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German Pages [356] Year 1979
A R B E I T E N ZUR K I R C H L I C H E N Z E I T G E S C H I C H T E R E I H E B: D A R S T E L L U N G E N · BAND 7
ARBEITEN ZUR K I R C H L I C H E N
ZEITGESCHICHTE
Herausgegeben im Auftrag der Evangelischen Arbeitsgemeinschaft für kirchliche Zeitgeschichte von Georg Kretschmar und Klaus Scholder
R E I H E B: D A R S T E L L U N G E N
Band 7
Jens Holger Schjorring Theologische Gewissensethik und politische Wirklichkeit
G Ö T T I N G E N · V A N D E N H O E C K & R U P R E C H T · 1979
Theologische Gewissensethik und politische Wirklichkeit Das Beispiel Eduard Geismars und Emanuel Hirschs
von Jens Holger Schjorring
G Ö T T I N G E N · V A N D E N H O E C K & R U P R E C H T · 1979
Übersetzung aus dem Dänischen: Eberhard Harbsmeier Redaktionelle Betreuung dieses Bandes: Carsten Nicolaisen
CIP-Kurztitelaufnahme
der Deutschen
Bibliothek
Schjerring, Jens Holger: Theologische Gewissensethik und politische Wirklichkeit: d. Beispiel Eduard Geismars u. Emanuel Hirschs / von Jens Holger Schjorring. [Übers, aus d. Dan.: Eberhard Harbsmeier]. - Göttingen: Vandenhoeck und Ruprecht, 1979. - Arhús: Forlaget AROS, 1979. (Arbeiten zur kirchlichen Zeitgeschichte: Reihe B, Darst.; Bd. 7) ISBN 3-525-55707-8
Vertrieb in Dänemark durch Forlaget AROS, Arhús © Vandenhoeck 8c Rupredit, Göttingen 1979. - Printed in Germany. Ohne ausdrückliche Genehmigung des Verlages ist es nicht gestattet, das Buch oder Teile daraus auf foto- oder akustomechanisdiem Wege zu vervielfältigen. - Satz und Druck: Guide-Druck, Tübingen. Bindearbeit: Hubert Sc Co., Göttingen
INHALTSVERZEICHNIS
Vorwort
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Abkürzungen
11
Einleitung
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Kapitel 1 Die Entwicklung Geismars und Hirschs bis 1921
19
1. Der Werdegang Eduard Geismars a) Zeitgeschichtlicher Hintergrund b) Geismars Begegnung mit Kierkegaard c) Der Einfluß Rudolf Euckens d) Hauptanliegen und Konzequenzen von „Christentum und Entwicklung" e) Kirchenpolitische Stellungnahme f) Geismars Einstellung zum Krieg g) Das Christentum und die sozialen Probleme h) Geismars theologische Begründung seiner politischen Ethik . . 2. Wissenschaftliche Entwicklung und politisches Engagement bei Emanuel Hirsch a) Studienjahre und Fichtestudium b) Der August 1914 c) Hirschs Lutherstudien und ihre Zeitbedingtheit d) Die letzte Phase des Krieges und die Novemberrevolution . . . e) Die Geschichtsphilosophie als Beitrag zur nationalen Erhebung f) Hirschs übrige Studien zur reformatorischen Theologie . . . .
19 19 30 32 35 38 41 46 49 52 52 56 59 63 71 77
Kapitel 2 Die Bekanntschaft zwischen Hirsch und Geismar und ihr gegenseitiger Einfluß in den zwanziger Jahren 1. Die Theologie Geismars a) Zur allgemeinen politischen, geistigen und theologischen Situation
80 80 80
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Inhaltsverzeichnis
b) Geismar und die zeitgenössische Theologie c) Die Kierkegaarddeutung Geismars d) Die politische Ethik Geismars e) Geismars Auseinandersetzung mit der Tidehvervbewegung . . 2. Die Position Hirschs im Rahmen der theologischen und politischen Entwicklung a) Die Konfrontation mit der dialektischen Theologie b) Die politische Ethik Hirschs c) Aspekte der übrigen theologischen Arbeit Hirschs
88 98 104 111 119 119 129 140
Kapitel 3 Die Jahre 1931-1934: Beginnende Entfremdung 1. Hirschs Anteil am Kampf für die nationale Erhebung und die Auswirkungen auf seine Theologie a) Die allgemeine politische Tendenzwende b) Der dogmatische Ansatz der Position Hirschs c) Hirschs Kierkegaard-Interpretation und ihr Zusammenhang mit dem nationalen Aufbruch d) Der Streit um „Kirche und Völkerverständigung" e) Der „Fall Dehn" - eine Präfiguration des Kirchenkampfes? . . f) Hirschs kirchenpolitische Arbeit 1933 g) Theologie innerhalb der „Volksgemeinschaft" 2. Geismars erste Proteste a) Die allgemein« Lage in Dänemark b) Anfänge der theologischen Differenzen
150
150 150 153 159 164 169 177 186 204 204 224
Kapitel 4 Der offene Bruch
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1. Die Verschärfung der dänischen Reaktionen auf die Entwicklung in Deutschland ab Sommer 1934 2. Geismars offene Kritik 3. Der Streit mit Hirsch
235 250 259
Kapitel 5 Diametrale Gegensätze als Ergebnis der Auseinandersetzungen
266
1. Geismars Verarbeitung des Konfliktes mit Hirsch und der bleibende Gegensatz zum Barthianismus
266
Inhaltsverzeichnis
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a) Teilnahme an der ökumenischen Diskussion über Kirche, Volk und Staat b) Stellungnahmen zum deutschen Kirchenkampf 1936/37 . . . . c) Die Weltkirchenkonferenz von Oxford 1937 2. Grundaspekte der theologischen und politischen Position Hirschs nach dem Sommer 1934 a) Kirchenpolitische Stellungnahmen b) Die Auseinandersetzung zwischen Tillich und Hirsch c) Kritik am lutherischen Konfessionalismus d) Äußerungen zu den Auseinandersetzungen um Rosenberg . . . e) Kritik an der ökumenischen Bewegung f) Die letzte Polemik gegen Karl Barth
284 284 295 298 300 303 308
Zusammenfassung
310
Quellen- und Literaturverzeichnis
320
Index
339
266 279 280
VORWORT
Die dieser Arbeit vorausgegangenen Studien in der Bundesrepublik Deutschland wurden durch ein Stipendium der Alexander von Humboldt-Stiftung ermöglicht. Dafür, sowie für einen ebenso großzügigen Beitrag zur Drucklegung möchte ich an dieser Stelle einen besonderen Dank an die Alexander von Humboldt-Stiftung richten. Die theologische Fakultät der Universität Aarhus gab mir 10 Jahre lang gute Arbeitsbedingungen. Fakultätsrat, Kollegen und Sekretärinnen sei für Unterstützung und mancherlei Hilfe gedankt; Herrn Professor P. G. Lindhardt darf ich dabei hervorheben. Einen wesentlichen Anteil an der endgültigen Fassung haben der Ubersetzer, Pfarrer Eberhard Harbsmeier, Varde/Dänemark, und Herr Dr. C. Nicolaisen. Beide haben mir weit über die sprachlichen und redaktionellen Probleme hinaus geholfen. Herr Nicolaisen hat die Arbeit seit den frühen Anfängen während des Studienaufenthaltes in München bis zur mühevollen Überarbeitung des Manuskriptes für den Druck und dem Korrekturlesen lebhaft unterstützt und den Arbeitsprozeß maßgebend begleitet. Den in Literaturverzeichnis aufgeführten Archiven und der Staatsbibliothek Aarhus habe ich für alles Entgegenkommen zu danken. Insbesondere möchte ich Herrn A. F. Geismar, Kopenhagen, nennen, weil er mir den Zugang zu dem Nachlaß seines Vaters gewährte und die Drucklegung des Manuskriptes billigte. Frau Astrid Nicolaisen hat dankenswerterweise das Register zusammengestellt. Zuletzt, aber darum nicht weniger nachdrücklich, möchte ich meine Dankbarkeit gegenüber den Herausgebern hervorheben, Herrn Professor D. Dr. G. Kretschmar und Herrn Professor Dr. K. Scholder, nicht nur für die Aufnahme in die „Arbeiten zur kirchlichen Zeitgeschichte", sondern auch für sachliche Anregungen und Anstöße über viele Jahre. Aarhus, Dänemark, im Juli 1978
Jens Holger Schjorring
ABKÜRZUNGEN AEKD AEKU AELKZ AGK AGKZG AKA AKiZ Anm. AÖRK AT Aufl. BA Ausg. Bd. bearb. bes. betr. bezw. Bl. CVJM CW D., Dr. dän. DC ders. DEK DfB d. h. Diss. DNSAP DTh DTT DV ebd. erw. etc. ev. f. (ff.) Frhr.
Archiv der Evangelischen Kirche in Deutschland Archiv der Evangelischen Kirche der Union Allgemeine Evangelisch-Lutherische Kirchenzeitung Arbeiten zur Geschichte des Kirchenkampfes Evangelische Arbeitsgemeinschaft für kirchliche Zeitgeschichte Archiv des Kirchlichen Außenamtes Arbeiten zur kirchlichen Zeitgeschichte Anmerkung Archiv des ökumenischen Rates der Kirchen Altes Testament Auflage Bundesarchiv Ausgabe Band bearbeitet besonders betreffend beziehungsweise Blatt Christlicher Verein Junger Männer Die Christliche Welt Doktor dänisch Deutsche Christen derselbe Deutsche Evangelische Kirche Det frie Blad das heißt Dissertation Danmarks Nationalsocialistiske Arbejderparti Deutsche Theologie Dansk Teologisk Tidsskrift Deutsches Volkstum ebenda erweitert et cetera evangelisch folgende Freiherr
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geb. Gen. Ges. Aufs. Gestapo Gk
Abkürzungen
geboren Genossen Gesammelte Aufsätze Geheime Staatspolizei Geisteskampf der Gegenwart. Monatsschrift für christliche Bildung und Weltanschauung Hg. Herausgeber, herausgegeben IMT Indre Missions Tidende Jg. Jahrgang JK Junge Kirche KJ Kirchliches Jahrbuch KKA Kirchenkampfarchiv KU Konservativ Ungdom KViN Kirche und Volkstum in Niedersachsen LS Landbrugernes Sammenslutning LKA Landeskirchliches Archiv m. a. W. mit anderen Worten m. E. meines Erachtens MPTh Monatsschrift für Pastoraltheologie NG Nachlaß Geismar Nr. Nummer NS nationalsozialistisch NSDAP Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei NT Neues Testament NT Nachlaß Torrn NZSTh Neue Zeitschrift für systematische Theologie o. J . ohne Jahrgang PolA Politisches Archiv Prof. Professor RA Rigsarkivet Rez. Rezension RKA Reichskirchenausschuß RKM Reichskirchenministerium S. Seite sc. scilicet SA Sturmabteilung Sp. Spalte SPD Sozialdemokratische Partei Deutschlands SS Schutzstaffel St. Sankt Sv. teol. kvt. Svensk teologisk kvartalsskrift ThBl Theologische Blätter theol. theologisch ThExh Theologische Existenz heute ThLZ Theologische Literaturzeitung TT Teologisk Tidsskrift u. a. unter anderem, und andere
Abkürzungen u. ä. ü. usw. V.
vgl. VKL W-B ζ. B. ZdZ ZKG ZStA ZsystTh ZThK
und ähnlich übersetzt und so weiter von vergleiche Vorläufige Kirchenleitung Wingolf-Blätter. Zeitschrift des Wingolf-Bundes zum Beispiel Zwischen den Zeiten Zeitschrift für Kirchengeschichte Zentrales Staatsarchiv Zeitschrift für systematische Theologie Zeitschrift für Theologie und Kirche
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EINLEITUNG Viele kirchengeschichtliche Analysen haben gezeigt, daß scheinbar identische Begriffe und Terminologien unter verschiedenen Bedingungen ganz unterschiedliche Bedeutungen annehmen können. Diese ja schon fast banal wirkende Erkenntnis ist der methodische Grund dafür, daß Theologiegeschichte ungeachtet der systematischen Reichweite des behandelten Stoffes stets eine grundlegende historische Aufgabe ist. Für den Verfasser der vorliegenden Untersuchung wurde diese Tatsache zum ersten Male spürbar während eines Studienaufenthaltes in der Bundesrepublik. Ich kam mit recht handfesten Vorstellungen darüber, was in der Theologie und im kirchlichen Leben Dänemarks in diesem Jahrhundert wichtig und bestimmend gewesen war, nach Deutschland und meinte, diese Voraussetzungen ohne weiteres auf die Probleme übertragen zu können, mit denen ich nun konfrontiert wurde. In dieser Erwartung wurde ich auch dadurch nur bestätigt, daß ja die deutsche Theologie in Dänemark vielfältige und tiefgreifende Wirkungen hinterlassen hat. Aber es zeigten sich nun die wesentlichen Unterschiede, und dies gerade dort, wo man von dänischer Seite oft geneigt ist, die eigene, spezifisch dänische Tradition als unmittelbare und selbstverständliche Konsequenz des reformatorischen Erbes anzusehen. In Dänemark besteht die Tendenz, die dänische Ordnung der „Volkskirche" als die einzig legitime und jedenfalls beste Kirchenverfassung im Sinne der Reformation zu verstehen. In Deutschland aber ist eine vergleichbare Verfassung der Kirche problematisch geworden, nicht zuletzt als Folge der Hitlerzeit. „Barmen" bedeutet für die meisten mehr als nur irgendein kirchliches Bekenntnis in einer bestimmten zugespitzten Situation. „Barmen" und seine Interpretation war für den radikalen Flügel der Bekennenden Kirche zu einer unantastbaren Norm geworden. Die Unterschiede und Ähnlichkeiten zwischen dänischer und deutscher Theologie zeigen sich dann auch, wenn man sich auf den Versuch einläßt, einen Begriff wie den des „Volkstums" theologisch zu legitimieren, ein Begriff, der für einen Dänen selbstverständliches und im Grunde nicht problematisches Erbe des 19. Jahrhunderts darstellt, der für einen Deutschen aber zutiefst belastet ist. Die Unterschiede zeigen sich noch deutlicher im Blick auf die politische Wirkungsgeschichte des Luthertums in der Zwischenkriegszeit
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Einleitung
oder auch im Blick auf die dänische Version der dialektischen Theologie, die „Tidehverv"-Bewegung, die eine der deutschen dialektischen Theologie gegenüber doch eher eigenständige Bewegung ist. So zeichnet sich die Notwendigkeit einer Gegenüberstellung dänischer und deutscher Theologie in dieser Zeit als Forschungsaufgabe durchaus ab. Das methodische Problem dabei ist, daß es keine zufriedenstellende Lösung ist, den Nationalsozialismus und den Kirchenkampf historisch sozusagen von außen, auf dem Hintergrund der dänischen Reaktionen und gesehen von dänischen Voraussetzungen her zu beurteilen. Vielmehr geht es darum, die wechselseitigen Beziehungen in dieser Zeit zu erfassen, und dies um so mehr, als sich ja Einflüsse in beiden Richtungen zeigen. Für diese Fragestellung zeigte sich die Verbindung zwischen Emanuel Hirsch (1888-1972) und Eduard Geismar (1871-1939) als ein geeigneter und wichtiger Ausgangspunkt für eine Analyse deutscher und dänischer Theologie in den Zwischenkriegsjahren in ihrem gegenseitigen Bezug. Beide Theologen sind vergleichbar im Hinblick auf kirchenpolitisches Engagement in Theorie und Praxis, im Hinblick auf politische Stellungnahmen und theologische Aussagen zum Ersten Weltkrieg, zur Weimarer Republik und zum „Dritten Reich", die Deutung der Theologie Luthers und ihre Konsequenzen für die politische Ethik, das Verständnis des Idealismus - und hier besonders Seren Kierkegaard als Inspirator des theologischen Neuanfangs in den zwanziger Jahren - sowie schließlich den Streit um die dialektische Theologie im Lichte der Frage nach einer politischen Ethik. Es geht also darum, von einer vergleichenden Analyse der Theologie Hirschs und Geismars aus die theologische und politische Entwicklung in Deutschland und Dänemark in Beziehung zu setzen. Im Vordergrund steht dabei die Frage, wie sich theologisches und politisches Engagement hier gegenseitig bedingen und durchdringen. In besonderem Ausmaß beansprucht die Praxis einer lutherischen Obrigkeitsethik im Sinne der Hollschen Luther-Renaissance unser Augenmerk. Dabei haben die Angriffe von Seiten Karl Barths, Friedrich Gogartens und der dänischen dialektischen Theologie gegen diese Gewissensethik das erkenntnisleitende Interesse bestimmt. Hier wurde nämlich der Vorwurf vorgebracht, die mit diesem Verständnis des Gewissens zusammengehörende Anthropologie sei von Anfang an von idealistischen Prämissen determiniert und deswegen christlich pervertiert. Wir wollen aber versuchen, das Ineinander von Luther-Renaissance, Abhängigkeit von und Beschäftigung mit der idealistischen Philosophie und politischer Praxis als eine vorerst unlösbare Verflochtenheit festzuhalten, ohne uns gleich am Anfang auf einen entweder genetischen oder sachlichen Gesichtspunkt festzulegen.
Einleitung
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In der Wahl Geismars und Hirschs als Gegenstand der Analyse liegt keine Beurteilung ihres Formats als Denker oder gar die Absicht einer systematisch-theologischen Aufwertung dieser beiden Theologen. Der Vergleich darf auch nicht in dem Sinne mißverstanden werden, als ob er die tiefgreifenden Unterschiede zwischen den beiden Theologen gleichsam aufheben wollte. Eine solche Gefahr des Verwischens der Unterschiede würde bestehen, wenn man diese beiden Vertreter eines Luthertums im Sinne der Holischen Gewissensethik nur mit der Elle des Barthschen dogmatischen Verdikts beurteilen und das erkenntnisleitende Interesse allein von dorther bestimmen würde. Vielmehr zielt der Ansatz auf eine Differenzierung des Bildes von der sozialethischen Wirkungsgeschichte des Luthertums, ohne aber dabei eindeutige Erklärungen oder Lösungen zu versprechen. Als Schwierigkeiten am komparativen Verfahren kommen hinzu, daß Hirsch und Geismar sehr verschiedener Prägung waren. Hirschs theologische Position ist relativ leicht zu erfassen: bei ihm verbinden sich sprachliche Prägnanz und systematisch-theologische Stringenz mit beeindruckenden Gaben als Historiker; seine Position bekommt ihre besonderen Konturen durch seine Beschäftigung mit dem deutschen theologischen und philosophischen Idealismus in Abhängigkeit von der Theologie Karl Holls; schließlich setzt sein politisches Engagement schlagartig mit der nationalen Begeisterung zu Beginn des Ersten Weltkrieges im August 1914 ein, - die damals eingeschlagene Linie hat Hirsch mit unerbittlicher Konsequenz fortgesetzt. Geismars Position macht dagegen einen geradezu verschwommenen Eindruck. Sein Profil ist sehr viel mehr von Verarbeitung und Vermittlung geprägt. Verarbeiten wollte er einen theologisch korrigierten Begriff der geschichtlichen Entwicklung. Der Herausforderung seitens des liberalen Positivismus, des Kulturradikalismus und des Sozialismus meinte er entgegenzukommen, indem er die Fragestellung anerkannte, die Antwort aber in eine theologisch annehmbare Richtung und kirchliche Verwurzelung einlenkte. Diese apologetische Tendenz ergibt indes ein etwas unklares Bild, was schon in dem ersten Kapitel, das die Zeit bis 1921 umfaßt, zu sehen sein wird. Um dem deutschen Leser entgegenzukommen, dem aus sprachlichen Gründen der Zugang zu dänischen Quellen und Darstellungen verwehrt ist und der sich deshalb nicht über den allgemeinen politischen und kulturellen Hintergrund informieren kann, von dem her die Theologie Geismars zu verstehen ist, ist jedem Abschnitt über Geismar eine kurze allgemeine Einführung vorangestellt. Dabei ist keine allgemeine kirchengeschichtliche Darstellung angestrebt, sondern es geht nur um die Aspekte, die für die Theologie Geismars von Bedeutung 2
Schjerring, Geismar/Hirsch
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Einleitung
sind; in den Anmerkungen sind Hinweise auf eingehendere dänische Darstellungen enthalten. Die Disposition folgt chronologisch den Beziehungen zwischen Hirsch und Geismar, Einschnitte in den Beziehungen zwischen beiden fallen mit verschiedenen Phasen ihres Denkens zusammen. Die Analyse der wichtigsten Werke beider erfolgt deshalb überwiegend chronologisch. Eine solche Disposition fordert natürlich auch ihren Preis, weil auf diese Weise die sachlichen Bezüge oft auseinandergerissen werden. Was Art und Umfang des Materials und die damit verbundenen methodischen Probleme angeht, so ist einleitend zu bemerken: Das umfangreiche Schrifttum beider Theologen erhellt nicht nur jeweils ihren eigenen Standort, sondern auch ihre Beziehung zueinander. Als wichtige Ergänzung erwies sich aber der Nachlaß Geismars, in dem ungedruckte Manuskripte Geismars sowie auch die Briefe an ihn vorhanden sind, darunter auch die vielen Briefe Hirschs aus den Jahren 1921-1939. Dagegen sind Geismars Briefe an Hirsch verlorengegangen. Hirschs Position innerhalb der deutschen Theologie tritt ferner anschaulicher durch seine Briefe an Karl Barth wie auch an Reinhold und Erich Seeberg hervor. Seine kirchenpolitische Aktivität ist in vielen Akten in deutschen kirchenamtlichen Archiven belegt. Was endlich die ausländische Berichterstattung zum deutschen Kirchenkampf angeht, ist anzumerken, daß bei weitem nicht alles an die offiziell zuständigen Stellen gelangte, sei es an die deutsche Botschaft in Kopenhagen, sei es an das ökumenische Sekretariat in Genf. In den für diese Stellen einschlägigen Archiven ist das eingegangene Material nur lückenhaft vorhanden, weshalb durchweg kritisch nach der Repräsentativität dieses Materials zu fragen ist.
