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German Pages 263 [267] Year 2005
Studien und Texte zu Antike und Christentum Studies and Texts in Antiquity and Christianity Herausgeber/Editor:
CHRISTOPH MARKSCHIES
(Berlin)
Beirat/Advisory Board (Berlin) • GIOVANNI C A S A D I O (Salerno) (Berkeley) • J O H A N N E S H A H N (Münster) J Ö R G R Ü P K E (Erfurt)
HUBERT CANCIK SUSANNA ELM
27
ARTI BUS
Christian Schulze
Medizin und Christentum in Spätantike und frühem Mittelalter Christliche Ärzte und ihr Wirken
Mohr Siebeck
CHRISTIAN SCHULZE, geboren 1970; Lehramtsstudium Biologie und Latein in Bochum; 1999 Promotion; 2003 Habilitation; Privatdozent für Medizingeschichte an der RuhrUniversität Bochum.
978-3-16-158663-7 Unveränderte eBook-Ausgabe 2019 ISBN 3-16-148596-3
ISSN 1436-3003 (Studien und Texte zu Antike und Christentum) Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar. © 2005 Mohr Siebeck, Tübingen. Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Das Buch wurde von Druckpartner Rübelmann in Hemsbach auf alterungsbeständiges Werkdruckpapier gedruckt und von der Buchbinderei'Schaumann in Darmstadt gebunden.
Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde von der Medizinischen Fakultät der RuhrUniversität Bochum im Jahre 2003 als Habilitationsschrift für das Fach ,Geschichte der Medizin' angenommen. Für den Druck sind verschiedene Kürzungen wie Ergänzungen vorgenommen worden. Das Manuskript ging hervor aus dem von der Deutschen Forschungsgemeinschaft, Bonn, über drei Jahre geförderten Projekt „Wissenstransfer christlicher Ärzte im Frühmittelalter". Für die freundliche finanzielle Unterstützung danke ich sehr. Meinen herzlichen Dank möchte ich Frau Prof. Dr. Irmgard Müller (Geschichte der Medizin, Bochum) aussprechen. Sie hat meine Studien mit großem Interesse begleitet und durch immer konstruktive Kritik gefördert. Ebenso sei gedankt Herrn Prof. Dr. Wilhelm Geerlings (Alte Kirchengeschichte, Bochum), der den ursprünglichen Anstoß zu diesem Projekt gab und es in theologisch-patristischer Hinsicht flankiert hat. Ohne das reiche epigraphische und papyrologische Wissen von Dr. Heinz Schaefer und PD Dr. Thomas Paulsen (Klassische Philologie, Bochum) wäre manche Frage auf diesem Gebiet unbeantwortet geblieben. Weitere wertvolle Hilfestellungen kamen von Prof. Dr. Gerhard Endreß, Prof. Dr. Hinrich Biesterfeldt (Orientalistik, Bochum) und Prof. Dr. Gotthard Strohmaier (Berlin) bei arabischorientalistischen Problemen, sowie von Prof. Dr. Klaus-Dietrich Fischer (Geschichte der Medizin, Mainz), der manchen bibliographischen wie philologischen Hinweis beisteuerte. Nicht zuletzt sei gedankt Herrn Sven Neumann (Geschichte der Medizin, Bochum), ohne dessen organisatorische und philologische Hilfe die Arbeit nicht so zügig hätte abgeschlossen werden können. Bochum, den 01.12.2004
Christian Schulze
Inhaltsverzeichnis Einleitung und Problemstellung 1. Ein neuer Blickwinkel: Leitfragen und Untersuchungsziele 1.1. Gliederung und Methodik
2. Christ und Arztberuf
1 15 19
21
2.1. Ausgangspunkt: Die Berufe von Taufbewerbern 2.1.1. Berufs-/Tätigkeitsgruppe 1: strikte Reglung des Berufsverbotes 2.1.2. Berufs-/Tätigkeitsgruppe 2: differenzierte Reglung des Berufsverbotes
22
2.2. Die Medizin im Spiegel der verbotenen Berufe 2.2.1. Der mythische Ursprung paganer Medizin 2.2.2. Das Wiederaufblühen der alten Kulte 2.2.3. Inhaltliche Aspekte
27 30 30 31
3. Christ und Arzt in Personalunion Die prosopographische Bestandsaufnahme 3.1. Epigraphische Fundstellen 3.1.1. Forschungsrückblick 3.1.2. Methodische und inhaltliche Probleme 3.1.2.1. Die Quellensituation 3.1.2.2. Heide oder Christ? 3.1.2.3. Mediziner oder Nichtmediziner? 3.1.2.4. Erfassungskriterien: Eine Zusammenfassung 3.1.3. Die Inschriften selbst 3.1.3.1. Griechische Inschriften 3.1.3.1.1. Funde mit Namensnennung 3.1.3.1.2. Funde ohne Namensnennung
21 22
34 35 35 39 39 40 42 42 45 46 46 78
VIII
Inhaltsverzeichnis
3.1.3.1.3. Unsichere Bezeugung des Arzt-/Christseins 3.1.3.2. Lateinische Inschriften 3.1.3.2.1. Funde mit Namensnennung 3.1.3.2.2. Funde ohne Namensnennung 3.1.3.2.3. Unsichere Bezeugung des Arzt-/Christseins
80 85 85 97 100
3.2. Funde auf Papyri 3.2.1. Forschungsrückblick 3.2.2. Methodische und inhaltliche Probleme 3.2.3. Die Papyrusstellen selbst
103 103 104 105
3.3. Literarische Fundstellen 3.3.1. Forschungsrückblick 3.3.2. Methodische und inhaltliche Probleme 3.3.3. Die literarischen Fundstellen selbst 3.3.3.1. Stellen mit Namensnennung 3.3.3.2. Stellen ohne Namensnennung
113 113 114 116 116 132
3.4. Zusammenfassende Beobachtungen 3.4.1. Die örtliche Verteilung 3.4.2. Eine auffallige Häufung: Corycos 3.4.3. Die zeitliche Verteilung 3.4.4. Ansehen der medizinischen Tätigkeiten
134 135 135 137 137
3.5. Eine besondere Gruppe: Christliche Ärztinnen
138
3.6. Die Amtsträger unter den christlichen Ärzten: Medizinrezeption auf allen Ebenen
143
3.7. Die absolute und die relative Anzahl der christlichen Ärzte: Bäckerinschriften als Vergleichsmaterial 3.7.1. Griechische christliche Bäcker in Inschriften 3.7.2. Lateinische christliche Bäcker in Inschriften
144 150 152
4. Das Zusammengehen von christlichem Bekenntnis und ärztlichem Beruf: Eine Ursachenforschung 4.1. Weitere Schnittmengen zwischen Christentum und Medizin: Einige Vorüberlegungen
155
155
Inhaltsverzeichnis
IX
4.2. Der ,Arzt' als Metapher
156
4.3. Erklärung der Befunde 4.3.1. Der Wandel des ärztlichen Ansehens in der frühen Kaiserzeit 4.3.2. Die christliche Öffnung hin zum heidnischen Bildungskanon 4.3.2.1. Die Artes liberales: Eine allgemeine Übersicht 4.3.2.2. Die Medizin im Verbund mit den Artes liberales
163
4.4. Die Ursachen im Spiegel der xpf|aic; / des usus iustus
179
4.5. Exkurs: Durfte ein Christ der Heilkunde vertrauen?
182
166 170 170 175
5. Synthesis: Der graeco-arabische Wissenstransfer mit neuer Faktorengewichtung
186
5.1. Parallelen zwischen frühislamischer und frühchristlicher Bildungsinfrastruktur
187
5.2. Die Vorrangstellung der Medizin oder: Das Ausblenden der klassischen Literaturgattungen
192
6. Zusammenfassung
204
Literaturverzeichnis
207
Bibliographische Abkürzungen Andere Abkürzungen Quellen Literatur Weitere Hilfsmittel Anhang A: Alphabetischer Gesamtüberblick über die antiken christlichen Ärzte Anhang B: Vorgeschichte und wichtige Stationen im graeco-orientalisehen Transfer medizinischen Wissens
207 211 211 216 233 235 241
X
Inhaltsverzeichnis
Register Bibelstellen Antike und mittelalterliche Literatur Namen Sachregister
245 245 246 251 252
Einleitung und Problemstellung 636 n. Chr.1 stirbt im westgotischen Spanien Isidor von Sevilla, ein Theologe und Sachschriftsteller, der im vierten Buch seines Hauptwerkes Etymologiae noch einmal ein letztes dürftiges Destillat dessen niederschrieb, was die Medizin der griechisch-römischen Jahrhunderte vor ihm zustandegebracht hatte2. Isidors Tod ist, neben der Schließung der neuplatonischen Akademie von Athen oder der Gründung des Benediktinerklosters Monte Cassino im Jahre 529 3 , einer jener bezeichnenden Zeitpunkte, mit dem man, trotz aller Diskussion um solche Epochengrenzen, die griechisch-römische Antike üblicherweise ausklingen läßt. Genau hundert Jahre vor Isidors Tod, am 22. April 536, wurde in Byzanz der monophysitische Christ und äpxiaxpöq Sergios (SargTs) von Res'ainä 4 zu Grabe getragen. Anders als Isidor beendete dieser Priester aus dem nördlichen Mesopotamien jedoch keine Epoche, sondern ist vielmehr der erste große für uns greifbare Repräsentant einer neuen Phase der Wissenschaftsgeschichte: Sergios 5 , der in Alexandria bei keinem Geringeren als Johannes Philoponos studiert hatte, übersetzte, so erfahren wir später von Hunain ibn Ishäq (ca.
1 Jahreszahlen beziehen sich im folgenden grundsätzlich auf die nachchristliche Zeit, es sei denn, es ist ausdrücklich der Zusatz „v. Chr." vermerkt. 2 Zum Medizinischen bei Isidor von Sevilla vgl. ausfuhrlich H.-A. SCHÜTZ, Die Schrift ,de medicina' des Isidor von Sevilla. Ein Beitrag zur Medizin im spätantiken Spanien, Gießen 1984. 3 Zu diesen „symbolischen Grenzdaten" siehe G. ENDRESS, Die wissenschaftliche Literatur, in: GAP 2: Literaturwissenschaft, hrsg. von H. GÄTJE, Wiesbaden 1987, 400-506, spez. 402. 4 Die Wiedergabe von Eigennamen ist - historisch und durch Forschungstraditionen bedingt - uneinheitlich und erfolgt nach Praktikabilitätserwägungen. Viele Personen-, Werkoder Städtenamen existieren in einer lateinischen, griechischen und/oder arabischen Version (wie hier: Sergios/Sargïs von Rês'ainâ/Res[c]haina/Resaena). Zuweilen sind der Eindeutigkeit wegen mehrere Varianten angegeben. 5 Zur Vita und zu den anderen Schriften des Sergios siehe bündig P. BRUNS, Art. Sergius von Reschaina, 3 LACL, 2002, 633; A. LUMPE, Art. Sergios von Reschaina, BBKL 9, 1995, 1432-1435. Für die philosophische Bedeutung des Sergios vgl. zudem H. HUGONNARDROCHE, Aux origines de l'exégèse orientale de la logique d'Aristote: Sergius de Res'aina (1-536), médecin et philosophe, JA 277, 1989, 1-17.
2
Einleitung und
Problemstellung
808-873) aus dessen .Sendschreiben über die Galenübersetzungen'6 (Risäla) an 'All ibn Yahyä, mindestens 27 Werke7 Galens ins Syrisch-Aramäische, daneben auch andere Texte, die nicht aus Galens Feder stammten. Man hat Sergios nicht unpassend mit Boethius verglichen 8 , der zur gleichen Zeit im Westen versuchte, Aristoteles und Piaton ins Lateinische zu übersetzen; der Vergleich endet freilich auf halber Strecke, da Boethius im Gegensatz zu Sergios über Anfänge seines ambitionierten Projekts nicht hinausgekommen ist. Die antike Medizin, die im Westen bei Isidor einen vorerst letzten Reflex fand, bekam, mit Sergios' Wirken beginnend, gleichsam ganz am anderen Ende des ehemaligen Imperium Romanum eine neue Heimstatt. Nach und nach wurde auch das Corpus Hippocraticum in den für den Transferprozeß bedeutenden Zentren Edessa und Nisibis von nestorianischen Christen ins Syrische übertragen9, andere Werke folgten. Obwohl die Ereignisse in West und Ost keine direkte innere Verbindung miteinander haben und Isidors Tod bzw. die beginnende Übertragung griechischer Medizinliteratur in eine Volkssprache des Vorderen Orients im Grunde zufallig fast nebeneinander zu stehen kommen, mag die Abfolge der Ereignisse dem modernen Betrachter merkwürdig passend erscheinen. Hier also beginnt unser Thema: Der Wissenstransfer von der alten an die aufsteigende islamische Welt 10 hatte in Gestalt von Sergios' Vorarbeiten 6
Edition und Übersetzung: ,Sendschreiben über die Galenübersetzungen': G. BERGSTRÄSSER (Hrsg.), Hunain ibn Ishäq über die syrischen und arabischen Galen-Übersetzungen, AKM 17/2, Leipzig 1925. 7 Siehe G. STROHMAIER, Der syrische und der arabische Galen, in: ANRW 2,37,2, hrsg. von W. HAASE, Berlin/New York 1994, 1987-2017, hier spez. 1997-1999; ebd. auch eine Aufstellung der betreffenden Galentitel. Die Zahl der übersetzten Schriften schwankt, je nach Zählung und Abteilung, in der Forschungsliteratur (24 oder 25 [vgl. z. B. D. JACQUART/F. MICHEAU, La médecine arabe et l'occident médiéval, Collection Islam-Occident 7, Paris 1990, 27] oder gar 37 [siehe V. NUTTON, Art. Arabische Medizin, DNP 13, 1999, 184-189]). 8
9
S o HUGONNARD-ROCHE 1 9 8 9 , 1 2 .
Alleiniger Ausgangspunkt aller Rezeptionsstränge war die Schule von Alexandria. Neben der syrisch-aramäischen und byzantinischen Rezeption lassen sich zwei weniger bedeutende Stränge ausmachen: ein armenischer und ein lateinischer um Ravenna; vgl. G. STROHMAIER, Die Rezeption und die Vermittlung: die Medizin in der byzantinischen und in der arabischen Welt, in: Die Geschichte des medizinischen Denkens. Antike und Mittelalter, hrsg. von M.D. GRMEK, München 1996, 151-181 (Anm.: 4 2 9 ^ 3 4 ) , hier 152; G. BAADER, Early Médiéval Latin Adaptations of Byzantine Medicine in Western Europe, in: Symposium on Byzantine Medicine, hrsg. von J. SCARBOROUGH, DOP 38, Washington D.C. 1984, 251-259. 10 Die Begriffe .islamisch' und ,arabisch' werden häufig fast synonym benutzt. Zu Recht hat aber U. WEISSER, Zwischen Antike und europäischem Mittelalter. Die arabischislamische Medizin in ihrer klassischen Epoche, MhJ 20, 1985, 319-341, hier 319, darauf hingewiesen, daß .islamisch' eine von der Religion geprägte Kultur, „zu der gleichwohl auch Angehörige anderer Bekenntnisse Grundlegendes beigetragen haben", bezeichnet, während .arabisch' zwar die Lingua franca der islamischen Völker war, die Araber selbst jedoch als ethnische Gruppe immer nur eine Minderheit innerhalb der Bevölkerung des islamischen
Einleitung
und
Problemstellung
3
- wenn man seine Übertragungen ins Syrische einmal so bezeichnen darf praktisch nahtlos eingesetzt, und von dieser Zwischenstation aus sollte der Weg der Übersetzungen und die Rezeption der antiken Medizin- und Wissenschaftsliteratur in Richtung Osten, weit über die Grenzen von Byzanz und des ehemaligen Imperiums hinaus, bald voranschreiten11. Im Jahre 622 (nach christlicher Zählung) begann der islamische Kalender mit der Flucht Muhammads von Mekka nach Yatrib, dem späteren Medina. Nicht einmal 100 Jahre dauerte es, bis Muhammads Nachfolger, vor allem Omar I., das neu entstandene Reich vom Atlantischen Ozean bis zum Indus ausgedehnt hatten. Auf arabischer Seite entwickelte sich währenddessen und in der sich anschließenden Phase ein großes Interesse an den hellenistischen Wissenschaften. Dies betraf die Fächer Philosophie, Astronomie oder Mathematik12 genauso wie die im folgenden primär interessierende Medizin. Man versuchte der Schriften eines Hippokrates, Erasistratos, Dioskurides, Soran, Galen und vieler anderer13 habhaft zu werden, sei es in originalsprachlichen Handschriften (freilich meist als Ausgangspunkt für Übersetzungen), sei es in einer direkten Übersetzung aus dem Griechischen ins Arabische, oder sei es über den Umweg des Syrischen. Um seltene Texte aufzuspüren, unternahm man weite Reisen, und wie Weisser bemerkt, erscheint die Auslieferung von griechischen Handschriften sogar als Forderung in Waffenstillstandsverträgen14. Zwar wohl nur arabischer Legende gehört die Mitteilung an, daß bereits unter dem Kalifen Marwän (683-685) das Lehrbuch des Presbyters Ahrun von dem Arzt Mäsargawaih aus dem Syrischen ins Arabische übertragen worden ist15, doch wann genau auch immer der Startschuß erklungen sein
Weltreiches stellten. Vgl. auch P. KUNITZSCH, Zur Problematik und Interpretation der arabischen Übersetzung antiker Texte, Oriens 25/26, 1976, 116-132, hier 116. 11 In Gestalt der sogenannten ,ersten' und ,zweiten syrischen (+ arabischen) Rezeption'; vgl. z. B. STROHMAIER 1994, 1987-2017, der seinen hervorragenden Überblick über das Fortleben Galens im Vorderen und Mittleren Orient mit diesen Begrifflichkeiten gliedert. 12 Fächer, die, stärker als die Medizin, ihre Wurzeln auch in anderen Kulturkreisen (Persien, Indien) haben oder zumindest doch teilweise über diese W e g e den Arabern vermittelt wurden. Für die Medizin gilt das Wort von F. KLEIN-FRANKE, Vorlesungen über die Medizin im Islam, Sud.Arch. Beiheft 23, Wiesbaden 1982, 82: „Wenngleich auch der Einfluß indischer Medizin im Islam noch nicht endgültig erforscht ist, so läßt sich jedoch feststellen, daß sie auf keinem Gebiet die griechische Medizin zurückgedrängt hat." 13
Vgl. die detaillierte Übersicht bei F. SEZGIN, Geschichte des arabischen Schrifttums 3: Medizin - Pharmazie - Zoologie - Tierheilkunde bis ca. 4 3 0 H., Leiden 1970, 2 0 - 1 7 1 . 14
S i e h e WEISSER 1 9 8 5 , 3 2 3 .
