger‘ Geschlechtlichkeiten ebnete. Ulrike Klöppel (2010) arbeitet in ihrer historischen Studie über
1
Aufgrund des weitgespannten Bogens dieses Diskursstranges basiert das Kapitel nicht durchgängig auf der Auswertung von Primärquellen, sondern speist sich in weiten Teilen aus der Recherche von sekundärhistorischen Quellen.
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Intersexualität2 heraus, dass die Medizin in der Frühen Neuzeit damit begann, uneindeutige Geschlechtlichkeiten zunehmend zu problematisieren. Der Hermaphrodit als doppelgeschlechtliches Wesen Vor dem 18. Jahrhundert wurde der ‚Hermaphroditismus‘ noch nicht als pathologischer Gegenstand gehandhabt: Jene ‚mischgeschlechtlichen‘ Wesen wurden stattdessen als „doppelgeschlechtliche Individuen [betrachtet], die den fließenden Übergang zwischen männlich und weiblich repräsentierten“ (Klöppel 2010: 133). Wie Foucault feststellte, wurden in der Zeit des Mittelalters all jene als Hermaphroditen bezeichnet, „bei denen beide Geschlechter zu variablen Anteilen nebeneinanderliegen“ (Foucault 1998: 8). Sie gehörten in dieser Zeit dem Bereich des Wunderlichen und Monströsen an (vgl. Gregor 2015: 41f.). Eine solche Ansicht dokumentiert sich im Bereich der Kunst. In J.T. de Brys Symbola aureae mensae duodecim nationum von 1617 ist die Vorstellung vom ‚Hermaphroditen‘ als mystisches Doppelwesen vermittelt (s. Abb. 4). Der auf der linken Seite abgebildete Hermaphrodit hat zwei Köpfe und hält in der rechten Hand ein Y. Ein Kopf zeigt den eines bärtigen Mannes, während der andere den einer langhaarigen Frau zeigt. Auf der rechten Seite ist der Bischoff Albert Magnus abgebildet, der auf den sich in einen Männer- und einen Frauenkörper teilenden Hermaphroditen zeigt. Auch Caspar Bauhins De Hermaphroditorum von 1614 fokussiert auf einen Körper, der aus Eigenschaften des Männlichen wie des Weiblichen besteht (s. Abb. 5). Die Idee der „Vermischung der beiden Geschlechter in einem einzigen Körper“ (Foucault 1998: 8) entsprach der öffentlichen Meinung, fand ihren Ausdruck in der zivilen Rechtsprechung und wurde medizinisch nicht problematisiert. Vielmehr galten ‚Hermaphroditen‘ als ‚Wundergeburten‘ und wurden mythisch überhöht. Die im Bereich der Kunst repräsentierte Vorstellung vom ‚Hermaphroditen‘ als Wundergeburt kann als Ikonographie der Doppelwesen bezeichnet werden (Peters 2010). Es handelt sich dabei um spekulative Illustrationen, schließlich entbehren die Bilder jeglicher wissenschaftlichen Grundlage.
2
Klöppel verwendet im Titel ihrer Dissertation den Begriff Intersexualität und bezieht sich damit auf die seit den etwa 1960er Jahren übliche Bezeichnung von Menschen, deren Körper nicht eindeutig der weiblichen oder männlichen Norm entsprechen. Zuvor wurde auf medizinischer Ebene vor allem von Zwittern oder Hermaphroditen gesprochen, wobei der Begriff des Hermaphroditismus der älteste Terminus ist. Er wird seit der Antike verwendet. Mit der Übersetzung von medizinischen Schriften aus dem Lateinischen ins Deutsche wurde der Begriff des Zwitters geläufiger.
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Abbildung 4: Symbola aureae duodecim nationum (J.T. de Bry 1617)
Quelle: https://library.artstor.org/asset/AWSS35953_35953_3169 9-234 [zuletzt abgerufen am: 13.09.2019]
Abbildung 5: De Hermaphroditorum, Figur I (Caspar Bauhin 1614)
Quelle: https://library.artstor.org /aset/SS35197_35197_19440814 [zuletzt abgerufen am: 18.03.2019]
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Die medizinische Erfindung des Geschlechtsdimorphismus Die Vorstellung eines göttlichen Geschlechts wich dadurch, dass Mediziner „den Mythenschleier von den Hermaphroditen abstreiften und sie mittels anatomischer Studien der wissenschaftlichen Begutachtung zuführten“ (Mildenberger 2005: 259), der zunehmenden Pathologisierung des ‚Hermaphroditismus‘, die im 16. Jahrhundert begann und eng mit der Konstituierung der Disziplin der Anatomie verwoben war. Die zunehmende Fülle an medizinischen Abhandlungen über ‚Hermaphroditen‘ dokumentiert das sich sukzessiv entwickelnde besondere wissenschaftliche Interesse am Phänomen. Es wimmelte regelrecht an „Historien über Zwitter, an Kompendien, die Hermaphroditen zusammenstellen, oder einzelnen Observationsberichten über Personen mit zweifelhaftem Geschlecht“ (Schochow 2009: 111). Dieser Umstand fällt zusammen mit der Medikalisierung der Geburt am Ende des 17. Jahrhunderts (vgl. Preves 2002: 533). Auch Schochow (2009) teilt den Befund der Zunahme an veröffentlichten wissenschaftlichen Abhandlungen, Observations- und Einzelfallberichten im 17. und 18. Jahrhundert, die fast gänzlich von der „Frage nach der Erfindung der Zeugungs- und Geburtsglieder“ (Schochow 2009: 114) geeint sind. In diesen Schriften finden sich immer detailliertere Beschreibungen der Genitalien von ‚Hermaphroditen‘ (vgl. Klöppel 2010: 142). Schochow analysierte vier Observationsberichte aus der Zeit von 1671 bis 1684 hinsichtlich der Frage, wie die „Erfindung der Zeugungs- und Geburtsglieder“ (Schochow 2009: 114) den Geschlechterbegriff des 16. Jahrhunderts kolonialisierte. Er stellt bei der Analyse fest, dass alle Untersuchungsprotokolle auf den Beobachtungen und (vor allem haptischen) Wahrnehmungen an lebenden ‚Hermaphroditen‘-Körpern beruhten. Während zuvor Exegeseberichte verfasst wurden, die auf der ganzheitlichen, visuellen Wahrnehmung der Oberfläche des hermaphroditischen Körpers basierten, bringen die Mediziner nun, indem sie die neue Untersuchungstechnik der Vivisektion – den ärztlichen Eingriff in den lebenden Körper – anwenden, „das diskursive Ereignis Geschlecht“ (ebd.: 117) dadurch hervor, dass sie sich buchstäblich in die Tiefen des Schambereichs vortasten. Die diskursive Erzeugung des Geschlechts ist gekoppelt an die Erkundung eines neuen Raumes: der berührbare Raum des Körperinneren des ‚Hermaphroditen‘, „jener undurchsichtigen Masse, in welcher sich Geheimnisse, unsichtbare Läsionen verbergen und das Mysterium der Ursprünge [des Geschlechts, Anm. R.K.S.] selbst eingehüllt ist“ (Foucault 1988 [1963]: 136). In den Observationsberichten wurden einzelne im Schambereich vorgefundene Glieder (Ruten, Hodensäcke, Schamlippen, Eicheln, Nymphen etc.) je nach Länge oder Breite sowie der Funktion nach
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(Zeugungs- oder Gebärfähigkeit) dem männlichen oder weiblichen Geschlecht zugeordnet. In den medizinischen Protokollen dokumentiert und etabliert sich (a) über den durch die spezifische Untersuchungstechnik ermöglichten ärztlichen Blick und Griff in den Körper, und (b) über die Isolierung und Fokussierung auf einen zuvor als irrelevant aufgefassten Körperbereich – die ‚Zeugungs- und Geburtsglieder‘ – eine dichotome Teilung: Der ‚hermaphroditische‘ Körper wird nicht als solcher, sondern als in Wahrheit männlicher oder weiblicher Körper angerufen. Diese Forschungsstrategien standen einerseits im Dienste der Medikalisierung der Grenze zwischen den Geschlechtern. Andererseits erwirkten sie die Unterscheidung zwischen regulären und abweichenden Körpern (vgl. Klöppel 2010: 142). In Folge (18. Jahrhundert) fungierten gerade ‚Hermaphroditen‘ als perfekte „anatomische Studienobjekte, an denen die wesentlichen Unterschiede zwischen dem männlichen und dem weiblichen Geschlecht bestimmt werden sollten“ (ebd.: 183). Der geschlechtlich ‚uneindeutige‘ Körper entwickelt sich gewissermaßen zum Präzedenzfall, über dessen Erforschung sich Erkenntnisse zum ‚Kerngehalt‘ des körperlichen Geschlechts ableiten lassen. Vor allem die sich etablierende medizinische Methode der Obduktion gewinnt in der akademischen Medizin als ‚aufgeklärter Wissenschaft‘ zunehmend an Bedeutung: „Die Wahrheit über den Mann und über die Frau, über ihre jeweiligen Lebenssphären und -aufgaben ließe sich primär aus dem Leib erforschen – so lautete seit der Aufklärung der Imperativ der humanwissenschaftlichen Disziplinen“ (Eder 2002: 132). Es ist der tote ‚abnorme‘ Körper, der durch die Forschungsmethode der Obduktion zur erkenntnisversprechenden Quelle des Wissens über ‚normale‘ (Geschlechts-)Körpereigenschaften avancierte (vgl. Gregor 2015: 46). Die Untersuchungsmethode ermöglichte die eingehende Introspektion des Körperinneren. Für die diskursive Hervorbringung des Geschlechts scheint die in diesem Zusammenhang zugewiesene Rolle des ärztlichen Blicks entscheidend, denn, basierend auf der Vorstellung, dass das „wahre Geschlecht hinter dem trügerischen Erscheinungsbild des hermaphroditischen Körpers freigelegt werden müsse“ (Klöppel 2010: 183), wirkte der ärztliche Blick in das dunkle Volumen des Zwitter‘-Körpers nicht nur an der medizinischen Erfindung des körperlichen Geschlechts mit. Der ärztliche Blick setzte auch das sich bereits mit der Methode der Vivisektion andeutende Modell des Geschlechtsdimorphismus durch, das die Annahme einer Doppelgeschlechtlichkeit des ‚Hermaphroditen‘ endgültig verwarf, und ihn [den ‚Hermaphroditen‘] definierte als Zwitter, als „abweichendes, unvollkommenes, jedoch in Wahrheit männliches resp. weibliches Individuum“ (ebd.: 231).
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Die medizinische Hervorbringung des Geschlechtsdimorphismus an der „biologischen Modernitätsschwelle“ (Foucault 1977: 170), d.h. Ende des 18. Jahrhunderts, ging einher mit der Produktion neuer bzw. anderer Bilder, die sich in den zahleichen medizinischen Veröffentlichungen finden (vgl. Peters 2010: 24). Diese Bilder repräsentieren nicht ausschließlich die medizinischen Erkenntnisse über Geschlecht. Sie müssen vielmehr als Medien betrachtet werden, die das Wissen über den GeschlechtsKörper mit herstellen. Genau wie in den textbasierten Fallund Obduktionsberichten, den medizinischen Abhandlungen und Atlanten, zeigt sich auch in den Bildern und medizinischen Illustrationen das „unbedingte Bemühen [...], in Sachen Geschlecht dingfest zu machen, was nicht dingfest war, sichtbar zu machen, was nicht sichtbar war, zu vereindeutigen, was nicht eindeutig war“ (ebd.). In Hirschfelds Geschlechtsübergänge (1906) findet sich beispielsweise die Schilderung des „seltenen F[a]lle[s] von echtem Zwittertum“. Es handelt sich um die textliche Beschreibung einer bei Geburt dem männlichen Geschlecht zugeordneten (und sich auch so identifizierenden) Person, bei der ‚uneindeutige‘ primäre und sekundäre Geschlechtsmerkmale beobachtet wurden. Auf Grundlage der anamnestischen Befunde verwendet Hirschfeld in der Falldarstellung Zeichnungen des Genitals des Patienten. Die Abbildungen (s. Abb. 6) zeigen eine starke Vergrößerung des (innen und außenliegenden) Genitalorgans, und werden von erklärenden Indizes begleitet. Abbildung 6: Hermaphroditismus versus, Sexus incertus
Quelle: Hirschfeld, Magnus (1906): Geschlechtsübergänge: Mischungen männlicher und weiblicher Geschlechtscharaktere [sexuelle Zwischenstufen]. Erweiterte Ausgabe eines auf der 76. Naturforscherversammlung zu Breslau gehaltenen Vortrages. Leipzig: Malende, Verlag der Monatsschrift für Harnkrankheiten und sexuelle Hygiene, Tafel IV.
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Das zweite Bild stellt die Verdoppelung der ersten stark vereinfachten Linienzeichnung dar. Während es bei der ersten Zeichnung darum zu gehen scheint, einzelne Elemente des äußeren und innen liegenden Geschlechtsorgans dem männlichen bzw. dem weiblichen Geschlecht zuzuordnen, stellt die zweite Abbildung die an Tiefenwirkung zunehmende und daher realistisch wirkendere Verdopplung des Geschlechtsorgans dar. Auffällig an der zweiten Zeichnung sind die zusätzlich abgebildeten Daumen und Zeigefinger des Arztes, die ein weiteres Element des Geschlechtsorgans enthüllen, das sich in der Legende der ersten Linienzeichnung nicht wiederfindet: die Klitoris bzw. die Eichel des Patienten. Nicht nur das Sujet der Zeichnungen macht hier einzelne, innen und außenliegende Teile des Genitals sichtbar, und lädt sie darüber mit diskursiver Bedeutung auf; auch die textliche Begleitung ordnet die Fragmente des Geschlechtsorgans den gängigen beiden Geschlechtern zu und bringt durch diesen Klassifikationsvorgang das Ereignis des ambivalenten Geschlechts hervor. Dass hier von der Medizin eine Ambivalenz aufgefunden wurde, darauf macht das Bildelement des „Fingerzeigs“ in der zweiten Zeichnung aufmerksam. Das Medium der Zeichnung materialisiert damit die Existenz eines Geschlechtsdimorphismus, in das sich das ambivalente Genitale nicht einzupassen vermag. Der ärztliche, jene Ambivalenz auffindende Blick wird hier über den Griff zur Klitoris bzw. Eichel als vorfindender Blick demonstriert. Der Griff des Arztes in Kombination mit der Zeichnung der innen liegenden Genitalien verweisen als Bildzeichen auf die Bedeutung der haptischen Begutachtung von ‚hermaphroditischen‘ Körpern. Eine ähnliche Bildrhetorik verfolgen die Abbildungen und Fotografien, die Hirschfeld bei der Besprechung des Falls der Friederike S. verwendet. Die Abbildungen dienen der Demonstration des „Pseudohermaphroditismus masculinus“ (Hirschfeld 1906: 40), d.h. dem „männliche[n] Scheinzwittertum“ (ebd.). Auch hier verdoppelt Hirschfeld eine einfache Skizze des ‚uneindeutigen‘ Genitals, diesmal durch eine „sorgsame Zeichnung der äußeren Geschlechtsteile derselben Person“ (ebd.) auf einer Farbtafel (s. Abb. 7). Im Gegensatz zu den Zeichnungen zum Hermaphroditismus versus findet hier eine stärkere Überführung der sichtbaren Genitalelemente in eindeutige Zeichen statt (vgl. Sykora 2004: 17). Der Geschlechtshöcker wird hier beispielsweise dem Penis zugeordnet. Hirschfeld fügt den beiden Zeichnungen eine Reihe von Fotografien der_s Betroffenen hinzu: Friederike S. in Frauen- und Männerbekleidung sowie in nackter Pose in Vorderund Rückansicht (s. Abb. 8). Die Bildreihen ergänzen den diskursiven Gehalt der anatomischen, das Geschlechtsdimorphismusmodell visuell manifestierenden Zeichnungen um eine weitere Komponente.
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Abbildung 7: Pseudohermaphroditismus masculinus
Quelle: Hirschfeld, Magnus (1906): Geschlechtsübergänge: Mischungen männlicher und weiblicher Geschlechtscharaktere [sexuelle Zwischenstufen]. Erweiterte Ausgabe eines auf der 76. Naturforscherversammlung zu Breslau gehaltenen Vortrages. Leipzig: Malende, Verlag der Monatsschrift für Harnkrankheiten und sexuelle Hygiene, Tafel IV.
Beide Bildpaare laden aufgrund der ähnlichen Bildgestaltung geradezu zu einem Vergleich ein. Das erste Bildpaar zeigt die_n Patient_in in bekleideter Form und jeweils anonymisiert mit einer Augenmaske versehen. Auf dem linken Bild trägt sie_r ein schlichtes dunkles Kostüm, bestehend aus einem Blazer, der die Hüftpartie betont, und einem Rock, der aufgrund der gewählten Einstellungsgröße nicht zur Gänze sichtbar ist. Überdies trägt Friederike S. einen dunklen Hut, der am rechten oberen Ende mit einer weißen Blume versehen ist, und von dessen Krempe ein dunkler Schleier abgeht, der ihr_sein Gesicht bedeckt. Außerdem trägt die_r Patient_in lederne Handschuhe, die farblich zu ihrem_seinem Kostüm passen. In der Fotografie nimmt Friederike S. eine aufrechte, seitlich zur Kamera gedrehte Pose ein. Der linke Arm stützt auf der Lehne eines Stuhls, der am rechten Bildrand partiell sichtbar ist. Auf dem rechten Bild sehen wir die_n Patient_in in einem dunklen Herrenanzug, ebenfalls mit Augenmaske versehen, dazu ein schlichter Hut, der nun keinerlei weitere Accessoires aufweist. Auf beiden Bildern ist die perspektivische Projektion gleich gewählt: Die Fotokamera fängt die im Zentrum der Bilder stehenden bekleideten Körper mit gleichem Abstand zu diesen, in Normalsicht und mit derselben Kamerahöhe ein. Auch das Setting ist gleich gewählt: Beide Fotografien sind aufgenommen in einem Raum, der an ein Atelier erinnert, sodass die Bilder Anleihen aus der bürgerlichen Atelierfotografie zeigen. Unterschiede in den beiden Bildern sind hinsichtlich der planimetrischen Bildordnung auszumachen.
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Abbildung 8: Pseudohermaphroditismus masculinus bei überwiegend männlichem Habitus (Error in sexu)
Quelle: Hirschfeld, Magnus (1906): Geschlechtsübergänge: Mischungen männlicher und weiblicher Geschlechtscharaktere [sexuelle Zwischenstufen]. Erweiterte Ausgabe eines auf der 76. Naturforscherversammlung zu Breslau gehaltenen Vortrages. Leipzig: Malende, Verlag der Monatsschrift für Harnkrankheiten und sexuelle Hygiene, Tafel III.
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Während der bekleidete Männerkörper plan zur Kamera hin ausgerichtet ist, ist er als bekleideter Frauenkörper rechts von ihr weggedreht. Die unterschiedlichen Posen schreiben den Bildern veränderte Linienführungen ein. Gerade der leicht links eingedrehte ‚weibliche‘ Körper verschiebt als zentrales Bildelement die Fluchtpunktlinien. Der ebenfalls seitlich aufgestellte Stuhl, auf dessen Lehne sich die_r Patient_in aufstützt, bestätigt diese dynamisierte Linienführung. Im rechten Bildpendant ist diese Art der Linienführung nicht gegeben. Vielmehr ist der Bildaufbau als geometrisiert zu bezeichnen, indem der ‚Männerkörper‘ frontal zur Kamera ausgerichtet ist. Auch der dunkle Anzug, dessen Knopfleiste gut erkennbar ist, symmetrisiert den Bildaufbau und heftet damit der Abbildung den Anschein von Objektivität an. Der belichtete ‚männliche‘ Körper weist somit gleichsam Bildzeichen auf, die eher der medizinischen bzw. der Kriminalfotografie zuzuordnen sind, während der fotografierte ‚Frauenkörper‘ eher eingepasst wird in den Kontext der Atelierfotografie. Die unteren zwei Bilder, die Friederike S. nackt von vorn und von hinten zeigen, greifen die planimetrischen Strukturen des oberen Bildpaares auf. Die linke Aufnahme wiederholt die seitlich gedrehte Körperpose der_s bekleideten Patient_in, während das rechte Bild, das Friederike S.’ nackte Rückenansicht zeigt, den von Frontalität und Geometrie gekennzeichneten Bildaufbau der Aufnahme der_s Patient_in in männlicher Kleidung wiederholt. Auch das vergeschlechtlichte Sujet scheint sich im unteren Bildpaar zu spiegeln: Der nackte Körper wird in der ersten Abbildung als weiblich eingelesen. Aufgrund der Beleuchtungsssituation tritt in der zweiten Abbildung der blasse Körper mit dessen breiten Schultern und dessen kräftigen Oberarm- und Gesäßmuskeln vor der dunklen Zimmerwand deutlich hervor, und kann als Verbildlichung des ‚männlichen’ Körpers verstanden werden. Auch die nackten Darstellungen bringen also das Geschlecht als entweder weibliches oder männliches hervor. Ein eklatanter Unterschied zum oberen Bildpaar besteht wiederum darin, dass dem linken Bild der unteren Reihe eine weitere Figur zugefügt wurde: Magnus Hirschfeld, wie er im Profil zu sehen ist, dicht an den nackten ‚Frauenkörper‘ gerückt, den Blick auf den Oberkörper der_s Patient_in gerichtet. Seine Anwesenheit führt der Aufnahme die Narration eines Mann-Frau-Verhältnisses zu (vgl. Sykora 2004: 18), was die visuelle Hervorbringung des Körpers als weiblich begünstigt. Gleichwohl tritt Hirschfeld , bekleidet mit einem dunklen Anzug und einem weißen Hemd, nicht eindeutig in der Funktion des Arztes in die Szenerie ein. Gerade auch sein Griff zum linken Oberarm von Friederike S. „spricht eher von freundschaftlicher Nähe als diagnostischer Ferne“ (ebd.: 17). Durch die Einführung der Narration der sozialen Bezogenheit wird hier die Objektivität der visuell dargelegten Befunde in Frage gestellt.
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Hirschfeld scheint gleichsam die Unmöglichkeit der diagnostischen Feststellung geschlechtlicher Eindeutigkeit zu reflektieren. Geschlechtliche Eindeutigkeit muss als Prozess verstanden werden, der diskursiv, auch und vor allem medial und inszenatorisch, hergestellt wird: „Es gibt keine visuellen und damit auch keine bildlichen Eindeutigkeiten, die den Körper oder das Kleid im Sinne von Hirschfelds Kasuistik zum Sprechen bringen. Geschlechtliche Eindeutigkeiten – und die versucht er hinter der Kulisse von Gewand und Körper zu erkunden – sind nur durch inszenatorische oder fotografische Konstruktionen zu erreichen.“ (Ebd.: 18f.)
Anhand der Analyse von Genital- und Köperabbildungen, die exemplarisch für die zunehmende Verwendung bildlicher Medien in der Sexualmedizin stehen, wird deutlich, dass jene „inszenatorische[n] oder fotografische[n] Konstruktionen“ (ebd.) wesentlich zu der Hervorbringung des nicht nur ‚hermaphroditischen‘ Geschlechts, sondern vor allem des eindeutigen Geschlechts beitragen. Letztlich wird aufgrund der Aneignung von neuen bildgebenden Verfahren in der Medizin die Ikonographie der Doppelwesen (Peters 2010) abgelöst von einem neuartigen Archiv an Genital- und Nacktbildern, auf Basis derer die medizinischen Suchbewegungen nach dem ‚wahren Geschlecht‘ fixiert und zum Stillstand kommen sollen. Indem es nicht mehr darum geht, den faszinierenden Blick über den bizarr anmutenden ‚hermaphroditischen‘ Körper wandern zu lassen, sondern darum, deren Abweichungen primär aufzufinden und sichtbar zu machen, um sie sodann zu vermessen, zu vergleichen und zu klassifizieren, erzeugt die neue klinische Sichtbarkeit die Phänomene der ‚Zwischengeschlechtlichkeit‘, die es aufzudecken glaubt, und schreibt damit die Grenzen des Geschlechts immer tiefer ein. Der klinische Blick, den Foucault als Blick beschrieben hat, der „sich vom Sichtbaren [der Körperoberfläche, Anm. R.K.S.] zum Verborgenen [des Köperinneren, Anm. R.K.S.] hinunterbohrt“ (Foucault 1988 [1963]: 149), wird durch die Möglichkeiten der Anfertigung von Präparaten, mikroskopischen Aufnahmen, Zeichnungen und Fotografien nicht nur festgehalten, sondern ebenso erweitert, woran eine Erweiterung des Wissensgegenstandes selbst gekoppelt ist: „Die Fotografie fungiert sowohl als externalisiertes Gedächtnis oder visuelles Archiv, als auch als Fundus immer weiterer Details, die in der ersten Sichtung womöglich niemandem in den Blick geraten waren, aber in zukünftigen Betrachtungen entscheidend sein können“ (Peters 2010: 37f.). Die in der Sexualmedizin eingesetzten Genitalfotografien und -zeichnungen, die Sykora (2004: 20) als fetischistisch-obsessiv be-
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schreibt, erfassen und bestätigen nicht nur die ärztlichen Befunde über das ‚hermaphroditische Geschlecht‘, sie deuten, beglaubigen und erzeugen sie damit auch mit. Die Suche nach dem ‚wahren‘ Geschlecht Da der ‚hermaphroditische‘ bzw. ‚zwittrige‘ Körper von der Medizin zum Problem erklärt wurde, das später Expertenlösungen erfordern sollte, bildete sich die Vorstellung des ‚richtigen‘, des ‚wahren‘ Geschlechts heraus (vgl. Foucault 1998). Infolgedessen wurde für die Medizin die Frage nach der Entstehung der Geschlechterdifferenz virulent. Die Durchsetzung der epigenetischen Lehre in der Medizin zu Beginn des 19. Jahrhunderts trug zur Verbreitung der Auffassung bei, dass sich die männlichen und weiblichen Geschlechtsorgane aus derselben embryonalen Uranlage herausbildeten (vgl. Klöppel 2010: 238). Vor allem die Gonaden als die entscheidenden Fortpflanzungs- und Geschlechtsorgane galten dabei als die Marker der Geschlechtsdifferenzierung, an deren Ausprägung der geschlechtliche Status für den Mediziner ablesbar wurde. Dreger (2000) beschreibt in ihrer Studie Hermaphrodites and the medical invention of sex, wie Mediziner im späten 19. Jahrhunderts dazu übergingen, die Art der Keimdrüsen zum – im buchstäblichen Sinne – maßgebenden Kriterium des ‚wahren‘ Geschlechts und der Geschlechtsbestimmung zu erklären, weshalb diese Periode als age of gonads bezeichnet wird. Die Vorstellung eines solchen geschlechtlichen Kontinuum-Modells, das in der Phase der Verwissenschaftlichung der Medizin eng mit dem biologischen Entwicklungsgedanken verknüpft ist, implizierte die Betrachtung des ‚Hermaphroditismus‘ bzw. ‚Zwittertums‘ als unvollendete Vorstufe des Geschlechts. Die Theorie der allmählichen Geschlechtsdifferenzierung betrachtet den ‚Hermaphroditismus‘ nicht (mehr) als mittlere Geschlechtskategorie zwischen der männlichen bzw. weiblichen, sondern als „kümmerliche Vorstufe des männlichen oder weiblichen Geschlechts“ (Klöppel 2010: 247), d.h. als „einen primitiven Entwicklungsstand“ (ebd.). Die Theorie des Geschlechterkontinuums und mit ihr die Theorie der allmählichen Geschlechtsdifferenzierung baut damit auf rassentheoretischen Ideen auf, die den ‚Hermaphroditismus‘ als nieder entwickelte Form des Geschlechts definiert (vgl. Baumgartinger 2017: 88). Der Bereich dessen, was als geschlechtlich ‚unterentwickelt‘ galt, wurde im Zuge des 20. Jahrhunderts und durch die Professionalisierung und Technisierung der Medizin und ihrer Subdisziplinen (vor allem der Endokrinologie, Gynäkologie und Chirurgie) immer mehr ausgeweitet. Wie Voß (2010) darlegt, wurde auf immer kleineren Ebenen nach den entscheidenden Faktoren der Geschlechtsbestim-
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mung gefahndet, ausgehend von den äußerlich sichtbaren Merkmalen hin zur Beschaffenheit der Gonaden im 19. Jahrhundert über die im 19. und 20. Jahrhundert erforschten Gene und des Hormonhaushalts bis hin zur heutigen Betrachtung von Botenstoffen, die Gene aktivieren. Es kann vor dem Hintergrund der Erkenntnisse von Foucault zur Modellierung des Diskursverhältnisses von Wissen, Sichtbarkeit und Macht angenommen werden, dass die Vergeschlechtlichung immer kleinerer Körperkomponente mit auf der zunehmenden Anwendung von Sichtbarkeitsverfahren beruht. Beachtlich ist, dass die mit dem 18. Jahrhundert verstärkt einsetzende medizinische Beschäftigung mit der Bestimmung des Geschlechts nicht nur zu einer immer feineren Ausdifferenzierung von geschlechtlichen Merkmalen führte, sondern die beständige Beschäftigung mit der Geschlechtsdifferenzierung, dessen Bestimmungsgrundlage sich kontinuierlich, auch in Abhängigkeit zu den medialen Sichtbarkeitsverfahren, wandelt, darauf hindeutet, dass es scheinbar kaum klar war, was nun das ‚Wahre‘ am ‚wahren Geschlecht‘ sei. Woran jedoch beharrlich festgehalten wurde und bis heute festgehalten wird, ist die Vorstellung von zwei – und nur zwei – Geschlechtern. Das Beharren auf Zweigeschlechtlichkeit deutet Stammberger als Ausdruck einer „durch wissenschaftliche Entwicklungen [und daran beteiligter Sichtbarkeitsverfahren, Anm. R.K.S.] hervorgerufene[n] tiefe[n] Verunsicherung“ (Stammberger 2017: 87) hinsichtlich der Geschlechtsbestimmung und der um die Jahrhundertwende beobachtbaren vielfältigen Erscheinungsweisen von Geschlechtlichkeit. Was die mit der Frühen Neuzeit beginnende Medikalisierung des ‚Hermaphroditen‘ für den Geschlechterdiskurs bewirkte, ist also, zum einen, die Durchsetzung und Konsolidierung einer zweigeschlechtlichen Logik, die binär und exklusiv organisiert ist. D.h. es herrschte die Vorstellung vor, dass in einem Körper nur ein einziges Geschlecht – das ‚richtige‘: ein entweder männliches oder weibliches – vorhanden sein könne. Zum anderen etablierte sich die Deutungshoheit hinsichtlich ‚zwischengeschlechtlicher‘ Phänomene auf der medizinischen Diskursebene, indem der ärztliche Blick als entscheidende Instanz der Diagnostizierung von ‚normalen‘ bzw. ‚abweichenden‘ Körpern fungierte. Dieser ärztliche Blick ist gekoppelt an und wird unterstützt durch mediale Verfahren der Sichtbarmachung (Zeichnungen, Fotografie), wodurch nicht nur die unsichtbaren Schichten des GeschlechtsKörpers ans Licht gezerrt wurden; jene sichtbaren (Geschlechts-)Merkmale sind zudem nur zu sehen und zu deuten vom Blick des ‚Experten‘.
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3.2 DER DISKURS ÜBER GLEICHGESCHLECHTLICHES BEGEHREN ALS DISKURS ÜBER ‚ZWISCHENGESCHLECHTLICHKEIT‘ Die mit der Neuzeit sich entwickelnde Medikalisierung der Geschlechtsdifferenzierung wird im deutschen medizinischen Diskurs des 19. Jahrhunderts mit Fragen um gleichgeschlechtliches sexuelles Begehren gekoppelt (vgl. Mildenberger 2005: 260).3 Obwohl das sexuelle Begehren in fast allen Epochen in unterschiedlichster Art und Weise an das Geschlecht gebunden wurde (vgl. Gregor 2015: 53), ist es vor allem die sich im 19. Jahrhundert etablierende Sexualmedizin, die gleichgeschlechtliches Begehren pathologisiert und mit abweichenden Geschlechtsentwürfen verknüpft. Während in der Neuzeit der ‚hermaphroditische‘ Körper das Andere darstellte, über das sich das männliche und weibliche Geschlecht definierten, wurde im 19. Jahrhundert die Homosexualität – gemeinsam mit weiblicher, ‚frigid-hysterischnymphomaner Sexualität‘ – zu „jene[n] Konstrukten, mit denen die Sexualwissenschaften das krankhafte Andere der ‚gesunden‘ männlichen Respektabilität bestimmten“ (Eder 2002: 134, vgl. auch Bruhns 2011). Zuvor war Homosexualität bekannt als Sodomie in Form von abweichenden Verhaltensformen, die unter Strafe standen. Foucault hat im ersten Band von Sexualität und Wahrheit (1977) diese Differenz zwischen sodomitischer Strafhandlung und dem durch die Sexualwissenschaften konstruierten ‚homosexuellen Subjekt‘ prägnant auf den Punkt gebracht: „Die Sodomie – so wie die alten zivilen und kanonischen Rechte sie kannten – war ein Typ von verbotener Handlung, deren Urheber nur als ihr Rechtssubjekt in Betracht kam. Der Homosexuelle des 19. Jahrhunderts ist zu einer Persönlichkeit geworden, die über eine Vergangenheit und eine Kindheit verfügt, einen Charakter, eine Lebensform, und schließlich eine Morphologie mit indiskreter Anatomie und möglicherweise rätselhafter Physiologie besitzt [...] Als eine der Gestalten der Sexualität ist die Homosexualität aufgetaucht, als sie von der Praktik der Sodomie zu einer Art innerer Androgynie, einem Hermaphroditismus
3
Für die Diagnostizierung von ‚Hermaphroditen‘ war beispielsweise die Richtung des Geschlechtstriebs ein wichtiger, wenn auch nicht der entscheidende Faktor, und die Annahme, dass das ‚wahre Geschlecht‘ aus dem Konnex eines eindeutigen Körpers, einer Sexualität, die gegengeschlechtlich orientiert ist und einer sich daraus ableitbaren Geschlechtsidentität besteht, materialisiert sich bis heute in den medizinischen Zurichtungen intergeschlechtlicher Menschen (vgl. Gregor 2015).
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der Seele herabgedrückt worden ist. Der Sodomit war ein Gestrauchelter, der Homosexuelle ist eine Spezies.“ (Foucault 1983: 58)
Im 18. Jahrhundert betrachtete das Recht, genauso wie die Kirche, gleichgeschlechtliche Sexualhandlungen als Handlungen der ‚Unzucht wider die Natur‘ bzw. als Sünde, weil diese nicht auf Fortpflanzung ausgerichtet waren (vgl. Eder 2002: 155). Das Preußische Strafrecht hielt, trotz der Vernachlässigung von Frauen, am Verbrechen gleichgeschlechtlicher Sexualität fest und führte dafür 1870 den §175 in das Reichsgesetzbuch ein. Zeitgleich zur Konsolidierung der Kriminalisierung von gleichgeschlechtlichen Sexualhandlungen entstand in Deutschland die Sexualwissenschaft, die begann, gleichgeschlechtliches Begehren zu erforschen, zu systematisieren und zu pathologisieren, und übernahm so sukzessive die ehemalige Definitionsmacht der Gerichtsmedizin (vgl. ebd.: 160). Auch wenn der Übergang vom sodomitischen Akt in eine homosexuelle Identität Ausdruck einer Verschiebung in den Machtstrategien war (vgl. Laufenberg 2014: 123), mittels derer sexuelle Handlungen und Begierden problematisiert und zum Ausgangspunkt von Interventionsstrategien wurden (vgl. Halperin 1998: 97), so ist das homosexuelle Subjekt gewiss als eine Konstruktion des wissenschaftlichmedizinischen Diskurses entstanden (vgl. Robb 2003: 42f.). ‚Der Homosexuelle‘ entstand darüber hinaus, und in Erweiterung zu Foucaults These der Konstituierung der Homosexualität aus der Sexual- bzw. Humanwissenschaft, durch einen zweiten Diskursstrang: den „autobiographisch ausgerichteten Emanzipationsdiskurs“ (Eder 2002: 160), der sich gegen die Stigmatisierung, Pathologisierung und gegen die strafrechtlichen Sanktionen des gleichgeschlechtlichen Begehrens richtete, und den Hirschauer auch als „subkulturelles Projekt“ (Hirschauer 1993: 80) bezeichnet.4 Neben veröffentlichten Broschüren und Pamphleten, die durch dezidierte Selbstbeschreibungen einen angeborenen homosexuellen Zustand proklamierten, aber dessen Pathologie bestritten5, stellten vor allem die unter dem Pseudonym ‚Numa Numantius‘ publizierten militanten Schriften zur Urningliebe des Juristen und Schriftstellers Karl Heinrich Ulrichs
4
Im Grunde ist es nicht verwunderlich, dass Foucault seinen Blick nicht auf den damalig weit weniger wirksamen autobiographisch-ausgerichteten Emanzipationsdiskurs richtet, schließlich ging es ihm nicht um das Phänomen der Homosexualität selbst, als vielmehr um die Frage, wie sexuelles Verhalten diskursiv problematisiert und zum Gegenstand gesellschaftlicher Regulierung wurde (vgl. Laufenberg 2014: 124).
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Der Schriftsteller Benkert veröffentlichte beispielsweise 1869 zwei Broschüren, in denen der Begriff der Homosexualität auftaucht. In den Broschüren forderte er Straffreiheit für Homosexuelle ein (vgl. Hirschauer 1993: 80).
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den zentralen Ausgangspunkt des Emanzipationsdiskursstranges dar. Unglücklicherweise führten Ulrichs Auslegungen und Adaptionen schließlich zur Etablierung des Diskursstranges der sexualwissenschaftlichen Pathologisierung von Homosexualität. Letztlich ist dieser Befund nicht überraschend oder gar außergewöhnlich, weil sich beide Diskursstränge denselben „epistemischen Boden [teilen], in dem Fragen von sexuellem Verhalten und Begehren in den Kategorien des Lebens und damit des Normalen und des Pathologischen, des Natürlichen und des Abweichenden, des Gesunden und des Kranken etc. gedacht werden“ (Laufenberg 2014: 133). Das Konzept der Urningsliebe als Gegendiskurs zur Legitimation gleichgeschlechtlichen Begehrens Nachdem Ulrichs sein Jurastudium 1848 mit Bravur abschloss und in den Hannoveranischen Staatsdienst einstieg, kündigte er 1854 seinen Posten, um einer Entlassung wegen standesunwürdigem Verhalten („widernatürliche Unzucht“) zuvorzukommen (vgl. Mildenberger 2005: 261f.). In den darauffolgenden Jahren veröffentlichte er mehrere emanzipatorische Streitschriften zum Uranismus6. Die Schriften verfolgten das Ziel, gleichgeschlechtliche Verhaltensweisen zu entpathologisieren und zu entkriminalisieren.7 Ulrichs vertrat die Auffassung, dass der Urning eine Mischung aus männlichen und weiblichen, körperlichen und seelischen Eigenschaften, sei. Der Urning, womit Ulrichs Männer begehrende Männer in Anlehnung an den Planeten Uranus bezeichnete, weise eine weibliche Seele im männlichen Körper auf: „Unser Character, die Art, wie wir fühlen, unsere ganze Gemüthsart, ist nicht männlich, sie ist weiblich. Dieses innere weibliche Element ist äusserlich an uns erkennbar durch ein auch äusserlich hervortretendes weibliches Wesen. Nur insofern ist unser äusseres Wesen männlich: als Erziehung, die stete Umgebung, in der man uns aufwachsen liess und die sociale Stellung, die man uns gab, männliche Manieren uns künstlich anerzogen hat. Den Mann spielen wir nur.“ (Ulrichs zitiert in Westphal 1870: 92)
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Diese Zwölf Schriften über das Räthsel der mannmännlichen Liebe erschienen 18641879.
7
Ulrich schrieb dezidiert gegen den „Unzuchts“-Paragraphen im Strafgesetzbuch für die Preußischen Staaten an, wonach der Tatbestand der ‚widernatürlichen Unzucht‘ in der sexuellen Interaktion zwischen Personen männlichen Geschlechts, der Masturbation oder dem Geschlechtsverkehr zwischen Mensch und Tier oder zwischen Mensch und Leichen bestand, und mit Gefängnisstrafe belegt wurde.
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Zentraler Bestandteil seiner Theorie war also die Überlegung, bei homosexuellen Männern handele es sich um Menschen mit einem naturgemäßen Trieb, der weiblicher Natur sei (vgl. Mildenberger 2005: 262). Diese Auffassung vom Einschluss einer „konträrgeschlechtlichen Seele im unpassenden Körper“ (Runte 1996: 83) sollte in der sich formierenden Sexualwissenschaft nicht unbeachtet bleiben, auch wenn die Fachvertreter die vitalististischen Denkmuster in Ulrichs Erläuterungen ablehnten. Was die sich bildende Sexualwissenschaft vor allem adaptierte, war Ulrichs Vorstellung eines Körper-Seele-Dualismus, die seinem Uranismus-Konzept eingeschrieben ist.8 Obgleich nicht intendiert, könnte in Ulrichs Kernauffassung der Ausgangspunkt der dominanten Formel gesehen werden, mit der die Medizin heute Transsexualität zu fassen versucht: die weibliche Seele, die im männlichen Körper bzw. die männliche Seele, die im weiblichen Körper gefangen ist. Runte (1996) setzt deshalb in ihrem Buch zur Genealogie der Transsexualität genau an diesem historischen Punkt an. Die Selbstdefinition Ulrichs, mit der er seinerzeit gleichgeschlechtliches Begehren zu legitimieren versuchte, dient später nicht nur zahlreichen transgeschlechtlichen Menschen als Selbstbeschreibung, sondern findet als vielfach zitierte Formel ihren Ausdruck in medialen Berichterstattungen über Transgeschlechtlichkeit. Zudem materialisierte sich die dominante Rede von der ‚weiblichen Seele im männlichen Körper‘ bzw. der ‚männlichen Seele im weiblichen Körper‘ in der medizinischen Kriterienbildung zur Transsexualität sowie der daran anknüpfenden Institutionalisierung von ‚geschlechtsangleichenden‘ Maßnahmen. Indem die Behauptung der ‚richtigen Seele im falschen Körper‘ den tradierten Primat der Seele über den Körper aufgreift, eignet sie sich „hervorragend dazu, das Geschlechtsempfinden als psychische Dimension und Positiv-Qualität zu repräsentieren“ (Runte 1996: 72). In Ulrichs Rede tritt an die Stelle der Seele die gegengeschlechtliche „Gemüthsart“ bzw. der „Character“, denen er eine von Natur aus gegebene Richtig- und Gültigkeit zuspricht. 1867 präsentierte Ulrichs auf dem deutschen Juristentag in München jene Thesen zur Urningsliebe und versuchte, die anwesenden Fachvertreter von der Straffreiheit Homosexueller zu überzeugen, wurde jedoch während seiner Rede niedergeschrien (vgl. Mildenberger 2005: 262). Auch im Medizindiskurs fand Ulrichs emanzipativer Impetus kaum Resonanz. Stattdessen wurden einige Bestandteile seiner Theorie, vor allem die Vorstellung einer inhärenten Verbindung zwischen Homosexualität und ‚Hermaphroditismus‘ sowie der psychologische Teil seiner Untersuchungen, genutzt, während seine auf vitalistischen Konstrukten aufbauenden Ausführungen
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Krafft-Ebbing greift jene Vorstellung beispielsweise in seiner Psychopathia sexualis (1886) auf.
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zur Ätiologie der Urningsliebe auf Ignoranz oder harsche Zurückweisung stießen, sodass letztlich der emanzipatorische Zweck seiner Schriften verlustig ging, und erst mit Magnus Hirschfeld wiederaufgenommen wurde. Die Vorstellung, nach der eine weibliche Seele von einem männlichen Körper eingeschlossen sei, war es auch, die dazu führte, den Urning in Rekurs auf Plato als ‚Drittes Geschlecht‘ anzusehen (vgl. Eder 2002: 161). 1868 erklärte Ulrichs selbst, bei einem Urning handele es sich um einen ‚Zwitter‘ bzw. ‚Hermaphroditen‘, dessen Keim zur gleichgeschlechtlichen Orientierung bereits im Embryonalstadium angelegt sei (vgl. Mildenberger 2005: 262): „Der U (Urning) mit activem und passivem Begierdetrieb trägt also in sich geradezu gesitige Reste der primairen Embryonatur, nämlich den activen und passiven Begierdekeim, welche nebeneinander zur Entwicklung gelangten, weil die zweite Natur keinen von beiden unterdrückte. Also ist dieser U in der That auch ein Stück des gezeichneten hermaphroditischen Urbildes der menschlichen Natur.“ (Numa Numantius: "Formatrix", zitiert in Mildenberger 2005: 262)
Ulrichs wollte die Urningsliebe also am besten als „Species von Hermaphroditenthum“ verstanden wissen (Mildenberger 2005: 263), wodurch er die evolutionstheoretische Hypothese vom ‚Urzwittertum‘ bedient (vgl. Runte 1996: 83). Die ‚Urningin‘ bzw. ‚Uranierin‘ oder ‚Urnin‘, d.h. eine ‚zwitterähnliche‘ Frau mit männlichem Begierdetrieb, bildete das Pendant zum Urning und sollte folgerichtig ein viertes Geschlecht ergeben.9 Ulrichs Ausführungen zur natürlichen Veranlagung des Urnings setzte er in Gegensatz zur Natur des Dioning, womit er in Anlehnung an die Göttin Aphrodite Dionea gegengeschlechtlich begehrende Männer bezeichnete. Bisexuelle bezeichnete er als Urandioninge. Den Urning definierte Ulrichs also als ein Naturphänomen, dessen sexuelle Vorlieben und Handlungen Teil seiner individuellen Veranlagung sind, wodurch der Urning auch nicht als schuldig gelte im Sinne des Strafgesetzes. Ulrichs leitet homosexuelle Wünsche aus einer „geschlechtlichen Inversion der Seele“ (Runte 1996: 83) ab, auf Grund dessen der Urning nicht verantwortlich zu machen sei für seine sexuellen Vorlieben und Handlungen. Ulrichs Ausführungen zur Typenbildung des Uranismus waren durchzogen von auf Eigenerfahrungen beruhenden Beobachtungen zur Psyche des Urnings, wozu er auch sich selbst zählte. 1864 bezeichnete er sich beispielsweise als Frau im männlichen Körper (vgl. Mildenberger 2005: 262). Indem er sich dezidiert zu
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Diese Begrifflichkeiten wurden durch den 1869 von Karl Maria Kertbeny eingeführten Terminus „Homosexualität“ abgelöst.
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seinen eigenen gleichgeschlechtlichen Leidenschaften bekannte, trat er die Entwicklung autobiographischer Empirie los, die den Homosexuellen (bzw. den Urning) als komplexe Persönlichkeit statt als Objekt des Gerichtsgutachters oder als pathologisches Subjekt des Psychiaters oder Sexualwissenschaftlers präsentierte (vgl. ebd.). Nach Veröffentlichung seiner Streitschriften und aufgrund seines öffentlichen Bekenntnisses zur Urningsliebe erhielt Ulrichs zahlreiche Zuschriften von Betroffenen, d.h. von Menschen, die in verschiedenster Art und Weise und mit verschiedenen Ausprägungsgraden gleichgeschlechtliches Begehren empfanden, auslebten und zum Ausdruck brachten. So firmierte sich sukzessive der autobiographisch ausgerichtete Emanzipationsdiskurs als Gegendiskurs zur Legitimation gleichgeschlechtlichen Begehrens. Auf Grundlage der Eigenbeobachtungen und Fallbeschreibungen entwickelte Ulrichs seine Theorie zum Uranismus weiter zu einer Theorie der ‚sexuellen Zwischenstufen‘, wofür sich ab 1903 der Begriff der „Zwischenstufentheorie“ durchsetzte (vgl. Herrn 2012: 43). Diese Zwischenstufen resultierten aus dem Blick auf Phänomene, die das gleichgeschlechtliche Begehren betrafen und auf solche, die eher in den Bereich von gegengeschlechtlichen Verhaltens- und Empfindungsweisen fielen, jedoch auf die gleichgeschlechtlich orientierte Begehrensform zurückgeführt wurden. Von Beginn an war in Ulrichs Schriften die Zusammenführung von gleichgeschlechtlichem Begehren mit gegengeschlechtlichen Verhaltensweisen und -identifikationen angelegt. So begründete Ulrichs die angeborene gleichgeschlechtliche Männerliebe mit dem bereits in der Kindheit auftretenden Hang „zu mädchenhaften Beschäftigungen, zum Umgang mit Mädchen, zum Spielen mit Mädchenspielzeug [...] Solches Kind zeigt Wohlgefallen an nähen, sticken, häkeln, an den weich und sanft anzufühlenden Kleidern der Mädchen, die es am liebsten selber tragen möchte“ (Ulrichs zitiert in Westphal 1870: 92f.). Ulrichs intendierte, die gleichgeschlechtliche Sexualorientierung über eine tiefgreifende, von Natur aus gegebene gegengeschlechtliche Identifikation als legitime Begehrensform zu rechtfertigen, bei der er es im Unklaren lässt, ob sie sich lediglich punktuell auf Verhaltensebene zeige oder den gesamten Geschlechtscharakter beträfe. Die Schriften Ulrichs kommen allesamt ohne jegliche visuellen Dokumente aus. Seine damalig als emanzipatorisch zu beurteilenden Ideen basieren auf Selbstreflexionen, d.h. quasi-autobiographischen Überlegungen, und auf Schlussfolgerungen von Zuschriften, die er von Betroffenen erhielt. Erst einige Jahre später wird mit Magnus Hirschfeld dieser bei Ulrichs beginnende autobiographisch ausgerichtete Emanzipationsdiskurs weitergeführt und mit Visualität verknüpft (s. Kapitel 3.3 Die Ausdifferenzierung von sexuellen Zwischenstufen und ihre Bild-
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lichkeit). Was sich an der Urningstheorie jedoch hinsichtlich eines visuellen Archivs erstmalig zeigt, ist das Bild des ‚Menschen, der im falschen Körper gefangen ist‘, das sich später als hegemoniale Formel zum Verständnis von Transgeschlechtlichkeit etabliert. Die ‚conträre Sexualempfindung‘ als Beispiel der beginnenden psychiatrischen Pathologisierung von normabweichenden Geschlechtsentwürfen Der Berliner Ordinarius und Charité Psychiater Carl Westphal griff 1869 die emanzipativen Pamphlete Ulrichs auf und bezeichnete Ulrichs als einen der Fälle von Männern, „die sich als Weiber fühlten, deren sexuelle Neigung sich auf das eigene [d.h. das männliche, Anm. R.K.S.] Geschlecht richtete“ (Westphal zitiert in Hirschauer 1993: 81). Er vereinnahmte in Folge Ulrichs emanzipatorische Theorie zu einer Diagnose (‚die conträre Sexualempfindung‘), die er in die Klasse der ‚Geistesstörungen‘ einordnet. Die Aussagen, die ursprünglich dem Gegendiskurs zur Legitimation gleichgeschlechtlichen Begehrens zugehörten, wurden nunmehr angeschlossen an den medizinischen Diskursstrang der Pathologisierung von normabweichenden Geschlechtsentwürfen. Obwohl sich Westphal, wie viele andere aufstrebende Sexualwissenschaftler zur damaligen Zeit, vornehmlich für homosexuelle Neigungen interessierte, bezieht er den Begriff der ‚conträren Sexualempfindung‘ nicht ausschließlich auf Sexualität. Die Grundlage der 1869 erschienen Abhandlung zur Diagnose der „conträren Sexualempfindung“ hatte zwei Fallbeschreibungen von Patient_innen zur Grundlage, bei denen Westphal eine „angeborene Verkehrung der Geschlechtsempfindung“ (Westphal 1870: 73) erkennt. Bei dem ersten Fall handelt es sich um eine Frau, die an der „Wuth [litt], Frauen zu lieben und mit ihnen ausser Scherzen und Küssen Onanie zu treiben“ (ebd.). Aus den von Westphal sehr ausführlich zitierten Selbstbeschreibungen geht hervor, dass sich die Patient_in selbst nicht als geisteskrank betrachtete. Auch im zweiten Falle, der einen „Mann in Frauenkleidern“ und mit einem „fast weibischen Gebahren“ (ebd.: 82) beschreibt, ist aus den Selbstberichten die Verwunderung der Patient_in über die Unterbringung in einer psychiatrischen Heilanstalt vernehmbar. Beide gehen also von einer wie bereits in Ulrichs Schriften angeklungenen, ‚Richtigkeit‘ des inneren Empfindens aus, das von den Psychiatern problematisiert und umgedeutet wird. Die zentrale These des medizinischen Diskursstranges der Pathologisierung besteht darin zu behaupten, dass nicht eine ‚richtige Seele im falschen Körper gefangen‘ sei, sondern eine ‚kranke Psyche im richtigen Körper‘. Und tatsächlich
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berichtet Westphal ausgiebig über die physiognomische Beschaffenheit der Patient_innen, die er im Rahmen der Anamnese und während einiger Genitaluntersuchungen erkundet, findet aber keine eindeutigen Anzeichen eines ‚abnormen‘ Körpers, die er in Verbindung bringen kann mit dem „pathologischen Zustand“ (Westphal 1870: 100). Abgesehen von diesen missglückten Versuchen eines haptischen Ärzteblicks arbeitet Westphal nicht mit visuellen Mitteln. Seine Abhandlung zur ‚conträren Sexualempfindung‘ kommt gänzlich ohne visuelle Referenzen aus. Dass die Patient_innen von einer gegengeschlechtlichen Identifikation berichteten, scheint Westphal zu registrieren. Er beschreibt, wie der Patient im ersten Falle Auskunft darüber gibt, wie er in seiner Kindheit „Knabenspiele gespielt und sich gern als Junge verkleidet“ (ebd.: 75) habe. Auch zitiert er folgende Selbstaussage: „ich fühle mich überhaupt als Mann und möchte gern ein Mann sein; weibliche Beschäftigungen waren mir eigentlich stets zuwider, ich möchte gern eine männliche Beschäftigung haben, so habe ich mich z.B. immer für Maschinenbauerei interessiert“ (ebd.: 80). Westphal schlussfolgert daraus, dass „hier [...] das Phänomen der Verkehrung der Geschlechtsempfindung, das Gefühl, ein männliches Wesen dazustellen, [vorliege], unabhängig von irgend welcher absichtlichen oder Selbst-Täuschung von frühster Jugend an“ (ebd.: 91), und stellt die Selbstauskünfte zu jener ‚conträren Sexualempfindung‘ in Kongruenz zu Ulrichs Thesen. Er kommt damit zu der Konklusion, dass „wir es als zweifellos betrachten [können], dass sowohl beim Manne [...] als auch beim Weibe [...] eine conträre Sexualempfindung angeboren vorkommt, so dass der Mann sich als Weib, das Weib als Mann fühlt“ (ebd.: 94), und bezeichnet diese Sexualempfindung als „entschieden pathologischen Zustand“ (ebd.: 100) bzw. als „pathologische Perversität“ (ebd.: 106) sowie als „Symptom eines psychopathischen Zustandes“ (ebd.: 107). Wie sich am Beispiel der medizinischen Problematisierung gleichgeschlechtlichen Begehrens zeigt, bestand zwischen Betroffenen und Ärzten eine „unheilige Allianz, [bei] der der medizinische Diskurs die Kategorie der ‚Homosexualität‘ aufgriff und verbreitete, und mit der ständigen Publikation von ärztlichen Fallbeschreibungen auch eine Art ‚Speakers Corner‘ für Homosexuelle bereitstellte“ (Hirschauer 1993: 81). Des Weiteren führte diese Allianz zu einer Problematisierung nicht nur von gleichgeschlechtlichem Begehren, sondern von von den Geschlechternormen abweichenden Gefühls- und Verhaltensweisen allgemein. Westphals Abhandlung zur Diagnose der ‚conträren Sexualempfindung‘ war angereichert durch Fallbeschreibungen von Menschen, die ‚gegengeschlechtliche Interessen‘ hegen. Einer der beschriebenen Männer betonte Westphal gegenüber dezidiert, dass er, obwohl er „das weibische Wesen“ als eine „wahre Qual“
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(Westphal 1870: 82) empfand und er öfter das Verlangen verspürte, Frauenkleider anzulegen, seine sexuelle Orientierung ausschließlich auf Frauen gerichtet sei. Daraufhin schlussfolgerte Westphal, dass der Drang, ‚gegengeschlechtliche‘ Kleidung zu tragen, eines unter vielen Symptomen des „pathologisches Zustandes“ (ebd.: 91) darstelle und es sich um einen Gradunterschied handele (vgl. ebd.: 105). Die Bezeichnung der ‚conträren Sexualempfindung‘ solle also, laut Westphal, ausdrücken, „dass es sich nicht immer gleichzeitig um den Geschlechtstrieb als solchen handle, sondern auch bloss um die Empfindung, dem ganz inneren Wesen nach dem eigenen Geschlecht entfremdet zu sein, gleichsam eine unentwickelte Stufe des pathologischen Phänomens“ (Westphal 1982: 107). Die Diagnose bildet damit einerseits ab, was in der sexualpathologischen Denkrichtung des ausgehenden 19. Jahrhunderts stattfand: die Kopplung von gleichgeschlechtlichem Begehren mit sexualnormabweichenden Verhaltens- und Empfindungsweisen zu einem Gesamtphänomen.10 Andererseits führt Westphal mit seiner Theorie ein Modell der Gradunterschiede zwischen den verschiedenen ‚normabweichenden‘ geschlechtlichen und sexuellen Lebensweisen ein. Es erscheint nicht verwunderlich, dass sich in Folge die sexualpathologische Forschung zu gleichgeschlechtlichem Begehren ausdifferenzierte in Forschungen zum ‚Transvestismus‘ und schließlich in der Diagnose der Transsexualität mündete. Krafft-Ebbings Einführung einer graduellen Ordnung der ‚Conträrsexualität‘ 1886 nimmt der Psychiater Richard (Freiherr) von Krafft-Ebbing Westphals Stufen-Theorie auf und konstruiert daraus eine „hierarchisch-ontologische“ Ordnung (Herrn 2012: 42). Auch die Lektüre von Ulrichs Thesen haben ihn erst auf die Idee gebracht, die ‚sexuelle Psychopathie‘ zu studieren (vgl. Mildenberger 2005: 264)11. In seiner einflussreichen Abhandlung Psychopathia sexualis konstatiert Krafft-Ebbing für die Medizin eine Vielzahl von Fällen mit ‚conträrer Sexualempfindung’. Das Wesentliche dieser Fälle liegt für ihn in ...
10 Im medizinischen Diskurs in Frankreich am Ausgang des 19. Jahrhunderts spricht man in Bezug auf gleichgeschlechtliche Neigungen, die in Verbindung gebracht werden mit ‚gegengeschlechtlichen‘ Interessen, von Inversion (Chevalier, Charcot, Magnan) oder psychischem Hermaphroditismus (Laurent); in England ist die Rede von intermediate sex (Carpenter) oder von sexual inversion (Ellis) (vgl. Hirschauer 1993: 81). 11 Zur zwiespältigen Verbindung zwischen Ulrichs und Krafft-Ebbing: vgl. Kennedy 2001: 30-33; 110f.
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„de[m] Mangel sexueller Empfindungen bis hin zum Horror gegenüber dem anderen Geschlecht, während geschlechtliche Neigung und Trieb zum eigenen Geschlecht besteht. Dabei fühlt sich der mannliebende Mann (‚Urning‘) der Person des eigenen Geschlechts gegenüber in der sexuellen Rolle des Weibes, das weibliebende Weib fühlt sich dem anderen gegenüber in der Rolle des Mannes. Gleichwohl sind beide Genitalien normal entwickelt, die Geschlechtsdrüsen funktioniren ganz entsprechend und der geschlechtliche Typ ist ein vollkommen differenzirter.“ (Krafft-Ebbing [1886] zitiert in Sigusch 1992: 62)
Genau wie Westphal ist Krafft-Ebbing an der „angeboren krankhafte[n] Erscheinung“ (ebd.: 56) der gleichgeschlechtlichen Neigung interessiert, differenziert jedoch den sexuellen Trieb nicht von der Geschlechtsrolle. Da eine ‚gegengeschlechtliche‘ sexuelle Orientierung als die ‚natürliche‘ und ‚richtige‘ Begehrensvariante und als stillschweigende Voraussetzung für die geschlechtliche Entwicklung galt, wurde die ‚eigentümliche‘ Art des gleichgeschlechtlich begehrenden ‚Conträrsexuellen‘ über die Annahme der Identifikation mit der ‚gegengeschlechtlichen‘ Geschlechterrolle begründet. Indem Krafft-Ebbing nun jedoch eine graduelle Ordnung aufstellte, die verschiedene Entwicklungsstufen beinhaltete – von der „blossen Verkehrung der Geschlechtsempfindung“ (ebd.: 63) über die Entwicklungsstufe, bei der „das ganze psychische Sein [...] der abnormen Geschlechtsempfindung entsprechend geartet ist“ (ebd.) bis hin zu jener Stufe, bei der sich auch „die Körperform derjenigen, welcher die abnorme Geschlechtsempfindung entspricht [annähert]“ (ebd.) –, weitet sich der diagnostische Blick auf die Dreiheit sexuelle Objektwahl, psychisches und soziales Geschlecht aus. KrafftEbbing entwickelt schließlich in den Folgejahren seine graduelle Ordnung weiter. Die erste Stufe, die „[e]infache Verkehrung der Geschlechtsempfindung“ (KrafftEbbing [1886] zitiert in Sigusch 1992: 64): „[…] ist erreicht mit dem Zeitpunkt, wo die Person des eigenen Geschlechts aphrodisisch wirkt und der Betreffende geschlechtlich für sie empfindet. Charakter und Empfindungsweise bleiben aber vorerst dem Geschlecht, welches der jene Verkehrung der Geschlechtsempfindung Bietende besitzt, noch entsprechend. Er fühlt sich in der activen Rolle, empfindet seinen Drang zum eigenen Geschlecht als eine Verirrung und sucht eventuell Hilfe.“ (Ebd.)
Die zweite Stufe, die er nun als „Eviratio“ bzw. „Defeminatio“ bezeichnet, entwickelt sich, tritt bei der ‚einfachen Verkehrung der Geschlechtsempfindung‘ keine Rückbildung ein:
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„[S]o kann es zu tiefgreifenden und dauernden Umänderungen der psychischen Persönlichkeit kommen [...] Der Kranke erfährt eine tiefgreifende Wandlung seines Charakters, speciell seiner Gefühle und Neigungen im Sinne einer weiblich fühlenden Persönlichkeit. Von nun an fühlt er sich auch als Weib bei sexuellen Akten, hat nur mehr Sinn für passive Geschlechtsbethätigung [...] Die Möglichkeit einer Wiederherstellung der alten geistigen und sexualen Persönlichkeit erscheint hier ausgeschlossen.“ (Ebd.: 64f.)
Während sich bei einer dritten Stufe, die er als Übergang zur „Metamorphosis sexualis paranoica“ kennzeichnet, auch das körperliche Empfinden umgestaltet, definiert sich die letzte Stufe des Krankheitsprozesses als ein „Wahn der Geschlechtsverwandlung“ (ebd.: 65). Die Symptome, die kennzeichnend für die dritte und vierte Stufe sind, müssen als Dokumentationen transsexueller Wünsche avant la lettre verstanden werden (vgl. Runte 1996: 19). Wie sich zeigt, ist die Weiterentwicklung von Krafft-Ebbings Ordnung charakterisiert von einer verstärkten Pathologisierung des Geschlechtsempfindens, die nun die gesamte Persönlichkeit des ‚Conträrsexuellen‘ erfasst. In aufsteigender Folge zeigen sich in dieser Ordnung immer deutlicher die Zeichen der ‚Geschlechtsumkehrung‘. Dabei steht nicht mehr das körperliche Empfinden oder äußerlich ablesbare Verhaltensweisen im Fokus der Betrachtung. Auf der letzten Stufe gilt die gesamte Persönlichkeit, der komplette ‚Geschlechtscharakter‘, als von einem unumkehrbaren ‚paranoiden Wahn‘ erfasste pathologische Instanz. Während der Hermaphrodit über die Materialität seines Körpers definiert wurde, ist das Krankheitsbild der ‚conträren Sexualempfindung‘, an dessen Anfang die Homosexualität – verstanden nicht als eine sexuelle Orientierung, sondern als eine Geschlechtervariante – und an dessen Ende die ‚sexuelle Paranoia‘ steht, geprägt von einem diagnostischen Blick in die psychische Struktur der Betreffenden. Die conträre Sexualempfindung gilt als das pathologische Moment, das bei fortschreitendem Stadium sämtliche Lebensäußerungen bestimmt und „alle äußeren und inneren, alle körperlichen wie psychischen Erscheinungsformen des betroffenen Subjekts determinier[t] und damit die freie Willensäußerung außer Kraft setz[t]“ (Eder 2002: 164). Die ‚Conträrsexuellen‘ avancieren damit im Gegensatz zu heterosexuell empfindenden Individuen zu Menschen, die gänzlich auf ihre als pathologisch geltende Empfindungsweise reduziert werden. Der Verortung der ‚Conträrsexualität‘ in der Psyche des Menschen geht, ebenso wie bei Westphal, mit einer fehlenden visuellen Repräsentation des Phänomens einher. Obwohl Krafft-Ebbing in seiner Abhandlung sehr detailreich und bildhaft das Verhalten sowie die äußere und innere Erscheinung von Betroffenen beschreibt, finden sich keinerlei Abbildungen der Patient_innen, weder von deren körperlichen Beschaffenheiten, noch von deren vestimentären Auffälligkeiten.
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Die hinsichtlich der Suche nach geschlechtlichen bzw. sexuellen ‚Pathologien‘ stattfindende Verlagerung von der körperlichen Materialität auf die psychische Struktur der Betroffenen scheint einen Wandel in den Visualitätsverhältnissen zu bedingen. Während die medizinische Suche nach dem ‚wahren Geschlecht‘ in Zusammenhang mit einer Zunahme an visuellen Aufnahmen vom nackten Körper steht, korreliert die Verortung des gleichgeschlechtlichen Begehrens in der Psyche des Menschen mit einer Unrepräsentierbarkeit mittels des Visuellen. Aufgrund der Tatsache, dass die ‚conträre Sexualempfindung‘ nun als eine „krankhafte Perversion des Sexuallebens“ (Krafft-Ebbing [1886] zitiert in Eder 2002: 257), angesehen wird, deren „Ursache im Gehirn [d.h. der Psyche, Anm. R.K.S.] gesucht werden m[üsse]“ (ebd.), erscheint nicht verwunderlich, dass die frühe europäische Sexualwissenschaft folglich psychoanalytische Ansätze von Freud rezipiert und in Verbindung mit jenen Homo- bzw. ‚Conträrsexuellen‘ bringt. Dadurch, dass die Wurzel des ‚geschlechtlichen Degenerationsvorgangs‘ in der Psyche bzw. im Gehirn der Betreffenden gesehen wurde, sind es letztlich auch nur die Psychiater und Psychoanalytiker, die die ‚Conträrsexuellen‘ über ihre Gefühle, ihre innersten Phantasien und Wahnideen, und über die Hintergründe ihres Handelns, aufklären können. Aufgrund der Vorstellung also, dass die ‚pathologische Sexualempfindung‘ sämtliche Schichten der Psyche und des Bewusstseins der Betroffenen trübe, konstruierten sich die Psychiater, Psychoanalytiker und Sexualpathologen als jene Experten, ohne deren Zutun die ‚Conträrsexuellen‘ nie zu einem Verständnis ihrer selbst kommen könnten (vgl. Eder 2002: 165). Des Weiteren verschob sich dadurch der Ort, an dem Rückschlüsse über normgerechte Sexualitätsformen und Geschlechtsidentitäten gezogen wurde. Genau wie ‚Hermaphroditen‘ mit ihren scheinbar abnormen Körpern zuvor als geeignete Untersuchungsobjekte fungierten, über die die Kriterien der zweigeschlechtlichen Normalität bestimmt werden konnten, sind es nun die vielfältig verlaufenden Grenzphänomene der als pervers geltenden ‚Conträrsexuellen‘, die die Ränder des Normalitätsspektrums abstecken. Das Konzept der Inversion In dem zentralen Werk der Psychoanalyse Drei Abhandlungen zur Sexualtheorie thematisiert Freud 1905 die Inversion, d.h. die ‚Conträrsexualität‘, die er vorrangig auf männliche Homosexualität bezieht. Mit der Diskussion über die Inversion beabsichtigt er, neue Einsichten über die psychosexuale Entwicklung des „normale[n] Geschlechtsleben[s]“ (Freud [1905] zitiert in Bruhns 2011: 163) zu gewinnen. In der anfänglichen Beschäftigung bewertete Freud die Inversion noch nicht ausschließlich als pathologischen, degenerativen Zustand. Vielmehr stellt er
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fest, dass sich unter den Betroffenen Individuen befänden, die „keine sonstigen schweren Abweichungen von der Norm zeigen“ (ebd.: 170), ein normales Leistungsfähigkeitsniveau aufwiesen und „sich durch besonders hohe intellektuelle Entwicklung und ethische Kultur auszeichnen“ (ebd.). Bereits wenige Jahre nach Veröffentlichung der Drei Abhandlungen zur Sexualtheorie tendierte er jedoch dazu, die Inversion als eine individuelle Entwicklungshemmung anzusehen (vgl. ebd.) und zunehmend zu pathologisieren. Gerade Freuds vorrangiger Bezug auf evolutionstheoretische Argumentationen sind es, die ihn die Inversion als Regression in einen ‚primitiven’ Zustand denken lassen. Die konsequente Referenz auf Evolutionstheorien wird in seinen Drei Abhandlungen zur Sexualtheorie besonders deutlich, wenn er sich dem ‚Hermaphroditismus‘ widmet. Freud geht von einer „angeborenen Bisexualität aller Menschen“ (Eckert 2013: 28) aus. Er nimmt an, dass die menschliche Physiologie im embryonalen Stadium einen bisexuellen Zustand aufweise, aus dem sich eine monosexuelle Morphologie entwickle. Indem er schreibt, dass „sich die [...] ursprünglich bisexuelle Veranlagung [...] im Laufe der Entwicklung bis zur Monosexualität mit geringen Resten des verkümmerten Geschlechts verändert“ (Freud [1905] zitiert in ebd.: 29), konzeptualisiert er den monosexuellen Körper als eine höher entwickelte Stufe gegenüber dem ‚hermaphroditischen‘. Obwohl Freud einen direkten Zusammenhang zwischen physischer und psychischer Bisexualität ausschließt, behauptet er, auch auf psychischer Ebene gäbe es eine ursprünglich bisexuelle Veranlagung, aus der sich erst qua Sozialisation die Vorstellungen von Männlich- bzw. Weiblichkeit sowie die reife Form der Psychosexualität, d.h. die gegengeschlechtlich orientierte Sexualobjektwahl, herausbilden. Das Auftreten von Inversionstendenzen sind für ihn folglich der Effekt einer nicht normgerecht durchlaufenen psychosexuellen Entwicklung. Invertierte galten also deshalb als rätselhaftes Phänomen, weil sie durch ihr scheinbar ‚verirrtes‘ Verbleiben auf einer niederen psychosexuellen Entwicklungsstufe die Annahme der heterosexuellen Zusammengehörigkeit verunsicherten. Virulent wurde in dieser Zeit die Frage nach angeborener oder erworbener Inversionsneigung. Freuds Position zur Diskussion war zunächst unklar und höchst ambivalent. Während für Freud die ‚absolute Inversion‘ als pathologische Begehrensform galt, bei der die Wahl des ‚Sexualobjekts‘ unter allen Umständen gleichgeschlechtlich erfolgte, d.h. auf eine angeborene Neigung zur Inversion hindeutet, unterschied er, ähnlich wie Krafft-Ebbing, abgeschwächte Formen der Inversion, wie die ‚okkasionell Invertierten‘ oder die ‚psychosexuell-hermaphroditischen Invertierten‘, die „unter gewissen äußeren Bedingungen“ (Freud [1905] zitiert in Bruhns 2011: 169) eine gleichgeschlechtliche Person als Sexualobjekt wählten bzw. hinsichtlich der Sexualobjektswahl schwankten. Letztlich kam Freud zu dem
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Schluss, dass es aufgrund der „Eindrücke der angeblich sexualfreien Kindheitsperiode“ (ebd.) zu „später beobachteten Abweichungen vom normalen Sexualleben“ (ebd.) komme. Dieser Position widersprach Magnus Hirschfeld, der sich in den 1910er Jahren mit dem Begründer der Psychoanalyse auseinandersetzte. 12 Während Freud mit seinem Inversionskonzept vorrangig an der psychosexuellen Entwicklung des „normalen Geschlechtsleben[s]“ (Freud [1905] zitiert in ebd.: 163) und dem Erwerb der ‚normalen‘ Geschlechtsidentität interessiert war, suchte Hirschfeld nach einem neuen Erklärungsmodell für das Vorkommen eines ‚dritten Geschlechts‘ zwischen Mann und Frau. Hirschfeld nahm eine konstitutionell-biologische Anlage zur Homosexualität an und verstand sie als „normale Variante der Natur“ (Bruhns 2011: 169). Ähnlich wie Ulrichs muss Hirschfeld mit seiner Forschung zu den ‚sexuellen Zwischenstufen‘ – wie auch mit seinen Tätigkeiten am 1897 von ihm gegründeten Wissenschaftlich-humanitären Komitee (WhK) – dem Emanzipationsdiskurs zur Legitimation von nicht nur gleichgeschlechtlichem Begehren, sondern auch und vor allem von normabweichenden Geschlechtsentwürfen allgemein, zugerechnet werden. Die im ausgehenden 19. Jahrhundert und zu Beginn des 20. Jahrhundert erwirkte Medizinisierung von gleichgeschlechtlichen Begehrensformen ebnete den Weg für die Erforschung und Pathologisierung von normabweichenden Geschlechtsentwürfen allgemein, indem der medizinische Diskurs zur Homosexualität einerseits an ältere Vorstellungen einer ‚hermaphroditischen‘ Geschlechtskategorie anzuknüpfen schien, die nun als vor allem psychische ‚Zwitterbildung‘ expliziert wurde. Andererseits förderten die sexualmedizinischen Versuche, die Ursachen für gleichgeschlechtliches Begehren zu begründen, zur Ausweitung des diagnostischen Blickes auf ‚gegengeschlechtliche‘, als Ausdruck gleichgeschlechtlichen Begehrens verstandene Verhaltens- und Empfindungsweisen, die die Sexualmedizin in Folge weiter ausdifferenzierte. Die Kategorie Geschlecht spielte also im psychiatrisch-sexualpathologischen Diskurs des 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts die wesentliche Rolle, indem sexuelles und soziales Verhalten geschlechtsspezifisch kodiert und naturalisiert wurde (vgl. Herrn 2005: 25). An dieser Entwicklung ist auffällig, dass mit der Abkehr von der körperlichen Materialität hin zur psychischen Beschaffenheit ein Mangel an visuellen Repräsentationen einhergeht. Die Verortung des ‚normabweichenden‘ Begehrens in der Psyche des Menschen scheint gewissermaßen einen blinden Fleck in dessen Visualität zu erzeugen.
12 Magnus Hirschfeld gilt als einer der Begründer der modernen Sexualwissenschaft und der Sexualreformbewegung. Zur Biografie Hirschfelds: vgl. Herzer 2001.
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Für die Zeit der Medikalisierung von gleichgeschlechtlichen Begehrensformen sind zwei miteinander verwobene Diskursstränge wirkmächtig: jener von der (Sexual-)Medizin und der Psychiatrie dominierte Pathologisierungsstrang sowie der emanzipatorisch ausgerichtete Strang, der sich als Gegendiskurs zur Legitimation gleichgeschlechtlichen Begehrens firmierte. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts tritt ein wesentlicher Protagonist für Fragen um Transgeschlechtlichkeit in dieses diskursive Spannungsfeld ein: Magnus Hirschfeld, dessen Lehre von den sexuellen Zwischenstufen zu einer neuartigen Verknüpfung der beiden Diskursstränge führte.
3.3 DIE AUSDIFFERENZIERUNG VON ‚SEXUELLEN ZWISCHENSTUFEN‘ UND IHRE BILDLICHKEIT Hirschfelds Lehre von den sexuellen Zwischenstufen gilt als ein Meilenstein in der Emanzipationsgeschichte von transgeschlechtlichen Menschen. Nicht nur prägte er die bis heute verwendeten Bezeichnungen ‚Transvestismus‘ und ‚Transsexualität‘, auch das von ihm begründete Wissenschaftlich-humanitäre Komitee (WhK) gilt als der Beginn des Kampfes um Emanzipation sexueller und geschlechtlicher Minderheiten (vgl. Herrn 2005: 19). Wie keine andere sexualwissenschaftliche Theorie bezieht sich die Zwischenstufen-Lehre auf visuelles Material, sodass Hirschfelds Umgang mit Bildern für die Sexualwissenschaft als einmalig bezeichnet wird (vgl. Peters 2010: 164, Herrn 2005: 19). Seine spezifische Einbindung von Bildmaterial macht Hirschfelds Forschung für die Frage nach der diskursiven Sichtbarmachung von Transgeschlechtlichkeit überaus interessant. Sein Umgang mit Bildern dokumentiert sich nicht nur in den zahlreichen Publikationen, sondern auch in der von ihm initiierten Fotosammlung zu den Zwischenstufen, deren Grundstock bereits 1905 existierte, und die im Jahr 1919 mit der Eröffnung des Berliner Instituts für Sexualwissenschaft in Form der sogenannten Zwischenstufenwand einem breiteren Publikum zugänglich war. Hirschfeld wirkte zudem an zahlreichen Aufklärungsfilmen mit: Unter anderem fungierte er als Drehbuchautor und Berater für Richard Oswalds Film ANDERS ALS DIE ANDEREN (D 1919, R: Richard Oswald); für Curth Thomallas STEINACH-FILM (D 1922, R: Curth Thomalla) stellte er (Bild-)Material aus seinem Institut zur Verfügung (vgl. Peters 2010: 158). Auch wenn Hirschfelds Bildmaterial hier nicht umfassend diskutiert werden kann, so sollen doch schlaglichtartig einige seiner Bildtafeln besprochen werden, die er zur Illustration der Zwischenstufentheorie anfertigte, um darzulegen, wie stark visuelle Medien an der Generierung und Konturierung diskursiver Botschaften beteiligt sind.
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Das Zwischenstufenkonzept legte Hirschfeld erstmalig in der ersten Ausgabe des Jahrbuchs für sexuelle Zwischenstufen im Jahr 1899 dar und bezog es zunächst noch auf ‚die objektive Diagnose der Homosexualität‘. Sein zu Beginn der Beschäftigung mit sexuellen Abweichungen bestehendes Forschungsinteresse an der sexualtheoretischen Begründung von Homosexualität geht auf Ulrichs Thesen zur Legitimation des Uranismus als natürliche Erscheinung zurück. Genau wie Ulrichs beabsichtigt Hirschfeld, dem Homosexuellen ein Drittes Geschlecht zu bescheinigen. Ulrichs begründete die Existenz des Uranismus durch die scheinbar naturhaft gegebene Körper-Seele-Spaltung. Er behauptete, der Urning wiese eine ‚weibliche Seele im männlichen Körper‘ auf und führte so die Vorstellung der Geschlechtermischung in den sexualwissenschaftlichen Diskurs ein. Hirschfeld differenzierte diese Vorstellung weiter aus, indem er geschlechtliche Unterschiede auf fünf statt auf zwei Ebenen identifiziert: (a) den Gonaden als basalste Stufe des Geschlechts, (b) den Genitalien, (c) den sekundären Geschlechtsmerkmalen, (d) den „geistigen Unterschieden“ (Hirschfeld 1899: 8), sowie (e) dem Geschlechtstrieb. Für jede einzelne Ebene entdeckt Hirschfeld zahlreiche Zwischenstufen, die in ihrer Kombination eine rund achtstellige Zahl von Geschlechts- bzw. ‚sexuellen Variationen‘ ergibt. Mit den in der ersten Kategorie auftretenden Zwischenstufen begründet Hirschfeld beispielsweise das Phänomen des ‚Hermaphroditismus‘; kommt es hinsichtlich des Geschlechtstriebs zu Mischungen, ‚entstehe‘ Homosexualität. Indem er jede Gruppe an Geschlechtsmerkmalen als substantielle Kategorie begreift, hebt sich Hirschfeld von zeitgenössischen Sexualmedizinern ab, die gerade psychische Eigenschaften und die Richtung des Geschlechtstriebs als Effekte der gonadalen Ausstattung, nicht aber als eigenständige Geschlechtsmarker, beurteilten. Die Geschlechtsvariationen betrachtet Hirschfeld des Weiteren als angeborene, geringfügig biologische Abstufungen, und folgt damit Ulrichs Ansinnen einer Legitimation von Geschlechtsdeviationen als natürlich vorkommende Phänomene. Für ihn stellen sie keine Krankheiten, sondern Variationen dar. In den Folgejahren reduzierte Hirschfeld seine Systematik auf vier Geschlechtsebenen: „Organe“, „körperliche Zeichen“, „Trieb“ und „seelischer Charakter“ (Hirschfeld 1917), auf denen es zu verschiedensten Mischungsverhältnissen kommen kann und denen folgende Zwischenstufenphänomene als eigenständige Geschlechtskategorien korrespondieren: Hermaphroditismus, Androgynie, Homosexualität und Transvestismus (vgl. Peters 2010f.). Das Zwischenstufenkonzept konstruiert Hirschfeld gleichsam durch den „Denkstil einer fortgesetzten geschlechtlichen Division“ (Hirschauer 1993: 84), auf dessen Basis er einzelne Körperteile, Charakterzüge und Verhaltensweisen sexuiert, um jenen Elementen in ihrem je konkreten, kombinierten Mischungsverhältnis eigenständige Geschlechter zu unterstel-
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len. Hirschfelds Anliegen besteht also in der Aufwertung der vielfältigen Geschlechterkombinationen zu eigenständigen Geschlechtskategorien (vgl. ebd.), d.h. in der Naturalisierung geschlechtlicher und sexueller Abweichungen. Die Theorie zielt folglich als „humanistisches Projekt“ (ebd.) auf die „geschlechtliche Konzeption von Individualität“ (ebd., Hervorh. i.O.) ab und muss als emanzipatorisch bewertet werden, insofern als dass sie sich gegen die Pathologisierung und Psychiatrisierung geschlechtlicher Devianzen wendet und einen diskursiven Gegenpunkt zur in der medizinischen Sexualforschung um 1900 dominierenden Degenerationstheorie darstellt. Mit Ulrichs teilt Hirschfeld also den emanzipatorischen Anspruch auf Anerkennung und Legitimation von geschlechtlichen bzw. sexuellen Abweichungen, während sein Konzept im Gegensatz zu Ulrichs’ differenzierter ausfällt, indem er eine größere Anzahl an geschlechtlichen Zwischenstufen in den Blick nimmt bzw. diese durch seinen Denkstil erst hervorbringt. Zudem argumentiert Hirschfeld streng (sexual-)wissenschaftlich, weniger poetisch und affirmativ. Die Nutzung fotografischer Aufnahmen, die Hirschfeld als Demonstration der Geschlechtsvariationen nutzt, stellen einen zentralen Bestandteil seiner Zwischenstufentheorie dar. So erhofft er sich beispielsweise vom Illustrationsteil seines Werks Geschlechtsübergänge, „einmal in zusammenhängender bildlicher Darstellung die Haupttypen der Geschlechtsübergänge ad oculos zu demonstrieren“ (Hirschfeld 1906: 4). Er geht davon aus, dass die den Text ergänzenden Aufnahmen die von ihm entdeckten ‚Naturerscheinungen‘ visualisieren, sie gleichsam als objektive Befunde seines analytischen Blicks fungieren. Wie sich nachfolgend zeigen wird, stellen diese Bilder jedoch aufgrund ihrer Auswahl, Anordnung und Inszenierung nicht nur Repräsentationen von Hirschfelds Kasuistik dar, sondern modellieren, erweitern und verändern die Aussagen zu den Zwischenstufenphänomenen. Es wird deutlich werden, dass die Aufnahmen gelegentlich die textbasierten Argumente Hirschfelds spiegeln und verdoppeln, während sie eher gegenteilige Fährten ebnen, richtet man den Blick auf deren Kontextualisierung, Montage und Kompositionierung. In der fünften Ausgabe von Hirschfelds Jahrbuch für sexuelle Zwischenstufen illustriert er sein Konzept des Urnings, das den Aufschlag für die Zwischenstufentheorie bildet, mit Hilfe einer Bildreihe (s. Abb. 9). Die Bildtafel ist eingebettet in das Unterkapitel zur ‚Naturnotwendigkeit der Homosexualität‘ und gehört dem Großkapitel ‚Ursachen und Wesen des Uranismus‘ an. Er arbeitet in dem Kapitel die „fließenden Übergänge“ (Hirschfeld 1903: 125) zwischen den Geschlechtern des ‚Vollmannes‘ und des ‚Vollweibes‘ heraus und bezieht sich hierfür auf die Beschaffenheit der sekundären Geschlechtsmerkmale und den Geschlechtstrieb:
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„Keine Erscheinung steht in der Natur isoliert da, jede zeigt die vielseitigen Verbindungen mit den übrigen Naturkörpern, überall gibt es Übergänge; wie zwischen dem Kinde und dem Erwachsenen der Jüngling und die Jungfrau, so bildet zwischen Mann und Weib der Urning und die Uranierin eine Naturnotwendigkeit.“ (Ebd.: 126)
Abbildung 9: Männlicher Typus, urnischer Typus, weiblicher Typus (M. Hirschfeld 1903)
Quelle: Hirschfeld, Magnus (1903): Jahrbuch für sexuelle Zwischenstufen. Bd. 5 (1), S. 129.
