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German Pages 211 [212] Year 2022
Jascha de Bloom Toponymische Klassifikatoren und der koloniale Blick
Koloniale und Postkoloniale Linguistik Colonial and Postcolonial Linguistics Herausgegeben von Stefan Engelberg, Peter Mühlhäusler, Doris Stolberg, Thomas Stolz und Ingo H. Warnke
Band 20
Jascha de Bloom
Toponymische Klassifikatoren und der koloniale Blick Merkmale einer kolonialen Kategorisierung von Landschaft
Die vorliegende Veröffentlichung lag dem Promotionsausschuss Dr. phil. der Universität Bremen als Dissertation vor. Gutachter: Prof. Dr. Ingo. H. Warnke, Prof. Dr. Thomas Stolz Das Kolloquium fand am 09.12.2021 statt.
ISBN 978-3-11-079570-7 e-ISBN (PDF) 978-3-11-100758-8 e-ISBN (EPUB) 978-3-11-100760-1 Library of Congress Control Number: 2022946583 Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2023 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston Druck und Bindung: CPI books GmbH, Leck www.degruyter.com
| Für Isabelle, Florian, Margret und Volker.
Inhalt Danksagung | IX Abbildungen | XI Tabellen | XIII Abkürzungen | XV 1 1.1 1.2 1.3 1.4 1.5
Ortsnamen und der koloniale Blick | 1 Deutscher und schwedischer Kolonialismus | 3 Natur- und Kulturraum: Ein kolonialer Topos | 10 Klassifikatoren und diskursive Wissenskommunikation | 13 Postkoloniale Linguistik | 17 Hypothesen: Klassifizierung als definierende koloniale Praxis? | 26
2 2.1 2.2 2.2.1 2.2.2
Kategorien | 31 Der ontologische Realismus | 34 Die Subjektivität von Kategoriensystemen | 39 Sprachliche und epistemische Kategorien | 42 Individuelles und konventionalisiertes Wissen | 45
3 3.1 3.2 3.2.1 3.2.2
Klassifikatoren | 47 Form | 50 Funktion | 58 Klassifikatoren und Ortsherstellung | 62 Natur- und Kulturräumlichkeit als Teil der Tiefensemantik von Klassifikatoren | 66
4 4.1 4.1.1 4.1.2 4.2
Exkurs: Klassifikator-Toponyme statt Gattungseigennamen | 76 Was sind Gattungseigennamen? | 77 Genuine, halb- und nichtgenuine Gattungseigennamen | 79 Vom Gattungseigennamen zum reinen Eigennamen | 81 Klassifikatoren statt Gattungsnamensockel | 82
VIII | Inhalt
5 Koloniale und metropolitane Klassifikatoren im Vergleich | 86 5.1 Die Daten | 88 5.1.1 Deutsche Kolonialtoponyme | 89 5.1.2 Deutsche Toponyme in der Metropole | 91 5.1.3 Schwedische Kolonialtoponyme | 94 5.1.4 Schwedische Toponyme in der Metropole | 95 5.1.5 Karten als linguistische Datenträger | 96 5.2 Der Vergleich | 102 5.2.1 Distribution der Klassifikator-Toponyme | 102 5.2.1.1 Kolonie und Metropole | 103 5.2.1.2 Kolonien | 105 5.2.2 Morphologische Komplexität | 108 5.2.2.1 Kolonie und Metropole | 108 5.2.2.2 Kolonien | 112 5.2.3 Lexikalische Heterogenität | 117 5.2.3.1 Kolonie und Metropole | 118 5.2.3.2 Kolonien | 124 5.2.4 Natur- und kulturräumliche Implikationen | 129 5.2.4.1 Funktions- und Geo-Klassifikatoren in Kolonie und Metropole | 133 5.2.4.2 Semantische Gruppen in Kolonie und Metropole | 142 5.2.4.3 Funktions- und Geo-Klassifikatoren in den Kolonien | 144 5.2.4.4 Semantische Gruppen in den Kolonien | 148 5.2.4.4.1 Deutsch-Neuguinea | 150 5.2.4.4.2 Deutsch-Ostafrika | 152 5.2.4.4.3 Deutsch-Südwestafrika | 154 5.2.4.4.4 Kamerun | 156 5.2.4.4.5 Kiautschou | 157 5.2.4.4.6 Togo | 160 5.2.4.4.7 Neuschweden und Saint-Barthélemy | 162 6
Fazit | 167
Quellen | 179 Literatur | 183 Autor*innenverzeichnis | 193 Sachregister | 195
Danksagung Als ich im Wintersemester 2014 nach Bremen kam, war ich davon überzeugt, dass ich in Zukunft kaum noch mit meinem ehemaligen Nebenfach Geografie in Berührung kommen würde. Dass ich meine Faszination für die Sprachwissenschaft und für historische Landkarten in der vorliegenden Dissertation so unverhofft miteinander verbinden konnte, verdanke ich vor allem meinem Doktorvater Prof. Dr. Ingo H. Warnke und Prof. Dr. Thomas Stolz an der Universität Bremen. Im Austausch mit ihnen habe ich die Kolonialtoponomastik als ein gleichermaßen innovatives und faszinierendes Forschungsfeld für mich entdeckt. Ihre zahlreichen fachlichen Impulse und ihr wohlwollend-offenes Feedback waren mir zu jeder Zeit eine große Unterstützung. Des Weiteren gilt meine Dankbarkeit meinen Kolleg*innen in der germanistischen und der allgemeinen Sprachwissenschaft an der Universität Bremen. Die Offenheit und der rege Austausch auf Tagungen, Kolloquien und in zahlreichen Kaffee- und Flurgesprächen waren für mich menschlich mindestens genau so bedeutend wie fachlich. Besonders verbunden bin ich Dr. Susanne Schuster für ihr gewissenhaftes Lektorat und ihre vielen wertvollen Ratschläge. Auch außerhalb Bremens hat mein Projekt immense Unterstützung erfahren. Ich danke dem Freundeskreis für Cartographica in der Stiftung Preußischer Kulturbesitz e. V. und ihrem Vize-Präsidenten Wolfgang Crom, die mir einen unschätzbar aufschlussreichen Forschungsaufenthalt an der Staatsbibliothek zu Berlin ermöglicht haben. Der Zentralen Forschungsförderung an der Universität Bremen verdanke ich die notwendigen Mittel für einen weiteren Forschungsaufenthalt in Stockholm, wo ich mich mit Prof. Dr. Jens Ljunggren und Dr. Ale Pålsson auf fachkundigen Rat bei der Erschließung historischer Kartenquellen verlassen konnte. Nicht zuletzt gilt mein Dank Dr. Julie Miess und Frau Csilla Serestely, die die Entstehung dieses Buches verlagsseitig mit großer Geduld und Expertise betreut haben.
https://doi.org/10.1515/9783111007588-203
Abbildungen Abb. 1: Straßennamen im Bremer Stadtteil Horn-Lehe. | 49 Abb. 2: Morphologische Konstituentenanalyse von Gouvernementskrankenhaus mit komplexem KLASS. | 55 Abb. 3: Kanonisches Kolonialtoponym nach Stolz & Warnke (2018c: 28). | 59 Abb. 4: Südküste von Togo (Togo-Land 1885). | 62 Abb. 5: (Unvollständiger) Beispiel-Frame mit dem Thema Klinik. | 68 Abb. 6: Arno-Inseln mit Dodo-Durchfahrt (GDKA, Karte 28, Blatt 4). | 83 Abb. 7: Verhältnis von +KLASS und -KLASS je Datensatz. | 104 Abb. 8: Verhältnis von +KLASS und -KLASS je Kolonie. | 106 Abb. 9: Anteil morphologischer KLASS-Strukturtypen je Datensatz. | 108 Abb. 10: Anteil morphologischer KLASS-Strukturtypen je Kolonie. | 113 Abb. 11: Anteil semantischer KLASS-Typen je Datensatz. | 135 Abb. 12: Anteil semantischer KLASS-Gruppen je Datensatz. | 142 Abb. 13: Anteil semantischer KLASS-Typen je Kolonie. | 145 Abb. 14: Anteil semantischer KLASS-Gruppen je Kolonie. | 149 Abb. 15: Festland östlich der Kiautschou-Bucht (GDKA, Blatt 30). | 158 Abb. 16: Kartenausschnitt von NYS nördlich der Delaware-Mündung (Holm 1988[1702]: 57). | 164
https://doi.org/10.1515/9783111007588-204
Tabellen Tab. 1: Ungefähre Bevölkerungszahl und Fläche der deutschen Kolonien. | 7 Tab. 2: Aristotelische Kategorien und ihre grammatikalischen Entsprechungen. | 43 Tab. 3: Distribution von +KLASS und -KLASS je Datensatz. | 104 Tab. 4: Distribution von +KLASS und -KLASS je Kolonie. | 107 Tab. 5: Anteil morphologischer KLASS-Strukturtypen je Datensatz. | 109 Tab. 6: Anteil semantischer KLASS-Typen bezogen auf morphologische KLASS-Strukturtypen je Datensatz. | 110 Tab. 7: Anteil morphologischer KLASS-Strukturtypen je Kolonie. | 114 Tab. 8: Anteil semantischer KLASS-Typen bezogen auf morphologische KLASS-Strukturtypen je Kolonie. | 115 Tab. 9: Anteil singulärer KLASS an den KLASS-Types je Datensatz und Kolonie. | 119 Tab. 10: Anzahl der +KLASS und KLASS-Types sowie TTR-Wert je Datensatz. | 119 Tab. 11: Häufigste KLASS, die gemeinsam über 50 % aller +KLASS je Datensatz bilden. | 122 Tab. 12: Anzahl der +KLASS und KLASS-Types sowie TTR-Wert je Kolonie. | 125 Tab. 13: Häufigste KLASS, die gemeinsam über 50 % aller +KLASS je Kolonie bilden. | 126 Tab. 14: Anteil semantischer KLASS-Typen je Datensatz. | 135 Tab. 15: Überrepräsentierte KLASS in den deutschen Datensätzen. | 138 Tab. 16: Überrepräsentierte KLASS in den schwedischen Datensätzen. | 141 Tab. 17: Anteil semantischer KLASS-Gruppen je Datensatz. | 144 Tab. 18: Anteil semantischer KLASS-Typen je Kolonie. | 146 Tab. 19: Anteil semantischer KLASS-Gruppen je Kolonie. | 150 Tab. 20: Über- und unterrepräsentierte KLASS in DNG. | 151 Tab. 21: Überrepräsentierte KLASS in DOA (keine Unterrepräsentationen vorhanden). | 153 Tab. 22: Über- und unterrepräsentierte KLASS in DSWA. | 155 Tab. 23: Überrepräsentierte KLASS in Kamerun (keine Unterrepräsentationen vorhanden). | 157 Tab. 24: Über- und unterrepräsentierte KLASS in Kiautschou. | 160 Tab. 25: Über- und unterrepräsentierte KLASS in Togo. | 161 Tab. 26: Überrepräsentierte KLASS in den schwedischen Kolonien (keine Unterrepräsentationen vorhanden). | 164
https://doi.org/10.1515/9783111007588-205
Abkürzungen BM
Basismorphem
COCOTOP
Comparative Colonial Toponomastics
DKL
Deutsches Kolonial-Lexikon (s. Literatur)
DNG
Deutsch-Neuguinea
DOA
Deutsch-Ostafrika
DSWA
Deutsch-Südwestafrika
DT.KOLTOP
Datensatz deutscher Kolonialtoponyme
DT.TOP
Datensatz deutscher Toponyme in der Metropole
DWDS
Digitales Wörterbuch der deutschen Sprache (s. Literatur)
GDKA
Großer Deutscher Kolonialatlas (s. Quellen)
GEMVZ
Alphabetisches Verzeichnis der Gemeinden in Deutschland 1900/1910 (s. Quellen)
GN250
Geographische Namen 1:250 000 (s. Quellen)
Hn (A)
absolute Häufigkeit von A in der Grundmenge n
hn (A)
relative Häufigkeit von A bezogen auf die Grundmenge n
i. O.
im Original
ISOF
Institutet för språk och folkminnen (s. Quellen)
KLASS
Klassifikator
+KLASS
Klassifikator-Toponym
−KLASS
Nicht-Klassifikator-Toponym
MOD
Modifikator
N YS
Neuschweden (Nya Sverige)
o. J.
ohne Jahresangabe
o. S.
ohne Seitenangabe
PLS
Postcolonial Language Studies
SAG
Svenska Akademiens grammatik (s. Literatur)
SB
Saint-Barthélemy
SW.KOLTOP
Datensatz schwedischer Kolonialtoponyme
SW.TOP
Datensatz schwedischer Toponyme in der Metropole
TOP
Toponym
TTR
Type-Token-Relation
https://doi.org/10.1515/9783111007588-206
1 Ortsnamen und der koloniale Blick Platz. Was ist das? Nichts. Ein Fleckchen Gras zwischen den Bahngleisen. Der WavrinskyPlatz. Alles ist ein Platz.1
In seiner pseudobiografischen Erzählung Ansiktsburk durchlebt John A. Lindqvist eine paranoide Episode auf dem Weg durch Göteborg. Dabei schildert er einen kurzen Moment der Entfremdung von seinem physischen Umfeld – die Straßenbahnhaltestelle Wavrinskys plats im Stadtteil Guldsheden erscheint ihm plötzlich unwirklich. Er konstatiert, ein Platz sei zugleich alles und nichts. Lindqvists kurze Überlegung am Rande des eigentlichen Erzählgeschehens liest sich wie die beiläufige Paraphrase eines Grundgedankens der Place-MakingTheorie – und zwar, dass es sich bei Plätzen und anderen Orten als distinkte Ausschnitte von abstraktem Raum lediglich um Konstrukte handelt, die nicht außerhalb menschlicher Wahrnehmung existieren. Obwohl Lindqvist seinen Gedanken genauso prägnant wie rational umschreibt, bettet er ihn in einen Kontext des psychischen Ausnahmezustands ein: Das narrative Ich wird von der Infragestellung seiner gewohnten Wahrnehmung regelrecht aus der Bahn geworfen. Selbstverständlich gehören Orte als kognitive Größen, im kommunikativen Austausch oder als Träger von Ortsnamen (Toponymen) auch zur sprachlichen Realität außerhalb von Lindqvists Erzählung. Sie sind von besonderem Interesse für eine Linguistik des Raums, die sich mit dem Verhältnis von Sprache und Landschaft beschäftigt: Die Herausbildung von Orten im Raum beschreiben Busse & Warnke (2014) als Place-Making oder Ortsherstellung, bei der jeder Ort grundsätzlich durch drei räumliche Modi dimensional, aktional und repräsentational charakterisiert wird. Analysiert man Orte im Hinblick auf diese Modi, wird die Subjektivität und Voreingenommenheit von räumlicher Wahrnehmung offenbar: Der unbestimmte, irrelevante Raum besitzt einen grundsätzlichen „dimensionalen Modus der Ausdehnung“ und wird erst durch intendierte „aktionale Prägungen“ (Dunker, Stolz & Warnke 2017: viii; Hervorh. i. O.) durch den Menschen zu einem Ort von Interesse. Mit dem komplexen Vorgang der Ortsherstellung, der bei allen Sprecher*innen durch sprachliche und kognitive Gewohnheiten voreingenommen ist, beschäftige ich mich in dieser Arbeit. Dabei gehen Untersuchungen zum linguistischen Place-Making weit über die grammatikalische Analyse von Ortsnamen oder vom Sprechen über Orte || 1 Plats. Vad är det för något? Ingenting. En plats. En gräsplätt mellan spåren. Wavrinskys plats. Allt är en plats. (Lindqvist 2011: 182; Übersetzung JdB) https://doi.org/10.1515/9783111007588-001
2 | Ortsnamen und der koloniale Blick
hinaus. Vielmehr ist die Ortsherstellung ein intendierter Vorgang, der Deutungs- und Besitzansprüche ausdrückt und in dem sich Machtverhältnisse manifestieren. Denn die aktionale Prägung des Raums geschieht nicht immer im Einverständnis aller Personen, die ihn bewohnen. Ein besonders deutliches Beispiel hierfür ist der europäische Kolonialismus, der den historischen Rahmen meiner Arbeit darstellt. In seinen globalen Ausmaßen steht er wie kaum eine andere Epoche für die gewaltsame Aneignung und Ausbeutung von Raum und den darin lebenden Menschen. Die zentrale Rolle des Place-Makings im Kolonialismus machen Dunker, Stolz & Warnke (2017: vii–viii; Hervorh. i. O.) deutlich: „Koloniale Raumaneignung ist […] Raumberaubung, d. h. eine Form der kulturellen Zwangskodierung sowie Relationierung in einem Koordinatensystem von hier vs. dort, von Zentrum vs. Peripherie, Metropole vs. Kolonie.“ Ortsherstellung – zum Beispiel über die Verwendung von Kolonialtoponymen2 – stellt eine solche kulturelle Zwangskodierung dar. Das Beispiel Kolonialismus zeigt deutlich, dass die Aneignung von fremdem Raum nicht nur mit Waffengewalt oder auf dem institutionalisierten Wege der Schutzbriefe und Pachtverträge geschieht, sondern auch über sprachliche Handlungen wie die Benennung der begehrten Landschaft. Für die enorme Bedeutung des PlaceMakings spricht auch die Tatsache, dass sich Kolonialtoponyme in den Sprachen sämtlicher kolonisierender Nationen feststellen lassen.3 Sie flächendeckend anzubringen und gegenüber Endonymen4 bzw. Exonymen5 aus anderen Kolonialsprachen durchzusetzen, gehört mitunter zu den ersten Bestrebungen einer Kolonialmacht in einer neu erworbenen Kolonie (vgl. Schuster 2018: 163). Das Hauptanliegen dieser Arbeit besteht darin, die namenbezogenen Merkmale einer spezifischen, kolonialen Raumwahrnehmung zu beschreiben. || 2 Kolonialtoponyme sind „Ortsnamen, deren Gebrauch im Rahmen kolonialer Machtausübung üblich war“ (Stolz & Warnke 2018c: 1) – und es in vielen Fällen bis heute ist (s. Windhoek, Bloemfontein und andere). 3 S. Stolz, Warnke & Levkovych (2016) für einen explorativen Einblick in das koloniale Toponomastikon von 14 europäischen Kolonialismen samt Erläuterungen zu historischen Benennungsmotiven. 4 Endonyme sind Namen, die ausschließlich aus autochthonem Sprachmaterial bestehen. Ihre Unterscheidung von den Exonymen fällt gerade in kolonialen Kontexten oftmals schwer: „In many cases, it is doubtful whether the putatively autochthonous place-names result from genuinely local traditions of place naming or have been imposed by the colonial authorities” (Stolz & Warnke 2018b: 53). 5 Exonyme sind Namen, die aus nicht-autochthonem Sprachmaterial bestehen. Sie lassen sich genauer in reine Exonyme und partielle Exonyme unterscheiden (vgl. Stolz & Warnke 2018b: 53): Reine Exonyme bestehen ausschließlich aus nicht-autochthonen Konstituenten, während partielle Exonyme autochthone und nicht-autochthone Bestandteile kombinieren.
Deutscher und schwedischer Kolonialismus | 3
Dabei gilt es zu berücksichtigen, dass sich der Kolonialismus global und unabhängig von einzelnen agierenden Personen und Gruppen auswirkt. Hierin besteht ein programmatischer Grundsatz der vergleichenden Kolonialtoponomastik, in der ich meine Arbeit weitestgehend verorte (s. Kap. 1.4). Sie geht davon aus, dass einzelsprachlich begrenzte Untersuchungen von kolonialen Ortsnamen dem globalen Maßstab des Kolonialismus nicht gerecht werden (vgl. Stolz & Warnke 2018c: 7). Stattdessen soll ein komparativer Ansatz verhindern, dass eventuelle räumliche, sprachliche und kulturelle Besonderheiten vorschnell auf den Kolonialismus als Ganzes projiziert werden. Für meine Untersuchung, die sich vor allem mit deutschen Kolonialtoponymen beschäftigt, stellt sich insofern die Frage, welche Vergleichsgröße herangezogen werden kann, um die deutschen Befunde in einem weiteren europäischen Kontext zu verorten. Im folgenden Kapitel erläutere ich, warum ich den schwedischen Kolonialismus dafür als besonders geeignet betrachte. Zudem werden beide Kolonialismen zeitlich und räumlich eingeordnet. In der vorliegenden Arbeit folge ich gängigen linguistischen Notationskonventionen: Den objektsprachlichen Gebrauch bestimmter Ausdrücke markiere ich durch Kursivierung, Bedeutungsangaben und semantische Paraphrasen werden in einfachen Anführungszeichen dargestellt. Eine besondere Form der Notation erfordert die Darstellung von semantischen Frame-Strukturen, die für die Arbeit besonders relevant sind. Hierfür orientiere ich mich an der Darstellungsweise von Busse (2012), auf die ich an gegebener Stelle genauer eingehe (s. Kap. 3.2.2). Um die morphologische bzw. phraseologische Struktur von komplexen Toponymen präzise darzustellen, verwende ich eine indizierte Klammerung in Anlehnung an Stolz & Warnke (2015), deren Notationssystem sich in weiten Teilen der vergleichenden Kolonialtoponomastik durchgesetzt hat.
1.1 Deutscher und schwedischer Kolonialismus Was genau mit Kolonialismus gemeint ist, kann sich im alltäglichen und im fachlichen Sprachgebrauch deutlich voneinander unterscheiden. In seiner alltagssprachlichen Verwendung meint der Ausdruck häufig einen rein politischen Sachverhalt. Nicht selten entsteht der Eindruck einer politisch definierten, historischen Epoche, was in der postkolonialen6 Zeit allerdings kaum mehr aktuell ist. Castro Varela & Dhawan (2015: 16) brechen ein verbreitetes Verständnis von Kolonialismus auf, das in seiner historischen Bewertung selbst eurozentrische
|| 6 Kap. 1.4 behandelt auch die begriffliche Problematik des Ausdrucks postkolonial.
4 | Ortsnamen und der koloniale Blick
Züge annimmt. Sie charakterisieren Kolonialismus als ein „europäisches wie außereuropäisches Gesamtphänomen“. Dabei sind die Positionen von Akteur*innen manchmal durchaus unübersichtlich: Kolonisierte und Kolonisierende stehen in einer komplexen und untrennbaren Verbindung zueinander. In Bezug auf radikal-dekoloniale Ansätze warnen etwa Conrad & Randeria (2002: 13) vor einem „nostalgische[n] Rekurs auf vorgeblich ‚reine‘ und ‚authentische‘ Traditionen außerhalb des europäischen Einflusses“. Dieser sei nicht förderlich, um eurozentrische Perspektiven zu überwinden. Darüber hinaus räumen Castro Varela & Dhawan (2015: 16) mit einem ebenso weit verbreiteten historisierenden Kolonialismus-Begriff auf: Neokolonialismus […] und Rekolonisierungstendenzen zeigen […] an, dass der Kolonialismus immer neue Wege findet und Strategien entwirft, um sich die Ressourcen der vormals kolonisierten Länder zu sichern. Kolonialismus ist damit nicht ausschließlich Stoff für staubige Geschichtsbücher, denn spezifische Unterdrückungsformen sind durchaus weiterhin aktuell, während andere immer wieder revitalisiert werden.
Einen ähnlich differenzierten Ansatz, der sich besonders für die geisteswissenschaftliche Beschäftigung mit dem Thema eignet, entwirft die Forschungsgruppe Koloniallinguistik um Dewein, Engelberg, Hackmack, Karg, KellermeierRehbein, Mühlhäusler, Schmidt-Brücken, Schneemann, Stolberg, Stolz & Warnke (2012: 243; Hervorh. i. O.). Sie schlägt eine Präzisierung mithilfe von drei Adjektiven vor: […] kolonial (räumlich-zeitlicher Bezug auf die Kolonien etwa des Deutschen Reiches von 1884 bis 1919), kolonisatorisch (koloniale Praxis mit machtpolitischem, wirtschaftlichem, militärischem, kulturellem etc. Anspruch) und kolonialistisch (ideologische Haltung, die aber nicht an die historische Periode des faktischen Kolonialismus gebunden sein muss, sondern zeitlich auch vor- und nachgelagert sein kann).
Wenn in dieser Arbeit unkommentiert vom deutschen Kolonialismus die Rede ist, beziehe ich mich damit auf die erste dargestellte Bedeutungsebene – den Zeitraum von 1884 bis 1919. Dass der Kolonialismus als Ideologie auch nach 1919 weiterlebt, soll bei dieser engen Definition nicht verschwiegen werden: Zum Beispiel hat die Geschichtswissenschaft den deutschen Kolonialrevisionismus in einer Reihe von Arbeiten erforscht.7 Auch die Phase der aktiven kolonialen Machtausübung durch das Deutsche Reich8 wird in mehreren ge-
|| 7 Einen Überblick über zentrale Texte gibt Gründer (2018: 14–15). 8 Ich verwende die historische Selbstbezeichnung des deutschen Nationalstaates hier ohne eigene Wertungen, vor allem um eine Verwechslung mit der Bundesrepublik auszuschließen.
Deutscher und schwedischer Kolonialismus | 5
schichtswissenschaftlichen Beiträgen und Monografien detailliert behandelt – etwa von Speitkamp (2014), van Laak (2004, 2005) und Gründer (2018). Im Sinne der vergleichenden Kolonialtoponomastik soll eine weitere europäische Kolonialmacht als Vergleichsgröße bei der Ortsnamenanalyse herangezogen werden. Besonders geeignet erscheint mir dafür das schwedische Königreich, da sich dessen koloniale Expansion deutlich von der des Deutschen Reiches unterscheidet: Dem 35-jährigen deutschen Kolonialismus, der mit 13,5 Millionen Menschen „nach der Bevölkerungszahl im westeuropäischen Vergleich […] an vierter Stelle stand“ (Speitkamp 2014: 39), steht das schwedische Kolonialreich gegenüber, das sich mit einer längeren Unterbrechung über 240 Jahre hinweg erstreckt und eine Population von wenigen Tausend Menschen umfasst. Diese Verschiedenheit verspricht umso deutlichere Hinweise auf eine mögliche kolonialspezifische Wahrnehmung von Raum, da die Analyse über europäische Einzelstaaten und eng gefasste Zeiträume hinausgeht. Ein Fokus auf gleichzeitige, miteinander konkurrierende Kolonialmächte würde m. E. nur eingeschränkte Rückschlüsse auf einen eng gefassten Ausschnitt europäischer Expansion erlauben. Der Vergleich des deutschen und schwedischen Kolonialismus wird umso interessanter, da die betroffenen Zeiträume beinahe nahtlos angrenzen. Die schwedische koloniale Phase endet mit der Aufgabe Saint-Berthélemys (SB) 1878, kurz vor dem ersten deutschen Landerwerb in Deutsch-Südwestafrika (DSWA) im Jahr 1884. Insofern bilden die beiden Kolonialismen ein Kontinuum ab, sodass mögliche Gemeinsamkeiten bei der Benennung von Orten nicht zwingend als Spezifika zweier weit entfernter Epochen zu gelten haben. Für die besondere Aussagekraft von schwedischen Namen für die Kolonialtoponomastik spricht zudem das Erscheinen eines wesentlichen Schlüsseltextes der (Natur-)Wissenschaftsgeschichte im Jahr 1735 – nämlich der Systema Naturae von Karl von Linné, deren geistesgeschichtliche Wechselwirkung mit dem europäischen Kolonialismus in diesem Kapitel näher erläutert wird. Die Veröffentlichung des Werks fällt mitten in die Zeit der schwedischen Expansionsbemühungen. Ich gehe deshalb davon aus, dass sich Linnés Einfluss auch stark auf das schwedische Kolonialtoponomastikon ausgewirkt hat – zumindest auf der schwedisch verwalteten Insel SB, die erst nach dem Erscheinen der Systema im Jahr 1784 in schwedische Verwaltung gelangte. Nicht zuletzt ist die Kolonialvergangenheit Schwedens als ein eher unbekannter kolonialer Akteur bisher recht dünn erforscht, was umso mehr für das schwedische Kolonialtoponomastikon gilt. Im Rahmen der vergleichenden Kolonialtoponomastik werden schwedische koloniale Ortsnamen bisher nur explorativ und wenig umfassend behandelt – zum Beispiel von Stolz, Warn-
6 | Ortsnamen und der koloniale Blick
ke & Levkovych (2016: 319–320) bzgl. ihrer anthroponymischen Konstituenten sowie von Stolz & Warnke (2017: 210) im Hinblick auf die Erfahrungen und Erwartungen der Kolonisierenden als ein Benennungsmotiv. Die vorliegende Arbeit nähert sich diesem Desiderat an, indem sie neben einem umfassenden deutschsprachigen Datenbestand auch das bisher umfangreichste existierende Korpus schwedischer Kolonialtoponyme in die Analyse miteinbezieht (s. Kap. 5.1.3). Um die untersuchten Toponyme räumlich und zeitlich verorten zu können, fasse ich zunächst wichtige Eckdaten der beiden Kolonialismen zusammen. Der erste koloniale Landerwerb des Deutschen Reiches ist DSWA, das am 24. April 1884 zum Schutzgebiet erklärt wird. Tatsächlich werden die Grenzen der Kolonie erst im Lauf der kommenden Jahre nach und nach konsolidiert: 1886 und 1890 kommen Grenzverhandlungen mit Portugal und England zum Abschluss. Erst im Jahr 1908 etabliert das Deutsche Reich seine Herrschaft in der gesamten Kolonie, indem es letzte Verträge mit den Ovambo im Norden abschließt (vgl. Gründer 2018: 121). Im Juli 1884 stellt das Deutsche Reich sowohl Togo als auch Kamerun unter Reichsschutz. Eine Schlüsselfigur ist in beiden Fällen der Arzt und Afrikaforscher Gustav Nachtigal, der zu dieser Zeit als Reichskommissar und Generalkonsul in Tunis tätig ist. Für Togo spricht Nachtigal den Reichsschutz eigenmächtig aus, um deutsche Handelsinteressen vor dem Einfluss anderer Kolonialmächte zu schützen (vgl. Gründer 2018: 91). Auch im Fall Kameruns geht es Nachtigal vor allem darum, die Aktivitäten deutscher Unternehmer vom Deutschen Reich absichern zu lassen (vgl. ebd.: 90–91). Am 27. Februar 1885 wird auch das größte deutsch verwaltete Kolonialgebiet, Deutsch-Ostafrika (DOA), unter staatlichen Schutz gestellt. Mit dem Beschluss folgt die deutsche Kolonialpolitik einem kurz zuvor eingegangenen formellen Antrag von Carl Peters, der auf dem betroffenen Gebiet bereits Land erworben hatte, indem er (fragwürdige) Verträge mit den örtlichen Herrschern schloss (vgl. ebd.: 95). Die politische Rückendeckung aus Deutschland ermöglichte es Peters, weitere Expeditionen zu unternehmen und die Kolonie mit Verträgen und Handelsstützpunkten weiter auszubauen. Bereits 1884 ist der deutsche Kaufmann Otto Finsch für das Berliner Neuguinea-Konsortium tätig und legt den Grundstein für das spätere koloniale Inselreich Deutsch-Neuguinea (DNG). Über mehrere Vertragsabschlüsse erwirbt Finsch schon früh einen Großteil der Fläche von DNG, die das Deutsche Reich zeitnah offiziell unter Schutz stellt (vgl. Gründer 2018: 100–101). Im November 1884 werden die pazifischen Besitzungen um die Marshall-, Providence- und
Deutscher und schwedischer Kolonialismus | 7
Browninseln erweitert, bevor am 17. Mai 1885 sämtliche Pazifik-Territorien der Neuguinea-Kompanie zum kaiserlichen Schutzgebiet erklärt werden. Zu ergänzen ist die Inbesitznahme der chinesischen Kiautschou-Bucht mit der darin gelegenen Hafenstadt Tsingtau im Jahr 1897. Den Schritt begründet das Deutsche Reich mit der Ermordung zweier Missionare in der Region (vgl. Speitkamp 2014: 36–37). Im Jahr 1898 pachtet das Deutsche Reich Kiautschou offiziell für eine Zeitspanne von 99 Jahren, womit es sein koloniales Territorium weitestgehend etabliert. Tab. 1 zeigt die Fläche der deutschen Kolonien und ihre ungefähre Bevölkerungszahl am Vorabend des Ersten Weltkriegs. Vereinzeltes kleinräumiges Wachstum verzeichnet das Kolonialgebiet zum Beispiel 1886 mit den SalomonInseln oder mit dem Kauf der Marianen-, Palau- und Karolinen-Inseln von Spanien im Jahr 1899. Im gleichen Jahr einigen sich das Deutsche Reich und die USA außerdem auf eine Aufteilung Samoas (vgl. Speitkamp 2014: 38). Tab. 1: Ungefähre Bevölkerungszahl und Fläche der deutschen Kolonien.
Kolonie DSWA
Bevölkerung vor 19149
Fläche10
200.000
830.000 km²
Togo
1.000.000
87.200 km²
Kamerun
3.850.000
795.000 km²
DOA
7.750.000
997.000 km²
DNG
640.000
240.000 km²
Kiautschou
190.000
551,65 km²
De facto endet die deutsche Kolonialherrschaft in Afrika und Asien bereits im Verlauf des Ersten Weltkriegs: Schon kurz nach Kriegsbeginn, im August 1914, wird Togo von britischen und französischen Truppen besetzt. Im selben Jahr nehmen australische Truppen einen Großteil der Landfläche von DNG ein. Am 7. November 1914 kapitulieren die deutschen Truppen in Kiautschou vor den zahlenmäßig überlegenen Japanern. Am 1. Juli 1915 besiegt die Südafrikanische Union die deutschen Truppen in DSWA und nimmt kurz darauf die Kapitulation der Schutztruppe entgegen. Die letzten kämpfenden Truppen in Kamerun ergeben sich 1916. In DOA liefert sich die deutsche Schutztruppe kleinere Gefechte
|| 9 Vgl. Speitkamp (2014: 39–40). 10 Vgl. DKL (b).
8 | Ortsnamen und der koloniale Blick
mit britischen Truppen, bevor ihr Kommandeur Paul von Lettow-Vorbeck am 25. November 1918 kapituliert. Nach der deutschen Unterzeichnung des Versailler Vertrags am 28. Juni 1919 gehen die Kolonien als Mandate an verschiedene Mitgliedsstaaten des Völkerbunds über und werden dem Deutschen Reich damit offiziell aberkannt. Auch wenn die Kolonialgeschichte immer noch eine eher untergeordnete Rolle im kollektiven Gedächtnis der Deutschen zu spielen scheint, gibt es Anzeichen für ein zunehmendes öffentliches Interesse an der Thematik: Etwa die verhältnismäßig dichte Berichterstattung über die deutsch-namibischen Entschädigungsverhandlungen (s. bspw. Tagesschau 2020) oder dass die SpiegelRedaktion (2019) ein Sonderheft zum europäischen Kolonialismus herausbringt. Die schleppende Aufarbeitung der kolonialen Vergangenheit stellt eine deutsch-schwedische Parallele dar. Seit Mai 2020 sorgt die US-amerikanische Black-Lives-Matter-Bewegung allerdings auch in Schweden für ein verstärktes Interesse an der kolonialen Vergangenheit und der schwedischen Beteiligung am transatlantischen Sklavenhandel. Kritik richtet sich unter anderem gegen öffentliche Denkmäler, bspw. gegen eine Statue des niederländischen Kaufmanns Louis de Geer (1587–1652) in Norrköping, der als Gründer der AfrikaKompanie stark vom Sklavenhandel im schwedischen Handelsstützpunkt Cabo Corso im heutigen Ghana profitierte (vgl. da Silva 2020). Neben der kleinen Handelskolonie in Afrika nahm das Königreich außerdem Territorien in Amerika, der Karibik und Indien in Besitz. Insgesamt lässt sich die Zeit der schwedischen Expansion in zwei Phasen unterteilen. Den Beginn der ersten Phase markiert 1638 die Gründung von Neuschweden (Nya Sverige, NYS) entlang des Delaware-Flusses an der Ostküste der heutigen USA. Die schwedische Herrschaft endet bereits im Jahr 1655, als die mit Schweden konkurrierende Niederländische Westindien-Kompanie NYS mit militärischer Gewalt in ihren Besitz bringt. Die Bevölkerungszahl der Kolonie lässt sich nur annähernd schätzen, zumal Daten über die indigene Bevölkerung (vor allem der Lenni Lenape) fehlen. Ålund (1892: 194) beziffert die schwedischen und finnischen (damals schwedisch regierten) Einwohner in den 1660er-Jahren auf 600 Personen – zu einem Zeitpunkt, als die Kolonie bereits in niederländischen und anschließend englischen Besitz übergegangen war. Allerdings scheint diese Zahl mit dem Verlust der Kolonie nicht wesentlich abgenommen zu haben: Obwohl es den Siedler*innen freistand, nach Schweden zurückzukehren, entschieden sich die meisten für den Verbleib unter Herrschaft der WestindienKompanie (vgl. Ålund 1892: 194). Etwa zur gleichen Zeit, im Jahr 1650, erwirbt die kurz zuvor gegründete Schwedische Afrika-Kompanie die Handelsstation Cabo Corso im heutigen Gha-
Deutscher und schwedischer Kolonialismus | 9
na. Mit ihrem Stützpunkt an der Schwedischen Goldküste möchte die Kompanie vor allem den Transport von Gold nach Schweden erleichtern und das Geschäft mit afrikanischen Sklaven vorantreiben (vgl. Pålsson 2016: 51). Später verkauft der schwedische Gouverneur Henrik Carloff die Kolonie offenbar eigenmächtig an das niederländische Königreich, worauf ein schwedisch-niederländischer Streit über die Rechtmäßigkeit des Verkaufs folgt. Dieser endet 1664 mit der englischen Inbesitznahme Cabo Corsos. Auch hier lässt sich die Bevölkerungszahl der Kolonie nicht genau beziffern, allerdings wird die Gegend von schwedischer Seite vor dem Erwerb als verlassen und wirtschaftlich weitgehend ungenutzt beschrieben (vgl. Silfverstolpe 1879: 305). Auch ihre geringe Größe und die Funktion als Handelsposten legen eine eher niedrige Einwohnerzahl nahe. Nach dem Verlust Cabo Corsos kommen die kolonialen Bestrebungen Schwedens zunächst zum Erliegen,11 bedingt durch Kriege in Europa und die mangelnde Investitionsbereitschaft des schwedischen Staates. Erst 120 Jahre später, im Jahr 1784, beginnt eine zweite koloniale Phase mit der diplomatisch ausgehandelten Übergabe der Karibikinsel SB von Frankreich. Im Jahr darauf landen die ersten schwedischen Siedler auf der Insel. Im Lauf der schwedischen Besetzung stellt sich der wirtschaftliche Nutzen von SB zunehmend als enttäuschend heraus, weshalb die Insel 1878 mit der Abreise des schwedischen Gouverneurs Bror Ludvig Ulrich offiziell wieder unter französische Kontrolle fällt. Die Einwohnerzahl von SB ist gering: Zum Zeitpunkt der schwedischen Inbesitznahme leben hier 739 Menschen (vgl. Pålsson 2016: 50), im Jahr 1821 sind es 5.003 Personen (vgl. ebd.: 85). Zum Ende der schwedischen Herrschaft verhindern Großbrände, Wirbelstürme und eine anschließende Hungersnot zwischen 1859 und 1860 ein weiteres Bevölkerungswachstum. Wenig bedeutend, aber trotzdem Teil der schwedischen Überseepolitik ist der Versuch der Schwedischen Ostindien-Kompanie, mit einer eigenen Faktorei in Porto Novo (heute Parangipettai) in Indien Fuß zu fassen. Diese wird allerdings am 20. Oktober 1733, nur wenige Wochen nach ihrer Errichtung, auf Befehl der englischen und französischen Gouverneure in der Region zerstört (vgl. Nyström 1915: 1432). Ähnlich folgenlos bleibt die 14-monatige Verwaltung Guadeloupes, die Großbritannien dem schwedischen Königreich im Gegenzug für seine Unterstützung gegen Napoleon überträgt (vgl. F. Thomasson 2018: 108).
|| 11 Ähnlich wie in Deutschland nach dem Ersten Weltkrieg gibt es auch in Schweden nach 1664 eine koloniale Nostalgie. Händler, Politiker und andere Kolonialbefürworter*innen schlagen weitere Expansionsziele in Afrika und Ostasien vor (vgl. Pålsson 2016: 51). Eine erste und zweite Phase des schwedischen Kolonialismus sind also lediglich auf der Landkarte und nicht im politischen Diskurs ersichtlich.
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Am 3. März 1813 begonnen, endet die schwedische Verwaltung mit dem Ersten Pariser Frieden am 30. Mai 1814, der Guadeloupe wieder als französisches Territorium etabliert. Alles in allem gehört das Königreich Schweden mit seinen verhältnismäßig kleinen Besitztümern im europäischen Vergleich zu den weniger bedeutenden kolonialen Akteuren. Bei aller Verschiedenheit der Ausmaße, die der deutsche und schwedische Kolonialismus annehmen, stimmen die Beschreibungen und Bewertungen der angeeigneten Landschaft allerdings häufig überein, wie die anstehende Analyse zeigt. Sie legen einen typisch europäischen Blick auf den Raum als Natur- oder Kulturraum nahe, der die Kolonialmächte vereint.
1.2 Natur- und Kulturraum: Ein kolonialer Topos Zweitens aber, und auch das ist bezeichnend, gilt auch in Südwestafrika das verkehrsgeographische Gesetz in hervorragendem Maße, nach welchem die Täler eines Plateaugebietes, nicht aber seine Höhen die wahren Hemmnisse für unsere modernen Beförderungsmittel bedeuten.
Tatsächlich ist die Beschreibung von DSWA im Deutschen Kolonial-Lexikon (DKL a: 413) „bezeichnend“ – und zwar im Hinblick auf den Gegensatz von natürlichen „Hemmnissen[n]“ und „unsere[n] modernen Beförderungsmittel[n]“. Der Lexikoneintrag steht beispielhaft für den kolonialen Topos eines wilden, unwegsamen, unzivilisierten Naturraums, der vermittels europäischer Technologie, Unternehmergeists und Fleißes als Kulturraum erschlossen wird – und werden muss. Denn an der kolonialen Gesinnung des Herausgebers Heinrich Schnee lässt die Widmung des DKL (b; Hervorh. i. O.) keinen Zweifel: „DEM DEUTSCHEN VOLK mit dem heißen Wunsch, daß unser Vaterland bald zu erneuter Größe wiedererstehen und seine mit so gutem Erfolg begonnene Kulturarbeit über See wieder aufnehmen möge.“ Die „Kulturarbeit“ ist für Schnee eine patriotische Pflicht. Mit der imaginierten Abwesenheit von Kultur legitimieren viele europäische Nationen ihre koloniale Expansion und die (Um-)Benennung des begehrten Raums nach eigenen Vorstellungen (vgl. Stolz & Warnke 2019: 38). Um dieser Logik zu entsprechen, müssen vorhandene indigene Ökonomien und Kulturen wiederum abgewertet und illegitimiert werden. Beispiele für eine entsprechend entmenschlichende Rhetorik sind zahlreich: Lauer (2009: 207) zitiert die Deutsche Kolonialzeitung, wonach große Teile Afrikas „noch völlig in den Händen von Wilden oder von Halbbarbaren, also noch unvergebene Welt“ und ein „noch herrenloses Land“ seien. Der indigenen Bevölkerung fehle es an Organisation und Technik, um das
Natur- und Kulturraum: Ein kolonialer Topos | 11
Land – im Verständnis der Kolonisierenden – richtig zu nutzen. Darstellungen wie die der Deutschen Kolonialzeitung zeichnen Afrika als einen Naturraum mit der indigenen Bevölkerung als Naturmenschen.12 Die europäischen Kulturmenschen sollen ihre Umwelt hingegen mit überlegener Intelligenz und Arbeitsmoral selbst zum Kulturraum transformiert haben, was ihre naturgemäße Überlegenheit beweise. Kundrus (2003: 8) fasst treffend zusammen: „‚Kultur‘, als System von Selbst-/Fremd-Deutungen gedacht, scheint am besten den Konstruktions- und Inszenierungscharakter von Differenz, Rasse, Geschlecht zu markieren“. Neben patriotischem Pflichtgefühl und rassistischen Überlegenheitsvorstellungen wird auch mit ökonomischen Argumenten für die Expansion argumentiert. Solche Argumentationsmuster finden sich schon lange vor dem faktischen deutschen Kolonialismus – etwa in den frühen Reiseberichten des Mathematikers und Physikers Peter Kolb (1675–1726), mit denen sich Lauer (2009: 210) ebenfalls auseinandersetzt: Kolb stellt fest, „daß dem Land eigentlich nichts fehlt als eine europäische Kultur, die den verborgenen Reichtum der Fruchtbarkeit an den Tag bringen könnte“. Damit treffe Kolb Aussagen, die zentrale Bestandteile vorkolonialer und kolonialer Raumdiskurse sind: Das Land hat einen „verborgenen“ Reichtum, den die Bewohner nicht zu nutzen wüssten. Nur die Europäer verfügten über die Kenntnisse, die Disziplin und die technische Ausstattung, die Schätze des Bodens zu heben und fruchtbar zu machen. (ebd.)
Die vermeintliche Kulturlosigkeit dient kolonialen Akteur*innen und ihren Vordenker*innen zur Legitimierung nicht nur der Expansion im Allgemeinen, sondern auch der Benennung der Landschaft, die sie als neu und unbekannt darstellen können. Aus Sicht Europas verleiht das kulturelle Vakuum dem „Entdecker das unbestreitbare Recht, Lokalitäten zu benennen […] und sie damit in einem diskursiven Akt in Anspruch zu nehmen“ (Schuster 2018: 163). Von diesem Recht machen zunächst europäische Forschungsreisende Gebrauch,13 mit der Etablierung von Kolonialverwaltungen übernehmen zunehmend Vertreter der administrativen Raumplanung diese Aufgabe.14
|| 12 Ein weiteres Beispiel liefern Spitzmüller und Warnke (2011: 171), die eine „Konzeptualisierung Deutsch-Südwest-Afrikas als bedrohlicher Naturraum“ in der Zeitschrift Kolonie und Heimat dokumentieren. Diese Konzeptualisierung geht über die Textebene hinaus, indem sie sich auch deutlich in Text-Bild-Beziehungen manifestiert. 13 S. zum Beispiel Plan-Skizze der Station Bismarckburg mit anliegenden Feldern (1890). 14 S. zum Beispiel Hafenanlagen in der Kiautschou-Bucht (1902).
12 | Ortsnamen und der koloniale Blick
Die Dichotomie von Natur- und Kulturraum wirkt sich auch auf den kolonialen Diskurs in der Metropole aus. Pratt (2008: 3), die Beispiele von eurokolonialer Reiseliteratur analysiert, fasst die diskursprägende Wirkung von kolonialen Raumbeschreibungen und -fantasien zusammen: „[Travel books] created a sense of curiosity, excitement, adventure, and even moral fervor about European expansionism.“ Zwar konzentriert sich Pratt hauptsächlich auf Reiseliteratur über Südamerika und setzt den Beginn ihres Untersuchungszeitraums mit dem Jahr 1750 deutlich vor der kolonialen Aktivität des Deutschen Reiches an. Dabei zeichnet sie aber eine gesamteuropäische Wahrnehmung der beiden Kontinente nach. Es ist eine Wahrnehmung des Fremden, die seit der Mitte des 18. Jahrhunderts besonders von der jungen Naturgeschichte geprägt ist: „scientific exploration was to become a focus of intense public interest, and a source of some of the most powerful ideational and ideological apparatuses through which European citizenries related themselves to other parts of the world” (Pratt 2008: 23). Bezeichnenderweise liegt ein distinktives Merkmal der frühen Naturgeschichte gerade in der Kategorisierung der Natur: Zu ihren Vordenkern zählt der schwedische Naturforscher Carl von Linné, dessen taxonomisches System nicht weniger als die Klassifizierung aller Spezies auf dem Planeten zum Ziel hat. Auch hier wird der prominente Zusammenhang von europäischem Klassifizierungsbestreben und kolonialer Aktivität deutlich – denn die frühe Naturgeschichte wird stark von den bereits vorhandenen kolonialen Strukturen begünstigt. Bspw. gewährt die Schwedische Ostindien-Kompanie Linnés Schülern freie Mitfahrt auf ihren Forschungsreisen (vgl. ebd.: 25). Auf diese Weise profitiert die Naturgeschichte bereits früh von der europäischen Expansionspolitik und man kann mit Recht fragen, ob sich das junge Paradigma ohne die gegebenen Strukturen überhaupt im selben Maße hätte durchsetzen können. Die Naturgeschichte erwidert den Gefallen, indem sie das Interesse der europäischen Öffentlichkeit an der Erforschung und Entdeckung des Fremden befeuert. Es erscheinen populärwissenschaftliche Publikationen, während andere koloniale Akteur*innen mit unterhaltender Literatur, Öffentlichkeitsarbeit und anderen Mitteln Zuspruch gewinnen wollen. Auf diesem Weg erlangen Vorstellungen von Natur- und Kulturmenschen einen prominenten Platz im kolonialen Diskurs. Sie prägen auch sprachideologische Haltungen: Es ist kein Zufall, dass sich hierarchisierende Vorstellungen von Sprachen zeitgleich mit dem europäischen Kolonialismus durchsetzen (vgl. Diagne 2019: 95). Auch in der Sprachwissenschaft herrschen zu jener Zeit zunehmend Positionen vor, die von grammatikalischen Merkmalen einer Sprache auf die Vernunftbegabung ihrer Sprecher*innen schließen. Solche sprachideo-
Klassifikatoren und diskursive Wissenskommunikation | 13
logischen Vorstellungen sowie die vorurteilsbehaftete Unterscheidung von Natur und Kultur prägen auch die Benennung von Orten in den Kolonien.
1.3 Klassifikatoren und diskursive Wissenskommunikation Parallel zur Domäne der Technik herrscht auch im kolonialen Verständnis von Sprache die Vorstellung vor, dass sich einzelne Sprachen auf einer linearen Entwicklungsskala verorten ließen: Die Sprachen der kolonisierenden Nationen (die sogenannten Kolonialsprachen) befinden sich am oberen Ende der evolutiven Skala. Sie haben sich „zur vollendeten Sprache einer vollendeten Humanität [erklärt], der gegenüber die lokalen Sprachen unvollständig und durch einen Mangel bestimmt sind“ (Diagne 2019: 95–96). Diese Ablehnung der autochthonen Sprachen schlägt sich auch in kolonialen Ortsnamen nieder: Sie trägt möglicherweise dazu bei, dass deutsche Kolonialtoponyme deutsche Klassifikatoren (KLASS) präferieren (vgl. Stolz & Warnke 2018b: 57), um die es in dieser Arbeit hauptsächlich geht. Die toponymischen KLASS genau zu definieren, ist durchaus schwieriger, als es die kurzgefassten Umschreibungen in bisherigen (kolonial)toponomastischen Beiträgen vermuten lassen. Eine eigene Definition schlage ich deshalb in Kap. 3 vor, wo ich detailliert auf die Form und Funktion der KLASS eingehe. Stark vereinfacht geht es mir um alle Bestandteile von Toponymen, die den Namensträger explizit als Vertreter einer ontologischen Kategorie einordnen (vgl. Stolz & Warnke 2018c: 27) – oder einzuordnen scheinen.15 Es geht um Konstituenten wie die fett markierten Bestandteile in Njakahama-Plateau (DOA), Sägewerk Hemer (Kiautschou) oder Bremer Faktorei (Togo). Toponyme, die einen KLASS enthalten, bezeichne ich als Klassifikator-Toponyme (+KLASS) im Gegensatz zu Toponymen ohne KLASS (-KLASS). Im kolonialen Toponomastikon sind die +KLASS besonders relevant, da sie einerseits den -KLASS zahlenmäßig deutlich überlegen sind (vgl. Stolz & Warnke 2018b: 57) und andererseits dem kanonischen Verständnis von Eigennamen als semantisch leer bzw. nicht motiviert widersprechen: Als (rezent oder historisch) appellativische Ausdrücke greifen die KLASS auf das lexikalische Wissen der Sprecher*innen zurück: Sie evozieren das, was Ziem (2008b: 2) „konzeptuelle Wissenseinheiten“ nennt. Damit geht ihre Funktion über den bloßen Zweck der Referenz hinaus. Insofern haben die KLASS immer auch das Potenzial, im Interesse der Benennenden genutzt zu wer-
|| 15 Kap. 3 behandelt auch den häufigen Fall von Toponymen mit einem KLASS, dessen prototypische Semantik nicht mit dem benannten Landschaftsausschnitt übereinstimmt.
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den. Sie sind ein Werkzeug der „Wissenskommunikation“ im Sinne von Spitzmüller & Warnke (2011: 42) über Topografie. Das macht die KLASS zu einem äußerst interessanten Gegenstand, um historische Epistemologien von Raum nachzuvollziehen, und verdeutlicht die diskursive Wirksamkeit der KLASS. Insbesondere für eine diskurslinguistisch interessierte Kolonialtoponomastik führt daher kein Weg an der Auseinandersetzung mit ihnen vorbei. Umso stärker fällt auf, wie wenig Aufmerksamkeit den KLASS in bisherigen (kolonial-)toponomastischen Untersuchungen zuteilgeworden ist. Deren hauptsächlicher Fokus liegt nach wie vor auf den nichtklassifizierenden Namensbestandteilen, die Stolz & Warnke (2016: 37) als „modifier“ (Modifikatoren, MOD) bezeichnen. Beispiele für MOD-Elemente finden sich fett markiert in Bismarckburg (Togo), Kaisergebirge (DNG) und Dollmannshöhe (Kamerun). Dass das kolonialtoponomastische Interesse bisher vorrangig den MOD gilt, ist nachvollziehbar – schließlich eignen sich diese Konstituenten hervorragend, um das Koloniale an den Kolonialtoponymen aufzuzeigen: Die MOD stellen eine deutliche Form der „Teutonisierung der Landkarte“ (Stolz & Warnke 2015: 152) dar. Anthroponymische MOD – also solche, die sich von einem Personennamen ableiten – lassen sich meist präzise auf nationale und koloniale Heldenfiguren zurückführen, wie etwa Stolz, Warnke & Levkovych (2016) umfassend dokumentieren. Die komplementären KLASS-Elemente Burg, Gebirge und Höhe scheinen auf den ersten Blick kaum etwas Koloniales, geschweige denn einen Besitzanspruch zu kommunizieren. Um ihre Rolle im kolonialen Place-Making zu analysieren, braucht es einen tiefensemantischen Zugang in dem Sinne, wie ihn Dietrich Busse beschreibt. Busse (1997: 19) spricht sich für eine „die Beschränkungen der linguistischen mainstream-Semantik [sic!] überschreitende Tiefensemantik“ aus. Selbstverständlich handelt es sich nicht immer um ein Versäumnis, wenn toponomastische Untersuchungen die KLASS unberücksichtigt lassen. Je nach Forschungsinteresse können sie auch einfach weniger interessant oder ihre Analyse nicht zielführend sein. Untersucht man zum Beispiel Toponyme mit Fokus auf eine bestimmte ontologische Kategorie, dann ist ein begrenztes KLASSInventar erwartbar: So etwa bei Schulz & Aleff (2018), die unter anderem exonymische Straßennamen in Deutsch-Samoa und DNG untersuchen. In ihrem Kontext finden sie ein vergleichsweise homogenes KLASS-Inventar vor, das in beiden Regionen jeweils zur Hälfte aus Straße und Weg besteht (vgl. ebd.: 132). Da Straßennamen häufig in kommemorativer Absicht vergeben werden, sind Spuren von Kolonialität eher in ihren MOD-Elementen zu erwarten. Allerdings können auch hier KLASS wie Pfad oder Route konzeptuelles Wissen evozieren und einer Intention der Benennenden folgen. Auf diese Weise können Namen
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bereits die Vorstellungen und das Sprechen über einen Raum prägen – und damit den kolonialen Diskurs. In der Diskurslinguistik gilt der Diskurs als ein „Formationssystem von Aussagen, das auf kollektives, handlungsleitendes und sozial stratifizierendes Wissen verweist“ (Spitzmüller & Warnke 2011: 9). Als eine Form der kolonialen Wissenskommunikation stellen auch die KLASS ein solches Formationssystem dar: Um ihre Funktion im Diskurs zu verdeutlichen, lassen sich die KLASS mit Recht als diskursive Grundfiguren im Sinne Busses (2018: 23) begreifen.16 Ihm zufolge können diskursive Grundfiguren zur (lexikalischen) Oberflächenbedeutung verwendeter Sprachzeichen und -ketten gehören, in denen sie bemerkt oder unbemerkt wirksam werden. […] Sie können auf der Ebene einer Analyse des verstehensrelevanten bzw. epistemisch in einem Diskurstext mitschwingenden [sic!] bzw. vorausgesetzten Wissens in einzelnen Elementen einer Framebzw. Rahmenstruktur „versteckt“ sein, die sich auf einer unteren, indirekten, vermittelten Ebene der Wissensstruktur quasi „verbergen“.
Koloniale KLASS-Elemente veranschaulichen, wie sich das handlungsleitende und stratifizierende Wissen in Toponymen verbergen kann – schließlich ist „[s]oziale Stratifizierung […] ein Grundprinzip des Kolonialismus, so dass koloniale Sprachpolitik immer auch mit der Kontrolle um Zugänge zu sprachlichen Ressourcen einhergeht“ (Spitzmüller & Warnke 2011: 183). Benennt man etwa einen Landschaftsausschnitt als Schanzwüste oder Trinkwasser (beide DSWA), sind diese Namen auf eine ganz konkrete Weise handlungsleitend. Die Schanzwüste scheint öde und leer: Es gilt also, ausreichend Vorräte mitzunehmen. Der Ort Trinkwasser suggeriert einen geeigneten Rastplatz: Hier scheint die Versorgungslage besser zu sein. Eine soziale Stratifizierung dieses Wissens ist in den Toponymen ebenfalls gegeben: Kodiert als reine Exonyme ist das kommunizierte Wissen den deutschen Kolonisierenden vorbehalten – umgekehrt transportieren reine Endonyme ortsspezifische Informationen, die sich ohne Übersetzung nur den Kolonisierten erschließen. Insofern manifestieren sich in den Kolonialtoponymen ungleiche Machtstrukturen, die mit den Mitteln der Diskurslinguistik beschreibbar werden. Während die KLASS in den Kolonien ein exklusives und handlungsleitendes Wissen transportieren, prägen sie auch den kolonialen Diskurs in der Metropole. Sie sind ein geeignetes Mittel, um den kolonialen Raum in der Metropole kommunizierbar zu machen, empfundene Fremdheit zu reduzieren und ein Gefühl der Nähe zu erzeugen: Autochthone Namen wie N’do oder Tennakong || 16 Namen stellen auch für Busse (1997: 21) selbst mögliche diskursive Grundfiguren dar.
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vermitteln der deutschsprachigen Bevölkerung keine konkreten topografischen Vorstellungen – erst mit einem KLASS-Element wie in N’do-Strand (Kamerun) oder Tennakongs-Stranden (‚Der Tennakong-Strand‘, NYS) geschieht das, was Busse (2012: 118) eine „epistemische Kontextualisierung“ nennt: Die Kolonisierenden versehen Endonyme mit einem KLASS, um sie semantisch anzureichern. In der Terminologie der Frame-Semantik (s. Kap. 3.2.2) ist zum Beispiel ein Frame mit dem Thema Strand vorstellbar, dessen Attribute mit Default-Werten wie idyllisch, exotisch oder auch für den Fischfang geeignet besetzt sein können. Sind sich die Benennenden dieser Defaults bewusst, können sie sie gezielt in ihrem Sinne für die Wissenskommunikation einsetzen. Für eine solche „‚reiche‘ Semantik […], welche alles an Bedeutung entfaltet, was in einem Text und seinen Versatzstücken rekonstruiert werden kann“ (Busse 1997: 18), interessieren sich sowohl die Diskurs- als auch die FrameSemantik. Beide haben eine ähnliche Auffassung von Wissen und Wortbedeutung: Sie gehen davon aus, dass traditionelle Vorstellungen von Bedeutung überwunden werden müssen, weil sie „für Zwecke tiefensemantischer und epistemologisch motivierter Analyse nicht ausreichend sind“ (ebd.). Das liege vor allem an der eigenen Einbindung der Forschenden in die Diskurse ihrer Zeit, die immer nur einen spezifischen, historischen Ausschnitt der Auffassung von semantischen Merkmalen, Prototypen etc. erlauben. Der Subjektivität von semantischen Analysen begegnet die Frame-Semantik, indem sie sie zum Kern ihres eigenen Bedeutungsverständnisses macht. Ihr zufolge gelten für die Verwendung eines Lexems „konventionalisierte epistemische Kontexte“ (Busse 2012: 665). Welches Wissen ein Lexem bei den Rezipient*innen evoziert, hänge von den „in einer gegebenen Wissensgemeinschaft gültigen Episteme[n]“ (ebd.) ab. Mit ihrem offenen Blick auf Wissen und Wissenskommunikation ebnet die Frame-Semantik den Weg zu einer rekonstruierbaren „kulturellen Epistemologie“ (Busse 2012: 613) auf der Grundlage sprachlicher Daten. Alles in allem ist die Rolle der KLASS bei der Ortsherstellung bisher nicht erschöpfend untersucht worden, wenngleich sie in jüngeren Beiträgen der Kolonialtoponomastik immer mehr in den Fokus rückt (s. Kap. 3). Dabei ließen sich insbesondere mit Vergleichsstudien sprach- und regionalspezifische Musterhaftigkeiten aufdecken: Zum Beispiel sind koloniale, nichtkoloniale, afrikanische, asiatische oder andere Präferenzen für bestimmte KLASS denkbar. Für die Gruppe der Mikrotoponyme17 haben Schulz & Ebert (2017: 182) bereits auf systemati-
|| 17 Mikrotoponyme sind Ortsnamen, deren „Kommunikationsradius […] auf eine Dorf- bzw. Stadtgemeinschaft begrenzt“ (Nübling, Fahlbusch & Heuser 2015: 206) ist. Hierzu gehören „kleinere Objekte wie z. B. Straßen, Viertel und Flurstücke, aber auch kleinere Gewässer, Sied-
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sche Unterschiede in den Kolonien und im Deutschen Reich hingewiesen, wobei die MOD im Fokus ihrer Untersuchung stehen. Auf die Notwendigkeit, koloniale Ortsnamen auf Systeme und Musterhaftigkeiten zu untersuchen, weisen auch Stolz & Warnke (2017: 206) hin.
1.4 Postkoloniale Linguistik Wenn ich in dieser Arbeit von toponymischen Mustern in kolonialen Kontexten ausgehe, untersuche ich damit Verflechtungen von Sprache und Kolonialismus (vgl. Stolz, Levkovych & Warnke 2018: 190), die einen Kerngegenstand der Koloniallinguistik darstellen. Während der programmatische Beitrag der elfköpfigen Forschungsgruppe Koloniallinguistik (Dewein, Engelberg, Hackmack, Karg, Kellermeier-Rehbein, Mühlhäusler, Schmidt-Brücken, Schneemann, Stolberg, Stolz & Warnke 2012) noch nicht das Verhältnis der Koloniallinguistik zu den Postcolonial Language Studies (PLS) thematisiert, werden die Bezeichnungen heute weitestgehend synonym verwendet. Da sich die Koloniallinguistik, PLS, Postcolonial Linguistics und andere Bezeichnungen in ihren Forschungsinteressen im Wesentlichen überschneiden, subsumiere ich sie vereinfachend unter dem Begriff der postkolonialen Linguistik. Diese verstehe ich mit Warnke, Stolz & Schmidt-Brücken (2016: 1) als eine „Linguistik der Kolonialität“ mit einem Interesse an allen „Dimensionen von Sprache und Sprachgebrauch in kolonialen Kontexten.“ Erklärungsbedürftig ist dabei vor allem der Begriff postkolonial – schließlich geht die postkoloniale Linguistik keinesfalls von einem Ende des Kolonialismus und seiner Nachwirkungen in der Gegenwart aus. Speitkamp (2014: 12) spricht von Kolonialgeschichte auch als einer „Geschichte der Erinnerung an Kolonialherrschaft, die Geschichte der Kämpfe um Deutungen und Bewertungen kolonialer Erfahrung. […] Gerade in dieser Hinsicht ist die Kolonialgeschichte noch nicht beendet.“ Forschung im Rahmen der postkolonialen Linguistik soll (und darf) sich deshalb keinesfalls bloß an den tiefgreifenden Auswirkungen von kolonialer Unterwerfung und Ausbeutung abarbeiten. Sie verfolgt kein „radical turning away and deconstruction of colonial conditions, history, and present“ (Warnke 2019: 44). Eine solche linguistische Spielart wäre für die Aufarbeitung der europäischen Kolonialvergangenheit ein Rückschlag.
|| lungen sowie Höfe“ (ebd.: 207). Ihnen gegenüber stehen Makrotoponyme als „weithin bekannte […] Namen geographischer Großobjekte wie Städte, Flüsse, Gebirge“ (ebd.: 206).
