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German Pages 328 Year 2014
Kerstin Schankweiler Die Mobilisierung der Dinge
Image | Band 13
Kerstin Schankweiler (Dr. phil.) lehrt am Kunsthistorischen Institut der Freien Universität Berlin in der Abteilung für die Kunst Afrikas.
Kerstin Schankweiler
Die Mobilisierung der Dinge Ortsspezifik und Kulturtransfer in den Installationen von Georges Adéagbo
Gedruckt mit Hilfe der Geschwister Boehringer Ingelheim Stiftung für Geisteswissenschaften in Ingelheim am Rhein und der Ludwig Sievers Stiftung in Hannover.
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2012 transcript Verlag, Bielefeld
Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen. Umschlagkonzept: Kordula Röckenhaus, Bielefeld Umschlagabbildungen: Georges Adéagbo: Tagesinstallation vom 07.01.2012, Cotonou. Foto: Stephan Köhler. Courtesy jointadventures.org, © Georges Adéagbo. Lektorat & Satz: Kerstin Schankweiler Druck: Majuskel Medienproduktion GmbH, Wetzlar ISBN 978-3-8376-2090-0 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet: http://www.transcript-verlag.de Bitte fordern Sie unser Gesamtverzeichnis und andere Broschüren an unter: [email protected]
Inhalt Dank | 7 1
Einleitung | 9
2
Methodische (Selbst-)Reflexionen | 21
2.1 2.2 2.3 2.4
Situierte Praxis | 21 Wissenschaft und Politik | 25 Die Frage des Kontextes | 28 Die ethnologische Perspektive | 32
3
Kunst aus Afrika in Europa | 35
3.1 Kolonialismus und Völkerkundemuseen | 37 Exkurs: Das Musée du Quai Branly in Paris | 44 3.2 Primitivismus | 52 3.3 ‚Zeitgenössische afrikanische Kunst‘ | 59 3.4 ‚Globale Kunst‘ | 70 4
Georges Adéagbo – Arbeitsweise und Rezeption | 81
4.1 Einführung in die künstlerische Praxis Adéagbos | 81 4.2 Rezeption im internationalen Kunstbetrieb | 93 5
5.1 5.2 5.3 5.4 5.5 5.6 5.7
6
6.1 6.2 6.3 6.4
L’explorateur et les explorateurs | 99 Räumlichkeit, Grundstruktur und Hauptachsen | 99 Themengebiete | 103 Materialien und Medien | 116 Die handschriftlichen Texte | 121 Ortsspezifik | 126 Analogien und Assoziationsketten | 134 Die Installationen als glatte Räume mit Einkerbungen (Deleuze/Guattari) | 138 Kontexte | 149 Installative und ortsspezifische Kunst | 150 Objektkunst | 155 Récupération | 158 Altäre | 165
6.5 Märkte | 170 6.6 Schildermalerei | 174 7
Sammeln | 183
7.1 Adéagbos théâtre du monde als eine zeitgenössische Variation der Kunst- und Wunderkammer | 185 7.2 Archivkunst – Sammeln als künstlerische Praxis | 195 7.3 La colonisation Belge en Afrique noir – Sammeln als Modell von Geschichte und Gedächtnis | 201 Dinge | 215 8.1 Dinge als Metaphern | 216 8.2 Dualismus Mensch/Ding | 223 8.3 Kulturelle Aneignung | 228 8
9
Künstlermythen | 239
9.1 9.2 9.3 9.4
Die Legende vom Künstler | 240 Installative Mythenbildung | 245 Universalistische Tendenzen der Kunstkritik | 249 Geniekult oder Tod des Autors? | 252
10
Resümee | 257 Literaturverzeichnis | 265 Abbildungsverzeichnis | 293 Materialien zu Georges Adéagbo | 303
1 2 3
Bibliografie | 303 Ausstellungen und Installationen | 314 Sammlungen und Auszeichnungen | 324
Dank
Diesem Buch geht eine Mobilisierung von Menschen, Dingen, Ideen und Kräften voraus, die nur in einem inspirierenden und motivierenden sozialen Netzwerk stattfinden konnte. Ich schätze mich überaus glücklich, in einem so wunderbaren Kreis von Unterstützerinnen und Unterstützern gearbeitet zu haben. Für den Anstoß und das Vorankommen dieser Arbeit spielten vor allem drei Menschen eine zentrale Rolle: Meine Forschungen wären nicht möglich gewesen ohne die beständige Zusammenarbeit mit Georges Adéagbo und Stephan Köhler, von denen ich die wesentlichen Informationen erhielt, auf denen meine Untersuchung fußt. Ich danke beiden von Herzen für ihre Unterstützung und das andauernde Interesse an meiner Arbeit. Sie haben mir die Mitarbeit und Beobachtung bei Auf- und Abbauten von Installationen ermöglicht, auf denen meine Einsichten in Adéagbos Arbeitsweise maßgeblich gründen. Äußerst nützlich waren auch die zahlreichen Abbildungen von Installationen, die mir großzügig bereitgestellt wurden. Nicht zuletzt bedanke ich mich für ihre Gastfreundschaft und die vielen netten Abende in Cotonou, Berlin, Brüssel, Köln, Ulm und Venedig! Meine Betreuerin an der Universität Trier, Prof. Dr. Viktoria SchmidtLinsenhoff, hat mit ihrer Lehre und ihren Forschungsschwerpunkten vom Beginn meines Studiums meinen wissenschaftlichen Werdegang entscheidend geprägt, hat mich stets gefördert und war mir die wichtigste Ansprechpartnerin für mein Promotionsvorhaben. Für ihre wertvollen Anregungen, die kontinuierliche Beratung und für die Motivation, die von ihrer Begeisterung für mein Thema ausging, möchte ich ihr herzlich danken. Ganz besonders möchte ich mich auch bei meinen Kolleginnen Denise Daum und Katja Wolf bedanken, die meine Arbeit von Anfang an begleitet und mir ihre Zeit gewidmet haben. Sie waren mir stets und in jeder Hinsicht bewährte Ansprechpartnerinnen, konstruktive Kritikerinnen und gute Freundinnen, deren Zuspruch mich immer wieder ermutigt hat.
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Sehr hilfreich bei meinen Recherchen war das Museum Ludwig in Köln, vor allem Julia Friedrich und Yvonne Garborini, die MitarbeiterInnen des documenta Archivs in Kassel sowie der Kunst- und Museumsbibliothek der Stadt Köln. Vielen Dank für Unterstützung, wissenschaftlichen Austausch, nützliche Informationen und anregende Gespräche außerdem an Joseph Adandé, Philippe Cordez, Silke Förschler, Birgit Haehnel, Romuald Hazoumé, Didier Marcel Houénoudé, Alexandra Karentzos, Andreas Langensiepen, Sarah Maupeu, Kerstin Pinther, Wendelin Schmidt, Stefanie Stallschus, Wibke Voß, Tobias Wendl, Anja G. Weichert und Kea Wienand. Dieses Buch ist aus meiner Dissertation hervorgegangen, die im April 2008 an der Universität Trier im Fach Kunstgeschichte eingereicht wurde. Das Rigorosum fand am 18. September 2008 statt. Die Promotion inklusive der Forschungsreisen, unter anderem nach Westafrika, ermöglichte mir ein Stipendium der Deutschen Forschungsgemeinschaft im Rahmen des Graduiertenkollegs „Identität und Differenz. Geschlechterkonstruktionen und Interkulturalität (18.21. Jahrhundert)“, dessen Mitgliedern mein Dank ebenso gilt wie der DFG. Der interdisziplinäre und kritische Diskurs innerhalb des Kollegs war für meine Forschungen äußert produktiv und bot einen idealen Rahmen für die Entstehung der Arbeit. Für die Gewährung von großzügigen Druckkostenzuschüssen danke ich der Geschwister Boehringer Ingelheim Stiftung für Geisteswissenschaften sowie der Ludwig Sievers Stiftung. Zum Schluss möchte ich meiner Familie und meinen Freunden meine tiefe Dankbarkeit ausdrücken: Ihr seid mein emotionaler Rückhalt! Insbesondere mein Mann Günter war immer verständnisvoll und bedingungslos an meiner Seite. Seiner Unterstützung kam bei der Fertigstellung der Arbeit eine wesentliche Rolle zu. Ich danke ihm von ganzem Herzen. Dieses Buch widme ich unserem Sohn Aaron.
1 Einleitung
Haus und Atelier von Georges Adéagbo liegen etwas außerhalb von Cotonou, der größten Stadt der Republik Benin, nahe dem Strand Togbin. Auf seinem Grundstück baut der Künstler täglich eine Installation auf, die aus den unterschiedlichsten Gegenständen bestehen kann. Er beginnt am Morgen mit einem Objekt, das ihn gerade beschäftigt oder einen speziellen Gedankengang auslöst und als „point de depart“ fungiert, wie er es selbst nennt. Davon ausgehend entwickelt sich die Installation als eine Anordnung von Dingen, die von Adéagbo in Beziehung zueinander gesetzt werden. Im September 2003 hielt ich mich vier Wochen bei Georges Adéagbo auf, um mich mit seiner künstlerischen Praxis vertraut zu machen und um deren Anbindung an visuelle Kulturen Westafrikas und die lokale Kunstszene zu recherchieren. An einem Tag meines Aufenthaltes interessierte er sich für eine Publikation, die ich mitgebracht hatte: Colonialism’s Culture von Nicholas Thomas.1 Gerade hatte ich die Einleitung gelesen, in der Thomas postkoloniale TheoretikerInnen für ihre mangelnde Wahrnehmung und Beschäftigung mit der Realität der ‚Anderen‘ kritisiert: „It is striking […] that many writers stress, in principle, the localized character of colonial and postcolonial subjectivities, while resisting much engagement with either localities or subjects.“2 Adéagbo fragte mich, ob er das Buch nehmen könne, wollte jedoch nicht darin lesen, wie ich zunächst angenommen hatte, sondern setzte mit dieser Publikation sein komplexes Bezugssystem in Gang: Er ging ins Haus, wo seine Sammlung von heterogenen Gegenständen untergebracht ist, brachte verschiedene Objekte heraus, die für ihn mit diesem ersten in Verbindung standen und ordnete sie auf der Veranda an (Abb. 1). Auf einen kleinen Holzhocker stellte er hinter dem Buch einen alten, weißen Plastikbehälter auf (vermutlich ursprünglich für Seife oder Creme), der
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Thomas 1994.
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Thomas 1994, S. ix.
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drei kleine dunkelhäutige Mädchen in heller Kleidung zeigt. Durch die Kombination der Gegenstände wurde mir klar, dass Adéagbo die Abbildung auf dem Cover von Colonialism’s Culture fokussierte, denn das reproduzierte Foto auf dem Umschlag zeigt ebenfalls drei Kinder. Sie halten einander an den Händen, in der Mitte ein hellhäutiges Mädchen in weißem Kleid und Hut mit breiter Krempe, links und rechts jeweils ein schwarzer, lediglich mit einem Höschen Abbildung 1 und 2: Georges Adéagbo: Tagesinstallation vom 03.09.2003, Cotonou
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bekleideter Junge. Während das Mädchen lächelt und kokett das rechte Bein abspreizt, schauen die beiden Jungen verunsichert in die Kamera. Unter der Abbildung heißt es „A Study in Black and White“. Die Gegenüberstellung von Schwarz und Weiß greift auch die grafische Gestaltung des Buchumschlages auf. Das Foto der drei Kinder steht – im Zusammenhang mit Thomas’ kritischer Perspektive auf den Kolonialismus – für die Machtasymmetrie und die Konstruktion der Kolonisierten als infantilisierte und ‚unzivilisierte‘ Unterlegene, in der Nacktheit ein zentraler Topos ist. Adéagbo installierte weitere Gegenstände: Rechts und links stellte er dem Buch zwei Bilder mit religiöser Thematik zur Seite, eine christliche Kreuzigungsszene und eine Darstellung der Kaaba in Mekka (Abb. 2). Diese Gegenüberstellungen regte die Assoziation der Missionierungsbestrebungen im Zuge von Eroberungen an. Unterhalb von Colonialism’s Culture verwies eine weitere Publikation mit dem Titel Les Siècles Obscurs de l’Afrique Noir auf den Topos des Dunklen und Unbekannten in der Stereotypisierung Afrikas. Abbildung 3: Georges Adéagbo: Tagesinstallation vom 03.09.2003, Cotonou
Bis zum Abend breitete sich die Installation über die ganze Veranda aus (Abb. 3), und auch meine Anwesenheit in seinem Haus ging in Form eines handschriftlichen Textes Adéagbos in das Bezugssystem der Installation ein: „Kerstin
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et la préparation de sa thèse de doctorat, chez Stéphane et Georges, à Togbinplage de Cotonou-Bénin..!“ Die Beobachtung von Adéagbos künstlerischem Arbeitsprozess in Cotonou machte mir die Sogwirkung bewusst, die seine Zusammenstellungen von Dingen bei den BetrachterInnen initiieren können: Man spürt formale, motivische oder thematische Verbindungen zwischen den Objekten auf, kann Bedeutungsassoziationen herstellen, Bezüge zum eigenen Hier und Jetzt und auch nach stundenlanger Beschäftigung mit einer Installation immer noch Neues entdecken. Adéagbos Kontaktaufnahme mit seiner Umwelt – sei es in Cotonou, New York oder in Köln – mittels eines komplexen künstlerisch inszenierten Systems von Dingen, Bildern und Ideen eröffnet ein transkulturelles Feld des Austausches und der Diskursivität. In diesem Sinne sind seine Installationen ein Modell von Globalisierung, dessen Aktualität und kritisches Potenzial mich seit meinem Aufenthalt in Cotonou nicht mehr loslässt. Die Arbeiten zeigen die kulturellen Aneignungsprozesse und Projektionen auf, mit denen wir gegenwärtig konfrontiert sind, demonstrieren jedoch in Adéagbos westafrikanischer Perspektivierung einen kulturellen Transfer jenseits von Hegemonie und Imperialismus, Exotismus und Primitivismus. Zur Zeit meines Besuches in Benin stand Adéagbos Arbeit in Zusammenhang mit der Documenta11, an der er 2002 in Kassel teilgenommen hatte. Er gestaltete eine Modifikation der Installation „L’explorateur et les explorateurs devant l’histoire de l’exploration“..! Le théâtre du monde..!3, die um den Entdecker-Topos kreist. Ursprünglich für die documenta konzipiert und auf die Stadt Kassel bezogen, wurde die Arbeit 2003 vom Museum Ludwig in Köln angekauft. Dort sollte sie im Oktober 2004 ausgestellt und in ihrem Umfang erheblich erweitert werden (Abb. 4). Die Installation L’explorateur et les explorateurs4, die bisher seine bekannteste und auch umfangreichste ist, steht im Zentrum der vorliegenden Arbeit. An ihr werden exemplarisch Adéagbos künstlerisches Verfahren sowie die wichtigsten Merkmale seiner Installationen herausgearbeitet. Die Neubearbeitung für Köln gibt mir Gelegenheit, nicht nur seine Auseinandersetzung mit dem Themenkomplex der Entdeckung, sondern auch den ortsspezifischen Arbeitsprozess und die lokalen Perspektivierungen des Themas in Cotonou, Kassel und Köln zu untersuchen.
3
Dt.: „Der Entdecker und die Entdecker vor der Geschichte der Entdeckungen“..! Welttheater..!
4
Titel der Installation im Folgenden abgekürzt.
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Abbildung 4: Georges Adéagbo: L’explorateur et les explorateurs (Teilansicht), Köln 2004
Georges Adéagbo, der keine künstlerische Ausbildung absolviert hat, wurde 1942 in Ouidah, Benin, geboren.5 Im Alter von 52 Jahren trat er 1994 zum ersten Mal in der Kunstwelt in Erscheinung, als er an der Ausstellung La Route de l’Art sur la Route de l’Esclave in Frankreich teilnahm. Die fünf Jahre zuvor in Paris realisierte Ausstellung Magiciens de la terre hatte in Europa ein enormes Interesse an ‚zeitgenössischer afrikanischer Kunst‘ ausgelöst. Bei Recherchen zur Kunstproduktion in Benin war der französische Kurator Jean-Michel Rousset 1991 zufällig auf Adéagbo getroffen und hatte dessen Installationen, die dieser bereits seit vielen Jahren täglich im Hofe seines Elternhauses aufbaute, gesehen. Kurze Zeit später wurde Adéagbo in die Publikation Contemporary Art of Africa
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In Ausstellungskatalogen und anderen Publikationen wurde bis jetzt meist Cotonou als Geburtsort angegeben. Adéagbo berichtete mir jedoch in einem Gespräch im September 2003, er sei in Ouidah geboren worden. In Cotonou wurde lediglich die Geburtsurkunde ausgestellt, allerdings erst wesentlich später. Adéagbo kennt aus diesem Grund nicht den genauen Tag seiner Geburt. Das Datum in der Geburtsurkunde lautet 23.04.1942.
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(1996) aufgenommen.6 Seitdem gehört er zu dem vom ‚westlichen‘ Kunstbetrieb definierten Kanon zeitgenössischer Kunst aus Afrika. Seit dem Ende der 1990er Jahre wurde Adéagbo zu zahlreichen Ausstellungen eingeladen, von denen die meisten in Europa stattfanden. Im Rahmen der Ausstellung Georges Adéagbo. Das Pythagoreische Zeitalter in der Galerie im Taxispalais in Innsbruck (2001) entstand ein Katalog, der einen ersten Überblick über Adéagbos Installationen von 1995 bis 2001 lieferte.7 Dazu verfassten KuratorInnen jeweils kurze Texte zu den Ausstellungsprojekten, an denen sie mit Adéagbo gearbeitet hatten. Eine früher entstandene schmale Publikation basiert hauptsächlich auf einem Interview mit Adéagbo und fokussiert dessen Biografie.8 Anlässlich von Einzelausstellungen erschienen bis 2010 vier weitere Kataloge.9 Jener der Kölner Ausstellung im Museum Ludwig (2004) enthält Texte aus postkolonialer Perspektive von Homi K. Bhabha und Viktoria SchmidtLinsenhoff.10 Zwei in Italien publizierte Kataloge anlässlich des Ausstellungsprojektes „La rencontre“..! Venise – Florence..! (Venedig, Florenz, 2007/2008) enthalten jeweils reichliches Bildmaterial mit einer großen Anzahl von Detailaufnahmen der Installationen.11 Der erste der beiden Kataloge berücksichtigt erstmals ausführlicher den Entstehungsprozess der Arbeiten in Cotonou.12 Der spätere und bisher umfangreichste Katalog ist als Dokumentation aller Ausstellungen Adéagbos in Italien angelegt (Biennale von Venedig 1999, Rom 2000, Venedig 2007, Florenz 2008) und enthält neben neuen Beiträgen zur Florentiner Ausstellung vorwiegend Übersetzungen und Nachdrucke älterer Texte. Bis zur Fertigstellung des Manuskripts dieses Buches existierten zu Adéagbos Assemblagen hauptsächlich kürzere Katalogtexte, einige Zeitschriftenartikel und vor allem Rezensionen, die jedoch keine detaillierten Beschreibungen der kleinteiligen Installationen beinhalten. Nur wenige Beiträge bieten Interpretationsvorschläge oder heben die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit Adéagbo auf ein theoretisches Niveau. Die folgende Analyse von L’explorateur et les explorateurs schließt diese Forschungslücken und entwickelt erstmals eine Systematisierung der umfangreichen Installation nach wesentlichen Aspekten und Merkmalen, die
6
Magnin, Soulillou (Hg.) 1996.
7
Eiblmayr (Hg.) 2001.
8
Adéagbo 1998.
9
Bertola, Köhler (Hg.) 2008; Bertola (Hg.) 2007; Friedrich, König (Hg.) 2004; Adéagbo 1997.
10 Bhabha 2004; Schmidt-Linsenhoff 2004. 11 Bertola, Köhler (Hg.) 2008; Bertola (Hg.) 2007. 12 Köhler 2007.
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auf weitere Arbeiten Adéagbos angewendet werden kann. Die Untersuchung legt die erste umfassende Interpretation seiner konzeptuellen Arbeitsweise vor. Dieses Buch ist jedoch keine konventionelle Monografie im Sinne von „Leben und Werk“, sondern eine kulturwissenschaftlich ausgerichtete Forschungsarbeit, deren Schwerpunkt auf der Verortung von Adéagbos künstlerischer Arbeit in kulturell diversen Kontexten und Diskursen liegt. Dabei werden jeweils Bezüge zu historisch-politischen, gesellschaftlichen, ökonomischen, künstlerisch-ästhetischen und räumlichen Bedingungen hergestellt. Als ausführliche und theoretisch motivierte kunstwissenschaftliche Auseinandersetzung mit einem einzelnen Künstler hebt sich diese Studie von der meist oberflächlichen Beschäftigung mit Kunst aus Afrika ab, deren Symptome etwa große Überblicks- und Gruppenausstellungen sowie -kataloge „afrikanischer Kunst“ sind. Auf der Metaebene problematisiert sie die Rezeption von Kunst aus Afrika in Europa und entwickelt eine Methodik, die für die europäische Kunstwissenschaft einen Lösungsansatz für ihre Auseinandersetzung mit zeitgenössischer außereuropäischer Kunst bietet. Spätestens mit seinem Beitrag zur Documenta11 hat Adéagbo in der ‚westlichen‘ Kunstwelt Anerkennung erfahren und gilt heute international als einer der bedeutendsten Künstler Westafrikas. Nach der elften Auflage hat auch die documenta 12 (2007) eindrucksvoll den Wandel des europäischen Kunstbetriebes belegt, der mittlerweile Arbeiten von zeitgenössischen KünstlerInnen aus dem Süden und Osten einschließt, anstatt lediglich europäische und nordamerikanische Positionen zu präsentieren, wie es bis in die 1990er Jahre hinein weitestgehend üblich war. Längst müssen die documenta und die Biennale von Venedig weltweit mit ähnlichen Ausstellungsformaten konkurrieren, die dazu beitragen, den internationalen Ausstellungsbetrieb zu dezentralisieren und die dichotome Vorstellung vom Westen als Zentrum des Kunstbetriebs und dem Rest der Welt als Peripherie kritisch zu hinterfragen. Trotzdem bleibt die Frage nach ungleichen Chancen und Machtverhältnissen im Betriebssystem Kunst relevant. Vor diesem Hintergrund ist es ein zentrales Anliegen der vorliegenden Studie, nach dem Umgang mit Kunst im Kontext von kultureller Differenz zu fragen. Wie ist es möglich, Kunst aus anderen Kulturen einerseits nicht als das dichotome und exotisierte ‚Andere‘ zu konstruieren und andererseits nicht universalistisch unter einem europäischen Kunstbegriff zu fassen, der ihre Differenz verschwinden lässt? Diese übergeordnete Fragestellung leitet die Auseinandersetzung mit Adéagbos Arbeit unter Bezugnahme auf ein selektiv zusammengestelltes „Patchwork“ von kulturwissenschaftlichen Theorien, die im Dialog mit dem Forschungsgegenstand kritische Brennpunkte für die Untersuchung bilden und differenzierte Begrifflichkeiten für die Analyse liefern. Mein Ansatz basiert dabei hauptsächlich auf – aus den Installationen und ihren aktuellen Diskur-
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sivierungen heraus entwickelten – postkolonialen Fragestellungen im Rückgriff auf differenztheoretische Texte (postmoderne, dekonstruktivistische, feministische und kulturanthropologische). Gleichzeitig gehe ich davon aus, dass Adéagbos konzeptuelle Arbeitsweise und seine Kunstwerke selbst einen wichtigen und untersuchenswerten Beitrag zur Diskussion um Identität und Differenz und die Frage nach dem Umgang mit ‚fremden‘ Dingen leisten. In den letzten Jahrzehnten hat ein Blickwechsel sowohl in der Kunstproduktion als auch in der Kunstwissenschaft stattgefunden, der die Kontexte künstlerischer Arbeiten stärker berücksichtigt. Die Zeitschrift kritische berichte gab Ende 2005 ein Heft mit dem Titel „in situ – in context“ heraus, in dem dieser Perspektivenwechsel beschrieben wird, „der in den letzten Jahrzehnten Kunstgegenstände vermehrt in ihrem Präsentationszusammenhang wahrnimmt. Demnach werden die Orte der Her- und Ausstellung als ein wesentlicher Bestandteil des Deutungsvorgangs verstanden, der die Identität sowohl der Werke als auch der Künstler/innen definiert.“13 Gilt dies vorwiegend für Arbeiten von europäischen KünstlerInnen, so ist es für die Rezeption außereuropäischer Kunstwerke eher ungewöhnlich, die Orte der Herstellung zu berücksichtigen – wie eingangs im Zitat von Nicholas Thomas thematisiert –, bedeutet dies doch aufwendige Reisen in entfernte Länder: ein Vorgehen, das eher ethnologischer als kunstwissenschaftlicher Forschung zu entsprechen scheint. Vor dem Hintergrund der weitestgehend eurozentristischen Rezeption von Kunst aus Afrika steht meine Beschäftigung mit Georges Adéagbos Arbeiten exemplarisch für den Versuch, sowohl die Orte der Produktion als auch der Rezeption zu berücksichtigen und den Bedeutungsverschiebungen nachzugehen, die die Installationen durch ihre Mobilisierung erfahren. Die Untersuchung basiert dabei auf einem monografischen Close-reading in der Herausarbeitung der Strategien und Charakteristika von Adéagbos künstlerischer Praxis und der durch sie entwickelten Denkmodelle sowie ihrer Kontextualisierung innerhalb unterschiedlicher visueller Kulturen. Damit gehe ich auch den Zusammenhängen „zwischen kultureller Alltagspraxis und ästhetischer Konstruktion, zwischen gelebten und künstlerisch inszenierten Diskursen“14 nach. Die fokussierten thematischen Schwerpunkte – Sammeln, Dinge, Künstlermythen – sind sowohl aus den Arbeiten heraus entwickelt als auch aus zentralen Topoi ihrer (‚westlichen‘) Rezeption. Die Installationen Adéagbos werden hinsichtlich kultur- und kunstwissenschaftlicher Fragestellungen diskutiert, ohne sie jedoch als ‚Fremdes‘ zu
13 Nicolai, Weddigen 2005, S. 3. 14 Schmidt-Linsenhoff 2005, S. 1.
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konstruieren und primitivistisch als „Korrektiv der dominanten Kultur“15 einzusetzen. Als eine ästhetisch-konzeptuelle Spielart stehen die Arbeiten im transkulturellen Dialog mit anderen künstlerischen Positionen und nehmen einen Platz in der Kunstgeschichte ein, die nicht mehr als eurozentristisch gedacht ist. Damit fungieren sie nicht als „konstitutives Außen“16 im Sinne einer difference against, sondern sind vielmehr difference within.17 Mit meiner Arbeit plädiere ich für eine transkulturelle Kunstgeschichtsschreibung, die die Polyzentrik der kulturellen Räume berücksichtigt und versucht, kunsthistorische Prozesse, die dadurch extrem verdichtet erscheinen, multikausal zu erklären. Die vorliegende Untersuchung ist in zehn Kapitel gegliedert. Nach der Einleitung erläutert das Kapitel 2, Methodische (Selbst-)Reflexionen, meine wissenschaftliche Praxis im Anschluss an die feministische Wissenschaftskritik, die die „Situierung“ von Wissen fordert. Die Forschungsarbeit ist in diesem Sinne als performative Handlung der lokalisierbaren Autorin zu verstehen. Aus diesem Grund leitet mein Aufenthalt in Benin dieses Buch ein und markiert die Subjektivität und Partikularität der Perspektive, die den Ausgangspunkt einer performativen Kunstgeschichtsschreibung bildet. Meine wissenschaftliche Arbeit wird in Kapitel 2 explizit als postkoloniale, gesellschaftskritische und politische verortet. Die Frage nach dem Kontext der Arbeiten Adéagbos, die sich daran anschließt, geht zwar davon aus, dass es keinen ‚authentischen Ort‘ für sie gibt, an dem sie zu kontextualisieren wären. Trotzdem spielt die Diskursivität der Orte – sowohl jener der Produktion als auch jener der Rezeption – eine entscheidende Rolle für die Bedeutungsproduktion. Meine kunstwissenschaftliche Herangehensweise zeichnet sich dabei durch ihre ethnologische Perspektive aus, die hier erläutert wird. Kapitel 3 legt mit der Rezeptionsanalyse von Kunst aus Afrika in Europa eine kritische Genealogie der Machtasymmetrien im Hinblick auf die in Europa konstruierte Kategorie ‚(zeitgenössische) afrikanische Kunst‘ vor. Sie ist der Analyse von Adéagbos Arbeiten vorangestellt, weil diese historische Perspektive notwendig ist, um die Konstituierung des „zeitgenössischen Feldes der Macht“18 nachzuvollziehen und Adéagbos sowie meine eigene Position darin zu reflektieren. Der historische Überblick beginnt mit der Rezeption von afrikanischen Artefakten im Rahmen des frühen Kolonialismus ab dem 15. Jahrhundert und zeich-
15 Loreck 2004, S. 20. 16 Vgl. Butler 1991. 17 Vgl. Burbules 1997. 18 Butler 1991, S. 20.
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net die Entwicklungen bis in die globale Gegenwart hinein nach. Dabei dienen vor allem die Formen der Repräsentation in musealen Institutionen und Ausstellungen als Indikatoren für kulturelle Übereinkünfte und die Konstruktion von Identität und Alterität. Ein Exkurs zum Pariser Musée du Quai Branly verdeutlicht die aktuelle Brisanz der Debatte um Objekte aus außereuropäischen Kulturen in europäischen Museen. Kapitel 4, Georges Adéagbo – Arbeitsweise und Rezeption, führt in Adéagbos künstlerische Praxis ein und identifiziert die Ortsspezifik und den Kulturtransfer als die zentralen Strategien seiner konzeptuellen Arbeitsweise. Es zeichnet seine Karriere im internationalen Ausstellungs- und Kunstbetrieb nach und reflektiert unterschiedliche kuratorische Praktiken im Umgang mit Adéagbos Werk. Eine ausführliche Beschreibung und Analyse bietet Kapitel 5, L’explorateur et les explorateurs. Hier wird Adéagbos Arbeitsweise exemplarisch am Material konkretisiert und vorgeführt. Es werden wichtige Aspekte, Themenkomplexe und die zentralen Charakteristika der Installation herausgearbeitet, auf deren Grundlage die in den folgenden Kapiteln ausgeführten Themenschwerpunkte entwickelt werden können. Kapitel 6, Kontexte, verortet Adéagbos Installationen kaleidoskopisch in kulturell verschiedenen visuellen Kulturen und geht der Frage nach, welche Bedeutungen die Arbeiten an unterschiedlichen Orten jeweils produzieren. Dazu werden sie einerseits in den Kontext einer europäischen und nordamerikanischen Kunstgeschichte der installativen und ortsspezifischen Kunst sowie der Objektkunst gestellt. Andererseits werden sie erstmals in kulturellen und künstlerischen Praktiken Westafrikas wie der récupération (‚Recycling‘), der Schildermalerei sowie der Ästhetik der Objektanordnung von Altären und Märkten verortet. Die letzten drei Kapitel sind Adéagbos ästhetischer Verarbeitung von kulturellen Relationen zwischen Afrika und Europa gewidmet und gehen verstärkt den konzeptuellen Aspekten der Installationen nach, die unter den Stichworten „Sammeln“, „Dinge“ und „Künstlermythen“ verhandelt werden. Kapitel 7 untersucht die kulturelle Praxis des Sammelns, die Adéagbos künstlerisches Verfahren maßgeblich bestimmt. Seine Strategie der Akkumulation von Dingen wird mit dem Sammelkonzept der frühneuzeitlichen Kunst- und Wunderkammern verglichen und als zeitgenössische und postkoloniale Variante dieses Sammlungstypus interpretiert. Die spezifische Arbeitsweise des Künstlers wird zu den unterschiedlichen Verfahren und ästhetischen Lösungen zeitgenössischer „Archivkunst“ in Bezug gesetzt, die das Sammeln für die künstlerische Praxis adaptiert hat. Dabei lese ich Adéagbos Wissensorganisation am Beispiel der Installation La colonisation Belge en Afrique noir (2000/2005) als alternatives Modell von
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Geschichts- und Gedächtniskonstruktion. Das Thema Sammeln bildet die Grundlage für die beiden folgenden Kapitel über Dinge (Kapitel 8) und über das Künstlersubjekt (Kapitel 9: Künstlermythen), denn erst der performative Akt des Sammelns setzt Adéagbo und die Dinge in Beziehung zueinander. Seinen Einsatz von Gegenständen und den Modus der Bedeutungszuweisung interpretiere ich dabei als metaphorischen. Die Wichtigkeit der materiellen Kultur und die Aufwertung der Dinge innerhalb von Adéagbos künstlerischem Konzept problematisieren die dichotome Setzung Mensch/Ding. Seine Arbeitsweise lässt sich darüber hinaus als kultureller Aneignungsprozess beschreiben, im Zuge dessen sich soziale Beziehungen und Machtverhältnisse zwischen Menschen und Kulturen in den Dingen materialisieren. In Kapitel 9 gehe ich der auffälligen Mythologisierung von Adéagbos Biografie in der europäischen Kunstkritik nach, die sich nahtlos in die ‚westliche‘ Genealogie von Künstlerlegenden einzufügen scheint. Diesen Rezeptionsmodus beschreibe ich als eurozentristische, universalistische Absicht, die ‚andere‘ Modelle von Künstlertum ausblendet. Adéagbos Verweise auf den Umgang mit seiner Person und sein Selbstverständnis, die er in seine Arbeiten integriert, bespreche ich unter dem Stichwort „installative Mythenbildung“. Abschließend verorte ich Adéagbos künstlerische Konzeption des Subjektes im Feld zwischen Geniekult und „Tod des Autors“ und frage nach der Bedeutung des „Autors Adéagbo“ für die Interpretation seiner Arbeit – eine Frage, die auch über die Einzelanalyse hinaus kunstwissenschaftliche Relevanz besitzt und im Kontext von kultureller Differenz neu gestellt werden muss.
2 Methodische (Selbst-)Reflexionen
2.1 S ITUIERTE P RAXIS Vor dem Hintergrund des Eurozentrismus der deutschen Kunstgeschichte, auf den es noch einzugehen gilt, war es für mich entscheidend, eine Herangehensweise zu wählen, die kulturelle Differenz beachtet und meine partikulare Position explizit markiert. Bezeichnenderweise gilt im wissenschaftlichen Schreiben jedoch bereits die Verwendung des Personalpronomens „ich“ als stilistisch unschön. Zugunsten einer vermeintlich objektiven Schreibweise, die eine normative ist, wird das „ich“ in der Forschungsliteratur meist aufgegeben und durch ein neutraler anmutendes „man“ ersetzt. Im Gegensatz dazu möchte ich die Subjektivität meiner Forschungsarbeit deutlich machen, die durch meine spezifische Ausbildung sowie durch mein Interesse am Verhältnis von Kunst und kultureller Differenz geprägt ist.1 Das Paradigma der Neutralität und Objektivität in den Wissenschaften verschleiert, dass es sich bei wissenschaftlichen Abhandlungen immer um eine partikulare Sichtweise handelt.2 Durch diese Verschleierung bleibt der Blick des sprechenden bzw. schreibenden Subjektes unmarkiert, und
1
Michael Baxandall hat darauf hingewiesen, dass Sprache im Erklären von Kunst stets unsere Interpretationsarbeit beschreibe, nicht etwa das ‚Kunstwerk selbst‘. Baxandall 1990, S. 25.
2
Vgl. dazu z.B. Halbertsma, Zijlmans 1995, S. 7f. Das Begriffspaar subjektiv/objektiv erhielt seine heutige Bedeutung erst durch Kant. Wissenschaftliches Ideal in Verbindung mit bestimmten Praktiken ist die Objektivität seit der Mitte des 19. Jahrhunderts. Lorraine Daston bemerkt zur Geschichte der wissenschaftlichen Objektivität: „Dass das Regime der Objektivität die Oberhand gewonnen hat, kann als verzweifelter Versuch verstanden werden, einen kleinen Kern von Fakten vor der Flut des wissenschaftlichen Fortschritts zu bewahren. Objektivität ist nicht nur verschieden von Wahrheit, sie ist ein Rückzug von der Wahrheit.“ Daston 2002, S. 57.
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es wird der Eindruck erweckt, etwas Allgemeingültiges darzulegen. Ein universalistischer Ansatz, der die eigene Position als Norm setzt, konstruiert eine Dichotomie und Hierarchie zwischen dem machtvollen ‚Eigenen‘ und dem machtlosen Forschungsgegenstand als ‚Anderem‘, sei er geschlechtlich, ethnisch, kulturell oder anderweitig markiert. Cornelia Klinger hat deutlich gemacht, wie Dualismen strukturiert sind:3 Begriffspaare (Kultur/Natur, Geist/Körper, Mann/Frau, weiß/schwarz usw.) werden als Gegensätze konstruiert, segregiert und hierarchisiert, also stets asymmetrisch konzipiert: „Die Differenz zwischen Einem und Anderem ist mit einem Index versehen, d.h. der eine Term wird als (zeitlich) erster, (räumlich) oberer, (qualitativ) besserer vor bzw. über dem zweiten, unteren, schlechteren platziert.“4 Zusätzlich wird eine „Verschattung, Verschleifung und Verleugnung“ forciert, die die „abschüssige Struktur“ noch weiter ausprägt und das Herrschaftsverhältnis manifestiert. Bei der dichotomen Setzung eines ‚westlichen‘ und eines ‚nichtwestlichen‘ Subjekts beispielsweise steht die Bezeichnung ‚nicht-westlich‘ – von Klinger abstrahierend als „Non-A“ bezeichnet5 – für den Verlust eines Eigennamens. Das Subjekt wird nicht mit B benannt, was beispielsweise ‚südlich‘, ‚afrikanisch‘ oder ‚osteuropäisch‘ entsprechen würde, auf das C, D, E usw. folgen könnten, sondern mit „Non-A“, da es nur noch in Relation zu A (‚westlich‘) gedacht wird. Hierin drücken sich die Abhängigkeit und der vermeintliche Mangel aus, welche Negation und einen radikalen Ausschluss bedeuten. Folglich wird der zweite Term zum Schatten des ersten und verliert mit der Eigenständigkeit auch die Möglichkeit zur Differenz.6 Während ‚nicht-westlich‘ („Non-A“) nicht benannt, aber markiert ist, bleibt das benannte ‚Westliche‘ unmarkiert. Infolgedessen erhält der erste, in der Hierarchie oben angesiedelte Term einen universalen Status und wird als (unsichtbare) Norm konstruiert, die schwer angreifbar ist.7 Die unmarkierte Norm ist vor allem von feministischen Wissenschaftlerin-
3
Die folgenden Ausführungen beziehen sich auf Klinger 2005 sowie auf einen Vortrag mit Workshop unter der Leitung von Cornelia Klinger im Rahmen des Graduiertenkollegs „Identität und Differenz“ an der Universität Trier (06./07.07.2005). Ich danke ihr für die Anregungen.
4
Klinger 2005, S. 350.
5
Klinger 2005, S. 350. Klinger bezieht sich hier auf Nancy Jay.
6
Klinger 2005, S. 351.
7
Vor diesem Hintergrund ist das Begriffspaar ‚westlich‘/‚nicht-westlich‘ problematisch und wird in der vorliegenden Arbeit nur mit distanzierenden Anführungszeichen verwendet, wenn es um dominante diskursive Vorstellungsmuster geht. Ebenfalls unbefriedigend sind die hier behelfsmäßig verwendeten Begriffe europäisch/außereuropä-
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nen als hegemoniale, männliche, weiße Subjektivität identifiziert worden.8 Deren Machtanspruch ist deshalb so schwer zu durchbrechen, weil sie als unsichtbare Gesetzmäßigkeit agiert und dabei alles markiert, was diesen unausgesprochenen normativen Anforderungen nicht entspricht. Das ‚Andere‘ wird dadurch erst konstruiert und zugleich als defizitär ausgewiesen. Donna Haraway hat aus einer feministischen Perspektive daher für ein „situiertes Wissen“ plädiert, „[…] für die Verortung und Verkörperung von Wissen und gegen verschiedene Formen nicht lokalisierbarer und damit verantwortungsloser Erkenntnisansprüche, wobei verantwortungslos hier heißt, nicht zur Rechenschaft gezogen werden zu können.“9 Diese Forderung Haraways kann gleichermaßen eine kulturelle Verortung von Wissen beinhalten. Dabei bedeutet die Anerkennung einer von kulturellen Dispositionen geprägten subjektiven Forschungsarbeit nicht deren Beliebigkeit, wie Lorraine Daston betont: „Wenn sich herausstellt, dass ein wissenschaftliches Ergebnis seine Wurzeln in kulturellen Überzeugungen hat, dann folgt daraus nicht zwangsläufig, dass dieses Ergebnis ungültig ist. […] Wenn man das Eingebettetsein der Wissenschaft in Kultur analysiert, bestreitet man damit nicht die Rationalität der Wissenschaft.“10
Die Situierung von Wissen macht vielmehr die Thesen und Ergebnisse nachvollziehbar sowie überprüfbar und beschreibt die Voraussetzungen von Forschung wesentlich genauer. Daher ist ‚subjektiv‘ hier nicht ‚beliebig‘ gleichzusetzen, sondern präzisiert im Gegenteil die Herangehensweise.
isch, weil „sie nur unzureichende Beschreibungshilfen darstellen. Die geographische Einordnung allein sagt noch wenig Genaues über ein Kunstwerk aus. Darüber hinaus entziehen sich immer mehr Künstlerinnen und Künstler aufgrund ihrer Herkunft und Biographie einer eindeutigen Klassifizierung.“ Paul 2003, S. 27. Trotzdem gilt die Bezeichnung ‚außereuropäisch‘ zugleich „als Sammelbegriff für die unterschiedlichen Gebrauchs- und Denkweisen, die zusammen eine alternative Tradition innerhalb der Gegenwartskunst darstellen.“ Valentijn Byvanck, zitiert nach Paul 2003, S. 28. 8
Für das Fach Kunstgeschichte vgl. zusammenfassend Schade, Wenk 2005 und Paul 2003a.
9
Haraway 1995, S. 83. In Anlehnung an Haraway forderte Barbara Paul eine situierte Praxis für die Kunstgeschichte. Paul 2003, S. 44ff. Seit Mitte der 1990er Jahre kam v.a. in den USA die Theorie des „performative writing“ auf, die einen ähnlichen Ansatz verfolgt. Vgl. Jones, Stephenson (Hg.) 1999.
10 Daston 2003, S. 62.
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Wenn ich mich gegen einen normativen Objektivismus (und damit auch gegen einen objektivistischen Werkbegriff) stelle und meine subjektive Interpretation im Sinne der Rezeptionsästhetik betone, soll das nicht meine Subjektposition gegenüber dem ästhetischen Objekt stärken. Sie wird im Gegenteil verunsichert, da der persönliche Zugang nur experimentell sein kann.11 Die offene Struktur der Installationen Adéagbos, die in den folgenden Kapiteln auführlich beschrieben wird, macht dies umso deutlicher und fordert die BetrachterInnen heraus, eigene Herangehensweisen zu entwickeln. Das Bewusstsein, sich selbst einbringen zu müssen, und die unendlichen Möglichkeiten der Verbindungen zwischen den einzelnen Gegenständen machen deutlich, dass die Interpretationen heterogen ausfallen können oder sogar müssen. Adéagbos kulturelle und künstlerische Praxis betont kulturelle Differenzen und adressiert die BetrachterInnen in ihrer jeweiligen kulturellen Spezifik, was darüber hinaus die heteronome Bestimmung jeder Subjektivität bewusst macht.12 Wenn ich vor allem die kulturelle Differenz unter den vielen möglichen Differenzen thematisiere, dann geschieht dies in dem Bewusstsein, einer aktuellen ‚Leit-Differenz‘ zu folgen, die den gegenwärtigen Diskurs dominiert: Migration, globale Vernetzung und Mobilität haben die Wahrnehmung von kultureller Alterität verstärkt und sie als eines der momentan gesellschaftspolitisch zentralen Themen etabliert. Meine Schwerpunktsetzung hängt daher mit meiner Zeitgenossenschaft zusammen, und es ist wahrscheinlich, dass in nur wenigen Jahrzehnten andere Themen dominieren und sich eine völlig andere Interpretation von Adéagbos Arbeiten anbieten wird. Wie Kathrin Hoffmann-Curtius schreibt: „Die Fragen, die wir stellen, entstehen immer auch aus der eigenen Zeit, aus unserer Gegenwart heraus. Mit genügend Distanz wird sich stets die Bedingtheit unserer Arbeit und die eigene kulturelle Prägung, die westeuropäische und speziell diejenige durch die deutsche Geschichte, an ihr ablesen lassen.“13
Dabei bin ich mir auch der konstitutiven Macht bewusst, die ich mittels meiner Repräsentationsansprüche ausübe. „Offensichtlich kann die politische Aufgabe nicht darin bestehen, die Repräsentationspolitik abzulehnen – als wäre das überhaupt möglich.“14 Wie Judith Butler hinsichtlich des „zeitgenössischen Feldes der Macht“ deutlich gemacht hat, gibt es „keine Position außerhalb dieses Gebie-
11 Rebentisch 2003, S. 15ff. 12 Rebentisch 2003, S. 261f. 13 Hoffmann-Curtius 2005, S. 70. 14 Butler 1991, S. 20.
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tes, sondern nur die kritische Genealogie seiner Legitimationspraktiken“.15 Haraway schreibt: „Positionierung ist daher die entscheidende wissenbegründende Praktik […]. Positionierung impliziert Verantwortlichkeit für die Praktiken, die uns Macht verleihen.“16
2.2 W ISSENSCHAFT
UND
P OLITIK
Der Partikularität der Perspektive Nachdruck zu verleihen, ist ein erster Schritt, der im Folgenden von einer theoretisch-methodischen Verortung flankiert werden muss, um damit auch diskursstrategisch zu operieren. Ausgehend von Adéagbos künstlerischer Praxis basiert diese Studie auf einem kulturwissenschaftlichen, postkolonialen Ansatz, der auch die Grundgedanken der gender studies einbezieht. In Deutschland haben vor allem feministische Fragestellungen und Positionen auf (geschlechtlich) hierarchisierte Gesellschaftsstrukturen aufmerksam gemacht.17 Zwar geht es in der vorliegenden Arbeit nur am Rande um geschlechtliche Differenz, jedoch knüpfe ich vielfach an die Thesen und Errungenschaften der gender studies an und führe in ihre macht- und repräsentationskritischen Ansätze die Kategorie der kulturellen Alterität und der Transkulturalität ein. Somit verstehe ich die gender studies als strukturell eng mit den postcolonial studies verknüpft. Robert Young schreibt, dass postkoloniale Theorien die Möglichkeit einer Haltung erlaubten, die eigentlich radikal antitheoretisch sei (ähnlich dem Feminismus): Der Wert von individuellem Bewusstsein und Erfahrungen habe Vorrang, das heißt, Postkolonialismus schenke dem Persönlichen und dem Subjektiven große Bedeutung.18 Postkoloniale Kritik beinhaltet das Überdenken der Geschichte (der Kolonisation) und untersucht aktuelle soziale und kulturelle Auswirkungen und Effekte dieser Geschichte – und zwar nicht nur in den ehemaligen Kolonien, sondern auch in den kolonisierenden Ländern und in solchen, die keine eigenen Kolonien hatten, aber trotzdem am System des Kolonialismus beteiligt waren.19
15 Butler 1991, S. 20. 16 Haraway 1995, S. 87. 17 Vgl. z.B. Bußmann, Hof (Hg.) 2005. 18 Young 2001, S. 64. Die Bemerkung Youngs, dem Subjektiven Vorzug zu geben, sei anti-theoretisch, ist dem bereits problematisierten Ideal der wissenschaftlichen Objektivität geschuldet, von dem ich mich hier distanziere. 19 Mark Terkessidis benennt den „Raum der Halbabhängigkeit“, der nicht kolonialer Raum ist, aber in dem sich trotzdem Machtverhältnisse und „koloniale Haltungen“
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Das „postkoloniale Projekt“ hat die „Auflösung des Zentrum/RandBinarismus des imperialen Diskurses“20 zum Ziel. Dabei trägt die Vergangenheit dazu bei, die Konfigurationen und Machtstrukturen der Gegenwart zu verstehen. Postkoloniale Theorien setzen Vergangenheit und Gegenwart in Bezug zueinander mit dem Ziel, die Gegenwart aus der Umklammerung der Vergangenheit heraus neu zu bewerten bzw. aktiv zu verändern. Dieser Ansatz beruht auf einer anti-kolonialistischen Haltung. Wenn ich dies für meine eigene wissenschaftliche Arbeit reklamiere, dann möchte ich sie als eine politische verstanden wissen. Kunstwissenschaft und Politik zusammen zu denken, ist nicht selbstverständlich und aufgrund des Objektivitäts-Ideals keineswegs anerkannt. In der Bundesrepublik Deutschland ist eine „Politikfeindlichkeit in Sachen Kunst“21 zu verzeichnen, die sich vor allem auf die Erfahrungen des Nationalsozialismus zurückführen lässt. Die im angloamerikanischen Raum beispielsweise längst etablierten postcolonial studies wurden und werden in Deutschland nur sehr zögerlich übernommen, was auch von dem Missverständnis herrührt, der Kolonialismus betreffe Deutschland nicht.22 Viktoria Schmidt-Linsenhoff hat sich mit der Frage auseinandergesetzt, warum die Kunstgeschichte in Deutschland den postcolonial turn ausgelassen hat und prägte für dieses Phänomen die Formel des „kolonialen Unbewussten in der Kunstgeschichte“.23 Isabelle Graw hat darauf hingewiesen,
ausdrücken. Terkessidis 2005, S. 14f. Das Thema „Kolonialismus ohne Kolonien“ wurde vorbildhaft in einer Züricher Ausstellungsreihe (2005-2007) der Shedhalle am Beispiel der Schweiz thematisiert. Vgl. Shedhalle Zeitung 2, 2005. 20 Weibel 1997, S. 10. 21 Paul 2003, S. 45. „Sie [die bundesrepublikanische Kunstgeschichte] beschäftigte sich zu wenig mit den Folgen explizit deutscher kolonialer Erfahrungen und sie kümmerte sich nicht ausreichend um die Aufarbeitung der Zeit des Nationalsozialismus und seiner Kunstpolitik, die vermeintlich ‚primitive‘ Ausdrucksformen diskriminierte.“ Erst seit den 1990er Jahren ist in Deutschland wieder eine zunehmende Politisierung der Kunstwissenschaft zu verzeichnen. 22 Schmidt-Linsenhoff 2002, S. 10. 23 Schmidt-Linsenhoff 2005a; Schmidt-Linsenhoff 2002. Seit den 1990er Jahren beschäftigen sich zunehmend vor allem Kunsthistorikerinnen mit der postkolonialen Perspektive (teilweise in Kombination mit genderspezifischen Fragen), z.B. SchmidtLinsenhoff 2010; Below, Bismarck (Hg.) 2005; Kunst und Politik. Jahrbuch der Guernica-Gesellschaft, Bd. 4, 2002, Schwerpunkt: Postkolonialismus; Friedrich, Haehnel, Schmidt-Linsenhoff u.a. (Hg.) 1997.
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„dass keine Methode von vornherein Politizität garantiert oder gar per se politisch wäre. Wer etwa social art history betreibt und sorgsam soziale Hierarchien, politische Kontexte sowie Rezeptionsgeschichte nachzeichnet, ist deshalb nicht vor einer konservativen Reproduktion des Glaubens an den bestehenden Kanon gefeit und kann durchaus schwärmerischem Connaisseurtum erliegen.“24
Damit ist klar geworden, dass Methode und Selbstpositionierung (kulturell, politisch usw.) zwar zusammenhängen, aber nicht gleichzusetzen sind. Wissenschaftliche Ansätze und ihre Methoden zu postulieren, heißt also noch nicht viel.25 Hinzu kommt die zeitliche Spezifität von Theorien: Wenn bestimmte Perspektiven zu einer Zeit als besonders gesellschaftskritisch gelten, wie das momentan – so möchte ich behaupten – bei den postcolonial und gender studies der Fall ist, dann kann ich diese kritische Haltung doch nur „situativ“ bestimmen, das heißt „im Hinblick auf eine konkrete historische Position“.26 Schon in einigen Jahren könnten diese Ansätze vom Mainstream angeeignet werden und ihr kritisches Potenzial damit (zumindest teilweise) einbüßen.27 Ob ich angesichts externer Zwänge im Kunstbetrieb, die sich aus den Hierarchien und Gesetzmäßigkeiten des Marktes und der Institutionen ergeben, meine Position werde vertreten können und meine Arbeit zu platzieren vermag,28 wird sich erst längerfristig herausstellen. Es gilt also, einerseits den Machtdispositiven zu entkommen und sie zu kritisieren, aber andererseits trotzdem selbst machtvoll genug zu sein, um an ihrer Produktion teilhaben zu können. Die Theorien, mit denen ich arbeite, verstehe ich als historische, diskursive ‚Objekte‘ mit einer nicht nur zeitlichen, sondern auch geopolitischen Spezifität. Die verwendeten und zitierten Texte sind meist in Europa entstanden. Zwischen den Theorien und meinem ‚Untersuchungsgegenstand‘ besteht also eine kulturel-
24 Graw 2006, S. 57. 25 Das soll keineswegs die Verdienste der cultural, postcolonial oder gender studies schmälern, sich jedoch ebenso wenig auf den Errungenschaften ‚ausruhen‘. Mieke Bal schreibt: „Durch Infragestellung methodologischer Dogmen sowie elitärer Vor- und Werturteile haben die cultural studies zwar nicht überall Veränderungen erzwungen, aber sie haben in einzigartiger Weise dazu beigetragen, der akademischen Gemeinschaft das Konservative ihrer Bemühungen – ihr einverständliches Mitwirken an einer elitären, weiß-männlichen Politik der Ausschließung und der darauf folgenden intellektuellen Abschottung – zum Bewußtsein zu bringen.“ Bal 2002, S. 7. 26 Graw 2006, S. 56. 27 Vgl. Castro Varela, Dhawan 2005, S. 111ff. 28 Vgl. Graw 2006, S. 58.
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le Differenz, die nicht unproblematisch ist, verweist doch das Aufoktroyieren ‚westlicher‘ Ansätze auf universalistische Tendenzen. Ich verstehe jedoch das Verhältnis von Theorie und Forschungsobjekten dialogisch. Die Dinge ‚sprechen zurück‘, wie sich im Laufe der Analyse zeigen wird, und haben somit eine Position inne, die die Theorien und Begrifflichkeiten zu modifizieren vermag.29 Damit plädiere ich für ein intersubjektives Verständnis von wissenschaftlicher Arbeit; wie Mieke Bal schreibt, ist „Intersubjektivität […] ein Anliegen, das Verfahren mit Macht und Ermächtigung verknüpft, mit Pädagogik und mit der Vermittelbarkeit von Wissen, mit Ausschließung und Integration“.30 Außerdem akzentuiert der Begriff der Intersubjektivität die „demokratische Wissensverteilung“31. Wenn ich betont habe, dass das Verhältnis von Untersuchungsgegenstand und Theorien ein dialogisches ist, dann möchte ich hinzufügen, dass meine Herangehensweise folglich keine werkimmanente oder rein ikonografische ist, und Adéagbos Arbeiten ebenso wenig als Illustrationen der von mir favorisierten Theorien eingesetzt werden. Mein Interesse richtet sich vielmehr auf die Themen, die Adéagbo in seinen Arbeiten aufnimmt, und auf die bedeutungsproduzierenden Kontexte. Ein wesentlicher Ansatzpunkt meiner Untersuchung ist deshalb, mittels der eingehenden Beschreibung von Adéagbos Arbeit einzelne Aspekte herauszustellen und deren Verweisen auf diskursive Zusammenhänge nachzugehen bzw. diese herzustellen.
2.3 D IE F RAGE
DES
K ONTEXTES
Ein Ziel dieser Publikation ist es, die LeserInnen für die spezifischen Probleme von Kunst im Kontext von kultureller Differenz – im Folgenden exemplarisch am europäischen Umgang mit Kunst aus Afrika vorgeführt – zu sensibilisieren und eine Bewusstseinsveränderung herbeizuführen. Diese Intention sieht sich mit der Schwierigkeit konfrontiert, die untersuchten Arbeiten ihres Entstehungskontextes zu berauben. Hans Belting beispielsweise hat vor einer solchen Dekontextualisierung gewarnt: „Es bedeutet, daß Künstlern aus der dritten Welt der eigene Kontext geraubt wird, wenn wir sie bei
29 Vgl. Bals Konzeption der „wandernden Begriffe“, Bal 2002, S. 7-27. 30 Bal 2002, S. 9. 31 Bal 2002, S. 10.
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uns ausstellen.“32 Damit hat er auf das Problem der Rezeption hingewiesen, nach dem diese Kunstwerke im ‚Westen‘ nicht angemessen wahrgenommen werden könnten, beziehungsweise zwangsläufig einem ‚westlichen‘ Kunstbegriff unterworfen würden, der auch mit der Ausstellungspraxis zusammenhänge. Das Problem lässt sich nicht mit dem systematischen Ausschluss außereuropäischer Kunst lösen, an deren Erforschung ein/e europäische/r KunstwissenschaftlerIn immer scheitern müsste.33 Viel zu lange war zeitgenössische Kunst aus Afrika vom eurozentristischen Kunstbetrieb und vom Fach Kunstgeschichte in Europa ausgeschlossen. Die vorliegende Analyse begegnet dieser Schwierigkeit durch die Methode der doppelten Verortung der Installationen Georges Adéagbos an den Orten der Produktion und der Rezeption. Diese sind nicht eindeutig voneinander zu trennen: Die Arbeiten entstehen zwar hauptsächlich in Adéagbos Heimat Benin, werden jedoch zugleich durch Adéagbos Reisen bestimmt und an den jeweiligen Ausstellungsorten modifiziert; das heißt, ein Teil der Produktion findet in Europa, den USA, Japan usw. statt. Die Orte der Rezeption sind immer zugleich auch Orte der Produktion und umgekehrt. Die Entstehung der Arbeiten ist durch Adéagbos Arbeitsweise grundsätzlich transkulturell angelegt. Die unterschiedlichen Kunstgeschichten und visuellen Kulturen, die ich im Gang der Untersuchung anführen werde, sind selektiv, sollen aber kaleidoskopisch verdeutlichen, wie die Berücksichtigung diverser Kontexte die Inhalte der Arbeiten oder die Bedeutung der Objekte modifiziert. Diese Vorgehensweise ist nicht zuletzt auch Adéagbos Arbeitsweise geschuldet, die selbst auf die Orte der Produktion und der Rezeption Bezug nimmt, womit er einer Dekontextualisierung entgegenwirkt. Das gängige Vorgehen der eurozentristischen Kunstkritik möchte ich insofern kritisieren, als dass Adéagbos Installationen bisher nicht systematisch in den Kontext der Kunst(geschichte) und visuellen Kulturen Westafrikas und Benins gestellt wurden. Wie Schmidt-Linsenhoff bereits beurteilt hat: „Das Kürzel ‚lebt in Cotonou‘ ist […] eine Ent-Nennung, die den Produktionsort einer ortsspezifischen Kunst irrealisiert und eine euro-amerikanische Re-
32 Belting 1999, S. 325. Von dem pejorativen Begriff der „dritten Welt“ möchte ich mich distanzieren und außerdem die „Künstler“ um Künstlerinnen ergänzen. 33 Wollte man so argumentieren, dürfte man sich ohnehin nur mit Kunstwerken beschäftigen, die in unmittelbarer kultureller und zeitlicher Nähe zur eigenen Person entstanden sind. Die Entstehungszusammenhänge eines italienischen Altargemäldes aus dem 15. Jahrhundert sind ähnlich schwer zu rekonstruieren, wie eine zeitgenössische Arbeit aus Westafrika; beide entstammen so gesehen ‚anderen Kulturen‘. Vgl. dazu Baxandall 1990, S. 163ff.
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zeption arrogant als universell setzt.“34 Damit gehen jedoch wichtige Themen, Inhalte oder Verfahren, die auch in den Arbeiten angelegt sind, verloren. Deshalb berücksichtige ich die künstlerischen Praktiken und visuellen Kulturen des wichtigen Produktionsortes Cotonou in Benin und habe vier Kontexte herausgegriffen, die mir für Adéagbos konzeptuelle Arbeitsweise und die produktionsästhetischen Prämissen seiner Installationen besonders bedeutsam erscheinen: die populäre Schildermalerei, das Phänomen der récupération sowie die Ästhetik der Märkte und Altäre (Kapitel 6). Zugleich kontextualisiere ich Adéagbos Arbeiten in europäischen Praktiken, beispielsweise des Installierens und Sammelns. Den Rezeptionskontext zu berücksichtigen bedeutet damit auch, die Installationen in europäische Kunst- und Kulturgeschichten einzuschreiben, beziehungsweise zu fragen, welche Rolle sie innerhalb solcher spielen könnten. Dieses Vorgehen mag zunächst vereinnahmend und universalistisch anmuten. Auf diese Weise wird jedoch untersucht, welche Bedeutungsveränderungen mit der Mobilisierung von Dingen und Kunstwerken einhergehen, das heißt, welche diskursiven Sinnzusammenhänge jeweils zwischen Adéagbos Arbeiten und den unterschiedlichen Orten sowie deren Kontexten und ihren komplexen Verweissystemen entstehen. Damit verstehe ich jeden relevanten Kontext als einen unter vielen, denn das Beharren auf Benin als einem vermeintlich authentischen Kontext käme einer Exotisierung der Installationen gleich, zumal Kontexte nicht statisch, sondern veränderbar sind, nicht zuletzt durch die Kunstwerke selbst. Es geht also weniger um festgelegte Modi der Methoden und der Analyse, sondern um eine wissenschaftliche Praxis, die ihre Untersuchungsgegenstände als Bestandteile und Akteure mehrerer ästhetischer Kulturen und Wissenssysteme versteht. Ich gehe außerdem davon aus, dass gerade die multiple Situierung das kritische Potenzial von Adéagbos Arbeitsweise und den Themen, die er in den europäischen Diskurs einführt, zutage fördert. Die Grenzen der deutschen Kunstgeschichte und des Kunstbegriffes können so aus einer postkolonialen Perspektive betrachtet infrage gestellt werden. Damit soll die Kommunikation zwischen den differenten kulturellen Bedeutungszusammenhängen in Gang gesetzt und dem entgegengewirkt werden, wovor Jean-Hubert Martin gewarnt hat: „Der relativistische Diskurs spezifiziert den anderen dermaßen, dass am Ende ein Dialog und ein Vergleich nicht mehr möglich sind.“35 Die Schwierigkeit des Unterfangens hat Peter Weibel bereits 1997 beschrieben. Er fragt, wie sehr das westliche Kunstsystem
34 Schmidt-Linsenhoff 2004, S. 10. Vgl. außerdem Schmidt-Linsenhoff 2010a. 35 Martin 2001, S. 9.
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„fähig oder unfähig ist, andere Konzeptionen von Kunst einzuschließen, oder diese sogar noch in der Konstruktion eines idealisierten Anderen in Wirklichkeit ausschließt. Sind nicht die verschiedenen Formen des Andersseins immer noch Trugbilder, weil Gegenbilder unserer eigenen Identitäten? Sind nicht die Konstruktionen des Anderen immer noch koloniale und neokoloniale Phänomene in multikulturellen Gesellschaften? Bedeutet die Erlaubnis zum Anderssein in der Philosophie des Multikulturalismus zwar das Eingeständnis der Differenz, aber gleichzeitig die Verweigerung der Gleichheit? Die Erlaubnis zum Anderssein kann auch den Vorwand liefern, eben wegen dieser Alterität die Exklusion in Kauf nehmen zu müssen. Die Logik des Multikulturalismus überwindet leider nicht die Dialektik von Inklusion und Exklusion. Das Recht auf Alterität und Differenz gewährt noch nicht das eigentliche Grundrecht der Egalität. […] Der multikulturelle Diskurs birgt die Gefahr, unter der Permission zur Differenz die Verbannung der Gleichheit zu verbergen.“36
Das strukturelle Problem, das Weibel beschreibt, betrifft nicht nur das ‚westliche‘ Kunstsystem, sondern allgemeine kulturelle, politische und wirtschaftliche Prozesse und trifft den Kern der aktuellen Globalisierungskritik und Integrationsdebatten. Während das Zugestehen von Differenzen häufig zur Exklusion von Alterität genutzt wird, führt ihre Inklusion im Gegenzug meist zur Nivellierung von Differenzen durch Integration und Assimilation. Diese entspricht einer Einverleibung des ‚Anderen‘, das produktiv gemacht und gleichzeitig seiner Relevanz und Macht enthoben wird. Demnach gilt es, Adéagbos Arbeiten weder auszuschließen noch unter universalistischen Vorzeichen zu integrieren, sondern ihnen einen Platz in der Geschichte der Kunst einzuräumen, auf dem die kulturelle Differenz sichtbar bleiben kann, ohne sie als das dichotome ‚exotische Andere‘ zu konstruieren. Mit der mehrdimensionalen kulturellen Verortung einerseits und der Analyse thematischer Aspekte (z.B. Sammeln oder Gedächtnis) andererseits möchte ich mich gegen die gängige reduzierende Kategorisierung von ‚afrikanischer Kunst‘ wenden. Die Herkunft allein sagt wenig über die Arbeiten aus, zumal sie meist lediglich als Label eingesetzt wird. Bei den Kontextualisierungen ist außerdem zu berücksichtigen, dass es sich immer nur um eine Rekonstruktion der Kontexte handeln kann, oder auch um die Herstellung neuer Kontexte.37 „Verortung widersteht einer Politik der Abgeschlossenheit, der Endgültigkeit“,38 wie Haraway formuliert hat, und was für
36 Weibel 1997, S. 12f. 37 Vgl. Kemp 1991. 38 Haraway 1995, S. 90.
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meine Forschung bedeutet, dass ich die Fragestellungen dieser Studie auch mit der Drucklegung nicht als abgeschlossen verstehe.
2.4 D IE
ETHNOLOGISCHE
P ERSPEKTIVE
Am Beginn meines Projektes stand eine Feldforschung in Benin im September 2003. Der vierwöchige Aufenthalt war zwar zu kurz, um tatsächlich als ethnologische Feldforschung bezeichnet werden zu können, folgte jedoch einer ähnlichen Vorgehensweise. Gemäß dem ethnologischen Prinzip der teilnehmenden Beobachtung39 konnte ich Georges Adéagbo in Benin bei seiner täglichen Arbeit begleiten und Recherchen über die Situation der Kunstszene in Benin sowie die lokalen visuellen Kulturen anstellen. Diese Art der Forschung vor Ort, die nicht durch Textlektüre ersetzt werden konnte, war für die Kontextualisierungen der spezifischen Produktionsästhetik der Installationen unerlässlich (Kapitel 6). Durch den Kontakt zum Künstler kamen zahlreiche weitere Treffen zwischen 2004 und 2010 zustande, bei denen ich ihn während der Vorbereitung von Ausstellungen und dem Aufbau von Installationen begleiten konnte. Dadurch konnte ich mir einen guten Überblick über seine künstlerische Praxis an den verschiedenen Orten der Produktion und Rezeption verschaffen. Die Intentionen, die Adéagbo jeweils mit seinen Zusammenstellungen verfolgte, waren dabei nicht der Fokus meiner Untersuchung, sondern nur ein Aspekt unter vielen. Hauptsächlich war mein Erkenntnisinteresse auf die Beziehung zwischen den komplexen Entstehungsbedingungen beziehungsweise Kontexten und seinen Arbeiten gerichtet. Auch die Analyse der ‚Dinge‘ (Kapitel 8) unter Berücksichtigung der material culture studies schließt eine ethnologische Perspektive ein. Ihre Ansätze wurden, obwohl es sich um eine ‚westliche‘ Studienrichtung handelt, mehr als andere hier eingeflossene Theorien an ‚anderen‘ Kulturen überprüft und revidiert, beziehungsweise in einer kulturkomperativistischen Perspektive entwickelt. Die material culture studies versuchen zudem, dadurch der Diskrepanz zwischen theoretischen Modellen und Alltagsrealitäten entgegenzuwirken, dass sie funktionale und symbolische Ebenen der Dinge brücksichtigen. Ihre Ansätze waren auch deshalb ein methodisches Vorbild, weil sie den Status der Objekte aufwerten.40
39 Zur Feldforschung und der teilnehmenden Beobachtung vgl. Wulf 2004, S. 87ff. 40 Zu den material culture studies vgl. Hahn 2005; Heesen, Lutz (Hg.) 2005; Daston (Hg.) 2004.
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Der Schwerpunkt der ‚Dinge‘ ist nicht zuletzt Adéagbos Arbeitsweise geschuldet. Denn auch Adéagbo nimmt eine ethnografische Perspektive ein, wenn er vor Ort recherchiert und der materiellen Kultur eines Ausstellungsortes besondere Aufmerksamkeit widmet. Nicht weniger interessieren ihn jedoch die Dinge, die ihn in Cotonou unmittelbar umgeben. Er ist Ethnograf im eigenen Land.41 Die Einbeziehung und Markierung der eigenen Person ist ein wichtiger Aspekt der Ethnologie. ForscherInnen müssen im Feld stets ihre eigene Präsenz reflektieren und überlegen, wie ihre Perspektive die Ergebnisse bestimmt oder ihre Anwesenheit das Handeln der ‚Anderen‘ und damit den Forschungsgegenstand verändert.42 Die Verinnerlichung dieses dialogischen Prinzips rückt die Interaktion mit dem Künstler in den Vordergrund, den ich nicht übergangen oder ausgeschlossen habe, sondern mit dem ich mich und meine Arbeit ‚konfrontiert‘ habe. Auch Haraway fordert, „daß das Wissensobjekt als Akteur und Agent vorgestellt wird und nicht als Leinwand oder Grundlage oder Ressource und schließlich niemals als Knecht eines Herrn, der durch seine einzigartige Handlungsfähigkeit und Urheberschaft von ‚objektivem‘ Wissen die Dialektik abschließt“.43
Haraways Ausführungen gelten für mich sowohl für die Person Georges Adéagbo als auch für die Arbeiten selbst und die Vielzahl der darin enthaltenen Dinge. Ich verstehe sie als Akteure, mit denen ich interagiere und die an der Bedeutungsproduktion maßgeblich teilhaben. Wenn ich den Künstler und seine Arbeit zu meinen Forschungsobjekten gemacht habe, dann reagiert Adéagbo darauf, indem er mich im Gegenzug zum Untersuchungsgegenstand seiner Kunst macht, wenn er ein Foto von mir in eine Installation integriert oder mich in einem seiner Texte erwähnt. Das vorliegende Buch wird als Teil der Rezeption seiner Kunst – dessen bin ich mir sicher – ebenfalls als Objekt in eine seiner Installationen aufgenommen werden, es liegt also gewissermaßen eine gegenseitige ‚Instrumentalisierung‘ vor.
41 Damit ist nicht gemeint, dass der Künstler tatsächlich wie ein Wissenschaftler arbeitet, doch kann die künstlerische Arbeitsweise durchaus an wissenschaftliche Methoden angelehnt sein. Zu einer kritischen Perspektive auf den Künstler als Ethnografen vgl. Foster 1995. 42 Vgl. Wulf 2004, S. 87ff. 43 Haraway 1995, S. 93.
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Ich habe meine Herangehensweise aus diesem Dialog und in der Auseinandersetzung mit Adéagbos Arbeiten entwickelt, das heißt meine Fragestellungen korrespondieren mit seiner künstlerischen Praxis. Es geht nicht zuletzt darum, die bewusste Auseinandersetzung mit dem Forschungsgegenstand, mit der Methode, mit meiner eigenen Perspektive usw. zu forcieren und die auftretenden Schwierigkeiten aufzuzeigen und produktiv zu machen, weil gerade Friktionen neue Erkenntnisse bringen können: Das ‚Scheitern‘ von Untersuchungen kann Voreingenommenheit und bestimmte Erwartungshaltungen aufdecken. Allgemein formuliert beinhaltet die Konfrontation mit der Kunst der ‚Anderen‘ für die europäische (und meist eurozentristische) Kunstgeschichte die Chance, ihre Fragestellungen und Methoden sowie ihre Kunstbegriffe zu überprüfen, infrage zu stellen oder zu revidieren und für andere Konzeptionen zu öffnen. KunstwissenschaftlerInnen orientieren sich zunehmend an anderen Disziplinen und eignen sich deren Methoden und Ansätze an, um den Herausforderungen gerecht zu werden. Die Ethnologie oder Kulturanthropologie und ihre Methoden können hier eine wichtige Rolle spielen, weil die Beschäftigung mit ‚anderen‘ Kulturen ein zentrales Anliegen dieser Fächer ist.44 Die Ethnologie unterscheidet sich inzwischen weniger durch ihre Forschungsgegenstände von anderen geistesoder sozialwissenschaftlichen Disziplinen als durch ihre Herangehensweisen: „We believe it is important that cultures and communities be studied holistically, comparatively, and relativistically.“45 Die moderne Ethnologie wendet sich vehement gegen den Ethnozentrismus und stereotype Dichotomien und bietet als älteste kulturwissenschaftliche Disziplin für die Kunstwissenschaft brauchbare Ansatzpunkte, die ich in der vorliegenden Arbeit produktiv machen möchte. Adéagbos Arbeiten eignen sich in besonderer Weise für einen postkolonialen Blick auf die europäische Kunstgeschichtsschreibung und zeigen alternative Modelle transkultureller Beziehungen auf, wie sich im Gang der Untersuchungen zeigen wird.
44 Ein Austausch zwischen Kulturanthropologie und Kunstgeschichte ist nicht neu, sondern fand bereits zu Beginn des 20. Jahrhunderts statt. Vgl. Maupeu 2010. 45 Peoples, Bailey 2000, S. 8.
3 Kunst aus Afrika in Europa
Die Geschichte der europäische Rezeption von Kunst aus Afrika1 von der frühen Kolonialzeit bis zur Gegenwart interessiert mich aus zwei Gründen: Erstens steht meine eigene Auseinandersetzung mit Kunstwerken eines Künstlers aus Westafrika in der Tradition der Rezeption von Kunst aus Afrika in Europa. Ich stelle meinen Analysen einen historischen Überblick voran, der den größeren Rahmen skizziert, in dem die Arbeiten von Georges Adéagbo stehen. Eine postkoloniale Revision dieser Geschichte muss die Auswirkungen und Effekte des Kolonialismus bis in die Gegenwart hinein berücksichtigen: Die gewaltvolle Kolonisierung Afrikas und die damit verbundene Aneignung und Bewertung von kulturellen Artefakten erzeugten Strukturen, die teilweise bis heute wirksam sind. Die Kontinuitäten und Brüche der Kolonialgeschichte können die transkulturellen Konstellationen und Machtstrukturen der Gegenwart verständlich machen. Zweitens reflektiert Georges Adéagbo in seinen Arbeiten selbst die europäische Wahrnehmung von kulturellen Artefakten bzw. Kunst aus Afrika. In der Kölner Installation L’explorateur et les explorateurs (2002/2004, Abb. 4) hat er zahlreiche Belege dieser Rezeption integriert: deutschsprachige Buchtitel wie Kunstschätze aus Alt-Nigeria2 und Westafrikanische Bronzen, mehrere Publikationen zu Pablo Picasso, der als einer der Begründer des europäischen Primiti-
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Um mich von der verallgemeinernden und homogenisierenden Kategorie der ‚afrikanischen Kunst‘ zu distanzieren, verwende ich die Formulierung „Kunst aus Afrika“. Der Überblick über die Rezeptionsgeschichte erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit, er beschränkt sich auf wenige europäische Länder und bezieht sich teilweise auf US-amerikanische Debatten. Zur Rezeption außerhalb Europas vgl. Kawaguchi 2004.
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Hierbei handelt es sich um einen Ausstellungskatalog des Roemer- und PelizaeusMuseums in Hildesheim von 1983.
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vismus gilt, und Broschüren zu Ausstellungen zeitgenössischer Kunst aus Afrika, wie Afrika Remix und The Short Century, eine Ausstellung, an der Adéagbo selbst teilgenommen hatte. Die Dokumente zur Rezeption seiner eigenen Arbeiten (Kataloge, Plakate, Zeitungsartikel) werden so in einen größeren Zusammenhang gestellt und Adéagbos Ausstellungstätigkeit in den Kontext der europäischen Wahrnehmung von Kunst aus Afrika vom Kolonialismus bis heute gerückt. Daher ist es sinnvoll, an dieser Stelle die Geschichte der Rezeption als Diskursgeschichte darzustellen. Adéagbo entfaltet in seinen Installationen ein Panorama der historischen und aktuellen Beziehungen zwischen den Kontinenten Afrika und Europa und visualisiert die Geschichte des Objektaustausches, auf die er sich bezieht und in die er sich gleichzeitig einschreibt. Die Relevanz der europäischen Wahrnehmung von Kunst aus Afrika wird besonders deutlich im Ausstellungsbetrieb. „If you do not exhibit, you do not exist!“3, schreiben Olu Oguibe und Salah M. Hassan aus Anlass einer Ausstellung zeitgenössischer afrikanischer Kunst auf der Biennale von Venedig 2001. Doch ist die Möglichkeit zur Teilnahme an Ausstellungen allein keine Garantie für Gleichberechtigung. Nicht nur die Präsenz, auch das Wie der Präsentation in Ausstellungen und musealen Sammlungen ist entscheidend und gibt Auskunft über den Grad der Wertschätzung von Objekten und deren ProduzentInnen. Die Abhängigkeit der Ausstellungspraxis von kulturellen Übereinkünften der jeweiligen EntscheidungsträgerInnen wurde oft beschrieben: „Every museum exhibition, whatever its overt subject, inevitably draws on the cultural assumptions and resources of the people who make it. Decisions are made to emphasize one element and to downplay others, to assert some truths and to ignore others. The assumptions underpinning these decisions vary according to culture and over time, place, and type of museum or exhibit.“4
Der folgende Überblick geht daher den Sammlungspraktiken nach und bezieht wichtige Ausstellungen sowie deren begleitende Kataloge und Besprechungen ein. Die europäische Rezeption von Kunst aus Afrika zeichne ich chronologisch anhand der Stationen Kolonialismus und Völkerkundemuseen, Primitivismus und ‚zeitgenössische afrikanische Kunst‘ nach, für die Adéagbo als Fallbeispiel anzusehen ist. Unter dem Stichwort ‚globale Kunst‘ werden die Ein- und Ausschlussmechanismen des europäischen Kunstbetriebes am Beispiel von internationalen Großausstellungen resümiert und der europäische Raum verlassen, um
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Hassan, Oguibe 2001, S. 7.
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Karp, Lavine 1991, S. 1.
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einen Blick auf die Biennalisierung und Dezentralisierung der Kunstszene seit den 1990er Jahren zu werfen. Die Chronologie der europäischen Rezeptionsgeschichte von Kunst aus Afrika ist nicht als lineare Fortschrittsgeschichte gemeint. (Neo-)Kolonialistische, primitivistische und universalistische Argumentationsmuster sind nicht passé, sondern weiterhin sehr präsent.
3.1 K OLONIALISMUS
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V ÖLKERKUNDEMUSEEN
Im Titel von Adéagbos Installation „L’explorateur et les explorateurs devant l’histoire de l’exploration“..! Le théâtre du monde..! findet sich der für den Kolonialismus zentrale Entdeckertopos, der sich auch in der Zusammenstellung der Objekte wiederfindet. Auf den Beginn der aktiven Kolonisation mit der ‚Entdeckung‘ Amerikas 1492 verweist beispielsweise eines der Gemälde, die sich in der Installation befinden:5 Mit dem auf der Holztafel angebrachten Schriftzug „1492 / LA CONQUETE DU PARADIS / LE REVE DE CHRISTOPHE COLOMB“ (Abb. 5) bezieht sich Adéagbo auf den gleichnamigen Roman La conquête du paradis.6 Das 1992 veröffentlichte Buch des amerikanischen Science-Fiction-Autors Robert Thurston stilisiert Kolumbus 500 Jahre nach der ‚Entdeckung‘ Amerikas als Helden. Es ist ein Beispiel für die Verharmlosung der kolonialen Inbesitznahme, wovon die Popularität von Kolumbus als fiktiver Figur und Held in zahlreichen Büchern und Filmen zeugt. Die meisten Verweise auf die Kolonialgeschichte innerhalb der Installation beziehen sich jedoch auf die Kolonisierung Afrikas. Europäische Publikationen zur afrikanischen Kultur und Natur repräsentieren die hegemoniale Wissensproduktion Europas über die ‚Anderen‘. Das Spektrum reicht von ethnografischen Publikationen, wie Leo Frobenius’ Erythräa von 1931, bis zu populärer und populärwissenschaftlicher Afrika-Literatur, deren Titel und Titelbilder die stereotypen Metaphern Dunkelheit, Weiblichkeit und Wildheit beschwören: Wilder Erdteil Afrika (1954), Im dunkelsten Afrika (1890), Das nackte Antlitz Afrikas (1961) oder Groß ist Afrika, Europas dunkle Schwester (1957). Diese textuellen
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Die politische Kolonialgeschichte beginnt mit der ‚Entdeckung‘ Amerikas 1492 und endet mit dem Zweiten Weltkrieges 1945. Young 2001, S. 6. Diese Eckdaten der aktiven Kolonisation dienen nur der Orientierung, denn sowohl früher als auch später gab und gibt es (neo-)koloniale Bestrebungen.
