Amani - Auf den Spuren einer kolonialen Forschungsstation in Tansania 9783839449592

Die Forschungsstation Amani in Tansanias Usambara-Bergen liegt heute weitgehend brach - gegründet als landwirtschaftlich

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German Pages 168 Year 2020

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Table of contents :
Cover
Contents
Geleitwort zur Hamburger Ausstellung
From colonial science to colonial heritage
Spu/üren
Amani, ein wissenschaftlicher Zauberberg
Amani im MARKK
Von Hamburg nach Amani und zurück
Echo [Amani Vanitas]
Wer sprach einst? Wer spricht jetzt?
Amani Mania
(Z)Amani za Kale: A Former Glory(?)
Fear & Fever in Amani
SPURENSUCHE
Zeittafel
Personen
Aloyce, Hüter der Geschichten
Die Flasche
Erinnerungen an eine sowjetische Methode
Der Fahrer des Direktors
Tabula rasa
Die Rückkehr des Kidevu: historische Nachstellung entomologischer Feldforschung
Wiederholung des Vergangenen: Zeitlichkeit als ethnographische Praxis
Schatzsucher
Der botanische Garten zu Amani
Das Glück des Findens
Sammlung
Kinder in Eden
Autor*innen
Danksagung
Bildnachweis
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Amani - Auf den Spuren einer kolonialen Forschungsstation in Tansania
 9783839449592

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Amani – Auf den Spuren einer kolonialen Forschungsstation in Tansania

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Amani – Auf den Spuren einer kolonialen Forschungsstation in Tansania P. Wenzel Geißler René Gerrets Ann H. Kelly Peter Mangesho (Hg.)

POSTCOLONIAL STUDIES

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Die Herausgabe dieses Buches wurde gefördert von:

Die dem Buch zugrundeliegende Forschung und Ausstellung wurde ausserdem gefördert von:

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2019 transcript Verlag, Bielefeld, sowie Autor_innen und Künstler_innen Alle Rechte vorbehalten. Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen. Umschlaggestaltung & Innenlayout: Herman Lelie and Stefania Bonelli, London, UK Umschlagabbildung: Die Treppe durch Amanis Angestelltensiedlung, 2013 © Paul Wenzel Geißler Frontispiz: Kreuzung zwischen der Forschungsstation und Lion Hill, auch Picadilly Circus genannt, um 1970 © Jan Lelijveld Übersetzung von Teilen des Textes aus dem Englischen: Paul Wenzel Geißler (Texte von Geißler, Gerrets, Gollasch, Kunze, Neudecker, Plankensteiner und Späth wurden auf deutsch abgefaßt.) Druck: EBS, Verona, Italy Print-ISBN 978-3-8376-4959-8 PDF-ISBN 978-3-8394-4959-2 https://doi.org/10.14361/9783839449592 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff.

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Contents 9 Geleitwort zur Hamburger Ausstellung Barbara Plankensteiner

88 Die Flasche P. Wenzel Geißler, Ann H. Kelly, und Peter Mangesho

11 From colonial science to colonial heritage Flower Manase

94 Erinnerungen an eine sowjetische Methode Ann H. Kelly

12 Spu/üren P. Wenzel Geißler

98 Der Fahrer des Direktors Ann H. Kelly

16 Amani, ein wissenschaftlicher Zauberberg P. Wenzel Geißler und Ann H. Kelly

102 Tabula Rasa P. Wenzel Geißler

20 Amani im MARKK Mareike Späth

112 Die Rückkehr des Kidevu P. Wenzel Geißler und Ann H. Kelly

32 Von Hamburg nach Amani und zurück Benjamin Gollasch

118 Wiederholung des Vergangenen P. Wenzel Geißler und Peter Mangesho

40 Mariele Neudecker Echo (Amani Vanitas)

128 Schatzsucher René Gerrets

48 Syowia Kyambi Wer sprach einst? Wer spricht jetzt?

134 Der botanische Garten zu Amani René Gerrets und Peter Mangesho

56 Evgenia Arbugaeva Amani Mania

142 Das Glück des Findens P. Wenzel Geißler

64 Rehema Chachage (Z)Amani za Kale: A Former Glory(?)

150 Sammlung P. Wenzel Geißler

70 Konradin Kunze & Sophia Stepf Fear & Fever in Amani

158 Kinder in Eden P. Wenzel Geißler

74 Zeittafel 166 Autor_innenbiographien 76 Personen 167 Danksagungen 78 Aloyce, Hüter der Geschichten P. Wenzel Geißler

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Amani Hill Field Station National Institute for Medical Research (NIMR) 5° 4’ 60" S, 38° 40’ 0” O. 400–1100m über dem Meeresspiegel. Ost Usambara Berge. Tansania. Feldstation des NIMR Amani Research Center in Muheza im Tiefland unterhalb der Hill Station, von dem aus heute die medizinische Forschung in der Region koordiniert wird, und das seit 2005 den Namen Amani trägt. Frühere Namen: Amani Research Centre (1979–2005) Interregnum (1977–79) East African Institute of Malaria and Vector-Borne Diseases (1954–77) East African Malaria Unit (1949–54) Interregnum (1944–48) East African Agricultural Research Institute (1944–44) East African Agricultural Research Station (1927–44) Interregnum (1919–27) Biologisch-Landwirtschaftliches Institut Amani (1902–19). „Amani” bedeutet „Frieden” auf Swahili, der lokalen lingua franca. Der Name stammt wahrscheinlich von deutschen Missionaren, die die Station als Erholungsort vom tropischen Klima gründeten. Lokalen Mythen zufolge wurde Amani von einer deutschen Frau gegründet, die zuvor ihr Haus auf einem nahegelegenen Berggipfel errichtet hatte, welcher aber, aufgrund seiner charakteristischen Felsen, auch ein bevorzugter Aufenthalt der Ahnengeister war. Nachdem das Haus der deutschen Dame wiederholt und unerklärlicherweise von starken Winden zerstört worden war, entschloß sie sich, auf einem niedriger gelegenen Bergrücken zu siedeln, wo sie schließlich „Frieden“ fand. Einer anderen Geschichte zufolge bezahlten die Deutschen einem lokalen Klan zwölf Rupien, um ihnen eben diesen Bergrücken zu überlassen. Mit der Erweiterung des botanischen Gartens zogen diese ursprünglichen Bewohner in tiefer gelegene Gebiete. Die Nachkommen dieses Klans, inzwischen vermischt mit zugewanderten Angestellten der Forschungsstation, verhandelten während unserer Feldforschung mit dem Forschungsinstitut, in dessen botanischen Garten sie formell siedeln, über ihre Landrechte.

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Barbara Plankensteiner, Direktorin, MARKK, Hamburg

Geleitwort zur Hamburger Ausstellung Anlässlich des 100-jährigen Jubiläums der Universität Hamburg und gleichzeitig ein Jahrhundert nach Ende der deutschen Kolonialherrschaft in Tansania, findet am Museum am Rothenbaum mit Amani. Auf den Spuren einer kolonialen Forschungsstation eine besondere Ausstellung statt. Sie nimmt die ehemalige deutschkoloniale Forschungsstation Amani in den Usambara-Bergen Tansanias zum Ausgangspunkt, um sich auf neuartige Weise aus sozialanthropologischer und transdisziplinärer Sicht mit Spuren des kolonialen Erbes zu befassen. Ein Erbe dieser in der Kolonialzeit angelegten Verbindung zwischen Tansania und Deutschland ist die seit 2010 bestehende Städtepartnerschaft zwischen Hamburg und Dar es Salaam. Diese Verbindung bietet sich an, um gerade hier und anlässlich des runden Jubiläums die kolonialen Spuren der Geschichte aufzuzeigen und zu reflektieren. Die deutsche Kolonialherrschaft im damaligen „Deutsch-Ostafrika“ dauerte von 1885 bis 1919 und prägte die enge und zugleich gewaltvolle, historische Beziehung zwischen Deutschland und Tansania, die es heute aufzuarbeiten gilt. Die Ausstellung verfolgt jedoch keine historische Betrachtung der Kolonialzeit, stattdessen begibt sie sich durch die Beschäftigung mit der Forschungsstation Amani auf eine Spurensuche nach den Nachwirkungen des deutschen Kolonialismus in der tansanischen und der deutschen Gegenwart. Die Ausstellung basiert auf dem interdisziplinären Forschungsprojekt „Memorials and Remains of Medical Science in Africa“ (2011–18), geleitet von René Gerrets (Universität Amsterdam), Guillaume Lachenal (SciencePo, Paris) und Paul Wenzel Geißler (Universität Oslo), im Rahmen dessen Peter Mangesho (National Institute of Medical Research, Tansania), Ann Kelly (King’s College London) sowie Geißler und Gerrets Amani erforschten. Sie spürt den materiellen Überbleibseln der Forschungsstation und den mit ihnen verbundenen persönlichen oder überlieferten Erinnerungen nach: Was bleibt von den damals in der Forschungsstation tätigen Menschen und ihrem Wirken? Wie geht man mit dem Verbleib der kolonialen Architektur und den materiellen Spuren der Wissenschaft heute um, und wie werden die Aktivitäten, die die Räume Amanis einst füllten, von vor Ort Lebenden erinnert? Was ist die gegenwärtige Lage der Forschungsstation und inwiefern hat die Kolonialwissenschaft die heutige tansanische Forschung geprägt? Die Amani-Ausstellung analysiert die intime, historische Verbindung von Wissenschaft und Kolonialismus und verfolgt zugleich eine kritische Hinterfragung der im Projekt angewandten, sozialanthropologischen Forschungsmethodik. Als solches lädt

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sie zu einer emotionalen und intellektuellen Auseinandersetzung mit dem materiellen und immateriellen Erbe deutscher Kolonialwissenschaft in Tansania und Deutschland ein. In Zusammenarbeit mit der kuratorischen Assistentin der AfrikaAbteilung am MARKK, Mareike Späth, überführte der gebürtige Hamburger und Sozialanthropologe Paul Wenzel Geißler die Ergebnisse dieser Forschung für die Ausstellung in den musealen Raum. In Amani. Auf den Spuren einer kolonialen Forschungsstation treffen naturwissenschaftliche Sammlungen, historisches „Inventar“ sowie Fotografien zum Leben in der Forschungsstation auf Positionen aus der zeitgenössischen Kunst, die zum Teil eigens für die Ausstellung von Evgenia Arbugaeva, Rehema Chachage, Syowia Kyambi und Mariele Neudecker geschaffen wurden. Erstmalig zeigen wir im Rahmen von Amani auch bisher kaum betrachtete Objekt- und Fotografiebestände unseres Hauses, die durch ehemalige Wissenschaftler*innen der deutschen Forschungsstation ins Museum gelangten. Die Ausstellung zeigt, wie einfache alltägliche Dinge und scheinbar eklektisch zusammengetragene Relikte der rezenten Vergangenheit überraschende Geschichten erzählen und emotionale Erinnerungen hervorrufen können, die im Zuge der Musealisierung der Dinge meist verloren gehen. Anhand der Geschichte der Station Amani wird ein Kontinuum transglobaler Verflechtungen zwischen Europa und Afrika aufgezeigt. Die Station wird so wieder lebendig und beginnt uns die Geschichte von komplexen Beziehungsgeflechten, von reisenden Forscherinnen und Forschern, tansanischen Naturwissenschaftlerinnen und Naturwissenschaftlern und deren Sehnsüchten und Projektionen auf die Station zu erzählen. Für unser Museum ist die Ausstellung auch deswegen interessant, weil sie zugleich die Bandbreite von Themen mit denen sich die Kultur- und Sozialanthropologie heute beschäftigt und die Vielfalt ihrer Methoden, sichtbar macht. Amani. Auf den Spuren einer kolonialen Forschungsstation wäre ohne die Unterstützung und das Engagement der zahlreich Mitwirkenden, Kollegen und Kolleginnen nicht möglich gewesen. Mein Dank gilt an erster Stelle dem kuratorischen Team: Paul Wenzel Geißler, der gleich zu meinem Amtsantritt vor über zwei Jahren mit der faszinierenden Idee für diese Ausstellung an mich herangetreten ist, und Mareike Späth, die die Realisierung der Ausstellung hier am Museum durch ihren tatkräftigen Einsatz ermöglicht und als Co-Kuratorin entscheidend mitgestaltet hat.

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Ich danke William Kisinza und Peter Mangesho vom National Institute of Medical Research in Tansania, dem heutigen Träger Amanis, für die Ermöglichung wichtiger Leihgaben aus Amani und unserer Kollegin Flower Manase vom tansanischen Nationalmuseum, für die Unterstützung der Ausstellung. Für weitere Leihgaben, die die Ausstellung bereichern, sind wir dem Zoologischen Museum der Universität Hamburg, dem Herbariums Hamburgense, dem Loki Schmidt-Haus sowie den Privatleuten René Gerrets, Jan Lelijveld, Aloyce Mkongewa, Ali Shabani Mtanga, Susie Winther und John Raybould zu Dank verpflichtet. Einen zentralen Beitrag zur Ausstellung leisteten die Künstlerinnen, die mit ihren Fotografien und Performances neue Perspektiven auf das Nachleben Amanis eröffnen und mit Themensetzungen zur Migration der Pflanzen oder zum schwierigen, gelebten Alltag in der Forschungsstation zum Nachdenken anregen. Ermöglicht wurden die künstlerischen Arbeiten durch die finanzielle Unterstützung der Goethe Institute in Tansania und Kenia sowie der

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Universitäten Amsterdam und Oslo. Ohne die organisatorische Unterstützung durch Frank Werner, Leiter des Goethe Instituts in Dar es Salaam, hätte die Zusammenarbeit über die Kontinente hinweg nicht so großartig funktioniert. Unser Freundeskreis schließlich hat durch eine Spende die Einladung unserer tansanischen Partner*innen zur Teilnahme an der Ausstellungseröffnung ermöglicht. Das ursprüngliche Forschungsprojekt, „Memorials and Remains of Medical Research in Africa“ war vom Economic and Social Research Council, UK, gefördert worden, und erst an der London School of Hygiene and Tropical Medicine und dann an der University of Cambridge verankert. Die Herausgabe des Kataloges wurde von der Universität Oslo, und dem Goethe Institut in Dar es Salaam unterstützt. Vor allem aber danken wir der Körber-Stiftung sehr herzlich für die großzügige Förderung der Ausstellung und des begleitenden Rahmenprogramms, ohne die wir beides nicht hätten realisieren können.

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Flower Manase, Kuratorin, National Museums of Tanzania

Amani Hill Research Station from colonial science to colonial heritage The name Amani Hill Research Station is not new to those who witnessed German and British colonialism in Tanganyika (now independent Tanzania). The station was once well known, especially due to its scientific research on tropical diseases. Today Amani continues to exist under the National Institute for Medical Research (NIMR), as a subsidiary field station of a thriving and highly productive research centre that now bears its name: Amani Research Centre at Muheza. The field station itself has become largely inactive, without resident scientists or scientific research. The shifting use of the station since colonial occupation depended on the economic and political interests of changing governments: the German occupation government supported biological and agricultural research on products like timber and coffee, seeking to boost the colonial territory’s economic productivity. Subsequently, the British colonial government shifted Amani’s agenda to tropical disease research, particularly malaria. Such health research aimed, since the beginning of colonial occupation, to facilitate colonial settlement and administration; the ideological shift towards so-called “colonial welfare” towards the end of British colonial occupation added grandiose plans to eradicate diseases like malaria. The Tanzanian government “inherited” the station together with its tropical disease mandate after independence, added research topics of national interest, such as plague, to its agenda, and trained a generation of leading national and international researchers in Amani. In 1979, the station became one of the founding centres of NIMR. It continued with tropical disease research, and during the first decades after independence, Amani was scientifically highly productive, as well as home to an increasingly diverse community of scientists from around Africa and beyond. In recent decades, activity has slowed down, and the station gradually declined, leading to its present dormant state. While this decline has important macroeconomic reasons, including the effect of structural adjustment and austerity policies from the 1980s onwards, it also originates in the colonial rooting of the station. Amani was primarily created to facilitate colonial research by Europeans. It allowed for a specific kind of research, and provided comfort to Europeans. It relied upon Imperial power and resource transfers in order to thrive. And it was

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premised upon racism: African workers were largely excluded from science and academic training, and approaching independence, the station lacked succession plans, having failed to train and prepare African scientists. Moreover, “Africanisation”, as it was called in the 1960s, was not envisaged as a rethinking of the purpose of science in and for Africa, but as a takeover of scientific ideas and institutions without much further reflection. Communities were not involved in the conduct of science, and the rumours about Amani and it scientists among the people living around Amani underline that its local neighbours felt distant from, even fearful of, the station and its work. As a result, Amani is one among many colonial projects that followed the trajectory of slow collapse after independence. Colonial structures had failed to build up African managerial skills, and reliable funding sources progressively disappeared after decolonisation. As a result, we look today at the station as an object of colonial heritage, which we can use to explore underlying legacies of colonial knowledge and experience in contemporary society. It can also help us to explore the history of post-colonial transition, and the way it was shaped by colonialism. In order for the station to be effective as heritage, it should be opened to the public. Together with the surrounding Amani forest reserve, the station could become one of the tourism attractions of Tanga Region. In this way, the station could be renovated and serve a wider historical purpose, while still under NIMRI management. By opening the station to domestic and international tourism, NIMRI will attract visitors including Tanzanians, and hence increase public awareness of science as well as environmental concerns of the area. This opening of the station and attendant promotion activities could be done in collaboration with the Ministry of Natural Resources and Tourism. The exhibition Amani. Tracing a Colonial Research Station, provides vital insights into the history and legacy of German and British colonialism in Tanganyika, especially concerning the medical sciences. As the curator of the National Museum of Tanzania, I very much hope to exhibit the history of Amani station also in Tanzania, thereby raising the awareness and understanding of colonial science, of colonialism, and of Tanzanian science among the young generation of Tanzania.

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P. Wenzel Geißler

Spu/üren Amani Amani ist eine naturwissenschaftliche Forschungsstation in den Usambarabergen Nordosttansanias, mit deren Bau vor 117 Jahren, zur Zeit der deutschen kolonialen Besatzung des heutigen Tansania, begonnen wurde, und die bis heute im Prinzip aktiv ist, als subsidiäre Feldstation des nationalen medizinischen Forschungsinstitutes, NIMR. Geplant als forst-und landwirtschaftliche Station und offiziell begründet als Beitrag zur kolonialen Wertschöpfung, war Amani später auch ein weltberühmter Ort der tropenmedizinischen und besonders der Malariaforschung.1 Während der letzten Jahrzehnte ist es ruhig geworden in Amani, vor allem seitdem dort keine Wissenschaftler mehr leben und arbeiten, und nur noch ein kleiner Stab von älteren Angestellten zur Bewahrung und Bewachung des Geländes zurückgeblieben ist2. Als Ort naturwissenschaftlicher Forschung verkörperte Amani die Widersprüchlichkeit aller „Feldstationen“: nah an der zu studierenden Natur (bzw. später den zu untersuchenden Patienten), und zugleich eine Enklave ausdrücklich außerhalb derselben – ein sicheres Zuhause fern der Heimat.3 Amani war abgeschieden von der Außenwelt, nur über unwegsame Bergwege zu erreichen, abgewandt von der politisch-ökonomischen und sozialen Wirklichkeit des kolonialen und post-kolonialen Ostafrikas, vom tropischen Klima und seinen medizinischen Gefahren, und doch Knotenpunkt globaler Wissensproduktion, vernetzt mit der Welt. Dies belegen die exotischen Pflanzen des die Station umgebenden botanischen Gartens, die Bücher und Zeitschriften in der Institutsbibliothek und die dort archivierte weltweite Korrespondenz ebenso, wie naturkundliche (und ethnologische) Präparate in europäischen Sammlungen und Museen, internationale wissenschaftliche Publikationen und nicht zuletzt all diejenigen, die in Amani wissenschaftliches Arbeiten lernten und bis heute in Afrika, Europa und Nordamerika forschen und lehren.

Vergangene Zukünfte Als Produktionsstätte führender Wissenschaft war Amani eine Verkörperung der Hochmoderne des kurzen afrikanischen 20. Jahrhunderts – zwischen 40er Jahren „Colonial Welfare and Development“ und 80er Jahren „Strukturanpassung“ –, während dessen Afrikas „Entwicklung“ wissenschaftlich begründet wurde und entsprechend wissenschaftliche Institutionen in Afrika aufgebaut wurden.4 In der Mitte dieser Ära ereignete sich

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1963 die politische Unabhängigkeit von Großbritannien (das Amani von der deutschen Kolonialverwaltung übernommen hatte), die einen wichtigen Bruch markierte, über die hinweg jedoch zugleich Kontinuitätslinien verliefen, bezüglich der wissenschaftlichen Praxis und des ihr zu Grunde liegenden Fortschrittsdenkens. Im Selbstverständnis der meisten in Amani Lebenden war die Station ein Ort der Zukunft, wo wechselnde und widersprüchliche Entwürfe für Veränderung und (je nach Interessenlage) Verbesserung entwickelt wurden: für die effektivere Nutzung und Ausbeutung der kolonialen Natur und gesündere, produktivere koloniale Bevölkerungen, und für den Aufbau von Präsident Nyereres afrikanischem Sozialismus auf der Grundlage von Bildung und Gesundheit. Auch wenn wenige dieser Versprechen erfüllt wurden – die profitable koloniale Landwirtschaft kam ebenso wenig wie die Ausrottung der Malaria, die unabhängige afrikanische Wissenschaft oder die gerechte Gesellschaft – , blieb Amani ein Ort der Versprechungen, deren Realisierung immer irgendwo in der Zukunft lag, deren Nichterfüllung nur ein Aufschub war. Gegenwärtige Diskussionen über den Wiederaufbau der Station, als Universität, Hotel oder doch wieder als internationales wissenschaftliches Institut – irgendwann, bald, hoffentlich – und das Warten der alten Angestellten darauf, daß wieder etwas passiert, setzen diese modernistische Erwartungshaltung bis in die Gegenwart fort.5 In seinem gegenwärtigen wissenschaftlichen Ruhezustand (dessen ungeachtet die Menschen dort natürlich nach wie vor eigenen Zukunftsplänen nachgehen), sind diese Zukünfte zu Vergangenheit geworden. Sie bestehen fort in den materiellen Resten der Station selbst, in Gebäuden, Landschaft, Apparaten und Archiven sowie in Erinnerungen, Gefühlen und Gewohnheiten derer, die dort gelebt haben oder noch immer dort leben. Diese „Spuren der Zukunft“ sind „koloniale“ Spuren in dem Sinn, daß ihr Material im Wesentlichen während der kolonialen Besatzungszeit zusammengetragen und geformt wurde. Zugleich sind sie aber in einem wichtigen Sinn post-koloniale Spuren, da sie historisch ebenso lange von kolonialen Akteuren bewohnt und benutzt wurden, wie von ihren post-kolonialen Nachfolgern und Nachfolgerinnen. Spuren vermögen historische Prozesse zu durchlaufen und zu verknüpfen, und Amanis Bedeutung liegt insofern nicht vor allem im kolonialen Ursprung der Station, sondern in ihrer erstaunlichen Dauerhaftigkeit.

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„Memorials and Remains of Medical Science in Africa“ Dieses Buch und die gleichnamige Ausstellung sind Ergebnisse einer kollektiven Untersuchung, quer zu Sozialanthropologie und Geschichte, angereichert mit Archäologie, Geographie und Wissenschafts-und Technologiestudien sowie künstlerischer Praxis, von natur-und medizinwissenschaftlichen Orten in Afrika – Senegal, Nigeria, Kamerun, Kenia und Tansania.6 Die Ausstellung „Amani“ basiert auf dem Buch „Traces of the Future“ (aus dem Teile des vorliegenden Buches übersetzt sind), welches in der Feldforschung gefundene Materialien versammelt, und unsere theoretischmethodischen Experimente zu den „Gedenkstätten und Überresten“ der oben bezeichneten vergangenen Zukünfte dokumentiert. Vergangene Zukünfte sind wichtig. Zum Einen helfen sie uns, die (koloniale und post-koloniale) Vorgeschichte der afrikanischen Gegenwart jenseits simpler post-kolonialer Dichotomien zu untersuchen, und die Beziehung zwischen Gegenwart und Vergangenheit anders zu bestimmen als durch gängige Stereotype von „Nostalgie“; bzw. das nostalgische „Heimweh“ nicht als Trauer um eine vermeintlich bessere Vergangenheit zu verstehen, sondern als Sehnsucht nach vergangenen Hoffnungen auf Besseres – im Besonderen der Hoffnungen der Jahrzehnte nach der Unabhängigkeit.7 Und zum anderen, weil diese vergangenen Zukünfte, sedimentiert in Überresten und Ruinen sowie in Erinnerungen und Gefühlen, gegenwärtige Pläne und Hoffnungen für die Zukunft sowohl ermöglichen und formen, als auch ablenken und möglicherweise begrenzen.8

Spuren finden Gegenstand unserer gemeinsamen Suche sind die Spuren vergangener, auf Veränderung ausgerichteter Handlungen.9 Solche materiellen Überreste können umfassend sein wie Landschaften und Ruinen oder unsichtbar wie im Boden sedimentierte Schadstoffe, absichtlich und diskret wie ein Grabstein oder diffus und zufällig wie ein Abfallhaufen, zerfallend wie verrottende Archive oder wildwachsend wie botanische Pflanzungen. Spuren sind Teil der nicht-menschlichen Dingwelt, die uns umgibt, doch tragen auch Körper Spuren im Sinne von Narben, Haltungen oder Routinen. Für zeitgenössische Archäologie ist die Spur die materiell gegenwärtige Vergangenheit;10 umgekehrt ist alles was gegenwärtig ist für die historische Anthropologie immer auch Spur des Vergangenen. Spuren lagern sich ab, bilden Zeitschichten, Verwerfungen oder Faltungen,11 die scheinbare Wiederholungen und unerwartete Rekombination hervorbringen. Wir haben unsere Arbeit, obwohl keiner von uns Archäologe ist, als Archäologie bezeichnet, weil sie sich wie

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diese mit solchen Schichtungen, mit dem Material der Gegenwart als vielzeitlichem Palimpsest mannigfaltiger Vergangenheiten, beschäftigt. Wir versuchen, Spuren zu finden, nicht im Sinne des ihrer HabhaftWerdens, um sie zu sichern, zu vervollständigen oder zu sammeln, sondern um eines Affektes willen: „this dark joy of the place of the finding“, wie die englische Übersetzung von Benjamins „Berliner Kindheit“ frei aber zutreffend den folgenden Passus zusammenfaßt: Wer sich der eigenen verschütteten Vergangenheit zu nähern trachtet, muß sich verhalten, wie ein Mann, der gräbt. […] Gewiß ist‘s nützlich, bei Grabungen nach Plänen vorzugehen. Doch ebenso ist unerläßlich der behutsame, tastende Spatenstich ins dunkle Erdreich. Und der betrügt sich selber um das Beste, der nur das Inventar der Funde macht und nicht im heutigen Boden Ort und Stelle bezeichnen kann, an denen er das Alte aufbewahrt. So müssen wahrhafte Erinnerungen viel weniger berichtend verfahren als genau den Ort bezeichnen, an dem der Forscher ihrer habhaft wurde.12 Benjamin folgt hier Proust: Vergebens versuchen wir, [unsere Vergangenheit] wieder heraufzubeschwören, unser Geist bemüht sich umsonst. Sie verbirgt sich außerhalb seines Machtbereichs und unerkennbar für ihn in irgendeinem stofflichen Gegenstand (oder der Empfindung, die dieser Gegenstand in uns weckt); in welchem, ahnen wir nicht. Ob wir diesem Gegenstand aber vor unserem Tode begegnen oder nie auf ihn stoßen, hängt einzig vom Zufall ab.13 Proust und Benjamin betonen die Kontingenz des Findens. Der Moment des Findens ist zufällig. Zwar kann systematische Bewegung im Feld – Benjamins „Graben“, Wanderungen und andere strukturierte Bewegung, Inventare, selbst Interviews und ähnliche „Datensammlung“ 14– das Finden erleichtern, aber letztlich bleibt es Tasten, Suchen, Warten. Statt aktivem Aufspüren bedarf das Finden einer kultivierten Passivität oder Nicht-Intentionalität, welche es der Spur erlaubt, sich zu zeigen.15 Das Finden stellt eine Beziehung zwischen dem Finder und dem Gefundenen her, bzw. eigentlich: es besteht in dieser Beziehung. Der affektive Moment des Findens (der Vergangenheit) ist ein Ereignis zwischen positioniertem Subjekt und einem Ding an seinem Platz, das der Finder zu einem gegebenen Zeitpunkt berührt – Prousts Madeleine. Das Finden hat so einen Ort, der zu beschreiben ist, und ein findendes Subjekt sowie einen bestimmten Moment. Aus der Kontingenz des Findens ergibt sich, daß das, was gefunden wird, ebenso gut hätte nicht gefunden werden können, und daß

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viele Spuren unbemerkt, übersehen bleiben. Entsprechend bleibt das Gefundene scheinbar zufällig und flüchtig, und immer nur bruchstückhaft. Daraus ergibt sich auch eine Herausforderung für die (Re-)Präsentation desselben. Historische Chronologie und Rekonstruktion – ohne Zweifel nützliche Werkzeuge – erfassen nicht den Ort des Habhaft-Werdens in Benjamins Sinn. Überhaupt geht es weniger um das Haben – der Evidenz, des Faktums – als um das „mit der Vergangenheit sein“, und das Machen der Spur durch die Berührung.16 Die Spur ist wertvoll nicht als Gegenstand zweifelsfreier Interpretation, als Rückverweis auf Vergangenes, sondern als Skandalon, im Wortsinn, als ein den gegenwärtigen Affekt bewirkender „Stein des Anstoßes“. Die Spur ist also nicht vor allem ein zu verstehendes Zeichen, sondern immer auch ein Rätsel, das die Wirklichkeit dem Betrachter öffnet. Ihre Bedeutung bleibt exzessiv, jenseits des Erwarteten oder Erinnerten, ambivalent und gerne widersprüchlich – und eben darin liegt Ihr Interesse. Spuren stören, sagt Emmanuel Lévinas, die Ordnung, und geben Anlaß zum Wundern; wie der Dichter René Char schrieb: „Nur die Spuren lassen uns träumen“.17 Als solche ist die Spur geeignet, Zweifel zu wecken. Auch Zweifel an unserer eigenen Arbeit, an diesem Buch und der Ausstellung, die manchem Betrachter als zu uneindeutig, und vor allem als „partial“ erscheinen mag, im doppelten Sinne von Unvollständigkeit und willkürlicher (wenn auch nicht unreflektierter) Positioniertheit. Doch sind diese Zweifel eben auch Sinn der Sache. Sie sind letztlich der schlichten Gewißheit vorzuziehen.

Eigne Spuren In diesem Sinne ein abschließender persönlicher Kommentar. Die Verfolgung von Spuren bis ins immer kleinere, scheinbar Beliebige, war ein Grundprinzip unserer Arbeit in Amani. Dabei kommt es auch zur Rückkehr – auch wenn diese nicht dorthin zurückführt, woher man kommt. Daß die Spurensuche nun ein (vorläufiges) Ende gerade im Hamburger Museum am Rothenbaum fand, bedeutet für mich Heimkehr in meine Gegend. Das Museum, bis vor zwei Jahren noch „Museum für Völkerkunde“, war mein erstes, und wie für viele Hamburger Kinder geschätztes Museum – und meine erste Begegnung mit der Sozialanthropologie. Gerne besuchte ich es mit meiner Mutter, auf dem Weg zum Tee bei der Großmutter, die ein paar Häuser weiter wohnte, für die wir gegenüber stets Blumen kauften; als Schulkind suchte ich hier dann manchmal Zuflucht im Fremden, Anderen, und zeichnete Hieroglyphen und Masken. Doch die Beziehung zum Ort ist älter: gegenüber wurde 1928, im Todesjahr Stuhlmanns, des ersten Direktors von Amani, mein Vater geboren. Dessen Großvater war ein Hamburger Ingenieur,

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Partner des Architekten Martin Haller in Hamburgs sogenannter Gründerzeit (auch des Kolonialreiches), mit dem er unter anderem das 1899 fertiggestellte Afrika-Haus für die Firma Woermann baute, der die Deutsche Ost-Afrika Linie gehörte, die über die Hafenstadt Tanga auch Amani versorgte.18 Drei Jahre später entstand eine Studiofotografie meines Großvaters als Vierjährigem vor Palmenhintergrund in sogenannter „Burenuniform“ – Ausdruck deutscher Unterstützung für den Kampf der „Buren“ gegen die britische Kolonialherrschaft – die für viele von uns heute verbunden ist mit dem Völkermord an Nama und Herero und, über General Lettow-Vorbeck, der mit Chinarinde aus Amani seinen „LettowSchnaps“ zur Malariavorbeugung braute, mit der Kontinuitätslinie von Kolonialismus und Faschismus. Der Großvater fiel dem Letzteren erst ideologisch und dann leibhaftig zum Opfer. Seine Frau pflegte dieweil die alte Familienfreundschaft zu einem anderen Nachbarn des Museums – einem (gemeinsam mit Amanis früherem Direktor Franz Stuhlmann) Mitbegründer der Hamburger Universität –, dem Psychologen William Stern, der schon in einem Frühwerk zur Kinderpsychologie die Freundschaft unserer Großmutter zu seinem Sohn beobachtet hatte. (Sie hielt diese Freundschaft allerdings nicht bis zu dessen Emigration 1938 aufrecht). Dieser liberale Denker hatte, auf die Bitte des Kolonialsekretärs Dernburg nach etwas „Negerpsychologie“ hin, am Museum für Völkerkunde Vorlesungen zur „Völkerpsychologie“ gehalten. Sein Sohn Günter – der sich später Anders nannte – widmete meiner Großmutter Gedichte.19 Das Afrikabild meines Vaters schließlich war indirekt auch von kolonialer Gewalt, und durch idealisierte Bilder der anti-kolonialen Befreiung geformt. In seinem Antiimperialismus verband sich die Umkehrung des kolonialen Manichäismus mit Levi-Bruhlscher Sehnsucht nach einem anderen, richtigeren Leben, einer Umkehr im Sinne de Certeaus. So gab er mir die Texte von Franz Fanon mit auf meinen Weg nach Afrika, und die von Pier Paolo Pasolini, des katholischen Kommunisten, für den am Ende Afrika „einzige Alternative“ war.20 Allerdings empfahl er uns auch Hamburgs Marine- und Tropenschneider am Rathaus, der, 1879 gegründet, vielleicht schon Franz Stuhlmanns Uniformen geliefert hatte. Das Museum, in dem 2019, hundert Jahre nach dem formellen Ende des deutschen Kolonialismus und von Amani als deutscher Station, unsere Ausstellung stattfand, ist ein Monument des Kolonialismus, aber zugleich auch eine Spur in der mir vertrauten Landschaft, in der sich Zeitschichten und Beziehungen, Geschichte und Familiengeschichten berühren. Meine Rückkehr erfolgt zu einem Zeitpunkt, wo das von mir erinnerte Museum für Völkerkunde im Begriff ist zu verschwinden. Als MARKK sucht das alte Museum eine andere Zukunft, jenseits kolonialer Verstrickungen,

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und im Spannungsfeld zwischen der neuen deutschen Kolonialdebatte21 und radikaler, oft sinnvoller, Kritik des ethnographischen Museums auf der einen Seite,22 und dem Wiederaufleben totgeglaubter politischer Atavismen und Revisionismus auf der anderen. Unsere Spurensuche hat ihren Platz in diesem Veränderungsprozess. In einem traditionellen ethnographischen Museum hätte die Ausstellung vielleicht nicht stattgefunden. Wir sind dem Museum, seiner Direktorin, Professor Barbara Plankensteiner, und den Mitarbeiter_Innen des Museums am Rothenbaum zu großem Dank verpflichtet, daß wir dort unser Interesse an historischer Materialität in eine Ausstellung überführen durften. Die Unsicherheit, die unsere tastende, bruchstückhafte Herangehensweise, und unsere Offenheit für (manchmal regelrecht: Vergnügen an) Ambivalenz und Widersprüchen beinhaltet, mag nützlich sein, für das alte Hamburger Museum und die weitere

1  Albrecht Zimmerman: Das Kaiserlich Biologisch-Landwirtschaftliche Institut Amani. Berichte der Deutschen Botanischen Gesellschaft 22, 1904, S.532-36; William Nowell: The agricultural research station at Amani. Journal of the Royal Society of Arts 81(4224), 1933, S.1097-1115; Detlef und Gerhild Bald: Das Forschungsinstitut Amani: Wirtschaft und Wissenschaft in der Deutschen Kolonialpolitik Ostafrikas 1900-1918. München, Weltforum Verlag, 1972; Chris Conte: Highland Sanctuary: Environmental History in Tanzania’s Usambara Mountains. Athens, Ohio University Press, 2004. Siehe auch: Melissa Graboyes: The Malaria Imbroglio: Ethics, Eradication, and Endings in Pare Taveta, East Africa, 1959–1960. International Journal of African Historical Studies 47(3), 2014, S.445-71; Branwyn Poleykett und Peter Mangesho: Labour politics and Africanization at a Tanzanian scientific research institute 1949–66. Africa 86(1), 2016, S.142-161. Paul Wenzel Geissler et al.: Remembering Africanization. Two conversations among elderly science workers about the perpetually promissory. Africa 90, 2020, S.17-35. 2  Astrid Ghyselen et al.: Scenes of Amani, Tanzania: Biography of a postcolonial landscape. Journal of Landscape Architecture 12(1), 2017, S.6-17. 3  Paul Wenzel Geissler und Ann H. Kelly: A home for science: The life and times of Tropical and Polar field stations. Introduction. Social Studies of Science 46(6), 2016, S.797-808. 4  Siehe Frederic Cooper: Africa Since 1940: The Past of the Present. Cambridge, Cambridge University Press, 2002; Helen Tilley: Africa as a Living Laboratory: Empire, Development, and the Problem of Scientific Knowledge. Chicago, Chicago University Press, 2011. 5  Zur vergangenen afrikanischen Moderne: James Ferguson: Expectations of Modernity: Myths and Meanings of Urban Life on the Zambian Copperbelt. Berkeley, University of California Press, 1999; Guillaume Lachenal und Aissatou Mbodj (Hrsg.): Politiques de la nostalgie (Politique Africaine 135), Paris, Kharthala, 2014. 6  Paul Wenzel Geissler et al.: Traces of the Future. An Archaeology of Medical Science in Africa. Bristol, Intellect, 2016. Siehe auch: Guillaume Lachenal: Le médecin qui voulut être roi. Sur les traces d’une utopie coloniale. Paris, Seuil, 2017; Noemi Tousignant: Edges of Exposure: Toxicology and the Problem of Capacity in Postcolonial Senegal. Durham, Duke University Press, 2017. 7  Paul Wenzel Geissler und Noemi Tousignant: Beyond realism: Africa’s medical dreams. Introduction. Africa 90, 2020, in press. 8  Siehe: Lauren Berlant: Cruel Optimism. Durham, Duke University Press, 2011. 9  Ausführlich in: Paul Wenzel Geissler und Guillaume Lachenal: Brief instructions for archaeologists of African futures. In: Geissler et al., Traces, S.14-28.

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Diskussion über Deutschlands koloniale Spuren und das sogenannte koloniale Erbe. Diese seltsamen Hinterlassenschaften menschliche Wirkens unter Bedingungen (nur teilweise) vergangener Herrschafts- und Gewaltverhältnisse sollten möglichst offen befragt und ihre Widersprüchlichkeit – bis in die Gegenwart – bloßgelegt werden, anstatt ihnen mit der Schlichtheit einer politischen Interpretation zu begegnen, welche die dunkle koloniale Vergangenheit einer gereinigten post-kolonialen Gegenwart gegenüberstellt. Dies nicht, um dem kolonialen Erbe positive Seiten abzugewinnen oder in revisionistischer Manier koloniale Schäden gegen Gewinne aufzuwiegen – an der grundlegenden, fortdauernden Schadwirkung des Kolonialismus darf kein Zweifel bestehen –, sondern um die Betrachtung des Vergangenen auf Sicht nutzbar zu machen zur Auseinandersetzung mit den politischen Widersprüchen der Gegenwart.

10  Z.B. Laurent Oliver: Le sombre abîme du temps: Mémoire et archéologie. Paris, Seuil, 2008, S.83; Michael Shanks: Experiencing the past: on the character of archaeology. London, Routledge, 1992. 11  Reinhart Koselleck: Zeitschichten. Studien zur Historik. Frankfurt/M., Suhrkamp, 2003; Michael Werner und Benedicte Zimmermann: Beyond Comparison: Histoire Croisée and the Challenge of Reflexivity. History and Theory 45(1), 2006, S.30-50. 12  Walter Benjamin: Gesammelte Schriften. Suhrkamp, Frankfurt a.M., 1980 (orig.1932), Bd.4.1, S.400-1. 13  Marcel Proust: Auf der Suche nach der verlorenen Zeit. Suhrkamp, Frankfurt a.M., 1979 (orig.1913), Bd.1, S.63–7. 14  Ähnliche Beobachtungen finden sich früh bei Hubert Fichte; siehe Dieter Haller: Die Suche nach dem Fremden. Geschichte der Ethnologie in der Bundesrepublik 1945–1990. Frankfurt, Campus, 2012, S.269-84. 15  An Stelle von Passivität oder Lévinas‘ Nicht-Intentionalität sprechen manche von „Takt“: Casper Bruun Jensen et al.: Attuning to the webs of en: Ontography, Japanese spirit worlds, and the “tact” of Minakata Kumagusu. HAU 6(2), 2016, S.149-172. 16  Nancy Rose Hunt: Being with pasts: a preface. In: Geissler et al., Traces, S.9-13. 17  Emmanuel Lévinas: Die Spur des Anderen. München, Alber, 1999 (Orig. 1949), S.231; René Char: La Parole en archipel. In: Œuvres completes. Paris, Gallimard, 1983, S.382. 18  Ralf Lange: Architekturführer Hamburg. Stuttgart, Axel Menges, 1995, S.27-8. 19  Paul Probst: Bedeutung des Kolonialinstituts für die Institutionalisierung der akademisch- empirischen Psychologie in Hamburg. Psychologie und Geschichte 2(1), 1990, S.25-36; William Stern: Die Kindersprache. Leipzig, Barth, 1907, z.B. S.101. 20  Pier Paolo Pasolini: Frammento alla morte. In: The Selected Poetry of Pier Paolo Pasolini. Chicago, University of Chicago Press, 2015, S.294-95. 21  Z.B. Jürgen Zimmerer: Kein Platz an der Sonne. Erinnerungsorte der deutschen Kolonialgeschichte. Campus, Frankfurt/Main, 2013. 22  Z.B. Benedicte Savoy: Die Provenienz der Kultur. Von der Trauer des Verlusts zum universalen Menschheitserbe. Berlin Matthes & Seitz, 2018.

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P. Wenzel Geißler und Ann H. Kelly

Amani, ein wissenschaftlicher Zauberberg 1906 „Nach einer sehr ruhigen und angenehmen Seefahrt sind wir glücklich in Ostafrika angelangt. [...] Im Übrigen haben wir es sehr gut getroffen, da zwei Hausbesitzer in Amani auf Urlaub gegangen sind und uns ihre Häuser überlassen haben […] Meine Frau und ich wohnen in Geheimrat Stuhlmanns Haus und wirtschaften mit seiner schwarzen Dienerschaft. […] Wir haben uns in dem Laboratorium des Instituts eingerichtet und sind fleißig bei der Arbeit. […] In den Regenpausen habe ich mit meiner Frau einige Spaziergänge durch den Urwald und auf einen benachbarten Berg gemacht, von wo aus man eine wundervolle Aussicht über das mit Urwald bedeckte Gebirge und auf das ferne Meer hat. […]. Es hat uns beiden sehr gefallen. Es ist doch schön in den Tropen und ganz besonders im Usambara Gebirge.“ Robert Koch an den Freund Georg T.A. Gaffky, 22.Mai 1906, zitiert nach Bernhard Möllers: Robert Koch. Persönlichkeit und Lebenswerk, 1843–1910. Schmorl und Seefeld, Hannover, 1950, S.311

Nach mühsamer Fahrt auf der einspurigen Straße, bergan durch zahlreiche Haarnadelkurven, gibt der Regenwald den Blick frei auf die Rasen einer tropischen und doch vertraut britischen Parklandschaft. Im Zentrum der weitläufigen Lichtung, auf dem höchsten der Hügel, begrüßen drei Fahnenstangen – an einer hängt die tansanische Flagge, die anderen erinnern an die vor 40 Jahren aufgelöste ostafrikanische Gemeinschaft – den Besucher in der Amani Hill Research Station. Eingefaßt von verwilderten Hecken stehen Verwaltungsgebäude, Laboratorien, Werkstätten, Bibliothek und Gästehaus, die im Jahre unserer Ankunft, 2013, still sind, aber nicht verlassen, vernachlässigt, aber noch nicht verfallen. Gras und Blumenbeete werden noch gelegentlich gehegt; das Laken auf der Untersuchungsliege der pensionierten Institutskrankenschwester wird gewaschen; die Post ist geöffnet, obwohl keiner mehr Briefe empfängt; eine Kolonie weißer Mäuse, an denen schon lange keiner experimentiert hat, wächst und gedeiht; eine alternde Chefsekretärin öffnet täglich die Bürofenster ihres abwesenden Direktors und hängt dessen Bescheide ans schwarze Brett. Die Laboratorien, verschiedenen tropischen Infektionen gewidmet – Malaria, Flußblindheit, Pest – werden von den ihnen zugeordneten Angestellten täglich geöffnet und die jahrzehntealten Instrumente und biologischen Präparate, die in Gläsern und Holzkästen langsam zerfallen, regelmäßig abgestaubt.

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Gegründet um die letzte Jahrhundertwende von der deutschen Kolonialverwaltung, blickt Amani auf eine lange Geschichte wissenschaftlicher Forschungs- und Sammlungsaktivität zurück: in Landwirtschaft und Forstwissenschaft, Biologie und Medizin und oft quer zu den Disziplinen. In unterschiedlichen politischen und ökonomischen Zusammenhängen – von der gewaltsamen Inbesitznahme und geplanten Ausbeutung Deutsch-Ostafrikas, über die paternalistische spätimperiale britische Politik des „Colonial Welfare and Development“, bis zum Versuch eines afrikanischen Sozialismus in der jungen Nation Tansania – stellte sich Amani durch das 20. Jahrhundert hindurch immer wieder als ein Zentrum wissenschaftlich begründeter Zukunftsentwürfe dar, als Ursprung weitreichender Veränderungen: von Wissen, Macht, Produktion, Gesellschaft und Alltag. Im Widerspruch zu diesem fortschrittsorientierten, auf Handlung ausgerichteten Selbstbild, war Amani – auf über 1000 Metern Höhe, umgeben von Bergwäldern – jedoch auch ein Rückzugsort. Ursprünglich, wie andere koloniale „Hill Stations“, als Zuflucht für vom tropischen Klima erschöpfte wilhelminische Beamte, Offiziere und Missionare eingerichtet, blieb Amani selbst in seiner Hochzeit als Zentrum globaler Wissenschaftsproduktion immer auch ein tropischer Zauberberg. 1920 „Prof Zimmermann [sic] is now relieved of all responsibility as Director of the Institute and he, very naturally, feels his loss of position acutely. He has lost interest in the place he did so much to build up… And he has certainly allowed his inclination as a botanist to run riot. The German government sternly repressed the pursuit of pure science, as such, at Amani, and clearly placed before the staff the primary objects of the foundation – which were to endeavour to solve problems of practical value to the agriculture of the colony… The Prof is wrapped up in his cucumbers (so to say) and, when I wished to begin the cleaning of his chemical lab, he protested volubly that his experiments with cucumbers would be interfered with.“ Amanis neuer stellvertretender Direktor Alleyne Leechman, 1920, an Tanganjikas Chief Secretary; zitiert nach: Chris A. Conte: Highland Sanctuary. Environmental History in Tanzanias Usambara Mountains. Ohio University Press, Athens, 2004, S.63

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Die Abgeschiedenheit, scheinbar fern der politisch-ökonomischen Wirklichkeit, wurde verstärkt durch Amanis infrastrukturelle Selbstversorgung: ein Wasserkraftwerk erzeugte Strom; Pumpstation und Rohrnetz brachten sauberes Wasser in die Häuser; schwarzbunte Kühe weideten auf den Rasenflächen und lieferten Milch und Fleisch, die, wie Dung und Feuerholz, billig an die Angestellten abgegeben wurden. Soziale Clubs (bis in die 60er Jahre getrennt für afrikanische und europäische Angestellte) boten Geselligkeit. Das institutseigene Geschäft war auch während der wirtschaftlichen Krisenzeiten der 80er Jahre gut bestückt. Eine Jazzband und Sportvereine, die regional gegen die Mannschaften anderer staatlicher Institutionen antraten, schufen eine Welt für sich – in Kontakt mit ähnlichen Enklaven anderswo, doch abgesondert vom umliegenden Wald und von den heißen, dicht besiedelten Küstengebieten am Fuß der Berge. Auf den Bergrücken verteilt standen koloniale Bungalows mit Aussicht über eigens angepflanzte Rasenflächen aus importiertem Kikuyu-Gras mit einzelnen großen Bäumen und roten Beeren, die die Institutskinder als „Erdbeeren“ schätzten. Auf tiefer gelegenen Hängen lagen enger gebaute Angestelltensiedlungen, sogenannte „camps“ (geplante Siedlungen, wie die für Plantagenoder Eisenbahnarbeiter), die, zur Zeit der kolonialen Besetzung für afrikanische Assistenten und Helfer gebaut, bis heute von deren Nachkommen bewohnt werden. Diese unterschiedlichen Lebenswelten waren von Klassenunterschieden, übersetzt in koloniale Rassentrennung und auf das Geländeprofil projiziert, geprägt. Zugleich waren jedoch alle Gebäude durch eine einheitliche Versorgungsinfrastruktur verbunden, teilten eine von außen bestimmte, strikt regulierte Ästhetik und vermittelten Bewohnern und Besuchern den Eindruck eines sozialen Ganzen, welches trotz dn identitätsstiftend wirkte. 1933 „It is my intention to show you, by means of the lantern, the appearance of the station and of the beautiful district in which it is situated. Unfortunately I have very few illustrations of our investigations. […] We are, perhaps, unique among research stations in the extent to which we are self-contained. We erect and maintain our own buildings, make roads, construct our own furniture, provide our own electric, gas and water supplies, and run our own transport. For a time I even had the luxury of a private gaol, until a temporary prisoner discovered the weakness of its walls. We are provided with a post and telegraph office, a telephone exchange and a dispensary, but unfortunately no doctor.” Vortrag des Stationsdirektors William Nowell: The agricultural research station at Amani. Journal of the Royal Society of Arts 81(4224), 1933, S.1097-115

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Die Landschaft von Amani versprach ein zu Hause und verwies zugleich auf ferne Heimaten: Constables England, bayerische Gehöfte, modernistische Gartenstädte und bürgerliche akademische Institutionen. Durch diesen Rückverweis auf das Eigene im ganz Anderen bringt Amani einen wichtigen kolonialen Gefühlszustand zum Ausdruck: das Heimweh. Fern der Heimat stellte diese Heimstatt für Wissenschaftler affektive Bezüge zu anderen Orten her, die aber unweigerlich immer unvollständig blieben. Die isolierte Station ist ein Ort der Sehnsucht nach anderswo, nachfolgend aber auch eine Destination des Sehnens, was sich im starken Heimweh zurück nach Amani ausdrückt, von dem viele frühere Bewohner berichten. Nostalgie nach einem zu Hause, das nie wirklich eins war. 1951 „We moved into our bungalow that first evening. Like many other senior staff houses it was perched on top of a narrow ridge. […] If there had been an international competition for the finest view in the world from a lavatory seat, I would confidently have entered ours. On a few clear days before the rains […] just as the moon was rising, you could see the Indian Ocean as a narrow sparkling band, dividing the dark mass of the continent from the sky.” Ankunft in Amani 1951; aus der Autobiographie des Entomologen Mick Gillies: Mayfly on the Stream of Time, Messuage, Witfield, 2000, S.130

Amani als Zentrum universaler Wissensproduktion und Knotenpunkt globaler Zirkulation von Experten und Expertise, zeitweiliges zu Hause für wissenschaftliche Arbeiter und ihre Familien, ist gleichzeitig ein Palimpsest von unterschiedlichen Verweisen auf und Entwürfen von Heimat. Dies galt nicht nur für die europäischen Bewohner, deren Anspruch auf Wissen und Macht die Station manifestierte, sondern auch für viele ihrer afrikanischen Kollegen. Für sie, die überwiegend ebenfalls nicht aus der Umgebung stammten, war die Station ein neues Zuhause, ein Ort des Lernens und Ausgangspunkt für Lebens- und Familienprojekte. Sie bedauerten den Verfall dieses Horts der Moderne und vermißten nicht nur die verlorenen Verdienst- und Lernmöglichkeiten, sondern auch das, was sie die Schönheit des Ortes nannten, seine Ordnung und (scheinbare) Stabilität. 1933 „The year’s work has also shown how suitable as a whole is the combination of a headquarters at Amani at 3,000 feet, with the field station in the Muheza foothills at 600 feet, and the intervening highly malarious low country, for the investigation and teaching of the facts about malaria and its control. While Amani provides surroundings, in which it is possible to carry out laboratory work of precision and to do a prolonged

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day’s work without undue fatigue to the European, the lower ground gives, for much of the year, a constantly recurring cycle of the interactions of the human and the mosquito phases of the malaria cycle.” Bericht des Stationsdirektors Donald Bagster-Wilson: Digest of the Annual Reports for 1952 of the Medical Research Organisations, Government Printers, Nairobi, S.20

research. […] The challenge of leading a research station with no previous experience in research was a great one, and so was my work on mosquitoes. Many challenges came from the non-cooperative nature of the communities living around the research station, [who] believed that we were bloodsuckers or vampires. After all, how else could one earn a living by collecting and studying mosquitoes?“

Zwischen Phasen wissenschaftlicher Produktivität erlebte Amani immer wieder Ruheperioden, während derer die Zukunft ungewiß war. Etwa nach dem Ersten Weltkrieg, als die Station – samt ihren afrikanischen Angestellten – von den deutschen Gründern an ihre britischen Nachfolger überging, und in den 40er Jahren, bevor das im nahen Muheza gegründete Malaria-Forschungsinstitut nach Amani verlegt wurde und eine neue Blütezeit einleitete, die sich nach Tansanias Unabhängigkeit zunächst fortsetzte. Die im weiteren Sinne „gegenwärtige“ Periode seit den 80er Jahren, als Amani ein Forschungszentrum des neu gegründeten tansanischen National Medical Research Institute (NIMR) wurde, ist von erneuter Verlangsamung gekennzeichnet, von schrumpfender wissenschaftlicher Aktivität und verfallender Infrastruktur. Pensionierte tansanischen Forscher verglichen diesen Prozeß mit dem Einsetzen einer Lähmung, bedauerten, daß „Amani nicht länger ist, was es einmal war“, und sagten den Tod der Station voraus – so wie es schon die letzten Briten nach der Unabhängigkeit in den 60er Jahren und die letzten Deutschen in den 20ern getan hatten.