Die linke Aufnahme zeigt eine nackte, männlich einzulesende Person, deren Genital mit einem blattförmigen Stoff bedeckt ist. Die stark definierten Muskeln der Figur treten vor dem schwarzen Hintergrund deutlich hervor. Der sehnige Körper wirkt athletisch und kräftig, vor allem aufgrund der Pose, die eingenommen wird. Mit breitem Ausfallschritt lehnt sich die Figur scheinbar lässig mit dem Oberarm auf einer rechts von ihr positionierten Freisäule auf. Die Aufnahme dient der Illustration des ‚männlichen Typus‘. Die rechte Aufnahme als Illustration des ‚weiblichen Typus‘ bildet deren Gegenpol. Hier ist ein nackter Frauenkörper zu sehen. Die Figur lehnt nach links geneigt an einen Baum. Im Hintergrund deutet sich ein See an, dessen Oberfläche das Sonnenlicht reflektiert und den nackten Frauenkörper in eine idyllische Landschaft einbettet. In der rechten Hand hält die Person einen dünnen Speer. Ihre Beine sind überkreuzt, sodass der Körper im Gegensatz zur linken Aufnahme weniger Bildraum einnimmt. Ein weiterer Unterschied besteht darin, dass die Frau nicht den Blick in die Kamera sucht. Während die linke Person den Blick selbstbewusst auf di_en Betrachter_in richtet und für diese_n zu posieren scheint, sie sich also über das Zurückwerfen des Blicks ihre
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Handlungsfähigkeit bewahrt, stellt die nackte Person in der rechten Aufnahme das (voyeuristische) Objekt des Betrachter_innen- und Kamerablicks dar. Ihr Blick geht ins Off des Bildes. Auch wenn sie ebenso für die_n Betrachter_in zu posieren scheint, elegant ist sie schließlich in die Szenerie drapiert, verweist nichts im Bild auf ihre agency. Sie ist ganz das Bild ihrer eigenen Weiblichkeit. Hirschfeld stellt hier über stereotype Ausdrucksformen eine bipolare Ordnung der Geschlechter her und erzeugt damit visuell die beiden Phänomene, die er ursprünglich als idealtypische Konstruktionen ausweist: „Der Vollmann und das Vollweib sind in Wirklichkeit nur imaginäre Gebilde, die wir nur zu Hilfe nehmen müssen, um für die Zwischenstufen Ausgangspunkte zu besitzen“ (Hirschfeld 1903: 127f.). Er platziert seiner Argumentation entsprechend zwischen diesen beiden Polen den ‚urnischen Typus‘. Jene Zwischenstufenaufnahme zeigt eine nackte Person, die aufgrund ihrer körperlichen Merkmale nicht eindeutig einem der beiden Geschlechter zugeordnet werden kann. Dass Hirschfeld hier ‚hermaphroditische‘ Motive einsetzt, ist für seine Argumentation nicht ungewöhnlich, geht es ihm schließlich um die Begründung des Urnings als sogenanntem „psychische[n] Hermaphroditen“ (Hirschfeld 1899). Die Person trägt ein helles Tuch, das die Hälfte ihres Gesichts bedeckt, und ihr damit den Anschein von Anonymität verleiht. Auch sie richtet ihren Blick in die Kamera. Gerade weil ihr ein Grad an Anonymität und Integrität bewahrt bleibt? Im Gegensatz zu den beiden anderen Figuren im rechten bzw. linken Bild interagiert ihr Körper weniger mit dem Setting der Aufnahme. Aufrecht steht die Person vor einer Felswand, doch auch sie posiert für di_en Betrachter_in. Fast schon in theatralischer Manier streckt sie ihre beiden Arme von sich, als wolle sie sich gänzlich für das Kameraobjektiv präsentieren und entblößen. Sie verweist in ihrer Gestik also sehr viel stärker auf den Umstand, dass sie in ihrem Dasein ‚entdeckt‘ wurde. Hinsichtlich seines 1905 erschienen Werks Geschlechtsübergänge, in dem er bereits verstärkt Fotografien zur Veranschaulichung seiner empirischen Befunde einsetzt, äußert Hirschfeld in einem Interview mit dem Wiesbadener Tageblatt: „Wer die Abbildungen nur als Kuriositäten und Raritäten betrachtet, verkennt meine Absicht, die darin besteht, durch die stärkeren Grade die leichteren, durch das ‚mehr‘ das so oft verkannte ‚weniger‘ begreiflich zu machen“ (Hirschfeld zitiert in Sykora 2004: 24). Mit der visuellen Entdeckung der Zwischenstufen ist für Hirschfeld also das Anliegen der Legitimation geschlechtlicher und sexueller Vielfalt verbunden. Die urnische Figur nimmt in ihrer Gestik, die als stolze Selbstdarstellung verstanden werden kann, die Euphorie, die mit der Intelligibilität der Zwischenstufe verbunden wäre, gleichsam vorweg. Das besprochene Triptychon wird dem Anspruch auf Sichtbarmachung geschlechtlicher Vielfalt folglich ge-
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recht, ‚liest‘ man die Fotografien von links nach rechts. Die Abbildung zur Zwischenstufe markiert den Übergang vom männlichen zum weiblichen Typus. Dass es sich hier um einen geschlechtlichen Übergang – ein Dazwischen – handelt, wird auch an der Wahl der Bildformate ersichtlich. Die Visualisierung des Dazwischens dokumentiert sich zudem in der Nutzung der Bildargumentation der Vermischung: Nicht nur vermengen sich im Urning die männlichen und weiblichen Körperzeichen und lassen seinen Körper als geschlechtlich uneindeutig erscheinen, auch die Art der urnischen Körperinszenierung kombiniert die Darstellungsweisen der linken und rechten Aufnahme, ebenso wie sie sich von diesen abhebt. Die Sichtbarmachung der sexuellen Zwischenstufe stellt also den Effekt der Visualisierung von Uneindeutigkeiten dar, die auf die Diskursfigur des ‚Hermaphroditen‘ verweist und damit Hirschfelds textliche Argumentation spiegelt. Denn Hirschfelds Zwischenstufenkonzept basiert ganz dezidiert auf einem „Intersexuelle[n] Konstitutions- und Variationsschema“ (Hirschfeld [1923] zitiert in Runte 1996: 97): „Der Mensch ist nicht Mann oder Weib, sondern Mann und Weib“ (ebd., Hervorh. i.O.). Durch die Beanspruchung des Theorems des ‚Hermaphroditismus‘, das sich nach Hirschfeld von ‚konstitutioneller Bisexualität‘ bis hin zum ‚somatischen Hermaphroditismus‘ (= ‚Androgynie‘) entfalten kann, gelten sexuelle Orientierungen mitsamt ihren Vor- und Zwischenstufen als Ausdruck entsprechender körperlicher Dispositionen (vgl. Runte 1996: 98). Die über eine Bildargumentation hergestellte Sichtbarkeit von Homosexualität als sexueller Zwischenstufe, die auf die körperliche Evidenz des ‚Hermaphroditismus‘ fokussiert, zielt folglich darauf ab, „Geschlecht – gleichgültig, ob anatomische oder psychische Merkmale – als etwas Stoffliches, als sichtbare Materialität hervorzubringen“ (Peters 2010: 168). Auch wenn es Hirschfeld also darum geht, Homosexualität als auf Ebene des Triebs befindliche Zwischenstufe zu klassifizieren, legitimiert er sie durch das verwendete Bildmaterial als körperliches Phänomen. Die Zwischenstufe erweist sich zudem nur dadurch als ein Dazwischen, indem sie durch die beiden Aufnahmen zum weiblichen und männlichen Typus kontextualisiert wird. Letztere bilden also die beiden Pole, die die Zwischenstufe rahmen und hervorbringen, genauso wie die Zwischenstufe fortwährend auf die Geschlechterdifferenz bzw. -polarität verweist. Die Montage der Bildfolge impliziert daher eher das Modell der Geschlechterbinarität. Die Bildreihe dokumentiert damit einerseits den polarisierenden Blick, mit dem Hirschfeld das Zwischenstufenphänomen betrachtet. Sie re-aktualisiert andererseits die Ikonographie der Doppelwesen, die vor dem 18. Jahrhundert für die Visualisierung des ‚Hermaphroditismus‘ als Doppelgeschlechtlichkeitsphänomen charakteristisch war. Die Bildsequenz offenbart damit das Spannungsverhältnis von Gebundenheit an das
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binäre Geschlechtermodell und Aussicht auf dessen Überwindung. Dieses Mischungsverhältnis entspricht den verschiedenen Anliegen Hirschfelds: zum einen die medizinische Entdeckung, Hervorbringung und Erforschung der Mischformen des Geschlechts; zum anderen die humanitäre Forderung nach Anerkennung jener Zwischenstufen als eigenständige Geschlechter. In einem ähnlichen Spannungsverhältnis von Geschlechterpolarität und -subversion befinden sich die Bilder weiterer Zwischenstufen, die Hirschfeld in den Folgejahren ‚entdeckt‘. „Kaum zu übersehende Mannigfaltigkeiten“ Indem es Hirschfeld mit seinem Zwischenstufenkonzept um die Entdeckung und Legitimation sexueller und geschlechtlicher Variabilität geht, bedient er den um 1900 in der Sexualwissenschaft dominanten Diskursstrang der Ausdifferenzierung von geschlechtlichen und sexuellen Formen (vgl. Hirschauer 1993: 66ff.). Ebenso vielfältig wie sich die geschlechtlichen Übergänge und die Zwischenstufen in Hirschfelds Texten darstellen, so vielfältig kommen sie scheinbar in den von ihm verwendeten Bildern zum Ausdruck. Beide Ebenen – Text und Bild – scheinen die Geschlechtsvariationen auszudifferenzieren. In dem bereits angesprochenen Kapitel zur Legitimation der Homosexualität im fünften Band des Jahrbuchs für sexuelle Zwischenstufen stellt Hirschfeld fest, dass man „[...] vermutlich diese Übergangsreihen viel eher erkannt und gewürdigt [hätte], wenn sie sich nicht auf jeden Geschlechtscharakter für sich beziehen könnten, ohne daß entsprechend die anderen mit einbezogen sind, dadurch entsteht ja eben die ungeheure Variation und kaum zu übersehende Mannigfaltigkeit“ (Hirschfeld 1903: 126, Hervorh. R.K.S.). Hinsichtlich der Reflexion von Hirschfelds Bilderpolitik ist das Zitat in doppelter Weise zu verstehen. Einerseits dokumentieren die von Hirschfeld eingesetzten Bilder tatsächlich eine breite Vielfalt an Zwischengeschlechtlichkeitsphänomenen, die in ihrer Quantität kaum überschaubar sind: von Aufnahmen ‚hermaphroditischer‘ Menschen über Bilder homosexueller Männer und Frauen bis hin zu Abbildungen von Bartfrauen, androgyner Personen, und transvestitischer Männer und Frauen. Die Bilder stammen dabei aus den unterschiedlichsten Kontexten. Einige sind von Hirschfeld selbst fotografisch angefertigt, andere sind ethnographischen, medizinischen und anthropologischen Werken entnommen. Gerade auch von Betroffenen selbst eingereichte Fotografien und Zeichnungen finden sich in Hirschfelds Veröffentlichungen in großer Fülle wieder. Ebenso flossen Postkarten, Stiche, Gemälde und Atelierportraits in seine Bildersammlung ein. Die in den Bildern eingesetzten Inszenierungsstrategien und Hirschfelds Art und Weise der Kombination und Montage der Aufnahme bringen, andererseits, ein
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sehr spezifisches (Trans-)Geschlechterwissen in Umlauf. Die Medialität und Ästhetik der Bilder und Bildstrecken bringen Wissen hervor, das über Hirschfelds Textinhalte hinausgeht, und nicht zu übersehen ist. Über spezifische, den Bildern eingeschriebene Sichtbarkeitsverfahren wird eine Faktizität erzeugt, die den Bild-/ Textinhalten selbst nicht inhärent ist. Aufgrund ästhetischer Parameter werden spezifische Körperteile und -regionen, Posen und Gestiken sexuiert und damit deutbar als sichtbare Evidenzen der Zwischengeschlechtlichkeitsphänomene. Das wird besonders bei der Betrachtung von Bildstrecken deutlich, die Hirschfeld dem Zwischenstufenphänomen des Transvestismus widmet. Peters spricht in Bezug auf die bildbasierte Argumentation von Hirschfelds Konzept der Zwischenstufen von einer regelrechten Bilderpolitik, die „das Postulat einer unbedingten Sichtbarkeit des Geschlechts stützt“ und „Sichtbarkeiten erzeug[t], die als Zeugnisse körperlicher Faktizität gelesen werden“ (Peters 2010: 168) müssen. Hirschfeld prägte den Terminus Transvestismus als sexualwissenschaftlichen Begriff im Jahr 1910. Mit dem Konzept bezeichnet er „den heftigen Drang, in der Kleidung desjenigen Geschlechts zu leben, dem die Betreffenden ihrem Körperbau nach nicht angehören“ (Hirschfeld 1910: 159, Hervorh. i.O.). Bereits zuvor beobachteten einige Sexualwissenschaftler die Neigung von Individuen, in gegengeschlechtliche Kleidungen zu schlüpfen, darunter beispielsweise Ulrichs, Westphal und Krafft-Ebbing, ordneten sie jedoch dem Uranismus, der ‚conträren Sexualempfindung‘ bzw. der ‚sexuellen Psychopathologie‘ zu. Mit Hirschfelds Forschung zur Systematisierung der sexuellen Zwischenstufen wurde der Transvestismus vom gleichgeschlechtlichen Begehren entkoppelt und etablierte sich als eigenständiges Geschlechtsphänomen. Bei Hirschfeld entwickelte sich diese Entkoppelung sukzessive und bedurfte dem Zutun von Betroffenen. In seinem programmatischen Aufsatz zur Homosexualität aus dem Jahr 1899 begriff Hirschfeld die Neigung, ‚gegengeschlechtliche‘ Kleidung anzulegen, noch als Zeichen des Uranismus (vgl. Hirschfeld 1899). An der Zuordnung von ‚gegengeschlechtlicher‘ Kleidervorliebe zu homosexuellem Begehren störten sich in Folge einige Betroffene, darunter vor allem Cross-Dresser_innen13, mit denen Hirschfeld in regem
13 Cross-Dresser_innen, d.h. Menschen, die gelegentlich oder dauerhaft in die Kleidung des ‚anderen‘ Geschlechts wechselten, gerieten in der psychiatrischen Sexualwissenschaft des späten 19. Jahrhunderts in den medizinischen Blick. Cross-Dressing wurde als extreme Variante von Homosexualität bzw. der ‚conträren Sexualempfindung‘ oder der ‚psychopathia sexualis‘ klassifiziert. Bei Hirschfeld bildeten Cross -Dresser_innen ebenfalls zunächst keine eigenständige Kategorie. Auch er deutete ihre Vorliebe, in ‚gegengeschlechtliche‘ Kleidung zu wechseln, als Anzeichen von Homosexualität (vgl. Herrn 2012).
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Austausch stand (vgl. Herrn 2012: 44). Ein von Hirschfeld beschriebener Mann mit Hang zum Anlegen von Frauenkleidern distanziert sich beispielsweise dezidiert von homosexuellen Neigungen: „Von sonstiger Homosexualität aber ist keine Spur vorhanden. Urninge und effeminierte Männer verachte ich tief.“ (Hirschfeld zitiert in ebd.) Und auch homosexuelle Männer nahmen merklich Abstand von der Verknüpfung von gleichgeschlechtlichem Begehren und Hang zur Weiblichkeit (vgl. Herrn 2012: 44). Der durch Transvestiten und Crossdesser_innen initiierte Dialog veranlasste Hirschfeld schließlich dazu, das Phänomen der ‚gegengeschlechtlichen‘ Kleiderwahl differenziert zu betrachten und das Konzept des Transvestismus zu entwickeln. Für Hirschfeld stellt es eine Zwischenstufe der Seele dar, die nicht im Anlegen ‚gegengeschlechtlicher‘ Kleidung aufgeht, sondern die gesamte soziale Geschlechterrolle betrifft (vgl. Herrn 2005: 54). Den „heftigen Drang“ (Hirschfeld 1910: 159) in der Kleidung des ‚Gegengeschlechts‘ zu leben, den er auch als „Geschlechtsverwandlungsdrang“ (ebd.: 167) bezeichnet, sei die „Ausdrucksform der inneren Persönlichkeit“, ein „Zeichen ihrer Seinsart“ (ebd.: 159, Hervorh. i.O.). Als erster Mediziner bezieht er sich also auf die soziale Identität und den Lebensentwurf von Transvestiten. Dem Konzept ordnet Hirschfeld 1910 auch jene männlichen und weiblichen Betroffene zu, die nicht nur gelegentlich oder dauerhaft ‚gegengeschlechtliche‘ Kleidung bevorzugten, sondern sich gänzlich dem ‚Gegengeschlecht‘ zugehörig fühlten und die er 1923 als Transsexuelle bezeichnete. Die Transsexuellen gingen damit direkt aus der Zwischenstufenkategorie der Transvestiten hervor. Hirschfelds solidarischer Einsatz für Transvestiten ist erklärbar mit dem Verweis auf die prekäre Rechtslage, in denen sich die Betroffenen in der Kaiser- und Weimarer Zeit bewegten. Laut damaligem deutschen Strafrecht drohten Personen, die polizeilich als Transvestiten erkannt wurden, krude Strafen aufgrund der ‚Störung der öffentlichen Ordnung‘ durch ‚Erregung öffentlichen Ärgernisses‘. Für diese Betroffenen stellte Hirschfeld um 1910 sogenannte Transvestitenscheine aus. Die Scheine entstanden aufgrund einer von Hirschfeld und seinem Kollegen Ernst Bloch mit der Polizeibehörde getroffenen Übereinkunft, nach der von einer Festnahme abgesehen wurde, wenn die betreffende Person ärztlich bestätigt bescheinigen konnte, dass es sich bei ihr um einen Transvestiten handelte (vgl. Herrn 2012: 45). Zur Illustration des Transvestismus gibt Hirschfeld gemeinsam mit Max Tilke 1912 den illustrierten Teil des zwei Jahre zuvor veröffentlichten Buches Der erotische Verkleidungstrieb (Die Transvestiten) heraus. Die Veröffentlichung des Bildbands stellt eine direkte Reaktion der Rezeption von Hirschfelds Monografie zu den Transvestiten dar, in der er darauf hinwies, bildliche Darstellungen zum Phänomen zu besitzen, die bei entsprechender Nachfrage veröffentlicht werden
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könnten (vgl. Hirschfeld 1910: 1). Das Erscheinen der Monografie, wie auch die des Bildbandes, geht also wesentlich auf die Anregungen von Betroffenen zurück (vgl. Herrn 2005: 70). Hinsichtlich der Veröffentlichung des Bildbandes begriff sich Hirschfeld in seiner Funktion als einflussreicher Sexualwissenschaftler und Arzt als Sprachrohr und Spiegelmedium der Betroffenen. Das Ziel verfolgend diesen „verkannten Mitmenschen Verständnis und gerechte Beurteilung zu verschaffen“ (Hirschfeld zitiert in Herrn 2005: 70), ging es ihm also nicht nur um die Aufklärung der wissenschaftlichen Öffentlichkeit, sondern auch um die Identitätsstiftung unter Transvestiten (vgl. Herrn 2005: 70). Es kann folglich angenommen werden, dass hier Hirschfelds Umgang mit Illustrationen nicht einer Bilderpolitik unterliegt, die das Pathologische und Abweichende zu visualisieren versucht. Die umfangreiche im Illustrationsband veröffentlichte Bildersammlung, die das kondensierte Resultat eines noch umfassenderen Archivs von vor allem ihm zugesandten Selbstportraits der Transvestiten darstellt, umfasst vielfältige Portraitfotos von weiblichen wie männlichen Transvestiten. Stellenweise sind im Bildband auch Bildstrecken und Bildtafeln zu finden, die sich thematisch auf ausgewählte Kapitel seiner Monografie beziehen. Die Aufnahmen, die allesamt Anleihen aus der bürgerlichen Atelierfotografie nehmen, bilden nun keine Genitalien und kaum mehr nackte, auf die ‚uneindeutigen‘ Geschlechtszeichen des physischen Geschlechts verweisenden Körper ab. Sie dienen vielmehr der Abbildung einer Selbstinszenierung, bei der die visuelle Hervorbringung der Geschlechtsübergänge den Effekt einer inszenatorischen Praxis darstellt, die sich auf die Einkleidung von Körpern fokussiert. Uneindeutigkeiten, Mischformen und Zwischenstufen ergeben sich aus der Inszenierung der sogenannten ‚zweiten Haut‘ der Betroffenen. Exemplarisch seien hier zwei Einzelfotos und zwei Bildstrecke besprochen, um Hirschfelds Bilderpolitik in Bezug auf den Transvestismus kenntlich zu machen. Die Einzelportraits (s. exemplarisch dafür Abb. 10 und 11) sind fast durchgängig durch Bildunterschriften begleitet, die eine dominante Bedeutungsfunktion einnehmen. Ohne die erklärenden Bildkommentare wären die Einzelportraits schwerlich als Demonstration einer geschlechtlichen Zwischenstufe zu verstehen. Nichts an den femininen Posen, den eleganten Gewändern und der an modefotografischen Parametern orientierten Inszenierungsweise lässt die Vermutung aufkommen, es handele sich bei den abgebildeten Personen nicht um Frauen. Gerade auch der eingesetzte Beleuchtungsstil bringt die scheinbar ‚natürlich weiblichen‘ Merkmale der Fotografierten hervor. Aufgrund der Überbelichtung erscheint das Gesichtsprofil in der ersten Aufnahme (Abb. 10) geschmeidig weich, jugendlich und zart. Der weiße, auf Brusthöhe aufgespannte Fächer fügt sich der Narration
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einer unschuldigen jungen Dame, die ihre weiblichen Reize verhüllt. Das intensive Side-Lighting lenkt den Betrachter_innenblick auf die sorgfältig geflochtene Haarpracht und auf die Details des verzierten Gewands der Figur. Eine ähnlich überzeugende Weiblichkeit bringt die Lichtinszenierung in der zweiten Aufnahme (Abb. 11) hervor. Hier konturiert das auffällige Side-Lighting die Körpersilhouette der Person, die aufgrund des engen Ballkleides und der lasziven Pose als äußerst feminin wahrgenommen wird. In den Einzelportraits macht die Inszenierungsweise nicht nur „das Kleid zum überzeugenden Ort semantischer Geschlechterzuordnung“ (Sykora 2004: 26), sondern überzieht auch den Körper mit dem Schleier authentischer Femininität. Lediglich die Bildunterschriften verweisen auf den Umstand, dass hier ein Zwischenstufenphänomen betrachtet wird. Abbildung 10: Ein österreichischer Transvestit von stark androgynem Typus
Quelle: Hirschfeld, Magnus/Tilke, Max (1912): Der erotische Verkleidungstrieb (Die Transvestiten). Illustrierter Teil. Berlin: Pulvermacher, Tafel XVII.
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Abbildung 11: Der Transvestit Adam Kl.
Quelle: Hirschfeld, Magnus/Tilke, Max (1912): Der erotische Verkleidungstrieb (Die Transvestiten). Illustrierter Teil. Berlin: Pulvermacher, Tafel XXXI.
Einen Bruch mit diesen glaubwürdigen Selbstinszenierungen erzeugen die sich ebenfalls in Die Transvestiten befindlichen Bildstrecken, die eine andere Bildargumentation als die Einzelportraits verfolgen (s. Abb. 12 und 13). An diesen Bildtafeln wird sehr viel stärker Hirschfelds Bilderpolitik deutlich, schließlich sind sie das Ergebnis seiner Auswahl, Anordnung und der Montage der Einzelbilder. Der
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‚amerikanische Transvestit‘14 (Abb. 12) wird im Illustrationsteil in Form einer vierteiligen Bildstrecke vorgestellt, die das Zwischenstufenphänomen des Transvestismus – ähnlich zur Bilderpolitik des Uranismus als Drittem Geschlecht – visuell aufgrund des Verweises auf ein geschlechterpolares Modell hervorbringt. Die beiden Nacktaufnahmen werden durch die zwei Bildpole gerahmt und kontextualisiert, die den Transvestiten in männlichem Gewand in scheinbar alltäglicher Umgebung als ‚junge[n] Zeitungsverkäufer‘ bzw. als Frau ‚in Frauenkostüm‘ zeigen. Auch in dieser Bildstrecke wird die Zwischenstufe folglich erkenntlich, ‚liest‘ man die Bildstrecke von links nach rechts, als Nachvollzug des Übergangs vom bekleideten Mann zur Entkleidung desselben, der folglich in ein neues weiblich konnotiertes Gewand schlüpft. Dass Hirschfeld die ‚fließenden Übergänge‘ von männlicher zur weiblichen Geschlechtsrolle mittels zweier Nacktaufnahmen visualisiert, – einmal ‚in nudo‘, eine Aufnahme, bei der John O. leicht seitlich von der Kamera weggedreht und entblößt zu sehen ist, sowie einmal ‚als nackter Transvestit‘, eine Aufnahme, die seinen nackten Körper frontal abbildet – macht deutlich, dass Hirschfeld erneut auf die Strategie der Visualisierung „körperlicher Faktizität“ (Peters 2010: 168) setzt, was als Realisierung seines Anspruchs auf wissenschaftliche Enthüllung gedeutet werden kann. Dieser wiederholte Verweis auf die körperliche Faktizität steht jedoch in einer anderen Funktion als jener, der die Bildpolitik zum ‚psychischen Hermaphroditismus‘ strukturierte. Hier geht es nicht mehr darum, über die Sichtbarkeit der physischen Beschaffenheit die uneindeutigen Geschlechtszeichen hervorzukehren. Vielmehr wird die körperliche Faktizität als objektive Geschlechtszeichen aufweisende Fläche in Frage gestellt, indem ihr Konstruktionscharakter betont wird. Es ist nämlich gerade die Inszenierungsweise, die hier den nackten Körper als männlichen respektive weiblichen hervorbringt. Männlichkeit wird in der ersten Aufnahme durch die Beleuchtungssituation betont: Der Körper hebt sich durch das auffällige Side- und Frontlighting deutlich von dem schwarzen Hintergrund ab; erkennbar und akzentuiert wird dadurch das männliche Genital, die flache Brust und die sich an den Oberarmen, den Schenkeln und dem Oberkörper abzeichnenden Muskeln. Die Beleuchtungssituation in der zweiten Nacktaufnahme ist eine andere. Hier fällt das Licht seitlich auf denselben Körper, der sich nun vor einem weißen Hintergrund befindet. Durch den fehlenden schwarz-weiß-Kontrast erscheint der Körper nicht mehr klar umrissen, sondern sehr viel weicher. Das verwendete Licht erzeugt nun auch schattige Partien auf dem Oberkörper, sodass die vormals flache Brust nun gewölbt erscheint.
14 Bei dem Transvestiten handelt es sich um den in San Francisco lebenden John O. (Fall XIII). Vgl. Herrn 2005: 56.
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Abbildung 12: Der amerikanische Transvestit
Quelle: Hirschfeld, Magnus/Tilke, Max (1912): Der erotische Verkleidungstrieb (Die Transvestiten). Illustrierter Teil. Berlin: Pulvermacher, Tafel XXII.
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Um das eigene Genital zum Verschwinden zu bringen, presst der Transvestit nun auch die Beine zusammen, sodass durch die eingenommene Pose die Oberschenkel eher den Anschein von weiblichen Rundungen statt männlich konnotierter Muskulösität erwecken. Die beiden sich ähnelnden Nacktaufnahmen unterscheiden sich also vor allem aufgrund des Lichteinsatzes und der Pose, und präsentieren so den Körper als eher männlichen bzw. eher weiblichen. Sie können folglich als Visualisierungen eines Zwischenraums verstanden werden. Dieser Zwischenraum ermöglicht, den Körper in einen gänzlich männlichen bzw. weiblichen zu verwandeln, was an den, den beiden Nacktaufnahmen zur Seite gestellten Bildern, einmal in männlicher, einmal in weiblicher Aufmachung, sichtbar wird. Die Nacktaufnahmen stehen also nicht so sehr in der Funktion der (wissenschaftlichen) Enthüllung, die den Betrachter_innenblick anweist, als fetischistischer Blick obsessiv über den nackten Körper zu wandern. Vielmehr fungieren sie als Hinweis auf die Möglichkeiten der hier über den vestimentären Umschlag realisierten geschlechtlichen Angleichung. Nichtsdestotrotz wird dieser Zwischenraum der Geschlechter hergestellt durch eine erneute Referenz auf die sichtbare Materialität des Körpers. Gleichzeitig – trotz und gerade aufgrund dieser Referenz– liegt der Bedeutungsschwerpunkt der Bildsequenz auf den Aufnahmen in Kostümierung, die das Phänomen des Transvestismus als ‚conträrgeschlechtliche‘ Konstruktion zweiter Ordnung vorführen Die körperliche Faktizität stellt sich als inhaltsleere Fläche heraus, die erst durch die zweite Schicht der Kleidung, die Geschlechterperformance und die Inszenierungsweise mit Bedeutung gefüllt wird. Das Zwischenstufenphänomen erlangt in der Bildstrecke also dadurch Bedeutung, dass die_r Betrachter_in den Praktiken des Bekleidet-Seins - Entkleidet-Werdens - und Verkleidens folgt und sie als Konstruktionen der Vergeschlechtlichung versteht. Die Bildtafel reduziert damit die Zwischenstufenkategorie auf eine vestimentäre Konstruktion. Was den Bildern damit fehlt, ist der „Ausdruck der inneren Persönlichkeit“ (Hirschfeld 1910: 159) des Transvestiten, seine „Seinsart“ (ebd.). Durch die Bildpolitik Hirschfelds – die Verknüpfung der bipolar organisierten Geschlechtskonstruktion, verkürzt auf die vestimentäre Konstruktion, mit der fortwährenden Referenz auf die sichtbare Materialität des Körpers – stehen sich Männlich- und Weiblichkeit kontrastierend aber gleichrangig gegenüber. Transvestiten erleben diese Gleichrangigkeit von ‚körperlichem‘ und ‚anderem‘ Geschlecht so jedoch nicht. Das scheint auch Hirschfeld bewusst, wenn er beschreibt, dass sich Transvestiten in der Kleidung ihres ‚körperlichen‘ Geschlechts „eingeengt, unfrei, gedrückt“ (Hirschfeld 1910: 160) fühlen, während ihnen die Kleidung des ‚Gegengeschlechts‘ „das Gefühl von Ruhe, Sicherheit und Erhebung“ (ebd.) gibt. Während das Gefühl von Vertraut- und Sicherheit in den Einzelportraits des
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Bildbandes vielfältig sichtbar wird, fehlt der Bildtafel der visuelle Ausdruck des subjektiven Empfindens von Vertraut- respektive Fremdheit. Hirschfeld verfehlt hier seinen Anspruch, dem Transvestiten „eine gerechte Beurteilung zu verschaffen“ (Hirschfeld zitiert in Herrn 2005: 70). Der visuell bedingte Fokus auf körperliche Faktizitäten scheint in Widerspruch zum Anliegen zu stehen, ein auf seelischer Ebene angesiedeltes Zwischenstufenphänomen zu visualisieren. Das Doppelbild zu Joseph Meißauer (vgl. Abb. 13) führt Hirschfelds Bilderpolitik gänzlich weg von der Realisierung des Anspruchs, das Zwischenstufenphänomen des Transvestismus als glaubwürdige und selbstbewusste Form einer Selbstinszenierung sichtbar zu machen. Im Gegensatz zur Bildstrecke des ‚amerikanischen Transvestiten‘ finden wir hier keine bildlichen Nachweise von ‚fließenden Übergängen‘ als geschlechtliche Möglichkeiten eröffnenden Übergängen. Während Joseph Meißauer einmal in männlichem, einmal in weiblichem Gewand, gezeigt wird, gibt die Visualisierungsstrategie kein Dazwischen preis. Hier wird kein physisches Geschlecht aus der Hülle des Gewands freigelegt. Die ‚zweite Haut‘ der Figur fungiert als ausschlaggebender Marker für je ein Geschlecht. Die Ähnlichkeit der beiden Bilder – in beiden Aufnahmen steht Joseph leicht seitlich eingedreht im Ausfallschritt zur Kamera, während sie_r starr und in angespannter Körperpose auf di_en Betrachter_in blickt – lassen beide Geschlechtspole zunächst als gleichwertige Positionen erscheinen. Während Joseph im ersten Bild in seinem Sakko, seiner Anzughose, dem dunklen Schlips auf weißem Hemd und dem eleganten Fedorahut ein perfektes Abbild von Männlichkeit abgibt, so überzeugt sie_r ebenso in der zweiten Aufnahme als ‚Vollweib‘ mit einem nun längeren Mantel, dem dunklen Rock, einer mit Ketten, Ansteckern und Halsband dekorierten Bluse und dem mit Schlaufenband versehenen Hut mit nun breiterer Krempe. Auch der Bildausschnitt und die Beleuchtungssituation sind in beiden Aufnahmen identisch gewählt. Sie ähneln daher scheinbar der emanzipatorischen Bilderpolitik der Einzelportraits. Nichtsdestotrotz wird uns hier ein Nebeneinander von zwei Bildern vorgelegt, das die_n Betrachter_in aufgrund der inszenatorischen Ähnlichkeit zu einem Vergleich gleichsam einlädt. Der Vergleich fällt so aus, dass nichts an den Unterschieden zwischen beiden Aufnahmen ein tatsächliches ‚Dazwischen‘, einen Verweis auf ein Zwischenstufenphänomen preisgibt. Hier werden aufgrund der Entweder-Oder-Argumentation, die wiederholt den geschlechterpolaren Blick aufnimmt und impliziert, keine Möglichkeiten eröffnet. Problematisch ist daran, dass diese Argumentation verknüpft wird mit einer Repräsentationsweise, die Anleihen aus der Kriminalfotografie nimmt.
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Abbildung 13: Joseph Meißauer
Quelle: Hirschfeld, Magnus/Tilke, Max (1912): Der erotische Verkleidungstrieb (Die Transvestiten). Illustrierter Teil. Berlin: Pulvermacher, Tafel XVIII.
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Obwohl Hirschfelds Absicht bei der Verwendung von Fotografien nicht wie bei der Kriminalanthropologie in „d[er] Ausgrenzung, sondern im Gegenteil [in der] Emanzipation des Anderen“ (Herrn zitiert in Sykora 2004: 29) besteht, weist die kriminalfotografische Ästhetik des Doppelbilds di_en Betrachter_in an, die Funktion des Begutachtenden bzw. des Kriminologen zu übernehmen. Aufgrund der inszenatorischen Ähnlichkeit springt der Betrachter_innenblick unentwegt zwischen den beiden Bildern umher, etwaige geschlechtliche Inkongruenzen aufspürend. Auch wenn also beide Aufnahmen als glaubwürdige Abbilder eines ‚Vollmannes‘ bzw. ‚Vollweibes‘ in Erscheinung treten, so wird der_m Betrachter_in die Funktion des Begutachters zugetragen. Der abgebildete Transvestit als zentrales Bildsujet wird dem scheinbar objektiven Blick des Betrachters unterworfen. Dadurch können die Aufnahmen gerade nicht dem Anspruch gerecht werden, den Transvestismus als eigenständiges Geschlechtsphänomen hervorzubringen. Vielmehr stellen sie seinen Status in Frage, insofern als dass die Betroffene eben gerade nicht als eigenmächtiges, selbstbewusst handelndes Subjekte visualisiert wird, sondern als begutachtetes und damit in ihrer Geschlechtlichkeit in Zweifel gezogenes Objekt fungiert. Hirschfelds Bilderpolitik bzgl. des Zwischenstufenphänomens des Transvestismus muss folglich als höchst ambivalent beschrieben werden. Die Einzelportraits dokumentieren authentisch wirkende Selbstinszenierungen von Zwischengeschlechtlichkeit, die in ihrer zahlreichen Verwendung emanzipatorisch wirken. Demgegenüber dokumentieren die von Hirschfeld montierten Bildstrecken einen zweigeschlechtlichen Blick. Gerade auch deren ästhetische Parameter – die Wahl der Bildsettings (Mise-en-scéne), die konkreten Beleuchtungssituationen, die Positionierung der Figuren vor der Kamera, etc. – stellen visuell eine binäre Ordnung der Geschlechter erst her, von der sich Hirschfeld ursprünglich abzugrenzen versucht. Die Bildstrecken implizieren durch ihre Inszenierungsweisen stellenweise einen sexualmedizinischen bzw. kriminologischen Blick auf das Phänomen, sodass sie insgesamt dem Anspruch auf Emanzipation geschlechtlicher Vielfalt weniger gerecht werden. Insgesamt muss festgestellt werden, dass Hirschfelds einflussreiche Zwischenstufentheorie dezidiert auf der Nutzung visueller Repräsentationen basiert. Hirschfeld liefert eine Vielzahl an visuellen Dokumenten zu den unterschiedlichsten Zwischenstufenphänomenen. Gerade auch die Einbindung von ihm zugesandten Einzelportraits muss als gelungener Versuch bewertet werden, Betroffenen eine anerkennende Beurteilung zuteilwerden zu lassen. Er ist damit der erste Sexualmediziner, der sich um Abgrenzung zu tradierten sexualmedizinischen Visualisierungsstrategien bemüht, die bis dahin auf Tendenzen basierten, Betroffene
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als Anschauungsobjekte des Anderen visuell auszustellen. Nichtsdestotrotz bedient er stellenweise ein Repertoire an Visualisierungsstrategien und Bildsujets, die zum einen auf der Bedeutung der körperlichen Faktizität aufruhen, und zum anderen durch einen binären Blick auf Geschlechter strukturiert sind. Hirschfelds verwendete Bilder repräsentieren oder „demonstrieren“ also nicht bloß die auf textlicher Ebene vorgebrachten Argumente zu den verschiedenen „Haupttypen der Geschlechtsübergänge“ (Hirschfeld 1906: 4). Während in der Kasuistik beispielsweise die mannigfaltige Existenz der Zwischenstufen ausführlich und kleinteilig auf den vier Ebenen (Organe, körperliche Zeichen, Trieb und seelischer Charakter) begründet wird, fokussiert die dazugehörige Bilderpolitik vorrangig auf körperliche Zeichen von Zwischengeschlechtlichkeit. Hirschfelds Einsatz von Bildern stellt daher eine Verknappung und Einschränkung der diskursiven Möglichkeiten zur Begründung geschlechtlicher Vielfalt bzw. Zwischengeschlechtlichkeit dar. Während sein Zwischenstufenkonzept also auf die Entpathologisierung von geschlechtlichen und sexuellen Phänomenen abzielt, die sich zwischen den beiden gängigen Geschlechtern und der heterosexuellen Sexualorientierung befinden, so aktualisiert Hirschfelds Umgang mit Bildern stellenweise genau jene Tendenzen der Pathologisierung, Enteignung, und Festschreibung von Zwischengeschlechtlichkeit, von denen er sich abzugrenzen versucht.
3.4 KATEGORIALE AUSDIFFERENZIERUNGEN: DIE MEDIKALISIERUNG DES ‚GESCHLECHTSWECHSELS‘ ALS ERFINDUNG DER TRANSSEXUALITÄT En passant erwähnte Hirschfeld 1923 das Vorkommen einer besonderen Form des Transvestismus, den seelischen Transsexualismus, und beschrieb damit eine Patient_innengruppe, die sich durch den Wunsch nach körperlichen Eingriffen auszeichnet. Die Betroffenen berichteten von einem problematischen Verhältnis zu ihrem ‚biologischen‘ Körper und dessen Geschlechtsfunktionen (vgl. Herrn 2005: 103). Einige äußerten Wünsche, ihren Körper dem subjektiven Geschlechtsempfinden anzupassen; andere versuchten durch selbst durchgeführte Manipulationen ihren Körper entsprechend zu verändern (vgl. ebd.). Hirschfeld unterstellt jenen einen „androgynen Drang und Wahn“ (Hirschfeld 1918: 130): „Die Psyche empfindet die nicht entsprechende Physis instinktiv lästig und sucht sie nach Möglichkeit auf Grund dieser Empfindungen zu korrigieren“ (ebd., Hervorh. i.O.).
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Bereits in den 1920er Jahren fanden auf Druck von Betroffenen15 die ersten operativen Eingriffe als experimentelle ‚Geschlechtsumwandlungen‘ statt, die jedoch (noch) nicht das Ziel der ‚operativen Geschlechtsumwandlung‘ verfolgten, sondern als alternative Lösungsmöglichkeiten für nicht über Psychotherapie abmilderbare ‚psychische Konflikte‘ stattfanden (vgl. Hirschauer 1993: 98). Psychotherapeutische Verfahren galten dann als gescheitert, wenn Transvestiten nicht von ihren Wünschen nach somatischen Eingriffen und ihrer Selbstdefinition als das ‚Gegengeschlecht‘ abzubringen waren (vgl. Herrn 2005: 167). Diese „Versuche körperlicher Manipulation sogenannter Transvestiten zielten [...] zunächst ‚nur‘ darauf, die Zeichen des Herkunftsgeschlechtes zu tilgen“ (Herrn 2012: 46). Als Vorläufer der operativen Eingriffe ist die Popularisierung von experimentellen Tierversuchen zu betrachten, die um 1910 wissenschaftliches wie mediales Aufsehen erregten, und von Transvestiten nicht unbemerkt blieben. Herrn weist nach, dass vor allem die Zeitungsberichte über die erfolgreichen Keimdrüsentransplantationen bei Ratten, Kaninchen, Meerschweinchen und Hirschen 16 dazu beitrugen, bei einigen Transvestiten Wünsche nach analogen Operationen wachzurufen (vgl. Herrn 2005: 107). Nicht unwesentlich beteiligt an den ersten Versuchen der körperlichen Geschlechtsangleichung waren Erfolge auf dem Gebiet der Endokrinologie. Während seit Ende des 19. Jahrhunderts Hormone als vom Organ ihrer Bildung zum Organ ihrer Wirkung über das Blut transportierte Wirksubstanzen beschrieben und identifiziert wurden, gelang in den 1920er Jahren erstmalig die Extrahierung der sogenannten Sexualhormone aus den Hoden bzw. den Eierstöcken (vgl. Voß 2010: 208), denen die Verantwortlichkeit der ‚typisch männlichen‘ bzw. ‚typisch weiblichen‘ Entwicklung unterstellt wurden. Dieses binär strukturierte, geschlech-
15 Hiermit sind Menschen gemeint, die damalig laut sexualwissenschaftlicher Definition als Transvestiten galten. 16 Der Professor der Dresdner Tierärztlichen Hochschule, Gustav Brandes, transplantierte 1916 einer jungen Ricke Hoden und einem jungen Hirsch Ovarien. In zahlreichen Tageszeitungen wurden über seine Befunde der ‚operativen Verwandlung‘ berichtet: Nach der Implantation beobachtete Brandes bei dem vormals weiblichen Tier einen ‚männlichen‘ Kehlkopf und Ansätze von Geweihknospen, während genau jene Merkmale beim vormals männlichen Tier fehlten. Die Untersuchung stellte eine Replikation der erfolgreichen Transplantationsversuche von Eugen Steinach an Ratten und Meerschweinchen aus dem Jahr 1912 dar. Der österreichische Physiologe Steinach experimentierte mit Transplantationen der Keimdrüsen an Ratten und Meerschweinchen. Vgl. Herrn 2005: 107f.; Weiss 2009: 177. Vgl. zu den Tierversuchen Steinachs: Weiss 2009: 169ff.
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terdifferente Bild der Keimdrüsen wurde zum Ende der 1920er Jahre durch Studien untergraben, die darauf hinwiesen, dass die vormals als männlich bzw. weiblich klassifizierten Sexualhormone bei ‚beiden Geschlechtern‘ in unterschiedlichem Ausmaße vorhanden seien und Wirkungen entfalten können (vgl. ebd.). Die Hormonlehre der 1920er Jahre hat damit eine neue Perspektive auf Geschlecht eröffnet, insofern als dass die Vorstellung eines dichotom organisierten Geschlechts von der Vorstellung eines Geschlechterkontinuums, das grundsätzlich veränderbar ist, abgelöst wurde: „Der sexualwissenschaftliche Diskurs der 1920er-Jahre liefert ein profundes Beispiel für die Konstituierung einer bisexuellen und veränderbaren Geschlechtsidentität. Damit wurde auch ein neues Denken von Geschlechtsidentität etabliert, das sich nicht mehr an einer Morphologie der Zwei-Geschlechterdifferenz orientierte, sondern an dem Modell des produzierten Geschlechts, das in einer Vielfalt zahlreicher Übergänge besteht.“ (Stammberger 2017: 89)
Diese Erkenntnisse hielten Einzug in die Sexualwissenschaft, wonach nun Sexualität und Geschlecht als Funktion von Hormonwirkungen betrachtet wurden. Auch Hirschfeld folgte diesem „Aufkommen des endokrinologischen Paradigmas in der Sexualwissenschaft“ (Herrn 2005: 105), wenn er nun dem Vorkommen von Transvestismus nicht mehr eine psychische Disposition unterstellt, sondern Hormone als ursächlich betrachtet (vgl. Hirschfeld 1918: 176f.). Die von der Sexualmedizin rezipierten endokrinologischen Erkenntnisse hatten Auswirkungen auf Betroffene in zweierlei Hinsicht: Zum einen begann die Sexualmedizin, Transvestiten, Transsexuelle, auch Homosexuelle mit experimentellen Hormontherapien zu behandeln (vgl. Hirschauer 1993: 98); zum anderen fühlten sich Betroffene durch die hormonelle Begründung von der vermeintlichen Andersartigkeit ihres Fühlens und Handelns entlastet, insofern als dass Transvestismus nun nicht mehr als „bizarre Eskapade unbekannter Ursache“ (Herrn 2005: 106), sondern als „natürliche Auswirkung einer zwittrigen Physis“ (ebd.) betrachtet werden konnte. Auch das sich etablierende Gebiet der Sexualchirurgie trug zu diesem neuen Verständnis von Geschlecht bei: ein Geschlecht, das nun grundsätzlich veränderund formbar erschien. Gerade Soldaten, die im Krieg verstümmelt wurden, dienten den Medizinern als Patienten, an denen erste sexualchirurgische Operationen experimentell durchgeführt werden konnten (vgl. Weiss 2009: 169ff.). Genitaloperationen, allen voran Kastrationen, Vasektomien, Keimdrüsentransplantationen und plastische Eingriffe an den Genitalien, avancierten dann zu therapeutischen Maßnahmen bei bestehendem ‚Hypersexualismus‘, bei ‚Geisteskranken‘,
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Sexualverbrechern, Homosexuellen, Transvestiten, ‚Hermaphroditen‘, sowie bei Libidioverlust oder zur Libidosteigerung (vgl. Hirschauer 1993: 98). Der Widerstreit zwischen den Wünschen Betroffener, die keinesfalls individualistisch, sondern relativistisch zu diskursiven Bedingungen zu denken sind, und den Ansprüchen der angewandten Sexualmedizin hinsichtlich der Herstellung eines intelligiblen GeschlechtsKörpers und hinsichtlich der Regulation von sexuellem Begehren, zeigt sich in eklatanter Weise an dem zu Beginn der 1950er Jahre breit rezipierten Fall der Christine Jorgensen. Christine Jorgensen und die Spektakularisierung ‚geschlechtsangleichender‘ Operationen Der dänische Transvestit und ehemalige amerikanische Soldat Jorgensen habe, so ist es der veröffentlichten Anamnese zu entnehmen (vgl. Hamburger et al. 1953), seit jeher den starken Wunsch gehabt, ein Mädchen zu sein. Dass sie in der Gesellschaft nicht als Mann leben könne, sei ihr immer deutlich gewesen. Deshalb gab sie sich ihren transvestitischen Tendenzen hin. Homosexuelle Beziehungen lehnte Jorgensen ab. Da sie sich nicht mehr in der Lage sah, weiterhin als Mann zu leben, sei sie stark depressiv geworden und wünschte eine Kastration, um „von der Hauptquelle der verabscheuten männlichen Komponente seines Körpers befreit [zu] werden“ (Weiss 2009: 196). Trotz der Anamnese wurde bei Jorgensen Homosexualität diagnostiziert. ‚Er‘ wurde als effeminierter, passiver Homosexueller betrachtet, der unbewusst unter seiner Homosexualität litt (vgl. ebd.). Dieser Leidensdruck sollte mit der Verabreichung von Testosteron vermindert werden. Das Ärzteteam erhoffte sich dadurch, Jorgensens Wesen in die männliche Richtung verändern zu können. Jorgensen lehnte diesen ersten Behandlungsvorschlag ab und bestand stattdessen auf die Gabe von Östrogen. Die Mediziner gaben diesem Wunsch in der Hoffnung nach, eine hormonelle Kastration hervorzurufen. Die Behandlung mit Östrogen schien Jorgensen psychisch zu stabilisieren, sodass auch dem Wunsch nach operativer Kastration nachgegeben wurde. Hamburger kommentierte diesen Behandlungsschritt damit, dass „es vom eugenischen Standpunkt gesehen nicht [schade], wenn einige sexuell abnorme Männer kastriert und so ihrer Libido beraubt werden“ (Hamburger et al. 1953: 394f.). Beide Behandlungsschritte sorgten für die von Jorgensen ursprünglich gewünschte Feminisierung des Körpers. Als weiterer Behandlungsschritt wurde der Penis amputiert und aus dem Skrotum Schamlippen geformt. Erst nachträglich wurde 1954 in New Jersey eine Neovagina angelegt.
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Nach Abschluss aller sukzessive durchgeführten Behandlungsschritte wurde der Fall von Hamburger als Erfolg für die medizinische Realisierung des Wunsches nach ‚Geschlechtsangleichung‘ gedeutet: „Das Ziel wurde erreicht; durch hormonelle Verweiblichung und operative Entmännlichung harmoniert der Körper des Patienten mit der ausgesprochen weiblichen Psyche“ (ebd.: 394). Dass es sich dabei um eine Neuinterpretation der Behandlungsschritte handelt, die auf das experimentelle Vorgehen des Ärzteteams verweist, das sich keine ‚Geschlechtsangleichung‘ zum Ziel gesetzt hatte, scheint offenkundig (vgl. Weiss 2009: 195). Hertoft und Sorensen (1979) rekonstruierten, dass die bei Jorgensen verfolgte Behandlungsabsicht eindeutig in der Dämpfung ‚seiner‘ homosexuellen Impulse mittels Hormonen und Kastration bestand. Medial wurde der Fall der Christine Jorgensen weit verbreitet. Eine sensationalistische Berichterstattung bejubelte die Wunder der Medizin, „providing a distraction from the dangers and anxiety of atomic destruction by fascinating readers with science’s ability to conquer even the most seemingly immutable realms, such as sex“ (Shelley 2008: 134). Bei der medialen Spektakularisierung des Falles war es unerheblich, dass Trans*Personen in den USA zur damaligen Zeit keine Berechtigung besaßen, geschlechtsaffirmierende Operationen zu erhalten. Unerheblich war es auch, in welchen psychischen und sozialen Situationen sich Betroffene damalig befanden (vgl. Namaste 2004). Die mediale Aufbereitung des Falls als Spektakel stand im Vordergrund. Erst nachdem Presseagenturen den Fall öffentlich publik machten, sich Diskussionen darüber entzündeten, ob hier ein ‚sex change‘ stattgefunden habe, und zahlreiche Individuen auf die Presseveröffentlichungen mit Leser_innenbriefen reagierten, in denen sie Hilfe für diverse körperliche Unzulänglichkeiten (Impotenz, kleine Brüste, auch Homosexualität) erbaten, veranlasste die Medizin dazu, ihre Behandlungspraxis und ihren -gegenstand genauer zu umreißen, d.h. „[e]rst nach der publizistischen Deklaration des Ereignisses als ‚Geschlechtsumwandlung‘ [sic] sahen es auch seine Urheber als solche an [...]“ (Hirschauer 1993: 102). Die Eingriffe stellten keine geplante Erfüllung des Wunsches nach Geschlechtsaffirmation dar, sondern müssen als Experimente verstanden werden, die mit „[d]iverse[n] Macht-/Wissens-Interessen der Medizin bzw. Eugenik“ (Weiss 2009: 161) verbunden waren. Der Fall Jorgensen zeigt, dass das Phänomen der Transsexualität in der nicht-diskursiven, auch der medialen, Praxis konstruiert wurde. Nicht der Wunsch nach Geschlechtsaffirmation hatte konstitutive Bedeutung, sondern die Möglichkeit seiner medizinisch-technischen Verwirklichung (vgl. ebd.).
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Die Differenzierung von Transvestismus und Transsexualität Ganz im Sinne der auf sexualwissenschaftlicher Diskursebene bestehenden Tendenz der Ausdifferenzierung von normabweichenden Geschlechtsentwürfen widmete sich der deutsch-amerikanische Endokrinologe Harry Benjamin17 in den 1950er Jahren schließlich der Unterscheidung von Transvestismus und Transsexualität. In einem Aufsatz von 1953 bringt er den Terminus „transsexuell“ in die medizinische Diskussion ein.18 Zunächst fasst er Transsexualität, ähnlich zu Hirschfelds Konzept des ‚seelischen Transsexualismus‘, als höchsten Grad des Transvestismus auf, der sich nicht (nur) durch den Wunsch nach ‚gegengeschlechtlicher‘ Kleiderwahl, sondern durch das Anstreben einer vollständigen Zugehörigkeit zum ‚anderen‘ Geschlecht auszeichnet (vgl. Hirschauer 1993: 97). Später erstellt Benjamin eine zunächst dreistufige, dann sechsstufige Skala, die, ausgerichtet am beobachtbaren Verhalten und den Selbstaussagen der Betroffenen, beide Phänomene voneinander abtrennt. Diese deskriptive Unterscheidung kulminierte aufgrund der zunehmenden Anwendung chirurgischer und endokrinologischer Maßnahmen in den 1960er Jahren in einer kategorialen Differenzierung zwischen Transsexualität und Transvestismus. Benjamin publizierte 1966 die erste Monografie zum Transsexuellen Phänomen und etablierte damit den Begriff endgültig in der medizinischen Fachwelt (vgl. Vetter 2010: 105). Transsexualität wurde nun verstanden als ein behandlungsbedürftiges Problem, „dass sich als Spannungsverhältnis von Identität und anatomischem Geschlecht“ (Hoenes 2014: 72) formuliert. Symptome, wie der dringende Wunsch nach Angleichung der Physis an die Psyche, galten nun nicht mehr als Indizien für einen pathologischen Zustand, dem mit Hilfe psychotherapeutischer Verfahren beigekommen werden musste, sondern als „Aufforderung zur operativen Tat“ (Runte 1996: 64). Nicht mehr die kranke Psyche, sondern der transsexuelle Körper avancierte so zur Quelle einer Identitätsstörung: „[D]er Körper wird nun auch durch ein technisches Bestimmungsverfahren als ‚falsch‘ identifizierbar“ (Hirschauer 1993: 101). Die operative Praxis, genauso wie endokrinologische Interventionen, wurden so zu einer „somatischen Anpassungstherapie unter der Voraussetzung der Diagnose
17 Benjamin übernahm nach der ersten Operation Jorgensen als seine Patientin. Auch schlug er ihr vor, ein Informationsnetzwerk für andere transsexuelle Patient_innen zu etablieren (vgl. Weiss 2009: 198). 18 Der Psychiater Claudwell verwendete 1949 bereits den Begriff „Psychopathia transsexualis“, der jedoch in der Fachwelt eher unbeachtet blieb.
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Transsexualität“ (Weiss 2009: 198), und geben Ulrichs ursprünglicher Formel damit eine spezifische Bedeutung. Sie versprechen, die „Konvergenz von Seele und Körper“ (Hirschauer 1993: 295) (wieder-)herzustellen. Seit den 1960er Jahren wurden transsexuelle Erfahrungen zunehmend von transvestitischen, homosexuellen und intersexuellen Erscheinungen unterschieden (vgl. Vetter 2010: 105) und bildeten einen eigenständigen Phänomenbereich mit spezifischen Behandlungsleitlinien. Nach dem breiten öffentlichen Echo auf den Fall von Christine Jorgensen erhielten Hamburger wie Benjamin Hunderte von Briefen von Menschen, die in Folge an Benjamin nach New York überwiesen wurden (vgl. Hirschauer 1993: 103). Aufgrund der hohen Nachfrage nach geschlechtsaffirmierenden Operationen führte die Erikson Educational Foundation erstmals verschiedene Behandler von Transsexuellen zur Harry Benjamin Foundation zusammen (vgl. Hirschauer 1993: 103). Zwischen den 1960er und 1980er Jahren fanden zahlreiche Kongresse, Symposien und Workshops zum Thema statt (vgl. Weiss 2009: 324). Wissenschaftliche Aufsätze zum ‚neuen‘ Phänomen wurden zuhauf publiziert. Insgesamt avancierte Transsexualität zum bedeutungsvollsten Thema der internationalen Sexualforschung (vgl. ebd.). Die medizinpraktische Seite reagierte auf das scheinbar ‚neue‘ Phänomen, indem diverse Behandlungszentren errichtet wurden. 19
3.5 DAS BEHANDLUNGSPROGRAMM ALS MANAGEMENT DER ‚GESCHLECHTSIDENTITÄTSSTÖRUNG‘ UND NEUERE ENTWICKLUNG IN DER NEUROANATOMIE Mit dem Beginn der Möglichkeit geschlechtsumwandelnder Operationen entstand die Problematik des medizinisch-psychologischen Verfahrens bei diagnostizierter Transsexualität. Zur Diskussion standen die Voraussetzungen für geschlechtsaffirmierende Operationen sowie der diagnostische Prozess, der den Behandlungen vorausgehen sollte (vgl. Vetter 2010: 107). Während die ersten plastisch-chirurgischen Operationen am Genital und den sekundären Geschlechtsmerkmalen das Produkt einer experimentellen medizinischen Praxis darstellten, geriet ab den 1960er Jahren die Teildisziplin der Psychiatrie ins Zentrum der Debatten. Der US-
19 1965 wurde am John-Hopkins Hospital in Baltimore beispielsweise das ‚gender-identity-program‘ von John Money initiiert. Kliniken in Los Angeles und Minnesota zogen nach (vgl. Hirschauer 1993: 104f.). Allgemein verschob sich der Kontext der Behandlung und Erforschung von Transsexualität von Europa nach Nordamerika.
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amerikanische Psychiater Robert J. Stoller (1968) setzte sich dafür ein, diverse Kriterien festzulegen, anhand derer die Diagnose der Transsexualität zunächst gestellt werde und die als Voraussetzung für endokrinologische wie chirurgische Behandlungen zu gelten haben. Dabei merkt er an, dass der bloße Behandlungswunsch kein hinreichendes Kriterium darstelle (vgl. Stoller 1968: 247) und kritisierte damit Hamburgers experimentell-pragmatische Praxis. Vielmehr müssten die Dauer und die Stärke der ‚gegengeschlechtlichen‘ Identifikation die entscheidenden diagnostischen Kriterien sein (vgl. ebd.: 146), deren Feststellung in den Handlungsbereich von Psychologen und Psychiatern fiele: „Eine Geschlechtsumwandlung [sic] kann nicht als Laune einer individuellen Lage erlangt werden in der Art, wie eine Person entscheidet, seinen Körper tätowieren zu lassen“ (Money/Schwartz [1969] zitiert in: Weiss 2009: 324). Transsexualismus wurde offiziell 1980 in das Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders-III (DSM-III) aufgenommen. In der revidierten Version von 1994 wird Transsexualismus der Störung der Geschlechtsidentität (gender identity disorder, GID) zugeordnet. 20 2013 erschien die fünfte und aktuell verwendete Version des DSM. Im DSM-V fand eine Perspektivverschiebung hinsichtlich der Diagnose statt. Hier wird nicht mehr von einer ‚Störung der Geschlechtsidentität‘, sondern von Geschlechtsdysphorie (gender dysphoria, GD) gesprochen. Die Veränderung der Diagnosebezeichnung trägt dem Umstand Rechnung, dass die
20 Die Abhandlung von Transsexualismus als eine Störung der Geschlechtsidentität ist kongruent mit der diagnostischen Praxis auf Basis des alternativen Katalogs zur Diagnostizierung von Krankheiten, der International Statistical Classification of Diseases and Related Health Problems (ICD), der aktuell [zum Zeitpunkt des Verfassens des Manuskripts, d.h. April 2018] in der zehnten Version (ICD-10) verwendet wird. Nach dem ICD-10 gelten folgende Kriterien für die Diagnostizierung der „Störung der Geschlechtsidentität“: Es bestehe „der Wunsch, als Angehöriger des anderen Geschlechts zu leben und anerkannt zu werden. Dieser geht meist mit Unbehagen oder dem Gefühl der Nichtzugehörigkeit zum eigenen anatomischen Geschlecht einher. Es besteht der Wunsch nach chirurgischer und hormoneller Behandlung, um den eigenen Körper dem bevorzugten Geschlecht soweit wie möglich anzugleichen“ (ICD-10, F. 64.0). Im Juni 2018 wurde der ICD-Katalog in seiner elften Fassung vorgestellt. Die Diagnose der Geschlechtsidentitätsstörung wurde aus dem Teil der ‚mentalen und Verhaltensstörungen‘ gestrichen. Stattdessen findet sich Transgeschlechtlichkeit in einem neu eingeführten Abschnitt wieder: als „Gender incongruence“ im Abschnitt „Conditions related to sexual health“. Die Entscheidung zur Entpathologisierung wird erwartbarerweise von der Mehrzahl der Betroffenen begrüßt.
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Diskrepanz zwischen zugeordnetem und erlebtem Geschlecht keine Identitätsstörung darstelle. Stattdessen wird auf den Leidensdruck fokussiert, der aufgrund der Diskrepanz zwischen zugeordnetem und erlebten/gefühlten Geschlecht entsteht, sodass Formen des geschlechternonkonformen Verhaltens als nicht-pathologisch gelten. Auch wenn die Diagnose der Geschlechtsdysphorie gegenüber der Diagnosen der Geschlechtsidentitätsstörung bzw. des Transsexualismus fortschrittlich, d.h. weniger stigmatisierend und den spezifischen Erlebensweisen von transgeschlechtlichen Menschen entgegenkommend, erscheint, wird das Behandlungsprogramm von Menschen mit Geschlechtsdysphorie durch die Leitlinien strukturiert, die in den Standards of care (SoC) verzeichnet sind.21 Die von der World Professional Association for Transgender Health (WPATH) herausgegebenen Richtlinien empfehlen behandelnden Ärzten (Psychiater, Psychologen, Chirurgen, Endokrinologen etc.), wie mit Patient_innen zu verfahren sei. An der Anwendung jener SoC wird deutlich, inwiefern Betroffene nach wie vor den medizinischen Ansprüchen auf Normalisierung unterworfen sind, die zu wenig Raum lassen für transgeschlechtliche Autonomiebestreben. 22 Bereits der in den SoC vorgeschlagene Diagnostikprozess basiert auf Vorstellungen einer dichotom organisierten Geschlechterordnung. Obwohl also die Reformierung der psychiatrischen Diagnose dem Umstand Rechnung trägt, dass die Geschlechtsidentität nicht notwendigerweise in einer binären Ordnung aufgehen müsse23, der deskriptive Begriff der Inkongruenz also die im DSM-IV vorherrschende binaristische Beschreibung des Vorliegens einer ‚gegengeschlechtlichen‘ Identifikation ersetzt, fußen die SoC auf veralteten Vorstellungen über Transgeschlechtlichkeit. Die deutsche Version der SoC, die Standards der Behandlung und Begutachtung von Transsexuellen (Becker et al. 1997), stellt beispielsweise eine kondensierte Form der Diagnosekriterien dar, wie sie im ICD-10 bzw. dem DSM-IV auftauchen: Betroffene erhal-
21 Auch bei Verweis auf die neuste Ausgabe des ICD (ICD-11) wird sich bei der Behandlung von ‚gender incongruence‘ nach wie vor an den veralteten SoC orientiert. 22 Die nachfolgende Kritik an den SoC findet sich als Teil in einem von mir verfassten Aufsatzes mit dem Titel Von ‚Zwischengeschlechtlichkeit‘, Störungen der Geschlechtsidentität und Geschlechtsdysphorie: Beschreibung einer Genealogie der Transsexualität als emanzipatorischer Versuch, der im Sammelband Gegendiagnose II: Beiträge zur radikalen Kritik an Psychologie und Psychiatrie (2019) erschienen ist. 23 Im Kriterium A zu gender dysphoria heißt es beispielsweise, „[there is a] marked incongruence between one’s experienced/expressed gender and assigned gender“ (Zucker 2015: 35).
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ten erst dann Zugang zum Behandlungsprogramm, wenn eine dauerhafte ‚gegengeschlechtliche‘ Identifikation vorliege, inkl. eines anhaltenden Unbehagens hinsichtlich der ‚biologischen‘ Geschlechtszugehörigkeit, woraus sich ein klinisch relevanter Leidensdruck ergäbe (vgl. ebd.: 3). Zur Absicherung der Diagnose ist in den Richtlinien, neben der biographischen Anamneseerhebung und der Begutachtung der körperlichen Beschaffenheit, eine breit angelegte klinisch-psychiatrische Diagnostik vorgesehen, um weitere „psychopathologische Auffälligkeiten“ (ebd.: 3f.) zu beurteilen. Der Diagnostikprozess ermittelt das psychische Gesundheitsniveau der Betroffenen mittels der Erhebung von Differentialdiagnostiken: „Es soll psychiatrisch festgestellt werden, dass die Patienten – abgesehen von ihrer Geschlechtsidentitätsstörung – nicht psychisch krank sind, damit dann diese Identitätsstörung durch eine Behandlung des Körpers behoben werden kann“ (Weiss 2009: 325). Der Diagnostikprozess ist also darauf angelegt, die Selbstdiagnose der Betroffenen auf ihre Richtigkeit hin zu prüfen, denn „[d]ie Heftigkeit des Geschlechtsumwandlungswunsches und die Selbstdiagnose allein können nicht als zuverlässige Vorliegen einer Transsexualität gewertet werden“ (Becker et al. 1997: 2). Es gilt also für Betroffene, das eigene identitäre Empfinden unter Beweis zu stellen, während die Medizin die Authentizität der Geschlechtszugehörigkeit zunächst grundsätzlich in Frage stellt. Um vor Ärzten als geschlechtsdysphorisch zu gelten, ist es entscheidend, dass das eigene Geschlechtsempfinden (a) als von Dauerhaftigkeit und Stabilität gekennzeichnet anerkannt wird, dass es (b) auf der ‚gegenüberliegenden‘ Seite des bei Geburt klassifizierten Geschlechts verortet wird und dass es (c) zu einem pathologischen Leiden führt, das die Folge, nicht jedoch die Ursache, des Empfindens der Geschlechtsidentität sein muss. Nicht unüblich ist bei dem Begutachtungsprozess das Einholen von visuellen Beweisen. Fotografien, die di_en Betroffene_n als schon in der frühen Kindheit und Jugend ‚gegengeschlechtlich‘ identifizierten Menschen darstellen (sollen), sind Dokumente der Beglaubigung der ‚Angleichungswünsche‘. Sie legitimieren das erwünschte somatische Behandlungsprogramm. Die Realisierung somatischer ‚Angleichungswünsche‘ steht also in Abhängigkeit zu einem „Legitimationsdiskurs, der die gegengeschlechtliche Identität als seit der frühsten Kindheit bestehend, als unveränderbar, also nicht psychotherapierbar, und als eindeutig gegengeschlechtlich behauptete“ (Weiss 2009: 305f.). Indem Betroffene gewisse Kontrollinstanzen und Schwellen passieren müssen – „Wahrnehmungs- und Thematisierungsschwellen, Stigmatisierungen, diagnostische Kontrollen und abschreckende Behandlungen“ (Hirschauer 1993: 346) – um überhaupt die Aussicht auf Maßnahmen zur Affirmation des eigenen Geschlechtsempfindens zu erhalten, befinden sie
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sich in einem sehr engen und stark reglementierten Raum des Sag- und Darstellbaren. Dieser Raum ist eindeutig durch binaristische Geschlechtsvorstellungen strukturiert. Nach erfolgreichem Abschluss des Diagnostikprozesses ist der Beginn einer Hormontherapie und darauffolgende chirurgische Eingriffe in primäre und sekundäre Geschlechtsmerkmale indiziert. Nach dem eingehenden diagnostischen Prozess schließt sich also eine Behandlungspraxis an, die auf körperliche Veränderungen fokussiert. Diagnostik und Behandlungsrichtlinien sind hier derart miteinander verkoppelt, dass sich ein zirkulärer Schluss ergibt: Transsexuell ist ein Individuum, das sich somatische Veränderungen wünscht; behandelt wird Transsexualität durch somatische Eingriffe. Qua Diagnostik und Behandlungsrichtlinien wird auf der medizinischen Diskursebene somit ein transsexuelles Subjekt produziert, das nur in einer dichotom-organisierten Geschlechterordnung denkbar ist und den gängigen Geschlechternormen, nur mit veränderten ‚Vorzeichen‘, entspricht. Im diagnostischen Prozess muss es seine ‚Gegenidentifikation’ beweisen. Diese ‚Gegenidentifikation‘ muss eindeutig, dauerhaft und frei von Ambivalenzen sein. Das Ziel der Behandlungspraxis ist wiederum das Herstellen eines eindeutigen Geschlechts, sowohl in phänotypischer als auch in performativer Hinsicht. Gerade an der chirurgischen Praxis am Genital wird erkennbar, dass es weniger um die Realisierung subjektiver Wünsche als um das Produzieren von scheinbar ‚echten‘ GeschlechtsKörpern geht: „Current practice in sex-change surgery assumes, even requires, ‚real looking‘ genitals [...] That is why many doctors, while proudly showing off how ‚their vagina‘ can even fool OB/gyns, are reduced to muttering ‚no guarantees‘ and ‚we can’t be certain‘ when asked about the pleasure potential of their work. It’s also part of why many transwomen don’t have a lot of erotic sensation after surgery.“ (Wilchins 1997: 121, Hervorh. R.K.S.)
Das genitalchirurgische, am Imperativ des Echtheitslooks orientierte Herstellen der GeschlechtsKörper basiert auf zweigeschlechtlichen, normativen Vorstellungen darüber, was ‚wahre‘ Femininität und Maskulinität ausmacht, nämlich ein authentisch aussehendes Genital, das nicht der Fortpflanzungsfähigkeit oder dem Lustgewinn dient, sondern visuell als ein ‚Echtes‘ durchgeht. Bezeichnenderweise ist es das Herstellen des Genitals, das in neueren medizinischen Abhandlungen visuell dargestellt wird. In dem einschlägigen Lehrbuch Sexualmedizin: Grundlagen und Praxis (Beier et al. 2005) finden sich auf den rund 50 Seiten, die der ‚Geschlechtsidentitätsstörung‘ gewidmet sind, keinerlei Abbildungen zum psy-
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chiatrischen Phänomen an sich. Wohl aber werden im Bilderteil einige Fotografien und Zeichnungen präsentiert, auf denen dargestellt ist, wie chirurgisch eine Neo-Vagina bzw. ein Phallus angelegt wird. Visualität spielt also hinsichtlich des Behandlungsprogramm in zweierlei Hinsicht eine Rolle. Direkte Formen von Visualität, verstanden als Visualität, die sich über Fotografien, Abbildungen, Skizzen und Zeichnungen manifestiert, haben vor allem in Bezug auf die Genitalchirurgie ein Gewicht. Im Anamneseprozess stehen Kindheitsfotografien zuweilen in der Funktion, Gesagtes zu beglaubigen. Dort können sie die Richtigkeit von Selbstaussagen bezeugen. Indirekte Formen von Visualität sind auf den Ebenen der Begutachtung äußerst relevant: Der visuelle Eindruck der_s Betroffenen ist für den Arzt/Therapeut/Gutachter entscheidend. Der Arzt/Therapeut/Gutachter ist es, der das Bild vom Betroffenen zeichnet. Er ist es, der die Glaubwürdigkeit der_s Betroffenen prüft und bestätigt bzw. negiert. Dabei ist sein Blick streng an dichotomen Vorstellungen von Geschlecht orientiert. Die medizinische Praxis der ‚Geschlechtsangleichung‘ muss als Versuch der Anpassung an normative Geschlechtsvorstellungen verstanden werden. Spade (2006) spricht deshalb auch von der medizinischen Behandlung als einem Regime der Normalisierung: „[T]he medical approach to gender variance, and the creation of transsexuality, has resulted in a governance of trans bodies that restricts our ability to make gender transitions which do not yield membership in a normative gender role. The self-determination of trans people in crafting our gender expression is compromised by the rigidity of the diagnostic and treatment criteria. At the same time, these criteria and the version of transsexuality that it posits produce and reify a fiction of normal, healthy gender that works as a regulatory measure for the gender expression of all people.“ (Spade 2006: 329)
Das Behandlungsmanagement ist somit im Grunde auf das Verschwinden des Transsexuellen ausgerichtet. Es erweist sich als Regime der Normalisierung von Geschlecht gerade für jene transgeschlechtlichen Individuen als problematisch, die sich der Rigidität der medizinischen Vorgaben, Kriterien und Behandlungsleitlinien nicht beugen können und/oder wollen. Nicht unüblich ist es deshalb für Betroffene, vom medizinisch vorgegebenen und erwarteten ‚Trans*-Narrativ‘ strategisch Gebrauch zu machen, um eigene Vorstellungen um die passende Geschlechtsidentität zu realisieren. Hirschauer bezeichnet dieses klassische Trans*Narrativ auch als „Gutachtenbiografie“ (Hirschauer 1993: 152): Es handelt sich um eine „gewissermaßen zu Entscheidungszwecken ‚eingefrorene‘ Geschichte, die [...] auf bestimmte Merkmale hin getrimmt ist“ (ebd.). In der Hoffnung, ein
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positives Gutachten und damit Zugang zu medizinischen Maßnahmen zu erhalten, erlernen Betroffene – quasi als Effekt der disziplinierenden Wirkung des Behandlungsmanagements – solch eine geschlechtliche Eindeutigkeit vermittelnde Lebensgeschichte zu erzählen, indem sie das eigene Leben auf passende biografische Marker hin befragen. Daraus ergibt sich dann auch, dass Therapierende bzw. Gutachter die scheinbar geschlechtliche Eindeutigkeit beweisende Trans*-Biografie als notwendige Voraussetzung für eine Behandlung erachten. Neuronale Suchbewegungen nach dem Sitz der Geschlechtsidentität Nachdem Transsexualität bzw. die Geschlechtsidentitätsstörung (bzw. Geschlechtsdysphorie) im medizinischen Diskurs als psychiatrische Krankheit mitsamt einem Behandlungsmanagement etabliert war, folgten Studien, die einen Zusammenhang zwischen der Entwicklung jener ‚Pathologien‘ und der Struktur und Funktion neuronaler Prozesse behaupten. Dabei spielte Visualität erneut eine zentrale Rolle. Die Studien kamen vor allem seit der Jahrtausendwende verstärkt auf, was an dem Umstand liegt, dass bildgebende Verfahren in den Neurowissenschaften zur Erkenntnisgewinnung möglich wurden. In neurowissenschaftlichen Abteilungen gehören Bildgenerierungs- und Bearbeitungsprogramme gleichsam zur Grundausstattung. Die Studie von Zhou et al. aus dem Jahr 1995 war eine der ersten, die einen Unterschied zwischen der sexuellen Differenzierung des Gehirns während der embryonalen Entwicklung und der sexuellen Entwicklung des restlichen Körpers proklamierte. Impliziert wurde damit, dass die Neuroanatomie eine wesentliche Rolle bei der Entwicklung von Transsexualität spiele. Mit Hilfe eines bildgebenden Verfahrens maßen Zhou et al. post-mortem das Volumen einer spezifischen Region im Hypothalamus bei sechs Trans*Frauen und verglichen die Werte mit denen heterosexueller und homosexueller Cismänner sowie mit denen heterosexueller Cisfrauen (s. Abb. 14). Dabei wurde herausgefunden, dass die Hirnregion von Trans*Frauen in etwa dieselbe Größe und dasselbe Volumen wie jene von heterosexuellen Cisfrauen aufweist. Das Forscherteam nahm diesen Umstand als Erklärung dafür, dass sich die Geschlechtsidentität im Gehirn von Menschen ausbilde und manifestiere. Liest man die Studie lediglich textlich, fallen schnell ihre Fallstricke auf. Nicht nur basieren die Ergebnisse auf einem sehr geringen Sample (n= 6), sie wurden zudem post-mortem erhoben. Außerdem wurden die untersuchten Trans*Frauen jahrelang mit Östrogenen behandelt, und lebten Jahrzehntelang in der weiblichen Geschlechtsrolle. Dass Umweltfaktoren (nurture/Kultur) die Plastizität von Gehirnen beeinflusst, blieb in der Studie unreflektiert. Vielmehr
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dient die spezifische Beschaffenheit der Hirnanatomie als unabänderliche Tatsache dafür, dass sich eine bestimmte Geschlechtsidentität ausbilde. Die Studie trägt damit zur Renaturalisierung und Reessenzialisierung der Geschlechtsidentität bei. Abbildung 14: Aufnahmen einer Hirnregion (BST = bed nucleus of the stria terminalis) im Hypothalamus bei (A) heterosexuellem Cismann, (B) heterosexueller Cisfrau, (C) homosexueller Cismann, (D) Trans*Frau
Quelle: Zhou et al. 1995, S. 69.
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Trotz all ihrer Fallstricke bildete sie den Ausgangspunkt weiterer Hirnstudien an transsexuellen Frauen (vgl. Kruijver et al. 2000, Garcia-Falgueras und Swaab 2008, Luders et al. 2009). Es kann davon ausgegangen werden, dass gerade die visuellen Abbildungen dafür sorgen, die spärlichen Ergebnisse zu beglaubigen. Sie stellen keine „afterimages of verbal ideas“ (Topper 1996: 215) dar, sondern laden die Erkenntnisse mit Wert auf. Die Bilder repräsentieren nicht den Sitz der Geschlechtsidentität, sie bringen vielmehr visuelles Wissen hervor, das mit der Existenz und Lokalität der Geschlechtsidentität in Verbindung gebracht wird. Das komplexe und genuin unsichtbare Phänomen der Geschlechtsidentität wird hier also über hirnanatomische Bilder sichtbar und handhabbar gemacht. Wissen (über das Phänomen der Transsexualität, aber auch über Zweigeschlechtlichkeit) wird hier also auf visuellem Wege generiert. 24 In einer Folgestudie von Luders et al. (2009) wurde mit Hilfe des bildgebenden Verfahrens MRI (magnetic resonance imaging) die Größe von spezifischen Gehirnarealen gemessen, von denen angenommen wurde, dass sie für die sexuelle Differenzierung relevant seien. Die Forscher betrachten transsexuelle Menschen als „an invaluable model to understand the biological underpinnings of gender identity“ (Luders et al. 2009: 904). Ihnen geht es also, ausgehend von einem abweichenden Fall der Geschlechtsidentitätsentwicklung, um das Verstehen der biologischen Basis von (Zwei-)Geschlechtlichkeit. Genau wie Zhout et al. (1995) nimmt das Forscherteam um Luders bei transsexuellen Menschen eine Differenzierung zwischen geschlechtlich konnotierten körperlichen Merkmalen („sexual characteristics“ [Luders et al. 2009: 904]) und einer ausgebildeten Geschlechtsidentität an. Da untersucht werden soll, inwiefern sich in spezifischen Hirnarealen die Empfindung der Geschlechtsidentität manifestiert, wirken die Studien an der Biologisierung von Geschlechtlichkeit mit. Sie stehen in der Tendenz, das Gehirn des Menschen – neben Genitalien, sekundären Geschlechtsmerkmalen, Hormonen und Genen – zu einem körperlichen Merkmal zu erklären, das das Geschlecht (gender bzw. gender identity25) bestimmt.
24 Der Wissenschaftshistoriker Hans-Jörg Rheinberger (2001) unterscheidet begrifflich Sichtbarmachung von Formen der Repräsentation und Wiedergabe. Für ihn haben Abbildungen – begrifflich genauer: Visualisierungen – in den Naturwissenschaften keinen mimetischen Charakter. Nach ihm wird Wissen (über naturwissenschaftliche Phänomene) über jene Sichtbarmachungen überhaupt erst konstruiert. 25 Tatsächlich verwenden Luders et al. (2009) die Begriffe gender und gender identity als Synonyme.