15
Völlig sicher scheint man sich über die Nichtauthentizität dieser Nachricht indes nicht zu sein, vgl. z. B. die einschränkenden Formulierungen bei M. ULLMANN, Die Medizin im Islam, in: HbOr, erste Abteilung: Der Nahe und der Mittlere Osten, Ergänzungsband 6, erster Abschnitt, Leiden/Köln 1970, 23; ENDRESS 1987, 406. 419; C. ELGOOD, A Medical History of Persia and the Eastern Caliphate from the Earliest Times until the Year A.D. 1932, Cambridge
1951,99.
4
Einleitung und
Problemstellung
mag - zweifellos setzte die Vermittlung von althergebrachtem Fachwissen aus dem Hellenismus an die neue Kultur sehr zügig ein. Die häufig konstatierte ,Lücke' zwischen Sergios und den ersten, gewiß nicht alle ins Reich der Fabeln zu verweisenden arabischen Übersetzungen ist klein 16 . Die Medizin nun nahm unter den aus westlichen Gefilden rezipierten Fächern zwar keine absolute Ausnahmestellung ein, gehörte aber, wie allein die bloße Zahl der übersetzten Werke andeutet, offenbar zum primär Interessanten und zu den von Anfang an17 übertragenen und studierten Fächern: „Gewiß fand medizinisches Wissen besonders frühes und reges Interesse"18. Schon der Historiker Wahb ibn Munabbih, gestorben um 730, kannte die aus dem Griechischen rezipierten vier Grundqualitäten und Säfte, die für eine gute Gesundheit gleichmäßig miteinander gemischt sein müssen 19 . Hunain zählt in seinem ,Sendschreiben über die Galenübersetzungen' mindestens 126 Werke 20 Galens auf, die um die Mitte des 9. Jahrhunderts in Bagdad als griechische Handschriften vorlagen. Quantitativ vergleichbar scheint am ehesten noch die Philosophie zu sein, doch es ist bezeichnend, daß neben der größten Autorität - Aristoteles21 - auch hier wieder Galen mit seinen logischen und philosophischen Schriften geschätzt wurde22. Bei Galen lag die Philosophie gleichsam, um eine treffende Formulierung Parets zu gebrauchen, „im Schlepptau der Medizin"23, und nicht zufällig verfaßte Galen eine Schrift dar16 Deutlicher wird die Lücke indes dann, wenn man nur das Überlieferte aneinanderreiht: Praktisch alle erhaltenen medizinischen Übersetzungen gehen auf Hunain und seine Schüler zurück, siehe G. STROHMAIER, Arabisch als Sprache der Wissenschaft in den frühen medizinischen Übersetzungen, MIOF 15, 1969, 77-85, hier 78 (wieder in: DERS., Von Demokrit bis Dante. Die Bewahrung antiken Erbes in der arabischen Kultur, Olms-Studien 43, Hildesheim/Zürich/New York 1996, 263-271, hier 264). 17
S o a u c h SEZGIN 3, 1 9 7 0 , 5.
18
ENDRESS 1 9 8 7 , 4 1 9 .
19
V g l . ULLMANN 1 9 7 0 , 2 1 ; SEZGIN 3, 1 9 7 0 , 2 0 8 .
20
Auch diese Zahl schwankt - wie schon die Zahl der von Sergios übertragenen Werke je nach Einteilung; siehe STROHMAIER 1994, 1994 f. Die üblicherweise genannte Summe von 129 Schriften geht wohl zurück auf G. BERGSTRÄSSER, Neue Materialien zu Hunain ibn Ishäqs Galenbibliographie, AKM 19/2, Leipzig 1932. 21 „Man bedenke nur, daß Aristoteles bei den Arabern eine solche Autorität genoß, wie er sie niemals in der griechischen Antike, auch nicht bei deren Ausgang, besessen hat" (F. KLEIN-FRANKE, Die klassische Antike in der Tradition des Islam, EdF 136, Darmstadt 1980, 7 [nach P.O. KRISTELLER, Renaissance Thought - The Classic, Scholastic, and Humanist Strains, Harper Torchbooks 1048, New York 1961, 28]). 22 Siehe dazu den hervorragenden Überblick bei G. STROHMAIER, Art. Arabischislamisches Kulturgebiet, I. Naher Osten, DNP 13, 1999, 161-176. 23 R. PARET, Der Islam und das griechische Bildungsgut, PhG 70, Tübingen 1950, 18-21 (das Bonmot ist eine Kapitelüberschrift, die PARET zunächst mit einem Fragezeichen versieht [ebd. 18], dann aber im positiven Sinne beantwortet [ebd. 21]: „Wenn wir bei dem Bild von vorhin bleiben wollen, müssen wir also sagen, daß ... die Philosophie im Schlepptau der ärztlichen Kunst in die islamische Welt eingeschleust worden ist.").
Einleitung und
Problemstellung
5
über, daß der gute Arzt ein Philosoph sein müsse 24 . Bekannt ist der Aphorismus des syrischen Hofarztes Yühannä ibn Mäsawaih: „Wenn Galen und Aristoteles in einer Sache übereinstimmen, dann verhält es sich auch so. Wenn sie unterschiedlicher Auffassung sind, ist es für den Verstand sehr schwer, das Richtige zu finden." 2 5
So zeigt sich Galens Nähe zu Aristoteles besonders stark bei der Propagierung des teleologischen Gedankens in der Anatomie. Überhaupt verlaufen die Grenzen zwischen den Disziplinen in der Spätantike fließend: Die .Medizin' bestand nicht nur aus trockener Fachwissenschaft. Bereits im System des Pergameners kulminiert die Verbindung verschiedener Einzelwissenschaften zu einem übergeordneten Gedankengebäude. Galens Schriften behandeln nicht nur alle Teilgebiete der Medizin selbst wie Physiologie, Chirurgie, Arzneimittellehre und vieles andere mehr, sondern auch, teilweise monographisch, Philosophie, Ethik oder linguistische Probleme. Medizin und Philosophie gehen eine oft untrennbare Verbindung miteinander ein oder sind zumindest implizit assoziiert 26 . Unter dem allbekannten Schlagwort ,Humoralpathologie' verbirgt sich neben hartem medizinischem Faktengut ein quasi-philosophisches System. Selbst astronomische Kenntnisse sind in Galens medizinischen Büchern verarbeitet. Man wird an eben dieser unerreichten Vielfalt galenischen Denkens einen entscheidenden Grund dafür festmachen dürfen, daß nicht irgendein anderer Medizinschriftsteller das Hauptaugenmerk der syrisch-arabischen Rezeption wie zuvor schon das der Schule von Alexandria auf sich zog. „Die drei Autoritäten Aristoteles, Galen und Ptolemäus, die auch noch die Wissenschaften in der islamischen Kultur beherrschen sollten, wurden unüberwindlich, weil sie auf denselben naturphilosophischen Grundvoraussetzungen fußten und sich damit gegenseitig empfahlen." 2 7
24
Quod optimus medicus sit quoque philosophus
("On ö ctpiaxcx; iaxpcx; Kai cpiXoacxpcx;
[ 1 , 5 3 - 6 3 KÜHN]). 25
Yühannä ibn Mäsawaih, Kitäb an-Nawädir at-tibblya, Übersetzung nach STROHMAIER 1996, 176 f., der den Aphorismus als „sehr naiv formuliert" empfindet. Doch dürfte dieses Verdikt nur aus der Sicht der Moderne zutreffen. Mäsawaih und andere seiner Mitstreiter, bei denen man eine fast überschwengliche Galen- bzw. Aristotelesbegeisterung konstatieren kann, werden tatsächlich so gedacht haben, und der Aphorismus scheint mir jedenfalls nicht beabsichtigt ironisch oder sonderlich naiv formuliert worden zu sein. 26
V g l . STROHMAIER 1 9 9 6 , 1 7 7 , u n d v o r a l l e m G . ENDRESS, M e d i z i n , i n : G A P 3: S u p -
plement, hrsg. von W. FISCHER, Wiesbaden 1992, 116-138, hier 117 f. (Gesamtbeitrag: Fortsetzung des Kapitels ,Die wissenschaftliche Literatur', ebd. 3-152); bezeichnenderweise waren später auch ar-RäzT, Ibn at-Taiyib, Avicenna oder Averroes jeweils Arzt und Philosoph in Personalunion (siehe ENDRESS ebd.). 27
STROHMAIER 1 9 9 4 , 1 9 8 9 .
6
Einleitung und
Problemstellung
Wenn also im folgenden der Schwerpunkt primär auf die Medizin gelegt werden soll, dann mag dies zum einen gerechtfertigt sein mit der überragenden Bedeutung Galens, der unter dem Dach der Medizin einen Gutteil der anderen Wissenschaften miteinquartiert. Zum anderen kommt der Medizin, wie skizziert, eine gewisse zeitliche Vorreiterrolle und insgesamt wohl der breiteste Platz innerhalb der rezipierten Wissenschaften zu. Die Medizin dominierte lange Zeit den Rezeptionsprozeß, und Dietrich formulierte die wohl schärfste Zuspitzung, wenn er feststellt, daß die Philosophie „für die Muslime am Anfang - und darauf kommt es an - nur subsidiären Charakter hatte und zum Verständnis der griechischen Medizin unentbehrlich war" 2 8 .
Mag diese Aussage auch allzu sehr polarisieren - die Philosophie und andere Fächer gesellten sich, wie angedeutet, wohl eher im Sinne eines Kanons zu 29 - , können wir trotz allem eine Vorrangstellung der Medizin im frühen Arabien konstatieren. Die Medizin darf aber auch deshalb unser besonderes Interesse beanspruchen, weil medizinisches Wissen und Denken in der höheren Allgemeinbildung und in anderen Literaturgattungen späterhin einen höheren Stellenwert gewinnen sollten als es aus dem griechisch-römischen Bereich her bekannt ist30. Auch für die Ausbildung einer arabischen Fachsprache hatte sie maßgeblichen Anteil 31 . Worauf diese zunächst seltsam anmutende Konzentration gerade auf die Medizin, abgesehen von arabischen Vorlieben und Praktikabilitätsgründen, ansonsten noch beruht haben könnte, soll am Ende der vorlie28 A. DIETRICH, Islam und Abendland. Vortrag, gehalten auf der Vortragsveranstaltung der Niedersächsischen Landesregierung am 25. Juni 1964, Vortragsreihe der Niedersächsischen Landesregierung zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung in Niedersachsen 29, Göttingen 1964, 22. 29 Die ordnende Hand der Philosophie im Fächerkanon und den mindestens implizit zugrundeliegenden Enzyklopädiegedanken hob jüngst heraus H.H. BIESTERFELDT, Arabischislamische Enzyklopädien: Formen und Funktionen, in: Die Enzyklopädie im Mittelalter vom Hochmittelalter bis zur frühen Neuzeit. Akten des Kolloquiums des Projekts D im Sonderforschungsbereich 2 3 1 ( 2 9 . 1 1 . - 1 . 1 2 . 1 9 9 6 ) , hrsg. von C. M E I E R , Münstersche MittelalterSchriften 7 8 , München 2 0 0 2 , 4 3 - 8 3 , spez. 4 9 . 5 2 - 5 4 (zu al-Kindl). Wenn D I E T R I C H mit .subsidiär' die ordnende und klassifizierende Kraft der Philosophie meint, konvergieren seine Aussagen letztlich wieder mit BLESTERFELDTS Ansicht; man vgl. dazu F. ROSENTHAL, The Study of Muslim Intellectual and Social History: Approaches and Methods (The Third Annual United Arab Emirates Lecture in Islamic Studies), Ann Arbor 1980, 2, der vom „philosophical and religious underpinnig of the classification of knowledge in Islam" spricht. 30 Beispiele fur die Diffusion theoretischer Medizinkenntnisse, z. B. der Humoralpathologie, in anderen arabischen Literaturgattungen, in der Allgemeinbildung oder in verschiedenen Volksschichten nennt STROHMAIER 1 9 9 6 , 1 5 8 ff. 31 Siehe STROHMAIER 1 9 6 9 , 7 7 f.: „Das Arabische ... brachte dabei gute Voraussetzungen mit, um zu einer Sprache der Wissenschaften zu werden; vielleicht sogar bessere als das Lateinische".
Einleitung und
Problemstellung
1
genden Arbeit in Gestalt einer neuen These erörtert werden: Es scheint nämlich - soviel sei vorweggenommen - auch einen bei den Christen zu verortenden Grund für das Primat der Medizin gegeben zu haben. ***
Sergios von Res'ainä war, wie bereits erwähnt, Christ, ebenso der große Übersetzer Hunain ibn Ishäq, der „Erasmus der islamischen Renaissance"32, wie auch sein Zeitgenosse Qustä ibn Lüqä33, Hunains Nachkommen bzw. Schüler und noch Spätere. Es sollte sich jetzt als ein entscheidender Faktor herausstellen, daß die arabischen Eroberer die inkorporierten Glaubensgemeinschaften nicht vertrieben, sondern weitgehend unangetastet und zunächst nur wenig diskriminiert hatten34. Christen verschiedener Glaubensrichtungen, meist aber Nestorianer35, Monophysiten und Jakobiten, finden sich jedoch nicht nur bei den Übersetzern und im medizinischen Literaturbetrieb der syrischen und später arabischen Welt, sondern auch unter den praktizierenden Ärzten und Pharmazeuten36. .Rezeption' definiert sich nicht nur durch Übersetzungsleistungen, sondern gerade auf einem Gebiet wie der Medizin auch durch das Praktizieren. Die vorliegende Arbeit versucht, dieses vielschichtige Konglomerat mit dem bislang nicht als terminus technicus etablierten Begriff 32
WlTHINGTON b e i ULLMANN 1 9 7 0 , 1 1 5 .
33
Z u i h m SEZGIN 3 , 1 9 7 0 , 2 7 0 - 2 7 4 ; STROHMAIER 1 9 9 6 , 1 7 1 .
34
Bekehrungsunwillige mußten - verkraftbare - Nachteile (Zahlung einer Kopfsteuer) in Kauf nehmen (siehe A. FERRÉ, Chrétiens de Syrie et de Mésopotamie aux deux premiers siècles de l'Islam, Islamochristiana 14, 1988, 71-106). Zu anderen Nachteilen siehe z. B. A. HOURANI, Die Geschichte der arabischen Völker, Frankfurt a. M. 2000 (= dtsch. Erstausgabe 1992, engl. Originalausgabe: London 1991, 76). 35 Anhänger des Bischofs Nestorius, der im sogenannten ,nestorianischen Streit' dafür plädierte, Maria nicht als „Gottesgebärerin" (6eoxôicoç), sondern als „Christusgebärerin" (xpiOTOTÔKOÇ) zu bezeichnen. 429 intervenierte Kyrill von Alexandria, 431 wurde Nestorius auf dem Konzil von Ephesus verurteilt. Er zog sich in sein Kloster zurück, erkannte die Unionsformel von 433 nicht an und wurde nach Petra, dann nach Ägypten verbannt. Nestorius starb um das Jahr 451. Seine zahlreichen, oft hochgebildeten Anhänger sammelten sich zunächst in Edessa (die sogenannte ,Perserschule'), von wo sie 489 aber vertrieben wurden (Schließung der Schule durch Kaiser Zeno; zu den Folgen für die Literatur des Nestorianismus und für die syrische Sprache siehe kurz ENDRESS 1987, 407 f.). Sie fanden Zuflucht in Nisibis (dort 457 Schulneugründung durch Bischof Barsauma; siehe P. BRUNS, Art. Schule, 3 LACL, 2002, 624-627, spez. 626; neben der theologischen Ausbildung wurden dort vor allem auch medizinische Vorlesungen angeboten) und bei den persischen Sassaniden zu Ktesiphon und gelangten in der Folgezeit nach Bagdad, dem neu entstandenen arabischen Zentrum der Wissenschaften und der Wissenschaftsrezeption. 36 Einen Überblick über die Verteilung der Nestorianer und Jakobiten in Vorderasien vom 9.-12. Jahrhundert verschafft die Karte bei H. JEDIN/K.S. LATOURETTE/J. MARTIN, Atlas zur Kirchengeschichte. Die christlichen Kirchen in Geschichte und Gegenwart, Freiburg u. a. 1970, 26.