Mit rasch schwindenden Mitteln – aufgrund der ökonomischen Krise des tansanischen Staates und extern verordneter Austeritätspolitik – wurde Amanis Abhängigkeit von globalen Infrastrukturen deutlich: Waldeinsamkeit und Weltabgewandtheit waren imperiale Fiktionen. Das einfache Leben in der Natur, die Konzentration auf die Wissenschaft, bedurften stabiler materieller Grundlagen und ausgedehnter Beziehungsnetze, die nicht länger existierten. So blieben denn von den jüngeren afrikanischen Wissenschaftlern nur wenige länger in Amani, auch wenn sie die wissenschaftliche Arbeit dort schätzten und dem Ort Bedeutung für ihren Werdegang zumaßen. Die meisten verlegten ihre Feldforschung und ihren Wohnort in wärmere, belebtere und zugänglichere Gebiete und kehrten so die ursprüngliche Flucht europäischer Wissenschaftler vor dem afrikanischen Klima, seinen Krankheitserregern, sozialen Spannungen und politisch-ökonomischen Widersprüchen um; sie „kehrten heim“, wie eine von ihnen es auf den Punkt brachte.

Viele, die in den Jahrzehnten unmittelbar nach Tansanias politischer Unabhängigkeit in Amani gearbeitet hatten – Briten, Holländer und Deutsche, genauso wie Kenianer, Ugander und Tansanier – erinnern sich an die gepflegte Landschaft und die wohlversorgten Häuser und beschreiben eine Zeit außergewöhnlichen Privilegs, in der wissenschaftlichen Arbeit und im Privatleben. Im Gegensatz zur Nostalgie dieser heute 70 bis 90-Jährigen, erinnern sich jüngere tansanische Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen, die seit den 80er Jahren von der Universität nach Amani kamen, eher an das kalte, nasse Klima, die Isolation fern anderer ökonomischer oder politischer Möglichkeiten und das Fehlen guter Schulen – die einst angesehene Institutsschule reichte nicht mehr für diese jungen, aufstrebenden Familien.

Als wir 2013 unsere Feldforschung in Amani begannen, standen viele Gebäude leer. In anderen lebten die, die nicht weggehen konnten, sei es wegen mangelnder ökonomischer Mittel – Gärtner, Wachleute oder Laboranten, pensioniert oder auf ihre Pensionierung wartend – oder aufgrund familiärer Verpflichtungen und landwirtschaftlicher Aktivitäten in der Gegend. Sie versuchten, den regelmäßigen Rhythmus des Stationsalltags aufrecht zu erhalten, kamen zur Arbeit, machten Mittagspause und kehrten abends heim in ihre Angestelltenhäuser, die vergeblich auf die Rückkehr des institutseigenen Reparaturmonteurs harrten. Der Wunsch, in wärmere, belebtere Städte umzuziehen, war verbreiteter unter diesen letzten Bewohnern, als die nostalgische Sehnsucht derer, die Amani schon in seiner Blütezeit verlassen hatten.

1980 „When I joined the Amani centre, the East African Community had just collapsed. Partners and institutions […] had removed their support, and few resources for carrying out mosquito research were available. I came into this situation as a young man who had just abandoned a career in marine biology […], with practically no experience in mosquito

1982 „I was just from University [in 1982]. I received a telegramme to come to NIMR. […] I was met by the driver of the director, and we started to come up here. My first impression was: ‘Where are we going?’ Because we climbed, and we go and go […]. Then we arrived here and I said: ‘Oh, there is life up here!’ [...] People were asking us: ‘You girls. What are you

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Lebensbericht von Abraham Mnzava: Unwrapped. The story of a Shepherd Boy. Lagos, Verbatim, 2019, S.176&59

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looking for here?’ Especially the women discouraged us and told us we should go to town: the secretaries, the nurses, the technicians. […] But I heard people talking about their work and I said: ‘Oh, this is interesting.’ [...] But it was cold. When temperatures fell to 10°c, I could hardly function. [...]. And movement: the road was very bad; during the rainy season, you could hardly go down […]. And social life wasn’t attractive, there was nothing to do here, not a party. There was this old club, but this was only for drinking. But I met a good team, people were active. We went all over the place, working. I enjoyed the work, but I didn‘t enjoy the place.” Ankunft in Amani 1982; erzählt von Edith Lyimo (geb.1957) beim Veteranentreffen in Amani, April 2015; zitiert nach: Paul Wenzel Geissler et al.: Remembering Africanization: full transcripts. Africa 90, 2020, online supplement

2013 „We are talking about Amani as heritage, of this magnificent Institute; but how does that relate to the African view of the Institute? Do they have any value on heritage that way? Because – in that sense, why did Philip [the first African director] start taking down things? How does the idea of heritage for these old institutions register with Africans in general, with ideas about their, their continent, their future, their country? It might be that we have we have quite different view […], quite different opinions.” Abschließender Kommentar von Jan Lelijveld, Amani’s last European Director (1966-70); Amani staff reunion, Cambridge, August 2013; zitiert nach: Paul Wenzel Geissler et al.: Remembering Africanization: full transcripts. Africa 90, 2020, online supplement

Die Landschaft bedeutete nun schmerzhafte Erinnerung an eine moderne Zukunft, die zu schnell außer Sicht geraten war, Enttäuschung über nicht erfüllte Erwartung, oder einfach Warten – auf Wiederkehr, auf etwas Neues oder auf die eigene Abreise. Währenddessen kam die wissenschaftliche Arbeit zum Stillstand, die Rasen wurden von schnell wachsenden Büschen überwuchert oder durch private Gemüsegärten ersetzt, die vor einem Jahrhundert angelegten Forste verwilderten, der Wind drückte die unbeschnittenen Hecken nieder, Regen tröpfelte durch die Decke der Bibliothek, stürzende Bäume fällten Strommasten, und die Wasserleitungen, vom Regen freigelegt, glichen archäologischen Funden einer verlorenen Welt. Lisa Wegesa, die Schwiegermutter von Amanis erstem afrikanischen Direktor, sagte: „Amani war so schön. Heute ist es nichts von dem, was es einmal war. Es ist vollständig tot.”

Amani war immer eine Bühne für die Darstellung von etwas Anderem, anderswo oder in der Zukunft, von widersprüchlichen Träumen, denen Nichterfüllung und zurückbleibende Sehnsucht gemeinsam waren. Für heutige Besucher, besonders (aber nicht nur) europäische Anthropologen, ist es nicht leicht, sich diesem performativen Sog zu entziehen. Die Stille des Ortes, sein Mangel an Aktivität – die nicht nur Fremde, sondern auch Bewohner erleben – machte uns hellhörig für die affektive und ästhetische Wirkung von Landschaft, Gebäuden und Dingen. Die körperliche Erfahrung des Ortes wurde so zur historischen Nachstellung. Im alten deutschen Gästehaus, in überwucherten englischen Gärten und in den still gewordenen post-kolonialen tansanischen Labors setzten wir uns mit Rollen auseinander, die – bewußt oder (zunächst) unbewußt, gewählt oder ererbt, zugeschrieben oder ersehnt, peinlich oder vergnügt – Gegenwart und Vergangenheit und die beiden innewohnenden Widersprüche zusammenbrachten.

Der Niedergang der Station kam plötzlich oder langsam, und hatte unterschiedliche Ursachen, je nachdem mit wem man spricht: den letzten Kolonialbeamten, die nach der Unabhängigkeit mit großzügigen Pensionen abgereist und später nur kurz zu Besuch gekommen waren; oder den afrikanischen Wissenschaftlern, die versucht hatten, Amani für die junge tansanische Nation nutzbar zu machen. Quer zu diesen unterschiedlichen politischen, ökonomischen und geographischen Perspektiven, war Amani für die, die zwischen den 50er und 70er Jahren dort gearbeitet hatten, ein ästhetisches und affektives Projekt, in dem sich widersprüchliche Visionen von Zugehörigkeit und Differenz, Fortschritt und Beharrung vermischten. Das Spannungsverhältnis zwischen der Station als wirklichem Ort und als Idee war dabei, historischen Veränderungen zum Trotz, konstant. Ein Versprecher einer früheren britischen Bewohnerin, den Verfall Amanis beklagend, brachte den der Station innewohnenden Widerspruch auf den Punkt: „Amani wird nie Amani sein“.

In einem Moment hörten wir Echos kolonialer Gewalt und hinterfragten unsere eigene Position; im nächsten saßen wir fest in sedimentierten Beziehungen von Klasse und Rasse, die unser Verhältnis zu Ort und Menschen bis in die Gegenwart bestimmen. Manchmal spielten wir etwas schuldbewußt mit anachronistischen Hierarchien; andere Male fanden wir Inspiration in vergangener Kritik an Ungleichheit und alltäglichem Widerstand gegen Unterdrückung. Diese Gesten fügten sich nicht zu einheitlichen Rollen, sondern entwickelten sich in Begegnungen mit anderen Menschen und mit Dingen, tauchten auf und verschwanden, und widersprachen einander und unserem Selbstverständnis. Diese merkwürdigen Erfahrungen sind für uns nicht nur Anlaß für pflichtschuldige „Reflexivität“, oder bloße Ergänzung „eigentlicher“ ethnographischer Forschung. Wir wollen Sie ernst nehmen als bruchstückhafte und flüchtige Berührungen über die Zeit hinweg, durch welche die Gegenwart ihre Form gewinnt – d.h. als grundlegendes ethnographisches Material.

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Abb.1: Tabakversuchspfanzungen in Usambara, Sgl. Franz Stuhlmann, 1900

Abb.2: Inventarkarte einer Tabakplatte aus Amani, Geschenk von F. Eichelbaum, 1904

Abb.3: Sandalen (Paar), Leder, Amani, 20.Jh, Sgl. Rudolf Otto Neumann, Eingang 1973

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Mareike Späth

Amani im MARKK A – M – A – N – I gebe ich in das Suchfeld der Datenbank ein und schaue gespannt auf den kleinen, sich drehenden Kreis auf meinem Bildschirm, nachdem ich die Anfrage abgeschickt habe.1 Alle Datensätze zum Objektbestand des Museums am Rothenbaum, Kulturen und Künste der Welt, werden in diesem Augenblick auf Einträge geprüft, die einen Zusammenhang zum Biologisch-Landwirtschaftlichen Institut Amani vermuten lassen. Gibt es Spuren der in den Usambara Bergen Ostafrikas gelegenen Forschungsstation, die bis nach Hamburg, bis in die schriftlichen Vermerke zur Herkunft einzelner Objekte der ethnographischen Sammlung reichen? In Hamburgs Wohnzimmern begegnet man manchmal einer oft unerkannten Spur dieses Ortes: dem Usambaraveilchen. In der Region Usambara sind diese Pflanzen unter dem KiSambaaNamen Dughulushi heimisch.2 Der Botaniker Hermann Wendland jedoch verlieh ihnen den lateinischen Namen Saintpaulia nach dem in Ostafrika tätigen, deutschen Kolonialbeamten Walter von Saint Paul-Illaire, den er für ihren Entdecker hielt. Walter von Saint Paul-Illaire war seit 1891 in den Usambarabergen stationiert und bei Spaziergängen auf die Blume aufmerksam geworden. Die Blüten erinnerten ihn an das ihm bekannte Veilchen, so nannte er sie kurzerhand umgangssprachlich Usambaraveilchen. Von dort aus trat das Usambaraveilchen durch die Grafen von Pückler über Hamburg und Berlin seine Kolonisierung der Fensterbänke der Welt an.3 In der Sammlung des MARKK findet sich wahrscheinlich keine solche Pflanze. Gemäß der fachlichen Unterscheidung verschiedener wissenschaftlicher Sammlungen sind in und um Amani herum gesammelten Pflanzenbelege in der Sammlung des Herbarium Hamburgense aufbewahrt. Dass es aber auch in der ethnografischen Sammlung des MARKK Spuren aus Amani gibt, ist nicht unwahrscheinlich. Derzeit lagern in den Depots 3824 Objekte aus Ostafrika, das früheste ging 1863 in die Sammlung ein. Ein großer Teil dieser Sammlung geht auf Akteure der deutschen Kolonialzeit und deren Sammlungstätigkeiten in den damaligen kolonisierten Gebieten zurück, und viele davon waren von Hamburg aus zu ihren Unternehmungen aufgebrochen. 1882/83 etwa erfolgte im Auftrag der Geografischen Gesellschaft zu Hamburg eine damals als sehr erfolgreich angesehene Expedition unter der Leitung von Gustav Fischer in das Siedlungsgebiet der Massai. Ziel der Unternehmung war es unter anderem, potentielle Siedlungsgebiete zu erkunden und den Bau der Eisenbahn zu ermöglichen. „Auch wichtig wäre es,

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überall die Aufmerksamkeit zu richten auf das Vorhandensein alter vorgeschichtlicher Kulturstätten und deren Beigaben“, hält ein Aktenvermerk die Gesichtspunkte für eine wissenschaftliche Reise nach Ostafrika fest.4 Die Reise, deren Route von Pangani aus etwas südlich des damals noch zukünftigen Amani verlief, erbrachte „die ersten zuverlässigen Nachrichten über das Massaivolk, [und] große Sammlungen […] wurden heimgebracht“.5 Das Museum erhielt 1887 216 Objekte von diesem Unternehmen: Waffen, Ausstattung von Kriegern, Schmuck, Kleidung, Tabaksutensilien, Werkzeuge, Koch- und Esszubehör sowie Anthropologika (Inv. Nrn. C 858-1074). 1910/1911 leitete der Geograph Erich Obst, der seit 1909 am Kolonialinstitut in Hamburg tätig war, eine weitere Expedition im Auftrag der Geographischen Gesellschaft Hamburg nach Ostafrika. Auch auf dieser Reise wurde massiv für die ethnografische Sammlung, das Naturhistorische Museum (heute Zoologisches Museum), das MineralogischGeologische Staatsinstitut (heute Mineralogische Museum) und das Botanische Staatsinstitut (heute Fachbereich Biologie der Universität Hamburg) gesammelt. Obst übergab dem damaligen Museum für Völkerkunde 306 ethnografische und 68 anthropologische Sammlungsnummern. In der Zwischenzeit, am 26. April 1890, war im Auftrag von Hermann von Wissmann eine Expedition von Bagamoyo aus gestartet unter der Leitung von Eduard Schnitzer, besser bekannt als Emin Pascha, deren Ziel die Erforschung des Hinterlandes und sogenannte Vertragsabschlüsse mit den Bewohner*innen zwischen Victoria-See und nördlichem Tanganyikasee bis zur Ugandagrenze war, um Gebiete um den Viktoria-See für das Deutsche Reich zu sichern. Unter den Teilnehmer*innen waren Franz Stuhlmann und Wilhelm Langheld. Franz Stuhlmann betrieb auf dieser und anderen Reisen geologische, naturkundliche und ethnografische Forschungen und eignete sich zahllose Objekte an, die er in Hamburger Sammlungen weitergab. Auch Wilhelm Langheld hat 102 Objekte in das MARKK übergeben, die meisten davon Waffen und Schmuck aus dem Gebiet des heutigen Tansania und Kamerun, wo er nach dieser Expedition jahrelang im Dienst der Schutztruppen und der Zivilverwaltung tätig war und sich auch ethnografisch betätigte. Auch nach dem Ende der deutschen kolonialen Präsenz auf dem Kontinent reisten deutsche Wissenschaftler*innen weiterhin zum Zweck des Forschens und Sammelns nach Ostafrika. 1934 bis 1936 und 1937 bis 1939 reiste der deutscher Arzt und Paläontologe

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Ludwig Kohl-Larsen, unterstützt durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft und das Auswärtige Amt, in den Nordosten des heutigen Tansania. Als bekennender Nationalsozialist und KolonialRevisionist, wollte Kohl-Larsen in evolutionistischer Manier beweisen, dass alle Menschen einen gemeinsamen Ursprung haben, die von ihm in Ostafrika besuchten Menschen jedoch im Entwicklungsstand hinter den „arischen“ Völkern zurückgeblieben waren.6 Obwohl Kohl-Larsen im Zuge der Entnazifizierung eine Professur für Völkerkunde an der Eberhard Karls Universität Tübingen verlor, wurde er schnell rehabilitiert. Sein mehrere tausend Objekte umfassender Nachlass ist im Museum der Universität Tübingen verblieben. 129 Objekte seiner ersten Reise jedoch gingen in die Sammlung des MARKK ein. Darunter sind auch zahlreiche mit Heilung und medizinischem Wissen verbundene Objekte. Ungeachtet seiner rassistischen und diskriminierenden Motive, weisen diese Objekte darauf hin, dass Kohl-Larsen im Gegensatz zu vielen seiner Vorgänger*innen das medizinische Wissen der in Ostafrika lebenden Menschen wahrnahm und dokumentierte. Ob diese Reisenden durch Amani gekommen waren – wer weiß? Sicher ist, dass einige Menschen, die mit dem damaligen Museum für Völkerkunde in Verbindung standen, in Ostafrika allerlei Tätigkeiten nachgingen. Zu vermuten ist daher, dass sich Spuren aus Amani in der Sammlung des MARKK nachweisen lassen. Plötzlich hört der kleine Kreis auf meinem Bildschirm auf sich zu drehen und die Datenbank präsentiert mir das Ergebnis ihrer Suche nach Spuren Amanis: 22 Datensätze. 7 davon Museumsobjekte, 14 weiter Objekte der fotografischen Sammlung, davon eine Zeichnung, sowie ein gesamtes Bildkonvolut. Im Jahr 1904 hat Dr. F. Eichelbaum dem Museum eine Tabakplatte, auf Swahili tumbako, dem Museum überlassen. Er hatte die runde Platte mit einem Durchmesser von 7 cm auf dem Markt in Amani erworben. Tabak ist in vielen Regionen des Kontinents gebräuchlich und zugehörige Utensilien sind in ethnografischen Sammlungen zahlreich vorhanden. In der Region Usambara und auch in Amani wurde Tabakversuchspflanzungen betrieben, wie Franz Stuhlmann fotografisch festhielt (Abb.1). Die Tabakplatte ist heute leider nicht mehr erhalten, lediglich die im Museum angefertigt Inventarkarte (Abb.2). Auch ein Paar Sandalen trägt auf dem Etikett, mit dem es beim Eingang in die Sammlung des Museums versehen wurde, den Vermerk „Amani“ (Abb.3). Diese Sandalen haben eine aus mehreren Lagen Leder gefertigte Sohle, die mit einer Pflanzenfaser vernäht wurden. Die Y-Bindung ist aus weicherem Leder gefertigt, und die Oberfläche der Sohle ist mit Ziernähten geschmückt. Diese Sandalen sind ungetragen, Schuhwerk dieser Art war und

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ist aber im Einzugsgebiet der Swahili im Indischen Ozean verbreitet.7 Die Sandalen gehörten zur Sammlung Rudolf Otto Neumanns. Neumann studierte Pharmazie und Medizin und war zeitlebens als Wissenschaftler an verschiedenen hygienischbakteriologischen Forschungseinrichtungen Deutschlands tätig, etwa dem Institut für Schiffs- und Tropenkrankheiten (heute Bernhard-Nocht-Institut für Tropenmedizin) und dem Hygienischen Staatsinstitut (heute Institut für Hygiene und Umwelt) in Hamburg, wo er sich dem Studium der Tropenpathologie widmete. Neumann verband seine Arbeit über Fragen der Hygiene mit einem interdisziplinären Interesse an den Beziehungen des Menschen zu seiner Umwelt. Schon früh in seiner Laufbahn hatte er damit begonnen, eine umfangreiche Privatsammlung zu Fragen der Hygiene aufzubauen. Er sammelte auf Fachmessen, aber auch auf Reisen ins In- und Ausland, wo er auf Märkten und in Warenhäusern nach „Bedarfsartikeln“ und „hygienische[n] Dingen“ suchte.8 Seine Sammlung war als Lehr- und Schausammlung angelegt, und 1935 vermachte er die über 15.000 Objekte anlässlich seiner Emeritierung dem Hygienischen Staatsinstitut mit folgender Anweisung: „Wenn ich die Sammlung unter das Protektorat der Gesundheits- und Fürsorgebehörde stelle, so soll damit ein gewisses Aufsichtsrecht verbunden sein, damit sie nicht veräußert oder vernichtet werden kann und die Sammlung ungeteilt beim Institut erhalten bleibt“.9 Er war der Überzeugung, dass die Sammlung nicht für ein Museum geeignet sei, denn die Museumbesucher*innen „stehen vor riesigen Elefanten- und Walfischskeletten, aber keiner vor einem Insektenschrank“ und er nahm an, seine Sammlung würde in einem Museum keine Beachtung finden.10 Doch nachdem Neumann am 5. April 1952 in Hamburg verstorben war, „wurden die zahllosen Objekte zu unbrauchbaren, ungenutzten Hindernissen im Alltag des Instituts, dem die überkommenen Skurrilitäten schlicht im Wege standen“.11 Die Gesundheitsbehörde wandte sich daher an das damalige Museum für Völkerkunde mit dem Anliegen, ethnographische Bestände der Sammlung Neumanns „aus der ganzen Welt“ dem Museum zu überlassen mit der Empfehlung, „sie bei der Ausstellung der Hygiene der Naturvölker zu berücksichtigen“.12 Der damalige Direktor Termer verfügte, dass die Sammlung gesichtet und „Präparate und Modelle von Nahrungs- und Nutzungspflanzen sowie tierische Produkte mit völkerkundlichem Gebrauchszweck“ in die Sammlung des Museums übernommen werden sollen.13 Im Zuge der Sammlungsteilung gelangte das Paar Sandalen aus Amani zusammen mit weiteren 266 Objekte in die Sammlung des MARKK. Allein 46 Nummern davon waren Schuhe. Neumann interessierte sich für Kleidung und Schuhe, da er sie „wie die Ernährung [für] eines der wichtigsten Kapitel der Hygiene“14 hielt. Sein Anliegen war es, Materialien und deren

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Abb.4: Kamm, Holz, Amani, frühes 20.Jh, Slg. Julius Vosseler, Eingang 1936

Abb.5: Tabakdose, Bambus, Usambara, 20.Jh, Slg. Gerhard Gähde, Eingang 1949

Abb.6: Löffel, Holz, Usambara, 20.Jh., Slg. Gerhard Gähde, Eingang 1949

Abb.7: Aktennotiz die Annahme und Umverteilung des Nachlasses von Vosseler betreffend, 1934

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Verarbeitung zu dokumentieren und auf ihren Hygienewert hin zu untersuchen. Fußbekleidung hatte für ihn dabei „höchste hygienische Wichtigkeit“.15 Wie genau Neumann in den Besitz der Sandalen kam, lässt sich gegenwärtig nicht nachvollziehen. Neumann ist nie selbst nach Ostafrika gereist. Er stand jedoch in Kontakt zu Kolleg*innen anderer Hamburger Institutionen, die Ostafrika und Amani zu Forschungszwecken frequentierten und die sicher von seinem Sammlungsinteresse wussten. Vermutlich hat ein*e von ihm beauftragte*r Hamburger Kolleg*in das Paar Sandalen auf dem Markt in Amani erworben. Ein weiteres kleines Konvolut, das am 28.8.1936 als Schenkung von Ida Vosseler in den Besitz des Museums überging, ist laut den Ergebnissen meiner Datenbankrecherche ebenfalls direkt aus Amani nach Hamburg gelangt. Dieses umfasst ein Rasselgerät, zwei Kämme, von denen einer derzeit als verschollen gilt, sowie zwei Stücke Rindenstoff, eines davon zu einem Beutel verarbeitet. Besonders der Kamm fällt durch die beidseitige Zahnung sowie die kunstvollen Kerbschnitzmuster auf (Abb.4). Diese Art von Kamm gilt als typisch für die Küstenregion Ostafrikas. Eine ähnliche Ornamentik wird entlang der SwahiliKüste auch für andere Gegenstände wie Truhen, Löffel und Türen verwendet. Franz Stuhlmann zog Kämme dieser Art als Beispiel für die Eleganz der Holzschnitzarbeiten Ostafrikas heran.16 Auch in der Region Usambara wurden viele alltägliche Gebrauchsgegenstände aus Holz mit hohen ästhetischen Ansprüchen gestaltet. In der Usambara-Sammlung des MARKK befinden sich auch eine Tabakdose (Abb.5) und ein Löffel (Abb.6), die diese Kunstfertigkeit vor Augen führen. Ida Vosseler nahm an, dass die fünf Gegenstände von ihrem Mann Julius Vosseler aus Amani mitgebracht worden waren. Ida Vosseler wurde 1869 als Ida von Drahten in eine in Hamburg ansässige Familie (auch Drateln oder Dratel) geboren. Sie betrieb eine Privatklinik in Hohenfelde an der Außenalster und war mit dem Zoologen Professor Julius Vosseler verheiratet. Noch lange vor der Eheschließung 1917 war Julius Vosseler von Hamburg aus einem Ruf an das Biologisch-Landwirtschaftliche Institut in Amani gefolgt. Er arbeitete dort von 1903 bis 1908 als Entomologe und zu tropischem Pflanzenschutz. Ihm wird viel Geschick im Umgang mit sensiblen Tierarten nachgesagt, und er soll Heim und Büro sowohl in Amani als auch in Hamburg mit allerlei Tieren geteilt haben. Seine Kollegen in Hamburg, der Direktor des damaligen Museums für Völkerkunde Georg Thilenius und Franz Stuhlmann, schätzten seine Fähigkeiten sehr und verwendeten sich dafür, dass Vosseler an das neu gegründete Hamburgische Kolonialinstitut berufen werde, was aber scheiterte. Daher leitete Vosseler, nachdem er 1909 nach Hamburg zurück-

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gekehrt war, bis zu seiner Pensionierung 1927 den Zoologischen Garten Hamburg, der sich damals auf dem Gelände des heutigen Planten un Blomen befand. Julius Vosseler hatte schon 1916 einige Objekte und Fotos in die Sammlung des damaligen Museums für Völkerkunde übergeben. Nach seinem Tod 1933 trat Ida Vosseler wiederholt an das Museum heran, um weitere Objekte, darunter den oben beschriebenen Kamm und 14 Fotografien, in die Sammlung abzugeben. Auch das Zoologische Staatsinstitut war nach Vosselers Tod bemüht dessen Nachlass zu regeln und übergab 1934 einige Fotos an das Museum für Völkerkunde Hamburg (heute MARKK) und an das Institut für Angewandte Botanik (Abb.7).17 Viele der in Amani wohnhaften oder durchreisenden Deutschen machten während ihres Aufenthalts Fotos von Amani und der Umgebung, um ihr Reisen und Arbeiten zu dokumentieren und Ansichtsmaterial mit zurück nach Deutschland zu bringen. Sie fotografierten aus einer Perspektive weißer Fotograf*innen Alltag, Bewohner*innen, Architektur und Infrastruktur, vor allem aber die Landschaft und die Vegetation. Auffälliger Weise hielten die Fotograf*innen viel öfter den Blick von Amani auf die Umgebung fest als Ansichten der Forschungsstation selbst. Die meisten Bilder dokumentieren den Anbau der Nutz- und Arzneipflanzen auf den Versuchsfeldern und Plantagen der Region. Auch die Aufnahmen von Julius Vosseler in der Fotografischen Sammlung des MARKK zeigen die Vegetationen um Amani, manchmal mit Personen im Bild, die nie näher identifiziert sind (Abb.8). Vosselers Blick richtete sich darüber hinaus auch auf die Lebenswelt der nicht-europäischen Menschen, die in Amani lebten und arbeiteten: das Dorf Amani, dessen Markt und Straßen (Abb.9 und 10). Eine kleine Serie hält die Auszahlung einer Sonderzahlung an die Arbeiter*innen Amanis anlässlich des Geburtstags von Kaiser Wilhelm II fest (Abb.11). Ganz ähnlich setzt sich ein umfangreicher Bildbestand zusammen, der auf Franz Stuhlmanns Aufenthalt in Ostafrika (1863– 1928) zurückgeht.18 Diese fotografische Sammlung lagerte in großen Klappordnern in einem Magazinraum der Bibliothek des Geomatikums der Universität Hamburg (ehemals Geografisches Seminar des Kolonialinstituts Hamburg), bis Heiko Möhle sie Franz Stuhlmann zuordnen konnte.19 Daraufhin wurden die 755 Fotoobjekte dem MARKK übergeben. Weitere 336 Aufnahmen von Stuhlmann befinden sich im Bildarchiv des Loki Schmidt Hauses auf dem Gelände des Botanischen Gartens Hamburg. Ein dritter Bildbestand, der laut Eintrag in den Postenbüchern 1920 als Geschenk von Stuhlmann in die Sammlung des MARKK gegeben wurde, ist derzeit nicht lokalisiert. Ob Stuhlmann selbst der Fotograf der Bilder war, lässt sich nicht eindeutig feststellen.

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Abb.9: Markt in Amani (Dorf), Slg. Julius Vosseler, undatiert (1903–08)

Abb.8: Waldweg bei Amani mit zwei nicht identifizierten Europäer*innen, (Originalbildunterschrift „Riesenbäume im Urwald“), Amani, Slg. Julius Vosseler, undatiert (1903–08)

Abb.10: Blick auf das Dorf Amani, Slg. Julius Vosseler, undatiert (1903–08)

Abb.11: Auszahlung einer Sonderzahlung an die Arbeiter Amanis anlässlich des Geburtstag von Kaiser Wilhelm II, Amani, Slg. Julius Vosseler, undatiert (1903–08)

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Abb.12: Weinstock, Landwirtschaftliche Versuchsstation Kwai, Slg. Franz Stuhlmann, um 1900

Abb.13: Sansevieria, Slg. Franz Stuhlmann, um 1900

Abb.14: „Blick von meinem Haus, Stuhlmannstraße“ (Originalbildunterschrift), Slg. Franz Stuhlmann, 1900

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Die meisten Bilder sind mit einem Passepartout-Rahmen auf Karton montiert und mit kurzen Beschriftungen in Stuhlmanns Handschrift versehen. Die Fotografien Stuhlmanns lassen vor den Augen der Betrachter*innen ein Bild kolonialer Lebenswelt in Ostafrika kurz vor der Wende zum 20. Jahrhundert entstehen. Sie zeigen koloniale Infrastrukturen wie Bahnstationen, Krankenhäuser und Denkmäler, Wohn- und Geschäftshäuser oder die Niederlassung der Hamburger Handelsfirma Hansing &. Co. Stuhlmann dokumentierte auch Tisch- und Jagdgesellschaften und den Besuch von Herzog und Herzogin von Mecklenburg in Dar es Salaam 1895. Diese Bilder vermitteln einen Eindruck des Kreises deutscher kolonialer Akteur*innen, in dem Stuhlmann verkehrte. Zahlreiche Bilder zeigen Menschen, mit denen er in Kontakt stand, etwa Händler*innen oder seinen langjährigen Begleiter Kombo. Im Bestand finden sich aber auch zahlreiche anonyme, anthropologische Typenfotografien. Darüber hinaus dokumentierte Stuhlmann verschiedene kolonialaktivistische Tätigkeiten wie Landvermessung, den Bau von Forschungsstationen sowie botanischen Anpflanzungen und Versuchsplantagen mit importierten Pflanzenarten (Abb.12 und 13) und die Verarbeitung von Rohstoffen zu Kolonialwaren. Immer wieder stellt Stuhlmann Bezüge zu sich selbst her: „Blick von meinem Haus, Stuhlmannstrasse“, „mein Haus“ (Abb.14), „mein Arbeitszimmer“. Auffallend ist aber, dass er selbst nicht sichtbar wird. Einige Fotografien sind laut der Stuhlmannschen Bildunterschriften in Amani aufgenommen. Ähnlich wie seine Zeitgenoss*innen fotografierte Stuhlmann die Amani umgebende Waldlandschaft (Abb.15 & 16).20 Franz Stuhlmann hat dem Museum im Laufe seines Lebens immer wieder Objekte überlassen, die er von seinen Aufenthalten im Ausland mitgebrachte hatte. Darunter befindet sich eine Bestattungsmarionette – mtoto wa bandia (Abb.17). Diese große Figur aus Holz mit beweglichen Armen und Beinen blickt ihrem*r Betrachter*in geradewegs entgegen. Sie sitzt auf einem Holzpfahl, das Holz zeigt zahlreiche Spuren der Verwitterung. Sie wurde von Franz Stuhlmann 1909 in die Sammlung des MARKK eingebracht. Stuhlmann gibt an, sie 1893 in Maruwi (Marui), Usaramo (Uzaramo) gesammelt zu haben.21 Marui ist heute ein Bezirk im Distrikt Kisarawe der Region Pwani, der sich südwestlich von Dar es Salaam ins Landesinnere erstreckt. Stuhlmann hat mindestens noch eine zweite, nahezu identische Figur nach Deutschland verbracht. Sie ist seit 1899 Teil der Sammlung des Ethnologischen Museums der Staatlichen Museen zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz (Ident.Nr. III E 7260). Eine vergleichbare männliche Figur aus der Sammlung Bareiss ist in Van Wyk und Roy beschrieben und abgebildet.22

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Die Figur wurde von einem Künstler der Saramo hergestellt. Trauernde errichteten dort Gedenkstätten, um wichtige Mitglieder der Gemeinschaft nach deren Tod zu ehren. Damit verbunden war der Glaube daran, dass die Wertschätzung der Verstorbenen Einfluss auf das gegenwärtige Leben der Menschen hat. Es lag daher in der Pflicht der Gemeinschaft, durch den Bau und den regelmäßigen Besuch von Grabstätten, das Wohlwollen der Verstorbenen sicherzustellen. Verstarb ein hochrangiges männliches Mitglied der Saramo ohne einen männlichen Nachfahren, der die notwendigen Handlungen beim Begräbnis und in der späteren Verehrung des Toten hätte vornehmen können, wurde stellvertretend eine Figur mit beweglichen Armen und Beinen hergestellt. Sie wird daher als mtoto wa bandia (wörtlich: Kind der Nachahmung) bezeichnet. Den Auftrag zur Herstellung gaben die Ältesten der Gemeinschaft selbst. Die Figur wurde mit Kleidungsstücken des Ältesten, zu dessen Ehren sie hergestellt wurde, bekleidet. Ein Ritualexperte bediente die Marionette während der Zeremonie und sprach an ihrer statt. Christopher Roy vermutet, dass hierfür Bauchredner auftraten.23 Die Figur wurde anschließend auf der Grabstelle auf einem Pfosten sitzend installiert.24 Eine Fotografie in der Sammlung des MARKK zeigt eine solche Grabstelle mit Figur (Abb.18). Stuhlmann verweist auf ebendiese Skulptur in seiner Publikation über „Handwerk und Industrie in Ostafrika“ von 1910.25 Er zieht sie heran, um Techniken der Holzverarbeitung aufzuzeigen. Über die Verwendung der Figur erwähnt er lediglich, dass solcherart Figuren auf alten Gräbern zu sehen seien.26 Generell äußert er sich eher geringschätzig über die „Kunstleistungen“ in Ostafrika.27 Eine andere Ansicht vertrat Jens Jahn 100 Jahre später, als er ebendiese Figur in die Ausstellung Tansania: Meisterwerke afrikanischer Skulptur integrierte.28 Vergleicht man vorhandene Abbildungen der Figur, sind Veränderungen sichtbar. Der rechte fehlende Fuß wurde zu einem unbekannten Zeitpunkt ergänzt und der linke Arm ersetzt, wobei die Form im Vergleich zum Original stark verändert wurde. Die Figur war ehemals mit Textilstreifen aus Baumwolle oder Leinen versehen. Die früheste Abbildung bei Stuhlmann zeigt Textilstreifen am Kopf und am Oberkörper. Ein Stoffstück war mehrfach um den Kopf gewickelt, ein zweites verlief über die Schultern und unter den Armen und war in Brusthöhe gekreuzt und geknotet. Die Textilbänder sind heute nicht mehr erhalten. An der rechten Schläfe der Figur sind deutliche Spuren von Feuer zu sehen. Roy beschreibt an der Figur der Sammlung Bareis eine ähnliche, rußige Oberfläche.29 Er vermutet, dass die Verrußung daher rührt, dass die Figur zum Schutz vom Grab genommen und im Gebälk einer Küche versteckt wurde. Dies könnte drauf hindeuten, dass

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die Menschen, in deren Besitz die watoto wa bandia sich vormals befanden, ein Entwenden der Figuren durch die europäischen Sammler*innen zu verhindern versucht haben. Franz Stuhlmann hat zwischen 1885 und 1928 wiederholt Objekte an das Museum übergeben. So zum Beispiel ein kleines Konvolut von vier Objekten, die Stuhlmann bei seiner Reise mit Emin Pascha 1890 gesammelt und von unterwegs an die Küste Ostafrikas und weiter nach Hamburg geschickte hatte. Stuhlmann entdeckte, dass diese Objekte, die er schon für verloren geglaubt hatte, 1922 bei einer Versteigerung im Zoologischen Garten angeboten wurden. Auktionator Lüders war dort im Begriff im Auftrag des Kaufmanns Ahrens eine Sammlung von dessen Onkel zu veräußern. Stuhlmann intervenierte und schaltete die Polizeibehörde ein, die die Objekte bei der Auktion sicherstellte. Ahrens stimmte der Beschlagnahmung laut Protokoll der Polizeibehörde sofort zu und erklärte, es ließe sich wohl nicht mehr ermitteln, wie die fraglichen Objekte in den Besitz seines Onkels, der lange an der Ostküste Afrikas gelebt habe, gekommen seien. Es wurde eine Verwechslung beim Transport an die Küste in „ungeordneten Verhältnissen“ angenommen. Die Objekte (ein Kopftragering, ein Halsring aus Bronze, ein Lederschurz, eine Tanzklapper, Inv. Nrn. 22.88:1-4) wurden daraufhin dem damaligen Museum für Völkerkunde übersandt. Auch nach Stuhlmanns Tod gingen weitere Teile seiner Sammlung an das Museum über. Stuhlmann hatte der Aufbauschule Hoheweide, die sein Pflegesohn Otto Schönfeld besuchte, zahlreiche Objekte überlassen. Nach seinem Tod ertauschte sich das damalige Museum für Völkerkunde einen Teil dieser Sammlung. Als 1931 der Rest aufgelöst werden sollte, wurde auch dieser dem Museum zum Kauf angeboten, was das Museum ablehnte. Da der Erbe Otto Schönfeld die Sammlung wegen Platzmangels nicht bei sich unterbringen konnte, die Sammlung aber als Ganzes erhalten wissen wollte, überließ er sie dem Museum als Dauerleihgabe. 1935, offenbar in Geldnot geraten, bot Otto Schönfeld diese Sammlung dem Museum erneut zum Kauf an. Als das Museum die verhandelte Summe wieder nicht aufbringen wollte oder konnte, veräußerte Schönfeld die Sammlung an den Händler Konietzko, der die Sammlung aus dem Museum abholen ließ. Ab da verliert sich die Spur der Sammlung Stuhlmanns. Welche Sammlungsspuren aus Amani sind in den Depots des MARKK heute also noch erhalten und welche nicht? Einige Objekte, die Vosseler dem Museum überlassen hat, gelten heute als vermisst: Im Juni 1909 wurden dem Zoologischen Garten in Hamburg von Leo Frobenius vier Ponys überlassen, die er aus dem Inneren Togos zu Züchtungs- und Versuchszwecken nach Hamburg verbracht hatte. Diese sogenannten „Togopferde“

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waren wegen ihrer Immunität gegen die Schlafkrankheit für die Forschung interessant. Zucht- oder Lasttiere waren unabdingbare Pfeiler des kolonialen Projekts, ermöglichten sie doch erst die (landwirtschaftliche) Ausbeutung der kolonisierten Gebiete. Allerdings verendeten die aus Europa importieren Tiere in an der Schlafkrankheit. Durch die Studien am resistenten „Togopferd“ erhofften sich die Wissenschaftler*innen eine Möglichkeit, auch andere Säugetiere zu immunisieren oder erfolgreich zu behandeln. Vosseler, damals Direktor des Zoologischen Gartens, machte vier Fotos von den Tieren und gab sie in die Fotografische Sammlung des ethnologischen Museums, wohl als Bildnachweis für Pferde in Togo (Inv. Nr. 12.P.34:1-4). Die Pferde selbst überließ er dem Institut für Schiffs- und Tropenkrankheiten in Hamburg für Forschungen zur Schlafkrankheit.30 Von seiner eigenen Zeit in Amani brachte Vosseler eine Handzeichnung eines 16-Jährigen, einen Schmetterling darstellend (Inv. Nr. 14.P.7:1), mit. Da Vosseler den Zeichner als Angehörigen der in den westlichen Usambarabergen wohnhaften Washambaa einordnete, bekam auch diese Zeichnung ihren Platz in der völkerkundlichen Sammlung. Alle diese Fotos und Zeichnungen sind zwar in den Archiven des MARKK verzeichnet, ihr Verbleib ist aber unbekannt. Andere Spuren der Aktivitäten von Stuhlmann, Vosseler und Co. sind nachhaltig in die Bücher westlicher Wissenschaften eingeschrieben. So wurde ein ostafrikanisches Zweihornchamäleon nach Julius Vosseler mit dem botanischen Namen Chamaeleon fischeri vosseleri versehen, und ein in den Usambarabergen endemisches Gewächs, das zur Gewinnung von Fett für die Kerzenund Seifenfabrikation verwendet wurde und in Ostafrika Mkani genannt wird, ist unter dem botanischen Namen Allanblackia stuhlmannii verzeichnet. Auch im hamburgischen Stadtraum trifft man heute auf Spuren dieser Menschen, die im kolonialen Rahmen in der Forschungsstation Amani tätig waren. In Eimsbüttel verläuft parallel zur Hagenbeck Straße die Julius Vosseler-Straße (Abb.19), entlang derer seit 2018 eine Siedlung gebaut wird, die ebenfalls Vosselers Namen tragen wird. Franz Stuhlmann war in Zeiten deutscher Kolonialer Herrschaft und Namesvergabehoheit in Ostafrika eine Straße in Dar es Salaam gewidmet,31 und ein Pass im Ruwenzorigebirge war nach ihm benannt.32 In Hamburg hingegen blieb Stuhlmann denkmallos.33 An ihn erinnert in Hamburgs öffentlichem Raum lediglich ein wenig gepflegter Grabstein auf dem Familiengrab auf dem Friedhof Ohlsdorf. Im Hamburger Stadtraum gibt es unzählige weitere Spuren der Verflechtungen zwischen Hamburg und Tansania. Manche von ihnen deutlich sichtbar, wie der 2011 am Magdeburger Hafen in der Hafencity eingeweihte Dar-es-Salaam Platz, der seinen Namen zu Ehren der 2010 beschlossenen Städtepartnerschaft zwischen Hamburg und Dar es Salaam trägt. Manche sind weniger

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Abb.15: Blick von Amani, Slg. Franz Stuhlmann, 1900

Abb.16: Amani, Slg. Franz Stuhlmann, 1900

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zugänglich und offensichtlich, wie die 1939 in kolonialrevisionistischer Absicht an der ehemaligen Lettow-Vorbeck-Kaserne angebrachten Reliefplatte, die militärische Präsenz deutscher Truppen in Tansania abbildet und die derzeit nur mit Voranmeldung besichtigt werden kann. Wie die hamburgische Stadtgesellschaft mit diesem Erbe umgehen möchte, darüber herrscht bis dato keine Einigkeit. Nachdem ich im öffentlichen Raum, in Sammlungen und Archiven und insbesondere im Museum am Rothenbaum nach Spuren gesucht habe, die Hamburg mit Amani und Amani mit Hamburg verbinden, stelle ich mir abschließend umgekehrte Fragen: Wenn sich so viele Spuren von Stuhlmann, Vosseler und

1  Ich danke Barbara Plankensteiner, Catharina Winzer, Rahel Wille, Benjamin Gollasch und Sophia Klampfleuthner für wertvolle Kommentare zu früheren Versionen dieses Beitrags. 2  Mein Dank gilt Peter Mangesho vom National Institute of Medial Research und Hussein Kinoko vom Urithi Tanga Museum für die Information und den Austausch über lokale Bezeichnungen der Flora Usambaras. 3  Ulrich van der Heyden: Koloniales Gedenken im Blumentopf: Das UsambaraVeilchen und sein ‚Entdecker‘ aus Berlin. In: Ulrich van der Heyden und Joachim Zeller (Hrsg.): Kolonialismus hierzulande. Eine Spurensuche in Deutschland. Sutton, Erfurt, 2007, S.220-22. 4  MARKK Archiv 101-1 Nr. 228. 5  Heinrich Schnee (Hrsg.): Deutsches Kolonial-Lexikon, Quelle & Meyer, Leipzig, 1920, Bd I, S.627f. 6  Ludwig Kohl-Larsen: Auf den Spuren des Vormenschen: Forschungen, Fahrten und Erlebnisse in Deutsch-Ostafrika (Deutsche Afrika-Expedition 1934– 1936 und 1937-1939). Strecker & Schröder, Stuttgart, 1943. 7  Vergleichbare Sandalen mit einer etwas anderen Bindung befinden sich in der Sammlung des Musée du Quai Branly (Inv.-Nr. 71.1990.57.583.1-2). 8  Rudolf Otto Neumann: Die Sammlung des Hygienischen Instituts in Hamburg. Wendt, Hamburg 1948, S.7. 9  Schenkungsurkunde vom 11. Juni 1935, zitiert in Felix Brahm: Rudolf Otto Neumann: Hygieniker, Zeichner, Sammler und Reisender 1868 – 1952. Institut für Hygiene und Umwelt, Hamburg, 2003, S.9.

Zeitgenoss*innen aus Amani in Hamburg und im MARKK finden lassen, welche Geschichten und wessen Beiträge zur Verflechtungsgeschichte sind wohl undokumentiert? Wie viele Aspekte des kolonialen Moments gibt es wohl, die keine (an)fassbaren Spuren hinterlassen haben? Welche Spuren, die in der kolonialen Situation ihren Anfang genommen haben, prägen nachhaltig unsere Lebenssituationen und unsere Weltwahrnehmungen in Hamburg und Amani und zeugen dadurch ganz unsichtbar und immateriell von der Zeit, in der Hamburgs Wissenschaftler*innen in den Bergen des damaligen Deutschostafrikas tätig waren? Eine Spurensuche, die uns wieder in die heimischen Wohnzimmer führt, und die oft noch ganz am Anfang steht.

16  Franz Stuhlmann: Handwerk und Industrie in Ostafrika. Friedrichsen, Hamburg 1910, S.111. 17  Einige Tonscherben aus Karthago und Mosaiksteine aus Italien wurden dann wiederum an das Museum für Kunst und Gewerbe weitergegeben. 18  Zur Biografie Franz Stuhlmanns und seiner Verbindungen zu Amani siehe Gollasch in diesem Band. 19  Heiko Möhle: Sansibar um 1890. Eine photographische Fundsache. In: Rita Bake (Hrsg.): Hamburg – Sansibar. Sansibar – Hamburg. Landeszentrale Politische Bildung, Hamburg 2009, S.75-83. 20  Siehe auch die Abbildung bei Gollasch in diesem Band. 21 Stuhlmann, Handwerk und Industrie, S.32. 22  Gary van Wyk: Shangaa. Art of Tanzania. CUNY, New York, 2011, S 29 und Christopher Roy: Kilengi. Afrikanische Kunst aus der Sammlung Bareiss. Kestner Gesellschaft, Hannover, 1997 S.63; 325. 23 Roy, Kilengi, S.325. 24  van Wyk, Shangaa, S.29 und Roy, Kilengi, S.325, beide mit Verweis auf Marc Leo Felix: Mwana Hiti. Leben und Kunst der matrilinearen Bantu von Tansania. Jahn, München, 1990, S.193f. 25 Stuhlmann, Handwerk und Industrie, S.32, mit Abbildung. 26 Stuhlmann, Handwerk und Industrie, S.32. 27 Stuhlmann, Handwerk und Industrie, S.27.

10 Neumann, Die Sammlung, S.5.

28  Jens Jahn (Hrsg.): Tansania: Meisterwerke afrikanischer Skulptur. HdKdW, Berlin, 1994, S.96, mit Abbildung.

11  Romy Steinmeier: ‚Hamburg hatte aber auch seine guten Seiten‘: Rudolf Otto Neumann und das Hygienische Institut Hamburg. Temmen, Bremen 2005, S.23.

29 Roy, Kilengi, S.325.

12  Aktennotiz vom 11. März 1953, MARKK Archiv 101-2 Nr. 3. 13 Ebd. 14 Neumann, Die Sammlung, S.34-38. Dies tropenmedizinische Interesse an Schuhwerk hat vermutlich mit der zur selben Zeit gemachten Entdeckung zu tun, daß der weitverbreitete Hakenwurm vor allem durch die ungeschützte Haut der Füsse in den menschlichen Körper eindringt. 15 Ebd.

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30  Erich Weissenborn: Beitrag zur Kenntnis der kurzgeißligen Trypanosomen. Archiv für Schiffs- u. Tropenhygiene 15, 1911. Die Pferde erholten sich wie erwartet von der Infektion mit der Schlafkrankheit. 31  Siehe Gollasch in diesem Band. 32  Markus Tremmel: Stuhlmann, Franz. In: Neue Deutsche Biographie 25. Berlin 2013, S.642-43. 33  Der Stuhlmannbrunnen in Altona ist seinem Namensvetter Ludwig Günther Stuhlmann gewidmet, ebenso Stuhlmannplatz und Stuhlmannstraße.