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Im Gegensatz zur Studie von Zhou et al. (1995) arbeitete das Forscherteam um Luders mit einem größeren Sample (n= 24) und nahm Trans*Frauen als Probandinnen, die (noch) nicht mit Östrogenen behandelt wurden. Als Kontrollgruppe fungierten 30 cismännliche und 30 cisweibliche Proband_innen. Luders et al. (2009) ging es mit ihrer Studie also nicht nur darum zu ergründen, inwiefern neuronale Gegebenheiten das Vorkommen von Transsexualität bedingt, sondern vor allem um den Beweis der Position der Geschlechtsidentität im Gehirn des Menschen. Die Studie basiert ausschließlich auf der Auswertung der erhobenen Hirnbilder (s. Abb. 15). Das Forscherteam fand hinsichtlich der drei Gruppen signifikante Unterschiede in den Hirnregionvolumina. Abbildung 15: Farbige Markierung der t-Test Ergebnisse hinsichtlich der Volumenmessungen bei Cismännern (males), Cisfrauen (females) und Trans*Frauen (transsexuals)
Farblich abgebildet sind signifikante Unterschiede in den Volumina (A) zwischen Cismännern und Cisfrauen, (B) zwischen Cisfrauen und Trans*Frauen, (C) zwischen Cismännern und Trans*Frauen. (D) zeigt Überlagerung der verschiedenen signifikanten Unterschiede zwischen den drei Untersuchungsgruppen. Quelle: Luders et al. 2009: 906.
Dass die Studie verstärkt nach Mustern, Strukturen, und vor allem Differenzen sucht, wird nicht nur an der Rasterung der Gehirnabbildungen, sondern auch an
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der farblichen Kontrastrierung offensichtlich: So werden visuell Kohärenzen konstruiert, indem Unterschiede zwischen den drei Teilgruppen hervorgehoben werden, während Differenzen innerhalb der einzelnen Teilgruppen unsichtbar bleiben. Obwohl das Forscherteam mit drei Geschlechtskategorien arbeitet, macht die Visualisierung deutlich, dass die Proband_innengruppe der Trans*Frauen eine Kategorie darstellt, die mit den beiden anderen Geschlechtskategorien (weiblich bzw. männlich) in Vergleich tritt. Sie konstituiert das Andere zu den beiden gültigen Geschlechtskategorien. Gewissermaßen führt das Gesamtbild der Einzelabbildungen damit exemplarisch das vor und buchstabiert es hinsichtlich der Zweigeschlechtlichkeit aus, was Gottfried Boehm als ikonische Differenz bezeichnet: Die ikonische Differenz „vergegenwärtigt eine Regel der Unterscheidung, des visuellen Kontrastes, in der zugleich ein Zusammensehen angelegt ist“ (Boehm 2004: 30). Die Visualisierung scheint eine Antwort auf die Frage danach finden zu wollen, welchem der beiden gültigen Geschlechter Trans*Frauen ähnlicher seien. Der Fokus liegt auf den Unterschieden zwischen Trans*Frauen zu den beiden gängigen Geschlechtskategorien. Gerade der Bildbereich D impliziert durch den Fokus auf die cisweibliche Kategorie („Females“) eine Differenzierung von Trans*Frauen zu cisgeschlechtlichen Frauen. Demgegenüber ist der im Bereich D befindliche Vergleich zu Cismännern per Position und Farblichkeit im Index vom Vergleich zu Cisfrauen abgesetzt. Transgeschlechtlichkeit wird in der Visualisierung weder als eigenständige Geschlechtskategorie gedacht, noch wird anerkannt, dass es sich bei Trans*Frauen um Frauen handelt. In den Visualisierungen der Studien bleiben die Gemeinsamkeiten und Überschneidungen zwischen den einzelnen Gruppen unsichtbar. Sie betonen stattdessen nicht nur die Unterschiedlichkeit von männlichen und weiblichen Gehirnen, sondern konstruieren Gehirne transsexueller Menschen auch als Gehirne, die einerseits von den beiden Kontrollgruppen abweichen sowie andererseits als beschränkte Ausprägung männlicher respektive weiblicher Gehirne gelten. Die Visualisierungen bestärken damit die hegemoniale Vorstellung um Zweigeschlechtlichkeit, in deren Rahmen Transsexualität nur als Abweichung und Pathologie gedacht werden kann. Bildgebende Verfahren in den Neurowissenschaften gaben also (erneut) Anlass zur Suche nach der Verortung von Geschlechtlichkeit im Körper des Menschen. Nachdem Transsexualität medizinisch jahrelang als Geschlechtsidentitätsstörung gehandhabt wurde, die mit Unsichtbarkeit einherging, d.h. Identitätsprozesse als in der Psyche des Menschen verankerte Abläufe gedacht wurden, die scheinbar unergründlich sind und im Dunkeln liegen, während sich Sichtbarkeit vor allem im Behandlungsmanagement zeigte, das auf die morphologische Gestaltung von Geschlecht abzielte, fand mit den technologischen Entwicklungen im
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Gebiet der Neurowissenschaften eine neue visuelle Wende statt, die das Erforschen von Geschlechtlichkeit befeuerte. Jene Studien gehen von hormonellen und/oder genetischen Prozessen aus, die Transsexualität bedingen und sich anhand von körperlichen Merkmalen manifestieren (vgl. de Silva 2014: 158): Transsexualität zeige sich anhand der Größe von bestimmten Hirnarealen (vgl. Zhou et al. 1995, Luders et al. 2009), der Anzahl sich darin befindlicher Neuronen (vgl. Kruijver et al. 2000), oder der Ausprägung von bestimmten Hirnalleen (vgl. Bentz 2008). Sowohl die Konzeption der Studien, als auch die darin befindlichen Visualisierungen dokumentieren einen analytischen Blick auf Geschlechtlichkeit, der binär strukturiert ist. Transsexualität wird dabei als Abweichung bzw. Pathologie vom Zweigeschlechtermodell sichtbar gemacht. Neurowissenschaftliche Studien basieren dezidiert auf visuellen Abbildungen, denen ein Objektivitätsanspruch zugeschrieben wird. Sie gelten als Repräsentationen nicht nur des Gehirns, sondern der Phänomene (hier: Geschlechtlichkeit), die untersucht werden sollen. Unreflektiert bleibt dabei die Tatsache, dass Wissenschaftsbilder stets durch ästhetische Mittel Sinn produzieren und als eigenständige Sinneinheiten fungieren (vgl. Heßler 2006: 22), d.h. keine Repräsentationen, sondern Visualisierungen sind, die diskursive Botschaften eigenständig in Umlauf bringen. Mittlerweile konnte herausgestellt werden, dass neurowissenschaftliche Studien zu Geschlechtlichkeit mehr Unklarheiten als Klarheiten produzieren. Deren Ergebnisse lassen keine eindeutigen Schlussfolgerungen zu (vgl. Nieder et al. 2011). Nichtsdestotrotz sind die scheinbaren Ergebnisse um die im Gehirn vorzufindenden Spuren der Zweigeschlechtlichkeit (und ihrer Abweichungen) diskursiv sehr wirkmächtig. Es kann davon ausgegangen werden, dass es gerade die scheinbare Sichtbarkeit von Befunden ist, die jene essentialistischen Vorstellungen um (Zwei-)Geschlechtlichkeit mit diskursivem Wert aufladen.
3.6 ZWISCHENFAZIT: MEDIZIN UND TRANSGESCHLECHTLICHKEIT – EIN VISUELLES SPANNUNGSVERHÄLTNIS Der medizinische Diskurs ist maßgeblich daran beteiligt, welche Konzeption von Geschlecht, sexueller Orientierung und deren Interdependenzen vorherrschend sind. Obwohl die Überschreitung von Geschlechtergrenzen in der Mythologie, in der Literatur, in verschiedenen Kulturen und zu verschiedenen historischen Zeitpunkten vorkommt und gut belegt ist, stellt das Phänomen der Transsexualität bzw. der Geschlechtsidentitätsstörung bzw. der gender dysphoria eine medizini-
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sche Konstruktion des 20. Jahrhunderts dar. Auch sie ist untrennbar mit den vorherrschenden Vorstellungen um Geschlecht, sexuelles Begehren und Körper verbunden. Genealogisch ließen sich drei zentrale diskursive Bewegungen hinsichtlich der medizinischen Konstruktion von Transgeschlechtlichkeit nachweisen, die jeweils mit spezifischen Sichtbarkeitsordnungen in Zusammenhang stehen. Zu Beginn der medizinischen Beschäftigung mit Geschlecht stand – ausgehend vom ‚hermaphroditischen‘ Körper – die Suche nach dem ‚wahren‘ bzw. ‚eindeutigen‘ Geschlecht. Daran beteiligt war die zunehmende Verwendung visueller Medien in der Anatomie und der Sexualwissenschaft. Vor allem Fotografien und Zeichnungen fungierten als Erkenntnismedien, die die scheinbaren Wahrheiten über das Vorhandensein eines Geschlechtsdimorphismus beglaubigten. Die Verwendung visueller Medien erzeugte ein Archiv an Nackt- und Genitalaufnahmen, das als klinische Sichtbarkeit verschlagwortet werden kann. Die Genital- und Nacktaufnahmen hatten die Funktion, die Körper von Betroffenen zu vermessen und zu klassifizieren. Diese Hypersichtbarkeit von Körpern war also nicht nur daran beteiligt, ‚geschlechtliche Abweichungen‘ zu bestimmen, sondern auch Auskunft über geschlechtlich normale Körpereigenschaften zu erteilen. Nachgewiesen werden konnte, dass die eingesetzten visuellen Dokumente die Befunde zu den scheinbar entdeckten ‚geschlechtlichen Pathologien‘ mit erzeugen. Auch die spezifischen Inszenierungsweisen waren eher Ausdruck eines zweigeschlechtlichen Blickes, als dass sie einen scheinbar objektiven Blick auf ‚hermaphroditische‘ Phänomene warfen. Insgesamt lässt sich die Suche nach dem ‚wahren‘ Geschlecht also zusammenfassen als eine (auch) visuelle Suche nach körperlichen Wahrheiten, die im Ergebnis eine Zweigeschlechterordnung, verstanden als Zweikörperordnung, konsolidierte. An die Suche nach dem ‚wahren Geschlecht‘ schlossen sich Überlegungen zum Verhältnis von Geschlecht und Begehren an. Am Beispiel von gleichgeschlechtlichem Begehren verschob sich sukzessive der medizinische Blick von der Vermessung körperlicher Eigenschaften auf die Erkundung seelischer/ psychischer Strukturen. Ein zentrales diskursives Ereignis stellen die emanzipatorischen Streitschriften von Karl Heinrich Ulrichs zur Urningsliebe dar. Ulrichs führte mit seinem Konzept des Uranismus das Bild einer richtigen Seele, die im falschen Körper wohnt, in den Diskurs ein. Er beabsichtigte damit, gleichgeschlechtliches Begehren zu entkriminalisieren und zu entpathologisieren. Jener Körper-SeeleDualismus wurde im sexualwissenschaftlichen Diskurs jedoch in Folge kolonialisiert. Westphal und Krafft-Ebbing differenzierten auf Basis von Ulrichs Annahme normabweichende Sexualphänomene weiter aus. Deren Abhandlungen zur Conträrsexualität bzw. zur psychopathia sexualis führten zu dem Bild der kranken
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Psyche, die im richtigen Körper wohnt. Der medizinische Blick in die psychische Struktur ging einher mit fehlenden visuellen Repräsentationen. Die Wiederaufnahme visueller Abbildungen fand mit Magnus Hirschfeld statt. Hirschfeld, der seinerzeit – ähnlich zu Ulrichs – daran interessiert war, sexuelle und geschlechtliche Minderheiten in deren Kampf um gesellschaftliche Anerkennung zu unterstützen, verwendete Fotografien zunächst, um seine Zwischenstufentheorie auch visuell zu beweisen. Sie standen also in der Funktion, Hirschfelds Beobachtungen zur Existenz von ‚Geschlechtsübergängen‘ zu legitimieren. Später, als er sich dem Phänomen Tranvestismus widmet, dem er auch Transsexualität zuordnete, integrierte er in seine Abhandlungen zahlreiche Fotografien Betroffener und verhalf diesen dadurch zu sozialer Akzeptanz über Sichtbarkeit. Die veröffentlichten Selbstinszenierungen Betroffener unterschieden sich deutlich von den zuvor in der Sexualwissenschaft kursierenden Nacktaufnahmen. Während es bei der klinischen Sichtbarkeit um die Entkleidung von Körpern ging, stellen die Selbstinszenierungen nun vielfältige Varianten von Geschlechtsperformances mittels selbst gewählter Aufmachungen dar. Hirschfeld ergänzte an diesem Punkt in seiner wissenschaftlichen Laufbahn die Selbstportraits um eigens angefertigte und angeordnete fotografische Aufnahmen. Was dabei erkennbar wurde, ist nicht nur der bipolare Blick, mit dem Hirschfeld die Zwischenstufenphänomene betrachtet, sondern auch eine Rückkehr zur Visualisierung körperlicher Faktizitäten. Nachdem Transsexualität damit in den wissenschaftlichen Diskurs eingeführt wurde, richtete sich die Aufmerksamkeit in Folge auf die Abgrenzung des als ‚Geschlechtswechsel‘ verstandenen Phänomens von anderen geschlechtlichen und sexuellen Varianten. Daran schloss sich eine Behandlungspraxis an, die den ‚Geschlechtswechsel‘ als somatischen Modifikationsprozess verwaltete. Visuelle Abbildungen spielten hier im medizinischen Diskurs keine nennenswerte Rolle mehr. Visualität war indes zentral hinsichtlich des diagnostischen Prozesses und hinsichtlich der medizinischen Konstruktion eines ‚echt aussehenden‘ GeschlechtsKörpers. Ein neuerliches Aufkommen visueller Abbildungen konnte im Bereich der Neuroanatomie beobachtet werden, mittels derer erneut auf die Suche nach der körperlichen Manifestation von Transsexualität, diesmal im Gehirn, gegangen wird. Auch hinsichtlich dieser Suchbewegungen dokumentierte sich ein zweigeschlechtlicher Blick auf Geschlecht, der Transsexualität als Abweichung identifiziert. Der Körper von Betroffenen geriet also, nachdem das Dunkel ihrer Psyche entzaubert wurde, ins Zwielicht medizinischer Bemühungen, um ihr ‚wahres Geschlecht‘, d.h. ein scheinbar eindeutiges Geschlecht herzustellen – „the [medical] gaze [...] is blind to bodily ambiguity and [it is] one that sees only male or female,
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healthy or sick, reproductive or non-reproductive“ (Halberstam 2002: 36). Gleichzeitig bildet der Körper das Terrain, auf dem sich Subjektivität und Selbstermächtigung herstellt, indem sich die Handlungsfähigkeit transsexueller Subjekte aus der diskursiven Unterwerfung unter die Bedingungen der Medizin bei gleichzeitiger durch diese sozial legitimierte Form des ‚Geschlechtswechsels‘ existierende Möglichkeit der Entwerfung von Subjektivität speist (vgl. Genschel 2002). Mit Foucaults Konzept von Macht als produktive Kraft argumentiert, ist die im Laufe des 20. Jahrhunderts konstruierte Kategorie der ‚Geschlechtsidentitätsstörung‘ somit regulierend wie ermöglichend zugleich: Der ‚Geschlechtswechsel’ avancierte zu einem öffentlichen Problem, an dessen Lösung und Regulierung eine Vielzahl von Akteuren (Mediziner, Sexualforscher, Chirurgen, Endokrinologen, Psychiater, Psychologen, etc.) beteiligt waren. Der diagnostische Prozess, ebenso wie das Behandlungsprogramm, legen einen eng begrenzten Spielraum dessen fest, was als intelligibler Ausdruck von Geschlechtlichkeit gelten darf. Die diagnostische Praxis impliziert konkrete Vorstellungen zur ‚transsexuellen‘ Kindheit, zur typisch ‚transsexuellen Biografie‘, und zur Beziehung eines Transsexuellen zu seinem eigenen Körper. Orientiert an diesen Vorstellungen etabliert die Behandlungspraxis ein bestimmtes Verständnis vom ‚richtigen‘ Geschlechtsausdruck, d.h. sie aktualisiert normative Vorstellungen um ein ‚eindeutige‘ Geschlecht, genauso wie sie bestimmte Konzepte von Maskulinität und Femininität vorgibt. Die diffizilen, auf normativen Geschlechtsvorstellungen aufruhenden Praktiken der Diagnostik und Behandlung begrenzen in ihrer Realisierung folglich ein „zerstreutes Möglichkeitsfeld“ (Foucault 1987: 254) der Geschlechterperformance, indem sie „das Feld eventuellen Handelns der anderen strukturieren“ (ebd.: 255), und somit Macht ausüben, nicht nur auf Betroffene, die in diesem Möglichkeitsfeld als transsexuelle Subjekte entworfen werden, sondern auf alle handelnden Subjekte. Die im Verhältnis des modernen, medizinischen Umgangs mit dem ‚Geschlechtswechsel‘ wirkende Macht, die als Regime der Normalisierung beschrieben werden kann, ist ebenso ein „regulatory measure for the gender expression of all people“ (Spade 2006: 329). Als ermöglichend stellt sich die Kategorie insofern heraus, als dass sie zum einen einen definierten Spielraum der Anerkennung bereitstellt. Die Diagnose berechtigt transsexuelle Individuen, gewisse körperliche Veränderungen vorzunehmen, ggf. ihren Namen und Personenstand zu ändern, d.h. sich als intelligible Subjekte im gesellschaftlichen Raum zu bewegen. Transsexuellen wird also „ein Recht auf ihre Existenzweise ein[ge]räumt“ (Hoenes 2014: 72). Zum anderen bieten die rigiden Vorgaben der Medizin immer auch Möglichkeiten der Subversion, z.B. im strategischen Unterwerfen unter bestimmte normative
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Vorgaben. Auch das Durchschauen und die Reflexion der Rigidität der medizinischen Vorgaben stellt einen (selbst-)ermächtigenden Aspekt dar, von dem Betroffene häufig berichten (vgl. Genschel 2002, Saalfeld 2019). Die mit der Diagnose Transsexualismus bzw. Geschlechtsidentitätsstörung bzw. gender dysphoria pathologisierten Patient_innen befinden sich folglich in einem Machtverhältnis: Mittels der Diagnose erhalten die Betroffenen Handlungsmacht und Anerkennung, weil und obwohl sie sich den verknappten Möglichkeiten von Geschlechterdevianz unterwerfen. Die in diesem Verhältnis und „Ensemble von Handlungen“ wirkende Macht... „operiert auf dem Möglichkeitsfeld, in das sich das Verhalten der handelnden Subjekte eingeschrieben hat: sie stachelt an, gibt ein, lenkt ab, erleichtert oder erschwert, erweitert oder begrenzt, macht mehr oder weniger wahrscheinlich; im Grenzfall nötigt oder verhindert sie vollständig; aber stets handelt es sich um eine Weise des Einwirkens auf ein oder mehrere handelnde Subjekte [...].“ (Foucault 1987: 255)
Transgeschlechtliche Individuen, die sich den Behandlungsrichtlinien unterwerfen, können also – gleichzeitig in Widerstreit und Aushandlung zu den medizinischen Vorgaben – ihre eigene Subjektivität entwerfen. Es liegt nahe zu vermuten, dass sich dieser Widerstreit in der Visualität niederschlägt, die von Betroffenen gewählt wird.
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Die Diskursebene der Transgender Subkultur
Die Herausbildung der medizinisch-psychiatrischen Kategorie der Transsexualität war nicht ausschließlich das Resultat medizinischer Entwicklungen, sondern erwies sich von Beginn an mit Wünschen und Bedürfnissen Betroffener verquickt. Der Einfluss von Stimmen Betroffener auf den sexualmedizinischen Diskurs zeigte sich bereits im 19. Jahrhundert mit den emanzipatorischen Schriften Benkerts und Ulrichs zur Homosexualität bzw. Urningsliebe. Auch Hirschfelds Ausführungen zu den sexuellen und geschlechtlichen Zwischenstufen sowie die Tätigkeiten am Wissenschaftlich-humanitären Komitee (WhK) müssen als solidarische Forschung nicht nur über, sondern mit Betroffenen verstanden werden. Und gerade die ersten Umsetzungen von geschlechtsaffirmierenden Operationen sind auch und neben weiteren Faktoren die Folge des vehementen Einforderns der Wünsche Betroffener. Transsexualität stellt daneben nicht nur eine medizinische Kategorie, inklusive eines Apparats an Diagnostizierungstechniken und Behandlungsprogrammen, dar, die auf die medikalisierte Regulation des ‚Geschlechtswechsels‘ abzielt und einen spezifischen Umgang mit geschlechtlichen Normen strukturiert. Die Kategorie fungiert ebenso als geschlechtlicher Existenzentwurf, der Betroffenen ein Recht auf Leben einräumt (vgl. Schirmer 2010: 120f.). Die Konstitution von Transsexualität als dezidiert mit dem medizinischen Apparat verwobener Lebensentwurf hatte Auswirkungen auf die Subkultur, in der sich geschlechtlich (und sexuell) Marginalisierte bewegten. Vor den Ereignissen in Stonewall (1969) pflegten Homosexuelle, Sexarbeiter_innen und transgeschlechtliche Menschen in den USA eine gemeinsame Barkultur (vgl. Genschel 1998). Während nach Stonewall die sich etablierende Schwulenbewegung NichtHomosexuelle ausschloss, bestand an den Rändern des Rotlichmilieus für transgeschlechtliche Sexarbeiter_innen weiterhin eine kleine Subkultur. In dieser Zeit entstanden zunehmend Gruppierungen, die in Auseinandersetzung mit den medizinischen Imperativen geschlechtliche Selbstbestimmung einforderten. 1967
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gründete sich beispielsweise in San Francisco ein Zusammenschluss von vor allem trans*weiblichen Prostituierten („Conversion Our Goal“, ab 1972 „National Transsexual Counseling Unit“), der sich für ein gesetzliches Recht auf medizinische Geschlechtsaffirmation, die Eindämmung polizeilicher Übergriffe an und für die Nichtdiskriminierung von transgeschlechtlichen Menschen auf dem Arbeitsund Wohnungsmarkt einsetzte (vgl. Meyerowitz 2002: 230). Mit der Etablierung der medizinischen Behandlungsprogramme veränderte sich das subkulturelle Klima. So wie die medizinische Behandlung von Transsexuellen auf einem differentialdiagnostischen Prozess beruht, der das Phänomen von Homosexualität, Transvestismus und Intersexualität abtrennt, so fanden auch im subkulturellen Bereich Abgrenzungen statt: Während sich Schwule und Lesben bewegungspolitisch dafür einsetzten, als ‚normale‘, gleichgeschlechtlich begehrende und eben nicht als ‚persönlichkeitsgestörte‘ Männer und Frauen zu gelten, betonten Transsexuelle ihre geschlechtlichen – und nicht sexuellen – Wünsche (vgl. Schirmer 2010: 121f.). Transvestiten grenzten sich wiederum von den Operationswünschen Transsexueller ab und kämpften für die Entpathologisierung von Transvestismus. Utan Schirmer rekonstruiert, dass Trans*Männer bis Ende der 1980er Jahre in den sich bildenden Transsexuellen-Organisationen und Gruppierungen kaum sichtbar wurden (vgl. ebd.: 122f.). Dies änderte sich mit dem politischen Engagement von Louis G. Sullivan (vgl. Stryker 1999; Genschel 2002). Sullivan definierte sich zunächst als weiblicher Transvestit mit schwuler Orientierung. 1979 hatte er sein Coming Out als schwuler Transsexueller. Aufgrund seiner schwulen Orientierung wurde er zunächst von medizinischen Institutionen abgelehnt, hatte jedoch im Jahr 1986 eine geschlechtsaffirmierende Operation. Sullivan ist bereits 1986 an den Folgen von AIDS verstorben. In den 70er Jahren bewegte er sich vor allem in der schwulen Subkultur. Dort war er auch zunächst mit Themen über Transsexualität und Transvestismus politisch aktiv. Seit Ende der 70er Jahre begann er mit dem Aufbau sozialer Netzwerke und gründete schließlich 1986 die weltweit erste Organisation für transgeschlechtlich lebende Männer in San Francisco, die FTM International. Seit seinem Coming Out als schwuler Transsexueller richtete sich sein politisches Engagement auf die medizinische Anerkennung von Homosexualität als legitime Begehrensform transsexueller Menschen. Corinna Genschel (2002) arbeitete anhand der unveröffentlichten Tagebuchaufzeichnungen von Sullivan die Produktion transgeschlechtlicher Subjektivität heraus. In Sullivans Einträgen wird deutlich, dass eine intensive Auseinandersetzung mit dem eingeschränkten, durch die Medizin vorgegebenen Subjektentwurf stattfand. Dieser Entwurf des medizinisch konstruierten Subjekts, der (a) über die Medika-
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lisierung des ‚Geschlechtswechsels‘ vonstattengeht, der (b) die Forderung beinhaltet sich für ein binäres Geschlecht zu entscheiden, und der (c) an das Ziel der geschlechtlichen Vereindeutigung gebunden ist, erwirkt eine nachträgliche Normalisierung vorgängiger Geschlechterentwürfe. Er stellt ein „zutiefst verregeltes Regime der Regulierung von Subjektivität und Lebenspraxen“ (Genschel 2002) dar. Der Subjektivitätsentwurf in Form der medizinischen Kategorie der Transsexualität wurde von Sullivan als unzureichend, unpassend und einschränkend erlebt. Es ist vor allem Sullivans Aufsuchen von subkulturellen (schwulen und transgender) ‚Szenen‘, die für ihn dazu beitrugen, einen geeigneten Existenzraum für seine in Widerstreit zum Medizindiskurs ausgebildete Subjektivität aufzubauen. Diese nicht-medizinischen Kontexte – das Bewegen in der schwul-lesbischen Subkultur –, in denen eine Auseinandersetzung mit den prekären Vorgaben des Medizindiskurses stattfand, dienten Sullivan als Möglichkeits- und Handlungsspielräume zur Formierung und Realisierung jener „erstrittenen Subjektivität“ (ebd.). Genschel schlussfolgert aus der Analyse der Tagebuchaufzeichnungen, dass „die Formierung der Transgender Bewegung mit ihren vielfältigen Selbstrepräsentationen [...] als Chance zu begreifen [sei], gemeinsam und im Streit nach den Bedingungen zu fragen, die notwendig sind, um nachhaltig in die Zwei-Geschlechter-Logik einzugreifen“ (ebd.). Das folgende Kapitel widmet sich der diskursiven Bedeutungsproduktion von Transgeschlechtlichkeit auf subkultureller Ebene. Im Unterkapitel 4.1 wird zunächst ein Überblick gegeben, wie die (westliche) Transgender Subkultur gestaltet ist. Es wird nachgezeichnet, welche Debatten in ihr verhandelt werden. Gezeigt wird, dass sich transgeschlechtliche Subjektivität nicht nur – wie soeben kurz angerissen – in Auseinandersetzung und Abgrenzung zum medizinischen Regime, sondern auch in Auseinandersetzung zu feministischen Ansichten darüber, was Weiblich- bzw. Männlichkeit bedeutet, herausbildete. Diese Auseinandersetzungen wurden nicht nur auf subkultureller Ebene ausgetragen – sie fanden auch im Rahmen geisteswissenschaftlicher Debatten statt, insbesondere unter der Perspektive der Queer Studies.1 Gerade in den sich in den 1990er Jahren herausbildenden
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Für die 1990er Jahre und folgend ist kennzeichnend, dass die Trennung in einen subkulturellen und einen akademischen Bereich lediglich eine analytische ist. Gerade für die sich aus den Queer und Gender Studies herausbildenden Trans* Studies ist charakteristisch, dass sich politisches Engagement und akademische Auseinandersetzungen annähern. Zahlreiche Vertreter_innen der Trans* Studies, so z.B. Susan Stryker, Dean Spade oder Emi Koyama, sind gleichzeitig Betroffene, politische Aktivist_innen und Wissenschaftler_innen.
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Queer Studies, vor allem durch die Schriften Judith Butlers, wurde Transgeschlechtlichkeit als beispielhaftes Phänomen für die Subversion von Geschlechternormen ausgewiesen. Diese vorherrschende Vorstellung wird hier problematisiert, insofern als dass sie Transgeschlechtlichkeit als argumentative Figur einführte, wodurch der Blick auf die konkreten Lebensrealitäten transgeschlechtlicher Menschen verloren ging. In den nachfolgenden Unterkapiteln 4.2-4.5 geht es dezidiert um die diskursive Bedeutungsproduktion mittels des Visuellen. Die auf Diskursebene der Subkultur produzierten visuellen Dokumente sind allesamt auf den transgeschlechtlichen Körper fokussiert. Er bildet den Fluchtpunkt der Sichtbarkeitspolitiken. Das macht die Dokumente vergleichbar mit jenen, die auf der medizinischen Diskursebene entstanden. Die Identifikation und Reflektion von aus der ‚Bewegung‘ stammender Sichtbarkeitspolitiken wird eine Kontrastfolie zu den auf medizinisch bzw. sexualwissenschaftlicher Ebene eingesetzten Repräsentationsweisen liefern.
4.1 DIE FORMIERUNG DER TRANSGENDER BEWEGUNG: VON (TRANS-)FEMINISTISCHEN KÄMPFEN UND WIDERSTÄNDEN GEGEN DAS PSYCHOMEDIZINISCHE REGIME Anfang der 1990er Jahre veränderte sich die Sichtbarkeit des politischen Engagements transgeschlechtlicher Menschen (vgl. Schirmer 2010: 123). Gleichzeitig zur Gründung und Etablierung zahlreicher Gruppierungen, die sich auf die Belange von transgeschlechtlichen Menschen fokussierten, erschienen drei zentrale Werke, die nicht nur die Haltungen in der (nordamerikanischen) Transgender Subkultur in den Folgejahren prägen sollten, sondern auch zur Herausbildung der Trans* Studies führten (vgl. Bettcher 2015): Sandy Stones Essay The Empire Strikes Back: A Posttranssexual Manifesto (1991), Leslie Feinbergs Schrift Transgender Liberation: A Movement Whose Time Has Come (1993) und Kate Bornsteins Gender Outlaw: On Men, Women, And The Rest Of Us (1995).2 Sie sind teilweise implizit, teilweise explizit als Reaktionen auf zwei Diskursstränge formuliert, die sowohl in (feministisch-)subkulturellen wie im wissenschaftlichen
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Einige Autor_innen verorten diese einflussreichen Schriften nicht im Bereich der Transgender Subkultur, sondern ordnen sie den Transgender Politics oder dem Transgender Aktivismus zu, was jedoch als eine definitorische Entscheidung betrachtet werden muss. Meist wird auf ein und dieselbe Soziale Welt bzw. auf ein und dieselbe Soziale Arena (Clarke 2012) angespielt.
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Kontext Geltung beanspruchten.3 Das betrifft zum einen transfeindliche und transmisogyne feministische Ansätze. Janice Raymonds The Transsexual Empire: The Making of the She-Male (Raymond [1979] 1994) gilt als eine der Veröffentlichungen, die zahlreiche Reaktionen ‚in der community‘ provozierte. In ihrem Buch vertritt Raymond die These, dass Transsexuelle traditionelle Geschlechterstereotype festschrieben. In ihrer Kritik richtet sie sich vornehmlich an Trans*Frauen, denen sie unterstellt, sich gewaltsam den weiblichen Körper anzueignen: „[they] rape women’s bodies by reducing the real female form to an artifact, appropriating this body for themselves“ [sic] (Raymond [1979] 1994: 104). Sie ist außerdem der Meinung, Trans*Frauen eigneten sich – quasi als Männer, denn so betrachtet Raymond Trans*Frauen letztlich – Frauenräume gewaltsam an, womit sie eine Position formulierte, die in (radikal-)feministischen Räumen durch den Ausschluss von Trans*Personen umgesetzt wurde. 1973 setzte beispielsweise die feministische Organisation San Francisco Daughters of Bilitis, die sich für die Rechte von lesbischen Frauen stark machte, Beth Elltiott als Vizepräsidentin mit der Begründung ab, sie könne als Trans*Frau nicht die Belange lesbischer Frauen vertreten (vgl. Meyerowitz 2002: 259). Der Konflikt spitzte sich zu, als gewaltsam versucht wurde, Elliotts Teilnahme an der im selben Jahr stattfindenden West Coast Lesbian Feminist Conference in Los Angeles zu verhindern. Robin Morgan, die als eine der Hauptrednerinnen auf der Tagung auftrat, betitelte Elliott als „an opportunist, an infiltrator, and a destroyer – with the mentality of a rapist“ (Morgan [1977] zitiert in: Baumgartinger 2017: 111).4 Auch Sandy Stone, die mit ihrem Essay The Empire Strikes Back: A Posttranssexual Manifesto direkt auf den Buchtitel von Raymond anspielt, geriet in den 1970er Jahren in heftige Auseinandersetzungen bei dem feministischen Musiklabel Olivia Records, bei dem sie als transsexuelle Toningeneurin arbeitete. Stone wurde aus dem Frauenkollektiv mit der Begründung ausgeschlossen, sie würde ‚als Mann‘ in Frauenräume eindringen (vgl. Schirmer 2010: 123). Die Einsicht, dass Trans*Frauen lediglich Männer seien, die sich Frauenräume gewaltsam aneignen, basiert auf zwei sich ergänzenden Standpunkten. Das ist zum einen die essentialistische Auffassung, die chromosomale Veranlagung bestimme das Geschlecht eines Menschen. Raymond weist zudem darauf hin, dass bestimmte körperliche Ereignisse, wie Menstruation,
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Baumgartinger (2017: 110) bezeichnet die Manifeste darüber hinaus als den Beginn einer neuen Wissensformation, die später die Bezeichnung Transgender Studies bekam.
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Für eine detailliertere Rekonstruktion der Debatte um Beth Elliott: vgl. Stryker 2008: 102-105.
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Schwangerschaft und das Gebären eines Kindes, eine dezidiert ‚weibliche Geschichte‘ prägten.5 Die zweite – wichtigere, da politisch aufgeladene – Auffassung richtet sich auf Unterdrückungs- und Diskriminierungserfahrungen von weiblich sozialisierten Menschen. Laut Raymond ist das Geschlecht eines Menschen auch und vor allem durch die eigene Erfahrungsgeschichte mit Unterdrückung bzw. Privilegien aufgrund der zugeschriebenen Geschlechterrolle bestimmt (vgl. Raymond [1979] 1994: 116). Da Raymond richtigerweise feststellt, dass die (weibliche) Selbstidentität durch Männer kolonisiert wurde, erachtet sie es als politischen Akt, sich diese Identität wieder anzueignen. Die Möglichkeit der Wiederaneignung der weiblichen Identität trifft damit für sie auf all jene zu, die weiblich sozialisiert wurden, jene also, die Erfahrungen mit sexistisch motivierter Unterdrückung gemacht haben. Da Raymond Trans*Frauen unterstellt, viele Jahre der männlichen Sozialisation erlebt, d.h. männliche Privilegien, genossen zu haben, sei es ihnen unmöglich, sich als Frauen zu identifizieren. Dieses radikalfeministische Argument ist der eigentliche Dreh- und Angelpunkt von Raymonds transfeindlicher Einstellung. Radikalfeministisch-orientierte Diskussionen darüber, ob Trans*Frauen tatsächlich als Frauen zu betrachten seien, finden bis heute im aktivistischen wie wissenschaftlichen Kontext statt (vgl. Baumgartinger 2017: 112), und führen nach wie vor nicht selten zu Ausschlüssen. Der zweite Diskursstrang, auf den die Transgender Subkultur dezidiert Bezug nimmt, ist der medizinisch-psychiatrische Diskurs um Transgeschlechtlichkeit als Abnormalität. Die Entwicklung der Transgender Bewegung stellt eine Reaktion auf die problematische Medikalisierung transgeschlechtlicher Menschen dar (vgl. Bettcher 2015: 408). Die Hauptkritik, die im subkulturellen Bereich erarbeitet wurde und bis heute debattiert wird, gilt dem psychomedizinischen Umgang mit Transsexualität. Vor allem die Behandlungsrichtlinien (die standards of care) wurden und werden bis dato aufs Schärfste kritisiert. Abgelehnt wurde und wird nicht nur die Tatsache der Pathologisierung von Transgeschlechtlichkeit, sondern auch die Rigidität der Behandlungsstandards, die die vielfältig bestehenden transgeschlechtlichen Empfindungs- und Lebensweisen auf das Phänomen der Transsexualität verkürzen. Allgemein fordert der Großteil der Aktivist_innen das Recht auf Selbstbestimmung im und Mitbestimmung am medizinischen Diskurs (vgl. Sauer und Hamm 2015). Emi Koyama erweitert in ihrer Vision eines Trans*Feminismus diese Forderungen auf sämtliche Instanzen, die transgeschlechtliche Menschen in deren Lebensweisen zu beschränken versuchen:
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Ähnlich argumentiert auch Germaine Greer in ihrer Kritik an Trans*Frauen im Werk The Whole Woman (1999).
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„Trans liberation is about taking back the right to define ourselves from medical, religious, and political authorities. Transfeminism views any method of assigned sex as socially and politically constructed, and advocates a social arrangement in which one is free to assign her or his own sex (or non-sex, for that matter).“ (Koyama 2003: 250)
Der Beginn der Transgender Bewegung mit Sandy Stone, Leslie Feinberg und Kate Bornstein Sandy Stone veröffentlichte ihr Essay The Empire Strikes Back: A Posttranssexual Manifesto (1991) in einer Zeit, in der in mehreren vornehmlich westlichen Ländern zahlreiche gender clinics errichtet wurden. Die medizinisch-psychiatrische Diagnose Transsexualität war bis dato etabliert, und zahlreiche transgeschlechtliche Menschen nahmen die Möglichkeiten dankend wahr, die die Medizin zur Behandlung ihrer ‚Störung‘ anbot. Stone richtet ihren Blick auf die Implikationen, die der medizinische Umgang mit Transsexuellen nahelegt. Sie befragte zudem autobiografische Texte von Transsexuellen auf die Frage hin, welches transsexuelle Subjekt darin konstruiert werde. Hinsichtlich der Behandlungsprogramme konstatiert Stone, dass sie an der Durchsetzung einer zweigeschlechtlichen Norm orientiert sind: Die Basis der Entwicklung von gender clinics stellte zunächst die Erforschung des ‚abnormalen‘ Phänomens Transsexualität dar, das in Folge und durch den Entwurf eines endokrinologisch/chirurgisch und psychiatrischen Behandlungsplan als ‚korrigierbares Problem‘ gehandhabt wurde. Alle Ebenen – die der Diagnostizierung des Phänomens, die der Auswahl von Patient_innen zur endokrinologisch und chirurgischen Behandlung, sowie die Ebene der Umsetzung des Behandlungsplans – sind von einem zweigeschlechtlichen, streng an den normativen Vorgaben um Weiblich- und Männlichkeit orientierten Blick angeleitet, der keinen Raum für geschlechtliche (und sexuelle) Ambiguitäten und Widersprüche lässt. Stone schlussfolgert daraus, dass der medizinische Transsexualitätsdiskurs auf Fantasien basiert, die die Reinheit und Ursprünglichkeit des binären Geschlechts behaupten (vgl. auch Schirmer 2010: 123f.). In den analysierten Autobiografien findet Stone ähnliche Tendenzen. Auch dort kommen Gedanken zum Ausdruck, die das System der Zweigeschlechtlichkeit bestätigen, indem sich patriarchalen Bestimmungen von Weiblichkeit unterworfen wird: „Besides the obvious complicity of these accounts in a Western white male definition of performative gender, the authors also reinforce a binary, oppositional mode of gender identification. They go from being unambiguous men, albeit unhappy men, to unambiguous women. There is no territory between […]. All these authors replicate the stereotypical male account of the constitution of woman: Dress, makeup, and delicate fainting at the sight of
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blood. Each of these adventurers passes directly from one pole of sexual experience to the other. If there is any intervening space in the continuum of sexuality, it is invisible.“ (Stone 1991)
Die Unterwerfung unter gängige Vorstellungen um das weibliche (bzw. männliche) Geschlecht muss allerdings als Strategie von Betroffenen betrachtet werden, um überhaupt Zugang zu medizinischen ‚Angleichungsoptionen‘ zu erlangen. Stone erläutert, dass Harry Benjamins Werk The Transsexual Phenomenon (1966), auf das sich die Gründer der gender clinics bezogen, in der Transgender Subkultur zirkulierte. Transsexuelle lernten die von Benjamin aufgestellten Diagnosekriterien auswendig und reproduzierten sie in den Anamnesegesprächen für die Kliniken, schließlich waren die transgeschlechtlichen Selbstbeschreibungen nur dann intelligibel, wenn sie den Diagnosekriterien entsprachen. Das Ziel vieler medizinische Hilfe suchender Betroffener war es also, ein Bild der perfekten Verkörperung der zweigeschlechtlichen Norm zu liefern, z.B. indem genitale Sexualität im ‚Ausgangsgeschlecht‘ verleugnet und der Wunsch nach einer den herrschenden Zweigeschlechternormen entsprechenden Verkörperung des ‚Zielgeschlechts’ artikuliert wurde. Dieser strategische Umgang mit dem Diagnoseprozess führte letztlich zur Tradierung der Metapher des Menschen, der im falschen Körper gefangen ist (vgl. Stone 1991). Die stets in der Interaktion mit medizinischem Personal reproduzierte Metapher kreierte nicht nur die äußerst homogen erscheinende medizinische Kategorie der Transsexuellen. Im medizinischen Umgang führt sie auch zum Verschwinden von transgeschlechtlicher Subjektivität, denn: „[t]he highest purpose of the transsexual is to erase h/erself, to fade into the ‘normal’ population as soon as possible […] What is gained is acceptability in society. What is lost is the ability to authentically represent the complexities and ambiguities of lived experience […] [T]here are no subjects in these discourses, only homogenized, totalized objects“ (ebd.).
Stone plädiert aufgrund dieser Tendenzen für die Einnahme einer posttranssexuellen (epistemologischen) Position, die transgeschlechtliche Subjektivität ermöglichen soll. Die Position legt den Fokus auf die Vielgestaltigkeit, Vielstimmigkeit und Widersprüchlichkeit transgeschlechtlicher körperlicher Erfahrung („multiple contradictions of individual lived experience“ [ebd.]), woran eine Kritik an der hegemonialen Metapher sowie der Mut, dem Wunsch nach reibungslosem Passing zu widerstehen, geknüpft ist. Stone spricht sich also mit ihrem Vorschlag, den sie als Möglichkeit der Realisierung eines Gegendiskurses ansieht, für die Anfechtung der binären Geschlechterordnung aus, die, so wie sie bislang in Bezug auf
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den Umgang mit Transsexuellen um- und durchgesetzt wird, zu einer Einschränkung, Verleugnung und Unsichtbarmachung spezifischer transgeschlechtlicher Erfahrungen führt. Leslie Feinberg knüpft mit ihrer Schrift Transgender Liberation: A Movement whose time has come (1993) genau an dem Punkt der Produktion eines Gegendiskurses an. Sie_r plädiert für die Verwendung des Begriffs transgender als einen Sammel- oder Oberbegriff für all jene, deren geschlechtliche Lebens-, Identifikations- und Verkörperungsweisen nicht in der herrschenden zweigeschlechtlichen Logik aufgehen: „I see all of us who fall in between that [the gender binary, Anm. R.K.S.] – transsexuals, transvestites, androgynes, people who are intersexed, drag queens, drag kings, female illusionists – I would define as transgender“ (Feinberg zitiert in Davina 1993). Daran geknüpft ist die Hoffnung, eine tragfähige Transgender Bewegung zu mobilisieren und zu etablieren, die auf Bündnissen zwischen Menschen basiert, deren Selbstpositionierungen nicht mit medizinischen Kategorien gefasst werden können/sollen: „We are a movement of masculine females and feminine males, cross-dressers, transsexual men and women, intersexuals born on the anatomical sweep between female and male, gender-blenders, many other sex and gender-variant people, and our significant others. All told, we expand understanding of how many ways there are to be human beings. Our lives are proof that sex and gender are much more complex than a delivery room doctor’s glance at genitals can determine, more variegated than pink or blue birth caps. We are oppressed for not fitting those narrow social norms. We are fighting back. Our struggle will also help expose some of the harmful myths about what it means to be a woman or a man that have compartmentalized and distorted your life, as well as mine. Trans liberation has meaning for you – no matter how you define or express your sex or your gender.“ (Feinberg 1998: 5)
Für Feinberg bestehen die Ziele einer Transgender Bewegung also nicht nur in der Artikulation alternativer geschlechtlicher Verortungsweisen, und daran anschließend im Kampf um deren soziale Anerkennung und Repräsentation (vgl. Schirmer 2010: 125), sondern auch in der Dekonstruktion binärer Geschlechterrollen per se. Für Feinberg stellt das binäre Geschlechterregime eine unterdrückerische Ordnung dar, unter der nicht nur geschlechtsnonkonforme Menschen leiden: „Together, I believe we can forge a coalition that can fight on behalf of your oppression
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as well as mine“ (Feinberg 1998: 6).6 Die Position des Transgenders ist in Feinbergs Konzeption damit eine militante, politisierte und anti-identitäre (vgl. Baumgartinger 2017: 113). Genau wie Stone setzt sich Kate Bornstein in ihrem Werk Gender Outlaw: On Men, Women, And The Rest Of Us (1995) zunächst mit transfeindlichen Ansätzen zur Transgeschlechtlichkeit auseinander, und bezeichnet Janice Raymond und andere – z.B. Catherine Millot, eine französische Psychoanalytikerin in der Tradition von Lacan, die Transsexualität als eine psychotische bzw. hysterische Reaktion bewertet – als Gender Defenders. Ein Gender Defender zeichnet sich dadurch aus, dass für ihn_sie das binäre Geschlecht (gender) eine zentrale Kategorie in der Wahrnehmung der gesellschaftlichen Welt darstellt, und dass sie_r die vorherrschende Zweigeschlechterordnung gewaltvoll und feindselig verteidigt, wodurch die Gewalt männlicher Privilegien und all die damit verbundenen gesellschaftlichen Folgen aufrechterhalten werden (vgl. Bornstein 1995: 74). Der Position setzt Bornstein di_en Gender Outlaw entgegen. Mit Gender Outlaw sind all jene bezeichnet, die den Regeln und Anforderungen der heteronormativ verfassten Zweigeschlechterordnung nicht entsprechen. Diese militante Position stellt den Ausgangspunkt einer Transgender Bewegung dar, schließt jedoch – ähnlich zu Feinbergs Konzeption – alle Menschen als Bündnispartner_innen ein, die unter dem binären Geschlechtersystem leiden. Das binäre Geschlechtersystem versteht Bornstein als „an oppressive class system made all the more dangerous by the belief that it is an entirely natural state of affair“ (ebd.: 105). Es erzeugt für viele Menschen – nicht nur für transgeschlechtliche – Leid, Frust und Wut (Rage), sodass die Unterscheidung zwischen trans- und cissexuellen Menschen letztlich eine graduelle Differenzierung darstellt: „There’s a myth in our culture that defines transsexuality as rare, and transsexuals as oddities. But nearly everyone has some sort of bone to pick with their own gender status, be it gender role, gender assignment, or gender identity. And when this dissatisfaction can no longer be glossed over with good manners, or cured by purchasing enough gender-specific products or services – and when this dissatisfaction cannot be silenced by the authority of the state, the medical profession, the church, or one’s own peers – then the dissatisfaction is called transsexuality, or gender dysphoria. We’re most of us – whether ‚transsexual‘ or
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Sowohl Feinberg wie Stone beschreiben damit am Beispiel von Transgeschlechtlichkeit, dass die Zweigeschlechterordnung die Kategorien von ‚Mann‘ und ‚Frau‘ sozial konstruiert und unterdrückend auf deren Subjekte wirkt. Gerade diese These wird häufig fälschlicherweise als Verdienst der Queer Studies, nicht aber der Transgender Studies, gewertet.
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not – dissatisfied. Some of us have less tolerance for the dissatisfaction, that’s all.“ (Bornstein 1995: 118)
Mit diesem Gedanken der graduellen Abstufung von gegenüber dem Zweigeschlechtersystem empfundener ‘Geschlechtsdysphorie‘ wird nicht nur die Vielfalt von Subjektpositionen innerhalb des Konzepts der Transgeschlechtlichkeit erklärbar. Er bildet auch die Basis für eine militante Bündnispolitik zwischen verschiedensten Gender Outlaws, nicht nur zwischen jenen, die sich dezidiert als transgeschlechtlich verstehen. Genau wie bei Feinberg sieht Bornstein das Ziel einer Gender Outlaw-Bewegung in der Dekonstruktion von Geschlecht per se (vgl. ebd.: 133). Und ebenso wie Feinberg spricht sich Bornstein für eine Erweiterung des Begriffs „transgendered“ aus: „Let’s let it mean ‚transgressively gendered‘. Then, we have a group of people who break the rules, codes, and shackles of gender. Then we have a healthy-sized contingent! It’s the transgendered who need to embrace the lesbians and gays, because it’s the transgendered who are in fact the more inclusive category […] Only our bonding will permit a true revolution of sex and gender.“ (ebd.: 134f.)
Alle drei Manifeste sind durch eine gemeinsame Vision verbunden. In allen drei Werken wird sich für eine nicht-binäre, genderqueere Welt, die die Fesseln des Patriarchats, der Zweigeschlechterkonformität und der Heteronormativität abgelegt hat, stark gemacht. Diese Vorstellung zielt dezidiert auf die Depathologisierung von Transgeschlechtlichkeit ab. Aus der Vision ergibt sich unter der Hand ein Fallstrick für die Transgender Bewegung, insofern als dass die depathologisierende Konzeption die Metapher des „Menschen, der im falschen Körper gefangen ist“ durch die neue Metapher des „Menschen, der in der falschen Kultur gefangen ist“ ablöst (vgl. Bettcher 2015: 409). Ein zeitgleich zu Bornsteins Schrift erschiener Aufsatz von Susan Stryker (My Words to Frankenstein. Above the Village of Chamounix: Performing Transgender Rage) schildert die diskursive Verschiebung des Bedeutungsgehalts von Transgeschlechtlichkeit. Der Aufsatz nimmt auf beide Diskursstränge – den Strang der radikalfeministischen Auseinandersetzung mit Transsexualität und den Strang der medizinischen Pathologisierung von Transgeschlechtlichkeit – kritisch Bezug. Auch Stryker schwebt die Befreiung von transgeschlechtlichen Menschen aus dem Korsett der restriktiven Ordnung der Zweigeschlechtlichkeit vor. Dafür ruft sie jedoch nicht zu einer gemeinsamen, mit anderen Gender Outlaws realisierten Bündnispolitik auf, sondern nutzt Stones Ansatz der Posttranssexualität,
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um ihn mit Mary Shellys Romanfigur Frankenstein und der Queer Theorie zu verbinden. Stryker zieht eine Parallele zwischen Frankensteins Monster und dem medizinisch konstruierten transsexuellen Körper. Während die Medizin durch die Anwendung hormoneller und chirurgischer Behandlungen beabsichtigt, einen eindeutig männlichen bzw. weiblichen Körper zu erschaffen, stellt Stryker klar, dass es sich beim transsexuellen Körper um einen monströsen Körper handelt: „It is flesh torn apart and sewn together again in a shape other than that in which it was born [...] The consciousness shaped by the transsexual body is no more the creation of the science that refigures its flesh than the monster’s mind is the creation of Frankenstein“ (Stryker 1994: 238; 243). Auch in den radikalfeministischen Texten, z.B. von Janice Raymond oder Mary Daly – so argumentiert Stryker weiter – werden dem_r Transsexuellen monströse Eigenschaften zugeschrieben: Daly schreibt über transsexuelle Frauen als „agents of a ‚necrophilic invasion‘ of female spaces“ (Daly zitiert in ebd.); bei Raymonds vorgeschlagenem Umgang mit Transsexualität, der darin besteht, „to mandat[e] it out of existence“ (Raymond zitiert in ebd.), erkennt Stryker eine Analogie zu Frankensteins Einstellung gegenüber seiner von ihm erschaffenen monströsen Kreatur: „Begone, vile insect, or rather, stay, that I may trample you to dust. You reproach me with your existence“ (Shelly zitiert in ebd.). Doch auch wenn der transsexuelle Körper ein medizinisch konstruierter ist, der über die Anwendung chirurgischer und hormoneller Behandlungsstrategien den visuellen und morphologischen Kriterien eines für natürlich gehaltenen Geschlechts entspricht, stellt er für Stryker einen Ort der Ausbildung von Subjektivität dar. Diesen über die Auseinandersetzung mit biomedizinischen Technologien stattfindenden Prozess der Entwicklung von Subjektivität bezeichnet Stryker als transsexual embodiment: „As we rise up from the operating tables of our rebirth, we transsexuals are something more, and something other, than the creatures our makers intended us to be […] Transsexual embodiment, like the embodiment of the monster, places its subject in an unassimable, antagonistic, queer relationship to a Nature in which it must nevertheless exist.“ (Stryker 1994: 242f.)
Die von Transsexuellen ausgebildete Subjektivität gleicht der von Frankensteins Monster. Ähnlich zum Monster wird jene transsexuelle Subjektivität als gesellschaftlich minderwertig beurteilt und genau wie beim Monster führt diese Bewertung zur Ausbildung einer schieren Wut – Rage –, die sich gegen genau jene Bedingungen richtet, unter denen transsexuelle Menschen bzw. Frankensteins Monster zu leben haben (vgl. ebd.: 238). Dieser Affekt – „transgender rage“ (ebd.: 248) – stellt einen zutiefst politischen dar, insofern als dass er zum einen aufgrund
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der Zuordnung einer randständigen Intelligibilität entsteht, die transgeschlechtlichen Menschen zumutet, die Regularien einer bipolar und heteronormativ verfassten Geschlechterordnung herauszufordern, den Bereich des Nicht-Intelligiblen also zunächst betreten zu müssen, um überhaupt die Aussicht auf Anerkennung und Subjektivität zu erhalten. Er stellt also die emotionale Antwort („a queer fury“ [Stryker 1994: 249]) auf diskursive Bedingungen dar, die dem transsexuellen Subjekt auferlegt sind, um als intelligibles Subjekt überleben zu können. Zum anderen ist transgender rage als eine transformierende Kraft („transformative force“ [ebd.]) zu verstehen, die kollektiv genutzt werden kann. Um dies zu realisieren, plädiert Stryker für die Aneignung der Position des Monsters: „Like that creature, I assert my worth as a monster in spite of the conditions my monstrosity requires me to face, and redefine a life worth living [...] If this is your path, as well as mine, let me offer whatever solace you may find in this monstrous benediction. May you discover the enlivening power of darkness within yourself. May it nourish your rage. May your rage inform your actions, and your actions transform you as you struggle to transform the world.“ (Ebd.: 250f.)
Indem Stryker also dazu aufruft, den Affekt der Wut als Basis von kollektivem Widerstand zu nutzen, der sich in der (Wieder-)Aneignung von stigmatisierenden Begriffen und Bewertungen realisiert, schimmern die politischen Ziele auf, für die im (zukünftigen) Transgender Aktivismus gekämpft werden: Das Recht auf Mitbestimmung über den eigenen Körper (inklusive der eigenen Psyche) und über die eigenen Rechte bzgl. gesellschaftlicher Anerkennung. Die Trans* Studies als Teil der Transgender Bewegung: Trans* as queer, queer as trans* Zeitgleich zu und anknüpfend an die emanzipatorischen Schriften von Stone, Feinberg, Bornstein und Stryker formierten sich auf akademischer Ebene sukzessive die Trans* Studies, die als Teil der (nordamerikanischen und westeuropäischen) politischen Transgender Bewegung betrachtet werden müssen. Sie bildeten sich aufgrund verschiedener Reibungspunkte zu den Feminist Studies sowie den zeitgleich sich entwickelnden Inter* und Queer Studies heraus.7 Vor allem das zeitgleiche Aufkommen erster queertheoretischer Ideen prägte die Auffassungen,
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Für eine Zusammenfassung der Debatten und Diskussionen zwischen Trans*, Inter*, Queer und feministischen Ansätzen: vgl. Betcher 2016.
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die über die Diskursfigur des Transgenders auf akademischer, wie auch auf subkultureller Ebene, zirkulierten. In frühen queertheoretischen Überlegungen manifestierte sich die Vorstellung, dass Transgeschlechtlichkeit ein beispielhaftes Phänomen für die Subversion von Geschlechternormen sei. Transgeschlechtliche Menschen, vor allem Drag Queens/Kings und Transvestiten, galten als Subjekte, die die Grenzen der Zweigeschlechtlichkeit (und Heteronormativität) erweiterten und überschritten. Sie machen auf den performativen Gehalt von Geschlecht aufmerksam. Marjorie Garber argumentierte beispielsweise in Verhüllte Interessen dafür, dass der wichtigste Aspekt der Figur des Transvestits8 darin liege, „die allzu leichtgewichtigen Vorstellungen von Binarität in Zweifel [zu] zieh[en] und die Kategorien von ‚weiblich‘ und ‚männlich‘ in Frage [zu] stell[en]“ (Garber 1993: 22f.). Auch in Butlers Das Unbehagen der Geschlechter (1991) fungierten transgeschlechtliche Menschen (Drag Queens und Kings, Travestie-Künstler_innen, etc.) als „queer icon[s]“ (Prosser 1998: 24). Butler betrachtet in Das Unbehagen der Geschlechter transgeschlechtliche Subjekte als empirische Beispiele für ihr Konzept der Performativität von Geschlecht. Indem transgeschlechtlichen Subjekten zugeschrieben wird, „die Vorstellungen von einer ursprünglichen oder primären geschlechtlich bestimmten Identität [zu] parodieren“ (Butler 1991: 201), illustrieren sie – nach Butler – den diskursiven Charakter der Naturalisierung von Geschlecht sowie die Brüchigkeit der regulierenden Fiktion einer heterosexuellen Kohärenz (vgl. ebd.: 202). In eindrücklichster Weise sieht Butler dies realisiert durch die Performanz der Travestie: „Indem die Travestie die Geschlechtsidentität imitiert, offenbart sie implizit die Imitationsstruktur der Geschlechtsidentität als solcher – wie auch ihre Kontingenz“ (ebd.). Jene Queerness, d.h. das Potenzial zur Dekonstruktion von Geschlechternormen, identifizierten Queer Theoretiker_innen vor allem im subkulturellen Bereich, allen voran in jenen ‚Szenen‘, in denen Praktiken des drag, der Travestie und des Crossdressings vorherrschend sind. Butler zufolge spielen jene Praktiken zwar auf die Bedeutungen der Geschlechtsidentität an, durch die parodistischen Re-Kontextualisierungen werden jene Bedeutungen jedoch entnaturalisiert und vervielfältigt: „Als Imitationen, die die Bedeutungen des Originals verschieben, imitieren sie den Mythos der Ursprünglichkeit selbst“ (ebd.: 203). Letztlich geht es Butler jedoch nicht um Lebensweisen von transgeschlechtlichen
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Garber spricht zwar von Transvestiten, unterscheidet aber in ihrer kulturwissenschaftlichen Studie ganz bewusst nicht zwischen Transvestiten und Transsexuellen. Dies begründet sie damit, dass sich in politischen Kreisen beide Personengruppen überschneiden. Die Differenzierung in Transvestismus und Transsexualität weist sie als Erfindung der Medizin aus (vgl. Garber 1993: 12).
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Menschen. Als queere Subjekte stehen sie eher im Dienste der Erläuterung der These von der vergeschlechtlichten Subjektivität im Rahmen der heterosexuellen Matrix. Butlers Theorie von der Performativität des Geschlechts zielt darauf ab, den theoretischen Nachweis dafür zu erbringen, „daß alle Geschlechtsidentität wie drag ist oder drag ist [...] [D]adurch wird deutlich, daß im Kern des heterosexuellen Projekts und seiner Geschlechtsbinarismen ‚Imitation‘ zu finden ist [...]“ (Butler 1997: 178; Hervorh. i.O.). Der (Trans*-)Geschlechtersoziologe Henry Rubin kam deshalb zu dem Schluss, dass „[t]rans phenomena are the new queer chic; our lives have been appropriated to demonstrate the theories of gender performativity“ (Rubin 1998: 276). Rubins Kritik zielt auf die Vereinnahmung von transgeschlechtlichen Menschen für die Belegbarkeit queertheoretischer Überlegungen. Anfang der 1990er Jahre war es gewiss zunächst wichtig, den Blick auf subversive und das Zweigeschlechtersystem-destabilisierende und transgressive Momente zu lenken, schließlich ging es in den frühen queertheoretischen Schriften um die Dekonstruktion und die Anfechtung hegemonialer geschlechtlicher Normen. Nichtsdestotrotz versperrten die Diskussionen um transgeschlechtliche, als Paradebeispiel für die Dekonstruktion hegemonialer Geschlechternormen geltende Geschlechtsüberschreitungen den Blick auf die realen Lebensbedingungen von Subjekten, die sich außerhalb der binären Zweigeschlechternorm verorten: „The violation of compulsory sex/gender relations is one of the topics most frequently addressed by critics in queer theory. These discussions, however, rarely consider the implications of an enforced sex/gender system for people who live outside it. Critics in queer theory are fond of writing about the ways in which specific acts of gender transgression can help dismantle binary gender relations and hegemonic heterosexuality. While such an intellectual program is important, it is equally imperative that we reflect on which aspects of transgender lives are presented and how this discussion is framed.“ (Namaste 1996: 183f.)
In der Veröffentlichung Bodies That Matter: On The Discoursive Limits of Sex (1997) relativierte Butler die Einsicht, transgeschlechtliche Subjekte würden durch offensichtliche Drag-Performances per se vorherrschende Geschlechtsnormen ins Wanken bringen. Sie stellt klar, dass „es keine zwangsläufige Verbindung zwischen drag und Subversion gibt und daß drag so gut im Dienst der Entnaturalisierung wie der Reidealisierung übertriebener heterosexueller Geschlechtsnormen stehen kann“ (Butler 1997: 178). Bei ihrer im vierten Kapitel (Gender Is Burning: Fragen der Aneignung und Subversion) stattfindenden Besprechung des Dokumentarfilms PARIS IS BURNING (USA 1991, R: Jenny Livingston) beschreibt Butler, wie es über das Parodieren zur Verfestigung von Geschlechternormen
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kommen kann. Dies erläutert sie anhand einer Filmfigur aus dem Film: der hellhäutigen, transsexuellen Venus Xtravaganza. PARIS IS BURNING (USA 1991, R: Jenny Livingston) ist ein Dokumentarfilm über Drag-Bälle in Harlem, New York, gedreht von der weißen Regisseurin Jennie Livingston. Die Drag-Bälle sind Wettbewerbe, an denen unterschiedliche Menschen mit verschiedentlichen Geschlechtsidentifizierungen teilnehmen: Drag Queens of colour, die nur für die Bälle in drag erscheinen, im Alltag jedoch als Männer, oftmals mit schwuler Begehrensausrichtung, leben; Trans*Frauen, die ihre Geschlechtsperformance für die Wettbewerbe ‚draggen‘, außerhalb der Bälle als Frauen leben; männliche wie weibliche Transvestiten und Cross-Dresser_innen; sowie vielerlei Menschen, bei denen sowohl die Performance als auch die eigene Geschlechtsidentität zwischen und/oder jenseits gängiger Identitätskategorien liegen. Der Film beleuchtet neben den Performances die Drag-Szene New Yorks im Allgemeinen. Der Film verhandelt damit nicht nur Fragen um die Performanz von Geschlecht, sondern auch individuelle Schicksale transgeschlechtlicher Menschen, Fragen nach alternativen Verwandtschaftsbeziehungen sowie Fragen nach dem Zusammenwirken von Klasse, Ethnizität und Geschlecht. Venus Xtravaganza ist eine der Hauptprotagonist_innen des Films, die als Einzelfigur mit ihrer individuellen Biografie eine zentrale Stellung einnimmt. Venus stellt sich als transsexuelle Frau vor, die auf den Drag-Bällen von Beginn an sehr erfolgreich war. Die Teilnahme finanziert sie durch ihre Arbeit als Sexarbeiterin. In der Besprechung des Dokumentarfilms im Allgemeinen und der Analyse der Figur Venus Xtravaganza im Besonderen nimmt Butler zunächst Bezug auf Raymonds Veröffentlichung über Transsexualität und kritisiert die Schrift dahingehend, dass eine Kontinuität zwischen drag, Cross-Dressing und Transsexualität eingeführt würde. Laut Butler verfehlt Raymond die Differenzierungen hinsichtlich der verschiedenen Arten der Geschlechtsaneignung und -performance aufzudecken und zu deuten, wenn Raymond alle Praktiken als Praktiken des Frauenhasses versteht (vgl. Butler 1997: 179). Orientiert an der Frage, wann Geschlechternormen subversiv bzw. re-artikulierend wiederholt werden, geht es Butler nachfolgend darum, jene durch den Dokumentarfilm nahegelegten Differenzierungen aufzuspüren. Für jegliche Prozesse der Identifizierung mit einem sozialen Geschlecht stellt sie fest, dass sie „die Identifizierung mit einer Reihe von Normen [beinhalten], die realisierbar sind und die nicht realisierbar sind und deren Macht und Status den Identifizierungen vorhergehen, die sich diesen Normen beharrlich annähern“ (ebd.: 179f.). Ausgehend von Venus Xtravaganza und anderen Filmfiguren, die sich in PARIS IS BURNING (USA 1991, R: Jenny Livingston) nicht als explizit transsexuell, sondern als queer, homosexuell, cross-dressend, etc. verstehen, führt sie dann jedoch eine Unter-
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scheidung zwischen jenen ein, die sich den gängigen Geschlechternormen unterwerfen, und jenen, deren Praktiken als subversiv betrachtet werden müssen. Venus Xtravaganza wird aufgrund ihres im Film geäußerten Wunsches nach einer operativen ‚Geschlechtsangleichung‘, der an den Wunsch mit einem wohlhabenden Mann in Partnerschaft zu leben, geknüpft ist, bescheinigt, die herrschenden Normen – nicht nur um Geschlecht, sondern auch derer um Klasse, Ethnizität und Heterosexualität – auf eine Art zu zitieren, die die Möglichkeit der Subversion jener Normen verstellt. „In Paris Is Burning konstituiert das Wirklich-Werden, das Eine-wirkliche-Frau-Werden, obwohl das nicht der Wunsch eines jeden ist (einige children möchten Echtheit bloß ‚spielen‘, und das auch nur im Rahmen des Balls), den Sitz der phantasmatischen Erwartung, aus Armut, Homosexuellenfeindlichkeit und rassistischer Entlegitimierung errettet zu werden. “ (Butler 1997: 184)
Weiter merkt Butler an, dass gerade das Streben nach Echtheit, d.h. der Versuch, möglichst widerspruchsfrei der Norm zu entsprechen, der Grund sei, warum Subversion verunmöglicht werde: „Bei den Inszenierungen auf dem drag-Ball erleben und produzieren wir die phantasmatische Konstituierung eines Subjekts, eines Subjekts, das die legitimierenden Normen wiederholt und nachahmt, von denen es selbst erniedrigt wurde, eines Subjekts das auf ein Ziel der Beherrschung gegründet ist, das die eigenen Wiederholungen erzwin gt und stört. Es handelt sich nicht um ein Subjekt, das von seinen Identifizierungen Abstand nimmt und in instrumenteller Einstellung entscheidet, ob oder wie jede einzelne davon heute in Anwendung zu bringen ist.“ (ebd.: 185)
Letztlich bezweifelt Butler, dass Venus Xtravaganza, auch wenn sie auf den DragBällen und mittels ihrer Drag-Performance zur Entnaturalisierung der sozialen Geschlechtsidentität beiträgt, den normativen Rahmen der heterosexuellen Matrix umarbeitet (vgl. ebd.: 188). Hier deutet sich an, was in Folge in den Trans* Studies heftig kritisiert wird: „the conceptual splitting between transsexual and queer“ (Prosser 1998: 27). Diese Differenzierung war bereits in den drei Manifesten von Stone, Feinberg und Bornstein implizit angelegt, insofern als dass die Autor_innen für ein „beyond-the-binary-model“ (Bettcher 2015: 413) plädieren, das all jene transgeschlechtlichen Menschen invalidiert, die sich innerhalb des Rahmens der zweigeschlechtlichen Ordnung identifizieren. Kate Bornstein führt das non-binäre Modell beispielsweise durch ihr Konzept des Gender Outlaws ein:
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„Years earlier, when I went through my gender change from male to female, I glided through life under the commonly accepted assumption: I was finally a real woman! That worked for me until I ran into a group of politically smart lesbians who told me that I wasn’t allowed to co-opt the word ‘woman‘. Woman was not a family word that included me. My answer to this exclusion was to call myself a gender outlaw: I wasn’t a man, I wasn’t a woman.“ (Bornstein 2010, Hervorh. R.K.S.)
In den drei Manifesten gilt die transgeschlechtliche Identifikation „beyond the binary“ (Bettcher 2015: 413) als widerständiger Modus: einerseits gegenüber dem an einem strikt binären Geschlechtermodell orientierten, medizinischen Diskurs sowie andererseits gegenüber den transfeindlichen Ideen von Janice Raymond, deren radikalfeministische Basis ebenfalls von der Binarität des Geschlechts ausgeht. Butlers Ausführungen zur Subversion von Geschlechternormen beinhalten implizit eine Kritik an Transsexuellen, die sich nicht dafür entscheiden, ihre Identität zu ‚queeren‘. Ki Namaste nimmt diese durch die Queer Theory angestoßene Invalidierung von Transsexuellen zum Anlass, um aufzuzeigen „that transsexuals are continually and perpetually erased in the cultural and institutional world“ (Namaste 2000: 2). Namaste plädiert dafür, die Lebensrealitäten von Menschen, die sich außerhalb der normativen sex/gender-Kohärenz identifizieren und bewegen, ernst zu nehmen und freizulegen. Für jene benutzt sie den Begriff transgender als Oberbegriff. Damit bezeichnet sie „individuals whose gendered self-presentation (evidenced through dress, mannerisms, and even physiology) does not correspond to the behaviors habitually associated with the members of their biological sex“ (ebd.: 1). Die Definition beinhaltet also eine große Bandbreite an selbstgewählten Identitäten: „[C]ross-dressers, or individuals who wear the clothes associated with the ‚opposite‘ sex, often for erotic gratification; drag queens, or men who usually live and identify as gay men, but who perform as female impersonators in gay male bars and leisure spaces; and transsexuals, or individuals who take hormones and who may undergo surgery to align their biological sexes with their genders.“ (Ebd.)
Die Kritik, dass transgeschlechtliche Menschen kulturell wie institutionell unsichtbar gemacht werden, belegt sie nicht nur anhand queertheoretischer Schriften, denen auch sie bescheinigt, das Phänomen der Transgeschlechtlichkeit lediglich als rhetorische Figur einzusetzen. Auch vielerlei sozialwissenschaftliche Studien über Transsexualität sind daran interessiert, das Phänomen als soziale bzw. diskursive Konstruktion der Medizin/Psychiatrie/Medizintechnologie zu behaupten.
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Gerade kritische sozialwissenschaftliche Studien waren und sind enorm wichtig, richten sie schließlich den Blick auf die sozialen bzw. diskursiven Mechanismen der Produktion des Phänomens als Wissenschaftsgegenstand, woran eine Kritik an den Mechanismen der diskursiven Bedeutungsproduktion geknüpft ist. Namaste geht es jedoch richtigerweise darum, die Lebensrealitäten von transgeschlechtlichen Menschen ernst zu nehmen, auch und vor allem in Forschungsstudien zu ihnen. In der Besprechung des Films PARIS IS BURNING (USA 1991, R: Jenny Livingston) verpasst Butler beispielsweise anzuerkennen, dass Venus Xtravaganza eine transsexuelle Sexarbeiterin war. Über ihren Tod schreibt Butler, dass er „eine tragische Fehldeutung der sozialen Landkarte der Macht“ (Butler 1997: 186) repräsentiere. Sie argumentiert dafür, dass Venus Xtravaganza eine imaginäre Beziehung zur Identitätskategorie der ‚Frau‘ unterhielte, um ihrer prekären Situation als ärmliche Latina in New York City zu entfliehen. Butler meint, dass im Falle von Venus Xtravaganza „die Geschlechtsidentität das Vehikel für die phantasmatische Umwandlung jenes Nexus von Rasse und Klasse“ (ebd.: 184) sei. Durch Venus’ Streben nach Echtheit werde sie als Subjekt konstituiert, das die legitimierenden Normen wiederhole und festige. Dieses Streben basiere auf einem phantasmatischen Streben, das an ein phantasmatisches Versprechen geknüpft sei. Dieses Versprechen kann „– wird es allzu ernst genommen – nur auf Enttäuschung und Desidentifizierung hinauslaufen [...] Eine Phantasie, die für Venus, weil sie stirbt [...] nicht ins Symbolische umgesetzt werden kann“ (ebd.: 185). Die Ermordung von Venus deutet Butler als gescheiterten Versuch der Umsetzung einer geschlechtlichen Identifikation. Mehr noch: „Wenn Venus eine Frau werden möchte, aber nicht umhin kann, eine Latina zu sein, dann wird Venus vom Symbolischen in genau der Art und Weise behandelt, wie farbige Frauen behandelt werden.“ (ebd.: 186). Was in Butlers Analyse völlig fehlt, ist die Anerkennung der Tatsache, dass Venus vor allem deshalb ermordet wurde, weil sie eine transsexuelle Sexarbeiterin war. Namaste schlussfolgert aus der Filmbesprechung zu PARIS IS BURNING (USA 1991, R: Jenny Livingston), dass Butler nicht im Stande ist, die Spezifizität der Gewalt zu konzeptualisieren, die Transsexuelle, vor allem transsexuelle Sexarbeiter_innen, erleben (vgl. Namaste 2000: 13f.). Butler verfehlt dies deshalb, weil sie Transsexualität lediglich als Allegorie und nicht als Lebensrealität begreift. Auch Marjorie Garber (1993) versäumt es in ihrer kulturwissenschaftlichen Studie über Transvestismus zu sehen, dass es sich beim Transvestiten nicht nur um einen Tropus in kulturellen Texten handelt, der eine Katgeorienkrise markiert, sondern auch und vor allem um eine lebbare Identität an und für sich, die wiederum von diversen sozialen Kämpfen und Aushandlungen geprägt ist. Namaste
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(2010) kommt damit berechtigt zu dem Schluss, dass die täglichen sozialen Welten, in denen transgeschlechtliche Menschen leben, in queertheoretischen Schriften oftmals ignoriert werden. Für eine stärkere Betonung transgeschlechtlicher Lebensrealitäten sprechen sich Jay Prosser und Emi Koyama aus. Letztere beabsichtigt in ihrem affirmativ als Transfeminist Manifesto (2003) betitelten Essay aufzuzeigen, inwiefern vor allem Trans*Frauen auf alltäglicher wie struktureller Ebene Diskriminierung erfahren. Diese Diskriminierungserfahrungen sind einerseits die Folge misogyner Einstellungen gegenüber Frauen per se. Andererseits sind Trans*Frauen aufgrund weiterer Ungleichheitsdimensionen besonders verletzliche Subjekte, sodass Koyama für eine Verbindung feministischer Kämpfe mit den politischen struggles von Trans*Personen plädiert. Das Manifest versucht damit die scheinbar unüberbrückbaren Differenzen und Ressentiments gegenüber Trans*Frauen zu überwinden: „I wrote this manifesto in order to articulate a feminist theory that is decidedly pro-trans, and a trans rhetoric that is rooted in feminism [...] I wanted to write a feminist theory that counter the argument that transsexual women were so different from all other women that there is no place for transsexual women within feminism.“ (Koyama 2003: 253, 255)
Koyamas Hauptargument ist, dass alle Frauen – und damit auch Trans*Frauen – selbst bestimmen sollten, wie sie ihre Geschlechtlichkeit ausdrücken und leben. Cisgeschlechtliche Frauen haben mit Hilfe der feministischen Bewegung erfolgreich zur Hinterfragung und teilweise zur Überwindung gesellschaftlicher Normen hinsichtlich des scheinbar korrekten ‚Frau-Seins‘ beigetragen. Gerade auch die feministische Losung „My Body, my choice“ kann direkt auf transgeschlechtliche Menschen übertragen werden, insofern als dass man Trans*Personen zugesteht, selbst über den Umgang mit dem eigenen Körper zu entscheiden. Dahingehend ergeben sich mit der feministischen Bewegung einige Überschneidungen: Während sich die feministische Bewegung dafür einsetzte, dass Frauen das Recht auf Abtreibung haben und (freien) Zugang zu hormonellen Verhütungsmitteln bekommen, so ist auch für (einige) Trans*Frauen die Wahlmöglichkeit bzgl. des Umgangs mit den eigenen Reproduktionsorganen bzw. die Möglichkeit eine Hormonersatztherapie zu beginnen, von zentraler Bedeutung: „A society that does not respect women’s right to make decisions regarding pregnancy is not likely to respect our right to make decisions about medical interventions to make our bodies in congruence with our gender identity.“ (ebd.: 251). Der Trans*Bewegung geht es – ähnlich zur feministischen Frauenbewegung – um das Recht, die eigene (Geschlechts-)Identität selbst zu definieren und auszudrücken, fernab der Vorgaben
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medizinischer, religiöser und politischer Autoritäten (vgl. Koyama 2003: 248). Während die Frauenbewegung sich also für die Befreiung von gender (soziales Geschlecht) einsetzte, ist es das Anliegen der Trans*Bewegung, auch das biologische Geschlecht (sex) seiner diskursiven Vorgaben zu entbinden. Dieses Ziel ist jedoch nicht als Rückfall in essentialistische Denkmuster zu verstehen. Koyama versteht Transgeschlechtlichkeit nicht als Phänomen, das sich mittels der so üblichen Formel des „Menschen, der im falschen Körper gefangen ist“ fassen lässt, das sich also dadurch auszeichnet, dass das biologische Geschlecht nicht mit dem sozialen Geschlecht bzw. der Geschlechtsidentität übereinstimmt. Aus transfeministischer Perspektive birgt diese Vereinfachung – wenngleich einige Betroffene ihr Erleben mittels der Metapher beschreiben – die Gefahr der Essentialisierung von Geschlechtsidentitäten: „Transfeminism believes that we construct our own gender identities based on what feels genuine, comfortable and sincere to us as we live and relate to others within given social and cultural constraint [...] [It] dismantles the essentialist assumption of the normativity of the sex/gender congruence.“ (Ebd.)
Als Trans*Frau zu leben, geht mit einer erhöhten Verletzbarkeit einher. Die besondere Verletzlichkeit von Trans*Frauen als vergeschlechtlichte Subjekte entsteht aufgrund patriarchaler Verhältnisse: Frauen sind in der misogyn verfassten Gesellschaft häufiger Opfer von sexualisierter und häuslicher Gewalt. Bei Trans*Frauen ist die Wahrscheinlichkeit, Gewalt ausgesetzt zu sein aufgrund homo- und transfeindlicher Einstellungen um ein Vielfaches erhöht. Die alltäglich stattfindende Diskriminierung von Trans*Frauen korreliert zudem häufig mit einem herabgesetzten Selbstwertgefühl. Auch die oft vorkommende Geschlechtsdysphorie, die als negatives Körperbild in Erscheinung tritt, macht Trans*Frauen für emotionalen und verbalen Missbrauch angreifbar: „It is easy for an abuser to make a trans woman feel ugly, ashamed, worthless and crazy because these are the same exact messages the whole society has told her over many years.“ (ebd.: 250). Sich aus missbräuchlichen Beziehungskonstellationen zu befreien, ist für Trans*Frauen um einiges schwerer, schließlich sind sie gegenüber Cisfrauen häufig ökonomisch benachteiligt. Auch Frauenhäuser stellen für Trans*Frauen meist keine geeigneten Zufluchtsorte dar. Koyama liefert mit ihrem Manifesto also eine Analyse der gesellschaftlichen Position von Trans*Frauen als besonders verletzbare Subjekte. Sie geht richtigerweise davon aus, dass sowohl die Position von transgeschlechtlichen als auch die von cisgeschlechtlichen Frauen auf einer bestimmten Verwundbarkeit beruht, wobei sie der Einsicht Rechnung trägt, dass „verletzende Ungerechtigkeit nicht alle gleichermaßen trifft und nicht von allen
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gleichermaßen erfahren wird“ (Butler und Athanasiou 2014: 217). Auf Grundlage ihrer auf Intersektionalität angelegten Analyse leitet sie die Gemeinsamkeiten und Unterschiede zu den Zielen der feministischen Bewegung ab, plädiert also für eine inklusive (trans*)feministische Bündnispolitik, die an den zentralen Belangen ansetzt, die beide Bewegungen einen: das Recht über den eigenen Körper zu bestimmen und das Recht, vor Diskriminierungserfahrungen geschützt zu sein. Auch der transgeschlechtliche Kulturwissenschaftler Jay Prosser versucht in seiner Studie Second Skins: The Body Narratives of Transsexuality (1998) Transsexualität weder als Metapher oder Allegorie für die diskursive Instabilität von Geschlecht, noch als Beispiel für die Stabilität der Zweigeschlechterordnung zu behaupten. Ihm geht es um das komplexe Verhältnis zwischen dem Körper (in Transition) und (biografischer) Narration. Prosser teilt – ähnlich zu Namaste – den Befund, dass es queertheoretisch-orientierten Schriften nur sehr begrenzt möglich ist, das Phänomen der Transsexualität analytisch zu fassen. Prossers Kritik an Butler zielt jedoch nicht auf den rudimentären Einbezug transgeschlechtlicher Lebensrealitäten, sondern auf die fehlende Konzeption der körperlichen Dimension von Geschlecht: „The concomitant of this elision of embodiment is that the transgendered subject has typically had center stage over the transsexual: whether s/he is transvestite, drag queen, or butch woman, queer theory’s approbation has been directed toward the subject who crosses the lines of gender, not those of sex.“ (Prosser 1998: 6)
Im Gegensatz zur Queer Theory, mittels derer Prozesse der Geschlechtsaffirmation als Symptome der diskursiven Konstruiertheit eines sex/gender-Regimes und als figuratives Beispiel für die Unmöglichkeit, unter jenem Regime eine kohärente Identität auszubilden, betrachten würden, stellen Prossers Biografieanalysen heraus, dass die Prozesse der (somatischen) Geschlechtsaffirmation zur Entwicklung von Identität und körperlicher Integrität beitragen. Liegt bei einer Genital- oder Brustoperation beispielsweise der scheinbar passive Körper auf dem Operationstisch, so wird im Erleben Transsexueller nicht in dessen Integrität eingegriffen; vielmehr kommt es zu einer Transformation „of an unlivable shattered body into a livable whole“ (ebd.: 92). Prossers Analysen zeigen einen konzeptionell anderen Blick auf die Bedeutung des GeschlechtsKörpers. Janice Raymond und Marjorie Garber schrieben transsexuellen Menschen, die sich Eingriffe in die körperliche Materialität wünschen, zu, sie würden den GeschlechtsKörper fragmentiert denken, und so zu dessen Fetischisierung beitragen. Garber konstatierte beispielsweise, Transsexuelle überschätzten den Penis, indem er für sie den Index männlicher Identität darstelle (vgl. Garber 1993: 98). Ähnlich argumentierte Raymond,
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wenn sie feststellt, dass Transsexuelle durch den Fokus auf primäre und sekundäre Geschlechtsmerkmale den Körper in einzelne Teile und Fragmente untergliederten und jene Körperbereiche mit Bedeutung überfrachteten (vgl. Raymond [1979] 1994: 31). Butler trifft kaum Aussagen zur Materialität des GeschlechtsKörpers, bleibt ihr Konzept davon schließlich diskurstheoretisch verhaftet. In ihrer Unterscheidung von subversiven und die Geschlechternormen stabilisierende Praktiken wird jedoch deutlich, dass sie somatische Eingriffe eher als eine auf einer phantasmatischen Beziehung zum Geschlecht beruhenden Reifizierung der Zweigeschlechternorm versteht. Prossers Konzept des transsexuellen Körpers ist im Gegensatz dazu das eines „fleshly matter“ (Prosser 1998: 71). Somatische Behandlungen stellen, so Prosser, für Transsexuelle Versuche dar, den eigenen Körper zu bewohnen, ihn sich zu eigen zu machen. In den Autobiographien zeigt sich, dass jene Behandlungen als Rückkehr zu einem Ort erlebt wird, der zuvor abwesend war. Prosser argumentiert dabei nicht essentialistisch. Ihm geht es nicht darum zu behaupten, Transsexuelle würden ihre Morphologie ändern, um ihr Innerstes (das ‚Mann‘- bzw. ‚Frausein‘) zum Vorschein zu bringen, etwas gleichsam freizulegen, was die ganze Zeit darauf wartete, freigelegt zu werden. Vielmehr beschreibt er den Prozess des somatischen Transitionierens als Voraussetzung dafür, um sich überhaupt verkörpern und damit eine Identität entwickeln zu können. Transitionierende Transsexuelle stellen also, anders als von radikalfeministischen oder queertheoretischen/dekonstruktivistischen Autor_innen behauptet bzw. konzeptualisiert, „authorial subject[s]“ (ebd.: 9) dar, die ihre eigene Handlungsfähigkeit und Subjektivität durch den Prozess des Eingriffs in die körperliche Materie erst herstellen. Die komplexen Prozesse der Verkörperung werden in den visuellen Dokumenten vielfach deutlich.