Kapitel 1 DIE ENTWICKLUNG GEISMARS U N D HIRSCHS BIS 1921 1. Der Werdegang
Eduard
Geismars
a) Zeitgeschichtlicher Hintergrund Georg Brandes und der dänische
Kulturradikalismus
Der geistige und politische Hintergrund, der für die Ansichten Eduard Geismars in seinen jungen Jahren über das Verhältnis von Theologie zu Kultur und Gesellschaft bestimmend wurde, reicht in seinen Wurzeln bis in die tiefgreifenden Wandlungen im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts zurück 1 . Um das Jahr 1860 begann ein Kampf der Weltanschauungen, der seinen Ursprung in dem Angriff auf das offizielle Christentum hatte, den der späte Kierkegaard 1854-55 in seiner Flugschrift „Der Augenblick" geführt hatte. Diese Auseinandersetzungen führten zu einer Reihe von Angriffen auf Kirche und Christentum, die der früheren Idealvorstellung von einer christlichen Kultursynthese den Boden entzogen und Kirche und Christentum für eine Zeitlang in die Defensive drängten. Der Streit begann, als Rasmus Nielsen (1809-1874), Philosophieprofessor in Kopenhagen, der sich zeitweise als Schüler Kierkegaards verstand, seine Auffassung vom Verhältnis von Glauben und Wissen formulierte: Nur in der Naturwissenschaft sei adäquates Wissen denkbar, der Glaube beziehe sich auf den persönlich-existentiellen Bereich. Damit bestritt Nielsen die Wissenschaftlichkeit der Theologie, keineswegs aber wollte er mit seiner These einen unüberwindlichen Konflikt zwischen Glauben und Wissen behaupten, sondern nur ihre Verschiedenheit betonen. Eine Versöhnung zwischen Glauben und Wissen meinte er durch die Einsicht herstellen zu können, daß der Gegensatz zwischen den beiden in erster Linie psychologischer Art sei. Der Einfluß Kierkegaards liegt hier offen zutage: Das Christentum wird zu einer persönlichen Sache erklärt, die sich nicht durch eine naturwissenschaftliche Argumentation widerlegen läßt. Wegen des 1 Zum zeitgeschichtlichen Hintergrund vgl. P. G. LINDHARDT, Den danske kirkes historie Bd. VII; F. SIEGMUND-SCHULTZE, Ekklesia II 3; P. HARTLING, Die dänische Kirche.
2·
20
Entwicklung Gelsmars und Hirschs bis 1921
existentiellen Charakters des Glaubens wird aber auch jegliches Interesse an dogmatischer Spekulation abgelehnt. Die These Nielsens löste eine leidenschaftliche Diskussion aus. Bischof Hans L. Martensen (1808-1884) verteidigte die traditionelle Synthese, während eine Reihe von Jüngeren, unter ihnen Georg Brandes (1842-1927), in entgegengesetzter Richtung dachten und Nielsen im Ansatz zustimmten. Brandes, der jüdischer Abstammung war, war in seiner Studienzeit stark durch die Werke Kierkegaards beeindruckt und hatte versucht, eine persönliche christliche Einstellung mit dem Studium von Literatur und Ästhetik zu verbinden, wobei er u. a. durch Goethe beeinflußt war. Unter dem Eindruck der linkshegelianischen Religionskritik und des kierkegaardschen Paradox-Denkens gelangte er jedoch bald zu der Einsicht, daß die Auffassung Rasmus Nielsens zu einem unzureichenden Dualismus führe. Brandes behauptete, daß Kierkegaard einen entweder zum Freidenker oder zu einem Katholiken mache. Jeder Versuch, Glauben und Wissen miteinander zu versöhnen, war in seinen Augen Illusion. Diese Auffassung führte ihn bald zu der Forderung nach freier Forschung, d. h. wissenschaftlicher Analyse, die nur Sachverhalte anerkannte, die sich kausal analysieren und begründen ließen. Brandes folgte dabei auch liberalen Vorbildern aus England und Frankreich; begeistert nahm er den Utilitarismus Stuart Mills auf, dessen Buch über die Frauenbefreiung er übersetzte; stark beeindruckten ihn auch das Jesusbuch Ernest Renans und die Literaturkritik Hippolyte Taines. Nach der Rückkehr von einer Auslandsreise hielt Brandes an der Kopenhagener Universität im Jahre 1870 eine Vorlesungsreihe über die Hauptströmungen in der Literatur des 19. Jahrhunderts, die den „modernen Durchbruch" in der Geistesgeschichte Dänemarks darstellt. Das weite Aufsehen, das diese Vorlesungen erregten, beruhte jedoch nicht so sehr auf ihrem literaturkritischen Inhalt, sondern vielmehr auf der moralischen Haltung, die in ihnen ausgesprochen wurde, so vor allem auf der Forderung nach freier Liebe, die im übrigen in niederträchtiger Weise mit Brandes' Privatleben in Verbindung gebracht wurde. Ebenso wurde seine Ehescheidung mit seiner öffentlichen Absage an die leidenschaftslose eheliche Liebe und seinem Eintreten für das freie Gefühl verbunden. Brandes' wissenschaftliche Verdienste drohten alsbald von solchen Verfemungen in den Schatten gestellt zu werden. Die Proteste erreichten einen derartigen Umfang, daß sich Brandes keine Hoffnung auf eine akademische Karriere machen konnte. Statt dessen begab er sich auf mehrere neue Auslandsreisen nach Deutschland, Frankreich und Italien. In der Zeit bis zur Jahrhundertwende veröffentlichte er eine
Werdegang Eduard Geismars
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Reihe von Büchern über umstrittene Themen und Personen, so über Heine und das junge Deutschland, Nietzsche und Voltaire, aber auch über Seren Kierkegaard (1877). Erst nachdem die konservativen Regierungen der „Jahre des Provisoriums" nach der Einführung des Parlamentarismus 1901 durch eine liberale Regierung der Bauernpartei abgelöst wurde, erhielt Brandes dann doch einen Lehrstuhl in Kopenhagen. Obwohl Brandes also zunächst die Karriere versperrt war, die eigentlich selbstverständlich gewesen wäre, hatte er doch eine literarische Bewegung ins Leben gerufen, die durch die unerbittliche Forderung nach Realismus, nach Darstellung des wirklichen Lebens, verbunden mit Freidenkerei und offener Sympathie für darwinistische Prinzipien gekennzeichnet war. Sein Bruder Edvard Brandes (1847— 1931) Schloß sich der Bewegung an und übertrug sie als Delegierter der liberalen Reformpartei in die Politik. Später wurde er namentlich als einer der Herausgeber der Tageszeitung „Politiken" bekannt, die zum Sprachrohr des „Brandesianismus" (oft auch „Kulturradikalismus" genannt) wurde und mit ihren akademisch qualifizierten, im Ton scharfen und sarkastischen, intellektuell oft aber auch verletzenden Angriffen auf Kirche und Christentum in vielen kirchlichen Kreisen sehr anstößig wirkte. Für Geismar war von entscheidender Bedeutung, daß die kierkegaardsche Radikalität in seinem Angriff auf das offizielle Christentum einen entscheidenden Faktor im Kulturkampf Georg Brandes' darstellte. Für Brandes hatte der „Augenblick" mit der Behauptung, daß es das Christentum des Neuen Testaments gar nicht gebe, definitiv deutlich gemacht, daß die moderne Wissenschaft, die ihre Kriterien allein aus der Erfahrung bezieht, jeden Versuch, eine christliche Kultursynthese aufrecht zu erhalten, entlarven mußte. Kierkegaard hatte statt dessen, so wie Brandes ihn verstand, der Einsicht den Weg bereitet, daß alle entscheidenden Begriffe von Staat, Recht und Gesellschaft ausschließlich natürlicher Art sind: „Dies allein unter all seinen Werken [Der Augenblick] ist tief ins Herz des dänischen Volkes gedrungen, es ist gegenwärtig eines der bedeutsamsten Gärungselemente in der Arbeiterbewegung, es wird vielleicht mit der Zeit einmal eines der kräftigsten Gärungselemente in einer Bewegung werden, die das ganze Volk umfaßt; dann wird auch jene Trennung von Kirche und Staat, welche die Entwicklung des Jahrhunderts immer eindringlicher fordert, und welche mit größerer Energie und größerem Talent als irgendein anderer seiner Landsleute verlangt zu haben, Kierkegaards unverwelklicher Ruhm ist, in Dänemark eine Wirklichkeit werden." 2 2
G. BRANDES, Seren Kierkegaard (Gesammelte Schriften, Bd. 3, S. 430). Vgl.
22 Harald
Entwicklung Geismars und Hirschs bis 1921 Hoff ding
Ein besonderer Exponent in der Auseinandersetzung zwischen naturwissenschaftlichem Erfahrungsdenken und Theologie war der Philosoph Harald H0ffding (1843-1931), der lange Zeit in vieler Hinsicht der Gegenspieler Geismars war. Hoffding war ursprünglich Theologe gewesen und in seiner Entwicklung durch den Streit über Glauben und Wissen in den 1860er Jahren geprägt. In der Nachfolge von Rasmus Nielsens These und unter dem Eindruck Seren Kierkegaards bestritt er die Wissenschaftlichkeit der Theologie. In den darauffolgenden Jahren empfing Hoffding starke Impulse aus England und führte Herbert Spencer in Dänemark ein. 1882 erschien seine „Psychologie", die er ausschließlich als eine Erfahrungswissenschaft verstand, die sich jeglicher Metaphysik zu enthalten habe. Deshalb beruhte auch seine kurz darauf im Jahre 1887 erschienene „Ethik" allein auf Psychologie, Biologie und Soziologie. Für Hoffding bestand eine notwendige Dialektik zwischen zwei Prinzipien: Kriterium ethischen Handelns war stets das Allgemeinwohl, und ethische Aussagen ließen sich nur subjektiv begründen. Geismars Protest gegen das Verständnis der Ethik bei Hoffding wurde auch hervorgerufen, weil Hoffding die Persönlichkeit Charles Darwins und den Darwinismus sehr wohlwollend würdigte. Zwar hatte Hoffding angedeutet, daß die Lehre von der Entstehung der Arten in vielen Punkten modifiziert und differenziert werden müsse, und Geismar nahm diese Einwände später auf. Aber im Gegensatz zu Geismar strebte Hoffding eine friedliche Übereinkunft zwischen dem Darwinismus und seiner eigenen deistisch geprägten Lehre von der Vorsehung an. Einerseits betonte er: „Ein übernatürliches Eingreifen ist hier innerhalb der Welt der Lebewesen ausgeschlossen" 3 , andererseits aber pflichtete er dem Wunsch Darwins bei, die Grenzen des Erkennens zu respektieren und dem Agnostizismus religiösen Wahrheitsgehalt zuzuerkennen. In seiner 1901 erschienenen „Religionsphilosophie" zog Hoffding die Konsequenzen aus seinem Verständnis des Christentums: Es könne niemals Anliegen der Religion sein, eine Erkenntnistheorie zu entwickeln. Trotzdem war Hoffdings Kritik keineswegs grundsätzlich gegen das Christentum überhaupt gerichtet, vielmehr sah er in der „religiösen Persönlichkeit" einen entscheidenden Wert. Er verstand auch Brandes' Hervorhebung der Übereinstimmung zwischen Kierkegaard und „der modernen Wissenschaft" (ebd., S. 425 = dänische Ausgabe S. 270 und 261 f.). Vgl. die im Literaturverzeichnis angeführten Werke Brandes'. Uber Brandes vgl. H. M. und W. SVENDSEN, Geschichte der dänischen Literatur, S. 293-301 und 321-327; AA. HENRIKSEN, Kierkegaard Studies, S. 22-30. 3 H. H0FFDING, Charles Darwin, S. 38 (ü.).
Werdegang Eduard Geismars
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Religion als Glauben an das Bestehen der Werte durch die verschiedenen Entwicklungsstadien hindurch. Das Kriterium für den positiven Wert der Religion war für ihn allein ethisch, wobei zu beachten ist, daß ethisch hier rein empirisch verstanden ist; denn allgemeingültige dogmatische Aussagen gab es für Hoffding nicht, und eine Bindung der Ethik an übernatürliche Kräfte war für ihn überflüssig: „Wir leben von Werten, die die Wirklichkeit anbietet, und diese Werte brauchen nicht zu verbleichen, weil wir ihr Geschick in Zeit und Ewigkeit nicht kennen" 4 . In seinem Buch über Kierkegaard (1892) hob Hoffding es als ein Verdienst Kierkegaards hervor, daß dieser den notwendigen Abbau des Dogmatismus begonnen habe. In seiner Beurteilung des frühen Christentums wie auch darin, daß er noch immer den Dogmen eine gewisse Bedeutung zuerkannte, hatte Kierkegaard jedoch nach Auffassung Hoffdings Unrecht. Seine eigene humane Entwicklungsethik beschrieb H o f fding mit den Worten: „Eine dogmatische Richtschnur gibt es nicht; das Ideal kann nicht ein- für allemal gebildet werden; es muß sich neu formen, neue Gestalten annehmen und stellt dann unter jeder dieser Gestalten seine Forderungen an uns" 5 . Aufgrund seiner Kierkegaard-Deutung, seiner Anlehnung an den Darwinismus und an Spencer sowie seiner Aufnahme der Frage nach dem Verhältnis zwischen Biologie und Weltanschauung wurde Hoffding zu einem Gegenspieler Geismars. Der frühe
Sozialismus
Zu den Eindrücken des „Kulturradikalismus" kamen die Nachrichten über die Pariser Kommune und die Anfänge der sozialistischen Bewegung in Dänemark. Trotz einer gegenteiligen verbreiteten Auffassung in den meisten kirchlichen Kreisen war der dänische Sozialismus indes nicht revolutionär, wenn man von einigen dramatischen Episoden in den Anfängen absieht. Sehr bald legten die Sozialisten sich auf einen Weg des pragmatischen Reformismus fest. Daß sich der soziale Protest nur in verhältnismäßig milden Formen äußerte, zeigte sich nicht nur in den allgemeinen gesellschaftspolitischen Stellungnahmen, sondern auch in der Haltung zu Kirche und Christentum. Im Gegensatz zum Kulturradikalismus waren die Sozialdemokratie und namentlich auch ihr Organ „Der Sozialdemokrat" nicht grundsätzlich antireligiös. Zwar gab es häufig heftige Ausfälle gegen den Klerikalismus in all seinen Erscheinungsformen, zwar wurde unH . H0FFDING, Religionsfilosofi, S. 294 und 318 f. (ü.). H . H0FFDING, Sören Kierkegaard als Philosoph, S. 169 ( = dänische Ausgabe S. 158). Vgl. auch die im Literaturverzeichnis angeführten Werke Hcffdings und AA. HENRIKSEN, Kierkegaard Studies, S. 3 0 - 3 9 . 4
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Entwicklung Geismars und Hirschs bis 1921
ter der Devise „Religion ist Privatsache" eine Trennung von Staat und Kirche gefordert. Aber es gab auch viele Beispiele dafür, daß man sich auf Jesus als den ersten Proletarier berief und die urchristliche Liebesgemeinschaft als ideales Vorbild betrachtete. Dies ist um so bemerkenswerter, als die Verhältnisse in Kopenhagen nicht nur wirtschaftlich, sondern auch kirchlich im Argen lagen. Waren die meisten ländlichen Gebiete im 19. Jahrhundert von Erweckungsbewegungen entweder pietistischer oder auch grundtvigsch-nationaler Art geprägt, so standen die kirchlichen Kreise in der Hauptstadt der neuen Entwicklung, die durch Industrialisierung und das damit verbundene explosionsartige Bevölkerungswachstum gekennzeichnet war, zunächst ohnmächtig gegenüber. Für die riesigen Gemeinden, die bis zu 70 000 Seelen umfaßten, stand oftmals nur ein einziger Pfarrer zur Verfügung. Das führte zu einer geradezu skandalös schlechten kirchlichen Versorgung gerade der unteren sozialen Bevölkerungsschichten; es kam z. B. zu Massentrauungen und Massenbeerdigungen. Dennoch resultierte daraus auch bei den Sozialisten nicht ein allgemeiner Haß auf die Kirche und das Christentum, und auch die Kirchenaustritte erreichten nie einen nennenswerten Umfang®. Kirchliche
Erweckungsbewegungen
in
Kopenhagen
Bald kam es indes in kirchlichen Kreisen der Hauptstadt unter dem Eindruck des „modernen Durchbruchs" in der Literatur und dem politischen Selbstbewußtsein der Arbeiterbewegung zu grundlegender Selbstkritik und Erneuerung. Die grundtvigsche Erweckungsbewegung hat in Kopenhagen nie recht Fuß gefaßt. Dagegen griff die pietistische Erweckungsbewegung „Kirchliche Vereinigung für Innere Mission in Dänemark" sehr viel stärker auf Kopenhagen über, wo teilweise nach deutschen Vorbildern - ein umfassender Besuchdienst für alle Notleidenden begann und ein vielseitiger Apparat von Institutionen geschaffen wurde (Krankenhäuser, Stiftungen für Waisenkinder, Alkoholiker usw.). Der Unterschied zwischen der kirchlichpuritanischen Landmission („Wortmission") und der mehr sozial ausgerichteten Erweckungsbewegung in Kopenhagen („Tatmission") führte bis weit in das 20. Jahrhundert hinein zu internen Streitigkeiten. Die Prediger der Landmission empfanden die karitative Tätigkeit als Abfall in Abhängigkeiten des „Weltlichen". Bei ihnen verband sich die Verkündigung der pietistisch verstandenen Bekehrung meist exklusiv mit einer asketisch-puritanischen Weltverneinung. Trotz der Arbeit der Kopenhagener „Inneren Mission" war jedoch • Zu dem frühen Sozialismus vgl. P. G. LINDHARDT, Vaekkelser og kirkelige retninger, S. 1 8 9 ff.; J . RASMUSSEN, Opg0r og forsoning.
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in weiten kirchlichen Kreisen noch immer das Gefühl der Ohnmacht angesichts der schwierigen sozialen Verhältnisse verbreitet. Der Kopenhagener „Kirchenfond" war ein Versuch, die Schwierigkeiten zu überwinden. Unter dem Eindruck der militanten Religionskritik führender Intellektueller, der zunehmenden Bedeutung der politischen Arbeiterbewegung und des Sturmlaufes der Sekten gegen das Unvermögen der Kirche zur Lösung der Probleme rief der Kirchenfond zu einer neuen Erweckung. Das Hauptanliegen des Kirchenfonds waren die allzu großen und unüberschaubaren Gemeinden. Man strebte deshalb kleinere Gemeinden von höchstens 10 000 Seelen an, um eine bessere geistliche Versorgung der Bevölkerung zu gewährleisten. Neue Kirchen und Gemeinderäume wurden gebaut, die Laien zu aktiver Mitarbeit bei den zu lösenden sozialen Aufgaben herangezogen. Diese Aktivierung der Gemeinden war bei den meisten Pastoren freilich noch immer mit einer konservativen politischen Grundhaltung verbunden. Es gab aber auch viele Pastoren, die von der Christlich-sozialen Bewegung in England und Deutschland beeinflußt waren, und bei der Aussperrung von Arbeitern im Jahre 1899 ζ. B. erklärten sich mehrere der leitenden Pastoren innerhalb des Kopenhagener Kirchenfonds mit den Arbeitern solidarisch7. Diese kirchliche Arbeit stellt den Hintergrund für das Denken Eduard Geismars dar. Ausschlaggebend war dabei zweifellos, daß hier eine Ablehnung der Kierkegaard-Deutung Brandes' und Hoffdings vorgebracht wurde. Der Kirchenfond wurde entscheidend von Theologen geprägt, die ihre kirchliche Identität von der Kritik Kierkegaards an einem veräußerlichten Christentum und der oberflächlichen Praxis bei kirchlichen Amtshandlungen herleiteten. Ferner waren sie von der Theologie der Innerlichkeit bei Kierkegaard beeinflußt, die mit einem religiösen Erfahrungsdenken in psychologischem Sinne und einer pietistisch verstandenen Glaubensgewißheit verbunden war. Die kirchenpolitischen
Konsequenzen
des politischen
Systemwechsels
1901
Am Ende des 19. Jahrhunderts wuchs die politische Unzufriedenheit mit den bestehenden Machtverhältnissen. Die konservativen Rechtskreise regierten mit der Unterstützung des Königs durch Verordnungen trotz einer ständig wachsenden Mehrheit der Opposition in der zweiten Kammer des dänischen Parlaments, dem Folketing. Reformpolitik war in jeglicher Form unmöglich. Nach einigen schwa7
Zu dem Kopenhagener Kirchenfond vgl. P. HELWEG-LARSEN, Korrespondance, S. 48 ff., 72 ff. und 127-129. Vgl. auch P. G. LINDHARDT, Den danske kirkes historie Bd. VII, S. 357 ff.; H. GAMST-PEDERSEN, Den levende menighed.