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Dt.: Die Eroberung des Paradieses; im Original auf Englisch erschienen. Das Motiv auf dem Gemälde mit großem Segelschiff und ‚indianisch‘ anmutender Figur im Vordergrund entspricht der Illustration einer französischen Ausgabe des Romans.
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und visuellen Stereotype binden die Rezeption von afrikanischen Artefakten, die Adéagbo zum Thema macht, in eine koloniale Argumentation ein, deren Ziel die Abwertung der afrikanischen Kulturen gegenüber den Kulturen der Kolonialmächte war. Abbildung 5: Georges Adéagbo: L’explorateur et les explorateurs (Detail), Köln 2004
Der europäische Kolonialismus auf dem afrikanischen Kontinent begann um 1480 mit der Errichtung von portugiesischen Stützpunkten an der Westküste, denen bald spanische, englische und französische Forts folgten. Diese frühe Phase des Kolonialismus diente in erster Linie dem Aufbau des transatlantischen Sklavenhandels sowie dem Handel mit Elfenbein, Gold und Gewürzen.7 Bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts beschränkte sich die territoriale Inbesitznahme der Europäer weitestgehend auf die befestigten Handelsniederlassungen an den Küsten und deren unmittelbarem Hinterland. Einheimische Königreiche waren aktiv an
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Zur Geschichte des Sklavenhandels siehe z.B. Black 2006 und Hugh 1997.
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der Versklavung von Menschen beteiligt; sie übernahmen den Transport der Sklaven aus dem Binnenland, das den Europäern zunächst unbekannt blieb. Die vollständige Durchdringung des Kontinents wurde weniger durch die europäischen Händler als vielmehr durch die zahlreichen Abenteurer, Forscher und Missionare vorangetrieben. Es entwickelte sich ein regelrechter Wettstreit um die Erschließung der ‚weißen Flecken‘ auf der afrikanischen Landkarte. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurde das politische und ökonomische Interesse der europäischen Staaten an Afrika immer größer. Bei der Kongokonferenz in Berlin 1884/85 wurde der Kontinent zwischen den europäischen Mächten aufgeteilt, der Kolonialismus wurde durch nunmehr verstärkt imperialistische Bestrebungen geprägt, sodass bis 1912 die meisten afrikanischen Gebiete unter europäischer Herrschaft standen. Abbildung 6: Georges Adéagbo: L’explorateur et les explorateurs (Detail), Köln 2004
Georges Adéagbos Geburtsland Benin, das größtenteils auf das westafrikanische Königreich Dahomey zurückgeht, fiel 1899 den französischen Kolonisationsbestrebungen zum Opfer. Die willkürlich gezogenen Grenzen der Kolonisatoren,
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welche die der modernen Staaten wurden, nahmen keine Rücksicht auf die Territorien der alten Königreiche, was auch heute noch zu Konflikten zwischen unterschiedlichen Ethnien führt. Das Jahr 1960 ging als das der afrikanischen Unabhängigkeit in die Geschichte ein, weil in diesem Jahr der größte Teil der französischen Kolonien politisch autonom wurde, so auch Adéagbos Geburtsland. Republik Benin heißt es allerdings erst seit 1975, denn 1960 wurde es zunächst als unabhängiger Staat Dahomey (auch: Dahomé) gegründet. Den Rückgriff auf den Namen des ehemaligen Königreiches, das im 18. und 19. Jahrhundert die wichtigste regionale Macht dargestellt hatte, dokumentiert Adéagbo in der Installation L’explorateur et les explorateurs mit einem Globus, auf dem das heutige Benin noch als Dahomey bezeichnet wird (Abb. 6).8 Gleichzeitig verweist der Globus im Kontext von Entdeckungsreisen exemplarisch auf den europäischen Kartografierungswahn ab dem 15. Jahrhundert, der als Versuch der „WeltAneignung“ gedeutet werden kann, innerhalb derer die imperialistische Praxis der Weltbeschreibung und -erforschung als Weltbeherrschung imaginiert wurde. Adéagbo erinnert in der Kölner Installation mit zahlreichen Büchern auch an die deutsche Kolonialvergangenheit, wie beispielsweise mit Emil Zimmermanns Unsere Kolonien von 1912. Deutschland spielte zwar im Gegensatz zu Frankreich und anderen europäischen Großmächten kaum eine Rolle als territoriale Kolonialmacht, beteiligte sich allerdings umfangreich an der Wissensproduktion über die ‚Kolonisierten‘.9 Beispiele hierfür integriert Adéagbo etwa in Form eines kleinen Bandes mit dem Titel Die Erforschung Afrikas (Abb. 7). Er erschien 1941 in der Reihe Entdecker und Eroberer der Welt und wurde von Kurt Hassert verfasst. Selbstgefällig heißt es auf dem Cover: „Eine Geschichte der Entdeckung und Erforschung Afrikas. Der ‚dunkle Erdteil‘ bot so viel Geheimnisvolles, daß er bis ins 19. Jahrhundert der Kontinent der Wunder blieb. Erst Europas große Völker erforschten Afrika, und deutsche Wissenschaftler hatten daran wesentlichen Anteil.“
Im Zuge der europäischen Expansion ab dem 15. Jahrhundert gelangten auch Kunstgegenstände aus Afrika als Handelsobjekte in europäische Sammlungen. Als sogenannte exotica, zu denen alle außereuropäischen Artefakte gehörten,
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Beim Aufbau der Installation für die Documenta11 in Kassel machte mich Adéagbo auf dieses Detail aufmerksam und positionierte den Globus so, dass der afrikanische Kontinent den BesucherInnen zugewandt war.
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Zum deutschen Kolonialismus siehe Kundrus (Hg.) 2003.
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fanden sie in die Kunst- und Wunderkammern Eingang.10 Allerdings gelangten im Vergleich zu Artefakten von anderen Kontinenten bis zum 19. Jahrhundert Abbildung 7: Georges Adéagbo: L’explorateur et les explorateurs (Detail), Köln 2004
verhältnismäßig wenig afrikanische in die Sammlungen. Eine wichtige Ausnahme sind kunstvolle Objekte aus Elfenbein, die an der Westküste Afrikas produziert wurden.11 Durch portugiesische Händler gelangten sie bereits vor 1500 nach Europa, wo sie sehr geschätzt waren. Nicht nur das Elfenbein war als wertvolles und seltenes Material begehrt, auch die handwerkliche Könnerschaft und Virtuosität der Schnitzer vor Ort erfuhr große Bewunderung. Die sogenannte afro-portugiesische Elfenbeinschnitzerei brachte Jagd- oder Signalhörner, Salzfässchen, Löffel und anderes Gerät hervor, also meist nach europäischen Vorla-
10 Die Kunst- und Wunderkammern und der Umgang mit exotica werden in Kapitel 7 ausführlich thematisiert. 11 Die Objekte wurden bei Handwerkern aus dem Gebiet des heutigen Sierra Leone (als „sapi-portugiesisch“ bezeichnet) sowie aus den Königreichen Benin („bini-portugiesisch“) und Kongo in Auftrag gegeben. Zu den Elfenbeinarbeiten vgl. Bassani, Fagg 1988 und Bassani 2000. Zur Rezeption außerdem: Eisenhofer 2001.
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gen gefertigte Gegenstände, die jedoch im Dekorum und der oft figürlichen Gestaltung völlig autonom nach lokalen afrikanischen Form- und Bildrepertoires ausgearbeitet waren. Als hybride und mobile Objekte des Kulturtransfers zwischen Afrika und Europa in der frühen Neuzeit vermitteln sie ein prä-koloniales Verhältnis zwischen den Kulturen, das einen transkulturellen Austausch auf gleicher Augenhöhe erlaubte. Dieser bemerkenswerte Handel und seine Produkte verschwanden jedoch mit der Zunahme des Sklavenhandels im 17. Jahrhundert. Im Zuge der Kolonialverwaltung und der Etablierung einer akademischen Ethnologie entstanden in den europäischen Metropolen ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts umfangreiche ethnografische Sammlungen.12 Die „große Zeit des Sammelns in Afrika“13 begann. Hand in Hand mit der wirtschaftlichen ging die kulturelle Ausbeutung der Kolonien, deren Kulturgüter oft in einer Form angeeignet wurden, die nur als Diebstahl zu bezeichnen ist. Der französische Ethnologe Michel Leiris hat in den 1930er Jahren die mehr als fragwürdigen Praktiken angeprangert, mit denen Sammlungen afrikanischer Gegenstände während ethnologischer ‚Forschungsreisen‘ zustande kamen.14 Nach Schätzungen der UNESCO befinden sich heute 25 bis 30 Millionen Kunst-, Kult- und Gebrauchsgegenstände in europäischen Museen, während viele Herkunftsländer über kein einziges Exponat verfügen.15 Gemessen an dieser Zahl müssten Restitutionsdebatten hierzulande wesentlich vehementer geführt werden, als es bisher der Fall ist. Die Funktion von Sammlungen und Museen für die europäische ‚Erfindung‘ Afrikas war zentral, weil sie die „wichtigsten Orte […] der Authentizitätsproduktion“16 waren. Das Sammeln, Ordnen und Präsentieren von Objekten schuf eine scheinbar objektive, weil materielle Grundlage für die Bewertung ganzer Kulturkreise. Die Völkerkundemuseen spielten eine wichtige Rolle im kolonialen Machtgefüge und waren maßgeblich an der Stereotypisierung Afrikas und
12 Gründungen von wichtigen Völkerkundemuseen in Deutschland: 1869 in Leipzig, 1873 in Berlin, 1875 in Dresden und 1879 in Hamburg. In Dresden beispielsweise ging das Museum für Völkerkunde direkt aus der Kunstkammer des Kurfürsten August von Sachsen und später August dem Starken hervor. 13 Ivanov 2001, S. 353. 14 Berühmt geworden ist sein „Tagebuch einer Expedition von Dakar nach Djibouti“ unter dem Titel L’Afrique fantôme von 1934. Dt.: Leiris 1980. Zu Leiris siehe auch den Exkurs in Kapitel 3 zum Musée du Quai Branly in Paris. Vgl. außerdem Konaté 2001, S. 182. 15 www.culture-and-development.info/issues/lostver.htm, Zugriff am 06.01.2007. 16 Jardine 2001, S. 207f.
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der AfrikanerInnen beteiligt. Die häufige Angliederung der ethnologischen Sammlungen an naturkundliche Museen verdeutlicht Vorstellungen von Naturnähe und Geschichtslosigkeit der als ‚primitiv‘ bezeichneten AfrikanerInnen.17 Ihnen wurde die Fähigkeit zur künstlerischen Produktion seit dem 18. Jahrhundert abgesprochen, seit dem 19. Jahrhundert wurde diese Unfähigkeit rassenbiologisch begründet. Afrikanische Kulturen haben demnach keine Kunstgeschichte, so wie ihre Geschichtlichkeit generell negiert wurde und damit die Fähigkeit, sich zu ‚entwickeln‘.18 „Westerners claimed that such word [art, Anm. K.S.] did not exist in African languages they never deeply investigated. They used their own criteria for its evaluation and piled up arguments against its belonging to both history and creation: absence of authership, lack of dating, intensive linkages with religion, to mention a few.“19
Die Autorschaft der handwerklich qualitätvollen Arbeiten wurde anonymisiert im Sinne von kollektiver „Stammeskunst“, womit Individualität als wesentliches Kriterium künstlerischer Leistung fehlte.20 Folglich sah und sieht auch teilweise heute noch die museale Präsentation in den Völkerkundemuseen anders aus als in Kunstmuseen.21 Der Vereinzelung des autonomen Kunstwerkes in den Galerien und Museen für moderne Kunst steht in Völkerkundemuseen die Gruppierung gegenüber, die den Objekten Serialität und Austauschbarkeit verleiht. Bis ins 20. Jahrhundert ging es in den Völkerkundemuseen kaum um die Zusammenhänge ihrer Entstehungen, Funktionen und Verwendungen. Die Aneignung ‚fremder‘ kultureller Artefakte diente der Profilierung gegenüber anderen Kolonialstaaten und der „materiellen Besitzergreifung Afrikas“22. Man wollte die Überlegenheit der EuropäerInnen sowie die Bezwingung des ‚wilden Kontinentes‘ belegen. Angehäuft wurden hauptsächlich Waffen und Tierfelle oder ausgestopfte Tiere, die vor allem die vermeintliche Wildheit und Gefährlichkeit Afri-
17 Z.B. im American Museum of Natural History (New York). Verbindungen mit dem Fach der physischen Anthropologie gingen beispielsweise das Pitt-Rivers Museum (Oxford) oder das Musée de l’Homme (Paris) ein. 18 Die Sammelwut der Kolonisatoren wurde oftmals damit legitimiert, eine vermeintlich aussterbende Kultur, die sich nicht erneuern kann, vor dem Vergessen zu bewahren. Halbertsma 2003, S. 29. 19 Adandé 2002, S. 92. 20 Zum Thema Anonymität und Geschichtslosigkeit vgl. Price 1989. 21 Vgl. Clifford 2001 [amerik. Erstveröff. 1988]. 22 Ivanov 2001, S. 359.
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kas dokumentieren sollten, sowie sogenannte Fetische beziehungsweise Skulpturen und Masken, mit denen man auf ‚animistische‘ Praktiken verwies und die Missionierung rechtfertigte. Selbst nach der Einführung des Kulturrelativismus durch Franz Boas und der Verortung der Objekte in ihren spezifischen Lebensrealitäten vermögen museale Ausstellungen diese nicht darzustellen, sondern produzieren stets neue Kontexte für die Artefakte.23 „Das Machen von Bedeutung im Museum, durch Klassifikation und Präsentation, tarnt sich als adäquate Repräsentation.“24 Wie SchmidtLinsenhoff bekräftigt hat: „Man erzählt mit Exponaten Geschichten, die andere Geschichten ausschließen, die mit den gleichen Exponaten auch erzählt werden könnten.“25 Museen erheben häufig den Anspruch, neutral, objektiv und allgemeingültig zu sein. Die Institution negiert die eigene Perspektivität und verleugnet die Interessen, die jeder kulturellen Praxis eingeschrieben sind. Die Präsentationen in Museen sind als Resultat von Inklusions- und Exklusionsprozessen Konstruktionen, die weit mehr über die Kultur der AusstellungsmacherInnen aussagen als über die fremden Ethnien, deren materielle Kultur eine objektive Repräsentation vorgibt. Exkurs: Das Musée du Quai Branly in Paris Ende Juni 2006 eröffnete in Paris das Museé du Quai Branly, in dem in einer spektakulären Architektur von Jean Nouvel unweit des Eiffelturmes eine aus verschiedenen französischen Museen zusammengestellte völkerkundliche Sammlung erster Qualität neu inszeniert wurde (Abb. 8). Die Diskussionen und Auseinandersetzungen im Vorfeld der Eröffnung des Museums belegen die Brisanz der Debatte um den Status von außereuropäischen Artefakten in der europäischen Museumskultur. Die Eröffnung warf die auch außerhalb Frankreichs wichtige Frage nach den Aufgaben und Präsentationsmodi eines ethnografischen Museums heute auf.
23 Franz Boas (1858-1942) ist vor allem mit seinem Buch Primitive Art von 1927 bekannt geworden, in dem er außereuropäische Skulpturen formalästhetisch analysiert. Als Gegenposition zum kulturellen Evolutionismus wollte Boas die Partikularität jeder Kultur belegen. Zum Einfluss Boas’ auf die Kulturanthropologie siehe z.B. Wulf 2004, S. 84f. 24 Clifford 2001, S. 287 [Herv. i.O.]. 25 Viktoria Schmidt-Linsenhoff in einem Interview: Danelzik-Brüggemann, Kerscher 2000, S.8.
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Abbildung 8: Musée du Quai Branly, Paris, Ausstellungsgebäude
Die Diskussion um die museumsinstitutionelle Anerkennung von außereuropäischen Artefakten begann in Frankreich Anfang des 20. Jahrhunderts. Zwischen 1909 und 1912 hatte Guillaume Apollinaire mit einer Reihe von Artikeln in der Pariser Tagespresse gefordert, nicht nur einige „exotische Meisterwerke“ in den Louvre aufzunehmen, sondern auch die ästhetisch qualitätvollen Stücke des Trocadéro-Museums in ein Museum für außereuropäische Kunst zu überführen, das sie aus dem rein ethnografischen Zugriff befreien würde.26 Erst im Jahr 2000 wurde seine Forderung nach dem Einzug außereuropäischer Exponate in den Louvre umgesetzt:27 Jacques Kerchache, französischer Kunsthändler mit einem
26 Apollinaire 2001 [franz. Erstveröff. 1912]. 27 Das Metropolitan Museum of Art in New York hatte es 1982 vorgemacht, als es die Bestände des ehemaligen Museum of Primitive Art aufnahm. Vgl. Kohl 2006, S. 139. Adandé 2002 fasst die Entwicklungen rund um den Einzug der sogenannten ‚arts premiers‘ in den Louvre zusammen. Vgl. außerdem Brutti 2006; Godelier 2006; Viatte
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Schwerpunkt für Kunst aus Afrika, veröffentlichte 1990 ein Manifest, in dem er Apollinaires Forderung wiederholte.28 Kerchache gab den entscheidenden Anstoß, denn er konnte Jacques Chirac, den damaligen Bürgermeister von Paris und späteren Staatspräsidenten, für die „arts premiers“29 begeistern.30 Chirac setzte sich für den Umzug von 120 Objekten aus dem Musée de l’homme in den Louvre ein und begann außerdem mit den Planungen für das Quai Branly, mit dem er nicht zuletzt seiner Amtszeit als Präsident ein Denkmal setzen wollte. In dem Neubau wurden hauptsächlich die Bestände aus zwei völker- bzw. naturkundlichen Museen zusammengeführt: jene aus dem Musée de l’homme und dem Musée National des Arts d’Afrique et d’Océanie (dem ehemaligen Kolonialmuseum). Das Museé du Quai Branly wollte die Objekte stärker als Kunstobjekte würdigen und damit einen neuen Typus des Völkerkundemuseums kreieren. Das Konzept sah keine szenisch-narrativen Inszenierungen vor, sondern eine puristische Präsentation der Objekte mit minimalen Informationen, ähnlich der Praxis in einem Kunstmuseum. Die entsetzten EthnologInnen der beiden Häuser, deren Sammlungen in das neue Museum überführt worden waren, warfen den KuratorInnen des Quai Branly vor, die Objekte seien nicht mehr aus ihren ethnologischen Funktionen heraus erklärt, sondern als ästhetisierte und abstrakte Meisterwerke präsentiert.31 Die Übertragung der Präsentationsformen des europäischen Kunstmuseums auf afrikanische Arbeiten bedeutet ihre universalistische Klassifikation im Sinne europäischer Kunstbegriffe. Klaus Kiefer hat in einem anderen Zusammenhang „die ‚gewaltsame‘ Isolierung“ von Skulpturen aus Afrika und deren Ästhetisierung im Museum als Bemächtigungsstrategie des Kolonialismus bezeichnet.32 Der Streit um die angemessene Ausstellung von außereuropäischen Artefakten macht das Dilemma deutlich: Einerseits sollen die Objekte gleichberechtigt mit europäischen als „Meisterwerke“ anerkannt werden, anderseits sollen ihre kulturspezifischen Kontexte nicht negiert werden.
2006. Für einen Überblick über den französischen Diskurs von der Weltausstellung 1931 bis zum Musée du Quai Branly siehe De L’Estoile 2007. 28 Kerchache 1990. 29 „Arts premiers“ ist eine von Kerchache geprägte Bezeichnung, welche die Betitelung als ‚primitive‘ oder ‚nègre‘ umgehen möchte. Doch wie Joseph Adandé bemerkt, ist er vom Begriff des Primitiven nicht weit entfernt. Adandé 2002, S. 92. 30 Vgl. Wetzel 2006, S. 18. 31 Mönninger 2006, S. 41. Dem Museum angeschlossen ist jedoch ein Forschungsinstitut, das der Kritik mangelnder ethnologischer Ausrichtung entgegenwirken kann. Vgl. Wetzel 2006, S. 18. 32 Kiefer 1994, S. 182.
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Das Museé du Quai Branly ist eine museale Mischform geworden, die weder – wie ursprünglich geplant – ‚puristisch‘ ist noch ethnologischen oder postkolonialen Ansprüchen gerecht wird.33 Im Inneren wurde viel Wert auf Materialästhetik (Leder, Lehm usw.) gelegt, und Erdtöne herrschen vor. Die zum SeineUfer gelegene Fassade wurde aufwendig begrünt, die Fensterscheiben mit Pflanzendarstellungen bedruckt (Abb. 9) und die Gebäude von einem üppigen Garten umgeben. „When the surrounding forest has grown up, the museum will, according to its architect, mysteriously dematerialize.“34 Abbildung 9: Musée du Quai Branly, Paris, Fenster mit Pflanzenmotiven
Die Gestaltungsmittel des Architekten Jean Nouvel sind ästhetisch attraktiv, vermitteln aber eine Naturnähe, die die außereuropäischen Kulturen exotisiert, den problematischen Topos der „Naturvölker“ aufruft und darüber hinaus keinen Informationsgehalt besitzt. So wurde die Gestaltung auch in den deutschen Re-
33 Meine persönlichen Einschätzungen des Museums gründen auf Besuchen im Oktober 2006 und im Juni 2007 sowie auf den Reaktionen der Presse und auf Gesprächen mit Personen, mit denen ich die Ausstellungsräume besucht habe, v.a. Viktoria SchmidtLinsenhoff, Philippe Cordez und Sarah Maupeu. Meine Ausführungen beziehen sich hauptsächlich auf die Abteilung mit Objekten aus Afrika. 34 Clifford 2007, S. 3.
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zensionen (weitgehend unkritisch) mit Begriffen wie „exotisch“, „Urwald“, „Wildnis“ oder „magisch“ beschrieben.35 Die Beleuchtung in den Ausstellungsräumen ist – sicherlich auch aus konservatorischen Gründen – sehr dunkel gehalten, wobei jedoch die einzelnen Exponate in den Vitrinen mit Punktstrahlern ausgeleuchtet werden, deren harte Schattenbildung die Betrachtung der Exponate erschwert und sie zugleich mystifiziert. Diese Inszenierung suggeriert zwar kultisch-performative, theatrale Praktiken, in denen es nicht um Kontemplation geht, jedoch fehlt an dieser Stelle jede didaktische Information. Die kubischen Erker an der Fassade, die als bunte modernistische Quader erscheinen, sind im Inneren höhlenartige Räume, die die afrikanischen Kulturen in eine ‚dunkle Vorzeit‘ versetzen. Die Innenarchitektur täuscht einen vorkolonialen Zustand der außereuropäischen Kulturen vor, ohne ihre ‚westlichen‘ Imaginationen zu reflektieren und ohne die Frage nach den Wanderungen der Objekte aus ihren Herkunftsländern zu stellen. Die Kolonialgeschichte ist in der Ausstellung selbst wenig präsent, sie soll jedoch durch Vortragsreihen vermittelt werden.36 Tagungen, thematische Sonderausstellungen sowie Ausstellungen zeitgenössischer Kunst versuchen offensiver mit der problematischen Geschichte umzugehen und führen postkoloniale Perspektiven ein. Gut gelungen war dieser Versuch in den Ausstellungen von Romuald Hazoumé und Yinka Shonibare, deren Arbeiten explizit Sklaverei und Kolonialismus thematisieren.37 Diese Wechselausstellungen stehen im Kontrast zu den Versäumnissen der Dauerausstellung. Auch die bewegte Geschichte der Sammlungsstücke selbst findet hier kaum Beachtung. Sally Price hat während des internationalen Kolloquiums Histoire de l’Art et Anthropologie im Musée Quai Branly 2007 auf ein prägnantes Beispiel hingewiesen:38 Zwei Objekte, die im Rahmen der Mission Dakar – Djibouti 1931 ‚entdeckt‘ wurden, werden innerhalb der Ausstellung mit einem Zitat von Michel Leiris kommentiert, der die Objekte in ihrer ursprünglichen Umgebung beschreibt. Kein Wort verliert die kleine Schrifttafel indes über Leiris’ Kritik an den französischen Ethnologen und ihren Praktiken, die ihn selbst einschloss. Die KuratorInnen ließen das Zitat aus L'Afrique fantôme vor jener Stelle abbrechen, in der der Autor den Transfer der Artefakte in die Hände der Franzosen beschreibt, und verharmlosen den Dieb-
35 Vgl. Hanimann 2006; Uthmann 2006; Wetzel 2006; Zitzmann 2006. 36 Aengeneyndt 2006, S. 24. 37 Romuald Hazoumé zeigte die Arbeit La bouche du roi (12.09.-13.11.2006) und Yinka Shonibare Jardin d’Amour (02.04.-08.07.2007). Romuald Hazoumé 2006; Yinka Shonibare 2007. 38 Vgl. auch das kurz darauf veröffentlichte Buch von Price mit dem Titel Paris Primitive: Jacques Chirac’s Museum of the Quai Branly. Price 2007.
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stahl, den Leiris explizit benennt.39 (Auf der Informationstafel heißt es lediglich „Mission Dakar – Djibouti, collecté le 7. septembre 1931“ [Herv. K.S.].) Eindringlich berichtet Leiris einen Tag später in seinem Tagebuch: „Bevor wir Dyabougou wieder verlassen, gehen wir ins Dorf und entführen noch einen zweiten kono, den Griaule ausfindig gemacht hat, als er heimlich in die FetischHütte eindrang. Diesmal nehmen Lutten und ich die Angelegenheit in die Hand. Mein Herz klopft wie wild, denn seit dem Skandal von gestern ist mir mit größter Deutlichkeit die Ungeheuerlichkeit bewußt geworden, die wir hier begehen.“40 James Cliffords Mahnung, dem Bestreben von Ausstellungen zu widerstehen, in sich abgeschlossen zu wirken, und seine Empfehlung, stattdessen ihre eigenen historischen, ökonomischen und politischen Entstehungsprozesse offenzulegen, wurde im Quai Branly nicht berücksichtigt.41 Oder wie der Ethnologe Karl-Heinz Kohl es formuliert hat: „Nicht die Kulturen der Welt der Öffentlichkeit zu präsentieren – eine ja auch kaum zu realisierende Zielsetzung –, sondern die Geschichte der konfliktreichen Begegnung Europas mit diesen Kulturen anhand ihrer in unsere Schausammlungen entrückten Dinge darzustellen, wäre die Aufgabe eines Völkerkundemuseums neuen Typs, das dadurch auch ein Bewusstsein dafür schaffen könnte, wie nicht-westliche Völker von uns wahrgenommen worden sind und zum Teil bis heute wahrgenommen werden.“42
39 Die deutsche Übersetzung der zitierten Textstelle lautet: „Man sieht jetzt das Innere des Verschlags. Rechts undefinierbare Formen in einer Art braunem Nougat, in Wirklichkeit geronnenem Blut. In der Mitte eine große Kürbisflasche, die mit verschiedenem Zeug gefüllt ist […]. Links an der Decke hängt zwischen zahlreichen Kürbisflaschen ein mit Federn verschiedener Vögel verklebter scheußlicher Packen, in dem Griaule beim Tasten eine Maske fühlt.“ Hier ausgelassen war der Nebensatz: „darunter mehrere Flöten aus Holz, aus Horn, aus Eisen und aus Kupfer“. Und der auf das Zitat folgende Satz, der die Episode abschließt, hier jedoch weggelassen wurde, lautet: „Verärgert über das Hin und Her der Leute ist unsere Entscheidung schnell getroffen: Griaule nimmt zwei Flöten und schiebt sie in seine Stiefel. Wir bringen alles wieder in Ordnung und gehen hinaus.“ Leiris 2001 [franz. Erstveröff. 1934], S. 124. 40 Leiris 2001, S. 126f. 41 Clifford 2001, S. 304. 42 Kohl 2006, S. 141.
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Abbildung 10: Georges Adéagbo: L’explorateur et les explorateurs (Detail), Köln 2004
Die Diskussion um ethnografische Museen, deren Sammlungsbestände mit kolonialer Vergangenheit und den Repräsentationen ‚fremder‘ Kulturen wird auch in anderen Ländern geführt. Im Jahr 2005 hatte etwa das Musée Royal de l’Afrique Central in Tervuren (Belgien) mit einer großen Ausstellung zur Kolonialgeschichte einen ersten Schritt gemacht, die eigene koloniale Vergangenheit und damit auch die Umstände, unter denen viele der außereuropäischen Objekte nach Europa gekommen waren, aufzuarbeiten.43 Von den kritischen Ansätzen des engagierten Projekts blieb in der Präsentation der Dauerausstellung wenig zurück. Adéagbo hat in der Kölner Installation einen Zeitungsartikel integriert, der ein Beispiel aus den USA betrifft (Abb. 10). Er trägt den Titel „Weg mit den Wildwest-Stereotypen – Das neue National Museum of the American Indian markiert einen Wendepunkt in der Geschichte der Indianer“. Im Text wird hervorgehoben, dass die Ausstellung nicht von weißen Anthropologen, sondern von den ‚Native Americans‘ selbst konzipiert sei. „Nur in Selbstdarstellung konnten sie die Wildwest-Stereotypen stürzen, die fortleben neben neuen Diskriminierungen
43 Titel der Ausstellung: La Mémoire du Congo. Le temps colonial; 04.02.200509.10.2005.
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[…].“ In Deutschland sollen mit dem geplanten Humboldt-Forum in Berlin die Sammlungen außereuropäischer Kunstwerke auf der Museumsinsel mit europäischen vereint werden.44 Längst zeigen viele europäische Völkerkunde- und Kunstmuseen Überschneidungen, und die Zuständigkeiten sind nicht mehr eindeutig zugeordnet.45 Ethnografische Sammlungen präsentieren ihre Exponate als ‚Meisterwerke‘ und verzichten beispielsweise auf exotisierende szenische Inszenierungen. Kunsthistorische Methoden mit kulturwissenschaftlicher Orientierung versuchen sich im Gegenzug an holistischen Perspektiven und der Einbeziehung der komplexen Entstehungskontexte, anstatt auf die ‚Autonomie der Kunst‘ oder ausschließlich auf deren Ästhetik zu setzen.46 Die Definitionen und Herangehensweisen der Disziplinen Ethnologie und Kunstgeschichte sind mittlerweile nicht mehr weit voneinander entfernt, trotzdem arbeiten sie erstaunlich wenig zusammen. Kooperationen und gemeinsame Projekte wären sicherlich für beide Seiten gewinnbringend und würden zu einer größeren Sensibilität und Reflexivität im Umgang mit außereuropäischen Artefakten führen. Mit dem Neubau und der Einrichtung des Musée du Quai Branly hatte man in Frankreich die Chance, sich mit der eigenen kolonialen Vergangenheit auseinanderzusetzen. Mit der ‚neutralen‘ Benennung des Museums nach seiner Lage am Ufer der Seine (Quai Branly) kommt zum Ausdruck, wie bemüht man um politische Korrektheit war und um die Vermeidung von Begrifflichkeiten, die ihren Ursprung im Kolonialismus haben. Trotzdem ist die Kolonialgeschichte – ebenso wie Kreolisierungsprozesse und zeitgenössische Positionen – in der Dauerausstellung marginal. Nouvels ‚Erlebnislandschaft‘ ruft außerdem zu viele der altbekannten Stereotype auf, um eine postkoloniale Auseinandersetzung zu ermöglichen. Die Präsentation im white cube als „aggressiver Purismus“47 wäre den Objekten allerdings auch nicht gerecht geworden, sondern hätte sie einmal mehr dem westlichen Kunstbegriff unterworfen. Joseph Adandé kritisiert die Ästhetisierung der Artefakte, die die Entstehungskontexte außer Acht lässt als eurozentristische Repräsentation: „Africa as Europe likes it“.48 Doch es geht in der aktuellen Ausstellungspraxis nicht mehr um den Antagonismus von Kunst versus Ethnologie, Ästhetik versus Kontextualisierung, sondern um ein Prob-
44 Vgl. Maupeu, Schankweiler 2009. 45 Clifford 2001, S. 303. 46 Vgl. Kemp 1991; Nicolai, Weddigen 2005. 47 Mönninger 2006, S. 41. 48 Adandé 2002, S. 96.
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lembewusstsein, das einem transkulturellen Publikum die Selbstreflexion des Museums vermittelt.
3.2 P RIMITIVISMUS Die zunehmende Präsenz von außereuropäischen Artefakten in europäischen Sammlungen (vor allem ab dem 19. Jahrhundert) führte nicht nur zu einer musealen und wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit diesen ‚fremden‘ Objekten, sondern auch zu einer künstlerischen.49 Die Ästhetisierung und Dekontextualisierung der Artefakte im „kolonial-museale[n] Machtzusammenhang“ war „erst die Grundvoraussetzung zu ihrer Rezeption als primitive Kunst“.50 In der Kunstgeschichte bezeichnet man die Rezeption und Aneignung vermeintlich ‚primitiver Kulturen‘ in der Kunst der europäischen Moderne als Primitivismus.51 Die Definition des ‚Primitiven‘ umfasste zunächst nicht nur außereuropäische Gesellschaften, sondern beispielsweise auch europäische Volkskunst (z.B. bayrische Hinterglasmalerei), die Kunst des Mittelalters (z.B. romanische Kunst), Kinderzeichnungen und sogenannte Außenseiterkunst (Kunst von psychisch kranken Menschen und/oder Menschen mit geistiger Behinderung, auch Art brut genannt) – also alle künstlerischen und kulturellen Produktionen, die als weniger komplex, als rückständig, wenig entwickelt, naiv und nicht intellektuell angesehen wurden. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts wurden Objekte aus Afrika und Ozeanien – „Negerkunst“ oder art nègre genannt52 – jedoch der zentrale Bezugspunkt für die Aneignungspraktiken der AvantgardekünstlerInnen und zur ‚primitiven Kunst‘ par excellence.53 Picasso, auf den Adéagbo sich in der Kölner Installation mit vier Monografien bzw. Ausstellungskatalogen bezieht, gilt neben Paul Gauguin, den französischen Fauvisten und den deutschen Brücke-Künstlern als der bekannteste Vertre-
49 In den 1920er Jahren avancierte die sogenannte ‚Negermode‘ zum populären Massenphänomen. Badenberg 2000, S. 222f. 50 Kiefer 1994, S. 182. 51 Der Primitivismus im engeren Sinne wird mit der Zeitspanne zwischen etwa 1890 und 1940 gefasst und bezieht sich auf die bewussten Zugriffe der klassischen Avantgarden auf als ‚primitiv‘ erachtete Kulturen, obgleich primitivistische Aneignungsstrategien sich nicht auf diese Zeit beschränken lassen. 52 Zu Beginn des 20. Jahrhunderts wurde noch nicht zwischen afrikanischen und ozeanischen Kunstgegenständen unterschieden. Vgl. Badenberg 2000, S. 222. 53 Hackenschmidt 2003, S. 288.
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ter des europäischen Primitivismus. Sein berühmtes Gemälde Les Demoiselles d'Avignon (1907), in dem Picasso „unter dem starken Eindruck der Negerplastik“54 stand, gilt als ein Schlüsselwerk der Moderne. Wie Picasso sammelten viele Künstler der klassischen Moderne afrikanische Artefakte (vor allem Masken und Statuetten), die ihre Ateliers schmückten und die sie als künstlerische Inspirationsquelle nutzten.55 Das ‚Primitive‘ wurde als ursprünglich, naturverbunden und authentisch geschätzt und von den primitivistischen KünstlerInnen als Widerstandspotenzial gegen Rationalismus, technischen Fortschritt und das klassisch-antike Schönheitsideal eingesetzt. Die Aufwertung und Würdigung der Masken und Fetische als „Kunst“ ging dabei Hand in Hand mit kolonialistischen und rassistischen Ressentiments, obwohl viele KünstlerInnen der Avantgarde, wie beispielsweise Pablo Picasso und Juan Gris, das Kolonialsystem explizit ablehnten.56 Die Bewertung als ‚primitiv‘ sowie die daran festgemachte Kaskade von Assoziationen (nicht-intellektuell, naturverbunden usw.) bestand weiterhin und wurde lediglich in einem romantisierenden und idealisierenden Gestus positiv gewendet.57 Eine Diskussion um die Wertschätzung von Artefakten aus Afrika als kunstvolle Objekte setzte im wissenschaftlichen Diskurs Deutschlands gegen Ende des 19. Jahrhunderts mit Felix von Luschan, dem damaligen Direktor der Afrikanisch-Ozeanischen Abteilung im Berliner Völkerkundemuseum, ein. Luschan reklamierte den Kunststatus dezidiert für Objekte aus dem Königreich Benin, die in die Berliner Sammlung gekommen waren.58 Der wichtigste Text in diesem Zusammenhang ist Carl Einsteins Negerplastik von 1915, die erste kunstwissenschaftliche Analyse von Skulpturen aus Afrika.59 Einstein definierte die Katego-
54 Read (Hg.) 1997, S. 502. Der Begriff „Negerplastik“ wird in diesem Künstlerlexikon eines renommierten Verlages ohne distanzierende Anführungszeichen als Fachbegriff verwendet. Das verdeutlicht, wie sehr rassistische Strukturen in der deutschen Kunstgeschichtsschreibung bis heute verankert sind. 55 Zu Picassos Sammlung außereuropäischer Objekte vgl. Stepan 2006. Neben afrikanischen Objekten hatte er ozeanische, indonesische und iberische, die im Zuge der Fokussierung des Primitivismus auf afrikanische Artefakte meist vernachlässigt worden sind. 56 Vgl. Martin 2001, S. 8; Badenberg 2000, S. 225. 57 Die Positivierung von Negativ-Stereotypen fand sich auch in der ambivalenten Diskursfigur des ‚edlen Wilden‘. Zum Mythos des ‚edlen Wilden‘ vgl. Ellingson 2001. 58 Luschan 2001 [Originalausgabe 1898]. Vgl. Eisenhofer 2001, S. 358ff. 59 Einstein 1992 [Originalausgabe 1915]. Zu Einstein siehe Fleckner 2006 sowie Maupeu 2010, S. 102f.
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rie ‚afrikanische Kunst‘ und leistete einen wichtigen Beitrag zur Umdeutung von Ethnographica in afrikanische ‚Stammeskunst‘.60 Die Aufwertung zur Kunst im europäischen Sinn war jedoch zugleich auch eine Vereinnahmung der afrikanischen Objekte und fixierte die eurozentristische Perspektive. Luschans und Einsteins Anerkennung des Kunstwertes afrikanischer Artefakte führte nicht zur Integration von außereuropäischer Kunst in die großen europäischen Kunstmuseen, sondern zur Etablierung der Kunstethnologie als Spezialdisziplin.61 Eine kritische Debatte über die Problematik des Primitivismus zwischen der Anerkennung von außereuropäischer Kunst und Kultur einerseits und der Fortschreibung kolonialer Denkmuster andererseits steht bis heute in Deutschland aus.62 Sie wäre Voraussetzung für eine Neu-Präsentation von Kunst aus Afrika im Museum. Das Ausbleiben der Primitivismus-Kritik in Deutschland hängt vor allem mit der Geschichte der „Entarteten Kunst“ in der Zeit des Nationalsozialismus zusammen. Die Etikettierung der primitivistischen Kunst als „entartet“ führte nach dem Zweiten Weltkrieg zu ihrer Rehabilitierung, die als „Entnazifi-
60 Vgl. Kiefer 1994, S. 175 [Herv. i.O.]: „Es ist gar nicht so einfach, die Mißachtung der afrikanischen Kunst vor Einstein zu dokumentieren, denn dieser hat den zuvor völlig diffusen – um nicht zu sagen: konfusen – Diskurs monosemiert, d.h. er hat in der ‚Negerplastik‘ den Diskurs oder die Gattung ‚afrikanische Kunst‘ erst geschaffen. […] Primitive Kunst wurde also gar nicht als Kunst mißachtet, sondern ihre Mißachtung vollzog sich über andere Diskurse bzw. Wertsysteme.“ Neben Einstein und Luschan ist auch noch Franz Boas und seine Publikation Primitive Art von 1927 zu nennen, in der er die gängige Auffassung von ‚primitiver Kunst‘ als unterster Stufe einer vermeintlichen evolutionären Entwicklung kritisiert. 61 Vgl. Riesz 2001, S. 312. Riesz vertritt die These einer „unterbrochenen Lektion“ in Bezug auf die deutsche Rezeption afrikanischer Kunst und Literatur. Demzufolge habe es in Deutschland zu Beginn des 20. Jahrhunderts durchaus verheißungsvolle Ansätze in der Rezeption gegeben (z.B. Einsteins Publikation), die jedoch nach dem zweiten Weltkrieg nicht weiter verfolgt wurden. Zum Umgang der nachkriegsdeutschen Kunstgeschichte mit außereuropäischer Kunst siehe auch Paul 2003. Außerdem Halbertsma 2003, die sich der deutschen „Weltkunstforschung“ des frühen 20. Jahrhunderts widmet, u.a. Einstein, Boas und Frobenius. 62 Erstmals ausführlich hat sich diesem Thema Kea Wienand in ihrer Dissertation gewidmet. Sie setzt sich mit primitivistischen Tendenzen in der deutschen Kunst nach 1945 auseinander und zeichnet im Zuge dessen eine Genealogie des Primitivismus nach. Wienand 2012.
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zierung“ verstanden wurde.63 Das machte eine kritische Aufarbeitung primitivistischer Kunst in der BRD scheinbar unmöglich. Im Unterschied dazu löste die Ausstellung Primitivism in 20th Century Art im Museum of Modern Art in New York 1984 in den USA eine heftige Debatte um den Primitivismus und dessen Aneignungsstrategien aus.64 Der Kurator William Rubin hatte Meisterwerke der europäischen Moderne und anonyme, nicht datierte Objekte außereuropäischer Kulturen vergleichend nebeneinander gestellt, um deren nicht nur bewusste, sondern auch ungeplante, zufällige „Affinität“ zu belegen (Abb. 11).65 Die Ausstellung versuchte damit, die im Zuge der Postmoderne kritisierte formalistische Interpretation der Moderne zu stützen, indem sie die „Stammeskunst“ unter den ästhetischen Vorzeichen der klassischen Avantgarde einschloss – jedoch lediglich als ein erfinderisches Moment in deren Geschichte. Mit der Beschwörung universaler ästhetischer Werte sollte letztlich die klassische Moderne als beständiger und unumgänglicher Maßstab bekräftigt werden.66 Dabei verweigerte Rubin eine kritische Distanz zu den historischen Gegebenheiten der klassischen Avantgarde, die er lediglich zu rekonstruieren vorgab, und negierte damit seine eigene Zeitgenossenschaft. „Die Gegenüberstellung von tribal art und Avantgarde inszenierte die ‚Entdeckung‘ der außereuropäischen ‚Primitiven‘ durch die europäische Moderne als kühnen Traditionsbruch und epochale ästhetische Innovationsleistung, ohne deren ideengeschichtliche Einbindung in Kolonialismus und Rassismus zu reflektieren und ohne auch nur den Anhauch einer Anstrengung zu machen, eine postkoloniale Perspektive auf dieses Kapitel der Kunstgeschichte zu entwickeln.“67
Dementsprechend äußerten sich die Kritiker, allen voran Thomas McEvilley, der seine Auseinandersetzung mit Rubin öffentlich in der Zeitschrift Artforum aus-
63 Walter Grasskamp vertritt die Position, die klassische Avantgarde sei v.a. aus diesem Grund heute so beliebt. Grasskamp 1989, dort S. 76-119. Ihre Rehabilitierung wurde maßgeblich durch die erste documenta vorangetrieben. 64 Siehe dazu Schmidt-Linsenhoff 2003, S. 9-26. 65 So heißt es auch im Untertitel des Ausstellungskataloges „Affinity of the Tribal and the Modern“. Rubin (Hg.) 1984. 66 Zum Problem der Ästhetisierung von Kunst aus Afrika nach den Maßstäben ‚westlicher‘ KunsthistorikerInnen bzw. KuratorInnen vgl. Paul 2003, S. 41. 67 Schmidt-Linsenhoff 2003, S. 9.
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trug.68 Hal Foster problematisierte in seiner Kritik, stärker als McEvilley, den Begriff des ‚Primitiven‘ und prägte die Formel „The ‚Primitive‘ Unconscious of Modern Art“69. Gegen die ursprünglichen Intentionen hatte die MoMAAusstellung den Status des Primitivismus in der bildenden Kunst diskreditiert. Abbildung 11: Katalog „Primitivism“ in 20th Century Art, New York 1984, Gegenüberstellung von Pablo Picassos Junges Mädchen vor dem Spiegel (1932) und einer Maske der Kwakiutl (Britisch-Kolumbien, Kanada)
Primitivistische Ausstellungskonzepte, die afrikanische Objekte und deren vermeintlich ‚ursprüngliche‘ oder ‚natürliche‘ Formensprache den Werken der klas-
68 McEvilley 1984. Der darauf folgende veröffentlichte Briefwechsel zwischen McEvilley, Rubin und Varnedoe in: Artforum, Bd. 23, H. 5, 1985, S. 42-51 und Bd. 23, H. 9, 1985, S. 63-71. 69 Foster 1985. Weitere wichtige KritikerInnen der Ausstellung waren James Clifford (Histories of the Tribal and the Modern, Clifford 1985) und später Sally Price (Primitive Art in Civilized Places, Price 1989). Vgl. außerdem Rhodes 1994; Hiller (Hg.) 1991; Lloyd 1991.
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sischen Moderne gegenüberstellen, finden sich auch heute noch in vielen deutschen Museen. Sie stehen für die Fortführung kolonialer Machtzusammenhänge, die die amerikanische Debatte der 1980er Jahre kritisiert hatte. Abbildung 12: Faltblatt zur Ausstellung Urformen der Kunst, Köln 2005, Gegenüberstellung einer Götterfigur von den Caroline Islands (19. Jh.) und einer Fotografie Karl Blossfeldts (Helleborus niger, Christrose, 1900-1926)
Als ein solches Beispiel kann die Neuauflage der Ausstellung Urformen der Kunst (1926 in der Berliner Galerie von Karl Nierendorf präsentiert) im Rautenstrauch-Joest-Museum in Köln dienen.70 Achtzig Jahre nach der Ausstellung von 1926 übernahm sie unreflektiert und völlig unkritisch die Gegenüberstellung von Fotografien Karl Blossfeldts mit außereuropäischer Kunst. In der Suche nach formalen Ähnlichkeiten (Abb. 12) zwischen den Skulpturen und den von Blossfeldt fotografierten Pflanzendetails wurde den außereuropäischen Objekten und damit auch ihren HerstellerInnen eine vermeintliche Naturnähe unterstellt.
70 25.09.2005-26.03.2006, zuvor in kleinerem Umfang auf der Kunstmesse Art Cologne 2004 gezeigt.
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In Kombination mit dem Begriff „Urformen“ gesellte sich die bekannte Vorstellung von Ursprünglichkeit hinzu und verlieh der Ausstellung einen primitivistischen Anstrich.71 Die AusstellungsmacherInnen gaben den BesucherInnen weder Informationen zur historischen Kontextualisierung der Schau von 1926 noch fand eine kritische Auseinandersetzung oder Aktualisierung der Konzeption statt. Die Bezugnahme beziehungsweise Reduzierung auf Ästhetik in dieser Ausstellung erinnerte an die Primitivism-Ausstellung von 1984, die ebenfalls ‚nur‘ vermeintlich formale Übereinstimmungen zwischen den Exponaten fokussierte. Hoffmann-Curtius hat Vorgehensweisen kritisiert, die „Schönheitsempfinden gegen Wissen“ ausspielen. Für die Kunstgeschichte gelte es, „jene Bildlektüren hinzuzufügen, die das artikulieren und befragen, was in der ästhetischen Kategorisierung eingeschlossen und nicht ausgesprochen wird. Mit dem kunsthistorischen Instrumentarium die impliziten Diskurse z.B. zu Macht, Gender und Fremdheit zu explizieren, hieße über historische und über ästhetische Argumente zu verfügen, um vergangene und zeitgenössische Bilderpolitiken zu durchschauen.“72
Die Verweigerung von Zeitgenossenschaft seitens der KuratorInnen des Rautenstrauch-Joest-Museums hatte den Eindruck vermittelt, der wissenschaftliche Stand von 1926 und die damit verbundenen kulturellen Übereinkünfte hätten 80 Jahre später immer noch Gültigkeit.73
71 Die außereuropäischen Objekte waren zwar datiert und mit einigen ethnologischen Erklärungen versehen – trotzdem wurde vor allem auf die formalen Ähnlichkeiten abgehoben, verstärkt durch eine Endlosschleife von Diaprojektionen der Objekte aus der Originalausstellung, die die formalen Ähnlichkeiten zwischen je einer Fotografie Blossfeldts und einer außereuropäischen Skulptur durch Perspektive und Beleuchtung nochmals geschickt zu verstärken wusste. 72 Hoffmann-Curtius 2005, S. 80. 73 Die Ausstellung im Kölner Rautenstrauch-Joest-Museum ist kein Einzelfall. Viele Sammlungen präsentieren ihre Exponate wie das MoMa 1984, so etwa die Kunsthalle in Emden, die 2006 der klassischen Moderne außereuropäische Skulpturen gegenüberstellte, und das Buchheim Museum am Starnberger See 2005.
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„Le centre d’art contemporain ‚Georges Pompidou‘ de Paris-france, et l’exposition culturelle ‚les magiciens 74
de la terre‘, cette année-là“..!
Die Ausstellung Magiciens de la terre, die 1989 in Paris gezeigt wurde, markiert einen Wendepunkt in der europäischen Rezeption von Kunst aus Afrika – unbeschadet der berechtigten Kritik, auf die ich später eingehen werde.75 Magiciens de la terre war eine Kooperation des Musée national d’art moderne, Centre Georges Pompidou und der Grande Hall de la Villette und war in beiden Häusern zu sehen. Jean-Hubert Martin, damals Direktor des Centre Pompidou, war der verantwortliche Kurator.76 Ausgestellt wurden Arbeiten von 100 zeitgenössischen KünstlerInnen aus allen Kontinenten, die unhierarchisch nebeneinander präsentiert werden sollten. Bei den europäischen und nord-amerikanischen Positionen handelte es sich überwiegend um etablierte KünstlerInnen wie z.B. Christian Boltanski, Louise Bourgeois, Tony Cragg, Juan Muñoz, Jeff Wall usw., während die außereuropäischen KünstlerInnen meist erstmals in Europa zu sehen waren. Sie standen im Zentrum der Aufmerksamkeit sowohl der KuratorInnen als auch der KritikerInnen, denn das Motto der Schau lautete: „Sortir du ghetto de l’art occidental.“77 Von den 100 KünstlerInnen kamen 17 aus Afrika, vornehmlich aus Westafrika, darunter nur eine Frau (Esther Mahlangu, Südafrika). Die afrikanische Diaspora war de facto ausgeschlossen. Neu war die Anerkennung der Zeitgenossenschaft von KünstlerInnen außereuropäischer Nationen, deren Namen genannt und Arbeiten datiert wurden, im
74 Zitat aus einem handschriftlichen Text von Adéagbo in der Installation L’explorateur et les explorateurs, Köln, Museum Ludwig, 2004. 75 Die Ausstellung Magiciens de la terre wird an dieser Stelle thematisiert, obwohl sie den internationalen Ausstellungen zuzurechnen ist, die ich im folgenden Kapitel zu ‚globaler Kunst‘ bespreche. Die Ausstellung unter dem Aspekt der ‚zeitgenössischen afrikanischen Kunst‘ zu diskutieren, trägt dem Umstand Rechnung, dass Magiciens de la terre diese Kategorie erst ‚erfand‘ und ausführlich in Hinblick auf Afrika diskutiert wurde. 76 Er wurde von einem sechsköpfigen Team unterstützt: Jan Debbaut, Mark Francis und Jean-Louis Maubant waren für die Konzeption und Aline Luque, André Magnin und Jacques Soulillou für die Recherche zuständig. Martin (Hg.) 1989. 77 Martin, Buchloh 1992, S. 197.
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Gegensatz zu der gewohnten Anonymität sogenannter traditioneller afrikanischer Kunst. Aufgrund dieser kuratorischen Maßnahmen sei – so der Chefkurator – zum ersten Mal echte Internationalität hergestellt worden.78 Für den Katalog hatten die Herausgeber einen Beitrag von Thomas McEvilley gewinnen können. Dieser hatte sich als schärfster Kritiker der Primitivism-Ausstellung profiliert; seine Präsenz im Katalog sorgte nicht zuletzt dafür, dass die Pariser Ausstellung als Korrektur der MoMA-Ausstellung von 1984 wahrgenommen wurde. Ähnlich wie Einstein 1915 die Kategorie der (alten) ‚afrikanischen Kunst‘ in den europäischen Diskurs eingeführt hatte, konstruierte die Ausstellung Magiciens de la terre die Kategorie ‚zeitgenössische afrikanische Kunst‘, die auch für die Rezeption von Georges Adéagbo eine wichtige Rolle spielt. Der Kunstbegriff der Pariser Ausstellung war explizit ein ‚westlicher‘. Die Auswahl der KünstlerInnen und ihrer Arbeiten lag in der Entscheidungsgewalt europäischer KuratorInnen und KunstkritikerInnen. Daran hat sich bis heute wenig geändert. Martin räumte im Interview anlässlich der Ausstellung Magiciens de la terre ein, dass er selbst bzw. das westliche Publikum der Maßstab sei, an dem die „Stärke“ einer Arbeit (und damit deren Kunstcharakter) gemessen worden sei.79 Der nigerianische Künstler und Kunstkritiker Olu Oguibe hat diese Mechanismen der westlichen Ausstellungspraxis 1997 als eine „pornografische Absicht“ kritisiert. Demnach werden KünstlerInnen und Kunst aus Afrika „so verpackt, daß sie den Machenschaften und dem Geschmack des Westens entgegenkommen, seine Lüste befriedigen und sich in den Rahmen seiner Vorlieben einfügen.“80 Im Ausstellungskatalog von Magiciens de la terre wird von (fast) jedem/r KünstlerIn ein Zitat abgedruckt, das über das jeweilige Kunstverständnis Aufschluss gibt.81 Dennoch lag die Definitionsmacht nicht bei den KünstlerInnen. Deutlich wird dies in der Antwort von Dossou Amidou aus Benin: „Je travaille seulement, je ne peux pas définir ce que vous appelez l’art. Je suis né comme ça, je n’ai pas appris.“82 Man kann dieses Statement als Verweigerung einer Definition des Kunstbegriffes lesen. Hier tritt die Schwierigkeit zu Tage, entweder einem ‚westlichen‘ Kunstbegriff entsprechen zu müssen („ce que vous appelez
78 Martin, Buchloh 1992, S. 200. 79 Martin, Buchloh 1992, S. 200. 80 Oguibe 1997, S. 93. 81 Den KünstlerInnen die Frage „Was ist Kunst?“ zu stellen, beruht auf einer Idee des Künstlers Lawrence Weiner. Vgl. Martin (Hg.) 1989, S. 71. 82 Dt.: Ich arbeite nur, ich kann nicht das definieren, was ihr Kunst nennt. Ich bin so geboren, ich habe [das] nicht gelernt. [Übersetzung K.S.].
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l’art“) oder für das dichotom gesetzte ‚Andere‘ zu stehen. Die Antwort suggeriert bezeichnenderweise, dass Amidou nicht davon ausgeht, sein eigenes kulturelles Verständnis äußern zu sollen, sondern letztlich nur den europäischen Kunstbegriff zu bestätigen. Die Frage ist so gestellt, dass sie für andere Konzeptionen von kultureller Produktion nicht offen ist, sie fragt lediglich nach „Kunst“. Gleichzeitig bestätigt das Zitat das von den KuratorInnen präferierte Klischee, afrikanische Kunst sei autodidaktisch und nicht-intellektuell („je n’ai pas appris“), und ginge aus einer vermeintlich natürlichen Kreativität hervor („je suis né comme ça“). Diese Vorstellung funktioniert nur in Opposition zum ‚westlichen Kunstbegriff‘, dessen identitäres Moment hier nicht hinterfragt wird. In der Zeitschrift Third Text, die Magiciens de la terre ein ganzes Heft widmete (Nr. 6, 1989), veröffentlichte Rasheed Araeen eine Kritik an der Ausstellung unter dem Titel Our Bauhaus, Others’ Mudhouse.83 Araeen hinterfragt Martins Auswahlstrategien, die erklärtermaßen ausschließlich auf ästhetischvisuellen Kriterien beruhten und kulturelle Kontexte und Differenzen negierten. Der Blick des weißen, männlichen Subjektes werde als absolute Instanz gesetzt. Ebenso sei die Dichotomie zwischen ‚westlicher‘ und ‚nicht-westlicher‘ Kunst keineswegs überwunden, sondern verstärkt worden. Das mache sich nicht nur in der quantitativen Aufteilung (50 KünstlerInnen aus dem ‚Westen‘ gegenüber 50 aus dem ‚Rest der Welt‘) bemerkbar. Die Auswahl von ‚westlichen‘ Arbeiten, die sich mit ‚anderen‘ Kulturen beschäftigen, und von außereuropäischen KünstlerInnen, die sich mit ihren ‚eigenen kulturellen Wurzeln‘ befassen, betone genau die Unterscheidung, die eigentlich überwunden werden sollte: nämlich von ‚moderner westlicher Kunst‘, die sich überall bedienen darf, und ‚authentischer nicht-westlicher‘, die nur im eigenen nicht näher definierten Kontext (einer Art ‚exotischen Ecke‘) bleiben soll. Araeen fasst zusammen: „The failure of Magiciens de la terre to take into consideration the present historical and material conditions of other cultures, their aspirations and struggles to enter into the modern world with all its conflicts and contradictions, and what they have actually achieved within these limitations, is to mystify the production of art and to remove it from the question of power and privileges. By this failure it has defeated its own stated objective to pro-
83 Die Zeitschrift Third Text. Third world perspectives on contemporary art & culture ist ein wichtiges Organ der postkolonialen Debatte und wurde 1987 in Großbritannien gegründet. Zur Rezeption von zeitgenössischer Kunst aus Afrika aus postkolonialer Perspektive haben außerdem v.a. zwei Zeitschriften beigetragen: Revue Noire (gegründet 1991, 1999 eingestellt) und Nka: Journal of Contemporary African Art (gegründet 1994).
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vide a viable framework which would break the distinctions and allow a dialogue among the diversity of contemporary art from all over the world.“84
Noch im gleichen Jahr lancierte Araeen The Other Story – Afro-Asian Artists in Post-war Britain in der Hayward Gallery in London (später in Wolverhampton and Manchester), die als erste Ausstellung der schwarzen Diaspora in Großbritannien gilt.85 Neben den problematischen Kriterien der Auswahl gab es weitere Kritikpunkte an Magiciens de la terre. Umstritten war vor allem der Titel der Ausstellung, der KünstlerInnen als „Magier“ mystifizierte.86 Der primitivistisch anmutende Begriff, der auf Schamanismus rekurriert und in Europa für AntiRationalismus steht, verdeutlichte einmal mehr die mangelnde theoretische und inhaltliche Konzeption, die die Zusammenstellung von Arbeiten erklärt, die aus so unterschiedlichen historischen Kontexten kommen.87 Das Magische als Paradigma für künstlerische Kreativität wurde zwar von Martin egalitär konzipiert, weil alle KünstlerInnen als „Magier“ bezeichnet wurden, subsumierte jedoch die außereuropäischen unter eine universalistische Denkfigur der westlichen Zivilisationskritik. Obwohl es bereits zuvor vereinzelt Ausstellungen zeitgenössischer Kunst aus Afrika gegeben hatte, wie etwa Moderne Kunst aus Afrika im Rahmen des ersten
84 Araeen 1989, S. 14. Eine ausführliche Kritik der Ausstellung bietet außerdem Deliss 1996, dort v.a. S. 282-284. 85 Araeen (Hg.) 1989. Zur Kritik an der Ausstellung vgl. Pett 2002, S. 37f. 86 Zum Begriff des Magischen bzw. dem Künstler als Magier siehe Kuni 2006, zur Ausstellung Magiciens de la terre dort: Bd. 1, S. 62ff. „Problematisch bleibt […] nicht nur die ‚globale‘ Proklamation des ‚Künstler-Magiers‘ als Leitfigur und mithin die ‚Globalisierung‘ eines ‚Bildes vom Künstler‘, das in der westlichen Kunstgeschichte bereits eine ‚eigene‘ Tradition besitzt. Sondern auch, dass eben diese Tradition unreflektiert bleibt und stattdessen für ihre Revitalisierung und Augmentierung eben jene herangezogen werden, denen Jean-Hubert Martins Konzept in diesem Zuge die feierliche Aufnahme in den eigenen Kanon verspricht. Ausgerechnet die so vehement annoncierte ‚postkoloniale‘ Perspektive auf die ‚Globalkunst‘ entpuppt sich damit als Wiedergängerin eines kolonialen Blicks auf ‚Weltkunst‘, in dessen Sicht die ‚Anderen‘ nach wie vor – und zwar weitgehend ohne Berücksichtigung der Frage, ob ein solcher Status ihrem eigenen Selbstverständnis entspricht – das ‚Charisma‘ einer ‚Ursprünglichkeit‘ zu transportieren haben.“ S. 64. 87 Araeen 1989, S. 7.
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Berliner Festivals der Weltkulturen, Horizonte ‘79,88 wird in der Rezeption vor allem Magiciens de la terre als das Projekt wahrgenommen, das erstmals international ein Bewusstsein für die Existenz von zeitgenössischen künstlerischen Positionen außerhalb Europas und der USA erzeugte. Dies liegt vor allem daran, dass keine andere Ausstellung derart kontrovers diskutiert wurde. Die Schwächen des Konzeptes boten Ansatzpunkte für weitere Projekte und schärften das Problembewusstsein, sodass sich fast alle späteren Ausstellungen von zeitgenössischer Kunst aus Afrika abgrenzend auf Magiciens de la terre bezogen haben. In den Jahren nach Magiciens de la terre gab es einen regelrechten Boom an Ausstellungen zeitgenössischer Kunst aus Afrika, die der Debatte jeweils neue Aspekte und Wendungen hinzufügten. Sie modifizierten bzw. dekonstruierten damit auch die Definitionen der Kategorie ‚zeitgenössischer afrikanischer Kunst‘. Eines der ersten Projekte war die von Susan Vogel konzipierte Ausstellung Africa Explores (The Center for African Art, New York, 1991), die den Fokus ganz auf den afrikanischen Kontinent lenkte und einen ambitionierten Überblick über die Kunst des 20. Jahrhunderts bot.89 Die Kuratorin vertrat einen historiografischen Ansatz und entwickelte fünf Kategorien (Traditional Art, New Functional Art, Urban Art, International Art und ‚Extinct‘ Art), welche die Kontinuitäten und Brüche in der Kunstentwicklung nachzeichnen sollten. Doch half die Ausstellung jene Argumente festzuschreiben, die den ‚Autodidakten‘ gegenüber den akademisch ausgebildeten KünstlerInnen eine überragende Bedeutung zuschrieben.90 Clémentine Deliss wendete sich mit der wenige Jahre später in London gezeigten Ausstellung Seven Stories about modern art in Africa (1995/1996)91 explizit gegen die Auffassung einer auf ‚Tradition‘ beruhenden, essentialistischen afrikanischen ‚Authentizität‘, die als unakademisch und dichotom zur europäischen Moderne gedacht wird. Diese Konstruktion einer ‚authentischen‘ Kunst aus Afrika, die vor allem von Magiciens de la terre sowie den KuratorInnen und SammlerInnen aus dem Umfeld propagiert wurde, hatte dazu geführt, dass der westliche Kunstmarkt vor allem autodidaktische KünstlerInnen präferierte, die als besonders ‚unverfälscht‘ und ‚exotisch‘ galten. Deliss erklärt:
88 Eckhard (Hg.) 1979. 89 Vogel (Hg.) 1991. 90 Vgl. Deliss 1995, S. 16. 91 Die Ausstellung war im Rahmen von Africa 95 festival, später auch in Malmö und New York zu sehen. Deliss (Hg.) 1995.
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„An increasingly artificial division began to appear between academic and self-taught artists. Although this was a response to the reality of becoming an artist in Africa (as elsewhere), it was extended into a framing device to establish the criteria of a new autheticity, quality and, ultimately, marketability for a western-led audience suddenly keen on ‚zippy, energetic, narrative billboard art‘ or ‚le look africain‘.“92
Für diesen Kunstgeschmack steht vor allem der einflussreiche Schweizer Unternehmer und Kunstsammler Jean Pigozzi. Er hatte nach der Ausstellung Magiciens de la terre einen der Kuratoren, André Magnin, engagiert, um in Genf die weltweit umfangreichste Sammlung zeitgenössischer Kunst aus Afrika aufzubauen: die CAAC (Contemporary African Art Collection).93 Pigozzis Sammlung dominiert heute das Bild von Gegenwartskunst aus Afrika in Europa und in den USA, da er einer der wichtigsten Leihgeber für Ausstellungen ist.94 Wie es in einer Rezension kritisch hieß: „Divide 6,000 objects by 93 artists and you get an average of 64 works per artist. This is dedicated support, but it cuts both ways, since acquisition is ownership, and ownership is control.“95 Der Versuch, seine eigene Sammlung als Kanon zu etablieren, fand einen Höhepunkt in der Ausstellung African Art Now. Masterpieces from the Jean Pigozzi Collection, die ganz bewusst den Begriff der Meisterwerke einsetzte. In der lokalen Presse schrieb eine Rezensentin sarkastisch: „Why is the museum allowing one Swiss guy’s taste to become the definition of African art? Should this show be titled ‚African Art Now‘ or ‚A Random Assortment of 33 Artists from 15 Countries in a Very Large Misunderstood Continent‘?“96 Wie die AusstellungsmacherInnen von Magiciens de la terre bevorzugt auch Pigozzi ‚Autodidakten‘ und KünstlerInnen, die in Afrika leben und arbeiten. Adéagbo, der nie eine Kunstschule besucht hat und sein Atelier in Cotonou unterhält, entspricht dahingehend den Präferenzen Pigozzis, der zwei frühe Installationen des Künstlers besitzt. Der Sammler begründet seine Vorliebe folgendermaßen: „I feel that they are more interesting than the Africans that
92 Deliss 1995, S. 15. 93 Siehe www.caacart.com. 94 Pigozzi trat als Leihgeber für sämtliche Großausstellungen auf, die zeitgenössische Kunst aus Afrika zeigten, und organisiert mit seinem Team zusätzlich eigene Ausstellungen, die ausschließlich Arbeiten seiner Sammlung zeigen, wie z.B. African Art Now (Houston) und 100% Africa (Bilbao). Zu einer Kritik an Pigozzis Sammelstrategie vgl. außerdem Harney 2001, S. 11. 95 French 2005, o.S. 96 Klaasmeyer 2005, o.S.
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have moved to the West and have been polluted by art galleries and hip curators.“97 [Herv. K.S.] Es geht dem Sammler um eine unverfälscht exotische Kunst, die es vor ‚westlichen‘ Einflüssen zu schützen gelte. Um sich von dieser Auffassung einer ‚authentischen Afrikanität‘ in der Kunst abzugrenzen, bezog Seven Stories (wie zuvor bereits The Other Story) KünstlerInnen der Diaspora mit ein, die für kulturelle Kreolisierungen standen und nicht für eine vermeintlich ursprüngliche Afrikanität. Damit wurde es möglich, Zusammenhänge zwischen theoretischen, bzw. identitätspolitischen Bewegungen und der Kunstproduktion in verschiedenen afrikanischen Ländern im 20. Jahrhundert aufzuzeigen.98 Hatte Martin noch behauptet, eine ethnozentristische Sicht ließe sich prinzipiell nicht vermeiden,99 führte Deliss vor, dass man die Definitionsmacht, wenn auch nur temporär und im geschützten Raum der Kunst, sehr wohl verlagern kann. Sie hatte für die Ausstellung nicht nur KünstlerInnen eingeladen, sondern auch afrikanische KuratorInnen beziehungsweise HistorikerInnen, die die Geschichten afrikanischer Moderne in Nigeria, Senegal, Sudan, Äthiopien, Südafrika, Kenia und Uganda darstellten.100 Clémentine Deliss hatte bereits vier Jahre zuvor eine Ausstellung kuratiert, die wichtige Fragen zu dem „Nebeneinander von Artefakten aus verschiedenen Kultursystemen“101 stellte: Lotte oder die Transformation des Objekts (1990/ 1991, Graz und Wien). Sie stellte zeitgenössische Objekte der Alltagskulturen in Westafrika (z.B. Plastikkannen von der Elfenbeinküste) mit Arbeiten von fünf KünstlerInnen aus Europa und den USA zusammen, um die „Rolle der Darstellungsmethoden bei der Konstruktion von Kunst und Kultur heute zu hinterfragen“.102 Dieses kuratorische Vorgehen analysierte selbstkritisch die Methoden
97
De Lima Greene, Magnin, Pigozzi u.a. 2005, S. 14.
98
Zur modernen Kunst Afrikas siehe auch Oguibe 2002 sowie die Beiträge von Araeen, Ekpo und Oguibe im ersten Heft der Magazines zur documenta 12 mit dem Titel Modernity?. Araeen 2007; Ekpo 2007; Oguibe 2007.
99
Martin, Buchloh 1992, S. 200.
100 Der Katalog benennt die beiden wichtigsten Ziele der Ausstellung: „First, to provide a series of personal interpretations by artists and historians from Africa, of specific movements or connections which have significantly qualified twentieth-century modern art in Africa and, secondly, to experiment with the idea of the exhibition as a pooling system for a plurality of approaches to curating, that run in tandem with the specificities of the works on show and that signal different ways of making, looking at and presenting art.“ Deliss 1995, S. 13. 101 Deliss 1990, S. 151. 102 Deliss 1990, S. 153.
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von Kunstgeschichte und Ethnologie in der Ausstellungspraxis. Die Ausstellung betonte die unterschiedlichen Konzepte materieller Kultur, die jeweils unterschiedliche Bedeutungen hervorbringen. Die Ausstellung In/Sight: African Photographers 1940-Present im New Yorker Guggenheim Museum (1996) rückte mit der Fotografie ein bisher wenig beachtetes Medium ins Zentrum, das in der Dekolonisierungsphase eine wichtige Rolle spielte.103 Wie In/Sight stand auch die Ausstellung The Short Century. Independence and Liberation Movements in Africa, 1945-1994 unter der Leitung von Okwui Enwezor. Sie war 2001/2002 in Deutschland und in den USA zu sehen.104 Adéagbo war einer von 53 KünstlerInnen in dem ambitionierten Projekt. Die Ausstellung hatte den Anspruch, die mediale Vielfalt der kulturellen Produktionen Afrikas zu belegen, indem sie sich nicht nur der Bildenden Kunst, sondern auch der Musik, dem Film, der Mode, dem Theater, der Architektur und den Massenmedien sowie deren wechselseitigen Beeinflussungen widmete. Sie bot zum ersten Mal einen informativen Überblick über die Kunstentwicklung in vielen afrikanischen Ländern seit der Dekolonisierung. Der Antagonismus zwischen Tradition und Moderne wurde hier vor einem breiten historischen und politischen Horizont entfaltet. Kunst wurde als Teilaspekt von dekolonisierenden, emanzipatorischen Bestrebungen verstanden. The Short Century war als Wanderausstellung konzipiert und in München, Berlin, Chicago und New York, jedoch in keiner afrikanischen Metropole gezeigt worden. Damit wurden afrikanische Publika ausgeschlossen und der Diskurs eindimensional und an Afrika vorbei geführt.105 Das Gleiche galt zunächst für die umfangreiche Schau Afrika Remix. Die Ausstellung wurde in Düsseldorf konzipiert und reiste anschließend nach London, Paris und Tokio (2004-2006).106 Der Kurator Simon Njami präsentierte 86 KünstlerInnen aus 25 afrikanischen Ländern und der Diaspora. Er beschränkte seine Auswahl nicht auf afrikanische Länder südlich der Sahara, sondern präsentierte auch Kunst aus Ägypten, Tunesien, Algerien und Marokko. Damit reagierte er auf den Umstand, dass mit Afrika meist nur der subsaharische Teil des Kontinentes gemeint ist, der auch als ‚Schwarzafrika‘ bezeichnet wird. Darin äußert sich eine analog zur Hautfarbe imaginierte Trennlinie zwischen den Kulturen und Kontinenten. Mit Afrika Remix wollte Simon Njami diese Trennung,
103 Bell (Hg.) 1996. 104 Enwezor (Hg.) 2001. 105 Dieses Versäumnis kritisierte Joseph Adandé auf der Tagung Kunst der Welt oder Weltkunst? (Loccum 2002). Vgl. auch Adandé 2002, S. 96. 106 Afrika Remix 2004.
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die auch den Kunstbetrieb strukturiert, unterlaufen. Es ging nicht darum, erneut eine Homogenisierung Afrikas vorzunehmen, sondern die imaginative Komponente des Konstrukts zu verdeutlichen und die innerkontinentalen Differenzen hervorzuheben. Wie Njami erklärt: „Wenn wir von afrikanischer Gegenwartskunst sprechen, entgeht uns, dass die Geschichte Südafrikas nichts mit der äthiopischen zu tun hat. Auch die Kunstproduktionen weisen Unterschiede auf. Folglich ist es unmöglich, eine generelle Geschichte der afrikanischen Kunst zu schreiben, weil sie nicht existiert.“107
Konsequenterweise dürften keine Ausstellungen ‚afrikanischer Kunst‘ mehr konzipiert werden. Und tatsächlich hat die Konjunktur solcher Projekte seit 2005 nachgelassen.108 ‚Afrikanisch‘ ist als Definitionsmerkmal und ästhetische Kategorie unbrauchbar. Paradoxerweise verstärkte Afrika Remix jedoch die Kategorisierung der KünstlerInnen, denn sie schienen hauptsächlich auf der Basis ihrer Identität als ‚afrikanische KünstlerInnen‘ ausgewählt worden zu sein.109 Die Gliederung der Ausstellung in die thematischen Bereiche „Identität & Geschichte“, „Körper & Seele“ sowie „Stadt & Erde“ war unspezifisch und wenig aussagekräftig. Dadurch erschien die Zuordnung der Arbeiten zu den Teilbereichen zu beliebig, um die Frage nach ihrer Existenz außerhalb der Kategorie ‚afrikanische Kunst‘ aufzuwerfen. Zeitgleich mit Afrika Remix war in Bochum die Ausstellung New Identities zu sehen, die Kunst aus Südafrika zeigte. Mit der Fokussierung auf ein einzelnes Land wurde hier die problematische kuratorische Subsummierung des gesamten Kontinents unter einem Label vermieden. Hatten The Short Century und Afrika Remix „einen einseitig euroamerikanischen Diskurs über Afrikanität [geführt], der die vielstimmige Artikulation kultureller Öffentlichkeiten in afrikanischen Ländern negierte“110, wurde New Identities auch in Pretoria und Johannesburg gezeigt.111 Damit wurde das südafrikanische Publikum in diesem Fall nicht ausgeschlossen, sondern konnte am Diskurs über Kunst im eigenen Land partizipieren. Nach dem Vorbild dieser Ausstellung und der berechtigten Kritik am Aus-
107 Simon Njami im Interview mit Heinz-Nobert Jocks. Jocks 2005, S. 109. 108 Spätere Ausstellungen afrikanischer Gegenwartskunst, wie Who Knows Tomorrow (Berlin, 2010) oder ARS11 (Helsinki, 2011), vermieden das Stichwort Afrika zumindest im Titel. 109 Vincent 2005, S. 31. 110 Houénoudé, Schankweiler, Schmidt u.a. 2006, S. 256. 111 Golinski, Hiekisch-Picard (Hg.) 2004.
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schluss afrikanischer Publika machten auch die OrganisatorInnen von Afrika Remix nachträglich die Ausstellung in Johannesburg möglich.112 Ausstellungen wie 100% Africa (Guggenheim Museum, Bilbao, 2006/2007), die gänzlich auf der Sammlung Pigozzis basierte, propagieren jedoch weiterhin ein ‚authentisches‘ Afrika-Bild und reduzieren KünstlerInnen und ihre Arbeiten auf ein europäisches Konstrukt von Afrikanität. Diese Einschränkung, gegen die viele KuratorInnen und Ausstellungen ankämpfen, wiederholt rassistische Strukturen, auch wenn es vordergründig nicht um ‚Rasse‘, sondern um Kultur geht. Die exotisierenden Zuschreibungen erfolgen meist unter positiven Vorzeichen, was die Kritik erschwert. Pigozzi ist ein bekennender Liebhaber von zeitgenössischer Kunst aus Afrika und inszeniert sich als Gönner, Förderer und Freund der KünstlerInnen: „I am very proud that through André Magnin’s work and my collection we have managed to improve the lives of many of the artists in the collection. We have helped them become famous and obviously we have also helped them financially. This has given them better living and working conditions in which to lead a better life, for them and for their families, and to free them to be even more creative.“113
Er ermöglicht zwar KünstlerInnen aus Afrika am Markt zu partizipieren, verhindert aber zugleich eine egalitäre Aufnahme in den europäischen und USamerikanischen Kunstkanon, weil Kunst aus Afrika immer nur als das dichotome ‚Andere‘ wahrgenommen wird. Für KünstlerInnen aus Afrika ist es schwierig, diese für sie vorgesehene Rolle und Position zu unterlaufen. Ihre Teilnahme an ‚Ethno-Ausstellungen‘, die sie auf ihre vermeintliche Afrikanität reduzieren, impliziert ein stillschweigendes Einverständnis mit der Kategorie; eine Einladung zu einer Ausstellung in Europa aus diesem Grund abzusagen, kann sich kaum ein/e KünstlerIn leisten. Aufgrund ihrer finanziellen Abhängigkeit müssen sie „das Spiel mitspielen“.114 Oguibe hat das Dilemma am Beispiel eines Interviews thematisiert, das McEvilley mit dem Künstler Ouattara führte. McEvilley befragte den Künstler zu seinem ‚afrikanischen sozialen Hintergrund‘ und legte ihn da-
112 Afrika Remix war vom 24.06.-30.09.2007 in der Johannesburg Art Gallery, Johannesburg, zu sehen. 113 De Lima Greene, Magnin, Pigozzi u.a. 2005, S. 15. Der Ausstellungskatalog zu African Art Now zeigt eine ganze Reihe von Fotografien, die Pigozzi mit Künstlern zeigt, um die er ostentativ den Arm gelegt hat. 114 Diese Abhängigkeit gilt allerdings auch für viele europäische KünstlerInnen, wenn sie auch oftmals eine andere Qualität besitzt.
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rauf fest, obwohl Ouattaras Widerwille gegen diese Fragen deutlich in seinen Antworten zu spüren war.115 „Der Kritiker streicht sich mit seinem Stift durch den Bart und bittet Ouattara, als ob er mit einem Kind an seinem ersten Schultag spräche, doch ein bißchen von seiner Familie zu erzählen. Da! Ouattara explodiert! Aber nur innerlich. […] Er begreift – wie er zu begreifen erzogen wurde und wie ihm seine gesamte Geschichte und Erfahrung zu begreifen und zu akzeptieren beigebracht haben –, daß die Konfrontation mit der von McEvilley repräsentierten Macht ein Spiel ums Überleben darstellt, in dem er die schlechteren Karten hat […] – ein Spiel, in dem er sich letztlich geschlagen geben muß, um leben zu können.“116
Um über die extremen Positionen von völliger Exklusion und exotisierender Inklusion hinwegzukommen, gilt es einen Präsentationsmodus zu finden, der Differenz ohne Hierarchien artikuliert. Die europäische Rezeption von Kunst aus Afrika ist jedoch keine Fortschrittsgeschichte, in der eine progressivere Phase eine überkommene ablöst. Vielmehr werden unterschiedliche Vorgehensweisen gleichzeitig praktiziert: Nicht-Beachtung von KünstlerInnen aus Afrika, die Aufnahme unter reduzierenden Labeln (siehe 100% Afrika) und individualisierte Präsentationen, die nicht Hautfarbe, Authentizität oder Afrikanität in den Vor-
115 Dass McEvilley einer der schärfsten Kritiker der Ausstellung Primitivism in Modern Art gewesen war, bewahrte ihn zehn Jahre später nicht davor, selbst in primitivistische Denkmuster zu fallen. 116 Oguibe 1997, S. 91. Ein Auszug aus dem Interview (geführt am 21.07.1993) verdeutlicht, wie penetrant McEvilley (hier abgekürzt: TM) Ouattara (O) auf seinem „background“ festschreiben will: „TM: Would you tell me a little about your family? O: I prefer to talk about my work. TM: I’m interested both in your work and in the background of your work.; I hope you don’t mind if I try to find out what kind of cultural and social conditions it comes from. O: That’s all coincidence and accident. I could have been born in Russia, in Canada, or in Africa. But, if you must know – it’s a large family, with many sisters and brothers. TM: How many? O: That has nothing to do with my work, and I’d rather not say. TM: What kind of school did you go to as a child? […] TM: What was your fathers profession? O: European and African medicine. […] TM: The traditional healing practices involve ritual, don’t they, and sometimes animal sacrifice? O: Sometimes. Chickens. TM: What religion did your family practice? […]“ McEvilley 1993, S. 71.