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Die verschiedenen Bezeichnungen, unter denen Forschende postkoloniale Linguistik betreiben, zeigt, dass es sich bei ihr um eine junge und sich dezentral weiterentwickelnde Forschungsrichtung handelt. Entsprechend vielfältig sind auch die Interessenfelder der postkolonialen Linguistik: Die selbstkritische Historiografie der Linguistik gehört für Warnke, Stolz & Schmidt-Brücken (2016) ebenso dazu wie Themen der Diskurslinguistik, Missionarslinguistik, Kontaktlinguistik, Sprachideologie und -politik, Kreolistik, Onomastik, Korpuslinguistik, Sprachkritik und des Postkolonialismus. Levisen & Sippola (2019) erweitern diese Themenvielfalt, indem sie postkolonial inspirierte und informierte Arbeiten in der Pragmatik, Semantik, Soziolinguistik und Anthropologie in den Postcolonial Linguistics verorten. Sogar eine angewandte postkoloniale Linguistik sei im Entstehen begriffen (vgl. Levisen & Sippola 2019: 7). Die postkoloniale Linguistik bedient sich also sehr unterschiedlicher linguistischer Theorien und Methoden. Die Onomastik ist hier mit ihrer langen fachlichen Tradition genauso vertreten wie die Diskurslinguistik als ein verhältnismäßig junges linguistisches Paradigma. Allerdings versteht sich postkoloniale Linguistik nicht als eine konsumierende Disziplin, die auf hilfswissenschaftliche Zuarbeit angewiesen ist. Vielmehr erzeugt ihre Interdisziplinarität Wechselwirkungen zwischen linguistischen Fachrichtungen, die ansonsten nur selten miteinander in Kontakt kommen. Aus dieser theoretischen und methodischen Offenheit geht mit dem Beitrag von Stolz & Warnke (2015) das junge Forschungsfeld der vergleichenden Kolonialtoponomastik bzw. der Comparative Colonial Toponomastics (COCOTOP) an der Universität Bremen hervor. Es begreift sich als a joint project which aims at collecting, systematizing, and evaluating comprehensively and in a comparative-linguistic perspective the toponomastic manifestations of the Europeanization of the maps of extra-European regions during the era of colonialism. (Stolz & Warnke 2019: 15)
Ein Ziel des Projekts sind also umfassende Datenerhebungen zu den untersuchten Kolonialsprachen. Eine aktuelle Übersicht zu den verhältnismäßig gut dokumentierten kolonialen Ortsnamenbeständen in verschiedenen Kolonialsprachen findet sich bei Stolz & Levkovych (2020b: 118). Die Forschenden führen eine Reihe von Beiträgen aus dem Umfeld von COCOTOP an, die sich unter anderem mit dem Deutschen, Niederländischen, Italienischen, Dänischen, Russischen, Spanischen, Französischen und Japanischen beschäftigen. Mit der m. W. bisher umfangreichsten Sammlung schwedischer Kolonialtoponyme, die ich für den anstehenden deutsch-schwedischen Vergleich zusammengestellt habe, möchte ich nicht zuletzt auch das Schwedische als eine bis-
Postkoloniale Linguistik | 19
her weitestgehend unbehandelte Kolonialsprache abdecken und zur Dokumentation des europäischen Kolonialtoponomastikons beitragen. Auch wenn meine Analyse zu großen Teilen von COCOTOP inspiriert ist, setzt sie sich über eine Einschränkung hinweg. Denn während sich die vergleichende Kolonialtoponomastik im engeren Sinne nicht mit dem Ortsnamenbestand der Metropole beschäftigt (vgl. Stolz & Warnke 2018c: 8), beziehe ich auch metropolitane Toponyme in die Untersuchung ein, um kolonialspezifische Musterhaftigkeiten ausfindig zu machen: Der deutsch-schwedische Vergleich prüft die KLASS auf sprachspezifische Besonderheiten. Der kolonial-metropolitane Vergleich ermittelt hingegen räumliche Unterschiede. Dabei soll die Kolonialität von KLASS auch ex negativo aufgezeigt werden: Mit Spitzmüller & Warnke (2011: 36) gehe ich davon aus, „dass diskursive Muster und spezifische Vorkommenshäufigkeiten miteinander korrelieren. Sehr häufig gebrauchte Formen sind dabei ebenso markiert wie sehr selten gebrauchte Konstruktionen.“ Insofern können wir KLASS-Merkmale nicht nur dann als typisch kolonial bezeichnen, wenn sie im kolonialen Raum auffallend stark ausgeprägt sind, sondern auch, wenn sie sich durch eine deutlich schwächere Ausprägung von der Metropole unterscheiden. Bei quantitativen Vergleichen dieser Art gilt es immer, kritisch zu reflektieren: Zwar lässt sich statistische Signifikanz leicht an der Über- oder Unterrepräsentation von Merkmalen festmachen – nicht zuletzt deshalb sind frequenzbasierte linguistische Analysen für Forschende so attraktiv. Allerdings gerät dabei schnell außer Acht, dass „the specificity of the colonial may lie in its unmarkedness, that is, in its analogy to non-colonially situated patterns” (Stolz & Warnke 2019: 30). Zum Beispiel ist die Frage berechtigt, warum sich KLASS wie Kolonie18, Tempel19 oder Institut20 in den von mir untersuchten Datensätzen gleichmäßig auf Kolonien und Metropole verteilen – ich selbst war naiv von Kolonie und Tempel als typisch kolonialen und von Institut als einem typisch metropolitanen KLASS ausgegangen. Solche auffallend unauffälligen Phänomene können ebenso aussagekräftig sein wie Über- oder Unterrepräsentationen. Sie lassen sich aber mit frequenzbasierten Signifikanztests nicht ermitteln und werden von mir im Rahmen dieser Arbeit höchstens punktuell behandelt. Neben der Sammlung kolonialer Ortsnamen beschäftigt sich COCOTOP auch mit kolonialer Ortsherstellung als einem Mittel der räumlichen Besitzergreifung (vgl. Stolz, Levkovych & Warnke 2018: 190), das sich auf den Ebenen Place-
|| 18 Tami-Kolonie (DNG); Kolonie Rombschin (Kreis Wongrowitz, heute im Powiat Wągrowiecki). 19 Tempel Waldfrieden (Kiautschou); Tempel (Kreis Oststernberg, heute im Powiat Sulęciński). 20 Biologisch-landwirtschaftliches Institut Amani (DOA); Städelsches Kunstinstitut und Städtische Galerie Frankfurt am Main.
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Identification, Place-Naming und Place-Making abspielt (s. Kap. 3.2.1). Indem sie soziolinguistische mit toponomastischen Konzepten vereint, ist die vergleichende Kolonialtoponomastik eine wesentliche Impulsgeberin für die Onomastik, die sich außerhalb von COCOTOP nach wie vor „vorrangig mit der Ermittlung [alter] Bedeutungsschichten“ (Nübling, Fahlbusch & Heuser 2015: 14) beschäftigt und sich insofern mit Recht eine geringe eigenständige Innovationskraft vorwerfen lassen muss. Mit den Impulsen von COCOTOP kann die Erforschung von Ortsnamen ihr Erkenntnisinteresse um neue Fragestellungen erweitern – zum Beispiel nach der diskursiven Funktion von Eigennamen. Auch in COCOTOP schließt die Auseinandersetzung mit KLASS-Elementen eine Forschungslücke: Als diejenigen Ebenen der Ortsherstellung, die der Linguistik am ehesten zugänglich sind, interessiert sich die Kolonialtoponomastik bis dato eher für das Place-Naming und Place-Making (vgl. Warnke, Stolz, de Bloom & Levkovych 2020: 83). Zwar sind die KLASS ebenso in die Ortsherstellung involviert, allerdings ist die Wahl eines konkreten KLASS immer von der Lexik einer Sprache und der Ontologie der Benennenden geprägt: Einen Landschaftsausschnitt als Ort zu identifizieren und ihm einen KLASS zuzuweisen, ergibt sich aus der Vorstellung von Realität, die die Benennenden an den Raum herantragen. Es sind also letztendlich ontologische Annahmen (s. Kap. 2.2) der Sprecher*innen, auf der die anderen Ebenen der Ortsherstellung – das PlaceNaming und Place-Making – aufbauen. Die Place-Identification nachzuvollziehen, hilft dabei, die Wahrnehmung und Bewertung von fremdem Raum als ein zentrales Element von Kolonialität zu rekonstruieren. Denn anders als onymische Namensbestandteile, die per definitionem keine Semantik besitzen21 (vgl. Nübling, Fahlbusch & Heuser 2015: 13), haben wir es bei den KLASS mit motivierten Konstituenten zu tun, die ein Toponym semantisch aufladen. Sie zu erfassen und zu analysieren, bedeutet, die ebenfalls relevante Place-Identification stärker in den Fokus von COCOTOP zu rücken. Place-Identification ist also die grundlegende und zugleich die sozusagen am wenigsten linguistische Ebene der Ortsherstellung. Im Gegensatz zur Struktur von Ortsnamen, die sich systemlinguistisch analysieren lässt, und zur Funktion von Ortsnamen, für deren Beschreibung die Diskurslinguistik die notwen|| 21 Zumindest dann nicht, wenn Konnotationen als Teil der Semantik von Eigennamen ausgeklammert werden, wie es Nübling, Fahlbusch & Heuser (2015) tun. Angesichts der Vorurteile, die mit einem Vornamen verbunden sein können (eine Online-Suche nach dem ironischen Begriff Kevinismus ist hier sehr aufschlussreich), halte ich es allerdings für möglich, Konnotationen z. B. als Elemente von Wissensrahmen mit dem jeweiligen Namen als Frame-Kern zu analysieren. Auf die nicht unerheblichen Folgen für die Definition der Eigennamen-Klasse, soll hier aus Platzgründen nicht weiter eingegangen werden.
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digen Instrumente bereithält, sind in Bezug auf die kognitiven Mechanismen der Place-Identification nur mittelbare Rückschlüsse möglich. Um auf den möglicherweise noch nicht versprachlichten, aber potenziell benennbaren Ort zu verweisen, ist in jüngeren Beiträgen der Kolonialtoponomastik häufig von Geoobjekten die Rede.22 Der Begriff stammt aus der Geografie bzw. Geodäsie. Geoobjekte können bei der kartografischen Darstellung von Topografie mithilfe von Geoinformationssystemen (GIS) „für jedes Phänomen der realen Welt [gebildet werden], das aus fachlicher Sicht ein hinreichendes Eigenleben führt“ (Reinhardt 2001: 316). Die Praxis, Geoobjekte in GIS zu erfassen und zu katalogisieren, verdeutlicht die Konstruiertheit von Orten auf anschauliche Weise. Denn hier werden abstrakte Landschaftsausschnitte zunächst in einem Koordinatensystem lokalisiert und damit für alle Nutzer*innen des Systems identifizierbar gemacht. Es werden ein Name und eine vordefinierte Objektklasse für das Geoobjekt hinterlegt (vgl. Reinhardt 2001: 316). Trotz dieser hochtechnisierten Methoden, mit denen die Geomatik Landschaftsausschnitte auf Landkarten kommunizierbar macht, sieht sie ihre Geoobjekte in der „realen Welt“ (ebd.) verortet, wo sie ein „hinreichendes Eigenleben“ (ebd.) außerhalb der subjektiven Raumwahrnehmung führen. Wesentliche Kritik am kartografischen Objektivitätsanspruch kommt aus der Geografie selbst: Als prominenter Vertreter der kritischen Geografie stellt Harley (1988: 58) bereits vor mehr als 30 Jahren fest: „This myth of a measurement-based ‚objectivity‘ in maps has yet to be stripped away“. Ich selbst verstehe Ontologie nicht als singulär, sondern gehe von einer individuellen, wenn auch sprachlich/kulturell beeinflussten Wahrnehmung von Raum und Orten aus. Anstelle von Geoobjekten spreche ich deshalb von topografischen Eindrücken. Damit meine ich jeden Ausschnitt der Landschaft, den Menschen aufgrund einer wie auch immer gearteten Signifikanz überhaupt erst als distinkt und benennenswert auffassen. Auf diese Weise sind topografische Eindrücke für mich das Ergebnis der Place-Identification. Anders als Geoobjekte stellen topografische Eindrücke gerade keine Objekte im Sinne eines außersprachlich, realweltlich vorhandenen Dinges dar. Ihr Merkmal ist das Eindrückliche – ihre Abhängigkeit von der Interpretation des Raums. In diesem Sinne lassen sich die topografischen Eindrücke auch als Phänomene entsprechend der Terminologie Edmund Husserls beschreiben: Ein Phänomen Ort zu identifizieren, ist keine bloße Wahrnehmung von natürlichen Begebenheiten. Vielmehr handelt es sich um einen voreingenommenen „Be|| 22 So z. B. bei Döschner (2018), Ebert (2018), Schuster (2018), Stolz & Warnke (2018c) und anderen Beiträgen.
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wusstseinsakt auf ‚etwas als etwas‘, wobei ‚jedes Bezugsobjekt in einem spezifischen Sinn gemeint ist‘“ (Waldenfels 2011: 198). Husserl problematisiert den Gedanken einer vermeintlich objektiven Welt, wobei für ihn „weder ein Primat der Welt noch der Wahrnehmung“ (Halbmayer 2010) existiert. Mit ihrer Ablehnung des ontologischen Realismus (s. Kap. 2.1) bietet die Phänomenologie einen fundierten Bezugspunkt für die kritische Theorie und ihre Ausprägung in verschiedenen Wissenschaften – etwa für die kritische Geografie, aber auch für die postkoloniale Linguistik, zu deren Selbstverständnis es auch gehört, Gewissheiten ihrer eigenen Disziplin zu hinterfragen und ggf. zu überwinden (s. Kap. 1.4). Indem die Kartografie verschiedene Geoobjekte in einem einheitlichen Katalog von Objektklassen verortet, in Deutschland zum Beispiel als Teil des Amtlichen Topographisch-Kartographischen Informationssystems (ATKIS, vgl. GeoInfoDok), definiert sie auch einen starren ontologischen Rahmen für die Ortsherstellung: Die Objektklassen bilden europäische (bzw. deutsche) Traditionen bei der Place-Identification ab. Die topografischen Eindrücke sind hingegen bewusst offen konzipiert, sie berücksichtigen das Identifizieren von Orten als einen subjektiven und kognitiven Vorgang und relativieren die Vorstellung von objektiv gegebenen Klassen, auf die die KLASS naturgemäß referieren. Wenn sich ein +KLASS auf einen topografischen Eindruck bezieht, gilt, was Spitzmüller & Warnke (2011: 55) für sämtliche sprachlichen Aussagen festhalten: Sie „verweisen nicht direkt auf eine ontologisch verfügbare Realität, sondern auf zeitgebundene und sozial ausgehandelte bis umkämpfte Vorstellungen.“ Mit ihrer Verortung in der postkolonialen Linguistik greift meine Untersuchung auf Theorien und Methoden der Linguistik zurück – einer Disziplin, die sich „durchaus auch wohl damit fühlt, nicht in interventionistische, politische Diskurse eingebunden zu sein“ (Warnke, Stolz & Schmidt-Brücken 2016: 13). Zum verbreiteten Objektivitätsanspruch der Disziplin passt auch die Vorliebe mancher Linguist*innen für universale Regeln und für geschlossene Kategoriensysteme zur Beschreibung von Sprache(n). Wie fest solche etablierten Systematiken in der Fachgeschichte der Sprachwissenschaft verankert sind, bringt Warnke (2020: 385) auf den Punkt, indem er feststellt, dass die Selbsteingrenzung und das kategorielle Denken in distinkten Systematiken bereits zur Gründungsgeschichte der Sprachwissenschaft gehört und dass Sprachwissenschaft insofern eine Disziplin mit ausgeprägter Selbstdisziplinierung ist und durch damit verbundene Effekte des Ausschlusses geprägt wird.
Warnke (2019: 41) attestiert dem Fach außerdem, dass „[t]he principles of normative order characterize linguistics like perhaps no other field in the humanities.“ Als eine Disziplin, die selbst im spezifischen kulturellen Rahmen des glo-
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balen Nordens entstanden ist (vgl. Levisen & Sippola 2019: 1), ist es allerdings umso wichtiger, ihre Universalität zu hinterfragen. Ihre „cultural lacks“ (Levisen & Sippola 2020: 2) – die partielle Weigerung der Linguistik, ihre eigenen Erkenntnisse als kulturell eingebettet wahrzunehmen – lassen sich hervorragend anhand der linguistischen Ortsnamenforschung verdeutlichen: Zum grundlegenden Vorgehen der traditionellen Onomastik gehört es, Namen in Gruppen wie die Staatennamen, Flurnamen oder auch Gebäudenamen einzuordnen (vgl. Nübling, Fahlbusch & Heuser 2015: 206), die deutlich erkennbar aus einer westlichen Ontologie hervorgegangen sind. Mit denselben Kategorien arbeitet auch die Kolonialtoponomastik, wobei sie den europäischen Blick auf Landschaft kontinuierlich fortführt und reproduziert. COCOTOP soll eine Alternative hierzu anbieten und es Forschenden erlauben, „von eingefahrenen Wegen der traditionellen Namenforschung abzuweichen und die Disziplin durch die Einführung bisher ungenutzter Perspektiven zu neuen Erkenntnissen zu führen“ (Stolz & Warnke 2018c: 63).23 Entgegen dem verbreiteten Willen zur Objektivität verstehen sich viele Beiträge der postkolonialen Linguistik durchaus als gesellschaftspolitisch relevant. Deshalb möchte ich an dieser Stelle auch auf das Selbstverständnis von COCOTOP und meiner eigenen Untersuchung in diesem Spannungsfeld eingehen. Schließlich fragt die vergleichende Kolonialtoponomastik hauptsächlich, „what the [European colonizer nations] thought to be suitable designations of [geographical objects] in their extra-European dependencies“ (Stolz & Warnke 2019: 15). Das Projekt klammert also Perspektiven der Kolonisierten weitestgehend aus und arbeitet insofern mit einem stark eurozentrischen Fokus. Diese Position ist zum einen der Machbarkeit geschuldet, schließlich ist es schon angesichts der Diversität von (teils nicht mehr gesprochenen) autochthonen Sprachen in den ehemaligen Kolonien kaum möglich, die erforderlichen sprachlichen Kompetenzen für die linguistische Analyse in einer Forschungsgruppe zusammenzubringen. Zum anderen birgt das Außerachtlassen der Kolonisierten durchaus auch eine ethische Problematik, zu der es sich zu positionieren gilt: Von einem europäischen Standpunkt aus postkolonial zu forschen, erfordert ein kontinuierliches, selbstkritisches Reflektieren über die eigene Arbeit. Warnke (2019: 41) merkt an: „To write about colonialism as a linguist […] means to face the necessity of abandoning certainties of neutrality and realizing that one is entering a
|| 23 S. auch Levisen & Sippola (2019: 9), für die der Umgang mit verschiedenen „well-documented descriptive and theoretical biases“ zu den wesentlichen Anliegen der postkolonialen Linguistik gehört.
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painful field of necessary self-analysis.“ Diese Selbstkritik ist für Warnke essenziell, um dem ethischen Konfliktpotenzial einer postkolonialen Linguistik zu begegnen: Es geht darum, die Linguistik selbst als eine kolonial involvierte Disziplin zu begreifen, deren Entstehung und Entwicklung nicht abseits des Kolonialismus stattgefunden hat. Warnke (2019: 43) beschreibt die Gefahr von scholarly entering the gruesomely imagined gloom of colonialism as a practice of intellectual satisfaction in the critical project of northern sciences, satisfying oneself autoaggressively with the shuddering horror of a colonial past and perhaps uplifting oneself morally at a critical distance, emerging once more as a victor.
Angesichts der aktiven Rolle, die linguistisch interessierte Forschungsreisende und Missionare bei der kolonialen Besitzergreifung auf der ganzen Welt gespielt haben, bedeutet postkoloniale Linguistik auch, die eigene Fachgeschichte aufzuarbeiten. „It is by no means unlikely that the practices of the structured explanation of systems have epistemological relatives in their colonial autobiography“ (Warnke 2019: 43), wie schon am Beispiel der Naturgeschichte deutlich geworden ist (s. Kap. 1.2). Hieraus ergibt sich eine besondere Verantwortung, eigene Theorien und Methoden zu hinterfragen. Auch meine Gegenüberstellung von Kolonialtoponymen findet mit einem klaren europäischen Fokus statt, da ich Endonyme aus der Untersuchung bewusst ausklammere. Zum einen fehlt mir die sprachliche Kompetenz, um mögliche KLASS in den autochthonen Sprachen zu analysieren. Zum anderen geht es mir genau darum, Kolonialität als ein europäisches Denksystem zu rekonstruieren. Inwiefern sich die Verwendung von exogenen und endogenen KLASSElementen (falls in den autochthonen Sprachen vorhanden) bei der Benennung von Landschaftsausschnitten unterscheidet, ist eine ebenso interessante Frage, die ich jedoch nicht selbst beantworten kann. Eine begriffliche Problematik, auf die ich im Interesse der Verständlichkeit außerdem eingehen möchte, ist die Unterscheidung von Kolonien und dem europäischen Staatsgebiet der kolonisierenden Nation. Begriffspaare wie Kolonie und Metropole oder auch Peripherie und Zentrum sind insofern vorbelastet, als sie die überholte Vorstellung eines einseitigen Verhältnisses transportieren, bei dem europäische Staaten ausschließlich in der Rolle von isolierten Sendern auftreten, die ihre Kultur, Sprache, Religion, Wirtschaftsweise etc. in die Kolonien exportieren. Die See als zu überbrückender Raum dient in diesem Verständnis als Membran. „Dabei sind Metropole und ehemalige Kolonien stärker aneinander gebunden, als dies heute meist wahrgenommen wird“, merkt Speitkamp (2014: 12) an. Tatsächlich haben unter anderem die Postcolonial Studies längst zu einem Verständnis von Kolonialismus als einer „Verflechtungsge-
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schichte“ (Ebert 2018: 96) beigetragen: Sein Streben nach einem Platz an der Sonne verändert auch das Deutsche Reich selbst tiefgehend. Die Auswirkungen der kolonialen Aktivität betreffen „so verschiedene Bereiche wie Literatur, Film, Wissenschaft, Werbung, Stadttopographie, Gesetzgebung, das Vereinswesen, aber auch […] politisch-administrative wie private Zukunftsplanungen“ (Kundrus 2003: 7). Zur genannten Stadttopografie gehört vor allem die Benennung von Straßen, Plätzen und Institutionen nach kolonialen Heldenfiguren, deren Anzahl ab 1918 zunimmt und im Nationalsozialismus als Teil eines „beispiellosen Kult[s] um die kolonialen Heroen“ (Speitkamp 2014: 171) gipfelt. Mit solchen kolonial intendierten Toponymen in der Metropole beschäftigen sich zum Beispiel Schulz (2019) und Ebert (2018). Vor diesem Hintergrund lassen sich das europäische Deutschland und Schweden kaum als nicht-kolonialer Raum bezeichnen.24 Auch die Begriffe Metropole und Zentrum werden erklärungsbedürftig, je weiter man die isolierte Senderrolle Europas hinterfragt: Levisen & Sippola (2019: 2) fordern: „Postcolonial linguists should care to discuss the most sacred truisms of modern linguistics and question the logics that have organized ‚the centre‘ and ‚the periphery‘ – and the spaces in between“. Das gilt auch für die Bezeichnung Metropole, die in der postkolonialen Linguistik weit verbreitet ist. Sie ist unter anderem aufgrund ihrer Etymologie vorbelastet, auch wenn diese in der heutigen Verwendung des Begriffs wohl kaum mitgemeint ist. Die Metropole (von μητρόπολις ‚Mutterstadt‘) spricht der Kolonie implizit eine eigene Geschichte vor der kolonialen Besitzergreifung ab. In der Vorstellung einer Mutterstadt, die die Kolonien erst hervorbringt, sind tradierte Vorstellungen vom zivilisationsbedürftigen Naturraum nach wie vor spürbar. Das Gegenstück zur Metropole – die Kolonie – ist etymologisch auf ähnliche Weise vorbelastet: Aus ihrer Herkunft vom lateinischen colere (‚pflegen‘; ‚bebauen‘) ergibt sich eine verharmlosende Bedeutungskomponente, die „in der Geschichte des Kolonialismus immer wieder ins Feld geführt [wurde], um den territorialen Annexionspraktiken zumindest semantisch das Gewalttätige zu nehmen“ (Honold 2003: 313). Obwohl ich die insofern vorbelastete Bezeichnung kritisch sehe, schließe ich mich Schulz & Aleff (2018: 126) in ihrer reflektierten Verwendung des Begriffs an: Als
|| 24 Im Fall Schwedens ist die Abgrenzung m. E. vollkommen unmöglich, da die schwedische Kolonisierung Lapplands seit dem 17. Jahrhundert bis heute das schwedische Staatsgebiet prägt. Trotzdem argumentiert die schwedische Regierung noch im Jahr 1986 gegen eine Bezeichnung Lapplands als Kolonie, wobei sie unter anderem den sogenannten Salzwassertest bemüht (vgl. Fur 2013: 25).
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Metropole bezeichnen sie die „Gesellschaft einer Kolonialmacht und ihr europäisches Heimatland“, wobei sie sich von wertenden Lesarten distanzieren. Übrigens sucht nicht nur die postkoloniale Linguistik nach einer adäquaten Bezeichnung für die Kolonien. Bereits im juristischen Diskurs des Deutschen Reichs war die offizielle Bezeichnung der Kolonien, Schutzgebiete oder Pachtgebiete ein umstrittener Gegenstand – hier allerdings aufgrund ihres staats- und völkerrechtlich unklaren Status. Im Sinne der Verfassung waren die Kolonien kein Inland, sodass das öffentliche Recht des Reichs dort keine Geltung hatte. Das Reichs- und Staatsangehörigkeitsgesetz vom 22. Juli 1913 bezeichnet die Schutzgebiete hingegen explizit als Inland (vgl. Speitkamp 2014: 43). Paradoxerweise unterliegen die Kolonien zunächst trotzdem der Zuständigkeit des Auswärtigen Amts. Entsprechend wird auch ein binärer Sonderstatus der Kolonien vorgeschlagen, der sie völkerrechtlich als Inland und staatsrechtlich als Ausland definiert. Obwohl ranghohe Politiker wie Otto von Bismarck häufig von Schutzgebieten sprechen, bleibt der Ausdruck Kolonie im Rechtswesen dominant (vgl. Speitkamp 2014: 44). Damit eignen sich auch Deutschland oder deutsch keinesfalls zur Abgrenzung des europäischen Staatsgebiets von den Kolonien: Die Bezeichnungen werden der völkerrechtlichen Zugehörigkeit zum Deutschen Reich nicht gerecht.
1.5 Hypothesen: Klassifizierung als definierende koloniale Praxis? Die bisherigen Beiträge zum Projekt COCOTOP sowie der von Pratt (2008) und Lauer (2009) beschriebene koloniale Blick auf Landschaft bilden den Ausgangspunkt für mehrere Hypothesen im Hinblick auf eine mögliche kolonialspezifische Klassifizierung von Raum. Im Folgenden begründe ich die zu prüfenden Hypothesen dieser Arbeit und formuliere sie als Alternativhypothesen HA1 bis HA3. Zu jeder Alternativhypothese wird eine gegenteilige Nullhypothese H01 bis H03 formuliert, deren Gültigkeit ich im empirischen Kap. 5.2 überprüfe. Lässt sich eine H0 falsifizieren, weist dies auf die Gültigkeit der entsprechenden HA hin – ausgehend von den untersuchten Daten. Bei der folgenden Notation der Hypothesen greife ich Kap. 5.1 vor, in dem ich die verwendeten Datensätze und ihre Grundgesamtheiten näher beschreibe. Die Abkürzung DT.KOLTOP steht für den untersuchten Datensatz deutscher Kolonialtoponyme, DT.TOP für den Datensatz deutscher Toponyme in der Metropole. Im Interesse der Übersichtlichkeit formuliere ich die Hypothesen an dieser Stelle nur für den deutschen Datenbestand. Im empirischen Teil der Arbeit werden die entsprechend angepassten Hypothesen auch anhand zweier schwedischer Datensätze überprüft.
Hypothesen: Klassifizierung als definierende koloniale Praxis? | 27
Die Ergebnisse der Analyse schlüssle ich außerdem für alle untersuchten Kolonien einzeln auf, um auch mögliche Besonderheiten im größeren Maßstab aufzuzeigen. Dass die +KLASS den dominanten Bildungstyp von kolonialen Ortsnamen darstellen, haben andere Untersuchungen im Rahmen von COCOTOP bereits gezeigt.25 Allerdings sind diese Befunde bisher noch nicht mit der Situation in der Metropole verglichen worden. Ich gehe davon aus, dass koloniale Akteur*innen ein erhöhtes Interesse an der Verwendung von KLASS haben, da sie mit ihnen das kommunizierte Wissen über koloniale Landschaftsausschnitte in ihrem Interesse prägen können (s. Kap. 1.3). Um zu prüfen, ob der hohe +KLASSAnteil in den Kolonien charakteristisch für eine koloniale Ortsherstellung ist, lautet die erste Hypothese: HA1: hTOP_DT.KOLTOP (+KLASS) > hTOP_DT.TOP (+KLASS) Die relative Häufigkeit der +KLASS ist in den Kolonien höher als in der Metropole. H01: hTOP_DT.KOLTOP (+KLASS) ≤ hTOP_DT.TOP (+KLASS) Die relative Häufigkeit der +KLASS ist in den Kolonien kleiner oder gleich der in der Metropole.
Stolz & Warnke (2017: 216) merken an, dass unbewohnte Landschaftsausschnitte eher zu einer schematischen Benennung tendieren als bewohnte Topografie. Dem widersprechen zum einen Schusters (2018: 175) Befunde zum nordöstlichen Grönland, das zwar kaum bewohnbar, aber im Hinblick auf seinen Ortsnamenbestand recht vielfältig ist. Zum anderen weisen Stolz & Levkovych (2020b: 129) am Beispiel der nordatlantischen Insel Jan Mayen darauf hin, dass auch unbewohnte Orte einen reichen Ortsnamenbestand aufweisen können: „Place-naming is possible also without permanent human presence.“ Sofern man Jan Mayen und den Nordosten Grönlands als Ausnahmefälle annehmen möchte, dürften die Kolonien angesichts des Naturraum-Topos und ihrer niedrigeren Bevölkerungsdichte im Vergleich zur Metropole eher zu einer schematischen Verwendung von KLASS neigen. Daher lautet meine zweite Hypothese: HA2: TTRKLASS_DT.KOLTOP < TTRKLASS_DT.TOP Das Type-Token-Verhältnis der KLASS ist in den Kolonien niedriger als in der Metropole. H02: TTRKLASS_DT.KOLTOP ≥ TTRKLASS_DT.TOP Das Type-Token-Verhältnis der KLASS ist in den Kolonien höher oder gleich dem in der Metropole.
|| 25 Bspw. findet Schuster (2018: 178) in einer Stichprobe grönländischer Kolonialtoponyme einen +KLASS-Anteil von 87 % vor, während Warnke, Stolz, de Bloom & Levkovych (2020: 110) einen +KLASS-Anteil von mindestens 95 % in jeder deutschen Kolonie feststellen.
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Auch bei der Semantik der KLASS gehe ich von Abweichungen zwischen Kolonie und Metropole aus: Im Englischen verortet Van Langendonck (2007: 209) die +KLASS am unteren Ende einer Hierarchie der „human (experiential) involvement“: Je weniger menschliche Involviertheit die Sprecher*innen mit einem Landschaftsausschnitt verbinden, desto wahrscheinlicher werde die Benennung mit einem KLASS. Neben den KLASS nennt Van Langendonck (ebd.: 206) noch Artikelgebrauch, Suffigierung und Nullmarkierung in aufsteigender Reihenfolge der menschlichen Involviertheit. Während Van Langendonck den +KLASS das niedrigste Maß an menschlicher Involviertheit attestiert und innerhalb der Gruppe keine weiteren Unterscheidungen vornimmt, gehe ich auch bei den KLASS selbst von verschiedenen Graden des menschlichen Zutuns aus. So etwa bei dem an-thropogenen topografischen Eindruck namens CharlottenKrankenhaus gegenüber dem nicht-anthropogenen Atado-Berg (beide Togo). Im Sinne von Warnke, Stolz, de Bloom & Levkovych (2020) handelt es sich bei Berg um einen geografischen Klassifikator (Geo-Klassifikator; GEO-KLASS), von dem sich Krankenhaus als ein funktionaler Klassifikator (Funktions-Klassifikator; FUNK-KLASS) abgrenzen lässt. Bedenkt man die Naturräumlichkeit der Kolonien als ein Topos im kolonialen Diskurs, ergibt sich ein interessantes Spannungsverhältnis: Einerseits liegt die Vermutung nahe, dass bei der kolonialen Ortsherstellung vor allem auf die naturnahen bzw. kulturfernen GEO-KLASS zurückgegriffen würde: The outward perspective onto global geographies corresponds to a perception of realities in natural space, whereas the inward perspective onto self-interests corresponds to a focus on potential and existing functions of spatial orders. (Warnke, Stolz, de Bloom & Levkovych 2020: 103)
Dem scheint andererseits der ökonomische Fokus des kolonialen Blicks zu widersprechen, mit dem sich die Benennenden den kolonialen Raum erschließen: Um auf die wirtschaftliche Nutzbarkeit eines Ortes zu verweisen, kommen zwar auch einige GEO-KLASS infrage – etwa in Niakawassi-Wald (im Hinblick auf den Rohstoff Holz, DOA), Wolfswasser (DSWA) oder Gbobo-Kokospalmen (Togo). Eine ähnliche Funktion übernehmen aber auch zahlreiche FUNK-KLASS, die explizit auf den Abbau von Rohstoffen, auf Verkehrswege und andere Infrastruktur verweisen und insofern als kulturnah bzw. naturfern gelten können. Beispiele hierfür sind Palgrane-Mine (DSWA), Bootshafen (Kiautschou) oder Kortta Passagen (‚die kurze Passage‘, SB, mit veralteter Konsonantendopplung ). Eine unterschiedliche Verteilung der beiden KLASS-Typen auf die Kolonien und die Metropole würden nicht nur eine kolonialspezifische Raumwahrnehmung näher charakterisieren, sondern auch die diskursive Relevanz der KLASS als ein
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Medium kolonialer Gewissheiten unterstreichen. Die dritte Hypothese lautet daher: HA3: hKLASS_DT.KOLTOP (FUNK-KLASS) ≠ hKLASS_DT.TOP (FUNK-KLASS) Die relative Häufigkeit der FUNK-KLASS in den Kolonien ist ungleich der in der Metropole. H03: hKLASS_DT.KOLTOP (FUNK-KLASS) = hKLASS_DT.TOP (FUNK-KLASS) Die relative Häufigkeit der FUNK-KLASS in den Kolonien ist gleich der in der Metropole.
Mit der Prüfung der drei formulierten Hypothesen beschäftigt sich Kap. 5. Dabei stehen zwar die Distribution der KLASS, ihre morphologische Komplexität sowie ihre Lexik und Semantik im Fokus, allerdings gehe ich auch auf punktuelle Besonderheiten und Auffälligkeiten im KLASS-Inventar der einzelnen Kolonien ein, die nicht Teil der Ausgangshypothesen sind. Auf die Analyse der Ortsnamen-Datensätze folgt eine Interpretation der festgestellten Signifikanzen im Hinblick auf eine koloniale Raumwahrnehmung und auf die Kolonialität von KLASS, bevor die Befunde in einem abschließenden Fazit zusammengetragen werden. Zuvor beschäftigt sich Kap. 2 mit Kategorien als einem Schlüsselkonzept der Ontologie. Es umreißt die Entwicklung des Kategorienbegriffs in der philosophischen Theorie, in der die objektive Kategorie zunehmend dekonstruiert wird. Im Zuge dieser Entwicklungen verliert die antike Vorstellung einer universalen Ontologie an Bedeutung – stattdessen bereitet Kants kategorischer Konzeptualismus den Weg für einen ontologischen Pluralismus, in dem Kategorien als Konstrukte deutlich erkennbar werden. Ich gehe außerdem auf die Verbindungen von kolonialen Raumkonzepten und prokolonialer Rhetorik mit dem traditionellen Realismus seit Aristoteles ein. Kap. 3 zeigt zunächst formale Eigenschaften der KLASS auf und ordnet sie neben anderen Toponym-Konstituenten ein, deren KLASS-Status bisher als umstritten gilt. Das Kapitel behandelt den Einfluss von ontologischen Kategorien auf die Ortsherstellung via Sprache. Im Mittelpunkt stehen dabei die Identifizierung von konkreten Orten im abstrakten Raum und deren Benennung mit einem KLASS. Es wird deutlich, dass KLASS in einem Kolonialtoponym keine neutralen Versprachlichungen von topografischen Kategorien darstellen, sondern selbst als Träger von Kolonialität fungieren. Das Kapitel zeigt außerdem, dass die Einordnung des fremden Raums in ein bekanntes sprachliches System eine entscheidende Voraussetzung von faktischer kolonialer Besitzergreifung darstellt. Abschließend werden die KLASS als thematischer Kern von semantischen Frames bzw. Wissensrahmen behandelt und als ein Werkzeug der Wissenskommunikation im kolonialen Diskurs beschrieben.
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Der empirischen Analyse in Kap. 5 ist mit Kap. 4 ein Exkurs vorangestellt, der das Verhältnis der sogenannten Gattungseigennamen zu den +KLASS behandelt. Es wird gezeigt, dass die Toponomastik mit den Gattungseigennamen unkritisch auf ein ontologisch-realistisch verwurzeltes Konzept zurückgreift, das lediglich vor dem Hintergrund einer europäischen Raum- und Ortswahrnehmung funktionieren kann. Insofern plädiere ich hier auch für die Ablösung der Gattungseigennamen durch die offeneren +KLASS. Abschließend fasst Kap. 6 die Ergebnisse der Analyse zusammen und gibt einen Ausblick auf mögliche Themen und Fragestellungen für Anschlussuntersuchungen. Dabei wird auch der Mehrwert des KLASS-Konzepts für die vergleichende Kolonialtoponomastik skizziert.
2
Kategorien
„All thinking involves classification” – so beschreibt Körner (1970: 1) die fundamentale Bedeutung von kategoriellen Ordnungssystemen für die Epistemologie. Dieselbe Relevanz attestiert Busse (2018: 9) auch den Kategorien der Sprache, wenn er festhält, dass „jedem abstraktiven und schematisierenden Akt der Konstitution von Wissenselementen und -strukturen […] ein Moment der Typisierung inhärent“ ist. Im Kern der Klassifizierung bzw. Typisierung neuer Wissenselemente steht der Abgleich mit bereits vorhandenem Wissen – der Einordnung in oder dem Ausschluss aus bekannten Schemata. Es geht um „judgments to the effect that one or more objects possess, or lack, one or more characteristics” (Körner 1970: 1). Die Omnipräsenz von Kategorien spiegelt sich im Denken, Wahrnehmen und Handeln von Individuen wider – aber in besonderem Maße auch im Sprechen und in verschiedenen Diskursen im großen und kleinen Rahmen. Um die Bedeutung von Kategorisierungen zu erahnen, reicht bereits ein Blick in die tägliche Nachrichtenwelt: Ein relativ altes, aber bis heute aktuelles Beispiel aus der Politik ist der sogenannte Taiwan-Konflikt, bei dem die Einordnung Taiwans als souveräner Staat oder als chinesische Provinz im Mittelpunkt steht (vgl. Damm 2009: o. S.). Mit beiden Positionen sind diplomatische Folgen verbunden, weshalb die Kategorisierung für viele Staaten außenpolitisch höchst relevant ist. Bei solchen politisch brisanten Fällen tritt die Bedeutung von Kategorien besonders deutlich hervor. Allerdings wirken kategorielle Ordnungssysteme auch und insbesondere im alltäglichen Sprachgebrauch. Dass es sich beim Klassifizieren, ganz wie von Körner beschrieben, um einen zentralen Mechanismus des menschlichen Denkens handelt, zeigt sich auch darin, dass die vermeintliche Objektivität der (westlichen) philosophischen Kategorienlehre bis in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts hinein auch in der wissenschaftlichen Beschäftigung weitestgehend unhinterfragt bleibt (vgl. Lakoff 1987: 6). Dabei sind unsere alltäglichen, unreflektiert angenommenen Kategorien alles andere als objektiv, wie Lakoff (ebd.; Hervorh. i. O.) treffend zusammenfasst: Most categorization is automatic and unconscious, and if we become aware of it at all, it is only in problematic cases. In moving about the world, we automatically categorize people, animals, and physical objects, both natural and man-made. This sometimes leads to the impression that we just categorize things as they are, that things come in natural kinds, and that our categories of mind naturally fit the kinds of things there are in the world. But a large proportion of our categories are not categories of things; they are categories of abstract entities.
https://doi.org/10.1515/9783111007588-002
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Unter anderem werden auch Menschen der Kategorisierung unterzogen – im Kolonialismus besonders prominent im Rahmen des Naturmenschen-Topos, der auf das Engste mit Vorstellungen des Natur- bzw. Kulturraums verbunden ist (s. Kap. 1.2). Verlässt man Lakoffs Perspektive von individuell denkenden Subjekten hin zur sprachlichen Makro-Ebene des Diskurses, nehmen (ethnische, religiöse etc.) Kategorisierungen von Menschen eine neue Qualität an: Im Interesse der eigenen Diskursposition können Akteur*innen z. B. Feindbilder etablieren oder, wie im Fall des europäischen Kolonialismus, Menschen paternalistisch als hilfsbedürftig, unwissend oder primitiv darstellen. Im Zuge der großangelegten Kolonisierung Südamerikas ab dem 16. Jahrhundert wird in Spanien sogar die Menschlichkeit der indigenen Bevölkerung selbst infrage gestellt, indem sie (nicht nur rhetorisch) mit Tieren gleichgesetzt werden (vgl. Hermanns 1994: 35). In rassistischen Ressentiments überleben solche Einstellungen bis heute (vgl. Garcia 2020) – auch wenn der Status der indigenen Bevölkerung Lateinamerikas längst per Gesetz abgesichert ist. Am Beginn solcher Entmenschlichungen, die im Fall Südamerikas in gewaltsamer Ausbeutung und Genozid gipfeln, steht letztendlich ein kategorieller Ausschluss, der allerdings älter ist als der Kolonialismus, in dem er lediglich deutlich zutage tritt: In der älteren und jüngeren Geschichte hat man immer wieder ganzen Menschengruppen (Völkern, Rassen) insgesamt das Menschsein abgesprochen. Das pflegt in der Weise zu geschehen, daß man feststellt, einer solchen Gruppe fehle es an einem (oder mehr als einem) wesentlichen Merkmal, das den Menschen „eigentlich“ erst zum Menschen mache. Menschenähnlichkeit wird nicht bestritten, Menschsein wegargumentiert. (Hermanns 1994: 35; Hervorh. i. O.)
Schon bei Aristoteles, einem der ältesten Vertreter des ontologischen Realismus (s. u.), ist eine ähnliche, entmenschlichende Argumentationsweise erkennbar. In seiner Politik führt Aristoteles den Sklavenstand ebenfalls auf die vermeintliche seelische und körperliche Nähe mancher Menschen zum Tier zurück und rechtfertigt so die in seinem Sinne natürliche Ordnung von Herren und Sklaven (vgl. ebd.). Die Sklaverei ist ein extremes Beispiel dafür, dass das kategorielle Denken nicht nur im Rahmen von philosophischen Auseinandersetzungen Relevanz besitzt, sondern auch Machtverhältnisse und die Lebensrealität von Menschen auf einschneidende Weise bestimmt. Hermanns Projekt einer linguistischen Anthropologie verdeutlicht das entmenschlichende Potenzial von Kategorien sowie deren Historizität und diskursive Wirksamkeit. Eine für Onomastiker*innen möglicherweise überraschende Erkenntnis ist, dass sich aus diesem erweiterten Blick auf Kategorien auch neue Fragestellungen für die Namenforschung ergeben, die ihren Gegenstand ja
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traditionell explizit von den Appellativa – auch Gattungsbezeichnungen bzw. Gattungsnamen (vgl. Nübling, Fahlbusch & Heuser 2015: 16) – abgrenzt. Wenn sich im Zuge von Onymisierungsprozessen Eigennamen aus Appellativa entwickeln (vgl. ebd.: 49–50), können Kategorienbegriffe mit wertenden Bedeutungskomponenten zu transparenten Namensbestandteilen werden. Der deutsche Kolonialismus bietet dafür einige Beispiele – so z. B. die von Spitzmüller & Warnke (2011: 141; Hervorh. i. O.) analysierten Namen Hereroaufstand und Schutztruppe, „weil sie den Widerstand der Herero gegen die deutschen Schutztruppen als Aufstand und damit Rebellion gegen eine staatliche Ordnung konzeptualisieren.“ Ähnliches ist in Toponymen wie Paradies (DSWA) oder Mangrove-Sumpf (DNG) erkennbar, wo appellativische KLASS-Elemente eine Bewertung der Landschaft implizieren und damit das kommunizierte Wissen über einen Ort beeinflussen. Auch Pratt (2008), die europäische Reiseliteratur über Südamerika analysiert, fällt auf, wie strikt die europäischen Reisenden sowohl die dort lebenden und arbeitenden Menschen als auch die Landschaft kategorisieren. Sie bemerkt insbesondere die Persistenz europäischer Gewissheiten, die selbst dann noch bestehen bleiben, wenn die Vorstellungen der Reisenden vor Ort auf deutliche Widersprüche stoßen: Most travelers in the Andes saw firsthand such spectacles as indigenous miners living lives of unspeakable misery toward certain death in the frigid, mercury-poisoned mines of the Cordillera. Such counterevidence posed little problem to the essentializing imperial eye. One needed only to see a person at rest to bear witness, if one chose, to the trait of idleness. One needed only to see dirt to bear witness to the trait of uncleanliness. (ebd.: 150)
Die unumstößlichen Überzeugungen, die in der von Pratt untersuchten Reiseliteratur zum Ausdruck kommen, lassen sich mit Schmidt-Brücken (2018: 550) auch als rechtfertigungstranszendente sprachliche Gewissheiten bezeichnen, die „ihren Wahrheitswert […] auch unter Anführung singulärer Gegenbeispiele oder angesichts gegenläufiger statistischer Evidenz beibehalten“. Pratts Analyse des europäischen Blicks auf Südamerika zeigt, dass Klassifizierungen jederzeit unterschwellig im Denken und Sprechen wirken, sofern sie nicht auf einer Metaebene explizit thematisiert werden. Bei der Benennung von Orten mit +KLASS wird die epistemische Kategorie der Namensträger hingegen konkret und explizit versprachlicht. Vermutlich in Anlehnung an die deklarativen Sprechakte nach John Searle ist für Dunker, Stolz & Warnke (2017: ix) klar, dass Räume „deklaratorisch verortet“ werden. Im Sinne Searles (1979: 16–17) handelt es sich bei der declaration um einen Illokutionstypen, dessen „successful performance […] brings about the correspon-
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dence between the propositional content and reality”. Für eine treffende Anwendung des Konzepts auf Ortsnamen muss Searles ursprüngliche Definition allerdings geringfügig modifiziert werden. Den Autoren geht es nämlich nicht darum, Orte als Teil einer außersprachlichen Realität zu konzipieren, die sich per Sprachhandlung verändern ließen. Die deklarative Macht der Ortsnamen bezieht sich nicht auf die Realität, sondern auf ihre kognitive Repräsentation im Bewusstsein der Sprecher*innen. Spitzmüller & Warnke (2011: 55) verweisen auf die Cognitive Grammar, wenn sie den Begriff der Projektionen als eine Alternative zum ontologisch-realistischen Referenten vorschlagen. Der Begriff bezeichnet „Vorstellungen, die mit sprachlichen Aussagen je historisch relativ verbunden werden und die Folge gesellschaftlicher Konventionen des Meinens und Verstehens sind.“ Auf ähnliche Weise spricht die historische Semantik von Chiffren und Abbreviaturen, um Wörter als „Vehikel von Gedanken“ (Hermanns 1994: 55) zu beschreiben. Anders als bei Searle beeinflusst die deklarative Verortung also nicht die Realität, sondern lediglich ihre Interpretation durch die Sprecher*innen. Dabei vergleichen die Benennenden einen neuen topografischen Eindruck mit bereits bekannten Orten und wählen ggf. einen KLASS auf der Grundlage etablierter Kategorien der Raumwahrnehmung. Indem die KLASS solche topografischen Kategorien explizit machen, eröffnen sie eine Möglichkeit, um historische Ontologien und Bewertungen von Landschaft nachzuvollziehen und zu beschreiben. Die Benennenden können bei der KLASS-Vergabe bewusst auf Kategorien zurückgreifen, die ihren diskursiven Standpunkt unterstreichen (s. Kap. 3.2). Um diese diskursive Funktion der KLASS nachvollziehen und beschreiben zu können, ist es sinnvoll, auch kategorielles Denken ideengeschichtlich zu betrachten und seine vermeintliche Objektivität kritisch zu hinterfragen.
2.1 Der ontologische Realismus Die umgangssprachliche Bedeutung von category fasst Körner (1970: 1) kurz als „a class, usually a fairly comprehensive class, of entities” zusammen. Damit hat sich der umgangssprachliche Begriff bereits recht weit von seiner älteren Bedeutung in der ontologischen Philosophie entfernt. Aristoteles folgend versucht die Ontologie über Jahrhunderte hinweg, sämtliche Elemente einer objektiven Realität mit einem möglichst kleinen Set von höchsten Kategorien zu erfassen und abzudecken: „a system of categories undertaken in this realist spirit would ideally provide an inventory of everything there is, thus answering the most basic of metaphysical questions: ‚What is there?‘“ (A. Thomasson 2018: o. S.).
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Aristoteles eigenes System umfasst zehn Kategorien (s. Kap. 2.2.1). Obwohl er diese mehrheitlich mit grammatikalischen Tests herleitet, geht es ihm letztendlich um die Erfassung von außersprachlichen Elementen einer realen Welt (vgl. A. Thomasson 2018: o. S.). Auf die erste Kategorie, die Substanz oder οὐσία (vgl. Kategorien 1b25), wird in der Sprache mit substantivischen Konkreta wie Mensch oder Pferd Bezug genommen. In diese Kategorie fällt auch ein Großteil der appellativischen KLASS wie Fluss, Berg oder Faktorei. Unter dem Einfluss von Aristoteles folgt die philosophische Ontologie einem strikten Realismus, der sich bis in das 20. Jahrhundert fortsetzt. Man geht davon aus, dass dieselbe Realität mit demselben Set von Kategorien für alle Menschen gleichermaßen existiert. Diese Auffassung prägt die griechisch tradierte Philosophie in Europa durch und durch und beginnt sich erst mit dem Konzept-Gedanken bei Immanuel Kant langsam zu relativieren. Erst in den 1950er-Jahren setzt sich der französische Linguist Émile Benveniste (s. Kap. 2.2.1) mit Aristoteles auseinander und beschreibt dessen Kategorien als eine bloße Reihe von KopulaKonstruktionen mit dem Verb sein: „Aristoteles’ Kategorien des Seins/Denkens waren Kategorien der griechischen Sprache“, fasst Diagne (2019: 97) Benvenistes Erkenntnisse zusammen. Mit Immanuel Kants Kritik der reinen Vernunft setzt eine stückweise Enthebung der Kategorien aus dem ontologischen Realismus ein. Kant erarbeitet ein eigenes Set von Kategorien und verdeutlicht, dass schon die Wahrnehmung von verschiedenen Entitäten gewisse Kategorien a priori voraussetzt (vgl. A. Thomasson 2018: o. S.). Damit schließt er eine Realität aus, die vollkommen unabhängig von menschlicher Interpretation existieren könnte. Kants Ansatz führt zu einem Paradigmenwechsel: Neuere ontologische Überlegungen zielen immer weniger auf die Feststellung von Kategorien ab. Vielmehr geht es der postkantianischen Ontologie um deren Beschreibung, wobei die individuelle Erfahrung und die Sprache vermehrt als konstituierende Größen von Kategorien angenommen werden. Carr (1987: 6) beschreibt diesen Wandel als eine Ablösung des kategorischen Realismus durch einen kategorischen Konzeptualismus. Trotz seiner revolutionären Neuartigkeit bedeutet der kategorische Konzeptualismus keine vollständige Loslösung von objektivistischen Weltvorstellungen. Kants Kategorien Quantität, Qualität, Relation und Modalität (Kant (1998[1781]: 156) bleiben im Realismus verwurzelt, weil sie außerhalb der menschlichen Interpretation als Fakten angenommen werden. Trotzdem stellt der Konzeptualismus ein zentrales Moment der Dekonstruktion von Kategorien dar: „Nonetheless, it is clear that for Kant the categories find their original source in principles of human understanding, not in intrinsic divisions in mindindependent reality“ (A. Thomasson 2018: o. S.).
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Eine vollständige Enthebung der Ontologie aus dem Realismus lässt sich später z. B. in Émile Durkheims Die elementaren Formen des religiösen Lebens beobachten. Für Durkheim (2007[1912]: 34) bildet das vorherrschende kategorielle Denken einer Gesellschaft ihren Kollektivzustand ab. Über welche Kategorien zu einer gegebenen Zeit Konsens herrscht, hänge von Religion, Moral, Wirtschaft und anderen gesellschaftlichen Einrichtungen ab. Damit diese Institutionen fortbestehen können, benötigen sie ein weitreichendes Einvernehmen über zentrale Kategorien. Keller (2018: 33; Hervorh. i. O.) fasst Durkheims Argumentation gegen Kant so zusammen, dass auch die basalen Vorstellungen von Kausalität, Zeit und Raum keinen vorsozialen Ursprung in einem außerweltlichen Bewusstsein haben, sondern durch und durch sozialer Natur sind. Dies gilt dann umso mehr für Klassifikationssysteme aller Art. Aus der religiösen Kollektiverfahrung entstehen die ersten Raster der Kategorisierung von Welt, bspw. in der Unterscheidung von heiligen und profanen Sphären und Dingen. Kategorien sind im historischen Prozess gesellschaftlich geschmiedete Denkinstrumente oder Werkzeuge.
Durkheims Ansatz verschiebt das Verständnis von Kategorien dramatisch: Dass die Fixierung eines bestimmten Kategoriensets dem Aufrechterhalten der Kollektivzustände dient, macht die Ontologie zu einem Machtinstrument. Aristoteles Legitimierung des Sklavenstandes und die kolonialistische Abwertung außereuropäischer Kulturen sind nur zwei Beispiele, anhand derer sich die enge Verflechtung von Kategorien und Macht nachvollziehen lässt (s. Kap. 2). Ob topografische Eindrücke, Nationalitäten, Geschlechter oder andere Ordnungssysteme: Eine Gemeinsamkeit des philosophischen und des umgangssprachlichen Kategorienbegriffs ist ihr Anspruch, ein geschlossenes System für möglichst alle Entitäten darzustellen. Der Genderdiskurs ist ein gutes Beispiel für das entstehende Konfliktpotenzial, wenn vermeintlich lückenlose Kategoriensysteme herausgefordert werden. Bourdieu (2018[1979]: 755) geht so weit, solche Anfechtungen als „eine vergessene Dimension der Klassenkämpfe“ zu bezeichnen. Genauso zielt die philosophische Ontologie für lange Zeit darauf ab, alles Existierende in einem definitiven Set von Kategorien zu erfassen. Eine Entität kategoriell einordnen zu können, wird zur Existenzbedingung derselben. Hier offenbaren sich auch die Grenzen des nach wie vor subjektiven kantschen Konzeptualismus: Kant’s system of categories can be thought to be exhaustive only as long as the list of forms of judgment from which he derives them exhausts the possible forms of judgment – but we have reason to think this is not so […]. (A. Thomasson 2018: o. S.)
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Selbst Kants Kategorien, die den Realismus der Antike zumindest in Teilen relativieren, können nicht alle denkbaren Urteile über Kategorienzugehörigkeit berücksichtigen. Insofern wendet sich auch der kategorielle Konzeptualismus nicht konsequent genug vom ontologischen Realismus ab. Ganz ähnlichen Problemen steht die heutige Sprachwissenschaft gegenüber: Auch sie ist in eine jahrhundertealte Tradition objektivistischer Denkmuster eingebettet, die nach wie vor einen großen Einfluss ausüben. Um die toponymischen KLASS und ihre diskursive Wirksamkeit treffend analysieren zu können, braucht es jedoch eine konsequente Distanzierung von singulären Ontologie-Vorstellungen. Dabei müssen mitunter grundlegende Auffassungen von Wissen und Wirklichkeit reflektiert werden, was bis heute in den Geisteswissenschaften nicht im notwendigen Ausmaß geschehen ist. Als eine Impulsgeberin für die Sprachwissenschaft hat sich in dieser Hinsicht neben der Diskurslinguistik auch die Wissenssoziologie positioniert. So beschreibt Keller (2018: 30–31) wissenschaftliche Konzepte von Wissen als heterogen: Diese beziehen „sich nur selten, wenn überhaupt, auf die Frage nach der Wahrheit von Wissen im Sinne einer positiven, durch Erfahrung bewährten oder bestätigten bzw. falsifizierbaren Menge von Aussagen über die Welt.“ Damit zeichnet Keller ein offenes, mit der Diskurslinguistik besonders kompatibles Verständnis von Wissen und (wahrgenommener) Wirklichkeit, das auch in der Sprachwissenschaft nicht selbstverständlich ist. Wenn z. B. noch Karl Bühler (1965[1934]: 29; Hervorh. i. O.) Sprache als eine „Zuordnung der Lautzeichen zu Gegenständen und Sachverhalten“ begreift, wird ihm zu Recht von Spitzmüller & Warnke (2011: 63) ein ontologisch-realistisches Verständnis von Sprache attestiert: In seiner Sprachtheorie mit dem bezeichnenden Titelzusatz Die Darstellungsfunktion der Sprache verbindet Bühler sprachliche Zeichen unmittelbar mit ihren außersprachlichen Referenten. Etwa zur gleichen Zeit erscheint mit Saussures Grundfragen der allgemeinen Sprachwissenschaft die deutsche Übersetzung eines weiteren Schlüsseltexts für die moderne Sprachforschung, der deutlich objektivistische Spuren trägt. In seinem Fazit über die Abgrenzung von sprachlichen Einheiten heißt es bspw.: Bei der Mehrzahl der Wissensgebiete spielt die Frage nach den Einheiten überhaupt keine Rolle: sie sind von vornherein gegeben. So ist es in der Zoologie das Tier, was sich schon im ersten Augenblick darbietet. Auch die Astronomie hat es mit Einheiten, die getrennt im Raume sind, zu tun: den Sternen; in der Chemie kann man die Natur und die Zusammensetzung des doppeltchromsauren Salzes der Pottasche untersuchen, ohne einen Augenblick zu zweifeln, daß das ein genau definiertes Objekt sei. Wenn eine Wissenschaft keine konkreten Einheiten darbietet, die unmittelbar zu erkennen sind, so kommt das sonst daher, daß sie daselbst nicht wesentlich sind. (Saussure 2001[1931]: 127)
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Die Grundfragen stellen den Gegenstandsbereich der Phonetik/Phonologie, Morphologie und Syntax als gegebene Tatsache dar, die sich nicht erst aus der wissenschaftlichen Betrachtung selbst ergibt. Es gibt zahlreiche Beispiele dafür, dass ähnliche Sichtweisen bereits vor Bühler und Saussure einen enormen Einfluss auf die Sprachideologie ausüben – nicht zuletzt in der Phase des deutschen Kolonialismus. Beispielhaft sei hier der deutsche Missionar und Sprachforscher Karl Endemann (1836–1919) genannt, der über die Bantu schreibt: Dem Eingeborenen, der ja vor der Berührung mit Missionaren keine Schrift besass und der die Einzelgliederung der Wörter nicht kannte, sind im Tone unterschiedene Ausdrücke überhaupt an sich verschiedene Ausdrücke. (Endemann 1901: 40)
Dass die Bantu-Sprecher*innen Endemanns Verständnis von Wörtern nicht teilen, ist der beste Beweis dafür, dass Wörter als Einheiten der Morphosyntax keineswegs „unmittelbar zu erkennen“ (Saussure 2001[1931]: 127) sind. Zwar bilden muttersprachliche Intuition und linguistische Expertise keine ebenbürtige Entscheidungsgrundlage, allerdings müsste ein vollkommen evidentes WortKonzept im Sinne Saussures bei Endemann und den Bantu-Sprecher*innen zu denselben Urteilen führen. Stattdessen wird im Fall Endemanns eine europäisch-grammatikalische Vorbildung an das fremde Bantu herangetragen. Die zitierte Passage veranschaulicht, wie kolonialzeitliche Sprachforscher*innen die Objektivität von linguistischen Kategorien überschätzen, und dabei auch Unklarheiten bzw. verschiedene Meinungen innerhalb ihrer eigenen Disziplin außer Acht lassen. Denn bis heute gibt es für das Wort-Konzept keine universale Definition. Angesichts grammatischer, phonologischer, orthografischer und diverser anderer Ansätze gibt Stolz (2012: 19) zu bedenken, „dass es eine beachtliche Anzahl von Kriterien gibt, die bei der einzelsprachlichen Wortdefinition miteinander konkurrieren und zu unterschiedlichen Ergebnissen führen können.“ Die Entscheidung für oder gegen bestimmte Wort-Kriterien kann im Extremfall sogar für die typologische Einordnung einer Sprache relevant werden (vgl. ebd.: 20). Dass seine eigenen Wissensformationen nicht geteilt werden, begreift Endemann als ein Defizit und als Beleg für die Primitivität der Bantu. Ganz im Sinne des ontologischen Realismus werden sprachliche Strukturen hier als genauso gegeben angesehen wie andere Entitäten – etwa Geoobjekte. In der modernen, postkolonial informierten Linguistik sind solche Positionen nicht mehr aktuell, womit die Objektivität sprachlicher Strukturen heute als eine historische Gewissheit gelten muss. Das Konzept der Gewissheiten entstammt der Abhandlung Über Gewissheit von Ludwig Wittgenstein und wurde von Warnke & Schmidt-Brücken (2011: 38) im Sinne eines „zeitgebundenen Com-
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mon-Sense“ für die Linguistik nutzbar gemacht. In ihrem zeitlichen Geltungsrahmen sind Gewissheiten ein „zweifelsfreies Wissen“ (Schmidt-Brücken 2018: 542), das von der Mehrheit der Sprecher*innen unreflektiert geteilt wird und auf dem weite Teile des gesellschaftlichen Wissens unbewusst aufbauen. Als sprachliche Gewissheiten stehen solche zweifelsfreien Wissensformationen der linguistischen Analyse offen. Es handelt sich um „Formen geteilten Wissens, die durch prinzipiengeleitete Rekonstruktion auf allen System- und Realisierungsebenen der Sprache erschlossen werden können“ (SchmidtBrücken 2018: 548). Warnke & Schmidt-Brücken (2011) demonstrieren anhand von Beispielsätzen in kolonialzeitlichen Grammatiken, wie solche Analysen aussehen können. Dabei wird die zeitliche Gebundenheit der von den Autoren rekonstruierten Gewissheiten nicht zuletzt an verschiedenen Kategorienbegriffen deutlich – etwa, wenn die untersuchten Beispielsätze Handlungsanweisungen zur Bestrafung von Sklaven enthalten, typische Eigenschaften der Europäer oder den Kleidungsstil der Heiden beschreiben. Bei kategoriellen Ordnungssystemen handelt es sich also um deutlich erkennbare Träger von (kolonialen) Gewissheiten. Das folgende Kapitel behandelt Kategorien als soziale Konstrukte mit sozial eingeschränkter Geltung. Mit den ontologischen Annahmen von Körner (1970) wird außerdem ein wesentlicher Schlüsselbegriff vorgestellt, der die traditionelle Auffassung einer singulären Ontologie hinterfragt.