4.2 BILDER DES MODIFIZIERTEN KÖRPERS Dieser erste Abschnitt handelt von der Visualität des Körpers in Transition. Transition meint hier nicht ein Übergangsstadium von einer Seite (dem bei Geburt zugewiesenen Geschlecht) auf die ‚Gegenüberliegende‘ (eine Geschlechtsidentität, die dem ‚Geburtsgeschlecht‘ konträr gegenübersteht), sondern vielmehr jenen aktiven Prozess der Modifikation körperlicher Materialität, der sowohl über medizinische Interventionen, als auch über die Arbeit mit der eigenen körperlichen Beschaffenheit bewerkstelligt wird, und der vielfältige Ausdrucksweisen des Geschlechts sichtbar werden lässt. Auf medizinischer Diskursebene spielt die Visualität des transitionierenden Körpers kaum eine Rolle. Die körperliche Transition ist dort vielmehr ein zu passierendes Übergangsstadium, in dem nicht dauerhaft
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verharrt werden kann. In den visuellen Dokumenten auf subkultureller Diskursebene wird dem Körper in Transition wiederum eine Anerkennung zuteil, die er auf medizinischer Ebene nicht erhält, sodass der alleinige Umstand der visuellen Thematisierung bereits als eine Strategie der Wiederaneignung verstanden werden kann, insofern als dass hier ein vormals unbekannter, da relativ unsichtbarer Wissensbestand, nun öffentlich debattierbar wird. Auf der social media Plattform YouTube wird der Modifikationsprozess der körperlichen Materialität wohl am intensivsten thematisiert. YouTube avancierte für transgeschlechtliche Menschen in den letzten zehn Jahren zu einer geeigneten Plattform, um die persönliche soziale wie medizinische Transition mittels eigens erstellter Videoclips zu dokumentieren: „These vloggers took what were once hidden forms of bodily transformations and gender expressions and made them visible to a wider public“ (Raun 2016: 1f.). Das Internet gilt als einer der bedeutenden Faktoren, der maßgeblich zur konzeptuellen Entwicklung einer Trans*Bewegung beitrug (vgl. de Silva 2014). Es bietet eine Infrastruktur, die aktivistische Bemühungen über geografische Distanzen hinweg möglich macht (vgl. Whittle 1998: 405). Das Medium YouTube liefert transgeschlechtlichen Menschen zudem die Möglichkeit, abseits medizinisch-psychiatrischer Kontrollen miteinander in Austausch zu treten und sich selbstkritisch mit den normativen, sowohl von der Gesellschaft im Allgemeinen, als auch der Medizin im Besonderen an sie herangetragenen Konzepten von Geschlecht, Maskulinität, Femininität und Sexualität auseinanderzusetzen. Mit dem Videobloggen zur eigenen Transition sind zweierlei Anliegen verbunden. Zum einen dienen die audiovisuellen Dokumente, jene Vlog-Einträge, der_m Betroffenen selbst. Sie stellen Objektivationen der Selbstvergewisserung dar. Das ist wenig überraschend, schließlich stellt die Zeit der Transition eine Zeitperiode dar, in der sich der Körper morphologisch und spürbar (leiblich) verändert (vgl. Lindemann 1993). Damit einher geht die ja so erwünschte Veränderung des Köperbildes (body image), eines Körperbildes, das gleichermaßen das Produkt und der Effekt leiblicher Erfahrungen ist (vgl. Prosser 1998: 82). Oder anders ausgedrückt: Es kommt zur Umschreibung des „Code[s] der leiblichen Erfahrung“ (Lindemann 1993: 202). Indem der Leib mittels und im Sinne der Formen des Körpers erfahren wird, bedeutet die Umgestaltung des Körpers eine Umschreibung des leiblichen Empfindungsprogramms. Obwohl der Körper transgeschlechtlicher Menschen vor der Transition als unangenehm, als ein „unlivable shattered body“ (Prosser 1998: 92), und der Beginn geschlechtsspezifischer Modifikation als euphorisch, wohltuend und befreiend erlebt wird, markiert der Beginn der Transition also nichtsdestotrotz das Hinter-sich-Lassen von Altvertrau-
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tem, das Sich-Entfernen von einem bekannten Geschlechtsempfindungsprogramm. Es wurde vielfach gezeigt, dass gerade diese Periode der „Realisierung des neuen Geschlechts“ (Lindemann 1993: 201) eine Zeit der Selbstthematisierung ist (vgl. Garfinkel 1967, Hirschauer 1993, Lindemann 1993). Die Nutzung von YouTube als Plattform der (audio)visuellen Selbstthematisierung steht gleichsam im Dienste, diesen aktiven Prozess der leiblich-affektiven Konstruktion individuell zu meistern. Diese Zeit der Veränderung – nicht nur der morphologischen Gestalt und seiner leiblich-affektiven Komponente, sondern auch die Veränderung der Fremdwahrnehmung, die wiederum Effekte auf die Selbstwahrnehmung hat – konvergiert mit dem für YouTube zentralen Slogan: „Broadcast Yourself!“. Das durch YouTube eingeforderte Gebot nach Selbstthematisierung und Selbstdarstellung deckt sich mit den affektiven und leiblichen Herausforderungen, die der Transitionsprozess an transgeschlechtliche Betroffene stellt. Zum anderen ist mit der audiovisuellen Dokumentation der Geschlechtstransition auch ein kollektives Anliegen verbunden. YouTube dient Betroffenen als Plattform der Wissensvermittlung bzw. -aneignung, d.h. als Plattform des Wissenstransfers. Sie macht damit das global zugänglich, was üblicherweise in lokalen Selbsthilfegruppen verhandelt wird: Das Teilen von Erfahrungsberichten, nicht nur in medizinischer Hinsicht, d.h. in Bezug auf geeignete Operateure, Kliniken, Therapeuten, Endokrinologen, Hormonpräparate und andere transitionsbedingte Arzneimittel, sondern auch hinsichtlich alltagspraktischer Erlebnisse. So gibt die YouTuberin PrincessJoules (Joules) beispielsweise Make-Up- und Hairtutorials für andere trans*weibliche Betroffene; Jammidodger (Jammi) erteilt Ratschläge, welche Kleidung geeignet ist, um als (trans*)männlich durchzugehen (zu passen); von ChandlerNWilson (Chandler) gibt es zahlreiche Aufklärungsvideos über die diversen non-binary-Geschlechtsidentitäten. Si_er klärt über die verschiedensten Begrifflichkeiten auf, so z.B. darüber, was es bedeutet non-binary, genderfluid oder agender zu sein. Auch Diskussionen hinsichtlich der Möglichkeit, als Trans*Person eine weitestgehend angenehme Sexualität zu erleben, finden in allen Videotagebüchern statt. Ebenso die Frage, wie das eigene Coming Out bei Beziehungspartner_innen, in der Schule oder bei Familienangehörigen konfliktarm gestaltet sein kann, wird von allen YouTuber_innen thematisiert. Die Vlogs geben also nicht nur Unterstützung hinsichtlich der alltäglich bestehenden Hürden und Konflikte, die mit der eigenen Transgeschlechtlichkeit in Verbindung stehen, sondern liefern vor allem die Botschaft, dass es legitim ist, transgeschlechtlich zu sein, „that healing of the mis-sexed body is possible“ (Shelley 2008: 135). Für jene Betroffene, die vor ihrem Coming Out stehen, und für jene, die aufgrund ihrer Transgeschlechtlichkeit besonders viel Leid erfahren, können die auf YouTube geteilten Informationen lebensrettend sein. Gerade der im Internet stattfindende
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Austausch transgeschlechtlicher Menschen trägt zur Bildung von transgeschlechtlicher Subjektivität bei, d.h. von Vorstellungen darüber, wie sich transgeschlechtliche Menschen selbst verstehen (vgl. de Silva 2005: 264). In den fünf für diese Studie betrachteten Videotagebüchern finden sich verhäuft Videoeinträge, die als Transition-Update Videos markiert sind. Dieser Videotyp stellt ein zentrales Merkmal der Videotagebücher dar. Die Update Videos folgen einer chronologischen Logik. Sie dokumentieren den Fortschritt somatischer Affirmationsprozesse. Das betrifft vorrangig den Fortschritt von Hormonersatztherapien sowie den Prozess der körperlichen Affirmation nach operativen Eingriffen. Jammi gibt beispielsweise im ersten Jahr seiner Einnahme von Testosteron im monatlichen Abstand ein Update Video zu den körperlichen und psychischen Veränderungen, die er an sich beobachtet. Auch nach seiner Mastektomie lädt er im Abstand von etwa einem Monat Update Videos zum Heilungsprozess hoch. Ähnlich verfahren TheRealAlexBertie (Alex) und Chandler, die ebenso im monatlichen Abstand Update Videos zu hormonbedingten körperlichen Veränderungen produzieren. Dieser Videotyp wird meist auch hinsichtlich durchgeführter geschlechtsaffirmierender Operationen genutzt. Jene Videobeiträge beziehen sich also explizit auf medizinische Interventionen am transgeschlechtlichen Körper. Exemplarisch sei hier ein Transition-Update Video von Alex besprochen. Unter dem Titel Transgender 2 Years on Testosterone veröffentlichte der transmännliche YouTuber ein Video9, in dem er die körperlichen wie emotionalen Veränderungen nach 2 Jahren der Hormonersatztherapie mit Testosteron schildert. In dem ca. 9-minütigen Video, das er in seinem Zimmer mit einer Standkamera aufnahm, berichtet er über die sukzessive Veränderung seiner Stimme und seiner Gesichtsform, er thematisiert seinen durch die Testosterongabe zunehmenden Bartwuchs, das Ausbleiben der Periode und über bereits zu Beginn der Hormontherapie einsetzendes Klitoriswachstum. Zudem schildert er, wie er kontinuierlich an Gewicht zunahm, wie er mit Hautunreinheiten zu kämpfen hatte und schließlich legt er all die positiven emotionalen Auswirkungen dar, die die Hormontherapie mit sich brachte. In den Update Videos werden in verdichteter Form die beobacht- und spürbaren Modifikationen des transgeschlechtlichen Körpers geschildert. Es ist für Videoblogeinträge auf YouTube üblich, dass sie ohne auffällige Schnitttechnik daherkommen. Der Großteil der Videos ist mit Hilfe einer Webcam oder einer Standkamera in einer Einstellung gedreht. Die YouTube-Blogger_innen erzählen in einer einzigen Plansequenz über ein bestimmtes Thema. Zuweilen
9
Der Videoclip ist abzurufen unter: https://www.youtube.com/watch?v=tb3b-mKxZm8 t=110s [zuletzt abgerufen am: 13.10.2019].
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kommt es zu typischen Blogger_innenschnitten, die an frühe Filmtechniken erinnern: Ähnlich zum Stopptrick, wie er im Frühen Kino um 1900 zur Anwendung kam, wird die Aufnahme unterbrochen und nach Veränderung des Bildes – z.B. durch geringfügige Veränderung der Pose oder durch Hinzufügen oder Weglassen eines Gegenstandes – weitergeführt, ohne die üblichen Konventionen des continuity editings zu beachten. In den Update Videos ist die Schnittführung anders. Hier werden Audio- oder Bilderfolgen zwischengeschnitten, um den narrativen Gehalt des Videos auditiv oder visuell zu repräsentieren. Die Sequenzierung von Alex’ Video sieht beispielsweise wie folgt aus (s. Tab. 2). Sie demonstriert einen typischen Verlauf dieses Videotyps: Tabelle 2: Sequenzierung des Clips „Transgender 2 Years on Testosterone“ HS
US 1: Stimme 1 M o n a t
0’00’’0’30’’
2 3 5 M M M o o o n n n a a a t t t e e e 0’31’’-0’45’’
HS 1 J a h r
US 2: Gesichtsform Insert 1
0’46’’1’47’’
HS
US 3: Bartwuchs Insert 3
HS
2’03-4’15’’
4’16’’4’18’’
4’19-9’09’’
Insert 2 Splits creen
1’48’’-2’02’’
HS = Hauptsequenz, US= Untersequenz
Transition Update Videos bestehen üblicherweise aus Hauptsequenzen, in denen die körperlichen und emotionalen Veränderungen verbal geschildert werden. Zur Demonstration der Veränderungen wird der Sequenz weiteres Bild- und/oder Audiomaterial hinzugefügt. Die Untersequenzen bestehen aus (audio)visuellem Material, das in der Vergangenheit aufgenommen und sich zumeist bereits in anderen Videoeinträgen befindet. Sie dienen der visuellen Verdeutlichung und Repräsentation des gesprochenen Wortes. Diese visuelle Paraphrasierung bezieht sich immer auf körperliche Modifikationsprozesse, nicht auf Veränderungen bzgl. des emotionalen Erlebens. Generell kann konstatiert werden, dass das emotionale Empfinden betreffende Veränderungen im Gegensatz zu morphologischen Veränderungen in den Videotagebüchern weitaus seltener thematisiert, geschweige denn visualisiert werden. Als Alex im zweiten Abschnitt der Hauptsequenz auf die hormonbedingten Veränderungen seiner Gesichtsform eingeht, fügt er ein Insert ein, das diese Metamorphose visuell repräsentiert und beglaubigt (s. Abb. 16). Bei dem Insert, das für etwa drei Sekunden zu sehen ist, handelt es sich um drei sehr ähnlich inszenierte Portraits von Alex, die – aufgenommen zu unterschiedlichen Zeitpunkten während seiner Transition – in eine Reihe gestellt werden.
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Abbildung 16: Insert 1 aus Untersequenz 2
Quelle: YouTube Beitrag Transgender 2 Years on Testosterone von TheRealAlexBertie, abrufbar unter: https://www.youtube.com/watch?v=tb3b-mKxZm8&t=110s [zuletzt abgerufen am: 13.10.2019].
Die Distanz zur Kamera ist auf allen drei Bildern gleich gewählt, sodass der Bildausschnitt in den drei Bildern nahezu identisch ist: Zu sehen und fokussiert ist Alex’ Gesicht und seine Schulterpartie in Frontalansicht. Ersichtlich wird, dass die Einnahme von Testosteron den Bartwuchs anregt, das Gesicht fülliger und die Gesichtskonturen kantiger erscheinen lässt sowie die Zunahme an Muskelmasse begünstigt. Die Bildhintergründe unterscheiden sich minimal. Auf den ersten beiden Bildern ist hinter Alex eine rotbraune Tür zu erkennen, an der verschiedene Kleidungsstücke über einer Hakenleiste angebracht sind. Links neben der Tür ist ein Regal zu erkennen. Auf dem ersten Bild handelt es sich um ein grünes Regal, das mit verschiedenen Plüsch- und Spielzeugfiguren bestückt ist. Auf dem mittleren Bild ist das Regal nun in einer hellen Holzfarbe gehalten. Die Plüschfiguren wurden gegen Bücher und DVDs eingetauscht. Als regelmäßige_r Zuschauer_in von seinem Blog weiß man, dass es sich bei dem Setting um Alex’ Zimmer im Haus seiner Eltern handelt. Das dritte Bild ist in einem anderen Setting aufgenommen. Durch die karge Gestaltung wird nicht ersichtlich, ob es sich um ein Zimmer in Alex’ Wohnhaus handelt. Es vermittelt sehr viel weniger den Eindruck eines privaten Raumes. Worin sich die drei Bilder unterscheiden, ist die planimetrische Komposition sowie die perspektivische Projektion. Während die ersten beiden Einzelbilder aufgrund der im Hintergrund parallel arrangierten Bildelemente (Tür und Regal) eher flächig wirken, betont die planimetrische Komposition im dritten Bild die faciale Gestalt von Alex in der Tiefe. Die perspektivische Projektion im letzten Bild lässt außerdem einen Fluchtpunkt erkennen, der im Zentrum des Bildes zusammenläuft, auf dessen Achse sich Alex als Bildfigur befindet. Obwohl die Bildreihe also drei sehr ähnlich erscheinende Einzelportraits parallelisiert und damit die sukzessiven, hormonbedingten Unterschiede, die sich in Alex’ Gesicht im Laufe der Zeit abzeichnen, visuell studierbar macht, bildet das dritte Einzelbild
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den Abschluss der Bildreihe und damit auch einen vorläufigen Abschluss der körperlichen Modifikation, der gekoppelt ist an eine Zunahme an ästhetischer Zentralisierung. Dass kulturgeschichtlich das Verhältnis von Figur zum Raum und zur Fläche in Zusammenhang steht mit agency und Subjektivität bzw. mangelnder agency und fehlender Subjektivität sowie geschlechtlich codiert ist, wurde vielfach aufgezeigt (vgl. Mulvey 1999 [1975], Goffman 1979). Das dritte Einzelbild verbindet also die Zentralisierung von Alex mit einem Austritt aus dem privaten Raum, sodass geschlussfolgert werden kann, dass in der Bildreihe der Prozess der hormonbedingten morphologischen Veränderung mit der Herausbildung und Entwicklung von Handlungsfähigkeit verknüpft ist. Ich komme darauf zurück. Abbildung 17: Insert 3 aus der Untersequenz 3
Quelle: YouTube Beitrag Transgender 2 Years on Testosterone von TheRealAlexBertie, abrufbar unter: https://www.youtube.com/watch?v=tb3b-mKxZm8&t=110s [zuletzt abgerufen am: 13.10.2019].
Das Insert 3, das Alex zur Dokumentation der Zunahme seines Bartwuchses einsetzt, zeichnet die hormonbedingte körperliche Modifikation auf analoge Weise nach (s. Abb. 17). Auch hier gleichen sich die Einzelbilder in ihrer Inszenierungsweise. Die sieben Einzelbilder zeigen Alex’ Gesicht und Schulterpartie nun im Profil, in jeweils identischer Einstellungsgröße und in nahezu identisch eingenommener Pose. Das Setting, in dem die Bilder aufgenommen wurden, ist ebenso nahezu identisch. Auch in dieser Bildreihe haben wir es – mit Ausnahme des letzten Einzelbildes – mit Aufnahmen zu tun, die Alex in seinem Alltagssetting aufnahm. Die sechs Profilportraits auf der linken Seite der Einstellung dienen dem Nachvollzug der graduellen Veränderung, die die Hormonersatztherapie in Alex’ Gesicht zeitigt. Wie in der zuvor insertierten Bildreihe weicht das siebte Einzelbild hinsichtlich der Inszenierungsweise etwas von den anderen sechs Bildern ab. Wie
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beim Insert 1 unterscheidet es sich von den kleiner formatierten Einzelbildern hinsichtlich der Planimetrie und der perspektivischen Projektion. Aufgrund der besonderen Stellung der siebten, aktuellsten Profilaufnahme bildet auch dieses, analog zum dritten Bild in Insert 1 (s. Abb 16), den Endpunkt der Bildreihe, der gleichsam das vorläufige Endstadium seiner körperlichen Modifikation bezeichnet. Das Publikum kann mittels der Bildreihen sehr schnell den Prozess der hormonbedingten Modifikation seines Körpers nachvollziehen. Erleichtert wird dies durch den einfachen Aufbau der Bildreihen: Die Einzelbilder sind gemäß ihres Entstehungszeitraums chronologisch aufgereiht. Es ist unschwer zu erkennen, dass in den Transition Update Videos mit visuellen Vergleichen gearbeitet wird. Die in eine Bildreihe gehörenden Einzelbilder ermöglichen der_m Betrachter_in das Studium der Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen den verschiedenen Stadien der Transition. In Jammis populärstem Videoeintrag – es handelt sich um einen etwa fünfminütigen Videoclip mit dem Titel FTM Transgender 5 Years on Testosterone Comparison10, der eine Montage von bisherigem Videomaterial darstellt, das Jammis körperliche Veränderungen vor und während der Hormonersatztherapie dokumentiert – findet sich sogar eine Sequenz, die explizit mit dem Zwischentitel „comparisons“ versehen ist. Dort stellt der Videoblogger in verdichteter Form zwei körperliche Zustände gegenüber: seinen Körper vor Zugabe von Testosteron und seinen Körper nach fünf Jahren der Hormoneinnahme. Die Sequenz kommt als eine Montage an Einstellungen daher, die jeweils auf verschiedene Körperregionen fokussiert. Die Einstellungen bestehen jeweils aus zwei Einzelbildern, die mittels eines Split Screens gegenübergestellt werden, sodass die Unterschiede zwischen den beiden körperlichen Zuständen besonders prominent zutage treten (s. Abb. 18). Das Anstellen von visuellen Vergleichen wird sowohl in Alex’ als auch in Jammis Beitrag dadurch hervorgerufen, dass die in eine Bildreihe gehörenden Einzelbilder sich aufeinander beziehen: Die eingenommenen Posen gleichen sich, die Ansicht ist gleich, selbst das Setting ist, wenn nicht das gleiche, so doch sehr ähnlich. Jammi scheint sich sogar zu bemühen, dasselbe oder ein ähnliches Outfit zu wählen, sodass das rechte Einzelbild des jeweiligen Bildpaares wie eine Replikation des linken daherkommt. Das jeweilige Einzelbild in Alex’ Bildreihen repliziert wiederum auf modifizierte Art und Weise das vorhergehende.
10 Der Videoclip ist abrufbar unter: https://www.youtube.com/watch?v=zaEYAQ5c8uE [zuletzt abgerufen am 13.10.2019].
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Abbildung 18: Jammis visuelle Vergleiche
Quelle: YouTube Beitrag FTM Transgender 5 Years on Testosterone Comparison von Jammidodger, abrufbar unter: https://www.youtube.com/watch?v=zaEYAQ5c8uE [zuletzt abgerufen am: 13.10.2019].
Sowohl bei Jammi als auch bei Alex haben wir es mit der Strategie des Reenactments zu tun. Reenactments werden in den Kulturwissenschaften als Medienpraktiken des Wiederaufführens, Nacherlebens und Reaktualisierens verstanden, die nicht bloß Ereignisse replizieren und wiederholen, sondern in ein kreatives Verhältnis zum wiederaufgeführten Ereignis treten (vgl. Dreschke et al. 2016). Sie stellen eine Strategie der Wissensproduktion dar: „Re-enactment is both affirmation and renewal. It entails addressing the old, but it also engenders something new […]“ (Tilmans et al. 2010: 7). Die auf dieser Wiederholungsstruktur basierenden Update Videos dokumentieren den Dialog, in den die_r transgeschlechtliche Betroffene mit sich selbst tritt. Die Reenactments tragen die (visuellen) Spuren des prätransitionierenden Körpers, des „unlivable, shattered body“ (Prosser 1998: 92), in sich. Hier kommt es nicht, wie auf der Diskursebene der Medizin, zu einem zunehmenden Verschwinden des ‚alten GeschlechtsKörpers‘, der durch einen möglichst eindeutigen, ‚gegengeschlechtlichen‘ Körper ersetzt wird. In den Transition Update Videos rückt vielmehr der Aspekt des prozessualen Verständnisses der Modifikation des Körpers in den Mittelpunkt. Alex und Jammi schaffen auf je
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unterschiedliche Arten und Weisen ein solches Verständnis. Während die Parallelisierung der Einzelbilder in Alex’ Bildreihen den Nachvollzug der geringfügigen Unterschiede zwischen den verschiedenen morphologischen Zuständen begünstigt, das Verfahren des Reenactments gleichsam im Sinne der Dokumentation des morphing eingesetzt wird, – d.h. ein körperlicher Zustand in den darauffolgenden problemlos überzugehen scheint – bewirken die von Jammi eingesetzten Bildpaare die Fokussierung auf den Kontrast zwischen einem Anfangsstadium (der Körper vor der hormonellen Modifikation) und einem vorläufigen Endstadium des hormonbedingten körperlichen Modifikationsprozesses. Gleichwohl muss erwähnt werden, dass Jammis Video in den ersten drei Sequenzabschnitten sehr detailliert all die graduellen körperlichen Veränderungen thematisiert. Die im letzten Abschnitt eingesetzten Bildpaare bilden also lediglich den Abschluss des Videobeitrags. Die Bildpaare stellen damit eine verdichtete, weniger komplexe Form der Visualisierung der Modifikationsprozesse seines Körpers dar11. In den Bildreihen wird der GeschlechtsKörper durch die verschiedenen Ansichten sozusagen aufgefächert und vervielfältigt. Die Tatsache, dass das Spektrum des GeschlechtsKörpers ansichtig wird, ist als Einspruch in die (visuelle) Konstruktion von Zweigeschlechtlichkeit zu werten. Die über Visualität stattfindende Betonung der Prozesshaftigkeit der Modifikation des transgeschlechtlichen Körpers bezieht sich in den Videotagebüchern nicht nur auf medizinisch angeleitete Veränderungsprozesse. Ergänzend zu den Transition Update Videos gibt es in allen für diese Studie betrachteten Blogs Videoeinträge, die auf weitere Praktiken der Körperarbeit verweisen. Unter Körperarbeit verstehe ich im Anschluss an die Soziologin Paula-Irene Villa (2008) eine soziale Handlungspraxis, die mit, auf und im Körper stattfindet und zum Ziel hat, den Körper als gesellschaftliches Ausdrucksmedium zu manipulieren. Nina Degele (2004) zielt mit ihrem Begriff der bodification auf einen ähnlichen Umstand, wenn sie bodification als „Verkörperung von Gesellschaft“ und „Vergesellschaftung von Körper“ (Degele 2004: 90) versteht. Damit ist gemeint, dass der Körper sowohl als Projektionsfläche als auch als Medium der Konstruktion und Inszenierung gesellschaftlicher (Ungleichheits-)Strukturen, vor allem der Darstellung von Geschlecht, fungiert (vgl. Degele 2006). Der Begriff der Körperarbeit, wie der der bodification, betont den Konstruktionscharakter von Körper und die
11 Es kann gemutmaßt werden, dass sich der Erfolg von Jammis Videobeitrag vor allem aus der Bedienung jenes im letzten Abschnitt bemühten visuell-diskursiven Musters ergibt: ein auf Binarität beruhendes Muster, das zwei körperliche Zustände präsentiert, die vom Publikum als Visualisierungen eines ‚Ausgangs‘- und eines ‚Zielgeschlechts‘ verstanden werden können.
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damit einhergehende Künstlichkeit der Inszenierung. Die Arbeit am transgeschlechtlichen Körper wird auf allen Kanälen thematisiert, z.B. in Clips, die spezifische Kleidungsstile, das Styling von Frisurentypen oder sportliche Übungen vorstellen. Joules’ YouTubekanal ist zudem aufgrund ihrer zahlreichen Make-Up Tutorials sehr beliebt, in denen sie verschiedenste Schminktechniken vorführt. In den Videos präsentiert sie vor allem Make-Up-Stile, die aktuell besonders en vogue sind, so z.B. der Classic Holliday Glam Make-Up Stil12, das Schminken von Smoky Eyes13, Fifty Shades of Grey Make Up14 oder auch der Nude Stil im Clip Easy Natural Everyday Makeup15. Die Vorstellung und visuelle Präsentation von Make-Up-Stilen findet üblicherweise in Frauenzeitschriften und Magazinen statt, z.B. in der Cosmopolitan, Elle, der Allure oder Glamour, die sich an aktuellen Modetrends orientieren und spezifische Schönheitsnormen verbreiten. Das Aufgreifen von Beauty-Standards in Videoclips bei YouTube ist nicht unüblich. Es stellt kein Alleinstellungsmerkmal von Kanälen dar, die von transgeschlechtlichen YouTuber_innen betrieben werden. Auf YouTube gibt es zuhauf Videoclips, die beautification-Praktiken visualisieren. Damit sind Videobeiträge gemeint, die Praktiken des Schönheitshandelns visualisieren. Schönheitshandeln ist als „ein Medium der Kommunikation“ (Degele 2004: 10) zu verstehen und „dient der Inszenierung der eigenen Außenwirkung zum Zweck der Erlangung von Aufmerksamkeit und Sicherung der eigenen Identität“ (ebd.). Dass die Vlogs durchzogen sind von Clips, die die Praktiken der bodification thematisieren, ist als ein Hinweis darauf zu werten, dass der transgeschlechtliche Körper in besonderer Weise als produktiver Körper verstanden wird, ein Körper also, der innerhalb des neoliberalen Regimes konstant verbessert, optimiert und transformiert werden muss (vgl. Bröckling 2016 [2007]). Der gesellschaftliche Prozess der Individualisierung hat nicht nur kontrollierte und disziplinierte Körper erzeugt, sondern den „Körper als Projekt“ (Thomas und Maier 2015: 285) auf den Plan gerufen, woran kontinuierlich gearbeitet wird, „womit in der Regel die Hoffnung verbunden ist, persönliche (zum Beispiel Selbstwert) oder soziale (etwa An-
12 Der Clip ist abzurufen unter: https://www.youtube.com/watch?v=_eUBnjKV70E [zuletzt abgerufen am: 13.10.2019]. 13 Der Clip ist abzurufen unter: https://www.youtube.com/watch?v=EixdjvjwXQE [zuletzt abgerufen am: 13.10.2019]. 14 Der Clip ist abzurufen unter: https://www.youtube.com/watch?v=-d1jzwN0C0E [zuletzt abgerufen am: 13.10.2019]. 15 Der Clip ist abzurufen unter: https://www.youtube.com/watch?v=LwcYrwN4mgM [zuletzt abgerufen am: 13.10.2019].
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erkennung) Gewinne zu erzielen“ (Gugutzer 2004: 40). Dadurch, dass einige Betroffene ihren Körper hinsichtlich ihres geschlechtlichen Empfindens modifizieren, sind sie möglicherweise besonders anfällig, diskursiven Anrufungen um einen optimierten Körper zu folgen, schließlich verheißt die Optimierung des eigenen Körpers die Erlangung von Handlungsmacht als (neoliberales) Subjekt (vgl. Grittmann et al. 2018: 14).16 Auf den Kanälen finden sich jedoch unzählige Videos, die auf reflexive Weise mit beispielsweise Beauty Standards umgehen. Joules, genau wie Chandler, luden z.B. Videos hoch, in denen ihre Beziehungspartner_innen das Schminken ihres Gesichts übernahmen und das Resultat alles andere als gängigen Schönheits- und Zweigeschlechternormen gerecht wird (s. Abb. 19). Abbildung 19: Reflexive Bezugnahme auf Beauty-Standards
Quelle: YouTube Beitrag My Boyfriend Does My Makeup von ChandlerNWilson, abrufbar unter: https://www.youtube.com/watch?v=GLJJ3A9GnQM&t=7s [zuletzt abgerufen am: 13.10.2019].
Chandler und sein_ihr Beziehungspartner_in gehen ironisch mit konventionellen Schönheitsstandards um, indem sie das wenig gelungene Schminkergebnis präsentieren und den Zwischentitel „I feel like I’m never gonna be a beauty guru“ einfügen, gefolgt von einer schwarz/weiß-Einstellung, die eine in der digitalen Nachbearbeitung unter dem Auge von Chandlers Partner_in platzierte blaue, übergroße Träne zeigt und von dem Lied der Band U2 Everybody Hurts musikalisch untermalt ist. Auch das explizite Visualisieren von Operations- und Einstechnarben, operationsbedingten Blutergüssen und Hämatomen ist ein Hinweis darauf, dass es den YouTuber_innen nicht darum geht, besonders schön und attraktiv zu erscheinen (vgl. Unterkapitel 4.3 Bilder des versehrten Körpers).
16 Zur Konstitution des Subjekts und daraus entstehender Handlungsmacht über den Prozess der Unterwerfung unter diskursive Anrufungen: vgl. Butler 2005.
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Abbildung 20: Draufsichten auf Tys Oberkörper
Quelle: YouTube Beitrag Flat Chest Without Surgery von Ty Turner, abrufbar unter: https://www.youtube.com/watch?v=vGyCmuGUNhE&t=138s [zuletzt abgerufen am: 13. 10.2019].
Hinsichtlich des Zusammenhangs von der Konstruktion des transgeschlechtlichen Körpers mit bodification-Praktiken sei exemplarisch nachfolgend ein Videobeitrag von Ty besprochen. Der transmännliche Blogger visualisiert auf seinem Kanal, wie er seinen Körper mittels Bodybuildings buchstäblich in Form bringt. Neben einigen Videos, in denen er verschiedene Sportübungen vorstellt, die darauf ausgerichtet sind, den Körper muskulöser und kraftvoller erscheinen zu lassen, sodass die Videos auch ein cisgeschlechtliches, an Bodybuilding interessiertes Publikum adressieren, gibt es auf seinem Kanal unzählige Videos, die die Nutzung jener Workout-Programme im Sinne der gezielten Modifikation des GeschlechtsKörpers dokumentieren. Eines seiner meistgesehensten Videos ist der etwa dreiminütige Clip Flat Chest Without Surgery17, in dem Ty darlegt, wie er mithilfe von zwei Kraftübungen seine vormals gewölbte sukzessive in eine muskulös aussehende Brust umformte. In dem Video führt er dem Publikum zwei Kurzhantelübungen derartig vor, dass sie leicht imitiert werden können. Die Modifikation der Brust, eine Körperregion, die gerade für transgeschlechtliche Menschen oftmals einen der zentralen Auslöser von Geschlechtsdysphorie darstellt, erscheint hier als etwas vom Individuum Realisier- und Erreichbares, ganz ohne medizinische Intervention. Während der Visualisierung der beiden Übungen spricht Ty in einem Voice-Over Kommentar davon, dass die Übungen bei häufiger und kontinuierlicher Wiederholung zu einer deutlichen Reduktion des Fettgewebes führen, sodass zuweilen eine operative Entfernung des Brustgewebes (Mastektomie) unnötig werde. Viele Trans*Männer, die starke Geschlechtsdysphorie hinsichtlich ihrer Brust empfinden, haben den dringenden Wunsch, ihr Brustfettgewebe chirurgisch
17 Der Clip ist abzurufen unter: https://www.youtube.com/watch?v=vGyCmuGUNhE&t =138s [zuletzt abgerufen am 13.10.2019].
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entfernen zu lassen. Dafür ist die Einpassung in das medizinisch strukturierte Behandlungsmanagement vonnöten, wozu einige Betroffene entweder nicht bereit sind oder überhaupt erst keinen Zugang erhalten, weil sie die Voraussetzungen für eine derartige Operation nicht erfüllen. Ein anderer Weg mit Geschlechtsdysphorie umzugehen, ist das Abbinden der Brust durch eine Kompressionsweste. Trans*weibliche Betroffene fügen wiederum der eigenen eher flach erscheinenden Brust durch spezielle BHs und Einlagen Volumen hinzu, sodass die Brust gewölbter und damit für andere als weiblich erscheint. Es ist sehr üblich, dass transgeschlechtliche YouTuber_innen in ihren Videobeiträgen Strategien des Kaschierens, Verdeckens und Versteckens sekundärer Geschlechtsmerkmale präsentieren. Die visuelle Demonstration von vom Individuum autonom zu realisierenden Strategien, die den eigenen GeschlechtsKörper in gewünschter Weise modifizieren, muss deshalb als Versuch der Selbstermächtigung verstanden werden. Abbildung 21: Inserts
Quelle: YouTube Beitrag Flat Chest Without Surgery von Ty Turner, abrufbar unter: https://www.youtube.com/watch?v=vGyCmuGUNhE&t=138s [zuletzt abgerufen am: 13. 10.2019].
Die beiden Übungen in Tys Beitrag werden jeweils mittels zweier Einstellungen dokumentiert. Bei beiden Einstellungen wird Ty aus der Draufsicht beim Durchführen der Übungen gefilmt (s. Abb. 20). In der ersten Einstellung ist die statische Kamera seitlich und in Anhöhe zu Ty positioniert, sodass das Publikum einen übersichtlichen Blick über seinen Körper erhält. Da Ty nur mit Boxershorts bekleidet ist, lässt sich sein Muskelkorsett bei Ausführung der Übung sehr gut beobachten. Aufgrund der seitlichen Draufsicht der Kamera ist es gerade die Brustregion, die sich studieren lässt. Sie stellt den Fokus und das Zentrum der Einstellung dar. Die zweite Einstellung verlagert die Draufsicht in einen Topshot. Die Kamera ist nun gänzlich über Tys nacktem Oberkörper positioniert, wodurch Tys freigelegte Brustregion aus einer weiteren Perspektive ersichtlich wird. Aufgrund der veränderten Kameraposition erscheint die Brust nun weitaus flacher. Deren ‚männliche‘ Form ist damit auch Effekt der inszenatorischen Praxis.
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Nicht nur in Tys Videobeitrag, auch in den anderen Clips, die die verschiedenen Arbeiten am transgeschlechtlichen Körper visualisieren, wird dezidiert auf gesellschaftlich etablierte Geschlechterbilder Bezug genommen. Bevor das zuschauende Publikum beispielsweise die Sportübungen vorgeführt bekommt, fügt Ty verschiedene Abbildungen ein, die als idealisierter Entwurf des zu erreichenden Körpers verstanden werden können (s. Abb. 21). In den Abbildungen ist die korrekte Durchführung der Übungen dargestellt. Erkennbar ist eine äußerst muskulös erscheinende Figur, die auf einer Hantelbank die Kraftübungen mit den jeweiligen Gewichten durchführt. Die Abbildungen stellen Inszenierungen einer perfekten Maskulinität dar. Vermittelt wird das Bild eines fitten, muskulösen und schlanken Mannes. Sinnentsprechend können die beautification Videos bei Joules verstanden werden. Joules präsentiert in ihren Videos die perfekte Verkörperung einer jugendlichen, schlanken und normschönen Weiblichkeit. Die Orientierung an konventionellen Vorstellungen um Weiblich- bzw. Männlichkeit geschieht in den Videobeiträgen allerdings – und das unterscheidet sie von gängigen Praktiken des Schönheitshandelns – durch eine reflexive Bezugnahme auf diese. Üblicherweise ist Schönheitshandeln durchdrungen von einer Privatheitsideologie. Der manipulierende Bezug auf den Körper wird legitimiert durch den sehr wirkungsmächtigen Glaubenssatz, man ‚mache sich nicht für andere, sondern für sich selbst schön’. Gängige Praktiken des Schönheitshandelns sind darauf ausgerichtet, wahrgenommen zu werden und als schön aufzufallen (vgl. Degele 2006: 584), was auch dann gilt, wenn durch Schönheitshandeln beabsichtigt wird, nicht aufzufallen, z.B. durch einen nude look beim Make Up. Die Ideologie des Schönheitshandelns als private Angelegenheit sichert nicht nur das alltägliche Miteinander ab, sondern lässt jene Akteur_innen auch als autonom handelnde Individuen erscheinen. Gleichzeitig bleibt dadurch die Orientierung an gesellschaftlichen Schönheitsnormen und Geschlechterbildern unreflektiert. Das Wissen um die Inszeniertheit des eigenen Auftretens bleibt implizit. Das ist bei den transgeschlechtlichen YouTuber_innen anders. Hier wird die Orientierung an normativen Vorstellungen um Männlich- bzw. Weiblichkeit als Mittel zur Erfüllung sozialer Funktionen (Anerkennung und Akzeptanz erfahren, z.B. durch ein gelungenes Passing) wie emotionaler Funktionen (Körperarbeiten als Copingstrategien zum Umgang mit Geschlechtsdysphorie) explizit reflektiert. Tys Anmoderation der Kraftübungen lautet beispielsweise: „Today I’m going to be telling you how to get a small chest before top surgery […] So I haven’t had top surgery yet and for the last, like, eight or nine months I have not worn a binder at all, anywhere.“ Für Ty stellt die über Kraftübungen realisierte Modifikation seiner Brust also eine aussichtsreiche Alternative zum Tragen einer Kompressionsweste dar. Ihm geht es
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nicht um das Erreichen von Schönheit und Attraktivität, sondern um eine Erweiterung der Möglichkeiten mit seinem GeschlechtsKörper umzugehen, der offensichtlich Merkmale aufweist, die er als störend empfindet. Weitere Beispiele finden sich zuhauf auf den Videokanälen. Alle YouTuber_innen haben mindestens ein Video auf ihrem Kanal, in dem sie Tipps bzgl. der richtigen Kleiderwahl, dem Styling und weiteren alltagspraktischen Hinweisen geben, um als das gewünschte Geschlecht durchzugehen (zu passen). Der Rekurs auf etablierte Geschlechterbilder muss also als ein Mittel zur (Wieder-)Aneignung des Körpers verstanden werden, insofern als dass hier der manipulierende Bezug auf den Körper eben nicht ausschließlich im Dienste der Verkörperung gesellschaftlicher Schönheitsnormen steht. Vielmehr geht es um das Einfinden in und Zurechtfinden mit einem Körper, der bar jeder Manipulation als fremdartig und nicht verfügbar erfahren wird und der zudem Ausgangspunkt eingeschränkter sozialer Anerkennung ist. Was nicht nur in Tys Videobeitrag auffällt, ist der direkte Blick in die Kamera, wodurch das Publikum explizit angesprochen wird. Bei der direkten Ansprache des Publikums handelt es sich um eine typische Bauform des audiovisuellen Selbst-Diskurses, die an die Ästhetik des Fernsehens erinnert: Die Ansprache des Publikums über verbales Adressieren und direkte Blicke ist vergleichbar mit Fernsehsendungen, die von Moderator_innen oder Showhosts strukturiert werden (vgl. Traue 2013: 296). Gerade Showhosts in Fernsehsendungen zielen auf die Mitwirkung des Fernsehpublikums an der Gestaltung von Liveshows. Aktiv beteiligt werden soll sich beispielsweise am Voting für eine_n Kandidat_in bei kompetitiven Spielshows; auch kann das Publikum aufgefordert werden sich durch das Verfassen von Onlinekommentaren an der inhaltlichen Gestaltung einer Show einzubringen. Im Fall des Videobeitrags von Ty wird das (transgeschlechtliche, besonders das trans*männliche) Publikum angehalten, jene Sportübungen ebenfalls in den eigenen Alltag zu integrieren. Das gesamte Setting des Beitrags ist darauf ausgerichtet, die Modifikation einer häufig als weiblich eingelesenen Brustpartie als etwas leicht Realisierbares zu präsentieren: Darauf verweist das Alltagssetting des Clips, der Spaß an der Übung, den Ty über seine Mimik vermittelt und das über die Draufsicht demonstrierte aussichtsreiche Ergebnis. Was visuell nicht thematisiert wird, ist der Aspekt der Anstrengung und Selbstdisziplinierung, der Arbeiten am Körper zweifelsohne inhärent ist. Die hier vermittelte Botschaft, die darin besteht, die Formung des GeschlechtsKörpers via Bodybuilding als ein für die typische transmännliche Person leicht zu realisierendes Phänomen darzulegen, knüpft an Vorstellungen des bürgerlichen Subjekts an, das souveräne Selbstregierung betreibt, indem es Körperarbeit leistet,
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die der Logik des unternehmerischen Selbst (Bröckling 2016 [2007]) folgt. In Bezug auf Geschlecht heißt das, dass das (mittlerweile post-)moderne Individuum u.a. dadurch (vergeschlechtlicht) subjektiviert wird, indem es geschlechtlich relevante Arbeiten am Körper verrichtet (wie eben Bodybuilding, zeitaufwendiges Schminken, Stylen, usw.), die am Selbstoptimierungsimperativ orientiert sind (vgl. Villa 2008: 249). In diesen Diskurs der Selbstoptimierung betten sich jene YouTubebeiträge (auch) ein. Mit der Brille von Paula-Irene Villa (2008), die feststellt, dass das langjährig wirkende Naturalisierungsimperativ bzgl. des GeschlechtsKörpers dem Imperativ der Optimierung gewichen sei, d.h. dass „[n]icht mehr die Entfaltung einer inneren Natur [...] das Leitmotiv der Geschlechterdifferenz [ist], sondern die fortdauernde, nie abschließbare Optimierungsarbeit am – körperlichen – Selbst“ (ebd.: 249f.), könnten gewissermaßen alle transitionsbedingten Videobeiträge betrachtet werden. Die Videos zu den Arbeiten am transgeschlechtlichen Körper, ebenso wie die Transition Update Videos, könnten als Dokumentationen des akribischen Selbstbeobachtens und Selbstverbesserns gelesen werden. Gleichwohl stehen die auf den Selbstoptimierungsdiskurs verweisenden Sichtbarkeitspraktiken eben gerade nicht im Kontext der (cisgeschlechtlich orientierten) Geschlechterdifferenz, sondern in einem transgeschlechtlichen. Worin sich die Clips zum transgeschlechtlichen Körper gleichen, ist das darin hervortretende Bewusstsein über den kommunikativen Charakter des modifizierten GeschlechtsKörpers. Dieses Bewusstsein sensibilisiert für die individuelle Bewohnung desselben, indem der Körper überhaupt erst verfügbar gemacht wird. Es ermöglicht zudem ein offenes Sprechen und ein Sichtbarmachen der Konstruktionsprozesse, die notwendig sind, um in den eigenen Körper einzufinden, ihn sich (wieder-)anzueignen. Gängige Zweigeschlechternormen werden so auf den Kopf gestellt und neu bewertet. Der GeschlechtsKörper wird hier weder als etwas präsentiert, was natürlich gegeben ist, noch als etwas, das natürlich gegeben und dann optimiert wird. Vielmehr wird er bearbeitet, um überhaupt erst als eigener Körper aufzutreten. Die Sichtbarkeitspraktiken auf YouTube sind damit Teil einer umfassenden Dekonstruktion von Geschlecht, die mit einer Kritik an der Naturalisierung des GeschlechtsKörpers und mit Erwartungsbrüchen verknüpft sind, auch wenn deren Repräsentationspolitik an Vorstellungen des Selbstoptimierungsdiskurses orientiert ist. Selbstermächtigung durch Verfügbarmachen des eigenen Körpers und die Orientierung an zeitgenössischen Körperimperativen gehen hier eine Verbindung ein.
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Un-normierte Körper Was die YouTubebeiträge verdeutlichen, ist eine Visualisierung, eine Sichtbarmachung un-normierter Körper, d.h. Körper, die sich nicht so recht einpassen in eine heterosexuelle Matrix. Als un-normiert bezeichne ich jene Körper deshalb, weil sie in ihren metamorphotischen Zwischenstadien, in den Transitionszonen zwischen Zuständen eines gesellschaftlich klassifizierten, als fremdartig und unpassend erlebten Körpers und Zuständen eines eigens angepassten, eben modifizierten Körpers visualisiert werden. Ein sogenannter ‚Ursprungszustand‘ des ‚falschen‘/‚falsch klassifizierten‘ GeschlechtsKörpers wird dabei nicht sichtbar gemacht. Der Fokus der Visualisierung liegt gerade auf dem Moment des Übergangs, wobei unklar und offenbleibt, wohin genau übergegangen wird. Die Geschlechterforscherin Wibke Straube sieht dieses Moment als zentrales Merkmal von Transgeschlechtlichkeit und benutzt das Verb „transing“ als grammatikalische Alternative zu Trans* oder Transgeschlechtlichkeit, um dem Umstand der Bewegung Rechnung zu tragen (vgl. Straube 2014: 41f.). Die YouTube-Blogs bilden ein Verständnis von Transgeschlechtlichkeit als prozessuale Kategorie, einem kontinuierlichen „becoming and changing in the practices of embodiment“ (ebd.: 41). Sie dokumentieren damit Transgeschlechtlichkeit weniger als eine statische Identitätskategorie als vielmehr eine Bewegung weg von den kulturellen Erwartungen, die an das bei Geburt zugeschriebene Geschlecht geknüpft sind, hin zu geschlechtlicher Selbstbestimmung. Die Unsichtbarkeit, d.h. die visuelle Dethematisierung, eines Ausgangsstadiums und die implizierte Unabgeschlossenheit des Transitionsprozesses widerspricht dabei nicht nur den auf medizinischer Diskursebene implementierten Geschlechternormen, sondern der diskursiven Zweigeschlechternorm, verstanden als Zweikörpernorm, per se. Aus diesen Gründen kann der hier visualisierte GeschlechtsKörper in Transition als un-normierter Körper bezeichnet werden. Das bedeutet nicht, dass der Körper in jenen Transitionszonen nicht mit normativen Anrufungen darüber konfrontiert wird, wie ein GeschlechtsKörper auszusehen, zu funktionieren, empfunden zu werden habe. Diese Anrufungen bestehen gewiss und werden, wie gezeigt wurde, in den visuellen Dokumenten mitreflektiert. Die Dokumentation der bewusst gewählten Möglichkeiten der Bearbeitung des transgeschlechtlichen GeschlechtsKörpers stellt den Versuch dar, den „Körper als einem gelebten Ort der Möglichkeit, den Körper als einem Ort für eine Reihe sich kulturell erweiternder Möglichkeiten“ (Butler 1997: 11) zu öffnen. Die Arbeiten am transgeschlechtlichen Körper können deshalb als reflexive Körpertechniken (Crossley 2005) gefasst werden. Der Soziologe Nick Crossley definiert reflexive Körpertechniken als „those body techniques whose primary purpose is to
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work back upon the body, so as to modify, maintain or thematize it in some way“ (Crossley 2005: 9). Er erweitert also in seinem Konzept die Mauss’sche Vorstellung von Körpertechniken als kulturell erlernte Formen des Umgangs mit dem Körper auf Techniken, die auf eine Gestaltung und Veränderung des Körpers (body modification) abzielen. Dass Crossley von einem „purpose“ spricht, einer Absicht und Intention, die sich hinter dem Einsatz von Körpertechniken verbirgt, sollte nicht darüber hinwegtäuschen, dass die eingesetzten Körpertechniken auf das verkörperte Selbst zurückwirken, d.h. reflexive Techniken der Körperarbeit darstellen. In dem Beispiel von Ty, der regelmäßige Kraftübungen mit Hanteln durchführte, um eine flache Brust zu erreichen, ist erkennbar, dass sich Ty als aktiver Agent in Relation setzt zu seinem Körper als scheinbar passivem Objekt. Diese Trennung ist für alle Körperarbeiten zentral. Die Körpertechniken erzeugen damit das, was Mead (1967) als Trennung zwischen I und Me beschreibt. Indem der GeschlechtsKörper mittels der verschiedenen Körperarbeiten modifiziert wird, stellt ebenjener Körper zunächst ein Objekt der Betroffenen dar. Diese Trennung, die eine Distanz zu einem selbst schafft, ermöglicht es, sich selbst zu sehen, wahrzunehmen und eine gewisse Perspektive auf sich selbst herzustellen: „[Reflexive body techniques] turn us back upon ourselves, thematize our bodily aspects within our own embodied intentionality and thereby put us into a relationship with an objectified image of our self. Learning reflexive body techniques is, in this respect, part of the process through which our specific sense of self is developed. By means of these techniques we learn to constitute ourselves for ourselves, practically. Learning to attend to ourselves is learning to posit ourselves for ourselves. It constitutes a specific experience of self.“ (Crossley 2005: 13)
Die reflexiven Körpertechniken spielen für transgeschlechtliche Menschen eine zentrale Rolle in der Konstruktion des Selbsts, insofern als dass sie es ermöglichen, in den eigenen Körper einzufinden, mit ihm in Interaktion zu treten. Vor diesem Hintergrund erscheint es dann auch nicht verwunderlich, dass Alex’ Bildreihe an einer zunehmenden Zentralisierung seiner selbst orientiert ist, oder dass die auf Praktiken des Reenactments verweisende innere Logik der Bildfolgen die Dialogizität mit sich selbst dokumentiert. Durch die Strategien der Körpermodifikation kommt es also zur Vewebung von Subjektivität und Körperlichkeit, mit dem Effekt der Herausbildung von agency. Die Sichtbarkeitsstrategien deuten darauf hin, dass dieser Prozess der Selbstermächtigung, der auf die Aneignung des eigenen Körpers abzielt und auf neue Handlungsspielräume hinsichtlich des Ausdrucks von Geschlecht verweist, nicht
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in einem herrschaftsfreien Raum stattfindet. Die Visualisierungspraktiken bezeugen eine Konvergenz von Autonomie und Selbstermächtigung mit Unterwerfung unter normative Vorgaben, seien es nun jene hinsichtlich eines schönen GeschlechtsKörpers, eines GeschlechtsKörpers, der gängigen Weiblich- und Männlichkeitsvorstellungen entspricht, oder auch eines Körpers, der im Sinne der Selbstregierung optimiert wird. In Rekurs auf Sandy Stones Essay The Empire Strikes Back, in dem sie sich für eine posttranssexuelle Position ausspricht, die die „multiple contradictions of individual lived experience“ (Stone 1991) transgeschlechtlicher Menschen sichtbar macht, lässt sich hinsichtlich der Videotagebücher auf YouTube resümieren, dass sie einer solch widerständigen Position auf Mikroebene zuweilen gerecht werden. Auf Makroebene zeigen sich widerkehrende ästhetische Muster, die auf ein gemeinsam geteiltes Verständnis von Transgeschlechtlichkeit hindeuten. Der chronologische, lineare Aufbau der Videoblogs, die Konventionen, die hinsichtlich der Sequenzierung der Einzelbeiträge eingehalten werden und die Techniken der Selbstkuratierung dokumentieren eine scheinbar einheitliche transgeschlechtliche Erfahrung. Die Videotagebücher teilen ein gemeinsames Sujet: Sie sind dezidiert mit dem GeschlechtsKörper (in Transition) beschäftigt. Seine sukzessive Modifikation wird auf sehr ähnliche Weise visuell protokolliert. Eine Position, die in Widerstand zu der hegemonialen Vorstellung somatisch fundierter Zweigeschlechtlichkeit tritt, wird vor allem auf Mikroebene artikuliert. Hier zeigt sich eine visuelle Auffächerung des transitionierenden GeschlechtsKörpers, die in Opposition zur Visualität des transsexuellen Körpers tritt.
4.3 BILDER DES VERSEHRTEN KÖRPERS Für die Visualität des transgeschlechtlichen Körpers ist auf der social media Plattform YouTube der Fokus auf somatische Affirmationsprozesse zentral. Dazu gehört das explizite Sichtbarmachen eines transgeschlechtlichen Körpers, der im Rahmen medizinisch-angeleiteter Transition in seiner Versehrtheit präsentiert wird. Die Bilder dokumentieren die medizinischen Interventionen am Körper der Betroffenen: Es werden chirurgische Narben, Bandagen, Kompressionswesten und Verbände, Einstechstellen von Spritzen, als Folge von Operationen auftretende Hämatome, blaue Flecken, Desinfektionsstellen, oder auch der Körper in seiner mobilen Eingeschränktheit sichtbar. Das explizite Visualisieren von Spuren des medizinischen Eingriffs in den Körper geschieht auch dann, wenn sich Betroffene kritisch und sehr bewusst mit der Definitionsmacht der Medizin als Insti-
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tution, die bestimmte Geschlechtsentwürfe forciert, während sie andere ausschließt und marginalisiert, auseinandersetzen und sich zuweilen davon distanzieren. Alle im Rahmen dieser Studie betrachteten YouTubekanäle weisen beispielsweise Einträge auf, in denen sich die Betroffenen für ein weites Spektrum an Geschlechtsentwürfen aussprechen, was den medizinischen Vorgaben bzgl. der Behandlung von gender dysphoria nicht entspricht. So klärt Ty in einem Video mit dem Titel Can Trans People Be Gay?18 darüber auf, dass Trans*Männer gleichgeschlechtliche, gegengeschlechtliche oder auch pansexuelle Begehrensrichtungen aufweisen können, und sich die sexuelle Orientierung im Rahmen der medizinischen und sozialen Transition bei einigen verändere. Das widerspricht dem üblichen medizinischen Konsens, nach dem die ‚gegengeschlechtliche‘ Sexualorientierung als die gängige und richtige sowie als statische Größe betrachtet wird. Di_er sich als non-binär identifizierende_r Blogger_in Chandler dokumentiert auf YouTube seine körperlichen und emotionalen Veränderungen, seitdem si_er eine Hormonersatztherapie begonnen hat, aber macht gleichzeitig deutlich, dass si_er sich deshalb Testosteron verabreicht, nicht etwa um sich an das ‚Gegengeschlecht‘ oder ein gewünschtes Geschlecht anzugleichen, sondern um nicht als das Geschlecht eingelesen zu werden, das ihr_m bei Geburt zugewiesen wurde. Auch dieser selbstbestimmte Umgang mit medizinischen Interventionen läuft dem durch das Behandlungsmanagement implizierten Ziel der Vereindeutigung des GeschlechtsKörpers entgegen. Es ist also anzunehmen, dass jene Bilder des versehrten Körpers in einer anderen Funktion stehen als jene, mit denen auf medizinischer/sexualwissenschaftlicher Diskursebene operiert wird. Auf den ersten Blick scheinen jene Bilder das visuelle Repertoire einer klinischen Sichtbarkeit jedoch zu bestätigen, denn präsentiert werden nackte Körper, insbesondere Körperteile, die von der Medizin als geschlechtsdeterminierende Körperteile betrachtet werden. Das betrifft vor allem den Brust- sowie mitunter den Genitalbereich (s. Abb. 22-24). Auch diese Bilder könnten damit – ähnlich zu den medizinischen Abbildungen – als „Zeugnisse körperlicher Faktizität“ (Peters 2010: 168) betrachtet werden. Auf der Diskursebene der Medizin dienten die Nackt- und Genitalaufnahmen der Objektivierung und Spektakularisierung einer als ‚abnormal‘ klassifizierten Geschlechtlichkeit. Sie stehen in der Tradition der Vermessung und Klassifikation zwischengeschlechtlicher Körper, und tragen über ihren voyeuristischen Gestus zur VerAnderung des Phänomens bei. Auf der social media Plattform YouTube folgen die Nacktaufnahmen einer anderen Logik. Sowohl in der Abbildung 22 als auch in der Abbildung 24 sind Betroffene zu sehen,
18 Der Clip ist abrufbar unter: https://www.youtube.com/watch?v=lnde86kKza0 [zuletzt abgerufen am: 13.10.2019].
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wie sie sich explizit auf ihren versehrten Körper beziehen. Alex wie Jammi führen in ihren Videobeiträgen die sich am Körper manifestierten Spuren der Versehrung vor, nachdem sich einer Mastektomie unterzogen wurde. Abbildung 22: Alex’ versehrter Körper
Quelle: YouTube Beitrag 1 Year Post OP FTM Transgender von TheRealAlexBertie, abrufbar unter: https://www.youtube.com/watch?v=0woG1A_NY2w&t=106s [zuletzt abgerufen am: 13.10.2019].
Abbildung 23: Joules’ versehrter Körper
Quelle: YouTube Beitrag Lost Footage of SRS Recovery Graphic von Princessjoules, abrufbar unter: https://www.youtube.com/watch?v=OPbpFIE-X1k [zuletzt abgerufen am: 13.10.2019].
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Sie präsentieren dem zuschauenden Publikum ihre Narben, berühren diese, schildern genauestens, wie sich ihr Körper nun nach der chirurgischen Intervention anfühlt. Berichtet wird von Taubheits- und Druckgefühlen, stechenden Schmerzen und unangenehmen Schwellungen. Gewisse für die medizinische Diskursebene charakteristische Visualitätsparameter werden dabei aufgegriffen: Der Körper wird enthüllt und damit in seiner Nacktheit sichtbar. Aufgrund der Tatsache, dass der Heilungsprozess im Rahmen des Formats von comparison videos (s. oben) dokumentiert wird, kommen auch die Sichtbarkeitsstrategien der Vermessung und des Vergleicheziehens zum Einsatz. Abbildung 24: Jammis versehrter Körper
Quelle: YouTube Beitrag Three Weeks Post OP von Jammidodger, abrufbar unter: https://www.youtube.com/watch?v=0vXTOG4hM20 [zuletzt abgerufen am: 13.10.2019].
Obwohl der versehrte (nackte) Körper ins Zentrum der Visualität gestellt wird – er bildet schließlich das Sujet der Aufnahmen – kann nicht vom Effekt der Objektivierung gesprochen werden. Auf der medizinischen Diskursebene entstand der Objektivierungseffekt aufgrund der Unterwerfung unter den hegemonialen ärztlichen Blick. Hier wird dieser ärztliche Blick jedoch (visuell) umgearbeitet, insofern als dass nicht nur die Spuren des „surgical gaze“ (Halberstam 2002: 36) dokumentiert werden, d.h. die Konstruktionsprozesse der Naturalisierung des Geschlechts-
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Körpers explizit sichtbar werden, sondern es zu einer Überschreibung des wirkmächtigen ärztlichen Blicks kommt, indem die Betroffenen als Expert_innen ihrer Körper fungieren. Sowohl Alex als auch Jammi berühren ihre Versehrungen (s. Abb. 22 und 24). Der Fingerzeig konzentriert sich auf die Abtastung des eigenen Körpers. Auf der medizinischen Diskursebene stand der visualisierte Fingerzeig (vgl. exemplarisch Abb. 6 auf Seite 102) in der Funktion der Demonstration der Auffindung körperlicher Ambivalenzen. Er fungierte als erweiterte Manifestation des enthüllenden ärztlichen Blicks, der als Autorität und aus diagnostischer Ferne über den betreffenden Körper wandert. In den sich auf YouTube präsentierenden Einstellungen übernimmt di_er Betroffene jene Autorität über den eigenen Körper. Nicht mehr der Arzt, sondern si_er selbst stellt di_en Experti_en über die eigene körperliche Beschaffenheit dar. Indem der eigene versehrte Körper abgetastet und jene haptischen Eindrücke verbal dem Publikum vermittelt werden, wird eine ärztliche diagnostische Ferne aufgegeben zugunsten einer teilenden Nähe zu Mitbetroffenen. Der Kommunikationsraum bei YouTube bietet damit einen dehierarchisierten Ort der Sichtbarkeit des transgeschlechtlichen Körpers – gewissermaßen einen safe space, der dem von körperlicher Enteignung gekennzeichneten Ort des Ärztezimmers diametral gegenübersteht. Auch in dem Bildband Relationship (2016) von Zackary Drucker und Rhys Ernst dokumentiert sich die Umarbeitung des ärztlichen Blicks. In der Abbildung 25 ist Zackary Drucker auf dem Bett liegend, ihren nur mit einem schwarzen Top bekleideten Körper von dem_r Betrachter_in abwendend zu sehen. Sie hält in ihrer linken Hand eine Nadel, die sie in das Gesäßgewebe einführt. Die Fotografie ist in einem privaten Setting entstanden. Auf der Matratze, auf der Zackary lasziv für die Aufnahme positioniert ist, liegen durchwühlte Bettdecken, das Kopfkissen ist zerknautscht, die Jalousien im Hintergrund sind heruntergelassen, obwohl es taghell zu sein scheint. Im Vordergrund des Bildes ist eine Vase mit einer roten Rose ersichtlich. Klammerte man den medizinischen Akt der Injektion aus, wäre der Anschein erweckt, als wohne di_er Betrachter_in einem romantischen Moment bei: Vorstellbar wäre, dass Zackary darauf wartet, ihren Partner im Bett in Empfang zu nehmen; vorstellbar wäre auch, dass di_er Betrachter_in Zackary in einem postkoitalen Zustand betrachtet. Die Planimetrie des Bildes stellt allerdings nicht nur die halbnackte und damit sexualisierte Zackary als Fokus des Bildes, sondern vor allem den Akt der Injektion als zentrales Blickmoment heraus. Für di_en mit Transgeschlechtlichkeit unvertraute_n Betrachter_in entsteht dadurch ein befremdliches Rezeptionsereignis: Verknüpft wird ein romantisiertes, intimes Setting mit der Praktik der Injektion, die üblicherweise in sterilen medizinischen Settings stattfindet. Di_er über körperliche Transitionsprozesse informierte Betrachter_in kann das Sujet des Bildes in den eigenen Wissensbestand einordnen. Der
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Fokus der Aufnahme bildet der Akt der Injektion mit dem Hormon Östrogen. Die Darstellung legt also den Fokus auf eine Praktik, die üblicherweise in der Handlungsmacht des ärztlichen Personals liegt. Das Bild arbeitet hegemoniale Deutungszuschreibungen hinsichtlich des Verhältnisses von Arzt zu Patient_in um, nicht nur, weil Zackary die Praktik des Injizierens selbst ausführt, sondern auch weil der Aspekt des Schmerzes und der des Unterworfenseins unter die Handlungsmacht des Arztes gleichsam durch ein Narrativ der Romantik überschrieben wird. Abbildung 25: Zackary mit Injektionsnadel
Quelle: Drucker, Zackary/Ernst, Rhys (2016): Relationship. München [u.a.]: Prestel, S. 108f.
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Abbildung 26: Versehrte Gesäße
Quelle: Drucker, Zackary/Ernst, Rhys (2016): Relationship. München [u.a.]: Prestel, S. 44f.
Die Abbildung 26 erscheint wie eine bildliche Fortsetzung der vorherigen. Sie nimmt Bezug auf den Aspekt der körperlichen Versehrung. Maggie Nelson beschreibt die Fotografie als „one of the most memorable photos“ (Nelson 2016: 148) der Relationship-Fotoserie. Die Fotografie visualisiert die beiden Gesäße von Rhys und Zackary. Rhys und Zackary sind als Bildfiguren vom Betrachter_in abgewendet. Zu sehen gegeben werden lediglich die heruntergelassenen Hosen der beiden sowie – ganz zentral – deren Hintern, die jeweils auf einer Pobacke mit einem Pflaster versehen sind. Es handelt sich um Pflaster, die auf dem Po nach Injektion mit dem jeweiligen Geschlechtshormon angebracht werden. Der Zwillingscharakter der Pflaster kennzeichnet eine Form von Solidarität und geteilter Erfahrung. Die Abbildung vermittelt überdies etwas Rebellisches und Widerständiges. Nicht nur lassen die beiden ihre Hosen an einem öffentlichen Ort herunter und brechen damit mit konventionellen Regeln des Anstands. Auch verwehrt der explizite Fokus auf den Aspekt der körperlichen Versehrung gängige Ideale um einen schönen Körper. Widerständig ist die Fotografie zudem aufgrund der Tatsache, dass die Bildfiguren den Blick des_r Betrachter_in verweigern: Rhys und Zackary posieren nicht auf konventionelle Art und Weise für di_en Betrachter_in. Sie fungieren nicht als zur Schau gestelltes Blickobjekt einer_s übergeordneten
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Betrachter_ins. Vielmehr scheinen Rhys und Zackary zu bestimmen, was di_er Betrachter_in anzusehen hat, nämlich zwei Paar Pobacken, die weder besonders attraktiv oder schön anzusehen sind, sondern deren visuelle Bedeutung sich aus dem Aspekt der Versehrung ergibt. Die visuelle Demonstration von kollektiver Widerständigkeit und solidarischem Rebellentum kann folglich als visuell-diskursive Strategie der Anfechtung von Blickregimen, wie sie auf medizinischer Diskursebene implementiert sind, angesehen werden. Auch in dem Bildband Sublime Mutations (2000) von Del LaGrace Volcano nehmen die visuellen Dokumente kritisch Bezug auf pathologisierende Darstellungs- und Wahrnehmungskonventionen. Sie verweigern dezidiert ästhetische Ideale des heilen, gesunden und schönen Körpers (vgl. exemplarisch Abb. 27, 28): „Körpern als Orten der Verwandlung, des Verlustes und der Sehnsucht galt mein unbedingtes und obsessives Interesse über die letzten 10 Jahre hinweg. Sublime Mutations sind die Transformationen, die durch Alter, Unfall, Krankheit oder Gestaltung entstanden sind und entstehen. [...] Ich widersetze mich dem pathologisierten Status, der jenen von uns zugeteilt wird, die sich dem binären Geschlechtersysten nicht anpassen können oder wollen, also der bald veralteten Vorstellung, dass es nur zwei Geschlechter gibt: männlich und weiblich. Und ich verweigere das Konzept des ‚schönen‘ Körpers, das Konzept, daß es nur einen oder wenige akzeptable Körpertypen gibt. Verwandlungen passieren in vielen verschiedenen Formen. In Sublime Mutations gibt es keine Opfer, nur Helden und Stars. Gewöhnliche Leute, die ungewöhnliche Leben führen ohne die Sicherheitsnetze, die die meisten Menschen als selbstverständlich ansehen. Jedes Gesicht und jeder Körper ist ein Teil von Sublime Mutations, weil sie mich dadurch beeindruckt und inspiriert haben, daß sie genau so waren, wie sie waren.“ (Volcano 2000: 5)
In Joules’ Videobeitrag Lost Footage of SRS Recovery Graphic19 (s. Abb. 23) zeigt sich eine weitere Strategie des Umgangs mit dem hegemonialen ärztlichen Blick. In dem etwa viereinhalb minütigen Clip sieht das Publikum in einer nahen Einstellung den postoperativen Unterleib von Jules. Ihr Körper liegt reglos und sichtlich versehrt in einem Krankenhausbett. Der Genitalbereich ist mit dicken blutdurchtränkten Bandagen bedeckt. Rechts und links führt jeweils ein Drainageschlauch aus dem Körperinneren in ein Behältnis, das überschüssiges Blut auffängt. Einer der Drainagebehälter ist im Bild zu sehen. Er liegt auf Jules’ linkem Oberschenkel. Im Gegensatz zu ihrem immobilen Körper bringt die Hand der Krankenschwester Bewegung in die Einstellung. Scheinbar routiniert säubert die
19 Der Clip ist abzurufen unter: https://www.youtube.com/watch?v=OPbpFIE-X1k [zuletzt abgerufen am: 13.10.2019].
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Krankenschwester den verwundeten Genitalbereich der Betroffenen. Die Krankenschwester unterhält sich währenddessen mit ihr: „Oh, that’s a lot of blood“, sagt Jules. Abbildung 27: Two Bellys (Originaltitel)
Quelle: Volcano, Del LaGrace (2000): Sublime Mutations. Tübingen: Konkursbuchverlag, S. 167.
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Abbildung 28: Shock (Originaltitel)
Quelle: Volcano, Del LaGrace (2000): Sublime Mutations. Tübingen: Konkursbuchverlag, S. 181.
Beunruhigung ist in ihrer Stimme zu hören. „No, it’s not that much“, erwidert die Krankenschwester gelassen und führt ihre Arbeit fort. Schnitt. Die nächste Einstellung gleicht der vorherigen. Durch den Zwischentitel erfahren wir, dass es sich um den nächsten Tag handelt. Nun zieht die Hand der Krankenschwester einen der beiden Drainageschläuche aus Jules’ Körper, während Jules das Prozedere kommentiert mit „Oh my god“. Erneuter Schnitt. Im zweiten Teil des Clips dokumentiert Joules ihren Heilungsprozess wenige Tage nach dem operativen Eingriff.
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Sie wechselt vom Krankenhaus in ein Rehabilitationszentrum, zeigt mit ihrer nun mobilen Kamera das neue Krankenzimmer und berichtet, dass es ihr bereits bessergehe. Wir folgen Joules wie sie sich zunächst durch ihr neu bezogenes Zimmer und dann durch das Treppenhaus des Rehabilitationszentrums bewegt. Am Ende des Clips befindet sie sich wieder in ihren eigenen vier Wänden. In der letzten Einstellung liegt sie in der Badewanne, berichtet, dass sie ein therapeutisches Reinigungsbad nehme und witzelt mit dem Publikum: „I’m going to show you guys my downstairs in three, two, one ... just joking. I can’t believe you would actually think I would show you my hooha, like, please, honey“. Obwohl Joules ihren verwundeten Körper visuell vorführt, besitzt sie hinsichtlich ihres Affirmationsprozesses noch keine vollständige Autorität über ihren Körper. Vielmehr ermöglicht sie dem Publikum das Nachempfinden in ihre Perspektive, die von Handlungsunfähigkeit, Passivität und dem Ausgeliefert-Sein an Dritte geprägt ist. Dies wird realisiert über den Point-of-view shot, der den ersten Teil des Clips dominiert. Das Publikum blickt mit bzw. anstelle von Joules den eigenen versehrten Körper hinab, muss unbeteiligt und passiv den versorgenden Händen der Krankenschwester vertrauen. Während also die anhand von Alex’ und Jammis Clips aufgezeigte Strategie der visuellen Vorführung des versehrten transgeschlechtlichen Körpers im Dienste der (Wieder-)Aneignung des Blicks auf den eigenen Körper steht, geht es hier um ein empathisches Nachempfinden der unterworfenen Subjektposition. Diese Position entsteht aufgrund der Notwendigkeit, sich der Handlungsmacht und Expertise des Chirurgen (bzw. hier die Krankenschwester als ‚abgeschwächter‘ Form des Experten) unterzuordnen. Durch das Angebot an das Publikum, sich temporär mit jener Position zu identifizieren, wird ein alternatives Verständnis vom GeschlechtsKörper ermöglicht. Der Videobeitrag stellt heraus, dass der Umstand, ein Geschlecht zu sein, einen Prozess der Verkörperung verlangt. Das heißt, dass ein Geschlecht zu sein nicht natürlich gegeben ist, sondern über die Zeit erlangt wird. Die Prozesshaftigkeit von Verkörperung kann im Anschluss an Schmitz und Degele (2010) mit dem Begriff des Embodying gefasst werden. Der Begriff stellt eine Erweiterung und Dynamisierung von Embodiment-Konzepten dar. Während für EmbodimentAnsätze ein statisches Verständnis von Körper und Sozialem charakteristisch ist, was sich auch in der Übersetzung des Begriffs (Embodiment als Verkörperung) zeigt – mit den beiden Termini werden letztlich „Zustände oder Ergebnisse von Verkörperungsprozessen beschr[ie]ben“ (Schmitz und Degele 2010: 19) –, setzt die Perspektive des Embodying „an der Dynamik von Körper(lichkeit)“ (ebd.: 14) an. Beim Embodying, hier übersetzt als Prozess der Verkörperung, geht es „um die permanente gegenseitige Modifikation von Sozialem durch Körper und von
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Körperprozessen durch Soziales“ (ebd.: 29). Für Joules ist eine der Voraussetzungen dafür, als vergeschlechtlichtes Individuum handlungsfähig zu sein, die chirurgische Bearbeitung ihres GeschlechtsKörpers. Dieser Prozess ist, wie im Clip dokumentiert, äußerst schmerzhaft, benötigt Zeit und das Zutun Dritter. Der Videobeitrag rekurriert damit auf das komplexe und dynamische Verhältnis von Sozialem und Eingriffen in die körperliche Materialität, aus dem nicht nur die Konstitution eines GeschlechtsKörpers hervorgeht, sondern auch Sozialität resultiert. Nicht nur wird dadurch die Naturhaftigkeit des GeschlechtsKörpers in Frage gestellt, der Videobeitrag stellt den Prozess der Verkörperung vor allem als etwas heraus, das an die Auslieferung an und Abhängigkeit von Dritten gekoppelt ist. Es wird vorgeführt, dass die Unterwerfung unter den ärztlichen Blick die notwendige Bedingung dafür bildet, sich überhaupt verkörpern zu können. Der Clip arbeitet dabei mit einem perspektivitätsverschobenen Blickregime, indem es nicht der Arzt ist, der als Diagnostiker und Behandler auf Betroffene herabblickt, sondern die Sichtweise der in existenzieller Abhängigkeit zur Medizin bestehenden Betroffenen eingenommen wird. Der Beitrag sensibilisiert somit für den Aspekt der lebensnotwendigen Unterwerfung unter das medizinische Regime. Er macht darauf aufmerksam, dass sich transgeschlechtliche Sozialität aus einem Prozess der Verkörperung ergibt, der zuweilen nicht (nur und ausschließlich) autonom durchlaufen werden kann. Insgesamt liefern die Bilder des versehrten Körpers alternative Deutungsangebote über den GeschlechtsKörper. Obwohl sie dezidiert auf medizinische Praktiken der ‚GeschlechtsKörperangleichung‘ Bezug nehmen, sind sie nicht an einer Ästhetik der Vereindeutigung orientiert. Vielmehr wird über den Fokus auf die medizinischen Praktiken der transgeschlechtliche Körper als ein unnatürlicher, ein konstruierter Körper, als auch ein Produkt der Medizin ausgewiesen. Mit Susan Stryker gesprochen, stellen die Bilder den Körper aus als „flesh torn apart and sewn together again in a shape other than that in which it was born“ (Stryker 1994: 238). Sie machen die medizinischen Mechanismen der Naturalisierung des GeschlechtsKörpers offensichtlich. Damit ist jedoch nicht gemeint, dass die Betroffenen ihre innerhalb des medizinischen Regimes als unterlegen zugeordnete Subjektposition bebildern. Was an der Visualität der Bilder auffällt, ist eine aktive, auch widerständige Auseinandersetzung mit jener Subjektposition, indem das hegemoniale Blickregime von Arzt/Patient_in auf vielfältige Art und Weise umgearbeitet wird. Indem sie sich ästhetischen Idealen des heilen, gesunden und schönen Körpers verweigern, können die Bilder als visuelle Reflexionen medizinischer Darstellungs- und Wahrnehmungskonventionen betrachtet werden.
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4.4 HYPERSICHTBARE GESCHLECHTSKÖRPER Die auf YouTube statfindende Visualisierung von Transgeschlechtlichkeit geschieht über eine explizite Sichtbarmachung des transgeschlechtlichen Körpers. Diese extreme Sichtbarkeit des GeschlechtsKörpers funktioniert, wie sich zeigte, anders als auf der medizinischen Diskursebene. Auf der Diskursebene der Medizin war die Sichtbarkeit des Körpers gekoppelt an eine relative Unsichtbarkeit der transgeschlechtlichen Subjektposition. Auf subkultureller Ebene wird der transgeschlechtliche Körper visualisiert, während gleichzeitig die spezifische Sozialität der Betroffenen nicht negiert, sondern vielmehr affirmiert wird. Johanna Schaffer stellt fest, dass extreme Sichtbarkeitsformen Strategien der diskursiven Auslöschung sein können, wenn die „Weisen des Sichtbarseins“ (Schaffer 2008a: 55) mit „Ohnmachts-, Zwangs- und Gewalterfahrungen zu tun haben“ (ebd.). Eine visuelle Überdeterminiertheit bei gleichzeitiger Unsichtbarkeit marginalisierter Subjektpositionen realisiert sich Schaffer zufolge in zwei miteinander verquickten Repräsentationsmodi: im Modus der Spektakularisierung und im Modus der Stereotypisierung (vgl. ebd.: 60ff.) Bei der Darstellungspraxis des Stereotypisierens handelt es sich um eine Repräsentationsform, die mit einer Reduktion, Essenzialisierung und Naturalisierung von gesellschaftlich produzierten Differenzen arbeitet (vgl. Hall 1997). Der Filmwissenschaftler Steve Neale definiert den Modus als „stable and repetitive structure of character traits“ (Neale 1993: 41). Durch den Fokus auf die körperliche Materialität handelt es sich bei der auf medizinischer Ebene eingesetzten Visualität um ein Stereotyp, das den Dualismus zwischen Körper und Geist aufruft und in der Formel des ‚Menschen, der im falschen Körper gefangen ist‘ seinen diskursiven Ausdruck findet. Das Stereotyp wird dort zu einer „Verknappung diskursiver Möglichkeiten“ (Schaffer 2008a: 61), vor allem aufgrund der Tatsache, dass der Körper der Betroffenen als Spektakel präsentiert wird. Damit ist gemeint, dass die auf medizinischer Diskursebene eingesetzte Visualität den Körper der Betroffenen als zentrales Objekt des Blickes in seiner Andersartigkeit zur Schau stellt. Die Visualität von Transgeschlechtlichkeit erweist sich, so verstanden, als Form der Sichtbarkeit einer minoritären Subjektposition, in der sich keine Wertschätzung, sondern ein Herrschaftsverhältnis artikuliert. Die Fotografien von Del LaGrace Volcano greifen den Duktus der für Transgeschlechtlichkeit typischen visuellen Überdeterminiertheit auf. Der amerikanische Künstler und Trans*Aktivist macht den transgeschlechtlichen Körper in seinen Fotografien hypersichtbar. Das ist in seiner Fotoreihe TransGenital Landscapes (London 1996-1998) am auffälligsten. TransGenital Landscapes ist eine unter vielen Fotoreihen, die im Band Sublime Mutations (2000) veröffentlicht ist.
