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German Pages 300 Year 2015
Denise Toussaint Dem kolonialen Blick begegnen
Image | Band 73
2014-11-26 12-56-49 --- Projekt: transcript.titeleien / Dokument: FAX ID 03ea383410203336|(S.
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4) TIT2874.p 383410203344
Denise Toussaint (Dr. phil.) forscht am Visual Identities in Art and Design Research Centre der University of Johannesburg zu postkolonialer Theorie, Transkulturalität und der Kunst Südafrikas.
2014-11-26 12-56-49 --- Projekt: transcript.titeleien / Dokument: FAX ID 03ea383410203336|(S.
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Denise Toussaint
Dem kolonialen Blick begegnen Identität, Alterität und Postkolonialität in den Fotomontagen von Hannah Höch
2014-11-26 12-56-49 --- Projekt: transcript.titeleien / Dokument: FAX ID 03ea383410203336|(S.
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Dr. phil. Denise Toussaint is a Research Associate with the Visual Identities in Art and Design Research Centre, University of Johannesburg.
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2014 transcript Verlag, Bielefeld
Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen. Umschlaggestaltung: Kordula Röckenhaus, Bielefeld Umschlagabbildung: Hannah Höch, Aus einem ethnographischen Museum: ohne Titel II, 1929, Fotomontage, 22,3 x 15,3 cm, Museum für Kunst und Gewerbe, Hamburg. © VG Bild-Kunst, Bonn 2014. Foto: Museum für Kunst und Gewerbe, Hamburg. Lektorat: Christoph Leibold Druck: Majuskel Medienproduktion GmbH, Wetzlar Print-ISBN 978-3-8376-2874-6 PDF-ISBN 978-3-8394-2874-0 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet: http://www.transcript-verlag.de Bitte fordern Sie unser Gesamtverzeichnis und andere Broschüren an unter: [email protected]
2014-11-26 12-56-50 --- Projekt: transcript.titeleien / Dokument: FAX ID 03ea383410203336|(S.
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4) TIT2874.p 383410203344
Inhalt
Dank | 7 1.
Einleitung | 9
1.1 1.2
Anmerkung zur Begrifflichkeit | 16 Forschungsüberblick | 16
2.
Der deutsche Kolonialismus – Grundlagen, Ideologien, Wirkungen | 29
2.1 2.2
Der deutsche Kolonialismus als realpolitisches Phänomen | 31 Nationalismus, Differenz und die Konstruktionen von Identität und Fremde | 33 Der Rassebegriff als Grundlage kolonialer Repräsentation | 38
2.3 3.
Das koloniale Erbe in der Alltagswirklichkeit der Weimarer Republik | 57
3.1 3.2 3.3
Kolonialrevisionismus | 58 Kolonialkritik und anti-koloniale Bewegungen | 64 „Die Schwarze Schmach am Rhein“ – Die Besetzung des Rheinlandes | 68 Das Fremde im Kinofilm der Weimarer Republik | 83 Das Fremde in der Völkerschau | 86 Das Fremde im Völkerkundemuseum | 88 Das Fremde in der ethnologischen Fotografie | 95 Das Fremde in den Massenmedien | 102 Das Fremde in der Metropole: (Kolonial-)Metropole Berlin | 114
3.4 3.5 3.6 3.7 3.8 3.9 4.
4.1 4.2 4.3 4.4 4.5
„Aus einem ethnographischen Museum“ | 123 Reflektion politischer und sozialer Fragestellungen | 123 Demaskierung des weißen Blicks auf den schwarzen Körper | 144 Reproduktion von Repräsentation: Fotografie, Massenmedien und das Medium der Fotomontage | 154 Dekonstruktion von Identitätskonzepten: Rasse und Körper, Hautfarbe und Geschlecht | 166 Demontage des westlichen Kunstbegriffs und seiner Institutionen | 177
4.6 4.7
Reaktion auf den Diskurs um die „primitive“ Kunst: Carl Einstein | 194 Abgrenzung zum „Primitivismus“ | 207
5.
Dada und das Fremde | 225
5.1 5.2 5.3
Dadaistischer Aktionismus in Zürich und Berlin | 226 Dada und das „Primitive“ | 232 Dadaistische Reflektion und Rezeption bei Hannah Höch | 248
6.
Schlussbetrachtung – Hannah Höch postkolonial | 255
Literatur | 263 Abbildungsnachweise | 293
Dank
Die Herausforderung dieser Arbeit konnte ich nur mit großer Unterstützung meistern. Ich danke besonders meinem Betreuer Prof. Dr. Gregor Stemmrich, der mich viele Jahre lang mit Vertrauen und Interesse unterstützt hat und der mir stets hilfreich zur Seite stand. Außerdem danke ich meinem Zweitgutachter Prof. Dr. Tobias Wendl für die Begutachtung der Arbeit und für die konstruktiven Hinweise und anregenden Gespräche. Roger van Wyk danke ich für seine Unterstützung, Anregungen und Denkanstöße, vor allem aber für seine mitreißende Begeisterung für das gemeinsame Thema. Ein besonderer Dank richtet sich auch an Christoph Leibold für das schnelle und zuverlässige Lektorat und für seine Anregungen. Diese Publikation basiert auf einer überarbeiteten und leicht veränderten Version meiner Dissertationsschrift, die im August 2013 am Fachbereich Geschichts- und Kulturwissenschaften der Freien Universität Berlin eingereicht wurde. Die Disputation fand am 19. Dezember 2013 statt. Die Dissertation wurde mit einem Elsa-Neumann-Stipendium des Landes Berlin gefördert. Für die Gewährung von großzügigen Druckkostenzuschüssen danke ich der Ernst-Reuter-Gesellschaft der Freunde, Förderer und Ehemaligen der Freien Universität Berlin e.V. sowie dem Deutschen Akademikerinnenbund e.V. Meinen Eltern und meiner Schwester kann ich nicht genug danken. Ihnen ist diese Arbeit gewidmet.
1. Einleitung
Mehr als einhundert Jahre sind vergangen, seit die Entdeckung außereuropäischer Kunst die europäische Avantgarde auf ihren Weg zur Moderne gebracht hat. Es wird vor allem Gauguin und Picasso, den Fauves, den Kubisten und in Deutschland besonders den Expressionisten als Verdienst zugeschrieben, ihre eigene Kunst an der fremden entwickelt und die fremden Artefakte in den Status hoher Kunst erhoben zu haben. Diese scheinbar doppelte Anerkennung nichtwestlicher Kunst im westlichen Kunstkontext findet ihren Beifall bis heute in Ausstellungen und Publikationen, die dem Exotismus und „Primitivismus“ der Künstler der Moderne huldigen.1 Das Flaggschiff all dieser „Primitivismus“Ausstellungen, die von William Rubin kuratierte MoMa Schau „,Primitivism‘ in 20th Century Art“ hat die Diskussion zwar auf eine grundlegend kritische Auseinandersetzung mit den eurozentristischen und dem Kolonialismus untrennbar verbundenen Haltungen der modernen „Primitivisten“ gelenkt.2 Dennoch gelten
1
Lediglich ein Auszug hierfür sind die Schauen „Primitivism in 20th Century Art“, Museum of Modern Art New York, 1984; „Picasso l’Africain“, Musée BarbierMueller, Genf, 1998; „Die Brücke in der Südsee – Exotik der Farbe“, Saarlandmuseum, Saarbrücken, 2005; „Wilde Welten – Aneignung des Fremden in der Moderne“, Georg-Kolbe-Museum, Berlin, 2010; „Gauguin“, Tate Modern, London, 2010/2011; „Gauguin and the voyage to the Exotic“, Museo Thyssen Bornemisza, Madrid, 2012/2013.
2
Hier seien vor allem die unmittelbaren Reaktionen auf die Ausstellung „Primitivism in 20th Century Art“ genannt. Die scharfen Kritiker der Ausstellung – allen voran Thomas McEvilley – und die Kuratoren der Schau, William Rubin und Kirk Varnedoe, entwickeln in ihren Abhandlungen einen offenen Schlagabtausch und eröffnen die Diskussion um „Primitivismus“, um „primitive“ Kunst und deren Rezeption auf einer neuen Ebene. Die wichtigsten Texte der Diskussion sind: William Rubin: „Modernist Primitivism“ (1984), Thomas McEvilley: „Doctor, Lawyer, Indian Chief“
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jene bis dato als Referenz, wenn es um den Aufstieg und die Achtung außereuropäischer Kunst in der westlichen Welt geht oder wenn Beispiele für die Reaktionen europäischer Gesellschaften auf das Fremde illustriert werden sollen. Besonders die Museen enthalten sich bislang einer kritischen Aufarbeitung jener Kunst des „Primitivismus“, die im Wesentlichen rassistische Stereotype nachgezeichnet, Alterität in einem klassisch kolonialen Verständnis reproduziert und eine zutiefst hierarchische Weltsicht ins Bild gebracht hat. Dass es zeitgleich mit dieser als „Primitivismus“ etablierten Strömung bereits zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts weitaus konstruktivere künstlerische Auseinandersetzungen mit der Fremde und fremder Kunst gab, wird hingegen selten thematisiert und noch seltener in angemessener Form in die Diskurse um die Begegnung mit der Fremde, um Kolonialismus und Post-Kolonialismus eingegliedert. So tauchen die Dadaisten und Surrealisten meist am Rande des klassischen „Primitivismus“ auf, sie werden aber stets in den allgemeinen Zusammenhang der Rezeption außereuropäischer Kunst durch europäische Künstler eingereiht und nicht explizit dort positioniert, wo sie tatsächlich zu sehen sind: in direkter Opposition zum klassischen „Primitivismus“.3 Hannah Höch gehört die Stimme des Dadaismus, die sich zum Eindringen des Fremden in die deutsche Alltagswirklichkeit und zum Einfluss außereuropäischer Kulturen auf die zeitgenössische Kunst des frühen zwanzigsten Jahrhunderts am Lautesten äußert. Sie widmet dem Thema zwischen 1922 und 1931 ganz buchstäblich die siebzehn Fotomontagen umfassende Serie „Aus einem ethnographischen Museum“ und beschäftigt sich in einer Vielzahl weiterer Arbeiten4 mit den Determinierungen und Stereotypisierungen des Fremden. Schon
(1984) und „The global issue“ (1990), James Clifford: „Histories of the tribal and the modern“ (1985), Kirk Varnedoe: „On the claims and critics of the ,Primitivism‘ show (1985) und Hal Foster „The ,primitive‘ unconcious of modern art“ (1985). Die Texte finden sich in Zusammenstellung bei Flam, Deutch (Hg.) 2003 – Primitivism and twentieth-century art. Vgl. außerdem Price 1992 – Primitive Kunst in zivilisierter Gesellschaft. 3
Vgl. exemplarisch Maurer 1985 – Dada und Surrealismus; Fleckner 2004 – Im Blick der Avantgarde; Köppen 2002 – Im Krieg mit dem Fremden, S. 282f.; N’guessan 2002 – Primitivismus und Afrikanismus.
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In dieser Arbeit werden elf weitere Fotomontagen untersucht, die der Serie „Aus einem ethnographischen Museum“ zwar nicht buchstäblich zugeordnet sind, die sich jedoch weder formal noch inhaltlich von den Blättern der Serie unterscheiden und die deshalb im übergeordneten Zusammenhang der Reihe betrachtet werden müssen.
E INLEITUNG
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William Rubin integriert die Blätter aus der Serie „Aus einem ethnographischen Museum“ in seine „Primitivismus“-Schau und bis heute werden die Arbeiten in Ausstellungen und Bildbänden zum „Primitivismus“ und (Post-)Kolonialismus gezeigt.5 Höchs Fotomontagen stechen dabei stets heraus. Sie sind formal von den über die Farbe und Form definierten Werken der Expressionisten völlig verschieden und grenzen sich durch den überaus offensiven Umgang mit „primitiver“ Kunst und deren Rezeption ab: Aus den Bildquellen der modernen Printmedien montiert Höch groteske Misch-Figuren, die sich aus den Versatzstücken von Abbildungen unterschiedlichster Kultobjekte verschiedener Volksstämme und aus Bildern des zeitgenössischen urbanen Menschen zusammensetzen. Mit ironischem Unterton inszeniert sie die Figuren den westlichen Sehgewohnheiten entsprechend und bringt auf diese Weise eine institutions- und medienkritische Perspektive in die gängigen Repräsentationsformen des „Primitiven“. Die feinsinnigen Anspielungen auf zeitgenössische Kontexte, die komplexe Heterogenität und vor allem der permanent ironische Unterton der Klebebilder fordert eine Abgrenzung zum klassischen „Primitivismus“ geradezu heraus. Dennoch wird Hannah Höch regelmäßig im Kreise der „Primitivisten“ abgehandelt und allzu häufig als „weiße europäische Künstlerin“ kategorisiert, die ihre „surrealistischen Fantasien im Hinblick auf das Andere“ ausarbeitet und die in „jene bildliche Amnesie verwickelt [ist], die wesentlich für die europäische Rezeption und den Konsum afrikanischer Objekte und Bilder [...] war“.6 Obwohl die Serie „Aus einem ethnographischen Museum“ seit den neunziger Jahren vielfach thematisiert wurde, befassen sich weder die zahlreichen Abhandlungen zum „Primitivismus“, noch die Hannah Höch-Forschung wirklich mit der Einordnung dieser programmatischen Reihe in den Diskurs um „Primitivismus“ und Fremde. Vielmehr haftet Höch stets ihre Rolle an, das einzige weibliche Mitglied von Dada Berlin gewesen zu sein; Kontextualisierungen mit der Thematik der Geschlechterrollen und des neuen Frauenbildes in den zwanziger Jahren sind die Regel.7 Dass Höchs Beschäftigung mit „primitiver“ Kunst aber weder eine Allegorie der zeitgenössischen Geschlechterproblematik ist, noch „der für die Moderne
Zwei weitere Arbeiten werden betrachtet, weil sie einzelne Aspekte in Höchs Überlegungen dokumentieren und veranschaulichen. 5
Vgl. exemplarisch Rubin (Hg.) 1984 – Primitivismus in der Kunst; Fleckner 2004 – Im Blick der Avantgarde; Dziewior, Scheps et al. (Hg.) 1999 – Kunst-Welten im Dialog; Berger, Wanken (Hg.) 2010 – Wilde Welten.
6
Zitate von Okwui Enwezor, vgl. Enwezor 2010 – Sonderbare Schönheit, S. 28.
7
Zum Forschungsüberblick vgl. Kapitel 1.2.
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wesentlichen Aneignung der formalen Attribute afrikanischer Plastik bei gleichzeitiger Ignoranz ihrer Schöpfer“8 entspricht, findet in der Forschung erst jüngst Anerkennung.9 Die Wertschätzung, die Höch damit erstmals zukommt, ist für ihre Positionierung im „Primitivismus“-Diskurs und dessen kritischer Beleuchtung substanziell – und darüber hinaus. Denn selbst wenn ihr in den zwanziger Jahren noch keine konkrete Stellungnahme zu einem postkolonialen Diskurs unterstellt werden kann, so formuliert Höch in ihren Arbeiten doch bereits zeitgleich mit dem „Primitivismus“ einige Argumente und Ideen, die im aktuellen Zusammenhang der postkolonialen Diskussion überaus relevant sind. Höch persifliert in ihren Fotomontagen nicht nur den Umgang mit der Fremde, sondern sie zeichnet darin einen klaren Weg zu einem anti-kolonialen Dialog der Kunstwelten vor. Es ist ein wesentlicher Appell der postkolonialen Kritik, dass ein vom Westen ausgehender Monolog nicht weiter die Richtung für eine Auflösung von Eurozentrismus und Neokolonialmus in der zeitgenössischen globalen Kunst angeben kann. Hannah Höch eröffnet in diesem Sinn bereits in den zwanziger Jahren ein Gespräch, das lange nicht wahrgenommen wurde. Das Ziel dieser Untersuchung ist es, Hannah Höch im Diskurs um „Primitivismus“ und Fremde zu positionieren und ihren Beitrag zu einer postkolonialen Kunst zu würdigen. Die Missachtung ihrer Stellungnahmen zum Umgang mit der Fremde demonstriert eben die Lücken bei der deutschen Aufarbeitung eines reflektierten „Primitivismus“, welche ein Umdenken und damit ein Umkehren des westlichen Blicks bislang verhindern. Das Übersehen der Höch’schen Arbeiten zum Fremden kann als kritisches Echo an die postkoloniale Kritik zurückgegeben werden: Die Betrachtung ihrer Werke im Rahmen dieser Abhandlung wird zeigen, dass Hannah Höch bereits sehr früh ein deutliches Statement formuliert hat, das bislang schlicht nicht in die Betrachtungen um die postkolonialen Strukturen einer globalen Kunst einbezogen wurde. Höch kommentiert in ihren Arbeiten die Rezeption afrikanischer Kunst durch die europäische Kunst und formuliert die Forderung nach einer nicht mehr nur einseitig verlaufenden Kommunikation zwischen den Kulturen. Sie forciert in ihren Arbeiten den Perspektivenwechsel, den die postkoloniale Kritik so inständig fordert und kehrt die Blickrichtung doch zumindest in einem Ausblick um. Um eine postkoloniale Einordnung jedoch möglich zu machen, muss der Schwerpunkt dieser Untersuchung in den ersten Kapiteln zunächst auf den Rahmenbedingungen liegen, unter denen Höchs Fotomontagen entstanden sind. Die
8
Zitat von Okwui Enwezor, vgl. Enwezor 2010 – Sonderbare Schönheit, S. 28.
9
Vgl. Schmidt-Linsenhoff 2010 – Ästhetik der Differenz; Kravagna 2009 – Konserven des Kolonialsmus; van Hoesen 2010 – Weimar Revisions of Germany’s Colonial.
E INLEITUNG
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gesellschaftliche Disposition und der kulturelle Kontext der zwanziger Jahre stehen in einem engen Verhältnis zum Kolonialismus. Obwohl die Aberkennung der Überseebesitzungen nach dem Ersten Weltkrieg den kolonialen Gedanken aus der realpolitischen Welt der Weimarer Republik weitgehend verbannt, bleiben starke ideologische Rückstände in der Öffentlichkeit spürbar. Der Kolonialismus führte das national unerfahrene Deutschland über die bedeutungsvolle Aufladung der Kategorien „Nation“, „Volk“ und „Rasse“ zu einem neuen Weg der Selbstbehauptung. Der imperiale Gedanke verhalf dazu, ein gemeindeutsches, nationales Bewusstsein zu entwickeln, das die eigene Identität über die Fremde definiert. Dieses Bewusstsein setzt sich auch über den Verlust der Kolonien hinweg in der deutschen Gesellschaft fest und es bleibt gerade in Berlin, wo auch Höch sich niedergelassen hat, überaus präsent. Kolonialrevisionistische Ideologien stehen hier anti-kolonialen Bewegungen gegenüber und zeigen im Alltag permanent Auswirkungen, die in ihrer Relevanz oft unterschätzt werden. Täglich werden die Repräsentationen und Wahrnehmungen des Fremden in Veranstaltungen, Filmen, der Presse und Literatur erfahrbar und täglich treffen sie mit den Erscheinungen einer urbanen Moderne aufeinander. Die sich daraus ergebenden Alltagsbegegnungen mit der Fremde sind zwangsläufig höchst ambivalent. Für die Arbeiten Hannah Höchs ist dieses Umfeld entscheidend. Das Kapitel „Aus einem ethnographischen Museum“, das auch die Einzelanalysen der großen Serie umfasst, wird zeigen, dass Höchs Werke auf eben jenes Zugegensein des Kolonialismus in der eigentlich so modernen Lebenswelt im Berlin der zwanziger Jahre verweisen. Höch beschäftigt sich nicht mit den Überseebesitzungen und deren Faszination, wie es etwa Emil Nolde und Paul Gauguin tun. Sie reflektiert stattdessen die Überbleibsel kolonialer Phantasien und widerspiegelt deren Auswirkungen auf die deutsche Öffentlichkeit. Ihre künstlerische Beschäftigung mit der Fremde umkreist permanent die Kombination und Kollision des „Weißen“ mit dem „Nicht-Weißen“, des Eigenen mit dem Fremden. Identitätsverwischung und das Hinterfragen fixer Stereotype bilden den Kern ihrer Arbeiten. Hannah Höchs Gedanken zum Thema „Primitivismus“ und Fremde sind dabei oft sehr viel weniger abstrakt und sehr viel mehr an konkreten Gegebenheiten orientiert, als in der bisherigen Forschung beachtet wird. Deshalb muss der Zusammenhang mit den kolonial durchsetzten Bewusstseinsformen deutscher Identität der Analyse ihrer Arbeiten auch zugrunde gelegt werden. In diesem Sinne werden in dem Kapitel „Der deutsche Kolonialismus – Grundlagen, Ideologien, Wirkungen“ die Diskurse um einen deutschen Nationalismus und die damit verbundene Findung einer nationalen Identität sowie die Bedeutung der
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Kategorie der „Rasse“ in ihren Grundzügen skizziert. Wie unmittelbar sich diese ideologischen Konstruktionen um das Selbst und um das Andere in der Folge auch auf die Realität und das Leben niederschlagen, wird im Kapitel „Das koloniale Erbe in der Alltagswirklichkeit der Weimarer Republik“ die Betrachtung der verschiedenen Begegnungsformen mit der Fremde in der Weimarer Republik zeigen. Obwohl Hannah Höchs Fotomontagen in der vorliegenden Abhandlung explizit nicht auf Diskurse der Weiblichkeit untersucht werden sollen, wird gerade die Offenlegung kolonialer Wechselbeziehungen veranschaulichen, dass die Sichtbarmachung des Weiblichen in Höchs Arbeiten nicht Hauptthema, sondern unvermeidlicher Bestandteil ist. Erst das Wissen um die gesellschaftlichen und historischen Hintergründe der zwanziger Jahre machen Höchs Strategien bei ihrer Verarbeitung des „Primitivismus“-Themas wirklich transparent und genau hierin liegt auch ihre Abgrenzung zu den „Primitivisten“. Höch ist entschieden nicht an den „primitiven“ Kunstwerken selbst interessiert, so viel lassen ihre umfangreichen Aufzeichnungen erkennen.10 Obwohl sie wie die Expressionisten zahlreiche Ethnologische Museen besucht, teilt sie nicht die Begeisterung der modernen Künstler, „primitive“ Elemente zu adaptieren und in ihre Kunst zu integrieren. Hannah Höch absorbiert vielmehr die im Alltag und in der Kunst verbreiteten Repräsentationen des Fremden und fasst sie im Verlauf der Serie mit den Mitteln der Fotomontage zu einer geradlinigen Aussage zusammen. Sie leistet eine Rezeption der Rezeption der „primitiven“ Kunst und reflektiert scharfsinnig, wie die fremde Kunst durch das eigene, europäische Kunst- und Mediensystem repräsentiert wird. Gerade weil sie sich von einem selektiven Blick auf das Fremde und der Aneignung der „primitiven“ Kunst distanziert, unterscheidet Hannah Höch sich vom klassischen „Primitivismus“. Die Expressionisten benutzen die „primitive“ Kunst dazu, sich von der modernen Gesellschaft abzugrenzen und ihrer kollektiven Sehnsucht nach dem Ursprünglichen Ausdruck zu verleihen. Was bei ihnen als wichtigster Impuls für die moderne Kunst wahrgenommen wird, erscheint im Vergleich zu Hannah Höchs Arbeiten als geradezu reaktionär: Höch sucht in ihrer Beschäftigung mit dem Fremden, „Primitiven“ nicht nach einer Weiterentwicklung ihrer eigenen Kunst, sondern nach der Auflösung traditioneller Kunstbegriffe.
10 Höchs Briefe, Aufzeichnungen, Zeitschriftensammlungen et cetera sind in der Berlinischen Galerie archiviert. Jene hat auch das Hannah Höch Archiv in einer dreiteiligen Reihe mit dem Titel „Hannah Höch. Eine Lebenscollage“ erfasst, vgl. BG I, 1. 1989; BG I, 2. 1989; BG II, 1. 1995; BG II, 2. 1995; BG III, 1. 2001; BG III, 2. 2001.
E INLEITUNG
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Mit diesem Impetus steht Höch ganz im Zeichen Dadas. Der politische Aktionismus der Gruppe und ihr Wille zum künstlerischen Umsturz lassen oft in den Hintergrund treten, dass auch die Dadaisten sich zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts zur afrikanischen Kunst und deren Rezeption äußern. Wie in dem Kapitel „Dada und das Fremde“ gezeigt werden wird, übernehmen auch sie Elemente außereuropäischer Kulturen in ihre Arbeiten und Aktionen und auch sie reflektieren die Begegnung mit dem Fremden. Entscheidender als ihre Kunst sind im Kontext des „Primitivismus“ jedoch die Grundfragestellungen, die die international ausgerichtete Gruppe schon in den zwanziger Jahren vertritt: In der Kunst und in der Theorie bezeichnet sich Dada von Beginn an als supranational. Schon 1920 stellt Georges Ribemont-Dessaignes in seinem Text „Dadaland“ eine entscheidende Frage: „Deutsche Kunst. Gibt es vielleicht eine französische Kunst?“11. Die Progressivität dieser Fragestellung ist nur im postkolonialen Kontext greifbar, wo die Problematik um die Bezeichnung einer „afrikanischen“ Kunst die Schwierigkeiten des gesamten Diskurses umschreibt.12 Der hier formulierte globale Anspruch der Bewegung und die Negierung der Kategorisierbarkeit von Kunst nach ihrer Herkunft sind im Zusammenhang mit der immer noch mühsamen Etablierung der Kunst aus Afrika nach wie vor wesentlich. Die Relevanz Dadas für den „Primitivismus“ und Postkolonialismus kann nicht übersehen werden, ihre Anerkennung ist überfällig. Dass Hannah Höch im Kreise ihrer Dada-Kollegen die afrikanische Kunst nicht adaptiert, sondern anerkennt, dass sie dieses für sie offensichtlich so bedeutende Thema zu einer Art roten Fadens ihres Lebens macht und dass sie einige Ideen entwickelt, die für eine globale Kunstgeschichte immer noch gelten, soll in dieser Abhandlung besprochen werden.
11 Zitat von Georges Ribemont-Dessaignes, vgl. Ribemont-Dessaignes 1980 – Dadaland, S. 96. 12 Die Frage nach der Bezeichnung, Repräsentation und Verortung von aus Afrika stammenden Künstlern und ihren Werken liegt jeglicher Diskussion zugrunde und äußert sich besonders anschaulich in den Realisierungen und Kritiken der großen europäischen Afrika-Ausstellungen, welche regelmäßig neue Versuche der Kategorisierung beziehungsweise Nicht-Kategorisierung durch eine westliche Institution aufstellen und deren Positionierung stets neue Gegenentwürfe und Diskursfelder wachrufen. Als Beispiel seien hier nur drei Auszüge aus der Diskussion um die Ausstellung „Africa Explores“ genannt, welche 1991 von Susan Vogel in New York kuratiert wurde, vgl. Vogel (Hg.) 1991 – Africa Explores; Oguibe 1993 – Africa Explores; Pellizzi 1993 – Africa Explores; Kasfir 1993 – On Africa Explores.
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1.1 A NMERKUNG
ZUR
B EGRIFFLICHKEIT
Eine Arbeit zum Thema „Primitivismus“ und zu den Strukturen kolonialer Ideologie muss notwendigerweise einen reflektierten Umgang mit zahlreichen kritischen Begriffen beinhalten.13 Rassistische, eurozentristische Begriffe wie „Rasse“, „Negerkunst“ oder auch die Bezeichnungen „schwarz“, „Schwarze“ oder auch „weiß“ und „Weiße“ liegen dem Diskurs um das Fremde zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts jedoch zugrunde und können deshalb nicht vermieden werden. Um die Lesbarkeit dieses Textes nicht zu erschweren, werden problematische Begriffe bei ihrer ersten Nennung in Anführungszeichen gesetzt, in der Folge jedoch ohne Anführungszeichen gebraucht. Die Termini „Primitivismus“, „Primitivisten“, „primitivistisch“ und „primitive“ Kunst hingegen werden durchgängig mit Anführungszeichen genannt, da sie in dieser Form in der kunsthistorischen Forschung etabliert sind und nicht nur eine Beschreibung oder Benennung darstellen, sondern durch die Kennzeichnung vielmehr auf ihre interne Diskursivität und Problemstellung verweisen. Auf die Kunst bezogen beschreibt das Attribut „primitiv“ nicht allein eine einfache, ursprüngliche Kunst, so wie es einfache, ursprüngliche Völker beschreiben würde. Das Wort „primitiv“ beinhalt hier vielmehr formale, symbolische und interpretatorische Aspekte, die der Annäherung außereuropäischer Kunst von ihrer ersten Begegnung mit dem westlichen Kunstverständnis an inhärent sind. Der Terminus „Primitivismus“ schließlich bezieht sich auf die Aneignung dessen, was als „primitive“ Kunst gilt und damit auf die Aneignung des gesamten komplexen Konstrukts einer sogenannten „primitiven“ Kunst. So markieren die Anführungszeichen bei den Wörtern „Primitivismus“ und „primitive“ Kunst nicht nur die rassistischen Bezeichnungen selbst, sondern zeigen auch die Schwierigkeiten ihres Sinngehaltes auf.
1.2 F ORSCHUNGSÜBERBLICK Annegret Jürgens-Kirchhoff bespricht die Serie „Aus einem ethnographischen Museum“ 1991 in einem Forschungsband der Reihe „Der andere Blick. Frauen-
13 Ausführliche Erläuterungen und kritische Annäherungen zu den Begriffen des „Primitivismus“ und Exotismus leisten unter anderem Béchié Paul N’guessan und Bärbel Küster, vgl. N’guessan 2002 – Primitivismus und Afrikanismus, S. 22ff.; Küster 2003 – Matisse und Picasso als Kulturreisende, S. 13ff.
E INLEITUNG
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studien in Wissenschaft und Kunst“14 und verfolgt demgemäß den Ansatz, Hannah Höchs Arbeiten im Hinblick auf Gender-Aspekte zu reflektieren.15 JürgensKirchhoff betrachtet die Fotomontagen der Serie als „groteske Bilder von Weiblichkeit, die geeignet erscheinen, Männer und Frauen gleichermaßen zu irritieren“ und die „alle überkommenen Vorstellungen von Schönheit, Harmonie und guter Proportion“ stören.16 Mit den Merkmalen der Verfremdung schaffe Höch Entwürfe von Weiblichkeit, die alle bisherigen Werte und Normen reorganisieren. Einen möglichen Bezug Höchs zu den modernen „Primitivisten“ und dem in den zwanziger Jahren zunehmenden ethnologischen Interesse explizit verneinend, sieht Jürgens-Kirchhoff die Entstehung dieser „Frauenbilder“ im Zusammenhang mit der Frauenbewegung. Höch kommentiere „ironisch-distanziert das Neue in der Darstellung und Selbstdarstellung moderner Weiblichkeit“ und verleihe in der auffallenden Koppelung männlicher und weiblicher Teile der „Sehnsucht nach kompletter Aufhebung des Geschlechterantagonismus“ Ausdruck.17 Die viel ausgeprägtere Koppelung des Eigenen mit dem Fremden beachtet Jürgens-Kirchhoff nicht. Stattdessen betrachtet sie die Elemente des Fremden als Spiegel, der die „Neue Frau“ aus ihrer Rolle als homogenem, schönem Wesen herauslöst und der die Widersprüche ihrer eigentlichen Heterogenität erst richtig hervorbringen kann. Im gleichen Forschungsband schlägt auch Maud Lavin eine Betrachtung vor, mit der sich aus den Fotomontagen der Serie eine Aussage über zeitgenössische Geschlechterdefinitionen herauslesen lässt.18 Obwohl Lavin eine Auseinandersetzung mit der Museums- und Völkerkundepolitik voraussetzt und Höchs ironischen Kommentar auf die Kategorisierung und Zurschaustellung von Gegenständen und Menschen thematisiert, betont sie wiederholt, dass der Grund hierfür allein in der Schaffung von „Allegorien moderner Weiblichkeit“ liege. Höch setze zwar einen ironischen Schwerpunkt auf die „abendländische Klassifizie-
14 Vgl. Dech, Maurer (Hg.) 1991 – Da-da-zwischen-Reden. 15 Vgl. Jürgens-Kirchhoff 1991 – Fremde Schönheit. 16 Zitate von Annegret Jürgens-Kirchhoff, vgl. Jürgens-Kirchhoff 1991 – Fremde Schönheit, S. 131 und S. 133. 17 Zitate von Annegret Jürgens-Kirchhoff, vgl. Jürgens-Kirchhoff 1991 – Fremde Schönheit, S. 134. 18 Vgl. Lavin 1991 – Aus einem ethnographischen Museum. Der Aufsatz ist ein Auszug aus Lavins Dissertation von 1989: „Hannah Höch. Photomontage, and the Representation of the New Woman im Weimar Germany 1918-33“, erschienen 1991 bei Yale University Press.
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rung ethnischer Differenz“19, wende diese aber auf die Geschlechterpolitik und die Repräsentation von Frauen in der Weimarer Republik an, um sie offen zu kritisieren. Lavin führt aus, dass Höch die Entdeckung des Selbst mittels Darstellung des Anderen ironisch herausarbeite, den „Wechsel zwischen Identifikation und Distanzierung mit bzw. von anderen Ethnien“20 präsentiere und auch den Grundstein für eine Kritik am Rassismus lege. Sie betont aber gleichzeitig, dass die Künstlerin das Völkerkundedenken der zwanziger Jahre nicht ausdrücklich kritisiere, rassistisches und kolonialistisches Gedankengut nicht explizit angreife – stattdessen aber an der „aktuellen, romantisch angehauchten „Nègrophilie“21 der Zeit teilnehme. Diese eigentlich paradoxen Feststellungen führen Lavin letztlich zu der Aussage, das Hauptthema der Serie sei nicht die „Ethnie, sondern das Völkerkundemuseum und damit die Zurschaustellung einer erworbenen und als das ,Andere‘ gekennzeichneten Kultur – und das „Andere, wie auch das ,Selbst‘, ist für Höch die Frau.“22 In einer erweiterten Version ihres Aufsatzes von 1991 erörtert Maud Lavin 1993 ihre Thesen ausführlicher und anhand zahlreicher Bildbeispiele.23 Sie bleibt bei ihrem Ansatz, dass es das Symbol der Neuen Frau sei, das hier hinterfragt und als Konstruktion enttarnt werde. Die Lesarten der Arbeiten als „a statement about the contradictions and arbitrariness of canons of feminine beauty and operations of the gaze“ mache sie zu Allegorien, die die komplexen Repräsentationen der Geschlechterpolitik der Weimarer Republik demonstrieren und zwar „by connoting the Other, the commodity, and the psychosexual“.24 Auch hier betont Lavin, dass die Thematisierung ethnographischer Objekte unumgänglich eine
19 Zitat von Maud Lavin, vgl. Lavin 1991 – Aus einem ethnographischen Museum, S. 120. 20 Zitat von Maud Lavin, vgl. Lavin 1991 – Aus einem ethnographischen Museum, S. 124. 21 Zitat von Maud Lavin, vgl. Lavin 1991 – Aus einem ethnographischen Museum, S. 116. 22 Zitat von Maud Lavin, vgl. Lavin 1991 – Aus einem ethnographischen Museum, S. 124. Lavin führt nicht aus, wieso sie Höch der expressionistischen „Nègrophilie“ zugehörig glaubt. Ihre Argumentation folgt eigentlich dem Strang, dass Höch eine kritische Rezeption der Rezeption des Fremden leistet. Diesen Gedanken bricht Lavin am Ende jedoch wiederum abrupt ab und projiziert ihre Betrachtungen auf die Rolle der Frau in den zwanziger Jahren. 23 Vgl. Lavin 1993 – Cut with the kitchen knife, S. 159ff. 24 Zitate von Maud Lavin, vgl. Lavin 1993 – Cut with the kitchen knife, S. 167 und S. 182.
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Kontextualisierung mit dem Kolonialismus wachrufe, dass diese aber im Dienste der Betrachtung der vielseitigen Repräsentationsformen der Neuen Weiblichkeit stünden. Auch Höchs Auseinandersetzung mit den Texten von Carl Einstein glaubt Lavin herauslesen zu können, selbst diese Ideen stünden aber im Zusammenhang mit Höchs ironischen Kommentaren auf die Weiblichkeit. 2005 ergänzt Lavin ihre Gedanken durch eine umfassende Abhandlung über den Diskurs um Homo- und Bisexualität in der Weimarer Republik, dem Höch aufgrund ihrer eigenen Beziehung zu einer Frau in besonderer Weise verpflichtet gewesen sei.25 So wie das sogenannte dritte Geschlecht die typischen Geschlechterrollen aufgebrochen und teilweise verschmolzen habe, setzten sich auch Höchs Fotomontagen der Serie „Aus einem ethnographischen Museum“ von hierarchischen Klassifizierungen ab und präsentierten „the New Woman with their appeal intact but their contours fractured“.26 Maria Makela leistet 1997 in ihrer Beschreibung der Serie eine besonders auf formale und kontextuelle Eigenschaften konzentrierte Analyse.27 Sie beschreibt die Zusammensetzung und Herkunft der verwendeten Ausschnitte und zieht daraus Schlüsse für Höchs kritische Zeitbezüge, für ihr Hinterfragen der gängigen Darstellungen außereuropäischer Kulturen und die in den Ethnologischen Museen üblichen Kategorisierungsfragen. Makela betrachtet Höch demzufolge als „commentator on contemporary issues and events“28, die sich vor allem deshalb in das exotisierte Andere hineinversetzen könne, weil auch sie sich als Frau nicht ernst genommen fühlte. 2003 ergänzt Makela ihre Betrachtungen zu Hannah Höchs Fotomontagen um den Diskurs des Grotesken.29 Der Definition Mikhail Bakhtins folgend erläutert sie das karnevalesk und gleichzeitig grausam Groteske in Höchs Arbeiten der zwanziger Jahre und interpretiert es als „an aesthetic strategy that could undermine mainstream ideology about the body, just as surely as the medium of
25 Vgl. Lavin 2005 – The New Woman in Hannah. 26 Zitat von Maud Lavin, vgl. Lavin 2005 – The New Woman in Hannah, S. 339. 27 Vgl. Makela 1997 – By design. The early work. Makela widmet der Serie „Aus einem ethnographischen Museum“ in diesem Text ein eigenes Kapitel, das 1999 noch einmal alleinstehend und in deutscher Übersetzung im Katalog der Kölner Ausstellung „Kunst-Welten im Dialog. Von Gauguin zur globalen Gegenwart“ erschienen ist, vgl. Makela 1999 – Aus einem ethnographischen Museum. 28 Zitat von Maria Makela, vgl. Makela 1999 – Aus einem ethnographischen Museum, S. 60. 29 Vgl. Makela 2003 – Grotesque Bodies.
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photomontage initially subverted commonplace notions of ,fine‘ art.“30 Die Rolle des Körpers in den Massenmedien und der Gesellschaft der Weimarer Republik beschreibt Makela als zutiefst fremdbestimmt. Sie erläutert die in der Weimarer Republik gängigen Methoden, über den Körper und das Gesicht zu Aussagen über den Charakter eines Menschen zu gelangen und schildert das außerordentliche Interesse der Menschen an Äußerlichkeiten, Schönheit und einer daraus resultierenden, an Idealen gemessenen Identitätssuche. Extremer Körperkult, ausgeprägte Kategorisierungswut und damit zusammenhängend die aufstrebende und hier ausführlich erläuterte kosmetische Chirurgie seien wichtige Phänomene der zwanziger Jahre. Mit dem Grotesken verwehre Höch sich diesen Klassifizierungen, breche die Repräsentationen der Weiblichkeit auf und reflektiere das wiederum Groteske an einer nun veränderbaren „Gesichtlichkeit“31. Die Elemente des Fremden werden in Makelas Interpretation von 2003 nicht weiter berücksichtigt. Stattdessen rückt sie die angebliche Kombination des Männlichen und des Weiblichen in den Vordergrund der Fotomontagen, was wiederum die Auflösung geschlechtlicher Grenzen durch nun mögliche Geschlechtsumwandlungen thematisiere. Jeannette Fentroß betrachtet die Serie „Aus einem ethnographischen Museum“ im Jahr 2003 als einen Versuch Hannah Höchs, sich aus den gesellschaftlichen Zwängen weiblicher Identität zu befreien.32 Mit Hilfe von Elementen „primitiver“ Kulturen spiegele Höch die mangelnde Anerkennung der Frau im zeitgenössischen Leben und Kunstgeschehen wider. Der Interpretation Maud Lavins33 folgend, spricht Fentroß die in der Serie thematisierte, abendländische Klassifizierung ethnischer Differenzen an, sieht darin aber allein eine Projektion auf die zeitgenössische Geschlechterpolitik. Mit ihrem Hinweis in Bezug auf die Praxis der Völkerkundemuseen, die einer interessierten Öffentlichkeit die Möglichkeit böten, westliche Vorurteile gegenüber den primitiven Völkern abzubauen, sowie mit der Konstatierung, Hannah Höchs zentrales Thema sei „nicht etwa die Wissenschaft der Völkerkunde, sondern vielmehr die Neugier und das Interesse an fremden Kulturen“34 geht Fentroß der These einer kritischen Reflexion
30 Zitat von Maria Makela, vgl. Makela 2003 – Grotesque Bodies, S. 215. 31 Zitat von Maria Makela, vgl. Makela 2003 – Grotesque Bodies, S. 203. 32 Vgl. Fentroß 2003 – Aus einem ethnographischen Museum. 33 Fentroß bezieht sich hier auf Maud Lavins Aufsatz von 1991, vgl. Lavin 1991 – Aus einem ethnographischen Museum. 34 Zitat von Jeannette Fentroß, vgl. Fentroß 2003 – Aus einem ethnographischen Museum, S. 18.
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der Rezeption des Fremden durch Hannah Höch aus dem Weg.35 Sie betrachtet die Versatzstücke des Fremden vielmehr als Antithesen zum klassischen Weiblichkeitsideal und sucht Begründungen hierfür auch in biographischen Hintergründen: Höchs Mitte der zwanziger Jahre eingegangene Beziehung zu einer Frau veranlassen Fentroß zu der Annahme, die Künstlerin habe vor allem innere Konflikte in Bezug auf ihre Weiblichkeit zu verarbeiten versucht. Kathrin Hoffman-Curtius beschreibt die Serie „Aus einem ethnographischen Museum“ 2003 als eine Denkmalkritik.36 Hannah Höch sprenge durch Montage und Demontage und vor allem durch Kontrastverknüpfung die Regeln klassischer Figurenvorbilder und löse die „akademischen Normen eines ganzheitlichen Schönheitsideals der um sie herum stehenden Monumente“37 auf. So gelange sie zu eben der Art der verspielten „Denkmäler-Witz[e]“38, die zu Höchs Zeit in Berlin verbreitet gewesen seien. Mit der Betitelung gebe die Künstlerin dem Publikum den Hinweis auf ebenjenen Bild-Witz, der ihr die Störung des vertrauten Weiblichkeitsbildes in der Kunst ermögliche und damit die Voraussetzungen einer „Kritik am Heroenkult“39 schaffe. Auch Hoffmann-Curtius klammert die Fragestellungen um die Bedeutung des Fremden, um die Rolle der „primitiven“ Kunst und um die Kritik an kolonialen Ideologien in Höchs Serie aus und ordnet sie stattdessen als Künstlerin des „Primitivismus“ ein, die der „weitverbreiteten Orientierung“ der Zeit folge und bemüht sei, „durch den sogenannten Primitivismus Schematisierung und industrielle Normierung in der alten ägyptischen, der europäisch mittelalterlichen und afrikanischen, der ozeanischen wie asiati-
35 Vor allem der schönfärbenden Darstellung der ethnologischen Praxis zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts und der daraus gerechtfertigten Vernachlässigung des ethnologischen Diskurses möchte ich in meiner Arbeit entschieden widersprechen. Auch Höchs angebliches Desinteresse an den Methoden der Ethnologie und eine Begeisterung für die fremden Kulturen selbst betrachte ich nicht als haltbar: Höchs Aufzeichnungen weisen keine Kommentare oder Studien zu außereuropäischen Objekten auf, sondern beschäftigen sich im Gegenteil ausschließlich mit Abbildungen, also Rezeptionen des Fremden. 36 Vgl. Hoffmann-Curtius 2003 – Höchs Denkmal-Montage. 37 Zitat von Kathrin Hoffmann-Curtius, vgl. Hoffmann-Curtius 2003 – Höchs DenkmalMontage, S. 156. 38 Zitat von Kathrin Hoffmann-Curtius, vgl. Hoffmann-Curtius 2003 – Höchs DenkmalMontage, S. 154. 39 Zitat von Kathrin Hoffmann-Curtius, vgl. Hoffmann-Curtius 2003 – Höchs DenkmalMontage, S. 157.
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schen Kunst global und angeblich ,urtümlich‘ zu verankern und nobilitieren“40. Das Ethnographische Museum wählt Höch laut Hoffmann-Curtius deshalb als Folie ihrer Ideen aus, weil es die Moderne initiiert und dieser – und mit ihr den neuen Formen in der Kunst – als Inspirationsquelle diene. Da Hoffmann-Curtius ihre Thesen jedoch nur auf einige wenige Arbeiten aus der Serie „Aus einem ethnographischen Museum“ bezieht, können sie zwangsläufig nur bedingt geltend gemacht werden.41 Vor allem die Blätter, die Höch nicht explizit mit dem Serientitel „Aus einem ethnographischen Museum“ benannt hat, entfallen Hoffmann-Curtius’ Interpretation und auch über die zahlreichen Arbeiten der Serie, die nicht auf die traditionellen Formen westlicher Kunst anspielen, wird hier hinweggesehen. Auch innerhalb der großen Hannah Höch Einzelschau in der Berlinischen Galerie im Jahr 2007 wurden Teile der Serie „Aus einem ethnographischen Museum“ wieder gezeigt und auch im Ausstellungskatalog abgedruckt.42 Ausstellung und Publikum sparen eine Aufschlüsselung des Themas der Fremde in Hannah Höchs Werk jedoch aus und verweisen auch nicht auf den beachtlichen Umfang der Arbeiten, die sich mit jenem Komplex beschäftigen. All diesen umfangreicheren Besprechungen der Serie „Aus einem ethnographischen Museum“ ist gemein, dass jeweils nur Teile oder Teilaspekte der Arbeiten im Einzelnen und der Serie im Gesamten betrachtet werden. Maud Lavin etwa analysiert einen großen Teil der Serie, lässt aber die Werke außer Acht, die sich eindeutig thematisch mit der Fremde befassen und sich auch formal in die Reihe eingliedern lassen, während Kathrin Hoffmann-Curtius’ Interpretation sich nur auf die Blätter bezieht, auf die sich ihre These der Denkmal-Kritik formal anwenden lässt. Vor allem aber stellen alle Abhandlungen das Thema der Neuen Weiblichkeit in den Mittelpunkt und vernachlässigen die Arbeiten, bei denen weibliche Elemente weder vorkommen, noch das Bild der Frau in irgendeiner Form impliziert wird. Es mutet sonderbar an, dass die eine Gemeinsamkeit, die nicht nur alle Fotomontagen der Serie „Aus einem ethnographischen Museum“, sondern auch elf weitere Arbeiten verbindet, nicht als Leitfaden beachtet wird: Im Motiv der Fremde liegt die Übereinstimmung dieser großen Anzahl an Blätter, die Abbildungen des Fremden sind es, die sich gewichtig in jeder einzel-
40 Zitate von Kathrin Hoffmann-Curtius, vgl. Hoffmann-Curtius 2003 – Höchs Denkmal-Montage, S. 156. 41 Hoffmann-Curtius spricht folgende Arbeiten an: „Denkmal I“, 1924;“ „Denkmal II: Eitelkeit“, 1926; „Fremde Schönheit“, 1929; „Ohne Titel“ 1929; „Negerplastik“, 1928. 42 Vgl. Burmeister 2007 (Hg.) – Hannah Höch. Aller Anfang ist DADA.
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nen Arbeit finden. Die so oft formulierte Beschreibung dieser Fotomontagen als „Frauenbilder“ führt in die Irre und verleitet dazu, einen Schritt über die naheliegende Betrachtung hinaus zu gehen. Obwohl die meisten der hier kurz zusammengefassten Besprechungen der Serie auf den Kontext des Ethnographischen Museums eingehen und auch die Formen der Repräsentation der Fremde erwähnen, schließen alle auf einen doppelten Boden, verweisen alle auf eine Projektion oder Allegorie, die mit Höchs Rolle als Frau und Künstlerin in einem Zeitalter emanzipatorischer Umbrüche zu tun haben muss. Der in den zwanziger Jahren parallel verhandelte Kontext kolonialer Erfahrung aber, der den allgegenwärtigen Fragmenten des Fremden in dieser Serie so offenkundig anhaftet, wird nicht als eigenständiger Stoff berücksichtigt. Erst 2009 beschäftigt sich mit Christian Kravagna ein Vertreter der postkolonialen Forschung mit der Serie Hannah Höchs.43 In einem Aufsatz, der die Ansätze einer postkolonialen, institutionskritischen Kunst anspricht und sich auf künstlerische Reflektionen ethnografisch-anthropologischer Repräsentationen konzentriert, nennt er Höch als eine Künstlerin, deren „Verbindung von Medienbewusstsein und Selbstreflexion eine ähnlich idealistische, nicht selten weltfremde Imagination des kulturell Anderen [verhindert], wie sie der primitivistische Mainstream der frühen Moderne an den Tag legte“.44 Erstmals wird Hannah Höch hier in einem Atemzug mit den postkolonialen Positionen zeitgenössischer Künstler und eben nicht im Zusammenhang mit den „Primitivisten“ genannt.45 Nachdem Kravagna auf postkoloniale, künstlerische Ansätze, aber auch auf Texte einer kritischen Anthropologie verweist, analysiert er die Arbeiten Höchs und zeigt auf, dass ihre Fotomontagen nicht „von einem kulturellen Anderswo“ erzählen, wie es etwa die „Primitivisten“ tun, sondern dass Höchs „Motive einem westlichen institutionellen Kontext zugeordnet sind“ und damit das „institutionalisierte Differenzbegehren“ nicht reproduzieren, sondern kritisch reflektieren.46
43 Vgl. Kravagna 2009 – Konserven des Kolonialismus. 44 Zitat von Christian Kravagna, vgl. Kravagna 2009 – Konserven des Kolonialismus, S. 139. 45 Kravagna stellt die knappe Analyse von Höchs Fotomontagen in eine Reihe mit der Nennung von Arbeiten wie Olu Oguibes „Ethnographia“ (1997-1999), Fred Wilsons „Room with a view: The Struggle Between Cultural Content and the Context of Art“ (1990) oder auch verschiedenen Arbeiten Lothar Baumgartens aus den sechziger Jahren. 46 Zitate von Christian Kravagna, vgl. Kravagna 2009 – Konserven des Kolonialismus, S. 138 und S. 140.
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2010 schlägt Brett van Hoesen eine Lesart vor, die die Aspekte der Weiblichkeit zurückstellt und sich auf die (nach)koloniale Situation in der Weimarer Republik konzentriert.47 Sie thematisiert, dass sich der koloniale Einfluss hier, wenn auch nicht direkt so doch unterschwellig, fortsetzt und dass vor allem in den populären Zeitschriften – so sehr diese sich auch um einen unpolitischen Inhalt bemühen – den kolonialrevisionistischen Ideologien zugespielt wird. Sie betrachtet in diesem Zusammenhang die Fotomontagen Hannah Höchs und Lásló Moholy-Nagys und arbeitet deren kritische Stellungnahmen bei der massenmedialen Verarbeitung kolonialer Ideologien heraus. Sie bespricht die Arbeiten Höchs nicht im Einzelnen und benennt die Serie „Aus einem ethnographischen Museum“ nur kurz zusammenfassend als kritischen Bezug zu den allgemein hingenommenen Erscheinungen kolonialer Ideologien in der modernen Lebenswelt, wie auch zu „museological practices and the proliferation of pseudoanthropological press photographs of people and objects of material culture from Africa, the South Seas, Asia, and native North and South America“ und zu „methodologies of display and the performative quality at ethnographic museums“.48 Van Hoesen öffnet jedoch den Blick über die Serie „Aus einem ethnographischen Museum“ hinaus und bezieht auch weitere Arbeiten in ihre Betrachtung mit ein.49 Damit erkennt sie nicht nur den bislang außer Acht gelassenen Kontext des Kolonialismus als betrachtenswert an, sondern verweist auch auf den viel umfangreicheren Korpus von Hannah Höchs Beschäftigung mit der Fremde und gibt – leider nur sehr verkürzt – Hinweise auf ihre Auseinandersetzung mit dem aktuellen Zeitgeschehen und einer rassistischen Politik der Hybridität. Während Kravagna und van Hoesen Hannah Höchs Beschäftigung mit dem Fremden jedoch nur kurz anschneiden und nicht im Einzelnen besprechen, veröffentlicht Viktoria Schmidt-Linsenhoff die bislang wohl aktuellste und umfassendste Abhandlung zu Hannah Höchs Serie „Aus einem ethnographischem Museum“.50 Schmidt-Linsenhoff widerspricht den feministischen Deutungen der Serie entschieden und erörtert, wieso eine weibliche Kritik an Geschlechterverhältnissen sich keinesfalls auch auf eine Kritik an den rassistischen Kolonial-
47 Vgl. van Hoesen 2010 – Weimar Revisions of Germany’s Colonial. 48 Zitate von Brett M. van Hoesen, vgl. van Hoesen 2010 – Weimar Revisions of Germany’s Colonial, S. 210. 49 Brett M. van Hoesen betrachtet die beiden Arbeiten „Mischling“ von 1924 und „Liebe im Busch“, 1925 näher. 50 Vgl. Schmidt-Linsenhoff 2010 – Ästhetik der Differenz. Viktoria Schmidt-Linsenhoff widmet Hannah Höchs Fotomontagen der Serie „Aus einem ethnographischen Museum“ in dieser Publikation ein eigenes Kapitel.
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strukturen übertragen lässt – und umgekehrt. Sie geht bei der Interpretation der Fotomontagen vielmehr von einer Artikulation des latenten kolonialen Traumas aus und glaubt an Höchs so formulierten Beitrag zu einer kulturellen Dekolonisierung – beziehungsweise an ihren Kommentar zu deren Misslingen. Anstatt einer Allegorie auf das Bild der Weiblichkeit liest Schmidt-Linsenhoff eine Allegorie des postkolonialen Kunstbegriffs aus Höchs Arbeiten heraus, dessen Heterogenität die Künstlerin durch ihre ironischen Dekonstruktionen medien- und rezeptionskritisch beschwört. Im Vergleich zu den kunsttheoretischen Ansätzen Carl Einsteins erarbeitet Schmidt-Linsenhoff das „bedeutende kolonial-kritische Potenzial ihrer ästhetischen Arbeit“51 und konstatiert Höchs zeitgenössisch immer noch relevante Überlegungen zu einem postkolonialen Ethnographischen Museum. Hannah Höchs eigentlich so plakative Reflektion der Konfrontation mit der Fremde sowie ihre Auseinandersetzung mit dem schon im Titel programmatisch vorgegebenen Thema des Ethnographischen Museums wird somit erst jüngst in einen Kontext gesetzt, der keiner weiteren, über sich selbst hinausweisenden Bezüge bedarf und der selbstreferentiell funktioniert. Die Bildelemente, die Höch wählt, verweisen zuallererst auf sich selbst. Sie werden nicht gebraucht, um einen anderen Kontext zu demonstrieren, sondern um ihr eigenes Gebrauchtwerden in ihrem unmittelbaren Kontext zu reflektieren. Schon der Titel und die sich wie ein roter Faden durch die Fotomontagen der Serie „Aus einem ethnographischen Museum“ schlängelnden Abbildungen fremdkultureller Motive müssen eigentlich zu einer unvermittelten Betrachtung des Themas der Fremde verleiten, das für Höch doch eine größere Rolle gespielt haben muss: Mit siebzehn Arbeiten nimmt diese Serie eine Größenordnung an, die Höch nie wieder an anderer Stelle wiederholt hat. Die weiteren elf Arbeiten, die sich den Motiven des Fremden widmen, die jedoch nicht den offiziellen Titel der Reihe tragen, untermauern das Gewicht dieses Gegenstandes im Werk der Künstlerin und können ohne weiteres in den Zusammenhang der Serie eingebunden werden. Auch der Entstehungszeitraum der insgesamt dreißig Arbeiten lässt auf ein besonderes, fortwährendes Interesse Höchs schließen: Obwohl der Großteil der hier eingeschlossenen Fotomontagen und auch der Kern der offiziell betitelten Serie zwischen 1924 und 1933 entstanden ist, finden sich auch schon 1922 erste Versuche über das Fremde in den Werken Hannah Höchs und bis in das Jahr 1970 hinein greift
51 Zitat von Viktoria Schmidt-Linsenhoff, vgl. Schmidt-Linsenhoff 2010 – Ästhetik der Differenz, S. 211.
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die Künstlerin das Thema in klaren Rückbezügen auf ihre Serie wieder auf.52 Sie trägt ihre Fragestellungen damit aus einer Zeit unmittelbar nach dem deutschen Kolonialverlust über das Dritte Reich hinaus in die Jahre der Dekolonisierung mit sich und reflektiert ohne eine offene Nennung von Anlässen oder Ereignissen nicht nur eine Momentaufnahme der Begegnung mit der Fremde, sondern ein diffuses, anhaltendes Phänomen. Dass die Serie zu Höchs Lebzeiten nur einmal fast vollständig gezeigt wird und der Verbund dieses Höch’schen Ethnographischen Museums damit nur einmal in seiner komplexen Größe deutlich wird, ist ein Hinweis darauf, dass eine laute Verhandlung des Themas nicht in der Absicht der Künstlerin liegt.53 Es ist vielmehr auch so, dass diese kleinformatigen Arbeiten, die kaum größer als ein Bogen Papier oder ein Schreibheft sind, sich in ihrer Eindringlichkeit von Höchs übrigen Arbeiten unterscheiden: Während so klar im Zeichen Dadas formulierte und auch propagierte Montagen wie „Dada-Rundschau“54 (Abbildung 1) oder „Schnitt mit dem Küchenmesser Dada durch die letzte weimarer Bierbauchkulturepoche Deutschlands“55 nicht nur durch ihre Größe, sondern vor allem durch schier undurchschaubare Verzahnungen und das typisch dadaistische, ungeordnete Chaos ihrer Bildelemente bestechen, wirken die Blätter der Serie „Aus einem ethnographischen Museum“ vielmehr still und reflektiert. Der klare, ruhige Aufbau der Montagen erscheint konzentriert, die Figuren vor ihren meist monochrom reduzierten Hintergründen muten auf den Punkt gebracht und direkt an.
52 Die ersten Ausschnitte schwarzer Körper finden sich in der Fotomontage „DadaTanz“ von 1922. Die letzten Rückbezüge zeigen sich in den Arbeiten „Fremde Schönheit II“ (1966) und „Angst“ (1970). Vor allem die Fotomontage von 1966 scheint sich noch einmal eindeutig auf die Serie „Aus einem ethnographischen Museum“ zu beziehen. Hier wurde nicht nur bei der Komposition der Figur und bei der Gestaltung des Hintergrundes ein Bezug zur Serie hergestellt, sondern auch im Titel an eine Arbeit der Reihe angeknüpft und ein zweiter Teil zur Arbeit „Fremde Schönheit“ von 1929 geschaffen. 53 Die Serie „Aus einem ethnographischen Museum“ wurde mit fünfzehn Arbeiten nur einmal in ihrem größeren Zusammenhang präsentiert und zwar 1934 in Brünn. Dokumentiert wird dies in der Dokumentarischen Materialsammlung des Hannah Höch Archivs, vgl. BG II, 2. 1995, S. 538f. 54 „Dada Rundschau“, 1919, Fotomontage, Gouache und Aquarell auf Karton, 43,7 x 34,6 cm, Berlinische Galerie. 55 „Schnitt mit dem Küchenmesser Dada durch die letzte weimarer Bierbauchkulturepoche Deutschlands“, 1919-20, Fotomontage, 114,0 x 90,0 cm, Staatliche Museen Preussischer Kulturbesitz, Berlin.
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Abb. 1: Hannah Höch, Dada-Rundschau
In ebenjener Konzentration und Versunkenheit liegt der Nachdruck der Arbeiten. Die große Anzahl dieser so wenig lautstarken und doch so heterogen gewichtigen Werke, die in ihnen verwirklichte Konstante eines klar formulierten Themas und die Konsequenz ihrer Essenz lassen die Serie und ihre Satelliten aus dem Gesamtwerk Hannah Höchs hervortreten. Die hier ins Bild übertragenen Gedanken der Künstlerin zu den Erfahrungen der Fremdbegegnung, zum „Primitivismus“ und zu den ersten Versuchen einer Verortung außereuropäischer Kunst stehen für sich alleine und sollen in dieser Abhandlung in ihrer Gesamtheit besprochen werden. Mit dem Fokus auf das so offen zutage liegende Thema dieser großen Reihe soll gezeigt werden, dass die bisherige Suche nach dem Prätext dieser so bezeichneten Allegorien bislang vor allem eine Vernachlässigung ihres Materials bedeutet hat und dass damit nicht nur ein wichtiger Aspekt von Hannah Höchs Arbeit ausgrenzt wurde, sondern dass so in der kunsthistorischen Forschung blinde Flecken etabliert geblieben sind, die sich in der nach wie vor unkritischen Behandlung des „Primitivismus“ niederschlagen. Hannah Höchs Überlegungen zur Begegnung mit der Fremde zu betrachten bedeutet auch, dem „Primitivismus“ einen Gegenentwurf zur Seite zu stellen, der den Kolonialismus
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als Quelle nicht verleugnet, sondern der seine Auswirkungen thematisiert. Die Bestimmung der ideologischen Strukturen des deutschen Imperialismus und seine Konsequenzen für die Lebensbedingungen der Gesellschaft der Weimarer Republik darf im Zusammenhang mit Hannah Höch nicht hinter Fragen zu den Geschlechterkonstellationen zurücktreten; um den Blick auf eine postkoloniale Lesart der Fotomontagen Hannah Höchs zu öffnen, muss das Koloniale sichtbar gemacht werden.
2. Der deutsche Kolonialismus – Grundlagen, Ideologien, Wirkungen
Die Hannah Höch-Forschung bildet ab, was der deutschen Kolonialgeschichte im Allgemeinen widerfährt: Sie wird weitgehend als unbedeutend eingestuft und in der internationalen Kolonialismus-Forschung lange Zeit eher als Randerscheinung betrachtet.1 Weil Deutschland nur vergleichsweise kurz über Überseebesitzungen verfügt, ist der Kolonialismus als realpolitisches Phänomen in seinem Ausmaß tatsächlich nicht mit dem der Großmächte Frankreich und England zu vergleichen. Mangelndes imperiales Durchsetzungsvermögen und das eher amorphe Verfolgen der germanischen Kulturmission kennzeichnen den deutschen Kolonialismus, der nach dem Ersten Weltkrieg nach gerade dreißig Jahren von den europäischen Großmächten zwangsbeendet wird. Für Deutschland, das damit einem Dekolonisierungskrieg entgeht, das nur eine unbedeutende und wenig auswirkungsreiche Einwanderung aus den ehemaligen Kolonien erlebt und
1
Ein Querschnitt über die Entwicklung und Schwerpunkte der internationalen Kolonialismus-Forschung findet sich bei Berman 2003 – Der ewige Zweite, S. 21ff., Conrad, Osterhammel 2006 – Einleitung; Fiedler 2005 – Zwischen Abenteuer, S. 9ff.; Zeller 2008 – Das Deutsche Reich; Honold, Simons 2002 – Einleitung; Gründer (Hg.) 1999 – ...da und dort ein junges; Zantop 1999 – Kolonialphantasien im vorkolonialen Deutschland 1770-1870. Diese Abhandlungen skizzieren die in der Forschung gängigen Aufarbeitungen der imperialen Epoche und machen auf die erst jüngst anerkannten „weißen Flecken im kulturellen Gedächtnis Deutschlands“ (Zitat von Matthias Fiedler, vgl. Fiedler 2005 – Zwischen Abenteuer, S. 10) aufmerksam. Dass eine auffallend große Anzahl der kritisch reflektierten Texte zum deutschen Kolonialismus aus den 2000er Jahren stammt, verweist auf den langen Dornröschenschlaf der deutschen Kolonialismus-Aufarbeitung.
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das von den Ereignissen des Nationalsozialismus überschattet wird, scheint der Kolonialismus historisch nicht mehr als eine unbedeutende Episode zu sein. 2 Der Stellenwert der kolonialen Erfahrung für die deutsche Gesellschaft kann demnach nicht in der Kolonialgeschichte selbst zu suchen sein. Beachtung finden müssen vielmehr die Ideologien und Phantasien, die das Auftreten des Kolonialismus begleiten. Sie mögen zwar wissenschaftlich weniger einfach zu erfassen sein, müssen aber dennoch bei der Erforschung des deutschen Kolonialismus und seiner Folgen berücksichtigt werden, denn sie haben gewichtige Auswirkungen auf die politischen und sozialen Konstellationen des frühen zwanzigsten Jahrhunderts – auch und besonders in Deutschland.3 Der Grund dafür liegt in den Mechanismen der Repräsentation und Hierarchisierung, die mit dem kolonialen Gedanken in Gang treten. Diese werden an den sogenannten Schutzgebieten entwickelt, ihre Effekte entfalten sich aber an der deutschen Gesellschaft und in den Metropolen selbst. Die Präsenz von kolonialen Ideen in der Kunst, Literatur und Presse wird hier so alltäglich und die Thematisierung des Fremden zu einer so symbolträchtigen Gesellschaftskomponente, dass der reale Kolonialismus in Übersee geradezu hinter seiner Idee verschwimmt. Eine Skizzierung des kolonialen Systems soll im Folgenden zeigen, wieso der Kolonialismus die Gesellschaft des frühen zwanzigsten Jahrhunderts über das realpolitische Geschehen hinaus beeinflusst. Die komplexen ideologischen Zusammenhänge sollen hier zunächst deshalb umrissen werden, weil sie nicht nur für die Durchführung des kolonialen Projektes grundlegend sind, sondern weil sie auch die Kontur für die Fotomontagen Hannah Höchs bilden.
2
Einen detaillierten, historischen Überblick zum Verlauf und Scheitern der deutschen Kolonialbestrebungen und zum Vergleich mit den übrigen Kolonialmächten geben unter anderem Gründer 1985 – Geschichte der deutschen Kolonien; El-Tayeb 2001 – Schwarze Deutsche; Berman 2003 – Der ewige Zweite; Kundrus 2003 – Moderne Imperialisten; Smith 2006 – Weltpolitik und Lebensraum; Zeller 2008 – Das Deutsche Reich; Osterhammel 2009 – Kolonialismus; Pogge von Strandmann 2009 – Imperialismus vom Grünen Tisch.
3
Die Bedeutung der kolonialen Phantasien und Ideologien für das deutsche Kaiserreich wird in der Kolonialismus-Forschung immer mehr in den Fokus gerückt. Vgl. Kundrus 2003 (Hg.) – Phantasiereiche; Kundrus 2003 – Moderne Imperialisten; Osterhammel 2009 – Kolonialismus; Honold, Simons 2002 – Einleitung.
D ER DEUTSCHE K OLONIALISMUS
2.1 D ER
K OLONIALISMUS REALPOLITISCHES P HÄNOMEN DEUTSCHE
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ALS
Die Gründe, die Deutschland zur Erschließung eigener Kolonien bewegen, sind zu Beginn alles andere als einem imperialen Machtgebaren zuzuschreiben.4 Als der Kolonialismus zum europäischen Großthema wird, ist Deutschland erst kurze Zeit vereint. Zuvor herrschte Jahrhunderte lang ein Zustand der territorialen Zersplitterung, der das Land politisch instabil und seine Zukunft ungewiss machte. Als Staat, der sich aus einzelnen Territorien zusammensetzte, fehlte dem Reich die zentrale Entscheidungsgewalt eines Einheitsstaats. Zu alledem entzweite die soziale Kluft zwischen den Klassen und religiöse Spaltungen die Bevölkerung.5 Bei einem derart „unharmonische[n] und ungeordnete[n] Zusammenhang des Staates“ dominierte das Gegeneinander vor dem Miteinander, die Situation wurde als „dauernde Quelle für die tödliche Krankheit [...] des Reiches“ klassifiziert.6 Ein über die Jahrhunderte entwickeltes, gemeinsames Nationalgefühl ist in einem derart brüchigen Gebilde, wo noch nicht einmal die Vergangenheit eine einheitliche ist, kaum möglich. Das Land und sein Volk sind keine moralische Einheit, die einzige Gemeinsamkeit besteht in der deutschen Sprache.7 Was Deutschland fehlt, ist der Grundgedanke einer Nation: Die Idee von der Nation als homogenem Gebilde.8 Weil das deutsche Kaiserreich unter diesen Umständen zu einer Expansion im Zeichen globaler Macht, wie sie von den übrigen Kolonialmächten angestrebt wird, mitnichten in der Lage ist,9 sind die politischen
4
Den Imperialismus als politisches, wirtschaftliches und kulturelles Phänomen beschreiben umfangreich Hobsbawm 1989 – Das Imperiale Zeitalter 1875-1914 und Pogge von Strandmann 2009 – Imperialimus vom Grünen Tisch. Sie präzisieren auch die unterschiedlichen Voraussetzungen der imperialen Großmächte Frankreich und Großbritannien im Verhältnis zum Deutschen Kaiserreich.
5
Zur Geschichte des Deutschen Reiches und seiner Zersplitterung vgl. Arndt 2009 – Der Dreißigjährige Krieg; Kampmann 2008 – Europa und das Reich.
6
Zitate von Samuel von Pufendorf, vgl. Pufendorf 1994 (1667) – Stärke und Schwäche des Deutschen, S. 225.
7
Vgl. Mey 2001 – ...damit die Welt nicht zugrunde, S. 42; Walkenhorst 2007 –
8
Vgl. Dietrich 2007 – Weiße Weiblichkeiten, S. 54; Walkenhorst 2007 – Nation –Volk
9
Vgl. Berman 2003 – Der ewige Zweite, S. 27.
Nation–Volk–Rasse, S. 40ff. – Rasse, S. 83ff.
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Interessen in der Mitte des 19. Jahrhunderts weit mehr auf die Innenpolitik ausgerichtet als auf internationale Angelegenheiten.10 So lehnt Reichskanzler Otto von Bismarck den Erwerb von Kolonien zunächst kategorisch ab,11 der erste deutsche Kontakt zu Überseegebieten verläuft auf privatwirtschaftlicher Ebene und über den Bremer Tabakhändler Adolf Lüderitz.12 Nach dem Erwerb weiterer Gebiete in Afrika und Ozeanien durch deutsche Kaufleute gibt Bismarck erst 1884 im Rahmen der Afrika-Konferenz in Berlin dem Druck der Kolonialverbände nach.13 Indem er die privaten Besitzungen unter den Schutz des deutschen Reiches stellt, schließt er zu den Kolonialbestrebungen der übrigen europäischen Mächte auf.14 Die Kolonialinitiative verfolgt zu diesem Zeitpunkt bereits immer offensiver die Absicht, das nationale Ansehen Deutschlands zu vertreten, sie stellt sich zunächst aber nicht dem imperialen Wettstreit. Nach dem rasanten Bevölkerungswachstum in Deutschland sollen die Kolonien in erster Linie den Lebensraum erweitern und der zunehmenden Migration in die USA entgegenwirken. In den eigenen Kolonien bleiben die deutschen Bürger dem Reich erhalten und unterstützen trotz ihrer Auswanderung die deutsche Wirtschaft. Dass auf diese Weise nebenbei die Erschließung neuer Rohstoffquellen ermöglicht wird und man in Deutschland auf ausländische Ressourcen zugreifen kann, ohne sich in eine Abhängigkeit zu anderen europäischen Nationen zu begeben, begründet die Kolonisierung in Übersee zusätzlich. Obwohl sich die vereinnahmten Gebiete schnell als nahezu wertlos erweisen, besteht die Erwartung an eine Verbesserung der deutschen Arbeitsmarkt- und Finanzlage, an ein Ankurbeln der Wirtschaft durch Außenhandel und Schifffahrt.15
10 Vgl. Canis 2002 – Bismarck als Kolonialpolitiker, S. 26. 11 Vgl. Canis 2002 – Bismarck als Kolonialpolitiker; Zeller 2008 – Das Deutsche Reich, S. 238. 12 Vgl. Kundrus 2003 – Moderne Imperialisten, S. 27f., Gründer 1985 – Geschichte der deutschen Kolonien, S. 43ff.; Gatter 2007 – Buten un binnen. 13 Vgl. Zeller 2010 – Berlin post-kolonial, S. 243. 14 Zu den Umständen und Beweggründen, die letztlich doch zu Bismarcks Umstimmung und seiner Zustimmung zum Kolonialerwerb führen vgl. Gründer 2002 – Der Wettlauf um Afrika; Gründer 1985 – Geschichte der deutschen Kolonien, S. 51ff.; Pogge von Strandmann 2009 – Imperialismus vom Grünen Tisch, S. 49ff. 15 Die zunächst wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Ziele der deutschen Kolonialbemühungen erläutern ausführlich Gründer 1985 – Geschichte der deutschen Kolonien; Canis 2002 – Bismarck als Kolonialpolitiker; Schubert 2003 – Der Schwarze Fremde, S. 13ff.; Kundrus 2003 – Moderne Imperialisten, S. 5ff.; Walkenhorst 2007 – Nation, Volk, Rasse, S. 168ff.
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Erst um 1900 werden die Stimmen im Reich immer lauter, die für Deutschland auch ideologisch eine machtpolitische Gleichstellung mit den übrigen Großmächten fordern.16 Das Wissen um die global ausgetragene Verhandlung von Macht in der Welt und der Anspruch auf Selbstbehauptung und internationale Geltung werden nun zum ständigen Grundgedanken des kolonialen Strebens. Auch in Deutschland wird es jetzt zur „Lebensfrage für eine große Nation heute, kolonialen Drang zu zeigen“17.
2.2 N ATIONALISMUS , D IFFERENZ UND DIE K ONSTRUKTIONEN VON I DENTITÄT
UND
F REMDE 18
Dieser Stimmungswechsel bringt eine Verschiebung des kolonialen Habitus mit sich und beeinflusst grundlegend das Selbstverständnis der Deutschen.19 Denn eine imperiale Ambition braucht die Überzeugung von der eigenen Nation, von der eigenen Kultur und von deren Überlegenheit – eine Überzeugung, die in Deutschland bislang kaum existiert und die sich erst über den Kontakt mit dem
16 Allen voran fordert der Kolonialpropagandist Carl Peters in seinen flammenden Schriften einen deutschen Kolonialismus, vgl. „Kolonialpolitische Aufsätze (1884-1917)“ in Frank (Hg.) 1943 – Carl Peters. Den zunehmenden Druck auf die Reichsregierung hinsichtlich einer Gründung von Kolonien fassen zusammen Osterhammel, Petersson 2007 – Geschichte der Globalisierung, S. 70f.; Schwarz 2002 – Die Kultivierung des kolonialen Begehrens, S. 86; Gründer 1985 – Geschichte der deutschen Kolonien, S. 33f. 17 Zitat von Heinrich von Treitschke, zitiert nach Birthe Kundrus, vgl. Kundrus 2003 – Moderne Imperialisten, S. 3. 18 Auf die umfangreich behandelte Semantik der Begriffe Identität und Differenz soll hier nicht im Einzelnen eingegangen werden. Die linguistischen, sozialen, kulturellen und psychologischen Ansätze von De Saussure, Bakhtin, Douglas, Durkheim und Levy-Strauss stellt Stuart Hall zusammen, vgl. Hall 2004 – Wer braucht Identität; Hall 2004 – Das Spektakel des Anderen. Der grundlegende Konsens über die Komplexe Identität und Differenz muss hier allerdings deshalb umrissen werden, weil darauf die ideologischen Folgen des Kolonialismus basieren, die wiederum Hannah Höchs Fotomontagen erklärbar machen. 19 Vgl. Walkenhorst 2007 – Nation – Volk – Rasse, S. 12.
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Fremden zu entwickeln beginnt.20 Erst der Kolonialismus veranlasst dazu, „deutsche“ Werte und eine „deutsche“ Kultur zu definieren und gemeinschaftliche Ideale und Utopien zu formulieren.21 Das Sinnieren über Überseebesitzungen und deren Bedeutung für das nationale Ansehen entpuppt sich damit als höchst selbstreflexive Angelegenheit: Alle Entwürfe und Programme für die Kolonisierung fremder Gebiete verlaufen zunächst über die Konstruktion einer deutschen Identität.22 Die Kursänderung der kolonialen Bestrebung macht also die Schaffung eines reichsdeutschen Bewusstseins zum Leitgedanken und beruft die deutsche Kultur zum gemeinsamen Nenner. Der neue Nationalismus des eigentlich so zersprengten Staates benötigt ein identitätsstiftendes Merkmal und es findet sich in Deutschlands Reputation als traditioneller Kulturnation, es findet sich im gemeinsamen Erbe des Humanismus, im Erbe von Goethe und Schiller.23 Zwar hat Deutschland „keine ,deutsche‘ gesellschaftliche Form, es gibt keine deutsche Zunft, und es gibt keine allgemeine deutsche Sitte. [...] Dagegen gibt es eine deutsche Wissenschaft, deutsche Musik und deutsche Literatur.“24 Der homogene Faktor der Nation Deutschland ist damit bestimmt und so wie die Kultur als Grundqualität und vor allem Konsens des deutschen „Volkes der Denker und Dichter“25 hervorgehoben wird, wird sie nun auch zur Rechtfertigung des Kolonialbesitzes. Obwohl die Idee des neuen Nationalismus nämlich zunächst für den
20 Die politischen und gesellschaftlichen Voraussetzungen einer „deutschen Nation“ und die historische Entwicklung des deutschen Nationalismus auch im Zusammenhang mit dem kolonialen Gedanken behandelt Walkenhorst 2007 – Nation – Volk – Rasse. 21 Beispielhaft ist in diesem Kontext Carl Peters Text „Das Deutschtum als Rasse“ von 1905, in dem er sich mit dem Zusammenhang zwischen einem deutschen Nationalismus und Kolonialismus detailliert auseinandersetzt und bemerkt: „Da hierauf die ganze Frage der deutschen Expansion, somit unserer Weltpolitik und geschichtlichen Zukunft beruht, lohnt es sich, dieser Tatsache nachzugehen [...] dass zu einer nationalen Weltpolitik in erster Linie die Grundlage einer nationalen Kultur gehört, dass solche Kultur aber nur von einer Rasse geschaffen werden kann.“ Zitat von Carl Peters, vgl. Peters 1944 (1905) – Das Deutschtum als Rasse, S. 357. 22 Vgl. Kundrus 2003 – Moderne Imperialisten, S. 7ff. 23 Vgl. Geulen 2003 – The Final Frontier, S. 41f., Dietrich 2007 – Weiße Weiblichkeiten, S. 57. 24 Zitat von Carl Peters, vgl. Peters 1944 (1905) – Das Deutschtum als Rasse (1905), S. 358. 25 Zitat von Carl Peters, vgl. Peters 1944 (1905) – Das Deutschtum als Rasse (1905), S. 358.
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Aufbau einer gesamtdeutschen Einheit und damit für eine rein innenpolitische Stärkung sorgen soll,26 ist sie stets grundlegend an das Fremde gebunden. Erst im Kontrast zu anderen Völkern kann die eigene Kultur doch in ihrer Größe erscheinen. So soll der „systematische Aufbau unserer Nation von unten empor“ buchstäblich auf „fremder Erde“27 erfolgen, wo sich die deutsche Kultur erst wirklich beweisen kann. Nach der Statuierung der eigenen kulturellen Stärke sieht sich Deutschland selbstbewusst in der humanistischen und moralischen Pflicht, die Naturvölker Afrikas und Ozeaniens zu erziehen. Die deutsche Kultur und Zivilisation soll in die sogenannten unterentwickelten Gebiete gebracht werden – zugunsten der gesamten Menschheit.28 Hinter der Formulierung derlei missionarischer Absichten verbirgt sich eine wichtige ideologische Grundlage des Nationalismus: Differenz wird zum entscheidenden Faktor des Selbstbewusstseins. Durch die Überzeugung von der eigenen kulturellen Überlegenheit wird mit Hilfe des Kolonialismus eine Hierarchie konstruiert, an deren Spitze sich die deutsche Nation stellt. Diese erhält ihre Legitimation nun nicht mehr nur aus dem gemeinschaftlichen Element der Kultur, sondern auch daraus, sich damit von allem Fremden zu unterscheiden. Eine derartige Grenzziehung ist grundlegend für die Idee einer Nation: So wie sie stets ein Gleichheits- und Partizipationsversprechen gibt, das eine gemeinsame Herkunft, Kultur, und Sprache suggeriert, beinhaltet ihre Struktur auch immer die Ausgrenzung des Nicht-Zugehörigen.29 Um das intakte Funktionieren einer Nation zu garantieren, ergibt sich daraus die Notwendigkeit einer Etablierung von Gegensatzentwürfen, welche die Fronten fixieren.30 In diesem Sinne lässt sich der Vorgang der Nations-Bildung auch durch den Begriff der Identifikation ersetzen, wie Stuart Hall ihn definiert: Um Gemeinsamkeit und kulturelle Zugehörigkeit zu kennzeichnen, werden Prozesse angestoßen, die ein „konstitutiv Äußeres“ benötigen. So wird eine Identität konstruiert, die immer abhängig von
26 Vgl. Kundrus 2003 – Moderne Imperialisten, S. 5ff. 27 Zitate von Carl Peters, vgl. Peters 1943 (1884) – Alltagspolemik und Kolonialpolitik (1884), S. 340. 28 Vgl. van Laak 2003 – Ist je ein Reich, S. 74; Geulen 2003 – The Final Frontier, S. 50f.; Osterhammel 2009 – Kolonialismus, S. 20; Johannsen 2001 – Schwarzweißheiten, S. 24f.; Walkenhorst 2007 – Nation – Volk – Rasse, S. 66. 29 Vgl. Planert 2000 – Nationalismus und weibliche Politik, S. 15ff.; Dietrich 2007 – Weiße Weiblichkeiten, S. 57; Hobsbawm 1989 – Das Imperiale Zeitalter 1875-1914, S. 191. 30 Vgl. Schubert 2003 – Der schwarze Fremde, S. 367; Hall 2004 – Das Spektakel des Anderen, S. 119.
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dem Kontext ist, vor dem sie errichtet wurde und die immer das braucht, was sie selbst nicht ist.31 In der kolonialen Situation erfolgt die Identifikation über die Begegnung mit dem außereuropäischen Fremden, welches das Nicht-Zugehörige, das Zweite in „der Logik des mehr-als-eins“32 abbildet. Das Fremde entspricht dem deutschen Wesen nicht und sichert deshalb die äußeren Grenzen der Nation. Sein Ausschluss verstärkt das Deutsch-Sein und gewährt die nationale Stabilität.33 Fremdheit wird so zu einem wichtigen Bestandteil des Nationalismus beziehungsweise der deutschen Identifikation – und zu einer bedeutenden, konstruierten Größe. Denn wie auch die eigene Identität ein künstliches Gebilde ist, ist auch „das Fremde“ keine elementare Eigenart, sondern die Definition der Beziehung Deutschlands zu sich selbst und seinem Anderen.34 Die konstituierende Größe in der Beziehung beider Pole zueinander – die Differenz – ist somit automatisch eine diskursive, die immer wieder bestätigt werden muss, um die Identität zu sichern.35 Vor diesem Hintergrund ist der Entwurf des Fremd- und damit auch des Selbst-Bildes – die Identifikation des deutschen Wesens – zu betrachten: Beide stehen in einem uneingeschränkten Abhängigkeitsverhältnis zur Differenz. Beide sind immer relativ und nie stabil oder vollendet, beide sind immer unbedingt Ausdruck eines bestimmten Weltbildes und nur in Zusammenhang mit ihrem diskursiven Repräsentationsregime36 zu sehen. Dass beide Parteien außerdem in einem permanenten Machtverhältnis zueinander stehen, erklärt sich ebenfalls aus der Differenz: Aufgrund der gegenseitigen Abhängigkeit voneinander kann nur die Partei Behauptung erlangen, die es schafft, ihre Gegenseite zu unterdrücken und damit den Verlust ihrer Vormachtstellung zu verhindern.37 Bekanntermaßen führt diese Erzeugung einer Machtbeziehung auf der letzten, fundamentalen Ebene zur realpolitischen Hierarchie zwischen Kolonialherren und Kolonisier-
31 Vgl. Hall 2004 – Wer braucht Identität, S. 168ff. 32 Zitat von Stuart Hall, vgl. Hall 2004 – Wer braucht Identität, S. 169. 33 Vgl. Schäffter 1991 – Modi des Fremderlebens, S. 19. 34 Vgl. Honold, Scherpe 2004 – Einleitung, S. 8. 35 Vgl. Hall 2004 – Wer braucht Identität, S. 171. 36 „[...] das gesamte Repertoire an Bildern und visuellen Effekten, durch das ,Differenz‘ in einem beliebigen historischen Moment repräsentiert wird, wird als Repräsentationsregime bezeichnet.“ Zitat von Stuart Hall, vgl. Hall 2004 – Das Spektakel des Anderen, S. 115. 37 Vgl. Hall 2004 – Wer braucht Identität, S. 172; Hall 2004 – Das Spektakel des Anderen, S. 118.
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tem. Was jedoch viel bedeutender ist, ist die symbolische Komponente jener Macht: der Macht zu klassifizieren, sich selbst an die Spitze einer Hierarchie zu stellen und alles Abweichende herabzusetzen. Die Paradigmen der Nation und der Differenz sind für die Ermöglichung eines Machtverhältnisses wie das des Kolonialismus also unbedingt ausschlaggebend. Ohne Differenz funktioniert das Konstrukt der Nation nicht, ohne das Konstrukt der Nation funktioniert der Kolonialismus nicht. Wie erläutert wurde, bedarf es einer stabilen Selbstüberzeugung mit klar gesteckten Grenzen, um eine Vormachtstellung errichten zu können. Differenz ist der Faktor in der Beziehung zweier Parteien, der diese Grenzen festlegt, der Bedeutung zuweist und dadurch Macht produziert. Weil nun die Differenz nicht per se existiert, muss sie stets erst definiert und aufgrund der gegenseitigen Abhängigkeit beider Lager immer wieder festgeschrieben werden, um die Beständigkeit der errichteten Hierarchie zu garantieren. Differenz wird in diesem Sinne immer wieder neu erklärt und durch ein Gefüge von Phantasien, Projektionen und empirischen Methoden repräsentiert.38 Ein weiterer Faktor im Abhängigkeitsverhältnis von Kolonialismus, Nation und Differenz ist darum die Repräsentation: Ohne Repräsentation ist Differenz nicht greifbar, ohne Differenz Macht nicht realisierbar. Das Zusammenspiel der Praktiken der Repräsentation – das gesamte Repräsentationsregime – das zunächst der Pointierung von Differenz dient, verfolgt also in letzter Konsequenz die Rechtfertigung der kolonialen Übernahme. Für sich genommen stehen die verschiedenen Strategien aber auch für ideologische Überzeugungen, die sich nicht nur im gesellschaftlichen Leben der Kolonien, sondern gleichermaßen in Deutschland durchsetzen. Die maßgeblichen Kategorien, an denen Differenz im kolonialen Kontext exerziert wird, sind dabei die „Rasse“ und mit ihr die „Ethnizität“ und Hautfarbe. Sie stehen wesentlich für das Andere, für das Fremde. Alle Praktiken der Repräsentation werden über diese Faktoren entwickelt, deren gemeinsame Eigenschaft in einer angeblichen Unabänderlichkeit, einer Naturgegebenheit liegt und die damit eine grundlegende Stabilität der Repräsentation garantieren sollen.39
38 Vgl. Hall 2004 – Das Spektakel des Anderen, S. 108f. und S. 145f. 39 Vgl. Hall 2004 – Das Spektakel des Anderen, S. 130.