2.2 Die Subjektivität von Kategoriensystemen Mit ihrem offenen Wissensbegriff nimmt die Diskurslinguistik einen epistemologischen Standpunkt ein, der mit dem ontologischen Realismus unvereinbar ist. Die Diskurslinguistik „dekonstruiert den Gedanken einer Existenz aussagenunabhängiger Wahrheiten bzw. Wirklichkeiten systematisch“ (Spitzmüller & Warnke 2011: 53) und lehnt die Vorstellung einer singulären, vom Denken und Sprechen unabhängigen Realität ab. Dabei geht es der von Foucault inspirierten Diskurslinguistik um nicht weniger als die „grundlegende Infragestellung einer wirkungsvollen Vorstellung von Sprache als Zeichensystem, das die Welt einfängt“ (Warnke 2020: 387). In ihrem relativen Wissensbegriff stimmt die Diskurslinguistik auch mit der Frame-Semantik überein. In jüngeren Arbeiten werden die beiden Disziplinen daher zunehmend zusammengeführt – so unter anderem bei Ziem (2008a) und Busse (2018). Im Gegensatz zur klassischen Ontologie begreift die Frame-Semantik das kategorielle Denken als einen individuellen, die Wahrnehmung strukturierenden Vorgang. Insofern distanziert sich
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auch die Frame-Semantik deutlich vom ontologischen Realismus, wie etwa bei Busse (2012: 548–549) deutlich wird: Da Kategorisierung immer eng mit den kognitiven Leistungen der Abstraktion und Schematisierung zusammenhängt […] ist es naheliegend, […] dass schon die „Existenz“ von Objekten in der Welt, so wie wir sie uns vorstellen, kognitiv gesehen nichts anders als eine Kette einzelner Erinnerungen ist. […] Mit anderen Worten, es gibt keine „direkte“, „objektive“ Wahrnehmung von Dingen in der Welt, sondern nur die Anwendung von aus dem Gedächtnis entnommenen Frames auf Perzeptionen, in denen manches mit dem allgemeinen Muster übereinstimmt, manches aber (etwa weil es gerade verdeckt ist oder optisch in verzerrter Perspektive vorliegt) der unmittelbaren Wahrnehmung momentan gar nicht (oder nicht in dem Muster entsprechender Weise) zugänglich ist und daher kognitiv „ergänzt“ (oder „korrigiert“) werden muss.
Mit ihrer Ablehnung einer objektiven Wahrnehmung, die stattdessen auf den kontinuierlichen Abgleich mit subjektiver Erfahrung zurückgeführt wird, nehmen die Diskurslinguistik26 und die Frame-Semantik führende Rollen ein, wenn es darum geht, linguistische Traditionen kritisch zu überdenken. Das Ergebnis ist ein Kategorienbegriff, der Anknüpfungspunkte über die Linguistik hinaus eröffnet. Zum Beispiel ist auch die philosophische Ontologie selbst heute nicht mehr vollkommen im Realismus verhaftet geblieben. Westerhoff (2004: 618– 619) sieht das kategorielle Denken als einen Vorgang, der auf zweifache Weise vom denkenden Subjekt abhängt. Bei ihm sind kategorielle Ordnungssysteme erstens das Ergebnis von individuellen Interessen und beruhen zweitens auf dem subjektiven Erfahrungsschatz der denkenden Person. Genau wie bei Busse (s. o.) ist hier der Abgleich mit bekannten Entitäten ausschlaggebend. Westerhoffs Schlussfolgerung unterstreicht einmal mehr, dass sich die Diskurslinguistik mit ihrem Interesse an Wissensformationen besonders gut für die Analyse von Kategoriensystemen eignet. Denn „[ontological] categories turn out to be much more epistemological than ontologists would like to think“ (Westerhoff 2004: 619). Kategorien im Wissen statt in einer vermeintlichen Realität zu verorten, bedeutet auch, die ontologisch-realistische Auffassung einer singulären Realität zu diversifizieren, in deren Zentrum ja die ontologischen Kategorien stehen (vgl. A. Thomasson: 2018: o. S.). Insofern ist es eher angebracht, Ontolo-
|| 26 Auch im Foucaultschen Diskursbegriff findet sich der besagte fortwährende Bezug auf vorhandene Erfahrungen wieder. Schließlich werden „in Diskursen […] verstehensrelevante Wissenskonstellationen je zeitgebunden verankert“ (Spitzmüller & Warnke 2011: 190). Was im Diskurs sagbar oder nicht sagbar ist, ergibt sich also ebenfalls aus den Aussagen, die den Diskurs bis hierher geprägt haben.
Die Subjektivität von Kategoriensystemen | 41
gien im Plural zu denken und ihnen die vielfältigen Wissensformationen der Denkenden zugrunde zu legen. Im Anschluss an Westerhoff steht die Frage offen, was von der Ontologie übrig bleibt, wenn sich ihre konstituierende Aufgabe – die Suche nach den obersten Kategorien – im Kern als eine epistemologische entpuppt. Nicht umsonst spricht bereits Körner (1970) von ontologischen Annahmen (ontological assumptions), womit er den Objektivitätsanspruch der Ontologie relativiert und der Abhängigkeit von Realitätsauffassungen und subjektivem Wissen Rechnung trägt. Des Weiteren vertritt Körner (1970: 11) die Auffassung, dass sich ontologische Annahmen vor allem in sprachlichen Äußerungen manifestieren, was die Linguistik zur prädestinierten Wissenschaft für deren Analyse macht: „since that which can be talked about in a language includes what is believed by its speakers to exist, the grammar and semantics of a language are useful in discovering the ontological assumptions of its speakers.“ Für die Analyse von toponymischen KLASS als versprachlichte, topografische Kategorien arbeite ich dementsprechend mit einem pluralistischen Ontologie-Konzept. Das, was für Sprecher*innen existiert, definiere ich als die Summe ihrer ontologischen Annahmen. Ohne eine Auffassung von Ontologie als singulär und objektiv nehme ich keine scharfe Unterscheidung von ontologischen Annahmen und Epistemologie vor. Vielmehr betrachte ich Ontologie(n) in diesem Sinne als einen Teil des individuellen Wissens von Sprecher*innen. Obwohl sich ein linguistischer Ansatz also für die Analyse von Ontologien anbietet, bringt er auch Probleme mit sich. Denn wenn Sprecher*innen ihr kategorielles Denken versprachlichen – etwa bei der Wahl eines KLASS für einen kolonialen Ortsnamen – entstehen zwar linguistisch analysierbare Daten, allerdings bleibt unklar, inwiefern diese Rückschlüsse auf das konventionalisierte Wissen einer Gesellschaft (vgl. Busse 2012: 565) erlauben. Die Frage lässt sich schon aus dem Grund nicht zweifelsfrei beantworten, da epistemische und sprachliche Kategoriensysteme bei einer denkenden Person nicht übereinstimmen müssen – und dies in der Regel auch nicht tun. Bevor ich von der Analyse der KLASS auf eine kolonialspezifische Art der Raumwahrnehmung schließe, müssen daher zwei Spannungsfelder berücksichtigt werden. Das folgende Kapitel setzt sich deshalb mit dem Verhältnis von sprachlichen und epistemischen Kategorien sowie von individuellem und konventionalisiertem Wissen auseinander.
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2.2.1
Sprachliche und epistemische Kategorien
Wenn die Linguistik individuelle, gesellschaftliche, historische etc. Wissensformationen analysiert, steht ihr dabei ihr eigener Gegenstand gewissermaßen im Weg: die Sprache als Medium. Deren ausdrucksseitige Limitiertheit fordert die Sprachwissenschaft insofern heraus, als dass Aussagen nur einen mittelbaren und interpretationsbedürftigen Zugang zu dem Wissen eröffnen, vor dessen Hintergrund sie getroffen werden. Trotz ihrer grundsätzlichen Interpretationsabhängigkeit bezeichnet etwa Ziem (2008b: 45) Sprache als ein „‚Fenster‘ zur Kognition. Kognition stellt kein Blackbox-Phänomen dar; vielmehr lassen sich durch Sprachanalysen empirisch valide Aussagen über Kognitionsprozesse machen.“ Seiner Auffassung nach birgt die Grammatik das Potenzial, „Aspekte sprachlicher Verstehensprozesse psychologisch realistisch“ (Ziem 2008b: 45) zu beschreiben und zu erklären. Diese Einschränkung betrifft auch die ontologischen Annahmen von Sprecher*innen und die Kategorien, denen ihre Wahrnehmung von Landschaft unterliegt. Mit anderen Worten: Die Kategorien der Sprache entsprechen nicht den Kategorien des Denkens. In den Problemen der allgemeinen Sprachwissenschaft setzt sich Émile Benveniste mit den Konsequenzen dieser fehlenden Deckungsgleichheit für die sprachwissenschaftliche Erkenntnis auseinander. Ein wesentliches Unterscheidungsmerkmal ist für Benveniste (1974: 79) die Statik von sprachlichen gegenüber der Dynamik von epistemischen Kategorien: Wir erkennen z. B. unmittelbar, daß das Denken seine Kategorien frei spezifizieren, neue einsetzen kann, während die sprachlichen Kategorien, Attribute eines Systems, das jeder Sprecher erhält und unterhält, nicht nach dem Gutdünken eines jeden verändert werden können; wir sehen ferner den Unterschied, daß das Denken Anspruch erheben kann, universale Kategorien aufzustellen, daß die sprachlichen Kategorien jedoch stets Kategorien einer Einzelsprache sind.
Obwohl er Denken und Sprechen auf diese Weise unterscheidet, sind beide Tätigkeiten für Benveniste untrennbar miteinander verbunden. Wenn Benveniste (1974: 78) das Denken „nur als etwas bereits vom Rahmen der Sprache in Besitz genommenes“ bezeichnet, wird allerdings deutlich, dass er trotzdem von einem Primat der Sprache ausgeht, das das Denken prägt und zu einer Voreingenommenheit der Welt-Wahrnehmung führt. Das unklare Verhältnis von sprachlichen und epistemischen Kategorien ist dafür verantwortlich, dass die Analyse ontologischer Annahmen auf linguistischem Wege an ihre Grenzen stößt. In Hinblick auf die Arbeit mit sprachlichen Daten führt Benveniste (ebd.: 79) aus:
Die Subjektivität von Kategoriensystemen | 43
wenn man annimmt, daß das Denken nur als in der Sprache gebildetes und aktualisiertes erfaßt werden kann, haben wir dann das Mittel, dem Denken Merkmale zuzugestehen, die ihm zu eigen wären und dem sprachlichen Ausdruck nichts verdanken?
Um seinen Standpunkt zu verdeutlichen, arbeitet Benveniste die zehn ontologischen Kategorien des Aristoteles ab, wobei er jeder Kategorie eine grammatikalische Entsprechung aus dem Altgriechischen zur Seite stellt. Das Ergebnis deutet er folgendermaßen: „Sosehr die Kategorien des Aristoteles auch als für das Denken gültige anerkannt werden, sie offenbaren sich als die Übertragung von Kategorien der Sprache“ (Benveniste 1974: 86). Tab. 2 stellt die aristotelischen Kategorien und ihre Äquivalente in der altgriechischen Grammatik dar. Dieselbe Abhängigkeit von einer spezifischen langue erkennt Benveniste für den Begriff des Seins – dem wesentlichen Kern der griechisch-tradierten Ontologie. Schließlich sei es letztendlich grammatikalischen Merkmalen geschuldet, dass sich Sprecher*innen des Altgriechischen überhaupt auf metasprachlicher Ebene über das Sein austauschen können (vgl. ebd.: 87). Für Benveniste gibt es in der europäischen Denktradition nur wenige ähnlich zentrale Begriffe. Für ihn ist sein „die Bedingung für alle Prädikate. Alle Varianten des ‚So-Seins‘, des ‚Zustands‘, alle möglichen Aspekte der ‚Zeit‘ usw. hängen ab von dem Begriff des ‚Seins‘“ (ebd.: 86). Tab. 2: Aristotelische Kategorien und ihre grammatikalischen Entsprechungen.
Kategorie
grammatikalische Entsprechung27
ousia ‚Substanz‘
Substantiv
poson ‚wie viel‘
von Pronomen abgeleitete Adjektive vom Typ des lat. quantus
poion ‚was für ein‘
von Pronomen abgeleitete Adjektive vom Typ des lat. qualis-
pros ti ‚bezogen worauf‘
Adjektiv des Vergleichs
pou ‚wo‘
Adverbien des Ortes
pote ‚wann‘
Adverbien der Zeit
keisthai ‚sich in einer Stellung befinden‘
Medium (genus verbi)
echein ‚in einem Zustand sein‘
Perfekt
poiein ‚tun‘
Aktiv
paschein ‚erleiden‘
Passiv
|| 27 Vgl. Benveniste (1974: 85).
44 | Kategorien
Um die Abhängigkeit der aristotelischen Kategorien vom Altgriechischen weiter zu demonstrieren, führt Benveniste mit dem Ewe eine Sprache an, in die sich das europäische Konzept des Seins schon aufgrund von grammatikalischen Unterschieden nicht ohne Weiteres übertragen lässt: Die fünf Ewe-Verben nyé, le, wo, du und di werden zwar gemeinhin mit sein ins Deutsche übersetzt, allerdings ist jedes der Verben durch semantische und zum Teil auch syntaktische Kriterien geregelt. Statt eines „allumfassende[n] Begriff[s] des ‚Seins‘“ (Benveniste 1974: 86) in griechisch-europäischer Tradition bietet die Ewe-Sprache uns nur eine begrenzte Lösung, nur Einzelanwendungen. Wir können nicht sagen, welchen Platz das „Sein“ in der Ewe-Metaphysik innehat, aber a priori muß der Begriff sich dort ganz anders artikulieren. (ebd.: 89)
Mit seiner Gegenüberstellung des Griechischen und des Ewe verdeutlicht Benveniste eindrucksvoll die Aussichtslosigkeit, objektive ontologische Kategorien ermitteln zu wollen. Die ontologischen Annahmen, die auf eine Abkehr vom singulären Ontologie-Begriff zugunsten einer Vielzahl von Ontologien hinauslaufen, stellen ein adäquateres Konzept dar, um die Wahrnehmung von Raum und die Klassifizierung der darin befindlichen Eindrücken zu beschreiben. Allerdings weisen verschiedene kognitionswissenschaftliche Studien darauf hin, dass sprachliche und kulturelle Vorprägungen ebenso wenig allein für das gesamte Feld der Wahrnehmung verantwortlich sind. Vor allem kognitionswissenschaftliche Untersuchungen zur Wahrnehmung bei Kindern geben Anlass, von einer Core Cognition auszugehen – einem kategoriellen Ordnungssystem, das grundlegende Einordnungen der wahrgenommenen Welt von Geburt an vorgibt. Carey (2011: 114) beschreibt three systems of core cognition: one whose domain is middle-sized, middle-distant objects, including representations of causal and spatial relations among them […]; one whose domain is agents, including their goals, communicative interactions, attentional states, and causal potential […]; and the one whose domain is numbers, including parallel individuation, analog magnitude representations of the approximate cardinal values of sets, and set-based quantification […].
Die drei Bereiche der Core Cognition bilden gewissermaßen ein gemeinsames Fundament für den Erwerb von komplexeren Kategorien. Dass es damit ein angeborenes Set von Kategorien zu geben scheint, das die menschliche Erfahrung bereits vor der (sprachlichen und kulturellen) Sozialisation beeinflusst, scheint zunächst für eine singuläre Ontologie zu sprechen, die verschiedene Kulturen lediglich unterschiedlich ausdifferenzieren. Allerdings lässt sich nicht messen, in welchem Verhältnis Core Cognition und erworbenes Wissen die
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Wahrnehmung und Interpretation verschiedener Eindrücke beeinflussen. Der Anspruch des ontologischen Realismus, Kategorien der Realität objektiv zu begründen, ist auch vor dem Hintergrund der Core Cognition nicht zielführend.
2.2.2
Individuelles und konventionalisiertes Wissen
Die zweite Problematik bei der Analyse von Wissen via Sprache besteht in der Frage, wessen ontologische Annahmen die sprachlichen Daten eigentlich widerspiegeln. Wenn sich koloniale Akteur*innen beim Place-Naming für einen bestimmten KLASS entscheiden, liegt die Wahl einerseits im individuellen Ermessen der benennenden Person, wobei sie andererseits auf kulturell, sprachlich und sozial verankerte Wissensformationen zurückgreift. Eine dazu passende Unterscheidung von individueller und gesellschaftlicher Kategorisierung nimmt Busse (2012: 550) aus einer framesemantischen Perspektive vor: Ihm zufolge müssen notwendigerweise zwei Aspekte unterschieden werden: Die Kategorisierungsleistung als eine individuelle geistige Leistung, die sich in der Kognition (im Wissen) jedes einzelnen Individuums abspielt; und die Kategorisierungsleistung als eine gesellschaftliche Leistung, als ein Produkt der „gesellschaftlichen Arbeit“ der Ausbildung von Frames, Kategorien und Sprachzeichen als Kommunikations- und Evokationsmitteln für diese Wissensstrukturen und -elemente.
Auf Kategorien verweisende Sprachzeichen wie die KLASS drücken zugleich die „Kognition“ (Busse 2012: 550) eines Individuums und vorausgegangene „Kategorisierungsleistungen“ (ebd.) einer Gesellschaft aus. Möchte man die vorherrschenden ontologischen Annahmen in einer sozialen Gruppe analysieren, können die individuellen Kategorisierungsleistungen der einzelnen Benennenden den gewonnenen Eindruck verzerren. Besonders dann, wenn die prototypische Semantik eines KLASS – im Sinne der Frame-Semantik: die Default-Filler für bestimmte Slots (s. Kap. 3.2.2) – nicht zu dem benannten topografischen Eindruck passt, liegt der Verdacht nahe, dass sich die benennende Person über das konventionalisierte Wissen in Bezug auf topografische Klassenbezeichnungen hinwegsetzt. Hierfür finden sich zahlreiche Beispiele in den untersuchten Datensätzen, wo topografische Eindrücke z. B. als Buntfeldschuh (DSWA), Mutter (DNG) oder Tupfen (Kiautschou) benannt werden. Ob sich von solchen KLASS auf das konventionalisierte Wissen der Deutschen als einer sozialen Gruppe schließen lässt, ist nicht immer klar. Andererseits können selbst unauffällige KLASS, deren semantische Defaults also zu dem benannten topografischen Eindruck passen, einen spezifischen diskursiven Standpunkt implizieren. Ein pas-
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sendes Beispiel hierfür liefern Spitzmüller & Warnke (2011: 165–166; Hervorh. i. O.), die ein Metaphernfeld von Höhe und Tiefe in der Zeitschrift Kolonie und Heimat analysieren. Dort erfährt man über die Watussi, sie seien hohe, hochgewachsene Gestalten mit hoher Stirn, sie besäßen Berge und sie wohnten mit ihren Angehörigen auf dem Gipfel; ganz im Gegensatz zu den Wahutu, die mit entgegengesetzten Bildern erfasst sind: Sie seien kleine Bantuneger mit platter Nase, die im Tal wohnten.
Die hier zitierten topografischen Kategorien sind mit Rossberg (DNG), Werthergipfel (DOA), Pfannental (DSWA) und 414 weiteren Fällen auch als KLASS in den von mir untersuchten Kolonialtoponymen vertreten. Um ihre mögliche Einbettung in Metaphernfelder festzustellen und sie damit genauer im Spannungsfeld von gesellschaftlicher und individueller Kategorisierung zu verorten, wären aufwendige qualitative Analysen aller erfassten Ortsnamen nötig. Auch wenn detaillierte, diskursanalytische Untersuchungen von einzelnen KLASS aufschlussreiche Erkenntnisse versprechen, kann ich sie im Rahmen meiner eigenen quantitativen Untersuchung an dieser Stelle nicht leisten. Angesichts der primären Funktion der KLASS, ein ortsbezogenes Wissen zu transportieren (s. Kap. 3.2), gehe ich allerdings davon aus, dass die Benennenden KLASS mehrheitlich in ihrer konventionellen Bedeutung verwenden. Die vereinzelten idiosynkratischen Verwendungen wie Buntfeldschuh, Mutter etc. verzerren die Analyseergebnisse in ihrer Gesamtheit nicht maßgeblich. Insgesamt müssen die Ergebnisse der anstehenden KLASS-Analyse in dem Bewusstsein gelesen werden, dass sie – wie jeder linguistisch basierte Ansatz einer Wissensanalyse – keine vollständigen Wissensbestände abbilden können. Das uneindeutige Verhältnis von sprachlichen und ontologischen Kategorien sowie von individuellem und konventionalisiertem Wissen stellen m. E. ein niemals vollständig vermeidbares Hindernis für eine linguistische Epistemologie dar. Im folgenden Kapitel, das sich der formalen und funktionalen Beschreibung der KLASS widmet, greife ich deshalb auch auf einen frame-semantischen Ansatz zurück, der das Potenzial hat, die „in den ‚Tiefenebenen des Wissens‘ versteckten Wissenselemente zu erschließen, bewusst zu machen und ihre Wirkweise im Diskurs offenzulegen“ (Busse: 2018: 23).
3
Klassifikatoren
Schon bevor Anderson (2007) und Van Langendonck (2007) den Begriff classifier zur Beschreibung von toponymischen Strukturen prägen, sind die KLASS in der Linguistik ein gebräuchliches Konzept. Angesichts der begrifflichen Missverständlichkeit unterscheiden Stolz & Levkovych (2020a) das ältere Konzept der grammatikalischen Klassifikatoren von dem neueren der onymischen Klassifikatoren, die sie ausdrücklich nicht als ein ausschließliches Phänomen der Ortsnamenforschung, sondern der Onomastik insgesamt verorten. Entsprechend beziehen sich die klassischen, grammatikalischen KLASS nicht auf Eigennamen. Gemeint sind vielmehr die weitestgehend grammatikalisierten Elemente in unterschiedlichen, vor allem außereuropäischen Sprachen, die notwendig sein können, um z. B. Substantive quantifizierbar zu machen (vgl. Nguyễn 2013: 59). In der Regel geben grammatikalische KLASS außerdem Aufschluss über gemeinsame Merkmale, die Sprecher*innen den jeweiligen Bezugselementen zuschreiben. Solche Elemente existieren bspw. im Vietnamesischen. Ohne sie können Substantive wie mèo ‚Katze‘ oder bát ‚Schüssel‘ nicht mit einem Zahlwort kombiniert werden, wie die Beispiele (1 a–d) nach Nguyễn (ebd.: 59–60) demonstrieren. (1)
a. *hai zwei
mèo Katze
b. hai con zwei KLASS (TIER) ‚zwei Katzen‘ c. *hai zwei
mèo Katze
bát Schüssel
d. hai cái bát zwei KLASS (GEGENSTAND) Schüssel ‚zwei Schüsseln‘ Wenn hingegen in (kolonial-)toponomastischen Arbeiten von Klassifikatoren die Rede ist, sind in der Regel toponymische Klassifikatoren gemeint, die den onymischen KLASS im Sinne von Stolz & Levkovych (2020a) zuzuordnen sind. Dabei handelt es sich um ein jüngeres Konzept, das v. a. seit Stolz & Warnke (2015) immer mehr Beachtung in der Kolonialtoponomastik findet – so z. B. für die Darstellung toponymischer Strukturen bei Miccoli (2019, 2017), Schuster (2018) u. a. https://doi.org/10.1515/9783111007588-003
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In ihrem Beitrag gehen Stolz & Levkovych (2020a) auf einige wesentliche Unterschiede zwischen grammatikalischen und (top-)onymischen KLASS ein. Zwar konstatieren sie gewisse „fuzzy boundaries“ (ebd. 175), sprechen sich aber insgesamt dagegen aus, beide KLASS-Arten undifferenziert nebeneinander zu stellen (vgl. ebd. 177). So werden z. B. für das Japanische sowohl grammatikalische als auch onymische KLASS festgestellt. Allerdings unterscheiden sich die beiden Typen sowohl distributionell als auch in Hinblick auf ihren Grammatikalisierungsgrad deutlich voneinander: Die grammatikalischen KLASS erscheinen als strikt gebundene Morpheme, deren Verwendung den semantischen und morphosyntaktischen Regeln der jeweiligen Sprachen unterliegt. Die Forschenden attestieren ihnen daher eine fortgeschrittene Grammatikalisierung. Die onymischen KLASS können hingegen teilweise auch als freie Appellativa auftreten (vgl. ebd. 168). Ihre An- oder Abwesenheit sowie der konkret gewählte sprachliche Ausdruck hängen nicht vom morphosyntaktischen Kontext ab. Am deutlichsten unterscheiden sich grammatikalische und onymische KLASS jedoch im Hinblick auf ihren Skopus. So beziehen sich KLASS als Bestandteile von Eigennamen nicht auf das sprachliche Material in ihrem Umfeld, sondern lediglich auf den (außersprachlichen) Referenten – im Fall von Ortsnamen also auf den benannten topografischen Eindruck. Ihr Skopus liegt damit außerhalb der onymischen Konstruktion (vgl. ebd. 175). Ganz anders verhält es sich bei den grammatikalischen KLASS. Sie kookkurieren entweder mit dem Substantiv, auf das sie sich beziehen, oder ihr Bezugselement lässt sich anaphorisch herleiten: „the scope is strictly construction-internal“ (ebd. 177). Stolz, Warnke & Levkovych (2016: 290) definieren einen toponymischen KLASS darüber hinaus als „morpheme which indicates the ontological class to which the geo-object thus named belongs“. Für die Mehrheit der +KLASS trifft diese kurze Definition durchaus zu. Allerdings klammert sie solche Namen aus, deren appellativische Konstituente semantisch nicht mit der ontologischen Kategorie des Namenträgers übereinstimmen – wie etwa die Straßennamen mit den KLASS-Elementen -tal bzw. Ort in Abb. 1. Es wäre zu kurz gegriffen, den KLASS-Status eines Namensbestandteils lediglich an der Übereinstimmung seiner (prototypischen) Bedeutung mit der ontologischen Kategorie des benannten Ortes festzumachen: Die Problematik von ähnlichen Ansätzen zeigt sich unter anderem bei Harwegs (1997) Konzept der Mikro- und Ex-Gattungsnamensockel (s. Kap. 4.1). Außerdem müsste die Toponomastik, um in diesem Sinne echte KLASS zu identifizieren, in der Lage sein, Straße und andere topografische Kategorien in ihrer Extension unmissverständlich auf bestimmte außersprachliche Referenten zu beschränken. Sie müsste eine Klasse der Straßen präzise von den Gassen, Autobahnen oder Wegen ab-
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grenzen können und dabei nicht immer eindeutige Hypo- und HyperonymieVerhältnisse definitiv bestimmen. Lassen sich bspw. Feldweg oder Trampelpfad tatsächlich unter die Kategorie Straße subsumieren, wenn diese hyperonymisch sämtliche Verkehrswege umfassen soll? Nicht umsonst lehnt die Diskurslinguistik, in der ich meine Analyse weitgehend verorte, den Gedanken eines objektivierbaren, außersprachlichen Referenten als ein ontologisch-realistisches Relikt ab (vgl. Spitzmüller & Warnke 2011: 55).
Abb. 1: Straßennamen im Bremer Stadtteil Horn-Lehe.
Wie Luisental, Kleiner Ort und ähnliche Toponyme deutlich machen, hängt die ontologische Ordnungsfunktion eines KLASS von seinem konkreten Toponym ab. Sie ist nicht bei allen Sprecher*innen auf die gleiche Weise wirksam. Stattdessen lassen sich auch kreative, metaphorische und historische Motive – möglicherweise auch abweichende ontologische Annahmen der benennenden Personen – hinter der Wahl eines KLASS identifizieren (s. Kap. 3.2.1). Auch wenn die prototypische Bedeutung eines KLASS-Elements nicht immer zum benannten Ort passt, stellt die ontologische Einordnungsfunktion eine sinnvolle Ergänzung zur Definition von toponymischen KLASS dar. Als von ontologischen Annahmen abhängige Namensbestandteile lassen die KLASS den konstruierten Charakter von topografischen Eindrücken, räumlichen Kategorien und von Orten insgesamt erkennen. Damit werden sie besonders anschlussfähig an die soziolinguistisch basierte Place-Making-Theorie (s. Kap. 3.2). Heute scheint sich der toponymische KLASS-Begriff in immer mehr Forschungsbeiträgen durchzusetzen. Trotzdem liegt der analytische Fokus der Kolonialtoponomastik nach wie vor auf den nicht-klassifizierenden Bestandteilen von Toponymen, die Stolz & Warnke (2018c: 22) abgrenzend als Modifikatoren bezeichnen. Mit dieser Schwerpunktsetzung vernachlässigt die Kolonialtoponomastik weitestgehend einen Gegenstand, der eine besondere Aussagekraft
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im Hinblick auf koloniale Wissensordnungen besitzt: Wenn z. B. Stolz, Levkovych & Warnke (2018: 196) aufzeigen, dass KLASS aus autochthonen Sprachen bei der (Um-)Benennung von Orten in den Kolonien oft nur eine Nebenrolle spielen – die hybriden Bildungen im untersuchten Niederländisch-Ostindien bilden dabei eine Ausnahme –, erlaubt dieser Befund auch Rückschlüsse auf koloniale Sprachideologien. Die KLASS-Analyse wird zur Analyse kolonialer Gewissheiten, die auch für die Nachbardisziplinen in den Postcolonial Studies relevanten Input liefert – so z. B. für die Kritische Geografie, die sich unter anderem für die Marginalisierung indigener Gruppen auf und mithilfe von Landkarten interessiert. Derzeit sind die KLASS erst im Begriff, sich als eine analytische Größe in der (Kolonial-)Toponomastik zu etablieren – entsprechend wenig umfassend sind sie bisher in der Literatur beschrieben worden. Die folgenden Kapitel setzen sich deshalb mit der Form und Funktion der KLASS auseinander. Ihr Ziel ist es, klassifizierende Konstituenten auf einer breiten Datenbasis näher zu beschreiben und präzise zu definieren.
3.1 Form Vor ihrer wachsenden Verbreitung im Zuge der Kolonialtoponomastik wurden die KLASS von Van Langendonck (2007) und Anderson (2007) für die Beschreibung toponymischer Strukturen nutzbar gemacht. Die Autoren behandeln Toponyme wie the (River) Thames oder the Baltic (Sea) (vgl. ebd.: 106). Ein charakteristisches Merkmal dieser Namen sind ihre nominalen „components with sense“ (Anderson 2007: 118) oder classifier. Deren Bedeutung ist zwar für die bloße Bezugnahme auf einen Namenträger nicht immer relevant, allerdings liefern sie zusätzliche Informationen zu dem benannten Landschaftsausschnitt. Letztendlich nehmen the River Thames und the Baltic Sea als onymische Gesamtausdrücke (holistic names; vgl. ebd.) Bezug auf einen benannten Teil der Landschaft: Der KLASS ist ein fester Bestandteil des Toponyms. Für das Englische, aber genauso auch im Deutschen beobachtbar, stellt Van Langendonck (2007: 205) vier onymische Strukturtypen fest, die ich im Folgenden mit Toponymen aus der deutschen Metropole wiedergebe. Demnach können Namen mit KLASS (Untere Mark, Bayern), mit Artikel (das Hoppbruch, NRW), suffigiert (Maroldsweisach, Bayern) oder ohne eines dieser Elemente auftreten (Marx, Niedersachsen). Überträgt man Van Langendoncks Bildungstypen auf das deutsche Toponomastikon, fällt vor allem die strikte Abgrenzung von Suf-
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fixen28 und KLASS als problematisch auf. Van Langendoncks (2007: 206; Hervorh. i. O.) Verständnis eines classifiers liest sich wie folgt: „In certain toponyms, the formal aspect has been united with the semantic one in the use of a kind of classifier, a lexeme which also functions as a common noun and indicates the class to which the topographical entity belongs“. Wesentlich für die Adaption des Konzepts in der deutschen Toponomastik ist, dass es sich bei den KLASS laut Van Langendonck also um Lexeme handelt. Suffixe schließt er hingegen bewusst als KLASS aus, da sie von „diachronic rather than of a synchronic nature“ (ebd.: 205) seien. Anderson (2007: 116) argumentiert nahezu wortgleich. Tatsächlich trifft aber auch auf viele (historische) Suffixe zu, was Anderson (ebd.: 107) als charakteristisch für +KLASS beschreibt: „The kind of entity named is indicated in the name structure.“ Sowohl im Deutschen als auch im Englischen gibt es zahlreiche Suffixe wie etwa -reuth (‚Rodung‘) oder engl. -wick (‚Siedlung‘; ‚Ort ‘), die ebenfalls auf einen bestimmten kind of entity hinweisen. Auch ihre vermeintliche diachrone Natur disqualifiziert Suffixe nicht als KLASS: Schließlich sind nicht alle Ortsnamen-Suffixe im Lauf der Zeit im selben Maße intransparent geworden. Beispiele dafür liefert Anderson (ebd.: 116) selbst mit dem englischen -ham (‚Heim‘) und dem noch transparenteren -bridge (‚Brücke‘). Auch im Deutschen haben zahlreiche Toponym-Konstituenten ihren Lexemstatus eingebüßt, wobei sie nach wie vor als klassifizierende Elemente erkennbar bleiben – so etwa in Steinfurth (Hessen), Karstädt (Mecklenburg-Vorpommern), Steinekirch (Bayern). Je nach Transparenz dieser Suffixe können Sprecher*innen deren Etymologie entweder rekonstruieren oder volksetymologisch deuten. Ihre klassifizierende Funktion verlieren sie dadurch nicht. Insofern stimme ich in Bezug auf die Morphologie der KLASS eher mit dem Ansatz von Stolz, Warnke & Levkovych (2016: 290) überein, die KLASS bereits auf der Morphem-Ebene ansetzen. Um die Elemente näher beschreibbar zu machen, arbeite ich bei der Auswertung meiner Datensätze teils korpusgestützt und teils korpusbasiert. Die beiden Vorgehensweisen beschreibt Bock (2018: 318–319): Im Unterschied zu den sog. korpusgestützten […] Verfahren, bei denen vorgefasste Hypothesen und Kategorien am Korpus getestet und untersucht werden, wird bei den Corpusdriven-Verfahren vermieden, das Untersuchungsmaterial durch Vorannahmen vorzu-
|| 28 Bei der Bestimmung des morphologischen Status von deutschen KLASS folge ich der Definition der Duden-Grammatik, wonach es sich bei Suffixen um in der Regel unbetonte und nicht wortfähige Wortbildungsaffixe rechts der Basis handelt, die gemeinsam einen „komplexen Wortstamm“ bilden (Barz 2009: 657). Als Teil eines solchen Wortstamms sind Suffixe im Deutschen auch durch Zusammenschreibung gekennzeichnet.
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strukturieren. Stattdessen ist es Ziel, „die linguistische Kategorienbildung strikt aus den empirischen Beobachtungen herzuleiten“ ([Bubenhofer 2009:] 17).
Einerseits untersuche ich KLASS-Elemente korpusgestützt, andererseits konkretisieren sich die KLASS als Untersuchungsgegenstand korpusbasiert, also erst sukzessive im Verlauf der Analyse. Definition und Analyse des Gegenstands finden also zunächst parallel statt, wobei sich ein immer konkreteres Bild der klassifizierenden Namensbestandteile herausbildet. Erst im Anschluss an den ersten Analysedurchgang ist dieses Bild deutlich genug, um alle KLASS-Elemente in den Datensätzen nach reflektierten Kriterien und einer genaueren Definition erfassen zu können. Es kommt ein mehrstufiges Verfahren im Sinne von Spitzmüller & Warnke (2011: 133–134) zum Einsatz, bei dem die Datensätze nach der erstmaligen Durchsicht erneut ausgewertet werden. Dem Prinzip eines hermeneutischen Zirkels folgend profitiert die nochmalige Analyse von den zuvor gewonnenen Erkenntnissen und trägt zur Sensibilisierung im Hinblick auf bestimmte Analyseaspekte bei. Eine erste Erkenntnis der mehrstufigen Auswertung betrifft die Spannweite der morphologischen Komplexität von KLASS-Elementen. Vor allem in der Metropole, aber – wenn auch in wesentlich geringerer Anzahl – auch in den Kolonien treten Suffixe als Namensbestandteile auf, die zwar keinen Lexemstatus im Standarddeutschen haben, aber als reihenbildende Elemente deutlich auf ähnliche Merkmale der benannten topografischen Eindrücke hinweisen (2 a–c). Es handelt sich um dialektale und/oder historische Appellativa, die ihre Transparenz schon zur Zeit des deutschen Kolonialismus teilweise oder vollständig eingebüßt haben. Allerdings hindert sie das nicht daran, auch im kolonialen Kontext in Analogie zu Ortsnamen aus der Metropole verwendet zu werden. Insbesondere das deutsch-südwestafrikanische Nameninventar fällt dadurch auf, dass es KLASS-Suffixe aus der Metropole aufgreift und für koloniale Benennungen nutzbar macht (s. Kap. 5.2.2.1). Trotz ihrer diachronen Natur werden die Suffixe als klassifizierende Toponym-Konstituenten im kolonialen Kontext wieder aktuell. (2) a. [{Rohr}MOD-{beck}KLASS]TOP (DSWA) b. [{Heil}MOD-{bronn}KLASS]TOP (DSWA) c. [{Reinholte}MOD-{rode}KLASS]TOP (Thüringen) Der zweite morphologische Strukturtyp, den die KLASS-Elemente annehmen, sind Simplizia (3 a–c). Die Gruppe umfasst alle klassifizierenden Namensbestandteile, die im Standarddeutschen als transparente, freie Morpheme verwendet werden können. Mit ihnen als Basis lassen sich Wortbildungsprodukte
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bilden, die ebenfalls als KLASS infrage kommen und die ich daher als dritten Strukturtyp analysiere. Über die Erweiterung der Basis mit einem oder mehreren freien Morphemen entstehen KLASS-Komposita (4 a–b). Mithilfe von gebundenen Morphemen sind außerdem Derivate als klassifizierende Namensbestandteile denkbar (4 c). (3) a. [{Haifisch}MOD-{insel}KLASS]TOP (DSWA) b. [{Langemak}MOD-{bucht}KLASS]TOP (DNG) c. [{Langer}MOD {Berg}KLASS]TOP (Thüringen) (4) a. [{Gastwirtschaft}KLASS {„Germania“}MOD]TOP (DNG) b. [{Gouvernements}MOD-{krankenhaus}KLASS]TOP (Togo) c. [{Sammlung}KLASS {Goetz}MOD]TOP (Bayern) Dabei ist nicht jedes appellativische Kompositum in einem Toponym automatisch als KLASS zu werten. Unter welchen Bedingungen es sich um ein zusammenhängendes KLASS-Element handelt und wann die klassifizierende Funktion lediglich von seinem Kopf-Bestandteil ausgeht, ist insofern erklärungsbedürftig. Bei den KLASS-Komposita handelt es sich ausnahmslos um Determinativkomposita, die dem Prinzip der Rechtsköpfigkeit folgen. Damit enthalten alle KLASS-Komposita ein Determinatum, das den morphologischen und semantischen Kopf des Kompositums ausmacht. Solange die KLASS lediglich auf Basis ihrer ontologischen Einordnungsfunktion definiert sind, kommt als klassifizierender Namensbestandteil neben dem Kompositum auch immer dessen Kopfelement infrage. Bei Toponymen wie Gouvernementskrankenhaus (Togo), denen mehrere Wortbildungsprozesse zugrunde liegen (s. Abb. 2), wären sogar mehrere appellativische Konstituenten als KLASS denkbar – hier z. B. das gesamte Toponym Gouvernementskrankenhaus, der komponierte Bestandteil Krankenhaus sowie Haus als morphologischer und semantischer Kopf des gesamten Ausdrucks. Alle drei Kandidaten kennzeichnen das Toponym als einen sogenannten Gattungseigennamen – eine in der Onomastik etablierte Kategorie, deren zentrales Merkmal sich wie eine Paraphrase der ontologischen Einordnungsfunktion der +KLASS liest: Es handelt sich um Namen, „die die app[ellativische] Kategorie ihres Trägers mitbezeichnen und damit [im Gegensatz zu anderen Namen; JdB] partiell durchaus motiviert sind“ (Nübling, Fahlbusch & Heuser 2015: 44). Da
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sie dieses Merkmal mit den +KLASS gemeinsam haben, subsumiere ich die toponymischen Gattungseigennamen unter die +KLASS.29 Um das KLASS-Element in Gouvernementskrankenhaus und anderen Toponymen mit komplexen appellativischen Bestandteilen zu bestimmen, muss zunächst die besagte appellativische Kategorie ermittelt werden. Dabei ist es wenig zielführend, jeden appellativischen Namensbestandteil im Hinblick auf sein KLASS-Potenzial als gleichwertig zu betrachten: Zwar sind die topografischen Kategorien von Sprecher*innen abstrakt und lassen sich nicht unmittelbar rekonstruieren. Allerdings gibt die Lexikografie Anhaltspunkte, mit denen sich mehrere KLASS-Kandidaten im Zweifelsfall nach dem Grad ihrer Lexikalisierung einordnen lassen. Wenn ein Kompositum nicht mit eigenem Lemma in Wörterbüchern und Lexika erfasst ist, liegt die Vermutung nah, dass es sich um eine okkasionelle Bildung mit einer „singuläre[n] Wortbildungsbedeutung“ (Barz 2009: 720) handelt. Es ist davon auszugehen, dass diese Bildungen über ihre Ad-hoc-Verwendung hinaus nicht im konventionalisierten Wissen einer Sprecher*innengruppe vorhanden sind. Dabei gilt es zu berücksichtigen, dass die Lexikografie als eine nachträglich dokumentierende Disziplin lediglich einen eingeschränkten Einblick in den Wortschatz ihrer Zeit gewährt, die Unterscheidung von Ad-hoc-Bildungen und stärker lexikalisierten Begriffen also nicht zweifelsfrei möglich ist. Wenn Gouvernementskrankenhaus allerdings in unterschiedlichen Quellen nicht auffindbar ist, ist dies ein starker Indikator dafür, dass das Kompositum keine gebräuchliche sprachliche Kategorie darstellt. So verhält es sich auch bei Gouvernementskrankenhaus, das weder im Digitalen Wörterbuch der deutschen Sprache (DWDS a), noch im Portal Duden online (a) oder im Deutschen KolonialLexikon (DKL b) mit einem Eintrag vertreten ist. Auch in der deutschen Wikipedia fehlt der Begriff artikelübergreifend. Bis hierher folgt die KLASS-Bestimmung in Ortsnamen einem reduktiven Ansatz: Die größte zusammenhängende appellativische Konstituente eines Toponyms wird isoliert und morphologisch so weit analysiert, bis ihr morphologisch komplexester lexikalisierter Bestandteil als KLASS übrig bleibt. Im Fall von Gouvernementskrankenhaus heißt der KLASS also Krankenhaus. Als Determinativkompositum ließe sich auch Krankenhaus noch weiter analysieren, um z. B. Haus als einen KLASS herauszustellen. Allerdings würde diese Zuspitzung das Erkenntnispotenzial von KLASS-Analysen enorm schmälern: Allein infolge der Reduktion von Krankenhaus auf Haus müssten so verschiedene topografische Eindrücke wie Krankenhaus, Gasthaus, Jagdhaus, Kreiskrankenhaus, Wohnhaus || 29 Auf das genaue Verhältnis der beiden Konzepte gehe ich in Kap. 4 genauer ein.
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auf einen einzigen KLASS Haus mit einem verhältnismäßig niedrigen Informationsgehalt reduziert werden. Um möglichst detaillierte Erkenntnisse über Raumkategorien zu generieren, empfiehlt es sich hingegen, jederzeit den morphologisch komplexesten (lexikografisch belegten) KLASS-Kandidaten zu analysieren.
Abb. 2: Morphologische Konstituentenanalyse von Gouvernementskrankenhaus mit komplexem KLASS.
Die Bestimmung von KLASS-Elementen in einem Namen ist m. E. weder trivial noch selbsterklärend und zeigt, dass Van Langendonck (2007) und Anderson (2007) die morphologische Struktur der KLASS noch zu kurz abhandeln. Hinzu kommt die Tatsache, dass beide Autoren den classifier-Begriff anhand von englischen Toponymen entwerfen und dementsprechend auch im Rahmen der anglistischen Wortbildungslehre argumentieren. Um KLASS auch in anderen Sprachen treffend zu analysieren, müssen Forschende das Konzept ggf. an abweichende Arten der Wortbildung anpassen. Das gilt bereits für so eng miteinander verwandte Sprachen wie das Englische und das Deutsche, wie das Beispiel bridge veranschaulicht. Dass Anderson (2007: 116) die Konstituente bridge in Siedlungsnamen als Suffix einordnet (und es damit in seinem Sinne als KLASS ausschließt), hängt vor allem mit einer orthografischen Konvention des Englischen zusammen: Genau
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wie Brücke im Deutschen, kommt bridge im Englischen sowohl als Bestandteil von Brücken- als auch von Siedlungsnamen vor. Um was für einen topografischen Eindruck es sich handelt, ist im Englischen jedoch bereits anhand der Schreibweise erkennbar. Wenn die prototypische Bedeutung von bridge mit der epistemischen Kategorie des benannten Ortes übereinstimmt, es sich also um einen Brückennamen handelt, wird das Toponym im Englischen standardmäßig getrennt geschrieben (5 a–c). Eine Zusammenschreibung deutet hingegen auf einen abgeschlossenen Onymisierungsprozess hin (6 a–c): Das resultierende Toponym ist lediglich durch eine (historische) Brücke motiviert. Im Deutschen ist diese Unterscheidung nicht möglich: Nach der gängigen Auffassung der germanistischen Wortbildungslehre handelt es sich sowohl bei den Brückennamen in (7 a–c) als auch bei den Siedlungsnamen in (8 a–c) um Komposita mit dem Kopf Brücke. Anhand seiner Schreibweise lässt sich Brücke nicht als Suffix analysieren und als KLASS ausschließen. Insofern ist es nicht möglich, den KLASSBegriff Van Langendoncks (2007) und Andersons (2007) unverändert auf das Deutsche oder andere Sprachen zu übertragen. Es gilt, einzelsprachliche Charakteristika der Morphologie und Wortbildung zu berücksichtigen. (5) a. [{Tower}MOD {Bridge}KLASS]TOP (London) b. [{Swinford}MOD {Toll Bridge}KLASS]TOP (Region South East England) c. [{Clifton}MOD {Suspension Bridge}KLASS]TOP (Region South West England) (6) a. [{Ax}MOD-{bridge}KLASS]TOP (Region South West England) b. [{Staly}MOD-{bridge}KLASS]TOP (Region North West England) c. [{Trow}MOD-{bridge}KLASS]TOP (Region South West England) (7) a. [{Jagst}MOD-{talbrücke}KLASS]TOP (Baden-Württemberg) b. [{Friedens}MOD-{brücke}KLASS]TOP (Thüringen) c. [{Dorfbach}MOD-{brücke}KLASS]TOP (Sachsen) (8) a. [{Reh}MOD-{brücke}KLASS]TOP (Brandenburg) b. [{Hammer}MOD-{brücke}KLASS]TOP (Sachsen) c. [{Neu}MOD-{brücke}KLASS]TOP (Rheinland-Pfalz) Des Weiteren ist in der Toponomastik bisher kaum diskutiert worden, ob auch solche Konstituenten als KLASS betrachtet werden können, die ihrerseits selbst toponymischen Ursprungs sind (9 a–c). Warnke, Stolz, de Bloom & Levkovych (2020: 92) bezeichnen solche Elemente als „toponymic reference“, die sie als separate Größe abseits der KLASS behandeln. Im kolonialen Kontext sind diese
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toponymischen Referenzen keine Seltenheit – häufig werden sie von Attributen begleitet, die den topografischen Eindruck im Hinblick auf seine Lage, Größe oder andere Merkmale spezifizieren (vgl. Stolz & Warnke 2017: 208). (9) a. [{Deutsch}MOD-{China}?KLASS]TOP (= Kiautschou) b. [{Alt}MOD-{Banti}?KLASS]TOP (Kamerun) c. [{Groß}MOD-{Bweni}?KLASS]TOP (DOA) Die Attribuierungen Deutsch-, Alt-, Groß- etc. sind insofern interessant, als sie der eindeutigen Referenzleistung von Eigennamen zu widersprechen scheinen. Sie erwecken den Eindruck von China, Banti und Bweni als Klassenbezeichnungen mit mehreren Vertretern. Allerdings zieht diese Analyse Probleme nach sich. Dass mit Deutschland bspw. präzisierende Bezeichnungen wie Nord-, Mittel-, Süd-, West- oder Ostdeutschland gebildet werden, bedeutet nicht, dass es eine Klasse der Deutschländer gäbe. Auch namengrammatisch unterscheidet sich Mitteldeutschland nicht von Deutsch-China und ähnlichen Toponymen – sie alle sind artikellos, monoreferenziell und funktionieren als holistische Begriffe ohne wörtliche Bedeutung. Die Attribuierung macht einen onymischen Namensbestandteil also nicht zum KLASS. In wenigen Fällen verzeichnen koloniale Landkarten auch Toponym-Paare wie Groß-Gabis und Klein-Gabis (beide DSWA), Ober-Boanda und Unter-Boanda (beide Kamerun), bei denen es sich tatsächlich um zwei verschiedene topografische Eindrücke handelt. Eine Klasse der Gabis, Boandas etc. lässt sich aber auch aus diesen Dopplungen nicht ableiten, da die Eigennamen semantisch leer sind und die benannten Siedlungen keinerlei Ähnlichkeit miteinander besitzen müssen. Ähnlich argumentieren auch Nübling, Fahlbusch & Heuser (2015: 35; Hervorh. i. O.): „Namen bilden keine potentiellen Klassen: Jeder noch so intelligente Mensch kann zwar mit Einstein verglichen werden (sie ist ein zweiter Einstein), doch wird dadurch keine Klasse der *Einsteine eröffnet.“ Fassen wir die formalen Aspekte der toponymischen KLASS zusammen, handelt es sich also um appellativische Namensbestandteile, die in der Form von Suffixen, Simplizia oder Wortbildungsprodukten in verschiedenen Komplexitätsgraden auftreten. Anders als bei den grammatikalischen KLASS liegt der Skopus von toponymischen KLASS immer außerhalb der onymischen Konstruktion: Die klassifizierenden Namensbestandteile beziehen sich auf einen außersprachlichen topografischen Eindruck. Zudem treten die meisten toponymischen KLASS auch als freie Appellativa in einer Sprache auf, ihre Verwendung ist damit nicht an spezifische morphosyntaktische Kontexte gebunden. Eine Ausnahme stellen hier die toponymischen KLASS-Suffixe dar, die unter Umständen nicht mehr
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vollständig transparent sind und deren appellativische Bedeutung daher nur noch dialektal und/oder historisch überliefert ist. Da sie als reihenbildende Elemente in mehreren Toponymen auftauchen, ist ihre klassifizierende Funktion allerdings nach wie vor erkennbar. Bei komplexen appellativischen Konstituenten ist derjenige Teil als KLASS zu werten, der zum einen als eine lexikalisierte Kategorienbezeichnung nachweisbar ist (z. B. wenn er mit einem eigenen Lemma lexikografisch erfasst ist) und zum anderen den größtmöglichen Informationsgehalt vor anderen denkbaren KLASS-Elementen aufweist (in der Regel die morphologisch komplexeste Einheit). Auch wenn der classifier-Begriff für verschiedene Sprachen angepasst werden muss, bietet er ein enormes Potenzial für die (Kolonial-)Toponomastik. Wie das folgende Kapitel zeigt, bilden die KLASS einen konstruktivistischen Gegenpol zu ontologisch-realistischen Raumkonzepten.
3.2 Funktion Dass KLASS bei der kolonialen Besitzergreifung eine Rolle spielen, stellen sowohl Stolz, Levkovych & Warnke (2018: 196) als auch Schulz & Aleff (2018: 134) fest. Die Forschenden weisen darauf hin, dass autochthone KLASS-Elemente in Kolonialtoponymen eine Ausnahme darstellen und die Kolonisierenden besonderen Wert auf eine kategorielle Einordnung der Landschaft in ihrer eigenen Sprache legen. Schon bei Van Langendonck (2007) und Anderson (2007) werden die KLASS vornehmlich funktional definiert – Stolz & Warnke (2018c: 27) sprechen später von ihrer „Ordnungsfunktion“. Eine „Besitzanspruchsfunktion“ ordnen sie hingegen den MOD zu, die damit die Aufgabe haben, „die Zugehörigkeit des GeoObjekts zum Herrschaftsbereich eines gegebenen Kolonisators kommemorativ zu markieren“ (ebd.). Die unterschiedliche Funktion von MOD und KLASS kommt auch in Stolz & Warnkes (ebd.: 28) Darstellung des kanonischen Kolonialtoponyms zur Geltung (s. Abb. 3). Als kanonisch bezeichnen die Forschenden diesen Prototypen, weil er in verschiedenen Kolonialsprachen belegt ist (vgl. ebd.). Als Referenzgröße für die meisten der bisher von COCOTOP untersuchten Kolonialismen (mit Ausnahme des japanischen) stellt das kanonische Kolonialtoponym also eine sprachübergreifende Gemeinsamkeit dar. Die vorliegende Arbeit zielt hingegen weniger auf die inhärente Struktur der untersuchten Namen ab, sondern untersucht, ob und inwiefern auch die dargestellte Funktion der KLASS charakteristisch für koloniale Benennungen ist. Im Hinblick auf ihre Ordnungsfunktion scheinen sich die kolonialen KLASS zunächst kaum von denen in der Metropole zu unterscheiden. Schließlich findet
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auch in Toponymen wie Hafen Eckernförde (Schleswig-Holstein), Robecker Berg (NRW) oder Wachenholz (Baden-Württemberg) eine ontologische Zuordnung statt.
Abb. 3: Kanonisches Kolonialtoponym nach Stolz & Warnke (2018c: 28).
Allerdings können Toponyme und ihre KLASS trotz ihrer augenscheinlichen Unmarkiertheit eine hintergründige Kolonialität tragen, wie etwa die Analyse kolonialer Mikrotoponyme bei Schulz & Aleff (2018: 125) demonstriert: Die Forschenden identifizieren Ortsnamen als „Diskurswerkzeuge [mit] spezifischen Diskursfunktionen“ und kommen zu dem Schluss, dass auch in vordergründig rein orientierenden Mikrotoponymen Wahrnehmung und Interessen der Kolonisatoren versprachlicht werden. […] So können auf Stadt- und Lageplänen eingezeichnete Appellativa wie Eingeb. Gefängnis, Post oder Gouvernements-Krankenhaus ebenfalls als versprachlichte Indikatoren für kolonisatorische Relevanz, kolonisatorische Interessen und kolonisatorische Gewissheiten über die Abbildung historischer Verwaltungsstrukturen hinaus gedeutet werden. (Schulz & Aleff 2018: 146; Hervorh. i. O.)
Auch wenn ihre Ordnungsfunktion also koloniale und metropolitane KLASS verbindet, sind es die konkreten KLASS-Elemente, die auf unterschiedliche Art und Weise das koloniale Interesse an einem topografischen Eindruck ausdrücken können. Am Beispiel von Hafen lässt sich dieser Gedankengang leicht nachvollziehen: Genau wie das von Stolz & Warnke (2018c) dargestellte kanonische Kolonialtoponym ist das Lexem sowohl in kolonialen als auch metropolitanen Toponymen als KLASS vertreten. Zudem gibt die lexikografische Prüfung keinen
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Anhaltspunkt dafür, dass der prototypische Hafen koloniale Assoziationen evozieren würde – zumindest, sofern der koloniale Kontext nicht explizit hergestellt ist. Worin die Kolonialität des zunächst unauffälligen KLASS besteht, führen Warnke, Stolz, de Bloom & Levkovych (2020: 88; Hervorh. i. O.) näher aus: The common nouns with the meaning of harbor, as constituent of a complex [colonial place name], may not seem to be especially colonial. However, we assume that classifiers in complex [colonial place names] are part of colonialism when they indicate certain ideas, namely those useful for European colonizers and for the colonial perception of space in general. Luther-Hafen resp. Porto San Isidoro are [colonial place names] not least because they are manifestations of place-making, a kind of place-making that shows a functional perception of natural space which goes hand in hand with an interest in shipping as a crucially economic and military colonial practice of claiming space. There is no doubt that harbors are significant for the project of European colonialism.
Die enorme Bedeutung von Häfen für die koloniale Expansion spiegelt sich auch quantitativ in den von mir untersuchten Datensätzen wider: Der Anteil von +KLASS mit Hafen liegt in den Kolonien30 signifikant über dem in der Metropole31 (s. Kap. 5.2.4.1). Eine vermeintliche Erklärung für solche ungleichen Verteilungen ist schnell gefunden, wenn man die KLASS im Sinne des traditionellen Realismus als direkte Entsprechungen einer objektiv vorhandenen und beschreibbaren Topografie interpretiert. In diesem Sinne ist der hohe Hafen-Anteil in den Kolonien selbstverständlich, weil es dort mehr Inseln, längere Küstenabschnitte, kurz: einfach mehr geeignete Geoobjekte gibt, die im Rahmen der Epistemologie der Kolonisierenden sinnvollerweise als Hafen benannt werden können. Hinzu kommt die prominente Rolle, die Häfen im Zuge der kolonialen Erschließung zukommt und die den Fokus der Place-Identification sicherlich beeinflusst hat. Schließlich bildet der Seeweg in der Regel den Ausgangspunkt für die später ausgeweitete Kontrollsphäre der Kolonisierenden. Allerdings vernachlässigen diese Erklärungsansätze die aktive Rolle, die die Benennenden bei der Ortsherstellung spielen: Dem ontologisch-realistischen Prinzip folgend finden die Benennenden einen Ort als ein Objekt in der Welt vor, den es nur noch mit einem adäquaten KLASS zu versehen gilt. Tatsächlich handelt es sich bei der Identifikation eines Landschaftsausschnitts als Ort jedoch um einen weitaus komplexeren, interpretativen Vorgang – die Place-Identification im Sinne der Place-Making-Theorie (s. Kap. 3.2.1).
|| 30 HDT.KOLTOP (Hafen) = 108, hKLASS_DT.KOLTOP (Hafen) = 3,46 %. 31 HDT.TOP (Hafen) = 10, hKLASS_DT.TOP (Hafen) = 0,39 %.
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Am Beispiel des deutschen Pachtgebiets Kiautschou lässt sich nachvollziehen, warum der ontologisch-realistische Ansatz zu kurz greift und sich die KLASS in einer Region nicht allein aus der Topografie selbst ergeben. Denn obwohl sich das Hauptgebiet der Kolonie – nordöstlich des Hauptortes Tsingtau – durch enorme und weitläufige Höhenunterschiede auffällig vom Umland absetzt, sind es gerade die KLASS Berg32 und Gebirge33, die hier im Durchschnitt aller Kolonien auffallend unterrepräsentiert sind (s. Kap. 5.2.4.4.5). Ähnlich überraschend sind in diesem Zusammenhang die Erkenntnisse von Stolz & Levkovych (2020b: 127) zu den Gani-Inseln in Mikronesien: The maps do not host any place names beyond those of the islands themselves although the individual [Gani-Islands] are topographically rich in the sense that there are numerous volcanoes, hills, valleys, lava fields, rivulets, bays, beaches, forests, plantations, and further geo-objects which are potential referents of place names.
Während der Ortsnamenbestand von Kiautschou in mehreren Kartenquellen dokumentiert ist, gehen die Forschenden im Fall der Gani-Inseln davon aus, dass die durchaus vorhandenen Toponyme dort nicht systematisch erfasst wurden, sondern von den Ortsansässigen erinnert werden. Auch wenn sich also die Gründe für das (vermeintliche) Ausbleiben von (Um-)Benennungen unterscheiden, zeigen sowohl Kiautschou als auch die Gani-Inseln, dass der dokumentierte Ortsnamenbestand nicht zwingend mit der Topografie vor Ort zusammenhängen muss. Darüber hinaus verdeutlicht der Fall Kiautschou, dass die Benennenden beim Identifizieren und Klassifizieren von Orten durchaus interessengesteuert vorgehen und insofern voreingenommen sein können. Als Diskurswerkzeuge im Sinne von Schulz & Aleff (2018) geben Toponyme (und nicht zuletzt ihre KLASS) vor, welches ortsbezogene Wissen sprachlich kodiert und kommuniziert wird. Auch wenn die +KLASS das Potenzial haben, bestimmte topografische Eindrücke stärker als andere hervorzuheben, sind sie nicht vollkommen von der Landschaft entkoppelt. Die Vermutung von Stolz & Warnke (2015: 137), dass „geographische Spezifika einzelner Kolonien bei der Häufigkeit bestimmter GEOKLASS eine wichtige Rolle spielen“ ist sicherlich zutreffend. Tatsächlich liefert die KLASS-Analyse eine Reihe von Fällen, bei denen die Kolonisierenden einfach keinen topografischen Eindruck vorfinden, der ihren ontologischen Annahmen entsprechend mit einem bestimmten Appellativum bezeichnet werden kann. Bspw. macht der Blick auf einen Kartenausschnitt der togoischen Küste (s. || 32 HKiautschou (Berg) = 9, hKLASS_Kiautschou (Berg) = 5,20 %. 33 HKiautschou (Gebirge) = 0, hKLASS_Kiautschou (Gebirge) = 0,00 %.
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Abb. 4) schnell klar, warum Bucht, Halbinsel und – in dem von Stolz & Warnke (2015: 137) untersuchten Datenbestand – auch Insel dort nicht vorkommen und im Vergleich zu den anderen Kolonien deutlich unterrepräsentiert sind (s. Kap. 5.2.4.4.6): „Die kurze Küstenlinie Togos […] liefert einen plausiblen Grund dafür, warum der GEO-KLASS Insel in dieser Kolonie fast gar nicht zur Anwendung kam“ (ebd.; Hervorh. i. O.).
Abb. 4: Südküste von Togo (Togo-Land 1885).
3.2.1 Klassifikatoren und Ortsherstellung Das überraschende Fehlen von Berg und Gebirge in Kiautschou und das eher erwartbare Fehlen von Bucht in Togo legen nahe, dass die Klassifizierung von Landschaft nicht eindimensional zu erklären ist: Die ontologischen Annahmen der Kolonisierenden bestimmen weitestgehend unbewusst, welche Landschaftsausschnitte überhaupt als Orte interpretiert werden. Ob diese von den Europäer*innen benannt bzw. umbenannt werden, ob dabei ein KLASS zum Einsatz kommt und um welchen KLASS es sich dabei ggf. handelt, wird hingegen maßgeblich von den spezifischen Interessen bestimmt, die die Kolonisierenden an
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den Raum herantragen. Hinter dem scheinbar trivialen Konzept von Orten steht ein komplexes Konstrukt: places are specific spaces which are ascribed meaning and, importantly, produced through modes of perception as well as through symbolic and material practices; places can be remembered and assigned functions and interests. (Stolz & Warnke 2019: 14; Hervorh. i. O.)
Zudem existieren unterschiedliche Konzepte von Ort, die ihrerseits wiederum an das konventionelle Wissen einer Sprecher*innengruppe gebunden sind. Menschen mit einem sprachlich-kulturellen Hintergrund außerhalb Europas nehmen Orte unter Umständen nicht nur anders wahr – auch ihre Konzepte von Orten und Räumen selbst können sich fundamental von europäischen Vorstellungen unterscheiden: In different linguacultures speakers have coined, developed, and elaborated numerous culturally-specific concepts of „place“, many of which are locally prominent and difficult to translate. For these same reasons, meaning-making in specific places and about specific places is negotiable and often contested. (Levisen & Sippola 2020: 1)
Unter diesen Voraussetzungen ist jeder Versuch, Ort und Raum als objektive Größen zu definieren, aussichtslos. Für die europäisch-westlich verortete (Kolonial-)Toponomastik ist dieser Umstand je nach Forschungsinteresse problematisch. Bspw. müssen Forschende, wenn sie einen gemischten Datensatz mit Endonymen und Exonymen analysieren, kritisch reflektieren, dass die auf Landkarten und in anderen Quellen verzeichneten Toponyme einem westlichen Konzept von Orten folgen. Auch wenn sie Endonyme enthalten, bilden die europäischen Quellen nicht die Raumwahrnehmung und -klassifizierung der Kolonisierten ab und lassen nur eingeschränkte Rückschlüsse auf Gemeinsamkeiten und Unterschiede bei der Benennung von Landschaft zu. Einen theoretischen Rahmen, der die Vielschichtigkeit von Orten berücksichtigt und beschreibbar macht, bildet die linguistische Ortsherstellung (PlaceMaking). In Anlehnung an die deklarative Macht bestimmter Sprechakte bei Searle (1976) stellen Busse & Warnke (2014: 2) heraus, „dass Raum nicht nur benannt werden kann, sondern dass insbesondere Orte in sprachlichen Praktiken überhaupt erst als solche deklariert werden“. Dementsprechend handelt es sich bei Orten – genau wie bei ihrer Zugehörigkeit zu einer epistemischen Kategorie – um ein soziales Konstrukt. Den Begriff des Place-Makings verwenden die Forschenden zunächst in Bezug auf den urbanen Raum. Dabei halten sie drei urbane Modi fest, die sie aus dem Place-Begriff des Raumplaners John Friedmann ableiten. Busse & Warnke
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(2014: 4) betrachten Place-Making in diesem Kontext als den „Prozess der vor allem auch sprachlichen, aber überhaupt auch kommunikativen, semiotischen und materiellen Konvergenz räumlicher Modi in dimensional, aktional und repräsentational verdichteten Orten.“ Demnach sind Orte dimensional, weil sie sich im dreidimensionalen Raum verorten lassen, aktional, weil sie durch kontinuierliche soziale Praktiken hervorgebracht werden, und repräsentational, weil urbane Akteur*innen sie mit (mehreren, verschiedenen) Bedeutungen versehen (vgl. Busse & Warnke 2015: 525). Später greifen Warnke, Stolz, de Bloom & Levkovych (2020: 83) die drei Modi für die Analyse von Kolonialtoponymen auf und benennen drei mit ihnen korrespondierende Ebenen der Ortsherstellung. Dabei gestaltet sich der Kolonialismus als „a nexus between dimensional expansion in space, occupation of space as action, and a representational usurpation of space“. Diese drei layers of colonialism lassen sich auch in kolonialen Toponymen wiederfinden: We correlate the three layers of colonialism in a systematic way with three toponomastic concepts and, moreover, with three specific bundles of data: the abstract layers of colonialism (dimension, action, representation) correspond, in our methodology, to three layers of toponomastic concepts (place-identification, place-naming, place-making) and to three layers of toponomastic data (toponymic referents, toponymic structures, toponymic functions) […]. (ebd.; Hervorh. i. O.)