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Der Bildband beinhaltet verschiedene Schwarzweiß- und Farbfotografien Volcanos von Beginn der 1990er bis 2000er Jahre. Sie sind thematisch nicht alle mit dem transgeschlechtlichen Körper beschäftigt, auch wenn sowohl Volcano als auch seine Modells in der queer- und transfeministischen Szene verortet sind (vgl. Hoenes 2014: 120). Das Sujet aller Fotografien ist die Transformation und Verwandlung des Körpers „durch Alter, Unfall, Krankheit oder Gestaltung [...] Das Motto lautet: Verwandle dich oder stirb“ (Volcano 2000: 5). Sie reihen sich damit in eine sich in Differenz zur Ästhetik der Vereindeutigung bestehenden Darstellungsweise ein, die die Prozesshaftigkeit – das transing (Straube 2014: 41) – nicht nur des Körpers im Allgemeinen, sondern auch des GeschlechtsKörpers im Speziellen, zur Anschauung bringt. Die Vielzahl an Transformationen und Grenzüberschreitungen, die in den Fotografien des Bildbandes ansichtig werden, können als Dokumentation der sich verändernden Themen queerer Subkultur verstanden werden: „Diese Bilder sind nicht einfach der Fantasie eines auteur entsprungen, sondern beziehen sich auf Mutationen – ja, sie dokumentieren sogar soziale Veränderungen – innerhalb der queeren und mittlerweile schon eher transgender-orientierten Gruppierungen“ (Prosser 2000: 13). Die Fotoreihe TransGenital Landscapes besteht aus neun, größtenteils mit Weitwinkel-Objektiv aufgenommenen Schwarzweißfotografien, die den Blick auf die verschiedensten Formen von Genitalien richten. Auf der medizinischen Diskursebene fungierten Genitalien als Insignien des Geschlechts. Nicht nur aus genealogischer Perspektive dienen sie als „Knotenpunkt unserer geschlechtlichen und sexuellen Identität“ (Hoenes 2014: 222). Auch aus einer ästhetischen Perspektive standen sie in der Funktion, den eindeutigen GeschlechtsKörper hervorzubringen und zu bewahrheiten. Diese objektivierende Funktion von Genitalien wird in den transgenitalen Landschaften umgearbeitet. Der Titel der Fotoreihe deutet dies bereits an, insofern als dass es sich nicht, wie auf der medizinischen Diskursebene üblich, um Aufnahme des nackten Körpers handelt, die den Anschein von Objektivität, Realismus und Wahrheit erwecken, sondern mit der Darstellung von Landschaften ein klassisches Sujet der europäischen Malerei seit dem 17. Jahrhundert aufgegriffen wird (vgl. ebd.: 226). Während acht Fotografien Nah- und Detailaufnahmen von Genitalien sind, fokussiert eine Fotografie auf den Torso einer Person (s. Abb. 29). Die Bildfigur, deren Kopf nicht zu sehen ist und deshalb anonym bleibt, ist vor einem schwarzen Hintergrund nackt fotografiert. Sie scheint die Arme in die Luft zu strecken, wodurch ihre Achselbehaarung sichtbar wird. Durch die gestreckte Pose erscheint die Brust eher flach, auch wenn sich aufgrund der Lichtverhältnisse Schatten darunter abbilden, die auf eine gewölbte Form der Brust schließen lassen. Auf dem Oberkörper befindet sich eine Bemalung. Es handelt sich um das Kinderspiel Tic-
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Tac-Toe, das auch unter dem Namen Drei Gewinnt bekannt ist und üblicherweise von zwei Spieler_innen gespielt wird. Bei dem Strategiespiel geht es darum, dass die Spieler_innen auf einem quadratischen, aus 3 x 3 Feldern bestehenden Spielfeld abwechselnd ihr Zeichen (Kreuz oder Kreis) in ein freies Feld eintragen. Di_erjenige Spieler_in, di_er zuerst drei seiner_ihrer Zeichen in eine Reihe (Waagerechte, Senkrechte oder Diagonale) setzt, schlägt die_en Gegenspieler_in und hat das Spiel gewonnen. Das Spielfeld auf dem Torso der Bildfigur lässt vermuten, dass das Strategiespiel mit anderen Regeln gespielt wurde. Sowohl di_er Spieler_in mit den Kreuzen, als auch di_er Spieler_in mit den Kreisen scheint hier gewonnen zu haben. In der Mitte des Spielfeldes ist außerdem ein Feld mit einem Zeichen versehen, das sowohl aus einem Kreuz als auch einem Kreis besteht und dem Zeichen für das weibliche Geschlecht ähnelt. Es kann davon ausgegangen werden, dass die Bemalung auf Intergeschlechtlichkeit verweist, schließlich entstehen einige Variationen von Intergeschlechtlichkeit aufgrund chromosomaler Anlagen, die von den zwei üblichen XX und XY Varianten abweichen. Darunter sind zahlreiche XX Varianten sowie Varianten, die die genetische Anlage XO aufweisen. Die Referenz wird auch im Titel der Fotografie (Hermaphrodite Torso) offensichtlich. Der weitere Torso erscheint in der Abbildung schlank. Die Lichtverhältnisse sorgen dafür, dass die Bauchmuskeln und die Leistensichel deutlich sichtbar sind. Neben der Bemalung, die einen zentralen Fokuspunkt der Darstellung bildet, liegt ein weiterer visueller Schwerpunkt auf dem Genitalbereich der Figur. Die dunkle Schambehaarung setzt sich deutlich von dem hellen Körper der Figur ab. Das Genital wird von_m der unvertrauten Betrachter_in nicht gänzlich einem der beiden Geschlechter zuordenbar sein. Es erscheint sowohl wie ein Mikro-Penis, als auch wie eine zwischen den beiden Schamlippen hervorlugende vergrößerte Klitoris. In der Trans*Subkultur bezeichnet man dies als T-Dick: Während das „T“ auf das testosteronbedingte Wachstum der Klitoris verweist, liefert „Dick“ (Penis) den Alternativ- und passenderen Begriff für eben jene vergrößerte Klitoris. Das intensive Sidelighting lässt den T-Dick besonders prominent, weil glanzvoll, zutage treten. Hier scheint es offensichtlich darum zu gehen, die_en Betrachter_in auf seine_ihre Wahrnehmungskonventionen hinsichtlich der Bestimmung von Geschlechtlichkeit hinzuweisen.
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Abbildung 29: Hermaphrodite Torso (Originaltitel)
Quelle: Volcano, Del LaGrace (2000): Sublime Mutations. Tübingen: Konkursbuchverlag, S. 145.
Mit der Visualisierung des Genitals sind auch die anderen Darstellungen der Fotoreihe beschäftigt (s. Abb. 30-35). Während die Darstellung Hermaphrodite Torso mit Geschlechtszeichen spielt und einen geschlechtlich ambivalenten Körper zu sehen gibt, liefern die Fotografien Thru the Looking Glass (Abb. 30) und TransCock I (Abb. 31) eine Kritik an der Tradition sexualwissenschaftlicher Fotografie. Thru the Looking Glass visualisiert den scheinbar klassischen Ärzteblick
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zwischen die gespreizten Beine. Der Blick erfolgt durch eine zentral im Bild platzierte Lupe, die eine Vergrößerung des Genitals liefert. Dieser fokussierte Bereich – der Mikro-Penis bzw. die vergrößerte Klitoris, die umgeben ist von Schamlippen, Hautfältchen und Poren – bildet das Zentrum der Darstellung. Außerhalb des Bildzentrums sind die stark ausgeleuchteten Schenkelansätze und das Schambein zu sehen, die ein Licht- und Schattenspiel im von der Lupe vorgegeben Blickfeld erzeugen. Wie Hoenes richtigerweise feststellt, gibt die Darstellung des Genitals keine „eindeutige Identifizierung der geschlechtlichen Wahrheit“ (Hoenes 2014: 233) zu sehen, indem sie gerade keinen Durchblick auf etwas oder einen Einblick in etwas bietet. Abbildung 30: Thru the Looking Glass (Originaltitel)
Quelle: Volcano, Del LaGrace (2000): Sublime Mutations. Tübingen: Konkursbuchverlag, S. 144.
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Auch der Titel der Fotografie verweist nicht darauf, dass der ärztliche Blick hier ein neuartiges Phänomen entdeckt, vorgefunden und bezeichnet hat. Vielmehr wird in der Fotografie lediglich auf die Darstellungskonventionen der Sexualwissenschaft rekurriert. Die Darstellung verkehrt den eindringenden Ärzteblick in einen eher tastenden Blick, der erfolglos nach einem ‚Wahrheitsmoment‘ sucht. Die extreme Nahaufnahme vom Genital, die ein Mehr-Sehen verdeutlicht, führt hier gerade nicht zu einem Mehr-Sagen-Können. Abbildung 31: TransCock I (Originaltitel)
Quelle: Volcano, Del LaGrace (2000): Sublime Mutations. Tübingen: Konkursbuchverlag, S. 151.
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So wie die Lupe in Thru the Looking Glass als Bildzeichen einen Verweis auf den hegemonialen Ärzteblick herstellt, so stellt das Maßband in TransCock I eine Referenz zur medizinischen Diskursebene her. Die Schwarzweißfotografie zeigt in Nahaufnahme den Schaft eines T-Dicks sowie ein Maßband, das links neben dem Genital positioniert ist. Hier wird klar auf die medizinische Praxis der Geschlechtsbestimmung qua Vermessung des Genitals verwiesen. Gerade das Genital ist ein Körperteil, das mit kultureller Bedeutung aufgeladen ist. Bei Körperteilen, die als unbedeutend gelten, wird Variabilität toleriert. Beim Genital ist das anders. Da es mit kultureller Bedeutung aufgeladen ist, wird weniger soziale Variabilität akzeptiert (vgl. Lang 2006: 239). Dieser Umstand zeigt sich besonders deutlich bei der chirurgischen Zurichtung intergeschlechtlicher Kleinstkinder, wenn deren Genitalien weder dem männlichen, noch dem weiblichen Geschlecht zugeordnet werden können.20 Die Fotografie macht also nicht nur auf Wahrnehmungskonventionen hinsichtlich der Bestimmung von Geschlechtlichkeit aufmerksam, sie liefert auch eine Kritik an medizinischen Normierungsprozessen. Die Darstellung spielt des Weiteren mit der Schwarzweiß-Differenz: Während das Genital äußerst dunkel gehalten ist und sich auch die Ränder des Bildausschnitts in ein leeres Schwarz auflösen, liefert das weiße Maßband einen Kontrast, sodass hier der Rekurs zur medizinischen Diskursebene erweitert wird um die Relation zwischen Geschlecht und Rassismus. Dieses komplexe Bedeutungsgefüge wird der_m Betrachter_in auch dadurch deutlich, dass die Fotografie im Bildband parallelisiert wird zur Fotografie Snow Queen (s. Abb. 32). Snow Queen visualisiert einen T-Dick, ebenfalls in extremer Nahaufnahme, der aufgrund der Lichtverhältnisse schneeweiß und glänzend erscheint. Der Schaft und die Eichel reflektieren das Licht, einzelne Hautfältchen und die Hautoberfläche liefern eine bewegte Landschaft, die an ein Gletschergebirge erinnert. Die beiden Fotografien machen auf diverse, in Zusammenhang mit der Bestimmung von Geschlechtlichkeit stehende Verkreuzungen aufmerksam: Während das Maßband darauf hindeutet, dass der äußere Teil des Genitals zu groß bzw. zu klein geraten ist, je nach dem, ob man es als Penis oder Klitoris ‚liest‘, übertrifft der Gletscherberg in Snow Queen (Abb. 32) die Größe des TransCock I, und das, obwohl das so schneeweiß fotografierte Genital aufgrund seines Titels weiblich konnotiert ist. Die SchwarzweißDifferenz der beiden Darstellungen verweist auf rassistische Vorstellungen um die Größe und Form von Genitalien. Es wird eine direkte Referenz zur kulturellen
20 Die Medizin sieht vor, dass ein Penis bei der Geburt eine Länge von 2,5-4,5 cm haben solle. Für die Klitoris ist eine Länge von 0,2-0,85 cm vorgesehen. Ist der äußere Teil des Genitals größer bzw. kleiner als die vorgegebene medizinische Norm, handelt es sich aus medizinischer Sicht um „korrekturbedürftig“ (Lang 2006: 55).
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Tradition der Phalloisierung des schwarzen, männlichen Körpers hergestellt, die hier unterlaufen wird (vgl. Prosser 1998: 232f.). Abbildung 32: Snow Queen (Originaltitel)
Quelle: Volcano, Del LaGrace (2000): Sublime Mutations. Tübingen: Konkursbuchverlag, S. 150.
Dass die Größe und Form von Genitalien nicht nur in Zusammenhang steht mit der Bestimmung von Geschlechtlichkeit und Ethnizität, sondern sie als idyllische Landschaften, d.h. als Phantasie anregende Phänomene, betrachtet werden können, schildern die Darstellungen Snow Queen (Abb. 32), Stalactite (Abb. 33), La Coeur (Abb. 34) und Crevice (Abb. 35).
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Abbildung 33: Stalactite (Originaltitel)
Quelle: Volcano, Del LaGrace (2000): Sublime Mutations. Tübingen: Konkursbuchverlag, S. 148.
Die vier Fotografien fokussieren in extremer Nahaufnahme auf den äußeren sichtbaren Teil eines T-Dicks. In Snow Queen verwandelt sich das Genital in eine Gletscherlandschaft, in Stalactite formt es einen von der Decke hängenden Stalaktiten, La Coeur liefert die Darstellung eines in Herzform umzäunten Moosgebiets und Crevice scheint eine Bergspalte zu visualisieren. Gerade die Lichtverhältnisse in den Fotografien sorgen für dramatisch und bewegend erscheinende Landschaftsgebilde, die die_n Betrachter_in nicht nur visuell anzusprechen vermögen. Sie liefern gewissermaßen Gebilde, die fast schon in ihrer Haptik nachvollzogen werden
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können. Über deren haptische Visualität eröffnen sie das Potenzial, die realen somatischen Erlebens- und Empfindungsweisen von Trans*Männern nachvollziehbar zu machen. Abbildung 34: La Cœur (Originaltitel)
Quelle: Volcano, Del LaGrace (2000): Sublime Mutations. Tübingen: Konkursbuchverlag, S. 149.
Im Anschluss an Gilles Deleuze und Felix Guattari betrachtet sie Hoenes aufgrund dessen auch als „Organe im Sinne eines organlosen Körpers“ (Hoenes 2014: 237), die eine mediale Intervention bilden, insofern als dass sie „die Genitalien aus ihrer hegemonial dominanten Funktion als Reproduktions- und Produktionsorgane eines ganzen vergeschlechtlichten Körpers befreien“ (ebd.).
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Abbildung 35: Crevice (Originaltitel)
Quelle: Volcano, Del LaGrace (2000): Sublime Mutations. Tübingen: Konkursbuchverlag, S. 147.
Die Fotografien ermöglichen also zum einen den Nachvollzug einer somatischen Erlebensperspektive, die im Medizindiskurs hinter dem vermessenden, hegemonialen Blick des Arztes verschwindet. Der über die spezifische Visualität angeregte Nachvollzug der Betroffenenperspektive ist somit als emanzipatorisch zu werten. Zum anderen erheben die Fotografien Einspruch gegenüber der Produktion eines ganzen Körpers, ebenso wie sie einer „biopolitisch organisierten Logik von heteronormativer Penetrationssexualität und Reproduktion“ (ebd.) widerstehen.
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4.5 BILDER DES ANDROGYNEN KÖRPERS Der Fotoband Relationship (2016) von Rhys Ernst und Zackary arbeitet im Gegensatz zu den YouTube Vlogs und Del LaGrace Volcanos Bildband Sublime Mutation (2000) mit einer weiteren visuellen Strategie, die ein im Vergleich zur medizinischen Diskursebene alternatives Verständnis von Transgeschlechtlichkeit erzeugt. Der Bildband lässt Transgeschlechtlichkeit als eine Relation zwischen zwei Körpern denkbar werden. Er stellt sie als ein androgynes Phänomen dar, das sich als Effekt des Verhältnisses zweier Körper artikuliert. Der Fotoband zeichnet verschiedenste private und intime Momente des transgeschlechtlichen Künstler_innenpaares nach. Die Fotografien dokumentieren eine Zeitspanne von sechs Jahren (2008-2014), in denen der sich als trans*männlich verstehende Rhys und die sich als trans*weiblich verortende Zackary geschlechtlich transitionierten. Die Fotoserie fungiert als ein visuelles Tagebuch. Im Sinne Jay Prossers (2000) kann es als „Ph/Autography“ verstanden werden, d.h. als fotografische Auto-Ethnographie, womit gemeint ist, dass der Band Fotografien eines auktorialen Subjekts umfasst: Rhys und Zackary fungieren zugleich als fotografierende Subjekte wie als fotografierte Objekte. In den Fotografien werden nicht nur die persönlichen Erfahrungen der beiden dokumentiert, sie liefern darüber hinaus Perspektiven auf die kulturelle Konstruktion von Körpern und Geschlechtlichkeit, die sich von den auf medizinischer Ebene diskursiv verbreiteten Perspektiven und Botschaften unterscheiden. In einem Gespräch mit einer Journalistin des New York Times Magazine beschreibt Rhys Ernst die fotografische Arbeit als „practice of creating self-reflexive work, or work that reflected my community“ (Bobrow 2016). Der dokumentarische, selbst-reflexive Charakter der Fotografien ist kongruent mit den Videotagebüchern, die von transgeschlechtlichen Menschen auf YouTube erstellt werden. Die im Jahre 2014 stattfindende Ausstellung der Fotoserie auf der Whitney Biennale fällt auch zeitlich zusammen mit der starken Zunahme an Trans*-Vlogs auf YouTube. Obwohl in der Rezeption der Fotoserie der geschlechterpolitische Aspekt des gender crossings, d.h. „das Moment der Überschreitung hegemonialer Geschlechterstereotype“ (Schröter 2002: 14), erwähnt wird, beschreiben die meisten Kritiken das fotografische Werk als Selbstdokumentation einer aufblühenden Liebesbeziehung, als „chronicle [of] their six year romance“ (Bobrow 2016). Selbst der Kurator des Museum of Modern Art in New York, in dem einige Teile der Fotoserie ausgestellt wurden, schreibt im Vorwort des Bildbandes, dass das autobiographische Projekt „simply and directly revealed the quotidian details of a couple falling in love while mutually transitioning [...]“ (Comer 2016: 6). Der Ti-
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tel Relationship scheint das rezipierte Sujet zu bestätigen. In der Analyse fällt jedoch auf, dass die Fotografien kaum etwas über die Liebesbeziehung zwischen Zackary und Rhys erzählen. Vielmehr ist der Begriff der Beziehung hier weiter zu fassen: Es geht um die verschiedensten Arten von Beziehungen zu sich selbst, worin Relationen zum eigenen Körper, zur eigenen Sexualität, zur eigenen Geschlechtlichkeit, auch zur eigenen Repräsentation eingeschlossen sind. Es geht um die Beziehung zwischen alltäglichem Leben und Kunst, um das Verhältnis zwischen dem Romantischen und Intimen zum Profanen, um die Relation von Privatem und Performativem. Es geht auch und vor allem um die Beziehung zwischen „the micro-bodily and the macro-pharmacopornographical“ (Nelson 2016: 146), d.h. um das Spannungsfeld zwischen verkörpertem Selbst und Medizindiskurs, das sich in den Fotografien abzeichnet. Der Bedeutungsgehalt des Bildbandes tut sich vor allem in den Räumen zwischen den Fotografien auf. Aufgrund sujetbedingter, ästhetischer und kompositioneller Ähnlichkeiten lassen sich schnell Bildpaare ausfindig machen, die in einen Dialog miteinander treten. Diese Dialogizität deutet sich bereits in, nicht nur zwischen, einzelnen Bildern an. Bei der Besprechung der Abb. 26, jener Fotografie, die als „one of the most memorable photos“ (Nelson 2016: 148) aus Relationship (2016) bezeichnet wurde, konnte beispielsweise gezeigt werden, dass sich die Darstellungsaussage aus der Ähnlichkeit der beiden Bildobjekte – die durch Hormoninjektion versehrten Pos von Rhys und Zackary – ergibt. Obwohl der Zwillingscharakter der Bildobjekte augenfällig ist, der auf kollektive Widerständigkeit und solidarisches Rebellentum gegenüber gesellschaftlichen Körper-, Zweigeschlechtlichkeits-, auch Anstandsnormen hinweist, wird gleichermaßen deren Unterschiedlichkeit ersichtlich: Die verschiedenen Hosen und Unterhosen, die distinkten Formen der Pobacken und die dadurch sichtbar werdenden physiologischen Effekte der Hormonbehandlung verkünden den disparaten Gehalt der jeweiligen Transitionsprozesse, auch wenn diese gemeinsam als Liebespaar durchlaufen werden und visuell nebeneinander dokumentiert sind. Ähnlich zu einem Gespräch, in dem ein_e Partner_in auf di_en andere_n Gesprächspartner_in antwortet, d.h. sich auf sie_ihn bezieht, während er_sie seine_ihre eigene Ansicht vermittelt, treten die Fotografien in Relationship (2016) in einen visuellen Dialog ein. Auch in den Transition Update Videos auf YouTube etablierte sich über die Anwendung der Strategie des Reenactments eine dialogische Bedeutungsstruktur. In den exemplarisch nachfolgend aufgeführten Abbildungen ergibt sich die dialogische Struktur durch die Verwendung analoger Bildobjekte (s. Abb. 36 und 37), durch Ähnlichkeiten der Bildfiguren (s. Abb. 38 und 39), durch formalästhetische Gemeinsamkeiten (s. Abb. 40 und 41) sowie durch miteinander verzahnte Blickregime (s. Abb. 42 und 43).
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Abbildung 36: Rhys mit Eiern
Quelle: Drucker, Zackary/Ernst, Rhys (2016): Relationship. München [u.a.]: Prestel, S. 55.
Abbildung 37: Zackary mit Apfelsine
Quelle: Drucker, Zackary/Ernst, Rhys (2016): Relationship. München [u.a.]: Prestel, S. 113.
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In der Abbildung 36 ist Rhys abgebildet, wie er, seinen Körper zur Seite von der_m Betrachter_in weggedrehend, nackt auf einem Bett liegt. Sein Po und das angezogene Bein bilden den Fokus der Fotografie. Zwischen Pofalte und Oberschenkel sind zwei Eier geklemmt, die unmissverständlich das Fehlen seiner Hoden kompensieren. Die Abbildung 37 zeigt in Draufsicht Zackary auf einer Treppe sitzend. Sichtbar sind ihre Beine. Ihr rechter Arm ragt ins Bild. Zackary hält eine geschälte Apfelsine in Höhe ihres Schoßes. Es handelt sich um einen Point-ofview Shot. Die Frucht, deren knubbeliges Ende deutlich erkennbar ist, stellt hier das Bildzentrum dar. Genau wie in Abb. 36 verweist die Frucht aufgrund ihrer Form auf das Genital, das Zackarys Geschlechterpräsentation kulturell zugeschrieben wird: eine Vulva. Die Apfelsine scheint als Substitut für das fehlende Genital zu fungieren. Beide Fotografien beinhalten das Moment der Komik: Die Betrachter_innen erkennen sofort die Stellvertreterfunktion der beiden Bildobjekte. Eier und Apfelsine imitieren das Vorhandensein des Hodens bzw. der Vulva, entlarven gleichsam über eine parodistische Geste deren Nicht-Existenz, was hier nicht zur Folge hat, dass Rhys Männlichkeit bzw. Zackarys Weiblichkeit in Frage gestellt wird. Vielmehr bieten die Fotografien eine Parodie auf vergeschlechtlichte Wahrnehmungsweisen. Linda Hutcheon beschreibt in ihrem Buch A Theory of Parody (1991), in dem sie sich mit verschiedenen modernen und postmodernen künstlerischen Werken beschäftigt21, dass die formale Voraussetzung dafür, dass ein künstlerisches Werk als parodistisch erkannt und verstanden wird, im Teilen eines gemeinsamen Codes zwischen encoder und decoder liege. Die_r Betrachter_in (decoder) erkennt gewissermaßen die doppelte Struktur ‚der Aussage‘, die dem encoder unterstellt wird. Die doppelte Struktur geht aus der Anerkennung und Überlagerung zweier Ebenen hervor: die Ebene der Oberfläche/des Vordergrunds und die Ebene der Andeutung bzw. des Hintergrunds, wobei die Bedeutung der letzteren Ebene sich durch den Kontext ergibt (vgl. Leibetseder 2010: 57f.). Während sich die Oberfläche der Abbildungen 36 und 37 aus den sichtbaren Bildobjekten (denotativer Gehalt) ergibt, wird die Ebene des Hintergrunds durch die Betrachter_innen erzeugt. Das betrachtende Publikum erkennt in Abb. 36 die Unangemessenheit der visuellen Präsenz der Eier. Deren Deplatzierung ist gerade deshalb offenkundig, weil die Aufnahme Konventionen der erotischen Fotografie imitiert. Die von Rhys eingenommene Pose spielt geradezu mit dem Blick des_r Betrachter_in auf sein Genital. Die_r Betrachter_in bekommt vorgeführt, was er_sie erwartet in der Fotografie zu sehen. Mit Hutcheon gesprochen, entwickelt sich der parodistische
21 U.a. mit Magrittes This not a Pipe, Stockhausens Hymnen oder den Film DRESSED TO KILL (USA 1980, R: Brian De Palma).
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Effekt aus „repetition, but repetition that includes difference […]; it is imitation with critical ironic distance [...]“ (Hutcheon 1991: 37). In Abb. 37 ist offenkundig, dass die Apfelsine die Form einer Vulva imitiert. Dieses Verstehen des Bildobjekts als Vagina-Symbol wird zusätzlich durch die Platzierung der Frucht zwischen den Beinen von Zackary nahegelegt. Dadurch erhält das scheinbar bedeutungslose Sujet der Fotografie einen absurden, komischen Charakter. Beide mit einem parodistischen Gestus versehenen Abbildungen kommentieren somit die kulturelle Bedeutung von Genitalien. Sie führen der_m Betrachter_in den Zusammenhang vor Augen, der zwischen der Vergeschlechtlichung von Körpern und der Existenz bestimmter Genitalien besteht. In dem Sinne sind sie als paradox zu bezeichnen: Sie verweisen humorvoll und ironisch auf die Bedeutung von Genitalien, stellen deren kulturelle Bedeutung gleichsam in Frage, während sie sich gleichzeitig des Zeichenrepertoires des hegemonialen Systems bedienen. Die Abbildungen können damit sowohl als Ausdruck der Denaturalisierung, als auch als Idealisierung der Zweigeschlechternorm verstanden werden. Sie befinden sich damit genau in jenem uneindeutigen Bedeutungsgefüge, das Butler in Bezug auf drag formuliert hat: Eine parodistische Wiederholung von Geschlechternormen kann „den phantasmatischen Identitätseffekt als eine politisch schwache Konstruktion entlarv[en]“ (Butler 1991: 207), sie kann aber auch, obwohl sie auf den Mangel an Originalität und Natürlichkeit hinweist, im Dienste des heterosexuellen Regimes stehen. Wie Sabine Hark feststellt, kommt es bei der Frage, ob eine parodistische Wiederholung als subversiv zu verstehen ist, d.h. ob die Fotografien in diesem Falle ein anti-normalisierendes Moment bereithalten, auf den Kontext an, in dem eine solche Strategie zum Einsatz kommt: „Nur eine historische und politische Kontexte berücksichtigende Analyse kann deshalb Aufschluß über das subversive oder konservative Gewicht spezifischer Strategien geben, weshalb subkulturelle Stile verstanden werden müssen als innerhalb je spezifischer historisch-ideologischer Kontexte produziert, zirkuliert und gedeutet.“ (Hark 1998: 119)
Ernesto Laclau und Chantal Mouffe beschreiben Artikulation als „jede Praxis, die eine Beziehung zwischen Elementen so etabliert, dass ihre Identität als Resultat einer artikulatorischen Praxis modifiziert wird“ (Laclau/Mouffe 2006 [1985]: 141). Artikulation „stellt dann die Form einer Verbindung dar, die eine Einheit verschiedener Elemente, die zu Momenten geworden sind, bilden können. Es ist eine Verkettung, die nicht notwendig, nicht determiniert, nicht absolut ist“ (Hark 1998: 24). Die Abbildungen können also durchaus als Resignifikationen der Zweigeschlechternormen verstanden werden. Aufgrund ihrer Situiertheit in einen Trans*-Kontext, den der Bildband nicht verschweigt, sondern explizit macht, ist
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es allerdings naheliegender, die Fotografien als Artikulationen zu lesen, die nicht nur kritisch auf die Wirkmächtigkeit jener Normen hinsichtlich der Wahrnehmung und Konstruktion von Körpern hinweisen, sondern sie auch eine kulturelle Sichtbarkeit von transgeschlechtlichen Menschen erzeugen, die auf der Erfahrungsweise von Körpern basiert. Es ist, als stellten Drucker und Ernst visuell aus, wie andere ihre Körper betrachten. Sie führen vor, welche reglementierenden Blicke, die durch die Brille der Zweigeschlechtlichkeit entstehen, auf sie geworfen werden. Dass sie diese Blicke über eine parodistische Geste zur Schau stellen, lässt vermuten, dass Drucker und Ernst aus einer alternativen, einer diskursiven Gegenposition ‚sprechen‘, die in kritischer Distanz steht zum reglementierenden Regime der (heterosexuellen Zwei-)Geschlechternormen. Abbildung 38: Zackary nackt
Quelle: Drucker, Zackary/Ernst, Rhys (2016): Relationship. München [u.a.]: Prestel, S. 71.
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Dialogisch verbunden sind die Abbildungen 38 und 39 durch die Ähnlichkeit der Bildfiguren. Während in Abbildung 38 Zackary in einer Totalen zu sehen ist, wie sie aufrecht mit einem fast durchsichtigen, beigen Slip und schwarzen Absatzschuhen bekleidet auf einem Holzboden steht und mit einem verletzlich wirkenden Blick das Betrachter_innengegenüber sucht, zeigt die Fotografie in Abbildung 39 Rhys mittels eines Top-Shots in einer Badewanne liegen. Abbildung 39: Rhys in Badewanne
Quelle: Drucker, Zackary/Ernst, Rhys (2016): Relationship. München [u.a.]: Prestel, S. 72.
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Das Wasser bedeckt seinen knabenhaft wirkenden Körper. Sein Genitalbereich und sein Oberkörper sind aufgrund des trüben Badewassers kaum erkenntlich. Auch Rhys sucht in dieser Abbildung den Blick des_r Betrachter_in. Beide Abbildungen sind darüber verbunden, dass sie die beiden Körper als nackte, aber nicht entblößte Körper visualisieren. Geschlechtlich eindeutige Körper werden hier nicht ersichtlich. Obwohl Zackary durch ihre Bekleidung als weiblich zu verstehen ist, vermittelt der Abstand der Kamera den Eindruck eines großgewachsenen Menschen, der einen hageren, eher androgynen Körper aufweist. Ein androgyner Körper wird auch in der Abbildung 39 zu sehen gegeben. Rhys wirkt durch den Top-Shot recht verloren in der Badewanne. Auffällig ist auch, dass das eingelassene, sich farblich eindeutig von der weißen Badewanne und Rhys gebräuntem Körper absetzende Badewasser seinen nackten Körper wie ein seidig-farbenes Kleid umhüllt. Die Wirkung von Androgynie wird in den beiden Fotografien also nicht nur dadurch gebildet, dass mit den verschiedensten, scheinbar unpassenden Geschlechtszeichen gespielt wird, sondern dadurch, dass die Körper von Rhys und Zackary als Körper präsentiert werden, bei denen die Vorstellungen von Männlich- bzw. Weiblichkeit an Kontur verlieren. Rhys und Zackary sind in den Fotografien des Bildbandes meist einzeln, selten als Paar, abgebildet. Über ästhetische Parameter werden die Einzelbilder zu Bildpaaren verklammert. In Abbildung 40 und 41 ergibt sich die bildliche Paarung durch das Element der Surkadrage: Eine Abbildung ist bei Vorliegen der Surkadrage nicht nur durch den äußeren Bildrahmen begrenzt, sondern weist auch innerhalb des Bildfeldes eine Begrenzung auf. Diese innere Rahmung fixiert Zackary und Rhys in den jeweiligen Fotografien als fokussierte Bildobjekte. Es sei bereits an dieser Stelle erwähnt, dass die Visualisierung transgeschlechtlicher Körper mittels innerer Rahmungssysteme eine Darstellungskonvention ist, die vor allem im populärfilmischen Bereich eingesetzt wird. Was die Surkdrage in den hier vorliegenden Abbildungen bezweckt, ist eine Reduktion des Bildfeldes auf einen Bildausschnitt (den transgeschlechtlichen Körper). Sie dient der Zentrierung der Bildfiguren. Was diese Fokussierung preisgibt, ist eine feminin gekleidete, selbstbewusst posierende Zackary bzw. ein scheinbar zufällig und unvorbereitet abgelichteter Rhys. Rhys befindet sich in einem Schlafzimmer. Er steht hinter einem Bett und ist mit einem weißen Hemd und einer Unterhose bekleidet. Die Abbildung vermittelt nicht den Eindruck, als posiere Rhys für die Kamera. Er scheint vielmehr unbemerkt nach dem Aufwachen abgelichtet worden zu sein. Bei der Fotografie handelt es sich allerdings um ein Spiegelbild. Das fotografierende Subjekt ist mit ein wenig räumlichem Abstand vor dem Spiegel positioniert. Es ist erkenntlich, dass Rhys in Richtung dieser Position blickt. Die perspektivische Projektion
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macht also auf den Umstand aufmerksam, dass sich Rhys sehr wohl um die Bildhaftigkeit seiner selbst bewusst ist. Abbildung 40: Zackary in Surkadrage
Quelle: Drucker, Zackary/Ernst, Rhys (2016): Relationship. München [u.a.]: Prestel, S. 74.
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Abbildung 41: Rhys im Spiegel
Quelle: Drucker, Zackary/Ernst, Rhys (2016): Relationship. München [u.a.]: Prestel, S. 75.
Im Grunde posieren beide, Zackary und Rhys, für die Kamera, allerdings auf unterschiedliche Arten und Weisen: Zackary, die selbstbewusst zu verkünden scheint: „This is me. Look at me!“ und Rhys, der eine authentische Momentaufnahme suggeriert. Der bildliche Fokusgegenstand – die beiden Körper, die jeweils als weiblich bzw. männlich passen – vermitteln dementsprechend Selbstermächtigung und Natürlichkeit. Zieht man die Visualisierungsstrategie hinzu, ergibt sich
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ein komplexes Bedeutungsgefüge: Während die Surkadrage in der Tradition steht, Bildobjekte zu isolieren und sie dem Spektakel (des Betrachtens) preiszugeben, verkünden die Posen der beiden eher Ermächtigung und Authentizität. Obwohl die Bildfiguren unterschiedlich zu posieren scheinen, sind die Gemeinsamkeiten der Darstellungsweise offensichtlich. Das betrifft nicht nur den Umstand, dass beide über die innere Rahmung fokussiert sind, sondern auch über deren Gesten. Abbildung 42: Rhys im Bett
Quelle: Drucker, Zackary/Ernst, Rhys (2016): Relationship. München [u.a.]: Prestel, S. 139.
Abbildung 43: Zackary im Bett
Quelle: Drucker, Zackary/Ernst, Rhys (2016): Relationship. München [u.a.]: Prestel, S. 141.
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Es ist, als bilde Rhys’ Fotografie eine versuchte Imitation zu Zackarys Abbildung. In diesem Zwillingscharakter der Bilder kristallisieren sich wiederum die Differenzen zwischen den beiden heraus. Diese Struktur – der Verweis auf körperliche Ähnlichkeit bei gleichzeitiger Fokussierung auf geschlechtliche Differenzen – durchzieht alle Bildpaare in Relationship (2016). Die Bildpaare schildern nicht so sehr die romantische Zweierbeziehung der beiden Protagonist_innen. Sie erzählen vielmehr von dem Verhältnis zweier scheinbar unterschiedlicher, in den Bildpaaren jedoch auffällig ähnlich konstruierter GeschlechtsKörper. Diese werden jeweils nicht als Prototypen von Männlich- bzw. Weiblichkeit illustriert, auch wenn zuweilen mit stereotypen Geschlechtszuschreibungen gespielt wird, so z.B., wenn Zackary demonstrativ für die Kamera posiert, während Rhys scheinbar beiläufig abgelichtet wird (s. Abb. 40-43). Die Visualität der Fotografien lotet den Raum zwischen den beiden gängigen Geschlechtspolen aus. Die Bilder bzw. die Bildpaare machen darauf aufmerksam, dass die Grenzen dessen, was als weiblich und männlich bezeichnet wird, fließend sind. Das macht sie zu Dokumenten, die Vorstellungen um eine androgyne Geschlechtlichkeit statt um eindeutige Zweigeschlechtlichkeit diskursiv in Umlauf bringen. Das Geschlechterkonzept der Androgynie hat eine lange Ideengeschichte, die bestimmte diskursive Höhepunkte aufweist: Während der zweiten Welle der Frauenbewegung, d.h. in den 70er Jahren des 20. Jahrhunderts, bot das Konzept Frauen eine Möglichkeit, aus den diskriminierenden Positionen in der Gesellschaft auszubrechen. Die These von der „androgynen Revolution“ (Badinter 1986) wurde massenmedial breit rezipiert und brachte Ikonen hervor, wie David Bowie, Michael Jackson, Boy George und Annie Lennox. In der medialen Beschäftigung mit dem Konzept schien es allerdings mehr um die „Lust nach Anschauung von Abweichung und Exotik“ (Bock 2010: 103) zu gehen, als ein Bewusstsein für den Umstand zu schaffen, dass ein jeder Mensch die Grenzen dessen überschreitet, was als weiblich oder männlich bezeichnet wird. In den Folgejahren entstanden zahlreiche, vor allem literaturwissenschaftliche, kunstgeschichtliche und philosophische Studien, die dem Motiv der Androgynie nachgingen. Androgynie wird dort als Sujet von Mythen und Utopien verhandelt. Dass es auch mit individuellen und gesellschaftlichen Entwicklungen in Verbindung steht, konnte durch sozialpsychologische und sozialwissenschaftliche Studien gezeigt werden. Das Konzept der psychischen Androgynie ist in der Psychologie in den letzten 40 Jahren entwickelt worden (vgl. Bierhoff-Alfermann 1989, Bock und Bierhoff-Alfermann 1999). Es rekurriert auf die sexualmedizinischen Vorstellungen über ‚Hermaphroditismus‘, wendet sie allerdings positiv: Es wird davon ausgegangen, dass der Mensch genetisch nicht festgelegt ist auf die Entwicklung von femininen oder maskulinen Eigenschaften. Vielmehr gilt gerade die ausgewogene Vermischung
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von femininen und maskulinen Eigenschaften in einer Person als Zeichen von psychischer Gesundheit. Psychisch androgynen Personen wird zugeschrieben, dass sie gegenüber gendertypisierten Menschen emotional ausgeglichener seien, ein höheres Maß an Selbstwertgefühl aufweisen, ihnen ein breiteres Spektrum an Handlungsmöglichkeiten zur Verfügung stehe und sie insgesamt anpassungsfähiger an sich verändernde Situationen seien (vgl. Bock 2010: 104). Es ist nicht zu verleugnen, dass die Prominenz des Konzepts mit neoliberalen Entwicklungen in Zusammenhang steht. Obwohl die Studien zur psychischen Androgynie dafür kritisiert wurden, dass sie auf maskulinen Identitätskomponenten beruhen (vgl. Sieverding und Alfermann 1992), konnte durch sie die These der in modernen Gesellschaften sich vollziehenden Angleichung der Geschlechter empirisch nachgewiesen werden (vgl. ebd.). In einigen feministischen Debatten der vergangenen 30 Jahre wurde das Konzept zunehmend kritisiert. Die Hauptkritik bezieht sich auf den Umstand, dass Androgynie kein geschlechtsneutrales Phänomen darstelle. Obwohl es die Auflösung von binären Geschlechtergrenzen suggeriere, handele es sich um ein männlich konnotiertes Konzept (vgl. Bock 2010: 105). Das ist bereits am grammatikalischen Geschlecht des Androgyns ablesbar. Die Geschlechterforschung konnte zeigen, dass Figurationen von Androgynie männlich konnotiert sind (vgl. Piggford 1999, Leibetseder 2010: 120-126). Die Vorstellung androgyner Geschlechtlichkeit bildet sich in Relationship (2016) dadurch, dass auf den Raum zwischen den beiden Bildpaaren verwiesen wird. Die über ästhetische Parameter stattfindende Verkoppelung von zwei Einzelbildern veranlasst gewissermaßen die_n Betrachter_in dazu, sich mit diesem liminalen Raum zwischen Rhys und Zackary als Stellvertreter_innen von verschiedenen, doch ähnlichen Geschlechtlichkeiten auseinanderzusetzen. Gewissermaßen visualisieren die Bildpaare damit das bzw. weist der Bedeutungsraum zwischen den Bildpaaren darauf hin, was Gertrud Lehnert unter Maskerade, nicht als Androgynie, versteht. Lehnert beschreibt Maskerade als eine permanente Bewegung: „Sowohl weiblich als auch männlich und zugleich weder weiblich noch männlich, sondern beides durchquerend, an beiden teilhabend, ohne es zu sein, immer auf der Suche nach einem anderen, das als stabile Position infolgedessen nicht erreicht werden kann“ (Lehnert 1997: 129). Relationship (2016) geht es nicht um die Visualisierung der Bewegung von einem Pol zum anderen. Der Bildband – ähnlich zu den YouTubetagebüchern – betont vielmehr die Fluidität des Raums zwischen den beiden gängigen Geschlechtern, ohne dezidiert auf deren Grenzposten zu verweisen.
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4.6 ZWISCHENFAZIT: DER TRANSGESCHLECHTLICHE KÖRPER ALS ANGEEIGNETER KÖRPER Wie Jay Prosser in seiner Studie Second Skins (1998) herausarbeitete, befinden sich Fotografien von transitionierenden transgeschlechtlichen Menschen stets in dem Spanungsverhältnis von Enthüllung und Verschleierung, schließlich ist für viele Betroffene das Ziel der Transition, die sichtbaren Zeichen nicht nur des körperlichen Zustands, der als geschlechtlich unpassend ‚gelesen‘ und erlebt wird, sondern auch der sichtbaren Zeichen, die auf die Transgeschlechtlichkeit des Körpers verweisen, zu kaschieren (vgl. Prosser 1998: 209). Was sich bei der Analyse der visuellen, auf Ebene der Transgender Subkultur produzierten Dokumente allerdings sofort herausstellte, ist die mittels Fotographie und Video stattfindende Fokussierung auf genau jenen transgeschlechtlichen Körper. Wenn Genschel (2002) richtigerweise davon sprach, dass die Transgender Bewegung vielfältige Selbstrepräsentationen beinhaltete, so sind die konkreten Sichtbarkeitspolitiken orientiert am Sujet des Körpers. Angesichts der Ausführungen Prossers zum Bedingungsverhältnis von Eingriffen in die körperliche Materialität und der Ausbildung von transgeschlechtlicher Subjektivität erscheint dies, zum einen, nicht verwunderlich, schließlich sind alle Existenzweisen und Geschlechtsexpressionen, so unterschiedlich sie innerhalb transgeschlechtlicher Betroffenheit vorhanden sind, von der Modifikation des Körpers geprägt: Einige verändern ihre somatische Beschaffenheit über hormonelle und chirurgische Interventionen, während andere ihren GeschlechtsKörper durch das Verstecken, Abdecken oder Hinzufügen von bestimmten sexuierten Körperteilen modellieren. Zum anderen ist es gerade der Körper, der auf der hegemonialen Ebene der Medizin im Zentrum der Behandlung steht, ihn als Ort anvisiert, an dem „kulturelle [Zwei-]Körpernormen [e]xekut[iert]“ (Gregor 2015: 70) werden und ihn somit als geschlechterambivalenten Körper zum Verschwinden zu bringen versucht (vgl. Stone 1991: 295). Im Zentrum der Visualität von Transgeschlechtlichkeit auf der subkulturellen Diskursebene stehen, wie sich zeigen ließ, vor allem entkleidete, nackte Körper der Betroffenen. Die Sichtbarmachung des Phänomens scheint also an das sich mit dem 19. Jahrhundert etablierende visuelle Archiv an Nackt- und Genitalansichten anzuknüpfen. Die Visualität ‚zwischengeschlechtlicher‘ Phänomene beinhaltete zwei Entwicklungslinien: zum einen jenes Archiv an Nackt- und Genitalansichten, das in der Funktion stand, ‚zwischengeschlechtliche‘ Phänomene überhaupt erst als Pathologien aufzufinden. Zum anderen wurde dieses visuelle Archiv um Bilder ergänzt, die ‚zwischengeschlechtliche‘ Phänomene über inszenatorische Parameter, auch und vor allem über die Einkleidung von Körpern, hervorbrachten. Der genealogische Umbruch von der Einkleidung der Betroffenen zur
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erneuten Entkleidung kann nicht als Zufall gewertet werden. Der Wandel in den Sichtbarkeitsstrategien tritt nicht erst mit der social media Plattform YouTube auf. Er wurde bereits eher vollzogen. In der fotografischen Studie Body Alchemy (1993-98) liefert Loren Cameron beispielsweise Visualisierungen seines trans*männlichen Körpers, die nicht nur mit gängigen Konzepten von Maskulinität spielen, sondern vor allem den nackten Körper in Transition sichtbar machen. Er schreibt, dass seine autobiografische Studie den Prozess des „reinventing [himself]“ (Cameron 1996: 10) bebildere und dass sie „the first photodocumentation of transsexual men from within our community“ (ebd.: 12) sei. Der genealogische Umbruch von der Einkleidung zur Entkleidung geht mit einer Verschiebung der diskursiven Botschaften einher. Während die Visualität des geschlechtsnonkonformen Körpers auf der medizinischen Diskursebene von Objektivierungs- und VerAnderungstendenzen geprägt ist, indem über die Unterwerfung unter den ärztlichen Blick ‚zwischengeschlechtliche‘ Phänomene als Pathologien als Spektakel zur Schau gestellt werden, kommt es auf der subkulturellen Diskursebene zu einer Umschreibung jener exhibitionistischen Bildqualitäten. Die Visualität von Transgeschlechtlichkeit auf der subkulturellen Diskursebene fokussiert auf den Körper der Betroffenen, insbesondere auf dessen materielle Beschaffenheit. Über die Analyse der visuellen Dokumente konnte gezeigt werden, dass die Materialität des Körpers, einerseits, als etwas begriffen wird, das nicht als natürlich gegeben angesehen wird. Vielfach werden die Prozesse der hormonellen, chirurgischen, vestimentären und behavioralen Modifikation des Körpers dokumentiert. Ziel der Modifikationsprozesse ist dabei das Einfinden in einen Körper, der als passend und stimmig zum individuellen Empfinden erlebt wird. Die visuelle Dokumentation der Modifikationsprozesse kann damit als Dokumentation des Prozesses der geschlechtlichen Verkörperung verstanden werden. Darüber hinaus generiert sie ein alternatives Verständnis vom GeschlechtsKörper, insofern als dass dieser visuell aufgefächert und vervielfältigt wird. Dadurch, dass der visuelle Fokus also auf metamorphotischen (Zwischen-)Stadien liegt, wird Einspruch erhoben in die visuelle Konstruktion von Zweigeschlechtlichkeit. Andererseits wird die körperliche Materialität als etwas begriffen, dessen sich di_er Betroffene aneignet. Diese Aneignung findet über die Aneignung des Blicks auf jene Materialität statt. Hinsichtlich der visuellen Präsentation ist die Beschäftigung mit dem nackten Körper auffällig. Die Betroffenen entledigen sich ihrer Kleidung und damit all der Bemühungen, ihre körperliche Materialität vestimentär oder behavioral zu verbergen. Sie laden damit eigenmächtig und konsensuell das Publikum ein, in scheinbar voyeuristischer Manier am Transitionsprozess teilzuhaben. Auch wenn also sowohl für die Diskursebene der Medizin, als auch für die subkulturelle Diskursebene, der Fokus auf Nacktbilder konstatiert werden muss,
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so liegt der Unterschied in den Diskursbotschaften darin, dass der ärztliche Blick den Körper der Betroffenen über Objektivierungsprozesse verAndert, während auf subkultureller Ebene der Körper für Betroffene zum selbstbestimmten Ort des Umgangs mit den Blicken anderer wird. Die subkulturelle Diskursebene bringt also im Gegensatz zur medizinischen Diskursebene eine andere Ansicht auf Transgeschlechtlichkeit hervor, obwohl beide Ebenen mit ein und demselben Bildsujet beschäftigt sind. Auf der medizinischen Diskursebene wird der Körper von Betroffenen nicht nur objektiviert und verAndert. Er wird auch über visuelle Parameter als eindeutiger GeschlechtsKörper präsentiert. Die visuellen Dokumente auf subkultureller Diskursebene konstruieren demgegenüber einen uneindeutigen GeschlechtsKörper. In der visuellen Gesamtkomposition verweisen sie auf den geschlechterambivalenten Status, den der transgeschlechtliche Körper einnimmt. Sie widersetzen sich der Einpassung in die Logik heteronormativer Zweigeschlechtlichkeit. Die visuellen Dokumente ermöglichen alternative Blicke und Sehweisen auf hegemoniale GeschlechtsKörperkonstruktionen und können als Formen einer „anerkennenden Sichtbarkeit“ (Schaffer 2008b: 62) verstanden werden. Sie affirmieren transgeschlechtliche Subjektpositionen und belehnen sie mit Wert. Von Formen einer anerkennenden Sichtbarkeit ist deshalb zu sprechen, weil die Bilder Transgeschlechtlichkeit nicht nur als eine Vielzahl von möglichen Subjektpositionen präsentieren, sondern sie diese als ein Verhältnis von Positionalität zu einem Feld von Normen – Normen der Zweigeschlechtlichkeit, der Maskulinität und Femininität, von Körper- und Schönheitsnormen – ausweisen. Die Illustrationen dokumentieren damit ein distanziertes Verhältnis zu hegemonialen Diskurspositionen. Mit José Esteban Munoz (1999) können sie folglich (auch) als Formen einer ent-identifizierenden Artikulation („disidentification“) verstanden werden. Für Munoz zeichnet sich ein ent-identifizierender Modus als Form des Widerstandes aus, „welche[r] die in der dominanten Kultur materielle und psychisch verankerte Plätze weder zurückweist, noch sich mit ihnen vollständig identifiziert“ (Munoz 2007: 35). Als widerständiger Modus arbeitet eine ent-identifizierende Artikulation zugleich mit und gegen Macht und Herrschaft. In den visuellen Dokumenten artikuliert sich dieser Modus insofern, als dass eine Vielzahl an transgeschlechtlichen Erfahrungen innerhalb des von der Medizin dominierten gesellschaftlichen Machtverhältnisses verortet wird, ohne dass sie in diesem gänzlich aufgehen. Daher bilden die visuellen Dokumente eine „gegenhegemoniale Intervention“ (Mouffe 2010), die auf die Reartikulation der auf medizinischer Ebene stattfindenden, hegemonialen Vorstellungen von Körper und Geschlechtlichkeit abzielen. Die Unterscheidung zwischen der Visualität des eindeutigen und des uneindeutigen GeschlechtsKörpers kann mit J. Jack Halberstam als Differenzierung
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zwischen der Visualität des transsexuellen Körpers im Gegensatz zur Visualität des transgender Körpers verstanden werden (vgl. Halberstam 2005b: 97-124). Wie dargelegt wurde, ist die Visualität des transsexuellen Körpers bzw. des Körpers, der auf der medizinischen Diskursebene konstruiert wird, an einer Ästhetik der Vereindeutigung orientiert, die auf das Erkennen des zweigeschlechtlichen Körpers ausgerichtet ist. Diese Ästhetik der Vereindeutigung konnte auf medizinischer Ebene nachgewiesen werden: Das in Verbindung zur medizinischen Konstruktion der Transsexualität stehende Phänomen des ‚Hermaphroditismus‘ ging mit der Produktion eines neuartigen, aus Genital- und Nacktbildern bestehenden Bildarchivs einher (vgl. Peters 2010). Die Analyse jener Bilder, in dieser Studie exemplarisch vorgeführt anhand Magnus Hirschfelds Veröffentlichung Geschlechtsübergänge (1906), brachte hervor, dass visuelle Parameter den geschlechtsambivalenten – ‚hermaphroditischen‘ – Körper in einen geschlechtlich eindeutigen Körper überführen. Es wurde festgestellt, dass geschlechtliche Eindeutigkeit in den Geschlechtsübergänge[n] als Prozess verstanden werden muss, der inszenatorisch und visuell hergestellt wird. Dieser visuell-diskursive Prozess war an die Fetischisierung und Objektivierung des geschlechtlich-ambivalenten Körper geknüpft (vgl. auch Sykora 2004). Auch die Visualität des Urnings (bei M. Hirschfeld) – jener ‚zwischengeschlechtlichen Figur‘, die einen Vorläufer zum transsexuellen Subjekt darstellt, aber sexualwissenschaftlich die ‚Entdeckung‘ von Homosexualität markiert – brachte über die Verwendung stereotyper Ausdrucksformen die bipolare Geschlechterordnung mit hervor, sodass auch diese Form der klinischen Sichtbarkeit als eine Unterstützung und Absicherung der Ästhetik der Vereindeutigung verstanden werden kann. Der beständige visuelle Verweis auf eine dichotom organisierte Geschlechterordnung war charakteristisch für Hirschfelds Bilderpolitik, wenn es um die Visualität der Diskursfigur des Transvestiten geht. Durch die Analyse des Bilderteils von Der erotische Verkleidungstrieb (Hirschfeld und Tilke 1912) konnte gezeigt werden, dass gerade die von Hirschfeld – und eben nicht von den Betroffenen selbst – zusammengestellten Bildertafeln und Bildserien mit Inszenierungsweisen arbeiten, die den Betroffenen keine gerechte und anerkennende Beurteilung verschaffen, sondern sie vielmehr als zweifelhafte und zu begutachtende Objekte ausweisen. Was auf medizinischer Diskursebene durch die Tendenz, den Körper mittels visueller Inszenierungsweisen zu vereindeutigen, deutlich wurde, gleicht der Enteignung des Körpers durch die heteronormativ orientierte Zweigeschlechternorm. Judith Butler beschreibt Enteignung in ihrer Essaysammlung Die Macht der Geschlechternormen (2009) als einen Modus und eine Form „des Daseins für einen Anderen oder sogar kraft eines Anderen“ (Butler 2009a: 38). Sie meint damit das Verhältnis des eigenen
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Ichs zur Norm, die dieses Ich erst herstellt, und wendet sich damit gegen die Vorstellung, eine autonome Geschlechtsidentität zu besitzen. Gerade letzteres – „das Dasein [...] kraft eines Anderen“ (ebd.) konnte hinsichtlich der Beanspruchung eines ‚Transgeschlechts‘ durch die Analyse der Diskursereignisse auf Ebene der Medizin nachgewiesen werden: Transgeschlechtlichkeit – medizinisch konzipiert als zunächst ‚Zwischengeschlechtlichkeit‘, später als Transsexualität – stellt ein Selbstverhältnis dar, das das Individuum übersteigt, und das von Anderen reguliert, beschränkt, aber auch ermöglicht wird. Betroffene wurden und werden auf medizinischer Ebene in ihrer Seinsweise enteignet, indem sie sich der „restriktiv normative[n] [von der Medizin vorgegebenen] Konzeption des von Sexualität und Gender bestimmten Lebens“ (Butler 2009b: 9) zu fügen hatten und haben, um zu intelligiblen Subjekten werden zu können. Diese Konzeption von Enteignung, „den inaugurierenden Akt der Unterwerfung des (werdenden) Subjekts unter Normen der Intelligibilität [...], die [...] Herrschaft begründet und die ambivalenten und zarten Prozesse der Subjektivierung konstituiert“ (Butler und Athanasiou 2014: 13), meint in Bezug auf geschlechtliche (und sexuelle) Selbstverhältnisse die medizinisch umgesetzte Zurichtung durch heteronormative Regime (vgl. Völker 2016). Enteignung beginnt für transgeschlechtliche Menschen allerdings viel eher. Sie setzt bereits dann ein, wenn der eigene Körper bei der Geburt als männlich oder weiblich klassifiziert wird. Später wird dieser durch die Zweigeschlechternorm vergeschlechtlichte Körper als nicht stimmig erlebt. Enteignung bezieht sich hier „auf Prozesse und Ideologien, die Personen etwas nehmen, und auf das durch normative und normalisierende Machtbeziehungen, durch die Definition kultureller Intelligibilität“ (Butler und Athanasiou 2014: 14). Es scheint fast unnötig zu erwähnen, dass sich Enteignung hier über den Körper vollzieht: „Obwohl wir für Rechte der Verfügung über unsere Körper kämpfen, sind genau die Körper, für die wir kämpfen, so gut wie nie unsere eigenen. Der Körper hat unweigerlich eine öffentliche Dimension; als ein in der Öffentlichkeit geschaffenes soziales Phänomen gehört mir mein Körper und gehört mir auch wiederum nicht. Als Köper, der von Anfang an der Welt der anderen anvertraut ist, trägt er ihren Abdruck, wird im Schmelztiegel des sozialen Lebens geformt und ist erst viel später das, worauf ich mit einiger Unsicherheit Anspruch erhebe als mein eigener Körper.“ (Butler 2009a: 41, Hervorh. R.K.S.)
Die beiden Konzeptionen von Enteignung, einerseits „die konstitutiven präemptiven Verluste, die ein Enteignet-Werden (oder das Sich-Enteignen-Lassen) einer Person durch eine andere bedingen“ (Butler und Athanasiou 2014: 13) und andererseits die Unterwerfung unter biopolitische Herrschaft, entwickelten Butler und
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Athanasiou in ihren in den Jahren 2009 bis 2012 geführten gemeinsamen Gesprächen. In beiden Konzeptionen ist der Bezug der Enteignung auf das Verhältnis des (transgeschlechtlichen) Subjekts zur heteronormativen Zweigeschlechternorm zentral. Während die Unterwerfung unter die Norm Intelligibilität generiert und Subjektivität ermöglicht, Enteignung also als Bedingung für Autonomie fungiert, impliziert das Enteignet-Werden auch und vor allem „verletzende Anrufungen, Verwerfungen und Blockaden – Arten der Unterwerfung, die nach Thematisierung und Wiedergutmachung verlangen“ (ebd.: 14), und wird als einschränkend, schmerzhaft und gewaltsam erlebt. Wenn von enteigneten Körpern gesprochen wird, meint das also im Sinne der Enteignung von uns selbst (durch Normen und andere), verwundbare und verletzliche Körper, die folglich in ihrer Verwundbarkeit nicht ganz uns selbst gehören. Die auf medizinischer Ebene eingesetzten Bilder vom ‚Hermaphroditen‘, vom Urning und Transvestiten dokumentieren eine weitere Form der Enteignung: eine visuelle, die sich über Objektivierung und Fetischisierung des Körpers auszeichnet. Diese Form der Enteignung beruht auf der Einnahme eines fremden – des ärztlichen – Blicks auf jene ‚zwischengeschlechtlichen‘ Phänomene, der durch seine autoritäre Macht jene Phänomene erst hervorbrachte. Die visuellen, auf Diskursebene der Transgender Subkultur produzierten Dokumente antworten gewissermaßen auf diese Formen der Enteignung, indem sie Zeugnis über die verschiedenen Arten und Weisen der (Wieder-)Aneignung des Körpers ablegen: Entgegen einer auf medizinischer Ebene vorherrschenden Unsichtbarkeit des Körpers in Transition werden Prozesse der Körpermodifikation visuell thematisiert, die den transgeschlechtlichen Körper als sich in einem Raum zwischen den beiden intelligiblen Geschlechtern verorteten ausweisen. Daran anknüpfend finden sich Bilder, die die Spuren des „surgical gaze“ (Halberstam 2002: 36) dokumentieren. Jene Bilder des versehrten Körpers passen sich allerdings nicht so recht in das Raster der Zweigeschlechtlichkeit ein: Hier dient der ärztliche Blick nicht als Instanz der Vereindeutigung und Bewahrheitung. Vielmehr schreiben die Bilder den ärztlichen Blick auf den transitionierenden Körper um, eignen ihn sich an oder weisen ihn als Konstruktion zurück. Sie verweisen zudem explizit auf den Umstand, dass der Körper nie ganz den Betroffenen selbst gehört(e), der Prozess der eigenen Verkörperung an das Zutun Dritter geknüpft ist. Eine andere Art der (Wieder-)Aneignung findet sich in Bildern, die den GeschlechtsKörper hypersichtbar machen. Auch dort findet eine Umarbeitung des ärztlichen Blicks statt, diesmal durch die Hypersichtbarkeit von Genitalien (und weiteren sexuierten Körperteilen). Diesen Bildern ist zueigen, dass sie mit visuellen Konventionen spielen, die kennzeichnend sind für eine klinische Sichtbarkeit des Körpers: In einer von Del LaGrace Volcanos Bilderreihen, den „TransGenital Landscapes“, werden aus dem
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ärztlichen, fetischisierenden und enteignendem Blick auf Genitalien plötzlich prächtige Landschaftsbilder, die für die_n Betrachter_in fast haptisch erlebbar sind. Die TransGenitalen Landschaften liefern „provocative affirmation[s] of the transsexual’s [sic] bodily difference“ (Prosser 1998: 233). Bei einer weiteren Art der (Wieder-)Aneignung des Körpers geht es schließlich um einen Einspruch gegen die dichotom organisierte Zweigeschlechterordnung mittels der Visualität von Fluidität. Die Bilder des androgynen Körpers sind strukturiert durch das Spiel mit visuellen Konventionen: Es finden sich Bildpaare zweier unterschiedlicher doch sich ähnelnder Körper, die zu Vergleichen einladen und als Effekt die Vorstellung eines androgynen und geschlechtsfluiden Körpers zeitigen. Mit Jay Prosser kann angenommen werden, dass die Nutzung visueller Medien eine zentrale Rolle dabei spielt, dass sich der Körper, verstanden als Stätte, die für die Herausbildung von Subjektivität essentiell ist, angeeignet wird: „With less mediation than writing between signifier and soma, the visual media realize the image of the ‚true‘ self that is originally only apparitional“ (Prosser 1998: 211). Die visuellen Dokumente bilden gewissermaßen Konkretisierungen eines diskursiv nicht wahrnehmbaren Selbst. Sie liefern damit nicht nur einen Gegenentwurf zum auf medizinischer Diskursebene konstruierten transsexuellen Selbst. Die Arbeit mit Visualität dient Betroffenen auch als Strategie zur Entwicklung und Affirmierung von Subjektivität und Handlungsfähigkeit.
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Filmische Diskursebene: Transgender Cinema
In seinem filmsoziologischen Werk Von Caligari zu Hitler. Eine psychologische Geschichte des deutschen Films (1947) argumentiert Siegfried Kracauer dafür, dass das Medium Film „tiefenpsychologische Dispositionen“ (Kracauer 1995 [1947]: 7) einer Gesellschaft intensiver reflektiert als das innerhalb anderer künstlerischer Medien der Fall ist. Er geht davon aus, dass der Film „wertvolle Information[en] über vorherrschende Haltungen und weitverbreitete innere Tendenzen“ (ebd.: 12) preisgibt. Dass der Film eine im Gegensatz zu anderen medialen Formaten geeignetere Quelle zur Analyse der Kenntnis gesellschaftlicher Werthaltungen und Meinungen darstellt, leitet er aus der dem filmischen Medium spezifischen Fähigkeit ab, die „kaum wahrnehmbaren Oberflächenerscheinungen“ (ebd.: 13) der sichtbaren Welt „gleich einem Elektronenstrahl abzutasten“ (ebd.: 12). Das Erfassen der Wirklichkeit durch und im Film sieht Kracauer im unaufdringlichen und normalerweise vernachlässigten Aufspüren von Einzelheiten verwirklicht. Zu dieser entlarvenden Funktion tritt hinzu, dass die filmische Aufnahme Oberflächenerscheinungen sichtbar macht, denen Kracauer zuschreibt, die Manifestation jener tiefenpsychologischen Dispositionen zu sein. Aus diesen Gründen plädiert er dafür, sich der „Popularität [von] bildlichen und erzählerischen Motiven“ (ebd.: 14) zu widmen, ist man an der Aufdeckung gesellschaftlicher Haltungen interessiert: Die „[b]eharrliche Vorherrschaft [der] Motive kennzeichnet sie als äußere Projektionen innerer Bedürfnisse“ (ebd.). Ein Blick in die Filmgeschichte zeigt, dass das Spiel mit dem Wechsel von Geschlechterrollen ein beliebtes Motiv darstellt, das in fast allen filmgeschichtlichen Phasen vorzufinden ist. Dem großen Korpus an Filmen liegt ein breites Verständnis von Transgeschlechtlichkeit zugrunde, das unter dem Phänomen nicht nur den Belang der Geschlechtsidentität, sondern vielfältige Formen der Herausforderung von kulturell konstruierten Geschlechternormen zusammenfasst. Demgemäß ist die Zuordnung von Filmen, die sich auf Ebene des Sujets mit dem Wechsel von Geschlechterrollen beschäftigen, mitunter eine Frage der Lesart.
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Ähnlich zu einem Queer Reading1 kann von einem „Trans Reading“ (Krauß 2018: 168f.) gesprochen werden. Zum besseren Verständnis differenziere ich zwischen einem Cinema of Gender Role Change und einem Transgender Cinema. Filme, die Figuren beinhalten, welche ihre Geschlechtsrolle wechseln, ordne ich einem Cinema of Gender Role Change zu. Die narrative Verarbeitung von Transgeschlechtlichkeit – in dieser Studie verstanden als selbstgewählte Geschlechtsposition, die sich darüber auszeichnet, dass sich Betroffene (identitär und/oder performativ und/oder morphologisch) von ihrer bei Geburt zugewiesenen Geschlechtsposition ‚wegbewegen‘ (vgl. Enke 2012: 5, Straube 2014: 32) – fand vor allem in den letzten 20 Jahren statt. In zeitgenössischen Spielfilmen wird dabei vor allem auf Transsexualität fokussiert (vgl. Krauß 2018: 167). Zeitgenössische Spielfilme, die Transgeschlechtlichkeit zum Thema machen, betrachte ich als Elemente eines Transgender Cinemas. Nachdem nachfolgend zunächst kursorisch die Filmgeschichte eines Cinema of Gender Role Change nachgezeichnet wird, liegt der Schwerpunkt dieses Kapitels auf der Rekonstruktion und Reflexion von Visualisierungsweisen von zeitgenössischen Filmen eines Transgender Cinemas. Das Kapitel widmet sich der diskursiven Bedeutungsproduktion von Transgeschlechtlichkeit auf populärfilmischer Ebene. Ausgangspunkt der Analysen ist der Befund, dass auch das Transgender Cinema ganz zentral mit der Darstellung des Körpers der als transgeschlechtlich markierten Filmfigur beschäftigt ist.
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Beim queer reading handelt es sich um eine Leseweise, die „mit den methodischen Mitteln der Diskursanalyse, des Poststrukturalismus, der Psychoanalyse und der Dekonstruktion nach erotischen Subtexten und Schattengeschichten [fragt], die der heteronormativen Zeichenökonomie einer literarischen (bzw. filmischen) Erzählung zuwiderlaufen“ (Kraß 2003: 22). Die literaturwissenschaftliche Methode ermöglicht es, subversive Momente in Mainstream-Produktionen zu ermitteln, die sich als Brüche in den Vorstellungen um Zweigeschlechtlichkeit und Heteronormativität darstellen. Filme werden gleichsam ‚gegen den Strich gelesen‘. Damit ist es gelungen, queere Filmfiguren bis weit in die Filmgeschichte zurückzuverfolgen.
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5.1 HISTORIOGRAFISCHE SKIZZE EINES CINEMA OF GENDER ROLE CHANGE UND DIE ENTWICKLUNG EINES TRANSGENDER CINEMAS Es lassen sich bereits im frühen Stummfilm filmische Verweise auf den Wechsel von Geschlechterrollen finden. Charlie Chaplin, das Duo Stan Laurel und Oliver Hardy sowie Fatty Arbuckle stellen bekannte Beispiele an Schauspielern dar, die bereits zu Beginn des 20. Jahrhunderts in Filmen in drag verkleidet waren, um komödiantische Effekte zu erzeugen. Charlie Chaplin schlüpfte in den SlapstickKurzfilmen THE MASQUERADER (USA 1914, R: Charlie Chaplin), in A WOMAN (USA 1915, R: Charlie Chaplin) und in A BUSY DAY (USA 1914, R: Mack Sennett) in die Rolle einer Frau, in THAT’S MY WIFE (USA 1929, R: Lloyd French) spielt Stan Laurel die Ehefrau von Oliver Hardy, der Schauspieler Fatty Arbuckle spielt in THE BUTCHER BOY (USA 1917a, R: Roscoe Arbuckle) und CONEY ISLAND (USA 1917b, R: Roscoe Arbuckle) eine weibliche Figur. Nicht selten standen diese frühen filmischen Auseinandersetzungen im Dienste der Konnotation von (männlicher) Homosexualität. Männliches homosexuelles Begehren und die Identifikation mit dem ‚anderen‘ Geschlecht wurden miteinander vermengt und zuweilen gleichgesetzt (vgl. Russo 1987). Einer der ersten frühen Langspiel-Stummfilme, der narrativ den Wechsel des Geschlechts ins Zentrum stellte, ist Sidney Drews A FLORIDA ENCHANTMENT (USA 1914, R: Sidney Drew). Die rund einstündige Stummfilmkomödie erzählt die Geschichte von Lilian, einer weißen, heterosexuellen Frau, die ihren Verlobten Fred in Florida besucht und ihn beim Fremdgehen erwischt. Gemeinsam mit ihrer Freundin Jane, eine afro-amerikanische Frau, die im Film von der weißen Schauspielerin Ethel Lloyd gespielt wird, entdeckt sie in einem Kuriositätenladen einige Samen eines afrikanischen ‚sex-change trees‘, die sowohl von Lilian, als auch von Jane verschluckt werden und einen sofortigen Geschlechtswechsel hin zu Lawrence und Jack hervorrufen. Lawrence beginnt, mit der Freundin Bessie zu flirten. Auch Lilians Verlobter Fred verwandelt sich mittels der Samen in eine Frau, und beginnt einige Flirtversuche bei Männern. Am Ende stellt sich schließlich alles nur als Traum heraus, sodass die heteronormative Ordnung des Films wiederhergestellt wird. Für das Publikum sind die Inszenierungen des Geschlechtswechsels alles andere als überzeugend, wodurch der Film eher als frühe Repräsentation von Homo- und Bisexualität gewertet wird (vgl. Russo 1987, Somerville 2000). Auch im deutschen Film der Weimarer Republik ist der Geschlechtertausch und das Crossdressing ein beliebtes narratives Thema. In Ernst Lubitschs Stummfilm ICH MÖCHTE KEIN MANN SEIN (D 1918, R: Ernst Lubitsch) begibt sich die
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jugendliche Ossi (gespielt von Ossi Oswalda), eine junge Frau, die mit ihrer Gouvernante bei ihrem wohlhabenden Onkel lebt und deren ‚undamenhaftes‘ Verhalten durch den Hauslehrer Dr. Kersten (gespielt von Curt Goetz) gezähmt werden soll, in männliche Kleidung, aber findet sich in der männlichen Geschlechtsrolle nicht so leicht zurecht, was für das Publikum äußerst amüsant ist: Von anderen Männern wird Ossi in der Straßenbahn dafür zurechtgewiesen, dass sie weiblichen Fahrgästen keinen Sitzplatz anbietet, zugleich rühmen sie dieselben Männer, als Ossi jammernd aufschreit, als ein Fahrgast ihr auf die Füße tritt. In einem Tanzlokal läuft sie ihrem Hauslehrer und Vormund über den Weg. Beide betrinken sich und schließen Männerfreundschaft. Der Abend endet sogar mit einem (homosexuellen) Kuss, auch wenn der Film schließlich durch die Enttarnung endet, Ossi und Dr. Kersten ein heterosexuelles Paar werden und auch hier eine Wiederherstellung der heteronormativen Ordnung stattfindet. Ein weiteres Beispiel solcher Hosenrollenfilme ist VIKTOR UND V IKTORIA (D 1933, R: Reinhold Schünzel) von Reinhold Schünzel. Die erste ernsthafte filmische Auseinandersetzung mit dem Thema Transgeschlechtlichkeit stellt das Doku-Drama GLEN OR GLENDA (USA 1953, R: Ed Wood) aus dem Jahr 1953 dar. Der Film von und mit Ed Wood nimmt den Suizid der zentralen Figur Glen*Glenda zum Ausgangspunkt der narrativen Entwicklung. In der Eröffnungsszene wird bereits der Grund des Selbstmordes aufgeklärt: Glen*Glenda sei wegen des Tragens von Frauenkleidern mehrfach auf öffentlichen Straßen verhaftet worden. Da sie_r unter dem Zwang stand, es wieder zu tun, nahm sie_r sich das Leben. Um den Mordfall aufzuklären, konsultiert der ermittelnde Polizist einen Psychiater, der über Transvestismus zu berichten beginnt. Dem Publikum wird nachfolgend das Leben von Glend*Glenda als Transvestit gezeigt. Eine Voice-Over erklärt dabei nicht nur, wie Glen*Glenda zum Transvestit wurde, sondern liefert auch den damaligen Verhältnissen entsprechende Informationen über Homosexualität und ‚geschlechtsangleichende‘ Operationen. Obwohl der Film wenig erfolgreich war und für seinen absonderlichen Stil kritisiert wurde, versucht er sich an einer ernsthaften Aufklärung über die beiden sich damalig diskursiv ausdifferenzierenden Phänomene des Transvestismus und der Transsexualität. Der Film ruft zu mehr gesellschaftlicher Toleranz und Akzeptanz gegenüber nicht-normkonformen Geschlechtlichkeiten auf, was bereits zu Beginn durch ein Insert betont wird: „In the making of this film, which deals with a strange and curious subject, no punches have been pulled – no easy way out has been taken. Many of the smaller parts are portrayed by persons who actually are, in real life, the character they portray on screen. This is a picture
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of stark realism … taking no sides … but giving you the facts … All the facts … as they are today … You are society – JUDGE YE NOT…“ [01‘08‘‘]
Das Doku-Drama macht die damalig auf medizinischer Diskursebene verhandelten Auseinandersetzungen um Transvestismus, Transsexualität und Homosexualität offenkundig und für ein breites Publikum zugänglich. Das Entstehungsjahr des Films (1953) ist kein Zufall, wurden schließlich ein Jahr zuvor die geschlechtsaffirmierenden Operationen an Christine Jorgensen medial aufbereitet. Historiografisch überwogen allerdings Spielfilme, die zwar den Wechsel von Geschlechterrollen thematisieren, und damit von einigen im Sinne eines queer reading mitunter als subversiv oder progressiv verstanden werden (vgl. Garber 1993), den geschlechtlichen Wandel von Filmfiguren jedoch nicht als Konsequenz einer bestehenden transgeschlechtlichen Betroffenheit rechtfertigen. Vielmehr wurde narrativ der Wandel der Geschlechtsrolle in Filmen des Cinema of Gender Role Change vor allem durch widrige äußere Umstände motiviert. Gerade in Crossdressing-Komödien wird diese Form der narrativen Motivierung bedient: In der US-amerikanischen Komödie SOME LIKE IT HOT (USA 1959, R: Billy Wilder) werden die beiden Hauptfiguren Jerry (gespielt von Jack Lemmon) und Joe (gespielt von Tony Curtis) Zeugen eines mafiösen Massakers und tauchen, verkleidet als Frauen, in einer Damenkapelle unter, um ihren Tätern zu entkommen. In TOOTSIE (USA 1982, R: Sydney Pollack) schlüpft der eigensinnige Schauspieler Michael Dorsey (gespielt von Dustin Hoffman) in die Rolle einer Frau (Dorothy Michaels), um bei einer Fernsehproduktion eine Anstellung zu erhalten. Ähnlich verhält es sich in MRS. DOUBTFIRE (USA 1993, R: Chris Columbus), einer Crossdressing-Komödie, in der dem Ehemann und Vater Daniel (gespielt von Robin Williams) nach einem verlorenen Sorgerechtsstreit versagt wird, seine Kinder zu sehen. Um diese rechtliche Regelung zu umgehen, bewirbt ‚er‘ sich bei seiner Exfrau erfolgreich als sechzigjährige Haushälterin und so gelingt es ihm mittels seiner gelungenen Maskerade, seinen leiblichen Kindern nahe zu sein. Crossdressing wird in all den Beispielen als „a purely pragmatic act, as a temporary solution to a problem“ (Phillips 2006: 54) portraitiert. Es fungiert als eine instrumentelle Strategie, nicht als ein mit der Geschlechtsidentität oder dem Geschlechtsausdruck in Verbindung stehendes Phänomen. Bei Crossdressing-Komödien handelt es sich also um temporäre Transgressionen, die mit Transgeschlechtlichkeit in der oben genannten Definition wenig gemeinsam haben: Crossdressing Komödien „contain the transgender phenomenon by representing it as harmless, temporary, comic, pragmatic, and fundamentally without any influence on sex or sexuality“ (ebd.: 55f.).
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Bei jenen US-amerikanischen Komödien der Nachkriegszeit sind weitere Merkmale zentral. Auch wenn kulturell das Phänomen des Crossdressings als ein Modus der Performanz verstanden werden kann, bei dem durch das Spiel zwischen Aufmachung und Körper die soziale Konstruiertheit der geschlechtlichen Differenzierung betont und kritisch kommentiert wird (vgl. Garber 1993), so drehen sich filmische Crossdressing Narrative eher um die Festigkeit und Stabilität der Geschlechtsidentität. Die Komödien bauen auf einer geschlossenen Erzählform im Modus des view-behind auf, d.h. das Publikum ist sich der ‚ursprünglichen‘/eigentlichen‘ Geschlechtsidentität der crosssdressenden Hauptfigur stets bewusst. Als allwissend weiß das Publikum um das ‚wahre‘ Geschlecht der Figur, während die Figuren innerhalb der diegetischen Welt die Aufmachung des_r Crossdresser_in als ‚wahr‘ annehmen. Aus der Diskrepanz der Wissensstandpunkte ergeben sich für das extradiegetische Publikum nicht nur die komödiantischen Effekte. Es wird auch fortwährend die Vorstellung einer stabilen, an das körperliche Geschlecht geknüpften Geschlechtsrolle reproduziert, indem die Versuche des Crossdressens stets als schlechte Kopie einer scheinbar natürlich gegebenen Geschlechtsrolle fungiert. Kontinuierlich werden visuelle, behaviorale und narrative cues bzgl. des ‚ursprünglichen Geschlechts‘ der Hauptfigur geliefert. Zum einen, indem wiederholt Szenen eingebaut sind, in denen sich die Figur ‚gegengeschlechtlich‘ verschleiert (Make-Up aufträgt, sich mit passender Kleidung kostümiert und gewisse Gesten und Verhaltensweisen einübt); zum anderen dadurch, dass die Filme von Enttarnungsszenen („final revelatory scene“ nach Phillips 2006: 54) durchzogen sind, d.h. Szenen, in denen die Filmfiguren die ‚Täuschung‘ der crossdressenden Figur entdecken und die üblicherweise einen zentralen plot point darstellen. In Crossdressing-Komödien ist ein Übergewicht an theatralischen cues vorhanden (vgl. Straayer 1997: 417), sodass Crossdressing mit Künstlichkeit und fehlender Authentizität assoziiert wird (vgl. Kuhn 1994). Diese Charakteristika werden zusätzlich dadurch betont, dass Performanz als narratives Motiv fungiert. Die crossdressenden Figuren sind zumeist Performer_innen von Beruf: in SOME LIKE IT HOT (USA 1959, R: Billy Wilder) haben wir es mit zwei Jazzmusikern zu tun, Michael Dorsey in TOOTSIE (USA 1982, R: Sydney Pollack) ist Schauspieler und Daniel/Mrs. Doubtfire wird als Stimmenimitator vorgestellt. Insgesamt stellen die Crossdressing-Komödien also die ‚ursprüngliche‘ Geschlechtlichkeit der Hauptfigur letztlich nicht in Frage, indem das Wechseln der Geschlechtsrolle als inadäquater Ausdruck von Geschlechtlichkeit markiert ist. Da in Crossdressing-Komödien die Hauptfiguren eben keine transgressive Idenität aufweisen, sondern vielmehr zu eigennützigen Zwecken in die Rolle des ‚Gegengeschlechts‘ schlüpfen, bedienen sie ein sehr tradiertes Stereotyp, mit dem
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transgeschlechtliche Menschen oft konfrontiert sind: das des „transgender deceivers“ (Ryan 2009: 62). Es zeichnet sich aus durch das Portrait von Trans*Figuren als hinterhältige und betrügerische Wesen. Das Stereotyp erweckt den Anschein, bei Transgeschlechtlichkeit handele es sich um ein künstliches und trügerisches Geschlechterphänomen, das Mitmenschen hinters Licht führt: „[T]he deceiver representation (with its identity enforcement) in and of itself constitutes considerable emotional violence against transpeople through its impeachment of moral integrity and denials of authenticity“ (Bettcher 2007: 47). Fragwürdig ist dieses gängige Stereotyp außerdem aufgrund seines narrativen Einsatzes, denn jenes unlautere Spiel mit den Geschlechterrollen dient vorrangig zur Erzeugung von Witzen und Lachern auf Seiten des Publikums. In TOOTSIE (USA 1982, R: Sydney Pollack) wird beispielsweise mehrfach sichtbar gemacht, wie unzulänglich sich Michael Dorseys Geschlechterperformance als Dorothy Michaels gestaltet. Die Filme erscheinen deshalb als humorvoll, weil das Publikum stets um das Missverhältnis zwischen physischem und dargestelltem Geschlecht weiß. Sowohl die visuelle als auch die narrative und die Verhaltensebene machen kontinuierlich auf das ‚reale’ Geschlecht der sich tarnenden Figur aufmerksam (vgl. Straayer 1997: 403): „Even though the disguise is supposed to be convincing within the narrative, it is not allowed to be convincing in the direct image presented to the film viewer“ (ebd.: 414). Worauf beide Momente verweisen – das des egoistischen Betrügens wie das der lächerlichen Geschlechterperformance – ist die Diskrepanz zwischen Erscheinung und verschleierter (körperlicher) Realität (vgl. Bettcher 2007: 50). Die narrative wie visuelle Nutzung dieser Diskrepanz ist Effekt und Iteration einer diskursiven Botschaft, die ihren Ursprung im sexualwissenschaftlichen Umgang mit Transgeschlechtlichkeit hat, und die gegen die lebensweltliche Erfahrung verstößt, nach der eine reflexive Beziehung zwischen (Geschlechter-) Präsentation und Körper besteht (vgl. Kessler und McKenna 1978). Obwohl Crossdressing bis dato ein beliebtes Sujet für Komödien ist, bildeten sich im Laufe der Filmgeschichte weitere Stereotype hinsichtlich des Geschlechtswechsels heraus: „The hapless victim of joke, the helpful sidekick, the doomed victim, the spicy drag queen, the angry hooker, the hate crime statistic, the drugged-out Warhol superstar, and the tragic confused soul are just a few of the stereotypical personages that fill the transgender media canon. Cross-dressing as entertainment, of course, is nothing new.“ (Ryan 2009: 13)
Ein zum transgender deceiver ähnlich verbreitetes Stereotyp ist das des „Transgender Monsters“ (ebd.: 177ff.), was vorrangig im Horrorfilm und im Thriller Verwendung findet, z.B. in Filmen wie PSYCHO (USA 1960, R: Alfred Hitch-
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cock), DRESSED TO KILL (USA 1980, R: Brian De Palma) oder SILENCE OF THE LAMBS (USA 1991, R: Jonathan Demme). Der Geschlechtsidentitätskonflikt wird in jenen Filmen mit einer psychopathologischen Disposition der Figur begründet. Als psychiatrische Fälle fungieren die Trans*Figuren als Kehrseite zu den crossdressenden Figuren in Komödien (vgl. Phillips 2006: 85). Geschlechtliche Transgression wird mit Sozio-/Psychopathie verbunden (vgl. Shelley 2008: 135). Die LGBT-Media-Monitoring-Organisation (GLAAD) dokumentiert, dass dieses Stereotyp in zeitgenössischen Fernsehserien, wie beispielsweise der Mystery-Serie PRETTY LITTLE LIARS (USA 2010-2017, R: Bob Levy et al.), noch immer Anwendung finde, weswegen die Illustration von Trans*Personen als „killers, psychopaths, and villains“ (GLAAD 2015: 27) aktueller denn je ist. Im Gegensatz zu den Crossdressing-Komödien sind die Horrorfilme und Thriller narrativ strukturiert durch den Erzählmodus des view-with, d.h. das Publikum ist, genau wie alle anderen Filmfiguren, in Unkenntnis über die Transgeschlechtlichkeit der betreffenden Figur. Das Narrativ ist an der Wissenssuche nach der Identität des_r Mörder_in orientiert. Der filmische Showdown fällt zusammen mit der dramatischen und überraschenden Enthüllung der Trans*identität des_r Killer_in. In jenen Filmen fallen also zwei Enthüllungen zusammen: die des Geschlechts und die der_s Killer_in. Transgeschlechtlichkeit wird durch das Stereotyp des Transgender Monsters als negativ codiert, insofern als dass die transgressive Geschlechtsidentität mit Monstrosität, Psychopathie, Bedrohlichkeit und letaler Gewalt assoziiert wird. Auch dieses Stereotyp kann als visuelle Manifestation des sexualwissenschaftlichen Diskurses über Transgeschlechtlichkeit (hier: der Sexualpathologie) betrachtet werden. Das dritte von Ryan, in ihrer Studie zur Darstellung von transgeschlechtlichen Figuren in Film und Fernsehen identifizierte Stereotyp betrifft vorrangig trans*weibliche Figurenentwürfe. In Filmen wie TO WONG FOO, THANKS FOR EVERYTHING, JULIE NEWMAR (USA 1995, R: Beeban Kidron) oder FLAWLESS (USA 1999, R: Joel Schumacher) fungiert die „Transgender Mammy“ (Ryan 2009: 121ff.) als unterstützende Instanz für gendernormative Figuren, „rendering them as one-dimensional helpmates who prop up heterosexist, gender-normative patriarchy“ (ebd.: 121). Obwohl Filme, die dieses Stereotyp bedienen, transgeschlechtliche Figuren als Sympathieträger_innen portraitieren, stehen sie im Dienste der Bestätigung von Transfeindlichkeit und der hegemonialen sex/gender Ordnung. Für das Stereotyp sind drei Merkmale zentral. Die Transgender Mammy ist eine Gehilfin der anderen Figuren, die nicht nur deren Konflikte löst, sondern auch deren emotionale und reproduktive Arbeit leistet (vgl. ebd.: 130). Sie übt also durch ihre Selbstlosigkeit im buchstäblichen Sinne die Rolle eines supporting cha-
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racters aus. Ein zweites Merkmal besteht darin, dass sie als asexuell bzw. aromantisch charakterisiert wird (vgl. ebd.: 131). Das Aussparen von sexuellem bzw. romantischem Begehren kann als Versuch betrachtet werden, die heteronormative Geschlechterordnung nicht zu bedrohen. Des Weiteren kritisiert Ryan den Umstand, dass Transgender Mammys in der Charakterzeichnung auf ihren Witz und Frohsinn reduziert werden. Komplexere Charakterzüge bleiben ihnen verwehrt, was vor allem dadurch fatal ist, dass es sich bei den Transgender Mammys hauptsächlich um people of colour handelt (vgl. Ryan 2009: 131).2 Ein im Gegensatz zu den anderen medialen Archetypen weniger angewandtes Stereotyp ist das des „Transgender Revolutionary“ (ebd.: 240ff.), welches Ryan im dokumentarischen Bereich ab den 2000ern identifiziert und einer ‚new wave‘ an Dokumentationen über transgeschlechtliche Personen zuordnet (vgl. ebd.: 254). Diese ‚neue Welle‘, die Ryan zurückführt auf eine ab den 1990er Jahren erstarkte Trans*Community, grenzt sich von traditionellen Dokumentationen über Transsexualität ab, und portraitiert transgeschlechtliche Menschen überwiegend als progressiv, handlungsfähig und sozial: Die Dokumentationen – z.B. FENCED OUT (USA 2001, R: Gabriel Martinez), TOILET TRAINING (USA 2004, R: Tara Mateik), SCREAMING QUEENS: THE RIOT AT COMPTON’S CAFETERIA (USA 2005, R: Victor Silverman und Susan Stryker) oder CRUEL AND UNUSUAL (USA 2006, R: Janet Baus, Dan Hunt, Reid Williams) – „picture people who are proud of who they are, willing to be visible, and ready to change conditions to benefit not only themselves, but the next generation of gender-variant people“ (Ryan 2009: 291). Insgesamt sind die drei erst genannten Stereotype als problematische und verzerrte Darstellungen von Transgeschlechtlichkeit zu bewerten, während das Stereotyp des Transgender Revolutionary ein zutreffenderes Bild von transgeschlechtlichen Lebensrealitäten zeichnet. Insgesamt überwiegen filmgeschichtlich Darstellungen, die Transgeschlechtlichkeit als Spektakel, als „exotisierte und erotisierte Andere“ (Krauß 2018: 169f.) repräsentieren. Erotik tritt dabei häufig in Kombination mit der Thematisierung von Sexarbeit auf, z.B. in Filmen wie TANGERINE (USA 2015, R: Sean Baker) oder DALLAS BUYERS CLUB (USA 2013, R: Jean-Marc Vallée). Für die Inszenierung von Transgeschlechtlichkeit als Spektakel lassen sich Produktionen wie MYRA BRECKINRIDGE (USA 1970, R: Michael Sarne) oder THE ROCKY HORROR PICTURE SHOW (USA 1975, R: Jim Sharman) als weitere Beispiele anführen. Parallel zur Entwicklung der im Rahmen des Langspielfilms stattgefundenen, zuneh-
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Das Stereotyp der Transgender Mammy kann zweifelsohne als eine Variante des Archetyps der Black Mammy verstanden werden (vgl. Ryan 2009: 121-130).