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2.3 D ER R ASSEBEGRIFF ALS G RUNDLAGE KOLONIALER R EPRÄSENTATION Die Kategorisierung der Menschheit in verschiedene Rassen ist ein Akt der Aufklärung. Bis zur Aufklärung folgt die Hierarchisierung der Weltbevölkerung religiösen Richtlinien. Diejenigen werden als höherwertige Menschen angesehen, die dem Christentum verpflichtet und gottesgläubig sind, während all jene, die als Heiden gelten, als unterentwickelt und rückständig betrachtet werden. Diese Einteilung der Welt in Gläubige und Nicht-Gläubige macht die Grenzen flexibel: Wer sich zum Christentum bekennt, kann jederzeit in der Hierarchie aufsteigen und sich der angeseheneren Gruppe angliedern. Mit der Aufklärung und der Ablösung religiöser Werte durch Vernunft und Humanismus verschwindet diese Möglichkeit. Intellektuelle und künstlerische Fähigkeiten sind jetzt die höchsten Tugenden, die es zu erreichen gilt und die zum Sinnbild des Abendlandes werden. Die Menschheit wird jetzt in Wissende und Nicht-Wissende, in Gebildete und Ungebildete eingeteilt, Europa als der aufgeklärte Teil der Welt, Afrika als der Unaufgeklärte betrachtet.40 Die Topoi, die das Afrika-Bild bestimmen und die Weltordnung als eine eurozentristische festlegen, ergeben sich aus einem Zusammenschnitt disparater Quellen: Sie entstammen zunächst den meistens fiktiven Reiseberichten von Kaufleuten, Ethnologen oder Expeditionsteilnehmern41 und manifestieren sich schließlich in den scheinbar empirischen Thesen der aufklärerischen Philosophie und Wissenschaft.42 In umfangreichen Abhandlungen konstruieren die wichtig-
40 Den Wandel der hierarchischen Bedingungen in der Welt und die Rolle der Aufklärung bei der Kategorisierung der Menschheit fassen zusammen Dietrich 2007 – Weiße Weiblichkeiten, S. 141f.; El-Tayeb 2001 – Schwarze Deutsche; Schubert 2003 – Der schwarze Fremde, S. 46; Fiedler 2005 – Zwischen Abenteuer, S. 38ff.; Hentges 1999 – Schattenseiten der Aufklärung; Hentges 2001 – ...nichts an das Menschliche anklingende. 41 Zu den Konstruktionen des Anderen in Reiseberichten vgl. unter anderem Fiedler 2005 – Zwischen Abenteuer, S. 38ff.; Johannsen 2001 – Schwarzweißheiten, S. 24f. 42 Die relevanten Texte der Aufklärung sind hier hauptsächlich: Linné, Carl: Systema Naturae, 1735; Kant, Immanuel: Von den verschiedenen Racen der Menschen, 1775; Voltaire: Essais sur les Moeurs, 1754; Blumenbach, Johann Friedrich: Über die natürlichen Verschiedenheiten im Menschengeschlecht, 1798; Hegel, Georg Wilhelm Friedrich: Vorlesungen über die Philosophie der Weltgeschichte, 1837; Soemmering, Samuel Thomas: Anthropologie. Über die körperliche Verschiedenheit des Negers vom Europäer, 1785.
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sten Köpfe der Aufklärung den Gedanken einer nicht-linearen Entwicklung der Menschheit und erklären deren Abstufung für nicht antastbar. Sie bringen Intelligenz und Charakter mit Hautfarbe, Physiognomie und Anatomie in Verbindung und stellen den weißen Menschen – den Europäer – in der Schlussfolgerung an die Spitze der Menschheit.43 Die Ungleichartigkeit von „schwarz“ und „weiß“ wird dabei von Beginn an als Hauptkriterium betrachtet, mit dem die Kategorisierung der Menschheit erfolgen kann und das aufgrund seiner Naturgegebenheit auch als unabhängig von der Geschichte gilt.44 Aus den eurozentristischen Erhebungen der Aufklärung ergibt sich das Konzept einer Weltordnung, die von Grund auf durch binäre Gegensätze bestimmt ist und die sich hauptsächlich auf die Begriffe „Kultur“ und „Natur“ beruft.45 Die Kultur gilt als Merkmal des humanistischen, weißen Europas. Der Glaube an Vernunft und Selbstbeherrschung, die Bedeutung von Wissen und die Entwicklung von Regierung und Recht charakterisieren die aufgeklärte Gesellschaft, deren Rekurs auf klassische Bildung und Ästhetik auf eine ausgesprochene Kultiviertheit verweist. Kultur wird als Stadium einer Entwicklung betrachtet, die durch geistige Reife erlangt wurde und die dazu berechtigt, weniger ausgebildete Gesellschaften zumindest ideell zu unterwerfen. Das diametrale Pendant einer kultivierten Gesellschaft und der Gegenbegriff zur Kultur wird unter dem Begriff Natur gefasst. Ihre Haupteigenschaft wird im Mangel an Zivilisiertheit gesehen. Sowohl im sozialen als auch im politischen Bereich findet sich hier im Gegensatz zur Kultur eine Unterentwicklung, eine sogenannte Primitivität. Statt dem Intellekt herrscht bei Naturvölkern die Emotion, statt Institutionen finden sich irrationale Bräuche und Riten. Der Mangel an einer Fähigkeit zur zivilisatorischen Entwicklung und damit zum Aufstieg wird als Charakteristikum unter-
43 Wie in den Texten der Aufklärung die Legitimierung einer eurozentristischen Hierarchie vollzogen wird, soll hier nicht im Einzelnen aufgeschlüsselt werden. Ausführliche Zusammenfassungen der unterschiedlichen Thesen der Aufklärung zu den verschiedenen Rassen geben unter anderem Zantop 1999 – Kolonialphantasien im vorkolonialen Deutschland 1770-1870, S. 86ff.; Hentges 1999 – Schattenseiten der Aufklärung; Laukötter 2007 – Von der Kultur zur Rasse, S. 86ff. 44 Hautfarbe als Rassenkategorie beschreibt und problematisiert in diesem Zusammenhang Wulf D. Hund, vgl. Hund 2001 – Die Rassenmacher, S. 51f. 45 Die Konstruktion des Gegensatzmodells Kultur – Natur erörtert Manfred Gothsch am Beispiel der ethnologischen Forschung Adolf Bastians, vgl. Gothsch 1983 – Die deutsche Völkerkunde und ihr, S. 31ff. Vgl. außerdem Fiedler 2005 – Zwischen Abenteuer, S. 49ff.
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stellt.46 Im Sinne einer Gegensatzkonstruktion ist die Assoziation mit dem Begriff Natur „schwarz“. Da nun die Thesen der Aufklärung die Unterscheidung der Menschheit als biologisch determiniert darstellen und die Pathologisierung des Fremden auf vermeintliche Anlagen zurückführen, wird das Konzept unterschiedlicher Rassen für nicht antastbar erklärt.47 So wird automatisch eine ideologische Aufladung des Körpers vollzogen und zur Idee eines hierarchischen Rassemodells hingeführt, welches den schwarzen Körper deklassiert und als direkten Gegensatz zum weißen Körper konstruiert.48 Der neue Rassebegriff wird zum Zentrum von Ausschlussmechanismen, die die eigene, weiße Superiorität festlegen. Über die hergestellte Verbindung zwischen biologischen Erhebungen und sozialen Folgerungen beinhaltet der koloniale Rassengedanke zwei Ansätze: die kulturmissionarische Pflicht und die sozialdarwinistische Selbstverständlichkeit.49 Erstere erklärt die Bändigung des primitiven Charakters der Naturvölker durch Beherrschung und Lenkung zum Ziel und begründet dies in dem Gebot, als höherwertige Nation für die Domestizierung von Unmoral und Wildheit verantwortlich zu sein.50 Letztere betrachtet die Hierarchie zwischen Schwarz und Weiß als natürliche, genetisch veranlagte Selektion, welche den weißen Menschen zum Stärkeren bestimmt hat und welche die Unterwerfung schwarzer Völker zum wissenschaft-
46 Vgl. Hall 2004 – Das Spektakel des Anderen, S. 127ff.; Schubert 2004 – Der dunkle Kontinent, S. 44f. 47 Vgl. Walkenhorst 2007 – Nation – Volk – Rasse; S. 96ff.; Johannsen 2001 – Schwarzweißheiten, S. 24. 48 Ein Überblick, wie es zur Entwicklung des Rassemodells im Einzelnen kommt und welche unterschiedlichen Ansätze oben genannte Texte dazu geben, findet sich bei Hentges 1999 – Schattenseiten der Aufklärung, S. 163ff.; Hund 2001 – Die Rassenmacher; Johannsen 2001 – Schwarzweißheiten, S. 29ff.; Vgl. Dietrich 2007 – Weiße Weiblichkeiten, S. 145; Diop 2006 – Die Hautfarbe der Aufklärung. Hier werden die verschiedenen historischen, wissenschaftlichen und philosophischen Ansätze zur Einteilung der Welt in Rassen erläutert und problematisiert. 49 Zur Herausbildung und Bedeutung der beiden Konzepte vgl. Schubert 2004 – Der dunkle Kontinent. 50 Mit dem Konzept der Kulturmission am Beispiel der evangelischen Missionsgesellschaften setzt sich Thorsten Altena differenziert auseinander und erörtert, wie das Bild „des Afrikaners“ zurechtgezimmert wurde, um die Notwendigkeit der Missionsarbeit zu begründen, vgl. Altena 2004 – Etwas für das Wohl. Vgl. außerdem Osterhammel 2009 – Kolonialismus; Schubert 2004 – Der dunkle Kontinent, S. 46ff.
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lich begründbaren Automatismus macht.51 Die Definition unterschiedlicher Rassen auf einer scheinbar wissenschaftlichen Basis rechtfertigt so das eurozentristische, rassistische System des Kolonialismus und erteilt gleichzeitig die moralische Freigabe zur Unterwerfung des differenten Anderen. Erst diese beiden Argumentationsstränge, die aus dem Rassekonzept konkrete Konsequenzen ableiten, machen den Kolonialismus begründbar.52 2.3.1 Naturalisierung und Stereotypisierung als Techniken der Repräsentation Die Entwicklung des Rassemodells stellt auf diese Weise nicht nur die Grundlage für eine symbolische wie reale Hierarchie her, sie beinhaltet auch bereits eine grundlegende Technik der Repräsentation: die Naturalisierung der Differenz. Wenn die unterschiedlichen Merkmale zwischen Weißen und Schwarzen naturgegeben sind, wenn sie also nicht durch eine geistige – eine kulturelle – Entwicklung beeinflusst werden können, dann sind sie unbedingt. Auf diese Weise fixiert die Methode der Naturalisierung die Differenz und erklärt die Kategorisierung von Menschen mit einem Verweis auf die Wissenschaft53 als bindend.54 Der eigentliche Anspruch der Aufklärung auf Gleichheit Aller wird damit negiert und nicht der Mensch selbst in den Mittelpunkt gestellt, sondern explizit der weiße, aufgeklärte Mann.55 Das Rassenschema wird für die westliche, moderne Identität zum entscheidenden Kriterium gegenüber der unzivilisierten Fremde und weil es sich hauptsächlich über das physische Merkmal der Hautfar-
51 Vgl. Walkenhorst 2007 – Nation – Volk – Rasse, S. 119ff.; Schubert 2003 – Der schwarze Fremde, S. 48; Gründer 2004 – Zum Stellenwert des Rassismus, S. 29; Schubert 2004 – Der dunkle Kontinent, S. 51f. 52 Vgl. Schubert 2004 – Der dunkle Kontinent, S. 46. 53 Der Rasse-Diskurs basiert nicht auf einem homogen entwickelten Begriff, sondern setzt sich aus verschiedenen Theorien aus unterschiedlichen Wissenschaften zusammen. Die Biologie, Eugenik und die Medizin bieten ebenso wissenschaftliche Rechtfertigungen für das Rassemodell an, wie die Anthropologie, Ethnologie und Geographie. Vgl. Gründer 2004 – Zum Stellenwert des Rassismus, S. 31; Dietrich 2007 – Weiße Weiblichkeiten, S. 155; Zimmerman 2006 – Ethnologie im Kaiserreich, S. 192; Laukötter 2007 – Von der Kultur zur Rasse, S. 85. 54 Vgl. Hall 2004 – Das Spektakel des Anderen, S. 130. 55 Vgl. Martin 1993 – Schwarze Teufel, S. 106; Dietrich 2007 – Weiße Weiblichkeiten, S. 67; Diop 2006 – Die Hautfarbe der Aufklärung, S. 45.
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be definiert, macht es den Körper zum Träger von Differenz.56 Hierbei findet wiederum eine Naturalisierung statt. Denn durch die Reduzierung auf den Körper wird der Blick auf individuelle Charaktereigenschaften verweigert und der schwarze Andere nur auf sein Wesen – seine Natur – beschränkt.57 Die Bindung an den Körper, der zwangsläufig als naturgegeben betrachtet werden muss, macht die Zuschreibung zu einer Rasse eindeutig. Im Kontext des Kolonialismus tritt die als selbständige Disziplin noch junge Ethnologie58 als Hauptakteurin und Vermittlerin der naturalisierten Rassenhierarchie auf. Mittels der körperlichen Vermessung und genauen Beschreibung der Angehörigen fremder Völker leitet sie grundlegende körperliche und charakterliche Rassenmerkmale ab, die nicht nur Aufschluss über Siedlungsräume und deren Einwohner geben, sondern die vor allem die Theorien über die verschiedenen Menschenrassen belegen sollen.59 Dass dabei Schädel, menschliche Knochen und Objekte der sogenannten „Naturvölker“ selbst das Material der Untersuchung stellen, impliziert die Naturgegebenheit der Objekte und schreibt damit Bedeutung fest. Schon die Methode der Ethnologie, die in der direkten Arbeit am Forschungsobjekt besteht, suggeriert so eine besondere wissenschaftliche Korrektheit; der Verzicht auf subjektive Quellen verleiht den Forschungsergebnissen ihren vermeintlich objektiven Anspruch.60 Auf diese Weise begründet die
56 Vgl. Dietrich 2007 – Weiße Weiblichkeiten, S. 141ff. 57 Vgl. Hall 2004 – Das Spektakel des Anderen, S. 131 und S. 153. 58 Zur Entstehung und Aufgabenstellung der Ethnologie vgl. Fischer 1998 – Was ist Ethnologie; Müller 1998 – Geschichte der Ethnologie. 59 Die Ansprüche und Arbeitsweisen der Ethnologie und Anthropologie in der Kolonialzeit können in Felix von Luschans zeitgenössischer „Anleitung zu wissenschaftlichen Beobachtungen auf dem Gebiete der Anthropologie, Ethnographie und Urgeschichte“ (1910) nachvollzogen werden, vgl. Krosigk (Hg.) 2007 – Felix von Luschan. Von Luschan gilt als der bedeutendste Anthropologe der Zeit und stellt im angegebenen Text ein Regelwerk zur anthropologischen und ethnologischen Beobachtung auf. Weitere Quellen erschließen außerdem Hog 1990 – Ethnologie und Öffentlichkeit und Hanke 2007 – Zwischen Auflösung und Fixierung. Sie beschreiben im Überblick, wie mittels Messtechniken und typologischen Definitionen ein umfassendes Bild von den kulturellen und physischen Anlagen der Naturvölker erstellt und wie daraus Rassenbestimmungen abgeleitet wurden. 60 Die Ethnologie sieht ihre wissenschaftliche Bedeutung in der Unterscheidung von den historischen Wissenschaften. Während sich die Geschichtswissenschaften auf „subjektive“ Quellen berufen – etwa auf die Deutung von historischen Texten, die von den betreffenden Völkern selbst verfasst sind – betrachtet die Ethnologie diese Vorge-
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Ethnologie die biologische Bestimmung der Rassen und bestätigt die Existenz von natürlichen, nationalen Identitäten. Die Naturalisierung der Differenz wird damit vollzogen. Tatsächlich wird der ethnologische Diskurs über das Fremde dabei jedoch nicht objektiv, sondern ganz und gar über das Eigene geführt. Unabhängig von der Fragwürdigkeit der Objektivität einer beobachtenden Wissenschaft wird die ethnologische Forschung doch stets durch den Kolonialismus determiniert, dessen Gegebenheiten die ethnologischen Untersuchungen erst ermöglichen. Eine unabhängige Betrachtung wird so bereits aufgrund der Herkunft der Quellen, der unvermeidbar subjektiven Voreinstellungen und der Methoden des Ethnologen verhindert.61 Die meist spekulativen Folgerungen aus den scheinbar wissenschaftlichen Erhebungen stehen ganz im Sinne der sozialdarwinistischen Ideologie des Imperialismus und dienen eher der Legitimation des Systems als seiner wissenschaftlichen Fundierung.62 Indem die Ethnologie jedoch den menschlichen Körper plakativ ins Zentrum der Wissenschaft rückt und die äußerliche Erkennbarkeit nationaler Zugehörigkeit referiert, etabliert sie die Idee der Unterscheidbarkeit der Rassen. Der Körper wird zum natürlichen Material für die charakterisierenden Zuschreibungen des Fremden stilisiert. Die Definition des Fremden über den Körper und insbesondere über die Hautfarbe verläuft grundsätzlich über Stereotypisierungen,63 die stets einem binären System folgen: Das Stereotyp des Fremden – das Heterostereotyp – wird
hensweise als zu selektiv und beschäftigt sich stattdessen mit den Objekten selbst. Unter der Prämisse, so die ungefilterte Natur der Völker zu erforschen und nicht deren (Schrift-)kultur, begreift sie sich ob ihrer Methoden als Naturwissenschaft. Vgl. Zimmerman 2006 – Ethnologie im Kaiserreich. 61 Vgl. Berg, Fuchs 1993 – Phänomenologie der Differenz; Honold, Scherpe 2004 – Einleitung, S. 14; Zimmerman 2006 – Ethnologie im Kaiserreich, S. 196 ff.; Hanke 2007 – Zwischen Auflösung und Fixierung, S. 25f. 62 Vgl. Hog 1990 – Ethnologie und Öffentlichkeit, S. 95f. 63 Die Konzeption von Stereotypen und ihre Bedeutung für die Gesellschaft und Geschichte ist in unterschiedlichen Wissenschaftsbereichen ausführlich erforscht. Die einzelnen Ansätze insbesondere zur Dekonstruktion des Stereotyps können hier nicht im Einzelnen aufgeführt werden. Einen guten Literaturüberblick zu den Theorien der unterschiedlichen Disziplinen und eine exemplarische Aufführung der aktuellen Ansätze geben Hahn, Hahn 2002 – Nationale Stereotypen, S. 20; Imhof 2002 – Stereotypen und Diskursanalyse. Für den Zusammenhang dieser Arbeit ist außerdem Stuart Halls Beitrag zur Stereotypisierung wichtig, vgl. Hall 2004 – Das Spektakel des Anderen.
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dem Typ des Eigenen – dem Autostereotyp – entsprechend negativ entgegengesetzt, so dass sich für die Beschreibung der Differenz zwischen beiden Seiten Gegensatzpaare ergeben.64 Die grundsätzliche Unterscheidung der Kultur- und der Natur-Völker beruht auf den Eigenschaften der Zivilisiertheit und der Primitivität, aus denen weitere Zuweisungen wie modern und in der Entwicklung zurückgeblieben, ambitioniert und arbeitsunwillig, vernünftig und irrational gefolgert werden.65 Auch das so prominente Rassemerkmal der Hautfarbe bietet viel Raum für Stereotype. Schwarz und weiß sind nicht nur zwei einander buchstäblich entgegen gesetzte Attribute, sondern auch ideologisch aufladbare Kategorien: Schwarz steht nicht nur in der christlichen Tradition für das Negative und Böse schlechthin, es lässt sich auch in den Wissenschaften des neunzehnten Jahrhunderts als Symbol des Schlechten, Krankhaften festmachen. Der Zusammenhang zwischen einer dunklen Hautfarbe und geistigen Charakterschwächen bis hin zu psychischen Krankheiten gilt als medizinisch definierbar, das defizitäre Wesen schwarzer Menschen scheint somit wissenschaftlich unterlegt. Über das äußerliche Zeichen der Hautfarbe können dem Schwarzen die Charakterzüge des Bösen, Unmoralischen zugeordnet und zudem die Attribute hässlich, krankhaft und abstoßend zugeschrieben werden:66 „In Europa wird das Böse durch das Schwarze dargestellt. [...] Der Henker ist der schwarze Mann, Satan ist schwarz, man spricht von Finsternis, und wenn man schmutzig ist, ist man schwarz – gleichviel, ob es sich um körperlichen oder moralischen Schmutz handelt. [...] In Europa stellt der Neger, sei‘s konkret oder symbolisch, die schlechte Seite der Persönlichkeit dar. So lange man dies nicht begriffen hat, wird alles Reden über das ,schwarze Problem‘ vergeblich sein. Das Schwarze, das Dunkle, der Schatten, die Finsternis, die Nacht, die Labyrinthe der Erde, die abyssischen Tiefen, jemanden anschwärzen; und auf der anderen Seite: der klare Blick der Unschuld, die weiße Taube des Friedens,
64 Zur immanenten Doppelfunktion des Stereotyps und zu den Begriffen Heterostereotyp und Autostereotyp vgl. Hahn, Hahn 2002 – Nationale Stereotypen. 65 Vgl. Hall 2004 – Das Spektakel des Anderen, S. 127ff., Arndt 2011 – Hautfarbe, S. 334ff. 66 Die Genealogie der Konnotationen zur schwarzen Hautfarbe erörtert ausführlich Gustav Jahoda, vgl. Jahoda 1999 – Images of Savages, S. 26ff. Vgl. außerdem Fiedler – Zwischen Abenteuer, S. 60f.; Zantop 1999 – Kolonialphantasien im vorkolonialen Deutschland 1770-1870, S. 112ff.; Johannsen 2001 – Schwarzweißheiten, S. 28; Gilman 1982 (Hg.) – On blackness without blacks, S. 2ff.; Arndt 2011 – Hautfarbe.
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das feenhafte, paradiesische Licht. Ein wunderschönes blondes Kind – welch ein Friede in diesem Ausdruck, welche Freude und vor allem welche Hoffnung!“67
Die Hautfarbe und die mit ihr verbundenen Stereotype schaffen eine sichtbare Projektionsfläche für moralische Werturteile über das Fremde und rechtfertigen in der Folge die Ausbeutung des nicht-weißen Menschen durch den Weißen. Als Technik der Repräsentation ist die Stereotypisierung ein wesentlicher Faktor für die Fixierung von Differenz. Weil Stereotype nie nur das Bild vom Anderen wiedergeben, sondern immer auch die Beschreibung des Selbst mit einschließen, stärken sie die Gemeinsamkeiten der eigenen Gruppe und sichern so die Grenze zur anderen. Die Stereotype wirken gemeinschaftsbildend, sie stärken das „Wir“ und grenzen die „Anderen“ davon ab – sie sichern das Selbst und fordern gleichzeitig zu einem bestimmten Verhalten der anderen Gruppe gegenüber auf:68 Stereotype beinhalten immer eine besondere emotionale Aufladung, die es ihnen erlaubt, (ab)wertende Beschreibungen des Anderen zu erstellen und es in eine hierarchische Beziehung zum Eigenen zu bringen.69 Eine Aufrechterhaltung der künstlich geschaffenen Ordnung und die Ausübung von symbolischer Macht wird somit durch die Errichtung von Stereotypen gefördert; Stereotype stabilisieren auch im Kontext des Kolonialismus das politische System.70 Obwohl sie immer vom gesellschaftlichen und historischen Kontext abhängen, in dem sie errichtet wurden und obwohl sie damit in ihrer Grundsubstanz eigentlich instabil sind,71 verfolgen auch Stereotype ein System der Naturalisierung: Die Reduzierung einer Person auf einige wenige, schematisierte Eigenschaften vereinfachen und übertreiben das Wesen der Person gleichermaßen. Sie ent-individualisieren das Objekt der Beschreibung und machen es zu einem allgemeinen Rassencharakter, der durch jene allgemein verständlichen Merkmale definiert wird und der zudem von jeglicher Entwicklung freigesprochen und in alle Zukunft festgeschrieben wird.72 Die Stereotypisierung vereinfacht und pau-
67 Zitat von Frantz Fanon, vgl. Fanon 1985 (1952) – Schwarze Haut, S. 132. 68 Vgl. Imhof 2002 – Stereotypen und Diskursanalyse, S. 69f.; Hahn, Hahn 2002 – Nationale Stereotypen; S. 28ff. 69 Vgl. Hahn, Hahn 2002 – Nationale Stereotype, S. 22ff. und 35ff.; Imhof 2002 – Stereotypen und Diskursanalyse, S. 63. 70 Vgl. Hall 2004 – Das Spektakel des Anderen, S. 144ff.; Hahn, Hahn 2002 – Nationale Stereotype, S. 42. 71 Vgl. Hahn, Hahn 2002 – Stereotype, S. 38; Imhof 2002 – Stereotypen und Diskursanalyse, S. 65. 72 Vgl. El-Tayeb 2001 – Schwarze Deutsche, S. 23.
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schalisiert auf diese Art ebenso wie sie naturalisiert. Das Ergebnis ist auch hierbei eine Fixierung von Differenz.73 Sowohl die Stereotypisierung als auch die Naturalisierung arbeiten die Fixierung der Differenz an dem Merkmal der Rasse ab. Für das Gelingen des kolonialen Projektes ist dies entscheidend: Das Konzept der Rasse hält das gesamte konstruierte Geflecht der kolonialen Ideologie zusammen und sorgt auf allen Ebenen für dessen Umsetzung. Der Rassengedanke schafft Identität und Differenz, er bestätigt die Grenzen, legitimiert das koloniale Vorhaben und ermöglicht ein politisches wie symbolisches Machtverhältnis. Je stabiler die Repräsentation der fremden Rasse dabei wird, umso stärker wird auch die eigene. Als ausschlaggebendes und sichtbares Merkmal der Gemeinschaft wird sie zur Grundlage der Identifikation und zur Legitimation der Nation. Mit der Zugehörigkeit zu einer Rasse lässt sich nun auch die Zugehörigkeit zu einer Nation bestimmen, aus der Kulturgemeinschaft Deutschland wird die deutsche Abstammungsgemeinschaft.74 So verschwimmt mit der Etablierung des Rasse-Begriffs letztendlich die Trennung zwischen Rasse, Volk und Nation, der Herrschaftsanspruch der Nation und mit ihr die deutsche Identität erklärt sich nun auch aus der Rasse heraus.75 So stabil das koloniale Konstrukt aus den Gliedern Nation, Differenz, Identität und Macht durch die Komponente der Rasse aber auf der einen Seite scheinbar wird, als so fragil erweist es sich gleichzeitig. Denn so wie Differenz durch die Errichtung von Grenzen Identität und Macht schaffen kann, erzeugt sie immer auch Unsicherheiten gegenüber einer möglichen Verschiebung der Grenzen. Die Art, wie Differenz repräsentiert wird, offenbart, wie konstruiert und fiktiv sie ist.76 Durch einen derart diskursiven Charakter kann sie nie eindeutig, nie vollkommen fixiert sein. Wenn nun die eigene Identität von einer Differenz abhängt, die sich zu verschieben droht, wird sie instabil, die Gefahr eines Identitätsverlusts droht. Gerade die willkürlich begründete und künstlich aufgeladene Differenzkategorie der Rasse birgt in diesem Sinne Schwächen, die sich in der kolonialen Praxis offenbaren.
73 Vgl. Hall 2004 – Das Spektakel des Anderen, S. 132ff. 74 Vgl. Walkenhorst 2007 – Nation – Volk – Rasse, S. 101. 75 Vgl. Kundrus 2003 – Moderne Imperialisten, S. 5 und S. 176. Vergleiche dazu auch den bereits zitierten Aufsatz von Carl Peters „Das Deutschtum als Rasse“ (1905), in dem die Forderung nach einer „deutschen Nation“ auch begrifflich mit der nach einer „deutschen Rasse“ verschmilzt. Vgl. Peters 1944 (1905) – Das Deutschtum als Rasse. 76 Vgl. Schubert 2003 – Der schwarze Fremde, S. 13; Honold, Scherpe 2004 – Einleitung, S. 10; Hall 2004 – Wer braucht Identität, S. 171.
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2.3.2 Die Bedrohung der Differenz: Rassenmischehen in den Kolonien Bereits nach kurzer Zeit kolonialer Herrschaft in den Überseegebieten zeigt sich, dass die verallgemeinernde Kategorisierung von Schwarzen und Weißen das eurozentristische Überlegenheitsrecht mehr aufweicht als sie es festigt.77 Was die Statuierung einer Differenz zwischen den Rassen nämlich nicht vorsieht, ist die Übertretung der Grenze – eine Übertretung, zu der es im Moment der menschlichen Begegnung beider Seiten unweigerlich kommt. Und so wird das Thema der sogenannten „Mischehen“ zu einer der brisantesten Streitfragen im Kolonialismus. Von Beginn an tritt damit ein Thema aus dem persönlichsten Bereich an die Öffentlichkeit und entfacht eine höchst kontroverse Debatte, welche sowohl von der Politik, als auch von der Öffentlichkeit geführt wird – in den Kolonien, aber auch im deutschen Reich. In einer polarisierenden Diskussion wird offiziell hinterfragt, ob eine Vermischung der Rassen zulässig ist. Nachdem in der Kongoakte von 1885 noch eine Duldung der Mischehen zwischen Kolonisierern und Kolonisierten formuliert wird, spricht sich die Kolonialabteilung des Auswärtigen Amtes 1889 bereits nur begrenzt für eine Erlaubnis aus: Nur die weißen Männer sollen einheimische Frauen heiraten dürfen, die für immer in den Kolonien bleiben wollen und eine Rückkehr ins deutsche Reich ausschließen. Noch bleibt die Debatte also auf die Schutzgebiete beschränkt und auch als 1906 Mischehen nur noch mit Erlaubnis des Gouverneurs geschlossen werden dürfen, erfährt die Öffentlichkeit im deutschen Reich zunächst nichts von dem Beschluss. Als 1908 allerdings der Antrag auf ein Verbot der Mischehen von der deutschen Kolonialgesellschaft offiziell beschlossen wird, kommt eine umfangreiche Debatte in Gang, die sich über die Kolonialzeitschriften bis in den Reichstag verbreitet.78 Dort wird das Thema im Jahr 1912 zur zentralen Angelegenheit und zu einer Kontroverse, die in der Öffentlichkeit,
77 Vgl. Kundrus 2003 – Moderne Imperialisten, S. 276f. 78 Detaillierte Zusammenfassungen der Debatte um die Rassenmischehen in den Kolonien und im deutschen Reich finden sich etwa bei Sippel 2004 – Rechtspolitische Ansätze zur Vermeidung; Schwarz 2004 – Bastards. Juli 1908; Grosse 2000 – Kolonialismus, S. 149ff.; Roller 2002 – Wir sind Deutsche. In diesen Texten werden die komplexe Rechtslage und der Verlauf der politischen Debatte im Einzelnen aufgelistet und analysiert. Aufgrund ihrer zeitlichen Nähe zur Diskussion ist auch besonders die Abhandlung von Thomas Grentrup interessant, vgl. Grentrup 1914 – Rassenmischehen in den deutschen Kolonien.
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der Presse und in zahlreichen wissenschaftlichen Abhandlungen geführt wird.79 Die Gegner des Mischehenverbotes argumentieren zunächst christlich und erklären das Verbot für religiös unangemessen: Weil in den Kolonien fast alle Eingeborenen schon missioniert sind, verbietet das Gleichheitsgebot des Christentums eine Einschränkung bei der gemischten Ehe.80 Auch in sozialer Hinsicht erfolgt ein allgemeiner Aufschrei, schließlich würde durch den Erlass eines Mischehenverbotes ein einschneidender Eingriff in das Privatleben und Persönlichkeitsrecht der deutschen Bürger erfolgen. Ganz pragmatisch werden zuletzt die Vorteile der Mischehen herausgestellt, gelten doch farbige Ehefrauen als günstiger im Unterhalt und durch ihre Anpassung an das Klima der Kolonien als arbeitsfähiger als weiße Frauen.81 Die Befürworter eines Mischehenverbotes hingegen beharren auf dem Standpunkt, dass das Ansehen des weißen Mannes durch eine Verbindung mit einer schwarzen Frau Schaden trägt, dass seine politische und soziale Vormachtstellung durch eine Heirat mit der niederen, eigentlich zu beherrschenden Rasse unterlaufen wird. Kommen Einheimische und Europäer in einer Ehe zusammen, entsteht der Eindruck, dass ein Aufstieg und eine Entwicklung für die Kolonisierten möglich ist. Für die eigentliche Kolonialmission, nämlich für das Vermitteln der deutschen Kultur, müsse die Hierarchie aber gewahrt und die Seiten kenntlich bleiben. Das Eingehen einer Mischehe wird darum nicht nur als unmoralisch, sondern sogar als Entehrung der Nation betrachtet.82 Vor allem aber die Gefahr, auch die Kinder aus den gemischten Verbindungen als ehelich anerkennen zu müssen und damit eine Verunreinigung der deutschen Rasse zu riskieren, wird als unzumutbar betrachtet.83 Dieses Argument erweist sich als so dominant, dass es sich auch über den letztlich im Reichstag erteilten Beschluss einer Gestattung der Mischehen in den Kolonien und im deutschen Reich hinwegsetzen kann. Auch wenn die Mischehe laut Gesetz nun nicht mehr verboten werden darf, so beschließt die Deutsche Kolonialgesellschaft doch, alles für
79 Die Abhandlungen um die Rassenmischehen behandeln insbesondere Thomas Schwarz und Kathrin Roller ausführlich, vgl. Schwarz 2004 – Bastards. Juli 1908, S. 373ff.; Roller 2002 – Wir sind Deutsche. 80 Vgl. Kundrus 2003 – Moderne Imperialisten, S. 251ff.; Essner 1997 – Zwischen Vernunft und Gefühl, S. 515. 81 Vgl. Essner 1997 – Zwischen Vernunft und Gefühl, S. 510ff. 82 Vgl. Kundrus 2004 – Moderne Imperialisten, S. 222. 83 Vgl. El-Tayeb 2001 – Schwarze Deutsche, S. 92f.; Grentrup 1914 – Rassenmischehen in den deutschen Kolonien, S. 38ff.; Grosse 2000 – Kolonialismus, S. 157ff.
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deren Vermeidung zu tun und Wege zu finden, um mittels zielgerichteter Propaganda die Herausbildung einer Mischrasse zu verhindern.84 Das Beharren auf dem Argument der Rassentrennung offenbart, dass der Diskurs sich eigentlich nicht um die gemischte Ehe dreht. Vielmehr sind die etwaigen Nachkommen aus derartigen Verbindungen Stein des Anstoßes. Faktisch lässt sich die Zeugung von unehelichen Mischlingskindern nicht vermeiden, erst aus einer Ehe heraus werden diese aber zu einem Problem für die deutsche Rasse und Identität. Denn ehelichen Mischlingskindern muss zunächst laut Gesetz die deutsche Staatsbürgerschaft zugesprochen werden, was sie zu gleichberechtigten Bürgern macht.85 Dieser Status berechtigt sie zu der Bildung und Erziehung, die auch deutsche Kinder erfahren, er verleiht ihnen alle bürgerlichen Rechte und setzt sie vor allem auch sozial mit den Weißen gleich. Die Unterscheidung zwischen den Herrschenden und den Beherrschten ist damit über die Rasse nicht mehr erklärbar. Weil seine fixierten Grenzen überschritten werden, gerät das Konstrukt der Rassen so ins Wanken: Wenn deutsche Mischlinge laut Gesetz mit den gleichen Rechten belegt werden, wie reindeutsche Bürger, kann ein Machtverhältnis, das sich auf die Definition von klaren Grenzen beruft, nicht mehr aufrecht erhalten werden. Menschen, die weder eindeutig schwarz noch eindeutig weiß sind, machen das System der Rasse und damit auch die Systeme der Differenz und Macht instabil. Sie sind gefährlich für eine Nation, die sich auf eine reine Rasse beruft und für eine Identität, die die Idee der Nation braucht.86 Für die koloniale Ordnung, die durch jene Faktoren festgelegt wird, bedeutet das Auftreten des Phänomens der Rassenmischung so eine ernsthafte Bedrohung. Die politische Problematisierung der Mischehen entpuppt sich als Ausdruck einer profunden Angst vor dem Verlust der kolonialen Hierarchie aufgrund von Durchmischung. Sie offenbart die Angreifbarkeit der deutschen Identität und macht zur Gesetzesaufgabe, was eigentlich nur Ausdruck der nationalen Schwäche ist: Die Sicherung eines Machtverhältnisses, das auf ungesicherten Ideologien aufbaut. Das kaum lösbare Vorhaben, die Ordnung zu fixieren und die Rassen mittels Gesetzen zu trennen, zeigt jedoch umso mehr, dass eine Spaltung von schwarz und weiß, von gut und schlecht kaum durchsetzbar ist und dass der bloße Versuch mehr Widersprüche als Bestätigung schafft. Die Konzepte, die zur Lösung der Mischlingsfrage erstellt werden, erscheinen vielmehr unschlüssig und wirken sich auf die Alltagsrealität in den Kolonien gerade deshalb existentiell aus. An-
84 Vgl. Grentrup 1914 – Rassenmischehen in den deutschen Kolonien, S. 49. 85 Vgl. Essner 1997 – Zwischen Vernunft und Gefühl, S. 503ff. 86 Vgl. Hall 2004 – Das Spektakel des Anderen, S. 119f.
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ders als in der Rassenbiologie der Tiere wird bei Menschen nicht angenommen, dass bei der Vermischung zweier Rassen die höherwertige dominant ist.87 Stattdessen wird unterstellt, dass die gemeinsamen Abkömmlinge zweier Rassen nur die schlechten Eigenschaften beider Elternteile übernehmen und damit die niedere Rasse aufwerten und die höherwertige Rasse „verschmutzen“. Da Letztere somit eine Schwächung erfährt, sollen Mischlinge künftig nicht mehr als Deutsche gelten dürfen. Dieser Gedanke führt soweit, dass 1907 eine Bestimmung ergeht, nach der nicht nur alle folgenden Generationen, sondern alle aktuellen Bewohner der Kolonien, die in ihrer Ahnenfolge auch nur einen Eingeborenen aufweisen, selbst auf diesen Status herabgesetzt werden.88 Ab 1913 soll schließlich auch eine Ehe mit einem Angehörigen der anderen Rasse die Abwertung des weißen Partners nach sich ziehen.89 Die Auswirkungen, die sich aus diesen Maßnahmen ergeben, stellen sich für die Betroffenen als fatal dar: Die Bindung der nationalen Zugehörigkeit an die Rasse – und damit auch die individuelle Identifikation – wird mit deren Neuzuordnung aufgelöst. Die Betroffenen verlieren alle politischen Rechte nebst der Möglichkeit auf Teilnahme am sozialen Leben der Kolonien und werden damit ihrer bisherigen Lebensgrundlage beraubt.90 Die nachträgliche Re-Kategorisierung zerstört Identitäten – ungeachtet ihrer eigenen Widersprüchlichkeit. Nach wie vor ist die Begründung der Rassenzugehörigkeit ihre natürliche Determiniertheit; eine Umordnung auf politisches Geheiß hin widerspricht ihren ureigensten Gesetzen. Das Aufkommen potenzieller Mischehen und einzudeutschender Mischlinge ist für das koloniale System in vielerlei Hinsicht problematisch: Es bedroht nicht nur das Konzept der deutschen Rasse und Nation, sondern zieht auch einen Eingriff in die individuelle Identität der Deutschen nach sich. Eine Lösung, die die Mischehen verhindert, die Autonomie der deutschen Männer in den Kolonien bewahrt, dabei aber gleichzeitig die Schwachstellen am eigenen Machtkonzept verbirgt, muss also gefunden werden und sie findet sich in der Übersiedlung deutscher Frauen in die Kolonien.
87 Vgl. Essner 1997 – Zwischen Vernunft und Gefühl, S. 508. 88 Vgl. Gründer 2004 – Zum Stellenwert des Rassismus, S. 38. 89 Vgl. Essner 1997 – Zwischen Vernunft und Gefühl, S. 504ff. 90 Vgl. El-Tayeb 2001 – Schwarze Deutsche, S. 94; Sippel 2004 – Rechtspolitische Ansätze zur Vermeidung, S. 147.
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2.3.3 Stabilisierung der Differenz: Deutsche Frauen in den Kolonien Als der Kontakt der deutschen Kolonialherren mit den ihnen untergebenen Fremden zur Gefährdung des deutschen Kolonialvorhabens gerät, erfährt die gesellschaftliche Bedeutung der Frau eine entscheidende Umdeutung. Die sexuellen Beziehungen der Kolonialherren zu subalternen Frauen und eine auch charakterliche Anpassung an die Umgebung wird mehr und mehr als moralischer Verfall beurteilt. Zudem wird ein Verlust des europäischen Standards verzeichnet: Das so hoch geschätzte deutsche Niveau in der Haushaltsführung und Hygiene scheint unter den deutschen Männern in den Kolonien verloren zu gehen, eine drohende Verrohung und „Verkafferung“ gemahnt an Maßnahmen.91 Ein naheliegender Schritt ist die Entsendung deutscher Frauen in die Kolonien. Sie sollen den weißen Männern zur Seite stehen und gleichzeitig sowohl der Reinhaltung der Rassen zuträglich sein, als auch die deutschen Tugenden in den Schutzgebieten hochhalten.92 In diesem Sinne werden zunächst die Ehefrauen in die Kolonien gebracht und schließlich auch Krankenschwestern, Gouvernanten und Haushaltshilfen angeworben.93 Obwohl nur potentielle Heiratskandidatinnen angeheuert werden und damit eine gewisse Zweckmäßigkeit des Aufenthalts in Übersee suggeriert wird,94 bedeutet der Schritt in die Kolonien für die deutschen Frauen ein wichtiges Vorankommen. Als Garantinnen der Rassenreinheit und als Wächterinnen der Sitten und Moral kommt ihnen eine verantwortungsvolle Aufgabe zu. Sie nehmen nicht nur am Kolonialismus teil, sondern stehen den Männern als echte Partnerin zur Seite. Die deutschen Männer vertreten die militärische Präsenz der Nation und stehen damit für Eroberung und Stärke. Die Frauen aber sind das Herz dieser Nation, weil sie die Reproduktion der weißen Rasse verantworten und damit das Weiterleben der Nation sowie die Stabilität der
91 Vgl. Kundrus 2003 – Moderne Imperialisten, S. 79ff.; Walgenbach 2004 – Rassenpolitik und Geschlecht in Deutsch-Südwestafrika, S. 172ff.; Grosse 2000 – Kolonialismus, S. 168ff. 92 Vgl. Becker 2004 – Einleitung, S. 22. 93 Vgl. Wildenthal 2001 – German women for empire, S. 206ff.; Essner 1997 – Zwischen Vernunft und Gefühl, S. 506. 94 Vgl. Wildenthal 2001 – German women for empire, S. 134; Kundrus 2003 – Moderne Imperialisten, S. 82ff.
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Hierarchie garantieren – sie werden zum „nationalisierten Volkskörper.“95 Die Mutterrolle geht dabei über ihre buchstäbliche Bedeutung hinaus und erfüllt eine Symbolfunktion: Als Vertreterin der deutschen Familie und mit der Aufgabe, Moral und Kultur in den Kolonien aufrecht zu erhalten, werden die Frauen zum Inbegriff der deutschen Tugend und zu den Repräsentantinnen der kulturellen Hegemonie Deutschlands.96 Das traditionelle Ansehen der Frau erfährt damit eine nachhaltige Veränderung. Bislang gilt die Frau im deutschen Rollenverständnis als die ursprüngliche Natur, als emotionales und intellektuell unterlegenes Pendant zum Mann.97 Sie verkörpert damit exakt die Eigenschaften, die auch den sogenannten Primitiven zugeschrieben werden und steht so im klassischen Verständnis auf der Stufe der Nicht-Weißen.98 Als es nun aber im Zuge der Kolonialisierung zu einer Kontaktaufnahme und nicht selten auch zu brutalen Übergriffen weißer Männer auf schwarze Frauen kommt, wird das Geschlechterverhältnis neu gelesen: Den weißen Männern wird eine moralische Instabilität zugeschrieben. Sie gelten im kolonialen Zusammenhang als verführbar, triebhaft und aggressiv. Ihre Anfälligkeit und Schwäche verschiebt das männliche Stereotyp in Richtung Natur, der Mann in den Kolonien gilt nun als der eigentlich naturhaft-triebgesteuerte Charakter.99 Für die deutschen Frauen, die die bürgerliche Moral vertreten und die in den Kolonien die Tugendhaftigkeit und Disziplin festigen sollen, bedeutet dies eine Aufwertung. Als Kulturträgerinnen unterscheiden sie sich klar von den pri-
95 Zitat von Birthe Kundrus, vgl. Kundrus 2003 – Moderne Imperialisten, S. 223. Vgl. außerdem Kundrus 2003 – Moderne Imperialisten, S. 85; Dietrich 2007 – Weiße Weiblichkeiten, S. 74. 96 Vgl Dietrich 2007 – Weiße Weiblichkeiten, S. 86. 97 Vgl. El-Tayeb 2001 – Schwarze Deutsche, S. 151; Kundrus 2003 – Moderne Imperialisten, S. 87. 98 Die bislang gültige Gleichstellung der Frau mit dem primitiven Menschen erörtert Christine Hanke umfangreich. Sie analysiert, wie in der Anthropologie sowohl das Rassen- als auch das Geschlechterkonzept begründet wurde und schließlich auf die Frau als „niederen Typus“ geschlossen wurde, der in der seiner rassischen Ausprägung nicht der weißen „Herrenrasse“ entspricht. Vgl. Hanke 2007 – Zwischen Auflösung und Fixierung, S. 62ff. 99 Die Verschiebung der Dichotomien Natur und Kultur im Bezug auf die Geschlechter führt Katharina Walgenbach anhand einiger Quellen anschaulich aus, vgl. Walgenbach 2004 – Rassenpolitik und Geschlecht in Deutsch-Südwestafrika, S. 176ff. Vgl. zu dieser Thematik außerdem Dietrich 2007 – Weiße Weiblichkeiten, S. 248; Becker 2004 – Einleitung, S. 22.
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mitiven Frauen, die laut Rassenkonzept als unzivilisiert und roh gelten. Der Kontrast zur unterdrückten, nicht-weißen Frau wertet die deutsche Frau auf, sie ist nun nicht mehr nur weiblich, sondern in erster Linie weiß.100 Aus der Dichotomie der Rassen heraus wird es den weißen Frauen so möglich, aus den bisher für sie geltenden Zuschreibungen der Geschlechter hervorzutreten und auf eine Stufe mit den weißen Männern aufzusteigen.101 Die Gültigkeit der wichtigsten kolonialen Hierarchie – der von weiß und schwarz – ermöglicht die Umdeutung der weiblichen Identität innerhalb der Kategorien Mann und Frau sowie Kultur und Natur.102 Die weiße Frau kann sich in den Kolonien zuerst über ihre Rasse und ihre Nationalität definieren, der Rang des Geschlechts tritt hinter dieser Ordnung zurück. Für ihre weibliche, deutsche Identität ist damit ein großer emanzipatorischer Schritt getan. Die Zugehörigkeit zu einer Rasse und Nation vergrößert auf gesellschaftlich anerkannte Art die Möglichkeiten und Handlungsspielräume der Frau – zumindest in Übersee.103 Zwar entscheidet das Geschlecht teilweise immer noch über die weibliche Integration in die Gesellschaft und Politik. Die Zugehörigkeit zur weißen Rasse bringt den Frauen in den Kolonien jedoch einige elementare Privilegien.104 Ihre moralischen Verpflichtungen und kulturellen Aufgaben machen sie zu einem nahezu unentbehrlichen Baustein im kolonialen System. Der räumliche Abstand zum deutschen Reich mit seinen Traditionen und bürgerlichen Regeln wird so zur Chance für die Entwicklung einer modernen, weiblichen Identität. Im Neuland der Kolonien, wo sich eine gesellschaftliche Ordnung erst finden muss und wo jeder Beteiligte noch eine besondere Aufgabe erfüllt, scheint vieles denkbar, was bei einem Leben in Deutschland ausgeschlossen ist.105 Nicht nur die Vorstellung von einem freien, unabhängigen und ungezwungenen Leben scheint in den Kolonien greifbar, sondern auch die Möglichkeit, sich selbst zu definieren.106 Als Krankenpflegerin oder professionelle Haushaltshilfe sind die deutschen Frauen nicht mehr nur eine moralische Unterstützerin der Männer, sie nehmen nun vielmehr den aktiven Status echter Arbeiterin-
100 Vgl. Kundrus 2003 – Moderne Imperialisten, S. 87; Dietrich 2007 – Weiße Weiblichkeiten, S. 37. 101 Vgl. Kundrus 2003 – Moderne Imperialisten, 92. 102 Vgl. Dietrich 2007 – Weiße Weiblichkeiten, S. 252. 103 Vgl. Wildenthal 2001 – German women for empire, S. 52 und S. 216ff. 104 Vgl. Dietrich 2007 – Weiße Weiblichkeiten, S. 70; Wildenthal 2001 – German women for empire, S. 216. 105 Vgl. Wildenthal 2001 – German women for empire, S. 100ff. 106 Vgl. Kundrus 2003 – Moderne Imperialisten, 94f.
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nen an. Bald schon übernehmen sie neben ihren hauswirtschaftlichen Tätigkeiten und ihrer Rolle als Mutter selbst Aufgaben auf den Farmen, auch selbständige Farmerfrauen sind keine Einzelheit mehr.107 In der organisierten Form speziell weiblicher Kolonialverbände, wie etwa dem „Deutsch-kolonialen Frauenbund“, wird die neue Rolle der Frau offiziell unterstützt und in den Kolonien wie auch im deutschen Reich beworben.108 Dass das koloniale Engagement hierbei sowohl von radikal emanzipatorischen, als auch von höchst konservativen Gruppierungen ergriffen wird,109 beweist den allgemeingültigen Nutzen, den das koloniale Umfeld für die Frauenbewegung hat. Mittels einer Vielzahl an kolonialen Frauenromanen, Zeitschriften und Veranstaltungen110, die die Überwindung der Geschlechterstereotypen thematisieren und ein klares Bewusstsein über die veralteten Rollen formulieren, wird die Idee von einer neuen, starken Weiblichkeit verbreitet – ohne dass dabei der konservative Boden des imperialistischen Gedankens verlassen wird. Mit dem Ziel, der männlich dominierten Gesellschaftsordnung entgegenzutreten und die Ideen einer neuen Weiblichkeit zu etablieren, verbinden die Aktivistinnen der Frauenverbände so koloniales mit feministischem Engagement: Über die Ideologie der Rassenreinheit können tradierte Ge-
107 Zahlreiche Romane und Aufzeichnungen von Frauen in den Kolonien drehen sich allein um das Thema der weiblichen Farmerin. Gerade das Bild der Farmerin mit ihrer Fähigkeit zur Selbstversorgung wird als symbolisch für die Möglichkeiten der Frauen in Übersee betrachtet. Die Texte können deshalb als Dokumente für die Emanzipationsversuche in den Kolonien gelten. Vgl. exemplarisch Wildenthal 2001 – German women for empire, S. 151ff. und die Zeitschrift „Kolonie und Heimat“, die von 1907 bis 1920 in Berlin erscheint. 108 Zur Gründung und dem Wirken der Kolonialen Frauenverbände, zu den Hauptagitatorinnen und den Argumentationsstrukturen der kolonialen Frauenbewegung ist der Sammelband von Ute Planert, hilfreich, vgl. Planert 2000 – Nation, Politik und Geschlecht. Vgl. außerdem Wildenthal 2001 – German women for empire; Walgenbach 2004 – Rassenpolitik und Geschlecht in Deutsch-Südwestafrika; Carstens, Vollherbst 2002 – Deutsche Frauen nach Südwest! 109 Vgl. Dietrich 2007 – Weiße Weiblichkeiten, S. 272. 110 Besonders die Zeitschrift „Die Frauenbewegung“ (erschienen 1895-1919 in Berlin unter der redaktionellen Verantwortung von Minna Cauer) und die Romane von Leni Haase („Raggys Fahrt nach Südwest“, 1910 und „Meine schwarzen Brüder. Geschichten aus dem Urwald“, 1916) und Frieda von Bülow („Deutsch-Ostafrikanische Novellen“, 1892 und „Tropenkoller. Episoden aus dem deutschen Kolonialleben“, 1896) sind hier zu nennen.
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schlechterrollen aufgebrochen und eine persönliche wie auch übergeordnete Freiheit der Frau angestrebt werden. Die Doppelmoral, die der Unternehmung „Emanzipation“ im kolonialen Kontext immanent ist, bestätigt die typische Widersprüchlichkeit der kolonialideologischen Konstruktion: Die eigene Freiheit im Blick nutzt die Frauenbewegung eben die Strukturen von Macht und Unterdrückung, die sie eigentlich zu bekämpfen sucht.111 Obwohl sie sich zunächst in der gleichen Position zum weißen Mann befinden, wie die schwarzen Einwohner der Kolonien, wird für die weißen Frauen die Rangordnung der Rasse zur Chance. Ausgehend von der gleichen Herrschaftslogik der naturalisierten Differenz, die bislang das Verhältnis zwischen Männern und Frauen bestimmt hat, wird die Unterwerfung der Kolonisierten für die eigene Freiheit eingesetzt und Sexismus durch Rassismus ersetzt. Der koloniale Aktionismus wird so zum Schauplatz für die Identitätsfindung der neuen, weißen Frau und die Idee von der Rasse zum Bereich neuer gesellschaftlicher Spielräume.112 Nicht zuletzt das Beispiel der vom Kolonialismus beflügelten Emanzipationsbewegung der Frau belegt die umfassenden und nachhaltigen Effekte, die das koloniale Projekt auf die deutsche Gesellschaft im späten neunzehnten und frühen zwanzigsten Jahrhundert hat. Der Kolonialismus ist mehr als ein politisches Ereignis. Er zeigt sich vielmehr als eine aktivierende Energie, die die Neudefinition des deutschen Selbstverständnisses fördert und den Stolz ebenso wie die Unsicherheiten und Ängste der ganzen Nation zu Tage bringt. Weniger die realpolitische Situation in Übersee mit ihren potenziellen wirtschaftlichen Möglichkeiten, ihren innenpolitischen Strukturen oder ihren Chancen zum globalen Wettbewerb mit den übrigen Imperialmächten ist für die Geschichte Deutschlands entscheidend. Mehr als alles andere definiert sich der deutsche Kolonialismus als ein komplexer Zusammenhang philosophischer und psychologischer Konstrukte. Das Bedürfnis nach einer kollektiven, nationalen Identität wird von dem kolonialen Gedanken gleichzeitig genährt wie auch gefordert; die Festlegung dessen, was „das Deutsche“ ist und was seine Superiorität eigentlich ausmacht, wird sein zentrales Gebot. In der Folge werden die Bezeichnung des Eigenen und des Fremden, die Festlegung von Grenzen und Unterschieden und die Findung von allgemeingültigen Merkmalen zum eigentlichen Grundzug der kolonialen Unternehmung. Ideologische Aufladungen machen die Kategorien der Kultur, Nation, Rasse, des Geschlechts und des Körpers zu einem eng verkette-
111 Vgl. Dietrich 2007 – Weiße Weiblichkeiten, S. 14ff.; Kundrus 2003 – Moderne Imperialisten, S. 96. 112 Vgl. Planert 2000 – Nationalismus und weibliche Politik, S. 20ff.
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ten Netzwerk, das durch die Überkategorie der Differenz zusammengehalten wird und dessen Absicht die Sicherung von Superiorität und Macht ist. So lange dieses System gegenseitiger Wechselbeziehungen aufrechterhalten wird, ist das Konzept der deutschen Identität stabil und das koloniale Vorhaben ungefährdet. Weil aber die Differenz selbst aufgrund Ihrer künstlichen Determinierung nie unbeschränkt gültig ist, zeigt die vermeintliche Ordnung Schwächen. Sobald Unsicherheiten oder Verschiebungen der konstruierten Grenzen und Abhängigkeiten auftreten, kippt das gesamte System, ein Kontrollverlust droht. Die permanente Bestätigung und bei Bedarf auch Umdeutung von Grenzen und ideologischen Aufladungen wird darum zur Notwendigkeit; die Repräsentation des Selbst und des Anderen wird zur wichtigsten und konsequent benötigten Kraft. Auf die Öffentlichkeit wirkt diese Kraft genauso unterschwellig wie auch plakativ: Die wissenschaftlichen Charakterisierungen der Rassen geben den Weg im Alltag vor und werden über politische Debatten, triviale Unterhaltung in Form von Literatur, Film und Vereinsveranstaltungen oder über die mehr und mehr präsenten Massenmedien stetig bekräftigt. Sowohl für die deutsche Bevölkerung in den Kolonien als auch für die Bürger im Deutschen Reich wird der koloniale Gedanke auf diesem Weg zu mehr als nur einem fernab exerzierten Modell aus philosophischen Versuchen oder politischen Bemühungen. An bereits erläuterten Beispielen wie etwa der Diskussion um die Rassenmischung oder der feministischen Emanzipationsbemühungen wird deutlich sichtbar, wie direkt das Geflecht der Ideologien das Leben und Schicksal des Einzelnen betreffen. Hier zeigt sich per Gesetz, wie die künstlich erstellten Zusammenhänge zwischen den Faktoren Rasse, Hautfarbe und Geschlecht in die Realität getragen werden und wie das in der Aufklärung abgehandelte und von der modernen Anthropologie aufgegriffene Thema der Rasse von einer Kategorisierung auf dem Papier zu einem Eingriff in das alltägliche Leben aller wird. Wenn also das eigentlich Interessante am Kolonialismus nicht sein politischer Verlauf ist, so ist es umso mehr die Beobachtung, wie deutlich eine derart theoretische Konstruktion an einer Gesellschaft ablesbar werden kann. Der Kolonialismus eröffnet das Exerzierfeld zu einem neuen deutschen Bewusstsein in Übersee. Im Deutschen Reich und der späteren Weimarer Republik aber finden sich die kolonialen Ideologien wieder – und zwar noch weit über den Verlust der Kolonien hinaus. Auch wenn die Kolonialbegeisterung nach dem Krieg abebbt, ist bemerkenswert, wie sich die Konstruktionen von der Fremde und die Reflektionen des Selbst in der Öffentlichkeit, der Kunst und im Alltag durchsetzen. Auch ohne den direkten Kontext der Kolonien werden sie zu einem selbstverständlichen Wertekanon, der in unterschiedlichen Erscheinungsformen zu Tage tritt und das moderne Deutschland subtil aber doch entscheidend mitbestimmt.
3. Das koloniale Erbe in der Alltagswirklichkeit der Weimarer Republik
Die zwanziger Jahre in der Weimarer Republik hinsichtlich ihrer kolonialen Imprägnierung zu betrachten, bedeutet, sie als einen zutiefst differenzierten Zustand zu begreifen. Nachdem im Deutschen Reich über einen Zeitraum von dreißig Jahren politisch wie auch gesellschaftlich eine Auseinandersetzung mit dem realen Phänomen des Kolonialismus stattgefunden hat, bringt der Erste Weltkrieg das abrupte Ende. Der Verlust der Kolonien beschneidet nicht nur das deutsche imperiale Selbstbewusstsein, er beendet auch den direkten Kontakt der Bevölkerung mit den Überseegebieten. Die persönliche Relevanz des Kolonialismus für den Einzelnen verschwindet mit der hypothetischen Möglichkeit, selbst übersiedeln zu können und der abebbende Informationsfluss aus Übersee führt auf der breiten Basis zu einem zunehmenden Desinteresse. Dennoch ist der Boden der Weimarer Republik nach der imperialen Erfahrung kolonial durchsetzt und von der Begegnung mit der Fremde durchdrungen. Die Abwesenheit eines realpolitischen Kolonialismus vermag die über die Jahre etablierten Konstruktionen von Fremdheit und nationaler Identität nicht zu verdrängen. Eher verleiht sie ihnen eine zusätzliche Dimension: Der Kolonialismus bot den Nährboden für eine am realen Beispiel abgearbeitete Ideologie der Differenz. Seine Entbehrung aber öffnet Spielräume für die phantasmatische Weiterentwicklung des Traums von der Fremde, den Fragen nach Zugehörigkeit und dem Drang nach Selbstbehauptung. Gerade weil der Kolonialismus per se für die Weimarer Republik nicht mehr existiert, wird das diffuse Schwelen der kolonialen Ideologie zu einem Indikator für deren anhaltende Bedeutung in der Gesellschaft. Weder die offiziellen Propagandaoffensiven der Kolonialrevisionisten, noch die dem gegenüberstehenden anti-kolonialen Formationen beeinflussen die Gesellschaft entscheidend. Summiert mit den kleinen Episoden der Alltagsrealität aber verweisen sie auf eine in der Breite deutlich wahrnehmbare Präsenz des Themas der Fremde. Auch nach dem Ersten Weltkrieg erscheinen in Zeitschriften noch regelmäßig
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Reportagen über sogenannte exotische Menschen und Kulturen, zahlreiche Kinokassenschlager leben vom Thema der Fremde und auch ohne existierende Kolonien sind die Völkerschauen und ethnographischen Museen so beliebt wie zur aktiven Kolonialzeit. Ebenso bleibt das mit dem Kolonialismus stark etablierte Thema des Exotischen in der deutschen Kunst und Kultur in den unterschiedlichsten Facetten weiterhin relevant. Mehr oder weniger subtil wuchert die koloniale Erfahrung so in der Weimarer Republik weiter und bringt genau darum eine besondere Spannung mit sich. Denn der Boden auf den jene Nachwirkungen fallen ist eben kein explizit kolonialer, sondern im Gegenteil ein von der im Umbruch befindlichen Zeit gezeichneter. Traditionalisten, die dem Kaiserreich der Vorkriegszeit nachhängen und die Kolonien zurücksehnen, reflektieren das Fremde anders, als die in der Moderne verlorenen Geister, denen das pulsierende Leben der modernen Großstadt widerstrebt und für die ein Leben in den exotisch ursprünglichen Gebieten der Kolonien als Rettung vor der Zukunft erscheint. Wieder anders öffnen sich all jene für das exotische Andere, die die Moderne als die neue Zeit begreifen und alle andersartigen, fremden Erfahrungen und Strömungen in sich aufsaugen. Die koloniale Färbung der Weimarer Republik ist heterogen, die Konnotationen des Fremden so vielseitig wie die Fotomontagen Hannah Höchs. Um alle Register zu verstehen, die die Künstlerin in ihren Arbeiten öffnet, muss also auch die praktizierte Kolonialkultur ihrer Zeit zunächst zur Sprache kommen.
3.1 K OLONIALREVISIONISMUS Als Deutschland im Rahmen des Versailler Vertrages alle Ansprüche auf Kolonien verliert, kommt es gleichzeitig zu einer zwangsläufig unfreiwilligen Dekolonialisierung und einem organisierten Kolonialrevisionismus. Der Vorwurf, Deutschland habe sich nach einer Zeit der gewalttätigen und unmoralischen Herrschaft des Kolonialismus als unfähig erwiesen, empört die Bevölkerung wie die Politik und beschwört gerade aufgrund der Aberkennung der Überseegebiete einen neuen Aufschwung kolonialer Propaganda herauf.1 Die Ausmerzung der sogenannten „kolonialen Schuldlüge“2 und die Wiederherstellung der deutschen, nationalen Würde stehen in den Rechtfertigungen der
1 2
Vgl. Wildenthal 2001 – German Women for Empire, S. 172ff. Der Begriff der „kolonialen Schuldlüge“ wird nach der Veröffentlichung von Heinrich Schnees Abhandlung „Die koloniale Schuldlüge“ im Jahr 1924 zu einem geflügelten Begriff. Schnee umschreibt in seinem Text den vermeintlich gezielten Angriff der
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Kolonialrevisionisten an prominenter Stelle.3 Die Enteignung durch die kolonialen Konkurrenten England und Frankreich bedeutet eine Abwertung der Deutschen im imperialen Wettstreit und verletzt die nationale Ehre und das deutsche Ansehen in der Hierarchie der Völker. Nicht nur die deutsche Politik, sondern auch die Moral und Kultiviertheit scheinen durch die Erklärung deutscher Unmündigkeit verletzt. Für diese vermeintliche Verleumdung wird Wiedergutmachung gefordert – und Vergeltung in Form neuer Kolonien verlangt. Psychologisch wird eine Wiedergewinnung der Kolonien als heilsam für die deutsche Seele erachtet, erneute Eroberungen sollen zur Erneuerung des Ansehens und der nationalen Ehre verhelfen.4 Nach wie vor steht der Wunsch nach Kolonien also nicht nur im Zeichen des imperialen Wettstreits, sondern er bildet vor allem die Abhängigkeit des deutschen Selbst von seinem Anderen ab. Erst die Machtübernahme über ein differentes Gegenüber vermag das Selbstbewusstsein und die Würde der Nation zu rehabilitieren. Die Rechtfertigung einer potenziellen neuen kolonialen Herrschaft trotzt allen Vorwürfen der Unmenschlichkeit und begründet sich nach wie vor in einer kulturmissionarischen Absicht. Afrika wird als natürliches Kolonialgebiet Europas begriffen, dem gegenüber eine infrastrukturelle, medizinische und erzieherische Verantwortung besteht. Zivilisation und Kultur sollen in die Kolonien gebracht und gleichzeitig die Arbeitskraft der sogenannten Eingeborenen genutzt
Siegermächte auf die deutsche Ehre und begründet dies in dem Affront, die deutsche Nation selbst als unwürdig zu erklären, die sogenannten Unwürdigen zu beherrschen. Mit Panoramafotografien von deutschen Krankenhäusern, Schulen, Kirchen und Straßen in den Kolonialgebieten sucht Schnee die Vorwürfe zu entkräften und zitiert zudem die ausdrückliche Loyalität der Kolonisierten zur deutschen Vormundschaft. Vgl. Schnee 1927 – Die koloniale Schuldlüge. 3
Die unterschiedlichen Begründungen und Rechtfertigungen der kolonialrevisionistischen Strömungen und Vertreter werden in verschiedenen zeitgenössischen Texten anschaulich, die die Stimmen zum Thema Kolonialismus in Umfragen oder Propagandatexten zusammentragen. Auf die Bedeutung und Wirkung dieser Texte wird an späterer Stelle noch einzugehen sein. Im Folgenden wurden die Argumente aus diesen Texten exemplarisch zusammengetragen: Soll Deutschland Kolonialpolitik treiben 1927; Hoffmann 1927 – Keine Kolonien; von Ramsey 1925 – Sollen wir Kolonien erwerben; Obst 1928 – Die kulturpolitische Begründung des deutschen Kolonialbegehrens; Zache 1928 – Weltwirtschaft und Kolonialpolitik.
4
Vgl. Schubert 2003 – Der schwarze Fremde, S. 309ff.; Soll Deutschland Kolonialpolitik treiben 1927.
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werden.5 Dieses wohlbekannte Muster der Legitimation wird nun, nach dem Verlust der Kolonien, in zwei ideologische Richtungen verfolgt, die sich hauptsächlich in ihrem diplomatischen Anspruch unterscheiden. Eiserne Kolonialrevisionisten sprechen in gewohnt diminutiver Weise über „das farbige Problem“, das nur gelöst werden kann, indem bei der „rassenpolitischen Erziehung“ keine „schwarzen Europäer, sondern vollwertige Schwarze“ geschaffen werden.6 Nur in ihrer Funktion als Gehilfen der Europäer beim Aufbau einer Weltwirtschaft sehen sie die Existenzberechtigung der aufs Neue zu kolonisierenden Afrikaner, die Europa Dankbarkeit schulden für seine Errungenschaften. Die Erklärung der afrikanischen Abhängigkeit vom zivilisierten Westen – „Afrika besaß den Boden, Europa die werterkennende Intelligenz“ – und die Argumentation, dass die Besetzung des afrikanischen Bodens durch eine Kolonialmacht die „lediglich zu körperlicher Arbeit geschaffenen Schwarzen“7 sowieso nicht störe, beruft sich so weiterhin auf die Unterscheidung der Menschheit in eine höhere und eine niedere Rasse, bei der nicht vom Selbstbestimmungsrecht der afrikanischen Bevölkerung ausgegangen wird.8 Mit jenem Selbstbestimmungrecht der Völker argumentieren allerdings diejenigen Kolonialfürsprecher, die sich zwar auch auf die Idee der Kulturmission berufen, die aber die Gefahr eines potenziellen Unabhängigkeitskrieges erkennen und darum diplomatisch taktierend eine gewisse Freiheit der Völker thematisieren. Die Angst, kein Volk ließe sich auf Dauer unterdrücken, bringt sie zu dem Entwurf einer kontrollierten kulturellen Entwicklung der sogenannten unzivilisierten Völker. In diesem Fall wird Letzteren zumindest die Möglichkeit einer – begrenzten – Entwicklung zugesprochen, die allerdings weiterhin der deutschen Hilfe und Kultur bedarf, um sich zu entfalten.9 Es wird proklamiert, dass die abendländische Geistigkeit nicht mehr unterdrücken, sondern vielmehr die fremde Kultur in ihrer eigenen Geistigkeit fördern solle. Als Untermauerung für dieses Argument werden in der Öffentlichkeit Bilder vom treuen Eingeborenen ge-
5
Vgl. Schubert 2003 – Der schwarze Fremde, S. 314ff.; Zache 1928 – Weltwirtschaft und Kolonialpolitik, S. 7.
6
Zitate von Hans Zache, vgl. Zache 1928 – Weltwirtschaft und Kolonialpolitik, S. 29 und S. 32.
7
Zitate von Hans Zache, vgl. Zache 1928 – Weltwirtschaft und Kolonialpolitik, S. 23 und S. 32.
8
Vgl. Schubert 2003 – Der schwarze Fremde, S. 356ff.; von Ramsey 1925 – Sollen wir
9
Vgl. Obst 1928 – Die kulturpolitische Begründung des deutschen Kolonialbegehrens;
Kolonien erwerben; Zache 1928 – Weltwirtschaft und Kolonialpolitik. Schubert 2003 – Der schwarze Fremde, S. 310ff.
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zeichnet, der, ehemals unzivilisiert, durch die Hilfe der deutschen Kultur einen Schritt zur Kultivierung geschafft hat und sich die deutsche Herrschaft zurücksehnt, um auch weiterhin kulturell gebildet werden zu können. Besonders in den Metropolen der Weimarer Republik, wo Migranten aus den Kolonien bislang eher als Bedrohung für die deutsche Rasse gelten, werden jene nun im Sinne dieser Argumentation instrumentalisiert. Als Symbole für die deutsche Vergangenheit werden sie in ihrer Repräsentation in den Medien und der Politik für den kolonialrevisionistischen Gedanken funktionalisiert.10 Mit der Erklärung afrikanischer Verbundenheit gelingt es, gleichzeitig die koloniale Schuldlüge auszumerzen, die deutsche Herrschaft als erstrebenswert darzustellen und einen Aspekt der Wohltäterschaft durch eine neue koloniale Mission hinzuzufügen. Ob in der harten Linie der Kolonialrevisionisten mit ihren Thesen der Unterdrückung oder der vermeintlichen Aufwertung der zu Kolonisierenden – die Begründung einer neuen Kulturmission in den Kolonien bleibt auch in den zwanziger Jahren noch auf der Gegensatzkonstruktion zwischen Schwarzen und Weißen, zwischen Zivilisierten und Unzivilisierten, bestehen. Die Interpretation und Funktionalisierung des Anderen dient der Bestätigung der eigenen Politik und auch bei all der aufkeimenden Fürsprache für die Selbstbestimmung der Völker doch vor allem einem Ziel: der Erfüllung eigener Interessen. Obwohl der Verlauf des deutschen Kolonialismus sich wirtschaftlich als desaströs darstellt,11 bleibt die Hoffnung auf die Ankurbelung der deutschen Wirtschaft und des Arbeitsmarktes das Hauptargument des Kolonialrevisionismus. Neue Rohstoffe und Arbeitsplätze sollen die Bürger erneut vom kolonialen Gedanken überzeugen, die Vorstellung von einer Weltwirtschaft wird zum zentralen Thema:12 „Kolonialpolitik war und ist das Mittel, die Welt zu einer wirtschaftlichen Einheit, zu einer Weltwirtschaft zusammen zu fügen. Die Bedürfnisse, die auf dem ererbten Boden nicht mehr befriedigt werden konnten, fanden Befriedigung auf angegliedertem Boden [...].“13
Die Welt soll zusammenwachsen, alle Rohstoffe verfügbar werden und dafür eine zentrale Steuerung der Interessen geschaffen werden. Das Prinzip der
10 Vgl. Grosse 2003 – Zwischen Privatheit und Öffentlichkeit, S. 106f. 11 Vgl. Erbar 1991 – Ein Platz an der Sonne, S. 110ff.; Gründer 1985 – Geschichte der deutschen Kolonien, S. 235ff. 12 Vgl. Schubert 2003 – Der schwarze Fremde, S. 312. 13 Zitat von Hans Zache, vgl. Zache 1928 – Weltwirtschaft und Kolonialpolitik, S. 4.
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Rassenhierarchie gibt die Vormachtstellung der westlichen Welt vor, die von einer Wirtschaftseinheit spricht, aber das Prinzip der leistungsstarken und der leistungsschwachen Rassen als Legitimation für die eigene Hegemonie beibehält.14 Die beschränkte Mündigsprechung der Kolonisierten steht in diesem Zusammenhang als Vorwand: Die Deklaration guter Absichten und die Anerkennung eines gewissen Entwicklungspotentials der Einheimischen soll mäßigend auf die Stimmung in den Kolonien wirken und die Möglichkeiten zur Verwirklichung der eigenen Interessen freier machen.15 Die ersten Fürsprecher neuer Kolonien lassen sich demnach auch im Bereich der wirtschaftlichen Argumentation festmachen. Vor allem diejenigen Händler, Firmen, ehemaligen Kolonialbeamten und Politiker treiben den kolonialen Gedanken erneut voran, die geschäftlich davon zu profitieren hoffen.16 Sie propagieren den Kolonialrevisionismus und fördern die Neubildung des kolonialen Apparates sowohl auf politischer als auch auf gesellschaftlicher Ebene. 17 So werden bereits kurz nach der Aufgabe der Kolonien neue Kolonialvereine und Kolonialgesellschaften gegründet, die 1922 im Sinne einer Stärkung der Interessen zur Kolonialen Reichsarbeitsgemeinschaft KORAG zusammengefasst werden.18 Von dieser Stelle aus werden nun verschiedene Propagandaoffensiven organisiert, um ein deutsches Kolonialbewusstsein heraufzubeschwören. Bereits 1919 findet ein aufwändig organisierter Zug der deutsch-ostafrikanischen Armee durch das Brandenburger Tor in Berlin statt, der von einer prokolonialen Massenkundgebung begleitet wird. Zehntausende Berliner beobachten an diesem Tag die eindrucksvolle Dokumentation der kolonialen Vergangenheit.19 Fünf Jahre später sorgen die Berliner Kolonialwoche und die Kolonialausstellung im Berliner Rathaus anlässlich des vierzigsten Jahrestages deutscher Kolonialpolitik für ähnliche Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit, 1926 folgt die Kolonialwoche in
14 Vgl. van Laak 2003 – Ist je ein Reich, S. 80. 15 Vgl. Schubert 2003 – Der schwarze Fremde, S. 325. 16 Vgl. Rogowski 2003 – Heraus mit unseren Kolonien, S. 244. 17 Vgl. van Laak 2003 – Ist je ein Reich, S. 75ff. 18 Die Entstehung beziehungsweise Wiederauferstehung der Kolonialgesellschaften und die Geschichte und Aufgaben der KORAG beschreiben detailliert Rogowski 2003 – Heraus mit unseren Kolonien; van Laak 2003 – Ist je ein Reich; Pogge von Strandmann 2002 – Deutsches Land in fremder Hand. 19 Vgl. Zeller 2002 – Das Ende der deutschen Kolonialgeschichte, S. 229; van Laak 2003 – Ist je ein Reich, S. 71.
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Hamburg.20 Auch die 1924 geführte Debatte um die Errichtung eines Kolonialdenkmals in Berlin erregt allgemein Aufmerksamkeit, obgleich die Idee letztlich nicht verwirklicht werden kann.21 Als Höhepunkt der kolonialrevisionistischen Bemühung werden allein im Jahr 1926 850 Veranstaltungen und Vorträge zum Kolonialismus abgehalten, 1,5 Millionen Flugblätter verteilt und unzählige Postkarten und Bierdeckel mit kolonialen Motiven bedruckt und verteilt.22 In zahlreichen Publikationen wird die deutsche Kolonialgeschichte überzeichnet und beworben, in Abenteuerromanen die koloniale Stimmung und Sehnsucht wieder heraufbeschworen.23 Wie bürgernah und anschaulich das Kolonialbegehren dargestellt wird, zeigt ein eigens produzierter Kinofilm von Hans Cürlis aus dem Jahr 1926: Unter dem Titel „Weltgeschichte als Kolonialgeschichte“ veröffentlicht Cürlis auf der zeitgenössisch beliebten Plattform des Kinos eine Zusammenfassung der Forderung nach Kolonien. Wissenschaftlich fundiert wirkende Grafiken, bilderreiche Erinnerungen an eine glorreiche Kolonialzeit und an die Bedürfnisse der deutschen Bürger appellierende Begründungen für die Notwendigkeit neuer Kolonien stellen hier die Kolonialpropaganda in eine einleuchtende Beziehung zur deutschen Alltagswirklichkeit.24 Die neu gegründeten Kolonialgesellschaften beschränken sich jedoch nicht allein auf die Wiederbelebung einer breiten Kolonialbegeisterung, sondern arbei-
20 Vgl. Pogge von Strandmann 2002 – Deutsches Land in fremder Hand, S. 234f.; Rogowski 2003 – Heraus mit unseren Kolonien, S. 247. 21 Vgl. Zeller 2002 – Kolonialdenkmäler in Berlin, S. 171ff. 22 Vgl. Rogowski 2003 – Heraus mit unseren Kolonien, S. 247ff. 23 Die Kolonialliteratur, die auch nach dem Krieg noch einen großen Beitrag zur Kolonialbegeisterung der breiten Bürgerschicht beiträgt, kann in diesem Rahmen nicht im Einzelnen erörtert werden. Umfangreiche Studien zu Werken wie Hans Grimms „Volk ohne Raum“ (1926), Lene Haases „Raggys Fahrt nach Südwest“ (1910) oder „Meine schwarzen Brüder. Geschichten aus dem Urwald“ (1916), liegen vor, vgl. exemplarisch Schneider 2003 – Um Scholle und Leben; Warmbold 1988 – Germania in Africa; Djomo 2011 – Imperiale Kulturbegegnung als Identitätsstiftungsprozess. 24 Der Film „Weltgeschichte als Kolonialgeschichte“ von Hans Cürlis (1926) kann als Exempel für die kolonialrevisionistische Propaganda betrachtet werden. Er vereint sämtliche Argumentationen gegen die koloniale Schuldlüge und die imperiale Politik Frankreichs und Großbritanniens und beschreibt ausführlich die wirtschaftliche Bedeutung und zukunftsweisenden Visionen neuer deutscher Kolonien. Der dokumentarisch distanzierte Charakter des Films unterstreicht seinen scheinbaren Wahrheitsgehalt. Durch seine Platzierung im Kino wird die Diskussion um neue Kolonien gezielt auf die breite bürgerliche Schicht ausgeweitet.
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ten auch in den ehemaligen Überseegebieten an der Rückgewinnung verlorener Gebiete.25 Dass der Kolonialrevisionismus nicht auf die privatwirtschaftlichen Interessen Weniger oder die Begeisterung des Volkes beschränkt bleibt, wird an der Unterstützung des Vorhabens durch das Monopolkapital – die Deutsche Bank – sichtbar, die die Kolonialgesellschaften in der Weimarer Republik ebenso wie in den ehemaligen Kolonien unterstützt. Hier offenbart sich nicht zuletzt auch die politische Beteiligung am Aufbau eines neuen kolonialen Apparates: Das Auswärtige Amt steuert die Aktivitäten der Deutschen Bank und steht damit selbst in enger Zusammenarbeit mit den Kolonialgesellschaften. Es finanziert die neuen privaten Ambitionen in Übersee und schaltet die eigentlich ausgeschaltete Politik in die koloniale Agitation mit ein.26 Auch die Teilnahme von Außenminister Stresemann am 1924 stattfindenden Kolonialkongress in Berlin und der Vorsitz Konrad Adenauers in der Deutschen Kolonialgesellschaft offenbaren, wie engagiert die Reichsregierung um das Recht auf Kolonien kämpft.27 Im Zuge der Verhandlungen um einen Beitritt Deutschlands zum Völkerbund in den Jahren 1924-1926 wird das Thema der Kolonien außerdem auch im Reichstag wieder ganz offen debattiert.28
3.2 K OLONIALKRITIK
UND ANTI - KOLONIALE
B EWEGUNGEN
Vor allem im Verlauf der offiziellen politischen Debatte zeigt sich jedoch deutlich, dass die Forderung nach neuen Kolonien keineswegs von allen politischen Parteien und gesellschaftlichen Schichten gleichermaßen vertreten wird. Vielmehr steht den kolonialrevisionistischen Bewegungen eine dezidierte Kolonialkritik opponent gegenüber. Obwohl auch die Kolonialgegner grundsätzlich für
25 Dass ein erneutes, wenn auch zunächst privatwirtschaftliches Vordringen im kolonialen Raum gebilligt wurde, erklärt Hans-Joachim Fieber 1961 damit, dass Deutschland von den übrigen Kolonialmächten kaum als Konkurrent erkannt wurde. Mit Eintritt in den Völkerbund 1926 reichen schließlich die deutschen Mandate zumindest so weit, dass eine wirtschaftliche Tätigkeit und die Bedienung an Rohstoffen in Afrika möglich werden. Vgl. Fieber 1961 – Die Kolonialgesellschaften, S. 213ff. 26 Vgl. Fieber 1961 – Die Kolonialgesellschaften, S. 211ff. 27 Vgl. Pogge von Strandmann 2002 – Deutsches Land in fremder Hand, S. 235; van Laak 2003 – Ist je ein Reich, S. 85. Zitate weiterer bedeutender Politiker der Zeit, die sich zum Kolonialrevisionismus äußern und für die Kolonien argumentieren, finden sich bei Fieber 1961 – Die Kolonialgesellschaften, S. 210. 28 Vgl. Rogowski 2003 – Heraus mit unseren Kolonien, S. 244.
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eine Ausmerzung der kolonialen Schuldlüge eintreten, wird das Bewusstsein über die Probleme einer erneuten Kolonisierung von ihrer Seite deutlich artikuliert. Vor allem die Einschätzung der wirtschaftlichen und räumlichen Möglichkeiten der Überseegebiete wird von kolonialkritischer Seite zunehmend als uninteressant erklärt: Zu teuer ist die Gründung und Erhaltung neuer Kolonien, zu lebensfeindlich der potenzielle Raum. Zudem scheint Deutschland nach dem Krieg einer außenpolitischen Herausforderung wie der Übernahme von Überseebesitzungen nicht gewachsen zu sein. Alles andere als eine Seemacht und durch den Krieg in seiner Heeresstärke geschwächt, muss Deutschland zunächst von innen gestärkt und aufgebaut werden. Als außenpolitische Aufgabe gilt allein die Stabilisierung der angekratzten europäischen Beziehungen als notwendig. Der Gefahr, möglichen Emanzipationsbestrebungen der Kolonialvölker durch Auseinandersetzungen und Kriege begegnen zu müssen, soll Deutschland sich darum gar nicht erst aussetzen. Im Hinblick auf die Unwahrscheinlichkeit, auf Dauer einer Entkolonialisierung durch das Erwachen und die Erstarkung der Kolonisierten entgehen zu können, scheint es klüger, eine Zusammenarbeit anstatt eines erneuten Systems der Unterdrückung aufzubauen. Dieses Argument gewinnt umso mehr an Gewicht, als auch Deutschland sich nach dem Krieg in einer schwierigen Lage der Abhängigkeit befindet. Die Rufe nach Anerkennung der Selbstbestimmung aller werden so immer lauter, die Ablehnung eines Handelns gegen den Willen der Völker immer stärker. Will Deutschland in Europa nicht unterdrückt werden, so darf es auch selbst nicht mehr unterdrücken. Im Sinne eines fairen Handels wird an den kaufmännischen Geist der Nation appelliert, die nicht mehr rückständig imperialistisch, sondern modern und aufgeschlossen agieren soll.29 Bis hin zu deutlichen Abrechnungen mit der brutalen Vorgehensweise der deutschen Kolonialpolitik und dem menschenunwürdigen Verhalten ihrer Anführer geht die Forderung der Kolonialgegner, die deutsche Kolonialgeschichte in jeglicher Hinsicht zu stoppen und ein unabhängiges Afrika zu fördern.30 Mit der Deklaration des Kolonialismus als unrechtem System rückt schließlich auch die Rassenfrage in die Kritik, rassistische Denkstrukturen werden im Zusammenhang der anti-kolonialen Bewegung klar hinterfragt und abgelehnt.31 Organisation und Propagandamöglichkeiten in der Weimarer Republik finden auch die Kolonialgegner vor allem innerhalb von Vereinen und Veröffentlichungen in der Presse. So werden etwa in Berlin 1926 die „Liga gegen koloniale
29 Vgl. Soll Deutschland Kolonialpolitik treiben 1927. 30 Vgl. Hoffmann 1927 – Keine Kolonien, S. 11ff. 31 Vgl. Rosenhaft 2003 – Afrikaner und „Afrikaner“ im Deutschland, S. 283 ff.
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Unterdrückung“ und 1929 die „Liga zur Verteidigung der Negerrasse“ gegründet, welche sich beide der Vertretung der politischen und sozialen Rechte von ehemals Kolonisierten in der Weimarer Republik widmen.32 Berlin entwickelt sich zu einem Drehpunkt des europäischen Anti-Kolonialismus, der auf die Unterstützung internationaler Aktivisten sowohl aus der Bildungselite als auch aus der Politik bauen kann. Mit Massenveranstaltungen wie dem „Antikolonialen Kongress“ in Brüssel 1927, Redebeiträgen in politischen Debatten und Artikeln in der deutschen Presse wird der anti-koloniale Standpunkt in der Weimarer Republik vertreten.33 Dass die publizistische Agitation gegen die Kolonien vor allem der kommunistischen Politik in die Hände spielt und von ihr unterstützt wird, erklärt sich aus der Tatsache, dass gerade die deutsche Arbeiterschicht sich nicht mehr für ein System der Unterdrückung mobilisieren lässt.34 Die antikolonialen Forderungen nach Selbstbestimmung kommen hier mit der kommunistischen Argumentation zur Deckung und finden so in einer Zeit des Umbruchs eine starke linkspolitische Fürsprache. Über die politischen, anti-kolonialen Bewegungen hinaus gewinnt auch die Stimme der in Deutschland lebenden Afrikaner zunehmend an Bedeutung.35 Sie, die die deutsche Kolonialgeschichte in der Weimarer Republik und vor allem in deren Metropolen real abbilden, bringen koloniale Fragestellungen aus Übersee nach Deutschland und zwingen auch hier die Bevölkerung zu einer Auseinandersetzung mit dem Fremden. Die bloße Anwesenheit schwarzer Menschen fordert die Stereotype über das Andere heraus und setzt die hierarchischen Konstruktionen der rassischen Identität einer alltäglichen Begegnung aus. Mehr und mehr richten die Kolonialmigranten auch Petitionen gegen Hetzkampagnen und für eine gerechtere Behandlung von Schwarzen an die Öffentlichkeit.36 In Zusammen-
32 Zur Entstehung und Arbeit der beiden Vereine vgl. Oguntoye 1997 – Eine afrodeutsche Geschichte; Eckert 2006 – Panafrikanismus; Rosenhaft 2003 – Afrikaner und „Afrikaner“ im Deutschland. 33 Vgl. Oguntoye 1997 – Eine afro-deutsche Geschichte; S. 99. 34 Vgl. Fieber 1961 – Die Kolonialgesellschaften, S. 213; Martin 2004 – Schwarze Sowjets an Elbe. 35 Über die im Zuge des Kolonialismus nach Deutschland immigrierenden Schwarzen, ihre Situation in der deutschen Alltagsrealität und die besondere Rolle der Großstädte als Metropolen der Kolonialmigration vgl. Grosse 2003 – Zwischen Privatheit und Öffentlichkeit; Oesterheld 1996 – Zum Spektrum der indischen Präsenz; Zeller 2006 – Dunkle Existenzen in Berlin; Campt, Grosse et al. 2001 – Blacks, Germans. 36 Vgl. Rosenhaft 2003 – Afrikaner und „Afrikaner“ im Deutschland, S. 282f.
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schlüssen wie dem 1918 in Hamburg gegründeten Afrikanischen Hilfsverein37 lehnen sie sich gegen den europäischen Rassismus und seine Hierarchiestrukturen auf und verweisen auf die räumliche Nähe der Kolonien durch die in der Weimarer Republik lebenden Ex-Kolonisierten. In der Bemühung um Unabhängigkeit und gerechte Behandlung zieht die sogenannte „Panafrikanische Bewegung“ keineswegs gegen Deutschland zu Felde: „Wir sind zu eng mit Deutschland verwachsen, als dass wir uns jemals von ihm trennen könnten.“38 Vielmehr fordert sie die Rechte und Freiheiten ein, die auch die Bürger des Mutterlandes genießen, etwa eine unabhängige Bildung und damit die Möglichkeit der Entwicklung einer afrikanischen Elite.39 Die Arbeit der afrikanischen Bewegungen in Deutschland bleibt in der Öffentlichkeit nicht unbemerkt und unkommentiert, Diskriminierungen im Alltag, Verleumdungskampagnen und Zeitungsartikel – „Die Neger organisieren sich“40 – zeugen von einer breiten Wahrnehmung der Entwicklungen.41 Gemessen an ihrer aktiven Beteiligung engagieren sich die deutschen Bürger nur begrenzt für die politischen Initiativen für oder gegen den Kolonialismus. Dennoch, das Thema der Kolonien bleibt präsent, auch wenn es nicht zu einem kollektiven Aktionismus im Geiste des Kolonialrevisionismus kommt. Die Beteiligung des Einzelnen gestaltet sich zwar zurückhaltend, der zweite Frühling der Kolonialpropaganda, der vor allem in den Jahren zwischen 1926 und 1930 noch einmal an Kraft gewinnt,42 setzt sich jedoch deutlich im Bewusstsein der Gesellschaft fest. Die im Dezember 1927 veröffentlichte Umfrage in der Zeitschrift „Europäische Geschichte“ zur Frage „Soll Deutschland Kolonialpolitik betreiben?“43 kann stellvertretend für die Kontroverse um die Neugewinnung von Kolonien stehen, die nicht politisch, dennoch aber in den höchsten intellektuellen Kreisen der Zeit geführt wird. Fünfzig für die zeitgenössische Gesell-
37 Vgl. Martin 2004 – Der Afrikanische Hilfsverein von 1918. 38 Zitat von Martin Dibobe, Vertreter der in Deutschland lebenden Menschen aus Kamerun, zitiert nach Eve Rosenhaft, vgl. Rosenhaft 2003 – Afrikaner und „Afrikaner“ im Deutschland, S. 286. 39 Vgl. Eckert 2006 – Panafrikanismus, S. 230ff. 40 Schlagzeile aus der „Neuen Berliner Zeitung“ vom 13.12.1929, zitiert nach Katharina Oguntoye, vgl. Oguntoye 1997 – Eine afro-deutsche Geschichte, S. 98. 41 Vgl. Möhle 2004 – ...wird man bemüht sein, S. 62; Rosenhaft 2003 – Afrikaner und „Afrikaner“ im Deutschland, S. 289. 42 Vgl. Hofmann 2007 – Zwecklos sich dagegen aufzulehnen, S. 5; Schubert 2003 – Der schwarze Fremde. 43 Vgl. Soll Deutschland Kolonialpolitik treiben 1927.