Die drei toponomastischen Konzepte bilden die aufeinander aufbauenden Ebenen der Ortsherstellung ab: Grundlegend ist zunächst die Place-Identification, die sich auf die dimensionale Verortung eines topografischen Eindrucks bezieht. Hier machen die Benennenden einen für sie relevanten Ort (place) im unbestimmten Raum (space) aus. Damit bildet die Place-Identification eine notwendige Voraussetzung für die Bezugnahme auf einen Landschaftsausschnitt. Nach meiner erweiterten Definition ist das Ergebnis der Place-Identification ein topografischer Eindruck – ein potenzieller Referent, für den die Benennenden im Zuge des Place-Namings und Place-Makings ein konkretes Toponym bilden. Bei der Place-Identification entscheiden ontologische Annahmen und subjektive Relevanzurteile der Benennenden darüber, welche Landschaftsausschnitte mit einem Toponym versehen werden. Die Relevanzurteile, die Orten in diesem Verständnis zugrunde liegen, hängen stark von den spezifischen Interessen der Benennenden, aber auch von ihrem sprachlich-kulturellen Hintergrund ab: Levisen & Sippola (2020: 3) sprechen von „linguacultures that for centuries have nurtured specific epistemes of place“. Indem sie die Heterogenität und damit die Nicht-Objektivität von raumbezogenem Wissen betont, erinnert die Feststellung der Forschenden an die kulturelle Vorprägung der empiri-
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schen Ordnungen, wie sie Foucault (1971: 22) in Die Ordnung der Dinge beschreibt. Dort heißt es: Die fundamentalen Codes einer Kultur, die ihre Sprache, ihre Wahrnehmungsschemata, ihren Austausch, ihre Techniken, ihre Werte, die Hierarchie ihrer Praktiken beherrschen, fixieren gleich zu Anfang für jeden Menschen die empirischen Ordnungen, mit denen er zu tun haben und in denen er sich wiederfinden wird.
Welche Merkmale einen bestimmten Ort vom unbestimmten Raum abheben und identifizierbar machen, gehört zu den besagten kulturellen Codes. Ein Beispiel für kulturell geprägte Unterschiede bei der Place-Identification ist die Benennung von Orten in Grönland, mit der sich Schuster (2018) beschäftigt. Sie führt die geringe Dichte von autochthonen Toponymen im Nordosten der dänischen Kolonie darauf zurück, dass es sich um eine weitestgehend unbewohnte Region handelt (vgl. ebd.: 169). Es ist davon auszugehen, dass die dortige Topografie der indigenen Bevölkerung zwar schon vor der Kolonisierung bekannt, aber aufgrund ihrer Entfernung zu den dichter besiedelten Gebieten nur von geringer Bedeutung war. Die dänische Kolonialmacht identifizierte relevante Orte hingegen nach anderen Maßstäben, und zwar vor allem nach ihrer vorherigen Benennung durch konkurrierende europäische Mächte. Insbesondere die bereits bestehenden Exonyme aus dem Englischen, Norwegischen, Deutschen und anderen europäischen Sprachen wurden systematisch ins Dänische übertragen. Bevor ein topografischer Eindruck also einen Namen erhalten kann, muss er von den Benennenden in irgendeiner Form als relevant angesehen und räumlich verortet werden. Hierin besteht die notwendige Voraussetzung für die weiteren Schichten – das Place-Naming und Place-Making des identifizierten Ortes. Bei der Untersuchung von Raum-Kategorien und ihrer Versprachlichung muss die Place-Identification als deren kognitiver Ausgangspunkt daher im Fokus stehen, obwohl diese Schicht bei Warnke, Stolz, de Bloom & Levkovych (2020: 83) für die Linguistik zunächst weniger interessant erscheint: Place-naming and place-making are of primary interest for the linguistic analysis of toponyms and, accordingly, toponymic structures and functions of [colonial place names]. Place-identification and toponymic referents, respectively, are more important for cartography and geography.
Auf das Identifizieren eines Ortes folgt die zweite Ebene der Ortsherstellung: das Place-Naming, das mit dem aktionalen Layer eines Toponyms korrespondiert. Die Benennenden entscheiden sich für einen Namen, wobei ihnen verschiedene toponymische Strukturen zur Verfügung stehen – etwa die Struktur
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des von Stolz & Warnke (2018c: 28) beschriebenen, kanonischen Kolonialtoponyms nach dem Muster [{KLASS}EXOGEN {MOD}EXOGEN]TOP. Das repräsentationale Layer des Toponyms tragen schließlich die konkreten Konstituenten: Sie füllen die toponymische Struktur mit konkreten KLASSund/oder MOD-Realisierungen. Auf dieser Ebene der Ortsherstellung (dem PlaceMaking im engeren Sinne) erhält das Toponym seine intendierte Funktion: Die Benennenden können bspw. ein anthroponymisches MOD-Element wählen, um an eine koloniale Heldenfigur zu erinnern (10 a–b), oder einen KLASS, um die Relevanz des benannten topografischen Eindrucks zu markieren und zu konkretisieren (10 a–d). (10) a. b. c. d.
[{Lüderitz}MOD-{Hafen}KLASS]TOP (DSWA) [{Kap}KLASS {Nachtigal}MOD]TOP (Kamerun) [{Hauptstraße}KLASS]TOP (DNG) [{Arcona}MOD-{Brücke}KLASS]TOP (Kiautschou)
Indem sich die Benennenden beim Place-Making z. B. für ein konkretes KLASSElement entscheiden, manifestieren sich auf dieser Ebene der Ortsherstellung verschiedene koloniale Topoi. Hierzu gehört auch die implizite Einordnung von Orten im Natur- bzw. Kulturraum, die einen wesentlichen Bestandteil des kolonialen Blicks auf Landschaft darstellt. Das folgende Kapitel analysiert KLASS als Kern-Elemente von semantischen Frames und demonstriert, wie KLASS Teile ihrer Bedeutung von übergeordneten Kategorien erben. Solche hintergründigen Bedeutungskomponenten bilden die Tiefensemantik eines KLASS, die einen benannten Ort implizit als Teil des Natur- bzw. Kulturraums verortet.
3.2.2 Natur- und Kulturräumlichkeit als Teil der Tiefensemantik von Klassifikatoren Genau wie andere sprachliche Zeichen können auch die KLASS in ihrer Bedeutung überaus komplex sein. Oft ergeben sich aus dem Verwendungskontext Bedeutungskomponenten, die von der prototypischen Wortbedeutung abweichen, wie sie bspw. in Wörterbüchern und Lexika notiert ist. So können KLASS unerwartete Wissenselemente evozieren – wie z. B. im Fall des hochfrequenten KLASS-Elements kil (‚Keil‘), das in NYS auf die kurzen, spitz zulaufenden Nebenflüsse des Delaware-Flusses verweist (s. Kap. 5.2.4.4.7). Die Bedeutung von kil wird erst im Kontext der kolonialen Erschließung des Delaware mit bestimmten
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Wissenselementen angereichert. Dazu gehört etwa die Rolle der kilar als Orientierungspunkte und als Schlüsselpositionen für die Anbindung des Hinterlands. Kil und andere KLASS evozieren also ein sprachliches Wissen, das ihre bloße „Oberflächensemantik“ (Busse 1997: 20) übersteigt. Die Summe dieser Bedeutungsbestandteile bezeichnet Busse (ebd.: 18) kontrastierend als die „Tiefensemantik“ eines Begriffs, wobei es sich um eine „häufig versteckte und nur vermittelt über zusätzliche Gedankenoperationen zugängliche“ (ebd.: 20) semantische Ebene handelt. Solange Sprecher*innen nicht auf einer metasprachlich reflektierenden Ebene versuchen, den tiefensemantischen Gehalt von Begriffen zu erschließen, bleibt dieser meist nur unbewusst wirksam. Die Intransparenz der Tiefensemantik sorgt dafür, dass bestimmte Episteme als Gewissheiten – als „zweifelsfreies Wissen“ (vgl. Schmidt-Brücken 2018: 542) – in einer gesellschaftlichen Gruppe für lange Zeiträume wirken. Vermutlich ist es der Abstraktheit und Komplexität der Tiefensemantik geschuldet, dass traditionelle semantische Schulen kaum in der Lage sind, auf tiefensemantische Bedeutungsebenen zuzugreifen. Als Beispiel hierfür kann die Merkmalssemantik gelten, die die Bedeutung eines Ausdrucks auf die Summe seiner semantischen Merkmale (Seme) reduziert und die heute gemeinhin als überholt gilt. Für ein offeneres Verständnis von Wortbedeutung, das der Heterogenität von individuellen und gesellschaftlichen Wissensformationen eher gerecht wird, steht die Frame-Semantik. Ihren Mehrwert gegenüber reduktiven semantischen Modellen fasst Busse (2012: 535) folgendermaßen zusammen: Die allen in der Linguistik rezipierten Frame-Konzeptionen […] zugrunde liegende scharfe Kritik und Widerlegung der Möglichkeit einer reinen Merkmal- oder Komponenten-Semantik [...] hat gezeigt […], dass das für die Entfaltung des vollen semantischen Potentials eines sprachlichen Zeichens oder einer sprachlichen Zeichenkette notwendig zu aktivierende Wissen weit über den Bereich dessen hinausreicht, was in traditionellen linguistischen, logischen oder philosophischen Bedeutungsmodellen noch als zum Phänomenbereich „sprachliche Bedeutung“ zugehörig gerechnet wurde. […] Eine Semantik wird zu einer solchen erst dann, wenn sie als „semantische Epistemologie“, d. h. als eine Aufklärung der Strukturen und des Umfangs des gesamten verstehensrelevanten Wissens mit Bezug auf ein Zeichen oder eine Zeichenkette verstanden wird.
Die Analyse von semantischen Frames bzw. Wissensrahmen ist eine geeignete Methode, um weniger augenfällige Bedeutungskomponenten von Begriffen beschreibbar zu machen. Während andere Auffassungen von Bedeutung ihre jeweils eigenen Vorteile im Hinblick auf bestimmte semantische Fragestellungen mitbringen, stellen Wissensrahmen für Busse (2018: 7) den idealen theoretischen und methodologischen Ausgangspunkt für eine „wissensanalytisch reflektierte Semantik“ dar, die sich nicht mehr die Bedeutung der Form, sondern
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das für die Verwendung einer Form notwendige Wissen zum Gegenstand nimmt. Diesen Paradigmenwechsel führt Busse auf den Frame-Theoretiker Charles Fillmore zurück. Die Frame-Theorie ermöglicht somit semantische Analysen, die tradierte Gewissheiten in einer Gruppe von Sprecher*innen nachvollziehbar machen. Denn im „Wortschatz zeigt sich, was für die Menschen einer Kultur relevant ist, so dass man den Wortschatz insgesamt auch als das Inventar des Wissens [...] ansehen kann“ (Busse 2012: 453). Im Folgenden behandle ich die Architektur von Wissensrahmen lediglich übersichtsartig, um die wissensanalytischen Vorteile der Frame-Theorie aufzuzeigen und zentrale Begrifflichkeiten einzuführen. Ihre Entstehungsgeschichte, verschiedene Frame-Typen und weitere Konzepte der Theorie klammere ich hingegen aus, weil sie für die anstehende KLASS-Analyse weniger relevant sind. Diese und andere Aspekte der Frame-Semantik werden von Busse (2012) ausführlich behandelt. Zur Struktur eines Wissensrahmens gehören im Wesentlichen drei Bestandteile, für die es in der Literatur bisweilen unterschiedliche Bezeichnungen gibt (vgl. Ziem 2008b: 13). Der Übersichtlichkeit halber spreche ich im Folgenden lediglich vom Frame-Thema, Slots und Fillern. Dabei beziehe ich mich größtenteils auf Busse (2012), dessen Darstellung der einzelnen Frame-Elemente zu den umfassendsten und detailliertesten in der germanistischen Sprachwissenschaft gehören.
physisch
BESUCHSZEITEN
12–15 Uhr
Ort
SPEZIALIGebäude
Klinik
SIERUNG
KAPAZITÄT
Abb. 5: (Unvollständiger) Beispiel-Frame mit dem Thema Klinik.
Kardiologie
400 Betten
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Abb. 5 zeigt einen beispielhaften Frame-Ausschnitt, der die Anordnung verschiedener Wissenselemente um den KLASS Klinik modellhaft darstellt. Der KLASS selbst bildet das Frame-Thema. Seine Bedeutung entsteht aus dem Zusammenspiel der um ihn gruppierten Wissenselemente (vgl. Barsalou 1992: 30). Diese Wissenselemente sind als semantische Leerstellen oder Slots um das FrameThema angeordnet und stehen für unterschiedliche epistemische Größen, die mit dem Thema in Verbindung gebracht werden (können). Eine ebenso dichte wie präzise Definition der Slots, die ich in Abgrenzung von anderen FrameElementen in KAPITÄLCHEN darstelle, liefert Busse (2012: 564): Es handelt sich um die in einem gegebenen Frame zu einem festen Set solcher Elemente verbundenen, diesen Frame als solche konstituierenden, das „Bezugsobjekt“ (den Gegenstand, das „Thema“) des Frames definierenden Wissenselemente, die in ihrem epistemischen Gehalt nicht voll spezifiziert sind, sondern welche nur die Bedingungen festlegen, die konkrete, spezifizierende Wissenselemente erfüllen müssen, die als konstitutive Merkmale oder Bestandteile des Frames diesen zu einem epistemisch voll spezifizierten („instantiierten“) Wissensgefüge/Frame machen (sollen).
Die Slots stellen also keine festen Bestandteile einer Wortbedeutung dar. Stattdessen fungieren sie als thematisch umrissene Platzhalter, die bei jeder Aktivierung eines Frames erst spezifiziert und mit konkretem Wissen besetzt werden. So sind für den Beispiel-KLASS Klinik unterschiedliche Slots denkbar: Eine Klinik kann eine SPEZIALISIERUNG auf bestimmte medizinische Fachbereiche aufweisen und hat KAPAZITÄT für eine bestimmte Anzahl von Patient*innen. BAUJAHR, STANDORT, ÖFFNUNGSZEITEN und verschiedenste weitere Slots können je nach Verwendungssituation des KLASS ebenfalls relevant sein: „Da Frames keine rigiden Wissensstrukturen, sondern dynamisch, variabel und kontextangepasst sind, kann der Umfang des Sets von Anschlussstellen, der für einen Frame aktiviert wird, variieren“ (Busse 2012: 564). Gemeinsam bilden das Frame-Thema und seine Slots lediglich einen abstrakten, noch nicht auf eine spezifische Klinik gerichteten Wissensrahmen. Die Slots müssen erst mit konkreten Fillern besetzt werden, die ich im Folgenden durch Kursivierung kenntlich mache. Filler sind mit Busse (ebd.) „solche Wissenselemente, die über Anschlussstellen [= Slots; JdB] an einen (abstrakten, allgemeinen) Frame angeschlossen werden, um diesen zu einem epistemisch voll spezifizierten Wissensrahmen (einem instantiierten Frame) zu machen.“ Ein wesentlicher Unterschied, der die Frame-Semantik von traditionellen Bedeutungsmodellen abhebt, ist die grundsätzliche Unbestimmtheit und Offenheit der Wortbedeutung. Die Idee eines objektiv beschreibbaren Denotats wird hier von vornherein ausgeschlossen. Die um ein Frame-Thema angeordneten Slots sind ausdrücklich nicht als statische Größe konzipiert. Stattdessen wird
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die Bedeutung als weitestgehend unabhängig vom Ausdruck selbst verstanden – sie entsteht aus dem Wissen und der Interpretation der Sprecher*innen. Fillmore & Baker (2010: 316) unterscheiden in diesem Zusammenhang zwischen der Evokation und der Invokation von Wissensrahmen: Der Frame-Kern fungiert als Trigger, der bestimmte Wissenselemente bei den Rezipient*innen hervorruft bzw. evoziert. Die Rezipient*innen aktivieren bzw. invozieren ihrerseits das geforderte Wissen, wobei sie auf ihren individuellen Wissensstand zugreifen. Dabei kann sich das Wissen, das die Produzent*innen mit einer Sprachäußerung zu evozieren beabsichtigen, niemals vollständig mit dem invozierten Wissen der Rezipient*innen decken. Ein Grund hierfür besteht darin, dass der Verstehensprozess bei verschiedenen Rezipient*innen unter ganz unterschiedlichen epistemischen Voraussetzungen abläuft. Ein geeignetes Beispiel hierfür ist das umfangreiche Wissen, das Personen im Zuge ihrer beruflichen Ausbildung und Tätigkeit erwerben. So sind etwa Ingenieur*innen in der Lage, einen Auto-Frame mit einem deutlich umfangreicheren und detaillierteren Set an Slots zu invozieren, als es Personen ohne das entsprechende Wissen möglich ist. Auch abseits von beruflichem Spezialwissen sind kaum zwei Personen vorstellbar, deren invoziertes Wissen über eine beliebige sprachliche Kategorie sich vollkommen deckt. Trotzdem funktioniert ein großer Teil unserer alltäglichen Kommunikation ohne größere Missverständnisse. Schließlich herrscht innerhalb einer Sprecher*innengruppe über die meisten kategoriellen Zuordnungen ein ausreichender Konsens vor, der ein gewisses Maß an epistemologischen Unterschieden toleriert, sodass kritische Wissensunterschiede kaum offen zutage treten. Ein wesentlicher Grund hierfür ist ein psychologischer Zustand, den Keil (2003: 664) als die illusion of explanatory depth bezeichnet: „people cannot possibly track all causal patterns associated with categories. Moreover, people grossly overestimate their own and others’ abilities to know causal relations.“ Das Prinzip lässt sich am Beispiel der Kategorie Flugzeug verdeutlichen. Der illusion of explanatory depth zufolge gehen Laien und Expert*innen gleichermaßen davon aus, die Funktionsweise von Flugzeugen zu verstehen – etwa aufgrund ihres Berufs oder ihrer allgemeinen Schulbildung. Wie deutlich sich das individuelle Wissen über die Kategorie Flugzeug allerdings von dem anderer Personen unterscheidet, offenbart sich oft erst, wenn das kategorielle Wissen explizit hinterfragt und die Sprecher*innen z. B. nach detaillierterem Wissen zu relevanten Slots wie AUFTRIEB oder TRAGFLÄCHENFORM befragt werden. Ein weiterer Grund für die Heterogenität von invoziertem Kategorienwissen besteht darin, dass das mit einem Ausdruck verbundene Wissen bei jedem Äußerungsereignis neu aktiviert wird bzw. eine neue „Inblicknahme“ (Busse 2012: 563) erfährt. Dabei spielt nicht nur der Wissensstand der Sprecher*innen eine
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Rolle, sondern auch der situative Kontext, in dem der Ausdruck produziert bzw. rezipiert wird. So kann ein- und derselbe Ausdruck verschiedene Wissenselemente aktivieren. In einem Satz wie Ich muss morgen in die Klinik invozieren die Rezipient*innen ein anderes Klinik-Wissen, wenn es sich statt eines Arztes bei der sprechenden Person um ein Kind handelt. Im ersten Fall gibt das kontextuelle Wissen um den Beruf der sprechenden Person Anlass, Arbeitsplatz als Filler für einen Slot FUNKTION anzunehmen, während der zweite Fall eher eine Besetzung mit Kontrolle, Eingriff oder ähnlich nahelegt. In beiden Fällen liegt Klinik bereits als realisierter Ausdruck, als Teil der parole vor. Er evoziert einen Frame in seiner instantiierten, also mit konkreten Fillern spezifizierten Version. Dass KLASS und andere bedeutungstragende Spracheinheiten auch als noch nicht instantiierte Wissensrahmen auf der abstrakten Ebene der langue existieren, von wo aus sie jederzeit für die parole abrufbar sind, lässt sich mit Busse (2012) mit dem Verweis auf die Standard-Filler in Wissensrahmen erklären, die bereits Minsky (1986) beschreibt. Diese semantischen Default-Werte bilden ein standardisiertes mentales Konzept zu einem Ausdruck – ähnlich wie ein semantischer Prototyp. Frames werden i.d.R. mit Standard-Ausfüllungen [= Default-Fillern; JdB] an den Slots im Gedächtnis gespeichert und re-aktiviert [sic!]. Standard-Ausfüllungen sind nicht (oder zumindest in der Regel nicht) absolut (und als einzelne Werte) zu verstehen, sondern können aus einer Gruppe von möglichen Ausfüllungen/Werten bestehen, die in einer Skala abnehmender Wahrscheinlichkeit und Zentralität in Präferenz-Hierarchien organisiert sind. Je nach Passung für die gegebene Situation werden Standardwerte (soweit es notwendig ist) in der Reihenfolge ihrer Präferenz oder Zentralität nacheinander abgerufen und bei mangelnder Eignung durch den je nachfolgenden Wert in der StandardisierungsSkala ersetzt. (Busse 2012: 604; Hervorh. i. O.)
Solche semantischen Defaults sind eine notwendige Voraussetzung für das mentale Lexikon und erlauben es Sprecher*innen, sprachliche Zeichen auch außerhalb eines konkreten Kontexts zu memorieren. Neben den Fillern können sich Defaults auch als ein standardisiertes Set von Slots mit Bezug auf ein sprachliches Zeichen beziehen: Rezipient*innen haben bei dem Begriff Klinik nicht nur eine bestimmte Erwartungshaltung an die GRÖßE des Gebäudes (in Form eines Standard-Fillers), auch der Slot GRÖßE selbst kann als eine Eigenschaft von Kliniken in bestimmten Situationen wenig Relevanz besitzen und insofern bei der Frame-Aktivierung weniger im Vordergrund stehen – ganz im Sinne der von Busse (2012: 604) beschriebenen Präferenz-Hierarchie. Insofern ist auch jedes KLASS-Element mit einer Reihe von Default-Slots und -Fillern versehen, die die Vorstellung vom klassifizierten topografischen Eindruck prägen.
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Die semantischen Defaults bilden den Grundstein für die diskursive Wirksamkeit der KLASS. Durch das schablonenhafte Wissen, das der KLASS evoziert, ist es nicht mehr relevant, ob Rezipient*innen einen benannten Ort aus erster Hand kennen oder ihnen der Ort lediglich mittelbar, über den KLASS näher beschrieben wird.34 Die Standard-Filler und -Slots werden auch auf unbekannte topografische Eindrücke projiziert: Sie vermitteln (imaginierte) Eigenschaften des (kolonialen) Raums an alle Diskurs-Teilnehmer*innen – in den Kolonien, aber auch in der Metropole. Von den semantischen Defaults ist noch ein weiterer Mechanismus abzugrenzen, der die Wortbedeutung noch vor der Spezifizierung eines Frames prägt: Es geht um die „Frame-Vererbung“, die Busse (2012: 634) im Anschluss an das Konzept der strukturellen Invarianzen von Lawrence Barsalou formuliert. Gemeint ist damit die Übertragung von Elementen eines übergeordneten auf einen untergeordneten Frame, wie sie auch zwischen Hyper- und Hyponymen stattfindet: Ein wesentlicher Effekt der Rekursivität von Frames und Frame-Strukturen liegt […] darin, dass auch bestimmte Konstellationen von Frame-Elementen (mitsamt den zwischen ihnen bestehenden typisierten Relationen) vererbt werden können. Dies dient im wesentlichen [sic!] der kognitiven Entlastung, da bestimmte Konstellationen von Frame-Elementen dann nämlich nur einmal für ein ganzes System von hierarchisch gestaffelten Frames gespeichert werden müssen […]. (ebd.; Hervorh. i. O.)
So reiht sich der Beispiel-KLASS Klinik in eine mehrschichtige Frame-Hierarchie ein, ohne dass die Darstellung in Abb. 5 sämtliche übergeordneten Wissensrahmen darstellen könnte. Zum Beispiel erbt Klinik von seinem übergeordneten Gebäude-Frame verschiedene Slots wie GESCHOSSZAHL oder VERWENDUNGSZWECK. Gebäude erbt wiederum Frame-Element-Konstellationen von Ort – bspw. den Slot LOKALISIERUNG mit dem Standard-Filler Erdoberfläche, an den sich möglicherweise weitere, konkretisierende Slots wie KONTINENT, STAAT, REGION, STADT anschließen. Letztgenannte Slots sind gute Beispiele für Elemente eines OrtFrames, der sich auf europäisch-westliche Epistemologien beschränkt. Für diverse indigene Gesellschaften vor der europäischen Kolonisierung sind KONTI|| 34 Spitzmüller & Warnke (2011: 42) betonen die Relevanz zweier Wissenstypen, die auf Russell (1911) zurückgehen. Dieser unterscheidet knowledge by acquaintance (bei den Autoren „Wissen aus Erfahrung“) von der knowledge by description (bei den Autoren „Wissen aus Beschreibungen“): „Die Aussage Mein Bein schmerzt ist wahr, wenn sie durch ‚knowledge by acquaintance‘ verifiziert ist. Erfährt man Wissen nicht unmittelbar, sondern teilt man Wissen ohne eigene Erfahrung, so spricht man von ‚knowledge by description ‘“ (Spitzmüller & Warnke 2011: 42; Hervorh. i. O.).
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NENT oder STAAT keine relevanten Wissenselemente in Bezug auf einen Ort. Als ein komplexes, nicht vollständig beschreibbares Geflecht verdeutlicht die Frame-Vererbung nicht nur die schwere Greifbarkeit von Wortbedeutung, sondern auch deren Abhängigkeit von den ontologischen Annahmen der Sprecher*innen. In den Bereich der Frame-Vererbung fällt auch die Verortung topografischer Eindrücke als natur- bzw. kulturräumlich (s. Kap. 1.2), die die Benennenden anhand von KLASS implizit vornehmen. Die zugrunde liegende Unterscheidung von Natur und Kultur als zwei gegensätzliche Domänen ist in der europäischen Denktradition tief verwurzelt, so z. B. bei Edmund Husserl, der die Bereiche Natur, Kultur und Geist als die höchsten materiellen Kategorien begreift (vgl. A. Thomasson 2018: o. S.). Ihm zufolge ist die epistemische Verortung als natürlich oder nicht-natürlich eine der frühesten kategoriellen Einordnungen, die Individuen in Bezug auf verschiedene Eindrücke vornehmen. Deshalb fordern auch Klinik, Baracke oder Kraftstation von den Sprecher*innen keine immer wieder neue Besetzung eines NATUR-/KULTURRAUM-Slots. Die KLASS erben den Slot in einer festen Konstellation mit dem Filler kulturräumlich von einem übergeordneten Gebäude-Frame. Das Gleiche gilt für die KLASS Berg, Spitze und Plateau, die als Themen von untergeordneten Wissensrahmen von Relief den entsprechenden Filler naturräumlich erben. Für die Kommunikation von raumbezogenem Wissen im kolonialen Diskurs ist die Frame-Vererbung ein besonders wirksamer Mechanismus. Denn im Unterschied zu nicht-ererbten Frame-Elementen – z. B. den BESUCHSZEITEN einer spezifischen Klinik, die sich nicht aus einer übergeordneten, allgemeinen Kategorie ergeben – evozieren die ererbten Slot-Filler-Konstellationen sofort einen konsensfähigen Bedeutungsaspekt, weil sie auf das fundamentale ontologische Kategoriensystem der Sprecher*innen verweisen. Frame-Vererbungen infrage zu stellen, bedeutet daher auch, etablierte Vorstellungen der Realität in einer Diskursgemeinschaft anzufechten. Für Bourdieu (2018[1979]: 755) ist die Brisanz, die von solchen Widersprüchen ausgeht, immens:
Die Kämpfe zwischen den individuellen wie kollektiven Klassifikations- und Ordnungssystemen, die auf eine Veränderung der Wahrnehmungs- und Bewertungskategorien der sozialen Welt und darin auf eine Veränderung der sozialen Welt selbst abzielen, bilden eine vergessene Dimension der Klassenkämpfe.
Als ererbte Wissenselemente stehen auch der NATUR-/KULTURRAUM-Slot eines KLASS sowie seine Filler für die raumbezogenen Gewissheiten der Sprecher*innen. Ohne auf die semantischen Hintergründe der KLASS im Detail einzugehen, arbeiten Stolz & Warnke (2018c) mit einem Begriffspaar, das der Unterscheidung von KLASS mit den Fillern naturräumlich bzw. kulturräumlich weitest-
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gehend entspricht: den Funktions- und Geo-Klassifikatoren. Während die Autoren in einem früheren Beitrag noch Hafen und Station gemeinsam mit Fluss und Halbinsel als GEO-KLASS bezeichnen (vgl. Stolz & Warnke 2015: 137), nehmen sie später eine genauere Abgrenzung vor, „wobei ein Geo-Klassifikator naturräumliche Gegebenheiten denotiert […] und ein Funktions-Klassifikator raumgebundene Funktionen bezeichnet“ (Stolz & Warnke 2018c: 52). Für den anstehenden Vergleich von kolonialen und metropolitanen KLASS greife ich diese Bezeichnungen auf. Unter GEO-KLASS verstehe ich dabei Elemente wie Fluss, Halbinsel etc., deren Slot NATUR-/KULTURRAUM mit dem Default-Filler naturräumlich besetzt ist. Zu den FUNK-KLASS zähle ich Hafen, Station und andere Vertreter, die an gleicher Stelle den Default-Filler kulturräumlich tragen. Funktion und Kultur sind in diesem Zusammenhang austauschbare Konzepte, da jeder unter funktionalen Gesichtspunkten benannte topografische Eindruck zugleich menschliche Interessen und (Kultur-)Techniken impliziert. Abschließend sollen die Merkmale von toponymischen KLASS an dieser Stelle kurz zusammengefasst werden. Bei einem KLASS handelt es sich um die größte zusammenhängende appellativische Konstituente eines Ortsnamens, die aufgrund ihres starken Lexikalisierungsgrads als ein gebräuchlicher Kategorienbegriff gelten kann. Vor allem letzteres Merkmal lässt sich unter Umständen schwer überprüfen, was die KLASS zu einer unweigerlich offenen Kategorie macht: Die Gebräuchlichkeit eines Namensbestandteils kann sich z. B. im Expert*innen- und Laienjargon unterscheiden. Diese Offenheit bedeutet nicht zwingend einen Nachteil, sondern stellt m. E. vielmehr einen Anschlusspunkt für weitere Untersuchungen dar. Eine naheliegende Annahme wäre etwa, dass der koloniale KLASS-Bestand stärker durch (geologisches, nautisches, ökonomisches etc.) Expert*innenwissen geprägt ist als der der Metropole. Um dies zu prüfen, wären erneute Analysen denkbar, die den KLASS-Bestand mithilfe von entsprechenden Fachwörterbüchern untersuchen. Ich selbst habe bei der Bestimmung der KLASS in den untersuchten Toponymen aufwands- und zeitbedingt nicht auf verschiedene Fachwörterbücher zurückgegriffen. Eine genaue Definition der Form von KLASS lässt sich nicht pauschal für mehrere Sprachen vornehmen. Ihre Diversität fordert die traditionelle Linguistik und ihre Affinität zu geschlossenen Systemen heraus. Insofern verlangen die KLASS nach einer offenen Herangehensweise, z. B. im Sinne der postkolonialen Linguistik nach Levisen & Sippola (2019: 2), „to study language and linguistic practices in postcolonial contexts and to engage critically with the way in which we do linguistics“. Zumindest für das Deutsche lassen sich die KLASS von der Morphem-Ebene aufwärts analysieren – sie treten in Form von (historischen, teiltransparenten)
Funktion | 75
Suffixen, Simplizia, Derivaten und Komposita auf. Sie sind zudem feste Bestandteile ihres toponymischen Gesamtausdrucks. Auch unter funktionalen Gesichtspunkten sind die KLASS komplex: Ihre primäre Eigenschaft ist die ontologische Einordnung von Landschaftsausschnitten in das bestehende Kategoriensystem der Benennenden. Indem sie ein ortsbezogenes Wissen evozieren, reichern sie die prinzipiell semantisch leeren Eigennamen an. Dabei müssen die epistemische Kategorie des benannten Ortes und ihre Versprachlichung in einem KLASS nicht immer übereinstimmen: Es gibt zahlreiche Beispiele für KLASS, die sich nicht aus der unmittelbaren Topografie des benannten Ortes ableiten. Stattdessen unterliegt die Klassifizierung von Raum auch den Interessen der Benennenden. Im kolonialen Kontext weist etwa der Mangel an autochthonen KLASS-Elementen auf Landkarten darauf hin, dass bereits die Kategorisierung des Raums in der jeweiligen Kolonialsprache eine besondere Relevanz für die koloniale Besitzergreifung hat: Auf einer tiefensemantischen Ebene drücken KLASS raumbezogene koloniale Gewissheiten aus, darunter auch die implizite Verortung von Landschaft als Teil des Natur- bzw. Kulturraums. Ein geeignetes Modell, um solche versteckten Wissenselemente darzustellen und zu analysieren, stellt die Frame-Semantik dar. In der Frame-Theorie lassen sich koloniale Gewissheiten besonders gut mit den Mechanismen der Frame-Vererbung und der semantischen Defaults erklären. Als isolierte Einheiten betrachtet, verhalten sich KLASS-Elemente im Hinblick auf ihre Kolonialität in der Regel unauffällig. Ihre koloniale Signifikanz und ihre Position im konventionalisierten Wissen einer Diskursgemeinschaft werden häufig erst im quantitativen Vergleich von Kolonie und Metropole sichtbar (s. Kap. 5.2.4.1 und folgende). Die räumliche Distribution der KLASS, ihre lexikalische Heterogenität sowie die in diesem Kapitel erörterten Eigenschaften der morphologischen Komplexität und Semantik sind die Merkmale, die ich beim Vergleich von kolonialen und metropolitanen Toponymen in Kap. 5 untersuche. Vor der Analyse gehe ich in einem Exkurs darauf ein, warum sich die Gattungseigennamen als ein etabliertes toponomastisches Konzept weniger für die Analyse raumbezogenen Wissens eignen als die +KLASS. Während die (toponymischen) Gattungseigennamen und +KLASS denselben Typ von Ortsnamen bezeichnen, handelt es sich bei den Gattungseigennamen um ein ontologisch-realistisch verwurzeltes Konzept, in dem Gattungszuschreibungen als objektiv verifizierbare Tatsachenfeststellungen gelten. Die +KLASS basieren hingegen auf den ontologischen Annahmen der jeweils benennenden Individuen. Sie sind insofern keineswegs objektiv und werden der Heterogenität verschiedener Raumwahrnehmungen eher gerecht.
4 Exkurs: Klassifikator-Toponyme statt Gattungseigennamen Als eine lexikalische Kategorie, die sich in der Toponomastik weitestgehend etabliert hat (vgl. Nübling, Fahlbusch & Heuser 2015: 44–45), werden die Gattungseigennamen erstmals von Harweg (1983) vorgeschlagen und später von Harweg (1997) weiterentwickelt. Schon vor einer inhaltlichen Auseinandersetzung mit dem Konzept fällt Harwegs Terminologie auf, die stark an die Biologie erinnert und den Gattungseigennamen eine naturwissenschaftliche Anmutung verleiht. Wenn er nämlich von der Gattung eines Namenträgers spricht, tut er dies im Rahmen einer naturalisierenden Metaphorik, in die sich auch Bezeichnungen wie genuine, halb- und nichtgenuine Gattungseigennamen, die reinen Eigennamen oder auch die genetische Nachordnung (vgl. ebd.: 95) mancher Eigennamen-Konstituenten einreihen. Harwegs Terminologie ist insofern problematisch, als sie einem linguistischen Phänomen unreflektiert einen Status von Naturgegebenheit zuschreibt. Sie weist die Gattungseigennamen als eine deutlich im ontologischen Realismus verhaftete Kategorie aus. Tatsächlich fußen Harwegs Überlegungen jedoch zu einem großen Teil auf subjektiven Einschätzungen, wie sich bei genauerer Betrachtung herausstellt. Trotzdem verwende ich im Folgenden Gattung, Gattungsnamen, Gattungseigennamen und weitere harwegsche Termini, um die direkten Bezüge auf Harweg deutlich zu machen. Dabei geht es mir nicht darum, Harweg als eine Art Buhmann der postkolonial-informierten Toponomastik darzustellen. Immerhin herrschen auch außerhalb des harwegschen Bezeichnungsinventars toponomastische Konventionen vor, die eine Hürde bei dem Versuch darstellen, Gattung als ein Merkmal von topografischen Eindrücken zu problematisieren. Solche Traditionen ziehen sich durch die gesamte Fachgeschichte. Man findet sie ebenso bei Nübling, Fahlbusch & Heuser (2015: 16), die in einer Fußnote auf Gattungsname als eine ältere Bezeichnung für Appellativa hinweisen. Dass Appellativ in ihrer onomastischen Einführung präferiert wird, begründen die Forschenden mit einer Verwechslungsgefahr von Gattungsname mit Name – nicht etwa mit einer besseren Eignung des Begriffs Appellativ. Im folgenden Kapitel erläutere ich die Gruppe der Gattungseigennamen sowie einige zentrale Begriffe, auf die Harweg bei der Ausarbeitung seines Ansatzes zurückgreift. Anmerkung: Dieses Kapitel fußt in weiten Teilen auf meinem früheren Beitrag zu Gattungseigennamen (s. Döschner 2018). In der vorliegenden Version wurde der Text überarbeitet und in den größeren Untersuchungszusammenhang eingebunden.
https://doi.org/10.1515/9783111007588-004
Was sind Gattungseigennamen? | 77
4.1 Was sind Gattungseigennamen? Um die Gruppe der Gattungseigennamen von anderen Namen zu unterscheiden, führt Harweg (1983: 159; Hervorh. i. O.) vor allem morphologische und semantische Merkmale an: Die Eigennamen unterscheiden sich […] darin, ob sie die Kategorie, der ihre Träger zugehören, m i t b e z e i c h n e n […]. Diejenigen, die sie mitbezeichnen, nenne ich G a t t u n g s e i g e n n a m e n , diejenigen, die es nicht tun, r e i n e E i g e n n a m e n .
Außerdem handele es sich um „Eigennamen, die […] ihre gattungsmäßig-begriffliche Fundiertheit zugleich auch morphematisch zur Schau tragen“ (ebd.: 158). Als Beispiele für Gattungseigennamen führt Harweg (1997: 91) Toponyme wie Bodensee, Feldberg oder Eder-Talsperre an, wobei ich die gattungsmäßig fundierten Elemente (in meinem Sinne: KLASS) fett hervorhebe. Nübling, Fahlbusch & Heuser (2015: 45) zählen auch Eigennamen nach dem Muster Café XY, Restaurant XY, Hotel XY zu den Gattungseigennamen und zeigen damit, dass die gattungsindizierenden Bestandteile ebenso als Erstglied innerhalb der onymischen Konstruktion auftreten können. Von der formalen Beschreibung seines Konzepts abgesehen, sind diese distributionellen Unterschiede für Harweg nicht weiter relevant. Die Gruppe der KLASS entspricht bei ihm den Mikro-Gattungsnamen: Der Terminus soll andeuten, daß seine Gattungsnamenfunktion zwar einerseits von der Eigennamenfunktion überlagert, dominiert und gleichsam durch sie reduziert erscheint, andererseits jedoch nicht aufgehoben, sondern vielmehr, wenn auch auf indirekte Weise, noch spürbar wirksam ist. (Harweg 1983: 160)
Wie bei den +KLASS lassen sich auch hier kompositionelle (11 a), appositive (11 b) und phrasale Eigennamen (11 c–d) finden, die den von Harweg beschriebenen Charakteristika der Gattungseigennamen entsprechen: (11) a. [Boden{see}Mikro-Gattungsname]Gattungseigenname b. [{Café}Mikro-Gattungsname Unique]Gattungseigenname (Bremen) c. [{Archipel}Mikro-Gattungsname der zufriedenen Menschen]Gattungseigenname (DNG) d. [Großer Fisch-{Fluss}Mikro-Gattungsname]Gattungseigenname (DSWA) Bei den von mir gewählten Beispielen (11 c–d) handelt es sich um Kolonialtoponyme aus dem Großen Deutschen Kolonialatlas (GDKA). Schließlich demonstriert der Kolonialismus als historischer Kontext besonders deutlich, dass Har-
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wegs ontologisch-realistischer Blick auf Ortsnamen und Gattungen hinterfragt werden muss. An dieser Stelle nehme ich ein Ergebnis der vergleichenden Analyse vorweg, denn wie sich herausstellen wird, liegt der Anteil der +KLASS (bzw. Gattungseigennamen) am Namenbestand der Kolonien35 um 17,42 % über dem der Metropole36 (s. Kap. 5.2.1.1). Der Unterschied deutet darauf hin, dass die kategorielle Einordnung von Landschaft für die Sprecher*innen regional unterschiedlich relevant ist und sich damit keinesfalls nur auf objektive Gattungen zurückführen lässt. Abgesehen von ihren Mikro-Gattungsnamen weisen die Gattungseigennamen keine distinktiven grammatischen Eigenschaften auf, was ihre Definition als linguistische Kategorie erschwert. Der Versuch, sie anhand ihrer Artikelfähigkeit von anderen Namen zu unterscheiden, scheitert z. B. an Toponymen auf -land, die sich in dieser Hinsicht heterogen verhalten: das Sauerland und das Münsterland gegenüber *das Deutschland und *das England (vgl. Harweg 1983: 167). Erst Nübling, Fahlbusch & Heuser (2015: 45; Hervorh. i. O.) stellen als ein distinktives Merkmal gegenüber anderen Eigennamen fest, dass bei Gattungs[eigennamen] die im Letztglied stehende Gattungsbezeichnung das Genus des Gesamtkomplexes regiert […]: der See – der Bodensee […], der Berg – der Feldberg […]. Echte Namen entkoppeln ihre Genuszuweisung vom Letztglied.
Ein Beispiel für letztere echte Namen ist der Gemeindename Ganderkesee. Das Toponym verweist zwar ursprünglich nicht auf einen See, wurde aber vermutlich volksetymologisch umgedeutet. Das entstandene Zweitglied See ist nicht mehr genusbestimmend: das/*der beschauliche Ganderkesee. Diese Beobachtung rückt die Gattungseigennamen-Komposita wiederum in die Nähe von nicht-onymischen Komposita, bei denen dem rechten Element ebenfalls ein grammatikalischer Kopfstatus zukommt. Für die Gattungseigennamen als Konzept bedeutet das, dass ihre Kopfstruktur sie zwar von den anderen Eigennamen abgrenzt, sie aber nicht als eine onymische Kategorie begründen kann. Die Gattungseigennamen bleiben somit grammatikalisch nicht definierbar – auch mit der ergänzenden Anmerkung von Nübling, Fahlbusch & Heuser (2015: 45). Nachdem er selbst zu keinen distinktiven grammatikalischen Merkmalen gelangt, hält auch Harweg (1983: 167; Hervorh. JdB) fest:
|| 35 HDT.KOLTOP (+KLASS) = 3.123, hTOP_DT.KOLTOP (+KLASS) = 92,07 %. 36 HDT.TOP (+KLASS) = 2.532, hTOP_DT.TOP (+KLASS) = 74,65 %.
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Als Kriterium für den Gattungseigennamen-Status eines […] komplexen Eigennamens bleibt uns somit nichts anderes als die Forderung, daß der Träger des Eigennamens sich subsumieren lassen müsse unter eben die Kategorie, die bezeichnet wird durch den Gattungsnamen, der mit dem kriterialen Schlußglied des Eigennamens homonym – und möglicherweise identisch – ist.
Im Grunde handelt es sich bei den Gattungseigennamen also um eine Klasse von Substantiven, die sich ausschließlich daran festmacht, dass ihr MikroGattungsname die Gattung des jeweiligen Namenträgers korrekt abbildet. Auch dieser Teil von Harwegs Definition der Gattungseigennamen bleibt uneindeutig. Zum einen, weil sprachliche und epistemische Kategorien nicht deckungsgleich sind (s. Kap. 2.2.1) und zum anderen, weil sich sprachliche Zeichen lediglich auf Projektionen beziehen, also auf geistige Repräsentationen der wahrgenommenen Welt (vgl. Spitzmüller & Warnke: 2011: 55). Insofern bleiben Mikro-Gattungsnamen, die eine epistemische Kategorie korrekt abbilden, eine Idealvorstellung.
4.1.1 Genuine, halb- und nichtgenuine Gattungseigennamen Toponyme wie in (11 a–d) bezeichnet Harweg (1983) als genuine Gattungseigennamen. Das Genuine dieser Gruppe besteht darin, dass in ihnen „der die Gattung, und das heißt: die Kategorie, zu der der Eigennamenträger gehört, bezeichnende Ausdruck bereits ein Bestandteil des nackten, d. h. des noch auf keine Weise erweiterten Eigennamens ist“ (ebd.: 160). Mit anderen Worten: Genuine Gattungseigennamen zeichnen sich „durch Nichtfortlaßbarkeit ihres Gattungsnamenbestandteils“ (Harweg 1997: 91) aus. Darüber hinaus unterscheidet Harweg noch zwei weitere Unterarten, beide mit zweifelhaftem Eigennamenstatus. Es handelt sich dabei zunächst um die halbgenuinen Gattungseigennamen, „in denen der die Gattung bezeichnende Ausdruck erst Bestandteil eines erweiterten, und zwar in der Regel: eines titelartig erweiterten Eigennamens ist“ (Harweg 1983: 160). Als ein Beispiel führt Harweg (ebd.) die Phrase Herr Professor Hartmann an – mit Herr Professor als Gattungsnamenbestandteil. Dabei weicht seine Darstellung der inneren Struktur von halbgenuinen Gattungseigennamen allerdings deutlich von aktuellen grammatikalischen Modellen ab. So spricht z. B. Gallmann (2009: 993) im Fall von Herr Arnold zwar von einem „mehrgliedrigen Eigennamen“, behandelt die Anrede Herr aber als eine Apposition – und damit als ein Attribut (vgl. ebd.: 979) mit dem onymischen Bezugselement Arnold. Solche Titel bzw. Anreden im Sinne Harwegs als feste Bestandteile einer separaten Eigennamenklasse zu analysieren, ist auch des-
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halb fragwürdig, weil Hartmann, Herr Hartmann und Herr Professor Hartmann gleichermaßen monoreferenziell sind. Die titelartigen Erweiterungen können also problemlos weggelassen werden. Offensichtlich ist Harweg bewusst, dass seine Einschätzung von der anderer Grammatiker*innen abweicht. In einer Fußnote merkt er an: Ähnlich wie die halbgenuinen, so werden auch die nichtgenuinen Gattungseigennamen in den traditionellen Grammatiken nicht als namentheoretische, sondern als appositionstheoretische Erscheinungen behandelt. (Harweg 1997: 101)
Mit der Nähe seines Ansatzes zu den Appositionen setzt sich Harweg nicht weiter auseinander, obwohl sich einige Textpassagen geradezu wie paraphrastische Umschreibungen von Appositionen lesen. Bspw. subsumiert Harweg (ebd.) die Stadt Dortmund unter die nichtgenuinen Gattungseigennamen, „deren expliziter Gattungsname [= die Stadt; JdB] eine identifikative Funktion hat“. In diesem Zusammenhang stellen sich die expliziten und impliziten Gattungsnamen als ein weiteres problematisches Konzept heraus. Harweg (ebd.) vertritt die Auffassung, dass jeder Name grundsätzlich über „einen impliziten Gattungsnamen als Gattungsnamensockel“ verfüge, der Name Dortmund also bswp. permanent den Sockel Stadt beinhalte. Der implizite Gattungsname sei auch dann vorhanden, wenn er – anders als im Fall von die Stadt Dortmund – nicht auf der Ebene der parole explizit gemacht werde. So diene die Apposition die Stadt lediglich dazu, „den de[m] reinen Eigennamen Dortmund […] als Gattungsnamensockel implizit zugrunde liegenden Gattungsnamen Stadt […] identifikativ“ (ebd.: 102) vorwegzunehmen. Auch hier stellt sich die Frage, wie der implizite Gattungsname für einen Gattungseigennamen objektiv festzustellen ist. Insbesondere Sockel-Kandidaten mit enger semantischer Nähe erschweren die eindeutige Bestimmung – etwa im Fall von Stadt, Siedlung, Dorf oder Bach, Gerinne, Wasserlauf. Als eine dritte Unterart der Gattungseigennamen eröffnet Harweg (1983: 160) die Gruppe der nichtgenuinen Gattungseigennamen. Es handelt sich um eine Unterart, in der „der die Gattung bezeichnende Ausdruck erst Bestandteil eines determinationsartig erweiterten Eigennamens ist.“ Harwegs Beispiel hierfür ist der Sprachwissenschaftler Peter Hartmann. Der gängigen grammatikalischen Auffassung entsprechend handelt es sich auch bei diesen phrasalen Konstruktionen um Appositionen, die einen eigentlichen Eigennamen – hier Peter Hartmann – als Bezugselement haben. Für die Zusammenfassung von der Sprachwissenschaftler und Peter Hartmann in einer Namengruppe gelten deshalb dieselben Kritikpunkte wie schon bei den halbgenuinen Gattungseigennamen: Gegen die nichtgenuinen Gattungseigennamen sprechen die Weglassbarkeit
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und die beliebige Austauschbarkeit des Attributs der Sprachwissenschaftler (12 a–c). Nach gängiger Auffassung dürften also nur die genuinen Gattungseigennamen als vollständig onymische Ausdrücke gelten.
4.1.2 Vom Gattungseigennamen zum reinen Eigennamen Um den Überblick über die harwegsche Terminologie abzuschließen, steht noch seine Auffassung von reinen Eigennamen aus, mit der er auf eine weitere Problematik der Gattungseigennamen reagiert. Wenn nämlich Feldberg und Bodensee als Gattungseigennamen auf eine Gattung Berg bzw. See verweisen, wie sind dann Fälle wie Hamburg oder Karlsruhe zu bewerten? Beide Toponyme enthalten gattungsindizierende Elemente, die allerdings nur noch historisch motiviert sind. Weder bezeichnet Hamburg eine Burg noch Karlsruhe eine Art von Ruhe. Die +KLASS schließen auch solche Namen mit historischen KLASS-Elementen ein, da auch sie je nach Transparenz spezifische Wissensformationen evozieren (s. Kap. 3.1). Harweg (1983: 165) nimmt hingegen eine weitere Unterscheidung vor und bezeichnet die historischen KLASS als „Ex-Gattungsnamen“. In seinem Verständnis handelt es sich dabei um ehemalige Mikro-Gattungsnamen, die im Zuge von historischem Wandel – entweder des Namens oder des Namenträgers – ihre gattungsabbildende Funktion verloren haben. Mikro- und ExGattungsnamen sind also formal und ohne entsprechendes Wissen über den Namenträger nicht zu unterscheiden. Trotzdem hat die Abgrenzung große Bedeutung für das Gattungseigennamen-Konzept: Von ihr hängt ab, ob es sich bei einem Toponym um einen Gattungs- oder um einen anderen Eigennamen handelt (vgl. ebd.: 159). Denn sobald ein Mikro-Gattungsname (z. B. in Düsseldorf für ein Dorf) zu einem Ex-Gattungsnamen wird (z. B. in Düsseldorf für eine Stadt), wird aus dem Gattungseigennamen Düsseldorf der reine Eigenname Düsseldorf. Mit dieser Begründung kann Harweg auch Toponyme wie Hamburg oder Karlsruhe von den Gattungseigennamen ausschließen. Insgesamt sind die Gattungseigennamen ein in vielerlei Hinsicht problematisches Konzept. Sie weisen keine spezifischen morphosyntaktischen Eigenschaften auf, die sie grammatikalisch greifbar machen könnten. Stattdessen definieren sie sich vollständig über die Funktion, ihre Referenten in einer objektiven und außersprachlichen Realität als Vertreter einer bestimmten Gattung zu verorten. Das folgende Kapitel erläutert, warum die KLASS ein besser geeignetes Konzept für die toponomastische Auseinandersetzung mit Raum-Kategorien bzw. Gattungen sind.
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4.2 Klassifikatoren statt Gattungsnamensockel Zu den wesentlichen Kritikpunkten an den Gattungseigennamen gehört die zugrunde liegende Auffassung einer objektiven Gattung. Analysiert man Toponyme stattdessen mit einem subjektiven Wissensbegriff, wie ihn etwa die Diskurslinguistik und die Frame-Semantik vertreten, erübrigt sich Harwegs Gattungsnamensockel-Konzept mit seiner „Fundiertheit“ (Harweg 1983: 158) in der realen Welt. Wie fragil diese vermeintliche Fundiertheit ist, belegen bspw. Fußballstadien, deren Namen sich oftmals unter großer öffentlicher Aufmerksamkeit ändern. Ein geeignetes Gegenwartsbeispiel ist die Münchener Allianz-Arena. In Analogie zu Uhlandstraße oder Alexanderplatz entspricht das Toponym der kompositionellen Struktur anderer Gattungseigennamen. Genau wie bei anderen Vertretern der Gruppe ist der Mikro-Gattungsname Arena obligatorisch, um auf das Gebäude zu referieren – und nicht etwa auf die gleichnamige Versicherungsgruppe, die als Stadion-Sponsor auftritt. Im Sinne des harwegschen Gattungseigennamen-Modells lässt sich der Gebäudename wie folgt analysieren: (12)
[Allianz-{Arena}Mikro-Gattungsname]Gattungseigenname
Wenn Arena hier einen objektiv fundierten Mikro-Gattungsnamen bildet, stellt sich die Frage, inwiefern damit tatsächlich auf eine außersprachlich gegebene Gattung verwiesen wird. Eine Online-Recherche offenbart, dass Arena keinesfalls die prototypische Bezeichnung für den benannten topografischen Eindruck darstellt: Da m. W. keine offizielle Liste des DFB existiert, greife ich auf Wikipedia (o. J. c) zurück, wo die 114 größten Austragungsorte für sportliche Großveranstaltungen in Deutschland gelistet sind. Die Angaben stammen von offiziellen Stadien- bzw. Vereinshomepages. Unter ihnen ist der Mikro-Gattungsname Stadion 80-mal und Arena 23-mal vertreten. Die Wahl von Arena lässt sich zudem nicht mit einer Präferenz von Alliterationen durch die Stadion-Sponsoren erklären (wie bei Allianz-Arena), weil die übrigen 22 Gebäudenamen mit Arena kein entsprechendes Lautmuster aufweisen. Da die Standard-Gattungsbezeichnung für den topografischen Eindruck Allianz-Arena anscheinend Stadion lautet, kann man hier von einer absichtlichen Abweichung ausgehen. Denkbare Absichten der Sponsoren bestehen z. B. darin, positive Assoziationen mit dem Altertum herzustellen, die besagte Alliteration zu erzeugen und/oder das Gebäude toponymisch von den zahlreichen Stadion-Vertretern abzuheben. Um einen „impliziten Gattungsnamen als Gattungsnamensockel“ (Harweg 1997: 101) handelt es sich bei Arena allerdings nicht.
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Harweg erkennt diese Problematik auch selbst an anderen Toponymen und verteidigt sein Gattungsdenken mit dem Vorschlag, den Eigennamen nicht jeweils einzelne, sondern eine Reihe möglicher Sockel-Kandidaten zugrunde zu legen. Damit sollen Fälle wie Allianz-Arena immer noch auf eine objektive Gattung zurückführbar bleiben, die sich aber in unterschiedlicher Form morphematisch abbilden ließe: Die Bestimmung, daß die Gattung, die der sockelbildende Gattungsname zu bezeichnen habe, keine beliebige sein solle, sondern diejenige, zu der der Eigennamenträger im wesentlichen gehöre, schränkt die Menge der als Sockel eines Eigennamens in Frage kommenden Gattungsnamen zwar erheblich ein, reduziert sie jedoch nicht immer auf nur einen einzigen. (Harweg 1997: 90; Hervorh. JdB)
Tatsächlich schafft die Möglichkeit mehrerer Sockel nur weitere Unklarheiten. Welche Begriffe semantisch nah genug beieinander liegen, um als Sockel für denselben Gattungseigennamen infrage zu kommen, lässt sich nämlich einmal mehr nicht zweifelsfrei bestimmen. Gegen so ein Vorhaben sprechen die vielfältigen ontologischen Annahmen der Sprecher*innen sowie die daraus resultierenden Unterschiede beim Identifizieren von Orten (s. Kap. 3.2.1).
Abb. 6: Arno-Inseln mit Dodo-Durchfahrt (GDKA, Karte 28, Blatt 4).
Bspw. zeigt Abb. 6 die Arno-Inseln mit der Dodo-Durchfahrt auf der Nordseite der östlichen Hauptinsel (heute Arno-Atoll, Marshallinseln). Hier ist das Kolonialtoponym Dodo-Durchfahrt lokalisiert, dessen Mikro-Gattungseigenname Durchfahrt spezifische ontologische Annahmen zum Ausdruck bringt. Dazu gehört in jedem Fall das Konzept Seefahrt, ohne das eine Place-Identification eventuell gar nicht stattfindet. Denn für die Lebensrealität von Menschen, die die Epistemologien der Seefahrer*innen nicht teilen, ist der Referent von Dodo-
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Durchfahrt möglicherweise vollkommen irrelevant oder wird überhaupt nicht als ein signifikanter Ort wahrgenommen. Die Gattung eines topografischen Eindrucks ist also grundsätzlich von perspektivischen Urteilen der Benennenden abhängig und hat keinerlei außersprachliche Fundiertheit. Ein weiterer Vorteil des KLASS-Konzepts besteht darin, dass es Harwegs problematische Unterscheidung von Mikro- und Ex-Gattungsnamen relativiert. Ein Name wie Goethe-Allee kann unabhängig von seinem vermeintlichen impliziten Gattungsnamensockel als ein +KLASS beschrieben werden, während das Konzept Gattungseigenname permanent auf einen Abgleich von Mikro-Gattungsname und Referent angewiesen ist. Ein Beispiel hierfür ist die durch bloßes Abholzen der Bäume zustande gekommene Verschiebung des das Schlußglied des eine baumbestandene Straße bezeichnenden Gattungseigennamens Goethe-Allee bildenden Mikro-Gattungsnamens -Allee zu dem das Schlußglied des eine nunmehr baumlose Straße bezeichnenden reinen Eigennamens Goethe-Allee bildenden ExGattungsnamens -Allee. Es ist offensichtlich, daß die alten Gattungseigennamen mit ihren Mikro-Gattungsnamen durch die neuen reinen Eigennamen mit ihren nunmehrigen ExGattungsnamen ersetzt worden sind. (Harweg 1983: 165; Hervorh. i. O.)
Als eine mögliche Wortunterart machen sich die Gattungseigennamen letztendlich an nur einem Merkmal fest: der Deckungsgleichheit von Mikro-Gattungsname und Gattung eines Namenträgers. Angefangen bei ihrer terminologischen Nähe zur Biologie und Genetik über ihre kaum mögliche formale Definition bis hin zu einem Verständnis von Gattung als einer außersprachlichen Größe sind die Gattungseigennamen ein überaus problematisches Konzept. Mit der Vorstellung von Gattungsnamensockeln und einer gattungsmäßigen Fundiertheit beruhen sie zudem auf unhinterfragten, epochen- und kulturspezifischen Wissensformationen – also auf Gewissheiten im Sinne von Warnke & Schmidt-Brücken (2011). Um die Klassifikation von topografischen Eindrücken als Konstruktionen sichtbar zu machen und zu hinterfragen, eignen sich die KLASS wesentlich besser. Sie ermöglichen es, klassifizierende Toponym-Konstituenten als Träger von Gewissheiten aus dem Kulturkreis der Benennenden zu analysieren. Wie genau sich diese raumbezogenen Gewissheiten in Kolonialtoponymen niederschlagen, untersucht das folgende Kapitel. Die quantitative Analyse vergleicht Toponyme aus den Kolonien und der Metropole unter verschiedenen Gesichtspunkten. Dabei zeigt sie statistisch signifikante Unterschiede und regionale Charakteristika, in einigen Fällen aber auch auffällige Ähnlichkeiten auf. Bei den untersuchten Merkmalen handelt es sich um das quantitative Verhältnis von Toponymen mit und ohne KLASS (Kap. 5.2.1), die morphologische Komplexität der KLASS-Elemente (Kap. 5.2.2), ihre lexikalische Heterogenität (Kap. 5.2.3) sowie ihre Distribution auf verschiedene semantische Bereiche, darunter ihre
Klassifikatoren statt Gattungsnamensockel | 85
Zuordnung zum Natur- oder Kulturraum (Kap. 5.2.4). Bei jedem Analyseschritt betrachte ich den Namenbestand von Kolonie und Metropole zunächst in der Makroperspektive. Darauf folgt jeweils eine detailliertere Betrachtung, bei der ich die untersuchten Kolonien auch untereinander auf regionale Spezifika hin prüfe. Aus der granularen Gegenüberstellung ergeben sich wertvolle Erkenntnisse, die im größeren, kolonial-metropolitanen Vergleich unentdeckt bleiben.
5 Koloniale und metropolitane Klassifikatoren im Vergleich Den empirischen Ausgangspunkt der vergleichenden Analyse bilden vier Hauptdatensätze, die insgesamt 7.262 Ortsnamen umfassen. Im Vorfeld der Analyse stellt Kap. 5.1 die Datensätze vor und informiert über die Wahl der verwendeten Quellen. Da sich der koloniale (Raum-)Diskurs zu einem gewissen Grad erst im Zuge seiner Erforschung als ein Gegenstand konstituiert, spielt die Zusammenstellung der Datensätze eine entscheidende Rolle im Hinblick auf die Aussagekraft der Untersuchung. Bei der Auswahl meiner Datengrundlage gehe ich davon aus, dass der besagte Diskurs überhaupt historisch existiert – so wie die Themen, die in seinem Rahmen verhandelt werden, etwa das wirtschaftliche Potenzial der kolonialen Landschaft. Dass die Korpuserstellung gewissermaßen den zu untersuchenden Diskurs vorwegnimmt, ist ein Umstand, den u. a. Busse & Teubert (1994: 16) problematisieren: Die Korpusbildung, d. h. die Konstitution einer diskursiven Einheit als prospektiven Untersuchungsgegenstandes der Linguistik, basiert […] auf Deutungsakten. Diskursive Relationen können (wie intertextuelle Relationen jeglicher Art) als Bedeutungsbeziehungen nicht unabhängig von ihrer Deutung bestehen. Die Konstitution des Diskurses, der das Forschungsobjekt bilden soll, setzt daher stets schon Interpretationshandlungen der Forscher voraus.