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Entwicklung Geismars und Hirschs bis 1921
chen Ansätzen zu parlamentarischer Demokratie kam es 1901 zu einem politischen Systemwechsel, als die liberale Bauernpartei, die nach mehreren spektakulären Wahlsiegen über eine klare Mehrheit im Parlament verfügte, jetzt die Regierung bildete. Dieser Sieg der liberalen Reformkräfte wirkte sich nun bald auch auf die kirchliche Gesetzgebung aus8. In § 3 (heute § 4) der dänischen Verfassung (Grundgesetz) von 1849 heißt es: „Den evangelisk-lutherske kirke er den danske folkekirke og understottes som saadan af staten" (Die evangelisch-lutherische Kirche ist die dänische Volkskirche und wird als solche vom Staat unterstützt). In den §§ 81-84 (heute §§ 66-68 und 70) heißt es weiter, daß die Wahrnehmung der bürgerlichen Rechte unabhängig von der Religionszugehörigkeit ist und daß die Verhältnisse zu anderen Kirchengemeinschaften durch Gesetz geregelt werden sollen. § 80 (jetzt § 69) lautet etwas unbestimmt: „Die Verfassung der Volkskirche wird durch Gesetz geregelt". Weil die kirchenpolitischen Vorstellungen der kirchlichen Gruppierungen und der politischen Parteien einander ausschlossen, blieb die konkrete Ausführung und Erfüllung dieses Paragraphen zunächst offen. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurden indes zwei Ergänzungen zum Grundgesetz beschlossen, die den Wünschen der Grundtvigianer entgegenkamen, nämlich das Gesetz über die Lösung des Gemeindebandes (die Freiheit, sich einer anderen Gemeinde innerhalb der Volkskirche anzuschließen) und das Gesetz über das Recht, Wahlgemeinden zu gründen. Innerhalb der dänischen Inneren Mission wurden Ansätze zu baptistisch-freikirchlichen Richtungen bald im Keime erstickt, als baptistisch orientierte Laienprediger ihres Einflusses im Vorstand enthoben wurden und die Laienprediger überhaupt unter Kontrolle der Pfarrer gestellt wurden. Die volkskirchliche Orientierung der Inneren Mission hat seitdem eigentlich unangefochten von seiten der von Geistlichen beherrschten Leitung bestanden. Jens Christian Christensen (1856-1930) war schon vor dem Systemwechsel Sekretär und 1897 dann Vorsitzender der „Venstrereformpartiet" (Reformliberale Partei) geworden und hatte maßgeblichen Einfluß auf die Formulierung der grundlegenden Forderungen gehabt. Auf die kirchlichen Verhältnisse bezogen, hieß dies Beteiligung der Gemeinden an der Wahl der Pfarrer. Nach dem Systemwechsel weitete Christensen als Kultusminister seine Forderungen in einen allgemeinen Wunsch nach kirchlicher Demokratie aus, wobei 8
Zur Kirchengesetzgebung vgl. P. G. LINDHARDT, Den danske kirkes historie
B d . V I I I , S. 14 f f . ; H . J. H . GLAEDEMARK, K i r k e f o r f a t n i n g s s p 0 r g s m a a l e t ; C . TROCK,
Sognedemokrati i kirken; V. AMMUNDSEN, Geschichte, Verfassung; KONTROVERSE UM KIERKEGAARD UND GRUNDTVIG (Jürgen Kristensen: Die Ordnung der dänischen Volkskirche), S. 119-140.
Werdegang Eduard Geismars
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vornehmlich an die Einrichtung von Gemeinderäten gedacht war, die für die Verwaltung der einzelnen Kirchengemeinden sowie der übrigen praktischen Angelegenheiten zuständig sein sollten. Christensen verstand seine Vorschläge im Zusammenhang der Vorbereitung einer unvermeidlichen baldigen Trennung von Staat und Kirche und war deswegen bestrebt, die Laien schon vor der Verselbständigung der Kirche an der Verantwortung zu beteiligen. Erst nach langjährigen Auseinandersetzungen, in denen sich kirchliche Gruppen und politische Parteien in wechselnden Fronten gegenüberstanden, fand die angestrebte kirchliche Demokratie jedoch die Form, die sie im großen und ganzen seitdem behalten hat. In der Inneren Mission stieß es anfangs auf Bedenken, jedem Mitglied der Kirche ohne Rücksicht auf die religiöse Uberzeugung des Einzelnen kirchenpolitischen Einfluß zu gewähren; allmählich aber wurde die volkskirchliche Ordnung auch in ihrer demokratischen Version akzeptiert, weil in ihr die besten Arbeitsmöglichkeiten bestanden und sie das größte Missionsfeld bildete. Auch viele „kirchliche" Grundtvigianer waren Gegner einer Identifikation von christlicher und bürgerlicher Gemeinde als Konsequenz einer solchen Ordnung, während die „nationalen" Grundtvigianer in der Neuordnung gerade ihre Wünsche erfüllt sahen: eine tolerante Volkskirche, d. h. ein nach politisch-demokratischen Regeln geordneter Rahmen um die Verkündigung, der nach innen ein höchst mögliches Maß an geistiger Freiheit gewährte. Der Kopenhagener Kirchenfond war von Anfang an ganz und gar gegen die neue Ordnung, denn er sah das ganze als einen Anschlag gegen die kirchliche Selbständigkeit, die eben erst erkämpft war. Auch die Bischöfe und mehrere akademische Lehrer an der theologischen Fakultät in Kopenhagen waren gegen die Pläne des Kultusministers. Innerhalb der politischen Parteien hatte der Vorschlag bei den Liberalen seine wärmsten Befürworter, eine Reihe von ihnen trat jedoch aus grundsätzlichen Überlegungen für eine Trennung von Staat und Kirche ein. Eine solche Trennung strebten weiterhin auch die Sozialdemokraten an, die noch im Jahre 1913 eine konfessionslose Schule ohne Religionsunterricht forderten. Sie akzeptierten aber allmählich die kirchliche Demokratie, weil sie darin trotz grundsätzlicher Bedenken einen bedeutenden Fortschritt sahen. Später wuchs bei den Sozialdemokraten die Sympathie für die volkskirchliche Ordnung ständig, wohl auch als Folge der allgemeinen Verbürgerlichung der Partei und als Folge der Tatsache, daß die große Mehrheit der Mitglieder in der Volkskirche bleiben wollte und auch zur Mitarbeit in den Gemeindekirchenräten bereit war. Die Diskussion um die Ordnung der dänischen Volkskirche dauerte also viele Jahre; erst 1922
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Entwicklung Geismars und Hirschs bis 1921
wurde sie vorläufig abgeschlossen, als definitiv durch Gesetz bestimmt wurde, daß die Mitglieder der Gemeindekirchenräte das Recht haben, Pfarrer und Bischöfe zu wählen. Die 1905 gegründete sozial-liberale Partei „Det radikale Venstre" (Radikalliberale) trat für Zusammenarbeit mit den Sozialdemokraten und konsequent für eine Demokratisierung der Volkskirche ein. Dabei wandte sie sich - vor allem unter dem Einfluß des Brandesianismus - scharf gegen jede Form von Zensur sowie gegen die in der Verfassung gewährleistete geistliche Schulaufsicht. Das Ergebnis der kirchenpolitischen Auseinandersetzungen war eine vom Staat gelenkte Volkskirche, die sich aber bis heute durch eine umfassende „Freiheitsgesetzgebung" von staatskirchlicher Uniformität unterscheidet und durch eine demokratische Verfassung eine größtmögliche Freiheit nach innen sichern soll. Der Staat ist nicht autoritärer Leiter der Kirche, sondern der demokratische Staat ist Garant der Freiheit gegen geistliche Bevormundung innerhalb der Volkskirche. Dies gilt zumindest der Intention nach; es hat sich aber in der Praxis auch vielfach bewährt. Die theologische Situation um die
Jahrhundertwende
Die Theologie der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts war von einer konservativen Erfahrungstheologie Erlanger Prägung bestimmt; erst nach dem Jahrhundertwechsel kam eine neue Welle liberaler Theologie zum Durchbruch. Zwar setzte der Neutestamentier Frederik Torm (1870-1953) die konservative Tradition seines Lehrers Peder Madsen fort, aber ansonsten zeigte sich allenthalben der Einfluß der liberalen Theologie. Der herausragende Theologe dieser Epoche war jedoch kein Professor, sondern ein Pfarrer, der Ritschlianer Frederik Christian Krarup (1851-1931). Seine Theologie der Werte hat viele beeinflußt. Darüber hinaus hat die liberale Theologie in Dänemark vor allem hervorragende Alttestamentier hervorgebracht, die aber die theologische Diskussion im allgemeinen nicht besonders beeinflußt haben, ferner auch einige bedeutende Kirchengeschichtler, die sich mit der Entwicklungsgeschichte großer Persönlichkeiten beschäftigten. Namentlich ist hier Valdemar Ammundsen (1875-1936) zu nennen, der spätere Bischof von Hadersleben und einer der Bahnbrecher der ökumenischen Bewegung. Er war ein anerkannter Lehrer und Forscher, der wichtige Arbeiten über Kierkegaard und den jungen Luther geschrieben hat und besonders auch als Führer der christlichen Studentenbewegung hervorgetreten ist. Diese Bewegung hat zusammen mit anderen kirchlichen Jugendorganisationen das kirchliche Leben und vor allem eine ganze Generation von Pfarrern stark geprägt.
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Die Studentenbewegung hatte sich schon Ende des 19. Jahrhunderts in Abwehr gegen Freidenkerei und gegen die Herrschaft der Naturwissenschaft zusammengefunden, aber erst zu Beginn des 20. Jahrhunderts entwickelte sie sich aus einer ängstlichen Verteidigerposition gegen neue Zeitströmungen zu einem entscheidenden positiven Faktor in Kirche und Gesellschaft, weil maßgebliche Persönlichkeiten hier als „Führer" mitwirkten und Studenten ihre Identität in der Bewegung fanden. Da die „Führer" (unter ihnen seit etwa 1910 auch Geismar) vor allem auch als persönliche Vorbilder wirkten, konnte die Rede von einer Religion der Persönlichkeit oft recht pietistisch anmuten, sie war aber meist verbunden mit einer überwiegend liberalen theologischen Grundhaltung und einer geistigen Offenheit. Die Versammlungen dieser Bewegung und nicht zuletzt die wochenlangen Sommertagungen wurden für die Entwicklung der meisten Theologen äußerst wichtig, auch wenn es zunächst nicht so sehr die theologische Diskussion als vielmehr die erbauliche Rede war, die vorherrschte. Die Versuche einer Konsolidierung der volkskirchlichen Ordnung wurden einer erneuten harten Bewährungsprobe unterzogen, als der Pfarrer Niels Peter Arboe Rasmussen (1866-1944), der liberaltheologische Gedanken im Stile Adolf von Harnacks verfocht, wegen vermeintlicher Ketzerei seines Amtes enthoben werden sollte. Er hatte u. a. das apostolische Glaubensbekenntnis angegriffen. Nach heftigen, zeitweise recht bösartigen Auseinandersetzungen und nach einem Prozeß, der bis vor das Oberste Gericht ging, wurde der Pfarrer freigesprochen, wobei aber das Gericht zur Frage der Lehre ausdrücklich nicht Stellung bezog. Dieser Fall war zu einem Prüfstein dafür geworden, wie es mit der Freiheit innerhalb der Volkskirche eigentlich bestellt sei. Der Streit führte zur Gründung einer konservativen Bekenntnisfront, die für die Trennung von Staat und Kirche eintrat, um dadurch eine Anarchie in Lehrfragen zu unterbinden. Arboe Rasmussen hatte politische Beziehungen zu radikalliberalen und sozialdemokratischen Kreisen, und nicht zuletzt der radikalliberale Kirchenminister stemmte sich entschieden gegen die Lynchstimmung in konfessionellen Rechtskreisen. Die tolerante „Duldsamkeit" wurde zwar von den Orthodoxen und freikirchlich Orientierten als Verrat ausgegeben. Gleichwohl ist die mit dem Freispruch gekennzeichnete Offenheit in Lehrfragen seitdem das Leitbild für die kirchenpolitische Praxis geblieben. Geismar war einerseits entschieden gegen die liberale Theologie eingestellt, andererseits konnte er nicht den konfessionellen Theologen folgen, die vornehmlich wie er selbst auch vom Kirchenfond herkamen. Ähnlich wie Ammundsen stand er auf dem liberalen Flügel
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Entwicklung Geismars und Hirschs bis 1921
des Kirchenfonds, ohne daß er die kirchenpolitischen Streitfragen allerdings als theologische Schlüsselprobleme ansehen konnte.
b) Geismars Begegnung mit Kierkegaard Geismar wurde im Jahre 1871 in der jütländischen Stadt Randers geboren. Von 1888 bis 1894 studierte er an der Universität Kopenhagen, danach war er als Repetitor tätig, und in den Jahren von 1897 bis 1899 begab er sich auf eine große Studienreise ins Ausland. In diesen Jahren setzte sich Geismar besonders mit den für sein Empfinden radikalen Ansätzen der Naturwissenschaft und dem Brandesianismus auseinander, Strömungen, die er als schwerste Bedrohung der Theologie empfand. O f t hat er später betont, wie sehr dieser Gegensatz seinen theologischen Werdegang bestimmt habe 9 . Militantes Freidenkertum focht ihn so sehr an, daß er sich als Theologiestudent oft der Lächerlichkeit preisgegeben fühlte, und deshalb verstand er diesen Streit als einen Kampf um Leben und Tod. Die Ursache für diese Krise lag für Geismar im Naturalismus, der die alten Ideale zerstört hatte und der als die treibende Kraft sowohl hinter dem frühen Sozialismus wie auch hinter der beginnenden kapitalistischen Uberflußgesellschaft stand. Die Naturwissenschaft erkannte nur die Erfahrung als Kriterium an, der Intellektualismus nur das logische Argument, darin lag eine tödliche Bedrohung für Theologie und Christentum. Unter Idealen verstand Geismar in diesem Zusammenhang geistige, übernatürliche Realitäten, die nur dem Herzen und dem Gewissen zugänglich sind. Die Mißstände seiner Zeit betrachtete er als Folgen des Naturalismus: „Kanonen, die Technik, das Geld, die festen Organisationen, die großen Massen, die sinnlichen Triebe, die klaren Gedanken" 10 . Wenn Geismar von solchen Verhältnissen spricht, so spürt man einen Ton ohnmächtiger Resignation, gleichzeitig aber auch den festen und trotzigen Willen, sich der Umklammerung durch diese Mächte zu entziehen. Was ihn aus dieser Untergangsstimmung befreite, waren nach seinen eigenen Aussagen die kirchliche Identität, seine Verwurzelung in der Arbeit des Kopenhagener Kirchenfonds und vor allem auch der Einfluß Soren Kierkegaards und Henrik Ibsens in dessen Schauspiel „Brand". O f t hob Geismar seine persönliche Dankbarkeit ge• Z.B. Minder fra min Studentertid 1888-94; Tidens Religiositet, S. 3; Studenterforbundets 25 Aars Jubilaeum, Sp. 676 ff ; Under St. Jakobskirkens Praedikestol, S. 68. 10 Studenterforbundets 25Aars Jubilaeum, Sp. 671 (ü.).
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genüber den Pfarrern des Kopenhagener Kirchenfonds hervor, gleichzeitig aber auch gegenüber seinem Lehrer, dem konservativen Theologieprofessor P. Madsen. Die wichtigste Rolle hat hier jedoch Soren Kierkegaard gespielt, dessen Werke Geismar seit seiner Studienzeit als ein Ausweg aus der Krise erschienen waren. Es focht ihn an, daß der Kampf Kierkegaards gegen das offizielle Christentum von radikalen Kulturkritikern vereinnahmt wurde, weil er doch gerade hier eine Dimension fand, die weit tiefer reichte als die Kräfte des Naturalismus: die Innerlichkeit. Im Kierkegaardverständnis Geismars zeigt sich eine Doppelheit: Einerseits hielt er die Angriffe Kierkegaards für übertrieben und ungerecht, weil sie gar nicht mit dem Christentum des Neuen Testaments übereinstimmten und nur eine verzerrte Karikatur der kirchlichen Verhältnisse darstellten. Andererseits wollte Geismar Kierkegaards Angriff keineswegs als eine zufällige Episode verstehen. Vielmehr hob er die grundsätzliche Seite des Angriffs hervor. Bei Kierkegaard fand er freilich auch den entscheidenden positiven Anstoß, den Begriff der Persönlichkeit nämlich, in dem endgültig jede Form von immanenter Ethik überwunden ist, die ethisches Handeln rein human begründen zu können glaubt (ζ. B. Hoffding), und der meint, der Einzelne könne zur Wahrheit gelangen, indem er von sich aus seine Identität gewinnt. Die Uberwindung der immanenten Ethik geschieht bei Kierkegaard kraft des Paradoxes, daß der Mensch einerseits subjektiv auf humane Kriterien der Wahrheit verzichtet, andererseits objektiv aber mit der Verkündigung von der Wahrheit in Jesus Christus konfrontiert wird. Geht man von der Erkenntnis der Wahrheit im Rahmen natürlicher Humanität aus, so muß diese Erkenntnis paradox erscheinen, sie kann nur durch eine existentielle Wahl vollzogen werden. Eine solche existentielle Wahl nannte Geismar geschichtlichen Supranaturalismus, und er verstand einen solchen geschichtlichen Supranaturalismus als die einzige Alternative, die in Deutschland die unglückselige Spaltung zwischen liberaler und „positiver" Theologie hätte verhindern können. Die Wichtigkeit der Wahl beruht darauf, daß die Möglichkeit des Glaubens die einzige haltbare Alternative zu einem unkritischen Mitschwimmen im allgemeinen kulturellen Strom darstellt. Die Wahl des Glaubens unter dem Zeichen des Kreuzes steht im Gegensatz zu aller natürlichen Wahrheitssuche. Unter der Parole der „übernatürlichen Paradoxalität" trat Geismar gegen den Naturalismus an. Wenn Geismar nun darlegt, wie es auf dieser Grundlage zu einer ethischen Erneuerung, d. h. zu kulturellem Engagement in Realisierung der Paradoxalität des Glaubens kommt, dann beruft er sich auf die erbaulichen Schriften Kierkegaards und die „Werke der Liebe".
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Entwicklung Geismars und Hirschs bis 1921
An ihnen orientierte er sich auch später. Hier fand er vor allem eine Darstellung der Erneuerung des natürlichen Lebens durch den Glauben. Hier boten sich dem Menschen die einzigen Ideale, die unzerstörbar waren. Diese Erneuerung darf freilich nicht als verfeinerte Form eines banalen Kulturoptimismus verstanden werden, denn sie war für Geismar unlöslich mit der Möglichkeit des Ärgernisses verbunden. Der Glaube kann menschlich gesehen keine Sicherheit beanspruchen, er muß sich mit dem Gegensatz abfinden, der zwischen der Gewißheit des ewig Unbedingten und der des natürlichen Lebens besteht. Vom Kreuze aber geht dennoch ein Ruf zur Nachfolge aus. Für Geismar bestand die Schwierigkeit in der Kierkegaarddeutung deshalb darin, daß er zwar bei Kierkegaard die richtige Diagnose und das rechte Heilmittel für das Grundübel seiner Zeit fand, daß er aber diese Bestätigung der Ideale beim frühen und mittleren Kierkegaard in den polemischen Schriften und dem anschließenden Kirchensturm des späten Kierkegaard wieder zurückgenommen sah. Geismar vermochte diese Schwierigkeiten nicht zu beseitigen, er hielt an der ethischen Erneuerung fest, die er in dem Ruf zur Nachfolge, wie er in den erbaulichen Schriften ausgesprochen war, fand, aber auch in der „Wiederholung": das Relative erhält kraft der Doppelbewegung der Unendlichkeit eine neue Qualität. Die Askese, die Destruktion der Ideale und die Bestreitung der Möglichkeit der Nachfolge beim späten Kierkegaard konnte Geismar darum nicht als eine christliche Möglichkeit akzeptieren. Die Resignation bezüglich des natürlichen Ethos übersah hier die Tatsache, so meinte Geismar, daß dem Glauben kraft der Botschaft von der Auferstehung die Möglichkeit des Dienstes wiedergegeben werde. Geismar gab sich aber mit dieser Korrektur am späten Kierkegaard nicht zufrieden, sondern er versuchte die Haltung Kierkegaards in dieser Zeit zu erklären: Sie sei Ausdruck seines Kampfes gegen den Hegeischen Kulturpantheismus, bei dem sich Kierkegaard in das direkte Gegenteil verrannt, aber auch Ausdruck seiner persönlichen depressiven Veranlagung, die ihn zwangsläufig in diese Polemik getrieben habe 11 . c) Der Einfluß Rudolf Euckens Die Begegnung Geismars mit Rudolf Eucken (1846-1926) und dessen idealistischer Philosophie führte zu einer weiteren Präzisierung seiner Kritik am Naturalismus. Die große Auslandsreise von 1898/ 1899 führte Geismar nach Jena, Halle - wo er Martin Kähler (1835— 11
Vgl. dazu Principielle Synspunkter; Guds Naades Dyb, S. 151 ff.