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schaft überaus bedeutende Personen wie Konrad Adenauer, Albert Einstein oder Thomas Mann äußern sich hier zur Debatte um neue Kolonien und belegen mit ihren dezidierten Antworten, dass die Beschäftigung mit dem Thema Kolonialismus kein oberflächliches Phänomen traditionalistischer Kolonialanhänger ist. Ihre Stellungnahmen zeigen, dass die Diskussion um neue Kolonien in den zwanziger Jahren intensiv und kontrovers geführt wird. Auch wenn die Bevölkerung zu großen Teilen nicht aktiv agiert, so beweist die Beteiligung der geistigen Elite am kolonialen Diskurs doch sein unterschwelliges, aber öffentliches Gewicht. Die organisierten kolonialen und anti-kolonialen Bewegungen der zwanziger Jahre sind zwar nicht durchschlagend aufgrund ihrer Aktivitäten, ihre ideologische Arbeit und die anhaltende passive Konfrontation der Gesellschaft mit pround anti-kolonialen Thesen verhilft jedoch dazu, ein eigentlich der Vergangenheit angehöriges Thema aus der Vorkriegszeit in die Weimarer Republik zu transportieren. Mit dem Verlassen der Kolonien in Übersee und der Konzentration auf einen nationalen Neuaufbau tritt das Thema der Rasse eigentlich in den Hintergrund. Das Beharren auf der kolonialen Idee und ihren Argumenten und Gegenargumenten hält die Symbolik des Fremden aber aufrecht. Kommt es im Alltag der Weimarer Republik zu Begegnungen der Bürger mit dem oder den Fremden, so bewegen und nähren sich diese Erfahrungen innerhalb der aus der Kolonialzeit bekannten Muster. Ein mustergültiges Beispiel ist in diesem Zusammenhang die Kampagne um die sogenannte „Schwarze Schmach am Rhein“. Sie zeigt in allen Einzelheiten, wie die koloniale Ideologie mit all ihren Winkelzügen in die Realität der Weimarer Republik gepflanzt und propagandistisch genutzt wird.
3.3 „D IE S CHWARZE S CHMACH AM R HEIN “ – D IE B ESETZUNG DES R HEINLANDES Um Deutschland nach dem Ersten Weltkrieg zur Einhaltung seiner Friedensauflagen zu zwingen, wird es im Rahmen des Versailler Vertrages dazu verpflichtet, seine linksrheinischen Gebiete und einige Teile rechts des Rheins einer zeitweiligen Besatzung durch die Siegermächte preiszugeben.44 Größtenteils französische Truppen ziehen deshalb 1920 im Rheinland ein und besetzen nicht nur grö-
44 Die Geschichte der Rheinland-Besetzung durch die Franzosen, ihre Hintergründe, der Verlauf und ihre Folgen beschreiben Koller 2001 – Von Wilden aller Rassen niedergemetzelt und Wigger 2007 – Die Schwarze Schmach am Rhein.
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ßere Städte, sondern stationieren sich großräumig verteilt auch auf dem Land und in den Dörfern. Das massive Aufkommen französischer Soldaten im deutschen Lebensraum tangiert durch die räumliche Nähe – Offiziere werden mitunter in Privatwohnungen untergebracht – auch die Bürger im Einzelnen, die Begegnung mit den Besatzertruppen ist unumgänglich.45 Der allgemeine Aufschrei, der dem Einmarsch ins Rheinland folgt, bezieht sich jedoch nicht auf die Tatsache, dass soeben deutsche Gebiete vom vormaligen Gegner okkupiert wurden. Vielmehr herrscht Entsetzen darüber, dass sich das Besatzerheer maßgeblich aus afrikanischen Soldaten aus den französischen Kolonien zusammensetzt.46 Die Besetzung deutschen Bodens durch schwarze, gegnerische Soldaten wird als unerhört aufgefasst, eine absichtliche Provokation hinter dieser Geste vermutet. Das Thema der Kolonialsoldaten ist zu diesem Zeitpunkt kein unbekanntes: Auch in den Kolonien und während des Ersten Weltkrieges wurden sowohl auf Seiten der Franzosen als auch auf Seiten der Engländer und Belgier bereits sogenannte Kolonialsoldaten rekrutiert und eingesetzt.47 Und auch in diesem Kontext wurde das Vorgehen bereits debattiert: Deutschland, das in seinen Kolonien selbst kaum auf geeignete Soldaten zurückgreifen kann und auch deren Transport nach Europa nicht bewerkstelligen könnte, kritisierte das Auftauchen schwarzer Soldaten in europäischen Heeren scharf.48 Von deutscher Seite erging der Vorwurf, mit dem Einsetzen Kolonisierter in den Heeren der Herrenländer die europäische Herrschaftsstruktur zu untergraben und die Idee der weißen Kultur und ihrer großen Nationen zu gefährden. Abgesehen davon, dass eine militärische Ausbildung der Afrikaner zu vermeiden sei, wurde es außerdem als fahrlässig erachtet, kriegsvölkerrechtliche Normen durch den Einsatz von „Barbaren“ aufs Spiel zu setzen.49
45 Vgl. Koller 2001 – Von Wilden aller Rassen niedergemetzelt, S. 201f. 46 Die Angaben über die tatsächliche Anzahl nicht-weißer Soldaten im Rheinland variieren. Zu Höchstzeiten sollen von 85.000 Soldaten etwa die Hälfte afrikanischer Herkunft gewesen zu sein, eine Anzahl, die von alliierten Quellen selbst jedoch geringer eingeschätzt wird. Vgl. Wigger 2007 – Die Schwarze Schmach am Rhein, S. 9f. 47 Christian Koller schlüsselt den Einsatz von Kolonialsoldaten auf Seiten der Europäer in den Kolonien und in Europa en detail auf, vgl. Koller 2001 – Von Wilden aller Rassen niedergemetzelt, S. 87ff. Vgl. außerdem Grosse 2000 – Kolonialismus, S. 199ff. 48 Vgl. Koller 2001 – Von Wilden aller Rassen niedergemetzelt, S. 77. 49 Zu den zeitgenössischen Konditionen der Kriegsführung im Hinblick auf die Konfrontation mit nicht-zivilisierten, „barbarischen“ Gegnern oder Mitstreitern vgl. Köppen
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Als es nun zum Einmarsch nicht-weißer Kolonialsoldaten im Rheinland kommt, wird dies in der Weimarer Republik als gezielte Demonstration der Unterlegenheit und des deutschen Scheiterns interpretiert. Nicht nur wurde Deutschland seiner Kolonien beraubt und durch die koloniale Schuldlüge gedemütigt. Unter der Besatzung durch schwarze Soldaten wird es jetzt obendrein in seiner Anerkennung als weiße Herrenrasse unterlaufen und regelrecht selbst kolonisiert.50 Nach diesem augenscheinlichen Affront wird in Deutschland nun eine beispiellose Kampagne in der Presse, Politik und Öffentlichkeit gestartet, die sich unter den Begriffen „die schwarze Schande“ oder die „Schwarze Schmach“ etabliert und die sich noch über die Machtergreifung der Nationalsozialisten hinaus in der deutschen Öffentlichkeit festsetzt.51 3.3.1 Die Kampagne um die „Schwarze Schmach am Rhein“ Die Bürger der Weimarer Republik werden mit dem Auftauchen der Kolonialsoldaten in allen möglichen Sparten konfrontiert: Romane, Schauspiele, Filme, aber auch Postkarten, Briefmarken, Flugblätter und Münzen bilden die Thematik der Rheinlandbesatzung durch nicht-weiße Truppen ab.52 Vor allem die Printmedien aber machen die „Schwarze Schmach“ öffentlichkeitswirksam zu einem
2002 – Im Krieg mit dem Fremden. Vgl. außerdem Koller 2001 – Von Wilden aller Rassen niedergemetzelt, S. 49ff.; Höpp 1996 – Die Privilegien der Verlierer, S. 185. 50 Vgl. Rogowski 2003 – Heraus mit unseren Kolonien, S. 246. 51 Die Kampagne um die „Schwarze Schmach am Rhein“ wird in zahlreichen Abhandlungen thematisiert und ihr Verlauf nebst Ausprägungen bilderreich dokumentiert. Vgl. exemplarisch Martin 1996 – Die Kampagne gegen die Schwarze; Koller 2001 – Von Wilden aller Rassen niedergemetzelt; Wigger 2007 – Die Schwarze Schmach am Rhein; Martin, Alonzo 2004 (Hg.) – Zwischen Charleston und Stechschritt, S. 116ff.; Lebzelter 1985 – Die Schwarze Schmach; Stahr 2004 – Fotojournalismus zwischen Exotismus und Rassismus; S. 286ff.; Grosse 2000 – Kolonialismus, S. 203ff; Mass 2002 – Von der schwarzen Schmach. Eine umfangreiche zeitgenössische Abhandlung ist der Text „Die Besetzung des Rheinlands“ von General Henry T. Allen, vgl. Allen 1927 – Die Besetzung des Rheinlands. Weil für die vorliegende Arbeit das Phänomen der Kampagne als solches bedeutend ist und nicht ihre Details, werden hier nur beispielhafte Auszüge gezeigt. 52 Zahlreiche Abbildung sind zusammengetragen in Zeller 2010 – Weiße Blicke; Martin, Alonzo (Hg.) 2004 – Zwischen Charleston und Stechschritt, S. 104ff. Literaturtitel zur „Schwarzen Schmach“ und weitere Propagandamittel werden aufgezählt in Wigger 2001 – Schwarze Schmach und Weiße Frau, S. 152f.
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Dauerthema.53 Der offizielle Apparat des Reichsministeriums des Inneren und des Auswärtigen Amtes arbeitet dabei eng mit der Presse zusammen: Die Politik liefert gezielte Informationen und Statistiken, die die Presse zu einer Angelegenheit mit fast kriegsähnlichem Charakter aufbauscht.54 Das bewährteste Mittel ist die bildliche Darstellung des Fremden. Durch die Verwendung zahlreicher Fotografien und Karikaturen erfolgt eine Repräsentation des Fremden, die bekannte Stereotypen reproduziert, neue Ängste schürt und die Meinungsbildung in der breiten Gesellschaft einseitig steuert. Vor allem die satirisch überspitzten Karikaturen der Wochenzeitschriften „Simplicissimus“ und „Kladderadatsch“ bringen auf den Punkt, wie das Fremde konstruiert wird und wie ihm die Konnotationen einer „Schwarzen Gefahr“ mit Hilfe einfacher stilistischer Mittel eingeschrieben werden.55 Mit wulstigen Lippen, hervortretenden Augen und einem imposanten Körperbau werden die schwarzen Figuren stereotyp charakterisiert und einem Setting oder einer Bildunterschrift zugeordnet, die die Deutung kanalisiert.
53 Vgl. Koller 2001 – Von Wilden aller Rassen niedergemetzelt, S. 226ff.; Wigger 2007 – Die Schwarze Schmach am Rhein, S. 152f.; Martin 1996 – Die Kampagne gegen die Schwarze, S. 211. 54 Christian Koller stellt ein äußerst umfangreiches Literaturverzeichnis zur Verfügung, das die Masse der Artikel und Berichte über die „Schwarze Schmach am Rhein“ in der deutschen Presse der zwanziger Jahre demonstriert. Vgl. Koller 2001 – Von Wilden aller Rassen niedergemetzelt, S. 208f. 55 Die Zeitschrift „Simplicissimus“ erscheint von 1896 bis 1944 in München, der „Kladderadatsch“ von 1848 bis 1944 in Berlin. Zu Simplicissimus und Kladderadatsch vgl. Christ 1972 – Glanz und Elend der Satire; Stüwe 1978 – Der SimplicissimusKarikaturist Thomas Theodor Heine; Rösch 1996 – Simplicissimus; Heinrich-Jost (Hg.) 1982 – Kladderadatsch; Siebe 1995 – Von der Revolution zum nationalen. Beiden Zeitschriften wird gelegentlich ein anti-imperialistischer Witz zugeschrieben, vgl. Christ 1972 – Glanz und Elend der Satire, S. 8f. Tatsächlich sind die Absichten und Veröffentlichung beider Hefte besonders während der Zeit der Weimarer Republik jedoch keineswegs kolonialkritisch oder unabhängig satirisch, sondern vielmehr deutlich alliierten- und fremdenfeindlich. Beide Hefte stimmen in die Kampagne um die Schwarze Schmach mit ein und äußern sich bis in den Nationalsozialismus hinein fremdenfeindlich; Elisabeth Stüwe spricht im Fall des „Simplicissimus“ von einer „nationalistischen Kehrtwendung“ und einem Umschwenken auf „bedingungslosen Patriotismus“ in Folge des Ersten Weltkrieges, Zitate von Elisabeth Stüwe, vgl. Stüwe 1978 – Der Simplicissimus-Karikaturist Thomas Theodor Heine, S. 54 und 55. Systemkritische Satire umgehen beide Zeitschriften.
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Abb. 2: O. Gulbransson, Segen der Mission
Die zu Anfang der Kampagne bevorzugte Stoßrichtung der bildlichen Repräsentation bestätigt das Stereotyp des dummen, naiven und vor allem primitiven Schwarzen, der in seinem Auftreten und seinem Versuch, sich an das europäische Wesen anzupassen, schlicht lächerlich ist (Abbildung 2)56. Mehr Tier als Mensch ist er so treu und instrumentalisierbar, dass er gerade darum von den Siegermächten Frankreich und Großbritannien als Handlanger eingesetzt werden kann (Abbildung 3)57.
56 Die Karikatur ist eingebettet zwischen die Bildüberschrift „Segen der Mission“ und die Bildunterschrift „Erst waren sie harmlos, einträchtig, zufrieden. Da wurde ihnen das Christentum beschieden; und als sie die Heilswahrheiten erkannten, wurden sie Katholiken und Protestanten.“ 57 Bildüberschrift: „Französische Hilfstruppen“, Bildunterschrift: „Wir bedauern aufrichtig, daß ihr hier so schrecklich frieren müßt. Dafür werden wir euch aber immer zuerst ins Feuer schicken.“
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Abb. 3: E. D. Petersen, Französische Hilfstruppen
Abb. 4: E. Schilling, Die Kolonialschuldlüge
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Das verbildlichte Stereotyp des willfährigen und naiven Schwarzen wird kontextuell unterschiedlich genutzt: Einerseits dient es einer scheinbaren Verbündung mit den eigentlich unschuldigen Schwarzen gegen die Kriegsgegner. Eine Parteinahme für die von den europäischen Siegermächten Ausgenutzten hilft, die koloniale Schuldlüge zu verschieben. Nun, da sie die Verantwortung für die schwarzen Völker übernommen haben, entpuppen sich die Franzosen und Engländer als die grausamen Verantwortlichen für das Schicksal der schwarzen Völker. Indem sie die Afrikaner aus den Kolonien für Ihre Zwecke einsetzen und zum Dienst gegen Deutschland zwingen, entlarven sie sich aus Sicht der Deutschen selbst als Träger der kolonialen Schuld (Abbildung 4)58. Die Demütigung, die Deutschland durch den Einsatz von Kolonialsoldaten widerfährt, wird auf diese Weise durch eine umgekehrte Instrumentalisierung des Schwarzen verbildlicht: Der Einsatz der unmündigen und wehrlosen schwarzen Rasse bei politischen Schachzügen offenbart die offensichtliche Unmenschlichkeit der europäischen Siegermächte. Der marionettenhafte, unbedrohliche Charakter, der den schwarzen Figuren durch die Betonung eines beschränkten Geistes und einer generellen Kulturlosigkeit zugeschrieben wird, gewinnt im Verlauf der Kampagne jedoch sehr schnell an Schärfe. Die Elemente des Tierischen, meist Äffischen wandeln sich sehr bald von der Beschreibung einer primitiven, nicht ernstzunehmenden Rasse zu einer schwelenden, unberechenbaren Bedrohung. Statt einer Parteinahme für die instrumentalisierten Kolonialsoldaten ergeht nun zunächst noch unterschwellig der Vorwurf gegen die Siegermächte, sich über jede Moral hinwegzusetzen und nicht mehr als menschliche Kreaturen anzuerkennende Soldaten gegen Deutschland einzusetzen (Abbildung 5)59. Bald jedoch verschwindet auch diese stille Anklage aus den Karikaturen und wird durch offene Proteste ersetzt. Die schwarzen Soldaten werden nun als abgerichtete Tiere dargestellt, deren instinktgerichtete Grausamkeit sich in ihrem barbarischen Verhalten wiederfindet (Abbildung 6)60.
58 Bildüberschrift: „Die Kolonialschuldlüge“, Bildunterschrift: „Die Deutschen haben die armen Neger nackt herumlaufen lassen – wir aber haben sie in den Ehrenrock der grande armée gekleidet.“ 59 Bildüberschrift: „Englands überseeischer Landsturm“, Bildunterschrift: „Schämst du dich nicht, daß du noch nicht für die Engländer gegen Deutschland kämpfst?“ 60 Bildüberschrift: „La France“, Bildunterschrift „Ils ne savent pas, qu’il n’y a point au fond de nation plus cruelle que la francaise! Arlequins anthropophages! Mointié tigre, moitié singe! / Bildunterschrift rechts: Sie wissen nicht, daß es im Grunde keine grau-
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Abb. 5: Th. Th. Heine, Englands überseeischer Landsturm
Als morallose, unzivilisierte Mörder und Vergewaltiger repräsentieren sie jetzt den Verfall nicht nur der deutschen Kultur, sondern auch der gesamten weißen Rasse, die sich als regelrecht paralysiert von der Gewalt und Macht der „Schwarzen Schmach“ zeigt (Abbildung 7)61. Die Betitelungen der Abbildungen sind ebenso dramatisch wie stigmatisierend – „Die Schande der Welt! Die schwarze Schmach.“ „Der französische Moloch. Wie lang wird die Menschheit noch zusehen? – aus ihnen entwickelt sich die schnell etablierte Benennung der Rheinlandbesatzung mit den Begriffen „Schwarze Schmach“ oder „Schwarze Schande“. Begleitende Vorträge und Texte, die mit flammenden Hetzworten propagieren, dass „Weiße Frauen, weiße Mädchen, weiße Knaben täglich, stünd-
samere Nation gibt als die französische! Menschenfresserische Hanswurste! Halb Tiger, halb Affen! Voltaire“. 61 Bildüberschrift: „Die schwarze Besatzung“, Bildunterschrift: „Eine Schmach für die weiße Rasse – aber es geschieht in Deutschland.“
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lich in Gefahr [sind]. Und diese Gefahr wird bestehen, solange ein Schwarzer berechtigt ist, Macht über Weiße auszuführen!“ schüren die Ängste der Bürger. So werden Stereotype etabliert: „Und wir wissen alle, daß, sobald der Neger trinkt, er einem wilden Tiere gleich ist, und er weiß dann nicht, was er tut.“62 Die Rolle der Franzosen bleibt bei all der dargestellten Grausamkeit der schwarzen Besatzer stets präsent: Ihnen wird nicht nur die Schuld an der Belagerung und deren gewaltsamen Begleitumständen zugesprochen, sondern auch die Duldung und sogar Förderung der Ereignisse unterstellt (Abbildung 8)63. Der erfolgte Angriff auf die Moral und Kultur des deutschen Volkes wird in den Abbildungen unmissverständlich auch auf die weiße Rasse im Gesamten übertragen, an deren nun drohendem Untergang allein Frankreich durch seinen Einsatz von Kolonialsoldaten die Schuld zugewiesen wird (Abbildung 9)64: „Was, ich habe Bedenken gegen unsere glorreiche Kolonialarmee, diese Herde von grauhäutigem Vieh, das man dressiert, damit es einst Europa vernichten kann? Aber diese Wulstmäuler sind ja vortreffliche Franzosen, und sie haben gegen Goethes und Mozarts Land die Zivilisation gerettet!“65
Die hier gezeigten Beispiele für die Entstehung und Entwicklung der PresseKampagne um die „Schwarze Schmach am Rhein“ verdeutlichen, mit wie einfachen Mitteln die Repräsentation des Fremden aus der Kolonialzeit in die Realität der Weimarer Republik geholt werden kann. Obgleich die Berichte über die Schreckenstaten der schwarzen Besatzer nachweislich nicht den Tatsachen entsprechen und die wirklichen Begegnungen deutscher Frauen und Kinder mit den Kolonialsoldaten vielmehr positiv ausfallen,66 können sich die Nachrichten über Vergewaltigungen und Raubüberfälle in der Öffentlichkeit festsetzen.67
62 Zitate von Ray Beveridge, vgl. Beveridge 1922 – Die schwarze Schmach, S. 14 und S. 20. 63 Bildüberschrift: „Frankreich ehrt seine heimkehrenden Helden“, Bildunterschrift: „Das Kreuz der Ehrenlegion für zehn Sittlichkeitsverbrechen, verübt an Frauen des besetzten Gebietes!“ 64 Schrift im Bild: „La ville lumière à son sauveur. Liberté, Egalité, Fraternité“, Bildunterschrift: „,Wir marschieren an der Spitze der Kultur – Du marschierst an unsrer Spitze!‘“ 65 Zitat von Bruno Frank, vgl. Frank 1928 – Politische Novelle, S. 60f. 66 Siehe dazu etwa den zeitgenössischen Text von Lilli Jannasch, die 1920 in der Zeitschrift „Die Frau im Staat“ einen Gegenbericht zur „Schwarzen Schmach“-Kampagne verfasst und darauf hinweist, dass sie aus eigener Erfahrung von keinerlei Gefahren
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Abb. 6: Karl Arnold, La France
Allein durch den Rückgriff auf die etablierten Stereotype des unberechenbaren, primitiven Fremden und durch die Aktivierung bekannter Ängste um die eigene, aber auch die übergeordnete, nationale Identität kann ein Diskurs begründet werden, der sich bis in alle Ebenen der Zivilbevölkerung hin verbreiten lässt.68
oder Übergriffen zu berichten weiß. Vielmehr seien die weißen Frauen diejenigen, die den Kontakt zu den schwarzen Männern suchten. Vgl. Jannasch 1920 – Weiße Schmach. Vgl. außerdem Koller 2001 – Von Wilden aller Rassen niedergemetzelt, S. 224ff. und 252ff. 67 Die Überpräsenz von Berichten über angebliche Vergewaltigungen und gewalttätige Übergriffe werden erläutert in Mass 2002 – Von der schwarzen Schmach, S. 46ff. 68 Christian Koller zitiert in einem Aufsatz etwa die Tagebucheinträge einer Zwölfjährigen, die sich hier mit dem, was sie in der Schule und in der Familie zur „Schwarzen Schmach“ gelernt hat, auseinandersetzt und die sich erinnert, von ihrer Lehrerin gehört zu haben, dass „nächstens wohl noch Raubtiere gegen die deutschen Helden“ eingesetzt würden. Dieser Eintrag lässt darauf schließen, wie verbreitet die Kampagne
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Abb. 7: O. Gulbransson, Die schwarze Besatzung
Dass die einfachen Muster, die hierbei benutzt werden, nur abgerufen werden müssen und einfach zweckgerichtet kontextualisiert werden können, verdeutlicht, wie fest die Bilder des Fremden bereits im allgemeinen Bewusstsein verankert sind. Wie bei der kolonialen Argumentation beginnen die Charakterisierungen beim unmündigen, unterwürfigen schwarzen Mann, der sich der lenkenden Hand durch die weißen Herren jederzeit fügt und kippen sofort, sobald die Grenzen der eigenen Identität und hier ganz konkret des eigenen Lebensraums in Gefahr scheinen. Was zunächst als schmähende Propaganda gegen Kriegsgegner Frankreich beginnt, entwickelt sich schnell zu einer Artikulation nationaler Schwäche, deren Stilmittel die Stereotypisierungen des Fremden sind. Mit dem Abrufen einfacher, etablierter Bildkomponenten werden an die kollektive Furcht vor dem Fremden und an den Selbsterhaltungstrieb nationaler Identität appelliert und ein Bild vom Fremden etabliert, das sich allein aus sich selbst heraus nährt.
um die „Schwarze Schmach am Rhein“ tatsächlich war. Vgl. Koller 2004 – Der dunkle Verrat an Europa, S. 113.
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Abb. 8: Garvens, Frankreich ehrt seine heimkehrenden Helden
Die ausgeprägte, fast voyeuristische Betonung angeblicher Vergewaltigungen69 und damit einhergehend die Darstellung des drastisch sexualisierten, wilden und ungezügelten schwarzen Mannes ist als zentrales Moment der Kampagne erkennbar (Abbildung 7).70 Der weißen Frau, die diesem Bild komplementär gegenüber gestellt wird, kommt automatisch und im Verlauf der Kampagne auch explizit die Hauptopferrolle zu: Vor allem für „deutsche Frauen und Kinder [...] sind diese Wilden eine schauerliche Gefahr. Ihre Ehre, Leib und Leben, Reinheit und Unschuld werden vernichtet.“71
69 Vgl. Koller 2001 – Von Wilden aller Rassen niedergemetzelt, S. 238. 70 Vgl. Martin 1996 – Die Kampagne gegen die Schwarze Schmach, S. 218f.; Wigger 2007 – Die Schwarze Schmach am Rhein, S. 108ff. 71 Zitat aus den Verhandlungen der verfassungsgebenden Deutschen Nationalversammlung, 1920, zitiert nach Christian Koller, vgl. Koller 2007 – Frankfurt, S. 203. Zur
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Abb. 9: Karl Arnold: La ville lumière à son saveur
Wie schon in den Kolonien sind auch während der Rheinlandbesetzung die Frauen die Schnittstelle des deutschen Identitätskonstruktes. Die temporäre Belagerung durch die Kolonialsoldaten allein bringt die Nation nicht aus dem Gleichgewicht, ihre gefürchtete innere Zerrüttung durch Interaktion und Durchmischung aber sehr wohl. Die in der Kampagne so gewaltvoll dargestellten, sehr viel öfter aber freiwilligen Kontaktaufnahmen zwischen schwarzen Soldaten und weißen Frauen reproduzieren den bereits aus den Kolonien bekannten Konflikt um die symbolische Bedeutung der Frau als Trägerin der Ehre und Moral des Volkes.72 Die Bedrohung der Frau, genau wie auch ihre eigene Überschreitung rassischer Grenzen, muss die Stabilität der weißen Kulturnation erschüttern, da eine Hierarchie der Rassen nicht weiter gewährleistet bleibt.73 Erhalten schwarze Männer Zugang zu weißen Frauen, ist die rassische Gleichheit implizit und die gleichzeitige Abwertung des weißen Mannes nicht aufhaltbar.74 Was die Kampagne um die „Schwarze Schmach am Rhein“ mit ihrer Darstellung schwarzer
Rolle der deutschen Frauen und der Frauenorganisationen während der Kampagne vgl. Mass 2002 – Von der schwarzen Schmach. 72 Vgl. Wigger 2007 – Die Schwarze Schmach am Rhein, S. 122f. 73 Vgl. Dietrich 2007 – Weiße Weiblichkeiten, S. 130. 74 Vgl. Campt, Grosse, et al. 2001 – Blacks, Germans, S. 211.
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Übersexualität propagiert, ist darum weniger die Empörung über das Vorgehen der Franzosen, als vielmehr die Angst vor dem Untergang der eigenen Rasse und die Warnung vor einer nationalen Erschütterung von innen. Wie auch in den Kolonien ist das eigentliche Thema der Konfrontation von Schwarz und Weiß in der Mischlings-Problematik zu verorten, die bei einem räumlichen Zusammenleben weißer Frauen mit schwarzen Männern kaum mehr vermeidbar scheint. Der Appell an die deutschen Frauen, die gleichzeitig als Opfer, aber auch als Verführte gelten, ergeht durch die Dramatisierung der sexuellen Beziehungen und ihrer scheinbar verhängnisvollen Folgen und richtet sich auf die Abwehr der rassischen Mischung. Als Diskussion um die „Rheinlandbastarde“ wird die Mischlingskontroverse aus den Kolonien noch einmal prominent gemacht und mittels der Kampagne um die „Schwarze Schmach“ öffentlichkeitswirksam in den deutschen Alltag versetzt. Ihren Höhepunkt findet die Debatte im Jahr 1927 in den drastischen Überlegungen zur Zwangssterilisierung der gemischtrassigen Nachkommen.75 Spätestens hier wird der Ernst der gefühlten Bedrohung einer Rassenmischung und damit Rassengleichheit unverkennbar sichtbar. Als Symbol für die deutsche Schwäche, für den Zusammenbruch der imperialen Ordnung und für den Verlust des nationalen Ansehens tritt die Mischlingsfrage über den eigentlichen Anlass der Kampagne hinaus und macht die Verantwortung bei der Verflechtung von Rasse und Sexualität zu einem nationalen Thema.76 Ohne eine aktive Agitation des Volkes zu benötigen, sondern allein durch die Verbreitung und Etablierung bereits bekannter Repräsentationsmuster, gelingt es mit der Kampagne um die „Schwarze Schmach am Rhein“ einen Großteil kolonialen Gedankenguts in die nach-koloniale Zeit der Weimarer Republik zu holen. Obwohl die konkrete Idee von Kolonien hier nicht implizit ist, wird doch die Basis der kolonialen Ideologie im Alltag der zwanziger Jahre vertreten. Von einem Abschluss des Kolonialismus mit dessen realpolitischem Ende kann demnach nicht gesprochen werden; vielmehr wird unterschwellig eine Auseinandersetzung mit den Ideen von Rasse und nationalen Hierarchien vertieft, deren Gefahr in ihrer nicht-realen Beschaffenheit liegt. Die Kampagne, die die tatsächliche Anwesenheit schwarzer Fremder zum Anlass hat, begründet sich zu größten Teilen auf reiner Fiktion und dient allein der Propaganda rassischer Hierarchiestrukturen. Die Instrumentalisierung des stereotypisierten Fremden zeigt zwei
75 Vgl. Koller 2001 – Von Wilden aller Rassen niedergemetzelt, S. 328. 76 Vgl. Campt, Grosse, et al. 2001 – Blacks, Germans, S. 212; Martin 1996 – Die Kampagne gegen die Schwarze, S. 212; Wigger 2007 – Die Schwarze Schmach am Rhein, S. 132ff.; Mass 2002 – Von der schwarzen Schmach, S. 51ff.
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Dinge: Fremdheit ist auch ohne existierende Kolonien zu einem Werkzeug geworden, mittels dessen politische Schachzüge erfolgen können – hier die zielgerichtete Propaganda für eine anti-französische Stimmung in Europa.77 Außerdem ist für die nationale Selbstsicherheit eine sichtbare, klar definierte Form des Fremden auch in den zwanziger Jahren noch essentiell. Um die neue Konfrontation des deutschen Alltags mit dem Fremden aufarbeiten zu können, werden Stereotype benötigt, die das Eigene definieren und vor Erschütterung schützen. Die Verbildlichung der Kampagne um die „Schwarze Schmach“ in Form der hier ausschnitthaft gezeigten Karikaturen ist wie kein anderes Phänomen der Zeit imstande, die Beschaffenheit der Begegnung und Repräsentation der Fremde offenzulegen. Buchstäblich gezeigt wird hier, was Homi Bhabha als „Kette der stereotypischen Signifikation“ bezeichnet, die „seltsam gemischt und gespalten, polymorph und pervers, eine Artikulation multipler Überzeugungen ist. Der Schwarze ist Wilder (Kannibale) und doch zugleich der gehorsamste und ausgezeichnetste aller Diener (der Verwalter der Nahrung); er ist die Verkörperung zügelloser Sexualität und doch unschuldig wie ein Kind; er ist mystisch, primitiv und einfältig und doch der gewandteste und meisterhafteste Lügner und Manipulator sozialer Kräfte.“78
Als Schlüsselmomente der kolonialen Paradigmen um Identifikation und Entfremdung, Angst und Verlangen entwickelt Bhabha für diese Stereotypen die Modelle Phobie und Fetisch79 und bringt so eine bedeutende Repräsentationskategorie zur Sprache. Das Stereotyp auch als Fetisch zu bezeichnen bedeutet zu implizieren, dass die Repräsentation hier immer auch Ausschluss beinhaltet, dass alles, was in der Repräsentation „gezeigt oder gesehen wird, nur im Verhältnis zu dem verstanden werden kann, was nicht gesehen, nicht gezeigt werden kann.“80 Dem Fetischismus ist damit immer eine Verleugnung immanent, die einerseits Begehren und Faszination gegenüber dem Fremden abstreitet, die sie da-
77 Vgl. Koller 2001 – Von Wilden aller Rassen niedergemetzelt, S. 228. 78 Zitat von Homi Bhabha, vgl. Bhabha 2007 (1994) – Die Verortung der Kultur, S. 122. 79 Vgl. Bhabha 2007 (1994) – Die Verortung der Kultur, S. 107. Homi Bhabhas Konzept des kolonialen Stereotyps als Fetisch erscheint 1983 unter dem Titel „The Other Question“ („Screen“, Jahrgang 24, Heft 6, 1983) und wird 1994 noch einmal in „Die Verortung der Kultur“ veröffentlicht. Zitiert wird Bhabha in dieser Dissertation aus der deutschen Übersetzung. 80 Zitat von Stuart Hall, vgl. Hall 2004 – Das Spektakel des Anderen, S. 154.
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durch aber gleichzeitig repräsentiert. Wenn also Herrschaft, Angst und Abwehr repräsentiert werden, so findet sich darin gleichzeitig die Lust am fremden, exotischen, eigentlich tabuisierten Objekt.81 Dieser Konflikt, den die Fetischisierung des Fremden beschreibt und den Bhabha als essentiell für den kolonialen Diskurs bezeichnet, kommt in der deutschen Lebenswelt der zwanziger Jahre an vielen Stellen an die Oberfläche. Gerade in den Metropolen, wo sich die Repräsentation des Fremden in ganz konkrete Kulturtechniken übertragen lässt, zeigt sich, dass die Konstruktion des Anderen nicht allein auf Machthierarchien und Bedrohungsängsten aufbaut, sondern sich auch in einer spannungsreichen Faszination am Fremden äußert. Die Feindseligkeiten gegenüber einem die eigene Identität in ihrer Beständigkeit gefährdenden Anderen entpuppt sich mitunter klar als Angstlust82, die Schilderung des unberechenbaren, sexualisierten Schwarzen als bigotte Schaulust. So ängstigend das suspekte Afrika mit seinen „Kannibalen, Derwischen und Hexern“83 ist, so fesselnd ist sein Unbekanntes, das ein heimliches Vertrautmachen und eine verstohlene Grenzübertretung beschwört. Der schwarze Barbar, der in seiner primitiven, heidnischen Lebensform als so unwertig gegenüber der westlichen Kultur gilt, tritt plötzlich in seiner Verkörperung des edlen Wilden hervor, der dem an der Zivilisation kränkelnden Weißen als Sinnbild von Ursprünglichkeit und Authentizität erscheint. Fremdheit wird von der Bedrohung zur Faszination, die Aberkennung von Zivilisiertheit zu einer exotistischen Phantasie.84 Ohne die Grenzziehung der Differenz gänzlich zu brechen, wird sie doch an den Stellen durchlässig, die für den Alltag unbedrohlich scheinen: Wo Fremde distanziert konsumiert werden kann, macht der Exotismus als positiver Vertreter des Anderen ebenjenes zugänglich; das Fremde, Andere wird aufgesucht.
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Vor allem in den deutschen Großstädten lässt sich das Fremde einfach erleben, können hier doch auch neue Erfahrungsformen wie das Kino als Stätte der Begegnung genutzt werden. Die sich rasend vergrößernden Kinolandschaften und
81 Vgl. Hall 2004 – Das Spektakel des Anderen, S. 155ff.; Bhabha 2007 (1994) – Die Verortung der Kultur, S. 110. 82 Vgl. Honold, Scherpe 2004 – Einleitung, S. 1. 83 Zitat von Stuart Hall, vgl. Hall 2004 – Das Spektakel des Anderen, S. 123. 84 Vgl. Schäffter 1991 – Modi des Fremderlebens, S. 14f.; Schubert 2003 – Der schwarze Fremde, S. 46f., Kundrus 2003 – Moderne Imperialisten, S. 150ff.
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die enormen Besucherzahlen zeugen von dem Rang, den der Kinofilm bei der Unterhaltung und auch der Bildung der Menschen in der Weimarer Republik einnimmt.85 Das Kino stellt Entertainment und Information für jedermann zur Verfügung und so lässt der Enthusiasmus des Publikums die Filmtheater zu einer prädestinierten Bühne für eine Annäherung an das Thema des Anderen werden. Repräsentiert durch das auch nach dem Verlust der Überseegebiete noch überaus gegenwärtige Genre des Kolonialfilmes86 – das meist unter dem Deckmantel des Abenteuerfilms fungiert – wird eine persönliche Erfahrbarkeit der Fremde suggeriert und der Lebensraum scheinbar geöffnet.87 Sowohl für die Filmemacher, die sich der Kolonien als Schauplatz ihrer meist mehr oder weniger unterschwellig propagandistisch angelegten Spiel- und Dokumentarfilme bedienen, als auch für die Konsumenten kann eine exotistische, aber distanzierte und somit ungefährliche Annäherung an das Fremde stattfinden. Der Anspruch der Filme wird grundsätzlich als populärwissenschaftlich, stets aber unterhaltsam definiert: „Sie sollen als Kulturfilme nicht in trockener, wissenschaftlicher Weise, sondern, im Gegenteil, im Rahmen novellistischer, fesselnder Handlung eindrucksvoll, doch nicht aufdringlich, teilweise mit Humor gewürzt, das große Publikum mit allem Wissenswerten aus diesen Gegenden bekannt machen.“88
85 Exemplarisch für die zunehmende Bedeutung des Kinos liefern Uta Berg-Ganschow und Wolfgang Jacobsen die Fakten und Zahlen zur Entwicklung der Berliner Kinoszene, vgl. Berg-Ganschow, Jacobsen (Hg.) 1987 – Film, Stadt, S. 19ff. 86 Ausführliche formale und inhaltliche Erläuterungen zum kolonialen Film finden sich bei Fuhrmann 2010 – Patriotism; Oksiloff 2001 – Picturing the primitive; Rogowski 2010 – The Colonial Idea in Weimar; Struck 2003 – Die Geburt des Abenteuers; Brandlmeier 1997 – Et ego fui in Arcadia. In diesen Texten werden auch die bekannten Titel der Kolonialfilme zusammengetragen, allerdings betonen besonders Fuhrmann und Brandlmeier, dass genaue Zahlen und Statistiken zum Kolonialfilm nicht existieren und von vielen Filmen nur noch die Rezensionen und Synopsen auffindbar sind. Vor allem Christian Rogowoski beschreibt die Rolle, die der Kolonialfilm gerade nach dem Verlust der Kolonien als zeitgenössisches Medium für die Kolonialrevisionisten spielt. 86 Exemplarisch für die zunehmende Bedeutung des Kinos liefern Uta Berg-Ganschow und Wolfgang Jacobsen die Fakten und Zahlen zur Entwicklung der Berliner Kinoszene, vgl. Berg-Ganschow, Jacobsen (Hg.) 1987 – Film, Stadt, S. 19ff. 87 Vgl. Fuhrmann 2010 – Patriotism, S. 148f. 88 Zitiert nach Laukötter 2007 – Von der Kultur zur Rasse, S. 154.
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In diesem Sinne dienen die Bilder der Kolonien in den Filmen als eine Folie, die konsumgerecht aufgearbeitet werden kann: Typische Bilder von fremden, exotisch anmutenden Landstrichen und Szenen mit schwarzen Menschen in scheinbar traditionellen, primitiven Settings89 werden in Stories eingewoben, die auf die Befriedigung eines Schaubedürfnisses am Anderen angelegt sind, die aber weder eine Kritik an dem gewaltvollen Eindringen der Europäer, noch eine Gefährdung von deren Machtposition erwägen: „[...] the place must be (constructed as) exotic, yet in this presentation there is at the same time a certain disavowal of that exoticism, a desire to mark what is Other an then contain it, to keep it at arm’s length.“90 Die kolonialideologischen Werte bleiben mehr oder weniger im Hintergrund, sind aber stets implizit. Der wahre Unterhaltungswert des Fremden, der im Kino regelrecht instrumentalisiert wird, zeigt sich in seiner oft unverborgenen Berechnung: Für den Handlungsverlauf wirken die Kolonien mitunter eher als ein nebensächlicher Schauplatz, der allein der Untermalung der Szenerie dient, dessen Impuls auf die Geschehnisse aber zweifelhaft ist. Dementsprechend werden viele der Filme in der Umgebung der Filmstudios in Deutschland gedreht und nur durch eine Montage von dokumentarischem Filmmaterial aus Afrika in den Zusammenhang der Kolonien gesetzt.91 Dass zudem schwarz bemalte, aber eigentlich weiße Schauspieler und Schauspielerinnen als Darsteller völlig genügen können, um das exotische Andere zu repräsentieren, demonstriert die gute Verkäuflichkeit des Fremden bei gleichzeitiger Reserviertheit und Oberflächlichkeit des Betrachterblicks.92 Mit einer phrasenhaft banalen Reproduktion von
89 Die üblichen Charakterisierungen des schwarzen Fremden als primitiv, wild, unzivilisiert, kindlich, mitunter verführerisch oder rebellisch, aber stets dem weißen Herren unterlegen, erläutern Fuhrmann und Rogowski anhand von Filmbeispielen, vgl. Fuhrmann 2010 – Patriotism, S. 150ff.; Rogowski 2010 – The Colonial Idea in Weimar, S. 224ff. 90 Zitat von Tom Gunning, zitiert nach Wolfgang Fuhrmann, vgl. Fuhrmann 2010 – Patriotism, S. 152. Als exemplarisches Filmbeispiel kann hier außerdem Hans Schomburgks „Mensch und Tier im Urwald“ von 1924 gelten. 91 Exemplarisch hierfür sind etwa die Filme von Hans Schomburgk: „Eine Weiße unter Kannibalen“ (1919) oder „Im Kampf um Diamantfelder“ (1921), die von der ÜberseeFilm GmbH im Berliner Umland gedreht wurden, vgl. Rogowski 2003 – Heraus mit unseren Kolonien, S. 245. Weitere Beispiele nennen Thode-Arora 1997 – Herbeigeholte Ferne, S. 26 und Waz 1997 – Auf der Suche, S. 104f. 92 Im Film des Regisseurs Conrad Wienes („Ich hatt’ einen Kameraden“, 1926) spielt etwa die Deutsche Anja Zimowa die Rolle der verführerischen schwarzen Dienerin (vgl. Rogowski, 2003 – Heraus mit unseren Kolonien, S. 252), obwohl es in den
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Stereotypen werden so im kolonialen Film Assoziationen angestoßen und ein Unterhaltungswert der Fremde heraufbeschworen, der sicher konsumierbar und ebenso leicht distanzierbar ist.
3.5 D AS F REMDE
IN DER
V ÖLKERSCHAU
Ebenso inszeniert, in der physischen Begegnung aber wesentlich direkter, bieten die vor dem Ersten Weltkrieg florierenden und auch danach durchaus üblichen Völkerschauen das Fremde dar.93 In der direkten Tradition der Kolonialausstellungen94 stehend, folgen sie der Idee, andere Kulturen nicht nur anhand ihrer Kulturgüter zu vermitteln, sondern über die Begegnung mit außereuropäischen Menschen die Illusion einer individuellen Erfahrung zu erzeugen. Mit einem stets existenten kolonialrevisionistischen Impetus und der gezielten Adressierung an eine breite Öffentlichkeit werden so in Zoologischen Gärten, Panoptiken, Kabaretts, Jahrmärkten und Gaststätten95 vorgeblich exotische Szenen nachgebaut, die durch Menschen aus den Kolonien belebt werden.96 Je nach Veranstalter97
zwanziger Jahren bereits durchaus gängig ist, tatsächlich schwarze Schauspieler einzusetzen, vgl. Nagl 2002 – Von Kamerun nach Babelsberg; Nagl 2004 – Sieh mal den Schwarzen Mann da. Weitere Beispiele für die Verkleidung und Bemalung weißer Schauspieler nennt Brandlmeier 1997 – Et ego fui in Arcadia, S. 40. 93 Ausführlich zur Praxis und Absicht der Völkerschauen vgl. Dreesbach 2005 – Gezähmte Wilde; Thode-Arora 1989 – Für fünfzig Pfennig; Thode-Arora 1996 – Charakteristische Gestalten des Volkslebens; Thode-Arora 2002 – Völkerschauen in Berlin; Gieseke 2006 – Afrikanische Völkerschauen in Köln; Voges 2001 – Das Völkerkundemuseum, S. 308ff. 94 Zu den Kolonial-, Welt- und Gewerbeausstellungen und deren Idee, das Fremde nicht nur zu vermitteln, sondern direkt erfahrbar zu machen, vgl. Lindenberg 1896 – PrachtAlbum Photographischer Aufnahmen der Berliner; Dreesbach 2005 – Gezähmte Wilde, S. 249ff.; van der Heyden 2002 – Die Kolonial- und die Transvaal. 95 Vgl. Thode-Arora 2002 – Völkerschauen in Berlin, S. 150; Dreesbach 2005 – Gezähmte Wilde, S. 80ff. 96 Über die Beschaffung der Ausstellungsobjekte und die Anwerbung der Darsteller vgl. Thode-Arora 1997 – Herbeigeholte Ferne; Dreesbach 2005 – Gezähmte Wilde, S. 56ff. 97 Während private Betreiber wie etwa Carl Hagenbeck in Hamburg die Völkerschauen als profitable, unterhaltungsreiche Schauen konzipieren, liegt bei den offiziellen Völkerschauen und Kolonialausstellungen der Kolonial- oder Missionsgesellschaften der
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werden den Besuchern die klassischen Stereotype der imperialen Begegnung mit der Fremde vorgeführt: Als ergebene Diener oder kriegerische Primitive und edle Wilde werden die Ausgestellten inszeniert, scheinbar alltägliche Szenen mit Sitten und Gebräuchen aus dem ursprünglichen Leben in Übersee nachgestellt und vorgeblich Hintergrundgeschichten über ihr Volk erzählt.98 Mit dem Anspruch, ethnologische Erkenntnisse und anthropologische Themen direkt erlebbar zu machen, sie gleichzeitig aber wissenschaftlich zu fundieren und didaktisch zu inszenieren, wird Fremdheit in einem doppeldeutigen Rahmen präsentiert: Ohne den eigenen, kulturellen und rassischen Superioritätsanspruch in Frage zu stellen, wird die exotische Schaulust der breiten Öffentlichkeit bedient und ein wissenschaftlich und ideologisch bedeutsames Thema in die Vergnügungskultur der Zeit versetzt. Das erklärte Ziel, gleichzeitig Wissen und Bildung zu vermitteln, dem Imperialismus Raum zu geben, der Zivilisation zu huldigen und schließlich auch auf kommerzielle und doch für das Publikum erschwingliche Art dem Vergnügungsbedürfnis der Zeitgenossen Rechnung zu tragen, lässt die Völkerschauen so zu einem Rahmen werden, in dem ein vorgeblich authentisches, jederzeit aber kontrolliertes Bild von der Fremde vermittelt werden kann.99 Vor allem der wissenschaftliche Hintergrund der Ausstellungen soll garantieren, dass der Besucherblick ein objektiver ist und das Hinterfragen von Methoden und Praktiken oder gar eine subjektive Meinungsbildung gegenüber dem Fremden ausgeschlossen bleibt.100 Da die explizite Abgrenzung des Anderen durch die Vorgabe eines wissenschaftlichen Rahmens und gleichzeitig auch die ganz räumliche Distanzierung in Form des Ausstellungsraumes die exotische Anziehungskraft des Fremden mitunter jedoch eher fördern, bringen die Völkerschauen ungewollte Grenzüberschreitungen mit sich. Dass vor allem weiße
Fokus klar auf einer kolonialrevisionistischen Argumentation. Grosse 2003 – Zwischen Privatheit und Öffentlichkeit, S. 97; van der Heyden 1996 – Südafrikanische Berliner. 98
Vgl. Grosse 2003 – Zwischen Privatheit und Öffentlichkeit, S. 97; Thode-Arora 1996 – Charakteristische Gestalten des Volkslebens. Den Rückgriff auf die kolonialen Stereotype des Fremden und ihre Funktion bei den Völkerausstellungen erörtert explizit Dreesbach 2005 – Gezähmte Wilde, S. 181ff.
99
Vgl. Corbey 1993 – Ethnographic Showcases, S. 339ff.; Dreesbach 2005 – Gezähmte Wilde, S. 49f.
100 Vgl. Grosse 2003 – Zwischen Privatheit und Öffentlichkeit, S. 95ff.; Honold 2006 – Ausstellung des Fremden, S. 170ff.; Thode-Arora 2002 – Völkerschauen in Berlin, S. 154.
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Frauen die Kontaktaufnahme zu den schwarzen, männlichen Exponaten suchen und romantische Abenteuer in deren scheinbar exotischem Auftreten zu finden hoffen,101 untergräbt das eigentlich kolonialpropagandistische Vorhaben der Völkerschauen. Der hier inszenierte Herrschaftsanspruch der weißen Rasse wird durch die Annäherung von weißen Frauen zu schwarzen Männern in der Realität widerlegt. Die Ausstellungen sind also nicht nur eine Bühne der Befriedigung eines allgemeinen exotischen Schaubedürfnisses, sondern vielmehr auch Beispiel für einen Fetischismus bis hin zur Grenzüberschreitung.
3.6 D AS F REMDE
IM
V ÖLKERKUNDEMUSEUM
In ausdrücklicher Abgrenzung zu den Schauspielen der Völkerschauen sehen sich die Völkerkundemuseen der großen Städte. Auch sie tragen der Entdeckung des Anderen und dem begierigen Interesse am Fremden Rechnung, verfolgen aber den strikten Anspruch, sich den außereuropäischen Völkern auf rein wissenschaftlicher Ebene zu nähern und der Öffentlichkeit einen Raum des Wissens zur Verfügung zu stellen.102 Während die Völkerschauen vor allem an die Unterschicht adressiert sind, richten sich die Ethnologischen Museen ausdrücklich an das Bürgertum und an ein wissenschaftlich interessiertes Publikum.103 Obwohl die vorgeblich akademischen Erkenntnisse auch hier zur leichten Konsumierbarkeit aufbereitet werden, wodurch sich wiederum eine ambivalente Ausrichtung zwischen Wissenschaftlichkeit und Unterhaltungszweck ergibt,104 verstehen sich die Museen doch vor allem als Medien der Wissensvermittlung über die Fremde. Im Gegensatz zu dem 1899 eröffneten Kolonialmuseum in Berlin, das sich klar einer kolonialen Propaganda verschreibt und in dieser Funktion auch stark frequentiert wird,105 enthalten sich die Völkerkundemuseen offiziell jeglicher ideologischer Orientierung. Dass sie dennoch Einrichtungen einer kolonialen Kultur sind, dass sie diese nicht nur vermitteln, sondern sich vor allem aus ihr nähren,
101 Vgl. Thode-Arora 1996 – Charakteristische Gestalten des Volkslebens, S. 123ff.; Corbey 1993 – Ethnographic Showcases, S. 346f. 102 Die selbstauferlegten Pflichten, Aufgaben und Ideen der Ethnologischen Museen werden in zahlreichen Publikationen beschrieben, vgl. hier exemplarisch Laukötter 2007 – Von der Kultur zur Rasse; Hog 1990 – Ethnologie und Öffentlichkeit; Voges 2001 – Das Völkerkundemuseum. 103 Vgl. Hog 1990 – Ethnologie und Öffentlichkeit, S. 105f. 104 Vgl. Penny 2002 – Objects of culture, S. 141. 105 Vgl. Zeller 2002 – Das Interesse an der Kolonialpolitik, S. 146f.
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erklärt sich aus dem Aufbau und der Verwirklichung der Museen und ihrer Ausstellungen ebenso wie aus ihrem Wirkungsfeld.106 Erst mit dem Kolonialismus wird der Raum für den Erwerb von Objekten außereuropäischer Kulturen geöffnet. Zunächst sind es Privatpersonen, Forschungsreisende, Überseekaufleute, Offiziere und Beamte, die Objekte jeder Art aus den Kolonien nach Deutschland bringen. Jeder Einzelne glaubt sich durch seine Stiftung als Staatsbürger einer imperialen Kolonialnation auszuzeichnen, zudem gelten der Erwerb und die Bereitstellung außereuropäischer Objekte in der Heimat als wichtige Beiträge zur Sicherung und Demonstration kolonialer Macht.107 Die Adressierung der Objekte unterfüttert ebenso koloniale Verflechtungen wie auch ihr Erwerb: Ohne die überseeischen Besitzungen bestünde kein Zugriff auf nicht-westliche Kulturen und ihre Erzeugnisse. Zudem erlaubt der hierarchisch definierte Herrschaftsraum der Kolonien einen nahezu unbegrenzten Zugriff, der sehr viel seltener über offizielle Käufe als über Raub und rücksichtslose Entwendungen erfolgt. Eine derart gewaltförmige und umfangreiche Inbesitznahme fremder Objekte benötigt die ungleiche Machtverteilung des kolonialen Systems, in dem der Sammler frei auf das zu Sammelnde zugreifen kann.108 So erklärt sich, wieso die Gründungsdaten der Völkerkundemuseen mit dem Aufleben des deutschen Kolonialismus übereinstimmen und allein in Deutschland noch vor der Wende zum zwanzigsten Jahrhundert zehn Museen ihre Tore für die Präsentation des Fremden öffnen.109 Um die Flut an Objekten zu kontrollieren und ihnen Raum zu geben, um sie der Öffentlichkeit in angemessenem Rahmen zur Verfügung zu stellen und die wissenschaftliche Bedeutung der Sammlungen zu unterstreichen, wird der Ethnologie als Wissenschaft vom Fremden in den Völkerkundemuseen ein Rahmen für Aktivitäten geschaffen. Für
106 Vgl. Honold, Scherpe 2004 – Einleitung, S. 12; Voges 2001 – Das Völkerkundemuseum, S. 316. 107 Vgl. Laukötter 2007 – Von der Kultur zur Rasse, S. 144f.; Voges 2001 – Das Völkerkundemuseum, S. 311. Die Komplexität des gesamten Handelsgeflechts um die Erwerbungen aus den Kolonien beschreibt H. Glenn Penny, vgl. Penny 2002 – Objects of culture, S. 54ff. 108 Vgl. Zimmerman 2006 – Ethnologie im Kaiserreich, S. 197; Laukötter 2007 – Von der Kultur zur Rasse, S. 142ff.; Theye 1989 – Einführung, S. 50ff.; Theye 1989 – Wir wollen nicht glauben, S. 61. 109 Eröffnungsdaten sind etwa: Berlin 1868, München 1868, Leipzig 1874, Dresden 1875, Hamburg 1879 und Bremen 1896. Die vollständigen Gründungsdaten der deutschen Völkerkundemuseen finden sich in Laukötter 2010 – Kultur in Vitrinen, S. 112 und Voges 2001 – Das Völkerkundemuseum, S. 318.
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eine Disziplin, die ihre Erkenntnisse nicht aus Texten, sondern aus realen Objekten zieht, scheint das Museum im Gegensatz zur Universität oder Bibliothek ein idealer Wirkungsraum zu sein.110 Dementsprechend tragen die frühen Völkerkundemuseen auch die Handschriften der führenden Ethnologen und Anthropologen der Zeit: Vor allem Adolf Bastian, Rudolf Virchow, Leo Frobenius, Georg Thilenius und Felix von Luschan prägen mit ihren Theorien und Vorstellungen das Erscheinungsbild der großen Völkerkundemuseen in Berlin, Leipzig und Hamburg.111 Sie sind die Bindeglieder zwischen Wissenschaft und Ausstellungsraum. Sie verkörpern ganz wörtlich die Verbindung von Theorie und Praxis durch ihre Einbindung in wissenschaftliche Institutionen wie der „Berliner Gesellschaft für Anthropologie, Ethnologie und Urgeschichte“ bei gleichzeitigem
110 Vgl. Zimmerman 2006 – Ethnologie im Kaiserreich, S. 196. 111 Adolf Bastian gilt als Begründer der Ethnologie als Wissenschaftsdisziplin, er gründete und leitete 1869 das Völkerkundemuseum in Berlin, lehrt als Erster Ethnologie an der Universität Berlin und ruft unter anderem mit Rudolf Virchow 1869 die „Berliner Gesellschaft für Anthropologie, Ethnologie und Urgeschichte ins Leben“. Rudolf Virchow gilt als Begründer der anthropologischen Forschung und als erster Forscher, der das gesammelte Wissen in einen systematischen Zusammenhang bringt und damit organisatorische Voraussetzungen für eine ethnologische Forschung schafft. Leo Frobenius begründet 1898 mit einem Aufsatz zum „Ursprung der afrikanischen Kultur“ mit der Kulturkreistheorie eine der beiden wichtigsten Theorien der Ethnologie und wird in den dreißiger Jahren Direktor des Völkerkundemuseums in Frankfurt am Main, wo er auch eine Professur innehat. Felix von Luschan, um 1900 außerordentlicher Professor für Anthropologie und Ethnologie an der Universität in Berlin, leitet bis 1910 unter Bastian die afrikanisch-ozeanische Abteilung im Völkerkundemuseum in Berlin und begründet 1905 die Berliner Gesellschaft für Rassenhygiene mit. Georg Thilenius, der in Breslau an der Universität Anthropologie und Ethnologie lehrt, wird 1904 Leiter des Völkerkundemuseums in Hamburg. Er ist zudem Herausgeber verschiedener ethnologischer Zeitschriften, ist Generalsekretär der Deutschen Anthropologischen Gesellschaft und Mitglied im 1908 eingerichteten Hamburger Kolonialinstitut. Ausführlich zur Entwicklung der Ethnologie als Wissenschaftsdisziplin und den Theorien ihrer Vertreter sowie zu deren Verwicklungen in Wissenschaft, ethnologischer Ausstellungspraxis und nicht selten ihrem kolonialen Engagement vgl. Turner, Paproth 1989 – Hundert Jahre Völkerkunde im deutschsprachigen Raum; Penny 2002 – Objects of culture, S. 18f.; Zimmerman 2006 – Ethnologie im Kaiserreich, S. 192ff.; Laukötter 2007 – Von der Kultur zur Rasse; Andree 2009 – Rudolf Virchow.
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Direktorat in den Ethnologischen Museen.112 Unter den durch das koloniale System erleichterten Arbeitsbedingungen113 treiben sie das Wachstum der Sammlungen voran, arbeiten selbst an der Konzeption repräsentativer, geeigneter Museumsbauten und an der Systematisierung des zusammengetragenen Materials zur Fundierung dieser Wissenschaft. Der Anspruch der Sammlungen, Wissen zu vermitteln, ist zunächst auch das Gesetz der Sammlungspraxis: Je mehr Objekte zusammengeführt werden können, desto mehr Wissen scheint daraus generierbar, desto vollständiger kann die Erkenntnis von den fremden Völkern gewonnen werden. Da zudem auch das Argument der Kulturkonservierung als Rechtfertigung des ethnographischen Vorgehens herangezogen wird, gilt es zunächst als essentiell, sehr schnell sehr viele und nach Möglichkeit außergewöhnliche Objekte aus Übersee in die Museen zu bringen.114 Die durch den Kontakt mit der westlichen Zivilisation im Untergang begriffenen Kulturen der sogenannten Naturvölker sollen durch die Leistung der völkerkundlichen Sammlungen bewahrt werden und müssen auch deshalb möglichst vollständig nach Deutschland transferiert werden. Dass ein umfangreicher Besitz zudem nicht nur das Prestige der einzelnen Häuser, sondern auch den Ruf ihrer Städte als kosmopolitisch und als über die nationalen Grenzen hinaus bedeutend zu steigern vermag, addiert ein weiteres Argument zu einer imperialistisch geprägten Sammlungspraxis.115 Die aus dem Prinzip der Masse resultierende Anhäufung von Material führt zu Beginn zu einer eher unsystematischen Präsentation der Objekte in den Museen, wo zunächst die Erzeugnisse der unterschiedlichsten Kulturen gemeinsam
112 Anja Laukötter thematisiert in ihrer Abhandlung die Bedeutung, die die großen Figuren der frühen Ethnologie und Anthropologie für ihre gleichzeitige Wirkungsstätte als Direktoren der Ethnologischen Museen hatten und welche Auswirkungen auf Konzeption und Wachstum der Museen die jeweiligen Theorien ganz konkret spielten. Sie stellt vor allem Felix von Luschan und Georg Thilenius vor und zeigt an ihrem Beispiel, wie direkt sich die wissenschaftliche Disziplin der Ethnologie mit der Museumspraxis verknüpfen ließ. Vgl. Laukötter 2007 – Von der Kultur zur Rasse. 113 Die eigentlich untersagte, durchaus aber gängige Interaktion der verantwortlichen Wissenschaftler der Museen mit kolonialen Einrichtungen – etwa durch Reden auf Kolonialkongressen oder Mitgliedschaften in Kolonialvereinen – führt zu einer direkten Verknüpfung der Völkerkundemuseen mit der politischen Kolonialorganisation, die im Gegenzug Expeditionen und Erwerbungen durch Finanzierungen ermöglichen. Vgl. Laukötter 2007 – Von der Kultur zur Rasse, S. 26f. und 46f. 114 Vgl. Penny 2002 – Objects of culture, S. 30ff.; Laukötter 2007 – Von der Kultur zur Rasse, S. 68ff. und S. 141ff.; Theye 1989 – Wir wollen nicht glauben, S. 61. 115 Vgl. Penny 2002 – Objects of culture, S. 38ff.
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freistehend, hängend oder auf Tischen drapiert arrangiert werden.116 Der schnell unübersehbare Platzmangel führt schließlich zu Versuchen einer weniger verallgemeinernden Ausstellungspraxis hin zu den Entwürfen, Auswahlen zu treffen, um dann vollständige Ordnungen einzelner Kulturkreise zu schaffen. Die häufige Umordnung und Neukonzeptionierung der Ausstellungen verweist auf die sich den Direktoren dauerhaft stellende Schwierigkeit, die Sammlungen unter Kontrolle zu bringen und in systematischer Form zu präsentieren.117 Das Dokumentieren und Aufbewahren, das Beschreiben, Klassifizieren und Kategorisieren zum Zweck der Ausstellung liegt in den Händen der Ethnologen, die als Fachleute die Anforderung erfüllen sollen, den gezeigten Objekten Wahrheiten zu entlocken und Aufschluss zu bieten. Sie schaffen durch ihre Entscheidungen die Bühne, auf der die Geschichte der Menschheit und die Diversität der Welt erfahrbar werden soll, auf der potenzielle Gemeinsamkeiten und Unterschiede der Weltkulturen sichtbar werden können.118 Gedanken über die Entwicklung der Menschheit, über ihre Geschichte und die Beschaffenheit von materiellen Kulturen finden in den Völkerkundemuseen einen laborhaften Erfahrungsort. Weil das Objekt immer im Zentrum steht, weil es Kern der Sammlung ebenso wie der daraus zu gewinnenden Erkenntnis ist, rückt das einzelne Objekt mit der Zeit in den Fokus der Betrachtungen, sein Kontext und seine repräsentative Bedeutung werden auch im Museum und dessen Ausstellungspraxis wichtiger.119 Die Darstellung materiellen Kulturerbes und damit auch scheinbar sichtbarer Traditionen nicht-europäischer Kulturen soll über die direkte Begegnung des Betrachters mit einem dreidimensional präsenten Anderen die Zusammenhänge in der Welt bewusst machen.120 Die Klassifizierung unterschiedlicher Kulturstufen steht dabei im Mittelpunkt. Sie wird bereits durch den Aufbau der Sammlungen verwirklicht, wo verschiedene Kulturkreise in unterschiedlichen Entwicklungsstufen abgeschritten werden können.121 Die Präsentation der ausgestellten Stücke in Vitrinen, Schränken und in arrangierten Gruppenzusammenstellungen lässt
116 Vgl. Laukötter 2007 – Von der Kultur zur Rasse, S. 68. 117 H. Glenn Penny beschreibt die Sammlungsgeschichten und die Ausstellungspraktiken der frühen Ethnologischen Museen sowie die Schritte und Probleme ihrer Umordnungen ausführlich, vgl. Penny 2002 – Objects of culture, S. 168ff. 118 Vgl. Voges 2001 – Das Völkerkundemuseum, S. 320f.; Penny 2002 – Objects of culture, S. 166f.; Laukötter 2007 – Von der Kultur zur Rasse, S. 141. 119 Vgl. Penny 2002 – Objects of culture, S. 24ff. und 85ff. ; Laukötter 2007 – Von der Kultur zur Rasse, S. 141. 120 Vgl. Laukötter 2007 – Von der Kultur zur Rasse, S. 174. 121 Vgl. Voges 2001 – Das Völkerkundemuseum, S. 305f.
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keinen Zweifel, dass die außereuropäischen Objekte als Gebrauchs- und Nutzgegenstände betrachtet werden und ein Vergleich mit den Kulturerzeugnissen der westlichen Welt in keiner Weise intendiert ist.122 Vielmehr verfolgen die Konzepte der Ethnologie mit ihren Verwirklichungen in den Völkerkundemuseen die Idee der Unterscheidung von Kultur- und Naturvölkern. Vor allem über Letztere, die als weniger komplex und einfacher zugänglich gelten, erscheint die Erforschung der Welt und ihrer Völker möglich, eine Erkenntnis auch über das Selbst und die eigene Kulturnation gerade im Kontrast zu den weniger entwickelten Naturvölkern wird durch ihre Ergründung gangbar.123 In den ethnologischen Grundsätzen und ihren Umsetzungen in den Völkerkundemuseen wird somit die Struktur der Identitätsfindung und Selbstvergewisserung durch das Andere nachvollzogen, die Museen werden zu Orten der kulturellen Selbstversicherung.124 Indem Naturvölker als solche thematisiert werden und indem der Unterscheidung von Natur- und Kulturvölkern durch den eigenen Raum des Völkerkundemuseums ein wissenschaftlich untermauerter Rahmen gegeben wird, kann die eigene Kultur separiert betrachtet und in ihrer Funktion erhöht werden. Das dem Imperialismus wichtigste Prinzip der hierarchischen Unterscheidung der Völker und Rassen wird im Kontext der Museen verwirklicht und die kolonialideologischen Strukturen der Macht bekräftigt.125 Auch die Sammeltätigkeit selbst findet in dieser kolonialen Argumentierung ihre Rechtfertigung, liegt die Konservierung von vorgeblich bedrohten Naturvölkern doch bei den kulturell höher entwickelten Kulturvölkern in den einzig vertrauenswürdigen Händen.126 Sowohl die Idee des Sammelns, als auch ihre Realisierung im Museum steht so in einer unverkennbar kolonialen Tradition, die durch die Herkunft der ausgestellten Objekte nur bestätigt wird. Wie machtvoll der Zugriff des Kulturvolkes auf das Naturvolk ist, erschließt jedoch erst die Verhandlung des Zwischenraumes zwischen Erwerb und Ausstellung der fremden Objekte. Mit dem ethnologischen Anspruch, die Verschiedenheit der Welt zu definieren, findet eine Kontrolle über die Sammlungsgegenstände, ihre Kontextualisierung und auch über die Rezeption durch den Betrachter statt, die vielmehr eine gefilterte Sicht des Sammlers über das Gesammelte vertritt, als eine unabhängige Darstellung universeller menschlicher Erzeugnisse. Die Entnahme von Objekten aus ihrem
122 Vgl. Hinden 2005 – Die Macht kunstwissenschaftlicher Reproduktionen, S. 46f. 123 Vgl. Penny 2002 – Objects of culture, S. 23. 124 Vgl. Voges 2001 – Das Völkerkundemuseum, S. 317. 125 Vgl. Fliedl 1989 – Die Zivilisierten vor den Vitrinen, S. 30. 126 Vgl. Laukötter 2010 – Kultur in Vitrinen, S. 115; Zimmerman 2006 – Ethnologie im Kaiserreich, S. 198.
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ursprünglichen Kontext, die Einfügung in eine Sammlung, die Betrachtung, Kategorisierung und Interpretation und schließlich Wiedereingliederung in den Kontext einer musealen Repräsentation stellt sich als Prozess der Wissensproduktion dar, der allein durch die Position des Agierenden bestimmt wird.127 Die zwangsläufig westliche Wissensordnung, die den Vorgängen der Beurteilung hier zugrunde liegt und die in die eurozentristischen Definitionen und Repräsentationen des Anderen ufert, erzeugt eine Sicht auf das Fremde, die die eigene Position in der Weltordnung bestätigt: Mit einem panoptischen Vogelblick, der selbstbewusst und voyeuristisch ist, wird die Welt und vor allem das Selbst erschaffen. Die Reduktion des Anderen auf einzelne Erzeugnisse seiner Kulturen bildet die Grundlage der Konstruktion: Die Auswahl von Einzelobjekten, die in ihrer Zusammenstellung als Mikrokosmos die Aufgabe haben, einen Makrokosmos abzubilden, verwirklicht in ihrer Fragmentierung die Erhöhung des westlichen Sammlers und Ethnologen, der umso rationaler, umso wissender und umso überlegener erscheint, je entzifferbarer er das Ganze durch kleine Teile zu machen vermag.128 Die überhöhte Rolle des sammelnden Subjektes führt gleichzeitig zu einer radikalen Objektivierung des Gesammelten, die Position des europäischen Ethnologen verweist das beurteilte Fremde auf seinen Platz. Der als ästhetischer Akt verstandene Vorgang des Sammelns und Ordnens, der die Klassifizierungen und Normen der eigenen Kultur auf eine andere anwendet, beraubt die fremden Objekte ihrer eigenen historischen und kulturellen Zusammenhänge. Was als Aufklärung präsentiert wird, verbirgt eigentlich Entfremdung, was als wissenschaftlich ergründete Realität vermittelt wird, ist vielmehr Konstruktion und Aneignung.129 Obwohl die Völkerkundemuseen in keinem explizit kolonialen Propagandazusammenhang eröffnet werden, gründen sie doch auf grundlegend kolonialen Ideologien, die sich im gewaltförmigen Erwerb der Objekte und weiter über ihre Einordnung und Ausstellung offenbaren. Wo sich Ethnologie und kolonialistische Ambition durch Argumente des Kulturerhalts und der Bewahrung und Förderung einzigartigen Wissens gegenseitig vergewissern, zeichnen beide Differenz nach und sichern sie durch eine wissenschaftliche Praxis.130
127 Vgl. Pink 2001 – Visual Ethnography, S. 18. 128 Vgl. Dietrich 2007 – Weiße Weiblichkeiten, S. 28; Corbey 1993 – Ethnographic Showcases, S. 340ff.; Penny 2002 – Objects of culture, S. 29; Laukötter 2007 – Von der Kultur zur Rasse, S. 13 und S. 111ff. 129 Vgl. Hall 2004 – Das Spektakel des Anderen, S. 144f.; Corbey 1993 – Ethnographic Showcases, S. 360ff.; Laukötter 2007 – Von der Kultur zur Rasse, S. 140; Kazeem 2009 – Die Zukunft der Besitzenden, S. 51. 130 Vgl. Penny 2002 – Objects of culture, S. 31; Theye 1989 – Einführung, S. 53.
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Weil dem akademischen Hintergrund der Ethnologischen Museen ein immenser Rang beigemessen wird, ist die Rezeption durch das Publikum vertrauensvoll: Im Umfeld kolonialrevisionistischer Veranstaltungen, Bücher und Filme ist die Bereitschaft zur Akzeptanz der ethnologisch vermittelten Wahrheiten groß.131 Die Anzahl derer, die das Museum als „vollgestopft bis oben hin“ und als „bewunderswerte[n] Absurdität“132 begreifen, bleibt unter der breiten Masse bürgerlicher Besucher gering. Die durch die Völkerkundemuseen gebotenen Zugangsmöglichkeiten zu fernen Ländern und Sitten und die dadurch bediente Sehnsucht nach Exotik und Fremdheit unter dem Deckmantel eines fundierten Bildungsauftrags sind vielmehr so populär, dass noch bis in die zwanziger Jahre hinein Neueröffnungen Ethnologischer Museen stattfinden.133
3.7 D AS F REMDE
IN DER ETHNOLOGISCHEN
F OTOGRAFIE
Obgleich das Interesse an Völkerkundemuseen und ethnologischer Forschung mit dem Verlust der Kolonien keineswegs zurückgeht und sich auch die Ausstellungspraxis der Museen in Folge der politischen Veränderungen kaum wandelt, verschiebt sich das Sammlungsverhalten der Einrichtungen.134 Da neue Objekte aus Übersee nun schwerer zu beschaffen sind, gewinnt die Fotografie zunehmend an Bedeutung. Fotos von außereuropäischen Kulturgütern ersetzen jetzt das Sammeln der Objekte. Die Abbildungen fremder Kulturen und ihrer Erzeugnisse gelten als ausreichend, um jene zu dokumentieren und inventarisieren, um ethnologische Thesen zu beweisen und zu illustrieren.135 In ihrer Funktion als Hilfsmittel der Ethnologie und Anthropologie bebildern die Fotografien Ausstellungen und Publikationen, werden aber gleichzeitig auch zur Gewinnung neuer
131 Vgl. Voges 2001 – Das Völkerkundemuseum, S. 316f. 132 Zitate von Karl Scheffler, 1921 in „Berliner Museumskrieg“, zitiert nach H. Glenn Penny, vgl. Penny 2002 – Objects of culture, S. 198. 133 Vgl. Voges 2001 – Das Völkerkundemuseum, S. 308; Laukötter 2010 – Kultur in Vitrinen, S. 112. 134 Vgl. Laukötter 2007 – Von der Kultur zur Rasse, S. 22. 135 Ausführliche Abhandlungen zur ethnologischen Fotografie und ihrer Handhabung in Forschung und Museum finden sich etwa in einem umfangreichen Sammelband von Thomas Theye, Theye (Hg.) 1989 – Der geraubte Schatten. Vgl. zusätzlich Lederbogen 1986 – Fotografie als Völkerschau; Wiener 1990 – Ikonographie des Wilden; Theye 2004 – Ethnologie und Photographie im deutschsprachigen; Schindlbeck, Bolz (Hg.) 1989 – Die ethnographische Linse.
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Daten vor allem bei der Vermessung und Typisierung der fremden Völker benutzt.136 Unter anthropometrischen Gesichtspunkten aufgenommen, können Fotografien vor allem menschliche Studienobjekte dauerhaft verfügbar machen und eine vorgeblich exaktere Grundlage zur Erstellung von Statistiken über die Menschenrassen und ihre Kulturen erstellen, als es eine schriftliche Beschreibung könnte. Besonders für die Erforschung der Weltbevölkerung unter rassischen Gesichtspunkten ist die ethnologische oder anthropologische Fotografie zentral und obwohl auch Kulturgüter fotografiert werden, rücken doch vor allem der Mensch und sein Umfeld in das Zentrum der Fotografie.137 Einzelne Individuen, die man als archetypisch einschätzt, werden auf Typenfotos porträtiert, anthropologisch ausgewertet und als Stellvertreter eines gesamtes Volkes repräsentiert. Auch idealisierte, genreartige Bilder von Gruppen, alltäglichen privaten und öffentlichen Handlungen, von Sitten und Gebräuchen werden benutzt, um Aufschluss über die Entwicklungen und Eigenarten der Weltbevölkerung zu gewinnen (Abbildung 10).138 Der Blick, den die fotografierenden Missionare, Reisenden, Ethnologen und Kaufleute auf die Fotografierten werfen, ist ein durchgängig imperialer: Die Dokumentation des Anderen als erziehungsbedürftig und rückständig, vor allem aber als fremdartig und kurios, bildet den Konsens der ethnologischen Fotografie. Die den Abbildungen durch die Inszenierung des Fremden stets immanente Distanzierung zu wunderlichen und oft finsteren Motiven, wie etwa Tänzen oder Zauberritualen, platzieren die Fotografierenden über den Fotografierten. Gleichzeitig bestätigen Motive kolonialer Errungenschaften und Erfolge die berechtigte Eroberung der bislang unzivilisierten Gebiete.139 Das Instrument des Fotoapparates allein, der zwischen den fotografierten Völkern und den Fotografen steht, demonstriert bereits unausgesprochen die zivilisatorische Lücke zwischen der europäischen Welt und dem rückständigen Anderen. Ohne unbedingt selbst im Bild zu erscheinen, wird der weiße Mann auch in der Fotografie zum Entdecker und Eroberer deklariert und seine Kultur über die der Naturvölker gerückt.140
136 Theye 2004 – Ethnographie und Photographie im deutschsprachigen, S. 50. 137 Schindlbeck 1989 – Einführung, S. 10; Lederbogen 1986 – Fotografie als Völkerschau, S. 48. 138 Theye 1989 – Wir wollen nicht glauben, S. 94ff. 139 Schindlbeck 1989 – Einführung, S. 9; Zeller 2010 – Weiße Blicke, S. 137; Wiener 1990 – Ikonographie des Wilden, S. 98ff; Eckl 2006 – Ora et labora, S. 233ff. 140 Vgl. Zeller 2010 – Weiße Blicke, S. 10f.
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Abb. 10: Gestalt und Körperbau
Da die angeblich ursprünglichen Kulturen durch den Einfluss der Kolonialmächte meist bereits eine Anpassung durchlaufen haben, erfolgt oft eine künstliche Inszenierung des gewünschten Fremdeffektes. Der derart konstruierte Charakter der Fotografien bedient die anvisierte Wirkung auf den Betrachter: Exotik und Ursprünglichkeit können in der Fotografie einfach übertragen werden und dank der Verbreitungsmöglichkeiten der Aufnahmen und ihrer leichten Zugänglichkeit ist es ein leichtes, das Schaubedürfnis einer breiten Zuschauerschicht zu bedienen.141 Die Fotografien fremder Völker dienen so nicht allein der Spiegelung der eigenen kulturellen Überlegenheit, sondern sie machen vor allem das begehrte Andere zugänglich. Mit ihrem Reiz, dem westlichen Betrachter seine eigene glückliche Befreiung aus primitiven Lebensumständen zu demonstrieren, ihm aber gleichzeitig idealistische, romantische Fluchten aus einer modernen, sich immer schneller bewegenden Lebensrealität zu bieten, stehen die ethnologischen Fotografien ganz im Geiste eines zeitgenössischen Exotismus.142 Aufnahmen pittoresker Landschaften und verklärter Szenen aus fremden Ländern suggerieren eine Erfahrung des Fremden, die der breiten Masse der Bevölkerung in der Realität versperrt bleibt.143 Der deklarierte wissenschaftliche Hintergrund der Foto-
141 Vgl. Schindlbeck 1989 – Einführung, S. 9. 142 Vgl. Wiener 1990 – Ikonographie des Wilden, S. 76; Theye 1989 – Einführung, S. 18; Mesenhöller 1989 – Kulturen zwischen Paradies und Hölle, S. 352. 143 Vgl. Lederbogen 1986 – Fotografie als Völkerschau, S. 50f.
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grafien garantiert ein abgesichertes Konsumieren des Andersartigen, das auch den Zugang zu sonst unüblichen Motiven freigibt: Erotische Sujets können unter dem Vorwand der Ethnologie freiherzig präsentiert und betrachtet werden, die gewohnte Zensur nackter Körper wird im Zusammenhang der Bildung über fremde Völker aufgehoben. Weil vor allem der Körper mit seinem wichtigsten Merkmal der Hautfarbe Differenz transportiert und damit der Raum zwischen dem Betrachter und dem zur Schau gestellten, nackten, meist weiblichen Fremden immer sichtbar bleibt, können geltende europäische Moralvorstellungen außer Kraft gesetzt werden. Die Sicht auf eine eigentlich verbotene und verpönte Nacktheit wird über den fremden Träger geöffnet.144 Die ethnologische Fotografie schließt in ihrer Funktion an den gängigen Umgang mit der Fremde an und paart einen Bildungsanspruch mit wissenschaftlichem Hintergrund mit der Befriedigung eines allgemeinen Schaubedürfnisses. Das ihr zugeschriebene Privileg bei der Erforschung des Fremden liegt jedoch in der einzigartigen Eigenschaft des Mediums: Die unvoreingenommene Direktheit eines technischen Aufnahmeverfahrens wie das des Fotografierens verspricht absolute Wirklichkeitstreue und eine unverfälschte Authentizität der Motive. Der Vorgang des Fotografierens scheint in seiner mechanischen Determiniertheit jegliche Manipulation der Realität auszuschließen. Die wissenschaftliche Annäherung an das Fremde durch eine derart vom Apparat vorgegebene Nähe zum Gesehenen gilt als Garant für bestmögliche Ergebnisse.145 Unbeachtet bleibt bei dieser Charakterisierung der Fotografie durch ihre technischen Vorgaben, dass sie stets Ausschnitte einer Wirklichkeit beschreibt, dass diese Ausschnitte jedoch nie losgelöst von der Subjektivität eines Fotografen, einer imaginierten Wirklichkeit und dem Kontext des Betrachters verstanden werden können.146 Statt eines losgelösten Blickes verkörpert die Fotografie zunächst immer die Sicht desjenigen, der seine Figuren und Situationen im Bild platziert. Erst durch diese Inszenierung wird eine Figur zu einer Verkörperung eines Inhaltes, ein Raum zu einem repräsentierten Ort.147 Für die ethnologische Fotografie, die durch koloniale Strukturen bedingt ist und die sich über eine Zielsetzung definiert, die nicht unabhängig von existierenden Perspektiven auf
144 Vgl. Wiener 1990 – Ikonographie des Wilden, S. 139; Lederbogen 1986 – Fotografie als Völkerschau, S. 55; Honold, Scherpe 2004 – Einleitung, S. 13. 145 Vgl. Theye 1989 – Einführung, S. 13; Lederbogen 1986 – Fotografie als Völkerschau, S. 59; Wiener 1990 – Ikonographie des Wilden, S. 10ff. und S. 48ff. 146 Vgl. Wiener 1990 – Ikonographie des Wilden, S. 19ff.; Schindlbeck 1989 – Einführung, S. 9. 147 Vgl. Silverman 1997 – Dem Blickregime begegnen, S. 48.
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das Fremde ist, ist der Eingriff des Fotografen in die Wirklichkeit in Übersee nicht verkennbar. Ob als Reisender, Kaufmann oder Ethnologe, die Position des Fotografierenden ist die eines Vertreters eines fortschrittlichen Kulturvolkes, der geprägt von seinem Vorwissen und seinem Vor-Urteil über das Fremde agiert und dessen erklärtes Ziel bei der Abbildung fremder Völker und ihrer Sitten es ist, Differenz in Szene zu setzen.148 In den zwangsläufig fragmentarischen Bildern, die immer nur einen Ausschnitt eines großen Zusammenhanges zeigen können, werden Menschen, Objekte und Szenen isoliert betrachtet und so inszeniert, dass eine scheinbare Wirklichkeitstreue und Objektivität vermittelt wird.149 Stets werden jedoch die Stereotype transportiert, die das Fremde in den europäischen Augen des Fotografen einzufangen vermögen. Mit einer Bildsprache, die in ihrem Aufbau meist an die klassischen Kompositionsregeln der Malerei angelehnt ist, erfolgt die Repräsentation des Anderen nach bekannten Gesichtspunkten: Exotismen, die sich auf eine begehrenswerte Reinheit und Ursprünglichkeit der sogenannten Naturvölker beziehen, finden sich etwa in den Darstellungen der „edlen Wilden“150, in nackten Körpern, Inszenierungen von stolzen, geschmückten Frauen und erhabenen Königen (Abbildung 11).
148 Vgl. Theye 2004 – Ethnologie und Photographie im deutschsprachigen, S. 122ff. 149 Vgl. Wiener 1990 – Ikonographie des Wilden, S. 175. 150 Der Begriff des „Edlen Wilden“, wie er von Rousseau 1755 in seinem Aufsatz „Abhandlung über den Ursprung und die Grundlagen der Ungleichheit unter den Menschen“ („Discours sur l’origine et les fondements de l’inégalité parmi les hommes“) entwickelt wird, wird bereits in zahlreichen Abhandlungen behandelt und ist ein feststehender Terminus in der „Primitivismus“- und Exotismus-Forschung. Ohne erneut auf den Begriff eingehen zu wollen, steht er auch hier als Symbol des exotisierten Menschen: Das Rousseau’sche (hypothetische) Konzept des Naturmenschen entspricht der modernen Zivilisationsmüdigkeit; Rousseau zeichnet in seiner Abhandlung das Bild des Wilden, dessen Verbleib in einem Zustand der Unzivilisiertheit und Einfachheit keineswegs ein Zeichen gesellschaftlicher Unterentwicklung ist, sondern der vielmehr einen Weg aufzeigt, dem Verfall von Individuum und Gesellschaft zu entgehen. Die Nacktheit, Einfachheit und Naivität des primitiven Menschen wird in der Umdeutung als „Edler Wilder“ zu den positiven Zeichen eines freien Lebens. „Der Edle Wilde“ ist die Projektion westlicher Fortschrittsangst und Zivilisationsflucht und ein Konzept, das den politischen Dimensionen des niederen, primitiven Menschen romantisierend gegenübersteht. Vgl. Rousseau 2012 (1755) – Abhandlung über den Urspung. Zum Begriff und Bild des „Edlen Wilden“ vgl. exemplarisch Fiedler 2005 – Zwischen Abenteuer, S. 60ff.; Bitterli 1985 – Der Edle Wilde; Kohl 1986 – Entzauberter Blick. Auch der Sammelband von Monika
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Abb. 11: Samoanegerin
Den Abbildungen von Riten und alltäglichen Gebräuchen, aber auch von Objekten sind hingegen zumeist Demonstrationen der Differenz der Kulturstufen immanent. Sie verweisen das Exotische auf den Platz des Primitiven. Vor allem die Motive unbekannter Rituale und schwarzer Künste, die durch die Fotografien zur Erforschung bereitgestellt werden sollen, künden unverhohlen von einer heidnischen Rückständigkeit und untermauern die Distanz zwischen dem Eigenen und dem betrachteten Fremden. Nicht zuletzt wird auch der Einfluss der Kulturvölker auf die Naturvölker ins Bild gesetzt und durch die Inszenierung der Hybridität auf die Gefahr des Untergangs der Naturvölker verwiesen. Auf diese Weise wird gleichzeitig die Inventarisierung des Fremden durch Fotografie und Sammlung gerechtfertigt und doch auch erneut auf die festen Grenzen der Differenz verwiesen: Die meist lächerlich wirkenden Arrangements von außereuropäischen Men-
Fludernik setzt sich ausgiebig mit dem Bild des „Edlen Wilden“ auseinander, vgl. Fludernik (Hg.) 2002 – Der Alteritätsdiskurs des Edlen Wilden.
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schen in europäischer Kleidung etwa vermitteln eher, dass ein wirklicher Aufstieg der Kulturvölker kaum möglich ist, als dass der Verlust von Diversität beklagt wird. Tauchen dazu weiße Personen auf den Fotos auf, so wird die rassische Hierarchie ganz bildlich sichtbar, sind diese doch immer in deutlich erhöhter Position oder eindeutiger Attitüde ins Bild gesetzt (Abbildung 12).151 Allen Fotografien gemein ist die stereotype Unpersönlichkeit, mit der die Menschen fremder Völker präsentiert werden. Namenlos und ent-individualisiert repräsentieren sie archetypisch das Fremde und vertreten wie die Objekte in den Museen als kleiner Teil ein Ganzes. Als Material für die Forschung werden sie von den Subjekten einer Kultur zu Objekten, die ihre Berechtigung im Bild nur durch die Vereinnahmung durch den Fotografen finden:152 „Man gebe uns ein paar Negative eines sehenswerten Gegenstandes, aus verschiedenen Perspektiven aufgenommen – mehr brauchen wird nicht. Man reiße das Objekt ab oder zünde es an, wenn man will.“153 Die Fotografie und mit ihr der ausführende Fotograf übernehmen die Bestimmung der Realität, indem sie den ganz wörtlichen Rahmen des Fotos setzen und die westliche Weltordnung über die betrachteten Kulturen und ihre Erzeugnisse stülpen. Der fremde Körper und seine Verkörperung werden degradiert und die oft gewaltvolle Umsetzung der Aufnahmen, die im Bild niemals direkt sichtbar wird,154 in die Botschaft des Bildes übertragen: Die Inszenierung des Fremden durch den europäischen, kolonialen Blick bestätigt die eurozentristische Machtordnung, mit visuellen Mitteln wird Differenz und damit Hierarchie sichtbar gemacht und kontrolliert.155 Für ein Publikum, das allgemeinen Wahrnehmungskonventionen folgt und Gesehenes automatisch mit bekannten, normativen Bedeutungen unterlegt, ist eine Handlungs- oder Kritikfähigkeit nur begrenzt möglich.