Von dem Problem kann sich die Diskurslinguistik nicht vollkommen befreien. Der Diskurs ist eng an seine Beforschung gebunden, sodass er sich unter Umständen erst im Anschluss an seine Analyse als ein sinnvoller Untersuchungsgegenstand erweist (vgl. ebd.: 17). Ein mögliches Ergebnis der Untersuchung kann also auch die Ablehnung eines zunächst angenommenen Diskurses sein. Im Hinblick auf den kolonialen Diskurs und die wesentliche Rolle der Ortsnamen darin liegen bereits zahlreiche Beiträge vor, die für seine Existenz sprechen. Auch dass Kolonialtoponyme eine Form der sprachlichen Besitzergreifung darstellen (vgl. Warnke, Stolz, de Bloom & Levkovych 2020: 83), hat die Kolonialtoponomastik bereits in mehreren Arbeiten behandelt. Stolz & Warnke (2018c: 50; Hervorh. i. O.) attestieren den Ortsnamen ebenfalls eine diskursive Relevanz: Es wäre ein Irrtum anzunehmen, dass Ortsnamen sprachliche Formen für sprachunabhängig existierende Raumstrukturen sind. Der Ortsname selbst grenzt Raum überhaupt erst als Ort ab, schafft eine Extension und damit identifizierbare Raumausschnitte mit Koordinaten. Gerade für die koloniale Unterwerfung von Raum sind Toponyme schon wegen dieser Ortsidentifikation diskursfunktional, weil sie Raum in verschiedener Granularität nach
https://doi.org/10.1515/9783111007588-005
Koloniale und metropolitane Klassifikatoren im Vergleich | 87
Interessen von Kolonisatoren verorten und als sprachgebundenes Wahrnehmungsobjekt von Kolonisatoren etablieren.
Insgesamt ist die Wirksamkeit von Toponymen im kolonialen Diskurs bereits umfassend von der Kolonialtoponomastik dargestellt worden. Insofern versprechen auch quantitative Untersuchungen der KLASS wertvolle Erkenntnisse im Hinblick auf die raumbezogenen Epistemologien der Sprecher*innen. In den folgenden Kapiteln werden die untersuchten Datensätze zunächst vorgestellt und anschließend auf eine Reihe von Merkmalen hin untersucht. Für den leichteren Lesefluss gebe ich die genauen Werte einer Merkmalsausprägung in vielen Fällen in separaten Fußnoten wieder. Bei den Werten handelt es sich meist um Hn (A), die absolute Häufigkeit H eines Merkmals A in einer Grundmenge n, sowie um hn (A), die relative Häufigkeit h des Merkmals A in Bezug auf die zugrunde liegende Menge n. Die relative Häufigkeit in Prozent ist dabei immer auf zwei Nachkommastellen gerundet. Ebenfalls soll nicht verschwiegen werden, dass ich im Zuge der nachfolgenden Analyse einen bedeutenden Faktor weitestgehend ausklammere, der die Form und Funktion von KLASS-Elementen ebenfalls beeinflussen kann. Die Rede ist von den Benennenden als individuelle koloniale Akteur*innen. Dies hängt vor allem mit dem quantitativen Ansatz der vorliegenden Arbeit zusammen. In den Postcolonial Literary Studies nehmen Forschende wie Pratt (2008) oder Stafford (1984) tiefgehende Analysen von Reise- und Forschungsberichten, Tagebüchern und anderen Primärquellen vor, um den kolonialen Blick von historischen Akteur*innen heute nachvollziehbar zu machen. Der damit verbundene Aufwand ist enorm und beschränkt sich dementsprechend auf ausgewählte Verfasser*innen von kolonialer Literatur. Für großangelegte quantitativen Erhebungen, wie ich sie in dieser Arbeit vornehme, eignet sich dieses Vorgehen umso weniger. Hinzu kommt, dass es insgesamt nur sehr wenige koloniale Ortsnamen gibt, deren Benennende namentlich bekannt sind.37 In dem Vorhaben, einzelne Akteur*innen genauer zu durchleuchten, um etwa mögliche Zusammenhänge von Herkunft, politischem oder sozio-ökonomischem Hintergrund mit den geprägten Toponymen aufzuzeigen, steckt meiner Meinung nach ein großes Potenzial für zukünftige, gerade auch interdisziplinäre Arbeiten aus der postkolonialen Linguistik und Literaturwissenschaft. Ohne detaillierte Recherchen zum Hintergrund der einzelnen Akteur*innen lässt sich zumindest festhalten, dass die sprachliche Vereinnahmung der kolo-
|| 37 Otto Finsch, Kurt von Schleinitz u. a. stellen hier seltene Ausnahmen dar (vgl. Mühlhäusler 2001: 257).
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nialen Landschaft keinem übergeordneten Plan folgte. So erfolgte die Benennung von Straßen auf der schwedischen Inselkolonie SB auf amtliche Anordnung (vgl. Franzén 1974: 34). In DNG versuchte das Auswärtige Amt zwar ebenfalls, lenkend in die Benennung von Orten einzugreifen (vgl. Stolz & Warnke 2015: 129), letztendlich kreierten jedoch einzelne Benennende hunderte Toponyme in Eigenregie (vgl. Mühlhäusler 2001: 257). Angesichts der Vielzahl und Heterogenität der benennenden Personen gehe ich in der folgenden Analyse insgesamt nur punktuell auf die Rolle der Akteur*innen ein – etwa dann, wenn sich toponymische Musterhaftigkeiten recht deutlich auf die Gruppe der benennenden Personen zurückführen lassen. So geht Kap. 5.2.3.2 bspw. näher auf die prominente Rolle weniger Akteur*innen bei der Benennung von Orten in DNG ein, während sich Kap. 5.2.4.3 mit dem Einfluss der Demografie auf den Namenbestand von DSWA beschäftigt.
5.1 Die Daten Den Ausgangspunkt für den bilingualen Vergleich von KLASS im kolonialen und im metropolitanen Kontext bildet eine Datenbank mit insgesamt 7.262 Toponymen, die in folgende Datensätze untergliedert ist: DT.KOLTOP: Datensatz deutscher Kolonialtoponyme (3.392 Token) DT.TOP: Datensatz deutscher Toponyme in der Metropole (3.392 Token) SW.KOLTOP: Datensatz schwedischer Kolonialtoponyme (239 Token) SW.TOP: Datensatz schwedischer Toponyme in der Metropole (239 Token) Die beiden schwedischen Datensätze machen gemeinsam einen Anteil von 6,58 % der untersuchten Toponyme aus. Der verhältnismäßig geringe Umfang ist der insgesamt weniger ergiebigen Quellenlage zu schwedischen Kolonialtoponymen geschuldet, auf deren Gründe Kap. 5.1.3 näher eingeht. In den folgenden Kapiteln verwende ich vor allem die relative Häufigkeit bestimmter toponymischer Merkmale, um Gemeinsamkeiten und Unterschiede von Datensätzen und einzelnen Kolonien aufzuzeigen. Die Grundgesamtheit, auf der diese relativen Häufigkeiten basieren, ist für die Aussagekraft der Befunde von entscheidender Bedeutung. Sie ist insofern voreingenommen, als es sich bei den untersuchten Namen ausschließlich um Toponyme mit mindestens einer deutschen bzw. schwedischen Konstituente handelt – also um vollständig exonymische oder um hybride Bildungen. Dass Endonyme nicht in die Grundgesamtheit aufgenommen wurden, hat mehrere Gründe.
Die Daten | 89
Zunächst zielt die Analyse darauf ab, die Charakteristika einer deutschen bzw. europäischen Kategorisierung von Raum zu beschreiben. Dieses Vorhaben allein schließt die Betrachtung von Endonymen keinesfalls aus. In den Kap. 5.2.4.1 bis 5.2.4.4 berechne ich charakteristische KLASS sowohl für die Kolonien als auch für die Metropole. Beide Domänen erlauben mit ihren Über- und Unterrepräsentationen Rückschlüsse auf die koloniale Raumwahrnehmung. Ich ermittele sozusagen nicht nur das typisch Koloniale, sondern ex negativo auch das typisch Nicht-Metropolitane. Ähnlich gewinnbringend wäre es mit Sicherheit, KLASS aus autochthonen und europäischen Sprachen einander gegenüberzustellen. Anhand der topografischen Eindrücke, die im Endonym-Bestand auffallend häufig vertreten sind, ließe sich zugleich ablesen, welche topografischen Eindrücke in der Wahrnehmung der Kolonisierenden weniger bzw. gar nicht relevant sind. Dass diese Arbeit eine solche Gegenüberstellung nicht leisten kann, hängt vor allem mit der enormen Vielfalt an autochthonen Sprachen in den ehemaligen deutschen Kolonien zusammen. Allein in DNG bestand etwa die Hälfte der indigenen Bevölkerung aus Sprecher*innen sogenannter kleiner Sprachen mit weniger als 1.000 Sprecher*innen (vgl. Voeste 2005: 165). In einzelnen Fällen ist es zwar möglich, KLASS in Endonymen mithilfe von zeitgenössischen Texten zu identifizieren und annähernd zu übersetzen. Allerdings bleibt die Qualität der Übersetzung häufig unklar und der vermutete autochthone KLASS-Bestand zu umfangreich für eine flächendeckende Analyse. Hinzu kommt die Tatsache, dass sich Exonyme und Hybride besonders für den Vergleich von Kolonialsprachen wie etwa dem Deutschen und Schwedischen anbieten: Colonial exonyms and hybrids are particularly interesting from the point of view of toponomastics because, independent of the European colonizer nation, they overwhelmingly display parallel formal and functional properties […]. (Stolz & Levkovych 2020b: 119)
In den folgenden Kapiteln werden die vier untersuchten Teilkorpora vorgestellt und im Hinblick auf die zugrunde liegenden Quellen kommentiert. Anschließend setzt sich Kap. 5.1.5 kritisch mit dem Sonderstatus von Landkarten auseinander, die die wesentlichen Quellen von DT.KOLTOP und SW.KOLTOP darstellen.
5.1.1
Deutsche Kolonialtoponyme
Der Datensatz deutscher Kolonialtoponyme (DT.KOLTOP; 3.392 Token) fußt in weiten Teilen auf den Ergebnissen einer toponymischen Bestandsaufnahme der deutschen Kolonien, die zwischen 2015 und 2017 unter Federführung von
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Thomas Stolz und Ingo H. Warnke an der Universität Bremen stattfand. Gegenstand des Projekts ist der GDKA, eine 30 Blätter umfassende Kartensammlung, die in erster Auflage etappenweise von 1901 bis 1915 bei Reimer (Vohsen) erschienen und von der Kolonialabteilung des Auswärtigen Amts herausgegeben worden ist. Ein Nachdruck des GDKA ist 2002 im Braunschweiger Archiv-Verlag erschienen. Die digitale Erfassung des Atlas und seines Namenregisters liefert eine rund 38.500 Einträge führende Datenbank, die den Ausgangspunkt für die ersten Arbeiten im Umfeld des COCOTOP-Projekts bildet, darunter u. a. Stolz, Warnke & Levkovych (2016) sowie Stolz & Warnke (2015). Während Letztere noch darauf hinweisen, das Register des GDKA sei „leider unvollständig, da kriegsbedingt die Karten für Deutsch-Südwestafrika erst nachträglich eingefügt und die Toponyme nicht mehr für den Druck erfasst werden konnten“ (ebd.: 131), wurde die Datenbank mittlerweile auch um das Namenregister für DSWA ergänzt. Die im GDKA geführten Namen liegen somit vollständig in digitaler Form vor. Insgesamt setzt sich DT.KOLTOP zu rund 82 % (2.781 Token) aus Toponymen des GDKA zusammen. Die ergänzenden 18 % (611 Token) entstammen 73 teils losen, teils als Beilagen in Zeitschriften befindlichen Karten, die in der Kartenabteilung der Staatsbibliothek zu Berlin vorliegen. In einigen Fällen sind die Kartenzeichner*innen nicht identifizierbar, insbesondere wenn Karten oder Kartenausschnitte als Teil eines Zeitschriftenartikels ohne Hinweis auf ihren Ursprung wiederholt abgedruckt worden sind. Diese Quellen sind deutschsprachig, decken mit einem Entstehungszeitraum von 1887 bis 1918 nahezu die gesamte Phase der faktischen deutsch-kolonialen Machtausübung ab und weisen bei der Abbildung von topografischen Eindrücken einen niedrigen Generalisierungsgrad auf: Gebäude, schmale Wege oder Bäche und andere kleinere topografische Eindrücke ergänzen die mehrheitlich makrotoponymischen Einträge des GDKA. Insgesamt scheint es für den deutschen Kolonialismus symptomatisch, kleinräumige topografische Eindrücke seltener zu kartografieren oder zu katalogisieren. Bspw. führt das Deutsch-Südwestafrikanische Adressbuch (Adressen-Bureau A. Schulze [ed.] 1910) nur die Namen und Berufe der verzeichneten Personen sowie die Ortsnamen ihres Wohnsitzes, allerdings wird letzterer nicht mit einem Straßennamen näher konkretisiert. Offenbar wird die lokalisierende Funktion von Straßennamen hier als wenig bedeutend eingestuft – ein mögliches Resultat der alles in allem geringen Anzahl deutscher Siedler und der durchgehend schwachen Wirtschaft in DSWA, trotz ihres Status als Siedlungskolonie. So beziffert Speitkamp (2014: 81) die Anzahl deutscher Siedler*innen im Jahr 1912 auf rund 12.000 Personen. Indes weist die Kolonie mit 60 % ein immenses Exportdefizit auf (vgl. ebd.: 87).
Die Daten | 91
5.1.2
Deutsche Toponyme in der Metropole
Der Datensatz deutscher Toponyme in der Metropole (DT.TOP) umfasst ebenfalls 3.392 Token und ist als eine Vergleichsgröße zu DT.KOLTOP konzipiert. In ihm kommen Stichproben aus zwei Quellen zusammen: dem Datensatz Geographische Namen 1:250 000 (GN250), den das Bundesamt für Kartographie und Geodäsie (BKG) online zur Verfügung stellt, und dem Alphabetischen Verzeichnis der Gemeinden in Deutschland 1900/1910 (GEMVZ), das in privater Verwaltung von Uli Schubert gepflegt und ebenfalls online zum freien Download bereitgestellt wird. Der Datensatz GN250 wird laufend aktualisiert und enthält zum Zeitpunkt der Datenerhebung (März 2018) eine Gesamtzahl von 147.032 amtlich erfassten Toponymen aus der gesamten Bundesrepublik. Eine thematische oder maßstäbliche Gewichtung der Namenträger kann optional über Filtereinstellungen vorgenommen werden. Um eine ähnliche Vielfalt der benannten topografischen Eindrücke abzubilden wie DT.KOLTOP, wurde beim Ziehen der Stichprobe für die Analyse allerdings auf eine thematische Gewichtung der Namenträger verzichtet. Darüber hinaus sind die Einträge umfassend annotiert, etwa mit genauen geografischen Koordinaten, ggf. Einwohnerzahlen und – für die Auseinandersetzung mit topografischen Kategorienbegriffen besonders interessant – mit näheren Informationen zur Objektart der jeweiligen Namenträger. Bei der Annotation dieser Objektarten bezieht sich GN250 auf die Klassifizierungskonvention nach dem Amtlichen Topographisch-Kartographischen Informationssystem (ATKIS). Anders als beim GDKA und den Einzelkarten, aus denen sich DT.KOLTOP zusammensetzt, lässt sich in GN250 anhand der Objektarten-Unterscheidung schnell die maßstäbliche und thematische Diversität der Daten erkennen. Die Toponyme in DT.TOP unterliegen daher nicht der in Kap. 5.1.5 dargestellten Maßstabsproblematik. Für den direkten Vergleich mit DT.KOLTOP reichen die Toponyme in GN250 allerdings nicht aus: Das amtliche Verzeichnis enthält ausschließlich Namen aus dem bundesdeutschen Gebiet der Gegenwart. Damit würde eine Vielzahl von Toponymen – insbesondere Ostpreußens – aus der Betrachtung ausgeschlossen, auf die die Kolonisierenden zwischen 1884 und 1919 allerdings als Muster für neue Benennungen zugreifen konnten. Um diesem Problem zu begegnen, enthält DT.TOP außerdem eine Stichprobe aus GEMVZ. Das Namenverzeichnis wird von Uli Schubert privat gepflegt und umfasst 81.973 Gemeindenamen (Stand Januar 2020) mit der jeweiligen Kreis- und Landesangabe. Ziel des Projekts ist es,
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ein Verzeichnis aller Gemeinden und Gutsbezirke im Deutschen Reich abzubilden, welche am 1. Januar 1900 bestanden. Die Zusammenstellung der Daten erfolgte unter größtmöglicher Sorgfalt und unter zu Hilfenahme [sic!] amtlicher Veröffentlichungen der damaligen Zeit. (Schubert o. J.)
Allerdings weist Schubert (ebd.) auch darauf hin, dass eventuelle Falschschreibungen und andere Fehler angesichts der enormen Datenmenge nicht auszuschließen sind. Das gilt im Übrigen auch für die anderen Daten, die ich im Zuge der Datensatzerstellung entweder selbst transkribiert oder von anderer Stelle herangezogen habe. Ich gehe davon aus, dass Transkriptionsfehler beim Erfassen von mehreren hunderttausend Toponymen unweigerlich auftreten. Angesichts der Größe des Datenbestands schätze ich den statistischen Einfluss einzelner Fehler allerdings als gering ein. Während GEMVZ ausschließlich Siedlungsnamen führt, verweisen die Einträge von GN250 auf unterschiedliche topografische Eindrücke.38 Um aus beiden Quellen ein möglichst realitätsnahes Abbild des Toponym-Bestands in der deutschen Metropole zur Zeit des Kolonialismus zu erzeugen, wurde bei der Zusammenstellung von DT.TOP je eine Stichprobe aus GN250 und GEMVZ gezogen. Dabei sollten die Siedlungsnamen aus GEMVZ in einem realistischen Verhältnis zu den übrigen Toponymen in den Datensatz integriert werden. Da eine ähnlich umfangreiche Datenbank wie GN250 für das deutsche Kaiserreich fehlt, lässt sich der Anteil der Siedlungsnamen im Deutschen Reich nicht exakt bestimmen. Allerdings kann man ihn zumindest annähernd aus GN250 ableiten: Das Verzeichnis führt 46.380 Ortslagen im Sinne von ATKIS, die zusammen 31,54 % der amtlich erfassten Toponyme ausmachen. Deshalb stelle ich auch DT.TOP zu 31,54 % (entspricht 1.070 Token) aus Siedlungsnamen zusammen, die ich dem zeitgenössischen Bestand von GEMVZ entnehme. Bei den übrigen 2.322 Einträgen handelt es sich um Nicht-Siedlungsnamen aus GN250.
|| 38 Die in GN250 geführten Objektarten sind: Bahnstrecke; Bahnverkehrsanlage; Bauwerk im Gewässerbereich; Bauwerk im Verkehrsbereich; Bauwerk oder Anlage für Industrie und Gewerbe; Bauwerk oder Anlage für Sport, Freizeit und Erholung; besonderer Höhenpunkt; Böschung/Kliff; Bundesland; Damm/Wall/Deich; Einrichtung für den Schiffsverkehr; Fläche besonderer funktionaler Prägung; Flugverkehr; Flugverkehrsanlage; Friedhof; Gebäude; Gemeinde; Gewässer; Gewässermerkmal; Heide; Höhleneingang; Industrie- und Gewerbefläche; Insel; Kreis/Region; Landschaft; Landwirtschaft; Meer; Moor; Nationalstaat; Natur-, Umwelt oder Bodenschutzrecht; Ortslage; Regierungsbezirk; Schifffahrtslinie/Fährverkehr; Schleuse; Schutzzone; Seilbahn/Schwebebahn; sonstiges Bauwerk oder sonstige Einrichtung; sonstiges Recht; Sport-, Freizeit- und Erholungsfläche; stehendes Gewässer; Straße; Straßenverkehrsanlage; Sumpf; Tagebau/Grube/Steinbruch; Turm; Unland/vegetationslose Fläche; Vegetationsmerkmal; Verwaltungsgemeinschaft; Wald; Weg/Pfad/Steig.
Die Daten | 93
Ein denkbarer Einwand gegen die Vergleichbarkeit von DT.KOLTOP und DT.TOP ergibt sich aus der zeitlichen Distanz der beiden Datensätze. Auch wenn die ergänzenden Einträge des GEMVZ dem historischen deutschen Staatsgebiet Rechnung tragen, finden sich in GN250 auch Toponyme wie Tower Flughafen Berlin Brandenburg oder Solarpark Bindlacher Berg (Bayern), deren KLASS kein Teil von kolonialen Wissensformationen sein können. Insgesamt hält sich die Menge dieser KLASS-Elemente allerdings in engen Grenzen: Rund ein Drittel der Einträge in DT.TOP stammen aus dem zeitgenössischen Namenbestand von GEMVZ, während auch unter den übrigen Toponymen aus GN250 eine überwiegende Mehrheit auf die Zeit vor dem faktischen deutschen Kolonialismus datieren. Des Weiteren habe ich mich trotz der zeitlichen Distanz für GN250 als wesentliche Quelle für DT.TOP entschieden, weil sich das amtliche Verzeichnis m. E. besser für den Toponymvergleich eignet als viele zeitgenössische Karten der Metropole. Damit DT.TOP nämlich als Vergleichsdatensatz für DT.KOLTOP infrage kommt, darf sich die Quellenauswahl nicht auf eine Maßstabsebene beschränken. Vielmehr müssen die Toponyme der Metropole auch Flurnamen, Gebäudenamen und andere sogenannte kleine Namenklassen enthalten. Mit seinen vielfältigen Objektarten bildet der amtliche Datensatz GN250 eine ähnliche Diversität ab wie die losen Kartenblätter und Skizzen von DT.KOLTOP. Insgesamt gehe ich deshalb davon aus, dass GN250 – erweitert um den Bestand von GEMVZ – eine angemessene Vergleichsgröße zum kolonialen Toponomastikon bildet. Für die deutschen Kolonien stellt die Diversität der kartografierten Orte hingegen kein Problem dar: Am historischen Kartenbestand der Staatsbibliothek zu Berlin, aus dem die losen Karten für die Erstellung von DT.KOLTOP stammen, wird deutlich, dass die kolonialen Kartenquellen bereits Ortsnamen in großer Diversität abbilden. Die dortigen Landkarten haben unterschiedliche Maßstäbe und unterliegen keinen einheitlichen Generalisierungsregeln, wie sie in der heutigen Kartografie üblich sind. Anders als beim GDKA wird bei den losen Kartenblättern in einigen Fällen bereits im Titel deutlich, dass es sich um Pläne, Skizzen, Planskizzen oder Übersichtsskizzen handelt. Ihrer Formlosigkeit entsprechend fehlen in vielen Fällen Legenden und Maßstabsangaben, sodass z. B. Größenverhältnisse und kategorielle Zuschreibungen von topografischen Eindrücken nicht zu identifizieren sind. Um das koloniale Toponomastikon möglichst umfassend abzubilden, sind aber gerade diese skizzenhaften Landkarten besonders relevant: Sie führen Namen von Gebäuden, Flurstücken und anderen topografischen Eindrücken, die z. B. im GDKA und auf anderen offiziellen Karten – scheinbar aufgrund von mangelnder Relevanz für die Kolonialverwaltung – nicht verzeichnet sind. Insofern dürfen halb- bzw. inoffizielle Karten aus der Kolonialzeit nicht
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unberücksichtigt bleiben, um einem zentralen Anspruch des COCOTOP-Projekts gerecht zu werden, dass „the scope of the inquiry has to be widened considerably so that it covers all kinds of geo-objects“ (Stolz, Levkovych & Warnke 2018: 207). Am Beispiel der Straßennamen Luisental und Kleiner Ort hat Kap. 3 bereits die Unmöglichkeit aufgezeigt, von der lexikalischen Bedeutung eines KLASS-Elements auf die epistemische Kategorie des benannten topografischen Eindrucks zu schließen. Tatsächlich würde sich der Toponomastik ein wertvolles Erkenntnispotenzial eröffnen, wenn man die KLASS für bestimmte topografische Eindrücke gezielt beforschen könnte. Denkbar wären bspw. detaillierte Vergleiche von Berg-, See- oder auch Gebäude-KLASS, um auch mit diesem speziellen Fokus Unterschiede zwischen Kolonien und Metropole zu messen. Angesichts der vollständig mit ATKIS-Objektarten notierten Einträge in GN250 liegt es zudem nahe, die Toponyme aller Datensätze nach denselben Objektarten zu gruppieren und anschließend Namen für Landschaften, Dämme oder Bauwerke im Gewässerbereich gezielt zu vergleichen. Da ich mich allerdings für epistemische Kategorien, ihr Zustandekommen und ihre Versprachlichung interessiere, wäre es nicht zielführend, auf zuvor getroffenen Urteilen der Objektartzugehörigkeit aufzubauen – schließlich ist gerade das Zustandekommen dieser Urteile Gegenstand der epistemologischen Analyse. Man müsste das eigentliche Untersuchungsinteresse – die Frage nach diachron und individuell unterschiedlichen Wissensformationen – vorwegnehmen, indem man von einem identischen konventionalisierten Wissen bei allen Sprecher*innen ausgeht, nach deren Urteil die ATKIS-Objektarten bestimmt und versprachlicht worden sind. Wenn aber schon bei einem synchronen Vergleich zweier Individuen nicht von identischen epistemischen Ordnungen auszugehen ist, wäre diese Annahme bei einem diachronen Vergleich wie dem von DT.KOLTOP und DT.TOP umso weniger haltbar.
5.1.3
Schwedische Kolonialtoponyme
Auch die koloniale Vergangenheit Schwedens ist bisher ein nur wenig erforschtes Feld, dessen allmähliche öffentliche Aufarbeitung mit der Situation in Deutschland vergleichbar ist. Der schwedische Historiker Fredrik Thomasson attestiert den Schwed*innen eine Selbstgerechtigkeit mit nostalgischem Charakter (vgl. Zachrisson 2013), etwa gegenüber der ehemaligen Kolonie SB und der aktiven Beteiligung des Königreichs am transatlantischen Sklavenhandel, sofern beide Sachverhalte überhaupt als Bestandteile der schwedischen Erinnerungskultur angesehen werden können. Gegenüber dem jungen und mehrheitlich in Deutschland initiierten Forschungsparadigma der (vergleichenden) Kolonial-
Die Daten | 95
toponomastik, die in den letzten Jahren mit einer Vielzahl von Publikationen aufwarten konnte, ist die Erforschung von schwedischen Toponymen im kolonialen Kontext quasi nicht existent. Entsprechend klein ist die Anzahl wissenschaftlicher Arbeiten zu den schwedischen Kolonien SB, NYS, Cabo Corso, Guadeloupe und Porto Novo, die als mögliche Quellen für die Erhebung toponymischer Daten herangezogen werden können. Ähnlich gestaltet sich die Situation hinsichtlich kartografischer Quellen, wobei vor allem die relative Kurzlebigkeit und Kleinräumigkeit des schwedischen Kolonialismus hier als ein begrenzender Faktor wirken. Umfassendere Kartierungsarbeiten sind von der Kolonialverwaltung nicht durchgeführt worden. Insgesamt stehen einem schwedischen Toponym-Datensatz daher nur wenige Quellen zur Verfügung. Der Datensatz schwedischer Kolonialtoponyme (SW.KOLTOP) ist das Ergebnis von Recherchearbeiten an der Universitätsbibliothek und der Königlichen Bibliothek in Stockholm. Er führt 239 Namen aus zwölf unterschiedlichen Quellen. Anders als beim deutschen Datenbestand stammen diese nicht ausschließlich von Landkarten des ehemaligen Kolonialgebiets, sondern auch aus der historischen Forschungsliteratur des 20. Jahrhunderts, die sich allerdings kaum mit namenkundlichen Fragestellungen im Detail beschäftigt.39 Als eine Vergleichsgröße zu DT.KOLTOP macht die Analyse von SW.KOLTOP Parallelen und Unterschiede im Hinblick auf die verwendeten KLASS-Elemente deutlich. In Ermangelung verfügbarer Quellen zu den übrigen schwedischen Kolonien beschränken sich die in SW.KOLTOP geführten Toponyme auf SB und NYS – die beiden flächengrößten und am längsten unter schwedischer Herrschaft stehenden Gebiete.
5.1.4
Schwedische Toponyme in der Metropole
Parallel zu SW.KOLTOP stellt der Datensatz SW.TOP eine Stichprobe von 239 schwedischen Toponymen in der Metropole dar. Im direkten Vergleich sollen auch sie eventuelle koloniale Spezifika der schwedischen Klassifizierung von Orten sichtbar machen. Der Umfang von 239 Token entspricht hier wieder dem des kolonialen Datensatzes, um ihre Vergleichbarkeit zu gewährleisten. Die Einträge entstammen dem Topografischen Register im Namenarchiv in Uppsala, das heute vom Institut für Sprache und Folklore (ISOF) mit Hauptsitz in Uppsala gepflegt und
|| 39 Eine seltene Ausnahme bildet Franzén (1974: 31–38), der den Namen von Straßen, Gassen und Quartieren von Gustavia ein achtseitiges Unterkapitel widmet. Auch die darin behandelten Namen sind in SW.KOLTOP enthalten.
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online zur Verfügung gestellt wird. Das Verzeichnis umfasst rund 3,7 Millionen Toponyme (Stand: April 2019) und wird seit den ersten Einträgen zu Beginn des 20. Jahrhunderts kontinuierlich erweitert. Wie in GN250 werden auch die hier geführten Toponyme nach Objektklassen differenziert, an denen sich auch die Heterogenität der erfassten topografischen Eindrücke ablesen lässt.
5.1.5
Karten als linguistische Datenträger
Im Rahmen von COCOTOP haben sich historische Landkarten als wesentliche Datenquellen etabliert (vgl. Stolz & Levkovych 2020b: 120). Das bedeutet nicht, dass sich Toponyme nicht auch in großer Anzahl in anderen zeitgenössischen Quellen finden ließen – etwa in der Reiseliteratur oder in den Zeitschriften der Kolonialvereine. Allerdings ist ihre Dichte auf Karten und Atlanten wesentlich höher, weshalb sie schneller und in größeren Mengen für die digitale Auswertung erfasst werden können. Dementsprechend bilden historische Landkarten die wesentlichen Primärquellen für die in DT.KOLTOP und SW.KOLTOP gesammelten Kolonialtoponyme. Diese treten auf den Karten als frei stehende Nominalphrasen ohne einen syntagmatischen Kontext auf – sie entspringen also (mit Ausnahme weniger Einträge in SW.KOLTOP, s. Kap. 5.1.3) dem sogenannten Listenkontext. Folgt man gängigen Definitionen linguistischer Korpora, wie hier bei Hirschmann (2019: 2), lautet die „Mindestanforderung an die Sprachdaten […], dass es sich um textuelle Daten, also um Sprache im Kontext handelt.“ Insofern sind die von mir untersuchten Datensätze keine Korpora im engeren Sinne. Trotzdem fasse ich Landkarten als eine multimodale Form von Text auf, die eine legitime Quelle für quantitative Analysen darstellt. Die jüngere Textlinguistik definiert ihren Gegenstand Text längst nicht mehr nur auf der linguistischen Oberfläche, etwa als eine rein strukturell, grammatikalisch oder thematisch kohärente Abfolge von Sätzen. Stattdessen hat sich ein funktionales Verständnis etabliert: „Schriftliche sowohl wie mündliche Texte mit ihrer jeweiligen ‚gesellschaftlichen Funktion‘ […] gehören zu den Selbstverständlichkeiten unserer Kultur“, hält Fix (2008: 88) fest. Als texttypologische Ansätze, die dieser Erkenntnis Rechnung tragen und die soziale Funktionalität von Texten besonders hervorheben, führt Fix (ebd.: 86–88) bspw. die gesellschaftliche Funktion nach Hans Robert Jauß, die Geistesbeschäftigung nach Andre Jolles und die jüngeren kommunikativen Gattungen nach Jörg Bergmann und Thomas Luckmann an. Da sich das linguistische Interesse an Landkarten hingegen weitestgehend auf die Toponomastik beschränkt, ist es kaum verwunderlich, dass die Frage nach deren Textstatus in der Linguistik bisher nicht diskutiert worden ist.
Die Daten | 97
Dabei handelt es sich gerade bei Karten um besonders diskussionswürdige Träger sprachlicher Daten. Ihre Ikonizität, die im Vergleich mit anderen Texttypen ins Auge fällt, erweckt nur allzu leicht den Eindruck, dass Karten eine topografische Realität abbilden, deren objektive Korrektheit jederzeit empirisch überprüfbar sei und die von Kartograf*innen lediglich in notwendigerweise abstrahierter Form wiedergegeben werde. Bevor mit dem Ende des Zweiten Weltkriegs ein „epistemic break“ (Crampton 2001: 235) rund um die Objektivität von Karten einsetzte, blieb diese naive Auffassung ein fester Teil der kartografischen Selbst- und Außenwahrnehmung. Dass zumindest erstere sich seither verändert hat, belegt die intensive Auseinandersetzung mit Fragen der Intentionalität und Funktion von Karten in der geografischen Theorie. Insbesondere für karteninteressierte Forschende ohne geografischen Hintergrund ist es nicht nur gewinnbringend, sondern m. E. unbedingt notwendig, die Arbeiten der kritischen Geografie zu berücksichtigen. Dies gilt umso mehr für Linguist*innen, da die besagten Arbeiten in der Lage sind, große Teile dessen zu kompensieren, was der Toponomastik bislang an eigener Quellenkritik im Hinblick auf Landkarten fehlt. Außerdem kann die Sprachwissenschaft von breiten theoretischen Überschneidungen profitieren – etwa von kritischer Geografie und Diskurslinguistik. Die intensive Foucault-Rezeption des Geografie-Historikers John Brian Harley führt in den 1970er-Jahren zu einer Reihe von Arbeiten, die eine theoretische Neuausrichtung der Kartografiegeschichte einleiten, in der Karten nunmehr als „agents for the normalization of power relations“ (ebd.: 239) begriffen werden. Die aus toponomastischer und diskurslinguistischer Perspektive interessante Erkenntnis ist hier, dass Karten – genau wie andere Texttypen – zugleich Diskursprodukt sind und diskursgestaltend wirken und daher in einem entsprechend kritischen Bewusstsein analysiert werden müssen: Political discourse is grounded in an assumption of the legitimacy of an existing political status quo and its values. Its utterances through maps as elsewhere, are intended, consciously or unconsciously, to prolong, to preserve and to develop the „truths“ and achievements initiated by the founding fathers of that political system or modified by their successors. […] It can also be suggested that political discourse is responsible for differential emphases, through selection and generalisation, which privilege some aspects of „reality“ while others are silenced. (Harley 1988: 66; Hervorh. i. O.)
Dies hat unmittelbare Auswirkungen auf die Aussagekraft von toponymischen Daten, die (nicht nur) koloniale Landkarten bereitstellen. Topografische Karten stellen die Landschaft und das Toponym-Inventar eines Raumausschnitts lediglich durch den Filter von subjektiven Relevanzurteilen dar. Von der Place-Making-Theorie ausgehend lassen sie sich insofern als Dokumentationen der Place-
98 | Koloniale und metropolitane Klassifikatoren im Vergleich
Identification in den Epistemologien von Kartograf*innen lesen. Denn kartografiert werden lediglich relevante Informationen im Sinne der Kartograf*innen bzw. ihrer Auftraggeber*innen. Je nach Thema der Karte betrifft dies auch Orte und ihre Namen. Dass etwa der GDKA auch Endonyme verzeichnet, wenn auch in graphematisch latinisierter bzw. germanisierter Form, mag zunächst den Eindruck einer allgemeinen Berücksichtigung von autochthonen Toponymen erwecken. Allerdings gilt auch hier, dass andere „cartographic knowledges (the nonscientific, the local, the populist or cartographies of resistance)“ (Crampton 2001: 238) bei der Kartierung absichtlich oder unabsichtlich unberücksichtigt bleiben können. Harley (1988: 66) spricht in diesem Zusammenhang von toponymic silence als einer von der Geografie getragenen Form der Unterdrückung: Conquering states impose a silence on minority or subject populations through their manipulation of place-names. Whole strata of ethnic identity are swept from the map in what amount to acts of cultural genocide. While such manipulations are, at one level, the result of deliberate censorship or policies of acculturation, at another – the epistemological – level, they also can be seen as representing the unconscious rejection of these „other“ people by those belonging to the politically more powerful groups.
Zwar spricht Harley mit der toponymic silence eine Eigenschaft von Karten an, allerdings findet diese auch in anderen Texttypen statt, die Toponyme enthalten können und insofern für die Erstellung einer Datengrundlage infrage kommen.40 Auch hier treffen die Verfasser*innen eine Vorauswahl, indem sie die genannten Toponyme zuvor als signifikant für die Intention ihres Texts einstufen. Die toponymic silence problematisiert die Aussagekraft von Landkarten als Manifestationen von „privileged discourses“ (Crampton 2001: 238), in deren Rahmen sie entstehen und deren epistemische Ordnungen und Gewissheiten sie fortführen. Genau wie bei anderen Texten handelt es sich bei Karten also um ideologisch voreingenommene Medien, die den Blick auf topografische und toponymische Aspekte einer Landschaft vor dem Hintergrund politischer, wirtschaftlicher, militärischer etc. Interessen beeinflussen. Aufgrund dieser Voreingenommenheit eignen sich kolonialzeitlich-europäische Landkarten lediglich als Grundlage für Analysen, die die Raumwahrnehmung und -klassifizierung der Kolonisierenden selbst in den Blick nehmen. Die eventuell ebenfalls notierten Endonyme unter-
|| 40 Schulz (2015) gibt eine kommentierte Übersicht über mögliche Primärquellen für die Koloniallinguistik. Dazu zählt er so unterschiedliche Texte wie Wörterbücher, Schriften von Missionsgesellschaften und Kolonialvereinen, Enzyklopädien, Wissenschaftstexte, Instruktionenliteratur, juristische Texte, Schulbücher, Reiseberichte, Romane, Gedichte, Lieder, Zeitschriften, Zeitungen, Kolonialkalender, Texte zu Völkerschauen, Werbeanzeigen und Postkarten.
Die Daten | 99
liegen genauso dem kolonialen Blick und den Relevanzurteilen wie die von den Kolonisierenden selbst vergebenen Namen. Darüber hinaus geben Stolz & Levkovych (2020b: 120) zu bedenken, dass Ortsnamen auch außerhalb von Landkarten im Gedächtnis der Sprecher*innen vor Ort existieren. Auch diese oftmals durchaus noch gebräuchlichen Toponyme scheiden aus der untersuchten Grundmenge aus, wenn diese lediglich anhand von (halb-)offiziellen Landkarten zusammengestellt wird. Andere problematische Aspekte der Datenerhebung betreffen eher die Kartografie als Handwerk und ihre Darstellungskonventionen. Die Lesbarkeit heutiger Landkarten hat stark von den Erkenntnissen der Gestaltpsychologie profitiert. Unter anderem haben sich Darstellungskonventionen etabliert, dank derer sich verschiedene Epichartica – im Sinne von „words on maps“ (ebd.) – in der Regel leicht anhand ihrer Typografie unterscheiden lassen.41 So sind auf heutigen Landkarten Ortsnamen, Kommentare oder andere Meta-Angaben i. d. R. schnell identifizierbar. In kolonialzeitlichen Kartenquellen lassen sich die Bezüge von Epichartica hingegen nicht immer zweifelsfrei feststellen. In manchen Fällen werden Namen und kommentierende Notizen typografisch auf dieselbe Art und Weise notiert. Wenn es sich bei solchen Epichartica zudem um appellativische Ausdrücke handelt, fällt die Unterscheidung besonders schwer – so etwa bei Wiese (DSWA), Hafen I (Kiautschou) oder Uven (‚der Uhu‘, SB). Im Zuge der Erstellung von DT.KOLTOP und SW.KOLTOP habe ich den Eigennamenstatus solcher Einträge bspw. an der Abwesenheit anderer Metatexte auf den jeweiligen Karten festgemacht. Ein gewisses Fehlerpotenzial dieser Interpretation kann ich nicht ausschließen. Die meisten Kartenblätter des GDKA sind in einem recht kleinen Maßstab von 1:1.000.000 bzw. – im Fall der Togo-Kartenblätter – in 1:500.000 angelegt. Dementsprechend verzeichnen sie größtenteils Makrotoponyme. Zudem werden einige Namen, deren KLASS ein Mikrotoponym suggerieren, auf den Kartenblättern auf dieselbe Art und Weise dargestellt wie offenkundige Makrotoponyme, nämlich mit dem im Atlas einheitlich verwendeten und insofern ambigen Kreissymbol. Berücksichtigt man außerdem, dass ein eventuell vorhandener KLASS generell keine verlässlichen Anhaltspunkte für die Größenordnung seines Referenten bietet (s. Kap. 3), ergibt sich ein methodisches Problem: Wie soll vorgegangen werden, um mit den untersuchten Kolonialtoponymen ein möglichst weites Größenspektrum von topografischen Eindrücken abzudecken? Bei den digitalen Namenregistern, die die Datengrundlage für DT.TOP und SW.TOP bilden, besteht dieses Maßstabsproblem nicht, da sie die Objektart der || 41 S. zum Begriff der Epichartica auch Stolz & Warnke (in Vorbereitung).
100 | Koloniale und metropolitane Klassifikatoren im Vergleich
gelisteten Einträge mitführen. Während mit GN250 ein Register mit Toponymen unterschiedlicher Größenordnungen im heutigen Deutschland vorliegt, fehlt diese Heterogenität in den kolonialzeitlichen Quellen. Mit Ausnahme von wenigen Eigennamen wie Windhuk oder Kilimandscharo, die auch nach der Kolonialzeit weiterhin gebräuchlich sind, ist es kaum möglich, alle verzeichneten Namen sicher als Makro- oder Mikrotoponyme zu klassifizieren – geschweige denn als Vertreter einer Objektart. Auch die Fernerkundung, etwa über Online-Kartendienste oder Suchmaschinen, bietet keine Lösung für das Problem. Dafür gibt es verschiedene Gründe. Zum einen nehmen außersprachliche Faktoren zu jeder Zeit Einfluss auf das Toponym-Inventar einer Region. Die ehemaligen deutschen Kolonien in Afrika und Südostasien bilden hier keine Ausnahme, wenn z. B. Siedlungen aufgegeben oder Wälder gerodet werden und topografische Eindrücke samt ihrer Namen von der Landkarte verschwinden. Solche topografischen Veränderungen sind dafür verantwortlich, dass die Rumde des Malam-Koran (Kamerun) oder der Unkenfels (DSWA) m. W. auf keiner heutigen Karte zu finden sind. Zum anderen sind verbliebene, kolonial markierte Toponyme im Zuge von dekolonialen Bemühungen in vielen Ländern längst Gegenstand des politischen Diskurses geworden. Wahrscheinlich werden entsprechende Umbenennungen in Zukunft für einen beschleunigten Schwund von Kolonialtoponymen sorgen – sowohl im Sprachgebrauch als auch auf aktuellen Landkarten. Dass sich viele der von mir analysierten Kolonialtoponyme nicht zweifelsfrei als Makro- oder Mikrotoponyme einordnen lassen, ist ein methodisches Problem, das bedacht werden muss, um von einem vergleichbaren Maß an Diversität unter den Einträgen in DT.KOLTOP und SW.KOLTOP ausgehen zu können. Ein Lösungsansatz für das Problem lässt sich nur annähernd umsetzen, da eine exakte Bestimmung jedes einzelnen Toponyms selbst unter enormem Zeit- und Arbeitsaufwand kaum durchführbar ist. So könnte man etwa versuchen, die auf Landkarten verzeichneten Toponyme auch außerhalb des isolierten Listenkontexts der Karte ausfindig zu machen. Eine umfassende Literaturrecherche wäre nötig, mit dem Ziel, nähere Informationen zu Art und Größe jedes Namenträgers zu gewinnen. Selbst ohne Berücksichtigung des Zeitaufwands, den eine solche Überprüfung allein für die 3.392 Einträge in DT.KOLTOP bedeuten würde, ist der Nutzen dieses Ansatzes zweifelhaft: Zum einen ist nicht klar, wie viele Toponyme sich auch in zeitgenössischen Texten belegen lassen. Hinzu kommt, dass in unterschiedlichen Quellen auch orthografische Varianten desselben Toponyms vorkommen, was auch eine computergestützte Recherche in digitalen Korpora erschwert. Letztendlich scheint eine genaue Bestimmung der Größenordnung eines topografischen Eindrucks nur auf
Die Daten | 101
dem Weg der Fernerkundung oder vor Ort möglich zu sein – unter der Voraussetzung, dass der entsprechende Landschaftsausschnitt überhaupt noch lokalisierbar ist. Um trotz der geschilderten Umstände möglichst vielfältige topografische Eindrücke zu berücksichtigen, sind die Einträge von DT.KOLTOP über den Bestand des GDKA hinaus erweitert worden. Ich gehe davon aus, dass Quellen mit einem größeren Maßstab (also mit einer kleineren Maßstabszahl) eher kleinräumige topografische Eindrücke kartieren als der eher kleinmaßstäbige GDKA. Miccoli (2019: 86) stellt dieselbe Überlegung an: Another important difference between macrotoponyms an microtoponyms is the sources. In the case of macrotoponyms, the sources are mostly guides, atlases, large-scale maps. In the case of microtoponyms, however, regulatory plans or city plans constitute the basis.
Ein ideales Kriterium für die Suche nach Mikrotoponymen ist der Kartenmaßstab leider immer noch nicht. Makrotoponyme können auch auf großmaßstäbigen und Mikrotoponyme auf kleinmaßstäbigen Karten verzeichnet sein, etwa wenn ein kleiner kartierter Landschaftsausschnitt an ein größeres Gewässer, Gebirge, Wald etc. grenzt oder das Brandenburger Tor stecknadelhaft auf einer touristischen Deutschland-Karte angepinnt ist. Trotzdem hat sich im Zuge der Erweiterung von DT.KOLTOP ein Maßstab von 1:20.000 als ein geeigneter Schwellenwert erwiesen. Karten unterhalb dieser Marke bilden i. d. R. deutlich als solche erkennbare Mikrotoponyme ab, weshalb ich sie neben dem GDKA als Quellen für DT.KOLTOP heranziehe. In den folgenden Kapiteln werden die vorgestellten Toponym-Datensätze analysiert, um spezifische Merkmale der Klassifizierung von topografischen Eindrücken in den Kolonien und der Metropole offenzulegen. Zunächst werte ich das Verhältnis von Toponymen mit und ohne KLASS aus, um die Relevanz von räumlichen Klassifizierungen im kolonialen Kontext zu überprüfen. Anschließend stehen die morphologische Komplexität der KLASS und die mögliche diskursive Relevanz der Morphologie im Fokus der Analyse. Auf den Vergleich der lexikalischen Heterogenität, der Aufschluss über die Musterhaftigkeit von kolonialer Raumklassifizierung gibt, folgt schließlich die semantische Auswertung der KLASS-Elemente. In diesem abschließenden Analyseschritt untersuche ich, welche epistemischen Kategorien von den KLASS in den Kolonien und in der Metropole besonders stark oder schwach repräsentiert werden. Dabei komme ich auch auf Gemeinsamkeiten und Unterschiede im Hinblick auf die Distribution von FUNK- und GEO-KLASS zu sprechen. Aus ihnen geht hervor, ob und in welchem Maße die Benennenden den kolonialen Raum als Teil des Kultur- bzw. Naturraums konzipieren.
102 | Koloniale und metropolitane Klassifikatoren im Vergleich
5.2 Der Vergleich Bei der vergleichenden Analyse der KLASS geht es mir v. a. darum, auffällige bzw. signifikante Merkmale herauszuarbeiten, in denen sich die Datensätze sowie die einzelnen Kolonien voneinander unterscheiden. Dabei ist zunächst der Signifikanz-Begriff selbst erklärungsbedürftig. Er ist in der Statistik nicht unumstritten und wird durchaus uneinheitlich verwendet.42 Da ich im Zuge der Analyse maximal acht Merkmalsträger (vier Datensätze und acht Kolonien) direkt miteinander vergleiche, greife ich zunächst auf eine simple Signifikanz-Definition zurück, die auch Warnke, Stolz, de Bloom & Levkovych (2020: 109–115) zur Feststellung von über- und unterrepräsentierten Merkmalen verwenden: Als signifikant gilt demnach jede Merkmalsausprägung x, die um einen höheren Betrag als die Standardabweichung vom arithmetischen Mittel abweicht. Für signifikant hohe Ausprägungen gilt entsprechend , für signifikant niedrige Ausprägungen . Ein Sonderfall liegt hingegen vor, sobald sich ein Vergleich auf nur zwei Grundmengen beschränkt – z. B. beim direkten Vergleich von DT.KOLTOP mit DT.TOP. Solche Vergleichssituationen erschweren die Bestimmung von signifikanten Werten, weil sich hier keinerlei Signifikanzen im oben beschriebenen Sinne ermitteln lassen. Stattdessen greife ich hier auf eine modifizierte Signifikanz-Bestimmung zurück. Auf sie gehe ich in Kap. 5.2.4.1 ein, wo das Problem zum ersten Mal auftritt. Die Ergebnisse der einzelnen Analyseschritte gebe ich meist in tabellarischer Form an, wobei ich signifikant hohe Werte fett und signifikant niedrige Werte unterstrichen markiere.
5.2.1
Distribution der Klassifikator-Toponyme
Ortsnamen mit einem KLASS-Element stellen in den deutschen Kolonien den Standardfall dar (vgl. Warnke, Stolz, de Bloom & Levkovych 2020: 110), was sich auch in der Auswertung der Toponyme in DT.KOLTOP widerspiegelt. Inwiefern diese Dominanz allerdings charakteristisch für die koloniale Benennungspraxis ist, prüfe ich in einem direkten Vergleich mit den Toponymen in DT.TOP. Mit einer parallelen Gegenüberstellung von SW.KOLTOP und SW.TOP gehe ich der Frage nach, ob die deutschen Befunde als Teil eines größeren, europäischen Benennungsmusters angenommen werden können. Abschließend werden auch die einzelnen Kolonien auf einen signifikant hohen oder niedrigen KLASS-Anteil hin überprüft. || 42 Für eine ausführliche Problematisierung s. Gigerenzer, Krauss & Vitouch (2004: 392–395).
Der Vergleich | 103
Die eingangs formulierte Hypothese HA1 geht davon aus, dass der Anteil der KLASS-Toponyme in den Kolonien signifikant über dem der Metropole liegt. Grund
zu dieser Annahme bietet die Relevanz von Ortsnamen im kolonialen Diskurs: Es ist wahrscheinlich, dass die Kolonisierenden ein erhöhtes Interesse an der Kommunikation von landschaftsbezogenem Wissen haben. Die KLASS sind dazu prädestiniert, pro-koloniale Topoi des naturnahen, unterentwickelten, lukrativen, exotischen etc. Raums für die diskursive Position kolonialer Akteur*innen zu untermauern. 5.2.1.1 Kolonie und Metropole Um die Gültigkeit von HA1 zu prüfen, ordne ich die untersuchten Namen zunächst in Toponyme mit und ohne KLASS-Element ein. Wie sich diese auf die vier Datensätze verteilen, ist in Abb. 7 dargestellt, während Tab. 3 die zugrunde liegenden Werte angibt. In allen vier Datensätzen überwiegen die KLASS-Toponyme mit deutlichem Abstand. Das gilt auch für das Toponomastikon der deutschen Metropole, obwohl der Anteil der KLASS-Toponyme hier signifikant unter dem Niveau der anderen Datensätze liegt.43 Die Differenz zu den deutschen Kolonialtoponymen beträgt dabei 17,42 %. Eine ähnliche, wenn auch weniger ausgeprägte Tendenz ist bei den schwedischen Vergleichsdatensätzen erkennbar: Hier liegt der Anteil der KLASS-Toponyme in den Kolonien um 7,11 % über dem der Metropole. Allerdings erreichen die Werte in SW.KOLTOP und SW.TOP noch nicht den signifikant überoder unterdurchschnittlichen Bereich. Mit der statistisch auffälligen Überrepräsentation der KLASS-Toponyme in den deutschen Kolonien kann H01: hTOP_DT.KOLTOP (+KLASS) ≤ hTOP_DT.TOP (+KLASS) Die relative Häufigkeit der +KLASS ist in den Kolonien kleiner oder gleich der in der Metropole.
nicht mehr als zutreffend angenommen werden. Dies spricht für die Gültigkeit von HA1: hTOP_DT.KOLTOP (+KLASS) > hTOP_DT.TOP (+KLASS) Die relative Häufigkeit der +KLASS ist in den Kolonien höher als in der Metropole.
|| 43 HDT.TOP (+KLASS) = 2.532, hTOP_DT.TOP (+KLASS) = 74,65 %.
104 | Koloniale und metropolitane Klassifikatoren im Vergleich
Abb. 7: Verhältnis von +KLASS und -KLASS je Datensatz.
Aus der parallelen Auswertung der schwedischen (Kolonial-)Toponyme gehen keine eindeutigen Ergebnisse hervor, die auf eine gesamteuropäische Präferenz der KLASS-Toponyme hindeuten würden. Zwar zeichnet sich in SW.KOLTOP und SW.TOP eine ähnliche Tendenz ab wie in den deutschen Datensätzen, allerdings liegen die kolonial-metropolitanen Unterschiede im Rahmen der Standardabweichung. Es ist nicht auszuschließen, dass die kleinere Grundgesamtheit der schwedischen Datensätze die Befunde beeinflusst. Tab. 3: Distribution von +KLASS und -KLASS je Datensatz.
+KLASS
-KLASS
Datensatz
H (TOP)
H
hTOP
H
hTOP
DT.KOLTOP
3.392
3.123
92,07 %
269
7,93 %
DT.TOP
25,35 %
3.392
2.532
74,65 %
860
SW.KOLTOP
239
226
94,56 %
13
5,44 %
SW.TOP
239
209
87,45 %
30
12,55 %
Insgesamt weist der hohe Anteil der +KLASS in allen Datensätzen darauf hin, dass den KLASS-Elementen eine bedeutende Funktion im Place-Making zukommen
Der Vergleich | 105
muss. Dass die +KLASS in den (deutschen) Kolonien signifikant häufiger vertreten sind als in der Metropole, verdeutlicht den erhöhten Bedarf an ontologischer Einordnung in den fremden Kolonien. Dieser zeigt sich unter anderem an den zahlreichen hybriden Bildungen wie Madschedsche-Berge (DOA) oder TennakongsStranden (‚der Tennakongs-Strand‘, NYS), die endonymische und exonymische Elemente enthalten und für DT.KOLTOP und SW.KOLTOP charakteristisch sind. Erst mithilfe eines KLASS werden die autochthonen Bestandteile der Hybride für die Kolonisierenden in einer bekannten topografischen Kategorie verortet. Für die Benennenden sind die KLASS daher ein zentrales Werkzeug, um eine epistemische Nähe des fremden Madschedsche oder Tennakong bei den deutschen DiskursTeilnehmenden zu vermitteln. Weitere Facetten des kommunizierten Wissens via KLASS gehen aus der abschließenden semantischen Analyse hervor. 5.2.1.2 Kolonien Abb. 8 stellt den Anteil von Toponymen mit und ohne KLASS an den ToponymBeständen der untersuchten Kolonien dar. Die entsprechenden Werte sind in Tab. 4 aufgeschlüsselt. Wie die ermittelten Werte erkennen lassen, setzt sich die Dominanz der KLASS durch alle untersuchten Kolonien fort, ohne dass die -KLASS je eine Mehrheit erreichen würden. Lediglich DNG44 und DSWA45 fallen mit signifikanten Werten auf: Obwohl die +KLASS in DSWA immer noch die Mehrheit aller Toponyme stellen, sind sie dort im Vergleich zu den anderen Kolonien unterrepräsentiert. Die toponymischen Strukturen, auf die die Benennenden im Zuge des Place-Namings zugreifen, sind dort vielfältiger als in den anderen Kolonien. Dass der Tiefstwert gerade hier, in der einzigen deutschen Siedlungskolonie auftritt, entspricht dem Grundsatz, dass bewohnte Topografie weniger musterhaft benannt wird als unbewohnte (vgl. Stolz & Warnke 2017: 216). Ebenfalls auffällig ist das relativ ausgeglichene Verhältnis von FUNK- und GEO-KLASS46, das ich an dieser Stelle dem semantischen Analyseschritt vorwegnehme. Nur in Togo liegt die relative Häufigkeit der beiden KLASS-Typen näher beieinander als in DSWA (s. Kap. 5.2.4.3). In der Siedlungskolonie geht also eine auffällige Diversität von Toponym-Strukturen mit einem ausgeglichenen Verhältnis von natur- und kulturräumlichen Zuschreibungen einher.
|| 44 HDNG (+KLASS) = 1.370, hTOP_DNG (+KLASS) = 98,07 %. 45 HDSWA (+KLASS) = 438, hTOP_DSWA (+KLASS) = 78,35 %. 46 HDSWA (FUNK-KLASS) = 144, hKLASS_DSWA (FUNK-KLASS) = 32,88 %. HDSWA (GEO-KLASS) = 239, hKLASS_DSWA (GEO-KLASS) = 54,57 %.
106 | Koloniale und metropolitane Klassifikatoren im Vergleich
Abb. 8: Verhältnis von +KLASS und -KLASS je Kolonie.
Denselben Zusammenhang suggerieren die Ergebnisse für DNG, wo sich die Ausgangslage anders darstellt. Hier ist der Anteil der +KLASS signifikant hoch und stärker ausgeprägt als in jeder anderen Kolonie. Darüber hinaus fällt DNG noch mit einem weiteren Modalwert auf: Von allen untersuchten Kolonien weist DNG zugleich den höchsten Anteil an GEO-KLASS auf (s. Kap. 5.2.4.3). Passend zu den beobachteten Befunden für DSWA geht in DNG die konzeptuelle Naturräumlichkeit der Landschaft mit einer auffallend homogenen, von +KLASS dominierten Benennungspraxis einher. Der koloniale Blick nimmt den vermeintlich unbewohnten Naturraum schematisch wahr und führt zu einer eher musterhaften Klassifizierung von topografischen Eindrücken. Die Ergebnisse des ersten Analyseschritts lassen sich wie folgt zusammenfassen: Ihr hoher Anteil in sämtlichen Datensätzen und in den einzelnen Kolonien bestätigt die allgemeine Relevanz der +KLASS im Deutschen und Schwedischen. In den Kolonien ist deren Vorkommen allerdings deutlich höher als in der Metropole – im deutschen Fall liegen die +KLASS, obwohl sie rund drei Viertel des Ortsnamenbestands ausmachen, sogar signifikant unter dem Durchschnitt der Datensätze. Das Ergebnis der Analyse spricht für die Gültigkeit der HA1 und lässt sich dahingehend interpretieren, dass der kategoriellen Einordnung von Landschaft im Kolonialismus eine erhöhte Bedeutung gegenüber der Metropole zukommt. Sie ist eine wesentliche Voraussetzung, damit Benennende ortsbezoge-
Der Vergleich | 107
nes Wissen kommunizieren und den kolonialen Raum in ihrem Interesse darstellen können. Auch die schwedischen Datensätze bilden keine Ausnahme im Hinblick auf die Dominanz der +KLASS. Allerdings ist der kolonial-metropolitane Unterschied hier statistisch nicht signifikant ausgeprägt. Insofern deuten die schwedischen Vergleichsdaten nicht darauf hin, dass es sich bei der im Deutschen beobachteten erhöhten Relevanz der KLASS um ein generelles Charakteristikum des europäischen Kolonialismus handelt. Mithilfe weiterer kolonial-metropolitaner Vergleichsstudien ließe sich ein genauerer Eindruck von der Bedeutung räumlicher Kategorien für die koloniale Expansion gewinnen. Tab. 4: Distribution von +KLASS und -KLASS je Kolonie.
+KLASS
-KLASS
H (TOP)
H
hTOP
H
hTOP
DNG
1.397
1.370
98,07 %
27
1,93 %
DOA
783
737
94,13 %
46
5,87 %
DSWA
559
438
78,35 %
121
21,65 %
Kamerun
288
247
85,76 %
41
14,24 %
Kiautschou
180
173
96,11 %
7
3,89 %
Togo
185
158
85,41 %
27
14,59 %
N YS
118
113
95,76 %
5
4,24 %
SB
121
113
93,39 %
8
6,61 %
Kolonie
Am Beispiel von DSWA und DNG wird zudem ein Zusammenhang von toponymischen Strukturen und konzeptueller Natur- bzw. Kulturräumlichkeit der benannten Orte deutlich: Je differenzierter die Benennenden natur- und kulturräumliche Landschaftsausschnitte mithilfe von KLASS einordnen, desto diverser sind auch die toponymischen Strukturen, auf die sie im Zuge des kolonialen Place-Naming zurückgreifen. Für die schwedischen Vergleichsdaten zeichnet sich allerdings auch hier ein anderes Bild,47 sodass man nicht von einem allgemeineren Merkmal der europäisch-kolonialen Benennungspraxis ausgehen kann.
|| 47 HSW.KOLTOP (+KLASS) = 226, hTOP_SW.KOLTOP (+KLASS) = 94,56 %, obwohl HSW.KOLTOP (GEO-KLASS) = 107, hKLASS_SW.KOLTOP (GEO-KLASS) = 47,35 %.
108 | Koloniale und metropolitane Klassifikatoren im Vergleich
5.2.2
Morphologische Komplexität
In den untersuchten Datensätzen kommen toponymische KLASS entweder als Suffixe, Simplizia oder Wortbildungsprodukte vor (s. Kap. 3.1). Die folgenden Kapitel prüfen, ob sich koloniale und metropolitane KLASS auf morphologischer Ebene voneinander unterscheiden, welcher Komplexitätsgrad in den Datensätzen und in den einzelnen Kolonien dominiert und ob die KLASS-Morphologie mit anderen untersuchten Merkmalen korreliert. Mögliche statistische Signifikanzen werden aufgezeigt und näher behandelt, wenn ein Zusammenhang mit anderen Ergebnissen der Analyse naheliegt. Das übergeordnete Interesse gilt der Frage, ob die Komplexität von KLASS selbst bereits diskursrelevant ist bzw. sein kann. 5.2.2.1 Kolonie und Metropole Abb. 9 zeigt, wie sich die morphologische Komplexität der KLASS auf die vier untersuchten Datensätze verteilt. Die genauen Werte sowie signifikante Ausprägungen sind in Tab. 5 angegeben. Aus den Ergebnissen der Analyse geht zunächst eine klare Präferenz-Hierarchie hervor, die sich durch alle untersuchten Datensätze zieht: Die KLASS treten am häufigsten in der Form von Simplizia auf, gefolgt von komplexen Bildungen und wenigen Suffixen. Für alle Datensätze gilt also: hKLASS (Simplex) > hKLASS (Komplex) > hKLASS (Suffix)
Abb. 9: Anteil morphologischer KLASS-Strukturtypen je Datensatz.
Der Vergleich | 109
Obwohl die Simplizia das KLASS-Inventar auch in DT.TOP dominieren, fällt der Datensatz durch seine besondere morphologische Vielfalt auf: Hier sind komplexe KLASS48 und KLASS-Suffixe49 stark überrepräsentiert. Die Simplizia stellen zwar nach wie vor die mit Abstand größte Gruppe dar, werden allerdings in den signifikant niedrigen Bereich gedrängt.50 Dass die deutsche Metropole mit einer so heterogenen KLASS-Morphologie hervorsticht, hängt sicherlich mit dem Alter ihres Namenbestands zusammen, der bis in das 5. Jahrhundert n. Chr. zurückreicht. Viele appellativische Konstituenten sind zur Zeit des deutschen Kolonialismus längst intransparent geworden und lassen sich vom heutigen Standpunkt aus nicht mehr als freie Morpheme mit einer lexikalischen Bedeutung, sondern nur noch als reihenbildende Suffixe analysieren, wie etwa bei Nübling, Fahlbusch & Heuser (2015: 216). Tab. 5: Anteil morphologischer KLASS-Strukturtypen je Datensatz.
Suffix
Simplex
Komplex
Datensatz
H (+KLASS)
H
h+KLASS
H
h+KLASS
H
h+KLASS
DT.KOLTOP
3.123
8
0,26 %
2.810
89,98 %
305
9,77 %
DT.TOP
2.532
268
10,58 %
1.959
77,37 %
305
12,05 %
SW.KOLTOP
226
0
0,00 %
213
94,25 %
13
5,75 %
SW.TOP
209
1
0,48 %
203
97,13 %
5
2,39 %
In DT.KOLTOP sind diese historischen KLASS-Suffixe kaum vertreten,51 weil sie sich für neue Akte des Place-Makings wenig eignen. Um ein bestimmtes ortsbezogenes Wissen mit einem Toponym zu kommunizieren, greifen die Benennenden viel eher auf Appellativa aus dem Gegenwartsdeutschen zurück. Die wenigen Suffix-KLASS in DT.KOLTOP sind zur Zeit der Benennung noch weitgehend, für Sprecher*innen des Niederdeutschen sogar vollkommen, transparent.52 Zudem weisen manche dieser Suffixe Pendants in der Metropole auf. Bei diesen Toponymen handelt es sich oftmals um direkte Übertragungen, als deren Bestandteil die || 48 HDT.TOP (Komplex) = 305, hKLASS_DT.TOP (Komplex) = 12,05 %. 49 HDT.TOP (Suffix) = 268, hKLASS_DT.TOP (Suffix) = 10,58 %. 50 HDT.TOP (Simplex) = 1.959, hKLASS_DT.TOP (Simplex) = 77,37 %. 51 HDT.KOLTOP (Suffix) = 8, hKLASS_DT.KOLTOP (Suffix) = 0,26 %. 52 Es handelt sich um -beck (‚Bach‘) und -brunn/-bronn (‚Brunnen‘; ‚Quelle‘, nhd. Übersetzungen nach Nübling, Fahlbusch & Heuser [2015: 217–218]).