8
Einleitung
und
Problemstellung
,Wissenstransfer' auszudrücken. In eben diesem graeco-orientalischen Wissenstransfer stellen wiederum die Christen einen bedeutenden Anteil des Personals. Für den durch Sergios auf der einen und durch Hunain auf der anderen Seite abgesteckten Zeitraum (also vom 6. Jahrhundert bis zum Ende des 9. Jahrhunderts) seien exemplarisch folgende Namen angeführt, deren Zahl mit Hilfe allein der Sezginschen und Ullmannschen Medizin- und Literaturgeschichten problemlos erweiterbar wäre 37 : - Ibn Atäl (ein bedeutender Arzt in Damaskus am Hof des ersten Umaiyadenkalifen Mu'äwiya [um 661-680]) 38 . - Balltiyän, der im vierten Jahr der Regierungszeit al-Mansürs (754-775) Patriarch von Alexandria wurde39. - Abu 1-Hakam (einer der Leibärzte des Mu'äwiya); er soll über 100 Jahre alt geworden sein. Seine Familie zählte mindestens drei Generationen bedeutender Ärzte40. - HasTb (ein Anhänger Galens41, lebte um 767 in Bagdad). - Gabriel (Gibril ibn BuhtTsü'), christlicher Arzt am Hofe Härün ar-RasTds (Kalif seit 786). Er verfaßte auch eine Einfuhrung in die Logik 42 . - Einer der Mäsargawaih 43 (um 810). - Salmawaih ibn Bunan (f 840, Leibarzt des Kalifen al-Mu'tasim). - Sa'Id ibn Taufil, ein Christ und Leibarzt des Herrschers Ibn Tülün (870881)44.
Viele Vertreter werden darüber hinaus auf immer anonym bleiben. Christen nahmen also offenbar fast von Anfang an hohe, verantwortungsvolle Posten unter den arabischen Herrschern ein und bildeten berühmte Ärztedynastien. Hunain selbst war nacheinander Leibarzt bei zehn Kalifen. Zu Recht wurden in der Forschung immer wieder die (Ärzte-)Schule von Edessa, Nisibis, das 37
Sie finden sich z. B. in der umfangreichen Liste arabischer Ärzte bei SEZGIN 3, 1970,
2 0 3 - 3 4 0 . Eine weitere Zusammenstellung bietet K. SABRI KOLTA, Ärztenamen der koptoarabischen Epoche, in: Ä g y p t e n und Altes Testament. Studien zu Geschichte, Kultur und Religion Ägyptens und des Alten Testamentes, Lingua restituta orientalis 20, FS für J. A s s FALG, hrsg. von R. SCHULZ/M. GÖRG, Wiesbaden 1990, 1 9 0 - 1 9 4 . 38
V g l . SEZGIN 3, 1 9 7 0 , 5.
39
S i e h e SABRI KOLTA 1 9 9 0 , 191.
40
Siehe z. B. KLEIN-FRANKE 1982, 35.
41
Siehe Ibn A b i U s a i b i ' a 1,148.
42
Siehe PARET 1950, 19; A. BAUMSTARK, Geschichte der syrischen Literatur mit A u s -
schluß der christlich-palästinensischen Texte, Bonn 1922, 227; ULLMANN 1970, 109 (Nr. 3). Hier schließt sich unser zeitlicher B o g e n s c h l a g z u m ersten Mal, denn in Gabriels Auftrag hat der erst 17jährige Hunain ibn Ishäq eine syrische Übersetzung von Galens Tiepi cpuaiKtov 5uvanEcov angefertigt. 43
Zu seiner Identifizierung siehe SEZGIN 3, 1970, 2 2 4 f.
44
S i e h e SABRI KOLTA 1 9 9 0 , 192.
Einleitung und
Problemstellung
9
bei Ktesiphon gelegene Seleucia, und, zusammen mit einer medizinischen Akademie, vor allem das gemäß Barhebraeus 45 vielleicht schon aus sassanidischer Zeit, nämlich 270-272 46 , stammende Krankenhaus von Gundesäpür als Zentren christlich-nestorianischer Tätigkeit hervorgehoben47. Eine der großen Gestalten in Gundesäpür war beispielsweise der Nestorianer und dortige Oberarzt Gürgis b. Buhtlsü' 48 , der 765, so die bekannte Anekdote, vom Kalifen in die neue Hauptstadt Bagdad gerufen wurde, um ihn dort von einem Magenleiden zu heilen. Fast drei Jahrhunderte lang läßt sich die Ärztefamilie BuhtTsü' in Gundesäpür bzw. in Bagdad am Kalifenhof nachverfolgen. Christliche Ärzte und ein christianisierter Galenismus vermochten auf Jahrhunderte hin im medizinischen Wissenschaftsbetrieb des Vorderen Orients die Oberhand zu behalten, und speziell für den Bereich der Übersetzungen rekrutierte sich der Personenkreis in der ersten Zeit ausschließlich, und noch in der ersten Hälfte des neunten Jahrhunderts vorwiegend aus nichtmuslimischen Gruppen, wobei Angehörige der orient-christlichen Bekenntnisse aus dem syrisch-aramäischen Sprachbereich stark überwogen. Schon fast sämtliche in Hunains ,Sendschreiben' erwähnten syrischen Übersetzer waren Christen49. Selbst im 10. Jahrhundert stellten die Christen noch einen beträchtlichen Anteil. Sehr anschaulich hat speziell Meyerhof anhand der Angaben des arabischen Medizinhistorikers Ibn AbT Usaibi'a ( | 1270) die
45 = Ibn al-'Ibrl (f 1286/9, Mediziner und Verfasser einer Dynastiengeschichte, die in Auszügen erhalten ist (siehe die Edition: Barhebraeus, Ta'rlch muchtasar ad-duwal [hrsg. von A. SÄLRÄNL], Beirut 1890). 46 Oder erst aus dem 6. Jahrhundert? Die Datierungsansätze schwanken in extremem Maße; vgl. im einzelnen F.R. HAU, Gondeschapur - eine Medizinschule aus dem 6. Jahrhundert n. Chr., Gesnerus 36, 1979, 98-115, hier 99, mit Verweis auf K. HUMMEL, Die Anfänge der iranischen Hochschule Gundischapur in der Spätantike, Tübinger Forschungen 9, 1963, 1-4. 47 Z. B. ULLMANN 1970, 21 f.; siehe auch ENDRESS 1987, 405 f.: „Von Gondesäpür fuhren sodann direkte Verbindungen nach Bagdad, wo berühmte Ärzte der Schule wirkten" (ebd. 408). Eine Übersicht zur historischen Entwicklung der „Medizinschule" von Gundesäpür, zu ihren Lehrer und Lehren bei HAU 1979. 48
S i e h e K.LEIN-FRANKE 1 9 8 2 , 4 0 ; SEZG1N 3 , 1 9 7 0 , 2 0 9 f.; ULLMANN 1 9 7 0 , 1 0 8 , u n d G .
GRAF, Geschichte der christlichen arabischen Literatur 2: Die Schriftstellerei bis zur Mitte des 15. Jahrhunderts, StT 133, Vatikan 1947, 109 f. 49 Wir dürfen dies deshalb schlußfolgern, weil Hunain eine Ausnahme ausdrücklich gekennzeichnet hat (die Nr. 119), vgl. G. STROHMAIER, Sabische und christliche Syrer in Hunains Sendschreiben über die Galenübersetzungen, in: Der Vordere Orient in Antike und Mittelalter. FS H. SIMON, Humboldt-Universität zu Berlin. Berichte 7, Heft 10, Berlin 1987, 15-20 (wieder in: DERS., Von Demokrit bis Dante. Die Bewahrung antiken Erbes in der arabischen Kultur, Olms-Studien 43, Hildesheim/Zünch/New York 1996, 193-198, hier 18 [196]).
10
Einleitung und
Problemstellung
Zahl der nestorianischen Ärzte im Vergleich mit Vertretern anderer religiöser Bekenntnisse vom 9. bis zum 11. Jahrhundert festgestellt 50 :
9. Jhd. 10. Jhd. 11. Jhd.
Nestorianer 130 29 4
Sabier 3 4 0
Juden 3 6 7
Muslime 5 30 viele
Fassen wir hier einmal zusammen: Vielleicht deuten bereits diese kurzen Hinweise an, daß den Christen der ausgehenden Antike und während des Aufstiegs der orientalischen Welt eine gewisse, qualitativ und quantitativ im folgenden noch näher zu bestimmende Rolle beim Transfer des hellenistischen Wissens zukommt 51 , sei es nun als Übersetzer, Schul- oder Akademienleiter, sei es, speziell fiir die Medizin, als praktizierende und schriftstellernde Ärzte. Glücklicherweise fristet die Leistung jener Christen in der Forschung immerhin kein ,Fußnotendasein' mehr; sie kann, wie es mittlerweile in fast jedem Kompendium der Medizingeschichte heißt, „in der Tat kaum überschätzt werden." 52 Baumstark erhob die Vermittlerrolle speziell der syrischen Christen etwas blumig gar zur „im Gesamtrahmen menschlicher Geistesgeschichte wohl wichtigste[n] Aufgabe" 5 3 . ***
Der Wissensübergang von der antik-hellenistischen an die arabischmittelalterliche Welt breitet sich dem modernen Betrachter als ein höchst komplexer Vorgang aus. Zahlreiche Stationen spielen eine Rolle, Stationen, deren Gewichtung untereinander keineswegs unumstritten ist: Zunächst einmal die Schule von Alexandria 54 als Ausgangspunkt, 642 von den Arabern 50 Siehe M. MEYERHOF, Von Alexandrien nach Bagdad. Ein Beitrag zur Geschichte des philosophischen und medizinischen Unterrichts bei den Arabern, in: SPAW.PH 1930, 3 8 9 429, hier spez. 116 f. 51 Eine Liste der wichtigsten christlichen Übersetzer im Bereich der Philosophie stellt zusammen B. SPULER, Hellenistisches Denken im Islam (Vortrag, gehalten am 17. September 1953 vor der 22. Deutschen Historikertagung in Bremen), Saec. 5, 1954, 179-193, hier spez.
181. 52 F.R. HAU, Islamische Krankenhäuser als Zentren der Pflege und Lehre, in: Meilensteine der Medizin, hrsg. von H. SCHOTT, Dortmund 1996, 138-142, hier 138 f. 53
54
BAUMSTARK 1 9 2 2 , 2 2 7 . V g l . a u c h G R A F 2, 1 9 4 7 , 103 ff.
Zur Geschichte, Geographie, Wirtschaft, Gesellschaftsstruktur u. ä. des spätantiken Alexandriens - also zu jenen Rahmenbedingungen, unter denen auch die Medizin betrieben wurde - siehe den soliden Überblick von H. HEINEN, Das spätantike Alexandrien, in: Ägypten in spätantik-christlicher Zeit. Einfuhrung in die koptische Kultur, hrsg. von M. KRAUSE, Sprachen und Kulturen des christlichen Orients 4, Wiesbaden 1998, 57-79; zur Wissenschaftskultur vgl. ebd., spez. 74-77.
Einleitung
und
Problemstellung
11
erobert55; dann die erste syrische Rezeption mit Sergios von Res'ainä als Protagonisten; die christlichen Ärzte und Lehrer an Zentren wie Edessa, Nisibis oder Gundesäpür; die vielen Ärzte, Pharmazeuten und Medizinschriftsteller verschiedener Nationalität und Glaubensrichtung; die zweite syrische bzw. die eigentliche arabische Rezeptionsphase, die sich primär am Namen des großen Hunain ibn Ishäq und seinem Kreis festmacht; oder die Rezeptionsund Übersetzungsförderung von Herrscherseite durch den Kalifen al-Ma'mün (813-833) 56 . In Anbetracht dieser Zahl von Faktoren unklarer Gewichtung kommt es nicht von ungefähr, wenn D. Gutas jüngst davor warnt, anzunehmen, „that all that was needed to be done, for the Arabic versions, was merely the mechanical task of rendering the Syriac translations into a cognate Semitic language under the patronage only o f an Arab elite." 57
So harrt auch die alte Frage, wem denn eigentlich - zugespitzt gesagt: Christen oder Arabern? - das Hauptverdienst beim graeco-arabischen Wissenstransfer zukomme, nach wie vor einer verbindlichen Antwort. Für beide Varianten hat man gute Argumente ins Feld gefuhrt, beide Varianten haben ihre Verfechter gefunden; die Diskussion nahm gelegentlich Züge eines ,Glaubenskampfes' an. P. Kunitzsch beispielsweise unterstreicht mit breiter Feder die Rolle der Christen, indem er sagt, die Stoffe und das Personal der Übersetzungen hätten sich aus dem Reservoir der unterworfenen, inzwischen bilinguen Bevölkerung und ihrer Institutionen ergeben; die Araber hätten daran keinen eigentlichen Anteil gehabt 58 , abgesehen von „mäzenatischer Förderung, wie sie eben von Angehörigen der Herrschaftsschicht, die über die Mittel verfugt, erwartet oder erbeten werden konnte." 59 Kunitzsch wendet sich gleich zu Beginn seiner Analyse gegen eine „suggestive Namengebung" wie „Araber als Erben und Hüter der antiken Tradition". Auch B. Landron vertritt
55 Der Lehrbetrieb wurde noch etwa 80 Jahre nach der muslimischen Eroberung aufrechterhalten (also bis etwa 719), „anscheinend in einer geistigen Isolierung", wie ULLMANN 1970, 21, anmerkt. 56
Z. B. durch den Ausbau der von ar-RasId begründeten Bibliothek (oft als Bait alhikma „Haus der Weisheit" bezeichnet) zu einer Art Akademie; vgl. F. MlCHEAU, The Scientific Institutions in the Medieval Near East, hier: The ,Bayt al-hikma' of Baghdad: A Centre of Translations?, in: Encyclopedia of the History of Arabic Science 3, hrsg. von R. RASHED u. a., London/New York 1996, 987 f. 57 D. GUTAS, Greek Thought, Arabic Culture. The Graeco-Arabic Translation Movement in Baghdad and Early 'Abbäsid Society (2 nd 4 ,h /8 ,h lO'1' Centuries), London/New York 1998,
21. 5 8
59
KUNITZSCH
1976,119.
Ebd.; KUNITZSCH unterstellt also nicht einmal bei der Vergabe von Geldmitteln einen wirklich .aktiven Auftraggeber'.
12
Einleitung und
Problemstellung
eine dezidiert christliche Perspektive, indem sie (bezogen auf die Philosophie) eine geradezu altruistische Motivation unterstellt: „Ces chrétiens [sc. die Übersetzer] se sentirent une responsibilité, presque une vocation, dans la transmission de l'héritage philosophique antique" 6 0 .
Es sei schon hier bemerkt, daß solche Faktoren zwar durchaus eine Rolle gespielt haben mögen, als primäre und gar alleinige Begründung aber kaum hinreichend taugen können. Gegenteilige Ansichten indes haben einen breiteren Eingang in die jüngere Literatur gefunden 61 : Spielte nicht eher das Bildungsverlangen und die Offenheit weniger „enlightened rulers" 62 auf arabischer Seite die entscheidende Rolle? Fiey macht die „curiosité" des al-MahdT als ein wichtiges Movens der Übersetzertätigkeit zu dessen Zeit aus 63 . G. Endreß, dem freilich allzu große Einseitigkeit in dieser Frage fern liegt, betont, daß eine breite Übersetzungstätigkeit erst mit der fortschreitenden Arabisierung des Vorderen Orients in Gang gekommen sei und daß man auf seiten des Islams zu der Einsicht gekommen war, sich dieser Bildung durch das alte Kulturerbe bemächtigen zu müssen, um selbst bestehen zu können 64 . Auch Endreß lokalisiert hiermit einen entscheidenden Beweggrund auf arabischer Seite, gleichsam nämlich eine ,aktive' Sorge um die eigene, langfristige Existenz, und hebt zudem mehrfach Wirken und Wirkung diverser Auftraggeber - „Kalifat, Administration und professionelle Auftraggeber" 65 - wie auch die positiven Rahmenbedingungen, so z. B. die Gründung Bagdads im Jahre 762 durch al-Mansür als neues kulturelles Zentrum, hervor. Nicht selten wird ein Kompromiß versucht. Weisser beispielsweise formuliert vorsichtig, es sei nicht allein die Wißbegierde der arabischen Oberschicht gewesen, die den Anstoß zu solchen Übersetzungen gab. „Zu einem Gutteil ging die Initiative auch von ihren neuen Untertanen aus." 66 Etwas später betont die Autorin dann aber doch „das staatlich geförderte systematische Bemühen um das antike Wissenschaftserbe" 6 7 . 60 B. LANDRON, Les chrétiens arabes et les disciplines philosophiques, POC 36, 1986, 23-45, hier 24; vgl. dazu GUTAS 1998, 3. 61 Moderne Stimmen islamischer Herkunft, die die Abhängigkeit von den Griechen und mit ihr gleich den ganzen Transferprozeß als solchen - weitgehend verdrängen oder so interpretieren, als sei die Assimilation des fremden Wissens ganz im Geiste des Islams gewesen (siehe dazu die klaren Worte von G. STR0HMA1ER, Avicenna, Beck'sche Reihe 546: Denker, München 1999, 158 f.), seien hier nicht näher betrachtet. 62
GUTAS 1 9 9 8 , 3.