151 Vgl. Stahr 2004 – Fotojournalismus zwischen Exotismus und Rassismus, S. 60ff. und S. 111ff.; Zeller 2010 – Weiße Blicke, S. 18. 152 Vgl. Zeller 2010 – Weiße Blicke, S. 51; Laukötter 2007 – Von der Kultur zur Rasse, S. 153. 153 Zitat von Oliver Wendell Holmes, Arzt und Essayist, 1859, zitiert nach Thomas Theye, vgl. Theye 1989 – Einführung, S. 17. 154 Mit der Gewalttätigkeit bei der anthropologischen Vermessung, Fotografie und Aufzeichnung setzten sich die 2012 in Berlin stattfindende Ausstellung „Was wir sehen“ und die dazu erschienene Publikation auseinander, vgl. Hoffmann, Lange et al. (Hg.) 2012 – Was wir sehen. 155 Vgl. Belting 2006 – Bildanthropologie, S. 231; Zeller 2010 – Weiße Blicke, S. 11; Kravagna 1997 – Vorwort, S. 7.
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Abb. 12: Befreite Sklaven auf Sansibar
Ohne eigene Erfahrungswerte durch eine direkte Begegnung mit der dargestellten Kultur findet der Betrachter in den Fotografien nur das, was er vordergründig zu sehen glaubt, was er bereits kennt oder was er darin sucht. Der scheinbare Wahrheitsanspruch des zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts noch neuen technischen Mediums und die aus der Erfahrung vorkonditionierte Deutung des Anderen schließen eine Betrachtung aus, die den Entstehungskontext der Fotografien hinterfragt.156 So bleibt der den Bildern eingeschriebene Widerspruch zwischen der Dokumentation einer Realität und der Imagination des Fotografen und Betrachters unkommentiert und das Andere wird erneut zu einer Konstruktion des Selbst.
3.8 D AS F REMDE
IN DEN
M ASSENMEDIEN
Die Entstehungsgeschichte der ethnologischen Fotografie kann nicht losgelöst von ihrer wissenschaftlichen Aufgabe und der damit zusammenhängenden Präsentation der Aufnahmen in Völkerkundemuseen und einschlägigen Publikatio-
156 Vgl. Silverman 1997 – Dem Blickregime begegnen, S. 58f.; Kravagna 1997 – Vorwort, S. 8; Theye 2004 – Ethnologie und Photographie im deutschsprachigen, S. 123ff.
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nen betrachtet werden. Dennoch liegt ihre übergeordnete Bedeutung eigentlich in ihrer Möglichkeit zur Reproduktion und Verbreitung. Die Massenmedien der Weimarer Republik bieten dafür einen idealen Kanal. Als noch junges Medium sind vor allem die Zeitschriften und Illustrierten ein wichtiges Sprachrohr der Zeit.157 Mit ihrem regelmäßigen, meist wöchentlichen Erscheinen, der Unabhängigkeit von einer tagesaktuellen Informationspflicht und den technologischen Möglichkeiten, eine bilderreiche und gestalterisch ansprechende, aber unaufwändige Form zu etablieren, werden sie zum Multiplikator der Ideen des frühen zwanzigsten Jahrhunderts.158 Gesellschaftlich relevante Themen können hier erörtert und bebildert werden und durch die günstigen Produktions- und Vertriebsbedingungen einer großen Leserschaft zur Verfügung gestellt werden. Vor allem Frauen werden nicht nur als Leserinnen angesprochen, sondern ihre Belange und alltäglichen Interessen in großem Maße eingebunden. Ohne einen höheren Anspruch als den der Unterhaltung oder gelegentlich den einer politischen Meinungsbildung zu verfolgen,159 wird in kommerziellem Kontext besprochen, was den modernen Menschen bewegt. Berichte zu gesellschaftlichen Ereignissen und Personen der Öffentlichkeit gehen einher mit Film- oder Theaterbesprechungen160, Texte zu Kunst161, Reise162 oder modernen Technologien wie dem Auto-
157 Die Entwicklung der Massenmedien, ihre Verbreitung, inhaltlichen Entwicklungen und Auflagezahlen sowie ihre Bedeutung in politischem und kolonialem Kontext besprechen Marckwardt 1982 – Die Illustrierten der Weimarer Zeit; Ciarlo 2003 – Rasse konsumieren; Stahr 2004 – Fotojournalismus zwischen Exotismus und Rassismus; Hilt 2004 – Gartenlaube im Wüstensand; Fritzsche 1996 – Reading Berlin 1900; Nöhre 1998 – Das Selbstverständnis der Weimarer Kolonialbewegung; Bohrmann 1988 – Anmerkungen zur Mediengeschichte Berlins. Im Rahmen dieser Arbeit werden ausschließlich die Inhalte der Zeitschriften betrachtet und den weiteren Überlegungen zu Grunde gelegt, die für Hannah Höch von Relevanz waren und deren Bildmaterial sie für die Fotomontagen der behandelten Serie ausgewählt hat. Dies betrifft die Zeitschriften „Berliner Illustrirte Zeitung“, „Uhu“ und „Der Querschnitt“. 158 Vgl. Rössler 1998 – Moderne Illustrierte, S. 10ff. 159 Eine Ausnahme bei den eher unpolitischen Anliegen der Zeitschriften bildete die Arbeiter Illustrierte Zeitung, die sich deutlich linkspropagandistisch absetzen wollte und sich als Sprachrohr der Arbeiterbewegung verstand. Vgl. Stahr 2004 – Fotojournalismus zwischen Exotismus und Rassismus, S. 357ff. 160 Etwa „Josephine Bakers Memoiren“, „Das Amsterdamer Volkstheater“, Artikel in: Der Querschnitt, Jahrgang VII, Heft 6, Berlin 1927, S. 411ff. und 422f.
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mobil oder Flugzeug163 treffen auf die Biographien bedeutender Personen der Zeit164 oder auch auf Tipps für den Alltag165. Je nach Zeitschrift werden die meist episodisch verfassten Prosatexte durch volkstümliche Gedichte ergänzt, auch kurze theoretische Abhandlungen und sachliche Berichte werden eingestreut. Hefte, die sich durchgängig einem Thema widmen, sind selten, meist stehen die behandelten Gegenstände in keinem Zusammenhang und stellen sich eher als heterogenes Sammelsurium an Fragen und Gedanken dar, in das sich auch die zahlreichen Abbildungen ohne feste Ordnung einfügen. Auch die Begegnung mit der Fremde findet in diesem Konglomerat an Themen einen festen Platz. Neben den überaus beliebten Reiseberichten werden außereuropäische Kulturen und Menschen hauptsächlich mittels der besonders anschaulichen, völkerkundlichen Fotografien in die Illustrierten der Weimarer Republik integriert. Indem die Aufnahmen in Fotoreportagen und Bilddokumentationen in den Printmedien der Zeit erscheinen und das Fremde damit für eine breite Bevölkerungsschicht zugänglich gemacht wird, vollzieht die ethnologische Fotografie eine umfassende Popularisierung der Betrachtung des Fremden. Während strenge Reglementierungen und der wissenschaftliche Anspruch der Völkerkundemuseen sich an ein gebildetes Publikum richten, entrücken die Massenmedien die Bilder des Fremden dem Museumskontext und machen sie einer großen bürgerlichen Konsumentenschicht zugänglich.166 Weil das Erscheinen in der Presse und die daran gekoppelte Informationshoheit mehr als alles andere das Postulat von maximaler Objektivität zu vermitteln vorgibt, beeinflusst
161 Etwa „Picassos neuste Werke“, Artikel in: Der Querschnitt, Jahrgang VI, Heft 8, Berlin 1926, S. 618ff. 162 Etwa „Rote Meer-Fahrt“, Artikel in: Der Querschnitt, Jahrgang VIII, Heft 7, Berlin 1928, S. 475ff. 163 Etwa „Peter Altenbergs Flugversuche“, „Telefon, Auto, Radio, Thermostat“, Artikel in: Der Querschnitt, Jahrgang IX, Heft 2, Berlin 1929, S. 97f. und Der Querschnitt, Jahrgang XI, Heft 7, Berlin 1931, S. 455ff. 164 Etwa „Winston Churchill“, Artikel in: Der Querschnitt, Jahrgang VII, Heft 6, Berlin 1927, S. 413f. 165 Etwa „Wie verhalte ich mich nach einer Ohrfeige?“, „Von den Vorteilen des Zigarettendrehens“, Artikel in: Der Querschnitt, Jahrgang XIII, Heft 1, Berlin 1933, S. 26f. und Der Querschnitt, Jahrgang IX, Heft 11, Berlin 1929, S. 795ff. 166 Vgl. Wiener 1990 – Ikonographie des Wilden, S. 76; Ciarlo 2003 – Rasse konsumieren, S. 137ff.
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gerade die massenhafte Veröffentlichung der völkerkundlichen Fotografien die Meinungsbildung über das Fremde ganz entscheidend.167 Abgebildet werden die Fotografien über das Fremde teilweise alleinstehend oder im Zusammenhang mit Einzelberichten, zur Illustration von Artikeln oder als ganze Fotoreportagen. Der Unterschied der Präsentationsformen wird durch den Text vorgegeben, den die Fotografien unterstreichen, bebildern oder der – umgekehrt – die Fotografien kommentiert. Die Schrift, ob sie nun als Über- oder Unterschrift allein oder als Einbettung des Bildes in einen narrativen Kontext fungiert, ist für die Deutung der Fotografien entscheidend. Erst aus dem Zusammenspiel beider entsteht ein Inhalt, erst die Kontextualisierung der Abbildungen des Unbekannten kann die Rezeption durch den Leser kanalisieren und mit Bedeutung anfüllen.168 Die Methoden der Einbindung der Fotografien sind von Zeitschrift zu Zeitschrift unterschiedlich, in allen Fällen aber steuern sie die Repräsentation des Fremden in der Öffentlichkeit. 3.8.1 „Berliner Illustrirte Zeitung (BIZ)“ und „Uhu“ 169 Die bürgerlichen, um ein mittelständisches Publikum bemühten Zeitschriften „Berliner Illustrirte Zeitung“170 und „Uhu“171 setzen sich etwa aus einer großen Menge an Texten zusammen, denen Fotografien oder auch Zeichnungen eingegliedert sind oder die Fotoreportagen bebildern. Hauptsächlich längere Episoden und erzählerische Abhandlungen und Kurzgeschichten wechseln sich hier mit
167 Vgl. Stahr 2004 – Fotojournalismus zwischen Exotismus und Rassismus, S. 49ff. 168 Vgl. Stahr 2004 – Fotojournalismus zwischen Exotismus und Rassismus, S. 39ff. 169 Die im folgenden Kapitel beschriebenen Fotografien aus den Zeitschriften „Uhu“, „Der Querschnitt“ und „BIZ“ können im Rahmen dieser Publikation aus Bildrechtsgründen nicht abgedruckt werden. Beide Zeitschriften lassen sich jedoch in nahezu vollständigem Bestand etwa in der Staatsbibliothek Berlin und der Kunstbibliothek Berlin einsehen. 170 Die „Berliner Illustrirte Zeitung“ erscheint von 1892 bis 1945 im Berliner UllsteinVerlag und ist die auflagenstärkste der Wochenzeitschriften der Zeit. Sie ist von Beginn an eine unabhängige Zeitschrift, die nicht wie bei anderen Journalen üblich nur als Beilage einer Tageszeitung erscheint, sondern die wöchentlich für einen sehr geringen Preis zu erwerben ist. Vgl. Stahr 2004 – Fotojournalismus zwischen Exotismus und Rassismus, S. 81ff. und Ferber (Hg.) 1982 – Berliner Illustrirte Zeitung, S. 5ff. 171 Auch der „Uhu“ wird vom Ullstein-Verlag herausgegeben und erscheint von 1924 bis 1934. Auch der „Uhu“ erscheint als unabhängige Zeitschrift.
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Abbildungen ab, die zunächst vor allem von Amateurfotografen, in den zwanziger und dreißiger Jahren schließlich zunehmend von Profifotografen geliefert werden.172 Die Themen der Hefte bewegen sich zwischen Berichten über zeitgenössische Berühmtheiten und die Upper Class, zeitaktuellen Errungenschaften und Phänomenen und Blicken über Deutschland hinaus in die Welt. Die meisten Artikel sprechen ein klar weibliches Publikum an173 und auch die Frau als Motiv der Fotografien dominiert das Erscheinungsbild dieser Illustrierten. Auffällig ist bei beiden Magazinen, dass die große Trivialität der Themen nicht über eine gewisse Unsicherheit über die Entwicklungen des modernen Lebens hinwegtäuschen kann, die sich in vielen der Artikel niederschlägt. Die Entwicklungen der Technik, das urbane Leben und die neue Weiblichkeit werden in Berichten gefeiert, die Titel tragen wie „Wollen Sie Zeppelinführer werden? Neue Intelligenz-Aufgaben des „Uhu“. Prüfen Sie Ihr technisches Verständnis!“174 oder „Frauen im Büro. Arbeitsalltag!“175 . Mehr oder minder unterschwellige Warnungen vor den Bedingungen der Moderne176, und rückbesinnende Aufrufe177 aber dokumentieren die Unsicherheit über die Umbruchstimmung in der Gesellschaft. Diese spürbare Ambivalenz in der Berichterstattung zeigt sich auch in der Thematisierung des Fremden. Träumerisch-melancholische Berichte aus den Kolonien erscheinen bis in die dreißiger Jahre hinein178 und auch direkt kolonialrevisionistische, populistische Berichte über die Kolonialgeschichte und die Kolo-
172 Vgl. Stahr 2004 – Fotojournalismus zwischen Exotismus und Rassismus, S. 69. 173 Etwa „Bitte lieber Papa lass mich fliegen. Das Luft-Girl, ein neuer Modetyp“, Artikel in: Uhu, Jahrgang 8, Heft 10, Berlin 1932, S. 8ff.; „Sind Männer erziehbar?“, Artikel in: Uhu, Jahrgang 7, Heft 9, Berlin 1931, S. 17ff.; „Ich werde Mannequin, um mein Studium zu verdienen, Artikel in: Uhu, Jahrgang 6, Heft 4, Berlin 1929, S. 84ff. 174 Artikel in: Uhu, Jahrgang 8, Heft 8, Berlin 1932, S. 57ff. 175 Artikel in: Uhu, Jahrgang 8, Heft 10, Berlin 1932, S. 43ff. 176 Etwa „Die Arbeit braucht keine Menschen mehr!“, Artikel in: Uhu, Jahrgang 7, Heft 9, Berlin 1931, S. 57ff. 177 Etwa „Ein Buch, das jeder Deutsche gelesen haben muss: Wilhelm der Zweite. Von Emil Ludwig“, Artikel in: Uhu, Jahrgang 2, Heft 1, Berlin 1925, S. 107. 178 Etwa „Das Warenhaus im Urwald. Ein deutscher Kaufmann erzählt von seinen Erfahrungen als Kolonist“, Artikel in: Uhu, Jahrgang 7, Heft 10, Berlin 1931, S. 96ff. und „Als Kolonist im Urwald. Das Nachkriegsschicksal eines Europäers“, Artikel in: Uhu, Jahrgang 2, Heft 6, Berlin 1926, S. 69ff.
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nialdiskussion werden hier veröffentlicht179 und mit verklärenden Abbildungen kolonialer Errungenschaften ausgeschmückt. Thematisierungen der Begegnung mit der Fremde und vor allem Beschreibungen des Aufeinandertreffens der schwarzen und der weißen Rasse erinnern die Leser wiederholt an kolonialideologische Strukturen: Viele Artikel kritisieren das Interesse am und die nachlassende Scheu vor dem Fremden und warnen den Leser vor dem „gesitteten Negerstudent[en]“, der „von einem Negerafrika [träumt], in dem Sie sehr unbeliebt sein werden!“ und der ein Symbol ist für „die Wildheit des heute erst erwachenden Erdteiles und für die Grausamkeit seines zukünftigen Kampfes gegen Sie, sofern in Ihnen sich nämlich Europa personifiziert!“180. Vor allem die Problematik der Rassenmischung und die Gefahr der Einbuße der eigenen, als natürlich betrachteten Machtposition durch den Verlust der Rassenreinheit und das Aufbegehren der in Europa oder in den USA lebenden Schwarzen werden zu unumwunden ausgesprochenen Themen: „Die schwarze Welle“ im „dunklen Viereck im Plan von New York“, die „vergebliche Mimikry“ und die „Stufenleiter der Blutmischung“ werden mit offensiven Formulierungen beschrieben und stets die vorgeblich genetischen Grenzen betont: „Mimikry! Mimikry! Immer und immer tönt durch das Reden und Denken des Negers dieser heiß wünschende Schrei des Bluts: nach Gleichsein! Das Blut schreit wildes Begehren, und – es schreit Entsetzen zugleich. Weil es sich selbst im Weg ist. Weil der Wille zur Anpassung, zum Gleichsein gerade am Blut scheitert. Am unausrottbar schwarzen Blut.“181
Selbstversicherung durch die Statuierung einer naturgegebenen, unüberwindbaren Differenz wird so in den Texten bekräftigend formuliert. Ergänzt durch dokumentarisch eingesetzte Typen-Portraits von sogenannten „Vollblutnegern“ oder „negerblütigen Mischlingen“182 wird so über das Phänomen der Rassenmischung berichtet und darauf verwiesen, dass bei jeglichem gesellschaftlichen
179 Etwa „Sind Kolonien für Deutschland nötig?“, Artikel in: Uhu, Jahrgang 2, Heft 6, Berlin 1926, S. 20ff. und „Carl Peters. Der Schöpfer der deutschen Kolonialmacht“, Artikel in: Uhu, Jahrgang 2, Heft 10, Berlin 1925, S. 64ff. 180 Zitate aus einem Artikel von Fritz Reck-Malleczewen: „Afrika einerseits – andererseits“, in: Uhu, Jahrgang 3, Heft 8, Berlin 1927, S. 64ff. 181 Zitate aus einem Artikel von Arthur Runds: „Die schwarze Welle“, in: Uhu, Jahrgang 2, Heft 11, Berlin 1925, S. 30ff. 182 Zitate aus einem Artikel von Arthur Runds: „Die schwarze Welle“, in: Uhu, Jahrgang 2, Heft 11, Berlin 1925, S. 30ff.
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Aufstieg doch die genetisch festgelegte Rasse die bestimmende Eigenschaft eines Menschen ist. Die immer wieder mehr oder weniger latent auftauchenden Thematisierungen um einen Aufstieg der schwarzen Rasse, um Hybridität und Mimikry rufen die Kategorien „schwarz“ und „weiß“ wiederholt ins Lesergedächtnis. Dort werden sie mitunter ganz bildlich etabliert, indem etwa eine ganzseitige Werbung zur „Schönheit der Gesichtsfarbe“ für eine rosige Gesichtshaut wirbt und gleichzeitig in einen Artikel eingebettet ist, der auffällig ausgiebig mit den Begriffen „Schwarze“ und „Weiße“ operiert.183 Die zeitgenössische, die eigene Identität betreffende Unsicherheit und die Angst vor dem uneinschätzbaren Anderen bestimmt jedoch nicht allein die Repräsentation des Fremden in den Zeitschriften „Uhu“ und „BIZ“. Vielmehr oszilliert das Verhältnis zur Fremde und zu den außereuropäischen Völkern der allgemeinen ambivalenten Gesellschaftsstimmung entsprechend: Zwischen Ablehnung und Angst mischt sich eine melancholische Sehnsucht nach dem Ursprünglichen und eine exotistische Traurigkeit über die zerstörerischen Auswirkungen der Zivilisation. Vor allem mittels umfangreicher Bildreportagen mit ganzseitigen Fotografien außereuropäischer Menschen wird den Imaginationen von einem Leben jenseits der Moderne entsprochen. Meist nackte, jedoch immer mit Blumen, Schmuck oder einfachen Gewändern ausstaffierte Personen fremder Kulturkreise werden in Bilderserien vorgestellt und meist nur durch kurze Texte knapp erläutert, wo die Fotografien entstanden sind. Die Abbildungen, die stets Menschen in Momenten der Ruhe idyllisch inszenieren und die paradiesische Lebensumstände suggerieren, stehen in der Regel für sich alleine. Nur kurze, exotisierende Bildunterschriften untermalen die Fotografien und unterstreichen sie in ihrer Wirkung.184 Die kurzen Schlagworte der Überschriften oder Bildunterschriften wie etwa „Opfer der Zivilisation. Ein aussterbender polynesischer
183 Vgl. den Artikel von Marie-Therese Hemmer: „Ein Neger klagt Europa an! Vom Urwald-Kraal zum Hochschulprofessor“, in: Uhu, Jahrgang 6, Heft 12, Berlin 1929, S. 98ff. 184 So ist etwa das Portrait eines in sich versunkenen, nur mit zwei Perlenketten bekleideten Samoaners unterschrieben mit den Worten „Der 18jährige Moana verkörpert den Geist der Männlichkeit auf Samoa“, in: Uhu, Jahrgang 2, Heft 12, Berlin 1925, S. 22 und eine weibliche, auf dem Boden sitzende Rückenfigur beschrieben mit dem Text „Die Samaoanerinnen, die den ausgeprägten Sinn ihres Stammes für Schönheit haben, verstehen auch Haltungen einzunehmen, die ihre ungezwungene Anmut ausdrücken“, in: Uhu, Jahrgang 2, Heft 12, Berlin 1925, S. 24.
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Stamm“ oder „Das Glück der Unzivilisierten“185 markieren die europäische Zivilisationsmüdigkeit und das Misstrauen einer modernen Zeit gegenüber. Fluchten in ferne Länder, die der eigenen Lebensrealität nicht entsprechen und die außerhalb eines persönlichen Erfahrungshorizontes liegen, werden durch derartige Bildreportagen ermöglicht und ein scheinbar authentisches Erleben des Fremden vorgespielt.186 Das gängige koloniale Argument eines möglichen Kulturerhalts durch die Verbreitung der Fotografien aus der Fremde ist den exotistischen Fotoreportagen durch die meist wörtliche Gegenüberstellung des Zivilisierten mit dem bedrohten Unzivilisierten immer inhärent. Es rechtfertigt die unverstellte Sicht auf fremde Körper und Sitten und öffnet die Sensation des Anderen für den westlichen Blick. Um es der Nachwelt zu bewahren, wird so etwa „Das junge Mädchen in Afrika“187 in einem Foto-Text Artikel vor allem körperlich von Kopf bis Fuß besprochen und vor dem weißen Betrachter in erotisierenden Bildern entblößt – „...denn es weiß, daß es schön ist“188. Wo „von Europa keine Spur mehr zu finden ist“, kann auch noch von barbarischen Sitten und exotisierend beschriebenen Gebräuchen berichtet werden, die den europäischen Leser erschaudern lassen, die „Unternehmungslustigen Filmregisseuren“ jedoch „eine wunderbare Gelegenheit zu neuen Sensationen“ bieten.189 Die Berichte und Fotografien über das Fremde in den Zeitschriften „Uhu“ und „Berliner Illustrirte Zeitung“ transportieren in ihren berechneten Wechselspielen zwischen Text, Bild und längst etablierten Stereotypen genau die Konstrukte der Fremde, die sich aus der kolonialen Identitätsfindung bereits herausgebildet haben. Außereuropäische Menschen und Kulturen werden in allen ihnen zugeschriebenen Facetten vorgestellt und das Changieren zwischen den Bildern der exotischen edlen Wilden, der primitiven, unzivilisierten Naiven und der unberechenbaren Barbaren durch eine permanente Akzentuierung der Differenz ausbalanciert. Sowohl die anhaltenden Phantasien über die deutsche Kolonialgeschichte, als auch die exotistischen Realitätsfluchten und die tiefgründige Angst vor Hybridisierung und Kontrollverlust werden hier formuliert und vor der pas-
185 Zitat aus einer Bildreportage von Frances Hubbard Flaherty: „Opfer der Zivilisation“, in: Uhu, Jahrgang 2, Heft 12, Berlin 1925, S. 18ff. 186 Vgl. Stahr 2004 – Fotojournalismus zwischen Exotismus und Rassismus, S. 5. 187 Vgl. den Artikel von Colin Ross: „Das junge Mädchen in Afrika“, in: Uhu, Jahrgang 4, Heft 4, Berlin 1928, S. 38ff. 188 Zitat einer Bildunterschrift, in: Uhu, Jahrgang 4, Heft 4, Berlin 1928, S. 40. 189 Zitate aus einem Aufsatz von Dr. A. Ponsel: „Unter Kopfjägern“, in: Uhu, Jahrgang 2, Heft 5, Berlin 1925, S. 68ff.
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siv rezipierenden Leserschaft zur Disposition gestellt. Die in den Texten über das Fremde auffällige Häufung von Begriffen wie „Neger“, „Verniggerung“ oder der antithetisch verwendeten Wörter „schwarz“ und „weiß“ machen dem weißen Leser seine Position bei der Gegenüberstellung der Differenz unmissverständlich klar. In themenfremde Berichte eingestreute Karikaturen über das Fremde erinnern auch zwischendurch immer wieder an die Überlegenheit der eigenen Gesellschaft und Rasse, so dass ebenso dezidiert wie auch unmerklich die stereotypen Bilder des Fremden im Gedächtnis der Öffentlichkeit verwurzelt werden. 3.8.2 „Der Querschnitt“ Die eher auf ein intellektuelles, künstlerisch interessiertes Publikum ausgelegte Zeitschrift „Der Querschnitt“ verzichtet auf eine derartig plakative Steuerung des Bildes von der Fremde. Hier zeigt sich vor allem der vollkommene Verzicht auf einen bezugnehmenden Text für die Bedeutung der Fotografien ausschlaggebend. Gegründet und verlegt von dem Düsseldorfer Galeristen Alfred Flechtheim, dessen Galerie zeitweise den Schmelztiegel der künstlerischen Avantgarde bildet,190 erscheint „Der Querschnitt“ von 1921 an noch unregelmäßig, bis ab 1925 dann monatlich eine Ausgabe herausgegeben wird.191 In dem bis zu achtzig Seiten starken Heft soll das künstlerische und geistige Leben der Zeit repräsentiert und buchstäblich eine Collage des Zeitgeschehens hergestellt werden: „Wir werden bestrebt sein, das Heterogenste aufeinander zu bolzen. Wir glauben, dadurch am besten den Ausdruck der Zeit wiederzugeben.“192 Namhafte Autoren und Künstler wie Virginia Woolf, Gottfried Benn, Klaus Mann, Tristan Tzara
190 Flechtheim stellt in seiner 1913 eröffneten Galerie nach und nach alle bedeutenden Künstler der Zeit aus, sowohl die Künstler der Brücke, als auch die des Blauen Reiters, Picasso, Kokoschka und Oppenheimer sind bei ihm vertreten und verkehren auch in der Galerie, vgl. Dascher 2011 – Alfred Flechtheim, S. 81ff; Wiese 1987 – Der Kunsthändler als Überzeugungstäter. Auch afrikanische und ozeanische Plastiken werden von Flechtheim präsentiert und gesammelt, vgl. Einstein 1987 (1926) – Südsee-Plastiken; Lloyd 1987 – Alfred Flechtheim. Die Zeitschrift „Der Querschnitt“ mit ihren Abbildungen außereuropäischer Objekte entsteht zu großen Teilen aus den Katalogen seiner Ausstellungen zur außereuropäischen Kunst heraus, vgl. Haacke 1987 – Alfred Flechtheim und Der Querschnitt. 191 Vgl. Deininger, Felger 1998 – Der Stoff liegt, S. 37. 192 Zitat von Hermann von Wedderkop, zitiert nach Bettina Deininger und Ulrike Felger, vgl. Deininger, Felger 1998 – Der Stoff liegt, S. 34.
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und Franz Kafka, aber auch Prinz Max zu Hohenlohe oder Benito Mussolini veröffentlichen hier Texte zwischen zeitkritischem Reaktionismus und Huldigungen der Moderne, zwischen alltäglicher Trivialität und politischem Nachdruck, die einander oft in großer Gegensätzlichkeit gegenüberstehen.193 In diesem Gemenge an Themen findet sich auch eine Vielzahl ethnologischer Fotografien, die das Fremde auf unterschiedlichste Art zeigen. Ein großer Teil der Abbildungen zeigt Objekte der sogenannten primitiven Kulturen und setzt damit in den Fokus öffentlicher Betrachtung, was bislang einem Besucher Ethnologischer Museen vorbehalten war. Stets vor neutralem Hintergrund, mit einer knappen, allgemein formulierten Betitelung, werden hier fast ausschließlich Masken gezeigt, von denen weder ein Ursprungskontext oder eine Erläuterung der Funktion der Objekte, noch der aktuelle Ort des Objektes angegeben werden. In wenigen Fällen entstammen die abgebildeten Stücke der Sammlung Flechtheims, der Sammlung Paul Guillaume, Paris oder kürzlich erschienenen Publikationen, unter deren Titel die Fotografien dann gedruckt werden. Meist fehlt eine Angabe der Herkunft der Fotografien jedoch völlig. Die isolierte Position der Objekte vor einem zweidimensionalen Hintergrund und ihre sparsame Beschreibung lässt sie in einem undefinierten Raum schweben, der auch durch die umliegenden Texte und Bilder nicht näher bestimmt wird. Die Präsentation der Objekte in der Fotografie erinnert unwillkürlich an die gewohnten Abbildungen europäischer Skulpturen, die für sich allein betrachtet werden und keines Verweises außer dem auf die Kunst bedürfen. Mit dieser angedeuteten Einordnung der abgebildeten Objekte in einen europäischen Kunstkontext, die an die Automatismen eines westlichen Kunstblickes appelliert, vollzieht „Der Querschnitt“ den tradierten Umgang mit außereuropäischen Objekten nach: Die mit der Isolierung der Objekte automatisch verbundene Kategorisierung und Entkontextualisierung, wie sie bereits aus der Sammelund Ausstellungspraxis der Völkerkundemuseen bekannt ist, wird hier übernommen und weiter bis zur Absurdität geführt. Ohne Zusammenhang, jedoch oft in einem grotesken Nicht-Zusammenhang zu den vorhergehenden oder nachfolgenden Texten oder Bildern, erscheinen die Objekte als beiläufige Phänomene der Zeit, denen ein oberflächliches Interesse beigemessen, tatsächlich aber ein
193 Ein herausgegriffenes Beispiel ist hier etwa eine Ausgabe aus dem Jahr 1929, in der Benito Mussolini in seinem Text „Warnung an die moderne Frau“ auf eindringlichste Art alte Tugenden heraufbeschwört und reaktionäre Bestrebungen in der Politik transportiert, in der gleichzeitig aber über die beste „Taktik im Tennis“ und über den Tonfilm („Apropos Tonfilm“) sinniert wird. Artikel in: Der Querschnitt, Jahrgang IX, Heft 8, Berlin 1929, S. 548ff., S. 562.
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grundlegendes Unverständnis und Gleichgültigkeit entgegengebracht wird.194 Selbst als es 1926 zur Neukonzeption des Berliner Völkerkundemuseums kommt und in der Zeitschrift „Der Querschnitt“ drei Abbildungen der neuen Räume gezeigt werden, wird die Möglichkeit einer Bezugnahme nicht ergriffen; eine nähere Erläuterung oder Relationen zu den so zahlreich abgebildeten außereuropäischen Objekten wird auch hier nicht aufgezeigt. Neben den Abbildungen außereuropäischer Objekte sind auch szenische Darstellungen außereuropäischer Menschen und archetypische Repräsentationen einzelner Völker in Typenportraits in nahezu jeder Ausgabe der Zeitschrift „Der Querschnitt“ zu finden. Gezeigt werden sowohl alltägliche Sitten und rituelle Bräuche im Leben der fremden Völker, als auch die üblichen Stellvertreterportraits mit scheinbar typischen Merkmalen wie einer rituellen Bemalung oder traditionellem Haarschmuck. Auch hier bleibt eine nähere Beschreibung aus, die gezeigten Menschen stehen als entindividualisierte Typen ohne Beziehung zu Fotograf oder Betrachter, die Fotografien in den einzelnen Heften erscheinen ohne oder in fremdem Textzusammenhang und ohne Erklärung. Die fehlende Einordnung der alleinstehenden, nur durch kurze Bildunterschriften benannten Fotografien wirkt der geläufigen Repräsentation des Fremden jedoch nicht entgegen, sondern fördert vielmehr die Etablierung bekannter Stereotype. Die Isolierung der Bilder des Fremden lässt diese allein auf sich selbst verweisen, die konsequente Zusammenhangslosigkeit der Abbildungen im Rahmen des etablierten Mediums der Zeitschrift erklärt eine Kontextualisierung für überflüssig. Das Bild steht für sich allein und umso stärker entwickelt sich die Bedeutung des Bildinhaltes für die Konstruktion des Fremden. Die exotischerotisch inszenierten schwarzen Fremden bedienen den voyeuristischen und unverstellten Blick auf das begehrenswerte Andere, ohne an die Moral zu gemahnen, genau wie die Bilder unzivilisierter Wildheit das beglückende Schaudern vor dem Fremden nähren.195 Kaum zufällig ist es, dass zahlreiche Kulturverglei-
194 So wird etwa die Abbildung einer „Maske (Elfenbeinküste)“ den Fotografien eines Boxkampfes und eines Rodlers gegenübergestellt oder eine „Maske aus Französisch Congo“ einem neuen Automobil. In: Der Querschnitt, Jahrgang I, Heft über das ganze Jahr, Berlin 1923, Seitenzahl ohne Angabe und Der Querschnitt, Jahrgang IV, Heft 2-3, Berlin 1924, Seitenzahl ohne Angabe. 195 So häufen sich etwa die Abbildungen, in denen nackte Frauenkörper ausgestreckt auf der Erde liegend oder sitzend in vorgeblicher Natürlichkeit unverhohlen preisgegeben werden, wie etwa bei den Fotografien „Junge Mädchen vom Sara-Stamm am Ufer des Tschari“, in: Der Querschnitt, Jahrgang V, Heft 6, Berlin 1925, Seitenzahl ohne Angabe oder „Mpalu im Moorbad“, in: Der Querschnitt, Jahrgang XI, Heft 8,
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che und Bewertungen durch die Nebeneinanderstellung von Abbildungen angeregt werden. Obgleich die Fotografien nicht beschrieben werden, erfolgt eine problemlose Charakterisierung des Anderen durch Assoziationen und das gut bekannte, eigene Bildrepertoire. Die Hierarchie der weißen, modernen Kultur über die primitive, meist durch nackte Körper repräsentierte Rückständigkeit außereuropäischer Völker ist sichtbar und die hier bildlich bis ins Groteske inszenierte Differenz unterstreicht die kulturelle Alterität fast wortlos196. In „Der Querschnitt“ dokumentieren die Fotografien des Anderen keine Reisen in die Fremde und sie untermalen auch keine Texte über die Begegnung mit unbekannten Kulturen, obgleich solche Textbeiträge auch in dieser Zeitschrift immer wieder auftauchen. Wie die Abbildungen fügen aber auch sie sich in das Konzept der bunten Themenvielfalt ein, das „Der Querschnitt“ für sich formuliert und stehen kommentarlos für sich allein. So werden auch hier in einem Atemzug mit einer Ode an die Stadt Barcelona „Zulus als Zugtiere“ beschrieben, die „überhaupt nur noch eine geringe Verwandtschaft zum Menschen haben“, dafür aber als „richtige Schindmähre“ mit einem „Kannibalenmaul“ ausgestattet sind und der Belustigung der deutschen Touristen dienen.197 Von dem „Flirt mit Negerinnen“, die versuchen, die „verräterische schwarze Farbe“ wegzuschminken, wird auch hier mit einem deutlich herauszuhörenden Reiz am ExotischErotischen berichtet.198
Berlin 1931, Seitenzahl ohne Angabe. Abbildungen etwa von Kopfjägern vorm Lagerfeuer spielen auf Kannibalismus an, das aufgespießte Haupt eines Räuberhauptmannes steuert die gruseligen Vorstellungen von den so fremden Wilden, vgl. „Die Kopfjäger der Südsee“, in: Der Querschnitt, Jahrgang V, Heft ohne Angabe, Berlin 1924, Seitenzahl ohne Angabe und Der Querschnitt, Jahrgang IX, Heft 7, Berlin 1929, Seitenzahl ohne Angabe. 196 So wird etwa ein Waldgorilla der Fotografie eines schwarzen Mannes mit aufgerissenem Mund offensichtlich in Vergleichsabsicht gegenübergestellt und tituliert mit „Injuna der Waldgorilla (Gabon, Westafrika) und Der Neger Badinga“, in: Der Querschnitt, Jahrgang X, Heft 7, Berlin 1930, Seitenzahl ohne Angabe. Oder eine sogenannte „Marktszene aus Nigeria“, die eine Gruppe nackter, betont ursprünglich wirkender Personen zeigt, wird einer Gruppe weißer Männer in Anzug und Mantel vor dem „Café du Dôme“ gegenübergestellt, in: Der Querschnitt, Jahrgang VI, Heft 6, Berlin 1926, Seitenzahl ohne Angabe. 197 Zitate aus einem Artikel von Prinz Max zu Hohenlohe: „Zulus als Zugtiere“, in: Der Querschnitt, Jahrgang IX, Heft 8, Berlin 1929, S. 545 und S. 547. 198 Zitate aus einem Artikel von Joachim Rügheimer: „Flirt mit Negerinnen!“, in: Der Querschnitt, Jahrgang VIII, Heft 7, Berlin 1928, S. 487.
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Die Bilder wie auch die vereinzelten Texte über das Fremde zeigen auch in der intellektualistischen Zeitschrift „Der Querschnitt“ allein das bereits Bekannte und rufen ab, was der Zeitgeist längst etabliert hat. Die Kontextlosigkeit der Abbildungen ästhetisiert die Fotografien, ungeachtet, ob es sich um die Darstellung von Objekten oder Menschen handelt. Die auffällige kompositorische, rhythmische und oft vergleichende Nähe vieler gemeinsam abgebildeter Fotografien in „Der Querschnitt“ deutet auf den vor allem gestalterischen Schwerpunkt der Zeitschrift hin, die mit den Bildern des Fremden spielt und sie dadurch trivialisiert und entfremdet.199 Getreu des Anspruchs, das Zeitgeschehen so ungeordnet in der Zeitschrift zu repräsentieren, wie es sich im Alltag äußert, wird das Bild des Fremden hier in seiner traditionellen Konstruktion gezeigt. Die Bezuglosigkeit der Beiträge reflektiert damit tatsächlich den zeitgenössischen Blick auf die Begegnung mit der Fremde, die sich erneut vor allem als unreflektiert und stereotyp erweist.
3.9 D AS F REMDE IN DER M ETROPOLE : (K OLONIAL -)M ETROPOLE B ERLIN Der Schnittpunkt der ethnologischen Fotografie mit den modernen Massenmedien und die sich dort vermischenden Strömungen zwischen den Polen kolonialrevisionistischer Inhalte und ultra-moderner Phänomene deuten auf die tiefe Ambivalenz hin, die sich beim Zusammentreffen mit der Fremde erkennen lassen. In den Metropolen der Weimarer Republik und allen voran in Berlin zeigt sich diese Ambivalenz in der konkreten Alltagswelt. Berlin ist auch in den zwanziger Jahren noch Kolonialmetropole, ist der Ort, an dem das Koloniale ideologisch und medial in die Alltagswelt übertragen wird. Politische Zusammenkünfte, gesellschaftliche Veranstaltungen, wissenschaftliche Aufarbeitungen und konsumentenfreundlich aufbereitete Inszenierungen von kultureller Alterität prägen mit mehr oder weniger ausdrücklichem Impetus das Bild von der Fremde. Auch ohne die aktive Beteiligung der breiten Bevölkerung sind der koloniale Gedanke und seine ideologischen Überreste in vielen Einzelheiten des Alltags präsent, eine passive Konfrontation mit den konservativen, teilweise reaktionären Seiten
199 Die Abbildung einer aufgereiht sitzenden „Negerfamilie im Sudan“ wird etwa den gleichfalls aufgereiht sitzenden, schwarzen Welpen eines Kerrey Bloe Terriers gegenübergestellt und damit farblich und formal ein scheinbares Gleichgewicht der Bilder hergestellt, in: Der Querschnitt, Jahrgang X, Heft 8, Berlin 1930, Seitenzahl ohne Angabe.
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einer tradierten Begegnung mit dem Fremden ist auch vielen Alltagserscheinungen inhärent. Berlin ist gleichzeitig aber auch Metropole und Sinnbild der Moderne, ist der Ort, an dem Traditionen negiert, Ansichten umgedeutet und alles Neue gefeiert wird.200 Der Sumpf und Glanz der jungen Hauptstadt wird zu einem Inbegriff des frühen zwanzigsten Jahrhunderts. Unzählige Texte und Romane201 thematisieren das Leben in diesem „Paradies der Elektrizität“, das „elegant“, „Welthafen der Zukunft“, ein „künstlich irdisches Paradies ist“: „keine europäische Stadt ist großstädtischer.“202 Oft mit den Entwicklungen eines urbanen Berlins hadernd, das sich „immer stärker mit dem Tempo seines Wachstums und seiner Lebenshast zu amerikanisieren begann“203 und das laut und sittenlos die „Menschen und Dinge schnell verbraucht“, gilt es doch als „eine ewig neue und ewig junge Großstadt“, mit einer „ewig währenden, nie ermüdenden Begeisterungsfähigkeit“ und einem „Chaos, das man immer mit Gärung und Zukunftsträchtigkeit entschuldigt“.204 Während sich die vielen mehr oder minder verborgenen Projektionen der kolonialen Ideologie gerade in der Zeit gesellschaftlichen Wandels nach dem Ersten Weltkrieg auf die tradierten Werte der deutschen Kultur beziehen, unterlaufen die Phänomene der modernen Massenkultur ebenjene. In der Abgrenzung zum Anderen und der damit vollzogenen Bestätigung der eigenen humanistischen, traditionsreichen Kultur wird eine Rückversicherung geboten und scheinbar Stabilität suggeriert. In der Wirklichkeit der Moderne aber, die für Vermassung und technischen Fortschritt, Beschleunigung, soziale Differenzierung und Materialismus steht, löst sich diese Stabilität auf. Die urbane Lebenswelt mit ihren zahlreichen Unterhaltungs- und Zerstreuungsmöglichkeiten wie den täglich erscheinenden Boulevardzeitungen, den Kinos, Theatern, Tanzveranstaltungen
200 Vgl. Zeller 2010 – Weiße Blicke, S. 123ff.; Lotz 2004 – Schwarze Entertainer in der Weimarer. 201 Vgl. exemplarisch Afred Döblin (1929): Berlin Alexanderplatz; Franz Hessel (1929): Spazieren in Berlin; Sonderheft Berlin, in: Der Querschnitt, Jahrgang XI, Heft 5, Berlin 1931. 202 Zitate aus einem Aufsatz von Amédée Ozenfant: „Weekend in Berlin“, in einem Sonderheft zum Thema Berlin, in: Der Querschnitt, Jahrgang XI, Heft 5, Berlin 1931, S. 297ff. 203 Zitat aus einem Aufsatz von Adolf Heilborn: „Berlin um 1900“, in: Der Querschnitt, Jahrgang XIII, Heft 5, Berlin 1933, S. 313. 204 Zitate aus einem Artikel von Hermann von Wedderkop: „Unsere junge Hauptstadt“, in: Der Querschnitt, Jahrgang IX, Heft 11, Berlin 1929, S. 820, S. 822 und S. 823.
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und Varietés unterläuft die kontrollierbare Steuerung deutschen Kultursinns und dezentriert allgemein gültige Formeln zu einer deutschen Identität.205 Kolonialrevisionistische Veranstaltungen, bei denen Jugendliche schwarz angemalt die Kolonien repräsentieren, können zum Ende der zwanziger Jahre nur grotesk anmuten und ein Publikum, das längst andere Begegnungsformen mit der Fremde kennt, ist für die Ästhetik von Völkerschauen nur noch begrenzt begeisterungsfähig.206 In diesem bipolaren Umfeld zwischen Tradition und Moderne wird das Fremde und mit ihm vor allem der schwarze Mensch zu einer zentralen Figur. Er steht für ein Anderes, das distanziert, doch mit großem Interesse betrachtet und konsumiert wird.207 Die hohe Frequenz an Abbildungen außereuropäischer Menschen und Kulturen in den beliebten Zeitschriften gibt davon Zeugnis, aber auch das sich verändernde kulturelle Leben in der Metropole zeugt von einer ausgesprochenen Lust am Fremden. Das Kulturleben in Großstädten wie Berlin entfaltet unendlich viele Unterhaltungsmöglichkeiten, die sich an ein breites Publikum richten. Die gelebte Dekadenz des erstmals wieder spürbaren wirtschaftlichen Aufschwungs trifft auf einen seichten Anspruch und günstige Zugangsmöglichkeiten, die nun von einer großen Bevölkerungsmasse angenommen werden können.208 Vor allem hier, in der Populärkultur der Städte, schlägt sich die Begeisterung für das Fremde in der Kulturlandschaft der zwanziger Jahre nieder. Auf den Bühnen der Theater und Revuen ebenso wie bei den Tanzabenden unter dem Stern des Jazz, der als Musik der Moderne gepriesen wird, wird die Begegnung mit dem unvertrauten Anderen gesucht und Exotismus gefeiert. Schwarze Tänzer und Musiker werden zu Wahrzeichen des exotischen Neuen in einer Zeit der Selbstfindung und vor allem für die Bourgoisie zum Symbol einer weltoffenen, neuen Zeit.209 Als Orientierungspunkt für die Sicht auf das Fremde, auf unkonventionelle Unterhaltung und die Entwicklung einer neuen Vergnügungskultur rückt Amerika in den Mittelpunkt. Die USA gelten als ultramodern, der „amerikanische Individualismus“, der „jedem Individuum die Möglichkeit und die Anregung zur
205 Vgl. Fritzsche 1996 – Reading Berlin 1900, S. 178f.; Kundrus 2003 – Moderne Imperialisten, S. 285ff.; Laukötter 2007 – Von der Kultur zur Rasse, S. 8. 206 Vgl. Rogowski 2003 – Heraus mit unseren Kolonien, S. 252ff. 207 Vgl. El-Tayeb 2001 – Schwarze Deutsche, S. 152. 208 Vgl. Ciarlo 2003 – Rasse konsumieren, S. 135; Lotz 2004 – Schwarze Entertainer in der Weimarer, S. 255f. 209 Vgl. El-Tayeb 2001 – Schwarze Deutsche, S. 152; Zeller 2010 – Weiße Blicke, S. 199.
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Entfaltung des Besten“ gibt und dabei „soziale Beweglichkeit von erstarrten Klassenschichten [freihält]“, gilt als „einzige Quelle des Fortschritts“.210 In den USA, wo die direkte Begegnung mit schwarzen Menschen Gewohnheit ist und der Umgang mit dem Fremden aus europäischer Sicht als routiniert gelten muss, sind viele Bereiche der Unterhaltungskultur vom Fremden geprägt.211 Als so der Jazz als Musik des schwarzen Mannes nach Europa schwappt, wird er als „Negermusik“ belächelt und distanziert betrachtet, seine amerikanische Herkunft jedoch rechtfertigt die euphorische Begeisterung für die schwarze Musik. Weil der Jazz alle Regeln der bisher bekannten Musik bricht und ihm gar die Eigenschaft abgesprochen wird, überhaupt Musik zu sein, wird er zu einem Symbol der Moderne und zum Kennzeichen einer urbanen, amerikanisierten Lebensart.212 Obwohl die anti-intellektuelle, lebendige und spielerische Musik als ein Ausdruck der „Negerseele“ gilt,213 kehren sich die Vorzeichen der Betrachtung der schwarzen Musiker hier um: Als „schwarze Gentlemen im Smoking“, die sich einer „kulturellen Mission bewusst sind“ und die als „brilliant[er]“ und mit „Ehrgeiz“214 beschrieben werden, verkörpern sie nicht mehr das Bild des naiven, unzivilisierten Wilden, sondern stehen für weitgereiste Künstler, die in Europa den „langweiligen Ausländern“ in „luxuriösen Palästen ihre Kunst [zeigen]“215. Neben dem Jazz sind es vor allem die sogenannten Negerrevuen, die die Unterhaltungskultur der Weimarer Republik mit ihrer besonderen Vorliebe für das Fremde bespielen. Im Kontext der wahren Tanzwut und des außerordentlichen Bewegungskultes der zwanziger Jahre versorgen sie ein Publikum, das in seinem Verlangen nach Körperlichkeit und Exotik nach genau der dekadenten und ausgefallenen Kurzweil sucht, die der fremde Körper unverdeckt darbieten kann.216 Meist aus Amerika mit Zwischenstopp Paris kommen die Truppen schwarzer Tänzerinnen und Tänzer in die deutsche Metropole, um dort in vermeintlich primitiver, spärlicher Kleidung dem weißen, überwiegend männlichen Publikum
210 Zitate aus einem Artikel von Herbert C. Hoover: „Amerikanischer Individualismus“, in: Der Querschnitt, Jahrgang XI, Heft 8, Berlin 1931, S. 510 und 511. 211 Vgl. Lotz 2004 – Schwarze Entertainer in der Weimarer, S. 256. 212 Vgl. Blake 2003 – Le Tumulte Noir, S. 60; Rasula 2004 – Jazz as Decal, S. 14f. 213 Vgl. Stahr 2004 – Fotojournalismus zwischen Exotismus und Rassismus, S. 304. 214 Zitate aus einem Artikel von Ottomar Starke: „Revue nègre“, in: Der Querschnitt, Jahrgang VI, Heft 2, Berlin 1926, S. 120. 215 Zitate aus einem Artikel von Bob Landsberg: „Negerball in der Rue Blomet“, in: Der Querschnitt, Jahrgang IX, Heft 2, Berlin 1929, S. 108. 216 Zum Körperkult der zwanziger Jahre vgl. Müller 1988 – Im Taumel der Selbsterfahrung.
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einen „Querschnitt durch das Negerleben“217 zu geben. Wild trampelnd geben die schwarzen Tänzer vor, die Trommeln ihrer unzivilisierten Ahnen nachzuahmen, „sie verdrehen die Augen ins Unwahrscheinliche und sind sehr, sehr liebenswürdig“. Sie tanzen wild, singen und präsentieren sich ganz als die „schönen, nackten, federgeschmückten Wilden“,218 die der europäische Zuschauer zu sehen gekommen ist. Der schwarze, nackte Frauenkörper, der hier im Mittelpunkt steht und der zur Betrachtung durch ein weißes, männliches Publikum inszeniert wird, eröffnet einen Raum für die Begegnung mit dem Fremden, in dem körperlich sichtbare Differenz in einem positiven Kontext konsumiert werden kann. In den Negerrevuen, die allein der Unterhaltung dienen und die keinerlei pädagogischen Anspruch oder imperialistischen Lehrauftrag verfolgen, wird das Fremde unverhohlen zu einem Objekt der Begierde.219 Die schwarzen Tänzerinnen reproduzieren in ihren wilden Tänzen die gängigen Stereotype von Ursprünglichkeit und Wildheit und wiederholen das Image des Fremden als naturgebunden und sexuell ungezügelt. Im Kontext der Revuen werden diese Stereotype jedoch umgedeutet und zu begehrenswerten Attributen, die erfolgte Inszenierung von Primitivität wird zu einem avantgardistischen Spektakel. Die Tanzschauen erlauben einem weißen, männlichen Publikum, ihre eigene dunkle Seite auszuleben, ihre Bedürfnisse freizugeben und in sexuelle Phantasien einzutauchen, ohne dabei die Grenzen der Differenz zu überschreiten und ihr weißes Gesicht zu verlieren.220 Die Negerrevuen werden zu einem Ort, an dem das Primitive dem Modernen begegnet und eine Annäherung stattfinden kann.221 Für die Symbolfigur des primitiven Tanzes, Josephine Baker, die in den zwanziger Jahren in Europa außerordentliche Bekanntheit erfährt und die zu einer präsenten Figur in den Medien wird, ist diese Mischung aus primitiver Natürlichkeit und moderner Kontextualisierung maßgeblich. Baker versammelt in ihrer Person beide Pole: Als Amerikanerin steht sie für eine ultramoderne Welt und eine progressive Unterhaltungskultur. Als Schwarze kann sie dennoch das repräsentieren, was von dem Fremden, Primitiven erwartet wird und damit die Bedürfnisse ihres Publikums bedienen – sie
217 Zitat aus einem Artikel von Ottomar Starke: „Revue nègre“, in: Der Querschnitt, Jahrgang VI, Heft 2, Berlin 1926, S. 118. 218 Zitate aus einem Artikel von Ottomar Starke: „Revue nègre“, in: Der Querschnitt, Jahrgang VI, Heft 2, Berlin 1926, S. 119 219 Vgl. Cheng 2011 – Second Skin, S. 37f. 220 Vgl. Dayal 2004 – Blackness as Symptom, S. 41. 221 Vgl. Nenno 1997 – Feminity, the Primitive, S. 146ff.; Dorgerloh 2004 – Josephine Baker, S. 288ff.
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ist primitivistischer Fetisch und modernistische Ikone zugleich.222 Dass Baker und ihre Kollegen der übrigen Tanztruppen ihr Image als exotische Kuriositäten eigentlich unterlaufen und das Stereotypensystem, das sie repräsentieren und zu bestätigen vorgeben, vielmehr parodieren, belegt einmal mehr den Konstruktcharakter der rassischen Hierarchie: Unter den klaren Gesichtspunkten der Vermarktung schneidet Baker mit der Hilfe eines weißen, französischen Teams ihre Auftritte und Kostüme genau auf den französischen oder deutschen Zuschauer zu. Sie selbst konstruiert das Bild der Primitiven, die gleichzeitig Kind und sexuell Wilde ist und konzipiert sich selbst als das exotische Andere. Während die weiße Zuschauerschaft den „Danse sauvage“ als Moment männlicher Phantasie aufsaugt und die eigene kulturelle Überlegenheit und gesellschaftliche Größe herauszulesen glaubt, halten die Tänzerinnen und Tänzer ihnen vielmehr einen Spiegel entgegen, der den fetischisierten, voyeuristischen, weißen Blick zurückwirft.223 Sie spielen das Spiel des differenten Anderen und unterlaufen es gleichzeitig durch ihren Pragmatismus. Die Negerrevuen um Josephine Baker sind Veranstaltungen, bei denen das Fremde bewusst nach etablierten Gesichtspunkten reproduziert wird. Allein die Exposition von Differenz macht hier eine moderne Form der Fremderfahrung möglich. Nur das Thema der exotischen, ursprünglichen Frau erlaubt die Öffnung zum Fremden, ihre Konditionierung als anders und ihre Definition über den Körper gestatten einen ungefilterten und forschen Blick auf das Andere. Der schwarze Körper erlaubt Annäherung und er bietet vor allem die Befriedigung eines ungezügelten Schaubedürfnisses: Auch bei den Negerrevuen autorisiert allein die Hautfarbe zur Freizügigkeit. Unter dem Deckmantel einer exotischen Attraktion kann Nacktheit konsumiert und erotischer Neugierde begegnet werden. Der nackte Körper der schwarzen Frau personifiziert die primitivsten Bedürfnisse des weißen Mannes und bildet den Ort ab, an dem sich das sogenannte Primitive mit dem sogenannten Zivilisierten trifft. Das Primitive zeigt sich hier erneut als Spiegel des Selbst. Auch im Kontext ultramoderner Unterhaltung werden die ideologischen Konstruktionen um das Fremde benötigt, um den zeitgenössischen Menschen und sein dunkles Inneres zu determinieren.224 Die Weiterführung der Revue-Idee in Minstrel-Shows, bei denen weiße Schauspieler die schwarzen Shows imitieren und schwarz angemalt rassistische
222 Vgl. Nenno 1997 – Feminity, the Primitive, S. 146; Dayal 2004 – Blackness as Symptom, S. 48 223 Vgl. Dayal 2004 – Blackness as Symptom, S. 36ff.; Cheng 2011 – Second Skin, S. 42 224 Vgl. Nenno 1997 – Feminity, the Primitive, S. 146ff.
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Persiflagen der „Neger-Vorstellungen“ geben, zeigen, dass an die Grenzen der Differenz dennoch stets gemahnt wird.225 Die Überführung der Unterhaltungsmomente des Wilden in einen grotesken Zusammenhang und die Verlachung des primitiven Bühnenspektakels rufen die Hierarchie zwischen den Kulturen ins Gedächtnis. Sie erinnern daran, dass die Negerrevuen zur seichten Unterhaltung gedacht und auf ein erotisches Schauvergnügen ausgelegt sind, dass aber auch hier eine zu kontrollierende Begegnung mit der Fremde stattfindet. Dass letztlich auch die Berliner Aufgeschlossenheit, die sich in einer regelrechten Verehrung Josephine Bakers äußert und die von anderen deutschen Großstädten mitnichten geteilt wird,226 gegen Ende der zwanziger Jahre kippt und die Revuen mitunter sogar verboten werden, signalisiert die Unsicherheit und Vorsicht bei der Konfrontation mit dem Fremden.227 Obwohl gerade in den Negerrevuen die Facette des Anderen repräsentiert wird, die auf seine Rückständigkeit, Primitivität und mentale Einfachheit verweist und obwohl hier eine mögliche Bedrohung durch das Fremde und seinen kulturellen Aufstieg inhaltlich explizit ausgeschlossen wird, wird das Andere durch Persiflage distanziert. Die Begeisterung für das exotische Fremde in der modernen Unterhaltungskultur bleibt gebunden an die Strukturen von Alterität und Differenz. Die hier nur in ihren prägnantesten Phänomenen228 dargestellte Begegnung des Bürgers der Weimarer Republik mit seinem differenten Anderen legt Zeugnis davon ab, dass der Kolonialismus, obwohl de facto nicht mehr aktuell, sich auch in den zwanziger Jahren noch als Epochenphänomen zeigt. Die Mechanis-
225 Vgl. Zeller 2010 – Weiße Blicke, S. 117. 226 Vgl. Dorgerloh 2004 – Josephine Baker, S. 290f. 227 Vgl. Nenno 1997 – Feminity, the Primitive, S. 157f. 228 Weil für Hannah Höchs Arbeiten vor allem das Bildrepertoire der Repräsentation des Fremden von Bedeutung ist, wurde hier der Bereich der kolonialen, aber auch kolonialkritischen Literatur ausgeklammert. Ähnlich wie im kolonialen Film arbeiten auch zahlreiche Romane und Kurzgeschichten, allen voran Hans Grimms Roman „Volk ohne Raum“ (1926), die Stereotypisierungen des Fremden heraus und sorgen für eine umfassende Verbreitung kolonial geprägter Ideologien. Zur kolonialen Literatur vgl. exemplarisch Benninghoff-Lühl 1983 – Deutsche Kolonialromane 1884 – 1914 in ihrem. Auch die in den zwanziger Jahren sehr präsente Nutzung der stereotypen Fremddarstellungen in der Werbung wurde hier nicht beachtet, weil dieser kommerzielle Zweig der Instrumentalisierung des Fremden für Hannah Höchs Werk keine bemerkenswerte Rolle spielt. Zu den Stereotypen des Fremden in der Werbung vgl. Ciarlo 2003 – Rasse konsumieren; Scherpe 2004 – Reklame für Salem Aleikum; Wolter 2005 – Die Vermarktung des Fremden.
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men der Repräsentation des Fremden, die sich im imperialistischen Zeitalter herausgebildet haben, übertragen sich auch über den Verlust der Kolonien hinaus. Ob an die deutsche koloniale Vergangenheit durch einen politischen Kolonialrevisionismus angeknüpft wird, ob sie öffentlich aufgearbeitet wird oder sich codiert in den vielgestaltigen Aufführungen des Fremden verbirgt – die Präsenz einer hierarchisch konstruierten Alterität steht im Zusammenhang mit der Aufarbeitung des deutschen Kolonialprojektes. Auch wenn die politisch reaktionären Kolonialbewegungen keine besonders aktive Beteiligung der deutschen Bevölkerung in den zwanziger Jahren verzeichnen, wird das Produkt der Fremde durch den konsumierenden Bürger gemacht. Die Neugier am Fremden und die begierige Aufnahme von und die Teilnahme an inszenierter Alterität in Völkerschauen, kolonialen Filmen, ethnologischen Sammlungen und massenmedial verbreiteten Berichterstattungen verhelfen den Stereotypisierungen des Fremden zu einem stetigen Progress.229 Je nach Medium und Ausrichtung wechseln die Charakterisierungen des Fremden zwischen einem zivilisationskritischen Exotismus und einer rassistischen Abwertung, zwischen Personifizierungen der Angst vor einem Verlust der klaren Differenzstruktur und einem ungezügelten Begehren an allem, was die strengen Grenzen des weißen Selbst aufzuweichen vermag.230 Die allgemeine, vor allem in den Metropolen sichtbare Zivilisationsmüdigkeit, die Fragen nach nationaler Identität und Struktur und die Aufarbeitung politischer Traumata werden durch die Gegenüberstellung mit einem als different markierten und als unterlegen stigmatisierten Anderen aufgearbeitet. Die häufig begleitende Auseinandersetzung mit den Entwicklungen von Hybridität und Mimikry, die sich meist in paradoxen, grotesken und als lächerlich abgeschwächten Darstellungen und Berichten über eine Nichtbeherrschung westlicher kultureller Codes durch außereuropäische Völker äußert, zeigt, dass die rassischen Grenzen keineswegs unhinterfragt bleiben.231 Die Angst vor unabsehbaren Auswirkungen des westlichen Kultureinflusses auf die Entwicklung der als bislang minderwertig betrachteten außereuropäischen Kulturen lassen sich zwischen den Zeilen der Repräsentationen des Anderen ebenso herauslesen, wie die Befürchtung, dass auch ein umgekehrter Einfluss nicht ausgeschlossen werden kann und der Kontakt mit der fremden Kultur auch die Eigene verändert. Demgemäß verläuft die Begegnung der Rassen immer dort träumerisch, exotistisch und somit positiv, wo eine Distanzierung möglich ist und sie äußert sich in den Momenten angst-
229 Vgl. Honold, Scherpe 2004 – Einleitung, S. 9ff; Scherpe 2010 – Szenarien des Kolonialismus, S. 165, Ciarlo 2003 – Rasse konsumieren, S. 141. 230 Vgl. Stahr 2004 – Fotojournalismus zwischen Exotismus und Rassismus, S. 3. 231 Vgl. Stahr 2004 – Fotojournalismus zwischen Exotismus und Rassismus, S. 206ff.
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voll und aggressiv-defensiv, wo sich eine Durchmischung andeutet. Bilder von fern abgelegenen Paradiesen mit ihren unzivilisierten, naiven Bewohnern können von der Ferne betrachtet und als Projektion der eigenen Sehnsüchte und Unsicherheiten benutzt werden, wohingegen eine persönliche Begegnung nur im strengen Korsett etablierter Kulturpraktiken stattfinden darf und darüber hinaus als alarmierend und ungesichert behandelt wird. Sowohl die diskriminierenden, als auch die idealisierenden Darstellungen des Fremden vollziehen jedoch eine Form der Unterwerfung, die allein durch eurozentristische Vorgaben gesteuert wird.232 Die kolonial verankerten Machtstrukturen, die den Repräsentationsmethoden der Völkerkundemuseen, der Fotografien und Ausstellungen zum Thema der Fremde innewohnen, reproduzieren die Mechanismen von Gewalt und Rassismus und deklarieren sie in der Öffentlichkeit durch stete Wiederholung als gültig.233 Die Konstruktionen des differenten Anderen bleiben von einer Konstruktion des Selbst abhängig. Der Blick auf das Fremde bleibt ikonographischen, kommunikativen und sozial verorteten Prozessen und Zusammenhängen verpflichtet, als deren Quelle das koloniale System auszumachen ist.234
232 Vgl. Hinden 2005 – Die Macht kunstwissenschaftlicher Reproduktionen, S. 50. 233 Vgl. Honold, Scherpe 2004 – Einleitung, S. 9. 234 Vgl. Stahr 2004 – Fotojournalismus zwischen Exotismus und Rassismus, S. 2f. und S. 49f.; Kravagna 1997 – Vorwort, S. 8.
4. „Aus einem ethnographischen Museum“
So ambivalent das Thema der Fremde im Alltag der Weimarer Republik verhandelt wird, so ambivalent findet es sich auch in der Bearbeitung durch Hannah Höch wieder. Die Etablierung kolonialer Denkstrukturen, die sich nicht nur in kolonialrevisionistischen Versuchen, sondern auch in den vielfältigen Verarbeitungen in Alltagssituationen zeigt, der Konflikt zwischen den fiktiven Phantasmen nationaler Größe und der Realität einer modernen Lebenswelt, die Zivilisationsmüdigkeit und die verheißungsvollen Fluchtversuche durch einen extensiven Differenzkonsum finden in Höchs Fotomontagen eine Aufarbeitung. Bei aller Homogenität, mit der Höch das Thema der Fremde über einen großen Zeitraum hinweg in ihren Arbeiten verfolgt, ist es vor allem die Heterogenität innerhalb der einzelnen Arbeiten, die die Dimension des Paradigmas des Anderen andeutet. Dabei zählt Höch die Ebenen des Alteritätskonstruktes nicht einfach auf, sondern sie gießt sie ab und überträgt sie mit all ihren Mechanismen in ihr Medium und mit Hilfe ihres Mediums, der Fotomontage. Offensichtliche Anspielungen und schnelle Assoziationen führen in Höchs Fotomontagen von der Oberfläche zu einem Dickicht an Bedeutungen und Verknüpfungen, die dem Betrachter genau den Weg der Repräsentation erklären, der in seinem primären Kontext unhinterfragt bleibt.
4.1 R EFLEKTION POLITISCHER UND SOZIALER F RAGESTELLUNGEN Beginnend mit einer Gruppe von Arbeiten, die konkret politische und soziale Phänomene zum Anlass haben, soll im Folgenden gezeigt werden, wie Hannah Höch im Verlauf ihrer Arbeiten Identitäts- und Repräsentationsprozesse reflektiert, wie sie den medialen Gebrauch des Fremden hinterfragt und wie sie vor al-
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lem ein Diskursfeld für die Kunst eröffnet, das die Unmöglichkeit einer Kategorisierung und Trennung von Kunst nach ihrer Herkunft vorführt. 4.1.1 „Mit Mütze“, „Hörner“, „Die Entführung“ Die beiden Fotomontagen „Aus einem ethnographischen Museum XI: Mit Mütze“ (Abbildung 13) und „Aus einem ethnographischen Museum X: Hörner“ (Abbildung 14) weisen nicht nur in ihrem Aufbau eine offensichtliche Anlehnung aneinander auf, auch ihre Quellen überschneiden sich. Beide Montagen wurden auf einem naturfarbenen Pappkarton arrangiert, der den Motiven nicht nur Unter- und Hintergrund ist, sondern vor allem auch Rahmen: Höch unterlegt die Köpfe noch einmal mit einem dunklen Hintergrund, der das Hochformat des rechteckigen Kartons wiederholt und jenen als einen breiten, dominanten Rand hervortreten lässt. Vor dem blauschwarzen Hintergrund treten wie schwebend die beiden montierten Figuren hervor, die als Portrait ohne Hals das jeweilige Blatt dominieren. Die Hauptquelle dieser Montagen bildet die Abbildung einer Maske aus Nigeria1, die 1925 in „Der Querschnitt“2 erschienen ist und deren nachweisbares Erscheinungsdatum Höchs Datierung der Fotomontagen auf 1924 revidiert.3
1
Die Bezeichnung der Herkunftsorte der Figuren wird in dieser Arbeit aus den Quellen übertragen. Tauchen Benennungen wie beispielsweise „Französisch Congo“ auf, so beziehen sie sich auf den Staatsnamen, wie er zur Zeit der Veröffentlichung der Quelle Gültigkeit hatte.
2
Quelle: Der Querschnitt, Jahrgang V, Heft 1, Berlin 1925, S. 9. Eine fundierte Untersuchung der Quellen, die Höch für Ihre Fotomontagen benutzt, ist bereits in verschiedenen Zusammenhängen erfolgt. Besonders anschaulich und ausführlich werden die Quellen und Einzelausschnitte im Katalog der Hannah Höch Ausstellung in Minneapolis im Jahr 1997 gezeigt, vgl. Makela, Boswell (Hg.) 1997 – The photomontages of Hannah Höch. In der vorliegenden Arbeit werden die Quellen genannt sofern sie nachvollziehbar sind, auf eine nähere Bestimmung und Abbildung jedoch mit dem Verweis auf Makela und Boswell verzichtet.
3
Höchs Datierung der Arbeiten ist unzuverlässig. Höch hat Daten oft nachträglich eingetragen oder korrigiert. Eine ungefähre Einordnung der einzelnen Blätter lässt sich eher über das Erscheinungsdatum ihrer Quellen festlegen, als über Höchs eigene Datierung. Für die Bedeutung der Arbeiten hat eine Abweichung der exakten Jahreszahlen keine Bedeutung, die Methode einer chronologischen Betrachtung wird durch deren Fehlerhaftigkeit jedoch unbrauchbar.
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Abb. 13: Hannah Höch, Aus einem ethnographischen Museum XI: Mit Mütze
Für die Arbeit „Mit Mütze“ benutzt Höch die sorgfältig ausgeschnittene untere Hälfte der Reproduktion der nigerianischen Maske und ergänzt diesen durch den Ausschnitt der Augenpartie eines weißen Mannes. Das perspektivisch angepasst ausgeschnittene Fragment einer schwarz glänzenden Uniformmütze komplettiert den Kopf der zusammengefügten Figur. Der obere Teil des Masken-Ausschnitts wird von Höch für die Arbeit „Hörner“ benutzt. Hier bilden der behörnte Oberkopf mit einem Auge das primitive Element der Montage, der untere Teil des Gesichtes ist das eines weißen Mannes. Sowohl das linke Auge als auch die Mundpartie wurden hier von Höch aus separaten Abbildungen eingeklebt, so dass auch das auf den ersten Blick geschlossene weiße Gesicht sich auf den zweiten Blick als fragmentiertes Ensemble erweist. Obwohl beide Figuren proportional stimmig erscheinen und alle Bildelemente sich flüssig ineinanderfügen, irritieren die Brüche der Einzelteile – umso mehr, als sie erst bei genauerer Betrachtung ins Auge fallen. Erst dann wird auch die Konstruktion einer Mimik der Gesichter sichtbar, die Höch durch die Benutzung von Einzelausschnitten er-
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reicht und die für die Wirkung der Blätter entscheidend ist: Unter der Strenge der Uniformmütze blicken die weißen Argusaugen bei der Arbeit „Mit Mütze“ nach links. In ihrer Wachsamkeit und Fokussierung spielt ihnen die Härte und Symmetrie der eckigen Gesichtsform der Maske zu. Militärische Schärfe findet sich auch in der Arbeit „Hörner“, wo der obere Teil der nigerianischen Maske als ein martialischer Helm auf dem Kopf thront und der direkte Ausdruck des Gesichtes mit dem überheblichen, verkniffenen Lächeln durch die minimalen Kanten und Verschiebungen beim Einsetzen der Einzelausschnitte zustande kommt. Der Bruch zwischen den „primitiven“ Versatzstücken und den Ausschnitten der weißen Gesichter ist bei beiden Fotomontagen hart und unübersehbar und obwohl das Verhältnis zwischen den Ausschnitten ausgeglichen ist, wirken die „primitiven“ Elemente beide Male wie ein schweres Requisit, das die strenge Wirkung der Köpfe steuert. Es scheint kaum wahrscheinlich, dass Hannah Höch bei diesen beiden Fotomontagen nicht auf die groß geführte Kampagne um die „Schwarze Schmach am Rhein“ anspielt, die in eben den Jahren ihren Höhepunkt in der Öffentlichkeit findet, in denen auch Höch die beiden Arbeiten anfertigt. Die Diskussion um die Rheinlandbesetzung, der Verlauf der Debatte und ihre Repräsentationsstrukturen werden bei Höch auf gleichermaßen bestechende wie subtile Weise aufgegriffen. Die Kampagne um die „Schwarze Schmach am Rhein“, die in Kapitel 3.3 bereits umrissen wurde, wird grundsätzlich über zwei Wege geführt: Einerseits wird das barbarische Treiben der unzivilisierten, unmenschlichen Schwarzen betont. Ihre Schuld und ihre Verbrechen an den weißen Deutschen und besonders an den weißen, deutschen Frauen werden in allen Facetten ausgemalt und öffentlich angeklagt (Abbildung 7). Auf der anderen Seite wird vor allem die Rolle Frankreichs als heimtückischem Kriegsgegner und Erzfeind drastisch illustriert. Das Einsetzen unschuldiger, naiver, unzivilisierter Schwarzer gegen Deutschland wird als Coup Frankreichs demonstriert, das die Deutschen so in ihrem Rassestolz zu verletzen und über die Maßen zu demoralisieren und kränken versuche (Abbildung 8). Die Kenntnis der Methoden der Instrumentalisierung des schwarzen Mannes für verschiedene Propagandazwecke und seine öffentliche Repräsentation entschleiert die Arbeiten „Hörner“ und „Mit Mütze“, die vor diesem Hintergrund nachahmen, was in den Medien konstruiert wird: Verkörpert durch den strengen, weißen Blick und die europäische Uniformmütze reproduziert Höch in der Arbeit „Mit Mütze“ die Unterwerfung des schwarzen Mannes unter weiße Machtstrukturen.
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Abb. 14: Hannah Höch, Aus einem ethnographischen Museum X: Hörner
Der primitive Schwarze wird hier als eine Folie reproduziert, der sowohl Mund als auch Augen fehlen. Stimmlos und ohne eigene Sicht zeigt er sich seiner Selbstbestimmung entledigt und einer weißen Militärmacht untergeordnet. Die „primitive“ Maske bildet das Gerüst des Gesichtes, seine entscheidenden Partien werden jedoch durch weiße Ausschnitte ersetzt. Umgekehrt scheint die Figur des Blattes „Hörner“ sich das Barbarische – hier gleich doppelt symbolisiert durch einen Ausschnitt einer „primitiven“ Figur, die gleichzeitig einen bedrohlichen Helm mit Hörnern darstellt – überzustülpen. Der weiße Mann, dessen linkes Auge den Betrachter unerschrocken anblickt, macht sich das Primitive, Wilde zunutze, setzt es als Waffe ein und benutzt es unter seiner Herrschaft. Vor allem im Hinblick auf die übrigen Fotomontagen Höchs, bei denen überwiegend die Abbildungen von Frauenkörpern verarbeitet werden, ist der
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Aspekt der Männlichkeit in diesen beiden Arbeiten beachtlich und ihre Referenz zur kolonialen Struktur unverkennbar: Der Kolonialismus vertritt ein System männlicher Machtstrukturen, das eine kompromisslose Männlichkeit in zweierlei Hinsicht in die Öffentlichkeit trägt: Die Unterwerfung des Fremden durch den weißen Eroberer steht ebenso emblematisch für das Bild männlicher Gewalt, wie auch die dramatisierte Bedrohung der weißen Frau durch den instrumentalisierten, schwarzen Mann.4 Die brutale Machtnahme durch den weißen Mann wird durch Bedrohungsphantasien gerechtfertigt und die Praktiken der Gewalt somit durch Umkehrung der Tatbestände rehabilitiert. Männliche Gewalt ist nicht nur die Grundlage des kolonialen Systems, sondern auch ein wichtiges Motiv bei der Repräsentation des Fremden. Wie in der Kampagne um die „Schwarze Schmach am Rhein“ nutzt auch Höch bei den Arbeiten „Hörner“ und „Mit Mütze“ das Symbol der Männlichkeit, um die Gewaltförmigkeit der Konfrontation mit dem Fremden zu beschreiben. In den miteinander korrespondierenden Fotomontagen stellt sie durch die direkte Kombination weißer Machtsymbolik und primitiver Bedrohlichkeit die Repräsentation europäischer, kolonialer Gewalt einer überzeichneten, barbarischen Brutalität gegenüber. Sie imitiert mit ihren Schnitten die männliche Gewalttätigkeit, für die sich der deutsche Kolonialismus ebenso verantworten muss, wie sie umgekehrt den außereuropäischen Wilden vorgeworfen wird. Einander gegenübergestellt und im Wechselspiel miteinander werden die propagierten Muster weißer und schwarzer Schuld und Unschuld aufgehoben und von Höch das klassische Konstrukt kolonialer Repräsentation vorgeführt, welches die Abhängigkeit von Beherrschung durch Angstphantasien erklärt. Auch in der Fotomontage „Aus einem ethnographischen Museum: Entführung“ von 1925 (Abbildung 15) finden sich die Elemente, die die Strukturen von Gewalttätigkeit, Bedrohung und Angst bei der Begegnung mit der Fremde charakterisieren. Höch kreiert auch hier wieder einen Rahmen, indem sie den fast quadratischen, naturfarbenen Karton des Untergrundes durch ein etwas kleineres, schwarzes Pappquadrat ergänzt. Dieses dient hier jedoch nur der Erzeugung eines zweiten Rahmens; erst ein dunkelblaues, wiederum kleineres Blatt bildet den eigentlichen Hintergrund der Fotomontage. Den monochromen, zweidimensionalen Raum dieses Blattes hebt Höch durch die Überschneidung verschiedener Bildschnipsel auf: Auf einen die gesamte Breite des Blattes einnehmenden, schmalen Bildstreifen montiert sie die Abbildung einer Holzskulptur aus dem
4
Vgl. Wildenthal 2001 – German women for empire, S. 75f.; Kundrus 2003 – Moderne Imperialisten, S. 33.
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Congo.5 Die dunkelbraune Skulptur zeigt ein stilisiertes Pferd oder Lastentier, auf dem vier ebenfalls stilisierte Menschen sitzen: eine männliche Figur vorne, gefolgt von zwei weiblichen und einer weiteren männlichen Figur am Ende. Alle Figuren blicken starr geradeaus und sitzen in aufrechter Haltung, die männliche Figur am Ende hält einen Speer vertikal vor der Brust. Den Kopf einer der beiden weiblichen Figuren ersetzt Höch durch den Ausschnitt eines modernen Frauenkopfes – gekennzeichnet und abgegrenzt von der eigentlichen Figur nicht nur durch die Farbe der Abbildung, sondern auch durch die verkehrte Blickrichtung: Der Damenkopf ist nach rechts ausgerichtet, er blickt zurück, der Mund ist aufgerissen. Im Zusammenhang mit den übrigen, so streng und verschlossen wirkenden Figuren und deren starrer Miene und Ausrichtung suggeriert das Zurückblicken des modernen Frauenkopfes einen empörten Aufschrei, ein Aufbegehren gegen die Vereinnahmung durch den Körper der „primitiven“ Figur, dem er aufmontiert wurde. Der Kontrast zwischen der „primitiven“ Skulptur und der weißen, durch ihre Frisur als hypermodern charakterisierten Frau, die Verkehrung der Blickrichtung und die auffällige Unterscheidung der Farbigkeit der Figuren bringen eine besondere Dynamik in das dargebotene Bild, welche der Statik der eigentlichen Skulptur widerspricht. Es wird so eine Narrativität entwickelt, die den Betrachterblick auf die weiße, offensichtlich klagende Frau konzentriert. Rote, als Bäume eingeklebte Beeren6 vervollständigen den dreidimensionalen, dynamischen Eindruck des Raumes, weil sie mit Überschneidungen neben und hinter der Skulptur eingearbeitet sind. Gemeinsam mit dem Sockelstreifen ergibt sich das Bild eines Weges, den die Menschengruppe entlang reitet. Gemeinsam mit dem Sockelstreifen ergibt sich das Bild eines Weges, den die Menschengruppe entlang reitet. Der Titel der Fotomontage – „Die Entführung“ – aber auch die Betitelung der Skulptur aus dem Congo – „Raub der Jungfrauen“7 – geben der Szenerie, die sich hier abzuspielen scheint, einen Rahmen: Das aufgebrachte Schreien der weißen Frau und ihre Fesselung in das Korsett des „primitiven“ Körpers lassen sich als eine gewaltvolle Verschleppung lesen.
5
Die Figur wurde in verschiedenen Zeitschriften abgedruckt, so in Der Querschnitt, Jahrgang V, Heft 11, Berlin 1925, Seitenzahl ohne Angabe und in der BIZ, Jahrgang 33, Nr. 38, Berlin 1924, S. 1095.
6
Quelle: Die Koralle, Jahrgang 2, Heft 8, Berlin 1926, S. 622.
7
Der Titel der Skulptur wird nur in der „BIZ“ als „Raub der Jungfrauen“ angegeben. „Der Querschnitt“ belässt es bei der Benennung „Holzskulptur aus dem Congo“.
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Abb. 15: Hannah Höch, Aus einem ethnographischen Museum: Entführung
Auch bei dieser Arbeit sind die Analogien zu den öffentlichkeitswirksamen Kampagnen um das Fremde klar sichtbar: Höch kontrastiert hier optisch und inhaltlich die weiße, moderne und damit als zivilisiert charakterisierte Frau mit den schwarzen, nackten und damit als unzivilisiert charakterisierten schwarzen Figuren der „primitiven“ Skulptur. Sie schafft die Situation einer Bedrohung, indem sie die weiße Frau isoliert und den „primitiven“ Figuren aussetzt. Höch greift ein verbreitetes Bild der Kampagne um die „Schwarze Schmach“ auf, das stets die weiße, wehrlose Frau als bedroht durch den schwarzen Mannes zeigt. Die Zwingung des weißen Kopfes auf den Körper einer stilisierten, schwarzen Frau bringt die Ängste um eine Überschreitung der Rassengrenzen ins Bild, die als essentieller Nährstoff der Kampagne genutzt wurden. Barbarische, männliche Gewalt – hier symbolisiert nicht nur durch die stumpfen Mienen der Figuren, sondern auch durch die Überzahl der „primitiven“ Figuren und den Speer am Ende der Reihe, der ein Fliehen bildlich verhindert – steht weiblicher Wehrlosigkeit gegenüber. Die Stilisierung der Skulptur entspricht der verallgemeinern-
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den Stilisierung des Schwarzen als Bedrohung, die lebhafte Mimik der weißen Frau verkörpert die emotionale Ebene, die im Verlauf der Kampagne aktiviert wird, um die Bevölkerung gegen die Fremden aufzubringen. Dass Höch bei dem Titel der Arbeit eine Anlehnung an den Bilduntertitel „Raub der Jungfrauen“ sucht, trägt dem Konstruktcharakter von Fremdbildern Rechnung: Ein so europäischer Titel wie „Raub der Jungfrauen“, der eine große westliche, biblische wie mythologische Tradition hat, ist für eine afrikanische Skulptur kaum wahrscheinlich. Auch dass die Betitelung der Skulptur nur einmalig in der populistischen „BIZ“ auftaucht und es etwa in „Der Querschnitt“ keinen Hinweis auf einen solchen Titel gibt, verweist eher auf eine zielgerichtete Kontextualisierung der Figur im Sinne des stereotypen Bildes von den wilden Primitiven, als dass sie auf einen ursprünglichen Titel hinweist. Die Skulptur selbst verkörpert in keiner Weise eine Entführung, erst die Betitelung setzt sie in einen solchen Kontext. Höch adaptiert den Titel leicht verändert und führt das Thema der Entführung gestalterisch aus, indem sie die Skulptur auch bildlich manipuliert und in den Kontext eines Raubes stellt. Sie vollzieht die Kontextualisierung, wie sie in der Zeitschrift durch die Betitelung erfolgt, nach und führt deren Konstruktion vor. Die „Jungfrau“ als Inbegriff von Moral und Tugend ist in Höchs Arbeit wie in der Kampagne um die „Schwarze Schmach“ die weiße Frau, die von der Gewalt des Fremden im Wortsinn übermannt wird. So wie die Skulptur aus dem Congo aufgrund der Betitelung durch die Zeitschrift „BIZ“ einer Bedeutungsverschiebung unterliegt, so können auch die einzelnen stereotypen Motive selbst verschoben werden, wie ein erneuter Blick auf die Arbeiten „Hörner“ und „Mit Mütze“ zeigt: Ebenso wie sich der gewaltsame Gebrauch des schwarzen Körpers unter dem Kommando des weißen Mannes in diesen beiden Arbeiten wiederfinden lässt, deutet sich hier auch die so häufig erlebbare Willkür bei der „Be-Deutung“ des Schwarzen an: Bilder von schwarzen deutschen Kolonialsoldaten, den sogenannten Askari, tauchen in den Printmedien immer wieder auf und auch in Paraden oder kolonialrevisionistischen Veranstaltungen werden jene als besonders treue Anhänger und Unterstützer eines deutschen Kolonialismus vorgeführt.8 Das Bild des Schwarzen in einer europäischen Uniform wird in diesem Zusammenhang keineswegs als Angstphantasie, sondern vielmehr als Symbol deutscher Güte und Wohltäterschaft umgedeutet. Nicht selten wird dieses Wahrzeichen deutschen Kolonialerfolges imitiert und schwarz angemalte Weiße stellvertretend als Askari zur Schau gestellt. Die Symbolik dieser Schauspiele macht die Künstlichkeit der Konstruktionen des Fremden mehr als deutlich: Obwohl die gleichen Bildelemente benutzt werden,
8
Vgl. Zeller 2010 – Weiße Blicke, S. 191ff.
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kann der Bildzusammenhang ins Positive gewendet und die Instrumentalisierung des schwarzen Körpers in eine kolonialpropagandistische Richtung gelenkt werden. Auch Höchs Arbeit „Mit Mütze“ kann in einem solchen Sinne als Vexierbild betrachtet werden: Genauso wie sie an die Kampagne um die „Schwarze Schmach“ erinnert und deren Repräsentation aufgreift, kann die bloße Kombination einfachster Bildelemente auch an die kolonialrevisionistische Betrachtung des deutschen Kolonialsoldaten erinnern. Die gestalterischen Merkmale bleiben bei beiden Betrachtungen reduziert, allein eine zielgerichtete Kontextualisierung sorgt für eine Wertung. Höchs frei schwebende Komposition der Figuren vor einem zweidimensionalen Hintergrund demonstriert Umdeutbarkeit; sie führt vor, wie einzelne Fragmente zu einem willkürlichen Gesamtbild werden. Macht und Differenz treten in allen bisher betrachteten Arbeiten als Kategorien deutlich hervor und es genügt, dass Höch einige stereotype Stichpunkte aufgreift, um deren Wirkung zu entfalten: Der wilde Fremde, symbolisiert durch die bedrohlichen Hörner, der beherrschbare Primitive, gekennzeichnet durch Fehlen von Sprache und Wahrnehmungsfähigkeit – hier Mund und Augen – der übermächtige weiße Mann, charakterisiert durch die Uniformmütze und die verletzliche weiße Frau, dargestellt mit angstvoll schreiender Miene. Höch kombiniert diese Schlagworte und zeichnet in ihren so offensichtlich als Konstruktionen erkennbaren Figuren die Strukturen von Differenz, Repräsentation und Macht nach. Sie setzt einfach codierte Stereotype zusammen und rekonstruiert die Beschaffenheit einer Kampagne wie derjenigen um die „Schwarze Schmach am Rhein“. Höch zeigt, mit wie einfachen Mitteln die tradierten Definitionen des weißen Selbst und des primitiven Anderen abgerufen werden können. Sie problematisiert den Konstruktcharakter rassischer Hierarchie, indem sie ihre Fotomontagen nicht unter das typisch dadaistische Muster des Chaos stellt und Verzerrung als Entfremdungseffekt nutzt, sondern indem sie die Einzelausschnitte formal und proportional so anpasst, dass das Gesamtbild eigentlich ungestört ist. Irritationen stellen sich erst auf den zweiten Blick ein, wenn die Schnitte sichtbar werden und die unterschwelligen Störungen durch kleinste Brüche und Fehler das geschlossene Konzept der Figuren aus der Fassung bringen. Die vorgeblich naturgegebene Substanz der Differenz, die den Umgang mit dem Fremden fundiert, wird so von Höch bildlich in ihrer Deformiertheit vorgeführt und das Modell vom Eigenen und dem Fremden durch einen stillen und doch deutlichen Widerspruch herausgefordert.