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dergrund rücken.117 Und um nur ein Beispiel von anhaltender Exklusion zu nennen: Künstlerinnen aus Afrika sind nach wie vor unterrepräsentiert.118
3.4 ‚G LOBALE K UNST ‘ Seit den 1990er Jahren können KünstlerInnen aus Afrika ihre Arbeiten zunehmend im Rahmen von internationalen Ausstellungsformaten zeigen. Die Integration von zeitgenössischen außereuropäischen Positionen im europäischen und nordamerikanischen Kunstbetrieb wird oft unter dem Stichwort ‚globale Kunst‘ diskutiert.119 Das Thema Kunst und Globalisierung wird seit den 1990er Jahren in kunstwissenschaftlichen Publikationen bearbeitet, die die aktuellen Ausstellungsentwicklungen kritisch begleiteten.120 Zahlreiche Sonderausstellungen thematisierten Internationalität, Multikulturalismus, Migration sowie die Ein- und Ausschlussmechanismen des europäischen Kunstbetriebes. Deren KuratorInnen waren bemüht, künstlerische Produktionen aus allen Kontinenten zu integrieren und außereuropäische KritikerInnen für Katalogbeiträge zu gewinnen.121 Sie dokumentieren das wachsende europäische Interesse an außereuropäischen Positio-
117 Vgl. Hall 1995. 118 Aber auch hier scheint sich langsam eine Trendwende abzuzeichnen. Auf der Biennale von Dakar wurden, obwohl Frauen weit weniger vertreten waren, seit der 4. Dak’art im Jahr 2000 immer wieder Künstlerinnen mit Preisen ausgezeichnet. Vgl. Doyle, Tawadros, Fall 2007, S. 178f. 119 Vgl. Belting 2009. 120 Siehe z.B. Kunstforum International, Bd. 118, 1992 mit dem Themenschwerpunkt „Weltkunst – Globalkultur“. Bydler 2004 behandelt Globalisierung und Großausstellungen unter postkolonialen Gesichtspunkten und führt eine Liste der internationalen Großausstellungen im Anhang. Vgl. außerdem Ullrich 2006; Vanderlinden, Filipovic (Hg.) 2005; Townsend (Hg.) 2003. 121 Exemplarisch seien hier einige Ausstellungen genannt: Inklusion : Exklusion. Versuch einer neuen Kartografie der Kunst im Zeitalter von Postkolonialismus und globaler Migration (Graz, 1996), Kunstwelten im Dialog (Köln, 1999/2000), Continental Shift. 05-09 2000. Eine Reise zwischen den Kulturen. An exhibition of contemporary art (Aachen, Maastricht, Heerlen und Liège, 2000), How latitudes become forms. Art in a global age (Minneapolis, 2003), The Global Contemporary. Kunstwelten nach 1989 (Karlsruhe 2011/12). Ausstellungskataloge: Weibel (Hg.) 1997; Scheps, Dziewior, Thiemann (Hg.) 1999; Becker, Grevenstein, Laan u.a. (Hg.) 2000; Hou, Kortun, Vergne (Hg.) 2003.
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nen und den Wunsch, sich mit Fragen der Repräsentation auseinanderzusetzen. Diese Ausstellungen boten auch KünstlerInnen aus Afrika ein Forum, und die Kataloge enthalten häufig Aufsätze zur spezifischen Problematik, wie Kunst aus Afrika in Europa angemessen auszustellen sei.122 Das europäische Problembewusstsein für die bis dahin selbstverständliche hegemoniale, eurozentristische Sichtweise auf Kunst aus Afrika wurde geschärft und um postkoloniale Fragestellungen erweitert. Aufschlussreich für den Status von zeitgenössischer Kunst aus Afrika in Europa sind die beiden größten ‚internationalen‘ Ereignisse für Gegenwartskunst: die Biennale von Venedig und die documenta in Kassel. Erst seit den 1990er Jahren werden hier gelegentlich KünstlerInnen aus Afrika und der afrikanischen Diaspora eingebunden, während nur wenige KuratorInnen Einfluss nehmen konnten. Die Beteiligung von afrikanischen Ländern an der Biennale von Venedig „has always been minimal and at the best sporadic“.123 Die 44. Biennale di Venezia von 1990 (die erste nach Magiciens de la terre) zeigte zum ersten Mal eine eigene Ausstellung mit zeitgenössischer Kunst aus Afrika. Mit dem Titel Five Contemporary African Artists wurde sie in einer Sektion des italienischen Pavillons präsentiert, kuratiert vom Studio Museum Harlem (New York), in Zusammenarbeit mit Vertretern aus Nigeria und Zimbabwe.124 Auch die 45. Biennale (1993) zeigte eine Ausstellung ‚afrikanischer Kunst‘; sie trug den Titel Fusion: West African Artists at the Venice Biennale und war von Susan Vogel kuratiert.125 Oguibe und Hassan bemerken allerdings kritisch:
122 Z.B. Jongbloed 2000; Enwezor 1999; Oguibe 1997. 123 Hassan, Oguibe 2001, S. 6. Als erstes afrikanisches Land war Ägypten beteiligt (21. Biennale, 1938), allerdings nicht kontinuierlich und erst 1952 mit einem eigenen Pavillon in den Giardini. Daneben blickt auch Südafrika auf eine längere Präsenz zurück, wurde allerdings wegen der viel kritisierten Innenpolitik des rassistischen Apartheidregimes ab 1970 von der Teilnahme ausgeschlossen. Vgl. Berman 1983, S. 23. Erst 1993, nach dem Ende der Apartheid war Südafrika wieder vertreten (1993, 1995, 2009, 2011). Goniwe 2011, S. 6. Vor den 1990er Jahren präsentierten sonst jeweils einmalig Tunesien (29. Biennale, 1958) und Kongo (34. Biennale, 1968) ihre Künstler. Vgl. La Biennale di Venezia 1996; Rizzi, Di Martino 1982, S. 84. 124 Joselit 1990, S. 160. Die Künstler waren El Anatsui und Bruce Onobrakpeya aus Nigeria sowie Tapfuma Gutsa, Nicholas Mukomberanwa und Henry Munyaradzi aus Zimbabwe. 125 McEvilley 1993.
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„Both exhibitions were organized by Western curators, and were in many ways marginal to the main events of the Biennale although the Africans won the first exhibitors’ medal at the 45th Biennale. […] This is not to privilege any argument that only Africans are capable of presenting their own story. It simply rests on the clear understanding that in order to form a clear perspective of Africa’s place in contemporary culture, a level of selfdefinition and self-representation is required, and even more so when others are unwilling to take that reality as a given.“126
Es sollte noch bis zur 48. Biennale dauern, bis Harald Szeemann drei afrikanische KünstlerInnen (von insgesamt 106) für d’APERTutto, die internationale Ausstellung im Arsenale, auswählte. Dazu gehörte (neben Ghada Amer aus Ägypten und William Kentridge aus Südafrika) auch Georges Adéagbo. Das zu seiner venezianischen Installation mit dem Titel The Story of the Lion nachträglich entstandene Künstlerbuch findet sich in L’explorateur et les explorateurs an prominenter Stelle in der Mitte des Bootes und verweist, neben anderen Medien wie der Einladungskarte und einem Werbe-T-Shirt, auf seine Teilnahme an der wichtigsten Biennale Europas.127 Zehn Jahre später, im Jahr 2009, wurde er erneut zur Biennale eingeladen und präsentierte die Installation La création et les créations als Teil von Daniel Birnbaums Ausstellung Fare Mondi – Making Worlds. Die Venedig-Biennale 2001 zeigte die von Oguibe und Hassan kuratierte Ausstellung Authentic/Ex-Centric. Conceptualism in Contemporary African Art.128 Mit dem Titel waren mehrere Themenfelder angesprochen: der problematische Authentizitätsbegriff, ein reziproker transkultureller Austausch zwischen Afrika und anderen Teilen der Welt sowie konzeptuelle Kunstpraxen. Der Fokus auf Konzeptkunst sollte nicht zuletzt mit dem gängigen Vorurteil von intuitiver und nicht-intellektueller Kunst brechen. Im Jahr 2003 (50. Biennale) folgte eine Ausstellung mit dem Titel Fault Lines: Contemporary African Art and Shifting Landscapes.129 Sie thematisierte die ‚Bruchlinien‘, die im Prozess der Globalisierung hervorgerufen werden und neue Landschaften schaffen.130 Als Einspruch gegen die zunehmende Homogenisierung der Kulturen und des europäischen Universalismus favorisierte die Kuratorin Gilane Tawadros die Idee der
126 Hassan, Oguibe 2001, S. 6ff. 127 Adéagbo 1999. 128 Hassan, Oguibe (Hg.) 2001. 129 Kuratiert von der in Ägypten geborenen Gilane Tawadros. Tawadros, Campbell (Hg.) 2003. 130 Tawadros 2003, S. 14.
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„vernacular modernity“ des ägyptischen Architekten Hassan Fathy. Der Begriff „vernacular“ verweist auf (regionale) Landessprachen oder Dialekte und verdeutlicht die Existenz von verschiedenen lokalen Ausprägungen oder Varianten von ‚Modernität‘. „Rejecting the claims of Europe’s modernists to have discovered universal solutions to contemporary living, Fathys architectural response was an attempt to forge local, indigenous traditions of architecture with contemporary ideas and technologies.“131 Die 52. Biennale von Venedig im Jahr 2007 integrierte auf dem ArsenaleGelände erstmals einen „Afrikanischen Pavillon“, für dessen Konzept im Vorfeld ein offener Wettbewerb lief.132 Den Zuschlag erhielten Fernando Alvim und Simon Njami für die Ausstellung mit dem Titel Check List Luanda Pop. Sie zeigten Arbeiten von insgesamt 30 KünstlerInnen aus der Sammlung des Geschäftsmannes Sindika Dokolo aus Luanda, Angola. Die Subsummierung des gesamten Kontinentes verstärkte zwar die problematische Vorstellung von der Homogenität Afrikas, die den Kontinent als ein Land erscheinen lässt, wurde jedoch innerhalb der Ausstellung gebrochen. Die BesucherInnen wurden nicht nur mit KünstlerInnen aus Afrika und der Diaspora konfrontiert, sondern auch mit einer Arbeit von Andy Warhol (Muhammad Ali, 1978) und einem Video von Alfredo Jarr (Muxima, 2005), deren Themen sich mit Afrika in Verbindung bringen lassen.133 Unabhängig von dieser in sich geschlossenen Ausstellungseinheit integrierte der Biennale-Leiter Robert Storr in seine Themen-Ausstellung eine Reihe von KünstlerInnen aus Afrika und präsentierte den kongolesischen Maler Chéri Samba mit einem eigenen Raum im Italienischen Pavillon neben KünstlerInnen wie Sol LeWitt, Robert Ryman, Bruce Nauman, Sigmar Polke, Sophie Calle, Nancy Spero usw. In der Geschichte der Biennale bedeutet die breiter und differenzierter angelegte Präsentation von Kunst aus Afrika 2007 einen entscheidenden Wandel. Die Einrichtung des „Afrikanischen Pavillons“ verwies jedoch zugleich auf das Fehlen von Nationalpavillons afrikanischer Staaten, während mittlerweile viele andere außereuropäische und osteuropäische Länder eigene Pavillons in Venedig
131 Tawadros 2003, S. 17. 132 Zum „Afrikanischen Pavillon“ auf der 52. Biennale von Venedig siehe Herbert 2007 und www.universes-in-universe.de/car/venezia/deu/2007/tour/africa/index.htm, Zugriff am 20.06.2007. 133 Jarrs Videoarbeit etwa ist eine Auseinandersetzung mit der Befreiung Angolas von der portugiesischen Kolonialmacht.
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außerhalb des Giardini-Geländes bespielen.134 Der Rückgriff auf eine Privatsammlung machte zudem auf strukturelle und finanzielle Probleme im Kulturbetrieb afrikanischer Staaten aufmerksam, die bisher wenig untersucht worden sind. Njami und Alvim wollten Dokolos Beispiel einer Sammlung von Kunst aus Afrika innerhalb des Kontinentes mit ihrer Präsentation auf der Biennale als vorbildlich herausstellen.135 Doch die Vorwürfe gegen Dokolo, sein Vermögen gründe auf zweifelhaften Geschäften und auf Beziehungen zu afrikanischen Diktatoren, ließ die Ausstellung bereits vor ihrer Eröffnung in Verruf kommen und nährte zudem das Klischee der korrupten Eliten Afrikas.136 Neben der Biennale von Venedig gilt die documenta als ein repräsentativer „Indikator für sich wandelnde Beziehungen von Kunst und Kunstbetrieb zum politisch-gesellschaftlichen Ganzen“137 und damit auch für die Stellung von Kunst aus Afrika im europäischen Kunstbetrieb. Für die documenta IX (1992) wurden erstmals unter der Leitung von Jan Hoet zwei Afrikaner eingeladen: Ousmane Sow und Mo Edoga. Für beide waren, wie Christian Kravagna feststellt, „klar festgelegte Rollen reserviert“.138 Ousmane Sows Skulpturen wurden ausschließlich über ihre ästhetische Nähe zu Rodin charakterisiert, während Mo Edoga mit seiner Arbeit aus Schwemmholz für eine anti-intellektuelle Kunstpraxis stehen sollte. Kravagna urteilt: „Beide Zuschreibungen – die der Anlehnung an westliche Standards und die des idealtypischen Gegenpols – folgen eingeschliffenen Stereotypen der Wahrnehmung nichtwestlicher, insbesondere afrikanischer Kunst, die sich wiederum im größeren historischen Rahmen der westlichen Verarbeitung der Begegnung mit ethnischer/kultureller Differenz herausgebildet haben.“139
134 Zwar präsentierten sich im Jahr 2011 Zimbabwe und Südafrika mit eigenen Pavillons in der Stadt, doch ist der Kontinent nach wie vor unterrepräsentiert. 135 Herbert 2007, S. 81f. 136 Zu den Vorwürfen gegen Sindika Dokolo und seine African Collection of Contemporary Art vgl. Davis 2007 und Artnet News vom 18.05.2007, wo ein Update der Diskussion
sowie
eine
Antwort
des
Sammlers
veröffentlicht
wurden.
www.artnet.com/ magazineus/news/artnetnews/artnetnews5-18-07.asp, Zugriff am 27.09.2007. 137 Kravagna 2002, S. 99. 138 Kravagna 2002, S. 99. 139 Kravagna 2002, S. 100.
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Die Ernennung von Okwui Enwezor, einem gebürtigen Nigerianer, zum Leiter der Documenta11 (2002) wurde von der Presse als Wendepunkt wahrgenommen. Lag die Aufmerksamkeit der KritikerInnen bei der dX (1997) durch die erste weibliche Besetzung der Leitung mit Catherine David auf dem gender-Aspekt, so stiegen mit dem ersten außereuropäischen Leiter 2002 die Erwartungen, dass die documenta im Postkolonialismus angekommen sei.140 Das Portal Kunstgeschichte meldete nach Bekanntgabe der KünstlerInnenliste: „Erwartungsgemäß finden sich auf der Künstlerliste des in Nigeria geborenen Enwezors mehr afrikanische Künstler wieder (16) als in den vergangenen Durchgängen der documenta.“141 Andernorts wurde jedoch festgehalten: „Ein Hinweis ist den Documenta-Planern besonders wichtig: Die Ausstellung wird sich eben nicht als Ethno-Schau mit Afrika-Schwerpunkt präsentieren, auch wenn ihr künstlerischer Leiter Okwui Enwezor aus Nigeria stammt (und heute in New York lebt). Das heißt im Umkehrschluss aber nicht, dass afrikanische Länder nicht deutlichere Akzente als früher setzen werden.“142
Kravagna wertet Enwezors Benennung als „prominentes Beispiel für eine sich gegenwärtig abzeichnende grundsätzliche strukturelle Veränderung im Repräsentationsgefüge internationaler Kunst“.143 Ranjit Hoskote hält diese Vorstellung für naiv und stellt eine andere Diagnose: „Many of the ‚peripherals‘ whose envoy Enwezor was believed to be saw in him an émigré, a diasporic figure adept at playing native informant and prospector on behalf of the First World while actually pursuing his own agenda of dismantling the primacy of the artwork in favour of the political and cultural contexts of its production. Enwezor is certainly a challenger of the Euro-American ascendancy that dominates the global art circuit
140 Obwohl die öffentliche Aufmerksamkeit bei der dX nicht auf diesem Aspekt lag, hatte bereits David einen postkolonialen Ansatz (vgl. den Ausstellungskatalog: Politics-Poetics 1997). Die Kuratorin wurde, trotz der Einbindung von bekannten Intellektuellen aus Afrika wie Valentin Mudimbe, kritisiert, sie habe ihre Auswahl nicht für KünstlerInnen aus dem Süden geöffnet. Amselle 2005, S. 25. 141 www.portalkunstgeschichte.de/Nachrichten/2002/05/03/005.php4, Zugriff am 09.05. 2002. 142 Knöfel 2002, S. 214. 143 Kravagna 2002, S. 100.
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– but he acts under the sign of a sophisticated disciplinary reconceptualisation, not that of an uncomplicated Third-Worldist vision.“144
Das fotografische Porträt Enwezors, das zur Zeit der Documenta11 in den Medien präsent war, findet sich mehrmals in Georges Adéagbos Installation L’explorateur et les explorateurs in der integrierten Berichterstattung (Abb. 13) oder in Broschüren und verweist auf diese Diskussion um den ersten Kurator mit schwarzer Hautfarbe. Abbildung 13: Georges Adéagbo: L’explorateur et les explorateurs (Detail), Köln 2004
Es steht außer Frage, dass zeitgenössische Kunst aus Afrika auch in Zukunft verstärkt in internationale Ausstellungsformate aufgenommen wird. Das hat zuletzt die documenta 12 gezeigt. Die Integration sollte dabei nicht wegen der vermeintlichen ‚Afrikanität‘ der KünstlerInnen und ihrer Arbeiten erfolgen, sondern wegen der künstlerischen Aussagekraft zu Themen, die nicht ausschließlich und zwangsläufig ‚afrikanische‘ sein müssen. Zudem sollte immer kritisch hinterfragt werden, wer wen repräsentiert und welche spezifischen Perspektiven und Machtasymmetrien sich einschreiben. Nicht zuletzt muss auch das Fach Kunstgeschichte „diese vielfältigen Herausforderungen angehen und vermehrt transdisziplinäre [und interkulturelle; Anm. K.S.] Arbeitszusammenhänge schaffen, um perspektivisch einen Um-
144 Hoskote, zitiert nach Martin 2005, S. 74.
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gang mit der Kunst der Welt möglichst jenseits kultureller Dichotomisierungen, Stereotypisierungen und Hierarchisierungen zu praktizieren.“145
Mit dem Aufkommen von alternativen Biennalen seit der Mitte des 20. Jahrhunderts, die man zunächst „Biennalen der Dritten Welt“ nannte, wurde und wird der internationale Kunstbetrieb zunehmend dezentralisiert. Als erste südliche Gegenposition zu Venedig wurde die Biennale von São Paulo 1951 gegründet, fast 50 Jahre nach dem Start der Biennale von Venedig.146 Inzwischen gibt es über 40 Biennalen auf allen Kontinenten, die hauptsächlich in den 1990er Jahren initiiert wurden, wie z.B. in Dhaka (Bangladesch), Busan (Südkorea), Tijuana (Mexiko) und Christchurch (Neuseeland), sodass man mittlerweile vom Phänomen der Biennalisierung der internationalen Kunstszene spricht,147 die der Logik einer globalen Standorte-Kokurrenz unterliegt. In Afrika werden bzw. wurden bisher an sieben Orten Biennalen veranstaltet. Die Biennale von Kairo ist die älteste des Kontinents und fand 2010 bereits zum zwölften Mal statt. In Mali existiert seit 1994 die auf Fotografie spezialisierte Biennale Rencontres de Bamako. Die Biennale von Johannesburg wurde nur 1995 (ein Jahr nach den ersten freien Wahlen nach der Apartheid) und 1997 ausgerichtet. Die zweite wurde aus finanziellen Gründen einen Monat früher als geplant geschlossen und dann nicht wieder aufgelegt.148 Trotzdem ist diese bisher letzte Johannesburg-Biennale ungemein wichtig geworden und beeinflusste zahlreiche groß angelegte Ausstellungsformate. Unter dem Titel Trade Routes – History and Geography gab der Kurator Okwui Enwezor das Konzept der Länderpavillons auf und richtete diese spektakuläre Kunstausstellung explizit international aus. Der Fokus auf globalen kulturellen Austauschbeziehungen warf erstmals in großem Rahmen Fragen nach Postkolonialismus, Transnationalismus, Migration und diasphorischer Kunst auf.149 Wenig bekannt ist die Expo Arte Contemporânea Moçambique in Maputo, die 2004 zum ersten Mal veranstaltet wurde und seitdem regelmäßig ausgerichtet wird, jedoch in Europa praktisch keine Beachtung findet. Das Kunstevent CAPE
145 Paul 2003, S. 48. 146 Vgl. Mesquita 2003. 147 Einen guten Überblick über aktuelle Biennalen inklusive Kalendarium bietet die Internetseite www.universes-in-universe.de. Adéagbo stellte in Dakar (1996), Johannesburg (1997) und São Paulo (1998) aus, bevor er an der Biennale von Venedig und der documenta teilnahm. 148 Vgl. www.universes-in-universe.de/car/africus/index.htm, Zugriff am 10.08.2007. 149 DeBord (Hg.) 1997.
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in Kapstadt versteht sich als eine Plattform, auf der diverse Projekte zur Kunst und Kultur Afrikas realisiert werden und fand bisher 2007 und 2009 statt.150 Momentan ist allerdings unklar, ob das Projekt fortgeführt wird. Das jüngste auf Kontinuität angelegte Ausstellungsformat in Afrika ist Regard Bénin in Adéagbos Heimatland. Nach der erfolgreichen ersten Auflage 2010 findet im November 2012 die zweite Biennale mit einem dezentralen Ausstellungskonzept statt, das auch kleine alternative Kunsträume, Galerien und Ateliers einbezieht und die Infrastruktur der lokalen Kunstszene stärkt.151 Die Dak’art in der Hauptstadt Senegals hat es sich unter dem Titel Biennale de l’Art Africain Contemporain explizit zur Aufgabe gemacht, die Gegenwartskunst aus einer afrikanischen Perspektive zu präsentieren. Im Jahr 1992 gegründet, gilt sie seitdem als wichtigstes Festival zeitgenössischer Kunst aus Afrika. Sie ist richtungsweisend für KuratorInnen und verhilft vielen Künstlern und Künstlerinnen zum internationalen Durchbruch. Robert Storr, Leiter der Biennale von Venedig 2007, sowie Roger Buergel und Ruth Noack, die für die documenta 12 verantwortlich zeichneten, besuchten etwa die Dak’art 2006 und zeigten anschließend in Venedig und Kassel künstlerische Positionen, auf die sie in Dakar aufmerksam geworden waren. Die Ausstellungskonzepte in Dakar oszillierten zwischen drei verschiedenen Positionen, die Jean-Loup Amselle damit erklärt, dass das Konstrukt von zeitgenössischer afrikanischer Kunst auf einem Akt der Opposition innerhalb der globalen Kunstszene basiere: Die Kuratoren versuchten entweder die weltweite Kunstszene zu integrieren (z.B. bei der Dak’art 2004) oder sie beschränkten sich auf Kunst aus Afrika inklusive der nördlichen Länder, während andere wiederum die Kunst aus dem subsaharischen Afrika und der Schwarzen Diaspora fokussierten.152 Diese Unsicherheit ist symptomatisch für die Unklarheit der Vorstellung, was eigentlich ‚afrikanische Kunst‘ ist. Wenn auch die Biennalen in Afrika in europäischen Kunstzeitschriften und Feuilletons selten wahrgenommen werden, so ist deutlich, dass die Regelmäßigkeit großer Kunstereignisse eine Auseinandersetzung über ‚afrikanische Kunst‘ in Gang gesetzt hat. Die beginnende Etablierung von unabhängigen lokalen Kunstszenen in afrikanischen Metropolen leistet einen wichtigen Beitrag zur postkolonialen Dezentralisierung des internationalen Kunstbetriebs. Sie bietet die Chance, die Entscheidungsmacht im Kunstbetrieb gleichmäßiger zu verteilen und für bisher marginalisierte AkteurInnen zugänglich zu machen. Trotzdem
150 Siehe http://universes-in-universe.org/deu/bien/cape, Zugriff am 10.08.2009. 151 Vgl. Regard Bénin 1.0 2010. 152 Amselle 2005, S. 25.
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sind die Globalisierungsprozesse von Ambivalenz geprägt und changieren zwischen verhängnis- und verheißungsvollem Potenzial: Der Begriff ‚globale Kunst‘ beschreibt zwar ein internationales, vermeintlich alle gleichberechtigt einschließendes Phänomen ökonomischer und kommunikativer Vernetzung im Kunstsystem, basiert allerdings meist auf einer ‚westlichen‘ Sicht und auf europäischer und nordamerikanischer Definitionsmacht und Kapitalkraft.153 Die Verbesserung der Infrastruktur innerhalb der afrikanischen Kunstszenen und die Partizipation von KünstlerInnen aus Afrika am internationalen Kunstsystem stehen der andauernden politischen und ökonomischen Abhängigkeit vieler afrikanischer Länder, ihrer Armut und der daraus resultierenden Migration vieler KünstlerInnen in westliche Metropolen gegenüber – ein brain drain für die Kunstszenen Afrikas. In diesem Kontext ist es durchaus erwähnenswert, dass einige KünstlerInnen aus Afrika ausdrücklich die Entscheidung treffen, in ihren Heimatländern zu bleiben und zu arbeiten, obwohl sie hauptsächlich in Europa ausstellen. Zu ihnen gehört auch Georges Adéagbo.
153 Zum Problem der Dezentralisierung der Kunstszene unter den Bedingungen der ungleichen Verteilung ökonomischer Mittel vgl. Martin 2005, S. 73f.
4 Georges Adéagbo – Arbeitsweise und Rezeption
4.1 E INFÜHRUNG A DÉAGBOS
IN DIE KÜNSTLERISCHE
P RAXIS
Georges Adéagbo ist ein passionierter Sammler. An jedem seiner Aufenthaltsorte geht er auf die Suche nach Gegenständen, die sein Interesse finden, sei es bei einem Spaziergang am Strand von Cotonou, auf einem Flohmarkt in Köln oder in einem Kaufhaus in New York. Zunächst scheint kein spezifisches Muster erkennbar zu sein, denn der Künstler häuft äußerst heterogene Dinge an. Mal kauft er eine teure Skulptur bei einem Antiquitätenhändler, Schallplatten in einem Trödelladen, Bücher, aber auch liegen gelassene Dinge am Strand oder am Straßenrand hebt er auf, wie ein T-Shirt, einen alten Schuh, ein leere Packung Zigaretten oder angeschwemmtes Strandgut wie einen verrosteten Anker oder ein Stück Holz. Seine Aufmerksamkeit ziehen außerdem alle Arten von Printmedien an; er schneidet Zeitungs- und Zeitschriftenartikel aus, Schlagzeilen oder Abbildungen, bewahrt Plakate und Informationsbroschüren auf. Adéagbo sammelt Seltenes ebenso wie Massenware, Gebrauchtes ebenso wie Neues, Konsumgüter ebenso wie Kultobjekte. Was geschieht mit diesem Konglomerat von gesammelten Dingen, die man als Zeichen von Geschichten und Kulturen lesen kann? 1 Zunächst nimmt er sie in sein Haus in Cotonou mit. Einige Dinge gehen dort in den kontinuierlich umfangreicher werdenden festen Bestand, den Kern seiner Sammlung ein, zu dem auch eine Bibliothek gehört. Täglich arbeitet er mit den Objekten dieses Archivs und ordnet sie an, bringt sie in immer neuen ephemeren Assemblagen in verschiedene Zusammenhänge und Assoziationsketten. Die In-
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Adéagbos Arbeitsweise hat bisher am umfangreichsten Stephan Köhler beschrieben: Köhler 2007; Köhler 2001.
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stallationen breiten sich über das Grundstück aus, mal auf der Veranda (Abb. 14), mal im weitläufigen Garten. Kleinere Gegenstände und Schriftstücke beschwert Adéagbo wegen des Windes mit Steinen, legt diese jedoch manchmal auch auf Bücher und Gemälde, als wolle er ihnen Gewicht verleihen. Er beginnt morgens und arbeitet meist bis zum Sonnenuntergang, um abends alles wieder abzubauen und zurück ins Haus zu bringen. Die Zusammenstellungen auf seinem Grundstück existieren nie länger als einen Tag und sind niemals identisch. In unendlichen Variationen stiftet er stets neue Nachbarschaften zwischen den Dingen. Diese Arbeiten bleiben seinem Kurator Stephan Köhler, den Angestellten und eventuellen Gästen vorbehalten, denn das Grundstück ist von einer Mauer umgeben und nicht frei zugänglich oder einsehbar. Abbildung 14: Georges Adéagbo: Tagesinstallation vom 10.09.2003, Cotonou
Manche Dinge halten sich nur für kurze Zeit in seinem Haus auf und gehen danach mit Adéagbo auf Reisen. Diese stellt er in Museen aus, die ihn eingeladen haben, eine Installation anzufertigen. Ein wertvolles Zeremonialgefäß beispiels-
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weise, das er 2003 auf einer Reise durch den Norden Benins und durch Burkina Faso erstanden hatte, integrierte Adéagbo einige Monate in seine täglichen Installationen und testete es in unterschiedlichen Kombinationen mit anderen Objekten, als wolle er es auf diese Weise besser kennenlernen (Abb. 15). Ende 2004 fand die Schnitzarbeit ihren Platz in der Installation für das Museum Ludwig in Köln (Abb. 16). Abbildung 15: Georges Adéagbo: Tagesinstallation vom 05.09.2003, Cotonou Abbildung 16: Georges Adéagbo: L’explorateur et les explorateurs (Detail), Köln 2004
Die gegenläufige Reisebewegung ist ebenfalls möglich, indem beispielsweise ein in Europa gekauftes Buch in Cotonou in seine Bibliothek aufgenommen wird. Adéagbos Sammlung unterliegt somit ständigen Veränderungen. Einige Dinge vollziehen die Reisebewegung gar mehrmals: zunächst vom Ort der Ausstellung nach Benin, wo sie für eine begrenzte Zeit in ephemeren Installationen mitwirken, später abermals zurück in die Stadt, in der er sie ausstellt. Anschließend werden sie in einem Zwischenlager in der Schweiz verwahrt, oder im Depot eines Museums archiviert, das sich entschlossen hat, eine Arbeit anzukaufen. Adéagbos Sammlungsstücke wandern und sind sehr agil. Die Mobilisierung der Dinge, die eine zentrale Strategie des Künstlers darstellt, sowie der Status oder
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die Konzeptualisierung der Dinge innerhalb Adéagbos künstlerischer Praxis wird in den folgenden Kapiteln immer wieder thematisiert werden. Ist Adéagbo unterwegs, baut er selbst in Hotelzimmern oder in für die Dauer des Aufenthaltes gemieteten Apartments Installationen auf. Diese bestehen aus den Dingen, die gerade zur Verfügung stehen: die Tageszeitung vom Vortag, eine Streichholzschachtel aus dem Restaurant vom vergangenen Abend oder sonstige Fundstücke und Neuerwerbungen von den Streifzügen durch die Stadt. Außerdem verfasst er fast täglich handschriftliche Texte, die er den Assemblagen beifügt. Abbildung 17: Jacques-Louis David: Napoleon in seinem Arbeitszimmer, 1812 Abbildung 18: Georges Adéagbo: Hommage à Napoléon le Grand (Detail), Rom 2000
Neben den gesammelten Dingen, deren Auswahl eher dem Zufall überlassen zu sein scheint, gibt Adéagbo für seine Installationen auch Kunstwerke in Auftrag. Dabei handelt es sich um Gemälde (Acrylfarben auf Holz), die der Schildermaler Elie Adahoumé, der seine Bilder mit dem Namen „Esprit“ signiert, für ihn ausführt, und um Holzskulpturen, die die Schnitzer Edouard Kinigbé und Hugues Hountondji für ihn anfertigen. Sie sind lokale Künstler und Handwerker aus Co-
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tonou, die üblicherweise nicht an Ausstellungen teilnehmen, sondern ausschließlich Auftragsarbeiten anfertigen. Für diese liefert Adéagbo ihnen genaue Vorlagen. So stellte Kinigbé z.B. nach einer Fotokopie eines Gemäldes von JacquesLouis David, das Napoleon in seinem Arbeitszimmer (1812, Louvre; Abb. 17) zeigt, eine Holzstatue her (Abb. 18). Unverkennbar an der in die Jacke eingeschobenen rechten Hand ist Napoleon detailgetreu nach dem Gemälde gefertigt. Auch der von David gemalte prunkvolle Stuhl zu Napoleons Linken wurde von Kinigbé übernommen und macht die Zuordnung der Vorlage eindeutig. Abbildung 19: Edouard Kinigbé mit Vorlage für einen Totempfahl, Cotonou 2001
Für die aufwendig figürlich gestalteten Totempfähle, die Teil der Installation für die Documenta11 waren, erstellte Adéagbo Pappzylinder als Modelle, auf denen er die Kopiervorlagen aufklebte, sodass Kinigbé eine genaue Vorstellung davon hatte, wie die Motive auf den Pfählen anzuordnen waren (Abb. 19). Hountondji, mit dem Adéagbo erst seit 2006 zusammenarbeitet, fertigte beispielsweise jene Skulpturen, die er in die Installation Abraham, l’ami de Dieu (Philadelphia, 2006) integrierte. Hierbei handelte es sich unter anderem um ein Modell der amerikanischen Liberty Bell von 1752 (Abb. 20 und 21) und um eine Schnitzar-
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beit, die auf einer aus der Normandie stammenden Grabplastik mit liegendem Ritter aus dem 13. Jahrhundert basiert (Abb. 22 und 23). Diese befindet sich im Philadelphia Museum of Art, wo Adéagbo ihre Reproduktion in einem Handbuch zur Sammlung gesehen hatte.2 Abbildung 20: Liberty Bell, 1753, Independence National Historical Park, Liberty Bell Center, Philadelphia Abbildung 21: Georges Adéagbo: Abraham – l’ami de Dieu (Detail), Philadelphia 2006
Der Schildermaler Esprit fertigte beispielsweise nach einem Foto von Joseph Beuys, das Adéagbo bei einem vorbereitenden Aufenthalt in Kassel im documenta archiv kopiert hatte, ein Gemälde an (Abb. 24 und 25) oder übertrug die Reproduktion der Zeichnung einer heute verschollenen Mumie aus dem Bestand der Ulmer Kunst- und Wunderkammer des Christoph Weickmann aus dem 17. Jahrhundert in eine seiner Malereien (Abb. 26 und 27). Die Vorlagen für die Bilder hat Adéagbo oft um einige Zeilen Text ergänzt, die Esprit am unteren Bildrand anfügt. Einige der Bilder sind auch Buchumschlägen nachempfunden und wurden unter den Illustrationen um die jeweiligen Klappentexte der Bücher ergänzt.
2
Vgl. www.philamuseum.org/acquisitions/15.html, Zugriff am 29.01.2007. Zum mittelalterlichen Grabrelief vgl. Babbitt (Hg.) 1995.
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Abbildung 22: Grabrelief mit liegendem Ritter, Frankreich ca. 1230-1240 Abbildung 23: Georges Adéagbo: Abraham – l’ami de Dieu (Detail), Philadelphia 2006
Mittels dieser Technik der medialen Übersetzung entstehen hybride Gemälde und Skulpturen, die die BetrachterInnen irritieren und herausfordern, denn vertraute Motive oder Gegenstände sind in einem ‚fremden‘ Medium, einer nicht vertrauten Ästhetik wiedergegeben. So wird etwa die stereotype Erwartung, die die BetrachterInnen von afrikanischer Holzschnitzerei auf einem Totempfahl haben, enttäuscht, weil sie z.B. Figuren mit Schlips und Kragen zeigt (Abb. 28). Diese Objekte regen dazu an, Kategorien von ‚eigen‘ und ‚fremd‘ zu hinterfragen. Die Übersetzungsleistung ist eine Form kultureller Aneignung, in der Bilder und Dinge zugleich konsumiert und produziert werden. Durch den Prozess dieser aktiven Verarbeitung und Transformation wird die De- und Rekontextualisierung der Dinge im Zuge der transkulturellen Mobilisierung äußerst vielschichtig gestaltet.
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Abbildung 24: Joseph Beuys (rechts) vor dem Museum Friedericianum in Kassel, 1982 Abbildung 25: Georges Adéagbo: L’explorateur et les explorateurs (Detail), Köln 2004
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Abbildung 26:Mumia Arabica, in: Exoticophylacium Weickmannianum, 1659 Abbildung 27: Georges Adéagbo: Créer le monde en faisant des collections (Detail), Ulm 2007
Abbildung 28: Georges Adéagbo: L’explorateur et les explorateurs (Detail), Köln 2004
Georges Adéagbos Installationen, die in Museen und Galerien gezeigt werden, sind prinzipiell Auftragsarbeiten und stets ortsspezifisch. Soll er für eine Ausstellung eine Arbeit anfertigen, bedeutet das für ihn eine lange Vorbereitungs-
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zeit, deren Dauer entsprechend dem Umfang eines Projektes variiert. Meist besucht er den Ort, an dem er arbeiten soll, mehrmals im Voraus und recherchiert auf seine eigene Weise die Geschichten des Museums, der Stadt, bestimmter Themen, die ihn im Hinblick auf den spezifischen Ort interessieren, sowie eventuelle Zusammenhänge mit seinem Heimatland Benin oder Afrika im Allgemeinen. Während der vorbereitenden Aufenthalte verschafft er sich einen Eindruck von der Stadt und ihren aktuellen Diskursen, der eher auf Intuition und visueller Wahrnehmung als auf systematischer Recherche beruht. Auf seinen Streifzügen besucht er Flohmärkte und Antiquitätengeschäfte, kauft lokale Tageszeitungen sowie Ansichtskarten und identifiziert derart die visuellen Klischees der Stadt in der Tourismusindustrie. Seine Sammeltätigkeit vor Ort setzt sich selbst während der Aufbauphase einer Ausstellung fort; Adéagbo ergänzt die Installationen bis zur letzten Minute um aktuelle Presseartikel oder um noch am Morgen der Vernissage entdeckte Fundstücke. Die eingehende Beschäftigung mit dem Ausstellungsort schlägt sich in den Installationen nieder. Die BesucherInnen seiner Ausstellungen können zahlreiche Dinge entdecken, die einen lokalen Bezug haben, wie beispielsweise Stadtführer oder Bücher zur Stadtgeschichte, Souvenirs, Kataloge des jeweiligen Museums usw. Eine Installation Adéagbos kann deshalb nicht ohne weiteres an einem anderen Ort gezeigt werden oder beispielsweise in eine Wanderausstellung integriert werden. Seine künstlerische Praxis verlangt, dass er an den neuen Ort mitreist, um die Arbeit zu modifizieren und neue Bezüge zum Ort der Ausstellung herzustellen. Dabei berücksichtigt er stets den Produktionsprozess der jeweiligen Installationen selbst, indem er dokumentiert und offenlegt, wie seine Teilnahme an Ausstellungen zustande gekommen ist oder mit welchen Personen er dabei in Kontakt stand. Die Museen und jeweiligen KuratorInnen finden in seinen Texten Erwähnung, sogar Kopien des Schriftverkehrs zwischen ihm und den VertreterInnen der Institutionen werden innerhalb der Arbeiten veröffentlicht und legen oftmals persönliche Gepflogenheiten sowie Verhandlungsprozesse offen. In die Installation für die daadgalerie in Berlin (2007) integrierte Adéagbo nicht nur Informationsmaterial und Unterlagen zum Berliner Künstlerprogramm des DAAD, dessen Stipendiat er war, sondern auch das Modell der Galerieräume.3 Anhand dieses Modells wurde die Anordnung und Ausrichtung der größeren Objekte getestet; innerhalb der Installation dokumentierte es die kuratorische Praxis und den Entstehungsprozess der Ausstellung. Die Bedingungen der Produktion
3
Ab September 2006 hielt sich Adéagbo für ein Jahr als DAAD-Stipendiat in Berlin auf. Seine Ausstellung im Rahmen des Aufenthaltes fand vom 01.07.-25.08.2007 statt und trug den Titel Tout de moi à tous….
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werden auch dann mit einbezogen, wenn sie ein Scheitern offenlegen: Adéagbo hatte für die Erweiterung einer Installation aus dem Jahr 2000 für die Brüsseler Ausstellung La Belgique Visionnaire (2005) nochmals weitere Gemälde bei seinem Schildermaler in Cotonou in Auftrag gegeben, die dieser jedoch wegen einer Erkrankung nicht rechtzeitig fertigstellen konnte. Adéagbo präsentierte in seiner Installation im Palais des Beaux-Arts die leeren Leinwände. Daneben hängte er die jeweiligen Vorlagen mit seinen handschriftlichen Ergänzungen, die Esprit hätte umsetzen sollen. Zusätzlich schrieb er einen Text, in dem er sich mit diesem Misserfolg im Produktionsprozess auseinandersetzte und stellte eine Beziehung zwischen Esprits Krankheit und der Erkrankung des Kurators Harald Szeemann während der Aufbauarbeiten her. Damit reflektiert er die komplexen Entstehungsbedingungen, die die Genese jeder Arbeit beeinflussen und lässt sie in seine Arbeit einfließen. Ähnliches gilt für den Rezeptionsprozess, denn Adéagbo nimmt Publikationen über seine Arbeit, Kataloge, Ausstellungsplakate und Rezensionen in seine Zusammenstellungen auf. Produktion und Rezeption zeigen sich im Assoziationsnetz Adéagbos als ebenso unentwirrbar miteinander verwoben, wie sie es im Kunstsystem sind: Nur wessen Arbeiten rezipiert und ausführlich besprochen werden, nimmt weiterhin an Ausstellungen teil und vice versa. Gleichzeitig fügt jede Besprechung neue Lesarten hinzu und bildet neue Kontexte für die Arbeiten, die Adéagbo sogleich einbezieht. Die Installationen entfalten, vor allem durch die Einbeziehung von Katalogen und Rezensionen, zugleich die Geschichte von Adéagbos Ausstellungstätigkeit und dokumentieren seine Stellung im internationalen Kunstbetrieb sowie seine eigene diskursive Verortung. Seit 2006 hat Adéagbo eine Form von neuen Ausstellungselementen entwickelt, die er „boîtes“ (dt.: Schachteln, Kisten) nennt.4 Es handelt sich dabei um etwa 20 cm tiefe Präsentationsboxen unterschiedlicher Größe, die aus Holzplatten gefertigt werden. In ihnen installiert und montiert er Objekte. Weiß angestrichen und mit einer dünnen transparenten Plexiglasscheibe verschlossen, werden die boîtes in die Installationen integriert (Abb. 29). In ähnlicher Weise stellt er gerahmte Collagen her, welche punktuell die direkt an die Wand gehefteten Objekte ersetzen und so mehrere Materialien zu einem neuen Bild akkumulieren. Diese Ensembles bleiben beim Abbau – anders als die übrigen Gegenstände – in jener Anordnung fixiert. Adéagbo hat diese Entwicklung damit erklärt, dass er für spätere Aufbauten nach seinem Tod eine Art Anleitung oder Inhaltsverzeichnis für die Installationen liefert, die er dann nicht mehr selbst reinstallieren und
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Vgl. dazu Schmidt-Linsenhoff 2010a, S. 162ff.
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modifizieren kann. Damit macht er deutlich, dass seine Zusammenstellungen keinesfalls beliebig angeordnet sind, sondern einem inhaltlichen und formalen System folgen, dem ich später noch nachgehen werde. Gleichzeitig reflektiert und vermittelt er die Musealisierung seines Werkes. Obwohl die boîtes zunächst eine partielle Stillstellung der Dinge bedeuten, führt Adéagbo immer wieder deren Entgrenzung vor, indem die Anordnung der Objekte außerhalb der Kästen fortgesetzt wird. Die Grenzen zwischen Innen und Außen verwischen, gleichzeitig wird jedoch der Blick für die unterschiedlichen Präsentationsmodi der Dinge geschärft. Ungeachtet der boîtes, die relativ große Einheiten darstellen, dominiert die Kleinteiligkeit der Arbeiten. Der fragmentarische Charakter und die vielen Leerstellen zwischen den Objekten verweigern sich einer Monumentalisierung, denn es ist kaum möglich, seine Installationen als ‚Ganzes‘ wahrzunehmen. Abbildung 29: Georges Adéagbo: Créer le monde en faisant des collections (Detail), Ulm 2007
Nicht zuletzt scheint Adéagbo mit den boîtes den weißen Galerieraum zu zitieren, der in Form der weißen Boxen in die Installationen hineingewandert ist und dort, wie bereits an anderen Beispielen beschrieben, die Präsentationsbedingungen zu einem Teil seiner Untersuchungen macht und ästhetisch reflektiert. Wie die Ausstellungsräume füllt er auch die white box en miniature mit Dingen an
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und dekonstruiert die vermeintliche Neutralität des white cube, indem er seiner Strategie der Kontextualisierung folgt.5 Gleichwohl sind die boîtes nicht als Kritik an der Vorstellung autonomer Kunst intendiert, sondern entsprechen vielmehr einer transkulturellen Auseinandersetzung mit den produktionsästhetischen Voraussetzungen von Kunst. Wenn er die Boxen in Benin herstellt, entspricht das seiner ästhetischen Praxis des Kulturtransfers, indem er den Präsentationsmodus internationaler Ausstellungen in seine Sammlung in Cotonou transferiert, ihn dort aneignet und weiterdenkt. Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass Adéagbos Arbeitsweise von zwei zentralen Praktiken geprägt ist: Einerseits mobilisiert er Objekte und bringt sie in neue – auch kulturell verschiedene – Kontexte. Diese Strategie möchte ich als Kulturtransfer beschreiben. Andererseits arbeitet er immer ortsspezifisch. Er lässt sich auf den Ausstellungsort ein und bezieht alle Objekte in einem Netz von Assoziationen auf den jeweiligen Ort, was einer Kontextualisierungsstrategie entspricht. Die Kulturen vernetzende Eigenschaft seiner Arbeit, die zugleich den Ort betont, an dem die Installation gerade zu sehen ist, eröffnet ein besonderes Spannungsfeld von ‚global‘ und ‚lokal‘ und bietet den BetrachterInnen Gelegenheit, die eigene kulturelle Situiertheit zu reflektieren. Diese beiden zentralen Aspekte werden in den folgenden Kapiteln immer wieder thematisiert und vertieft. Sowohl die Ortsspezifik als auch der Kulturtransfer schreiben sich auf vielfache Weise in die Themenfelder meiner Analyse ein und durchlaufen damit die gesamte Arbeit wie ein roter Faden.
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Adéagbos ortsspezifisches Verfahren stellt für Museen und AusstellungsmacherInnen eine besondere Herausforderung dar. Seine Arbeit ist nicht ohne weiteres kompatibel mit dem Kunstsystem, in dem Mobilität eine wichtige Rolle spielt. Adéagbos Teilnahme an Wanderausstellungen bedeutet einen erheblichen Mehr-Aufwand, wie das Beispiel der Ausstellung The Short Century deutlich macht: Die Ausstellung wurde an vier verschiedenen Stationen in München, Berlin, Chicago und New York präsentiert, und Adéagbo reiste von Ort zu Ort mit, um seine Arbeit jeweils zu modifizieren. Dazu benötigte er längere Aufenthalte an den Ausstellungsorten, um auf die spezifischen lokalen Gegebenheiten Bezug zu nehmen und vor Ort Objekte zu sammeln. Dass ihm dies ermöglicht wurde, war wegen der zusätzlich anfallenden Kosten nicht von Anfang an selbstver-
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Zum white cube vgl. O’Doherty 1996.
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ständlich. Es bedurfte eines umfangreichen Briefwechsels zwischen Adéagbo und dem Kurator Okwui Enwezor, um die Modalitäten auszuhandeln, doch der Künstler konnte sich durchsetzen und Enwezor akzeptierte.6 Adéagbos Arbeitsweise verlangt also seine Anwesenheit und in gewissem Sinne auch die Auseinandersetzung mit seiner Person. Trotzdem gibt es AusstellungsmacherInnen und SammlerInnen, die dies missachten. Bereits mehrere Male wurden seine Installationen durch Dritte aufgebaut, ohne eine ortsspezifische Anpassung vornehmen zu lassen. Zum ersten Mal geschah dies in der Ausstellung Kunstwelten im Dialog im Museum Ludwig in Köln (1999/2000, damals noch unter Marc Scheps als Direktor). Dort hatte man die ursprünglich für seine erste Einzelausstellung in einer Pariser Galerie entstandene Installation La mort et la résurrection (1997) teilweise aufgebaut und Adéagbos Angebot, eine Arbeit für Köln zu schaffen, abgelehnt. Die gleiche Installation zeigte Jean-Hubert Martin auf der 5. Biennale von Lyon (2000) unter dem Motto Partage d’exotismes, erneut ohne Adéagbos Anwesenheit. Der bereits erwähnte Sammler Jean Pigozzi besitzt zwei Installationen Adéagbos aus dem Jahr 1996, L’histoire du pays: l’écriture und Paris XIème et l’histoire de la vie de Voltaire: l’héritage. Im Rahmen einer Präsentation seiner Sammlung im Museum of Fine Art in Houston 2005, die André Magnin kuratierte, wurden beide Arbeiten gezeigt, ohne Adéagbo mit einzubeziehen.7 Dass seine Arbeiten, vor allem durch die Montage und Fixierung auf Holzplatten, viel von ihrer ursprünglichen Qualität verloren, fiel auch der Presse auf (Abb. 30 und 31). Ein Rezensent, der die präsentierten Werke mit den Abbildungen im Katalog verglich, die sie im Hof von Adéagbos Elternhaus in Cotonou zeigen, schrieb: „Although I thought the installation of his works on the museum floor served to minimize their impact (the catalogue photos looked a little more reverential), I believe his pieces were some of the most thoughtful.“8 Das unsensible und problematische Vorgehen seitens dieser KuratorInnen ist entmündigend und kann als Fortführung hegemonialer Dominanzverhältnisse gedeutet werden. Adéagbo, der über die Ausstellung nicht einmal informiert worden war, wurde mutwillig ‚stumm‘ gemacht und mit ihm auch seine auf Platten fixierten Arbeiten, die weder auf den Ort der Ausstellung bezogen waren, noch auf aktuelle Geschehnisse. Damit war dem Künstler auch die Chance genommen, auf seine eigene Weise auf die Bedingungen der Produktion aufmerk-
6
Ich danke Stephan Köhler für diese Information.
7
Magnin, De Lima Greene, Wardlaw u.a. (Hg.) 2005. Abbildungen der Installationen Adéagbos S. 59 u. 61.
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Jones 2005.
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sam zu machen und beispielsweise die Position Pigozzis zu thematisieren, wie er dies in anderen Projekten umgesetzt hat. Georges Adéagbo hat sich inzwischen von den KuratorInnen und SammlerInnen distanziert, die seine Arbeitsweise nicht respektieren. So lehnte er die Einladung Jean-Hubert Martins zu der Ausstellung Afrika Remix ab. Seine Absage galt damit jenen Personen, in deren Umfeld seine Karriere begonnen hatte. Abbildung 30: Georges Adéagbo: Paris XIème et l’histoire de la vie de Voltaire: l’héritage, Houston 2005 Abbildung 31: Georges Adéagbo:Paris XIème et l’histoire de la vie de Voltaire: l’héritage, Cotonou 1996
Im Zuge des enormen Interesses an Gegenwartskunst aus Afrika nach Magiciens de la terre reisten eine Reihe von KuratorInnen aus dem Kreis um Jean-Hubert Martin und André Magnin nach Afrika, um neue KünstlerInnen zu ‚entdecken‘ und im Westen zu vermarkten.9 Zu ihnen zählte auch Georges Adéagbo, der daraufhin 1994 erstmals an einer Ausstellung in Frankreich teilnahm.10 André
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Pigozzi brüstet sich in einem Interview damit, dass er und Magnin mindestens 20 „great artists“ entdeckt hätten. De Lima Greene, Magnin, Pigozzi, u.a. 2005, S. 11.
10 Die Ausstellung La Route de l’Art sur la Route de l’Esclave fand unter der Leitung von Régine Cuzin statt. Die gleichnamige Installation, die Adéagbo für diese Ausstellung konzipierte, gilt heute als verschollen. Bei der Verschiffung soll der Container, der die Installation enthielt, nach Angaben der Ausstellungsmacherin über Bord gegangen sein, wie Adéagbo mir berichtete. 1997 hatte Adéagbo seine erste Einzelausstellung in der Galerie Natalie Obadia in Paris, ebenfalls von Cuzin initiiert. Ebenso die Einzelausstellung La rédemption, le rédempteur in Quimper (Frankreich). Die Ku-
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Magnin und Jacques Soulillou nahmen ihn zudem in ihre Publikation Contemporary Art of Africa11 auf. Im Anschluss an Magiciens de la terre sollte das Buch einen Überblick über afrikanische Kunstproduktion südlich der Sahara vermitteln. Mit dieser Publikation etablierten Magnin und sein Team schon recht früh einen Kanon dessen, was sie als ‚zeitgenössische afrikanische Kunst‘ definierten. KünstlerInnen, die in dieses Buch aufgenommen wurden, tauchten im Anschluss immer wieder in einschlägigen Publikationen und Ausstellungen auf. Auch Adéagbo zeigte seine Arbeiten in zahlreichen Ausstellungen mit Afrikabezug, wie Big City. Artists from Africa (London, 1995), African Art towards the Year 2000 (Kopenhagen, 1996), Die anderen Modernen. Zeitgenössische Kunst aus Afrika, Asien und Lateinamerika (Berlin, 1997), The Short Century. Independence and Liberation Movements in Africa, 1945-1994 (München, Berlin, Chicago, New York, 2001/2002) oder zuletzt ARS 11 (Helsinki, 2011).12 Im Jahr 1996 hatte Adéagbo zum ersten Mal an einer Biennale teilgenommen, an der Dak’Art 96, Biennale de l’Art Contemporain Africain in Dakar, Senegal. Es folgten die von Okwui Enwezor geleitete 2nd Johannesburg Biennale (1997/1998) und die XXIV Bienal de São Paolo (1998). Damit hatte Adéagbo an drei der wichtigsten Biennalen des globalen Südens partizipiert. Bereits ein Jahr später nahm Adéagbo an der Biennale von Venedig teil, war jedoch zunächst nicht offiziell eingeladen, sondern auf Initiative Stephan Köhlers dort. Den unabhängigen Kurator hatte Adéagbo 1998 auf der Biennale von São Paolo kennengelernt. Seitdem arbeitet er mit Köhler zusammen, der sämtliche Ausstellungstätigkeiten koordiniert.13 Das erste große Projekt ihrer Zusammenarbeit war die Ein-Tages-Installation auf dem Campo dell’Arsenale in Venedig: The Story of the Lion (1999). Da eine Genehmigung der Stadt nur schwer zu erhalten war, setzte sich Köhler mit Harald Szeemann, dem damaligen künstlerischen Leiter der Biennale, in Verbindung und schlug vor, Adéagbos Arbeit als ein Projekt der Biennale anzuerkennen, um damit die Erlaubnis zu erwirken, die Installation auf
ratorin begleitete und betreute Adéagbo in den darauffolgenden Jahren, allerdings kam es später zu Meinungsverschiedenheiten, was die Zusammenarbeit beendete. 11 Magnin, Soulillou (Hg.) 1996. 12 Big City 1995; Die Anderen Modernen 1997; Enwezor (Hg.) 2001; Metsola, Siitari, Vanhala (Hg.) 2011. (Zur Kopenhagener Ausstellung erschien kein Katalog.) 13 Adéagbo selbst sagt, wenn er Köhler nicht kennengelernt hätte, wäre er wahrscheinlich heute in der Kunstszene nicht mehr aktiv. Die Zusammenarbeit mit ihm ist sehr eng. So spricht Adéagbo auch oft von seinen und Köhlers Arbeiten. Auf den Aspekt von Autorschaft in Adéagbos Arbeitsweise werde ich zurückkommen.
G EORGES ADÉAGBO – A RBEITSWEISE
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einem öffentlichen Platz aufzubauen.14 So wurde Adéagbo sogar in den Katalog aufgenommen, wo es heißt: „Planned simply as a parallel event to the opening of the Venice Biennale, Georges’ one-day installation was miraculously accepted as an official contribution for the dAPERTutto.“15 Für diese Arbeit erhielt Adéagbo als erster Künstler aus Afrika den Preis der Jury.16 Seit dem Erfolg auf der Biennale von Venedig und seiner Teilnahme an der Documenta11 (2002) ist Georges Adéagbo einer der bekanntesten und erfolgreichsten Künstler aus Westafrika und nicht nur in Kreisen bekannt, die sich vornehmlich mit Kunst aus Afrika beschäftigen. Georges Adéagbo konnte sich mittlerweile von dem Label der ‚zeitgenössischen afrikanischen Kunst‘ größtenteils emanzipieren. Inzwischen wurde seine Arbeit mit 15 Einzelausstellungen gewürdigt.17 Zunehmend präsentieren KuratorInnen seine Installationen nicht wegen ihrer vermeintlichen ‚Afrikanität‘ und reduzieren Adéagbo nicht mehr auf seine ‚afrikanische Herkunft‘. So fokussierte die Ausstellung Notations: Out of Words (Philadelphia, 2006/2007) beispielsweise Kunstwerke, die Texte integrieren, das Projekt Weickmanns Wunderkammer (Ulm, 2007) rückte verschiedene Sammelkonzepte in den Vordergrund und TRASPARENZE: L’Arte per le Energie Rinnovabili (Rom und Neapel, 2010) lud KünstlerInnen ein, sich mit erneuerbaren Energien auseinanderzusetzen. Das zeigt, dass Adéagbo nicht mehr ausschließlich als ‚afrikanischer Künstler‘ wahrgenommen wird, sondern seine Arbeiten vermehrt auch in anderen Kontexten und zu anderen Themen rezipiert werden. Solche Entwicklungen in der Wahrnehmung von Ethnizitäten erklärt der Kulturwissenschaftler und postkoloniale Theoretiker Stuart Hall anhand eines Zwei-Phasen-Modells: In der ersten Phase wird die Heterogenität einer konstruierten Kategorie, wie beispielsweise „afrikanisch“, zugunsten einer ethnisierenden Identitätspolitik außer Acht gelassen.18 Dies geschieht, damit eine Kategorie oder marginalisierte Gruppe als Einheit überhaupt wahrnehmbar wird. Als Kollektiv können ‚AfrikanerInnen‘ eher etwas bewirken, sich im ‚Zentrum‘ Ge-
14 Vgl. Köhler 2008, S. 69ff. 15 Szeemann, Liveriero Lavelli (Hg.) 1999, S. 40. 16 Bertrand 2005, S. 65. 17 Siehe die Liste seiner Ausstellungen im Anhang. 18 Dabei betont Hall, dass der Wechsel von einer Phase in die andere kein definitiver ist, in dem eine neue eine alte ablöst. Es handelt sich vielmehr um zwei Phasen der gleichen Bewegung, welche gleichzeitig existieren können und ineinander verwoben sind, wobei allerdings die erste Phase Voraussetzung für die zweite ist. Vgl. Hall 1995, S. 223ff.
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hör verschaffen und auf ihre Existenz aufmerksam machen. Mit Gruppenausstellungen ‚afrikanischer KünstlerInnen‘ beispielsweise ist der Zugang zum ‚westlichen‘ Kunstsystem ermöglicht, von dem sie zuvor ausgeschlossen waren. Die zweite Phase wechselt zu einer Politik der Verweigerung von fixierenden Zuschreibungen zugunsten einer Individualisierung. Die Einzelpersonen möchten nicht mehr auf ihre Zugehörigkeit zum Kollektiv reduziert werden. Mit der Möglichkeit zur (Selbst-)Repräsentation beginnt nach Hall der Kampf gegen die Marginalisierung, gegen vorherrschende Stereotypisierungen und den ‚FetischCharakter‘ von Personen, Bildern und Dingen.19 Damit muss die Dekonstruktion der essentialisierenden Kategorisierung (als ‚afrikanisch‘) einhergehen. Es entsteht nach Hall „a more diverse conception of ethnicity“.20 Adéagbos Absage an die Großausstellung Afrika Remix, die zeitgleich mit seiner Einzelausstellung im Museum Ludwig (Köln, 2004/2005) stattfand, betonte seine Eigenständigkeit als Künstler (nicht ‚afrikanischer Künstler‘) und steht für diesen Übergang der Hall’schen Phasen. Der Eintritt in die zweite Phase bedeutet jedoch nicht, dass Adéagbo für immer von dem Label der ‚afrikanischen Kunst‘ befreit ist; doch dieser Übergang, den auch viele weitere KünstlerInnen afrikanischer Herkunft vollziehen, deutet auf die Aufweichung der Kategorie hin und auf die Diversifizierung des Kunstdiskurses hinsichtlich zeitgenössischer Kunst aus Afrika.
19 Hall 1995, S. 224. 20 Hall 1995, S. 227.
5 L’explorateur et les explorateurs
Die Installation „L’explorateur et les explorateurs devant l’histoire de l’exploration“..! Le théâtre du monde..! entstand 2002 für die Documenta11 in Kassel und kreist um den Topos der Entdeckung. Im Jahr 2004 überarbeitete und erweiterte Adéagbo sie für das Museum Ludwig in Köln, das die Arbeit angekauft hatte. Dort war sie für mehrere Monate zu sehen und wurde nach ihrem Abbau aufwendig dokumentiert und archiviert. Diese Installation werde ich in der Kölner Version in diesem Kapitel detailliert beschreiben, wobei ihre zentralen Charakteristika herausgearbeitet werden. Die Auswahl hat mehrere Gründe: Als documenta-Arbeit ist sie die bisher bekannteste und meist beachtete Installation Adéagbos. Sowohl beim Aufbau in Kassel als auch in Köln konnte ich anwesend sein und so die Entstehung dieser Arbeit sowie ihre ortsspezifische Umarbeitung nachvollziehen. In Köln arbeitete ich außerdem beim Abbau und der Archivierung mit und hatte so die Gelegenheit, viele einzelne Objekte näher in Augenschein zu nehmen, was für eine Analyse der kleinteiligen Arbeiten äußerst hilfreich war. In der Zeit zwischen den beiden Ausstellungen (im September 2003) besuchte ich Adéagbo in Benin und konnte dort seine Vorbereitungen auf die Umarbeitung in Köln zeitweise verfolgen. Die nahezu gleichbleibende Arbeitsweise des Künstlers und die Kontinuität der Themen legitimieren die Konzentration auf eine exemplarische Analyse eines Projektes. Deren zentrale Merkmale und Aspekte, die im Close-reading deutlich werden, treffen auf die Mehrzahl seiner Arbeiten zu.
5.1 R ÄUMLICHKEIT , G RUNDSTRUKTUR H AUPTACHSEN
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Georges Adéagbos Installationen füllen oftmals ganze Räume, die im Sinne von Environments betreten und durchschritten werden können. Der Künstler richtet
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den Aufbau der ortsspezifischen Arbeiten an den Gegebenheiten des Raumes aus, weshalb es von Bedeutung ist, die Räumlichkeit und die Anordnung der Objekte darin als Ganzes in den Blick zu nehmen. Abbildung 32: Georges Adéagbo: L’explorateur et les explorateurs (Teilansicht), Köln 2004
Der DC:-Projektraum des Museum Ludwig, in dem die Arbeit 2004 von Adéagbo installiert wurde, hat einen rechteckigen Grundriss von 15,80 auf 17,90 Meter und ist etwa 9,20 Meter hoch. Die Wände haben keine Fenster, sondern Oberlicht in Form von segelförmigen Einbuchtungen in der Decke, wodurch es Adéagbo möglich war, die Wände durchgängig mit Objekten, gleich einem umlaufenden Band, zu bestücken (mit Ausnahme des Eingangs). Der Boden ist mit hellem Parkettboden ausgelegt, die Wände weiß gestrichen, sodass der Raum einem white cube entspricht. Die BesucherInnen haben nicht nur Zugang durch einen Eingang an der linken vorderen Ecke, sondern können auch von einer Galerie oberhalb der Nordwand in den Raum hinunterschauen. Von dort ließ sich die
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Symmetrie und achsiale Ausrichtung der Installation besonders gut erfahren (Abb. 32).1 Im Zentrum des Raumes befinden sich ein ca. 6,20 Meter langes Fischerboot, welches die Mittelachse bildet, und ein Anker von ca. zwei Metern Höhe, der an der vorderen Spitze des Bootes positioniert ist. Zwei Teppiche liegen vor dem Anker auf dem Boden und akzentuieren diesen Bereich der Installation. Vier reliefierte Holzpfähle sind in einem Abstand von ca. 2,50 Metern jeweils rechts und links von den Bootsenden positioniert und rahmen das Zentrum. Durch diese Anordnung der Objekte erfährt der Raum eine Aktivierung. Betritt man ihn, ergibt sich durch die inselartige Objektansammlung in der Mitte mit der Begrenzung durch die Pfähle und dem zwischen diesem Zentrum und den Wänden entstehenden Freiraum ein Rundgang um das Boot herum, sodass die BesucherInnen die Installation vor allem im Durchschreiten erfahren.2 Beim Gang durch den Raum muss man sich, um die einzelnen Objekte näher in Augenschein zu nehmen und etwa Buchtitel oder Texte lesen zu können, oftmals bücken oder in die Hocke gehen, was die BetrachterInnen stärker involviert. Die durch die Ausrichtung des Bootes entstehende Mittelachse wird an den Stirnwänden aufgegriffen. Durch die Anordnung der Objekte in einer aufsteigenden Linie in der Mitte der Schmalwände wird die Vertikale betont, die durch kreuzende Querachsen durchbrochen wird (Abb. 33). Das Zentrum der Schmalseiten wird zusätzlich durch jeweils einen an der Wand liegenden Teppich, auf dem Objekte und Texte arrangiert sind, betont (Abb. 34). Eine Heiligen- und eine Bhuddafigur sind auf einem kleinen Sockel hervorgehoben präsentiert. Die Kombination dieser Figuren mit den Teppichen sowie den aufstrebenden Anordnungen der Gegenstände an der dahinterliegenden Wand, verleihen diesen Einheiten einen altarähnlichen Charakter, auf den ich später zurückkomme. An den Längswänden dagegen entstehen durch die Anordnung der Gemälde waagerechte Achsen oder Bänder (vgl. Abb. 32). Die Bilder sind jeweils versetzt zueinander in zwei Reihen gehängt, die jedoch an den Schmalwänden nicht fortgesetzt werden.
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Beim Aufbau seiner Installationen habe ich oft beobachtet, wie er innehält, einen Schritt zurücktritt und mit dem erhobenen Daumen auf Augenhöhe prüft, ob die symmetrische Ausrichtung noch stimmt und die Objekte in einer Linie liegen.
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Die Erschließung der Installation mittels eines Rundganges konnte man bei den meisten BesucherInnen beobachten, wobei keine bevorzugte Richtung (mit oder gegen den Uhrzeigersinn) auszumachen war.
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Abbildung 33: Georges Adéagbo: L’explorateur et les explorateurs (Detail), Köln 2004 Abbildung 34: Georges Adéagbo: L’explorateur et les explorateurs (Detail), Köln 2004
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Durch diese Achsenbildungen in unterschiedliche Richtungen entsteht ein strenger, geometrischer Aufbau, der das ‚Gerippe‘ der Installation bildet und beim Aufbau der Arbeit als Erstes installiert wird. Diese symmetrische Grundstruktur wird vor allem an den Längswänden durch die Anordnung von DIN A4-Blättern durchbrochen, die meist schräg, wellenlinienartig unter den Reihen der Gemälde verlaufen. (Dabei handelt es sich hauptsächlich um Kopien aus dem Buch L’histoire de Jésus-Christ.) Auch die übrigen in die Zwischenräume drapierten Objekte brechen die zunächst statische Komposition auf und verleihen ihr einen fast ornamentalen Charakter. Aus dem Schema der unmittelbar an der Wand befestigten und auf dem Boden liegenden Objektensembles fallen einige Anordnungen heraus. So sind wenige Objekte auf insgesamt fünf grauen Sockeln unterschiedlicher Größe aufgestellt, die einzelne Gegenstände hervorheben. Ein großer, geöffneter Koffer, die Teppiche sowie das Boot, dienen jeweils als Träger eines Arrangements von Objekten. Der Eindruck von Unordnung und der willkürlichen Zusammenstellung, der vor allem durch die Diversität der Objekte entsteht, weicht bei genauerer Betrachtung dem der sorgfältigen und systematischen Komposition. Trotz dieser Ordnung und einzelner hervorgehobener Bereiche oder exponierter Gegenstände, erscheint die Anordnung insgesamt unhierarchisch, da die verschiedenen Objektgruppen gleichmäßig verteilt sind und sich eine relativ homogene Gesamtschau ergibt. Objekte erscheinen nicht gewertet, sondern ein Zeitungsausschnitt tritt gleichberechtigt neben eine Skulptur oder einen alten Handschuh. Innerhalb der Anordnung sind daher keine Kategorisierungen von ‚high‘ und ‚low‘, ‚afrikanisch‘ und ‚europäisch‘ usw. abzulesen.
5.2 T HEMENGEBIETE Adéagbo visualisiert anhand verschiedener Medien und Materialien neben dem Leitmotiv der Entdeckung und den ortsspezifischen Bezügen eine Vielzahl von Themen, die er innerhalb der Installationen miteinander verschränkt. Die folgende Auswahl soll das Spektrum der Themengebiete sowie deren interne Verbindungslinien verdeutlichen. Entdeckung Die Installationen Adéagbos sind immer einem übergeordneten Thema gewidmet, welches der Titel der Arbeiten benennt und den jeweiligen Ausgangspunkt seiner Untersuchung darstellt. Im konkreten Fall ist das die Geschichte der Ent-
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deckungen („l’histoire de l’exploration“) sowie damit verbundene Aspekte, wie z.B. die Schifffahrt, der Kolonialismus oder einzelne historische Persönlichkeiten. Der Topos der Entdeckungsreise lässt sich zunächst auf das Ensemble von Holzboot und Anker beziehen, das wegen der zentralen Positionierung und seiner Größe hervorsticht (Abb. 4). Boot und Anker werden von kleineren Dingen umgeben, die das Thema der Schifffahrt aufgreifen, wie z.B. eine Matrosenmütze auf der Spitze des Ankers, auf deren lang nach unten hängenden Stoffbändern jeweils ein kleiner, goldener Anker aufgedruckt ist. An den Anker gelehnt sind mehrere Bücher, deren Einbände das Boot- und Anker- bzw. das Reisemotiv wiederholen (Abb. 35). Abbildung 35: Georges Adéagbo: L’explorateur et les explorateurs (Detail), Köln 2004
Das Buch La mer cruelle, auf dessen grauem Cover ein weißer Anker mit einer britischen Fahne zu sehen ist, wird flankiert von dem Lehrbuch der Navigation mit einer Figur an einem Steuerrad sowie weiteren Büchern und Zeitschriften, deren Cover Schiffe zeigen. Das indische Abenteuer von Thomas Trent ist ein Kinderbuch über die Entdeckung des Seeweges nach Indien durch den portugiesischen Seefahrer Vasco da Gama am Ende des 15. Jahrhunderts, das Buch 1492 En Méditerranée beschäftigt sich mit der europäischen Entdeckung Amerikas
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durch Christoph Kolumbus (Abb. 36) und deutet auf den historischen Beginn der aktiven Kolonisierung. Abbildung 36: Georges Adéagbo: L’explorateur et les explorateurs (Detail), Köln 2004
Die motivischen und thematischen Korrespondenzen setzen sich an anderen Stellen der Installation fort. Dort verweist Adéagbo neben Kolumbus und da Gama auf weitere berühmte Entdeckerfiguren. Eines der Gemälde bezieht sich etwa auf den Reisenden Marco Polo und ist dem Cover eines Buches von Jean-Paul Roux nachempfunden, das den Titel Les explorateurs du Moyen Age (1985) trägt (Abb. 37 und 38). Die Darstellung der beiden reisenden Männer ist Marco Polos Handschrift Le Livre des merveilles du monde (1298)3 entnommen, die Polos Erinnerungen an seine Chinareise beinhaltet. Die Reproduktion und Transformation der Buchmalerei verdeutlicht die De- und Rekontextualisierung von Bildern und Motiven, an deren Mobilisierung Adéagbo sich mit seiner künstlerischen Praxis beteiligt.
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Dt.: Das Buch von den Wundern der Welt. Ms. fr. 2810, Bibliothèque Nationale de France, Paris. Die Schrift ist unter dem Titel Il Milione bekannt geworden.
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Europäische Entdeckungs- oder Forschungsreisen nach Afrika werden thematisiert, vornehmlich durch Bücher, wie beispielsweise Auf Pfaden Livingstones, das auf den schottischen Missionar und „Afrikaforscher“ David Livingston (1813-1873) rekurriert. Oftmals verdeutlichen die Titel stereotype europäische Vorstellungen und Topoi, wie z.B. der Buchtitel Wilder Erdteil Afrika. Das Abenteuer der grossen Forschungsreisen (Heinrich Schiffers, 1954), der klischeehaft ‚Wildheit‘ und ‚Abenteuer‘ hervorhebt. Abbildung 37: Buchdeckel von J.-P. Roux: Les explorateurs au Moyen Age, 1985 Abbildung 38: Georges Adéagbo: L’explorateur et les explorateurs (Detail), Köln 2004
Die Schifffahrt wird häufig thematisiert, standen doch ihre Errungenschaften in enger Verbindung zu den sogenannten Entdeckungsreisen. Ein Gemälde (Abb. 39) bildet das Buchcover der Histoire mondiale de la marine (1966) ab, deren Autoren Jean Savant und Pierre Barjot auf weiteren Tafeln erscheinen. Ein anderes bezieht sich auf die Erfindung eines Navigationsinstruments („bâton de
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pilote“) durch den englischen Navigator und Entdeckungsreisenden John Davis4 gegen Ende des 16. Jahrhunderts. Der Quadrant, eine neue Form des Jakobsstabes, ermöglichte eine genauere Messung von Entfernungen. Adéagbo thematisiert neben Entdeckungsreisen auf dem Seeweg auch solche durch die Luft. Eines der Gemälde zeigt etwa Jean Mermoz (Abb. 40), einen berühmten französischen Piloten, der 1930 den ersten Flug von Afrika nach Südamerika machte. Das Bild zeigt neben einem Porträt von Mermoz eine Karte der afrikanischen Westküste. Abbildung 39: Georges Adéagbo: L’explorateur et les explorateurs (Detail), Köln 2004
Die Entdeckungsthematik umfasst Beispiele, die vom Mittelalter bis ins 20. Jahrhundert reichen und sich auf alle Kontinente beziehen, wobei Adéagbo jedoch den Schwerpunkt seiner Untersuchung auf Europa und Afrika gelegt hat. In den Themen und Motiven schwingen jeweils unterschiedliche Diskurse um Naturwissenschaft, Geschichtsschreibung, Kartografie usw. mit. Durch die Wahl der Beispiele aus heterogenen Bereichen macht Adéagbo auf die Tragweite der Entdeckungsreisen, auf ihre Umsetzung in den verschiedenen Wissenschaften oder in der Literatur und auf ihre Medialisierungen aufmerksam. Er zeichnet Verbindungen zwischen Personen, Orten und Kulturen nach, die durch Reisetä-
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Der Nachname Davis ist auf dem Gemälde – wahrscheinlich fälschlicherweise – mit „e“ geschrieben.
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tigkeiten in Gang gesetzt wurden und die sich in einer unüberschaubaren Anzahl von Dingen materialisiert haben. Die Beispiele changieren zwischen positiv besetzter Erkundung, heroisch idealisierten Einzelleistungen und den gewaltvollen, Macht ergreifenden Entdeckungen. In der Zusammenschau mit weiteren Gegenständen, etwa mit Büchern über die Kolonisation und deren stereotyper rassistischer Rhetorik, wird der imperialistische Aspekt von Entdeckungen akzentuiert. Abbildung 40: Georges Adéagbo: L’explorateur et les explorateurs (Detail), Köln 2004
Afrika Der afrikanische Kontinent ist bereits innerhalb der Entdeckungsthematik sehr präsent, sodass die Themengebiete miteinander verschränkt erscheinen. Innerhalb Adéagbos Installationen spielen die unterschiedlichen historischen und aktuellen Verbindungen Afrikas zu den jeweiligen Ausstellungsorten stets eine
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wichtige Rolle.5 Adéagbo recherchiert die europäischen Imaginationen und Projektionen und den Blick des jeweiligen Landes auf Afrika, mit dem er die BesucherInnen konfrontiert. Abbildung 41: Georges Adéagbo: L’explorateur et les explorateurs (Detail), Köln 2004
Die eurozentristische Perspektive auf Afrika, in welcher der Kontinent meist als undifferenzierte, homogene Einheit erscheint, ist in Adéagbos Zusammenstellung in zahlreichen Büchern präsent. Dazu zählen sogenannte Erlebnisberichte, wie Mit Büchse, Spaten und Ochsenstrick in Südwest Afrika (1903), der politische Abenteuerbericht Afrika-Flug (1965) von Winston S. Churchill6 oder Mein Afrika. Erlebtes und Erlauschtes aus dem Inneren Afrikas (1928) von Hans Schomburgk, der als Pionier des deutschen Tierfilms gilt. ‚Wilde‘ Tiere spielen für das populäre Bild Afrikas in Europa bis heute eine große Rolle; der Topos der Wildheit wurde bereits im Kolonialismus eingesetzt, um Afrika (und auch AfrikanerInnen) als gefährlich und unzivilisiert zu markieren. Der Zoologe Bernhard Grzimek prägte dieses Bild maßgeblich im Deutschland der 1960er
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Oftmals thematisiert er die Begegnung der Kulturen und ihre Beziehungen bereits im Titel, wie etwa La rencontre de l’Afrique et du Japon (Toyota, Japan, 2000) oder La colonisation Belge en Afrique noir (Brüssel, 2000/2005).
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Er war ein Enkel von Sir Winston Churchill und unternahm eine Flugreise durch Afrika.