Werdegang Eduard Geismars
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1912)12 begegnete - und Gießen, danach nach Edinburgh und Oxford. Den tiefsten Eindruck hinterließ hier zweifellos die Begegnung mit Eucken 13 . Der Idealismus Euckens befreite Geismar vor allem aus dem verzweifelten Gefühl, sich angesichts des Angriffs des Naturalismus in einem Rückzugsgefecht und in geistiger Isolation zu befinden, denn hier fand er eine idealistische Gesamtschau des Daseins, in der die Religion in das übrige geistige Leben integriert war. Es wurde ihm deutlich, daß der Subjektivismus und die Aufspaltung des Daseins in disparate Augenblicke, wie sie der Naturalismus mit sich gebracht hatte, verfehlt waren, weil hier die objektiv gültigen Ideale übersehen wurden. Außerdem kam Eucken später zu dem Ergebnis, daß die Religion für die Erneuerung der dekadenten Natur von grundlegender Bedeutung sei. Er verstand Gott als den Quellgrund der Ideale, und er war der Ansicht, daß die ethische Durchdringung des chaotischen natürlichen Lebens durch das Gute und Wahre mit einer metaphysischen Wirklichkeit zusammenhänge, die mit der christlichen Offenbarung identisch sei. Eucken meinte in seinem Denken die scheinbaren Gegensätze des Daseins erkannt zu haben. Die gesellschaftlichen Kämpfe, die intellektuellen Gegensätze und die unbestreitbaren Einsichten der Naturwissenschaften verstand er insgesamt als Elemente eines großen Kampfes, der das Dasein bestimme. Dieser Auffassung liegt der Personbegriff Euckens zugrunde. Er verstand den Menschen nicht nur als ein Naturprodukt, vielmehr sei es dem Einzelnen kraft einer „axiomatischen That" möglich, aus dem Naturprozeß auszubrechen. Und hier war denn auch der Ort für moralische Individualität und Idealität, die weder im Naturalismus noch im Intellektualismus Raum haben. Geismar bezog sich nun auf den Hauptgedanken Euckens über die „Wesensbildung": Kultur und Geschichte werden als eine ständige Evolution verstanden, in der die Idealität die zerstörenden Kräfte zu überbieten sucht. Ein Sieg der Idealität ist aber nur dann denkbar, wenn es der Persönlichkeit gelingt, die ewigen Werte und die Geschichte miteinander zu verbinden. Letztlich behauptet Eucken, daß der Sieg allein vorstellbar ist durch die neuschaffende Kraft Christi. Entscheidend ist nun, daß Eucken in seiner Erkenntnistheorie die Möglichkeit der Einsicht in die Idealität behaupten muß. Er nennt diese Erkenntnis „Noologie", die Erkenntnis, die die selbständigen geistigen Realitäten des Seelenlebens erfaßt. Erkenntnistheorie ist je12 Vgl. Martin Kählers Grundtanker. Kahler hat in noch stärkerem Maße den Neutestamentier Fr. Torrn beeinflußt, der 1903 Professor wurde. 1S Vgl. dazu Jena og Professor Eucken; Rudolf Euckens Grundtanker; Rudolf Eucken; Nogle Tienkeres Syn, S. 164-169.
3
Schjerring, Geismar/Hirsch
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doch nicht die Hauptsache, denn jegliche Form von Dogmatismus sei eine Kapitulation vor dem Intellektualismus. Allein die ethische Neuschöpfung, die in der „Wesensbildung" hervortritt, vermag das Christentum als einen wesentlichen Kulturfaktor zu legitimieren. Es ist also charakteristisch für Eucken, daß er sich dem Angriff der Evolutionslehre und dem damit verbundenen Naturalismus und Intellektualismus beugt, gleichzeitig aber die Evolutionstheorie sozusagen ethisiert, indem er sie in eine ethisch begründete Gesamtschau einbringt, in der sich der Idealismus vor allem im Glauben an die Durchschlagskraft moralischer Kräfte zeigt: das ethische Handeln als die entscheidende, ja göttliche Triebkraft in der Geschichte14. Geismar fand bei Eucken die Anerkennung der grundlegenden Wahrheiten, die sich in der Geschichte finden, „Durchbruchspunkte" für das Ideelle. Er fühlte, daß hier das Problem des Bösen ernst genommen und gleichzeitig der Begriff der Person herausgestellt wurde, die handelnd mit den ideellen Kräften in Beziehung steht. Das System Euckens erschien ihm deshalb als geeignetes Mittel gegen den ethischen Pessimismus, die Grundkrankheit der Zeit. Für ihn war hier die persönliche Würde gewahrt und dem Christentum eine Bedeutung als Kulturfaktor zuerkannt. Geismars Referate über die Gedanken Euckens sind im großen und ganzen ohne Kritik, obwohl es ihm klar gewesen sein muß, daß dieser Idealismus in entscheidenden Punkten mit dem Denken Kierkegaards nicht zu vereinbaren war. In einer „Nachschrift" findet sich eine kurze Bemerkung, die das deutlich zeigt15. Geismar bemerkte hier zunächst, daß zwischen Kierkegaards Begriff der Innerlichkeit und Euckens Begriff der „axiomatischen That" eine gewisse Übereinstimmung bestehe, deutete dann aber auch die weitreichenden Divergenzen an. Der ethische Idealismus Euckens schien jedenfalls eine Zeitlang für Geismar die Lösung vieler Probleme bedeutet zu haben. Angeregt durch die Gedanken Euckens, begann er mit der Arbeit an seinem ersten Buch: „Kristendom og Udvikling" (Christentum und Entwicklung). Es muß aber auch darauf hingewiesen werden, daß auch andere Einflüsse in Dänemark, vor allem persönliche Vorbilder im Kopenhagener Kirchenfond, Geismar zu der Einsicht geführt haben, daß der moralische Idealismus die beste Trumpfkarte im Kampfe gegen Sozialismus und Darwinismus sei16. 14
15 Rudolf Eucken, Sp. 816. Rudolf Euckens Grundtanker, S. 223. Vgl. z . B . B. H . WESTERGAARD, Praktisk Socialisme; P. D. KOCH, Darwinisme og Kristendom. T. CHRISTENSEN hat nicht nur die Beziehungen zu Ludlow um die Jahrhundertwende, sondern allgemein das Verhältnis zwischen der kirchlichen Lage und den neuen politischen Ideen untersucht (Westergaard og Ludlow, S. 292 ff.). 19
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d) Hauptanliegen und Konsequenzen von „Christentum und Entwicklung" Weil Geismar vornehmlich von diesem ethischen Idealismus geprägt war, sah er 1903 die Konfrontation zwischen Christentum und Evolutionslehre nicht als so bedrohlich an, wie es auf Grund seiner Einstellung zur Lage der Kultur vor der Auslandsreise zu erwarten gewesen wäre. Er stellte die Entwicklungslehre geradezu einfühlsam dar, weil die Kritik eigentlich nicht den darwinistischen Prinzipien an sich, sondern deren Konsequenzen für die Anthropologie galt. Wiederholt betonte er, daß der Siegeszug naturwissenschaftlichen Denkens Ende des 19. Jahrhunderts zwar zunächst einen lähmenden Schock bewirkt, dann aber zu einer nützlichen und notwendigen Selbstbesinnung in Theologie und Kirche geführt habe, denn er habe Pfarrer und Theologen gezwungen, Bastionen aufzugeben, die zu verteidigen sich nicht mehr lohnte: vor allem den steifen Dogmatismus, der zum einen intellektuell unredlich sei, andererseits auch von der entscheidenden Sache ablenkte, nämlich der moralischen Glaubwürdigkeit 1 7 . Die Analyse Geismars galt also nicht dem biologischen Problem, das die Naturwissenschaft aufgeworfen hatte, sondern der Übertragung der Evolutionstheorie auf den gesellschaftlichen Bereich. Die Theorie vom K a m p f der Arten ums Dasein interessierte Geismar ernstlich nur auf dem Felde der Ethik, wo sie als frappierende Parallele zu dem politischen Grundproblem erschien: der freien Konkurrenz und dem daraus folgenden Mangel an gesellschaftlicher Solidarität. Geismar führte nun keine Rückzugsgefechte mehr, er ging zum Gegenangriff über, indem er den Anspruch der Naturwissenschaft auf Allgemeingültigkeit und Unwiderlegbarkeit bestritt. Eine Religionsphilosophie, die die Voraussetzungen der Naturwissenschaft akzeptiere, müsse ein kümmerliches Dasein fristen und von den Aporien zu leben versuchen, die ihr die Wissenschaft vielleicht übriglasse. Es ging Geismar aber darum aufzuzeigen, daß Darwin in seinem Denken keineswegs voraussetzungslos sei, sondern vielmehr die Zweckbestimmtheit der Dinge voraussetzte. Außerdem - und dies ist noch wichtiger — gebe es Lebensbereiche, die naturwissenschaftlicher Erklärung prinzipiell unzugänglich seien. Gegen Abstammungstheorie, Kausalitätsprinzip und geistigen Relativismus behauptete Geismar, daß N a t u r und die Idealität des christlichen Glaubens keine absoluten Gegensätze darstellten, sondern daß diese Idealität eine ewige Gültigkeit besitze, die freilich wissenschaftlich nicht zu beweisen sei: „So17
3·
Naturvidenskab og Kristendom, S. 30-32; Religion og Videnskab, S. 46 f.
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wohl der Glaube an das Bestehen der ideellen Werte als auch der Glaube an deren absolute Gültigkeit schließt den Glauben an ihren übernatürlichen Ursprung ein" 18 . Diese Hauptthese ermöglichte so die Annahme eines möglichen göttlichen Eingreifens in den Naturverlauf und der subjektiven Durchschlagskraft objektiver Werte. Der Grundtenor von Geismars Buch ist also ein ethischer Idealismus, der den Glauben in psychologisierender Weise als Entfaltung der ethischen Persönlichkeit beschreibt19. Dennoch enthält das Buch auch Ansätze, die in eine andere Richtung weisen: Denn einmal hatte Geismar gegen einen unkritischen Idealismus Bedenken, die sich schon aus der unmittelbaren Erfahrung ergaben. Er sah, daß sich Natur und Geist im Widerstreit befinden, und er warnte davor, sich durch die heuchlerische Fassade der modernen Kultur blenden zu lassen, die nur die tieferen Raubtierinstinkte der Menschen verdecke. Er identifizierte sich selbst mit den Einwänden des „erfahrenen Mannes", der resignierend eine „gähnende Kluft zwischen der idealen Forderung Christi und dem Klassengegensatz und Klassenhaß der modernen Gesellschaft" feststellte 20 . Zum anderen nährte Geismar eine grundsätzliche Skepsis gegen die ethisch-kulturellen Möglichkeiten des Menschen, eine Skepsis, die von Kierkegaard herrührte und die in einer ausdrücklichen Kritik an Eucken zum Ausdruck kam. Geismar stellte den Gegensatz zwischen dem Entwicklungsgesetz und der christlichen Ethik, zwischen Selbsterhaltungstrieb und Opferwillen, zwischen weltlicher Ehre und der Dornenkrone Christi heraus 21 . Es ist also nicht zu übersehen, daß die Verschmelzung zwischen Christentum und dem Entwicklungsgedanken, wie sie Geismar auf ethischer Ebene forderte, für ihn keineswegs unproblematisch war. Die Reichweite dieser Problematisierung des Entwicklungsgedankens wurde in Geismars polemischer Frontstellung deutlich. Für ihn wurde bei dem Philosophen Hoffding und auch bei Spencer die Entwicklungslehre unkritisch auf den Bereich des Religiösen übertragen. Ähnliches gilt - wenn auch in einem etwas anderen Sinne - für den Neukantianismus, auch für Ritsehl und seinen dänischen Schüler F. C. Krarup. Bei ihnen allen wird nämlich letztlich, wenn auch unfreiwillig, die Ethik von den Prämissen der Entwicklungslehre her bestimmt. Gegenüber einer solchen Position eines naiven Idealismus und seiner unausweichlichen Folge der Verweltlichung der Kultur macht sich der Einfluß Kierkegaards bei Geismar stark bemerkbar. Man kann von zwei Korrekturen des Idealismus bei Geismär spre18 Kristendom og Udvikling, S. 44 (ü.). " Ebd., S. 130 ff; vgl. auch ebd., S. 184 f. Ebd., S. 57 (ü.). 21 Ebd., S. 87-90; vgl. ebd., S. 110; vgl. auch Studenternes Julebog 1915, S. 15 f.
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chen: einmal die theistische Korrektur, zum andern die ethische Korrektur, von der bereits die Rede war. Beide stehen natürlich in einem engen Zusammenhang miteinander. Die theistische Korrektur besteht darin, daß Geismar Christentum einerseits und natürlichen Idealismus andererseits als sich ausschließende Gegensätze, ein Entweder-Oder versteht: Das Christentum beruht in seiner Religiosität auf Autorität, einer geschichtlichen Offenbarung; rein natürlicher Idealismus und Moral erkennen diese Autorität nicht an, sie beziehen ihre Kriterien ausschließlich aus der natürlichen Umwelt. Geismar nennt diesen Idealismus darum „Ideonomie" 22 . Trotz dieses Ansatzes zu einem von Kierkegaard herkommenden dualistischen Denken in Gegensätzen bleibt das Denken Geismars in seiner Struktur im Wesentlichen idealistisch. Geismar wendet sich zwar gegen eine weltfremde Frömmigkeit, er spricht aber doch von der Innerlichkeit in der Tiefe der Seele als einem ständigen Prozeß, als einer stetigen Verwirklichung des Glaubens in der Praxis, als einem Fortschritt des gläubigen Lebens in der Nachfolge Christi 23 . So kann er ζ. B. in dieser Weise dualistisches Denken von der Radikalität der Sünde mit ganz offensichtlichem Idealismus in seiner typischen schwülstig-poetischen Sprachform verbinden: „Ist die Sünde ein solcher Bruch [sc. einer ungebrochenen harmonischen Entwicklung], dann ist es auch möglich, das Christentum nicht als Höhepunkt einer direkten Entwicklung zu verstehen, sondern - zugleich mit dem Judentum - als eine ganz neue Entwicklung, die Gott hinzugefügt hat, um den Bruch zu heilen. Ohne eine solche Bestäubung von außen hätte die Blume der Weltentwicklung niemals Frucht getragen." 24 Es ist für Geismar charakteristisch, daß er sich nicht scheut, politische Konsequenzen zu ziehen. Er stellt fest, daß der Liberalismus unwiderruflich versagt habe, weil er mit seiner Haltung des laissez-faire das Verlangen nach auch nur einem Minimum an Gerechtigkeit ignoriert habe. Geismar gibt seiner sozialen Empörung Ausdruck, wenn er ζ. B. schildert, wie sich das Proletariat nicht einmal Gefühle leisten könne, sondern in einen Zustand von Verzweiflung und Hoffnungs2 2 Kristendom og Udvikling, S. 143 f.; vgl. zum Verständnis des Ursprunges des Bösen, „Precationalismus" (ebd., S. 2 4 4 ff.). Hierzu vgl. auch die Kritik an Heffding ( H v a d er Sandhed, S. 13) und Geismars unablässige Verwendung des Bibelzitats „Was hülfe es dem Menschen, wenn er die ganze Welt gewönne und nähme doch Schaden an seiner Seele?" Vgl. auch Geismars Einbeziehung des reformatorischen Glaubensbegriffs als etwas, das allem menschlichen Handeln vorausgeht (Religion og Videnskab, S. 30). 2 5 Kristendom og Udvikling, S. 132. 2 4 Darwinismen, S. 458. Geismar spricht auch davon, daß Jesus dem Menschen das gebe, worauf seine Identität angelegt sei (Naturvidenskab og Kristendom, S. 24).
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losigkeit gezwungen wurde 25 . Trotzdem war ihm die sozialdemokratische Partei zuwider, weil ihr Motiv die Begehrlichkeit sei und weil sie vor dem wirklichen Problem die Augen verschließe: dem der Moralität in der Politik 26 . Es geht nach Geismar also darum, für eine Veränderung der Gesellschaft zu kämpfen, denn die existierenden Verhältnisse machten es unmöglich, „die gesellschaftlichen Verhältnisse mit dem Geiste Christi zu durchdringen" 27 . Man dürfe aber den Gegensatz zwischen Gerechtigkeit und Liebe nicht vergessen. Eine juristische Gerechtigkeit, die nur Schreibtischphilosophie bleibe, ein laissez-faire-Denken, habe mit einer aristokratischen skrupellosen Genußsucht dies gemeinsam, daß beide sich der notwendigen Mühe entziehen, die die Errichtung einer gerechten Ordnung erfordere. Die Zustände sind also für Geismar untragbar, und dies wird dadurch noch in makabrer Weise bestätigt, daß durch Wohltätigkeit nur Symptome kuriert und dadurch in Wirklichkeit nur die Leiden verlängert würden, weil man von den wahren Schuldigen ablenke und ein wirkliches Offenbarwerden der Not in all ihrem Grauen verhindere 28 . Auf diesem Hintergrund ist es nicht verwunderlich, daß Geismar in sehr drastischen Wendungen davon sprach, daß die Aussichten düster seien, wenn sich der Kurs nicht radikal ändere. Trotzdem war seine politische Grundhaltung optimistisch. Das liegt teils an seinen Erfahrungen aus England, wo versucht worden sei, das soziale Gewissen in praktische Tat umzusetzen, teils an seinem letztlich doch unerschütterlichen Glauben an eine mehr harmonische Entwicklung im Zeichen des Christentums. Geismar schloß deshalb mit der H o f f nung, daß sich die Entwicklungsmöglichkeiten des Glaubens entfalten mögen. Er nannte den Glauben eine „Willensmutation". Die Inkarnation müsse das Kulturprinzip werden; es gebe aber doch irdische Bilder, die ein reales Bild der ewigen Idealität wiederspiegelten, denn Gott sei die Seele in der Idealität und habe sich sowohl in der Naturgeschichte als auch in der Heilsgeschichte zu erkennen gegeben29.
e) Kirchenpolitische Stellungnahme Geismar hat sich zu kirchenpolitischen Fragen selten geäußert. Daß er zumeist schwieg, war kein Zufall, sondern ein bewußter Protest gegen eine in seinen Augen oberflächliche Diskussion über Rah25
Kristendom og Udvikling, S. 191 ff. Ebd., S. 66 und S. 209; vgl. auch die Ausführungen über Marx und den Marxismus (Nogle Taenkeres Syn, S. 140-143). 27 28 Kristendom og Udvikling, S. 189. Ebd., S. 186. 28
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men und Strukturen, die nicht zum Kern der Sache hindurchdrang. Aber die Auseinandersetzungen um die Offenheit und die Bekenntnistreue der „Volkskirche" im Streit um Arboe Rasmussen und die darauf folgende Diskussion über das Verhältnis von Staat und Kirche lockten ihn doch aus der Reserve. Schon 1907 hatte sich Geismar deutlich von der liberalen Theologie Harnackscher Prägung distanziert. Er sah im Bestreben dieser Theologie, die für die Vernunft anstößigen Elemente der biblischen Uberlieferung zu eliminieren, eine Tendenz, die Radikalität des Bösen zu bagatellisieren, wollte doch Harnack die Entwicklung einer harmonischen Moralität allein auf dem Vorbilde des Lebens Jesu ohne all seine spätere dogmatische Verkleidung aufbauen. Geismar berief sich auf Martin Kähler, als er die Christologie der liberalen Theologie als einen einzigen großen Abfall von der rechten paulinischen Kreuzestheologie bezeichnete; jener verwässerte Rest stütze sich nur auf verbreitete volksreligiöse Vorstellungen von einem ethisch aktiven Menschen 30 . 1912, auf dem Höhepunkt des Streites, veröffentlichte Geismar eine kleine Schrift, die nicht direkt gegen Harnack oder Rasmussen polemisierte, sondern erneut grundsätzlich den fundamentalen Unterschied zwischen Unitarismus und kirchlicher Verkündigung herausstellen wollte. Während die Unitarier Jesus als einen, wenn auch ganz außergewöhnlichen, Menschen betrachteten und sein geschichtliches Leben als ethisches Vorbild sähen, sei die Verkündigung der Kirche gebunden an Jesus Christus als Gott und Mensch und als den, der nicht nur einmal ein geschichtliches Menschenleben gelebt habe, sondern der noch immer „die K r a f t und das Leben in seinen gläubigen Freunden" sei 31 . Diese kirchliche Christologie stimmte für Geismar ganz und gar mit der Christologie des Neuen Testaments überein. Sie halte an dem Wunder als einem Konstitutivum fest, während der Unitarismus die Anpassung des Glaubens an das, was der Vernunft annehmbar erscheine, zum Hauptprinzip erhebe. Aber charakteristischer Weise schlug Geismar die Tür zu seinen Widersachern nicht ganz zu. Die ethische Nachfolge hatte bei ihm ja generell den Vorzug vor einem unfruchtbaren Dogmatismus, deshalb konnte der Glaube der Unitarier mit ihrem moralischen Willen eben doch auch die Anregung eines echten Jüngertums sein 32 . In dem Artikel „Einige Gedanken über Kirchenpolitik" legte Geismar dar, warum er es als verhängnisvoll ansah, daß die Debatte über die rein kirchenpolitischen Aspekte nicht hinausgekommen sei. 80 31 82
Korsets Ord og Unitarisme (Straaler fra Kristi Kors, S. 4). Er Unitarerne Kristne, S. 4 (ü.). Ebd., S. 15.