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Abb.17: Bestattungsmarionette mtoto wa bandia. Unbekannter Künstler der Saramo; Marui, Tansania, 19.Jh.; Holz, Metall; H 84,5 cm; Slg. Franz Stuhlmann, gesammelt 1893, Eingang 1909

Abb.18: Historische Fotografie eines Grabs mit Begräbnismarionette in Usaramo. Fotograf*in unbekannt, undatiert

Abb.19: Straßenschild der Julius Vosseler-Straße in Eimsbüttel, Hamburg, mit antikolonialem Proteststicker, 2019

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Abb.1: Franz Stuhlmann zur Zeit seiner ersten Afrikaaufenthalte, 1892

Abb.2: Plan von Dar es Salaam. Die Stuhlmannstraße und die Kulturabteilung sind im Nordosten der Stadt zu erkennen, ca. 1914/1920

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Benjamin Gollasch

Von Hamburg nach Amani und zurück – Franz Ludwig Stuhlmann und die „Gegenwart der imperialen Vergangenheit“1 „Das im Herbst 1908 vom Hamburgischen Staate – zunächst als ‚Zentralstelle des Hamburgischen Kolonialinstituts‘ – gegründete Welt-Wirtschafts-Archiv hat zur Aufgabe, die wirtschaftlichen und politischen Zustände und Vorgänge in aller Welt zu beobachten, die Unterlagen hierzu in seinen Archiven und seiner Bibliothek zu sammeln und übersichtlich zu ordnen und diese Sammlungen der Öffentlichkeit nutzbar zu machen.“ 2 So fasste Franz Ludwig Stuhlmann (1863–1928) im Jahr 1925 die Kernaufgabe des Hamburgischen Welt-Wirtschafts-Archivs (HWWA) zusammen. Zunächst scheint es nicht allzu offensichtlich, wie ein Hamburger Wirtschaftsforschungsinstitut mit einer kolonialen Forschungsstation im heutigen Tansania in Verbindung stehen könnte. Mit dem Blick auf die Biografie des Hamburger Kolonialakteurs3 Franz Stuhlmann lässt sich die Verbindungslinie von Amani nach Hamburg jedoch sehr anschaulich herstellen und koloniale Kontinuitäten bis in die Gegenwart nachweisen. Es soll gezeigt werden, wie der „erfolgreichste botanische Forscher und Sammler Ostafrikas“4 im Laufe seiner Karriere zunächst maßgeblich am Aufbau und an der Leitung des Biologisch-Landwirtschaftlichen Instituts (BLI) in Amani beteiligt war und ab 1908 den Direktorenposten der Zentralstelle des Hamburgischen Kolonialinstituts übernahm, aus welcher nach dem Ersten Weltkrieg das HWWA hervorging. Der personenzentrierte Ansatz bietet nicht nur die Möglichkeit die Funktionsweisen des deutschen Kolonialismus mit all ihren rassistischen und gewalttätigen Spielarten greifbar zu machen, sondern auch die Chance einen adäquaten Umgang mit kolonialen Gegenwärtigkeiten zu entwickeln.5 Geboren am 29. Oktober 1863 in St. Georg hatte Stuhlmann als Sohn eines Architekten die Möglichkeit einer höheren Schulbildung am Realgymnasium des Hamburger Johanneums und eines naturwissenschaftlichen Studiums in Freiburg und Tübingen.6 1885/86 verfasste er seine zoologische Doktorarbeit mit dem Titel „Die Reifung des Arthropodeneies“. Nach seinem Militärdienst und einer Anstellung bei dem Zoologieprofessor Karl Semper (1832– 93) in Würzburg war Stuhlmann in der privilegierten Position sich zwischen einer Habilitation oder einer Forschungsreise nach Ostafrika zu entscheiden. Aufgrund seiner verwandtschaftlichen Verbindungen zum Hamburger Handelshaus Hansing & Co., welches auf Sansibar eine Handelsstation

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nunterhielt, sowie durch eine finanzielle Förderung der Berliner Akademie der Wissenschaften entschied er sich für letzteres und reiste im Frühjahr 1888 im Alter von 24 Jahren nach Ostafrika (Abb.1). Kurz nach seiner Ankunft schloss sich der Reserveoffizier Stuhlmann freiwillig der sogenannten „Wissmanntruppe“ an, die den Widerstand der Küstenbevölkerung gegen den wachsenden Einfluss der Deutschen gewaltsam unterdrücken sollte. Ab 1890 nahm er an der Emin-Pascha-Expedition teil, die zum Ziel hatte, die deutsche Herrschaft in Ostafrika auch im Hinterland zu etablieren. Stuhlmann selbst erläuterte, wie es dazu kam: „Er [Wissmann] erklärte mir, die Expedition […] diene zwar vorwiegend politischen Zwecken. Da wir aber voraussichtlich Gelegenheit haben dürften, bis jetzt noch wenig oder gar nicht betretene Gebiete, wie die grossen Schneeberge und den centralafrikanischen Urwald kennen zu lernen, so schiene es ihm eine unverantwortliche Unterlassungssünde, wenn dabei nicht auch geographische und naturwissenschaftliche Beobachtungen angestellt und gesammelt würden.“ 7 Er erfüllte auf dieser Expedition eine Doppelfunktion sowohl als Militärangehöriger als auch als Sammler und Beobachter von Landschaft, Natur und Menschen. Zu dieser Zeit verzahnten sich Kolonialpolitik und Wissenschaft dahingehend, dass die Kolonialverwaltung zwecks Herrschaftsausübung auf konkretes Wissen über das Land und seine Bewohner angewiesen war. Viele akademische Disziplinen, wie die Geografie, die Ethnologie, aber auch die Zoologie und die Botanik, stellten ihre wissenschaftlichen Erkenntnisse direkt dem kolonialen Herrschaftsapparat zur Verfügung und wurden dadurch – zumindest teilweise – zu „Kolonialwissenschaften“.8 So sammelte Stuhlmann während der EminPascha-Expedition eine große Anzahl Pflanzen und Tiere, die er vor allem an das Naturkundemuseum in Berlin und an das Naturhistorische Museum in Hamburg lieferte. Weiterhin betätigte sich Stuhlmann auch als Sammler ethnografischer Gegenstände, von denen einige ihren Weg in das damalige Hamburger Völkerkundemuseum fanden.9 Doch auch menschliche Überreste und lebende Personen wurden von Stuhlmanns „Sammelwut“10 nicht verschont. Er entnahm beispielsweise Schädel aus Gräbern am Victoriasee und sendete diese zu anthropologischen Untersuchungen an den Berliner Mediziner Rudolph Virchow (1821–1902).11 Als Stuhlmann 1892 als einer der wenigen

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Überlebenden der Emin-Pascha-Expedition an die Küste zurückkehrte, brachte er zwei Afrikanerinnen mit nach Deutschland, die im Jahr 1893 unter den damals populären Topoi „Pygmäen“ und „Zwergvölker“ einem breiten Publikum in verschiedenen deutschen Städten „vorgeführt“ wurden.12 An der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert stand Stuhlmann idealtypisch für einen deutschen Kolonialakteur, der sich als Experte in Botanik, Zoologie, Geologie, Geografie und Ethnologie präsentieren konnte. Da es zu Beginn der deutschen Kolonialzeit keine geregelten Anforderungen an den Kolonialdienst gab, war es für Eklektiker wie Stuhlmann relativ einfach eine Stelle in der noch jungen Kolonialverwaltung zu bekommen. Hinzu kam der eklatante Material- und Personalmangel, der den Akteuren ein hohes Maß an Improvisation und Vielseitigkeit abverlangte und dazu führte, dass größtenteils „bürokratische Laien“13 politische Macht erlangten.14 Ergebnis dieser Mangelsituation war, dass Stuhlmann als gelernter Zoologe ab Ende 1893 bis zu seinem Ausscheiden aus dem Kolonialdienst in Deutsch-Ostafrika 1908 unter fünf Gouverneuren diente und neben seinen Funktionen als Kartograf (ab 1893), Chef der Abteilung für Landeskultur 15 und Vermessung (ab 1895) sowie als stellvertretender Gouverneur (u.a. 1904/05) maßgeblich für den Aufbau des Biologisch-Landwirtschaftlichen Instituts in Amani (ab 1902) verantwortlich war. Bereits in den 1890er Jahren waren die Usambaraberge wegen ihres gemäßigten Klimas und fruchtbarer Berghänge in den Fokus deutscher Plantagengesellschaften gerückt.16 Besonders die Deutsch-Ostafrikanische Gesellschaft (DOAG) profitierte von den großflächigen Landkonzessionen und niedrigen Bodenpreisen, die vom Gouvernement gewährt wurden, wobei die Besitzverhältnisse der einheimischen Bevölkerung ignoriert wurden. Wie selbstverständlich gingen die Deutschen davon aus, dass es sich um „ursprüngliche Wälder ohne menschlichen Einfluss“17 handeln müsse, obgleich Christopher Conte darauf hinweist, dass die Usambaraberge keineswegs als unbewohnter Primärwald anzusehen seien: „Urwälder they were not; the Usambaras, as well as the rest of East Africa´s Eastern Arc Mountains, had served for centuries as settlement nodes.”18 Besonders Kaffeeplantagen versprachen gute Aussichten auf Profit, doch allzu oft fehlte es den deutschen Betreibern an fachlicher Expertise, was um die Jahrhundertwende zur sogenannten „Kaffeepleite von Usambara“19 führte. Stuhlmann trieb in seiner Funktion als Chef der Abteilung für Landeskultur und Landesvermessung sowohl in den Usambara­ bergen als auch in der neuen Hauptstadt der Kolonie landwirtschaftliche und botanische Forschungen voran. In Dar es Salaam entstand schon ab 1893 ein Versuchsgarten, der mit Setzlingen

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aus der Botanischen Zentralstelle für die deutschen Kolonien in Berlin ausgestattet wurde. Mit geringem Erfolg wurden hier Anbauversuche von tropischen Nutzpflanzen durchgeführt. Allein die Aufzucht von Zierpflanzen und Alleebäumen verlief zufriedenstellend und noch heute werden einige Straßenzüge in Dar es Salaam von Bäumen aus dem Versuchsgarten beschattet. Um die Jahrhundertwende wurde der Garten in einen öffentlichen Park umgewandelt, der bis heute die grüne Lunge der Millionenstadt darstellt.20 Stuhlmanns bedeutende Rolle innerhalb der Kolonialverwaltung wurde spätestens Ende 1900 auch im Straßenbild Dar es Salaams sichtbar. Im Zuge städtebaulicher Maßnahmen entstand nordöstlich des Zentrums ein Viertel, welches explizit für Europäer vorgesehen war.21 Die Straßen wurden hier überwiegend nach deutschen Kolonialakteuren benannt. Die direkte Verlängerung der Kaiserstraße in Richtung Kulturabteilung – Stuhlmanns Arbeitsplatz – wurde zur Stuhlmannstraße (Abb.2). Er selbst hielt Bauarbeiten auf „seiner“ Straße fotografisch fest, wie das Bild „Schotterung der Stuhlmann-Strasse Dez. 1900“ zeigt (Abb.3). Zwar verschwand dieser Name nach dem Ersten Weltkrieg wieder aus den Stadtplänen – sie hieß dann schlicht Main Avenue – doch koloniale Kontinuitäten lassen sich hier bis in die Gegenwart verfolgen. Die Briten benannten viele der Straßen in diesem Viertel nach eigenen „Kolonialhelden“ um. Das unabhängige Tansania setzte diese Tradition ebenfalls fort, wobei fortan prominente afrikanische Persönlichkeiten als Namensgeber Pate standen. Die ehemalige Stuhlmannstraße heißt heute Sokoine Drive und ehrt Edward Moringe Sokoine (1938–84), der von 1977 bis 1980 Premierminister von Tansania war. Neben den botanischen Versuchen in Dar es Salaam veranlasste Stuhlmann in Zusammenarbeit mit der DOAG im Jahr 1896 die Errichtung der Kulturstation Kwai in den westlichen Usambara­ bergen. Mit dieser Station sollte bewiesen werden, dass sich das Hochland zur Besiedlung durch Deutsche eignete und dass dort europäische Obst- und Gemüsesorten, Vieh und Plantagenprodukte gedeihen könnten. Tiefergehende systematische Forschungen und wissenschaftliche Untersuchungen der Böden waren nicht vorgesehen und so blieben die Probleme und Fragen der Siedler zu Schädlingen, Krankheiten und Düngung weitgehend ungelöst.22 Von der deutschen Privatwirtschaft gingen ab Juni 1898 Forderungen nach einer wissenschaftlichen Versuchsstation aus, deren Umfang und Ausstattung über die bestehende Anlage in Kwai hinausgehen sollte.23 Die Kolonialverwaltung – in Person von Gouverneur Götzen (1866–1910) und Stuhlmann – hatte neben den europäischen Plantagen auch die Landwirtschaft der Einheimischen im Blick, die als leistungsfähiger als die der Europäer eingeschätzt wurde. Im Kern schwebten dem Gouvernement daher drei wesentliche Aufgaben des zu gründenden Instituts

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Abb.3: „Schotterung der Stuhlmann-Strasse Dez. 1900“ (Originalbildunterschrift). Offensichtlich arbeitete ein Teil der Menschen dort nicht freiwillig. Mehrere Personen sind am Hals aneinander gekettet und durch Soldaten bewacht

Abb.4: Gewächshäuser und Versuchsplantagen in Amani, undatiert

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vor: Erstens die „praktische […] Unterstützung der im Land bestehenden Pflanzungen und Ansiedlungen von Privatleuten“, zweitens die „Hebung der Eingeborenenkulturen“ und drittens die „Anregung und Anleitung zur Einführung neuer nutzbringender Kulturen und Pflanzungsmethoden.“24 Als Vorbild für eine „Versuchsstation für Tropenkulturen in Usambara“25 diente der Botanische Garten in Buitenzorg auf Java, „dem gelobten Lande der Botaniker und Tropenpflanzer“,26 wo die Niederländer schon 1817 damit begannen die dortigen einheimischen Pflanzen systematisch zu sammeln, zu kultivieren und sowohl landwirtschaftlich als auch medizinisch nutzbar zu machen.27 So schien es folgerichtig, dass das Kolonial-Wirtschaftliche Komitee (KWK) im Frühjahr 1900 an die Kolonialabteilung herantrat und darum bat Stuhlmann für eine sechsmonatige Studienreise nach Britisch- und Niederländisch-Indien freizustellen, um die dortigen Anlagen zu erkunden, koloniales Wissen zu sammeln sowie Sämereien nach Deutsch-Ostafrika zu senden.28 Sowohl die britische Kolonialverwaltung in Indien als auch die kolonialwirtschaftliche Organisation der Niederländer auf Java galten für Stuhlmann als Vorbild für die Gestaltung der deutschen Herrschaft in Ostafrika. Als offizielles Gründungsdatum des BLI kann der 4. Juni 1902 gelten, denn an diesem Tag legte Gouverneur Götzen in einem Telegramm das Gelände um das Dorf Amani als Standort fest.29 Das Gelände wurde kostenfrei von der DOAG bereitgestellt, die ja wiederum in den Jahren zuvor das Land vom Gouvernement günstig „erworben“ hatte.30 Bereits zwei Monate später begannen die Bauarbeiten und bis Ende 1903 waren das Direktorenhaus, die Laboratorien samt Nebengebäuden und Werkstätten, das Verwaltungsgebäude, die Bibliothek sowie einige private Wohnhäuser für europäische Angestellte fertiggestellt. Infrastrukturell ausgestattet wurde das Institut mit einem umfassenden Wasserleitungs- und Bewässerungssystem, einer Post- und Telegrafenstation, Straßenbeleuchtung sowie einem Gasleitungsnetz.31 Für die herangezogenen afrikanischen Arbeiter, von denen für den laufenden Betrieb des Instituts zwischen 200 und 300 nötig waren, wurde ein kleines Krankenhaus errichtet, um Amani als Arbeitgeber attraktiver zu machen.32 Wie die Arbeitsbedingungen in Amani tatsächlich aussahen, muss an dieser Stelle offen bleiben, wobei Stuhlmann selbst – als jahrelanger Direktor des Instituts – Hinweise in eine bestimmte Richtung gibt: „Ein geringer indirekter Zwang – nicht eine Zwangsarbeit – schadet dem Neger [sic!] gar nichts. Es hat doch keinen Sinn, wenn wir eine teure Kolonie besitzen und die Eingeborenen leben dort im paradiesischen Nichtstun.“ 33

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Was jedenfalls festgestellt werden kann, ist, dass die Anlage der Versuchsgärten und Experimentierplantagen in und um Amani für die lokale Bevölkerung Konsequenzen hatte. Neben zwangsweisen Umsiedlungen und den gewandelten Lebens- und Arbeitsbedingungen durch den gestiegenen Bedarf an Lohn- und Plantagenarbeitern34 waren es vor allem ökologische Veränderungen, die die Region nachhaltig prägten. Die Hänge der Berge waren gesäumt von kranken und toten Kaffeebäumen, die bereits in den Jahren vor der Gründung des Instituts angepflanzt worden waren. Doch der ausgelaugte Boden, die klimatischen Verhältnisse sowie gefallene Weltmarktpreise ließen die Anbauversuche in den Usambara­ bergen endgültig scheitern. Im Zuge der geplanten Anlage eines umfangreichen botanischen Gartens sorgte vor allem Stuhlmann in den Anfangsjahren des Instituts dafür die streckenweise entwaldeten Berghänge wieder aufzuforsten. Hierzu führte er eine Reihe an ortsfremden Pflanzen in das lokale Ökosystem ein, die er vor allem von seiner Studienreise nach Britisch- und Niederländisch-Indien mitbrachte. Nicht weniger als 48 neue Arten wurden in den Wäldern der östlichen Usambaraberge während der deutschen Kolonialzeit heimisch.35 Fortan prägten Experimentierplantagen und Gewächshäuser das Erscheinungsbild von Amani (Abb.4).36 Viele dieser Pflanzen und Bäume haben das letzte Jahrhundert überdauert und sind noch heute in den Wäldern der östlichen Usambaraberge zu finden. Einige von ihnen, wie der Kautschukbaum oder der Chinarindenbaum, wurden und werden von der einheimischen Bevölkerung weiterhin informell bewirtschaftet.37 Während Amani in der britischen Mandatszeit und dann im unabhängigen Tansania vor allem für seine medizinischen Forschungen zur Malaria bekannt wurde, lag der Fokus in der deutschen Kolonialzeit hauptsächlich auf landwirtschaftlichen Forschungen. Doch nebenbei diente das BLI schon seit seiner Gründung auch tropenmedizinischen Untersuchungen als infrastrukturelle und wissenschaftliche Basis. So hielt sich beispielsweise der Bakteriologe Robert Koch (1843–1910) im Rahmen seiner medizinischen Forschungsreisen mehrmals in Ostafrika auf und fand Unterkunft bei Stuhlmann. Die beiden Männer erforschten in Amani unter anderem die Entstehungsgeschichte, die Übertragungsarten und mögliche Therapiemöglichkeiten der Schlafkrankheit, die sowohl den Nutztierbestand bedrohte als auch unter der Bevölkerung zu zahlreichen Todesfällen führte.38 Das BLI in Amani diente jedoch auch als Ort der Erholung für die Europäer und kann als deutsches Pendant zu den britischen Hill Stations angesehen werden,39 wie aus einem Schreiben Kochs hervorgeht: „Wir haben uns in dem Laboratorium des Instituts eingerichtet und sind fleißig bei der Arbeit. […] In den Regenpausen

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habe ich mit meiner Frau einige Spaziergänge durch den Urwald und auf einen benachbarten Berg gemacht […]. Es hat uns beiden sehr gefallen.“ 40 Als sich im Kaiserreich vor allem nach den beiden verheerenden Kriegen in Deutsch-Südwest- und Deutsch-Ostafrika in den Jahren 1904 bis 1908 die Erkenntnis breitmachte, dass wirtschaftlicher Aufschwung statt mit „Zerstörungsmitteln“ eher mit „Erhaltungsmitteln“41 zu erreichen wäre, war Amani einer der ersten Orte, die der Staatssekretär im neugegründeten Reichskolonialamt, Bernhard Dernburg (1865–1937), auf seiner Inspektionsreise nach Ostafrika besuchte. Er holte sich kolonialwirtschaftliche und politische Ratschläge bei Stuhlmann ein und erkundigte sich über die Möglichkeiten indirekter Herrschaft.42 Im Zusammenhang mit der sogenannten „Ära Dernburg“ kann das BLI mit seinen Ansprüchen zur „Hebung der Eingeborenenkulturen“,43 zur Förderung der deutschen Siedler und zur Grundlagenforschung ohne weiteres in die Reihe der wissenschaftlichen Einrichtungen eingeordnet werden, die um die Jahrhundertwende entstanden und vornehmlich dem Zweck dienten, den deutschen Kolonialismus organisatorisch, wirtschaftlich und wissenschaftlich neu zu strukturieren. Dernburg merkte passend dazu an: „Kolonisieren ist eine Wissenschaft und Technik wie jede andere; […] sie lernt sich, indem man die Bedürfnisse, die Verhältnisse der fremden Länder an Ort und Stelle studiert, indem man alle die Hilfsmittel, die die Wissenschaft bereitstellt, [anwendet].“ 44 Zu diesen wissenschaftlichen Institutionen zählten unter anderem das 1900 gegründete Institut für Schiffs- und Tropenkrankheiten in Hamburg, die Kolonialschule in Witzenhausen ab 1897 sowie das 1908 ebenfalls in Hamburg ins Leben gerufene Kolonialinstitut, aus welchem 1919 die Universität hervorging. Aufgrund schwerer gesundheitlicher Probleme wurde Stuhlmann zum Jahresbeginn 1908 nach fast 20 Jahren in der Kolonie für tropendienstuntauglich erklärt und von seinen Aufgaben in Deutsch-Ostafrika freigestellt. Stabsarzt Dr. Engeland meldete am 7. Januar aus Amani: „Geheimrat Stuhlmann wegen palyneuritis [Polyneuritis, eine nervliche Entzündung] an Armen und Beinen zeitig tropendienstuntauglich […] Abreise dringend erwünscht da Wiederherstellung unwahrscheinlich“.45 Es muss als reiner Zufall bezeichnet werden, dass in just diesem Jahr die Planungen für das Hamburgische Kolonialinstitut und die Schaffung einer Zentralstelle konkret wurden und Stuhlmann sich bei dem Hamburger Senator Werner von Melle (1853–1937)

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und Bernhard Dernburg um einen Posten am neuen Institut bewarb. Der Übergang vom Gouvernementsdienst hin zum Dienst im Kolonialinstitut verlief jedenfalls nahtlos. Bereits am 19. Oktober 1908 schrieb Stuhlmann: „Das Kaiserliche Reichskolonialamt bitte [ich] gehorsamst […] mir […] zu gestatten, dass ich die mir angebotene Leitung der Centralstelle des hiesigen Kolonial Instituts übernehme.“46 Diese Zentralstelle war nicht in den Lehrbetrieb involviert, sondern sollte Informationen zu kolonialen Themen sammeln, den kommunikativen Austausch zwischen den verschiedenen Behörden, Instituten und Unternehmen im In- und Ausland fördern sowie kolonialpolitische Öffentlichkeitsarbeit betreiben.47 Werner von Melle hatte sich bereits im Mai 1908 dafür entschieden Stuhlmann in die Zentralstelle zu holen, denn er erfüllte mit seinem kolonialen Lebenslauf exakt das Bedürfnis dieser neu geschaffenen Zentralstelle nach einem „wissenschaftlichen Kolonialismus“.48 Noch vor dem Ersten Weltkrieg baute Stuhlmann die Zentralstelle mit ihrer eng auf die deutschen Kolonien gefassten Zielsetzung zu einem Welt-Wirtschafts-Archiv um, welches „einem inneren Entwicklungszwange folgend, schon im Jahre 1913 […] einen weltumspannenden Charakter angenommen [hatte]“.49 Durch diese Aufgabenerweiterung stellte der Wegfall der deutschen Kolonien nach 1919 keine wesentliche Einschränkung der Tätigkeiten der Zentralstelle dar. Im Gegenteil, noch während des Krieges wurden sowohl die Hamburgischen Forschungen als auch die wirtschaftspolitische Zeitschrift Wirtschaftsdienst herausgegeben.50 Stuhlmann bekam 1917 seinen Professorentitel verliehen und wurde 1921 Ehrendoktor der neu gegründeten Universität Hamburg, was allerdings nicht mit Lehrtätigkeiten verbunden war.51 Zu Stuhlmanns Karriere gehörten aber ebenso ein gewisser Hang zu kolonialrassistischen und paternalistischen Einstellungen sowie die Frustration über den Verlust der Kolonien. Er äußerte sich beispielsweise über das Verhältnis von Kolonisierenden und Kolonisierten folgendermaßen: „Der Europäer hat die Pflicht, in fremden Ländern der farbigen Bevölkerung gegenüber als Herr aufzutreten […], denn sonst geht bei der Minderzahl der Europäer der Respekt verloren und Aufstände entstehen […]. Wir sollen den Eingeborenen schonen und in jeder Weise menschenwürdig und gerecht behandeln, wir sollen ihm seine eigene Wirtschaft ausbilden helfen […]. Ihn aber ebenbürtig und gleichwertig wie den Europäer behandeln und dasselbe von ihm erwarten zu wollen, ist eine höchst verderbliche und sinnlose Idee.“ 52 1920 stimmte er dann in den Chor der Kolonialrevisionisten ein und verfasste einen „Schlußbericht über die deutschen

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Kolonien“, in dem es unter anderem hieß: „Eine der abenteuerlichsten Lügen, die je im Weltkriege verbreitet […], stellte die Behauptung auf, daß Deutschland unwürdig sei, Kolonien zu besitzen, weil es durch Mißwirtschaft den Anspruch verscherzt habe, Völker niederer Kultur zu leiten. […] Alle von uns verwalteten Gebiete haben sich glänzend entwickelt […] und die treue Anhänglichkeit der kolonialen Eingeborenen an uns im Weltkriege hat zur Überraschung unserer Feinde gezeigt, daß wir dort auch seelische Eroberungen gemacht haben.“ 53 Somit wird deutlich, dass nicht nur an der Universität Hamburg die inhaltliche und personelle Tradition des Kolonialinstituts fortgesetzt wurde, sondern ebenfalls an dem 1919 offiziell gegründeten HWWA. Ähnlich wie bei den ungebrochenen Karrieren der Berliner Kolonialgeografen, die sich nach dem Ersten Weltkrieg mit „Ostforschung“ und ab 1945 mit der sogenannten Entwicklungshilfe beschäftigten,54 wurde für „arbeitslos“ gewordene Kolonialakteure wie Stuhlmann der Themenkomplex „Weltwirtschaft“ ein lohnendes Betätigungsfeld. Besonders als Sammler vollführte Stuhlmann eine erstaunliche Metamorphose: Während seiner früheren Expeditionen in Ostafrika hatte er als Zoologe und Botaniker „mit 9.300 Sammelnummern mehr Pflanzen eingelegt als alle anderen ostafrikanischen Sammler zusammen bis zu seiner Zeit“55 und genau diese Akribie setzte er in der Zentralstelle, bzw. im HWWA mit einer umfangreichen Zeitungsausschnittsammlung fort. In der Praxis des Sammelns verband Stuhlmann sowohl als Naturwissenschaftler als auch als Direktor der Zentralstelle den „Versuch, die ‚Welt‘ zu systematisieren, und de[n] Wille[n], sie sich zu eigen zu machen.“56 Dabei griff er

1  Marianne Bechhaus-Gerst/Joachim Zeller (Hg.): Deutschland postkolonial? Die Gegenwart der imperialen Vergangenheit. Metropol, Berlin, 2018. 2  Franz Stuhlmann: Vorwort, in: Paul Heile (Hg.): Nachschlagebuch der Nachschlagewerke für die Wirtschaftspraxis. Verlag Wirtschaftsdienst, Hamburg, 1925, Anlage II, S.3. 3  Stuhlmann wird in diesem Text als „kolonialer Akteur“ bezeichnet, um zu verdeutlichen, dass er eben nicht nur „Forschungsreisender“ oder „Zoologe“ war, sondern viele seiner Tätigkeiten und wesentliche Teile seines Lebens in kolonialen Kontexten zu verorten sind. 4  Kurt Walther: Afrikanische Pflanzen in Hamburg, Hamburger Botaniker in Afrika. Mitteilungen der Geographischen Gesellschaft in Hamburg 56, 1965, S.94. 5  Zur Entwicklung dieser Diskurse siehe exemplarisch: Heiko Möhle (Hg.): Branntwein, Bibeln und Bananen. Der deutsche Kolonialismus in Afrika. Eine Spurensuche. Libertäre Assoziation, Hamburg, 1999; Ulrich van der Heyden/ Joachim Zeller (Hg.): Kolonialismus hierzulande. Eine Spurensuche in Deutschland. Sutton, Erfurt, 2007; Jürgen Zimmerer: Kein Platz an der Sonne. Erinnerungsorte der deutschen Kolonialgeschichte. Campus, Frankfurt/Main, 2013 sowie BechhausGerst/Zeller (Hg.): Deutschland postkolonial? 6  Mehr Informationen zu Stuhlmann in der sehr unkritischen Biografie von Reinhart Bindseil: Franz Stuhlmann (1863–1928). Zoologe und Afrikaforscher. Überbringer einzelner Nachrichten über Ruanda. Chef der Abteilung für

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auf den allgemeinen Konsens aus der Ethnologie und den Naturwissenschaften zurück, wonach durch das Sammeln von Objekten Wissen generiert werden könne und damit „eine Vermehrung der Objekte als eine Vergrößerung des Wissens empfunden wurde.“57 So lässt sich auch das Eingangszitat erklären, da er seine Erfahrungen als naturwissenschaftlicher Sammler problemlos auf den Wirtschaftsbereich übertragen konnte. „Beobachten, sammeln, ordnen, niederschreiben und zirkulieren lassen – so leitete Stuhlmann auch die Zentralstelle.“58 Im HWWA schuf er die Grundlage für eine 1,1 Millionen Bände umfassende Wirtschaftsbibliothek sowie für das europaweit größte öffentlich zugängliche Pressearchiv mit 18,5 Millionen Zeitungsausschnitten.59 Das HWWA zählte bis 2006 60 zu den führenden Wirtschaftsforschungsinstituten in Deutschland und veranschaulicht gut, dass auch der als zunächst unverdächtig erscheinende Bereich der Wirtschaftsforschung – zumindest teilweise – aus kolonialen Wurzel heraus entstanden ist. Zusammenfassend konnte mit dem Blick auf Stuhlmanns Lebenslauf eine ganze Bandbreite an (post)kolonialen Themenfeldern sehr konkret und anschaulich dargestellt werden: Naturwissenschaftliche und ethnografische Sammlungen, ein botanischer Garten, Straßennamen, Tropenmedizin, die Universität Hamburg, ein Wirtschaftsforschungsinstitut und eine fast verlassene Forschungsstation in den Usambarabergen. Mittels des biografischen Ansatzes wurden Verbindungslinien und Kontinuitäten zwischen zwei unterschiedlichen und doch ähnlichen Institutionen – dem BLI in Amani und dem HWWA in Hamburg – deutlich, die vorher nicht offensichtlich waren. Zu guter Letzt kann dieser Text sowohl für Tansania als auch für Deutschland einen kleinen Erkenntnisgewinn zur „Gegenwart der imperialen Vergangenheit“ leisten. Landeskultur und Landesvermessung beim Kaiserlichen Gouvernement von Deutsch-Ostafrika. Zuletzt Direktor des Hamburgischen Weltwirtschafts-Archivs. Ein biographisches Portrait, gleichzeitig eine kolonialhistorische Personalstudie. Cornelius, Halle/Saale, 2008 und in seiner ausführlichen Personalakte im Staatsarchiv Hamburg (StAHH), 361-6, I 86 Bde. 1-5. 7  Franz Stuhlmann: Mit Emin Pascha ins Herz von Afrika. Ein Reisebericht mit Beiträgen von Emin Pascha; zwei Teile in einem Band. Reimer, Berlin, 1894, S.2. 8  Vgl. Jens Ruppenthal: Kolonialismus als „Wissenschaft und Technik“. Das Hamburgische Kolonialinstitut 1908 bis 1919. Steiner, Stuttgart, 2007, S.9-11. Zitat von S.10. 9  Vgl. Beitrag von Mareike Späth in diesem Band. 10  Schlagwort entnommen aus dem passenden Beitrag von Anja Laukötter: Gefühle im Feld – Die „Sammelwut“ der Anthropologen in Bezug auf Körperteile und das Konzept der „Rasse“ um die Jahrhundertwende. In: Holger Stoecker/ Thomas Schnalke/Andreas Winkelmann (Hg.): Sammeln, Erforschen, Zurückgeben? Menschliche Gebeine aus der Kolonialzeit in akademischen und musealen Sammlungen. Links, Berlin, 2013, S.24-44. 11 Stuhlmann, Mit Emin Pascha, S.351, 442, 698f. 12  Vgl. Stuhlmann, Mit Emin Pascha, S.441f. Mehr Informationen zu diesem heiklen Fall bei Joachim Zeller: Berlin: Schaustellung von „Akkazwerginnen aus Centralafrika“ 1893. In: van der Heyden/Zeller, Kolonialismus hierzulande, S.427-31.

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13  Michael Pesek: Koloniale Herrschaft in Deutsch-Ostafrika. Expeditionen, Militär und Verwaltung seit 1880. Campus, Frankfurt/Main, 2005, S.295. 14  Zum Eklektizismus der frühen Kolonialakteure vgl. ebd., S.295-99. 15  Mit dem Begriff „Landeskultur“ war „Landwirtschaft“ gemeint. 16  Vgl. Oscar Baumann: Usambara und seine Nachbargebiete. Allgemeine Darstellung des nordöstlichen Deutsch-Ostafrika und seiner Bewohner auf Grund einer im Auftrage der Deutsch-Ostafricanischen Gesellschaft im Jahre 1890 ausgeführten Reise. Reimer, Berlin, 1891. 17  Christopher A. Conte: Highland Sanctuary. Environmental History in Tanzania’s Usambara Mountains. Ohio University Press, Athens, 2004, S.45, eigene Übersetzung. 18  Ebd., S.45. 19  Detlef und Gerhild Bald: Das Forschungsinstitut Amani. Wirtschaft und Wissenschaft in der deutschen Kolonialpolitik, Ostafrika 1900–1918. Weltforum, München, 1972, S.41. 20  Vgl. Bald/Bald, Amani, S.38-40. 21  Vgl. Jürgen Becher: Dar es Salaam, Tanga und Tabora. Stadtentwicklung in Tansania unter deutscher Kolonialherrschaft (1885–1914). Steiner, Stuttgart, 1997, hier S.30-46. 22  Vgl. Bald/Bald, Amani, S.36. 23  Vgl. ebd., S.28. 24  Amtlicher Anzeiger für Deutsch-Ostafrika, hrsg. vom Kaiserlichen Gouvernement von Deutsch-Ostafrika, 3(27), 9. August 1902. 25  Richard Hindorf: Eine Versuchsstation für Tropenkulturen in Usambara. Der Tropenpflanzer 2(5), 1898, S.137-42. 26  Franz Stuhlmann: Studienreise nach Niederländisch- und Britisch-Indien. Beihefte zum Tropenpflanzer 4(1), 1903, S.1-58, Zitat von S.3. 27  Vgl. Jutta Hermann: Pharmazeutische Biologie im botanischen Garten ‘s Lands Plantentuin zu Buitenzorg/Java (1817 – heute). In: Christiane Groeben/ Joachim Kaasch/Michael Kaasch (Hg.): Stätten biologischer Forschung / Places of Biological Research. Beiträge zur 12. Jahrestagung der DGGTB in Neapel 2003. VWB, Berlin, 2005, S.217-226, hier S.217-19. 28  Die Berichte der Reise sind in mehreren Ausgaben des Tropenpflanzers erschienen: 5(6), 1901; 5(8), 1901; 6(4), 1902; sowie in Beihefte zum Tropenpflanzer 4(1), 1903. 29  Vgl. Bald/Bald, Amani, S.27. 30  Vgl. René Gerrets/Peter Mangesho: The botanical garden, in: Paul Wenzel Geissler u.a. (Hg.): Traces of the Future. An Archaeology of Medical Science in Africa. Intellect, Bristol, 2016, S.168f. und Bald/Bald, Amani, S.63f. 31  Vgl. ebd., S.63-6. 32  Vgl. ebd., S.67f. Zum heutigen Zustand der Station und des Geländes siehe Geissler u.a.: Amani Hill Research Station, in: ders. u.a. (Hg.): Traces, S.106-73. 33  Franz Stuhlmann: Beiträge zur Kulturgeschichte von Ostafrika. Allgemeine Betrachtungen und Studien über die Einführung und wirtschaftliche Bedeutung der Nutzpflanzen und Haustiere mit besonderer Berücksichtigung von Deutsch-Ostafrika. Reimer, Berlin, 1909, S.875. 34  Vgl. Bald/Bald, Amani, S.67. 35  Vgl. Conte, Highland Sanctuary, S.60-62; Bald/Bald, Amani, S.70f. 36  Vgl. Conte, Highland Sanctuary, S.60. 37  Vgl. Gerrets/Mangesho: The botanical garden, Traces, S.170-73. 38  Stuhlmann publizierte hierzu eine eigene Forschungsarbeit, die er im Auftrage Kochs erstellt hatte: Beiträge zur Kenntnis der Tsetsefliege (Glossina fusca und Gl. tachinoides). Springer, Berlin, 1907. Weiterführend: Manuela Bauche:

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Medizin und Herrschaft. Malariabekämpfung in Kamerun, Ostafrika und Ostfriesland (1890–1919). Campus, Frankfurt/Main, 2017; Wolfgang U. Eckart: Medizin und Kolonialimperialismus. Deutschland 1884–1945. Schöningh, Paderborn, 1997 sowie Christoph Gradmann: Krankheit im Labor. Robert Koch und die medizinische Bakteriologie. Wallstein, Göttingen, 2010. Zeitgenössisch zu Koch in Ostafrika bei Franz Stuhlmann: Persönliches von Robert Koch aus Afrika, Deutsche Kolonialzeitung, 28. Juni 1910, S.434f. 39  Vgl. Judith T. Kenny: Climate, Race, and Imperial Authority: The Symbolic Landscape of the British Hill Station in India. Annals of the Association of American Geographers 85(4), 1995, S.694-714. 40  Robert Koch, zit. aus Gradmann, Krankheit, S.314. 41  Bernhard Dernburg: Zielpunkte des deutschen Kolonialwesens. Zwei Vorträge. Mittler, Berlin, 1907, S.9. 42  Vgl. Bundesarchiv Berlin-Lichterfelde, R1001/775, Stuhlmann an Dernburg, „Bericht über die Entwicklung der Kolonie“ 3. Oktober 1907. 43  Siehe Anm. 24. 44  Bernhard Dernburg: Koloniale Lehrjahre. Union Deutsche Verlagsgesellschaft, Stuttgart u.a., 1907, S.7. 45  StAHH, Personalakte Stuhlmann, 361-6, I 86 Bd. 3, Telegramm von Dr. Engeland, 7. Januar 1908. 46  StAHH, Personalakte Stuhlmann, 361-6, I 86 Bd. 4, Stuhlmann an das Reichskolonialamt, 19. Oktober 1908. 47  Vgl. Ruppenthal, Kolonialismus, S.157-60. 48  Vgl. ebd., S.158. 49  Paul Heile: Entwicklungsgeschichte vom Kolonial- zum Welt-WirtschaftsArchiv. In: Ders. (Hg.), Nachschlagebuch, Anlage II, S.5. 50  Vgl. ebd., S.7. 51  Vgl. StAHH, Personalakte Stuhlmann, 361-6, I 86 Bd. 4, Schreiben vom 5. Juli 1917. Nachweis zur Ehrendoktorwürde in StAHH, Nachlass Franz Stuhlmann, 622-2/63, ohne Blattangabe und Datum. 52 Stuhlmann, Beiträge zur Kulturgeschichte, S.876. 53  StAHH, Nachlass Franz Stuhlmann, 622-2/63, ohne Blattangabe und Datum. 54  Vgl. Jürgen Zimmerer: Im Dienste des Imperiums. Die Geographen der Berliner Universität zwischen Kolonialwissenschaften und Ostforschung. Jahrbuch für Universitätsgeschichte 7, 2004, S.73-99. 55  Walther, Afrikanische Pflanzen, S.95. 56  Kerstin Poehls/Stephan Faust: Ding-Arrangements. Über alltägliches, museales und wissenschaftliches Sammeln. Hamburger Journal für Kulturanthropologie 2(1), 2015, S. 12. 57  Anja Laukötter: Von der „Kultur“ zur „Rasse“ – vom Objekt zum Körper? Völkerkundemuseen und ihre Wissenschaften zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Transcript, Bielefeld, 2007, S.141. 58  Anke te Heesen: Der Zeitungsausschnitt. Ein Papierobjekt der Moderne. Fischer, Frankfurt/Main, 2006, S.235. 59  Vgl. Helmut Leveknecht: 90 Jahre HWWA. Von der Zentralstelle des Hamburgischen Kolonialinstituts bis zur Stiftung HWWA. Eine Chronik. HWWA, Hamburg, 1998, S.57. Die Zahlen beschränken sich auf die Zeit bis 1998. 60  Das HWWA wurde 2006 aufgelöst. Pressearchiv und Bibliothek wurden in die Deutsche Zentralbibliothek für Wirtschaftswissenschaften (ZBW) überführt und der Forschungsbetrieb ging im Hamburgischen Weltwirtschaftsinstitut (HWWI) auf. Vgl. Leibniz Gemeinschaft: Stellungnahme zum Hamburgischen Welt-Wirtschafts-Archiv (HWWA). O. O., 2004.

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Mariele Neudecker

Echo [Amani Vanitas] Es ist schon einige Zeit her, daß Wenzel Geißler mit mir Kontakt wegen einer gemeinsamen Reise zur AmaniForschungsstation in Tansania aufnahm. Als jemand, die meistens Projekte im Norden sucht, war es eine willkommene Herausforderung, diesmal in Richtung Süden zu gucken. Inzwischen scheint diese Reise, mit ihren Erlebnissen, schon wieder so lange her, dabei ist es noch nicht mal ein Jahr. Dieser mir neue „Blick“ in den Süden wurde über die Wochen und Monate nach unserem Besuch in Amani zu einer Kontemplation, … zu einer fassungslosen Frage, warum und wie Amani zu dem geworden ist, was es heute zu sein scheint: Ein Relikt früherer Kolonialzeiten – verlassen und immer noch „besetzt“, und architektonisch sehr westlich, Europäisch. Wie herrlich oder verherrlicht diese Zeiten auch gewesen sein mögen, und im Nachhinein geworden sind: Sie stellen die Würde und den Lebensunterhalt vieler Menschen in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft auf die Probe. Unterwegs in und um Amani hörte ich den Gedanken und der Verwunderungen einiger Anthropologen zu und begann, mir selbst ein Bild zu machen. Ein Bild, stagnierend und still, überlagert mit Stimmen und Tönen. Stimmen aus einer mehrdeutigen Schichtung von Zeiten und Orten. Alles in einem zähen Zeitlupentempo, oder eher: In einem eigenartigen „Null-Tempo“.

ehemals funktionierende Ansammlung von Plastik-, Laborglas-, Styropor- und Unterlagen … oft auf dunklem, … richtig dunklem Holz. Haben die regelmäßig vorbeikommenden Schulkinder jemals diese „stille“ Welt von Innen gesehen? Wenn es nicht diese alltäglichen Vorgänge in diesen Stilleben gäbe, was würden wir an deren Stelle finden? Mir wurde die Geräuschkulisse außerhalb dieser „Innenleben“ immer wichtiger. Was würde von diesen Objekten übrig bleiben? Ohne die staatliche Finanzierung, den Schutz von Amani als Kolonialdenkmal oder nachkoloniales Überbleibsel und eine Erinnerung, würde es höchstwahrscheinlich geplündert, auseinanderfallen, überwachsen und letzten Endes verschwinden. Immerhin: es gibt noch ein Postamt, verschiedene Verwaltungsbüros, sogar ein funktionierendes MalariaTestlabor für die Einheimischen und natürlich das Gästehaus, in dem wir wohnten. Warum war es so eigenartig, auf subtile Weise unangenehm, drei Mahlzeiten am Tag in Amani serviert zu bekommen, und so anders als irgendwo sonst, wo ich gewesen bin. Es war schwierig, die exklusive, geerbte Position, in der wir uns befanden, abzuschütteln.

Fragmentierte Fragen durchwuchsen die Szene … Warum werden weiterhin Hunderte von Mäusen in einer Hütte reproduziert? Damit der Züchter weiterbeschäftigt werden kann? Oder: wer kommt eigentlich je in diese Bibliothek? „Sie sind Deutsche, Sie werden wissen, wo das Gold ist!“ Das Gold – … welches Gold!?

Vanitas ist das lateinische Wort für Eitelkeit im Sinne von „Leere“ oder „wertloser Handlung“. In der Kunst ist Vanitas eine Art symbolisches Kunstwerk, das insbesondere mit der Stillleben Malerei in Flandern und den Niederlanden im 16. und 17. Jahrhundert verbunden ist. Aber: hier in Amani gab es keine Schädel, Sanduhren, erloschene Kerzen oder verrottende Früchte; nur die archivierten, langsam verfallenden Insekten, vertrockneten Ratten und ein paar von Motten zerfressene Vorhänge? Haben die Styroporbecher hier die Rolles des Schädels übernommen? Waren sie leer und wertlos? Oder… standen sie eigentlich für ehemaligen Wohlstand und zusammenhangslose Werte?

Als ich in den Laboratorien und geschützten Waldgebieten um Amani herumwanderte und mich über all dies wunderte, ließ ich die eigenartige Realität, die es der Forschungsstation ermöglichte, eine seltene Mischform zu sein – eine lebendige, leblose Hülle von früher – auf mich wirken.

„Realm of Knowledge and Silence“ [„Das Reich des Wissens und der Stille“]: Ein Schild in der Amani-Bibliothek echote in meinem Kopf wieder. Die „Standbildsituationen“ in den Laboratorien und Schränken sprechen von der „Verflüchtigung“ unserer Existenz, sowohl dort in Amani als auch hier „zu Hause“.

Sobald ich anfing, in den Räumen zu photographieren, entwickelte sich für mich eine seltsame Affinität zu niederländischen und flämischen Vanitas-Gemälden. Es waren Stillleben vor mir: Gefäße, Krüge, Töpfe, ein

Als wir abreisten, konnte ich mich nicht entscheiden, welcher Aspekt der Situation undurchdringlicher oder weniger verworren war: die Vergangenheit, der aktuelle Zustand oder die Zukunft von Amani in unseren Köpfen.

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Syowia Kyambi

Wer sprach einst? Wer spricht jetzt? Während des vergangenen Jahres habe ich mich gefragt, was es für mich heißt, an der Ausstellung „AMANI. Auf den Spuren einer kolonialen Forschungsstation” mitzuarbeiten. Was bedeutet es für mich, als Künstlerin mit sowohl deutschem als auch kenianischem Erbteil, in einem ethnographischen Museum in Europa zu arbeiten? Wie verhalte ich mich zur Forschungsstation in Amani – 1902 gegründet, während der deutschen Besatzung Ostafrikas – und zu den Sammlungen im Hamburger MARKK Museum, dem früheren Museum für „Völkerkunde”, ohne dabei unfreiwillig die Gewalttaten und die Ausbeutung der Kolonialmacht zu wiederholen? Die Ausstellung „Spuren” untersucht und beschreibt, romantisiert gelegentlich, die halb verlassene Forschungsstation Amani in Tansania. Sie ist der Tradition der europäischen Romantik, und der von ihr verkörperten, ursprünglich „westlichen” Ästhetik und Epistemologie verpflichtet, was sich in ihrem Blick auf koloniale Ruinen ebenso widerspiegelt, wie in ihrem Zugang zu Natur und Naturwissenschaft. Das MARKK Museum beherbergt eine der frühesten europäischen ethnographischen Sammlungen, und begründete im späten 19. Jahrhundert die deutsche Ethnographie in Forschung und Lehre. Dieser Blick – sowohl der Ausstellung als auch des Museums – ist eine Herausforderung für mich. Ich begegne ihr mit einer Forschungsmethode, die Josè Muñoz als „cruising utopia” bezeichnet hat.1 Diese erlaubt mir, unbehagliche Gedanken, Räume und körperliche Reaktionen auf Deutschlands koloniale Besetzung Ostafrikas, die Station in Amani, und die Geschichte des MARKK Museums genauer zu untersuchen. Die Verflechtungen von Psyche und Geschichte, innerhalb derer sich vielfältige und bewegliche Identitäten entfalten, ist ein Kern in meiner künstlerischen Arbeit. Die hier ausgestellten Arbeiten nehmen, einer Archäologie ähnlich, die archivierten und hinterlassenen Materialien in Amani und dem MARKK Museum zum Ausgangspunkt. Zugleich ist der Körper und die Geschichte die ihn geformt hat zentral für den Forschungsprozess. Es geht mir dabei um Nuancen der Identität, die ich durch das was Gloria Anzaldúa „autohistoria” nennt, sichtbar zu

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machen suche.2 Indem ich wiederhole, wiederbenutze, umschreibe und überlagere, schaffe ich Rituale des Widerstands gegen die vorherrschenden normativen Erzählungen über Imperialismus und Kapitalismus, Autorität und die Rolle des Patriarchats in weißen Machtstrukturen. Die aus diesem Prozeß resultierenden Arbeiten in dieser Ausstellung sind eine Installation The Green Gold, und eine Performance, Kaspale. The Green Gold besteht aus Fragmenten einer Geschichte der Pflanze und des Materials Sisal. Die ersten Sisalpflanzungen wurden von den Deutschen angelegt, die die ersten Pflanzen aus Yukatan in Mexiko nach Ostafrika verbrachten. Die ersten Deutschen Wissenschaftler in Amanis landwirtschaftlicher Forschungsstation waren Botaniker und Zoologen, und bis heute ist Amani von botanischen Gärten umgeben. Pflanzen und ihre Nutzung standen ursprünglich im Zentrum von Amani Forschung, einschließlich auch Pflanzen von medizinischer Bedeutung, die teilweise bis heute benutzt werden. Hanan Sabeas Aufsatz über den Ursprung der ostafrikanischen Sisalpflanzungen stellt fest „since its inception, sisal was […] synonymous with power, capital and progress, all ideals of the colonial project that was seeking not only economic profit but also visible signs of dominating presence.” 4 Indem ich den Sisal flechte, stelle ich Bezüge her zur Person des ausgebeuteten schwarzen Körpers und dessen Beitrag zur europäischen Wirtschaft. Die Abwesenheit des Körpers selbst in der Installation wiederum reflektiert die gewaltsame Auslöschung der schwarzen Persönlichkeit innerhalb des kolonialen Projektes. Der Sisal in dieser Installation ist die aus Yukatan eingeführte Art, die der deutsche Botaniker Dr. Richard Hindorf 1890 nach Tanga, unweit von Amani importierte. Der Sisal in einem Glasgefäß dagegen ist aus Sansevieria trifasciata gewonnen, der sogenannten „Schwiegermutterzunge”, die im Gegensatz zum ökonomisch genutzten Sisal in Ostafrika einheimisch ist, und schon vor der kolonialen Besetzung lokal benutzt wurde. Auch das längere Stück Sisal ist aus Pflanzen dieser ursprünglichen Art gewonnen. Die zweite Arbeit, Kaspale ist eine freie Performance. Ich habe Kaspale geschaffen, um in Räume einzudringen, die von kolonialen Denkmustern und Praktiken erfüllt sind. Kasper ist der deutsche Name für eine Figur die sich in unterschiedlichen Kulturen und historischen Zeiten findet. Er ist ein lustiger und verspielter, zugleich aber auch sozialkritischer und satirischer Charakter,

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der Autoritäten herausfordert, wenn dies nötig ist. Er steht auf und spricht, wenn andere dies nicht können. Mein Kaspale bewegt sich in den alten „völkerkundlichen” Vorlesungssälen des Museums. Er lungert herum, wartet, klettert über Geländer und Tische, springt in den Gängen herum, in denen einst praktische Übungen zur Rassenklassifikation stattfanden. Kaspale findet sich auch wieder in Fotografien der Zoologen Julius Vosseler und Franz Ludwig Stuhlmann, die im frühen 20. Jahrhundert in Amani gearbeitet hatten. Kasperle stört diese Bilder und die Nostalgie, die der Betrachter dieser historischen Bilder möglicherweise empfindet. Kaspale trägt einen Kaunda Anzug aus Mückennetzen. Der Schnitt dieser kurzärmeligen und ohne Krawatte getragenen Alternative zum westlichen Anzug wird bis heute mit dem früheren sambischen Präsidenten Kenneth Kaunda assoziiert, und wurde gerne von ostafrikanischen Staatsoberhäuptern und Politikern zur Zeit der politischen Unabhängigkeit getragen. Während der nachfolgenden Jahrzehnte hat er sich jedoch von einem Symbol politischen Widerstands und Privilegs in eine altmodische Angestelltenuniform verwandelt, die eher mit alten Leuten und unterbezahlten Staatsangestellten und Dienstboten assoziiert wird. Die Verwendung von Moskitonetzen für Kaspales Kaunda Anzug stellt eine Verbindung zur Malaria übertragenden Mücke her und ruft gleichzeitig Assoziationen an die Verwundbarkeit durch eindringende Kolonisatoren sowie an die Schutzwirkung solcher Netze hervor. Die rote Fingerfarbe auf Kaspales Armen und Füßen generiert Energie und beschützt die Trägerin, in der Art, in der traditionelle ostafrikanische Rituale rote OckerErde als Symbole von Macht und Wissen benutzen. Finger und Zehen, durch die Energie vom Körper ausgeht und in ihn eindringt, sind durch goldenen Nagellack betont, während ein goldener Mund den Sprecher als Verkünder von Wahrheit symbolisiert. Die Doppelung von Gesichtsfarbe und Maske wird während der Performance offenbar gemacht. Die ursprüngliche Makonde Maske, vermutlich aus dem südlichen Tansania, die diese Arbeit inspiriert hat, und deren Kopie ich in der Performance trage, wurde in den 1931 von Hans Himmelheber dem Völkerkundemuseum, Vorgänger des heutigen MARKK, übergeben. Indem ich sie benutze, berufe ich mich auf die von ihr verkörperte Wahrheit der Ahnen und ihre Verbindung zu einem höheren Wesen, und trete damit dem westlichen ethnographischen Blick entgegen, um so einen Raum für alternative Erzählungen zu öffnen.

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1  Jose Muños: Cruising Utopia: The Then and There of Queer Futurity. New York University Press, New York, 2009. 2  Siehe z.B.: Ana Louise Keating (ed.): The Gloria Anzaldúa Reader. Duke University Press, Durham, 2009. 3  Hanan Sabea: Pioneers of Empire? The Making of Sisal Plantations in German East Africa. In: Nina Berman, Klaus Mühlhahn & Patrice Nganang: German Colonialism Revisited: African, Asian, and Oceanic Experiences. University of Michigan Press, Ann Arbor, 2014, S. 114-28, Zitat auf S.118.

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The Green Gold, Sisalfabrik in Yucatan Mexico (Video), 2019

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The Green Gold, Installation (rostiger Stahl, Sisal, Papier, Tinte, Glasflasche, Nägel, Video, Kopfhörerton), 2019

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Kaspale Archive Intrusion / The Vortex II (Photocollage), 2019

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Kaspale, Performance (Video Standbilder; Dokumentation Carl Kühl), 2019

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Kaspale Archive Intrusion / The Post Card Series, III (Photomontage auf historischer Photographie von Julius Vosseler), 2019

Maske. Unbekannter Künstler der Makonde; frühes 20.Jh; Holz, Pigmente, Bienenwachs; H24 cm, B33,5 cm; Slg. Hans Himmelheber, Kauf 1931

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Kaspales Antlitz Syowia Kyambi verbrachte zur Vorbereitung der Ausstellung einige Zeit am MARKK, um eine Kunstfigur zu entwickeln, mit der sie auf die von kolonialen Aktivitäten und Akteuren aufgeladenen Orte wie Amani und das Museum reagieren will. Gemeinsam streiften wir viele Stunden durch die Sammlungsdepots, oft geleitet von spontaner Faszination. Syowia Kyambi suchte nach einem Symbol, um die im Erschaffen begriffene Figur mit der Welt der Ahnen und dem Jenseits und damit einem Raum der Imagination zu verbinden, in dem alternative Erzählungen zum westlich geprägten Blick aktiv sind. Sie suchte nach einem Objekt, das ihrer Kunstfigur einen satirischen und sozialkritischen Aspekt verleihen würde und die Ambivalenz von Positionierungen in der Gesellschaft und der Geschichte thematisiert. Bei einer Sichtung verschiedener Masken aus Tansania war es diese, die unsere Aufmerksamkeit auf sich zog. Über den Sehschlitzen der Gesichtsmaske aus Holz sind eine Augenpartie und darüber Augenbrauen mit pigmentiertem, geschwärztem Bienenwachsgemisch angedeutet, ähnlich eine hellere Kopfbehaarung. Bei ähnlichen Masken wird hierfür oft auch Tierhaar verwendet, das mit geschwärztem Bienenwachs befestigt wird. In der Mundpartie der Maske ist ein Lippenpflock angedeutet, der sie als weiblich ausweist. Sie hat zwei überdimensionierte Flügelohren, wovon eines gebrochen und notdürftig repariert ist. Es ist davon auszugehen, daß der Schaden nach Sammlungseingang passiert ist. Diese Maske wurde 1931 als Einzelstück von Hans Himmelheber angekauft. Himmelheber handelte ab 1929 mit afrikanischen und ozeanischen Skulpturen, womit er sein Studium der Ethnologie, Geographie und Kunstgeschichte finanzierte. Über den konkreten Sammlungskontext der Maske und ihre Vorbesitzer ist nichts bekannt. Diese Art von Masken wurde aber vor 1918 von deutschen Kolonialakteuren oder Missionaren im Gebiet des damaligen Deutsch-Ostafrika häufiger gesammelt. Ein vergleichbares Objekt findet sich in der Sammlung des Ethnologischen Museum der Staatlichen Museen zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz (Ident.Nr. III E 4082) und ist auf Franz Stuhlmann (siehe Gollaschs Beitrag zu diesem Band) zurückzuführen, der jene Maske in Mikindani erworben haben soll. Himmelheber unternahm später selbst Forschungs- und Sammlungsreisen auf den afrikanischen Kontinent, wovon weitere Objekte in die Sammlung des MARKK eingingen.

Die aus Holz geschnitzten Gesichtsmasken der Makonde verkörpern die von den Gräbern auferstandenen Toten der Gemeinschaft, sogenannte mindimu. Dabei können sie personifizierte Charaktere oder abstrahiert einzelne Aspekte des Gemeinschaftslebens darstellen. Durch ihre Auftritte tragen die mindimu „zur Charakterbildung bei und zur Bewußtmachung der Position, die der einzelne in der Gemeinschaft [einnimmt], aber auch zur Unterweisung in Fragen guten Gemeinschaftssinnes und intensiver Bindung innerhalb der sozialen Organisation“.1 Eine besondere Art der mindimu, zu denen die abgebildete Maske zu rechnen ist, zeichnet sich durch Übertreibung oder absichtliche Deformation einzelner Elemente, wie hier der Ohren, aus. Auf diese Weise werden magische Praktiken oder karikierenden Aspekte eines Charakters dargestellt. Häufig werden auch zoomorphe (meist Hase, Antilope oder Affe) und anthropomorphe Elemente kombiniert. Sie verkörpern Trickster, Grenzgänger und ähnliche mehrdeutige Charaktere, die der Welt des Übernatürlichen zugerechnet werden. Diese Art der Gesichtsmasken treten von Tänzern getragen in der letzten Phase des Initiationszyklus auf, bevor oder während der Rückkehr aus der Seklusion in die Gemeinschaft. Van Wyk vergleicht die Erschaffung einer reifen, sozial vollständig integrierten Person, die mit dem Maskenauftritt am Ende der Initiation performativ abgeschlossen wird, mit dem Schnitzen einer Maske.2 Beides sei ein langwieriger Prozeß der Gestaltung und Vervollkommnung, bei der eine äußere Transformation mit einer inneren, psychologischen gepaart werde, um Reife, Weisheit und Wissen zu erlangen und sichtbar zu machen. Van Wyk betont, daß weibliche Masken in der Regel vor öffentlichen Blicken verborgen werden und nur vor Frauen und Initiantinnen auftreten, niemals aber in der Öffentlichkeit. Besonders gelte dies für eine aus Ton gefertigte Variante dieser Maskenart. Bemerkenswerterweise entschied sich Syowia Kyambi ohne dieses Wissen um das Objekt und seine Verwendung für die Arbeit mit genau dieser Maske und auch dafür, die Maske nicht im Original zu verwenden, sondern aus Ton nachzuformen. Mareike Späth

1  Jens Jahn (Hrsg.): Tansania: Meisterwerke afrikanischer Skulptur. Haus der Kulturen der Welt, Berlin, 1994, S.434. 2  Gary Van Wyk: Shangaa. Art of Tanzania. CUNY, New York, 2011, S.110-16.