63
J.M. FlEY, Chrétiens syriaques sous les Abbassides, sourtout à Bagdad (749-1258), Louvain 1980, 31; vgl. GUTAS 1998, 3, Anm. 3. 64
S i e h e ENDRESS 1 9 8 7 , 4 1 8 .
65
Ebd.
66
WEISSER 1 9 8 5 , 3 2 2 .
67
Ebd. 323.
Einleitung und
Problemstellung
13
Der Gang durch die Forschungsmeinungen sei wieder aufgenommen, wenn wir im fünften Hauptkapitel versuchen werden, unter dem Stichwort ,Synthesis* auf der Grundlage des im folgenden darzustellenden Materials selbst eine neue Gewichtung von Faktoren und Gründen vorzunehmen. Es zeichnet sich freilich schon hier ab, daß es tatsächlich wenig Sinn machen dürfte, eine solche Frage wie die nach der Katalyse eines wissenschaftlichkulturellen Rezeptionsprozesses einseitig zu Gunsten der einen oder der anderen Seite entscheiden zu wollen. Es ist ein ,Sowohl-als-auch', dem in seiner Beurteilung weder ein rein arabistischer noch übertrieben hellenozentrischer Standpunkt gerecht wird. „The Graeco-Arabic translation movement is a very complex social phenomenon and no Single circumstances, set of events, or personality can be singled out as its cause." 68
So haben auch hier beide Seiten ihren ohne weiteres nicht verrechenbaren, zum Teil untrennbar miteinander verflochtenen Anteil: Der ursprüngliche Impetus, das griechisch fixierte Wissen in eine Sprache des Orients zu übersetzen und damit einem anderen, neuen Adressatenkreis zur Verfugung zu stellen, stammt aus vor-islamischer Zeit; er personalisiert sich für uns erstmals greifbar in dem bereits mehrfach erwähnten Sergios von Res'ainä. Schon vor diesem Hintergrund, aus der zeitlichen Sukzession der Ereignisse heraus, kann man das Hauptverdienst nicht allein arabischer weitblickender Weisheit zuschreiben. Andererseits gilt: Ohne das kulturelle Umfeld, ohne jene „intellektuelle Neugier" 69 , durch die sich offenbar auch die arabischen Leser auszeichneten, hätten später die geeigneten Rezipienten gefehlt, die diesen bestaunenswerten, christlich dominierten Übersetzungs- und Lehrbetrieb bei allem supponierten Altruismus über eine lange Zeit hinweg überhaupt erst sinnvoll machten. Ohne einen fordernden und zahlenden Markt nämlich wäre die Ware, jenes aufbereitete Hellenengut, gewiß nur kurz feilgeboten worden, um dann mangels Akzeptanz aus dem Interessenshorizont beider Gruppen endgültig zu verschwinden. Es handelt sich bei dem hier nur kurz angerissenen Transferprozeß also um ein günstiges Zusammentreffen mehrerer Faktoren von christlicher wie von arabischer Seite, um eine historisch überaus fruchtbare Konstellation, in der die Christen eine bedeutende nicht aber alleinige - Rolle gespielt haben.
68
GUT AS 1998, 7.
69
STROHMAIER 1996, 152.
1. Ein neuer Blickwinkel: Leitfragen und Untersuchungsziele Das Anliegen unserer vorliegenden Untersuchung wird es sein, einem bislang wenig berücksichtigten Faktor neues Gewicht zu verleihen, einem Faktor, der freilich nicht allein für die Frage des medizinisch-philosophischen Wissenschaftstransfers von Belang ist, gerade hier aber helfen kann, die Rolle der Christen und ihre Motivation besser zu verstehen: Nur selten nämlich hat man in der zumeist aus orientalistischem Blickwinkel geführten Diskussion bislang gefragt, welches historisch gewachsene Verhältnis zur Medizin das Christentum eigentlich mitgebracht hatte - eine zweifelsohne zentrale, wie wir glauben sogar mitentscheidende Frage. „Begreiflicherweise sind die meisten Beiträge zur Erforschung der antiken Tradition im Islam von Orientalisten, Semitisten und Islamwissenschaftlern1 erbracht worden" 2 . Schon von daher bedarf es keiner Rechtfertigung, sich in dieser Untersuchung einmal aus der anderen Richtung des Zeitstrahls zu nähern und das Thema explizit von den griechisch-römisch-christlichen Wurzeln her aufzuarbeiten. Daß die Christen eine wichtige Rolle beim medizinischen Wissenstransfer aus der antiken Welt an den Orient spielten, ist als unstrittige communis opinio bereits konstatiert worden, und es sei im folgenden auch gar nicht versucht, die unserer Ansicht nach unentscheidbare Frage nach dem Hauptverdienst neuerlich aufzurollen. Vielmehr gilt es zu beleuchten, aus welchen historisch feststellbaren Beweggründen heraus gerade die Christen in einem für den unvoreingenommenen Betrachter unerwarteten Maße als Vermittler fungieren konnten, warum es also ausgerechnet Christen gleichsam zukam, diesen Prozeß von kulturgeschichtlicher Bedeutung zu katalysieren, ihn in zentraler Weise mitzugestalten. Die Frage nach dem letztlich jahrhundertelang gewachsenen Verhältnis von heidnischer Medizin und christlicher Theologie3 dürfte sich hierbei, so 1 Unzweideutig erkennbar beispielsweise an den Literaturhinweisen bei ULLMANN 1970, 1 f., Anm. 5. 2
3
K L E I N - F R A N K E 1 9 8 0 , 7.
Bei den Untersuchungen zum Verhältnis des Christentums zur Medizin ist eine deutliche Konzentration auf einzelne Kirchenväter, nämlich Augustinus, Ambrosius und Orígenes, festzustellen wie auch auf das - freilich grundlegende - Thema Christus medicus. Eine Auswahl von Literatur (alphabetisch): D.W. AMUNDSEN, Medicine and Faith in Early Christianity, BHM 56, 1982, 326-350; R. ARBESMANN, The Concept of,Christus medicus' in St. Augustine, Tr. 10, 1954, 1-28; J. COURTÈS, Saint Augustin et la médecine, in: Augustinus Magister. Congrès international Augustien, 21-24 septembre 1954, Bd. 1, Paris 1954, 43-51;
16
/. Leitfragen
und
Untersuchungsziele
unsere Ausgangshypothese, als ein entscheidender Erklärungsfaktor erwiesen. In diesem Zusammenhang sei postuliert, daß man entschieden zu spät ansetzt, wenn man den graeco-orientalischen Kulturtransfer erst mit den ÜbersetzunP. DESELAERS, Art. Arzt (Teil II, biblisch), LThK 1, 1993, 1050; G. DUMEIGE, Le Christ médecin dans la littérature chrétienne des premiers siècles, Riv.AC 48, 1972, 115-141; P.C.J. EUKENBOOM, Het Christus-Medicus-Motief in de preken van Sint Augustinus, Assen 1960; S. FERNÁNDEZ, Cristo médico, según Orígenes. La actividad médica como metáfora de la acción divina, SEAug 64, Rom 1999; G.B. FERNGREN, Early Christianity as a Religion of Healing, B H M 66, 1992, 1 - 1 5 ; G. FICHTNER, Christus als Arzt. Ursprünge und Wirkungen eines Motivs, FMSt 16, 1982, 1-18; H.J. FRINGS, Medizin und Arzt bei den griechischen Kirchenvätern bis Chrysostomus, Bonn 1959 [grundlegend]; A. VON HARNACK, Medicinisches aus der ältesten Kirchengeschichte, in: DERS., Die griechische Uebersetzung des Apologeticus Tertullianus. - Medicinisches aus der ältesten Kirchengeschichte, T U 8/4, Leipzig 1892, 3 7 - 1 4 7 [grundlegend]; R. HENGEL/M. HENGEL, Die Heilungen Jesu und medizinisches Denken, in: Der Wunderbegriff im Neuen Testament, hrsg. von A. SUHL, W d F 295, Darmstadt 1980, 3 3 8 - 3 7 3 ; M. HONECKER, Christus medicus, in: Der kranke Mensch in Mittelalter und Renaissance, hrsg. von P. WUNDERLL, Studia humaniora 5, Düsseldorf 1986, 27-43, vgl. auch: KuD 31, 1985, 307-323; J. HÜBNER, Christus medicus - Ein Symbol des Erlösungsgeschehens und ein Modell ärztlichen Handelns, KuD 31, 1985, 3 2 4 - 3 3 5 ; K. KNUR, Christus medicus?, Freiburg 1905; F. KUDLIEN, Der Arzt des Körpers und der Arzt der Seele, Clio Medica 3, 1968, 1 - 2 0 ; DERS., Art. Gesundheit, R A C 10, 1978, 9 0 2 - 9 4 5 ; N. LOHFINK, „Ich bin Jahwe, dein Arzt" (Ex 15,26), in: „Ich will euer Gott werden", hrsg. von H. MERKLEIN/E. ZENGER, SBS 100, Stuttgart 1981, 11-73; H. LUTTERBACH, Der Christus medicus und die Sancti medici. Das wechselvolle Verhältnis zweier Grundmotive christlicher Frömmigkeit zwischen Spätantike und Früher Neuzeit, Saec. 47, 1996, 2 3 9 - 2 8 1 ; M. MATOUSEK, Zur Frage des Verhältnisses des Urchristentums zur Medizin, Zeitschrift für Geschichte der Naturwissenschaften, Technik und Medizin 1, 1960, 7 4 - 7 9 ; G. MÜLLER, Medizin, Arzt und Kranker bei Ambrosius von Mailand, Freiburg i. Br. 1964; J.N. NEUMANN, Gesundheit, Krankheit und Heilung aus der Sicht des Christentums. Christus medicus - Christus als Arzt, in: Meilensteine der Medizin, hrsg. von H. SCHOTT, Dortmund 1996, 8 9 - 9 4 ; A. OEPKE, Art. iaomai, T h W N T 3, 1938 (1957), 194-215; J. OTT, Die Bezeichnung Christi als „iatros" in der urchristlichen Literatur, Kath. 90, 1910, 4 5 4 ^ t 5 8 ; B. PALMER (Hrsg.), Medicine and the Bible, Exeter 1986; A.S. PEASE, Medical Allusions in the Work of St. Jerome, HSCIPh 25, 1914, 7 3 - 8 6 ; K.H. RENGSTORFF, Die Anfange der Auseinandersetzung zwischen Christusglaube und Asklepiosfrömmigkeit, Schriften der Gesellschaft der Universität Münster 30, Münster 1953; J.P. ROHLAND, Der Erzengel Michael - Arzt und Feldherr. Zwei Aspekte des vor- und frühbyzantinischen Michaelskultes, B Z R G G 19, Leiden 1977; E. SAUSER, Christus medicus - Christus als Arzt und seine Nachfolger im frühen Christentum, T T h Z 101, 1992, 101-123; H. SCHADEWALDT, Asklepios und Christus, Die medizinische Welt 18, 1967, 1755-1761; DERS., Die Apologie der Heilkunst bei den Kirchenvätern, in: Veröffentlichungen der Internationalen Gesellschaft für Geschichte der Pharmazie NF 26, Stuttgart 1965, 115-130; H. SCHIPPERGES, „Christus Medicus" als Leitbild, in: DERS., Die Kranken im Mittelalter, München 1990, 203 ff.; DERS., Zur Tradition des „Christus medicus" im frühen Christentum und in der älteren Heilkunde, ArztChr 11, 1965, 12-20; R. TOELLNER, Art. Heilkunde/Medizin II: Historisch, TRE 14, 1985, 743-752; C.L.P. TRÜB, Heilige und Krankheit, Geschichte und Gesellschaft, Bochumer historische Studien 19, Stuttgart 1978; H.J. VOGT, Gott als Arzt und Erzieher. Das Gottesbild der Kirchenväter Orígenes und Augustinus, in: Gottesbilder. Die Rede von Gott zwischen Tradition und Moderne, hrsg. von J. HOERF.N/M. KESSLER, Stuttgart 1988, 69-86.
/ . Leitfragen
und
Untersuchungsziele
17
gen der Kalifenzeit beginnen läßt. Die römisch-hellenistischen Wurzeln wie auch das Syrische - das, wie H. Daiber völlig zu Recht beklagt, als Kulturträger zwischen Antike und Mittelalter etwas in Vergessen geraten war4 - sind für das Gesamtverständnis eines derart komplexen Rezeptionsprozesses mindestens ebenso wichtig. Diesen Prozeß durch allzu enge zeitliche Markierungen gegen die Antike hin abzugrenzen, ist allein mit einem Verweis auf Galen schon nicht angeraten: Die Beschäftigung mit ihm im Griechischen, Syrischen und Arabischen ist ein fortlaufender, kaum je unterbrochener Prozeß 5 : Auf welches Jahrhundert hätte der graeco-orientalische Transfer hier schon verzichten können? Es ist daher angeraten, die Übersetzungen des Sergios ins Syrische als erste und hinsichtlich ihrer qualitativen Bedeutung 6 keineswegs minderrangige Phase anzuerkennen. Dagegen gibt z. B. Gutas zu bedenken, die syrisch sprechenden Christen hätten die graeco-arabische Übersetzungsphase zwar vorbereitet und viel zur technischen Seite einer solchen Tätigkeit beigesteuert, „but the initiative, scientific direction, and management of the movement were provided by such a context created by early 'Abbäsid Society." 7 Damit wird Gutas allerdings dem prinzipiellen Verdienst der syrischen Christen nicht ganz gerecht, weder in der früheren ,syrischen Phase' noch unter den Arabern selbst. Mit der ersten .syrischen Phase' beginnt greifbar der graeco-orientalische Wissenstransfer als solcher. Sie ist nicht ausschließlich ein technisch-philologisches Präludium, und viele Rahmendaten ähneln denen der durch Hunain gekennzeichneten Epoche: Beide Protagonisten waren Christen, in beiden Fällen handelt es sich um eine Wissensweitergabe von West nach Ost, in beiden Fällen stellte die Medizin einen bedeutenden Anteil der Fächer, in beiden Fällen wurden die übersetzten Schriften auch zu Lehrbüchern, die man in der Praxis gern verwendete8. Außerdem grenzten sich die Syrer in den letzten vorislamischen Jahrhunderten deutlich als eine eigene Gruppe ab, bildeten separate Traditionsströme aus, und dies stärker als die meisten anderen Völker in dem von der griechischen Koiné umfaßten Ostreich: Im Zuge von Unabhängigkeitsbewegungen löste die Landessprache mehr und mehr das Griechische ab, so daß der Boden für Übersetzungen hier 4
Siehe H. DAIBER, Semitische Sprachen als Kulturvermittler zwischen Antike und Mittelalter. Stand und Aufgaben der Forschung, ZDMG 136, 1986, 2 9 2 - 3 1 3 , spez. 298. Die anregende Funktion der ersten syrischen Rezeptionsphase kann nicht oft genug betont werden ( s i e h e ENDRESS 1 9 8 7 , 4 0 6 f.). 5
V g l . JACQUART/MICHEAU 1 9 9 0 , 2 1 .
6
Natürlich nicht in ihrer quantitativen Bedeutung, obwohl auch hier gelegentlich verkannt wurde, wie produktiv Sergios - alle Fächer zusammengenommen - insgesamt doch war. 7
8
GUTAS 1998, 22.
Man vermutet, daß die von Sergios übertragenen Galenschriften zum Lehrmaterial in der Frühphase der Medizinschule von Gundesäpür wurden, siehe z. B. ELGOOD 1951, 98; HAU 1979, 108 Anm. 7 (mit weiterer Literatur).