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Diese Diskussion gehörte nach seinem Urteil eigentlich in eine weitere Perspektive: Die allgemeine Überzeugung der Bevölkerung war im Grunde rationalistisch und nur oberflächlich orthodox. Geismar wagte nicht an eine neue Erweckung zu glauben, die die Menschen wachrütteln könne, deshalb hielt er die Duldsamkeit und Toleranz der „Volkskirche" für eine Provokation. Die Duldung der arianischen Christologie war für ihn eine Verhöhnung der kirchlichen Sakramente. Geismar sah zwar die Gefahren einer Freikirche, die zu einer unwürdigen Abhängigkeit von den Wünschen der reichen Geldgeber einer solchen Kirche führen könnten, trotzdem aber war für ihn die verwaschene Unbestimmtheit der „Volkskirche" eine so offenbare Kränkung des kirchlichen Bekenntnisses, daß er für eine Auflösung der Verbindung zwischen Staat und Kirche eintrat. Nach diesen Ausflügen in die Kirchenpolitik widmete sich Geismar wieder dem „Erbaulich-Apologetischen" 33 . 1918 jedoch änderte er seine Ansichten ein wenig, die Forderung nach einer freikirchlichen Verfassung trat zurück, und statt dessen wollte er die „Volkskirche" dadurch wieder handlungsfähig machen, daß der gesetzliche Rahmen und der Inhalt der Verkündigung miteinander in Einklang gebracht werden sollten. Doch noch immer war Geismar der Meinung, daß die Mehrheit der Bevölkerung nicht willens sei, sich der „tiefgreifenden Predigt zur Umkehr" zu öffnen, die er für notwendig hielt. Er betonte, daß die Mehrheit der Menschen noch immer rationalistisch eingestellt sei: „Ehrfurcht vor dem Gesetz, Dankbarkeit für die Gaben Gottes, Resignation unter der Fügung Gottes und Hoffnung auf ein schöneres Dasein jenseits des Grabes" seien die tragenden Elemente dieser Auffassung. Ihr stellte Geismar das biblische Christentum entgegen, das er in seiner charakteristischen gefühlsbetonten Art als „einen dreifachen Lebensprozeß, eine geistliche Zickzackbewegung" beschrieb: „Die erste Phase ist etwas Positives: die Gewißheit von Gott und seinem Willen und das Streben, ihn zu tun; die zweite ist der Bruch, das Sündenerlebnis; die dritte ist wieder positiv: der Empfang der Erlösung in Jesus Christus" 34 . Geismar gab gerne zu, daß er namentlich auf Seiten der sozialdemokratischen Wähler eine kompakte Gleichgültigkeit und Fremdheit spüre. Aber er wollte alles vermeiden, was kirchliche Fragen zum Gegenstand des Parteienstreites machen könne. Deshalb plädierte er für eine Verständigung auch mit den Rationalisten. Er wollte also 83 Nogle Tanker om Kirkepolitik, S. 212. Zur Sympathie Geismars für die Erweckungsbewegung in diesen Jahren vgl. Tidens Religiesitet og Kristendommen, S. 8. 84 Om Kirkens Styrelse, S. 52 (ü.)·
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jetzt Duldsamkeit gegenüber den Liberalen und die sehr offene Taufpraxis bewahren, um sich nicht freiwillig aller Kontaktmöglichkeiten zu berauben. Das Gefühl der Ohnmacht sollte nicht dazu führen, in bischöflicher Autorität oder anderen Formen hierarchischer Garantie eine Lösung zu erblicken. Der Kampf könne nur geistlich geführt werden, d. h. mit dem Mittel der Verkündigung 35 . Sein Ziel war noch immer die moralische Erweckung, die er eine „tiefgreifende Predigt zur Umkehr" und einen „Verschmelzungsprozeß" nannte 36 .
f) Geismars Einstellung zum Krieg Im Ersten Weltkrieg führte die dänische Regierung eine Neutralitätspolitik, die im großen und ganzen unumstritten war. Dennoch war die Stimmung im Lande antideutsch, vor allem deshalb, weil sich seit der Niederlage von 1864 im Krieg gegen das Preußen Bismarcks ein tief sitzender Deutschenhaß aufgestaut hatte. Nur teilweise konnte dieser H a ß mit einem Skandinavismus kompensiert werden, der obendrein durch die dänische Isolation im Krieg von 1864 kompromittiert war. Der einfache Däne war mit seinen Gedanken bei den dänisch gesinnten Nordschleswigern. Es wurden viele Soldatenbriefe von dänischen Nordschleswigern veröffentlicht. Georg Brandes schrieb eine lange Reihe von Artikeln, die dann 1916 in seinem Buch „Verdenskrigen" (Der Weltkrieg) gesammelt erschienen. In diesen Artikeln versuchte Brandes eine neutrale Wertung der Ereignisse und kritisierte den Militarismus und die Kriegstreiberei, die alle Seiten beherrschten. Es gab aber auch dezidiert pro-deutsche Stimmen. So stellten ζ. B. Arboe Rasmussen und der Links-Grundtvigianer Morten Pontoppidan die von ihnen redigierte Zeitschrift „Frit Vidnesbyrd" (Freies Zeugnis) den mehr deutschfreundlichen Stimmen zur Verfügung, eine Haltung, die sie selbst wiederholt unterstützten. Am meisten anti-deutsch eingestellt war natürlich das Blatt der konservativen Grundtvigianer „Dansk Kirketidende" (Dänische Kirchenzeitung), in dem besonders der Theologieprofessor J. P. Bang einem eindeutig antideutschen dänischen Nationalismus huldigte. In einer langen Serie druckte er Auszüge aus deutschen Kriegspredigten ab, die er dann gesammelt in dem Buch „Hurra og Halleluja" veröffentlichte. Außerdem gab er eine autorisierte Ubersetzung eines Buches heraus, das der englische Theologe N . W. Sanday 1915 über den Weltkrieg geschrieben hatte: „The Meaning of the War for Germany and Great Britain". 85
Ebd., S. 54.
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Ebd., S. 100.
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V. Ammundsen kam unter dem Eindruck des Krieges immer mehr zu einer antinationalistischen Haltung, wie sie damals in der pazifistisch und christlich-sozial orientierten beginnenden ökumenischen Bewegung ihren Ausdruck fand. Ammundsen war einer der Gründer des Weltbundes für internationale Freundschaftsarbeit der Kirchen. Er verfolgte die Diskussion in englischen, französischen und deutschen Zeitschriften und Zeitungen eingehend und wandte sich scharf gegen die Kriegsreligiosität, wobei er sich namentlich dem Züricher christlich-sozialen Pazifisten Leonhard Ragaz (1868-1945) und dem deutschen Pazifisten Friedrich Wilhelm Foerster anschloß. Um künftige Kriege zu vermeiden, meinte er, müsse das Christentum ein international bestimmender Faktor werden, der alle dazu zwinge, nicht nur nationale Interessenpolitik zu betreiben 37 . Was Geismars Haltung zum Krieg angeht, so ist zu beachten, daß seine politische Ethik weder eindeutig induktiv noch eindeutig deduktiv ist. Geismar geht grundsätzlich von der Erfahrung aus, es wirken aber immer auch prinzipielle Erwägungen auf seine Ansichten ein. Vier Gebiete in der materialen Ethik haben Geismar zeit seines Lebens besonders interessiert: die Sexualethik, die Frage des Widerstandsrechts, die Frage nach Krieg und Pazifismus, und schließlich die politischen Grundlagen der Wirtschaftsordnung. Auf allen Gebieten zeigt sich, daß Geismars Denken stets von der Auseinandersetzung mit der naturalistischen Auffassung vom Menschen bestimmt war, eine Auffassung, die für ihn unweigerlich zu Zynismus, Verantwortungslosigkeit und Ausbeutung führte. Die Lösung des Problems geschieht stets durch einen Begriff der Persönlichkeit, der auf dem christlichen Begriff der Innerlichkeit beruht. Schon 1913 fühlte sich Geismar durch die sozialdemokratische Verteidigungspolitik herausgefordert, die in seinen Augen „Verteidigungsnihilismus"38 war. Er wollte hier von theologischer Ebene aus hervorheben, daß der Bibel kein eindeutiger Pazifismus zu entnehmen sei und daß das Opfer - über das christlich gesehen gesprochen werden dürfe und müsse - nur gelte, wenn es sich um einen selbst handele. Da aber das Volksganze nicht von christlichem Geist beseelt sei, könne Opfer nicht im Sinne einer an alle gerichteten politischen Forderung artikuliert werden. Geismar gibt also einerseits zu, daß es im tiefsten Sinne selbstverständlich sein sollte, Opfer zu bringen und damit ein friedliches Zusammenleben der Völker zu gewährleisten. Andererseits betont er sehr stark, daß die nationale Individualität etwas Gottgewolltes sei, ebenso 87
Vgl. vor allem V. AMMUNDSEN, Krig og krigsfürende Kristne, S. 119-123, 127-132, 259. 38 Kristendom og Forsvarskrig, Sp. 146 f.
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auch, daß die Aufgabe der Obrigkeit nicht Menschenwerk sei, sondern Gottes Ordnung. Deshalb könne sich der Christ, solange die Völker nicht von christlicher Idealität durchwirkt seien, nicht der Verteidigungspflicht entziehen. D a nun aber tatsächlich überall das Faustrecht galt, mußte Geismar die politische Frage eindeutig beantworten, daß nämlich der Verteidigungskrieg unter den gegebenen Umständen gerecht sei. Trotzdem blieb für ihn der christliche Gedanke der leidenden Liebe und des Opferwillens eine ideelle Richtschnur, die hierzu in unausgleichbarer Spannung stand. Der Christ muß in einem doppelten Dasein leben: Als Bürger der Gesellschaft „wird er von Gott daran gebunden sein, der Obrigkeit bei der Ausübung ihres blutigen Gottesdienstes zu gehorchen", als Glaubender aber wird er sich schuldig wissen, weil sich die leidende Liebe nicht durchsetzt 39 . Das Erlebnis des August 1914 änderte jedoch für Geismar die Welt von Grund auf. Er mußte jetzt nicht nur Berechtigung und Aussichten der dänischen Neutralitätspolitik und die Frage nach dem Recht des Verteidigungskrieges aufs neue durchdenken, sondern der Eindruck der stupiden Rechthaberei des Militarismus erinnerte ihn daran, daß dem unangefochtenen Idealismus mit beträchtlicher Skepsis zu begegnen sei. Geismar hat selbst oft offen zugestanden, daß der Kriegsausbruch und der mit ihm verbundene Fanatismus auf ihn persönlich wie ein Schock gewirkt hätten 40 . Er sah das Problem vor allem darin, daß der Krieg mit seiner blinden Leidenschaft für jemanden, der den christlichen Sündenbegriff kenne, nicht überraschend kommen könne. Der August 1914 war darum eine kräftige Erinnerung an das Gericht Gottes über die Welt, der Kriegsausbruch bezeichnete den Zusammenbruch der Ideale, ganz ähnlich, wie Karl Barth es gesagt hatte. Konkrete politische Stellungnahmen gab Geismar jedoch nicht ab. Er ermahnte das dänische Volk, daß die Neutralität zu einer unparteiischen Haltung verpflichte, während alle direkt Beteiligten mehr oder weniger gegen ihren Willen von blinden Leidenschaften regiert würden. Und er fügte warnend hinzu, daß das Problem des Rechts oder Unrechts eines Verteidigungskrieges sehr schnell unangenehm aktuell werden könne. Bemerkenswerterweise hielt Geismar sich beim Problem der Kriegsschuld nicht weiter auf. Er verhehlte zwar nicht seine Meinung, daß das Auftreten Deutschlands als Aggression zu werten sei, und sein Verhältnis zu Eucken hat unter den Folgen der Kriegs» Ebd., Sp. 170 f. (ü.). Z . B . Krig og Kristendom, S. 5; Guds Naades Dyb, S. 138 f£., S. 145; Indledningsforedrag S. 4 f f . ; T. FINK, Deutschland als Problem Dänemarks, S. 106114. s
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ereignisse gelitten 41 . 1919 jedoch wandte er sich mit resignierter Empörung gegen das, was er als den wahrscheinlichen Ausgang der Friedensverhandlungen ansah: daß man Deutschland einen ungerechten Frieden aufzwingen werde 42 . Dennoch wollte Geismar sich während des Krieges nicht an der Diskussion über die Kriegsschuld beteiligen. Er wies vielmehr darauf hin, daß die blinde Leidenschaft und die Eigenmächtigkeit aller Kriegsparteien im Widerspruch stehe zu der Unbestechlichkeit, die für Christen selbstverständlich sein sollte. Für Geismar war entscheidend, daß der Militarismus nur Symptom eines viel tieferen Schadens war, nämlich des Naturalismus, nach dem der einzelne Mensch ohne Moral und Gefühl nur an den Ereignissen teilnimmt gleichsam als willenloser Teil einer Maschine in einem Spiel, in dem nur die Triebe die Entwicklung bestimmen. Der Ausgang eines jeden Krieges konnte in Geismars Augen nur die Frage nach der Verteilung der Macht beantworten, niemals aber die des Rechts. Darin bestand für ihn die ständige Anfechtung des Christen, die er nie abschütteln konnte. In der Zukunft müsse sich die Aufmerksamkeit deshalb darauf konzentrieren, die eigentlichen Kriegs41 Vgl. einen Brief von Eucken vom 17. 4. 1916 (RA KOPENHAGEN, N G Bd. 1). - In diesem Brief schrieb Eucken u. a., er hoffe, daß die Meinungsverschiedenheiten über den Krieg ihre Verbindung nicht abreißen ließen, und er erwähnte seine Versuche, die Meinung in den neutralen Ländern zu beeinflussen. Er Schloß mit den Worten: „Wir erleben bei unserem Volk einen derartigen Heroismus, daß wir alle aufrichtig bedauern, denen die Teilnahme daran versagt ist. Und wir wissen zugleich, daß unser Kampf ein Kampf für die Freiheit vieler Völker ist. So ζ. B. für die Polen. So aber auch für die skandinavischen Völker alle mit einander. Denn würden wir geschlagen, so würden sie in einigen Jahrzehnten Teile des Russischen Reiches sein, das damit den längst ersehnten Zugang zum großen Weltmeer gewönne. - Sie sehen, lieber Herr Pastor, die Dinge sehen sich nach den verschiedenen Standorten verschieden an, wir Deutsche, die wir Beginn und Fortgang des Krieges direkt erlebten, nicht bloß durch Zeitungsberichte davon hörten, haben das felsenfeste Bewußtsein der Gerechtigkeit unserer Sache, und dies Bewußtsein gibt uns die Kraft zum Siege. Zugleich halte ich an der Hoffnung fest, daß die geistigen Mächte, welche unser Dasein beherrschen, durch allen H a ß und Streit hindurch die Menschen und Völker schließlich doch wieder zusammenführen werden." Vgl. dazu H . LÜBBE, Politische Philosophie, S. 173188. Eucken hat sich jedoch später von gewissen radikalen Erscheinungen wie dem Annexionismus distanziert (vgl. K. SCHWABE, Wissenschaft und Kriegsmoral, S. 79). Eucken war Mitunterzeichner einer Erklärung, die sich an die evangelischen Christen im Ausland richtete und in der jegliche deutsche Schuld am Kriege bestritten und statt dessen den Feinden auferlegt wurde, die Deutschland lange Zeit kriegslüstern umkreist und nun angegriffen hätten (vgl. K. HAMMER, Deutsche Kriegstheologie, S. 203 f.; V. AMMUNDSEN, Krig og krigsforende Kristne, S. 91-94). Das „Manifest der Intellektuellen" ist ebd., S. 87-90 in dänischer Obersetzung wiedergegeben, auch hier war Eucken Mitunterzeichner. 42
Bibelske Tanker, S. 3.
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Ursachen zu beseitigen, den Imperialismus und die wirtschaftliche Freibeuterei zwischen den Völkern, die alle gleichermaßen einem egoistischen Partikularismus huldigten. Insofern wandte sich Geismar grundsätzlich gegen die Behauptung einer einseitigen deutschen Kriegsschuld, auch wenn er von der deutschen Aggression im Jahre 1914 sprach, die die berechtigten Interessen anderer Völker mißachtet habe. Er betonte, daß alle am Kampfe für den Abbau der Grundlagen des Imperialismus teilnehmen müßten: der Anhäufung von Kapitalund Landbesitz, des nationalistisch motivierten Protektionismus. Nur freie Konkurrenz könne erträgliche Verhältnisse gewährleisten43. Auf die Frage nach dem Recht eines Verteidigungskrieges gab Geismar jedoch eine eindeutige Antwort. Er wandte sich gegen den Pazifismus, der das Tragen von Waffen grundsätzlich ablehne, und er entrüstete sich über die zwiespältige Haltung der Sozialdemokratie, die einerseits das Militär sanktioniere, andererseits aber die Berechtigung eines Verteidigungskrieges bezweifle. Für Geismar war der Verteidigungskrieg ein unbestreitbares Recht. Wenn die Obrigkeit zum Schutze vor totaler Anarchie und totalem Chaos zu nationaler Selbstverteidigung aufrufe, müsse der Christ diesem Ruf folgen. Der Schutz des Vaterlandes sei eine göttlich geheiligte Aufgabe, die zugleich alle erforderlichen Maßnahmen rechtfertige. Geismar gab jedoch zu, daß auch der Verteidigungskrieg Gewissenskonflikte herbeiführen könne 44 . Für die christliche Ethik müsse es der übergeordnete Gesichtspunkt sein, alle denkbaren Kriegsursachen mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln auszuschalten. Wenn aber zum Verteidigungskrieg aufgerufen werde, habe niemand das Recht, sich diesem Ruf zu entziehen. Zwischen 1913 und 1917 trat bei Geismar ganz offensichtlich eine Akzentverschiebung ein. Das Recht eines Verteidigungskrieges blieb für ihn noch immer ganz unbestritten, aber der Eindruck des Militarismus hatte ihm einen so konkreten Anschauungsunterricht hinsichtlich der Radikalität des christlichen Sündenbegriffes gegeben, daß er sich der Dialektik zwischen Realität und Idealität nicht entziehen konnte. 1919 ging er noch weiter, als er sich im Zuge der liberalen Politik, für die er eintrat, gegen die allgemeine Wehrpflicht wandte und nun auch das Recht zum Verteidigungskrieg bezweifelte,
43 Krig og Kristendom, S. 14 ff. Für Geismar wie für andere Georgeisten spielten die Ausführungen C. KOCHS in seinem Buch „Verdensfred?" eine große Rolle. Hier wurde der Zusammenhang zwischen Kriegsindustrie, Bodenspekulation, der herkömmlichen Staatsphilosophie und der Unterdrückung rechtsdemokratischer Prinzipien analysiert; vgl. dazu K. KOLDING, Danmarks Retsforbund, S. 73-75. 44 Krig og Kristendom, S. 11 ff.