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menden Darstellung von Transgeschlechtlichkeit als Spektakel und als „erotisierte[s] Andere[s]“ (Krauß 2018: 170) nahm auch im Bereich des pornografischen Films die Sichtbarkeit von geschlechtlicher Transgression zu (vgl. Shelley 2008: 136). Pornografische Bilder von vor allem transsexuellen Körpern häufen sich in den letzten Jahren. Auf pornografischen Webseiten findet man diese Darstellungen verschlagwortet unter „she-males“, „lady with a penis“, „chicks with dicks“, „man with micro penis“, etc. Die Kategorisierungen konzentrieren sich also auf die Beschaffenheit der Genitalien transsexueller Körper. Die Prävalenz von Darstellungen von Trans*Frauen, die keine Genitaloperationen vornahmen, ist dabei sehr hoch (vgl. Shelley 2008: 136). Die pornografischen Darstellungen vermitteln die Botschaft, dass transsexuelle Körper, ob nun prä- oder postoperativ, abweichende Körper seien. Genau diese Abweichung macht sie im Rahmen der Pornografie zu Attraktionen, die Erregung und Begehren erzeugen. Der Blick in die Filmgeschichte verrät also, dass ein Transgender Cinema etwa in den 1960er Jahren durch das Stereotyp des transgender monsters aufkam. Ein Cinema of Gender Role Change gab es indes seit Beginn des Films. Die Differenzierung in ein Cinema of Gender Role Change und ein Transgender Cinema behauptet allerdings keine strikte zeitliche Ablösung: Auch zeitgenössische Spielfilme – ebenso wie Fernsehserien, in denen aktuell immer mehr transgeschlechtliche Figuren auftauchen (vgl. Krauß 2018) – bedienen noch immer zuweilen Merkmale, wie die Instrumentalisierung von vermeintlichen Trans*Figuren zur Erzeugung von Humor beim Publikum, die Reetablierung der heteronormativen Ordnung nach intradiegetischem Coming-Out (lies: Enttarnung) oder widrige Umstände, die den Geschlechtsrollenwechsel narrativ motivieren. Nichtsdestotrotz überwiegen derzeitig Spielfilme, die Transgeschlechtlichkeit explizit zum Sujet machen, d.h. einem Transgender Cinema zuzuordnen sind. Thematisch fokussiert wird dabei zumeist Transsexualität, während andere Formen von Transgeschlechtlichkeit, wie Non-Binarität oder Genderqueerness, dethematisiert bleiben. Die in dieser Studie betrachteten Spielfilme sind Teil eines Transgender Cinemas. Ausgehend von Ryans Heuristik weisen sie Elemente der verschiedenen Stereotype auf. Kein Spielfilm des Samples lässt sich allerdings auf die Darstellung nur eines Stereotyps reduzieren. Vielmehr liefern sie eine heterogene Mischung an sowohl traditionellen als auch progressiv wirksamen Stereotypmerkmalen. Alle Spielfilme machen Gebrauch vom Erzählmodus des view-behind. Ebenso liefern sie alle mehr oder minder visuelle cues bzgl. eines ‚ursprünglichen‘ Geschlechts der transgeschlechtlichen Figur: nicht nur indem Szenen des offensichtlichen doing genders gezeigt werden, d.h. Szenen, in denen die transgeschlechtliche Figur bei all den Praktiken beobachtet wird, die notwendig sind, um als das gewünschte Geschlecht zu passen, sondern auch indem in allen Filmen
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zahlreiche Enttarnungsszenen stattfinden, die dezidiert auf die Diskrepanz zwischen gender presentation und körperlicher Realität hinweisen. Sie aktualisieren also Elemente, die für Crossdressing-Komödien üblich sind, ohne das für jenes Subgenre so typische Merkmal des aus eigennütziger Notwendigkeit vorgenommenen Geschlechtsrollenwechsels anzuwenden. Obwohl die als transgeschlechtlich markierten Filmfiguren also nicht als transgender deceivers auftreten, so ist ihre Darstellung nichtsdestotrotz an Merkmale geknüpft, die Transgeschlechtlichkeit als unauthentischen Geschlechtsidentitätsausdruck präsentieren. Das Unterkapitel 5.3 Körperästhetik der Begrenzung wird jene Merkmale genauer beleuchten. BOYS DON’T CRY (USA 1999, R: Kimberly Peirce), TRANSAMERICA (USA 2005, R: Duncan Tucker) und THE DANISH GIRL (USA/GB 2015, R: Tom Hooper) wenden zudem Elemente an, die dem Stereotyp der Transgender Mammy zugehörig sind. Obwohl nur in TRANSAMERICA (USA 2005, R: Duncan Tucker) die transgeschlechtliche Bree als Mutterfigur repräsentiert wird, kommt in allen drei Filmen der Trans*Figur (neben anderen) die Funktion eines supporting characters zu. Die Figuren sind dezidiert daran beteiligt, einer als cisgeschlechtlich markierten Figur bei deren persönlicher Entwicklung zu helfen: In BOYS DON’T CRY (USA 1999, R: Kimberly Peirce) erkennt die Liebespartnerin des transgeschlechtlichen Brandons ihre eigene miserable soziale Situation und kann sich schlussendlich durch die Beziehung zu Brandon aus ihrer Prekarität befreien; THE DANISH GIRL (USA/GB 2015, R: Tom Hooper) verfährt narrativ ähnlich, indem Gerda, die Partnerin der Trans*Frau Lili Elbe3, von Lilis Transgeschlechtlichkeit nicht nur beruflich, sondern auch sozial profitiert. TRANSAMERICA (USA 2005, R: Duncan Tucker) aktualisiert am stärksten die Merkmale des Stereotyps der Transgender Mammy, indem Bree durch ihre sympathische und warmherzige Art ihrem Sohn zu einem drogenfreien, selbstbestimmten und zufriedenen Leben verhilft. Was die Anwendung dieser Elemente so problematisch macht, ist der Fokuswechsel, den die Filme vornehmen: Obgleich die Transgeschlechtlichkeit der Protagonist_innen im Zentrum der narrativen Handlung steht, manifestiert sich die Potentialität der Transgression im Bereich der Charakterentwicklung einer cisgeschlechtlichen Figur.
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Das Drama stellt Lili Elbes Identifikation als transgeschlechtlich in den Vordergrund, während ihre Intergeschlechtlichkeit kaum aufgegriffen wird. Dies ist eine Vereindeutigung der verschiedenen Überlieferungen zu der historischen Figur Lili Elbe, die zu Recht kritisiert wird.
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Dessen ungeachtet, liefern alle Spielfilme des Samples, wenn auch in geringerem Maße, Hinweise bzgl. einer progressiven Sichtbarkeit von Transgeschlechtlichkeit. Alle Protagonist_innen sind in ein soziales Setting eingebettet, das mit Abwehr in Form von emotionaler, sozialer und/oder physischer Gewalt auf die Transgeschlechtlichkeit reagiert. Die Trans*Figuren zeichnen sich darüber aus, dass sie nichtsdestotrotz an ihrer Identitätsposition festhalten und damit Merkmale von Widerständigkeit, Resilienz und Rebellion aufweisen, die als Ausdruck des Typus des Transgender Revolutionary betrachtet werden können. Einige der Filme liefern zudem explizite Sequenzen, die Einblick geben in eine transgeschlechtliche Erfahrungswelt. Diese Schlüsselszenen liefern alternative Modi des Sehens, Hörens und Wahrnehmens, die nicht nur die Grenzen zwischen Realität und Imaginärem verwischen, sondern das Publikum für die subjektive Erfahrungsebene der transgeschlechtlichen Figur sensibilisieren (s. das Unterkapitel 5.4). Insgesamt präsentieren die Sample-Filme Trans*Figuren als sympathische und liebenswürdige Menschen. Einige der Filme, wie BOYS DON’T CRY (USA 1999, R: Kimberly Peirce) oder MA VIE EN ROSE (F 1997, R: Alain Berliner), schildern zudem die gewaltvollen Akte der Diskriminierung, denen Trans*Menschen alltäglich ausgesetzt sind. Diese filmischen Portraits erzeugen einen Wandel in der Repräsentation von Transgeschlechtlichkeit, der die Herausforderungen und Stärken von Trans*Personen humanisiert und kenntlich macht (vgl. Shelley 2008: 135). Entlang der Filmgeschichtsentwicklung lässt sich also eine zunehmende Sichtbarwerdung von Transgeschlechtlichkeit feststellen. Was allerdings so gut wie nie sichtbar wird, sind Trans*Personen auf Ebene der Besetzung und Produktion. In aktuellen Debatten geht es nicht mehr nur um die Darstellung und Sichtbarkeit von Transgeschlechtlichkeit. Vielmehr stellt sich die Frage, „inwieweit TransMenschen selbst diese Repräsentationen (mit)gestalten“ (Krauß 2018: 166). Bemängelt wird also berechtigterweise der Ausschluss von Trans*-Personen aus Film- und Fernsehproduktionen (vgl. Reynolds 2015). In den in dieser Studie besprochenen Beispielfilmen wurden alle Trans*Figuren von Cis-Schauspieler_innen gemimt. Nicht selten wurde deren schauspielerische Leistung als Karrieresprungbrett genutzt, so z.B. bei Hillary Swank durch BOYS DON’T CRY (USA 1999, R: Kimberly Peirce), Felicity Huffman in TRANSAMERICA (USA 2005, R: Duncan Tucker) oder Eddie Redmayne durch die Rolle der Lili Elbe in THE DANISH GIRL (USA/GB 2015, R: Tom Hooper). Die transgeschlechtliche Journalist_in, Filmemacher_in und Trans*-Aktivist_in Andrea James stellt bezüglich der Problematik des Transfacing fest: „Playing a trans character is one of many roles that actors seek out to for a big career payoff via industry recognition“ (James 2014). Transfacing, d.h. die in Tradition zum Blackfacing stehende Darstellung
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von Trans*Menschen durch cisgeschlechtliche Personen, ist ein Umstand, auf den Stimmen aus dem Trans*Aktivismus aufmerksam machten, und der mittlerweile ansatzweise auch auf Seite der Produktion als problematische Praxis anerkannt wurde, sodass es derzeitig einzelne TV- und Filmproduktionen gibt, die Trans*Figuren mit transgeschlechtlichen Darsteller_innen besetzen, unter anderem im Spielfilm TANGERINE (USA 2015, R: Sean Baker), der Webserie HER STORY (USA 2016, R: Sydney Freeland) oder der ABC-Produktion THE FOSTERS (USA 2013-2018, R: Peter Paige und Brad Bredeweig).
5.2 ZUR DRAMATURGIE DER TRANS*FILME Die in dieser Studie betrachteten Spielfilme erzählen sehr unterschiedliche Geschichten. Sie spielen sich in den verschiedensten raumzeitlichen Settings ab und sie unterscheiden sich deutlich voneinander hinsichtlich ihrer ästhetischen Gestaltung. MA VIE EN ROSE (F 1997, R: Alain Berliner), genau wie TOMBOY (F 2011, R: Céline Sciamma) spielen innerhalb des Settings gutbürgerlicher Kleinfamilien, die in französischen Vororten leben. In beiden als Indiependentproduktionen veröffentlichten Coming-of-Age Filmen steht ein heranwachsendes, gendernichtkonformes Kind im Zentrum der Narration, das nicht nur innerhalb der Familie, sondern vor allem im sozialen Setting mit seinem geschlechtsspezifischen Verhalten auf Widerstand stößt. Bei BOYS DON’T CRY (USA 1999, R: Kimberly Peirce) handelt es sich ebenfalls um eine Indiependentproduktion. Das Drama fokussiert auf die Unterschicht der nordamerikanischen Provinz Nebraskas und erzählt die biografische Geschichte des zwanzigjährigen Trans*Manns Brandon zu Beginn der 1990er Jahre. Der Spielfilm mit „docudrama flavor“ (Phillips 2006: 141) trägt Anleihen aus der Ikonografie des populären Science-Fiction Films, indem die Provinz in Nebraska als „otherwordliness“ (Aaron 2001) präsentiert wird. Er weist zudem deutliche Merkmale der Ikonografie des Road Movies auf (vgl. Pidduck 2001). Als explizites queeres Road Movie präsentiert sich die Tragikomödie TRANSAMERICA (USA 2005, R: Duncan Tucker), die auf die bereits in die Jahre gekommene Trans*Frau Bree und ihren drogenabhängigen Sohn Toby fokussiert. Hinsichtlich der ästhetischen Gestaltung unterscheidet sich das Drama THE DANISH GIRL (USA/GB 2015, R: Tom Hooper) von den bisher benannten Produktionen. Im Zentrum des Films steht das in Kopenhagen der 1920er Jahre lebende Künstler_innenpaar Einar und Gerda Wegener. Der Film erscheint hochästhetisiert, nicht nur hinsichtlich der auf Symmetrie angelegten, stark durchkomponierten Einstellungen, sondern auch in Bezug auf das Kostüm- und Setdesign. Trotz
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all der unterschiedlichen stories, die die Kinofilme präsentieren, erscheint die Narration recht einheitlich. Die Handlungsverläufe sind sich in ihrer Struktur ähnlich. Der narrative Verlauf ist in allen Filmen dramaturgisch am 5-Akt-Modell orientiert, das üblicherweise im klassischen Kinofilm eingesetzt wird. Gustav Freytag (2003), der das 5-Akt-Modell in Anlehnung an Aristoteles’ Konzept der 3-AktStruktur des Dramas ausarbeitete und dessen Modell nicht nur zu analytischen Zwecken in der Filmwissenschaft, sondern auch im Bereich der Filmkonzeption Anwendung findet (vgl. Field 1991, McKee 2011), beschreibt die klassische dramaturgische Bauform des Films als eine Tektonik von aufeinander aufbauenden Akten, die am dramaturgischen Höhepunkt ihren Zenit erreichen, den Fall der Handlung einleiten und die nach Passage des vierten Akts mit einem retardieren Moment in einer Katastrophe enden (vgl. Freytag 2003). In den Trans*Filmen beginnt die Handlung im ersten Akt mit der Einführung der transgeschlechtlichen Figur als Protagonist_in, der Vorstellung der weiteren Figuren und der Etablierung des Handlungssettings (Einleitung). Hier erfolgen bereits erste Hinweise auf den zentralen Konflikt, der im zweiten Akt klar in Erscheinung tritt (Steigerung). Das erregende Moment drängt die Trans*Figur dazu, ein Ziel zu erreichen. In BOYS DON’T CRY CRY (USA 1999, R: Kimberly Peirce) ist Brandon nicht nur hochverschuldet und kann sich dementsprechend seine ersehnte medizinische Angleichung nicht leisten. Auch ist er mehrfach vorbestraft, sodass ihm eine Gerichtsverhandlung bevorsteht. Um die Verhandlung zu bewältigen, müsste Brandon als Teena Brandon erscheinen, d.h. seine Geschlechtsidentität temporär ’wechseln‘. In dem Drama besteht das erregende Moment darin, dass Brandon von seinem Cousin Lonny aus dem Wohnwagen geschmissen wird, sodass er nun obdach- und mittellos ist. Nachdem er in seiner desolaten Lage einige Freunde in einer Bar findet, entscheidet er sich dazu, vor seinen behördlichen Problemen wegzurennen, indem er zu den neu gewonnenen Freunden nach Falls City, ein von Armut geprägter Ort im Nirgendwo von Nebraska, zieht und dort – weiterhin als Mann identifiziert und lebend – Lana kennenlernt und sich verliebt. In TRANSAMERICA (USA 2005, R: Duncan Tucker) besteht der Konflikt darin, dass die transgeschlechtliche Bree von ihrer Therapeutin verordnet bekommt, sich gegenüber ihrem Sohn, den sie nie kennengelernt hat, als transgeschlechtlich zu outen. Als Bree erstmalig auf Toby trifft, schafft sie es nicht, sich ihm gegenüber als ‚sein Erzeuger‘ zu erkennen zu geben. In MA VIE EN ROSE (F 1997, R: Alain Berliner) und in TOMBOY (F 2011, R: Céline Sciamma) stehen die Trans*Figuren – die beiden Kinder Ludovic und Mikhael – vor ähnlichen Herausforderungen. Beide sind mit ihrer Familie in eine neue Nachbarschaft gezogen, in der sie sich nun einleben müssen. Während Lu-
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dovics gendernonkonformes Verhalten bereits in der Eröffnungssequenz als Problematik herausgestellt wird, die im familiären Umfeld auf Abwehr stößt, entscheidet sich Mikhael dazu, als Junge mit den Nachbarskindern Freundschaft zu schließen, obwohl er innerhalb der Familie nach wie vor als Tochter adressiert wird. Das erregende Moment in TOMBOY (F 2011, R: Céline Sciamma) ergibt sich also aus dem scheinbaren Doppelleben, das Mikhael führt, während es in MA VIE EN ROSE (F 1997, R: Alain Berliner) durch die Reaktionen im Außen entsteht, denn Ludovic erkennt nicht, was an seinem nonkonformen Verhalten für das familiäre, schulische und nachbarschaftliche Umfeld problematisch ist. Es ist die Abwehrhaltung des Umfeldes, das Ludovic zum Handeln zwingt. Der zentrale Konflikt in THE DANISH GIRL (USA/GB 2015, R: Tom Hooper) stellt sich anders dar als in den bisherigen Trans*Filmen. Während sich die Konflikte in BOYS DON’T CRY (USA 1999, R: Kimberly Peirce), TRANSAMERICA (USA 2005, R: Duncan Tucker), MA VIE EN ROSE (F 1997, R: Alain Berliner) und TOMBOY (F 2011, R: Céline Sciamma) vor allem aus der Problematik des Passings und der recht stabilen Geschlechtsidentifizierung ergeben, d.h. sie sind vorrangig aufgrund des (antizipierten) feindseligen Umgangs des sozialen Umfelds mit Transgeschlechtlichkeit erzeugt, tritt in THE DANISH GIRL (USA/GB 2015, R: Tom Hooper) der zentrale Konflikt als Identitätskrise in Erscheinung. Als Einar das erste Mal in die Rolle eines weiblichen Bildmodells schlüpft, bekommt er Zugang zu seiner verdrängten Transgeschlechtlichkeit (erregendes Moment), die Einar in Konflikt bringt mit seiner heterosexuellen Partnerin Gerda. Einars zu erreichendes Ziel, gleichsam sein Handlungsauftrag, ist es also, sich nicht nur über seine Geschlechtsidentität Klarheit zu verschaffen, sondern auch sein Leben derart zu gestalten, dass er im Bereich der Liebesbeziehung und in Bezug auf seine berufliche Karriere glücklich wird. In THE DANISH GIRL (USA/GB 2015, R: Tom Hooper) sind folglich zwei miteinander verwobene Plotstränge präsent: Lilis Transgeschlechtlichkeit, die als Identitätssuche/-krise präsentiert wird, sowie Lilis romantische Beziehung zu Gerda. Der dritte Akt von Filmen ist dadurch gekennzeichnet, dass Hemmnisse zur Erreichung der an die_n Hauptprotagonist_in gestellten Ziele offensichtlich werden (vgl. Keutzer et al. 2014: 198). Diese Hürden lösen den Höhepunkt der Handlung aus. Es kommt zu einem tragischen Moment, das bei den Trans*Filmen in der intradiegetischen Entlarvung der transgeschlechtlichen Figur besteht. Am tragischsten ist der dramaturgische Höhepunkt in BOYS DON’T CRY (USA 1999, R: Kimberly Peirce) inszeniert. Nachdem Candace, John, Tom und Lanas Mutter Grund zur Annahme haben, dass Brandon kein Cismann ist, wird Brandon auf brutalste und demütigende Art und Weise entkleidet, verprügelt und vergewaltigt. In TOMBOY (F 2011, R: Céline Sciamma) kommt es zum Höhepunkt, als Mikhaels
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Mutter durch die Mutter eines Nachbarkinds erfährt, dass sich Mikhael den Nachbarskindern gegenüber als Junge präsentiert. Auch sie demütigt ihn nun, indem sie ihm gewaltvoll ein Kleid überzieht und ihn vor den Nachbarskindern outet. Mikhael macht daraufhin, genau wie Brandon, die Erfahrung einer aggressiven und demütigenden Enttarnung, indem die Nachbarskinder ihn im Wald verfolgen, ihn zu Boden bringen und ihm gegen seinen Willen entkleiden. In TRANSAMERICA (USA 2005, R: Duncan Tucker) fällt der dramaturgische Höhepunkt mit dem Scheitern von Brees Passing gegenüber ihrem Sohn zusammen. Während einer Pinkelpause erkennt Toby Brees Penis im Rückspiegel. Daraufhin verhält er sich passiv-agressiv und outet sie ungefragt gegenüber einem mitgenommenen Anhalter. In MA VIE EN ROSE (F 1997, R: Alain Berliner) ist der Höhepunkt durch Ludovics unternommenen Suizidversuch markiert. Dazu kommt es, weil Ludovic von Seiten der Familie enormen Druck erfährt, sich in die männliche Geschlechtsrolle einzupassen. Den mehrfachen Selbstbekenntnissen, dass sie ein Mädchen ist, wird nicht nur innerfamiliär, sondern auch in der Schule und der Nachbarschaft mit Abwehr und verbaler Gewalt begegnet. In MA VIE EN ROSE (F 1997, R: Alain Berliner) handelt es sich also nicht um eine klassische Enttarnung der Trans*Figur. Vielmehr wird dem intradiegetischen Umfeld unmissverständlich klar, dass es sich bei Ludovic um eine transgeschlechtliche Person handelt. In THE DANISH GIRL (USA/GB 2015, R: Tom Hooper) ist der Höhepunkt ähnlich dramatisiert. Das tragische Moment setzt ein, als Einar, wider aller Versuche, in der männlichen Geschlechtsrolle einen Platz zu finden, zu der finalen Erkenntnis kommt, dass ‚er‘ Lili ist. Die Erkenntnis fällt nicht nur zusammen mit einem Gewaltangriff auf Lili im öffentlichen Raum, sie führt auch zum Bruch in der Ehe zu Gerda. Bevor es zum tatsächlichen Ende kommt, gibt es durch das retardierende Moment Anlass zur Hoffnung auf ein gutes Ende. Die Hoffnung auf Wendung zum Guten bleibt jedoch üblicherweise aus und es kommt zur finalen Katastrophe. In BOYS DON’T CRY (USA 1999, R: Kimberly Peirce) besteht beispielsweise das retardierende Moment darin, dass Brandon mit der Hilfe von Lana und Lanas Mutter die beiden Gewalttäter zur Anzeige bringt. Es entsteht die Hoffnung, dass die an Brandon verübte Gewalt geahndet wird. Die Vergewaltigung wird damit als unmoralischer Akt an der Trans*Figur markiert. Ein weiteres retardierendes Moment liegt in dem Entschluss von Lana und Brandon, Falls City zu verlassen, um sich gemeinsam eine Zukunft in Memphis, Tennessee, aufzubauen. Das Drama gibt Anlass zur Hoffnung auf ein romantisches Happy End. Dazu kommt es jedoch nicht. Tom und John rächen sich an der Anzeige und ermorden Brandon auf brutalste Art und Weise. Ein gewisses Happy End stellt sich allerdings für Brandons love interest ein. Lana verlässt in der Abschlussszene Falls City tatsächlich in Richtung Memphis. Nachdem in TRANSAMERICA (USA 2005, R: Duncan Tucker)
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Brees Sohn die Transgeschlechtlichkeit seines ‚Vaters‘ bewusstwird, er daraufhin äußerst aggressiv reagiert und den beiden während ihres Road Trips auch noch das Auto gestohlen wird, scheint es schier unmöglich, dass es Bree rechtzeitig zu ihrem Operationstermin nach Los Angeles schafft. Glücklicherweise lernt sie Calvin kennen, arrangiert sich mit den Ressentiments in ihrer Ursprungsfamilie und schafft es letztlich doch, den Termin für die geschlechtsaffirmierende Operation einzuhalten. TRANSAMERICA (USA 2005, R: Duncan Tucker) endet nicht in einer Katastrophe. Am Ende der Erzählung ist Bree glücklich mit sich und ihrem Leben und versöhnt sich zudem mit ihrem Sohn Toby. Das Road Movie endet mit einem für Trans*Filme unüblichen Happy End. Die Abschlussszene verhandelt immer den Grundkonflikt eines Films (vgl. Peltzer und Keppler 2015: 38). In den Trans*Filmen wird am Ende stets zentrales Wissen über Transgeschlechtlichkeit vermittelt. Die Sample-Filme beziehen in der Konfliktauflösung verschiedentlich Stellung zum Thema. In BOYS DON’T CRY (USA 1999, R: Kimberly Peirce), THE DANISH GIRL (USA/GB 2015, R: Tom Hooper) und TRANSAMERICA (USA 2005, R: Duncan Tucker) behaupten die transgeschlechtlichen Figuren ihre Geschlechtspositionierung, trotz aller Hindernisse und Konfliktlagen, die sie diesbezüglich zu bewältigen haben. Sie verkörpern einen transsexuellen Geschlechtstypus, der sich über Stabilität hinsichtlich der nonkonformen Geschlechtsidentität auszeichnet. Ein Merkmal, das diesen Figurentypus charakterisiert, ist das der Vereinzelung. Der Preis, den die Trans*Figuren für das Behaupten der eigenen Transgeschlechtlichkeit zahlen, besteht in der sozialen Individualisierung. Brandon verliert nicht nur, abgesehen von seiner Gefährtin Lana, die soziale Bindung an den gesamten Freundeskreis. Er büßt mit seinem gesamten Leben. Ein ähnliches narratives Muster bemüht auch THE DANISH GIRL (USA/GB 2015, R: Tom Hooper). Obwohl Lili ihre lang ersehnten geschlechtsaffirmierenden Operationen durchführen kann, verliert sie die enge (und romantische) Bindung zu Gerda. Auch sein bester Freund Hans scheint am Ende eher Gerda als Lili zu unterstützen. Lili bezahlt schließlich mit ihrem Leben. Weniger melodramatisch endet TRANSAMERICA (USA 2005, R: Duncan Tucker). Obwohl Bree nach ihrer geschlechtsaffirmierenden Genitaloperation ein glückliches Leben zu führen scheint, wird sie dennoch als vereinzelt dargestellt. Nur ihr Sohn Toby fungiert als Figur, die eine soziale Bindung zu Bree aufnimmt. Zur Darstellung des transsexuellen Geschlechtstypus gehört der enge Bezug auf geschlechtsaffirmierende Operationen. Sie spielen in den drei erwähnten Filmen eine zentrale Rolle. Dieser Umstand ist „Sinnbild für die Grenze zwischen Verwerfung und Anerkennung [...] Die geschlechtsangleichende Operation kann als Ritual betrachtet werden, welches im Zuge der wegfallenden Gesetzgebung Transsexualität institutionalisiert und gesellschaftlich regelt“ (Raczuhn 2018: 420). Wie im Kapitel
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3.4 Kategoriale Ausdifferenzierungen: die Medikalisierung des ‚Geschlechtswechsels‘ als Erfindung der Transsexualität beschrieben, ist die Entwicklung und Etablierung geschlechtsaffirmierender Operationen von Ambivalenz gekennzeichnet. Die geschlechtsaffirmierende Operation stellt zwar einerseits eine der „Praktiken der Infragestellung der Zwei-Geschlechterordnung“ (Stammberger 2017: 90) dar, die zahlreichen Betroffenen die Existenzbedingungen ihres Lebens liefern. Andererseits sind sie an hegemoniales Wissen um Zweigeschlechtlichkeit geknüpft. Sie stellen den Versuch dar, eine ‚normale Geschlechtszugehörigkeit‘ zu konstruieren. Insgesamt ist die Trans*Figur des transsexuellen Geschlechtstypus gleichsam als narrativer Ausdruck des medizinisch konstruierten transsexuellen Subjekts zu betrachten: In der Narration beweist die Figur ihre Transsexualität als dauerhaft gegengeschlechtliche Geschlechtsidentifizierung, die im Ziel der operativen Affirmation jener Identifikation mündet. Dadurch, dass der Film jenen Figurentypus an das Merkmal der Vereinzelung knüpft, erhält die transgeschlechtliche Figur allerdings nicht die Legitimation, die durch den „ordnungsgemäßen Ablauf einer Trans*Formation“ (Raczuhn 2018: 423) ersucht wird. Sie wird also nicht Teil einer weiblichen bzw. männlichen Gemeinschaft. Intelligibilität bleibt ihr verwehrt. Die Trans*Figur erscheint vielmehr als tragisches Opfer, das an den Strukturen der heterosexuellen Matrix scheiterte. In TOMBOY (F 2011, R: Céline Sciamma) kann sich die Trans*Figur nicht gegen die antagonistischen Kräfte des sozialen Umfelds durchsetzen. Auch MA VIE EN ROSE (F 1997, R: Alain Berliner) zeichnet das Bild eines transgeschlechtlichen Kindes, dessen Geschlechtsidentifikation brüchig wird, als es mit sozialen Repressionen konfrontiert ist. In TOMBOY (F 2011, R: Céline Sciamma) gibt die Trans*Figur ihre Identität als Junge auf: Mikhael stellt sich in der Schlussszene bei Lisa als „Laure“, d.h. in der Rolle eines Mädchens, vor. Das Ende von TOMBOY (F 2011, R: Céline Sciamma) ist ambivalent (s. Abb. 44, 45), denn obwohl sich Mikhael letztlich mit seinem bei Geburt zugewiesenen Namen vorstellt, was als Verweis auf die Notwendigkeit zu verstehen ist, sich innerhalb des hegemonialen Geschlechterregimes zu verorten, d.h. die Kontingenz von sex und gender gerade nicht zu unterlaufen, unterscheidet er_sie sich rein äußerlich nicht von seiner Geschlechterperformance als Mikhael. Laure gibt sich damit als Mädchen zu erkennen, destabilisiert mit dem Geschlechtsausdruck jedoch die Normen hinsichtlich einer weiblichen Geschlechtsperformance. Die soziale Verbindung zwischen Lisa und Laure bekommt dadurch eine homosexuelle Konnotation, insofern als dass die beiden Figuren, nach wie vor, als love interests füreinander fungieren. Lisa weiß, dass es sich bei Mikhael um ein Mädchen handelt. Das scheint sie nicht davon abzuhalten, die Verbindung zu ihm_r zu suchen.
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Abbildungen 44 und 45: Filmstills aus der Abschlussszene von TOMBOY
Quelle: TOMBOY (F 2011, R: Céline Sciamma).
Nichtsdestotrotz deutet die Formalstruktur der Einstellung allerdings eine Trennung der beiden ineinander verliebten Jugendlichen an. Zwischen den beiden Figuren herrscht viel ‚leerer‘ Bildraum (s. Abb. 44). Sie sind jeweils an den Rändern des Kaders positioniert, vermeiden den Blickkontakt zueinander und blicken beide beschämt zu Boden. In ein Ambivalenzverhältnis überführt wird diese Einstellung, die Schuld und Scham auszudrücken scheint – Schuld aufseiten von Laure, weil er_sie seine_ihre Mitmenschen ‚getäuscht‘ hat und Scham aufseiten von Lisa, weil sie sich unbemerkt in ‚ein Mädchen‘ verliebt hat – durch den final shot, in dem die Trans*Figur ihren Geburtsnamen nennt, was gleichsam als Geständnis, als eine Beichte, fungiert, und währenddessen Lisa verschmitzt anlächelt (s. Abb. 45). In der Schlussszene werden also nicht nur die das Geschlecht eines Menschen bestimmenden Kriterien, sondern auch die Orientierungsrichtung des Begehrens unübersichtlich und unklar. Auch MA VIE EN ROSE (F 1997, R: Alain Berliner) löst Ludovics Transgeschlechtlichkeit in Ambivalenz auf. Nachdem Ludovic von seinen Eltern dazu gezwungen wird, sich als Junge zu kleiden, macht er Bekanntschaft mit dem burschikos wirkenden Mädchen Chris. Auf Chris’ Geburtstagsparty erscheint Ludovic als Cowboy. Chris ist als Prinzessin verkleidet. Chris findet sofort Gefallen an Ludovics Aufmachung und überredet sie_ihn dazu, die Kostümierungen zu tauschen. Als Ludovics Mutter davon Notiz nimmt, schlägt sie ihn_sie zur Bestrafung, woraufhin Ludovic wegrennt. Chris’ Mutter reagiert indes akzeptierend auf das gender bending der Kinder. Der Film endet damit, dass alle Kinder der Party fröhlich miteinander tanzen. Chris ist glücklich im Kostüm des Cowboys, während Ludovic als Prinzessin mit den Nachbarskindern spielt. Die szenische Choreographie der Abb. 46 deutet zunächst auf Ludovics nach wie vor bestehende Vereinzelung als abnormales, aus der Ordnung fallendes Kind hin. Unbeweglich und räumlich von den anderen Figuren distanziert steht Ludovic in der Mitte des Kaders. Bewegung findet im Bild durch die tanzenden Kinder um ihn_sie herum statt. Ludovic bildet bei dieser kreisförmigen Bewegungsrichtung das fixierte
268 | Transgeschlechtlichkeit und Visualität
Zentrum. Die starke Aufsicht der Totale unterstreicht seine_ihre Vereinzelung von den anderen, die als Repräsentanten des gesellschaftlichen Anderen fungieren, zusätzlich. Diese Vereinzelungstendenz, die Ludovic als abgesondertes, der gesellschaftlichen Ordnung verworfenes Subjekt markiert, wird nachfolgend aufgebrochen, indem Chris Ludovic in das Tanzen der Kinder integriert. Ludovic wird Teil der Bewegung im Bild (s. Abb. 47). Das Fixzentrum der kreisförmig ablaufenden Bewegung bildet nun lediglich der weiße Gartentisch, auf dem sich ein grün-rotes Blumengesteck befindet. Der Tisch, um den herum drei weiße und ein bräunlicher Stuhl gruppiert sind, kann als Versinnbildlichung einer geregelten gesellschaftlichen Ordnung betrachtet werden, die (auch) aus dem hervorgeht, was von ihr ausgeschlossen ist. Durch die Integration der Trans*Figur in die Bewegungsabfolge im Bild wird ihre Vereinzelung aufgehoben. Der Wechsel von der Totale in eine Supertotale erschwert die Zuordnung von Ludovic als einzelnes Element in dem im Bild befindlichen Figurenensemble, das sich tanzend durch den Bildkader schlängelt. Ludovic scheint also am Ende des Films mit seinem femininen Geschlechtsausdruck soziale Anerkennung zu erfahren. Abbildungen 46: Filmstill aus der Abschlussszene aus MA VIE EN ROSE
Quelle: MA VIE EN ROSE (F 1997, R: Alain Berliner).
Filmische Diskursebene | 269
Abbildung 47: Filmstill aus der Abschlussszene aus MA VIE EN ROSE
Quelle: MA VIE EN ROSE (F 1997, R: Alain Berliner).
Die Dramen TOMBOY (F 2011, R: Céline Sciamma) und MA VIE EN ROSE (F 1997, R: Alain Berliner) wenden also einen Trans*Figurentypus an, der sich vom transsexuellen Figurentypus unterscheidet. Auch wenn dieser Figurentyp (in sehr viel schwächerer Ausprägung) an ein Vereinzelungsmoment gekoppelt ist, ist er gegenüber dem transsexuellen Figurentypus von der Tendenz gekennzeichnet, binäre Geschlechtergrenzen zu unterlaufen. Dies geschieht allerdings nicht aus Legitimität eines hybriden Geschlechtsausdrucks. Ludovic wird am Ende von MA VIE EN ROSE (F 1997, R: Alain Berliner) als Junge in weiblich konnotierter Aufmachung präsentiert, genauso wie Mikhael als Mädchen mit maskuliner Geschlechterperformance auftritt. Obwohl dadurch die Kategorisierungen von männlich bzw. weiblich erweitert werden, schließlich wird eine männliche Femininität bzw. eine weibliche Maskulinität illustriert, ist der Grund für die Erweiterung der Geschlechtskategorien ein Effekt des repressiven sozialen Umfelds, das eine gänzliche Abkehr von der bei Geburt festgelegten Geschlechtlichkeit als illegitim zurückweist. Bei den Trans*Filmen handelt es sich um klassische Narrationen im Sinne Bordwell und Thompsons (2008): „This conception of narrative depends on the assumption that the action will spring primarily from individual characters as causal agents. Natural causes […] or societal causes […] may affect the action, but the narrative centers on personal psychological causes: decisions, choices, and traits of character.“ (Bordwell und Thompson 2008: 94)
270 | Transgeschlechtlichkeit und Visualität
Der rote Faden des narrativen Verlaufs besteht in dem Wunsch, des_r Protagonist_in, gemäß seiner_ihrer eigens erfahrenen Geschlechtsidentität zu leben. Der dramaturgische Verlauf kommt durch eine Gegenkraft zustande, die die Trans*Figur von der Realisierung ihres Wunsches abhält. Während in klassischen Narrationen diese antagonistische Kraft oft durch eine Figur (dem Antagonisten oder Anti-Helden) verkörpert wird, ist der Gegenspieler in den Trans*Filmen eher unpersönlich. Bei dem Opponenten in den Trans*Filmen handelt es sich um gesellschaftlich tradierte Normen und Werte hinsichtlich des Erlebens und Ausdrucks von Geschlechtlichkeit. In BOYS DON’T CRY (USA 1999, R: Kimberly Peirce), MA VIE EN ROSE (F 1997, R: Alain Berliner), TOMBOY (F 2011, R: Céline Sciamma) und THE DANISH GIRL (USA/GB 2015, R: Tom Hooper) ergeben sich die Schwierigkeiten, Konflikte und Hemmnisse für die_n Protagonist_in aufgrund der Wirkmächtigkeit der heteronormativen, bipolar organisierten Zweigeschlechterordnung, die als „regulatorische Macht“ (Butler 2009c: 72) auf die Trans*Figur wirkt. Obwohl Bree in TRANSAMERICA (USA 2005, R: Duncan Tucker) ebenfalls mit den Anforderungen dieses Geschlechterregimes konfrontiert ist, nimmt das Road Movie insofern eine Sonderstellung ein, als dass das Narrativ die Transgeschlechtlichkeit von Bree als zwar abweichende, aber dennoch legitime Geschlechtsidentifizierung markiert. Die antagonistische Kraft in TRANSAMERICA (USA 2005, R: Duncan Tucker) liegt nicht nur in den expliziten Normen der binären Geschlechterordnung, die auf dem Ideal der Kongruenz von sex und gender beruhen, die sich folglich in einer heterosexuellen Begehrensausrichtung manifestiert, auch wenn diese implizit dem Narrativ eingeschrieben sind. Sie besteht eher in den normativen Erwartungen, die an ein transsexuelles Subjekt gestellt werden. Zweifellos sind diese als Formen der Konkretisierung jener „Gender-Regulierungen“ (Butler 2009c) zu betrachten. Indem die Trans*Figur in TRANSAMERICA (USA 2005, R: Duncan Tucker) gezwungen ist, nicht nur bruchlos feminin zu erscheinen, sondern auch ihr gesamtes soziales Umfeld, insbesondere ihr familiäres Umfeld, über ihre Transgeschlechtlichkeit in Kenntnis zu setzen, und ihre Geschlechtsidentifikation gegen Widerstände zu behaupten, d.h. Zeugnis über die Stabilität ihrer Identität abzulegen, handelt es sich letztlich, ähnlich zu den anderen Trans*Filmen, um Darstellungen der Kräfte und Effekte, durch den die Produktion und Normalisierung des heteronormativen Zweigeschlechtersystems vonstattengeht, denn „jene Spielarten von Gender, die nicht in das binäre Muster passen, sind ebenso Teil von Gender wie jedes seiner zutiefst normativen Beispiele“ (ebd.: 74).
Filmische Diskursebene | 271
5.3 KÖRPERÄSTHETIK DER BEGRENZUNG4 Die Darstellung des transgeschlechtlichen Körpers nimmt in den Filmen des Transgender Cinemas eine zentrale Rolle ein. Die diesem Kino zugehörigen Filme zeichnen sich über einen Fokus auf Körperlichkeit aus. Einige Autor_innen beschreiben die Portraitierung des transgeschlechtlichen Körpers in der zeitgenössischen Populärkultur als reißerisch und exploitativ (vgl. Shelley 2008: 132ff.). Andere fokussieren auf die subversiven Momente in filmischen Auseinandersetzungen mit dem transgeschlechtlichen Körper (vgl. Halberstam 2002). Frühe mediale Repräsentationen des transgeschlechtlichen Körpers standen einerseits in der Funktion standen, die Definitionsmacht der Medizin zu stützen, während sie andererseits zur diskursiven Stabilisierung des Konzepts des Modernen Selbst beitrugen, das sich über Selbstexpressivität, Selbstoptimierung und Selbsttransformierung auszeichnet (vgl Meyerowitz 2002). Wie bei der Skizzierung der Filmhistoriografie deutlich wurde, veränderte sich die filmische Sichtbarkeit von Trans*Personen von einer exotisierenden hin zu komplexeren und wohlwollenderen Darstellungsweisen. Shelley (2008) betrachtet diese Entwicklung aus einer (kritisch-)neoliberalen Perspektive, indem er schlussfolgert: „Sensationally this self-made man could also become a non-self made man, transforming into a woman“ (Shelley 2008: 132f.). In den für diese Studie analysierten Filmen zeichnet sich eine visuelle Konzentration auf den transgeschlechtlichen Körper ab. Das betrifft zum einen die Repräsentation körperlicher Materialität, deren Parameter nachfolgend nachgezeichnet und problematisiert werden. Was die Filme eint, ist also nicht nur, dass sie Transgeschlechtlichkeit explizit zum zentralen Sujet machen und von ähnlichen dramaturgischen Strukturen durchzogen sind. Sie sind auch an einer visuellen Konvention orientiert, die die als transgeschlechtlich markierten Protagonist_innen über die Fokussierung ihrer Körper portraitiert. Die vielfältigen visuellen Strategien, die dazu eingesetzt und nachfolgend beschrieben werden, bilden in ihrer Gesamtheit eine Ästhetik, die ich als Körperästhetik der Begrenzung definiere. Die Ästhetik ist orientiert an einer zweigeschlechtlich strukturierten und heteronormativen Sicht auf Transgeschlechtlichkeit, und präsentiert die Trans*Figuren vorrangig als anormale Subjekte, auch wenn jene Ästhetik temporär subversive
4
Dieses Unterkapitel habe ich in ähnlicher Weise, jedoch hinsichtlich der Analyse einiger Spielfilme des Transgender Cinemas, die nicht Teil des Samples dieser Studie sind, bereits veröffentlicht in dem von Josch Hoenes und Michael_a Koch herausgegeb en Sammelband Transfer und Interaktion: Wissenschaft und Aktivismus an den Grenzen heteronormativer Zweigeschlechtlichkeit (2017).
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Momente andeutet. Zum anderen spielt Körperlichkeit im Transgender Cinema insofern eine Rolle, als dass die Spielfilme darum bemüht sind, die Ebene des embodiment filmästhetisch zu vermitteln, schließlich ist, wie herausgestellt wurde, transgeschlechtliche Verkörperung durch Unsichtbarkeit charakterisiert. Die Spielfilme finden verschiedene Wege mit diesem sich als Sichtbarkeitsparadox manifestierenden Mediationsdilemma umzugehen, sei es über die Nutzung von Mindscreen-Szenen, über die Verschaltung eines transgender gaze in das heteronormative Blickregime, oder über den Versuch, haptische Eindrücke vom Körper erfahrbar zu machen (s. Kapitel 5.4 Subjektive Wirklichkeitsebenen: Zur Inszenierung transgeschlechtlicher Erfahrung). 5.3.1 Die visuelle Strategie der Naked-Body-Shots In allen Filmen des Samples wird das zentrale Sujet der Handlung bereits in den ersten Sequenzen offenkundig: In BOYS DON’T CRY (USA 1999, R: Kimberly Peirce) wird bereits in der zweiten Szene Brandons Transidentität thematisiert. TRANSAMERICA (USA 2005, R: Duncan Tucker) beginnt alsgleich mit einer Szene, die die Hauptfigur Bree als Trans*Frau einführt. MA VIE EN ROSE (F 1997, R: Alain Berliner) weist ebenfalls in der ersten Sequenz des Films auf Ludovics gendernonkonformes Verhalten hin. In TOMBOY (F 2011, R: Céline Sciamma) passed Mikhael für etwa elf Minuten Laufzeit, bis er von seiner Mutter als Laure adressiert wird. Auch in THE DANISH GIRL (USA/GB 2015, R: Tom Hooper) dauert es nur wenige Minuten, bis auf Einars transvestitische Neigungen hingewiesen wird. Das extradiegetische Publikum wird also recht zügig über die Transgeschlechtlichkeit des_r Protagonist_in in Kenntnis gesetzt. Intradiegetisch bleibt die nonkonforme Geschlechtsidentifikation allerdings zunächst unbekannt. Als Konvention für das Coming Out, das dezidiert dem zuschauenden Publikum gilt, etablierte sich die visuelle Betonung der körperlichen Materialität der Trans*Figur mittels eines Naked-Body-Shots5 (s. Abb. 48, 49). Die Einstellungen stellen sexuierte Körperteile, wie eine flache bzw. gewölbte Brust und/oder Genitalien, visuell aus. Sie verweisen explizit auf die körperliche Beschaffenheit der Protagonist_innen. Dies geschieht vor allem über das Zeigen nackter Körperstellen. In TOMBOY (F 2011, R: Céline Sciamma) wird der Protagonist Mikhael beispielsweise in der ersten Sequenz als zehnjähriger Sohn der Familie eingeführt. Nichts an seinem Habitus lässt vorerst Zweifel an seinem männlichen Geschlecht
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Der Begriff des Naked-Body-Shots ist der Dissertationsschrift von Wibke Straube entliehen (vgl. Straube 2014: 46ff.).
Filmische Diskursebene | 273
aufkommen. In der zweiten Hauptsequenz befindet sich Mikhael mit seiner kleinen Schwester Jeane in der Badewanne. Beide spielen vergnügt miteinander, bis die Mutter aus dem Off die beiden bittet, aus der Badewanne zu kommen. Die Mutter trocknet zunächst das kleine Kind ab. Daraufhin adressiert sie Mikhael als Laure. Das Publikum wird also hier durch die Adressierung auf Mikhaels Geschlechtlichkeit hingewiesen. Es folgt eine Amerikanische Einstellung, die Mikhaels nackten Körper vom Kopf bis zu den Knien zeigt (s. Abb. 48). Es wird offensichtlich, dass Mikhaels kindlicher Körper ein Körper ist, der aufgrund bestehender Zweikörpernormen als weiblich klassifiziert wird. Abbildung 48: Naked-Body-Shot in TOMBOY
Quelle: TOMBOY (F 2011, R: Céline Sciamma).
Obwohl sich die Hauptfigur aus TRANSAMERICA (USA 2005, R: Duncan Tucker) bereits in der zweiten Szene des Films während eines Gesprächs mit einem Psychiater als Trans*Frau outet, folgt darauf eine Szene, in der sie mit einem Nachthemd bekleidet vor dem Spiegel steht und ihren Körper begutachtet (s. Abb. 49). Ihr Blick wandert zu ihrem Genitalbereich. Unter dem Kleid zeichnet sich die Form eines Penis ab. Auf recht komödiantische Art und Weise versucht sie, ihr Genital zwischen die Beine zu klemmen. Indem jene visuell exponierten Körperpartien in Diskrepanz zur (angestrebten) Geschlechtsidentität der Figur stehen, wird die Trans*Person gleichsam visuell enttarnt.
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Abbildung 49: Naked-Body-Shot aus TRANSAMERICA
Quelle: TRANSAMERICA (USA 2005, R: Duncan Tucker).
Naked-Body-Shots kommen überdies auch nach dem visuellen Coming Out mehrfach zur Anwendung (s. Abb. 50-53). Aufgrund ihres wiederholten Einsatzes kommt ihnen also nicht nur die Funktion zu, die transgeschlechtliche Figur im Sinne eines visuellen Coming Outs zu ‚entblößen‘. Sie stabilisieren vielmehr die bei Transgeschlechtlichkeit scheinbar vorliegende, von der medizinischen Diskursebene etablierte, hegemoniale Vorstellung von der Differenz zwischen biologisch-körperlicher Beschaffenheit und geistiger Geschlechtsidentität. Die NakedBody-Shots markieren den nackten transgeschlechtlichen als einen vom heteronormativen Körper abweichenden (vgl. auch Raczuhn 2018: 434). Die Verwendung der vielfältigen Naked-Body-Shots muss einerseits als Reifizierung der Traditionen des Crossdressing Genres verstanden werden. Annette Kuhn (1994) stellt für das Crossdressing Genre fest, dass es von der Konvention geprägt ist, nicht nur die ‚gegengeschlechtliche‘ Performance als solche zu entlarven, z.B. indem es zu ‚dewigging scenes‘ kommt, d.h. zu genau jenen Szenen, in denen die crossdressende Figur ihre scheinbare ‚Tarnung‘ (hier: ihre Perücke) verliert. Üblich sind vielfältige, häufig wiederholte Referenzen auf die Physikalität des biologischen Geschlechts (vgl. auch Straayer 1997). Andererseits dient die Verwendung von Naked-Body-Shots als eine visuelle Strategie dafür, den für die transgeschlechtliche Filmfigur bestehenden „Konflikt zwischen geschlechtsidentitärer Selbstbezeichnung und Geschlechtszuschreibung für das Publikum offensichtlich und zugänglich zu machen“ (Saalfeld 2017: 274).
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Abbildung 50: Naked-Body-Shot aus BOYS DON’T CRY
Quelle: BOYS DON ’T CRY (USA 1999, R: Kimberly Peirce).
Abbildung 51: Naked-Body-Shot aus Transamerica
Quelle: TRANSAMERICA (USA 2005, R: Duncan Tucker).
Die Einstellungen stehen also auch in der Funktion, für das Spannungsfeld, in dem sich eine Trans*Person befindet – die konfliktuöse Relation zwischen eigens empfundener Geschlechtlichkeit und der gesellschaftlichen Festlegung der Geschlechtlichkeit, die sich anhand der Sexuierung körperlicher Beschaffenheiten vollzieht – zu sensibilisieren.
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Abbildung 52: Naked-Body-Shot aus TOMBOY
Quelle: TOMBOY (F 2011, R: Céline Sciamma).
Ein exemplarisches Beispiel für den Versuch der visuellen Vermittlung jenes Spannungsfeldes findet sich in THE DANISH GIRL (USA/GB 2015, R: Tom Hooper) (s. Abb. 53).6 Lilis nackter Körper wird hier als Spiegelbild sichtbar. Am linken Bildrand der Amerikanischen Einstellung sind verschieden aufgereihte Kleidungsstücke erkennbar. Ein Kleidungsstück ist braun-violett, ein weiteres gelb-schimmernd. Ein anderes Beige-Schwarzes hängt auf einem Kleiderbügel. Am rechten Bildrand ist ein Teil einer Wand zu sehen. Im Hintergrund liegen verschiedene Stoffteile auf dem Boden. Zudem sind einige helle Elemente zu erkennen, bei denen nicht klar identifiziert werden kann, worum es sich handelt. Die Szenerie ist im Kostümierungsbereich eines Ballettsaals verortet. In der Mitte des Bildes ist Lili in einem mit zweifacher Rahmung versehenen Standspiegel, der eine bräunliche Färbung aufweist und an den Rändern fleckig wirkt, vom Kopf bis etwa zu den Knien sichtbar. Lilis Körper wirkt sehnig, an den Oberarmen, dem Bauch und den Oberschenkeln treten ihre Muskeln deutlich hervor. Nicht nur die Besetzung der Rolle der transgeschlechtlichen Lili mit dem cisgeschlechtlichen Schauspieler Eddie Redmayne führt dazu, dass Lilis nackter Körper als hagerer, männlicher Körper gelesen wird. Lilis Körper ist leicht nach rechts eingedreht, während die Beine überkreuzt sind, sodass ihr Genitalbereich nicht sichtbar ist. Dass es sich bei dem Genitalbereich allerdings um eine relevante (störende) Körperstelle handelt, wird durch Lilis vor den Schambereich gehaltene, linke Hand ersichtlich. 6
Die Szene hat den folgenden Timecode: 35’52’’-37’27’’.
Filmische Diskursebene | 277
Abbildung 53: Naked-Body-Shot aus THE DANISH GIRL
Quelle: THE DANISH GIRL (USA/GB 2015, R: Tom Hooper).
Der Film vermittelt hier, dass die transgeschlechtliche Figur sich für ihren Körper schämt. Sexuierte Körperstellen müssen aus Scham versteckt werden. Gleichwohl sind die Zuschauer_innen an diesem intimen Moment beteiligt: „Wird Menschen im Allgemeinen eine gewisse Privatssphäre, vor allem im Bereich au f ihren Körper, zum Beispiel beim Duschen, Toilettengang und in der Hygiene zugestanden und ebenso in Bezug auf ihr gesundheitliches Befinden, etwa in vertraulichen Ärzt*innenPatient*innen Gesprächen, ist diese Privatssphäre bei Trans*Personen im Film durch und durch von den Betrachter*innen durchdrungen.“ (Raczuhn 2018: 434)
Das Publikum dringt hier einerseits in der Rolle als Voyeur in die intimsten Grenzen der Trans*Person ein. Andererseits wird es zur_m engen Kompliz_in von Lilis Trans*identität, die innerhalb der diegetischen Welt bis zu dem Punkt dethematisiert ist. Voyeurismus und Verbündetenschaft gehen hier also eine konfliktreiche Verbindung ein. Lili stützt ihren linken Arm in die Hüfte, sodass ihre gesamte Gestik als Versuch der Einnahme einer eher weiblichen Pose verstanden werden kann. Im Gegensatz dazu steht die visuelle Betonung, eine regelrechte Inszenierung, der Physikalität eines Körpers, der als männlich zu ‚lesen‘ ist. Die gesamte Komposition der Einstellung ist auf die Darstellung der Materialität des Körpers ausgerichtet. Planimetrisch ist das Bild so komponiert, dass es aufgrund der vertikalen Linienführung, die durch die Umrahmung des Spiegels vorgegeben ist, in
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drei Segmente zerfällt: ein linkes Bildsegment mit der Aufreihung der Kleidungsstücke, ein rechtes Bildsegment mit ‚leerer‘ Bildfläche und ein zentrales Bildsegment, das Lilis Spiegelbild zeigt. Der Verlauf dieser Bildlinien findet sich in kleinerem Format in den Linien wiederholt, die von der Beinstellung vorgegeben werden. Die Kamera, die Lili in Zentralperspektive und in Normalsicht als fokussierte Bildfigur einfängt, ist rechts neben ihr positioniert. Sie befindet sich allerdings nicht gänzlich auf Augenhöhe mit, sondern etwas unterhalb der Figur, sodass der Kamerablick zuerst auf Lilis Oberkörper fällt. Der Fluchtpunkt des Bildes kann anhand des hellen Bildelements im Hintergrund bestimmt werden. Er läuft in etwa in der Mitte des Gesamtbildes zusammen, liegt also im Spiegelbild, sodass sich Lili bzw. ihr nackter Körper auf der Fluchtpunktlinie und damit im Zentrum der Einstellung befindet. Obwohl nicht ausgeprägt, spielt die Einstellung zusätzlich mit der Relation von Schärfe zu Unschärfe. Auch wenn das Gesamtbild eher scharf gehalten ist – gerade auch der Blick in die Tiefe des Raumes erscheint scharf – ist nicht nur das linke Bildsegment etwas unschärfer. Unschärfe entsteht vor allem auch durch die Fleckigkeit des Spiegels an seinen Rändern, wodurch der Spiegel eine Surkadrage7 um Lilis Spiegelbild bildet. Das Spiegelbild, auf dem der nackte Körper zu sehen ist, nimmt also aufgrund der Planimetrie, der perspektivischen Projektion und des Verhältnisses von Schärfe und Unschärfe eine zentrale Stellung ein. Die vertikale Linienführung gibt dem Gesamtbild eine gewisse geometrische Strenge. Diese geometrische Strenge in Kombination mit dem Fokus auf das Spiegelbild verkleinert das Bild gewissermaßen. Indem durch die mehrfachen Rahmungen das Bild im Bild fokussiert wird, das Lilis körperliche Materialität abbildet, wirkt ihr Körper insgesamt eher abbildlich und künstlich, weniger natürlich und authentisch inszeniert. Laura Mulveys in den 1970er Jahren gewonnene Erkenntnis zur Darstellung weiblicher Körper im klassischen Hollywoodkino bekommt hier eine besondere Wendung: Mulvey (1999 [1975]) stellte fest, dass das (klassische Hollywood-)Kino einen kulturellen Bereich ausmacht, der für den männlichen Blick konstruiert ist. Hinsichtlich der Inszenierung weiblicher Filmfiguren arbeitet sie heraus, dass diese als erotische Objekte zur Schau gestellt werden. Während männliche Figuren aktiv die Handlung vorantreiben, über den dreidimensionalen filmischen Raum verfügen und als Identifikationsfiguren für das Publikum fungieren, sind weibliche Figuren auf den zweidimensionalen Bildraum beschränkt und konnotieren eine „to-be-looked-at-ness“ (Mulvey 1999 [1975]: 63), indem weibliche Körper beispielsweise durch Nahaufnahmen
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Der filmwissenschaftliche Begriff der Surkadrage macht darauf aufmerksam, dass das Filmbild nicht nur äußerlich durch den Kader (Kadrage), sondern auch innerhalb des Bildfeldes, begrenzt sein kann.
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fragmentiert werden, oder die Handlung in Momenten erotischer Kontemplation gefriert: „In their traditional exhibitionist role women are simultaneously looked at and displayed, with their appearance coded for strong visual and erotic impact [...]“ (ebd.: 62). Frauen im Film sind keine Träger des Blickes, sondern werden als flächige Bilder präsentiert. Mulvey argumentierte in ihrem Aufsatz aus einer zweigeschlechtlichen Perspektive, sodass ihre Erkenntnisse nur bedingt anschlussfähig sind für Transgender Filme. Nichtsdestotrotz bieten sie einen Anknüpfungspunkt hinsichtlich der Analyse von vergeschlechtlichten Blickregimen im Film. In dem angesprochenen Naked-Body-Shot in THE DANISH GIRL (USA/GB 2015, R: Tom Hooper) sind gleichsam zwei gegensätzliche Blicke gepaart. Die Kamera betont einen objektivierenden Blick auf Lilis nackten Körper, der aufgrund der oben rekonstruierten Elemente als Bildobjekt inszeniert ist. Auch wenn dieser Blick „to-be-looked-at-ness“ (Mulvey 1999 [1975]: 63) konnotiert, fehlt ihm die erotische Komponente. Ein weiterer Blick ist der von Lili auf sich selbst bzw. auf ihre körperliche Beschaffenheit. Dieser Blick ist intimer und ist verquickt mit Lilis Subjektivität. Der inszenierte nackte Körper von Lili tritt hier also in ein ambivalentes Spannungsfeld ein. Die Darstellung von Nacktheit, die hier nicht an ein erotisches Spektakel geknüpft ist, wird vielmehr gekoppelt an einen Wahrheits- und Erkenntnisanspruch. Dieser Wahrheitsanspruch wird dadurch verstärkt, dass die Kamera Lili dabei beobachtet, wie sie ihre Kleidungsstücke sukzessive abstreift. Der Blick der Zuschauer_innen ist entlang Lilis Körper geleitet, „um das verhüllte Unbekannte zu enthüllen, es begreiflich zu machen, ohne Scheu vor der Aussage, es gebe ein Recht darauf, das unverständlich Verborgene auch sehen zu dürfen, begutachten zu dürfen, auf seine Relevanz hin prüfen zu dürfen“ (Raczuhn 2018: 434). Der thematische Gegensatz von Nacktheit und Kostümierung, der hier hinsichtlich des Gewahrwerdens über Lilis Transgeschlechtlichkeit so zentral scheint, wird bereits durch das Setting (der Kostümierungsbereich des Ballettsaals) und die Motivik der Einstellung (die nackte Lili visuell umgeben von Kleidungsstücken) aktiviert. Der Spiegel ist ein weiteres Bildmotiv, das kulturell mit Selbsterkenntnis und Identitätsfindung belegt ist. Indem der nackte Körper als Ort der Wahrheit (und Erkenntnis) präsentiert wird, liegt der Bedeutungsschwerpunkt der Einstellung auf der Inkongruenz von Kleidung und sich als dezidiert ‚gegengeschlechtlich‘ preisgebende körperliche Nacktheit, was als Versuch der Darstellung des Konflikts von Geschlechtszuschreibung und in Kontrast dazu stehender geschlechtsidentitärer Selbsterfahrung bewertet werden kann, mittels dem Transgeschlechtlichkeit hier begriffen wird. Ähnlich begreift auch der Film TOMBOY (F 2011, R: Céline Sciamma) Transgeschlechtlichkeit.
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Abbildung 54: Totale aus TOMBOY
Quelle: TOMBOY (F 2011, R: Céline Sciamma).
In der sechsten Szene der zweiten Sequenz sucht Mikhael Anschluss bei den Nachbarskindern. Er beobachtet vom Spielrand aus die Jungen in seinem Alter während des Fußballspielens.8 Die Szene wird eröffnet durch eine Totale (s. Abb. 54), bei der die szenische Choreographie Mikhael als eine Person markiert, die (noch) keinen Zugang zur homosozialen Welt der Jungs hat. Er befindet sich stattdessen in räumlicher Nähe zu Lisa, die aufgrund der Tatsache, dass sie ein Mädchen ist, nicht am gemeinsamen Spiel teilhaben darf. In den darauffolgenden Halbnahen und Amerikanischen Einstellungen sind einige der Jungs zu sehen, die oberkörperfrei spielen. Das Eyeline-Matching macht deutlich, dass Mikhael sie beim Spielen genauestens beobachtet. Die Szene wird abgelöst durch eine, die im Badezimmer von Mikhaels Zuhause spielt.9 Mikhael zieht sein T-Shirt aus und begutachtet seinen nackten Oberkörper im Badezimmerspiegel (s. Abb. 52). Die Kamera ist, ähnlich wie in dem Naked-Body-Shot in THE DANISH GIRL (USA/GB 2015, R: Tom Hooper), rechts hinter der Figur positioniert und fängt die Figur in Normalsicht ein. Anders als in THE DANISH GIRL (USA/GB 2015, R: Tom Hooper) ist Mikhael allerdings zwei Mal in der Einstellung erkenntlich: einmal als Mikhael, der vor dem Spiegel steht und einmal durch sein Spiegelbild, das Mikhaels nackten Körper fokussiert. Der visuelle Schwerpunkt der Einstellung liegt aufgrund des auffälligen Top-Lightings auf dem Bild im Bild: das Spiegelbild, das Mikhaels hageren Oberkörper zu sehen gibt. Es folgen weitere mirror8
Die Szene hat den folgenden Timecode: 16’15’’-17’33’’.
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Die Szene hat den folgenden Timecode: 17’50’’-18’24’’.
Filmische Diskursebene | 281
shots, in denen die Kamera dichter an die Figur heranrückt. Mikhael begutachtet seinen Oberkörper sehr akribisch, dreht ihn nach rechts und nach links und tastet seine dünnen Arme ab. Letztlich lächelt er ein wenig und spuckt ins Waschbecken, eine die Nachbarsjungen nachahmende Geste. Im Gegensatz zum Naked-BodyShot in THE DANISH GIRL (USA/GB 2015, R: Tom Hooper), der die mittels eines mirror-shots realisierte Inszenierung des nackten Körpers als Ort der Selbsterkenntnis fokussiert, geht es hier um die Problematik des Passings, d.h. um den Umstand, dass Mikhael mittels des Spiegels prüft, inwiefern er mit seiner körperlichen Materialität der phänotypischen Beschaffenheit der cisgeschlechtlichen Jungs gleicht. Implizit wird damit aber, ebenso wie bei THE DANISH GIRL (USA/GB 2015, R: Tom Hooper), der Konflikt zwischen geschlechtlicher Zuordnung, die von anderen aufgrund phänotypischer Merkmale vorgenommen wird, und eigenem Geschlechtsempfinden verhandelt. Was sich an den Naked-Body-Shots zeigt, ist nicht nur die seit dem 19. Jahrhundert gängige „Vorstellung um ein ‚wahres Geschlecht‘, das unterhalb aller ‚trügerischer Verkleidungen‘ liegt und die ‚Wurzeln des Ichs‘ (Foucault 1998) in sich trägt“ (Saalfeld 2017: 275). Die Naked-Body-Shots greifen visuell die dominante, mit vor allem Transsexualität verknüpfte Metapher des ‚Menschen, der im falschen Körper gefangen ist‘ auf, um den Widerspruch zwischen gefühltem Geschlecht und aufgrund körperlicher Merkmale zugeschriebenem Geschlecht zu illustrieren. Wie bereits dargelegt, handelt es sich bei der dominanten Formel um eine ambivalente Metapher mit problematischen Implikationen: Obwohl sich transgeschlechtliche Menschen hinsichtlich der Beschreibung ihres Selbsterlebens durchaus jener Metapher bedienen (vgl. Prosser 1998, Hoenes 2014: 101), ist sie zum einen Ausdruck und Effekt der dominanten sex/gender Ideologie, schließlich ist gerade transsexuellen Betroffenen jene Metapher gleichsam vom medizinischen Diskurs auferlegt, um Zugang zu körpermodifizierenden Optionen zu erhalten. Zum anderen wirkt die Metapher an der Naturalisierung und Individualisierung von Transgeschlechtlichkeit mit, insofern als dass innerhalb der Logik heteronormativer Zweigeschlechtlichkeit davon ausgegangen wird, dass ein mimetisches Verhältnis zwischen Geschlecht, Geschlechtsidentität und Körper besteht (vgl. Butler 1997). Die Erfahrungswelt von transgeschlechtlichen Menschen bricht dieses Verhältnis auf, sodass die Metapher gewissermaßen als innerhalb der hegemonialen Geschlechter- und Körpernormen operierende Artikulation jener ‚Problematik‘ dient (vgl. Hoenes 2014: 102). Daran knüpft sich, drittens, die moderne Vorstellung vom Menschen, nach der der Mensch ein authentisches Inneres besitzt, das von einem Körper umschlossen wird (vgl. Taylor 1996). Die Implikation jener Metapher innerhalb der Bedeutungsstruktur der Naked-Body-Shots stellt
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somit die Repräsentation von modernen Zweigeschlechter- und Körpernormen dar. 5.3.2 Das Spiegelmotiv als visuelle Begrenzung Auch weitere visuelle Strategien stehen im Dienste der Bestätigung von Vorstellungen heteronormativer (Zwei-)Geschlechternormen. Bei den transgeschlechtlichen Figuren handelt es sich um die Protagonist_innen der Erzählung, d.h. sie bilden nicht nur den Fokuspunkt innerhalb des Figurenensembles, sondern auch das Zentrum der Narration (vgl. Bordwell 2008: 90ff.). Hauptfiguren zeichnen sich darüber aus, dass sie zu Beginn der Handlung eine spezifische Aufgabe gestellt bekommen, die sie zu lösen haben. Die Lösung der Aufgabe ist für die_n Protagonist_in mit Herausforderungen, Konflikten und Problemen verbunden, die zum einen die Narration und zum anderen die Figurenentwicklungen vorantreiben (vgl. Peltzer und Keppler 2015: 130). In MA VIE EN ROSE (F 1997, R: Alain Berliner) wird Ludovic beispielsweise vor die Aufgabe gestellt, sich nach dem Umzug der Familie nicht nur in das neue soziale Umfeld einzuleben, sondern auch innerhalb des Familiengefüges ihre Rolle als kleinster ‚Sohn‘ einzunehmen. Von Ludovic wird An-/Einpassung verlangt, was ihren innersten Bestrebungen, nämlich als Mädchen zu leben, diametral entgegensteht. In TOMBOY (F 2011, R: Céline Sciamma) hat Mikhael eine ähnlich geartete Aufgabe zu lösen. Auch er steht vor der Herausforderung, sich in einem neuen Wohnumfeld einzuleben. Freunde findet er, als er sich als Junge präsentiert. Das wiederum kollidiert mit seiner Rolle als Tochter innerhalb des Familiengefüges. In BOYS DON’T CRY (USA 1999, R: Kimberly Peirce) besteht für die Hauptfigur Brandon die Aufgabe darin, sich um Strafanzeigen, die gegen ihn gestellt wurden, zu kümmern, um letztlich eine medizinische Transition beginnen zu können. TRANSAMERICA (USA 2005, R: Duncan Tucker) greift ebenfalls die Problematik der medizinischen Affirmation auf: Bree wird von ihrer Therapeutin vor die Herausforderung gestellt, ihren Sohn aufzufinden, um ihn über Brees Transgeschlechtlichkeit aufzuklären. Erst nach durchgeführtem Outing vor dem Sohn wird Bree in Aussicht gestellt, sich ihrer so lang ersehnten Genitaloperation unterziehen zu können. Auch wenn THE DANISH GIRL (USA/GB 2015, R: Tom Hooper) zentral mit der Problematik der medizinisch angeleiteten Geschlechtsaffirmation beschäftigt ist, besteht die Aufgabe für Lili darin, einen Beziehungskonflikt zu lösen. In dem Drama geht es um die Problematik der Vereinbarkeit von Partnerschaft und Karriere. Während Einar zunächst der erfolgreiche männliche Part in dem heterosexuellen Beziehungsgefüge ist, kommt Gerda die Rolle der weiblichen, weniger erfolgreichen Beziehungsperson zu. Das Gefüge wird folglich massiv bedroht aufgrund von Einars Transgeschlechtlichkeit.
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In allen Filmen des Samples finden sich also sich überkreuzende, aber in Zusammenhang zueinander stehende Plots: Die_r Protagonist_in gerät aufgrund der Entdeckung oder des Auslebens der eigenen Transgeschlechtlichkeit in einen inneren Konflikt, der mit einem äußeren, der sich als sozialer Konflikt artikuliert, korrespondiert. Üblicherweise unterscheiden sich die Protagonist_innen in den Spielfilmen von den anderen Figuren hinsichtlich des Aktivitätsgrades und ihrer (visuellen) Präsenz (vgl. Peltzer und Keppler 2015: 130). Auf Ebene der Bildkomposition ist für die transgeschlechtliche Figur allerdings die Tendenz ihrer Begrenzung auffällig. Bei den oben genannten Beispielen an Naked-Body-Shots tritt diese Begrenzungstendenz bereits besonders augenfällig in Erscheinung. Die Trans*Figur wird gleichsam von den Nebenfiguren isoliert und aus ihrem Handlungssetting herausgelöst. Nicht nur erscheint sie als handelnde Figur im Kader fixiert, das Mittel der Surkadrage ist es, das jene Herauslösung aus dem Handlungskontext an der visuellen Isolation des Körpers exemplifiziert. Die Bezeichnung Kadrage verweist auf den Umstand der Begrenzung des Filmbildes. Der Kader legt als Wahl des Bildausschnitts eine Bildordnung, d.h. einen „Spielraum des Sehens“ (Prümm 1999: 29) fest, der über Rahmungssysteme innerhalb des Bildes weiter eingeschränkt werden kann.10 Die Kamera unterscheidet durch die visuelle Strategie der (Sur)Kadrage nicht nur zwischen Sicht- und Unsichtbarem, sondern nimmt auch eine bestimmte Haltung zum Gezeigten ein (vgl. ebd.: 33). In den Transgender Filmen geschieht es mit fast normartiger Regelmäßigkeit, das die Trans*Figur surkadriert wird. Im Bild fokussiert werden dabei besondere Teilbereiche des „gender-dissident body“ (Straube 2014: 79). Die Trans*Figur wird dadurch aus ihrer Rolle als Handlungsträger_in herausgelöst, indem ihr Handlungsspielraum zugunsten eines Spielraums des (An-)Sehens suspendiert wird. Die Handlungsfähigkeit transgeschlechtlicher Figuren wird folglich dethematisiert, während das spektakelartige Verweilen des Zuschauer_innenblicks auf dem Körper der Trans*Figur in den Fokus gerückt wird. Eine Schlüsselszene in THE DANISH GIRL (USA/GB 2015, R: Tom Hooper) illustriert diesen problematischen Umstand. Es handelt sich dabei um eine Mon-
10 Neben dem Begriff des Kaders (oder der Kadrierung) wird in Filmanalysen auch der Terminus des Bildfeldes verwendet. Während mit dem Bildfeld das „Filmbild als gestaltete, inhaltsgefüllte Fläche“ (Keutzer et al. 2014: 84f.) bezeichnet ist, bezieht sich das Konzept der Kadrierung auf die limitierende Funktion des Filmbildes, d.h. auf die „künstlerisch motivierte Entscheidung für die Wahl eines bestimmten Ausschnitts“ (ebd.).
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tagesequenz, in der Einar sich zum ersten Male mit Hilfe von Gerda als Lili zurechtmacht.11 Zunächst schminkt Gerda Einar. Danach befiehlt Gerda Einar, für sie erneut Modell zu sitzen. Es folgen Aufnahmen, in denen Gerda Einar beibringt, möglichst feminin zu laufen und zu gestikulieren. Einar imitiert Gerdas Bewegungen folgsam, versucht sich gewissermaßen an einer bewussten Aneignung einer weiblichen Geschlechtsdarstellung. Anschließend befinden sich Gerda und Einar im Kostümbereich des Ballettsaals. Gerda sucht Einar eine passende Perücke, Schuhe und ein Kleid aus. Die Sequenz endet schließlich mit Einar_Lili, wie sie_r sich in der Wohnung eigens darum bemüht, das Zusammenspiel von Kleidung, Körperbewegung und Körperausdruck praktisch umzusetzen. Die Abb. 55 ist diesem letzten Abschnitt der Szene entnommen. Die Surkadrage-Einstellung ist streng geometrisch aufgebaut. Die Bildkomposition ist besonders stabil, während die vertikale Linienführung der Einstellung eine gewisse Statik verleiht. Bei der hier dreifachen Rahmung handelt es sich um eine geschlossene Form der Kadrierung. Die Einstellung erscheint als geschlossenes Ganzes. Die Fluchtpunktlinien laufen in der Mitte des Bildes zusammen, in der Einar_Lili positioniert ist. Der Betrachter_innenblick wird damit auf die Bildfigur gelenkt. Abbildung 55: Einar_Lili als Bildobjekt
Quelle: THE DANISH GIRL (USA/GB 2015, R: Tom Hooper).
Die Einstellung erweckt den Eindruck eines Tableaus, das Einar_Lili als zentrales Bildobjekt ausstellt, wobei der Rahmen des Tableaus deutlich akzentuiert ist,
11 Die Szene hat folgenden Timecode: 22’14’’-25’36’’.
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schließlich nimmt die Rahmung in Bezug auf die gesamte Bildfläche den größten Raum ein. Der shot wirkt also besonders artifiziell. Dieser Umstand stellt Einar_ Lili nicht nur als zu betrachtendes Bildobjekt heraus, er verkleinert auch den Aktionsradius. Es kommt also zu einer klaren Vermittlung des Wechsels der Hauptfigur aus der Funktion als handelnde Figur in die Funktion des angesehenen Bildobjekts. Obwohl die Naked-Body-Shots als prototypische Fälle für die visuelle Begrenzungstendenz angeführt werden können, soll hier ein weiteres Beispiel besprochen werden, um auf den Umstand zu verweisen, wie strukturgebend jene Tendenz der Einschränkung des Handlungsraumes, vermittelt über die Begrenzung der visuellen Präsenz, in den Transgender Filmen ist. Der Film MA VIE EN ROSE (F 1997, R: Alain Berliner) präsentiert visuell das identitäre (und soziale) Dilemma mittels der Surkadrage (s. Abb. 56). Abbildung 56: Mirror-shot in MA VIE EN ROSE
Quelle: MA VIE EN ROSE (F 1997, R: Alain Berliner).
Das Drama erzählt die Geschichte der transgeschlechtlichen siebenjährigen Ludovic, deren Spielverhalten, die Wahl ihres Äußeren und ihr erwachendes sexuelles Begehren von ihren Eltern kritisch hinterfragt werden. Ludovics Eltern sehen in ihr eindeutig ihren Sohn, ‚er‘ jedoch versteht sich als Mädchen, trägt gern Kleider, schminkt sich und auch das Spiel mit Puppen bereitet ihr große Freude. Sie phantasiert mit ihrem Freund Jérome eine romantische Hochzeit. Obwohl der Spielfilm
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wiederholt darum bemüht ist, die subjektive Erfahrungswelt des transgeschlechtlichen Kindes darzustellen12, ist auf bildkompositorischer Ebene die Tendenz der Begrenzung auffällig. Eine exemplarische Szene, die diesen Umstand dokumentiert, findet sich im mittleren Teil des Films.13 Zu diesem Zeitpunkt haben Ludovics Eltern das geschlechternonkonforme Verhalten ihres Kindes bereits eine Zeitlang argwöhnisch beobachtet, sodass sie es bei einer Psychotherapeutin vorstellen. Damit ist die Hoffnung verbunden, dass jene ‚Expertin‘ dem Kind zu einer Einfindung in seine männliche Geschlechtsrolle verhelfen könne. Im Anschluss an die Szene befindet sich Ludovic allein in ihrem Kinderzimmer. Entschlossen schiebt sie ihre Spielsachen, all die Puppen, Figuren und Kuscheltiere in einer Kiste unter das Bett. Es erfolgt ein Schnitt auf eine Nahaufnahme. Ludovic blickt ins Leere, in das Off außerhalb des Bildes. Kurz atmet sie auf, während wir sie in der nachfolgenden Einstellung aus der Vogelperspektive sehen, wie sie aus dem Fenster blickt. Durch einen Point-of-view shot werden wir darüber informiert, dass sie ihre beiden Brüder beim Cowboyspielen im Garten beobachtet. Als ältere, cismännliche Brüder fungieren sie hier als Rollenvorbilder für Ludovic. Schnitt. Nun nimmt die Kamera erneut eine objektive Sicht auf das Kind ein. Ludovic betrachtet sich im Spiegel (s. Abb. 56). Aus der Frontalperspektive fokussiert die Amerikanische Einstellung Ludovics Spiegelbild, das dezidiert als ein solches gekennzeichnet ist. Ludovic ist in der Einstellung doppelt anwesend: Dicht hinter der Figur positioniert, fängt die Kamera einen Teil ihres bekleideten Oberkörpers ein. Dieser, die rechte Hälfte des Kaders füllende Bildvordergrund ist unscharf gehalten. Auf der linken Bildhälfte ist Ludovics Spiegelbild vom Kopf zu den Oberschenkeln fokussiert. Dieser Bildhintergrund erhält aufgrund der Tiefenschärfe und der verwendeten Surkadrage besondere Bedeutung. Das „sehende Sehen“ (Imdahl [1974] 1996) ist in dieser Einstellung an der Paradoxie der (Un-)Sichtbarkeit von Transgeschlechtlichkeit orientiert. Die Paradoxie besteht in der „Schwierigkeit der Sichtbarmachung einer sich der Sichtbarkeit entziehenden geschlechtlichen Verortung“ (Saalfeld 2017: 279). Die Paradoxie ist durch die planimetrische Kompo-
12 Der Einblick in Ludovics transgeschlechtliche Erfahrungswelt wird mittels Mindscreen-Szenen präsentiert. Es handelt sich dabei um intern fokalisierte Teile der filmischen Narration, die die Gedankenwelt von Ludovic visualisieren. Die Darstellung der Erfahrungswelt der transgeschlechtlichen Figur wird im Unterkapitel 5.4 Subjektive Wirklichkeitsebenen: Zur Inszenierung transgeschlechtlicher Erfahrung problematisiert. 13 Die Szene hat folgenden Timecode: 26’44-27’16’’.