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4.1.2 „Mischling“, „Deutsches Mädchen“ Eine im gleichen Sinne wirkungsvolle Arbeit ist auch das Blatt „Mischling“ von 1924 (Abbildung 16), dessen Bezug zur Debatte um die Rheinlandbastarde und die prinzipielle Thematisierung der Mischlingsfrage sich schon im Titel manifestiert. Wie bereits vorab erläutert wurde, ist es nicht allein die Besetzung des Rheinlandes, welche die Menschen in Deutschland schockiert. Die kaum vermeidbare und während der aktiven Kolonialzeit bereits so intensiv diskutierte Problematik rassenübergreifender, zwischenmenschlicher Begegnungen stellt das eigentliche Gefahrenpotential des Zusammentreffens mit den schwarzen Soldaten dar. Die komplexen Fragestellungen darüber, wie mit gemischtrassigen Paaren zu verfahren, wie Mischlingskinder zu behandeln und wie die Verunreinigung der deutschen Rasse von vorneherein zu vermeiden sei, werden nicht nur zu einem zentralen Bestandteil der Kampagne um die „Schwarze Schmach am Rhein“, sondern auch zu einem Politikum, das nicht zuletzt in den öffentlich ausgesprochenen, drastischen Erwägungen von Zwangssterilisierungen mündet. Höch stellt die sich überschlagende Diskussion in ihrer Arbeit „Mischling“ zur Disposition. Mit dem üblichen, durch einen doppelten Untergrund erzeugten kleinen Rahmen montiert Höch auf einem naturfarbenen Karton den ausgeschnittenen Druck des Dreiviertelportraits einer schwarzen Frau, deren Haare sie herausschneidet. Höch setzt das Gesicht auf einer zusätzlich eingeklebten hellbraunen Fläche so ein, dass jener farblich nur minimal vom Hintergrund des Blattes verschiedene Ausschnitt das Gesicht der Portraitierten wie ein Schleier umschließt und am Hals entlang zum unteren Rand des Bildes verläuft. Das Einpassen des Kopfes in den hellen Untergrund und die so entstehende Illusion eines Schleiers wird durch helle, an blonde Haarsträhnen erinnernde, schemenhafte Radierungen ergänzt. Hals und Schlüsselbein, die von einer Kette geschmückt sind, schließen die Büste am unteren Bildrand ab. Gebrochen wird der Ausschnitt der schwarzen Frau, dessen Quelle nicht belegt ist, der aber auch in Hannah Höchs Album auftaucht,9 durch die ausgeschnittene Mundpartie, die den Mund und das Kinn einer weißen Frau freilegt.
9
Hannah Höch sammelt in einem Album die Ausschnitte von Fotografien aus verschiedenen Zeitschriften. Sie klebt diese thematisch und akkurat ein und gibt damit einen Einblick in ihr offenbar zielgerichtetes und persönliches Interesse an den Abbildungen der Illustrierten und Zeitschriften. Neben den Motiven von Tieren, Kindern oder Sportlern hat auch das Feld der ethnologischen Fotografie einen großen Raum in Höchs Album; Bildgruppen exotisch inszenierter Menschen tauchen wiederholt auf. Höchs Sammel-Album wurde 2004 von Gunda Luyken reproduziert, vgl. Luyken
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Abb. 16: Hannah Höch, Mischling
Durch den Kontrast der Inkarnate und die Größe des Gesamtausschnittes fällt die Disproportionalität des Mundes zum Rest des Gesichtes nicht auf den ersten Blick auf, erst bei genauerer Betrachtung zeigt sich der mit rotem Lippenstift bemalte Mund als zu klein und falsch positioniert. Ein feiner Schnitt, der den hellbraunen Untergrund freilegt, zeichnet das Kinn und den Kiefer nach und gibt dem Kopf und seiner Haltung eine markante Struktur. Obwohl der größte Teil des Portraits das einer schwarzen Frau ist, lenken doch die wenigen, hellen Ausschnitte die Wahrnehmung dieser montierten Figur. Sie brechen das Bildnis, dessen Ausschnitt durch die würdevolle Haltung und den geschmückten Hals Ausdruck einer besonderen Ruhe und Anmut ist und dessen Andeutung eines
(Hg.) 2004 – Hannah Höch. Die bei der Arbeit „Mischling“ verwendete Abbildung erscheint hier im Konglomerat mit zwölf weiteren Abbildungen, die allesamt die nackten Körper afrikanischer und ozeanischer Menschen zeigen, vgl. Luyken (Hg.) 2004 – Hannah Höch, Seitenzahl ohne Angabe.
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Schleiers die Würde von Marienbildnissen assoziiert. Auffällig ist der warme, in die Ferne schweifende Blick, der jedoch auch den Hebelpunkt für die Umkehrung des Bildes darstellt: Durch die Spiegelung des Lichtes strahlen die Augen – oder sie sind mit Tränen gefüllt. Das Entfernen des eigentlichen und das Aufzwingen eines weißen Mundes verbirgt die ursprüngliche Mimik der Portraitierten, vielmehr ersetzt der helle Ausschnitt das ursprüngliche Lächeln der Abgebildeten durch eine Wunde, die mitten im Gesicht klafft. Das auf den ersten Blick erhabene Portrait einer stolzen schwarzen Frau entpuppt sich beim zweiten Hinsehen als fragmentierte, verletzte Maske, die unter der schwarzen Haut ein verborgenes Weißsein freigibt und deren harte Schnitte die Konfrontation zweier Identitäten andeuten. Die Gegenüberstellung mit einer weiteren Fotomontage Höchs, der Arbeit „Deutsches Mädchen“ von 1930 (Abbildung 17), legt wichtige Aspekte der Arbeit „Mischling“ offen. Nahezu identisch in der Komposition setzt Höch auch hier das Dreiviertelportrait einer Frau zentral ins Bild, zeigt den Ausschnitt bis zum Hals und schließt die Büste mit einer Halskette nach unten ab. Der hier aufgeklebte Hauptausschnitt eines Gesichtes ist jedoch das einer weißen Frau vor schwarzem Hintergrund. Wie bei der Arbeit „Mischling“ verfremdet Höch auch das „Deutsche Mädchen“, indem sie Teile des Gesichtes durch Schnitte freilegt und andere durch aufgeklebte Ausschnitte ersetzt. Das linke Auge und die linke Wange treten erst durch einen diagonalen Schnitt hervor und lassen den leicht schiefen Ausschnitt einer anderen, klar durch die Farbigkeit zu unterscheidenden Abbildung hervortreten, während das rechte Auge viel zu klein eingesetzt ist. Schwarze, zu einer Hochsteckfrisur zusammengebundene Haare bilden Pony und Oberkopf und schließen das Portrait nach oben ab. Mit dem Titel „Deutsches Mädchen“ suggeriert Höch die Abbildung einer archetypisch deutschen Frau. Sie knüpft dabei nicht nur an die so geläufige Praxis der Publikation anthropologischer Fotografien an, in denen stellvertretend verschiedene Rassen und ihre Körpermerkmale portraitiert werden. Höch greift vielmehr auch ein prägnantes Thema in den Medien der zwanziger Jahre auf: Die moderne, deutsche Frau ist zu einem viel betrachteten Objekt geworden, das in allen Facetten des Lebens beschrieben und kategorisiert wird.
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Abb. 17: Hannah Höch, Deutsches Mädchen
In der Weimarer Republik zu einer – wenn auch fragmentarischen – Form der Selbstbehauptung gelangt, muss die moderne Frau die unterschiedlichsten Rollenanforderungen erfüllen: Zwar kann sie nun am Arbeitsplatz ihre Persönlichkeit und Stärke behaupten, aber auch zuhause und als Ehefrau muss sie ihre Rolle erfüllen. Sie soll selbstbewusste, emanzipierte Verdienerin sein, aber stets un-
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terhaltsam, attraktiv und begehrenswert bleiben.10 Repräsentiert wird die moderne, sogenannte „Neue Frau“ stets als ein überpräsentes Objekt, das betrachtet und aus männlicher Sicht definiert wird:11 „Tüchtige Männer erfanden das Ideal der tüchtigen Frau, Ärzte die tüchtige Krankenschwester, Geschäftsleute die tüchtige Sekretärin. Und so gibt es alle Arten. [...] Eine Unmenge von Frauen lebt dieser Idee: nur, weil die Männer es so wollen.“12 Ganze Zeitschriftenausgaben widmen sich dem Bild der modernen Frau und deren Positionierung und veröffentlichen nicht nur eine Flut an unterschiedlichen Frauenportraits, sondern auch Artikel mit den vielsagenden Titeln „Die Frau, wie Du sie willst“, „Die Anbetung der Jungfrau“, „Die Knäbin“ oder „System des Männerfangs“.13 In den sich ständig wiederholenden Darstellungen der typischen Frauenrollen der zwanziger Jahre äußert sich die Schablonenhaftigkeit der Neuen Weiblichkeit und es zeigt sich, wie notwendig die Typisierungen und Klassifizierungen für die im Umbruch befindliche gesellschaftliche Ordnung sind.14 Denn die „Neue Frau“ ist nicht nur ein Indiz für die Fortschritte der Moderne, sondern auch nach wie vor das soziale und kulturelle Rückgrat der Gesellschaft. In kolonialen Tagen und während des Krieges wird die Frau zum Fundament der Nation stilisiert und ihre Bedeutung für die deutsche Identität bleibt auch in der Weimarer Republik unangetastet. Durch Kategorisierungen wird der zunehmenden Emanzipation der Frau nun eine Struktur gegeben, die scheinbar auf der Freiheit der Frau aufbaut, die tatsächlich aber neue Regeln aufstellt.15 Hannah Höch greift in ihrer Fotomontage „Deutsches Mädchen“ die Typisierung der Frau in der medialen Öffentlichkeit der zwanziger Jahre auf. Sie skizziert die Baukastenstruktur weiblicher Identität, indem sie das typisch deutsche Mädchen als Konglomerat aus einzelnen Gliedern beschreibt. Zusammengenommen ergibt sich eine geschlossene Figur, bei näherer Betrachtung jedoch erweist sich diese als deformierte Oberfläche und Konstrukt unterschiedlicher Pro-
10 Vgl. Kollontai 1988 – Die neue Frau; Wildenthal 2001 – German Women for Empire, S. 194; Hake 1997 – In the mirror of fashion, S. 186f. 11 Vgl. Petro 1997 – Perceptions of difference, S. 41ff. 12 Zitate aus einem Artikel von D.H. Lawrence: „Die Frau, wie Du sie willst“, in: Der Querschnitt, Jahrgang X, Heft 5, Berlin 1930, S. 322ff. 13 Hier exemplarisch genannt einige Artikel des Sonderheftes „Junge Mädchen heute“, in: Der Querschnitt, Jahrgang XII, Heft 4, Berlin 1932 und Der Querschnitt, Jahrgang X, Heft 5, Berlin 1930. 14 Vgl. Frame 1997 – Gretchen, Girl, S. 13. 15 Vgl. Frame 1997 – Gretchen, Girl, S. 13f., Wildenthal 2001 – German Women for Empire, S. 194.
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jektionen. Die Arbeit „Mischling“ nun, die schon im Titel die Problematik verschwimmender Grenzen vorgibt, schließt an diesen Kontext an. Wie das „Deutsche Mädchen“ ist auch das Portrait „Mischling“ eine Schablone, die eben keine feste Identität zu beschreiben vermag, sondern deren Kern eine grundsätzliche Erschütterung des Innen und des Außen ist. Höch stellt die Differenz der Rassen und damit die Differenz der Identitäten hier nach, indem sie die harten Grenzen offen legt, die allein durch die Hautfarben indiziert werden. Sie zerstört das Portrait der schwarzen Frau durch die Konfrontation der Farben und lässt es so in zwei Hälften zerfallen, die nur oberflächlich zusammenfinden. Mit den harten, eckigen Schnitten der Mundpartie verwehrt Höch der schwarzen Figur ihre Fähigkeit zur Sprache und ersetzt sie stattdessen durch die inkompatible Stimme des Anderen. Die Künstlerin verbildlicht die vermeintliche Objektivierung der sogenannten Mischlinge und demonstriert die Fremdbestimmung dieses Vorgangs durch Rassendefinition. Das „Deutsche Mädchen“ und der „Mischling“ beschreiben durch ihre Korrespondenz die Konstruktionen von Identität, die nicht nur aufeinander bezogen, sondern auch in sich selbst brüchig sind. Die Wahl eines Frauenportraits bei der Arbeit „Mischling“ ist nicht nur als Exempel für die Klassifizierungswut der zwanziger Jahre relevant, sondern auch, weil das Rollenmodell der deutschen Frau als Kulturträgerin und -überträgerin für die Mischlingsdiskussion zentral ist. So wie die Frau den Fortschritt der modernen Gesellschaft symbolisiert, so steht sie auch mehr denn je für deren Verfall. Die moderne Frau, die nun auch sexuell frei entscheidet, ist die Schwachstelle der deutschen Nation.16 Sie ist das Motiv der Bedrohungsphantasien in der Kampagne um die „Schwarze Schmach“ und an sie werden die Appelle der Rassenreinheit adressiert. Der deutschen Frau wird also eine Aufgabe in der Mischlingsfrage zugeteilt, nämlich die Grenzen anzuerkennen und EntFremdung durch die Vermischung der Kategorien zu vermeiden. 4.1.3 „Die Braut“, „Bäuerliches Brautpaar“, „Liebe im Busch“ Höch verarbeitet die vor allem im Zusammenhang mit der „Schwarzen Schmach“- Kampagne wieder aufflammende, koloniale Rassenfrage in drei weiteren Arbeiten. Auch in der Fotomontage „Die Braut“ von 1933 (Abbildung 18) bringt sie die verzerrten Auffassungen der Rassenkonstruktion ins Bild. Sie entwirft hier das skurrile Portrait einer Braut, die zwischen den Rassen steht.
16 Vgl. Frame 1997 – Gretchen, Girl, S. 13.
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Abb. 18: Hannah Höch, Die Braut
Auf einem hellbraunen Untergrund und mit doppelter Rahmung positioniert Höch die Abbildung einer schneeweißen Frauenbüste im Profil, deren Kopf die Künstlerin durch die obere Gesichtshälfte einer schwarzen Frau und die Mundund Kinnpartie einer weißen Frau ersetzt. Ein Stück aufgeklebter Tortenspitze und eine mit weißer Farbe strukturiert aufgetragene Farbfläche in der rechten Bildhälfte deuten den fliegenden Schleier der Braut an, deren Gesicht in der Vollfrontale zu sehen ist, die den Betrachter jedoch nicht ansieht. Der pompöse Schleier und die anmutige Haltung der Figur stehen der Fragmentierung ihres Körpers gegenüber, der gleich drei verschiedene Hautfarben bündelt und die Absurdität vorführt, mit der die Kategorie der Rassen in persönlichste Lebens- und Entscheidungsbereiche vordringt. Auch in den Arbeiten „Liebe im Busch“ von 1925 und „Bäuerliches Brautpaar“ von 1931 demonstriert Höch die öffentlich geführte Debatte um die Rassenmischung und imitiert offizielle Propagandamaßnahmen gegen die zwischenmenschliche Überschreitung rassischer Grenzen. In beiden Arbeiten greift die Künstlerin auf die typischen Motive und Argumente des Diskurses zurück.
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Abb. 19: Hannah Höch, Liebe im Busch
Bei der Fotomontage „Liebe im Busch“ (Abbildung 19) versetzt Höch ihre Figuren nicht nur durch den Titel an einen fremden, unbekannten Schauplatz, sondern sie suggeriert die wilde, unzivilisierte Landschaft des afrikanischen Buschs auch durch die Gestaltung des Blattes. Mit verschiedenen, naturfarbenen, grauen und braunen Farbflächen und kreuz und quer aufgeklebten, an hohen Bambus erinnernden Papiersstreifen suggeriert Höch die Dichte und Verborgenheit einer unberührten Landschaft. Inmitten jener Ungestörtheit hat der Betrachter Einblick in eine Szenerie, in der ein schwarzer Mann mit immens langen Armen und riesigen Händen eine weiße Frau umarmt und an sich zu ziehen scheint. Beide Figuren sind auffällig disproportional angelegt und nähren durch ihre Körperhaltungen und angedeuteten Bewegungen die besondere Dynamik des Geschehens. Die Körper der beiden Figuren sind vertauscht: So sitzt der Ausschnitt des schwarzen, männlichen Kopfes auf den nackten Beinen einer weißen Frau, der weiße Kopf der Frau ist auf die hellen Hosenbeine eines Mannes montiert. Zunächst scheint die Szenerie klar erklärbar, greift doch die schwarze, männliche Figur vereinnahmend und leicht nach vorne geneigt mit großer Geste aus den Gräsern des Busches heraus zum weiblichen, weißen Objekt seiner Begierde. Jene weiße Frau schreit jedoch nicht ob der überwältigenden Annäherung durch
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die tentakelartigen Arme, wie ein erster Blick vermuten lässt, sondern vielmehr lacht sie mit offenem Mund verzückt und kokettiert mit der Umarmung des fremden Anderen. Der erste Eindruck der Fotomontage täuscht also auch hier. Die Szenerie zeigt nicht die Überwältigung einer weißen Frau durch einen schwarzen Mann, wie sie so demonstrativ und eindringlich im Verlauf der „Schwarzen Schmach“ Kampagne nacherzählt wird. Hauptakteurin ist hier eigentlich die weiße Frau, die zu einer Umgarnung einlädt und deren unproportional großer rechter Arm dem Griff des Buhlen standhält und ihm sogar begegnet. Auch die Körper der Figuren verweisen auf die umgedrehte Wirklichkeit dieser scheinbar so eindeutigen Szene und legen die Situation in ihrem eigentlichen Kern bloß. Die Konstruktion des übersexualisierten, schwarzen Mannes, wie sie seit dem Kolonialismus überpräsent und im Verlauf der Kampagne um die „Schwarze Schmach am Rhein“ ständig gegenwärtig ist, wird von Höch entlarvt. Ihre Fotomontage verweist auf die nur unzureichend zu verleugnende Tatsache, dass die Kontaktaufnahme zwischen den schwarzen Soldaten und den weißen Frauen weniger durch die gewaltsamen Übergriffe schwarzer Männer, als vielmehr durch die weibliche Sehnsucht nach exotischer Erotik zustande kommt. Höch setzt der Konstruktion des schwarzen, gefährlichen Übermannes die Koketterie der weißen Frau entgegen und widerspricht dem gängigen Bild eines sexuell gewaltvollen Machtverhältnisses zwischen schwarzen Männern und weißen Frauen. Die propagandistische Meinungsbildung gegen eine Rassenmischung durch Wiederholung von rassistischen Stereotypen greift Höch auch in dem Blatt „Bäuerliches Brautpaar“ von 1931 auf (Abbildung 20). Sie spielt hier auf die seit der kolonialen Vergangenheit tonangebende Diskussion um Rassenmischehen und deren Folgen an und thematisiert die öffentliche Diffamierung gemischter Paare. Wenn auch der Titel „Bäuerliches Brautpaar“ noch auf eine beschauliche, junge Liebe im traditionellsten Sinne anspielt, so untergräbt das Motiv des seltsam entstellten Paares diese Idylle. Höch montiert hier eine ländliche Szene: Sie teilt das Blatt durch drei unterschiedlich farbige Streifen in einen Vorder-, einen Mittel- und einen Hintergrund. Im oberen, hellgrauen Teil des Bildes, der den Himmel und den Horizont markiert und der durch eine schematisierte Wolke charakterisiert wird, suggerieren die Abbildung eines sehr kleinen Hauses, eines kleinen Hügels und verschiedener Ausschnitte von Kühen einen Bauernhof. Eine breite, goldgelbe Farbfläche in der Bildmitte deutet die Felder des Hofes an. Eine Milchkanne, die von den linken Armen einer weißen Frau und eines weißen Mannes gehalten wird, schwebt wie ein Vogel über dem Feld und bildet einen zusätzlichen Verweis auf das Thema Bauernhof.
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Abb. 20: Hannah Höch, Bäuerliches Brautpaar
Auf dem schmalen Streifen des Vordergrundes bewegen sich die beiden Figuren des Blattes, die wie auf einem Weg nebeneinander am Feld entlang zu laufen scheinen. Die Gestalten sind nicht nur durch die Disproportionalität ihrer Glieder entstellt: Der zusammengeklebte Körper des Mannes ist auf die Abbildung schwerer, dunkler Stiefel reduziert, die gerade noch die Kniepartie ihres Trägers freilegen. Ein waagerechter Schnitt beendet den Ausschnitt dieser männlichen Beine hart. Ohne direkte Verbindung wird ihnen von Höch der Kopf eines schwarzen Mannes aufgesetzt, den sie außerdem mit einem großen, braunen Hut bekleidet. Der leicht geneigte Kopf dieser bäuerlich angezogenen, männlichen Figur ist seiner Partnerin leicht zugewandt, deren Körper nicht minder fragmentiert ist. Auf in weißen Riemchenschuhen und hellen Söckchen steckenden Kinderbeinen wurde auch hier direkt der Kopf montiert, auf einen Körper verzichtet Höch auch bei ihrer weiblichen Figur. Der Kopf wird von der Abbildung eines großen, dunklen Affenschädels gebildet, dem die blonden, zu zwei Zöpfen ge-
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flochtenen Haare einer Frau wie eine Perücke aufgeklebt wurden. Die Kombination der kindlichen Beine, des tierischen Kopfes und der in Zusammenhang mit dem Affengesicht befremdlichen blonden Haare machen die Figur der Bäuerin zu einem noch seltsameren Gebilde als es der körperlose Mann an ihrer Seite ist. Die weißen Beine und die blonden Haare der Frau charakterisieren sie als Weiße, das Gesicht des Mannes zeigt seine Zugehörigkeit zur schwarzen Rasse. Zusammen wirkt das Paar nicht nur durch die Absurdität seiner Glieder skurril, sondern vor allem auch durch die Kombination menschlicher und tierischer Elemente. Der Kopf des Affen erscheint unter der hier deplatziert und lächerlich wirkenden Frisur mit einem stumpfsinnigen Gesichtsausdruck, die großen Zähne werden der weiblichen Figur zu einem hässlichen Lächeln. Durch die Fragmentierung seines Äußeren wird das Paar der Lächerlichkeit preisgegeben und nicht nur der Affenkopf führt die Fehlerhaftigkeit der Figuren vor. Mit der schroffen Konstruktion der Figuren vollzieht Höch die drastische Verurteilung und öffentliche Anprangerung gemischtrassiger Paare nach. Sie greift nur die grundlegendsten, stereotypen Charakteristika der Rassen auf – schwarze Haut, weiße Haut, blonde Haare – und entfremdet die Figuren; die Stigmatisierung und Ausgrenzung wird so in ihren Grundzügen nachvollzogen. Mit dem dunklen Affenkopf überträgt Höch nicht nur das in den Medien viel benutzte Bild des tiergleichen, primitiven Menschen direkt in ihre Fotomontage, sondern sie verfolgt auch dessen Symbolhaftigkeit: Die Angst vor der sogenannten Verkafferung, die vorgebliche Bedrohung der weißen Rasse durch primitives Blut und die dadurch als unvermeidlich deklarierte Abwertung der weißen Rasse wird von Höch in der gleichen Bildsprache in ihre Fotomontage kopiert, wie sie auch in der Öffentlichkeit medial propagiert wird. Die öffentliche Verfemung gemischtrassiger Paare wird in der Fotomontage „Bäuerliches Brautpaar“ in ihrem fratzenhaften Charakter reflektiert. Die Überspitzung der Bildmittel wirft die Dramatik zurück, mit der die Konstruktion der Rassen auch die persönliche Identität der Betroffenen in intimsten Lebensbereichen verändert. Der Rückgriff auf einfachste Stereotype – schwarzer Mann und weiße Frau werden zu einem kindlich naiven Tier – legt die simplen Argumentationsmuster bezüglich der Rassen offen, die degenerierende Zusammenstellung der stereotypen Bilder entlarvt deren Infamität. Die mitunter offenkundigen Titel der Fotomontagen und die direkte Übertragung bildlicher Repräsentationsmuster und stereotyper Argumentationsstrategien machen deutlich, wie präzise Höch politische und soziale Fragestellungen in Bezug auf das Fremde reflektiert. Obgleich Höch sich zu den Ereignissen der zwanziger Jahre nicht außerhalb ihrer Kunst äußert, so reflektiert sie doch zweifellos deren Verlauf und Hintergründe: Sie kopiert die zeichenhaften Folien, aus
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denen öffentliche Debatten wie die um die „Schwarze Schmach am Rhein“ oder die Mischlingsfrage konstruiert werden und bringt deren fiktionalen Charakter auf den Punkt. Indem sie Figuren entwirft, die auf den ersten Blick auf die bekannten, offiziellen Bilder der Pressekampagnen rekurrieren, die sich beim zweiten Hinsehen jedoch als fehlerhafte Konstruktionen voller Widersprüche entpuppen, zeigt Höch auf die Willkür stereotyper Kategorisierungen und verweist auf die visuelle Manipulation öffentlicher Meinungsbildung. Mit Arbeiten wie den Blättern „Mischling“, „Deutsches Mädchen“ oder „Bäuerliches Brautpaar“ stellt Höch die Konzepte der Rassen, wie sie in der Öffentlichkeit reproduziert werden, zur Diskussion. Ohne eine Wertung oder eine direkte Anklage zu formulieren, analysiert sie die Repräsentation des Fremden und zerlegt sie unter der Überschrift geläufiger Schlagworte buchstäblich in ihre Einzelteile.
4.2 D EMASKIERUNG
DES WEISSEN B LICKS AUF DEN SCHWARZEN K ÖRPER
Obwohl Höchs Bezug zu konkreten Anlässen unübersehbar ist und das Wissen um Hintergründe wie die Mischlingsdebatte oder die Kampagne um die „Schwarze Schmach am Rhein“ für den Zugang zu ihren Arbeiten unbedingt notwendig ist, liegt die Bedeutung ihrer Fotomontagen nicht allein in den Reflektionen direkter Ereignisse. Höch beschäftigt sich vielmehr mit aktuellen Geschehnissen, um nicht deren Verlauf, sondern ihren Ursprung zu analysieren. Sie nutzt die Bilder des Fremden auf eben die Weise, wie sie auch in der politischen und medialen Öffentlichkeit genutzt werden und zeigt sie als die Oberfläche eines komplexen Diskurses um Alterität und Differenz. In ihren Arbeiten hinterfragt Höch die tiefer liegenden Strukturen der Selbst- und Fremdwahrnehmung und vollzieht deren Aufbau förmlich nach. Mit dem analytischen Verfahren der Fotomontage macht sie die Strukturen von Rasse und Identität sichtbar. 4.2.1 „Fremde Schönheit“, „Die Süße“, „Aus der Sammlung: Aus einem ethnographischen Museum Nr. IX“ Die Fotomontage „Aus einem ethnographischen Museum: Fremde Schönheit“ ist auf das Jahr 1929 datiert (Abbildung 21). Sie ist in ihren Bestandteilen reduziert und setzt sich hauptsächlich aus zwei Elementen zusammen: Der Ausschnitt einer nackten, liegend drapierten weißen Frau wird von Höch frei schwebend in einem rötlich und bläulich aquarellierten Hintergrund positioniert.
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Abb. 21: Hannah Höch, Aus einem ethnographischen Museum: Fremde Schönheit
Der Kopf des Aktes ist überklebt und wird nun von dem Ausschnitt einer Abbildung eines Idols der Bushongo gebildet, den Höch einer Ausgabe der Zeitschrift „Der Querschnitt“ von 1925 entnimmt.17 Zunächst zieht der Kontrast zwischen dem makellosen, weißen Körper und der stark strukturierten, schwarzen Maske, die zudem ein wenig zu groß für den Körper ist, die Aufmerksamkeit des Betrachters auf sich. Erst bei genauerer Betrachtung des Kopfes fällt die runde Brille auf, mit der Höch die Augenpartie der Maske überklebt hat. Wurde sie erst entdeckt, so starren die beiden zusammengekniffenen Augen unter der Brille umso mehr aus dem Bild heraus. Der direkte Blick der äußerst exponiert platzierten Figur irritiert und bricht die durch die Komposition des Blattes eigentlich vorgegebene Blickrichtung: Vor der zweidimensionalen Fläche des Hintergrundes ist der lang ausgestreckte Körper der montierten Figur das zentrale und einzige Motiv. Die für Höch typische, schmale Rahmung durch einen rötlichen Untergrund konzentriert den Betrachterblick zusätzlich auf die Figur und versetzt ihn unweigerlich in die Rolle eines schauenden Subjektes, das ein Objekt betrachtet. Die hüllenlose Direktheit der nackten, exponierten Figur versetzt den Betrachter in eine voyeuristische Position, der er sich nicht entziehen kann. In ihrer Unmittelbarkeit gestört wird die Versunkenheit des Schauenden erst durch den scharfen Blick der dunklen Maske, der ihn fixiert und ihn in seiner schamlosen Betrachtung in Verlegenheit bringt.
17 Quelle: Der Querschnitt, Jahrgang V, Heft 1, Berlin 1925, Seitenzahl ohne Angabe.
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Obwohl der zentrale, nackte Körper weiß ist, ist es vor allem das „primitive“ Versatzstück, das den Betrachterblick entlarvt. Es eröffnet eine Ebene kritischer Reflektion, die über den Konsum des nackten Körpers hinausgeht und die den Kontrast der Hautfarben in den Mittelpunkt rückt. Die harte Disharmonie zwischen dem perfekten weißen Körper, der ohne Zweifel an das klassisch-antike Ideal westlicher Schönheit in den Meisterwerken der europäischen Kunstgeschichte erinnert, und der rauen, schwarzen Maske des Kopfes schleudert dem Betrachter den Konflikt der Rassen entgegen. Der grobe Kontrast der Ausschnitte missbilligt den voyeuristisch-konsumistischen Blick und verweist auf die Diskrepanz der öffentlichen Wahrnehmung von Körperlichkeit. Für die zwanziger Jahren, in denen es zu einer extremen Betonung und Zurschaustellung von Körperlichkeit kommt,18 kann der Begriff der Doppelmoral als das wohl wichtigste Stichwort bei der Repräsentation des eigenen und des fremden Körpers gelten. Gerade in den Zeitschriften, die auch Höch als Quelle für ihre Fotomontagen dienen, wird dem Bewegungs- und Körperkult der Zeit eine große Begegnungsfläche eingeräumt. Fotografien von Sportlern, Tänzern und Frauen in der Sommerfrische dominieren die Massenmedien und feiern den Körper auf sich immer wiederholende Weise. Während die Abbildungen spärlich bekleideter weißer Frauen jedoch unter dem Deckmantel sportlicher Betätigung gedruckt werden und Nacktheit sich auf die in fast exzessivem Umfang zu findenden Fotografien von Frauenbeinen beschränkt bleibt, erlaubt nur das Etikett der Fremdheit eine vollständige Entblößung. Die bereits in Kapitel 3 ausgeführte Repräsentation des exotisierten, nicht-weißen Körpers in unbedarfter Offenheit wird nur über eine Distanzierung durch die Hautfarbe möglich, welche die Differenz der Rassen und die Grenze der Moral markiert. In den Völkerschauen oder in den Negerrevuen, in den ethnographischen Fotografien und in deren Reproduktionen in den Massenmedien wird der schwarze Körper zum Objekt weißer Schaulust und zum Motiv des passiven, weißen Blickes.19 Höch verbildlicht in ihrer Arbeit „Fremde Schönheit“ eben jenes Überstülpen einer schwarzen Hülle, das die weiße, männliche Lust an Körperlichkeit zum Konsum freigibt. Der durchdringende Blick ihrer Figur wirft die voyeuristische Sicht des Betrachters zurück und destruiert die moralische Maske der schwarzen Haut. Durch die direkte Konfrontation eines „primitiven“, den schwarzen Körper symbolisierenden Objekts mit dem makellosen, weißen Körper einer klassischen Schönheit verweist Höch auf den Konstruktcharakter der als ungleichwertig geltenden Rassen und auf deren Stigmatisierung durch die Hautfarbe: Aus den äs-
18 Vgl. Müller 1988 – Im Taumel der Selbsterfahrung, S. 152. 19 Vgl. Fritzsche 1996 – Reading Berlin 1900, S. 161.
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thetischen Traditionen der Antike mit ihren Idealisierungen des weißen Körpers leitet sich eine Hierarchie der Hautfarben ab, die für die Stereotypisierung der Rassen maßgeblich ist. Die Superiorität des antiken, ästhetischen Ideals, an das Höch mit der Wahl ihres weißen Ausschnittes so unmissverständlich erinnert, erzwingt das Stereotyp schwarzer Hässlichkeit und Minderwertigkeit, das letztlich für die pejorativen Determinierung des Fremden und seine Reduktion auf den schwarzen Körper kennzeichnend wird.20 Weil der schwarze Körper im Regelwerk europäischer, ästhetischer Normen als hässlich und anders charakterisiert wird, kann er distanziert und in der Folge auch im Rahmen westlicher Moral konsumiert werden. Höch führt in ihrer Fotomontage „Fremde Schönheit“ den Konstruktcharakter ästhetischer Ideale und ihrer Instrumentalisierung vor. Sie hebt die Distanzierung des schwarzen Körpers durch die Korrelation mit der weißen Nacktheit ihres Montageausschnittes auf, zerstört die Hierarchien der Hautfarben durch die provokative Nebeneinanderstellung und lässt den Blick ihrer Figur auf den scheinmoralischen Regeln des Konsums von Körperlichkeit ruhen. Höch, die hier Differenz nicht nur durch die Kombination der Farben schwarz und weiß, sondern auch durch die symbolische Überlegenheit des weißen Aktes über die „primitive“ Skulptur definiert und so die Stereotype des Gegensatzpaares Kultur und Natur aufgreift, bricht in ihrer Fotomontage ein Tabu und spricht es gleichzeitig an: Während der nackte Körper der weißen Frau als Symbol der Unmoral gilt, ist der differente Körper der schwarzen Frau zu einem Fetisch geworden. Wo er als Zeichen von Herrschaft, Überlegenheit und Andersartigkeit repräsentiert wird, zeigt er doch in Wirklichkeit die Lust am fremden, eigentlich tabuisierten Objekt. Die diesem Konstrukt des Fetischismus immanente Verleugnung greift Höch in ihrer Montage heraus. Sie vollzieht die Repräsentation des Fremden nach und zeigt – hier durch die ganz bildliche Brille – auf die Stellen der Verleugnung. Die von Höch in ihren Fotomontagen oft vollzogene Akzentuierung des Blicks findet sich auch in der Arbeit „Aus einem ethnographischen Museum: Die Süße“, die im Allgemeinen auf das Jahr 1926 datiert wird (Abbildung 22).21
20 Wie sich aus dem Konzept des antiken, ästhetischen Schönheitsideals nicht nur für die Kunsttheorie sondern auch für die Naturwissenschaft als gültig erklärte Folgerungen zum Rassenkonzept ergeben, erläutern El-Tayeb 2001 – Schwarze Deutsche, S. 12 und Fiedler 2005 – Zwischen Abenteuer, S. 66ff. 21 Höch hat das Datum der Arbeit wiederholt geändert und ihre Unsicherheit über das Entstehungsdatum ausgedrückt. Die ursprüngliche Datierung von 1930 hat Höch auf dem Blatt selbst durch 1926 ersetzt, sie äußert später aber, dass das Blatt noch früher entstanden sein muss. Die breite Spanne, die Höch für das Entstehungsdatum der Ar-
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Abb. 22: Hannah Höch, Aus einem ethnographischen Museum: Die Süße
Wie in auffällig vielen ihrer Fotomontagen zum Thema der Fremde hebt die Künstlerin auch hier ein Auge durch einen eigenen kleinen Ausschnitt hervor
beit in Erwägung zieht, verweist auf ihre grundsätzliche und übergeordnete Beschäftigung mit den Ausschnitten fremder Kulturen, denen sie einen großen Raum in ihrer Arbeit gewährt hat.
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und verändert damit nicht nur Mimik und Ausdruck der montierten Figur, sondern konzentriert den Betrachter auch auf die Fragestellung des Schauens. Die Figur, die Höch hier zusammenklebt, besteht aus drei Hauptteilen: Der überproportionierte Kopf, der fast so groß ist wie der Rest des Körpers, wird von dem Ausschnitt einer Maske aus Französisch Congo gebildet, die Höch für ihre Fotomontage nicht wie sonst beschneidet oder als Teilstück benutzt, sondern die sie so verwendet, wie sie in „Der Querschnitt“ 1924 zu finden ist. 22 Die flächige, nur durch minimale konkave Formung definierte Maske, die hier der Farbe der schwarz-weißen Abbildung entsprechend grau erscheint, ist mit einigen linearen Zeichen ausgestaltet. Sie charakterisieren das linke Auge durch drei eng beieinander liegende Linien und zeigen es als geschlossen. Das rechte Auge wurde von Höch mit dem Ausschnitt eines großen weiblichen Auges überklebt, dessen Blick den Bildrand nach links oben verlässt und das zu der kargen Fläche der Maske und dem geschlossenen linken Auge in deutlichem Kontrast steht. Auch der Mund wurde von Höch durch den Ausschnitt eines Frauenmundes ersetzt. Obwohl jener sich durch die graue Farbe des Ausschnittes kaum vom Untergrund der Maske abhebt, macht ein winziger Rand das Element sichtbar und lässt es außerdem als den rot geschminkten Mund einer weißen Frau erkennbar werden. Den Körper der Figur entnimmt Höch der gleichen schwarz-weiß Abbildung, die sie auch für die Arbeit „Fremde Schönheit“ benutzt hat und ergänzt diese durch den proportional zu kleinen Ausschnitt der nackten Beine einer posierenden, weißen Frau in eleganten Schuhen.23 Die bei der Originalskulptur deplatziert wirkende linke Hand, die ohne Verbindung zum Oberarm symmetrisch zur rechten Hand vor dem Bauch positioniert ist, adaptiert Höch, ersetzt sie aber durch die weiße, ebenso zusammenhangslose Hand einer weißen Frau. Höch zeichnet hier die vermutlich nicht ursprüngliche, sondern im Verlauf der Zeit entstandene Fragmentierung des Originals nach und betont sie durch ihre eigene Übersetzung in die Fotomontage. Die Gewichtung der Figur, welche vor einem rot-gelb aquarellierten Hintergrund positioniert ist und durch den Höchtypischen, bildinternen Rahmen betont wird, verläuft der Größe der Ausschnitte entsprechend von oben nach unten; das Hauptaugenmerk liegt auf dem Kopf der Figur. Mit dem Titel „Die Süße“ kommentiert Höch, was sie auch mit der Komposition der Figur nachempfindet: Die anmutige, elegante Haltung der eigentlich so ungraziös deformierten Figur bildet einen Rückbezug zur Darstellung des Körpers in den Medien, der unter den Labeln der Weiblichkeit und der Fremdheit
22 Quelle: Der Querschnitt, Jahrgang 4, Heft 2-3, Berlin 1924, Seitenzahl ohne Angabe. 23 Quelle: Der Querschnitt, Jahrgang 5, Heft 1, Berlin 1925, Seitenzahl ohne Angabe.
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zur Schau gestellt wird. Die verniedlichende Etikettierung im Titel, die eigentlich im Kontrast zu den grobschlächtigen Ausschnitten der „primitiven“ Objekte steht, etikettiert die Figur als Objekt der Beschau – eine Rolle, der sie sich durch die zurückhaltende Pose auch zu unterwerfen scheint. Die unverkennbare Fehlerhaftigkeit der so ungleichartigen Glieder und die Brüche zwischen den Andeutungen weißer, weiblicher Eleganz und den ungeschliffenen, „primitiven“ Skulpturenelementen beschädigt jedoch das Bild einer sogenannten „Süßen“. Zudem ist der Körper der Figur von einem klaffenden Riss gezeichnet, der ihn wie ein Wundmal teilt und der gemeinsam mit dem fehlenden linken Arm und dem dort einzig verbleibenden Armstumpf von einer Zerstörung erzählt. Das von Höch eingesetzte Fragment einer weißen Hand deutet ganz buchstäblich mit dem Finger auf die Kluft, die den Körper prägt und auch die eingezeichneten, kaum sichtbaren Linien im Gesicht der Maske werden vor dem Hintergrund des rissigen Körpers als Narben lesbar. Der ausdruckslose, nüchterne Ausschnitt des Mundes und das große, von der Figur selbst ablenkende und aus dem Bild herausführende Auge vollstrecken die Widersprüchlichkeit des verletzten, dunklen Körpers und seiner aufgesetzten, weißen Eleganz. Das Beschaut-Werden, dem die Figur mit ihrer Haltung noch standhält und das sie mit einem geschlossenem Auge still erträgt, wird durch den aktiven Blick des ersetzen rechten Auges zurückgewiesen. Es macht aus dem Objekt der Betrachtung ein aufbegehrendes Subjekt, welches seiner passiven Rolle widerspricht. Höch löst in Fotomontagen wie dieser die codierten Schemen stereotyper Fremdbetrachtung auf und beschäftigt sich ganz buchstäblich mit den Prozessen des Sehens und Nicht-Sehens. Sobald sie mittels aufgeklebter Ausschnitte neue, scharfe Blicke reflektiert, drückt Höch auch gleichzeitig das Verkleben einer ursprünglichen Sicht aus. Sie kehrt bereits auf diese formale Art Betrachtungsweisen um und stellt mit der steten Betonung der Augen ihrer Figuren die Fragen nach Repräsentation und Rezeption. Seit 1893 deklarieren die Weltausstellungen als Zentrum der Begegnung mit der Fremde den Grundsatz „To see is to know“24 und formulieren die unhinterfragte Norm, dass allein die Wahrnehmung von Dingen bereits deren Bedeutung festlegt. Höch verneint dieses Prinzip, indem sie das Auge und damit den Blick thematisiert und Motive voller Widersprüche schafft, welche die Kulissenhaftigkeit von vorformulierten Mustern preisgeben. Indem sie die stereotypen Bedeutungen einzelner Elemente in Bruchstücken aufgreift und sie miteinander verschmilzt, löst sie das vorkonditionierte Sehen auf
24 Zitat von Raymond Corbey, vgl. Corbey 1993 – Ethnographic Showcases, S. 338.
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und appelliert an die Handlungsfähigkeit des Betrachters.25 Wie für das Verständnis der von Höch gewählten Ausschnitte in ihrem Ursprungskontext der Printmedien ein gesellschaftlich normiertes Vorwissen notwendig ist, ist auch für die Betrachtung der Fotomontagen ein Vorwissen erforderlich. Dieses zersetzt Höch jedoch durch die verquere Kombination der Einzelteile und verwehrt ihren Figuren so eine einfache Decodierbarkeit. Höch baut durch die Rekontextualisierung ihrer Ausschnitte eine Blockade auf, die die Rezeption und das Verständnis der normativen Bedeutungen erschwert und die den Betrachter zwingt, jedes Element und jede Interaktion der Elemente zu hinterfragen. Sie setzt sich so in ihren Fotomontagen über Wahrnehmungskonventionen hinweg und fordert durch das symbolische Auge einen Paradigmenwechsel, der die Entlarvung visueller Stereotypen enthält. Ihre Figuren, die das Fremde und den weißen Körper genauso verbinden wie entfremden, übertragen eine selbstverständliche Praxis des frühen zwanzigsten Jahrhunderts ins Bild: „[...] primitives were made available for visual inspection by millions of strolling and staring Western citizens“26. Höchs Figuren repräsentieren das Ausgesetztsein auf der einen Seite ebenso wie das Starren auf der anderen Seite. Sie deklarieren jedoch durch den zurückgeworfenen Blick, dass das Auge eben nicht unschuldig ist.27 Indem Höch ihre Figuren mit großen Augen zurückstarren lässt, formuliert sie die in der Öffentlichkeit nie thematisierte Frage nach der Subjektposition des medial objektivierten Anderen. Sie gibt ihm durch den Blick eine Stimme, macht den Betrachter der Fotomontage selbst zum Beobachteten und rückt ihn erstmals selbst in die Position des differenten Anderen. Hinterfragt werden so nicht nur soziale und kulturelle Chiffren, sondern auch deren Fähigkeit, Gesellschaftsstrukturen zu untermauern, Differenz zu markieren und Machthierarchien zu definieren und zu repräsentieren.28 Der von Höch durch das Auge ganz bildlich vertretene Blick ihrer fremdartigen Charaktere stört die „dominante Tradition der westlichen Philosophie und Kunst, entsprechend ihrem universalen Subjektbegriff“ und untergräbt seine festgelegte Funktion als „Technik der Distanz und Kontrolle“.29 Mit der gleichzeitigen, oft in doppeltem Sinne buchstäblichen Maskierung ihrer Fi-
25 Zum vorkonditionierten Sehen vgl. Silverman 1997 – Dem Blickregime begegnen, S. 58ff.; Wiener 1990 – Ikonographie des Wilden, S. 204; Kravagna 1997 – Vorwort, S. 7f. 26 Zitat von Raymond Corbey, vgl. Corbey 1993 – Ethnographic Showcases, S. 338. 27 Vgl. Corbey 1993 – Ethnographic Showcases, S. 360. 28 Vgl. Kravagna 1997 – Vorwort, S. 8. 29 Vgl. Kravagna 1997 – Vorwort, S. 7.
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guren und dem unabwendbaren Blick legt Höch offen, „was aus einem Gesicht das Produkt einer Gesellschaft und ihrer Geschichte macht.“30 Kaum eine Arbeit bringt diesen Gedanken des „Produktes einer Gesellschaft“ so schalkhaft auf den Punkt, kaum eine Fotomontage legt ihn so spitzbübisch und doch ernst offen wie die Arbeit „Aus der Sammlung: Aus einem ethnographischen Museum Nr. IX“ (Abbildung 23). Vor einem in leuchtenden Gelb-, Orange- und Blautönen aquarellierten Hintergrund positioniert Höch auf diesem Blatt zwei Figuren. Die rechte der beiden rückt durch ihre Ganzkörperabbildung leicht in den Vordergrund, während die linke eine Stufe niedriger zu stehen scheint und auch nur bis zu den Knien abgebildet ist. Beide Figuren setzen sich aus den nahezu identischen Ausschnitten von Abbildungen der Beine und des Rumpfes nicht-europäischer Figuren zusammen. Obwohl die unbekleideten Oberkörper dabei zumindest bei der rechten Figur auf eine männliche Person verweisen, so implizieren die um die Hüften geschlungenen Röcke doch weibliche Figuren, was durch den angeschnittenen Körper der linken Figur nur umso mehr nahe gelegt wird. Die rechte Figur ist ergänzt durch die etwas zu groß geratenen, weißen Beine einer Frau in schwarzen Pumps, die das rechte Bein kokett nach vorne wirft. Obgleich Beine und Oberkörper sich abgesehen von einer deutlichen Unproportionalität noch ineinander fügen, ist es der aufgesetzte Kopf der Figur sowie deren Gestik, welche sie sonderbar wirken lassen. Der überdimensionierte Kopf eines weißen Mannes mit Schnauzer und die aufgesetzte Stirnpartie inklusive der mandelförmigen Augen einer nicht-europäischen Figur, die sich jedoch kaum von dem Inkarnat des Gesichtes unterscheidet, sowie lächerlich klein und deplatziert wirkende Ohren dominieren die Figur. Ließe sich das knollennasige, aufgedunsene und schnauzbärtige Gesicht der Figur noch als Sinnbild weißer Männlichkeit verstehen, so ist es das fast kokett erhobene Hämmerchen in der linken Hand der Figur, das gemeinsam mit dem offensichtlich weiblichen Restkörper eine verstörende Erscheinung komplettiert. Die einander zugeneigten Köpfe der Figuren sowie die korrespondierenden, angewinkelten linken Arme lassen beide Kreaturen in einen Dialog miteinander treten. Der riesige Kopf der linken Figur besteht aus der Abbildung einer primitiven Maske oder Figur, die jedoch kaum mehr zeigt als ein breites Gebiss und Nasenlöcher. Der Rest des Maskengesichtes wird von einer Art Ledermaske inklusive Haube überdeckt, die an eine Rüstung oder Soldatenuniform erinnert. Die nur als schwarze Löcher erkennbaren Augen, sowie das breite Grinsen machen das Gesicht der linken Figur zu einem unheimlich und diabolisch wirkenden Charakter.
30 Zitat von Roland Barthes, vgl. Barthes 1985 – Die helle Kammer, S. 44.
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Abb. 23: Hannah Höch, Aus der Sammlung: Aus einem ethnographischen Museum Nr. IX
Mit der Dominanz der männlichen Köpfe und der Reduktion des Fremden sowie Weiblichen auf die Körperlichkeit scheinen die Figuren zunächst auf das Konstrukt der Geschlechter in ihrem Verhältnis zum Fremden und auf die Hierarchie im Zusammenhang gesellschaftlicher Ordnung anzuspielen. Im Hinblick auf die ganz bildliche Überlegenheit weißer Männlichkeit rekonstruiert Höch hier scheinbar den männlich dominierten Blick über Jenes, was kokett, anschaulich und freizügig dargelegt scheint und was sich doch als kopf- und damit sprachlose Facetten männlichen Urteils zeigt. Doch auch wenn es zunächst so aussieht, als zeige sich hier die Dominanz männlichen Gutdünkens, das den weiblichen wie den fremden Körper ganz selbstverständlich zu beherrschen und überlagern scheint und das sowohl das Label der Hautfarbe, als auch das Label der Weiblichkeit dem bildlichen Richthammer einer männlichen Jury unterwirft, so ist es die Verweiblichung durch die Körper, Gestik und Positur der Figuren, die sie
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verfremdet und ihre erste Deutung aufbricht. So natürlich überlegen und furchteinflößend Männlichkeit hier repräsentiert wird, so skurril wirkt sie doch durch die koketten Posen der Körper und die übertriebene Grazie der Gesten. Was sich zunächst noch als männliche Lust am weiblichen und fremden Körper und als voyeuristisch-richtender Blick zeigt, wird von Hannah Höch als lächerliches Konstrukt entlarvt. Höch führt mit den Figuren dieses Blattes die Verniedlichung, die sie bei „Die Süße“ so vervollkommnet, ad absurdum: Während sie gängige Subjektpositionen wiederholt und sowohl weiße Männlichkeit und Weiblichkeit, als auch die anonyme Körperlichkeit des Fremden ins Bild setzt, macht sie die Verzerrung der Fremdbestimmung sichtbar. Sie vollzieht die in den Medien konstruierte Koketterie, Anmut und Öffentlichkeit des weiblichen und des fremden Körpers nach und wirft sie gleichzeitig als lächerliche Illusion eines männlich dominierten, objektivierenden Gesellschaftsblicks zurück.
4.3 R EPRODUKTION VON R EPRÄSENTATION : F OTOGRAFIE , M ASSENMEDIEN UND DAS M EDIUM DER F OTOMONTAGE Auf keine andere Weise als über die Fotografie könnte Objektivierung besser thematisiert, auf keinem anderen Wege als über die Fotomontage könnten die Prozesse von Kontextualisierung und Sinnbildung direkter reflektiert werden. Dass Höch reproduzierte Fotografien als ihr Material bestimmt und die Fotomontage als Werkzeug wählt, gibt ihr die Möglichkeit, die Strukturen des Sehens und Normierens direkt zu übertragen. Die Fotografie, deren Wesen es ist, das Subjekt zum Objekt zu machen und die stets nur das bestätigt, was sie wiedergibt,31 dient der Künstlerin nicht nur metaphorisch zur Veranschaulichung ihrer Repräsentationskritik. Die fotografierten Abbildungen des Fremden in den Medien sind vielmehr Hauptschauplatz der öffentlichen Meinungsbildung und können deshalb ganz direkt dokumentieren, wie Bedeutung medial produziert wird. Höch arbeitet mit der Fotografie, um deren immanente Mängel aufzuzeigen und so die Grundlage dessen aufzulösen, was sie repräsentiert. Die Garantie realistischer Wirklichkeitserfassung und die Voraussetzung eines Ausschlusses von Subjektivierung durch den mechanischen Vorgang des Fotografierens definieren die Fotografie gemeinhin als ein Medium, das Direktheit und originalgetreue Wiedergabe verspricht.32 Für eine Vermessung und Katego-
31 Vgl. Barthes 1985 – Die helle Kammer, S. 21 und S. 95. 32 Vgl. Wiener 1990 – Ikonographie des Wilden, S. 10.
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risierung der Menschheit im anthropologischen Sinne gilt die Fotografie deshalb als verlässliches Instrument, an dessen wissenschaftlicher Fundierung kein Zweifel aufkommt und dessen Ergebnisse durch die Reproduktion in den Medien in ihrer Absolutheit bestätigt werden. Hannah Höch hinterfragt die Authentizität der Fotografien, indem sie sie einzeln herausgreift und losgelöst befragt. Sie vollzieht ihrerseits einen mechanischen Prozess, in dessen Verlauf sie fotografierte Motive herausschneidet und das subjektive Eingreifen des Fotografen simuliert. Ihre demonstrative Einmischung in die eine Realität vorgebende Fotografie macht die im Bild unsichtbare Aktion eines agierenden Subjektes sichtbar. Höch legt zwei einander gegenüberstehende Seiten frei, von denen nur die passive im Bild erscheint und von denen die aktive für den Betrachter normalerweise nicht sichtbar wird. Indem sie die Fotografien stets als Ausschnitte kennzeichnet und ihren fragmentarischen Charakter unterstreicht, deckt sie die Gestaltungsmacht des aktiven Subjektes auf. Sie untergräbt die Illusion eines unmittelbaren, sich selbst darbietenden Wirklichkeitsabbildes und lässt den Blick auf der vorsätzlichen Ausschnitthaftigkeit der Fotografien ruhen; Höch treibt die für die Fotografie typische Isolation von Gegenständen, Menschen und Szenerien auf die Spitze, indem sie die Fragmente auch als solche kennzeichnet.33 Mit der Eingliederung der Ausschnitte in ihre komplexen Fotomontagen schließlich realisiert die Künstlerin die Problematisierung des Kontextes.34 So wie beim Vorgang des Fotografierens ein Subjekt den Kontext bestimmt, indem es die Pose seiner zu fotografierenden Figur ebenso festlegt, wie den Raum, in welchem die Platzierung stattfindet, führt auch Höch eine Kontextualisierung durch. Sie setzt die Betonung ihrer aktiven Rolle weiter fort und unterstreicht den Vorgang des Entkontextualisierens durch Ausschneiden mit der Bestimmung eines neuen Kontextes durch Einkleben. Die Änderung der Ursprungsbedeutung ihrer gewählten Ausschnitte ist damit im doppelten Sinne vollzogen. Der Bedeutungsverlust durch Isolierung des Motivs beschreibt die Abhängigkeit einer Fotografie von ihrer Inszenierung, der neue Bedeutungsgewinn durch Eingliederung führt die Rolle des agierenden Subjektes vor und macht die Abhängigkeit der Rezeption durch den Betrachter von einem Kontext sichtbar.
33 Vgl. Wiener 1990 – Ikonographie des Wilden, S. 20. 34 Zur Entstehung und Funktion der Fotomontage liegt ein sehr umfangreicher Band von Hanne Bergius vor, vgl. Bergius 2000 – Montage und Metamechanik. Vgl. außerdem exemplarisch Bergius 1975 – Zur Wahrnehmung und Wahrnehmungskritik; Haenlein (Hg.) 1979 – Dada. Photographie und Photo-Collage; Ades 1976 – Photomontage; Evans, Gohl 1986 – Photomontage; Roters 1979 – Collage und Montage.
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Im realen Umfeld, in dem Höch ihre verwendeten Ausschnitte vorfindet, finden Entkontextualisierung und Rekontextualisierung zweifach statt: Nicht nur innerhalb der Fotografie wird das Subjekt in einen neuen Sinnzusammenhang gesetzt, objektiviert und neu definiert, sondern vor allem auch der Rahmen der Massenmedien vollzieht eine Bedeutungsänderung durch Kontextwandel. Höch arbeitet nicht mit Fotografien, sondern lediglich mit deren Reproduktionen, womit sie den doppelten Prozess der Realitätsentfremdung bereits ganz materiell in ihre Arbeiten implementiert. Wie bereits erörtert, wird die Argumentationsstruktur der Zeitschriften, denen Höch ihr Material entnimmt, durch Kontextualisierung aufgebaut. Die Verfremdung von Abbildungen durch unzusammenhängende Textbeiträge oder gänzliche Isolierung sowie die Definition von Motiven durch kurze, einschlägige Bildüber- oder unterschriften kennzeichnen das Bild in den Massenmedien. In der überwältigenden Menge von Texten und Bildern erfolgt die Strukturierung und Kontextualisierung syntaktisch, die Zeitschriften selbst sind bereits der Ausdruck einer collagiert dargestellten Realität.35 Durch die Verwendung der Fotomontage kann Höch diese mediale Repräsentation der Lebenswirklichkeit direkt übertragen und die Konstruktion von Bedeutungen und Wissen imitieren. Mit dem Verfahren der Montage, welches die medialen Praktiken direkt aufgreift und wiederholt, gibt sie die tradierten Normen der Repräsentation preis und zersetzt sie in ihrem Kern. Wird das Hinterfragen der in den Zeitschriften übermittelten Wahrheiten weder vorgeschlagen noch gewünscht, stellt Höch durch die offensichtliche, zugespitzte Nachahmung massenmedialer Praxis die Frage nach der Unantastbarkeit der Inhalte. Sie zerstört die Repräsentationen des Fremden, um sie im nächsten Schritt unter Sichtbarmachung ihres Konstruktcharakters wieder aufzubauen. Differenz, die in den Zeitschriften allgegenwärtig konstatiert wird, wird auch von Höch thematisiert. Sie produziert Differenz im wahrsten Sinne des Wortes, indem sie deren Bestandteile einander direkt gegenüberstellt. Höch charakterisiert Differenz so als eine Summe von Einzelbildern, deren Grenzen bei ihr nicht zum Zwecke der Selbstversicherung einer nationalen Identität aufgezeigt werden wie in den Medien, sondern die sich vielmehr als Brüche manifestieren und die bekannten Deutungsnormen erschüttern. Höch stellt in ihren Fotomontagen den eigenen Körper dem Fremden direkt gegenüber und schafft mit heterogensten Bestandteilen homogene Figuren. Sie bringt die unterschiedlichen Schauplätze von Repräsentation zusammen, stellt Zusammenhänge her und deutet durch ihre Verschmelzung auf die künstlich erschaffenen Grenzen. Indem sie zudem mit
35 Vgl. Deininger, Felger 1998 – Der Stoff liegt, S. 34f.; Fritzsche 1996 – Reading Berlin 1900, S. 129.
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der Betitelung ihrer Arbeiten dem Stil der Bildunterschriften aus den Zeitschriften folgt, vollzieht Höch die Steuerung des Betrachterblicks nach, der Kontexten ausgesetzt wird und der diese durch seine eigene, normierte Seherfahrung komplettiert. Knappe, verallgemeinernde Überschriften wie „Mischling“, „Liebe im Busch“ oder „Fremde Schönheit“ kopieren die Sinnstiftung der leitwortartigen Begriffe, mit denen das Fremde in den Medien betitelt und definiert wird. Sie imitieren den Kanon aus einzelnen Wörtern, die gemünzt auf einzelne Bilder die Stereotype des Fremden verankern. Der offensichtliche Konflikt eines Titels wie „Fremde Schönheit“ mit der widersinnigen Kreation aus „primitiven“ und westlichen Elementen macht die Komplexität der Beziehungen zwischen Abbild, vorkonditioniertem Wissen und Bezeichnung deutlich und löst einen als bekannt assoziierten Kontext in seine Bestandteile auf. Die komplexen Details der heterogenen Arbeiten verhindern eine einfache Verbindung mit den Titeln der Bilder und verweisen auf eine Ebene der Sinnstiftung, die nicht natürlich, sondern willkürlich erschlossen wird. Höch nutzt die Fotomontage so als eine Strategie des Perspektivenwechsels, die eine Entgrenzung und eine Umwertung bekannter Muster vollstreckt.36 Indem sie die konstruierten Bedeutungszusammenhänge der Massenmedien mittels der Fotomontage kopiert und die subjektive Realitätsverzerrung der Fotografie durch ihr Eingreifen imitiert, zerstört sie die frontale Betrachtersituation und zwingt zur Auseinandersetzung mit einer vorkodierten Wissensproduktion. Ihre Fotomontagen zeigen eben nicht, was sie zu zeigen vorgeben und irritieren so den Betrachter in einer Wahrnehmung, die durch den Blickwinkel der Massenmedien vorgegeben wird.37 Die Ent-Individualisierung der objektivierten Subjekte, die von den Massenmedien und der Fotografie als Voraussetzung von Bedeutungszuschreibung gesetzt wird, treibt Höch durch die Entkontextualisierung ihrer Ausschnitte auf die Spitze. Gleichzeitig stellt sie durch ihr Eingreifen in Bild und Kontext die Rolle des beurteilenden Subjektes heraus. Sie veranschaulicht auf diese Weise das Machtverhältnis zwischen zwei Subjekten, das zur Zerstörung des Einen der beiden führt und das von der fotografischen Quelle über die Kontextualisierung der Medien bis hin zum Konsum durch den Betrachter durchgehalten wird: „die anderen – der ANDERE – entäußern mich meines Selbst, machen mich blindwütig zum Objekt, halten mich in ihrer Gewalt, verfügbar, eingereiht in eine Kartei, präpariert für jegliche Form von subtilem Schwindel [...].“38
36 Vgl. Jürgens-Kirchhoff 1991 – Fremde Schönheit, S. 129. 37 Vgl Wiener 1990 – Ikonographie des Wilden, S. 209. 38 Zitat von Roland Barthes, vgl. Barthes 1985 – Die helle Kammer, S. 23
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4.3.1 „Indische Tänzerin“, „Der heilige Berg“ Sowohl die Arbeit „Aus einem ethnographischen Museum: Indische Tänzerin“ von 193039 als auch das Blatt „Aus einem ethnographischen Museum XII: Der heilige Berg“ von 1927 stellen die Entäußerung des Selbst durch Stereotypisierung und Determinierung heraus und unterstreichen die Rolle offizieller Repräsentation bei der Schaffung von Typisierungen. Bei der Fotomontage „Indische Tänzerin“ entwickelt Höch das frontale Portrait einer Frau, die vor einem naturfarbenen Hintergrund und mit der typischen Rahmung positioniert ist (Abbildung 24). Eingeklebt ist nur der Kopf der Figur bis zum Hals, die Schultern werden durch den Zuschnitt einer schwarzen Fläche geformt, welche dem Kopf zusätzlich unterlegt ist. Das weiße, weibliche Gesicht, das die Grundlage des Portraits bildet, ist ursprünglich ein Filmstill, das die bekannte Schauspielerin Maria Falconetti in ihrer Rolle der Jeanne d’Arc in Carl Theodor Dreyers Stummfilm „La passion de Jeanne d’Arc“ zeigt.40 Die Aufnahme, die Falconetti in einer Anlehnung an die christliche Kreuzigungsszene zeigt, erfasst das zurückgeworfene Gesicht der Schauspielerin, die mit leidensvollem Ausdruck die Augen fast geschlossen hat und sich der Unausweichlichkeit ihres kurz bevorstehenden Todes hingibt. Zu sehen ist der Ausschnitt der Falconetti jedoch nur zur Hälfte, da Höch hier die rechte Gesichtshälfte mit dem Ausschnitt einer „primitiven“ Skulptur41 maskiert hat, deren graue, hölzerne Gesichtsfläche mit den eingekerbten Schemen des rechten Auges und des leicht geöffneten Mundes die elegische Mimik der Schauspielerin bricht. Der Kopf der Figur wird von der eindrucksvollen Collage einer stilisierten Krone bedeckt, die Höch aus grauen Papierrechtecken zusammensetzt, aus denen sie die Formen von Essbesteck ausschneidet und diese zum Teil mit silberner Alufolie hinterlegt. Krone und Mimik der Figur assoziieren – genau wie auch das Filmstill im Original – augenblicklich die Ikonographie einer Kreuzigungsszene und charakterisieren die Figur als märtyrerhafte, mit lächerlichen Attributen gedemütigte, unglückselige Person.
39 Auch bei dieser Arbeit ist das von Höch angegebene Datum fraglich. Maria Makela schätzt das Jahr 1928 als realistischer ein, vgl. Makela, Boswell (Hg.) 1997 – The photomontages of Hannah Höch, S. 107 40 Verschiedene Ausschnitte des populären Films tauchen in den Zeitschriften des Jahres 1928 wiederholt auf, Abbildung 74 etwa erscheint in „Der Querschnitt“, Jahrgang VIII, Heft 9, Berlin 1928, Seitenzahl ohne Angabe. 41 Quelle: Der Querschnitt, Jahrgang V, Heft 2, Berlin 1925, Seitenzahl ohne Angabe.
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Abb. 24: Hannah Höch, Aus einem ethnographischen Museum: Indische Tänzerin
Sowohl die Krone als auch die Maske stehen in so sichtbarem farblichem und materiellem Kontrast zum Gesicht der weißen Schauspielerin, dass sie aufgesetzt und unnatürlich wirken. Die Irritation, die Höch bei dieser Arbeit provoziert, ist genauso offensichtlich wie subtil. Einerseits ist der Widerspruch des Titels „Indische Tänzerin“ gegenüber diesem so ausdrucksreich leidenden Portrait unverkennbar; ein Bezug zum Thema weiblicher Anmut scheint auf den ersten Blick schwerlich herstellbar. Erst im Hinblick auf die zahlreichen Abbildungen sogenannter indischer Tänzerinnen in den Zeitschriften der zwanziger Jahre wird die von Höch erschlossene Kontextualisierung deutlich: Als Symbol exotischen
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Glanzes taucht „das Gesicht der indischen Tänzerin“42 immer wieder in Fotografien auf; die Typisierungen schmuckbehangener, fremdartig bemalter und verhüllter dunkelhäutiger Inderinnen sind ganz im Gegensatz zu den meist als roh und unzivilisiert präsentierten Typenportraits afrikanischer Frauen Sinnbilder einer positiven Sehnsucht nach dem Unbekannten. Doch auch die fernöstliche Exotik ist eine Projektion, die aus einigen wenigen Elementen, wie etwa dem allgegenwärtigen, in Höchs Fotomontage persiflierten, aufwändigen Kopfschmuck, die ent-individualisierten Schablonen von Fremdbildern erzeugt. Höch überträgt die Symbolik des Eichberg-Films, der in seinen Bildern klar auf die Passion Christi Bezug nimmt, und verschiebt sie auf die Stilisierung des Fremden. Sie karikiert die Kategorisierung des Fremden durch absolute Attribute, indem sie den symbolischen Kopfschmuck ins Skurrile wendet und charakterisiert die passive, apathische Position der in ihrem Selbst degradierten, kategorisierten Figur durch deren Bezug zur Passionsgeschichte. Höch hinterfragt die unkritische Akzeptanz normierter Stereotype: Obwohl sie mit dem Titel der Arbeit einen expliziten Bezug zu Indien herstellt, wählt sie für die Maskierung des Gesichts kein „primitives“ Versatzstück aus der indischen Kultur, sondern sie überklebt ihre Figur mit der Abbildung einer Maske aus Kamerun. Höch baut in ihre Fotomontage also einen Fehler ein, der sich erst durch die Kontextualisierung der Arbeit und ihre Betitelung ergibt. Sie reflektiert auf diese Weise die willkürliche und in der Öffentlichkeit unhinterfragte Kategorisierung und Typisierung von Menschen unterschiedlicher Kulturen, die zum ent-individualisierten Muster westlicher Sehgewohnheiten und Bedeutungsstrukturen werden. Der durch den Filmbezug nachdrücklich fiktionale Charakter ihrer Figur unterstreicht die Künstlichkeit der Zuschreibungen und verweist einmal mehr auf die passive Rolle des beschauten Objektes. Genau wie bei der Arbeit „Der heilige Berg“ verzichtet Höch bei der „Indische[n] Tänzerin“ auf den aktiven Blick ihrer Figur und reflektiert durch das geschlossene linke und das verschlossene rechte Auge die stille Unterjochung ihrer Figur unter eine determinierende Fremdbestimmung. In der Fotomontage „Der heilige Berg“ von 1927 führt Höch diesen Gedanken weitergehend aus und betont die geschlossenen Augen ihrer Figuren mit dem in diesem Kontext widersinnigen Einsetzen von Brillen (Abbildung 25).
42 Typisches Zitat einer Bildunterschrift, hier in: „Der Querschnitt“, Jahrgang XIII, Heft 3, Berlin 1933, Seitenzahl ohne Angabe.
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Abb. 25: Hannah Höch, Aus einem ethnographischen Museum XII: Der heilige Berg
Sie setzt hier zwei Figuren vor den hellbraun kolorierten und mit einem kleinen, bildimmanenten Rahmen versehenen Hintergrund und deutet mit zwei dunklen Ausschnitten einen Untergrund an, auf dem beide Figuren stehen. Ein heller Lichtschweif führt wie ein Weg zum unteren Rand des Bildes, so dass tatsächlich eine abstrahierte Berglandschaft suggeriert wird. Die linke der beiden Figuren setzt sich aus der Abbildung flach ausgebreiteter Säuglingskleidung und dem großen, runden Kopf einer asiatischen Steinskulptur zusammen.43 Mit dem Ausschnitt einer runden Brille, die sich nur durch die unterschiedliche Farbigkeit vom Untergrund des Gesichtes abhebt, ersetzt Höch die eigentliche Augenpartie des Kopfes. Auch der rechten Figur hat die Künstlerin eine Brille aufgesetzt, die
43 Quelle: Der Querschnitt, Jahrgang V, Heft 6, Berlin 1925, Seitenzahl ohne Angabe.
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sie hier jedoch lediglich durch die Linienführung ihrer Ausschnitte andeutet. Der Kopf dieser Figur, bei der Höch auf den Rest des Körpers verzichtet, ist in drei Partien unterteilt, von denen die Augen- und Stirnpartie sowie die untere Gesichtshälfte mit Mund und Kinn ebenfalls von einer asiatischen Steinskulptur44 gebildet werden. Wangen- und Nase entstammen dem Gesichtsausschnitt einer weißen Person. Dass Höch die Augen der Figuren als verschlossen kennzeichnet, sie gleichzeitig aber durch die Brillen betont, unterstreicht auch hier die passive Position der Betrachteten. In der Haltung des Ergebens und mit der Unmündigkeit implizierenden Kleidung eines Kindes gibt sich die linke Figur den Blicken hin und auch die rechte, auf den Kopf reduzierte Gestalt, setzt sich nicht gegen den Betrachter zur Wehr. Mit den beiden Figuren der Arbeit „Der heilige Berg“ kopiert Höch die Muster des asiatischen Fremden in ihre Fotomontage und überträgt so nicht nur deren Repräsentation, sondern auch die feinen Unterschiede bei der Markierung von Differenz. Während Höch bei Arbeiten wie „Fremde Schönheit“ oder „Die Süße“ den rohen Charakter der afrikanischen Skulpturen herausstellt und damit die Stereotype des schwarzen, ungeschliffenen Menschen übersetzt, zeigt sie hier auf die unterschiedliche Bewertung als different erklärter Rassen. Als Träger sogenannter Hochkulturen werden Menschen asiatischer Herkunft durch die Medien nicht wie der schwarze Körper als das zu distanzierende Andere repräsentiert. Geläufig ist vielmehr die Darstellung chinesischer oder japanischer Gelehrter, deren Markierung durch Hautfarbe und Körper nicht nur vermieden wird, sondern deren Präsentation nach europäischen Maßstäben verläuft.45 Die typische runde Brille und der europäische Anzug, die den Abbildungen asiatischer Männer in den Medien der Weimarer Republik stets gemein sind, übernimmt auch Höch in ihre Fotomontage. Sie repräsentiert das geläufige Bild einer asiatischen Kultur altertümlicher Geistigkeit jedoch nur oberflächlich durch das Einsetzen der Abbildungen so bezeichneter „Köpfe von Heilsbringern“46. Tatsächlich untergräbt Höch mit der Verweigerung des Blicks durch die Brille des Gelehrten und mit der Verniedlichung des Körpers durch den Kinderanzug das Motiv fernöstlicher Weisheit und zeigt es in seiner Modellartigkeit. Auch bei
44 Quelle: Der Querschnitt, Jahrgang V, Heft 6, Berlin 1925, Seitenzahl ohne Angabe. 45 Etwa in der Abbildung des „Chinese[n] Dr. Hsü Dau-Lin“, auf dessen studierte „Jahre in London, Paris und Berlin“ genau wie auf seine Promotion in Deutschland zum Dr. jur. explizit in der Bildunterschrift hingewiesen wird, in: Uhu, Jahrgang VIII, Heft 6, Berlin 1932, S. 7. 46 Zitat der Bildunterschriften, Quelle: Der Querschnitt, Jahrgang V, Heft 6, Berlin 1925, Seitenzahl ohne Angabe.
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dieser Arbeit wird ein fiktionaler Charakter bereits über den Titel suggeriert, bezieht er sich doch auf den 1926 in Berlin uraufgeführten Film „Der heilige Berg“, der durch seine prominente Hauptdarstellerin Leni Riefenstahl eine beachtliche Aufmerksamkeit erhält. Höch nutzt die Fiktionalität des Films auch hier, um eine Projektionsfläche zu imitieren. Sie reproduziert für ihre Fotomontage den Rahmen und das Bühnenbild der Filmvorlage und empfindet so eine Inszenierung nach, die für ein breites Publikum aufbereitet zum Konsum freigegeben ist. 4.3.2 „Journalisten“ So wie Höch Subjektivität in einigen Arbeiten durch das Auge eröffnet und damit den Blick auf die Gegenseite formuliert, erklärt sie in den Fotomontagen „Der heilige Berg“ und „Indische Tänzerin“ den Verlust der Fähigkeit subjektiver Positionierung durch eine fremdbestimmte Repräsentation. In einem Ölgemälde mit dem Titel „Journalisten“, das sie im Jahr 1925 anfertigt und das somit im Kreise der Arbeiten über das Fremde entsteht, bringt Höch ihre Reflektionen über die Indoktrination der Öffentlichkeit durch die Medien ironisch pointiert zur Sprache: Sie entwirft hier die Typenportraits von sechs Journalisten, deren Gesichtszüge sie verzerrt und teilweise schauerlich entstellt (Abbildung 26). Aufgerissene, hervortretende Augen, überdimensionale Ohren und unheilvoll grinsende Münder werden von Höch in kubistischer Manier zusammengesetzt und die Figuren ganz im Sinne ihrer Montagetechnik als absurde Gebilde gekennzeichnet. Fast dämonisch erscheinen jene Männer, deren professionelle Bezeichnung sich in der überspitzten Mimik ihrer Gesichter sarkastisch wiederzuspiegeln scheint: Mit voyeuristisch stierenden Blicken, schamlos gespitzten Ohren und hinterlistig verkniffenen Mündern verkörpern sie das Hören, Sehen und Wiedergeben journalistischer Wahrheiten in den Medien. Die plakative, bildimmanente Betitelung der obskuren Typen lässt keinen Zweifel an der geringschätzigen Bewertung der stereotypisiert dargestellten Berufsgruppe. Doch Höchs Bild reflektiert nicht nur den Stand der Meinungsmacher der Medien, sondern sie führt dies auch in Widerspiegelung ihrer Methoden aus: Typisiert, verzerrt und exponiert setzt sie diejenigen den Blicken aus, die sich normalerweise für die Lenkung von Ansichten verantwortlich zeigen. Sie dreht auch hier den Blick um und zeigt auf das, was hinter jeglicher öffentlicher Repräsentation steht; sie liefert auch hier eine Überlegung zur Akzeptanz der Absolutheit von medial verbreitetem Wissen ohne kritische Betrachtung seiner Generierung.
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Abb. 26: Hannah Höch, Die Journalisten
Hannah Höch arbeitet in ihren Fotomontagen vehement an der Dekonstruktion von tradierten Repräsentationsformen. Sie überträgt die Inhalte und deren formale Umsetzungen in ihre Arbeiten, löst aber durch minimale Verschiebungen Bedeutungskontexte auf und zerstört so tradierte visuelle Codes. Mit der Sichtbarmachung ihres eigenen Agierens schafft sie eine neue Ausgangssituation, in der alle Einzelteile getrennt werden und in der die Tragweite jedes einzelnen Elementes spürbar wird. Sie schaltet die Versatzstücke ihrer Arbeiten nebeneinander und befragt sie so im Einzelnen. Im Gegensatz zu den Massenmedien, wo das Fremde eindimensional besprochen und als das kulturell und rassisch Andere reproduziert wird, stellt Höch es in einen buchstäblichen Zusammenhang mit dem Eigenen. Sie bricht das Bild des über Stereotype definierten Fremden und verweist auf die Abhängigkeit des einen vom anderen: Höch zeigt nicht nur auf die perspektivische Determinierung des Fremden, sondern sie dokumentiert auch den Zusammenhang der Konstruktion eines Anderen mit dem Selbst. Sie stellt so nicht allein zur Diskussion, wie das Fremde in den Medien produziert und präsentiert wird. Vielmehr schaltet sie auch die Überlegung ein, was die Repräsentation des Anderen über das Selbst aussagt. Indem sie Brüche sichtbar macht, Blicke umkehrt und auf eine Subjektivität des objektivierten Anderen verweist,
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stellt sie die Frage nach der wechselseitigen Funktion von Identitätskonstrukten und formuliert die Abhängigkeit eines stabilen Selbst von seinem Anderen. 4.3.3 „Ohne Titel III“ Höch kopiert dazu in ihren Fotomontagen zunächst die einfachen Strukturen der Fremddarstellung und führt deren reduzierte Sprache vor. In der Arbeit „Aus einem ethnographischen Museum: Ohne Titel III“ von 1930 (Abbildung 27) etwa setzt sie nur zwei Einzelausschnitte vor einen hellblauen Hintergrund: Den Ausschnitt einer Elfenbeinskulptur aus dem Kongo47 benutzt Höch als Kopf und setzt diesen unter Verzicht auf den Rest des Körpers auf den Ausschnitt zweier gespreizter, nur mit einer knappen Hose bekleideter, schwarzer Beine. Letztere Abbildung entstammt ursprünglich einer in ihrer Komposition und Einfachheit von Höch exakt kopierten Fotografie, die unter dem Titel „Der springende Neger Bill“ in „Der Querschnitt“ von 1929 veröffentlicht wird.48 So reduziert die Ursprungsfotografie sowohl bei ihrer Betitelung als auch bei der Präsentation des Motivs auf Körperlichkeit und rassische Zuordnung ist, so reduziert ist auch Höchs demonstrativ titellose Figur. In Kombination mit der dunklen Maske erstellt Höch ein einfaches Bild, das die allgemeinen Repräsentationen des Fremden zusammenfasst: Mit den Merkmalen der Körperlichkeit, Hautfarbe, EntIndividualisierung und Primitivität gibt sie den Rassencharakter des schwarzen Fremden wieder, der sich als allgemein gültige, optisch klassifizierbare Figur hinter einer Maske verbirgt. Indem Höch schließlich die „primitiven“ Elemente mit denen des Weißseins kombiniert, rekonstruiert sie den imperialen Blick, der das Fremde durch Differenz kennzeichnet und in homogenisierenden Gegensätzen definiert.49 Dadurch, dass sie Differenz sichtbar macht, spielt sie deren Machtordnung scheinbar nach – anstatt sie aber durch Kontextualisierung als Absicherung des Selbst zu kennzeichnen, untergräbt sie durch das Sichtbarmachen der Schnitte und der skurrilen Brüche die systematisierte Funktionalisierung der Differenz. So sehr sich die raue, schwarze Maske der Figur in „Fremde Schönheit“ (Abbildung 21) von dem perfekten weißen Körper unterscheidet, so unzertrennlich sind beide doch schon durch die Betitelung, die die eindeutigen Zuschreibungen durcheinanderbringt und die Kategorien „fremd“, „schön“, „weiß“ und „schwarz“ uneindeutig macht.
47 Quelle: Der Querschnitt, Jahrgang V, Heft 1, Berlin 1925, Seitenzahl ohne Angabe. 48 Quelle: Der Querschnitt, Jahrgang IX, Heft 10, Berlin 1929, Seitenzahl ohne Angabe. 49 Vgl. Zeller 2010 – Weiße Blicke, S. 8.
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Abb. 27: Hannah Höch, Aus einem ethnographischen Museum: ohne Titel III
Höch bricht die gegensätzliche Kategorisierung von schwarz und weiß, vom Eigenen und Fremden durch die vielseitigen Verzahnungen und weist doch durch die klaren Schnitte wieder auf die Grenzen und das Ausgegrenztsein hin, das aus dem Fremden etwas nicht Zugehöriges macht. So führen Höchs oberflächlich homogene, in ihrem Wesen aber durch und durch heterogene Figuren das Konstrukt der Identität vor Augen, das aus vordefinierten Gegensätzen ein funktionierendes System zu bilden vorgibt.
4.4 D EKONSTRUKTION VON I DENTITÄTSKONZEPTEN : R ASSE UND K ÖRPER , H AUTFARBE UND G ESCHLECHT Höchs Fotomontagen verweisen auf die Beschaffenheit von Identität, weil sie deren innerste Kontroversen ins Bild zu setzen vermögen und Identität bildlich
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beschreiben: Bruch und Grenze, Fremdkörper und spannungsreiche Verbundenheit, Kontrast, Zersplitterung und Widerspruch sind nicht nur die Begriffe, die Höchs Arbeiten beschreiben, sondern die auch auf das Wesen von Identitätsstrukturen angewendet werden können. Höch reflektiert dies und sie zeigt durch die irritierenden Synthesen der Gegensätze auf die Stelle, an der Identität instabil wird und sich die Eindeutigkeit der Kategorien auflöst: Wo es zu einem direkten Kontakt mit dem Fremden kommt, herrscht eine permanente Angst vor Verformung und die Einstufung der Identität nach konstruierten Merkmalen zeigt sich in ihrer Fragilität.50 In Arbeiten wie „Liebe im Busch“, „Die Braut“ oder „Mischling“ thematisiert Höch unter Bezugnahme auf konkrete Ereignisse und Diskussionen, wie die Angst vor einer unkontrollierbaren Grenzüberschreitung, vor dem Verlust einer klaren Trennung von schwarz und weiß sich auf die eigene Identität bezieht. Indem sie die Folien des Fremden mit den Folien des Eigenen nebeneinanderlegt und Konfrontationen und Überschneidungen zulässt, deutet sie auf den Zerfall reiner Identitäten hin, die sich aus Prozessen der Selbstdefinition und Bedeutungszuschreibung über das Fremde erschließen. Höch setzt sich von den öffentlich vermittelten, rein antithetischen Strukturen des Selbst und des Anderen ab und stellt die wechselseitigen Abhängigkeiten kultureller Alterität in den Mittelpunkt. Ihre Figuren, die doch zunächst das Ethnographische, das Primitive zum Thema haben, reflektieren nicht nur kritisch, wie das Fremde in der Öffentlichkeit repräsentiert wird, sondern sie kehren den Blick auch um und geben die Frage frei, was die Darstellung des schwarzen Fremden für die Identität des weißen Selbst bedeutet. Doch nicht nur Körper, Hautfarbe und damit verbunden die Konstruktion der Rasse etablieren die Identität des Selbst vor dem Fremden, auch die Kategorie des Geschlechts spielt im Kontext kolonialer Selbstversicherungsstrategien eine wichtige Rolle. Hannah Höchs viel zitierte und mit Bedeutung aufgeladene Bezugnahme auf die Position der Frau in den zwanziger Jahren steht in diesem Sinne in einem sehr viel weniger allegorischen Verhältnis zu den Elementen des Fremden, als vielerorts angenommen wird. Für die deutsche Frau ist die koloniale Ordnung mit ihren Konstitutionen von Differenz und Identität ein wichtiger Meilenstein auf dem Weg zu den freiheitlichen und emanzipatorischen Entwicklungen, denen in der Öffentlichkeit der zwanziger Jahre so zugesprochen wird. Erst über die Fragestellungen des Kolonialismus gelingt es den deutschen Frauen, sich als weiße, bürgerliche Individuen zu behaupten.51 Die Ordnungen von Macht und Hierarchie schreiben der Frau traditionell die Rolle der dem Mann
50 Vgl. Kundrus 2003 – Moderne Imperialisten, S. 81 und S. 175. 51 Vgl. Dietrich 2006 – Konstruktionen Weißer Weiblichkeit, S. 38f.
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emotional und intellektuell unterlegenen Natur zu. Zwar befindet sie sich somit eigentlich in der gleichen Unterdrückungssituation, in der sich auch der primitive Andere befindet, die Komponente der Rasse aber adelt die weiße Frau, deren Weiblichkeit bei der Konfrontation mit dem Fremden vor ihrer Hautfarbe zurücktritt. Sie wird umso mehr zum Symbol für den deutschen Volkskörper, der dem minderwertigen Fremdkörper gegenübersteht, als ihr im kolonialen Verlauf der Bedeutungszuschreibung die Rolle der Kulturträgerin und Hüterin der Moral zugesprochen wird.52 Die weiße Frau, die als Bewahrerin der deutschen Kultur vor allem auch die Reinheit der weißen Rasse vertritt, wird so zu einem wichtigen Glied im nationalen Gefüge und zu einem Baustein deutscher Identität. Für das Selbstverständnis der weißen Frau im Kolonialismus bedeutet dies sehr viel weniger eine Parteinahme für den primitiven Anderen, als eine Möglichkeit, die kolonialen Strukturen der Differenz zu nutzen, um in den Kolonien aber auch in Deutschland Freiheit und Unabhängigkeit anzustreben. Das dem Rassekonzept inhärente Versprechen einer Überlegenheit aller Weißen über alle Nicht-Weißen führt so einen Handlungsspielraum für die deutsche Frau ein, der deren Position im Umfeld der emanzipatorischen Bestrebungen nur bestärkt.53 Dass die Positionierung der deutschen Frau im Zusammenhang des Kolonialismus also in der Regel nicht als eine kritische gelten kann, sondern dass die Forderungen nach Rassenreinheit und rassischer Hierarchie von den Frauen vielmehr unterstützt werden,54 gibt einen Hinweis darauf, dass Höch die Repräsentation des Fremden kaum allegorisch auf die Rolle der Frau angewendet haben wird. Die weibliche Beteiligung am Kolonialismus und die Nutzung kolonialer Unterdrückungsstrukturen in eigener Sache lassen sich vielmehr unmittelbar mit den Konstruktionen von rassischer Identität und Differenz in Verbindung bringen, auf die Höch sich mit ihren spitzfindigen Betrachtungen der Fremdbilder so eindeutig und bildlich bezieht. Die weiße Frau bildet eine Schnittstelle bei der Begegnung mit der Fremde und bei dem Umgang mit Differenz, die vor allem auf eines aufmerksam macht: auf die beliebige Umdeutbarkeit von Grenzen bei einer auf dem Konzept der Rasse aufbauenden Identitätsversicherung. Die weiße Frau wird im Kontext der Rassen von der einfachen, emotionalen und instabilen Kreatur zur Retterin der nationalen Stärke und zur Garantin eines stabilen Machtgefüges. Sie untersteht dem weißen Mann nicht mehr, sondern sie unterstützt ihn bei der Überwindung seiner eigenen Labilität und Triebhaftigkeit,
52 Vgl. Dietrich 2007 – Weiße Weiblichkeiten, S. 155f. 53 Vgl. Wildenthal 2003 – Rasse und Kultur, S. 216. 54 Vgl. Dietrich 2007 – Weiße Weiblichkeiten, S. 319f.; Wildenthal 2003 – Rasse und Kultur, S. 204f.
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die das Leben in den Kolonien zutage bringt. In der deutschen Öffentlichkeit wird sie in ihrer Rolle als Kulturträgerin instrumentalisiert und dieses Bild vor allem bei den Kampagnen zur Reinhaltung der Rassen aktiviert. Der Appell an die Stärke der weißen Frau und an ihre Aufgabe der Fortführung einer reinen, weißen Rasse erfolgt meist unterschwellig: Vor allem dort, wo die weiße Rasse gefährdet scheint, wird die weiße, kultivierte Frau als Bedrohte und Opfer deklariert, als die Stelle im nationalen Gefüge, die durch ihr barbarisches, ungezügeltes Gegenstück – den schwarzen Mann – gewaltsam gebrochen und verletzt werden kann. Kampagnen wie jene um die „Schwarze Schmach am Rhein“ zeigen, wie die weiße Frau in ihrer übergeordneten Funktion für die Nation zur Schwachstelle wird – und dies nicht nur in der Rolle des passiven Opfers: Referiert wird auch die Weiße als Verführte und damit Beteiligte, die der schwarzen Übersexualität verfällt und die ihre nationalen Pflichten aufs Spiel setzt. Je nach Zusammenhang schwanken so die Inhalte, die jenes Bild der weißen Kulturträgerin anfüllen. Es zeigt sich als ein Konstrukt, das geschaffen zur Stabilisierung nationaler Moral und Macht immer dort verwendet und umgedeutet wird, wo es das Machtgefüge der rassischen Differenz am stärksten zu fundieren vermag. Das Konzept der weißen Frau ist Teil einer Repräsentation, binnen derer sie durch die ihr zugeteilten Stereotype die Seite des Eigenen vertritt und den Grenzbereich markiert, der das Selbst von seinem differenten Anderen trennt. Ob über eine aktive Zustimmung und Nutzung der kolonialen Rassenideologie oder über die Passivität ihrer Rollenzuschreibung: Die Rolle der deutschen, weißen Frau steht in einem engen Wechselverhältnis zur Konstruktion des Fremden. Gerade in den zwanziger Jahren, in denen die unterschiedlichen, weiblichen Rollenmodelle öffentlich ausgebreitet werden und weibliche Identität sich in Kategorien definieren lässt, wird auch deren Künstlichkeit transparent. Egal in welcher Rolle die weiße, moderne Frau betrachtet wird, auch ihre Charakterisierung zeigt sich in erster Linie als ein öffentlich produziertes, medial gefördertes Kunstprodukt stereotyper Zuschreibungen.55 Die fixen Definitionen dessen, was moderne Weiblichkeit ist und wie weit sie gehen darf, zeigen sich doch letztlich immer nur als das Bedürfnis nach einer äußerlich bestimmbaren Ordnung und einer kontrollierbaren Regelmäßigkeit.56 Wie das Konstrukt der Fremde unterliegt auch das Konstrukt der weiblichen Identität strengen Grenzen – die etwa im Falle der Körperlichkeit vom Fremden bemessen werden.