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weil er sah, wie die Sieger des Krieges im Siegesrausch ihre Macht mißbrauchten 45 . 1920, kurz nach der Abstimmung in den beiden schleswigschen Zonen, gehörte Geismar mit einer Reihe anderer vom Christlich-sozialen Verein zu den Mitunterzeichnern eines Aufrufes. Es war eine allgemeine politische Unruhe entstanden, weil Flensburg nicht zu Dänemark „heim" gekommen war. Geismar und seine Mitunterzeichner forderten dazu auf, das Ergebnis der Abstimmung zu respektieren, und er distanzierte sich im Namen der christlichen Moral von jeglichem Revanchismus und Annexionismus, ganz gleich ob man sich in seinem guten Recht fühlte oder nicht. Diese Aktion fand nur vereinzelt Sympathie, stieß jedoch auf einen Sturm von Protesten, darunter natürlich von J. P. Bang46.
g) Das Christentum und die sozialen Probleme Geismars Überlegungen zur ethischen Relevanz des Entwicklungsgedankens hatten ihn zu der Einsicht geführt, daß der Kampf für ein Minimum an Gerechtigkeit, für eine gerechte Gesellschaft christliche Pflicht sei. Ungerechte Zustände sollten es nicht länger von vornherein unmöglich machen, daß die sozialen und politischen Verhältnisse vom Geiste Christi durchdrungen würden, sondern die Gesellschaft sollte vielmehr der Ort werden, an dem die Gerechtigkeit zum Durchbruch komme. Die Unterscheidung zwischen unveränderlichen Grundordnungen einerseits und den zeitbedingten Inhalten dieses Rahmens andererseits ist für die Auffassung von der Gesellschaft bei Geismar grundlegend. Einer gerechten Gesellschaftsordnung stand seiner Meinung nach vor allem der Materialismus des Menschen entgegen, besonders die Götzen der Genußsucht - Mammon und Venus, Völlerei und Liebe waren für ihn stets der Inbegriff des Verfalls. Ein entscheidendes Hindernis für eine Änderung der Verhältnisse sah er in dem Egoismus der Parteien, wo taktische Interessen die Lösung der Sachfragen verdrängten. In seiner Predigt bei der Parlamentseröffnung im Jahre 1918 stellte Geismar dieses Problem deutlich heraus und hob die Pflicht der Gesetzgeber hervor, sich doch wenigstens über die Ideale zu einigen. Die 45
Retsforbundet, S. 28. Vgl. dazu RA KOPENHAGEN, N G Bd. 3. Über die Abstimmung in Südjütland vgl. auch P. G. LINDHARDT, Breve, S. 106 f. mit Anm. 6. Zur Haltung der Nordschleswiger zum Krieg und zur Abstimmung vgl. H . FUGLSANG-DAMGAARD, Fra skyttegrav til bispestol, S. 31-87. 46
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Lösung liege nämlich auf der Hand, wenn die Gesetzgeber und die Kirche nur die Möglichkeiten zur Zusammenarbeit einsähen. Es sei Sache der Gesetzgeber, regulierende und gestaltende Ordnungen zu schaffen, und diese Ordnungen könnten nur auf den geschaffenen Realitäten beruhen, vor allem der Familie und der Arbeit 47 . Wenn derartige Ordnungen als Realität respektiert würden, könne die Kirche ihre Mission erfüllen: dazu anzuregen, daß dieser äußere Rahmen mit Inhalt erfüllt werde, die Ordnungen an die zeitbestimmte Situation anzupassen. Dies geschehe, indem die Herzen von der Botschaft des Neuen Testaments entflammt würden 48 . Die soziale Empörung Geismars war groß, er griff deshalb auf die Kritik der alttestamentlichen Propheten an sozialer Ungerechtigkeit zurück und geißelte das Versagen der Kirche, die die Arbeiter im Stich gelassen habe 49 . Die entscheidende Voraussetzung für den Fortschritt sah Geismar im moralischen Bewußtsein des Einzelnen. Die Politiker und der einfache Bürger der Gesellschaft müßten alle von einer Leidenschaft zur Gerechtigkeit beseelt sein, von dem Verlangen nach augenblicklicher Änderung der unerträglichen Zustände. Von diesen Prinzipien aus war es nur konsequent, daß Geismar 1919 einer der Mitbegründer einer neuen Partei in Dänemark wurde: des „Retsforbundet" (Rechtsbund). Er hat das Gedankengut dieser Partei mitgeprägt. Schon im Jahre 1902 war ein Henry-George-Verein gegründet worden, der sich unter Berufung auf den Amerikaner Henry George (1839-1897) gegen das private Eigentum an Grund und Boden wandte, um dadurch soziale Gerechtigkeit zu schaffen 50 . Daß sich Geismar Retsforbundet anschloß, lag also ganz in der Konsequenz seiner schon 1903 formulierten Auffassung von der christlichen Persönlichkeit als dem sozialen und kulturellen Faktor, der die Erneuerung bringen sollte51. Die Gedanken Georges aufnehmend, sah Geismar die grundlegenden Ordnungen respektiert, vor allem das Recht des Einzelnen auf Arbeit. Wo dieses Recht verletzt werde, habe das unweigerlich schamlose Ausbeutung und gegenläufig dazu sozialistische Propaganda zur Folge. Weil die Besitzer des Kapitals es stets verstünden, die Entwicklung zu ihren Gunsten zu lenken, verstärke die Inflation nur die 47
Fremtidens Vej, S. 5-7. Ebd., vgl. auch Bibelske Tanker, S. 21. 4 » Ebd., S. 15 und 22. 50 Zu H. George und dem Georgeismus vgl. S. BJ0RNER, Verdenstankes Vaekst; E. GEISMAR, Nogle Taenkeres Syn, S. 159 f.; außerdem die im folgenden genannten Abhandlungen Geismars. 51 Vgl. Retsforbundet, S. 7. Vgl. dazu K. KOLDING, Danmarks Retsforbund, S. 82. 48
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Verarmung und die Klassengegensätze. Der Staat könne hier nur mildernd durch öffentliche Unterstützung eingreifen. Zwar hatte Geismar für das Anliegen der Sozialdemokratie Verständnis und erkannte auch deren Hauptforderungen angesichts der Verhältnisse als berechtigt an; er meinte jedoch nicht, hier das richtige Mittel für die Lösung der Probleme finden zu können. Die Wurzel des Übels wurde nämlich nach seiner Auffassung hier nicht beseitigt, sie blieb in dem bürokratischen Kontrollapparat des Staatssozialismus bestehen, der nicht nur ineffektiv sei, sondern auch demoralisierend wirke, weil er den Menschen die Lust zu privater Initiative nehme und weil es sich faktisch als unmöglich erwiesen habe, die Mißstände auf der Grundlage des Sozialismus zu beseitigen52. Auch die Gewerkschaftsbewegung habe natürlich ihre Berechtigung, aber ihre produktionslähmenden Aktionen machten die Misere nur noch schlimmer, ohne daß die Probleme gelöst würden, - zum Schaden derer, die am schlechtesten gestellt seien. Die beiden gängigen Auswegsmöglichkeiten - Kreditwesen als Finanzierungsmittel des Kapitalismus oder das Gegenstück, der Staatssozialismus - kamen für Retsforbundet nicht in Frage. Ihm ging es darum, die positiven Seiten des Sozialismus mit dem Individualismus zu kombinieren, wie George es vorgeschlagen hatte. Nur so könne sich das persönliche Leben in gerechten Ordnungen entfalten. Angeregt durch das landwirtschaftliche Genossenschaftswesen, trat Geismar für Interessentengesellschaften ein, um zu sichern, daß nur die direkt an der Produktion Beteiligten wirtschaftlichen Einfluß erhielten. Am wichtigsten erschien ihm jedoch die Grundthese Georges: Die Einführung einer Grundschuld würde jegliche Spekulation unterbinden und direkte Steuern weitgehend überflüssig machen. Um jedoch einseitige Auswirkungen zu vermeiden, die nicht nur die Großgrundbesitzer träfen, sondern ζ. B. auch die Kleinbauern, sollte die Grundschuld durch eine Vermögenssteuer ergänzt werden, die den verantwortungslosen Verbrauch an Luxusgütern in der Oberklasse dämpfen und in der aktuellen Situation des Jahres 1919 zugleich ungerechte Wertsteigerungen, u. a. durch Kriegsgewinne, abschöpfen sollte. Retsforbundet war der Ansicht, daß allein diese wirtschaftlichen Reformen dem Einzelnen bessere Bedingungen gewähren und die Produktivität anregen, aber auch die internationale Politik von den gefährlichsten Konflikten entlasten würden. Denn ein freier Kapitalmarkt würde die Außenpolitik von jeglicher Rücksichtnahme auf den wirtschaftlichen Profit befreien, weil Unternehmungsgeist und freie 82
Retsforbundet, S. 8 ff.
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Initiative durch staatliche Kontrolle und staatliche Eingriffe nicht gestört würden. Auch im geistigen Bereich sei der Liberalismus eine positive Entwicklung, weil er ausschließe, daß das kulturelle Leben durch die sonst unvermeidliche Rücksicht auf die politische Mehrheit geprägt werde. In der Kirchen- und Schulpolitik wollte Geismar, daß der Einzelne so frei gestellt werde wie nur irgend möglich. Das bedeutete Trennung von Staat und Kirche, freie Verwendung des Schulgeldes und die Freiheit zur Errichtung von neuen Schulen, die der Überzeugung der Eltern entsprächen. h) Geismars theologische Begründung seiner politischen Ethik Das Verhältnis zwischen Idealismus und christlicher Kulturkritik ist das zentrale systematisch-theologische Thema Geismars. Seine Ausführungen sind in ihrer Struktur bestimmt von einem ständigen erbaulichen Unterton auf der einen Seite, der Einbeziehung christlicher Poesie, sehr häufiger Verwendung von Bibelzitaten und einer Gedankenführung, die stets pietistisch anmutend den moralischen Appell im Auge hat, zum anderen von einer bewußt apologetischen Grundhaltung, die sich gegen eine naturwissenschaftliche, sozialistische und kulturradikale Religionskritik wehrt, um dann das Christentum als den einzigen Weg zu der so nötigen Erneuerung der Kultur herauszustellen. In dieses Schema gehört auch Geismars religionsphilosophische Bestimmung des Verhältnisses zwischen Glauben und Wissen. Er betont, daß man um keinen Preis in einen allgemeinen Supranaturalismus zurückfallen dürfe. Vielmehr müsse das intellektuelle Gewissen respektiert werden, um einen angemessenen Zusammenhang zwischen Glaube und Wissen herzustellen. Trotzdem ist für Geismar charakteristisch, daß er diesen traditionellen Konflikt in den Bereich der Ethik verlegt. Dies geschieht in dreifacher Weise: 1. Geismar wendet sich dagegen, den Kampf ausschließlich von dogmatischen Prämissen her zu führen. Ein unfruchtbarer Dogmatismus sei wertlos, weil das ernsteste Problem im Begriff der Persönlichkeit liege. 2. Geismar wendet sich gegen den unkritischen Glauben, die Naturwissenschaft könne alles erklären. Auch die Naturwissenschaft könne mit ihrer Anwendung des Kausalitätsprinzips nicht alles Unbekannte auflösen und vom Bekannten her erklären, auch sie bleibe früher oder später beim Unerklärlichen stehen53. Deshalb dürfe man nicht der verbreiteten Neigung nachgeben, das Christentum dem rationalen Denken des mo55
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Religion og Videnskab, S. 16 ff.
Schjerring, Geismar/Hirsch
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dernen Menschen dadurch anpassen zu wollen, daß man den Gedanken an das Wunder grundsätzlich preisgebe. Ausdrücklich kritisierte Geismar die liberale Theologie Harnacks und die Werttheologie des Neukantianismus. Wunder seien für den Glauben unaufgebbar, denn in dem Glauben an die Möglichkeit des Wunders sei auch der Glaube daran eingeschlossen, daß die Erlösung, die Kraft Gottes, in die natürliche Welt kraft des wichtigsten Wunders, der Auferstehung, einbrechen könne 54 . 3. Obwohl Geismar zugeben muß, daß soziale Ausbeutung, Freidenkerei und Wertnihilismus durch den christlichen Glauben nicht verhindert werden konnten, ist sein Vertrauen auf die moralische Durchschlagskraft des Christentums im Grunde ungebrochen. An dieser Stelle ist es notwendig, auf das Verhältnis zwischen dem idealistischen Einfluß und den pietistischen Elementen in der Theologie Geismars einzugehen. Geismar hebt die natürliche Idealität hervor, und dies nicht nur in den Zusammenhängen, wo der Einfluß Euckens offensichtlich ist, sondern ζ. B. auch, wenn er die Bedeutung der Kunst für die Lebensanschauung beschreibt. Hier spricht er von der erzieherischen Funktion der Kunst: sie öffne den Menschen die Augen für die Ideale, sie lasse sie das Leben selbst als Kunstwerk erleben55. Ein solcher unmittelbarer Idealismus ist jedoch bei Geismar nicht die Regel, eher ein theologisch vermittelter Idealismus: das Bestreben, dem Guten in der Welt dadurch zum Durchbruch zu verhelfen, daß der Mensch durch den Glauben im Laufe seiner religiösen Entwicklung zu einem Werkzeug des Guten wird. Diese Entwicklung schreitet von der Selbstbehauptung über die Sündenerkenntnis fort zu dem Willen, vom Kreuze her die Idealität zu verwirklichen 56 . An einzelnen Stellen findet sich jedoch ein anscheinend ganz undialektisch verstandenes Verhältnis zwischen der absoluten Forderung und den menschlich bedingten Idealen, wenn Geismar meint, daß der Christ durch die Forderung der Ewigkeit dazu berufen sei, Gott beim Aufbau seiner Welt beizustehen. In diesem Zusammenhang spricht er auch von der Festigkeit und dem Vermögen des Willens im Rahmen der natürlichen Ordnungen, auch wenn dies unter dem Gesichtspunkt der unbedingten Forderung geschieht57. Andererseits findet sich dort, wo sich eine christlich fundierte Kultursynthese als Ziel abzeichnet, ein asketisch bestimmter Moralbegriff, der teils aus der Verwurzelung 54 Underet i Kristendommen (Straaler fra Kristi Kors III); Religion og Videnskab, S. 13 ff.; Hvad er Sandhed?, S. 12 ff.; Til Angreb og Forsvar, S. 18 ff. 55 Videnskab, Kunst, Moral, Religion, S. 27 ff.; Til Angreb og Forsvar, S. 3032. 56 Religion og Videnskab, S. 42 ff.; Til Angreb og Forsvar, S. 46 ff. 57 Den ubetalte Fordring, Sp. 451 ff.
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in pietistischer Kirchlichkeit herrührt, teils auch mehr reflektiert mit der Maxime Kierkegaards verflochten ist: Unruhe in Richtung auf Verinnerlichung. Dennoch huldigt Geismar niemals einem Quietismus oder kultureller Indifferenz, sondern er will die Innerlichkeit als Keim eines aktiven Weltverhältnisses verstanden wissen: „Schaffe uns Menschen, deren Sinn durchdrungen ist von der heiligen Erwartung, von der Sehnsucht des Pilgrims, und Ihr werdet sehen, daß die Welt sie braucht; gerade sie haben Macht." 5 8 Dieser Aspekt ist wichtig, weil er im Denken Geismars eine entscheidende Rolle spielt: Geismar verteidigt sich nämlich gegen den Vorwurf, recht verstanden sei der moralische Idealismus nichts anderes als verkappter Pharisäismus und Werkgerechtigkeit. Dies war in seinen Augen ja gerade die Gefahr des Unitarismus, der von der allgemeinen Uberzeugung von der moralischen Güte der Menschen ausging und deshalb Jesus nur als ethisches Ideal gelten ließ 59 . Diesen Tendenzen gegenüber will Geismar an der paulinischen Theologie des Kreuzes, an der von Kierkegaard her motivierten Kulturkritik und der Erkenntnis des radikal Bösen und der Schuld des Menschen festhalten. Dies darf man nicht vergessen, wenn man das Hauptanliegen Geismars richtig beurteilen will, das Christentum als kulturellen Faktor durch die vom Kreuz ausgehende ethische Wirkung geltend zu machen. Dadurch gelangt er auch zu dem apologetischen Schluß, die Gültigkeit des Christentums beruhe auf dem Zusammenhang zwischen der Glaubensentscheidung und den „inneren Werten", d. h. auf dem ursprünglichen Gottesbewußtsein in der Tiefe des Herzens 60 . Die Dialektik zwischen ethischem Idealismus und Sündenerkenntnis, die eine Auseinandersetzung mit dem Kulturoptimismus erforderlich machte, hängt eng mit der Versöhnungslehre Geismars zusammen. Er weigert sich, die subjektive und die objektive Versöhnungslehre als sich ausschließende Alternativen anzuerkennen. Es geht hier für ihn notwendigerweise um ein Sowohl-Als-auch, nicht um ein Entweder-Oder; denn das Kreuz bedeutet gleichzeitig Gericht und Neuschöpfung. Die ethische Wirkung des Kreuzes beruht ja gerade darauf, daß der Wille, der in der Schuld notwendigerweise gedemütigt werden muß, nun eine neue Richtung erhält, wo alle falsche Selbstbehauptung beseitigt ist. In dieser Versöhnungslehre mit ihren ethischen Konsequenzen liegt gleichzeitig die Antwort auf den Gedanken Harnacks von einem doppelten Evangelium. Geismar verbindet die beiden Evangelien in der Weise miteinander, daß sie sich gegenseitig Pilgrimsfaerden, Sp. 581 f. (ü.). Korsets Ord og Unitarisme (Straaler fra Kristi Kors I, S. 1 ff.). " Til Angreb og Forsvar, S. 46 ff. und 54 ff. t8
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ergänzen, wobei die Entwicklungslehre hier im Rahmen der Entwicklung der ethischen Persönlichkeit ihren sachgemäßen Ort erhält 61 . Es liegt in der Konsequenz der Christologie und der Ethik Geismars, daß er direkt fragen kann, ob die Religion den Menschen besser mache. Genauso typisch wie die Frage ist die Antwort, die Geismar gibt. Er muß hier alle Mühe aufwenden, um die naheliegenden Fehler zu vermeiden, die ihn in ein unkritisches moralisches Entwicklungsdenken führen könnten; denn er sah, daß diese MißVerständnisse in vielen Fällen verhängnisvoll gewirkt und zu vielen Varianten religiös motivierter und legitimierter Eigenliebe geführt hätten. Viele Menschen fragten deshalb oft, wann sie genug getan hätten, um die Forderung zu erfüllen, und beide Seiten des Klassenkampfes erniedrigten Gott zu einem Faktor in ihrem politischen Spiel. Aber es gibt nach Geismar kein unmittelbares Rezept zur Erlangung von Gerechtigkeit und Vollkommenheit. Er weist die Vereinnahmung Gottes für eigene Ziele zurück, deren sich die Kirche in ihrer Geschichte allzuoft schuldig gemacht hat. Der Hinweis auf das Kreuz ist sein Argument gegen religiösen Egoismus62.
2. Wissenschaftliche Entwicklung und politisches Engagement bei Emanuel Hirsch bis 1921 a) Studienjahre und Fichtestudium Emanuel Hirsch entstammte einem brandenburgischen Pfarrhaus; es war daher fast selbstverständlich, daß er im Jahre 1906 in Berlin das Theologiestudium begann, zumal der Vater kurz zuvor nach Berlin versetzt worden war. Als Student trat Hirsch sogleich dem Wingolf bei, einer Studentenverbindung, die mit ihrem christlich gefärbten gemäßigten Nationalismus das politische Denken Emanuel Hirschs stark geprägt hat. Die Studienjahre waren jedoch zunächst von inneren persönlichen Kämpfen bestimmt, bevor er zu einem klaren theologischen Standpunkt gelangte. Er fühlte sich eingeengt durch die unkritische Frömmigkeit seines Elternhauses, die er überwinden mußte. Die berühmten Lehrer der Berliner Fakultät führten ihn in die historisch-kritische Arbeit ein, und dies war für ihn ein weiterer Anlaß, nach einer solideren Grundlage des Erkennens zu suchen. Die historisch-kritische Arbeit und ihre Ergebnisse haben Hirsch jedoch in keiner Weise in seinem Glauben angefochten. Ganz im Gegenteil, er schrieb in einer Rück« Ebd., S. 44 f. 82 Ger Religion et Menneske bedre, Sp. 516 f.
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schau im Jahre 1951 : „Ich gehöre zu den Theologen, welche durch die Theologie, und zwar gerade durch eine kritische, vor keiner Frage zurückscheuende Theologie, für den christlichen Glauben gerettet worden sind." 1 Hirsch war sich früh darüber klar, daß den Ergebnissen der historischen Kritik nicht mit dogmatischen Vorbehalten zu begegnen sei, daß sich die nachkantische Antimetaphysik niemals widerlegen lasse und daß er sich niemals mit einer theologischen oder philosophischen Schulmeinung zufrieden geben könne. Diese bewußte Anti-Orthodoxie und die daraus folgende Isolation brachte Hirsch in bemerkenswerter Selbsterkenntnis mit seiner persönlichen Eigenart in Verbindung, wenn er von dem „Gesetz meiner individuellen Existenzdialektik" spricht, nach der auch „die kritische Wahrheit des Forschers und Denkers und die fromme Selbstbesinnung des vor Gott stehenden Herzens einander stets gerufen und geholfen haben" 2 . Das antidogmatische, unerbittliche Suchen nach der Wahrheit war für Hirsch eine persönliche, christlich begründete Forderung, die ihn in seiner wissenschaftlichen Zielsetzung zeit seines Lebens geprägt hat. Daß er aber schon in seiner Studienzeit zu einer Klärung gelangte, wo die unaufhörliche Suche nach der Wahrheit mit einer persönlichen Glaubenshaltung versöhnt war, verdankte Hirsch in erster Linie dem theologischen und menschlichen Vorbild seines Lehrers Karl Holl (18661926). Von Holl sagte Hirsch sogar, daß er „als historischer und dogmatischer Kritiker, als unerbittlicher, scharfsinniger dogmen- und theologiegeschichtlicher Analysator, wenigstens in seinen jüngeren Jahren, als ich ihn hörte, weit radikaler als der neben ihm stehende Harnack war" 3 . Das Entscheidende lag für Hirsch gerade darin, daß Holl zugleich mit seinem Kritizismus eine persönliche christliche Einstellung ausstrahlte. Deshalb sprach Hirsch von dem „weiten Bogen", über den sich redliches Denken spannen müsse. Der Glaube müsse jeglicher Form von objektiver Garantie entsagen, denn die Religion besitze nur Wahrheit „in und für die Subjektivität..., die sich ihrer 1 Anfänge, S. 2. Vgl. auch den Auszug aus der Skizze „Uber mich selbst" (H.-W. SCHÜTTE, Briefwechsel, S. 39). 2 Anfänge, S. 3; vgl. auch Das Alte Testament, S. 1 ff. 3 Anfänge, S. 3. Vgl. auch den Brief Hirschs an Geismar vom 13. 3.1923, in dem es heißt: „Es ist mir eines der größten Gottesgeschenke in meinem Leben gewesen, daß mich als jungen Fuchsen der Weg zur ersten Kollegstunde in die erste Kollegstunde führte, die Holl als junger Ordinarius an der Berliner Universität hielt. Von dem ersten Tage an war ich sein Schüler und wurde von meinen Kommilitonen wegen meiner Ausschließlichkeit viel geneckt. Bis ich dann durch eine einsame Hauslehrerzeit mit dem Fichtestudium die Selbstbefreiung vollzog, um dann in Freiheit und als junger eigener Arbeiter zu ihm zurückzukehren"
( R A KOPENHAGEN, N G B d . 1).