18
I. Leitfragen
und
Untersuchungsziele
besonders nahrhaft wurde. Daß diese syrische Übersetzungsphase im Rahmen des graeco-arabischen Transferprozesses nicht zu schwach bewertet werden sollte, zeigt sich im übrigen retrospektiv auch darin, daß noch im neunten Jahrhundert mindestens die Hälfte an griechischen Texten zunächst ins Syrische und erst dann ins Arabische übertragen wurde 9 , und zwar wohl deshalb, weil die Ausübung und Lehre der Heilkunde selbst immer noch überwiegend in den Händen christlicher Syrer lag 10 . Man bemühe sich bei der Fragestellung nach dem Verhältnis der Christen zur Medizin also um eine zeitlich weitgehend uneingegrenzte Sicht, in der Griechen und Römer, Vertreter des spätantiken Hellenismus, Syrer und schließlich Araber ein kaum je unterbrochenes Rezeptions- und Traditionskontinuum gebildet haben. ***
So bedeutend die Leistungen einzelner Persönlichkeiten wie Sergios von Res'ainä 1 1 oder noch Hunain ibn Ishäq gewesen sein mögen, so hoch ihr eigenes Engagement auch war - all dies wuchs letztlich auf einem lange bestellten Boden und ist nur vor eben diesem Hintergrund verständlich, der weit in die griechisch-römischen Jahrhunderte nach Christi Geburt zurückreicht. Hier wurzeln die Leistungen eines Sergios und letztlich noch des Hunain-Clans ebenso wie die der zahllosen, namentlich oft unbekannten Christen in Edessa, Nisibis, Seleucia/Ktesiphon und Gundesäpür, ebenso die Leistungen der vielen praktisch oder fachschriftstellerisch tätigen Christenärzte im byzantinischen, speziell syrischen, und arabischen Raum. Das medizinisch-wissenschaftliche Interesse und die enge Verbundenheit der Christen mit dem Arztberuf - unabdingbare Voraussetzungen, um im skizzierten Transferprozeß überhaupt eine entscheidende Rolle spielen zu können - dürfte nun, wie supponiert, gewiß nicht erst ein Phänomen der graeco-orientalischen Rezeptions- und Transferzeit selbst sein. Eine solche conditio sine qua non entsteht nicht von heute auf morgen. Die Ausformung eines derartigen Hintergrundes bedarf wahrscheinlich einer längeren Zeitspanne und wird historisch dementsprechend weit in die griechisch-römische Zeit hinein zurückverfolgbar sein. Nur so kann im übrigen auch die gewisse .Selbstverständlichkeit' (sit venia verbo) erklärlich sein, mit der sich Christen an der Schwelle von Antike und Mittelalter als medizinische Wissens- und Kulturvermittler eingebracht haben. 9 So ist etwa die Hälfte der auf arabischer Seite rezipierten Galenwerke direkt aus dem Griechischen übersetzt worden, die anderen 50 % gelangten über die Zwischenstufe des Syrischen zu den Arabern (siehe STROHMAIER 1994, 2009 f., der akribisch nachgezählt hat). 10
S i e h e WEISSER 1 9 8 5 , 3 2 4 .
" „Daß Sergios ... eine Schlüsselfigur war, steht allerdings außer Frage" (ULLMANN 1970, 22).
I. Leitfragen
und
Untersuchungsziele
19
Gerade diese ,Selbstverständlichkeit' aber bedarf der Klärung: Brachten die Christen etwas mit, das gerade sie zum medizinischen Wissenstransfer besonders geeignet machte?
1.1. Gliederung und Methodik Ausgehend von diesen grundsätzlichen Überlegungen wird sich unsere Untersuchung zunächst der Aufgabe widmen, Verbindungen von Medizin und christlicher Theologie in der Zeit vom 2./3. Jahrhundert (wo sie erstmalig historisch sicher, d. h. nicht nur legendarisch, greifbar wird) bis etwa zum Ende des 6./Anfang des 7. Jahrhunderts aufzuzeigen. Diese Recherche, die quantitativ den Hauptteil der Arbeit ausmacht, greift also weit zurück und kehrt der syrisch-arabischen Zeit zunächst den Rücken. Der Bogen wird sich im letzten Abschnitt der Arbeit wieder schließen: Hier sollen die gewonnenen Ergebnisse dann auf die oben skizzierten Ausgangsüberlegungen zum graecoorientalischen Wissenstransfer rückbezogen werden. Der folgende Hauptteil läßt sich in vier größere Abschnitte einteilen. Die Schritte und ihre Intentionen im einzelnen: Erster
Abschnitt:
Der erste Abschnitt thematisiert die verbotenen Berufe für christliche Taufbewerber. Dieses im medizinhistorischen Zusammenhang bislang kaum beachtete Thema ist ein idealer Ausgangspunkt: Der Arztberuf nämlich fiel erstaunlicherweise nicht unter die verbotenen Tätigkeiten für Taufbewerber. Wenn aber dieser Beruf ,auf dem Papier' nicht verboten war, mußte er auch vielen Christen zugänglich sein. Zweiter
Abschnitt:
Dieser supponierte Schluß verlangt nach einer Überprüfung in praxi: So besteht der zweite Abschnitt unseres Hauptteils in einer prosopographischen Bestandsaufnahme. Diese greift weit, bis ins 2./3. Jahrhundert, zurück und befragt epigraphische, papyrologische und literarische Quellen der griechischrömischen Antike nach der Verbindung von medizinischer Tätigkeit und christlichem Bekenntnis: Wann und wo gab es Christen, die als Arzt tätig waren? In welchem sozialen, kirchlichen oder medizinischen Umfeld - gesellschaftliche Schicht, kirchliche Ämter, Bezeichnung des ärztlichen Amtes - sind diese Personen, soweit ermittelbar, zu plazieren? Diese Materialsammlung geht von der Überlegung aus, daß sowohl der frühmittelalterliche graeco-arabische Transferprozeß als auch das spätantike Zusammenwachsen von Christentum und Medizin letztlich personengebunden waren. Anhand welcher Namen kann man also konkret aufzeigen, wie sich christliches Bekenntnis und medizinische Berufsausübung im Laufe der Zeit miteinander verzahnt
20
/. Leitfragen und
Untersuchungsziele
haben? Den drei Unterpunkten - epigraphische, papyrologische und literarische Fundstellen - sind jeweils ein kurzer Forschungsrückblick und eine Reflexion methodischer Probleme vorangestellt. Dritter
Abschnitt:
In einem dritten Schritt ist eine Frage zu beantworten, die sich zwangsläufig aus dem zusammengetragenen Material ergibt: Wieso konnten sich Christen, wie die Prosopographie zeigen wird, mit einer ganz dem heidnischen Metier entstammenden Profession wie der Medizin nach und nach arrangieren, und dies in erstaunlichem Umfang? Gab es standesethische Probleme und Bedenken von christlich-intellektueller Seite, vor allem bei den Kirchenvätern? Galt der Heilversuch des Arztes gar als verwerflich, weil er gegen den Willen des krankheitssendenden Gottes verstoßen könnte? Vierter
Abschnitt:
Bezug auf den graeco-arabischen Wissenstransfer: Kann das vorgelegte Material die Rolle der Christenärzte bei der Wissensvermittlung an den Orient neu beleuchten? Welches Gewicht hat dabei die jahrhundertelang gewachsene Verbindung von Christentum und Medizin im Vergleich zu den anderen von der Forschung bislang diskutierten Faktoren? Eine diesbezügliche, neue These wird die vorliegende Arbeit beschließen.
2. Christ und Arztberuf 2.1. Ausgangspunkt: Die Berufe von
Taufbewerbern
Für unsere Frage nach dem Verhältnis der Christen zur Medizin läßt sich ein unter medizinhistorischem Blickwinkel bislang wenig beachteter Ausgangspunkt gewinnen. Die ins frühe 3. Jahrhundert1 zu datierende, vielleicht aus der Hand Hippolyts von Rom stammende2 Traditio apostolica, die bekannteste und wichtigste altchristliche Kirchenordnung3, thematisiert in Kapitel 15 f. 4 die Anmeldung zum Katechumenat, das der Taufe vorausgeht5. Zwar will keine der frühen Gemeindeordnungen - neben der Traditio apostolica die Didache (um das Jahr 100), die .syrische Didaskalie' (wohl 1. Hälfte des 3. Jahrhunderts) und die ,apostolische Kirchenordnung' aus dem 3. oder frühen 4. Jahrhundert6 - nach Art eines Gesetzbuches das Gemeindeleben regeln 7 , doch bedurften Katechumenat und die Taufe - neben der Eucharistie das zweite zentrale Sakrament - offenbar einiger grundsätzlicher Reglungen 8 .
1 Siehe G. SCHÖLLGEN, Didache - Zwölf-Apostel-Lehre, in: Didache - Zwölf-ApostelLehre (hrsg., übers, und eingel. von G. SCHÖLLGEN) / Traditio apostolica - Apostolische Überlieferung (hrsg., übers, und eingel. von W. GEERLINGS), FC 1, Freiburg u. a. 2 1992, 13139, hier 13; auf das Jahr 215 datieren sie P.F. BRADSHAW, Art. Kirchenordnungen, Teil I, TRE 18, 1989, 667, und P. GUYOT/R. KLEIN, Das frühe Christentum bis zum Ende der Verfolgungen. Eine Dokumentation, 2 Bde., Sonderausgabe Darmstadt 1997, hier Bd. 2, 261. 2 Das Für und Wider ist dargestellt bei W. GEERLINGS, Traditio apostolica - Apostolische Überlieferung, in: Didache - Zwölf-Apostel-Lehre (hrsg., übers, und eingel. von G. SCHÖLLGEN) / Traditio apostolica - Apostolische Überlieferung (hrsg., übers, und eingel. von W. GEERLINGS), FC 1, Freiburg u. a. 2 1992, 141-343, spez. 147-149; vgl. außerdem B. STEIMER, Art. Traditio apostolica, 3LACL, 2002, 698-701. 3 Siehe STEIMER 3LACL, 2002, spez. 610. 4 Textrekonstruktion und -konstitution nach B. BOTTE, La tradition apostolique de Saint Hippolyte. Essai de reconstruction, Liturgiewissenschaftliche Quellen und Forschungen 39, hrsg. von A. GERHARDS unter Mitarbeit von S. FELBECKER, Münster 5 1989. 5 Zu Dauer, Inhalten und Entwicklungen des Katechumenats vgl. den Überblick von G. KRETSCHMAR, Art. Katechumenat/Katechumenen I, TRE 18, 1989, 1-5. 6 Die wichtigste Literatur findet sich verzeichnet bei SCHÖLLGEN 1992, 13 (siehe auch sein Literaturverzeichnis am Ende des Bandes). 7 Dafür ist die Gemeinde selbst noch zu sehr in Bewegung, siehe GEERLINGS 1992, 143. 8 Die anderen Abschnitte der Trad. ap. betreffen Grundlinien der kirchlichen Verfassung und Reglung der Ämterbestallung (Teil 1), die Taufe und Eucharistie (Teil 2), und verschiedene Einzelreglungen wie Gebetszeiten, liturgische Versammlungen oder Segnungen (Teil 3).
22
2. Christ und Arztberuf
Diese betreffen nicht nur die Prüfung der Motivation des in der Regel erwachsenen Taufbewerbers oder dessen familiärer Situation (Kap. 15)9, sondern insbesondere seinen Beruf beziehungsweise seine Tätigkeit (Kap. 16). Nicht jede bis dato ausgeübte Tätigkeit galt als vereinbar mit der Aufnahme in die christliche Gemeinde, weshalb die Traditio apostolica folgende Reglungen mit verschiedenen Verbindlichkeitsgraden trifft: 2.1.1. Berufs-ZTätigkeitsgruppe 1: strikte Reglung des Berufsverbotes Bordellbesitzer und Zuhälter, Schauspieler und Theaterdarsteller 10 , Wagenlenker, Wettkämpfer, Gladiatoren, Gladiatorenausbilder, Tierkämpfer, Organisatoren von Gladiatorenspielen 11 , Götzenpriester, Wächter von Götzenbildern, Statthalter 12 , purpurtragende Stadtmagistrate, Prostituierte, Strichjungen 13 , Magier 14 , Zauberer, Sterndeuter, Wahrsager, Traumdeuter, Scharlatane 15 , Abschneider von Münzrändern 16 und Amulett-Anfertiger werden aufgefordert, ihre jeweilige Tätigkeit aufzugeben. Sind sie dazu nicht bereit, weise man sie zurück: vel cesse{n)t vel reicia(n)tur. Einen Mittelweg, der etwa in einer Einschränkung der Tätigkeit besteht, sieht die Traditio apostolica in den bisher genannten Fällen nicht vor. 2.1.2. Berufs-ZTätigkeitsgruppe 2: differenzierte Reglung des Berufsverbotes Als differenzierter erweist sich die Bewertung folgender Berufe: Bildhauer oder Maler sollen angewiesen werden, keine Götzenbilder mehr anzufertigen; daß sie ihren Beruf als solchen aufgeben müssen, wird nicht explizit gesagt. Ein Lehrer tue gut daran, wenn er von seinem Beruf ablasse - bonum est, ut cesset - , jedoch: si non habet artem, permittatur ei - „wenn er aber keinen (anderen) Beruf hat, sei es ihm gestattet". Der Lehrerberuf gilt also 9 Beispiel (trad. ap. 15): Si quis autem non vivit cum muliere, doceatur non fornicari (nopysiieiv), sed sumere mulierem secundum legem (Katà vô(iov), vel manere sicut est. „Wenn aber jemand nicht mit einer Frau lebt, dann lehre man ihn, keine Unzucht zu treiben, sondern sich entweder eine Frau nach dem [sc. römisch-profanen] Gesetz zu nehmen oder zu bleiben, wie er ist." 10 Cyprian, ep. 2,2, erlaubt nicht einmal den Schauspielunterricht fur Christen. 11 Zu den vier letztgenannten Tätigkeiten vgl. auch die Ablehnung Tertullians, Spect.
18,1. 12
Qui habet potestatem gladii, vgl. zu dieser Übersetzung GEERLINGS 1992, 248, Anm. 44 (mit weiteren Literaturangaben). 13 Zu dieser wohl passenden Interpretation von homo luxuriosus siehe GEERLINGS 1992, 2 4 9 , A n m . 4 6 , m i t H i n w e i s a u f H . HERTER, A r t . E f f e m i n a t u s , R A C 4 , 1 9 5 9 , 6 2 0 - 6 5 0 . 14
Ein Magier soll nicht einmal zur Prüfung vor dem Katechumenat zugelassen werden. Qui turbat populum - welche (berufliche?) Tätigkeit genau gemeint ist, bleibt unklar, vgl. aber B. BOTTE, Hippolyte de Rome. La tradition apostolique d'après les anciennes versions, SCh 1 l bis , Paris 2 1968, 75, Anm. 1. 16 Eine Art Falschmünzer. 15
2.1. Die Berufe von Taufbewerbern
23
nur als unerwünscht, nicht aber als verboten. Ferner: „Ein Soldat, der unter Befehl steht, soll keinen Menschen töten. Erhält er dazu den Befehl, soll er diesen nicht ausfuhren, auch soll er keinen Eid leisten." 17 Faktisch laufen diese Anweisungen auf eine Aufgabe des Soldatenseins hinaus, auch wenn dies nicht explizit so formuliert wird. Eindeutig ist dagegen in diesem Zusammenhang die kurz darauf folgende Reglung: „Ein Katechumene, aber auch der Gläubige, der Soldat werden will, soll abgewiesen werden, weil er Gott mißachtet hat." 18 Auf die evidenten Gründe, die hinter der Ablehnung der sexuell orientierten und der gewalttätigen ,Berufe' stehen, braucht nicht näher eingegangen zu werden 19 . Es sei in diesem Zusammenhang darauf hingewiesen, daß sich beispielsweise die immer wichtiger werdende ,Soldatenfrage' in der Frühzeit, etwa bis zum Jahre 170, sowieso noch nicht stellte. Die beiden ersten Jahrhunderte des Imperium Romanum waren eine Zeit mit relativ langen Friedensperioden; man vergleiche etwa die Romrede des Aelius Aristides, der die pax Romana herausstreicht und in der Regierungszeit der Kaiser Trajan und Hadrian eine der schönsten Menschheitsepochen überhaupt sieht. „Die faktisch kleine Zahl der Christen ließ die Frage des Militärdienstes diesen selbst noch nicht als Problem erscheinen." 20 Auch Götzenpriester und Wächter von Götzenbildern können qua Amt eben nicht Christen sein. Worauf aber gründet die Tabuisierung von zunächst harmlos erscheinenden Tätigkeiten wie Schauspieler, Traumdeuter oder Lehrer? Sie fallen unter das Verdikt der,heidnischen Wurzeln', eine Begründung, die zwar in der Traditio apostolica an dieser Stelle nicht ausdrücklich genannt wird, die aber z. B. der etwa zeitgleich schreibende Tertullian (ca. 160 - nach 220) bei seiner vehementen Bekämpfung der römischen Zirkus- und Theaterspiele immer wieder anfuhrt. Ein Beispiel von vielen 21 : ... in stadio circum aemulantur, quod utique lemplum est et ipsum eius idoli, cuius sollemnitates agit. Sed et gymnicas artes Castorum et Herculum et Mercuriorum disciplinae prodiderunt.
17
Miles qui est in potestate (ÈÇoixna) non occidet hominem. Si iubetur, non exequetur rem, neque faciei iuramentum (trad. ap. 16). Catechumenus vel fidelis qui volunt fieri milites reiciantur, quia contempserunt (KocxcKppovEîv) deum (ebd.). 19 Zuhälter und Bordellbetreiber gehörten schon in der heidnischen Welt zu den verachteten Berufen; siehe GUYOT/KLEIN 1 9 9 7 , 2, 2 6 1 (mit weiteren Literaturangaben). 20 W. GEERLINGS, Die Stellung der vorkonstantinischen Kirche zum Militärdienst, Beiträge zur Friedensethik 4, Barsbüttel 1989, 1 (mit reicher Literatur zum Thema, vgl. ebd. 17 f.). 21 Tertullian, Spect. 11,4.