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sition impliziert. Denn zum einen wird über das Spiegelbild, das durch die Surkadrage, die Tiefenschärfe und die Bildkomposition als zentraler Bildteil betont wird, der Betrachter_innenblick auf den Spektakel- und Abbilcharakter der transgeschlechtlichen Figur gelenkt. Das Publikum nimmt die Trans*Figur in Augenschein. Ludovic ist aus ihrer Rolle als Handlungsagentin herausgelöst und fungiert als Bildobjekt, als buchstäbliches Abbild ihrer selbst. Damit geht der Eindruck von Statik und Flächigkeit einher. Die Sichtbarkeit der transgeschlechtlichen Figur korrespondiert dadurch mit Passivität und der Einschränkung ihres Subjektstatus. Das Spiegelmotiv aufgreifende Einstellungen verweisen allerdings, zum anderen, auf einen Ort außerhalb des Kaders, der unsichtbar bleibt. Obwohl Spiegel im Film zur Tendenz der Begrenzung beitragen, insofern als dass sie einerseits die Orientierung im filmischen Raum erschweren und andererseits die Illusion von Offenheit bieten, der Raum allerdings nicht zugänglich und damit verschlossen bleibt, bieten sie die Möglichkeit, auf alternative Erfahrungsweisen hinzudeuten. Für Michel Foucault (1992) verortet sich der Spiegel als Mischerfahrung zwischen Utopie und Heterotopie. Sowohl Utopien als auch Heterotopien sind Raumtypen, die „die sonderbare Eigenschaft [haben], sich auf alle anderen Platzierungen zu beziehen, aber so, daß sie die von diesen bezeichneten oder reflektierten Verhältnisse suspendieren, neutralisieren oder umkehren“ (Foucault 1992: 38f.). Utopien beschreibt Foucault als „unwirkliche Räume [...], [als] Platzierungen, die mit dem wirklichen Raum der Gesellschaft ein Verhältnis unmittelbarer oder umgekehrter Analogie unterhalten“ (ebd.). Heterotopien stellen „wirkliche, wirksame Orte, [...] Gegenplatzierungen oder Widerlager [dar], in denen die wirklichen Plätze innerhalb der Kultur gleichzeitig repräsentiert, bestritten und gewendet sind“ (ebd.). Der Spiegel ist zwischen der Utopie und der Heterotopie verortet, weil er einerseits einen „Ort ohne Ort“ (ebd.: 39) abgibt. Ludovic sieht sich durch den Blick in den Spiegel dort, wo sie nicht ist: „in einem unwirklichen Raum, der sich virtuell hinter der Oberfläche auftut“ (ebd). Der Platz, von dem aus Ludovic blickt, existiert, andererseits, ‚wirklich‘. Der Blick in den Spiegel ist direkt verbunden mit dem Blick aus dem Spiegel heraus und zurück auf die ‚wirkliche‘ Blickposition: Er „konfrontiert einerseits mit dem Selbst, also dem eigenen Gesicht als Ausdruck der Innerlichkeit, andererseits ist dieser Blick ein Blick von außen, kehrt somit zum Selbst zurück als Blick des Anderen“ (Elsaesser und Hagener 2007: 76). Insgesamt fungiert der Spiegel also „als Gegenraum, der den Ort für Krisensituationen beherbergt“ (Saalfeld 2017: 279). Der mirror-shot präsentiert das Bild von Ludovics Spiegelbild, sodass Ludovics Spiegelfigur – ihr Double oder Schatten – in den Bereich der Sichtbarkeit hineingeholt wird, während sie gleichzeitig auf ein virtuelles Bild begrenzt bleibt.
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Dadurch realisiert sich in der Einstellung nicht nur ein unwirklicher – hetero(u)topischer – Raum, der auf alternative Erfahrungsweisen hindeutet. Das Bild des Spiegelbilds kann vielmehr als Versuch verstanden werden, das sich einer Sichtbarkeit entziehende Phänomen sichtbar zu machen. Jene Paradoxie der Sichtbarkeit wird auch darin betont, dass der Schatten- bzw. Doublecharakter der Spiegelfigur dezidiert verborgen wird, schließlich ist Ludovics Spiegelbild über das so dominante Sidelighting gleichsam übersichtbar gemacht. Diesem überhellen Spiegelbild steht der im Dunkel gehaltene ‚wirkliche‘ Blickpunkt gegenüber. In der Einstellung können folglich zwei Orte lokalisiert werden, die sich buchstäblich spiegelbildlich gegenüberstehen: Auf der rechten Bildseite befindet sich der ‚wirkliche‘ Ort der Figurenplatzierung, während der Bedeutungsschwerpunkt der Einstellung auf der linken Bildseite liegt. Der mirror-shot scheint Transgeschlechtlichkeit als subjektive Krisenerfahrung darstellbar zu machen, und verknüpft dabei Sichtbarkeit mit Abbildlichkeit sowie Abwesenheit von Sichtbarkeit. Die mirror-shots, die sich als Naked-Body-Shots (s. Abb. 49, 50, 52, 53) zeigten, folgen derselben ästhetischen Formel. Während die mirror-shots in BOYS DON’T CRY (USA 1999, R: Kimberly Peirce) und TOMBOY (F 2011, R: Céline Sciamma) (s. Abb. 50, 52) fast identisch zum mirror-shot in MA VIE EN ROSE (F 1997, R: Alain Berliner) (s. Abb. 56) visuell orchestriert sind, liefert die Einstellung in THE DANISH GIRL (USA/GB 2015, R: Tom Hooper) (s. Abb. 53) gleichsam den Prototyp der Paradoxie der (Un-)Sichtbarkeit von Transgeschlechtlichkeit. Wie im vorherigen Abschnitt zu den Naked-Body-Shots beschrieben, führen die Elemente der Formalstruktur in dem mirror-shot zu einer Inszenierung der transgeschlechtlichen Lili als Bildobjekt. Lilis nackter Körper ist übersichtbar gemacht. Im Gegensatz zu den anderen mirror-shots betont die Einstellung allerdings das zur Paradoxie gehörende Merkmal der Abwesenheit von Sichtbarkeit sehr viel stärker, insofern, als dass der Ort der tatsächlichen Figurenplatzierung nicht sichtbar ist. Die Einstellung betont den heteroutopischen Gehalt des Spiegels, nicht nur, indem sie den „Ort ohne Ort“ (Foucault 1992: 39) repräsentiert, sondern, weil die Einstellung damit am intensivsten auf den Raum außerhalb des Kaders verweist. Allen mirror-shots ist gemein, dass sie den prekären Status der Sichtbarkeit von Transgeschlechtlichkeit andeuten. Die Implikationen der mirror-shot-Ästhetik stimmen mit dem Status überein, den Transgeschlechtlichkeit auch diskursiv einnimmt: „[Transgender phenomena] are simultaneously everywhere and elsewhere. Their multiple and contradictory statuses of visibility and erasure, of presence and absence, are intimately related to the operations of social power that create norms, impart consequence to difference, and construct the space of a dominant culture.“ (Stryker 2006: 15)
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Kulturgeschichtlich vereinte der Spiegel (als Alltagsgegenstand, als Bildmotiv und als Metapher) eine Gänze an Funktionen: von der Möglichkeit einer scheinbar magischen Metamorphose durch geschliffene Metallscheiben, die eine verzerrte Verdoppelung des Gespiegelten erwirkten, oder durch die natürliche Bewegung der Wasseroberfläche, die das Antlitz des_r Betrachter_in scheinbar verwandelt14, über die Möglichkeit der Erkenntnisgewinnung, indem Verborgenes enthüllt wird, bis hin zur Funktion der Selbstvergewisserung, schließlich kann man „das eigene Gesicht niemals direkt, sondern nur über Medien wahrnehmen [...], die uns widerspiegeln“ (Deutsch et al. 2000: 60). Filmtheoretisch wurde der Spiegel als Metapher bemüht, um das reflexive Potential des filmischen Mediums zu betonen. Dabei wird stets auf das Konzept des Spiegelstadiums rekurriert, das vom Psychoanalytiker Jacques Lacan 1935 in die Diskussion gebracht wurde, und der damit den entwicklungspsychologischen Abschnitt des Kindes zwischen dem 6. und 18. Lebensmonat bezeichnet, in dem sich das Kind zum ersten Mal in seinem Spiegelbild erkennt (vgl. Lacan 1986). Beim Spiegelmoment wird der fragmentiert wahrgenommene Leib des Kindes erstmals als ganzheitliche, zu ihm gehörende Gestalt wahrgenommen, was das Kind mit einer ‚jubilatorischen Geste‘ beantwortet, die Lacan als Identifikation des Kindes mit seinem Bild wertet: „Man kann das Spiegelstadium als eine Identifikation verstehen in vollem Sinne, den die Psychoanalyse diesem Terminus gibt: als eine beim Subjekt durch die Aufnahme eines Bildes ausgelöste Verwandlung“ (Deutsch et al. 2000: 64). Im Moment der Verbindung zwischen wahrgenommenem und betrachtetem Selbst übertritt das Kind nicht nur die Schwelle zur sichtbaren Welt („Threshold of the Visible World“ nach Silverman [1996]), es tritt nach Lacan auch in den Bereich des Imaginären ein, der von Illusion, Verletzlichkeit und Spaltung gekennzeichnet ist. Im Prozess der Selbstidentifikation durch das eigene Spiegelbild findet die Konstituierung des Ichs statt, indem das Kind durch den Blick in den Spiegel ein Bewusstsein über sich selbst erlangt. Es erfährt, dass durch die Auflösung eines symbiotischen Zustands das Ich vom Nicht-Ich getrennt ist. Das Erkennen des eigenen Ichs im Spiegelstadium beruht also nicht nur auf einer medialen Vermittlung, sondern auch auf dem Umstand der Verkennung/Täuschung, schließlich erkennt das Kind nicht sich selbst im Spiegel, sondern ein idealisiertes Bild von sich selbst, das außerhalb seiner selbst liegt. Das Imaginäre ist also nicht nur ein Ort der Illusion und Spaltung. Indem sich das Kind
14 Am eindrücklichsten wird wohl in Ovids Metamorphosen, innerhalb derer sich der Mythos von Narziss befindet, von der Faszination für das eigene Spiegelbild berichtet, das das Selbst zu verwandeln scheint. Vgl. zum Narziss-Mythos: Orlowsky und Orlowsky 1992.
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als autonom und vollständig sieht, ist es auch ein Ort, der von narzisstischen Allmachtsphantasien gekennzeichnet ist. Der Spiegel unterliegt als Objekt der Selbstvergewisserung folglich einer gewissen Ambivalenz: „Der Spiegel bestätigt die Identität des Individuums und stellt sie gleichzeitig in Frage, er spaltet das Ich in ein betrachtendes und ein betrachtetes. In seiner Unbestechlichkeit widerlegt er die Idealvorstellung, die ein jeder von sich selbst hat“ (Rösler 2002: 209). Filmtheoretisch gewendet beruht das Erkennen des_r Zuschauer_in auf einem Verkennen: Obwohl sich das Kino und der Spiegel strukturell ähnlich sind, insofern als dass beide ein detailreiches, dargestelltes Bild der wirklichen Welt bieten, die auf einer Ähnlichkeitsbeziehung basiert, und obwohl sich die_r Zuschauer_in beim Betrachten des Films als selbstpräsent wahrnimmt, indem sie_r sich mit sich selbst, „mit sich als reinem Wahrnehmungsakt“ (Metz 2000 [1975]: 49), sowie mit dem Film identifiziert (z.B. durch Einfühlen in eine Filmfigur), wird die_r Zuschauer_in nie gänzlich gespiegelt, „sondern es handelt sich eigentlich um ein Missverständnis, als würde man einen anderen als sich selbst im Spiegel erkennen, wenn nicht sogar sich selbst als einen anderen“ (Elsaesser und Hagener 2007: 84). Innerhalb eines Films erweist sich der Spiegel als geeignetes Bildmotiv zur Visualisierung einer anderen, gleichsam einer zweiten Seite des_r Protagonist_in (vgl. Herget 2009). In den Transgender Filmen ist die transgeschlechtliche Figur durch den Blick in den Spiegel mit sich selbst konfrontiert. Zwischen dem Spiegelstadium und dem Phänomen der Transgeschlechtlichkeit finden sich strukturelle Ähnlichkeiten, die Grund für die gehäufte Verwendung des Spiegelmotivs sein können. Wie beim Blick des Kindes in den Spiegel, das sich zum ersten Male selbst erkennt, herrscht bei Transgeschlechtlichkeit eine Spaltung zwischen gefühltem Selbst und reflektiertem Selbst. Ist beim Kind der Anblick bzw. das Erkennen des eigenen Selbst Grund zur Freude („juissance“ nach Lacan), bricht dieser zentrale Identifikationsmoment bei transgeschlechtlichen Menschen allerdings zusammen. Zieht man die Definition von Transgeschlechtlichkeit, wie sie von der medizinischen Diskursebene nahegelegt wird, in Betracht, handelt es sich bei dem Phänomen sogar aufgrund der fehlenden Korrespondenz zwischen gefühltem Selbst und reflektiertem Selbst (sexuierter Phänotyp des Körpers) um die Unfähigkeit, sich im Sinne des Spiegelstadiums zu identifizieren. Diese Unfähigkeit zur Identifikation gilt als die Ursache und die Begründung der verschiedenen psychiatrischen Diagnosen (Transsexualität, Geschlechtsidentitätsstörung bzw. Geschlechtsdysphorie). Hormonelle und chirurgische Interventionen bieten schließlich Lösungen an, um dieses im Sinne des Konzepts des Spiegelstadiums bestehende visuelle (und gefühlte) Dilemma zu beheben (vgl. Steinbock 2011: 131f.). Aus Perspektive der medizinischen Diskursebene beabsichtigen diese Interventionen die Manipulation der Körperoberfläche:
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„the grafting, stretching, inverting, splitting, tucking, suturing of tissue“ (Prosser 1998: 66), um ein eindeutiges, ganzheitliches und stimmiges Bild eines entweder männlich oder weiblichen GeschlechtsKörpers zu erzeugen. Die medizinische Behandlung kann deshalb als Versuch betrachtet werden, transgeschlechtlichen Menschen den im Spiegelstadium angelegten Prozess der Selbstidentifikation zu ermöglichen. Was die Spiegelszenen in den Transgender Filmen allerdings stets sichtbar machen, ist weder das Bild eines idealisierten Selbsts (Ich-Ideal), noch das Bild, das auf den Zustand der fragmentierten Wahrnehmung des Körpers hinweist, sondern vielmehr die Unfähigkeit der transgeschlechtlichen Figur, sich mit sich selbst zu identifizieren. Die mirror-shots greifen damit visuell Vorstellungen über Transgeschlechtlichkeit auf, die auf medizinischer Diskursebene vorherrschend sind. Spiegel als Orte des doing (trans-)gender Narrativ steht die Verwendung des Spiegelmotivs in den hier besprochenen Filmen im Dienste zweier Funktionen. Der Spiegel liefert nicht nur einen Ort der Selbstthematisierung im Sinne einer Selbstvergewisserung, die als missglückt markiert ist. Der Spiegel fungiert auch als Raum, innerhalb dessen sich die transgeschlechtliche Figur als Person in ihrem gewünschten Geschlecht vorstellen kann. Diese Phantasie ist direkt verbunden mit der Vorstellung des Bildes, das andere von der Figur haben, denn „[j]ederzeit konkurriert dieser Blick in den Spiegel aussichtlos mit den Blicken, die andere auf uns richten. Unser Spiegelbild erscheint als Verkehrung, weil wir das Bild der anderen von uns für das angemessene und richtige halten“ (Konersmann 1991: 46f.). Die transgeschlechtliche Figur erblickt sich demgemäß nicht allein im Spiegel. Sie erblickt sich vielmehr als ihr eigenes Objekt (ihr eigenes Bild) aus Sicht der Anderen (vgl. auch Mead 1973: 180). Sie sieht also, wie die anderen Figuren sie wahrnehmen. Ein typischers narratives Moment, das mittels mirror-shots eingefangen wird, ist die Visualisierung der Versuche des doing (trans)genders (s. Abb. 57 und 58, auch Abb. 50). Damit sind Momente bezeichnet, in denen die transgeschlechtliche Figur dabei beobachtet wird, wie sie die Erscheinung ihres Körpers derart verändert, dass sie als Erscheinung im gewünschten Geschlecht wahrgenommen wird. Die Abb. 57 ist einer Schlüsselszene aus TOMBOY (F 2011, R: Céline Sciamma) entnommen, in der Mikhael beispielsweise durch den Blick in den Spiegel prüft, ob sein aus Knete gebastelter Phallus, den er in seiner aus einem Badeanzug zurecht geschnittenen Badehose anbringt, passabel erscheint.15
15 Die Szene hat folgenden Timecode: 33’25’’-36’37’’.
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Abbildung 57: Mirror-shot und doing transgender
Quelle: TOMBOY (F 2011, R: Céline Sciamma).
Um eine passable Erscheinungsweise geht es hier buchstäblich: Die Nachbarskinder wollen schwimmen gehen und Mikhael setzt alles daran, an dem Ausflug teilzunehmen, ohne als Mädchen ‚enttarnt‘ zu werden. Der Spielfilm setzt hier im Mittelteil der Narration auf Szenen, die die binäre Geschlechtertrennung deutlich machen. Beim Schwimmen handelt es sich um eine Aktivität, die nicht nur mit geschlechtstypischer Bekleidung einhergeht, sondern auch phänotypische Merkmale der Schwimmenden besonders deutlich hervorkehrt. In der Sequenz zuvor befindet sich eine weitere Szene, in der der Fokus auf die binäre Geschlechtertrennung gelegt wird: Die Nachbarskinder machen gemeinschaftlich während des Fußballspielens eine Pinkelpause. Als alle cisgeschechtlichen Jungs sich aufreihen und im Stehen urinieren, entschwindet Mikhael unbemerkt in den Wald, um dort im Sitzen Wasser zu lassen. Alle Spielfilme des Samples sind durchzogen von solcherlei Szenen. Sie veranschaulichen auf sehr explizite Art und Weise Situationen, in denen das Passing der Figur aufzufliegen droht. Sie legen damit das Augenmerk auf all jene Umstände, in denen die transgeschlechtliche von den cisgeschlechtlichen Figuren unterscheidbar wird, was zum einen spannungsfördernd wirkt. In der Folgeszene sehen wir die Nachbarskinder beispielsweise beim gemeinsamen Schwimmen. Mikhael trägt seine Badehose samt Penisprothese. Mikhael rauft sich auf einer innerhalb des Sees angebrachten Plattform mit einem der Jungs. In Halbnahaufnahmen werden die beiden Körper während des Gerangels fokussiert. Dem Publikum ist klar, dass ein falscher Griff oder eine falsche Bewegung Mikhaels Passing auffliegen ließe. Es fiebert mit. Zum anderen stehen
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die Szenen zur Geschlechtertrennung im Dienste der Vereinzelung der Trans*Figur innerhalb des Figurenensembles. Sie verAndern sie, sodass Cisgeschlechtlichkeit innerhalb des Narrativs als Norm etabliert, wohingegen Transgeschlechtlichkeit als das Fremdartige konstruiert wird. In dem mirror-shot konfrontiert sich Mikhael mit seinem Körper und damit auch mit sich selbst. Vertrautes und Fremdartiges amalgamieren im Spiegelbild. Die Visualisierung der Momente des doing (trans)genders rücken die Bedeutung des GeschlechtsKörpers als Medium der Selbstvergewisserung und als Medium von Interaktion und Kommunikation in den Vordergrund. Indem sichtbar gemacht wird, wie Mikhael sich einen Phallus aus Knete bastelt, seinen Badeanzug zurechtschneidet, und die Penisprothese in seiner Badehose anbringt, werden die Prozesse der Aneignung des GeschlechtsKörpers zur Schau gestellt, die einerseits ein alternatives Verständnis von Geschlecht kreieren. Das „Geschlecht bzw. Geschlechtszugehörigkeit [ist] nicht als Eigenschaft oder Merkmal von Individuen zu betrachten, sondern jene sozialen Prozesse [werden] in den Blick [genommen], in denen ‚Geschlecht‘ als sozial folgenreiche Unterscheidung hervorgebracht und reproduziert wird“ (Gildemeister 2010: 137). Der Körper ist in den Szenen des doing (trans)gender keine natürliche Einheit, die das Geschlecht der Figur determiniert. Die Szenen schaffen vielmehr ein Bewusstsein für die Herstellung des Geschlechts qua vergeschlechtlichter Praktiken. Abbildung 58: Mirror-shot und doing transgender
Quelle: MA VIE EN ROSE (F 1997, R: Alain Berliner).
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Geschlecht wird so sichtbar als ein „Element, das in sozialen Situationen entsteht“ (West/Zimmerman 1987: 14, deutsche Übersetzung entnommen aus Gildemeister/Wetterer 1992: 237). Mikhael erprobt sich an der Aneignung eines geschlechtlichen Habitus, der seinen Körper als natürlich wirken lässt. Da das Publikum sich der Tatsache bewusst ist, dass sich die transgeschlechtliche Figur in den Szenen des doing transgenders um eine Herstellung des Geschlechts bemüht, wodurch also Praktiken der Geschlechtsdarstellung sichtbar gemacht werden, die als natürlich gelten und damit üblicherweise unsichtbar sind, können die Szenen durchaus zu Reflexionen hinsichtlich der eigenen Geschlechtsher- und -darstellung anregen. Darüber hinaus erhalten die Zuschauer_innen Informationen über die vielfältigen kreativen Versuche, den transgeschlechtlichen Körper zu bewohnen. Ein Umstand, der sie als solidarische Mitwisser_innen adressiert, der Empörung und Entsetzen auslösen kann, kommt es narrativ zur meist brutalen Aufklärung über das ‚eigentliche‘ Geschlecht der Trans*Figur (vgl. Raczuhn 2018: 449f.). Andererseits betrifft die Visualisierung der Praktiken zur Herstellung von Geschlecht lediglich die transgeschlechtliche Figur, sodass sie vom Publikum als Andere Figur, und damit als Figur, die von der Norm abweicht und deren Praktiken deshalb als unnormal und ungewöhnlich zu verstehen sind, rezipiert wird. In dieser Lesart fungiert sie gerade nicht als subversive Figur, die zu einer Infragestellung einer heteronormativen Zweigeschlechterordnung beiträgt, sondern als Element, das als Abweichendes zu jener Ordnung markiert ist. Die Komposition der Szene changiert zwischen den beiden Lesarten. Als Ort der Selbstvergewisserung dient der Spiegel also insofern, als dass sich die Figur ihrer Physis und damit einhergehender Begrenzungen hinsichtlich des Ausdrucks ihrer gewünschten Geschlechtlichkeit bewusstwird. Die Bewusstwerdung jener physischen Grenzen korrespondiert mit der Art und Weise der Komposition der mirror-shots, die auf Begrenzung angelegt ist und die Bildfigur dem voyeuristischen Blick des_r Zuschauer_in preisgibt. Das Motiv des Spiegels verweist zudem auf einen imaginären Ort außerhalb heteronormativer Grenzen. Der mirror-shot spielt auf die Möglichkeit von einer nicht durch phänotypische Gegebenheiten des Körpers determinierten Geschlechtlichkeit an, die ein Sensiblisierungsmoment für Transgeschlechtlichkeit impliziert. Da die Spielfilme das Moment des doing transgenders jedoch in den Dienst des Spannungsaufbaus stellen, insofern als dass die Modifikation des transgeschlechtlichen Körpers in Kontrast gesetzt wird zu cisgeschlechtlichen, sodass sich der Spannungsbogen aus der Potentialität des Auffliegens des Passings ergibt, liegt der Bedeutungsschwerpunkt jener Spiegelszenen vor allem auf der VerAnderung von Transgeschlechtlichkeit bzw. auf der diskursiven Normalisierung von Cisgeschlechtlichkeit.
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5.3.3 Von Spaltungen und Differenzen Neben der Tendenz, die Körper der transgeschlechtlichen Filmfigur über Surkadrage-Einstellungen und mirror-shots visuell zu begrenzen und zu objektivieren, ist auf bildästhetischer Ebene ebenso das Motiv der Spaltung des Körpers auffällig. Damit sind wiederholte Einstellungen gemeint, die den transgeschlechtlichen Körper entweder durch die Positionierung der Figur im Kader und/oder durch eine spezifische Art der Lichtgestaltung visuell in zwei Hälften teilen (s. Abb. 59, 60). Abbildungen 59 und 60: Spaltungsmotiv in THE DANISH GIRL
Quelle: THE DANISH GIRL (USA/GB 2015, R: Tom Hooper).
In der zentralsten Schlüsselszene in THE DANISH GIRL (USA/GB 2015, R: Tom Hooper), bei der Einar im Ballettsaal seine Kleidung ablegt, um seinen nackten Körper im Spiegel zu betrachten, manifestiert sich das beschriebene Spaltungsmotiv.16 Nachdem Einar sich seiner Kleider entledigt hat, wird gezeigt, wie er sein Genital zwischen die Beine klemmt. Der Penis als Symbol der geschlechtlichen Differenz wird zum Verschwinden gebracht. In Nahaufnahme fängt die Kamera den modifizierten Genitalbereich ein: Sichtbar wird ein Schambereich, der nun als Vulva lesbar ist. Daraufhin fährt die Kamera Lilis nackten Körper von unten nach oben ab. Hier setzt das visuelle Spaltungsmotiv ein. Das Sidelighting betont Lilis rechte Körperseite, während die Linke im Dunkeln liegt. Filmästhetisch ähnlich operiert auch TOMBOY (F 2011, R: Céline Sciamma), nachdem Mikhaels Geschlechtsrollenausdruck als Betrug enttarnt wird. Nach dem intradiegetischem Coming Out liegt Mikhael nachts gedankenverloren in seinem Bett (s. Abb. 61).17 Mikhael wird durch die Anwendung des Rembrandt Lighting deutlich visuell gespalten. Der Beleuchtungsstil zeichnet sich über ein Wechselspiel von hellen und dunklen Bildpartien aus, und steht in der Tradition der Hell-Dunkel-Malerei von Rembrandt Harmeszoon van Rijn.
16 Die Szene hat den folgenden Timecode: 35’52’’-37’27’’. 17 Die Szene hat folgenden Timecode: 54’54’’-57’24’’.
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Abbildung 61: Spaltungsmotiv in TOMBOY
Quelle: TOMBOY (F 2011, R: Céline Sciamma).
Die Rembrandt Beleuchtung wird durch ein starkes Seitenlicht hervorgerufen, wodurch an den Objekten helle und schattige Zonen erkennbar werden, die insgesamt einen plastischen Eindruck erzeugen (vgl. Arnheim 2000 [1954]: 314). Oftmals geht das Seitenlicht nicht eindeutig von einem Ort aus, sodass der Raum insgesamt plastisch erscheint, ohne gänzlich sichtbar zu werden (vgl. Keutzer et al. 2014: 44). Nicht selten wird daraus geschlossen, dass das Rembrandt Lighting im Film zur Evokation „düster bedrohliche[r] Stimmungen“ (Hickethier 2012) eingesetzt werde. In der Abb. 61 befindet sich links neben der Figur eine scheinbar kleine Lichtquelle, die im Off außerhalb des Kaders liegt. Sie betont Mikhaels rechte Gesichtshälfte. Seine Augen- und Wangenpartie treten als fokussierte Bildzonen hervor. Unterhalb seines rechten Auges deutet sich eine Unebenheit an, die Zeugnis über Mikhaels vorheriges Weinen aufgrund der ‚Enttarnung‘ ablegt. Seine linke Gesichtshälfte liegt im Dunkeln. Auch der restliche Bildbereich ist opak gehalten. Eine düster bedrohliche Stimmung wird hier nicht evoziert, wohl aber eine Atmosphäre der Melancholie und Depression. Die Inszenierung von Mikhael, wie er allein, nur von Dunkelheit umhüllt, in seinem Bett liegt und gedankenverloren an die Zimmerdecke starrt, lässt auf Gefühle von Einsamkeit, Verdruss und Hoffnungslosigkeit schließen. Was durch das Spaltungsmotiv allerdings zusätzlich auf den Plan gerufen wird, ist die Konvention der Inszenierung von Zwielichtigkeit, wie sie beispielsweise im Film Noir üblich ist. Im Genre des Film Noir dient eine dramatische lowkey bzw. Rembrandt Beleuchtung der Darstellung der zwielichtigen Natur der
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femme fatale (vgl. Kaplan 1998). Auch wenn die Implikationen der Licht-Konventionen des Film Noirs nicht gänzlich mit den Leseweisen kongruent sind, die die visuellen Spaltungen der transgeschlechtlichen Figuren nahelegen, so ist ein ähnlicher diskursiver Gehalt immerhin angedeutet: Filmfiguren erscheinen durch visuelle Spaltungen „fragwürdig und zweifelhaft, zumindest zerrissen und entzweit“ (Saalfeld 2017: 285). Zum einen drückt sich dadurch der von der Trans*Figur erlebte Spannungszustand zwischen empfundener/angestrebter Geschlechtlichkeit und der Unmöglichkeit, diese im gesellschaftlichen Gefüge auszuleben, aus. Die transgeschlechtliche Figur ist dies betreffend tatsächlich emotional zerrissen und entzweit. Diese Lesart steht im Dienst der Sensibilisierung für die transgeschlechtliche Erfahrung von Ausgrenzung und Diskriminierung. Zum anderen kann die spezifische Bildrhethorik als Reaktualisierung der Vorstellung eines betrügerischen, transgeschlechtlichen Subjekts betrachtet werden. Jene Lesart ist eingebettet in die hegemoniale Perspektive auf Transgeschlechtlichkeit: Die visuelle Spaltung der Trans*Figur erscheint als direkter ästhetischer Ausdruck der Inkongruenz – der nicht-intelligiblen Gespaltenheit – zwischen biologischem Geschlecht und Geschlechtsidentität. Diese zweite Lesart ist gegenüber der ersten dominanter, weil sie durch den typischen dramaturgischen Verlauf der Trans*filme bestätigt und verstärkt wird: Genau wie die femme fatale im Film Noir aufgrund ihrer zwielichtigen Natur letztlich narrativ bestraft wird, so konnte herausgearbeitet werden, dass auch die Entwicklung der transgeschlechtlichen Figur im Tod, zumindest in der Vereinzelung endet. Der wissenschaftliche Materialismus, mit dem auf medizinischer Diskursebene operiert wird, verhandelt die ‚Materie des biologischen Geschlechts‘ als fundamentale Basis und Quelle der geschlechtlichen Bedeutungsgebung, die in einer dazu kongruenten Geschlechtlichkeit bzw. in einer dazu kongruenten subjektiven Geschlechtsidentität mündet. Sex und gender (identity) „are imagined to be strictly, mechanically, mimetic“ (Stryker 2006: 9). Sie verhalten sich sich zueinander wie ein reales Objekt, das reflektiert wird (vgl. Steinbock 2011: 23). In den visuellen Spaltungen wird genau auf diese fehlende Reflexion hingewiesen. Die Spaltungen fungieren als cues, die den Mangel an geschlechtlicher Mimikry dokumentieren. Gespalten in eine helle und eine dunkle Hälfte, tragen die Trans*Figuren die sichtbaren Spuren zweier Botschaften, die auf ein und derselben diskursiven Vorstellung basieren: Das, was die Trans*Figur an Geschlechtlichkeit für sich beansprucht (hier: Mikhael bzw. ein Junge zu sein) steht in scheinbarem Kontrast zur Geschlechtlichkeit, die ihr durch die ‚Materie des biologischen Geschlechts‘ zugeschrieben wird. Während die mirror-shots auf die Unfähigkeit der transgeschlechtlichen Person aufmerksam machen, sich mit sich selbst zu
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identifizieren, liefern die Spaltungsshots gleichsam eine Fortführung dieser Botschaft: Der Trans*Figur kann unterstellt werden, Geschlechtlichkeit ‚falsch‘ zu repräsentieren, eine Lüge aufgeführt zu haben, wodurch die Bestrafung und Vereinzelung der Figur legitimiert erscheint. Auf bildästhetischer Ebene sind mit dem Motiv der Spaltung18 auch all jene filmischen Momente bezeichnet, in denen der transgeschlechtliche Körper in Kontrast zum cisgeschlechtlichen präsentiert wird. Die visuelle Parallelisierung von trans- und cisgeschlechtlichem Körper stellt überdeutlich die besondere Stellung der Trans*Figur heraus, sodass Transgeschlechtlichkeit als das Verworfene zur Cisgeschlechtlichkeit fungiert. Im Unterkapitel 5.3.2 Das Spiegelmotiv als visuelle Begrenzung wurde bereits darauf hingewiesen, dass Trans*Filme eine Vielzahl an Szenen beinhalten, die auf die binäre Geschlechterdifferenz hinweisen. Diese Szenen machen nicht nur etwaige Unterschiede zwischen männlich und weiblich salient. Durch den erzählerischen Modus des view-behind fokussieren sie vor allem auf die Differenz zwischen Cis- und Transgeschlechtlichkeit. Ein exemplarisches Beispiel für eine sich bildästhetisch manifestierte Spaltung zwischen Trans- und Cisgeschlechtlichkeit liefert eine Schlüsselszene aus TOMBOY (F 2011, R: Céline Sciamma) (s. Abb. 62). Die Einstellung ist einer Szene entnommen, die im Rahmen des Showdowns stattfindet.19 Mikhael wurde intradiegetisch ‚enttarnt‘. Seine Mutter zwingt ihn, sich gegenüber den Nachbarskindern als Mädchen zu outen. Dafür zieht sie Mikhael gewaltvoll ein blaues Kleid über. Trotz Gegenwehr kann sich Mikhael nicht gegen das Zwangsouting durchsetzen. In der Abbildung sind Mikhael und einer der Nachbarsjungen in einer Halbnahen zu sehen. Sie stehen beide mit etwas Abstand zueinander frontal vor der Kamera. Eine Interaktion zwischen den Kindern findet nicht statt. Auch die Blicke der beiden beziehen sich nicht aufeinander. Während der Nachbarsjunge ein dunkelblaues Polo-Shirt trägt und vor einer Flurwand steht, die mit weißer Tapete bedeckt ist, auf der sich mintgrüne Pflanzenstängel befinden, trägt Mikhael ein hellblaues Baumwollkleid, das ihm nicht so recht zu passen scheint. Er steht vor einer in mintgrün gehaltenen Tür.
18 Das Spaltungsmotiv wird im Drama THE DANISH GIRL (USA/GB 2015, R: Tom Hooper) auch hinsichtlich der narrativen Figurencharakterisierung aufgegriffen. Nach ihrem Coming Out verändert die Hauptfigur Lili Elbe erwartungsgemäß nicht nur ihr Äußeres, sondern zeigt auch andere Wesenszüge und redet von sich selbst in der dritten Person. Transgeschlechtlichkeit wird damit in dem Film unter anderem als ein Phänomen portraitiert, das mit einer doppelten bzw. gespaltenen Persönlichkeit zusammenhängt. 19 Die Szene hat den folgenden Timecode: 60’12’’-61’04’’.
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Abbildung 62: Spaltungsmotiv in TOMBOY
Quelle: TOMBOY (F 2011, R: Céline Sciamma).
Das Farbschema der Kleidungsstücke verweist einerseits auf eine Geschlechterdifferenz, auch wenn es gleichzeitig von ein und derselben Grundfarbe ausgeht: Blau. Die Wahl der Kleidungsstücke ist wiederum eindeutig geschlechtlich konnotiert. Kontrastiert werden die beiden Blautöne durch das grüne Farbschema des Hintergrunds. Das dunkelblaue Shirt des Nachbarsjungen tritt dabei sehr viel deutlicher vor dem weiß-grünen Hintergrund hervor als das bei dem hellblauen Kleid Mikhaels der Fall, das sich eher mit dem Hintergrund ergänzt. Der Abstand zwischen den beiden Kindern ist akzentuiert durch den weißen Türrahmen, der sie voneinander abzutrennen scheint. Dadurch wird das Bild in zwei Sektoren mit jeweils eigenen Farbschemata geteilt, die sich zueinander komplementär verhalten. Worauf die Einstellung hier verweist, ist nicht nur eine Geschlechterdifferenz, d.h. eine Zuordnung von Menschen zu einem der zwei „Genus-Gruppen“ (BeckerSchmidt und Knapp 1995: 16). Hervorgehoben wird hier vor allem eine Geschlechtlichkeitsdifferenz, d.h. eine Unterscheidung von Menschen, deren Geschlechtlichkeit auf einer Kongruenz zwischen zugeordnetem und gefühltem bzw. gelebtem Geschlecht besteht, und Menschen, bei denen sich Brüche zwischen dem zugeordneten Geschlecht und dem empfundenen Geschlecht bzw. dem Geschlechtsausdruck ergeben. Denn obwohl die beiden Bildsektoren hinsichtlich der Fläche und der angewandten Farbschemata gleichwertig erscheinen, ist es die narrative Entwicklung, die Mikhael hier als verworfenes Subjekt visuell präsentiert. Scheinbar gleichwertig visuell repräsentiert erscheinen die beiden Kinder dadurch, dass Mikhael dazu gezwungen wurde, sich in die symbolische Ordnung
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einzupassen. Im hellblauen Kleid als Mädchen präsentiert, illustriert er den komplementären Gegenpol zum cisgeschlechtlichen Nachbarsjungen. Der Film deutet an, dass die Einreihung in die symbolische (Geschlechter-)Ordnung, deren bipolare Struktur sich visuell hier so deutlich ausdrückt, notwendig ist, um als intelligibles Subjekt20 erscheinen zu können: „Wer jemand sein will, muss sich mittels identitätslogischer Subjektkategorien in die symbolische Ordnung einreihen, so sehr diese Einreihung auch immer mit Verlusten und Verwerfungen einher geht“ (Villa 2011: 169f.). Diese Verluste und Verwerfungen, die Mikhael hinnehmen muss, um als vergeschlechtlichtes Subjekt intelligibel, d.h. lebenstüchtig, zu sein, zeichnet der Film im weiteren Verlauf sehr genau nach. Das Leben als Junge und Sohn ist ihm unmöglich, stattdessen muss er sich mit einem Namen, spezifischer geschlechtlich codierter Kleidung und einem ihm sozial zugewiesenen Platz als Mädchen arrangieren, die nicht seinem eigenen Empfinden entsprechen. Die scheinbare Unmöglichkeit, seine Transgeschlechtlichkeit zu leben, legt nahe, dass er sich als Subjekt spalten muss, um existieren zu können. Diese Spaltung, nicht nur der transgeschlechtlichen Figur selbst, sondern auch der Spaltung in Cis- und Transgeschlechtlichkeit, wobei Cisgeschlechtlichkeit als Norm fungiert, von der Transgeschlechtlichkeit stets abweicht, realisiert sich in einer visuellen Geste, die mit Ähnlichkeitsbeziehungen arbeitet, während sie Differenzierungen betont.
5.4 SUBJEKTIVE WIRKLICHKEITSEBENEN: ZUR INSZENIERUNG TRANSGESCHLECHTLICHER ERFAHRUNG Obwohl in den Trans*Filmen vorrangig aus einer cisnormativen Perspektive auf das Phänomen Transgeschlechtlichkeit geblickt wird, was – wie bereits dargelegt – durch die Analyse der dramaturgischen Entwicklungen, der Motivauswahl und der bildästhetischen Ordnungen ersichtlich wird, und insgesamt in der Tendenz münden, transgeschlechtliche Filmfiguren als Abweichungen von der heteronormativen Zweigeschlechternorm zu illustrieren, sind einige der Filme von Szenen durchzogen, die entweder explizit darum bemüht sind, die transgeschlechtliche
20 Butlers Werke sind fast durchgängig von der Frage durchzogen, wie intelligible (Geschlechts-)Identitäten entstehen. Intelligible Geschlechtsidentitäten beschreibt Butler als „solche, die in bestimmtem Sinne Beziehungen der Kohärenz und Kontinuität zwischen dem anatomischen Geschlecht (sex), der Geschlechtsidentität (gender), der sexuellen Praxis und dem Begehren stiften und aufrechterhalten“ (Butler 1991: 38).
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Erfahrungswelt darzustellen, oder die implizite Zugänge zur subjektiven Erlebensperspektive der Trans*Figur ermöglichen. Diese Szenen umfassen Momente des Träumens und Fantasierens (MA VIE EN ROSE), Momente der Desorientierung (THE DANISH GIRL und MA VIE EN ROSE), sowie filmische Vermittlungen eines transgeschlechtlichen Blicks (BOYS DON’T CRY und MA VIE EN ROSE). Ihnen kann die Absicht unterstellt werden, Transgeschlechtlichkeit aus einer Betroffenenperspektive darzustellen. Die Szenen entsprechen dem von Wibke Straube (2014) ausgearbeiteten Konzept der exit scapes, die in zeitgenössischen Trans*Filmen Momente „of intense filmic engagement that temporarily allow an escape from the cinematic dominance of the negative affects of constraining scenes […]“ (Straube 2014: 48) ausmachen. Es handelt sich um Szenen, in denen vermittelt wird, wie sich die transgeschlechtliche Filmfigur von Gefühlen der Ohnmacht, Angst, Scham und (potentieller) Gewalt abgrenzt, indem sie „is absorbed in listening to a song, or is immersed in a dance or the imaginary world of fantasy and dreams“ (Straube 2014: 48). Exit scapes bilden also ein Gegengewicht zu der Mehrheit der Szenen, die die Trans*Figur verAndern, verurteilen und begrenzen. Die in diesem Sample identifizierten exit scapes sind differenzierbar in Szenen, die aus objektiver Perspektive transgeschlechtliche Subjektivität zu vermitteln versuchen, und Szenen, die auf eine subjektive Erlebensperspektive abzielen. Bei beiden Typen handelt es sich zwangsläufig um fiktive Repräsentationen transgeschlechtlichen Erlebens. Diese fiktiven Repräsentationen sind zu unterscheiden von den Repräsentationen transgeschlechtlichen Erlebens, wie sie auf YouTube oder in den visuellen Dokumenten, die auf subkultureller Ebene analysiert wurden, vorzufinden sind, schließlich stellen die Trans*Filme kulturelle Manifestationen der kollektiv geteilten Vorstellungen über eine transgeschlechtliche Erlebensperspektive dar, während es sich bei den visuellen Dokumenten auf subkultureller Ebene um Manifestationen der eigenen, d.h. der subjektiven, transgeschlechtlichen Perspektive handelt. Bei letzteren ist also der die Bilder für das zuschauende Publikum auswählende und arrangierende „grand image-maker“ (Metz 1991: 21) selbst transgeschlechtlich, während die „narrative Intelligenz“ („narrating intelligence“ [Kawin 2000: 83]) bei den Spielfilmen gerade nicht transgeschlechtlich ist. Diese Unterscheidung wird auch deutlich in dem Konzept der Ph/autography, das Jay Prosser (2000) hinsichtlich der Fotografien prägte, die ein Amalgam aus Fotografischem und Biografischem bilden. Demgegenüber handelt es sich also bei den transgeschlechtliche Subjektivität vermittelnden Schlüsselszenen um „representation[s] of a character’s subjective relation [...] to something represented in the film that is taken as real“ (Chateau 2011: 11).
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Die Differenzierung der Szenen in solche, die aus objektiver Perspektive transgeschlechtliche Subjektivität vermitteln, und solche, die aus scheinbar subjektiver Perspektive transgeschlechtliches Erleben illustrieren, entspricht der Unterscheidung von externer Fokalisierung und interner Fokalisierung. Das Konzept der Fokalisierung wurde 1972 von Gérard Genette hinsichtlich der literaturwissenschaftlichen Erzähltheorie hervorgebracht und in den Folgejahren auf den Film übertragen (vgl. Branigan 1992). Genette unterschied zwischen narrativer Instanz und Fokalisierung, und ordnet den beiden Konzepten die Differenzierung in Stimme vs. Modus zu. In literarischen Werken sei analytisch zu trennen zwischen der Frage „Welche Figur liefert den Blickwinkel, der für die narrative Perspektive maßgebend ist?“ (Modus) und der vollkommen anderen Frage „Wer ist der Erzähler?“ (Stimme) (vgl. Genette 1998: 132). Es geht also um die Unterscheidung zwischen der Frage „Wer sieht?“ und der Frage „Wer spricht?“ (vgl. Genette 1998: 132). Wird Genettes Unterscheidung undifferenziert auf den Film übertragen, kommt es schnell zu Missverständnissen. Denn einerseits sieht man im Film tatsächlich. Der Blickwinkel der Kamera verkörpert eine tatsächliche Wahrnehmungsperspektive. Diese steht allerdings nicht in schlichter Analogie zur literarischen Erzählperspektive oder zur literarischen Fokalisation. Im Film kann beispielsweise auch aus einer Erlebensperspektive einer Figur ‚erzählt‘ werden, ohne dass Bilder sichtbar sind, die eindeutig „die Wahrnehmungsperspektive des Erlebens oder des inneren Erlebens (Träume, Visionen, Erinnerungen) einer Figur repräsentieren“ (Schweinitz 2007: 88). Hinsichtlich der Fokalisation im Film ist demgemäß nicht zu fragen „Wer sieht?“ (Genette 1998: 132), sondern „Wer erlebt?, oder: Die Erlebensperspektive welcher Figur wird narrativ repräsentiert?“ (Schweinitz 2007: 88). Andererseits ist im Film diejenige Instanz, die spricht, nicht gleichzusetzen mit dem Erzähler. Im Film sind auf Ebene des verbalen Ausdrucks intradiegetische (Erzähler-)Figuren und extradiegetische Erzählerstimmen in Form von Voice Overn identifizierbar. Diese besitzen allerdings niemals „die Gesamtnarration organisierende Kraft, die der des literarischen Erzählers entspricht“ (ebd.: 89). Da sich die Narration im Film mehrkanalig entfaltet, es bei der Erzählung also nicht um ein Sagen, sondern um ein Zeigen, d.h. ein audiovisuell vermitteltes Repräsentieren eines Geschehens, geht, entspricht die Frage nach der narrativen Instanz („Wer spricht?“ bei Genette [1998: 132]) der Frage: „Wer ist die Quelle des Erzählens?, oder kurz: Wer teilt mit?“ (Schweinitz 2007: 90). Im Film ist die Fokalisierung als das Verhältnis der Informationsvergabe zwischen Erzählinstanz und Filmfigur zu fassen (vgl. Kuhn 2011: 122f.). Bei der Fokalisierung geht es dezidiert um die Repräsentation einer figuralen Perspektivierung durch die narrative Instanz. Die interne Fokalisierung ist dadurch gekennzeichnet, dass die narrative Instanz ungefähr das zeigt, was eine Filmfigur weiß
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und wahrnimmt. Keine andere Figur der diegetischen Welt kann bei einer internen Fokalisierung sehen, was die intern fokalisierte Filmfigur wahrnimmt (vgl. Branigan 1992: 103). Der Einsatz dieses Fokalisierungstypus macht also auf das subjektive Erleben einer Figur aufmerksam. Formen der internen Fokalisierung sind beispielsweise: • (a) Point-of-view Aufnahmen, d.h. Einstellungen, die Ergebnis der Verwen-
dung einer markierten subjektiven Kamera sind • (b) Over-the-shoulder Aufnahmen, die ungefähr das zeigen, was eine Figur
wahrnimmt • (c) die Visualisierung von subjektiven Wahrnehmungsimpressionen, z.B. durch
die Verwendung einer gekippten Kamera oder Out-of-focus-point-of-view shots, um die Trunkenheit/Desorientierung oder etwaige andere von der Norm abweichende Wahrnehmungsweisen zu markieren • (d) die Illustration von komplexen inneren Welten (Träume, Erinnerungen, Halluzinationen, etc.) Das Coming-of-Age Drama MA VIE EN ROSE (F 1997, R: Alain Berliner) ist der Film, der am häufigsten intern auf die transgeschlechtliche Figur fokalisiert. Der Film ist durchzogen von Szenen, in denen Ludovics Fantasiewelt dargestellt wird. In einer Szene stellt sich Ludovic vor, wie sie Teil der Fernsehserie mit der Elfe Pam wird.21 Pam spielt als unterstützende Kameradin eine besondere Rolle hinsichtlich Ludovics Umgang mit dem strafenden sozialen Umfeld, das Ludovics Transgeschlechtlichkeit zum Verschwinden zu bringen versucht. In der Fantasiewelt ist es Ludovic möglich, nicht nur die eigene geschlechtliche Verortung auszuleben, sondern vor allem in sozialer Hinsicht auf Akzeptanz und Wohlwollen zu stoßen. Eine Szene visualisiert beispielsweise Ludovics Vorstellung von einer Hochzeit, bei der Ludovic von allen Anwesenden als bildschöne Braut gefeiert wird.22 Diese „mentalen Metadiegesen“ (Kuhn 2011: 150), d.h. die Visualisierung eines mentalen Zustands, blicken in das Innere der Trans*Figur. Die filmische Introspektion ermöglicht den Zuschauer_innen den Nachvollzug der transgeschlechtlichen Erlebensperspektive. Auch das Drama BOYS DON’T CRY (USA 1999, R: Kimberly Peirce) beinhaltet im zweiten Drittel des Films Szenen, die intern auf die transgeschlechtliche Figur fokalisieren. Beim zentralen plot point wird visualisiert, wie Brandon während
21 Die Szene hat folgenden Timecode: 11’24-14’11’’. 22 Die Szene hat folgenden Timecode: 68’42’’-70’43’’.
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seiner brutalen Enttarnung von außen auf sich selbst blickt.23 Es handelt sich um eine filmische Introspektion, insofern als dass ein psychischer Zustand – der des Dissoziierens – darstellbar gemacht wird. Die gesamte fünfte Hauptsequenz ist des Weiteren vom Modus der internen Fokalisierung strukturiert. Brandons subjektive Erfahrungswelt wird hier mittels eines Flashbacks zugänglich. Bruce Kawin (1978) schlägt für die Darstellung subjektiver Bewusstseins- und Wahrnehmungszustände den Begriff des Mindscreens vor. Das Konzept des Mindscreens bezeichnet die audiovisuelle Präsentation dessen, was eine Filmfigur denkt und imaginiert, und ist als spezifische Form der internen Fokalisierung von Formen zu unterscheiden, mit denen nachvollzogen wird, was und/oder wie eine Figur sieht. Während letztere Formen dem Modus „of the physical eye“ (Kawin 2000: 79) entsprechen und eine temporäre Identifikation mit einer Figur ermöglichen, vermittelt die Form des dem Modus „of the mind’s eye“ (ebd.) entspringendem Mindscreens Subjektivität in viel höherem Maße. Präsentiert wird in Mindscreen-Szenen also nicht, was eine Person sieht, sondern was sie (innerlich) erlebt. Deshalb ist es auch nicht unüblich, dass Figuren, die etwas erinnern/fantasieren/halluzinieren, selbst Teil des Mindscreens werden, d.h. als Objekt der Mindscreen-Szenen audiovisuell präsentiert werden. MA VIE EN ROSE (F 1997, R: Alain Berliner) ist derjenige Film des Samples, der mittels Mindscreens die Erfahrungswelt der Trans*Figur vermittelt. Er fängt die innere Welt der transgeschlechtlichen Figur am intensivsten ein. Die externe Fokalisierung ist eine Form der Informationsvermittlung zwischen Erzählinstanz und Filmfigur, die als halb-subjektiv beschrieben werden muss: „[It] represents a measure of character awareness but from outside the character“ (Branigan 1992: 103). Bei der externen Fokalisierung wird auf die subjektive Wahrnehmung einer Figur aufmerksam gemacht, ohne direkt zu zeigen, was und wie die Figur etwas wahrnimmt. Sichtbar wird also weniger als eine Filmfigur wahrnimmt und weiß, auch wenn deutlich markiert ist, dass eine Figur etwas weiß und wahrnimmt. Dieser Fokalisierungstypus kann dann identifiziert werden, wenn die Kamera beispielsweise in ihrer Bewegungsausrichtung der Bewegung einer Figur folgt. Auch die Technik des Eyeline-Matching markiert eine (temporäre) externe Fokalisierung. Weitere Hinweise dafür, dass eine externe Fokalisierung vorliegt, ergeben sich dadurch, dass die Erzählinstanz zeigt, dass eine Filmfigur etwas erblickt, wahrnimmt, auf spezielle Art und Weise auf etwas reagiert, ohne dabei sichtbar zu machen, worum es sich im Speziellen handelt. Dabei muss Plausibilität darüber bestehen, dass es etwas Relevantes gibt, dass die Figur im Off erblickt/wahrnimmt. Dieser Nachvollzug wird zumeist durch das Verhalten der
23 Die Szene hat folgenden Timecode: 72’25’’-81’14’’.
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wahrnehmenden Figur gewährleistet, sei es durch einen spezifischen Gesichtsausdruck, eine bestimmte Gestik oder eine sprachliche Artikulation (vgl. Kuhn 2011: 159f.). Im Grunde sind die meisten Schilderungen der jeweils spezifischen Entwicklungen von Transgeschlechtlichkeit, die sich im Filmsample auftun, orientiert an der Perspektive der transgeschlechtlichen Figur. Die Filme des Samples führen das zuschauende Publikum sofort in die Perspektive der Trans*Figur ein, lassen es an deren Wahrnehmung und Deutung der Welt teilhaben, auch wenn die transgeschlechtliche Erlebensperspektive nicht – bis auf die Schlüsselstellen, in denen eindeutig intern fokalisiert wird – durch die Präsentation eines internen Mitvollzugs vermittelt wird. In der Mehrzahl der Fälle wird also weder der spezifische Point-of-view der Trans*Figur, noch deren „Mindscreens“ (Kawin 1978) zu sehen gegeben. Nichtsdestotrotz ist die filmische Erzählung orientiert an der Perspektive der transgeschlechtlichen Figur. Der Umstand einer externen Fokalisierung wird schon allein dadurch deutlich, dass die transgeschlechtlichen Figuren in den jeweiligen Filmen in fast jeder Szene anwesend sind. Der Nachvollzug der transgeschlechtlichen Erlebensperspektive ergibt sich darüber, dass man den Wissensstand und die Motivlage der Trans*Figur peu à peu kennenlernt, deren emotionales Erleben nachempfinden und die sich auf Handlungsebene ergebenden Ereignisse auf die Interessen der Figur beziehen kann. Ausnahmen, sogenannte „Alterationen“ (Genette 1998: 138), ergeben sich durch temporäre, „isolierte[] Verstöße“ (ebd.) gegen den vorherrschenden Fokalisierungsmodus, „solange die Kohärenz des Ganzen noch stark genug bleibt, um von einem dominanten Modus reden zu können“ (ebd.: 138f.). Diese Verstöße bzgl. der Vermittlungsperspektive markieren in den Filmen plot points, d.h. Szenen, die eine zentrale Stellung in der dramaturgischen Entwicklung einnehmen. In TOMBOY (F 2011, R: Céline Sciamma) wird der Modus der externen Fokalisierung beispielsweise dann verlassen, als Mikhaels kleine Schwester erfährt, dass sich ‚ihre Schwester‘ als ein Junge ausgibt.24 In der Szene steht Jeanne klar im Zentrum. Mikhaels Schwester sieht gerade fern, als es an der Tür klingelt und Lisa nach Mikhael fragt, woraufhin Jeanne mit einer Mikhael schützenden Notlüge reagiert. Es handelt sich bei der Szene um einen dramatischen Höhepunkt, weil hier der zentrale Konflikt – die Inkongruenz zwischen sozial performter und von der Trans*Figur als stimmig erlebter Geschlechtsidentität und (anatomisch) zugeschriebener Geschlechtlichkeit – offen zu Tage tritt. Dass der Modus der externen Fokalisierung hier temporär verlassen wird, ist offensichtlich aufgrund der von der Erzählinstanz eingeführten Wissenshierarchie: Die Trans*Figur, die zuvor extern
24 Die Szene hat folgenden Timecode: 40’29’’-41’10’’.
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fokalisiert wurde, kann von jenen Vorkommnissen (das Aufsuchen Lisas von Mikhaels Wohnung und das sich daraus ergebende Mitwissen von Jeanne um Mikhaels Identität) nichts wissen. Der dominante Modus der externen Fokalisierung wird an diesem Punkt also zugunsten einer „heterogen fluktuierenden Informationsvergabe“ (Borstnar et al. 2008: 179) gewechselt. Ähnlich verfahren auch die Filme TRANSAMERICA (USA 2005, R: Duncan Tucker) und BOYS DON’T CRY (USA 1999, R: Kimberly Peirce), insofern als dass in TRANSAMERICA (USA 2005, R: Duncan Tucker) die narrative Perspektive, die an Brees Erleben orientiert ist, in dem Moment verlassen wird, als Toby Brees anatomische Beschaffenheit erfährt, und in BOYS DON’T CRY (USA 1999, R: Kimberly Peirce) die Enttarnungsmomente ebenfalls mit einem Wechsel des Fokalisierungsmodus zusammenfallen. Diese Wechsel, die den Übergang in den Modus einer Nullfokalisierung andeuten, steht in direktem Zusammenhang mit der Erzeugung eines plot twists. Obwohl die Fluktuation der Fokalisierungsmodi im Normalfall des Erzählfilms keine Seltenheit ist (vgl. Kuhn 2011: 137), schließlich ergeben sich gerade durch jene narrativen Informationsrelationen Spannungsbögen von entscheidender Intensität, so dokumentiert sich in dem Verlassen des externen Fokalisierungsmodus doch die Tendenz, die sich zwischen Trans*Figur und Publikum aufgebaute Kompliz_innenschaft zu zerstören, was auf Rezeptionsebene eine auf Wissen basierte Überlegenheit des Publikums gegenüber der Trans*Figur zur Folge hat. Durch diese narrative Strategie wiederholt sich hinsichtlich der Repräsentation der Trans*Figur das auch auf bildlogischer Ebene identifizierte Moment der Vereinzelung. Auch wenn die Filme des Samples also wechselnde Erzählperspektiven einnehmen und sie nicht ausschließlich die Erzählung aus der subjektiven Perspektive der Trans*Figur wiedergeben, so nehmen gerade jene intern fokalisierten Szenen eine besondere Stellung hinsichtlich der filmästhetischen Vermittlung von Transgeschlechtlichkeit ein, weil sich in ihnen in kondensierter Art und Weise diskursives Wissen über ein angenommenes transgeschlechtliches Erleben ausdrückt. Diese filmästhetisch vermittelten Wissensbestände werden nachfolgend rekonstruiert. 5.4.1 Träumen und Fantasieren In MA VIE EN ROSE (F 1997, R: Alain Berliner) lernt das Publikum gleich zu Beginn des Films die transgeschlechtliche Hauptfigur Ludovic kennen. Nach bereits 10 Minuten erklärt das Kind, kein Junge mehr sein zu wollen. Dies äußert Ludovic
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gegenüber ihrer Großmutter25, nachdem sich Ludovic mit dem Nachbarskind Jerome angefreundet hat und eine Hochzeit mit ihm ersehnt. Jerome empfindet zunächst als gewissermaßen trans-supporting character bzw. sidekick26 nichts Bedenkliches gegenüber Ludovics Geschlechtsausdruck empfindet. Ludovics Großmutter reagiert auf das Selbstbekenntnis des Kindes mit Verwunderung, ohne das Outing zu dementieren oder in Frage zu stellen. Insgesamt fungiert die Großmutter im Film als Verbündete hinsichtlich Ludovics Transgeschlechtlichkeit. In der darauffolgenden Szene verbringt Ludovic den Nachmittag bei ihrer Oma.27 Der Fernseher läuft. Ludovic ruft aufgeregt aus dem Off, dass nun eine Serie beginne und möchte sie gemeinsam mit ihrer Oma anschauen. Nun folgen in Soap Opera Ästhetik Einstellungen, die die Fernsehserie zeigen: „Le Monde de Pam“. Zentrale Figur der Serie ist die Elfe Pam, die nun in einer Totalen durch ihre wundersame, farbenfrohe Plastikwelt fliegt und das zuschauende Publikum mit direktem Blick zur Kamera willkommen heißt. Mit ihrem platinblonden Haar, der überweißen Haut, ihrer schlanken Figur, die sich in dem orangefarbenen Kleid abzeichnet, bildet sie die perfekte Verkörperung weiblicher Schönheitsnormen (s. Abb. 63). Abbildung 63 und 64: Die Elfe Pam aus MA VIE EN ROSE
Quelle: MA VIE EN ROSE (F 1997, R: Alain Berliner).
Sie bewegt sich grazil tanzend durch ihr Puppenhaus (s. Abb. 64), während eine weitere Figur in der Serie auftritt: Ein sichtlich gutaussehender Mann, der als Verkörperung männlicher Schönheitsnormen fungiert, und der Pam einen Heiratsan-
25 Die Szene hat folgenden Timecode: 10’45’’-11’23’’. 26 Der sidekick bezeichnet im Film eine der Hauptfigur zur Seite gestellte Nebenrolle, welche die Hauptfigur in ihrer Entwicklung unterstützend begleitet. Der sidekick ist zumeist als weniger talentiert, klug und geschickt gezeichnet als die Hauptfigur, aber lässt gerade dadurch die positiven Qualitäten des_r Protagonist_in stärker hervortreten. 27 Die Szene hat folgenden Timecode: 11’24 -14’11’’.
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trag macht. Beide umarmen sich liebevoll, während ein Blumenstrauß, als eindeutiges und wahrlich überspitztes Symbol von Romantik und Heteronormativität, das Folgenende der Fernsehserie markiert. Schnitt. Die Metadiegese ist hier abgeschlossen. Die Kamera fokussiert nun auf das Fernsehgerät, auf dessen Bildschirm das Outro von „Le Monde de Pam“ zu sehen ist, zoomt heraus und folgt den Bewegungen von Ludovic, die tanzend die von Pam in der Fernsehserie dargebotene Bewegungsfolge imitiert. Ludovics Großmutter betritt das Wohnzimmer und beobachtet das Kind bei seinem Tanze. Auch sie beginnt nun zu tanzen. Ludovic ist sichtlich erfreut, ausgelassen und glücklich. Ludovics Körper und der Körper der Großmutter präsentieren „transing bodies in their effortless implosion of normative belongings“ (Straube 2014: 80). Die Großmutter zeigt Ludovic nun eine Schatulle, in der sich eine sich drehende Ballerina befindet. Die Ballerina fungiert als Dopplung der Elfe Pam, insofern als dass Ludovics Oma auf die Formschönheit der Figur eingeht und sie als Ideal weiblicher Schönheit kennzeichnet. Die Großmutter stellt den Unterschied zwischen Idealvorstellung und Realität heraus, indem sie dem Kind mitteilt, dass sie zwar gern einen solch schönen Körper ganz ohne Falten besäße und ebenfalls gern ein solch schickes Kleid trüge, ihr mittlerweile in die Jahre gekommener Körper aber nun mal eine andere Form habe. Es scheint, als wolle sie, ausgehend von ihrem eigenen Körper, der nicht die von ihr ersehnte Gestalt besitzt, Ludovic von der Akzeptanz körperlicher Unvollkommenheit überzeugen. Als Umgangsstrategie schlägt sie Ludovic die Kraft der Vorstellung vor, durch die die eigenen Wünsche realisiert werden können. Es folgen Einstellungen, die nun Ludovics Fantasiewelt visualisieren. Abbildung 65: Mindscreen in MA VIE EN ROSE
Quelle: MA VIE EN ROSE (F 1997, R: Alain Berliner).
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In dieser metadiegetischen Einheit, die Ludovics subjektive Innenwelt darbietet, wacht Ludovic in Pams Puppenhaus auf. Sie trägt ein hellrosa-farbenes Kleid, das mit goldener Krempe verziert ist. Sie sieht sich im Schlafzimmer um, erblickt sich im Spiegel und ist sichtlich erfreut über ihren Anblick im Spiegel (s. Abb. 65). In diesem Fantasieraum kann Ludovic auf eine Art und Weise (geschlechtlich) sein, die ihr im Leben außerhalb des eigenen Vorstellungsraums verwehrt bleibt. Das Coming-of-Age Drama ist durchzogen von weiteren solcher MindscreenSzenen, die Ludovics Gedankenwelt visualisieren. Sie gestatten „several ways of looking into one [the transgender character, Anm. R.K.S.] […] in order to look with the transgender character instead of at him“ (Halberstam 2005a: 78). Ermöglicht wird dem_r Zuschauer_in nicht nur ein temporäres Identifizieren mit, das Empfinden von Sympathie und Empathie für die Trans*Figur, sondern auch der Zugang zum Erleben einer alternativen Geschlechtsposition, sodass die Mindscreen-Szenen einen pädagogischen Gehalt besitzen. Der Film konfrontiert das Publikum „mit einer kindlichen Interpretation von Machtwiderständen“ (Schlösser 2019: 205). Eine weitere Mindscreen-Szene spielt im Haus von Jeromes Familie.28 Während Ludovics Mutter von Lisette (Jeromes Mutter) ein Kleid gekürzt bekommt, spielen Ludovic und Jerome gemeinsam im Zimmer von Jeromes verstorbener Schwester. Der Nachbarsjunge weist darauf hin, dass es sich bei dem Zimmer um einen verbotenen Ort handelt. Ludovic scheint auf Anhieb entzückt von der weiblich konnotierten Einrichtung des Zimmers. Vermittelt wird dies durch eine Kamerafahrt durch das Zimmer und mittels eines scheinbaren Point-of-view shots, der in einen an Ludovics Bewegung durch den Raum orientierten, objektiven shot übergeht. Abbildung 66 und 67: Wechsel von externer in Nullfokalisierung
Quelle: MA VIE EN ROSE (F 1997, R: Alain Berliner).
28 Die gesamte Schlüsselszene, die den Mindscreen beinhaltet, hat den folgenden Timecode: 15’33’’-19’38’’. Der Mindscreen setzt ab 17’58’’ ein.
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Ludovic durchstöbert den Kleiderschrank und schnappt sich voller Bewunderung ein rosa-farbenes Kleid. Schnitt. Jerome und Ludovic stellen nun im gemeinsamen Spiel deren Hochzeit nach. Ludovic ist in das Kleid der Schwester geschlüpft und spielt die Braut, während Jerome bereitwillig den Bräutigam mimt (s. Abb. 66), wodurch die szenische Choreographie der Einstellung auf den latent homoerotischen Gehalt der Situation aufmerksam macht. Währenddessen wird auf Lisette geschnitten, die das Spiel der Kinder vom Flur aus hört. Die nun dargebotene Parallelmontage weist darauf hin, dass nun nicht mehr aus dem Modus der externen Fokalisierung, sondern aus der Nullfokalisierung erzählt wird. Weder Ludovic, noch Jerome wissen, dass sie von der Mutter beobachtet werden (s. Abb. 67). Lisette fungiert hier als Wächterin einer heteronormativen Geschlechterordnung, während sich die beiden Kinder in der Heterotopie (vgl. Foucault 1992) des ‚verbotenen Kinderzimmers‘ befinden, in der alternative Gesetzmäßigkeiten gelten. Das Kinderzimmer, genau wie die irreale Welt der Serie „Le Monde de Pam“ stellen „otherworldly space[s]“ (Halberstam 2005a: 87) dar, die Refugien von „queer forms of visual pleasure“ (ebd.: 83) bilden und den Konventionen einer heteronormativen Sichtbarkeitsordnung entgegenstehen. Als sich Jerome und Ludovic nach vollzogenem Ehegelübde küssen wollen, fällt Lisette schließlich in Ohnmacht, wodurch die Heterotopie zerstört wird und die beiden Kinder gezwungen sind, den Übergang in die ‚reale‘ Gesellschaftsordnung zu vollziehen. Dass dies Jerome sehr viel leichter gelingt als Ludovic, wird daran deutlich, dass er das Spiel sofort unterbricht und seiner Mutter zu Hilfe eilt. Jerome und seine Mutter befinden sich im Flur, während Ludovic regungslos an dem heterotopischen Ort des Kinderzimmers, diesem „otherworldly space“ (ebd.: 87) verharrt, als Ludovics Mutter zur Szenerie dazu stößt. Strafend blickt sie auf ihr verkleidetes Kind. Ludovic ist nun in einer halbnahen Einstellung zu sehen, sie schreitet wenige Schritte zurück, während ihr die Kamera folgt. Hinter ihr öffnet sich wie von Zauberhand das Fenster. An dieser Stelle beginnt die Mindscreen-Szene, die Ludovic gleichsam von einem „otherworldly space“ (ebd.) (der des Kinderzimmers) in einen weiteren „otherwordly space“ (ebd.) (der der Fantasie) transportiert. Schnitt. Mittels einer Kranfahrt dringt die Kamera ins Zimmer ein, Ludovic blickt ihr entgegen. In der nächsten Einstellung erfahren wir, dass es sich bei der Kamerafahrt um die Blickperspektive der Elfe Pam handelte, die nun zunächst auf dem Fensterbrett Platz nimmt, Ludovic zuzwinkert und dann Sternenstaub versprüht, dessen Flug von der Kamera verfolgt wird. Der Staub, ein Element, der deutlich auf den fantastischen Charakter dieser metadiegetischen Einheit aufmerksam macht, umschlingt die beiden Mütter derart, dass sie sich nicht mehr bewegen können (s. Abb. 68). Sie werden in dem Kinderzimmer gefesselt, während Pam, Ludovic und
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Jerome ihren Flug durch die Luft antreten. Die von den beiden Müttern ausgehenden Kräfte und Handlungsimperative eines streng heteronormativen Regimes werden gewissermaßen gebändigt, wodurch Freiheit, Entfaltung und Kollektivität ermöglicht wird. Sichtlich vergnügt fliegen die beiden Kinder mit der magischen Elfe über die Kleinstadt hinweg. Während die Szene zunächst aus voyeuristischer Sicht der Mutter geschildert wird, wechselt die Perspektive in die von Ludovic. Die dynamischen Kamerafahrten, die mit der internen Fokalisierung einsetzen, betonen den Freiheits- und Entfaltungscharakter, der von der kindlichen queeren Fantasie ausgeht. Abbildung 68: Mindscreen in MA VIE EN ROSE
Quelle: MA VIE EN ROSE (F 1997, R: Alain Berliner).
Während die erste Mindscreen-Szene der Trans*Figur ermöglicht, ihre nonkonforme Geschlechtlichkeit ohne soziale Widerstände auszuleben, d.h. der Fantasieraum Ludovic dazu dient, Anerkennung für ihre „queere Subjektivität“ (Engel 2002: 27) zu erhalten, handelt es sich bei der zweiten Mindscreen-Szene um die Visualisierung eines Schutzmechanismus, mit dem die Trans*Figur auf die Bedrohungen einer heteronormativen Zweigeschlechterordnung reagiert. Beide stellen Repräsentationen einer alternativen Geschlechterordnung dar, in der queere Subjekte Intellgibilität erfahren. Indem MA VIE EN ROSE (F 1997, R: Alain Berliner) einen „intradiegetische[n] Raum für Rebellion gegen die Regeln des normierenden Diskurses“ (Schlösser 2019: 203) schafft, werden Hinweise auf alternative Bezugsweisen auf Geschlechtlichkeit gegeben. Aufgrund ihrer Position im dramaturgischen Verlauf verweisen die Mindscreen-Szenen zudem auf die Gewalt-
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förmigkeit eines heteronormativ strukturierten Zweigeschlechterregimes. Sie liefern implizit anhand der mit Dissoziation auf Bedrohungssituationen reagierenden Trans*Figur eine Kritik an den repressiven Strukturen der symbolischen Geschlechterordnung. Die im weiteren Verlaufe des Films eingesetzten, intern auf Ludovic fokalisierten Szenen wiederholen diese beiden Funktionen der Fantasie: der Fantasieraum als ermöglichender und als schützender Raum. Eine dritte MindscreenSzene beginnt, als sich Ludovic in seinem Bett verkriecht und von ihrer Schwester mit Hilfe eines Schulbuchs die Bedeutung des Chromosomensatzes erklärt bekommt.29 Ludovic scheint reichlich verwirrt ob des neuen Wissens um XX und XY Chromosomen, das sie nicht so recht zusammenzubringen vermag mit der angenommenen Tatsache, dass Gott das Geschlecht eines Menschen determiniere. Die metadiegetische Einheit, die filmästhetisch klar als solche markiert ist, schließlich wird die Soap Opera Ästhetik von „Le Monde de Pam“ erneut aufgegriffen, beginnt mit einer aus Vogelperspektive aufgenommenen Panoramaeinstellung auf das Vorstadtviertel. Scheinbar magisch schiebt sich ein aufgeschlagenes Buch von unten in das Bild, das einzelne Namen und ihnen zugeordnete Geschlechter auflistet. Eine unbekannte Hand schlägt die Buchseite um. Aus dem Off erklingt eine tiefe Stimme, die die nun in Nahaufnahme eingeblendete Buchzeile vorliest: „Ludovic fabre: fille“, woraufhin zwei X und ein Y vom Himmel geworfen werden. In der nächsten Einstellung wird erkenntlich, dass ein X und ein Y ihren Weg in den Schornstein des Hauses der Familie finden, während ein X das Ziel verfehlt und stattdessen in der Mülltonne landet. An dieser Stelle endet die Metadiegese, die Ludovic dazu diente, sich die Entstehung seiner Transgeschlechtlichkeit plausibel zu erklären. In ihrer Fantasie hatte sie die Möglichkeit, seine im familiären und schulischen Umfeld so auf Widerstand stoßende Geschlechtsidentität nachzuvollziehen. Sie nutzte dafür das Wissen, das ihr bereits bekannt war (Gott, der die Menschen erschuf) und das, was sie durch die als Vertreterin der Schulmedizin fungierende Schwester erfuhr. In Ludovics Fantasie ist der Umstand, dass sie als Junge geboren wurde (bzw. bei Geburt als Junge identifiziert und entsprechend aufgezogen wurde), einem unglücklichen Zufall geschuldet, an dem sie keinerlei Schuld trägt. Die Mindscreen-Szene bedient damit gleichsam beide Funktionen: Sie ermöglicht dem transgeschlechtlichen Kind, eine Erklärung für ihr durch das soziale Umfeld vermittelte ‚Anders-Sein‘ zu finden. Diese vorgestellte Begründung schützt Ludovic vor der ihr gesellschaftlich vermittelten Anrufung, sich mit ihrer zugeordneten Geschlechtsposition mental, körperlich und sozial zu arrangieren.
29 Die Szene hat den folgenden Timecode: 35’50’’-37’49’’.
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Eine vierte Mindscreen-Szene steht im Dienste der Visualisierung des Schutzmechanismus, den die Trans*Figur einsetzt, um sich dem repressiven sozialen Umfeld zu entziehen. 30 In der Schlüsselszene liegt Ludovic nachts voller Verzweiflung im Bett, sie wacht scheinbar aus einem Albtraum auf, ruft sehnsüchtig nach ihrer Mutter, die allerdings abwesend ist, schließlich lebt Ludovic zu diesem diegetischen Zeitpunkt bei ihrer Großmutter. Sie schläft wieder ein, als ihre Großmutter zu ihr ans Bett kommt und sie streichelnd beruhigt. Die nachfolgende metadiegetische Einheit visualisiert Ludovics Traumwelt, in der sie als Braut von ihrer Familie und den Nachbarschaftsbewohner_innen bejubelt wird. Die Elfe Pam ist erneut als die Trans*Figur unterstützende Rolle anwesend und verleiht der Traumszene den typisch magischen Charakter. Alle Figuren führen einen Tanz miteinander auf, der nicht nur Ausdruck von Lebensfreude und sozialer Verbundenheit ist, sondern als Motiv mehrfach im Film aufgegriffen wird und einen alternativen Modus des Bezugs zur (sozialen) Welt aufruft: „The dance and the contact it includes becomes their [the trans* character’s, Anm. R.K.S.] opportunity to find affinities: the warm smile of another dancer, or the contact with other dancers that allows connection and temporarily disrupts the constant stream of normative judgement and constraint.“ (Straube 2014: 81)
Straube sieht in den für ein Trans*Cinema üblichen Tanzeinlagen einen „exit space“ (ebd.: 48), der dem_r Zuschauer_in eine „disidentification“ (Munoz 1999) mit den Szenen der Begrenzung ermöglicht, und intradiegetisch der Trans*Figur die Gelegenheit bietet, der potentiellen Gefahr vor Gewalt temporär zu entfliehen. Durch Tanzbewegungen bleiben verschiedenste Körper direkt (durch Körperkontakt) und indirekt (durch Blicke und gleiche Bewegungen) in Kontakt miteinander (vgl. Desmond 2001: 21). Der Film MA VIE EN ROSE (F 1997, R: Alain Berliner) liefert mit dieser Traumszene also die Vorstellung einer geschlechterpolitischen Utopie, in der transgeschlechtliche Subjekte nicht nur explizit willkommen geheißen werden, sondern in der vor allem Kollektivität und soziale Verbundenheit miteinander herrschen. Ludovics kindliche Fantasie bietet somit (auch) eine Kritik an einem gesellschaftlichen Status Quo, der von Vereinzelung (Individualisierung) und der Exklusion des Anderen geprägt ist.
30 Die Szene hat folgenden Timecode: 68’42’’-70’43’’.
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Visualisierungen einer alternativen Form von Zugehörigkeit Wenn Butler davon spricht, dass es sich bei der heteronormativen Zweigeschlechterordnung um eine „Matrix mit Ausschlußcharakter“ (Butler 1997: 23) handelt, „durch die Subjekte gebildet werden“ (ebd.) und die „einen Bereich verworfener Wesen hervorbring[t], die noch nicht ‚Subjekte‘ sind, sondern das konstitutive Außen zum Bereich des Sagbaren abgeben“ (ebd.), d.h. die Bereiche des (intelligiblen) Subjekts durch die Existenz des Verworfenen (Abjekten) konstituiert und eingegrenzt sind, dann unterscheidet sie nicht nur dichotom zwischen intelligibel und nicht-intelligibel bzw. zwischen lebbar und nicht-lebbar, sondern behauptet auch den Mechanismus der Subjektkonstitution als einen, der über ein Ausschlussverfahren (Othering) funktioniert. Sie verabsolutiert das Nicht-Intelligible, auch wenn sie die ‚verworfene[n] Wesen‘ im Laufe ihrer Argumentation konkret (als fags und dykes) benennt, d.h. denen somit durchaus soziale Existenz zukommt (vgl. Engel: 24f.). Übernimmt man Butlers Oppositionen hinsichtlich der Analyse von Sichtbarkeitsordnungen, könnte der Eindruck entstehen, das Repräsentierte determiniere nicht nur das Nicht-Repräsentierte, sondern das Nicht-Repräsentierte falle in eins mit dem Nicht-Repräsentierbaren: „What isn’t represented, is assumed to be unrepresentable“ (Straayer 1996: 6). Was die Mindscreen-Szenen jedoch darstellbar machen, ist jener Bereich des ansonsten auf narrativer Ebene als verworfen Markiertes, das in dem metadiegetischen Universum intelligibel wird. Vor dem Hintergrund von Sara Ahmeds (2006) phänomenologischer Theorie einer queeren Orientierung bzw. Desorientierung kann der Versuch, die üblicherweise nicht repräsentierte transgeschlechtliche Erlebensperspektive, die in den Mindscreen-Szenen filmisch vermittelt wird, analytisch gefasst werden. Die Kulturwissenschaftlerin konzeptualisiert Orientierung sowohl als eine räumliche Konfiguration, als auch als eine leibliche Erfahrung, die auf der Erkenntnis beruht, dass Raum von leiblicher Verkörperung („bodily inhabitance“ nach Ahmed 2006: 6) abhängig ist. In Rekurs auf Kant und Heidegger betrachtet sie Orientierung nicht als Wissen, wohin wir wegen (sollen), sondern als Möglichkeit, die mit der Vertrautheit von Welt in Zusammenhang steht. Vertrautheit liefert dem Körper überhaupt erst das Vermögen, sich in die eine oder andere Richtung zu orientieren. Die Frage nach Orientierung wird demgemäß nicht nur zur Frage, „how we ‚find our way‘ but how we come to ‚feel at home‘“ (Ahmed 2006: 7). Ahmed geht es allerdings nicht um die Gegenüberstellung von vertrauten und fremden Orten oder um eine Dichotomisierung von Erfahrungen von Fremdheit bzw. Vertrautheit. Vielmehr versucht sie dafür zu argumentieren, dass Orientierung in einem Verhandlungsprozess von Räumlichkeit und leiblicher Erfahrung hergestellt wird. Das Konzept der Orientierung wird zur Denkfigur, um grundlege Aushandlungsprozesse von Orientierungen (in der sozialen Welt), wie z.B. sexuelle (queere)
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Orientierungen, theoretisch fassbar zu machen. Dergestalt ist Orientierung eine spezifische Art und Weise der Hinwendung zu Orten, Normen, Menschen und Objekten. Demgegenüber betrachtet Ahmed Desorientierung als leiblich erfahrene Momente „that throw the world up, or throw the body from its ground. Disorientation can be unsettling, and it can shatter one’s sense of confidence in the ground or one’s belief that the ground on which we reside can support the actions that make a life livable“ (ebd.: 157). Desorientierungen sind geprägt von einem Verlust von stabilen Orientierungspunkten, d.h. von jenen normativen Orientierungen, durch die eine Person üblicherweise ihre Identität konstruiert und die das Gefühl leiblicher Verkörperung strukturieren. Heterosexualität stellt ein Beispiel solch einer „compulsory orientation“ (ebd.: 161) dar. Demgemäß sieht Ahmed vor allem queere Subjekte mit Momenten der Desorientierung konfrontiert. Auch wenn sie dabei primär auf queere Sexualitäten31 fokussiert, lässt sich ihr Konzept auf transgeschlechtliche Erfahrungen übertragen (vgl. Straube 2014: 90). THE DANISH GIRL (USA/GB 2015, R: Tom Hooper), ähnlich wie MA VIE EN ROSE (F 1997, R: Alain Berliner), visualisiert diese Desorientierungsmomente. In THE DANISH GIRL (USA/GB 2015, R: Tom Hooper) gibt es einzelne filmische Momente, die einen desorientierten Zustand der Trans*Figur vermitteln. Die Szene von Einars erstem Verkleidungsversuch beinhaltet beispielsweise Einstellungen, die eine veränderte – desorientierte – Wahrnehmung einfangen. 32 Die filmische Vermittlung von subjektiver Desorientierung geschieht dabei über Nahund Detailaufnahmen aus gekippten Kameraperspektiven, die die Bildschärfe verlagern, sodass sie Einars Wahrnehmungstrübung deutlich markieren (s. Abb. 6972). Sie weisen darauf hin, was Ahmed als „failed orientations“ bezeichnet: „[B]odies inhabit spaces that do not extend their shape, or use objects that do not extend their reach. At this moment of failure, such objects ‚point‘ somewhere else or they make what is ‚here‘ become strange“ (Ahmed 2006: 160). Das Kleid als stereotypes Zeichen von Femininität ist in der Szene ein Objekt, das Einars Orientierungskoordinaten ins Wanken bringt. Der Kontakt mit dem Kleid, das nahe Aufliegen des Stoffes auf seinem Körper verändert nicht nur temporär seine Positionierung innerhalb eines vergeschlechtlichten Systems, der Kontakt destabilisiert scheinbar vor allem Einars leibliche Wahrnehmung.