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Menschlichkeit bewußt, aller Zucht wahrhaftiger menschlicher Erkenntnis Untertan, aller objektiver Stützen entratend, grund- und wehrlos an das göttliche Geheimnis gibt" 4 . Diese Abhängigkeit von Holl wird besonders später in den Lutherstudien Hirschs deutlich, aber auch schon in den Studienjahren war Holl der wichtigste Ratgeber und Wegweiser. Die Anregung zum Fichtestudium kann Holl freilich kaum gegeben haben. Dies war vielmehr Paul Tillich (1886-1965), ein Freund Hirschs aus dem Wingolf 5 . Er weckte bei Hirsch das Interesse für die Philosophie Fichtes, das nach zweijähriger intensiver Arbeit nach dem Examen zu der Dissertation Hirschs führte, die 1914 in gekürzter Ausgabe veröffentlicht wurde: „Fichtes Religionsphilosophie im Rahmen der philosophischen Gesamtentwicklung Fichtes". Die Fichtedeutung stellt nicht nur das wissenschaftliche Gesellenstück Hirschs dar, sondern ist für das Denken Hirschs überhaupt von entscheidender Bedeutung. Unter dem Eindruck des Weltkrieges wurde Fichte ein leuchtendes Vorbild für Hirsch, weil Fichte die philosophische Bestimmung der Sittlichkeit mit seinem praktischen Ethos während der Befreiungskriege verband und damit alle vorschnelle Kritik, sein Idealismus sei weltfremd, Lügen strafte. Hirsch sieht die Bedeutung Fichtes darin, daß dieser eine Religionsphilosophie geschaffen habe, die durch logische Stringenz, innere Geschlossenheit und Gültigkeit für alle Lebensbereiche bestimmt sei. Deshalb ist es für ihn wichtig, Fichtes Religionsphilosophie in organischem Zusammenhang mit dem übrigen System zu interpretieren und die Kontinuität im Denken Fichtes herauszustellen6. Hier soll kein erschöpfendes Referat der Fichte-Interpretation Hirschs gegeben werden, es sei nur auf die wichtigsten Schlußfolgerungen hingewiesen: nach Hirsch hat Fichte in seinem Denken den letzten Rest an Dogmatismus in der Erkenntnistheorie überwunden. Gott als der Inbegriff der moralischen Weltordnung kann allein als adäquat mit der Sittlichkeit verstanden werden. Das Selbstverständnis des Menschen, die Einsicht in die gesellschaftliche Ethik, die Grundlage der 4 Anfänge, S. 4. Zur Charakteristik Holls durch Hirsch vgl. auch Karl Holl, Luther und der deutsche Geist; Holls Lutherbuch. 5
V g l . H . - W . SCHÜTTE, B r i e f w e c h s e l , S . 4 3 .
• Fichtes Religionsphilosophie, S. 129. Vgl. auch Mein Weg in die Wissenschaft, S. 3 f. - An anderer Stelle hob Hirsch den Unterschied zwischen der Wissenschaftslehre und der späteren Philosophie Fichtes stärker hervor; er betonte z. B., daß der Gedanke der Perfektibilität (d. h., daß die Geschichte final als ein fortschreitender ethischer Entwicklungsprozeß verstanden wird) in einer gewissen Spannung zu der späteren Tendenz stehe, den Geschichtsverlauf von seinem Urgrund her zu verstehen (Christentum und Geschichte, S. 5 und S. 22). Vgl. hierzu auch G. SCHNEIDER-FLUME, Politische Ethik, S. 13-16.
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Pflichterfüllung und der religiöse Glaube können nur im Lichte einer universell gültigen Einsicht gesehen werden, Gott ist identisch mit der moralischen Weltordnung. Für Hirsch ist entscheidend, daß sich diese Sittlichkeit nicht nur in formalen Kategorien beschreiben läßt, sondern sich auch in der materialen Ethik niederschlägt. Trotz aller Verdächtigungen im Atheismusstreit kann man, so meint Hirsch, die Religionsphilosophie Fichtes nicht ohne weiteres ablehnen, und dies vor allem deshalb nicht, weil Fichte der Religion statt des überwundenen Dogmatismus nun eine wirklich tragfähige Grundlage gegeben habe: nämlich das Gefühl der Evidenz, das mit der Einsicht in die Eigenart der Sittlichkeit unlöslich verbunden ist. Die Religion ist „unmittelbar durch sich selber Leben und Seligkeit...: das von ihr als Pulsschlag des göttlichen Lebens gedeutete Evidenzgefühl ist Quelle dieser Seligkeit" 7 . Es gibt bei Hirsch zwar Ansätze zu einer Kritik an Fichte in den Schlußbemerkungen seiner Dissertation: Im Verhältnis zwischen dem „Ich" und Gott fehle bei Fichte ein Gegenüber. Aber der Haupteindruck ist eine Interpretation, die von zustimmender Begeisterung getragen ist und die verrät, wie sehr Hirsch von Fichte beeinflußt ist. Bestimmt, ja fast entrüstet weist Hirsch deshalb auch gängige vulgäre Vorwürfe gegen Fichte zurück, so ζ. B. den Vorwurf, Fichte sei in „Anweisungen zum seeligen Leben" der Mystik verfallen 8 . Ebenso lehnt er die pauschale Anklage als absurd ab, Fichte habe den Begriff der Sünde eliminiert. Nur eine Kritik, die der spekulativen Erkenntnis kongenial sei, sei relevant 9 . 7 Fichtes Religionsphilosophie, S. 127. Vgl. auch die Zusammenfassung des Verhältnisses zwischen Sittlichkeit und Gottesbegriff (ebd., S. 77). Zu diesem Problem vgl. auch den Entwurf eines Briefes an Tillich (H.-W. SCHÜTTE, Briefwechsel, S. 17). Zwar behauptet Hirsch in der „Vorbemerkung" zu „Christentum und Geschichte", er habe sich in seiner Dissertation bewußt auf eine loyale Wiedergabe der Gedanken Fichtes beschränkt. Dennoch ist die ausdrückliche und vorbehaltlose Zustimmung zu den Gedanken Fichtes nicht zu übersehen. 8 Fichtes Religionsphilosophie, S. 119 f. 9 Ebd., S. 131 f. In „Christentum und Geschichte", offenbar gleichzeitig mit der Dissertation geschrieben, betont Hirsch jedoch, daß die Vorstellung Fichtes von der moralischen Weltordnung durch die christliche Rede von der Macht des Bösen zu ergänzen sei (S. 10 und 29). In derselben Abhandlung finden sich auch mehrere andere Ansätze zu einer tiefgreifenden Kritik Fichtes: Fichtes oft einseitiger Intellektualismus drohe die freie sittliche Handlung zu eliminieren, und dies führe auch dazu, daß sowohl der Personbegriff als auch der Gottesbegriff zu gedanklichen Abstraktionen würden. All diese kritischen Ansätze faßt Hirsch in den Schlußbemerkungen so zusammen, daß Leben und Existenz bei Fichte in ihrer Dialektik nicht festgehalten seien, weil Fichte der Sinn dafür fehle, daß Leben nicht nur Denken hervorbringe, sondern daß dieses Denken auch unter dem Gericht stehe (ebd., S. 32 und 61). In einem anderen Zusammenhang spricht Hirsch vom Fortfall der Transzendenz bei Fichte, hält aber gleichzeitig an der These fest,
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b) Der August 1914 Durch Elternhaus, Wingolf-Bund und Karl Holl war Hirsch in eine national-konservative politische Grundhaltung hineingewachsen. Der Eindruck des Kriegsausbruches aber und die Gefühle, die er ins Leben rief, brachen bei ihm mit einer plötzlichen Leidenschaft hervor, weil er hier zum ersten Male den Ruf zu politischem Engagement vernahm und weil diese Ereignisse nachdrücklich sein ganzes Denken in Frage stellten, angefangen bei dem systematischen Ausgangspunkt bis hin zu seinen konkreten Gedanken über die kulturelle und politische Lage Deutschlands und des übrigen Europa. Die Leidenschaft war so stark, weil Hirschs ganzes Denken von vornherein jegliche Vorbehalte oder Modifikationen ausschloß. Politisch stand für ihn von Anfang an fest, daß der Krieg Deutschland aufgezwungen sei, vor allem von dem imperialistischen England, das ohne Rücksicht auf die berechtigtsten Forderungen anderer Nationen und ohne eine innere Qualifikation, die die Stellung als Weltmacht gerechtfertigt hätte, die Position der führenden Weltmacht beanspruchte 10 . Was die Gefühle Hirschs so in Wallung brachte, waren der Patriotismus und der nationale Zusammenhalt, die der Kriegsausbruch ins Leben gerufen hatte. Dies kam in der Zustimmung zu den Kriegsanleihen durch die Sozialdemokraten zum Ausdruck, aber auch in der Übereinstimmung aller führenden Intellektuellen, die sich zudem wie auf Kommando aus ihrer Isolation im akademischen Elfenbeinturm herausbegaben und sich mit dem Schicksal des Volkes identifizierten. daß Fichte den scheinbar unüberwindlichen Gegensatz zwischen dem Gewissen in seiner Gebundenheit an das Ewige und der konkreten Tathandlung in ihrer Gebundenheit an das Natürliche am überzeugendsten zu überwinden vermocht habe (Reich-Gottes-Begriffe, S. 26 f.). 10 Unsere Frage an Gott, Sp. 371; vgl. auch Wille des Herrn, S. 189. - Hierin stimmte Hirsch mit der allgemeinen Stimmung unter den führenden Theologen Berlins R. Seeberg, A. Harnack, E. Troeltsch und K. H o l l voll überein. - Für Hirschs Verständnis des Krieges als eines Ideen- und Kulturkampfes war es offenbar von entscheidender Bedeutung, daß er gerade seine Fichte-Arbeit abgeschlossen hatte. Von hier bezieht er sein Freiheitsideal und sein Verständnis des nationalen Ethos (vgl. K. SCHWABE, Wissenschaft und Kriegsmoral, S. 34 ff.; H. LÜBBE, Politische Philosophie, S. 197-207). - Hirsch war vor allem über den mangelnden Opferwillen Englands entrüstet, und er sah seine Auffassung durch die Aufstellung eines Söldnerheers bei den Engländern bestätigt, für ihn ein typisches Zeichen von Bequemlichkeitsmoral, Merkantilismus und Utilitarismus. Das Heer der Wehrpflichtigen dagegen entsprach dem nationalen Zusammenhalt und dem eisernen Willen zu selbstlosem Opfer im deutschen Volke (Wille des Herrn, S. 196; vgl. K. SCHWABE, Wissenschaft und Kriegsmoral, S. 24; W. PRESSEL, Kriegspredigt, S. 118 und S. 144 ff.; vgl. auch W. HUBER, Evangelische Theologie).
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Zwar gehört es für Hirsch zum Wesen des Krieges, daß er Grausamkeit hervorbringt und die Menschen zu einem engstirnigen Egoismus verleitet. Aber diese Bedenken sind in der konkreten Situation ganz unaktuell. Hier ist der Krieg nicht sündigem Willen entsprungen, sondern der Uneinigkeit in der Weltpolitik. Deshalb gibt es auch keine Instanz, an die man appellieren könnte, es bleibt nur die Möglichkeit, „Gott zu fragen" durch die Sprache der Schwerter. „Wo aber Großes auf dem Spiele steht, wo es sich darum handelt, welche Rolle ein Volk in der Weltgeschichte der Zukunft spielen soll, wo gar das die Frage ist, ob es überhaupt eine Rolle spielen, ob es fernerhin als selbständiges Volk existieren soll - da wäre es unsittlich, ungläubig, feige, nachzugeben."11 Entsprechend ist davon die Rede, daß der Krieg eine vergeistigte Sittlichkeit fordere, denn er verlange bedingungslose Hingabe. Deshalb tritt hier das rohe und grausame Element des Krieges ganz in den Hintergrund, denn der Krieg muß als eine mutige Frage an Gott verstanden werden. Aus diesem Grunde ist der Krieg auch heilig. Er rottet alle menschlichen Vorbehalte aus, er läßt Gott antworten. „Krieg ist ein Gottesurteil, aber nur das Volk hat das Recht, dieses Gottesurteil zu fordern, das bereit ist, sich nötigenfalls in diesem Kriege zu verbluten." 12 Wie schon erwähnt, besteht zwischen der politischen und der theologischen Grundhaltung Hirschs kein Bruch. Sie gehen vielmehr Hand 11
Unsere Frage an Gott, Sp. 372. - An dieser Auffassung hielt Hirsch auch fest, als sich das Kriegsglück gewendet hatte und das Ende des Krieges nahe war, im Oktober 1918: „Immer muß man die Verherrlicher der pazifistischen Gerechtigkeit fragen, was wohl Deutschlands Los gewesen wäre, wenn 1914 der Rat der Völker über Recht und Gerechtigkeit entschieden hätte. Wir wären verdammt und ins Elend gestoßen worden" (Der Pazifismus, Sp. 6). - Später, am 5.3.1923, schrieb er in einem Brief an Geismar: „Ich und viele Deutsche mit mir, haben in den Wochen des Juli und August 1914 so ernsthaft im Gebet um die wahrhaftige Bedeutung der Lage gerungen und alles so scharf und vor Gottes Auge (allein nach der Wahrheit fragend) durchgedacht, daß wir's gespürt haben müßten, wenn unser Volk bei dem Kriegsausbruch 1914 ein Unrecht begangen hätte. Für mich bedeutet die Kriegsschuldfrage dies, ob der, der zu Gott betet mit dem Willen zum ganzen Gehorsam, von Gott auf den Weg zur Wahrheit gestellt wird, d. h. ob die Gemeinschaft mit Gott eine Phrase oder eine Wirklichkeit ist" (RA KOPENHAGEN, N G B d . 1). u
Unsere Frage an Gott, Sp. 372; vgl. Wille des Herrn, S. 196; Deutschlands Schicksal, S. 106-109. In dieser Auffassung von der Heiligkeit des Krieges war Hirsch - wie sich später zeigen wird - mit Holl, Seeberg und Harnack einig, wenngleich die Begründungen naturgemäß verschieden waren (vgl. K. SCHWABE, Wissenschaft und Kriegsmoral, S. 24 und 38 f.). - Noch 1918 sprach Hirsch von der Ehre, die mit dem Kriege verbunden sei, denn dieser sei ein „Diener der Gerechtigkeit. Nicht der Zufall entscheidet in ihm. Es ist ein streng gerechter Richtspruch, der da gefällt wird. - Die Gerechtigkeit des Krieges ist die hohe, übermenschliche der Geschichte" (Der Pazifismus, Sp. 33).
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in Hand. Den theologischen Uberbau formulierte Hirsch in einer Predigt am 13. September 1914 über den nächtlichen Kampf Jakobs (Gen. 32, 22-32). Diesen Text hatte er bereits bei seiner ersten Stellungnahme verwendet. In der Predigt sprach Hirsch die unmittelbaren Vorbehalte gegen die Kriegsbegeisterung aus: daß Gott der Herr aller Völker und daß er die verborgene, zuweilen grausame Majestät sei: „Den Taten Gottes gegenüber gilt kein menschliches Warum" 13 . Trotzdem zweifelte Hirsch keinen Augenblick daran, daß es Gott sei, der den deutschen Soldaten das Schwert in die Hand gebe. Das für Hirsch Charakteristische des Genesistextes ist einmal Jakobs Bitte um göttlichen Segen. Dem entspricht, daß Deutschland den Krieg nicht eigenmächtig führte, sondern im Bewußtsein, die göttliche Gerechtigkeit zu verteidigen: „Alle Opfer an Gut und Blut sind nichts als der Versuch, Gott die Entscheidung für uns abzuzwingen: wir lassen ihn nicht, er segne uns denn". Zum anderen sah er den aktuellen Bezug der Bibelstelle darin, daß man durch einen harten Kampf um Leben und Tod hindurch und wie Jakob bereit sein müsse, für den Sieg einen hohen Preis zu bezahlen 14 . Daß Hirsch durch den Kriegsbeginn wirklich politisch wie theologisch entscheidende Eindrücke empfangen hat, hat er in der Predigt über Gen. 32 selbst unmißverständlich zum Ausdruck gebracht: „Wir verstehen Gott und unser eigen Leben besser als bisher". Die bleibende Bedeutung dieser Eindrücke zeigte sich charakteristischerweise noch zweimal: zuerst in den letzten Jahren des Krieges, als er die Ideen des August 1914 mit dem späteren Verfall des nationalen Zusammenhalts und des Kriegswillens verglich, und dann wieder zu Beginn der dreißiger Jahre, als er nach der Aussichtslosigkeit der Weimarer Zeit aufs neue die Chance einer nationalen Erhebung sah15. " Wille des Herrn, S. 200; vgl. ebd., S. 190-193. Ebd., S. 195 und S. 198; vgl. auch Deutschlands Schicksal, S. 108 f. Zu Hirschs Auslegung von Gen. 32 vgl. W. ΡRESSEL, Kriegspredigt, S. 42, S. 131 und vor allem S. 158 f. " Vgl. Wille des Herrn, S. 188; Deutschlands Schicksal, S. 110; Das Ewige und das Zeitliche, S. 70. D a ß Hirsch an diesem Gedanken noch 1932 festhielt, ist ein entscheidendes Indiz für den hermeneutischen Schlüssel zu seinem Werk. Sein Denken darf nicht rein systematisch interpretiert werden, sondern auch als Antwort auf die zeitgeschichtliche Situation. - Dieser Aspekt ist gänzlich außer acht gelassen bei FR. BÖBEL, Gotteserkenntnis. Er ist dagegen bei G. SCHNEIDERFLUME weitgehend berücksichtigt, wenngleich sie nur die Eindrücke Hirschs aus dem Jahre 1918 mit einbezieht (Politische Theologie). Die Dissertation W. SCHWEERS hat als Arbeitsgrundlage die Analyse der Dialektik zwischen ideologischem Prinzip und gesellschaftlicher Bedingtheit eingearbeitet, dies geschieht aber, ohne eine Reihe von Gelegenheitsschriften aus den Kriegsjahren einzubeziehen (Theologische Ethik). Freilich war H.-W. SCHUTTES Bibliographie zur Zeit der Abfassung dieser beiden Dissertationen noch nicht zugänglich. Auch W. TILGNER setzt erst bei den Ereignis14
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Es hat für Hirsch sicherlich eine große Rolle gespielt, daß er sieb wegen seiner physischen Untauglichkeit nicht zum freiwilligen Kriegsdienst melden konnte. Paul Tillich ζ. B., der ihm sehr nahestand, wurde Feldgeistlicher. Als Ausgleich für diese Frustration arbeitete Hirsch um so intensiver an seinen Studien in Bonn, wo er 1914 gerade mit der Stelle eines Stiftsinspektors und der Vertretung eines vakanten Lehrstuhls für Kirchengeschichte eine besonders große Arbeitsbürde übernommen hatte. 1916 meldete er sich für eine Vertretung eines Pfarramts in der badischen Landeskirche, die in der geistlichen Versorgung durch die Folgen des Krieges besonders hart betroffen war 16 . c) Hirschs Lutherstudien und ihre Zeitbedingtheit Die Lutherstudien Hirschs sind ohne den Einfluß Karl Holls undenkbar. Dies zeigt sich nicht nur im theologischen Konsens, sondern auch darin, daß sich beide unter dem Eindruck des Krieges dazu aufgerufen fühlten, das lutherische Verständnis des Verhältnisses zwischen Evangelium und Gesellschaft wieder neu zu beleben17. Beide wollen Luthers Gedanken für die gesellschaftliche Problematik fruchtbar machen, beide aber wollen auch in der historischen Analyse an der Zeitbedingtheit der Aussagen Luthers festhalten. Beide sind theologisch durchgehend einig. Hirsch teilte ganz und gar die Entrüstung Holls darüber, daß Ernst Troeltsch die Ethik Luthers zu einem Produkt mittelalterlicher Verhältnisse degradiert hatte. Er wollte nun die theologische und christliche Aktualität in der Gottesauffassung Luthers herausarbeiten und ging also in seiner Interpretation von der Gottesauffassung Luthers aus, zugleich konzentrierte er sich auf den jungen Luther. Es war ihm darum zu tun, die ethischen Implikationen der Gottesauffassung und der Rechtfertigungslehre bei Luther als aktuell gültige Richtschnur aufzuzeigen, ganz wie Holl es auch anstrebte. Hirsch betont in der Darstellung des Glaubensbegriffes die Paradoxalität des Wesens Gottes, wenn wir es mit menschlichen Augen besen von 1918 ein (Volksnomostheologie, S. 137), und M. LIND widmet in seinem Abschnitt über Hirsch den Eindrücken vom 1. Weltkrieg fast keine Aufmerksamkeit, sondern geht nur von der geschichtlichen Situation der 30er Jahre aus (Kristendom och nazism, S. 27 ff.). u Vgl. Mein Weg in die Wissenschaft, S. 4; Meine Wendejahre, S. 4. - In diesen Aufzeichnungen geht Hirsch nur sehr wenig auf sein praktisch-politisches Engagement während des 1. Weltkrieges und dessen theologische Folgerungen ein. 17 Z.B. schrieb Holl an Adolf Schlatter am 5. 5.1917: „Ich habe das Verlangen, diese Forschungen in Luther zunächst zu einem gewissen Ziele zu führen und glaube, daß ich auch damit ein Kriegswerk verrichte" (R. STUPPERICH, Briefe, S. 2 2 3 ) .