24
2. Christ und
Arztberuf
Die Zirkusspiele, die gymnischen Künste und viele andere Dinge, nicht nur aus dem direkten Umfeld, seien für den Christen tabu, da man sie - in einer historisierenden Argumentation - auf einen heidnischen Ursprung zurückführen könne. Ganz ähnlich wird die Begründung sein, die hinter dem Verbot der anderen genannten Berufe steht: Der Lehrer ist zu sehr Teil eines durch und durch heidnischen Schulsystems, er unterrichtet allzu heidnischen Stoff (z. B. Autoren wie Homer oder Vergil), als daß er ohne weiteres in die christliche Gemeinschaft eintreten dürfte. Der Schauspieler verdient sein Geld an der Heideneinrichtung des Theaters und fuhrt dort pagan-klassische Stücke auf. Jedes der aufgeführten Berufsverbote läßt sich letztlich nach diesem Schema begründen, und Botte befindet zu Recht: „Ce qui nous parait aujourd'hui relever du sport ou de l'art était alors empreint de paganisme de par ses origines." 22 Natürlich werden auch andere Gründe gegen das Schauspiel und Theater vorgetragen 23 : Clemens Alexandrinus beispielsweise stellt die Gefahren für Sitte und Anstand in den Vordergrund 24 . Tertullian hält das Theater gar für den Versammlungsort des Teufels 25 . Binder weist auch darauf hin, daß die christliche Taufe in vorkonstantinischer Zeit einen beliebten Mimenstoff abgab; „das Ein- oder Untertauchen des Täuflings auf der Bühne bot den willkommenen Klamauk." 26 Auch solches dürfte das ablehnende Verhältnis der frühen Christen zum Theater mitbestimmt haben. Doch nicht nur in der Traditio apostolica finden sich Berufsverbote für (angehende) Christen. So knüpft Tertullian in seiner späten, bereits aus montanistischer Sicht verfaßten Schrift De corona an einen Vorfall des Jahres 211 an: Ein Christ hatte es als Soldat verweigert, sich mit Lorbeer zu bekränzen 27 . Tertullian verteidigt dies und verbietet - schärfer noch als die Traditio apostolica - dem Christen den Militärdienst mit seinen Regeln und Bräuchen als Teil der Idololatrie 28 . In De idololatria dehnt er diese Sicht auf weitere 22
BOTTE 1 9 6 8 , 2 9 .
23
D a z u a u c h a u s f ü h r l i c h W . WEISMANN, K i r c h e und S c h a u s p i e l . D i e S c h a u s p i e l e i m U r -
teil d e r lateinischen K i r c h e n v ä t e r unter b e s o n d e r e r B e r ü c k s i c h t i g u n g v o n A u g u s t i n , C a s s . 2 7 , W ü r z b u r g 1972, hier 6 3 - 1 2 2 . 24
Siehe C l e m e n s A l e x a n d r i n u s , P a e d . 3 , 7 6 f.
25
Siehe Tertullian, Spect. 25,5; 2 7 , 3 ; vgl. G . BINDER, P o m p a diaboli - D a s H e i d e n s p e k -
takel u n d die C h r i s t e n m o r a l , in: D a s antike T h e a t e r . A s p e k t e seiner G e s c h i c h t e , R e z e p t i o n u n d Aktualität, hrsg. v o n G . BLNDER/B. EFFE, B A C 33, Trier 1998, 1 1 5 - 1 4 7 , spez. 115 f. 26
E b d . 119.
27
Siehe Tertullian, Cor.
1,1-3.
11; vgl. d a z u die detaillierten H i n w e i s e b e i GUY-
OT/KLEIN 1997, 2, 2 7 4 - 2 7 9 (mit reicher Literatur). 28
D a ß dieses D i k t u m f ü r d e n p r a k t i s c h e n Alltag nicht w e n i g e r Posten im Militär rheto-
risch g e w i ß ü b e r z o g e n w a r , b e t o n t z u R e c h t GEERLINGS 1989, 6 f., mit d e m H i n w e i s a u f die „ Ü b e r n a h m e ziviler O r d n u n g s a u f g a b e n d u r c h d a s Militär. Steuer- und Z o l l a u f g a b e n , polizeiliche O r d n u n g s f u n k t i o n e n w u r d e n d u r c h e i n f a c h e S o l d a t e n ü b e r n o m m e n . D i e s e hatten d e m e n t s p r e c h e n d nie K r i e g s d i e n s t zu verrichten. Die V e r s u c h u n g für Christen, derartige g e f a h r l o se, sozial a n g e s e h e n e u n d finanziell einträgliche B e a m t e n p o s t e n z u erlangen, war g r o ß . "
2.1. Die Berufe von Taußewerbern
25
Tätigkeiten aus, vor allem auf das sakrale Kunsthandwerk - Maler, Bildhauer, Erzgießer, Graveure, Goldsticker, Maurer und Zimmerer beim Tempelbau - , aber auch auf die Mitarbeit im römischen Staat (Ämter und Verwaltung), die zwar prinzipiell erlaubt sei, bei der aber Götzendienst gänzlich vermieden werden müsse29. „Der Fluchtpunkt seiner gesamten Argumentation ist die Idololatrie, der der Christ in einer vom Teufel und seinen Dämonen durchdrungenen Umwelt ständig ausgesetzt ist. Dabei geht es ihm nicht um den Götzendienst im strengen Sinne ..., sondern um die indirekte Idololatrie, mit der der Christ, ohne die Götter als solche anzuerkennen, mehr oder weniger bewußt einen Beitrag zu ihrer Verehrung leistet." 30
Man hat gefragt, wie rigoros die Durchsetzung dieser Vorschriften wohl gewesen sein mag. Bradshaw rät bei der Auswertung der Kirchenordnungen zur Umsicht, „da sich darin möglicherweise eher die Wunschbilder und Idealvorstellungen der jeweiligen Kompilatoren niederschlagen als die geschichtliche Lebenswirklichkeit ihrer Zeit."31 Schöllgen32 kommt nach eingehender Analyse der verschiedenen idololatria-Vorschriften Tertullians zu dem Ergebnis, daß der Bedeutungsumfang von idololatria derart stark erweitert sei, daß das Verbot - und damit implizit auch das hierauf gestützte Berufsverbot - nicht mehr konsequent angewandt werden konnte. Unklar bleibt die in diesem Zusammenhang indes nicht unwichtige Frage, wie groß eigentlich die Zahl der Christen war, die zu Tertullians Zeiten, zumindest in Tertullians Wirkungsort Karthago, den verbotenen Tätigkeiten nachging. Schöllgen hält sie für nicht unerheblich33 und zieht als Beleg dafür unter anderem den Hinweis heran, daß strikt verbotene Berufe offenbar im Einzelfall bis in den Klerus vorgedrungen waren; daß dieser Befund - wohl in Anbetracht des schmalen Überlieferungsmaterials - auch Zufall sein könnte, räumt Schöllgen selbst ein34. Geerlings hält es in bezug auf die Traditio apostolica für kaum vorstellbar, daß sich die strengen Reglungen der Berufsverbote haben durchfuhren lassen und verweist auf die Konzession, die dem Lehrerberuf und, in anderen Quel-
29 Siehe Tertullian, Idol. spez. 17. Der Autor reagierte damit offenbar auf den Wunsch mancher Christen, eine Ämterlaufbahn anzustreben; vgl. GUYOT/KLEIN 1997, 1, 447-449; M. DURST, Christen als römische Magistrate um 200. Das Zeugnis des Septimius Severus für die Christen aus dem Senatorenstand (Tertullian, ,Ad Scapulam' 4,6), JAC 31, 1988, 91-126. 30 G. SCHÖLLGEN, Die Teilnahme der Christen am städtischen Leben in vorkonstantinischer Zeit. Tertullians Zeugnis für Karthago, RQ 77, 1982, 1-29, hier 4 f. 31
32
BRADSHAW T R E 1 8 , 1 9 8 9 , 6 6 3 .
Siehe SCHÖLLGEN 1982, 1-29, hier 27. 33 Siehe G. SCHÖLLGEN, Ecclesia sordida? Zur Frage der sozialen Schichtung frühchristlicher Gemeinden am Beispiel Karthagos zur Zeit Tertullians, JAC Ergänzungsbd. 12, Münster 1984, 228. 230 u. ö. 34 Siehe ebd. 228.
26
2. Christ und
Arztberuf
len, dem Militärdienst35 gemacht wurde36. Doch gerade der Lehrerberuf war manchen christlichen Vordenkern ein besonderer Dorn im Auge 37 , und was in der Traditio apostolica noch als relativ liberal erscheint, spitzte wieder einmal Tertullian scharf zu 38 : Videamus igitur necessitatem litteratoriae eruditionis, respiciamus ex parte eam admitti non posse, ex parte vitari. Fideles magis discere quam docere litteras39 capit; diversa est enim ratio discendi et docendi. Sifldelis litteras doceat, insertas idolorum praedicationes sine dubio, dum docet, commendat, dum tradit, affirmat, dum commemorat, testimonium dicit. Deos ipsos hoc nomine obsignat, cum lex prohibeat, ut diximus, deos pronuntiari et nomen hoc in vano collocari. Hinc prima diabolo fides aedificatur ab initiis eruditionis.
Diese deutlichen Worte belegen: Für den Apologeten aus Karthago steht „der christliche Glaube im schroffen Gegensatz zu den heidnischen Elementen der antiken Bildung. Ein Christ kann daher nicht Lehrer sein."40 Tertullian schrieb in Afrika, die Traditio apostolica entstand vermutlich in Rom 41 . Der gewisse Rigorismus, den diese frühchristlichen Schriften ausstrahlen, scheint also, so meinen wir, recht weit in der Alten Kirche diffundiert zu sein 42 . Es spricht demnach nichts aktiv dagegen, daß solche Reglungen wie die Berufsverbote - vielleicht sogar das des Lehrers - im Gros der Fälle durchaus Anwendung fanden, zumindest in den ersten eineinhalb bis zwei Jahrhunderte
35 Vgl. dazu W. RORDORF, Tertullians Beurteilung des Soldatenstandes, VigChr 23, 1969, 105-141, und GEERLINGS 1989, 7, der ausfuhrt, daß sich die kategorische Verwerfung des Soldatenstandes bereits einige Jahre nach Tertullians ,Nein' wohl nicht mehr halten ließ. 36
S i e h e GEERLiNGS 1 9 9 2 , 1 8 1 .
37
S i e h e SCHÖLLGEN 1 9 8 4 , 2 3 1 f.
38
Tertullian, Idol. 10,5. 39 Mit litterae dürften die elementaren Wissenschaften gemeint sein (siehe M.M. BAYER, Tertullian zur Schulbildung der Christen: Welche Art des Unterrichts ist Gegenstand der Erörterungen im 10. Kapitel des Werkes ,De Idololatria'?, RQ 78, 1983, 186-191); vgl. auch d i e Ü b e r s e t z u n g b e i GUYOT/KLEIN 1 9 9 7 , 2, 7 5 . 40 R. SCHOLL, Das Bildungsproblem in der Alten Kirche, Zeitschrift fiir wissenschaftliche Pädagogik 10, 1964, 24—43; wieder in: Erziehung und Bildung in der heidnischen und christlichen Antike, hrsg. von H.-T. JOHANN, WdF 377, Darmstadt 1976, 503-526, hier 510. Vgl. zudem z. B. Tertullian, Praescr. 7,9-13. Das Dilemma, in dem Tertullian steckt, wird deutlich: Lernen dürfen, ja müssen auch christliche Schüler, denn die Kenntnisse aus dem Elementarunterricht waren für die Bewältigung des Alltagslebens unerläßlich (necessariae artes: Nat. 2,7,10). Lernen sei aber etwas anderes als lehren, daher dürften Christen zwar eben Schüler, aber keine Lehrer sein - ein Kompromiß, der „hart an den Rand der theologischen Inkonsequenz" führt (SCHÖLLGEN 1982, 11). 41
42
S i e h e GEERLINGS 1 9 9 2 , 1 4 8 f.
Die reservierte, ja feindliche Haltung heidnischer Bildung gegenüber sollte sich später freilich stark wandeln.
2 1. Die Berufe von
Taufljewerbern
27
des Christentums 43 . Daß sich das auf Ausbreitung und Gewinnung neuer Gläubigen bedachte Christentum dadurch selbst immer wieder zu isolieren drohte und, wie auch in der Frage des Theaterbesuchs, seine Mitglieder vom übrigen Volk ausgrenzte 44 , war eine notwendigerweise implizierte Gefahr. In späteren Jahrhunderten kann man dagegen eine unbefangenere Handhabung supponieren, wie auch z. B. das Verbot der Schauspielbesuche die Christen ab dem ausgehenden 4. Jahrhundert nicht mehr wirklich in ihrer Freizeitgestaltung zu beeinflussen vermochte 45 . Doch für die Frühzeit gilt: „Se convertir n'était pas un vain mot", konstatiert Botte zu Recht 46 , und die Auseinandersetzung mit der eigenen beruflichen Vergangenheit gehört für den Taufaspiranten unabdingbar dazu. Kretschmar hebt hervor, daß diese Anweisungen zeigen, wie eindeutig die Entscheidung ist, die mit der Anmeldung zum Katechumenat fallt 47 .
2.2. Die Medizin im Spiegel der verbotenen Berufe Schlagen wir nun den Bogen zurück zur Medizin. Zunächst gilt es zu fragen, was man in der nachchristlichen Antike unter dem Begriff ,Arzt' verstanden hat 48 . Wie sah also der ,Beruf aus, dem sich das Christentum so liberal gegenüber verhielt? Die Schwierigkeiten einer exakten Definition sind wiederholt in der Forschung besprochen worden. Offenbar kannte nicht einmal die Antike selbst eine klare Inhaltsfullung der Berufsbezeichnung medicus bzw. iatpoq. Der britische Medizinhistoriker J. Scarborough weist in diesem Zusammenhang darauf hin, daß ein Soldat, der im Heer Wundversorger war, bereits medicus hieß 49 . Auf der anderen Seite findet man für Salbenhändler und Drogenverarbeiter inschriftlich bezeugt weit differenzierte Berufsbezeichnungen (pharmacopola, unguentarius, aromatarius u. a.); sie hießen also nicht medici, obwohl sie, allein um Kunden beraten zu können, ein gewiß 43
Daher sprechen GUYOT/KLEIN 1997, 2, 261, wohl zu Recht von einer ,,restriktive[n] Aufnahmepraxis der Christen". Auch BRADSHAW TRE 18, 1989, 668, erwägt mit keinem Wort, daß die Untersagung von Berufen für zukünftige Christen vielleicht lasch gehandhabt worden wäre. Vgl. dazu ähnlich F.H. KETTLER, Art. Taufe, III. Dogmengeschichtlich, 3 RGG 6, 1 9 6 2 , 6 3 7 - 6 4 6 , s p e z . 6 3 8 . 44
Das betont zu Recht BINDER 1998, 117 f. So K. SALLMANN, Christen vor dem Theater, in: Theater und Gesellschaft im Imperium Romanum, hrsg. von J. BLÄNSDORF, Tübingen 1990, 214-223. 45
46
BOTTE 1 9 6 8 , 2 9 .
47
Siehe G. KRETSCHMAR, Die Geschichte des Taufgottesdienstes in der alten Kirche, in: Leit., hrsg. von K.F. MÜLLER/W. BLANKENBURG, Kassel 1970, 1-348, hier 70. 48 Die folgende Passage hält sich in Raffung an C. SCHULZE, Aulus Cornelius Celsus Arzt oder Laie? Autor, Konzept und Adressaten der ,De medicina libri octo', BAC 42, Trier 1999, 3 6 - 3 9 , wo das Thema bereits ausfuhrlich besprochen wurde. 49
Siehe J. SCARBOROUGH, Roman Medicine, London/Southampton 1969, 74.