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Evgenia Arbugaeva

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Rehema Chachage

(Z)Amani za Kale: A Former Glory(?) History demands attention. It is the backbone on which we base our understanding of today and forge the future upon. History entices and sparks the imagination; providing a means for intergenerational introspection. In this exact way, history can also be dangerous, because intangible things can easily be manipulated – narratives romanticised and others forgotten altogether. Chachage’s installation, (Z)amani za Kale: A Former Glory(?), creates a balance between the romantic and the realist’s take on the historical imaginings surrounding the Amani Research Center.

with the remaining stories about the center, focusing mostly on the employment and medical advancement Amani brought, and ignoring the mistreatment that came with it. Stories that are still carried forward by not only text written by western foreign nationals, but sometimes the verbal recollections from the locals themselves. With Chachage’s guidance, we experience Amani in a time capsule, a space that is more than just colonial buildings and fantastical stories of virtue skewed by biased memory. We must accept its existence as a whole; surpass the surface of what people want it to be into the depths of what it was. Amani is not defined in its totality by the research station; Amani was and still is a home to many. It is the spirit in the soil, the breath in the wind and the community that will inherit it long after our memory of it disappears completely.

Through sounds, texture, smell and image, Chachage suspends us between the present and past; leaving clues that allude to stories of those who were and those who are. The materials she chooses “traces, and non-traces” form a part of a greater (hi)story. The soil and rocks of the land, grounds us – holding within it, memories of generations past; while the blood slides eerily pull us back into the reality of the numerous lives lost, which are now reduced to faceless numbers on glass. We must not forget, that however progressive this station was, it was still very much a colonial institution, with local inhabitants being both willing and unwilling volunteers. Only a select few, being chosen as “worthy enough” to work amongst the white researchers as their assistants. The innate respect Chachage has for this land is reflected in how she chooses to isolate the objects on different platforms, unearthing them and bringing them to our attention. Through placing these objects on pedestals – the installation transforms into a ritualistic space, where the loss of life and memory is explored intergenerationally with her vision, and her mother’s words that remind us of sacrifice – the altered and buried reality. She explores Amani as if she is coming back to a home she once knew but lost memory of – with curiosity, with care, but mostly in search of truth. The title itself, ends with a question mark, subtly edging one to wonder just how glorious this research station was – juxtaposed against the consequential oppression of the natives, perhaps Amanis ‘glory’ was really its shame. The shame of a land that may still glorify colonial systems and structures

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Text und Photos von Valerie Asiimwe Amani

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Konradin Kunze & Sophia Stepf

Fear & Fever in Amani 2016 begaben sich zwei Theatergrupppen, Asedeva aus Dar es Salam und Flinn Works aus Berlin, auf eine gemeinsame postkoloniale Recherche zum Maji Maji Krieg und seinem Echo in der tansanischen und deutschen Gegenwart. Es entstand das Theaterstück „Maji Maji Flava“. Das Stück löste 2017 Debatten im tansanischen Parlament über Reparationsforderungen aus. Weitere Projekte zur Kolonialgeschichte in Deutsch-Ostafrika folgten; mit der Lecture-Performance „Schädel X“ und der Videoinstallation ‚Mangi Meli Remains‘ begab sich Flinn Works auf Spurensuche nach menschlichen Überresten in deutschen Museen, und Asedeva recherchiert aktuell zu geraubten Masken im Projekt „Vinyago“. Die Spuren der Kolonialgeschichte sind in Tansania und Deutschland überall zu finden. In Amani sind sie besonders eindrücklich erhalten. Das gemäßigte Klima der Usambaraberge zog deutsche Kolonialist*innen an; in der Höhe war und ist die Gefahr geringer, an Malaria zu erkranken. Im Zuge der Recherche zum neuen gemeinsamen Stück „Fear & Fever„ in dem es um diese Krankheit geht, besuchten Asedeva und Flinn Works auf Einladung von Dr. Peter Mangesho und dem ‚Traces of the Future‘ Projekt die Amani Hill Field Station des National Institute for Medical Research (NIMR) und das NIMR Amani Research Center am Fuße der Berge. Das Research Center ist all das, was die Hill Station einmal war: eine hypermoderne Forschungseinrichtung voller passionierter Wissenschaftler*innen. Die Hill Station dagegen wirkt wie eingefroren in der Vergangenheit, ein Film Set, an dem nicht mehr gedreht wird. Die wenigen Angestellten dort scheinen auf das Wort „Action“ zu warten, das niemals kommt. Auf der Suche nach kolonialen Spuren fanden wir unweit der ehemaligen biologisch-landwirtschaftlichen Versuchsstation einige „Chinarindenbäume“, die damals großflächig angepflanzt wurden und aus deren Rinde sich die lokale Bevölkerung noch heute einen bitteren Anti-Malaria-Tonic kocht. Die vielzitierte Legende sagt, so sei in der Kolonialzeit der Gin Tonic erfunden worden. Heutige Prävention- und Heilmethoden sind vielfältig, und besonders das mit Insektiziden imprägnierte Mosquitonetz hat die Infektionsrate und Anzahl der Malariatoten in Tansania deutlich gesenkt. Deswegen werden im NIMR Research Center auch Moskitokolonien

gezüchtet und Netze und neue Insektizide getestet. Da schnell Resistenzen bei den Moskitos auftreten, läuft das Forschungsgeschäft gut. Davon zeugen auch ein nagelneues Gästehaus mit potenten Klimaanlagen, neben neuen Forschungsgebäuden aus dem gleichen Guß – moderne chinesische Bauweise – finanziert von der Bill-und Melinda-Gates-Stiftung. So fühlen sich die kolonialen Kontinuitäten also an. Was heute mit den Worten „Partnership“ und „Kooperation auf Augenhöhe“ beschrieben wird, verdeckt nur kosmetisch die Kontinuität der Ungleichheiten, von denen schon die Architektur erzählt. Beide Amanis wurden mit Geld aus dem globalen Norden erbaut und wirken in ihrem lokalen Umfeld wie Ufos aus anderen Welten. Natürlich bestimmt nach wie vor auch das Geld, welche Forschungsansätze verfolgt werden, und die sind heute oft eher moderne „high tech“ Lösungen: Bill Gates, zum Beispiel, begeistert sich für genamanipulierte Mücken mehr als z.B. für eine flächendeckende Modernisierung von Abwassersystemen, wie sie vor Jahr und Tag in der Amani Hill Station entwickelt wurden. Fragt man tansanische Wissenschaftler*innen am NIMR und dem ebenfalls renommierten Ifakara Institut, berichten viele von der Frustration, daß ihre Projekte von internationalen Geldgebern bestimmt sind und nicht von den Forschungsinteressen ihrer Institute. In Ifakara wird dennoch gerade in einem regional initiierten Forschungs-Projekt eine moskitoabwehrende Sandale entwickelt. Den Einsatz genmanipulierter Moskitos hingegen bewerten die interviewten tansanischen Wissenschaftler*innen zurückhaltend. Sie äußern Zweifel und fordern weitere Laborversuche, bevor die Technologie im Feldtest zum Einsatz kommt. In Burkina Faso wurden solche Moskitos aber bereits in zwei Dörfern freigelassen. Geschichten, daß diese steril gemachten Mücken Unfruchbarkeit auch im Menschen auslösen, machen bereits die Runde. Ein ähnliches Spiel lässt sich auch dort beobachten, wo es nicht um Prävention, sondern um Heilung von Malaria geht. Während der tansanische Staat auf Empfehlung der WHO die in Basel entwickelten Coartem-Tabletten als bevorzugtes Medikament durchzusetzen versucht, heilen lokale Heiler*innen mit lokalen Pflanzen. z.B. mit afrikanischem Ingwer, Niem, Aloe vera und Artemisia annua und Artemisia afra. Geschichten von starken Nebenwirkungen begleiten das Schweizer Medikament in Tansania, Einige der Menschen, mit denen wir sprachen, scheinen sich deshalb wieder der Naturheilkunde zuzuwenden.

„Mosquito Sphere“ für Versuche mit im Labor gezüchteten Mücken am Amani Research Center des National Institute of Medical Research (NIMR), Muheza, 2019

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Von dieser Malaria-Ökonomie handelt unser Stück „Fear & Fever“ und teilt das Publikum in der Struktur einer klinischen Doppelblindstudie zu Beginn in mehrere Gruppen. Diese werden nicht nur mit unterschiedlichen Meinungen und Wahrheiten konfrontiert, sondern müssen sich auch der Idee von Placebo-Information stellen: Denn Wissen ist immer konstruiert und Wahrheiten ändern sich schnell. Hinter der trügerischen Sicherheit des Moskitonetzes oszilliert das Stück zwischen fiktivem TED Talk, schweißgetränkter Choreographie und

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dokumentarischen Videos. Begleitet von akustischen Moskitostürmen prallen Heilmethoden und Weltsichten aufeinander und stellen dem Publikum die Glaubensfrage: Würden Sie eher das neueste Medikament eines Schweizer Pharmagiganten oder den chinesischen Tee mit demselben Wirkstoff zu sich nehmen? Favorisieren Sie die moskitoabweisende Sandale, einen guten alten Gin Tonic oder würden Sie Malaria lieber gleich mit genmanipulierten Mücken auslöschen?

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Chinarindenbaum, dessen Rinde auch heute noch von der Lokalbevölkerung zu medizinischen Zwecken genutzt wird, Amani Hill Research Station des National Institute of Medical Research (NIMR), 2019

Dr. Edwin Shunda, Forstwirtschaftler und Herbalist erklärt traditionelle Heilpflanzen, die gegen Malaria verwendet werden, Daressalam, 2019

Isack Peter Abeneko und Konradin Kunze in der Performance „Fear & Fever“ in den Sophiensælen, Berlin, 2019

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SPURENSUCHE

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Zeittafel 1888 Der 24jährige Hamburger Zoologe Franz Stuhlmann unternimmt eine Forschungsreise nach Ostafrika. Unter Führung von Hermann von Wissmann nimmt er zunächst an der Niederschlagung des Aufstandes der Küstenbewohner gegen die Deutsche Ostafri­kagesellschaft (DOAG)(sog.„Skla­­venhal­­teraufstand“) teil. 1890 Als Teilnehmer der Expedition Emin Paschas ins Innere Ostafrikas sammelt Stuhlmann zoologisches, botanisches und ethnologisches Material. 1891 Die deutsche Regierung übernimmt nach der Berliner Konferenz von 1884 die direkte Verwaltung des von der DOAG beanspruchten Gebietes. 1890er Deutsche Missionare nutzen den Ort der zukünftigen Forschungsstation Amani als Erholungs- und Rückzugsort. 1902 Die Kolonialverwaltung beginnt den Bau des Biologisch-Landwirtschaftlichen Instituts Amani (eröffnet 1904) und legt ein Arboretums an, das die Bäume des deutschen Kolonialreiches versammeln soll. 1904 Beginn des Eisenbahnbaus von Muheza bis zur unterhalb von Amani gelegenen Bahnstation von Sigi. Drei Züge fahren wöchentlich. Die Station wird 1923 stillgelegt. 1905 Robert Koch und Direktor Franz Stuhlmann arbeiten gemeinsam in Amani an der Erforschung der Schlafkrankheit. Der Pflanzer erscheint, die wissenschaftliche Publikation des Institutes, die mit Ausbruch des Ersten Weltkrieges eingestellt wird.

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1908 Stuhlmann verläßt krankheitsbedingt Amani und wird Gründungsdirektor der Zentralstelle des Hamburgischen Kolonialinstituts (später Hamburger Welt-Wirtschaftsarchiv).

1950 Überführung von Amanis Herbarium und land- und forstwirtschaftlicher Bibliothek zur East African Agriculture and Forestry Research Organisation nach Nairobi.

1919–20 Nach dem Ersten Weltkrieg wird Tanganjika britisches Mandatsgebiet. Amani bleibt landwirtschaftliche Forschungsstation und einige deutsche Wissenschaftler und Angestellte arbeiten zunächst weiter in Amani.

1951 Umzug der EAMU nach Amani. Die Quartiere für afrikanische Angestellte werden modernisiert. Der botanische Garten wird weiter gepflegt. Das Institut legt sich eine Kuhherde zur Versorgung der Angestellten zu.

1927 Gründung der East African Agricultural Research Station, Amani. Die deutschen Gebäude werden durch typisch britische Bungalows ergänzt.

1954 EAMU wird umbenannt in Institute of Malaria and Vector-Borne Diseases und unternimmt nun auch Untersuchungen zur Flußblindheit (Onchocerciasis).

1933 Britische Agrarwissenschaftler beweisen, daß die deutschen Kaffee­ pflanzungen aufgrund des Säuregehaltes des Bodens und unzureichender Wurzelentwicklung unproduktiv geblieben waren.

1954–59 Großangelegte Feldexperimente mit synthetischen Insektiziden werden, von Amani aus im nahegelegenen Pare-Taveta Gebiet durchgeführt. Die Ergebnisse dieser Studien beeinflußten die Malariabekämpfung weltweit.

1935 Inbetriebnahme der hydroelektrischen Stromversorgung Amanis durch das mehrere Kilometer entfernte Stations­ kraftwerk am Fluß Sigi, das bis 1978 in Betrieb war.

1961 Tanganjika erlangt die politische Unabhängigkeit. Die „Uhuru (Freiheits) Fackel” wird durch Amani getragen, woran bis heute ein verwittertes Zementdenkmal auf der Market Street in Amanis Arbeitersiedlung erinnert.

1948 Die East African Malaria Unit (EAMU), finanziert durch den spätkolonialen britischen „Colonial Welfare and Development Act”, nimmt unter Leitung des britischen Offiziers Bagster-Wilson in Muheza ihre Arbeit auf, um zur Ausrottung der Malaria beizutragen. 1949 Bagster-Wilson ersucht um Erlaubnis, in die wenig genutzte landwirtschaftliche Forschungsstation umzuziehen, wo das kühle, malariafreie Klima europäischen Wissenschaftlern die Arbeit erleichterte.

1963 Die „Afrikanisierung” des Wissenschaftlerstabes wird rege diskutiert. Angestellte werden verstärkt gewerkschaftlich aktiv. Technische Angestellte werden zur weiteren Ausbildung als Wissenschaftler u.a. nach Großbritannien entsandt. 1964 Tanganjika wird nach der Revolution auf Sansibar und nachfolgender Vereinigung beider Länder unter Präsident Mwalimu (Lehrer) Julius Nyerere zu Tansania.

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1966 Amanis letzter britischer Direktor, Gerry Pringle, verläßt die Station nach Spannungen mit tansanischen Beamten und wird durch den Holländer Jan Lelijveld ersetzt, vermutlich aufgrund tansanischer Einwände gegen einen neuen britischen Direktor. 1967 Präsident Nyerere verliest die Erklärung von Arusha. Tansanias Regierung arbeitet nun an der Realisierung eines afrikanischen Sozialismus. Zugleich wird die East African Community gegründet, die Ostafrikas moderne Institutionen unter sich vereint. 1971 Lelijveld übergibt den Direktorenposten an den ersten afrikanischen Direktor, Philip Wegesa, einen Kenianer, der zehn Jahre zuvor als Techniker nach Amani gekommen war. Die etablierte Forschungsarbeit zur Malaria und Flußblindheit wird fortgesetzt. Neue Forschungsprojekte versuchen, Pflanzen aus der Umgebung medizinisch nutzbar zu machen. Frühe 1970er Zugleich mit den sich verändernden Beziehungen zwischen Europäern und Afrikanern verändern sich auch Geschlechter- und Klassenverhältnisse durch die Ankunft von jungen Europäern und Europäerinnen, die sich in Herkunft und Weltsicht von der Generation ihrer Eltern – die nun als „kolonial” empfunden wird – unterscheiden. 1974–75 Als neuer Forschungszweig etabliert Bukhari Kilonzo auf Wunsch der tansanischen Regierung ein Laboratorium für Pestforschung. 1976 Der letzte ansässige britische Wissenschaftler, John Raybould, verläßt Amani. Die regelmäßigen finanziellen Zuwendungen aus Großbritannien verringern sich und Forschung wird abhängig von individueller Projektförderung (von der WHO und Stiftungen).

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1977 Auflösung der East African Community aufgrund ideologischer Spannungen zwischen Kenia und Tansania sowie des Krieges zwischen Tansania und Uganda. Kenianische und ugandische Angestellte müssen Amani verlassen. 1979 Die Station wird als Amani Research Centre Teil des neu gegründeten National Institute for Medical Research (NIMR), dessen Arbeit hauptsächlich durch transnationale Forschungszusammenarbeit finanziert werden soll. 1983 Bahnbrechende Forschung in Muheza – damals noch Feldstation von Amani – zu insektizidbehandelten Moskitonetzen, die der WHO zufolge weltweit über 3 Millionen Todesfälle verhinderten. 1999 Amani feiert sein 50-jähriges Jubiläum (als medizinisches Forschungsinstitut), wozu zahlreiche frühere Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen aus Europa anreisen. 2005 Amanis Verwaltung wird samt dem Namen Amani Research Centre in das tiefergelegene Muheza verlegt, wo Malaria endemisch ist und sich für die Angestellten und ihre Familien bessere Lebensbedingungen bieten. Das alte Amani wird zur „Feldstation“ degradiert, in welcher nur technische und Verwaltungsangestellte verbleiben. 2013 Beginn des Forschungsprojekts Memorials and Remains of Medical Research in Africa, das Amanis Spuren, bzw. die Überreste seiner vergangenen Zukunftsentwürfe studiert. Die Station hat offiziell noch 34 Angestellte; die meisten stehen kurz vor der Pensionierung und sind nebenbei aktiv in Landwirtschaft (vorwiegend Gewürzanbau), Handel und Tourismus.

Weiterführende Literatur Detlev und Gerhild Bald: Das Forschungs­ institut Amani: Wirtschaft und Wissenschaft in der Deutschen Kolonialpolitik Ostafrikas 1900–1918. München, Weltforum Verlag, 1972. Chris Conte: Highland Sanctuary: Environ­mental History in Tanzania’s Usambara Mountains. Athens, Ohio University Press, 2004. Adolf Engeler: Das biologisch-landwirt­ schaftliche Institut zu Amani in OstUsambara. Notizblatt des Königlich botanischen Gartens und Museums zu Berlin 4, 1903, S.63-6. Steve Feierman: Peasant Intellectuals. Anthropology and History in Tanzania. Madison, University of Wisconsin Press, 1990. Paul Wenzel Geissler et al.: Remembering Africanization. Africa 90, S.17-35. Melissa Graboyes: The Experiment Must Continue. Medical Research and Ethics in East Africa, 1940–2014. Athens, Ohio University Press, 2015. Christoph Gradmann: Krankheit im Labor. Robert Koch und die medizinische Bakteriologie. Göttingen, Wallstein Verlag, 2005. Mary J. Dobson, Maureen Malowany und Robert W. Snow: Malaria control in East Africa: the Kampala Conference and the Pare-Taveta Scheme – a meeting of common and high ground. Parassito­logia 42, 2000, S.149-66. William Nowell: The agricultural research station at Amani. Journal of the Royal Society of Arts 81, 1933, S.1097-115. Helen Tilley: Africa as a Living Laboratory: Empire, Development, and the Prob­lem of Scientific Knowledge. Chicago, Chicago University Press, 2011. Albrecht Zimmerman: Das Kaiser­lich Biologisch-Landwirtschaftliche Institut Amani. Berichte der Deut­schen Botanischen Gesellschaft 22, 1904, S.532-36.

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Personen

Aloyce Mkongewa (geb.1978) lebte 2015 in Amanis Angestelltensiedlung. Aufgewachsen in Amani, arbeitete Aloyce als Touristenführer, sowie als Feldassistent für Ornitologen, Primatologen, Botaniker und gelegentlich auch für Historiker und Anthropologen. Er arbeitete ohne feste Anstellung für den täglichen Lohn, und richtete auf einem Stück Land in der Nähe einen Campingplatz für Europäische (Öko-) Touristen ein. Aloyce‘ Geschichte in Amani reicht drei Generationen zurück: sein Großvater war Gärtner im botanischen Garten und später Koch des Institutsdirektors. Sein Vater stieg vom Laborassistenten zum „Clinical Officer“ auf. Aloyce wurde unser Assistent, so wie er es für Forscher vor uns gewesen war. Er kennt Amanis Landschaft und seine früheren Bewohner gut. Er zeigt Besuchern sehr gerne Pflanzen, Tiere und die Spuren von Amanis Vergangenheit. Durch diese Arbeit und sein Interesse an Menschen unterhält er andauernde Freundschaften sowie weltweite Kontakte durch soziale Medien. Im Gegensatz zu vielen, die in Amanis verfallenden institutionellen Gebäuden wohnen, scheint Aloyce den Ort zu schätzen. Er möchte auch in Zukunft dort leben.

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John Raybould (geb.1935) sammelte schon als Kind Insekten. Er kam 1960 nach Amani, um Hausfliegen zu studieren. Er wechselte zu den in Amani verbreiteten Kriebelmücken, die auch den Erreger der Flußblindheit übertragen. Da einige Arten dieser Gruppe ihre Eier auf Krabben ablegen, wurde die Interaktion dieser unterschiedlichen Lebensformen Rayboulds Forschungsgebiet. Die Forschung diente der Bekämpfung einer auch in Amani verbreiteten Tropenkrankheit, erlaubte aber auch grundlegende entomologische und ökologische Feldarbeit. Raybould blieb nach der Unabhängigkeit, die er sehr begrüßte, in Amani, wo er Katsuko, einer japanischen Pflanzensoziologin begegnete, die die Flora des verwilderten botanischen Gartens kartierte, und mit ihr eine Familie gründete. Sie verließen Amani 1976 und gingen nach Westafrika, wo Raybould noch eine Zeitlang für das westafrikanische FlußblindheitBekämpfungsprogramm arbeitete. Zurück in England arbeitete er dann als Gärtner, was er als sinnvolle Fortsetzung seiner naturkundlichen Tätigkeit aufzufassen schien. 2013 und 2015 reisten wir mit ihm nach Amani.

Mick Gillies (1920–99), Sohn eines Londoner Chirurgen, besuchte eine „public school“ und studierte in Cambridge. Nach dem Militärdienst kam er als „Senior Medical Entomologist“ nach Amani, wo er 1951–63 arbeitete. Nach Tansanias Unabhängigkeit verließ er den Kolonialdienst und trat eine Stellung an der Universität Sussex an. Er war bekannt für seine Arbeit zum Verhalten malariaübertragender Stechmücken, doch seine Leidenschaft galt den Eintagsfliegen, einer Gruppe ohne medizinische Bedeutung, nach denen er seine Autobiographie, „Mayfly on the Stream of Time“, benannte. Gillies‘ Frau Agnes, die vor Amani Ärztin in London gewesen war, zog zwei Kinder dort auf und machte sich einen Namen als Aquarellmalerin. Kurz nach der Rückkehr nach England starb sie bei einem Autounfall. Tony Wilkes (geb. 1933) – auch „Uncle Tony”, wie einige afrikanische Angestellte ihn nannten – ist ein britischer Entomologe. Aufgewachsen in einem Vorort Londons, ging er zur Armee bevor er 1958 als Assistent von Mick Gillies nach Amani kam. Die Zusammenarbeit mit Gillies bestimmte seine Karriere als Entomologe, die ihn in den 80er Jahren zurück nach Amani – nun in die malariareichere Tieflandstation in Muheza – brachte. Wilkes war ein angesehener entomologischer Spezialist, obwohl er nie einen Doktortitel erwarb. Seine Frau Dorothy (geb. 1933) zog zwei Kinder in Amani auf und war eine Freundin der etwas älteren Agnes Gillies, die ihr das Malen beibrachte. Mit ihr erlitt sie in England einen schweren Autounfall, bei dem Agnes starb.

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Phillip Wegesa (ca.1930–82), aufgewachsen im westlichen Kenia, kam um 1963 als Laborassistent nach Amani. Er nahm an John Rayboulds entomologischen Langzeitstudien teil und assistierte bei klinischen Untersuchungen. Anfang 1964 reiste er als Begleiter zweier an Flußblindheit erkrankter Männer, die zur Behandlung nach England geschickt wurden, nach London. Dort erwarb an der London School of Hygiene ein Diplom in Angewandter Parasitologie und Entomologie. Zurück in Amani arbeitete er weiter mit Raybould und unternahm epidemiologische Untersuchungen zur Verbreitung der Flußblindheit. 1965 wurde er als erster Afrikaner zum „Scientist“ – ein Dienstgrad, den zuvor nur weiße „Officers“ innegehabt hatten – und 1971 der erste afrikanische Direktor des Institutes. Nach der Auflösung der East African Community mußten er und seine Familie – er hatte inzwischen eine Laborassistentin geheiratet – nach Kenia zurückkehren. Dort arbeitete er für das neugegründete Kenya Medical Research Institute. Er starb 1992 nach längerer psychischer Erkrankung in seinem Heimatdorf, wo er zuletzt in einem selbstgebauten Laboratorium alleine afrikanische Heilpflanzen erforschte.

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Tatjana Sergeevna Detinova (geb. 1911), eine sowjetische Entomologin, besuchte 1962 Amani. Die WHO hatte sie beauftragt, afrikanischen Forschern eine schon in den 40er Jahren in der UdSSR entwickelte Methode zur Altersbestimmung von Stechmücken beizubringen, um die Malariabekämpfung – ein Prestigeprojekt internationaler Gesundheitspolitik im Rahmen des Ost-West Systemkonfliktes – effektiver zu machen. Die Methode war mühsam und bedurfte praktischer Unterweisung. Erst Stalins Tod ermöglichte solche Zirkulation von Expertise, als Teil des sozialistischen Internationalismus der 60er und 70er Jahre.

Stephen Fedha (geb. 1940) begann seine Arbeit mit „Malaria“ in den 60er Jahren zur Zeit der (East African) „Community“. Nach Ausbildung in Gillies‘ Labor, arbeitete er mit Raybould, zunächst als „Fly-boy” (Raybould änderte dies zu „Field Assistant“). Seine Gewandtheit im Krabbenfang trug ihm den Spitznamen „Dr.Crab” ein. Er arbeitete auch gerne im Labor und mit Wegesa in dessen epidemiologischen Studien, was in Danksagungen und Feldmethoden-Illustrationen belegt ist. Fedha lebt heute auf einem Stück Land am Waldrand nahe der Station, wo er Nelken und Kardamom anbaut.

John Mganga (geb. 1949) arbeitete von 1971 bis in die 1990er Jahre in Amani. Er assistierte Raybould und Wegesa in der Flußblindheitsforschung und Bukheti Kilonzo bei der Gründung des Pestlabo­ ratoriums. Er arbeitete im Feld, nahm aber auch an Experimenten zur in-vitro Kultur von Kriebelmücken teil. Er wird in Publikationen mit Dank bedacht, ist jedoch kein Mitverfasser. Nach der Pensionierung lebte er noch für einige Jahre, so lange seine Kinder in Amani zur Schule gingen, in ihrem Angestelltenhaus, bevor er um 2016 in ein fruchtbares Tal unterhalb Amanis umzog, wo er sich der Landwirtschaft widmet.

Anthony Carlos (geb.1924), dessen Eltern aus Goa (Indien) kamen, wuchs in Kenia auf und kam 1962 mit seiner Familie als Verwaltungsangestellter nach Amani. Als er 1968 Amani verließ, wurde seine Stelle „afrikanisiert“, d. h. mit einem tansanischen Verwaltungsangestellten besetzt. 2018 kehrte seine in Kanada lebende Tochter Deirdre (links im Bild) nach Amani zurück, auf der Suche nach Kindheitserinnerungen und den Spuren des Vaters, der, seit den frühen 70er Jahren von der Familie getrennt, heute in einem indischen Altersheim lebt.

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Aussicht von Aloyce Mkongewas Haus über die Angestelltensiedlung von Amani, 2015

Wenzel  So what are your plans for the future? Aloys Mkongewa  Ah, my plans… I like to stay in Amani for professional reasons, but we don’t have many visitors here now, so the money is not enough for me to go to school. That’s why I still am staying here in Amani and collect many informations about it. Because I believe that Amani will change some time, in the future. Then, many tourists will be interested to know the history. So when it changes I hope that I can collect the money and then I would go to school again. So I can stay here in Amani with a profession. I want to stay in Amani for all my life. Only I would get a good job, maybe I could leave, because am suffering here, for finding a good life. But my interest is to stay here in Amani. Gespräch zwischen Aloyce und Wenzel, Aloyce‘ Haus, 27.September 2013

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Aloyce, Hüter der Geschichten Erstes Abendessen Erster Abend in Amanis Gästehaus – „Fremdenhaus“, wie es zu Robert Kochs Zeit hieß – in Amani. Erbaut zur Zeit der deutschen Gründung: die typischen hohen Decken, Fenster mit Bogenwölbung, Holzfußböden und Kamine. Im Eßzimmer hängt neben verblichenen Reproduktionen englischer Landschaften – Eule im Eichbaum, im Hintergrund Kirchturm und Herrenhaus – ein Regal mit vergessenen Romanen der Nachkriegszeit – Love in a Cold Climate – und britischen Reisebüchern – In Search of England, My London – für heimwehkranke Besucher. Zwei Tische sind gedeckt, mit Tischtuch und Servietten. Wir (Ann, René und ich) sitzen an einem, einige „lokale“ Leute – andere Forscher? Staatsangestellte auf Besuch? – am anderen. Jehu, unser Fahrer, setzt sich zu Ihnen. Nach dem Essen stellt sich ein junger Mann vom Nachbartisch als Aloyce vor. Der schöne, süddeutsche Name hat sich in diesen Bergen bewahrt, die auch die Heimat unserer liebsten Topfpflanze sind, des Usambara Veilchens. Aloyce ist ein Führer und Forschungsassistent. Er hat für andere Wissenschaftler vor uns gearbeitet. Sein Großvater hatte, nachdem er als Gärtner in Amanis botanischen Garten gekommen war, nach dem Krieg als Koch des Institutsdirektors Captain Bagster-Wilson gearbeitet. Dessen Frau hatte dann auch das Schulgeld für Aloyce‘ Vater bezahlt, der später „Clinical Officer“ in Amani wurde, und seine Töchter taten später das gleiche für Aloyce‘ älteren Bruder, der Biologe im umgebenden Naturschutzgebiet wurde. Dann brach der Kontakt ab. Aloyce hat versucht, die Enkel des Direktors auf Facebook zu finden, aber noch keine Antwort bekommen.

Aloyce entleert einen Plastikumschlag auf den halb abgeräumten Eßtisch. Ich erkenne ein Studiophoto von BagsterWilson – Schnurrbart, Pfeife und Khakihemd, fast wie unser Vater. Einige Schwarz-Weiß-Fotos eines selbstbewußt dreinblickenden jungen afrikanischen Mannes in Shorts, verblichene Farbfotografien weißer Familien in englischen Wohnzimmern aus den 70er oder 80er Jahren und ein paar zerrissene Luftpostbriefe, geschrieben auf Kiswahili und Englisch von den Töchtern des berühmten britischen Malariaforschers. Aloyce‘ Vater, der heute Alzheimer hat, hinterließ ihm die Dokumente, zusammen mit vielen Geschichten, „histories”. Er möchte, daß Aloyce die Bilder und Briefe, adressiert an ihn und den Großvater, hütet. „So that history does not get lost,” hatte der Vater ihm gesagt; und auch „to find these people again”. Aloyce „likes history”. Er sagt, er könnte nicht in einem Dorf im Wald, oder außerhalb Amanis leben. Er will in Amani sein, der Forschungsstation in der groß geworden ist. Auch kann er hier gelegentlich Arbeit als kenntnisrei­ cher Naturführer finden. Aber wäre es nicht billiger, in einem Haus außerhalb zu leben? Billiger schon, aber es gibt dort keine „connectivity“ – Internet, Minibusse, Motorradtaxis. Außerdem ist er in Amani großgeworden. „I like the place“.

Aloyce Mkongewa und John Raybould beim ersten Abendessen in Amanis Fremdenhaus, September 2013

Photographien und Briefe der Bagster-Wilson Familie, die Aloyce‘ Vater ihm gegeben hat, 2013

Wenzels Notizen, Amani, 19.September 2012

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Mein Vater gab mir Bilder und Geschichten Aloys  My father has given me pictures, do you want to see them? Wenzel Yes. Aloys  Ok. See this one. Wenzel  Oh, this is Bagster-Wilson? Aloys  Major Bagster-Wilson, the director, yes. Wenzel  So how did your father get this picture? Aloys  The daughter sent it… This is her, the Mama Selina Emmanuel, the daughter of Doctor Bagster-Wilson and this is her husband and these are the daughters of the daughter… Wenzel  And this was your father? Aloys  My father, yes, this was taken in the [institute] library in 1958. After finishing middle school. And this is my father when he was in school.

Aloyce‘ Vater, Selbstportrait als Schüler, 1960er Jahre; aus Aloyce‘ Sammlung

Wenzel  Ah, this was still at school? He looks a confident man. Aloys  Yes, the picture was very nice. He got a camera from Doctor BagsterWilson, for memory. Wenzel  So he took these pictures with his own camera? Aloys  Yes. He got a camera and when he went to school he took his own pictures. He was very famous for that at the time… To use a camera at that time – it was very difficult, I mean… rare. Gespräch zwischen Aloyce und Wenzel, Aloyce‘ Haus, 27.September 2013

Dr. Bagster-Wilson, Malariaforscher, erster Direktor Amanis nach dem Zweiten Weltkrieg, 1950er Jahre; Studiophotographie aus Aloyce‘ Sammlung Bücher und Papiere von Aloyce‘ Vater, 1960er Jahre; aus Aloyce‘ Sammlung

Gruppenphoto der Angestellten Amanis, späte 1960er Jahre; John Rayboulds Photolbum

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So kehrt die Geschichte wieder Aloys  My father was born here in Amani, and got primary education in Amani primary school, built by the United Kingdom, and he passed to go to middle school in 1957, and completed standard [class] eight, but he didn’t pass to go to Makerere university, so he just … He got big support from the mum [Mrs Bagster-Wilson]. And Doctor Bagster-Wilson found him work in Bombo [Hospital], 1961, after Independence. Later, we came back here to Amani, when I was seven, and then we were educated here and we are working here. Wenzel  How did your father meet Bagster-Wilson? Aloys  My grandfather worked at the coffee plantation, and later at the botanical gardens … My father told me that… Mr Donald Wilson, he was very kind enough, he loved the people, especially the Africans, that’s why when my grandfather could no longer work at Bustani [the botanical gardens], he gave my grandfather work in his big house there… . To feed the chicken and other things… to care about the gardens. The family was very was poor, so Doctor Wilson, as a support he paid for my father’s school fees, because my grandfather was old and then there was no support, that’s why he tried to help his son. And later his daughter would help my father like that. She helped my brother like her father did to my father. So we will always remember and then we cannot forget… Even our children we will tell them. My father… because he was very interested in history, he has given me this photo just to store it, save it, try to protect it. He said: “These people will find you maybe next time.” I don’t know. That’s where their history comes again. Gespräch zwischen Aloyce und Wenzel, Aloyce‘ Haus, 27.September 2013

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Landschaft um Amani, 1970er Jahre; Super 8 Standphoto, Jan Lelijveld

Jeden Morgen ging ich mit meinem Vater Aloys  My grandfather was born 1895 and died 1978. He came from the Kilindu tribe. Many chiefs in Usambara mountains are from this tribe. He saw the First World War. He was carrying the burdens of the Germans. The Kariakoo [Carrier Corps]. After the war he was first teacher in a school under the British, and then he joined the [Amani] agricultural department, and worked there for a long time. Because he was educated. The first educated human around here in Amani. At Amani later he was working to keep the labels on the plants in the gardens… he identified the plants and then he wrote the label and put it on the plant… [When the Germans left] my grandfather still worked there. That’s why he had a good house for staff during that time. At that time it was a very… was very good. My grandfather’s house was up there. Later he became old. He was not able to continue with the work, so he went to Doctor Bagster-Wilson and applied for a simple work to keep him. That’s when he was caring for the garden and fish pond and everything in the

Boma [director’s house; lit. “chief’s home”]. And Doctor Bagster-Wilson asked my grandfather: “I want to help you for the education of your children, so ask them who is interested to be educated.” The other two boys said no, they were not interested […], but my father said he was ok. That’s when he went to middle school. And even after Doctor Wilson left, when he was in England, he sent money, […] every month he sent the money. He sent it to our post office, through a money order, every month he received the money order from the Doctor Bagster-Wilson. Later my father came back to Amani as clinical officer in charge. When I was in school, primary school, at lunch time I came to the clinic and then I went to get some food. Then he gave me money, and then I went to the hotel in Amani to eat lunch. And every morning I walked with my father, because every morning he came to the dispensary, and I went to school. As we walked around he told me, “You see this, this was a place where there is something, and this and

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this and this. So you know this one… this was the house of Doctor Fletcher, this was the house of Doctor Raybould and this was the house of Doctor … .” And here it was where Dr John Raybould recovered my aunt’s body from the river. And there he pulled up a vehicle from the swamps. And when we were in Amani station, he showed me that “this was the lab of Doctor John Raybould, and this is the lab of me, where I worked…” So […] he showed me many things about the European time and even about Independence… And as I was walking, I learned the history from my father. First, I was so young I was not interested, but I… [Laughs] I learned the memory. And sometimes when we were just walking around and he told me that during the European time Amani was a very beautiful place. And he knows very well. After seeing the changes he said that “Ah, nowadays Amani is… I don’t know why Amani is going to become old?”

Amanis Viehherden, 1970er Jahre; Super 8 Standphoto, Jan Lelijveld

Alles hatte hier seinen Ursprung

He told many things to me, many things. So that’s why until now I am interested to still… to save the memory. Gespräch zwischen Aloyce und Wenzel, während eines Spazierganges in der Nähe von Amani, 30.September 2013

Siedlung für Arbeiterfamilien in der Teeplantage nahe Amani, ca. 1970; Lichtbild, Jan Lelijveld

Aloys  My family was very close with the Europeans, during the European time here, he was working with the Europeans and also they helped him. Even when I was in class one [at school], I was asking my father about the history of our tribe, where we came from; about our family and other things, and from there he started to give me some information. Like the history of Doctor Wilson and our grandfather. Everything originated from there. Then he still remembered, he knew he was losing his memory, because he got a disease. But then he had a good memory… You cannot imagine, he had a good history, because he was educated then… He had many books…I think there are few people like him. Gespräch mit Aloyce beim Abendessen, Amanis Fremdenhaus, 19.September 2013

Blick hinunter auf die Teeplantagen nahe Amani, 1970er Jahre; Super 8 Standphoto, Jan Lelijveld

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Er hatte eine gute Geschichte

Er erinnert sich nicht

Aloyce möchte, daß wir seinen Vater treffen, der, wie schon der Großvater, in der Forschungsstation gearbeitet hat. Erst im Laboratorium, später dann in der Klinik im Angestelltendorf. Der alte Mann hat Alzheimer. Während wir auf den Tee warten, den seine Mutter zubereitet, versucht Aloyce seinen Vater zum erzählen seiner Lebensgeschichte zu bewegen. Der Körper des Vaters wird steif vor Konzentration. Seine Brust hebt und senkt sich unruhig. Sein Blick in die Ferne, sucht die Vergangenheit. Er schließt die Augen. Er streckt seine Hände, bewegt sie ungeduldig vor seinem Gesicht auf und ab, als wolle er einen Nebel vertreiben, etwas beiseiteschieben, während er versucht, sich an ein Datum zu erinnern. Ich versuche mich zu entschuldigen.

Aloys  He says that he began working with the East African Malaria Community, the Europeans, in 1959, which is true, I told you. [To his father:] When did you work with malaria [in Amani]?

Aloyce fragt, wiederholt, hört geduldig zu und vervollständigt die Sätze des Vaters, wenn dessen Frustration unerträglich wird. Aloys erzählt dem Vater selbst die Geschichten, die er wieder und wieder von ihm gehört hat. Ab und zu wirft Aloyce mir einen aufmerksamen Blick zu: „You see?”. Vielleicht um zu sehen ob ich die Ge­ schichte verstehe, oder die Vergeßlichkeit des Vaters begreife, oder um den Umfang seiner eigenen, sekundären Erinnerungen zu unterstreichen. Hüter des Gedächtnisses. Zusammenfluß von Mnemosyne und Lethe. Wenzels Notizen, 28.September 2013

Father  [Pauses] I can’t remember… [Smiles into the distance.] Doctor Mzangi. I worked with Doctor Mzangi. Aloys  You worked with Doctor Mzangi in 1961, didn’t you? [Long pause; the father’s downturned hands gradually curve into a right angle above his knees, the fingertips tightly pressed against the thigh, trembling.] Aloys  He does not remember. Father  East African Malaria Community, we did many things; we shared ideas with the white people; we made things better [his hands search for words around his head]. Some of the whites were looking for mosquitoes near the road, some others near the stream. [Silence; chickens pecking.] Enough! I can’t remember. [Pause] I finished Amani primary school which was built by the British. At that time life in Amani was very good. Aloys  Better than now? Father  Yes, because all the places were… they were made beautiful.

Aloys  He says nowadays everything is dirty and everywhere there is no good environment, but at that time everywhere was clean and the environment also was clean. And everybody was serious about everything there in Amani. When you work, you work seriously. I mean that, if you are working in the cowshed, you should make sure you work faithfully. When you are working in the garden, because this was Amani botanical garden, you should make sure you are working without cheating, without delay, without being lazy. Father  Yes, today it’s really different. Because even the environment was… Even the trees were not cut in areas of the garden, it was forbidden; and the important trees were given names… But now it’s all mixed. Even areas that should not have trees, you now find that trees are just there. Aloys  At that time, why do you think people were working seriously, and kept a good environment? Father  Because there were rules. So that, like as a pupil, you cannot cross and go through a white person’s house. And when you come from school, there is a specific place where we got fruits, here at the bus down there, and there we ate. So every place was arranged, that students pass here, cows eat here, boreholes for drinking water, places of eating food. So you found that places where people stay were clean, no matter whether it was a white staying there, or people staying there. And there was just grass… But now people get in without… walk anywhere they want. Aloyce und Wenzel versuchen Aloyce‘ Vater in dessen Haus in Muheza zu interviewen, 28.September 2013

Aloyce versucht, mit seinem Vater über die Vergangenheit zu reden, Muheza, September 2013; Video Standphotos

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Sie war Mama Jackys Hausmädchen

Das freie und einfache Leben im tropischen Zuhause

Ann  Jacky Gillies [one of two daughters of entomologist Mick Gillies] said that your – is it your aunt? – looked after her and Susan [her sister] when they lived here.

By the end of 1957 we were back at Amani. The girls were at an age at which they could enjoy the free and easy life of the tropical home. They spent their days in the care of the nurse, Fatuma, wandering round the grassy slopes of the research station, being taken to visit her friends in the Jr [ie “junior” – African] staff quarters and playing at games that their parents knew little about. One day after Fatuma had gone home, we were out for a walk on the edge of the forest. Aggie [Gillies’ wife] was in front wheeling Jacky in a pushchair with Susie and me. It was at this moment that the cobra chose to cross the road in front of us and climbed unhurriedly up the bank. I steered the party away to a safe distance but Susie who was the least concerned of any of us demanded to know where the snake had gone.

Aloys  Yes, she did but she is dead. She was a housegirl of Mama Jacky Gillies when she was born there, they called her Fatuma. Ann  In the book [Gillies’ autobiography] […] it talks about, maybe Jacky talked about it, how the hill where they lived, where your aunt pulled the pram… it’s a very steep hill. Aloys  Yeah, Doctor Gillies, he wrote a book. Mama Jacky Gillies later sent me that book. Gespräch mit Aloyce beim Abendessen, Amanis Fremdenhaus, 19.September 2013

Mick Gillies, Mayfly on the Stream of Time, Withefield, Messuage, 2003, S.194-95

Aloyce‘ Tante Fatuma, Agnes Gillies und deren Kinder in der Einfahrt zum Haus der Gillies auf dem Lion’s Hill, 1950er Jahre; Super 8 Standphotos, Mick Gillies

Aloyce‘ Tante Fatuma, Mrs Lelijveld und die Kinder der Lelijvelds im Garten des Direktorenhauses, späte 1960er Jahre; Super 8 Standphotos, Jan Lelijveld

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„Haben sich dieses Jahr die Schulgebühren verdoppelt?” Dear John Barnard, Thank you for your two letters. I am glad to hear that Victor is doing so very well in school. But how have the fees doubled this year? Last year it was only 50,000. I have written to Dr Gardner and told him that I have sent you 48,000. I couldn’t remember exactly how much was needed [though?] he sent me a letter, but that was all the money I had anyway.

We had Sophia and her children, four, five and one-year twins for three [months?]. It was very tiring and I am not as I was! But I love my two oldest grandsons. Nico who is four likes talking so much that if he had been here a little longer, he would have been a fluent Swahili speaker. In April my husband was able to sign an agreement with the cooperative, which was given our estate when it was nationalised… Brief von Sylvie Emmanuel, geborene Bagster-Wilson, die einen Kaffeefarmer am Kilimandscharo geheiratet hat, an Aloyce‘ Vater, undatiert, vermutlich frühe 80er Jahre; aus Aloyce‘ Sammlung

Brief und Photographie von Sylvia Bagster-Wilson an Aloyce‘ Vater, wahrscheinlich 1970er Jahre; aus Aloyce‘ Sammlung

Doktor Bagster-Wilson mit Tochter beim Fischen, Amani, 1950er Jahre; Sylvie Emmanuels Photoalbum

Brief von Angela Bagster-Wilson an Aloyce‘ Vater, 1983; aus Aloyce‘ Sammlung

Sylvie Emmanuel, geb. Bagster-Wilson, vor ihrer Kaffefarm in Moshi, Tansania, 2019

Doktor und Doktor Bagster-Wilson beim Austeilen von Weihnachtsge­ schenken, Amani, 1950erJahre; Sylvie Emmanuels Photoalbum

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Rasen unterhalb der „Middle Ridge“ Bungalows, mit Lantana camara, Amani, 2015

Aloyce bei einer Preisverteilung in Amanis Grundschule, bei der er Angela Bagster-Wilsons Pullover trägt, 1980er Jahre; aus Aloyce‘ Sammlung

Aussicht von Amanis Direktorenhaus in Richtung „Lion Hill“, 1960er Jahre; Jan Lelijvelds Photoalbum

Die Schönheit des Rasens Wir wandern hinab, sind schon fast aus der Station hinaus. Auf das dichter werdende Unterholz unter den vereinzelten großen alten Bäumen blickend, erinnert sich Aloyce, daß hier einmal Rasen war, bepflanzt mit aus Kenia eingeführtem Kikuyu Gras. Um solchen Rasen auf einer Lichtung im Wald zu pflegen, müssen andere Gräser und die Triebe von Bäumen und Büschen regelmäßig gejätet werden. Das Institut hatte über 20 Arbeiter, die nichts anderes taten als dies, die sogenannten „Lantanas” – benannt nach dieser besonders hartnäckigen invasiven Pflanze aus Lateinamerika – unter der Aufsicht von fest angestellten Gärtnern, den „hedge-cutters”. Aloyce zeigt hinab in das Tal, wo der Rasen früher in scharfem Kontrast zum

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angrenzenden Regenwald stand. Die klare Grenze ist einem langsamen, wuchernden Übergang gewichen. Damals, sagt Aloyce, waren alle offenen Flächen innerhalb Amanis, einschließlich auch der Angestelltenwohnungen im sogenannten „Malaria Camp“, von Rasen bedeckt gewesen. Den Angestellten war es ausdrücklich verboten Bananen und Kartoffeln in den Zwischenräumen ihrer Häuser anzubauen. Auch ästhetisch sollten afrikanisches und europäisches Gelände eins sein, klar abgegrenzt vom umgebenden Regenwald, oder von den entfernteren afrikanischen Dörfern. Als wir auf dem Rückweg die katholische Kirche passieren, erinnert sich Aloyce wie die sonntäglichen Ausflüge der Familie vom Dorf, wo der Vater ein Haus gebaut hatte, nach Amani, immer

etwas Besonderes waren, worauf man sich vorbereitete, sich ordentlich anzog wie für einen Ausflug in die Stadt. Nach der Messe verbrachten er und seine Freunde den Sonntag auf dem Gelände der Station, saßen auf dem Rasen oder suchten nach „Erdbeeren“, roten, saftigen Beeren, die noch immer hier und dort im Unterholz zu finden sind. Den Lieblingspullover, den Aloyce zu solchen Anlässen trug, hatte ihm Angela, eine der Töchter BagsterWilsons, geschenkt für eine Abschlußze­ remonie in Amanis Grundschule. Das Photo der Preisverteilung hat er noch immer: stolzes, aber auch liebevolles Lachen der Lehrerin auf den Jungen, der froh sein Geschenk hält, gerahmt von frischen Blumen und der versammelten Schülerschaft im Hintergrund. Wenzels Notizen, 13.Februar 2014

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Smaragdgrün, fließend Landscape design styles were another very important part of European borrowed baggage that arrived in the colonies. At the end of the 18 th century and the beginning of the 19 th century the most influential was “Capability” Brown. Lancelot “Capability” Brown edited nature and created an aesthetically perfect landscape. The topography was shaped in the form of a series of gentle convex and concave curves. Trees were planted in groves, groups or belts. An emerald green flowing lawn was one of the essential composition elements. He used only native deciduous trees […] and a few evergreen tree species. Brown’s gardens were simply a productive working landscape arranged to be beautiful.

Weideland um die Kuhställe nahe der Arbeitersiedlung der Baumschule von Amani, 2013

Das einstige Idyll des langschädelig Blonden Das tägliche Leben verschafft uns eine Reihe seltsamer Beispiele für die Verschiedenheit der finanziell beeinflußten Schönheitsgesetze, die in den verschiedenen Klassen gelten […] Solche Beispiele sind der kurz geschnittene Rasen, der kunstvoll angelegte Garten, die so uneingeschränkt den Beifall der westlichen Völker finden. Sie scheinen besonders dem Geschmack der begüterten Klasse in jenen Gesellschaften zu entsprechen, in denen lange Schädel und blonde Haare vorherrschen. Als einfacher Gegenstand der Wahrnehmung besitzt der Rasen ohne Zweifel eine gewisse sinnliche Schönheit, und als solcher spricht er unmittelbar die Augen fast aller Rassen und Klassen an, doch erscheint er dem blonden Langschädel womöglich noch schöner als den meisten anderen Leuten. […] Der kurz geschnittene Rasen [erscheint] einem Volke schön, das die Neigung erbte, an einem wohl gepflegten Weideland ein inniges Vergnügen zu finden. Vom ästhetischen Standpunkt aus ist der Rasen eine Kuhweide; und in gewissen Fällen – nämlich dort wo die Kostspieligkeit der Pflege jeden

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Verdacht der Wirtschaftlichkeit sowieso ausschließt – wird heute das einstige Idyll des langschädelig Blonden mit Hilfe einer Kuh auf dem Rasen tatsächlich wiederhergestellt. Eine solche Kuh gehört dann meistens einer teuren Rasse an.

Maria E. Ignatieva und Glenn H. Stewart: Homogeneity of urban biotopes and similari­t y of landscape design language in former colonial cities. In: Mark J McDonnell et al.: Ecology of Cities and Towns: a comparative approach, Cambridge University Press, Cambridge, 2009, S.408-09

Thorstein Veblen: Theorie der feinen Leute. Eine ökonomische Untersuchung der Institutionen. Kiepenheuer & Witsch, Köln, 1958 (urspr.1899), S.134-35

Von der ehemaligen Institusherde abstammende Friesenkuh vor einem Bungalow, Amani, 2014

Feldweg entlang des „Middle Ridge“, Amani, 2013

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AMANI

Auch die Gegenstände und die Wörter sind hohl. Vergangenes schlummert in ihnen wie in den alltäglichen Gebärden des Gehens, des Essens und des Schlafens. […] Verblüffend dabei ist, daß lebendig wahrgenommene Orte so etwas wie die Gegenwart von Abwesendem sind. Das was sich zeigt, bezeichnet, was nicht mehr ist. […] Der Ort wird gerade dadurch definiert, daß er aus den Reihen dieser Verschiebungen und Wechselwirkungen zwischen den zerstückelten Schichten, aus denen er zusammengesetzt ist, gebildet wird, und daß er mit diesen sich veränderlichen Dichten spielt. […] Es gibt nur Orte, die von zahlreichen Atmosphären und Geistern überlagert sind, welche dort schweigend bereitstehen und „heraufbeschworen“ werden können oder nicht. Man kann nur an solchen „heimgesuchten“ Orten wohnen. Michel de Certeau: Kunst des Handelns. Merve, Berlin, 1988, S.205–6

Aloyce beim Ausgraben einer Laboratoriumsflasche in einem Bananengarten, in dem früher einmal eine Bar der Angestellten in Amani war, 2013

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Die Flasche Hier war eine Bar Nach dem Frühstück sind wir gemeinsam mit Aloyce auf der Straße hinter der Station spazieren gegangen in Richtung des nächsten Dorfes. Wo die Straße, gerade aus dem Wald heraus, abbiegt und eine kleine Brücke überquert, zeigte Aloyce auf ein kleines, frisch umgegrabenes Feld umgeben von Bananenstauden am Ufer des Baches: „Hier war eine Bar“. Er sprang hinüber und begann das Gelände zu untersuchen, schob die Erdklumpen mit seinem Schuh auseinander, klaubte gelegentlich etwas vom Boden auf. Schließlich hielt er uns in der ausgestreckten Hand ein paar Brocken Zement hin, Reste eines Fußbodens oder Fundamentes: „ich weiß, daß mein Vater hierherkam, um zu trinken. Die Wissenschaftler [d.h. Laboranten und Angestellte der Station] kamen hierher nach ihrer Arbeit.“ Gemeinsam gingen wir das Feld ab, auf der Suche nach Spuren jener Zeit. Statt der erwarteten Bierflasche fanden wir eine 500 ml Laboratoriumsflasche, die wir mit etwas Mühe aus der harten Kruste der roten Erde lösten. Wenzels Notizen, 11.Februar 2014

Bier nach Feierabend Wenzel  So what did you do after working at the workshop? Mr Kimboi  There were many places around. Here at Amani we had a club. But I usually went somewhere along the road. There were many places then. We went to drink beer after work. When we had our salary. Nowadays people have no time. We must be busy after work, to find something to do to add money. The nearest place like this is 10 miles from here now. It has all changed. Life was better. We were working for government.. Gespräch mit Mr Kimboi, Automechaniker in der Stationswerkstatt seit den 80er Jahren, hinter der Werkstatt, wo er lang geparkte Fahrzeuge bewacht, 28.Oktober 2015

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Die Leute aus der Gegend kamen nie hierher Wenzel  What is this? Aloys  A bottle. There was a bar here – this is also “remains.” [Giggles] Wenzel  This looks more like a laboratory bottle. Aloys  Yes a laboratory bottle, you see the numbers 5ml, 3 to 100 and also the rubber lid! Maybe they took some alcohol from the laboratory… spirits… to mix with local brew? Some people from the laboratory drank the spirits. Ann  Do you think it was maybe used as decoration? Aloys  I don’t remember. My father told me only, and I saw the walls. I never saw the bar in operation. The name was “Jirani” Bar – “Neighbours’ Bar.” But the owner died, he was a lab technician. Mostly staff from East African Community used to come to drink after work, especially for the weekend. It was 1970s. Local people never came here, because of the mumiani [vampire] issues. They thought if you come here, and you buy some beer, when you then get tired, the researchers take you. So the local people had their own bar – I think it was up there. But they didn’t stay late there, because they felt uncomfortable because of the Amani staff who had their bar here at Jirani Bar. They feared them.