110 | Koloniale und metropolitane Klassifikatoren im Vergleich
Suffixe selbst überhaupt nicht mehr motiviert sind. Insgesamt stellen die KLASSSuffixe ein charakteristisches Merkmal der Metropole dar – sie sind gewissermaßen typisch nicht-kolonial. Die auffallende Häufigkeit der komplexen KLASS in DT.TOP ist hingegen vor allem unter semantischen Gesichtspunkten interessant, weshalb ich im Folgenden wieder einige Ergebnisse der semantischen Analyse (s. Kap. 5.2.4.1) vorwegnehme. Tab. 6 setzt die morphologische Struktur der KLASS-Elemente in den vier Datensätzen ins Verhältnis zu ihren natur- bzw. kulturräumlichen Implikationen als GEO- bzw. FUNK-KLASS. Tab. 6: Anteil semantischer KLASS-Typen bezogen auf morphologische KLASS-Strukturtypen je Datensatz.
FUNK-KLASS
GEO-KLASS
unklar
Strukturtyp
Datensatz
H
hStrukturtyp
H
hStrukturtyp
H
hStrukturtyp
Suffix
DT.KOLTOP
0
0,00 %
6
75,00 %
2
25,00 %
156
58,21 %
105
39,18 %
7
2,61 %
0
0,00 %
0
0,00 %
0
0,00 %
DT.TOP SW.KOLTOP SW.TOP Simplex
1
100,00 %
0
0,00 %
0
0,00 %
DT.KOLTOP
649
23,10 %
2.085
74,20 %
76
2,70 %
DT.TOP
899
45,89 %
981
50,08 %
79
4,03 %
95
44,60 %
103
48,36 %
15
7,04 %
SW.KOLTOP SW.TOP Komplex
67
33,00 %
123
60,59 %
13
6,40 %
DT.KOLTOP
177
58,03 %
115
37,70 %
13
4,26 %
DT.TOP
268
87,87 %
29
9,51 %
8
2,62 %
SW.KOLTOP
7
53,85 %
4
30,77 %
2
15,38 %
SW.TOP
4
80,00 %
0
0,00 %
1
20,00 %
Betrachtet man die Struktur der KLASS gemeinsam mit ihrer konzeptuellen Zuordnung zum Natur- bzw. Kulturraum, werden zwei Tendenzen deutlich: Erstens setzen sich die komplexen KLASS-Bildungen in allen Datensätzen mehrheitlich aus FUNK-KLASS zusammen. Damit bilden Wortbildungsprodukte den präferierten Strukturtyp für topografische Eindrücke, die die Benennenden als Teil des Kulturraums auffassen. Tendenziell bildet die morphologische Komplexität eines KLASS also ein hohes Maß an menschlicher Involviertheit ab, die dem topo-
Der Vergleich | 111
grafischen Eindruck im Wissen der Benennenden zukommt. Am deutlichsten ausgeprägt ist dieser Zusammenhang in der deutschen Metropole.53 Einen deutlichen Kontrast hierzu bilden zweitens die Simplizia: Dieser Strukturtyp setzt sich in allen Datensätzen mehrheitlich aus GEO-KLASS zusammen, die auf eine naturnahe Landschaft mit niedriger menschlicher Involviertheit verweisen. Insofern stellen die Simplizia den bevorzugten Strukturtyp für KLASS dar, mit denen kulturferne Orte benannt werden. Den stärksten Zusammenhang dieser Art lassen die deutschen Kolonien erkennen,54 aber auch die schwedische Metropole zeigt eine ähnliche Tendenz. Hier lassen sich keine komplexen GEO-KLASS nachweisen, während man unter den KLASS-Simplizia fast doppelt so viele GEOwie FUNK-KLASS findet.55 Im Hinblick auf die KLASS-Morphologie fällt die schwedische Metropole außerdem mit ihrem signifikant niedrigen Bestand an komplexen KLASS auf,56 der m. E. kaum grammatikalisch herleitbar ist. Er lässt sich nicht auf morphologische Unterschiede der verglichenen Sprachen zurückführen, da Derivation und Komposition sowohl im Deutschen als auch im Schwedischen produktive Wortbildungsverfahren sind.57 Auch das schwedische Lexikon kommt als naheliegende Erklärung nicht infrage: Die vier am häufigsten dokumentierten deutschen KLASSKomplexe58 weisen gebräuchliche Äquivalente im Schwedischen auf, die zudem in ihrer morphologischen Struktur mit den deutschen Begriffen übereinstimmen, wie die Beispiele 13a–d zeigen.59 Angesichts des starken mittelniederdeutschen Einflusses auf das Schwedische liegt es zwar nahe, diese Ähnlichkeiten auf mögliche Lehnübersetzungen zurückzuführen. Allerdings stechen die genannten Beispiel-KLASS damit keinesfalls als Sonderfälle aus dem schwedischen Lexikon hervor. Die Anzahl niederdeutscher Lehnwörter im Gegenwartsschwedischen wird von Skandinavist*innen lediglich geschätzt: Wessén (1970: 46) hält es immerhin
|| 53 HDT.TOP (Komplex, FUNK-KLASS) = 268, hKomplex_DT.TOP (FUNK-KLASS) = 87,87 %. 54 HDT.KOLTOP (Simplex, GEO-KLASS) = 2.085, hSimplex_DT.KOLTOP (GEO-KLASS) = 74,20 %. 55 HSW.TOP (Simplex, GEO-KLASS) = 123, hSimplex_SW.TOP (GEO-KLASS) = 60,59 %. HSW.TOP (Simplex, FUNK-KLASS) = 67, hSimplex_SW.TOP (FUNK-KLASS) = 33,00 %. 56 HSW.TOP (Komplex) = 5, hKLASS_SW.TOP (Komplex) = 2,39 %. 57 Zur Derivation und Komposition im Schwedischen s. SAG (38–47). 58 HDT.KOLTOP (Durchfahrt) = 38, hKLASS_DT.KOLTOP (Durchfahrt) = 1,22 %. HDT.KOLTOP (Halbinsel) = 19, hKLASS_DT.KOLTOP (Halbinsel) = 0,61 %. HDT.KOLTOP (Einfahrt) = 19, hKLASS_DT.KOLTOP (Einfahrt) = 0,61 %. HDT.TOP (Rittergut) = 12, hKLASS_DT.TOP (Rittergut) = 0,47 %. 59 Bei der Konstituentenanalyse unterscheide ich wortfähige Morpheme – bei Busch & Stenschke (2014: 81) auch „Basismorpheme“ (BM) – als „selbstständige, syntaktisch mobile Einheiten“ (Barz 2009: 663) von den nicht wortfähigen Morphemen (Konfixe und Affixe).
112 | Koloniale und metropolitane Klassifikatoren im Vergleich
für wahrscheinlich, dass die Mehrheit der heute gebräuchlichen Lexeme des Schwedischen nicht nordischen Ursprungs ist. (13) a. dt. [{Durch}BM {fahrt}BM]Kompositum sw. [{genom}BM {fart}BM]Kompositum b. dt. [{Halb}BM {insel}BM]Kompositum sw. [{halv}BM {ö}BM]Kompositum c. dt. [{Ein}PRÄFIX {fahrt}BM]Derivat sw. [{in}PRÄFIX {fart}BM]Derivat d. dt. [{Ritter}BM {gut}BM]Kompositum sw. [{herr}BM {gård}BM]Kompositum Im Vergleich dazu verhalten sich die schwedischen Kolonien vollkommen unauffällig: Hier liegen auch die KLASS-Komplexe innerhalb des Durchschnitts der Datensätze. Inwiefern sich die Morphologie der KLASS in den einzelnen Kolonien mit den Befunden von DT.KOLTOP und SW.KOLTOP deckt und welche Kolonien mit signifikanten Abweichungen auffallen, prüft das folgende Kapitel. 5.2.2.2 Kolonien Abb. 10 zeigt, wie sich die morphologischen Strukturtypen der KLASS auf die einzelnen Kolonien verteilen. Die entsprechenden Werte sind in Tab. 7 aufgeschlüsselt. Sie zeigen deutlich, dass die Regel hKLASS (Simplex) > hKLASS (Komplex) > hKLASS (Suffix)
auch im größeren Maßstab der einzelnen Kolonien gilt. Im Rahmen dieser Regel fallen allerdings DSWA, Kamerun und NYS mit signifikanten Abweichungen auf: In DSWA ist der Anteil von KLASS-Suffixen zwar niedrig,60 da es sich aber um die einzige Kolonie handelt, in der überhaupt Suffixe als KLASS auftreten, überschreitet DSWA hier die Signifikanzschwelle.61
|| 60 HDSWA (Suffix) = 8, hKLASS_DSWA (Suffix) = 1,83 %. 61 Die besagten Suffixe sind -brunn (Friedabrunn, Samariterbrunn, Schwarzbrunn, Weißbrunn), -bronn (Heilbronn, Paulsbronn) und -beck (Lübeck, Rohrbeck). Die fünf unterstrichenen Ortsnamen verfügen über ein oder mehrere Pendants in der Metropole (vgl. GN250 und GEMVZ) – bei ihnen handelt es sich höchstwahrscheinlich um direkte Namensübertragungen.
Der Vergleich | 113
Die Suffix-KLASS verbinden DSWA auf auffällige Weise mit dem europäischen Deutschland, wo sie im Vergleich der vier Hauptdatensätze ebenfalls überdurchschnittlich häufig vertreten sind (s. Kap. 5.2.2.1). Dass gerade hier Toponyme mit Suffix-KLASS aus der Metropole übertragen werden, passt zu den großangelegten Plänen der Kolonialverwaltung, DSWA als eine deutsche Siedlungskolonie zu etablieren. Die übertragenen Ortsnamen erzeugen eine epistemische Nähe zur deutschen Heimat der Benennenden.
Abb. 10: Anteil morphologischer KLASS-Strukturtypen je Kolonie.
Die direkte Übertragung erscheint hier als eine besondere Form der kolonialen Ortsherstellung. Schließlich ergibt sich ihre Kolonialität nicht aus der Verwendung bestimmter KLASS- oder MOD-Elemente, da das Place-Naming und die damit korrespondierende toponymische Struktur bereits im europäischen Pendant angelegt sind. Das wesentliche koloniale Moment ist die Übertragung selbst als ein diskursiver Akt. Der Bezug auf die deutsche Metropole in der Kolonie, auf das Vertraute im Fremden, stellt eine Form der prokolonial intendierten Wissenskommunikation dar, indem der benannte Ort toponymisch als Teil der eigenen Heimat deklariert wird – eine Aneignungspraxis, die z. B. Ebert (2018: 114–115) in ähnlicher Form auch in Zeitungsartikeln beobachtet.
114 | Koloniale und metropolitane Klassifikatoren im Vergleich
Tab. 7: Anteil morphologischer KLASS-Strukturtypen je Kolonie.
Suffix
Simplex
H (+KLASS)
H
h+KLASS
H
DNG
1.370
0
0,00 %
DOA
737
0
0,00 %
DSWA
438
8
1,83 %
Kamerun
247
0
0,00 %
Kiautschou
173
0
0,00 %
Togo
158
0
N YS
113
0
SB
113
0
Kolonie
Komplex h+KLASS
H
h+KLASS
1.251
91,31 %
119
8,69 %
684
92,81 %
53
7,19 %
382
87,21 %
48
10,96 %
206
83,40 %
41
16,60 %
151
87,28 %
22
12,72 %
0,00 %
136
86,08 %
22
13,92 %
0,00 %
112
99,12 %
1
0,88 %
0,00 %
101
89,38 %
12
10,62 %
Neben DSWA sticht auch Kamerun im kolonialen Vergleich hervor. Zwar stellen die Simplizia hier wie in allen Kolonien das häufigste Bildungsmuster der KLASS dar, allerdings liegt ihr Anteil signifikant unterhalb des kolonialen Durchschnitts.62 Entsprechend überrepräsentiert sind die KLASS mit komplexer Struktur,63 deren Anteil am KLASS-Inventar in Kamerun höher ausfällt als in jeder anderen Kolonie. Die Interpretation dieser Besonderheiten fällt schwer, da sich die Kolonie abseits der KLASS-Morphologie vollkommen unauffällig verhält. Die weiteren Analyseschritte bieten keinerlei Koinzidenzen, vor deren Hintergrund sich die Befunde deuten ließen. Wie schon beim morphologischen Vergleich der vier Hauptdatensätze bildet Tab. 8 die morphologische Struktur der KLASS-Elemente im Verhältnis zu deren natur- bzw. kulturräumlichen Implikationen als GEO- bzw. FUNK-KLASS ab. Die Befunde zeigen, dass sich die überrepräsentierten komplexen Bildungen in Kamerun wie erwartet mehrheitlich aus FUNK-KLASS zusammensetzen,64 während es sich bei den Simplizia mit großer Mehrheit um naturräumlich konzeptualisierte GEOKLASS handelt.65 Einen starken Kontrast zur KLASS-Morphologie in Kamerun bildet NYS. Die Kolonie fällt mit einem morphologisch besonders homogenen KLASS-Inventar auf, das nahezu vollständig aus Simplizia besteht.66 Der einzige komplexe KLASS in der || 62 HKamerun (Simplex) = 206, hKLASS_Kamerun (Simplex) = 83,40 %. 63 HKamerun (Komplex) = 41, hKLASS_Kamerun (Komplex) = 16,60 %. 64 HKamerun (Komplex, FUNK-KLASS) = 27, hKomplex_Kamerun (FUNK-KLASS) = 65,85 %. 65 HKamerun (Simplex, GEO-KLASS) = 161, hSimplex_Kamerun (GEO-KLASS) = 78,16 %. 66 HNYS (Simplex) = 112, hKLASS_NYS (Simplex) = 99,12 %.
Der Vergleich | 115
Kolonie ist Trefaldighet (‚Dreifaltigkeit‘). Von den bisherigen Beobachtungen in Kap. 5.2.2.1 ausgehend wäre in NYS ein entsprechend hoher Anteil an naturräumlich markierten GEO-KLASS erwartbar. Allerdings haben die Befunde in Tab. 6 auch gezeigt, dass die GEO-KLASS in SW.KOLTOP weniger als die Hälfte der KLASS-Simplizia ausmachen.67 Hierin unterscheiden sich die deutschen und schwedischen KLASS deutlich. Offenbar hängen die morphologische Struktur und die natur- bzw. kulturräumliche Zuschreibung der KLASS in den schwedischen Kolonien weniger stark zusammen als in den anderen Datensätzen. Tab. 8: Anteil semantischer KLASS-Typen bezogen auf morphologische KLASS-Strukturtypen je Kolonie.
FUNK-KLASS
GEO-KLASS
unklar
Strukturtyp
Datensatz
H
hStrukturtyp
H
hStrukturtyp
H
hStrukturtyp
Suffix
DNG
0
0,00 %
0
0,00 %
0
0,00 %
DOA
0
0,00 %
0
0,00 %
0
0,00 %
DSWA
0
0,00 %
6
75,00 %
2
25,00 %
Kamerun
0
0,00 %
0
0,00 %
0
0,00 %
Kiautschou
0
0,00 %
0
0,00 %
0
0,00 %
Togo
0
0,00 %
0
0,00 %
0
0,00 %
N YS
0
0,00 %
0
0,00 %
0
0,00 %
SB Simplex
0
0,00 %
0
0,00 %
0
0,00 %
DNG
193
15,43 %
1.044
83,45 %
14
1,12 %
DOA
129
18,86 %
544
79,53 %
11
1,61 %
DSWA
127
33,25 %
210
54,97 %
45
11,78 %
Kamerun
41
19,90 %
161
78,16 %
4
1,94 %
100
66,23 %
50
33,11 %
1
0,66 %
Togo
59
43,38 %
76
55,88 %
1
0,74 %
N YS
26
23,21 %
81
72,32 %
5
4,46 %
SB
69
68,32 %
22
21,78 %
10
9,90 %
Kiautschou
|| 67 HSW.KOLTOP (Simplex, GEO-KLASS) = 103, hSimplex_SW.KOLTOP (GEO-KLASS) = 48,36 %.
116 | Koloniale und metropolitane Klassifikatoren im Vergleich
FUNK-KLASS
GEO-KLASS
unklar
H
hStrukturtyp
H
hStrukturtyp
H
hStrukturtyp
DNG
78
65,55 %
36
30,25 %
5
4,20 %
DOA
20
37,74 %
33
62,26 %
0
0,00 %
DSWA
17
35,42 %
23
47,92 %
8
16,67 %
Kamerun
27
65,85 %
14
34,15 %
0
0,00 %
Kiautschou
20
90,91 %
2
9,09 %
0
0,00 %
Togo
15
68,18 %
7
31,82 %
0
0,00 %
N YS
1
100,00 %
0
0,00 %
0
0,00 %
SB
6
50,00 %
4
33,33 %
2
16,67 %
Strukturtyp
Datensatz
Komplex
Betrachtet man die in SW.KOLTOP kompilierten Daten von NYS und SB hingegen separat (s. Tab. 8), offenbart sich ein deutlicher Kontrast: NYS folgt dem Trend der Hauptdatensätze, indem sich die KLASS-Simplizia hier mit großer Mehrheit aus den naturnahen GEO-KLASS zusammensetzen.68 Auf SB dominieren hingegen die FUNK-KLASS sowohl bei den Simplizia als auch bei den komplexen Bildungen.69 Anders als in NYS verweisen hier also auch die Simplizia mehrheitlich auf topografische Eindrücke des Kulturraums. Ein möglicher Grund für diese Verschiedenheit besteht in der Konzeption von SB als Handelskolonie: Es ist naheliegend, dass die Insel von den Benennenden von vornherein unter funktional-ökonomischen Aspekten in den Blick genommen wird, sodass für sie nur wenige topografische Eindrücke für die Benennung mit einem naturnahen GEO-KLASS infrage kommen. Die Ergebnisse der morphologischen Analyse lassen sich folgendermaßen zusammenfassen: Um einen topografischen Eindruck ontologisch einzuordnen und seine kategorielle Einordnung zu versprachlichen, präferieren die Benennenden KLASS in der Form von Simplizia, gefolgt von den deutlich niedriger frequenten komplexen Bildungen. Im Vergleich der vier Hauptdatensätze spielen die Suffixe lediglich in der deutschen Metropole eine Rolle, da in ihnen historisches Sprachmaterial von zum Teil mehreren Jahrhunderten erhalten geblieben ist. Die wenigen Kolonialtoponyme mit KLASS-Suffixen sind ausschließlich in DSWA zu finden. Es handelt sich bei ihnen um im Wesentlichen transparente,
|| 68 HNYS (Simplex, GEO-KLASS) = 81, hSimplex_NYS (GEO-KLASS) = 72,32 %. 69 HSB (Simplex, FUNK-KLASS) = 69, hSimplex_SB (FUNK-KLASS) = 68,32 %. HSB (Komplex, FUNK-KLASS) = 6, hKomplex_SB (FUNK-KLASS) = 50,00 %.
Der Vergleich | 117
historische Namenkonstituenten. Ihre Seltenheit deutet darauf hin, dass die Benennenden bei kolonialen Place-Making-Akten Wert auf Verständlichkeit und Kommunizierbarkeit der kolonialen Topografie legen. Der Fall der Siedlungskolonie DSWA macht deutlich, dass auch die Morphologie von klassifizierenden Namensbestandteilen eine diskursive Relevanz besitzt. Denn genau wie etwaige kommemorative MOD-Elemente sind auch sie in der Lage, Kolonie und Metropole epistemisch miteinander zu verbinden und eine Nähe beider Räume zu suggerieren. Ein auffälliger Zusammenhang besteht zwischen der morphologischen Struktur der KLASS und der Zuordnung der benannten Landschaftsausschnitte zum Natur- oder Kulturraum: Menschliche Involviertheit spiegelt sich tendenziell in einer höheren Komplexität der KLASS-Elemente wider, während die Benennenden den als kulturfern konzeptionierten Naturraum eher mit Simplizia versehen. Dieselbe Präferenz lässt sich ansatzweise bei den schwedischen KLASS-Elementen beobachten, allerdings sind die morphologisch-semantischen Zusammenhänge hier schwächer ausgeprägt.
5.2.3
Lexikalische Heterogenität
Für die naturgeschichtliche Strömung, die in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts in Europa in Mode kommt, ist das Klassifizieren der Natur – von Pflanzen über Tiere bis zu Gestein – eine konstitutive Praxis (vgl. Pratt 2008: 28). Auf ihren Forschungsreisen profitieren die Naturhistoriker*innen stark von der bereits etablierten kolonialen Infrastruktur und beeinflussen ihrerseits mit (teils populär-)wissenschaftlichen Publikationen den öffentlichen Diskurs in eine prokoloniale Richtung (s. Kap. 1.2). Pratt (ebd.: 31) beschreibt, wie biologische Klassifizierungssysteme,etwa die linnésche Nomenklatur für Tiere und Pflanzen, einen Moment der Besitzergreifung im europäischen Blick auf Raum verankern: The (lettered, male, European) eye that held the system could familiarize („naturalize“) new sites/sights immediately upon contact, by incorporating them into the language of the system. The differences of distance factored themselves out of the picture […].
Räumliche Distanz epistemisch zu überbrücken, stellt auch eine häufige Intention von kolonialem Place-Making dar. Um eine epistemische Nähe zur Metropole herzustellen, besteht für die Benennenden eine erhöhte Notwendigkeit der Familiarisierung von kolonialer Landschaft. Im Sinne Busses (2018: 8), für den Wissen grundsätzlich „schematisch und prototypisch“ organisiert ist, gehe ich davon aus, dass die Benennenden die besagte Familiarisierung am einfachsten
118 | Koloniale und metropolitane Klassifikatoren im Vergleich
über eine entsprechend schematische kategorielle Einordnung des kolonialen Raums erzeugen. Deshalb behandeln die folgenden Kapitel zunächst die lexikalische Heterogenität der KLASS in Kolonie und Metropole, um die Gültigkeit der eingangs formulierten HA2 zu überprüfen. Außerdem werden die über- und unterrepräsentierten KLASS für jeden Datensatz und jede Kolonie dargestellt, um kolonial (un-)typische KLASS aufzuzeigen. 5.2.3.1 Kolonie und Metropole Ein erster Ansatz, um die lexikalische Vielfalt des KLASS-Inventars in einem Datensatz zahlenmäßig auszudrücken, ist die Berechnung des Type-Token-Verhältnisses (Type-Token-Relation; TTR) für jeden KLASS. Je höher der TTR-Wert ausfällt, desto weniger Token kommen im Schnitt auf jeden KLASS-Type, desto heterogener also das KLASS-Inventar. Ein Beispiel gibt Richards (1987: 201–202): „if a speech sample contains 20 words and they are all different we obtain the ‚ideal‘ TTR: 20/20 = 1.00. On the other hand the sample in which the same word is repeated 20 times yields a figure of 1/20 = 0.05.“ Allerdings ist der Wert mit Vorsicht zu lesen. In seine Berechnung fließen auch singuläre KLASS ein – also solche, die im jeweiligen Datensatz lediglich einmal vorkommen. Dieser Umstand erhöht die Anzahl der KLASS-Types und verstärkt den Eindruck eines vielfältigen KLASS-Inventars. So gehen z. B. Blumentopf (H = 1) und Fluss (H = 62) zu gleichen Teilen in die KLASS-TTR von DT.KOLTOP ein. Da der Anteil von singulären KLASS wie Blumentopf in allen Datensätzen recht hoch ausfällt (s. Tab. 9), folgt auf die Bestimmung der TTR eine weitere Berechnung, die den verzerrenden Effekt der singulären KLASS ausblendet. Zunächst aber geben die TTR-Werte in Tab. 10 einen Eindruck von der lexikalischen Vielfalt der KLASS. Tatsächlich fallen die deutschen Kolonien mit einer signifikant niedrigen TTR auf70 – in der Metropole liegt der Wert etwa doppelt so hoch.71 Im Verhältnis zu den anderen Datensätzen greifen die Benennenden in den deutschen Kolonien also auf ein deutlich eingeschränktes und eher musterhaftes KLASS-Inventar zurück, während die Orte in der Metropole ein höheres Maß an Individualität bei der kategoriellen Zuordnung erfahren.
|| 70 TTRDT.KOLTOP = 10,34 %. 71 TTRDT.TOP = 20,93 %.
Der Vergleich | 119
Tab. 9: Anteil singulärer KLASS an den KLASS-Types je Datensatz und Kolonie.
Datensatz/Kolonie
H (singuläre KLASS)
hKLASS-Types (singuläre KLASS)
DT.KOLTOP
175
54,18 %
DT.TOP
320
60,38 %
SW.KOLTOP
66
73,33 %
SW.TOP
51
54,26 %
DNG
63
60,58 %
DOA
46
47,92 %
DSWA
83
58,45 %
Kamerun
22
44,00 %
Kiautschou
41
64,06 %
Togo
33
64,71 %
N YS
10
40,00 %
SB
58
85,29 %
Tab. 10: Anzahl der +KLASS und KLASS-Types sowie TTR-Wert je Datensatz.
Datensatz
+KLASS
KLASS-Types
TTR
DT.KOLTOP
3.123
323
10,34 %
DT.TOP
2.532
530
20,93 %
SW.KOLTOP
226
90
39,82 %
SW.TOP
209
94
44,98 %
Ähnlich wie die morphologische Diversität (s. Kap. 5.2.2.1), lässt sich auch die lexikalische Vielfalt der KLASS in Europa teilweise mit dem längeren Entstehungszeitraum des dortigen Namenbestands erklären. Sprachwandel und Migration prägen das Toponomastikon der Metropole und resultieren in einer Vielzahl von verschiedenen KLASS-Elementen. Die kolonialen Benennungen sind demgegenüber nicht nur jünger und entstammen einem wesentlich kleineren Kreis von benennenden Personen, sie sind auch in unmittelbare territoriale Machtkämpfe eingebettet und unterliegen insofern auch einem gewissen Zeitdruck. Die Ein-
120 | Koloniale und metropolitane Klassifikatoren im Vergleich
schreibung von kolonialen Urbanonymen72 wird von Schulz & Ebert (2017: 179) als „sprachliche Vergegenwärtigungen kolonialzeitlicher, asymmetrischer Machtprozesse“ bezeichnet, was m. E. für den gesamten kolonialen Ortsnamenbestand gilt. Nicht zuletzt, weil die Expansion in Übersee von Anfang an von Skandalen, Aufständen und finanziellen Verlusten gekennzeichnet ist (vgl. Speitkamp 2014: 138), müssen ihre vermeintlichen Erfolge immer wieder für die Metropole sichtbar gemacht und der koloniale Raum auf positive Weise im kolonialen Diskurs aufgegriffen werden. Die Benennung von Orten in deutscher Sprache und mit deutschen KLASS ist hierfür eine Grundvoraussetzung, die im Verhältnis zur deutschen Metropole schnell und durchaus schematisch realisiert wird. Im Vergleich zu den deutschen Datensätzen weisen die schwedischen Toponyme deutlich höhere TTR-Werte auf, was angesichts der geringeren Grundgesamtheit von SW.KOLTOP und SW.TOP kein unerwartetes Ergebnis darstellt – schließlich sind steigende TTR-Werte typisch für kleine Grundgesamtheiten. Dazu Engelberg (2015: 205): „Das Lexikon menschlicher Sprachen basiert auf quantitativen Verteilungen, die sich am Zipfschen Gesetz orientieren“. Streng genommen zeichnen sich zipfsche Verteilungen in einem Datensatz dadurch aus, dass sich die Frequenz eines Tokens relativ zu seiner Position in der Rangfolge der häufigsten Elemente verhält: Bei einer idealen Verteilung „ist das zweithäufigste Element halb so häufig wie das häufigste, das dritthäufigste ein Drittel so häufig wie das häufigste usw.“ (ebd.: 210). Bei den von mir analysierten KLASSElementen ist diese Korrelation zwar nicht erkennbar, dafür jedoch eine andere grundlegende Verteilungsregel. Den zipfschen Gesetzmäßigkeiten zufolge treten in einem Datensatz „einige wenige Einheiten sehr häufig [auf] und extrem viele Einheiten äußerst selten“ (Engelberg 2015: 210). Die Befunde in Tab. 9 haben dieses Phänomen bereits anhand der zahlreichen singulären KLASS nachvollziehbar gemacht. Das zipfsche Gesetz legt die Vermutung nahe, dass die hohen TTR-Werte in SW.KOLTOP und SW.TOP v. a. mit der niedrigen Grundgesamtheit der beiden Datensätze zusammenhängen. In einen größeren Datenbestand würden mehr singuläre KLASS eingehen, was eine Konvergenz von deutschen und schwedischen TTR-Werten zur Folge hätte. Aufgrund des verhältnismäßig kleinen Bestands von 239 Toponymen in SW.KOLTOP und SW.TOP sind die deutsch-schwedischen Unterschiede also nur bedingt aussagekräftig.
|| 72 Urbanonyme sind Eigennamen von topografischen Eindrücken in städtischen Ballungsräumen. Der Begriff umfasst Straßen, Brücken, Häuser sowie weitere Bauwerke und Orte (vgl. Schulz & Ebert 2016: 371).
Der Vergleich | 121
Ein ähnliches Bild für beide Sprachen zeichnet hingegen der Vergleich von Kolonie und Metropole – die kolonialen Datensätze weisen niedrigere TTR-Werte auf als ihre metropolitanen Pendants. Der Unterschied beträgt bei den deutschen Datensätzen 10,59 % und bei den schwedischen 5,16 %. Mit der signifikant niedrigen TTR in DT.KOLTOP muss die H02: TTRKLASS_DT.KOLTOP ≥ TTRKLASS_DT.TOP Das Type-Token-Verhältnis der KLASS ist in den Kolonien höher oder gleich dem in der Metropole.
als falsifiziert gelten. Stattdessen sprechen die Befunde für die Gültigkeit von HA2: TTRKLASS_DT.KOLTOP < TTRKLASS_DT.TOP Das Type-Token-Verhältnis der KLASS ist in den Kolonien niedriger als in der Metropole.
Die lexikalische Analyse der Datensätze weist auf einen auffälligen Schematismus und ein fokussiertes Set von ontologischen Annahmen hin, die die Kolonisierenden bei der Klassifizierung und Benennung von kolonialen Orten an den Tag legen. Allerdings ist bei der Berechnung der TTR der bereits erwähnte verzerrende Effekt der singulären KLASS bisher unberücksichtigt geblieben. Um ihn auszublenden und die Aussagekraft des TTR-Vergleichs zu überprüfen, bietet sich eine zweite Perspektive auf die Heterogenität von KLASS an. Diese nimmt anstelle aller KLASS lediglich diejenigen mit der höchsten Vorkommenshäufigkeit in den Blick, die gemeinsam die Hälfte aller Token in einem Datensatz ausmachen. Diese häufigsten 50 % klammern einmalig auftretende KLASS aus und bieten ein alternatives, bereinigtes Bild von der lexikalischen Diversität der KLASS. Tab. 11 zeigt die KLASS mit der höchsten Vorkommenshäufigkeit sowie ihren Anteil am KLASS-Bestand je Datensatz. Aus den angegebenen Werten geht z. B. hervor, dass in DT.KOLTOP lediglich 1,86 % der vorhandenen KLASS-Types für die Hälfte aller KLASS-Token stehen. Die Zusammenstellung der häufigsten KLASS-Types unterstreicht den vorherigen Eindruck der TTR als Heterogenitätsindex: In den deutschen Kolonien ist nicht nur die TTR am niedrigsten ausgeprägt,73 es wird auch mehr als die Hälfte aller +KLASS mit nur sechs KLASS-Types gebildet. Das entspricht 1,86 % aller in den deutschen Kolonien erhobenen KLASS. Mit steigender TTR diversifizieren sich auch die oberen 50 % der +KLASS: In der schwedischen Metropole, wo die TTR am höchsten ausfällt,74 sind mit 20,21 % deutlich mehr KLASS-Types an der Hälfte der
|| 73 TTRDT.KOLTOP = 10,34 %. 74 TTRSW.TOP = 44,98 %.
122 | Koloniale und metropolitane Klassifikatoren im Vergleich
+KLASS beteiligt. Dieser Wert liegt signifikant über dem Durchschnitt der Datensätze und kennzeichnet den Namenbestand der schwedischen Metropole als denjenigen mit der höchsten lexikalischen KLASS-Heterogenität. Da der alternative Heterogenitätsindex ähnliche Befunde liefert wie die TTR, ist die H02 auch angesichts des Einflusses singulärer KLASS weiterhin abzulehnen. Welche Kolonien im Einzelnen mit einem besonders musterhaften oder diversen KLASS-Bestand auffallen, untersucht das folgende Kapitel. Tab. 11: Häufigste KLASS, die gemeinsam über 50 % aller +KLASS je Datensatz bilden.
Datensatz
KLASS
H
h+KLASS
DT.KOLTOP 6 von 323 KLASS-Types (1,86 %)
Insel
482
15,43 %
Berg
395
12,65 %
Bucht
227
7,27 %
Straße
192
6,15 %
Kap
176
5,64 %
Spitze
146
4,67 %
1.618
51,81 %
Bach
215
8,49 %
Berg
151
5,96 %
Dorf
122
4,82 %
Graben
117
4,62 %
See
101
3,99 %
Au
80
3,16 %
Burg
79
3,12 %
Holz
63
2,49 %
Heim
51
2,01 %
Wald
43
1,70 %
Schloss
42
1,66 %
Kirche
37
1,46 %
∑ DT.TOP 18 von 530 KLASS-Types (3,40 %)
Der Vergleich | 123
Datensatz
H
h+KLASS
Weiher
33
1,30 %
-a
30
1,18 %
Forst
29
1,15 %
Teich
28
1,11 %
Kanal
27
1,07 %
Stadt
27
1,07 %
1.275
50,36 %
kil ‚Keil‘
50
22,12 %
gata ‚Straße‘
29
12,83 %
fort ‚Fort‘
10
4,42 %
udde ‚Landzunge‘
10
4,42 %
gränd ‚Gasse‘
7
3,10 %
batteri ‚Batterie‘
6
2,65 %
KLASS
∑ SW.KOLTOP 7 von 90 KLASS-Types (7,78 %)
borg ‚Burg‘
5
2,21 %
117
51,77 %
berg ‚Berg‘
10
4,78 %
myr ‚Moor‘
9
4,31 %
bäck ‚Bach‘
7
3,35 %
holme ‚kleine Insel‘
7
3,35 %
kärr ‚Sumpf‘
7
3,35 %
tjärn ‚Teich‘
7
3,35 %
torp ‚Häuschen‘
7
3,35 %
å ‚kleiner Fluss‘
6
2,87 %
backe ‚Hügel‘
5
2,39 %
gård ‚Hof‘
5
2,39 %
sjö ‚See‘
5
2,39 %
vik ‚Bucht‘
5
2,39 %
ås ‚Grat‘
5
2,39 %
dal ‚Tal‘
4
1,91 %
∑ SW.TOP 19 von 94 KLASS-Types (20,21 %)
124 | Koloniale und metropolitane Klassifikatoren im Vergleich
Datensatz
KLASS
H
h+KLASS
hage ‚Weide‘
4
1,91 %
källa ‚Quelle‘
3
1,44 %
stuga ‚Hütte‘
3
1,44 %
teg ‚(Feld-)Stück‘
3
1,44 %
vång ‚Wiese‘ ∑
3
1,44 %
105
50,24 %
5.2.3.2 Kolonien Tab. 12 führt die TTR-Werte für die einzelnen untersuchten Kolonien an, um regionale Besonderheiten bei der lexikalischen Diversität der KLASS zu dokumentieren. Bereits in Kap. 5.2.1.2 ist DNG mit seinem signifikant hohen Anteil an +KLASS aufgefallen.75 Hier sticht die Kolonie erneut hervor, indem sie von allen Kolonien die wenigsten KLASS-Types im Verhältnis zu ihrem enormen Anteil an +KLASS aufweist.76 In DNG gestaltet sich die KLASS-Lexik damit am wenigsten divers. Mühlhäusler (2001: 257) liefert eine valide Erklärung für diesen Schematismus mit Blick auf die verhältnismäßig wenigen Akteur*innen, die die toponymische Landschaft prägen. Stellenweise sind einzelne Benennende wie etwa Otto Finsch oder verschiedene Militärs für deutlich über 100 Ortsnamen verantwortlich. Finsch selbst legt etwa seine Taktik dar, „bemerkenswerte Punkte (Kaps, Flüsse usw.) vorläufig zu numerieren [sic!] und erst später die Nummern durch Namen zu ersetzen“ (zit. n. ebd.). Angesichts solcher durchstrukturierter Benennungspraktiken in DNG erscheinen die niedrigen TTR-Werte der Kolonie nachvollziehbar. Am anderen Ende des Spektrums steht das schwedische SB mit einem signifikant umfangreichen Inventar an KLASS-Types für verhältnismäßig wenige +KLASS.77 Allerdings wird die Vergleichbarkeit der Kolonie mit DNG dadurch erschwert, dass es sich bei Neuguinea um die Kolonie mit der größten Datengrundlage handelt,78 während die bedeutend kleinere Karibik-Insel SB in dieser Hinsicht den vorletzten Platz im Datenbestand einnimmt.79 Insofern verhält sich die KLASS-Lexik von SB anders, als es das zipfsche Gesetz nahelegt: In der kleinen || 75 HDNG (+KLASS) = 1.370, hTOP_DNG (+KLASS) = 98,07 %. 76 TTRDNG = 7,59 %. 77 TTRSB = 60,18 %. 78 HDNG (TOP) = 1.397. 79 HSB (TOP) = 121.
Der Vergleich | 125
Kolonie wäre ein eher homogenes KLASS-Inventar erwartbar, da die Anzahl singulärer KLASS mit der Größe eines Datensatzes i. d. R. überproportional zunimmt. Stattdessen verzeichnet SB von allen Kolonien und Datensätzen den größten Anteil singulärer KLASS,80 was seinen TTR-Wert beträchtlich anhebt. In keiner anderen Kolonie finden sich Ortsnamen mit so unterschiedlichen topografischen Kategorienbezeichnungen. Tab. 12: Anzahl der +KLASS und KLASS-Types sowie TTR-Wert je Kolonie.
Kolonie
+KLASS
KLASS-Types
TTR
DNG
1.370
104
7,59 %
DOA
737
96
13,03 %
DSWA
438
142
32,42 %
Kamerun
247
50
20,24 %
Kiautschou
173
64
36,99 %
Togo
158
51
32,28 %
N YS
113
25
22,12 %
SB
113
68
60,18 %
Wie schon Tab. 9 gezeigt hat, machen einmalig auftretende KLASS auch in den einzelnen Kolonien einen wesentlichen Teil der KLASS-Types aus. Auch hier weist der bereinigte Heterogenitätsindex nach, dass die TTR-Werte trotz der singulären KLASS einen realistischen Eindruck der lexikalischen Diversität wiedergeben: Tab. 13 gibt die häufigsten KLASS und ihren Anteil am KLASS-Inventar an, die gemeinsam über 50 % des KLASS-Bestands je Kolonie ausmachen. In DNG, wo schon die TTR signifikant unter dem kolonialen Durchschnitt liegt,81 sind nur 3,85 % aller KLASS-Types in mehr als der Hälfte der +KLASS vertreten. Der auffallend niedrige Wert unterstreicht die lexikalische Homogenität des KLASS-Inventars in der Kolonie – selbst ohne den Einfluss der singulären KLASS. Auch die Diversität der KLASS auf SB bestätigt sich: Hier sind mit 17,91 % deutlich mehr KLASS-Types unter den häufigsten 50 % vertreten als in den anderen Kolonien. Tatsächlich sind die KLASS von SB lexikalisch so divers aufgestellt, dass mit backe (‚Hügel‘), fall (‚(Wasser-)Fall‘) und fort (‚Fort‘) sogar drei singuläre KLASS zur Vervollständigung der oberen 50 % nötig waren. Da in der Kolonie insgesamt
|| 80 HSB (sing. KLASS) = 58, hKLASS-Types_SB (sing. KLASS) = 85,29 %. 81 TTRDNG = 7,59 %.
126 | Koloniale und metropolitane Klassifikatoren im Vergleich
58 singuläre KLASS vorkommen, habe ich die drei Lexeme nach alphabetischer Reihenfolge aufgenommen. Sie sind insofern austauschbar und gehören nicht zu den häufigsten KLASS im engeren Sinne. Noch ein signifikant niedriger Heterogenitätswert lässt sich für DOA beobachten: Die TTR fällt hier zwar statistisch nicht auf,82 allerdings belegt die Kolonie hier den zweitniedrigsten Wert im kolonialen Vergleich. Die zweite Berechnung liefert ein bereinigtes Bild von der Kolonie, ohne die singulären KLASS zu berücksichtigen: Sie zeigt, dass 51,29 % der +KLASS in DOA mit nur 4,17 % der dortigen KLASS-Types gebildet werden. Auch hier verzeichnet die Kolonie den zweitniedrigsten Wert, der dieses Mal allerdings auffallend unter dem kolonialen Durchschnitt liegt. Damit kann die ostafrikanische Landschaft als ein weiterer Raum mit einer besonders schematischen Kategorisierung durch die Kolonisierenden gelten. Tab. 13: Häufigste KLASS, die gemeinsam über 50 % aller +KLASS je Kolonie bilden.
Kolonie
KLASS
H
h+KLASS
DNG 4 von 104 KLASS-Types (3,85 %)
Insel
390
28,47 %
Kap
150
10,95 %
Spitze
114
8,32 %
Bucht
109
7,96 %
∑
763
55,69 %
Berg
180
24,42 %
Bucht
78
10,58 %
Straße
62
8,41 %
Insel
58
7,87 %
378
51,29 %
Berg
38
8,68 %
Pütz
28
6,39 %
Straße
20
4,57 %
DOA 4 von 96 KLASS-Types (4,17 %)
∑ DSWA 16 von 142 KLASS-Types (11,27 %)
|| 82 TTRDOA = 13,03 %.
Der Vergleich | 127
Kolonie
KLASS
H
h+KLASS
Bucht
17
3,88 %
Feld
16
3,65 %
Tal
13
2,97 %
Bank
12
2,74 %
Fels
11
2,51 %
Kranz
11
2,51 %
Hof
10
2,28 %
Vley
9
2,05 %
Stein
8
1,83 %
Wasser
8
1,83 %
Burg
7
1,60 %
Quelle
7
1,60 %
Fluss
6
1,37 %
221
50,46 %
Berg
45
18,22 %
Insel
30
12,15 %
Faktorei
14
5,67 %
Spitze
14
5,67 %
Bucht
13
5,26 %
Ruine
10
4,05 %
126
51,01 %
Straße
56
32,37 %
Bucht
10
5,78 %
Berg
9
5,20 %
Fluss
6
3,47 %
Riff
6
3,47 %
87
50,29 %
∑ Kamerun 6 von 50 KLASS-Types (12,00 %)
∑ Kiautschou 5 von 64 KLASS-Types (7,81 %)
∑
128 | Koloniale und metropolitane Klassifikatoren im Vergleich
Kolonie
KLASS
H
h+KLASS
Togo 4 von 51 KLASS-Types (7,84 %)
Berg
39
24,68 %
Straße
25
15,82 %
Dorf
8
5,06 %
Firma
7
4,43 %
∑
79
50,00 %
kil ‚Keil‘
50
44,25 %
udde ‚Landzunge‘
10
8,85 %
∑
60
53,10 %
gata ‚Straße‘
29
25,66 %
gränd ‚Gasse‘
7
6,19 %
batteri ‚Batterie‘
6
5,31 %
berg ‚Berg‘
2
1,77 %
fot ‚Fuß‘
2
1,77 %
gård ‚Hof‘
2
1,77 %
kvarter ‚Quartier‘
2
1,77 %
passage ‚Passage‘
2
1,77 %
torg ‚Platz‘
2
1,77 %
backe ‚Hügel‘
1
0,88 %
fall ‚(Wasser-)Fall‘
1
0,88 %
fort ‚Fort‘
1
0,88 %
57
50,44 %
N YS 2 von 25 KLASS-Types (8,00 %)
SB 12 von 67 KLASS-Types (17,91 %)
∑
Welche Erkenntnisse schließen sich an die lexikalische Analyse der Datensätze und Kolonien an? Die Ergebnisse belegen, dass die Benennenden beim kolonialen Place-Making auf ein kleineres KLASS-Inventar zurückgreifen als ihnen ausgehend vom Nameninventar der Metropole potenziell zur Verfügung steht. Die epistemische Spannweite der topografischen Eindrücke, die von den Benennenden klassifiziert und ontologisch eingeordnet werden, unterliegt hier deutlichen Einschränkungen, die sich im Vergleich mit der Metropole als Charakteristika einer
Der Vergleich | 129
kolonialen Raumwahrnehmung herausstellen: Die Kolonisierenden tragen ein enges Set von ontologischen Annahmen an den Raum heran, was sich in der homogenen Lexik der kolonialen KLASS niederschlägt. Die Übergeneralisierung und statistisch auffällige Verknappung der KLASS stellt eine Ausprägung von toponymischem Silencing dar, wie es Harley (1988: 66; Hervorh. i. O.) beschreibt: „the lack of qualitative differentiation in maps structured by the scientific episteme serves to dehumanise the landscape.“ Die Befunde verdeutlichen, dass es sich bei den KLASS um Manifestationen des fokussierten kolonialen Blicks auf Landschaft handelt, der sich auf relevante Orte im Sinne der Kolonisierenden beschränkt. Am deutlichsten zeigt sich diese verengte Raumwahrnehmung in DNG und DOA. Hier greifen die Benennenden auf eine besonders schematische Kategorisierung der Topografie mit nur wenigen KLASS-Elementen zurück. Ein gegensätzliches Bild zeichnet das schwedisch verwaltete SB, das im Hinblick auf die KLASSHeterogenität Höchstwerte verzeichnet. Hier ordnen die Benennenden die identifizierten Orte überdurchschnittlich vielen verschiedenen ontologischen Kategorien zu. Der folgende, letzte Analyseschritt wertet die KLASS unter semantischen Gesichtspunkten aus. Zu diesem Zweck werden die vorgefundenen KLASS in (naturnahe bzw. kulturferne) GEO-KLASS und in (kulturnahe bzw. naturferne) FUNK-KLASS eingeordnet. Für eine genauere semantische Differenzierung werden die KLASS außerdem auf acht Gruppen verteilt. Dabei geht es auch um die Prüfung der dritten Hypothese (HA3), die fragt, ob und in welchem Ausmaß sich die KLASS in den Kolonien und in der Metropole im Hinblick auf ihre implizite Zuordnung zum Natur- bzw. Kulturraum unterscheiden.
5.2.4
Natur- und kulturräumliche Implikationen
Ob Sprecher*innen eine topografische Kategorie epistemisch eher als Teil des Natur- oder des Kulturraums verorten, lässt sich kaum zweifelsfrei beurteilen. Im alltäglichen Sprachgebrauch spielt die Unterscheidung kaum eine Rolle und von einem frame-semantischen Standpunkt aus gesprochen, ist nicht immer klar, inwiefern der Slot NATUR-/KULTURRAUM zum standardmäßig evozierten Wissen gehört, wenn sich Sprecher*innen z. B. über Berge oder Schulen unterhalten. Mit anderen Worten: Es handelt sich um einen Bestandteil der Tiefensemantik von topografischen Kategorienbegriffen (s. Kap. 3.2.2). Solche tiefen Wissenselemente anhand von linguistischen Daten nachzuvollziehen, gestaltet sich als schwierig, da die mit einem Frame-Thema assoziierten Wissenselemente zu
130 | Koloniale und metropolitane Klassifikatoren im Vergleich
zahlreich und oft zu diffus sind, um sie z. B. lexikografisch vollständig zu erfassen und nachschlagbar zu machen. Ohne eine intensive qualitative Beforschung der einzelnen KLASS-Elemente geht das Maß an menschlicher Involviertheit häufig nur implizit aus einem Lemma hervor. Insofern bleibt die Bestimmung der epistemischen Natur- bzw. Kulturräumlichkeit ein subjektiver Analyseschritt, was bei der Interpretation der Analyse-Ergebnisse reflektiert werden muss. Um klassifizierende Namensbestandteile als naturräumliche GEO- oder kulturräumliche FUNK-KLASS zu analysieren (s. Kap. 3.2.2), überprüfe ich jedes der Elemente auf mögliche implizit oder explizit dokumentierte Wissenselemente in mehreren Wörterbüchern: im DWDS (a), im Portal Duden online (a), im DKL (b) und – im Fall von SW.TOP und SW.KOLTOP – im digitalen Lexikon Lexin, das vom schwedischen ISOF und der Königlich-Technischen Hochschule in Stockholm bereitgestellt wird. In Einzelfällen kommen ergänzende Recherchen via Google sowie die deutsche und schwedische Wikipedia hinzu. Diese waren vor allem notwendig, um hochspezifische KLASS zu analysieren, die im Rahmen verschiedener Fachsprachen durchaus als lexikalisiert gelten können – so z. B. in Natronsee (DOA) oder Trompeterlöscher (DSWA). Auch wenn die semantische Analyse der KLASS damit auf einem Fundament verschiedener Nachschlagewerke aufbaut, bleibt ihre Subjektivität ein unumgänglicher Fakt. Denn welcher topografische Eindruck sich als ein Vertreter einer Klasse qualifiziert und auf welchem Wissensstand diese Einordnungen beruhen, können auch semantische Wörterbücher nicht uneingeschränkt für alle Sprecher*innen abbilden. The speakers of the same language may and usually do differ in their classifications – even on the highest classificatory levels. Thus a dictionary of the English language, even though it may acknowledge in principle the distinction between particulars and attributes, is not a reliable guide to the actual distinctions made by all speakers of English. (Körner 1970: 11)
Unabhängig von der Anzahl der befragten Lexika sollen die folgenden statistisch aufbereiteten Analyseergebnisse nicht über die Problematik von wörterbuchgestützten semantischen Analysen hinwegtäuschen: Zu Recht weisen Busse & Teubert (1994: 16) darauf hin, dass die Lexikographie […] die Konstitution des Gegenstandes „lexikalische Bedeutung“ aus einem praktischen oder wissenschaftlichen Interesse heraus [erfordert]; auch dort ist der konkrete Gegenstand (die einzelne Wortbedeutung) deutungsabhängig und letztlich Ergebnis wissenschaftlicher (wenn auch häufig am Alltagsbewußtsein orientierter) Konstitutionsakte.
Der Vergleich | 131
Dementsprechend ist auch die Einordnung von KLASS in semantische Gruppen deutungsabhängig. Besonders deutlich wird dies im Fall von metaphorisch verwendeten KLASS, wie etwa in Buntfeldschuh (DSWA) oder Eselsohren (DNG), die sich durchaus z. B. auf ein entsprechend geformtes Gebirge oder einen Flusslauf beziehen können. Diese übertragene Bedeutung nachzuvollziehen, würde allerdings einen Abgleich von KLASS-Semantik und zugehörigem topografischen Eindruck für jedes +KLASS erfordern, den Forschende kaum zu leisten imstande sind. Hinzu kommt, dass dieser Abgleich insbesondere für die Toponyme in DT.KOLTOP und SW.KOLTOP kaum möglich ist, da viele der historischen Kartenquellen einen hohen Generalisierungsgrad in ihrer Darstellung aufweisen. Verschiedene topografische Eindrücke sind hier mit einem Kreis- oder Punktsymbol markiert, sodass etwa Siedlungen, kleine Gewässer oder Gebäude nicht auseinanderzuhalten sind (s. Kap. 5.1.5). Mit der lexikografischen Recherche als Grundlage werden die klassifizierenden Toponymkonstituenten in einem ersten Analyseschritt als GEO-KLASS, FUNKKLASS oder als unklar eingeordnet. Bei der Unterscheidung dieser drei KLASS-Typen gehe ich von einem Slot NATUR-/KULTURRAUM in der Frame-Struktur jedes KLASS aus. Wenn die lexikografisch gestützte Analyse einen Filler (primär) naturräumlich für den Slot nahelegt, zählt das entsprechende Element als GEO-KLASS. Ist der Slot mit dem Filler (primär) kulturräumlich besetzt, handelt es sich um einen FUNK-KLASS. Als unklar gelten wiederum diejenigen Elemente, die sich nicht zweifelsfrei einer der beiden Hauptgruppen zuordnen lassen – etwa weil die lexikografische Recherche ambivalente Ergebnisse liefert oder es sich beim KLASS um ein Polysem handelt. So etwa im Fall von Kapf, was sowohl auf eine „runde Bergkuppe“ (Lexer 1872: o. S.; naturräumlich) als auch auf eine Siedlung darauf (vgl. Wikipedia o. J. b; kulturräumlich) verweisen kann. Auch hier erlaubt es die generalisierende Darstellung der Kartenquellen nicht, den topografischen Eindruck genauer als Siedlung oder Anhöhe zu identifizieren. Ähnlich uneindeutig ist die Zuordnung von Graben, für den der Duden online (b; eckige Klammern i. O.) folgende Bedeutungen anführt: 1. 2. 3. 4.
[für einen bestimmten Zweck ausgehobene] längere, schmale Vertiefung im Erdreich a) Schützengraben b) Festungsgraben eingesunkenes, lang gestrecktes Stück der Erdkruste Orchestergraben
Mit Ausnahme der dritten und in Teilen auch der ersten Bedeutung wird Graben hier als anthropogen charakterisiert. Da auch andere lexikografische Quellen
132 | Koloniale und metropolitane Klassifikatoren im Vergleich
diesem Eindruck nicht widersprechen,83 gehe ich hier von einem Default-Filler kulturräumlich als Element eines Graben-Frames aus, was Graben in meiner Analyse zu einem FUNK-KLASS macht. Mit dem lexikografisch gestützten Vorgehen soll der vermutete Frame-Slot NATURRAUM/KULTURRAUM so weit wie möglich operationalisiert und intersubjektiv nachvollziehbar gemacht werden. In einem zweiten Analyseschritt werden die KLASS zudem acht semantischen Gruppen zugeordnet, um die Raum-Klassifizierung in Kolonie und Metropole sowie in den einzelnen Kolonien differenzierter darzustellen. Die besagten Gruppen übernehme ich mit leichten Anpassungen von Warnke, Stolz, de Bloom & Levkovych (2020: 100–102). Im Folgenden gebe ich die (ursprünglich neun) semantischen Gruppen mit jeweils drei beispielhaften Toponymen wieder. Die von den Forschenden definierte Gruppe watering place übernehme ich für die anstehende Analyse nicht, da sie sich für den kolonial-metropolitanen Vergleich weniger eignet: Dass Wasserstellen auf kolonialen Landkarten prominent vertreten sind, ist vor dem Hintergrund der kolonialen Erschließungsgeschichte erwartbar, da sie für Expeditionen und Forschungsreisen überlebenswichtig sind. Die bei Warnke, Stolz, de Bloom & Levkovych (ebd.: 102) als Wasserstellen eingeordneten KLASS und ähnliche Vertreter teilen sich bei mir auf die Gruppen Gewässer oder bewohnter Ort auf. BEWOHNTER ORT KLASS, die auf Gebäude und Bauwerke ohne (primär) ökonomische oder infrastrukturelle Funktion verweisen: Nachtigal-Denkmal (Kamerun), Maulburg (Baden-Württemberg), Thenasheri-Moschee (DOA). GEWÄSSER die auf stehende oder fließende Gewässer verweisen: Limbe-Fluss (Kamerun), Kräppelweiher (Rheinland-Pfalz), Trompeterlöscher (Löschwassersee, DSWA).
KLASS,
|| 83 Das DWDS (c) bietet mit „längs verlaufende, größere Vertiefung im Erdreich, breite und tiefe Rinne“ und „ausgehobene Befestigungsanlage an der vordersten Front, die zur Deckung und zum Schutz des Verteidigers dient und zugleich ein wichtiges Hindernis für den Angreifer bildet, Schützengraben“ eine neutrale und eine kulturräumlich verortbare Bedeutung an. Auf der entsprechenden Begriffserklärungsseite von Wikipedia (o. J. a) stehen acht anthropogene GrabenTypen (kulturräumlich) zwei geologischen (naturräumlich) gegenüber.
Der Vergleich | 133
LANDSCHAFT [+WASSER] KLASS, die auf eine nur über angrenzendes Wasser definierbare Landschaft verweisen: Meschtschersski-Bank (Sandbank, DNG), Bodenwerder (Niedersachsen), Wilhelms Ufer (DOA). LANDSCHAFT [-WASSER] KLASS, die auf eine Landschaft ohne angrenzendes Wasser verweisen: Gouvernementspark (DOA), Minfeld (Rheinland-Pfalz), Tsingtauer Forst (Kiautschou). RELIEF KLASS, die primär auf topografische Höhenunterschiede verweisen: Lobe-Spitze (Kamerun), Hohenfels (Baden-Württemberg), Ukangu-Berg (DOA). VERKEHR die auf (anthropogene und nichtanthropogene) topografische Eindrücke mit primärem Fokus auf den Personen- oder Gütertransport verweisen: Kohlenlandungsbrücke (DNG), Maschen Rangierbahnhof (Niedersachsen), West-Fahrwasser (DOA). KLASS,
WIRTSCHAFT/ARBEIT KLASS, die auf topografische Eindrücke mit primär wirtschaftlicher Funktion verweisen: Marktplatz (Togo), Gläserne Manufaktur (Sachsen), Handelsstation (DNG). ANDERE die nicht zu den übrigen semantischen Gruppen passen und aufgrund ihrer niedrigen Frequenz keine eigene Klasse rechtfertigen: Ost-Basispfeiler (DNG), Grüneiche (Brandenburg), Die Morton-Ecke (Kamerun). KLASS,
Die Verteilung dieser acht semantischen KLASS-Gruppen sowie der drei KLASS-Typen (GEO-, FUNK- und unklare KLASS) ist Gegenstand der folgenden Kapitel. Dabei gehe ich erneut zuerst auf die Situation in den vier Hauptdatensätzen ein, bevor die Kolonien im Einzelnen behandelt werden. Die ermittelten Signifikanzen werden mit Fokus auf die Natur/Kultur-Dichotomie interpretiert. 5.2.4.1 Funktions- und Geo-Klassifikatoren in Kolonie und Metropole Abb. 11 stellt den Anteil der FUNK-, GEO- und der semantisch unklaren KLASS in den untersuchten Datensätzen dar. Die zugrundeliegenden Werte sowie signifikante
134 | Koloniale und metropolitane Klassifikatoren im Vergleich
Merkmalsausprägungen führt Tab. 14 auf. Bei den deutschen +KLASS zeichnet sich ein deutliches Muster ab: Die kolonialen KLASS sind signifikant häufig mit naturräumlichen GEO-KLASS besetzt84 – dementsprechend sind die kulturräumlichen FUNK-KLASS in den Kolonien unterrepräsentiert.85 Die Metropole steht dazu in deutlichem Kontrast, indem sie FUNK-KLASS mit einem auffallend hohen Anteil bevorzugt.86 Die statistisch signifikanten Unterschiede bei der Verteilung von FUNK- und GEO-KLASS in Kolonie und Metropole zeigen, dass sich H03: hKLASS_DT.KOLTOP (FUNK-KLASS) = hKLASS_DT.TOP (FUNK-KLASS) Die relative Häufigkeit der FUNK-KLASS in den Kolonien ist gleich der in der Metropole.
für die untersuchten deutschen Ortsnamen nicht aufrechterhalten lässt. Stattdessen muss die Gültigkeit von HA3: hKLASS_DT.KOLTOP (FUNK-KLASS) ≠ hKLASS_DT.TOP (FUNK-KLASS) Die relative Häufigkeit der FUNK-KLASS in den Kolonien ist ungleich der in der Metropole
angenommen werden. Zudem stützt der auffallend hohe Anteil an GEO-KLASS in den Kolonien die Vermutung, dass im kolonialen Raum andere topografische Eindrücke als Orte wahrgenommen und mit einem entsprechend anderen Set an topografischen Kategorien benannt werden. Der koloniale Blick beeinflusst das koloniale Place-Making, indem er naturräumlich konzipierte Orte für die Benennung präferiert. Dabei entspricht der starke Kontrast zur Metropole dem kolonialen Topos einer unberührten und von der indigenen Bevölkerung ungenutzten Topografie, die mithilfe von europäischer Technologie und Wirtschaftsweise denselben kulturräumlichen Status wie die Metropole erlangen könne (s. Kap. 1.2). Insofern lässt sich anhand von KLASS auch die These von Warnke, Stolz, de Bloom & Levkovych (2020: 103) nachvollziehen, der zufolge der Blick auf das Fremde einen „natural space“ wahrnimmt, der Blick auf das Eigene hingegen die „functions of spatial orders“ fokussiert. Gegen ein zufälliges Verteilungsmuster in den Datensätzen und für einen spezifischen epistemischen Hintergrund kolonialer Benennungen spricht außerdem, dass die Ungleichverteilung von FUNK- und GEO-KLASS derartig stark ausgeprägt ist: In den Kolonien liegt die Differenz der beiden Typen um 35,98 % über der der Metropole. Zur Vielfalt der präsupponierten Klassen, mit denen der koloniale Diskurs seine Gewissheiten transportiert (vgl. Schmidt-Brücken 2018: 550),
|| 84 HDT.KOLTOP (GEO-KLASS) = 2.206, hKLASS_DT.KOLTOP (GEO-KLASS) = 70,64 %. 85 HDT.KOLTOP (FUNK-KLASS) = 826, hKLASS_DT.KOLTOP (FUNK-KLASS) = 26,45 %. 86 HDT.TOP (FUNK-KLASS) = 1.323, hKLASS_DT.TOP (FUNK-KLASS) = 52,25 %.
Der Vergleich | 135
gehören also auch Kategorien des Raums, wie sie sich bspw. in +KLASS manifestieren. Die KLASS sind wesentliche Träger dieses räumlichen Wissens und für dessen Kommunikation besonders relevant.
Abb. 11: Anteil semantischer KLASS-Typen je Datensatz.
Tab. 14: Anteil semantischer KLASS-Typen je Datensatz.