28
2. Christ und
Arztberuf
manchmal tieferes Medizinwissen hatten als der durchschnittliche Feldsanitäter. Die Unschärfe der Berufsbezeichnungen medicus bzw. ia-upoq ging hin „bis zu Aufgaben, die heutzutage den Spezialisten zugeordnet werden" 50 , beispielsweise dem Zahnarzt oder dem Frauenarzt. Eine nicht zu unterschätzende definitorische Schwierigkeit ergibt sich des weiteren aus dem langen Zeitraum und den lokalen Variationsbreiten in dem riesigen geographischen Raum, den es in der vorliegenden Untersuchung zu berücksichtigen gilt 51 . Man hat oft herausgehoben, daß vor allem jegliche staatliche Kontrolle der ärztlichen Qualifikation fehlte: Es gab keine Examina, keine ,Approbation', also keine einheitlichen Richtlinien, über die man einen Arzt und seine Fähigkeiten definieren könnte 52 . So wettert Galen gegen Thessalos von Tralleis, der angeboten hatte, jeden Lernwilligen in sechs Monaten die Heilkunst zu lehren 53 . Zwar hatte damit die ärztliche Ausbildung ihren „höchsten Grad von Simplifikation" 54 erreicht, doch derartige Lehr- und Lernmethoden scheinen zumindest nicht völlig ungewöhnlich gewesen zu sein - medicus nannten sich auch die solchermaßen Eingeweihten. Das Wirken solcher Kurpfuscher hinterließ mannigfaltige sarkastische Spuren in nicht-fachwissenschaftlicher Literatur, z. B. bei Martial 1,47: Nuper erat medicus, nunc est vispillo [„Leichenträger"] Diaulus: / Quod vispillo facit, fecerat et medicus. Freilich trat diese Problematik keineswegs nur medizinspezifisch zu Tage. Für viele Berufe läßt sich kein fest umzirkeltes Lehrund Lerncurriculum feststellen, welches ein Aspirant hätte durchlaufen müssen, um sich Steinmetz, Lehrer oder Bäcker nennen zu dürfen. Speziell Handwerker - und ein medicus zählte dazu - definierten ihr wahres Können eher durch einen zunftinternen Leistungswettstreit, gleichsam im Kampf um Markt- und Kunden- (=Patienten-)Anteile. Solche Berufsgruppen genügten
50
J. KORPELA, Das Medizinpersonal im antiken Rom. Eine sozialgeschichtliche Untersuchung, Annales Academiae Scientiarum Fennicae, Dissertationes humanarum litterarum 45, Helsinki 1987, 18. 51 Dieses Problem betont zu Recht R.P.J. JACKSON, Roman Medicine: the Practitioners and their Practices, in: A N R W 2,37,1, hrsg. von W. HAASE, Berlin/New York 1993, 7 9 - 1 0 1 , spez. 79 f. 52 Siehe z. B. K.-D. FISCHER, Zur Entwicklung des ärztlichen Standes im römischen Kaiserreich, MhJ 14, 1979, 165-175, hier 169. Die ärztliche Ausbildung in ihren Facetten referieren ausfuhrlich z. B. I.E. DRABK.IN, On Medical Education in Rome, B H M 15, 1944, 3 3 3 351; J. KOLLESCH, Ärztliche Ausbildung in der Antike, Klio 61, 1979, 507-513; F. KUDLIEN, Medical Education in Classical Antiquity, in: The History of Medical Education, International Symposium February 5 - 9 , 1968, UCLA Forum in Medical Science 12, Berkeley/Los Angeles/London 1970, 3 - 3 7 . Hier kann nur auf ausgewählte Aspekte eingegangen werden. 53
Siehe Galen, Meth. med. 1,1 (10,5 KÜHN). H.M. KOELBING, Arzt und Patient in der antiken Welt, BAW. Reihe Forschung und Deutung, Zürich/München 1977, 194. 54
2.2. Die Medizin im Spiegel der verbotenen
Berufe
29
dadurch einem zwar ungeschriebenen, aber vielfach genauso verbindlichen und effektiven Kodex untereinander 55 . Definitionen des Berufes ,Arzt' sind also mit vielerlei, sich aus der historischen Situation ergebenden Unsicherheiten belastet. Als weitgehend üblicher Standard, über den eine Begriffsbestimmung erfolgen mag, sei hier angenommen, daß der angehende Arzt im Gegensatz zu einem Scharlatan überhaupt eine Fachausbildung genossen hat 56 . Entweder geschah dies privat bei einem einzelnen, in der Regel anerkannten Arzt, oder man lernte, vor allem innerhalb der Arztfamilien, von den Vorfahren, oder die Studenten besuchten eine Ärzteschule 57 . Gewiß existierten Unterschiede hinsichtlich der Dauer, des Verhältnisses von Theorie und Praxis zueinander, der Bevorzugung bestimmten Behandlungsmethoden usw., und schon die finanzielle Ausstattung des Lernenden wird der Ausbildungsqualität engere oder weitere Grenzen gesteckt haben. Doch wie auch immer die Details der Lehre im Einzelfall ausgesehen haben mögen, es gibt jedenfalls keine triftigen Gründe, für den typischen Praktiker nicht von einer regelrechten, dem Handwerk nahestehenden Ausbildung auszugehen. So sieht es auch Fischer 58 . Selbst bei Fachärzten, deren Spezialgebiete für Scharlatanerie anscheinend besonders anfällig waren 59 , wird dem Gros heute eine seriöse Handhabung der Ausbildung mit intensiver Schulung attestiert60. Eine weitere ,definitorische' Eingrenzung erscheint nicht möglich. Dies mag unbefriedigend klingen, entspricht aber der antiken Ausbildungsrealität. Das Ansinnen, den Beruf eines Römers primär über formale Qualifikationen definieren zu wollen, entspringt wohl zu sehr heutigem Selbstverständnis. Weder die Traditio apostolica noch Tertullian noch andere Quellen zählen nun, wie wir gehört haben, den Arztberuf unter die für Taufbewerber verbotenen oder zumindest unerwünschten Berufe. Dies verwundert, denn die heidni55 Nur in seltenen Fällen ist die Nachwelt über die staatliche Forderung nach einem Befähigungsnachweis unterrichtet: Wer z. B. in der Kaiserzeit Regierungsfeldmesser werden wollte, benötigte eine formale Qualifikation und mußte, so kann man einer Mitteilung des Corpus agrimensorum (grom. 1,273,15-17 BLUME/LACHMANN/RUDORFF) entnehmen, eine Art Examen ablegen. Vgl. F T. HINRICHS, Die Geschichte der gromatischen Institutionen. Untersuchungen zu Landverteilung, Landvermessung, Bodenverwaltung und Bodenrecht im römischen Reich, Wiesbaden 1974, spez. 162-165 (zur Ausbildung der Agrimensoren). 56 Vgl. dazu auch das Kapitel ,Abgrenzung des Arztes gegenüber Laien und Beschwörern' bei FRINGS 1959, 27-29, der mit charakterisierenden Aussagen der Kirchenväter (überwiegend Chrysostomus) eine Eingrenzung vorzunehmen versucht. Danach unterscheide sich der ,seriöse' Arzt von Scharlatanen insbesondere dadurch, keine Zauberpraktiken, Amulette oder Beschwörungen anzuwenden. 57
Siehe V. NUTTON, Art. Ausbildung (medizinische), DNP 2, 1997, 328 f.
58
S i e h e FISCHER 1 9 7 9 , 1 6 9 .
59
Man vgl. die Bemerkung zu ägyptischen Fachärzten bei Plinius, nat. 26,3 f. 60 So K.-W. WEEBER, Alltag im Alten Rom. Ein Lexikon, Düsseldorf/Zürich (Sonderausgabe) 3 1997, 84.
30
2. Christ und
Arztberuf
sehen Wurzeln dieses Metiers liegen und lagen ja offensichtlich vor Augen, und die Medizin sollte auch durch die gesamte (Spät-)Antike hindurch immer eine gewisse Nähe zu heidnischen Kulten bewahren. Gerade der Arzt und die Vertreter verwandter Berufe übten also eine jener Tätigkeiten aus, „qui ont des relations avec le paganisme." 61 Schöllgens Feststellung, die große Mehrheit der übrigen Berufe sei von solchem Makel frei, und brauche deshalb in de idololatria nicht behandelt zu werden 62 , erweist sich unter diesem Blickwinkel für die Medizin als zu undifferenziert. Welche paganen Bezüge der Medizin waren es, die durchaus den Argwohn eines Tertullian hätten erregen oder die Aufnahme unter die verbotenen Berufe in der Traditio apostolica hätten bewirken können? 2.2.1. Der mythische Ursprung paganer
Medizin
Für den gestrengen, das Aetiologische liebenden, karthagischen Apologeten sollte, wie gerade angedeutet, bereits der mythische Ursprung ein hinreichender Reibungspunkt sein: Daß Asklepios, der medicaminum repertor, für seine Taten vom Blitz getroffen wurde, weiß nicht nur Tertullian selbst zu berichten 63 , sondern z. B. auch einer der angriffslustigsten aller christlichen Apologeten, Arnobius der Ältere 64 . Noch Isidor von Sevilla gibt als Urheber der Medizin Apoll an 65 . Bei der Beschäftigung mit der Medizin läuft ein Christ also strenggenommen dauernd Gefahr, unter Tertullians Verdikt zu fallen, weil es sich bei dieser Tätigkeit potentiell immer um eine indirekte Idololatrie handelt. 2.2.2. Das Wiederaufblühen der alten Kulte Zudem gab es, für Tertullian oder die Traditio apostolica historisch näher liegend, eine erstaunliche Renaissance der Tempelmedizin, eine neue Blüte des Asklepioskultes, vor allem im Osten des Römischen Reiches. Im Jahre 145 reiste der griechische Redner A. Aristides (117 - wahrscheinlich 177/187) zum Asklepieion von Pergamon. Er war ein Jahr zuvor ernsthaft erkrankt und hatte auf ärztlichen Rat hin bereits die warmen Quellen bei Smyrna besucht. Zwei Jahre sollte der Aufenthalt im Heiligtum dauern, wo Aristides dem Rat des Heilgottes gehorchte und gleichzeitig von Ärzten behandelt wurde. Etwa 20 Jahre später berichtete Aristides in den ,Heiligen Reden' ausführlich von dieser Lebensphase 66 . Seine Mitteilungen sind aus vie61
BOTTE 1968, 7 1 , A n m . 2
62
Siehe SCHÖLLGEN 1984, 234.
63
Tertullian, A p o l . 14.
64
A r n o b i u s 1,41.
65
Isidor v o n Sevilla, Orig. 4,3- Ü b e r h a u p t zieht Isidor gern h e i d n i s c h - m y t h i s c h e Ur-
s p r ü n g e zur E r k l ä r u n g heran, siehe SCHÜTZ 1984, 80. 66
D i e interessanten T e x t s t e l l e n sind b e q u e m z u g ä n g l i c h bei E.J. EDELSTEIN/L. EDEL-
STEIN, A s c l e p i u s . A C o l l e c t i o n and Interpretation of the T e s t i m o n i e s , P u b l i c a t i o n s o f the
2.2. Die Medizin im Spiegel der verbotenen
Berufe
31
len Gründen interessant. So erfährt der moderne Leser zahlreiche Details über das Leben in den Asklepieia aus der Sicht eines Patienten, über medizinische Ansichten dieser Zeit, und man kann auch Rückschlüsse auf die - offenbar somatischen wie mentalen Ursachen entspringenden - Krankheiten des Autors ziehen 67 . Als das für unsere Fragestellung wichtigste Ergebnis indes ist dem Werk zu entnehmen, daß der Asklepioskult im zweiten nachchristlichen Jahrhundert sich großer Beliebtheit erfreute 68 . Aristides schreibt, die Gunstbezeugungen fiir Asklepios und ägyptische Götter seien zu eben jener Zeit bei den Menschen am weitesten verbreitet - cd 8' AfTK^riTuoi) %apiT£-toö ArinriTpic«;. f „Grabmal des Pferdearztes
5 lordanos
und seiner Frau
Demetria."
Beispiel b: ein Pferdearzt aus Pontos; vgl. SEG 33, 1983, 1096: t eteik] Xswipac; Kai a u u ß i ou avtfji; nexfpo'u] innOlCtTpOU.
5
„Grab der Seuera und ihres Gatten, des Pferdearztes
Petros."
Beide Inschriften sind durch das Kreuzeszeichen ( t ) am Anfang (Bsp. a zusätzlich noch a m Ende) jeweils sicher als christlich ausgewiesen. 47 Beispiel a: Kosmas und Damian (Inschrift aus Mylasa, Makedonien, etwa 6. Jahrhundert [? - vgl. Feissel 1983, S. 106]; vgl. FEISSEL 1983, S. 105 f., Nr. 110, III 1+2; CIG 4, S. 404 f., Nr. 8965, 8): K [oa^ia] [_..] [_..] [--]
Aa^iavoö i a xpo\) HT]vi Xe7tTE^l(ßpiot>).
5
„Kosmas (?) ... des Arztes Damianos
im Monat
September."
Die Ergänzung zu K foajtfx ] ist zudem unsicher. Beispiel b: Der Heilige Nikolaos (Inschrift wiederum aus Mylasa), vgl. W. B l Ü m e l , (Hrsg.), Die Inschriften von Mylasa, Teil 1: Inschriften der Stadt, IK 34, Bonn 1987, S. 233, Nr. 628, der wegen seiner Eigenschaften als ,Archiater' bezeichnet wird (verschrieben in otpziaaxpoij, Z. 2): axaupoq t o ü äytou NncoXäou -ktO äpxiaaxpoü. „Kreuz des Heiligen Nikolaos. des
Archiaters."
3.1. Epigraphische
Fundstellen
45
den später noch von Interesse sein, sollen in der Materialsammlung selbst aber nicht erscheinen, denn in aller Regel ist die Authentizität einer tatsächlich medizinischen Profession - oder, noch elementarer, der Person selbst gar nicht gesichert. 3.1.3. Die Inschriften
selbst
Die folgende Inschriftensammlung ist wie folgt gegliedert: Zunächst sei das griechische 4 8 , dann das lateinische Material aufgeführt, dies jeweils in alphabetischer Reihenfolge der interessierenden Eigennamen. Intern sind die griechischen und die lateinischen Inschriften nochmals unterteilt in Funde mit Namensnennung (Nr. 1 - 6 1 [griechisch], Nr. 7 4 - 9 5 [lateinisch]), anonyme Funde (Nr. 6 2 - 6 4 [griechisch], Nr. 96-101 [lateinisch]), und unsichere Funde (Nr. 6 5 - 7 3 [griechisch], Nr. 102-106 [lateinisch]). Jede Inschrift wird im möglichst vollständigen Wortlaut 4 9 - soweit eruier- und rekonstruierbar, Ausnahme: sehr lange Inschriften - mit einem deutschen Übersetzungsversuch angegeben, soweit der Originaltext verständlich ist. Unter jeder Inschrift finden sich zudem Informationen
-
Lit.: zur Sekundärliteratur (meist in Auswahl, leicht zugängliche Literatur), F.-Ort: zum Fundort (soweit ermittelbar), wenn möglich mit antikem (sonst modernem) Namen. In eckigen Klammern ist der Orientierung wegen die spätantike Provinz bzw. Region genannt. Die durch , // ' abgetrennte Angabe am Schluß dieses Punktes gibt an, wenn und wo der Ort im Barrington-Atlas 50 der antiken Welt zu finden ist, Dat.: zur Datierung (soweit ermittelbar), und Anm.: über sonstige, für unsere Fragestellungen bemerkenswerte Punkte, die die jeweilige Inschrift betreffen.
Zuweilen finden sich in der zugrundegelegten Literatur unterschiedliche Lesungen des Inschriftentextes oder divergierende Vorschläge zur Ergänzung
48
Hierzu sei auch eine Inschrift gezählt, die in koptischer Schrift geschrieben wurde, deren Sprache aber zum Teil Griechisch ist (s. u.: ,Biktor' [Nr. 19]). Die Inschriften des Plenis und des Pathermouthis sind griechisch wiedergegeben (nach H. HARRAUER, Corpus Papyrorum Raineri 13, Griechische Texte 9, Wien 1987, 96; gegen SABRI KOLTA 1983, 190). 49 Aus technischen Gründen werden schlecht lesbare und zweifelhafte Buchstaben kleinschrittig unterpunktiert (Bsp.: ev xf| rmepa). 50 R.J.A. TALBERT (Hrsg.), Barrington. Atlas of the Greek and Roman World (Atlas + CD-ROM), Princeton/Oxford 2000.
3. Die prosopographische
46
Bestandsaufnahme
v o n L ü c k e n u n d A b k ü r z u n g e n . In s o l c h e n F ä l l e n w u r d e ein k u r z e r textkritischer Apparat unter das Griechische bzw. Lateinische gesetzt. Mit
diesem
S c h e m a dürften die relevanten I n f o r m a t i o n e n erfaßt sein.
3.1.3.1. Griech ische Inschriften 3.1.3.1.1. Funde mit Namensnennung
N r . 1: A b r a a m e o s A)
e v 0 & 8 e KOCTEte0E ö ( a a m p i o q ÜETpoq EV | i r | v i A p x e H.ioiou a '
5
iv5(IKTI(»vcx;) Y B)
f EvxauÖa Kei(xai) K(ai) ö jiaK(apioq) 'Aßpad(irioc, iaxp(öacx;) M e o o a A x x q ß Z e ß a a xrivcx;, iaxpcx;, ßouX£Dx[f| v ) M a p ( x i c o v ) .
,.JHier liegt der Arzt Bassos. Er lebte 50 Jahre. Er starb am 15. Tag vor den Kaienden des März." Lit.:
W E S S E L 1 9 8 9 , S. 3 7 , N r . 1 4 0 ; OEHLER 1 9 0 9 , 1 1 9 ; SAMAMA 2 0 0 3 , S. 5 4 9 f., N r . 5 1 4 .
F.-Ort: Dat.: Anm.:
Catina [Sicilia] // 47 G3 BARRINGTON. 4.-5. Jahrhundert (SAMAMA 2003). Einer der nicht wenigen Christenärzte aus Sizilien.
N r . 18: Ber... [—TOjrccx; BEp[--•TOÙ] E i a x p o u .
3.1. Epigraphische
57
Fundstellen
„(Grab~)Platz des Arztes Ber..." Lit.: F.-Ort:
A. FERRUA, Florilegio d'iscrizioni paleocristiane di Sicilia, RPARA 22, 1946, 2 2 7 231, hier S. 233, Nr. 24; SAMAMA 2003, S. 550 f., Nr. 516. Syracus [Sicilia] // 47 G4 BARRINGTON.