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und 1970er Jahre. Adéagbo zeigt hier sein Buch Kein Platz für wilde Tiere (1954) (Abb. 41), das später in einen gleichnamigen „Tier- und Urwaldfilm“ umgesetzt wurde. Der Buchumschlag setzt den nachdenklich in die Ferne schauenden Grzimek mit einer Wildkatze auf dem Arm prominent in Szene. Wie Adéagbos Zusammenstellung vorführt, werden die Abenteuerromane und populärwissenschaftlichen Publikationen von der Selbstinszenierung der Autoren dominiert, die sich jeweils als wagemutige Helden, Entdecker unbekannter Territorien oder als besorgte Retterfiguren stilisieren. Kinderbücher wie Junger Häuptling der Fulani (1963) und Kai in Kamerun. Die Abenteuer eines Jungen in Afrika (1971) verdeutlichen, dass stereotypisierte Afrikabilder und Toposwissen (z.B. Afrika = gefährliches Abenteuer) auch in fiktionale Literatur eingehen und bereits Kinder prägen. Wissenschaftliche Bücher aus dem Bereich der Ethnologie hat Adéagbo ebenfalls integriert, wie Hugo Bernatziks Die neue große Völkerkunde in drei Bänden aus dem Jahr 1954 oder das bereits erwähnte Erythräa von Leo Frobenius. Mit Publikationen aus den 1970er Jahren thematisiert Adéagbo die sogenannte Entwicklungshilfe oder die deutsche Außenpolitik, etwa mit Titeln wie Einführung in die Entwicklungspolitik Band I-III (1977) oder Afrika und Bonn. Versäumnisse und Zwänge deutscher Afrika-Politik (1978). Auch aktuellere politische Bücher aus den 1990er Jahren finden sich in der Installation, die die homogenisierende Betrachtungsweise zunehmend aufbrechen und Regionen oder einzelne Länder Afrikas in den Blick rücken (z.B. zwei Bücher von der belgischen Journalistin Colette Braeckmann: Terreur africaine. Burundi, Rwanda, Zaïre: Les Racines le la violence und Le dinosaure. Le Zaïre de Mobutu). Den europäischen Büchern stellt Adéagbo auch einige aus afrikanischer Perspektive gegenüber, die Titel tragen wie Une experience africaine d’inculturation und Populations. Un point de vue africain oder Voix d’Afrique…Echos du monde. Adéagbo thematisiert die Geschichte der europäischen Auseinandersetzung mit Afrika und hebt deren Facettenreichtum hervor, indem er belletristische, populärwissenschaftliche, ethnologische und politische Bücher zeigt, die aus unterschiedlichen Perspektiven auf den Kontinent blicken. Dabei reproduzieren sie ganz ähnliche Stereotype. Die Anzahl der hier versammelten Bücher konfrontiert die BetrachterInnen mit der umfangreichen aktuellen wie historischen Wissensproduktion über Afrika. Dies vermittelt unterschwellig ein unangenehmes, beschämendes Gefühl, führt zu einer peinlichen Berührtheit der BetracherInnen, weil es ein ‚Afrikaner‘ ist, der diese Dokumente zusammengestellt hat und der etwa Afrika paternalistisch als Europas Gemeinschaftsaufgabe Nr. 1 auf einem Buchcover betitelt lesen musste. Trotzdem hat Adéagbos Materialsammlung
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nichts theatralisch Anklagendes. Vielmehr ermöglicht die Gegenüberstellung des heterogenen Materials, das Adéagbo gleichberechtigt nebeneinander reiht, auch eine distanzierende Belustigung. Seine Installation schreibt die stereotypen Vorstellungen über Afrika nicht erneut fest, sondern jongliert in einer spielerischen Weise mit Diskursen, die hier nicht fixiert sind, sondern durch die unerwarteten Bedeutungsassoziationen eher wuchern oder schwellen und neue Wissensproduktionen anregen, deren Prozessualität betont wird.7 Kunst und Kunstgeschichte Als weiteres Themengebiet der Installation erweist sich die europäische Kunst und Kunstgeschichte, was Bücher wie 50 ans d’art moderne, Geschichte der Kunst, Handbuch der Kunstwissenschaft oder ein Louvre-Führer belegen. Dieser Bezugsrahmen fällt in L’explorateur et les explorateurs umfangreich aus, weil die Arbeit für die documenta entstanden ist und Adéagbo mit deren Geschichte auch allgemeiner auf die Geschichte der Kunst verweist. Mit der europäischen Kunstgeschichte thematisiert er eine Genealogie und Tradition, zu der aktuelle Ausstellungsprojekte in Europa zwangsläufig in Beziehung stehen und aus der heraus sie rezipiert und interpretiert werden. Hier wird – besonders in der Gegenüberstellung mit den Verweisen auf die Rezeption von Kunst aus Afrika – der Eurozentrismus der Kunstgeschichtsschreibung deutlich. Diese handelt, wenn überhaupt, außereuropäische Kunst meist gesondert ab und hat sie bis dato aus der ‚Geschichte der Kunst‘ oder der ‚modernen Kunst‘ ausgeschlossen. Adéagbo bringt diese unterschiedlich perspektivierten Kunstgeschichten in eine Zusammenschau und ermöglicht den BetrachterInnen dadurch ein kritisches Vergleichen. Unter den Verweisen auf die Kunstgeschichte fallen zahlreiche Publikationen zu einzelnen Künstlern auf, die auch auf Gemälden und in Adéagbos Texten wiederholt vorkommen: Pablo Picasso, Joseph Beuys, James Lee Byars, Georges Rouault, Georges Seurat und Adolf Wölfli. Es stellt sich die Frage, warum einige Künstlerpersönlichkeiten von Adéagbo derart herausgestellt wurden. Sie stehen alle jeweils in Bezug zu anderen Themenschwerpunkten der Installation (z.B. zur documenta); über sie lassen sich thematische Verbindungen innerhalb der Installation herstellen. Trotzdem ist die Auswahl subjektiv und entspricht Adéagbos eigenen Vorlieben. Es geht nicht darum, einen Sachverhalt darzustellen oder die europäische Kunstgeschichte zu repräsentieren. Vielmehr macht Adéagbos Auswahl deutlich, dass es eine objektive Darstellung nicht geben kann, dass man immer von subjektiven Beweggründen geleitet ist, wie auch die BetrachterInnen
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Zum „Wuchern der Diskurse“ vgl. Bubitz, Bührmann, Hanke u.a. (Hg.) 1999.
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seiner Installationen sehr selektiv wahrnehmen und nicht von allen Bestandteilen gleichermaßen angesprochen werden. Rouault und Seurat haben Adéagbo wahrscheinlich auch wegen der Übereinstimmung ihrer Vornamen (Georges) mit seinem eigenen interessiert, wie er generell neben thematischen Verbindungen auch sprachlichen, numerischen, farblichen und allgemein visuellen Kongruenzen nachgeht, wie im Lauf der Analyse noch deutlich werden wird. Abbildung 42: Georges Rouault: Fléau Colon, 1928, Illustration zu Ambroise Vollard: Réincarnations du Père Ubu, 1932 Abbildung 43: Georges Adéagbo: L’explorateur et les explorateurs (Detail), Köln 2004
Zumeist sucht Adéagbo sich zusätzlich gezielt Aspekte in den Arbeiten oder der Rezeption dieser Künstler heraus. Von Rouault beispielsweise wurden zwei Gemälde für die Installation umgesetzt. Eines davon geht zurück auf Ambroise Vollards Buch Les Réincarnations du Père Ubu (Paris, 1932), das Rouault illustriert hatte (Abb. 42 und 43).8 Die Figur des Ubu basiert auf einem Theaterstück
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Koja 1993, S. 170. Zum grafischen Werk Rouaults siehe außerdem Wofsy 1976. Als zweites Gemälde hat Adéagbo Esprit mit der Umsetzung eines Selbstporträts Rouaults beauftragt. Außerdem integrierte er einen Ausstellungskatalog zu Rouault.
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von Alfred Jarry (Ubu roi, 1896). Jarry schuf den König Ubu als „ein fettes, rülpsendes Monstrum, das freßgierig, feig, hinterhältig sich wie eine MacbethKarikatur durch Mord und Gewalttätigkeit zum König macht und eine Schreckensherrschaft errichtet.“9 Der Verleger und berühmte Kunsthändler Vollard ließ diese Figur in seinem Prosagedicht auch in Afrika wirken und brachte sie mit dem Kolonialismus und der Sklaverei in Verbindung. Adéagbo wählte hier eine Darstellung des Ubu, den Rouault mit deformiertem Gesicht und einer Art Kolonialhelm gemalt hat. Damit bindet Adéagbo einzelne Künstler und die Moderne generell an Diskurse um Afrika, Kolonialismus und Sklaverei zurück.10 Es ist auffällig, dass Adéagbo nur männliche Künstler in seine Arbeiten integriert. Er stellt sich in eine Tradition der männlichen Kunstgeschichtsschreibung, die Künstlerinnen ausschließt. Berühmte Persönlichkeiten Adéagbo interessieren unterschiedlichste Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens aus Politik, Geschichte und Popkultur, aus Vergangenheit und Gegenwart. Auch sie lassen sich jeweils den thematischen Schwerpunkten (Entdeckungsgeschichte, Afrika/Benin, Kunstgeschichte usw.) zuordnen. Der bereits erwähnte Jean Savant beispielsweise wird in seiner Funktion als Historiker mit Frankreich und Napoleon11 in Verbindung gebracht und der Geschichte der Schifffahrt zugeordnet (und damit der Entdeckungsgeschichte); Papst Johannes Paul II. lässt sich innerhalb der ebenfalls sehr präsenten Religionsthematik lokalisieren bzw. steht für die katholische Kirche; Politiker, vor allem Staatsoberhäupter, scheinen Nationen und internationale Beziehungen zu repräsentieren: Kofi Annan, Jacques Chirac, Mathieu Kérékou, usw. Oft werden die Personen des öffentlichen Lebens in Form von Zeitungsartikeln und -bildern thematisiert. Dabei sind Adéagbo seriöse überregionale Tageszeitungen ebenso Ressource wie die lokale Boulevardpresse. Mit ihrer mehr oder weniger globalen Medienpräsenz stehen die zeitgenössischen Politiker nicht zuletzt für personale Verbindungslinien zwischen den Ländern und Kulturen. Neben Politikern kommen auch Menschen aus dem Bereich der Popkultur vor, z.B.
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Kienzle, Nedden (Hg.) 1996, S. 856.
10 Mit Bezug auf zeitgenössische Kunst kann man hier auch die Beschäftigung des südafrikanischen Künstlers William Kentridge mit der Figur des Ubu assoziieren. Vgl. z.B. Afrika Remix 2004. 11 Um Napoleon kreiste eine Arbeit Adéagbos, die er 2000 in Rom zeigte und auch in L’explorateur et les explorateurs hat Adéagbo ein Buch zu Napoleon integriert und erwähnt ihn in Texten.
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Michael Jackson, Muhammad Ali oder die französische Chansonsängerin Edith Piaf, die die einzige Frau unter den vielen hervorgehobenen Persönlichkeiten ist.12 Die Auswahl der Personen ist neben Adéagbos Vorlieben, seinem persönlichen Hintergrund und den zentralen Themen der Installation auch von den aktuellen tagespolitischen Geschehnissen geleitet. Beim täglichen Durchsuchen von Zeitungen nach Bildmaterial und Artikeln werden diejenigen Persönlichkeiten (und Themen) integriert, die gerade in der Presse diskutiert werden. (L’explorateur et les explorateurs zeigt z.B. einen Artikel über den französischen Philosophen Jacques Derrida, weil dieser während der Entstehung der Arbeit verstorben war.) Dieser Strategie folgt er sowohl in Benin als auch an den Ausstellungsorten. Bekannte Personen aus Frankreich kommen unabhängig vom Ausstellungsort relativ häufig vor – so auch in Köln. Einerseits hat Adéagbo dort studiert und daher einen Bezug zum Land, andererseits dominiert die ehemalige Kolonialmacht bis heute die internationale Presse in den französischsprachigen Ländern. Die Personen des öffentlichen Lebens, die Adéagbo integriert, sind für die BetrachterInnen aufgrund ihrer Berühmtheit leicht zu erkennen und zuzuordnen. Sie haben – seien es lebende oder historische Persönlichkeiten – einen hohen Wiedererkennungswert und eignen sich deshalb besonders gut, um auf bestimmte Themen, Sachverhalte, Länder, Beziehungen usw. hinzuweisen. In der Installation funktionieren sie wie Scharnierstellen für Diskurse, in denen sich Geschichte und Mythen kristallisieren. Adéagbo Innerhalb der Installationen reflektiert Adéagbo kontinuierlich seine eigene Lebens- und Ausstellungsgeschichte. In seinen Texten beispielsweise schreibt er über persönliche Erlebnisse und Erfahrungen oder macht sich in Form von Fotografien sichtbar. Im Bereich vor dem Anker liegt etwa ein wohl in Japan aufgenommenes Foto, das den Charakter eines privaten Schnappschusses hat (Abb. 36, links unten). Es dokumentiert Adéagbos Reisetätigkeit und bietet einen Anhaltspunkt für die Integration der zahlreichen Bezüge zu Japan innerhalb L’explorateur et les explorateurs, denn unmittelbar vor der Reinstallation in Köln hielt Adéagbo sich dort auf und sammelte umfangreiches Material. Adéagbo bringt außerdem zahlreiche Personen aus seinem persönlichen Umfeld ein: Insbesondere Stephan Köhler, der sein ständiger Begleiter ist, aber auch Freunde und Bekannte sowie Menschen, mit denen er nur flüchtig zu tun hatte,
12 Adéagbo hat ihre tragische Figur zum Thema einer Installation in Paris gemacht (La résurrection de Edith Piaf, 2000).
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finden Erwähnung in seinen Texten oder sind auf Fotos zu sehen. Das gilt auch für jene Personen, mit denen Adéagbo durch das aktuelle Ausstellungsprojekt in Kontakt ist, wie hier für den Direktor des Museum Ludwig, Kasper König, oder die Kuratorin Julia Friedrich. Dadurch reflektiert er die Bedingungen und Zwänge beziehungsweise den institutionellen Rahmen, in dem er arbeitet. Diese Personen haben Einfluss auf die Entstehung seiner Arbeiten und werden als AkteurInnen ebenso innerhalb der Installation markiert wie Adéagbos eigene Person in seiner Anwesenheit und Auseinandersetzung mit dem Ort. Sein Aufenthalt in Köln wurde von Köhler in Fotografien festgehalten, die im Umfeld der Ausstellung veröffentlicht wurden: Neben dem Katalog zur Ausstellung, dessen Buchumschlag Adéagbo neben einem Bild im Kölner WallrafRichartz-Museum abbildet, wurde in der Zeitschrift Stadtrevue ein Inlay zu Adéagbos Projekt publiziert, dass ihn unter anderem vor dem Kölner Dom zeigt (Abb. 44) und seine Streifzüge durch die Stadt dokumentiert. Abbildung 44: Georges Adéagbo vor dem Kölner Dom, 2004
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Durch die Dokumentation seiner Ausstellungstätigkeit innerhalb der Arbeit belegt er seine Integration in den internationalen Ausstellungsbetrieb. Er fügt seine Referenzen in Form von Katalogen, Plakaten, Broschüren und Einladungskarten ein. Was zunächst als Verweis auf seine Berühmtheit, als Selbstgefälligkeit und Stärkung seiner Autorschaft ausgelegt werden könnte, erhält im Netzwerk der Installation andere Bedeutungen: Im Rahmen der Rezeptionsgeschichte von Kunst aus Afrika in Europa, die er in der Installation präsent macht, steht seine eigene Ausstellungstätigkeit in der problematischen Geschichte eines asymmetrischen Verhältnisses und der europäischen Vereinnahmung afrikanischer Kulturen mit den damit verbundenen Projektionen. Durch die Thematisierung seiner Person kennzeichnet Adéagbo die Zusammenstellung gleichzeitig als seine und markiert damit seinen Blick auf die Dinge, der – wie der Blick der BetrachterInnen – immer nur ein subjektiver und partikularer sein kann. Er scheint stets zu fragen: Was hat das – heute und an diesem Ort – mit mir zu tun? Das Feld von Bezügen entfaltet sich somit zwischen seiner Person, dem Ausstellungsort und dem Ausgangsthema. Durch die ortsspezifische Arbeitsweise kann sich auch das lokale Publikum diese Frage stellen: Was hat die Entdeckungsgeschichte mit mir und mit diesem Ort zu tun? Adéagbo recherchiert die eigenen Verstrickungen im Bedeutungsgefüge und verdeutlicht seine Position innerhalb des Feldes der Wissensproduktion, das er als vielstimmig, divergierend und alles integrierend charakterisiert. Die Rezeption seiner Arbeiten und Ausstellungen sowie seiner eigenen Person erwidert er und verdichtet die Blickkonstellationen zu einer Art Meta-Diskurs.
5.3 M ATERIALIEN
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Die Kölner Installation besteht aus ca. 2100 Einzelobjekten und ist damit die umfangreichste seiner Arbeiten. Angesichts dieser Fülle ist es kaum möglich, alle Dinge zu benennen, zumal sie hinsichtlich ihrer Größe, ihres Materials und ihrer Herkunft sehr unterschiedlich sind. Trotz der Heterogenität können größere Objektgruppen identifiziert werden, die eine Systematisierung der Menge erlauben und einen Überblick vermitteln. Gleichwohl lassen sich nicht alle Dinge eindeutig einordnen, und es kommt unwillkürlich zu Überschneidungen. Die hier vorgestellten Gruppen sind: Gemälde, Skulpturen, Alltags- bzw. Gebrauchsgegenstände, Textilien, Bücher, Printmedien, Fotokopien, Fotografien, Tonträger und handschriftliche Texte. Die insgesamt 67 in die Installation integrierten Gemälde (davon 63 mit identischen Maßen, 65 × 85 cm) sind mit Acrylfarbe auf Holz gemalt und wur-
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den alle von dem Schildermaler Adahoumé (Esprit) im Auftrag von Adéagbo hergestellt. Vier Bilder, die sich jeweils in den Ecken befinden, sind auf lose Leinwand gemalt und als asiatische Rollbilder lediglich an einem runden Holzstab befestigt (Abb. 38). Gegenüber den Bildern auf Holz bedeutet der Rückgriff auf eine asiatische Bildkonvention eine zusätzliche Hybridisierung, die durch Adéagbos Japanaufenthalt angeregt wurde. Zusätzlich fertigte Esprit sieben Schrifttafeln (Acrylfarbe auf dünner Holzplatte) an, auf denen jeweils kurze Texte von Adéagbo inklusive deutscher Übersetzung zu lesen sind. Die Schrifttafeln kann man einerseits zu der Gruppe der Gemälde zählen í sie sind ebenso im Auftrag hergestellt und ihnen in Material und Technik gleich í, andererseits zu den von Adéagbo verfassten Texten, die jedoch hier in ein anderes Medium übersetzt wurden. Neben den Auftragsarbeiten gibt es auch ‚gefundene Gemälde‘, wie etwa fünf kleinere folkloristische Malereien aus Westafrika, die sich im Bereich des Bootes befinden. Die Installation integriert zahlreiche westafrikanische Arbeiten aus Holz, wie beispielsweise Masken und Figuren, teilweise figürlich gestaltete Gefäße, oder ein typisches Sitzmöbel sowie eine große Trommel. Diese hat Adéagbo meist in Benin oder während Reisen in den Nachbarländern erworben. Von dem bereits erwähnten Schnitzer Kinigbé wurden in Cotonou vier 2,30 Meter hohe Holzoder Totempfähle mit aufwendigen figürlichen Reliefs hergestellt. Sie sind unter den Skulpturen die einzigen Auftragsarbeiten. Auch wenn die Gruppe der Skulpturen deutlich von Arbeiten aus Westafrika dominiert wird, verwendete er auch kleinere Figuren aus Japan oder Deutschland, wie beispielsweise eine Heiligenfigur. Außerdem wurde Strandgut integriert, das man als gefundene Skulpturen bezeichnen könnte, wie das große Holzboot und der Anker im Zentrum der Installation. Unterschiedliche Alltags- und Gebrauchsgegenstände fanden ebenfalls Eingang in die Zusammenstellung, so etwa ein Dampfbügeleisen, ein Topfdeckel, verschiedene Plastiktüten, Zigaretten- und Streichholzschachteln, leere Glasflaschen, Hüte und Schuhe, eine Wanduhr, ein alter Koffer. Diese sind meist gefundene Objekte oder Flohmarktartikel, teilweise aber auch Spuren aus Adéagbos eigenem Alltag, wie eine Weinflasche, die er mit Gästen geleert hat. Die Gruppe der Textilien ist nicht weniger heterogen. Aus Japan stammen die an den Schmalwänden aufgehängten riesigen Stofffische (wohl eine Darstellung von Karpfen, die in Japan für Stärke stehen, weil sie gegen den Strom schwimmen), während das kostbare historische Zeremonialgewand aus Nigeria ist (Abb. 45). Als weitere symbolträchtige Textilien fallen vor allem diverse Flaggen auf: die amerikanische, einige japanische sowie die Flagge der DDR. Doch bei den
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meisten textilen Objekten handelt es sich um alltägliche Kleidungsstücke, darunter T-Shirts und Jeans, Kleider, traditionelle japanische Oberbekleidungsstücke, Socken, Mützen und Handschuhe. Außerdem befinden sich einige nicht definierbare kleinere Stoffstücke unter den Objekten. In Teilen Westafrikas werden Kleidungs- oder Stoffstücke in Erinnerungspraktiken eingebunden und dienen nach dem Tod einer Person seinem Andenken, weil sie als Emanation des Menschen gelten.13 Adéagbo scheint also Spuren von Individuen zu folgen, für die Kleidungsstücke ebenso identitäre Bedeutungen besitzen können wie Konsumgüter oder Kultobjekte. Abbildung 45: Georges Adéagbo: L’explorateur et les explorateurs (Detail), Köln 2004
Die Bücher sind meist an den Wänden entlang auf den Boden gelegt, teilweise auch aufgestellt. Es handelt sich um ca. 400 Publikationen in verschiedenen Sprachen, vor allem Deutsch und Französisch, einige auf Englisch. Adéagbo sagt, die Buchcover seien für ihn wie Gemälde.14 Das erklärt, warum Adéagbo die Bücher in den seltensten Fällen liest, sondern sein Augenmerk vielmehr auf den gestalteten Buchumschlag richtet. Er versteht diese Bücher als Teil der visu-
13 Pinther, Schankweiler 2011, S. 74. 14 Gespräch mit dem Künstler im September 2003.
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ellen Kultur und interessiert sich dafür, wie bestimmte Inhalte visualisiert werden und in welcher Form Coverbild und Titel eine Verbindung eingehen. Zu der Gruppe des Gedruckten gehören vor allem Zeitungen und Zeitschriften. Teilweise sind die vollständigen Ausgaben in die Installation integriert, teilweise hat Adéagbo einzelne Artikel, Abbildungen oder Überschriften ausgeschnitten, die meist auf aktuelle Geschehnisse hinweisen. Es befinden sich zudem Falt- oder Flugblätter unterschiedlichster Art, außerdem Poster und Plakate sowie Postkarten unter den Drucksachen. Die Fotografien wurden fast ausschließlich von Köhler gemacht. Sie entstanden meist bei gemeinsamen Erkundungsgängen durch die Stadt, bilden häufig Kölner Denkmäler ab und dokumentieren somit Adéagbos und Köhlers Blick auf Köln. Die ca. 480 Kopien hat Adéagbo größtenteils aus Büchern angefertigt, die er in Cotonou in seiner Referenzbibliothek besitzt. Von einigen Büchern wurden nur die Titelseiten kopiert, die als Platzhalter und Verweis auf die Sammlung in seinem Haus fungieren. Die Mehrzahl der Kopien stammt aus L’histoire de Jésus-Christ, aus dem ganze Kapitel fortlaufend an die Wand geheftet wurden; ebenso aus einem Buch über Papst Johannes Paul II. Im Unterschied zu den Büchern, bei denen in erster Linie die Buchumschläge ausgestellt sind, ist bei den Kopien der Text betont und jede einzelne Seite sicht- und lesbar. Zusätzlich existieren auch Kopien vom Schriftverkehr mit KuratorInnen und Bekannten, von Fotografien oder sonstigen Abbildungen, und beispielsweise von der KünstlerInnenliste der Documenta11. Die häufige Verwendung von Kopien, die völlig gleichberechtigt neben ‚Originalen‘ eingesetzt werden, verdeutlicht nochmals Adéagbos Ansatz, die Dinge nicht zu hierarchisieren. Teilweise hat Adéagbo Schriftstücke, wie Zeitungen oder einzelne Kopien, handschriftlich mit einigen Zeilen und mit Hinweispfeilen kommentiert, so z.B. eine von Stephan Köhler verfasste Rezension der Biennale von São Paulo (aus der Japan Times vom 28.11.1998), auf der er sein Zusammentreffen mit Köhler notiert hat (Abb. 46). Die Gruppe der Tonträger umfasst ca. 120 Objekte, vornehmlich Schallplatten, aber auch einige CDs. Teilweise wurden sie aus den Hüllen genommen und separat an der Wand angebracht, hauptsächlich werden jedoch die gestalteten Hüllen der Platten ausgestellt. Auch hier liegt der Fokus auf der Visualität der Dinge, denn weder hat Adéagbo sich die Platten alle angehört noch können die BesucherInnen der Ausstellung dies tun.
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Abbildung 46: Georges Adéagbo: L’explorateur et les explorateurs (Detail), Köln 2004
Die Menge der Gegenstände und ihre Verschiedenheit vermitteln auf den ersten Blick das Gefühl von Willkür in der Auswahl. Adéagbo scheint keine Unterschiede zu machen: Es gibt wertvolle und wertlose Dinge, lokal bekannte und unbekannte, afrikanische, japanische und europäische Kunst- und Kultobjekte, Gebrauchsgegenstände und Nippes – es wird jedoch schnell deutlich, dass sich die meisten Objekte gar nicht eindeutig diesen Kategorien zuordnen lassen und sich einer Klassifizierung entziehen. Welchen Wert hat eine Holzskulptur aus Benin am Ort ihrer Herkunft und welchen hier? Und welchen individuellen Wert hat sie für Adéagbo? Wurde eine Sandale in Köln oder in Cotonou weggeworfen? Waren zirkulieren global und deshalb kann ein Bügeleisen in Kassel, Brüssel, Toyota oder Dakar benutzt worden sein. Die Herkunft vieler Objekte kann von den BetrachterInnen folglich nicht nachvollzogen werden. Die Mobilisie-
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rung der Dinge in Adéagbos Strategie des Kulturtransfers und die Gesamtschau des heterogenen Materials an einem Ort verunsichern Kategorisierungen. Durch die Integration von gefundenen Objekten mit ihren verschiedenen Herstellern oder Autoren entfaltet sich in der Installation zudem eine Vielstimmigkeit, sodass die einzelnen Themenfelder stets aus unterschiedlichen Perspektiven beleuchtet sind.
5.4 D IE
HANDSCHRIFTLICHEN
T EXTE
Als eine wichtige und aussagekräftige Objektgruppe möchte ich die handschriftlichen Texte Adéagbos herausstellen. Sie werden in den folgenden Kapiteln herangezogen, weshalb ihre Form, Funktion und ihr Stellenwert innerhalb der Arbeiten hier einleitend geklärt werden soll. Die insgesamt 54 Texte sind mit schwarzem Stift handgeschrieben auf weißem Papier, meist im Format DIN A4 oder auf kleinere Formate zurechtgeschnitten. Sie tauchen an allen Stellen der Installation auf und sind über den gesamten Raum verteilt: Sowohl am Boden als auch an den Wänden oder beispielsweise am Boot befestigt, scheinen sie die Objektzusammenstellungen zu kommentieren. Adéagbo verbindet in ihnen historische und aktuelle Ereignisse und Persönlichkeiten mit seinen eigenen Erlebnissen.15 Die meisten der Texte wurden von Köhler sowohl ins Deutsche als auch ins Englische übersetzt, wobei die Übersetzungen als feste Bestandteile der Installation aufgenommen und meist in unmittelbarer Nähe zum französischen Originaltext positioniert wurden. Adéagbo trug mit dieser Maßnahme im Rahmen der documenta vor allem der Internationalität des Publikums Rechnung. Viele Themengebiete der Installation sind auch in den Texten behandelt: Entdeckungsgeschichte, Kunst, Religion, die Geschichte der documenta usw. Das bereits beschriebene Assoziative der Arbeit findet sich in Adéagbos schriftlichen Ausführungen wieder, in denen er thematisch unterschiedliche Sequenzen relativ unvermittelt nebeneinander stellt. Die Texte sind nicht narrativ, sondern eher fragmentarisch. Sie wirken wie Konzeptpapiere oder Reflexionen Adéagbos zu seinen Installationen.
15 Mit Adéagbos Texten hat sich bisher am ausführlichsten Thomas Fillitz auseinandergesetzt, Fillitz 2002, S. 162ff.
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Abbildung 47: Georges Adéagbo: L’explorateur et les explorateurs (Detail), Köln 2004
In einem der Texte (Abb. 47), der hier exemplarisch angeführt wird, bezieht sich Adéagbo beispielsweise auf die D11 und – wie auch an anderen Stellen der Installation – auf die Künstler James Lee Byars und Joseph Beuys, die beide mehrmals an einer documenta teilnahmen: „‚on a vu des documentas, pour être à cette année 2002, à la documenta 11‘..! L’artiste Américain James Lee Byars écrivant à son ami l’artiste Allemand Joseph Beuys (ils sont des artistes, et nous ne sommes pas des artistes)..!“16 In dem in Klammern gesetzten Satz am Ende
16 Zitat aus einem handschriftlichen Text von Adéagbo in der Installation L’explorateur et les explorateurs, Köln, Museum Ludwig, 2004. Dt.: „Man hat schon einige Documentas gesehen, um nun auch dieses Jahr, 2002, dabei zu sein und die Documen-
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des Abschnittes assoziiert Adéagbo seinen eigenen Künstlerstatus, den er hier negiert. Dabei bleibt unklar, wen er mit „nous“ (wir) meint. Die Künstlerrolle wird ihm jedoch vom westlichen Kunstsystem zugeschrieben und scheint durch seine Teilnahme an der documenta gleichsam belegt. (Dieser schwierigen Position Adéagbos widme ich mich später unter dem Stichwort „Künstlermythen“.) Darauf stellt er die grundsätzliche Frage, was Kunst sei, beantwortet diese Frage jedoch zunächst nicht, sondern lässt sie als ein Glied seiner Assoziationskette stehen. Im nächsten Abschnitt beschäftigt ihn eine Fußballmannschaft, die nicht durch zehn, sondern durch elf Spieler gebildet werde, was Adéagbo wiederum mit der Anzahl der bisher realisierten documenta-Ausstellungen in Verbindung bringt. Auch für diese Assoziation gibt es in der Installation mehrere Beispiele, auf die ich noch zurückkomme. Das Thema Fußball spielte auch deshalb eine Rolle, weil im Jahr 2002, als Adéagbo an der Kasseler Version arbeitete, eine Fußballweltmeisterschaft stattfand und die Zeitungen vielfach Bericht erstatteten. Aktuelle Themen werden also integriert, jedoch gleichzeitig in der Adéagbo’schen Logik mit ‚seinen‘ Themen und den Gegebenheiten der Ausstellung verknüpft. Im folgenden Abschnitt des Textes heißt es: „‚A parler, et parlant, on n’a pas à obliger les gens, à croire à ce dont on leur parle, à parler, et parlant, on doit toujours laisser de gens à voir pour décider eux-mêmes à croire à ce dont on leur parle‘..! Le journal..! Le journaliste..!“17 Diesen Textteil könnte man hinsichtlich Adéagbos Kunstauffassung interpretieren – und damit als Antwort auf die zuvor gestellte Frage –, denn er definiert Kunst als eine Art der Kommunikation.18 Mit seiner Arbeit tritt er in ein Gespräch mit den BetrachterInnen, doch ist sie lediglich ein Angebot und dem Publikum bleibt das Urteil über seine Ausführungen selbst überlassen. Adéagbo scheint hier eine Analogie zum Journalismus, in dem es sich ebenso verhält, zu sehen. Seine Definition des Journalisten liest sich wie
ta 11 zu sehen“..! Der amerikanische Künstler James Lee Byars schrieb Briefe an seinen Freund, den deutschen Künstler Joseph Beuys (diese sind Künstler und wir sind keine Künstler)..! [Übersetzung S. Köhler]. 17 Zitat aus einem handschriftlichen Text von Adéagbo in der Installation L’explorateur et les explorateurs, Köln, Museum Ludwig, 2004. Dt.: „Um zu sprechen und im Gespräch, sollte man nicht die Leute zwingen, das zu glauben, wovon man mit ihnen spricht, um zu sprechen und im Gespräch muß man immer die Leute selbst entscheiden lassen, ob sie glauben, wovon man mit ihnen spricht“..! Die Zeitung..! Der Journalist..! [Übersetzung S. Köhler]. 18 Das erklärte Adéagbo mir während eines Gespräches im September 2003 in Cotonou.
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eine Selbstbeschreibung: Beobachter, Beurteiler, Ratgeber („Un journaliste est un observateur, un juge, un conseiller“). Bestimmte thematische Schlagwörter werden in Adéagbos handschriftlichen Texten in einer programmatisch anmutenden Weise meist am Ende des Absatzes dupliziert, z.B. „L’art..! L’art..!“ oder „La documenta..! La documenta..!“ Sie heben übergreifende Themen als Leitmotive hervor, die als Einstiegspunkte in die Installation fungieren können. Wiederholungen spielen insgesamt eine wichtige Rolle; einzelne Passagen können sich motivartig wiederholen und so an unterschiedlichen Textstellen an je andere Themen anknüpfen und neue Bedeutungsassoziationen anregen. Auch die Zentralität von Orten in Adéagbos Arbeit kommt in den Texten zum Ausdruck, in denen er oftmals Ereignisse und Personen lokalisiert und ‚Ortsketten‘ bildet, wie beispielsweise „Cologne-Allemagne“ oder „Togbinplage de Cotonou-Bénin“. Auf einem Blatt befinden sich zwischen einem und fünf Absätzen von unterschiedlicher Länge: bisweilen nur aus einer Zeile bestehend oder bis zu einer halben Seite lang. Jeder Absatz beginnt und endet mit einem Pfeil, der in Leserichtung von links nach rechts weist. Zusätzlich sind die einzelnen Absätze und ihre Themen durch je einen weiteren Pfeil von oben nach unten miteinander verkettet. Als Beginn und Ende von Adéagbos schriftlichen Ausführungen deuten die Pfeile auf das Außen der Texte und verbinden sie mit den Objekten, zwischen denen die positioniert sind: Die Sätze ergeben sich aus der Installation und gehen wieder in diese ein. Damit wird das von Adéagbo konstruierte Verweissystem gestärkt – alle Elemente sind miteinander verbunden und in Beziehung gesetzt. Seine Texte sind zusätzlich geprägt von einer eigenwilligen, systematisch eingesetzten Interpunktion: Am Ende der Sätze befinden sich jeweils zwei Punkte mit Ausrufezeichen (..!) beziehungsweise bei Fragen entsprechend zwei Punkte mit Fragezeichen (..?). Die Auslassungspunkte am Ende der Sätze erzielen einen ähnlichen Effekt wie die Pfeile: Die Texte stellen ein offenes System dar, das immer weiter geführt werden könnte, und die BetrachterInnen scheinen aufgefordert, das Ausgelassene zu ergänzen oder die Assoziationen selbst fortzuführen. Der erste Satz eines Abschnittes ist meist in Anführungszeichen gesetzt, als würde Adéagbo zitieren. Zitiert er sich selbst? Ist es die wörtliche Rede des personalisierten Textes, der hier zu den BetrachterInnen spricht? In den Texten schreibt Adéagbo von sich selbst immer in der dritten Person als „Georges
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Adéagbo“ oder als „ma personne de Georges Adéagbo“ (Abb. 48).19 Fast ist es so, als habe sich der Text verselbstständigt und spräche über die (fiktionalisierte) Künstlerperson. Die Distanzierung durch den Einsatz dieser Formel steht im Kontrast zu den ganz realen Erlebnissen des Künstlers Adéagbo und seiner Autorschaft – ein Widerspruch, den ich zunächst nicht auflösen möchte, sondern später wieder aufgreifen werde. Abbildung 48: Georges Adéagbo: L’explorateur et les explorateurs (Detail), Köln 2004
Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass Adéagbos Texte in ihrer assoziativen Koppelung thematisch unterschiedlicher Passagen seiner ästhetischen Praxis entsprechen. Wie beim assoziativen Zusammenstellen von Dingen werden über einzelne Textpassagen schlaglichtartig Themen miteinander in Beziehung gesetzt, die durch die unterschiedlichen Kontextualisierungen jeweils neue Aspekte erhalten. Es zeigt sich folglich eine Strukturanalogie zwischen den Texten und der Installation.20 Seine Objektensembles wirken wie Umsetzungen seiner Texte und umgekehrt scheinen die Texte von den Zusammenstellungen geleitet. In das System der Dinge integriert, können deren Verbindungslinien innerhalb der Texte nahtlos weitergeführt werden.
19 Vgl. zu diesem Aspekt auch Fillitz 2002, S. 166ff. 20 Cuzin, Rousset 1996, S. 168.
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5.5 O RTSSPEZIFIK Adéagbo bezieht sich in L’explorateur et les explorateurs explizit auf die Orte, an denen die Arbeit zu sehen war. Die Kasseler Objekte wurden jedoch für die zweite Version in Köln nicht entnommen: Sie gehören zur Geschichte der Installation und machen den Entstehungs- und Herstellungsprozess nachvollziehbar. Insgesamt kamen in Köln über 500 neue Objekte hinzu. Diese große Zahl hing vor allem mit der Größe des Ausstellungsraumes im Museum Ludwig zusammen, weshalb auch die Dimensionen recht auffällig verschoben waren, sodass dort beispielsweise das Boot, der Anker und die Pfähle im Verhältnis sehr klein wirkten. Die Unterschiede der Räumlichkeiten in Kassel und Köln wirkten sich insgesamt stark auf den Gesamteindruck der Arbeit aus. Im Gegensatz zum DC:Saal besaß der Kasseler Raum einen halbovalen Grundriss (auf Wunsch des Künstlers angefertigt) und war wesentlich kleiner.21 (Abb. 49) Dadurch wirkte Abbildung 49: Georges Adéagbo: L’explorateur et les explorateurs (Teilansicht), Kassel 2002
21 Aus den Akten im documenta Archiv geht hervor, dass Adéagbo bereits im Juni 2001 den Wunsch äußerte, in einem Raum mit rundem oder U-förmigem Grundriss auszustellen.
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der Raum in Kassel dichter und harmonischer. Der ‚Wandelgang‘ zwischen Zentrum und Wänden war schmaler. Durch die geringe Breite des Raumes in Kassel war es für die BesucherInnen auch einfacher, Bezüge über den Raum hinweg herzustellen. Man konnte, wenn man sich auf einer Seite des Raumes befand, Objekte auf der anderen Seite besser erkennen, als das durch die gesteigerte Entfernung in Köln der Fall war. Der Raum in Kassel besaß zwei Eingänge, sodass ein Rundgang um das Boot herum architektonisch bereits angelegt war. In Köln dagegen gab es nur einen Eingang, was die Dramaturgie der Installation veränderte. Die Anzahl der Gemälde blieb, trotz des wesentlich größeren Grundrisses, in Köln nahezu gleich. Es kamen lediglich die vier Leinwände in den Ecken hinzu, die nach Angabe Adéagbos den rechteckigen Grundriss aufnehmen sollten.22 Dadurch nahmen Zeitungsartikel und andere Drucksachen mehr Raum ein und füllten die nun größeren Wandflächen aus, was den Eindruck der Kleinteiligkeit verstärkte. Kassel, D11 Auf die Stadt Kassel als (ersten) Ausstellungsort bezieht sich Adéagbo beispielsweise mit Büchern zur Stadtgeschichte, wie Ein Blick zurück auf’s alte Kassel, oder mit einem alten Kasseler Nummernschild (Abb. 35). Ein BindingKronkorken auf der Spitze des Ankers und Bierflaschen verweisen auf die ehemalige Bindingbrauerei in Kassel, die für die Documenta11 als neue Ausstellungshalle akquiriert worden war und in der Adéagbos Arbeit zu sehen war. Auf dem Brauerei-Gelände hatte er ein altes Schild mit der Aufschrift „Eisabgabe nur auf Anweisung vom Versand“ gefunden, das er im Boot platzierte (Abb. 50). Nicht mehr im direkten Arbeitszusammenhang und in den Kontext der Arbeit gestellt, wirkt es wie ein skurriles Überbleibsel eines veralteten Produktionsprozesses. Da die Installation für die Documenta11 entstanden ist, spielt neben dem Ort Kassel auch die documenta als Institution eine wichtige Rolle. In der Installation entfaltet sich gleichsam die Geschichte dieser Großausstellung. Neben zahlreichen Verweisen auf die elfte documenta (Infobroschüren, Ankündigungen, die Veranstaltungsübersicht Kassel Kultur – Stadtprogramm im documenta-Jahr) sind Kataloge von vorherigen Ausstellungen integriert sowie weitere Literatur, wie die Institutionsgeschichte documenta – Mythos und Wirklichkeit (1997) von Harald Kimpel. Dadurch fließen Diskurse um die documenta mit ein und wurden durch diverse Zeitungs- und Zeitschriftenartikel zur D11 aktualisiert.
22 Das erklärte Adéagbo mir beim Aufbau der Installation.
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Abbildung 50: Georges Adéagbo: L’explorateur et les explorateurs (Detail), Köln 2004
Eine weitere Gruppe von Verweisen auf die Geschichte der Institution sind, wie bereits erwähnt, Bilder von Künstlern und Kuratoren, die in Zusammenhang mit der documenta stehen. Hierfür hatte Adéagbo umfangreich im documenta archiv recherchiert, wo er Vorlagen sammelte. Unter den Kuratoren hob er drei besonders hervor: Arnold Bode, den Begründer der documenta, Harald Szeemann, Kurator der documenta von 1972, den Adéagbo durch diverse Ausstellungsprojekte persönlich kannte, und den aktuellen Leiter Okwui Enwezor. Von Szeemann entstand in Cotonou nach der Kopie eines Fotos ein Porträt im Stil der westafrikanischen Schildermalerei (Abb. 51 und 52),23 von Bode wurde eine Publikation integriert (Abb. 7) sowie eine Fotografie in Malerei umgesetzt, die ihn scheinbar dozierend vor einer Skulptur von Henry Moore zeigt (Abb. 53), und das Bild Enwezors findet sich auf Informationsmaterial der D11 sowie in der umfangreich integrierten Berichterstattung (Abb. 13).
23 Auf das Szeemann-Porträt komme ich später zurück. Für die Arbeit La colonisation Belge en Afrique noir in Brüssel im Jahr 2000, zu der Szeemann Adéagbo eingeladen hatte, befand sich an zentraler Stelle ein ähnliches Porträt des Kurators (nach einer anderen Vorlage). So bezieht sich das Szeemann-Porträt hier auf die documenta, auf Adéagbos Werdegang und Ausstellungsgeschichte und verweist zugleich auf die Brüsseler Installation mit dem zweiten Porträt Szeemanns.
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Abbildung 51: Harald Szeemann, 1984 Abbildung 52: Georges Adéagbo: L’explorateur et les explorateurs (Detail), Köln 2004
Abbildung 53: Georges Adéagbo: L’explorateur et les explorateurs (Detail), Köln 2004
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Adéagbo hebt einige wenige Künstler der documenta besonders hervor. Ein Bild zeigt das Schild zur „Free International University Press Conference“, Teil einer Aktion von Beuys im Rahmen der documenta 6 im Jahr 1977 (Abb. 54 und 55). Abbildung 54: Joseph Beuys: Free International University, Kassel 1977 Abbildung 55: Georges Adéagbo: L’explorateur et les explorateurs (Detail), Köln 2004
Adéagbo verehrt Joseph Beuys, der auf zwei weiteren Gemälden dargestellt ist. Sein Name erscheint außerdem auf den Schriftschildern sowie in Adéagbos handgeschriebenen Texten, und auch eine Biografie des Künstlers wurde inte-
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griert. Ein anderes Gemälde rekurriert auf eine Performance von Byars im Rahmen der documenta 5. Eine Verbindung zu ihm lässt sich zusätzlich über Köhler herstellen, der zeitweise mit Byars zusammengearbeitet hat24 und eine seiner Arbeiten an das Toyota Municipal Museum of Art (Toyota, Japan) vermittelte, das zugleich als erstes Museum eine Installation Adéagbos ankaufte. Hier wird sehr deutlich, wie subjektiv Adéagbos Aufmerksamkeit für bestimmte Themen, Personen oder Gegenstände gelenkt ist. Köln, Museum Ludwig Die Verweise auf den zweiten Ausstellungsort Köln, die beim Aufbau im Museum Ludwig ergänzt wurden, finden sich ebenfalls in mehreren Objektgruppen wieder. Vier Publikationen zur Stadt Köln hat Adéagbo nebeneinander angeordnet: ein Buch zum romanischen Köln, der Merian Köln-Führer mit dem Dom auf dem Cover und zwei historische Abhandlungen. An anderen Stellen werden diese Themen und Motive wieder aufgenommen, wenn z.B. ein weiteres Buch über die romanischen Kirchen in Köln oder eine Illustrierte Geschichte der Stadt Köln integriert sind. Zahlreiche Postkarten verweisen zusätzlich auf die Stadt und ihre Sehenswürdigkeiten, ebenso die diversen Fotografien von Köhler, die bei gemeinsamen Spaziergängen durch Köln entstanden sind (z.B. zeigen zwei Fotos die Denkmäler von Wallraf und Richartz, auf deren Mäzenatentum das gleichnamige Kölner Museum zurückgeht). Auch Sinnbilder des sprichwörtlichen kölnischen Frohsinns finden sich in der Arbeit, wie etwa Karnevalsorden und eine Schallplattenhülle der Mundart-Band De Bläck Fööss, die im Hintergrund den Dom und die Hohenzollernbrücke abbildet und auch das Bootsmotiv wieder aufgreift (Abb. 56). Der Kölner Dom aus Schokolade, ein beliebtes Touristen-Souvenir, verwies nicht nur auf den Ort der Ausstellung und das Wahrzeichen der Stadt, das auch sonst in der Arbeit sehr präsent ist, sondern wurde gleichzeitig mit dem deutschschweizerischen Künstler Dieter Roth in Verbindung gebracht. Adéagbo positionierte den Schokoladen-Dom neben mehreren Büchern zu Roth, der für seine Arbeiten aus Schokolade bekannt ist. Außerdem verwies die Zusammenstellung auf eine folgende Ausstellung im Museum Ludwig mit dem Titel Kunst in Schokolade.25
24 Siehe www.jointadventures.org. 25 Die Ausstellung fand vom 17.03.-19.06.2005 statt. Der Direktor des Museum Ludwig, Kasper König, hatte den Schokoladendom während des Aufbaus für Adéagbo hingestellt. Wie sich später im Katalog zu Kunst in Schokolade nachlesen ließ, hatte König 25 KünstlerInnen eben jenen Schokoladendom zukommen lassen, um Sie zur Teil-
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Abbildung 56: Georges Adéagbo: L’explorateur et les explorateurs (Detail), Köln 2004
Auf die Institution, das Museum Ludwig, bezog sich Adéagbo vor allem durch Faltblätter, die auch diejenigen zu seiner eigenen Ausstellung einschlossen. In einem der handgeschriebenen Texte beschreibt er seine und Köhlers Ankunft in Deutschland, ca. drei Wochen vor der Eröffnung der Ausstellung: „[…] ‚Stéphane Kölher [sic!] l’Allemand de l’Allemagne et Georges Adéagbo le Beninois du Bénin pour quitter le Japon le lundi 11 octobre 2004 pour descendre à DüsseldorfAllemagne, et prendre Taxi de Düsseldorf-Allemagne pour arriver au Cologne-Allemagne le lundi 11 octobre 2004..! Le journal ‚D.C.‘ du musée Ludwig de Cologne-Allemagne, vu dans Düsseldorf-Allemagne et Cologne-Allemagne ..!‘“26
nahme einzuladen und aufzufordern, Arbeiten in Schokolade anzufertigen. Kunst in Schokolade 2005, S. 6f. 26 Zitat aus einem handschriftlichen Text von Adéagbo in der Installation L’explorateur et les explorateurs, Köln, Museum Ludwig, 2004. Dt.: „Stephan Köhler, der Deutsche aus Deutschland, und Georges Adéagbo, der Beniner aus Benin, um Japan am Montag, den 11. Oktober 2004 zu verlassen, um in Düsseldorf-Deutschland auszusteigen, und das Taxi in Düsseldorf-Deutschland zu nehmen, um in Köln-Deutschland am
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Mit „journal ‚D.C.‘“ meint Adéagbo die Reihe von Katalogen zu Ausstellungen im DC:-Saal – in der auch der Katalog zu seiner eigenen Ausstellung erschienen ist –, die er über die Buchstaben D und C in Verbindung mit den Orten Düsseldorf und Köln (Cologne) bringt und seine eigene Reiseroute assoziiert. Im selben Text ist auch der Direktor des Museum Ludwig, Kasper König, erwähnt, den er wiederum in Verbindung mit Jean-Hubert Martin bringt, der 2004 noch Direktor des museum kunst palast in Düsseldorf war.27 Adéagbos Bezugnahme auf den Ort bzw. die Orte der Ausstellung durchzieht die gesamte Installation. Sie verdeutlicht seine Auseinandersetzung mit den Orten, an denen er arbeitet, und seine Reflexion über die jeweiligen Arbeits- und Entstehungsbedingungen. Die Einbindung von ‚lokalen‘ Materialien verhindert zudem die Konstruktion seiner Arbeit als ‚fremd‘ oder ‚exotisch‘. Das Erkennen der ortsspezifischen Verweise erleichtert den BetrachterInnen den Zugang, weil die Zusammenstellung sich ganz konkret an ihren Alltag, ihre Umgebung und ihre Kultur anbinden lässt. Die Reinstallation einer Arbeit an einem neuen Ort ohne die Entnahme von Objekten und ortsspezifischen Bezügen entspricht einer Historisierung seiner Arbeit und der Berücksichtigung des Entstehungsprozesses, durch die seine Arbeitsweise geprägt ist. Dabei verdichten sich die ortsgebundenen Bezüge zu einer Aktualisierung des Verfahrens im Modus der Erinnerung. In der historischen Vertiefung verweigert sich Adéagbos Arbeit der Redundanz seines künstlerischen Verfahrens und der affirmativen Vereinnahmung ins Kunstsystem. Die Kombination aus Aktualität und erinnernder Reflexivität erneuert das kritische Potenzial seiner Arbeiten und belegt, dass auch unter veränderten Bedingungen die Relevanz des ersten diskursiven Ortes anhält.
Montag, 11. Oktober 2004 anzukommen..! Das Journal „D.C.“ des Museum Ludwigs von Köln-Deutschland, gesehen in Düsseldorf-Deutschland und Köln-Deutschland..!“ [Übersetzung K.S.]. 27 Dort heißt es: „‚Jean-Hubert Martin de Paris-france, directeur de musée à DüsseldorfAllemagne et Kaspar [sic!] König directeur du musée Ludwig de Cologne-Allemagne, se portent-ils bien et demeurent-ils bien‘..? Les deux frères et l’histoire de direction de musée..!“ In anderen Texten bezieht er sich ebenfalls auf Martin als Kurator der Ausstellung Magiciens de la terre.
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5.6 A NALOGIEN
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UND
A SSOZIATIONSKETTEN
Mittels Analogien und Assoziationen konstruiert Adéagbo ein komplexes Verweissystem, das alle Dinge innerhalb der Installation miteinander in Verbindung bringt und ein dichtes Netz von Bezügen ausbildet. Da die möglichen Verknüpfungen unendlich sind, sollen hier exemplarisch einige Ensembles analysiert werden, um die Logik der Zusammenstellung zu konkretisieren. Adéagbo scheint ständig auf der Suche nach Analogien und deckt Ähnlichkeiten auf, als würde er geheime Symbole entschlüsseln. Vor allem in seinen handschriftlichen Kommentaren bezieht er sich häufig auf Namen, Anfangsbuchstaben, Zahlen oder Datumsangaben. So bringt er beispielsweise das Geburtsdatum Köhlers (den 7. Mai 1959) in Verbindung mit dem Datum, an dem Chirac Präsident von Frankreich wurde (dem 7. Mai 1995), und nutzt solche Übereinstimmungen, um Themengebiete miteinander zu verknüpfen. Abbildung 57: Georges Adéagbo: L’explorateur et les explorateurs (Detail), Köln 2004
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Auch auf der visuellen und formal-ästhetischen Ebene sucht er nach Analogien, und stellt beispielsweise ein Buch mit stilisiertem Meeresmotiv einem Ledermäppchen mit einer wellenartigen Prägung gegenüber (Abb. 57). Diese „visuellen Brücken“28 sind an zahlreichen Stellen in der Installation eingesetzt. Sie können, wie am Beispiel des Wellenmusters, auf Formen und Muster rekurrieren, aber auch auf Farben oder Motive. So werden bestimmte Objekte zueinander in Beziehung gesetzt oder miteinander in einen Dialog gebracht, der tiefer greifende thematische Verbindungen anregen kann und das Assoziieren der BetrachterInnen herausfordert. Durch das Nebeneinander eines Gemäldes, das Joseph Beuys zeigt, und eines Plakates zu einer Ausstellung Adéagbos in Innsbruck wird eine Beziehung zwischen den beiden Künstlerpersönlichkeiten hergestellt (Abb. 58). Abbildung 58: Georges Adéagbo: L’explorateur et les explorateurs (Detail), Köln 2004
28 Bredekamp 2002, S. 71. Horst Bredekamps Bezeichnung der „visuellen Brücken“ bezieht sich auf die Kunst- und Wunderkammern. Ich komme im Kapitel 7 darauf zurück.
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Verbindendes Element beider Darstellungen ist das Tragen eines Hutes. Das Gemälde beruht auf einem Foto von Beuys bei einer Aktion auf der documenta; die Ausstellung ist also neben dem Hut ein zusätzliches Bindeglied zwischen den beiden Künstlern – und weitere sind möglich. In einem anderen Beispiel fungiert ein schwarz-weißes Streifenmuster als verbindendes Element zwischen den Büchern Wildes schönes Afrika und Kinder im Karneval Köln (Abb. 59). Dieser zunächst visuell ermittelte Bezug birgt weitere vielschichtige Bezüge und regt zur kritischen Reflexion über die Praxis der Verkleidung im Karneval (klischeehafte „Mohren-“ oder „Indianer“-Kostüme sind sehr populär) ebenso an wie über die reduzierende Koppelung von Afrika und wilden Tieren. Abbildung 59: Georges Adéagbo: L’explorateur et les explorateurs (Detail), Köln 2004
Um zu zeigen, wie nicht nur zwei Objekte miteinander in Verbindung stehen können, sondern ganze Beziehungsketten oder -felder konstruiert werden, möchte ich einen Ausschnitt der Installation und die (möglichen) Verbindungen der Objekte untereinander genauer beschreiben: Ein Ausschnitt der Installation (Abb. 60) zeigt ein rot-weißes Sport-Trikot, das die Nummer 11 trägt. Die Zahl 11 taucht ein weiteres Mal auf dem Foto rechts über dem Trikot auf. Es zeigt offensichtlich die Hauswand einer Behörde in Kassel (erkennbar durch das Kasseler Wappen) mit der Hausnummer 11, was hier als Verweis auf die documenta zu lesen ist. Rechts neben dem Ärmel des Trikots ist eine Postkarte angeheftet, die einen Fußball im Netz des Tores zeigt. Die runde Form des Balles wird in der darunter angebrachten Karte, die die japanische Flagge zeigt, aufgegriffen.
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Abbildung 60: Georges Adéagbo: L’explorateur et les explorateurs (Detail), Köln 2004
Ihre Farben, Rot und Weiß, wiederum korrespondieren mit dem Trikot. Im Jahr 2002, als die Installation für die Documenta11 entstand, fand die Fußballweltmeisterschaft in Japan und Korea statt. Dieser aktuelle Bezug macht die Verbindung von Fußball und japanischer Flagge auch über die formale Analogie hinaus einleuchtend. Auf der gegenüberliegenden Seite des Trikots befindet sich eine Schallplatte der Kölner Band De Bläck Fööss. Die Hülle zeigt einen der Musiker in einem rot-weißen Fußball-Outfit (das des Kölner Fußballclubs) mit einem Fußball in der Hand. Links davon eine Abbildung, die vermutlich aus einer Zeitung ausgeschnitten wurde und den damaligen Torwart der deutschen Nationalmannschaft, Oliver Kahn, im Tor zeigt. Unter der Schallplatte hängt ein kleines Sammelbildchen mit einem deutschen Fußballspieler darauf. An die hier aufgegriffenen Themen – Documenta11, Kassel, Fußball, Japan usw. – wird an anderen Stellen der Installation mit weiteren Objekten angeknüpft, sodass sich die Verbindungslinien über den gesamten Raum hinweg verfolgen lassen. Die Korrespondenz zwischen den Dingen haben dabei unterschiedliche Qualitäten und Ebenen: Sie können sich thematisch, inhaltlich, motivisch, formal, sprachlich, farblich usw. gestalten oder mehrere Analogien gleichzeitig aufweisen. In der wohl komponierten Zusammenstellung der Gegenstände erreicht Adéagbo eine sinfonische Gesamtwirkung, in der die einzelnen Elemente in einem Netz von
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Bezügen miteinander verbunden sind. Gleichzeitig ist die Analogie ein strategisch eingesetztes Analysewerkzeug innerhalb Adéagbos Kunst, die komparatistisch konzipiert ist und Ähnlichkeiten sowie Differenzen von Kulturen nachspürt.
5.7 D IE I NSTALLATIONEN ALS GLATTE R ÄUME E INKERBUNGEN (D ELEUZE /G UATTARI )
MIT
Adéagbos Arbeiten wuchern unhierarchisch und setzen sich aus heterogenen Elementen zusammen, die in Medium, Material, Größe, Form und Farbe variieren. Sie geben weder einen Einstiegspunkt oder eine Leserichtung vor, doch verlangt die Arbeit durch ihre Kleinteiligkeit, dass man über den Gesamteindruck hinaus die einzelnen Dinge genauer in Augenschein nimmt und sich in der Installation bewegt. Die BetrachterInnen sind aufgefordert, die Dinge zueinander in Bezug zu setzen, wobei eine Anknüpfung nicht nur innerhalb, sondern auch an multiple Kontexte außerhalb der Arbeiten erfolgen kann. Diesen Eigenschaften und Qualitäten, die auf alle Installationen Adéagbos zutreffen, möchte ich anhand der Begriffe „Rhizom“, „das Glatte“ und „das Gekerbte“ von Gilles Deleuze und Félix Guattari nachgehen.29 Diese konzeptuellen Begrifflichkeiten haben die beiden Autoren in ihren gemeinsamen Publikationen entwickelt, in denen sie den Essentialismus und dichotome Denkstrukturen destabilisieren.30 Der Begriff des Rhizoms bietet dabei eine Alternative zum genealogischen, hierarchisch organisierten Struktur- oder Stammbaum. Aus der Biolo-
29 Dabei konzentriere ich mich auf zwei Texte: überwiegend auf das Kapitel 14 von Tausend Plateaus. Kapitalismus und Schizophrenie II (1980, dt. 1992), am Rande auf die Einleitung des Buches, die zuvor auch separat publiziert wurde. Deleuze, Guattari 1997, S. 658-693 und Deleuze, Guattari 1977. Zur Anwendung der Theorie von Deleuze und Guattari auf Adéagbos Arbeiten vgl. auch Schmidt-Linsenhoff 2010, Bd. 1, S. 355ff. 30 „Die Philosophie von Deleuze&Guattari läßt sich als Philosophie der Differenz beschreiben.“ Heyer 2001, S. 127. Die in Zusammenarbeit entstandenen Schriften des Philosophen Gilles Deleuze (1925-1995) und des Psychologen Félix Guattari (19301992) können auf die verschiedensten Weisen als Auseinandersetzung mit dem Strukturalismus, dem Marxismus, der Psychoanalyse gelten und als Versuch, der abendländischen Subjektkonstitution entgegenzuwirken. Ich kann an dieser Stelle nicht ausführlicher auf das philosophische Konzept der Autoren eingehen, sondern werde mich lediglich auf die Textteile beziehen, welche für meine Untersuchungen relevant sind.
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gie entlehnt, wo er ein unterirdisch wucherndes Wurzelgeflecht bezeichnet, steht das Rhizom als Modell für eine „Anti-Genealogie“.31 Mit den Kategorien des „Glatten“ und des „Gekerbten“ entwerfen Deleuze und Guattari ein theoretisches Raumkonzept, das die Dialektik des ‚westlichen Denkens‘ reformuliert. Die Modelle (oder Anti-Modelle) von Deleuze und Guattari sollen im Folgenden mit den Arbeiten Georges Adéagbos in einen Dialog gebracht werden, die vor allem auf ihre räumlichen Eigenschaften hin befragt werden. Dabei fungieren die Begriffe der Autoren als präzise Instrumente der Beschreibung. Mithilfe der Texte möchte ich die spezifische Ästhetik der Installationen deutlicher herausarbeiten und deren strukturellen Wandel durch Ortstransfer darstellen. Deleuze und Guattari entwerfen unter der Überschrift „Das Glatte und das Gekerbte“ in Tausend Plateaus zwei Arten von Räumen: Der glatte Raum ist (vereinfachend gesagt) der „Raum des Nomaden“ und der gekerbte der „Raum des Seßhaften“.32 Zur Erklärung ziehen die Autoren assoziativ verschiedene „Modelle“ heran, „die so etwas wie variable Aspekte von zwei Räumen und ihren Beziehungen sind“:33 das Modell der Technik, der Musik, des Meeres, der Mathematik, der Physik und der Ästhetik bzw. der ‚nomadischen Kunst‘. Mit diesen sechs Entwürfen konkretisieren Deleuze und Guattari einerseits ihr Raumkonzept, verleihen ihm aber andererseits so viele Facetten, dass die Begriffe des Glatten und Gekerbten differenzierter und zugleich uneindeutiger werden. Sie sind nicht dichotom zu verstehen, die Unterscheidung und Abgrenzung beider Raumtypen gegeneinander ist abstrakt, denn sie existieren nur in (und wegen) „ihrer wechselseitiger Vermischung“: „Der glatte Raum wird unaufhörlich in einen gekerbten Raum übertragen und überführt; der gekerbte Raum wird ständig umgekrempelt, in einen glatten Raum zurückverwandelt.“34 Anhand der Modelle gehen die Autoren folgenden Fragen nach: Wie gestalten sich die „einfachen Gegensätze“ zwischen beiden Räumen? Wie die „komplexen Unterschiede“35? Wie verhält es sich mit den faktischen Vermischungen und den Übergängen vom einen zum anderen? Was sind die Gründe für die Vermischungen, „die keineswegs symmetrisch sind und bewirken, daß man aufgrund von völlig unter-
31 Deleuze, Guattari 1977, S. 18. 32 Deleuze, Guattari 1997, S. 658. Birgit Haehnel geht unterschiedlichen, teilweise konträren Nomadismusdiskursen in der Kunst ab 1945 nach. Ausführlich widmet sie sich dem Nomadismus-Konzept bei Deleuze und Guattari. Haehnel 2007, dort v.a. S. 4054. 33 Deleuze, Guattari 1997, S. 658. 34 Deleuze, Guattari 1997, S. 658. 35 Deleuze, Guattari 1997, S. 658 und 667f.
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schiedlichen Bewegungen mal vom glatten zum gekerbten und mal vom gekerbten zum glatten Raum übergeht“.36 Wie kann man sich einen glatten oder einen gekerbten Raum vorstellen? Deleuze und Guattari geben Beispiele: Im Modell der Technik wird ein Gewebe als ein gekerbter Raum definiert. Kette und Schuss überschneiden und überkreuzen sich rechtwinklig, die Elemente einer Richtung liegen parallel zueinander. Das Gewebe ist ein begrenzter Raum; es kann zwar unendlich lang sein, doch in der Breite ist es durch den Rahmen für die Kette in seiner Ausdehnung limitiert. Es gibt ein Oben und ein Unten, denn „selbst wenn die Fäden der Kette und des Durchschusses genau gleich sind“37, werden die Fäden auf einer Seite verknotet. Im Unterschied dazu geben die Autoren das Beispiel des Filzes, der so etwas wie ein Anti-Gewebe sei, ein Beispiel für einen glatten Raum. Hier werden nicht Fäden miteinander verwoben, sondern die Fasern werden durch Drücken und Reiben miteinander verschlugen. Filz ist nicht homogen, aber trotzdem glatt. Er ist theoretisch nach allen Seiten unendlich, unbegrenzt und hat keine Vorder- und Rückseite. Der Filz verbindet nicht starre und bewegliche Elemente, wie gewebte Textilien, sondern „breitet eher eine kontinuierliche Variation aus“38. Einen bezeichnenden Unterschied weisen auch das Patchwork und die „Stickerei (mit ihrem zentralen Thema oder Motiv)“39 auf. Zwar können sich beide annähern – so kann z.B. die Stickerei „mit ihren Variablen und Konstanten, mit ihren Fixpunkten und beweglichen Figuren außergewöhnlich komplex sein“ und das Patchwork „kann so etwas wie Themen, Symmetrien und Resonanzen aufweisen, die es an die Stickerei annähern“ –, trotzdem ist die Art und Weise, wie der Raum geschaffen wird, ein grundlegend verschiedener.40 Beim Patchwork gibt es keinen Mittelpunkt, jede beliebige Erweiterung ist ausführbar: „Es ist eine amorphe Ansammlung von nebeneinander gelegten Stücken, die auf unendlich viele Arten zusammengesetzt werden können.“41 Auch die Stadt wird als gekerbter Raum definiert, die jedoch glatte Räume hervorbringen kann, trotz oder gerade wegen ihrer „Einkerbungskraft“42. Im Gegensatz dazu sind die Wüste und das Meer glatte Räume, die mit Einkerbungen konfrontiert sind, wenn sie beispielsweise in der Kartografie mit Längen und
36 Deleuze, Guattari 1997, S. 658. 37 Deleuze, Guattari 1997, S. 659. 38 Deleuze, Guattari 1997, S. 659. 39 Deleuze, Guattari 1997, S. 660. 40 Deleuze, Guattari 1997, S. 660. 41 Deleuze, Guattari 1997, S. 660. 42 Deleuze, Guattari 1997, S. 667.
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Breitengeraden gerastert und immer weiter erforscht werden. „Der einfache Gegensatz ‚glatt-gekerbt‘ führt uns also jedesmal zu immer schwierigeren Komplikationen, Wechselfällen und Überlagerungen zurück.“43 Linien spielen in der Unterscheidung der Räume eine wichtige Rolle. „Im gekerbten Raum werden Linien oder Bahnen tendenziell Punkten untergeordnet: man geht von einem Punkt zum nächsten. Im glatten Raum ist es umgekehrt: die Punkte sind der Bahn untergeordnet.“44 So werde beispielsweise bei den Nomaden der Wohnraum (als Punkt des Stillstands) dem Weg oder der Strecke untergeordnet, nicht etwa umgekehrt. Die Linie verstehen Deleuze und Guattari im glatten Raum als Vektor oder als Richtung. Das lässt ihn „direktional“ erscheinen, während der gekerbte Raum „dimensional oder metrisch“ ist, das heißt, er wird durch einen Maßstab bestimmt, bei dem die Punkte wichtiger sind als die Linie bzw. die Linie eine „metrische Bestimmung“ ist. Der glatte Raum ist jedoch in seiner Direktionalität nicht homogen, sondern wird differenziert: Die Autoren unterscheiden „gerichtete“ und „nicht-gerichtete“ glatte Räume, je nach Variabilität des zu erreichenden Punktes.45 Das Glatte ist bei Deleuze und Guattari positiv besetzt und gilt als vorbildlich, es wird als dem Gekerbten überlegen beschrieben, was vor allem dem „Deterritorialisierungsvermögen“ des Glatten zugeschrieben wird.46 Es ist freier, mit kontinuierlicher Variation ausgestattet, ermöglicht „freie Tätigkeit“, in der alle Möglichkeiten zur Gestaltung gegeben sind – während das Gekerbte mit dem „Modell der Arbeit“, mit Kapitalismus und Staatsapparat verbunden ist. Einkerbung hat immer ihre Grenzen. Beim glatten Raum hingegen sprechen die Autoren von einem Ort des „Werdens“47. Das Konzept scheint zunächst eine idealistische und utopische Ausrichtung zu haben; zentral jedoch ist, dass die Räume als „nicht objektiv“ beschrieben werden. Die beiden Modelle sollen explizit keine erneute Dichotomie etablieren;48 eine Unterscheidung ist nicht im-
43 Deleuze, Guattari 1997, S. 667f. 44 Deleuze, Guattari 1997, S. 663. An anderer Stelle erklären sie: „Glattes und Gekerbtes unterscheidet sich zuerst durch die umgekehrte Beziehung von Punkt und Linie (die Linie zwischen zwei Punkten im Falle des Gekerbten, der Punkt zwischen zwei Linien beim Glatten).“ S. 666. 45 Zu direktional/dimensional und gerichtet/nicht-gerichtet vgl. Deleuze, Guattari 1997, S. 662f. 46 Deleuze, Guattari 1997, S. 665f. 47 Deleuze, Guattari 1997, S. 674. 48 „Es geht um das Modell, das sich unaufhörlich aufrichtet und eindringt, und um den Prozeß, der sich fortwährend verlängert, abbricht und wieder einsetzt. Kein anderer
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mer eindeutig und auch nicht unbedingt erwünscht. So schreiben sie: „[…] man kann eingekerbt in Wüsten, Steppen oder Meeren wohnen; man kann sogar geglättet in Städten wohnen, ein Stadt-Nomade sein.“49 Auch Rhizome, die alle Eigenschaften des Glatten haben, können „ihren Despotismus und ihre Hierarchie haben, die sogar rigider sind […]. Es gibt Baumknoten in Rhizomen und rhizomatische Schübe in Wurzeln.“50 Mit dem Auflösen der eigenen Kategorien entziehen sich die Texte von Deleuze und Guattari dem Vorwurf der primitivistischen Romantisierung (des Nomadentums, der Wüste usw.), die man in einigen Passagen vermuten könnte.51 Von Deleuze und Guattari selbst wurde bereits vorgeführt, wie man das Konzept des glatten und gekerbten Raumes als ein Denkmodell auf verschiedene Bereiche oder Gegenstände anwenden kann. Den sechs aufgeführten Modellen möchte ich nun ein weiteres Modell zur Seite stellen: das der Installationen Georges Adéagbos. Seine ästhetische Praxis des Aneinanderfügens von Elementen erinnert an das Beispiel des Patchworks als glatter Raum: „Es ist eine amorphe Ansammlung von nebeneinandergelegten Stücken, die auf unendlich viele Arten zusammengesetzt werden können.“52 Deleuze und Guattari erwähnen eine besondere Form des Patchworks, dem die Ästhetik der Installationen noch näher kommt, das crazy Patchwork, „bei dem Stücke von unterschiedlicher Größe, Form und Farbe zusammengebracht werden und das mit der Textur von Geweben spielt“53. Ich habe bereits beschrieben, wie ein Gegenstand oder eine Gegenüberstellung von Gegenständen als Aufhänger einer seiner ephemeren Installationen in Cotonou fungieren kann. Sieht es zunächst so aus, als bilde dieses erste Objekt den Mittelpunkt des Ensembles – etwa das in der Einleitung erwähnte Buch von Nicholas Thomas –, breitet es sich schon bald nach allen Richtungen aus und er-
oder neuer Dualismus. […] Wir bedienen uns des Dualismus der Modelle nur, um einen Prozeß zu erreichen, der jedes Modell zurückweist. Es ist Sache des Lesers, über korrigierende Denkweisen zu verfügen, um die Dualismen aufzulösen, die wir im übrigen nicht setzen wollten, durch die wir lediglich hindurchgehen.“ Deleuze, Guattari 1977, S. 33. 49 Deleuze, Guattari 1997, S. 668. 50 Deleuze, Guattari 1977, S. 33. 51 Vgl. z.B. Lattas 1991, der eine primitivistische Lesart von Tausend Plateaus anbietet. „Kritische Stimmen“ zu Deleuze und Guattari bezüglich des Nomadismusbegriffes fasst Haehnel 2007, S. 73ff. zusammen. 52 Deleuze, Guattari 1997, S. 660. 53 Deleuze, Guattari 1997, S. 660.
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scheint dezentriert (Abb. 1-3). Die Assoziationsketten entfernen sich vom Ausgangspunkt, sodass sich dieser abends am Rand der Installation befinden kann. Das Tageswerk Adéagbos breitet sich also in unterschiedliche Richtungen aus und nimmt täglich neue Ausmaße und Formen an. Der Raum der ephemeren Installation wird jedoch durch eine Mauer begrenzt, die rings um das Grundstück führt. Sie bedeutet für die Zusammenstellungen eine von Adéagbo selbst gewählte „Einkerbung“. Abbildung 61: Georges Adéagbo: Tagesinstallation vom 03.09.2003, Cotonou
Auch wenn einige Elemente mehr hervorgehoben erscheinen als andere, weil sie z.B. auf einem sockelartigen Hocker positioniert wurden, gibt es kein Zentrum und keine Wertigkeiten. Die Dinge sind vollkommen unhierarchisch kombiniert. Anders als beim Filz bilden die Installationen jedoch ein Vorne und Hinten aus, denn die Objekte sind ausgerichtet und besitzen damit eine Schauseite, welche die Betrachtung vorgibt. Dies ergibt sich vor allem durch die Schrift (auf Buchumschlägen, Gemälden, handgeschriebenen Zetteln usw.), die nur von vorne oder von unten zu lesen ist. Trotzdem hat diese Anordnung eher etwas Direktionales als ein tatsächliches Oben und Unten. Ich würde hier von einem „gerichte-
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ten“ glatten Raum sprechen. Zuweilen gibt es auch „nicht-gerichtete“ Abschnitte in der Anordnung, denn es kommt vor, dass die scheinbare Ordnung der Dinge plötzlich aufgebrochen wird und Gegenstände schräg oder quer zu den übrigen ausgerichtet sind (Abb. 61). Das scheint unterschiedliche BetrachterInnenStandpunkte vorwegzunehmen, die sich der Installation von verschiedenen Seiten nähern können. Wie das Modell des Rhizoms haben die Arbeiten „viele Eingänge“.54 Man muss nicht mit Adéagbos point de depart beginnen (den man in der Regel ohnehin nicht ausmachen kann), um in das Netz der Bezüge einzusteigen, sondern kann an beliebiger Stelle ansetzen. Ebenso wenig verlangt die Arbeit, dass man alle Dinge gleichermaßen betrachtet oder liest. Vielmehr können die BetrachterInnen sich selektiv durch die Anordnung bewegen, Dinge auslassen oder springen („Prinzip des asignifikanten Bruchs“55). In Adéagbos täglichen Aufbauten können dieselben Dinge immer wieder auftauchen, oft auch in ähnlichen Kombinationen wie etwa am Tag zuvor. Manchmal nimmt ein bestimmter Gegenstand über einen längeren Zeitraum hinweg eine wichtige Rolle ein (z.B. als point de depart), doch dann bleibt er wieder lange im Haus. Auch wenn der Künstler temporäre Lieblingsobjekte zu haben scheint, kombiniert er diese immer wieder neu; die ephemeren Installationen sind nie identisch. Wie glatte Räume bilden sie „kontinuierliche Variationen“ und netzwerkartige Verkettungen, „in denen die Kommunikation zwischen beliebigen Nachbarn verläuft“.56 Jedes Element ist dabei Nachbar für die anderen Gegenstände und kann mit ihnen Verbindungen eingehen, jedoch immer nur als „momentane[r] Zustand“57, nicht als etwas Vorherbestimmtes oder für immer Fixiertes. Dadurch sind die Zusammenstellungen nicht von einer „zentralen Instanz“58 bestimmbar oder koordinierbar – das wird spätestens dann evident, wenn man neben Adéagbo weitere BetrachterInnen einbezieht, die wahrscheinlich andere nachbarschaftliche Kommunikationen wahrnehmen oder anregen. Eine weitere relevante Frage ist die nach dem Zusammenhang zwischen Adéagbos Arbeitsweise und seinem Umfeld. Wie korrespondieren die Installationen mit Benin und der Stadt Cotonou, wie fügen sie sich in den sie umgebenden Raum ein? Und was passiert mit den Assemblagen, wenn sie auf Reisen ge-
54 Deleuze, Guattari 1977, S. 21. 55 „Ein Rhizom kann an jeder beliebigen Stelle gebrochen und zerstört werden; es wuchert entlang seinen eigenen oder anderen Linien weiter.“ Deleuze, Guattari 1977, S. 16. 56 Deleuze, Guattari 1977, S. 28. 57 Deleuze, Guattari 1977, S. 28. 58 Deleuze, Guattari 1977, S. 28.
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hen und beispielsweise im Museum Ludwig in Köln ausgestellt werden? Wie passen sich die Arbeiten dort ein und wie verändert sich beim Übergang die Struktur des Raumes? Adéagbos Arbeiten korrespondieren in einer gewissen Art mit dem Land bzw. der Stadt seiner Herkunft.59 Cotonou entspricht im Sinne von Deleuze und Guattari als Stadt einem gekerbten Raum, in dem jedoch geglättetes Wohnen möglich ist. Aus meiner Perspektive ist das Potenzial des Glatten in einer südlichen Metropole wie Cotonou wesentlich höher als in einer Stadt wie Köln: Im Zusammenhang mit dem Gekerbten sprechen die Autoren von Organisationskräften, die in der Regel in einer Stadt groß sind. Doch Cotonou ist eine kurzlebige Stadt, deren organisatorische Strukturen mir nicht bekannt sind und die ich daher als weniger eingekerbt empfinde. Hier wird die Subjektivität der Kategorien des Glatten und Gekerbten deutlich, denn meine Beurteilung Cotonous ist von der Erfahrung kultureller Differenz und (von mir dort empfundener) ‚Fremdheit‘ geprägt, die meine Wahrnehmung dominiert. Möglicherweise empfindet Adéagbo, dem die „Organisationskräfte“ seiner Stadt bekannt und bewusst sind, eine europäische Großstadt wie Köln als wesentlich weniger eingekerbt. Was also jeweils als glatt oder gekerbt definiert wird, hängt von den individuellen Erfahrungen in unterschiedlichen (Raum-)Systemen ab. In Cotonou befindet sich alles im ständigen Auf- und Abbau, Architekturen werden oft nicht fertiggestellt oder sind ephemere Konstruktionen aus Wellblech, Holz und Pappe. Anstelle von öffentlichen Verkehrsmitteln, die festgelegte Routen mit Haltestellen abfahren, gibt es Hunderte von sogenannten Zemidjans, Mofa-Taxis, auf die man an beliebigen Orten auf- und abspringen kann (die Punkte sind also der Bahn untergeordnet). Statt Einkaufszentren prägen Märkte und temporäre Verkaufsstände das Stadtbild, das sich durch deren pausenlosen Auf- und Abbau ständig wandelt. Der flüchtige und wandelbare Charakter Cotonous war im Vergleich mit mir bekannten europäischen Städten wesentlich ausgeprägter. Meine Empfindung des Chaotischen der mir unbekannten Strukturen ließen mich Cotonou als einen Raum mit wenigen Einkerbungen einschätzen, dessen System ich analog zu Adéagbos ephemeren Installationen mit ihren vergänglichen Zusammenstellungen verstehe. Wird eine Arbeit in einem Museum einer europäischen Stadt aufgebaut, finden strukturelle Modifikationen statt. Zunächst arbeitet Adéagbo nicht mehr unter freiem Himmel, sondern in einem Innenraum. Dieses Umfeld scheint die In-
59 Auf die strukturellen Analogien zwischen Adéagbos Installationen und der Stadt Cotonou hat bereits Schmidt-Linsenhoff hingewiesen. Schmidt-Linsenhoff 2004; Schmidt-Linsenhoff 2010.
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stallation einzukerben, denn ihre Ausdehnung ist durch den Raum der Ausstellung vorgegeben. Zudem ist die zeitliche Dauer verändert, denn die Installation wird nicht täglich auf- und abgebaut, sondern bleibt von der Vernissage bis zum Ende der Ausstellung unverändert bestehen. L’explorateur et les explorateurs wurde vom Museum Ludwig angekauft und verblieb damit nach Adéagbos Einzelausstellung in der Sammlung des Hauses, wodurch das Ensemble als ‚Werk‘ fixiert wurde und der variable Charakter zunächst verloren gegangen ist. Demgegenüber bedeutet die Ausstellung der Installationen jedoch eine Öffnung für ein Publikum, das sich in Adéagbos von einer Mauer umgebenem Grundstück nicht konstituieren kann. Mit der Multiplizierung der BetrachterInnenStandpunkte wird die rhizomatische Struktur gestärkt, die sich außerhalb der Assemblage von Dingen fortsetzt. Mit der Öffnung deterritorialisieren sich die Installationen, während sie gleichzeitig reterritorialisiert werden von dem Außen, das sie im Gegenzug deterritorialisieren oder glätten.60 „Vielheiten werden durch das Außen definiert: durch die abstrakte Linie, die Flucht- oder Deterritorialisierungslinie, auf der sie sich verändern, indem sie sich mit anderen verbinden.“61 Durch den neuen Rezeptionskontext ergeben sich andere Anknüpfungspunkte, Verbindungen und Interpretationen, die zahleiche Variationen hervorrufen. Am Ende ihrer Abhandlung zum Rhizom schreiben Deleuze und Guattari, was meines Erachtens auch zusammenfassend auf Adéagbos Installationen zutrifft: „Das Buch [Die Installation] ist kein Wurzelbaum, sondern Teil eines Rhizoms, Plateau eines Rhizoms für den Leser [Betrachter], zu dem es paßt. Die Kombinationen, Permutationen und Gebrauchsweisen sind dem Buch [der Installation] nie inhärent, sondern hängen von seinen Verbindungen mit diesem oder jenem Außen ab.“62
Zusammenfassend ist zu sagen, dass der Ortswechsel für Adéagbos Arbeit einen strukturellen Wandel bedeutet, der jedoch im Ergebnis weder als mehr oder weniger glatt bzw. eingekerbt noch als besser oder schlechter bezeichnet werden kann. Der glatte Raum der Installation, der immer Einkerbungen beinhaltet, wurde durch die hier exemplarisch vorgeführte ‚Verpflanzung‘ in das Museum Ludwig in Köln einerseits mit neuen und andersartigen Einkerbungen konfrontiert (Innenraum, zeitliche Dauer der Ausstellung, Fixierung als Werk), anderer-
60 Deleuze, Guattari 1977, S. 19. 61 Deleuze, Guattari 1977, S. 15. 62 Deleuze, Guattari 1977, S. 40 [Ergänzungen K.S.].
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seits jedoch im Sinne der Rezeptionsästhetik durch multiperspektivische Betrachtungen in neuer Art und Weise geglättet. Dem Außen der Installationen, das heißt den unterschiedlichen Kontexten an den Orten der Produktion und Rezeption, werde ich in den folgenden Kapiteln nachgehen und fragen, welche Bedeutungen die Arbeiten Adéagbos in den je unterschiedlichen Zusammenhängen hervorbringen. Einige Figurationen dieses Außen, das ein fiktives und konstruiertes ist, schlage ich in den folgenden Kapiteln vor. Damit bedeutet meine Rezeption für die Installationen zunächst eine Deterritorialisierung, kerbt sie jedoch gleichzeitig ein. Ich selbst werde durch Georges Adéagbos Arbeiten deterritorialisiert, und meine Interpretationen bringen Diskursverschiebungen hervor. Dadurch vermag sich auch der Kunstdiskurs zu glätten – allerdings nicht ohne sich wiederum zu reterritorialisieren (usw.).