31 Queere Sexualität versteht Ahmed im Sinne von Annamarie Jagose (1996), d.h. als Formen nonnormativer Sexualitäten, die die heteronormative Ordnung von Subjekten (und Objekten) destabilisieren. 32 Die Szene hat den folgenden Timecode: 08’34’’-13’11’’.
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Abbildung 69 und 70: Point-of-view shot und Desorientierung
Quelle: THE DANISH GIRL (USA/GB 2015, R: Tom Hooper).
The DANISH GIRL (USA/GB 2015, R: Tom Hooper) realisiert hier in Bezug auf Transgeschlechtlichkeit, was aus phänomenologischer Sicht körperliche Intra-Relationalität (Straube 2014: 90) bedeutet, nämlich die wechselseitige Erfahrung von Leib und Objekten: „Bodies are [...] shaped by contact with objects and with others, with ‚what‘ is near enough to be reached. Bodies may even take shape through such contact, or take the shape of that contact. What gets near is both shaped by what bodies do, which in turn affects what bodies can do.“ (Ahmed 2006: 54)
Die Schlüsselszene visualisiert gleichsam Einars Desorientierungserfahrung, d.h. den Verlust an fixen Koordinaten, die ihm die Bedeutungen von Femininität und Maskulinität liefern, worauf das Brüchigwerden seiner eigenen Geschlechtsidentität folgt. Das Drama zeichnet ab diesem Moment gewissermaßen Einars Bemühungen um eine Re-Orientierung (als Lili) nach. Abbildung 71 und 72: Desorientierung und Detailaufnahme
Quelle: THE DANISH GIRL (USA/GB 2015, R: Tom Hooper).
Die Trans*Figur in MA VIE EN ROSE (F 1997, R: Alain Berliner) erfährt den Verlust an orientierenden Fixpunkten, nicht nur indem sie selbst die Inkongruenz ihrer
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Geschlechtsempfindung mit ihrer körperlichen Erscheinung empfindet, sondern vor allem indem das soziale Umfeld auf diese scheinbare Inkongruenz mit Widerstand, Abwehr, Exklusion und Bestrafung reagiert. Es ist offenkundig, dass sich Ludovics Orientierungskoordinaten eklatant von denen ihres cisgeschlechtlichen, heterosexuellen Umfelds unterscheiden. Sie erleidet dadurch einen Verlust an familiärer Anbindung und sozialer Unterstützung, was für ein heranwachsendes Kind intensive Desorientierungserfahrungen bedeutet. Normative Gewalt, Desorientierung und Vereinzelung gehen dabei Hand in Hand. Desorientierung manifestiert sich als „a bodily feeling of losing one’s place, and an effect of the loss of a place: it can be a violent feeling, and a feeling that is affected by violence, or shaped by violence directed toward the body“ (Ahmed 2006: 160). Folge davon sind Prozesse der Re-Orientierung, die einen erden und erneut ausrichten: „[B]odies that experience being out of place might need to be orientated, to find a place where they feel comfortable and safe in the world“ (ebd.: 158). Ludovic reorientiert sich sozusagen mittels ihrer Fantasie, in der ihre Orientierungskoordinaten Halt und Stabilität bieten. Sie erschafft sich basierend auf den Bildern der TV Serie „Le Monde de Pam“ eine imaginäre Welt, in der sie sich zu Hause fühlt. Durch die insertierten Mindscreen-Szenen, die narrativ als Folge von Erfahrungen von Ausgrenzung, Gewalt und Bestrafung auftreten, vermittelt das Drama beide Prozesse. Es verweist zum einen auf die ‚Koordinatenachsen‘ der Heteronormativität und Zweigeschlechtlichkeit, die das diegetische Universum und die darin befindlichen Akteur_innen strukturieren. Zweifellos gleicht dieses fiktive (Geschlechter-)Koordinatensystem dem diskursiven Koordinatensystem westlicher Gesellschaften, an dem sich Subjekte orientieren. Zum anderen macht es durch die Visualisierung von Ludovics Desorientierungserfahrungen auf den Ausschlusscharakter dieses Systems aufmerksam. Die Trans*Figur fällt durch ihr als Ausdruck von Geschlecht verstandenes Verhalten aus jener Ordnung; sie ist gewissermaßen „out of place“ (ebd.: 160). Durch die filmische Vermittlung von Ludovics Coping-Mechanismen (das Aufbauen einer ‚passenden‘ Fantasiewelt) liefert das Drama die Vorstellung eines alternativen Koordinatensystems, das von Kollektivität, Akzeptanz und Unterstützung gekennzeichnet ist und der transgeschlechtlichen Figur Orientierung bietet.
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5.4.2 Cisgeschlechtliche Blickregime und der transgeschlechtliche Blick Wie anhand der ästhetischen Strategien hinsichtlich der Körperästhetik der Begrenzung gezeigt wurde, zeichnen sich die Transgender Filme vorwiegend durch einen zweigeschlechtlichen, heteronormativ-strukturierten Blick auf Transgeschlechtlichkeit aus. Durch spezifische Kamerapositionen, die Wahl bestimmter Bildsujets und die Montage von Einstellungen ist der Körper von Trans*Figuren in das Zentrum der Darstellung gerückt. Scheinbare Objektivität vermittelnde Kameraperspektiven fokussieren auf die transgeschlechtliche Figur und ihre Körper. Das Blickregime der Transgender Filme inszeniert Trans*Figuren als Spektakel, die „die Schaulust als vermeintlich ‚Andere‘ der Norm befriedigen“ (Raczuhn 2018: 443). Der Trans*Körper fungiert dabei als Schauobjekt, der die Abweichung von der zweigeschlechtlichen Norm markiert. Die feministische Filmwissenschaft hat vielfach gezeigt, dass es sich bei filmischen Blickregimen um eine Ordnung an eingesetzten Blicken (Kamera-, Figuren- und Zuschauer_innenblick) handelt, die zutiefst vergeschlechtlicht ist. Laura Mulvey (1999 [1975]) war die erste und einflussreichste Filmwissenschaftlerin, die darauf hinwies, dass das filmische Blickregime nicht nur dezidiert zur Repräsentationsform des Films gehört, sondern als Manifestation und Reproduktion des Geschlechterverhältnisses zu verstehen ist. Für das klassische Hollywoodkino stellte sie fest, dass die filmische Repräsentation durch klare Binaritäten entlang der Differenz der beiden Geschlechter strukturiert ist. Mulvey konstatiert, dass das Handeln, raumgreifende Bewegungen und aktive Praktiken des Blickens von männlichen Protagonisten ausgehen und als Praktiken männlich codiert sind, während das Warten und Verzögern der Handlung sowie das Angesehen-Werden (auch und vor allem als sexualisierte und erotisierte Blickobjekte) weiblichen Figuren zugeschrieben ist. Mulveys Argumentation resultiert in der These von der zweigeschlechtlichen Struktur des filmischen Blickregimes, das den männlichen Blick gegenüber dem weiblichen privilegiert: „In a world ordered by sexual imbalance, pleasure in looking has been split between active/male and passive/female [...] The man controls the film fantasy and also emerges as the representative of power in a further sense: as the bearer of the look of the spectator, transferring it behind the screen to neutralize the extra-diegetic tendencies represented by women as spectacle.“ (Mulvey 1999 [1975]: 62f.)
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Mulvey geht davon aus, dass das zuschauende Publikum sich primär über den Kamerablick mit Filmfiguren identifiziert. 33 Die feministische Filmtheorie bestätigte die Prämisse, dass der durch die Kamera und die Montage gelenkte Blick das zentrale Moment filmischer Identifikation ist (vgl. Klippel 2005: 243). Da der Kamerablick im klassischen Hollywoodkino zumeist mit dem männlichen Protagonisten verschaltet wird, bezeichnet Mulvey das filmische Blickregime als Manifestation und „representation [...] [of] the patriarchal order“ (Mulvey 1999 [1975]: 68). Christian Metz beschreibt die Verschaltung von Kamerablick und Zuschauer_innenblick als primäre Identifikation: „[T]he spectator can do no other than identify with the camera [...] which has looked before him at what he is now looking at and whose stationing (=framing) determines the vanishing point [...] At the cinema, it always is the other who is on the screen; as for me, I am there to look at him. I take no part in the perceived, on the contrary, I am all-perceiving.“ (Metz 1982: 48f., Hervorh. i.O.)
Auch Panofsky betont die Bedeutung des durch den Kamerablickwinkel strukturierten Zuschauendenblicks, wenn er schreibt: „Ästhetisch ist er [der Zuschauer, Anm. R.K.S.] in ständiger Bewegung, indem sein Auge sich mit der Linse der Kamera identifiziert, die ihre Blickweite und -richtung ständig ändert“ (Panofsky 1993 [1936]: 23). Die primäre Identifikation steht in der Tradition des modernen „skopischen Regimes“ (Jay 1988), das mit Transparenz, Sichtbarkeit und Erkenntnis verknüpft ist (vgl. Saalfeld 2017: 287). Das skopische Regime der Moderne
33 Interessanterweise merkt Mulvey in ihrem als Antwort auf die kritischen Einwände gegenüber ihrem Aufsatz formulierten Folgeessays an, dass neben der „masculinisation of the spectator position“ (Mulvey 1999 [1981]: 122) für das vor allem weibliche Publikum auch transsexuelle Identifikationen möglich seien (vgl. Mulvey 1999 [1981]). Damit meint Mulvey die Identifikation der Zuschauerin mit dem aktiven männlichen Helden einer Filmgeschichte. In Rekurs auf Freuds Konzept von Weiblichkeit und dessen Ausführungen zum geschlechtsspezifisch verlaufenden ödipalen Prozess geht sie davon aus, dass Filme deshalb von Betrachterinnen genossen werden, weil die Filme mitunter die Möglichkeit bieten, in die phallische Phase, in dem sich das kleine Mädchen nur unwesentlich vom kleinen Jungen unterscheidet, zu regredieren. Diese Regression könne sich über den ‚gegengeschlechtlichen‘ Identifikationsprozess im Film realisieren. Mulvey nutzt folglich Freuds psychoanalytisches Konzept der frühkindlichen Geschlechtsidentitätsentwicklung, um Identifikationsprozesse im MainstreamFilm zu erläutern, und betitelt diese Vorgänge als „trans-sex identification“ (ebd.: 124). Vgl. zur Rezeption von Mulveys Thesen: Ingelfinger und Penkwitt 2004.
320 | Transgeschlechtlichkeit und Visualität
zeichnet sich als dominante Wahrnehmungsordnung durch die monokulare Fantasie der Linearperspektive und einem omnipräsenten, gottähnlichen Blick auf Phänomene aus (vgl. Jay 1988). Im klassischen Hollywoodfilm wird solch ein hegemoniales Wahrnehmungsregime beispielsweise realisiert über den Fokus auf das narrative Geschehen, standardisierte Formen der Montage und der apparativen Anordnung des Kinosaals: Das System des klassischen Hollywoodkinos basiert auf dem Verständnis des Films als ein narratives Medium, d.h. jegliche Gestaltungstechniken sind dem Primat des Geschichten-Erzählens unterstellt. Das betrifft vor allem die Formen der Montage. Über das Regelwerk des continuity editings wird der filmische Raum derart verwaltet und strukturiert, dass di_er Zuschauer_in ihn als kohärenten und kontinuierlichen narrativen Raum wahrnimmt. Die grundlegende, auch durch die Kinoapparatur vorgegebene Betrachter_innensituation des klassischen Hollywoodkinos ist dabei die eines „unsichtbare[n] Zeuge[ns]“ (Elsaesser und Hagener 2007: 30), der einer sich entwickelnden Geschichte beiwohnt, die nicht seine eigene ist und „die seine Präsenz nicht anerkennt“ (ebd.), während er als einziges Subjekt den Überblick über das narrative Geschehen behält. Auch die filmische Darstellungsform, deren Tradition auf der Zentralperspektive der klassischen Malerei – dem System des Quattrocentos – beruht, steht ganz im Dienste der Funktion, der_m Betrachter_in die Rolle eines omnipräsenten Subjekts zuzuweisen: „Grundlegend ist die Idee eines Betrachters am Fenster, einem ‚aperta finestra‘, das einen Blick auf die Welt freigibt – gerahmt, zentriert, harmonisch [...] Die Vorstellung des Quattrocento-Systems entspricht einem szenographischen Raum, einem Raum, der sich als Spektakel für das Auge eines Betrachters darbietet.“ (Heath 1981: 28f.)
Der fortwährende scheinbar objektive Blick auf die transgeschlechtliche Figur verweigert nicht nur – auf Ebene der Diegese – der Figur die Möglichkeit, als aktiv Blickende einen dauerhaften Subjektstatus zu entwickeln. Er leitet die Betrachter_innen auch an, sich gerade nicht mit der Trans*Figur zu identifizieren. Stattdessen wird durch die objektive Sichtweise eine Nähe zum medizinisch-normierenden Blick hergestellt, der als gesellschaftliche Kraft innerhalb der Institutionen der Psychiatrie, der Psychologie und der Medizin im Allgemeinen den Diskurs um Transgeschlechtlichkeit dominiert. Obwohl Mulvey aus einer zwei- und cisgeschlechtlichen Perspektive argumentiert, sich ihre Analyseerkenntnisse also nicht ohne weiteres auf Transgender Filme übertragen lassen, so finden die Befunde dennoch eine Entsprechung in den hier analysierten Spielfilmen. „The place of the look [which] defines cinema, the possibility of varying it and exposing it“ (Mulvey 1999 [1975]: 68) ist in den Transgender Filmen primär ein zweigeschlechtlicher,
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heteronormativer: Die Art und Weise wie (nah) die Transgender Körper betrachtet, wie sie entkleidet, fragmentiert, gespalten und gespiegelt werden, der Umstand, dass sie auf Produktionsebene gänzlich unsichtbar sind, und die Art und Weise, wie auf narrativer Ebene die transgeschlechtliche Figur vereinzelt wird, dokumentieren die Konstruktion eines Blickregimes, das die Trans*Figuren objektiviert und verAndert. Figurenblicke bestätigen diesen verAndernden Blick auf Trans*Figuren und deren Körper. In TRANSAMERICA (USA 2005, R: Duncan Tucker) fällt das visuelle Coming Out beispielsweise direkt mit einem, den Blick von Toby imitierenden Point-of-view shot auf Brees Genital zusammen. Der dramaturgische Höhepunkt in BOYS DON’T CRY (USA 1999, R: Kimberly Peirce) handelt ebenfalls ganz zentral von dem intrusiven Blick der cisgeschlechtlichen Figuren John und Tom auf Brandons Intimbereich. Das dominante Blickregime priorisiert einen Kamerablick, der auf, statt mit der Trans*Figur blickt, und wird abgestützt durch Figurenblicke, die ebenfalls die transgeschlechtliche Figur als das anormale, vereinzelte Andere konstruieren. Während Trans*Figuren also die Blickobjekte darstellen, die kritisch beäugt und unter die Lupe genommen werden, ist der vereinzelte und temporär beschränkte Einsatz eines direkten, eines aktiven Transgender-Blicks auffällig (vgl. Halberstam 2005b: 83), sodass Szene, die einen transgeschlechtlichen Blick beinhalten, nicht nur als Schlüsselstellen des Films auffallen, sondern auch Erkenntnisse hinsichtlich des Versuchs, die subjektive Erlebensperspektive der Trans*Figur zu vermitteln, versprechen. Eine der im Kapitel 5.4.1 Träumen und Fantasieren besprochenen Mindscreen-Szenen aus MA VIE EN ROSE (F 1997, R: Alain Berliner) endet mit einer Einstellungsfolge, in der einerseits Ludovic und ihre Mutter in einer Supertotalen und aus Vogelperspektive sichtbar sind, wie sie das Nachbarshaus und den sich dort ereigneten Konflikt um Ludovic und ihr queeres Hochzeitsspiel verlassen. Andererseits wird dieser Strang mit Einstellungen aus Ludovics Fantasiewelt verwoben, in der die Elfe Pam, Jerome und Ludovic über die Szenerie fliegen. Es wird erkenntlich, dass es sich bei dem Blick auf Ludovic und ihre Mutter um Ludovics Fantasie-Ich handelt, das aus einer erhabenen, distanzierten Position auf die Folgen des gewaltsamen Geschehens blickt (s. Abb. 73-76). Ludovic blickt als ihr fantasiertes Ich auf ihr vereinzeltes und von der Mutter für ihr Geschlechtsverhalten bestraftes Ich. Filmisch präsentiert wird hier ein transgeschlechtlicher Blick, ein Blick „divided within itself, a point of view that comes from two places (at least) at the same time“ (Halberstam 2005a: 88). Die Konventionen des SchussGegenschuss-Schemas werden im transgeschlechtlichen Blick unterlaufen.
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Abbildung 73 und 74: Mindscreen-Szene in MA VIE EN ROSE
Quelle: MA VIE EN ROSE (F 1997, R: Alain Berliner).
Abbildung 75 und 76: Transgeschlechtlicher Blick in MA VIE EN ROSE
Quelle: MA VIE EN ROSE (F 1997, R: Alain Berliner).
In BOYS DON’T CRY (USA 1999, R: Kimberly Peirce) wird ein solcher Blick ebenfalls vermittelt. Der transgeschlechtliche Blick kommt hier im zweiten Drittel des Films zum Einsatz.34 Zu diesem Zeitpunkt ist Brandons Transgeschlechtlichkeit den weiteren Figuren der diegetischen Welt zwar noch unbekannt, jedoch wird sie aufgrund einiger Vorkommnisse vermutet, sodass es dramaturgisch zu einer brutalen ‚Enttarnungsszene‘ kommt, bei der die Figuren Tom und John Brandon gewaltsam in ein Badezimmer zerren, wo sie ihn entkleiden, um sich Klarheit darüber zu verschaffen, welches Geschlecht die Trans*Figur ‚tatsächlich‘ hat. Die Handlungsebene ist hier durchdrungen von der gewaltsamen Kraft des männlichen Blicks, der für das Faktische und Sichtbare steht. Interessanterweise ist es John und Tom nicht nur wichtig, dass sie Brandons Genital sehen. Der Beweis um Brandons ‚wahres‘ Geschlecht hängt für sie direkt von Lanas Blick ab. Diese Gewaltsamkeit, die aus Brandons Körper ein zu betrachtendes Spektakel macht,
34 Die Szene hat folgenden Timecode: 72’25’’-81’14’’. Der transgeschlechtliche Blick setzt ab 80’30’’ein.
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mündet in einer Einstellung, die an Kreuzigungstableaus erinnert (s. Abb. 79). Über den vom Film übernommenen gewaltsamen Blickmodus der beiden männlichen Figuren fungiert Brandons Genital als sichtbarer Beweis seiner Geschlechtlichkeit. Es folgen vier Einstellungen, die sich ästhetisch von den vorherigen deutlich abgrenzen, und so visuell den transgeschlechtlichen Blick als solchen kennzeichnen. In der ersten Einstellung ist Brandon in einer Nahaufnahme gezeigt, wie er langsam (in slow-motion) seinen Kopf hebt, der durch das softe Oberlicht hell beleuchtet wird, während Tom und John ihn gewaltsam festhalten (s. Abb. 77). Nachfolgend ist ein zweiter, bekleideter Brandon sichtbar, der auf der gegenüberliegenden Seite der Szenerie positioniert ist (s. Abb. 78). Auch er ist visuell aufgrund des Oberlichts als zentrales Element markiert. Die zwei Einstellungen sind über ein Eyeline-Matching verbunden und artikulieren die Subjektivität des Blickes. Der transgender gaze ist in den folgenden zwei Einstellungen fortgesetzt: der bekleidete Brandon blickt auf den nackten Brandon und vice versa (s. Abb. 79-80). In der kurzen Einstellungsfolge herrscht absolute Stille. Sämtliche intradiegetischen Töne sind mit einem Male verschwunden. Es ist davon auszugehen, dass auf auditiver Ebene Brandons subjektiver Wahrnehmungszustand imitiert wird. Der transgeschlechtliche Blick, der über die slow-motion, das Eyeline-Matching und die modifizierte Beleuchtungs- und Tonsituation als alternativer Blickmodus markiert ist, unterbindet in dieser dramatischen Szene (plot point) für ca. 15 Sekunden die objektiv(ierend)e Blickordnung des Films. Beide Beispiele erheben nicht nur Einspruch gegenüber der cisgeschlechtlich-strukturierten Blickordnung, sie weisen auch ganz dezidiert auf den Akt des Blickens und AngeblicktWerdens hin. Indem sich Brandon bzw. Ludovic selbst betrachten, das konventionelle Shot-Reverse-Shot-Schema (SRS, Schuss-Gegenschuss-Verfahren) also als Blickkonstruktion vorgeführt wird, ist es den Zuschauer_innen möglich, die normative Kraft, die Blickregimen zueigen ist, zu durchschauen. Abbildung 77 und 78: Transgeschlechtlicher Blick in BOYS DON’T CRY
Quelle: BOYS DON ’T CRY (USA 1999, R: Kimberly Peirce).
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Abbildung 79 und 80: Transgeschlechtlicher Blick in BOYS DON’T CRY
Quelle: BOYS DON ’T CRY (USA 1999, R: Kimberly Peirce).
Das im klassischen Hollywoodkino, vor allem für Dialogszenen etablierte SRSPrinzip basiert auf einer Folge von Kameraeinstellungen, die abwechselnd jeweils einen von zumeist zwei sich anblickenden Figuren zeigen (vgl. Bordwell und Thompson 2008: 235). Es stiftet Kontinuität hinsichtlich der Konstruktion des filmischen Raums, und verwebt die_n Zuschauer_in üblicherweise über den männlichen Blick (male gaze) in das narrative Geschehen (vgl. Halberstam 2005b: 86). In den beiden, hier angesprochenen Szenen kommt es zu einer Dekonstruktion des Schuss-Gegenschuss-Verfahrens, wodurch Betrachter_innen mit einem „transverse glance“ (Mirzoeff 2002: 18) schauen, „[a] transient, [...] transgendered way of seeing“ (ebd.), der nicht nur auf den eigenen Akt des Betrachtens aufmerksam macht, sondern auch auf den Umstand des Angeblickt-Werdens. Die_r Zuschauer_in ist gezwungen, sich mit der eigenen Rolle als blickende Instanz auseinanderzusetzen. Anders als im klassischen Hollywoodkino kommt es hier zu einer Fragmentierung und Auflösung, nicht nur des männlichen Blicks, sondern auch des weiblichen Spektakels, wodurch „the viewer herself becomes the camera“ (Halberstam 2002: 38). Die Anwendung des SRS-Prinzips auf nur eine Figur erzielt die Suturierung des_r Zuschauers_in in die Perspektive von Brandon bzw. Ludovic. Das macht die Szenen zu spezifischen Stellen im jeweiligen Film, schließlich wird die_r Betrachter_in veranlasst, die konventionelle, zweigeschlechtliche und heteronormativ-strukturierte Blickordnung zugunsten der Einnahme eines transgeschlechtlichen Blicks zu verlassen. Die über die Abwandlung des SRS-Prinzips stattfindende Verwebung des_r Zuschauers_in in Brandons Erfahrungswelt ermöglicht den Nachvollzug einer Figur „who combines momentarily the activity of looking with the passivity of the spectacle“ (Halberstam 2005b: 88). Die_r Zuschauer_in wird dazu angeleitet, sich nicht nur mit dem Blick der transgeschlechtlichen Figur zu identifizieren, sondern auch die von Ohnmacht gekennzeichnete Erfahrung des gewaltsamen Entblößtseins, des intrusiven cisgeschlechtlichen Blicks nachzuempfinden. In MA VIE EN ROSE (F 1997, R: Alain Berliner) führt die Suturierung
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mit Ludovics Erfahrungswelt zur Kombination der Aktivität des Blickens mit der Einfügung eines ‚counter-Narratives‘. Auch hier wird die_r Zuschauer_in dazu angeleitet, sich mit der transgeschlechtlichen Figur zu identifizieren. Sie_r erhält Zugang zu einem Plotstrang (Ludovics Mindscreen), der ein Gegengewicht bildet zum dominanten Strang um den Untergang von Ludovics gendernonkonformer Performance. Beide Formen des transgeschlechtlichen Blicks stehen für eine alternative Zeit- und Räumlichkeit. Diese Modifikation des Raum-Zeit-Gefüges gilt, erstens, auf narrativer Ebene als Ausdruck eines dissoziativen Zustands, insofern als dass die filmästhetisch über slow-motion und eine veränderte Mise-en-scène vermittelte Darstellung des ‚Heraustretens‘ aus der bis dahin etablierten raumzeitlichen Struktur der fiktiven Welt als Dokument eines Mechanismus zur Bewältigung einer Erfahrung mit traumatischem Gehalt verstanden werden kann. In der Psychologie wird unter Dissoziation eine Bewältigungsstrategie verstanden, die häufig als Folge einer traumatischen Erfahrung auftritt (vgl. Dalenberg et al. 2012). Abgespalten (dissoziiert) werden meist emotionale und kognitive Inhalte, die für die betreffende Person als unerträglich erlebt werden. Psychische Bereiche, die von Dissoziationen betroffen sein können, sind die Wahrnehmung, das Bewusstsein und die Erinnerung. Depersonalisation und Derealisation stellen zwei Ausdrucksformen dissoziativer Zustände dar (vgl. Priebe et al. 2013: 16f.). Bei der Depersonalisierung kommt es zur Veränderung der Selbstwahrnehmung (vgl. ebd.) Die von der Depersonalisation betroffene Person kann sich fremd im eigenen Körper fühlen, sich gleichsam wie ‚von außen‘ betrachten. Bei der Derealisation kommt es zur Veränderung in der Wahrnehmung der umgebenden Welt (vgl. ebd.). Die Umwelt wird als verändert und fremdartig wahrgenommen. Der in beiden Szenen angewandte transgeschlechtliche Blick kann als Vermittlung dieser beiden dissoziativen Ausdrucksformen verstanden werden. Brandon ist mit einer solch heftigen und plötzlich eintretenden Gewaltsituation konfrontiert, dass er sein Erleben abspaltet. Diese Abspaltung schützt ihn nicht nur vor der demütigenden Erfahrung, sondern auch vor dem Betrachtet-Werden als ‚weiblich‘. Ludovic wiederum schützt sich vor den bestrafenden Blicken der beiden Mütter. Sie spaltet das Erleben von ‚Falsch-Sein‘ ab, das ihr über die beiden Erwachsenen vermittelt wird, und flüchtet stattdessen in eine Fantasiewelt, in der sie mit ihrem Geschlechtsausdruck Intelligibilität erfährt. In BOYS DON’T CRY (USA 1999, R: Kimberly Peirce) steht die Figur des transgeschlechtlichen Brandons, zweitens, für eine alternative Zukunft hinsichtlich der Figur Lana, „by trying to be a man with no past“ (Halberstam 2005b: 77). Brandon versucht Lana (und auch sich selbst) eine hoffnungsvollere Zukunft in einer entfernten Stadt, fernab der täglichen Überlebenskämpfe des ländlichen Nebraska auf
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Basis des Versuchs der Überschreibung seiner eigenen Biografie zu konstruieren. Diese queere Form von Zeitlichkeit findet ihren ästhetischen Ausdruck nicht nur im eben besprochenen transgeschlechtlichen Blick, sondern auch in den experimentell erscheinenden Szenen und Inserts, die auf ein „elsewhere“ des Liebespaares hinweisen (ebd.). Der eingesetzte transgeschlechtliche Blick bildet gewissermaßen den Kristallisationspunkt dieses „elsewhere“, weil hierbei Brandons Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft aufeinanderprallen und ineinander kollabieren. In MA VIE EN ROSE (F 1997, R: Alain Berliner) verlässt Ludovic ebenfalls sämtliche Raum- und Zeitgefüge. Obwohl ästhetisch klar markiert ist, dass der transgeschlechtliche Blick Teil von Ludovics Fantasie ist, weist die MindscreenSzene auf eine alternative Gegenwart und Zukunft hin. Ludovic betrachtet sich selbst aus der Vogelperspektive. Zwei verschiedene Gegenwartsschichten treffen hier aufeinander. Ludovics visualisierte Fantasie präsentiert ein alternatives Raum-Zeit-Gefüge, das als ‚queer (friendly)‘ bezeichnet werden kann. Der transgeschlechtliche Blick kann in beiden Filmbeispielen als subversive Reaktion auf den Versuch einer gewaltsamen Aneignung des transgeschlechtlichen Körpers verstanden werden: In der fiktionalen Welt in MA VIE EN ROSE (F 1997, R: Alain Berliner) besteht der Aneignungsversuch in dem Bemühen, Ludovics Verhalten – ihren gendernonkonformen Geschlechtsausdruck – über den bestrafenden Blick zu regulieren, während Brandons Körper in BOYS DON’T CRY (USA 1999, R: Kimberly Peirce) als monströses Spektakel fungiert. Die über den transgeschlechtlichen Blick vollzogene Unterminierung des klassischen Blickregimes lässt die beiden transgeschlechtlichen Körper als „inappropriate/d“ (Minhha 2012) erscheinen. Sie werden zu Körpern, „[which] you cannot appropriate, and [...] [which] is inappropriate“ (ebd.). Die Funktion des transgeschlechtlichen Blicks liegt im Widerstand gegen gewaltsame Aneignungsversuche. Die vietnamesische Filmemacherin und Geschlechterforscherin Trinh T. Min-ha, die das Konzept des inappropriate/d other geprägt hat, beschreibt damit nicht nur queere Subjekte, sondern vor allem „situation[s] in which one is always slightly off, and yet not entirely outside“ (ebd.). In dem transgeschlechtlichen Blick wird diese Erfahrung des „elsewhere within here“ (ebd.) für die_n Zuschauer_in zugänglich. Das Publikum ist sowohl involviert in die gewaltsamen Situationen, während es gleichzeitig in ein dissoziatives „elsewhere“ geleitet wird. Beide Blick- und Erfahrungspositionen entwickeln sich in diesen Schlüsselszenen simultan. Sie laden die_n Zuschauerin gleichsam dazu ein, das tradierte cisgeschlechtlich und patriarchal strukturierte Blickregime zu verlassen.
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5.5 ZWISCHENFAZIT: TRANSGENDER CINEMA ZWISCHEN VERANDERUNG UND SUBVERSION Die in dieser Studie betrachteten Spielfilme stehen im Kontext eines Transgender Cinema, das sich in der Anwendung von narrativen und visuellen Mustern vom Cinema of Gender Role Change unterscheidet. Während das Cinema of Gender Role Change auf die humorvolle Vermittlung von Geschlechtsrollenkonflikten fokussierte, konzentriert sich das in den 1960er Jahren aufkommende Transgender Cinema auf die Vermittlung von Transsexualität. Aus einem eher spielerischen Umgang mit dem Geschlechtswechsel entstand sukzessive die Bearbeitung eines ‚ernsthaften Phänomens‘. Es ist zu vermuten, dass dieser Wandel im Sujet die gesellschaftliche Stellung des Phänomens widerspiegelt: Während zu Beginn des 20. Jahrhunderts der Transgeschlechtlichkeitsdiskurs vor allem durch die Medizin bestimmt und mit der Ausdifferenzierung von ‚zwischengeschlechtlichen‘ Phänomenen beschäftigt war, unter denen der Transvestismus die zentrale Stellung einnahm, erfolgte erst in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts mit der Etablierung von spezifischen Behandlungsregimen die diskursive Genese von Transgeschlechtlichkeit als transsexuelles Phänomen. Die filmische Verarbeitung des Sujets scheint also auf hegemoniale Tendenzen zum ‚Geschlechtswechsel‘ mit einiger zeitlicher Verzögerung zu antworten. Die zunehmende Sichtbarkeit von Transgeschlechtlichkeit im populären Spielfilm weist auf die gesellschaftliche Relevanz hin, die das Phänomen mittlerweile hat. Im Zentrum dieser Sichtbarkeit steht der „gender-dissident body“ (Straube 2014: 79), dessen Repräsentation zwischen den Polen der Spektakularisierung und VerAnderung einerseits und der Kritik an der heteronormativen Zweigeschlechterordnung als „hegemoniale Existenzweise“ (Maihofer 2004: 38) von Geschlechtlichkeit andererseits changiert. Diese beiden Pole manifestieren sich auf Makro- und Mikroebene der Filme. Der dramaturgische Verlauf (Makroebene) wurde als recht einheitlich charakterisiert. Ausgangspunkt der filmischen Erzählung bildet stets die gendernonkonforme Geschlechtsidentität der_s Protagonist_in, die in Konflikt tritt mit hegemonialen Normen um Geschlechtlichkeit. Die Trans*Figur befindet sich in einem antagonistischen Verhältnis zum Ideal der (heteronormativen) Cisgeschlechtlichkeit. In den Spielfilmen ist die Hauptfigur diejenige, die sich durch ihre Transgeschlechtlichkeit von den weiteren Figuren, die alle cisgeschlechtlich markiert sind, unterscheidet. Auch die Besetzung der Figurenrollen ist cisgeschlechtlich-orientiert. Diese VerAnderungstendenzen dokumentieren sich nicht nur auf Ebene der Repräsentation, sondern auch auf Ebene der dramaturgischen Entwicklung. Die
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Trans*Figuren werden im Fortgang der Erzählung zunehmend vereinzelt, bis sie schließlich am Filmende sterben oder sozial isoliert leben. Die Samplefilme liefern auf Makroebene Einsprüche in die Zweigeschlechterordnung als „nach wie vor durch die gesellschaftliche Situation bedingte/erzwungene Weise des Existierens“ (Maihofer 2004: 38). Das Schema einer klassischen Filmnarration sieht in der Hauptfigur eine_n Held_in vor, die_r sich gegen antagonistische Kräfte durchsetzt (vgl. Bordwell 2008: 91). Dafür muss sie_r über sich hinauswachsen. Die_r Held_in muss eine innere Entwicklung durchleben, um an sein_ihr Ziel zu gelangen (vgl. Campbell 1978). Sie_r muss ein_e andere_r werden (vgl. Vogler 2010). Obwohl die Transgender Filme die transgeschlechtliche Figur als Hauptfigur und Protagonist_in etablieren und sie auch in ihrer dramaturgischen Struktur an klassischen Filmnarrationen orientiert sind, erweisen sich die Trans*Figuren gerade hinsichtlich ihrer Transgeschlechtlichkeit allerdings als stabile Figurensubjekte. Sie zeichnen sich dadurch aus, dass sie hinsichtlich ihrer geschlechtlichen Positionierung gerade keine innere Evolution durchleben. Sie werden in ihren geschlechtlichen Selbstverhältnissen zu keinen anderen. Es sind vielmehr die anderen Figuren, die sich in Entwicklung – in Transition – befinden. Auf Mikroebene des Films dokumentieren sich primär „violent and constraining representations of the trans characters“ (Straube 2014: 79). Visuell wird hinsichtlich der Trans*Figur ein Fokus auf den Körper gelegt. Die Körper sind nicht nur im Kader fixiert, exponiert und hypersichtbar. Sie erscheinen vor allem nackter als nackt (vgl. Raczuhn 2018: 434). Der nackte, transgeschlechtliche Körper, der für die_n Zuschauer_in als visuelles Spektakel fungiert, bildet nicht nur den Ort geschlechtlicher Wahrheit, er reduziert die Trans*Figur auch auf ihren abweichenden Status. Der britische Kunsthistoriker Kenneth Clark betont, dass Nacktheit mit dem Verworfenen/Abjekten in Zusammenhang steht: „It is widely supposed that the naked human body is in itself an object upon which the eye dwells with pleasure and which we are glad to see depicted. But anyone who has frequented art schools and seen the shapeless, pitiful model which the students are industriously drawing will know that this is an illusion […] A mass of naked figures does not move us to empathy, but to disillusion and dismay.“ (Clark 1956: 3f.)
Bei der filmischen Sichtbarkeit des transgeschlechtlichen Körpers handelt sich um eine „verstörende Sichtbarmachung des nackten ‚falschen‘, zu korrigierenden Körpers“ (Raczuhn 2018: 434), der die Abweichung vom heteronormativen, cisgeschlechtlichen Körper markiert. In ihrer Studie zur kulturellen Bedeutung von Nacktheit weist Ruth Barcan (2004) darauf hin, dass normabweichende Körper mehr Sichtbarkeit über Nacktheit erhalten als normbestätigende Körper (vgl.
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Barcan 2004: 143ff.). Die filmische Sichtbarkeit nackter Körper von Trans*Figuren ist als ambivalent zu bezeichnen. Zum einen ist Nacktheit kulturgeschichtlich mit Natürlichkeit, mit Wahrheit, Authentizität und Unschuld verknüpft. Es konnte bereits gezeigt werden, dass geschlechtlich abweichende Körper im Rahmen medizinischer Forschung der Bestimmung ‚geschlechtlicher Wahrheit‘ dienten. Sie dienten als deviante Objekte, an denen die Kriterien für das Normale definiert wurden. Aus medizinischer Sicht ist das Ziel der Behandlung transsexueller Menschen das Konstruieren eines möglichst ‚echten‘, ‚authentisch‘ aussehenden GeschlechtsKörpers. Körperliche Materialität gilt als Marker geschlechtlicher Wahrheit. Zum anderen gilt Nacktheit, gerade wenn sie im öffentlichen Raum stattfindet, aus soziologischer Perspektive als deviant und abweichend. Erwartet wird, dass scheinbar ‚normale‘ Körper in der Öffentlichkeit möglichst bekleidet sein mögen (vgl. Raczuhn 2018: 435). Öffentlicher Nacktheit wiederum – und darum handelt es sich (auch), wenn Figuren im Film entblößt werden – haftet der Charakter des Monströsen an (vgl. Barcan 2004: 166). Die im Transgender Film so vielfach präsentierten nackten Körper transgeschlechtlicher Figuren befriedigen also nicht nur die Schaulust des Publikums, sie sind als Spektakel auch als Insignie des Abweichenden zu lesen, über die das Normale (der cisgeschlechtliche, heteronormative Körper) unhinterfragt und unsichtbar bleibt. Auf der Ebene des Visuellen dokumentieren sich temporär Momente der Subversion jener geschlechtlichen Normen. Diese beinhalten, erstens, kurze Momente, in denen visuell die Grenzen zwischen Männlichkeit und Weiblichkeit verwischen, so z.B. am Ende von TOMBOY (F 2011, R: Céline Sciamma, wenn die Figur des Mikhael eine männliche Femininität präsentiert, oder Ludovic am Filmende von MA VIE EN ROSE (F 1997, R: Alain Berliner) als männliche Figur mit femininen Geschlechtsausdruck fungiert. Es gibt, zweitens, filmische Momente, die auf den Konstruktionscharakter von Geschlechtlichkeit hinweisen, z.B. in den oftmals über mirror-shots vermittelten Szenen des doing (trans)genders, die die Bedeutung des GeschlechtsKörpers als Medium der Selbstvergewisserung und als Medium sozialer Interaktion in den Vordergrund rücken. Es werden Praktiken der Herstellung von Geschlecht sichtbar gemacht, sodass die Szenen an der De-Naturalisierung von Geschlecht mitwirken, und das zuschauende Publikum zur Reflexion eigener Her- und Darstellungsweisen von Geschlecht anregen können. Drittens sind es vor allem die subjektive Perspektive der Trans*Figur vermittelnde Szenen, die eine Kritik an heteronormativen Zweigeschlechternormen implizieren. Die Mindscreen-Szenen in MA VIE EN ROSE (F 1997, R: Alain Berliner) visualisieren beispielsweise einen fantastischen Ort, an dem Luodovic Anerkennung für ihre „queere Subjektivität“ (Engel 2002: 27) erfährt. Dadurch, dass die Szenen
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intern fokalisiert sind, blickt das Publikum mit der Trans*Figur. Es nimmt Ludovics Perspektive ein und verlässt damit die Blickordnung, die auf VerAnderung der transgeschlechtlichen Figur ausgelegt ist. Einspruch erhoben gegenüber eines heteronormativ und cisgeschlechtlich strukturierten filmischen Blickregimes wird des Weiteren durch einen in MA V IE EN ROSE (F 1997, R: Alain Berliner) und BOYS DON’T CRY (USA 1999, R: Kimberly Peirce) angewandten transgeschlechtlichen Blick, der nicht nur ästhetische Standards der Suture unterwandert, und der_m Zuschauer_in ermöglicht, sich mit der eigenen wirkmächtigen Rolle als blickende Instanz zu konfrontieren. Er führt auch zur Identifikation des Publikums mit der Gewalt, Demütigung und Ausgrenzung erfahrenden Trans*Figur, sodass der transgeschlechtliche Blick cisgeschlechtliche Zuschauer_innen für ein transgeschlechtliches Erleben von Welt sensibilisiert. Insgesamt geschehen die Einwände gegenüber der heteronormativen Zweigeschlechterordnung allerdings nur punktuell. Sie liefern temporäre Kritikpunkte an der Gewaltförmigkeit und dem Zwangscharakter dieser Ordnung, indem transgeschlechtliche Betroffenheiten stellenweise fokussiert werden. Die Norm selbst, der zwei- und cisgeschlechtliche Hintergrund, bleibt indes zumeist stabil, wodurch die Transgender Filme diegetisch, dramaturgisch und visuell eine Vorstellung von Geschlecht bemühen, die heteronormativ, cis- und zweigeschlechtlich strukturiert ist.
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Fazit: Das visuelle Archiv der Transgeschlechtlichkeit
Aus einer diskursanalytischen Perspektive und am Forschungsstil der Grounded Theory orientiert dokumentiert die vorliegende Arbeit die visuelle Konstruktion von Transgeschlechtlichkeit. Die Visualität des Phänomens habe ich auf verschiedenen Diskursebenen herausgearbeitet. Es zeigte sich, dass sich Visualität über die Sichtbarmachung des Körpers vollzieht. Der Fokus auf den GeschlechtsKörper vereint die visuellen Dokumente, auch wenn sich die spezifischen Visualisierungsweisen auf den Ebenen der Medizin, der Subkultur und im Spielfilmbereich eklatant voneinander unterscheiden.
6.1 ERGEBNISSE Im ersten Kapitel habe ich im Anschluss an sozialkonstruktivistische und dekonstruktivistische Ansätze deutlich gemacht, dass es sich bei Transgeschlechtlichkeit um ein Phänomen handelt, dem die Ambivalenz von Sicht- und Unsichtbarkeit inhärent ist. Aus leibphänomenologischer Perspektive gehen gesellschaftliche Ordnungsstrukturen den Menschen gleichsam ‚unter die Haut‘. Cisgeschlechtlichkeit entsteht aus einer präreflexiv vorhandenen Verschränkung von (vergeschlechtlichtem) Leib und Körper (vgl. Lindemann 1993). Bei transgeschlechtlichen Menschen muss diese Verschränkung – das ‚Bewohnen‘ des eigenen Körpers – erst hergestellt werden. Transgeschlechtlichkeit ist damit etwas, dass sich im Inneren eines Menschen, d.h. in einem vollkommen unsichtbaren Bereich, vollzieht. Aus interaktionstheoretischer Sicht erzeugen transgeschlechtliche Menschen eine Irritation in der wesentlich durch Geschlecht bestimmten, interaktiven Ordnung, wenngleich die Kategorie des Geschlechts unbewusst und präreflexiv bleibt, sodass das Zutagetreten von Transgeschlechtlichkeit stets mit aversiver Sichtbarkeit verknüpft ist. Aufgrund des Bruchs in der kohärenten Bezugnahme von sex, gender (und desire) handelt es sich bei Transgeschlechtlichkeit diskursiv
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um eine innerhalb der heteronormativen Zweigeschlechterordnung marginalisierte Geschlechtsposition, deren Abweichung von der binär und dichotom strukturierten Norm mit Sichtbarkeit verknüpft ist. Diese Sichtbarkeit markiert Transgeschlechtlichkeit als das Andere zur (unsichtbaren) Norm und geht entsprechend mit Abwertung einher. Dass Transgeschlechtlichkeit aufgrund ihres VerworfenenStatus kulturelle Anerkennung fehlt, ist evident. Damit ist ein Fehlen von „anerkennende[r] Sichtbarkeit“ (Schaffer 2008a: 19) verknüpft, dem innerhalb LGBTund queerfeministischer Kontexte mit dem Aufruf zu „Mehr Sichtbarkeit!“ begegnet wird. Dass Sichtbarkeit allerdings nicht ‚unschuldig‘ ist, konnte durch die ReLektüre von Foucaults Œuvre gezeigt werden. Sichtbarkeit ist vielmehr als Ordnung zu verstehen, der die Relation von Wissen, Macht und Wahrheit eingeschrieben ist. Sie ist als wesentliches Element eines diskursiven Gefüges zu verstehen. Um die Dimension der Visualität eines diskursiven Gegenstands zu vermessen, bedarf es deshalb der Analyse der Visualitätsbedingungen, die von Normen der Sichtbarkeit durchzogen sind. Das zweite Kapitel lieferte mehr als ein reines Methodenkapitel. Auch wenn ich in dem Kapitel mein methodisches Vorgehen begründet und beschrieben habe, ging es mir vor allem darum zu zeigen, dass es im Bereich der an der qualitativen Sozialforschung orientierten Visuellen Soziologie bislang an methodischen Programmen mangelt, die die visuelle Dimension kultureller Dokumente in den Blick nehmen. Auch wenn die Einsicht, dass die gesellschaftliche Wirklichkeit (auch) durch Bilder konstituiert und zur Existenz gebracht wird (vgl. Mitchell 1994: 41), in der Visuellen Soziologie weitestgehend anerkannt ist, fehlte es bislang an Methodenprogrammen, die die Visualität von Phänomenen einerseits als Ausdruck von kollektiv geteilten Normen und Werten und andererseits als mit ästhetischem Eigensinn versehenen Bestandteil von kulturellen Dokumenten betrachten. Gerade die Diskursforschung als Forschungsbereich, der sich der Untersuchung von „kollektiv erzeugte[n] symbolische[n] Sinnsysteme[n] oder Wissensordnungen“ (Keller 2011a: 7) widmet, hat bis dato das Visuelle als analytische Dimension nur rudimentär integriert (vgl. Betscher 2013, Clarke 2012). Aus dem Grund erarbeitete ich mir im Anschluss an erste Vorschläge zu einer diskursanalytisch orientierten visuellen Analyse (vgl. Rose 2007) und an Überlegungen zur Analyse von visuellen Dokumenten mittels des Forschungsstils der Grounded Theory (vgl. Konecki 2011, Clarke 2005) ein Forschungsprogramm, das Bilder und Filme als materiale Manifestationen und als Erzeuger gesellschaftlicher Wissensordnungen fasst. Transgeschlechtlichkeit wird visuell sehr divers verhandelt. Die Medizin arbeitet mit anderen ‚Bildern von Transgeschlechtlichkeit‘ als das Betroffene im Rahmen von subkulturellen Kontexten tun. Künstlerische Fotografien, die von
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transgeschlechtlichen Menschen geschaffen werden, unterscheiden sich wiederum in ihren Darstellungsweisen von den Visualisierungsweisen, mit denen populäre Kinospielfilme Transgeschlechtlichkeit vermitteln. Diese Unterschiede begründen sich nicht nur durch die verschiedenen Formate, in denen sich jene Arten und Weisen der Sichtbarkeit realisieren. Es ist evident, dass einer Fotografie andere Sichtbarkeitsbedingungen zugrunde liegen als das bei narrativen Spielfilmen oder bei medizinischen Abbildungen der Fall ist. Die Unterschiede basieren vor allem auf den Differenzen, die sich durch die Unterschiedlichkeit der diskursiven Gefüge ergeben. Die Formierungsregeln und Strukturen von Botschaften, die auf den drei Diskursebenen (Medizin, Subkultur, Populärkultur) vorherrschen, unterscheiden sich voneinander. Die Differenz zwischen den Bedingungen der Aussageproduktion zeigt sich insbesondere in der Medizin im Vergleich zum subkulturellen Bereich. Sie ergibt sich aus der Genese des Phänomens selbst: Transgeschlechtlichkeit wurde und wird bis heute primär als abweichende und damit pathologische Geschlechtlichkeit verhandelt, die es in eine normalisierte Geschlechtlichkeit ‚umzuwandeln‘ gilt. Obwohl die Medizin mittlerweile vorgibt, Betroffene, die den Wunsch haben, ihren Körper mithilfe hormoneller und/oder chirurgischer Interventionen zu modifizieren, in ihren Bedürfnissen zu unterstützen, ist das Behandlungsprogramm nach wie vor an einem binären und heteronormativen Geschlechtsmodell orientiert und zielt auf die Herstellung eines möglichst ‚unauffälligen‘ Geschlechtsausdrucks ab, d.h. auf die Normalisierung einer als deviant gedachten Geschlechtlichkeit. Im subkulturellen Bereich finden transgeschlechtliche Menschen indes einen Ort, an dem heteronormative Zweigeschlechternormen an Wirkmächtigkeit verlieren. Gerade im queerfeministischen Kontext können alternative Geschlechtsentwürfe entfaltet werden (vgl. Schirmer 2010). Historisch gesehen wuchs der subkulturelle Bereich zu einem ‚ermöglichenden‘ Ort heran für die vielfältigen Verortungen transgeschlechtlicher Menschen aufgrund der feministischen Debatten, die dort geführt wurden: Die Auseinandersetzungen um die Rigidität und den Zwangscharakter heteronormativer Zweigeschlechtlichkeit, aber auch die Debatten darum, was es heißt, männlich bzw. weiblich zu sein, spielten eine zentrale Rolle hinsichtlich der Etablierung von subkulturellen Orten für transgeschlechtliche Menschen. Ein wesentlicher Bezugspunkt subkultureller Trans*-Kontexte stellte seit jeher der Medizindiskurs dar. Bis heute wird sich mit den prekären Vorgaben des Medizindiskurses auseinandergesetzt, der in transgeschlechtlichen Betroffenen lediglich ein transsexuelles Subjekt erkennt. Der subkulturelle Bereich dient transgeschlechtlichen Menschen mitunter als ein Möglichkeits- und Handlungsspielraum, in dem die eigene, in Widerstreit zum Medizindiskurs ausgebildete, transgeschlechtliche Subjektivität realisiert wird (vgl. Genschel 2002).
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In den auf subkultureller Ebene produzierten visuellen Dokumenten lassen sich beide Tendenzen – die Erweiterung von geschlechtlichen Möglichkeiten und der dezidierte Bezug auf das medizinisch konstruierte transsexuelle Subjekt – nachverfolgen. Zunächst habe ich jedoch im dritten Kapitel die Genese von Transgeschlechtlichkeit als medizinisches ‚Problem‘, das es zu behandeln gilt, anhand zentraler diskursiver Ereignisse nachvollzogen. Die medizinische Problematisierung von Transgeschlechtlichkeit basierte auf diskursiven Bewegungen, die nicht nur die Vorstellungen um ein ‚wahres‘ Geschlecht, ein normgerechtes (lies: heterosexuell ausgerichtetes) Begehren und Vorstellungen um einen intelligiblen GeschlechtsKörper regelten. Diese diskursiven Verläufe standen in Zusammenhang mit dem Wandel von Sichtbarkeitsordnungen. Als ausgehend von ‚abweichenden‘ (vor allem ‚hermaphroditischen‘) Körpern die Vorstellungen davon, dass es in einem Körper nur ein Geschlecht – ein entweder männliches oder weibliches – geben darf, an Konkretion und diskursiver Wirkmächtigkeit gewannen, war die medizinische Verwendung visueller Medien bereits Standard. Fotografien, Zeichnungen, später auch mikroskopische Aufnahmen, dienten als Erkenntnismedien, die das Vorhandensein eines scheinbar eindeutigen Geschlechts visuell dokumentierten. Gerade die im Kontext sexualwissenschaftlicher Bemühungen entstandenen, fotografischen Aufnahmen von ‚Hermaphroditen‘ und ‚Transvestiten‘ konstituierten ein regelrechtes visuelles Archiv an Nackt- und Genitalaufnahmen, das nicht nur der Vermessung und Klassifizierung von ‚abweichenden‘ GeschlechtsKörpern diente, sondern auch Vorstellungen über ‚normale‘ GeschlechtsKörpereigenschaften erzeugte und diskursiv in Umlauf brachte. Das visuelle Archiv stand in der Funktion, sogenannte ‚zwischengeschlechtliche‘ Phänomene überhaupt erst als Pathologien aufzufinden und zur Schau zu stellen. Es wurde in Folge vervollständigt um Bilder, die ‚zwischengeschlechtliche‘ Phänomene über inszenatorische Parameter hervorbrachten. Was sich in den medizinischen Fotografien dokumentiert, ist ein ärztlicher, binär strukturierter Blick auf Geschlechtlichkeiten. Insgesamt konnte auf der medizinischen Diskursebene eine Ästhetik der Vereindeutigung identifiziert werden, die ‚zwischengeschlechtliche‘ Phänomene über die Unterwerfung unter einen ärztlichen Blick als körperliche Abnormalitäten spektakelartig zur Schau stellt. Im Kontext des Diskurses um gleichgeschlechtliches Begehren, vor allem durch die in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts in Umlauf gebrachten, emanzipatorisch ausgerichteten Schriften des Juristen und Schriftstellers Karl Heinrich Ulrichs zur Urningsliebe, kam zum ersten Mal das Bild des „Menschen, der im falschen Körper gefangen ist“ auf, das in der Sexualwissenschaft in Folge zur
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wirkmächtigen Formel wurde, mittels der transgeschlechtliche Phänomene gedacht wurden. Das Behandlungsmanagement für Transsexuelle ruht dezidiert auf dieser Formel auf. Die Formel regelt bis heute das hegemoniale Verständnis von Transgeschlechtlichkeit, und bildet auch für zeitgenössische Ereignisse im Bereich der Populärkultur den diskursiven Hintergrund. Das in den 1960er Jahren entwickelte Behandlungsprogramm zielt bis heute auf die Herstellung eines GeschlechtsKörpers, der mit der empfundenen Geschlechtsidentität kongruent ist. Es verfährt dabei streng binaristisch und rigide, sodass geschlechtliche Vielfalt zugunsten einer Einpassung in die heteronormative Zweigeschlechterordnung getilgt wird. Während also der geschlechterambivalente Körper über medizinische Visualisierungsweisen vereindeutigt (und verAndert) wurde, so stehen auch weitere diskursive Praktiken im Dienste der Unsichtbarmachung von Geschlechtlichkeiten, welche von den beiden hegemonialen Geschlechtspositionen abweichen. Die Visualitäten, die sich sowohl auf subkultureller Ebene als auch im Bereich des Kinospielfilms zeigen, knüpfen an die Sichtbarmachung des Körpers an. Darstellungen von Körpern – nackte Körper, verschiedentlich eingekleidete Körper, Körper, die modifiziert werden, Körper, die sich von anderen Körpern visuell abheben, blessierte Körper, visuell exponierte Körperteile, empfindende und empfindsame Körper – durchziehen alle visuellen Dokumente wie ein roter Faden. Während die medizinische Diskursebene allerdings die als Bedeutungsträger verstandene Figur des_r Transsexuellen prägte, deren Visualität in der Tendenz der Objektivierung und Vereindeutigung besteht, herrscht auf subkultureller Diskursebene die Figur der Trans*person vor. Es handelt sich bei der Figur der Trans*person genau genommen um Figuren, insofern als dass deren Visualität auf verschiedene geschlechtliche Entwürfe, auf geschlechtliche Offenheit und Vielfalt, verweist. Der Asterisk in der Bezeichnung der Figur kennzeichnet diese Mannigfaltigkeit an Geschlechtlichkeit(en). Das vierte Kapitel rekonstruierte diese vielfältigen visuellen Entwürfe. Es konnte gezeigt werden, dass die zentralen visuellen Dokumente mit dem Körper „moving away from the birth-assigned sex and gender“ (Straube 2014: 32) beschäftigt sind. Sie legen den Fokus auf die vielfältigen Stufen zwischen den beiden Polen männlich und weiblich und erheben so Einspruch in die visuelle Konstruktion von Zweigeschlechtlichkeit. Der Körper wird dabei als etwas begriffen wird, das nicht als natürlich gegeben ist. Er fungiert nicht als starre Entität, die über die Geschlechtlichkeit der Betroffenen bestimmt. Er fungiert ebenso wenig als Gewand, das gewechselt wird. Vielmehr wird er als Prozesskategorie betrachtet, die mit der Ausbildung von Subjektivität verwoben ist. Die Dokumente demonstrieren die Prozesse der hormonellen, chirurgischen, vestimentären und behavioralen Modifikation des Körpers, und wurden als Dokumentation der Prozesse der geschlechtlichen Verkörperung gedeutet. Die visuelle
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Dokumentation generiert dabei ein alternatives Verständnis vom GeschlechtsKörper, insofern als dass der Fokus auf die metamorphotischen Zwischenstadien des Körpers gelegt wird, sodass dieser sich nicht mehr ohne Weiteres in ein zweigeschlechtliches Raster einpassen lässt. Vielmehr laden die Bilder vom modifizierten Körper, vom versehrten und androgynen Körper sowie die Bilder, die Genitalien hypersichtbar machen und in haptische Landschaften überführen, zu alternativen Blicken und Sehweisen auf hegemoniale GeschlechtsKörperkonstruktionen ein. Der GeschlechtsKörper wird so als ein uneindeutiger Körper sichtbar gemacht. Die Bilder unterscheiden sich von den visuellen Dokumenten auf der medizinischen Diskursebene durch die in ihnen eingeschriebenen Blickregime. Während auf medizinischer Diskursebene der ärztliche Blick die Körper der Betroffenen objektiviert und verAndert, Betroffene also die Bildobjekte darstellen, die genauestens inspiziert und in Augenschein genommen werden, so wird der so übersichtbare Körper auf subkultureller Ebene zum selbstbestimmten Ort des Umgangs mit Blicken. Das betrachtende Publikum wird gleichsam dazu eingeladen, an den Prozessen der geschlechtlichen Affirmation, an der Konstruktion des GeschlechtsKörpers, allgemein an den üblicherweise präreflexiv bleibenden Verfahren der Geschlechtskonstruktion, teilzuhaben. Dieser Umstand lässt sich mit den beiden sich diametral gegenüberstehenden Konzepten des Coming Out und des Inviting In fassen (vgl. Moore 2012a, Moore 2012b). Inviting In stellt eine alternative Praxis zum Coming Out dar. Ein Coming Out beruht darauf, den eigenen marginalisierten Subjektstatus offen zu legen, ihn sozusagen sichtbar zu machen. Dadurch wird die eigene Positionierung stets in Relation zur Norm definiert. Beim Inviting In geht es demgegenüber um das bewusste und selektive Einladen bestimmter Menschen, am eigenen Leben teilzuhaben. Inviting In „functions as a means of hospitable sharing, a choice to disclose to those with whom we may feel safe disclosing to, a choice to disclose when we feel ready to do so, and an opportunity to subvert heteronormativity by refusing to other ourselves, that is, to self-disclose as a means of compliance with the unspoken demand placed on all non -straight identified individuals to name ourselves as sexual minorities out of fear of being named ‚straight‘ and abnormal.“ (Moore 2012b)
Während es beim Coming Out folglich um die Positionierung auf einer Seite der Dichotomie von Verschweigen/Offenlegen bzw. unsichtbar/sichtbar geht, so konnotiert die Praxis des Inviting In die Existenz von Handlungsfähigkeit, die Fähigkeit selbst zu entscheiden, wann, wie und wem gegenüber Ausschnitte des eigenen
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(marginalisierten) Lebens mitgeteilt werden (vgl. Moore 2012a). Diese selbstermächtigende Praxis ergibt sich auf subkultureller Ebene aufgrund der Tatsache, dass transgeschlechtliche Betroffene nicht nur die Bilder vom eigenen Körper selbst produzieren, zumindest an dessen Produktion teilhaben, sondern auch die Zirkulation der Sichtbarmachungen kontrollieren. In den Einträgen auf YouTube fungieren die Blogger_innen beispielsweise – ähnlich zu Fernsehformaten – als Showhosts, die nicht nur das Publikum (über Blicke oder Ansprache) direkt adressieren, sondern auch den Ablauf ‚der Show‘ kontrollieren. Diese Form eines Selbstdiskurses realisiert sich auch im Fotoprojekt Relationship (2016). Das Künstler_innenpaar trifft selbst die Auswahl an ästhetischen Parametern, die deren Körper als gendernonkonforme Körper sichtbar machen. Sie ordnen die Fotografien so an, dass sich eine bildliche Narration ergibt, die nicht nur ihre gemeinsame Liebesbeziehung dokumentiert, sondern auch Zeugnis ablegt über die Androgynität von Körpern. Bei dem Fotoprojekt Sublime Mutations (2000) handelt es sich ebenso um die Realisierung eines Selbstdiskurses, auch wenn der transgeschlechtliche Künstler Del LaGrace Volcano die nackten, so hypersichtbar werdenden Körper anderer transgeschlechtlicher Menschen fotografiert. Was also bei Relationship und Sublime Mutations als Formen einer „Ph/Autography“ (Prosser 2000) bezeichnet werden muss, gilt hinsichtlich der Videotagebücher auf YouTube ebenso: Fotografierende bzw. filmende Subjekte und fotografierte bzw. gefilmte Objekte fallen in eins. Die Blogs auf YouTube können demgemäß als Formen einer Ph/Audiovisuality beschrieben werden. Während es im medizinischen Diskurs darum geht, die am Körper sichtbaren Merkmale von Transgeschlechtlichkeit unsichtbar zu machen, stellen die visuellen Dokumente auf subkultureller Ebene den transgeschlechtlichen Körper geradezu übersichtbar zur Schau. Sie affirmieren visuell gewissermaßen die Ambivalenz, die der transgeschlechtliche Körper zum Ausdruck bringt. Insgesamt dokumentieren sie damit eine Distanzierung zu den beiden hegemonialen Diskurspositionen (dem Mann- bzw. Frausein). Die verschiedenen, so sichtbar gewordenen transgeschlechtlichen Körper stellen Punkte in einem Feld von Normen (Normen der Zweigeschlechtlichkeit, Normen der Maskulinität bzw. Femininität, auch Körper- und Schönheitsnormen) dar, die in relativer, aber nicht absoluter Entfernung zum intelligiblen Bereich von GeschlechtsKörpern stehen. Die visuellen Entwürfe beziehen sich mitunter explizit auf normative Anrufungen. So ist den Transition Update Videos auf YouTube beispielsweise die Logik der Angleichung an hegemoniale Diskurspositionen eingeschrieben, genauso wie die verschiedenen Videoeinträge zu den vielfältigen Formen der Arbeit am Körper Bezug nehmen auf Schönheitsnormen und Normen der Selbstoptimierung; und auch bei Sublime Mutations (2000) wird die Relevanz me-
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dizinischer Kriterien hinsichtlich der Bestimmung von Geschlecht visuell aufgegriffen. Diese Bezugnahmen auf normative Vorgaben geschehen allerdings stets im Sinne ihres ‚re-workings‘, sodass alternative Sehweisen von GeschlechtsKörpern möglich werden, die als Formen einer ent-identifizierenden Artikulation („disidentification“ nach Munoz 1999) gedeutet wurden. Während sich auf medizinischer Diskursebene die Figur des Transsexuellen manifestiert, deren Visualität von einer Ästhetik der Vereindeutigung charakterisiert ist, und sich auf subkultureller Ebene die Figur der Trans*Person zeigt, deren Visualität an einer Ästhetik der VerUneindeutigung orientiert ist, so changiert die Visualität von Transgeschlechtlichkeit im Bereich des Spielfilms gewissermaßen zwischen diesen beiden Ästhetiken. Zeitgenössische Transgender Filme neigen einerseits zur visuellen VerAnderung der Trans*Figur. Andererseits sind die Filme durchzogen von Szenen, die Kritik äußern an der Verfasstheit der heteronormativen Zweigeschlechterordnung und die das Publikum für eine transgeschlechtliche Perspektive sensibilisieren. Das fünfte Kapitel dieser Arbeit zeichnete dieses Spannungsverhältnis von Stabilisation und Subversion anhand von Schlüsselszenen in den publikumswirksamsten Spielfilmen eines Transgender Cinemas – BOYS DON’T CRY (USA 1999, R: Kimberly Peirce), MA VIE EN ROSE (F 1997, R: Alain Berliner), TOMBOY (F 2011, R: Céline Sciamma), TRANSAMERICA (USA 2005, R: Duncan Tucker) und THE DANISH GIRL (USA/GB 2015, R: Tom Hooper) – nach. Das Transgender Cinema kann von einem Cinema of Gender Role Change unterschieden werden. Während Filme des Cinema of Gender Role Change die gesamte Filmgeschichte durchziehen, und narrativ auf den Wechsel des (binären) Geschlechts fokussieren, meist indem der Rollenwechsel durch widrige äußere Umstände motiviert ist (z.B. durch den Versuch, berufliche, finanzielle oder soziale Vorteile zu erlangen), sowie auf ästhetischer Ebene mit cues arbeiten, die auf das ‚Ausgangsgeschlecht‘ der sich verkleidenden Figur verweisen, so thematisiert das Transgender Cinema Transgeschlechtlichkeit nicht als pragmatischen Akt, der die Lösung eines Problems darstellt, sondern als ernsthaftes Phänomen, das die Geschlechtsidentität der Figur betrifft. Ähnlich wie beim Cinema of Gender Role Change kommt bei den zeitgenössischen Transgender Filmen allerdings der wiederholte Verweis auf das ‚Ausgangsgeschlecht‘ der Trans*Figur zur Anwendung. Geschlecht wird auch dort primär binaristisch gedacht, sodass die Diskursebene des populären Spielfilms die Figur des binären Transgenders hervorbringt, die häufig, aber nicht ausschließlich, als transsexuelle Filmfigur in Erscheinung tritt, als solche eine Sonderstellung im cisgeschlechtlichen Figurenensemble einnimmt und nur vereinzelt die Geschlechterordnung als Zweigeschlechterordnung in Frage stellt.
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Das Spannungsverhältnis von Affirmation und Subvertierung der Zweigeschlechterordnung zeigt sich in den Transgender Filmen sowohl auf Makro- als auch auf Mikroebene. Obwohl der dramaturgische Verlauf der Filme (Makroebene) an Konventionen des klassischen filmischen Erzählens (5-Akt-Modell nach Freytag [2003]) orientiert ist, der die normabweichende Geschlechtspositionierung der Hauptfigur als movens der Narration setzt, insofern als dass die geschlechtliche Transgression die Impulse für den Umschwung der Erzählrichtung gibt – von dem Versuch der heimlichen Einpassung der Trans*Figur in eine zweigeschlechtliche diegetische Welt, über das Auftreten von Hemmnissen und Hürden, die sich aus diesem zwangsverordneten Passing ergeben, bis hin zur Enttarnung der Hauptfigur als geschlechtlich abweichend von den anderen Figuren, was in der Vereinzelung und Isolation der Hauptfigur mündet –, so unterläuft die narrative Charakterisierung der Hauptfigur gleichzeitig klassische Formula der filmischen Held_innenkonstruktion, indem sich die transgeschlechtliche Figur als stabiles Figurensubjekt erweist, das ihre normabweichende Geschlechtspositionierung gerade nicht zugunsten der in den Transgender Filmen figurenungebunden und daher umso wirkmächtiger erscheinenden antagonistischen Kräfte aufgibt. Die Mikroebene der Filme ist geprägt von einer Körperästhetik der Begrenzung, die den Körper der Trans*Figur visuell zur Schau zu stellt. Diese Spektakularisierung des Körpers ist höchst problematisch, weil dadurch a) der Fokus auf den nackten Körper gelegt wird, der das Publikum fortwährend an die Diskrepanz zwischen körperlicher Beschaffenheit und transgeschlechtlicher Selbstverortung erinnert. Dafür haben sich Naked-Body-Shots etabliert, die sexuierte Körperteile, wie die Genitalien oder eine flache bzw. eine gewölbte Brust, visuell exponieren. Sie markieren den Körper der Trans*Figur nicht nur wiederholt als vom heteronormativen abweichenden, sie greifen auch die so wirkmächtige Formel des „Menschen, der im falschen Körper gefangen ist“ auf, bei der es sich um eine diskursive Manifestation von modernen Zweigeschlechter- und Körpernormen handelt. Die Spektakularisierung des Körpers betrifft b) die Fixierung der Trans*Figur im Kader, beispielsweise durch die Verwendung der Kadrage und Surkadrage, die häufig in mirror-shots zum Einsatz kommt. Diese visuellen Begrenzungen begünstigen nicht nur die voyeuristische Schaulust, die die Trans*Figur objektiviert. Sie unterlaufen auch die Funktion der Handlungsvorantreibung, die der Hauptfigur wesensgemäß zukommen sollte. Die Spektakularisierung des Körpers geht c) einher mit wiederholt auftretenden visuellen Spaltungen, die die Trans*Figur als entzweites und zerrissenes Subjekt präsentieren. Obwohl diese Einstellungen als Versuch des Ausdrucks transgeschlechtlicher Erfahrung ver-
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standen werden können, insofern als dass der emotional aufwühlende Spannungszustand zwischen empfundener Geschlechtlichkeit bei gleichzeitiger Unmöglichkeit, mit dieser Geschlechtspositionierung Anerkennung zu erfahren, vermittelt wird, so beziehen sie sich gleichwohl auf ästhetische Konventionen in der Tradition des Film Noir, bei denen visuelle Spaltungen im Dienste der Vermittlung der zwielichtigen, unauthentischen und betrügerischen Natur einer bedrohlichen Figur (meist der femme fatale) stehen. Gerade letztere Lesart erscheint dominanter, schließt sie schließlich an die jahrelange Pathologisierung von Trans*Personen auf medizinischer Ebene an. Die Transgender Filme bezeugen allerdings nicht gänzlich diskursive Tendenzen der VerAnderung und Marginalisierung. Alle Filme beinhalten vereinzelte Szenen und filmische Momente, in denen sich eine Kritik an der heteronormativen Zweigeschlechterordnung manifestiert: sei es durch intern auf die transgeschlechtliche Figur fokalisierte Metadiegesen, die dem Publikum ein Identifizieren mit und das Empfinden von Empathie für die Trans*Figur sowie den Nachvollzug einer alternativen Geschlechtspositionierung ermöglichen, sei es durch die Vermittlung von transgeschlechtlichen Desorientierungserfahrungen im Sinne Sara Ahmeds (2006), die auf eine queere Orientierung, verstanden als alternative Art und Weise der Hinwendung zu Orten, (Zweigeschlechter-, Körper- und Hetero)Normen, Menschen und Objekten, hinweisen und durch die filmische Vermittlung der Erfahrung von „[being] out of place“ (Ahmed 2006: 160) ein alternatives, von Akzeptanz, Kollektivität und Unterstützung gekennzeichnetes Bezugssystem implizieren, oder sei es durch die Umarbeitung der filmischen verzweigeschlechtlichten, heteronormativen Blickordnung zugunsten eines transgender gaze, der nicht nur Möglichkeiten der Identifikation mit der Trans*Figur eröffnet, sondern auch ein Bewusstsein für die Gewaltförmigkeit der Praxis des Blickens schafft.
6.2 AUSBLICK UND SCHLUSSBETRACHTUNGEN Die visuellen Dokumente, die auf den unterschiedlichen Diskursebenen hervorgebracht wurden und die visuelle Muster aufweisen, die dezidiert am Körper orientiert sind, konstituieren ein visuelles Archiv, das Transgeschlechtlichkeit als körperliche Problematik verhandelt. Zukünftige Forschung im Bereich der visuellorientierten Transgender Studies könnte verstärkt den Fokus auf den Prozess der Bild- und Medienwirkungen legen. Es gelte herauszuarbeiten, wie diese Visualitäten im Speziellen, z.B. durch ein cisgeschlechtliches oder ein transgeschlechtliches Publikum, rezipiert werden. Für eine umfassende Diskursanalyse müsste anschließend genauer eruiert werden, in welcher Beziehung jene Rezeptionsweisen
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zur Hervorbringung diskursiver Strukturen stehen. Neben der Analyse von Rezeptionsweisen transgeschlechtlicher (Bewegt-)Bilder wäre es ferner von Interesse zu prüfen, ob und inwiefern auch Bilder mit andersartigem Sujet, beispielsweise (Bewegt-)Bilder, die intergeschlechtliche Menschen, homo- und bisexuelle Menschen oder dezidiert nicht-binäre Menschen in den Blick nehmen, daran beteiligt sind, diskursive Deutungsmuster zu Transgeschlechtlichkeit herauszufordern. Des Weiteren müsste kritisch hinterfragt werden, inwiefern die Sichtbarmachung transitionierender Körper, normabweichender Körper, insgesamt queerer Körper, diskursiv in Zusammenhang steht mit Prozessen der Optimierung und Individualisierung. Es ist die Frage, ob die verstärkte visuelle Thematisierung normabweichender Körper eine Folge neoliberaler Tendenzen darstellt, und zwar insofern, als dass neoliberale Diskurse Selbstbestimmung und individuelle Freiheit versprechen, sodass visuelle Normalisierungsprozesse von Differenzen und Prozesse der Kommerzialisierung Hand in Hand gehen. Genauer geprüft werden müsste die Relation zwischen der Sichtbarkeit z.B. sich (geschlechtlich) verändernder Körper und diskursiven Anrufungen eines (selbst-)optimierten Selbst. Auch hierfür wäre ein analytischer Fokus auf die Prozesse der Rezeption und der Gerinnung jener ‚Betrachtungsweisen‘ zu diskursiven Botschaften sinnvoll. Auch den Bedingungen für eine anerkennende Sichtbarkeit müsste vertiefend nachgegangen werden. Wie dargelegt wurde, geschehen auf Ebene des populären Spielfilms die Einwände gegenüber einer visuell etablierten Zweigeschlechterordnung, die Transgeschlechtlichkeit vorwiegend als das Andere konstruiert, nur punktuell. Für eine anerkennende Sichtbarkeit von Transgeschlechtlichkeit bedarf es meiner Meinung nach, erstens, einer Veränderung in der Besetzungspraxis. Trans*Rollen in Spielfilmen sollten von transgeschlechtlichen statt von cisgeschlechtlichen Schauspieler_innen besetzt werden. Denn dass die eigene Betroffenheit bzw. Nicht-Betroffenheit Auswirkungen auf visuelle Muster hat, bezeugen die Differenzen, die sich in den Sichtbarkeitspolitiken des transgeschlechtlichen Körpers auf subkultureller Ebene im Gegensatz zur Ebene des populären Spielfilms zeigen. Die Forderung nach einer Veränderung der Besetzungspraxis wird sehr stark von transgeschlechtlichen Menschen gefordert. Zweitens braucht es eine veränderte Repräsentationspolitik. Um der Tendenz der VerAnderung entgegenzuwirken, sollten mehrere Filmfiguren vorhanden sein, die entweder transgeschlechtlich, zumindest queer verortet (im weitesten Sinne) sind, und die nicht auf ihre Transgeschlechtlichkeit bzw. Queerness reduziert werden. Orientiert werden könnte sich an dem Topside Test, den die beiden Journalist_innen Riley McLeod und Tom Leger im Jahre 2013 veröffentlicht haben. Obwohl der Test auf die Repräsentation von Trans*Figuren in der Literatur abzielt, kann er zweifelsohne auf den Filmbereich angewendet werden. Analog zum
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Bechdel Test fragt der Test, ob in einem Werk mehr als eine transgeschlechtliche Figur vorhanden seien, die sich innerhalb der diegetischen Welt kennen und über etwas Anderes als über medizinische Prozeduren sprechen (vgl. Leger und McLeod 2013: 5ff.). Allgemein darf es hinsichtlich der Visualität von Transgeschlechtlichkeit nicht nur um Darstellungs- und Sichtbarkeitsparameter gehen, sondern auch und vor allem um die Frage, inwieweit transgeschlechtliche Menschen diese Darstellungen mitgestalten (vgl. Krauß 2018: 184). Drittens benötigt eine Transgeschlechtlichkeit anerkennende Sichtbarkeit eine Veränderung in den Visualitätspolitiken, d.h. eine Ästhetik, die wegkommt von der visuellen VerAnderung und Objektivierung von nackten Körpern hin zu alternativen Arten und Weisen, transgeschlechtliche Betroffenheiten zu vermitteln. Eine zukünftige „Einkleidung“ der transgeschlechtlichen Körper ist auch deshalb zentral, weil sie eine Veränderung der so problematischen Formel, mittels derer Transgeschlechtlichkeit üblicherweise und vor allem durch den hegemonialen Medizindiskurs verstanden wird, bewirken könnte. Dass ich für eine „Einkleidung“ plädiere, bedeutet allerdings nicht, dass ich die Wichtigkeit, die das Körperliche für transgeschlechtliche Menschen einnimmt, unterschlagen sehen will. Ich bin mir der Tatsache bewusst, dass das Körperliche (und Leibliche) eine zentrale Rolle hinsichtlich der eigenen Geschlechtlichkeit spielt. Die visuellen Dokumente aus subkultureller Ebene bezeugten diesen Umstand. Ich spreche mich für Visualitätspolitiken aus, die weitere Wege finden, Körperlichkeit zu vermitteln. Ein Beispiel dafür, wie transgeschlechtliche Körperlichkeit (alternativ und ergänzend) vermittelt werden kann, liefert die fotografische Serie Screened-In (2016) der transgeschlechtlichen Aktivist_in und Autor_in1 Leslie Feinberg.2 Die auf der social media Plattform Flickr veröffentlichte Fotoserie umfasst 119 Fotografien, die Feinberg im letzten Jahr vor ihrem Tod aufgenommen hat. Feinberg litt seit den 1970er Jahren an einer Zeckenbiss bedingten chronischen Borreliose, die dazu führte, dass sie ihre eigene Wohnung nicht mehr verlassen konnte. Die Fotos dokumentieren die Nachbarschaft von Hawley-Green (Syracuse, NY). Feinberg fotografierte vorwiegend aus ihrem eigenen Fenster (vgl. Abb. 81-83). Obwohl die Fotografien fast gänzlich ohne das Abbilden von menschlichen Gestalten auskommen und stattdessen verschiedene Szenerien der Wohnumgebung in den Blick nehmen, vermitteln sie dezidiert körperliche Eindrücke. In der
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In Feinbergs Nachruf verwendet ihre Ehefrau Minnie Bruce Pratt für Leslie das Pronomen „sie“, woran ich mich nachfolgend ebenfalls orientieren werde.
2
Die 119 Fotos umfassende Serie Screened-In (2016) ist online abrufbar unter: https://www.flickr.com/photos/transgenderwarrior/albums/72157627520720784 letzt abgerufen am: 31.10.2019].
[zu-
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Serie geht die Verletzlichkeit des transgeschlechtlichen Körpers mit Unsichtbarkeit, aber nicht mit Unvermittelbarkeit einher. Vielmehr drückt sich die Verletzlichkeit bzw. die tatsächliche Verletztheit des Körpers dadurch aus, dass der Körper bildlich abwesend ist von den aufgenommenen Szenerien. Er ist allerdings impliziert durch die Kameraposition. Abbildung 81: Blue-sky Clouds (Originaltitel)
Quelle: https://www.flickr.com/photos/transgenderwarrior/6151365355/in/album7 2157627520720784/ [zuletzt abgerufen am: 31.10.2019].
Abbildung 82: Crayon Houses (Originaltitel)
Quelle: https://www.flickr.com/photos/transgenderwarrior/6139588893/ in/album-72157627520720784/ [zuletzt abgerufen am: 31.10.2019].
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Abbildung 83: Red-streak triptych (Originaltitel)
Quelle: https://www.flickr.com/photos/transgenderwarrior/6151365355/in/album-721576 27520720784/ [zuletzt abgerufen am: 31.10.2019].
Leslie Feinberg als Produzent_in der Bilder blickt von innen, aus ihrem privaten Raum, auf die ihr äußerlich bleibende soziale Welt. Die vielfältigen Sichtbarkeitsbegrenzungen, vermittelt über die Rasterungen, die Leslies Fenster bzw. ihr Balkonschutznetz vorgibt, verweisen explizit auf die Grenze zwischen Innen und Außen. Sie markieren einerseits eine Limitierung, die nicht überwunden werden kann, und fungieren so als Marker der Unmöglichkeit ungehindert am sozialen Leben teilzunehmen. Dergestalt wird die Aufmerksamkeit auf Behinderungen gerichtet, die sich in den Fotografien buchstäblich als Begrenzungen der Sichtbarkeit manifestieren, die verletzte und verletzliche Körper beeinträchtigen. Andererseits dokumentiert sich in den Fotografien die Grenze zwischen Natur und Kultur, zwischen Natürlichkeit und Unnatürlichkeit, und damit werden die Dokumente anschlussfähig für eine neue Art und Weise über Transgeschlechtlichkeit nachzudenken, oder wie es Oliver Bendorf im Transgender Studies Quarterly prägnant formulierte: „Nature matters for transgender studies because of how we map (are are mapped) along boundaries of inside and out, natural and unnatural. Bats are protected species, but that did not stop my landlord from killing one when it would not ‚stay outside where it belongs!‘ Where do we belong?“ (Bendorf 2014: 136). Sichtbarkeitsregime, die bis dato noch durch die hegemoniale Formel des „Men-
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schen, der im falschen Körper gefangen ist“ strukturiert sind, ließen sich verändern, wenn neuartige Wege der visuellen Vermittlung von transgeschlechtlicher Körperlichkeit gefunden werden. Es gilt, Visualitäten sowohl zu produzieren als auch analytisch aufzusuchen, die beispielsweise eine verkörperte transgeschlechtliche Wahrnehmung vermitteln, aber sich hinsichtlich des Bildsujets vom Körper lösen. Insbesondere das Studieren von visuellen Dokumenten, die thematisch mit Transgeschlechtlichkeit verbunden sind, wie es beispielsweise in der Screened-In Serie der Fall ist, jedoch den Blick öffnen für abstraktere Zusammenhänge von Natürlichkeit und Unnatürlichkeit, auch zwischen Mensch- und Tiersein, oder zwischen Menschlichem und Technischem, scheinen mir fruchtbare Anknüpfungspunkte zu sein. Es ist davon auszugehen, dass sich die diskursiven Ordnungen, die sich hinsichtlich der Visualität von Transgeschlechtlichkeit ergeben haben, zukünftig verändern werden, schließlich sind die diskursiven Deutungen um das Phänomen gerade, d.h. zu einem Zeitpunkt, an dem die Arbeit ihren Weg in die Öffentlichkeit findet, im Umbruch: 2018 stellte die Weltgesundheitsorganisation (WHO) ihren überarbeiteten Krankheitskatalog (ICD-11) vor, der 2022 in Kraft treten soll und in dem Transgeschlechtlichkeit nicht mehr als ‚Störung der Geschlechtsidentität‘ im Abschnitt zu ‚Mentalen und Verhaltensstörungen‘ gefasst wird. Stattdessen findet sich Transgeschlechtlichkeit nun im neuen Abschnitt „Conditions related to sexual health“ als Kategorie „Gender incongruence“. Zeitgleich zur Depathologisierung finden vermehrt Stimmen sich als nicht-binär oder genderfluid identifizierender Menschen Gehör. Auch die in Deutschland zu Beginn des Jahres 2019 eingeführte Dritte Option, die es intergeschlechtlichen Menschen ermöglicht, „divers“ als Personenstand einzutragen, wird eventuell [hoffentlich!] zu einer Modifikation des binären Geschlechtsdenkens beitragen. Dass diese diskursiven Bewegungen die Arten und Weisen der visuellen Vermittlung trans- (und auch inter-) geschlechtlicher Existenzweisen beeinflussen werden, scheint mir sehr wahrscheinlich.
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Kulturwissenschaft Gabriele Dietze
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