Dat.:
4 . - 5 . J a h r h u n d e r t (SAMAMA).
Anm.:
Bep... = BepvóucXou? (FERRUA), eine ganz unsichere Vermutung. FERRUA hält Ber... offenbar aufgrund des Fundortes (Katakombe) für einen Christen (ebenso SAMAMA).
Nr. 19: Biktor ©Y,
ueqqpHpe
IC
XC,
NIKA
BIK.TCÜP
^ G I N
MN
OJOI
AHHN.
„Ruhm sei Gott, Jesus Christus siegt. Der Meister Viktor, der Arzt und sein Sohn Schoi, Amen." (Übersetzung: S A B R I K O L T A ) Lit.:
SABRI KOLTA 1 9 8 3 , S. 1 9 0 f.
F.-Ort: Dat.: Anm.:
Saqqara (bei Memphis, Jeremiaskloster) [Aegyptus] // 75 E l BARRINGTON. 7. Jahrhundert (?), vielleicht etwas früher. Koptische Inschrift eines Frieses.
Nr. 20: Dionysios Aiovtxriou iaxfxn) 7tpeaßvt£pov.
„(Grab) des Arztes Dionysios, des Presbyters." Lit.:
ICUR 4, Nr. 9483; MARUCCHI 1974, S. 206, Nr. 219; CIG 4, Nr. 9669; J.S. NORTHCOTE, Grafschriften der Catacomben van Rome, Utrecht 1879, S. 125; WESSEL 1 9 8 9 , S. 3 8 , N r . 1 4 5 ; GUMMERUS 1 9 3 2 , N r . 1 6 0 a ; KORPELA 1 9 8 7 , S. 2 0 6 , N r . 2 8 3 ; CAPPARONI 1 9 1 4 , S. 2 1 3 ; SAMAMA 2 0 0 3 , S. 5 3 0 , N r . 4 8 8 .
F.-Ort:
Roma (Callist-Katakombe) [Latium] // 43 B2 -3 BARRINGTON.
Dat.:
E n d e 3 . / A n f a n g 4 . J a h r h u n d e r t (GUMMERUS, KORPELA, CAPPARONI).
Anm.:
Diese sehr frühe Inschrift nennt einmal mehr die häufige Verbindung von Arzt und Presbyter in einer Person. Zudem ist sie eine der meistzitierten christlichen Inschriften. CAPPARONls Lesung AIONYXIOY IATPOY nPEIBYTIPOY enthält offenkundige Schreibfehler (X statt I im Eigennamen, zweites Z statt E im letzten Wort).
3. Die prosopographische
58
Bestandsaufnahme
Nr. 21: Dionysios A ) f A i o v ó o i c x ; -(?)
[] iaxpov von GRÉGOIRE "Opou/ÈTtiàxpou (?) vorgeschlagen; was aber hat man sich unter einem ,Epiater' vorzustellen? Daß aber jedenfalls eine ärztliche Tätigkeit gemeint ist, darf als sicher gelten. Zu Theophylakt siehe ausfuhrlich GRÉGOIRE ad loc., ROUECHÉ ad loc. Die Berufe/Ämter der listenartig aufgeführten Namen belegen das christliche Umfeld, in dem auch Rouphos sich bewegt haben wird.
74
3. Die prosopographische
Bestandsaufnahme
Nr. 52: Serenos f èKoinii&n èv X ( p i a t ) ü ) ó àôeA,(pôç looccvvt|ç 6 -coi) a ß ß ä Zepr]VOÛ TOÓ) I A T P O Û (1T|VÍ
T u ß f i K' ivô(iKtwâvoç) i5' Aio-
5
KÀr|Tiavot> f a v ß ' . f
„Zwr Ruhe gekommen in/bei Christus (ist) der Bruder Johannes, Sohn des Geistlichen und Arztes Serenos, am 20. im Monat Tybi der 14. Indiktion Diokletians, im Jahre 252." Lit.:
LEFEBVRE 1 9 0 7 , S. 2 , N r . 4 ; KAUFMANN 1 9 1 7 , S. 1 1 8 , A n m . 1; E . BRECCIA, G u i d e
de la Ville et du Musée d'Alexandrie. Société archéologique d'Alexandrie 8, NS 1/3, A l e x a n d r i a 1 9 0 5 , S . 12, N r . 4 ; CHRISTOPHILOPOULOS 1 9 5 7 , S . 8 3 , N r . 4 7 ; SAMAMA
2003, S. 477, Nr. 397. F.-Ort: Heute: El Dikheila, an der Küste westlich von Alexandria [Aegyptus] // 74 B2 BARRINGTON.
Dat.: Anm.:
15.01.556. aßßä (Zeile 3) muß nicht unbedingt „Abt" heißen; daher die allgemeinere Übersetzung „Geistlicher"; KAUFMANN spricht von „einem ehemaligen Arzt im Mönchsgewande". Vgl. dazu DERDAAVIPSZYCKA 1994, 23-56.
Nr. 53: S o s a n n a [Koi|iT|Tppiov—K]CCI E c o a & w a q iax[p]IVR)oXÖCTOD K ( a i ) EVSO^OTCCTOU) Ä P / i -
5
a x p o ö xo\) 9 e i o u naXxxxiou. f ,^4uch dieses
neue
Werk kommt
sen und hochberühmten Lit.:
aus derselben
Stephanos,
Archiater
Freigebigkeit des heiligen
des sehr Palastes."
ALT 1921, N r . 7; SAMAMA 2 0 0 3 , S. 4 7 0 , Nr. 3 8 7 ; NUTTON 1977, S. 2 1 9 , N r . 14.
F.-Ort: Heute: Bir es-Seba' (= Bersheba/Beer Sheva) [Palaestina] // 70 F3 BARRINGTON. Dat.:
6. J a h r h u n d e r t (NUTTON, SAMAMA).
Anm.:
Trägt den vollen Titel eines Archiaters.
Nr. 56: S t e p h a n o s (Christogramm) voq i a t p o q EKOL|LF|ÖTL
Ztecpa-
wei-
76
3. Die prosopographische
Bestandsaufnahme
r i a x c b v i5' iv5i(Kiuovcx;) iß'.
5
t
,J)er Arzt Stephanos ist zur Ruhe gekommen am 14. Pachon der 12. Indiktion." Lit.:
LEFEBVRE 1 9 0 7 , S. 3 7 , N r . 1 9 0 ; SAMAMA 2 0 0 3 , S. 4 7 9 f., N r . 4 0 1 .
F.-Ort: Antinoopolis [Aegyptus] // 77 D l BARRINGTON. Dat.:
5 . - 6 . J a h r h u n d e r t (SAMAMA).
Anm.: —
Nr. 57: Thalasios t öeaic; ©aXacri01), u i o D 'HoaKlou,
5
iaxpoi).
Ruhestätte
des Arztes Thalasios, Sohn des Hesakios."
Lit.: SEG 47, 1997, S. 1073 (mit weiterer Lit.); SAMAMA 2003, S. 191, Nr. 92 bls . F.-Ort: Maroneia [Thracia] // 51 F3 BARRINGTON. Dat.:
4 . - 5 . J a h r h u n d e r t ? (SAMAMA).
Anm.:
Möglich wäre auch ein Bezug der Berufsangabe auf den Vater (da beide im Genitiv stehen).
Nr. 58: Thasios [|I]VTICT9TI[XI] [ i a ] t p o 0 a [ o ] i o D , roxv(TOKpccTcop) K(i>pt£).
,JDenke an den Arzt Thasios (oder: von Thassos ?), allmächtiger Lit.:
Herr!"
WESSEL 1 9 8 9 , S. 3 8 , N r . 1 4 1 ; SAMAMA 2 0 0 3 , S. 5 5 1 , N r . 5 1 7 .
F.-Ort:
Syracus (Coemeterium s. Iohannis) [Sicilia] // 47 G4 BARRINGTON.
Dat.:
4 . - 5 . J a h r h u n d e r t (SAMAMA).
Anm.:
Die Form [ia]xpö wird ein Genitiv sein, vgl. die Form recopyio in der Inschrift der Stephanis (Nr. 54). Die Ergänzung gilt Samama als unsicher.
3.1 Epigraphische
Fundstellen
77
N r . 59: T h e k l a 9f|KR| ©¿KÄriq e i o a p i v r i q .
|
„Sarg der Ärztin Thekla." Lit.:
CIG 4, Nr. 9209; ROBERT 1964, S. 177; SCHULZE 2002a, S. 95, Nr. 4; K.C.A. HURDMEAD, History of W o m e n in Medicine from the Earliest Times to the Beginning of the Nineteenth Century, Haddam, Conn. 1938, 77; EICHENAUER 1988, S. 183 f.; FLEMMING 2000, S. 390, Nr. 25; SAMAMA 2003, S. 449, Nr. 354.
F.-Ort:
Seleucia ad Calycadnum (heute: Silifke) [Cilicia] // 66 D4 BARRINGTON.
Dat.:
4 . - 5 . J a h r h u n d e r t ( ? SAMAMA).
Anm:
1,5km von Seleucia ad Calycadnum entfernt liegt die Wallfahrtsstätte Ayatekla, der Hauptkultort der heiligen Thekla. Für die Gleichsetzung der in der Inschrift genannten Thekla mit der heiliggesprochenen Thekla (vgl. HURD-MEAD) gibt es dennoch keinen Beleg (vgl. EICHENAUER), zumal der Name ,Thekla' in Seleucia und U m g e bung relativ häufig war (vgl. den Index zu M A M A 3, siehe z. B. S. 178, Nr. 532).
Nr. 60: Theodoros f © e ô S o p o ç SUXKOVOÇ icè i a x p o ç KÈ F) a m o û o ù v f h o ç i f ) t o i ) 0 ( e o ) Û ßori8 í a KÈ TÔV à p x a ( y ) Y é X x o v w i è p ev>xf|ç ÉROÍRIGEV l o ë p y o v TOÛTO. F 1 © e ô S o p o ç DAGRON/FEISSEL, S E G , SAMAMA Oeôikopoç B E | 2 crûvfhoç DAGRON/FEISSEL a ù n ( 5 i o ç R E G , S E G , SAMAMA
„Theodoros, Diakon und Arzt, und seine Gattin, haben mit Gottes Hilfe und mit Hilfe der Erzengel zur Erfüllung eines Gelübdes dieses Werk gemacht.," Lit.:
B E 9 2 , 1 9 7 9 , S. 5 2 7 , N r . 6 0 0 ; S E G 2 8 , 1 9 7 8 , S . 3 6 3 , N r . 1 2 6 1 ; G . DAGRON/J. M A R CILLET-JAUBERT, B e l l e t e n t ü r k 4 2 , 1 9 7 8 , S. 3 9 3 , N r . 2 6 ; G . D A G R O N / D . FEISSEL,
F.-Ort: Dat.: Anm.:
Inscriptions de Cilice, Travaux et mémoires du Centre de Recherche d'Histoire et Civilisation de Byzance, Monographies 4, Paris 1987, S. 195 f., Nr. 116; SAMAMA 2003, S. 454 f., Nr. 365. Heute: Çemkale (20km nordöstlich von Kadirli, Territorium der antiken Stadt Anazarba [Heimat des Pharmazeuten Dioskurides] / [Cilicia] // 67 C l BARRINGTON. 6. Jahrhundert (?, siehe z. B. DAGRON/MARCILLET-JAUBERT). Ein weiteres Bsp. fur einen christlichen Arzt in einem abgelegenen Ort. Vielleicht hat eine Kapelle, die den Erzengeln geweiht war, etwas mit Theodoras' GelübdeErfüllung zu tun (siehe die Formulierung TV àpxa(y)yéXov, Z. 3). Daß der Singular É7ioír|AEV sich auf Theodoros und seine Frau zugleich bezieht, ist in Inschriften nicht ganz ungewöhnlich. Vielleicht liegt auch eine Verschreibung für énoírioav
78
3. Die prosopographische
Bestandsaufnahme
(3. Person Plural) vor. Eine dritte Möglichkeit zur Erklärung der Form besteht darin, daß sie aufgrund der Entfernung zum Betrachter falsch gelesen wurde: DAGRON/MARCILLET-JAUBERT ad loc. berichten, die Inschrift befinde sich unzugänglich in etwa 10m Höhe über einer Tür verbaut, so daß man sich einer Fotographie durch ein Teleobjektiv bedienen mußte.
Nr. 61: T h e o d o r o s t 0eo(XbpOU VOGOK(op.ei)ou K a i x a p ( i e o o r | ! ; ? ) GODvßlot) a m o -
5
X) KE XCOV TEKVO)v amoß. 4
XAP^AOTK?)
Xap[...]- SAMAMA
CIG
[M]otp[ia]|i;
ANDERSON/CUMONT/GREGOIRE
KAP
CAPPARONI
3.1. Epigraphische
Fundstellen
83
„Grab des Theodoros, des Arztes des Krankenhauses ..., und seiner anmutigen Gattin und ihrer Kinder." Lit.:
C I G 4 , N r . 9 2 5 6 ; J . G . C . ANDERSON/F. C U M O N T / H . GRÉGOIRE, S t u d i a p o n t i c a 3:
Recueil des inscriptions grecques et latines du Pont et de l'Arménie, fasc. 1, Brüssel 1 9 1 0 , S. 2 0 9 , N r . 2 1 7 ; CAPPARONI 1 9 1 4 , S. 2 1 7 ; SAMAMA 2 0 0 3 , S. 4 2 8 , N r . 3 2 8 .
F.-Ort: Euchaïta (südwestlich des antiken Amaseia) [Pontus] // 87 A4 BARRINGTON. Dat.: 5. Jahrhundert (SAMAMA); Ende des 4. / Anfang des 5. Jahrhunderts (CAPPARONI). ANM.: Ergänzungen in Zeile 4 unsicher. Im CIG unter den Inscriptiones christianae eingeordnet, doch ist dies auf der Grundlage der dort angegebenen Funddaten und der Inschriftenwiedergabe (kein Kreuz o. ä.) nicht sicher entscheidbar (skeptisch auch SAMAMA). Der Name ,Theodor' reicht als Grund allein nicht aus. ANDERSON/CUMONT/GREGOIRE sprechen sich deutlich für den christlichen Kontext aus: „Si la restitution est exacte, ce qui paraît certain, cette épitaphe est celle du médecin d'un hôpital qui dépendait sans doute du monastère de St. Theodore."
Nr. 71 /Nr. 72: Tiberios Klaudios Alkimos und Restitouta T i ( ß e p k p ) KA/xDÖko 'AÄxi|j.cp iaxpd)
Kodaapoq ercoiT|(j£ ' P e a x u o OTCC TKXTfXO-
5
v i K a i Kaöryy-
r|0f| ötya0a> K a i a^icpe £ n eiT| jiß'.
10
„Dem kaiserlichen Arzt Tiberios Klaudios Alkimos als ihrem Patron und gutem und würdigem Lehrer verfertigte Restitouta (dieses Grabmal). Er lebte 82 Jahre." Lit.:
IG 14, Nr. 1751; CIG, Nr. 6604; I. BLOCH, Byzantinische Medizin, in: Handbuch der Geschichte der Medizin 1: Altertum und Mittelalter, hrsg. von M. NEUBURGER/J. PAGEL, Jena 1902, ND Hildesheim/New York 1971, 492-568, hier 494; KORPELA 1 9 8 7 , S. 1 6 6 , N r . 6 5 ; GUMMERUS 1 9 3 2 , N r . 1 4 6 ; OEHLER 1 9 0 9 , 12. 14. 1 1 8 . 1 2 1 ; SCHULZE 2 0 0 2 a , S. 9 8 f., N r . 9 ; SAMAMA 2 0 0 3 , S. 5 0 9 f., N r . 4 6 0 .
F.-Ort:
Roma [Latium] // 43 B 2 - 3 BARRINGTON.
Dat.:
1. J a h r h u n d e r t (KORPELA, GUMMERUS, SAMAMA).
Anm.:
Die ,Restitouta'-Inschrift gilt BLOCH 494 und OEHLER 12 als christlich, doch kann ich ihr dies nicht entnehmen. Zudem würde es sich um einen extrem frühen Beleg handeln, wenn der genannte Arzt wirklich unter Kaiser Claudius gearbeitet haben sollte (vgl. KORPELA, GUMMERUS ad loc.). Die Eigennamen deuten auf Römer hin; vielleicht beruht die Abfassung der Inschrift in griechischer Sprache auf einer
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3. Die prosopographische
Bestandsaufnahme
,Modeerscheinung'. In den IG 14 (KAIBEL) ist keine christliche Symbolik wiedergegeben 5 1 , der Sprachgebrauch bleibt unauffällig und aus der Fundortangabe sind keine Schlüsse in unserem Sinne zu ziehen 5 2 . Restitouta war offenbar die Schülerin des kaiserlichen Arztes Tiberios Klaudios Alkimos, den sie ihren Ka0T|YT|0r|) j r a p a ao(i>) Mt)va
mox> e i a x p o i )
COTÖ KTBFITIQ A £ U K O Y I O ( D ) XOU a r n o ß VO^O(TJ) . . . .
( E s f o l g e n n o c h z w e i e i n h a l b z. T. s c h w e r lesbare [ L ü c k e n ] Z e i l e n . ) 3 (MTÖ KM|IRT