6 Kontexte
Begünstigt durch sein ortsspezifisches Verfahren stehen Georges Adéagbos Installationen in enger Beziehung zu lokalen Kontexten an den Orten der Produktion sowie der Rezeption.1 Sie sind daher an diesen Orten innerhalb künstlerischer und kultureller Praktiken und ihrer diskursiven Verweissysteme zu verorten. Diese bezeichne ich als das visuelle Dispositiv2 für die Installationen Adéagbos, das dem sichtbaren Zusammenspiel multipler Elemente (Räume, Dinge, Handlungen) entspricht. Einerseits dienen die visuellen Kulturen an den Orten der Her- und Ausstellung dem Künstler als Ressource, andererseits sind die Arbeiten Bestandteile und Akteure dieser Kulturen. Welche diskursiven Beziehungen stellen die Installationen Adéagbos jeweils her? Welche Abhängigkeiten bestehen zu den spezifischen Kontexten, in die sie sich einbinden (lassen) und welche Bedeutungen produzieren die Arbeiten in Cotonou, Dakar, Köln oder New York? Mein Vorgehen entspricht der Rekonstruktion eines lokalen ‚kollektiven Wissens‘ über Kunst und visuelle Kultur. Was könnte das Publikum – das den Künstler, die KunstkritikerInnen und KuratorInnen, aber auch meine Person einschließt – jeweils kennen und für Vergleiche mit den Arbeiten Adéagbos heran-
1
Kontexte sind hier nicht als abgeschlossen oder eingrenzbar verstanden, da sie ihrer-
2
Den Begriff des Dispositivs verstehe ich im Foucault’schen Sinne als ein „heterogenes
seits in andere Kontexte eingebunden sind. Vgl. dazu Meinhardt 2002, S. 142f. Ensemble, das Diskurse, Institutionen, architekturale Einrichtungen, reglementierende Entscheidungen, Gesetze, administrative Maßnahmen, wissenschaftliche Aussagen, philosophische, moralische oder philanthropische Lehrsätze […] umfaßt. Das Dispositiv selbst ist das Netz, das zwischen diesen Elementen geknüpft werden kann.“ Foucault 1978, S. 119f.
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ziehen?3 Es geht folglich auch um divergierende Bildlichkeits- oder Dinglichkeitskonzepte und deren kunsthistorische und kulturelle Anknüpfungspunkte. Die unterschiedlichen visuellen Kulturen und Konzepte implizieren je andere Fragestellungen. Dies bedeutet, dass jeweils Aspekte der Arbeiten betont werden, die möglicherweise nur aus einer speziellen Perspektive zum Vorschein kommen, und dass Bedeutungen je nach Sichtweise verändert, verschoben oder hinfällig werden. Die Kontexte lassen sich nicht schematisch in ‚afrikanische‘ auf der einen Seite und ‚europäische‘ auf der anderen einteilen. Die Räume existieren nicht abgetrennt voneinander, sondern sind bereits voneinander durchdrungen. Sie waren und sind contact zones, wie Mary Louise Pratt soziale Räume bezeichnet hat, in denen verschiedene Kulturen – in oft sehr unsymmetrischen Beziehungen von Dominanz und Unterordnung – zusammentreffen und interagieren.4 Die folgenden Unterkapitel behandeln jeweils überblicksartig künstlerische und kulturelle Praktiken, die verallgemeinernd eingeführt und dann unter ausgewählten Aspekten in Verhältnis zu Adéagbos Installationen gesetzt werden.
6.1 I NSTALLATIVE
UND ORTSSPEZIFISCHE
K UNST
Georges Adéagbos Arbeiten werden im internationalen Kunstbetrieb als Installationen bezeichnet und auch er selbst nennt seine Arbeiten „installations“. Die Definitionen dieser Kunstgattung sind in der Forschungsliteratur relativ unspezifisch und bezeichnen eine Vielzahl von künstlerischen Positionen. Das Verb ‚installieren‘ bedeutete eigentlich das Hängen oder Positionieren eines Kunstwerkes im Ausstellungsraum durch die KuratorInnen, wurde aber im 20. Jahrhundert zu einer eigenen Kunstpraxis.5 Der Begriff Installation umfasst „alle Phänomene auf den Raum bezogener künstlerischer Arbeiten, die auf sehr explizite Weise
3
Der abstrahierte Orts-, Kontext- und Publikumsbegriff bedeutet eine problematische Verallgemeinerung. Versteht man jede/n BetrachterIn einer Installation Adéagbos als einen ‚Kontext‘, weil deren Hintergrundannahmen und visuelles Wissen nie mit denen einer anderen Person identisch sein können, dann gibt es so viele unterschiedliche Kontexte wie BetrachterInnen. Trotzdem halte ich es für legitim, an dieser Stelle allgemeiner über visuelle Kulturen und deren Anknüpfungspunkte an Adéagbos Arbeiten zu schreiben – immer unter der Prämisse, dass es sich letztlich um meine subjektive Auswahl handelt.
4
Pratt 2000, S. 4.
5
Suderburg 2000.
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den Betrachterraum einbeziehen, das heißt im Gegensatz zur traditionellen Plastik die Grenzen zwischen Werk und Betrachterumfeld auflösen“.6 Diese Charakterisierung trifft auf Adéagbos raumgreifende Arbeiten zu, durch die sich die BetrachterInnen hindurchbewegen können. Der Begriff der Installation ist untrennbar mit dem der Ortsspezifik verknüpft, da sich Installationen eindeutig auf den Raum beziehen, „sich also nur in dem Raum entfalten können, für den sie produziert wurden und auf den sie Bezug nehmen“.7 Ich möchte im Folgenden anhand der Geschichte der Installation und der Ortsspezifik in Europa (und am Rande den USA) der Frage nachgehen, welche Implikationen im Kontext europäischer Museen für moderne und zeitgenössische Kunst mit dieser verbunden sind – und was sie für die Arbeiten Georges Adéagbos bedeuten können. Dazu gilt es zunächst, den Begriff der Ortsspezifik zu spezifizieren und seine historischen Ausprägungen nachzuzeichnen. Bereits das kuratorische Installieren, also die Zusammenstellung von Kunstwerken in einem Raum, erzeugt eine Art Ortsspezifik. So gesehen ist jedes Kunstwerk ortsspezifisch, weil von der Umgebung beeinflusst. Hier soll es jedoch um eine künstlerische Praxis gehen, die den Ort explizit zum Thema macht und diesen reflektiert. In der Kunstgeschichte meinte Ortsspezifik zunächst eine Auseinandersetzung mit dem Ausstellungsraum beziehungsweise der direkten Umgebung des Kunstwerkes, die es einzubeziehen galt. Zwar wurde der Begriff erst Ende der 1960er Jahre geprägt, man kann jedoch wichtige Vorläufer benennen: Die Minimal Art mit ihren strengen geometrischen Formen beispielsweise wollte einen direkten Dialog mit den Ausstellungsräumen der Museen eingehen. Die inhaltliche und formale Reduzierung betonte die gezielte Setzung im Raum und erzeugte somit eine Interrelation von Kunstobjekt, Ort und BetrachterInnen, die so für den Raum, den sie mit dem Kunstwerk teilen, sensibilisiert werden. Die phänomenologische Ortsspezifik der Minimal Art, die den ‚realen‘ physischen Ort und die BetrachterInnen in ihrer bloßen Körperlichkeit betonte, wurde von nachfolgenden konzeptuellen Kunstpraktiken zu einer institutionellen Ortsspezifik erweitert.8 Mit der Infragestellung des white cube, des weißen Galerieraumes als
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Stahl 2002, S. 122/124. Der Begriff der Installation tauchte zwar erst in den 1960er Jahren auf, fungiert aber auch retrospektiv als eine Art Überbegriff für diverse Kunstpraktiken der Konzept- und Objektkunst, wie z.B. die Assemblage und das Environment.
7
Stahl 2002, S. 125.
8
Die Unterscheidung von phänomenologischer, institutioneller und diskursiver Ortsspezifik verfolgt Kwon 2000.
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vermeintlich neutralen, gesäuberten, von allen Kontexten befreiten Ortes, geriet die Ausstellungspraxis und damit das gesamte Kunstsystem in die Kritik der zeitgenössischen Kunst. Die Kunstwerke hinterfragten selbstreflexiv ihre eigenen Voraussetzungen und ihr Ausgestelltsein innerhalb dieser spezifischen Praxis, der sie zwar zunächst nicht entkamen, die sie aber zumindest thematisierten und reflektierten. Somit wurde die Institutionskritik ein wichtiges Paradigma für ortsspezifische Arbeiten, die die sozialen und kulturellen Konstellationen des Ortes und ihrer Subjekte fokussierten.9 Einige Kunstformen, wie beispielsweise die Land Art, versuchten den Ausstellungsraum in Museen und Galerien ganz zu umgehen und schufen Kunstwerke in freier Natur, auf deren Gegebenheiten sie sich explizit bezogen. Die Land Art war es auch, die den Begriff der site specificity prägte.10 Berühmt geworden ist der Ausspruch des USamerikanischen Künstlers Richard Serra, der das Paradigma von ortsspezifischer Kunst auf den Punkt brachte: „To move the work means to destroy the work.“11 Sein Kommentar setzt die Abhängigkeit von Kunstwerk und Ort als absolut. Diese Interdependenz ist auch für Adéagbos Arbeiten zentral. Für jeden Ausstellungsort produziert er eine neue Installation oder modifiziert eine bestehende Arbeit für den neuen Ort. Neben den formalen Bezügen auf den realen Ort und auf die Vorgaben des Raumes sind für Adéagbo auch institutionelle Aspekte relevant. So versteht er die spezifischen Gegebenheiten einer Ausstellung und die verantwortlichen Personen als in eine städtische, nationale oder kulturelle Matrix eingebunden. Adéagbos Arbeiten sind als Installationen im Kontext des white cube mit all jenen Bedeutungen aufgeladen, die künstlerische Positionen und die Kunstgeschichte ihnen im Laufe des 20. Jahrhunderts zugefügt haben. Mit dem Begriff der Installation assoziiere ich unweigerlich die Geschichte der Konzeptkunst, Institutionskritik, Betrachtereinbeziehung, Ortsspezifik usw. Es ist jedoch proble-
9
Zum Thema Institutionskritik und einer kritischen Auseinandersetzung mit ihr aus heutiger Perspektive siehe das entsprechende Themenheft von Texte zur Kunst, 15. Jg. (2005), H. 59.
10 Vgl. Weddigen 2005, S. 9. 11 Dieser Ausspruch Serras steht im Zusammenhang mit einer Diskussion um seine Arbeit Tilted Arc, die 1981 auf der Mitte der Federal Plaza in New York aufgestellt worden war. Es handelte sich dabei um einen über 36 m langen, leicht gekrümmten Bogen aus Stahl. Beschwerden der Anwohner hatten zu einer öffentlichen Anhörung geführt, bei der die Versetzung der Arbeit in Erwägung gezogen wurde. Dagegen wehrte sich Serra vehement. Tilted Arc wurde 1989 entfernt und verschrottet. Vgl. Metzger 2004.
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matisch, diese ‚westlichen‘ Konzepte auf Adéagbos Arbeiten zu übertragen, weil sie in einem anderen Kontext entstanden sind. Im westafrikanischen Kunstbetrieb wäre es absurd, sich gegen den white cube zu wenden, der dort praktisch nicht existiert. In Europa schwingen jene kunsthistorischen Diskurse trotzdem in Adéagbos künstlerischer Praxis – im Auge der ‚westlichen‘ BetrachterInnen, die mit ihnen vertraut sind – mit. Deshalb ist ihre Rekonstruktion als Bezugsrahmen für die Rezeption im euro-amerikanischen Kunstsystem und für meine eigene Verortung darin wichtig. Zudem reflektiert Adéagbo die Produktions- und Rezeptionsbedingungen des jeweiligen Ausstellungsortes: Seine Kommentare hinsichtlich der Institutionen und KuratorInnen, die verschiedene Faktoren des Entstehungsprozesses offenlegen, lassen sich durchaus institutionskritisch lesen. Wird seine Arbeit im Museum Ludwig in Köln gezeigt, korrespondiert sie zudem mit den dort ausgestellten europäischen und amerikanischen Kunstwerken, die in der Tradition der installativen Kunst der 1960er und 1970er Jahre stehen. Unmittelbar vor dem Eingang zum Ausstellungssaal, in dem L’explorateur et les explorateurs im Museum Ludwig zu sehen war, befand sich Robert Rauschenbergs Soundings (1968). Diese Arbeit zielt auf BetrachterInneneinbeziehung und eine Interaktion mit dem Kunstwerk ab, denn eine semitransparent verspiegelte Plexiglasscheibe gibt nur dann den Blick auf die hinter den Scheiben liegenden Abbildungen frei, wenn durch Geräusche im Ausstellungsraum diverse Lampen aktiviert werden, die das verspiegelte Glas durchscheinend machen. Derart waren die BesucherInnen der Ausstellung Adéagbos auf die Wahrnehmung des Raumes sowie ihre Bewegungen und Geräusche darin sensibilisiert und auf ihre Rolle als Akteure des Museums eingestimmt – um nur eine mögliche Wechselwirkung mit einem anderen Kunstwerk im Museum zu nennen. Es wäre also falsch, die Arbeiten Adéagbos als das dichotome ‚Andere‘ zu konstruieren. Sie sind durchlässig für die jeweils lokalen Perspektivierungen und produzieren im intervisuellen Austausch Bedeutungen. Adéagbos ortsspezifisches Verfahren geht jedoch noch darüber hinaus und stellt gesellschaftliche, kulturelle und politische Bezüge her, die über den Kunstkontext hinausführen. Diese Form der Ortsspezifik entspricht kontextuellen und diskursiven Praktiken. Ähnlich wie die institutionskritische Kunst entwickelte sich die kontextbezogene Kunst aus der „Krise der modernen Kunst in den sechziger Jahren“12 und der Frage danach, wie etwas zu Kunst wird. Die Kunst sollte wieder näher an das öffentliche Leben und die Gesellschaft heranrücken, eine Forderung, die die Kunstgeschichte seit der Formulierung eines autonomen Kunstbegriffes durchzieht und beispielsweise auch von der Wiener Sezession um
12 Meinhardt 2002, S. 141.
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die Jahrhundertwende postuliert worden war, oder von Joseph Beuys in den 1960er Jahren – um nur zwei bekannte Beispiele zu nennen. Peter Weibel bezeichnete 1994 eine Kunst, die explizit aus dem Kunstsystem herauszutreten versucht und sich mit gesellschaftlichen und politischen Kontexten auseinandersetzt, mit dem Begriff „Kontextkunst“. In einer gleichnamigen Ausstellung sah er in den 1990er Jahren die Tendenzen der 1960er und 1970er Jahre fortgeführt. Weibel definiert wie folgt: „Kontextualisierung heißt, die Rahmenbedingungen der Kunst zu problematisieren und zu erkennen, wie der Kontext den Inhalt definiert. […] Kontextkunst thematisiert die formalen, sozialen und ideologischen Bedingungen, unter denen Kunst produziert, distribuiert, präsentiert und rezipiert wird. Die Bedingungen, unter denen ein Werk entsteht, werden Ausgangspunkt des Werkes oder das Werk selbst. […] Die KünstlerInnen gehen in zunehmendem Maße über die Analyse der Rahmenbedingungen und über den institutionellen Diskurs der Kunst hinaus. Sie beziehen sich auf Kontexte außerhalb des Betriebssystems Kunst, auf ökonomische, ökologische, soziale Kontexte.“13
Adéagbo vereint in seiner Kunstpraxis die verschiedenen Spielarten von ortsspezifischer Kunst. Er bezieht sich sowohl auf den jeweiligen Ausstellungsraum und seine Gegebenheiten als auch auf die Bedingungen des Betriebssystems Kunst und thematisiert darüber hinaus gesellschaftspolitische und kulturelle Diskurse, die wiederum auf das Kunstsystem zurückweisen. Die Übergänge sind fließend und eine Trennung der Ebenen ortsspezifischer Bezüge ist kaum möglich. Miwon Kwon beschäftigt sich unter dem Titel One place after another. Site specific art and locational identity mit ortsspezifischer Kunst der 1960er und 1970er Jahre und ihren Weiterentwicklungen im Zeichen der Globalisierungsprozesse seit den 1990er Jahren.14 Der globale Kunstbetrieb mobilisiert die ortsspezifischen Arbeiten paradoxerweise und macht sie auf diese Weise marktkonform und kompatibel mit der Zirkulation von Waren. Kwon kritisiert, dass Ortsspezifik als nomadische Praxis den ursprünglichen Ideen der ortsspezifischen Kunst der 1960er und 1970er Jahre entgegensteht, die den Warencharakter von Kunst kritisierte. Auch Adéagbo reist von Ausstellungsort zu Ausstellungsort und stellt teilweise Installationen mehrmals an unterschiedlichen Orten aus. Doch obwohl er in das schnelllebige Geschäft der Biennalen integriert ist, bewahren seine Arbeiten ihre Widerständigkeit, denn Adéagbo nimmt die Auseinandersetzung mit den Orten sehr ernst. Er reist mehrmals an und braucht Zeit
13 Weibel 1994. Vgl. auch De Salvo (Hg.) 2005. 14 Kwon 2002.
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für die Recherche sowie den Aufbau einer Arbeit. Seine künstlerische Praxis korrespondiert nicht mit der Schnelligkeit des Marktes und dem globalen JetsetBiennalepublikum, sondern bringt eine neue Art der transkulturellen Mobilität hervor. Weil er eine Installation nie unverändert ein weiteres Mal zeigt, sondern stets aktualisiert und ortsspezifisch überarbeitet, ohne jedoch den ersten Entstehungsort zu negieren, wirkt er einer globalen Gleichförmigkeit und Austauschbarkeit der Orte („one place after another“) entgegen. Nina Möntmann weist im Gegensatz zu Kwon ortsspezifischer Kunst auch unter dem Paradigma der Mobilität ein subversives Potenzial zu, das vor allem durch die nicht vorhersehbaren Interaktionen mit dem Publikum eingelöst wird. Kunst kann in Möntmanns Sicht neue soziale Räume schaffen, die Kontakt und Kommunikation zwischen Kulturen ermöglichen.15 Gerade dieser Aspekt ist für Adéagbos künstlerische Strategie zentral, denn durch die Objekte mit explizitem Ortsbezug bietet er den BesucherInnen vielfache Einstiegs- oder Anknüpfungsmöglichkeiten und zielt in Kombination mit dem Verfahren des Kulturtransfers auf die Effekte des Austausches und der Übersetzung ab.16 Es geht Adéagbo darum, signifikante Verbindungen zwischen Orten, Kulturen und Menschen herzustellen.
6.2 O BJEKTKUNST Adéagbos künstlerisches Verfahren des Installierens vorgefundener Gegenstände und die Zentralität der Dinge in seiner Arbeit korrespondiert in Europa mit der Praxis der sogenannten Objektkunst. Seit Beginn des 20. Jahrhunderts wurden zunehmend alltägliche Gegenstände, einzeln oder kombiniert und teilweise bearbeitet, in den Kunstkontext überführt und thematisierten das Verhältnis von Kunst und Realität.17 Marcel Duchamp gilt gemeinhin als Begründer dieser Kunstform, die er mit seinen Ready-mades in radikaler Weise eingeführt hat: Ein einzelner Gegenstand, wie etwa sein berühmter Flaschentrockner von 1914, wird unverändert als objet d’art ausgestellt. Später fand dieses Vorgehen Ausdruck in den Collagen der Dadaisten, und vor allem die Surrealisten prägten und
15 Möntmann 2002. 16 Im Kapitel 9 komme ich nochmals auf Kwons Kritik zurück und diskutiere die Auswirkungen der Mobilisation ortsspezifischer Kunst auf Konzepte von Autorschaft. 17 Einen Überblick über Objektkunst von Duchamp bis in die 1970er Jahre bietet Rotzler 1975.
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konzeptualisierten den Begriff des objet trouvé.18 Spätestens seit den 1960er und 1970er Jahren wird die Objektkunst die dominierende Ausdrucksform, Material(ität) und Konzept werden die „zentralen Kategorien der Kunst“19. Sie kann in Assemblagen, Installationen und Environments teilweise monumentale Ausmaße annehmen und strebt mit der Hinterfragung der Opposition von Kunst und Alltag auch nach der Überwindung der ästhetischen Distanz, auf der die tradierten Gattungen und ihre Präsentationsmodi mit Rahmen und Sockel noch beharrten.20 Die Objektkunst stellte nicht nur die klassischen Kunstgattungen infrage, sondern auch den Originalitätsbegriff und das damit verbundene Kreativitätsparadigma; denn im Gegensatz zu manuellen bildnerischen Fähigkeiten waren hier die konzeptuellen, intellektuellen Aspekte im kreativen Prozess Kunstproduktion betont. Der Akt des Auswählens durch den Künstler, sein selektives Sehen und sein gedankliches Experiment generieren das Kunstwerk – weshalb der Beginn der Objektkunst meist mit dem der Konzeptkunst gleichgesetzt wird.21 Damit vergleichbar spielen in Adéagbos Arbeitsprozess manuelle Fertigkeiten kaum eine Rolle, sondern intellektuelle, analytische und konzeptuelle Kompetenzen stehen im Vordergrund. In diesem Sinne kann man Adéagbo als einen Konzeptkünstler bezeichnen. Die verwendeten Dinge werden von ihrem ursprünglichen Gebrauchszweck gelöst, doch geht es weniger darum, sie als ‚Kunst‘ auszustellen und damit deren Autonomie zu hinterfragen. Durch ihre Einbindung in den komplexen Zusammenhang der Installation und ihre Ausstellung wird den Gegenständen gleichsam ein (neuer) Wert als kulturelle Artefakte zugewiesen und eine Bedeutung beigemessen, die sich aus den diversen thematischen Bezügen ergibt.22 Trotz der vielfältigen Weiterentwicklungen der Objektkunst im Laufe des 20. Jahrhunderts ist ein Vergleich von Adéagbos künstlerischem Vorgehen mit dem Duchamps aufschlussreich. Die frühen Ready-mades rückten die Definitionsmacht der Sammlungs- und Ausstellungspraktiken in den Vordergrund.
18 Im Dictionnaire abrégé du surréalisme von André Breton und Paul Eluard findet sich die erste Defintion des Ready-mades: „Objet usuel promu à la dignité d’objet d’art par le simple choix de l’artiste.“ Breton, Eluard (Hg.) 1938, S. 23. 19 Schneede 2001, S. 216. 20 Vgl. Scheende 2001, S. 217. 21 Duchamp gilt als erster Konzeptkünstler. Godfrey 1998, S. 6. 22 Vgl. Fürstenberg 2001, S. 38.
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„Mit der Dysfunktionalisierung des Gegenstandes durch die Umsetzung an einen fremden oder inadäquaten Ort geraten Ding und Benutzer nicht mehr nur unter dem Aspekt bloßer Zweckdienlichkeit […] aneinander, sondern das in seiner Sinnlosigkeit verstörende Ding verweist seinerseits auf den Raum, der seine Sinnlosigkeit konstituiert, auf die Frage, was es denn hier eigentlich bedeuten könne.“23
Damit befragt Duchamp die Voraussetzungen, auf der die Definition von Kunst beruht und entlarvt diese als konstruiert und somit als veränder- und verhandelbar. Indem Duchamp Alltagsgegenstände „in den Kunstkreis stellt, also in jene exemplarische Zone des Be-deutens, jedoch von der Fähigkeit der Objekte, Bedeutung anzunehmen, keinerlei Gebrauch macht, können die Objekte jede nur denkbare intellektuelle oder affektive Bedeutung übernehmen.“24 Während es Duchamp primär auf die gedanklichen Experimente ankam und weniger auf die Objekte, die eher Fragen materialisierten und eine für schöpferische und experimentelle Gedanken förderliche Atmosphäre schaffen sollten, interessieren Adéagbo die spezifischen Eigenschaften und Bedeutungen der Dinge. Über sie können sich zwar auch bei Adéagbo Fragen vermitteln, sie werden jedoch aus dem Material und dessen Zeichencharakter heraus entwickelt. Gerade die Kontextualisierung mit weiteren Gegenständen – im Gegensatz zur Vereinzelung bei Duchamps Ready-mades – reduziert den Abstraktionsgrad und hebt die kontextuelle Abhängigkeit von Bedeutungsproduktion und ihre Komplexität hervor, anstatt lediglich deren Offenheit zu propagieren. Bedeutungsoffen bleiben die objets trouvés ob der Unendlichkeit möglicher Zusammenstellungen, Kontexte und BetrachterInnen trotzdem, jedoch wird die Offenheit hier als relationale Eigenschaft verstanden. Bei Duchamp ordneten sich die Dinge seinem schöpferischen Geist unter – auch wenn sie ihn eine Weile ‚ärgern‘ konnten, wie der berühmte Kleiderhaken auf dem Boden, über den Duchamp schließlich triumphierte, indem er ihn festnagelte.25 Die Subjet/Objekt-Dichotomie wird bei den Duchamp’schen Readymades aufrechterhalten. Adéagbo dagegen weist den Dingen eine aktivere Rolle zu, auf die ich später zurückkommen werde. Trotzdem ist es interessant, dass Duchamp die Ready-mades zunächst nicht zum Zwecke des Ausstellens im Museum vorsah, sondern sie in seinem Atelier hatte, in dem sie wie in einem Labor
23 Heesen, Lutz 2005, S. 12. 24 Molderings 1983, S. 89f. 25 Heesen, Lutz 2005, S. 12.
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eine Versuchsanordnung darstellten.26 Diese Auffassung kommt der Adéagbos wiederum näher, der die Dinge in seinem Atelier ebenfalls testet und mit ihnen experimentiert. Die Verwendung gefundener Gegenstände ist im europäischen Kunstdiskurs etabliert und dem Publikum vertraut, sodass Adéagbos Installationen (als Kunst) zugänglich oder konsumierbar werden, auch wenn sie einer völlig anderen Tradition entstammen. Man kann davon ausgehen, dass Adéagbos Installationen sich nicht zuletzt wegen ihrer Anknüpfungsmöglichkeiten an die Geschichte der Objektkunst so erfolgreich in den europäisch-nordamerikanischen Kunstbetrieb eingliedern lassen und rezipiert werden. Das Wissen um diese Kunstgeschichte beinhaltet bestimmte Fragestellungen, z.B. die nach der Autorschaft bzw. der Subjektivität des Künstlers, die in einer historischen Perspektive in den Vordergrund rückt, weil diese Konzepte thematisiert und kritisiert wurden. Die Objektkunst basiert darauf, dass Alltagsgegenstände in den Kunstkontext überführt und so die Modalitäten des Betriebssystems Kunst ausgelotet werden. Adéagbos Installationen können durchaus unter diesen Vorzeichen untersucht und interpretiert werden, wie ich später vorführe, doch es stellt sich die Frage nach ‚anderen‘ möglichen Historisierungen und Kontextualisierungen innerhalb der Kunst- und Kulturgeschichten Westafrikas. In der Kunst Benins etwa hat keine Verschiebung vom Werk- zum Objektbegriff stattgefunden, wie sie Duchamp in Europa eingeleitet hat, und es gab kaum Kunstinstitutionen vor Ort, gegen die sich eine Institutionskritik hätte richten können. Die Voraussetzungen für die Entwicklung von „Objektkunst“ sind also völlig andere, trotz vergleichbarer Vorgehensweisen und formal-ästhetischer Ähnlichkeiten.
6.3 R ÉCUPÉRATION Das Konzept der récupération spielt in Benin und auch in anderen Kunstszenen Afrikas eine wichtige Rolle. Der Begriff bezeichnet Verfahren des Recyclings, der Wiedererlangung, der Nutzung und Vereinnahmung für eigene Zwecke.27 Als Kunstrichtung spricht man von récup-art und bezeichnet damit die künstleri-
26 Vgl. Molderings 2007. 27 Zur récupération und ihren Bezügen zur Kunstproduktion wurde bisher wenig geforscht, ansatzweise in Hanussek 2001 für Kamerun, Harney 2004, S. 121ff. für Senegal, Della Rosa 2008 für Kenia. Ein Defizit an dieser Stelle ist die mangelnde Historisierung. Daher können nur aktuelle Phänomene beschrieben werden.
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sche Praxis der Wiederverwertung gefundener und benutzter Dinge in Skulpturen, Assemblagen und Installationen. „But it also refers to the stance taken towards images, painting traditions and symbols, and the work the artist does in bestowing these objects with new meaning.“28 Als eine ‚Haltung‘ und Umgangsweise mit Bildern, Dingen und Praktiken bedeutet récupération auch eine konzeptionelle Methode der Bedeutungszuweisung.29 Der récupération begegnet man in Westafrika überall, nicht nur in der Kunst, sondern auch als einer weitverbreiteten kulturellen Praxis des alltäglichen Lebens. „Recycling or récupération is a central African cultural activity; this digestion process of foreign waste must be seen as formative of cultural identity.“30 Interkulturelle Austauschprozesse von Waren und deren lokale Aneignung spielen eine zentrale Rolle. Gebrauchte Dinge und Konsumgüter, die aus dem ökonomischen Kreislauf der reichen Industriestaaten bereits ausgegliedert wurden und dann den afrikanischen Markt überschwemmen, werden kreativ verwandelt und neuen Nutzungen zugeführt. Aus alten Autoreifen werden Sandalen gefertigt, aus Konservendosen Schmuck, Verpackungsmaterial dient der Abdichtung von Wohnräumen oder Dächern usw. – récupération macht eine ganze Kleinindustrie aus. Auf den Straßen Cotonous begegnet man in Europa längst ausrangierten und nicht mehr zulässigen Fahrzeugen mit europäischen Firmenlogos, teilweise ohne Fensterscheiben, Seitenspiegel oder Anschnallgurte. In Cotonou werden sie zu Taxis oder transportieren meterhoch auf dem Dach getürmte Lebensmittel, Baumaterialien, Möbelstücke usw. Damit ist die récupération auch ein Phänomen der contact zone (Pratt), in der kulturell unterschiedliche Dinglichkeitskonzepte zusammentreffen und interagieren. Die Dinge werden in Benin weniger schnell als Abfall erachtet. Durch die soziale „Kunst der Improvisation des Mangels und der Bricolage im Umgang mit den Dingen“31 bleiben sie länger im ökonomischen und kulturellen Kreislauf, was eine Wertschätzung ausdrückt. Ohne den Zustand der Armut romantisieren zu wollen, kann man sagen, dass dieses Phänomen zwar mit Mangel zu tun hat, jedoch in der Realität der afrikanischen Metropolen kaum mehr diese Implikation besitzt, sondern ein hohes Potenzial an Kreativität birgt. Georges Adéagbos Installationen kann man der récup-art zuordnen, denn auch er ‚recycelt‘ von anderen weggeworfene Gegenstände, denen er wieder Wert verleiht. Dabei ist vor allem der transkulturelle Aspekt der récupération in
28 Hannussek 2001, S. 101. 29 Vgl. Roberts 1992. 30 Hannussek 2001, S. 101. 31 Houénoudé, Schankweiler, Schmidt u.a. 2006, S. 257.
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der Nutzung ‚fremder‘ Gebrauchsgüter für Adéagbos Arbeit zentral. In seiner künstlerischen Praxis ist die westafrikanische Tradition des Recycelns offensichtlich, wird jedoch in der europäischen Kunstkritik kaum mit ihr in Verbindung gebracht, weil sie unter den europäischen KunsthistorikerInnen unbekannt ist. Zeitgenössische Kunst in Afrika korrespondiert vielfältig und in verschiedensten Ausprägungen mit der Praxis der récupération, die die visuelle Kultur maßgeblich prägt. In Adéagbos Heimatland Benin gibt es zahlreiche Beispiele ganz unterschiedlicher künstlerischer Positionen, die diesem Phänomen zugerechnet werden können: so etwa die „Schrott-Plastiken“ von Calixte Dakpogan (geb. 1958), die einen starken Bezug zum Vodun haben und sich aus der Tradition der Schmiedekunst entwickelt haben (Abb. 62), Dominique Zinkpès (geb. 1968) „Taxi-Installationen“, die an die Visualität des urbanen Stadtbildes anknüpfen, oder die „Kanister-Arbeiten“ von Romuald Hazoumé (geb. 1962), die die Geschichte der Sklaverei thematisieren, aber auch politisch-ökonomische Themen und Probleme adressieren, wie den örtlichen Benzin-Markt. Abbildung 62: Calixte Dakpogan: L’Instituteur, 1996
Doch auch in anderen Ländern Westafrikas ist récup verbreitet. Die fragilen Skulpturen Dilomprizulikes (geb. 1960 in Nigeria) etwa handeln von Urbanität und den Nachwirkungen der Kolonisation, die sich in die afrikanischen Städte eingeschrieben haben. Sie bestehen aus den unterschiedlichsten Gegenständen
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oder Abfällen. Er kombiniert Töpfe, Plastiktüten und -taschen, rostige Metallteile, Äste, CDs und lumpige Kleidungsstücke zu abstrahierten Figuren – alles ist mit dem Staub der Stadt überzogen und korrespondierte beispielsweise auf der Dak’art 2006 mit dem „Gesicht der Stadt“ (The face of the city), wie er eine seiner Arbeiten betitelt hat. Abbildung 63: El Anatsui: Sasa, 2004
Der in Nigeria lebende El Anatsui (geb. 1944 in Ghana) gestaltet prachtvolle Wandbehänge aus Flaschenkapseln, Kronkorken und Dosenteilen, die er platt walzt und zu einer beweglichen Textur fügt (Abb. 63). Das Material, eigentlich ein billiges Wegwerfprodukt, erhält einen überraschenden ästhetischen Reiz, entwickelt textile Qualitäten und gleicht edlem Gold und Brokat.32 Was vorher wertlos schien, wird durch diese originelle Verarbeitung und Umdeutung kreativ aufgewertet. Anatsui erklärt in einem Interview: „The most important thing for me is the transformation. The fact that these media, each identifying a brand of
32 Siehe dazu Pinther, Schankweiler 2011, S. 77ff.
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drink, are no longer going back to serve the same role but are elements that could generate some reflection, some thinking, or just some wonder. This is possible because they are removed from their accustomed, functional context into a new one, and they bring along their histories and identities.“33 Hier weist der Künstler auf die Rolle des Alkohols als Tauschware im transatlantischen Sklavenhandel hin, an die er mit seinen Arbeiten aus Flaschenverschlüssen erinnert. Abbildung 64: Cery Cyssé: Galerie (68-69) Rue Mousse Diop, Dakar 2006
Der Senegalese Cery Cyssé34 ist ein gutes Beispiel dafür, welch enge Verbindung die alltagskulturelle und die künstlerische Praxis der récupération miteinander eingehen können. Neben der Schule Lycée Delafosse in Dakar befindet sich seine „Galerie (68-69) Rue Mousse Diop“ (Abb. 64 und 65). Es handelt sich um eine ephemere Architektur, die aus den unterschiedlichsten Materialien zusammengesetzt ist. Mit Ästen, Sperrholz, Metall- und Plastikteilen, Geröll, Leinwänden und allerlei gefundenen Dingen hat er einen kleinen abgegrenzten Raum geschaffen. Er dient ihm als Wohn- und Arbeitsstätte zugleich. Im engen
33 Leffler James 2008, S. 42. 34 Weitere Angaben zu seiner Person (wie Alter, Ausbildung o.ä.) waren nicht recherchierbar, da Cyssé in Europa nicht bekannt ist. Nach eigenen Angaben wird er von einer französischen Galerie vertreten. Ich beschreibe seine Arbeit so, wie ich sie während eines Besuches in Dakar im Mai 2006 in der Rue Mousse Diop vorgefunden und dokumentiert habe.
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Innenraum, in den man von Außen nicht hineinblicken kann, bewahrt Cyssé zahlreiche weitere Dinge, Assemblagen sowie eigene Malereien auf. Im Außenbereich wird die Architektur durch mehrere Skulpturen flankiert (Abb. 66), die mit der „Galerie“ korrespondieren und an die Figuren Dilomprizulikes erinnern. Abbildung 65: Cery Cyssé: Galerie (68-69) Rue Mousse Diop (Detail), Dakar 2006
Im Gegensatz zu dem großen Bau, der als Sammel-, Wohn- und Arbeitsstätte dient, aber ebenfalls einen skulpturalen Charakter hat, sind die kleineren Objektzusammenstellungen nicht funktional. Cery Cyssé hat sich hier ein Terrain geschaffen, das die Vielschichtigkeit der récupération akzentuiert und ihre unterschiedlichen Anwendungsbereiche miteinander verbindet: Cyssés Architektur ist Wohnung, Atelier, Galerie, Sammlung und Skulptur. Sie ist im Stadtbild sichtbar, in das sie sich nahtlos einfügt. Die Nähe zu Adéagbos Arbeitsweise ist offensichtlich in der Verbindung von heterogenem Material, das neuen, eigenen und individuellen Nutzungen zugeführt wird und die Dinge kreativ transformiert und kombiniert. Beide Künstler scheinen wie Magneten alles sie Umgebende anzuziehen und es in ihr System zu integrieren. Wie Cyssé ist auch Adéagbo ständig von seiner Sammlung umgeben, lebt in ihr und mit ihr. Doch hat Adéagbo sich aus dem Stadtraum zurückgezogen, sodass die Konvergenz mit städtischen Strukturen bei ihm zunächst weniger offensichtlich ist. Die enge Verbindung zu alltagskulturellen Praktiken, die bei Cyssé so offensichtlich ist, muss bei Adéagbo erst wieder hergestellt werden.
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Abbildung 66: Cery Cyssé: Skulpturen neben der Galerie (68-69) Rue Mousse Diop, Dakar 2006
Bei der récup-art geht es in der Verwendung von Alltagsgegenständen und gebrauchten Materialien weniger um Vanitas und die Poesie der Vergänglichkeit oder eine Abarbeitung am Kunstbegriff und Konzepten von Autorschaft, wie man sie gängigerweise in Europa mit konzeptueller Objektkunst verbindet. Im Gegensatz zur Tradition der objets trouvés verweist die récupération auf den alltagskulturellen Umgang mit Dingen und deren Wandelbarkeit und funktionalem Potenzial, wie es in der Gesellschaft umgesetzt und wertgeschätzt wird. Die Verbindung von Kunst und Gesellschaft, wie sie die Objektkunst wieder herstellen wollte oder will, ist hier originär. Zweifellos hat sich die récup-art aus der alltagskulturellen Praxis heraus entwickelt. Trotzdem gibt es auch Überschneidungen zwischen den unterschiedlichen Konzepten, die nicht als statisch, sondern dynamisch und wandelbar gedacht sind. Insofern récup-art beispielsweise explizit für den ‚westlichen‘ Markt produziert wird, kann sie auch systemkritisch darauf hinweisen, dass Europa – überspitzt formuliert – seinen Müll in Afrika ablädt (und seine Konsumgüter absetzt), der jedoch nun als récup-Objekte in transformierter und ökonomisierter Form wieder rückgeführt wird, häufig als Souvenirs für Touristen.35
35 Diese subversive Strategie hat beispielsweise Romuald Hazoumé für seine masques bidons (Masken aus Plastikkanistern u.ä.) formuliert. Nicht zuletzt ging es Hazoumé
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6.4 A LTÄRE Adéagbos Installationen erinnern in ihrem Aufbau oftmals an Altäre, wie auch gelegentlich RezensentInnen bemerken.36 Dies trifft vor allem auf solche Bereiche zu, in denen Objekte besonders exponiert erscheinen, indem sie etwa auf einen Sockel gestellt werden oder von einem Teppich am Boden markiert und abgegrenzt sind oder zusätzlich durch ein Gemälde an der Wand akzentuiert werden (Abb. 67). Abbildung 67: Georges Adéagbo: La Colonisation Belge en Afrique noir (Detail), Brüssel 2000
Innerhalb des Raumgefüges von L’explorateur et les explorateurs befinden sich zwei kleinere Ensembles aus diversen Dingen und Adéagbos kommentierenden
dabei auch um eine Kritik am Konsumverhalten der westafrikanischen Gesellschaften. Siehe dazu ein Interview mit dem Künstler, in: Volkwein (Hg.) 1999, o.S. 36 Ruthe 2007; Busca 2000, S. 80; Carron 1997.
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Texten, die durch ihre Positionierung auf einem Teppich und in der Mitte der Schmalwände hervorgehoben sind (Abb. 34 und 68). Im Zentrum befindet sich jeweils eine Figur auf einem kleinen Sockel, die durch die hervorgehobene Stellung eine besondere Bedeutung für die auf dem Teppich ausgebreiteten Dinge zu haben scheint. Der altarähnliche Eindruck wird durch die Anordnung der Objekte an der dahinter liegenden Wand verstärkt, deren vertikale Achsenausrichtung den Blick zusätzlich auf diese Gruppierung lenkt. Da Adéagbo auch kultische Objekte – wie etwa eine Heiligenfigur – integriert, können die BetrachterInnen Bezüge zu religiösen Praktiken herstellen. Unterschiedliche Religionen werden außerdem in seinen Texten oder durch Bücher thematisiert, wie etwa mit den Kopien aus L’histoire de Jésus-Christ, die umlaufend an den Wänden angebracht sind. Abbildung 68: Georges Adéagbo: L’explorateur et les explorateurs (Detail), Köln 2004
Für eine Diskussion über die Grenze zwischen Religion und Kunst bzw. Ästhetik ist ein Kommentar von Jean-Hubert Martin im Kontext der Ausstellung Altäre – Kunst zum Niederknien37 aufschlussreich, der Altären eine Nähe zu zeitgenössischer Kunst bescheinigt:
37 Der umfangreiche Katalog bietet einen guten Überblick über das Thema. Martin, Syring, Luque u.a. (Hg.) 2001.
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„Formal und methodologisch betrachtet, sind die Altäre und zeitgenössische Kunstinstallationen miteinander vergleichbar. Bei beiden gleichermaßen werden die Gegenstände im Raum so angeordnet, dass sie einen Sinn ergeben. Die Unterschiede bestehen auf der Ebene der Zweckbestimmtheit, der Freiheit des Künstlers und der Gruppe der Rezipienten.“38
Adéagbos Installationen sind keine Altäre im eigentlichen Sinne und haben auch nicht deren Funktion, aber es geht hier um eben jene formale und methodologische Ebene. Die Schaffung eines Altares kann als Konstitution eines Raumes beschrieben werden. Dabei ist der Altar „ein Objekt oder eine Anhäufung von Objekten, mit denen Gläubige Verbindungen zu ihren Schutzmächten aufnehmen. […] Dieser Raum bestimmt eine Welt außerhalb der Welt, in der die Verbindungen zwischen den Objekten zwar künstlich, aber nicht zufällig sind. Anders gesagt: Einen Altar schaffen, das heißt zunächst, ein Netzwerk, ein symbolisches Bezugssystem herzustellen, das sich der gewohnten Logik entzieht […].“39
Adéagbos Netzwerk von Objekten folgt in der systematischen Zusammenstellung einem vergleichbaren methodischen Prinzip. Auch er schafft ein Bezugssystem zwischen den Dingen, wie bereits beschrieben, und konstituiert einen dichten Raum der Vernetzung. Die Beziehung der Dinge zueinander unterliegt dabei Adéagbos eigener Logik und ist konstruiert, gleichwohl nicht beliebig, sondern bedeutungsvoll. Peltier betont die „erstaunliche Fähigkeit der Altäre, neue Objekte zu integrieren und das Geflecht symbolischer Beziehungen nach den Bedürfnissen und der Lebensgeschichte eines jeden neu zu strukturieren“.40 Viele Formen von Altären nehmen lebensweltliche Objekte auf, die innerhalb der Zusammenstellungen höhere religiöse, rituelle oder kultische Bedeutungen erlangen. Auch Adéagbos Objektanordnungen erweisen sich als äußert anpassungsfähig an neue Orte, Kontexte und Zusammenhänge und haben ein hohes integratives Potenzial. Gefundene Objekte vom Straßenrand sind ebenso in die Systematik eingebunden wie vermeintlich wertvollere oder symbolischere Gegenstände. Alle Objekte werden ihrer vorherigen Funktionen und Bedeutungen enthoben und mit neuen Bedeutungen belegt, die durch ihren Platz im Gefüge der Installation bestimmt werden.
38 Martin 2001, S. 12. 39 Peltier 2001, S. 18. 40 Peltier 2001, S. 19.
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Während die Prinzipien der Integration, Vernetzung und Raumkonstitution mehr oder weniger auf Altäre im Allgemeinen zutreffen, besitzen westafrikanische Beispiele eine spezifische Ästhetik der Objektzusammenstellung, die auch Adéagbos Installationen auszeichnet. Ein Mami-Wata-Altar41 aus Benin macht das visuelle Konzept deutlich (Abb. 69): Wie Adéagbos Arbeiten kombiniert der Vodun-Altar unterschiedliche Gegenstände, die zum Teil alltagskultureller Herkunft sind: eine Vielzahl von Holzfiguren, Gefäßen, Schalen, Flaschen, Blumen, Textilien und Opfergaben sind um ein Bild im Zentrum gruppiert, das die Göttin Mami Wata zeigt und im Stil der Schildermalerei gemalt ist. Es strukturiert und vernetzt die Zusammenstellung, denn alle anderen Objekte beziehen sich auf diese Darstellung der Göttin, die mit dem Altar verehrt wird. Viele der Figuren stehen auf einem Tisch, doch auch auf dem Boden davor sind Objekte angeordnet und teilweise auf einem Teppich ausgebreitet, wodurch das Arrangement tendenziell wuchert und nicht klar abzugrenzen ist. Der Altar nimmt den gesamten Raum ein und gestaltet ihn mit einer Fülle an Gegenständen. Abbildung 69: Mami-Wata-Altar, 1995-1999, Benin Abbildung 70: Georges Adéagbo: L’explorateur et les explorateurs (Detail), Kassel 2002
41 Der Kult der Mami Wata, einer Wassergöttin, die meist mit Fischschwanz dargestellt wird, ist in Westafrika sehr verbreitet. Zum Mami-Wata-Kult siehe Wendl 1991.
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In Adéagbos Arbeiten finden sich nicht nur ähnliche Kultobjekte, wie sie der Mami-Wata-Altar einsetzt, etwa eine doppelköpfige Figur,42 die zwischen Menschen und Götterwelt vermittelt (Abb. 70). Sein künstlerisches Verfahren ähnelt den visuellen Strategien und der Funktionsweise dieses Altars in der Integration und Vernetzung heterogener Dinge und der Konstituierung eines eigenen Systems sowie der Raumgestaltung. Seine Ästhetik der Objektanordnung folgt einem ähnlichen Schema, er verwendet für die Anordnung ebenfalls alle vorhandenen Flächen, setzt Teppiche zur Markierung ein und schafft einen bedeutungsvollen Raum, dessen Dichte und Komplexität vor allem durch die große Anzahl an Gegenständen, ihre Heterogenität sowie ihre Verbindung untereinander erreicht wird. Auch in der Ausrichtung der Dinge auf die BetracherInnen ähneln sich die Aufbauten. Bei Adéagbo gibt es jedoch nicht nur ein Zentrum mit einem sinngebenden Objekt, sondern es existieren meist mehrere dieser Einheiten und zahlreiche Knotenpunkte. So erscheint das Raumgefüge dezentralisiert und nicht auf eine Gruppierung oder einen Gegenstand fokussiert, sondern diese sind an die Installation als Ganzes rückgebunden. Adéagbos Kombination von Elementen verschiedener Religionen verleiht seinen Zusammenstellungen einen synkretistischen und kulturrelativistischen Charakter. Innerhalb einer Installation können gleichzeitig eine christliche Heiligenfigur, eine Buddha-Statue oder westafrikanische Statuetten für den rituellen Gebrauch vorkommen. Die globale Mobilität von religiösen, kultischen Symbolen und Praktiken wird in den Installationen evident, ebenso wie die Gewissheit, dass kultureller Austausch Kreolisierungsprozesse auslöst. So existieren vor allem in Südamerika und Westafrika Kulte, die christliche Vorstellungen mit Vodun-Traditionen verbinden – Vermischungen, die einerseits durch den Sklavenhandel und andererseits durch die Missionierungsbestrebungen während der Kolonialzeit enstanden und immer noch praktiziert werden. Diese Kombination unterschiedlicher religiöser Symbole macht sich Adéagbo in seiner ästhetischen Praxis des Kulturtransfers zu eigen. Die Symbole sind hier jedoch nicht in ihrer Funktion als Anbetungs-Objekte integriert und sollen keinen Anlass für Rituale geben. Vielmehr verweisen die religiösen und kultischen Objekte auf die kulturellen Praktiken und Werte, die Adéagbo kombiniert und vergleicht. Er stellt ihnen daher auch unterschiedlichste Dinge zur Seite, die im Kontext von Religion, Philosophie und Kult stehen und eine Art Metaebene bilden. So ist die BuddhaFigur beispielsweise flankiert von Büchern wie Der Mönch und der Philosoph – Buddhismus und Abendland, Sacred Places of Asia und A Dictionary of Chris-
42 Vermutlich eine Figur der Lobi, bateba genannt. Für diesen Hinweis danke ich Wendelin Schmidt.
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tian Ethics. Die Sekundärliteratur zu Religionen und Kulten fungiert als Reflexionsebene kultureller Phänomene und Vorstellungen und stärkt den analytischen Aspekt der Installationen, der kulturrelativistische Überlegungen anregt.
6.5 M ÄRKTE Der Künstler Aiyé Diba hat einmal in einer Fernsehdokumentation zur afrikanischen Gegenwartskunst die Übertragung westlicher Kunstbegriffe auf Arbeiten aus Afrika problematisiert. Seine Werke seien nicht als Installationen zu bezeichnen, denn der Diskurs über diese sei ein westlicher. Er machte deutlich, dass afrikanische Positionen in den Kontext dortiger visueller Kulturen gestellt werden müssten und brachte installative Konzepte in Verbindung mit der lokalen Alltagskultur. Dabei nannte er die afrikanischen Märkte als eines der einflussreichsten visuellen Modelle für zeitgenössische Kunstpraxen.43 Märkte bestimmen nicht nur das ökonomische System, der Straßenverkauf prägt regelrecht das Bild vieler Metropolen in Westafrika – auch das von Adéagbos Heimtstadt Cotonou. Die Waren werden an den Verkaufsständen, die ganze Straßenzüge säumen, kunstvoll aufgetürmt und aufwendig arrangiert. Es wird größten Wert auf eine ganz spezielle Warenpräsentation gelegt, die installativen Charakter und ästhetische Qualitäten besitzt.44 Die Märkte wirken chaotisch und kontrolliert, unordentlich und systematisiert zugleich und korrespondieren vielfach mit den visuellen und organisatorischen Strukturen der Städte, wie ich sie mit Deleuze und Guattari bereits thematisiert habe. Darin erinnern die Märkte an Adéagbos Arbeiten, wie ich am Beispiel von Dantokpa in Cotonou zeigen möchte: Der seit den 1960er Jahren florierende Markt Dantokpa ist mit ca. 18 Hektar Fläche der größte Markt unter freiem Himmel in Westafrika und stellt eine Art Mega-Installation dar.45 Sein Angebot ist unüberschaubar vielfältig, man kann dort fast alles kaufen – von Lebensmitteln über Stoffe, Körbe, Schmuck und elektrische Geräte bis hin zu Opfergaben für rituelle Praktiken. Zu Dantokpa gehört zwar auch ein großes Gebäude mit mehreren Stockwerken, er besteht jedoch hauptsächlich aus unzähligen kleinen Verkaufsbuden auf dem großen Platz am
43 Dunia – Le Magazine des Relations Nord-Sud, Nr. 6, 2000, ausgestrahlt am 23.08.2000 bei RTBF (Radio Télévision Belge Francophone). 44 Zur Ästhetik der Warenauslage vgl. Frick 2002, S. 124f. Frick bezeichnet das Arrangement von Waren als „Altäre des Konsums“. 45 http://fr.wikipedia.org/wiki/Dantokpa, Zugriff am 07.08.2007.
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Boulevard Saint Michel (Abb. 71), die keine solide gebauten Architekturen sind, sondern temporäre Einheiten. Nur teilweise gibt es Boxen, aus unterschiedlichsten Materialen gebaut und meist mit Wellblech bedeckt, die wie kleine Boutiquen anmuten, oder Strohhütten, in denen lebende Tiere offeriert werden. Viele HändlerInnen bieten ihre Waren jedoch auf Verkaufstischen feil, und weil die meisten Stände nicht abgeschlossen werden können, muss täglich alles auf- und abgebaut werden. Zusätzlich bevölkern HändlerInnen den Markt und die angrenzenden Straßen, die ihre Waren meist auf dem Kopf mit sich tragen und in ihrer Bewegung so etwas wie mobile Verkaufseinheiten bilden. Abbildung 71: Der Markt Dantokpa in Cotonou, Benin
Dantokpa ist ein unübersichtliches Labyrinth aus Verkaufsständen, Menschen und Waren. Der tägliche Auf- und Abbau der Stände, ihr temporärer und flexibler Charakter und die sorgfältige Objektanordnung als wirkungsvoller Präsentationsmodus erinnern stark an Adéagbos künstlerische Praxis, zu der das tägliche Auslegen heterogener Dinge gehört. Obwohl er keine Waren zum Verkauf anbietet, stehen seine Zusammenstellungen den Märkten ästhetisch nahe – auch
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wegen der Vielfalt des visuellen Angebotes, das dem Auge viel Abwechslung bietet oder partiell eine Reizüberflutung darstellt. Adéagbos Praxis des Kulturtransfers schließt an den interkulturellen Aspekt von Dantokpa an, der eine Art transkultureller Knotenpunkt der Region ist. Der Markt ist bis weit über die Grenzen des Landes bekannt und zieht viele BesucherInnen an. Dort bieten nicht nur HändlerInnen aus Benin ihre Ware feil, sondern auch aus den umliegenden Ländern. Dantokpa ist ein internationaler Ort des Austausches, nicht nur von Waren, sondern auch von Sprachen, Gepflogenheiten, Verkaufsstrategien und kulturellen Praktiken – ein Modell der ökonomischen und regionalen Intergration.46 Die unterschiedlichen AkteurInnen des Marktes sowie die unzähligen ProduzentInnen der Waren konstituieren seine Diversität und eine Art kollektive Autorschaft. In ähnlicher Weise führt Adéagbo Objekte unterschiedlicher Regionen und Kulturen mit ihren diversen HerstellerInnen auf einem ‚Marktplatz‘ zusammen und bietet sie den BesucherInnen zur Betrachtung an. Die ästhetische und konzeptuelle Nähe der Arbeiten Adéagbos zu westafrikanischen Märkten hat auch Okwui Enwezor bemerkt, der sie wegen seiner Kenntnisse afrikanischer Städte sogleich assoziierte: „The African marketplace: as pure contingency, as a perpetual site of accumulation and consumption, dissipation and collocation, mercantile exchange and cultural entropy is the same sensibility which Adéagbo’s installations both suggest and replicate.“47 RezensentInnen ohne Ortskenntnisse dagegen berücksichtigen diese offensichtliche Analogie nicht und ignorieren die visuellen Kulturen Westafrikas als wichtigen Kontext für den Entstehungsprozess zeitgenössischer Kunst, die kulturelle Verfahrensweisen in künstlerische transformiert. Außerhalb Afrikas knüpfen KünstlerInnen jedoch an ähnliche visuelle Modelle an. Der Kunsttheoretiker und Kurator Nicolas Bourriaud hat den Flohmarkt als omnipräsente Referenz für künstlerische Praktiken der 1990er Jahre identifiziert.48 Adéagbos Installationen werden häufig mit Flohmärkten assoziiert49 und auch Bourriaud nennt sie als ein Beispiel für seine These. In der Tat hat Adéagbo eine Affinität zu Flohmärkten: Sie sind eine willkommene Fundgrube für seine
46 „Ceci permet à ces acteurs de ‚frotter‘ leur expérience et leur ‚savoir-faire‘. C’est donc un model d’intégration économique et régional.“ Bio o.J. 47 Enwezor 1996, S. 16. 48 Bourriaud 2002, S. 22ff. 49 Vgl. z.B. Fürstenberg 2001, S. 38; Restany 1999, S. 6.
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Installationen, weshalb er sie in europäischen Städten mit Vorliebe aufsucht, um gebrauchte Dinge für seine Arbeiten zu kaufen.50 Viele der mit Flohmärkten verbundenen Implikationen ähneln jenen, die ich für Dantokpa herausgearbeitet habe: Objektarrangement, Wiederverwertung, Heterogenität von Materialien, Ephemerität, kollektive Autorschaft – diese Aspekte spielen sowohl für europäische als auch für afrikanische Märkte eine Rolle. Doch Bourriaud verfolgt darüber hinaus die These, dass die FlohmarktÄsthetik sich gegen die Immaterialität der stetig an Bedeutung gewinnenden virtuellen Welten wendet.51 Die Randerscheinung des Flohmarktes versteht Bourriaud als eine Art Rückzugsgebiet vor der Entkörperlichung im Internet, was ihn als ästhetisches Modell für zeitgenössische KünstlerInnen reizvoll mache. Im Unterschied zum Online-Shopping können die KäuferInnen auf dem Flohmarkt die Gegenstände in ihrer Materialität und Haptik wahrnehmen und prüfen. Der Staub der Straße und der Charme von Secondhand-Artikeln ist im Gegensatz zu den aseptischen, virtuellen Räumen, deren Bildwelten stets dem Verdacht der digitalen Manipulation unterliegen, nicht nur ästhetisch ansprechend, sondern auch glaubwürdiger. Doch ist das auch für Adéagbo ein relevanter Aspekt? Die Virtualität des Internets spielt in Westafrika gegenwärtig eine weniger wichtige Rolle. Zwar gibt es in den Städten stark frequentierte öffentliche Internetcafés – weil nur wenige Menschen zu Hause einen eigenen Computer oder Internetzugang haben –, jedoch ist Einkaufen im Internet nicht üblich. Für Adéagbo, der selbst keinen Computer besitzt oder benutzt, ist das Internet eine völlig marginale Erscheinung. Märkte in Westafrika werden (außer von Touristen) zudem keineswegs mit romantisierenden Vorstellungen belegt, in denen der Einkauf auf dem Markt zu einer willkommenen Abwechslung oder zur Freizeitbeschäftigung an Sonntagnachmittagen wird. Sie sind im Gegenteil alltäglich und allgegenwärtig. Bourriauds Äußerungen zum Flohmarkt als Paradigma von installativer Kunst in den 1990er Jahren und seine Nennung von Adéagbo als ein Beispiel ist aufschlussreich: Es verdeutlicht, wie gut sich Adéagbos Arbeiten, obwohl sie im westafrikanischen Kontext nicht die Implikationen von Materialität versus Virtualität besitzen, in bestehende europäische Kunstströmungen ‚eingliedern‘ lassen bzw. an diese anschlussfähig sind. So lässt sich die Ästhetik von Adéagbos Objektzusammenstellungen unter diesem Aspekt etwa mit Installationen von Thomas Hirschhorn oder Jason Rhoades vergleichen, die Bourriaud als weitere
50 Ich habe Adéagbo auf Flohmärkte in Köln und Brüssel begleitet und weiß auch von anderen Orten, dass die städtischen Flohmärkte meist seine ersten Anlaufstellen sind. 51 Bourriaud 2002, S. 23.
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Beispiele anbringt. Für die BetrachterInnen in Europa können Adéagbos Arbeiten in Zeiten der Dominanz des Internets gerade aufgrund ihrer Verweigerung der neuen Medien Bedürfnisse nach dem haptisch Greifbaren, der Materialität der Dinge usw. befriedigen, obwohl sie nicht aus dieser Prämisse heraus entstanden sind. Trotzdem gilt es, die kulturelle Differenz des Entstehungskontextes in Cotonou nicht außer Acht zu lassen und auf die kontextuell bedingten Verschiebungen in der Interpretation zu verweisen, was Bourriaud versäumt hat.
6.6 S CHILDERMALEREI Gemälde im Stil der Schildermalerei sind integraler Bestandteil der Installationen von Georges Adéagbo und damit Anknüpfungspunkt an eine weitere künstlerisch-kulturelle Tradition in Westafrika. Wie stilprägend diese Malerei für Gegenwartskunst aus Afrika ist, belegen über Adéagbos Arbeit hinaus auch künstlerische Positionen wie die der Kongolesen Chéri Samba (geb. 1956) und Chéri Cherin (geb. 1955). Welche Funktion erfüllt dieses Medium im westafrikanischen Kontext und welche Bedeutung hat es dort? Welche Rückschlüsse kann man für Adéagbos künstlerische Praxis vor dem Hintergrund dieser Tradition ziehen? Mit der Schildermalerei greift Adéagbo auf ein urbanes Phänomen Westafrikas zurück, das seit der Moderne ein wichtiger Teil der visuellen Kultur vieler, haupsächlich westafrikanischer Länder ist. Ihr gängiges Medium ist das gemalte Reklameschild, das es dort vermutlich seit den 1930er oder 1940er Jahren gibt.52 Mit gemalten Schildern bewerben hauptsächlich kleinere Gewerbe ihre Dienste und Produkte, z.B. Friseurläden (Abb. 72), Schneiderateliers oder Autowerkstätten, aber auch Restaurants und Bars.53 Die Gewerbetreibenden bringen die
52 Vgl. Längsfeld 1979, S. 107. Einen guten Überblick und umfangreiches Bildmaterial zu den verschiedenen Formen von Reklamekunst bietet Wendl (Hg.) 2002. Außerdem Schankweiler 2008. 53 Leuchtreklame oder sonstige große Schriftzüge sind eher selten. Reklame wird außerdem oftmals direkt auf die Häuserwände der jeweiligen Gewerbe gemalt, es handelt sich dann streng genommen nicht mehr um Schilder, entspricht aber bis auf den Bildträger der Schildermalerei und wird deshalb auch von Schildermalern ausgeführt und in der Regel in der Literatur zusammen abgehandelt. Diese Form der Wandmalerei zu Werbezwecken ist nicht zu verwechseln mit der Wandmalerei auf privaten Häusern, Tempeln oder an öffentlichen Plätzen, die dekorative und/oder kultische Funktionen haben und nicht von Schildermalern ausgeführt werden.
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Schilder vor der Tür ihrer Geschäfte an, um auf diese aufmerksam zu machen. Manchmal definiert nur das Schild den Ort der Dienstleistung, wenn etwa kein Laden besteht, sondern ein Friseur auf einem öffentlichen Platz oder unter einem Baum seiner Arbeit nachgeht. In Cotonou findet man diese gemalten Schilder allerorten. Sie prägen die Stadtbilder in ganz Westafrika, besonders die kleingewerblichen Randgebiete und inzwischen auch dörfliche Regionen. Spätestens seit den 1940er Jahren ist die Reklame- oder Schildermalerei ein eigenständiger Berufsstand. Ihre Blütezeit hatte sie in den 1950er und 1960er Jahren, aber noch heute ist sie sehr präsent. Sie existiert parallel zu drucktechnisch hergestellten Werbeplakaten, welche die Schildermalerei nicht etwa abgelöst oder verdrängt, sondern ergänzt haben und lediglich zu geringfügigen Modifikationen und Funktionsverschiebungen geführt hat. Abbildung 72: Friseurladen mit Reklameschild, Cotonou 2003
Als flexibles Medium, das sich auch kleinen Einzelaufträgen und den individuellen Anforderungen und Wünschen der Geschäftsleute anzupassen vermag, hat sich die Schildermalerei bewährt. Einerseits zieht der Einfallsreichtum vieler Darstellungen die Aufmerksamkeit der Kunden an, andererseits haben die Schilder mit einem bewährten und relativ konstanten Bildrepertoire sowie eingängigen Darstellungsschemata einen hohen Wiedererkennungswert. Zudem erklärt
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sich ihr Erfolg nicht zuletzt aus der Nähe zur Porträtmalerei: Schildermaler sind oft gleichzeitig Porträtmaler, und so entstehen oft genug Mischformen zwischen Reklame und Porträt: In der gemalten Werbung werden nicht nur die Produkte oder die potenziellen Konsumenten repräsentiert, sondern es werden mitunter auch die Produzenten oder Inhaber der Gewerbe dargestellt (z.B. der Friseur, der Schneider usw.).54 So preisen die Geschäftsleute ihre Waren oder Dienstleistungen persönlich an. Wenn die Person auf diese Weise zur eigenen Marke wird, verweist dies auf die identitätsstiftenden Potenziale des Mediums. Diesem Bedürfnis kommt die manuell hergestellte Werbung in ihrer Singularität eher entgegen, als die technisch reproduzierte. Georges Adéagbos bevorzugter Schildermaler Adahoumé kennzeichnet seine Bilder mit dem Signet „Esprit“ (vgl. z.B. Abb. 27), das Künstler- und Firmenname zugleich ist. Die stilisierte Schrift, in der das „E“ aus drei waagerechten Strichen besteht, wirkt weniger als Handschrift, denn vielmehr als eine Art Stempel seines kleinen Gewerbes. Ist der Name des Schildermalers auf den Schildern angegeben, ist das also nicht (nur) als Signatur eines Künstlers zu verstehen, sondern als Logo des Ateliers. Häufig geben die Maler neben ihrem Namen Adresse und Telefonnummer an, um gleichzeitig neue Kunden zu werben, denn sie arbeiten in der Regel im Auftrag.55 Nicht nur, dass Adéagbo als Auftraggeber an die Schildermaler herantritt, entspricht der gängigen Vorgehensweise, auch dass er sie nach Vorlagen malen lässt, hat eine Tradition in dieser Form westafrikanischer Bildproduktion. Vieles wird dort aus anderen Bildmedien entnommen und in die Malerei übertragen. Als Vorlagen dienen Zeitschriften, Bücher, Zeitungen und Prospekte. Diese Praxis wird einleuchtend, wenn man die Herkunft der Schildermalerei berücksichtigt: Sie hat sich nämlich – neben den Bezügen zur lokalen Wandmalerei, die insbesondere für Westafrika ab dem 19. Jahrhundert belegt ist – vor allem aus der durch die Kolonisation eingeführten Reklame für Konsumgüter entwickelt.56 Die mediale und kulturelle Übersetzungsleistung der Maler ist also auch historischer Ausgangspunkt der Schildermalerei. Damit war sie von Beginn an ein hybrides Phänomen, in dem sich unterschiedliche Bildlichkeitskonzepte überlagern beziehungsweise das koloniale Bildrepertoire transformiert und angeeignet wurde. Vor diesem Hintergrund muss man Adéagbos Wahl, die ‚fremden‘ Vorlagen von den Orten der Ausstellungen in diese Art der Malerei umsetzen zu lassen, sehen. Er nutzt ihr transformatorisches Potenzial: Die Schildermalerei ist das historisch und alltags-
54 Vgl. Wendl 2002, S. 17. 55 Wendl 2002, S. 19. 56 Vgl. Wendl 2002, S. 16f.
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praktisch prädestinierte Medium in Benin, dessen Hersteller äußert geübt darin sind, sich (auch kulturell) fremde Bildrepertoires zu eigen zu machen und zu übersetzen.57 Porträts werden ebensowenig vom lebenden Modell gemalt, sondern auch hier dienen Fotografien als Vorlagen.58 Das in der westlichen Malerei praktizierte Modellsitzen ist absolut unüblich. Lässt Adéagbo von Esprit – der gleichzeitig als Schilder- und Porträtmaler tätig ist – etwa ein Bildnis von Harald Szeemann nach einer kopierten Fotografie aus dem documenta archiv anfertigen (Abb. 51 und 52), so entspricht dieser Vorgang dem gängigen Verfahren der lokalen Porträtmalerei. Das Szeemann-Porträt in L’explorateur et les explorateurs kann hier exemplarisch die Darstellungsweise der Schildermalerei verdeutlichen:59 Der Hintergrund des Bildes ist einfarbig in einem knalligen Gelb gehalten, womit die Umrisse der Figur in Schwarz kontrastieren. Schildermaler verwenden meist kräftige, grelle Farben, die eine plakative Wirkung erzielen.60 Die Gegenstände sind häufig auf das Charakteristische reduziert; Details werden in der Regel nur dort abgebildet, wo sie elementar für das Bildverständnis sind. Räumliche Tiefe wird eher selten dargestellt, Flächigkeit dominiert und unterstützt das Plakative. So verliert das Gesicht Szeemanns im Vergleich zur Schwarz-Weiß-Fotografie, die als Vorlage diente, an Dimensionalität. Trotz der Wiedergabe von Details, wie beispielsweise dem Muster des Hemdes, ist die Umsetzung insgesamt flächiger und stilisierter ausgeführt und auf Umrisslinien beschränkt. Häufig werden Schriftzüge auf den Schildern angebracht, die im Stil von Schlagzeilen oder Bildunterschriften die Darstellungen ergänzen und kommentieren (Frisurenmodelle werden z.B. mit „style américain“, „Playboy“ oder „business style“ näher charakterisiert). So finden sich auch auf den meisten Gemälden in Adéagbos Installationen schriftliche Kommentare, die nur eine Zeile um-
57 Zum Aspekt des Übersetzens in der Schildermalerei vgl. Schankweiler 2008. 58 Vgl. Bender, Ströter-Bender u.a. 1992, S. 179; Längsfeld 1979, S. 111. 59 Wenn auch unterschiedliche Stile und Varianten existieren und die Schildermalerei ständig gemäß neuen Anforderungen modifiziert wird, gibt es doch einige grundlegende Merkmale, die in den meisten Fällen zutreffen. Wendl 2002, S. 17. 60 Die Farben der weiteren Bilder innerhalb der Installation variieren, vorwiegend sind es grelle Farben, seltener gedeckte Töne. Nur vereinzelt hat Esprit mehr als drei Farben eingesetzt, häufiger verwendet er eine Farbe, vor deren Hintergrund sich die Darstellung in Schwarz abhebt. Das mag auch daran liegen, dass Adéagbo ihm häufig lediglich schwarz-weiße Kopien von den Abbildungen liefert. Die Farbwahl für die Ausführung trifft der Schildermaler.
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fassen, manchmal jedoch mehr Raum einnehmen können als das Bildmotiv selbst (vgl. z.B. Abb. 5). Hier entfernen sich die Bilder von den Reklameschildern bzw. erfüllen nur noch partiell deren Paradigma des Plakativen und der schnellen Lesbarkeit. Nach der Betrachtung der Malerei, die wegen ihrer reduzierten Darstellung recht schnell erfasst werden kann, erfordert der lange Text zusätzliche Lesezeit. Die von Adéagbo zur Übertragung in die Schildermalerei bestimmten Motive sind für ihn von zentraler Bedeutung. Anstatt die Vorlagen in seine Installationen zu integrieren – Bücher, Fotografien und Kopien sind gängige Bestandteile seiner Zusammenstellungen –, hebt er sie durch den Transfer in die Malerei besonders hervor. Wie die handgemalten Schilder in den westafrikanischen Städten Orientierung bieten, scheinen bestimmte Motive oder Persönlichkeiten und damit verbundene Themen durch ihre Akzentuierung im System der Dinge die Objektensembles zu strukturieren. Diesen Eindruck verstärkt die Hängung der Bilder in regelmäßigen Abständen, was eine Rhythmisierung und Dynamisierung der Installationen bewirkt. Die Funktion der Schilder, etwas anzupreisen und auf etwas aufmerksam zu machen, ist in ihrer Ikonizität formal umgesetzt. Die wichtigsten Bildinformationen, die den Wiedererkennungswert des Dargestellten ausmachen, werden aus der Vorlage extrahiert und im neuen Medium herausgestellt. Abgebildete Gegenstände oder Personen erscheinen stilisiert und werden so zum Zeichen. Die Reduzierung auf das Wesentliche, die auch eine gewisse Abstraktion bedeutet, soll die Inhalte auf einen Blick für die BetrachterInnen verständlich machen. Das sind die Interpretation der Vorlagen und der Transfer, den die Schildermaler leisten. Es geht also nicht darum, die Gegenstände möglichst naturalistisch abzubilden, weshalb es auch unnötig erscheint, ‚von der Natur‘ zu malen. Auslassungen und Ergänzungen sind Bestandteile eines jeden Übersetzungsprozesses. Indem Adéagbo Motive in das Medium der Schildermalerei übersetzen und damit ikonisieren lässt, werden sie zugleich auratisiert (wie auch die Reklame ihren Konsumgüter eine besondere Ausstrahlung verleiht61). Die formale und inhaltliche Reduzierung bedeutet also eine Zuspitzung. Details werden weggelassen, und trotzdem wird auch etwas hinzugefügt, indem das Bild (die Vorlage) zu einem neuen Bild (dem Schild) mit Zeichencharakter wird, das neue Bedeutungsassoziationen freisetzt. Für das Porträt Szeemanns bedeutet dies, dass der Kurator durch die Stilisierung und Abstrahierung des Bildproduktionsprozesses zum Zeichen seiner selbst wird. Im Bezugssystem von L’explorateur et les explorateurs symbolisiert er die Geschichte der documenta, denn als künstleri-
61 Wendl 2002, S. 13.
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scher Leiter der documenta 5 ist er einer der bekanntesten Kuratoren der Ausstellung geworden. Gleichzeitig war er auch für Adéagbos Karriere wichtig und steht damit auch für die Geschichte von dessen Ausstellungstätigkeit.62 Dieses ‚Für-etwas-Stehen‘ wird durch den Zeichencharakter der Schilder vermittelt und Rückbezüge auf Szeemann sowie die mit ihm verknüpften Kontexte werden den BetrachterInnen erleichtert. Damit kann man die Schildermalereien im Netzwerk der Installationen als Knotenpunkte oder Scharnierstellen bezeichnen, an denen sich, verstärkt durch die formalästhetischen Eigenschaften, auf inhaltlicher Ebene die Adéagbo’schen Assoziationsketten kreuzen. Nicht alle Gemälde funktionieren jedoch als Orientierungshilfen der Installation, weil nicht alle Motive wiedererkennbar sind. Die Identifizierung und Zuordnung der Motive hängt von dem individuellen Wissen der jeweiligen BetrachterInnen ab. Es kann schlechterdings nicht mit dem des Künstlers übereinstimmen. Anders formuliert: Erkennt man den Porträtierten nicht als Harald Szeemann, können keine Bezüge zu der Kuratoren-Persönlichkeit hergestellt werden. Trotz meiner intensiven und langen Beschäftigung mit der Installation habe ich einige Motive bis heute nicht entschlüsseln können. Allerdings kann man, trotz dieser Grenzen, welche die Installationen aufzeigen, Bezüge herstellen und andere Bedeutungsassoziationen haben, die durch die visuellen Analogien von Adéagbo zusätzlich angeregt werden.63 So besteht z.B. bei einem weiteren Porträt Szeemanns innerhalb der Installation La colonisation Belge en Afrique noir (Brüssel, 2005) eine Verbindungslinie über den Vollbart Szeemanns (Abb. 73): Das Motiv des Bartes wiederholt sich in der darunter auf einem Sockel aufgestellten Büste, in der links daneben positionierten afrikanischen Holzfigur und findet außerdem eine Entsprechung in den Mähnen der beiden Löwen, die auf dem Boden links und rechts den Sockel flankieren. Ohne Näheres über Szeemann und die anderen Figuren zu wissen, kann man hier über das Attribut des Bartes, über die Konstruktion von Männlichkeit und über Macht suggerierende Merkmale reflektieren.
62 Szeemann lud Adéagbo zu zwei Ausstellungen ein, nachdem er ihn im Rahmen der Biennale von Venedig kennengelernt hatte: für die Ausstellung «ForwART – a choice» – six curators_six artists. a snapshot of contemporary art (2000) in Brüssel und zu Szeemanns letzter Ausstellung La Belgique Visionnaire. C’est arrivé près de chez nous (2005) im Palais des Beaux-Arts, ebenfalls in Brüssel. Kataloge: ForwArt 2000 und La Belgique Visionnaire 2005. 63 Das gilt nicht nur für die Schilder, sondern ist eine generelle rezeptionsästhetische Prämisse der Arbeiten, auf die ich später zurückkommen werde.
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Adéagbos Arbeiten wurden von der europäischen Kunstkritik bisher nicht systematisch in Bezug zur Schildermalerei gesetzt. Eine Erklärung dafür könnte unter anderem der koloniale Fokus auf die Holzskulptur sein, die in Europa als repräsentativ für ‚afrikanische Kunst‘ galt. Malerei aus Afrika war und ist in Europa aus diesem Grunde generell wenig bekannt und in ihrer Bedeutung für die Kunstgeschichte unterbewertet. Vermutlich führte ausgerechnet die Hybridität der Schildermalerei, die eine moderne urbane afrikanische Kultur repräsentiert, zu ihrer Nichtbeachtung in Europa, die lange Zeit anhielt – bis in die 1980er Jahre hinein wurde sie dort praktisch nicht rezipiert. Ihre Praxis der Aneignung von ‚westlicher‘ Reklame widersprach der in Europa favorisierten ‚Authentizität‘. Abbildung 73: Georges Adéagbo: La Colonisation Belge en Afrique noir (Detail), Brüssel 2005
Abschließend ist zu bemerken, dass Georges Adéagbos Installationen sowohl an den Orten der Produktion als auch der Rezeption kontextualisiert werden können. Vermittelt über ihre Ästhetik produzieren sie lokal jedoch unterschiedliche Bedeutungen. Im Kontext der europäischen Objektkunst etwa können sie hinsichtlich zentraler Topoi dieser Kunstform, wie etwa der konzeptuellen Arbeits-
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weise und der Hinterfragung des Künstlersubjektes, diskutiert werden. Innerhalb der Kunstgeschichte Westafrikas können die Werke Adéagbos der récup-art zugerechnet werden. Diese ist formal-ästhetisch und operational zwar der Objektkunst durchaus ähnlich, doch geht es hier nicht um Konzepte von Autorschaft oder um Institutionskritik, sondern um Aspekte der Transkulturalität, der Wandelbarkeit und des funktionalen Potenzials der Dinge in alltagskulturellen Praktiken des Recycelns. Für das Beispiel der Märkte wurden neben den westafrikanischen auch europäische Flohmärkte in ihrer Relevanz für die zeitgenössische Kunst diskutiert. Dabei zeigten sich einerseits Ähnlichkeiten und andererseits lokal geprägte Unterschiede, die nochmals deutlich machen, dass die Kontexte – ebenso wie die Kunstwerke selbst – weder als ‚exotisch‘ noch als ‚universal‘ gedacht werden können. Zieht man sowohl westafrikanische als auch europäische Kontexte zur Interpretation heran, verhindert dies die Konstruktion und Exklusion der Installationen Adéagbos als dichotomes ‚Anderes‘, das nicht mehr mit ‚Eigenem‘ vergleichbar wäre. Die hier aufgeführten Kontexte sind spezifisch und lokal verankert, aber zugleich unspezifisch und in Varianten global zu finden. Sie sind damit nicht ‚authentisch‘, weil die visuellen Kulturen stets hybride Phänomene der contact zones sind. Rezeptions- und produktionsästhetische Bedeutungsproduktionen haben also alle ihre Berechtigung, denn die Installationen treten mit den jeweiligen Kunstund Kulturgeschichten in einen Dialog und nehmen damit einen Platz innerhalb ihrer Geschichten ein. Diese Annektierung wird durch Adéagbos ortsspezifische Arbeitsweise befördert. Er thematisiert darüber hinaus selbst unterschiedlichste kulturelle Traditionen und stellt sie einander gegenüber. Daher ist es von zentraler Bedeutung, die Bildlichkeits- und Dinglichkeits-Konzepte anderer Orte nicht zu ignorieren, wie es in der europäischen Perspektive oft geschieht. Gerade der Vergleich unterschiedlicher Konzepte betont deren kulturelle Spezifik und die Wichtigkeit von Positionierung und kultureller Situierung. Die ästhetische, formale und materielle Aussagekraft der Arbeiten bleibt an allen Orten bestehen, hat nur jeweils andere Bedeutungsassoziationen. Damit existiert kein ‚authentischer‘ Ort oder Kontext für Adéagbos Installationen, sondern diese verorten sich stets von Neuem. Die Arbeiten konstituieren selbst einen Kontext, an dem verschiedene Orte miteinander in Beziehung gesetzt werden. Die Methode der multiperspektivischen Verortung verdeutlicht, dass Kontexte für zeitgenössische Kunst nicht getrennt voneinander existieren, sondern ein komplexes Geflecht von unterschiedlichen Anknüpfungspunkten sind, die
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zugleich lokale und globale Implikationen aufweisen können.64 Kulturelle und künstlerische Praktiken und Phänomene existieren nicht innerhalb eines Kulturkreises hermetisch abgegrenzt. Ein lokaler Kontext kann globale Elemente oder Aspekte haben, während sich globale Zusammenhänge immer lokal ausprägen können. Eine bipolare Einteilung und Abgrenzung ist nicht möglich; stattdessen muss vom Kunstwerk ausgehend die Komplexität und Wechselseitigkeit von Kontexten rekonstruiert werden. Adéagbos Praxis des Kulturtransfers in Kombination mit seinem ortsspezifischen Verfahren macht genau dieses Spannungsfeld von ‚global‘ und ‚lokal‘ aus. Paradoxerweise betont seine Kunst gleichzeitig Ortsspezifik und Ortlosigkeit.65 Dies heißt jedoch nicht, dass die Verortung gleichgültig wird – im Gegenteil wird ihre Wichtigkeit betont, weil Lokalität und Globalität einander bedingen. Adéagbos künstlerische Strategie der Verortung und Kontextualisierung führt genau diesen Prozess des globalen Austausches in der Mobilität von Dingen vor, die in mühevollen und zeitaufwendigen lokalen Anwendungen, Anknüpfungen und Bezugnahmen erst Bedeutungen erzeugen.