Wenzel  So are there any more remains here? Is this over there concrete? Aloys  No, you see when people dig, to plant vegetables, they remove the stones; that’s why we only see the small concrete bits, because of the long time and people do cultivation here. [Picks up a piece]. That’s another bit of cement, you see [knocks on it]: cement. Gespräch zwischen Aloyce Mkongewa, Wenzel and Ann, während sie das Gelände der verschwundenen Angestelltenbar untersuchen, 10.Februar 2014

Mumiani [Vampire] Vampire stories reveal the world of power and uncertainty in which Africans have lived in this [20 th] century. Their very falseness is what gives them meaning: they are a way of talking that encourages a reassessment of everyday experience to address the workings of power and knowledge and how regimes use them. Luise White: Speaking with Vampires: Rumor and History in Colonial Africa, University of California Press, Berkley, 2000, S.43

Wenzel  So when you were a child in the 1970s, people were afraid of mumiani still? Aloys  Yes they were so afraid, it was not easy for a mzungu [white] to give a lift to an African; when you stop they run away, screaming, seeking for help – because they were not happy. Wenzel  Even you, you ran away? Aloys  Ah, me, my father told me about these things and I did not feel afraid.

Die fertig ausgegrabene Laboratoriumsflasche an ihrem Fundort nahe Amani, 2013

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Wappenschild des ursprünglich europäischen Amani Clubs, mit Mücke, Chinarindenblättern und Biergläsern, 1950er Jahre; aus Suzie Winters (geb. Gillies’) Sammlung

Wunderbares Tennisspiel

Wir hatten zwei Clubs

Tony  We had these tennis courts. And when we went back, for the anniversary, somebody realised that the tennis courts had been taken over. There was a… a toilet, made in the…

Mosha  On the social side, in Amani we had two clubs; there was a club for Europeans up here and another one for Africans down there, and I could see those two classes when I came; but we conspired with Mwaiko and Kilonzo to try to penetrate through this, and thus in 1974 I was elected as chairman of this club [Laughs] – of the European club and I encouraged a lot of…

Dorothy  In the corner, yes. Tony  Just where I used to execute a devastating top-swing lob! Graham  Yes. They didn’t want to play tennis – but they were glad to have the club!

Abschiedsparty für Amanis letzten europäischen Direktor, Dr. Lelijveld, mit Institutsband und Tanz, Amani Junior Staff Club, 1971; Jan Lelijvelds Photoalbum

Seltsame Rituale “When Sunday lunch time came round, I left Detinova to carry on by herself in the laboratory, while Aggie and I went off for a session at the tin-roofed pavilion that served as our social club. It was the sort of place that could only exist at Amani. The forest came up to the edge of the tennis course, and there were times when shaggy, white and black colobus [monkeys] sat in the canopy and gazed down at their human cousins engaged in curious rituals with rackets and balls.” Mick Gillies: Mayfly on the Stream of Time, Whitefield, Messuage, 2000, S.223

John  Nowadays, the tennis courts are non-functional. You couldn’t possibly play tennis on them because there are tree trunks on them.

Mosha  …Africans, including the junior Africans who would only have been comfortable down there, also to join here…

Frances  The only African I ever knew play on these tennis courts was Daniel Abaru. He was a Ugandan medical doctor – and he was a wonderful tennis player, actually! Jean Bonga [Dutch technician] was the best tennis player we had, and she couldn’t find any partner, poor woman! And then finally Daniel Abaru from Uganda came, highjump Olympic champion of Uganda, never played tennis in his life; she taught him, and within about a month they were ….

Facilitator  So before that the club was exclusively for Europeans?

Vyvienne  They were just playing. Yeah. Frances  …having a wonderful game, yes! So she was so happy. But he was the only tennis player. So, no wonder the tennis courts aren’t used. Gespräch zwischen früheren europäischen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, die nach der Unabhängigkeit gemeinsam in Amani gearbeitet hatten, Cambridge, 4.August 2013

Tennisspielende Wissenschaftler, vermutlich Amani Club, 1950er Jahre; Jan Lelijvelds Photoalbum

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Mwaiko Africans…

Mosha  They didn’t say it… they didn’t say it but that is what it was… [Laughs] Kilonzo  …in practice Mosha  …in practice…. Kilonzo  …but in theory….(Laughs) Mosha  That is how it was. But then I came across a problem, because people would just drink and sign and then at the end of the month they are not paying [Laughter].[…] because it was the first time the Africans were exposed to this kind of things where they just drink and sign [Laughter]. When they figured out it was free beer they became very generous: “Hey give him that whisky, and what they want!”. Then find themselves at the end of the month, and they have drank much more than their salaries. So it

Tennisplätze in der Ruine des Amani Clubs, 2015

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became a bit of an embarrassment, that now we are trying to come to the club, but we have people who just drink and do not pay so that was a bit of a problem. So the challenge of transition, which I saw was in the club [….] But in the science world there was no problem, because there was a lot of integration….

Gespräch zwischen früheren tansanischen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, die nach der Unabhängigkeit gemeinsam in Amani gearbeitet hatten, Amani, 25.April 2015

Ente Essen Mtoyi  I think every end of year the former director, Phillip Wegesa used to slaughter a cow from the cowshed [of the Amani dairy herd], and we stayed together eat, drink and have fun, either in the “cathedral” [the director’s house], his compound or in the club. Actually we were working here as a family, we were very comfortable. Mganga  And in the early 70s when all of the Africans who served here were Mwaiko, Mosha, me and [unclear], the scientists, the African scientists at that time, we had some sort of nightly gathering what we called kula bata [Laughter]. Bata means a duck, to eat ducks, yes, a kind of get together. Gespräch zwischen früheren tansanischen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, die nach der Unabhängigkeit gemeinsam in Amani gearbeitet hatten, Amani, 25.April 2015

Die Mädchen der Netzballmannschaft von Amani, 1970er Jahre; Bukheti Kilonzos Photoalbum

„Ente Essen“ – Festessen im Hause von Dr. Bukheti Kilonzo, Amani, 1970er Jahre; Bukheti Kilonzos Photoalbum

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Wenzel  The club? Vyvienne  Yeah, it was. Wenzel  There were two clubs there, weren’t there? Frances  Only one in my time. Vyvienne  Just the one. Wenzel  And what did you do there? Vyvienne  Drink. [laughs] Frances  We drank; we – Vyvienne  Played cards. Mrs Lydia Frank, die in den 6oern in der Bar des Amani Clubs arbeitete, beim Besuch der Ruinen des Clubs, 2014

Vyvienne  But the club house was more sort of tea-time, wasn’t it? Frances  Well, you know it was an old, you know, colonial-type club. All these colonial places had their English club. Vyvienne Yes, very colonial. Frances  And the members were, in fact, men from the tea estates, who had previously been British I suppose, but most of them weren’t by the time we were there. Vyvienne  Yeah, they were mostly Indian, weren’t they?

Dartsspiel in der Ruine des Amani Clubs, 2015

Frances  Yeah, they were mostly Indian by the time we went there. And of course the Amani Institute staff as well. And it was really our only organised social life, that club.

Frances  We played cards; we had films that, as Katsuko says, they used to be hired and brought up. Vyvienne  Oh yes! The film once a month, yep. Frances  And the Tanzanians all loved Carry on films. Those were their favourites. [giggles] Wenzel  What films? Vyvienne  Carry on, those very – old comedy, very basic comedy, very silly English comedies. Frances  But they loved it! [laughs] Vyvienne  They loved it! So – I mean, it was an open night, you know, but – well, Ann and I, rarely went to them, because we weren’t “amused” as they say! [laughs] But, yeah, they were always very busy. Gespräch zwischen früheren europäischen Wissenschaftlerinnen, die nach der Unabhängigkeit gemeinsam in Amani gearbeitet hatten, Cambridge, 6.August 2013

Sehr kolonial Katsuko  And if I could spare some time at eleven o’clock, I went to the library, wasn’t it? It was a proper library. Frances  Coffee in the library, that’s right. Vyvienne  I’d forgotten about coffee in the library. Frances  Yes, we always used – Katsuko  Yes, and they also had a club house [at Amani] and, occasionally they put a film on there, and so I was invited.

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Filmplakat für „Carry On In The Jungle“, britische Filmkomödie (um 1970), die im Amani Club in den 1970ern gezeigt wurde

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zubereiten. Auch wir ziehen uns für den Abend das letzte trockene Hemd an. Am Abend liegt der Hügel im vollständigen Dunkel eines Stromausfalls. Vom Club her übertönt zeitgenössischer Tarab den Lärm des eigens herangeschafften Generators. Dröhnende Bässe lassen die Ruinen erzittern und laden zum Tanz. Vom regennassem Pfad durch die Dunkelheit treten wir ein in einen Raum leuchtender Farben: synthetische Seiden durchwirkt von Gold- und Silberfäden verdecken die rissigen Wände. Farbige Lichterketten überstrahlen den Mond.

Hochzeitsfest für ein Paar aus der Nachbarschaft in der Ruine des Amani Clubs, 2015

Der Club war nur zum Trinken da Dr Lyimo  I was just from University [in 1982]. […] I was met by the driver of the director, and we started to come up here. My first impression was: “Where are we going?” Because we climbed, and we go and go; I started counting how many corners – 10, 11! Then we arrived here and I said: “Oh, there is life up here!” […] People were asking us: “You girls. What are you looking for here, why are you leaving Dar-es-Salaam and come to this place?” Especially the women discouraged us and told us we should go to town. […] They asked: “You are educated, why would you come here?” But I heard people talking about their work and I said: “Oh, this is interesting.” […] And then I went to malaria resistance mapping. There was a lot of going out to the bush. It was cold… When the temperatures fell to 10° I could hardly function. I would just sit there with my legs folded under me on the chair and be quiet in a small office in this laboratory. In

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the beginning it was difficult because of the weather. […] And the social life, it wasn’t attractive, there was nothing to do here, not a party. There was this old club, but this was only for drinking. Dr Edith Lyimo (geboren 1957), die erste Wissenschaftlerin in Amani, im Gespräch mit früheren tansanischen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, die nach der Unabhängigkeit gemeinsam in Amani gearbeitet hatten, Amani, 25.April 2015

Für eine Nacht nur Der Samstag ist da, der Tag der Hochzeit im alten Club. Seit dem frühen Morgen spielt Musik hinter den, die Ruine einzäunenden, Wellblechplatten. Angeleitet vom alten Bibliothekar schleppen Schulkinder die Stühle aus der Institutsbibliothek hinauf in den Club. Ein paar ältere Frauen haben ihre im Nieselregen schwelenden Kochstellen unter einem Baum eingerichtet. Die Köche im Gästehaus haben sich saubere Anzüge für den Abend mitgebracht. Lilian und Juma tanzen und trommeln leise, während sie das Gemüse für unser Abendessen

Auf der Asphaltfläche der ehemaligen Tennisplätze sind Amanis Bewohner versammelt. Sie scheinen verwandelt durch den Anlaß, mit bunt leuchtenden Kopftüchern, engen kongolesischen Hemden und glitterbesetzten T-Shirts. January, der Helfer im Gästehaus, heißt uns mit wiegenden Schultern willkommen. Mathilda, die würdige Sekretärin des Direktors, geschmückt mit einem riesigen westafrikanischen Kopftuch, leitet die Zeremonie. Selbst der mißtrauische Bibliothekar rotiert seine Hüften. Esther Kika, in den 70er Jahren die Schönste der Netzballmannschaft, wirft einladende Blicke über den Tanzboden hinweg. Nach Wochen der Spurensuche in dichtem Nebel und stillem Regen, im modrigen Bibliotheksarchiv, voller Gespräche über die Vergangenheit und ihre verlorenen Zukünfte, ist uns das Fest willkommen. Für einen Augenblick kehrt Leben in die Ruinen zurück. Leben, das gewiß auch der kolonialen Vergangenheit entspringt, sich aber auf eine ganz andere Zukunft hinbewegt. Für eine Nacht. Am nächsten Morgen ist es still um den Club. January sammelt die Flaschen und fegt die leeren Kronkorken vom nassen Asphalt. Zwei kleine Mädchen in karierten Schuluniformen sammeln die Blüten der durchweichten Girlanden ein. Wenzels Notizen, 20.April 2015

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AMANI

Mikrophotographie des Ovarianstranges einer Anopheles gambiae Mücke; aus: Mick T. Gillies und Tony J. Wilkes: A study of the age-composition of populations of Anopheles gambiae Giles and A. funestus Giles in North-Eastern Tanzania. Bulletin of Entomological Research 56, 1965, S.237-62

Tanganyika Standard, 7. November 1962; Amani Bibliotheksarchiv

As far as malaria eradication is concerned, it is hoped that the methods described in this monograph will serve as a starting-­point in all countries for an extensive study of the age composition of mosquitoes in connexion with the epidemiology of this disease. I am convinced that international co-operation in this sphere will lead to the further development of the study of vector biology and thus to the speeding-up of global malaria eradication. Vladimir N. Bleklemishev: Vorwort zu TS Detinova: Age-Grouping Methods in Dipitera of Medical Importance, with special reference to vectors of Malaria, WHO, Geneva, 1962, S.11

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Erinnerungen an eine sowjetische Methode Die Altersbestimmung von Malariamücken Am 11. September 1962 begann Tatjana Sergeevna Detinova, eine erfahrene sowjetische Entomologin, deren Arbeiten erst kürzlich ins Englische übersetzt und damit westlichen Wissenschaftlern zugänglich geworden waren, eine dreimonatige Reise durch den afrikanischen Kontinent. Sie war von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) eingeladen, entomologische Forschungseinrichtungen zu besuchen und ihre Wissenschaftler zu beraten. Nach kurzem Aufenthalt in Kairo flog sie über Nairobi nach Tanga an der Küste des gerade unabhängig gewordenen Tanganjika. Nach erfolglosen Versuchen, ihre Gastgeber von der East African Common Services Organisation zu erreichen, fuhr sie auf eigene Faust – und ohne besondere Englischkenntnisse – nach Amani, wo sie für sechs Wochen mit den Entomologen Mick Gillies und Tony Wilkes Mücken sezierte und untersuchte, bevor sie, nach Besuch des nahegelegenen Pare-Taveta Malaria-Kontrollgebietes und des angrenzenden Naturparks, weiter nach Brazzaville, Obervolta und Gambia reiste. Trotz nicht enden wollender Visaprobleme, vollendete Detinova ihre Mission zur großen Zufriedenheit der WHO. Detinova unterrichtete Wissenschaftler und Laboranten in der „Polovodova Methode”, mit der man das Alter weiblicher Mücken anhand von Ausbuchtungen der Eierstöcke bestimmen kann, welche sie gemeinsam mit russischen Kollegen über Jahrzehnte entwickelt und verbessert hatte. Diese war bisherigen Methoden zur Altersbestimmung – etwa anhand des Verschleißes von Flügelschuppen – überlegen, und erlaubte abzuschätzen, wie langlebig die Mücken innerhalb einer Population sind, was wiederum effektivere Sprühaktionen mit DDT ermöglichte.

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Das von der WHO koordinierte weltweite Programm zur Ausrottung der Malaria war ein Bestandteil US-amerikanischer Bestrebungen gewesen, postkoloniale Bevölkerungen von der Überlegenheit des westlichen Systems zu überzeugen und gegen die Versuchung des Kommunismus zu feien. Doch als nach mehreren Jahren und enormen Ausgaben unklar war, ob das ehrgeizige Programm den gewünschten Effekt hatte, wurden, auch unter dem Einfluß der sich mit der Dekolonisierung verändernden Mehrheitsverhältnisse in der WHO, neue Ansätze in der Malariakontrolle in Erwägung gezogen. Manche von diesen waren bereits in der Sowjetunion erfolgreich angewandt worden, z.B. verbesserte Abwasserverwaltung und Hygienemaßnahmen, und die verstärkte Einbindung der Lokalbevölkerung und lokaler Gesundheitsnetzwerke.

Telegramm bzgl. Detinovas Besuch von Institutsdirektor Pringle an den Malariaverantwortlichen der Weltgesundheitsorganisation in Brazzaville, 30. Oktober 1962; Amani Bibliotheksarchiv

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The process of perfecting this technique may prove very time-consuming, especially if the entomologist is working unaided. Under such conditions it may not be possible to deal with more than six dissections per hour, or approximately 30 per day. As a result, several contributors very naturally do not feel that they are yet in a position to commit themselves in the way of providing facts or opinions. WHO: Preliminary Appraisal of the use of Age-Grouping Methods in Anopheline Mosquitoes, WHO/Mal/264, 9.Mai 1960

Tatjana S. Detinova demonstriert ihre Methode im Laboratorium der London School of Hygiene and Tropical Medicine, April 1959; Wellcome Collection

Druck, nachlässig angewandt The whole process of examination of the ovaries to determine the number of ovipositions consists of the following stages: One of the ovaries lying in a drop of physiological saline is immobilised on the slide by means of a needle held in the left hand; a needle held in the right hand is used to pierce the outer ovarian membrane in several places and then to remove it bit by bit. Where the membrane has been removed the ovarioles appear separated one from another […] The internal oviduct and the ovary are then pierced with the lefthand needle to immobilise them. The ovariole being examined is carefully moved aside from the internal oviduct with the right-hand needle […] It is possible to count the dilatations only when the ovariole has been preserved in its entirety and when the site of its connection with the internal oviduct is visible. If the pressure is carelessly applied, the ovarioles are very easily torn and then the total number of dilatations cannot be determined. Tatjana Sergeevna Detinova: WHO Monograph Series 47, part 1, WHO, Genf, 1962, S.74

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Eine subjektive Angelegenheit I soon spotted that the method of examination was a lot less systematic than her published accounts suggested. It was altogether more subjective affair, and when I started to do the dissection myself I found I was as much in the dark as ever. I could sense the beginnings of a difficult political situation. I saw myself being cast in the role of a Western scientist refusing to accept a Soviet discovery. Why else couldn’t I see what was so obvious to her?

Einer der besten Tage Wir haben den Morgen in Tonys und Dorothys [Wilkes’] Haus verbracht, Photoalben durchblättert, Bilder an den Wänden bewundert, Tee getrunken und mit dem Hund gespielt. Als ich Tony nach seiner Arbeit mit Detinova frage, holt er seine Dissertation aus dem Arbeitszimmer und zeigt mir die ganzseitige, mit erklärenden Pfeilen und Beschriftungen versehene, Mikrophotographie einer Mückenovarie. Er zählt mit dem Finger die Ausbuchtungen, anhand derer sich das Alter des Insektes bestimmen läßt, bevor er die Gesten des genauen Sezierens in der Luft demonstriert, um mir zu zeigen, wie schwierig es war, die Ovarien aus dem Abdomen der Mücke herauszuziehen und auf einem Objektträger zu präparieren, um sie zu fotografieren. Er erinnerte sich an seine Aufregung in der Dunkelkammer des Laboratoriums und den Moment, als diese Bilder sichtbar wurden. Wie er zu seinem Betreuer und Freund Mick Gillies gelaufen war, um sie ihm zu zeigen – „Mick, sieh was ich hier habe!” – und sie einander umarmt hatten. „Es war“, sagte er, „einer der besten Tage meines Lebens“. Anns Notizen, 26.Juli 2012

Mick Gilles: Mayfly on a Stream of Time, Whitefield, Messuage, 2000, S.222

Tony Wilkes seziert Mücken mit Studentinnen an der London School of Hygiene and Tropical Medicine, 5.März 2013

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Erinnern Sie sich an Detinova? Dorothy  Oh, she was a lovely lady. She gave a wonderful book of Russian fairy tales to our daughter, Alice, who just loved them – she wanted to hear them every night. And she gave me the most beautiful amber brooch – amber from Russia. I wore it to a friend’s daughter’s wedding, just a few months ago. Let me see if I can find it… [Goes to retrieve the coat] … You see, here it is, isn’t it lovely? Yes, she was a real sweetie. Gespräch zwischen Ann und Dorothy Wilkes, 7.August 2014

Tatjana Detinova und Agnes Gillies auf einer Safari, 1962; Super 8 Standbild, Mick Gillies

kleinbäuerliche Gärten, sie nennt sie „Shambas“, Baobabbäume, die Bergketten des Usambara. Sie hatte immer gerne gezeichnet. Die Freundschaft mit Agnes führte sie zur Malerei.

Bernsteinbrosche, die Tatjana Detinova Dorothy Wilkes 1962 geschenkt hat, 2013

Dorothys Freundin Agnes Gillies an ihrer Staffelei in Amani, späte 1950er Jahre; Super 8 Standbild, Mick Gillies

Freundschaft Tony holt Photos vom Kaminsims: Gillies mit Pfeife; seine Frau Agnes, winkend. „Ein großer Mann und ein großer Freund“. Mick hatte Detinovas Arbeiten übersetzt, und Tony hatte, trotz seiner kräftigen Hände, die Technik gemeistert. Ihre Zusammenarbeit war produktiv, aber es ist ihre Freundschaft, die Tony betont. „Einer seiner liebsten Tricks war es, unsere Namensschilder auf Konferenzen zu vertauschen, so daß Studenten sich mir ehrfürchtig vorstellten, nicht ahnend, daß sie nicht vor Gillies, dem Genie, standen, sondern vor mir, dem Einfallspinsel.“ Dorothy zeigt ihr Album: Picknick mit Gin und Tonic, ein Besuch in Mombasa, ihr Garten in Amani. Ihre Mutter hatte versucht, Dorothy, die schwanger war, von der Reise abzubringen. Dorothy erinnert sich, wie sie dem Bus zum Flughafen nachwinkte: „Ihr blasses kleines Gesicht; sie umklammerte ihre Handtasche.“ Und dann: „Aber wie schön es dann dort war!“. Sie führt uns zu ihren Aquarellbildern von Amani:

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Aus meinem Notizbuch lese ich Zitate über Agnes‘ Malerei: „Ihre Gemälde hatten“, ihrer Tochter zufolge, „ihre eigene Stimme“. Gillies‘ Autobiographie beschreibt „ein karges aber ausdrucksstarkes Bild eines tropischen Hinterhofes, mit einem Wasserhahn und den palmartigen Schatten eines halb sichtbaren Baumes, der über die Außenwand der Küche hängt“, das sogar in der Royal Academy ausgestellt wurde. Dorothy nickt: „Sie hatte Talent. Und es beschäftigte sie. So hatte sie etwas zu tun, wenn die Männer unterwegs waren, Insekten zu sammeln.“ Sie war nicht einfach zu verstehen, gibt Dorothy zu, aber während der langen gemeinsamen Zeit in Amani kamen sie sich näher. Sie waren zusammen, als Agnes starb. Dorothy steuerte, als das Auto auf einer heckengesäumten südenglischen Landstraße mit einem entgegenkommenden Fahrzeug kollidierte. Dorothy verbrachte mehrere Tage im Koma, mit gebrochenen Beinen und Rippen. „Die armen Kinder. Tony wußte nicht wo ich die Weihnachtsgeschenke versteckt hatte, und ich mußte ihnen allen erzählen, wo im Haus sie suchen sollten.“ Anns Notizen, 26.Juli 2012

Dorothy und Tony Wilkes gerahmte Photos ihrer Freunde Mick und Agnes Gillies, 2013

Gemälde, vermutlich Hinterhof ihres Hauses in Amani, von Agnes Gillies, 1950er Jahre; aus Suzie Winters (geb. Gillies‘) Sammlung

Dorothy zeigt uns ihre Ölbilder und Aquarelle von Amani, in ihrem Esszimmer, 2013

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Der frühere Fahrer des Direktors, Ali Mtanga, mit seiner alten Fahrermütze und dem Abzeichen der East African Commission, Markt bei Amani, 2014

The road loomed large in our lives. […] Mick Gilles: Mayfly on the Stream of Time, Whitefield, Messuage, 2000, S.138

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Der Fahrer des Direktors Ali Shabani Mtanga begann seine Laufbahn 1938 als sogenannter „turnboy” – ein junger Mann, der dem Fahrer beim Beladen und unter schwierigen Straßenverhältnissen half. Sein Vater hatte jemanden in der Stationsverwaltung, den er kannte, um eine Anstellung für seinen Sohn gebeten. Mtanga arbeitete schon für Amani, als es noch eine landwirtschaftliche Forschungsstation war. Er fuhr für insgesamt vier Direktoren des Institutes, die ihn, wie einer von ihnen bestätigte, gerne mochten, weil er schnell und sicher fuhr. Er unternahm lange Touren durch die ostafrikanische Region, fuhr auch bei Nacht mit Gruppen von Insektensammlern in die Dörfer und gelegentlich auch am Wochenende mit den Wissenschaftlerfamilien an den Strand. Ali Abas, ein alter Schneider, der im selben Dorf wie Mtanga unterhalb von Amani lebt, erzählt uns, daß die Uniformen der Fahrer die teuersten waren. Er wurde regelmäßig vom Institut beauftragt, die Uniformen für Wissenschaftler, Arbeiter und Fahrer zu machen. Die meisten Uniformen waren khakifarben (in unterschiedlichen Schattierungen), außer den Laborkitteln, die weiß sein mußten (und wohl auch den dunklen Fahreruniformen). Es war, so betonte er, sehr wichtig daß alle ordentlich und ihrer Position entsprechend angezogen waren.

Mtanga bewahrt seine Uniform, wohlgebügelt, in einer Plastiktüte auf. Und nachdem er sie selbst anprobiert und mit Mütze stramm gestanden hat, erlaubt er auch Aloyce die Jacke anzuziehen, was er seinen eigenen Enkeln nicht erlaubt. Dann faltet er sie wieder ordentlich zusammen und legt sie zurück in die Tüte. Die Mütze, sagt er, hängt sonst immer an der Wand neben seiner Tür; das kostbare Abzeichen mit der Inschrift „East African Commission“ bewahrt er gesondert auf, in Papier gewickelt und in einer kleinen Dose, unter dem Bett. Aloyce lächelt, als er die Jacke anzieht. Er sagt, er mag wie die Uniform aussieht, und bittet uns, mehrere Photos zu machen: „um diesen Tag zu erinnern”. Anns Notizen, 8.Februar 2014

Ramadhani Ngovi – Driver Kimurio, 23.4.54 Definitely no increment this year. The above driver was caught by myself carrying passengers (3) on 21/9/54 between Gonja and Kihurio. […] He has previously been fined for this offence. I understand, and only the week previous I had warned the drivers and supervisors myself about it. You may remember he asked for the increment, which was stopped for failing to take care of his vehicle, to be instated when you visited Kileo on 19.8.54. Please inform me what disciplinary action you consider necessary. Hemingway, field officer.

Der Fahrer des Direktors, das Auto des Direktors, und der letzte europäische Direktor, ca. 1970; Jan Lelijveld Photoalbum

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Handgeschriebener Brief an den Direktor; Amani Bibliotheksarchiv, Box 14, African Staff, Drivers

Aloyce probiert die alte Uniform des pensionierten Fahrers an, Markt bei Amani, 2014

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Unregelmäßigkeiten Circular No 31 of 1964: All Departments Office of the East African Common Services Organization, PO Box 30005, NAIROBI 6 August 1964 UNIFORMS

Schneiderzeichnung, die mit einer Bestellung für Fahreruniformen archiviert wurde, 1966; Amani Bibliotheksarchiv

Certain irregularities between Departments in the issue of approved items of uniforms have recently come to light. There have, in fact, been cases in which staff in certain departments have been issued with shoes as uniform without prior sanction from this office. Irregularities such as these can be a cause of strained staff relations when another group of staff, in similar circumstances is refused similar privileges. In order to regularise the matter it has been decided to standardise on the times of uniforms to be issued to all categories of staff. I should therefore be grateful if you would let me have a list of uniforms issued by your Department to each category of Staff and the frequency of such issue. Any special departmental variations should also be indicated. When this list has been consolidated, a circular laying down the standard scale of uniforms for each category of staff will be issued. In the meantime, no additions or alternations to current authorised issues of uniforms should be made without prior authority from this office. SECRETARY GENERAL Typoskript; Amani Bibliotheksarchiv, Box 14, African Staff, Drivers

Das Abzeichen ist sehr hübsch Mtanga  A new hat and two uniforms – a pair of trousers and two white shirts! Ann  Every year? Mtanga  Each year. Ann  And the badge? [pointing at the little tin] Mtanga  When we were given the first hat, we were also given this [badge], and we were told to take very good care of it. That’s why you see it is still new. From here [after showing you], I will pack it well, then keep it in the box. I only rarely take it out, like for instance the way you needed [wanted to see] it. But I normally put on the hat without fixing [the badge] on it, and you will never get to see it, even if you come to my home. Ann  May I see it? Mtanga  Just take it.

Uniformreglement der East African Community, 60er Jahre; Amani Bibliotheksarchiv

Ann  It is very nice. Gespräch zwischen Ali Mtanga und Ann, 9.Februar 2014

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Der Land Rover als willkommene Zuflucht Between [the passengers] and safety ran a narrow track, a hundred years long. At the end of it was the Land Rover with Jonathan the driver nodding gently at the wheel […] As he neared the welcoming refuge of the Land Rover, Tony [Wilkes] looked at the wide open back of the vehicle with the idea of diving headfirst into it before the lion could reach him. But by then, Jonathan had woken up, and, realising that something was amiss, had opened the passenger door in front to receive the stampeding [mosquito] catchers. After waiting some time more they decided to pick up the equipment they had left behind them, so the driver edged the Land Rover carefully down the grassy track to their abandoned catching site. The tubes and stools lay scattered on the ground, and their torches still shone out in to the empty night […] They sat in the Land Rover and waited some more.

Dies ist der Mumiani (Vampir) Frances [looking at a picture]  That’s Ali Mtanga. The one sitting down at the side of the wall is Ali Mtanga. Vyvienne Yeah. Graham  That’s Ali Mtanga at the far corner? Frances  Yeah, that’s right. Graham  This is mumiani ’s [the vampire] day off. Jan  Mumiani ’s day off!! [laughs] Vyvienne  One of them was the driver, wasn’t he? Graham Yeah. Vyvienne  That was the chunky second chap, wasn’t it?

Graham  Once we driving down from Amani to Muheza with Ramadhani Ali, do you remember, he was great fun; that was the driver, he was great fun. A real joker. Vyvienne  Yes. But a bit of an erratic driver. [laughs] Frances  Yes, indeed. And of course the windows were open, and I was in the passenger seat, and we saw a puff adder, and he said, “Oh, we are going to get this one!” He wanted to kill it. So he drove, and just for a moment, as we drove past it, its face was staring at me through the open passenger window! [laughs] Oh, gosh. Gespräch zwischen pensionierten früheren Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen Amanis, Cambridge, Amani Ehemaligentreffen, 4.August 2013

Mick Gilles: Mayfly on the Stream of Time, Whitefield, Messuage, 2000, S.150

Land Rover mit Fahrer und Feldassistenten beim Sammeln von Mücken im Tiefland unterhalb von Amani, 1970er Jahre; Lichtbild, Allister Voller

Geschichten über Vampire The presentation of cars in stories, even stories about vampires, reveals popular ideas about the interaction between culture and technology, between bodies and machines. In many societies, automobiles generate their own folklore, becoming the vehicles of older symbols and associations, while their symbolic value is equal to their material worth. That

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vehicles could be controlled, modified, and transformed may have reflected the imagined powers of their manufactures or the real needs of their owners. Cars can take people away; monitoring and roads are ways of erasing boundaries and reclassifying space…What kind of being lives in a truck with curtained windows, and what kind of beings reproduce in the backseats of parked

cars? Indeed the men who worked closely with machines – drivers, passengers, men who worked with electricity or mechanical shoves – rehearse biological or mechanical reproduction? Luise White: Speaking with Vampires. Rumour and History in Colonial Africa, University of California Press, Berkley, 2000, S.146

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Erbe? We are talking about Amani as heritage, of this magnificent Institute; but how does that relate to the African view of the Institute? Do they have any value on heritage that way? Because – in that sense, why did Philip [Wegesa, Amani’s first African director] start taking down things? How does the idea of heritage for these old institutions register with Africans in general, with ideas about their, their continent, their future, their country? It might be that we have we have quite different views in that sense, er, quite different opinions. Abschließender Kommentar von Dr. Jan Lelijveld, Amanis letztem europäischen Direktor, Cambridge, Amani Ehemaligentreffen, 6.August 2013

Das letzte Foto von Phillip Wegesa, späte 80er Jahre; aus Joyce’ Wegesas Sammlung

Ihr macht Ungeheuer aus uns, Euer Humanismus erklärt uns für universal, und Eure rassistische Praxis partikularisiert uns. Zurückgehaltene Wut dreht sich, wenn sie nicht ausbricht, im Kreise herum und richtet schließlich unter den Unterdrückten selbst Verheerungen an. Jean-Paul Sartre: Vorwort zu Die Verdammten dieser Erde, Suhrkamp, Frankfurt, 1981 (Orig.1961), S.8 & S.16-7

Die Infragestellung der kolonialen Welt durch den Kolonisierten ist keine rationale Konfrontation von Gesichtspunkten. Sie ist keine Abhandlung über das Universale, sondern die wilde Behauptung einer absolut gesetzten Eigenart. Die koloniale Welt ist eine manichäische Welt. Franz Fanon: Die Verdammten dieser Erde, Suhrkamp, Frankfurt, 1981 (Orig.1961), S.34

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Tabula rasa Lichtung Mitten in Amani ist eine Lichtung, ein offener Platz, ein rechteckiger Rasen gerahmt von Hecken, auf den eine moosbewachsene Betontreppe führt. Früher war hier ein Gebäude, und die Leerstelle ist nicht einfach das Ergebnis von Vernachlässigung und Verfall, sondern eine tabula rasa, das Ergebnis menschlichen Handelns, eine bewußte Auslöschung. Hier stand ursprünglich ein großes Laboratorium, erbaut für die deutsche landwirtschaftliche Forschungsanstalt zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Einige sagen, es sei das älteste Gebäude der Station gewesen. Es wurde 1973 abgerissen, auf Anweisung von Philip Wegesa, der zwei Jahre zuvor, zehn Jahre nachdem Tanganjika seine Unabhängigkeit erlangt hatte, zum ersten afrikanischen Direktor der Forschungsstation aufgestiegen war. Wegesa hatte seine ersten Arbeitserfahrungen in diesem Gebäude gemacht, und von älteren Kollegen und Laborchef Mick Gillies entomologische Methoden erlernt. Als er, nach kurzem Studium in England, vom Techniker zum wissenschaftlichen „Offizier“ befördert wurde, wies ihm der damalige (letzte) europäische Direktor dieses Laboratorium für seine Arbeit zu.

für neue soziale Beziehungen, und um ungewohnte Räume und Positionen einzunehmen, die sowohl für die afrikanischen, als auch für die europäischen Bewohner Amanis das lustvolle Überschreiten bisheriger sozialer Grenzen erlaubte. Eine Zeit aber auch von andauernder Unterdrückung – in der unveränderten manichäischen Terminologie der Kolonisatoren, in der sich stetig entfaltenden Gewalt kolonialer Mimesis, und nicht zuletzt in der unveränderten Kontrolle der Forschungsmittel.

Die Lichtung in Amani, wo Philipp Wegesa das alte deutsche Laboratorium um 1972 abreißen ließ, 2013

Dieser holländische Direktor, der schließlich seine Position an Wegesa weitergab, hatte zur selben Zeit wie dieser in London studiert und war als Nicht-Brite eine akzeptable Übergangslösung für die Institutsleitung gewesen – sowohl für die frühere Kolonialmacht, als auch für die unabhängig gewordenen früheren Kolonisierten. Der letzte europäische Wissenschaftler der Station, John Raybould, hatte Amani zwei Jahre vor dem Abriß des Gebäudes verlassen. Dies war die Zeit der „Afrikanisierung”: eine Zeit geographischer Umorientierung und erhoffter Ab- und Aufbrüche zu neuen gesellschaftlichen Formen. Eine Zeit Die Stufen, die von der Bibliothek zum abgerissenen Laboratorium hinaufführen, 2013

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Afrikanisierung In the years preceding independence, “Africanisation” took its leisurely course. It made little difference to our sequestered life in Amani. Mick Gillies: Mayfly on the Stream of Time, Whitefield, Messuage, 2000, S.255

Typoskript „Report of the Africanization of the Public Services of the East African Common Service Organization”, gezeichnet J.O.Udoji, Esq., 1963; Amani, Bibliotheksarchiv

Mick Gillies‘ Labormitarbeiter auf der Treppe des alten deutschen Laboratoriums. Hinter Gillies (mit Pfeife), die Assistenten Phillip Wegesa (links) and Tony Wilkes und Stephen Fedha (rechts), um 1960; John Rayboulds Photoalbum

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Amanis Angestellte, möglicherweise beim Abschied für Jerry Pringle, den letzten britischen Direktor (der eine Holzfigur, vielleicht ein Abschiedsgeschenk, hält); in der vordersten Reihe rechts von der Direktorengattin sitzt Phillip Wegesa, zur linken John Raybould, frühe 1960er Jahre; John Rayboulds Photoalbum

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Der erste „afrikanische“ Direktor Philip Wegesa wurde während des Zweiten Weltkriegs in Kenia geboren. Er kam im letzten Jahrzehnt der kolonialen Besetzung nach Amani, als das Institut noch Teil eines regionalen Netzwerkes medizinischer Forschungsinstitute war, in dem Angestellte aus allen ostafrikanischen Ländern miteinander arbeiteten. Er nahm als Labortechniker teil an Studien zur Flußblindheit und der Ökologie von deren Überträgerfliege, sogenannten Kriebelmücken der Gattung Simulium. Er arbeitete unter der Leitung von Dr. John Raybould, dem letzten britischen Wissenschaftler, der fest in Amani wohnte. Im Zuge der „Afrikanisierung” zur Zeit der politischen Unabhängigkeit Tanganjikas, reisten Wegesa und ein kenianische Laborkollege nach London, um zwei schwer an Flußblindheit erkrankte Patienten zur Behandlung dorthin zu begleiten, und um sich an der berühmten London School of Hygiene and Tropical Medicine fortzubilden. Während sein Kollege dort seine Dissertation machte, kehrte Wegesa nach seinem Diplom nach Amani zurück, wo er befördert wurde und seine entomologische Laborarbeit mit Raybould fortsetzte sowie einige epidemiologische Untersuchungen zur Flußblindheit in den Tälern um Amani herum unternahm.

großen, großen Haus!“. Wegesas europäischen Kollegen zufolge hatte auch der neue Direktor sich nie wohlgefühlt in dem alten, dunklen Gebäude. Einige schrieben dieses Unbehagen der weitverbreiteten Furcht vor den Geistern der Deutschen Besatzer zu, während andere meinten, daß es wohl eher eine Frage des persönlichen Stils gewesen sei – habe doch Wegesa sofort nach dem Einzug das schwere wilhelminische Mobiliar verkauft und mit modernen Sperrholzmöbeln ersetzt.

Eine von Wegesas ersten eigenen Publikationen über die Fütterung von Malaria übertragenden Mücken im Labor von Mick Gillies, 1964; Amani, Bibliotheksarchiv

1973, ein Jahrzehnt nach der formellen Dekolonisierung und nach einer Interimsperiode, während derer der Holländer Jan Lelijveld die Übergabe der Station an afrikanische Wissenschaftler vorbereitete, wurde Wegesa zum ersten afrikanischen Direktor des Institutes ernannt. Zusammen mit seiner Ehefrau – einem jungen Mädchen aus einem Nachbardorf, die zuvor als Laborassistentin gearbeitet hatte – zog er in die sogenannte „Boma“, das die Station überragende, 1904 von deutschen Architekten errichtete, herrschaftliche Haus des Direktors. Noch ein halbes Jahrhundert später erinnerte sich seine Witwe an diese Erfahrung: „Stellen Sie sich vor, ein kleines Mädchen aus dem Dorf in diesem Das Ehepaar Wegesa kurz nach dem Einzug ins Direktorenhaus, und im Laboratorium, frühe 1970er Jahre; Frances Bushrods Photoalbum

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Wir können ja nicht erwarten… [When he was made a scientist], X got a bit too arrogant with it, and then Y went to the other extreme, and didn’t really bother to do anything. As scientist he picked some losing questions, like: “Can you make insecticide out of orange peel?” [….] And – it’s a very well-known thing in the literature that there are toxins and essential oils in orange peel and in most plants that can be useful pharmacologically or insecticidally – but he couldn’t handle it. His intellectual ceiling was about capable of squeezing orange juice. And after writing a few, er, “reports” about whether the larvae died and so on […] Well, we can’t expect every one of them to be a winner! Kommentar eines europäischen Wissenschaftlers zur Afrikanisierung Amanis, Cambridge, Amani Ehemaligentreffen, 6.August 2013

Schautafel zur Flußblindheitsforschung, angelegt 1966 für den Stand des Institutes bei der Nairobi Show (auf der wissenschaftliche und staatliche Institutionen ihre Arbeit zeigten); auf den eingesetzten Photographien demonstriert Wegesa das Sammeln von diagnostischen Hautproben; die Tafel stand 50 Jahre später noch immer in Rayboulds und Wegesas Laboratorium, 2013

Schaupräparate Ich bin mit John Raybould noch einmal in sein altes Laboratorium gegangen. Morgenlicht fällt durch erblindete Fensterscheiben auf die Glasbehälter mit den Schaupräparaten, aus denen die verblichenen Süßwasserkrabben hervorleuchten. In den Schränken und unter den Laborbänken stehen gestapelt die Holzkästen mit den schön angeordneten Insekten, die John und seine Assistenten gemeinsam gesammelt und 1976 hier zurückgelas-

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sen haben, als Phillip Wegesa das Laboratorium übernahm, oder in ihm zurückblieb, und mit der Flußblindheitsforschung fortfuhr. In verglasten Rahmen stehen große Schautafeln, die ich gestern nicht bemerkt hatte; Vorgänger heutiger Konferenzposter, 1966 für eine Ausstellung moderner afrikanischer Institutionen angefertigt. Sie zeigen die miteinander verschlungenen Lebenszyklen des Blutparasiten

Onchocerca volvulus, seines Überträgers, der Kriebelmücke, und der Krabben, unter deren Panzer sich die Letzteren entwickeln. Auf den eingeklebten Schwarzweißfotografien demonstriert ein namenloser Assistent – es ist Philipp Wegesa – an einem der namenlosen afrikanischen Patienten die Entnahme einer Hautbiopsie für die Flußblindheits-Diagnose. Wenzels Notizen, 17.September 2013

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Mutable mobile

Der pensionierte Institutsverwalter betrachtet die Pläne des ungebauten neuen Amani, 2013

Zum Abriß bestimmt Es regnet zu sehr, um spazieren zu gehen. Wir durchforsten stattdessen mit dem alten Institutsverwalter Otona die Institutsbibliothek. In einem bis zum Rand mit Landkarten gefüllten Schrank – unter anderem zahlreiche Pläne zur hygienischen Umgestaltung afrikanischer Städte – finden wir einen Stapel Architekturzeichnungen: „Proposed Laboratory for EA Institute of Malaria and Vector Borne Diseases at Amani”, 1975 von einem Architekten in Daressalam erstellt. Auf- und Grundrisse eines mehrstöckigen modernistischen Laborgebäudes und von Wohnhäusern für unterschiedliche Dienstränge; Betonkonstruktionen mit Flachdach und modernen Küchen und Badezimmern, „international style“. Die Pläne verzeichnen mit gestrichelten Linien die existierenden britischen Bungalows und vermerken: „to be demolished”. Der leere Rasen oberhalb der Bibliothek, wo früher Gillies‘ Labor lag, und der tiefe Aushub dahinter waren der geplante Bauplatz für das neue Laborgebäude. Die Pläne wurden nie realisiert, erklärt Otona während er durch die Zeichnungen blättert, weil dann plötzlich das Ende der „East African Community” kam und dem Institut das Geld ausging. Warum man wohl die Eingangstreppe des alten Labors hatte stehen lassen? Wenzels Notizen, 18.September 2015

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Die unverwirklichten Pläne für ein modernes Forschungsinstitut gingen 1977 mit Philipp Wegesa zurück nach Kenia. Fünf Jahre nach dem Abriß des alten Laborgebäudes brach die East African Community, zu der Amani gehörte, aufgrund politischer Gegensätze auseinander, und die kenianischen Staatsbürger mußten plötzlich Amani verlassen. Als eine Art Exilant kehrte Wegesa so – zunächst in einem Hotel beherbergt – kurz nach dem Tod des ersten Präsidenten Kenyatta nach Kenia zurück; zu einer Zeit wiedererwachter nationaler Begeisterung, die paradoxerweise marktwirtschaftliche Reformen in Gesundheits-und Bildungswesen einleitete. Gemeinsam mit anderen jungen Wissenschaftlern ersuchte Wegesa den neuen Präsidenten um

Zeichnungen des geplanten neuen Laborgebäudes in Amani, 1975; Amani, Bibliotheksarchiv

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ein zeitgemäßes medizinisches Forschungsinstitut, was diesen veranlaßte, mit dem Research and Technology Act das Kenya Medical Research Institute (KEMRI) ins Leben zu rufen, eines von mehreren nationalen Forschungsinstituten, die zukünftig wissenschaftliche Forschung außerhalb von staatlichen Ministerien und Universitäten verankerten. Wegesa erhielt den Auftrag, ein nationales Malariainstitut in Kisumu, unweit seiner Heimatgegend, aufzubauen. Mit wenigen Angestellten und Gerät, einquartiert in einer Holzbaracke des früheren Krankenhauses für Afrikaner, erwog Wegesa verschiedene mögliche Standorte für sein Institut. Er lehnte einen Bauplatz in der Stadt, neben dem neuen, von der Sowjetunion gebauten Provinzkrankenhaus, ab, wählte stattdessen ein Stück Buschland 10 km außerhalb der Stadt und beauftragte einen jungen, ehrgeizigen kenianischen Architekten – später bekannt als das erste „gänzlich afrikanische“ Architekturbüro in Kenia – mit der Planung einer autonomen tropenmedizinischen Forschungsstation nach dem Vorbild Amanis. Die geplante in sich abgeschlossene kleine Wissenschaftsstadt sollte den Erfordernissen neuester Wissenschaft ebenso Rechnung tragen, wie den sozialen Bedürfnissen moderner Wissenschaftlerfamilien: Wohnungen – Wissenschaftlerbungalows, komfortable Etagenwohnungen für technische Angestellte und ein Gästehaus für internationale Besucher – Schulen für unterschiedliche Altersgruppen und Sport- und Freizeiteinrichtungen, die Alltagsleben und Arbeit ähnlich wie in Amani, doch wesentlich größer angelegt, innerhalb einer Enklave der Wissensproduktion zusammenfaßten. Ein dauerhaftes Zuhause für Wissenschaft und Fortschritt, entfernt genug von der Unruhe städtischen Lebens – ein geordneter und ordnender Raum. Wie Amanis von Regenwald umgebene englische Rasenlandschaft, so war dieser postkoloniale

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Ort der Wissenschaft scharf abgegrenzt von der Unregelmäßigkeit des umgebenden Buschlands und vom Leben der ländlichen Bevölkerung – den zukünftigen Versuchsteilnehmern und Empfängern wissenschaftlich verbesserter Gesundheitsversorgung. Doch wieder blieb das Land, wiewohl eingezäunt und gerodet, lange unbebaut. Nach Wegesas frühzeitiger Pensionierung wurden einige Gebäude errichtet, doch erst nach seinem Tod, als eine Gruppe jüngerer kenianische Wissenschaftler eine Zusammenarbeit mit den US Centres for Disease Control (CDC) eingingen, kamen die Bauarbeiten endlich in Gang. Zur Jahrtausendwende stand hier eines von Ostafrikas größten Laboratorien mit weltweit führender Forschung zu Malaria und HIV/Aids. Statt jedoch Wegesas ursprünglichen Plan zu realisieren, begrenzte sich diese „Feldstation“ – im Sinne eines Außenpostens der amerikanischen CDC – auf Labors und Verwaltungsgebäude überwiegend für US-finanzierte Projekte. Diese neue, viel kleinere Enklave wurde mit einer hohen Mauer umfriedet, welche geplante und verwirklichte Wohnhäuser und erhoffte städtische Infrastruktur außen vor ließ.

Entwurf für das KEMRI Malaria Forschungsinstitut in Kisumu, Waweru Architects Nairobi, 1986; KEMRI GHRC Archiv

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Zu Hause Bevor die Bauarbeiten für sein neues Institut begannen, wurde Wegesa krank. Kollegen zufolge, hatte der sonst so liebenswürdige Mann sie plötzlich angegriffen, war barfuß zur Arbeit gekommen und hatte Laborgerät zerschlagen. Als schizophren diagnostiziert wurde er im berüchtigten psychiatrischen Krankenhaus von Mathare in Nairobi behandelt. Nach seiner Entlassung blieb er noch einige Jahre formell Institutsleiter, während offizielle Korrespondenz und Berichte von einem „stellvertretenden“ Direktor unterzeichnet wurden. Seine Frau, die ihre Familie in Amani zurückgelassen hatte, wurde nun seine einzige Laborantin in einer neu eingerichteten kleinen „Feldstation“, die das Institut ihm in einem gemieteten Zimmer in einem Krankenhaus nahe seines ländlichen Zuhauses zur Verfügung stellte. Mit seiner Familie zog Wegesa in ein geräumiges Haus das er auf dem Land gebaut hatte. Dessen Architektur ähnelte Amanis kolonialen Wissenschaftlerbungalows, die Wegesa seinerzeit hatte abreißen lassen, einschließlich der Kamine, die wegen des viel wärmeren Klimas in der Gegend allerdings nicht benutzt wurden. Wie seine Frau sich später erinnerte, setzte er hier bis zuletzt seine Forschungen fort. Des Nachts diktierte er ihr Forschungsnotizen und Versuchsprotokolle: „Er hatte große Pläne, aber keiner hörte ihm zu.“ Sein Sohn, damals in der Grundschule, erzählte, wie er an der Hand seines Vaters durch die Gegend gewandert war, mit ihm Planzen gesammelt und seinen Geschichten und Plänen zugehört hatte. Aber auch daran, wie er seinen Vater gelegentlich erinnern mußte, sich vor dem Verlassen des Hauses die Schuhe anzuziehen. Er berichtete auch von der Freundlichkeit seines Vaters, und dem angenehmen Geruch des kleinen Laboratoriums, wo er ihm half, medizinische Pflanzen zu zerkleinern und Wirkstoffe aus ihnen zu extrahieren.

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Am Ende zog Wegesa sich in sein privates Labor zurück, ein kleines Lehmgebäude am Rande des Gartens. Er führte nun den Titel „Dr.“ und züchtete angeblich weiterhin Mücken für unbekannte Zwecke, untersuchte aber vor allem Heilpflanzen, deren Namen nur er kannte. Auf einem großen hölzernen Schild an der Einfahrt des Gehöftes stand: „MASCRAFT”: „Manyasi [Kiswahili für traditionelle Medizin] African Science Research Foundation”. Die ausdrucksvolle Abkürzung war verziert mit dem Fackelsymbol von Tansanias afrikanischen Sozialisten, das lange Zeit zuvor durch Wegesas Amani getragen worden war – woran noch heute ein Denkmal in der afrikanischen Angestelltensiedlung Amanis erinnert. Wenig später, und nachdem er seine Frau offiziell geheiratet hatte, verstarb Wegesa. 20 Jahre nach­ dem er der erste afrikanische Direktor eines der wichtigsten medizinischen Forschungsinstitute des Kontinents geworden war, und zehn Jahre nachdem er Kenias neues Malariainstitut entworfen hatte. Die Lehmwände und Holzkon­struk­ tion des letzten Labors verwandelten sich nach seinem Tod, wie solche Gebäude es zu tun pflegen, in einen Termitenhügel. Die Familie nahm das Schild ab, welches bis 2014 unbeschädigt unter einem Stapel Feuerholz im Hühnerstall gelagert hatte.

Das Schild des „MASCRAFT” Forschungsinstitutes im Haus der Familie Wegesa, Webuye, Kenya, 2014

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Auf der Suche nach dem Labor Joyce Wegesa und ihr Sohn zeigen die Reste von Philip Wegesas letzten Laboratorium in ihrem Garten in Webuye, Kenya, 31.Januar 2014; Video Standphotos

Mrs Wegesa  Das Schild war irgendwo hier

Ich erinnere mich die Tür war hier

Hier stand ein Baum …

… und an den hatte er das Schild gehängt.

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Ja, das ist der Baumstumpf, irgendwo dort bei der Straße.

Es war genau hier.

Dieser Mann, ich weiß nicht, er hatte etwas.

Nur, daß… keiner es unterstützte. Selbst ich konnte ihn nicht unterstützen.