FUNK-KLASS
Datensatz DT.KOLTOP DT.TOP SW.KOLTOP SW.TOP
GEO-KLASS
unklar
H
hKLASS
H
hKLASS
H
hKLASS
826
26,45 %
2.206
1.323
52,25 %
1.115
70,64 %
91
2,91 %
44,04 %
94
3,71 %
102
45,13 %
107
47,35 %
17
7,52 %
72
34,45 %
123
58,85 %
14
6,70 %
Ob sich die Benennenden der Diskurswirksamkeit der KLASS bewusst sind und diese gezielt im Zuge des Place-Makings nutzen, lässt sich nicht ohne Zweifel feststellen. Schließlich sind die Benennenden selbst in zeitgenössische Diskurse eingebunden und teilen ein grundlegendes (wenn auch niemals vollständig identisches) Set an Gewissheiten mit der übrigen Diskursgemeinschaft. Generell lautet eine Annahme der Diskurslinguistik, „dass die Konstituierung von Wissen durch
136 | Koloniale und metropolitane Klassifikatoren im Vergleich
Sprache nicht zwingend beabsichtigt erfolgen muss […], sondern eine unbeabsichtigte Folge des Handelns darstellen kann“ (Spitzmüller & Warnke 2011: 50). Das gilt auch für die KLASS, die entweder mit oder ohne die Intention einer Wissenskommunikation in einem Toponym Verwendung finden. Unabhängig von der möglichen Intention der Benennenden zeigt die Gegenüberstellung von DT.KOLTOP und DT.TOP, dass eine kolonialspezifische Verteilung von FUNK- und GEO-KLASS im Deutschen existiert. Für die schwedischen Daten lässt sich hingegen keine vergleichbare Tendenz feststellen: In den schwedischen Kolonien greifen die Benennenden zu nahezu gleichen Teilen auf natur- und kulturräumliche KLASS zurück.87 Ganz im Gegensatz zu den deutschen Befunden überwiegen in der schwedischen Metropole sogar die GEO-KLASS, wenn auch in einem statistisch unauffälligen Rahmen gegenüber den Kolonien.88 Insofern beschränkt sich der Eindruck der naturräumlichen Kolonien gegenüber der kulturräumlichen Metropole zunächst auf den deutschen Kolonialismus. Auf ein größeres europäisches Muster lässt sich – von den hier untersuchten Namen ausgehend – nicht schließen. Ein besonders aufschlussreicher Einblick in die Landschaftswahrnehmung der Kolonisierenden ergibt sich außerdem, wenn man diejenigen KLASS-Elemente in einem Datensatz betrachtet, die im Verhältnis zu den anderen Datensätzen signifikant hervorstechen. Die jeweils überrepräsentierten KLASS-Elemente veranschaulichen, welche topografischen Eindrücke die Kolonisierenden für besonders benennenswert erachten und welche ihnen insofern als charakteristische Landschaftsmerkmale auffallen. Unterdessen verweisen die unterrepräsentierten Konstituenten auf solche Eindrücke, die wenig Beachtung finden und den Benennenden insofern als weniger bedeutende Teile der Landschaft erscheinen. Die häufigsten KLASS je Datensatz und Kolonien wurden bereits in Tab. 11 und Tab. 13 aufgeführt und als Indikatoren für die lexikalische Heterogenität der KLASS interpretiert. Allerdings lassen sich KLASS anhand ihrer bloßen Frequenz noch nicht als signifikant für einen Datensatz oder eine Kolonie bestimmen: Bspw. stellt Berg sowohl in den deutschen Kolonien89 als auch in der Metropole90 den zweithäufigsten KLASS dar. Als statistisch signifikant fällt Berg allerdings nur in den Kolonien auf, da es eine Reihe anderer KLASS gibt, mit denen sich die Metropole wesentlich stärker von den Kolonien abhebt.
|| 87 HSW.KOLTOP (GEO-KLASS) = 107, hKLASS_SW.KOLTOP (GEO-KLASS) = 47,35 %. HSW.KOLTOP (FUNK-KLASS) = 102, hKLASS_SW.KOLTOP (FUNK-KLASS) = 45,13 %. 88 HSW.TOP (GEO-KLASS) = 123, hKLASS_SW.TOP (GEO-KLASS) = 58,85 %. 89 HDT.KOLTOP (Berg) = 395, hKLASS_DT.KOLTOP (Berg) = 12,65 %. 90 HDT.TOP (Berg) = 151, hKLASS_DT.TOP (Berg) = 5,96 %.
Der Vergleich | 137
Um die signifikant über- und unterrepräsentierten KLASS je Datensatz und Kolonie zu identifizieren, muss der bisher verwendete Signifikanz-Begriff geringfügig modifiziert werden. Denn im Gegensatz zur morphologischen Komplexität (s. Kap. 5.2.2) und zur lexikalischen Heterogenität (s. Kap. 5.2.3) ist das Vorkommen eines konkreten KLASS-Elements selbstverständlich auf eine der beiden Vergleichssprachen beschränkt. Für den kolonial-metropolitanen Vergleich bedeutet das, dass nur noch jeweils zwei Datensätze miteinander verglichen werden können, und zwar DT.KOLTOP mit DT.TOP und SW.KOLTOP mit SW.TOP. Ohne eine Anpassung der bisherigen Signifikanz-Definition (s. Kap. 5.2) lassen sich hier keine signifikanten Werte mehr bestimmen. Wenn nämlich nur zwei Merkmalsausprägungen x1 und x2 miteinander verglichen werden, z. B. die relative Häufigkeit eines KLASS in DT.KOLTOP und DT.TOP, dann gilt:
Es kann also keine der Merkmalsausprägungen ober- oder unterhalb der definierten Signifikanz-Schwelle x̅ ± σ liegen. Ein Beispiel: Der KLASS Insel ist in den deutschen Kolonien an 15,43 % aller +KLASS beteiligt, in der Metropole hingegen nur an 0,08 %. In keinem KLASS-Element unterscheiden sich die deutschen Datensätze stärker voneinander. Trotzdem müsste Insel mehr als 18,61 % aller +KLASS in einem Datensatz ausmachen, um als signifikant zu gelten, sofern man die Werte von x̅ ± σ für einen einzelnen KLASS-Type als Schwelle für die Signifikanz zugrunde legt. Der bisher verwendete Signifikanzbegriff erfordert also mindestens drei Merkmalsträger (Datensätze bzw. Kolonien), damit Signifikanzen überhaupt nachweisbar werden. Hinzu kommen KLASS-Elemente wie Pütz, die nur in einem von zwei Datensätzen vorkommen.91 Eine Signifikanz gegenüber null lässt sich nicht begründen. Um Unterschiede zwischen zwei Datensätzen trotzdem quantifizieren zu können, berechne ich nicht mehr eine individuelle Signifikanzschwelle x̅ ± σ für jeden KLASS, wofür problematischerweise nur zwei Datensätze infrage kämen. Stattdessen lege ich eine einheitliche Schwelle für alle KLASS fest, die sich aus der durchschnittlichen Häufigkeits-Abweichung aller KLASS-Elemente in den beiden betroffenen Datensätzen ergibt. Ausgangspunkt dafür ist die Differenz der relativen Häufigkeiten eines KLASS in beiden Datensätzen, wie hier am Beispiel von Berg gezeigt:
|| 91 HDT.KOLTOP (Pütz) = 28, hKLASS_DT.KOLTOP (Pütz) = 0,90 %. HDT.TOP (Pütz) = 0, hKLASS_DT.TOP (Pütz) = 0,00 %.
138 | Koloniale und metropolitane Klassifikatoren im Vergleich
_
.
_
.
Die Berechnung wird für alle KLASS wiederholt. Es ergeben sich 761 Abweichungsbeträge, die ich als Ausgangspunkt für zwei neue Signifikanzschwellen nehme. Für die Abweichungsbeträge gilt: x̅ = 0,21 % und σ = 0,87 %. Mit x̅ ± σ als Signifikanzschwellen bezeichne ich also alle KLASS in DT.KOLTOP und DT.TOP als überrepräsentiert, deren relative Häufigkeiten um mehr als 1,08 % voneinander abweichen. Im jeweils anderen Datensatz kann derselbe KLASS entsprechend als unterrepräsentiert gelten. Tab. 15: Überrepräsentierte KLASS in den deutschen Datensätzen.
Datensatz
KLASS
KLASS-Typ
H
h+KLASS
DT.KOLTOP
Insel
GEO-KLASS
482
15,43 %
Berg
GEO-KLASS
395
12,65 %
Bucht
GEO-KLASS
227
7,27 %
Straße
FUNK-KLASS
192
6,15 %
Kap
GEO-KLASS
176
5,64 %
Spitze
GEO-KLASS
146
4,67 %
Hafen
FUNK-KLASS
108
3,46 %
Riff
GEO-KLASS
69
2,21 %
Fluss
GEO-KLASS
62
1,99 %
Gebirge
GEO-KLASS
43
1,38 %
Huk
GEO-KLASS
43
1,38 %
Durchfahrt
FUNK-KLASS
38
1,22 %
Der Vergleich | 139
Datensatz
KLASS
KLASS-Typ
H
h+KLASS
DT.TOP
Bach
GEO-KLASS
215
8,49 %
Dorf
FUNK-KLASS
122
4,82 %
Graben
FUNK-KLASS
117
4,62 %
See
GEO-KLASS
101
3,99 %
Au
GEO-KLASS
80
3,16 %
Burg
FUNK-KLASS
79
3,12 %
Holz
GEO-KLASS
63
2,49 %
Heim
FUNK-KLASS
51
2,01 %
Wald
GEO-KLASS
43
1,70 %
Schloss
FUNK-KLASS
42
1,66 %
Kirche
FUNK-KLASS
37
1,46 %
Weiher
GEO-KLASS
30
1,30 %
-a
GEO-KLASS
30
1,18 %
Forst
FUNK-KLASS
29
1,15 %
Auch diese modifizierte Definition von Signifikanz ist nicht unproblematisch: KLASS, die in einem Datensatz nullmal vorkommen, gelten im anderen Datensatz als signifikant, sobald ihr dortiger Anteil mindestens 1,08 % beträgt. Im Einzelfall wirkt es arbiträr, dass z. B. ein KLASS mit einem Anteil von 1,07 % bereits nicht mehr als signifikant gegenüber null eingestuft wird. Ich habe mich trotzdem für die KLASS-übergreifende Signifikanzschwelle entschieden, da sie sich nach wie vor von den untersuchten Daten ableitet und dieselben Anforderungen an alle vorgefundenen KLASS-Elemente stellt. Tab. 15 führt die jeweils überrepräsentierten KLASS-Elemente in den deutschen Kolonien und in der Metropole. Dabei entsprechen die überrepräsentierten KLASS in einem Datensatz den unterrepräsentierten im anderen. Die Signifikanzschwelle liegt bei 1,08 %. Die aufgeführten KLASS geben Aufschluss über die Art der topografischen Eindrücke, die die Kolonisierenden im Zuge der Place-Identification auffallend oft als benennenswerte Orte wahrnehmen. Gemeinsam bilden sie ein Set von kolonialen (Raum-)Gewissheiten, an denen sich die prototypische, imaginierte Landschaft in den Kolonien abzeichnet. Im Umkehrschluss zeigen die charakteris-
140 | Koloniale und metropolitane Klassifikatoren im Vergleich
tischen KLASS in der Metropole, welche Raumkategorien nur lose oder überhaupt nicht zum toponymisch kommunizierten Wissen über die Kolonien gehören und stattdessen fest mit der europäischen Topografie in Verbindung gebracht werden. Die deutlichsten topografischen Merkmale der Kolonien sind ihre zahlreichen Inseln, Berge und Buchten – allesamt naturräumlich assoziierte GEO-KLASS. Ein auffälliger Mangel besteht hingegen an Bächen, Dörfern und Gräben. Da DT.KOLTOP als der Datensatz mit dem höchsten GEO-KLASS-Anteil auftritt,92 überrascht es kaum, dass auch die Mehrheit der kolonialtypischen KLASS diesem semantischen Typ angehört: Das Bild der naturräumlichen Kolonien setzt sich fort. Interessanter sind in diesem Zusammenhang die wenigen FUNK-KLASS, denn typisch für den kolonialen Raum sind auch Straßen, Häfen und Durchfahrten, drei KLASS-Lexeme aus der semantischen Gruppe VERKEHR. Dass gerade topografische Eindrücke in dieser Domäne besonders häufig von den Kolonisierenden als relevante Orte identifiziert und benannt werden, spiegelt das wirtschaftliche Interesse der Kolonisierenden und die Relevanz von überseeischen Transportwegen wider. In der Metropole zeichnen die charakteristischen KLASS-Elemente das eher ausgeglichene Verhältnis von GEO-93 und FUNK-KLASS94 nach. Die zahlreichen kolonialtypischen GEO-KLASS sind in der Metropole entsprechend unterrepräsentiert, was zu dem signifikanten Höchstwert an FUNK-KLASS in DT.TOP passt. Ob die deutschen Befunde für ein spezifisch deutsches Place-Making in den Kolonien sprechen oder sich eine ähnliche Klassifizierungspraxis auch für andere kolonisierende Nationen feststellen lässt, prüfe ich anhand der schwedischen Datensätze. Hier gestaltet sich schon das Verhältnis von natur- und kulturräumlich assoziierten KLASS anders: Der Anteil von GEO-KLASS in den schwedischen Kolonien95 liegt unter dem der Metropole96, allerdings ist keiner der Werte statistisch signifikant ausgeprägt. Tab. 16 führt die KLASS-Elemente an, die in den schwedischen Kolonien und in der Metropole über- bzw. im jeweils anderen Datensatz unterrepräsentiert sind. Auch hier haben wir es mit lediglich zwei Vergleichsgrößen zu tun, weshalb ich für die Bestimmung signifikanter KLASS erneut eine gemeinsame Signifikanzschwelle berechne. Als signifikant gelten in diesem Fall alle KLASS, deren relative Häufigkeit sich in SW.KOLTOP und SW.TOP um mehr als 3,08 % unterscheidet.
|| 92 HDT.KOLTOP (GEO-KLASS) = 2.206, hKLASS_DT.KOLTOP (GEO-KLASS) = 70,64 %. 93 HDT.TOP (GEO-KLASS) = 1.115, hKLASS_DT.TOP (GEO-KLASS) = 44,04 %. 94 HDT.TOP (FUNK-KLASS) = 1.323, hKLASS_DT.TOP (FUNK-KLASS) = 52,25 %. 95 HSW.KOLTOP (GEO-KLASS) = 107, hKLASS_SW.KOLTOP (GEO-KLASS) = 47,35 %. 96 HSW.TOP (GEO-KLASS) = 123, hKLASS_SW.TOP (GEO-KLASS) = 58,85 %.
Der Vergleich | 141
Tab. 16: Überrepräsentierte KLASS in den schwedischen Datensätzen.
SW.KOLTOP
SW.TOP
KLASS
KLASS-Typ
H
h+KLASS
kil ‚Keil‘
GEO-KLASS
50
22,12 %
gata ‚Straße‘
FUNK-KLASS
29
12,83 %
fort ‚Fort‘
FUNK-KLASS
10
4,42 %
udde ‚Landzunge‘
GEO-KLASS
10
4,42 %
gränd ‚Gasse‘
FUNK-KLASS
7
3,10 %
berg ‚Berg‘
GEO-KLASS
10
4,78 %
myr ‚Moor‘
GEO-KLASS
9
4,31 %
bäck ‚Bach‘
GEO-KLASS
7
3,35 %
kärr ‚Sumpf‘
GEO-KLASS
7
3,35 %
tjärn ‚Teich‘
GEO-KLASS
7
3,35 %
Die mit Abstand häufigste, überrepräsentierte Raumkategorie in den schwedischen Kolonien ist kil (‚Keil‘). Der KLASS tritt ausschließlich als Konstituente von Gewässernamen (Hydronymen) in NYS auf. Er kommt standardmäßig bei der Benennung der zahlreichen kurzen und schmalen Seitenarme des Delaware-Flusses zum Einsatz, z. B. in Kancoques Kil, Rankoqves-Kil oder Warentapecka-Kil. Insgesamt sind unter den kolonialtypischen KLASS-Elementen sowohl natur- als auch kulturräumlich verortete KLASS vertreten, was zu dem ausgeglichenen Verhältnis von FUNK- und GEO-KLASS in SW.KOLTOP passt.97 Die auffallend nicht-kolonialen KLASS, die stattdessen als charakteristisch für die Metropole gelten dürfen, setzen sich hingegen ausschließlich aus naturnahen GEO-KLASS zusammen. Das ist insofern überraschend, als dass SW.TOP insgesamt keinen signifikant hohen GEO-KLASS-Anteil verzeichnet.98 Zudem unterscheidet sich die schwedische Metropole in diesem Punkt stark von der deutschen, wo sich unter den signifikant häufig auftretenden KLASS gleichermaßen natur- und kulturräumliche Elemente finden.
|| 97 HSW.KOLTOP (GEO-KLASS) = 107, hKLASS_SW.KOLTOP (GEO-KLASS) = 47,35 %. HSW.KOLTOP (FUNK-KLASS) = 102, hKLASS_SW.KOLTOP (FUNK-KLASS) = 45,13 %. 98 HSW.TOP (GEO-KLASS) = 123, hKLASS_SW.TOP (GEO-KLASS) = 58,85 %.
142 | Koloniale und metropolitane Klassifikatoren im Vergleich
Im folgenden Kapitel ordne ich den KLASS-Bestand der vier Hauptdatensätze in die acht bereits definierten semantischen Gruppen ein (s. Kap. 5.2.4). Die granulare Unterscheidung gibt einen differenzierteren Eindruck davon, welche topografischen Eindrücke in Kolonie und Metropole in welchem Umfang identifiziert und bei der Benennung explizit kategoriell eingeordnet werden. 5.2.4.2 Semantische Gruppen in Kolonie und Metropole
Abb. 12: Anteil semantischer KLASS-Gruppen je Datensatz.
Abb. 12 stellt das quantitative Verhältnis der acht semantischen KLASS-Gruppen in den untersuchten Datensätzen dar. Die zugrunde liegenden Werte sind in Tab. 17 aufgeschlüsselt. Die Ergebnisse der Analyse unterstreichen die semantische Verschiedenheit von kolonialen und metropolitanen KLASS, die sich bereits bei der gröberen Auswertung von FUNK- und GEO-KLASS abgezeichnet hat. So hebt sich das deutsche Kolonialtoponomastikon mit zwei signifikant ausgeprägten Werten deutlich vom Ortsnamenbestand in der Metropole ab: Einerseits findet in den Kolonien kaum eine Klassifizierung von BEWOHNTEN ORTEN statt.99 Überrepräsentiert sind andererseits KLASS, die auf das überwiegend
|| 99 HDT.KOLTOP (BEWOHNTER ORT) = 175, hKLASS_DT.KOLTOP (BEWOHNTER ORT) = 5,60 %.
Der Vergleich | 143
naturräumlich konzipierte RELIEF verweisen.100 Die Metropole, für die bereits ein überdurchschnittlich großer Bestand an kulturnahen FUNK-KLASS festgestellt wurde, verhält sich vollkommen anders: Die BEWOHNTEN ORTE sind hier stark überrepräsentiert101 – sie machen den größten Anteil am KLASS-Inventar der Metropole aus, wo sie zudem weitaus häufiger vorkommen als in allen anderen Datensätzen. Es ist v. a. die Ungleichverteilung dieser semantischen Gruppe, mit der die KLASS die epistemische Leere des kolonialen Raums (vgl. Stolz & Warnke 2019: 38) – seine Naturräumlichkeit – ausdrücken. Dem gegenüber steht (zumindest im deutschen Fall) die Metropole als ein Raum mit wesentlich höherer Bevölkerungsdichte (mit Ausnahme Kiautschous) und infolgedessen auch mehr Siedlungsnamen. Im Fall Schwedens passt die Besetzung der semantischen Gruppen zum insgesamt ausgewogenen Verhältnis von natur- und kulturräumlich konnotierten KLASS: Die kolonialen KLASS verweisen besonders häufig auf die (ausschließlich kulturräumlich besetzte) Domäne VERKEHR102 und auffallend selten auf (meist naturräumlich besetzte) GEWÄSSER103 und RELIEF104. Zudem ist in den schwedischen Kolonien die Gruppe der ANDEREN105 hoch frequent. Die häufig ambigen oder metaphorisch verwendeten Toponym-Konstituenten in dieser Gruppe überschneiden sich in vielen Fällen mit den UNKLAREN KLASS, die sich nicht als FUNK- oder GEOKLASS einordnen lassen. Hierzu gehören z. B. Slumpen (‚der Zufall‘ oder ‚der Rest‘, SB) und Paradiset (‚das Paradies‘, NYS). Für das insgesamt ausgeglichene Verhältnis von GEO- und FUNK-KLASS sorgt vor allem die nahezu ausschließlich naturräumlich verortete Gruppe LANDSCHAFT [+WASSER]:106 Ihre Vertreter sind in SW.KOLTOP zwar nicht überdurchschnittlich frequent, stehen dort aber für rund ein Drittel aller KLASS, womit sie die überdurchschnittlich vertretene Domäne VERKEHR relativieren. Auch in der schwedischen Metropole sind die semantischen Gruppen eher unauffällig gewichtet: WIRTSCHAFT/ARBEIT107 ist als rein kulturräumliche Gruppe deutlich überrepräsentiert – hier verzeichnet SW.TOP einen Höchstwert unter den
|| 100 HDT.KOLTOP (RELIEF) = 785, hKLASS_DT.KOLTOP (RELIEF) = 25,14 %. 101 HDT.TOP (BEWOHNTER ORT) = 682, hKLASS_DT.TOP (BEWOHNTER ORT) = 26,94 %. 102 HSW.KOLTOP (VERKEHR) = 41, hKLASS_SW.KOLTOP (VERKEHR) = 18,14 %. 103 HSW.KOLTOP (GEWÄSSER) = 8, hKLASS_SW.KOLTOP (GEWÄSSER) = 3,54 %. 104 HSW.KOLTOP (RELIEF) = 8, hKLASS_SW.KOLTOP (RELIEF) = 3,54 %. 105 HSW.KOLTOP (ANDERE) = 41, hKLASS_SW.KOLTOP (ANDERE) = 18,14 %. 106 HSW.KOLTOP (LANDSCHAFT [+WASSER]) = 73, hKLASS_SW.KOLTOP (LANDSCHAFT [+WASSER]) = 32,30 %. 107 HSW.TOP (WIRTSCHAFT/ARBEIT) = 25, hKLASS_SW.TOP (WIRTSCHAFT/ARBEIT) = 11,96 %.
144 | Koloniale und metropolitane Klassifikatoren im Vergleich
vier Datensätzen. Dass die FUNK-KLASS trotzdem hinter dem Niveau der Kolonien zurückbleiben, ist auch auf den unterrepräsentierten VERKEHR108 zurückzuführen. Tab. 17: Anteil semantischer KLASS-Gruppen je Datensatz.
DT.KOL-
DT.TOP
SW.KOL-
TOP
Semantische Gruppe ANDERE BEWOHNTER ORT GEWÄSSER LANDSCHAFT [+WASSER] LANDSCHAFT [-WASSER]
SW.TOP
TOP
H
hKLASS
H
hKLASS
93
2,98 %
125
H
hKLASS
H
hKLASS
4,94 %
41
18,14 %
21
10,05 %
175
5,60 % 682 26,94 %
32
14,16 %
28
13,40 %
271
8,68 % 542 21,41 %
1.120 35,86 % 93
158
8
3,54 %
39
18,66 %
6,24 %
73
32,30 %
22
10,53 %
2,98 % 384
15,17 %
10
4,42 %
34
16,27 %
RELIEF
785 25,14 % 383
15,13 %
8
3,54 %
33
15,79 %
VERKEHR
474 15,18 %
157
6,20 %
41
18,14 %
7
3,35 %
WIRTSCHAFT/ARBEIT
112
101
3,99 %
13
5,75 %
25
11,96 %
3,59 %
Insbesondere im Fall der Kolonialtoponyme in DT.KOLTOP und SW.KOLTOP gestaltet sich die Deutung der Befunde zunächst schwierig: Die Datensätze enthalten Ortsnamen aus räumlich weit voneinander entfernten Erdteilen, die sich sowohl topografisch als auch im Hinblick auf die von den Kolonialmächten intendierte Nutzung unterscheiden. Für ein granulareres Bild gehen die folgenden Kapitel auf Besonderheiten der KLASS-Semantik in den einzelnen Kolonien ein. Die großmaßstäbige Analyse macht verschiedene Aspekte der kolonialen Ortsherstellung an konkreten toponymischen Daten nachvollziehbar – darunter bspw. die interessenspezifische Voreingenommenheit der Place-Identification in Kiautschou (s. Kap. 5.2.4.4.5) oder die kolonialpolitische Motivation einiger KLASS-Elemente beim Place-Making in DSWA (s. Kap. 5.2.4.4.3). 5.2.4.3 Funktions- und Geo-Klassifikatoren in den Kolonien Abb. 13 zeigt den Anteil von FUNK- und GEO-KLASS in den deutschen und schwedischen Kolonien. Die zugrunde liegenden Werte sowie Über- und Unterrepräsentationen sind in Tab. 18 dargestellt.
|| 108 HSW.TOP (VERKEHR) = 7, hKLASS_SW.TOP (VERKEHR) = 3,35 %.
Der Vergleich | 145
Abb. 13: Anteil semantischer KLASS-Typen je Kolonie.
Aus den Daten geht zunächst hervor, dass die GEO-KLASS in sechs von acht untersuchten Kolonien teils deutlich überwiegen. Es handelt sich – in absteigender Reihenfolge des GEO-KLASS-Anteils – um DNG109, DOA110, NYS111, Kamerun112, DSWA113 und Togo114. In den sechs Kolonien werden damit topografische Eindrücke des Naturraums häufiger mit einem +KLASS benannt als kulturräumlich wahrgenommene Orte. Obwohl das Gefälle von GEO- und FUNK-KLASS stark ausgeprägt sein kann, überschreitet selbst der höchste GEO-KLASS-Anteil in DNG nicht die Signifikanzschwelle. Grund dafür ist, dass die ebenfalls hohen GEO-KLASS-Anteile in DOA, NYS und Kamerun die errechnete Signifikanzschwelle auf 79,00 % anheben. Ganz im Sinne von Stolz & Warnke (2019: 30), die die Relevanz des Unmarkierten in quantitativen Analysen betonen, gewinnt gerade das Fehlen von
|| 109 HDNG (GEO-KLASS) = 1.080, hKLASS_DNG (GEO-KLASS) = 78,83 %. 110 HDOA (GEO-KLASS) = 577, hKLASS_DOA (GEO-KLASS) = 78,29 %. 111 HNYS (GEO-KLASS) = 81, hKLASS_NYS (GEO-KLASS) = 71,68 %. 112 HKamerun (GEO-KLASS) = 175, hKLASS_Kamerun (GEO-KLASS) = 70,85 %. 113 HDSWA (GEO-KLASS) = 239, hKLASS_DSWA (GEO-KLASS) = 54,57 %. 114 HTogo (GEO-KLASS) = 83, hKLASS_Togo (GEO-KLASS) = 52,53 %.
146 | Koloniale und metropolitane Klassifikatoren im Vergleich
signifikanten Werten hier an Bedeutung: Die Klassifizierung von Orten als naturnah ist eine etablierte koloniale Norm. Tab. 18: Anteil semantischer KLASS-Typen je Kolonie.
FUNK-KLASS
Kolonie
H
GEO-KLASS
unklar
hKLASS
H
hKLASS
H
hKLASS
DNG
271
19,78 %
1.080
78,83 %
19
1,39 %
DOA
149
20,22 %
577
78,29 %
11
1,49 %
DSWA
144
32,88 %
239
54,57 %
55
12,56 %
68
27,53 %
175
70,85 %
4
1,62 %
Kamerun Kiautschou
120
69,36 %
52
30,06 %
1
0,58 %
Togo
74
46,84 %
83
52,53 %
1
0,63 %
N YS
27
23,89 %
81
71,68 %
5
4,42 %
SB
75
66,37 %
26
23,01 %
12
10,62 %
Die wenigen signifikanten Werte des kolonie-übergreifenden Vergleichs betreffen zum einen DSWA – die einzige deutsche Kolonie, in der sich auffallend viele KLASS nicht eindeutig als FUNK- oder GEO-KLASS identifizieren lassen.115 Bei vielen Vertretern der semantischen Gruppe UNKLAR handelt es sich um Abstrakta, die ein lexikalisches Wissen der Idylle und des Wohlbefindens evozieren – etwa in Annasruh, Eintracht, Frohe Hoffnung, Harmonie, Hedwigslust oder Paradies. Dass die UNKLAREN KLASS-Types gerade in DSWA solche Emotionen hervorheben, passt zu den Befunden von Stolz & Warnke (2018a: 97–98), die den einzigartigen Status als Siedlungskolonie für die Andersartigkeit des Namenbestands verantwortlich machen. Die Autoren stellen fest: Durch die landesweite Erschließung Deutsch-Südwestafrikas ist ein hoher Bedarf an wenigstens partiell deutschen Exonymen entstanden, die wegen der Ansässigkeit der Siedler vor Ort in viel stärkerem Maße als sonst wo im deutschen Kolonialreich eine emotionalsentimentale d. h. [sic!] persönliche Note erhielten und einen gewissen Individualismus reflektieren, der bei den schematisch geplanten Namensgebungen beispielsweise in DeutschNeuguinea völlig in den Hintergrund gerät.
|| 115 HDSWA (UNKLAR) = 55, hKLASS_DSWA (UNKLAR) = 12,56 %.
Der Vergleich | 147
Neben DSWA fallen die Gebiete Kiautschou116 und SB117 mit einem signifikant großen Bestand an FUNK-KLASS auf. Darüber hinaus bestehen weitere Parallelen, die die beiden Kolonien von den übrigen abheben: ihre räumliche Größe und die Art ihrer Nutzung durch die Kolonialmächte. Mit einer ungefähren Fläche von 560 km² (vgl. Gründer 2018: 215) ist Kiautschou die kleinste der deutschen Kolonien. Das Reichsmarineamt plante Kiautschou von Anfang an als einen kleinflächigen Brückenkopf, von dem aus der kulturelle und ökonomische Einfluss auf China ausgebaut werden sollte (vgl. ebd.). Dass die Administration hier mehr funktionale topografische Eindrücke identifiziert und mit einem KLASS versieht als in jeder anderen untersuchten Kolonie, entspricht dem Konzept Kiautschous als Handelszentrum. Wie schon im Fall von DSWA identifizieren die Benennenden vor allem solche Landschaftsausschnitte als relevante Orte, die zum politisch-ökonomischen Interesse der kolonialen Expansion passen und deren topografische Kategorie dementsprechend mit einem KLASS hervorgehoben wird. Ganz ähnlich verhält es sich beim schwedisch beherrschten SB. Die Insel gehört mit einer Größe von 21 km² zu den kleineren Karibik-Inseln (vgl. Pålsson 2016: 50) und war von der Schwedischen Afrika-Kompanie ebenfalls als ein Handelsposten für den Seeverkehr zum amerikanischen Festland konzipiert. Mit einem signifikant hohen Anteil an FUNK-KLASS folgt das Place-Making auch hier der wirtschaftlichen Gesamtausrichtung der Kolonie. SB fällt außerdem durch einen hohen Anteil unklarer KLASS auf,118 die sich nicht zweifelsfrei als FUNK- oder GEOKLASS einordnen lassen – so z. B. in den Toponymen Enhörningen (‚das Einhorn‘), Glömskan (‚die Vergesslichkeit‘) und Slumpen (‚der Zufall‘ oder ‚der Rest‘). Im Gegensatz zu DSWA zielen die unklaren KLASS von SB weniger auf eine exotisierende bzw. idyllische Darstellung der Landschaft ab. Hier scheinen sich die Benennenden eher anekdotisch auf Ereignisse zu beziehen, die die Benennung motivieren. Mit Ausnahme der Handelskolonien Kiautschou und SB zeichnen sich also sämtliche Kolonien durch eine Klassifizierungspraxis aus, die naturräumliche Landschaftsausschnitte präferiert. Ganz im Sinne des kolonialen Blicks wird die Mehrheit der Kolonien als ein ungenutzter Raum, in einer Deontik der Aufwertung durch den europäischen Einfluss beschrieben. Pratt (2008: 60) nennt dieses Merkmal des kolonialen Blicks den „spirit of improvement“. Zwar charakterisiert sie diesen am Beispiel des Naturalisten John Barrow explizit als britisch, allerdings lässt sich dasselbe Denkmuster problemlos auch im deutschen Kolonia-
|| 116 HKiautschou (FUNK-KLASS) = 120, hKLASS_Kiautschou (FUNK-KLASS) = 69,36 %. 117 HSB (FUNK-KLASS) = 75, hKLASS_SB (FUNK-KLASS) = 66,37 %. 118 HSB (UNKLAR) = 12, hKLASS_SB (UNKLAR) = 10,62 %.
148 | Koloniale und metropolitane Klassifikatoren im Vergleich
lismus bzw. als ein gesamteuropäisches Epistem nachweisen, wie etwa Lauer (2009: 222) am Beispiel der Deutschen Kolonialzeitung demonstriert. Auch die auffällig häufige naturräumliche Darstellung der Kolonien via Toponyme kommuniziert eine Leere der unbeanspruchten Landschaft, die es im Sinne der Benennenden zu verbessern gilt. Parallel zur semantischen Analyse auf der Makroebene der vier Hauptdatensätze gibt das folgende Kapitel detailliertere Informationen darüber, welche topografischen Eindrücke in den einzelnen Kolonien klassifiziert werden. Unter anderem macht die großmaßstäbige Analyse den von Pratt attestierten spirit of improvement der Kolonisierenden anhand von konkreten Beispielen nachvollziehbar. Die Befunde widersprechen einer ontologisch-realistisch geprägten Auffassung von Landschaft, der zufolge sich das Identifizieren und Klassifizieren von Orten logisch aus der Landschaft selbst ableitet (s. Kap. 5.2.4.4.5). 5.2.4.4 Semantische Gruppen in den Kolonien Die folgenden Unterkapitel beschäftigen sich mit jeweils einer der untersuchten Kolonien. Sie behandeln den Anteil der einzelnen semantischen KLASS-Gruppen am dortigen KLASS-Inventar sowie die konkreten, signifikant über- und unterrepräsentierten KLASS-Elemente. Dabei werden letztere lediglich explorativ betrachtet und es werden nur vereinzelt auffällige KLASS-Elemente direkt aufgegriffen. Die Menge der charakteristischen KLASS in den einzelnen Kolonien ist immens und ließe sich gewinnbringend als Ausgangspunkt für anknüpfende qualitative Detailanalysen nutzen. So ließe sich bspw. die Überrepräsentation der Konstituenten Faktorei119 und Pflanzung120 in Kamerun sicherlich genauer im Hinblick auf die (intendierte) Wirtschaftsweise der Kolonisierenden vor Ort analysieren, als es im Rahmen dieser Arbeit möglich ist. Ich hoffe, dass meine allgemeinere Darlegung der Relevanz von KLASS genau solche weiterführenden Beiträge in der Kolonialtoponomastik motivieren und auf diesem Weg zu einem genaueren Bild kolonialer Raumwahrnehmungsmuster beitragen kann. Ich selbst beschränke mich größtenteils auf die Beantwortung der eingangs formulierten Hypothesen und greife lediglich einzelne KLASS auf, die im Hinblick auf die generelle Thematik der Raum-Kategorisierung relevant sind. Die folgenden Kapitel nehmen außerdem regelmäßig auf die Daten in Tab. 19 Bezug, die die absolute und relative Häufigkeit der semantischen KLASS-Gruppen für jede Kolonie zeigt. Die dort geführten Werte sind in Abb. 14 visualisiert. In
|| 119 HKamerun (Faktorei) = 14, hKLASS_Kamerun (Faktorei) = 5,67 %. 120 HKamerun (Pflanzung) = 8, hKLASS_Kamerun (Pflanzung) = 3,24 %.
Der Vergleich | 149
jedem Kapitel gibt eine weitere Tabelle diejenigen KLASS an, die für die jeweilige Kolonie charakteristisch sind und sie von den übrigen Kolonien signifikant abheben (Tab. 20 bis Tab. 26). Überrepräsentierte KLASS bleiben in diesen Tabellen unmarkiert, während unterrepräsentierte Einträge unterstrichen werden. KLASS, die zwar im Vergleich zu anderen Kolonien überrepräsentiert sind, in der behandelten Kolonie aber nur einmal auftreten, werden in diesen Tabellen nicht aufgeführt, da sie zum einen in unübersichtlich großen Mengen auftreten (s. Tab. 9), dabei aber zum anderen kaum Aussagekraft besitzen.
Abb. 14: Anteil semantischer KLASS-Gruppen je Kolonie.
Für die Bestimmung von signifikanten KLASS-Elementen müssen die deutschen und schwedischen Kolonien erneut separat betrachtet werden. Da sich mit NYS und SB auf schwedischer Seite wieder nur zwei Teildatensätze gegenüberstehen, habe ich die Berechnung der Signifikanzschwelle hier notwendigerweise auf dieselbe Weise angepasst, wie in Kap. 5.2.4.1 beschrieben: Auch hier berechne ich eine gemeinsame Signifikanzschwelle für alle KLASS.
150 | Koloniale und metropolitane Klassifikatoren im Vergleich
Tab. 19: Anteil semantischer KLASS-Gruppen je Kolonie.
DNG
DOA
H
hKLASS
ANDERE
27
BEWOHNTER ORT
21
Semantische Gruppe
GEWÄSSER LANDSCHAFT [+WASSER] LANDSCHAFT [-WASSER]
50 792 4
DSWA
H
hKLASS
1,97 %
5
0,68 %
53 12,10 %
1,53 %
39
5,29 %
42
3,65 %
87 11,80 %
74 16,89 %
35 14,17 %
57,81 % 186 25,24 %
53 12,10 %
58 23,48 %
0,29 %
51
6,92 %
RELIEF
239
17,45 % 266 36,09 %
VERKEHR
224
16,35 %
13
0,95 %
WIRTSCHAFT/ARBEIT
Kamerun
95 12,89 %
Kiautschou
8
1,09 %
H
34
hKLASS
9,59 %
7,76 %
120 27,40 % 40
9,13 %
22
5,02 %
Togo
NYS
H
hKLASS
3
1,21 %
35 14,17 %
2
0,81 %
82 33,20 % 6
2,43 %
26 10,53 %
SB
Semantische Gruppe
H
hKLASS
H
hKLASS
H
ANDERE
3
1,73 %
2
1,27 %
3
17
9,83 %
21
13,29 %
21
18,58 %
11
9,73 %
8
4,62 %
17
10,76 %
7
6,19 %
1
0,88 %
LANDSCHAFT [+WASSER]
27
15,61 %
4
2,53 %
1
0,88 %
LANDSCHAFT [-WASSER]
1
0,58 %
1
0,63 %
4
3,54 %
6
5,31 %
RELIEF
17
9,83 %
61
38,61 %
1
0,88 %
7
6,19 %
VERKEHR
79 45,66 %
30
18,99 %
1
0,88 % 40 35,40 %
WIRTSCHAFT/ARBEIT
21
22
13,92 %
4
3,54 %
BEWOHNTER ORT
GEWÄSSER
12,14 %
hKLASS
H
hKLASS
2,65 % 38 33,63 %
72 63,72 %
9
7,96 %
5.2.4.4.1 Deutsch-Neuguinea Dass DNG bereits als die Kolonie mit dem höchsten GEO-KLASS-Anteil aufgefallen ist, lässt sich vor allem auf die Gruppe LANDSCHAFT [+WASSER]121 zurückführen, die in der Kolonie ausschließlich mit naturräumlich verorteten GEO-KLASS besetzt ist. Die Dominanz der semantischen Gruppe spiegelt sich auch in den charakteristischen KLASS-Elementen wider (s. Tab. 20): Unter den zehn häufigsten, für die Kolonie charakteristischen KLASS verweisen sechs Einträge auf den Bereich LANDSCHAFT [+WASSER]: Insel, Kap, Riff, Huk, Halbinsel und Lagune. Drei weitere
|| 121 HDNG (LANDSCHAFT [+WASSER]) = 792, hKLASS_DNG (LANDSCHAFT [+WASSER]) = 57,81 %.
Der Vergleich | 151
beziehen sich auf das Feld VERKEHR, und zwar besonders den Verkehr zur See: Hafen, Durchfahrt und Einfahrt. Darüber hinaus sind auch die unterrepräsentierten KLASS-Lexeme in der Kolonie interessant: Höhe, Felsen und Hügel bezeichnen allesamt topografische Eindrücke aus dem Bereich RELIEF. Deren geringe Präsenz wird u. a. vom überdurchschnittlich auftretenden Spitze kompensiert, was dazu beiträgt, dass RELIEF in DNG insgesamt nicht unterrepräsentiert ist.122 Auffallend selten werden hingegen BEWOHNTE ORTE123 und Vertreter der Gruppe WIRTSCHAFT/ARBEIT124 mit einem KLASS-Element versehen: Keine der beiden Gruppen ist unter den für DNG charakteristischen KLASS vertreten. Zudem beziehen sich die wenigen KLASS für BEWOHNTE ORTE vor allem auf von Deutschen errichtete Gebäude. Bei den nicht-singulären KLASS in dieser Gruppe handelt es sich um Station125, Burg126 und Haus127. Mit Alumbams-Dörfer liegt lediglich ein Toponym vor, das allem Anschein nach auf Siedlungen der indigenen Bevölkerung verweist. Insgesamt zeichnen die KLASS ein stark naturräumliches Bild der Kolonie, wobei die indigene Bevölkerung kein Teil des toponymisch kommunizierten Wissens ist. Zudem sind Wasser und der Transport zur See die wesentlichen topografischen Merkmale, die die Kolonisierenden in DNG identifizieren und mit einem +KLASS versehen. Das Toponomastikon zeichnet das Bild eines exotischen, aber wirtschaftlich nutzbaren Naturraums, bei dem die Erschließung auf dem Seeweg deutlich im Mittelpunkt steht. Tab. 20: Über- und unterrepräsentierte KLASS in DNG.
H
h+KLASS
LANDSCHAFT [+WASSER]
390
28,47 %
LANDSCHAFT [+WASSER]
150
10,95 %
GEO-KLASS
RELIEF
114
8,32 %
FUNK-KLASS
VERKEHR
95
6,93 %
Riff
GEO-KLASS
LANDSCHAFT [+WASSER]
54
3,94 %
Durchfahrt
FUNK-KLASS
VERKEHR
38
2,77 %
KLASS
KLASS-Typ
semant. Gruppe
Insel
GEO-KLASS
Kap
GEO-KLASS
Spitze Hafen
|| 122 HDNG (RELIEF) = 239, hKLASS_DNG (RELIEF) = 17,45 %. 123 HDNG (BEWOHNTER ORT) = 21, hKLASS_DNG (BEWOHNTER ORT) = 1,53 %. 124 HDNG (WIRTSCHAFT/ARBEIT) = 13, hKLASS_DNG (WIRTSCHAFT/ARBEIT) = 0,95 %. 125 HDNG (Station) = 8, hKLASS_DNG (Station) = 0,58 %. 126 HDNG (Burg) = 3, hKLASS_DNG (Burg) = 0,22 %. 127 HDNG (Haus) = 2, hKLASS_DNG (Haus) = 0,15 %.
152 | Koloniale und metropolitane Klassifikatoren im Vergleich
H
h+KLASS
LANDSCHAFT [+WASSER]
35
2,55 %
VERKEHR
19
1,39 %
LANDSCHAFT [+WASSER]
12
0,88 %
LANDSCHAFT [+WASSER]
10
0,73 %
VERKEHR
3
0,22 %
ANDERE
3
0,22 %
GEO-KLASS
RELIEF
3
0,22 %
GEO-KLASS
LANDSCHAFT [+WASSER]
3
0,22 %
Landungsbrücke
FUNK-KLASS
VERKEHR
3
0,22 %
Archipel
GEO-KLASS
LANDSCHAFT [+WASSER]
2
0,15 %
Ostspitze
GEO-KLASS
RELIEF
2
0,15 %
Pfeiler
FUNK-KLASS
ANDERE
2
0,15 %
Sohn
UNKLAR
ANDERE
2
0,15 %
Tochter
UNKLAR
ANDERE
2
0,15 %
Vorberg
GEO-KLASS
RELIEF
2
0,15 %
Felsen
GEO-KLASS
RELIEF
1
0,07 %
Hügel
GEO-KLASS
RELIEF
1
0,07 %
KLASS
KLASS-Typ
semant. Gruppe
Huk
GEO-KLASS
Einfahrt
FUNK-KLASS
Halbinsel
GEO-KLASS
Lagune
GEO-KLASS
Bake
FUNK-KLASS
Gruppe
UNKLAR
Höhe Küste
5.2.4.4.2 Deutsch-Ostafrika Ein ähnliches Bild ergibt sich aus der semantischen KLASS-Analyse für DOA, wo der Anteil naturräumlicher KLASS nur knapp hinter dem von DNG liegt.128 Dies lässt sich vor allem auf die KLASS-Gruppen RELIEF129 und LANDSCHAFT [-WASSER]130 zurückführen, die mehrheitlich auf nicht anthropogene topografische Eindrücke verweisen und im kolonieübergreifenden Vergleich deutlich überrepräsentiert sind. Die Gruppe LANDSCHAFT [-WASSER] ist mit zehn Einträgen unter den für DOA charakteristischen KLASS vertreten (s. Tab. 21). In der Gruppe RELIEF sticht Berg als der häufigste KLASS in DOA hervor – mit dieser Konstituente wird fast ein Viertel aller +KLASS in der Kolonie gebildet. Neben dem Übergewicht der naturnahen GEO-KLASS verstärkt auch der signifikant niedrige Anteil der Gruppe WIRTSCHAFT/ARBEIT131 den Eindruck von DOA als einem kulturfernen Raum: Von den charakteristischen, nicht-singulären KLASS in || 128 HDOA (GEO-KLASS) = 577, hKLASS_DOA (GEO-KLASS) = 78,29 %. 129 HDOA (RELIEF) = 266, hKLASS_DOA (RELIEF) = 36,09 %. 130 HDOA (LANDSCHAFT [-WASSER]) = 51, hKLASS_DOA (LANDSCHAFT [-WASSER]) = 6,92 %. 131 HDOA (WIRTSCHAFT/ARBEIT) = 8, hKLASS_DOA (WIRTSCHAFT/ARBEIT) = 1,09 %.
Der Vergleich | 153
der Kolonie gehört keiner dieser semantischen Gruppe an. Insofern entspricht auch das KLASS-Inventar in DOA dem Topos eines leeren Raums mit ungenutztem ökonomischem Potenzial für die Kolonisierenden. Tab. 21: Überrepräsentierte KLASS in DOA (keine Unterrepräsentationen vorhanden).
H
h+KLASS
180
24,42 %
LANDSCHAFT [+WASSER]
78
10,58 %
GEWÄSSER
54
7,33 %
GEO-KLASS
LANDSCHAFT [-WASSER]
18
2,44 %
GEO-KLASS
LANDSCHAFT [-WASSER]
14
1,90 %
Höhle
GEO-KLASS
RELIEF
11
1,49 %
Hügel
GEO-KLASS
RELIEF
10
1,36 %
Mündung
GEO-KLASS
LANDSCHAFT [+WASSER]
9
1,22 %
Kanal
FUNK-KLASS
VERKEHR
7
0,95 %
Plateau
GEO-KLASS
RELIEF
7
0,95 %
Fahrwasser
FUNK-KLASS
VERKEHR
5
0,68 %
Moschee
FUNK-KLASS
BEWOHNTER ORT
5
0,68 %
Rücken
GEO-KLASS
RELIEF
5
0,68 %
Teich
GEO-KLASS
GEWÄSSER
5
0,68 %
Fähre
FUNK-KLASS
VERKEHR
4
0,54 %
Golf
GEO-KLASS
LANDSCHAFT [+WASSER]
4
0,54 %
Hochland
GEO-KLASS
LANDSCHAFT [-WASSER]
4
0,54 %
Flur
UNKLAR
LANDSCHAFT [-WASSER]
3
0,41 %
Gipfel
GEO-KLASS
RELIEF
3
0,41 %
Wald
GEO-KLASS
LANDSCHAFT [-WASSER]
3
0,41 %
Garten
FUNK-KLASS
LANDSCHAFT [-WASSER]
2
0,27 %
Gebiet
UNKLAR
LANDSCHAFT [-WASSER]
2
0,27 %
Grab
FUNK-KLASS
BEWOHNTER ORT
2
0,27 %
Kante
GEO-KLASS
RELIEF
2
0,27 %
Posten
FUNK-KLASS
BEWOHNTER ORT
2
0,27 %
Sund
GEO-KLASS
LANDSCHAFT [+WASSER]
2
0,27 %
KLASS
KLASS-Typ
semant. Gruppe
Berg
GEO-KLASS
RELIEF
Bucht
GEO-KLASS
See
GEO-KLASS
Steppe Sumpf
154 | Koloniale und metropolitane Klassifikatoren im Vergleich
5.2.4.4.3 Deutsch-Südwestafrika In DSWA, wo das Gefälle von FUNK- und GEO-KLASS schwächer ausfällt,132 ist die semantische Gruppe GEWÄSSER auffallend stark vertreten.133 Ebenfalls überrepräsentiert – und damit typisch für die wahrgenommene Topografie Südwestafrikas – sind KLASS aus dem Bereich LANDSCHAFT [-WASSER].134 Beide Gruppen verweisen primär auf naturnahe Merkmale der Topografie. Im Hinblick auf die deutschen Pläne, DSWA als Siedlungskolonie zu etablieren, ist die semantische Gruppe der ANDEREN relevant, für die die Kolonie den zweithöchsten gemessenen Wert verzeichnet.135 Zwar liegt deren Anteil noch unter der Signifikanzschwelle, allerdings ist er maßgeblich für die Überrepräsentation der UNKLAREN KLASS in DSWA verantwortlich, die sich also weder den GEOnoch den FUNK-KLASS zuordnen lassen.136 Auch wenn die semantische Gruppe ANDERE und der KLASS-Typ UNKLAR zu ähnlichen Anteilen in DSWA vertreten sind, sind sie doch nicht deckungsgleich.137 Allerdings sind die beiden Merkmale eng miteinander verbunden. Da es sich bei den ANDEREN oftmals um Abstrakta wie Ruhe, Hoffnung oder Lust handelt (s. Tab. 22), die per Default kein topografisches Wissen evozieren, erlauben sie nur selten eine epistemische Zuordnung zum Natur- bzw. Kulturraum. Stolz & Warnke (2018a: 98) fällt diese „emotional-sentimentale“ bzw. „persönliche Note“ ebenfalls auf. Erklärungen für diese Auffälligkeit sehen die Autoren etwa in der wichtigen Rolle, die die deutschen Siedler bei der Benennung von Orten in DSWA gespielt haben. Auch die Übersetzung einiger älterer Toponyme aus dem Afrikaans sowie die direkte Übernahme von vorkolonialen Benennungen durch deutsche Missionare werden als Faktoren des südwestafrikanischen Sonderfalls genannt (vgl. ebd. 95). Im Hinblick auf charakteristische KLASS-Elemente fällt DSWA zunächst durch seine hohe Anzahl derselbigen auf. Im Vergleich zu Insel in DNG oder Berg in DOA gibt es in DSWA keinen ähnlich dominanten KLASS. Stattdessen sind die charakteristischen Namenbestandteile zahlreich und semantisch weit aufgestellt. Besonders erwähnenswert sind die beiden unterrepräsentierten KLASS Halbinsel und
|| 132 HDSWA (GEO-KLASS) = 239, hKLASS_DSWA (GEO-KLASS) = 54,57 %. HDSWA (FUNK-KLASS) = 144, hKLASS_DSWA (FUNK-KLASS) = 32,88 %. 133 HDSWA (GEWÄSSER) = 74, hKLASS_DSWA (GEWÄSSER) = 16,89 %. 134 HDSWA (LANDSCHAFT [-WASSER]) = 34, hKLASS_DSWA (LANDSCHAFT [-WASSER]) = 7,76 %. 135 HDSWA (ANDERE) = 53, hKLASS_DSWA (ANDERE) = 12,10 %. 136 HDSWA (UNKLAR) = 55, hKLASS_DSWA (UNKLAR) = 12,56 %. 137 Bspw. gehört Feld semantisch in die Gruppe LANDSCHAFT [-WASSER]. Da es sich dabei laut DWDS (b) sowohl um landwirtschaftliche Nutzfläche (kulturnah) als auch um eine unbestimmte, weitläufige Fläche handeln kann (naturnah), lässt sich Feld allerdings nicht pauschal als FUNK- oder GEO-KLASS einordnen. Es wird deshalb als UNKLAR analysiert.
Der Vergleich | 155
Pass. Beide kommen in DSWA nicht vor, womit sich die deutsche Siedlungskolonie deutlich von den anderen Kolonien unterscheidet. Die fehlenden Halbinseln passen zum insgesamt niedrigen Anteil der Gruppe LANDSCHAFT [+WASSER]138 – unter den deutschen Kolonien weist lediglich Togo einen niedrigeren Wert in dieser Gruppe auf.139 Dass Pass als ein klassifizierendes Element ebenso wenig vorkommt, überrascht v. a. angesichts der unauffälligen Häufigkeit von RELIEF-KLASS140, in deren Umfeld Pass durchaus erwartbar wäre. Tab. 22: Über- und unterrepräsentierte KLASS in DSWA.
H
h+KLASS
GEWÄSSER
28
6,39 %
UNKLAR
LANDSCHAFT [-WASSER]
16
3,65 %
GEO-KLASS
RELIEF
13
2,97 %
Bank
GEO-KLASS
LANDSCHAFT [+WASSER]
12
2,74 %
Fels
GEO-KLASS
RELIEF
11
2,51 %
Kranz
UNKLAR
ANDERE
11
2,51 %
Hof
FUNK-KLASS
WIRTSCHAFT/ARBEIT
10
2,28 %
Vley
GEO-KLASS
GEWÄSSER
9
2,05 %
Stein
GEO-KLASS
RELIEF
8
1,83 %
Wasser
GEO-KLASS
GEWÄSSER
8
1,83 %
Burg
FUNK-KLASS
BEWOHNTER ORT
7
1,60 %
Quelle
GEO-KLASS
GEWÄSSER
7
1,60 %
Heim
FUNK-KLASS
BEWOHNTER ORT
6
1,37 %
Kluft
GEO-KLASS
RELIEF
6
1,37 %
Mund
GEO-KLASS
LANDSCHAFT [+WASSER]
6
1,37 %
Au
GEO-KLASS
LANDSCHAFT [+WASSER]
5
1,14 %
Brunnen
FUNK-KLASS
BEWOHNTER ORT
5
1,14 %
Kuppe
GEO-KLASS
RELIEF
5
1,14 %
Spitz
GEO-KLASS
RELIEF
5
1,14 %
-brunn
GEO-KLASS
GEWÄSSER
4
0,91 %
Land
UNKLAR
LANDSCHAFT [-WASSER]
4
0,91 %
KLASS
KLASS-Typ
semant. Gruppe
Pütz
FUNK-KLASS
Feld Tal
|| 138 HDSWA (LANDSCHAFT [+WASSER]) = 53, hKLASS_DSWA (LANDSCHAFT [+WASSER]) = 12,10 %. 139 HTogo (LANDSCHAFT [+WASSER]) = 4, hKLASS_Togo (LANDSCHAFT [+WASSER]) = 2,53 %. 140 HDSWA (RELIEF) = 120, hKLASS_DSWA (RELIEF) = 27,40 %.
156 | Koloniale und metropolitane Klassifikatoren im Vergleich
KLASS
KLASS-Typ
semant. Gruppe
H
h+KLASS
Pfanne
GEO-KLASS
RELIEF
4
0,91 %
Pforte
FUNK-KLASS
VERKEHR
4
0,91 %
Ruhe
UNKLAR
ANDERE
4
0,91 %
Werft
FUNK-KLASS
WIRTSCHAFT/ARBEIT
4
0,91 %
Blaukehl
GEO-KLASS
ANDERE
3
0,68 %
Hochebene
GEO-KLASS
RELIEF
3
0,68 %
Aue
GEO-KLASS
LANDSCHAFT [+WASSER]
2
0,46 %
-beck
GEO-KLASS
GEWÄSSER
2
0,46 %
Bergstraße
FUNK-KLASS
VERKEHR
2
0,46 %
-bronn
UNKLAR
GEWÄSSER
2
0,46 %
Busch
GEO-KLASS
LANDSCHAFT [-WASSER]
2
0,46 %
Dorn
GEO-KLASS
ANDERE
2
0,46 %
Grund
GEO-KLASS
RELIEF
2
0,46 %
Hagen
FUNK-KLASS
BEWOHNTER ORT
2
0,46 %
Hoffnung
UNKLAR
ANDERE
2
0,46 %
Horst
GEO-KLASS
ANDERE
2
0,46 %
Kolk
GEO-KLASS
RELIEF
2
0,46 %
Lust
UNKLAR
ANDERE
2
0,46 %
Mann
UNKLAR
ANDERE
2
0,46 %
Port
FUNK-KLASS
VERKEHR
2
0,46 %
Wald
GEO-KLASS
LANDSCHAFT [-WASSER]
2
0,46 %
Wasserfall
GEO-KLASS
GEWÄSSER
2
0,46 %
Halbinsel
GEO-KLASS
LANDSCHAFT [+WASSER]
0
0,00 %
Pass
FUNK-KLASS
VERKEHR
0
0,00 %
5.2.4.4.4 Kamerun Im Hinblick auf die Semantik der KLASS weist Kamerun als einzige der untersuchten Kolonien keinerlei signifikante Ausprägungen auf. Ihre Unauffälligkeit macht die Kolonie zu einem besonders schwer zu interpretierenden Sonderfall. Allerdings lassen sich auch hier KLASS-Elemente feststellen, die aufgrund ihrer Häufigkeit als charakteristisch für die Kolonie gelten können (s. Tab. 23). Darunter finden sich Vertreter aus unterschiedlichen semantischen Gruppen, die sich zu gleichen Teilen aus FUNK- und GEO-KLASS zusammensetzen. Auch in dieser Hinsicht weist Kamerun also keinerlei auffallende Muster gegenüber den anderen Kolonien auf.
Der Vergleich | 157
Tab. 23: Überrepräsentierte KLASS in Kamerun (keine Unterrepräsentationen vorhanden).
H
h+KLASS
KLASS
KLASS-Typ
semant. Gruppe
Faktorei
FUNK-KLASS
WIRTSCHAFT/ARBEIT
14
5,67 %
Ruine
FUNK-KLASS
BEWOHNTER ORT
10
4,05 %
Schnelle
GEO-KLASS
GEWÄSSER
9
3,64 %
Gebirge
GEO-KLASS
RELIEF
8
3,24 %
Pflanzung
FUNK-KLASS
WIRTSCHAFT/ARBEIT
8
3,24 %
Station
FUNK-KLASS
BEWOHNTER ORT
7
2,83 %
Farm
FUNK-KLASS
WIRTSCHAFT/ARBEIT
4
1,62 %
Quelle
GEO-KLASS
GEWÄSSER
4
1,62 %
Sand
GEO-KLASS
LANDSCHAFT [+WASSER]
4
1,62 %
Denkmal
FUNK-KLASS
BEWOHNTER ORT
3
1,21 %
Kriek
GEO-KLASS
RELIEF
3
1,21 %
Felsen
GEO-KLASS
RELIEF
2
0,81 %
Massiv
GEO-KLASS
RELIEF
2
0,81 %
Schule
FUNK-KLASS
BEWOHNTER ORT
2
0,81 %
5.2.4.4.5 Kiautschou Bei Kiautschou handelt es sich um die einzige deutsche Kolonie mit einer signifikanten Überrepräsentation an FUNK-KLASS.141 Hier spiegelt sich die intendierte Funktion als Handelsposten auch in der KLASS-Semantik wider, denn in keiner anderen deutschen Kolonie werden Orte des VERKEHRS142 so häufig mit einem entsprechenden KLASS versehen. Schon die enorme Häufigkeit von Straße, das allein fast ein Drittel aller +KLASS des Pachtgebietes ausmacht,143 kennzeichnet Kiautschou als einen Raum mit hoher Bevölkerungsdichte. Einen ähnlichen Eindruck vermitteln auch andere für Kiautschou charakteristische KLASS wie Straße, Brücke, Weg und Pass. Auf die ökonomische Produktivität des Handelszentrums verweisen die signifikant häufigen KLASS aus dem Bereich WIRTSCHAFT/ARBEIT: Hier wird Kiautschou144 nur knapp von Togo145 übertroffen. Charakteristisch für das Pachtgebiet
|| 141 HKiautschou (FUNK-KLASS) = 120, hKLASS_Kiautschou (FUNK-KLASS) = 69,36 %. 142 HKiautschou (VERKEHR) = 79, hKLASS_Kiautschou (VERKEHR) = 45,66 %. 143 HKiautschou (Straße) = 56, hKLASS_Kiautschou (Straße) = 32,37 %. 144 HKiautschou (WIRTSCHAFT/ARBEIT) = 21, hKLASS_Kiautschou (WIRTSCHAFT/ARBEIT) = 12,14 %. 145 HTogo (WIRTSCHAFT/ARBEIT) = 22, hKLASS_Togo (WIRTSCHAFT/ARBEIT) = 13,92 %.
158 | Koloniale und metropolitane Klassifikatoren im Vergleich
sind in dieser Gruppe die Konstituenten Lager, Hotel, Reede, Werft und Ziegelei. Gemeinsam machen die semantischen Gruppen VERKEHR und WIRTSCHAFT/ARBEIT mehr als die Hälfte aller +KLASS aus, was Kiautschou deutlich von den übrigen Kolonien abhebt.
Abb. 15: Festland östlich der Kiautschou-Bucht (GDKA, Blatt 30).
Des Weiteren bietet Kiautschou ein anschauliches Beispiel für die Voreingenommenheit des kolonialen Blicks, mit dem sich die Kolonisierenden der örtlichen
Der Vergleich | 159
Landschaft nähern. Denn die signifikante Unterrepräsentation von Berg146 und Gebirge147 in Kiautschou steht in einem krassen Gegensatz zum topografischen Gesamteindruck, der sich etwa bei einem Blick in den GDKA einstellt (s. Abb. 15). Nördlich des Flusses Pai scha ho, der die nordwestliche Grenze des Hauptgebietes der Kolonie markiert, ist das Land nahezu eben. Das deutsche Pachtgebiet ist hingegen von Gebirgen geprägt und hebt sich schon kartografisch durch dicht gedrungene Höhenlinien vom Umland ab. Tatsächlich ist eine Vielzahl der Gebirgszüge und Gipfel im GDKA namentlich verzeichnet, allerdings verzichten die Kolonisierenden bei Tung liu schui, Lau hou schan und zahlreichen anderen Bergnamen (Oronymen) auf die Verwendung deutscher KLASS-Elemente. Trotz einer Vielzahl von topografischen Eindrücken, die für eine entsprechende Kategorisierung infrage kämen, ist Kiautschou die deutsche Kolonie mit dem niedrigsten Anteil von RELIEF-KLASS.148 Die kartografische Darstellung Kiautschous im GDKA gibt das Relief primär in Form von Endonymen wieder, während die deutschen Namen vor allem infrastrukturell und ökonomisch relevante Landschaftselemente im Hauptort Tsingtau in den Blick nehmen. Der vorgefundene Toponymbestand kann als Beispiel dafür gelten, dass koloniale Landkarten verschiedene Formen der Place-Identification abbilden. Welche topografischen Eindrücke auf der Karte verortet werden und ob es sich dabei um Endonyme, Exonyme oder hybride Bildungen handelt, gibt Aufschluss über die Verschiedenheit von ontologischen Annahmen und Relevanzurteilen seitens der Kolonisierenden und Kolonisierten: Stolz & Levkovych (2020b: 119) merken an, dass exonyms may cluster in those areas of the colonies which, for whatever reason, are important to the colonizers whereas in regions which are neglected by the colonizers, exonyms/hybrids can be outnumbered by endonyms so that a center-periphery opposition emerges on the map […].
Kiautschou ist hierfür exemplarisch: Die Abwesenheit von RELIEF-KLASS bedeutet nicht, dass es in einer Region keine topografischen Eindrücke in dieser epistemischen Kategorie gäbe. Stattdessen macht erst das koloniale Unterfangen Straßen und Häfen relevanter als etwa Berge oder Flüsse. Auch wenn Pratt (2008) koloniale Ortsnamen nicht als eine wesentliche Manifestation des kolonialen Blicks behandelt, legt die Analyse von KLASS-Elementen genau diese Interpretation nahe.
|| 146 HKiautschou (Berg) = 9, hKLASS_Kiautschou (Berg) = 5,20 %. 147 HKiautschou (Gebirge) = 0, hKLASS_Kiautschou (Gebirge) = 0,00 %. 148 HKiautschou (RELIEF) = 17, hKLASS_Kiautschou (RELIEF) = 9,83 %.
160 | Koloniale und metropolitane Klassifikatoren im Vergleich
Tab. 24: Über- und unterrepräsentierte KLASS in Kiautschou.
H
h+KLASS
56
32,37 %
9
5,20 %
GEWÄSSER
6
3,47 %
GEO-KLASS
LANDSCHAFT [+WASSER]
6
3,47 %
FUNK-KLASS
WIRTSCHAFT/ARBEIT
5
2,89 %
Brücke
FUNK-KLASS
VERKEHR
4
2,31 %
Weg
FUNK-KLASS
VERKEHR
4
2,31 %
Hotel
FUNK-KLASS
WIRTSCHAFT/ARBEIT
3
1,73 %
Baracke
FUNK-KLASS
BEWOHNTER ORT
2
1,16 %
Haus
FUNK-KLASS
BEWOHNTER ORT
2
1,16 %
Kaserne
FUNK-KLASS
BEWOHNTER ORT
2
1,16 %
Kasernement
FUNK-KLASS
BEWOHNTER ORT
2
1,16 %
Pass
FUNK-KLASS
VERKEHR
2
1,16 %
Reede
FUNK-KLASS
WIRTSCHAFT/ARBEIT
2
1,16 %
Schuppen
FUNK-KLASS
BEWOHNTER ORT
2
1,16 %
Ufer
GEO-KLASS
LANDSCHAFT [+WASSER]
2
1,16 %
Werft
FUNK-KLASS
WIRTSCHAFT/ARBEIT
2
1,16 %
Ziegelei
FUNK-KLASS
WIRTSCHAFT/ARBEIT
2
1,16 %
Gebirge
GEO-KLASS
RELIEF
0
0,00 %
KLASS
KLASS-Typ
semant. Gruppe
Straße
FUNK-KLASS
VERKEHR
Berg
GEO-KLASS
RELIEF
Fluss
GEO-KLASS
Riff Lager
5.2.4.4.6 Togo Mit einem recht ausgewogenen Verhältnis von FUNK- und GEO-KLASS149 ist Togo die Kolonie mit der am wenigsten ausgeprägten Markierung von Natur- bzw. Kulturraum. Das ausgeglichene Verhältnis ergibt sich u. a. aus dem auffallend hohen Anteil von KLASS im Bereich WIRTSCHAFT/ARBEIT,150 den keine der anderen Kolonien erreicht. Für Togo charakteristische KLASS in dieser semantischen Gruppe sind Firma und Plantage (s. Tab. 25). Der Anteil der als BEWOHNTER ORT klassifizierten topografischen Eindrücke liegt zwar nicht signifikant über dem kolo-
|| 149 HTogo (FUNK-KLASS) = 74, hKLASS_Togo (FUNK-KLASS) = 46,84 %. HTogo (GEO-KLASS) = 83, hKLASS_Togo (GEO-KLASS) = 52,53 %. 150 HTogo (WIRTSCHAFT/ARBEIT) = 22, hKLASS_Togo (WIRTSCHAFT/ARBEIT) = 13,92 %.