64 Während Europa immer als global agierend imaginiert wird, wird z.B. Afrika immer auf lokaler Ebene gedacht. Diese Gewichtung möchte ich aufbrechen und komme später darauf zurück. 65 Rebentisch 2003, S. 263ff.
7 Sammeln
Georges Adéagbos Sammeltätigkeit macht den wesentlichen Teil seiner künstlerischen Praxis aus. Einige seiner Installationen berühren den Topos des Sammelns dabei auch inhaltlich, so z.B. die Arbeit Créer le monde en faisant des collections (Ulm, 2007), mit der Adéagbo eine Ulmer Kunst- und Wunderkammer aus dem 17. Jahrhundert thematisierte (Abb. 29 und 74). Adéagbos Sammelpraxis als künstlerische Vorgehensweise steht in engem Zusammenhang mit kulturellen Alltagspraxen (vgl. Kapitel 6). Dies wird besonders dadurch deutlich, dass Adéagbo seiner Sammeltätigkeit schon lange vor deren Präsentation im Kunstkontext nachging. Sie kann hier deshalb auch als ‚gelebtes Sammeln‘ verstanden werden. Er hantiert, experimentiert und arbeitet täglich mit seiner Sammlung und macht die Ergebnisse zuweilen der Öffentlichkeit zugänglich. Seine Vorgehensweise geht über eine private Sammelleidenschaft um des Besitzens willen hinaus, da Adéagbo sehr konzeptuell und methodisch arbeitet, was den Vergleich mit wissenschaftlichen Arbeitsweisen zulässt. Auch in den Wissenschaften ist das Sammeln ein gängiges Verfahren, das der Wissensgenerierung auf der Basis der zusammengetragenen Informationen dient: „Zahlen, Daten, Kurven, Bilder und Objekte bilden eine Grundlage der Wissenschaft, und erst aufgrund solcher Ansammlungen lassen sich Regelmäßigkeiten erkennen und Schlußfolgerungen ziehen.“1 Zwar sind Adéagbos Arbeitsmethoden nicht als wissenschaftlich zu bezeichnen, doch bringen sie ein spezifisches Wissen hervor, dessen Produktionsprozess ich in den Blick nehme. Bei der Analyse seiner Arbeiten ist es daher nicht nur relevant, was Adéagbo sammelt, sondern auch, wie er sammelt.2 Seine Vorgehensweise prägt die Sammlung und ist maßgeblich an der Wissensproduktion
1
Heesen, Spary 2001, S. 7.
2
Heesen, Spary 2001, S. 8.
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beteiligt. Die komplexe Verbindung zwischen Sammeln und Wissensgenerierung kann demnach nur durch die Analyse der „spezifische[n] Umgangsweise mit Objekten“3 nachvollzogen werden. Diese ist als kulturelle Praxis zu verstehen.4 Die Untersuchung der vielschichtigen Verfahrensweisen des Sammelns Abbildung 74: Georges Adéagbo: Créer le monde en faisant des collections (Teilansicht), Ulm 2007
kann so unterschiedliche Aspekte wie das Hantieren mit den Gegenständen, ihre Aufbewahrung und Präsentation oder ihre Anordnung berücksichtigen. Welche Ordnungskriterien hebt Adéagbo hervor? Bleibt eine einmal angelegte Ordnung bestehen oder ist sie veränderbar? Die Entstehung der Sammlung und die Umgangsweise mit den gesammelten Dingen rücken bei Adéagbo in den Vordergrund, da sie seine tägliche Arbeit ausmachen und sein künstlerisches Konzept bestimmen. Das Verfahren des Sammelns, Ordnens, Aneignens und Ausstellens wirft im Kontext der Rezeption seiner Arbeit prinzipielle Fragen europäischer Sammelmethoden und ihrer Wissensordnungen auf.
3
Heesen, Spary 2001, S. 13.
4
Vgl. Heesen, Spary 2001.
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7.1 A DÉAGBOS
THÉÂTRE DU MONDE ALS EINE ZEITGENÖSSISCHE V ARIATION DER K UNST - UND W UNDERKAMMER
An der Vielfalt der gesammelten Materialien und Medien in Adéagbos Installationen sind zunächst keine bestimmten Auswahlkriterien abzulesen. Er sammelt und präsentiert Dinge, die in Funktion, Wert, Provenienz, formaler Beschaffenheit usw. sehr heterogen sind. Diese werden nicht in Gruppen separiert, sondern miteinander kombiniert und umgehen starre Kategorisierungen wie etwa eigen/fremd, wertvoll/wertlos oder neu/gebraucht. Bei der Betrachtung stellt sich deshalb angesichts der auf den ersten Blick willkürlichen und ungeordneten Zusammenstellungen ein Gefühl der Überforderung ein. Scheinbar stellen seine Installationen vor dem Hintergrund der heute ausdifferenzierten Institutionen der Konservierung – wo außereuropäische Objekte in Völkerkundemuseen, Bücher in Bibliotheken, Gemälde in Kunstmuseen und Drucksachen in Archiven aufbewahrt und systematisiert sind – eine besondere Herausforderung an europäische Sehgewohnheiten dar. Adéagbo bringt zusammen, was in europäischen Sammlungen normalerweise separiert präsentiert wird. Es stellen sich folgende Fragen: Wie stehen alle diese unterschiedlichen Dinge in seinen Installationen zueinander in Beziehung und wie kann man sie zusammen sehen? Welche Verbindungen bestehen zwischen ihnen? Auf welcher Ordnung basieren Adéagbos Zusammenstellungen? Seine Installationen und die ihnen zugrunde liegende Sammelpraxis weisen Ähnlichkeiten mit enzyklopädischen Sammeltraditionen des 16. und 17. Jahrhunderts auf, auf die Adéagbo sich im Rahmen seiner Arbeit Créer le monde en faisant des collections selbst bezogen hat.5 In den frühneuzeitlichen Kunstund Wunderkammern wurden – wie in den Installationen Georges Adéagbos – verschiedenartige Gegenstände aufbewahrt und ausgestellt. Die Kunst- und Wunderkammer ist in meiner Analyse weniger als historisches Vorbild von Interesse, sondern fungiert als ein Denkmodell, das den Umgang mit Dingen und die Organisation von Wissen strukturiert.6
5
Im Folgenden wird nicht auf konkrete Kunst- und Wunderkammern und ihren Sammlungsbestand eingegangen, sondern lediglich eine kurze Einleitung gegeben. Mir geht es dabei vor allem um die Art und Weise, wie mit den Objekten innerhalb dieses Sammeltypus verfahren wurde. Dabei verallgemeinere ich die Kunst- und Wunderkammern, die eigentlich eine sehr heterogene Gruppe von Sammlungen darstellten.
6
Zur Kunstkammer als Denkmuster vgl. Bredekamp 2002, S. 99.
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Kunst- und Wunderkammern entstanden im Europa des 16. Jahrhunderts und sind die Vorläufer der modernen Museen.7 Weltliche und kirchliche Fürsten, aber auch Adelige und reiche BürgerInnen bewahrten in ihren Kunst- und Wunderkammern Raritäten und Kurioses, Schönes und Magisches auf. Gesammelt wurden kostbare oder seltene Objekte der Natur (naturalia) und der Kunst (artificialia), antike Zeugnisse (antiquitas) sowie Instrumente und Apparate (scientifica). Beliebte Sammelobjekte waren Mineralien, Muscheln, Kräuter, Wurzeln, ausgestopfte Tiere, anatomische Präparate, antike Skulpturen, Goldund Silberschmiedearbeiten, Münzen, Gemälde, Kostüme, Musikinstrumente, Waffen, Messinstrumente und vieles mehr. (Abb. 75 zeigt exemplarisch eine idealisierte Darstellung der Kunstkammer des Ferrante Imperato von 1599.) Abbildung 75: Kunstkammer des Ferrante Imperato, Frontispitz zu Imperato, 1599
7
Sie existierten ungefähr von 1550 bis 1750. Zur Kunst- und Wunderkammer siehe Bujok 2004; Buberl, Dückershoff (Hg.) 2003; Bredekamp 2002; Bredekamp, Brüning, Weber (Hg.) 2000; Weltenharmonie 2000; Grote (Hg.) 1994; Wunderkammer des Abendlandes 1994.
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Die Gegenstände wurden weniger nach ihrem ‚reellen‘ Wert oder nach ihrer kulturellen Bedeutung ausgewählt, sondern die Eigentümlichkeit und Vielfältigkeit der Objekte war von Interesse für die SammlerInnen, die allem Neuen mit Offenheit und Wissbegier gegenüberstanden. Das zentrale Motiv des Sammelns war die curiositas, die Neugierde des Menschen, die in dieser Zeit positiv besetzt war.8 Die Sammlungen enthielten oft außereuropäische Objekte (exotica), die das Weltbild in der Kunst- und Wunderkammer als einer Gesamtschau komplettierten und sie räumlich-geografisch ergänzten. Die SammlerInnen verfolgten einen enzyklopädischen Ansatz; die Sammlungen sollten eine ‚Welt im Kleinen‘ darstellen und die Fülle von Material in einer ‚Ordnung der Dinge‘ bändigen. Die Vorstellung der Analogie von Makro- und Mikrokosmos war dabei grundlegend. Der Makrokosmos der Welt sollte im Mikrokosmos der Sammlung seine Entsprechung finden. Diese Analogie galt für alle Dinge und Menschen und wurde kosmologisch begründet, denn deren kleinste Einheiten wurden als strukturelle Entsprechungen der jeweils größeren, und übergeordnet des gesamten Systems imaginiert.9 Adéagbos Sammlungskonzept gleicht dem der frühneuzeitlichen Kunst- und Wunderkammer insofern, als scheinbar disparate Dinge in einem Repräsentationssystem zusammengeführt werden, was einen direkten Vergleich zwischen den Objekten ermöglicht und befördert. Aus den Inventarbüchern der Kunst- und Wunderkammern geht hervor, dass die Gegenstände dort zwar nach den Bereichen naturalia, artificialia, antiquitas und scientifica, nach Gebrauch oder Materialien gegliedert waren.10 Angesichts der Fülle der gesammelten Gegenstände konnte jedoch keine Ordnung alle Objekte einheitlich erfassen. Vielleicht fand sich aus diesem Grund in den Arrangements der Sammlungsräume überraschenderweise kaum eine Einordnung der Bestände nach diesen Ordnungskriterien.11
8
Im 18. Jahrhundert änderte sich das und die Kunst- und Wunderkammern wurden als willkürliche Sammelsurien kritisiert. Durch die zunehmende Verwissenschaftlichung galt die Neugierde fortan als nicht rational und wurde negativ gewertet. Zur curiositas vgl. Daston, 1994, S. 35-59.
9
Zur Analogie zwischen Mikrokosmos und Makrokosmos in der frühen Neuzeit siehe Walz 2000.
10 Vgl. Bredekamp 2002, S. 37f.; Scheicher 1977, S. 14f. Vgl. auch das älteste erhaltene museumsmethodologische Traktat von Samuel Quicchelberg: Inscriptiones vel tituli theatri amplissimi […]. München 1565. Quicchelberg hatte das Gedächtnistheater (nach Giulio Camillos Theater der Erinnerung, erschienen 1581) in die Kunst- und Wunderkammer übertragen. (Siehe dazu: Bolzoni 1994, S. 129-168). 11 Vgl. Bredekamp 2002, S. 70f.
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Die Anordnung folgte keiner erkennbaren Kategorisierung, wie auch Adéagbo die verschiedenartigen Gegenstände ohne Ordnungskriterien miteinander arrangiert. Die Methode des Künstlers besteht wie in den Kunst- und Wunderkammern nicht in der Trennung, sondern im Zueinanderbringen und Kombinieren von Dingen unterschiedlicher Provenienz. Johann Gottlieb Georgi schrieb Anfang des 18. Jahrhunderts über seinen Besuch in der Sammlung des Zaren Peter des Großen: „Natur und Kunstsachen sind mehr nach dem Raum und dem Auge als nach System oder Regeln aufgestellt.“12 Oftmals wurden die Gegenstände im Raum aus Gründen des ästhetischen Empfindens symmetrisch angeordnet. Auch Adéagbos Installationen sind symmetrische, axiale Anordnungen, die den Gegebenheiten des Ortes und vornehmlich visuellen Gesichtspunkten folgen. Die Gegenstände erscheinen zwar ungeordnet und nicht kategorisiert, trotzdem ist die Zusammenstellung nicht ‚unordentlich‘, sondern sorgfältig komponiert. Das Hervorheben visueller Kriterien gegenüber kategorialen begünstigt den direkten Vergleich ganz unterschiedlicher Dinge in der Zusammenschau im Raum. In den Kunst- und Wunderkammern ging es um ein Verfahren des Assoziierens und auch des zufälligen Ausprobierens durch das Herstellen relativ freier Bezüge. „[…] Es ist immer dasselbe Artefakt oder Naturprodukt, das lediglich aus unterschiedlichen Bereichen assoziativ verbindend, materiell analysierend oder formal klassifizierend betrachtet wird. Denn den frühen Enzyklopädisten ging es nicht nur um eine reine Thesaurierung des Wissens, sondern auch und gerade um die Darstellung der Abhängigkeiten und Bezüge der einzelnen res unter- und miteinander.“13
Die Zusammenhänge waren nicht zwingend, sondern wurden visuell mittels der Analogie ermittelt bzw. hergestellt. Auch Adéagbos Methode zeichnet ein „Vertrauen in die visuelle Erkenntnis“14 aus: Die formal-ästhetischen Relationen der verschiedenen Objekte sind in Adéagbos Sammlungen von großer Bedeutung, denn sein Arrangement baut „visuelle Brücken“15, wie bereits beschrieben wurde. Durch das unmittelbare Nebeneinander können die BetrachterInnen Analogien aufspüren, vielfache Bezüge herstellen und so Neues und Überraschendes erfahren. Dass dabei ganz frei und selektiv vorgegangen werden kann, hat durchaus spielerische Qualitäten. Kai-Uwe Hemken schreibt zum Konzept der
12 Zitiert nach Buberl 2003, S. 12. Vgl. auch Bredekamp 2002, S. 71. 13 Brakensiek 2006, S. 8. 14 Bredekamp 2002, S. 80. 15 Bredekamp 2002, S. 71.
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Kunst- und Wunderkammer, was auch auf eine Installation Adéagbos zutrifft: „Sie birgt durch die Präsentation ihrer ausgewählten Objekte das Potenzial, eine Reflexivität und ein Interesse an Erkenntnisgewinnung zu stimulieren.“16 Dieser Erkenntnisgewinn betraf in der Kunst- und Wunderkammer auch ‚fremde‘ Artefakte, die mit ‚eigenen‘ verglichen und studiert werden konnten. Die importierten Gegenstände, die ab dem 16. Jahrhundert von sogenannten Entdeckungsreisenden aus unbekannten Gegenden mitgebracht wurden, sollten das neue Wissen über die Welt zugänglich machen. Auch Adéagbo kombiniert Dinge unterschiedlicher Provenienz: Das Verfahren des Kulturtransfers habe ich als eine zentrale Strategie seiner Arbeitsweise charakterisiert. Dabei versammelt er die Dinge nicht nur in Cotonou, sondern betreibt einen Austausch in mehrere Richtungen. Während die SammlerInnen der Kunst- und Wunderkammern mit den BesucherInnen weitgehend darin übereinstimmten, was als ‚exotisch‘ oder kurios anzusehen war, ist Adéagbos Perspektive auf die Dinge eine andere als die der BetrachterInnen in europäischen Museen. Deren Vertrautheit oder Fremdheitsgefühl gegenüber den Dingen ist unter Umständen konträr zu Adéagbos, dem die westafrikanischen Objekte vertraut sind, die lokalen Fundstücke dagegen weniger. Adéagbo scheint den Blick Europas auf fremde Kulturen umzukehren und deckt damit die Willkür des Sammelns und die Regeln des Exotismus auf, deren sich z.B. ein Kölner Besucher klar wird, der seine Stadt mit Karnevalsorden, Volksmusik und der Boulevardzeitung Express repräsentiert findet. Doch geht es in den Installationen nicht um eine Einteilung in ‚Fremdes‘ und ‚Eigenes‘, ‚Afrikanisches‘ und ‚Europäisches‘. Kategoriale Grenzen werden durch Mobilisierung, Aneignung und Übersetzung transzendiert, wie beispielsweise mit den ‚hybriden‘ Gemälden in Adéagbos Arbeiten, die kulturell unterschiedliche Darstellungsmodi miteinander vermischen. Diese Gemälde sind jenen Objekten ähnlich, die auch in den Kunst- und Wunderkammern die Übergänge der einzelnen Bereiche markierten.17 Zu diesen gehörten z.B. die Nautiluspokale, die riesige Muscheln (Naturobjekte) zu reich verzierten, oft figürlich gestalteten Trink- und Prunkgefäßen (also zu Kunstobjekten) weiterverarbeiteten. Dadurch entstanden ‚Mischobjekte‘ zwischen den Kategorien naturalia und artificialia. Die Bearbeitung ‚fremder‘ Sammelobjekte, wie z.B. von Kokosnüssen, die in Gold oder Silber gefasst wurden, lässt jedoch noch eine weitere Lesart zu: Die exotica wurden auf diese Weise angeeignet und europäisiert, wodurch sie als weniger fremd erfahren werden konnten. Infolgedessen wurden scharfe Abgrenzungen unmöglich. Auch Adéagbos Zusammenstellungen
16 Hemken 2003, S. 290. 17 Bredekamp 2002, S. 38f.
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fokussieren eher die Übergänge und die Beziehungen der Dinge zueinander als eine Zuordnung zu Kategorien. Die Gruppe der exotica stand in den Kunst- und Wunderkammern nicht für sich, sondern die Objekte wurden jeweils den existierenden Sammelbereichen zugeordnet. Die fremden Objekte galten als „Beleg für die Vielfalt der Schöpfung“ und wurden gleichrangig mit anderen seltenen oder kuriosen Gegenständen gesammelt und präsentiert.18 Elke Bujok kommt zu der Einschätzung, dass die unhierarchische Eingliederung der Ethnographica von einer „Wertschätzung des Fremden“19 zeugte. Trotzdem wurden alle Objekte, auch die exotica, universalistisch der vertrauten, eigenen Ordnung der Welt untergeordnet. Zumindest gab es jedoch zu diesem Zeitpunkt im Konzept der Kunst- und Wunderkammern noch die Möglichkeit des würdigenden, egalitären Umgangs mit Alterität. Adéagbos Arbeit schließt an dieses integrative Potenzial an: ‚Fremdes‘ und ‚Eigenes‘ wird von ihm nicht kategorisiert, separiert und bewertet, sondern in einen Dialog gebracht, übersetzt, transformiert und hybridisiert. Sein Sammelmodell unterscheidet sich deutlich von der Sammeltradition, die zu Beginn des 18. Jahrhunderts mit der Aufgliederung der Kunst- und Wunderkammern einsetzte und bis heute anhält. Indem das Prinzip des visuellen Zusammenspiels der Objekte in den Hintergrund trat, wurde die Spezifik der Sammlungen – die Möglichkeit des Erkenntnisgewinns durch die visuelle Wahrnehmung – in eine andere Richtung gelenkt und vornehmlich zur Inklusion und Exklusion genutzt. Zeichneten sich die frühneuzeitlichen Sammlungen dadurch aus, dass sie durch direkte Betrachtung der unterschiedlichsten Dinge visuelle Erkenntnis vermittelten, ging es im modernen Museum um die Kategorisierung der Objektklassen. An die Stelle des Diversitätskonzeptes traten nun spezialisierte Sammlungen: Kunstmuseen, medizinische Sammlungen, Naturkunde- und Völkerkundemuseen und andere Spartensammlungen dominieren auch heute noch die europäische Museumslandschaft.20 Mit der Klassifizierung begann auch eine Hierarchisierung und damit
18 Bujok 2004, S. 170-180. 19 Bujok vertritt die Auffassung, man könne eine Reflexion über die Wahrnehmung des Fremden in dieser frühen Zeit der Begegnungen nicht erwarten. Vgl. Bujok 2004, S. 172. Bredekamp hingegen spricht von „Unterwerfung“, bemerkt aber ebenfalls den Respekt, den man dem Fremden in den Kunst- und Wunderkammern in Form der unhierarchischen Eingliederung entgegenbrachte. Bredekamp 2002, S. 39. 20 Brüning 2000, S. 24. Dieser Prozess war ein allmählicher, der sich nicht überall gleichermaßen durchsetzte. Kunst- und Wunderkammern blieben zum Teil bestehen oder wurden nur oberflächlich ‚bereinigt‘, sodass man heute noch in einigen Museen ihr
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einhergehend eine geringere Wertschätzung des Fremden, das nun in völkerkundlichen Museen separiert war. Bei der Einteilung in ‚zivilisatorische Entwicklungsstadien‘ wurden außereuropäische Bevölkerungsgruppen als ‚primitiv‘ abgewertet und man versicherte sich der eigenen Position an der Spitze der selbsternannten ‚Entwicklung‘. Adéagbos Anordnung der Dinge dagegen basiert nicht auf historischen, geografischen oder kulturellen Kriterien, die den MuseumsbesucherInnen heute vertraut sind.21 Vielmehr ist er an formalästhetischen, ikonografischen und thematischen Aspekten der Gegenstände interessiert, die jedoch nicht festgelegt sind, sondern spontan und assoziativ hergestellt werden und keiner separierenden und hierarchisierenden Sortierung entsprechen. In der Zusammenstellung der Dinge und kulturellen Zeichen sowie ihrer gleichberechtigten Präsentation betont Adéagbo die unhierarchisch gedachte Koexistenz und Gleichzeitigkeit der Kulturen. Im Gegensatz zu den Kunst- und Wunderkammern, die in Fürstenhäusern vor allem einen Repräsentationszweck erfüllten, drückt Adéagbo mit seiner Sammlung jedoch keinen Herrschaftsanspruch aus.22 Er inszeniert keine Machtposition, sondern verortet sich vielmehr diskursiv, sodass seine Position als relational erscheint. Adéagbo verdeutlicht seine Konfrontation und Auseinandersetzung mit den Orten und Dingen, die sich im ortsspezifischen Verfahren niederschlägt, und sein Verstrickt-Sein in die unterschiedlichen Kontexte und Diskurse, deren Netz von Verbindungen er nachgeht und ästhetisch herstellt. Im Konzept der Kunst- und Wunderkammer spielt die Metapher des Welttheaters eine wichtige Rolle, die im Idealfall die ganze Welt in einem Raum oder Raumgefüge repräsentieren sollte.23 Der Begriff des theatrum mundi wurde im Mittelalter entwickelt und seitdem vielfach aufgegriffen. Besonders in der Frühen Neuzeit gewann die Formel der ‚Welt als Theater‘ – im Gegensatz zur ‚Welt des Theaters‘, dem mundus theatri – an Bedeutung. Mit ihr verbindet sich die
Hervorgehen aus einer fürstlichen Kunst- und Wunderkammer erkennen kann (z.B. die Reiss-Engelhorn-Museen in Mannheim). 21 Für meine Beschreibung in Kapitel 5 habe ich selbst erst Kategorien bilden müssen. 22 „Die Kunst- und Wunderkammer fügte sich grundsätzlich in ein weltanschauliches wie politisches System ein, das der Landesfürst als Urheber verkörperte.“ Hemken 2003, S. 285. 23 Gottfried Wilhelm Leibniz beispielsweise imaginierte um 1671 eine idealtypische Sammlung als „Theater der Natur und Kunst“, die Teil einer wissenschaftlichen Akademie sein sollte. Vgl. Bredekamp 2000, S. 13. Zu Leibniz und seinem Konzept siehe außerdem Bredekamp 2004; Bredekamp 2003, S. 116-123; Knobloch 2003, S. 124132.
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Vorstellung, auf der begrenzten Bühne des Theaters die Welt und ihre Ordnung darstellen zu können. Adéagbo hat in seiner Installation für die Documenta11 den Begriff des Welttheaters im Titel verwendet: L’explorateur et les explorateurs devant l’histoire de l’exploration..! Le théâtre du monde..! Wie eine programmatische Setzung schließt die Formel „Le théâtre du monde“ den Titel gleichsam zusammenfassend ab. Adéagbos Titel spielt damit auf den Ausstellungsraum als Bühne an, auf der die Welt zur Aufführung kommt. Doch welches Konzept von Welt, das ‚im Kleinen‘ durch die Vielfalt der Objekte repräsentiert sein soll, verhandelt Adéagbo? Sein Sammelkonzept mutet enzyklopädisch an; trotzdem handelt es sich offensichtlich nicht um eine ‚repräsentative‘ Sammlung, die tatsächlich die Welt darstellen könnte.24 Den Begriff des Theaters auf eine Sammlung zu übertragen, verdeutlicht ihren modellhaften Charakter und ihre Inszeniertheit. Wie beim ‚Welttheater‘ bezieht sich Adéagbo auch im Titel einer weiteren Installation auf eine globale Perspektive: Die Welt erschaffen, indem man Sammlungen anlegt. Die Installation Créer le monde en faisant des collections widmete Adéagbo explizit dem Thema Sammeln und der Tradition der Kunst- und Wunderkammern. Er wurde vom Ulmer Museum eingeladen, die Wunderkammer des Ulmer Kaufmanns Christoph Weickmann aus dem 17. Jahrhundert in den Kontext seiner zeitgenössischen künstlerischen Praxis zu stellen.25 Mit dem Titel der Arbeit drückt Adéagbo aus, dass Sammlungen ‚die Welt erschaffen‘, dass Sammeln ein individueller, kreativer Akt ist, der eine Sicht der Welt konstruiert. Die Welt, die sammelnd kreiert wird, ist dabei keine universale, sondern eine partielle und subjektive, geprägt von der Perspektive des Sammlers oder der Sammlerin. In der Ulmer Installation heißt es in einem Text Adéagbos an zentraler Stelle:
24 Lorraine Daston und Katharine Park machen auf diesen Widerspruch in der Beschreibung frühneuzeitlicher Sammlungen aufmerksam und kritisieren den Begriff des ‚Enzyklopädischen‘, weil er Vielfalt mit Universalität verwechsele. Daston, Park 1998, S. 272. 25 Weickmann begann Mitte des 17. Jahrhunderts mit dem Aufbau seiner Sammlung, die zu den wenigen erhaltenen Beispielen bürgerlichen Sammelns in Deutschland in dieser Zeit zählt. Heute sind noch rund 100 Objekte in Ulm erhalten, darunter einige afrikanischer Provenienz. Vgl. Jones 1994. Weickmanns Sammlung bildet die ‚Urzelle‘ des Ulmer Museums. Die Ausstellung Weickmanns Wunderkammer (03.03.13.05.2007) zeigte neben Adéagbo auch Arbeiten von Matthias Beckmann und Candida Höfer.
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„‚Christoph Weickmanns a sa culture, et Christoph Weickmanns, il est, pour aller vers les autres cultures, afin de faire jugement et juger sa propre culture‘..! La collection et les collections de Christoph Weickmanns..! ‚Créez en faisant des collections‘..! Le monde pour avoir plusieurs faces, et pour être avec plusieurs faces, à dire que l’on connaît le monde, et se lever pour parler du monde, pour prendre une face du monde, pour s’écarter des autres faces du monde, peut-on et pourraiton dire que l’on connaît le monde et se lever pour parler du monde, et se faire accepter par le monde..? Le musée d’art de Ulm-Stuttgart-Allemagne, et la collection de Stéphane et de Georges, avec les collections de Christoph Weickmanns (Créez en faisant des collections)..!“26
Der Sammler Weickmann sei, so Adéagbo, auf andere Kulturen zugegangen, konnte jedoch nicht über diese urteilen, sondern nur seine eigene Kultur bewerten. Adéagbo stellt infrage, dass man angemessen über die Welt sprechen könne, weil man sich nur eines ihrer „Gesichter“ annehmen und daher nicht behaupten könne, die Welt zu kennen. Man nimmt sie immer aus der eigenen Perspektive wahr. Adéagbo charakterisiert so das Sammeln als eine kulturelle Praxis, aus der man ein subjektives Wissen generiert, das nicht zum Urteil über andere Kulturen berechtigt. Trotzdem erscheinen Vergleiche sinnvoll, weil man dadurch die eigene Position erkennt und beurteilen kann. In Adéagbos Sammlung ist deshalb das System von transkulturellen Verbindungslinien zentral, das sich in den Beziehungen zwischen Dingen und Menschen zeigt. Damit ist sie tatsächlich ein théâtre du monde, eine modellhafte Anordnung der Globalisierung, des transkulturellen Austausches und der Diskursivität, samt den damit verbundenen kulturellen Aneignungsprozessen und Projektionen.
26 Zitat aus einem handschriftlichen Text von Adéagbo in der Installation Créer le monde en faisant des collections, Ulm, Ulmer Museum, 2007. Dt.: „Christoph Weickmann hat seine Kultur, und Christoph Weickmann existiert, um auf andere Kulturen zuzugehen, um ein Urteil abzugeben und zu urteilen über seine eigene Kultur“..! Die Sammlung und die Sammlungen des Christoph Weickmann..! „Die Welt erschaffen, indem man Sammlungen anlegt.“ Die Welt, weil sie viele Gesichter hat und mit vielen Gesichtern ausgestattet ist, zu sagen, dass man die Welt kennt und sich erhebt, um über die Welt zu sprechen, weil man ein Gesicht der Welt annimmt, weil man von den anderen Gesichtern der Welt abrückt, kann man und könnte man sagen, dass man die Welt kennt und sich erhebt, um über die Welt zu sprechen, und sich von der Welt anerkannt zu sehen..? Das Kunstmuseum von Ulm-Stuttgart-Deutschland, und die Sammlung von Stephan und Georges, mit den Sammlungen von Christoph Weickmann (Erschaffen, indem man Sammlungen anlegt)..! [Übersetzung K.S.].
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Die Kunst- und Wunderkammern erfahren gegenwärtig in den Wissenschaften und in zahlreichen Ausstellungen, die sich mit deren Sammelmodellen auseinandersetzen, eine unerwartete Aktualisierung.27 Anke te Heesen und Emma C. Spary vermuten ein „Hauptmotiv für die Attraktivität der Kunstkammer […] in der durch die elektronischen Medien hervorgerufenen Informations- und Bilderflut“28. Diese kann man mit der damaligen Menge an neu gewonnenen Informationen über die Welt durch die Entdeckungsreisen vergleichen. Beide Prozesse waren und sind Schritte hin zu einer vernetzten, globalisierten Welt.29 Welchen Lösungsansatz sie im Konzept der Kunst- und Wunderkammern sehen, fassen Heesen und Spary folgendermaßen zusammen: „Und zweifellos zähmt der Nachvollzug der Kunstkammerprinzipien auch das Chaos der Objekte, die unser heutiges disziplinäres Denken getrennt sieht, zu einer ästhetisch reizvollen und beruhigenden Ordnung der Dinge.“30 Auch das netzartige Gefüge des Internets organisiert scheinbar unvereinbare Datenmengen. Die Möglichkeit zur Herstellung von Querbezügen stellt dabei eine weitere strukturelle Analogie der Kunst- und Wunderkammer mit der multimedialen Gegenwart her. Die Technik des Verlinkens erlaubt vielfache Bezüge von Themen, Begriffen und Bildern untereinander und kann von AnwenderInnen spielerisch genutzt werden. Adéagbos Installationen funktionieren ähnlich einem Hypertext, in dessen nicht-linearer Struktur sich die BesucherInnen beliebig bewegen können. Doch im Gegensatz zum Internet spielen die physische Anwesenheit der Dinge und ihre materialästhetischen und haptischen Qualitäten eine wichtige Rolle. Das Po-
27 Bredekamp hält fest, dass das Interesse an diesem Sammeltypus seit der Publikation des Kunsthistorikers Julius von Schlosser, Die Kunst- und Wunderkammern der Spätrenaissance. Ein Beitrag zur Geschichte des Sammelwesens (1978, 1. Auflage 1908), nicht mehr nachgelassen habe und gerade in den letzten Jahren intensiv untersucht worden sei. Bredekamp 2002, S. 105 (Anm. 13). Vgl. die einschlägigen Ausstellungskataloge: Aus der Kunstkammer Würth 2003; Buberl, Dückershoff (Hg.) 2003; Bredekamp, Brüning, Weber (Hg.) 2000; Weltenharmonie 2000; Wunderkammer des Abendlandes 1994. 28 Heesen, Spary 2001, S. 9. Zur Vergleichbarkeit der Speichersysteme in Kunst- und Wunderkammer und Internet siehe Hemken 2003 und Brakensiek 2006. 29 Jürgen Osterhammel und Niels Petersson beschreiben die Zeit von 1500 bis 1750 als eine frühe Phase der Globalisierung, die vor allem durch die Kolonisation und die damit verbundenen sich ausweitenden transatlantischen Handelsbeziehungen inklusive des Sklavenhandels forciert wurde. Vgl. Osterhammel, Petersson 2003, S. 25ff. 30 Heesen, Spary 2001, S. 9.
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tenzial des Repräsentationssystems und Erkenntnismodells der Kunst und Wunderkammer wie der Installationen Adéagbos liegt in der materiellen Konnektivität der Dinge. Das „Verlinken“ erfolgt nicht digital, sondern die Bezüge können unmittelbarer von den ebenfalls physisch anwesenden BesucherInnen mittels visueller Analogien zwischen den Gegenständen ermittelt werden.
7.2 A RCHIVKUNST – S AMMELN KÜNSTLERISCHE P RAXIS
ALS
Adéagbos Arbeit mit gefundenen Objekten korrespondiert in der internationalen Kunstszene mit einer verbreiteten Spielart der Objektkunst, die man als Archivoder Sammelkunst bezeichnen könnte. Seit der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts machen sich vermehrt KünstlerInnen kulturelle Praxen des Sammelns zu eigen, in denen es nicht in erster Linie um das Einzelobjekt als Ready-made geht, sondern um die Strategie, nach der die Dinge selektiert, zusammengestellt, systematisiert oder bewahrt werden.31 Der Gestus der Akkumulation von Dingen kann „in affirmativer oder kritischer Reaktion auf die Warenlager und Müllberge der Konsumgesellschaft“32, auf alltagskulturellen Trash und Massenmedien verstanden werden, wie beispielsweise in der Pop Art der 1960er Jahre oder bei jüngeren KünstlerInnen wie Jason Rhoades oder Jonathan Meese. Anders als deren oftmals schrille, spektakuläre und theatralisch inszenierte Installationen kam in den 1970er Jahren eine eher ‚leise‘ Kunst des Sammelns auf, die unter dem Stichwort „Spurensicherung“ gefasst wurde.33 KünstlerInnen wie Nikolaus Lang, Christian Boltanski, Annette Messager und Sigrid Sigurdsson widmeten sich persönlichen und randständigen Geschichten sowie realen oder fiktiven Biografien und rekurrierten auf die Dialektik von Erinnern und Vergessen.34 Wegen ihrer Anleihen an wissenschaftliche Methoden werden sie als Feldforscher, Ethnologen und Archäologen bezeichnet.35 Wenn die KünstlerInnen sich auf ihre
31 Folgende Publikationen geben einen Überblick über das Sammeln als künstlerische Praxis und behandeln zahlreiche Beispiele: Bismarck, Feldmann, Obrist u.a. (Hg.) 2002; Putnam 2001; Fehr (Hg.) 1998; Schaffner, Winzen (Hg.) 1997. 32 Vitali, Schuster, Wiese 1997, S. 7. 33 Vgl. Vitali, Schuster, Wiese 1997, S. 7f. ; Spurensicherung 1974; Kämpf-Jansen 2000. 34 Zum Thema Vergessen und Erinnern in der zeitgenössischen Kunst vgl. Wettengl (Hg.) 2000; Hemken (Hg.) 1996; Kunstforum International, Bd. 127 und 128, 1994, Schwerpunkt „Kunst und Erinnerung“. 35 Vgl. Schiff 2003; Metken 1974; Foster 1995.
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eigene Biografie und Dingwelt konzentrieren, wird das Sammeln zur Selbstarchivierung, als deren Beispiele Andy Warhols berühmte Time Capsules (19741987) oder Dieter Roths Flacher Abfall (1975-76/1992) und Große Tischruine (1970-1998, Abb. 76) gelten können. Letztere Arbeit ist durch das Festkleben von Roths Arbeitsmaterialien und Alltagsgegenständen auf seinem Arbeitstisch entstanden, ein Konglomerat des künstlerischen Ateliers. Institutions- und wissenschaftskritische Haltungen werden oft im Nachahmen oder Konterkarieren des musealen oder wissenschaftlichen Sammelns deutlich. Abbildung 76: Dieter Roth: Große Tischruine (Detail), 1978-1998
Marc Dion beispielsweise eignet sich Verfahren der Naturwissenschaften an und stellt deren Kriterien sowie Repräsentationstechniken und die damit produzierte Vorstellung von ‚Natur‘ infrage.36 Der Künstler Fred Wilson hat in seiner Arbeit Mining the Museum (1992) die Sammlung der Contemporary and Maryland Historical Society in Baltimore reinstalliert, um auf die dort unterdrückte Geschichte der afroamerikanischen Bevölkerung hinzuweisen.37 Er ergänzte etwa eine Vitrine mit Silbergeschirr um ein Paar zuvor nicht ausgestellter Sklavenfesseln aus
36 Baur, Berg (Hg.) 2003. 37 Berger (Hg.) 2001; Corrin (Hg.) 1994.
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dem Depot der Institution (Metalwork 1793-1880, Abb. 77), um auf den Zusammenhang von materiellem Reichtum und der Ausbeutung anderer durch Zwangsarbeit hinzuweisen. Abbildung 77: Fred Wilson: Metalwork 1793-1880, Detail aus: Mining the Museum: An Installation by Fred Wilson, Baltimore 1992-1993
Hal Foster konstatierte 2004 in der Zeitschrift October eine erneute Konjunktur des Sammelns in der Gegenwartskunst, die er mit „Archival Impuls“ betitelte.38 Zwar sei Archivkunst nicht neu, so Foster, „yet an archival impuls with a distinctive character of its own is again pervasive – enough so to be considered a tendency on its own right […].“39 Im Gegensatz zum Kanon-Begriff, der auf Exklusion beruht und eine Bewertung des Überlieferten enthält, impliziert der ArchivBegriff eine Neutralität, die nichts ausschließt oder wertet. ArchivkünstlerInnen, so Foster, seien bemüht, historische Informationen, die oft verloren, verschoben oder verdrängt seien, physisch präsent zu machen. Im Archiv werden Dinge aufbewahrt, deren Materialität als Medium der Informationsspeicherung eine historisch spezifische Situierung ermöglicht. Deshalb eignen sich diese KünstlerInnen nicht das Internet als Megaarchiv an, sondern arbeiten häufig mit einer überbordenden renitenten Materialität, deren kritisches Potenzial sie sich zu eigen ma-
38 Foster bespricht beispielhaft drei KünstlerInnen: Thomas Hirschhorn, Sam Durant und Tacita Dean. Foster 2004. 39 Foster 2004, S. 3.
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chen.40 Zu diesem Zweck arbeiten sie meist mit gefundenen Bildern, Objekten und Texten und bevorzugen das Format der Installation, deren nichthierarchische Räumlichkeit sie zum Vorteil nutzen. Foster betont dabei den „will to relate“, „to connect what cannot be connected“.41 Derart können verschiedene Zeichen von Geschichte zusammengetragen und miteinander verglichen werden, um zu ermitteln, was für die Gegenwart Bestand haben kann. Abbildung 78: Jonathan Meese: Ahoi de Angst, New York 1999
Auch Adéagbo sammelt Zeichen von Geschichten und Kulturen in einer Art Archiv und arrangiert sie zu Installationen, in denen die Dinge zueinander in Beziehung gesetzt sind. Ästhetisch betrachtet stehen seine Arbeiten zwischen den
40 Foster 2004, S. 4f. 41 Foster 2004, S. 21. Ich distanziere mich von Fosters psychologisierendem Ansatz, den er am Ende des Aufsatzes darlegt. Hier verbindet er Sammeln mit Paranoia und konstatiert: „This work does invite psychoanalytical projections. It can also appear manic […] als well as childish.“
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chaotisch wuchernden und oft steril wirkenden Arbeiten der ‚Spurensucher‘. Die schrillen Arbeiten von Jonathan Meese beispielsweise fokussieren oft Pornografie und Ekel und überschreiten bewusst die Grenzen von Intimität (Abb. 78).42 Im Unterschied zu Meese sind Adéagbos Arbeiten nicht auf Schock und Provokation angelegt; sie wirken eher gewissenhaft arrangiert und diszipliniert. Adéagbo betont auch nicht ironisch den Trash-Charakter von objets trouvés, wie Thomas Hirschhorn es durch die Verwendung von Klebeband und Pappe erreicht (Abb. 79). Adéagbos Arbeiten inszenieren nicht Nachlässigkeit, sondern haben etwas ausgeprägt Sorgfältiges. Trotzdem stehen sie auch nicht jenen Arbeiten näher, die die Ästhetik von Archiven zitieren, indem sie beispielsweise Zettelkästen, Ordner oder Regale benutzen. Adéagbo rekurriert formal nicht auf Institutionen der Aufbewahrung, sondern hat eine eigene Präsentationsästhetik entwickelt, die von den visuellen Kulturen Westafrikas geprägt ist. Seine Arbeiten wirken unmittelbarer und für die BetrachterInnen zugänglicher, weil alle Dinge gleichermaßen sichtbar ausgebreitet sind – mit Ausnahme der boîtes, die den Charakter von Objektkästen haben und die Unmittelbarkeit durch die trennende und konservierende Plexiglasscheibe zurücknehmen. Die größten Parallelen weist Adéagbos Präsentationsform zu der des Künstlers Karsten Bott auf, dessen Arbeiten eine starke Flohmarkt-Ästhetik besitzen. Bott gründete 1988 das Archiv für Gegenwarts-Geschichte, aus dem unter anderem seine Arbeit Von Jedem Eins (1993) hervorging (Abb. 80). Er sammelt alles, was unseren Alltag bestimmt. So werden Tausende von Konsumartikeln, Gegenstände des täglichen Bedarfs, Drucksachen usw. archiviert und katalogisiert. Botts Objekte breiten sich wie ein Teppich aus, „wie eine in die Horizontale gezwungene Welt“,43 die in der ordentlichen Anordnung auf dem Boden an Adéagbos Installationen erinnern, besonders an jene in Cotonou. Zwar sind auch bei Bott assoziative Geschichten aus den Dingen heraus angelegt,44 doch sortiert er Gleiches zu Gleichem und arrangiert systematischer, wodurch nicht das Vergleichen der Gegenstände über Gruppenzugehörigkeiten hinaus im Vordergrund steht. Adéagbo dagegen forciert in seinen Zusammenstellungen die Aufhebung von Kategorien, besonders geografisch und kulturell strukturierter, wohingegen bei Bott kulturelle Differenz keine Rolle spielt.
42 Vgl. Ahrens, Haenlein (Hg.) 2002. 43 Schwärzler 1993, S. 130. 44 Vgl. Reepen 1999.
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Abbildung 79: Thomas Hirschhorn: Ingeborg Bachmann Altar, Berlin 2006 Abbildung 80: Karsten Bott: Von Jedem Eins, München 1997
Konzeptuell kann man Adéagbos fast schon ethnografisches Interesse an der materiellen Kultur in die Nähe der Spurensicherung rücken. Einer Selbstarchivierung entspricht seine Arbeit, wo er persönliche Dinge einbindet, wie private Fotografien oder die selbst geschriebenen Texte mit oftmals tagebuchähnlichem Charakter.
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Gegenüber den europäischen Beispielen ist Adéagbos transkulturelle Perspektivierung des Sammelns eine Neuerung. Seine Assemblagen gleichen einem Mnemosyneatlas45 der Globalisierung, der aktuelle und vergangene Beziehungen zwischen den Kulturen thematisiert. Sein eigenständiges System der Zusammenstellung und ästhetischen Kombination von kulturell diversen Gegenständen hebt ihn von anderen ArchivkünstlerInnen ab. Fred Wilson betont zwar kulturelle Differenz und kritisiert deren Nichtbeachtung in US-amerikanischen Sammlungen aus einer postkolonialen Perspektive, doch sein antirassistischer Ansatz bewegt sich innerhalb der bereits vorhandenen (musealen) Strukturen und Präsentationsmodi. Diese problematisiert er zwar, kann ihnen jedoch nicht recht entkommen, während Adéagbo sein eigenes Sammel- und damit Wissensmodell etabliert, dem es im Folgenden weiter nachzugehen gilt.
7.3 L A COLONISATION B ELGE EN A FRIQUE NOIR – S AMMELN ALS M ODELL VON G ESCHICHTE UND G EDÄCHTNIS Georges Adéagbos Installationen sind im Hinblick auf europäische Sammeltraditionen zweifach bedeutungsvoll. Erstens nimmt er auf konkrete Sammlungen Bezug, wie in Créer le monde en faisant des collections (Ulm, 2007, Abb. 74) oder in der Installation La colonisation Belge en Afrique noir (Brüssel, 2000/2005, Abb. 81). Zweitens wirft sein künstlerisches Verfahren grundlegende Fragen hinsichtlich europäischer Sammelmethoden und ihrer Wissensorganisation auf. Adéagbo setzt sich sammelnd mit Geschichten des Kolonialismus, der Entdeckung, der Kunst, des afrikanischen Sozialismus usw. auseinander.46 In
45 Aby Warburgs Mnemosyneatlas, auf den ich hier rekurriere, lässt sich als eine Sammlung von unterschiedlichstem Bildmaterial, dessen Zusammenstellung v.a. visuellen Analogien bzw. Ausdrucksformen folgt, sehr gut mit Adéagbos Installationen vergleichen, auch wenn dieser nicht nur Bilder, sondern auch dreidimensionale Dinge integriert. Auch das Verständnis des Warburg’schen Bilderatlas als work in progress kommt Adéagbos Arbeitsweise des ständigen Umsortierens nahe. Der Mnemosyneatlas ist konzeptuell insofern verschieden von Adéagbos Sammlung, als dass Warburg auf der Suche nach dem „Nachleben der Antike“ von einem Ursprungsideal ausgeht. Adéagbos Modell dagegen ist nicht idealistisch oder ursprungsmythologisch. Zu Warburgs Bilderatlas siehe Warburg 1998 und Koos (Hg.) 1994. 46 Siehe die Liste der Installationen Adéagbos im Anhang, aus deren Titeln sich die thematischen Ausrichtungen ablesen lassen.
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Museen ausgestellt, sind diese Kunstwerke Sammlungen in Sammlungen, die die institutionalisierte mit einer individuellen und künstlerischen Kollektion konfrontieren und auf diese Weise die im Museum repräsentierten Vorstellungen von Geschichte (der Kunst, einer Nation usw.) hinterfragen.47 Es ist daher naheliegend, neben den Themen auch seine Verfahrensweise auf ihre Konzeptualisierung von Geschichte hin zu untersuchen. Ich möchte im Folgenden aufzeigen, auf welche Weise er innerhalb der Installation La colonisation Belge en Afrique noir die Geschichte Belgiens und des Kongos aufgreift und dabei mit ästhetischen Mitteln ein Verständnis von Historizität demonstriert, das einer Ordnung der chronologischen Abfolge und der Singularisierung von Geschichte entgegensteht. Abbildung 81: Georges Adéagbo: La Colonisation Belge en Afrique noir (Teilansicht), Brüssel 2005
Adéagbos Installation La colonisation Belge en Afrique noir entstand im Jahr 2000 für eine Ausstellung in der Banque Bruxelles Lambert (BBL) in Brüssel. Thematisch behandelt sie die belgische Kolonisierung des Kongos. Anlässlich
47 „[…] these private archives do question public ones: they can be seen as perverse orders that aim to disturb the symbolic order at large.“ Foster 2004, S. 21.
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der Ausstellung La Belgique Visionnaire (2005) im Brüsseler Palais des BeauxArts wurde die Arbeit von Adéagbo modifiziert und erweitert (Abb. 81). Im Zuge der Überarbeitung integrierte er Objekte aus dem Musée Royal de l’Afrique Central in Tervuren in die Installation. Die Exponate, die für die Dauer der Ausstellung aus Tervuren ausgeliehen wurden, waren ein großes Leopardenfell, eine kleinere ausgestopfte Raubkatze und diverse Knochen. Alle Objekte waren im Kontext der belgischen Kolonialherrschaft aus dem Kongo ‚importiert‘ und in das 1898 eigens dafür eingerichtete Museum verbracht worden. Dort dienten sie der Konstruktion des belgischen Bildes der Kolonie sowie der Legitimierung und Manifestierung des Herrschaftsanspruches König Leopolds II. Die ausgestellten Tiere sollten die vermeintliche Wildheit des Kontinentes und damit auch die der Bevölkerung belegen, deren Bezwingung durch die Kolonisatoren die ausgestopften Tierkörper symbolisierten. In seiner Installation legte Adéagbo neben den Leoparden, dessen Gefährlichkeit höchstens noch durch die gebleckten Zähne zu erahnen ist, ein Horrorvideo, auf dessen Cover eine Frau mit angstverzerrtem Gesicht den Mund ebenso weit aufreißt wie der ausgestopfte Tierkopf (Abb. 82). Abbildung 82: Georges Adéagbo: La Colonisation Belge en Afrique noir (Detail), Brüssel 2005
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Die Gegenüberstellung von Leopardenfell und filmischer Fiktion hebt in der überzeichneten Mimik der Schauspielerin den theatralischen und inszenierten Charakter der musealen Präsentation ausgestopfter Tiere hervor, deren Absurdität durch das Trash-Movie einen fast schon komischen Effekt erhält. In der Installation sah man außerdem Fotografien, die Adéagbo im Depot des Museums in Tervuren bei der Auswahl der Exponate für seine Installation zeigten. Mit diesen Bildern deutet er auf die Selektivität von Sammlungen hin, denn der Ort des Depots verweist hier in dreifacher Hinsicht auf die subjektive Auswahl von Objekten: Die Präferenzen der Kolonisatoren bei ihren Raubzügen in den Kolonien, auf die der Kern des Museumsbestandes zurückgeht, die Selektion der KustodInnen, die entscheiden, welche Stücke in den Ausstellungsräumen präsentiert werden und welche im Lager verbleiben, und schließlich die Wahl des Künstlers, die er für seine Installation trifft. Mit seiner Porträtierung auf den Fotografien macht Adéagbo selbstreferenziell seine eigene Person zu einem Gegenstand der künstlerischen Untersuchung und markiert seinen Blick auf die Dinge. Gleichzeitig werden die Mechanismen von Inklusion und Exklusion ebenso offengelegt wie die Willkür in der Erstellung von musealen Präsentationen generell. Auf diese Weise zeigt Adéagbo den selektiven Charakter von Sammlungen und damit von Geschichte, die trotz ihrer Faktizität ein fiktives Konstrukt ist. Er ‚korrigiert‘ mit seinen Installationen jedoch nicht die Geschichte, sondern demonstriert das partikulare Verfahren, mit dem sie konstruiert wird.48 Die Vielzahl und Heterogenität der integrierten Dinge steht für eine simultane Pluralität der Perspektiven. Ich lese seine Installationen als ein alternatives Modell von Geschichtsschreibung, das nicht chronologisch oder linear vorgeht, sondern die Gleichzeitigkeit von Geschichten betont. Es steht damit im Gegensatz zu der in Europa seit dem 18. Jahrhundert dominierenden Geschichtsauffassung. Seitdem wurde nämlich eine Singularisierung von Geschichte verfolgt, die der Mehrheit von Geschichten, wie sie sich in Europa seit der Renaissance (z.B. als Herkunftsgeschichten unterschiedlicher Gesellschaftsgruppen) ausgebildet hatte, entgegenlief.49 Diese universale und eurozentristische Geschichte wurde zur gleichen Zeit als lineare Abfolge konzipiert, und nicht wie zuvor als „eine flächige Beschreibung des Bestehenden“50. Diese Geschichtsphilosophie hatte auch
48 Vgl. dazu Eiblmayr 2001. 49 Vgl. Assmann 1999, S. 48. 50 Bredekamp 2002, S. 16. Erst Immanuel Kant differenzierte zwischen Naturbeschreibung und Naturgeschichte. Bredekamps These ist, dass die Historisierung der Natur bereits vor Kants Theorie in den Kunst- und Wunderkammern auf einer visuellen Ba-
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Auswirkungen auf die Sammeltraditionen: In Museen wurden die Bestände temporalisiert, sodass sich im 19. Jahrhundert chronologische Sammlungsideale und Ordnungssysteme durchgesetzt hatten.51 „Was bisher ins Nebeneinander gestellt worden war, sollte nun im Nacheinander chronologischer Sequenzen und Fortschrittsmodelle interpretiert werden.“52 Die evolutionistische Chronologie ging Hand in Hand mit der Konstruktion einer universalen Geschichte, denn sie ordnete beispielsweise andere Kulturen und ihre Geschichten nicht als parallele, sondern als frühere, ‚weniger zivilisierte‘ Stadien in die Fortschrittsgeschichte ein. „Der abstrakten Synthese einer Geschichte im Singular stehen heute die vielen unterschiedlichen und z.T. einander widerstreitenden Gedächtnisse gegenüber, die ihr Recht auf gesellschaftliche Anerkennung geltend machen.“53 Inzwischen hat sich gezeigt, dass die Geschichtsschreibung bewussten und unbewussten Exklusionsmechanismen unterliegt, aus denen sich Wertungen und hegemoniale Haltungen ablesen lassen.54 Seit einigen Jahren gibt es unter europäischen und vor allem angloamerikanischen HistorikerInnen Bestrebungen, die eurozentrische Perspektive in sogenannten ‚Globalisierungsgeschichten‘ zu überwinden, die verstärkt die Rolle außereuropäischer Gesellschaften einbeziehen.55 Dabei werden die vielfachen Verflechtungen und Austauschprozesse zwischen kulturellen Räumen, wenngleich hierarchisch strukturiert, als entangled histories hervorgehoben.56 Dieser Ansatz geht mit Adéagbos Denkmodell einher; in seinen Sammlungen setzt er die Komplexität eines historischen Netzwerkes von transkulturellen Beziehungen ästhetisch um. Doch in welchem Zusammenhang stehen Geschichte und Sammlungen? Die Konstruktion von Geschichte ist eng mit der Praxis des Sammelns und deren Institutionalisierung verknüpft.
sis ermittelt worden war. Bredekamp 2002, S. 17. Damit macht er einmal mehr deutlich, wie eng Sammeltraditionen mit Geschichtsmodellen verknüpft sind. 51 Macho 2000, S. 68ff. 52 Macho 2000, S. 74 [Herv. i.O.]. 53 Assmann 1999, S. 15f. 54 Vgl. Burke 1996, S. 92f. 55 Ein Beispiel dafür ist Christopher Baylys Auseinandersetzung mit dem 19. Jahrhundert in Die Geburt der modernen Welt (Frankfurt, New York 2006). Der Autor kritisiert die Überbewertung der industriellen Revolution für die Weltwirtschaft und betont die Rollen Indiens und Chinas. 56 Conrad, Randeria 2002. Zur veränderten Berücksichtigung der Geschichte Afrikas in den angloamerikanischen Geschichtswissenschaften siehe Feiermann 2002.
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„Musealisierung und Geschichte sind zwei Modi der Vergangenheitsvergegenwärtigung, die in engem Zusammenhang stehen und in komplexer Weise aufeinander bezogen sind. So setzt die Musealisierung der Vergangenheit ein entwickeltes historisches Bewusstsein voraus, während die Geschichte einen gewissen Grad an Konservierung der Vergangenheit benötigt, um zu plausiblen und anschaulichen Deutungen zu kommen.“57
Sammlungen erfüllen „als Anhäufung von Objekten die Kriterien einer materialen Geschichtsschreibung“58, wobei die Exponate den Charakter von Zeugnissen oder Indizien haben. Doch deren scheinbar faktische, objektive Repräsentation unterliegt der subjektiven Auswahl der EntscheidungsträgerInnen und ist maßgeblich von deren kultureller Praxis geprägt. In vielen europäischen Museen allerdings vermisst man die Reflexion über die eigene Perspektivität und eine kritische Geschichtsrelativierung, die anderen Kulturen Geschichten zugesteht, die mit der ‚eigenen‘ verstrickt oder möglicherweise konträr zu der europäischen Perspektive sind. Dies betrifft auch die Beziehung von Kunst und ihrer Geschichte, die eng mit Verfahren des Sammelns, deren Institutionalisierung und ‚Verwissenschaftlichung‘ verbunden ist. Schmidt-Linsenhoff schreibt vom „Ausbleiben einer institutionellen Selbstreflexion des ‚kolonialen Unbewussten‘ der Museen, deren Klassifikationssysteme und Präsentationsstile von außereuropäischer Stammes- und europäisch-nordamerikanischer Hochkunst bis heute den hegemonialen Anspruch des Westens popularisieren“.59
Damit wird in den Museen auch weiterhin ein einseitig universalistisch ausgerichtetes Geschichtsmodell propagiert. Im Gegensatz dazu betonen Adéagbos Arbeiten die gleichzeitige Existenz kulturell verschiedener Geschichten und relativieren die hegemoniale europäische Geschichtskonstruktion. Die Objekte aus verschiedenen Epochen und Kulturen werden nebeneinander und miteinander verstrickt (entangled) präsentiert. Das Konzept von Geschichte, das Adéagbo durch seine Sammeltätigkeit und künstlerische Praxis vertritt, ist pluralistisch, höchst subjektiv und lässt unterschiedliche, parallele Stränge zu, die jedoch stets zueinander in Beziehung gesetzt sind. Er stellt nicht schematisch die ‚europäische‘ einer ‚afrikanischen‘ Geschichte gegenüber, sondern betont die Transfer- und Austauschprozesse, die sich nicht als chronologische, lineare Abfolge fassen lassen. Nicht das Nachei-
57 Borsdorf, Grütter, Rüsen 2004, S. 7f. 58 Jardine 2001, S. 203. 59 Schmidt-Linsenhoff 2002, S. 9.
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nander, sondern die Koexistenz dominiert, wobei die Zusammenhänge durch die vielen Anknüpfungspunkte multikausal erscheinen. Damit realisiert Adéagbo ein vorbildhaftes Modell für Geschichtsschreibung, das Fragmente der Vergangenheit im Geiste des freien Spiels und Assoziierens zusammenbringt, ohne sie in fixierte Kategorien zu pressen. Die Offenheit der Installation gibt dabei keine bestimmte Leserichtung vor, sondern funktioniert subjektiv und unhierarchisch. Die lineare Abfolge einer Geschichte, der sich Adéagbos konzeptueller Ansatz verweigert, unterliegt einer Vorstellung von Zeit als „Ordnung der Aufeinanderfolge“60. Bruno Latour ist der Meinung, dass diese Auffassung von Zeit nicht mehr vertretbar sei, und schreibt von einem Paradigmenwechsel der Zeitvorstellung.61 Es sei ein Wechsel von der „Zeit der Zeit“ (als Aufeinanderfolge) zur „Zeit der Gleichzeitigkeit“ nötig.62 Demnach sind Adjektive wie archaisch, irrational oder rückwärtsgewandt nicht mehr legitim. Verbreitete lineare Entwicklungsvorstellungen und Fortschrittsgeschichten, die von dem entwickelten ‚Westen‘ und dem (noch) nicht entwickelten ‚Süden‘ („Entwicklungsländer“) ausgehen, wären damit ebenfalls obsolet. „Anscheinend akzeptiert nichts es mehr, einfach nur in der Vergangenheit beheimatet zu sein […]. Zeit, die vormalige Zeit umwälzender Ersetzungen, scheint plötzlich zu etwas geworden, auf das weder die Linke noch die Rechte ganz vorbereitet gewesen zu sein scheinen: eine monströse Zeit, die Zeit des Zusammenlebens. Auf einmal ist alles kontemporär. […] Die revolutionäre Zeit, der große Vereinfacher, ist ersetzt worden durch die Zeit des Zusammenlebens, die alles kompliziert macht. Anders gesagt, der Raum hat die Zeit als prinzipielles Ordnungsprinzip abgelöst.“63
Das Stichwort ‚kontemporär‘ lässt sich an die Geschichte der Rezeption von Kunst aus Afrika in Europa rückbinden: Innerhalb des europäischen Kunstdiskurses wurde dem afrikanischen Kontinent lange Zeit die Zeitgenossenschaft und die Produktion von zeitgenössischer Kunst abgesprochen. Es wurden nur vermeintlich ‚archaische‘ oder ‚traditionelle‘ Artefakte gesammelt. Afrikanischen Kulturen wurde keine Kunstgeschichte zugestanden, wie generell ihre ‚Geschichtlichkeit‘ negiert wurde. Konzepte von Kunst und Kulturen entwickeln sich jedoch nicht linear („Zeit der Zeit“), sondern existieren gleichzeitig („Zeit der Gleichzeitigkeit“). Sobald man nicht nur den zentral-europäischen Raum mit
60 Latour 2005, S. 74. 61 Latour 2005. 62 Latour 2005, S. 74. 63 Latour 2005, S. 74f. [Herv. i.O.].
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einbezieht, sondern auch die vielen anderen Räume, kann von einer Geschichte nicht mehr die Rede sein. Die von Latour postulierte Wende hat Adéagbo in seinen Installationen vollzogen. Er präsentiert diese Vielstimmigkeit von parallelen Geschichten, die sich jedoch nicht durch ihre Zeitlichkeit auszeichnen, da in seinen Installationen die Zeit als Ordnungsprinzip keine Rolle spielt. Alle versammelten Dinge und Kulturen erscheinen gleichermaßen zeitgenössisch. Historische Ereignisse und Aspekte sind im Netz der Installation stets an das Hier und Jetzt angebunden und durch den Modus der Erinnerung in der Gegenwart präsent und aktualisiert. Damit stellt Adéagbos Praxis des Sammelns als Wissensorganisation nicht nur ein Modell von Geschichte, sondern auch von Gedächtnis dar. Geschichte und Gedächtnis sind nur schwer von einander zu trennen. Sammeln und Ausstellen als Formen der Überlieferung und der Wissensvermittlung bestimmen nicht nur wesentlich das Geschichtsbild, sondern auch die Gedächtniskonstitution. Private wie kollektive oder nationale Sammeltraditionen dienen der Herstellung von Identitäten, deren Schlüssel in der Vergangenheit liegt.64 Da Sammeln ein Auswahlverfahren ist, geht es immer auch um Abgrenzungsprozesse und somit um die Konstruktion von Identität und Differenz. Für die Bildung von Identitäten ist die aktive Erinnerung von Geschichte oder Wissen zentral. Damit wird Sammeln zur Gedächtnispolitik und zur Machtfrage. Wer das Wissen verwaltet, kann bestimmen, was erinnert werden darf und was nicht.65 Wie Adéagbo die hegemoniale Gedächtnispolitik stört, zeigt das Beispiel der Installation La colonisation Belge en Afrique noir (Abb. 81). Ihre Integration in die Ausstellung La Belgique Visionnaire erhält eine gesteigerte Bedeutung, wenn man bedenkt, in welchem Rahmen die Ausstellung initiiert wurde: Sie war Teil der Feierlichkeiten zum 175. Geburtstag des belgischen Staates und damit der Ausbildung und Stabilisierung einer nationalen Identität. In dem Programm zum Jubiläum, das sonst die rühmlichen Errungenschaften des Landes hervorhob, erinnerte Adéagbos Arbeit an die koloniale Vergangenheit in der Geschichte Belgiens und besetzte damit die kritische Position eines Perspektivwechsels. Die belgischen Kolonialbestrebungen sind eng mit der Person Leopolds II. (1835-1909) verknüpft. Dieser beutete den sogenannten „Kongo-Freistaat“, den
64 Ellwanger 2005, S. 8. 65 In der Geschichte der Beziehungen zwischen Afrika und Europa ist das vor allem deshalb relevant, weil die ‚Geschichten Afrikas‘, beispielsweise die der Kunst, hauptsächlich in Europa gesammelt werden. Europäische Museen besitzen die Kunstschätze Afrikas, denen eine Selbstrepräsentation damit verwehrt bleibt, weil ihre Artefakte brutal entwendet wurden.
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er 1885 zu seinem Privatbesitz erklärt hatte, grausam aus. Der Export von Elfenbein und vor allem Kautschuk wurde erst durch die systematische Zwangsarbeit der einheimischen Bevölkerung ermöglicht (sog. „Kongogräuel“). Berichte über die Ausbeutung sowie Fotografien von KongolesInnen mit abgehackten Händen kursierten bald in Europa. Im Jahr 1908 wurde der nationale und internationale Druck auf Leopold so groß, dass er seine Kolonie an den belgischen Staat verkaufte.66 Trotz des Wissens um die koloniale Vergangenheit wird der Kolonisator in Brüssel heute noch mit einem Denkmal öffentlich gewürdigt, was vor allem für Menschen aus den ehemaligen Kolonien unverständlich und provozierend sein muss. Adéagbo verwendete eine Fotografie des Reiterstandbildes Leopolds II. als Vorlage für eine kleine Bronzearbeit, die er bei einem Handwerker in Benin in Auftrag gab und innerhalb der Installation zeigte (Abb. 83). Abbildung 83: Georges Adéagbo: La Colonisation Belge en Afrique noir (Detail), Brüssel 2005
66 Hochschild 2000.
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Eine weitere auf die koloniale Vergangenheit der Stadt Brüssel verweisende Auftragsarbeit war eine Holzskulptur nach einer Büste von Baron Léon Lambert (Abb. 84). Lambert war der Gründer der Banque Bruxelles Lambert, in der die Abbildung 84: Georges Adéagbo: La Colonisation Belge en Afrique noir (Detail), Brüssel 2000
Installation im Jahr 2000 zu sehen war. Mit dem Buchtitel Congo, der sich unterhalb der Plastik auf einem afrikanischen Holzsitz befindet, verweist Adéagbo auf eine weitere Verbindungslinie: Lambert finanzierte teilweise Leopolds kolonialistische Ambitionen im Kongo und ist damit ebenfalls Bestandteil der Kolonialgeschichte.67 Die beiden Löwen links und rechts des Holzsitzes rekurrieren auf das Wappen von Brüssel sowie auf Skulpturen im Stadtraum und werden von Adéagbo hier mit Afrika und der Kolonialpolitik assoziiert. Darüber hinaus lässt sich das Wort Löwe (im Französischen lion) in einer typischen Adéagbo’schen Assoziationskette mit dem Vornamen Lamberts – Léon – sowie
67 Vgl. Köhler 2007a, S. 656f.
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mit dem Namen Leopold in Verbindung bringen. Über ein Jahrhundert nachdem die Bank aktiv an der Kolonisierung des Kongo beteiligt war, finanzierte sie das Ausstellungsprojekt, zu dem Harald Szeemann Adéagbo einlud.68 Dieser setzt sich mit seiner historisierenden und postkolonialen Perspektive kritisch mit der BBL und deren Gründer auseinander und stellte die Institution in den größeren Zusammenhang der belgischen Kolonialgeschichte, deren kompliziertes Beziehungsgeflecht Adéagbo mit den Objekten nachzeichnet. Adéagbo erinnert in dieser Arbeit auch an die Kongolesische Unabhängigkeitsbewegung von 1959/60 und fokussiert deren wichtigste Figur Patrice Lumumba. Er wurde der erste Ministerpräsident des unabhängigen Kongo und gesamtafrikanischer Hoffnungsträger, der den Imperialismus vehement anprangerte. Adéagbo stellt in der Installation die Frage, warum die genauen Umstände seiner Ermordung 1961 bis heute nicht aufgeklärt sind. Auch die Missionierung im Zuge der Kolonialverwaltung thematisiert er in Gemälden ebenso wie infrastrukturelle Eingriffe im Kongo, z.B. den Bau einer Brücke und der Eisenbahn. Stets werden alle diese Themen von einer Vielzahl sowohl afrikanischer als auch europäischer Bücher, Zeitungen und Tonträger flankiert, die insgesamt eine Vielstimmigkeit der Perspektiven ergeben, die niemals belehrend wirkt. Die europäische Geschichte und Perspektive wird durch die afrikanische relativiert, ohne dass jedoch eine der beiden in Adéagbos System als favorisierte zu erkennen wäre. Selbst der Gründer der Bank oder der grausame Kolonialherr wirken innerhalb der Installation nicht abgewertet – höchstens ihrer Monumentalität beraubt, wie in der Miniaturausgabe des Reiterdenkmals –, aber die in Europa meist ausgeblendete Perspektive der ‚Anderen‘ wird in Form von Objekten und Adéagbos Person als Autor eingeführt. Adéagbos Sammeltätigkeit kann auch im Kontext von Wissen und Erinnerungsaktivierung analysiert werden, denn Sammeln und Geschichte unterliegen der Logik von Erinnern und Vergessen. Sammeln als kulturelle Praxis besteht nicht nur in der Wissensproduktion, sondern beinhaltet gleichzeitig eine Form der Organisation von Gedächtnis.69 Was wird gesammelt, ausgestellt und damit erinnert? Was wird nicht gezeigt und gerät damit in Vergessenheit?
68 ForwArt 2000. Für die Ausstellung luden sechs KuratorInnen jeweils eine/n KünstlerIn ein. 69 Assmann 1999, S. 19: „Beide, Individuen und Kulturen, organisieren ihr Gedächtnis mit Hilfe externer Speichermedien und kultureller Praktiken“, zu denen man auch das Sammeln zählen kann.
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„Der Ursprung der Geschichte liegt nicht in der (kriegerischen) Tat, wie die politische Geschichte glaubte, nicht in der Arbeit, wie die Sozialgeschichte lehrte, sondern im Gedächtnis. Und was sie in Gang hält, sind nicht die Kriege und nicht die Geschäfte, sondern die Überlieferung.“70
Dieser Gleichsetzung von Geschichte und Gedächtnis stehen Konzepte entgegen, die Geschichte und Gedächtnis als grundsätzliche Opposition verstehen, wie es die Schriften von Friedrich Nietzsche, Maurice Halbwachs und Pierre Nora vertreten. Dabei treten Verkörperung und Entkörperung als Leitdifferenzen auf, das heißt, Gedächtnis wird Individuen bzw. Körpern zugerechnet, Geschichte jedoch wird als identitätsneutral und niemandem (oder allen) zugehörig verstanden.71 Ich schließe mich im Folgenden dem Konzept von Gedächtnis an, das Aleida Assmann entwickelt hat: Sie schlägt einen Mittelweg vor, der Gedächtnis und Geschichte weder polarisiert noch gleichsetzt. Assmann beschreibt Gedächtnis als zwei Modi von Erinnerung, von denen eines, das sogenannte Funktionsgedächtnis, der ‚verkörperten‘ Vorstellung entspricht, und das andere, das sie Speichergedächtnis nennt, die ‚entkörperte‘ Variante meint.72 Während das Funktionsgedächtnis an ein Subjekt (ein Individuum oder eine Gruppe im Sinne eines Handlungssubjektes) geknüpft ist, stellt das Speichergedächtnis ein „Gedächtnis zweiter Ordnung“ dar, das unbewohnt und damit latent oder verborgen ist (aber nicht vergessen). Das Speichergedächtnis fungiert als „Hintergrund“ des Funktionsgedächtnisses, aus dem es sich speisen kann.73 Beide Modi stehen im Austausch und bergen das Potenzial zu Stabilisierungen oder Veränderungen. Sammeltätigkeiten sind insofern für Gedächtniskonstitutionen relevant, als sie vor allem das Speichergedächtnis speisen. Das Sammeln und Aufbewahren von Dingen, Dokumenten und Daten macht eine Speicherung von Informationen möglich, die wieder an Funktionsgedächtnisse angeknüpft werden und damit in immer anderen Konstellationen ‚Sinn machen‘ können. Adéagbos Sammlungen fungieren in diesem Modell als Speichergedächtnis. Für die kulturellen Gedächtnisse des jeweiligen Ausstellungsortes kann es als Erweiterung des vorherrschenden, kanonischen Funktionsgedächtnisses dienen, denn er speist Objekte aus anderen Kulturen, vor allem Westafrika, ein, die zuvor eventuell nicht für das lokale kulturelle Wissen zur Verfügung standen. Außerdem lanciert er Themen, die – wie im Beispiel der Ausstellung zum 175. Jah-
70 Raulff 1999, S. 7. 71 Vgl. Assmann 1999, S. 132f. 72 Assmann 1999, S. 133ff. 73 Assmann 1999, S. 136.
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restag des belgischen Staates das Thema Kolonialismus – verborgen geblieben wären. Das Speichergedächtnis ist Reservoir zukünftiger Funktionsgedächtnisse, Ressource der Erneuerung kulturellen Wissens, Bedingung der Möglichkeit kulturellen Wandels und verhindert eine „Gedächtniserstarrung“74. Der von Adéagbo durch die Praxis des Sammelns generierte Speicher kann von unterschiedlichen Handlungssubjekten, etwa durch den Akt des Betrachtens, aktiviert werden. Das gespeicherte Wissen muss also angeeignet und ins Funktionsgedächtnis (der BetrachterInnen, der belgischen Gesellschaft, usw.) überführt werden; erst dann kann es modifizierend wirken. „Beim Funktionsgedächtnis […] handelt es sich um ein angeeignetes Gedächtnis, das aus einem Prozeß der Auswahl, der Verknüpfung, der Sinnkonstitution […] hervorgeht. Die strukturlosen, unzusammenhängenden Elemente treten ins Funktionsgedächtnis als komponiert, konstruiert, verbunden ein. Aus diesem konstruktiven Akt geht Sinn hervor, eine Qualität, die dem Speichergedächtnis grundsätzlich abgeht.“75
Damit verlangen Adéagbos Arbeiten den BetrachterInnen eine hohe eigene Leistung ab: Um für sich selbst Sinn herzustellen, muss man den Prozess des Verbindens, Anknüpfens und Konstruierens in Gang setzen, den Adéagbo, wenn er die Zusammenstellungen vornimmt, auch für sich selbst vollzieht. Dieser Prozess wird für jeden anders ablaufen und aus unterschiedlichen Elementen und Zusammenhängen bestehen. Adéagbo gibt keine Anleitung und wenig Hinweise auf Ansatzpunkte, weshalb die Installationen schwer zugänglich erscheinen. Doch gerade diese undogmatische Lesbarkeit ist das Potenzial seiner Arbeit, weil dadurch die Möglichkeiten vielfältiger sind. Adéagbo stellt nicht unbedingt seine Sinnzusammenhänge in den Vordergrund, weshalb die Dinge oft verwirrend wenig gewertet erscheinen. Damit die Installationen ‚Sinn machen‘, müssen sie vom Speichergedächtnis ins Funktionsgedächtnis überführt werden. Erst im Zuge dieser Transformation erfolgt eine Bedeutungszuweisung. Die Partizipation und Interpretation ist also zentral, weil die Arbeiten als reine Speichergedächtnisse zu einem „materiellen Depot verkommen“76. Durch die An- und Umordnung der Gegenstände durch den Künstler setzt ein Prozess der ständigen Durchmischung von Funktions- und Speichergedächtnis ein. Das Speichergedächtnis gibt (immer neue) Anschlussmöglichkeiten an die Funktionsgedächtnisse der BetrachterInnen. Gleichzeitig ist sein Speicher aber auch ein ‚bewohntes‘
74 Assmann 1999, S. 140. 75 Assmann 1999, S. 137. 76 Assmann 1999, S. 345.
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Gedächtnis für Adéagbo selbst. Das Wissen, das seine Sammlungen generieren, ist einerseits Teil von Adéagbos „story“77 (Stichwort: Selbstarchivierung) und auch als solche erkennbar, andererseits aber auch ein Wissen, das nicht in funktionalen Sinn-Konfigurationen zu stehen scheint. Adéagbos Installationen sind eine komplexe Spielart einer Sammelpraxis, die das Wissen dehnbar hält. Es zeigt sich, „[…] daß Wissensrelevantes sich verschiebt, daß es neben der offiziellen Kultur und den von ihr institutionalisierten Formen der Wissensspeicherung alternative Weisen der Organisation, Erweiterung und Verlagerung im Wissenshaushalt einer Gesellschaft gibt“.78 Adéagbos Praxis ist ein solches alternatives Organisationsmodell, das eine Erweiterung auf ein Wissen um kulturelle Differenz und transkulturelle Beziehungen vorführt. Mit seinem Entwurf scheint eine demokratischere Wissenskultur möglich, die die BetrachterInnen als Akteure und Konstrukteure von Geschichten ermächtigt. Adéagbo präsentiert ein Geschichts- und Erinnerungsmodell, dessen Kombination aus Aktualität und Historisierung die Relevanz der Geschichte und ihre Effekte in der Gegenwart zeigt. Den Modus der Erinnerung setzt Adéagbo dabei als postkoloniale Strategie ein. Denn nur die Erinnerung an die Geschichten des Kolonialismus und der Beziehungen zwischen den Kulturen kann heutige Machtkonstellationen erklären, deren Aufarbeitung die Basis für eine neue, egalitäre Beziehung ist.
77 Assmann 1999, S. 134f. 78 Assmann, Gomille, Rippl 1998, S. 9.
8 Dinge
Wo immer Georges Adéagbo sich aufhält – sei es in Benin oder in anderen Ländern –, richtet er sein Augenmerk auf die materielle Kultur der jeweiligen Orte, die sein Untersuchungsfeld und sein Arbeitsmaterial darstellt. Adéagbos künstlerische Praxis korrespondiert darum mit dem Interesse, das derzeit unterschiedliche europäische Wissenschaftszweige an den Dingen hegen: In den vergangenen Jahren haben interdisziplinär angelegte Untersuchungen zur Dingkultur einen enormen Aufschwung erfahren, im Zuge dessen sich das Ding als epistemologische Denkfigur und kulturwissenschaftliches Paradigma etabliert hat.1 In der materiellen Kultur, verstanden als Gesamtheit aller vom Menschen hergestellten oder genutzten Gegenstände, wird „eine mentale Disposition, ein kulturelles Verständnis des Menschen deutlich“2. Das Ding ist gemeinsamer Nenner unterschiedlicher Disziplinen und Herangehensweisen, der die Aufmerksamkeit von den Subjekten auf deren materiale Kultur verlagert, um Aussagen über beide ‚Positionen‘ und deren Verhältnis zueinander treffen zu können.3 Zentral ist da-
1
Die Konjunktur der Dinge in den Wissenschaften resultiert aus dem Siegeszug der Warenwelt seit den 1950er Jahren und dem damit verbundenen Interesse an der Konsumforschung. Z.B. Baudrillard 1991 [franz. Erstveröff. 1968] und De Certeau 1988 [franz. Erstveröff. 1980]. Gesteigert wird das Interesse jedoch in den letzten Jahren als Reaktion auf die massenmediale Dominanz virtueller Bildwelten und deren medientheoretischer Aufladung seit den 1980er Jahren: „So wie das Denkmuster der Virtualität biedere Vorstellungen des Wirklichen unmöglich gemacht hat, so kassiert nun die Würde der Objekte allzu steile Thesen über die Auflösung des Realen.“ Orzessek 2003, S. 14. Vgl. auch Frank, Gockel, Hauschild u.a. 2007, S. 9-11; Heesen, Lutz 2005, S. 14f.
2
Heesen, Spary 2001, S. 12.