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John Raybould liest in seinen eigenen Veröffentlichungen aus den 60ern und erklärt seine Methoden, Amanis Fremdenhaus, 2013

Reenactment’s emancipatory gesture is to allow participants to select their own past in reaction to a conflicted present. Paradoxically, it is the very ahistoricity of reenactment that is the precondition for its engagement with historical subject matter. Vanessa Agnew: What is reenactment?, Criticism 46(3), 2004, S.328

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Die Rückkehr des Kidevu: historische Nachstellung entomologischer Feldforschung Menschliche Köder

Die Lichtung nahe Amani, wo Anfang der 60er Kriebelmücken gesammelt wurden. Zwei Assistenten sitzen auf einer Bank und sammeln die Fliegen von ihren Beinen, während zwei andere Assistenten Windgeschwindigkeit und Lichtintensität messen, um 1964

Die Anzahl der Kriebelmücken (S.woodi und S.adersi), die zwischen Dezember 1963 und Dezember 1964 während wöchentlicher 12-Stunden Perioden gefangen wurden

Methods: A 12-hour biting-catch was carried out each week from the beginning of December 1963 to the end of December 1964 […]. All biting catches were carried out in a carefully selected clearing close to Amani (Fig 1), chosen because of the relatively large number of S. woodi females that came to feed. Collections were made by two assistants seated on a bench, in an unshaded area near the centre of the clearing. The collectors always wore shorts. Adult simuliids were caught while biting in 5 x 1 cm glass tubes with plastic caps. The time of biting of each fly was recorded. The collecting periods of the various assistants were alternated in such a way as to minimise the possible effect of one collector being more attractive than another to the flies. […] Throughout each collectingperiod, records were taken at ten-minute intervals of temperature, humidity, light intensity, cloud coverage, wind velocity and rainfall. […] The effects of these meteorological conditions on biting behaviour have not yet been fully analysed, and this aspect of the problem will be reported in a separate paper. In addition to the main study, certain other related phenomena were also investigated. Observations on the engorgement time and the size of the blood meal were made on a small number of S.woodi. The engorgement time was recorded to the nearest minute, while the size of the blood meal was roughly estimated as being small, medium or large according to the degree of abdominal extension. John Raybould: A study of anthropophilic female Simuliidae (Diptera) at Amani, Tanzania: the feeding behaviour of Simulium woodi and the transmission of onchocerciasis. Annals of Tropical Medicine and Parasitology 61 (1), 1967, S.76-7

Die Feldassistenten Ramadhani Kupe und John Mganga bei der Demonstration des Fliegenfangens auf der selben Lichtung, 2013

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Spiel mit dem Anachronismus

Danksagung Methods: Biting catches using human bait-subjects were carried out at Amani during studies on Simulium. Chrysops bicolor Cordier formed a significant component of the biting-catches, and records were made for this insect also. […] To obtain further information on host choice and biting sites, biting catches were carried out in which two men and two cows acted as bait subjects. Each of the two collectors sat on the ground next to one of the cows, and recorded the precise biting side of every C. bicolor biting either himself or the cow. This was done by

sticking a pin, in the appropriate position into a drawing of a man or cow. […] Acknowledgements: I wish to express my thanks to Dr G Pringle, late director of the East African Institute of Malaria and Vector-Borne Diseases, for his advice and encouragement; to Mr ASK Yagunga, and Mr J Mganga for their conscientious assistance throughout the course of the investigation; and to Mr K Madeni, Mr S Fedha and Mr RA Kupe and other members of the institute’s staff for their invaluable help.

John Raybould: Studies on Chrysops bicolor Cordier (Diptera, Tabanidae) at Amani, with particular reference to feeding behaviour. Annals of Tropical Medicine and Parasitology 61 (2), 1967, S.167-68, 173

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Das Nachspielen (re-enactment) verwandelt die historische Erzählung in ein gegenwärtiges Ereignis. Wider Erwarten gab uns das Nachstellen von Raybould Feldforschungen keinen sinnlichen Zugang zum Vergangenen, und nicht eigentlich Einsicht in die Alltagswirklichkeit der wissenschaftlichen Arbeit in den 60er Jahren. Stattdessen wurden wir angeregt zu ethischer Reflexion und Sinnfragen, in denen sich Echos der naturwissenschaftlichen Vergangenheit und Zweifel an der ethnologischen Gegenwart mischten. Das Nachspielen öffnet so die Vergangenheit, nicht nur für unterschiedliche Lesearten, sondern auch für alternative Handlungsverläufe und Ergebnisse. Auch führt uns das Spiel nicht nur zum Lesen der verbliebenen Spuren, sondern zeigt – vielleicht noch wichtiger – Lücken und Verluste auf. Dem anthropologischen Verständnis der teilnehmenden Beobachtung gemäß, sind die Ethnologen hier keineswegs Zeugen der Vergangenheit, sondern nehmen aktiv an der Herstellung der gegenwärtigen Vergangenheit teil. Die Intensität des Nachspielens ist also nicht von der Übereinstimmung mit Vergangenem abhängig, sondern gerade vom Anachronismus, von den Spannungen, die es erzeugt zwischen Unmittelbarkeit und Entfremdung, Authentizität und Künstlichkeit, Repräsentation und Sehnsucht. Unsere seltsamen Aufführungen vergangener Wissenschaft vermitteln nicht einfach Zugang zu non-verbalen oder affektiven Dimensionen experimenteller Arbeit, sondern legen Verbindungslinien und Bruchstellen zwischen längst vergangener Praxis und gegenwärtigen Realitäten offen. Das Nachspielen kolonialer Wissenschaft als Ereignis in der Gegenwart vermeidet so eindeutige, zu einfache Schlüsse über die Versprechungen und Irrtümer des modernen wissenschaftlichen Fortschritts in Afrika. Stattdessen lädt es ein zu offnerem Fragen darüber, was tatsächlich auf dem Spiel stand in der Tropenmedizin um die Mitte des 20. Jahrhunderts. Anns Notizen, 14.November 2013

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In der Praxis ist es unmöglich 100 Prozent sicher zu sein Wenzel  What is this object there, this tube? John  Oh this…well that’s just a pooter. Wenzel  A what? John Pooter. Wenzel  What do you use it for? John  I think its named after a man called P-o-o-t-e-r… When you catch insects in the net for example, you can shake it so they go to the top of the net. And then [Demonstrates] you poke the glass tube up there and then suck through it, and the insects going here. I mean, providing they are a suitable size – you can’t get a butterfly through here [Laughter] […], but [black flies] Wenzel  So you would use this device also for catching flies from your body or somebody else’s? John  Well you could use it for catching like that. But more to catch something like Stomoxis, the flies that bites and breeds in cow manure. For human biting catches not normally, because with man-biting insects, […] theoretically, you must catch them before actually sucking blood. But in practice its impossible to be 100 percent right about that, you know… I mean with some you only notice when they have already bitten. [In the background, Steven goes and fetches a screw-lid test tube. John points at it.] Yes, this one is exactly the right one for human biting catches. […]. Steven, can you show them how you… [Stephen demonstrates catching flies directly from his leg into a test-tube.] […] With practice … people get very [adapt] doing that, and closing it and not losing any, and recording exactly what time that fly came to bite. […] With the biting population, you want to know exactly when they bite, and you put a number on each tube. And when they are dissected later, for O. volvulus parasites, you will determine

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John Raybould und Stephen Fedha demonstrieren im Labor Werkzeuge zum Fangen von Mücken, Amanis Zentrallabor, 2013

whether they’ve […] had their first blood meal with parasites. Then we count the effective number of parasites, and […] whether they moved into the proboscis and are ready to move out when the fly bites. Ann  Did Stephen work just on black flies with you now or you did he do also…? John [Kiswahili] Steven, you’ve done this job [human biting catches] for other people?

John [Kiswahili] Also the past, or before you worked with me? Steven  Yes, mosquitoes with doctor Gillies. John  He worked with Gillies on mosquitoes, […] so he has worked for different individuals. Gespräch zwischen John Raybould, Stephen Fedha, Ann und Wenzel in Amanis Zentrallabor, 19.September 2013

Steven [Kiswahili] For other people? Recently?

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John Raybould sortiert die Kriebelmückenpräparate, die er in den frühen 60ern um Amani gesammelt und in Amani zurückgelassen hat, Amanis Fremdenhaus, 2015

Wiederkehr John Raybould kehrte zweimal, 2013 und 2015, mit uns nach Amani zurück. Beim ersten Mal als unser Zeitzeuge und Darsteller vergangener Wissenschaft, beim zweiten Mal auch als Forscher auf seiner eigenen letzten Expedition. Beide Male spielten wir gemeinsam die alten entomologischen Prozeduren durch, mit ihren ursprünglichen Teilnehmern und an den ursprünglichen Orten: sammelten blutsaugende Insekten von unseren Beinen, standen in Bächen und fingen Krabben, untersuchten die Fliegenlarven an diesen und präparierten nachfolgend die Materialien im Labor. Bei der ersten gemeinsamen Reise benutzten wir historische Nachstellung als ethnografisches Experiment: wir baten Raybould und seine früheren Feldassistenten, die wissenschaftlichen Methoden, die in Rayboulds Artikeln beschrieben waren, vor Ort genau nachzustellen. Die gleichen Personen, die gleichen Orte und Werkzeuge, welche in der Abstellkammer des Labors lagerten, 50 Jahre später. Dieses Nachspielen vergangener wissenschaftlicher Praxis zielte weniger darauf ab, zusätzliche, unausgesprochene, körperliche oder emotionale Dimensionen der vergangenen Praxis zu entdecken – wie es manchmal Historiker versuchen – sondern darauf, die politischen und ethischen Widersprüche in unserer eigenen Beziehung zur Vergangenheit sichtbar zu machen sowie die Erfahrung von Verfall und Verlust, die unsere älteren Mitspieler zwischen Vergangenheit und Gegenwart erlitten hatten.

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Darüber hinaus schufen die Nachstellungen unerwartete Momente und Konstellationen jenseits des wissenschaftlichen Drehbuchs und anthropologischer Vermutungen. So zum Beispiel als John, als er sich unbeobachtet glaubte, versuchte die Krabben, die wir während unseres Nachspielens gefangen hatten, alleine zurück zu ihrem unzugänglichen Fangplatz zu bringen und auszusetzen. Ihm war dabei um zweierlei zu tun: die Krabben sollten genau dorthin zurück, von wo wir sie genommen hatten, damit unsere Nachstellung nicht das ökologische Gleichgewicht durcheinander brächte; und die Assistenten sollten ihn nicht dabei beobachteten, um zu vermeiden, daß sie der eigentlich unwissenschaftlichen Natur unserer Nachstellung gewahr werden und so ihre mühsam erlangte Verpflichtung zu wissenschaftlicher Gründlichkeit verlieren würden. Die Beziehung zwischen Text und Handlung, Effekt und Beobachtung war in diesen ersten Nachstellungen weniger vorhersehbar als in einem einfachen Nachspielen überlieferter Anweisungen. Bei unserem zweiten gemeinsamen Besuch in Amani, zwei Jahre später, wurden die Grenzen zwischen Vergangenheit und Gegenwart noch weiter herausgefordert: John unternahm seine eigene letzte Kriebelmücken-Expedition, was auf der einen Seite eine Rückkehr der Vergangenheit und Anlass zur Erinnerung war, zugleich aber auch ein vorwärtsgerichtetes wissenschaftliches Anliegen verfolgte. John war

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John Raybould und Stephen Fedha sammeln noch einmal gemeinsam Kriebelmücken an ihrem alten Fangplatz bei Amani, 2015

nämlich beim allerletzten Treffen der „British Simulium Group“ – einer nach diesem Treffen wegen schwindender Mitgliederzahlen aufgelösten Gruppe älterer britischer KriebelmückenExperten – von einem Kollegen gebeten worden, noch ein letztes Mal für ihn die für Amani typischen Arten der Fliege zu sammeln. Unser anthropologisches Projekt brachte John die unerwartete Gelegenheit dies zu tun. Im Gegensatz zu den früheren historischen Nachstellungen hatte diese Feldarbeit also einen tatsächlichen Zweck und geschah im Auftrag einer Organisation – allerdings einer solchen, die ihrerseits bereits der Vergangenheit angehörte. Ganz abgesehen davon, daß so ein privates Sammeln zoologischer Präparate als Freundschaftsdienst heutigen forschungsethischen Regeln und postkolonialem Bewußtsein widerspricht, komplizierte dieses Wiederaufleben tatsächlicher wissenschaftlicher Arbeit unsere Idee des Nachspielens. Was war es eigentlich, das wir beobachteten – oder woran wir teilnahmen – als die fünf alten Männer nochmals zusammen auf ihrer Lichtung saßen und für ein paar Stunden Fliegen von ihren Beinen fingen und noch einmal, wahrscheinlich zum letzten Mal, das taten, was sie viel früher schon gemeinsam getan hatten? (John nahm übrigens, wie schon in den sechziger Jahren, aktiv an dieser besonderen, unangenehmen Sammelmethode teil). Eine biografische Zugabe oder Coda, eine Rückkehr oder ein Abschluss? Es war jedenfalls

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keine bloße Demonstration mehr, und doch war es voller Rückverweise auf die Vergangenheit und beschwor zugleich zukünftige Vergangenheit: die Erinnerung an das letzte Mal, den letzten Besuch, die letzte Feldforschung. Die Gegenwart einer höchst erfolgreichen jungen Fotografin machte diese Situation noch komplexer: obwohl diese eigentlich garnicht an wissenschaftlicher Methodik interessiert war, ließ ihre Gegenwart die alten Herren immer wieder von eigentlicher Arbeit in Demonstrationsmodus wechseln, abwechselnd konzentriert auf die Qualität ihrer Präparate und auf die Übereinstimmung ihrer heutigen Handlungen mit einer älteren Realität, die sie der Photographin zu vermitteln suchten. Sie sammelten die Fliegen im Übrigen, wie sie selbst einräumten, für wissenschaftliche Zwecke – moderne Genetik – die jenseits ihrer eigenen biologischen Kenntnisse waren. Nach dem erfolgreichen Abschluss dieser „Wider-Feldforschung“ und vor unserer Abreise fand John dann auch noch ein kleines Gläschen „seiner“ in Alkohol konservierten Fliegen, die er Anfang der 60er Jahre gesammelt hatte, und untersuchte diese vergessenen Präparate sorgsam, nicht jedoch als Erinnerungsstücke, sondern im Hinblick auf die Möglichkeit, daß auch historisch-biologische Material für seine jungen Genetikerfreunde vielleicht noch von Interesse sein würde.

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Blick in einen verlassenen Wissenschaftlerbungalow, in dem die Gillies in den 50ern lebten, 2014

What if time (re)turns? What does it drag along with it? Rebecca Schneider: Performing Remains: Art and War in Times of Theatrical Reenactment, Routledge, London, 2011, S.4

Agnes Gillies und Kinder beim Bad in einem Wasserfall des Sigi, späte 50er Jahre; Super 8 Standphoto, Mick Gillies

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Wiederholung des Vergangenen: Zeitlichkeit als ethnographische Praxis Während wir eifrig fünfzig Jahre alte wissenschaftliche Experimente nachspielten, wurde unsere Feldforschung insgesamt von der Gegenwart der Vergangenheit heimgesucht. Erfahrungen der Wiederkehr, der Rückkehr – auch der Heimkehr – wurden uns bewußter. Unser Spiel erweckte Spuren zum Leben. Und das ethnographische Nachspüren, unsere Bewegungen zwischen den Überresten, machte uns selbst zu Mitspielern. Wir nahmen kollektive und individuelle Rollen an, von denen manche uns von den materiellen Bedingungen und politischökonomischen Beziehungen aufgezwungen wurden, während wir uns andere spielerisch aneigneten oder im Stillen genossen. Wir nahmen unsere Mahlzeiten im Speisesaal des jahrhundertalten, damals sogenannten „Fremdenhauses“ ein, wo uns englisches Frühstück, zubereitet auf einem in Sheffield gegossenen längst zerbrochenen Gußeisenherd, serviert wurde. Mit der Selbstverständlichkeit von Eigentümern wurde uns erlaubt, die verlassenen Laboratorien zu öffnen, und sie gemeinsam mit alten Laboranten nach Gerät zu durchsuchen, das sie in ihrer Jugend zurückgelassen hatten. Wir erklärten Aloyce, der die Labors nie in Funktion erlebt hat, den Zweck nutzlos gewordener Präparate. Wir richteten uns ein in der Stille der Bibliothek, deren Zeitschriftenreihen irgendwann in den frühen 70ern enden, suchten dort mit einem der alten Assistenten nach Artikeln, in deren Danksagungen sein Name auftaucht. Wir breiteten auf dem glatten Zement des Fußbodens das Archiv aus, lasen einander vor aus handschriftlichen Bewerbungsschreiben aus den 50er Jahren vor sowie aus weit gereisten Fernleihe-Belegen, die mitten im „Kalten Krieg“ Artikel aus sowjetischen Bibliotheken nach Amani begleitet hatten, und aus den Listen der

Milchrationen, die noch in den 70er Jahre an die Angestelltenfamilien geliefert wurden. Wir verhandelten mit alten Männern, die einmal festangestellte Feldassistenten gewesen waren – nachdem sie uns als erstes gefragt hatten, was für neue „Forschung“ wir gebracht hätten – über ihren Tagelohn bei unseren historischen Nachstellungen. Und als unseren eigenen Feldassistenten rekrutierten wir einen jungen Mann aus dem Dorf, Aloyce, dessen Vater und Vatersvater schon in der Forschungsstation gearbeitet hatten. Dieser erzählte uns seine „Erinnerungen“ an Zeiten lang vor seiner Geburt; und als wir seinen alzheimerkranken Vater besuchten, war es Aloyce, der die Geschichten des Vaters aus Bruchstücken rekonstruierte. Mit ihm wunderten wir uns über Überreste, denen wir auf unseren Spaziergängen begegneten; etwa das überwucherte Betonbecken neben der Direktorenvilla, das vielleicht einmal ein Schwimmbecken war, oder ein Fischteich, oder ein experimenteller Mückentümpel – oder etwas ganz anderes. Wir bewunderten zusammen mit einem 80-jährigen, bärtigen weißen Mann, der mit uns aus England gekommen war, und der mein Vater hätte sein können, die Insekten, Vögel und Epiphyten des Regenwaldes. Gelegentlich teilte ich,

Ann und Wenzel beim Bad in einem Wasserfall des Sigi, 2014; Polaroid von Mariele Neudecker

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John Raybould wird herzlich begrüßt von einer Gruppe älterer Männer, die ihn auf der Straße bei Amani erkannt haben, 2013

Wenzel wird von einem älteren Herrn an der Straße als Kidevu, der Bärtige begrüßt, 2014

John Raybould erklärt Wenzel die Funktion unterschiedlicher Krabbenfallen, Bristol, 2012

über seine ins Dickicht gebeugte Schulter hinweg, ein nachsichtiges Lächeln über seine begeisterten Naturbeobachtungen mit den ebenfalls alten Assistenten, die vielleicht schon in ihrer Jugend über ihren eigenwilligen Chef gelacht hatten. Und nach mühsamer Jagd auf Larven tief in felsigen Bächen, band ich ihm seine Schnürsenkel (was ich nie für meinen Vater getan habe). Mit Ann schwamm ich im Wasserfall, in dem der alte Mann, damals halb so alt wie ich heute, schon gebadet hatte. Beim Verlassen des felsigen Beckens glaubten ältere Dörfler ich sei er, „der Bärtige“, einigten sich aber schließlich darauf, daß ich, ein jüngerer weißer Bartträger, wohl sein Sohn sei. Ein anderes Mal zitierte Ann Gillies‘ Autobiografie in den Überresten eines verlassenen europäischer Bungalows; eine riesige Gußeisenbadewanne, „Armitage Shanks“, stand im Garten zwischen überwucherten Reihen von Geranien und Alpenveilchen; durch erblindete Fenster machten wir einen verzierten, spinnwebverhangenen Schminktisch aus; schauten hinab von der Veranda, über das hügelige Weideland mit schwarz-weißen Kühen und alten Bäumen, die auf die Entfernung Eichen hätten sein können – Constable, Wivenhoe Park. Solches Sein am Ort dient nicht vor allem der

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Rekonstruktion der Vergangenheit nach Art traditioneller Archäologie; noch läßt es einfach, wie von historische Nachstellungen angestrebt, Gesten und Gefühle der Vergangenheit „wiederaufleben“. Stattdessen macht es Zeitlichkeit in gegenwärtigem Ereignis erfahrbar. Es projiziert Sehnsüchte auf die historische Kulisse, kehrt auch mal die Zeit um, zeichnet Bilder des Vergangenen auf die Oberfläche des Gegenwärtigen, überlagert widersprüchliche Erinnerungen an verlorene Hoffnungen und verwundene Enttäuschungen. Dem Nachgeborenen gibt es Zugang, nicht zur historischen Realität des Kolonialismus, sondern zu dessen abgelagerten Detrius; weckt postkolonialen Phantomschmerz. Indem wir Rollen spielen, träumen, Träume erinnern, uns die Träume der Anderen vorzustellen versuchen, brechen wir durch die Oberfläche des Gegenwärtigen. Wir öffnen unsere Sinne für das Erscheinen der Zeit und suchen uns selbst in dieser. Der Anachronismus unserer Erfahrung – der Anachronismus historischer Einfühlung – führt nicht zu einem übersichtlichen Verstehen der modernen, kolonialen und postkolonialen, wissenschaftlichen Vergangenheit, die zu studieren wir gekommen sind. Stattdessen erlaubt es uns, die Schönheit und die Gewalt dieser auf Synchronisierung und eindimensionalen Fortschritt ausgerichteten Ordnung des 20. Jahrhunderts zu erkennen und ihre Überreste, vermischt mit alltäglicheren und komplexeren Formen der Zeitlichkeit, zu erforschen.

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Ann Kelly liest, auf der Veranda des Gästehauses, in Briefen aus den 70er Jahren, 2014

Auf der stillen Bühne von Amani bedeuten auch kleinste Handlungen Rückbezug, Rückkehr zur und Wiederkehr der Vergangenheit. Sind nicht diese Bewegungen zwischen den Zeiten, in den Begegnungen mit Menschen und Dingen, der eigentliche Kern unseres Forschungsprojektes (und Teil aller ethnographischen Feldforschung)? Vergangenes findet sich in den alltäglichen Freuden des einander Besuchens und der Gespräche, den Begegnungen unterschiedlicher historischer Erfahrungen und Generationen, wie auch im Umgang mit den materiellen Ablagerungen des Vergangenen, die uns umgeben. Jede Berührung, jede Wendung und Geste, trägt ein Echo in sich, eine oft diffuse Resonanz zwischen den Zeiten. Schon vor unserer ersten Reise nach Amani besuchten wir gelegentlich alte britische Wissenschaftler in ihren großelterlich-englischen Häusern, meist auf dem Lande, schliefen in den Kinderzimmern ihrer erwachsenen Kinder, hörten ihnen geduldig zu, bei Tassen milchigen „Builder’s Tea“ in der Küche oder abendlichen Drinks im Arbeitszimmer, teilten – mit gebührender Ambivalenz – auch unzeitgemäße Gesichtspunkte und post-imperiale Nostalgie, übernahmen manchmal ganz anachronistische Ausdrücke und Sprechweisen. Nach einiger Zeit konnten wir Bezüge zu Orten und Ereignissen herstellen, die keinerlei Bedeutung in unserem Leben gehabt hatten und sogar – wie mit unseren eigenen Großeltern – Geschichten wiedererzäh-

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Ann Kelly untersucht die Reste von Agnes Gillies, Garten auf dem Lion Hill, 2013

len oder vervollständigen, die unsere Gastgeber ganz oder teilweise vergessen hatten. Wir verließen unsere Gastgeber wie Verwandte mit Versprechen baldiger Rückkehr, unvermittelt eingebunden in vergangene Leben, deren Erinnerung wir wachgerüttelt hatten. Mit anderen Worten, auch Forschungsarbeit, die eigentlich auf historische Berichte nach Art der „oral history“ abzielte, spielte mit komplexeren Zeitlichkeiten, weckte vergangene Gefühle in denen, die also mehr waren als historische „Informanten“, und in uns selbst. Wie jede ethnographische Feldforschung ließ selbst die kurzzeitige Teilnahme am Leben der alten Wissenschaftler uns fremde Rollen und Beziehungen probieren. Vielleicht deutlicher als in traditioneller ethnographischen Forschung verwob dieses „teilnehmende“ Rollenspiel auch

Giselle, die Tochter der Borchards, die auf einmal im verlassenen Direktorenhaus erschienen, und seitdem dort wohnen, 2015

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vor dem Regen bergen und dem Geräusch der Tropfen lauschen, die sich in der Eisenbadewanne sammeln, die irgendwann zwischen den Zeiten als Viehtrog in den Garten gestellt worden ist; wenn wir nach einem Tag nachgespielter Fliegenslarvensammlung in den Felsteich unter dem Wasserfall springen; wenn wir über den Duft von Kaffee und Archivschimmel durch die Bruchstücke eines historischen Briefes in die Korrespondenz zweier Verstorbener eintreten; oder durch eine pünktlich bezahlte Milchrechnung eine Ahnung von verlorener Regelmäßigkeit und Wohlbefinden verspüren.

Hiza Nkusi, ehemaliger Hausangestellter der Gillies, demonstriert in den Resten des Hauses, wie er einst beim Abendessen serviert hat, 2015; Video Standphotos

unterschiedliche Zeitlichkeiten miteinander: Vergangenheit, Gegenwart, vergangene Hoffnungen und gegenwärtige Enttäuschung. Englische Wohnzimmer waren so nicht bloß Hintergrund von Zeitzeugenberichten, sondern, wie die Hügel Amanis, Landschaften voller Spuren, in denen wir uns für einige Zeit bewegten und durch unsere Bewegungen unvorhersehbare Muster zwischen Vergangenheit und Gegenwart schufen. Was für das Spielen mit Zeitlichkeit zwischen Menschen und Generationen gilt, läßt sich auf den Umgang mit Dingen ausdehnen. Landschaften und Gebäude, Räume und Gegenstände sind immer auch aus einer anderen Zeit, bleiben was sie einmal gewesen sind ohne es je wieder zu sein. Sie tragen Spuren, die auf unsere Berührung ansprechen. Etwa wenn wir uns auf der Veranda eines verlassenen deutsch-kolonialen Bungalows

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Zeitlichkeit entsteht in wechselnden Konstellationen von Handlungen, Berührungen oder Begegnungen; manche von ihnen scheinen einen klaren Sinn zu haben; die meisten aber bleiben flüchtig, inkohärent, widersprüchlich. Geteilte Vorstellungen von Zeitlichkeit – zum Beispiel das Versprechen der Modernisierung und des Fortschritts – können affektive Bindungen und Kollektive herstellen und momentane Gleichzeitigkeit schaffen; aber Zeitlichkeiten können, besonders in der manichäischen Ordnung des Kolonialismus, auch unvereinbar bleiben, Widersprüche und Konflikte bestätigen, Gegenstand von Auseinandersetzungen oder von peinlichen Mißverständnissen sein. Wenn Zeitlichkeit so (wieder-)hergestellt wird in Bewegungen und Begegnungen, die Spuren berühren und neue Spuren hinterlassen, gibt es dann ein Ende des „Wieder-“ oder ist jede Handlung nicht immer (auch) Wieder-holung? Und wenn jeder von uns seinen Ort in der Zeit handelnd sucht, befinden wir uns dann jemals in einer gemeinsamen Zeit, außer in einem bloßen physikalischen Sinn? Mit anderen Worten, ist man je gleichzeitig („coeval“) in der ethnographischen Begegnung, wie es Johannes Fabian uns wünschte – außer in den flüchtigen Augenblicken, in denen man sich darauf einigt, in der gleichen zeitlichen Tonart zu spielen?

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Ernsthaftes Arbeiten Als wir Rayboulds veröffentlichte Methodenbeschreibungen aus den 60er Jahren nachspielten, ging es uns um das Echo und die überraschenden Effekte der möglichst genau rekon­ stru­ierten vergangenen Arbeit. Die Handlung war dabei bloße Demonstration, was trotz Rayboulds Umsicht auch den Assistenten klar war. Wie aber ließe sich wirkliche Arbeit, jenseits der Nachstellung, rekonstruieren? Eintrag in die Personalakte von Kassimu Kivumbi, „Laboratory Attendant – Subordinate Scale“, frühe 60er Amani Bibliotheksarchiv, Box 5, Union 1960–65

Die Arbeit von afrikanischen Laboranten und Feldassistenten um 1960 sollte vor allem gewissenhaft, präzisen Anweisungen folgend, ausgeführt werden. Sie war oft in kleinste Teilhandlungen zerlegt, die der jeweilige Assistent genau auszuführen angehalten war. „Ernsthaftigkeit“ in der Arbeitshaltung war ausschlaggebend. Der Ernst gründlicher Arbeit zu bewahren war auch Rayboulds Anliegen gewesen, als er heimlich die gefangenen Krabben wieder auszusetzen versuchte, damit die Feldassistenten nicht bemerkten, daß ihre Arbeit kein wirklich wissenschaftliches Anliegen verfolgte. Er unterstrich dies auch durch sein Bestehen darauf, die Krabben an den Sammelort zurückzubringen, anstatt sie in irgendeinen Bach zu werfen, um nicht das ökologische Gleichgewicht zu stören. Könnte man diesen Ernst jenseits der historischen Nachstellung wiederbeleben? Und was würde es mit sich bringen, wenn dies gelänge? Wenzels Notizen, 23.März 2015

Esther Kika und John Mganga bei der Arbeit am Inventar ihres Laboratoriums, 2015; Video Standphotos

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Rekonstruktion und Wiederbelebung

Was die wiederkehrende Zeit mit sich bringt

Eine Grundlage der erfolgreichen wissenschaftlichen Arbeit in Amani war die effektive Ausführung vorgeschriebener Handlungen durch Feldassistenten und Laboranten: präzise wiederholt, über lange Zeiträume, in einem be­ stimmten Rhythmus, auf Vollständigkeit und genaue Wiedergabe der Wirklichkeit zielend. Die Befähigung zu solcher Gründlichkeit – festgesetzte Regeln befolgend, Fehler vermeidend, verfügbare Zeit nutzend – wurde als Kardinaltugend gepflegt, und war eine Quelle persönlicher Befriedigung und professionellen Stolzes für viele Angestellte.

Es regnet wieder den ganzen Tag. Als ich im zentralen Laboratorium, Rayboulds altem Labor, ankomme, sind alle da: John Mganga und Stephen Fedha, die beiden Alten, die mit Raybould in den 60ern gearbeitet hatten, Esther Kika und Martin Shakulwe, die, schon fast pensioniert, heute das Laboratorium betreuen, und die stattliche Mrs Mathilda, seit 1987 Sekretärin des Direktors. Mathilda putzt bereits ihre alte Schreibmaschine mit Öl und Wattebausch; die anderen suchen ihre Laborkittel und machen sich fertig für die heutige Arbeit: das Inventar des Laboratoriums.

Dies zeigte sich in der Unzufriedenheit von Mr Mganga beim Nachspielen des Fliegensammelns, als er, mangels des Originalformulars, ein ungeeignetes Notizbuch aus den 80ern benutzen musste. Es kam auch zum Ausdruck in der Antwort von Mathilda Lazaro, der letzten Sekretärin des Instituts, als ich sie fragte, wie es sei in einem Büro ohne Arbeit zu sitzen: „Es tut weh! Wir wurden ausgebildet um hart zu arbeiten. Wir schrieben vertrauliche Berichte und Briefe bis nach Mitternacht. Ich war die Schnellste – ich mag Schreibmaschine schreiben.“ Und während sie entschieden mit zehn Fingern in der Luft tippte, fügte sie hinzu: „Aber ich komme jeden Morgen um 8:30 Uhr ins Büro – mein Tagesprogramm – so daß die Arbeit weitergeht.“ Wie könnte man das nachspielen – nicht die längst vergangenen Arbeitsaufgaben, sondern das Eigentliche an dieser Arbeit, den Ernst, und die Gefühle und Beziehungen, die solcher Ernst her vorbringt? Wenzels Notizen, 23.März 2015

Ich erkläre noch einmal die Aufgaben: jeden einzelnen Gegenstand im Raum zu untersuchen, aufzuschreiben und zu photographieren, eine Wand nach der anderen, von links oben nach unten rechts. Die Liste wird von den Laborassistenten von Hand geschrieben, und anschließend von der Sekretärin getippt. Wir arbeiten von 8.30 bis 1 Uhr; und dann von 2 Uhr bis zum Feierabend um 5 Uhr. Das Ziel ist, alle Gegenstände im Raum zu erfassen. Diese Arbeit ist schwieriger, als ich gedacht hatte. Was ist eigentlich ein Gegenstand? Ist ein Schrank voller halb zerfallener Akten aus den 60ern einer oder unendlich viele? Manche Akten sind von Fledermausurin verklebt und können nur mühsam wieder getrennt werden nach unterschiedlichen Jahrgängen, Projekten, Krankheiten oder Wissenschaftlern. Dürfen zusammengehörige oder ähnlich Objekte als eine Gruppe aufgelistet werden – Glaszylinder, gebrauchte Reagenzgläser, meteorologische Tagesbeobachtungen – oder müssen sie einzeln beschrieben werden – 1,5 l Glaszylinder, 200 ml Glaszylinder mit Deckel? Was ist mit Objekten die zerbrochen oder zerlegt sind, und deren Bestandteile in unterschiedlichen Ecken gefunden werden oder die bei Berührung zerfallen: Ein halb von Ratten zerfres-

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senes Buch, zerkrümelnde Gummischläuche, Glasscherben? Und was, wenn Objekte keinen Namen mehr haben, wenn keiner sich mehr an ihre Funktion erinnert? Oder wenn ein Gegenstand eine lange Geschichte wach ruft: „Glaskugel, etwa 12 cm Durchmesser, mit Messingsgewinde, benutzt, um Tageslicht zu bündeln zwecks genauer Untersuchung der morphologischen Schuppenmuster auf Mückenflügeln“? Und was ist mit Gegenständen, die gar nicht hierhergehören, und die vielleicht die Gefühle der Arbeitenden verletzen, Erinnerungen an erlittene Verluste wecken? Etwa drei eingetrocknete Ratten in einer Schublade, auf einem teilweise zerfressen Notizbuch für Niederschlagsmessungen, dessen Einband mit giftiger Antischimmel und Insektizid Tinktur bestrichen war, auf die sich die Gegenwart der Ratten möglicherweise zurückführen läßt. Unsere Inventararbeit zerlegt langsam das sedimentierte Ganze des zentralen Laboratoriums in die Bruchstücke, buchstäblich, die von ihm geblieben sind. Auch das Auflisten dieser Gegenstände ist nicht einfach. Die meisten Begriffe sind nur mündlich benutzt worden. Mathilda tippt erbarmungslos genau die Wörter, die sie von den Assistenten bekommt. Ich fühle mich mehrfach genötigt, die Arbeitsschritte noch einmal durchzugehen und die Gesamtaufgabe – die Erstellung des Inventars – in genauere Einzelschritte zu zerlegen, die die Arbeit strukturieren und überschaubarer machen ohne sie aber insgesamt sinnhafter zu machen: jeden Gegenstand vom Regal nehmen, auf einer einfarbigen Unterlage photographieren, beschreiben (wenn notwendig einen Kollegen fragen), zurück auf das Regal stellen. Einmal nach einer solchen wiederholten Anweisung, entschließen Mganga und Kika sich mit einer Wand von vorne anzufangen. Mir ist das peinlich, wobei jetzt plötzlich aufzuhören genauso peinlich wäre. Als derjenige, der diese

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historische Nachstellung inszeniert hat, bin ich eben Teilnehmer, nicht bloßer Beobachter. Die Rückkehr der Zeit entzieht sich meiner Kontrolle. Zauberlehrling. Irgendwann später läßt einer der alten Herren mich wissen, daß er jetzt mal raus muß. Ein Anderer meldet sich kurz vor Mittag ab um etwas trinken zu gehen. (Hier spätestens hätte ich abbrechen sollen.)

großen Raum und fast wieder bei der Eingangstür angekommen und helfen einander, um zeitig heim zu kommen, den letzten Glasschrank gemeinsam

fertig zu machen. Morgen früh wird Mathilda den Rest der Inventarlisten fertig tippen. Wenzels Notizen, 23.März 2015

Stephen Fedha weiß am meisten über die Laborgegenstände, und er will, daß wir möglichst viel von den Dingen verstehen. So demonstriert er das „skin-snippping“ für die Flussblindheitsdiagnose, die wiederum Philip Wegesa auf den alten schwarz-weiß Photos an der Wand am Schenkel eines namenlosen Probanden demonstriert. Auch weiß Fedha die Namen manch eines seltsamen Apparates, und die Anderen kommen zu ihm, um sich ein Wort buchstabieren oder eine Funktion erklären zu lassen. Gleichzeitig macht Mganga hinter seinem Rücken Witze über sein Expertentum und wirft gelegentlich kleine Gegenstände quer durch den Raum nach Fedha, der diesen Humor nicht zu erwidern scheint. Beide wirken jünger als sonst. Und älter. Mganga und Fedha stoßen auf Schulhefte, in die sie vor 50 Jahren mit spitzem Bleistift reihenweise Mikroskopzählungen irgendwelcher Parasiten geschrieben haben – welche weiß keiner mehr, da die Hefte nicht weiter beschriftet sind. Manche anderen Objekte wecken auch jetzt noch Bewunderung, etwa die einst kostbare mikroskopische Kamera von „Leitz“, oder die schöne Kristallkugel zur Untersuchung von Mückenmorphologie.

Schreibmaschinenschriftliche Inventarliste des zentralen Laboratoriums, erste Seite, Amani, 2015

Der stetige Regen scheint die Stromstärke zu beeinflussen, und die Neonröhren flackern unstetig. Wasser tropft von der Decke und sammelt sich in kleinen Pfützen auf den schwarz-weißen Kacheln des Laborfußbodens. In der Mittagspause gehen wir alle getrennter Wege – ich esse heute alleine im Fremdenhaus – um nach einer Stunde die Arbeit wiederaufzunehmen. Gegen fünf sind wir einmal herum um den

Mathilda Lazaro beim Abtippen der handgeschriebenen Inventarlisten, 2015

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16 der 3561 photographierten und inventarisierten Objekte des zentralen Laboratoriums, 2015

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Grabaktivitäten, Derema, 2014

Zomba  You see, they went in there. Mbonde Eeh. Zomba  They have destroyed the concrete right here, to find out if there is any money. Mbonde Ah. Zomba  They have destroyed it right here. Mbonde Yes. Zomba  You see? Gespräch zwischen Bonde, Renés Assistenten, und Herrn Zomba in der Teepflanzung von Derema nahe Amani, 24.Juli 2014

Deutsche Schätze, die René von einem Schatzsucher angeboten bekam, Amani, 2013

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Schatzsucher

Photographie einer Kegelbahn in Amani, ehemaliger Bahnhof, Sigi, 2012; aus der Ausstellung des Naturschutzgebietes Amani

Ehemaliger Bahnhof, Sigi, 2012

Deutsche Überreste Ich warte immer noch auf die Forschungsgenehmigung, daher ist mir nur etwas Auskundschaften erlaubt. Um ein besseres Verständnis der Gegend zu bekommen, habe ich Aloyce gebeten, mir und Mbonde, meinem Assistenten, Hinterlassenschaften der deutschen Ära zu zeigen. Insbesondere solche aus der deutschen Zeit. Welche Bedeutung haben solche Spuren deutscher Präsenz vor Ort? Aloyce Gesicht leuchtete auf. Er scheint sehr interessiert zu sein an der Geschichte des Amani-Instituts, der lokalen ethnischen Gruppen und des Ost-Usambara-Gebirges im Allgemeinen. Zusammen mit Mbonde stiegen wir auf Motorräder und fuhren die

Holzschnitzereien, Ehemaliger Bahnhof, Sigi, 2012

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7 Kilometer lange kurvenreiche Straße nach Sigi hinunter und besuchten den kürzlich restaurierten ehemaligen deutschen Bahnhof in der Nähe des Eingangstors zum Naturschutzgebiet Amani. Aloyce erklärte, daß das Gebäude heute als Besucherzentrum für das Naturschutzgebiet Amani dient. Die Tür war verschlossen. Aloyce lieh sich einen Schlüssel von einem Mitarbeiter. Wir betraten das Gebäude und ich nahm einen abgestandenen und moschusartigen Geruch wahr. Spinnweben an den Decken, ausgetrocknete Insekten auf den polierten Holzböden; einige verstaubte, schief hängende Exponate. Mehrere Überreste der deutschen Zeit: deutlich restaurierte Holzarbeiten und eine (schlechte) Reproduktion eines Photos von weißen Männern an einer Kegelbahn. Draußen zeigte uns Aloyce auf einem Pfad in Richtung des schnell fließenden Sigi-Flusses bröckelnde Überreste des Dammes und des Wasservorratsbehälters, die einst für die Versorgung der Dampfloks verwendet wurden. Ich fragte Aloyce, ob solche Standorte, die mit deutschen Aktivitäten in Verbindung stehen, für die Menschen vor Ort heute noch etwas bedeuten. Aloyce bejahte dies und erzählte mir, daß einige Leute Wertgegenstände direkt dort oder in unmittelbarer Nähe solcher „deutscher Standorte“ ausgegraben hätten. Er hatte in letzter Zeit nichts von Grabungen dieser Art in der Nähe des

Damms gehört, versprach aber, uns aber zu anderen Orten mit gegenwärtigen Grabungsaktivitäten zu führen. Auf dem Rückweg, bergan, fuhr Aloyce direkt zu einer Stelle entlang der Straße, die den nördlichen Rand des AmaniHügels flankiert, um uns dort ein Loch zu zeigen, das in den rötlichen Boden gegraben war. Es war ungefähr 2 Meter tief. Unbekannte hatten es einige Monate zuvor gegraben. Aloyce erklärte, daß seit mehreren Jahrzehnten im östlichen Usambara-Gebirge nach „deutschen Schätzen“ gesucht wird. Auf dem Amani-Hügel wurde solche „Schatzsuche“ jedoch erst möglich, nachdem 2005 die meisten Wissenschaftler und Mitarbeiter weggezogen waren, obwohl Aufseher das Gebiet noch immer bewachen und eventuelle Eindringlinge verjagen. Diese Grabung befand sich unter einem ehemaligen Geräteschuppen der Station. Mich interessierte, ob Aloyce wisse, wieso die Schatzgräber genau diese Stelle gewählt hatten. Aloyce erzählte, daß er mal gehört habe, daß Schatzgräber nach bestimmten Zeichen suchten, die darauf hindeuten, daß an einem bestimmten Ort Schätze vergraben seien. Ansammlungen von Fingerpalmen etwa sind eines dieser Zeichen nach denen die Schatzgräber suchten, da es sich bei diesen nicht um eine einheimische Art handelte, sondern um einen von den Deutschen importierten Baum. Aloyce wußte nicht zu sagen, ob die Gräber tatsächlich Schätze in diesem Loch entdeckt hatten. Er kennt aber Schatzgräber und wird arrangieren, daß wir mit ihnen sprechen können. Renés Notizen, 12.November 2012

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Grabstein eines deutschen Arztes, Magoda, 2013

Gräber Heute werden wir den Grabstein eines deutschen Arztes aufsuchen, der etwa 4 km von Derema entfernt liegt, an einem Ort wo es, so sagt man, in der deutschen Zeit eine Klinik oder ein Krankenhaus gegeben habe. Aloyce und Mbonde hatten den Standort vor einigen Wochen besucht. Ich war sehr wißbegierig, auch weil ich im Archiv nichts über ein solches Krankenhaus gelesen hatte. Schöne Fahrt mit dem Motorrad vorbei an Resten der Wassermühle in Derema, durch Teeplantagen und Waldränder. Mbonde konnte sich nicht mehr genau an den Standort erinnern, aber nach mehrmaliger Nachfrage wiesen uns die Einheimischen uns in die richtige Richtung. Von der Hauptstraße fuhren wir 1–2 km auf einem schmalen Pfad entlang der Hügel, auf denen Tee gepflanzt wird. Mbonde parkte das Motorrad, und wir stiegen ungefähr 50 Meter hinauf auf eine freie Stelle zwischen Teesträuchern, wo ein beschädigter Grabstein aus dem rötlichen Boden ragte. Ein polierter Grabstein mit Inschrift, der aussah wie Granit. Verschiedene Worte waren erkennbar; waren sie auf Deutsch geschrieben? Der Grabstein war größtenteils mit Erde beschmiert und kaum zu entziffern. Wir wuschen ihn mit unserem mitgebrachten Trinkwasser, und füllten dann die Buchstaben mit

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Blühende Pflanze, die deutsche Schätze anzeigt, Magoda, 2014

Grabung im deutschen Herrenhaus, Derema, 2013

Schlamm, um den Text auf diese Weise sichtbar zu machen. Ein Arzt (Dr. med.) namens Felix. Der Familienname war auf dem Grabstein allerdings nicht mehr vorhanden.

Kinder Fußball auf dem Feld vor dem Haus. Wir parkten unser Motorrad und grüßten die Kinder, die weiterspielten als Mbonde und ich um das Haus herumliefen, um eventuelle Veränderungen zu entdecken, so wie wir es in den letzten zwei Jahren getan hatten, wenn wir in der Gegend waren, denn dieses Haus ist bekannt dafür, Schatzgräber anzulocken. Wir entdeckten ein neues Loch: Der Betonfußboden zum Keller war aufgebrochen. Das Loch war ziemlich eng, ein schlanker Erwachsener jedoch oder ein Kind hätte hindurch passen können.

Vom Grabstein aus laufen wir ungefähr 200 Meter in Richtung Waldrand auf einem Hügelkamm. Vor mir heckenartig gewachsene unterschiedliche Büsche auf der rechten Seite, von denen einige gelblich-orangefarbene Blüten tragen, die ich bisher noch nicht gesehen hatte. Hinter diesen Büschen, erklärte Mbonde, soll sich zu deutscher Zeit ein Krankenhaus befunden haben. Wir gingen am Rand entlang - dichte Büsche, unebenes Gelände, fast undurchdringlich ohne eine Machete (die wir nicht mitgenommen hatten). Viele Löcher und andere Grabungsspuren. Aloyce hatte uns erzählt, daß die Einheimischen hier schon seit Jahrzehnten graben. Schwierig zu photographieren wegen zu dichter Vegetation und ungünstiger Lichtverhältnisse. Der Ort strahlt eine besondere Atmosphäre aus, auch weil die besonderen Blüten nur in diesem Bereich wachsen. Es blieb noch genügend Zeit vor Sonnenuntergang, um sich in der deutschen Villa in Derema-1 umzuschauen, den Zustand des Gebäudes zu inspizieren und zu sehen, ob neue Löcher gegraben wurden. Wie üblich spielten einige

Wir gingen um das Haus herum zu dem Raum, in dem der Boden schon vor einigen Jahren durchbrochen worden war. Bei unserem letzten Besuch konnte man durch dieses Loch in den Keller schauen, aber dieses Mal war dieser größtenteils mit Erde gefüllt. Das ist eindeutig ein Zeichen dafür, daß weiter im Keller gegraben wurde. Vorläufig hatten wir jedoch noch kein Glück, mit den Schatzgräbern in Kontakt zu kommen. Wir fragten beiläufig einige Kinder nach den neuesten Grabungen – sie hatten jedoch keine Ahnung. Renés Notizen, 30.September 2014

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vermeiden, daß diese Schutzgeister verärgert werden, müssen Schatzgräber vor und während des Grabens verunreinigender Aktivitäten wie Geschlechtsverkehr oder Alkoholkonsum entsagen. Außerdem bezahlen sie während verschiedener Phasen der Suche einen traditionellen Heiler, um herauszufinden, wo die Schätze vergraben sind und welche Behandlung (oft eine Kombination von Medikamenten und Beschwörungen) die Geister besänftigen könnte. Nur wenn alle Schritte korrekt ausgeführt wurden, können Schätze erfolgreich aus dem Grabungsloch geborgen werden. Neues Loch in der Kellerwand einer Villa, Derema, 2013

Löcher und Geister Nachdem die Wissenschaftler im Jahr 2005 Amani verlassen hatten und in neu gebaute, moderne Laboratorien in Tanga und Korogwe umgezogen waren, freuten sich verschiedene Gruppen von Schatzgräbern, nun endlich die Gelegenheit zu bekommen, ungestört nach Schätzen zu graben. Zwar blieben ein paar Aufseher in Amani, aber da die meisten Angestellten umgezogen waren, war es ruhig genug geworden, so daß die Schatzgräber ihre geheimen nächtlichen Tätigkeiten aufnehmen konnten. Die Schatzsuche in den Ost-Usambara-Bergen ist eine ausschließlich männliche Aktivität, an der in der Regel Teams von drei bis sechs Männern beteiligt sind. Deren Ziel es ist, „Schätze“ und andere Wertsachen aus der deutschen Kolonialzeit zu finden und zu verkaufen. Mitglieder eines Gräberteams geloben, sowohl die Lasten als auch die Früchte ihrer Arbeit zu teilen, was auch eine wichtige rituelle Form hat, da vergrabene Schätze sowohl von starken Swahili Geistern als auch von deutschen Geistern beschützt werden, mit denen man umzugehen wissen muß. Andernfalls werden vergrabene Kostbarkeiten unsichtbar oder verschwinden unwiderruflich. Um zu

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Am einfachsten meint man, Gebiete mit Schätzen aus der deutschen Ära identifizieren zu können, wenn auf einer Karte angegeben ist, wo Gegenstände vergraben sind. Schatzgräber haben gehört, daß es solche Karten gibt – die Deutschen haben in der Tat vor über einem Jahrhundert zahlreiche Landkarten des Gebietes angelegt – haben jedoch eine solche Karte noch nie gesehen. In Ermangelung von Karten durchsuchen Schatzgräber daher die Umgebung nach möglichen Anzeichen, oft – wenn auch nicht immer – in der Nähe von materiellen Überresten ehemaliger deutscher Siedlungen wie (zerstörten) Häusern, Straßen, Dämmen oder Brunnen. Sie suchen auch nach subtileren Zeichen, zum Beispiel nach exotischen Blumen oder Pflanzen wie Fächerpalmen. In einer mondlosen Nacht vor zwei oder drei Jahren versammelte sich eine Gruppe von Schatzgräbern auf der Straße, die sich entlang des Amani-Hügels schlängelt. Nachdem sie überprüft hatten, daß keine Wachen da waren, leiteten sie die ersten entscheidenden Schritte ein, um herauszufinden wo die vermuteten Schätze versteckt sein könnten. Um die Geister gnädig zu stimmen, hatten die Gräber einen zuverlässigen traditionellen Heiler um Hilfe gebeten, dessen beträchtliches Honorar sie gemeinsam bestritten. Der Heiler bereitete eine spezielle dawa (Medizin)

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vor, die er begleitet von kräftigen Sprüchen auf die Spaten und Macheten der Schatzgräber schmierte. Die dawa diente zwei Zwecken: sie ermöglichte es den so behandelten Werkzeugen, die Schätze der deutschen Ära zu „entdecken“, besänftigt zugleich aber auch die Geister, die diese Wertsachen beschützen. Unmittelbar nach seiner Behandlung verschwand der Heiler. Dann begannen Mitglieder des Teams, am Hügel zu graben, etwas unterhalb der am weitesten links stehenden Gruppe von Fächerpalmen. Nach mehreren Stunden vergeblichen Grabens gingen sie nach Hause und kehrten am nächsten Tag zurück. Wieder brachten ihre Bemühungen nichts, und als das Loch etwa drei Meter tief war, hörten sie auf zu graben. Die Schatzgräber waren sich einig, daß der Heiler bei der Beschreibung des vermutlichen Ortes etwas ungenau gewesen sein mußte, und begannen, etwa zwei Meter weiter rechts an einer Stelle zu graben, die ebenfalls mit Fächerpalmen bedeckt war. Mehrere Nächte hintereinander kehrten sie an den neuen Ort zurück. Das so gegrabene Loch war viel breiter und tiefer als das erste. Wiederum entdeckten sie jedoch nichts als Erde, Wurzeln und Insekten. Die Männer gaben nicht auf. Einige Schatzgräber graben schon seit 30 Jahren, ohne etwas zu finden. Doch manchmal haben sie Glück und entdecken etwas wertvolles – deutsche Kolonialmünzen, „Hellers“, oder auch „Rupien“, die als wertvoller und begehrter gelten. Einige Gräberteams sollen Gold und Diamanten gefunden haben, aber auch Motorräder und Traktoren, die noch funktionierten. Diese Erfolge inspirieren die Teammitglieder weiter zu graben. Dazu bei trug aber auch ein seltsame Begegnung, die sie dazu brachte ihre Pläne zu ändern. Auf dem Weg zum nächtlichen Graben nach Amani Hill begegneten die Schatzgräber einem Freund, der ihnen folgende Geschichte erzählte: er habe zwei junge Wazungu (Weiße), einen

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Mann und eine Frau, getroffen, die tief in der Nacht unterwegs gewesen waren. Der Mann hatte den Freund gebeten, ihnen die beiden Löcher zu zeigen an denen die Schatzgräber zuvor gearbeitet hatten. Er untersuchte jedes Loch kurz mit einer Taschenlampe. Dann zog er eine uralt aussehende Karte aus seiner Manteltasche und ging in Richtung Mifinesini (einem Ort in der Nähe). Hier stiegen die Wazungu den mit Büschen bewachsenen Hügel hinab. Nach ungefähr 20 Minuten kamen sie auf die Straße zurück – mit drei Metalldosen in ihren Händen. Der Freund der Schatzgräber erinnerte sich an das seltsame Licht, das diese Dosen ausstrahlten. Es war jedoch unmöglich zu sehen, was sie enthalten könnten. Beide Wazungu lächelten und sprachen laut in einer unverständlichen Sprache. Der Mann reichte dem Freund ein paar Münzen. Beide Wazungu sagten Asante! (Danke!), verstauten die Dosen im Gepäck, und fuhren auf ihrem Motorrad davon in die Nacht. Niemand hat diese Wazungu je wiedergesehen oder von ihnen gehört. Einige Leute sagen, daß sie sehr reich geworden sind. Die Schatzgräber deuteten diese Geschichte als ein Zeichen. Sie hatten an der falschen Stelle gegraben – ein übliches Problem. Sie waren sich einig, daß die deutschen Geister ihre Schätze listig und unerbittlich beschützten. Da heutzutage die meisten traditionellen Heiler nicht so geschickt seien wie damals, wüßten nur sehr wenige, wie man dawa herstellt, mit der deutsche Geister erfolgreich beschworen werden können. Daher verwirrten die deutschen Geister weiterhin die afrikanischen Schatzgräber, wohingegen es den Wazungu oft gelänge, die Schätze aufzuspüren. Inspiriert von der Geschichte über die beiden jungen Wazungu, verfolgte das Team die Schritte der von ihrem Freund gesichteten Ausländer. So bemerkten sie eine Stelle, wo der Boden offenbar vor kurzem gestört worden war. Das Team begann mit Schaufeln und Beilen zu graben,

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da sie aber nichts wertvolles fanden, entschieden sie sich, professionelle Hilfe zu rekrutieren. Hamisi, einer der Schatzgräber, schlug vor, einen Freund, der beim Ministerium für Naturverwaltung und Rohstoffe in Daressalam arbeitete, um Hilfe zu bitten. Das Team befürwortete seinen Plan. Für etwa 300 US-Dollar erklärte sich Hamisis Freund bereit, das Gelände mit professioneller Ausrüstung, die vom Ministerium ausgeliehen wurde, zu untersuchen. Als Hamisi und sein Freund Amani erreichten, trafen sie sich mit den anderen Schatzgräbern und gingen zusammen zu der Stelle, wo die beiden Wazungu angeblich die leuchtenden Dosen gefunden hatten. Hamisis Freund trug ein Gerät, das einer Schreibmaschine mit einer Antenne ähnelt. Er erklärte, daß es sich nicht um einen Metalldetektor, sondern um etwas anderes handele, und gab zustimmende Töne von sich, als das Gerät piepste. Der „Scan“ bestätigte das Vorhandensein von vergrabenen Schätzen, und er riet den Gräbern, noch einmal Hilfe von einem Mtaalamu (einem Experten, in diesem Fall einem traditionellen Heiler) zu erbitten, um das Graben zu erleichtern.

waren hocherfreut, denn dies mußte wohl das erhoffte Zeichen sein, daß an diesem Ort etwas Wertvolles vergraben sein würde. Deshalb hörten sie auf zu graben, um, wie vom vorigen Heiler angewiesen, wiederum genug Geld zu sparen für einen anderen Heiler, der die deutschen Geister besänftigen würde. Und dann würden die deutschen Schätze endlich doch ihnen gehören.