55 Vgl. Gatermann 1988 – Malweiber. Bildende Künstlerinnen, S. 135. 56 Vgl. Hake 1997 – In the mirror of fashion, S. 189ff., Dorgerloh 2004 – Josephine Baker, S. 289.
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So wie das stets markant präsentierte kurze Haar des Bubikopfs, die kurzen Röcke und nackten Beine Selbstbewusstsein und Modernität vorstellen, so wie die Kategorien der Sportlerin, Arbeiterin, unabhängigen Bürgerin und Ehefrau die Vielseitigkeit der modernen Frau preisen, so präsentiert der weiße, weibliche Körper das nationale Selbstbewusstsein – gerade im Kontrast zu den so verbreiteten Abbildungen nicht-weißer Körper. Schon der Vergleich der Fotografien in den Zeitschriften macht anschaulich, wie eng die Grenzen der Definition gesteckt sind: Die weiße Frau gilt so lange als begehrenswert, attraktiv und zurecht selbstbewusst, als sie die Grenzen der Moral einhält; die Abbildungen nackter, weißer Frauenbeine sind in der Anzahl beträchtlich, in der Darstellung jedoch harmlos. Dem wirklichen Voyeurismus ausgeliefert werden allein die Körper schwarzer Frauen, die uneingeschränkt und unverhohlen in jeglicher Form gedruckt und betrachtet werden können. Die Hautfarbe sorgt hierbei für eine Platzierung des nackten Körpers im künstlich aufgebauten gesellschaftlichen Wertesystem und setzt eine Markierung sowohl für die Rasse, als auch für die Weiblichkeit. Denn nicht nur bei der Rasse, sondern auch bei der Kategorisierung der Frau, ist der Körper stets das entscheidende Moment, sein Abbild steht buchstäblich für seine Identität: „Das europäische Bein ist ein Teil der Persönlichkeit und steht zum Geist des Besitzers in Verbindung, eventuell ist es metaphysisch. Geist in diesem europäischen Sinne haben die Kiddies57 nicht, das Bein ist also frei, der letzte Rest Persönlichkeit ist weggeschlenkert.“58 Wenn Hannah Höch in ihren Arbeiten nun die Bilder des Fremden auffällig oft mit Abbildungen weißer Frauenkörper kombiniert, so vollzieht sie keineswegs eine Projektion, welche die Parallelen zweier verschiedener Identitätsdiskurse aufzeigt. Vielmehr führt Höch hier statt Parallelen Abhängigkeiten vor und zeigt die verschiedenen Konstrukte von Identität auf, die sich immer ähneln, gegenseitig benötigen und bedingen. Das so entstehende komplexe Gebilde von Identität bewegt sich in den festen Grenzen der Rasse, Umdeutungen und Verschiebungen bei den Hierarchiegefällen zwischen dem weißen Mann, der weißen Frau, dem schwarzen Mann und der schwarzen Frau sind jedoch ihrer Künstlichkeit entsprechend immer immanent. Höch zeigt dies in ihren Fotomontagen durch ihre offensichtliche Demontage und durch die darauf folgende sichtbare Neumontage auf die Einzelteile verschiedener Identitätskonstruktionen. Sie ver-
57 Der Begriff „Kiddies“ bezieht sich auf die schwarzen Tänzerinnen der sogenannten Negerrevuen der „Chocolate Kiddies“, die in den zwanziger Jahren wiederholt in Berlin gastieren. 58 Zitat aus einem Artikel von Hermann von Wedderkop: „Chocolate Kiddies im Admiralspalast“, in: Der Querschnitt, Jahrgang IX, Heft 7, Berlin 1929, S. 653.
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arbeitet in ihren Arbeiten, dass das Konstrukt der weißen Frau im Kontext rassischer Differenz und vor dem Hintergrund ihrer Herausbildung kein verwandter Diskurs ist, sondern ein Knoten im Netz zwischen dem Eigenen und dem Fremden. Wenn Höch darum die Abbildungen weißer, weiblicher Körperteile einsetzt, so stehen diese nicht allein für das weibliche Selbst, sondern in gleichem Maße auch für das Fremde: Sie indizieren ein „Weißsein“, das in ganz besonderem Maße und mit allen genannten Konnotationen von der weißen Frau vertreten wird und das in ganz besonderem Maße von einem „Schwarzsein“ mit allen genannten Konnotationen abhängt. 4.4.1 „Mutter“ Die Fotomontage „Aus einem ethnographischen Museum: Mutter“ von 1930 führt jene Abhängigkeiten vor und erschließt die Verwebungen von Identitätsstrukturen über verschiedene Faktoren (Abbildung 28). Höch stellt bei dieser Fotomontage in mehrfacher Hinsicht eine Referenz zu den Arbeiten „Die Süße“ und „Fremde Schönheit“ her. Schon formal schließt sie durch die Gestaltung des Hintergrundes an die früheren Arbeiten an: Der bei allen drei Blättern ähnlich ausgearbeitete, gelblich, rötlich und bläulich aquarellierte Hintergrund lässt diese drei Fotomontagen zu einer eigenen kleinen Gruppe inmitten der Serie „Aus einem ethnographischen Museum“ werden. Die auch hier einzeln vor dem polychromen Hintergrund platzierte Figur des Blattes „Mutter“ zeigt sich in der Vollfrontale und wird von der Abbildung einer weißen Frau bis zur Brust gebildet, deren bekleideter Oberkörper aufgrund der Farblichkeit fast im Hintergrund verschwindet. Das Gesicht der Frau wird durch den Ausschnitt einer „primitiven“ Maske verdeckt, die aufgrund ihrer Größe und der dunklen, rauen Struktur eine Maskierung im wörtlichen Sinne vornimmt. Die aus Holz gefertigte Tanzmaske der Kwakiutl (Wakasch-Indianer, Nordamerika)59 ist dem Gesicht großzügig übergestülpt und wurde von Höch an einigen Stellen aufgebrochen: Die Mundpartie etwa ist herausgeschnitten und gibt Mund und Kinn der darunter versteckten weiblichen Figur frei. Außerdem unterlegt Höch das linke, als Kreis stilisierte Auge der Maske mit einer abgerundeten Kerbe, die zwar die Form des Auges ergänzt, hier aber vielmehr als Schnitt, als Verletzung erscheint. Nicht nur aufgrund der Farbigkeit, sondern vor allem im Kontrast zu dem stilisierten, linken Auge der Maske und deren harter und gealterter Oberfläche sticht das eingeklebte rechte Auge einer weißen Frau hervor, das den Betrachter weit geöffnet anblickt.
59 Quelle: Der Querschnitt, Jahrgang V, Heft 2, Berlin 1925, Seitenzahl ohne Angabe.
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Abb. 28: Hannah Höch, Aus einem ethnographischen Museum: Mutter
Der geschwungene Ausschnitt dieser weißen Augenpartie passt sich der Maske proportional und formal an, steht jedoch in hartem Kontrast dazu: Die abweisende Struktur des Holzes wird durch den Blick geöffnet, eine Mimik durch die Korrespondenz mit der weißen Mundpartie geschaffen. Wie auch bei den Arbeiten „Die Süße“ und „Fremde Schönheit“ scheint die Figur hier den Betrachter zu befragen, scheint ihn auf sich selbst zurückzuweisen und seine ungestörte Anschauung zu verneinen. Das formal so klar positionierte Portrait einer Frau, das hier schon ob seiner Maskierung die Quintessenz einer Bildnis-Funktion einbüßt, ist nicht mehr für sich alleine lesbar, da es die Blickrichtungen bricht und auf interne Bruchstellen verweist. Obgleich sie durch die Maske verhüllt ist, werden doch die entscheidenden Teile der Figur – ihr Blick und ihre Sprache – enthüllt und die Figur zu einem nicht einfach zu klassifizierenden Widerspruch. Prägnant wie bei den Arbeiten „Die Süße“ oder „Fremde Schönheit“ wird auch bei dieser Fotomontage mit dem Titel „Mutter“ ein weibliches Rollenmodell assoziiert. Und tatsächlich verweist auch der ursprüngliche Ausschnitt der
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Abbildung der weißen Frau auf eine Mutterschaft, da es sich bei der Fotografie im Original um eine Schwangere handelt.60 Höch jedoch beschneidet ihre „Mutter“ unterhalb der Brust, entfernt den Bauch der Schwangeren und entfremdet den Bezug zur Mutterschaft, den sie im Titel noch so plakativ herstellt. Obwohl sie vorgibt, das universell definierte Bild einer Mutter zu erschaffen und obwohl sie dafür eine Quelle nutzt, die diesem Bild entspricht, zeigt Höch vorsätzlich nur eine Hülle, die nicht erfüllt, was sie zu erfüllen vorgibt. Die Maskierung der Figur schließlich ist der Zugang zu ihrer Demaskierung: Ist der Zusammenhang der destruierten Weiblichkeit noch so subtil, dass er zunächst nur sichtbar wird, wenn die Ursprungsquelle der Fotomontage bekannt ist, so verweist die Maske plakativ auf das künstliche Rollenspiel. Sie irritiert nicht nur das klassische Bild einer Mutter, wie es der Titel zu implizieren vorgibt, sondern leistet auch eine Verschiebung zum instrumentalisierten Kern der Mutterschaft: Die „primitive“ Maske setzt das Rollenmodell der „Mutter“ in den Kontext weiblicher, kolonialer Identität. Unter der Begegnung mit dem Fremden erlangen Frauen die höchste Anerkennung, werden zur Retterin nationaler Tugend, zur Hüterin der weißen Rasse und damit buchstäblich zu den Müttern der deutschen Nation. Höch greift den Zusammenhang zwischen dem Fremden und dem weiblichen, nationalen Selbst – hier definiert durch die metaphorische Benennung „Mutter“ – auf und imitiert ihre Verschmelzung. Sie zergliedert jedoch die Folie des Fremden und der Rasse, von der die aufgewertete Position der Weiblichkeit direkt abhängig ist, und charakterisiert sie als brüchige Verkleidung, welche durchlässig für das weiße, weibliche Subjekt und dessen Widerspruch ist. Die Maske, die wie bei den Arbeiten „Die Süße“ und „Fremde Schönheit“ auf bekannte Differenzmuster und Repräsentationsstrategien anspielt, legt den Defekt von Rollenbildern frei. Höchs feinsinnige Ent-Charakterisierung klarer Leitbilder stört so scheinbar offensichtliche Zuschreibungen und zergliedert die künstlichen Regeln der Identität. Höch fokussiert in den hier behandelten Fotomontagen nicht explizit die Rolle der Weiblichkeit in den zwanziger Jahren. Sie greift mit der Verwendung weiblicher Abbildungen schlicht auf die Bilder zurück, mit denen der Diskurs um das Fremde geführt und Identität verhandelt wird. Sie stellt genauso Überlegungen zur faktischen Verortung der Frau bei der Begegnung mit der Fremde an, wie sie auch die Folgen von automatisierten Kategorisierungen reflektiert. Höch bezieht die naheliegende Frage nach der passiven und der aktiven Verantwortung der weißen Frau in Diskurse wie jenen um die Rassenmischung in ihre Arbeit mit ein, indem sie Weiblichkeit als einen unvermeidbaren Aspekt unter-
60 Vgl. Makela, Boswell (Hg.) 1997 – The photomontages of Hannah Höch, S. 105.
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mischt. Arbeiten wie „Entführung“, „Mischling“, oder „Die Braut“ stellen jedoch nicht die Weiblichkeit selbst in den Mittelpunkt, sondern nutzen das Abbildungsmaterial von Frauen vielmehr beigeordnet, um deren Beziehung zum eigentlichen Thema der Fremde zu reflektieren. In Blättern wie „Fremde Schönheit“ oder „Die Süße“ hingegen arbeitet der explizit weibliche Körper der Thematisierung einer gesellschaftlich verankerten, sexuellen Doppelmoral zu, die sich an den Zuschreibungen rassisch differenter Körperlichkeit entfaltet und die in der Praxis der ethnographischen Fotografien, der Völkerschauen und Negerrevuen hauptsächlich auf dem Frauenkörper und eben nicht auf dem Körper des Mannes abgebildet wird. Höch zeigt die Weiblichkeit als einen Teil der Repräsentation des Fremden und benutzt sie als die Bilder und Symbole, als die sie auch in der Öffentlichkeit auftaucht. Hannah Höch reflektiert stets auch das zwiespältige Verhältnis der weißen Frau zum Fremden, das zwischen einer aktiven Beteiligung an den rassischen Unterdrückungsstrukturen und einer passiven Instrumentalisierung im Sinne von Differenz- und Identitätskonstrukten schwankt. Höch fasst diese Ambivalenz in ihren Fotomontagen durch die kontroversen Bezugnahmen der einzelnen Elemente zusammen. Sie beschreibt die Komplexität künstlich errichteter Identitätskonzepte durch eine bildliche Verschachtelung, die sie zu eng verflochtenen Gefügen verwebt und so die grundlegende Heterogenität vorgeblich homogener Vorstellungsmuster auf den Punkt bringt. 4.4.2 „Liebe“ In der irritierenden Szenerie der Arbeit „Liebe“ von 1931 spannt Höch zunächst noch einen Bogen zu dem Blatt „Fremde Schönheit“, indem sie eine lang ausgestreckte, weiße, nackte Figur mit dem Kopf einer schwarzen Frau versieht und sie ganz ähnlich der „Fremden Schönheit“ im Bild drapiert (Abbildung 29). Die Figur liegt auf dem durch eine helle Farbfläche suggerierten Fußboden und ist metaphorisch auf zwei gemusterte Kissen gebettet. Mit den übereingeschlagenen, nackten Beinen eines ersten Ausschnittes, dem nackten Oberkörper eines zweiten Ausschnittes und schließlich dem dritten Ausschnitt eines mit Ketten geschmückten Halses eines schwarzen Frauenkopfes entwickelt Höch hier bemerkenswert sublim die offenherzige Pose des fetischisierten, weiblichen Objektes, das sie auch in der Arbeit „Fremde Schönheit“ bereits in den Fokus stellt: Mit besonders feinen Schnitten positioniert sie die Einzelausschnitte zueinander, lässt sie einander überschneiden oder spart kleine Ecken aus, um etwa den Schambereich der Figur oder den Schattenverlauf des Körpers zu suggerieren.
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Abb. 29: Hannah Höch, Liebe
Im Gegensatz zu dem Subjekt der Arbeit „Fremde Schönheit“ richtet die Figur des Blattes „Liebe“ jedoch nicht den Blick aus dem Bild heraus, sondern bleibt auf das konzentriert, was im Bild geschieht: Eine zweite Kreatur nähert sich der Liegenden von schräg oben aus dem goldgelben Hintergrund. Obwohl sie sich aus der Abbildung eines nackten, weiblichen Hinterteils nebst Oberschenkeln sowie einer weiteren Abbildung weißer, beschuhter Frauenfüße zusammensetzt, ist diese zweite Figur nicht als menschliche einzuordnen: Oberkörper und Kopf ersetzt Höch durch den dunklen Körper eines Insekts mit zwei gewaltigen Hörnern, dessen hellgelbe, ausgebreitete Flügel der Figur eine kräftige Dynamik geben. Weiblichkeit wird hier gleichermaßen in einer aggressiven und in einer passiv-defensiven Rolle verkörpert, die Assoziationen von Akten der Verletzung und der Verletzlichkeit vermischen sich. Die Entfremdung der Figuren durch die schwer zuzuordnende Verbindung der Einzelelemente und deren Beziehung zueinander stört die einfache Betrachtung der beiden Subjekte und zwar umso mehr, als die so bestechende Sorgfalt der Schnitte und Klebestellen zwar Geschlossenheit suggeriert, eigentlich aber nur auf sich selbst, also auf den Schnitt, und damit auf den Bruch verweisen.
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Das Blatt „Liebe“ scheint eine Weiterführung der Arbeit „Fremde Schönheit“ zu sein, in der sich ein nackter, schutzloser Körper behauptet, der hier jedoch bedroht und ausgeliefert ist. Höchs auffällige Wiederholung des liegenden Motivs aus der Arbeit „Fremde Schönheit“, welches die Rolle der Frau als Schauobjekt noch deutlich kritisch reflektiert und das Fremde durch den Blick durch die Brille vereigenständigt, wird in der Arbeit „Liebe“ aufgelöst. Die Loyalität des weiblichen Körpers zu dem Körper des Fremden scheint hier gebrochen und die Konstruktion von Körperlichkeit, Weiblichkeit und Fremde in ihrer Beziehung verworren und kaum mehr entschlüsselbar. Höch nimmt in ihren Fotomontagen Bezug zu den Verhandlungen von Identität, die in der Öffentlichkeit der Weimarer Republik ebenso plakativ wie subtil geführt werden. Sie nimmt teilweise direkte Ereignisse wie etwa die Mischlingsdebatte oder die Kampagne um die „Schwarze Schmach am Rhein“ zum Anlass für ihre Fotomontagen, setzt sich aber auch mit alltäglichen Prozessen der Identitätsbildung auseinander und verarbeitet etwa die Bedeutung der öffentlichen Thematisierungen der Weiblichkeit oder die Zurschaustellung des Körpers für die Herausbildung einer Identität. Immer denkt sie über das Selbst als ein Konstrukt nach, das sich an einem Anderen aufrichtet, und beschäftigt sich mit den Strukturen von Differenz und Identität. Sie reflektiert nicht nur deren Ursprung und inhaltliche Aufladung, sondern sie vollzieht ihren Aufbau buchstäblich nach: Höch nutzt Stereotype, ahmt Darstellungsmuster nach und arbeitet mit den etablierten Methoden der Repräsentation über die Repräsentation. Obwohl sie oberflächlich dichte Bilder simuliert, lässt sie immer Leerstellen und Brüche offen und kann so die Fragen formulieren und die Unklarheiten aufzeigen, die in der öffentlichen Wiedergabe von Identität verdeckt bleiben. Höch empfindet in ihren Arbeiten die vorgebliche Homogenität von Identität nach, um sie dann aber in ihre heterogenen Bestandteile aufzubrechen. So zeigt sie nicht nur auf die Verflechtungen der Kategorien der Rasse und des Geschlechts, sondern dreht auch die Positionen des betrachtenden Subjektes und des betrachteten Objektes um. Höch stellt dem Betrachter immer ein zweites Subjekt gegenüber und lässt den Blick und dessen Verantwortung zum zentralen Bindeglied zwischen den Seiten werden. Die Folge ist ein Aufruf, der nicht nur an die Verantwortung des Sehens gemahnt, sondern der die Konstruktion des Selbst über das Andere umdreht und das Andere über das Selbst befragt.
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4.5 D EMONTAGE DES WESTLICHEN K UNSTBEGRIFFS UND SEINER I NSTITUTIONEN Dass Hannah Höch für ihre Überlegungen zum Eigenen und zum Fremden den buchstäblichen Rahmen eines Ethnographischen Museums wählt, steht ganz im Zeichen der institutionellen Prozesse einer Produktion des Selbst durch sein Anderes. Die bereits in Kapitel 3.6 erläuterte Tradition der Ethnologischen Museen bestätigt jene als einen Raum der kulturellen Selbstversicherung.61 Die Darstellung von materiellen Gütern sogenannter Naturvölker, ihre Differenzierung und Abgrenzung zur eigenen Kultur machen die Museen zu einem Ort der Repräsentation des Fremden, an dem doch vor allem das Eigene repräsentiert wird. Wie im medialen und sozialen Gesellschaftskontext der Weimarer Republik wird das Andere auch in der Praxis der Ethnologischen Museen distanziert und objektiviert und seine Bedeutung über das Selbst aufgebaut. Bereits mit dem Titel ihrer Serie „Aus einem ethnographischen Museum“ rekurriert Höch auf das Phänomen einer Einrichtung, in der die Begegnung mit der Fremde in der Realität stattfindet. Sie stellt mit dieser kurzen Überschrift einleitend eine übergeordnete These auf: Höch nimmt Bezug zum Ethnographischen Museum und dessen bereits im Wortsinn immanenter Bedeutung der Inskription und Deskription des Anderen.62 Ethnographisch wird ein Objekt erst durch seine Kontextualisierung und Interpretation63 und so ist der Akt der Musealisierung auch derjenige, der für die Bedeutung und Positionierung des Objekts zum klassifizierenden Subjekt entscheidend ist: „Das Stroh, Eisen und Holz, das ich ihnen abliefere, repräsentiert überhaupt keinen Wert; der Wert wird ihm erst zuteil durch die geschichtlichen und entwicklungsgeschichtlichen Beziehungen, die diese Materialien mit unserer Wissenschaft verbinden.“64
Das wählende, ordnende und interpretierende Subjekt entledigt den Gegenstand seines Kontextes und seiner Funktion. Es entscheidet über seine Sammlungsfähigkeit, ordnet das Objekt in sein eigenes, subjektives Regelwerk ein und setzt es dadurch in einen neuen Kontext, der schließlich durch die Freigabe für den Mu-
61 Vgl. Voges 2001 – Das Völkerkundemuseum, S. 317. 62 Vgl. Berg, Fuchs 1993 – Phänomenologie der Differenz, S. 13. 63 Vgl. Pink 2001 – Visual Ethnography, S. 18. 64 Zitat von Leo Frobenius in einem Briefwechsel mit Georg Thilenius vom 29.10.1904, zitiert nach Jürgen Zwernemann, vgl. Zwernemann 1987 – Leo Forbenius und das Hamburgische, S. 113.
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seumsbesucher gänzlich vollzogen wird.65 Die museale Repräsentation des fremden Objektes ist damit ein Prozess, der mehr als nur die Seite des ausgestellten Gegenstandes beinhaltet. Die Handlung des Ausstellenden, die hinter der Deklaration wissenschaftlicher Absolutheit in den Hintergrund gerät, ist diejenige, die das Andere beschreibt und damit vor allem auch Einblick in die Definition des Selbst gibt. 4.5.1 „Trauer“ Hannah Höchs Titelwahl „Aus einem ethnographischen Museum“ bildet die Einführung für ihre Analyse des Verhältnisses zwischen einem weißen, dominanten Kunst- und Kulturbegriff und den subalternen Kulturen unter deren Beherrschung. Wie auch die gesellschaftlichen Ereignisse in der Weimarer Republik ihr als Quelle zur Untersuchung der Machtstrukturen zwischen dem Eigenen und dem Fremden dienen, so überträgt sie ihre Überlegungen auch auf die Mechanismen der Ethnologischen Museen und der institutionalisierten Kunstgeschichte. Höchs Rekurse sind formal wie inhaltlich bildhaft. In der Arbeit „Aus einem ethnographischen Museum: Trauer“ von 1925 imitiert Höch den Ausstellungsrahmen eines Museums gleich doppelt, indem sie ihrer Figur eine auffällige, breite Rahmung gibt und sie zusätzlich auf einem Sockel platziert (Abbildung 30). Der vor dem hellbraunen Untergrund aufgeklebte schwarze Karton und die hellbraune, trapezförmige Fläche, mit der Höch den Sockel andeutet, assoziieren den bekannten Präsentationsraum eines Museums, in dem das ausgestellte Objekt isoliert zur Exposition gestellt wird. Die ausgestellte Figur ist frontal von Kopf bis Fuß zu sehen und setzt sich aus vielen einzelnen Abbildungen zusammen, die Höch hier nicht ganz so nahtlos wie üblich aneinandersetzt. Überschneidungen, Proportionsfehler, unsaubere Schnittstellen und wie zufällig auftauchende Einzelteile fallen bei der Betrachtung der Figur auf. Als Kopf benutzt Höch hier die Abbildung einer dunklen Elfenbeinskulptur vom Kongo66 und setzt ihn auf den hellen, stilisierten Oberkörper, der einem „Stuhl der Baluba“67 entnommen ist. Die überdimensionalen Brüste und die riesigen, nach oben geklappten Arme dieses Ausschnittes dominieren die Figur und zwar umso mehr, als die Hände über den Bildrand hinausgehen und sich ungeachtet des
65 Vgl. Laukötter 2007 – Von der Kultur zur Rasse, S. 175f. 66 Quelle: Der Querschnitt, Jahrgang V, Heft 1, Berlin 1925, Seitenzahl ohne Angabe. 67 Quelle: Sydow 1926 – Kunst und Religion der Naturvölker, Abbildung 22. Der Stuhl befand sich nach Angabe von Eckart von Sydow außerdem im Berliner Völkerkundemuseum, vgl. Sydow 1926 – Kunst und Religion der Naturvölker, S. 233.
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breiten, schwarzen Rahmens darüber hinaus ausbreiten. Die langen Arme einer weißen Frau und die kaum wahrnehmbaren, versteckten Arme einer weiteren Frau ergänzen den Oberkörper, dessen Vielarmigkeit und Anordnung unwillkürlich an die mehrarmigen Götterdarstellungen der hinduistischen Tradition denken lässt. Die fast schwarzen Beine der Figur werden schließlich von einer Abbildung gebildet, die Höch einer Aussage der Zeitschrift „Der Querschnitt“ von 1925 entnimmt und die eine „Tätowierte Borneo-Schönheit“68 zeigt. Die Beine sind mit dunklen Tätowierungen übersät und erscheinen als Kontrast zu dem fast weißen Oberkörper dieser fragmentierten Figur. Höch schafft hier aus einem Konvolut unterschiedlichster, „primitiver“ Objekte eine Figur, deren ungewöhnliches Erscheinungsbild den direkten Zugang oder ein einfaches Verständnis verwehrt und die den Betrachter in der Wahrnehmung eines ihm vollkommen fremden Objektes bestätigt. Obwohl der museale Kontext ihres Settings an die gewohnten Präsentationsformen im Museum erinnert, verwehrt sich die Figur den Einordnungen in das westlich Bekannte. Sie bietet sich als passives Objekt der Anschauung dar, das in seiner Repräsentation akzeptiert und nicht hinterfragt wird. Höch baut hier ein Ausstellungsobjekt nach, dessen Hauptattribut das des Befremdlichen, Fremden ist. Sie vollzieht bei der Schaffung ihrer Figur genau die Vorgänge nach, die auch in der Praxis der Ethnologischen Museen zur Exposition der Objekte führen. Zunächst entnimmt Höch ihre Ausschnitte dem Ursprungskontext der Zeitschriften und führt die Entkontextualisierung der Objekte in einer Kettenreaktion fort: Zuerst in der Fotografie und schließlich in den Zeitschriften werden die fremden Objekte ihrer Bedeutung, ihres Raums und ihrer Zeit beraubt. Höch führt die Reihe weiter, schneidet die Objekte erneut aus ihrem Kontext aus und fügt sie in ihr Bühnenbild eines Museums ein. Die semantische Veränderung, die die gewählten Ausschnitte damit erfahren, erfolgt nun ebenfalls auf mehreren Ebenen. Einerseits werden die im medialen Kontext der Zeitschriften veröffentlichten Ausschnitte von Höch in die Kunst versetzt. So wird von ihr jener Schritt nachvollzogen, mit dem auch die Ethnologischen Sammlungen ihre Objekte von der Trivialität des Alltagsgegenstandes zum ästhetisierten Anschauungsobjekt führen. Zudem werden die in der Quelle noch genannten Zuordnungen der Objekte von Höch aufgelöst und durch den Kontext der übrigen Abschnitte der Fotomontage sowie durch den Kontext des sogenannten Ethnographischen Museums ersetzt.
68 Quelle: Der Querschnitt, Jahrgang V, Heft 1, Berlin 1925, Seitenzahl ohne Angabe.
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Abb. 30 Hannah Höch, Aus einem ethnographischen Museum: Trauer
Höch imitiert zunächst die scheinbare Rückführung und Adelung der Objekte durch den Raum des Museums. Mit der Wahl ihres Materials aber, dem eine große Entfernung vom Original und eine plakative Entfremdung durch den häufigen Kontextwandel immanent ist, erklärt sie die vorgeblich gerechtfertigte Platzierung des Objektes im Museum als irrig. Auch eine Rekontextualisierung der Objekte wird von Höch so vollzogen, aber als fehlerhaft markiert. Die im letzten Schritt erfolgende, endgültige Einordnung durch den Betrachterblick leitet Höch durch die Rahmung und Aufsockelung ihrer Figur ein. Auch die plakative Anweisung der Betrachtung eines Stückes „Aus einem ethnographischen Museum“ jedoch kann dem Blick des betrachtenden Konsumenten nicht standhalten, der sich hier durch eine Konstruktion hinters Licht geführt fühlt. Höch imitiert in der Arbeit „Trauer“ den Weg des „primitiven“ Objektes zu seinem
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Sockel im Museum. Sie labelt ihr Objekt mit einem kurzen Titel – es stammt „Aus einem ethnographischen Museum“ und handelt vom Thema „Trauer“ – objektiviert es als Gegenstand der Anschauung, reduziert es auf einzelne Bruchstücke und entzieht ihm seinen ursprünglichen Kontext. Höch selbst nimmt demonstrativ die Rolle des Gutachters ein. Sie führt durch die Konstruktion ihrer Figur und deren Positionierung im absoluten Kontext des Museums die Autorität des Ethnologen vor, der vorgibt, aus den von ihm klassifizierten Objekten Wissen zu generieren und der doch eigentlich nur seine subjektive Anschauung und Handlung zu vermitteln vermag. Der fragmentarische Charakter dieser aus unterschiedlichsten Objekten montierten Figur löst den universellen Anspruch des ethnologischen Museumsstücks auf und radikalisiert die ungeordnete und anonyme Vielteiligkeit der ethnologischen Sammlungen. Nicht nur die Figur als Ganzes, sondern auch ihre Einzelteile zeigen sich sämtlicher historischer, ikonographischer und symbolischer Bedeutungen beraubt; sie bleiben zurück als die Konstruktionen des ausführenden Subjektes. Höch, in der Rolle des Subjektes, vollzieht die ethnologische Praxis nach, indem sie „primitive“ Objekte in den Museumskontext setzt, ihr Objekt schlagwortartig benennt und durch die mehrfache Kontextualisierung eine Interpretation der Elemente ausführt. Sie zerstört den wissenschaftlich fundierten und unhinterfragten Vorgang ethnologischer Beurteilung jedoch durch Wahl und Herkunft ihres Materials und legt mit der Unlogik und Präsentation der Bruchstücke das Ethnographische Museum als Ort der Konstruktion des Anderen frei. Durch ihre Schnitte und Fragmentierungen rekonstruiert Höch die buchstäbliche Zerstörung fremder Kulturen durch den Kolonialismus und dessen gewaltvolle Eingriffe auf materieller Ebene. Darüber hinaus übersetzt sie die Dimensionen der kulturellen Bemächtigung. Höch thematisiert das Ethnographische Museum als einen Ort, an dem die vorgefundenen Objekte ihres Ursprungs, vor allem aber auch ihres kulturellen Kontextes beraubt werden und an dem die gewaltvolle Unterwerfung des Fremden durch das Eigene auch auf ideeller Ebene vollzogen wird. Wie die ethnologischen Sammlungen benutzt auch Höch für ihr Ethnographisches Museum die außereuropäischen Objekte als objets trouvés,69 die sie als weiße Künstlerin in den ihr eigenen, westlichen Kunstkontext versetzt. Die Eingliederung der von Höch montierten Figuren in ein Museum, der Akt der Nutzung ethnologischer, massenmedial verwendeter Fotografien für ihre Kunst, vor allem aber die Konstruktion ihrer Objekte selbst, verfolgen die gleichen Regeln, nach denen die ethnographischen Objekte ihres ursprünglichen, kulturellen
69 Vgl. Vierke 2010 – Die postexotische Ära, S. 141.
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Kontextes entledigt und in den übergeordneten Rahmen des westlichen Kunstsystems einsortiert werden. Innerhalb jedes einzelnen Blattes verwirklicht Höch so, was sie in der übergeordneten Idee, ihre Arbeiten in einer Serie zusammenzufassen, zum Abschluss bringt: Höchs Reihe ist nicht nur inhaltlich, sondern auch formal mit dem Gedanken der Sammlung kongruent. Sie, die selbst von der Serie „Aus einem ethnographischen Museum“ immer wieder von ihrer „Sammlung“ spricht,70 nutzt den Rahmen, dessen Problematisierung sie im gleichen Atemzuge durchführt; in einer weiteren Facette überträgt Höch Thema und Inhalt ihrer Fotomontagen in deren formale und mediale Umsetzung. Höch als das handelnde Subjekt macht die ausgeschnittenen Versatzstücke veröffentlichter Fotografien zu ihrem Besitz, den sie in ihre Sammlung mit der ihr eigenen Logik eingliedert. Während sie jedoch vorgibt, eine ethnographische Sammlung anzulegen, ist das eigentliche Thema ihrer Kollektion der Akt des Sammelns des Fremden selbst. Höch reflektiert kritisch, was sie nachzuempfinden vorgibt und bricht aus der Widerspiegelung des Sammelns an einem entscheidenden Punkt aus: Auch sie demonstriert den Akt des Inbesitznehmens und macht sich selbst zum wichtigsten Faktor der Sammlung.71 Höchs Manipulation des Kontextes ist aber keine unterschwellige Begleiterscheinung ihres Sammelns,72 sondern beabsichtigtes Ziel. Unter dem Decknamen der Sammlung offenbaren sich in Höchs Fotomontagen die Brüche und unschlüssigen Zusammenstellungen, mit denen die Künstlerin die durch die Ethnologischen Museen, aber auch durch die Medien geschaffenen Repräsentationen fremder Welten untergraben kann. Die Nutzung doppelt zweckentfremdeter Abbildungen und das permanente Oszillieren traditioneller Präsentationsformen und ungewöhnlicher, ironischer Zusammenstellungen lassen eine Persiflage auf die Sammlungen der Ethnographischen Museen erkennen. Wie die Museen die Illusion einer Repräsentation der Welt versuchen, indem sie Objekte ausschneiden, die dieser Welt vorher angehört haben, repräsentiert auch Höch die Welt der Museen durch ihre Ausschnitte. Und wie eine Sammlung immer durch die Koordinaten einer Kultur und durch deren Selbstverständnis bestimmt wird, nutzt auch Höch in direkter Übertragung die Bilderzeugnisse ihrer zeitgenössischen Kultur, um deren Selbstdarstellung zu dokumentieren – und sie auf kritische Weise zu sezieren.73
70 Vgl. Lavin 1991 – Aus einem ethnographischen Museum, S. 116. 71 Vgl. Baudrillard 1991 (1968) – Das System der Dinge, S. 112ff. 72 Vgl. Stewart 2001 (1993) – On longing, S. 151. 73 Vgl. Clifford 1994 – On Collecting Art and Culture, S. 218ff.
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4.5.2 „Ohne Titel I“, „Ohne Titel II“ Die ästhetisierte, isolierte Positionierung „primitiver“ Objekte im Museumskontext wird in Höchs Arbeiten „Aus einem ethnographischen Museum: Ohne Titel I“ und „Aus einem ethnographischen Museum: Ohne Titel II“, die beide aus dem Jahr 1929 stammen, evident. Höch imitiert hier nicht nur die Präsentation der Figuren auf Sockeln, sondern setzt sie überdies vor einen strahlenden, monochromen Hintergrund, der die Exponiertheit und Ausleuchtung der Stücke nachempfindet. Für die Fotomontage „Ohne Titel I“ nutzt Höch einen orangefarbenen Untergrund, der sich der Figur als eine große, helle Fläche unterlegt (Abbildung 31). Der durch den Hintergrund eigentlich zweidimensional konstruierte Raum wird durch einen großen Sockel gebrochen, der wie eine Pyramide aus der unteren Bildhälfte emporwächst und dessen sichtbare Vorderseite in drei Farbstufen – braun, grau und schwarz – gegliedert ist. Die abgeschnittene Spitze der Pyramide ersetzt Höch durch den Torso einer Figur, die aus „primitiven“ Objekten und dem weißen, nackten Oberkörper einer Frau montiert ist. Der Kopf ist der Abbildung einer Ahnenfigur aus Neu-Guinea entnommen.74 Höch montiert ihn leicht schräg und verwendet den Ausschnitt so, dass auch der gewaltige und auffällige Nasenschmuck der Figur gut sichtbar bleibt. Die strahlend hellen, nackten Brüste und die Arme einer weißen Frau bilden den oberen Teil des Oberkörpers. Den Rest des Rumpfes stellt der Ausschnitt der Abbildung eines mit Zeichen und Symbolen ausgestalteten Totempfahls aus Nordwestamerika.75 Die leicht schräge Haltung der Figur, der wie fragend geneigte Kopf mit den auf den Betrachter gerichteten Augen und der die Haltung unterstützende linke Arm der Figur lassen bei ihrer Betrachtung aufhorchen: Obwohl sie hier auf einem Sockel präsentiert wird und durch die Unbeweglichkeit ihres Ausschnittes auch daran gefesselt scheint, erwehrt sich diese Figur einer statischen Betrachtung. Ihr Blick und ihre aktive Haltung fordern den Betrachter heraus, der sich hier kaum mehr den exponierten, passiv im bekannten Museumsraum arrangierten Stücken fremder Kulturen gegenübersieht, sondern der vielmehr eine Figur betrachtet, die sich dem Korsett ihrer Präsentation widersetzt und die ihn dazu anleitet, genauer hinzusehen.
74 Quelle: Der Querschnitt, Jahrgang VI, Heft 9, Berlin 1929, Seitenzahl ohne Angabe. 75 Quelle: Der Querschnitt, Jahrgang V, Heft 7, Berlin 1925, S. 579.
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Abb. 31: Hannah Höch, Aus einem ethnographischen Museum: ohne Titel I
Die Figur kann als ein Vexierbild erkannt werden: Auf den ersten Blick wird hier ein aufgesockelter Torso präsentiert. Auf den zweiten Blick jedoch zeigt sich eine weibliche Figur, deren Sockel zu einem weiten Rock und deren Rumpf zu einem wahren Korsett wird. Höch kippt hier die passive Objekthaltung ihrer Figur und macht sie zu einem selbstbewussten Subjekt, das seinem Ausgestelltsein widerspricht. Die Künstlerin setzt ihre Figur aus den gegensätzlichsten Elementen zusammen und macht ihren Einspruch gegen die einfachen Kategorisierungen des Ethnologischen Museums geltend. Sie benutzt Bilder „primitiver“ Objekte, deren Urzusammenhang das Fremdkulturelle bereits in höchstem Maße verkörpert und setzt deren „Primitivität“ spitzfindig zur Konterkarierung eines westlichen Kunst- und Ausstellungsverständnisses ein: Sowohl die Maske als auch das mit Ornamenten bedeckte Relief des Oberkörpers stehen für das „Primitive“
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schlechthin. Das Ornament gilt als die Urform des „Primitiven“, als elementarer ästhetischer Impuls einer reduzierten, abstrakten Form der Kunstäußerung und als ungehemmte Ausarbeitung eines natürlichen Instinktes.76 Gemeinsam mit der Maske, die ebenfalls als ultimatives Symbol einer nicht-westlichen Kultur verstanden wird, steht das Ornament zeichenhaft für das „Primitive“ im Verständnis westlicher Zuschreibungen und vor allem im Verständnis eines europäischen Kunstbegriffs. Höch lässt nun diese Symbole des „Primitiven“ in den Kontext einer europäischen Ausstellungssituation ein und zeigt die buchstäbliche Einverleibung des „Primitiven“ durch die Kategorisierung und Bewertung einer westlichen Anschauung. Sie untergräbt mit der Unterwanderung des Bekannten durch das betont Fremde den universellen Anspruch westlicher Anschauung. Die Betonung des Nasenschmucks, der nicht nur an die Bilder fremder Sitten erinnert, wie sie in den Medien vermittelt werden, sondern der durch die unvermittelte Assoziation einer Banane auch noch die Exotik des Ausschnittes erhöht, stärkt die Differenz dieser Stellvertreter der fremden Kultur zur Eigenen. Auch die Entfremdung des Rumpfabschnittes, mit der aus dem kulturellen Zusammenhang eines zweidimensionalen, ornamentalen Reliefs eine Umdeutung in Körperlichkeit vorgenommen wird, spricht von einer ausdrücklichen Exotisierung und Entkontextualisierung „primitiver“ Objekte und Körper. Nun gepaart mit dem nackten, weiblichen Torso, der in seiner Haltung unwillkürlich klassische Statuen assoziiert, zeigt Höch hier auf eine europäisch-kunsthistorische Klassifizierung, die ihrer Figur nicht zu passen scheint. Der zweidimensionale Bildraum, der den Blick ganz auf das Objekt konzentriert, der Sockel und die Assoziation einer klassischen Plastik rufen den musealen Kontext wach, in den die Objekte eingegliedert werden. Die Fragmentierung der Figur jedoch, ihre Primitivisierung, ihr Blick aus dem Bild heraus und ihre Haltung brechen die exklusive Aura des Museumsstücks und fragen nach dem Sinn der willkürlichen Nötigung fremder Objekte in einen europäischen Museumskontext. Das Versetzen außereuropäischer Objekte in den Raum des europäischen Völkerkundemuseums leitet automatisch eine Betrachtung der Stücke ein, die den westlichen Modellen von Wert und Ästhetik entspricht. Die kulturelle Herkunft und Bedeutung der „primitiven“ Ob-
76 Die Rolle des Ornaments und seine Bedeutung im Kontext der Betrachtung „primitiver“ Kunst erläutert etwa Ernst Grosse, vgl. Grosse 1894 – Die Anfänge der Kunst, S. 111ff. Im Kontext des „Primitivismus“ führen unter anderem Robert Goldwater und Frances S. Connelly Betrachtungen zum „primitiven“ Ornament und dessen ideologischer Bedeutung im Zusammenhang mit „primitiver“ Kunst aus, vgl. Goldwater 1986 (1938) – Primitivism in Modern Art, S. 18ff.; Connelly 1995 – The sleep of reason, S. 55ff.
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jekte wird vollständig ausgelöscht, Erkenntnisse über ihren Ursprung und Sinngehalt kategorisch ausgeschlossen. Höch reflektiert in ihren Fotomontagen den Blick der Ethnologischen Museen, die die Welt mit einem europäischen Filter begutachten. Ganz buchstäblich begegnen Höchs Fotomontagen diesem Blick jedoch und zerstören die Ästhetisierung nach den Regeln des Schönen in der Kunst. In der Arbeit „Ohne Titel II“ verwendet Höch erneut das bildliche wie symbolische Auge, das sich dem Blick des Betrachters widersetzt und seine Assoziationen stört (Abbildung 32). Betont durch den für Höchs Fotomontagen typischen hellbraunen Rahmen montiert die Künstlerin eine exponierte Figur vor einem leuchtend roten Hintergrund. Den geometrischen Sockel der Arbeit „Ohne Titel I“ abstrahiert sie durch das Halbrund einer grauen Fläche, auf deren Scheitelpunkt die stehende Figur eingeklebt ist. Der Körper der Figur entstammt einer Abbildung aus „Der Querschnitt“ von 1929 und zeigt eine Göttin aus Kambodja.77 Ihr nackter Oberkörper und der locker sitzende, plissierte Rock erinnern an die exotischen Darstellungen abendländischer Tänzerinnen und auch die ergänzten Arme der Figur nehmen eine offene, zur Betrachtung einladende Position ein. Die Arme entstammen der Abbildung einer weißen Frau, die jene im Ursprungsausschnitt auf einer Balustrade oder ähnlichem abgelegt haben muss und die mit geneigtem Kopf eine Haltung der stillen Beobachtung einnimmt. Der Kopf wird von Höch jedoch manipuliert, indem sie – auf den ersten Blick kaum erkennbar – den Gesichtsausschnitt einer anderen, weißen Frau einklebt und diesen mit dem zu großen Ausschnitt eines Auges ergänzt. Der Gesichtsausdruck der Figur ist deutlich nachdenklich, fast melancholisch und das zu große Auge stärkt die subjektive Reflektion, die hier vorgeführt wird. Die überhöht und strahlend inszenierte, fremde und exotische Gottheit wird durch ihre aufmontierten, nachdenklichen Charakterzüge der stummen Stilisierung eines einfachen „primitiven“ Objektes entkleidet. Sie erwehrt sich des Betrachtetwerdens im Rahmen der Schaufläche des Museums und widersetzt sich einer Erhöhung durch die Ästhetisierung der Präsentation auf Kosten eines Verlustes von Authentizität – hier repräsentiert durch die plakative Anonymität des Titels. Höch empfindet die Veredelung der „primitiven“ Objekte durch den Rahmen und die Praxis des Ethnographischen Museums nach, persifliert den vorgeblichen Wertgewinn durch den europäischen Kontext jedoch mit Fragmentierungen und der ausdrücklichen Subjektivierung ihrer Figuren.
77 Quelle: Der Querschnitt, Jahrgang IX, Heft 10, Berlin 1929, Seitenzahl ohne Angabe.
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Abb. 32: Hannah Höch, Aus einem ethnographischen Museum: ohne Titel II
Indem sie die gegensätzlichen Ausschnitte „primitiver“ Objekte und weißer Körper aufeinandersetzt, Überschneidungen erzwingt und Brüche erzeugt, rekonstruiert sie das Konstrukt europäischer „Kunst und Ästhetik“ und zeigt es als einen Rahmen, der den „primitiven“ Objekten kein natürlicher ist.78 Höchs Fotomontagen beinhalten die Thematisierung des Verlustes von Authentizität durch Ästhetisierung und hinterfragen gleichzeitig auch die Autorität europäischer Wissensproduktion. Sie deuten deren Grenzen an und bringen vor allem den Standpunkt des Repräsentierenden – hier in der Person der montierenden Künstlerin – und dessen Recht zur Repräsentation zur Diskussion.79 Höchs zusammengesetzte, heterogene, aufbegehrende Figuren machen eine eindimensionale
78 Vgl. Kazeem 2009 – Die Zukunft der Besitzenden, S. 50. 79 Vgl. Pink 2001 – Visual Ethnography, S. 18.
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Betrachtung unmöglich. Sie verkörpern ein Widersetzen gegen den Monolog europäischer Wissensproduktion über das Fremde und beinhalten die Forderung, eine Verabsolutierung einer Perspektive zu vermeiden.80 In ihren Fotomontagen rekurriert Höch auf eine wichtige Fragestellung, die erst mit dem Auftauchen von Objekten fremder Kulturen substanziell wird: Welche Gültigkeit besitzt der eigene Kunstbegriff bei der Betrachtung des Fremden? Die Grenzen der Definition des europäischen Kunstbegriffs und der westlichen Ausstellungspraxis werden in dem Moment unklar, in dem nicht mehr nur die eigene Kultur existiert, sondern indem auch das Andere betrachtet, besprochen und eingeordnet werden muss. Die erste Rezeption „primitiver“ Objekte findet im Kontext Ethnologischer Museen oder ethnologischer Fotografie statt, deren koloniale Praxis durch den europäischen Wissenschaftsdiskurs gerechtfertigt wird. Wissenschaftlichkeit schafft Distanz und erspart dem Betrachter die Anstrengung, subjektive Empfindungen zu verarbeiten oder Ausstellungspraktiken kritisch zu hinterfragen.81 In der anfänglichen Grundannahme der Ethnologie, dass Kultur kein universeller, menschlicher Besitz ist, sondern dass etwa Naturvölker von einem globalen Kulturbegriff ausgeschlossen bleiben, ist eine Gleichsetzung „primitiver“ Objekte mit denen des westlichen Kunstkontextes zunächst undenkbar. Nur was in den europäischen Kanon eingeordnet werden kann, kann auch als Kunst anerkannt werden und so sind die Objekte in den Ethnologischen Museen zusammenhangslose Stücke jenseits von Geschichte oder Entwicklung, „only looked at from the academic point of view, so to speak. They were nothing but illustrations to various branches of ethnography; the playthings of explorers, lecturers and professors of authropology [sic!] and geography. They were not even considered from the unsatisfactory standpoint of the picturesque.“82
Die Suche nach dem Ursprung der Menschheit jedoch, die von der Ethnologie zunehmend auch mit den ethnologischen Erkenntnissen über primitive Völker betrieben wird, bringt einen grundsätzlich neuen ästhetischen Anspruch in die Betrachtung des Fremden, wird der Ursprung der Kunst jetzt doch in einer ge-
80 Vgl. Berg, Fuchs 1993 – Phänomenologie der Differenz. 81 Vgl. Grosse 2003 – Zwischen Privatheit und Öffentlichkeit, S. 96. 82 Zitat von André Salmon, vgl. Salmon 1920 – Negro Art, S. 165. Vgl. außerdem exemplarisch Zimmerman 2006 – Ethnologie im Kaiserreich, S. 195; Badenberg 2004 – Südsee-Insulaner als Kunsttrophäen, S. 438.
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meinsamen Vergangenheit gefunden.83 Eine Aufwertung außereuropäischer Objekte ist die Folge. Die Vorstellungen von einer klassischen Antike und universellen Kunstgeschichte werden nun geöffnet und in ersten Versuchen auch die Erzeugnisse fremder Völker anerkannt:84 „Die Kultur Afrikas ist anders als unsere, die ist aus anderen technischen, ökonomischen, aus anderen geologischen und ethnologischen Bedingungen heraus erwachsen. Haben wir darum ein Recht, unsere Kultur für höher zu halten?“85 Die Umordnung der Ethnologischen Sammlungen zu dekorativen, ästhetisierten Präsentationsräumen, zahlreiche Abhandlungen, aber auch neu formierte Privatsammlungen und Galerien86 stehen für die
83 Vergleiche exemplarisch Clouzot, Level 2003 (1919) – Savage Art; Zayas 2003 (1916) – African Negro Art and Modern; Grosse 1894 – Die Anfänge der Kunst; Clifford 1994 – On Collecting Art and Culture, S. 227f.; N’guessan 2002 – Primitivismus und Afrikanismus, S. 35ff. 84 Vgl. Pink – Visual Ethnography, S. 28; Goldwater 1986 (1938) – Primitivism in Modern Art, S. 9ff. 85 Zitat von Martin D. Hoffmann, vgl. Hoffmann 1927 – Keine Kolonien, S. 37. 86 Die Anzahl der Abhandlungen zur „primitiven“ Kunst ist bis zum Ersten Weltkrieg beträchtlich. Vor allem in Paris erscheinen zahlreiche Aufsätze, die eine Annäherung versuchen und die in unterschiedlichen Ansätzen die Fragen um formale, soziale, historische und ästhetische Bedingungen der „primitiven“ Kunst einzuordnen versuchen. Félix Fénéon und Florent Fels stellen beide im Jahr 1920 die Meinungen unterschiedlichster Vertreter aus Kunst, Ethnologie und Kolonialwesen zusammen und geben damit einen zeitgenössischen Überblick über die Debatte, vgl. Fénéon 1920 – Enquête sur des arts lointains; Fels 1920 – Opinion sur l’art nègre. In den Textsammlungen von Jack Flam und Miriam Deutch sowie Margrit Prussat und Wolfgang Till sind die wichtigsten Texte außerdem zusammengestellt, vgl. Prussat, Till (Hg.) 2001 – Neger im Louvre; Flam, Deutch (Hg.) 2003 – Primitivism and Twentieth-Century Art. Hier finden sich beispielsweise die Abhandlungen von Anthropologen wie Felix von Luschan und Franz Boas ebenso, wie die Texte von Guillaume Apollinaire und Carl Einstein oder Pablo Picasso und Emil Nolde. Die bekanntesten Sammler und Galerien, die außereuropäische Objekte im frühen zwanzigsten Jahrhundert ausstellen, zählt Paul Guillaume in seinem Aufsatz „Une Esthétique nouvelle, l’art nègre“ auf, vgl. Guillaume 2003 (1919) – A new Aesthetic. Allen voran steht hierbei die Sammlung von Paul Guillaume in Paris und die Galerie Kahnweiler, später Galerie Simon in Paris. Auch Robert Goldwater fasst in seinem ersten Kapitel die Schritte von einer rein ethnologischen Betrachtung der „primitiven“ Objekte hin zu einer ästhetischen Bewertung unter einem europäischen Kunstbegriff zusammen, vgl. Goldwater 1986 (1938) – Primitivism in Modern Art, S. 15ff.
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Anerkennung außereuropäischer Objekte ein. Sie fordern eine Unterscheidung der „Objekte von vorwiegend künstlerischer Art [...] von den ethnographischen Dingen“, „damit die Statuen und andere Kunstwerke nicht in Glasvitrinen völlig durcheinander aufgetürmt werden müssen, zusammen mit Haushaltsgegenständen und alten Lumpen ohne jeden künstlerischen Wert.“87 4.5.3 „Denkmal II: Eitelkeit“ Höch thematisiert in ihren Fotomontagen den Umgang mit und die Einordnung von fremdkulturellen Objekten und formuliert die Fragen nach dem Kunstcharakter der Objekte, nach deren Betrachtung und nach ihrer Positionierung im europäischen Kunst- und Museumskontext. Sie spielt auf den europäischen Kunstbegriff an, um gleichzeitig seine mögliche Öffnung zu demonstrieren. In der Arbeit „Aus einem ethnographischen Museum: Denkmal II: Eitelkeit“, die auf das Jahr 1926 datiert ist, imitiert Höch unübersehbar die Tradition klassischer Plastiken (Abbildung 33). Schon die Benennung der Arbeit „Denkmal II“ produziert den Kontext europäischen Kunstverstehens und auch die Figur selbst erscheint als Musterbeispiel westlicher Tradition. Der zweidimensionale Raum, der auch hier mit der für Höch typischen Rahmung die konzentrierte Sphäre eines Kunstwerks verstärkt, wird durch drei Farbflächen gebildet, vor denen die montierte Figur auf einem hohen, perspektivisch zusammengeklebten schwarzen Sockel steht. Die Haltung der Figur wird maßgeblich durch den Beinausschnitt geprägt, der die Abbildung einer weißen Frau, vermutlich sogar die Abbildung einer weiblichen, weißen Skulptur zeigt. Im Kontrapost stehend verschmelzen die Beine mit dem Sockel und assoziieren das bekannte Bild einer klassischen Statue, die in einem Raum der Kunstanschauung präsentiert wird. Auch der ein wenig zu kleine, dunkle Oberkörper der Figur mit den fragmentierten Armen spielt dem Bild einer antiken Skulptur noch zu. Gestört wird jenes Bild erst durch den dominanten Ausschnitt, den Höch als Kopf benutzt. Sie übernimmt die braune Abbildung einer Ausgabe des „Uhu“ von 1930,88 wo die gewaltige Maske als Teil eines so betitelten Medizinmannes auftaucht. Der leicht geneigte Kopf der Maske, der seinen Kopfschmuck majestätisch und ehrwürdig zu tragen scheint, ergänzt die Würde der Skulptur im Gesamten, obwohl er ihr so demonstrativ fremd ist.
87 Zitate von Guillaume Apollinaire, vgl. Düchting (Hg.) 1989 – Apollinaire zur Kunst, S. 176 und S. 175. 88 Quelle: Uhu, Jahrgang VI, Heft 9, Berlin 1930, S. 56.
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Abb. 33: Hannah Höch, Aus einem ethnographischen Museum: Denkmal II: Eitelkeit
Höch schafft hier eine Figur, die sich so selbstverständlich in den Museumsraum einfügt und die dort gleichzeitig so befremdlich wirkt, dass die Frage offen bleibt, ob das „primitive“ Objekt im Kontext westlicher Repräsentation fehl am Platze ist, oder ob der Anspruch an die reine Seherfahrung europäischer Kunsttradition ungültig ist. Sie setzt die durch und durch antithetischen Symbole der „primitiven“ und der europäischen Kunst einander gegenüber, verbindet sie und fordert eine Gleichsetzung: Der Kopf des Zauberers, der das Fremdartige, Mystische, im westlichen Verständnis Unzugängliche verkörpert und die klassische Figur europäischer Kunstgeschichte, die durch den Begriff „Eitelkeit“ als Stück westlich-kultureller Überlegenheitsvorstellungen charakterisiert wird, verbinden sich zu einem Gebilde, dessen klare Einordnung unmöglich wird. Das „primiti-
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ve“ Objekt fügt sich in den Museumsraum ebenso ein, wie es von jenem auch abgewiesen und als unpassend degradiert wird. 4.5.4 „Denkmal I“ Die Figur der Fotomontage „Aus einem ethnographischen Museum VIII: Denkmal I“ von 1924 erwehrt sich der Einordnung und Klassifizierung direkt und verkörpert durch ihre Haltung den Widerstand gegen die Präsentation im Museumsraum (Abbildung 34). Höch klebt vor einem hellblauen Hintergrund eine Figur zusammen, die auf einem hier nur noch als trapezförmiger Fläche abstrahierten Sockel steht. Auch bei dieser Fotomontage nutzt Höch den zweidimensionalen Raum, um die Exposition des Objektes als isolierte Präsentation eines musealen Kontextes zu imitieren. Das beschnittene Gesicht einer Maske aus Gabon89 ist dem Oberkörper der Statue der Göttin Toeris aus Theben90 aufgesetzt. Die Beine werden von zwei unterschiedlichen Ausschnitten gebildet: Das linke Bein ist das einer weißen Frau in Damenschuhen, es ist nicht in voller Länge stehend, sondern gebeugt zu sehen. Das rechte Bein wird von Höch durch den angewinkelten Arm einer weißen Frau ersetzt; es wirkt unvermeidbar fremd, obwohl es sich farblich kaum von dem linken Bein unterscheidet. Die von Höch gewählten Ausschnitte positioniert sie so zueinander, dass die Figur forsch, fast schon kokett nach links aus dem Bild hinausblickt. Die hochgezogene Schulter, der schräg liegende Kopf und das scheinbare Aufstützen des linken Arms auf den Oberschenkel geben der Figur eine selbstbewusste Position. Sie scheint kaum mehr auf dem Sockel zu stehen, sondern sich vielmehr nur noch darauf zu stützen. Die schmalen, schrägen Augen der Maske aus Gabon erscheinen misstrauisch fragend; zusammengekniffen scheinen sie etwas Außenliegendes genau zu beobachten. Der Raum des Museums ist auch hier vorgegeben, der westliche Kunstbegriff, das „Denkmal“, ist auch hier Grundlage und auch hier leiten die Assoziationen der exponierten, aufgesockelten Figur den Betrachterblick an. Die Figur dieser Fotomontage erwehrt sich allerdings der Einordnung in die Kategorien der Kunst, sie steigt von ihrem Sockel, nimmt eine defensive Haltung ein und lässt sich vom Betrachter nicht ohne weiteres instrumentalisieren.
89 Quelle: Der Querschnitt, Jahrgang IV, Heft ohne Angabe, Berlin 1924, Seitenzahl ohne Angabe. 90 Quelle: Der Querschnitt, Jahrgang V, Heft 1, Berlin 1925, Seitenzahl ohne Angabe.
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Abb. 34: Hannah Höch, Aus einem ethnographischen Museum VIII: Denkmal I
Mit einer Körperhaltung, die dem symbolischen Altar des Kunstwerks – dem Sockel – widerspenstig entgegentritt, scheint die Figur ihr Schicksal selbstbewusst in die Hand zu nehmen und eine Präsentation im europäischen Kunstsinn zu verweigern. Hannah Höch bricht in diesen Fotomontagen den allgemeingültigen, europäischen Kunstbegriff auf und macht die Fehlerhaftigkeit einer universellen Kategorisierung sichtbar. Sie spielt auf die Sehgewohnheiten des europäischen
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Kunstbetrachters an, repräsentiert ihre Figuren im Sinne einer klassischen, westlichen Ästhetik – und zerstört die Vollkommenheit westlicher Kulturtradition zuletzt durch den Konflikt der „primitiven“ Stellvertreter mit den Abbildungen des Eigenen. Unverkennbar setzt sie ihre Figuren wie etwa die „Fremde Schönheit“ in die Tradition der europäischen Kunstgeschichte und stört deren allgemein gültige Werte auf. Der harte Kontrast der rauen, „primitiven“ Maske mit dem unwillkürlich an die Darstellungen der nackten Venus erinnernden, reinen, weißen Körper hinterfragt die europäisch kunsthistorische Tradition offen und bringt eine parallele Wirklichkeit auf den Plan: „Diese Benin-Bronzen stehen nämlich auf der höchsten Höhe der europäischen Gusstechnik. Benvenuto Cellini hätte sie nicht besser gießen können und niemand weder vor ihm noch nach ihm, bis auf den heutigen Tag. Diese Bronzen stehen technisch einfach auf der höchsten Höhe des überhaupt Erreichbaren.“91
Höch zerstört mit ihren paradoxen Figuren nicht nur die Superiorität der westlichen Kunsttradition. Sie stellt vielmehr die Frage nach einer Positionierung der „primitiven“ Kunst im Kontext einer nicht nur europäischen, sondern globalen Kunstgeschichte. Mit ihren harten Konfrontationen zielt sie auf eine Irritierung des automatisierten Blickes und formuliert die Idee einer Gleichzeitigkeit, die „nicht die Differenz in Identität auflöst, [sondern] die die Dialektik der Konfrontation bewahrt.“92
4.6 R EAKTION AUF DEN D ISKURS UM DIE „ PRIMITIVE “ K UNST : C ARL E INSTEIN Aus Hannah Höchs Aufzeichnungen und Artikelsammlungen geht nicht hervor, dass die Künstlerin in irgendeiner Form an der in intellektuellen Kreisen so intensiv geführten Debatte um eine Verortung der „primitiven“ Kunst teilnimmt oder dass sie sich auch nur selbst für die „primitive“ Kunst interessiert. Dennoch aber zeigen ihre Arbeiten eine Reaktion auf die Diskussion und besonders zu den Gedanken Carl Einsteins, dessen bekanntestem Text „Negerplastik“ sie im Jahr
91 Zitat von Felix von Luschan, vgl. Luschan 1919 – Die Altertümer von Benin, S. 15. 92 Zitat von Eberhard Berg und Martin Fuchs, vgl. Berg, Fuchs 1993 – Phänomenologie der Differenz, S. 93.
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1928 unter anderem auch eine Arbeit widmet (Abbildung 35)93, zeigt Höch eine deutliche Referenz. Carl Einstein, der Literaturwissenschaftler, Kunsthistoriker, Kunstkritiker und Völkerkundler zugleich ist, spielt für das Umdenken bei der Betrachtung außereuropäischer Objekte im europäischen Kunst- und Museumskontext eine übergeordnete Rolle. Das zweifellos berühmteste Werk Einsteins ist der Text „Negerplastik“, in dem er sich 1915 für die Anerkennung afrikanischer Objekte als vollwertige Werke der Kunst einsetzt. Auch der 1921 erschienene Text „Afrikanische Plastik“, in dem Einstein mit differenzierten Erklärungen und Beschreibungen seine ethnologischen Kenntnisse demonstriert, sowie seine beiden 1926 erschienenen Abhandlungen zur Neuordnung des Berliner Völkerkundemuseums zeichnen den Kunstkritiker als konsequenten Bestreiter des Diskurses um die außereuropäische Kunst aus.94 Höch und Einstein verbinden zuallererst die intellektuellen und künstlerischen Kreise, in denen sich beide bewegen: Obwohl Einstein sich in seinen Aufsätzen zur modernen Kunst nicht mit Dada beschäftigt und die Bewegung auch in seiner Abhandlung „Die Kunst des 20. Jahrhunderts“95 ausklammert, ist er doch in das Umfeld Dadas involviert – ohne je tatsächlich an den künstlerischen Aktivitäten der Gruppe wie etwa dem Cabaret Voltaire teilzunehmen. Einsteins scharfe, politisch motivierte und meist sarkastische Texte tragen oft deutlich dadaistische Züge.96 Zudem steht er – zumindest bis 1920 – eng mit den führenden Köpfen der Bewegung in Kontakt: Sowohl George Grosz, als auch John Heartfield und Wieland Herzfelde bewegen sich im gleichen Wirkungsfeld wie Einstein, über Rudolf Schlichter verfasst er 1920 den einzigen Text, der sich mit einem Künstler der Dada-Gruppe befasst und auch zu Tristan Tzara besteht eine
93 Vgl. Einstein 1915 – Negerplastik. 94 Vgl. Einstein 1921 – Afrikanische Plastik; Einstein 1926 – Das Berliner Völkerkundemuseum; Einstein 1926 – Schausammlung und Forschungsinstitut. Einsteins Leistungen als Kunstkritiker und Literaturwissenschaftler werden vor allem in jüngerer Zeit und von der Literaturwissenschaft aufgearbeitet, vgl. exemplarisch Kiefer 1994 – Diskurswandel im Werk Carl Einsteins; Fleckner 2006 – Carl Einstein und sein Jahrhundert; Creighton (Hg.) 2012 – Carl Einstein und die europäische Avantgarde. 95 Carl Einsteins Text „Die Kunst des 20. Jahrhunderts“ erscheint im Jahr 1926 in Berlin. 96 Vgl. Haxthausen 2003 – Bloody Serious, S. 105f.; Fleckner 2005 – The Real Demolished by Trenchant Objectivity, S. 57ff.
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Korrespondenz.97 Gemeinsam mit George Grosz gibt Einstein das Magazin „Der blutige Ernst“ heraus und veröffentlicht dort neben Grosz’ Zeichnungen zahlreiche Texte, mit denen er seine Zustimmung zu der zutiefst satirischen Atmosphäre und Stoßrichtung Dadas bekundet.98 Einstein teilt die radikale, antitraditionelle Einstellung der Dadaisten, die sich gegen die reaktionären Tendenzen und die sich breit machende Rückbesinnung auf die Zeiten des Kaiserreichs auflehnen.99 Er, der die Kunst stets in einer nicht-funktionalisierten, sondern formalen Weise zu betrachten sucht, stimmt jedoch nicht mit den Dadaisten überein, die Kunst in einer sozialen und politischen Funktion und zu einem gesellschaftlichen Nutzen zu instrumentalisieren.100 Wie Hannah Höch distanziert er sich von der Antriebskraft der dadaistischen Bewegung; beide teilen eine argwöhnische Betrachtung einer politischen Involvierung von Kunst. Einstein und Höch, die somit beide in die Dada-Bewegung verwoben sind und die doch eine gewisse Randposition im Dunstkreis von deren politischen Aktivitäten einnehmen, zeigen nun bei ihrer individuellen Betrachtung der Kunst und vor allem der „primitiven“ Kunst einige bemerkenswerte Berührungspunkte auf. Höch zeigt sich an Einsteins Abhandlungen zur „primitiven“ Kunst und vor allem an seinem Standardwerk „Negerplastik“ nachhaltig interessiert, so viel lässt ihre direkte Referenz zu dem ihr aus persönlichen Kreisen bekannten Einstein in Form der Fotomontage „Negerplastik“ vermuten. Darüber hinaus übersetzt Höch jedoch auch einige der von Einstein formulierten Gedanken direkt in ihre Fotomontagen. Es ist weniger der analytische Gehalt seiner Texte, als viel-
97
Vgl. Haxthausen 2003 – Bloody Serious, S. 106, 109 und 115. Fleckner 2006 – Carl Einstein und sein Jahrhundert, S. 136ff.; Fleckner 2005 – The Real Demolished by Trenchant Objectivity. George Grosz und John Heartfield „bestätigen“ ihre Beziehung zu Einstein 1920 mit ihrer heute verschollenen Fotomontage „La vie heureuse“, deren Untertitel eine Widmung an Carl Einstein verrät (Dr. Karl Einstein gewidmet) und die sich als eine Kritik seiner Ideen lesen lässt, vgl. Haxthausen 2003 – Bloody Serious, S. 117; Fleckner 2006 – Carl Einstein und sein Jahrhundert, S. 130ff; Fleckner 2005 – The Real Demolished by Trenchant Objectivity, S. 60ff. Ob Höch Einstein persönlich kennenlernte, ist unklar. Zumindest ein persönlicher Kontakt ihres damaligen Lebensgefährten Raoul Hausmanns zu Carl Einstein scheint jedoch wahrscheinlich, vgl. BG I, 1 1989, S. 154ff.
98
Vgl. Fleckner 2006 – Carl Einstein und sein Jahrhundert, S. 127ff.; Haxthausen 2003 – Bloody Serious, S. 106ff. Die Zeitschrift „Der blutige Ernst“ erscheint in 6 Ausgaben im Jahr 1919, Einstein ist an den letzten vier Ausgaben beteiligt.
99
Vgl. Fleckner 2006 – Carl Einstein und sein Jahrhundert, S. 127ff.
100 Vgl. Haxthausen 2003 – Bloody Serious, S. 112ff.
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mehr der Grundgedanke des subjektiven Blicks und eine Kritik am traditionellen und modernen Kunstverständnis, die Höch im Einverständnis mit Einstein zu thematisieren scheint. In seiner Abhandlung „Negerplastik“, die auch 1915 bereits als das erste ernstzunehmende, kunstkritische Werk zur „primitiven“ Plastik eingeschätzt wird, bezieht Einstein eine Position, mit der er sich dezidiert jeglicher tradierter, kolonialkultureller Voreingenommenheit entziehen möchte.101 Er fordert dazu auf, die „primitive“ Kunst als eine ästhetische Leistung anzuerkennen, die der modernen Kunst gleichwertig ist und deren Abwertung durch eine rein ethnologische Betrachtung in den Ethnologischen Museen nicht weiter Rechnung getragen werden kann.102 Einstein untersucht das Formverständnis, den Aspekt der Abstraktion sowie die soziale und religiöse Funktion „primitiver“ Objekte und versucht sie im Rahmen einer unvoreingenommenen Formanalyse erstmalig als Kunstwerke und unter westlich-kunstwissenschaftlichen Bedingungen zu betrachten.103 Für Einsteins Kunstbegriff, der von einer tiefen Ablehnung der individualistischen Kunst der Moderne getragen ist, bietet die afrikanische Plastik mit ihrer Unabhängigkeit von europäischen Regeln und Perspektiven eine neu entdeckte Lösung für die Probleme des Raums und für die Autonomie des Kunstwerks.104 Die unabhängige Totalität der afrikanischen Form ebnet in der Theorie Einsteins besonders im Bezug auf sein persönliches Steckenpferd, den Kubismus, den alleinigen Weg zu einer kollektiven, neuen Form moderner Kunst. Alles andere als rückwärtsgewandt sieht Einstein in den einfachen, reduzierten Formen der sogenannten „primitiven“ Kunst die Möglichkeiten zu einem Neuanfang jenseits der Tradition.105 Obwohl auch Einstein den Blick auf die fremde Kunst nutzt, um zu einer Aussage über die eigene Kunst zu kommen, leistet er in seinem Text einen wichtigen Schritt für die Verortung der „primitiven“ Objekte. Er tritt für die Anerkennung der außereuropäischen Stücke als Kunstwerke ein und fordert für deren Betrachtung eine Synthese aus ästhetischen und doch wissenschaftlichen Anschauungen, bei der Ethnologen und Kunsthistoriker zusammenarbeiten.
101 Vgl. Schmidt-Linsenhoff 2010 – Ästhetik der Differenz, S. 306. 102 Vgl. Maupeu 2010 – Die Rezeption primitiver Kunst, S. 102. 103 Vgl. Michel 2001 – Formalism to Psychoanalysis, S. 149ff.; Schmidt-Linsenhoff 2010 – Ästhetik der Differenz, S. 305; Kiefer 1994 – Diskurswandel im Werk Carl Einsteins, S. 134ff. 104 Vgl. Michel 2001 – Formalism to Psychoanalysis, S. 153f.; Fleckner 2006 – Carl Einstein und sein Jahrhundert, S. 69. 105 Vgl. Fleckner 2006 – Carl Einstein und sein Jahrhundert, S. 82 und S. 294.
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Für Hannah Höch scheint der Text Einsteins weniger aufgrund seiner Leistung einer formalen Analyse der Objekte relevant zu sein. Die Gedanken zu formalen Aspekten und gesellschaftlich-religiösen Ausdeutungen – ganz allgemein die Beschaffenheit und die Verortung der „primitiven“ Objekte – lässt Höch in ihren Arbeiten weitgehend unberührt. Die These, mit der sie konform zu gehen scheint und die sie direkt umsetzt, ist vielmehr die übergeordnete Idee einer zu hinterfragenden Subjektposition, die Einstein über all seine Betrachtungen der „primitiven“ Plastik stellt. In seinem Text „Negerplastik“ führt der Kunstwissenschaftler nicht nur eine Analyse außereuropäischer Objekte vor. Er stellt vielmehr im Vergleich zur traditionellen und modernen europäischen Plastik heraus, wie es zu den Verständnisproblemen „primitiver“ Objekte kommt und dass das Umdenken bei deren Rezeption bereits beim betrachtenden Subjekt und dessen Wahrnehmung ansetzen muss.106 Carl Einstein erklärt die europäische Plastik als unabdingbar vom betrachtenden Subjekt abhängig. Er definiert den Betrachter als teilnehmendes Subjekt, das ebenso wichtig wie der Künstler selbst für die Gestalt und Bedeutung des Kunstwerkes verantwortlich ist: „Der Zuschauer wurde in die Plastik verwebt, er wurde ihre nicht mehr trennbare Funktion. [...] Der Plastiker unterwarf sich der Majorität der seelischen Vorgänge und verwandelte sich selbst zum Beschauer. Stets nahm er bei der Arbeit einen Abstand, der dem künftigen Beschauer entsprach und modellierte die Wirkung; er verlegte das Schwergewicht in die Sehtätigkeit jenes und modellierte in Touches, damit erst der Beschauer die eigentliche Form bilde.“107
Einstein geht von einem Subjektbegriff aus, der ein Subjekt in den Mittelpunkt stellt, das die Dinge erforscht und bildet – die Welt gehört dem Subjekt, es identifiziert sie und lädt sie mit dem Wissen auf, das es aus der eigenen Erfahrung
106 Die in der Forschung dominanten Abhandlungen zu Einsteins formaler Analyse der „Negerplastik“ ergänzt Sebastian Zeidler mit einer intensiven Analyse des Subjektbegriffes, wie ihn Einstein versteht und kritisiert. Zeidler erörtert an unterschiedlichen Texten Einsteins, wie dieser sich mit dem Subjektbegriff beschäftigt und wie er vor allem die Definitionen von Hildebrand und Wölfflin aufzubrechen versucht, um den von ihm als subjektunabhängig bezeichneten Zugang zu den „primitiven“ Objekten zu ermöglichen. Vgl. Zeidler 2004 – Introduction; Zeidler 2004 – Totality against a Subject. 107 Zitat von Carl Einstein, vgl. Einstein 1915 – Negerplastik, S. 10f.
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gewonnen hat und das es auf alles, was es wahrnimmt, auch anwenden kann.108 Mit einer Sinnerschließung durch Erfahrung und Vergleich sucht das Subjekt in jeder Wahrnehmung etwas Bekanntes, nach dem es eine Kategorisierung durchführen kann und das ihm so immer als eine Weiterführung oder Variation von etwas bereits Erschlossenem zugänglich bleibt.109 Carl Einstein wehrt sich in seinem Text „Negerplastik“ gegen eine solche Subjektposition, er wehrt sich gegen ein Kunstwerk, das allein in seiner mimetischen Funktion betrachtet wird und das erst durch das Einwirken des betrachtenden Subjektes Vollständigkeit erhält: „Aufgabe der Plastik ist es, eine Gleichung zu bilden [...]. Dies Äquivalent muß total sein, damit das Kunstwerk nicht mehr als Gleichung anders gerichteter menschlicher Tendenzen empfunden wird, vielmehr als ein bedingungsloses, geschlossenes Selbständiges.“110
Die „primitive“ Plastik erscheint Einstein genau dieses geschlossene Selbständige zu sein: „Der Künstler erarbeitet ein Werk, das selbständig, transzendent und unverwoben bleibt. Dieser Transzendenz entspricht eine räumliche Anschauung, die jede Funktion des Beschauers ausschließt; [...]. Das religiöse Negerkunstwerk ist kategorisch und besitzt ein prägnantes Sein, das jede Einschränkung ausschließt.“111
Den Anspruch, den Einstein für die Analyse von außereuropäischen Objekten stellt und den er auch selbst in seinem Text zu verwirklichen verspricht, ist es, „nicht durch Vergleiche zu stören“: „Den Fehler, die Kunst der Neger an einem unbewußten Erinnern irgendwelcher europäischer Kunstform zu schanden zu machen, werden wir vermeiden [...] “112. Was Einstein theoretisch in Worte fasst, setzt er auch bei der Form seiner Abhandlung um. Die abgebildeten Fotografien des Bandes präsentieren die „primitiven“ Objekte losgelöst und vor neutralem Hintergrund, ohne Einordnung und ohne textuellen Bezug; Einstein bezieht sich in seinen Erläuterungen nie auf konkrete Beispiele, sondern zeichnet in allgemeinen Beschreibungen seine Analyse der afrikanischen Objekte auf. Mit seiner
108 Vgl. Zeidler 2004 – Introduction, S. 4f. 109 Vgl. Zeidler 2004 – Totality against a subject, S. 16 und S. 20f. 110 Zitat von Carl Einstein, vgl. Einstein 1915 – Negerplastik, S. 20. 111 Zitate von Carl Einstein, vgl. Einstein 1915 – Negerplastik, S. 13 und S. 15. 112 Zitate von Carl Einstein, vgl. Einstein 1915 – Negerplastik, S. 6 und S. 17.
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vergleichlosen, unabhängigen Betrachtung führt er so eine reine Analyse von Form und Funktion der „primitiven“ Objekte durch.113 4.6.1 „Negerplastik“, „Masken“ Obwohl die formale Untersuchung als die Errungenschaft seines Textes gilt, ist es doch Einsteins grundlegende Erkenntnis über das Wie der Betrachtung, die er nicht nur als übergeordnete Fragestellung entwickelt, sondern die er auch selbst zu erneuern versucht. Es ist dieser Gedanke des eingreifenden, bedeutungsschaffenden Subjektes, den Höch für ihre Fotomontagen übernimmt und den sie wie Einstein als fehlerhaften Weg des Zugangs zu den „primitiven“ Objekten beschreibt. In der Arbeit „Aus einem ethnographischen Museum: Negerplastik“ von 1928, in der sie sich so plakativ auf die richtungsweisende Abhandlung Einsteins bezieht, setzt Höch die Thesen des Kunstwissenschaftlers bildlich um (Abbildung 35). Sie komponiert bei dieser Arbeit einen linearen Bildhintergrund, der sich in unterschiedlich farbige, horizontal und vertikal angeordnete Flächen gliedert. Eine Figur sitzt zusammengekauert in der Mitte des Bildes und es ist nicht nur ihre Haltung, die ein Eingesperrtsein suggeriert: Höch ordnet die Farbstreifen des Hintergrundes so an, dass sie eine Vitrine assoziieren; schwarze, vertikale Balken markieren die Ecken des Glaskastens, der das Braun des Raumes an zwei Seiten durchleuchten lässt und von einem orangefarbenen Boden abgeschlossen wird. Der Körper der in diesem Schaukasten sitzenden Figur ist derjenige eines Kindes, dessen Abbildung Höch hier beschnitten verwendet: Seitlich sitzend zeigt sie den nackten Säuglingskörper, dessen Füße und Hände fehlen; wie amputiert wirken die Gliedmaßen, die das Kind nach vorne ausstreckt. Der Kopf, der farblich nicht als fremder Ausschnitt auffällt, gehört dem Körper jedoch eigentlich nicht an: Es ist der Ausschnitt einer Elfenbein-Maske aus Benin114, deren Augen- und Stirnpartie Höch hier sorgfältig geschwungen wegschneidet und den sie dem Kinderkörper schräg aufsetzt. Die demonstrativ verdrehte Haltung der Figur, deren Kopf sich der Richtung des Körpers entgegenlehnt und die so über die linke Schulter aus dem Bild herausblickt, wird durch den Ausschnitt eines großen Auges verstärkt. Es starrt der Haltung des Kopfes folgend schräg aus dem Bild heraus, weit aufgerissen und aus dem Augenwinkel scheint es scharf zu beobachten, was außerhalb des Bildrandes, außerhalb des Raumes der Vitrine geschieht.
113 Vgl. Grossman 2003 – Man Ray, African Art, S. 63ff. 114 Quelle: Der Querschnitt, Jahrgang VII, Heft 8, Berlin 1928, Seitenzahl ohne Angabe.
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Abb. 35: Hannah Höch, Aus einem ethnographischen Museum: Negerplastik
Die Figur ist durch winzige Füße aufgesockelt,115 die viel zu klein für ihren Körper sind und die sie – wie auch die abgeschnittenen Gliedmaßen – wie die gestutzten Flügel eines Vogels an den Käfig der Vitrine binden. Der statische Kasten des Schauraums, die Verwurzelung der Figur durch ihre kleinen Sockel und ihre Unbeweglichkeit, die aus den fehlenden Händen und Füßen resultiert, binden die Figur an den Raum ihrer Präsentation. Die verdrehte Körperhaltung jedoch und der offene, aufmerksame Blick nach außen verraten ihren Wunsch, ihrem Gefängnis zu entfliehen. Die Figur erwehrt sich ihrer Position als Objekt der
115 Auch dieser Ausschnitt entstammt der Abbildung der Statue der Göttin Toeris aus Theben, den Höch schon für die Arbeit „Denkmal I“ benutzt. Quelle: Der Querschnitt, Jahrgang V, Heft 1, Berlin 1925, Seitenzahl ohne Angabe.
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Anschauung. Sie leitet den Blick des Betrachters von sich ab, zeigt sich selbst als protestierendes Subjekt, das einen Platz außerhalb der Vitrine sucht. Höch setzt Einsteins These des bedeutungsschaffenden Subjektes hier direkt um. Sie führt die Konditionierung des Betrachters vor, indem sie ihn durch den Titel „Negerplastik“ und durch die einfache Vorgabe einiger linearer Elemente zur Assoziation einer Ausstellungssituation anleitet. Der Körper des Kindes und die „primitive“ Maske empfinden die Stereotype der Naivität und Kindlichkeit nach, die bei der Repräsentation des Primitiven in der Öffentlichkeit vorherrschend sind. Sie verweisen das Objekt auf seinen Platz: Zwar wird es in einem musealen Rahmen präsentiert. Seine „Primitivität“ und Unmündigkeit jedoch sowie seine Stigmatisierung als „Negerplastik“ schließen es aus dem Kontext hoher Kunst aus. Höch gibt mit wenigen Elementen die Deutung der Figur und ihres Bildraumes vor. Ohne tatsächlich eine Abbildung eines außereuropäischen Objektes im Museumsraum zu zeigen, nutzt sie bekannte Bedeutungsfragmente, um den Betrachter zu einem kanalisierten Blick anzuleiten. Höch führt bildlich vor, was Einstein als den Vorgang bezeichnet, „aus den alten Materialien ein neu gedeutetes Objekt“116 zu machen. Die Erfahrung des Betrachters genügt, um aus wenigen Bestandteilen ein ethnologisches Objekt im Museum zu suggerieren, um ihm eine Rolle zuzuschreiben und eine Kategorie zu verpassen. Hannah Höch übernimmt in ihrer Fotomontage „Negerplastik“ aber auch die Partei der Gegenseite und lässt ihr Objekt antworten; sie lässt es zu einem Subjekt werden, das sich eben nicht der Wahrnehmung und Kategorisierung des betrachtenden Subjektes fügt, sondern das sich erwehrt, sich als selbständiges Subjekt präsentiert und – mit Einsteins Worten – sein prägnantes Sein zeigt. Mit einer einzigen Bildkomposition macht Höch Carl Einsteins Verdikt sichtbar: Sie demonstriert die im traditionellen Kunstverständnis verankerte Verantwortung des Betrachters, um die Identifikation eines Objektes durch ein Subjekt gleichzeitig als nichtig zu erklären. Sie führt den Akt der Bedeutungszuweisung durch Erfahrung und Wahrnehmung vor, um ihn durch die tatsächliche Kontextlosigkeit ihrer Figur für haltlos zu erklären. Höch folgt der Argumentation Einsteins und geht noch einen Schritt weiter als er, denn sie zeigt ihre Figuren genau in dem Moment, in dem Einstein sich in der Beweisführung seiner „Negerplastik“ noch verstrickt: Carl Einstein konstatiert in seinem Text eine unabhängige Betrachtung und das völlige Herausstreichen jeglicher ethnographischer Kontexte – dennoch betont er gleichzeitig die rituelle Bedeutung der Objekte für deren Verständnis. Für sein Ziel der kunstwissenschaftlichen Einordnung betrachtet er die Objekte isoliert und ohne Beach-
116 Vgl. Einstein 1915 – Negerplastik, S. 6.
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tung ihres räumlichen oder zeitlichen Kontextes: „In jedem Falle, weder die geschichtlichen noch geographischen Kenntnisse erlauben vorläufig auch nicht die bescheidenste Kunstbestimmung.“117 Auch er führt als handelndes Subjekt eine Entkontextualisierung durch und betrachtet die Objekte ästhetisierend und ausschnitthaft – eine Betrachtungsweise, die er erst in seinen späteren Texten revidiert: „Ein Kunstgegenstand oder Gerät, die in ein Museum gelangen, werden ihren Lebensbedingungen enthoben, ihres biologischen Milieus beraubt und somit dem ihnen gemäßen Wirken. Der Eintritt ins Museum bestätigt den natürlichen Tod des Kunstwerks, es vollzieht den Eintritt in eine schattenhafte, sehr begrenzte, sagen wir ästhetische Unsterblichkeit. [...] Doch man sondert nun eines ab: das ästhetische Phänomen, womit von Beginn an die Wirkung des Kunstgegenstandes verfälscht und eingegrenzt wird.“118
Auch Einstein, der sich mit der Betonung der religiösen Bedeutung der Objekte schon im Text „Negerplastik“ nicht ganz von ethnographischen Kontexten befreit, zeigt die Schwierigkeit der Fragestellung auf, wie „primitive“ Kunst zu betrachten sei. Auch er schwankt zunächst zwischen den Polen einer westlich kunstwissenschaftlichen Betrachtung und der Notwendigkeit der Einbeziehung ethnographischer Kontexte. Das Rätsel, ob es sich bei den außereuropäischen Objekten um Kunst, um „primitive“ Objekte oder um kunsthandwerkliche Stücke handelt, beantwortet auch Höch in ihren Fotomontagen nicht. Sie formuliert eher die Frage, die sich auch aus dem so populären Text Carl Einsteins heraus nicht eindeutig beantworten lässt und die sich vielmehr gerade aus dessen argumentatorischem Umschwung in späteren Texten herauskristallisiert: Wo gehören Objekte hin, die einen westlich-kulturellen Rahmen zurückweisen müssen, ohne dabei ein Angebot für ihre Einordnung unterbreiten zu können? Was passiert mit den Objekten, wenn sie medialisiert, ästhetisiert und analysiert werden, wenn sie in einen Kontext gestellt werden, angepasst, angeeignet und eingepresst in eine Form, der sie nicht entsprechen? Auch in der Arbeit „Aus einem ethnographischen Museum: Masken“ von 1929 behandelt Höch diese Fragen und schafft einen Kontext, in dem sie Ästhetisierung und Ethnologisierung abwägt (Abbildung 36). Vor einem dunklen Hintergrund wiederholt Höch hier eine ganz ähnliche Bildkomposition wie bei der
117 Zitat von Carl Einstein, vgl. Einstein 1915 – Negerplastik, S. 6. 118 Zitat von Carl Einstein, vgl. Einstein 1926 – Das Berliner Völkerkunde-Museum, S. 588.
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Arbeit „Negerplastik“ und schafft aus einigen wenigen, geometrischen Flächen eine Bühne, die an einen Museumsraum erinnert: Auf einem hohen Quader präsentiert sie ihre erste Figur wie auf einem Sockel und lässt auch bei deren Aufbau wenig Deutungsspielraum: Auf einer Verlängerung des Sockels wird ein nackter, weißer, weiblicher Torso präsentiert, dessen abgeschnittene Arme und frontale Zurschaustellung auf einem Sockel sich klar auf die Tradition klassischer Statuen im Museum bezieht. Höch setzt diesem Torso nun eine Maske auf, die im Profil zu sehen ist und deren halb geschlossene Augen nebst dem vorgestreckten Kinn bei gerader Kopfhaltung eine herablassende Mimik vermitteln; arrogant blickt die Figur nach unten. Ziel ihres Blickes ist die zweite Figur des Blattes, die Höch auf dem Boden stehend – oder vielmehr laufend – einklebt. Als Kopf benutzt die Künstlerin hier die Abbildung einer Skulptur eines Vogels, dessen geschwungener und gefärbter Schnabel ihn als exotischen Vogel markiert. Für den Rumpf der Figur verwendet Höch auch bei dieser Arbeit den Ausschnitt des mit Ornamenten und Symbolfiguren überzogenen Totempfahls aus Nordwestamerika, den sie auch für die Arbeit „Ohne Titel I“ schon verwendet.119 Die allein als Stümpfe vorhandenen Arme blitzen hinter dem Rumpf gerade noch hervor; sie gehören zum verdeckten Rest der Figur, die einen weißen, nackten Frauenkörper zeigt, von dem hier allerdings nur die Beine und die abgeschnittenen Arme zu sehen sind. Der weiße Körper bestimmt dennoch die Statur und Bewegung der Figur, die im Begriff ist, mit großen Schritten und dynamisch ausgebreiteten Armen aus dem rechten Bildrand zu laufen. Sie blickt jedoch zurück, Rumpf und Kopf sind gegen die Laufrichtung gedreht. Die Figur scheint mit der aufgesockelten Skulptur zu kommunizieren, deren Blick von oben herab das offensichtliche Weglaufen ihres Gegenübers abschätzig beurteilt. In dieser Arbeit bringt Hannah Höch den Diskurs um die Verortung der „primitiven“ Objekte auf den Punkt. Eingegliedert in den Kontext westlicher Kunstbetrachtung ist die linke Skulptur auf den ersten Blick schlüssig. Auf den zweiten Blick verrät die Skurrilität ihrer Zusammenstellung jedoch eine Diskrepanz, die das „primitive“ Objekt nicht recht zu dem klassischen, weißen Körper und seiner Präsentation passen lässt. Obwohl die Figur sich in ihrer Positionierung offensichtlich gefällt, sich ihr auch oberflächlich angepasst hat, stört ihre Konstitution den bekannten kunsthistorischen Bezugsrahmen.