Der Vergleich | 161
nialen Durchschnitt,151 wird aber lediglich von NYS übertroffen.152 In dieser Gruppe fällt Togo besonders mit den KLASS Dorf und Platz auf. Ein Gegengewicht zu diesen kulturräumlich geprägten Gruppen bildet der mehrheitlich naturräumlich verortete Bereich RELIEF, in dem Togo den kolonieübergreifenden Höchstwert erreicht.153 Zu den charakteristischen KLASS in dieser Gruppe zählt v. a. Berg, der in etwa einem Viertel aller +KLASS in Togo vorkommt.154 Außerdem fallen Ebene, Hochfläche, Höhe, Hügel und Zug (im Sinne von Gebirgszug) auf. Ein weiteres Charakteristikum der Kolonie ist das Fehlen von Wasser, das sich vor allem in der semantischen Gruppe LANDSCHAFT [+WASSER] toponymisch ausdrückt.155 Der Anteil dieser Gruppe ist im togoischen KLASS-Inventar so niedrig wie in keiner anderen deutschen Kolonie. Die Abwesenheit von Buchten und Halbinseln fällt auf, worin sich Togo signifikant von den anderen Kolonien unterscheidet. Anders als bei den RELIEF-KLASS in Kiautschou, deren Fehlen auf das kolonisatorische Interesse der Benennenden zurückzuführen ist, geht die Unterrepräsentation von Bucht und Halbinsel unmittelbar auf die örtliche Topografie zurück: Togo grenzt mit einem schmalen und geradlinigen Küstenstreifen im Süden an den Golf von Guinea, wo die Kolonisierenden keine topografischen Eindrücke identifizieren, die der epistemischen Kategorie Bucht oder Halbinsel entsprächen und so für die Benennung infrage kämen. Tab. 25: Über- und unterrepräsentierte KLASS in Togo.
H
h+KLASS
39
24,68 %
KLASS
KLASS-Typ
semant. Gruppe
Berg
GEO-KLASS
RELIEF
Dorf
FUNK-KLASS
BEWOHNTER ORT
8
5,06 %
Firma
FUNK-KLASS
WIRTSCHAFT/ARBEIT
7
4,43 %
Plantage
FUNK-KLASS
WIRTSCHAFT/ARBEIT
6
3,80 %
Fall
GEO-KLASS
GEWÄSSER
5
3,16 %
Schnelle
GEO-KLASS
GEWÄSSER
5
3,16 %
Bach
GEO-KLASS
GEWÄSSER
4
2,53 %
Platz
FUNK-KLASS
BEWOHNTER ORT
3
1,90 %
|| 151 HTogo (BEWOHNTER ORT) = 21, hKLASS_Togo (BEWOHNTER ORT) = 13,29 %. 152 HNYS (BEWOHNTER ORT) = 21, hKLASS_NYS (BEWOHNTER ORT) = 18,58 %. 153 HTogo (RELIEF) = 61, hKLASS_Togo (RELIEF) = 38,61 %. 154 HTogo (Berg) = 39, hKLASS_Togo (Berg) = 24,68 %. 155 HTogo (LANDSCHAFT [+WASSER]) = 4, hKLASS_Togo (LANDSCHAFT [+WASSER]) = 2,53 %.
162 | Koloniale und metropolitane Klassifikatoren im Vergleich
KLASS
KLASS-Typ
semant. Gruppe
H
h+KLASS
Ebene
GEO-KLASS
RELIEF
2
1,27 %
Hochfläche
GEO-KLASS
RELIEF
2
1,27 %
Höhe
GEO-KLASS
RELIEF
2
1,27 %
Hügel
GEO-KLASS
RELIEF
2
1,27 %
Zug
GEO-KLASS
RELIEF
2
1,27 %
Bucht
GEO-KLASS
LANDSCHAFT [+WASSER]
0
0,00 %
Fluss
GEO-KLASS
GEWÄSSER
0
0,00 %
Halbinsel
GEO-KLASS
LANDSCHAFT [+WASSER]
0
0,00 %
5.2.4.4.7 Neuschweden und Saint-Barthélemy Im Fall der schwedischen Vergleichsdaten stehen sich mit NYS und SB zwei Kolonien gegenüber, die ein höchst uneinheitliches Bild von der schwedischen Klassifizierungspraxis im kolonialen Raum zeichnen. Während das deutsche Kolonialreich mit Kiautschou über eine ausgewiesene Handelskolonie unter mehreren anderweitig konzipierten Besitzungen verfügt (s. Kap. 1.1), stehen sich im Fall Schwedens der Handelsstützpunkt SB und der Siedlungs- und Produktionsstandort NYS gegenüber, die mit einem annähernd gleich umfangreichen Namenbestand im Datensatz SW.KOLTOP vertreten sind. Dementsprechend unterscheidet sich das Verhältnis von FUNK- und GEO-KLASS in NYS156 deutlich von dem in SB157, was sich im größeren Maßstab vor allem auf drei semantische KLASS-Gruppen zurückführen lässt. Es handelt sich erstens um den kulturräumlich verorteten Bereich VERKEHR. Hier liegt NYS158 signifikant unter dem kolonialen Durchschnitt, SB159 hingegen signifikant darüber. Der Kontrast verschärft sich zweitens bei der Gruppe LANDSCHAFT [+WASSER], die in den schwedischen Kolonien ausschließlich mit den naturräumlichen GEOKLASS besetzt ist. Fast zwei Drittel der neuschwedischen KLASS sind dieser Gruppe zuzurechnen, womit NYS im kolonialen Durchschnitt einen Höchstwert verzeichnet,160 SB hingegen einen Tiefstwert.161
|| 156 HNYS (FUNK-KLASS) = 27, hKLASS_NYS (FUNK-KLASS) = 23,89 %. HNYS (GEO-KLASS) = 81, hKLASS_NYS (GEO-KLASS) = 71,68 %. 157 HSB (FUNK-KLASS) = 75, hKLASS_SB (FUNK-KLASS) = 66,37 %. HSB (GEO-KLASS) = 26, hKLASS_SB (GEO-KLASS) = 23,01 %. 158 HNYS (VERKEHR) = 1, hKLASS_NYS (VERKEHR) = 0,88 %. 159 HSB (VERKEHR) = 40, hKLASS_SB (VERKEHR) = 35,40 %. 160 HNYS (LANDSCHAFT [+WASSER]) = 72, hKLASS_NYS (LANDSCHAFT [+WASSER]) = 63,72 %. 161 HSB (LANDSCHAFT [+WASSER]) = 1, hKLASS_SB (LANDSCHAFT [+WASSER]) = 0,88 %.
Der Vergleich | 163
Drittens fällt die Gruppe der ANDEREN auf, deren Vertreter sich keiner der übrigen semantischen Gruppen zweifelsfrei zuordnen lassen. Im Vergleich zu den übrigen Kolonien machen die ANDEREN in SB den mit Abstand größten Anteil am Bestand der +KLASS aus,162 während sich die Werte für NYS unauffällig verhalten.163 Da sich die Gruppe zum Großteil aus metaphorischen und ambigen KLASS zusammensetzt, treten auch die KLASS vom Typ UNKLAR in SB signifikant häufig auf.164 Trotz der starken Kontraste, die die beiden Kolonien an den Tag legen, besteht auch eine Gemeinsamkeit – und zwar in der Gruppe RELIEF, die in den schwedischen Kolonien ausschließlich mit GEO-KLASS besetzt ist. Ihre Vertreter sind sowohl in NYS165 als auch auf SB166 auffallend selten. Ein weiterer signifikant niedriger Wert ist für den kaum vorhandenen Anteil der GEWÄSSER-KLASS in SB zu verzeichnen.167 In NYS erzielt zudem der Anteil von BEWOHNTEN ORTEN einen kolonie-übergreifenden Höchstwert.168 Mit welchen konkreten KLASS-Elementen die schwedischen Kolonien besonders auffallen, zeigt Tab. 26. Da sich mit NYS und SB ein weiteres Mal nur zwei Merkmalsträger gegenüberstehen, wurde hier erneut eine gemeinsame Signifikanzschwelle auf der Grundlage aller KLASS errechnet (s. Kap. 5.2.4.4). In den schwedischen Kolonien gilt ein KLASS somit als signifikant, sobald sich seine relative Häufigkeit in NYS und SB um mindestens 5,23 % unterscheidet. Wie bei allen Gegenüberstellungen zweier (Teil-)Datensätze bedeutet die Überrepräsentation in einer Kolonie zugleich eine Unterrepräsentation in der anderen. Mit dem besonders hohen Anteil von kil (‚Keil‘) sticht das neuschwedische KLASS-Inventar hervor, denn keine andere Kolonie wird so stark von einem einzelnen KLASS dominiert. Als kilar bezeichnen die Kolonisierenden die kurzen, schmalen Ausläufer rechts und links des Delaware-Flusses. Bei ihnen handelt es sich offensichtlich um topografische Eindrücke von wesentlichem Interesse für die Kolonisierenden, da sie sie häufig als relevante Orte identifizieren und benennen. Grund dafür ist unter anderem die Funktion der kilar als Navigationspunkte auf dem länglichen, von Nordosten nach Südwesten verlaufenden Delaware (s. Abb. 16).
|| 162 HSB (ANDERE) = 38, hKLASS_SB (ANDERE) = 33,63 %. 163 HNYS (ANDERE) = 3, hKLASS_NYS (ANDERE) = 2,65 %. 164 HSB (UNKLAR) = 12, hKLASS_SB (UNKLAR) = 10,62 %. 165 HNYS (RELIEF) = 1, hKLASS_NYS (RELIEF) = 0,88 %. 166 HSB (RELIEF) = 7, hKLASS_SB (RELIEF) = 6,19 %. 167 HSB (GEWÄSSER) = 1, hKLASS_SB (GEWÄSSER) = 0,88 %. 168 HNYS (BEWOHNTER ORT) = 21, hKLASS_NYS (BEWOHNTER ORT) = 18,58 %.
164 | Koloniale und metropolitane Klassifikatoren im Vergleich
Tab. 26: Überrepräsentierte KLASS in den schwedischen Kolonien (keine Unterrepräsentationen vorhanden).
H
h+KLASS
LANDSCHAFT [+WASSER]
50
44,25 %
GEO-KLASS
LANDSCHAFT [+WASSER]
10
8,85 %
fort ‚Fort‘
FUNK-KLASS
BEWOHNTER ORT
9
7,96 %
gata ‚Straße‘
FUNK-KLASS
VERKEHR
29
25,66 %
gränd ‚Gasse‘
FUNK-KLASS
VERKEHR
7
6,19 %
batteri ‚Batterie‘
FUNK-KLASS
ANDERE
6
5,31 %
Kolonie
KLASS
KLASS-Typ
semant. Gruppe
N YS
kil ‚Keil‘
GEO-KLASS
udde ‚Landzunge‘
SB
Abb. 16: Kartenausschnitt von NYS nördlich der Delaware-Mündung (Holm 1988[1702]: 57).
Hinzu kommt die besondere Rolle der kilar bei der Erschließung des Hinterlands, die aus der Beschreibung des Poaetqvessingz-Kil von Holm (1988[1702]: 40; Übersetzung JdB) hervorgeht: Der Poaetqvessingz-Keil ist von der Natur mit den besten Lagevorteilen ausgestattet, die man sich nur wünschen kann: Auf beiden Seiten liegt hohes Land und der erste Wasserfall kann nicht weiter als einen Musketenschuss vom Fluss entfernt sein. Mit Fahrzeugen kann
Der Vergleich | 165
man auch so nah an die Mühlstelle [möglicherweise ein Wasserrad; JdB] herankommen, dass man alles mit Tauen hochbefördern kann.169
Die Regelmäßigkeit, mit der die Kolonisierenden in NYS die kilar benennen, ist ein gutes Beispiel dafür, dass sich der koloniale Blick auch auf die Klassifizierung naturräumlich perzipierter Landschaftsausschnitte auswirkt. Die Kolonialität des KLASS wird in diesem Fall nicht auf der Ebene der Oberflächensemantik transportiert und ebenso wenig evoziert der kil-Frame ein Defaultwissen von Naturräumlichkeit. Das koloniale Moment des Lexems wird erst durch seine Regelmäßigkeit im Zuge der quantitativen Analyse greifbar, mit der es im kolonialen Place-Making Verwendung findet. Die schwedischen Siedler*innen und die Kolonialverwaltung sind auf eine differenzierte Lokalisierung und Benennung der einzelnen kilar angewiesen, um im Zuge der kolonialen Expansion entlang des Delaware navigieren und das Hinterland erschließen zu können, wie Holms (1988[1702]: 40) Anmerkungen bezeugen. Die Überrepräsentation von kil in den neuschwedischen Daten ist ein Symptom der interessenbasierten Voreingenommenheit des kolonialen Blicks. Sie unterstreicht die Bedeutung der KLASS für den logistischen Erfolg der kolonisatorischen Expansion. Neben dem GEO-KLASS kil in NYS ist auch der FUNK-KLASS gata (‚Straße‘) in SB dafür verantwortlich, dass sich das Verhältnis von FUNK- und GEO-KLASS in den beiden Kolonien so stark voneinander unterscheidet. Gata, das ein Bestandteil von mehr als einem Viertel aller +KLASS auf SB ist, trägt wesentlich zu der starken Überrepräsentation der VERKEHR-KLASS in der Kolonie bei.170 Allerdings beschränkt sich sein Vorkommen ausnahmslos auf Gustavia als Hauptort der Insel. Generell sind auf SB kaum schwedische Exonyme belegt, die topografische Eindrücke außerhalb der Hauptstadt bezeichnen (vgl. Franzén 1974: 38), und noch 17 Jahre nach der Ankunft der ersten schwedischen Siedler verzeichnet Samuel Fahlberg auf seiner Charta öfver ön St. Barthélemy (1801) außerhalb Gustavias ausnahmslos französische Toponyme. Obwohl Fahlbergs Landkarte auch im Inselinneren eine Vielzahl von Straßen abbildet, ereignen sich Um- und Neubenennungen fast ausschließlich im Hauptort der Insel. Bei mehr als der Hälfte der neuen Straßennamen handelt es sich außerdem um direkte Übertragungen aus dem zeitgenössischen Stockholm, während sich die übrigen Klischee-Namen (vgl. Franzén 1974: 34) an bestehenden || 169 Poaetqveſſingz: Kil / aͤ r af naturen ſaͤ rdeles utwalder til alla de baͤ ſta laͤ gligheter man wil oͤ nſka: der aͤ r hoͤ gt Land å baͤ gge ſidor / och det foͤ rſta fallet / kan icke wara oͤ fwer ett Mousquete ſkot ifrån ſielfwa Revieret: med Farkoſtar kan man ock ſå naͤ r komma Qwarnſtaͤ llet / at man alt kan med Tåg uphißa. (Holm 1988[1702]: 40) 170 HSB (VERKEHR) = 40, hKLASS_SB (VERKEHR) = 35,40 %.
166 | Koloniale und metropolitane Klassifikatoren im Vergleich
Mustern anderer größerer Städte in der Metropole orientieren. Franzén (1974: 34) vermutet, dass die Vermessungsingenieure in Gustavia von offizieller Stelle damit beauftragt wurden, das Stadtbild mit schwedischen Namen zu versehen. Insofern scheint die häufige Verwendung von gata vor allem das Ergebnis einer amtlichen Pflichtübung zu sein. Insgesamt werden Straßen und Wege in Gustavia vermehrt in schwedischer Sprache (um-)benannt, da das Inselinnere für die Kolonisierenden von geringerem Interesse ist. Über die angestrebte Selbstversorgung hinaus lag die landwirtschaftliche Produktion auf der Insel nämlich weniger im Interesse der Kolonisierenden als ihre Stützpunktfunktion für den transatlantischen Handel. Für letzteren besitzen wiederum Gustavia und seine Hafenanlagen eine größere Relevanz als das übrige SB. Einmal mehr folgt die Erfassung relevanter Orte also der ökonomischen Intention der Kolonialmacht.
6
Fazit
Im vorangegangenen empirischen Analyseteil wurden deutsche und partiell deutsche sowie schwedische und partiell schwedische Toponyme in den Kolonien und in der Metropole im Hinblick auf ihre KLASS-Elemente vergleichend gegenübergestellt. Untersucht wurden dabei das quantitative Verhältnis von Toponymen mit und ohne KLASS, die morphologische Struktur der KLASS, ihre lexikalische Heterogenität sowie die natur- bzw. kulturräumlichen Implikationen, die als Elemente von lexikalischen Wissensrahmen mit den einzelnen KLASS verbunden sind. Im Anschluss an den kolonial-metropolitanen Vergleich folgte jeweils eine großmaßstäbige Analyse der einzelnen Kolonien, um regionale Signifikanzen aufzuzeigen. Mit der parallelen Analyse eines kleineren Bestands von schwedischen (Kolonial-)Toponymen wurde überprüft, ob die deutschen Befunde als repräsentativ für eine weiterreichende, europäische Praxis des kolonialen Place-Makings und der Wahrnehmung von kolonialer Landschaft gelten dürfen. Abseits der diversen statistischen Signifikanzen, die im Zuge der Datenauswertung gemessen werden konnten, lag die wesentliche Intention der Analyse in der Überprüfung von drei eingangs formulierten Hypothesen. Die Ergebnisse der Analyse fasse ich im Folgenden zusammen. Sowohl in den Kolonien als auch in der Metropole stellen Toponyme mit KLASS den Standardfall dar. Damit ist in allen untersuchten Räumen ein hohes Interesse zu beobachten, distinkte Orte nicht nur zu benennen, sondern mit einer dafür vorgesehenen toponymischen Struktur in die epistemische Ordnung der benennenden Personen einzuordnen. Im Kontext der eurokolonialen Expansionsbestrebungen stellt diese Einordnung einen intendierten Versuch der Einflussnahme von kolonialen Akteur*innen auf den kolonialen Diskurs dar: Koloniale Benennungen spiegeln „die soziale Bedeutungskonstitution von Kolonisatoren“ (Schulz & Aleff 2018: 144) wider. Angesichts der deutlichen und allgegenwärtigen Mehrheit von +KLASS gegenüber -KLASS kann die Kommunikation von (prokolonialem) Wissen sogar als eine primäre Funktion von kolonialen Ortsnamen gelten, deren Relevanz nicht hinter der der reinen ReferenzLeistung zurücksteht. Die statistische Auswertung der Datensätze hat gezeigt, dass die +KLASS in der Metropole trotz ihres mehrheitlichen Anteils am Namenbestand signifikant unterrepräsentiert sind. Der auffällige Unterschied zu den deutschen Kolonien führt dazu, dass die zuvor aufgestellte Nullhypothese
https://doi.org/10.1515/9783111007588-006
168 | Fazit
H01: hTOP_DT.KOLTOP (+KLASS) ≤ hTOP_DT.TOP (+KLASS) Die relative Häufigkeit der +KLASS ist in den Kolonien kleiner oder gleich der in der Metropole
abgelehnt werden muss. Stattdessen ist von der Gültigkeit der HA1: hTOP_DT.KOLTOP (+KLASS) > hTOP_DT.TOP (+KLASS) Die relative Häufigkeit der +KLASS ist in den Kolonien höher als in der Metropole
auszugehen. Die Kolonisierenden forcieren die kategorielle Einordnung von Landschaftsausschnitten und ihre Versprachlichung in Toponymen. Insofern stellen die KLASS kein exklusives, aber in ihrer hohen Frequenz dennoch charakteristisches Merkmal von kolonialem Place-Making dar. Anders als etwa anthroponymische MOD-Elemente, die im eurokolonialen Toponomastikon besonders häufig auftreten (vgl. Stolz & Levkovych 2020b: 133) und deren Verständnis ein spezifisches Wissen über die Zielperson der Widmung erfordert, evozieren die KLASS als (meist rezente, selten historische) appellativische Ausdrücke bei allen Sprecher*innen der Kolonialsprache ein konventionalisiertes Wissen. Für die epistemische Verknüpfung eines Ortes mit raumbezogenen kolonialen Gewissheiten eignen sich die KLASS daher besonders gut. Insofern tritt die Diskursfunktion des Toponomastikons, das „gesellschaftliche Überzeugungen hervorbringt sowie indiziert“ (Stolz & Warnke 2018c: 50), in ihnen deutlich hervor. Im Zuge der parallelen Analyse schwedischer (Kolonial-)Toponyme konnte ebenfalls eine deutliche Mehrheit von +KLASS identifiziert werden. Genau wie im Deutschen sind die +KLASS auch in den schwedischen Kolonien mit einem größeren Anteil vertreten als in der Metropole. Allerdings ist diese Abweichung nicht signifikant. Von den schwedischen Befunden ausgehend können die KLASS also lediglich als ein deutsches, nicht jedoch als ein europäisches Charakteristikum von kolonialem Place-Making gelten. Betrachtet man die Kolonien im Einzelnen, setzt sich die Dominanz der +KLASS ausnahmslos fort. Der Anteil von Toponymen mit und ohne KLASS liegt in der Siedlungskolonie DSWA verhältnismäßig nah beieinander, was die Tendenz von bewohntem Raum zu toponymischer Diversität unterstreicht. Die Befunde für DNG bilden denselben Zusammenhang im Negativen ab: Die Kolonie weist das am stärksten naturräumlich geprägte KLASS-Inventar und zugleich die größte Differenz von +KLASS und -KLASS auf. Des Weiteren hat die morphologische Analyse der KLASS gezeigt, dass Landschaft sowohl in den Kolonien als auch in der Metropole v. a. mithilfe von Simplizia kategoriell eingeordnet wird. In der Häufigkeitshierarchie folgen die komplexen Bildungen und schließlich die in den Kolonien nahezu vollständig absenten Suffixe. Letztere sind als Ergebnis von Sprachwandelprozessen ledig-
Fazit | 169
lich im KLASS-Bestand der deutschen Metropole signifikant häufig nachweisbar – bei ihnen handelt es sich ebenfalls um (ehemalige) Appellativa, die ihre Transparenz allerdings im Zuge von Sprachwandel im Gegenwartsdeutschen eingebüßt haben. Im kolonialen Raum tauchen Suffix-KLASS lediglich in der geplanten Siedlungskolonie DSWA auf, wo sie mehrheitlich Teil von direkten Namensübertragungen aus der Metropole sind. Als solche suggerieren sie eine Nähe der Kolonie zur Metropole. Die Morphologie der KLASS allein lässt sich kaum als ein distinktives Merkmal von kolonialem bzw. metropolitanem Place-Making analysieren. Betrachtet man die morphologischen Befunde allerdings zusammen mit der implizierten Natur- bzw. Kulturräumlichkeit der KLASS, ergibt sich ein Zusammenhang von Morphologie und Semantik der Elemente: Nehmen die Benennenden einen topografischen Eindruck als naturnah bzw. kulturfern wahr, greifen sie bei der kategoriellen Einordnung eher auf Simplex-KLASS zurück. Kulturnah bzw. naturfern perzipierte Teile der Landschaft werden hingegen häufiger mit einem komplexen Ausdruck versehen. Diese Tendenz gilt sowohl im Deutschen als auch im Schwedischen, allerdings ist sie in den schwedischen Datensätzen weniger stark ausgeprägt. Um herauszufinden, ob die ontologischen Annahmen der Kolonisierenden das Spektrum der identifizierten Orte reduzieren, habe ich die lexikalische Heterogenität von kolonialen und metropolitanen KLASS miteinander verglichen. Dafür wurde das Type-Token-Verhältnis als ein erster Heterogenitätsindex herangezogen. Als ein zweiter Maßstab wurden anschließend die häufigsten KLASS ermittelt, die gemeinsam 50 % des KLASS-Bestands je Datensatz bzw. Kolonie ausmachen. Bei dieser zweiten Heterogenitätskennzahl wurden die zahlreichen einmalig auftretenden KLASS-Elemente ausgeblendet, womit sich der Eindruck der TTR bestätigen ließ. Tatsächlich widerlegen die Befunde die zweite Nullhypothese H02: TTRKLASS_DT.KOLTOP ≥ TTRKLASS_DT.TOP Das Type-Token-Verhältnis der KLASS ist in den Kolonien höher oder gleich dem in der Metropole
und sprechen stattdessen für die Gültigkeit der Alternativhypothese HA2: TTRKLASS_DT.KOLTOP < TTRKLASS_DT.TOP Das Type-Token-Verhältnis der KLASS ist in den Kolonien niedriger als in der Metropole.
Die auffallend limitierten KLASS-Elemente in den Kolonien sind symptomatisch für den fokussierten kolonialen Blick und die Voreingenommenheit von PlaceIdentification im kolonialen Raum. Die Kolonisierenden nehmen die koloniale
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Landschaft vor dem Hintergrund eines spirit of improvement wahr, den Pratt (2008) bei mehreren Vertretern kolonialer Reiseliteratur beobachtet. Anhand mehrerer Beispiele weist sie darauf hin, dass die von der naturgeschichtlichen Strömung eingeläutete Systematisierung und Ordnung der außereuropäischen Welt bereits in ihren Anfängen mitunter auf die Ausbeutung von Rohstoffen abzielt: Like the rise of interior exploration, the systematic surface mapping of the globe correlates with an expanding search for commercially exploitable resources, markets, and lands to colonize, just as navigational mapping is linked with the search for trade routes. Unlike navigational mapping, however, natural history conceived of the world as a chaos out of which the scientist produced an order. It is not, then, simply a question of depicting the planet as it was. (Pratt ebd.: 30; Hervorh. i. O.)
Das homogene KLASS-Inventar der Kolonien, die sich bereits durch eine konsequentere Kategorisierung von Orten von der Metropole abheben (s. o.), unterstreicht den Zusammenhang von wirtschaftlichen Interessen und stringenter kategorieller Einordnung von Landschaft. Der Raum wird auf dem Weg der Benennung homogenisiert und entmenschlicht. Die toponymisch kommunizierte Leere des kolonialen Raums prägt den kolonialen Diskurs: Sie wird zum Teil einer „sprachgeprägten Wirklichkeit“ im Sinne Hermanns (1994: 37), wo sie sich (bewusst oder unbewusst) als eine Legitimierung der von vornherein mitgedachten Ausbeutung von Menschen und Ressourcen etabliert. Im vierten und letzten Analyseschritt habe ich die KLASS unter semantischen Gesichtspunkten ausgewertet. Angelehnt an das Vorgehen von Warnke, Stolz, de Bloom & Levkovych (2020) wurden zunächst zwei semantische KLASS-Typen über bestimmte Frame-Elemente definiert: Die FUNK- und GEO-KLASS unterscheiden sich in ihrer Besetzung des Frame-Slots KULTUR-/NATURRAUM, die sich mithilfe einer lexikografischen (und damit immer auch interpretationsabhängigen) Recherche für jedes KLASS-Element fundiert begründen lässt. Im Fall der deutschen (Kolonial-)Toponyme spricht die Distribution von naturräumlichen GEOund kulturräumlichen FUNK-KLASS deutlich für eine naturnahe Wahrnehmung von kolonialer Landschaft gegenüber einer kulturnahen Wahrnehmung der Metropole. Der Kontrast ist statistisch signifikant ausgeprägt, sodass auch die dritte Nullhypothese H03: hKLASS_DT.KOLTOP (FUNK-KLASS) = hKLASS_DT.TOP (FUNK-KLASS) Die relative Häufigkeit der FUNK-KLASS in den Kolonien ist gleich der in der Metropole
als falsifiziert gelten kann. Stattdessen muss die Gültigkeit der Alternativhypothese
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HA3: hKLASS_DT.KOLTOP (FUNK-KLASS) ≠ hKLASS_DT.TOP (FUNK-KLASS) Die relative Häufigkeit der FUNK-KLASS in den Kolonien ist ungleich der in der Metropole
angenommen werden, die zu Beginn der Arbeit absichtlich ungerichtet formuliert wurde. Grund für die Offenheit der HA3 waren zwei Vermutungen, die der Hypothese zugrunde liegen und sich gegenseitig ausschließen: Die erste Vermutung besagt, dass der koloniale Naturraum-Topos sich auch toponymisch niederschlagen könnte, indem die Benennenden das koloniale Toponomastikon vermehrt mit naturnahen KLASS versehen. Diese Vermutung konnte anhand der quantitativen Auswertung der Datensätze bestätigt werden. Die signifikante Häufigkeit der GEO-KLASS bzw. die Abwesenheit der anthropozentrischen FUNKKLASS verstärkt den Eindruck der Kolonien als unberührtes Land und der indigenen Bevölkerung als außerstande, das ökonomische Potenzial mit eigener Technologie und Kenntnis zu nutzen. Eine weitere Vermutung lautete, dass prokoloniale Akteur*innen vermehrt auf kulturnahe FUNK-KLASS zurückgreifen könnten, um das wirtschaftliche Potenzial von Orten im kolonialen Place-Making hervorzuheben. Die Ergebnisse der semantischen KLASS-Analyse haben gezeigt, dass sich dieser Fokus bei der Benennung lediglich in Kiautschou und auf SB niederschlägt, denen als Handelskolonien eine Sonderrolle bei der kolonialen Expansion zukommt. In den schwedischen Vergleichsdaten liegen die Anteile der beiden KLASSTypen wesentlich näher beieinander. Allerdings relativiert sich dieser Eindruck, sobald man NYS und SB im Einzelnen betrachtet. Das von SW.KOLTOP suggerierte ausgeglichene Verhältnis von FUNK- und GEO-KLASS besteht lediglich im Mittelwert der beiden Kolonien, die sich als separate Teildatensätze in dieser Hinsicht wiederum stark voneinander unterscheiden. Insgesamt ist es nicht möglich, aus den deutschen und schwedischen Befunden ein gesamteuropäisches Muster abzuleiten. Ohne den Ortsnamenbestand von anderen europäischen Kolonialmächten miteinzubeziehen, muss die Naturräumlichkeit von kolonialen KLASS vorläufig als ein deutsches Phänomen betrachtet werden. Auf die Auswertung von KLASS-Typen folgt eine Einteilung der KLASS in acht semantische Gruppen, die einen genaueren Einblick in die benannten topografischen Eindrücke bietet. Die kulturferne Darstellung der deutschen Kolonien drückt sich unter anderem durch die Unterrepräsentation von BEWOHNTEN ORTEN aus, während die naturräumlich dominierte Gruppe RELIEF signifikant häufig vertreten ist. Auch in den schwedischen Vergleichsdaten spiegeln die semantischen Gruppen die Verteilung der KLASS-Typen wider: Zahlreiche Orte lassen eine Zugehörigkeit zur Gruppe LANDSCHAFT [+WASSER] erkennen, während die ebenfalls naturräumlich aufgefassten Gruppen GEWÄSSER und RELIEF stark unterrepräsentiert sind. Zudem stehen sich in der schwedischen Metropole zahlrei-
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che Orte in der Domäne WIRTSCHAFT/ARBEIT und signifikant wenige im Bereich VERKEHR gegenüber. Im Anschluss an die Analyse der Makroebene habe ich die in DT.KOLTOP und SW.KOLTOP zusammengefassten Kolonien auch im Einzelnen unter semantischen Gesichtspunkten ausgewertet. Erwartungsgemäß spiegeln die Kolonien größtenteils die Tendenzen ihrer übergeordneten Datensätze wider: Mit Ausnahme der beiden Handelsstützpunkte Kiautschou und SB werden koloniale Orte mehrheitlich im Naturraum verortet. Das gilt ebenso für DSWA, wo eine verhältnismäßig große Anzahl deutscher Siedler für eine Reihe von abstrakten, positiv konnotierten KLASS-Elementen sorgt. Das Ergebnis ist ein Ortsnamenbestand, der den besonderen Status von DSWA als Siedlungskolonie unterstreicht. In Kiautschou zeugt das Toponomastikon von den politisch-wirtschaftlichen Zielen der deutschen Administration. Hier ist der Anteil der FUNK-KLASS größer als in jeder anderen Kolonie – das Pachtgebiet hebt sich mit seiner implizierten Kulturräumlichkeit stark von den übrigen deutschen Kolonien ab. Andere prominente Teile der Topografie werden hingegen nicht mit einem deutschen +KLASS versehen, was den engen Fokus des kolonialen Blicks auf Landschaft unterstreicht. Letzterer lässt sich genauso für das schwedische SB feststellen, wo die FUNK-KLASS ebenfalls signifikant häufig vorkommen. In den sechs übrigen Kolonien manifestiert sich im mehrheitlich naturräumlichen KLASSBestand hingegen der Naturraum-Topos als eine etablierte koloniale Gewissheit: Reiseberichte prägen die vielfältigen, auch phantastischen Vorstellungen vom afrikanischen Raum: das Land sei „herrenlos“, die Böden fruchtbar und die Vielfalt an Pflanzen und Tieren groß. Allerdings verfügten die Bewohner weder über eine entwickelte Technik noch über die Fähigkeit, ihre eigenen „Schätze“ zu nutzen. (Lauer 2009: 203)
Aus der vermeintlichen Misswirtschaft und Unfähigkeit der indigenen Bevölkerung leiten die Kolonisierenden ihren Herrschaftsanspruch ab. Die KLASS spielen bei der Verfestigung dieses diskursiven Argumentationsmusters eine verstärkende Rolle. Im Hinblick auf die acht semantischen KLASS-Gruppen verhalten sich die einzelnen Kolonien sehr unterschiedlich. In DNG, der am stärksten naturräumlich markierten Kolonie, stellt Wasser das für die Kolonisierenden auffälligste topografische Merkmal dar. Hier werden sowohl Landschaften mit umgebendem Wasser als auch der Verkehr zur See toponymisch besonders hervorgehoben. Indem anthropogene Teile der Topografie nur selten einen KLASS erhalten, entsteht ein Eindruck von fehlender menschlicher Aktivität. Endonyme sind zwar durchaus vorhanden, allerdings transportieren diese keine transparenten
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Informationen über einen möglichen Einfluss der indigenen Bevölkerung vor der europäischen Besitzergreifung. Für die Kolonisierenden wird die indigene Bevölkerung weitestgehend marginalisiert und der Topos der leeren Natur setzt sich im Ortsnamenbestand fort. Ein ähnliches Bild zeichnet die KLASS-Semantik in DOA: Das ebenfalls naturräumlich dominierte KLASS-Inventar nimmt nur selten auf ökonomisch relevante Orte Bezug. Stattdessen verwenden die Benennenden KLASS besonders oft in Oronymen und für unterschiedliche Landschaften, die (anders als in DNG) keinerlei Bezug zu umgebendem Wasser aufweisen. Insgesamt ist auch die indigene Bevölkerung kein Bestandteil des toponymisch kommunizierten Wissens über DOA. Auch in DSWA gehören epistemische Verortungen im Naturraum zur Mehrheit aller Place-Making-Vorgänge. Allerdings hebt sich der KLASS-Bestand statistisch nicht von den übrigen Kolonien ab. Bei den als naturnah gekennzeichneten Teilen der Landschaft handelt es sich v. a. um Gewässer und um diverse Landschaften ohne Wasser-Bezug. Hinzu kommen die bereits erwähnten abstrakten und metaphorisch verwendeten Namensbestandteile mit emotionaler bzw. persönlicher Note. Namen wie Paradies, Wüstenkönig und Frohe Hoffnung spiegeln nicht nur die besondere Demografie der Kolonie mit ihrer relativ hohen Anzahl deutscher Siedler*innen wider, sondern dienen möglicherweise auch als Projektionsfläche für exotische Fantasien der Kolonisierenden. An der Entstehung solcher Fantasien sind die KLASS ebenso beteiligt wie koloniale Zeitschriften, Romane, Reiseberichte und andere Medien: „Wie vielleicht auf keinem anderen Gebiet der Historie waren in der europäischen Expansion Phantasie, Plan und Praxis stets eng aufeinander bezogen“, stellt Kundrus (2003: 8) fest. Für Kamerun bringt die semantische Analyse kaum interpretierbare Befunde hervor. Die Kolonie ist zuvor lediglich mit ihrem hohen Anteil an morphologisch komplexen KLASS-Elementen aufgefallen – in Bezug auf ihre natur- bzw. kulturräumlichen Implikationen hebt sich Kamerun hingegen nicht von den anderen untersuchten Kolonien ab. Einen starken Kontrast zu den übrigen deutschen Kolonien zeichnen die KLASS in Kiautschou, die insbesondere infrastrukturell und ökonomisch relevante Orte fokussieren. Obwohl seine Topografie von Höhenunterschieden geprägt ist, sind gerade Berg und Gebirge die einzigen signifikant unterrepräsentierten KLASS im Pachtgebiet. Die Befunde belegen, dass sich der KLASS-Bestand einer Kolonie nicht logisch aus einer vermeintlichen topografischen Realität ableitet. Stattdessen lässt sich an ihnen ein generelles Merkmal von kategoriellem Den-
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ken nachvollziehen, das in deutlichem Gegensatz zum traditionellen, ontologisch-realistischen Kategorienbegriff steht: Die kategorielle Zusammenführung von Phänomenen zu Gattungen (Bewohner, Mensch, Haus etc.) und die Sammlung von Phänomenen durch Kollektiva (Bevölkerung, Wald, Geschwister etc.) ist nicht nur eine zentrale kognitive Leistung, sondern steht auch in Abhängigkeit zu Wertung, Gewichtung, Gruppierung und Fokussierung von Gegenständen und Sachverhalten. (Spitzmüller & Warnke 2011: 141; Hervorh. i. O.)
Der Verteilung von FUNK- und GEO-KLASS zufolge ist Togo die am wenigsten natur- bzw. kulturräumlich markierte Kolonie. Überdurchschnittlich häufig werden hier Orte benannt, die unter ökonomischen Gesichtspunkten relevant sind. Den naturnahen Gegenpol hierzu bilden die zahlreichen RELIEF-KLASS. In der Gruppe LANDSCHAFT [+WASSER] weist Togo hingegen einen Tiefstwert unter den deutschen Kolonien auf. Anhand der schwedischen Kolonien SB und NYS wird der Einfluss von ontologischen Annahmen und kolonialer Intention auf den KLASS-Bestand ein weiteres Mal deutlich. Das karibische SB, als Stützpunkt für den transatlantischen Handel konzipiert, weist auffallend viele kulturnah einzuordnende KLASS-Elemente auf. In NYS, das sowohl finanzielle Gewinne abwerfen als auch als Missionsstandort dienen sollte (vgl. Fur 2006: 90), dominieren hingegen kulturferne KLASS, die das Land entsprechend dem spirit of improvement nach Pratt (2008: 60) als leer und ungenutzt charakterisieren. So verschieden wie die intendierte Funktion der beiden Kolonien sind auch die Ausprägungen der semantischen KLASS-Gruppen: Bspw. werden auf SB Orte des VERKEHRS auffallend häufig mit einem KLASS versehen, in NYS steht die naturnahe Gruppe LANDSCHAFT [+WASSER] allein für rund zwei Drittel aller KLASS. Zudem sticht NYS mit der starken Dominanz eines einzelnen KLASS aus den übrigen Kolonien hervor: kil (‚Keil‘) ist als Bezeichnung für die kurzen, seitlichen Ausläufer des Delaware-Flusses epistemisch dem Naturraum zuzuordnen – seine hohe Vorkommenshäufigkeit beruht auf den spezifischen Relevanzurteilen des kolonialen Blicks: Außerhalb des kolonialen Kontexts und ohne die kolonialtypischen, funktionalen Wissenselemente Navigationspunkt und Hinterlandanbindung, die dem kil-Frame anhand von zeitgenössischen Quellen nachgewiesen werden können, wäre das Place-Making in NYS weniger stark auf topografische Eindrücke des Naturraums fokussiert. Für das Deutsche lassen sich die Ergebnisse der vergleichenden Analyse in vier distinktiven Merkmalen zusammenfassen, die charakteristisch für die koloniale Kategorisierung von Landschaft sind:
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Konsequente Klassifizierung: Die Benennung der kolonialen Landschaft erfolgt unter systematischer Verwendung klassifizierender Namensbestandteile. -KLASS sind eine seltene Ausnahme. Wie andere Beiträge im Rahmen von COCOTOP gezeigt haben, handelt es sich dabei um ein Merkmal einer gesamteuropäischen Raumwahrnehmung, auch wenn den schwedischen Vergleichsdaten entsprechende signifikante Merkmale fehlen. Morphologische Simplizität: Im Vergleich zur Metropole herrscht in den Kolonien eine deutliche Präferenz von morphologisch simplen Kategorienbegriffen vor, um topografische Eindrücke epistemisch einzuordnen. Komplexe KLASSStrukturen sind deutlich seltener, während Suffixe keine nennenswerte Rolle spielen. Dabei markieren Simplizia primär naturnahe Landschaftsausschnitte, komplexe Bildungen hingegen eher kulturnahe Eindrücke. Von den schwedischen Daten ausgehend kann die morphologische Simplizität der KLASS vorläufig nur als ein Merkmal der deutschen Benennungspraxis gelten. Lexikalischer Schematismus: Die Benennenden ordnen die Topografie der Kolonien in ein auffallend limitiertes Set von Kategorien ein. Die vereinfachte toponymische Darstellung homogenisiert den kolonialen Raum und erzeugt einen stark vereinfachten Eindruck von der Lebensweise der indigenen Bevölkerung, die die Landschaft schon vor der Ankunft der Europäer*innen prägte. Die vermeintliche Unterentwicklung bzw. unzureichende Nutzung macht den Raum für prokoloniale Argumentationsmuster nutzbar. Auch dieser funktionale Aspekt der kolonialen Ortsherstellung konnte in dieser Untersuchung lediglich für die deutsche Kategorisierung von Landschaft nachgewiesen werden. Naturräumliche Voreingenommenheit: Für die Kolonisierenden ist der kolonisierte (oder zu kolonisierende) Raum Teil einer weitestgehend unberührten Natur, die es ökonomisch zu nutzen gilt. Die in ihrem Sinne relevanten Orte werden von den Benennenden mit KLASS-Elementen versehen, die naturräumliche Wissenselemente evozieren. Genau wie die lexikalische Homogenität der KLASS stellt auch ihr naturräumlicher Fokus eine Form des toponymischen Silencings dar: Aus der Konzeptualisierung eines leeren Raums, in dem die indigene Bevölkerung keine nennenswerte Rolle spielt, leiten die Kolonisierenden ihren vermeintlich unwidersprochenen Herrschaftsanspruch ab. Eine Ausnahme bilden Kolonien, die von der Kolonialmacht ausdrücklich nicht als Produktions- sondern als Handelsstandorte konzeptualisiert sind: Hier vermitteln die KLASS durchaus menschliche Involviertheit, allerdings lediglich seitens der Kolonisierenden. Die naturräumliche Voreingenommenheit der Raumwahr-
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nehmung lässt sich auch im Schwedischen nachvollziehen, was die Annahme rechtfertigt, dass es sich um ein europäisches, statt um ein deutsches Merkmal der Kategorisierung von kolonialer Landschaft handelt. Insgesamt kann die Bedeutung der kategoriellen Einordnung von Raum für die koloniale Expansion kaum überschätzt werden. Akteur*innen prägen den kolonialen Diskurs entsprechend ihrer Interessen, indem sie die fremde Topografie in bekannte epistemische Ordnungen eingliedern. Für Pratt (2008: 9) ist diese Einordnung bereits Teil der kolonialen Besitzergreifung: Sie ist die definierende Aktivität des „seeing man“, des „white male subject of European landscape discourse – he whose imperial eyes passively look out and possess.“ Es sind v. a. diese von Pratt beschriebenen Diskurssubjekte, die als Akteur*innen der kolonialen Ortsherstellung auftreten. Sie näher zu untersuchen, offenbart interessante Forschungsfragen für COCOTOP. Handeln die Benennenden autonom oder im Auftrag? Aus welchem Teil der Metropole stammen sie? Und lassen sich toponymische Muster (oder Ausnahmen davon) im Hinblick auf diese individuellen Hintergründe erklären? Dass die Akteur*innen in der vorliegenden Arbeit weitestgehend ausgeklammert werden, ist v. a. dem hier verfolgten quantitativen Ansatz geschuldet. Ich gehe allerdings davon aus, dass ein entsprechender Fokus in zukünftigen Arbeiten ein großes Erkenntnispotenzial und neue Perspektiven bereithält – für COCOTOP, aber auch darüber hinaus. Denn das Konzept des kolonialen Blicks kann Anknüpfungspunkte schaffen: Es handelt sich um eine Weltanschauung im wörtlichen Sinne, die auch, aber längst nicht ausschließlich die ontologischen Kategorien von Sprecher*innen prägt und insofern für verschiedene Geisteswissenschaften von Interesse ist. Als ein Beispiel für so einen interdisziplinären Impuls sei hier die akteurtheoretische Soziologie nach Uwe Schimank genannt. Diese bildet das wechselseitige Verhältnis von Akteur*innen ab, indem sie drei Anordnungen für das „handelnde Zusammenwirken“ (Kron & Winter 2009: 43) unterscheidet: die Beobachtungs-, Beeinflussungs- und Verhandlungskonstellation. Für Pratt (2008) wären Schimanks Beobachten und Beeinflussen im kolonialen Kontext nicht scharf zu trennen, da dem beobachtenden Blick der Europäer*innen bereits der starke Wille zur Beeinflussung innewohnt – und zwar nicht zeitlich nachgelagert, sondern immer synchron. Insofern verbinden Kolonialtoponyme die Beobachtungs- und Beeinflussungskonstellation zu einer interessanten neuen Akteur*innenkonstellation, die die benennenden Personen und ihre Motive treffender beschreibt. Auch wenn die vergleichende Kolonialtoponomastik ursprünglich nicht den Ortsnamenbestand der Metropole untersucht (vgl. Stolz & Warnke 2018c: 8),
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lässt sich die Kolonialität mancher toponymischer KLASS nur im Vergleich mit dem europäischen Namensbestand feststellen und beschreiben. Während MODElemente in einem Toponym oftmals mit der klaren Intention verwendet werden, einen benannten Ort explizit einer Kolonialmacht zuzuordnen (vgl. Schuster 2018: 179), tritt der kolonisatorische Nutzen der KLASS weniger auffällig zutage. Ein Grund hierfür besteht in der irrigen Annahme des ontologischen Realismus, dass topografische Kategorienbegriffe die Merkmale einer Landschaft wertneutral wiedergeben. Als unauffällige Träger von raumbezogenen kolonialen Gewissheiten sind KLASS besonders relevant für die Rekonstruktion raumbezogener historischer Epistemologien: Ich schließe mich hier der Einschätzung Busses (2000: 43) an: Nach meiner festen Überzeugung muss die Analyse des unreflektierten, unartikulierten, als selbstverständlich vorausgesetzten und daher nicht thematisierten aber gleichwohl diskursstrukturierenden Wissens in jeder historischen Semantik eine zentrale Stelle einnehmen, die als Beitrag zu einer historischen Epistemologie ernst genommen werden will.
Im Fall der KLASS wird das unartikulierte Wissen erst im quantitativen Vergleich von Kolonien und Metropole nachvollziehbar. Deshalb halte ich es für unverzichtbar, dass sich die zukünftige Beschäftigung mit den KLASS im Rahmen von COCOTOP auch mit dem Namenbestand der Metropole auseinandersetzt. Mit dem Einbezug der Metropole und dem offenen Wissensbegriff der Frame-Semantik und Diskurslinguistik ist der sprachvergleichende Ansatz von COCOTOP in der Lage, die Merkmale einer europäischen, kolonialspezifischen Raumwahrnehmung näher zu beschreiben und die KLASS als diskurswirksame Namensbestandteile zu analysieren. Besonders wertvoll sind in diesem Zusammenhang weitere Untersuchungen zu den Sprachen anderer Kolonialmächte, die die deutschen und schwedischen Befunde in einem größeren europäischen Zusammenhang verorten und vergleichbar machen. Solche Arbeiten sind im Rahmen von COCOTOP bereits entstanden, wobei mitunter toponymische Gemeinsamkeiten über den europäischen Kontext hinaus festgestellt werden. So stellt bspw. Otsuka (2018: 347) in einer detaillierten Analyse fest, dass „Geofaktoren wie Wetter, Vogel, Pflanze, Jahreszeit, Insekt, Himmelsrichtung oder geographische Beschaffenheit“ die mehrheitlichen Motive im japanisch-kolonialen Place-Naming darstellen. Hierin besteht eine interessante Parallele zum Überhang der GEO-KLASS im deutschen und schwedischen Kolonialtoponomastikon. Auch Levkovych (2018) identifiziert in ihrem Beitrag zu russischen Kolonialtoponymen in Alaska gewisse Gemeinsamkeiten mit der (west-)europäischen Benennungspraxis. Ihre Befunde heben bspw. die enorme Relevanz von anthro-
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ponymischen Namensbestandteilen hervor, die sich in allen europäischen Kolonialismen beobachten lässt (vgl. Levkovych 2018: 199). Das Erkenntnispotenzial von diesen und anderen kolonialtoponomastischen Arbeiten beschränkt sich nicht auf die Wahrnehmung und Benennung des Raums selbst – schließlich geht dessen kategorielle Einordnung mit einer impliziten Darstellung seiner Bewohner*innen einher. Der koloniale Ortsnamenbestand wird zum Teil der prokolonialen Rhetorik, indem er die indigene Bevölkerung etwa als nicht existent, hilfsbedürftig oder unterentwickelt darstellt. Da die KLASS neben Orten also auch Menschenbilder evozieren und kommunizieren, erweitert die Auseinandersetzung mit ihnen auch die Erklärungsmacht der Kolonialtoponomastik. Dabei muss (und sollte) sich COCOTOP nicht nur quantitativ mit dem KLASSBestand von Kolonien und Metropole auseinandersetzen, wie in der vorliegenden Arbeit geschehen. Unter Umständen liefert schon die qualitative Detailanalyse einzelner KLASS-Elemente wertvolle Einblicke in die epistemischen Ordnungen der Benennenden und den kolonialen Diskurs. Für besonders vielversprechend halte ich z. B. lexembezogene Analysen mithilfe von Textkorpora, über die sich die Tiefensemantik von KLASS genauer nachvollziehen und für den kolonialen Kontext rekonstruieren lässt.
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|| Anmerkung: Viele der historischen Landkarten liegen als lose Kartenblätter vor oder sind als Beilagen von Zeitschriften erschienen. In diesen Fällen sind Maßstabszahlen, Publikationsjahr, auftraggebende Institutionen und Verlage sowie andere bibliografisch relevante Angaben nicht immer auf der Karte vermerkt. Sie werden daher im Quellenverzeichnis stellenweise nicht angegeben. Da in einigen Fällen auch die Kartograf*innen selbst nicht namentlich angegeben werden, sind die Kartenquellen hier alphabetisch nach Titel und nicht nach Verfasser*in sortiert. https://doi.org/10.1515/9783111007588-007
180 | Quellen
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Autor*innenverzeichnis Aleff, Maria 14, 25, 58f., 61, 167 Ålund, Otto W. 8 Anderson, John M. 47, 50f., 55f., 58 Aristoteles 29, 32, 34ff., 43f. Baker, Collin 70 Barsalou, Lawrence W. 69, 72 Barz, Irmhild 51, 54, 111 Benveniste, Émile 35, 42ff. Bock, Bettina M. 51 Bourdieu, Pierre 36, 73 Bubenhofer, Noah 52 Bühler, Karl 37f. Busch, Albert 111 Busse, Beatrix 1, 63f. Busse, Dietrich 3, 14ff., 31, 39ff., 45f., 67ff., 86, 117, 130, 177 Carey, Susan 44 Carr, Brian 35 Castro Varela, María do Mar 3f. Conrad, Sebastian 4 Crampton, Jeremy W. 97f. da Silva, Tali 8 Damm, Jens 31 de Bloom, Jascha 20, 27f., 56, 60, 64f., 86, 102, 132, 134, 170 Dewein, Barbara 4, 17 Dhawan, Nikita 3f. Diagne, Souleymane B. 12f., 35 Döschner, Jascha 21, 76 Dunker, Axel 1f., 33 Durkheim, Émile 36 Ebert, Verena 16, 21, 25, 113, 120 Endemann, Karl 38 Engelberg, Stefan 4, 17, 120 Fahlbusch, Fabian 16, 20, 23, 33, 53, 57, 76ff., 109 Fillmore, Charles J. 68, 70
https://doi.org/10.1515/9783111007588-008
Fix, Ulla 96 Foucault, Michel 39f., 65, 97 Franzén, Gösta 88, 95, 165f. FUNK-KLASS 156 Fur, Gunlög M. 25, 174 Gallmann, Peter 79 Garcia, Raphael T. 32 Gigerenzer, Gerd 102 Gründer, Horst 4ff., 147 Hackmack, Susanne 4, 17 Halbmayer, Ernst 22 Harley, John B. 21, 97f., 129 Harweg, Roland 48, 76ff. Hermanns, Fritz 32, 34, 170 Heuser, Rita 16, 20, 23, 33, 53, 57, 76ff., 109 Hirschmann, Hagen 96 Holm, Thomas C. 164f. Honold, Alexander 25 Kant, Immanuel 29, 35ff. Karg, Wolfram 4, 17 Keil, Frank C. 70 Keller, Reiner 36f. Kellermeier-Rehbein, Birte 4, 17 Körner, Stephan 31, 34, 39, 41, 130 Krauss, Stefan 102 Kron, Thomas 176 Kundrus, Birthe 11, 25, 173 Lakoff, George 31f. Lauer, Hiltrud 10f., 26, 148, 172 Levisen, Carsten 18, 23, 25, 63f., 74 Levkovych, Nataliya 2, 6, 14, 17ff., 27f., 47f., 50f., 56, 58, 60f., 64f., 86, 89f., 94, 96, 99, 102, 132, 134, 159, 168, 170, 177f. Lexer, Matthias 131 Lindqvist, John A. 1 Miccoli, Paolo 47, 101 Minsky, Marvin 71 Mühlhäusler, Peter 4, 17
194 | Autor*innenverzeichnis
Nguyễn, Hùng T. 47 Nübling, Damaris 16, 20, 23, 33, 53, 57, 76ff., 109 Nyström, Johan F. 9 Otsuka, Hitomi 177 Pålsson, Ale 9, 147 Pratt, Mary L. 12, 26, 33, 87, 117, 147f., 159, 170, 174, 176 Randeria, Shalini 4 Reinhardt, Wolfgang 21 Richards, Brian J. 118 Russell, Bertrand 72 Saussure, Ferdinand de 37f. Schmidt-Brücken, Daniel 4, 17f., 22, 33, 38f., 67, 84, 134 Schnee, Heinrich 10 Schneemann, Christina 4, 17 Schubert, Uli 91f. Schulz, Matthias 14, 16, 25, 58f., 61, 98, 120, 167 Schuster, Susanne 2, 11, 21, 27, 47, 65, 177 Searle, John R. 33f., 63 Silfverstolpe, Carl 9 Sippola, Eeva 18, 23, 25, 63f., 74 Speitkamp, Winfried 5, 7, 17, 24ff., 90, 120
Spitzmüller, Jürgen 11, 14f., 19, 22, 33f., 37, 39f., 46, 49, 52, 72, 79, 136, 174 Stafford, Barbara 87 Stenschke, Oliver 111 Stolberg, Doris 4, 17 Stolz, Thomas 1ff., 10, 13f., 17ff., 27f., 33, 38, 47ff., 56ff., 73f., 86, 88ff., 94, 96, 99, 102, 105, 132, 134, 143, 145f., 154, 159, 168, 170, 176 Teubert, Wolfgang 86, 130 Thomasson, Amie 34ff., 40, 73 Thomasson, Fredrik 9, 94 van Laak, Dirk 5 Van Langendonck, Willy 28, 47, 50f., 55f., 58 Vitouch, Oliver 102 Voeste, Anja 89 Waldenfels, Bernhard 22 Warnke, Ingo H. 1ff., 6, 10f., 13ff., 17ff., 27f., 33f., 37ff., 46ff., 56ff., 72ff., 79, 84, 86, 88, 90, 94, 99, 102, 105, 132, 134, 136, 143, 145f., 154, 168, 170, 174, 176 Wessén, Elias 111 Westerhoff, Jan 40f. Winter, Lars 176 Zachrisson, Niklas 94 Ziem, Alexander 13, 39, 42, 68
Sachregister akteurtheoretische Soziologie 176 Black Lives Matter 8 Comparative Colonial Toponomastics 18ff., 23, 26f., 58, 90, 94, 96, 175ff. Core Cognition 44f. Deutsch-Neuguinea 6f., 14, 19, 33, 45f., 53, 66, 77, 88f., 105ff., 114ff., 119, 124ff., 129, 131, 133, 145f., 150ff., 154, 168, 172f. Deutsch-Ostafrika 6f., 13, 19, 28, 46, 57, 105, 107, 114ff., 119, 125f., 129f., 132f., 145f., 150, 152ff., 173 Deutsch-Südwestafrika 5ff., 10, 15, 28, 33, 45f., 52f., 57, 66, 77, 88, 90, 99f., 105ff., 112ff., 119, 125f., 130ff., 144ff., 150, 154f., 168f., 172f. Diskurslinguistik 15, 18, 20, 37, 39f., 49, 82, 86, 97, 135, 177 Endonym 2, 15f., 24, 63, 88f., 98, 105, 159, 172 Epistemologie 14, 16, 31, 41, 46, 60, 67, 72, 83, 87, 98, 177 Exonym 2, 14f., 63, 65, 88f., 105, 146, 159, 165 Frame-Semantik 16, 39f., 45, 67ff., 75, 82, 177 Funktions-Klassifikator 28f., 74, 105, 110f., 114ff., 129ff., 134ff., 138ff., 143ff., 151ff., 160ff., 164f., 170ff. Gattungseigenname 30, 53f., 75ff. Geo-Klassifikator 28, 61f., 74, 101, 105ff., 110f., 114ff., 129, 131, 133ff., 138ff., 150ff., 160ff., 170f., 174, 177 Geoobjekt 21f., 38, 58, 60 illusion of explanatory depth 70 Inblicknahme 70
https://doi.org/10.1515/9783111007588-009
Kamerun 6f., 14, 16, 57, 66, 100, 107, 112, 114ff., 119, 125, 127, 132f., 145f., 148, 150, 156f., 173 kanonisches Kolonialtoponym 58f., 66 Kartografie 21f., 93, 97, 99 Kategorie 13f., 22f., 29, 31ff., 48f., 51ff., 58, 63, 65f., 70, 73ff., 81, 91, 93f., 101, 105ff., 116, 118, 125, 129, 134f., 140ff., 147, 159,161, 168ff., 173ff. Kiautschou 7, 13, 19, 28, 45, 57, 61f., 66, 99, 107, 114ff., 119, 125, 127, 133, 143f., 146f., 150, 157ff., 171ff. Klassifikator-Toponym 13, 22, 27f., 30, 33, 48, 51, 53f., 60f., 75, 77f., 81, 84, 103ff., 109, 114, 119, 121f., 124ff., 131, 134f., 137f., 141, 145, 151ff., 155, 157f., 160f., 163ff., 167f., 172 klassifizieren 12, 26, 31, 33, 44, 49ff., 57f., 61ff., 71, 75, 84, 91, 95, 98, 100f., 106, 117, 121, 128, 130ff., 140, 142, 146ff., 155, 160, 162, 165, 175 knowledge by acquaintance 72 knowledge by description 72 kolonialer Blick 1, 26, 28, 66, 87, 99, 106, 129, 134, 147, 158f., 165, 169, 172, 174, 176 Kolonialismus 2ff., 8ff., 15, 17, 24f., 32f., 38, 52, 64, 77, 95, 106f., 109, 136, 148 Kolonialtoponomastik 5, 14, 16, 20f., 23, 47, 49f., 58, 63, 86f., 148, 178 Kolonialtoponomastikon 2, 5, 13, 19, 93, 142, 151, 168, 171f., 177 Konzeptualismus 29, 35ff. Korpus 6, 51, 86 Kulturraum 10ff., 32, 66, 73ff., 85, 101, 105, 107, 110, 114ff., 129ff., 136, 140f., 143, 154, 160, 167, 169f., 173f. Landkarte 9, 14, 21, 50, 57, 61, 63, 75, 83, 89ff., 93, 95ff., 131f., 159, 164f. Makrotoponym 17, 90, 99, 101 Mikrotoponym 16, 59, 99ff.
196 | Sachregister
Naturgeschichte 12, 24, 117, 170 Naturraum 10ff., 25, 27f., 32, 66, 73ff., 85, 101, 105ff., 110, 114f., 117, 129ff., 134, 136, 140f., 143, 145, 147f., 150ff., 154, 160ff., 165, 167ff. Neuschweden 8, 16, 66, 95, 105, 107, 112, 114ff., 119, 125, 128, 141, 143, 145f., 149f., 161ff., 171, 174 Nicht-Klassifikator-Toponym 13, 104ff., 167f., 175
Raum 1f., 5, 10, 14f., 19ff., 24ff., 28f., 44, 63ff., 72, 75, 86, 89, 101, 103, 107, 117f., 120, 126, 129, 134f., 140, 143, 147, 152f., 157, 162, 168ff., 172, 175f., 178
Onomastik 18, 20, 23, 32, 47, 53 Ontologie 23, 29, 34ff., 39ff., 43f., 46, 48f., 59, 73, 129, 176 ontologische Annahme 20, 39, 41f., 44f., 49, 61f., 64, 73, 75, 83, 121, 129, 159, 169, 174 ontologische Einordnung 49, 53, 75, 105 ontologischer Realismus 22, 30, 32, 34f., 37ff., 45, 49, 58, 60f., 75f., 78, 148, 174, 177 Oronym 159, 173 Ort 1, 5, 13, 15, 20ff., 27ff., 33f., 48ff., 56, 60ff., 72f., 75, 83f., 86, 88, 93, 95, 98, 107, 111, 113, 118, 120f., 129, 134, 139f., 145ff., 154, 157, 163, 166ff., 177f. Ortsherstellung 1f., 16, 19f., 22, 27ff., 60, 62ff., 113, 144, 175f.
Tiefensemantik 14, 16, 66f., 75, 129, 178 Togo 6f., 13f., 28, 53, 61f., 99, 105, 107, 114ff., 119, 125, 128, 133, 145f., 150, 155, 157, 160f., 174 topografischer Eindruck 21f., 28, 34, 36, 45, 48f., 52, 54, 56f., 59, 61, 64ff., 71ff., 76, 82, 84, 89ff., 96, 99ff., 106, 110f., 116, 120, 128, 130f., 133f., 136, 139f., 142, 145, 147f., 151f., 159ff., 163, 165, 169, 171, 174f. Toponomastik 30, 48, 50f., 56, 58, 63, 76, 94, 96f. Toponomastikon 50, 103, 119, 168 toponymic silence 98, 129, 175 Type-Token-Relation 27, 118ff., 124ff., 169
Place-Identification 20ff., 60, 64f., 83, 98, 139, 144, 159, 169 Place-Making 1f., 14, 20, 49, 60, 63ff., 97, 104, 109, 117, 128, 134f., 140, 144, 147, 165, 167ff., 171, 173f. Place-Naming 2, 20, 27, 45, 64f., 105, 107, 113, 177 Postkoloniale Linguistik 17f., 22ff., 74, 87
vergleichende Kolonialtoponomastik 3, 5, 18ff., 23, 30, 95, 176
Saint-Barthélemy 5, 9, 28, 88, 94f., 99, 107, 114ff., 119, 124f., 128f., 143, 146f., 149f., 162ff., 171f., 174 Signifikanz 19, 21, 102, 137, 139 spirit of improvement 147f., 170, 174
Urbanonym 120
Wissenssoziologie 37 zipfsches Gesetz 120, 124