Die Gräber einigten sich darauf, wieder etwa 200 bis 300 US-Dollar zu sparen. Einige Wochen später hatten sie die Summe zusammen. Sie nahmen Kontakt mit einen angesehenen Mtaalamu auf, der dawa zubereitete, die er dann über den Boden streute. Der Heiler befahl ihnen daraufhin zu graben, bis sie auf ein Zeichen stießen – in Form eines Pfeils oder einer Betonplatte – das auf einen Schatz hindeutete. Dann sollten sie einen anderen Heiler befragen, der eine neue dawa zubereiten müsse, um die Geister zu beruhigen. Erst dann würde der Schatz ihnen gehören. Erfreut über diesen vielversprechenden Rat, begannen die Schatzgräber Nacht für Nacht zu graben. Als das Loch etwa 12 Meter tief war, stießen sie auf ein pfeilartiges Stück Holz. Sie Riesiges Loch unterhalb des Hauses des Direktors, Amani, 2013

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Blick auf Amanis Kuhställe im botanischen Garten der Station; Ölgemälde von Sir Harold Gillies, Vater des Entomologen Mick Gillies, späte 1950er Jahre; aus Suzie Winters (geb. Gillies‘) Sammlung

Derema, den 18.März 1903 § 1. Es überlässt die Deutsch Ost-Afrikanische Gesellschaft, vertreten durch … dem Kaiserlichen Gouvernement von Deutsch-Ostafrika, vertreten durch … zur Errichtung des Biologisch Landwirtschaftlichen Instituts in Amani, das im Amani belegene Gelände, … unentgeltlich. § 2. Das schenkweise überlassene Gelände, bei welchem das den dort angesessenen Eingeborenen vorbehaltene, in der Karte als solches bezeichnete, Gelände in Grösse von etwa 130 ha nicht in Betracht kommt, umfasst nach der bisherigen Messung 250 ha. Bundesarchiv (German National Archive); GNA R1001.8650, S.105

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Der botanische Garten zu Amani

Überblick der Pflanzungen in Amanis Botanischem Garten, Kopie einer älteren deutschen Karte, 1922; Amani, Bibliotheksarchiv

Demarkationslinien

Eine Versuchsstation

Dar-es-Salaam, 16.September 1901

[…] Für die Wahl dieses Platzes zur Versuchsstation war besonders maßgebend die Nachbarschaft der großen Plantagen und der Umstand, dass ein für die allerersten Bedürfnisse genügendes Haus, welches früher als Erholungsstation für Rekonvaleszenten diente, vorhanden war.

[…] Hinsichtlich der Abgrenzung des für das Institut zu beanspruchenden Landes hat eine vorläufige Vereinbarung zwischen dem örtlichen Vertreter der D.O.A.G. und Professor Zimmermann stattgefunden. Es hat sich jedoch herausgestellt, dass in dem ausgesuchten Gebiete sich Flächen befinden, welche auf der Köhlerschen Karte als Felder von Eingeborenen bezeichnet sind und etwa 1/3 bis ¼ der Gesammtfläche einnehmen. Der Professor Zimmermann ist daher aufgefordert worden, in eine Nachprüfung der Besitzansprüche an den gedachten Flächen einzutreten. Sollten die Angaben auf der Köhlerschen Karte sich als zutreffend erweisen, so erscheint es mir wesentlich, den Eingeborenen das bisher von ihnen bebaute Land zu belassen, um auf diese Weise die Erhaltung eines tüchtigen Stamm[es] von Arbeitern für die Versuchsstation zu sichern. Dadurch aber würde ein grosser Theil des Landes für die eigentlichen Zwecke des Instituts verloren gehen. [Gustav Adolf Graf von] Götzen

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[…] In der nächsten Umgebung der Stationsgebäude befinden sich die Sortimente der verschiedenen Nutzpflanzen und die Saatbeete, in größerer Entfernung werden Spezialkulturen angelegt werden. Somit dürfte die Station für den in erster Linie stehenden Zweck, Förderung der Kulturen von Nutzpflanzen, wohl geeignet sein. Für die ersten Anpflanzungen hat der Königliche botanische Garten zu Berlin 859 Exemplare tropischer Nutzpflanzen und 208 Exemplare anderer tropischer Gewächse geliefert, welche kurz vor meiner Anwesenheit in Amani gepflanzt worden waren und nach den neuesten Nachrichten des Herrn Professor Zimmermann sich sehr gut entwickeln, so namentlich auch die von uns gelieferten Kautschukpflanzen Kickxia und Castilloa sowie Chinarindenbäume. Die Beziehungen Professor· Zimmermanns zu Java, desgleichen die Wirksamkeit der Herren Professor Dr.Volkens und Dr.Busse während ihres Aufenthaltes in Java zur Beschaffung von Pflanzen und

Samen aus Java tragen wesentlich zur Vermehrung wertvoller Kulturpflanzen bei; ich selbst konnte der Station reichlich Kampfersaat beschaffen[…] Adolf Engler: Das biologisch-landwirtschaftliche Institut zu Amani in Ost-Usambara. Notizblatt des Königl. botanischen Gartens und Museums zu Berlin 4(31), 1903, S.63-6

Das Javanische Vorbild von Buitzenzorg […] Die Institute der Engländer in Indien und der Holländer auf Java [reizten] zur Nachahmung; sie beide, in Pusa und in Buitenzorg, galten als führend in der Welt. […] Buitenzorg […] wurde in vielem zum Vorbild des BiologischLandwirtschaftlichen Instituts Amani. […] Der Botanische Garten in Buitenzorg hatte eine doppelte Aufgabe zu erfüllen, nämlich: sowohl „Zentralstelle für die ‚reine‘, vom Nützlichkeitsstandpunkt losgelöste Wissenschaft“ in den Kolonien zu sein als auch die Station, auf der die Fragen, „auf die die Praxis eine Antwort verlangt“, tatsächlich ihre Antwort finden. […] Bereits in 1817 angelegt, hatte das holländische „Kolonisationstalent“ in pragmatisch großzügiger Weise diese Doppelfunktion entwickelt. Detlev und Gerhild Bald: Das Forschungs­ institut Amani. München, Weltforum Verlag, 1972, S. 44–6

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„Chininproduktion für Pflanzer: Erfolgreiche Methoden in Amani,“ Tanganyika Times, 2.Februar 1929

Dar es Salaam, Kriegsproduktion von Chinin, 1944; Tansanias Nationalarchiv

Dar es Salaam, ein Betriebsleiter überprüft Chinarinde aus der Gegend von Amani, 1945; Tansanias Nationalarchiv

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Blick vom MbomoleHügel auf die Tee Plantagen, 2012

Ortsbegehung Heute steht ein Besuch bei Herrn Mbalawe, dem ehemaligen Forstbeamten des Botanischen Gartens zu Amani auf dem Programm, um einen „Ortsbegehung“ in diesem Gebiet mit ihm zu planen. Vor einigen Monaten hatte Herr Mbalawe diesem Plan zugestimmt, aber das Regenwetter hatte seine Umsetzung bisher verhindert. In Mlola, wo Herr Mbalawe wohnt, gibt es keinen Strom und nur schlechtes Handysignal. Wir werden mit dem Motorrad dorthin fahren. Mlola liegt am Fluss Sigi am südöstlichen Rand des ehemaligen Botanischen Gartens und kann nur über eine sehr schlechte Straße erreicht werden. Das Wetter war verheerend – schon wieder. In Amani war es trocken, aber unterhalb, in Mlola hatte es geregnet. Die Straße war in einem schrecklichen Zustand, viele Felsen und Kieselsteine. Sehr holprige Fahrt. Wir parkten das Motorrad am Straßenrand, wo wir ein Kind baten, darauf aufzupassen. Das Gelände schien zu rutschig für den geplanten Spaziergang. Herr Mbalawe begrüßte uns herzlich. Wir plauderten, seine Frau servierte uns leckeren Gewürztee mit Nelken-

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geschmack. Er deutete auf regenschwangere Wolken und sagte was wir bereits wussten: es wird heute sehr wahrscheinlich regnen. Wäre es sinnvoll, unseren Plan aufzuschieben? Wir haben uns auf einen Aufschub geeinigt. Das Filmen wird schwierig, wenn das steile und felsige Gelände nass und rutschig ist. Wir werden es zu einem späteren Zeitpunkt noch einmal versuchen müssen, am besten nach ein paar trockenen Tagen. Wir verabschieden uns, und kehren zurück nach Amani. Renés Notizen, 2.Oktober 2013

Wenig Regen in den letzten Tagen – vielversprechend für einen Spaziergang mit Herrn Mbalawe durch den ehemaligen Botanischen Garten. Nach dem Frühstück packten wir die Kamera, der Rekorder und die Wasserflaschen ein und fuhren mit dem Motorrad nach Mlola. Die Reise dauerte etwas mehr als eine Stunde. Wir parkten das Motorrad wieder an der Straße und stiegen zu Herrn Mbalawes Haus hinauf. Seine Frau, die draußen im Schatten mit mehreren anderen Frauen saß, stampfte

Japanische Kampferbäume, Mbomole-Hügel, 2019

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Mehl und begrüßte uns, als wir näherkamen. Ebenso Herr Mbalawe, der wieder auf dunkle Wolken zeigte und sagte, daß der Regen unseren Plan erneut durcheinanderbringen könnte. Wir brachen sofort auf, stiegen zur Straße hinunter und besprachen gleichzeitig den Plan mit Herrn Mbalawe: Wir wollen durch den ehemaligen Botanischen Garten spazieren und nachvollziehen, was in den 1970er Jahren dort vor sich ging, als dort noch Menschen arbeiteten und den Garten pflegten. Während er die Straße entlangging, erklärte Herr Mbalawe, daß die Gegend damals wie eine Plantage oder ein Garten aussah. Jedes Grundstück war dem Anbau einer speziellen Art gewidmet. Mr. Mbalawe wies dabei in verschiedene Richtungen: Früher gab es Brotfruchtbäume, in dieser Richtung Arekanüsse, dort Teakholz. Die Parzelle, auf der früher Bambus angebaut wurde, enthielt noch immer viel Bambus, in anderen Gebieten jedoch scheinen nur wenige oder gar keine Spuren von vorherigem Anbau vorhanden zu sein. Für mein ungeübtes Auge sahen sich diese Gebiete ziemlich ähnlich, so wie andere Teile des Amani-Naturschutzgebiets, eine sehr unterschiedliche Mischung aus Bäumen und Pflanzen. Nach ungefähr 500 m bogen wir von der Straße ab und fuhren in den Wald hinein. Herr Mbalawe ging voran. Kein sichtbarer Pfad, es war steil und durch nasse Blätter rutschig. Umgestürzte Bäume und dorniges Dickicht erschwerten das Vorankommen. Das Filmen war schwierig. Als ausgebildeter Botaniker sprach Herr Mbalawe gern über Bäume, hatte aber relativ wenig zu den Arbeitern oder sozialen Aktivitäten zu sagen. Eine ehemalige Gummibaumplantage enthielt noch viele alte aber auch junge Bäume. Herr Mbalawe zeigte auf die Rinde einiger Bäume, die Anzeichen von Schnitten zeigten, um Latexmilch zu ernten. Renés Notizen, 6.Oktober 2013

Para Gummibaum mit Schnittspuren und Markierung, Sigi, 2014

Annäherung an das Grundstück, auf dem früher Gummibäume kultiviert wurden Mbonde  So these plots contained rubber trees? Mbalawe Yes. Mbonde  Then you go to another plot? Mbalawe  (mumbling) You’ll find, uh, coca cola. Mbonde  Coca Cola? Mbalawe  Coca nut. Mbonde  Kola nut? Mbalawe Yes. Gespräch zwischen Herrn Mbalawe und Mbonde, Sigi, 6.Oktober 2013

Der Chinarinden-Boom Als wir nach Amani zurückkehrten, hielt Mbonde mit dem Motorrad an, um mir ein Versteck zu zeigen, daß die Schmuggler während des „ChinarindeRausches“ 2009 benutzt hatten. Es liegt fast unsichtbar von der Straße entfernt an einem „Mäuseweg“ (Ki­ Swahili: njia panya), der sich bergab zur Küstenebene schlängelt und an den Kontrollpunkten vorbeiführt, wo Polizeibeamte illegale Waren inspizieren.

Die Wohnung ist nicht dauerhaft bewohnt und dient manchmal als Restaurant, in dem die Bewohner lokale alkoholische Getränke und frisch gegrilltes Schweinefleisch konsumieren: Aktivitäten, die ein Teil der Bevölkerung verpönt, daher der abgelegene Ort. Während des Chinarinde-Rausches in 2009 hatten zwei Stammgäste dem Besitzer Tsh 10.000 (US$ 7) angeboten, um Chinarinde in Säcken zu verstecken, eine großzügige Zahlung, die sicherstellen sollte, daß keine Fragen gestellt wurden. Die Zwischenhändler zahlten während des Booms in 2009 bis zu 15.000 Tsh (12 US-Dollar) pro Kilo Chinarinde, als die Einheimischen bei nächtlichen Streifzügen durch die Wälder Tausende von Bäumen entrindeten und somit dezimierten. Beamte entdeckten nie, daß 1200 Kilogramm Chinarinde im Restaurant versteckt waren. Als die Luft dann rein war, trugen Männer 80 kg schwere Säcke mit Chinarinde auf dem Rücken bergab entlang des Njia Panya zu einem Haus in Kisiwani, einem Dorf direkt vor dem Eingang zum AmaniNaturschutzgebiet. Das Haus gehörte einem bekannten Verbrecher, der von „Freunden höheren Orts“ beschützt wurde. Deshalb beschlossen wir, unsere Forschung hier abzubrechen. Renés Notizen, 8.Dezember 2014

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Die Baumschule Aloyce und ich fuhren mit dem Motorrad nach Emau Hill. Wir hörten, daß es dort eine Baumschule gibt, in der Setzlinge des Chinarindenbaumes verkauft wurden. Das überraschte mich: Ich dachte, daß der kommerzielle Anbau von Cinchona um Amani in den 1950er Jahren aufgehört hatte, als die bestehenden Plantagen abgeholzt und mit Tee bepflanzt wurden – die bis heute wichtigste kommerzielle Nutzpflanze in der Region. John, der Hausmeister der Baumschule, hieß uns herzlich willkommen und führte uns herum. Ordentliche Reihen von Sämlingen verschiedener Pflanzen und Bäume in unterschiedlichen Entwicklungsstadien, die unter einem feinen Netz wachsen, um das Sonnenlicht zu mildern. Die meisten Pflanzen sahen gesund aus.

Kürzlich entrindeter Chinarindenbaum, Amani, 2012

Großflächiges Entrinden von Cinchona-Hybrida-Bäumen This activity surged during the beginning of September 2009. The Cinchona bark reportedly is used to make tablets. This illegal trade was halted in a joint operation with parami­ litary soldiers. Thirty bags containing

80kg of Cinchona bark were seized [and burned]. Interner Bericht des Direktors des Naturschutzgebietes Amani an das tansanische Ministerium für Rohstoffe und Tourismus, Februar 2010

Amani, Verbrennung von illegal geernteter Chinarinde, 2009; aus dem Bericht des Naturschutzgebietes

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John erklärte, daß der Anbau von Cinchona erst vor kurzem begann. Auf Anfrage von Kunden, die andere Setzlinge gekauft hatten. Ich fragte John: Warum haben sich die Leute dafür interessiert, Cinchona zu pflanzen? John: Aus verschiedenen Gründen. Für einige ist der Baum eine Investition, um Rinde zu verkaufen, wenn der nächste Rausch kommt. Andere wollen es in ihrem Garten, um Rinde zu sammeln, wenn jemand im Haushalt Fieber hat. Und andere verkaufen oder verwenden die Rinde immer noch, um eine Abtreibung herbeizuführen – ein hochsensibles Thema, auf das die meisten Menschen, einschließlich John, nicht näher eingehen möchten. Renés Notizen, 4.Oktober 2014

Letzter Besuch in Amani. Zunehmende Frustration: Wichtige Fragen zum Chinarinde-Rausch von 2009, als die meisten Bäume im Naturschutzgebiet Amani dezimiert wurden, konnten nicht beantwortet werden: Was macht Chinarinde so wertvoll? Warum zahlten diejenigen, die diese Operation finanzierten, das 30-fache des marktüblichen Preises? Was waren Ziel und Zweck der geschätzten 3000 kg Rinde? Renés Notizen, 20.Februar 2015

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Cinchona ledgeriana Setzlinge, Emau Hill, 2013

Der Fettbaum, Allanblackia stuhlmannii […] Dr. Stuhlmann hat bei einer Bereisung der Landschaft Uluguru das häufige Vorkommen eines von den Eingeborenen Mkani genannten Baumes festgestellt, aus dessen Früchten die Wakami ein talgartiges Fett herstellen, welches nach Bagamoyo zum Verkauf gebracht wird. Die 3 cm dicken tetraedrischen und sehr zahlreichen Samen der mächtigen Früchte sind so reich an Fett, daß 4 Früchte etwa 1-1,5 Kilogramm Fett ergeben. Um den Baum, welcher wegen des Fettgehaltes seiner Früchte möglicherweise mit Aussicht auf Gewinn kultiviert werden kann, wissenschaftlich zu bestimmen, sind von Dr. Stuhlmann Blätter und Früchte eingesandt worden. […] Adolf Engler: Über den ostafrikanischen Fettbaum Stearodendron Stuhlmannii Engl. Notizblatt des Königl. botanischen Gartens und Museums zu Berlin 1(2), 1895, S.42-4

[…]Da der Fettbaum nach Stuhlmann und C. Holst in Deutsch-Ostafrika in grosser Menge vorkommt, so dürfte das Mkanifett Aussicht haben, ein Exportartikel zu werden. Zunächst wäre jedoch erforderlich, durch umfassendere praktische Versuche seine Verwendbarkeit zu bestätigen. R. Heise: Untersuchung des Fettes von Stearodendron Stuhlmannii Engl. (Mkanifett). Notizblatt des Königl. botanischen Gartens und Museums zu Berlin 1(3), 1895, S.93-5

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Heruntergefallene AllanblackiaSamenhülsen, Mbomole-Hügel, 2019

Ein Unilever Vertreter Auf den Waldwegen liegen immer wieder große Früchte, beim Herabfallen aufgebrochen, in denen unregelmäßig geformte, walnußgroße Samen liegen. Aloyce erklärt, dies seien die Früchte von Allanblackia stuhlmannii, des Fettbaumes also, von dem deutsche Botaniker gehofft hatten, er würde Deutsch-Ostafrika rentabel machen. Als ich versuche, den Baum selbst im Dickicht über uns auszumachen, warnt Aloyce mich, daß wo eine dieser Früchte liegt, oft noch andere, mehrere Kilo schwer, aus großer Höhe herabfallen. Man kann die Samen mahlen und aufkochen, um Kochfett zu produzieren. Schon Aloyce, Großmutter tat dies. Heute dürfen die Samen nicht im Naturschutzgebiet um Amani herum gesammelt werden, da von dort kein Pflanzenmaterial mehr entfernt werden darf. Aber, setzt Aloyce hinzu, als wir kurz darauf wieder leere Früchte ohne Samen finden, die Leute sammeln sie trotzdem, vor allem dann, wenn sie von der Milchsammelstelle zurückkommen, mit leeren Gefäßen, in denen sie die Samen vor den Wächtern des Naturschutzgebietes verstecken können. Einmal im Monat bringen Sie ihre Ernte dann zum Markt, wo ein Vertreter von Unilever sie aufkauft. Wenzels Notizen, 1.April 2018

Ankaufstelle für Allanblackia Samen unterhalb der Station in Amani, 2019

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Trocknen von Allanblackia-Samen, Schebomesa, 2019

Aloyce hält gentechnisch veränderte Allanblackia stuhlmanii, Schebomesa, 2019

Schließlich doch „Win-win” Die öffentlich-private „Allanblackia Partnerschaft” des globalen Nahrungsmittelkonzerns Unilever arbeitet, seit vor 20 Jahren holländische Firmenwissenschaftler die „einzigartigen Schmelzeigenschaften” des Allanblackia Öls endeckten, an einer „nachhaltigen Zulieferkette, in der Wirtschaftlichkeit, Wiederaufforstung und Artenvielfalt in Einklang kommen. Das reich illustrierte Firmenmagazin hebt die Vorzüge der Allanblackia-Produktion für 20.000 tansanische Kleinbauernfamilien hervor sowie daß „das Ernten der Samen keine harte Arbeit erfordert”. Im Stil einer „corporate social responsibility” Kampagne berichtet das Magazin so von Tatu, einer Bauersfrau im Dorf nahe bei Amani, die „früh am Morgen in den Wald geht um während der Erntezeit die herabgefallenen Früchte zu sammeln”, und so unter anderem das Schulgeld für ihre Kinder verdient. Die Samen werden dann in einer Ölmühle in Tanga – dem Sitz der ersten deutschen Kolonialverwaltung – „sanft erhitzt und gemahlen, um in einem natürlichen Prozess Öl zu produzieren”, welches dann in Containern

„nach Europa verschifft wird, wo es in Margarine verwendet wird”. Zunächst in Unilevers Becel Margarine gemischt, wird das Fettnussöl heute, zertifiziert von der „Union for Ethical Biotrade” ausdrücklich als „natürliche und nachhaltige” Zutat einer neu entwickelten Bio-Version von Flora Margarine angepriesen: „Wir glauben an die Zukunft von Allanblackia”. Unter den afrikanischen Zuarbeitern, die im Unilever Magazin zitiert werden, ist ein Händler vom Markt bei Amani: „Wir kaufen die Samen von den Bauern und schickten sie zu Unilever nach Holland. Es ist großartig zu sehen, daß Unilever solches Interesse an dem hat, was wir hier tun. Wir sind stolz auf das Produkt das sie machen”. 120 Jahre nach ersten Berichten über den Fettbaum erfüllen sich die Hoffnungen der deutschen Botaniker. Das Magazin schließt mit dem Motto: „Der beste Zeitpunkt, einen Allanblackia-Baum zu pflanzen war vor 20 Jahren. Der zweitbeste Moment ist heute”. Wenzels Exzerpte aus dem UNILEVER Magazine, Special Edition 2016, «Allanblackia»

Kochen von gemahlenen Allanblackia-Samen, um Öl daraus zu gewinnen, Schebomesa, 2019

Gentechnische Produktionssteigerung Aloyce  Allanblackia trees grow tall and take a long time to start producing seeds. Efforts to turn them into a plantation crop have failed thus far. Over a decade ago breeding experiments began to select for varieties that matured faster and were shorter. So the nuts don’t break open when they fall on the ground. Rene  How did these experiments go? Aloyce  Look at these trees. They are very short for Allanblackia planted eight years ago. And they do not produce seeds. Because they are male trees. Rene  What is happening with this experimental tree plot? Aloyce  They are left to themselves. Gespräch zwischen Aloyce und René, Amani Naturschutzgebiet, 12.März 2019

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John Raybould im Gästehaus von Amani mit einem am Wegrand aufgelesenen und heimgebrachten Zwergchamäleon, Video Standbilder, Amani Gästehaus, 2013

Zuweilen scheint es, als ob die Dinge von sich aus sprechen möchten – eindringlicher, einfacher als durch die Antworten, die wir Ihnen durch unsere Fragen abzwingen. Schön ist es, die Dinge zu benennen, und schöner noch, wenn man die Namen vergisst. Ernst Jünger: Subtile Jagden. Klett, Stuttgart, 1967, S.167

Ebenso ist es mit unserer Vergangenheit. Vergebens versuchen wir, sie wieder heraufzubeschwören, unser Geist bemüht sich umsonst. Sie verbirgt sich außerhalb seines Machtbereichs und unerkennbar für ihn in irgendeinem stofflichen Gegenstand (oder der Empfindung, die dieser Gegenstand in uns weckt); in welchem, ahnen wir nicht. Ob wir diesem Gegenstand aber vor unserem Tode begegnen oder nie auf ihn stoßen, hängt einzig vom Zufall ab. Marcel Proust: Auf der Suche nach der verlorenen Zeit. Suhrkamp, Frankfurt a.M. 1979 (orig.1913), Bd. 1, S 63–67

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Das Glück des Findens Der Wert des Fundes Nicht auf den Wert des Fundes kommt es an, sondern auf die Bewegung im System. Beherrsche ich diese, so kann ich Dinge von beliebigem Wert finden. Dann wird auch der Wert, den ich Ihnen zubillige, beliebig für mich. … Das, was gemeint ist, hat weder Wert noch Ausdehnung. Ernst Jünger: Subtile Jagden. Klett, Stuttgart, 1967, S.147

Holzkästchen mit Hausfliegen, 1962 von Raybould gesammelt, kurz nach seiner Ankunft in Amani und im Jahre der tansanischen Unabhängigkeit, Amani Zentrallabor, 2018

Potomonautes raybouldi, 1966 gefunden von John Raybould, 2004 nach ihm benannt. In: Neil Cumberlidge & Marco Vannini: Ecology and taxonomy of a tree-living freshwater crab (Brachyura: Potamoidea: Potamonautidae) from Kenya and Tanzania, East Africa. Journal of Natural History 38(6), 2004, S.683

Dear Wenzel, Sorry to be late in my reply.

further. I thought it might be true, so I searched tree-holes in the same area (near the old German school) and found a number of crabs in tree holes several feet above the ground.

I first heard about a tree-hole crab when students from Dar-es-Salaam University were in Amani doing field work with their lecturers. One of the students said he had put his finger in a tree-hole and been bitten by a crab. However, they did not pursue this

I sent specimens to Trefor Williams at Liverpool University. […] When he retired, Trefor gave his material to Cumberlidge of Northern Michigan University, who named the tree-hole crab after me, I think at Trefor’s suggestion.

Manche der Einheimischen wussten von der Existenz der Krabbe

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I learned later that some of the local people knew about the existence of the crab in tree-holes. I hope all goes well with you. Best wishes. John E-mail von John Raybould, die Frage beantwortend, wie er die nach ihm benannte Baumhöhlenkrabbe gefunden habe, 5.Juli 2019

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short-sighted, remains an exciting mystery yet to be solved. Julian Bayliss: The East African tree hole crab – a spectacular adaptation. In: W.R.T. Darwall et al.: The Diversity of Life in African Freshwaters: Under Water, Under Threat. IUCN, Cambridge, 2011, S.198-99

Verschiedene Krabbenarten, gesammelt von John Raybould und Stephen Fedha, frühe 1970er Jahre, Amani Zentrallabor, 2018

Ungelöstes Geheimnis Potamonautes raybouldi, the East African tree hole crab, is a bizarre example of crab evolution. […] It lives solely in the water-filled tree holes formed where a tree branches […] It was first observed and collected by Professor [sic!] John Raybould in 1966, but it was not until 2004 when it was eventually described under the patronym Potamonautes raybouldi. […] The local people in the East Usambara Mountains use the water that Potamonautes raybouldi lives in as a medicinal potion, which they call ‘Mazi yangodi’, to give to pregnant women.[…] The connection between the local population of the East Usambara Mountains and their use of the Mazi Yangodi further highlights this species scenario as an amazing example of natural history and a connection with a human society. However, this story of natural history is not finished. Exactly how the males and females find each other in order to mate in closed canopy, dark forest, when each crab resides in a different tree and they are relatively

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Ein Löwenparasit Mwaiko Phillip [Wegesa, who succeeded Raybould in the Riverbindness laboratory and became director of Amani] was at the time doing this experimental science: he collected blood smears from the bush, and one time he took a smear from a lion somewhere. He used to drive this car – Pringle, the [last British] Director had sold him the Director‘s car, this big Ford American car. [Laughter] He used it whenever he went for his surveys; and if he found a hyrax crashed by a car, he went and put it into the boot. One time he got a Brugia species in a lion! Ooh, it was a very big debate! He published it; but it was so difficult. Nelson came here to confirm this. [Laughter] It was terrible when those people were coming. [Imitating a commanding British accent]: ‘Put your stains here!‘ Nelson came and […] we went to the laboratory, staining – the whole day. At about five o‘clock in the evening Nelson said: ‘Confirmed! This is Brugia, yes, congratulations‘. Oh, we clapped! [Very loud laughter] Wenzel  Who was Nelson again? Mwaiko  Professor [George] Nelson, he was a professor in Liverpool School. He was an authority. […] Kilonzo  How did Wegesa get the lion? Lyimo  Was he a hunter? Mwaiko  No, he used to go out with this slide box in the car all the time. Lyimo  Okay, so all the time he was collecting things… Gespräch zwischen früheren tansanischen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, die nach der Unabhängigkeit gemeinsam in Amani gearbeitet hatten, Amani, 25.April 2015

Darmparasit aus einer überfahrenen Pythonschlange, möglicherweise gefunden von Phillip Wegesa, frühe 1970er Jahre, Amani Zentrallabor, 2018

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Bubo vossleri, lokal „Nduk“ genannt. In: Graham White: Rarest Eagle Owl in Trouble. Oryx, 12(4), 1974, S.485

Wiederentdeckung In Journal für Ornithologie, 1908: 139, Reichenow described as Bubo vosseleri an owl received from Dr. Vosseler of the Biologisches Institut, Amani, in the East Usambara Mts. […] On 28th April 1962, some 55 years after the original specimen, a young owl was taken to Dr. G. Pringle, Director of the East African Institute of Malaria at Amani, which he recognised as probably Bobo vosseleri. The finder, Mr. Gabriel Joseph, stated that he found the bird, able only to flutter a few yards, in the high forest […] After keeping it for a few weeks Dr. Pringle transferred the bird to the London Zoo, where it now is. In captivity this young bird has shown itself tame, confiding and consistently alert by day. This last may perhaps be a character of the species. […] During his years of residence at Amani Dr. Pringle has heard a “loud, repeated, guttural but resonant grunt from the forest canopy… on only two evenings about an hour before sunset“.

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When examined on 13th September 1962, the new arrival in London agreed with the Berlin juvenile in having the whole back and underparts white with widely spaced narrow dark-brown bars, while the white tips of the greater coverts produced a very distinct wingbar. The “ears“, too, were white with buff tips; the strong dark-brown border of the orange-brown facial disc was reinforced by a blackish brown patch on the upper, inner, side of the eye. The eyes were deep warm brown, the pale blue eyelid naked, with long black lashes. The very strong black nasal bristles extended to the tip of the beak, which was pale bluish horn, becoming yellowish at the tip. The feet were very pale bluish, the tarsi feathered tawny, barred with very dark brown. The under wing-coverts were pale tawny, without marking. […] We still have no first-hand information about the biology of B.vosseleri in the wild. […] So far the bird in London is not known to have called. When it does so, it is hoped that the noise can be tape-recorded

Reginald und Winnifred Moreau in Berrick Salome, Oxfordshire, ca. 1970

and that opportunities will occur for playing it back in suitable East African localities, to see whether a response can be elicited. […] In all the time my wife and I spent at Amani from 1928 to 1946 we were never sure that we saw this owl. However, with the new specimen before us we think there is not much doubt that a big young owl whose head we could just see in a hole high up in a forest tree on 20th December 1930 was B.vosseleri, for according to my note its head was “very white, eye-ring black, bill bluish“. Again, on 6th September 1931, I find a note that we saw a big brownish owl with black on the face fly across a road through deep forest at mid-day, but we do not seem to have heard the sort of deep notes one would associate with a Bubo, except during one period, March–May 1929. Reginald E. Moreau: „The re-discovery of an African owl Bubo vosseleri“. Bulletin of the British Ornithological Club 84, 1964, S.47-8

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Zuwendung Natürlich kommt es weniger auf die Kenntnis der Arten an, obwohl auch deren Unterscheidung stets Gewinn bringt, als auf das Finden und Wiederfinden und damit auf die Schärfung einer Fähigkeit, die uns ganz allgemein zustatten kommt.

Bild von zwei Tischlern, der eine davon vielleicht Mr Gabriel Joseph, in der Institutswerkstatt Amanis in den späten 1960er Jahren, gehalten von früherem Direktor Jan Lelijveld, 2014

Betr: Mr. Gabriel Joseph Hello again Wenzel. Sorry, I don‘t know who was Gabriel Joseph. I recall there was a carpenter at Amani with the name of Gabriel, but it‘s a popular name.

Doch es bleibt ein Herantasten durch die sichtbare Ordnung der Dinge an ihre unsichtbare Harmonie, aus dem Stückwerk des Wissens an das, was nur geahnt werden kann. Wenn es gelingt, ein Staubkorn auf Falterflügeln mit der Welt in Einklang zu bringen, so ist das als Ziel belanglos, nicht aber als Hinweis, als Merkstein auf dem Weg, den wir zurücklegen. Die Flügel selbst sind ja ein Hinweis nur. In dieser Zuwendung, nicht in der Beute, liegt der Gewinn. Ernst Jünger: Subtile Jagden. Klett, Stuttgart, 1967, S.257, 274 und 298

My owl was not the same as the one reported by Reg Moreau (1964) from Gerry Pringle. […] After working late in my lab at Amani on Christmas eve 1969, I stopped for a beer at the bar in Amani village to mingle with locals before going home to our house #1 Lower ridge. The mood in the bar was very festive and guys were jigging around (without girls). One fellow whom I did not know had this little fluffy owl perched on his shoulder while he danced. Being sympathetic to the bird, I asked him what he would do with it. He said he found it on the ground while cultivating his iliki (cardamom) shamba in the forest, so he was going to put the owlet in the pot for Christmas dinner. I offered to buy it and he was happy to accept 5 shillings. We raised the bird at home, called it Oolooh, and he became one of our family until we left Amani at the end of 1971. […] We would have liked to keep him as a pet, but my next job was in Ethiopia, so we presented him to the Zoological Society of London […]. Oolooh lived for 21 years, but failed to woo!

Die Bar in Amanis Angestelltensiedlung, wo Graham White 1969 die Eule auf einer Schulter tanzend fand, 2015

E-mail von Graham White, Malariaforscher in Amani von 1967 bis 72, auf die Frage, wer Mr Gabriel Joseph war, der Moreau zufolge Gerry Pringle 1962 eine junge Eule gebracht hatte

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Wiederfinden Nach langem Warten auf die „Schlüsselperson“ und kurzem Kampf mit dem Vorhängeschloß gibt das Türgitter nach. Der dahinterliegende Vorraum ist in Halbdunkel gehüllt, gefärbt von zugezogenen, sehr englischen Rosenvorhängen. Auf weissen, plastiküberzogenen Laborbänken stehen in regelmässigen Abständen Mikroskope, abgedeckt mit Tüchern im Grünton des Rosenlaubes, und vor jedem ein hölzerner Hocker. Um den weissgekalkten Pfeiler in der Mitte des Raumes sind niedrige dunkle Holzschränke montiert, die Türen verziert mit gründerzeitlichen Kastanienblatt-Mustern. Wiewohl sauber erscheint der Raum seit langem unberührt, wartend. Glastüren führen in das Hauptlabor. Auf den Regalen aufgereiht Glasbehälter mit Krabben, Insekten und Schlangen. Die konservierenden Flüssigkeiten sind verdampft. Die mit Schablonen beschrifteten Etiketts verweisen neben den Artnamen, soweit bekannt, auf Tage in Rayboulds Jugend, und auf Orte um Amani und anderswo in Ostafrika. In hohen wilhelminischen Schränken lagern Insekten in Holzkästen. Ein halbes Jahrhundert, nachdem er sie mit winzigen Etiketts versehen in den Kästen aufgereiht hat, findet er sie hier wieder: in der Freizeit gefangene Motten; Kriebelmücken, klein wie die Köpfe der Präpariernadeln. Viele der Insekten sind zerfressen von Milben und Ameisen, denn auch das schützende Naphthalin ist seit langem Teil der Laborluft geworden. Ein Gefäß enthält „unidentifizierte“ Krabben – vielleicht der spätere P. raybouldi? – ein anderes einen vertrockneten Wurm: „Brugia sp.“. Könnte dies Wegesas Löwenparasit sein, den er beim Sezieren eines überfahrenen Löwens entdeckte, der aber nie den Namen des Finders erhielt? Finden ist eine universelle Lust, die Amani wie kaum ein Ort zu befriedigen vermochte. Aber Finden ist auch Privileg. Es stammt eben nicht bloss aus „mächtigen, unmittelbaren Reserven, die im Einzelnen verborgen sind“, wie es Ernst Jüngers entomologisches

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Regale mit von John Raybould gesammelten und bezeichneten Krabben, Fliegenlarven und Schlangen, Amani Zentrallabor, 2013

Elitedenken wollte. Die Usambara Eule wurde 1908 gefunden von Vosseler; in den 30ern belauscht vom kauzigen Ehepaar Moreau; wiederentdeckt 1962 von einem Mr Gabriel Joseph, der sie jedoch rasch an Pringle abgab; und schließlich in der Kneipe der Afrikanischen Angestellten gerettet von White. Wir wissen nicht, ob Mr Joseph auch das Behagen am Finden empfand, noch ob sein Wundern universeller Instinkt war oder ein koloniales Erbteil. Auch in den unbeleuchteten Seitenkammern türmen sich Insektenkisten, eingefärbte Objektträger, Rayboulds Krabbenfallen und Paarungskäfige für Fliegen, sogar sein Fliegen-ZuchtApparat. Werkzeuge vergangener Forschungsarbeit, seit Jahrzehnten unbewegt. Die Dinge stehen, wo sie sich 1976 befanden, als Raybould nach England zurückkehrte, regelmäßig abgestaubt von der Laborantin Esther Kika, die, heute kurz vor der Pensionierung, in den 70ern der Netzballstar des Institutes war. John betrachtet das Sammelsurium, untersucht seine Insekten, doch weniger mit Bedauern als neugierig angesichts der biologischen Verwandlungen, die seine Hinterlassenschaften durchlaufen. Seine Sorge

gilt nicht seiner Vergangenheit, sondern dem gegenwärtigen Stillstand – daß jetzt hier nichts passiert, nichts mehr beobachtet und erforscht wird, obwohl es noch viel zu entdecken gäbe. Wenzels Notizen, 19.September 2013

Graben Wer sich der eigenen verschütteten Vergangenheit zu nähern trachtet, muß sich verhalten, wie ein Mann, der gräbt. […] Und gewiß ist's nützlich, bei Grabungen nach Plänen vorzugehen. Doch ebenso ist unerläßlich der behutsame, tastende Spatenstich in's dunkle Erdreich. Und der betrügt sich selber um das Beste, der nur das Inventar der Funde macht und nicht im heutigen Boden Ort und Stelle bezeichnen kann, an denen er das Alte aufbewahrt. So müssen wahrhafte Erinnerungen viel weniger berichtend verfahren als genau den Ort bezeichnen, an dem der Forscher ihrer habhaft wurde. Walter Benjamin: Gesammelte Schriften Bd. 4.1. Suhrkamp, Frankfurt a.M. 1980 (orig.1932), S.400-1

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John  Well, you can see the remains there, but… the significant taxonomic characters would have fallen off. You see, the legs have fallen off. Wenzel  [Laughs] So what do you actually see? I can’t see any animal. John  Well, here you see these little flies. Ann  They are tiny! Gespräch zwischen John Raybould, Ann und Wenzel, kurz nach der Öffnung von Johns 1976 verlassenem Laboratorium, 19.September 2013

Raybould beim Öffnen eines der von ihm angelegten Insektenkästen in Amanis Zentrallabor, 2013; Video Standphotos

Glasbehälter mit Krabben, gesammelt von Raybould auf einer Vortragsreise nach Kenia, 1974, Amani Zentrallabor, 2013

Alles andere scheint noch hier zu sein John  Yes, there is a collection here of different crabs and things. […]. Quite a lot of these could not really be named. These two here are, I think, not yet described. I just referred to them as, you know, “the small purple crab“ or “the yellow legged crab“, or something of that sort. […] [Moves on to adjacent room] This used to be the insectary. [Rummaging around] But it’s depressing. All these things deteriorate. It could be a rat breeding site or something. […] But, almost everything seems to be still here. It’s interesting that so much has survived, but there is a negative side to that: it means not much else is being done, because they did not use the facilities. John Raybould beim ersten Besuch seines früheren Labors, 19.September 2013

Schwer zu öffnen John  These would probably be specimens that were left when I left. […] I couldn’t carry everything off, especially stuff that was of no special interest. [John tries to open an insect box.]

Sieh! Ann  Look at this, all this stuff is just…., look! Wenzel  Its pristine, this whole place hasn’t been… Ann  Like, look, these samples there. Its just amazing. Ann und Wenzel flüstern bei der Untersuchung einer Abseite nach der Öffnung von Johns Laboratorium, 19.September 2013

Wenzel  Is the box hard to open? John  Yes, it’s become hard. Yeah, you see these are remarkably…. [reading the labels] Ah, yes: “January 1965, things collected in the three traps … on Mombasa [Ndomi] market”. Wenzel  So what are these? John  Well, they are just flies collected from various places. I mean certain materials we collected in connection with a specific investigation, and other materials just because it could be useful to have specimens of other species that we weren’t working on. […] [John opens a box of butterflies.] Ann  They are beautiful. [John opens another one.] John  Now look, these have deteriorated. “Simulium damnosum … sensualata”. They are from that site near Korogwe that we saw [when we stopped by the river yesterday].

Ann Kelly bei der Untersuchung der Abseite des Zentrallabors, 2013; Video Standphotos

Wenzel  Right, so the [specimens] have just disappeared?

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Homo ludens, oder „Ich suche eine Fliege“ Der letzte Abend von Johns vielleicht letztem Besuch. Nach gut zwei Wochen mit ihm und dem etwas jüngeren Steve Feierman, der in den 60ern jahrelang das erloschene Königtum dieser Berge studierte (aber nie einen Fuss nach Amani setzte); und nach langen Frühstücksgesprächen, vermittelnd zwischen ihren ganz unterschiedlichen Arten, diesem Ort zu begegnen, sehe ich klarer die Gemeinsamkeiten, auf denen unsere vergnügte Zusammenarbeit mit John fußt. Vor zwei Jahren waren Ann und ich zum ersten Mal mit John nach Amani gefahren. Johns Blick blieb immer wieder an irgendwelchen Dingen zwischen Kühlerhaube und Horizont hängen: Palmen, Steine, Rinder, Gebäude, Kinder, Kopfbedeckungen. Sie alle weckten Fragen und spekulative Antworten. In Amani angekommen, auf ziellosen Spaziergängen dann immer wieder diese plötzliche Verengung seiner Aufmerksamkeit, auf einen Epiphyten oder Vogel im Geäst, oder einen Ameisenlöwenbau im Sand des Weges. Als John in die Knie ging, um diesen rasch für uns auszugraben, lachten seine über siebzigjährigen früheren Assistenten einander über sein gebeugtes Haupt hinweg an – wie sie es sicher schon vor einem halben Jahrhundert getan hatten.

John Raybould in 1960er Feld-Jacke, in seiner Küche in Bristol, 2017

früh morgens den Middle Ridge entlang ging, vorbei an dem Haus, in dem er und seine Frau Katsuko ihre Familie gegründet hatten, dann an seinem Jungesellenhaus und an ihrem, bleiben wir an einem blühenden Rosenbusch halbwegs zwischen beiden Häusern stehen. Anstatt mit mir jedoch weitere Reminiszenzen zu teilen oder gar eine Rose zu pflücken, zerlegte John die Blüten, weil irgendetwas an ihnen ihm bemerkenswert erschien. Eine Rose ist, trotz Gertrude Stein, eben doch nur eine Rose, ist eine Rose.

Jeden Tag fand John dann etwas für uns – eine bunte Motte an der Schlafzimmerwand oder ein Chamäleon im Wald – genau so, wie er einst die damals noch namenlose baumnistende Krabbe entdeckt hatte. Dieses ungerichtete, scheinbar zufällige Finden bedarf einer Doolittle’schen abwesenden Gegenwärtigkeit. Diese Präsenz erlaubt John kein zeitliches Abschweifen, wenig Traum oder Nostalgie. Die Lebewesen sprechen zu ihm, bedeuten nicht Erinnerung. John sieht Amani in gewisser Weise immer wie zum ersten Mal.

Dem eklektischen Zeigen und Berühren wohnt der Ernst und das Glück des Findens inne. Einmal erklärte John einem skeptischen Dorfoberen, weshalb er in seinem Dorf sei, legte sich behutsam die Worte auf Kiswahili zurecht: „Ich suche eine Fliege”. Die Unmittelbarkeit des Findens überwiegt den Nutzen des Sammelns, selbst den Wunsch nach Verstehen. Und auch wenn John immer wieder Material ans Londoner Natural History Museum verschickte, so bestimmte nicht er die neuen Arten, fand auch keine feste Universitätsstelle, sondern machte seinen Schrebergarten zum Ort des allgegenwärtigen Wunderns.

Er enttäuschte so manchmal unsere Erwartung an ihn als Zeuge des Vergangenen. Als ich einmal mit ihm

In der Lust am Finden liegt vielleicht unsere Symphathie begründet; an dem, was Benjamins amerikanischer

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Übersetzer frei doch treffend „this dark joy of the place of the finding itself“ nannte; an der Gegenwart der Dinge; der überraschenden Begegnung mit dem Anderen in Lebewesen, Landschaft, Spur. Eine Zuneigung unter „Eingeweihten“ also, wie Jünger sie bei älteren Entomologen suchte: „zugleich tief und begrenzt“, begründet „auf dem gemeinsamen Anteil an einem beschränkten, doch unergründlichen Bereich“. Unser historischethnologisches Nachspüren ist oft so zerstreut wie Johns Naturforschung. Unser Blick ist der einer entomologischen Ethnologie: naturgeschichtlich, ästhetisch auf die Erscheinung des Gegenstands bezogen, aber nicht objektivierend und distanziert, sondern berührend, ertastend – „being with“ wie Nancy Hunt sagt – nur selten für Augenblicke erfassend. Wenzels Notizen, 29.Oktober 2015

John läßt das Zwergchamäleon wieder frei, Video Standbilder, Strasse bei Amani, 2013; Video Standphotos

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Kuratorenbüro, Booth Museum, Brighton, 2017

Wahrhafte Museen sind Orte, an denen sich die Zeit in Raum verwandelt. Orhan Pamuk: Das Museum der Unschuld, Frankfurt, Fischer, 2010, S.547

Wie sehr ein Gegenstand uns beeinflussen kann, hängt natürlich nicht nur von den objektiv damit verbundenen Erinnerungen ab, sondern auch von den Launen unserer Phantasie und unseres Erinnerungsvermögens Orhan Pamuk: Das Museum der Unschuld, Frankfurt, Fischer, 2010, S.353

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Sammlung In diesem Buch ging es bisher um Spuren, die hinterlassen und wiedergefunden wurden. Sammlungen wurden vernachlässigt, hier wie in unserer Feldforschung selbst. Sammlungen implizieren Absicht, Ordnung und Dauer. Sammlungspräparate sind „entweste“ – wie es in der Museumssprache noch immer heißt – Lebewesen, tote Repräsentanten ihrer Art. Die Spur hingegen ist gerade nicht Zeichen oder Inschrift, nicht fixiert im System, stabil oder haltbar; sie ist sinnlos, bruchstückhaft, flüchtig – all das was die wissenschaftliche oder museale Sammlung nicht ist, oder nicht sein will. Wir wenden uns zuletzt dennoch Sammlungen zu, nicht nur, weil wir dabei sind, unsere eigenen Sammlungen aus Amani in einem Museum anzuordnen. Vielmehr ist uns spät – methodische Naivität ist ein Kennzeichen dieser Forschungen – aufgegangen, daß natürlich Sammlungen auch Spuren sind. Wie Ernst Jünger zu seinen „Hortungen“ von Insekten bemerkt: „Ich durchflocht die Eintragungen mit Notizen, die mit der Wissenschaft wenig zu tun hatten. Doch sie bewahrten das Drum und Dran. 10.000 lateinische Namen, jeder für sich bedeutend, bilden zugleich ein Netz von blitzenden Häkchen für die Erinnerung.“ Und obschon Jüngers politisches Gedächtnis in manchem gefährlich lückenhaft blieb (Unvollständigkeit ist ein Kennzeichen der Spur) erfasst er etwas vom Wesen der entomologischen Sammlung: „Die Inversion vom Objekt auf den Menschen: das ist keine Randbemerkung zum Thema, es trifft seinen Kern.“ (Ernst Jünger: Subtile Jagden. Klett, Stuttgart, 1967, S.206). Zusätzlich zur wissenschaftlichen Bedeutung, mal enger, mal loser mit ihr verknüpft, trägt jedes der naturhistorischen Objekte aus Amani, die entlang kolonialer und postkolonialer Machtgefälle ihren Weg in europäische Museen

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Entomologische Sammlung am CeNak, Universität Hamburg, 2018

gefunden haben, andere Geschichten in sich: Augenblicke des Findens, mit ihnen verbundene individuelle Erfahrungen und Beziehungen und historische politisch-ökonomische Gewaltverhältnisse sowie deren Veränderungen. Zugleich werden die biologischen Präparate, einzeln oder als ganze Sammlungen, selbst Teil größerer Geschichten – natürlicher Veränderungen, historischer Brüche sowie veränderter Sichtweisen. Die verwandelnden Kräfte der in Sammlungen eindringenden Flora und Fauna lassen sich nur mit einigem technischen und personellen Aufwand zurückdrängen. Die Linneschen Systeme sind auf Grund von neuen Funden, genaueren Methoden und taxonomischen Auseinandersetzungen in steter Veränderung. Selbst solide, auf nationale, gar imperiale Fundamente gebaute Sammlungen werden Opfer politischer und ökonomischer Bedingungen oder gar von Gewalt und Krieg. Was unbeschadet natürlichen Verfall und historische Widrigkeiten übersteht, verändert seinen Sinn: nicht zuletzt ethnographische Sammlungen in Europa haben ihre Bedeutung über post-imperiale Zeiträume hinweg verändert, haben ihre Bestimmung und innere Ordnung

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verloren oder sich gegen die Intentionen ihrer Begründer gewandt; sie sind skandalös geworden – im Wortsinn als „Steine des Anstoßes“ zum Nachdenken über die andauernde Wirkung differenzierender Gewalt oder im Sinne flüchtiger politischer Erregung. Mit anderen Worten, Sammlungen sind, obwohl bewußt gesetzt und oft von der Aura universeller Ordnung, Vollständigkeit und Dauer – Ewigkeit und Vollkommenheit – umgeben, eben auch Spuren, die sich im Nachspüren erst entfalten. Sie geben Anlaß zu Begegnungen und Berührungen, vermögen zu enttäuschen und zu überraschen, stiften Beziehungen und lösen Konflikte aus. Sie sind daher, wie erfahrenere Sozialanthro­ pologen schon vor uns bemerkten, durchaus lebhafte Orte für ethnographische Teilnahme. Während der Vorbereitungen zur Hamburger Amani Ausstellung machten wir uns daher auf die Suche nach Dingen aus Amani, die über fast ein Jahrhundert an Museen in aller Welt versandt worden waren, wo sie betrachtet, beschrieben und geordnet oder zumindest aufbewahrt wurden. Diese Versammlungen von biologischem und anderem Material erschienen uns als beruhigendes Gegenbild zur Unordnung und Auflösung der im vorigen Kapitel beschriebenen, in Amani zurückgelassenen biologischen Präparate, die sich eher zufällig angesammelt hatten – aufgrund von begrenzten Umzugskontingenten und nach Verschiffung des wissenschaftlich wertvollen Materials – und keine kuratorische Aufmerksamkeit mehr genossen. Wir stellten uns die europäischen Museen dagegen als Zielorte vor, wo die wissenschaftlich fixierten Objekte ihre letzte Ruhe finden würden – fixiert in universellen taxonomischen und institutionellen Ordnungen, geschützt vor biologischen und chemischen Verfallsprozessen und jenseits gesellschaftlicher Veränderung. Unsere Besuche bei den Gegenständen, die vor Generationen aus Amani nach Europa gekommen

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waren, erlaubten keine gründliche „Feldforschung im Museum“, und nicht einmal „Provinienzforschung“, wiewohl Fragen von Herkunft und Eigentum, Verlust und Rückgabe immer wieder in Gesprächen mit Kuratorinnen aufkamen. Es war uns darum zu tun, den Dingen, die Amani so lange vor uns verlassen hatten, wieder zu begegnen; kurz ihre museale Ruhe zu stören und sie einen Moment lang am Ort zu beobachten. Auch wenn dabei die Freude des (Wieder) Findens, das Wunder der kleinen Entdeckung – maxime miranda in minimis (das Wunderbarste im Kleinsten) – der subjektive Affekt, die Schönheit des Eigenartigen im Vordergrund stand, ist die Gewalt am Ursprung dieser Sammlungen nicht Nachgedanke sondern immer Voraussetzung. Der harte Griff der Aneignung und systematischen Ordnung, die Entwesung und Isolation, sind in jedem der Objekte faßbar, ebenso wie die Differenzierung von Menschen nach Klasse und Rasse, welche die Voraussetzung des Sammelns sowie der Museen selbst war.

Ornithologische Schaukästen mit Pinguinen und Aufblastier, Booth Museum, Brighton 2017

Relikte von Vitrinen Ismail, Kurator am Booth Museum for Natural History in Brighton, hatte mir freundlich auf meine Anfrage geantwortet, ob sein Museum

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Mick Gillies und seine Kinder beim Sezieren einer Giftschlange, Amani, 1966; Lichtbild, Mick Gillies

Einmachgläser mit von Mick Gillies um 1966 erlegten Schlangen, Booth Museum, Brighton, 2017

Material aus dem Nachlass von Mick Gillies, Entomologe in Amani von 1951 bis 63, besäße: er werde bis zu meinem Besuch versuchen, etwas zu finden. Gillies Tochter Susie, nach Neuseeland ausgewandert, hatte dem Museum die biologischen Präparate ihres Vaters überlassen, die sie aufgrund von Zollbestimmungen nicht hatte ausführen können, und an denen das Londoner Natural History Museum kein Interesse hatte. So machte ich gleich nach der Ankunft in London einen zu eiligen Abstecher nach Süden in der Hoffnung, etwas für Marieles und Evgenias Londoner Ausstellung zu finden.

Insektenkästen, Schachteln, Knochen und Schädeln. Am Waschbecken in der Ecke machte er uns Tee, räumte einen Stuhl für mich frei und begann zu erzählen von seinen Forschungsinteressen, den technischen Herausforderungen der Taxidermie, von Besucherzahlen, Einsparungen und drohender Privatisierung und der Unmöglichkeit, mit wenigen Angestellten den Wust der Sammlung zu ordnen.