3
Das Ding als interdisziplinäre Analysekategorie verbindet Fächer wie Ethnologie, Archäologie, Kunstgeschichte, Soziologie, Philosophie und Psychologie.
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bei die Vorstellung, dass Mensch und Dingwelt sich in einer wechselseitigen Beziehung befinden. Das Ding kann als Analysekategorie fungieren, weil sich in ihm sowohl soziale Beziehungen, Anliegen, Bedeutungen und Diskurse materialisieren als auch die Dinge im Gegenzug wieder diskursiviert werden.4 Dinge bieten Gesprächsanlass, nehmen an Dialogen teil und sind hier als kulturelle Seismografen oder Kristallisationspunkte verstanden, wie Lorraine Daston sie beschreibt: „Like seeds around which an elaborate crystal can suddenly congeal, things in a supersaturated cultural solution can crystallize ways of thinking, feeling, and acting. These thickenings of significance are one way that things can made to talk. But their utterances are never disembodied. Things communicate by what they are as well as by how they mean. A particular cultural setting may accentuate this or that property, but a thing without any properties is silent.“5
Vor dem Hintergrund der Anerkennung der Dinge als wichtige Faktoren in der Konstituierung von Kultur ist es naheliegend, Adéagbos Arbeiten in dieser Perspektive zu untersuchen.6 Im Folgenden steht deshalb die Konzeption des ‚Dings‘, wie sie sich in dessen künstlerischer Praxis ausdrückt, im Vordergrund. Wie produzieren die Dinge in den Installationen unter den Voraussetzungen ihrer transkulturellen Mobilisation Bedeutung?
8.1 D INGE
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Für Adéagbos Arbeiten spielt das akkumulierende Arrangieren von Dingen eine zentrale Rolle. Dies wirft die Frage nach der Verknüpfung der Dinge untereinander und der Systematik ihrer Zusammenstellung auf. Warum stellt er einen gewissen Gegenstand einem anderen gegenüber und wie produziert diese Gegenüberstellung Bedeutung? Wie bereits gezeigt, bilden die Dinge in seinen Installationen Assoziationsketten und über den Raum hinweg ganze Netze von Bezügen. Andreas Grote beschreibt das Anstoßen von Assoziationsvorgängen generell als eine der zentralen
4
Vgl. Appadurai 1986 zum „sozialen Leben der Dinge“.
5
Vgl. Daston 2004, S. 20.
6
Die unterschiedlichen Gegenstände in Adéagbos Installationen definiere ich alle als ‚Dinge‘.
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Funktionen bei der kuratorischen Zusammenstellung von Objekten in Ausstellungen, in denen das Objekt als Symbol fungiert: „In diesen Funktionen setzt das Objekt innerhalb des in der Schausammlung – wir nehmen an – bewußt hergestellten Kontextes im Betrachter zunächst Assoziationen und Assoziationsketten in Gang, welche (so hofft der Arrangeur der Ausstellung) ihrerseits auf den Kontext hinführen sollen, denn sonst würde die Ausstellung bzw. Aufstellung und ihre Botschaft nicht funktionieren. Diese Assoziationen sollen summativ wirken – das ist die mehr oder weniger bewußte Absicht – also auf jene übergeordneten Sachverhalte hinführen […]. Neben der ‚aufsteigenden‘, auf den übergeordneten Kontext hinweisenden, Funktion als Symbol, welche zunächst durch den Betrachter offenbar rein assoziativ wahrgenommen wird – sozusagen als ‚Anmutung‘ –, steigt anschließend (nach Wahrnehmung und Aneignung des beabsichtigten Kontextes) die Aufgabe des Objektes sozusagen wieder ‚hinab‘, zurück zum Objekt selbst, welchem in einem zweiten oder dritten Schritt nun eine Art von ‚Beweis‘- oder ‚Beleg‘-Funktion zugewiesen ist; […].“7
Betrachtet man die Titel der Installationen von Adéagbo, scheinen auch sie auf „übergeordnete Sachverhalte“ hinzuweisen (z.B. die Entdeckungsgeschichte, die belgische Kolonisation in Afrika, den afrikanischen Sozialismus usw.). Der Titel gibt den BesucherInnen eine Idee davon, was ein Ausgangspunkt oder Einstieg sein kann. Wie ich bereits vorgeführt habe, lässt sich tatsächlich eine Vielzahl von Objekten auf den „beabsichtigten Kontext“ beziehen, den sie zu belegen scheinen. Aber nicht alle Dinge lassen sich mit einem spezifischen Thema in Verbindung bringen – zumindest nicht auf direktem Wege. Trotzdem ist es Adéagbos erklärtes Ziel, die BesucherInnen zu erreichen; er beschreibt seine Arbeit als „mode de communication“.8 Aber welche Bedeutungen werden wie transportiert? Wie kann die Kommunikation mit Dingen in transkulturellen Kontexten funktionieren? Hier zeigt sich, dass einige Dinge metonymisch Bedeutungen vermitteln können. Sie stehen pars pro toto für eine Sache oder einen Sachverhalt, wie beispielsweise der Anker für ein Schiff stehen kann, das Boot für das Thema Reise, Harald Szeemann für die documenta 5 usw. Solche Verbindungen sind meist augenfällig, vor allem dann, wenn man Adéagbos Themen identifiziert hat. Das erklärt jedoch sein komplexes System der Bedeutungszuweisung nur unzureichend und begründet noch nicht die visuelle Assoziationsstrategie. Grundsätzlich ist festzuhalten, dass die Zusammenstellung der Dinge innerhalb der Installation ih-
7
Grote 1994, S. 14f.
8
Gespräch mit dem Künstler im September 2003.
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re Bedeutung strukturiert. Die neuen Zuschreibungen funktionieren nur in der Zusammenschau mit jeweils anderen Dingen, die die Themen aufnehmen und sich somit gegenseitig definieren. Adéagbos System der Dinge generiert im bedeutungsvollen Arrangement eine Art Parataxe, ohne die Richtung oder Reihenfolge für die Betrachtung vorzugeben. Obwohl eine Dramaturgie der Installationen erkennbar ist, folgt aus der räumlichen Anordnung der Dinge keine augenund sinnfällige Bedeutung; diese muss von den BetrachterInnen selbst oftmals mühsam hergestellt werden. Einen „entgegenkommenden Sinn“9 gibt es in Adéagbos Installationen nicht. Die wenigen hervorgehobenen Gegenstände gehen eher in der Fülle auf, die eine Sogwirkung auf die BetrachterInnen ausübt. Ins Detail hineingezogen betrachtet man einzelne Gegenstände und bemerkt deren visuelle Analogien. Wenn es zunächst so erscheint, als operiere Adéagbo auf einer recht oberflächlichen ästhetischen Ebene, auf der er die Dinge zueinander in Beziehung setzt, so möchte ich im Folgenden beschreiben, wie er damit tiefer liegende Bedeutungen anspricht oder erzeugt, die jeweils den fokussierten Eigenschaften der Dinge (Farbe, Material, Form, Motiv usw.) unterliegen. Die Verbindung der Dinge folgt in Adéagbos Installationen hauptsächlich einer metaphorischen Herangehensweise, so die hier vertretene These. Die Metapher ist ein Modus der Bedeutungszuweisung, bei der bestimmte Eigenschaften aus einem Sachverhalt in einen anderen transferiert werden. Als eine Art Vergleich dient sie dazu, den zweiten Sachverhalt näher zu charakterisieren bzw. ihm Eigenschaften zuzuweisen. Metaphorische Übertragungen sind damit auch als Form der Interpretation zu verstehen, die den Prozess des Erfahrens und Verstehens strukturieren, womit die Metapher zu einem Instrument der Erkenntnis werden kann. Die Linguisten George Lakoff und Mark Johnson haben die Kreativität bei der metaphorischen Zuweisung von Bedeutung hervorgehoben.10 Sie prägten den Begriff des „metaphorischen Konzepts“, demzufolge Metaphern bestimmte Eigenschaften eines Sachverhaltes extrahieren, ableiten und nur diese Eigenschaften auf einen anderen Sachverhalt übertragen.11 Da die Metapher mehr Eigenschaften hat als die im „metaphorischen Konzept“ gemeinten, ist sie relativ offen für neue Bedeutungsproduktionen durch die Aktivierung der anderen Eigenschaften (und somit der Etablierung eines neuen metaphorischen Konzeptes). Lakoff und Johnson haben die Metapher als Wahrnehmungs- und Denkmodus sowie als Modus der Bedeutungszuweisung aufgewertet und haben in ihrer Publikation Leben in Metaphern die Allgegenwärtigkeit metaphorischer
9
Barthes 1990 [franz. Erstveröff. 1982].
10 Lakoff, Johnson 2004. 11 Lakoff, Johnson 2004, v.a. S. 18ff.
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Konzepte nicht nur in der Sprache, sondern auch im Denken und Handeln belegt. Ich folge hier Christopher Tilley, der das Konzept der Metapher auf die Dinge übertragen hat („solid metaphor“) und deren materiale Gegenwart als der sprachlichen Metapher überlegen beschrieben hat.12 Hans Peter Hahn bekräftigt diese These: „Objekte ‚verkörpern‘ ihre spezifische Form, Farbe, Geruch und Material – und sind mit allen oder einigen dieser Eigenschaften in einem anderen, metaphorischen Zusammenhang bedeutungsvoll. […] Wichtig ist, daß ein gegenwärtiges Objekt zu jedem Zeitpunkt mit jeder Eigenschaft in die Assoziation mit einbezogen werden kann. […] Nicht das ‚Zueinem-Wort-werden‘ macht die Signifikanz von Objektmetaphern aus, sondern die Tatsache, daß die zugrundeliegenden Dinge im Alltag mit vielen unausgesprochenen Eigenschaften als Erfahrenswissen zugänglich sind.“13
Dinge sind also auch materialisierte kulturelle Praxen und Gegebenheiten, was ihre metaphorische Qualität zusätzlich befördert.14 Der Begriff und das Konzept der Metapher sollen hier angewendet werden, um Adéagbos Vorgehensweise bei der Verknüpfung der Dinge zu beschreiben. Die metaphorische Herangehensweise und Zusammenstellung der Dinge erlaubt es Adéagbo, nur eine Eigenschaft eines Gegenstandes (z.B. dessen Farbe, Form, Muster, Motiv) zu akzentuieren, diese zur assoziativen Verknüpfung zu benutzen und andere Eigenschaften zu vernachlässigen. So können Dinge und Sachverhalte, auch wenn sie sehr divers sind, verglichen, zueinander in Beziehung gesetzt und gleichzeitig näher charakterisiert werden, ohne sie umfassend beschreiben zu müssen. Damit ist die Metapher ein Modell, das ein partielles Annähern an Sachverhalte oder Gegenstände ermöglicht. Adéagbo entwickelt eine metaphorische Transportpoetik von einem Ding zum anderen, die ich an einem Beispiel verdeutlichen möchte: Im Bereich des Ankers im Zentrum der Installation L’explorateur et les explorateurs befindet sich ein Stück aus der Berliner Mauer, wie man sie nach dem Mauerfall überall als Andenken kaufen konnte. In einer ersten, weniger komplexen metonymischen Bedeutung steht das Teilstück für die Berliner Mau-
12 Tilley 1999, siehe zusammenfassend S. 260ff. 13 Hahn 2005, S. 160. 14 Die Kategorie der Metapher lässt sich auf ganz unterschiedliche Lebensbereiche anwenden und ist vor allem in der Theorie von Tilley letztendlich als eine anthropologische Kategorie verstanden, die eine Analyse von Kultur in unterschiedlichen Bereichen ermöglicht.
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er als Ganzes. Doch das Herausgebrochen-Sein des Betonstückes (als dessen Eigenschaft) ist für mich eine Metapher für das Ende der DDR, das durch die friedliche Revolution der DDR-Bürger herbeigeführt wurde, deren einzige ‚Gewalt‘ sich im Zertrümmern der Berliner Mauer entlud. (Hier hat sich also ein Ereignis und eine kulturelle und emotionale Disposition materialisiert.) Adéagbo scheint jedoch das Stück Mauer aus einem anderen Grund ausgesucht zu haben. Er zeigt es neben einer Ausgabe der Bildzeitung und einer schwarz-rot-weiß gestreiften Wollmütze. Dadurch betont er nicht das Herausgebrochen-Sein des Gegenstandes, sondern dessen Farbigkeit, die er hier als visuelle Brücke einsetzt, denn auch auf dem bemalten Mauerstück befinden sich diese Farben – zusätzlich mit etwas Gelb am Rand. Schwarz, Rot und Gelb bzw. Gold sind die deutschen Nationalfarben beider Staaten (die Fahne der DDR befindet sich an einer anderen Stelle der Installation), Schwarz, Rot und Weiß die der nationalsozialistischen Flagge. So gesehen beleuchtet die Farbigkeit an dieser Stelle z.B. die Teilung Deutschlands als Folge des Nationalsozialismus. Adéagbo wählt eine Eigenschaft aus mehreren aus und verschiebt oder erweitert damit das metaphorische Konzept.15 Gleichzeitig wird dieser Zusammenhang auch auf die Gegenstände Bildzeitung und Mütze übertragen, deren Farbigkeit ebenfalls mit dem metaphorischen Konzept in Verbindung gebracht ist. Die Assoziation der Bildzeitung, die Adéagbo lediglich über die Farbigkeit hergestellt zu haben scheint, erlaubt es ihm, die Zeitung zu integrieren, ohne beispielsweise auf die Titelzeilen Bezug zu nehmen (die er vielleicht auch nicht versteht, weil sie deutschsprachig sind), oder die Zeitung anderweitig näher zu charakterisieren. Folglich kann man sich auch unbekannten Dingen metaphorisch nähern und sie in Bezug zu Bekanntem setzen. Die Verbindung unterschiedlicher Sachverhalte erfolgt in der als Metapher verstandenen Dingwelt in erster Linie über deren intrinsische Qualitäten wie Farbe, Form, Struktur, Gestalt usw. Diese Beschaffenheiten der Dinge sind die Basis, auf der die Dinge als gleich, ähnlich oder verschieden bewertet werden. Das Muster eines Gegenstandes beispielsweise wird also im Hinblick auf andere Muster verstanden, die man bereits kennt. Dies erläutert Tilley: „The more unfamiliar an object the more it is likely to be metaphorically compared to what is
15 Die Metapher erlaubt es Adéagbo sogar, Eigenschaften (die Farbe) mit dem metaphorischen Konzept (die Farbe steht für etwas) zu assoziieren, ohne das Objekt überhaupt als Stück der Berliner Mauer zu bestimmen. Ich gehe jedoch in diesem Fall davon aus, dass er beim Kauf wusste, dass es sich um ein Stück der Berliner Mauer handelte.
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previously known, a mapping of experience from one domain to another, the culturally ‚code‘ restrictions, guiding the reading of meaning.“16 Dinge sind aufgrund ihrer vielen Eigenschaften polysem, was für das transkulturelle Wandern von Dingen und die interkulturelle Kommunikation (etwa gegenüber der Sprache) einen Vorteil bedeutet.17 Die zahlreichen formalen Anknüpfungspunkte fördern das Herstellen von Bezügen, wie Tilley erklärt: „One of the most important functions of metaphors in the process of understanding and interpreting the world is that they actively facilitate the production of novel understandings and interpretations. Metaphors provide a means by which we can connect together objects, events and actions that appear to be empirically (factually) disparate and unconnected.“18
Die Anwendung der Funktionsweise der Metapher auf Adéagbos Arbeitsweise verdeutlicht, dass Adéagbo in seiner Assoziationsstrategie keineswegs an der Oberfläche der Dinge bleibt, sondern ihnen Bedeutungen zuweist. Trotzdem kann der metaphorischen Logik in Adéagbos Installationen kein Sachwissen entspringen. Man möchte unweigerlich wissen, was nun die Farben Rot, Schwarz und Weiß, die Adéagbo oft fokussiert, für ihn bedeuten. Welche Metapher steht wofür? Interessanterweise geht es jedoch nicht darum, sich ein Sachwissen anzueignen (dergestalt, dass man nach der Betrachtung der Installation etwa die kulturelle Bedeutung der Farbe Weiß in Benin kennt), sondern es geht um die methodische und kommunikative Kompetenz. Im Gang der Untersuchung wollte ich zunächst dieses Sachwissen aufspüren, weil ich glaubte, mit dessen Hilfe die Bedeutungen einiger Zusammenstellungen entschlüsseln zu können. Weil Adéagbo auf die Farben Schwarz, Rot und Weiß häufig abhebt, fragte ich ihn in einem Brief, was sie für ihn bedeuten. Bezeichnenderweise antwortete er nicht mit einem Brief, der mir konkrete und eindeutige Antworten gegeben hätte, sondern fertigte stattdessen eine kleine Installation an, von der er mir ein Foto zukommen ließ (Abb. 85). In diese integrierte er auch meine Karte, die er auseinander geschnitten hatte. Rechts befand sich der Text, den ich geschrieben hatte, links die Oberseite der Karte mit kleinen Muscheln darauf. Die gewellte Linie zwischen den Muscheln wird im Zickzackmuster der gewebten schwarz-weiß-roten Decke aufgenommen, die der Installation als Unterlage diente. Die Linien der kleinen runden Muscheln finden sich am unteren Rand der Decke im Muster wieder und ebenso in dem kleinen, flötenähnlichen
16 Tilley 1999, S. 264. 17 Vgl. auch Hahn 2005, S. 124. 18 Tilley 1999, S. 8.
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Rohr, das neben der Karte liegt. Im Hintergrund steht links ein Buch, das Hitler abbildet. Daneben ein Buch mit gelbem Cover, das sich wohl kulturrelativistisch mit Religionen beschäftigt. In der Mitte hat Adéagbo eine Postkarte positioniert, die afrikanische rituelle Praktiken zeigt. Während Hitler auf den Nationalsozialismus verweist, könnten die Karte und das gelbe Buch darauf hindeuten, dass Abbildung 85: Georges Adéagbo: Installation als Antwort auf einen Brief, Cotonou 2006
Farben in Religionen und Kulten eine große Rolle spielen, jedoch in verschiedenen Gesellschaften ganz unterschiedliche Bedeutungen haben, also unterschiedlichen metaphorischen Konzepten folgen.19 Die Installation als Antwort auf meine Frage verdeutlichte, dass es nicht um ein Sachwissen gehen kann, weil den Farben je nach Kontext jeweils andere Bedeutungen zukommen. Die kulturell divergierenden Bedeutungen von Dingen anzuerkennen bedeutet, nicht auf einen Sinn zu bestehen, der festgeschrieben ist. Das heißt nicht, dass die Themen und Bedeutungen selbst unwichtig werden, aber das Erkenntnisinteresse ist hier eher ein methodisches. Die metaphorische Verbindung der Dinge untereinander durch das Hervorheben bestimmter Eigenschaften unterliegt einer Art visuellen Poesie. Sie führt
19 Gerade Schwarz, Weiß und Rot haben eine hohe symbolische Bedeutung. Schwarz beispielsweise steht in christlichen Kulturen für das Böse, Tod und Trauer. In Westafrika jedoch steht meist die Farbe Weiß für Tod und Trauer.
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gleichzeitig zu einer Harmonisierung der Dinge durch die zahlreichen Analogien, die Adéagbo findet bzw. herstellt – wie etwa über die gewellten und gepunkteten Linien in der Installation als Antwort auf meinen Brief. Dabei ist seine Herangehensweise nicht homogenisierend oder gar universalistisch, weil er nur partiell harmonisiert und das Spannungsverhältnis von ‚ähnlich‘ und ‚verschieden‘ bestehen bleibt. Die formale Kohärenz des Raumensembles bewahrt die Singularität und Heterogenität des Materials, das sich gegen eine übergreifende Interpretation sträubt.
8.2 D UALISMUS M ENSCH /D ING Wenn es zunächst so schien, als ständen die Dinge in Adéagbos Kunst jeweils für bestimmte Themenfelder, Kulturen, Orte, Ereignisse oder Personen, dann wird nun deutlich, dass sie weniger Dokumente oder Illustrationen gesellschaftlicher und kultureller Prozesse sind als vielmehr ihre Darsteller und (Co-)Produzenten. Die Dinge tragen ebenso zu der Bedeutungsproduktion bei wie Adéagbo oder andere involvierte Personen. Mit seinem künstlerischen Konzept stellt er gängige Auffassungen über die Dingkultur infrage. Seine Arbeitsweise und seine Installationen fordern, so meine These, dichotome Vorstellungen von Subjekten und Objekten heraus, denn sie stehen für ein Denkmodell, das die Dinge subjektiviert. Für die Installation L’explorateur et les explorateurs hat Adéagbo, wie bereits im Zusammenhang mit den sogenannten Kunst- und Wunderkammer thematisiert, den Begriff des Welttheaters im Titel verwendet. Die Übertragung des Begriffs „Theater“ auf eine Sammlung verdeutlicht die Vorstellung von der Vitalität der Objekte, die auf einer Bühne auftreten können. Versteht man eine Installation als Theater, so verfügen die Gegenstände über eine Darstellungskraft, die zwar nur mithilfe des Regisseurs/Sammlers zur Aufführung kommt, die aber dennoch aus den Dingen heraus, intrinsisch besteht. Der Sammler wählt zwar die Darsteller/Dinge aus und stellt sie zusammen, doch die theatrale Kraft liegt aufgrund ihrer Materialität und Körperlichkeit bei den Gegenständen. Adéagbo erklärt, die Dinge sprächen ihn im wörtlichen Sinne an und forderten ihn auf, sie mitzunehmen. Damit schreibt er ihnen eine Lebendigkeit und ein Handlungspotenzial zu, das sich auch in der Formel des Welttheaters ausdrückt: Die Dinge treten als Akteure auf der Bühne der Welt auf, und Adéagbo ist der Regisseur, dem sich diese „Schauspieler“ angeboten haben. Zentral ist dabei Adéagbos Interaktion mit den Dingen. Durch das ständige Umsortieren metaphorisiert er die Dinge und erprobt verschiedene Bedeutungs-
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produktionen, an der die Dinge aktiv teilnehmen. Er setzt sich mit ihnen auseinander, ohne sie festzuschreiben oder ihnen einen ausdrücklichen Sinn aufoktroyieren zu wollen. Die RezipientInnen müssen sie selbst zu möglicherweise widersprüchlichen Zusammenhängen organisieren. Adéagbos Umgang mit den Dingen, der ihren Status als Akteure konzeptualisiert und ihr subjektives Potenzial offenbart, lässt auf eine Haltung schließen, die Bruno Latours Auffassung von den Dingen entspricht. Latour, einer der wichtigsten zeitgenössischen Vertreter einer Philosophie der Dinge, problematisiert den Begriff des Objekts, die darin implizierte Objektivität und die damit verbundene Vorstellung der Objekte als Fakten: „Sie [die Objekte; Anm. K.S.] sind sehr viel interessanter, mannigfaltiger, ungewisser, komplizierter, weitreichender, heterogener, riskanter, historischer, lokaler, materieller und netzwerkartiger als die pathetische Version, die die Philosophen uns allzu lange von ihnen angeboten haben.“20
Programmatisch fordert Latour „Zurück zu den Dingen!“21 und schlägt den Einzug der Dinge ins Zentrum der Politik vor, weil sie ohnehin den öffentlichen Raum bestimmten.22 Sehr überzeugend ist dabei seine Ausweitung des DingBegriffes, der auch Versammlung und Zusammenkunft („Thing“), Sache (res publica), Angelegenheit, Streitfrage usw. meinen kann, das heißt, „Ding“ bezeichnet gleichzeitig jene, „die sich versammeln, weil etwas anliegt“, als auch „die Ursachen ihrer Anliegen und Differenzen“.23 Durch diese Definitionserweiterung bricht er die dichotome Setzung von Geistigem und Materiellem auf.24
20 Latour 2005, S. 27. 21 Latour 2005, S. 32. 22 Latour 2005, S. 12. 23 Latour 2005, S. 32. 24 Latours Kritik am Begriff des Objekts ist berechtigt; ich habe ihn in der vorliegenden Arbeit dennoch nicht vermieden, sondern versuche ihn durchlässiger und als einen Zustand zu verstehen, der auf Dinge und Menschen gleichermaßen zutreffen kann. Die Begriffe Ding, Gegenstand und Objekt verwende ich etwa gleichbedeutend (vgl. dazu auch Hahn 2005, S. 20), wobei ich mir bewusst bin, dass bestimmte Bedeutungen mitschwingen. So wird „Ding“ im Allgemeinen eher mit Unverfügbarkeit und Selbstständigkeit assoziiert, während „Objekt“ relational zum „Subjekt“ verstanden wird und bereits das Produkt von Ideen und Repräsentationen des Dings ist (so Heideggers Unterscheidung von Ding und Objekt in seiner Auseinandersetzung mit Kant;
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Ähnlich wie Latour in seiner Theorie, fordert Adéagbo durch seine Arbeiten theoretische Ansätze zur Verfasstheit der Dingkultur heraus, die Materielles als tote Materie verstehen und es in dualistischer Setzung dem Geistigen unterordnen.25 Mit diesem Verständnis geht der Dualismus zwischen Objekt und Subjekt einher.26 Das Geistige und das Subjekt erscheinen dabei ihren jeweiligen Gegenpolen (Materielles und Objekt) übergeordnet. Diesem hierarchisierenden Konzept setzen die material culture studies, in denen Latour derzeit umfassend rezipiert wird,27 eine hierarchielose Gleichzeitigkeit von Materiellem und Immateriellem entgegen, die einander bedingen und weder vor- noch nachgeordnet sind. Dinge sind nicht äußerlich oder banal, sondern sie bestimmen „kulturelle Bedeutungen und soziale Ordnungen wesentlich“28 mit. Die Beziehung zwischen Dingen und Menschen kann man demnach als eine wechselseitige verstehen, wie auch Tilley bekräftigt: „Things create people as much as people make them. From a theoretical point of view it is obvious that people do encode metaphorical meanings into things which would themselves have no meaning. But from the point of view of methodology, of the analysis of material forms, things once created work themselves to reproduce or transform the social contexts in which they are encountered and move. They are active rather than passive and dialectically related to their social conditions of existence.“29
vgl. Daston 2004, S. 16). „Gegenstand“ ist ebenfalls relational und meint ein Ding, das dem/der BetrachterIn Ent-Gegen oder Gegen-Über steht. Vgl. Hahn 2005, S. 20. 25 Der Begriff der materiellen Kultur reproduziert die Dichotomie, da er eine Trennung zwischen materieller und geistiger Kultur impliziert, weshalb er häufig kritisiert wurde. Vgl. Hahn 2005, S. 9f. Die Vorstellung von subjektivierten oder „beseelten“ Dingen wurde in den ‚westlichen‘ Kulturen im Zuge von Aufklärung, Rationalismus und Fetischismus-Diskurs primitivisiert und nach ‚Außen‘ verlagert, steht jedoch nach der These Hartmut Böhmes im Zentrum der ‚westlichen‘ Moderne. Vgl. Böhme 2006. 26 Die Analogien zwischen den Dualismenpaaren macht gerade deren Stabilität aus, das heißt, die vielen Querverbindungen oder Korrespondenzverhältnisse stärken die Macht der Denkfigur des Dualismus. Die zugeschriebenen Merkmale sind dabei immer gleich, z.B. aktiv/passiv, stark/schwach, tot/lebendig. Auch diese Homologie der Eigenschaften macht die Dualismen mächtig, gerade weil sie recht simpel und monoton ist. Für die Anregungen zu diesem Thema danke ich Cornelia Klinger. 27 Vgl. Hahn 2005. 28 Hahn 2005, S. 11. 29 Tilley 1999, S. 76 [Herv. i.O.]. Vgl. auch Appadurai 1986, S. 5.
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Auch Latours Konzept der „symmetrischen Anthropologie“ basiert explizit auf wechselseitigen Informationflüssen, die sowohl das menschliche Wissen über die Dinge als auch das in den Dingen enthaltene Wissen über die Menschen berücksichtigen.30 Somit spielen Dinge in dem Prozess der Subjektivierung und Individualisierung von Menschen eine entscheidende Rolle. Adéagbo integriert die Dinge in seine unmittelbare Umgebung und in seinen Arbeitsprozess, den sie im Gegenzug maßgeblich mitgestalten. So wie er den Dingen eine Rolle in seinen Installationen zuweist, so tragen die Dinge zu seiner Konstituierung (als Person, Künstler usw.) bei und individualisieren ihn durch die subjektiv getroffene Auswahl der Gegenstände, die nur er in dieser Weise zusammenstellen konnte.31 Seine Beziehung zu den Dingen kann mit Mieke Bals Begriff der „Intersubjektivität“ beschrieben werden.32 Gemäß ihrer Definition kann auch eine Person beispielsweise beim Benutzen eines Gegenstandes zu dessen Objekt werden, indem sie die Nutzung bzw. das eigene Handeln an die Beschaffenheit des Gegenstandes (Form, Material, Beständigkeit) anpassen muss, was einer kontinuierlichen Auseinandersetzung mit den Dingen gleichkommt. Die Anerkennung des „Eigensinns der Dinge“33 korrigiert das Bild von einer vom Menschen beherrschten Dingwelt. Bal beschreibt diese Umkehrung der Beziehung anhand eines Betrachters, der zunächst Objekt ist, da er von dem Gegenstand (z.B. einem Kunstwerk) zum Ansehen aufgefordert würde. Wenn das Kunstwerk den/die BetrachterIn ansieht oder anspricht, kann die Person erst im Prozess des Sehens zum Subjekt werden. Folglich zirkuliert die Subjekt-Objekt-Beziehung: Subjekt und Objekt beschreiben den Status in bestimmten Momenten und Konstellationen, sind aber keinesfalls an die (Im-)Materialität gebunden. Daher verstehe ich nicht die Unterscheidung an sich als problematisch, sondern die hierarchisierende Tendenz, die bei Dualismen immer mitschwingt. Damit geht eine Abgrenzung einer Einheit (des ‚Subjekts‘) von anderen (den ‚Objekten‘) einher, wobei das ‚Andere‘ dem eigenen Handeln unterworfen und das ‚Eigene‘ privilegiert wird. Der entscheidende Punkt hierbei ist die Ein- und Ausgrenzung bei der
30 Latour 1995. 31 Daston beschreibt das bei der Auswahl der zu besprechenden Dinge für den Sammelband Things that talk: „By some process of reciprocity our things individualized us as we picked them out of all the possibilities.“ Daston 2004, S. 11. 32 Bal 2002, S. 18. 33 Hahn 2005, S. 46ff. Vgl. auch Jaeggi 2002, S. 63.
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Dualismenbildung.34 Demnach dominiert die Vorstellung, dass ein Objekt niemals Subjekt sein kann, weil die Kategorien einander ausschließen, egal in welchen Kontexten sie stehen. In Abgrenzung dazu sind Objekt und Subjekt in Adéagbos methodischer Herangehensweise jedoch als relationale Begriffe oder Kategorien verstanden. Die Gestaltung des Kataloges zu seiner Einzelausstellung im Museum Ludwig 2004 pointiert sein Verständnis des Dings als subjektiviertes Gegenüber, das mit ihm in einen intersubjektiven Dialog tritt: Für das Cover wurde eine Fotografie verwendet, die Adéagbo im Wallraf-Richartz-Museum in Köln neben dem Gemälde Heilige Odilie von Hohenburg (Fränkisch, um 1480/90) zeigt. Der Umschlag ist so gestaltet, dass die Vorderseite das Tafelbild zeigt, während sich Adéagbos Porträt auf der Rückseite befindet. Erst im aufgeklappten Zustand (Abb. 86) versteht man die Situation, in der die Fotografie entstand: Bei einem Besuch im Wallraf-Richartz-Museum hat Adéagbo sich das Bild angesehen. Es belegt seine Anwesenheit in Köln im Rahmen der Ausstellungsvorbereitungen.35 Aber warum hat er die Heilige Odilie ausgewählt?36 Die Heilige wurde der Legende nach blind geboren und erhielt ihr Augenlicht bei der Taufe, weshalb ihr Attribut ein Buch ist, auf dem zwei Augen liegen. Die mittelalterliche Tafel zeigt Odilie in einem Nonnengewand. In der Rechten hält sie einen Palmenzweig, der sie als Märtyrerin auszeichnet. In ihrer Linken präsentiert sie ein rotes Buch mit den Augen, die aufgrund der angedeuteten Lider direkt aus ihm herauszuwachsen scheinen. Die Augen sind verhältnismäßig groß (größer als die der Heiligen) und durch die rote Farbe des Buches zusätzlich hervorgehoben. Während die weibliche Figur ihren Blick senkt und sich so dem direkten Kontakt mit den BetrachterInnen entzieht, blickt das auf dem Buch exponierte Augenpaar aus dem Bild heraus. Die nicht ganz geöffneten, etwas müde wirkenden Augenlider und die leichte Asymmetrie der Pupillen (fast ein Schielen) verleihen dem Buch menschliche Züge. Es ist das Buch, das die BetrachterInnen ansieht – ein verlebendigtes Ding. Dieses sehende Buch, auch mit Referenz auf die vielen Bücher innerhalb Adéagbos Arbeiten, muss seine Aufmerksamkeit auf sich gezo-
34 Die Vermeidung von Binarismen trifft nicht den Kern des Problems, da Unterscheidungen unverzichtbare Orientierungsmittel sind, die auch gewertet sein können (gut/schlecht, angenehm/unangenehm). 35 Die dargestellte Odilie taucht nicht in der Installation auf, wie es die BesucherInnen vielleicht erwarten würden. 36 Es handelt sich eigentlich um ein Diptychon: Rechts von der Heiligen Odilie befindet sich die Heilige Apollonia von Alexandrien, die auf dem Cover jedoch nicht zu sehen ist.
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gen haben. Der unbekannte Künstler des Tafelbildes hat ein Ding gemalt, das mehr Subjektivität ausstrahlt als die menschliche Figur. In der Gegenüberstellung treten Adéagbo und das Buch, respektive das Tafelbild, in Interaktion. Als Cover für Adéagbos Ausstellung wird es zu einer Parabel für die Dinge, die uns ansehen.37 Abbildung 86: Vorder- und Rückseite des Kataloges DC: Georges Adéagbo, Köln 2004
8.3 K ULTURELLE A NEIGNUNG Die zahlreichen Gegenstände gelangen in Adéagbos Besitz, indem er sie erwirbt, findet oder als Geschenk erhält. Doch sie gehören ihm nicht bloß, er setzt sich intensiv mit ihnen auseinander, gestaltet seinen Arbeitsprozess mit ihnen und legt seine eigenen Zwecke und Bedeutungen in sie hinein. Diesen künstlerischen Umgang mit den Dingen möchte ich als Aneignung beschreiben.38 Sie ist ver-
37 Was wir sehen blickt uns an heißt ein Buch von Georges Didi-Hubermann, dessen Titel hier wortwörtlich verstanden passt. Didi-Hubermann 1999. 38 Die Gefahr beim Begriff der Aneignung ist dessen weit gefasster Gebrauch. Nelson problematisiert die Ausweitung der Verwendung, in der Aneignung mit Repräsentie-
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standen als „ein bestimmter Modus der Besitzergreifung“ und bezeichnet „gegenüber dem bloßen Besitz die besondere Qualität eines Prozesses […], der wirkliche Inbesitznahme erst konstituiert“.39 Adéagbo gestaltet den Aneignungsprozess in unterschiedlicher Weise. Zuweilen setzt er eine materiale Veränderung der Gegenstände um, z.B. wenn er mehrere kleine Dinge auf einem Stück Holz nebeneinander festnagelt. Kopiert er bei seinen Recherchen in europäischen Archiven und Bibliotheken an den jeweiligen Ausstellungsorten Fotografien oder Abbildungen aus Büchern, findet mit diesen Motiven eine fast völlige Transformation statt, wenn er sie in westafrikanische Schildermalerei übersetzen lässt. Hier ist die Aneignung ganz offensichtlich, weil ein neues hybrides Objekt entstanden ist. (Allerdings hat er den Prozess nicht allein vollzogen, sondern in Zusammenarbeit mit seinem Schildermaler.) Der Aneignungsprozess muss jedoch nicht zwangsläufig materiell sichtbar werden.40 Mit der Mehrzahl der Dinge findet eine zunächst weniger augenfällige Transformation statt. Adéagbos aneignendes Vorgehen kennzeichnet vor allem, dass er die Dinge ihrer ursprünglich von den Herstellern vorgesehenen Funktionen enthebt, was eine Abstraktionsleistung beinhaltet. Der Schuh wird von ihm nicht getragen, das Buch (meistens) nicht gelesen, die Heiligenfigur nicht angebetet. Er erörtert mittels der Dinge bestimmte Themen, setzt sie jedoch nicht mehr in den vorhergehenden Zusammenhängen ein: Das Boot im Zentrum der Installation L’explorateur et les explorateurs verliert seine Funktion als Fortbewegungsmittel beim Fischen (am Strand von Cotonou, in dessen Nähe Adéagbos Grundstück liegt, verwenden die Fischer genau solche Boote) und wird in der Logik des Künstlers zu einem Zeichen von Entdeckungsreise. Die Dinge haben dabei die Funktion von Kommunikationsmedien, die Bedeutungen speichern, herstellen und transportieren. Ihre Veränderung vollzieht sich durch die Konsti-
ren, Interpretieren und Wahrnehmen gleichgesetzt wird. Wenn der Begriff so weit gefasst wird, ist er als analytische Kategorie nicht mehr sinnvoll. Nelson 1996, S. 120. Ich möchte den Begriff der Aneignung auf die Dinge und Adéagbos Umgang mit ihnen beziehen, wobei es mir auf das Spannungsverhältnis zwischen ‚eigen‘ und ‚fremd‘ ankommt. 39 Jaeggi 2002, S. 62. 40 Vgl. Hahn 2005, S. 103. Dort listet Hahn die Elemente im Prozess der Aneignung von Dingen auf: 1. Erwerb/Annahme, 2. materielle Umgestaltung, 3. Benennung, 4. Kulturelle Umwandlung, 5. Inkorporierung, 6. Traditionalisierung. Nicht alle diese Elemente müssen beim Aneignungsprozess ablaufen und nicht alle sind für Adéagbos Arbeitsweise relevant. Hahn zeigt damit eher das Spektrum der Handlungsmöglichkeiten vom bloßen Gebrauch bis zur völligen Umwandlung auf.
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tuierung neuer Kontexte und die damit verbundene Entstehung von Bedeutungen, die beispielsweise auf eine Neu-Erzählung von Geschichten abheben. Adéagbo eignet sich die Dinge an, indem er sie in „sein System“ integriert. Dabei ist ein weiterer Aspekt von Bedeutung: Er macht sich zu eigen (eignet sich an), was vorher nicht ‚eigen‘, sondern ‚fremd‘ war. Dieses Spannungsverhältnis von ‚eigen‘ und ‚fremd‘ ist für das Prinzip der Aneignung grundlegend.41 In welchem Maße die Dinge als fremd empfunden werden, hängt von den jeweiligen Kontexten ab, in denen sie Adéagbo begegnen. Ein Exemplar einer afrikanischen Zeitschrift, die er regelmäßig kauft, ist für ihn wahrscheinlich vertrauter als eine deutsche, die er während eines Aufenthaltes zur Vorbereitung einer Ausstellung zum ersten Mal sieht. Bei weltweit zirkulierenden Waren kann man jedoch nicht schematisch vom Herkunftsort eines Dinges auf dessen Fremdheitsgrad schließen. Es geht hier nicht darum, für jedes Objekt innerhalb einer Installation zu bestimmen, ob es für den Künstler bekannt oder unbekannt war. Wichtig ist jedoch festzuhalten, dass ‚fremd‘ graduelle Unterschiede hat. ‚Eigen‘ und ‚fremd‘ sind als zwei Pole einer Skala zu verstehen, die wahrscheinlich nie erreicht werden, denn: „Objekte der Aneignung sind ‚weder nur fremd noch nur eigen‘.“42 Das Spannungsverhältnis im Aneignungsprozess kann also nie vollständig aufgelöst werden. Es erscheint in Adéagbos Arbeiten jedoch besonders ausgeprägt, weil er einerseits Dinge aus anderen Kulturen mit zum Ausstellungsort bringt und andererseits lokale Dinge zeigt. In der Kombination aus materiellem Kulturtransfer und Ortsspezifik konstruiert und präsentiert er deshalb eine außergewöhnlich breite Skala von ‚Fremdheit‘. Damit verdoppelt und verdeutlicht er zugleich jenes Spannungsfeld, das bereits auf der Ebene des einzelnen Gegenstandes angelegt ist, in der Kombination der Dinge. Durch die Vielfalt der Dinge und deren oftmals schwierige Zuordnung, die Adéagbo durch Hybridisierungen steigert, kommt es nicht zu einer Polarisierung, sondern zu einer Differenzierung der Skala, die auch für die BetrachterInnen erlebbar wird. Zu dem Verhältnis zwischen Mensch und Ding kommt ein weiteres Spannungsfeld im Aneignungsprozess hinzu: das zwischen ProduzentInnen und KonsumentInnen von Gegenständen. Auch zwischen ihnen besteht in Adéagbos Arbeit häufig eine kulturelle Differenz, wenn er (als Konsument verstanden) am Ausstellungsort produzierte Dinge verwendet. In diesem Sinne materialisieren seine Dinge soziale Beziehungen zwischen Menschen und Kulturen, die Adéagbo auch auf thematischer Ebene fokussiert. Durch seinen Umgang mit Dingen werden über diese Beziehungen auch Machtverhältnisse zwischen Pro-
41 Vgl. dazu Jaeggi 2002, S. 61-69. 42 Jaeggi 2002, S. 63.
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duzentInnen und KonsumentInnen zur Disposition gestellt. Denn Aneignungsprozesse sind meist Handlungen zwischen ungleichen Parteien. Der Kolonialismus als exemplarischer Kontext macht jedoch deutlich, dass sowohl die Kolonisatoren als auch die Kolonisierten Strategien der Aneignung betreiben können. Damit fokussiert Aneignung die jeweiligen Positionen der an ihr beteiligten Akteure.43 Es stellt sich bei der Verwendung des Begriffes nicht nur die Frage nach der Perspektivierung (Wer macht was mit wem? Und von welcher Position analysiere ich das?), sondern auch nach den Machtpositionen, die die Akteure innehaben. Der Begriff funktioniert folglich nach beiden Seiten: Aneignung kann sowohl brutale Ausbeutung und hegemoniale Ignoranz als auch subversive Strategien bezeichnen, die Handlungsspielräume eröffnen. Sich etwas anzueignen kann bedeuten, etwas (gewaltvoll) zu stehlen oder einzunehmen (z.B. einen Raum), aber auch, etwas zu lernen (z.B. sich Wissen aneignen). Adéagbos Aneignung von Dingen aus anderen kulturellen Kontexten ist eng mit der Machtfrage verbunden, weil die Übernahme von Gegenständen meist nur in eine Richtung verlaufend gedacht wird: Die westlichen Industrienationen produzieren, und der Rest der Welt konsumiert ihre Produkte. Die ProduzentInnen der Dinge werden als aktiv, beherrschend und global agierend, die KonsumentInnen als passiv, dominiert und lokal agierend imaginiert.44 Michel de Certeau dagegen widerlegt in seinem Werk Kunst des Handelns (franz. Erstveröff. 1980) den Mythos des „reinen Empfänger[s]“.45 Er geht davon aus, dass VerbraucherInnen oder KonsumentInnen nicht zur Passivität verurteilt
43 Hahn bekräftigt: „Aneignung ist […] kein machtfreier Begriff; er muß deshalb auch auf die Frage bezogen werden, welche Möglichkeiten des Konsums einem Individuum überhaupt zur Verfügung stehen […]. Aneignung kann soziale Ungleichheiten erzeugen, wenn in diesem Kontext einzelne Gruppen sich etwas ‚zu eigen‘ machen, das anderen nicht zugänglich ist.“ Hahn 2005, S. 104. 44 Appadurai schreibt dazu: „Wir neigen dazu, uns das Globale als groß, neu, mobil und veränderlich vorzustellen. Umgekehrt tendieren wir dazu, das Lokale oder einen bestimmten Ort als unbewegliche Leinwand zu betrachten, auf welche das Globale aufgetragen oder eingeschrieben wird […]. Weit davon entfernt, die unbewegliche Leinwand, Folie oder Bühne für die mobile Dynamik der Globalisierung zu sein, wird das Lokale selbst fortwährend hergestellt, und zwar gegen die Übermacht aller möglichen Prozesse – Geschichte, Natur, Politik.“ Appadurai 1999, S. 56. 45 De Certeau 1988, S. 80. Der Textteil, auf den ich mich hauptsächlich beziehe, ist mit „Gebrauch oder Konsum“ betitelt (S. 79-84) und wurde im Kunstkontext bereits durch Clémentine Deliss eingeführt, die ihn im Ausstellungskatalog Lotte oder die Transformation des Objekts (Graz, 1990) abgedruckt hat.
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sind, sondern im Akt des Konsumierens aktive ProduzentInnen von Kultur sind. Er fragt danach, was die KonsumentInnen mit dem Konsumierten machen? Die Dinge (in seinem Beispiel geht es um Waren) spielen dabei eine zentrale Rolle. De Certeau versteht sie als „Repertoire, mit dessen Hilfe die VerbraucherInnen dieser Waren ihre eigenen Handlungen ausführen“.46 Als ein Beispiel nennt er den Umgang mit Gegenständen, die im Zuge der spanischen Kolonisation nach Amerika gelangt waren: Die Kolonisierten benutzten sie „oft zu anderen Zwecken als denen der Eroberer; sie machten daraus etwas anderes; sie unterwanderten sie von innen her […] durch hunderterlei verschiedene Weisen, sie in den Dienst von Regeln, Gebräuchen und Überzeugungen zu stellen, die der Kolonisation, der sie nicht entfliehen konnten, fremd waren. Sie metaphorisierten die herrschende Ordnung: sie ließen sie nach einem anderen Register funktionieren.“47
Dass er seine Theorie am Beispiel des Zusammentreffens verschiedener Kulturen verdeutlicht, legt zweierlei offen: Im Kontext von kultureller Differenz ist der aneignende Gebrauch besonders auffällig, weil die ‚Fremdheit‘ größer ist (besonders in der frühen Phase des transatlantischen Handels). Ferner verdeutlicht sein Beispiel ein Machtgefälle, das jedoch nicht die Passivität der ‚Unterdrückten‘ festschreibt, sondern ihnen ein subversives Handlungspotenzial zuschreibt.48 Dieses liegt in erster Linie in der flexiblen Bedeutungsproduktion, die in den Dingen angelegt ist. Auch Adéagbos „Konsumverhalten“ ist keineswegs passiv: Durch das tägliche Hantieren mit den Dingen gibt er ihnen eine neue Funktion, die nichts mehr mit ihrer ursprünglichen zu tun hat. Sein Konsum von europäischen Waren, die er auf seinen Streifzügen durch diverse Ausstellungsorte sammelt, kann subversiv gelesen werden, weil er sie „nach einem anderen Register funktionieren“49 lässt und keineswegs mit den Dingen die lokale Kultur, Gebräuche, Regeln oder kulturelle Übereinkünfte übernimmt. Das von De Certeau ausgedrückte Verständnis der (Neo-)Kolonisierten als Akteure der Geschichte stellt keine etablierte Forschungsmeinung dar. Es dominieren immer noch Ansichten von der passiven Übernahme von materiellen Dingen, durch die Kulturen von einer anderen hegemonialen Kultur normiert wer-
46 De Certeau 1988, S. 79f. 47 De Certeau 1988, S. 81. 48 De Certeau 1988, S. 84. 49 De Certeau 1988, S. 81.
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den.50 Das impliziert eine Verwendung und Interaktion mit den Dingen, die nur in den von den ProduzentInnen erdachten Weisen möglich ist. Dabei wird das Verschwinden der dominierten Kultur angenommen, die durch die Gleichartigkeit nicht nur der benutzten Gegenstände, sondern auch der damit verbundenen Wirtschafts- und Handlungsweisen so wird wie die Kultur, aus der die Dinge gekommen sind. Dass dabei häufig von „Verwestlichung“ die Rede ist, verdeutlicht die vermeintliche kulturelle Dominanz des Westens. In Bezug auf Afrika wird die Zerstörung der lokalen Kulturen und die „Europäisierung“ oder „Amerikanisierung“ der Länder bedauert. Das hat mehrere Aspekte: Afrikanische Kulturen werden als von anderen Kontinenten beherrscht dargestellt; ein Handlungsspielraum wird den afrikanischen Gesellschaften nicht zugestanden, sie scheinen lediglich überformt zu werden. Ihnen wird abgesprochen, sich aktiv für etwas zu entscheiden oder eine eigene Identitätspolitik zu betreiben. An dieser Wahrnehmung lässt sich die Vorstellung des nicht entwickelten Kontinents ablesen, der in einem ahistorischen ‚Ursprungszustand‘ verweilt, der romantisierenden Vorstellungen zufolge bewahrt werden müsse. Adéagbo widerlegt diese stereotypen Vorstellungen: Er ist Konsument und Produzent von Dingen zugleich und tritt als globaler und lokaler Akteur auf. Die récupération, der ich Adéagbos Arbeit zugeordnet habe, steht für ein Konsumund Dinglichkeitskonzept, welches das kreative Potenzial von Gegenständen umsetzt. Adéagbo sammelt etwa Dinge, die einmal Konsum- oder Gebrauchsgegenstände waren. Durch den Akt des Wegwerfens wurden sie zu wertlosem Müll, den Adéagbo rehabilitiert und umfunktioniert. Dabei spielt zudem der kulturelle Transfer, der für die récupération charakteristisch ist, eine zentrale Rolle. Die Dinge enden nicht mit dem für sie zunächst vorgesehenen Anwendungskontext, sondern werden transformiert, in Interaktionen eingebunden und so aktiviert und als vielfältiger verstanden. Die Betonung der Mannigfaltigkeit ihrer Anwendung gesteht auch den BenutzerInnen mehr Flexibilität zu. Sie legen ihre eigenen Bedeutungen in die Dinge bzw. entwickeln diese in der Auseinandersetzung mit den Dingen. Trotz der Anerkennung der ‚Anderen‘ als Akteure dürfen jedoch tatsächliche Abhängigkeitsverhältnisse auf dem Warenmarkt nicht dementiert oder ökonomische Potenziale heruntergespielt werden, die auch den Kunstkontext betreffen. Wie Clémentine Deliss formuliert: „Damit sollen nicht die verheerenden Auswirkungen des westlichen Kulturimperialismus auf die afrikanischen Kulturen geleugnet werden, sondern es soll anerkannt werden, daß
50 Vgl. hierzu das sogenannte Konzept der „McDonaldisierung“, Hahn 2005, S. 100.
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die Objekte, ob sie nun Spuren westlicher Ikonografie aufweisen oder nicht, die Identität und das Wertsystem jener Menschen repräsentieren, die diese zu einem Teil ihres Lebens machen.“51
Entgegen der einseitigen Perspektivierung auf den passiven Konsum haben sich im Zuge der postcolonial studies die Begriffe Kreolisierung und Hybridisierung durchgesetzt, die den aktiven Teil der Übernahme mit einbeziehen und dabei nicht von einer kulturellen Homogenisierung ausgehen, sondern den Fortbestand kultureller Differenz und die Entstehung neuer und eigenständiger kultureller Formen betonen.52 Beide Begriffe sind innerhalb der postcolonial studies positiv besetzt und betonen die Handlungsfähigkeit der vormals als passiv imaginierten ‚Anderen‘. Sie sind dem Begriff der Aneignung damit ähnlich, der in diesem Zusammenhang ebenfalls den aktiven Prozess betont; ich habe ihn jedoch favorisiert, weil er in beide Richtungen des Machtgefälles motiviertes Handeln bedeutet. „Taken positively or pejoratively, appropriation is not passive, objective, or desinterested, but active, subjective, and motivated.“53 Damit ist im Begriff der Aneignung auch – je nach Standpunkt, Handlungskontext und einbezogenen Akteuren – die Möglichkeit einer Neubewertung der Machtpositionen konzeptionell angelegt. Der kulturhistorische Kontext, in den Adéagbos aneignende Praxis gestellt wurde, muss für den Kunstkontext weiter differenziert und zugespitzt werden. Welche Interpretationen bieten sich innerhalb des spezifischen Kunstdiskurses an und warum wird Adéagbos Aneignungsprinzip im Hinblick auf die europäische Kunstgeschichte relevant? Zunächst stellt sich die Frage, welche Tradition der Begriff der Aneignung in der Kunstgeschichte hat, wo er noch nicht lange eingesetzt wird. Hier dominierten andere Konzepte zur Beschreibung von aneignenden Praktiken in der Kunst, wie beispielsweise „Anleihe“ (als ob etwas nur ausgeliehen sei, das später wieder zurückgegeben werden kann) oder „Einfluss“ (als ob das „Beeinflusste“ vollkommen passiv sei). Ihnen liegen vergleichbar problematische Vorstellungen zugrunde: Sie verschleiern das aktive Handeln und die Positionen der Beteiligten sowie deren hierarchisch strukturiertes Verhältnis zueinander. Rückwirkend wurden sie deshalb häufig durch den Begriff der Aneignung ersetzt: „Compared to traditional terms of art history – for example ‚influence‘ – considering appro-
51 Deliss 1990, S. 151. 52 Zum Begriff Créolité vgl. Garscha 2002, S. 528-533, zu dem der Hybridität vgl. Bronfen, Marius, Steffen (Hg.) 1997. Zur Kritik am Hybriditätsbegriff siehe Ha 2005. 53 Nelson 1996, S. 120 [Herv. K.S.].
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priation shifts the inquiry towards the active agents of signification in society and illumines historical context.“54 In den frühen 1980er Jahren wurde Aneignung im postmodernen Kontext zu einem strategischen Instrument der Kunst erklärt und erhielt als eigenständige Ausprägung der Konzeptkunst in den USA den Namen Appropriation Art.55 Die VertreterInnen der Appropriation Art setzten bereits vorhandene Werke ein, um mittels Kopie, Sampling, Zitat oder Paraphrase künstlerische Produktions- und Rezeptionsbedingungen zu reflektieren und vor allem den Originalitäts- und Innovationsbegriff zu kritisieren. Die Geschichte inklusive der Kunstgeschichte als einen Fundus zu verstehen und zu nutzen verweigert sich der modernen Vorstellung einer teleologischen Entwicklungsgeschichte, die auf Nachfolge und Einfluss gründet. Die Aneignung als künstlerisches Verfahren ist in das Repertoire der Praktiken eingegangen und etabliert. Im Kontext von kultureller Differenz erhält sie jedoch eine neue Brisanz. Adéagbos Aneignung von Dingen am Ort der Ausstellung verweist auf die problematische Diskussion um die vermeintliche Authentizität von außereuropäischer Kunst: Der Vorwurf von „europäisch beeinflusster“ Kunst aus Afrika, die nicht mehr ‚authentisch‘ afrikanisch sei, offenbart auch die Vorstellung der Passivität von afrikanischen KunstproduzentInnen.56 Damit verurteilt man nicht-westliche Aneignungspraktiken (hier meist von Techniken oder Stilen, weniger von Dingen) als nicht originell und lediglich nachahmend, und die KünstlerInnen werden in eine „Position der kulturellen Stellvertreterschaft“57 gedrängt.58 Im Gegenzug wird beispielsweise die aneig-
54 Nelson 1996, S. 127. Vgl. auch Nelson 1996, S. 120. Baxandalls Ursachen der Bilder enthält einen „Exkurs wider den Einfluß“ (S. 102-105), in dem er erklärt: „[…] dieser Begriff scheint das Aktiv/Passiv-Verhältnis, das der historisch Handelnde erlebt und das der erschließende Betrachter ergründen will, geradezu umzukehren. Wenn man sagt, X habe Y beeinflußt, dann sieht es so aus, als habe X mit Y etwas getan, nicht etwa Y mit X. […] Der Begriff ‚Einfluß‘ macht unser Denken stumpf, indem er unser Differenzierungsvermögen verarmt.“ Baxandall 1990, S. 102. 55 Römer 2002. Für eine kritische Revision der Appropriation Art vgl.: Texte zur Kunst, 12. Jg. (2002), H. 2, mit dem Titel Appropriation Now!. 56 Vgl. Enwezor 2001, S. 14. Enwezor beschreibt hier das Problem der Authentizität, mit dem nicht-westliche KünstlerInnen oft konfrontiert werden, hier am Beispiel der Literatur und der Wahl der Sprache. 57 Kravagna 1999, S. 51. 58 Oguibe liefert eine historische Begründung für die Entwicklung von Aneignungsstrategien in der Malerei Afrikas seit der Kolonisation bis in die 1950er Jahre. Die frühen Missionsschulen hielten Kunstunterricht für unwichtig, weil den Kolonisierten jede
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nende Praxis der Avantgardekünstler in Bezug auf außereuropäische Plastik im sogenannten Primitivismus nicht als Verlust von europäischer ‚Authentizität‘ gewertet, sondern im Begriff der Inspiration zum genialen Schöpfungsakt gewendet.59 Im Kontext von kultureller Differenz verweist künstlerische Aneignung deshalb auch auf die problematische Geschichte der Moderne. Arjun Appadurai hat dieses Dilemma um Aneignung und Authentizität beschrieben und sich mit „Traditionsängsten im globalen Kunstkontext“ auseinandergesetzt.60 Er stellt zwei „Ängste“ heraus, mit denen KünstlerInnen und Intellektuelle aus ehemaligen Kolonien in Zeiten der Globalisierung zu kämpfen hätten: die Traditionsangst (man muss sich immer auf die Tradition berufen, bevor man sich in das Hier und Jetzt vorkämpfen kann) und die Angst vor Wiederholung (man läuft immer dem hinterher, was andere entwickelt haben). „Die Lösung könnte […] darin liegen, sich alle Traditionen als verfügbar für die Arbeit an der Produktion der je eigenen Lokalität, des Hier und Jetzt, der Zeitgenossenschaft vorzustellen.“ Damit würden sie einerseits den „Klassifikationsphantasien globaler SammlerInnen und TouristInnen“61 entgehen, aber sich auch nicht in den Dienst von Nationalismus oder einer fiktiven Afrikanität stellen. Diese Forderung Appadurais scheint Adéagbo verwirklicht zu haben: Wenn man die Dinge als aus Geschichten und Traditionen hervorgegangen und diese
Kreativität abgesprochen wurde. Nachdem afrikanische Maler wie Aina Onabolu (1882-1963) sich ‚westliche‘ Traditionen und Techniken angeeignet hatten (und damit diese Einschätzung in der Logik der Europäer widerlegt hatten), gab es in den von weißen Lehrern geführten Kunst-Workshops einen Umschwung: Man propagierte nun ‚authentische‘ Malerei, um (unter der vermeintlich gut gemeinten Forderung der Entwicklung einer afrikanischen Identität) die europäische Phantasie eines ‚Anderen‘, eines ‚primitiven‘ Kolonisierten aufrechtzuerhalten. Oguibe 2002, S. 243-259. 59 Der Begriff der Inspiration (lat.: Einhauchung) ist ähnlich machtfrei wie Anleihe und Einfluss, betont aber den Genius des Künstlers, dessen schöpferischer Einfall erst die vermeintlich wahre Kunst hervorzubringen vermag. Wie aktuell diese Debatte immer noch ist, zeigte die Diskussion um eine Ausstellung in Johannesburg und Kapstadt mit dem Titel Picasso und Afrika (2006). Sandile Memela, Sprecher des südafrikanischen Kulturministeriums, warf in der südafrikanischen Sunday Times Picasso geistigen Diebstahl, Rassismus und kolonialen Hochmut vor. In Die Welt wurde kommentiert, Picasso habe die „Inspiration“ nie geleugnet. Außerdem habe er sich auch noch anderweitig künstlerisch inspiriert und letztlich sei doch jede künstlerische Produktion „Kunst über Kunst“. Dittmar 2006. 60 Appadurai 1999, S. 54-56. 61 Appadurai 1999, S. 56.
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gleichzeitig konstituierend versteht, dann hat Adéagbo eine künstlerische Praxis entwickelt, die sich vieler unterschiedlicher (und eigentlich unvereinbarer) Traditionen bedient und sie in einer relationalistischen Perspektive aneignet. So kommt es beispielsweise vor, dass eine Fahne der DDR in derselben Installation zu finden ist wie eine faschistische japanische Kriegsflagge (Abb. 87 und 88).62 Abbildung 87: Georges Adéagbo: L’explorateur et les explorateurs (Detail), Köln 2004
Die in den Dingen materialisierte Kultur erscheint bei Adéagbo als frei zugänglicher Fundus; die von Appadurai beschriebenen Ängste hat Adéagbo überwunden, denn er bedient sich überall gleichermaßen. Damit ist seine Kunst weder als afrikanische noch als europäische oder anders kategorisierte festzuschreiben. Die Authentizitätsfrage stellt sich ebenso wenig wie die Frage der Nachahmung westlicher Kunst, der Wiederholung oder gar der europäischen Beeinflussung seiner Kunst. Sein aneignendes Verfahren schafft stets neue Kontexte, weil es die Bilder und Dinge unterschiedlicher Provenienz in das künstlerische Konzept einbindet und auf diese Weise transformiert. Aneignung artikuliert damit Differenz (nicht Nachahmung) und eröffnet in der De- und Rekontextualisierung neue Interpretationen.
62 Ich danke Kristina Iwata-Weickgenannt, die mich auf die Herkunft der japanischen Flagge hingewiesen hat.
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Abbildung 88: Georges Adéagbo: L’explorateur et les explorateurs (Detail), Köln 2004
9 Künstlermythen
Wissenschaftshistorisch betrachtet wurde der Status der Dinge gegenüber dem der Subjekte vernachlässigt: Während die Subjektkritik in der Postmoderne sehr prominent wurde, führte diese Auseinandersetzung zunächst nicht zu einer vermehrten Beschäftigung mit Dinglichkeitskonzepten. Zwar implizierte die Dekonstruktion des Autors als autonomer Urheber und die Hinterfragung der Subjekt/Objekt-Dichotomie auch eine Aufwertung der Dinge, machte sie aber selten explizit. Aus diesem Grund war es mir wichtig, der Problematisierung des Künstlerimages eine Untersuchung der Dinge voranzustellen, um beide Positionen aus der Perspektive der wechselseitigen Beziehung zu relativieren. Im internationalen Kunstbetrieb kann man heute mehr denn je die Aufrechterhaltung der Relevanz des Künstlersubjektes konstatieren. Die wissenschaftliche Vernachlässigung der Dinge, die erst in den vergangenen Jahren korrigiert zu werden schien, könnte ein Grund sein, warum sich die kritische Auseinandersetzung mit Konzepten von Autorschaft sowohl in der Kunstkritik als auch in der Kunstwissenschaft kaum etablieren konnte. Die Aufwertung der Dinge (und damit auch der Kunstwerke) als kulturelle Akteure stellt dem Künstlersubjekt gleichwertige Partner und kunstwissenschaftliche Ansatzpunkte für die Interpretation zur Seite. Die Kunstkritik widmet Adéagbos Person wesentlich mehr Aufmerksamkeit als seinen Arbeiten (oder den Dingen), wie ich im Folgenden zeigen werde. Seine Biografie wird durch sie in einer besonders auffälligen Art und Weise vereinnahmt. Ihre ausführlichen Erzählungen seiner Lebensgeschichte verarbeiten zahlreiche Motive und Topoi der ‚westlichen‘ Künstlermythen, die im Kontext von kultureller Differenz und Transkulturalität eine neue Problemstellung aufwerfen.
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Zahlreiche Rezensionen zu Ausstellungen Adéagbos mythisieren seine Lebensgeschichte und bieten einen Einblick in kollektive Vorstellungen über den ‚ethnisch anderen‘ Künstler. Exemplarisch hierfür sei eine Passage aus dem Artikel von Michael Hübl in der Zeitschrift Kunstforum International zitiert, der die Documenta11 kommentiert. Hübl schenkt den Biografien der übrigen KünstlerInnen nicht annähernd so viel Aufmerksamkeit wie der Adéagbos. In den meisten Fällen erwähnt der Autor lediglich, wo die KünstlerInnen geboren wurden und wo sie zurzeit leben und arbeiten. Dagegen ist die sich über eine Seite erstreckende Nacherzählung von Adéagbos Lebensgeschichte besonders auffällig. Der Text steht repräsentativ für die Einschreibung Adéagbos in eine Tradition von Künstlerlegenden, weshalb er in seiner ganzen Länge zitiert wird: „Denn was ist noch unter ‚Identität‘ zu verstehen, wenn man etwa wie Adéagbo während des Zweiten Weltkriegs im Gebiet Dahomé geboren ist, das damals in die koloniale Gebietsgruppe ‚Französisch-Westafrika‘ eingegliedert war, wenn man es schafft, gegen den Willen des Vaters im Mutterland der Kolonialherren Recht und Wirtschaftswissenschaften zu studieren, wenn man sich als Schwarzer so weit assimiliert, dass man zu den bestgekleideten Studenten zählt und mit einer Französin Verlobung feiert, wenn man dann, ab 1968, als in Paris, Berkeley, Berlin die Revolte einer sozialistisch inspirierten, libertinär gestimmten neuen Generation Platz greift, von der Familie mit wachsendem Nachdruck zur Rückkehr nach Afrika aufgefordert wird, weil das Familienoberhaupt schwer erkrankt sei und man doch schließlich seinen Pflichten als Ältester nachzukommen habe. Wenn man sich zunächst weigert, dann doch zurückkehrt, überrumpelt wird, ohne Papiere dasteht und nun, genau: ab 1971 gezwungen ist, statt in Paris – am Puls einer westlichen Metropole – in einem orientierungslosen Staat namens Dahomey zu leben, in dem ein Putsch den anderen ablöst, bis Mathieu Kérékou am 30. November 1975 die Volksrepublik Benin ausruft. Zu diesem Zeitpunkt ist nach dem Vater bereits auch die Mutter gestorben, hat Georges Adéagbo mehrere Einweisungen in psychiatrische Anstalten hinter sich, weil er sich Bemühungen, ihn auf das traditionelle Rollenschema des ältesten Sohnes festzulegen, widersetzt, stattdessen Texte und Objekte sammelt, die er auf Grundlage seiner gegensätzlichen Erfahrungen interpretiert, ausdeutet und zu einem transkolonialen, Geschichte und Gegenwart, kulturelle Ideologeme und subjektive Traumata amalgamierenden Weltbild zusammenstellt. […] Im Jahr 1993 (Benin ist inzwischen eine Demokratie nach westlichem Vorbild, Kérékou ist immer noch Präsident) wird Adéagbo ‚entdeckt‘.“1
1
Hübl 2002, S. 72.
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Texte der Kunstkritik und Katalogbeiträge reproduzieren immer wieder Adéagbos Biografie, an der man ganz offensichtlich Gefallen findet. Mit einem Gestus der Überlegenheit wird über Adéagbo als einer bemitleidenswerten Person geschrieben, die vom ‚Westen‘ durch seine Entdeckung sozusagen gerettet wurde: „Sie [die Installation; Anm. K.S.] verhalf dem 1942 in Cotonou/Benin geborenen Autodidakten, der erst vor einem Jahrzehnt zufällig von einem französischen Kurator und Kunstsammler entdeckt und aus völliger künstlerischer Isolation gerissen wurde, zum endgültigen Durchbruch.“2 ‚Westliche‘, männliche Künstlermythen werden hier eingesetzt und fortgeschrieben. Warum ist es von Bedeutung, „Mythen des Alltags“, zu denen auch die Künstlermythen zählen, zu untersuchen, und was macht diese so wirkungsmächtig? Roland Barthes bezeichnete die Wirkungsweise des Mythischen als Naturalisierung von Geschichte und sah darin einen ideologischen Missbrauch.3 Die Beschäftigung mit Mythen, die im Umgang mit ‚ethnisch anderen‘ KünstlerInnen entstehen oder reproduziert werden, kann in besonderem Maße zu einer Klärung des Status dieser KünstlerInnen beitragen: „Die Analyse von Mythen kann zur Form einer Kritik der bestehenden Verhältnisse avancieren und Aufklärung
2
Seidel 2005, S. 314. Diese reduzierende und verkitschte Rezeption wird auch im Umfeld von Magnin und Pigozzi gepflegt, vgl. Magnin, De Lima Greene, Wardlaw u.a. (Hg.) 2005, S. 58: „The eldest – and favorite – son in the family, Adéagbo grew up in Cotonou, Benin. He studied law in Abidjan, Côte d’Ivoire, and in France, where he planned to settle and marry. When his father died in 1971, he returned to Benin at the request of his mother to take care of the family. Unwilling to take on this responsibility, he soon was in conflict with his relatives. He remained jobless and suffered from profound loneliness and alienation. To escape from his ‚prison‘, Adéagbo would leave the family plot of land every day and go to the lagoon, where he would gather whatever variety of objects and materials he encountered during his walk. […] His first series of accumulations were destroyed as they cluttered up the family home, and Adéagbo’s obscure behavior further distanced him from the family. It was only in the early 1990s, after he had a chance meeting with an art critic who appreciated his work, that people started to listen to him and understand him. […]“ Weitere Beispiele für Rekurse auf biografische Details: Stremmel, Weidemüller 2004, S. 82; Kunstforum International, Bd. 161, 2002, S. 278; Magnin 1999, S. 352; Adéagbo 1998; Cuzin, Rousset 1996, S. 168. Es gibt daneben natürlich eine differenzierte Auseinandersetzung mit Adéagbos Arbeit, trotzdem sind diese biografischen Ausschweifungen auffällig.
3
Barthes 1964 [franz. Erstveröff. 1957], S. 7.
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über die unbewussten kollektiven und in die Routine des täglichen Lebens verflochtenen typischen Bilder und Anschauungen liefern.“4 Der Mythos als Analysekategorie und Instrument der Erkenntnis kann bestehende Mechanismen und vereinnahmende Tendenzen innerhalb des Kunstsystems bewusst machen und ermöglicht einen differenzierteren Umgang des ‚westlich‘ dominierten internationalen Kunstsystems mit außereuropäischen KünstlerInnen. Um der Mythenbildung weiter nachzugehen, möchte ich zunächst an die Genealogie von Künstlerlegenden und die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit ihnen erinnern: „Kaum ein Beruf ist mehr von Mythen umwoben“, schreibt Wolfgang Ruppert in seiner Publikation zum „modernen Künstler“.5 Im Jahr 1934 unterzogen Ernst Kris und Otto Kurz dieses soziologische und historische Phänomen in Die Legende vom Künstler einer kritischen Untersuchung, die ins Herz der Kunstgeschichtsschreibung traf.6 Sie zeigten Topoi auf, die seit der Antike immer wieder in den Künstlerviten auftauchen und dekonstruierten durch ihre Quellenkritik die literarische Diskursfigur. Ihre Untersuchung ist der Ausgangspunkt der Kritik an Stereotypen und Anekdoten der Künstlerbiografik und der Konzeptualisierung der männlichen Künstlerfigur als zentralem Paradigma der Kunstgeschichte. Die Legende des Künstlers ist eng verknüpft mit literaturwissenschaftlichen Theorien zur Autorschaft, die auch in der Kunstgeschichte rezipiert wurden. Bereits 1923 formulierte Boris Tomasevskij, Vertreter des russischen Formalismus, seine Kritik am Konzept der Autorschaft und schrieb vom Konstruktionscharakter der Autorenbiografie als Legende.7 In der Postmoderne rief Roland Barthes den „Tod des Autors“ (1967) aus, Michel Foucault antworte auf die rhetorische Frage „Was ist ein Autor?“ (1968), er sei lediglich die diskursiv produzierte „Funktion“, die die Einheit einer Textgruppe und des Textes als solchem konstruiert, und Jean-François Lyotard verkündete wenig später das „Ende der großen Erzählungen“ (1979).8 Die radikale Position, die einen „Tod des Autors“ proklamiert, hat sich in den Wissenschaften nicht durchgesetzt, was auch die anhaltende Wichtigkeit jener Namen verdeutlicht, die ihn propagierten.9
4
Müller 1997, S. 25.
5
Ruppert 1998, S. 11.
6
Kris, Kurz 1995 [Originalausgabe 1934].
7
Vgl. Soussloff 1999, S. 481.
8
Barthes 2000 [engl. Übersetzung u. Erstveröff. 1967; franz. Originaltext 1968 veröff.],
9
Barthes hat seinen Essay überspitzt und provokativ formuliert, verleugnet aber nicht,
Foucault 1974 [franz. Erstveröff. 1969], Lyotard 1986 [franz. Erstveröff. 1979]. dass Texte von Autoren hervorgebracht werden, sondern untergräbt die Autonomie
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Die Figur des Künstlers/der Künstlerin als Subjekt par excellence nahm und nimmt in der Kritik an Vorstellungen autonomer Urheberschaft eine exemplarische Rolle ein.10 Die ausführliche und detailverliebte Darstellung von Künstlerbiografien war in der Kunstgeschichte lange üblich und ist auch heute noch verbreitet, ebenso mit „Leben und Werk“ betitelte Künstlermonografien, die die Einheit von Autor und Werk propagieren. Jedoch setzt sich heute dem Verdacht theoretischer Naivität aus, wer die biografischen Erzählungen unreflektiert wiedergibt. Im Anschluss an die kritischen Diskussionen des Subjektbegriffs bietet die Biografie und die Psyche des Künstlers als „Verstehensnorm“11 keinen legitimen Ansatz mehr.12 Gleichwohl besteht weiterhin eine große Diskrepanz zwischen der Kritik an Künstlermythen und dem weiteren Tradieren derselben. Diese wird durch die Realität des Kunstbetriebes befördert, in der die Künstlerpersönlichkeiten und ihre Lebensgeschichten enorm wichtig sind und ökonomisiert werden. Vor allem Vertreterinnen der feministischen Kunstgeschichte fordern einen reflektierteren Umgang mit Künstlerbiografien ein, der ihren Konstruktionscharakter anerkennt und ihre Instrumentalisierung thematisiert.13 Während Kris und Kurz nicht reflektierten, dass der Mythos, über den sie schrieben, ein männlicher ist, konnte die feministische Kunstwissenschaft die Vorstellung von Künstlerschaft als genuin männliche dekonstruieren.14 Dabei wurden die inhärenten tradierten Genealogien aufgezeigt, deren Beständigkeit durch die Konstruktion einer Geschlechteropposition erreicht wurde: „Durch feministische Forschungen ist deutlich geworden, daß durch die Stereotypen des ‚Weiblichen‘ als komplementäre Setzungen innerhalb der Kunstgeschichte die Eigenschaften des ‚Männlichen‘ erst gewonnen werden konnten.“15
des Autors durch sein Verständnis eines Textes als Kompilation von sprachlichen objets trouvés. Vgl. Jannidis, Lauer, Martinez u.a. (Hg.) 2000, S. 181f. 10 Vgl. Krieger 2003, S. 119. 11 Jannidis, Lauer, Martinez u.a. 2000, S. 8. 12 Es gibt immer noch Monografien dieser Art, die jedoch nicht alle mit einem naiven Biografismus gleichzusetzen sind. Wenn die Biografie nur einen Kontext unter vielen darstellt, gibt es durchaus theoretisch legitime und fruchtbare Arten, sich auf sie zu beziehen. 13 Vgl. Hoffmann-Curtius, Wenk (Hg.) 1997; Lindner, Schade, Wenk u.a. (Hg.) 1989; Barta, Breu, Hammer-Tugendhat u.a. (Hg.) 1987. 14 Schmidt-Linsenhoff 2004, S. 199ff. Zu einer „feministischen Relektüre“ von Kris und Kurz siehe außerdem Schmidt-Linsenhoff 2004a. 15 Schade, Wenk 1995, S. 351.
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Eine Analyse von Künstlerlegenden im Hinblick auf die Kategorie der kulturellen Differenz steht noch aus.16 Diese trägt im Anschluss an feministische Ansätze zum Überdenken und Destabilisieren immer noch naturalisierter Vorstellungen bei. In Georges Adéagbos Vita und deren Rezeption spielen Topoi der Künstlerbiografik eine wichtige Rolle, die Kris und Kurz als grundlegend für den abendländischen, männlichen Künstlermythos erkannten: Autodidaktentum, die zufällige Entdeckung durch einen Kunstkenner und die damit einhergehende schicksalhafte Veränderung des Lebenslaufes sowie der soziale Aufstieg.17 Ein weiteres traditionelles Motiv der Künstlermythologie ist die Pathologisierung des Künstlers. So avancierte der Umstand, dass Adéagbo von seiner Familie in Benin mehrmals in eine psychiatrische Anstalt eingewiesen wurde, zu einem Schlüsselmotiv der europäischen Kunstkritik. Das Bild des ‚verrückten Künstlers‘ bestätigt gängige Vorstellungen von Genialität und Außenseitertum. Im Folgenden wird nicht gefragt, ob die Zuschreibungen und Anekdoten ‚wahr‘ sind oder nicht, „allein bedeutsam [ist] vielmehr der Umstand, daß eine Anekdote öfters, daß sie so oft berichtet wird, daß wir aus ihr auf eine typische Vorstellung vom Künstler schließen dürfen. […] Die Anekdote in diesem Sinne darf als ‚Urzelle‘ der Biographik gelten.“18 Kris und Kurz sprechen von einem „doppelten Zusammenhang […] zwischen Biographik und Lebenslauf“, den sie als „gelebte Vita“ bezeichnen.19 Ein Künstler kann demnach nicht anders, als den Vorstellungen einer typischen Künstlervita nachzukommen, damit er dem gängigen Image genügt. Auf Adéagbo trifft dies jedoch nicht zu. Wie Schmidt-Linsenhoff bemerkt, kann eine Identifikation des zukünftigen Künstlers mit den Topoi der Vitenliteratur, die er zwanghaft nachleben müsse, um den Anforderungen der Gesellschaft an das Künstlerimage zu entsprechen, nicht angenommen werden: „Adéagbos Leben ist nicht nur chronologisch, sondern konzeptuell seiner europäischen Künstlervita vorgängig.“20 Er war bereits über fünfzig Jahre alt, als die ‚westliche‘ Kunstszene auf ihn aufmerksam wurde.
16 Ansätze einer kritischen Auseinandersetzung mit dem Künstlermythos im Hinblick auf ethnische Differenz finden sich bei Soussloff 1999, S. 484. Zum Künstlermythos bei Adéagbo: Schankweiler 2005. 17 Vgl. Kris, Kurz 1995, S. 37-63. 18 Kris, Kurz 1995, S. 33. 19 Kris, Kurz 1995, S. 164. 20 Schmidt-Linsenhoff 2004, S. 14f.
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9.2 I NSTALLATIVE M YTHENBILDUNG Adéagbo nimmt in L’explorateur et les explorateurs auf eine ambivalente Art und Weise die Diskurse zur Künstlersubjektivität auf und verweist mehrfach auf die erwähnten Topoi. Das Gemälde nach einer Zeichnung der Patientin Aurélie, die in einer psychiatrischen Anstalt entstand, erinnert an Adéagbos eigene Pathologisierung. Er fand die Zeichnung abgebildet im Katalog der documenta 5 im Kapitel zur sogenannten „Bildnerei der Geisteskranken“, die Szeemann erstmals im Rahmen einer documenta zeigte (Abb. 89 und 90).21 Abbildung 89: Zeichnung von Aurélie, Patientin einer Psychiatrischen Klinik, o.J. Abbildung 90: Georges Adéagbo: L’explorateur et les explorateurs (Detail), Köln 2004
Kommentierend hat Adéagbo am unteren Rand des Gemäldes einen Text hinzufügen lassen, der seine eigene angebliche Geisteskrankheit parallelisiert:
21 Documenta 5 1972, S. 11.17.
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„‚Peinture d’un fou ayant la folie, vue par Harald Szeemann, lors de sa visite dans un asile des fous‘..! Georges Adéagbo est un fou ayant la folie..!“22 Abbildung 91: Georges Adéagbo: L’explorateur et les explorateurs (Detail), Köln 2004
Ebenfalls in die Installation integriert ist ein in Schildermalerei umgesetztes Bild von einem der Paradegeisteskranken der Kunstgeschichte, dem Schweizer Adolf Wölfli (Abb. 91). Wölfli hatte als Insasse einer psychiatrischen Anstalt in Bern einen komplexen und umfassenden Corpus an Zeichnungen, Erzählwerk und Collagen hinterlassen. Auf der documenta 5 war er prominent vertreten; Szeemann hatte dort seinen „Zellenraum“ rekonstruieren lassen.23 Adéagbo spielt hier nicht nur auf seine Pathologisierung an, sondern verbindet sie zugleich mit der
22 Dt.: „Gemälde eines Verrückten, der die Verrücktheit hat, gesehen durch Harald Szeemann während seines Besuches in einer Irrenanstalt“..! Georges Adéagbo ist ein Verrückter, der die Verrücktheit hat..! [Übersetzung K.S.]. 23 Vgl. Documenta 5 1972, S. 11.8.