119 Höch übernimmt sowohl den Ausschnitt des Vogelkopfes, als auch den Rumpf der Figur der gleichen Abbildung in „Der Querschnitt“, mit der sie auch den Rumpf der Arbeit „Ohne Titel I“ gestaltet. Quelle: Der Querschnitt, Jahrgang V, Heft 7, Berlin 1925, S. 579.
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Abb. 36: Hannah Höch, Aus einem ethnographischen Museum: Masken
Die zweite Figur erklärt durch ihre Fluchtbewegung ihren Widerstand gegen die Einordnung in den musealen Kontext. Sie wehrt sich gegen ihre Vereuropäisierung – verkörpert durch den makellosen weißen Akt – und die gleichzeitige Exotisierung – symbolisiert durch die Ornamente und den Paradiesvogel – und bricht aus einem Rahmen aus, der sie für einen Betrachter und in traditioneller Manier aufbereitet. Wie in so vielen ihrer bereits besprochenen Arbeiten zeigt Höch auch hier die aktive Verwandlung eines Schauobjektes in ein eigenständiges Subjekt. Sie folgt Carl Einsteins Linie und erklärt die Unabhängigkeit dieses Subjektes von einer europäisch-traditionellen Rezeption. Und wie Einstein in seinen späteren Texten zur Praxis der Synthese einer kunstwissenschaftlichen und einer völker-
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kundlichen Anschauung gelangt,120 legt sich Höch in ihren Fotomontagen nicht auf eine Betrachtung fest: Ihre hybriden Figuren erklären nicht das eine oder das andere als richtig oder falsch, sie fordern nicht eine Aufgabe europäischer Normen oder ethnologischer Betrachtungen. Sie setzt die Elemente einander gleich, fragmentiert sie oft kaum merklich und schafft damit eine Ebenbürtigkeit. Was Höch in den Mittelpunkt ihrer Betrachtungen stellt, ist die Forderung, keine Anpassung und keine Definition zu versuchen. Ihre so offensichtlich heterogenen Figuren sprechen sich für ein Nebeneinander in der Kunst aus. Sie fordern ein unabhängiges Subjekt heraus, das sich bei der Betrachtung von Objekten von seinem eurozentristischen Kunstbegriff lösen muss, um auch den „primitiven“ Objekten ihre Unabhängigkeit zurückzugeben. Hannah Höch proklamiert so in ihren Fotomontagen eine Behandlung des Themas der Fremde, die weder auf einer Kategorisierung, noch auf einer Berufung auf traditionelle Wahrnehmungskonventionen und erst recht nicht auf einer Aneignung beruhen darf. Sie macht die materielle Unterwerfung des Fremden und seiner Kulturen sichtbar und stellt auch die ideelle Eroberung des Anderen kritisch zur Diskussion. Höch bezieht in ihren Fotomontagen eine klar kolonialkritische Stellung. Vor allem aber positioniert sie sich grundlegend gegen die populären Aneignungen des Fremden in der Kunst, wie sie von Gauguin, Picasso und den übrigen „Primitivisten“ wie etwa den Brücke-Künstlern vertreten werden. Genau wie Carl Einstein 1921 eine deutliche Kritik am „Primitivismus“ der Expressionisten – „Hilflos negert der Unoriginelle“121 – äußert, fasst auch Höch ihr Unbehagen über deren Umgang mit dem Fremden zusammen: „Mir machte es Spaß, auf weniger seriöse Weise mit dieser Materie, aber doch möglichst prägnant, zu experimentieren.“122 Nicht ohne Ironie nimmt sie Bezug zur inflationären Verwertung „primitiver“ Kunst in den Werken der Expressionisten und setzt sich formal wie inhaltlich deutlich von deren Ästhetisierung und Exotisierung des Fremden ab.
120 Einsteins Balance einer kunstwissenschaftlichen und völkerkundlichen Betrachtung der außereuropäischen Kunst widmet Uwe Fleckner ein Kapitel, in dem er auch Einsteins besonderes Engagement bei der Betrachtung und Neudefinition des ethnologischen Museumskonzeptes beschreibt, vgl. Fleckner 2006 – Carl Einstein und sein Jahrhundert, S. 293ff. 121 Zitat von Carl Einstein, vgl. Einstein 1921 – Afrikanische Plastik, S. 5. 122 Zitat von Hannah Höch, zitiert nach Maud Lavin, vgl. Lavin 1993 – Cut with the kitchen knife, S. 163.
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4.7 A BGRENZUNG
ZUM
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„P RIMITIVISMUS “
Obwohl die Anzahl der kunstwissenschaftlichen Betrachtungen zur „primitiven“ Kunst zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts beträchtlich sind, geht die Entdeckung und Umwertung „primitiver“ Objekte aus dem Zusammenhang der Ethnologie in den Kontext der Kunst doch in der Hauptsache von der Rezeption junger Künstler aus.123 Sie berichten von Schlüsselerlebnissen bei der Betrachtung „primitiver“ Objekte aus Afrika und Ozeanien, schwärmen von dem intuitiven Erkennen der fremden Kunst und versuchen, die Formensprache der Anderen in ihre Werke zu übersetzen. Maurice de Vlaminck, André Derain, Henri Matisse und Pablo Picasso überschlagen sich im Wettbewerb, wer die Kraft und Möglichkeiten der „primitiven“ Stücke zuerst für seine Kunst entdeckte.124 Konsens herrscht dabei über die Bedeutung dieses Initialerlebnisses, das von allen „Primitivisten“ so oder ähnlich formuliert wird:
123 Zur Rezeption afrikanischer Kunst durch die europäische Moderne und zur Herausbildung und Gestalt des „Primitivismus“ gibt es unzählige Abhandlungen, sowohl in Form von Betrachtungen des Gesamtphänomens „Primitivismus“, als auch in monographischen Betrachtungen der „Primitivisten“. Begonnen mit Robert Goldwaters Pionierarbeit zum „Primitivismus“ bis hin zu zahlreichen Ausstellungskatalogen jüngerer Zeit werden meist vor allem Beschreibungen des „Primitivismus“ geleistet und Bezugnahmen zur „primitiven“ Kunst versucht. Vgl. exemplarisch Goldwater 1986 (1938) – Primitivism in Modern Art; Pollig (Hg.) 1987 – Exotische Welten; Bilang 1989 – Das Gegenbild; Wichmann (Hg.) 1972 – Weltkulturen und moderne Kunst; Wentinck 1974 – Moderne und primitive Kunst; Rubin (Hg.) 1984 – Primitivismus in der Kunst; Wedewer 2000 – Form und Bedeutung; N’guessan 2002 – Primitivismus und Afrikanismus. Zunächst verhalten kritische Aufarbeitungen des „Primitivismus“, im Kontext des Postkolonialismus jedoch deutlichere Kritiken sind exemplarisch die Texte Torgovnick 1990 – Gone primitive; Hiller 1991 – The myth of primitivism; Weiss 2007 – Der gebrochene Blick. Die Textsammlung von Jack Flam und Miriam Deutch trägt den kritischen Diskurs in Primärtexten zusammen, vgl. Flam, Deutch (Hg.) 2003 – Primitivism and Twentieth-Century Art. 124 Die Texte und Quellen, in denen Maurice de Vlaminck, André Derain, Henri Matisse und Pablo Picasso 1906 und 1907 ihre Urheberschaft des „Primitivismus“ bekunden, finden sich in chronologischer Reihenfolge und mit zusätzlichen Belegen in der Textsammlung von Jack Flam und Miriam Deutch, vgl. Flam, Deutch – Primitivism and Twentieth-Century Art, S. 27ff.
208 | D EM KOLONIALEN B LICK BEGEGNEN „J’ai compris que c’était très important: il m’arrivait quelque chose, non? Les masques, ils n’étaient pas des sculptures comme les autres. Pas du tout. Ils étaient des choses magiques.“125
Die Sicht auf die bislang hauptsächlich ethnologisch bewerteten, „primitiven“ Objekte erfolgt nun in einem neuen Licht. Die eigene Kunstgeschichte und die ästhetische Bildung gilt als überkommen und rückt beim Anblick des „Primitiven“ in den Hintergrund: „,[1.] Bei den Griechen sehen wir die vollendetste Kunst. In der Malerei ist Raphael der größte aller Meister.‘ So lehrte vor nur 20 oder 30 Jahren jeder Kunstpädagoge. [2.] Seitdem hat sich manches geändert. Wir mögen Raphael nicht, und verbleiben kühl vor den Plastiken der sogenannten griechischen Blütezeit.“126
Durch intuitives Begreifen der „primitiven“ Objekte sehen sich die Künstler in ihrer „Phantasie“ ebenso wie in ihrer „Vision“127 beflügelt; der Weg nicht nur zu einer neuen Formensprache, sondern auch zu einem neuen Ausdruck gilt als gefunden. Das Volumen und Gewicht der „primitiven“ Objekte, ihr linearer Charakter und der symbolische Realismus128 der Figuren gelten als Inspiration und Quelle einer neuen Formensprache. Die Proportionalität und Dimensionalität der außereuropäischen Plastiken, die sich nicht an naturalistischen Vorgaben im Sinne eines klassischen Kunstverständnisses orientieren, werden nun als Form gewordene Wahrheiten betrachtet, mit denen eine innere Realität genau wie das Innerste der Künstlerseele zur Sprache gebracht werden kann.129 Mit Rhythmus und Symmetrie sowie einer außergewöhnlich lebendigen Objektivität schreien die
125 Zitat von Pablo Picasso, zitiert nach André Malraux aus einem Interview mit Pablo Picasso, vgl. Malraux 1974 – La tête d’obsidienne, S. 17f. 126 Zitat von Emil Nolde, vgl. Nolde 1934 – Jahre der Kämpfe, S. 172. 127 Gertrude Stein benutzt die Begriffe „Phantasie“ und „Vision“, um die unterschiedliche Wirkung der afrikanischen Kunst auf Matisse und Picasso zu beschreiben, vgl. Stein 1981 (1933) – Autobiographie von Alice B. Toklas, S. 71. 128 Vgl. exemplarisch Markov 2003 (1913) – Negro Art, S. 64. Zur Suche der tieferen Bedeutung und des Sinngehaltes afrikanischer Plastiken und ihrer vorgeblich direkten Koppelung an die Form vgl. außerdem Wedewer 2000 – Form und Bedeutung; N’guessan 2002 – Primitivismus und Afrikanismus, S. 90ff. 129 Vgl. de Zayas 2003 (1914) – Statuary in Wood by African, S. 70. Vgl. außerdem N’guessan 2002 – Primitivismus und Afrikanismus, S. 129ff.
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Formen ihre sublime Sprache direkt in das Gesicht der europäischen Ästhetik.130 Sie scheinen einen Weg zu bieten, die Künstler von den Regeln des europäischen Kanons zu trennen und ihnen zu einer neuen Ästhetik und einem neuen Formverständnis zu verhelfen. Der „intensive und oft groteske Ausdruck von Energie, von Leben in allereinfachster Form“131 ist es, den die „Primitivisten“ in der außereuropäischen Form und Plastik suchen. Den akademischen Regeln der europäischen Kunst entledigt, wird der Ausdruck der „primitiven“ Objekte zum Ziel jeden Kunstschaffens und zu einem Weg, der nicht nur die Kunst zu neuen Ufern führt, sondern der auch einen neuen Lebensstil verkörpert. Denn die vorgebliche Ursprünglichkeit der fremden Formen und ihre Unberührtheit von akademischen Vorgaben, vor allem aber auch die allgemeine Ablehnung „primitiver“ Objekte als Kunst machen das Primitive zu einem Anker der avantgardistischen Opposition.132 Das Primitive verspricht einen Ausweg aus den Strukturen westlichen Kunstschaffens, wie auch aus den Lebensbedingungen einer sich immer schneller verändernden modernen Welt: „Wie der Urmensch sich aus Furcht vor der Natur verkriecht, so flüchten wir uns vor einer „Zivilisation“ zurück, die die Seele des Menschen verschlingt.“133 Die Stärke des sogenannten Wilden, sich auf eine innere Kraft zu berufen und unbehelligt von den Veränderungen seiner Umwelt zu bleiben, seine Fähigkeit, eine ureigene Energie in Formen zu fassen, die keinem Regelwerk außer ihrer innersten Beschaffenheit genügt, werden von den „Primitivisten“ hoffnungsvoll adaptiert: „So finden wir, durch die ,Zivilisation‘ zunichte gemacht, in uns eine letzte Kraft, die dennoch nicht zunichte werden kann: [...] Zeichen des Unbekannten in uns, dem wir zutrauen, daß es uns erretten soll, Zeichen des gefangenen Geistes, der aus dem Kerker ausbrechen will, Zeichen des Alarms aller banger Seelen gibt der Expressionismus.“134
Ohne die Zivilisation und den Fortschritt des modernen Lebens konkret zu kritisieren, sondern hauptsächlich in dem Bestreben, ihnen zu entfliehen, wird die Freiheit des afrikanischen Künstlers zum übergeordneten Ziel der „Primitivisten“. Sie deuten das Bild des wilden, ursprünglichen Menschen um und stilisieren es zu einem positiven Gegenbild zur modernen Lebenswelt des zwanzigsten
130 Vgl. Macke 2002 (1912) – Die Masken, S. 59; Faure 1912 – Histoire de l’art, S. 110f., Caffin 2003 (1914) – Root of Art in Negro, S. 74. 131 Zitat von Emil Nolde, vgl. Nolde 1934 – Jahre der Kämpfe, S. 173. 132 Vgl. N’guessan 2002 – Primitivismus und Afrikanismus, S. 19 und S. 91f. 133 Zitat von Hermann Bahr, vgl. Bahr 1914 – Expressionismus, S. 128. 134 Zitat von Hermann Bahr, vgl. Bahr 1914 – Expressionismus, S. 129.
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Jahrhunderts. Über das Begreifen des von der Zivilisation unverdorbenen „Naturmenschen“ und seiner Kunstformen und mit der Adaption dieser „primitiven“ Formen in ihre Kunst suchen die „Primitivisten“ zu einem Naturzustand der Seele zurückzufinden, der von Zwängen ungefiltert ein besseres Leben und eine bessere Kunst verspricht. Ob mit der ästhetischen Verwertung des „Primitiven“ in farbenfrohen Gemälden, rauen Skulpturen, kargen Holzschnitten und mystischen Masken, ob mit der Übernahme des Abstraktionsprinzips in ihre Formensprache oder der Verwendung „primitiven“, einfachen Materials wie etwa Holz, kopieren die „Primitivisten“ vermeintlich die Einfachheit ursprünglichen Schaffens und übertragen die Idee des „Primitiven“ auch motivisch in ihre Kunst: Idyllische Bilder kindlicher Freiheit und Unbekümmertheit, Szenen ungestörter und freier Körperlichkeit und die ständige Betonung exotischer Paradiese dominieren die emotionalen und romantisierten Darstellungen des Fremden in den Arbeiten der „Primitivisten“. Einfachheit von Form und Ausdruck verbindet sich mit den Ikonographien kindlicher Unbedarftheit und wird nicht nur der europäischen Kunst, sondern auch der europäischen Zivilisation demonstrativ entgegen gesetzt. Der naive, exotisierende Grundgedanke der „primitivistischen“ Idee beschreibt par excellence den Reaktionismus der Bewegung, der sich hinter den vorgeblichen Negationen der traditionellen Ideologie in einer modernen Lebenswelt verbirgt: Denn auch die „Primitivisten“ berufen sich bei ihren Lobpreisungen des Ursprünglichen auf das verbreitete und gesellschaftlich etablierte Stereotyp des unentwickelten, naiven Wilden: „If they are very capable of mental progress, the conditions of their life determine all their intellectual development. They remain in a mental state very similar to that of the children of the white race. Their life is purely sensorial.“135
Mit ihren exotisierten Deutungen des Fremden vollziehen die europäischen Künstler des „Primitivismus“ nur ungefiltert nach, was die Ideologien des kolonialen Rassismus vorzeichnen: Ohne sich von einem wertenden Rassedenken zu lösen, nutzen auch die „Primitivisten“ die Stereotype des ursprünglichen, naiven, primitiven Menschen, um ihre eigene Subjektivität neu zu definieren. So wie das Fremde politisch und gesellschaftlich für die Definition der eigenen nationalen Größe instrumentalisiert wird, so benutzen es auch die Expressionisten für ihre Kritik an der modernen Lebenswirklichkeit. Auch wenn sie das Hierarchiegefälle zwischen dem zivilisierten Selbst und dem primitiven Anderen positiv umdeu-
135 Zitat von Marius de Zayas, vgl. Zayas 1916 – African negro art, S. 10.
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ten und Ursprünglichkeit als eine Tugend im Dienste der Zivilisationskritik betrachten, nutzen sie die etablierten Muster der Differenz, um den drohenden Zerfall der Selbstidentität zu überwinden.136 Die „Primitivisten“ behaupten eine Anteilnahme und ein zutiefst intuitives Verständnis des Anderen. Trotz ihrer Verherrlichung des Exotischen berufen sie sich jedoch eigentlich nur auf die Strukturen, die eine Unabhängigkeit von einem kolonialen Machtgefälle und einem rassischen Hierarchiedenken unmöglich machen. Der exotisierte Blick auf das Andere, auf den Edlen Wilden, der nach Rousseaus Definition ein positives Fremdes beschreibt, verweist doch zuletzt nur auf das Selbst, das einer höheren Kultur angehört und das über Kategorisierung, Bewertung und Konsum der jeweiligen Objekte einer unterlegenen Kultur entscheidet.137 Schon im offenen Wettstreit der ersten „Primitivisten“ um die initiale Entdeckung „primitiver“ Objekte manifestiert sich das Superioritätsdenken des weißen Künstlers, der das fremde Objekt konsumiert und weiterverarbeitet. Es ist der Akt der Entdeckung der „primitiven“ Objekte, der von den Künstlern postuliert wird. Weder der Hintergrund der Stücke, noch die Rolle des schwarzen Künstlers finden Erwähnung in der Diskussion, in der die Künstler vielmehr über sich als Rezipienten als über die rezipierten Objekte sprechen.138 Die Äußerungen in den Beschreibungen der vorgeblich ersten Berührungen mit den fremden Stücken sind programmatisch: „Yes, I came to (African Sculpture) directly. I frequently walked through the Rue...of Negro Origin.“139 Der sogenannte direkte Kontakt mit den außereuropäischen Stücken findet jedoch tatsächlich bei keinem der Künstler am Herkunftsort der Objekte statt. Statt von Aufenthalten in Übersee berichten sie von Besuchen in Völkerkundemuseen und Kunsthandlungen, die das Fremde zur Verfügung stellen. Der Blick, den die frühen „Primitivisten“ auf die außereuropäischen Objekte werfen, ist zutiefst in koloniale Repräsentationen verstrickt: Erst über den Filter der ethnologischen Museen wird ihnen das Fremde zugänglich, nur die dekontextualisierten Objekte, die den Prozess von Sammlung und Ausstellung bereits durchlaufen haben, dienen ihrer Betrachtung und Aneignung. Ohne einen kritischen Blick auf die Quellen nehmen die „Primitivisten“ am etablierten Umgang mit den außereuropäischen Objekten teil. Sie hinterfragen die Positionierung der Objekte nicht, üben keine Kritik an deren
136 Vgl. Trauzettel 1995 – Exotismus als intellektuelle Haltung, S. 9; Daum 2004 – Emil Noldes Papua-Jünglinge. 137 Vgl. Vierke 2010 – Die postexotische Ära, S. 140. 138 Vgl. Engelmann, Lauf 2005 – Rediscovering the Dialogue, S. 63. 139 Zitat von Henri Matisse, vgl. Matisse 2003 (1906) – First Encounter with African Art, S. 31.
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gewaltvoller Inbesitznahme und Einordnung und suchen auch nicht nach Interaktion mit der fremden Autorschaft; allein ihre eigene, künstlerische Subjektposition ist für die Rezeption der außereuropäischen Objekte entscheidend. Schon der Schritt der ersten Berührung mit den „primitiven“ Stücken folgt einer kolonialideologischen Agitation und auch die Weiterverarbeitung der fremden Inspirationsquellen ordnet sich in koloniale und ethnologische Rechtfertigungsmuster ein: Unter dem Vorwand, die Kunstformen im Untergang begriffener Kulturen zu bewahren, greifen die „Primitivisten“ deren Formensprache auf, sie sammeln ihre Eindrücke, ziehen Teilaspekte aus ihnen heraus oder kopieren die fremden Werke gleich ganz, verarbeiten sie und gliedern sie in die eigene Kunst wieder ein.140 Die „primitivistische“ Rezeption des Fremden folgt dem Vorgehen der Ethnologischen Museen und der Verarbeitung des Anderen durch die Medien: Einzelne aktive Subjekte agieren mit einzelnen passiven Objekten, sie eignen sie sich an und ordnen sie unhinterfragt in einen Kontext – hier in denjenigen der Kunst – ein. Die „Primitivisten“ positionieren sich damit keineswegs wie selbst deklariert auf der Seite der Anderen, sondern sie folgen der Rolle eines weißen Subjektes, das seinem schwarzen Gegenüber in einem Akt von „Kannibalismus“141 gegenübertritt. Das fremde Objekt verliert auch in seiner Rezeption durch die „Primitivisten“ seine Sprache; die Künstler sprechen über das Objekt, sie befragen es aber nicht nach seinem Kern und seiner Geschichte.142 Wie die ethnologischen Fotografien und Museen zeigen auch die „Primitivisten“ die Objekte ihres Begehrens ohne Kontext und isoliert und wie die Massenmedien manifestieren sie ein Bild des Fremden, das sich über das Eigene definiert. In den sich immer wiederholenden Motiven bunt gekleideter oder nackter Frauen, die wartend, sitzend oder liegend das ursprüngliche, dem zivilisierten Menschen so fremde Leben verkörpern, sind die meist weiblichen Figuren in farbenfrohen, exotisch arrangierten Bildern zu sehen. Weder ihr Lebenszusammenhang und erst recht nicht ihre Beziehung zu dem betrachtenden und darstellenden Maler werden erschließbar. Julius Lips findet eine passende Formulierung, wenn er 1937 schreibt: „Erst die wahrhaft großen Künstler gaben in ihren Malereien und Skulpturen dem exotischen Menschen vollendeten künstlerischen und dabei wissenschaftlich einwandfreien
140 Vgl. Badenberg 2004 – Südsee-Insulaner als Kunsttrophäen, S. 440ff. 141 Zitat von Bartholomäus Grill, vgl. Grill 2010 – Wie die Wilden, S. 49. 142 Vgl. Trauzettel 1995 – Exotismus als intellektuelle Haltung, S. 5.
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Ausdruck und stellten den farbigen Menschen als interessantes und unverzerrtes Modell in die Kunst der weißen Welt.“143
Die Passivität des Anderen, seine Modellhaftigkeit und sein Status als stilles Objekt der Anschauung in der Welt weißer Betrachtung werden in den Werken der „Primitivisten“ nicht nur sichtbar, sondern auch auf einer weiteren Ebene der Repräsentation zu einer öffentlich erklärten Tatsache.144 4.7.1 „Fremde Schönheit II“, „Angst“ Kaum eine Arbeit zeigt Hannah Höchs ironische Stellungnahme zu ebenjener Exotisierung und Objektivierung des Fremden so gut wie das späte Blatt „Fremde Schönheit II“ von 1966 (Abbildung 37). Mit großem zeitlichem Abstand spannt Höch hier noch einmal den Bogen zu ihrer Serie „Aus einem ethnographischen Museum“ und stellt inhaltlich wie im Titel auch wörtlich einen Bezug zu ihren früheren Arbeiten her. Mit dem üblichen Rand der Fotomontagen rahmt Höch ein rötliches Blatt ein, dessen weicher, warmer Farbverlauf an den Rändern von angeschnittenen Pflanzen und Palmenblättern ergänzt wird. In die Mitte klebt Höch eine Figur, die sie aus nur zwei Ausschnitten zusammensetzt: Der Körper der Gestalt wird von dem Ausschnitt einer posierenden Dame gebildet, die Höch bis zum Hals zeigt. Die aufrechte und zurückhaltende Haltung der Frau, ihre leicht voreinander positionierten Füße und die gerade herunterhängenden Arme zeigen ganz offensichtlich eine Figur, die sich nicht unbeachtet fühlt, sondern die vielmehr bewusst vor den Blicken eines Betrachters posiert. Sie trägt ein rot-blaues, mit funkelnden Applikationen besetztes Kleid, das wohl ein chinesisches Gewand ist oder das einem solchen doch zumindest nachempfunden ist. Die Schultern und die Oberarme der Figur werden elegant von einer blauen Jacke oder einem blauen Mantel bedeckt. Dem würdevoll positionierten und ausstaffierten Körper ihrer Figur setzt Höch nun die Maske eines peruanischen Terrakotta-Kopfes auf,145 die sie erneut mit den schlitzförmig ausgeschnittenen Augen einer weißen Person ergänzt. Der unförmig verzogene Kopf der ovalen Maske, die eingeschnitzten Muster, die sich über das Gesicht ziehen, vor allem aber der zu einem grotesken Lächeln verzogene Mund stehen in einer kuriosen Disharmonie zum Rest des so ausstrahlungsreichen Mannequins.
143 Zitat von Julius Lips, vgl. Lips 1982 (1937) – Der Weiße im Spiegel, S. 44. 144 Vgl. Grossman 2009 – Man Ray, African Art, S. 29ff. 145 Vgl. Makela, Boswell (Hg.) 1997 – The photomontages of Hannah Höch, S. 177.
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Abb. 37: Hannah Höch, Fremde Schönheit II
Die Mimik der Maske verändert die Ausstrahlung der Figur: Die so sorgfältig drapierte und repräsentativ gekleidete Dame verrät mit ihrem angestrengten, künstlichen Lächeln, das eigentlich nur ein breites Zähnezeigen ist, dass ihre Darstellung, ihre Präsentation keine natürliche ist. Sie zeigt sich in einer Haltung und mit einem Gesichtausdruck, der sie als passives, artifizielles Konstrukt entlarvt, das gezwungen ist, das Fremde vor den Blicken eines Betrachters zu verkörpern. Höch imitiert in der Arbeit „Fremde Schönheit II“ die Modellhaftigkeit des exotisierten Fremden. Mit dem Bild fernöstlicher Anmut und Würde zeich-
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net sie ein Urbild des Exotischen nach und zerstört dessen Wirkung durch die ironische Betonung seiner Fassade: Das groteske Lächeln der Maske entfremdet das Bild der „Fremden Schönheit“ und zeigt es als ein unnatürliches Modell, das unfreiwillig betrachtet und unter exotistischen Gesichtpunkten bewertet wird. Höch zeichnet hier eine Rezeption des Fremden nach, die sowohl in den Ethnologischen Museen, als auch in den ethnologischen Fotografien, in den Massenmedien und insbesondere in der Kunst der „Primitivisten“ üblich ist: Das außereuropäische Fremde ist ein Modell, das aus der Anschauung des europäischen Selbst geschaffen und zur Instrumentalisierung durch das europäische Selbst zur Verfügung gestellt wird. Aus der eigenen Welt, aus dem eigenen Lebens- und Handlungsraum, bleibt es stets ausgeschlossen; es ist das differente Andere, das von dem Selbst schon optisch unterschieden werden kann und das darum nicht zu ihm gehört. Trotzdem steht das Fremde aber zum Konsum, zur Aneignung, zur „Plünderung“ bereit, es „wird zu einem Opiat, zur Droge von innen her zerbrechender Subjektivität, die ihre Identitätsgewißheit zu verlieren beginnt.“146 Das Fremde nimmt eine Rolle ein, auf die das Selbst seine Identität projiziert. Diese Rolle ist eine künstliche, sie ist ein Modell, das seine Zuschreibungen nur oberflächlich vertritt und das – nach seiner eigenen Identität befragt – seine Rolle zerschlägt. Höch zeigt in der Arbeit „Fremde Schönheit II“, wie das Modell sich als ein ebensolches entlarvt. Sie klebt hier eine Figur zusammen, die mit einer unmissverständlichen Antwort auf den Betrachterblick reagiert und die sich mit der Direktheit ihres Ausdrucks als instrumentalisiertes Subjekt zu erkennen gibt. Mit diesem Blatt formuliert Höch auf außergewöhnlich starke Art die Selbständigkeit eines exotisierten Subjektes. Sie zeigt das Unbehagen ihrer Figur nachdrücklich und verbildlicht die Reaktionen des Anderen auf seine Repräsentation und Rezeption durch das weiße Subjekt. Höch imitiert in dieser Arbeit als weiße Künstlerin die Darstellung des Fremden durch das weiße Selbst. Sie zeigt aber eigentlich auf die Wahrnehmung des Selbst durch sein Anderes. Höch gelingt es in dieser Arbeit, die Blickrichtung zu verschieben. Sie zeigt das Selbstverständnis einer Figur, die sich nicht als das künstliche Modell eines Anderen sieht und die sich mit ihrem Widerstand gegen den Betrachter selbst so stark präsentiert, dass der Betrachter zum Anderen wird. Hannah Höch widerspricht in ihren Fotomontagen der geistigen Eroberung des Fremden durch ein weißes, europäisches Selbst.147 Sie führt die Aneignungen und Konstruktionen vor, indem sie museale oder mediale Situationen nach-
146 Zitat von Rolf Trauzettel, vgl. Trauzettel 1995 – Exotismus als intellektuelle Haltung, S. 4. 147 Vgl. Schmidt-Linsenhoff 2010 – Ästhetik der Differenz, S. 300.
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baut, indem sie Repräsentationsmuster kopiert und sie durch Fragmentierung und widersinnige Kombinierung hinterfragt. Sie dreht Wahrnehmungskonventionen um, indem sie an die Stimme des Anderen erinnert und die Betrachterund Autorensituation damit in Frage stellt. Tatsächlich ist Höch in ihren Arbeiten oft sehr viel weniger missfällig kritisch, als dass sie spöttelt; oft scheint sie über die glorifizierende Darstellung des Exotischen in den vorgeblich doch so nonkonformistischen Werken ihrer „primitivistischen“ Zeitgenossen schlicht zu lächeln. Höchs Figuren sind nie vorwurfsvoll kritisch, vielmehr ist ihrer Betrachtung des Fremden und dessen Repräsentation immer ein Augenzwinkern immanent. Dieses stets über den Arbeiten schwebende Moment des Lachens, das Gefühl, bei der Betrachtung der Fotomontagen einer humoristischen Reflektion gegenüberzustehen, wird ganz grundlegend durch Höchs Einsatz des Grotesken erreicht, das sich als gestalterischer Leitfaden durch ihre Arbeiten der Serie zieht. Die häufige Beschreibung von Höchs Mischwesen als „grotesk“ fasst ihre Unbeschreiblichkeit, ihre Widersprüchlichkeit und ihr merkwürdiges Erscheinungsbild zusammen. Sie umreißt aber auch Höchs inhaltlichen Einsatz der Brüche und definiert sehr genau, wo die Künstlerin ihre Betrachtungen zum Thema der Fremde verortet sieht. Das Groteske eines Körpers beginnt dort, wo seine gewohnte Ordnung und seine bekannte Betrachtung durcheinandergebracht wird, dort, wo Glieder über sich hinauswachsen, Grenzen überschreiten und Übertreibungen oder Abnormitäten stattfinden.148 Michel de Montaigne beschreibt den grotesken Körper als „rappiecez de divers members, sans certaine figure, n’ayants ordre ni proportions“149 und fasst damit zusammen, was das Groteske in der Kunst von der Renaissance bis zur Romantik als befremdlich und beängstigend charakterisiert: Das Zusammenbringen extrem disparater Elemente wie etwa Mensch und Tier, Natur und Monster verkörpert das unerklärliche Irrationale; der deformierte menschliche Körper ruft Angst hervor.150 Auch und vor allem für „primitive“
148 Vgl. Bachtin 1985 (1969) – Literatur und Karneval, S. 15f.; Stewart 2001 (1993) – On longing, S. 105. 149 Zitat von Michel de Montaigne, zitiert nach Frances S. Connelly, vgl. Connelly 1995 – The sleep of reason, S. 89. 150 Über das Groteske in der Kunst und Kunstgeschichte schreiben zahlreiche Autoren, diese Arbeit stützt sich vor allem auf die Abhandlungen Baudelaires und Bachtins, vgl. Bachtin 1985 (1969) – Literatur und Karneval; Bachtin 1995 (1965) – Rabelais und seine Welt; Baudelaire 1922 – Vom Wesen des Lachens. Viele Abhandlungen und Textsammlungen beschreiben darüber hinaus den Einsatz des Grotesken und dessen Konnotationen und Bedeutungsverschiebungen vor allem in der Moderne,
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Objekte ist der Begriff des Grotesken fest verankert, zeigen doch auch die sogenannten „Idole“ und „Fetische“ deformierte Figuren, die für das Irrationale stehen und deshalb Furcht und Respekt verströmen.151 Die Wirkung des Grotesken beruht hauptsächlich auf der Irritation des individuellen und in seiner Gestalt gesicherten Körpers, der einen „völlig fertigen, abgeschlossenen, streng abgegrenzten, von außen betrachteten unvermischten, individuell-ausdrucksvollen“ Rahmen einer Individualität darstellt, die „gegen andere Leiber und gegen die Welt abgeschirmt[en]“ ist.152 Grenzüberschreitung und Destabilisierung markieren das Groteske, nur wo eine Grenze existiert, existiert auch das Groteske.153 Was bei grotesken Körpern, die den Übergang zeigen und Grenzen sprengen jedoch als beängstigender Bruch und undefinierbarer Übergang gewertet wird, ist nach Michail Bachtin tatsächlich eine Form der Befreiung, die die fixierten Vorstellungen von der Welt lockert und als relativ offenbart; das Groteske verbreitet ein „Moment des Lachens“ und ein „karnevalistisches Weltempfinden“, die „die beschränkte Ernsthaftigkeit sowie jeglichen Anspruch auf eine zeitlose Bedeutung und Unabänderlichkeit der Vorstellungen von der Notwendigkeit [zerstören].“154 Das Groteske, das mit dem Bekannten, Gesicherten bricht, bietet die Möglichkeit, die Unanfechtbarkeit der Welt zu unterlaufen und spielerisch lachend neue Konzepte zu versuchen – mit einer Zwanglosigkeit, die verschiedenste Elemente zusammenbringen, Gegensätzlichstes kombinieren und Gewohntes relativieren kann.155 Was Bachtin als das „fröhliche, befreiende, wiedergebärende, das schöpferische Lachen“156 des Grotesken bezeichnet, beschreibt Hannah Höchs Intention auf den Punkt: Ihre montierten Figuren verkörpern das Groteske in jeder Faser. Sie überschreiten nicht nur die Grenzen des bekannten Körpers, sondern sie überschreiten auch dessen kulturelle und rassische Festlegung. Höch nutzt die
vgl. exemplarisch Stewart 2001 (1993) – On longing, S. 104ff.; Connelly 1995 – The sleep of reason; Connelly (Hg.) 2003 – Modern art and the grotesque; Russo 1995 – The female grotesque; Pimentel Biscaia 2011 – Postcolonial and feminist grotesque; Shepherd (Hg.) 1993 – Bakhtin. Carnival and Other Subjects. 151 Vgl. Connelly 1995 – The sleep of reason, S. 79ff. 152 Zitate von Michail Bachtin, vgl. Bachtin 1985 (1969) – Literatur und Karneval, S. 20. 153 Vgl. Connelly 2003 – Introduction, S. 6. 154 Zitate von Michail Bachtin, vgl. Bachtin 1985 (1969) – Literatur und Karneval, S. 28. 155 Vgl. Bachtin 1995 (1965) – Rabelais und seine Welt, S. 85 und S. 99. 156 Zitat von Michail Bachtin, vgl. Bachtin 1985 (1969) – Literatur und Karneval, S. 30.
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allgemein selbst als grotesk aufgefassten „primitiven“ Objekte, um Grenzüberschreitungen und Erschütterungen fester Identitätsrahmen durchzuführen. Sie nutzt das Potenzial des Grotesken, das immer auf eine Unabgeschlossenheit, auf eine Prozesshaftigkeit des Körpers und dessen Konstruktion verweist und deutet – ohne auf eine bedrohliche Wirkung zu zielen – auf die konstruktiven Möglichkeiten der Grenzüberschreitung:157 Ihre Figuren, die den weißen Körper und das westliche Kunstobjekt mit der Wirkung des Grotesken ebenso zerstören, wie sie die misstrauisch distanzierte Betrachtung „primitiver“ Objekte hinterkreuzen, lösen die festen Regeln der Rassen, der Kunst und der Repräsentation auf. Höch zeigt auf die Relativität der Kategorisierung des Selbst und des Anderen, sie lockert die Ernsthaftigkeit der Differenz und bietet mit einem ironischen, aber nicht zynischen Lächeln Einsicht in die Absurdität der festgelegten Grenzen. Mit dem „poetischen Humor“158, der Höchs detailreicher Kreation grotesker Kombinationen immer inne ist, nutzt sie die von Bachtin beschriebene, befreiende Kraft des Lachens, um der melancholischen Selbstwahrnehmung und der schwermütigen Reflektion des Fremden durch die Expressionisten ein Konzept entgegenzusetzen, das das Selbst genau wie sein Anderes von tradierten Wahrnehmungen und Perspektiven löst und das es vor eine neue Ordnung stellt. 1970 bringt Höch ihren ironischen Kommentar zur exotistischen Sicht auf das Fremde noch einmal auf den Punkt. In ihrer Arbeit „Angst“ entwickelt die Künstlerin ein Portrait, das sich unmittelbar als eine grotesk stilisierte, schwarze Frau zu erkennen gibt – obwohl keiner der verwendeten Bildschnipsel der Abbildung einer solchen entnommen wurde (Abbildung 38). Höch montiert hier den Ausschnitt einer Fotografie eines Wissenschaftsmodells als Kopf.159 Dem großen, schwarzen Schädel setzt sie zwei glotzende Augäpfel und einen riesigen, rot angemalten Frauenmund ein; mit verschiedenen, kleineren Ausschnitten suggeriert sie Hals und Schulterpartie. Die Figur ist in einen verworrenen Bildhintergrund eingepasst, sie scheint geradewegs aus einem Gestrüpp aufzutauchen, das sie bis zum Hals umfängt. Die überlangen Wimpern, die großen Augen und der große Mund definieren die Figur mit den übertriebenen Attributen von Weiblichkeit und bedienen exakt die Stereotype, mit denen der schwarze, weibliche Körper stets umschrieben wird: Mit ihrer tiefschwarzen Haut, den großen Augen
157 Vgl. Bachtin 1995 (1965) – Rabelais und seine Welt, S. 76. 158 Zitat von Charles Baudelaire, vgl. Baudelaire 1922 – Vom Wesen des Lachens, S. 25. 159 Der Kopf zeigt das Modell eines Kopfes, dem die Stränge des menschlichen Nervensystems übergestülpt worden sind. Vgl. Makela, Boswell (Hg.) 1997 – The photomontages of Hannah Höch, S. 183.
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und den großen Lippen zeichnet Höch das Bild exotischer Weiblichkeit nach, wie es auch so vielfach in der medialen Öffentlichkeit und in den Werken der „Primitivisten“ auftaucht. Die kindlich großen Augen, der leicht geöffnete Mund und vor allem die übertriebenen Wimpern machen aus der Figur ein Sinnbild einfältiger Überweiblichkeit, das das Fremde exotisiert und es doch ständig als devotes Objekt eurozentristischer Phantasien produziert. Der Titel „Angst“ steht ambivalent zwischen der abgebildeten Figur und ihrem Betrachter und Autor: Der Ausdruck der Figur mit ihren aufgerissenen Augen schreit ihre naive Scheu ebenso heraus, wie ihre befremdlichen Gesichtszüge die Angst des Betrachters spiegeln: Denn bei aller konstruierten Differenz bleibt das, was zwischen dem Anderen und dem Selbst steht, die Angst: Die Angst vor etwas Fremdem, das dem weißen Betrachter im letzten Schritt unbegreiflich bleibt, genau wie die Angst vor dem Verlust der eigenen Identität. Nicht nur in Medienkampagnen oder in kolonialen Rechtfertigungsstrategien ist die Angst ein eminent wichtiger Faktor bei der Begegnung mit dem Fremden. Auch für die „Primitivisten“ und ihren zivilisatorischen Pessimismus ist das Stichwort der Angst entscheidend; eine Bedrohungssituation liegt der Begegnung mit der Fremde und ihrer Repräsentation immer zu Grunde. Hannah Höch karikiert mit ihrer grotesken Figur und deren Titel „Angst“ die zwischen Exotismus und Furcht oszillierenden Phantasien über das Fremde. Sie folgt der exotisierenden Linie der „Primitivisten“ nicht, sondern deklassiert durch Übertreibung deren Abbilder des Anderen. Höchs Beschäftigung mit dem Thema der Fremde, mit außereuropäischen Objekten und fremden Menschen ist bei ihr sichtbar nicht von einem psychologisierten Formempfinden oder dem Bedürfnis existentieller Sinnfindung geleitet. Sie beschäftigt sich nicht mit formalen Aspekten und setzt die „primitiven“ Versatzstücke in ihren Fotomontagen auch nicht ein, um zu einer eigenen, neuen Sprache zu finden. Höch benutzt die Ausschnitte des Fremden eigens, um dessen Repräsentation vorzuführen. Sie kopiert die in der Kunst und in der Öffentlichkeit produzierten Bilder, verwendet sie buchstäblich und entfremdet sie durch Übertreibungen und groteske Kombinationen. Indem sie ihren Kommentar in das ihr eigene Medium der Fotomontage überträgt, setzt sie sich entschieden von den üblichen Repräsentationsformen des Fremden ab und verschafft sich selbst eine Distanz zu dem Umfeld des klassischen „Primitivismus“.
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Abb. 38: Hannah Höch, Angst
4.7.2 „Die Treppe“ Eine Schlüsselarbeit für ihre explizite Positionierung jenseits der „Primitivisten“ ist Höchs Blatt „Die Treppe“ von 1926 (Abbildung 39). Zur gleichen Zeit, in der sie auch ihre große Serie zum Thema der Fremde anfertigt, stellt Höch hier ein Ölgemälde fertig, das sich nicht durch die Technik der Fotomontage ironisch von den Praktiken der „Primitivisten“ absetzt, sondern das in direkter Anlehnung zu deren Malerei steht und das pointiert eine Kritik an der Betrachtung des Fremden übt. Höch nutzt hier das gleiche Medium wie ihre „primitivistischen“ Künstlerkollegen und schafft ein surreales Bild, das all die Stichworte zusammenfasst, die für die Entwicklung des „Primitivismus“ entscheidend sind. In dunklen Farben setzt sie zusammen, was wie ein Stillleben anmutet: Die Mitte des Bildes wird von der titelgebenden, aufsteigenden, breiten Treppe eingenommen, um die herum sich verschiedene Dinggruppen positionieren. Sie spielen unverkennbar auf die zivilisatorischen Entwicklungen und Erscheinungen an, die
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die „Primitivisten“ unentwegt thematisieren. Wie Stichworte reiht Höch in ihrem Gemälde nebeneinander, was zum Thema der Künstler geworden ist: Der am rechten Bildrand fast in der Dunkelheit verschwindende Globus auf einem Sockel erinnert an die gleichermaßen faszinierende wie auch beängstigende Öffnung der Welt, die im zwanzigsten Jahrhundert allgemein zugänglich geworden ist – und sei es nur durch den Besuch eines Museums. Daneben findet sich ein großes Glas, in das die Wolkenkratzer einer Großstadt auf zu engem Raum zusammengepfercht sind. Einige Stufen weiter oben schaut ein nacktes Kleinkind verstohlen in Richtung Betrachter. Auf einem großen Sockel im Vordergrund liegt ein großes, mit leuchtend roten Akzenten versehenes Objekt, das unwillkürlich an ein geöffnetes, menschliches Herz erinnert. Venen und Arterien winden sich beunruhigend aus der verletzlich wirkenden Öffnung. Zu Fuß dieses Herzens finden sich drei winzige, kahle Bäume, ein Telegraphenmast und ein unter einer Käseglocke verborgenes Flugzeug. Die Elemente des Bildes, die Höch hier völlig bezugslos nebeneinanderstellt, bilden gemeinsam ab, was den Zivilisationskritikern zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts aufstößt: In einer ängstigenden, dunklen und bedrückenden Atmosphäre fasst Höch die Bedrohungen des Individuums durch die Entwicklungen der Moderne zusammen. Technischer Fortschritt, massive Verstädterung und Öffnung des Raums durch globale Beziehungen und Anstrengungen werden von ihr als befremdliche Erscheinungen gekennzeichnet – etwa durch eine Käseglocke oder den zu engen Raum eines Glases. Verlustängste, Isolierung und Bedrohung des individuellen Selbst sprechen aus dem offenen Herzen und der nackten, ausgesetzten Figur des Kindes. Eine zutiefst pessimistische Stimmung legt sich über das dunkle Bild, das von Zerrüttung und Entfremdung spricht. Vor dieser Atmosphäre nun breitet sich im rechten Vordergrund des Bildes der liegende Körper eines schwarzen Mannes aus. Wie auf einem Totenbett aufgebahrt, erstreckt sich sein schwarzer, nur mit einem weißen Hüfttuch bedeckter Körper auf einem hellgrauen Sockel; der linke Arm hängt leblos zur Seite. Sein Kopf ist durch eine riesige, hohle Maske ersetzt, die in der Mitte in zwei Teile gebrochen ist. Die bunten Farben der Maske und ihre europäischen Gesichtszüge passen nicht zu dem schwarzen Körper des offensichtlich Toten; obwohl sie im ersten Moment an eine „primitive“ Maske denken lässt, zeigt die Maske doch das Antlitz eines weißen, zerfurchten und zerstörten Gesichtes. Höchs Anspielung auf den Tod des schwarzen Menschen, auf die gewaltvolle und doch gescheiterte Überstülpung einer weißen Maske, auf die fatale Unvereinbarkeit des Weißen mit dem Schwarzen, drängt sich hier in den Mittelpunkt des Bildes.
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Abb. 39: Hannah Höch, Die Treppe
Vor dem Hintergrund des zivilisationskritischen Pessimismus der „Primitivisten“ spricht Höch unumwunden von der Zerstörung des Fremden durch eine europäische Atmosphäre der Angst und Unsicherheit – und durch seine Eingliederung und Instrumentalisierung in diesem Kontext. Sie zeigt den Körper des schwarzen Mannes als ein Opfer, das im Dienste europäischer Realitätsflucht maskiert, benutzt und zerstört wird und das unter der farbenfrohen Maske des Exotismus sein Leben verliert. Die breite Treppe und die Wiederholung von Sockeln erinnern unwillkürlich an den Raum eines Museums und ziehen noch einmal eine Parallele zu Carl Einstein, dessen Rhetorik die musealisierten außereuropäischen Objekte selbst immer wieder als sterbende Relikte und tote Fragmente beschreibt.160 So wird Höchs Gemälde erneut zu einer Kritik an der Repräsentation des Fremden im Raum und Wirkungsfeld eurozentristischer Betrachtung und Verwertung. Höchs demonstrativer Rückgriff auf Ölfarben und der so erfolgende Bruch zu ihrer Serie von Fotomontagen fügt ihren Arbeiten einen unvermittelten Aspekt direkter Bezugnahme zu den Werken ihrer „primitivistischen“ Kollegen hinzu: Sie spielt auf die farbenfrohen Gemälde an, verhöhnt jene jedoch durch Farbwahl und At-
160 Vgl. Fleckner 2006 – Carl Einstein und sein Jahrhundert, S. 304.
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mosphäre, sie thematisiert Zivilisationsflucht und Exotismus und verkehrt sie in Trauer und Zerstörung. Mit ihrem ironisch-kritischen Blick auf die Exotisierung und Objektivierung des Fremden nimmt Hannah Höch eine Position ein, mit der sie sich klar von den Repräsentationen des Fremden in der Öffentlichkeit und Kunst distanziert. Als Künstlerin der zwanziger Jahre stellt sie sich bewusst an den Rand des Diskurses um „Primitivismus“ und Fremde, der in ihrem zeitgenössischen Umfeld so intensiv geführt und von den Künstlern des Expressionismus in deren Kunst so ausschweifend verwertet wird. Höchs Fotomontagen zum Thema der Fremde greifen die Aspekte von Exotismus und „Primitivismus“ analytisch an, sie führen sie vor und zeigen sie als ins Leere führende Konstruktionen einer umfassenden, gesellschaftlich verankerten Ideologie. Die parodistischen Anspielungen der Künstlerin zielen auf die Entlarvung einer „primitivistischen“ Kunst, die sich unter Vorspiegelung einer Abwendung von Institution und klassischem Kunstbegriff doch nur in dem Bezugssystem bewegt, das sie eigentlich aufzugeben vorgibt. Unter Nutzung der Vorgaben der Ethnologischen Museen und Sammlungen und mit der vorgeblichen Rebellion gegen eine akademische Kunst nutzen die „Primitivisten“ doch nur die ästhetischen Normen, die das klassische System vorgibt: Aus Protest wenden sie sich eben der Kunst zu, die doch allein aus der so verachteten klassischen Norm heraus in ihrer Außenseiterrolle definiert wird. Die „Primitivisten“ vollziehen auf diese Art vielmehr einen Rückzug in die Kategorien des konventionellen Systems klassischer Kunst, das auf den gleichen Elementen der Rückversicherung durch Differenz aufbaut, wie auch das traditionelle Gebilde einer nationalen, politischen Identität. Statt einer Rebellion gegen tradierte Wertsysteme ist der Kern des „Primitivismus“ vielmehr ein reaktionäres Einfügen in die tradierten Normen westlichen Hierarchiedenkens; keineswegs Innovation, stattdessen jedoch Reaktion beschreibt Antrieb und Wirken der „Primitivisten“.161 Für Hannah Höch, die im direkten Lebens- und Arbeitsumfeld Dadas an ihren Gedanken zur Rezeption des Fremden arbeitet, ist der Blick auf die Arbeit der „Primitivisten“ zwangsläufig belustigt. Fern der emotionalen Ereiferungen über die negativen Auswirkungen der modernen Lebenswelt und fern einer Kunst, die sich den Regeln traditioneller Wertsysteme unterordnet, zeigt sie vielmehr mit dem Finger auf die Bruchstellen und Schnitte, die das Wesen von
161 Frances S. Connelly beschäftigt sich 1995 mit den traditionellen, ideologischen Rahmenbedingungen und dem „classical frame“, aus denen heraus sich der „Primitivismus“ entwickelt, ohne dabei jemals den konventionellen Rahmen zu verlassen, vgl. Connelly 1995 – The sleep of reason.
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Kunst- und Ausstellungstradition zu beschreiben vorgeben, die es jedoch eigentlich in ihrem Kern umreißen. Höchs hellhörige Stellungnahme zur Rezeption des Fremden – in der medialen Öffentlichkeit wie in der Kunst – zeigt sich als eine reflektierte Positionierung, mit der sie sich den ideologischen Linien ihres dadaistischen Umfeldes pointiert anschließt.
5. Dada und das Fremde
Dada als eine künstlerische Gruppe jenseits der Tradition und Konvention, als Vertreterschaft revoltierender, individueller Stimmen und als Botschafter einer radikalen Abkehr von jeglichen Normen in der Kunst, stellt das für Hannah Höch natürliche Lebens- und Arbeitsumfeld dar. In den vor männlicher Dominanz strotzenden Manifesten und Rückblicken der großen Dadaisten Hausmann, Heartfield, Herzfelde und Huelsenbeck wird Höch als Mitglied der Gruppe niemals gewürdigt; Raoul Hausmann, ihr langjähriger Lebensgefährte, bezeichnet sie einmal sogar dezidiert als Nicht-Mitglied.1 Tatsächlich nimmt Höch, das „Leichtgewicht“, auch nur selten an Veranstaltungen oder Ausstellungen der Gruppe teil, vielleicht, weil „Ihr Stimmchen [...] sowieso von dem Tosen ihrer männlichen Kommilitonen überdröhnt worden“2 wäre. Und doch ist Hannah Höch mittendrin im dadaistischen Tumult. Sie wirkt als stilles und unersetzliches Rad im Getriebe der Bewegung mit – sei es als Gastgeberin und Wirtin der Atelierabende bei Raoul Hausmann, bei denen sie stets anwesend ist und ihre „kleine, aber sehr präzise Stimme“ erhebt, oder als Fotomonteurin, die „manchmal politisch [...], manchmal dokumentarisch [...], manchmal lyrisch [...]“, immer jedoch mit der besonderen „Ernsthaftigkeit ihres Wesens“3 die Ideen der Gruppe verfolgt und sie mehr oder weniger fügsam in ihre Werke umsetzt. Vor allem binden Höch jedoch ihre langjährige Beziehung zu Raoul Hausmann und ihre engen Freundschaften zu Kurt Schwitters und Hans Richter,
1
Hausmann beschreibt in einer Nachbetrachtung des Dadaismus mit der für ihn typischen Selbstgefälligkeit, dass er höchstens zehn „wahrhaftige DADAisten“ kennengelernt habe – Hannah Höch zählt nicht dazu: „Zum Beispiel Hannah Höch hat nur an zwei Ausstellungen teilgenommen, sie war niemals Mitglied des Club [...].“ Zitate von Raoul Hausmann, vgl. Hausmann 1992 – Nachhall, S. 171 und S. 172.
2
Zitate von Hans Richter, vgl. Richter 1964 – DADA, S. 133.
3
Zitate von Hans Richter, vgl. Richter 1964 – DADA, S. 136.
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zu Theo und Nelly van Doesburg und zu Hans Arp in die künstlerische Atmosphäre des Umbruchs ein, die für Dada so bezeichnend ist.4
5.1 D ADAISTISCHER A KTIONISMUS UND B ERLIN
IN
Z ÜRICH
Wie für die Künstler des Expressionismus ist auch für die Dada-Bewegung die Fragmentierung der modernen Lebenswirklichkeit Ausgangspunkt ihrer Gedankenwelt. Die intellektuelle und moralische Krise der Nachkriegszeit – der „Untergang des Abendlandes“5 – bilden für die Dadaisten die Brutstätte ihrer ikonoklastischen Gedanken. Die Verachtung des Ersten Weltkrieges, einst euphorisch begonnen und zuletzt fatal beendet, sowie ein frühes Bewusstsein für die nationalistischen Tendenzen und die schwelende Aggression eines sich deutlich entwickelnden Faschismus6 befeuern den Geist der Bewegung: Vor allem in Berlin wird die Härte des Krieges mit seinen ultramodern geführten Materialschlachten, mit seinen schweren Verlusten und psychischen Auswirkungen auf Verwundete und Traumatisierte zu einem Ausgangspunkt für die Ideen eines Neuaufbaus einer jungen Gesellschaftsordnung jenseits jeglicher Tradition.7 Die
4
Höchs Aufzeichnungen und Briefwechsel zeugen von einer tiefen Verbundenheit und einem regen Austausch mit Schwitters, den van Doesburgs und Hans Arp, vgl. BG I, 1. 1989; BG I, 2. 1989; BG II, 1. 1995; BG II, 2. 1995. Hans Richter erwähnt ebenfalls seine anhaltenden „persönlich-kameradschaftlichen Beziehungen“ zu Höch, vgl. Richter 1964 – DADA, S. 125. Zu den Künstlerfreunden Höchs vgl. außerdem Roters 1995 – Künstlerfreunde.
5
Zitat von Richard Huelsenbeck, vgl. Huelsenbeck 1994 – Die dadaistische Bewegung, S. 40.
6
Besonders die politischen Fotomontagen John Heartfields und seine Beiträge in Zeitschriften wie „Neue Jugend“ und in „Arbeiter-Illustrierte Zeitung“ belegen das dadaistische Bewusstsein für die aufkommende Katastrophe des Zweiten Weltkriegs und des sich mehr und mehr herausbildenden Faschismus. Eine umfang- und abbildungsreiche Chronik der politischen Fotomontagen und Textbeiträge Heartfields gibt Eckhard Siepmann 1977 heraus, vgl. Siepmann (Hg.) 1977 – Montage. John Heartfield.
7
Die Katastrophe des Ersten Weltkrieges wird in nahezu allen Schriften der DadaMitglieder thematisiert. Zusammenfassend führt unter anderem Leah Dickerman die Bedeutung des Ersten Weltkrieges für die Dada-Bewegung aus, vgl. Dickerman 2005
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Rückkehr zur Lebenswirklichkeit der Vorkriegszeit ist unmöglich geworden. Kultur, Menschlichkeit und alle bisherigen Werte müssen nach der Katastrophe des Krieges als verloren gelten: „Der Grundsatz ,Liebe Deinen Nächsten‘ ist Heuchelei. ,Erkenne Dich selbst‘ ist eine Utopie, aber annehmbarer, denn sie enthält das Böse. Kein Mitleid. Nach dem Blutbad bleibt uns die Hoffnung auf eine geläuterte Menschheit.“8
Politisch steht eine Revolution in Berlin vor der Tür und auch für die Gesellschaft und Kunst kann die Lehre aus dem Krieg im Verständnis der DadaBewegung nur ein Befreiungsschlag sein – gegen Humanismus, Wissenschaft und Kultur, gegen die Lebensauffassung der Weimarer Republik. Der Dadaismus predigt den Tod der Kunst, wie sie allein noch von den „deutschen Spießern“ aufrecht erhalten wird und steht für das Bild eines Künstlers ein, der „[...] instinktmäßig seinen Beruf darin [sieht], den Deutschen ihre Kulturideologie zusammenzuschlagen.“9 Kunst soll nun nicht mehr gefallen, soll nicht schön oder objektiv für alle sein und auch nicht mehr das Weltbild der Zeit und der Gesellschaft vertreten.10 Sie soll für das „eigene Erleben“11 stehen, soll allein das Leben wiedergeben, das „als ein simultanes Gewirr von Geräuschen, Farben und geistigen Rhythmen“ erscheint und „das in die dadaistische Kunst unbeirrt mit allen sensationellen Schreien und Fiebern seiner verwegenen Alltagspsyche und in seiner gesamten brutalen Realität übernommen wird.“12 Formale Fragestellungen oder künstlerische Reaktionen auf die Begebenheiten der Zeit haben für die Künstler der Dada-Gruppe weder Priorität noch Geltung, allein die Loslösung von traditionellen Anschauungen und konventionellen
– Introduction, S. 2ff. Vgl. außerdem Baumann, Magnaguagno 1994 – Vorwort, S. 7; Meyer 1994 – Dada ist die Weltseele, S. 29; Penny 2002 – Objects of culture, S. 30. 8
Zitat von Tristan Tzara, vgl. Tzara 1994 (1918) – Manifest Dada 1918, S. 37.
9
Zitate von Raoul Hausmann, vgl. Hausmann 1977 (1919) – Der deutsche Spießer ärgert sich, S. 66 und Richard Huelsenbeck, vgl. Huelsenbeck 1984 (1920) – En avant Dada, S. 39.
10 Vgl. Tzara 1984 (1963) – Sieben Dada Manifeste, S. 18; Heartfield, Grosz 1981 (1920) – Der Kunstlump, S. 110. 11 Vgl. Hausmann 1994 (1919) – Pamphlet gegen die Weimarische Lebensauffassung, S. 87. 12 Zitate von Tristan Tzara, Franz Jung et al., vgl. Tzara, Jung et al. 1980 (1920) – Dadaistisches Manifest, S. 38.
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Verhaltensmustern sind die Leitsätze der Bewegung.13 Neue Medien und neue Ausdrucksformen prägen das Bild der neuen Richtung, die keine Kunst zu sein proklamiert und die sich dann doch wieder als Kunst bezeichnet, die konkret wie die Fotomontagen Hausmanns, Höchs und Heartfields und abstrakt wie die Werke Hans Arps sein kann.14 Das Erscheinungsbild Dadas zeigt keine einheitlichen formalen Kennzeichen, es setzt sich allein aus dem Zusammenwirken und der gegenseitigen Potenzierung individueller und oft exzentrischer Künstlerpersönlichkeiten zusammen. Wichtige und dominante Äußerungen der Gruppe sind zweifellos die zahlreichen Schriftstücke, in denen philosophische Abhandlungen über Geist und Ziel der Bewegung verbreitet, Rezeptionen von Aktionen besprochen, aber auch die Ideen des Absurden beispiellos umgesetzt werden.15 Manifeste, Flugblätter und eigens gegründete Zeitschriften16 sind gleichzeitig (Anti-) Kunst-Äußerung und deren Dokumentation, sie sind Ausdruck eines gemeinsamen Geistes und nicht selten Abgrenzung unter den einzelnen Mitwirkenden. Bedeutender noch als die Verschriftlichung der dadaistischen Konzepte ist jedoch deren Umsetzung, zunächst im „Cabaret Voltaire“ in Zürich und kurze Zeit darauf auch im „Club Dada“ in Berlin. Der riesige Impuls und die ungezähmten Energien, die von der Bewegung ausgehen und die sich schon in der Vielzahl und Wucht ihrer Manifeste äußert, finden hier eine Entsprechung. Wie in den Texten inhaltlich gefordert und formal umgesetzt, sind auch die Programme der Aktionen ein Ausbund des Chaos. Seine Äußerung: sinngewaltige Inszenierungen aus Musik, Texten, Gedichten und Tanz. 1916 von Hugo Ball und dessen Frau Emmy Hennings, von Tristan Tzara, Richard Huelsenbeck, Hans Arp und
13 Vgl. Baumann, Magnaguagno 1994 – Vorwort, S. 7. 14 Vgl. Richter 1964 – DADA, S. 8f. und S. 114ff.; Huelsenbeck 1957 – Mit Witz, Licht und Grütze, S. 113. 15 Zahlreiche Textsammlungen – meist von den Künstlern der Bewegung selbst zusammengestellt und nachträglich kommentiert, jedoch nun in neuer Auflage – tragen die Schriften des Dadaismus zusammen, vgl. exemplarisch Huelsenbeck 1984 (1920) – En avant Dada; Kapfer (Hg.) 1994 – Richard Huelsenbeck; Riha, Bergius (Hg.) 1977 – Dada Berlin; Riha, Kämpf (Hg.) 1992 – Raoul Hausmann; Tzara 1984 (1963) – Sieben Dada Manifeste; Verkauf, Janco et al. (Hg.) 1965 (1958) – Dada. Monographie einer Bewegung; März, Heartfield (Hg.) 1981 – John Heartfield. 16 Die wichtigsten Zeitschriften sind „Dada“, 1. Ausgabe 1916; „Der blutige Ernst“, 1. Ausgabe 1919; „Die Pleite“, 1. Ausgabe 1919; „Die freie Straße“, 1. Ausgabe 1915; „Jeder Mann sein eigner Fußball“, 1. Ausgabe 1919. Einige der Zeitschriften erscheinen im eigens von Wieland Herzfelde gegründeten Malik-Verlag, vgl. Richter 1964 – DADA, S. 112f.; Herzfelde 1981 (1936) – Wie ein Verlag entstand.
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Marcel Janco gegründet, wird das Cabaret Voltaire in Zürich zu einem Ort, an dem allabendlich und vor einem meist empörten Publikum Soiréen abgehalten werden, die dem Aktionismus der Gruppe Ausdruck zu geben vermögen.17 Der Philosophie Dadas entsprechend ruhen auch die künstlerischen Auftritte der Gruppe nicht in sich. Sie sind vielmehr Verkörperungen der Negation alter Strukturen und Gesten der Unabhängigkeit, mit der sich die Gruppe aus dem Akademismus der Kunstwelt und den zerbrochenen Eingrenzungen der Lebensrealität und Kultur zu widersetzen suchen. Besonders die Sprachexperimente der Gruppe dominieren in diesem Sinne den Verlauf der Soiréen, stehen sie doch ganz fundamental für das Auflösen traditioneller Muster von Grunde auf: Die Sprache zu zerstören und zu erneuern, bedeutet das Instrument einer Kultur auszuwechseln. Sich von der Sprache zu trennen und sich stattdessen in das Urwesen des Wortes zurückzuziehen, ja sogar das Wort aufzugeben, wird zum Ziel dadaistischer Dichtung, die keine Elemente mehr nutzen will, die nicht jeder selbst und zu seinem eigenen Zwecke hervorgebracht hat.18 Die so entstehende abstrakte Dichtung wird meist simultan von mehreren Stimmen gleichzeitig vorgetragen, um den Worten und Phrasen mehr Ausdruck zu verleihen. Außerdem ist es die Stimme selbst, die den Wert und die Bedeutung des Gedichtes ausmacht und es durch das simultane Gewirr der Laute und das Dröhnen der Geräusche mehrerer Vortragender vervollständigt. Das Ziel der Simultangedichte ist es, mit der Stimme die Seele jedes Einzelnen sprechen zu lassen und doch eine große Energie zu aktivieren, die einer einzelnen Stimme überlegen ist.19 Das simultane Lautgedicht bildet die theoretische Idee einer dadaistischen Kulturerneuerung ab. Es ist die exakte Entsprechung der Vitalität Dadas und des ungezügelten Enthusiasmus, mit den eigenen Aktionen eine Veränderung zu bewirken, als „Besessene, Vertriebene, Manjakalische [...].“20 Die gleichen Prinzipien und der gleiche dynamische Aktionismus, der die performativen Praktiken des Cabaret Voltaire hervorbringt, finden auch in den bildlichen Darstellungen der Dada-Künstler ihren Niederschlag.21 Mit der Ent-
17 Zur Gründung und den Aktionen des Cabaret Voltaire finden sich in den dadaistischen Schriften unzählige Texte und Dokumentationen, vgl. exemplarisch Ball 1946 (1927) – Die Flucht aus der Zeit, S. 71ff.; Huelsenbeck 1984 (1920) – En avant Dada, S. 9ff.; Tzara 1980 (1920) – Chronique Zurichoise. 18 Vgl. exemplarisch Ball 1946 (1927) – Die Flucht aus der Zeit, S. 77; Huelsenbeck 1957 – Mit Witz, Licht und Grütze, S. 103; Richter 1964 – DADA, S. 40ff. 19 Vgl. Ball 1946 (1927) – Die Flucht aus der Zeit, S. 79f. 20 Zitat von Hans Richter, vgl. Richter 1964 – DADA, S. 19. 21 Vgl. Bergius 2000 – Montage und Metamechanik, S. 53ff.
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wicklung der Fotomontage wird der chaotische, provokative Geist, der doch immer zerstörerisch und schöpferisch zugleich ist, auch in ein publizierbares Medium übertragen. Nicht nur ist die Fotomontage eine neue Technik, die erst auf der Grundlage der Bilder- und Textflut der modernen Massenmedien möglich wird und die damit dem Anspruch der Dadaisten entspricht, das Leben in seiner zeitgenössischen Struktur und Realität wiederzugeben. Die Fotomontage ist auch der Inbegriff einer Abkehr von jeglichen Regeln einer akademischen Kunst: Keine traditionelle Technik, keine Richtlinien von Perspektive oder Komposition kommen bei der Montage zum Zuge. Sie ist weder einzigartig und wertvoll wie ein Ölgemälde, noch unwiederholbar oder unreproduzierbar.22 Sie setzt sich aus banalen Bestandteilen des Alltags zusammen, ist unpersönlich und zeigt nicht die unverwechselbare Handschrift einer Künstlerpersönlichkeit, wie sie von den Dadaisten so verachtet wird.23 Für die Absichten der Dada-Gruppe ist die Fotomontage das adäquate Darstellungsmittel, kann sie doch das Chaos ebenso vermitteln wie die Ideen, die hinter dem Chaos stehen: Mit der neuen Freiheit, Text von links nach rechts und von oben nach unten lesbar oder unlesbar zu machen, mit tanzenden Buchstaben und absurden Bildkombinationen gilt es, mit der Fotomontage „einer verrückten Welt ihr eigenes Bild in den Rachen zu stoßen.“24 Die besondere Qualität des Ausdrucks liegt in der Möglichkeit, die Wirklichkeit zu verfremden: Die Manipulation fotografischer Ausschnitte und ihre beliebige Kombination mit Text oder Bild zerschlagen eine scheinbare Realität mit dem Mittel eines echten Stückes der Wirklichkeit. Ausgeschnitten aus der fassbaren Welt wird jedes benutzte Fragment in einer direkten Form zu einem Werkzeug des Meinungsausdrucks und vor allem zu einem Instrument für einen politischen Angriff.25 In meist vielteiliger und chaotischer Anordnung, oft in lächerlichen Zusammenstellungen und absurden Kontexten werden die durch ihre Auswahl entkontextualisierten Ausschnitte zur Schaffung einer neuen Perspektive und zur Beleuchtung eines verborgenen Gedankens eingesetzt; die Fotomontage ermöglicht es, „ganz neue Verbindungen und Zeichen zu sehen“26. Vor allem Raoul Hausmann und Johannes Baader, in außergewöhnlichem Maße aber John Heartfield, nutzen das neue Medium, um politisch zu agieren und
22 Vgl. Ades 1976 – Photomontage, S. 8. 23 Vgl. Evans, Gohl 1986 – Photomontage, S. 13. Gegen das traditionelle Bild des Künstlers rebellieren etwa auch Heartfield und Grosz 1920 in ihrer Streitschrift „Der Kunstlump“, vgl. Heartfield, Grosz 1981 (1920) – Der Kunstlump. 24 Zitat von Hans Richter, vgl. Richter 1964 – DADA, S. 117. 25 Vgl. Richter 1964 – DADA, S. 117. 26 Zitat von Raoul Hausmann, vgl. Hausmann 1992 – Fotomontage, S. 54.
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Ausschnitte derartig zusammenzufügen, „dass sie in Bildern sagten, was in Worten der Zensur verfallen wäre.“27 Was Hausmann als die Verfolgung eines inneren, visuellen Triebes beschreibt, mit dem Ordnungen aufgebrochen, blinde Flecken sichtbar gemacht und ein soziales Bewusstsein formuliert werden kann,28 wird zum Ausdruck eines beißenden Spotts über die Gesellschaft und zur scharfen Kritik an der politischen Lebenswirklichkeit. Vor allem in Berlin, wo die Katastrophe des Krieges unumgängliche Realität ist und wo der Ernst der Situation auch der Dada-Bewegung eine eigene Ernsthaftigkeit abverlangt, wird die Fotomontage zur wichtigen Taktik dadaistischen Schaffens: Sie spiegelt inhaltlich und technisch die dadaistische Vision des Aufbrechens aller aufdoktrinierten Grenzen und Regeln und verwirklicht den Widerstand gegen eine passive Aufnahme gesellschaftlich formulierter Wahrheiten. Mit der mechanischen Übertragung der ungeordneten Gleichzeitigkeit der modernen Wirklichkeit in das Medium der Fotomontage wird das dadaistische Moment der Simultaneität auch in ein zweidimensionales Medium versetzt.29 So zeigt sich die Fotomontage als das meist politische Pendant zu den spielerischen Aktionen des Cabaret Voltaire und als Medium, mit dem dem Geist der Bewegung auf formaler wie auch inhaltlicher Weise entsprochen werden kann. Im Selbstverständnis Dadas, ein Ausdruck der Zeit, jedoch nicht eine Reaktion darauf zu sein, werden vor allem die Expressionisten zum Ziel dadaistischer Kritik. Sie gelten den Dadaisten als Inbegriff spießbürgerlicher Weltfremdheit, ihre Kunst erscheint ihnen als ein Ausweichen vor einer Lebensrealität, der mit Flucht jedoch nicht mehr begegnet werden kann. Im „Dadaistischen Manifest“, das unter anderem 1920 in der Text-Sammlung des „Dada Almanach“30 erscheint, und zahlreichen weiteren Texten stellen sich die Künstler der DadaGruppe mit dezidierten Abhandlungen geschlossen gegen den Expressionismus und seine gefällige Kunst. Der Expressionismus sei allein die „Geste der müden Menschen, die aus sich heraus wollen, um die Zeit, den Krieg und das Elend zu
27 Zitat von Hans Richter, vgl. Richter 1964 – DADA, S. 120. 28 Vgl. Hausmann 1992 – Fotomontage, S. 53f. 29 Vgl. Bergius 1977 – Zur Wahrnehmung und Wahrnehmungskritik, S. 43ff. 30 Der Dada Almanach wird im Jahr 1920 von Richard Huelsenbeck herausgegeben, der ihn als eine parteilose Sammlung von Dokumenten des dadaistischen Erlebens bezeichnet, nicht jedoch als Theorie verstanden haben möchte. Der Almanach umfasst Texte, Gedichte und Programme aller wichtigen Dadaisten und dadaistischen Veranstaltungen, vgl. Huelsenbeck (Hg.) 1980 (1920) – Dada Almanach.
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vergessen.“31 Als sentimentalen Reaktionismus und keineswegs als eine Abgrenzung zur klassischen Kunst verstehen die Dadaisten Arbeit und Ideologie „der malenden Herrgötter (Expressionisten)“32. Allein eine Abwendung von der modernen Lebenswelt sei die Idee des Expressionismus, dessen Künstler am Ende doch nur auf die Anerkennung der Institutionen hofften: „Unter dem Vorwand der Verinnerlichung haben sich die Expressionisten in der Literatur und in der Malerei zu einer Generation zusammengeschlossen, die heute schon sehnsüchtig ihre literatur- und kunsthistorische Würdigung erwartet und für eine ehrenvolle BürgerAnerkennung kandidiert. [...] Der Expressionismus, der im Ausland gefunden, in Deutschland nach beliebter Manier eine fette Idylle und Erwartung guter Pension geworden ist, hat mit dem Streben tätiger Menschen nichts mehr zu tun.“33
Als wenig progressiv und vor allem als nur vordergründig innovativ verhöhnen die Dadaisten die emotionale Schwäche und die Anbiederung der Expressionisten und erklären hingegen Dada als einen „Geisteszustand, der unabhängig von Schulen und Theorien ist, der die Persönlichkeit selbst angeht, ohne sie zu vergewaltigen.“34
5.2 D ADA
UND DAS
„P RIMITIVE “
Für das Verhältnis der Künstler Dadas zu einer „primitiven“ Kunst und zum Fremden in ganz übergeordnetem Sinne ist das Eintreten für ein unabhängiges Selbst ein entscheidendes Postulat. Hier wird die grundlegende Unvereinbarkeit mit der Kunst und Gesinnung der „Primitivisten“ markiert. Wie die „primitiven“ Objekte lässt sich auch die Kunst oder Nicht-Kunst Dadas nicht im klassischen Kanon und Kunstkontext verorten und wie die „primitiven“ Objekte verweigert auch Dada sich einer Einordnung und Klassifizierung. Eine instinktive Partei-
31 Zitat von Tristan Tzara, Franz Jung et al., vgl. Tzara, Jung et al. 1980 (1920) – Was wollte der Expressionismus, S. 35. Weitere Seitenhiebe auf den Expressionismus finden sich in nahezu jedem Text der Dadaisten, vgl. exemplarisch Huelsenbeck, Tzara 1985 (1920) – Dada siegt, S. 48ff.; Hausmann 1977 (1918) – Synthetisches Cino der Malerei; Huelsenbeck 1994 – Der Dadaismus, S. 22. 32 Zitat von Hugo Ball, vgl. Ball 1946 (1927) – Die Flucht aus der Zeit, S. 74. 33 Zitat von Tristan Tzara, Franz Jung et al., vgl. Tzara, Jung et al. 1980 (1920) – Dadaistisches Manifest, S. 38. 34 Huelsenbeck 1980 (1920) – Einleitung, S. 3.
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nahme für das instrumentalisierte, von der Alltagskultur und Kunst „vergewaltigte“ Fremde findet sich wörtlich in den Manifesten Dadas, wo es verächtlich heißt: „Die Beziehungen des gebildeten Europäers zu andern Zeiten und Ländern basieren auf der sadistischen oder masochistischen Triebhaftigkeit seines Christentums. Er ist Transvestit par excellence. [...] Sie sammeln die Skalpe des Negers und kriechen in seine Schurzfelle. Sie gehen nach Asien, um ihre Nekrophilie zu befriedigen.“35
5.2.1 Die Supranationalität der Bewegung Die tiefe Abneigung Dadas gegen Vereinnahmung und Adaption und die Verurteilung des Konsums eines differenten Anderen öffnen eine Verbundenheit der dadaistischen Bewegung mit der Fremde, die sich ganz unprogrammatisch in das Konzept der Gruppe einfügt. Während für die „Primitivisten“ Differenz noch die Grundlage der Beschäftigung mit dem Fremden ist und das Andere vor allem in seiner Markierung als anders adaptiert und instrumentalisiert wird, werden die Grenzen zwischen dem Selbst und dem Anderen in der dadaistischen Herangehensweise durchlässig. Dada versteht sich von Beginn an als eine Bewegung ohne Grenzen und Kategorien, als eine supranationale Idee: „Das Wort Dada weist zugleich auf die Internationalität der Bewegung, die an keine Grenzen, Religionen oder Berufe gebunden ist.“36 Dada ist kein Ergebnis fremder Inspiration und Adaption, so wie es der „Primitivismus“ ist, der sich am Fremden bedient, ohne es als gleichwertig zu behandeln und der sich selbst am Fremden aufrichtet. Dada versteht sich selbst als einen „Brennpunkt internationaler Energien“37, als ein Miteinander eines gleichwertigen, internationalen Stroms an Ereignissen. Jeder nationale Gedanke, jedes nationale Symbol – wie etwa auch die Institution des Museums – wird ironisiert und untergraben.38 Nationalismus
35 Zitat von Walter Mehring, vgl. Mehring 1980 (1920) – Enthüllungen, S. 66f. 36 Zitat von Tristan Tzara, Franz Jung et al., vgl. Tzara, Jung et al. 1980 (1920) – Dadaistisches Manifest, S. 39. 37 Zitat von Richard Huelsenbeck, vgl. Huelsenbeck 1980 (1920) – Erste Dadarede in Deutschland, S. 107. 38 Hierzu steht exemplarisch George Grosz’ und John Heartfields Text „Der Kunstlump“, in dem das Bild des Künstlers und der traditionellen Institution demontiert wird und in dem beide proklamieren: „Wir begrüßen mit Freude, daß die Kugeln in Galerien und Paläste, in die Meisterbilder der Rubens sausen statt in die Häuser der
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gilt den Dadaisten als Symbol des Krieges, als Symbol der Zerstörung jeglicher Menschlichkeit und in der Folge als Symbol jeglicher überkommener Vorstellungen von Kultur. Als „nationalistischen Wahnsinn“39 verhöhnen sie nicht nur die in die Krise geratene, nationalpatriotische Vaterlandsidee, sondern auch „jegliche nationalistische Beschränktheit, Dummheit, Quälerei und Verfolgung geistiger Dinge.“40 Staatsdenken oder Staatshierarchien weichen innerhalb der Bewegung der Vorstellung internationaler „Dadaländer“, die sich jeder Festlegung entziehen.41 Dada soll nicht nur alle nationalen Grenzen sprengen, sondern ein Netz spannen, das die Welt vereint und das durch die Gesten des „Zentralamtes der Weltrevolution“ und die „Weltkongresse“ seinen klasse- und rasselosen Kurs erklärt.42 Was dabei formuliert wird, setzt nicht nur einen antinationalen und damit anti-imperialistischen Akzent, sondern stellt eine fast postkoloniale Aussage dar: „Man beschuldigt Dada eines Verbrechens: deutsch zu sein! Das ist ein Holzweg. Deutsche Kunst. Gibt es vielleicht eine französische Kunst?“43 Die unwillige Frage nach der Kategorisierung von Kunst nach ihrer Herkunft stellt den ultimativen Bruch zur traditionellen Kunst und vor allem zum Exotismus der „Primitivisten“ dar. Hier liegt der grundlegende Unterschied zu den Strategien der Adaption und Instrumentalisierung: Differenz wird von Dada nicht mehr als System der Abgrenzung, als Methode der Selbstdefinition oder Selbsthilfe über das Andere akzeptiert. Das Hierarchiesystem einer eurozentristischen Gesellschaftsordnung und Kunst löst sich mit der Missachtung differenter Strukturen auf. Ohne die Grenzen eines nationalen Gefüges existieren auch die Grenzen des Selbst nicht mehr und ohne die Grenzen des Selbst wird alle Kunst zu einem gleichwertigen Prozess. Georges Ribemont-Dessaignes Frage „Gibt es
Armen in den Arbeitervierteln!“ Zitat von George Grosz und John Heartfield, vgl. Heartfield, Grosz 1981 (1920) – Der Kunstlump, S. 111. 39 Zitat von Richard Huelsenbeck und Tristan Tzara, vgl. Huelsenbeck, Tzara 1985 (1920) – Dada siegt, S. 34. 40 Zitat von Richard Huelsenbeck, vgl. Huelsenbeck 1994 – Zürich 1916, S. 58. Raoul Hausmann bringt die tiefe Abneigung und die absolute Verhöhnung des nationalen Gedankens in seinem zutiefst ironischen Text „Rückkehr zur Gegenständlichkeit in der Kunst“ zum Ausdruck, vgl. Hausmann 1992 (1929) – Rückkehr zur Gegenständlichkeit. 41 Vgl. Meyer 1994 – Dada ist die Weltseele, S. 13f.; Dickerman 2005 – Introduction, S. 1. 42 Vgl. Meyer 1994 – Dada ist die Weltseele, S. 21. 43 Zitat von Georges Ribemont-Dessaignes, vgl. Ribemont-Dessaignes 1980 (1920) – Dadaland, S. 96.
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vielleicht eine französische Kunst?“ zerstört die Problemstellungen einer Kategorisierung außereuropäischer Kunst, sie zerstört die Diskussionen um ethnologische oder kunstwissenschaftliche Einordnung. Während die „Primitivisten“ dem tradierten Hierarchiesystem der Differenz folgen, sich kolonialen Strukturen unterordnen und sich das Fremde nur mit den Vorzeichen kolonialer Ideologie überstülpen, schafft die Dada-Gruppe den Grundgedanken für eine gleichwertige Anerkennung des Fremden. Während die „Primitivisten“ das Fremde durch Aneignung zu adeln vorgeben, schlagen die Dadaisten eine Schneise für die Betrachtung einer internationalen Kunst, die keiner Kategorie untergeordnet und als gleichwertige Leistung behandelt wird. Die supranationale Idee äußert sich nicht nur in den vielen Abteilungen Dadas in Europa44, sondern sie öffnet die Bewegung auch innerhalb ihrer Aktionen für eine grenzenlose Kunst. Die Künstler der Dada-Gruppe erschöpfen sich nicht in den Beschreibungen von Besuchen in Völkerkundemuseen und sinnieren auch nicht wie ihre Kontrahenten des „Primitivismus“ über die Formgewalt und Aussagekraft der „primitiven“ Objekte. Und doch geht deren Konjunktur in der europäischen Museums- und Sammlungslandschaft nicht an ihnen vorbei – im Gegenteil. So ist etwa bemerkenswert, dass die „Galerie Dada“, mit der 1917 die erste Dada-Ausstellung eröffnet wird, durch die Bereitstellung der Räumlichkeiten des Schweizer Galeristen Han Coray ermöglicht wird – in den Räumlichkeiten also, in denen Coray seine eigene, umfangreiche Sammlung afrikanischer Objekte präsentiert.45 Auch im Verlauf der Ausstellungen der „Galerie Dada“ wird die Sammlung der afrikanischen Objekte parallel gezeigt.46
44 Die Dokumentation der Internationalität der Dada-Bewegung, die in jeder Betrachtung Dadas automatisch enthalten sein muss, wurde 1994 im Kunsthaus Zürich mit der Ausstellung „Dada global“ explizit bearbeitet. Hier und im zugehörigen Ausstellungskatalog werden auch kleinere Chapter neben den großen Gruppen in Zürich, Berlin, Köln und Paris besprochen und Dada in seinem internationalen Umfang dargestellt, vgl. Meyer, Hossli et al. (Hg.) 1994 – Dada global. Tom Sandqvist fügt 2006 eine umfangreiche Abhandlung zu den osteuropäischen Abteilungen Dadas hinzu, vgl. Sandqvist 2006 – Dada East. The Romanians. Auch Rudolf Kuenzli präsentiert 2006 die globale Bandbreite der Bewegung, vgl. Kuenzli (Hg.) 2006 – Dada. Themes and Movements. 45 Vgl. Ball 1946 (1927) – Die Flucht aus der Zeit, S. 142; Verkauf 1965 (1958) – Ursache und Wirkung des Dadaismus, S. 11; Richter 1964 – DADA, S. 70. 46 Die Geschichte und Dokumentation der Sammlung Han Corays wurde 1996 aufgearbeitet und in einer Ausstellung im Völkerkundemuseum der Universität Zürich mit
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5.2.2 Die Performativität der Bewegung Die Berührungspunkte mit dem Fremden, Primitiven sind auch bei den Künstlern Dadas zahlreich, auch wenn sie in den öffentlich geführten Debatten um das Primitive und die Kunst Dadas nicht in Erscheinung treten. Doch das Primitive ist, in all seinen Erscheinungsformen, aufgrund seiner Randposition in der Gesellschaft ein ideales Instrument, das von den Künstlern Dadas in ihrer ikonoklastischen Absicht gespielt werden kann. Nicht nur ist das „Primitive“ im allgemeinen Kunstverständnis nicht anerkannt. Es bildet zudem den Stoff zeitgenössischer, institutioneller Diskussionen und die Grundlage einer expressionistischen Kunst, die von den Dadaisten so zutiefst abgelehnt wird. Das eigene Aufgreifen „primitiver“ Elemente und deren vollkommen andersgestaltiger Einsatz grenzt das dadaistische Schaffen von der allgemeinen Repräsentation und Rezeption des Fremden ab. Die Künstler Dadas sprechen nicht mit den Worten einer traditionellen Kunst oder Kunsttheorie über das Fremde, sondern sie nutzen es in seinem Kern, um eine gegenseitige Verbundenheit und Verbündung gegen das traditionelle System auszudrücken. Was sie aus den Kunstäußerungen primitiver Völker herausziehen, ist tatsächlich deren Quintessenz: Es ist die Performativität des Primitiven, das dem aktionistischen Drang der Bewegung präzise entspricht. Nicht die Formen „primitiver“ Objekte und deren Erschließung für den eigenen Kontext oder die emotionale Hinwendung zum Exotischen sind für die Aktionen Dadas interessant, vielmehr fesseln die abstrakten Ideen von Tanz, Musik und Ritual. Nicht die Gestalt der fremden Kulturen ist für die Künstler Dadas attraktiv, sondern deren lebendige Ausführung. Das Ritual, das in seiner magischen und religiösen Funktion als urtypisches Element primitiver Gesellschaften gilt,47 stellt mit seinen Kerneigenschaften Funktionen und Praktiken zur Verfügung, die den Intentionen Dadas genau entsprechen.48 Nicht nur gelten Rituale als kommunikative Prozesse, die die Schaf-
Begleitkatalog dokumentiert, vgl. Szalay (Hg.) 1995 – Afrikanische Kunst aus der Sammlung Han Coray. 47 Zum Ritual in afrikanischen Gesellschaften gibt es – ebenso wie zur Ritualtheorie (vergleiche Fußnote 47) – unzählige Abhandlungen und fallspezifische Beschreibungen. Darum können hier nur exemplarisch genannt werden Avorgbedor (Hg.) 2003 – The interrelatedness of music; Comaroff, Comaroff (Hg.) (1993) – Modernity and Its Malcontents; Larlham 1985 – Black Theater; Okagbue 2007 – African Theatres and Performances. 48 Die Ritualtheorien und Ansätze der „ritual studies“ sind so zahlreich und differenziert, dass das Ritual hier nur in Auszügen und in seinen wichtigsten Charakteristiken be-
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fung oder Intensivierung von Gemeinschaft mit sich bringen, sie stehen vielmehr vor allem in Zeiten sozialer Umbrüche und Unsicherheiten als strukturgebende Maßnahmen, die in ihrer ordnenden Funktion Halt und Sicherheit gewähren und eine individuelle wie auch gemeinschaftliche Identität bilden können.49 In den zehner und zwanziger Jahren des zwanzigsten Jahrhunderts, die von der Krise des Krieges ebenso erschüttert sind, wie von den Umbrüchen einer modernen Lebenswelt, ist die Beeinträchtigung individueller Stabilität wie auch der Gedanke des Verlusts von Gemeinschaftlichkeit traumatisch. Auf dieser Basis, auf der auch der dadaistische Geist beruht, wird das Ritual innerhalb der Gruppe zu einer Taktik, mit der man sich gemeinschaftlich gegen die Tendenzen der Zeit stellen und für eine neue Form der Gesellschaftsbildung eintreten kann. In gemeinsam aufgeführten Handlungen wie etwa den Simultangedichten sammeln sich die individuellen Stimmungen und Gedanken des Einzelnen und fügen sich zu einem kollektiven Gefühl zusammen, das eine Gruppe mit einer gemeinsamen Basis, einer gemeinsamen Identität zu schaffen vermag. Das Muster genau wie die Folge des typischen Rituals entspricht dem für die Dada-Bewegung typischen Dualismus: Auf der einen Seite stehen die einzelnen, dominanten Individuen, die für sich selbst auftreten und die auch in ihren Manifesten an gegenseitiger Kritik nicht sparen. Auf der anderen Seite gibt es eine starke Gruppenidentität, die sich durch die gemeinsamen Aktionen der dadaistischen Soiréen einstellt; nicht die einzelnen Positionen, sondern der Gedanke des gemeinsamen
schrieben werden kann. Die unterschiedlichen Ansätze und Theorien, die Fragen nach Funktion und Wirkung von Ritualen und die Problematik einer allgemeinen oder einer fallspezifischen Annäherung sind so zahlreich wie die verschiedenen Rituale der unterschiedlichen Lebens- und Forschungsbereiche selbst. Umfangreiche Übersichten über die historisch bedeutendsten Ansätze der Ritualforschung sowie eine Zusammenstellung aktueller Theorien und Texte geben unter anderem Stewart, Strathern (Hg.) 2010 – Ritual; Wulf (Hg.) 2004 – Die Kultur des Rituals und Belliger, Krieger (Hg.) 2006 – Ritualtheorien. Hier finden sich auch die Begriffsdefinitionen des „Performativen“, der „Performance“ und deren Abgrenzung oder Übereinstimmung zum „Ritual“-Begriff. Auch hier gibt es zahlreiche Ansätze, die sich auf den gemeinsamen Nenner bringen lassen, dass die Performativität, die Performance das phänomenale Geschehen, den Prozess eines Rituals beschreibt, wohingegen beim Ritual selbst dessen Struktur und Funktionen im Fokus liegen. Vgl. Wulf, Zirfas 2004 – Performative Welten, S. 39. Eine kurze Einordnung Dadas in den Kontext des Rituals gibt Cornelius Partsch, vgl. Partsch 2006 – The Mysterious Moment. 49 Vgl. Wulf, Zirfas 2004 – Performative Welten, S. 7; Belliger, Krieger 2006 – Einführung, S. 10f.