Der Taxifahrer kannte das Museum nicht. Schließlich setzte er mich vor einem an eine viktorianische Fabrik erinnernden Gebäude ab. Das Innere der auf Gußeisensäulen ruhenden Halle war bis unter das hohe Dach gefüllt mit großen Dioramen: Britische Vögel in typischen Landschaften, dramatisch arrangiert in der Balz oder auf dem Nest, gemeinsam mit verwandten oder ähnliche Biotope bewohnenden Arten, oder im erstarrten Kampf mit ausgestopften Raub- oder Beutetieren. Besonders beliebt, so die Kassendame, sei die Sammlung bei Schulkindern. Der junge Kurator führte mich hinter diese wunderbare Kulisse, in sein mit dem anderen Kollegen geteiltes Arbeitszimmer, dessen Tische, Regale und Ablagen gefüllt waren mit Papier,

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Nach dem Tee brachte er drei Einmachgläser mit Giftschlangen, die Gillies 1966 – von Raybould photographiert – im Garten in Amani vor den Augen seiner Töchter getötet hatte. Besonders eindrucksvoll ein Kopf mit aufgerissenem Maul und Fangzähnen. Daneben eine Plastiktüte mit sogenannten „Sanddollars“, Gehäusen flacher Seeigel, gesammelt in Pangani, dem von Amanis europäischen Familien bevorzugten Badeort (auch Ursprung des antikolonialen Aufstandes von 1888). Die nachfolgende Suche, zwischen Stapeln räudiger Tierfelle, nach der von Gillies‘ Tochter erwähnten Pythonhaut blieb erfolglos. Zwei einzeln verpackte Ameisen stammten leider aus Westafrika, wo Gillies nach Amani gearbeitet hatte. So brachte ich schließlich nur die Schlangenköpfe im Rucksack zurück nach London. Zufällig abgelagerte Spuren eines Wissenschafterlebens, Materialien für ein Diorama familiären Alltags, bewahrt in einem übriggebliebenen, wie nachgestellten Museum eines Naturkundemuseums.

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Verbrannt Die Zoologischen Sammlungen der Universität Hamburg werden aktiv wissenschaftlich betreut und in Forschung und Lehre genutzt. Kuratorinnen hier sind nicht bloße Hüter, sondern Spurensucher, die innerhalb ihrer fensterlosen Reiche Schätze entdecken – zuvor unbemerkte Merkmale, Verbindungen oder Unterscheidungen – oder versuchen herauszufinden, was eigentlich in den (immer „noch“) nur teilweise katalogisierten Magazinen ist. Mit den Präparaten hüten sie Geschichten über das Sammeln – Reisen, Begegnungen, Lebensläufe, historische Verstrickungen – und erzählen seltenen Besuchern gerne von früheren Kuratoren: Professor Weidner, der nicht nur Insektenbauten kunstvoll präparieren ließ, sondern auch Schubladen zu Themen wie „Flohzirkus“ zwischen den taxonomisch geordneten Regalen hinterließ und einen Überblicksartikel zum „Flohzirkus und seiner vierhundertjährigen poesiereichen Geschichte“ verfaßte; oder den Ornithologen Professor Meise, der als „Allrounder“ auch Schnecken und anderem Getier zugetan war und auf zu Karteikarten zerschnittenen Werbeplakaten die im Krieg verlorenen Kataloge rekonstruierte, und der schließlich, hundertjährig und nicht mehr gut zu Fuß, die technische Kuratorin Frau Bracker regelmäßig bei sich zu Hause empfing, um weiter am Leben „seiner“ Sammlung teilzuhaben sowie im regen Gespräch Wissen weiterzugeben.

In Amani zur Zeit der deutschen Besatzung gefangene Grashüpfer der Gattung Attractomorpha, zwischen Artgenossen aus anderen Teilen des deutschen Kolonialreiches, CeNak, Universität Hamburg, 2018

Auf den Krieg kommt die Rede gleich beim Betreten der entomologischen Sammlung. Die Hälfte der Präparate, bemerkt deren Leiter, Herr Husemann, sei verbrannt. Teile der „Nassammlung“ überdauerten wegen alkoholbedingter Explosionsgefahr in U-Bahn Tunnels; während einige Insektenkästen zusammen mit Herbarien, Handschriften und Kunst auf Schloss Mutzschen in Sachsen „überlebten“, und nach Umwegen über die Sowjetunion nach Hamburg zurückkehrten. Da auch große Teile des Katalogs verbrannten, bleibt die Rekonstruktion des Bestandes und des Zerstörten Aufgabe zukünftiger Kuratoren. „Wenn man denn die nötige Zeit hätte“. Hier lagern Millionen von Tieren aus aller Welt, und doch ist es eine sehr deutsche, vom Krieg versehrte Sammlung. Herr Husemann erwähnt in diesem Zusammenhang auch eine Schublade von in den Lagern gesammelten Flöhen sowie Filzläuse von den Körpern von Weltkriegssoldaten. Trotz der ruhigen Ordnung der polierten Holzschubladen, der brandsicheren Metallschränke und regelmäßig mit Alkohol nachgefüllten Glasbehälter, ist also auch diese Sammlung eine Art Ruine. Die bewahrten Präparate sind Überlebende, die Spuren vergangener Gewalt mit sich schleppen. Dies gilt auch für die bunten Schrecken aus Amani, genadelt mit winzig gedruckten oder mit verschnörkeltem Sütterlin beschrifteten Etiketten, in Glaskästen sortiert zwischen Verwandten und Artgenossen aus, wie man so sagt, „aller Herren Länder“.

Alkoholpräparate von Insekten, gesammelt von Julius Vosseler in Amani um 1910, CeNak, Universität Hamburg, 2018

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Erbe und Evolution Im Herbarium Hamburgense in Klein Flottbek führt das Gespräch wieder zum post-kolonialen Bewußtsein der Hamburger Universität. Der Ursprung des Herbars liegt im überseeischen Handel der Stadt. Besonders die „angewandte“ Botanik, seit 1912 von der „allgemeinen“ getrennt, zu welcher das Herbar dann gehörte, handelte von Naturressourcen und Warenaustausch. Herr Schultz, Flechtenkundler und Kurator, verfolgt aktiv die jüngste Debatte um koloniale Provenienz und Restitution. Denn auch der außerordentliche geographische Umfang des Herbars – das selbst der Grundlagenforschung diente – wurde auch durch die Ausweitung von Reise- und Sammlungsaktivitäten im Gefolge der kolonialen Expansion ermöglicht. In seiner historischen Tiefe liege zugleich der Wert der Sammlung für Botaniker – und nicht nur für deutsche, wie regelmäßige Anfragen afrikanischer Kollegen zeigten. Deren Interesse richtet sich mehr auf die evolutionäre Zeitlichkeit von Systematik und Taxonomie als auf Kolonialgeschichte. Erst kürzlich war ein Student aus Kamerun bei Herrn Schultz, der „heilfroh war, das Material hier zu finden“. Auch wenn das Herbar zahlreiche, die jeweilige Art definierende, „Typusbelege“ bewahrt, die

Herbariumsbeleg des aus der Gegend von Amani stammenden Usambaraveilchens, Herbarium Hamburgense, 2019

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Forschern aus aller Welt zur Verfügung stehen, liegt der Wert eines Herbars nicht nur in Einzelbelegen, sondern in ihrer Ansammlung. Erst diese ermöglicht sowohl das Studium der Flora bestimmter Gegenden und deren historischer Veränderung, als auch systematische Einordnung und Vergleiche. Die einfache Rückführung der Belege an ihre Ursprungsorte würde solche Forschung erschweren, ohne dabei koloniale Aneignung und Ausbeutung ungeschehen, oder vom Kolonialismus angerichtete Schäden wiedergutzumachen. „Wie soll ich damit umgehen?“, fragt Herr Schultz, und verweist, neben dem traditionellen Austausch von doppelten Belegen und erleichtertem Zugang für afrikanische Forscher, auf neue Technologien der „digitalen Restitution“. So macht etwa die „African Plants Initiative“ Tausende im globalen Norden lagernde Typusbelege weltweit verfügbar. Doch geht es heute nicht nur um Systematik und Morphologie: die DNA selbst jahrhundertealter Pflanzen kann dank neuer Methoden Möglichkeiten ökonomischen Gewinns öffnen. So führen Fragen über Wissen und Wert hier nicht nur in die Vergangenheit kolonialer Ausbeutung, sondern zu zukünftigen Formen von Aneignung und Ungleichheit. Der Auftrag öffentlicher Institutionen wie des Herbars sei deshalb, sagt Herr Schulz, Wissen möglichst gerecht zugänglich zu machen.

Herbariumsregister aus dem späten 19. Jahrhundert, Einträge von Stuhlmann aus Amani verzeichnend, Herbarium Hamburgense, 2019

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Zentrum eines vergangenen Reiches Wenn es denn ein wirkliches Gegenstück zur verfallenden Sammlung in Amani gibt – vollständig, geordnet und stabil – ist es das Natural History Museum in London, eines von zwei, vielleicht drei (die Britische Kuratorin zögert hier) Weltzentren der naturkundlichen Sammlungsarbeit, erbaut als der Großteil der Weltkarte noch britisch „rosa“ war, und sich vom Herzen des Weltreiches ausgehend die Erkenntnis vom „Ursprung der Arten“ durchsetzte. Eine Kathe­ drale des Darwinismus, ein viktorianisches Monument für eine endgültige Ordnung des Seienden. Von 80 Millionen Präparaten, darunter die weltgrößte Anzahl einmaliger Referenzexemplare, ist ein spektakulärer Teil der Öffentlichkeit zugänglich. So stehen an diesem Vorweihnachssamstag Hunderte, vor allem Familien mit Kindern, vor dem Eingang Schlange. Mariele Neudecker, John Raybould und ich schlüpfen nach dem Lunch in South Kensington, durch einen Seiteneingang in das Museum. Zoe Adams, wie John geachtete Expertin für Kriebelmücken, führt uns durch die noch nicht geöffnete Schausammlung unter dem berühmten Walskelett hindurch bis ins Innerste des Museums, einem eiförmigen, mehrere Stockwerke hohen Magazin, vor dessen Betreten wir Jacken und Taschen ablegen müssen. Zielsicher manövriert Zoe zwischen den auf Rollen beweglichen Stahlschränken, in denen Tausende von Kriebelmückenarten kühl, dunkel und trocken lagern, und findet die von John gesammelten Präparate und den Typusbeleg der nach ihm benannten Simulium raybouldi. Schließlich hält John noch einmal den Objektträger mit den bestimmungswichtigen Extremitäten der von ihm 1966 bei Amani gefangenen S.rayboldi in der Hand. Ein Kasten metallisch schimmernder S.bovis ulangae weckt Erinnerungen an den Tag am Ufer des Ulanga Flusses, als er verstand, daß ihr besonderer Glanz auf dem besonderen

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Mineraliengehalt des Wassers beruhte. Vielleicht ist dieser Moment der Wiederbegegnung nach einem halben Jahrhundert mit dem einstigen Fundstück tief in der riesigen Sammlung spektakulärer für Mariele, die eifrig fotografiert, und für mich, als sie für John selbst ist? Und während ich noch staune, frage ich mich was das Ganze eigentlich soll, wähne mich am Ende unseres Forschungsprojektes, wo das große Wundern sich im kleinsten Gegenstand schließlich doch verliert. Am Ende des Rundgangs, in Zoes Nische im Großraumbüro der Kuratorinnen, sitzt John im Drehstuhl des verstorbenen „KriebelmückenMannes“ Crosskey (mit Namensschild), was das Gespräch auf Veränderungen von Arbeit und Leben im Museum bringt. Früher sei man hier, als man zur Arbeit antrat, gefragt worden, welche Gattung man bearbeiten wolle, bevor man für ein paar Monate in den entsprechenden Sammlungsbereich geschickt wurde, um „etwas Interessantes zu finden“. Heute gibt es weniger feste Stellen und immer weniger Zeit für eigene, selbstbestimmte Forschung. Besucherzahlen und neue Einkommensquellen rücken in den Vordergrund. Auch der weitere Sinn des Museums hat sich verändert: Geschaffen als zu vervollständigende Sammlung alles Lebendigen, wird es zum Archiv des Aussterbens, anhand dessen der von Menschen bedingte Artenschwund sich ermessen läßt. Der Tempel des Lebens wird Mausoleum.

Englische Schmetterlinge, vom 12-jährigen Raybould während der Sommerferien in Südengland gesammelt und auf seinem Dachboden aufbewahrt, Bristol, 2017

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Schmetterlingsjagd

John Raybould bei der Betrachtung von S.bovis ulangae, die er um 1968 in Südwesttansania gesammelt hat, Natural History Museum, London, 2018

Genadelte Kriebelmücken, gesammelt von John Raybould, Natural History Museum London, 2018

Gelegentlicher Sommerreisen unbeschadet bezogen wir, ehe ich zur Schule ging, alljährlich Sommerwohnungen in der Umgebung. An sie erinnerte noch lange an der Wand meines Knabenzimmers der geräumige Kasten mit den Anfängen einer Schmetterlingssammlung, deren älteste Exemplare in dem Garten am Brauhausberge erbeutet waren. Kohlweißlinge mit abgestoßenen Rändern, Zitronenfalter mit zu blanken Flügeln vergegenwärtigten die heißen Jagden, die mich so oft von den gepflegten Gartenwegen fort in eine Wildnis gelockt hatten, in welcher ich ohnmächtig der Verschwörung von Wind und Düften, Laub und Sonne gegenüberstand, die dem Flug der Schmetterlinge gebieten mochten. […] Die Luft jedoch, in der sich dieser Falter damals wiegte, ist heute ganz durchtränkt von einem Wort, das seit Jahrzehnten nie mehr mir zu Ohren noch über meine Lippen gekommen ist. Es hat das Unergründliche bewahrt, womit die Namen der Kindheit dem Erwachsenen entgegentreten. Langes Verschwiegenwordensein hat sie verklärt. So zittert durch die schmetterlingserfüllte Luft das Wort „Brauhausberg“. Auf dem Brauhausberge bei Potsdam hatten wir unsere Sommerwohnung. Aber der Name hat alle Schwere verloren, enthält von einem Brauhaus überhaupt nichts mehr und ist allenfalls ein von Bläue umwitterter Berg, der im Sommer sich aufbaute, um mich und meine Eltern zu behausen. Und darum liegt das Potsdam meiner Kindheit in so blauer Luft, als wären seine Trauermäntel oder Admirale, Tagpfauenaugen und Aurorafalter über eine der schimmernden Emaillen von Limoges verstreut, auf denen die Zinnen und Mauern Jerusalems vom dunkelblauen Grunde sich abheben. Walter Benjamin: Gesammelte Schriften Bd. 4-1. Suhrkamp, Frankfurt am Main, 1980 (orig. 1932), S.244-45

Holotypus von Simulium raybouldi, Natural History Museum London, 2018

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Die Kinder von Denise und Anthony Carlos: Denis, Brian (John) und rechts, ihre Puppe haltend, die vierjährige Deirdre, Amani, um 1966

In meinen Gesprächen mit Indar über Afrika […] fühlte ich, daß zwischen uns eine Unaufrichtigkeit lag oder nur eine unausgefüllte Stelle, eine Leere, die wir beide vorsichtig umgehen mussten. Das war unsere eigene Vergangenheit, das zerschlagene Leben unserer Gemeinschaft. […] Er sagte, daß er gelernt habe, auf der Vergangenheit herumzutrampeln. Zuerst sei es, als trampelte man auf einem Garten herum, dann habe man einfach Boden unter den Füßen. Vidiahar S. Naipaul: An der Biegung des großen Flusses. DTV, München, 1993, S.139-140

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Kinder in Eden

Ich weiß sehr wenig von ihm

Blinde Flecken Der vorweihnachtliche Besuch im Londoner Natural History Museum sollte unsere Suche zum Ende bringen. Gemeinsam mit John Raybould, dem ursprünglichen Finder und Namensgeber, die 50 Jahre alte Mücke wiederzufinden, war eine würdige Zuspitzung unseres materiell-affektiven Interesses – vielleicht ein Schritt zu weit jenseits der Sinnsuche. Dann kam jedoch, während John und ich am Vorabend des Museumsbesuches ein Curry aßen, eine Nachricht von Aloyce aus Amani. Dieser lag ein Photo von zwei indischen Besuchern bei, deren aus Goa stammender Vater einst in Amani Verwalter gewesen sei. Prompt begann John, noch einmal die Geschichte von Brian Carlos, Taufe zu erzählen, auf der er der einzige europäische Gast gewesen sei, da er, wohl im Gegensatz zu seinen Zeitgenossen, „nicht viel auf solche Gruppierungen gab“. Sein Freund Carlos, sagte John weiter, sei einsam gewesen in Amani, da nicht nur viele Afrikaner die Inder nicht geschätzt hätten, sondern auch die jüngeren, antikolonialen Europäer mehr Interesse an richtigen Afrikanern gehabt hätten als an den indischen früheren kolonialen Mittelsmännern. Wenige Tage danach kam eine Nachricht von Carlos, Tochter Deirdre, die, inzwischen zurück aus Amani, mehr über ihren Vater wissen wollte. Wir hatten viel weniger über ihn gelernt, als über andere europäische und afrikanische Bewohner Amanis und hatten ihn nur am Rande einiger Fotografien bemerkt. Die Verbindung von zurückschlagendem kolonialen Rassismus und seiner fortschrittlichen anti-kolonialen Umkehrung gab wenig Raum für Zwischentöne im schwarz-weißen Afrika. In gerade diesem Moment postkolonialer Vedrängung war Anthony Carlos aus dem Leben seiner Familie verschwunden. Nun suchte die Tochter nach Resten, wollte zurückkehren, sich erinnern. Diese überlappenden blinden Flecke warfen plötzlich Licht auf noch eine neue Ansicht von Amani.

WhatsApp Nachrichten von Aloyce Mkongewa und Deirdre England, geb. Carlos, empfangen in London, November 2018

Dear Wenzel, Thanks for contacting me! It’s exciting to talk to someone who actually knows a bit about Amani. I’d like to tell you a little about myself: my parents moved [to Amani in 1962], because my father (Anthony Carlos) worked for the government. Aloyce tells me he must have been an employee of the NIMR, but I really don’t know. My parents divorced years later, but even before that, my father hardly ever was home, so I know little about him. [If you have any information about my father, my brothers and I need it (my father is estranged).] At any rate, we lived at # 2, Lower Ridge Rd, next to one of the most influential persons in my life, the lovely Dr.Hubbard and his wife. He would show little me around the lab and explain things to me, and inspired my love of science. I’m now a physician, thanks to his mentoring. I’m now in practice in Saint John, New Brunswick. I’m the proud mother of two. I’m due to return to them after almost a month away in Tanzania. […] I met Aloyce recently in Amani and hit it off with that wonderful man. I look forward to communicating with you. Best, Deirdre E-mail von Deirdre England an Wenzel Geißler, 26.November 2018

Ein unbehaglicher Platz nach der Unabhängigkeit Dear Deirdre, […] I understand that it is important to learn more about your father. There is not so much I know, but that in itself might be significant. I enclose a few photographs […] made by Dr John Raybould – you might possibly remember him on account of his huge beard. He now lives in Bristol, with his wife Katsuko, whom he met in Amani. Now, John told me that your father did not have many friends, but not on account of his personality, but rather because his background put him in an awkward place in 1960s Amani: for the newly independent Tanzanians, ‘Indians’ were part of the old colonial system; and for the new generation of Europeans, Africa was to

Wenzels Notizen, 18.November 2018

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Die Familie Carlos, photographiert von John Raybould aus Anlaß der Taufe von Brian John Carlos, Amani, 1968; John Rayboulds Photoalbum

be ‘Africanised’, so they worked to help Africans to rise through the ranks. Maybe John is right that this was a reason why your father felt isolated. However, John befriended him, and they must have been quite close, because John became the Godfather of one of your brothers – I believe John said he was called Brian, and by mistake he was also baptised John (do you have a Brian John in your family?). John Raybould was an unusual person in the sense that colour didn‘t really seem to matter to him. It wasn‘t just that he was politically correct or anticolonial or something, but he just didn‘t care about the racist legacy of colonialism. So he was friendly with your father. […] What supports his description of isolation is the fact that in all the photo albums from the 60s and 70s that I have scrutinised, and in our interviews with European and Tanzanian staff, there is little trace of Mr Carlos. […] John said that he was very nice and sociable, so, again, I did not have the impression that it was his fault. Rather, the „Goans‘’ interstitial position in the British racist system made for a tricky place after independence, maybe especially so in Tanzania. I would much like to learn more about your father, and about your life in Amani. Yours sincerely, Wenzel E-mail von Wenzel Geißler an Deirdre England, 18.März 2018

Warum drei Namen? Quick note… Wish I could hug you . My brother Brian Michael JOHN Carlos was born at home in Amani and is the only one of us to have three first names (I often wondered why 3?). Aloyce told me about wacky doctor Raybould when I visited, mainly because there are such colourful stories about him! Brian rememberers NOTHING about his life before age 8, so this news will literally be life changing! Please let our mzee [old man, i.e. Raybould] know we send him love. Thank you, more later, Deirdre E-mail von Deirdre England an Wenzel Geißler, 18.März 2019

Ungewöhnlich für einen weißen Mann [John Raybould] was introduced to the priest and the priest mixed up the baby’s name with his name and added John. My brother is called Brian Michael John Carlos now. […] John was visiting us one morning when Brian was baby. […] We were eating breakfast – John was sitting at the table when the baby spilled milk. John immediately jumped up to clean the floor and wiped the table down. This is unheard of for a white man to do such a humble thing, so [my mother] remembers it to this day. She says that John “loved the Africans” (now, I’m not sure if this was a virtue in her eyes).

Lichtbilder von Anthony und Denise Carlos und ihren Kindern, Amani, um 1966; aus Deirdre Englands (geb. Carlos‘) Sammlung

Ein Geist aus der Zukunft Sonne und Regen und Busch hatten es fertiggebracht, daß das Gelände alt aussah, wie der Schauplatz einer toten Zivilisation. Die Ruinen, die sich über viele Morgen erstreckten, schienen von einer endgültigen Katastrophe zu sprechen. Aber die Zivilisation war nicht tot. Ich existierte in dieser Zivilisation und arbeitete in Wirklichkeit noch darauf zu. Und das konnte ein seltsames Gefühl erzeugen: wenn man zwischen den Ruinen war, geriet das Zeitgefühl ins Wanken. Man fühlte sich wie ein Geist, nicht aus der Vergangenheit, sondern aus der Zukunft. Man fühlte, daß das eigene Leben und der Ehrgeiz schon für einen durchlebt worden waren und man auf die Überreste dieses Lebens sah. Man war an einem Ort, für die den Zukunft gekommen und gegangen war. Vidiahar S. Naipaul: An der Biegung des großen Flusses. DTV, München, 1993, S.31-2

Notizen von Deirdre England nach einem Gespräch mit ihrer Mutter Denise, 2019

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Europäische Namen These photos show the family I was born into. My great grandfather’s family of a hundred years ago: Major Peter Nicholas D’Sousa. We have had European names for at least 6 generations. I think the aspiration, and the attitude to fellow Indians, is more than clear. E-mail von Deirdre England an Wenzel Geißler, 27.September 2019

Familie von Denise Carlos, geb. D’Sousa, Goa, frühes 20.Jahrhundert; aus Deirdre Englands (geb. Carlos‘) Sammlung

Die Angestellten der East African Common Services Organisation geordnet nach Dienstrang und kolonialer „Rassen’“-Kategorie; aus: Report on the Africanization, Angabe unten

Kolonialismus war internalisert

Afrikanisierung / Lokalisierung

Anthony [Carlos] was born in Thika, Kenya, May 12th, approx 1924. (He used to be Anthony Carlos Fernandes, until he dropped the Fernandes for unknown reasons. Strange, to cast off your family name.)[…] He must have been trying to “fit in” with the British, I can only guess. In my experience, East Indians usually only look down on other Indians and don’t really think about other races. However, I know my parents generation tried REALLY hard to copy the British and hated not being British. I was brought up with a sort of self hate, colonialism was internalized. We lived in Nairobi prior to moving to Amani about Dec 1962. We left Amani late 1968 or early 1969.

20. The structure of the service of the organisation is shown in the accompanying table and diagrams. There are 21,564 established officers, of whom 2,247 are Europeans, 5,821 Asians, and 13,496 Africans.[…]

I hear that Anthony is unfortunately needing to live in a care home in Goa at present, suffering from a dementing process and aggressive behaviour. (So that door is now closed for us.) E-mail von Deirdre England an Wenzel Geißler, 8.August 2019

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21. The administrative and professional class numbering 567 is made up of: (i) Europeans – 502 or 88% Asians – 22 or 4% Africans – 43 or 8% […] 23. It is evident from the above figures and from the diagrams which follow that the process of Africanising the services of the organisation will not be an easy task. There are hardly any Africans at the top level, nor are there numbers adequate at the intermediate level. The Africans are found only at the bottom level, a level which is not of immediate interest in any rapid Africanisation programme. To advance the material at this level to the top will either break the person or break the service. The inescapable conclusion

[..] is that Africanisation of the service can only proceed […] on a basis of massive scholarship and training programmes.[…] 33. The policy of Localisation was welcomed by Europeans and Asians but was opposed by Africans who argued that it operated to perpetuate the status quo, i.e. the domination of the upper rungs of the service by Europeans and Asians. […] The quality offered by Localisation did not therefore satisfy the aspirations of either the impatient African civil servant, or that of the ambitious politician, both of whom were not prepared to wait for the expansion of the educational system to correct the imbalance. Thus was the policy of Africanisation as against Localisation formulated, first in Tanganyika and later in Uganda. J.O.Udoji, Esq.: Report of the Africanization of the Public Services of the EACSO, Typoskript, Amani Bibliotheksarchiv, 1963, (handschriftlich rot unterstrichen) S.5-10

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She says that the European women would go to each other’s houses frequently; she felt that they only gossiped. She never actually went there. Had no interest in befriending them. […] No African women asked her over, and she did not ask anyone over either. She keeps saying that she was way too busy looking after us to socialize. […] Notizen von Deirdre England nach einem Gespräch mit ihrer Mutter Denise, 2019

Kinderleben in Amani

Geburtstagsfest im Haus des Direktors, Amani, späte 1960er Jahre; Jan Lelijvelds Photoalbum

Wir waren die einzige Indische Familie in Amani Apparently, we were the only East Indian family in Amani. The only other South Asians were Mr and Mrs Fernandez who worked at the Brooke Bond tea estate. [… ] There were two Sikh families that operated the sawmill, whose families lived in the logging camps. […] The men built the bunk beds for us children. We did socialize with the Fernandeses. My mother disapproved of them because he drank alcohol and kept Playboy magazines. They did have us over to their house sometimes. We did not reciprocate. Dr. Lelijveld invited us over to his house for two cocktail parties. There were only other Europeans there. No Africans, according to my mother. She said that some women tried to engage her in conversation but she had nothing nice to say about the parties and said she was bored. She said that Peggy, Bob Smith’s [British technical staff] wife, had her over to tea once, and she did like Peggy. I don’t know why that relationship never developed further. […]

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Dear Deirdre, See Hubert [Lelijveld]’s e-mail address above. He also remembered that your mother had some kind of school, where the smaller children from the station were taught. Do you have memories of that? And do you remember anything else about the children of the station, and who played with whom? I had never thought about children‘s life in Amani. Best wishes, Wenzel PS: The photo depicts, I believe, a birthday party in the director‘s house during your time. Can you remember the children? E-mail von Wenzel Geißler an Deirdre England, 15.März 2019

Älteste Schulfreunde Hi Wenzel, I am the blond boy in the chequered shirt. Ali Mutingi is the boy to my left. He was my best friend and the youngest of three brothers: Salimu and Ramadani. They lived in the house the other side of the main institute building next to the Boma [Director’s house]. Mr Mutingi was the senior engineer […]. Carmen, my sister is to to the right of me. The other girls would have been daughters of tea plantation families, but I do not recall their names. I have a powerful memory of being woken up in the middle of the night and being taken outside as the chimney at the Boma had caught fire. I remember seeing Mr Mutingi, a big powerful man walking up to the house with two huge fire extinguishers under each arm.[…] [I found this school report. You can see that the teacher signed it Carlos. I believe the Carlos family originated from Goa.[…] Thanks for letting Deirdre have my email address. She is now officially my oldest school friend. Interestingly although younger by only six months she has a much more specific memory to mine, or maybe it’s just different. Either way, we both feel privileged to have been children in such an Eden.] Regards, Hubert E-mails von Hubert Lelijveld an Wenzel Geißler, 18./22.März 2019

Deirdres 5. Geburtstag im Haus der Familie Carlos, Amani, 1967; aus Deirdre Englands (geb. Carlos‘) Sammlung

Schulpult Hubert Lelijvelds, das seine Eltern 1970 aus Amani 1970 mitgenommen hatten, mit Hund, Ipswich, 2019

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Glückliche Tage When we first arrived in Amani, I noticed the children – both English and African – just rambled around aimlessly or playing. When we settled into the house we were allocated, I decided that Denis and Deirdre would not waste their time like that. […] So they had to have “school” for an hour each day. Both of them were very good students and picked up their lessons and prayers very quickly. They would also give a “concert” by bowing and then reciting poems and singing. If Deirdre forgot to curtsy, Denis would remind her with “booww Deirdre.” […] A few months later, the ladies from the boss‘s wife to all and sundry, asked me to teach their children. All of them were between 5 and 7. Except Jane who was 12 and

was never taught the alphabet or numbers. She was extremely shy and reminded me of myself. The Maintenance Officer of the Station, Bob Smith took an interest in my little school, and before I knew it, I had newly made desks and chairs and blackboard. The wives of the personnel also sent away to London for […] teaching material, at their expense. This was a great help. The package came and was addressed to: The Principal of the The Amani Nursery School! Actually, I was, first the chef, cook and bottle washer, teacher and perhaps, principal (with a small p). […] Those were my happiest days there. Memoiren von Denise Veeda Carlos (geb. D’Sousa), abgefaßt 2018

Nach all den Jahren Dear Hubert, After all these years what can I say? I wish I could instead […] go out for a coffee to talk about our childhood in Amani. […] Where do I start? Well, my childhood in Amani was magical. […] My memories of my first 7 years, spent in the cool greenery and inside the exciting labs – [the labs were my second home; did you hang around the labs?] – are nothing but idyllic. They changed my DNA. They supported me through […] life and allowed me to follow my dreams. I became the doctor I wanted to be at age 4, and now live in Canada.  I think you are a couple of years older than I? I do remember being very taken with you. I thought you were the most grown-up, smart, cool dude ever. I had an older brother, Denis, that I also worshipped for his smarts. […] Do you remember having a pet bush-baby? When I think of you now, that scene comes to mind, you showing us kids that beautiful creature, big eyes looking at us, you explaining everything. Did you have a younger sister? I can’t remember. […] Do you remember the wonderful scents? Flowers everywhere. One day, a cinnamon tree fell over and I went with our servant Salim to cut bark from it. The warm humid air was drenched in cinnamon and wild forest scents. […] So many years went by and my heart stayed in those enchanted hills. I finally went back last November with my brother Dave. It was again otherworldly and I was amazed that my memories were accurate. I began to understand just how amazing that ancient forest is. [Our house] is there. Aloyce’s brother Anton is renting it now and allowed me in. Where did you live? I’m planning on returning there to work from time to time. There are so many medical needs. Please write when you can, I’d love to keep in touch. Sending you love, Deirdre (“Carlos” then, “England“ now) E-mail von Deirdre England an Hubert Lelijveld, 18.März 2019

Schulzeugnis des fünfjährigen Hubert Lelijveld, unterzeichnet von Denise Carlos, Amani, 1967; aus Hubert Lelijvelds Sammlung

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Hubert Lelijveld mit Mutter und Geschwistern auf dem Markt, vermutlich in Muheza, späte 1960er Jahre; Super 8 Standphotos, Jan Lelijveld

Seite aus der Autobiographie der zwölfjährigen Deirdre Carlos, um 1974 in London verfasst; aus Deirdre Englands (geb. Carlos‘) Sammlung

Meine Erinnerung beginnt in Amani Hello Deirdre, […] It would indeed be lovely to sit with a coffee and reflect on a very special and privileged childhood in Amani. I have wonderful memories of wandering all around the extended community without a care in the world. On my own or in the company of Ali Mutingi, walking bare foot looking after cows or eating raw cinnamon straight off the tree trunks. Swimming in the river near the village by the dairy. Walking up and over Lion Hill down to your house on the other side. […] We arrived in Amani around 1966. My father Dr Jan Lelijveld was the Director of the Institute and was the first Dutch man to work there after the British stopped funding any further Directors. […] My memory starts in

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Amani. I was essentially a lone child as my brother Daudi went straight to boarding school, and my sister Carmen was a baby looked after by her Aya Elizabetty. I had the run of the place and I suspect I was left alone to enjoy myself as my parents felt I was safe. […] Dad says I spoke Swahili like a true African and I remember always paying my respects to my African elders by saying “Shikamo Baba”, and they would answer “Marahaba”. I learnt my respect for my elders from that. I only have a few words of Swahili left, which is a shame. Mum died just over a year ago, before her dementia took over. She would have remembered your mother and all sorts of details. I remember the wonderful foliage and forest. I can see the African gardeners

swinging their pangas cutting the lawn in front of the Institute. We lived in the Boma next to the administration block. The entrance to our drive was adjacent to the small Post Office building. My life changed overnight when I was sent from Amani to join my brother at […] school […]. I would have been seven years old. Out of paradise and into a new world of boarding school life. […] I went on to study medicine in London and now work as a family doctor in Ipswich in the UK. Anyway that’s a thumbnail sketch of how another Amani child made their way in the world.  Best wishes, Hubert E-mail von Hubert Lelijveld an Deirdre England, 18.März 2019

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Ihr Kopf ist gespalten Dear Wenzel, I finally was able to convince Dorothy to pose for me. Dorothy is my oldest toy, she’s been a friend since Amani. [I was told that I named my doll after the main character in thee Wizard of Oz. But I never really liked that movie. Maybe my mother named her.] I don’t know what my parents had to do to get her for me and how she ended up in Amani, after being made in Hong Kong. Anyway, we met and she stayed with me all these years, I’m surprised she made it. She’s wearing the same dress I made for her. First, she had to survive me practising my injection technique on her. Dr White gave me a set of glass hypodermic syringes to play with at age 4. Well, it was the 60s! Then her eyes fell out and she cracked her head. This lead to a second career in smuggling. We used her to carry out gold Krugerrands when we had to leave Tanzania a few years later with very little. She also smuggled out a plant cutting that my mother liked.  This must’ve tired her out as she’s been seeming very quiet since 1970. I wonder what she’ll get up to next. Hope you enjoy meeting her even though she’s a bit scary now. Deirdre  E-mail von Deirdre England an Wenzel Geißler, 11.August 2019

Kindheit I’ll bore you with a poem that seems to capture how I feel about all this: When I visited Amani in November I was sleeping in the guest house and it began to rain. I woke up with a sudden happy recognition, like seeing someone you love after many years – it was exactly the same rain sound that I listen to on Spotify when I can’t sleep. It must have been one of the sounds I loved as a baby. E-mail von Deirdre England an Wenzel Geißler, 12.August 2019

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Dorothy, Frontansicht mit fehlenden Augen und Seitenansicht mit gespaltenem Kopf und Impfungen am Arm, 2019; aus Deirdre Englands (geb. Carlos‘) Sammlung

Es wäre gut, viel nachzudenken, um von so Verlornem etwas auszusagen, von jenen langen Kindheit-Nachmittagen, die so nie wiederkamen – und warum? Noch mahnt es uns – : vielleicht in einem Regen, aber wir wissen nicht mehr was das soll; nie wieder war das Leben von Begegnen, von Wiedersehn und Weitergehn so voll wie damals, da uns nichts geschah als nur was einem Ding geschieht und einem Tiere: da lebten wir, wie Menschliches, das Ihre und wurden bis zum Rande voll Figur. Und wurden so vereinsamt wie ein Hirt und so mit großen Fernen überladen und wie von weit berufen und berührt und langsam wie ein langer neuer Faden in jene Bilder-Folgen eingeführt, in welchen nun zu dauern uns verwirrt. Rainer Maria Rilke, 1.7.1906, Paris

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Autor*innen Evgenia Arbugaeva wurde in Tiksi in der russischen Arktis geboren. Seit der Ausbildung am International Center of Photography, New York, arbeitet sie freiberuflich. Ihre Arbeiten handeln oft von ihrer Heimatgegend, der Arktis, und den Menschen, die sie bewohnen. Arbugaeva erhielt den ICP Infinity Award, den Leica Oskar Barnack Award und den Magnum Foundation Emergency Fund Grant und publiziert, u.a., in National Geographic, Le Monde, und New Yorker.   Rehema Chachage, geboren in Daressalam, ist bildende Künstlerin, Kunstkoordinatorin, Forscherin und Autorin. Ausgebildet an der Michelis School of Fine Art, South Africa und Goldsmiths, London, ist sie gegenwärtig Doktorandin an der Akademie der Bildenden Künste in Wien. Ihre Arbeiten beschäftigen sich mit Prozessen der Geschichtserzählung sowie der Bewahrung von Geschichte.

Benjamin Gollasch, M.A., Studium der Geschichte an der Universität Hamburg. Forschungsschwerpunkte: Geschichte des Kolonialismus, imperiale Biografien, Provenienzforschung zu kolonialen Sammlungen. Titel der Masterarbeit: Vom Forschungsreisenden zum politischen Entscheidungsträger – Franz Ludwig Stuhlmann und die kolonialen Reformbestrebungen in Deutsch-Ostafrika vor 1906.

Peter Ernest Mangesho ist medizinischer Anthropologe und Soziologe und Principal Research Scientist am National Institute for Medical Research (NIMR) in Tansania. Er hat zu Themen wie Malaria, HIV/AIDS, klinische Versuchsteilnahme, Medizingeschichte, Gesundheitssysteme und Gesundheitspolitik geforscht. Sein gegenwärtiges Projekt beschäftigt sich mit Zoonosen und Antibiotikaresistenz in Ostafrika.

Ann H. Kelly ist Reader in Global Health Anthropologie am Kings College London. Sie beschäftigt sich mit soziomateriellen Praktiken, Politik und Vergangenheit von Global Health Forschung und Innovation in Afrika. Sie arbeitet an einem Manuskript mit dem vorläufigen Titel: „Pragmatists in the Tropics”, in welchem sie die Global Health mit besonderem Augenmerk auf Moskitoforschung und -kontrolle hin kritisch untersucht.

Mariele Neudecker wurde in Deutschland geboren und lebt in England. Sie ist Professorin an der Bath Spa University, Teil des Arts at CERN Programmes und Mitglied des Ausschusses Kunst und Wissenschaft der EU Kommission. Sie beschäftigt sich mit der Wahrnehmung von Landschaft und nicht-menschlicher Umwelt und dem zeitgenössischen Sublimen und erforscht Erfahrungsgrenzen sowie die Wahrnehmung von natürlichen, wissenschaftlichen und technologischen Extremen.

Paul Wenzel Geißler hat Geschichte, Biologie und Sozialanthropologie in Hamburg, Kopenhagen und Cambridge studiert und ist Professor für Sozial­ anthropologie an der Universität Oslo. Er interessiert sich, u.A. für medizinische und naturwissenschaftliche Forschung vor allem in Afrika, postkoloniale Geschichte und Erinnerung, und Wechselwirkungen von Zeitlichkeit und Materialität.

Konradin Kunze ist ein deutscher Regisseur, Schauspieler und Autor. Er studierte Schauspiel an der Hochschule für Musik, Theater und Medien Hannover. Mit der Theaterkompanie Flinn Works entwickelt er recherchebasierte, transnationale Projekte. Neben seiner Theaterarbeit ist er als Animationsfilmer und Ausstellungsmacher tätig und engagiert sich für die Restitution menschlicher Gebeine aus kolonialen Kontexten.

Rene Gerrets ist Assistant Professor für Sozialanthropologie an der Universität Amsterdam. Von 2011 bis 2015 untersuchte er Erinnerungen und Hinterlassenschaften landwirtschaftlicher und biomedizinischer Forschung der Deutschen Kolonialzeit in Tansania. Sein neues Projekt, unterstützt vom Wellcome Trust, untersucht „Fake-Talk“, Vertrauen und Misstrauen in Bezug auf Medikamente im heutigen Ostafrika, Südafrika und Indien.

Syowia Kyambi ist eine in Nairobi lebende Mixed-Media Künstlerin. In ihren performativen Installationen spielt sie oft Charaktere, die andersartige Geschichten erzählen, alternative, sich überlagernde historische Erzählungen, um mono-kulturelle Gewalt zu unterbrechen. Sie beschäftigt sich mit Rasse, hierarchischen Systemen, „Gender“ und körperlicher Erinnerung, sowie mit Verbindungen zwischen Psyche, Geschichte und beweglichen Identitäten.

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Mareike Späth ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am MARKK. Sie befaßt sich dort mit dem Sammlungsbereich Afrika südlich der Sahara und hat die Ausstellung Amani. Auf den Spuren einer kolonialen Forschungsstation co-kuratiert. Sie ist Ethnologin und interessiert sich für Praktiken der Historiographie im Spannungsfeld zwischen institutioneller und alternativer Geschichtsschreibung. Sophia Stepf studierte Dramaturgie in Leipzig und Toronto. Sie ist Künstlerische Leiterin und Regisseurin der Theaterkompanie Flinn Works und arbeitet an aktuellen Themen der globalisierten Welt mit feministischen und postkolonialen Fragestellungen. Sophia arbeitet auch als Dramaturgin und Kuratorin für internationale Theaterfestivals, und entwickelt für das Goethe-Institut Indien Fortbildungsprogramme in den darstellenden Künsten.

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Danksagung Buch und Ausstellung entspringen dem Projekt „Memorials and Remains of Medical Research“, das von 2012–18 historische Orte medizinwissenschaftlicher Forschung in Afrika erforschte. Wir danken Alice Desclaux, Guillaume Lachenal, John Manton, Aïssatou Mbodj-Pouye, Ashley Ouvrier, Joseph Owona Ntsama, Ruth Prince und Noemi Tousignant, mit denen wir in diesem Projekt und an einem anderen gemeinsamen Buch „Traces of the Future“, aus dem Teile des vorliegenden Bandes übersetzt sind, gearbeitet haben. Während der Feldforschung waren wir Gäste des NIMR; wir danken dem Direktor des Amani Medical Research Center, William Kisinza, dem Leiter der Amani Hill Station, Robert Malima und Leonard Mboera, dem früheren Director of Information and Communication. NIMR und die Commission for Science and Technology (COSTECH) erteilten Forschungsgenehmigungen. Aloyce Mkongewa half uns mit großer Kenntnis von Amanis Natur und Geschichte und seiner Neugierde. Bunzigwa Salum Bofu unterstützte René Gerrets‘ Feldarbeit; der Institutsbibliothekar Japhet Kimbesa und Patrick C. Hege vom tansanischen Nationalarchiv, halfen bei der Archivarbeit. John Raybould zeigte uns Station und Umgebung und stellte uns früheren Kollegen vor. Zu Dank verpflichtet sind wir Vyvienne Attenburrow, Frances Bushrod, Stephen Fedha, Bukheti Kilonzo, William Kisinza, Aleid Kortman, Ineka, Jan, Daudi und Hubert Lelijveld, Edith Lyimo, Alban Machaga, Stephen Magesa, Lincoln Malle, Yohanna Matola, John Mganga, Abraham Muro, Richard Mtoi, Prisca und George Mwaiko, Katsuko und John Raybould, Eva und Allister Voller, Graham White und Dorothy und Tony Wilkes, die unserer Einladung zu Veteranentreffen in Amani und Cambridge Folge leisteten. Wie diese teilten auch Simone und Bernard Borchardt, Sylvie Emanuel (geb. Bagster-Wilson), Jackie Gillies, Ali

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Mtanga, Susie Winter (geb. Gillies), Joyce und Simon Wegesa Geschichten und Bilder für die Forschung und Ausstellung mit uns. In Amanis Gästehaus wurden wir betreut von Lilian Matola, Mwatiba Kwana, Juma Ngoma und January Buchingena. Auch Mwanaidi Kijazi und seine Kollegen des Amani Nature Reserve beherbergten uns. Gegenwärtige und pensionierte Angestellte der Forschungsstation und ihre Familien teilten mit uns Zeit und Erinnerungen. Die Feldforschung wurde bereichert durch Besuche von Steve Feierman, seit den 60er Jahren vertraut mit der Gegend, Maureen Malowany, die uns Amani empfohlen hatte, Branwyn Poleykett, die mit Mangesho die Gewerkschafter Amanis entdeckte, und Astrid Ghyselen, die Amanis Architektur untersuchte und unerwartete Reaktionen der Bevölkerung hervorrief. Bei der Suche nach Amanis Sammlungen in Europa halfen uns Ismael Lee (Booth Museum, Brighton), Martin Husemann und Cordula Bracker (CeNak, Universität Hamburg), Petra Schwarz, Gabriele Kranz und Matthias Schultz (Loki-Schmidt-Haus und Herbarium Hamburgense) und Zoe Adams und Ben Price (Natural History Museum, London). Für die Einladung, unsere Arbeit in eine Ausstellung zu überführen, danken wir der Direktorin des MARKK, Barbara Plankensteiner. Ohne die Hilfe der Co-Kuratorin Mareike Späth, des Ausstellungsmanagers Carl Triesch und des Gestalterteams SFMM und Carlo Siegfried (und vieler Anderer am MARKK) wäre die Ausstellung nicht zustande gekommen. Andere Kolleginnen und Kollegen leisteten vielfältige und notwendige Beiträgen zum Projekt: Gemma Aellah, Linda Amarfio, Andrew Barry, Uli Beisel, Fillip de Boeck, Virginia Berridge, Hannah Brown, Brigitte Bruun, David Carlos, Tracey Chantler, Gail Davies, Caitlin DeSilvey, Rijk van Dijk, Damien

Droney, Deirdre England, James Fairhead, Steve Feierman, Sjaak van der Geest, Peter Geschiere, Tamara Giles-Vernick, Melissa Graboyes, Dan Hicks, Nancy Rose Hunt, Lauren Hutchinson, John Iliffe, Freya Jephcott, Ferdinand de Jong, Helge Jordheim, Patricia Kingori, Johan Lagae, Hannah Landecker, Murray Last, Melissa Leach, Javier Lezaun, Marianne E. Lien, Julie Livingston, Maureen Malowany, Tim Livsey, Christos Lynteris, Sloan Mahone, Doreen Massey, Lotte Meinert, Marissa Mika, Annemarie Mol, Henrietta Moore, Anne-Marie Moulin, Vinh-Kim Nguyen, Morten Nielsen, Jehu Nyawara, Iruka Okeke, Ferdinand M. Okwaro, Mike Pearson, Kris Peterson, David Pratten, Peter Redfield, François Richard, Richard Rottenburg, Arnd Schneider, Simon Schaffer, Hans-Joachim Schröder, Bob Simpson, Nikolai Ssorin-Chaikow, Alice Street, Gisela Tuchtenhagen, Megan Vaughan, Claire Wendland und Susan Reynolds Whyte. Das Projekt wurde gefördert vom britischen ESRC(RES-360-25-0032), der französischen ANR(ANR-AA-ORA-­ 032) und der holländischen NWO(46410-021). Zusätzliche Hilfe kam von Geißlers Leverhulme Trust Research Leadership Award (F02 116D). Der Wellcome Trust finanzierte Veteranentreffen in Amani und Cambridge (GR 102603/Z/13/Z und 107011/Z/15/Z). Dieses Buch wurde unterstützt vom MARKK, dem Goethe-Institut Daressalam, und dem Institut für Sozialanthropologie, Universität Oslo. Die Ausstellung dazu auch von der Universität Amsterdam, der Körber Stiftung, NIMR, den Goethe Instituten Daressalam und Nairobi und dem Freundeskreis des MARKK. Ohne den Schönheitssinn und die Geduld von Stefania Bonelli und Herman Lelie hätte das Buch nie seine Form – die hier ja auch Inhalt ist - gefunden. Für Rat bei der Übersetzung der englischen Originaltexte dankt Wenzel Geißler Ingeborg Geißler und Hans-Joachim Schröder.

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Bildnachweis Illustrationen sind nach Seitenzahlen nummeriert, und mit a-z bezeichnet, im Uhrzeigersinn von der oberen linken Ecke; sie sind nach dem Inhaber der Bildrechte/ Copyrights aufgelistet. Umschlag­­  Paul Wenzel Geissler, 2013 und 2016 Verso des Titelblattes Jan Lelijveld, ca. 1970 Teil 1: Einleitende Texte Photos P.Wenzel Geissler (2013): S.7-8 Inga Sievert (2019): S.31c Reproduktionen veröffentlichten Materials Heinrich Schnee (Hg.): Deutsches Koloniallexikon. 3 Bde., Leipzig 1920, Bd. I, S.368: S.32b Archivalia Universitätsbibliothek Frankfurt am Main (Bildbestand der Deutschen Kolonialgesellschaft): S.32a (Bildnummer 002-0062-12); S.35b (Bildnummer 005-1118-39) MARKK: S.20a,c (Inv.Nr. 2017.16:525, C 3967); S.23d (Akten Nr. 101-1 Nr.190); S.25a,b,c,d (Inv.Nr. 46.P.3:12, 46.P.3:3, 46.P.3:4, 34.P.1:2); S.26a,b,c (Inv.Nr. 2017.16:1, 2017.16:523, 2017.16:425); S.29a,b (Inv.Nr. 2017.16:454, 2017.16:457); S.31b (Lk.Nr. FN27 H1/12 K9.); S.35a (Inv.Nr. 2017.16:16) Objekte MARKK: S.20b (Inv.Nr. 73.48:4, Photo: Paul Schimweg); S.23a,b,c (Inv.Nr. 36.76:4, 49.48:3, 49.48:4, Photos: Paul Schimweg); S.31a (Inv.Nr. 1647:09, Photo: Paul Schimweg); S.54b (Inv.Nr. 31.112:1) Teil 2: Künstlerische Praxis Arbeiten und Photos: Mariele Neudecker (2014): S.41-7 Syowia Kyambi (2019): S.50a,b (Unterstützt von CAD+SR Research Fellowship); S.51; S.52-54a (Video: Carl Kühl; unterstützt vom MARKK). Evgenia Arbugaeva (2014-15): S.56-63 Rehema Chachage (2019): S.65-69 (Photos: Valerie Asiimwe Amani) Flinn Works (2019): S.71; 72a,b,c,g; 72d,e,f (Photo: Léa Dietrich) Objekte: Paul Schimweg (MARKK)(2019): S.54b (Inv.Nr. 31.112:1)

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Teil 3: Spurensuche Photos Bunzigwa Salum Bofu (2013): S.129a; S.140a,b,c,d,e; S.141b,c Francis Bushrod (frühe 1970er Jahre): S.105b Deirdre England (2018): S.159a P.Wenzel Geißler (2013-15): S.73; S.76b; S.77c,e; S.78; S.79a,b,c,d; S.80b; S.83; S.85a,c; S.86a; S.87a,b,c; S.88b; S.89; S.90b; S.92a,c; S.93a,b; S.99a,b; S.103b; S.106a,b; S.107a; S.109; S.110-11; S.112; S.113c; S.115a,b; S.116; S.117; S.118a; S.120c; S.121a,b,c; S.122a,b,c; S.123b; S.125a,b; S.126a,b,c,d,e,f,g,h; S.127a,b,c,d,e,f,g,h; S.142a,b,c,d; S.143b; S.146a,b; S.147; S.148a,b,c,d,e,f,g; S.149a,b,c,d; S.150; S.151; S.152; S.153b; S.154a,b; S.155a,b; S.156; S.157a,b,c Rene Gerrets, 2013-14: S.76a; S.103a; S.128a,b; S.129c; S.130a,b,c; S.131; S.133; S.137a,b; S.138; S.139a; S.141a Mick Gillies (späte 1950er Jahre): S.84a,b,c; S.97e,f; S.118b; S.153a Ann Kelly (2013-14): S.88a; S.96b; S.97a,b,d; S.98; S.120a,b Buketi Kilonzo (1970er Jahre): S.91a,b Jan Lelijveld (ca. 1970): S.81; S.82a,b,c; S.84d,e,f,g,h,i; S.86c; S.90c,d; S.99c; S.162a; S.164b,c Hubert Lelijveld (2019): S.162b Mariele Neudecker (2014): S.119 John Raybould (1968): S.160a Paul Schimweg (MARKK)(2019): S.144a,b,c Allister Voller (late 1970s): S.101 Private Sammlungen Sylvia Emmanuel: S.85b,d Deirdre England: S.77d; S.158; S.160b,c,d; S.161a; S.162c; S.164a; S.165a,b Hubert Lelijveld: S.163 John Raybould: S.76c; S.104b,c Aloys Mkongewa: S.80a,c,d; S.85e; S.86b Joyce Wegesa: S.77a; S.102 Suzie Winter (geb.Gillies): S.90a; S.97c; S.134

onchocerciasis. Annals of Tropical Medicine and Parasitology 61, 1967, S.77&78: S.113a,b John Raybould: Studies on Chrysops bicolor Cordier at Amani, with particular reference to feeding behaviours. Annals of Tropical Medicine and Parasitology 61(2), 1967, S.168: S.114a,b,c Neil Cumberlidge und Marco Vannini: Ecology and taxonomy of a tree-living freshwater crab from Kenya and Tanzania, East Africa. Journal of Natural History 38 (6), 2004, S.683: S.143a Graham White: Rarest Eagle Owl in Trouble. Oryx, 12(4), 1974, S.485: S.145a Archivalia Amani Archive: S.94a; S.95 (Box 5, File 8122, Dr TS Detinova); S.100a (Box 20, Stores Uniforms); S.100b (Box 14, African staff, Drivers); S.123a (Box 5, Union 1960-65) Amani Library: S.104a; S.105a; S.107b,c (Designs and Services Ltd, Dar-es-Salaam); S.161b (Udoji, J.O. Report of the Africanization of the Public Services of the EACSO) Amani Nature Reserve: S.129b (permission of Tourist Information Centre); S.139b (from 2009 report) Bodleian Library: S.145b (MS. 15037/2, item 2) British Film Institute: S.92b (Renato Fratini) KEMRI CGHR Archive, Kisumu: S.108 (Waweru Architects, Nairobi) Tanzania National Archives: S.135 (File AB606, Amani, n.d.); S.136a (File 13376 Tanganyika Secretariat, Cinchona); S.136b (File MD1063/3 Manufacture of Cinchona); S.136c (File MD1063/3 Manufacture of Cinchona)  Wellcome Archive: S.77b; S.96a

Reproduktionen veröffentlichten Materials Mick Gillies und Tony Wilkes: A study of the age-composition of populations of Anopheles gambiae Giles and A. funestus Giles in NorthEastern Tanzania. Bulletin of Entomological Research 56, 1965, S.263: S.94b John Raybould: A study of anthropophilic female Simulidae at Amani in Tanzania, with particular reference to the feeding behaviour of Simulium woodi and the transmission of

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