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kunsthistorischen Rezeption der sogenannten Außenseiterkunst und bettet sie in die Geschichte der documenta ein. Als weitere Künstlerpersönlichkeit lässt Georges Adéagbo, wie bereits beschrieben, Joseph Beuys mehrmals in Erscheinung treten. Ein Ausstellungsplakat, das Adéagbo mit Hut zeigt, befindet sich unmittelbar oberhalb eines Gemäldes, auf dem Beuys ebenfalls mit Hut zu sehen ist (Abb. 58). Der Maler Esprit hat es in Adéagbos Auftrag nach einer Fotografie gemalt, die auf der documenta 7 (1982) entstanden ist. Beuys gilt als prominentes Exempel für die Mythenbildung im Kunstbetrieb und in der Wissenschaft, da er in hohem Maße eine Selbstmythisierung betrieben und in seine Kunst hat einfließen lassen.24 Die Gegenüberstellung der beiden Bilder und die visuelle Brücke im gemeinsamen Attribut des Hutes legen den BetrachterInnen den Vergleich Beuys/Adéagbo nahe. Der Hut galt, ebenso wie seine Anglerweste, als Beuys’ Markenzeichen, welches ihn auf dem Bild sofort identifizierbar macht, obwohl sein Gesicht nicht zu erkennen ist. Die motivische Wiederholung betont den Hut und verweist auf die Selbststilisierungsstrategien des Künstlers. Adéagbo spielt hier mit den Projektionen des Kunstpublikums, das den künstlermythologischen Aspekt in der Parallelisierung der beiden Künstler assoziieren kann. Besonders aufschlussreich für Adéagbos Selbstverständnis sind seine handschriftlichen Texte. In den Texten geht Adéagbo explizit der Frage von Künstlerschaft nach und konstatiert: „‚Ils sont des artistes, et ma personne de Georges Adéagbo n’est pas artiste‘..!“25 (Abb. 48). Damit negiert er seinen eigenen Künstlerstatus, der ihm jedoch vom ‚westlichen‘ Kunstsystem zugeschrieben wird und der durch seine Teilnahme an mehreren etablierten Großausstellungen zu einem Faktum wurde. Seine Aussage bleibt jedoch ambivalent, da er sich im zweiten Abschnitt desselben Textes als Künstler bezeichnet: „‚Ils sont des artistes réalisant des oeuvres-d’art pour plaire au monde, et ma personne de Georges Adéagbo est artiste faisant des installations sur l’art, pour faire plaisir au monde‘..!“26 [Herv. K.S.]
24 Vgl. Lange 1999; Neumann 1986, S. 100f. 25 Zitat aus einem handschriftlichen Text von Adéagbo in der Installation L’explorateur et les explorateurs, Köln, Museum Ludwig, 2004. Dt.: „Sie sind Künstler, und meine Person Georges Adéagbo ist kein Künstler“..! [Übersetzung K.S.]. 26 Zitat aus einem handschriftlichen Text von Adéagbo in der Installation L’explorateur et les explorateurs, Köln, Museum Ludwig, 2004. Dt.: „Sie sind Künstler, die Kunstwerke realisieren, um der Welt zu gefallen, und meine Person Georges Adéagbo ist Künstler, der Installationen über Kunst macht, um der Welt Freude zu bereiten“..! [Übersetzung K.S.].
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Mit dem Einsatz des Wortes „sur“ grenzt er sich von jenen KünstlerInnen ab, die Kunstwerke realisieren, denn er drückt aus, nicht Kunst zu machen, sondern Installationen über Kunst. In einem weiteren Text erklärt er, es sei nicht der Künstler, der die Kunst mache, sondern die Kunst mache den Künstler.27 Diese Aussage korrespondiert mit der oben zitierten und stärkt den Status der Kunst und der Dinge. Die Kunst selbst erscheint hier als Subjekt, fähig etwas zu produzieren. Der Künstler entsteht als Individuum erst im Prozess der Hervorbringung seiner Kunst, deren Einzelteile eigene Geschichten erzählen und Bedeutungen produzieren. Auch Adéagbos fiktives Ich („Georges Adéagbo“ oder „ma personne de Georges“), das er als künstlerische Strategie immer wieder in seinen Texten einsetzt und das nicht mit dem empirischen Ich zu verwechseln ist, lässt diese Lesart zu: Es scheint, als habe sich der Text verselbstständigt und spräche über den Künstler, der hier in Form einer dritten Person fiktionalisiert wird. Gleichzeitig bedient Adéagbos Kunst-Ich, mit dem er sich von seinem empirischen Ich distanziert, die Erwartungen an das Künstlerimage. Die Frage nach der Medialität der Texte eröffnet einen weiteren Aspekt. Die französischen Texte sind von Adéagbo handgeschrieben, sie lassen sich als seine Signatur und die sprichwörtliche Handschrift des Künstlers deuten. Die Texte haben also etwas ostentativ Persönliches – sie sind indexikalisch, Zeichen dafür, dass die Hand des Künstlers den Stift geführt hat, dass er tatsächlich anwesend war. Damit sind die Handschriften die einzigen ‚Original-Adéagbos‘ innerhalb der Installation. Alle sonstigen Objekte sind objets trouvés, oder, wenn für die Installation eigens hergestellt – wie die Bilder, Reliefs und Skulpturen – vom Künstler an Dritte in Auftrag gegeben. Diese Arbeitsweise möchte ich als eine Form der künstlerischen Distanzierung beschreiben.28 Im Vergleich zu den arrangierten objets trouvés und den Auftragsarbeiten sind die Texte durch ihre Handschriftlichkeit ‚authentisch‘. Ihre Authentizität wird jedoch durch den Umstand relativiert, dass auch die Übersetzungen von Stephan Köhler mit der Hand geschrieben sind. Seine Übersetzungen (im Falle von L’explorateur et les
27 „,L’art est dans la nature! C’est l’art qui fait l’artiste! Ce n’est pas l’artiste qui fait l’art‘..!“ Zitat aus einem handschriftlichen Text von Adéagbo in der Installation L’explorateur et les explorateurs, Köln, Museum Ludwig, 2004. Dt.: „Die Kunst ist in der Natur! Es ist die Kunst, die den Künstler macht! Es ist nicht der Künstler, der die Kunst macht“..! [Übersetzung K.S.]. 28 Diese Form der künstlerischen Distanzierung durch Delegieren an Dritte haben bereits andere KünstlerInnen betrieben, so z.B. Martin Kippenberger in der Serie Lieber Maler, male mir (1981). Vgl. Krystof, Morgan (Hg.) 2006.
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explorateurs auf Deutsch und Englisch) befinden sich in der Installation unmittelbar neben den französischen ‚Originalen‘, und nur den aufmerksamen BetrachterInnen fallen die unterschiedlichen Handschriften auf, zumal die Übersetzungen nicht signiert sind. In den handgeschriebenen Texten scheint sich das Autorensubjekt zu konstituieren, das jedoch durch die beschriebenen Ambivalenzen und den Rückzug des Künstlersubjekts (durch Aufträge an Dritte und die Fiktionalisierung als „ma personne de Georges Adéagbo“) zugleich geschwächt wird. Die ‚westliche‘ Vorstellung eines monadischen Künstlersubjekts wird auch durch die Mitarbeit Stephan Köhlers infrage gestellt, der nicht nur Texte übersetzt, sondern Adéagbo auch bei der Auswahl und der Anordnung von Objekten berät.
9.3 U NIVERSALISTISCHE T ENDENZEN
DER
K UNSTKRITIK
Die Kunstkritik hat Adéagbos mehrdeutige Anspielungen weitgehend ignoriert und die Debatte über europäische Künstlermythen nicht zum Verständnis seiner spezifischen Künstlerrolle im ‚westlichen‘ Kunstbetrieb herangezogen. Sie stilisiert den Künstler als einen ethnisch ‚Anderen‘ und Autodidakten, als pathologisierten Außenseiter und verkanntes Genie, das seinen sozialen Aufstieg der Entdeckung durch europäische Kunstkenner verdankt. Die Versessenheit auf biografische Details als Muster der europäischen Auseinandersetzung mit KünstlerInnen aus Afrika beschreibt Oguibe: „In jedem Fall wird der Blick auf eine Utopie abgelenkt, auf die Bedeutung des Anderen. Wir werden auf die Existenz von Tieropfern und Voodooritualen in der Geschichte von Ouattara oder Moustache Dime hingewiesen, anstatt auf ihren Beitrag und ihre Stellung in der zeitgenössischen Plastik und Installationskunst.“29
Der Einsatz der Biografie als Verstehensnorm für das künstlerische Werk Adéagbos wäre zumindest eine Erklärung für das gesteigerte Interesse an ihr. Biografismus spielt in der westlichen Kunstgeschichtsschreibung generell eine zentrale Rolle, nicht nur in der Auseinandersetzung mit ‚nicht-westlichen‘ KünstlerInnen. Tatsächlich wird Adéagbos Biografie jedoch nicht in Bezug zu seiner Arbeit gesetzt – beispielsweise durch eine Analyse der Thematisierung seines Werdeganges innerhalb der Installationen – und dient nicht als Interpretationsansatz. Trotzdem verzichtet die Kunstkritik nicht darauf, die Lebensge-
29 Oguibe 1997, S. 91ff.
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schichte in epischer Breite und kontinuierlicher Wiederholung nachzuerzählen, sodass sich Adéagbos Biografie zu einem Fetisch der Kunstkritik verselbstständigt hat. Es drängt sich der Verdacht auf, dass über Adéagbos klischeehafte Vita sein Künstlerstatus an sich verhandelt wird. Die Frage, wer überhaupt ein Künstler oder eine Künstlerin ist (und wer darüber die Definitionsmacht besitzt), ist im Falle von außereuropäischen KünstlerInnen von besonderer Bedeutung, scheint es doch hier einer Legitimation zu bedürfen, um ihre Arbeit als Kunst zu klassifizieren. Ihr Status ist im Vergleich mit ‚westlichen‘ KünstlerInnen noch fragwürdiger. Dieses Problem wird im Falle Adéagbos vom Werk losgelöst und auf die biografische Ebene verlagert. Der Bezug auf den tradierten Künstlerbiografismus unterstützt dabei die Legitimierung von Adéagbos Künstlerstatus und von seiner Arbeit als autonomer Kunst. Deren Stellenwert im europäischen Kunstsystem wird also über sein männliches Künstlertum verhandelt, das der Kunstkritik der Selbstvergewisserung dient. Mit der Anpassung des afrikanischen Künstlers an europäische Künstlermythen und einer Biografie, die im Hinblick auf deren Topoi stilisiert wird, steigt die Aufmerksamkeit und die Anerkennung. Dieser Sachverhalt soll den Erfolg Adéagbos nicht abwerten, sondern Mechanismen aufzeigen, die symptomatisch für hegemoniale Strukturen sind. Paradox bleibt, dass die Anpassung der Biografie an ‚westliche‘ Vorstellungen und Künstlerimages einen positiven Effekt hat, der zur Anerkennung der ‚Anderen‘ beiträgt. Der Künstlermythos soll die Widersprüche des kulturell differenten Künstlerstatus kompensieren und nivellieren. Das bedeutet jedoch eine Homogenisierung von Künstlertum im Sinne der ‚westlichen‘ Norm. Um diesen Effekt etwas genauer zu analysieren und historisch zu kontextualisieren, möchte ich erneut einen Blick in die Zeit werfen, in der die Kategorie ‚zeitgenössische afrikanische Kunst‘ noch nicht existierte und Objekte aus Afrika ausschließlich in Völkerkundemuseen ausgestellt wurden. Die Strukturanalogien in der Beurteilung und Wertschätzung von Kunst aus Afrika und des europäischen Mittelalters provizieren einen Vergleich. Die fehlenden Meisternamen und Signaturen sowie die Metaphorik des Dunklen sind die auffälligste Parallele. Das Mittelalter wird oft als dunkle Epoche bezeichnet, so wie Afrika als schwarzer oder dunkler Kontinent, worauf Adéagbo in der Installation mit dem Buch Afrika von Innen: ein dunkler Kontinent wird hell (1957) verweist. Eckhard Neumann schreibt zur Kunst des Mittelalters: „Die naiv anmutende Auffassung vom Mittelalter als einer Zeit ohne Individualisten, wo der Glanz des Werkes das Subjekt des Schöpfers ganz in den Schatten stellt, ist oft genug
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mit dem Fehlen von Werksignaturen und unseren Gemeinschaftsvorstellungen von den Bauhütten begründet worden. Doch handelt es sich hier weitgehend um eine Legende, welche sich auf der modernen Anschauung gründet: Wo kein Name ist, da ist auch keine Persönlichkeit. […] Namenlosigkeit ist nicht mit Anonymität oder gar Geringschätzung der Persönlichkeit zu verwechseln. Große Persönlichkeiten und Individuen sind keine Neuerscheinung der Renaissance, neu ist vielmehr die graduelle Entwicklung und Gestaltung eines Persönlichkeitskultus […].“30
Ähnliches lässt sich für die Afrikarezeption feststellen, wie Heinz Kimmerle am Beispiel der afrikanischen Philosophie analysiert. Er entkräftet das Argument der Schriftlosigkeit, mit dem der Mangel an afrikanischen Denkern im philosophischen Sinne oft erklärt wird. Die Tatsche, dass die Namen von herausragenden Individuen weder schriftlich noch mündlich überliefert wurden, heißt nicht, dass es diese Individuen nicht gab. Der Sachverhalt besagt zunächst nur, dass die Gesellschaft keinen Wert auf eine Traditionsbildung über Autorennamen legte.31 Das Gleiche könnte für die Schöpfer von Kunstwerken gelten, doch hier liegt der Fall noch komplizierter. Häufig ist das Fehlen von Künstlernamen allein auf europäische ForscherInnen zurückzuführen, die beispielsweise komplexe Namensgebungen nicht verstanden oder bewusste Geheimhaltung von Namen gegenüber den Kolonisatoren als deren Fehlen interpretierten. Rowland Abiodun weist darauf hin, dass die Yoruba in Westafrika die Autorschaft von Kunstwerken durchaus schätzten und in einer poetisch verschlüsselten Form (oriki) überlieferten.32 Der Mythos der Anonymität in der afrikanischen Kunstproduktion wurde wesentlich vom ‚Westen‘ konstruiert und in ein evolutionistisches Fortschrittsmodell eingebunden, in dem Anonymität für ein mangelndes individuelles Bewusstsein und die Unzivilisiertheit der ‚Anderen‘ stand. Seit der Ausstellung Magiciens de la terre ist die Namenlosigkeit von KünstlerInnen aus Afrika zumindest für zeitgenössische Arbeiten aufgehoben. Die Anerkennung von Individualität und einer modernen Künstler-Subjektivität irritierte die Kategorien der Kunstkritik. Im Falle Adéagbos führte dies dazu, dass seine Biografie nach ‚westlichen‘ Mustern der Künstlerlegende aufbereitet wurde. Dieser fast aggressive Biografismus liegt in der Unsicherheit begründet, die hinsichtlich der kunstwissenschaftlichen Einordnung und Interpretation von außereuropäischen Kunstwerken vorherrscht. Außereuropäische KünstlerInnen werden heute nach den Regeln einer egalitären Behandlung in den ‚westlichen‘
30 Neumann 1986, S. 19. 31 Vgl. Kimmerle 1991, S. 118. 32 Abiodun 2000, S. 11f.
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Kunstmarkt integriert. Die Analyse der Rezeption Adéagbos gibt jedoch einen universalistischen Ansatz zu erkennen, der den ‚Westen‘ und sein Bild vom Künstler als Norm setzt und kulturelle Differenz nivelliert. Dieses kulturelle Dilemma benennt Homi Bhabha: „Der Rassist zerreißt den Saum des Nachbarlichen, er gruppiert die Dinge hierarchisch, nach rassischer Überlegenheit; der Universalist wiederum lässt die Differenzen zerfließen und kennt nur noch die eine allumfassende transzendente Kategorie des immanenten zeitlosen Werts.“33
9.4 G ENIEKULT
ODER
T OD
DES
A UTORS ?
Die Rezeption Adéagbos ist nicht nur eurozentristisch geprägt, sondern auch einer Autor-Orientierung verpflichtet, die angesichts der von dem Künstler selbst thematisierten Subjektkritik problematisch erscheint.34 Damit ist das allgemeine Problem angesprochen, ob die kunstwissenschaftliche Interpretation eher von einer intendierten Bedeutungsproduktion ausgeht oder auch von der Künstlerabsicht ganz unabhängige Lesarten ihre Berechtigung haben. Diese Frage stellt sich im interpretierenden Umgang mit Adéagbos Installationen in verschärfter Form. Wie wichtig ist die Anknüpfung an den Autor Adéagbo für seine Kunst? Hinweise auf diese Frage existieren innerhalb der Installationen, doch interessant ist außerdem, wie Adéagbos konzeptuelle Arbeitsweise das Künstlersubjekt konzipiert. Aufschlussreich ist das Verfahren der Ortsspezifik, das mit Fragen der künstlerischen Autorität auf das Engste verknüpft ist, wie es sich in aktuellen Diskussionen um site specificity widerspiegelt. Viel Aufmerksamkeit erfuhr Miwon Kwons Neubewertung der Ortsspezifik in Zeiten des globalen Kunstbetriebes.35 Kwon stellt die Diagnose, ortsspezifische Verfahren seien durch die zunehmende Mobilisierung der KünstlerInnen nomadisiert und stünden somit der ursprünglichen Praxis der Ortsspezifik entgegen, die Immobilität als Verweigerung des Warencharakters von Kunst verstand. Durch die Form der Mobilisierung sei dieses kritische Potenzial der Ortsspezifik verloren gegangen: „[…] artists are keen on undoing the presumption of criticality associated with principles such as immobility, permanence, and unrepeatability. Rather than re-
33 Bhabha 2004, S. 27. 34 Das trifft nicht nur auf Adéagbo zu, sondern wird auch generell beklagt. SchmidtLinsenhoff schreibt beispielsweise vom „globalen Siegeszug des auktorialen ‚großen Künstlers‘“. Schmidt-Linsenhoff 2004a, S. 193. 35 Kwon 2002.
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sisting mobilization, these artists are attempting to reinvent site specificity as a nomadic practice.“36 Die Autorin zielt auf eine Gruppe von KünstlerInnen ab, zu denen auch Adéagbo gehört. Diese fahren von Biennale zu Biennale, von Ort zu Ort und realisieren ortsspezifische Auftragsarbeiten in Kollaboration mit Institutionen, die diese nicht selten als kalkulierte Kritik und Selbstreflexivität einkaufen. In diesem Sinne verkämen die KünstlerInnen, so Kwon, zu DienstleisterInnen, die einen ästhetischen, oft „kritisch-künstlerischen“ Service anbieten.37 Sie diagnostiziert einen gleichzeitigen „return of the author“ und dessen wachsende Bedeutung für die Kunstwerke.38 Die Resubjektivierung der Autorenposition in der ortsspezifischen Kunst macht sie an folgenden Punkten fest: Die Betonung der Diskursivität von Orten, die Kwon in der heutigen ortsspezifischen Kunst konstatiert, erzeuge eine Fehleinschätzung der Orte als ‚natürliche‘ Verlängerung der Identität des/der Künstlers/in; kritisches Potenzial würde anhand der Nähe der KünstlerInnen zu assoziierten Orten, Geschichten, Diskursen, Identitäten usw. gemessen (sie würden zu ExpertInnen für diese, und die Orte würden im Gegenzug zum thematischen Inhalt ihrer Kunst); die reisenden KünstlerInnen entwickelten eine nomadische Erzählung, in der ihre Bewegungen und Entscheidungen maßgeblich seien und sie damit in den Fokus ihrer Praxis stellten, indem sie zu ErzählerInnen und ProtagonistInnen würden.39 Damit würden Werte wie Originalität und Authentizität (des/der Künstlers/in, des Kunstwerkes, des Ortes), ursprünglich von ortsspezifischer Kunst verneint, zu ihrem integralen Bestandteil.40 Nina Möntmann kritisiert Kwons Betonung des physischen Orts, der tatsächlich stärker mit dem diskursiven zu verknüpfen sei.41 Der physische Ort ist laut Möntmann nicht mehr relevant für die Kunst, da sich seit den 1990er Jahren die Fragestellungen verschoben hätten. Sie „kreisen nicht mehr um Werte wie Authentizität und Originalität, sondern um den Ort in seiner Relation zu anderen Orten, um die Kommunikation und den Austausch zwischen Orten“.42 Genau auf diesem Spannungsverhältnis der Orte basiert Adéagbos Arbeit, die die Praxis der Ortsspezifik mit der des Kulturtransfers verknüpft. Die Lokalisierung von Kultur
36 Kwon 2000, S. 51 [Herv. i.O.]. 37 Kwon 2000, S. 53. 38 Kwon 2000, S. 53. 39 Kwon 2000, S. 53. 40 Kwon 2000, S. 54. 41 Möntmann 2002, S. 44. Siehe dazu auch Kempkes 1997, S. 96. 42 Möntmann 2002, S. 44.
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und die lokale Relevanz von Orten auf der einen Seite stehen der globalen Vernetzung von Kulturen und Orten auf der anderen Seite gegenüber. Adéagbo kehrt immer wieder nach Cotonou zurück, wo er jede Ausstellung vorbereitet, und nimmt die Beziehungen der Orte zueinander in den Blick. Der „Kollaps von Künstler und Ort“43 (Kwon), deren Authentizität in eins falle, findet bei Adéagbo nicht statt, da seine Arbeitsweise das Spannungsverhältnis zwischen Künstler und Ort aufrecht hält. Ihre kulturelle Differenz verschwindet nicht, sondern bleibt bestehen. Auch wenn durch Aneignungsprozesse eine Annäherung und Hybridisierungen (von Kulturen, Orten, Objekten, Personen) stattfinden, entspricht das nicht einer Homogenisierung, sondern im Gegenteil einer Diversifizierung. Adéagbos Arbeit steht für das nicht-hierarchisierte „Nachbarliche“44 (Bhabha), durch das sich die Orte und Dinge innerhalb der Installationen gegenseitig bereichern, ohne die ihnen inhärenten Unterschiede zu nivellieren. Er befragt die Relationen der Orte und betreibt damit eine relationale Ortsspezifik. Diese beweist, dass authentische Orte nicht existieren – weder für die Kunstwerke, noch für den Künstler. Trotzdem lesen sich Kwons Ausführungen teilweise wie eine Beschreibung von Adéagbos Arbeitsweise, in der der Künstler von zentraler Bedeutung ist – durch seine Anwesenheit und Recherche vor Ort, seine Reisebewegungen, seine Ausstellungsgeschichte, die auch in den Installationen präsent ist, usw. Doch geht Kwon von falschen Voraussetzungen aus. In ihrer Lesart hat die Kritik am Künstlersubjekt in den Avantgardebewegungen der 1960er Jahre, die ihren Ausgangspunkt bilden, Erfolg gehabt. Demnach wäre die Autorschaft des/der Künstlers/in für die Bedeutungsproduktion unwichtig geworden. Tatsächlich kann man aber nicht von der Wiederkehr des Autors sprechen, wenn dieser niemals verschwunden war. Die Postmoderne ist in ihrem Ansatz gescheitert, sie hat „das Künstlerkonzept modernisiert und erweitert und damit seine Überlebensfähigkeit gesteigert“.45 Dies bedeutet jedoch nicht zwangsweise ein Zurückfallen in einen naiven Biografismus, der die Einheit von Künstlergenie und Werk wiederherstellen will. Adéagbo ist vielmehr als Vermittlungsinstanz zu verstehen, dessen Subjektivität von Bedeutung ist, aber nicht als einzige Zugangsart fungieren kann, wie meine Analysen gezeigt haben. Die BetrachterInnen können sich zwar von Adéagbos Assoziationsketten und visuellen Brücken anregen lassen, doch der Sinn der Zusammenstellungen bleibt offen für unterschiedliche Lesarten. Es geht nicht um eine Verrätselung des Inhaltes, der von den BetrachterInnen aufgedeckt
43 Kwon 2000, S. 55. 44 Bhabha 2004, S. 27. 45 Krieger 2003, S. 121.
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oder niemals herausgefunden werden kann, sondern es geht um das Verständnis von Bedeutungsproduktion und Sinngebung auf einer Meta-Ebene. Will man die Kontexte von Adéagbos Installationen aufzeigen, wie ich das in der vorliegenden Arbeit getan habe, dann ist auch Adéagbo ein Kontext unter vielen. Es wäre paradox, Adéagbos Subjektivität zu negieren, ist doch ein Ziel der Untersuchung, ihn als Akteur im Diskurs sichtbar zu machen.46 Jedoch ist es problematisch, Subjektivierungen nur dann zu wünschen, wenn sie im Zusammenhang mit identitätspolitischen Diskursen stehen.47 Möchte man also Adéagbos künstlerische Subjektivität betonen, um die von zeitgenössischen KünstlerInnen aus Afrika allgemein zu stärken, würde ihn das auf eine kulturelle, identitäre CommunityStellvertreterschaft reduzieren. Trotzdem ist es, gerade wenn Subjekte als politische Akteure agieren und es um Unterdrückung oder die Rechte von realen Menschen geht, von Bedeutung, eine sichtbare Position zu beziehen. Ich schlage daher vor, Subjektivität nicht prinzipiell zu verwerfen, sondern zu untersuchen, wo und wie sie als partikulare und relationale markiert ist. In diesem Falle setzt sie die Konstruktion eines autonomen Künstlergenies und universalen Kunstbegriffs außer Kraft. Ein weiterer wichtiger Aspekt, der bei der Frage nach auktorialer Subjektivität berücksichtigt werden muss, ist Adéagbos Umgang mit den Dingen, der seinen Status als autonomes Künstlersubjekt relativiert. Außer den Orten sind also auch die Dinge von immenser Wichtigkeit, die durch ihre materielle Präsenz die physische Komponente des Ortes akzentuieren. Diese ist laut Kwon für die Ortsspezifik als kritische Praxis zentral, doch sie sieht die physischen Parameter zugunsten der diskursiven immer mehr in den Hintergrund treten, wodurch die Orte austauschbar und gleichsam dematerialisiert werden.48 Die renitente Materialität der Dinge stellt jedoch eine untrennbare Verbindung zwischen physischem und diskursivem Ort her, die durch die Einbeziehung der BetrachterInnen entsteht. In der Konfrontation mit den Gegenständen ist ihre Körperlichkeit, ihr Am-Ort-Sein angesprochen, während die Eigenschaften der Dinge gleichzeitig auf diskursive Zusammenhänge verweisen und die BetrachterInnen auch in ihren kulturellen und identitären Verfasstheiten adressieren.49 Kwons These vom Aus-
46 Catherine M. Soussloff beschreibt den „Tod des Autors“ als rassistisch und sexistisch, da er die aufkommende Autorschaft von Frauen und Nicht-Europäern wieder untergrabe. Soussloff 1999, S. 484. 47 Vgl. Kempkes 1997, S. 98. 48 Kwon 2000, S. 42f. 49 Auf die nicht kalkulierbaren Effekte durch die Interaktion mit dem Publikum als subversives Potenzial hat auch Möntmann hingewiesen. Möntmann 2002.
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einanderfallen des physischen und diskursiven Ortes ist in diesem Fall nicht haltbar,50 weil auch der physische Ort über die Dinge diskursiv hergestellt ist. Eine Bezugnahme auf ihn ist immer schon vermittelt und durch die Wahrnehmung des Künstlers wie auch der BetrachterInnen geprägt.51 Der physische Ort verliert weder an Bedeutung noch wird er austauschbar, sondern unterhält weiterhin eine indexikalische Beziehung zum diskursiven Ort. Dadurch wird das kritische Potenzial der site specificity, das Kwon vermisst, erhalten. Die Geburt des Betrachters und des Dings ist also nicht mit dem Tod des Künstlers zu bezahlen (um den berühmten Schlusssatz Barthes zu paraphrasieren52), sondern bringt im globalen Ausstellungsbetrieb die mannigfaltigen Beziehungen von Produktions- und Rezeptionsprozessen an unterschiedlichen Orten zum Vorschein, deren Verstrickung Adéagbo zum Thema macht. Es gilt also für die Kunstkritik und -wissenschaft, nicht als Künstlermythen-Wiedergänger aufzutreten, sondern der Normierung und Naturalisierung des Künstlerbegriffes entgegenzuwirken. Damit kann sich die europäische Kunstgeschichtsschreibung letztlich auch für andere Kunstgeschichten öffnen. Deren Subjekte treten nicht vorrangig durch ihre Biografie zu den Kunstwerken in Beziehung, sondern durch ihre diskursive Anbindung an diverse Kontexte und in Adéagbos Fall vor allem durch die performative Interaktion mit den Dingen.
50 Vgl. Kwon 2000, S. 45. 51 Vgl. auch Kempkes 1997, S. 96. 52 „Die Geburt des Lesers ist zu bezahlen mit dem Tod des Autors.“ Barthes 2000, S. 193 [Herv. i.O.].
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Kulturelle Differenz ist gegenwärtig eine der größten gesellschaftlichen Herausforderungen. Die weltweite Migration, der viel zitierte clash of cultures und Integrationsdebatten beschäftigen die europäischen Medien täglich. Für das Fach Kunstgeschichte liegt diese Herausforderung in der Beschäftigung mit künstlerischen Produktionen und Positionen aus Kulturen, die bisher kaum zu seinen Gegenstandsbereichen gehörten, denen es sich jedoch nicht länger verschließen kann. Diese Feststellung war der Ausgangspunkt der vorliegenden Untersuchung, die einen Lösungsansatz für den europäischen Umgang mit außereuropäischer Kunst vorschlägt. Die Herangehensweise wurde exemplarisch an den Arbeiten des westafrikanischen Künstlers Georges Adéagbo entwickelt, weil dieser ein Modell für das Neben- und Miteinander unterschiedlicher Kulturen und ihrer Dingwelten konzipiert hat, das die beschriebene Problematik überwindet. Im europäischen Ausstellungsbetrieb ist die weltweite zeitgenössische Kunstproduktion mittlerweile angekommen. Exemplarisch hierfür kann die documenta 12 (2007) gelten, bei der Kunst aus Afrika, Asien, Südamerika und Ozeanien so präsent war wie nie zuvor in der Geschichte dieser Ausstellung.1 Dennoch gestaltet sich der konzeptionelle Umgang mit Vielfalt nach wie vor schwierig. Wie kann man Kunstwerke aus unterschiedlichen Kontexten gleichberechtigt ausstellen? Die KuratorInnen der documenta 12 boten einen Parcours der visuellen Analogien. Sie stellten Verbindungslinien zwischen den Kunstwerken über Farben, Ornamente, Oberflächen, Motive usw. her. Ihre Dynamik sollte den Austausch zwischen den Exponaten im Auge der BetrachterInnen anregen. Ruth Noack und Roger Buergel setzten das Konzept der „Migration der Form“ um, in dem sie vom kulturellen Transfer formaler Gestaltungsmittel entlang historischer Migrationsbewegungen ausgingen. In den Ausstellungen fungierte es
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Vgl. Häntzschel 2012.
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„als ein Mittel der Verknüpfung“2, das (mögliche) historische und zeitgenössische Bezüge andeutete und die Objekte miteinander in einen nachbarschaftlichen Dialog brachte. Dem Konzept lag ein ähnliches Vertrauen in die visuelle Erkenntnis zugrunde, wie ich es für Adéagbos Installationen beschrieben habe. Auch dort korrespondieren die Dinge auf formalästhetischer, ikonografischer oder thematischer Ebene. Die Bezüge zwischen den Elementen der Installationen wie auch auf der documenta 12 rekurrieren jedoch nur teilweise auf bereits zuvor existierende Verbindungslinien. Im Ausstellungsraum stiften die Gegenüberstellungen neue Kontexte, die eher die Entstehung von Beziehungen thematisieren, als diese zu konturieren. Diese Strategie stellt die Rezeptionsästhetik in den Vordergrund und betont den Präsentationszusammenhang gegenüber dem Herstellungskontext der Kunstwerke. Auf der documenta erfuhren die BesucherInnen fast nichts über die Orte der Produktion. Daher stellt sich die Frage, welche Relevanz diese überhaupt besitzen? Müssen die BetrachterInnen in Kassel etwas über die ‚fremde‘ Kultur wissen, in der eine Arbeit entstanden ist? Mit der Betonung ihrer Visualität innerhalb der Ausstellung wurden die Kunstwerke gleichermaßen ästhetisiert und damit egalitär präsentiert. Das kuratorische Konzept berücksichtigte allerdings nicht die kulturellen Differenzen der Produktion und Rezeption, die auch für das Verständnis formaler Analogien entscheidend sind.3 Die vorliegende Arbeit bezieht dagegen nicht nur die Orte der Ausstellung und Rezeption, sondern im Prinzip der doppelten Verortung auch die visuellen Kulturen an den Orten der Produktion mit ein. Die Leerstelle zwischen Her- und Ausstellungskontext wurde damit (zumindest teilweise) gefüllt. Diese besteht jedoch, ungeachtet ihrer Herkunft, bei allen Kunstwerken, die nicht näher erläutert werden. Obwohl das Füllen jenes Vakuums keine spezifische Aufgabe der Beschäftigung mit außereuropäischer Kunst ist, fällt dessen Existenz jedoch durch die große Distanz zum Entstehungskontext bei in Europa gezeigten außereuropäischen Arbeiten besonders ins Gewicht. Trotzdem möchte ich meine Kontextualisierungsstrategie nicht alleine mit Adéagbos westafrikanischer Herkunft begründen, sondern verstehe das Aufzeigen von Bezugsrahmen und das Interpre-
2
Ruth Noack im Interview mit Heinz-Nobert Jocks. Jocks 2007, S. 109.
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Trotzdem wirkte die Ausstellung nicht universalistisch konzipiert, weil die KuratorInnen auf die Präsenz der Arbeiten im Medium der Ausstellung (deren vermeintliche Neutralität sie explizit dekonstruierten) gesetzt hatten: Die gezeigten Werke artikulierten oftmals selbst ihre kulturelle Differenz, thematisierten ‚andere‘ Orte sowie deren realhistorische und politische Geschichten. Damit wirkten sie einer Homogenisierung und der fehlenden Kontextualisierung entgegen.
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tieren als grundlegende Aufgabe der Kunstwissenschaft. Dabei sind die Orte der Her- und Ausstellung, an denen die Arbeiten jeweils kontextualisiert werden müssen, keineswegs eindeutig zuzuordnen. Benin ist nicht der einzige Herstellungsort, ebenso wenig ist Europa oder Deutschland der einzige Ausstellungsort.4 Die Orte sind zudem nicht als Entitäten zu verstehen, sondern als contact zones, die in einem permanenten transkulturellen Austausch stehen. Die lokalen Kontexte, ganz gleich an welchen Orten, sind immer schon Ergebnisse der globalen Zirkulation von Bildern, Dingen und Konzepten. In der Analyse wurde erstmals ein Set von kulturell differenten visuellen Kulturen, von europäischen und westafrikanischen Bildlichkeits- und Dinglichkeitskonzepten für die Arbeiten Georges Adéagbos berücksichtigt und auf ihre Interdependenzen und wechselseitigen Bezüge hin untersucht. Die Arbeiten wurden gewinnbringend in den Kontext europäischer künstlerischer Traditionen des Installierens, des ortsspezifischen Arbeitens, des Integrierens von objets trouvés und des Sammelns gestellt. Die westafrikanischen Kontexte, die im engen Zusammenhang mit Adéagbos Installationen stehen, wurden bisher in der europäischen Kunstkritik fast völlig ausgeblendet. Im Gegensatz dazu wurden sie hier anhand der Schildermalerei, der récupération, der Märkte und Altäre ausführlich eingeführt und im Hinblick auf seine Arbeiten diskutiert. Um den Universalismus in der Rezeption aufzubrechen, müssen ‚andere‘ Orte und ihre Realitäten berücksichtigt werden, die den KünstlerInnen als ästhetische Ressource dienen. Diese Forderung ist jedoch keine nach einer geopolitischen Identität, mit der der Verweis auf eine vermeintliche ‚Afrikanität‘ Adéagbos und seiner Arbeiten der einzige Interpretationsansatz bliebe und einer extremen Reduzierung gleichkäme. Eine Exotisierung muss vermieden werden, die mit der Konstruktion von Benin als ‚authentischem‘ Ort und alleinigem Bezugspunkt für Adéagbos Installationen einhergehen würde, wie der Markt als einer der Bezugsrahmen noch einmal exemplarisch verdeutlicht: Die westafrikanischen Märkte als Kontext für Adéagbos Ästhetik der Objektzusammenstellung finden beispielsweise ihre Entsprechung in europäischen Flohmärkten und sind damit nicht als dichotomes ‚Anderes‘ zu exotisieren. Gleichwohl bestehen lokale Unterschiede und die kulturelle Differenz verursacht Verschiebungen in der Interpretation. Für die Märkte und den Transfer ihrer spezifischen Ästhetik in zeitgenössische Installationen stellte sich heraus, dass der Flohmarkt in Europa etwa angesichts der Virtualität des Internets als Rückzugsgebiet verstanden wird, während dies für westafrikanische Märkte keine Rolle
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Gleiches gilt für die Arbeiten der documenta, denn auch sie entstanden als Auftragsarbeiten häufig (auch) vor Ort in Kassel.
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spielt. Während der Flohmarkt in europäischen Städten eher eine Randerscheinung und eine Freizeitbeschäftigung mit romantischem Charme ist, sind westafrikanische Märkte in den Städten omnipräsent und alltäglich. Abhängig von den unterschiedlichen Verortungen produzieren die Arbeiten Adéagbos also jeweils andere Bedeutungen. Wie das Close-reading der Installationen in Kombination mit den Theorien von Deleuze und Guattari gezeigt hat, bedeutet der Ortswechsel einen strukturellen Wandel der Arbeiten durch veränderte Dispositive. Diese verursachen keine Wertigkeiten (in Sinne von falsch und richtig, besser und schlechter oder authentisch und nicht authentisch), sondern haben alle ihre Berechtigung. Das Prinzip der doppelten Verortung als Methode und Lösungsansatz für die Beschäftigung mit außereuropäischer Kunst aus europäischer Perspektive ermöglicht deren gleichberechtigte Einordnung in die Kunstgeschichte. Entgegen universalistischer Ansätze bleibt die kulturelle Differenz dabei sichtbar, ohne jedoch als dichotomes ‚Anderes‘ konstruiert und damit erneut ausgeschlossen zu werden. Die postkoloniale Revision der Rezeptionsgeschichte von Kunst aus Afrika in Europa, die als Ausgangspunkt am Anfang meiner Untersuchung stand, hat die Problematiken von Inklusion und Exklusion, Nivellierung und Exotisierung von Differenz in historischer Perspektive verdeutlicht. Auch der Blick auf die spezifische Rezeption Adéagbos hat eine universalistisch ausgerichtete Kunstkritik offenbart, die seine Biografie in eine männliche Genealogie von Künstlerlegenden einbindet. Damit stellt sie ihn nicht als agierendes, eigenständiges und alteritäres Subjekt, sondern als fetischisiertes Objekt vor, das einer ‚westlichen‘ Normierung unterworfen ist. Diesen hegemonialen Mechanismen hat sich die vorliegende Arbeit explizit zu widersetzen versucht. Die Orte haben sich in meinem methodischen Vorgehen der multiperspektivischen Verortung als ausschlaggebend erwiesen, weil sie auch für Adéagbos künstlerische Praxis ein wesentlicher Ausgangspunkt sind. Er integriert in seine Arbeiten kulturell verschiedene Bild- und Dingwelten und setzt das lokale Wissen unterschiedlicher Orte transkulturell zueinander in Beziehung. In meiner Analyse haben sich zwei künstlerische Praktiken als zentral für seine Arbeitsweise herausgestellt: die Ortsspezifik und der Kulturtransfer, die er geschickt miteinander zu verknüpfen weiß. Einerseits bezieht Adéagbo seine Installationen auf den spezifischen Ort der jeweiligen Ausstellung, der in der Zusammenstellung der Dinge hervorgehoben wird, andererseits stellt er transkulturelle Verbindungslinien dar und her. Adéagbo verfolgt diese Strategie nicht nur auf thematischer Ebene, indem er sowohl in Benin als auch am aktuellen Ausstellungsort etwa nach Geschichten mit Entdeckungsthematik sucht und diese zueinander in Beziehung setzt, sondern auch auf methodischer und ästhetischer Ebene in der
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Mobilisierung und medialen Übersetzung von Dingen. Die transkulturelle Qualität von Adéagbos Installationen scheint zunächst in einem Spannungsverhältnis zu seiner ortsspezifischen Arbeitsweise zu stehen, die das Lokale fokussiert. Doch Adéagbo zeigt in der Kombination von Kulturtransfer und Ortsspezifik, dass ‚global‘ und ‚lokal‘ weniger gegensätzlich sind, als es zunächst scheint: Seine Installationen zeigen die jeweilige Kultur als ein Produkt von weltweiten Beziehungen, durch die die Orte miteinander verbunden sind, was ich als relationale Ortsspezifik beschrieben habe. Kultur besitzt zugleich lokale und globale Elemente, denn während das Lokale immer wieder in die globale Zirkulation eingehen kann, wird das Globale gleichzeitig zur Selbstreproduktion von Lokalität genutzt und angeeignet.5 Dies hat sich beispielsweise im Vergleich mit Altären gezeigt, deren integratives und vernetzendes Potenzial auch Adéagbos Installationen eigen sind. Dadurch können jeweils diverse alltagskulturelle Elemente aufgenommen und in Sinnzusammenhänge mit anderen Dingen gestellt werden. Das zeigt, dass Kulturen sich in einem Prozess ständiger Konstituierung befinden, sie werden gleichzeitig homogener und differenzierter. Die Kombination von Ortsspezifik und Kulturtransfer setzt eine Auflösung von Kategorien und kolonialkulturellen Hierarchien in Gang (global/lokal, fremd/eigen, ähnlich/verschieden usw.), die Adéagbo mit der Integration von heterogenem Material und der unhierarchischen Anordnung der Elemente in den Installationen ästhetisch umgesetzt hat, ohne Differenzen zu nivellieren. Dadurch ergibt sich, auch wenn das zunächst widersprüchlich erscheint, eine Ortlosigkeit und eine Art Unabhängigkeit vom Kontext, weil dieser dauernd verschoben, verändert und erweitert wird. Jeder Kontext führt über seine Grenzen hinaus. Gerade der Bereich der Kunst führt Regelabweichungen und -verweigerungen vor und transzendiert dadurch kontextuelle Voraussetzungen.6 Trotzdem oder gerade deswegen verliert der Kontext nicht seine Wichtigkeit. Adéagbos konzeptuelle Arbeitsweise führt dies vor, denn der Erkenntnisprozess und die Bedeutungsproduktion werden im stetigen Kontextualisieren durch das In-Beziehung-Setzen der Orte und der Dinge (und ihrer Diskursivierungen) in Gang gesetzt. Wenn Bedeutungen derart wuchern, wie das bei Adéagbos Zusammenstellungen der Fall ist, scheinen sie zugleich zu verschwinden. Die Masse an Büchern, Texten und Gegenständen lassen es abwegig erscheinen, nach dem ‚Sinn‘ der Installation zu fragen. Mit den unzähligen HerstellerInnen bzw. AutorInnen der objets trouvés sind ebenso viele Perspektiven einbezogen, die zusätzlich
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Vgl. Appadurai 1999, S. 56.
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Vgl. Weibel 1994.
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durch die BetracherInnen multipliziert werden. Das generierte Wissen kann „hier nicht als Sachwissen, sondern nur als Kenntnis von Strategien sowie methodischer Kompetenzen verstanden werden“.7 Sachwissen verschwindet, wenn man es multiperspektivisch kontextualisiert. Das ‚Außen‘ der Installation ist stets fiktiv und muss immer neu figuriert werden, weshalb die Bedeutungsproduktion hier in ihrer Prozessualität fokussiert ist. Neben den Orten haben sich die Dinge in Adéagbos Installationen als wichtiges Untersuchungsfeld herausgestellt. Sie sind Adéagbos Medium der interkulturellen Kommunikation und stehen jeweils in einer Beziehung zu den Orten ihrer Herstellung und Nutzung. Dinge repräsentieren jedoch in ihrer Mobilisierung nicht nur räumliche Verbindungslinien, sondern materialisieren zugleich soziale Beziehungen zwischen Menschen. Mit der Aktivierung der Dinge, die Adéagbo wie kulturelle Seismografen für gesellschaftspolitische Erschütterungen konzipiert, sind diese in der Interaktion mit dem Publikum als ProduzentInnen von Kultur, Geschichte und Gedächtnis konzeptualisiert. Durch die ästhetische Erfahrung seiner Arbeiten können die BetrachterInnen neue Kohärenzen erkennen oder für sich selbst herstellen. Für die Generierung von Sinnzusammenhängen habe ich zwei Methoden benannt, in der die Dinge jeweils eine maßgebliche Funktion erfüllen: Das Konzept der Metapher macht es möglich, auch unbekannten Dingen über ihre spezifischen Eigenschaften Bedeutungen zuzuweisen. Im Gedächtnismodus wird das in den Dingen gespeicherte Wissen vom Speicherins Funktionsgedächtnis überführt und derart aktiviert sowie expliziert. Diese Interaktion zwischen Menschen und Dingen, die auch ein Akt des Interpretierens ist, ließe sich unendlich fortsetzen. Das Herstellen neuer Verbindungslinien zwischen einzelnen Elementen und deren immer neue Anbindung an metaphorische Konzepte und Gedächtniskonstitutionen betont die Prozessualität der Wissensproduktion. Diese Unabschließbarkeit des Erkenntnisprozesses ist nicht nur produktiv, sondern markiert das Wissen als partikular, dessen diskursive Zusammenhänge nicht kanonisiert zu erschließen sind. Die Verwobenheit von Geschichten und die Gleichzeitigkeit der Kulturen ist in Adéagbos Konzept strukturell angelegt. Damit leistet sein eigenständiges Sammel- und Wissensmodell, das er mit seiner künstlerischen Praxis entwickelt hat, einen wichtigen Beitrag zu aktuellen Globalisierungsdebatten. Seine Arbeitsweise widersetzt sich schematischen Polarisierungen und artikuliert im Prozess der Aneignung kulturelle Differenz. Denn sein aneignendes Verfahren schafft stets neue Kontexte, Formen und Ästhetiken, was nicht Affirmation, sondern eine aktive Transformation und Differenzierung bedeutet. Das Herausstellen von Alterität führt jedoch nicht zu Ex-
7
Lüddemann 2004, S. 156.
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klusions- und Inklusionsprozessen, sondern stiftet Nachbarschaften, erlaubt Vergleiche und den Dialog zwischen Dingen und Kulturen im Raum der Ausstellung als einem théâtre du monde. Damit zeigen Adéagbos Arbeiten einen bemerkenswerten Umgang mit kultureller Differenz jenseits von Exotismus, Primitivismus und Universalimus auf. Wenn ich als Kunstwissenschaftlerin hier vor allem Diskurse über kulturelle Differenz thematisiert habe, dann ist meine Arbeit (auch) Symptom und zugleich Bestandteil des gerade gesellschaftspolitisch dominanten Diskurses, in dem kulturelle Alterität als eine Leit-Differenz fungiert. Die Schwerpunktsetzung entstand aus meiner Zeitgenossenschaft heraus und muss daher in nur wenigen Jahren selbst historisiert werden, wenn sich vermutlich bereits ganz andere Aspekte für die Interpretationen von Adéagbos Arbeiten aufdrängen. Die Bedeutungsverschiebungen durch aktuelle Diskurse oder Ereignisse möchte ich noch einmal mit einem Beispiel aus der Rezeption Adéagbos verdeutlichen: Harald Szeemann, Kurator der Ausstellung La Belgique Visionnaire (Brüssel, 2005), an der Adéagbo mit der Installation La colonisation Belge en Afrique noir teilgenommen hatte, war kurz vor der Eröffnung verstorben. Adéagbo zeigte an zentraler Stelle ein Porträt des Ausstellungsmachers (Abb. 73), was einen Rezensenten dazu bewegte, Adéagbos Arbeit als Hommage an Szeemann zu interpretieren.8 Adéagbo hatte das Bildnis schon für die erste Version der Installation im Jahr 2000 anfertigen lassen und integriert, doch verschob der aktuelle Anlass die Wahrnehmung der BetrachterInnen und veränderte damit die Bedeutung der Installation. Szeemann war durch seinen unerwarteten Tod solchermaßen in den Fokus des Interesses gerückt, dass er für die Installation sinnstiftend wurde. Dies verdeutlicht die Instabilität von Bedeutungen in der Zeit, die auch Adéagbo mit seiner ephemeren Arbeitsweise umsetzt, indem er in einem work in progress stets aktuelle Ereignisse und Diskurse integriert. Damit reflektiert er nicht nur sein eigenes Verwickelt-Sein in die Diskurse, sondern auch das der Dinge und der BetrachterInnen. Die Auseinandersetzung mit außereuropäischen Arbeiten und deren Präsenz in Europa sollte das Fach Kunstgeschichte nach der langen Phase des Zögerns, die auch die Idee einer Bildwissenschaft nicht beenden konnte, offensiver angehen und als Chance begreifen. Eine globale und transkulturelle Perspektive bietet die Möglichkeit, sich vom hegemonialen Eurozentrismus zu verabschieden und den paternalistischen Habitus abzulegen. Die hier angewandte multiperspektivische Verortung als relationale Kunstgeschichtsschreibung bietet sich als Methode für den Umgang mit Kunst an, für die neben dem aktuellen Rezeptionskontext
8
Raap 2005, S. 377.
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auch andere Orte (oder Zeiten) eine wichtige Rolle spielen. Vor allem die Zusammenarbeit mit der Ethnologie kann produktive Synergieeffekte hervorbringen. Dabei geht es nicht um eine Entscheidung zwischen Ästhetisierung oder Kontextualisierung, sondern gerade um die Kombination beider Herangehensweisen. Zentral sind die Austauscheffekte zwischen gesellschaftspolitischen, räumlichen, ökonomischen, kulturellen und ästhetischen Bedingungen, Praktiken und Diskursen. Die spezifische Ästhetik von Kunstwerken kann wichtige Beiträge zu aktuellen Diskussionen leisten und alternative Strukturmodelle entwickeln, wie das Beispiel von Adéagbos Installationen verdeutlicht hat. Im Vergleich der Bildwelten und visuellen Kulturen sowie ihrer wechselseitigen Bezüge erscheint die europäische Kunstgeschichte weniger monolithisch und kanonisch und damit differenzierter. Deshalb sollten die Kunstgeschichten nicht zergliedert werden (in eine europäische, eine afrikanische, eine asiatische, eine lateinamerikanische usw.) – die Chance liegt vielmehr darin, die transkulturellen Austausch- und Aneignungsvorgänge sowie die Effekte der Schnittstellen (auch in historischer Perspektive) zu fokussieren und von einer difference within auszugehen. So wie Adéagbo die Dinge aus unterschiedlichen Epochen und Kulturen unhierarchisch nebeneinander als entangled knowledge präsentiert und konzeptualisiert, kann auch ein pluralistisches Modell einer Kunstgeschichte der kulturellen Gleichzeitigkeiten funktionieren.
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Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1: Georges Adéagbo: Tagesinstallation vom 03.09.2003, Cotonou. Foto: Kerstin Schankweiler. © Georges Adéagbo und VG Bild-Kunst, Bonn 2012. Abbildung 2: Georges Adéagbo: Tagesinstallation vom 03.09.2003, Cotonou. Foto: Kerstin Schankweiler. © Georges Adéagbo und VG Bild-Kunst, Bonn 2012. Abbildung 3: Georges Adéagbo: Tagesinstallation vom 03.09.2003, Cotonou. Foto: Kerstin Schankweiler. © Georges Adéagbo und VG Bild-Kunst, Bonn 2012. Abbildung 4: Georges Adéagbo: L’explorateur et les explorateurs devant l’histoire de l’exploration..! Le théâtre du monde..!1 (Teilansicht), 2002/ 2004, Installation Museum Ludwig Köln. Foto: Werner Maschmann. Courtesy Museum Ludwig Köln. © Georges Adéagbo und VG Bild-Kunst, Bonn 2012. Abbildung 5: Georges Adéagbo: L’explorateur et les explorateurs (Detail), 2002/2004, Installation Museum Ludwig Köln. Foto: Kerstin Schankweiler. © Georges Adéagbo und VG Bild-Kunst, Bonn 2012. Abbildung 6: Georges Adéagbo: L’explorateur et les explorateurs (Detail), 2002/2004, Installation Museum Ludwig, Köln. Foto: Yvonne Garborini. Courtesy Museum Ludwig Köln. © Georges Adéagbo und VG Bild-Kunst, Bonn 2012. Abbildung 7: Georges Adéagbo: L’explorateur et les explorateurs (Detail), 2002/2004, Installation Museum Ludwig Köln. Foto: Kerstin Schankweiler. © Georges Adéagbo und VG Bild-Kunst, Bonn 2012. Abbildung 8: Musée du Quai Branly, Paris, Ausstellungsgebäude, Ansicht vom Quai Branly, 2007. Foto: Kerstin Schankweiler.
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Im Folgenden abgekürzt: L’explorateur et les explorateurs.
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Abbildung 9: Musée du Quai Branly, Paris, Ausstellungsgebäude, Ansicht vom Quai Branly (Detail Fassade), 2007. Foto: Kerstin Schankweiler. Abbildung 10: Georges Adéagbo, L’explorateur et les explorateurs (Detail), 2002/2004, Installation Museum Ludwig Köln. Foto: Kerstin Schankweiler. © Georges Adéagbo und VG Bild-Kunst, Bonn 2012. Abbildung 11: Vorderseite des Kataloges zur Ausstellung „Primitivism“ in 20th Century Art, Museum of Modern Art, New York, 1984. Aus: Rubin (Hg.) 1984. Abbildung 12: Faltblatt zur Ausstellung Urformen der Kunst, RautenstrauchJoest-Museum, Köln, 2005. Abbildung 13: Georges Adéagbo: L’explorateur et les explorateurs (Detail), 2002/2004, Installation Museum Ludwig Köln. Foto: Kerstin Schankweiler. © Georges Adéagbo und VG Bild-Kunst, Bonn 2012. Abbildung 14: Georges Adéagbo: Tagesinstallation vom 10.09.2003, Cotonou. Foto: Kerstin Schankweiler. © Georges Adéagbo und VG Bild-Kunst, Bonn 2012. Abbildung 15: Georges Adéagbo: Tagesinstallation vom 05.09.2003, Cotonou. Foto: Kerstin Schankweiler. © Georges Adéagbo und VG Bild-Kunst, Bonn 2012. Abbildung 16: Georges Adéagbo: L’explorateur et les explorateurs (Detail), 2002/2004, Installation Museum Ludwig Köln. Foto: Yvonne Garborini. Courtesy Museum Ludwig Köln. © Georges Adéagbo und VG Bild-Kunst, Bonn 2012. Abbildung 17: Jacques-Louis David: Napoleon in seinem Arbeitszimmer, 1812, Öl auf Leinwand, 203,9 × 125,1 cm, National Gallery of Art, Washington DC. Aus: Walther (Hg.) 1995, S. 366. Abbildung 18: Georges Adéagbo: Hommage à Napoléon le Grand (Detail), 2000, Installation Villa Medici, Rom. Aus: Eiblmayr (Hg.) 2001, S. 70. © Georges Adéagbo und VG Bild-Kunst, Bonn 2012. Abbildung 19: Edouard Kinigbé mit der Vorlage für einen der Totempfähle, Cotonou 2001. Foto: Stephan Köhler. Courtesy jointadventures.org. © Georges Adéagbo und VG Bild-Kunst, Bonn 2012. Abbildung 20: Liberty Bell, 1753, Metalllegierung, Independence National Historical Park, Liberty Bell Center, Philadelphia. Foto: Bev Sykes. Quelle: http://www.flickr.com/photo_zoom.gne?id=7131116&size=l, Zugriff am 20.01.2008. Abbildung 21: Georges Adéagbo: Abraham – l’ami de Dieu (Detail), 2000/2006, Installation Philadelphia Museum of Art, Philadelphia. Foto: Stephan Köhler.
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Courtesy jointadventures.org. © Georges Adéagbo und VG Bild-Kunst, Bonn 2012. Abbildung 22: Anonym: Grabrelief mit liegendem Ritter, Frankreich (Normandie, vermutlich Le Merleraut), ca. 1230-1240, Stein mit Resten von Farbe, 34,4 × 178,6 × 58,4 cm, Philadelphia Museum of Art, Philadelphia. Aus: Babbitt (Hg.) 1995, S. 110. Abbildung 23: Georges Adéagbo: Abraham – l’ami de Dieu (Detail), 2000/2006, Installation Philadelphia Museum of Art, Philadelphia. Foto: Stephan Köhler. Courtesy jointadventures.org. © Georges Adéagbo und VG Bild-Kunst, Bonn 2012. Abbildung 24: Joseph Beuys und Johannes Stüttgen auf dem Kasseler Friedrichsplatz am 11.03.1982, Vorbereitung zur Arbeit 7000 Eichen – Stadtverwaldung statt Stadtverwaltung von Joseph Beuys auf der documenta 7 (Beuys weist die Richtung, in der die Basaltstelen abgelegt werden sollen). Foto: Dieter Schwerdle. © documenta Archiv und VG Bild-Kunst, Bonn 2012. Abbildung 25: Georges Adéagbo: L’explorateur et les explorateurs (Detail), 2002/2004, Installation Museum Ludwig Köln. Foto: Kerstin Schankweiler. © Georges Adéagbo und VG Bild-Kunst, Bonn 2012. Abbildung 26: Mumia Arabica, oder / ein außgedörrter gantzer Mohr / sechs Werckschuch lang … noch ganz und unversehret. In: Exoticophylacium Weickmannianum Oder Verzeichnus Underschiedlicher Thier/ Vögel/ Fisch/ Meergewächs/ Ertz- und Bergarten/ Edlen und anderen Stain/ außländischem Holtz und Früchten/ fremden und seltzamen Kleidern und Gewöhr/ Optischen/ Kunst- und Curiosen Sachen/ Mahlereyen/ Muschel und Schneckenwerck/ Heydnischen/ und andern Müntzen/ [et]c.: So in Christoph Weickmanns Kunst- und NaturalKammer in Ulm zu sehen/ und von Ihme bey etlichen wenigen Jahren hero zusam[m]en getragen … ; Auf offtmaliges begehren viler Durchreysenden/ und andern vornemmen Personen/ in Druck gegeben, Ulm, 1659, Fig. 1. Foto: Kerstin Schankweiler. © Ulmer Museum, Ulm. Abbildung 27: Georges Adéagbo: Créer le monde en faisant des collections (Detail), 2007, Installation Ulmer Museum, Ulm. Foto: Kerstin Schankweiler. © Georges Adéagbo, Ulmer Museum, Ulm und VG Bild-Kunst, Bonn 2012. Abbildung 28: Georges Adéagbo: L’explorateur et les explorateurs (Detail), 2002/2004, Installation Museum Ludwig Köln. Foto: Kerstin Schankweiler. © Georges Adéagbo und VG Bild-Kunst, Bonn 2012.
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Abbildung 29: Georges Adéagbo: Créer le monde en faisant des collections (Detail), 2007, Installation Ulmer Museum, Ulm. Foto: Stephan Köhler. © Georges Adéagbo, Ulmer Museum, Ulm und VG Bild-Kunst, Bonn 2012. Abbildung 30: Georges Adéagbo: Paris XIème et l’histoire de la vie de Voltaire: l’héritage, 1996, 234 × 143 × 35 cm, Ansicht in der Ausstellung African Art Now, 2005, Museum of Fine Art, Houston. Quelle: http://www.glasstire.com /reviews/houston/africa_mfa.html, Zugriff am 31.08.2005. © Georges Adéagbo und VG Bild-Kunst, Bonn 2012. Abbildung 31: Georges Adéagbo: Paris XIème et l’histoire de la vie de Voltaire: l’héritage, 1996, 234 × 143 × 35 cm, Ansicht im Hof von Adéagbos Elternhaus, Cotonou. Aus: Magnin, De Lima Greene; Wardlow u.a. (Hg.) 2005, S. 59. © Georges Adéagbo und VG Bild-Kunst, Bonn 2012. Abbildung 32: Georges Adéagbo: L’explorateur et les explorateurs (Teilansicht), 2002/2004, Installation Museum Ludwig Köln. Foto: Werner Maschmann. Courtesy Museum Ludwig Köln. © Georges Adéagbo und VG Bild-Kunst, Bonn 2012. Abbildung 33: Georges Adéagbo: L’explorateur et les explorateurs (Detail), 2002/2004, Installation Museum Ludwig Köln. Foto: Yvonne Garborini. Courtesy Museum Ludwig Köln. © Georges Adéagbo und VG Bild-Kunst, Bonn 2012. Abbildung 34: Georges Adéagbo: L’explorateur et les explorateurs (Detail), 2002/2004, Installation Museum Ludwig Köln. Foto: Yvonne Garborini. Courtesy Museum Ludwig Köln. © Georges Adéagbo und VG Bild-Kunst, Bonn 2012. Abbildung 35: Georges Adéagbo: L’explorateur et les explorateurs (Detail), 2002/2004, Installation Museum Ludwig Köln. Foto: Yvonne Garborini. Courtesy Museum Ludwig Köln. © Georges Adéagbo und VG Bild-Kunst, Bonn 2012. Abbildung 36: Georges Adéagbo: L’explorateur et les explorateurs (Detail), 2002/2004, Installation Museum Ludwig Köln. Foto: Kerstin Schankweiler. © Georges Adéagbo und VG Bild-Kunst, Bonn 2012. Abbildung 37: Jean-Paul Roux: Les explorateurs au Moyen Age, Buchdeckel. Aus: Roux 1985. Abbildung 38: Georges Adéagbo: L’explorateur et les explorateurs (Detail), 2002/2004, Installation Museum Ludwig Köln. Foto: Kerstin Schankweiler. © Georges Adéagbo und VG Bild-Kunst, Bonn 2012. Abbildung 39: Georges Adéagbo: L’explorateur et les explorateurs (Detail), 2002/2004, Installation Museum Ludwig Köln. Foto: Kerstin Schankweiler. © Georges Adéagbo und VG Bild-Kunst, Bonn 2012.
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Abbildung 40: Georges Adéagbo: L’explorateur et les explorateurs (Detail), 2002/2004, Installation Museum Ludwig Köln. Foto: Kerstin Schankweiler. © Georges Adéagbo und VG Bild-Kunst, Bonn 2012. Abbildung 41: Georges Adéagbo: L’explorateur et les explorateurs (Detail), 2002/2004, Installation Museum Ludwig Köln. Foto: Yvonne Garborini. Courtesy Museum Ludwig Köln. © Georges Adéagbo und VG Bild-Kunst, Bonn 2012. Abbildung 42: Georges Rouault: Fléau Colon, 1928, Radierung, 30,4 × 90,5 cm, Illustration zu Ambroise Vollards Réincarnations du Père Ubu, Paris 1932. Aus: Chapon 1992, S. 59. © VG Bild-Kunst, Bonn 2012. Abbildung 43: Georges Adéagbo: L’explorateur et les explorateurs (Detail), 2002/2004, Installation Museum Ludwig Köln. Foto: Kerstin Schankweiler. © Georges Adéagbo und VG Bild-Kunst, Bonn 2012. Abbildung 44: Georges Adéagbo vor dem Kölner Dom, Köln 2004. Foto: Stephan Köhler. Aus: Friedrich, König (Hg.) 2004. © Georges Adéagbo und VG Bild-Kunst, Bonn 2012. Abbildung 45: Georges Adéagbo: L’explorateur et les explorateurs (Detail), 2002/2004, Installation Museum Ludwig Köln. Foto: Kerstin Schankweiler. © Georges Adéagbo und VG Bild-Kunst, Bonn 2012. Abbildung 46: Georges Adéagbo: L’explorateur et les explorateurs (Detail), 2002/2004, Installation Museum Ludwig Köln. Foto: Kerstin Schankweiler. © Georges Adéagbo und VG Bild-Kunst, Bonn 2012. Abbildung 47: Georges Adéagbo: L’explorateur et les explorateurs (Detail), 2002/2004, Installation Museum Ludwig Köln. Foto: Kerstin Schankweiler. © Georges Adéagbo und VG Bild-Kunst, Bonn 2012. Abbildung 48: Georges Adéagbo: L’explorateur et les explorateurs (Detail), 2002/2004, Installation Museum Ludwig Köln. Foto: Kerstin Schankweiler. © Georges Adéagbo und VG Bild-Kunst, Bonn 2012. Abbildung 49: Georges Adéagbo: L’explorateur et les explorateurs (Teilansicht), 2002, Installation Documenta11, Kassel. Foto: Stephan Köhler. Courtesy jointadventures.org. © Georges Adéagbo und VG Bild-Kunst, Bonn 2012. Abbildung 50: Georges Adéagbo: L’explorateur et les explorateurs (Detail), 2002/2004, Installation Museum Ludwig Köln. Foto: Yvonne Garborini. Courtesy Museum Ludwig Köln. © Georges Adéagbo und VG Bild-Kunst, Bonn 2012. Abbildung 51: Harald Szeemann, 24.02.1984. Foto: Renate Lehning. © documenta Archiv.
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Abbildung 52: Georges Adéagbo: L’explorateur et les explorateurs (Detail), 2002/2004, Installation Museum Ludwig Köln. Foto: Kerstin Schankweiler. © Georges Adéagbo und VG Bild-Kunst, Bonn 2012. Abbildung 53: Georges Adéagbo: L’explorateur et les explorateurs (Detail), 2002/2004, Installation Museum Ludwig Köln. Foto: Stephan Köhler. Courtesy jointadventures.org. © Georges Adéagbo und VG Bild-Kunst, Bonn 2012. Abbildung 54: Joseph Beuys: Free International University, 1977, Aktion auf der documenta 6, Kassel 1977. Foto: Dieter Schwerdle. © documenta Archiv und VG Bild-Kunst, Bonn 2012. Abbildung 55: Georges Adéagbo: L’explorateur et les explorateurs (Detail), 2002/2004, Installation Museum Ludwig Köln. Foto: Kerstin Schankweiler. © Georges Adéagbo und VG Bild-Kunst, Bonn 2012. Abbildung 56: Georges Adéagbo: L’explorateur et les explorateurs (Detail), 2002/2004, Installation Museum Ludwig Köln. Foto: Werner Maschmann. Courtesy Museum Ludwig Köln. © Georges Adéagbo und VG Bild-Kunst, Bonn 2012. Abbildung 57: Georges Adéagbo: L’explorateur et les explorateurs (Detail), 2002/2004, Installation Museum Ludwig Köln. Foto: Kerstin Schankweiler. © Georges Adéagbo und VG Bild-Kunst, Bonn 2012. Abbildung 58: Georges Adéagbo: L’explorateur et les explorateurs (Detail), 2002/2004, Installation Museum Ludwig Köln. Foto: Kerstin Schankweiler. © Georges Adéagbo und VG Bild-Kunst, Bonn 2012. Abbildung 59: Georges Adéagbo: L’explorateur et les explorateurs (Detail), 2002/2004, Installation Museum Ludwig Köln. Foto: Kerstin Schankweiler. © Georges Adéagbo und VG Bild-Kunst, Bonn 2012. Abbildung 60: Georges Adéagbo: L’explorateur et les explorateurs (Detail), 2002/2004, Installation Museum Ludwig Köln. Foto: Kerstin Schankweiler. © Georges Adéagbo und VG Bild-Kunst, Bonn 2012. Abbildung 61: Georges Adéagbo: Tagesinstallation vom 03.09.2003, Cotonou. Foto: Kerstin Schankweiler. © Georges Adéagbo und VG Bild-Kunst, Bonn 2012. Abbildung 62: Calixte Dakpogan: L’Instituteur, 1996, Metall und Plastik, 114 × 38 × 30 cm. Aus: 7. Triennale der Kleinplastik 1998, S. 105. © Calixte Dakpogan. Abbildung 63: El Anatsui: Sasa, 2004, Aluminium und Kupferdraht, 640 × 840 cm, Collection Centre Pompidou, Paris. Foto: Jonathan Greet. Courtesy October Gallery, London. © El Anatsui.
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Abbildung 64: Cery Cyssé: [ohne Titel] / Galerie (68-69) Rue Mousse Diop, 2006, Dakar. Foto: Kerstin Schankweiler. © Cery Cyssé. Abbildung 65: Cery Cyssé: [ohne Titel] / Galerie (68-69) Rue Mousse Diop (Detail), 2006, Dakar. Foto: Kerstin Schankweiler. © Cery Cyssé. Abbildung 66: Cery Cyssé: [ohne Titel] / Skulpturen neben der Galerie (68-69) Rue Mousse Diop, 2006, Dakar. Foto: Kerstin Schankweiler. © Cery Cyssé. Abbildung 67: Georges Adéagbo: La colonisation Belge en Afrique noir (Detail), 2000, Installation Banque Bruxelles Lambert, Brüssel. Foto: Vincent Everaerts. Courtesy jointadventures.org. © Georges Adéagbo und VG BildKunst, Bonn 2012. Abbildung 68: Georges Adéagbo: L’explorateur et les explorateurs (Detail), 2002/2004, Installation Museum Ludwig Köln. Foto: Kerstin Schankweiler. © Georges Adéagbo und VG Bild-Kunst, Bonn 2012. Abbildung 69: Mami-Wata-Altar, 1995-1999, Benin (Mono-Region, Hountohoué), Soul of Africa Museum, Essen. Aus: Martin, Syring, Luque u.a. (Hg.) 2001, S. 219. Abbildung 70: Georges Adéagbo: L’explorateur et les explorateurs (Detail), 2002, Installation Documenta11, Kassel. Foto: Stephan Köhler. Courtesy jointadventures.org. © Georges Adéagbo und VG Bild-Kunst, Bonn 2012. Abbildung 71: Der Markt Dantokpa in Cotonou, Benin, am 09.12.2006. Foto: Caleb Ficner. Quelle: http://www.trekearth.com/gallery/Africa/Benin/photo 608576.htm, Zugriff am 07.08.2007. Abbildung 72: Friseurladen mit Reklameschild, 2003, Cotonou, Benin. Foto: Wendelin Schmidt. Abbildung 73: Georges Adéagbo: La colonisation Belge en Afrique noir, 2000/2005, Installation Palais des Beaux-Arts, Brüssel. Foto: Stephan Köhler. Courtesy jointadventures.org. © Georges Adéagbo und VG Bild-Kunst, Bonn 2012. Abbildung 74: Georges Adéagbo: Créer le monde en faisant des collections (Teilansicht), 2007, Installation Ulmer Museum, Ulm. Foto: Stephan Köhler. Courtesy jointadventures.org. © Georges Adéagbo, Ulmer Museum, Ulm und VG Bild-Kunst, Bonn 2012. Abbildung 75: Anonym: Kunstkammer des Ferrante Imperato, 1599, Holzschnitt, in: Imperato, 1599, Frontispiz. Aus: Bredekamp 2004, S. 33, Abbildung 9. Abbildung 76: Dieter Roth: Große Tischruine (Detail), 1978-1998, Installation view, Hauser & Wirth, Zürich (1998) © Dieter Roth Estate, Courtesy Hauser & Wirth.
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Abbildung 77: Fred Wilson: Metalwork 1793-1880, aus Mining the Museum: An Installation by Fred Wilson, 1992-1993, The Contemporary Museum and Maryland Historical Society, Baltimore. Silbergeschirr im Baltimore Repoussé-Stil, 1830-80, unbekannter Hersteller; Sklavenfesseln, ca. 17931872, unbekannter Hersteller, gefertigt in Baltimore. Foto: Courtesy Fred Wilson und The Pace Gallery. © Fred Wilson, Courtesy The Pace Gallery. Abbildung 78: Jonathan Meese: Ahoi de Angst, 1999, Installation P.S.1, New York. Aus: Ahrens, Haenlein (Hg.) 2002, S. 43. © VG Bild-Kunst, Bonn 2012. Abbildung 79: Thomas Hirschhorn: Ingeborg Bachmann Altar, 2006, Installation U2 Alexanderplatz, Berlin (Ausstellungsprojekt der Neuen Gesellschaft für Bildende Kunst). Foto: Kerstin Schankweiler. © VG Bild-Kunst, Bonn 2012. Abbildung 80: Karsten Bott: Von Jedem Eins, 1997, Installation Haus der Kunst, München. Foto: Courtesy Karsten Bott. © VG Bild-Kunst, Bonn 2012. Abbildung 81: Georges Adéagbo: La colonisation Belge en Afrique noir (Teilansicht), 2000/2005, Installation Palais des Beaux-Arts, Brüssel. Foto: Siglinde Kallnbach. Aus: Raap 2005, S. 377. © Georges Adéagbo und VG BildKunst, Bonn 2012. Abbildung 82: Georges Adéagbo: La colonisation Belge en Afrique noir, 2000/2005, Installation Palais des Beaux-Arts, Brüssel. Foto: Stephan Köhler. Courtesy jointadventures.org. © Georges Adéagbo und VG Bild-Kunst, Bonn 2012. Abbildung 83: Georges Adéagbo: La colonisation Belge en Afrique noir (Detail), 2000/2005, Installation Palais des Beaux-Arts, Brüssel. Foto: Stephan Köhler. Courtesy jointadventures.org. © Georges Adéagbo und VG Bild-Kunst, Bonn 2012. Abbildung 84: Georges Adéagbo: La colonisation Belge en Afrique noir (Detail), 2000, Installation Banque Bruxelles Lambert, Brüssel. Foto: Stephan Köhler. Courtesy jointadventures.org. © Georges Adéagbo und VG Bild-Kunst, Bonn 2012. Abbildung 85: Georges Adéagbo: Installation als Antwort auf einen Brief, Cotonou, 27.08.2006. Foto: Stephan Köhler. Courtesy jointadventures.org. © Georges Adéagbo und VG Bild-Kunst, Bonn 2012. Abbildung 86: Vorder- und Rückseite des Kataloges DC: Georges Adéagbo, 2004. Aus: Friedrich, König (Hg.) 2004. Abbildung 87: Georges Adéagbo: L’explorateur et les explorateurs (Detail), 2002/2004, Installation Museum Ludwig Köln. Foto: Yvonne Garborini.
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Courtesy Museum Ludwig Köln. © Georges Adéagbo und VG Bild-Kunst, Bonn 2012. Abbildung 88: Georges Adéagbo: L’explorateur et les explorateurs (Detail), 2002/2004, Installation Museum Ludwig Köln. Foto: Kerstin Schankweiler. © Georges Adéagbo und VG Bild-Kunst, Bonn 2012. Abbildung 89: Zeichnung von Aurélie, Patientin einer Psychiatrischen Klinik, o.J. Aus: Documenta 5 1972, S. 11.17. Abbildung 90: Georges Adéagbo, L’explorateur et les explorateurs (Detail), 2002/2004, Installation Museum Ludwig Köln. Foto: Kerstin Schankweiler. © Georges Adéagbo und VG Bild-Kunst, Bonn 2012. Abbildung 91: Georges Adéagbo, L’explorateur et les explorateurs (Detail), 2002/2004, Installation Museum Ludwig Köln. Foto: Yvonne Garborini. Courtesy Museum Ludwig Köln. © Georges Adéagbo und VG Bild-Kunst, Bonn 2012.
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Offizieller Internet-Auftritt Georges Adéagbos: www.jointadventures.org
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Einzelausstellungen
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Image Thomas Abel, Martin Roman Deppner (Hg.) Undisziplinierte Bilder Fotografie als dialogische Struktur Dezember 2012, 352 Seiten, kart., zahlr. z.T. farb. Abb., 29,80 €, ISBN 978-3-8376-1491-6
Lilian Haberer, Annette Urban (Hg.) Bildprojektionen Filmisch-fotografische Dispositive in Kunst und Architektur April 2013, ca. 220 Seiten, kart., zahlr. Abb., ca. 26,80 €, ISBN 978-3-8376-1711-5
Katja Hoffmann Ausstellungen als Wissensordnungen Zur Transformation des Kunstbegriffs auf der Documenta 11 Januar 2013, ca. 496 Seiten, kart., zahlr. z.T. farb. Abb., ca. 39,80 €, ISBN 978-3-8376-2020-7
Leseproben, weitere Informationen und Bestellmöglichkeiten finden Sie unter www.transcript-verlag.de
Image Guido Isekenmeier (Hg.) Interpiktorialität Theorie und Geschichte der Bild-Bild-Bezüge Mai 2013, ca. 290 Seiten, kart., zahlr. Abb., ca. 32,80 €, ISBN 978-3-8376-2189-1
Lill-Ann Körber Badende Männer Der nackte männliche Körper in der skandinavischen Malerei und Fotografie des frühen 20. Jahrhunderts Januar 2013, 280 Seiten, kart., zahlr. Abb., 31,80 €, ISBN 978-3-8376-2093-1
Annette Jael Lehmann Environments: Künste – Medien – Umwelt Facetten der künstlerischen Auseinandersetzung mit Landschaft und Natur Dezember 2012, ca. 250 Seiten, kart., zahlr. Abb., ca. 28,80 €, ISBN 978-3-8376-1633-0
Leseproben, weitere Informationen und Bestellmöglichkeiten finden Sie unter www.transcript-verlag.de
Image Ursula Bertram (Hg.) Kunst fördert Wirtschaft Zur Innovationskraft des künstlerischen Denkens
Birgit Hopfener Installationskunst in China Transkulturelle Reflexionsräume einer Genealogie des Performativen
Oktober 2012, 266 Seiten, kart., zahlr. z.T. farb. Abb., 28,80 €, ISBN 978-3-8376-2102-0
Februar 2013, ca. 280 Seiten, kart., zahlr. Abb., ca. 34,80 €, ISBN 978-3-8376-2201-0
Ulrich Blanché Konsumkunst Kultur und Kommerz bei Banksy und Damien Hirst
Walburga Hülk Bewegung als Mythologie der Moderne Vier Studien zu Baudelaire, Flaubert, Taine, Valéry
November 2012, 370 Seiten, kart., zahlr. Abb., 32,80 €, ISBN 978-3-8376-2139-6
Julia Bulk Neue Orte der Utopie Zur Produktion von Möglichkeitsräumen bei zeitgenössischen Künstlergruppen Juli 2013, ca. 308 Seiten, kart., zahlr. Abb., ca. 33,80 €, ISBN 978-3-8376-1613-2
Patricia Stella Edema Bilder des Wandels in Schwarz und Weiß Afro-amerikanische Identität im Medium der frühen Fotografie (1880-1930) Januar 2013, ca. 300 Seiten, kart., zahlr. Abb., ca. 35,80 €, ISBN 978-3-8376-2203-4
Doris Guth, Elisabeth Priedl (Hg.) Bilder der Liebe Liebe, Begehren und Geschlechterverhältnisse in der Kunst der Frühen Neuzeit August 2012, 340 Seiten, kart., zahlr. z.T. farb. Abb., 34,80 €, ISBN 978-3-8376-1869-3
Juni 2012, 242 Seiten, kart., zahlr. z.T. farb. Abb., 28,80 €, ISBN 978-3-8376-2008-5
Doris Ingrisch Wissenschaft, Kunst und Gender Denkräume in Bewegung November 2012, 200 Seiten, kart., 24,80 €, ISBN 978-3-8376-2197-6
Dietmar Kammerer (Hg.) Vom Publicum Das Öffentliche in der Kunst Mai 2012, 246 Seiten, kart., 28,80 €, ISBN 978-3-8376-1673-6
Viola Luz Wenn Kunst behindert wird Zur Rezeption von Werken geistig behinderter Künstlerinnen und Künstler in der Bundesrepublik Deutschland Juni 2012, 558 Seiten, kart., zahlr. z.T. farb. Abb., 39,80 €, ISBN 978-3-8376-2011-5
Florian Schaper Bildkompetenz Kunstvermittlung im Spannungsfeld analoger und digitaler Bilder November 2012, 166 Seiten, kart., 22,80 €, ISBN 978-3-8376-2190-7
Leseproben, weitere Informationen und Bestellmöglichkeiten finden Sie unter www.transcript-verlag.de
Zeitschrif t für Kultur wissenschaf ten Dorothee Kimmich, Schamma Schahadat (Hg.)
Essen Zeitschrift für Kulturwissenschaften, Heft 1/2012
Mai 2012, 202 Seiten, kart., 8,50 €, ISBN 978-3-8376-2023-8 Der Befund zu aktuellen Konzepten kulturwissenschaftlicher Analyse und Synthese ist ambivalent. Die Zeitschrift für Kulturwissenschaften bietet eine Plattform für Diskussion und Kontroverse über »Kultur« und die Kulturwissenschaften – die Gegenwart braucht mehr denn je reflektierte Kultur sowie historisch situiertes und sozial verantwortetes Wissen. Aus den Einzelwissenschaften heraus wird mit interdisziplinären Forschungsansätzen diskutiert. Insbesondere jüngere Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen kommen dabei zu Wort. Lust auf mehr? Die Zeitschrift für Kulturwissenschaften erscheint zweimal jährlich in Themenheften. Bisher liegen 11 Ausgaben vor. Die Zeitschrift für Kulturwissenschaften kann auch im Abonnement für den Preis von 8,50 € je Ausgabe bezogen werden. Bestellung per E-Mail unter: [email protected]
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