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Anliegens einer Zerstörung der gesellschaftlichen Zwänge macht den Kern der Dada-Bewegung aus. Das Ritual der Soiréen im Gesamten, aber auch die Aktionen für sich, vermitteln zwischen der individuellen Identität des Einzelnen und der Gemeinschaft der Gruppe.50 Dass diese Gruppe der Ritualteilnehmer, die Victor W. Turner als „Communitas“ bezeichnet, nicht innerhalb der größeren Gemeinschaft der Gesellschaft eingegliedert ist, sondern sich davon abgrenzt und sich vor allem in der Gegenüberstellung und Isolierung als Gegensatz zur vorkonditionierten, institutionalisierten Sozialstruktur positioniert, verweist ebenfalls auf die für die Ideen Dadas prädestinierte Taktik des Rituals: Die Dada-Gruppe, die sich als Abgrenzung zu den Regeln und Normen der Gesellschaft versteht und die mit ihren Aktionen gezielte Attacken auf ebenjene versucht, findet im Ritual den Vermittlungsschritt, der eine Brücke zwischen der Gesellschaft als strukturiertem, traditionellem System und deren Neukonstituierung schlägt: Das Ritual setzt der Struktur eine Anti-Struktur gegenüber, mit dem Ziel, zu einer neuen Struktur zu finden.51 Das Potenzial, das die Mitglieder der Communitas in dem Moment erleben, in dem gemeinschaftlich Konventionen aufgelöst werden und in dem eine Transformation stattfindet, die das Chaos ordnen kann, ist für die Dynamik der Dada-Bewegung bezeichnend; für sie stellt genau dieser Moment das Handlungsfeld dar, mit dem zu einer Veränderung traditioneller Formen geführt werden kann.52 Körperlichkeit und Sprache haben beim dadaistischen Ritual eine gleichermaßen große Bedeutung: Beide drücken Handlung statt Diskurs aus, beide stehen für eine performative Darstellung von mentalen Prozessen, die eine Kommunikation anbietet, ohne auf die regelhaften gesellschaftlichen Werkzeuge zurückzugreifen. Die Aktionen Dadas, die die Sprache sprengen und das Wort an den Körper, an Gestik und Mimik binden, sind wie das Ritual buchstäblich beschreibbar als ein „Handlungsgefüge, das durch und in seinem Prozess dasjenige hervorbringt, was es vollzieht.“53 Die Sprache, die von der Dada-Gruppe als gemeinschaftliches Werkzeug benutzt wird und die Teil der Abgrenzung von der Gesellschaft ist, steht im Kontext körperlicher Praxis, die wiederum auf die Richtigkeit gemeinsamen Handelns und nicht auf die Wahrheit von Aussagen innerhalb des Rituals verweist; erst als performative Handlung wird sie zum Ereignis, das neue Ordnungen schaffen und
50 Vgl. Bergesen 2006 – Die rituelle Ordnung, S. 49ff. 51 Vgl. Turner 2006 (1989) – Liminalität und Communitas, S. 249ff. 52 Vgl. Wulf, Zirfas 2004 – Performative Welten, S. 27; Belliger, Krieger 2006 – Einführung, S. 16f.; Partsch 2006 – The Mysterious Moment, S. 40f. 53 Zitat von Christoph Wulf und Jörg Zirfas, vgl. Wulf, Zirfas 2004 – Perfomative Welten, S. 39.
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Effekte auf den Zuschauer ausüben kann.54 Nur mit der Vorführung vor einem Zuschauer und dessen Reaktion, die Teil des Rituals ist – und die von den Dadaisten nach ihren Soiréen höchst aufmerksam verfolgt, gesammelt und kommentiert wird55 – werden die Performance und damit das rituelle Handeln vervollständigt; nur mit der Vermittlung des Wissens und Inhalts, die das Ritual überbringt, ist die kommunikative, gemeinschaftsbildende Funktion des Rituals erfüllt. Entgegen des Ernstes religiöser Rituale bleibt das dadaistische Ansinnen innerhalb der Performances dabei immer spielerisch und spontan: Als „Feier“, als „expressives rituelles Spiel“56 finden ihre Performances statt; der Witz und die Clownerie sind wichtiges Element bei der dadaistischen Gegenüberstellung von Ordnung und Chaos und bedeutender Faktor für die Vitalität ihrer Rituale.57 Wenn Ronald Grimes bei seiner Kategorisierung von Ritualtypen den Typus der „Feier“ beschreibt, findet er Worte, die den Selbstcharakterisierungen der Dadaisten zum Verwechseln ähneln: „In unseren Roben und heiligen Gewändern sehen wir irgendwie stets wie Clowns aus. Unser liturgischer Glanz ist durchschaubar wie des Königs neue Kleider. [...] Irgendwo lauern immer ein Grinsen und ein Purzelbaum – losgelöst von den Ritualteilnehmern und dennoch mit ihnen spielend.“58
Ganz im Sinne des Konzeptes des Karnevals nach Bachtin nutzen die Dadaisten ihre Form des Festes als ein parodistisches Umkehren der Hochkultur, als Zeremonie, mit der die traditionellen kulturellen Werte unterlaufen, Hierarchien untergraben und gesellschaftliche Tabus zelebriert werden können.59 Die Rituale und Performances der Dadaisten verfolgen kein konkretes Ziel und keinen Gewinn, sie sind zunächst nur Ausdruck und Reaktion. Vor allem aber sind sie Fiktion: Der Wahrheitsanspruch der Figuren und Gesten, ihre Authentizität ist während des Rituals nicht relevant, künstliches Rollenverhalten ist Teil der Perfor-
54 Vgl. Wulf, Zirfas 2004 – Perfomative Welten, S. 19, S. 29 und S. 39. 55 Zeitungsartikel und Kommentare zu den Dada-Soiréen finden in allen dadaistischen Textsammlungen ihren Platz, erst die Reaktionen der Zuschauer vervollständigen die Aktionen. 56 Zitat von Ronald Grimes, vgl. Grimes 2006 (1995) – Typen ritueller Erfahrung, S. 130. 57 Vgl. Rappaport 2006 (1979) – Ritual und performative Sprache, S. 208. 58 Zitat von Ronald Grimes, vgl. Grimes 2006 (1995) – Typen ritueller Erfahrung, S. 129. 59 Vgl. Bachtin 1995 (1965) – Rabelais und seine Welt, S. 58f.
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mance.60 Das Spiel der Dadaisten ermöglicht eine zeitweilige Abgrenzung von dem normierten Leben in einer normierten Gesellschaft, es vollzieht eine Trennung, deren Spannung darin liegt, dass der Ausgang des Spiels nicht vorhersehbar ist.61 Für die Umsetzung der dadaistischen Ziele zeigen sich das Ritual und seine Performativität wie geschaffen: Mit den rituellen Handlungen der Dada-Soiréen gelingt nicht nur die Bildung einer Gemeinschaft, sondern vor allem eine Abgrenzung der Gruppe zum Rest der Gesellschaft – das „Wir“, die eigene Solidarität untereinander, steht dem „Ihr“ der „Anderen“ gegenüber, die aus dem Ritual ausgeschlossen sind und damit auch nicht an dem Wissen teilhaben, das während des Rituals an alle Teilnehmenden und Beobachtenden vermittelt wird.62 Die materielle Produktion von Kunst wird in den Performances durch körperliches Handeln ersetzt, die Gegensätze zwischen Denken und Handeln überwunden und dadurch der Bruch mit der Kunst und ihren Regeln vollzogen: Körperlich statt rational, aktiv statt kontemplativ setzen sich die Dadaisten von den Normen der Kunst ab.63 In Form ihres rituellen Charakters werden die primitiven Elemente von Beginn an ein konstanter Bestandteil der Soiréen des Cabaret Voltaire und der Manifeste der Dada-Gruppe. Anstatt das Primitive jedoch zu adaptieren, wird es integriert: Immer wieder tauchen „musique et danse nègres“, „sculptures nègres“ oder „poèmes nègres“64 in den Programmen der Veranstaltungen des Cabaret Voltaire auf, wo sie zu einem festen Bestandteil der Abende werden, ohne explizit als das differente Andere thematisiert zu werden. Die sogenannten „Negertänze“ oder „Negergedichte“ werden als ebensolche vorgeführt, ohne eine Umbenennung und Eingliederung unter dem Stichwort „Dada“ zu erfahren. Sie bleiben selbständige Elemente, die mit dem Entzücken der Dadaisten, jedoch ohne die Proklamation von Entdeckung oder Besitzergreifung zur Aufführung gebracht werden. Die Begeisterung für die fremden Tänze, die Musik und die Gedichte liegt in der direkten Übertragbarkeit ihrer innersten Beschaffenheit, die
60 Vgl. Grimes 2006 (1995) – Typen ritueller Erfahrung, S. 130. 61 Vgl. Tambiah 2006 (1979) – Eine performative Theorie des Rituals, S. 226. 62 Vgl. Grimes 2006 (1995) – Typen ritueller Erfahrung, S. 124; Jennings Jr. 2006 (1982) – Rituelles Wissen, S. 158ff. 63 Vgl. Belliger, Krieger 2006 – Einführung, S. 10; Jennings Jr. 2006 (1982) – Rituelles Wissen, S. 160. 64 Zahlreiche Beispiele finden sich unter anderem in den Abendprogrammen, die im Dada-Almanach abgedruckt sind, vgl. Huelsenbeck (Hg.) 1980 (1920) – Dada Almanach, S. 17, S. 18 und S. 19.
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den Ideen Dadas ganz elementar entspricht: Die Gedichte und die Musik sind nicht mit einem traditionellen, westlich-ästhetischen Maßstab zu messen. Sie sind abstrakt, basieren auf Rhythmus und Lärm und sie sind völlig von der Notwendigkeit gelöst, Gesetzmäßigkeiten zu unterliegen oder formalen oder figurativen Vorgaben zu entsprechen.65 Hauptsächlich Richard Huelsenbeck bringt den Aspekt „primitiver“ Musik in die Veranstaltungen des Cabaret Voltaire ein. Er gilt als regelrecht „besessen von dem Takt der Negerrhythmen“66 und will deren Einsatz in den Aktionen der Gruppe verstärkt sehen.67 Die schwarze Musik, die Huelsenbeck in wilden Trommel-Performances nachempfindet, gilt aufgrund ihres mitreißenden Charakters als Störung der europäischen Hierarchien und Schranken, als Störung jeglicher Regelhaftigkeit. Im Gegensatz zur Musik Europas ist die schwarze Musik nicht an Noten und Vorgaben gebunden; sie wird spontan produziert und besteht nicht aus Tonhöhen oder Melodien, sondern allein aus Rhythmen. Dem seriösen, theoretischen und lebensfremden Charakter weißer Musik wird so ein Pendant entgegengesetzt, das spontan und vital, das elementar und sogar dämonisch aufgefasst wird.68 Empfindung ist Ursache und Ziel der „Negerrhythmen“, die gesehen und gehört werden, anstatt wie die europäische Musik nur er- und gedacht zu werden.69 Im Sinne der dadaistischen Absicht, alle Regeln der Kunst aufzulösen, bietet der spontane Geist der schwarzen Musik, ihr Lärm und ihre Regellosigkeit den idealen Soundtrack der Bewegung; sie entfaltet die Rhythmen, alle Kultur „[...] in Grund und Boden [zu] trommeln.“70 Die ursprünglich soziale Bestimmung der „primitiven“ Musik, die für rituelle Handlungen vorgesehen und so etwa bei Feierlichkeiten oder magischen Beschwörungen eingesetzt wird,71 integriert das rhythmische Trommeln umso mehr in den Kontext Dadas: Auch die Handlungen innerhalb des Cabaret Voltaire ähneln einer magischen Beschwörung, bei der die Beteiligten mit ironischer Ernsthaftigkeit, durchaus aber auch mit religiöser Andächtigkeit ihre Ideen einer neuen Kunst inszenieren:
65 Vgl. Dachy 2006 – Dada. The revolt of Art, S. 14; Simons 2004 – Schwarze Dichtung erobert Europa, S. 481. 66 Zitat von Hans Richter, vgl. Richter 1964 – DADA, S. 18. 67 Vgl. Ball 1946 (1927) – Die Flucht aus der Zeit, S. 72. 68 Vgl. N’guessan 2002 – Primitivismus und Afrikanismus, S. 83ff.; Klein, Blaukopf 1965 (1958) – Dada in der Musik, S. 70.; Carl 2006 – Reisen im kolonialen Raum, S. 221ff. 69 Vgl. N’guessan 2002 – Primitivismus und Afrikanismus, S. 87. 70 Zitat von Hugo Ball, vgl. Ball 1946 (1927) – Die Flucht aus der Zeit, S. 72. 71 Vgl. N’guessan 2002 – Primitivismus und Afrikanismus, S. 84.
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„Da erlosch, wie ich es bestellt hatte, das elektrische Licht, und ich wurde vom Podium herab schweißbedeckt als ein magischer Bischof in die Versenkung getragen.“72 Mit dieser Beschreibung äußert sich Hugo Ball zu einem Vortrag von Lautgedichten, mit denen er 1916 einen Auftritt im Cabaret Voltaire bestreitet – eine Inszenierung, die Ball mystifizierend als Moment ritueller Offenbarung beschreibt. Meist parallel zum ohrenbetäubenden Trommeln und Lärmen der sogenannten „Negerrhythmen“ aufgeführt, bilden auch die Lautgedichte eine direkte Verbindung zum Primitiven. Wie die schwarze Musik liefern auch sie den Aktionen Dadas den Stoff für einen ehrlichen und direkten Weg der Sinnesäußerung. Der Gedanke einer Desorganisation von Sprache und die Idee ihres Wiederaufbaus ohne Regeln und Strukturen scheinen von der schwarzen Dichtung vorgezeichnet: Wie die „primitive“ Musik gilt auch die „primitive“ Dichtung als unberührt von einem europäischen Akademismus, als unbeschränkt von den festen Grenzen der Rhetorik, Grammatik und des Reims.73 Ohne den ornamentalen Charakter eines schönen Sprachstils und ohne den Filter des Erdachtseins gelten die „Negerdichtung“ und deren mündliche Überlieferung als ehrlicher und direkter Ausdruck menschlichen Lebens, dessen natürliche Werte keiner Form untergeordnet werden.74 Im Verzicht auf Wort und Satzstruktur wird das „primitive“ Gedicht zu einem magischen, geheimnisvollen Klang, der eine ebenso magische und geheimnisvolle Wirkung ausübt. Wie die Rhythmen der primitiven Völker ergeben auch die Laute ihrer Gedichte in der dadaistischen Interpretation keine nachvollziehbare Bedeutung; oft unverständlich und mit sich immer wiederholenden Silben und Lauten bilden sie statt eines Sinns einen Zauber, der sich durch Wiederholung, Rhythmus und beschwörenden Vortrag über das Publikum legt.75 Auch bei der „Negerdichtung“ steht der mythische, religiöse Zweck und ihr somit sozial bedingtes Zustandekommen im Gleichklang mit der performativen Absicht der dadaistischen Vision. Obwohl viele der beteiligten Künstler wie etwa Tristan Tzara, Richard Huelsenbeck oder auch Carl Einstein afrikanische Märchen und Legenden sammeln und herausgeben,76 ist das Interesse an der „primitiven“ Dichtung für die Bewegung im Gesamten doch vollkommen unthematisch. Es ist die Wirkung und nicht der Inhalt, die im Dienste der Dadaisten
72 Zitat von Hugo Ball, vgl. Ball 1946 (1927) – Die Flucht aus der Zeit, S. 100. 73 Vgl. N’guessan 2002 – Primitivismus und Afrikanismus, S. 71. 74 Vgl. Tzara 1918 – Note 12 sur la poésie nègre, S. 262. 75 Vgl. N’guessan 2002 – Primitivismus und Afrikanismus, S. 69. 76 Vgl. exemplarisch Tzara 1980 (1920) – Negerlieder; Einstein 1925 – Afrikanische Legenden.
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nutzvoll ist und so wird zwar gesammelt, hauptsächlich jedoch vorgetragen. Auch wenn die „poèmes nègres“ mit aller Ernsthaftigkeit angekündigt und aufgeführt werden, sind sie keineswegs immer tatsächlich afrikanischen Ursprungs. Tristan Tzara und Richard Huelsenbeck erfinden „Negergedichte“ ebenso, wie sie auch wirklich afrikanische Dichtung verwenden.77 Es spielt keine Rolle, dass Huelsenbeck sowohl seine erfundenen als auch echte afrikanische Gedichte mit einem pathetischen und unauthentischen „Umba, umba“ beendet und dass er trotz des Protests von Kennern der afrikanischen Dichtung78 „von keiner Gewalt auf Erden“79 davon abgebracht werden kann, diese Laute mit Inbrunst einzubauen. Auch der Kontext der Gedichte ist nicht von Belang: „Auch von den Negern nehmen wir nur die magisch-liturgischen Stücke [...]. Wir drapieren uns als Medizinmänner mit ihren Abzeichen und ihren Extrakten, erlassen uns aber gerne den Weg, auf dem sie zu diesen ihren Kult- und Paradestücken gekommen sind.“80
Den Weg des emotionalen Erkennens, den die „Primitivisten“ bei ihrer Beschäftigung mit dem Primitiven zu gehen vorgeben, sparen sich die Künstler Dadas. Sie vollziehen nicht die intellektuelle Anteilnahme am Primitiven nach, sondern sie verwirklichen den Austausch kultureller Praktiken über die Grenzen des Eigenen und des Fremden und über die Grenzen kultureller Rahmenbedingungen hinaus. Die Eigenschaft afrikanischer Dichtung, Allgemeingut zu sein und von jedem und allen gemacht werden zu können, ihr ritueller Einsatz sowie ihre Regellosigkeit charakterisieren die „primitive“ Dichtung als brauchbares Werkzeug bei der Erneuerung der Kunst. Ohne sie nur in einem Abbild nachzuzeichnen und sie damit erneut in ein System einzupflanzen, nutzen die Künstler Dadas die „primitive“ Dichtung, erhalten ihre performative Struktur und machen sie zu ei-
77 Vgl. Huelsenbeck 1957 – Mit Witz, Licht und Grütze, S. 20f.; Huelsenbeck 1984 (1920) – En avant Dada, S. 23; Maldonado Alemán 2012 – Die Konstruktion des Anderen, S. 172. 78 Der Gastgeber des Cabaret Voltaire, Restaurantwirt Ephraim, lebte einige Zeit in Afrika und unterstützt die Vorträge der „Negerdichtung“ sowohl durch seine Quellen, als auch durch Erinnerungen. Er dient der Gruppe als authentische Quelle, deren Ratschläge die Künstler auch befolgen, vgl. Huelsenbeck 1957 – Mit Witz, Licht und Grütze, S. 20f. 79 Zitate von Richard Huelsenbeck, vgl. Huelsenbeck 1957 – Mit Witz, Licht und Grütze, S. 20 und S. 21. 80 Zitat von Hugo Ball, vgl. Ball 1946 (1927) – Die Flucht aus der Zeit, S. 159f.
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nem Bestandteil der dadaistischen Strategie. Die afrikanische Dichtung ist nie nur die Quelle einer neuen Idee, sondern bleibt eine Zutat bei der Entwicklung des heterogenen, dadaistischen Konzepts, dessen Performativität schließlich von Marcel Janco auf eine weitere Ebene geführt wird. Unterlegt von dem Lärm der Trommeln und den Vorträgen der Lautgedichte bringt Marcel Janco Masken zur Aufführung, die er mit einfachsten Mitteln aus Pappe, Papier und Leinen herstellt und mit denen er das sensitive und rituelle Erleben der Aktionen Dadas befeuert.81 Hugo Balls oft zitierte Schilderung der Wirkung der Masken Jancos beschreibt deren unausweichlich lebendigen Charakter, der sich wie ein Zwang über ihre Träger legt: „Die Maske verlangte nicht nur sofort nach einem Kostüm, sie diktierte auch einen ganz bestimmten pathetischen, ja an Irrsinn streifenden Gestus. [...] Die motorische Gewalt dieser Masken teilte sich uns in frappierender Unwiderstehlichkeit mit. [...] Die Masken verlangten einfach, daß ihre Träger sich zu einem tragisch-absurden Tanz in Bewegung setzten. [...] Was an den Masken uns allesamt fasziniert, ist, daß sie nicht menschliche, sondern überlebensgroße Charaktere und Leidenschaften verkörpern. Das Grauen dieser Zeit, der paralysierende Hintergrund der Dinge ist sichtbar gemacht.“82
Janco kopiert mit der Schaffung seiner Masken nicht die „primitiven“ Masken oder deren Form. Er nähert sich stattdessen der Urbestimmung dieser eigentlich doch rituellen Gegenstände an und versetzt sie in eine neuerliche Atmosphäre der Aktion. Im Gegensatz zu den „Primitivisten“, die die Gestalt der Masken kopieren und sie in ihrer Malerei oder ihren Skulpturen in eine erstarrte Situation zwingen, finden sie in Jancos Nachgestaltung und im Einsatz des Cabaret Voltaire zu ihrer Kernaufgabe zurück: Sie lösen den Träger von seiner Umwelt, befreien ihn von seiner Verwurzelung in Raum und Zeit und ermöglichen dem Körper die Ausführung des Rhythmus, den Sprache und Musik vorgeben. Janco führt die Idee der Maske aus, indem er sie zum dominanten Element macht, das dem Träger jegliche Kontrolle seines Tuns vorschreibt. Er ergänzt die Sprachund Klangexperimente der dadaistischen Soiréen um einen weiteren Aspekt, mit dem er das Kunstschaffen von einer erstarrten Regelhaftigkeit befreit und in eine darstellende Form überführt. Die Masken Jancos leiten die Körper der Akteure an und bringen die abstrakten Tänze, die ebenso regelmäßiger Bestandteil des Cabaret Voltaire sind, in den Kontext des Primitiven: Wie „ein Gongschlag genügt, um den Körper der Tänze-
81 Vgl. Seiwert 1993 – Marcel Janco, S. 324. 82 Zitat von Hugo Ball, vgl. Ball 1946 (1927) – Die Flucht aus der Zeit, S. 89f.
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rin zu den phantastischsten Gebilden anzuregen“ und wie das „Nervensystem [...] alle Schwingungen des Klanges [erschöpft]“ und „Bild werden“83 lässt, übernehmen auch die Masken die Verantwortung für die Bewegungen und unterwerfen die Körper dem ersehnten Verlust des Intellekts. „Die Neger tanzen mit ihren Sinnen“, ihr Tanzen ist eine „einzige Herausforderung an das moralische Europa.“84 Und genauso wird auch der dadaistische Tanz zum Bestandteil der Sinne übergreifenden Performances, mit denen sich die DadaGruppe den Grenzen der eigenen Kultur ab- und der Intuitivität der primitiven Kulturen zuwendet. Hannah Höch und Sophie Täuber-Arp, die in ähnlicher Weise wie Marcel Janco mit Dada-Puppen und Marionetten arbeiten und die deren kindliche Konnotationen und das Spiel nutzen, um geistige Schwerelosigkeit und Energie freizusetzen, machen die Bedeutung des primitiven Rituals noch einmal deutlicher: Auch Höch und Täuber-Arp nutzen mit ihren Puppen die Möglichkeit, aus den Schranken des definierten Selbst auszutreten und sich mit der Konzentration auf die Puppe auf ein übergeordnetes Ich auszurichten. Spielerisch erarbeiten sie mit der Gegenüberstellung der kindlichen Marionette mit ihrem eigenen Körper das Gefühl, dass die Befreiung des Selbst durch eine Übertragung aller vernunftgelenkten Handlungen auf ein rituelles Objekt möglich wird.85 Marcel Jancos Masken wie auch Hannah Höchs Dada-Puppen thronen niemals als Abbilder über dem dadaistischen Geschehen, sondern sie sind Teil der aktivierenden Energie der Veranstaltungen Dadas. Die „Negergedichte“ und „Negerlieder“ dienen nicht einer exotistischen Flucht in eine ursprüngliche, unkomplizierte Lebenswelt, sondern sie sind Werkzeuge der Erneuerung der eigenen Realität. Die Künstler der Dada-Gruppe flüchten sich nicht in das primitive Fremde, sondern sie aktivieren es, schalten es ihren eigenen Ideen gleich und benutzen seine Inhalte, anstatt nur seine Formen zu besingen. Auch die Dadaisten wählen das Fremde, das Primitive, um die Traditionskultur zu unterlaufen. Anders als die „Primitivisten“ jedoch, die das Fremde nur in ein tradiertes System einzwingen und sich an seinen kunstfähigsten Bestandteilen bedienen, nutzen die Dadaisten die Aspekte der fremden Kulturen in ihrer grundlegendsten Eigenschaft: Sie ziehen die Performativität als Grundessenz aus der Dichtung, der Musik und dem Tanz und machen ihrerseits den performativen Akt zum Material eines neuen Aufbaus der Kunst. Eine Episode abseits des Züricher Cabaret Voltaire vermittelt, was für eine elementare Rolle das „Fremde“ für die Performance, für das Ausbrechen aus den
83 Zitate von Hugo Ball, vgl. Ball 1946 (1927) – Die Flucht aus der Zeit, S. 145. 84 Zitate von Yvan Goll, vgl. Goll 1983 (1926) – Die Neger erobern Europa, S. 257. 85 Vgl. Bergius 1981 – Dada als Buffonade und Totenmesse, S. 215.
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traditionellen Regeln westlicher Kultur auch jenseits formaler Lösungen spielt. Der in Lausanne geborene Arthur Cravan gilt als die kompromissloseste und kriegerischste Figur der Dada-Bewegung. Er lebt den dadaistischen Zerstörungsdrang bis zur Zerstörung seiner selbst, beleidigt und greift die Welt an und macht sein Leben selbst zu einer einzigen Performance zwischen selbstgeschaffenen Identitäten, kriminellen Energien und schonungslosen Aktionen.86 Cravan, der sich als unfähig bezeichnet, in Übereinstimmung mit der Gesellschaft zu leben, erfindet für sich unzählige Persönlichkeiten, die seine Auffassung spiegeln, sein subjektives Selbst bestehe nicht aus Einigkeit, sondern aus tausend verschiedenen Seelen, die seinen Körper bewohnen. Die Eingrenzung und Festlegung des Subjekts, der Cravan sich so vehement widersetzt, sieht er vor allem durch die Fixierung des Menschen durch seine Herkunft, durch seine Nation und seinen Staat gegeben.87 Das dadaistische Konzept der Zerstörung des Nationengedankens und der Bindung von Subjektivität an ein staatliches System wird von Cravan auf persönlicher Ebene ausgeführt, er macht es zur Grundlage seines Lebens und seiner Aktionen. Cravan, der es auf durch und durch dadaistische Weise durch Zufälle und Absagen von Gegnern zu einigen Titeln als Amateurboxer gebracht hat, ohne jemals im Ring gestanden zu haben, organisiert 1916 einen Boxkampf, mit dem er die internationale Moral offen kompromittiert. Cravan fordert seinen Freund, den schwarzen amerikanischen Boxer Jack Johnson, zu einem Kampf heraus. Johnson ist zu dieser Zeit bereits die Hassfigur des amerikanischen Sports. Als schwarzer Sportler brüskiert er allein durch seinen Körper weiße Gegner, die sich oft weigern, gegen ihn anzutreten.88 Rassistische und vulgäre Berichterstattungen begleiten seinen Erfolg im Sport.89 Als er sich 1909 zum ersten afroamerikanischen Schwergewichtschampion hochkämpft, kommt es zum Eklat; Johnson wird zu Unrecht wegen unterschiedlicher Verbrechen verfolgt, er muss ins Exil nach Frankreich. Der sich als „Mysterious Sir Arthur Cravan“90 vorstellende Cravan inszeniert den geplanten Kampf, indem er provokativ Johnsons gesellschaftlichen Makel unterstreicht: Er bevorzugt „un jaune à un blanc, un nègre
86 Zu Person, Leben und Aktionen Arthur Cravans vgl. Richter 1964 – DADA, S. 88ff.; Weidner (Hg.) 2004 – Legal, illegal, S. 29ff.; Lacarelle 2010 – Arthur Cravan; Jones 2006 – To Be or Not. 87 Vgl. Jones 2006 – To Be or Not, S. 202ff. 88 Vgl. Lacarelle 2010 – Arthur Cravan, S. 119. 89 Vgl. Dachy 2006 – Dada. The revolt of Art, S. 66. 90 Vgl. Lacarelle 2010 – Arthur Cravan, S. 128.
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à un jaune et un nègre boxeur à un nègre étudiant.“91 Mit Johnson und Cravan treffen zwei Männer aufeinander, die sich, Lebemänner zwischen Gesellschaft und Unterwelt, gegen das Leben stellen, wie es die Gesellschaft vorschreibt oder anerkennt.92 Mit dem Boxkampf inszeniert Cravan nur vordergründig den Sport. Tatsächlich bringt er zwei Subjekte auf die bildhafte Bühne des in einer StierkampfArena in Barcelona errichteten Boxrings, die beide die Gesellschaft nur aufgrund ihrer Persönlichkeit provozieren: Allein der Körper Johnsons macht ihn zum Aussätzigen, allein Cravans Herausforderung des Freundes macht ihn zu dessen Verbündetem. Mit der Einladung Johnsons zum Kampf begeht Cravan öffentlich einen Affront; seine provokativen Absichten unterstreicht er, als er betrunken im Ring erscheint.93 Die Schlagworte, mit denen Cravan den Kampf ankündigt – „NEGRE, BOXEUR, DANSEUR“ – sowie seine Stellungnahme nach dem Kampf vollziehen die Vernichtung der gesellschaftlichen Werte durch ihre demonstrative Nichtachtung: „After Poe, Whitman, Emerson, [Johnson] is the most glorious American. If there is a revolution here I shall fight to have him enthroned King of the United States.“94 Mit dem Boxkampf, der als eines der ersten Happenings in der Geschichte der Kunst gilt,95 setzt sich Cravan über die Grenzen der Kultur und der Moral hinweg. Er brüskiert die Festlegung des Subjekts durch Gesellschaft und Politik im dadaistischen Sinn und formuliert das Außerkrafttreten der Faktoren Rasse und nationaler Identität. Cravan nutzt für seine Provokation die Differenz der Rassen. Im Gegensatz zu den „Primitivisten“ aber, für die die Aufrechterhaltung der Differenz Teil ihrer künstlerischen Strategie ist, zerstört Cravan sie im gleichen Moment, in dem er sie zum Thema macht. Was die Künstler des Cabaret Voltaire durch die euphorische Nutzung des Primitiven bei Sprache, Tanz und Musik leisten, verpflanzt Cravan auch auf eine menschlich-direkte Ebene: Er schaltet die Individuen gleich, setzt sich über eine Markierung des Fremden hinweg und proklamiert die Freiheit seines Handelns ebenso wie die Freiheit des Körpers.
91 Zitat von Arthur Cravan, zitiert nach Bertrand Lacarelle, vgl. Lacarelle 2010 – Arthur Cravan, S. 122. 92 Vgl. Dachy 2006 – Dada. The revolt of Art, S. 66. 93 Vgl. Dachy 2006 – Dada. The revolt of Art, S. 66; Lacarelle 2010 – Arthur Cravan, S. 129. 94 Zitat von Arthur Cravan, vgl. Cravan 1917 – Arthur Cravan vs. Jack Johnson, S. 162. 95 Vgl. Lacarelle 2010 – Arthur Cravan, S. 130.
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5.3 D ADAISTISCHE R EFLEKTION BEI H ANNAH H ÖCH
UND
R EZEPTION
Hannah Höchs Fotomontagen zum Thema der Fremde bilden den dadaistischen Geist der Freiheit unvermittelt ab. Wohl spiegelt sich in ihren Fotomontagen der zurückhaltende und ernsthafte Charakter der Künstlerin; ihre Arbeiten sind nicht von Chaos und wilder Simultaneität bestimmt, sie sind nicht laut und politisch wie die Fotomontagen Raoul Hausmanns oder John Heartfields. Höchs Blätter erscheinen vielmehr reflektiert und präzise bedacht, sie nutzt die Montage weniger als „eine Explosion von Blickpunkten und durcheinandergewirbelten Bildebenen“ als sie deren „Fähigkeit zum Auswägen der schlagendsten Gegeneinanderstellungen“96 bis zum Äußersten ausreizt. Was Hannah Höchs Arbeiten zutiefst mit dem Geist der Dada-Bewegung verbindet, ist ihre regelrecht diskursive Beschäftigung mit den Zwängen von Kategorisierung und Formalität. Höchs Interaktion mit den Repräsentationen der Bildmedien und ihr feinsinniges und doch konsequentes Aufbrechen gewohnter Wahrnehmungsmuster bildet ihr Pendant zu den lauten performativen Strategien ihrer Kollegen. 5.3.1 „Dada Tanz“, „J.B. und sein Engel“, „Nur nicht mit beiden Beinen auf der Erde stehen“ Dass Höch sich mit den Praktiken und Aktionen des Cabaret Voltaire nichtsdestotrotz auseinandersetzt und sie durchaus zustimmend betrachtet, zeigen drei Fotomontagen, mit denen sie zu unterschiedlichen Zeitpunkten den performativen Geist der Bewegung einzubinden scheint. 1922 schafft Höch mit ihrer Fotomontage „Dada Tanz“ (Abbildung 40) eine sehr frühe Arbeit, die sich ganz wörtlich auf den aktionistischen Charakter der Gruppe bezieht. Auf hellbraunem Grund inszeniert sie hier zum Titel passend eine halbrunde Bühne und deutet auch ein Stück Vorhang an, vor dem sie zwei anmutige Figuren drapiert. Die rechte der beiden Figuren wird von einem Ausschnitt eines üppigen Kleides der Jahrhundertwende gebildet, dessen Trägerin sich ihrer Haltung nach zu urteilen mitten im Tanz befindet. Den zu kleinen Kopf mit Hut sowie die zu massiven Unterschenkel und die Füße der Tänzerin klebt Höch aus anderen Abbildungen ein. So ergibt sich zwar eine anmutige Tanzhaltung, die jedoch aufgrund des Kontrastes zwischen der konzentrierten Haltung und den unpassenden Körperausschnitten an Ernsthaftigkeit verliert.
96 Zitat von Raoul Hausmann, vgl. Hausmann 1992 – Fotomontage, S. 59.
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Abb. 40: Hannah Höch, Dada Tanz
Die zweite Figur besteht aus dem elegant bekleideten und positionierten Körper einer Dame; auch hier sind die Unterschenkel und Füße separat eingeklebt. Den eigentlich so weiblichen, tief dekolletierten Ausschnitt des Kleides verfremdet Höch durch das Einsetzen der Fotografie eines schwarzen Mannes, dessen Oberkörper durch den großen Halsausschnitt als Oberkörper der Figur freigelegt wird und dessen leicht geneigter Kopf mit zusammengekniffenen Augen Misstrauen, fast Abscheu, auf jeden Fall jedoch Ablehnung signalisiert. Die Ausschnitte dieser Figuren sind von Höch in ihrer Größe so gewählt und zusammengeklebt, dass sich eine perspektivische Verzerrung einstellt – wie ein Riese präsentiert sich die linke Figur in der Szenerie. Beide Figuren demonstrieren auf den ersten Blick eine besondere Ernsthaftigkeit beim Tanz und eine außergewöhnliche Anmut ihres Äußeren. Die groteske Verzerrung ihrer Gliedmaßen und die skurrile Kombination weißer Körperlichkeit mit dem Abbild schwarzer Männlichkeit aber verleihen der Szene eine Absurdität, die an die Auftritte im Cabaret Voltaire erinnert, wo die Kombination aus Ernsthaftigkeit und Ironie zur Strategie werden.
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Abb. 41: Hannah Höch, J.B. und sein Engel
Die eingeklebte Bildunterschrift – „Der Höllenüberschuß fällt in die Kasse des Pfarrers Klatt für unschuldige Verbrecherfinder“ – entspricht der dadaistischen Verhöhnung gesellschaftlicher Werte. Mit den Stichworten „Höllenüberschuß“ und „Verbrechen“, die sich in ihrer eigentlichen Sinnlosigkeit auf die grotesken Tänzer beziehen lassen, bezichtigt Höch die Performance ihrer Figuren ironisch als gottlos und die Figuren als Ausgestoßene. So klebt sie ein Bild zusammen, das ihre amüsierte Teilnahme oder doch zumindest Beobachtung der dadaistischen Gesellschaftskritik verrät. Auch mit dem Blatt „J.B. und sein Engel“ von 1925 (Abbildung 41) erweist Hannah Höch der Dada-Gruppe ihre Referenz und fertigt eine Arbeit an, die sie ganz explizit einem Mitglied der Gruppe widmet: Johannes Baader.97 Der Hintergrund dieses Blattes ist ungewöhnlich vielteilig und abstrakt: Höch gestaltet hier aus unterschiedlich großen und verschieden farbigen Papierfetzen einen Bildgrund, der chaotisch angeordnet vor allem als eine abstrakte Fläche erscheint. Zwei Figuren bestimmen das Geschehen: Ein aus vier verschiedenen
97 Vgl. Plisnier 2007 – J.B. und sein Engel, S. 28.
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Ausschnitten zusammengeklebtes Gesicht blickt den Betrachter aus der linken unteren Ecke an, während die Figur rechts – von Höch aus der Abbildung einer Holzschüssel aus Hawaii ausgeschnitten98 – kopfüber in das Bild zu stürzen scheint. Die beiden Figuren und ihre lose Anordnung vor der Fläche des Hintergrundes stehen im Einklang mit dem ungeordneten Eindruck des Blattes: Ihre Fragmentierung, ihre scheinbare Schwerelosigkeit und die zusammenhanglose Anordnung lassen auf das Fehlen einer Beziehung der Figuren untereinander oder zu ihrem umliegenden Raum schließen. Als Widmung an Johannes Baader findet Höch mit der Komposition ihrer Fotomontage die formale Entsprechung zum Charakter und Wesen des Freundes: Johannes Baader agiert als eine der konsequentesten Dada-Figuren. Seine philosophischen und metaphysischen Abhandlungen zum Weltall, zur Religion und der Menschheit, seine abstrakten Beschreibungen der Welt und sein ausdrücklich und überspitzt formulierter Größenwahn – er ist der „Oberdada“, der „Meister“ und „Präsident des Erdballs“99 – treiben die dadaistischen Ideen der Erneuerung der Welt auf die Spitze. Baaders Gedanken sind abstrakt und konfus, betont überheblich und assoziativ; sie spiegeln das dadaistische Chaos und die Negation aller gültigen Werte.100 Hannah Höch schenkt dieser Verkörperung des Geistes Dadas mit ihrer Fotomontage ein Bildnis. Sie portraitiert die Gedanken und die Denkstrukturen des Oberdada und überträgt sie in das so Dada-typische Medium der Fotomontage. Mit dem Titel der Arbeit, „J.B. und sein Engel“, der mit Baaders malerischer Formulierung „Die Menschen sind Engel und leben im Himmel“101 zusammenfällt, bringt Höch auf spielerische und freundschaftliche Weise ihre Achtung Baaders zum Ausdruck und veranschaulicht, mit wie viel Aufmerksamkeit sie – in aller Stille – die Gedanken ihrer dadaistischen Freunde verfolgt. Schließlich scheint sich Höch auch mit ihrer Fotomontage „Nur nicht mit beiden Beinen auf der Erde stehen“ im Jahr 1940 noch einmal der DadaBewegung zu erinnern (Abbildung 42).
98
Quelle: Der Querschnitt, Jahrgang V, Heft 6, Berlin 1925, Seitenzahl ohne Angabe.
99
Baaders Bezeichnungen für sich selbst tauchen in seinen Manifesten und Schriften stets und an verschiedenen Stellen auf, vgl. exemplarisch Baader 1977 (1918) – Die acht Weltsätze; Baader 1977 (1918) – Tretet Dada bei; Baader 1980 (1920) – Deutschlands Größe und Untergang.
100 Exemplarisch kann hier Baaders Text „Die acht Weltsätze“ von 1918 stehen, in dem er, der „Meister“, „die Ordnung der Menschheit im Himmel nebst Erklärungen desselben“ darlegt, vgl. Baader 1977 (1918) – Die acht Weltsätze. 101 Zitat von Johannes Baader, vgl. Baader 1977 (1918) – Die acht Weltsätze, S. 41.
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Abb. 42: Hannah Höch, Nur nicht mit beiden Beinen auf der Erde stehen
Sie montiert hier eine fast träumerische Szene: Den Hintergrund inszeniert sie als einen bewölkten Himmel, vor dem ein großer Vogel schwebt. Das Tier klebt Höch aus verschiedenen Ausschnitten zusammen, zu denen auch die Abbildung einer Maske aus dem Congo102 gehört. Den unteren Bildabschnitt bildet ein Ausschnitt, der sechs im Sprung befindliche nackte Beinpaare in Ballettschuhen zeigt. Wie ein Gebirge erscheinen die bis zu den Oberschenkeln gezeigten Beine, die das sonderbare Bild dieser Himmelslandschaft abrunden. Auch in dieser Arbeit thematisiert Höch den Tanz und das Spielerische, die Bewegung und auch hier ruft sie die oft bizarren, oft naiv-träumerischen Schauspiele innerhalb des
102 Quelle: Der Querschnitt, Jahrgang V, Heft 1, Berlin 1925, Seitenzahl ohne Angabe.
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Cabaret Voltaire ins Gedächtnis. Der Titel „Nur nicht mit beiden Beinen auf der Erde stehen“, den Höchs Beinausschnitte wörtlich nachvollziehen, ist Erinnerung und Aufforderung zugleich: Mitten im Zweiten Weltkrieg, den Höch zurückgezogen am Rande Berlins erlebt,103 gedenkt sie in dieser märchenhaften Szenerie der kindlichen Strategien Dadas, hinter denen sie doch stets den Ernst einer unmenschlichen Lebenssituation weiß. Wie in einem Traum blickt Höch noch einmal auf die Heterogenität und Fragmentierung, auf die Absurdität und melancholische Ironie Dadas zurück und zeigt sie als eine ganz unboshafte Taktik zur Loslösung von einer unerträglichen Lebensrealität. Eine Gemeinsamkeit dieser bildlich formulierten Erinnerungen an Dada liegt im beiläufigen Auftauchen der Elemente des Fremden, die hier ganz Höchtypisch eingearbeitet sind. Höch macht es zwar nicht zum expliziten Thema und die Arbeiten lassen sich auch kaum in die Serie „Aus einem ethnographischen Museum“ integrieren. Die Künstlerin räumt dem Fremden, dem Anderen dennoch seinen Platz ein und zeigt es als einen Bestandteil und als eine nicht wegzudenkende Komponente im dadaistischen Geschehen. Das Fremde, dessen Anwesenheit die eigene traditionelle Kultur schon aufgrund seiner vorgeblichen Primitivität untergräbt und das sichtbare und hörbare Spuren auf dem dadaistischen Weg hinterlässt, bleibt auch in Höchs Erinnerung an die Dada-Bewegung ein Teil davon. Hannah Höch beobachtet die Idee der Neuformierung der Gesellschaft, Kunst und Gedankenwelt, wie sie von den Dadaisten versucht wird und entwickelt doch ihre eigene Praxis, um sich mit den überkommenen Werten der Gesellschaft und der Kunst auseinanderzusetzen: Ihre ironischen Anspielungen auf die Institution des Museums und ihre grotesken Antworten auf den „Primitivismus“ und Exotismus vertreten die dadaistische Positionierung gegenüber einer klassischen ebenso wie einer reaktionären, expressionistischen Kunst und fordern eine kritische Auseinandersetzung mit deren Methoden. Höchs satirische Spiegelung der Repräsentation des Fremden und die plakative Einordnung ihrer Figuren in einen Museumskontext führen den an die Expressionisten gerichteten, mokanten Vorwurf der „ehrenvollen Bürger-Anerkennung“ ins Bild und demontieren ihn als Zeichen einer traditionellen Kulturdominanz. Der dadaistische Aufruf, die Hoheit der Institutionen nicht zu akzeptieren, wird in Höchs Fotomontagen wiedergegeben, die Unabhängigkeit von „Schulen und Theorien“ in ihrer Verweigerung von Kategorien formuliert. Höch widersetzt sich mit ihren Figuren dem klassischen Kanon europäischer Kunstgeschichte und unterläuft auch eine ethnologische Repräsentation: Sie formuliert stets die Anerkennung der Subjektivität
103 Über Höchs Erleben des Zweiten Weltkrieges vgl. Ohff 1995 – Heiligensee.
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und Unabhängigkeit des Anderen. Mit ihren Fotomontagen stellt Höch ganz im Sinne Dadas ein Plädoyer gegen die Vergewaltigung der Persönlichkeit auf und formuliert diesen Gedanken bis zum Ende aus: Sie fordert mit ihren Fotomontagen nicht nur die Freiheit ihrer eigenen künstlerischen Stimme, sondern erklärt vielmehr die Freiheit jeden Subjektes und das radikale Nebeneinander aller Persönlichkeiten. Indem Höch scheinbare Disharmonien in eine „Harmonie des Diversen“104 umkehrt, formuliert sie die Gleichheit des Selbst und des Anderen. Für Höch und die gesamte Dada-Gruppe ist es dieses ungefilterte Nebeneinander unterschiedlichster Impulse und Einflüsse, das zahllose neue Möglichkeiten eröffnet: „[Der Dadaismus] wußte, daß es nicht Originalitätssucht war, welche einzelne neue Bilder so verschiedenartig werden ließ, sondern die Einzigartigkeit eines jeden Menschen, die im Grunde völlige Verschiedenartigkeit von dem andern.“105
Die von Höch montierten Figuren erklären durch ihre Heterogenität das unkategorisierbare Einzigartige. Die Unmittelbarkeit ihrer Blicke sprechen für die Selbständigkeit und Einzigartigkeit der Figuren, die als Stellvertreter die verschiedenen Kulturen vereinen. Die Figuren widersetzen sich dem von der Künstlerin nachgezeichneten Zwang westlicher Repräsentationsmuster und Kontexte und stehen für eine Unabhängigkeit der Betrachtung.
104 Zitat von Victor Segalen, vgl. Segalen 1994 – Die Ästhetik des Diversen, S. 62. 105 Zitat von Alexander Partens, vgl. Partens 1980 (1920) – Dada-Kunst, S. 88.
6. Schlussbetrachtung – Hannah Höch postkolonial
Bei dem Versuch, die in dieser Abhandlung besprochenen Fotomontagen Hannah Höchs zum Thema der Fremde zu beschreiben, erfolgt unwillkürlich ein Rückgriff auf die Begriffe, mit denen auch die koloniale Ideologie verhandelt wird und die alsdann auch dem postkolonialen Diskurs zugrunde liegen: Das Eigene, das Selbst begegnet in Höchs Fotomontagen dem Anderen, dem Fremden. Bedrohung und voyeuristische Faszination, Identität und Zersplitterung, Grenzen und Grenzüberschreitung, Differenz und Hybridität, Konstruktion und Dekonstruktion, Fremdbestimmung, Stereotype und deren Überwindung kennzeichnen die grotesken Mischwesen Höchs, die im Einzelnen so heterogen wie sie im Gesamten der Serie homogen sind. Hannah Höch bringt in ihren Fotomontagen zum Thema der Fremde das Eigene, das Selbst mit seinem Anderen zusammen. Sie schafft eine Verhandlungsfläche, auf der sie konzentriert eine Beobachtung dessen durchführt, was sich in der politischen, gesellschaftlichen und medialen Wirklichkeit der Weimarer Republik so vielfältig abspielt: Höchs konsequente Nebeneinanderstellung der Ausschnitte weißer Körper und schwarzer Kulturobjekte, ihr durchgängiger Appell an westliche Bedeutungskontexte und ihre stete Erinnerung an die Markierung des Fremden als befremdlich rufen das Thema der Identität, der Rassen, der Differenz unumgänglich auf den Plan. Zu dominant sind die Stichworte zu Rasse, Hautfarbe und den differenten Kulturen, zu konsequent deren Thematisierung über einen langen Zeitraum hinweg und in einer derart großen Anzahl an Arbeiten, als dass man Höchs Beschäftigung mit dem in den zwanziger Jahren so subtil und doch so präsent verhandelten Gegenstand von Identität im Kontext mit Fremdheit leugnen könnte. Höch macht die Fragen nach Identität, ihrer Genese und ihren Konsequenzen zur Grundlage ihrer Betrachtungen und reflektiert die Begegnung mit der Fremde aus einem Blickwinkel, der im gesellschaftlichen Alltag unterschlagen bleibt: Sie untersucht die Basis, auf der das europäische
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Selbst auf sein außereuropäisches Anderes trifft und kratzt an der Substanz des in der Öffentlichkeit und für die Gesellschaft erzeugten Bildes von dem Fremden. Höch kennzeichnet in ihren heterogenen, verwobenen Arbeiten und über die Breite der Serie „Aus einem ethnographischen Museum“ hinweg ganz grundsätzlich die Betrachtung des Selbst und seines Anderen als einen Diskurs – einen Diskurs, den sie selbst nacherzählt, um auf seine Strukturen und Argumente aufmerksam zu machen. Hannah Höch erklärt die gesamte Wirkung der Konfrontation des Eigenen mit dem Fremden als eine Konstruktion, die sich aus vielen sublimen Einzelkonstrukten zusammensetzt und die in sich aufgeschlüsselt werden müssen, um das nur scheinbar homogene Bild der proklamierten gesicherten Identität durchschauen zu können. Höch macht in ihren Fotomontagen sichtbar, wie die Konstrukte, auf denen die kollektive deutsche Identität in den zwanziger Jahren aufbaut – nationale Zugehörigkeit, Kultur, Rasse – über äußere Merkmale funktionieren und wie vor allem gegenseitige Abgrenzung – Differenz – Stabilität garantiert. Indem Höch jedoch eben nicht auf die Stabilität verweist, sondern mit Brüchen und grotesken Zusammenstellungen Instabilität vorführt, kann sie auf die Fiktionalität des Gebildes verweisen, das eine eigene, europäische Identität von einer fremden, außereuropäischen Identität so sicher abzugrenzen vorgibt. Höch spielt mit dieser Fiktionalität. Sie imitiert Repräsentationsmuster, um sie jedoch im gleichen Moment zu demontieren und ihre Wirkungsweise vorzuführen. Mit den gleichen Markern und Stereotypen, mit denen das Bild des Fremden in der Öffentlichkeit gezeichnet wird, definiert auch Höch ihre Figuren: Hautfarben, Rollenzuschreibungen und Körperbilder werden von ihr eingesetzt und durch Kontextualisierung mit Bedeutung aufgeladen; sowohl durch die Beziehungen der Einzelausschnitte untereinander, als auch durch die Wahl von Bildtiteln oder dem Wachrufen bekannter Wahrnehmungskonventionen wuchern so die Bedeutungen der Einzelausschnitte an den Sehgewohnheiten des Betrachters entlang. Höch greift die Stereotypisierungen und Repräsentationsmuster aus den unterschiedlichsten Bereichen heraus und zeigt so auf die Breite, auf der die Bilder vom Fremden in der Öffentlichkeit konstruiert werden. Sie bezieht sich auf konkrete Angstphantasien und pathetische Projektionen, die sich aus kolonialrevisionistischen Aktionen und Negativkampagnen wie denen um die „Schwarze Schmach am Rhein“ oder um die Mischlingsdebatte herauslesen lassen und verpflanzt sie mit all ihren Konnotationen in Fotomontagen wie „Mit Mütze“ oder „Mischling“. Sie referiert auf die Bilder des Kinos, der Völkerschauen und „Negerrevuen“, wo vor allem exotistische Bilder naiver Weiblichkeit und konsumierbarer Körperlichkeit entworfen werden und spiegelt sie in Arbeiten wie „Die Süße“ oder „Indische Tänzerin“. Sie kommentiert aber auch den Diskurs um die „primitive“ Kunst, spielt auf den „Primitivismus“ an
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den Diskurs um die „primitive“ Kunst, spielt auf den „Primitivismus“ an und nutzt für diese Reflektionen die Projektionsfläche des Ethnographischen Museums, das nicht nur selbst für eine stereotypisierende und stigmatisierende Repräsentation des Fremden und seiner Kulturen steht, sondern das Höch auch einen Boden bietet, auf dem sich politische, gesellschaftliche und kulturelle Stereotypisierungen und deren Ursprünge treffen. Die ethnologische Fotografie und ihre Reproduktion in den modernen Massenmedien, die in ihrem Zusammenwirken mit die wichtigste Quelle bei der visuellen Verbreitung von Stereotypen über das Fremde darstellen, nutzt Höch als Material, das den Stoff der Repräsentation bereits vorgefertigt einsetzbar macht; die Fotomontage ist ihre Sprache, mit der sie diese Repräsentation nachbilden und dabei umformulieren und hinterfragen kann. Es entwickeln sich Bilder, die sich aus Höchs Reproduktion von Stereotypen ergeben und die gleichzeitig den Prozess dieser Bildentwicklung offenlegen. Offenbar wird auf diesem Wege, dass die Stereotype, die das Fremde beschreiben, immer auch das Selbst definieren; Höch zeigt durch ihre spitzfindige Offenlegung dessen, was nur ein Stereotyp, eine Projektion ist statt einer Tatsache, dass Stereotype und die Bilder, die von ihnen erzeugt werden, in erster Linie auf ihren Benutzer – hier den Betrachter – verweisen.1 Höch führt die Binarität des Konstruktes von Identität vor, das immer das Selbst genauso wie das Andere beinhaltet und zeigt es als ein System auf der Basis von Differenz. Nur wo das Fremde sich durch Stereotype klar von dem Eigenen abgrenzen lässt, entsteht ein geschlossenes Bild; dort, wo Höch Brüche einbaut und Schnittstellen sichtbar werden lässt, wird auch das von der Differenz definierte Bild des Fremden und des Selbst rissig. Höch führt mit ihren vordergründig homogenen und doch zutiefst zersplitterten Figuren vor, wie eng die gegensätzlich positionierten Modelle des Selbst und des Fremden miteinander verflochten sind und wie übergangslos sie sich als eigentlich zusammenhängende Konstruktionen zeigen, wenn man den Repräsentationen auf den Grund geht, die die Gestalt des Selbst und des Anderen formen. Sie vollzieht jene Repräsentationen nach, indem sie deren wichtigste Strategie – die Stereotypisierung – immer wieder mehr oder weniger offenkundig kopiert. Groteske, Parodie und Ironie sind der Grundtenor, der ihren Überlegungen dabei immer immanent ist und mit dem sie sich selbst explizit gegen die Reproduktion von Machthierarchien und Abhängigkeitssituationen wenden kann. In ihren Fotomontagen zerstört Höch mit der demonstrativen Überschreitung von Grenzen und mit der Auflösung des Systems einfach definierbarer Differenz
1
Vgl. Hahn, Hahn 2002 – Nationale Stereotype, S. 22.
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die Vormachtstellung der europäischen über die außereuropäischen Kulturen und markiert ein zeitgenössisches Phänomen, das mit den Repräsentationen des Fremden eng zusammenhängt: Die moderne Identität, die sich gerade im Nachgang des Kolonialismus und im Angesicht einer sich verändernden Gesellschaftsordnung intensiv an der Begegnung mit der Fremde abarbeitet, ist von Fragmentierung und Dezentrierung gezeichnet. Das Subjekt in der modernen Gesellschaft beruht nicht mehr auf einem gesicherten und fest definierten Wesen, da auch die Gesellschaftsstruktur selbst nicht mehr stabil und fixiert ist.2 Die öffentlichen Verhandlungen der Begegnung mit der Fremde spiegeln diese Erschütterung der Identität wider und Hannah Höch gelingt es, die eigentlich selbstreflektive, starke Identitätsthematik, die den Kern der Begegnung mit der Fremde bildet, feinsinnig einzufangen: Sie benennt in ihren Fotomontagen die gegensätzlichen Annäherungen an das Fremde und zeigt sie in einer Widersprüchlichkeit, die der Fragmentierung des Selbst exakt entspricht. So führt Höch etwa die zutiefst konservative Rolle der Frau im kolonialen Verständnis vor und stellt sie der voyeuristischen Lust am weiblichen Körper gegenüber, sie zeigt die paradoxen Zuschreibungen von Rasse und Geschlecht, die sich je nach Bedarf verschieben und sich den Bedürfnissen des konsumierenden und dabei selbstversichernden Subjektes anpassen und sie zeigt die Lust am Fremden genau wie die Angst vor demselben. Sowohl innerhalb einzelner Arbeiten, wie etwa bei dem Blatt „Fremde Schönheit“, als auch in der Gegenüberstellung verschiedener Fotomontagen innerhalb der Serie, wie bei den Arbeiten „Liebe im Busch“ oder „Mutter“, zeigt sich Höchs differenzierte Aufschlüsselung von vordefinierten gesellschaftlichen Rollen und ihren instabilen Beschaffenheiten. Das Fremde, das eine bedeutende Variable in der Rollendefinition darstellt, zeigt sich immer in einer ambivalenten Position: Es ist stets stabilisierender Faktor, weil es die Grenzen des weißen Selbst markiert und es ist gleichzeitig immer Bedrohung, weil eine Grenzverschiebung bei einer Konfrontation nie ausgeschlossen werden kann. Es ist Symbol für eine moderne, globale Offenheit und Zeichen für traditionelle kulturelle Grenzen, denen diese Offenheit dennoch verhaftet bleibt. In ihren Fotomontagen zeigt Höch das Fremde und seine Repräsentation durch Stereotypisierung so in genau der Bedeutung des Fetischs, die Homi Bhabha für das koloniale Stereotyp entwickelt: Die Bedeutungszuschreibungen des Fremden sind ambivalent und künstlich; sie füllen eine Lücke und machen die konfliktträchtigen Verhandlungen um die eigene Identität definierbar und vor allem kontrollierbar. Die Stereotype von der Fremde ermöglichen Subjektivierungsprozesse und zwar sowohl auf Seiten des Benutzers der Stereotype, als
2
Vgl. Hall 2008 – Die Frage der kulturellen Identität, S. 181ff.
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auch auf Seiten der Träger.3 Abgrenzung und ein Abstreiten jeglicher Faszination und jeglichen Begehrens sind dabei die Grundbestandteile des rassischen Fetischismus, der immer vor allem Verleugnung ausdrückt.4 Getarnt wird diese Verleugnung durch die Rechtfertigungen, die den Stereotypen immer immanent sind: Die ethnologische Wissenschaft begründet Stereotype, die ethnologische Fotografie bestätigt sie durch ihre vorgebliche Wirklichkeitsnähe, die Massenmedien bestärken sie durch Verbreitung; sie alle ermöglichen ein gleichzeitiges Hinsehen und Wegsehen, erfüllen Wünsche und täuschen Abwehr vor. Weil Stereotype durch ihre stete Wiederholung Differenz normalisieren und den kolonialen Diskurs festschreiben, sichern sie auch das Bild des fetischisierten Anderen.5 Hannah Höch beschreibt in ihren Arbeiten die Repräsentation des Fremden durch Stereotypisierung fast deckungsgleich mit Bhabha: Sie thematisiert immer wieder die Ambivalenz zwischen Begehren und Abwehr und zeigt ironisch auf eine Selbstverortung des weißen Subjektes, die Ergebnis von Verleugnung ist. Indem sie immer wieder ganz buchstäblich auf die Bruchstellen zeigt, wo beide Seiten aufeinander treffen, wo Ungereimtheiten entstehen und wo in der Folge die Stabilität des Subjektes erschüttert wird, macht sie auf die Künstlichkeit kolonialideologischer, rassischer Selbstversicherung aufmerksam und entlarvt das Funktionieren weißer Subjektivität und Macht. Höchs plakatives Verweisen auf die Struktur der Stereotype ruft die Differenz neu in Erinnerung und löst die stereotypisierten Subjekte aus ihrer kolonialen Festlegung. Mit ihrer Analyse und Offenlegung der Systeme der Repräsentation, die das weiße Subjekt in seiner Überlegenheit positionieren, führt Höch eine Dekonstruktion des Konstruktes von Identität und seiner Determinanten vor und formuliert gleichzeitig eine Blickverschiebung, die sich als geradezu postkolonial beschreiben lässt: Höch stellt dem aus den Fragmenten seiner eigenen Projektionen bestehenden Subjekt das Andere als ein zweites Subjekt gegenüber, das sich nicht der Instrumentalisierung und Fetischisierung beugt, sondern das den Blick zurückwirft und sich in seiner Unabhängigkeit zeigt. Ihre Figuren, die der Betrachtung standhalten und den Blick erwidern, die sich einer Einordnung widersetzen und sich Kategorisierungen versperren, die weiße und schwarze Körperlichkeit gleichermaßen den Blicken aussetzen, formulieren ein Umdenken bei der Betrachtung des Selbst und seines Anderen. Hannah Höch stellt in ihren Fotomontagen zum Thema der Fremde nicht nur Gayatri Spivaks Frage „Can the
3
Vgl. Bhabha 2007 (1994) – Die Verortung der Kultur, S. 111.
4
Vgl. Hall 2004 – Das Spektakel des Anderen, S. 155ff.
5
Vgl. Bhabha 2007 (1994) – Die Verortung der Kultur, S. 111ff.
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subaltern speak?“6, sondern sie bejaht sie gleichzeitig mit dem Widerstand ihrer Figuren und der durchdringenden und buchstäblichen Präsenz des umgedrehten Blicks. Sie bricht mit der Repräsentation des außereuropäischen Fremden durch ein eurozentristisches Subjekt und verweist auf die Stimme und die Selbstbestimmung, die aus dem passiven Objekt westlicher Projektionen einen gleichgestellten Gesprächspartner im Dialog des Selbst mit seinem Anderen macht. Bei allen ihren Überlegungen fordert Höch niemals eine Angleichung beider Seiten im Sinne einer Aufhebung der Differenz. Sie stellt die Stellvertreter der europäischen Kultur immer neben diejenigen der außereuropäischen Kulturen und lässt die Differenz zwischen beiden transparent. Sie gleicht die einzelnen Elemente zwar einander an und fügt sie so präzise zusammen, dass Grenzen oft kaum sichtbar werden. Trotzdem bleiben beide Komponenten immer für sich bestehen, gehen nicht ineinander über, sondern ergeben vielmehr Seite an Seite ein Gesamtes. Mit dieser ausdrücklichen Nebeneinanderstellung des Eigenen mit dem Fremden zeigt Höch ihre Idee von einer konstruktiven Begegnung mit der Fremde, die sich nicht durch eine Leugnung oder Aufhebung von Differenz auszeichnet, sondern durch deren Anerkennung. Höch erarbeitet in ihren Fotomontagen den Entwurf einer Aufwertung des Anderen, das als das Andere sichtbar bleibt, ohne jedoch der automatischen Diskreditierung durch ein tradiertes Hierarchiegefälle zu unterliegen. Die Künstlerin macht in ihren Fotomontagen eine anhaltende koloniale Machtverteilung sichtbar, indem sie deren Ursprünge offenlegt und die Techniken ihrer Etablierung und ihres Erhaltes charakterisiert. Sie zerstört durch die Entlarvung des Konstruktcharakters dieses Gefüges seine Möglichkeiten zur Identitätsversicherung und baut gleichzeitig selbst eine neue Vision von einer Konfrontation des Selbst mit seinem Anderen auf: Die scheinbar disharmonisch zusammengewürfelten, grotesken Bilder lässt sie zu einem heterogenen Bild werden, das differente Körper genau wie kulturell unterschiedliche Kunstbegriffe in einer gleichgeordneten Vielfalt zeigt und das statt Hybridisierung, im Sinne von Vermischung, Anpassung und Unterordnung, Harmonisierung proklamiert.7 Während Differenz vor dem Hintergrund der Idee von Vermischung nicht greifbar und damit auch nicht verhandelbar ist, macht Höch die bei ihr bildlich durchgeführte Hybridisierung durch ihre Lesart zu einer Handlungsmöglichkeit, die „den Blick des Diskriminierten zurück auf das Auge der Macht“8 richtet und die die koloniale Autorität erschüttert und außer Kraft setzt. Höch leugnet Differenz nicht und schwächt sie auch nicht durch Anpas-
6
Vgl. Spivak 2007 (1988) – Can the subaltern speak.
7
Vgl. Schmidt-Linsenhoff 2010 – Ästhetik der Differenz, S. 98ff.
8
Zitat von Homi Bhabha, vgl. Bhabha 2004 (1994) – Die Verortung der Kultur, S. 165.
S CHLUSSBETRACHTUNG
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sung ab: Sie macht Differenz zum Thema und zum Ausgangspunkt für eine neue Verhandlung des Zusammentreffens des Selbst mit seinem Anderen und zur Möglichkeit der Anerkennung beider Seiten.9 Hannah Höch positioniert sich mit ihren Reflektionen zur Begegnung mit der Fremde im Alltag und in der Kunst des frühen zwanzigsten Jahrhunderts buchstäblich jenseits des gemeingültigen Diskurses. Der Platz, den sie einnimmt, erlaubt es ihr, zu beobachten, anstatt teilzunehmen und zu kommentieren, anstatt mitzureden. Höch sammelt interessiert die Bilder des Fremden und setzt sie reflektiert in Bezug zum modernen Selbst der Weimarer Republik. Sie nimmt Repräsentationsmuster wahr und filtert deren Substanz heraus, sie beobachtet und fasst ihre Beobachtungen in allen Widersprüchlichkeiten zusammen. Nicht allein die Besonnenheit ihrer Überlegungen zum Thema der Fremde unterscheidet sie von der Praxis der „Primitivisten“ – nie äußert sie sich zum „Primitiven“, nie vereinnahmt sie es für sich. Was Höch eine so progressive Position im Vergleich zu den „Primitivisten“ verschafft, ist ihre Arbeit an einer Rezeption der Rezeption des Fremden. Während die „Primitivisten“ sich der Stereotype bedienen und den kulturellen Hierarchien verpflichten, die das koloniale System hervorgebracht hat und die sich auch in der Alltagskultur der Weimarer Republik noch so durchdringend zeigen, greift sich Höch die Stereotype und entlarvt sie als ebensolche. Während die „Primitivisten“ sich zivilisationsmüde an der Fremde bedienen, sucht Höch diese von der Umklammerung durch die westliche Rezeption zu lösen und neue Wege des Kunst- und Kulturverständnisses aufzuzeigen. Höch setzt nicht wie die „Primitivisten“ das Selbst und die eigene Selbstfindung in den Mittelpunkt der Betrachtungen der Fremde, sondern sie schiebt das Fremde in den Fokus und weist über die Entlarvung westlicher Wahrnehmung auf dessen Autonomie hin. Benutzen die „Primitivisten“ das „Primitive“ als Material für ihre Neuorientierung, so zeigt Höch es als Instrument überkommener Machtvorstellungen und kolonialer Altlasten. Sie, die im Kreise der Dadaisten die politische und gesellschaftliche Ordnung hinterfragt und sie nicht klagend kritisiert, kommt mit ihren Betrachtungen zum Fremden und dessen Konfrontation mit der Realität des modernen Menschen in der Weimarer Republik zu konstruktiven Ansätzen. Sie löst sich in ihren Überlegungen von dem Filter westlicher Kunstbegriffe und eurozentristischer Identitätskonstrukte und widersetzt sich einer unreflektierten Nutzung der Fremdbilder, die von genau der Gesellschaft geschaf-
9
Homi Bhabhas Konzept, das Hybridität als Raum der Konfrontation definiert, anstatt als Punkt der Vermischung, kommt Höchs gleichzeitiger Sichtbarmachung und Anpassung differenter Elemente sehr nahe, vgl. Bhabha 2004 (1994) – Die Verortung der Kultur, S. 165ff.
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fen werden, gegen die sich auch die „Primitivisten“ aufzulehnen vorgeben. Hannah Höchs Betrachtungen, die entlarven ohne scharf zu kritisieren und die nie auf Lösungen drängen, sondern eher schmunzelnd auf Fehlstellen verweisen, vertreten die Idee einer kulturellen Vielfalt, die alle Kulturen gleichermaßen integriert. Mit einer Positionierung, in deren Vergleich der klassische „Primitivismus“Diskurs als kolonial belastet, als rassistisch und reaktionär beurteilt werden muss, steht Hannah Höch für ein Umdenken bei der Reflektion der Konfrontation der eigenen Kultur mit der Fremde und für einen Ansatz, der sich von dem „kolonialen Unbewussten“10 befreit und sich den Ursprüngen rassischer und kultureller Hierarchiekonstrukte entledigt. Fern eines postkolonialen Kontextes stellt Hannah Höch Überlegungen über die Begegnung des Selbst mit seinem Anderen an, die sich auch im Zusammenhang der postkolonialen Theorie verorten ließen. Höchs Entwürfe für eine konstruktive Anerkennung von Differenz, für ein Nebeneinander von Kunstbegriffen und für eine reflektierte Betrachtung historisch determinierter Wertsysteme in der Kunst zeichnen einen Weg vor, der sich als programmatisch und anhaltend produktiv erweist. Während der bislang nur marginal kritisch aufgearbeitete „Primitivismus“ weiterhin als die Schnittstelle der europäischen Kunst mit ihrem fremden Anderen gilt und während eine Anerkennung afrikanischer, ozeanischer oder indianischer Kulturen den Formulierungen eines eurozentristischen Kunstbegriffes und den Strukturen von Alterität und Differenz verhaftet bleibt, eröffnet die anti-koloniale Annäherung der Dadaisten an das Thema der Fremde eine unvergleichlich fruchtbarere Seite des Diskurses: Ihre Entwicklung einer Idee von Transnationalität und ihre Verweigerung der Kategorisierung von Kunst nach ihrer Herkunft machen Dada und an ihrer Spitze Hannah Höch zu einem kunsthistorischen Arbeitsfeld, das gerade im Zusammenhang mit dem postkolonialen Diskurs richtungsweisend sein kann.
10 Zitat von Victoria Schmidt-Linsenhoff, vgl. Schmidt-Linsenhoff 2005 – Das koloniale Unbewusste.
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L ITERATUR
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Z EITSCHRIFTEN Der Querschnitt, Jahrgang VI, Heft 2, Berlin 1926. Der Querschnitt, Jahrgang VI, Heft 8, Berlin 1926. Der Querschnitt, Jahrgang VII, Heft 6, Berlin 1927. Der Querschnitt, Jahrgang VIII, Heft 7, Berlin 1928. Der Querschnitt, Jahrgang IX, Heft 2, Berlin 1929. Der Querschnitt, Jahrgang IX, Heft 7, Berlin 1929. Der Querschnitt, Jahrgang IX, Heft 8, Berlin 1929. Der Querschnitt, Jahrgang IX, Heft 11, Berlin 1929. Der Querschnitt, Jahrgang X, Heft 5, Berlin 1930. Der Querschnitt, Jahrgang XI, Heft 5, Berlin 1931. Der Querschnitt, Jahrgang XI, Heft 7, Berlin 1931. Der Querschnitt, Jahrgang XI, Heft 8, Berlin 1931. Der Querschnitt, Jahrgang XII, Heft 4, Berlin 1932. Der Querschnitt, Jahrgang XIII, Heft 1, Berlin 1933. Der Querschnitt, Jahrgang XIII, Heft 5, Berlin 1933. Uhu, Jahrgang 2, Heft 1, Berlin 1925. Uhu, Jahrgang 2, Heft 5, Berlin 1925. Uhu, Jahrgang 2, Heft 10, Berlin 1925. Uhu, Jahrgang 2, Heft 11, Berlin 1925. Uhu, Jahrgang 2, Heft 12, Berlin 1925. Uhu, Jahrgang 2, Heft 6, Berlin 1926. Uhu, Jahrgang 3, Heft 8, Berlin 1927. Uhu, Jahrgang 4, Heft 4, Berlin 1928. Uhu, Jahrgang 6, Heft 4, Berlin 1929. Uhu, Jahrgang 6, Heft 12, Berlin 1929. Uhu, Jahrgang 7, Heft 9, Berlin 1931. Uhu, Jahrgang 7, Heft 10, Berlin 1931. Uhu, Jahrgang 8, Heft 8, Berlin 1932. Uhu, Jahrgang 8, Heft 10, Berlin 1932.
Abbildungsnachweise
Abbildung 1: Hannah Höch, Dada Rundschau, 1919, Collage, Gouache und Aquarell auf Karton, 43,7 x 34,6 cm, Berlinische Galerie, Berlin. © VG BildKunst, Bonn 2014 / Foto: Berlinische Galerie, Landesmuseum für Moderne Kunst, Fotografie und Architektur, Berlin. Fotograf: Kai-Annett Becker. Abbildung 2: Zeichnung von O. Gulbransson, Segen der Mission, Simplicissimus, Jahrgang 19, Nr. 9, 1. Juni 1914, S. 135. © Olaf Gulbransson / VG Bild-Kunst, Bonn 2014. Abbildung 3: Zeichnung von E. D. Petersen, Französische Hilfstruppen, Simplicissimus, Jahrgang 19, Nr. 31, 3. November, München 1914, S. 419. Abbildung 4: Zeichnungen von E. Schilling, Die Kolonialschuldlüge, Simplicissimus, Jahrgang 29, Nr. 13, 23. Juni, München 1924, S. 195. Abbildung 5: Karikatur von Th. Th. Heine, Englands überseeischer Landsturm, Simplicissimus, Jahrgang 19, Nr. 30, 27. Oktober, München 1914, S. 416. © VG Bild-Kunst, Bonn 2014. Abbildung 6: Zeichnung von Karl Arnold, La France, Simplicissimus, Jahrgang 25, Nr. 44, 26. Januar, München 1921, S. 585. © VG Bild-Kunst, Bonn 2014. Abbildung 7: Zeichnung von O. Gulbransson, Die schwarze Besatzung, Simplicissimus, Jahrgang 25, Nr. 11, 09. Juni, München 1920, S. 168. © Olaf Gulbransson / VG Bild-Kunst, Bonn 2014. Abbildung 8: Karikatur von Garvens, Frankreich ehrt seine heimkehrenden Helden, Kladderadatsch, Jahrgang 82, Nr. 38, 22. September 1929, S. 601. Abbildung 9: Karikatur von Karl Arnold, La ville lumière à son saveur, Simplicissimus, Jahrgang 23, Nr. 26, 24. September 1918, S. 312. © VG BildKunst, Bonn 2014. Abbildung 10: Gestalt und Körperbau, Fotografie, Staatsbibliothek zu Berlin Preußischer Kulturbesitz. © Bildagentur für Kunst, Kultur und Geschichte, Stiftung Preußischer Kulturbesitz, Berlin / Max Weiß, "Die Völkerstämme
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im Norden Deutsch-Ostafrikas", Berlin: Verlag von Carl Marschner 1910, bpk / SBB. Abbildung 11: Samoanegerin, Fotografie, 8,5 x 10 cm, Nachlass Ernst Wahle, Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg, Universitätsbibliothek Heidelberg. © Universitätsbibliothek Heidelberg. Abbildung 12: Befreite Sklaven auf Sansibar, Fotografie, 16 x 24 cm, Ethnologisches Museum, Staatliche Museen zu Berlin. © Bildagentur für Kunst, Kultur und Geschichte, Stiftung Preußischer Kulturbesitz, Berlin / Ethnologisches Museum, SMB. Abbildung 13: Hannah Höch, Aus einem ethnographischen Museum XI: Mit Mütze, 1924, Fotomontage, 27,5 x 15,5 cm, Berlinische Galerie, Berlin. © VG Bild-Kunst, Bonn 2014 / Foto: Berlinische Galerie, Landesmuseum für Moderne Kunst, Fotografie und Architektur, Berlin. Fotograf: Kai-Annett Becker. Abbildung 14: Hannah Höch, Aus einem ethnographischen Museum X: Hörner, 1924, Fotomontage, 19,5 x 12,4 cm, Berlinische Galerie, Berlin. © VG BildKunst, Bonn 2014 / Foto: Berlinische Galerie, Landesmuseum für Moderne Kunst, Fotografie und Architektur, Berlin. Fotograf: Kai-Annett Becker. Abbildung 15: Hannah Höch, Aus einem ethnographischen Museum: Entführung, 1925, Fotomontage, 21,3 x 22,0 cm, Kupferstichkabinett, Staatliche Museen zu Berlin. © VG Bild-Kunst, Bonn 2014 / Foto: bpk / Kupferstichkabinett, SMB. Fotograf: Jörg P. Anders. Abbildung 16: Hannah Höch, Mischling, 1924, Fotomontage, 11,0 x 8,2 cm, Institut für Auslandsbeziehungen, Stuttgart. © VG Bild-Kunst, Bonn 2014 / Foto: Institut für Auslandsbeziehungen, Stuttgart. Abbildung 17: Hannah Höch, Deutsches Mädchen, 1930, Fotomontage, 20,5 x 10,5 cm, Berlinische Galerie, Berlin. © VG Bild-Kunst, Bonn 2014 / Foto: Berlinische Galerie, Landesmuseum für Moderne Kunst, Fotografie und Architektur, Berlin. Fotograf: Markus Hawlik. Abbildung 18: Hannah Höch, Die Braut, 1933, Fotomontage, 20,0 x 19,7 cm, Sammlung Thomas Walther, New York. © VG Bild-Kunst, Bonn 2014 / Foto: Berlinische Galerie, Landesmuseum für Moderne Kunst, Fotografie und Architektur, Berlin. Fotograf unbekannt. Abbildung 19: Hannah Höch, Liebe im Busch, 1925, Fotomontage, 22,8 x 21,6 cm, Sammlung für Moderne Kunst, Museum of Fort Worth. © VG BildKunst, Bonn 2014 / Foto: Berlinische Galerie, Landesmuseum für Moderne Kunst, Fotografie und Architektur, Berlin. Fotograf: Hilde Zenker.
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Abbildung 20: Hannah Höch, Bäuerliches Brautpaar, 1931, Fotomontage, 21,0 x 21,0 cm, Neue Galerie, Privatsammlung, New York. © VG BildKunst, Bonn 2014 / Fotograf: Denise Toussaint. Abbildung 21: Hannah Höch, Aus einem ethnographischen Museum: Fremde Schönheit, 1929, Fotomontage, 11,3 x 20,3 cm, Sammlung Jean-Paul Kahn, Paris. © VG Bild-Kunst, Bonn 2014 / Foto: Berlinische Galerie, Landesmuseum für Moderne Kunst, Fotografie und Architektur, Berlin. Fotograf unbekannt. Abbildung 22: Hannah Höch, Aus einem ethnographischen Museum: Die Süße, 1926, Fotomontage, 30,0 x 15,5 cm, Museum Folkwang, Essen. © VG BildKunst, Bonn 2014 / Foto: Museum Folkwang, Essen. Abbildung 23: Hannah Höch, Aus der Sammlung: Aus einem ethnographischen Museum Nr. IX, 1929, Fotomontage, 27,6 x 19 cm, Galerie Natalie Seroussi, Paris. © VG Bild-Kunst, Bonn 2014 / Foto: Galerie Natalie Seroussi, Paris. Abbildung 24: Hannah Höch, Aus einem ethnographischen Museum: Indische Tänzerin, 1930, Fotomontage, 25,7 x 22,4 cm, Museum of Modern Art, New York. © VG Bild-Kunst, Bonn 2014 / Fotograf: Denise Toussaint. Abbildung 25: Hannah Höch, Aus einem ethnographischen Museum XII: Der heilige Berg, 1927, Fotomontage, 33,7 x 22,5 cm, Berlinische Galerie, Berlin. © VG Bild-Kunst, Bonn 2014 / Foto: Berlinische Galerie, Landesmuseum für Moderne Kunst, Fotografie und Architektur, Berlin. Fotograf: Markus Hawlik. Abbildung 26: Hannah Höch, Die Journalisten, 1925, Öl auf Leinwand, 86,0 x 101,0 cm, Berlinische Galerie, Berlin. © VG Bild-Kunst, Bonn 2014 / Foto: Berlinische Galerie, Landesmuseum für Moderne Kunst, Fotografie und Architektur, Berlin. Fotograf: Kai-Annett Becker. Abbildung 27: Hannah Höch, Aus einem ethnographischen Museum: ohne Titel III, 1930, Fotomontage, 13,3 x 17,2 cm, Museum für Kunst und Gewerbe, Hamburg. © VG Bild-Kunst, Bonn 2014 / Foto: Museum für Kunst und Gewerbe, Hamburg. Abbildung 28: Hannah Höch, Aus einem ethnographischen Museum: Mutter, 1930, Fotomontage, 41,9 x 35,0 cm, Musée national d’art moderne, Centre Pompidou, Paris. © VG Bild-Kunst, Bonn 2014 / Foto: Berlinische Galerie, Landesmuseum für Moderne Kunst, Fotografie und Architektur, Berlin. Fotograf: Schuch. Abbildung 29: Hannah Höch, Liebe, 1931, Fotomontage, 21,0 x 21,8 cm, Rahmen 34,4 x 49,4 cm, angekauft 1983, National Gallery of Australia, Canberra. © VG Bild-Kunst, Bonn 2014 / Foto: National Gallery of Australia, Canberra.
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Abbildung 30: Hannah Höch, Aus einem ethnographischen Museum: Trauer, 1925, Fotomontage, 17,6 x 11,5 cm, Kupferstichkabinett, Staatliche Museen zu Berlin. © VG Bild-Kunst, Bonn 2014 / Foto: bpk / Kupferstichkabinett, SMB. Fotograf: Jörg P. Anders. Abbildung 31: Hannah Höch, Aus einem ethnographischen Museum: ohne Titel I, 1929, Fotomontage, 49,9 x 32,5 cm, Kupferstichkabinett, Staatliche Museen zu Berlin. © VG Bild-Kunst, Bonn 2014 / Foto: bpk / Kupferstichkabinett, SMB. Fotograf: Jörg P. Anders. Abbildung 32: Hannah Höch, Aus einem ethnographischen Museum: ohne Titel II, 1929, Fotomontage, 22,3 x 15,3 cm, Museum für Kunst und Gewerbe, Hamburg. © VG Bild-Kunst, Bonn 2014 / Foto: Museum für Kunst und Gewerbe, Hamburg. Abbildung 33: Hannah Höch, Aus einem ethnographischen Museum: Denkmal II: Eitelkeit, 1926, Fotomontage, 25,8 x 16,7 cm, Germanisches Nationalmuseum, Nürnberg. © VG Bild-Kunst, Bonn 2014 / Foto: Germanisches Nationalmuseum, Nürnberg. Abbildung 34: Hannah Höch, Aus einem ethnographischen Museum VIII: Denkmal I, 1924, Fotomontage, 19,6 x 15,5 cm, Berlinische Galerie, Berlin. © VG Bild-Kunst, Bonn 2014 / Foto: Berlinische Galerie, Landesmuseum für Moderne Kunst, Fotografie und Architektur, Berlin. Fotograf: Markus Hawlik. Abbildung 35: Hannah Höch, Aus einem ethnographischen Museum: Negerplastik, 1928, Fotomontage, 51,5 x 37,5 cm, National Gallery of Art, Edinburgh. © VG Bild-Kunst, Bonn 2014 / Fotograf: Denise Toussaint. Abbildung 36: Hannah Höch, Aus einem ethnographischen Museum: Masken, 1929, Fotomontage, 25,0 x 16,0 cm, Rössner-Höch Sammlung, Backnang. © VG Bild-Kunst, Bonn 2014 / Foto: Berlinische Galerie, Landesmuseum für Moderne Kunst, Fotografie und Architektur, Berlin. Fotograf unbekannt. Abbildung 37: Hannah Höch, Fremde Schönheit II, 1966, Fotomontage, 32,5 x 15,0 cm, Institut für Auslandsbeziehungen, Stuttgart. © VG Bild-Kunst, Bonn 2014 / Foto: Institut für Auslandsbeziehungen, Stuttgart. Abbildung 38: Hannah Höch, Angst, 1970, Fotomontage, 26,5 x 22,3 cm, Germanisches Nationalmuseum, Nürnberg. © VG Bild-Kunst, Bonn 2014 / Foto: Germanisches Nationalmuseum, Nürnberg. Abbildung 39: Hannah Höch, Die Treppe, 1926, Öl auf Leinwand, 77,0 x 106,0 cm, Nationalgalerie, Staatliche Museen zu Berlin. © VG Bild-Kunst, Bonn 2014 / Foto: bpk / Nationalgalerie, SMB. Fotograf: Jörg P. Anders.
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Abbildung 40: Hannah Höch, Dada-Tanz, 1922, Fotomontage, 32,0 x 23,0 cm, Sammlung Arturo Schwarz, Mailand. © VG Bild-Kunst, Bonn 2014 / Foto: Sammlung Arturo Schwarz, Mailand. Abbildung 41: Hannah Höch, J.B. und sein Engel, 1925, Fotomontage, 24,0 x 19,8 cm, Berlinische Galerie, Berlin. © VG Bild-Kunst, Bonn 2014 / Foto: Berlinische Galerie, Landesmuseum für Moderne Kunst, Fotografie und Architektur, Berlin. Fotograf: Kai-Annett Becker. Abbildung 42: Hannah Höch, Nur nicht mit beiden Beinen auf der Erde stehen, 1940, Fotomontage, 32,3 x 20,8 cm, Institut für Auslandsbeziehungen, Stuttgart. © VG Bild-Kunst, Bonn 2014 / Foto: Institut für Auslandsbeziehungen, Stuttgart.
Zeitschrif t für Kultur wissenschaf ten Siegfried Mattl, Christian Schulte (Hg.)
Vorstellungskraft Zeitschrift für Kulturwissenschaften, Heft 2/2014
Dezember 2014, 136 Seiten, kart., 14,99 €, ISBN 978-3-8376-2869-2 E-Book: 12,99 € ISBN 978-3-8394-2869-6 Vorstellungs- oder Einbildungskraft bezeichnet die Fähigkeit zur Erzeugung innerer Bilder, die entweder Wahrnehmungen erinnernd reproduzieren oder produktiv Gegebenheiten überschreiten. Vorstellungen konstruieren imaginativ zukünftige Szenarien oder erzeugen – wie in der Kunst – ästhetische Alterität. Die interdisziplinären Beiträge dieser Ausgabe der ZfK untersuchen Figurationen und Agenturen des Imaginären: von den Todes- und Jenseitsimaginationen der christlichen Kunst, den Denk- und Sehräumen in Kunst und Medizin über Rauminszenierungen der Moderne, dem frühen Amateurfilmdiskurs bis hin zur Techno Security und Big Data. Der Debattenteil befasst sich unter dem Titel »Transparenz und Geheimnis« mit medien- und kulturwissenschaftlichen Zugängen zu Dispositiven der Überwachung.
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Lotte Everts, Johannes Lang, Michael Lüthy, Bernhard Schieder (Hg.) Kunst und Wirklichkeit heute Affirmation – Kritik – Transformation Januar 2015, 246 Seiten, kart., zahlr. z.T. farb. Abb., 29,99 €, ISBN 978-3-8376-2733-6
Lilian Haberer, Annette Urban (Hg.) Bildprojektionen Filmisch-fotografische Dispositive in Kunst und Architektur Februar 2015, ca. 308 Seiten, kart., zahlr. Abb., ca. 29,99 €, ISBN 978-3-8376-1711-5
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