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trachten. Bei Gott gehören Gericht und Gnade, Zorn und Vergebung, Verborgenheit und Offenbarung zusammen: „Er verurteilt uns wirklich als Sünder und hat für die Sünde wirklich nichts als ein richtendes Nein. Darum bleibt Gottes Zorngericht doch ein gutes, heilsames Werk, worin Gott uns nahekommt." 18 Diese Paradoxalität bedingt die Spannung zwischen Freiheit und Gebundenheit, zwischen dem Stehen unter dem Gericht und der Freude über die Vergebung, zwischen der Zuversicht auf das geoffenbarte Wort Gottes und der Fremdheit gegenüber dem verborgenen Gott, eine Spannung, die zum Wesen des Glaubens gehört. Dies bedeutet weiter, daß die ethische Haltung, das Sittlichkeitsprinzip, das dem Leben des Christen in der Freiheit entspringen sollte, all den Versionen mißverstandener christlicher Ethik widerspricht, die Hirsch (und mit ihm Holl!) in den Jahren 1917-18 überall verbreitet sah: dem asketischen Pazifismus Leo Tolstois, der religiös-sozialen Ethik des Schweizers Leonhard Ragaz, dem Utopismus der Sozialdemokratie (der in den Augen Hirschs verkappter Egoismus und offenbare Gottlosigkeit war), oder auch der englischen Nützlichkeitsmoral, die nur notdürftig weltimperialistische Ambitionen verdecken sollte und als Legitimation ζ. B. für die Hungerblockade gegen Deutschland diente. Gegenüber solchen pervertierten ethischen Haltungen, alle von mehr oder weniger offenbarer Diesseitigkeitsmoral geprägt, galt es, an der dialektischen Struktur des Glaubens festzuhalten. Der Glaubensbegriff hängt im Verständnis Hirschs eng mit dem des Gewissens zusammen. Das Gewissen ist die Instanz, die die Verbindung zwischen dem Empfang der Vergebung der Sünden und der Verwirklichung der neuen Gesinnung nach außen herstellt. Das Gewissen ist deshalb im Persönlichkeitsverständnis Hirschs der Schlüsselbegriff, der es ermöglicht, Gottesverhältnis und Weltverhältnis in eins zu sehen, ohne beides zu vermischen. Hirschs Lutherdeutung richtete sich polemisch gegen diese unzulässige Vermischung der „zwei Reiche", die er im Übermaß in bestimmten theologischen Traditionen in Deutschland festzustellen glaubte, besonders aber bei den Feinden Deutschlands. Der Glaube im reformatorischen Sinne läßt sich nach Hirsch deshalb nicht auf einen passiven forensischen Akt reduzieren, er ist vielmehr als eine Tat zu verstehen, die die Persönlichkeit dynamisch macht, den Willen zur Festigkeit formt, eine neue Gesinnung bildet. Hirsch spricht oft davon, „daß der Glaube am Gewissen ergriffen werden muß". Weil das Gewissen diese Doppelheit tragen soll, ist das Leben im Glauben notwendigerweise nicht nur durch Freude und 18
Luthers Gottesanschauung, S. 14 f.
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Trost, sondern auch durch trotzigen Willen zum Widerstand geprägt. Hirsch meint deshalb, daß die Persönlichkeit Luthers selbst durch ihre „stolze Männlichkeit" vorbildlich gewesen sei, und er faßt die ethische Stringenz der lutherischen Rechtfertigungslehre so zusammen: „Das prägt seinem Glauben den männlich herben Charakter auf. Er hat mit Entschlossenheit alle scheinbare Bereicherung verschmäht, weil ihm Christenglaube nichts war als die bitter ernste Angelegenheit eines Gemeinschaft mit Gott begehrenden Gewissens."19 Mit einer entsprechenden Argumentation aktualisiert Hirsch schließlich auch Luthers Verständnis von der Souveränität Gottes in der Spannung des Glaubens. Er polemisiert ausdrücklich und entrüstet gegen die Forderung der Zeit nach verweichlichter Moral und wendet sich gegen die Tendenz zu einem Kreisen um seine eigene Person und der Flucht vor der Übernahme unangenehmer Pflichten 20 . Noch deutlicher wurde die situationsbedingte Leidenschaft jedoch, als Hirsch die praktisch-politischen Konsequenzen aus dem dogmatischen Ansatz zog und sich zu speziellen ethischen Problemen äußerte, vor allem zur Frage des Krieges und der politischen Entscheidungen, die 1917 die größten Herausforderungen darstellten. Charakteristischerweise leitete Hirsch seine Äußerungen mit einer Paraphrase über Luthers Schrift von weltlicher Obrigkeit ein. Er betonte besonders: Zwar müsse die christliche Sittlichkeit auf Anwendung von Zwang verzichten, aber die Obrigkeit könne im weltlichen Bereich den Frieden zwischen den Untertanen nur wahren, wenn sie notfalls sich ihres Rechtes bediene, das Schwert zu führen. Hirsch referierte die Auffassung Luthers vom gerechten Krieg und gelangte so zu den wirklich brennenden Problemen, wo seine Ausführungen deutliche Anspielungen auf die aktuelle Situation zeigen. Um Krieg akzeptieren zu können, stellte Luther nach Hirsch zwei Bedingungen auf: Es dürfe sich nicht um Aufruhr gegen die Obrigkeit handeln, das sei für ihn der unzulässige Versuch, sein Recht in die eigenen Hände zu nehmen. Der Krieg müsse aber auch notwendig sein als 19 Etwas von Luthers Glauben, Sp. 75; vgl. auch Luthers Gottesanschauung, S. 27. 20 Vgl. Etwas von Luthers Glauben, Sp. 72. - Im übrigen sind die LutherStudien Holls und Hirschs nicht nur im Zusammenhang mit der politischen und militärischen Situation zu sehen, sondern auch mit dem Reformationsjubiläum (vgl. G. M E H N E R T , Kirche und Politik, S. 4 8 - 5 6 ) . Auf der anderen Seite darf man den politischen Kontext auch nicht übersehen. Wenn A. HAKAMIES in seiner Analyse des Begriffes der „Eigengesetzlichkeit" nach kantianischem Einfluß bei Holl fragt (Eigengesetzlichkeit, S. 58), so ist eine solche Gegenüberstellung natürlich systematisch relevant. Aber eine einseitige „geschiehtslose" Betrachtungsweise ist natürlich verfehlt. Eine solche rein systematische Darstellung bietet in noch höherem Maße W. BODENSTEIN (Theologie Karl Holls).
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Verteidigung für die nationale Sache und nicht nur die persönliche Willkür des Fürsten. Von daher betont Hirsch die Verdienste Luthers, der von der Sittlichkeit gesprochen habe, die der loyalen und pflichttreuen Teilnahme des Untertanen am gerechten Krieg entspringe. Gerade dieser Sittlichkeit bedürfe es in dieser Stunde, im Jahre 1917 also: „In den Krieg soll ein ganzer bittrer Ernst gelegt werden." 22 Für Hirsch stimmt gerade der beherzte, unbedingte, heroische und opferwillige Einsatz mit dem lutherischen Sittlichkeitsprinzip überein. An einer anderen Stelle, wo es um den Verteidigungskrieg geht, hält es Hirsch für erforderlich, Luthers Sicht von ihrem zeitgeschichtlichen Hintergrund aus auf die neuen Verhältnisse zu übertragen, die von den modernen Staaten geprägt sind. Hirsch geht von dem deutsch-französischen Krieg 1870-71 aus und stellt fest: Ein Staat kann in seinen Existenzmöglichkeiten so sehr bedroht sein, daß dies allein schon die Anwendung von Krieg berechtige. Deutschland sei also berechtigt gewesen, offensiv das Elsaß einzunehmen, auch wenn Hirsch ausdrücklich feststellt, der Krieg habe als französische Aggression begonnen. Sein Grundsatz ist deshalb: „Der allein berechtigte Staatszweck ist der allein berechtigte Kriegszweck." 22 Dies bedeutet, übertragen auf die Verhältnisse zur Zeit der Abfassung des Artikels, daß Hirsch noch immer meinte, die berechtigten Forderungen des deutschen Volkes würden mißachtet, und dies in einem solchen Maße, daß er sich ganz und gar hinter den U-Bootkrieg gestellt und der Partei der Annexionisten angehört haben muß; diese lehnten einen Frieden, der nur auf einer sogenannten „Verständigung" beruhen sollte, in Wirklichkeit aber „Verzicht- und Schmachfriede" sei, ab und forderten stattdessen einen „Siegfrieden" 23 .
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Luthers Gedanken über Staat und Krieg, Sp. 178. * Ebd., Sp. 179. M Hierin war Hirsch noch immer mit Holl einig, der am 4. 2. 1917 an Schlatter schrieb: „Nun ist es mit dem U-Bootkrieg losgegangen. Ich habe aufgeatmet. Gott gebe es, daß es uns zum Heil führt" (R. STUPPERICH, Briefe, S. 221; vgl. auch K. HOLL, Ges. Aufs. III, S. 303). Vgl. auch die Mitarbeit Holls in der Deutschen Vaterlandspartei sowie seine Unterschrift unter das antiparlamentarische Plädoyer vom 22. 7. 1917, kurz vor der Juli-Krise also, bei der Reichskanzler Theobald v. Bethmann Hollweg zum Rücktritt gezwungen wurde und die Sozialdemokraten und das Zentrum eine Friedensresolution verabschiedet hatten. Das Plädoyer trat demgegenüber für nationale Konzentration und die Fortsetzung des Krieges ein, - ein anschauliches Beispiel von theologisch begründetem Annexionismus (vgl. G. BRAKELMANN, Protestantismus, S. 56 f.; Text des Plädoyers ebd., S. 123-125). Hirsch war ein großer Bewunderer der eigentlichen Hintermänner des Maximalannexionismus, Admiral Alfred v. Tirpitz und General Erich Ludendorff (vgl. K. SCHWABE, Wissenschaft und Kriegsmoral, S. 95-101; G. MEHNERT, Kirche und Politik, S. 57 ff.).
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d) Die letzte Phase des Krieges und die Novemberrevolution Die innerdeutsche Situation führte immer mehr dazu, daß sich das politische Engagement Hirschs darauf konzentrierte, die Sozialdemokratie zu bekämpfen. Dies geschah auf drei Ebenen: 1. Die sozialen und wirtschaftlichen Probleme. Unter den Problemen, die der Krieg für die Heimatfront mit sich gebracht hatte, machte auf Hirsch vor allem die Wohnungsnot Eindruck. Er war voller Zorn über die schlimme wirtschaftliche Spekulation vor allem in Berlin, die für die in Not geratenen Familien große, auch moralische Probleme mit sich brachte. Die Ursache der Misere sah er in der schamlosen Grundstücksspekulation, die durch die starke Inflation nicht wegzuerklären war. Ganz wie Geismar meinte Hirsch eine Lösung in der „Bodenreformbewegung" finden zu können. Unter direkter Berufung auf den leitenden Theoretiker dieser Bewegung in Deutschland, Adolf Damaschke (1865-1935), trat er dafür ein, daß Grund und Boden nicht länger Spekulationsobjekt sein dürften, sondern daß der Staat sich engagieren und das Allgemeinwohl berücksichtigt werden müsse. Es ist jedoch symptomatisch, daß die treibende Kraft für das Engagement Hirschs die Probleme der Soldaten waren, die aus dem Kriege zurückkehrten. Für ihn war die „Kriegerheimstättenbewegung" nur ein schwacher Ausdruck der Dankbarkeit, die diesen Soldaten gebührte. Das soziale Gewissen Hirschs war also recht einseitig entwickelt, und dieses Plädoyer für eine Sozialisierung von Grund und Boden blieb nur eine Episode, hervorgerufen durch die besonderen Verhältnisse des Krieges. Sie war ohne weitreichende politische Konsequenzen wie bei Geismar, der die staatliche Einziehung der Zinsen von Grund und Boden forderte. - Daß dies so ist, zeigt auch die Schlußbemerkung der Schrift „Deutsche Zukunft", in der Hirsch als Hauptargument für seinen Vorschlag anführt, daß dies den Sozialdemokraten den Wind aus den Segeln nehmen werde. Im Übrigen sei diese Frage der Kriegerheimstättenbewegung von weit größerer Bedeutung für die Zukunft der Nation als die Fragen nach Wahlrecht und Demokratisierung 24 . M Sp. 9. - K. HOLL hielt sich in seiner Kritik an der Sozialdemokratie vor allem an den abgestumpften Materialismus, der seiner Meinung nach mit den wirtschaftlichen Forderungen verbunden war. Der produktive Arbeitseinsatz sollte nicht so einseitig in den Vordergrund gestellt werden, denn alles komme doch auf die schöpferischen Gedanken der Führer an. Deshalb könne der dialektische Materialismus auch die tiefsten Kräfte der geschichtlichen Entwicklung nicht erschöpfend erklären, es komme vielmehr auf den „geistigen Gedanken" und die religiösen Kräfte an (Ges. Aufs. III, S. 508; vgl. auch Kleine Schriften, S. 67). Vgl. hierzu auch G. SCHNEIDER-FLUMES Darstellung der Sozialismuskritik bei Hirsch (Politische Theologie, S. 74-81).
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2. Demokratie. Der Machtwechsel während des Krieges war für Hirsch wie für die übrigen Nationalkonservativen nicht nur ein zufälliger politischer Fehlgriff. Er ebnete vielmehr den Weg für die Spaltung, die das Volk in zwei Teile zerriß und - dies war die verhängnisvollste Wirkung - die Kriegskraft in der entscheidenden Phase des Krieges schwächte. Hirschs Aufruf zu nationaler Sammlung unter dem Kaiser kann unter dem Eindruck der Kriegsmüdigkeit und der nationalen Zerrissenheit nur als verkrampfte Starrheit angesehen werden. Noch im Frühjahr 1918 konnte er die Hoffnung auf den Sieg verkünden: „Trotz unserer Zagheit und Unentschlossenheit, trotz unserer zahllosen Torheiten stehen wir da mit der Aussicht auf einen glänzenden Sieg. Aber die entscheidende Antwort auf unser Wagen hat Gott uns noch nicht gegeben." 25 Noch am 21. Oktober 1918, also vierzehn Tage vor Kriegsende, rief Hirsch zu einer letzten Kraftanstrengung unter dem Kaiser auf in der Hoffnung, dieser könne die letzten Reserven mobilisieren und den Versuch des englisch-amerikanischen Weltimperialismus verhindern, mit Hilfe eines Weltgerichts als sogenannter unparteiischer Instanz Deutschland noch tiefer in den Abgrund zu stürzen 28 . Hirsch meinte, daß gerade die Situation von 1918 die Unzulänglichkeit der Demokratie beweise. Sowohl die eigenmächtige und sakrosankte staatliche Selbstgenügsamkeit des Absolutismus wie auch die verschwommene Identifikation des Staates mit der Summe der einzelnen Bürger im Demokratismus lehnte er ab und forderte stattdessen eine machtvolle Staatsführung, die Sonderinteressen und kleinliche Minderheiten in die Schranken weisen und den Kriegswillen aufrechterhalten könnte. Deshalb lehnte er die Demokratie ab und bekannte sich zu Monarchie und „Beamtentum". Der preußische Obrigkeitsstaat stand nach seiner Meinung in voller Übereinstimmung mit dem reformatorischen Sittlichkeitsprinzip und der reformatorischen Staatsauffassung 2 7 . Ein 1 5 Pazifismus, Sp. 5. - Zu den politischen und kirchlichen Auseinandersetzungen nach Kriegsende vgl. E. NOLTE, Faschismus, S. 375-385; H . HEIBER, Republik von Weimar, S. 13 f f . ; W. ZOELLNER, ökumenische Arbeit, S. 9 f f . ; J . WRIGHT, Über den Parteien, S. 11-23, 66 ff., 103 f f . ; K . SCHOLDER, Kirchen I, S. 3 f f . M Pazifismus, Sp. 80. Hier hat Hirsch unterstrichen, daß Deutschland auf eine Fortsetzung des Krieges nicht verzichten könne: „Der künftige Krieg, den der Völkerbund verhindern soll und wohl auch verhindern wird, wenn wir es zum Völkerbund kommen lassen, ist der Befreiungskampf des deutschen Volkes, das jetzt zerstückelt und ins Elend gestoßen werden soll." Vgl. ähnliche Aussagen
bei M . GRESCHAT, P r o t e s t a n t i s m u s ,
S. 2 4 - 2 7 ;
G.
MEHNERT,
Kirche
und
Politik,
S. 68, vor allem Anm. 108. 2 7 Vgl. Luthers Gedanken über Staat und Krieg, Sp. 180; Demokratie und Christentum, S. 59; Deutschlands Schicksal, S. 149 f.; vgl. auch K . HOLL, Ges. Aufs. III, S. 160.
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demokratischer Staat sei im wirtschaftlichen Wettbewerb zudem ohnmächtig und könne nicht einmal die sozialen Ziele verwirklichen, die er sich gesetzt habe: „Je demokratischer heute ein Staat ist, desto abhängiger pflegt er von den großen wirtschaftlichen Geldmächten zu sein, desto weniger hat man soziale Gerechtigkeit von ihm zu gewärtigen. Die christliche Liebe, die auch im Geringsten den Bruder sieht, wird sich darum gerade gegen ein demokratisches Regiment wehren. Die Freiheit, die der Staat jedem seiner Bürger geben soll, besteht in sehr viel realeren Dingen als in Stimmzetteln besonders großen Formats." 2 8 3. Krieg und Pazifismus. Stärksten Anstoß nahm Hirsch jedoch an den Beziehungen der Sozialdemokratie zum internationalen Pazifismus. In seinen Augen war der Krieg ja nicht nur notwendige Selbstverteidigung, sondern er setzte auch moralische Kräfte frei, die ihm eine geistige Berechtigung verliehen. Die weltgeschichtliche Entwicklung werde, stellt Hirsch fest, stets den Bruch zwischen den zynischen chauvinistischen Weltmächten und den kleineren Völkern erleben. Würde man nur lediglich den Status quo einfrieren, um mit allen Mitteln den Krieg zu vermeiden, so würde man nicht nur eine ungerechte Machtverteilung zementieren, sondern man würde der Geschichte auch ihr edelstes und faszinierendstes Inzitament nehmen: die sittlichen Kräfte, die in der Regel in einem jungen aufstrebenden Nationalstaat freigesetzt würden. Hirsch denkt hier natürlich an Deutschland vor der Reichsgründung: „Es ist kein geschichtlicher Zufall, daß die Schöpferkraft des menschlichen Geistes in jungen aufstrebenden Nationalstaaten stets am stärksten, in Weltreichen stets am kümmerlichsten sich offenbart hat." 2 9 Krieg, wo er im Sinn eines machtvollen Volkswillens geführt wird, birgt in sich die Frage nach dem Sinn geschichtlicher Entwicklung und ist gerade damit eine Frage nach Gott. Den Ausgang eines Krieges kann Hirsch deshalb nicht als Zufall hinnehmen, sondern versteht ihn als Anwort Gottes. Der Krieg enthüllt, in welchem Maße die an ihm teilnehmenden Staaten die inneren Eigenschaften und die göttliche Berufung besitzen, die sie zu ihren Machtambitionen berechtigen 30 . Auf dem Hintergrund dieses Verständnisses des göttlichen Rechts und der Notwendigkeit des Krieges wundert es nicht, daß Hirsch seine Argumentation in der ihm eigentümlichen Schwülstigkeit abDemokratie und Christentum, S. 59. Pazifismus, Sp. 8. > 0 Ebd., Sp. 34. Vgl. auch K. HOLL, Ges. Aufs. III, S. 162 f., 303, 313, 324, 353 f. und 363 f.; Kleine Schriften, S. 66 und S. 96. Zu Hirschs eigenem Verständnis vom Wesen des Krieges vgl. besonders Deutschlands Schicksal, S. 9 3 - 1 0 9 . 88 M
5
Schjsrring, Geismar/Hirsch
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schließt: „Es geht um das köstlichste und stolzeste Vorrecht, das Gott überhaupt verleihen kann - um die Vollmacht, einem Stück menschlichen Lebens als gebietender geistiger Wille den Stempel seiner Eigentümlichkeit aufzudrücken." 3 1 Der alldeutsche Maximalannexionismus erscheint daher bei Hirsch niemals als machtgieriger Imperialismus, sondern ist religiös-idealistisch verbrämt. In seiner Haltung zum Krieg standen Holl und Seeberg Hirsch am nächsten, und auf sie beruft er sich auch, wenn er von der sittlichen Kraft spricht, die der Krieg hervorbringe. Diese Kraft beruhe aber darauf, daß das Gottesverhältnis lebendig bleibe. Während des Krieges werde einem die Neigung genommen, Gott nur als Garant der etablierten Ordnung anzusehen; Gott werde stattdessen in seiner Souveränität offenbar: „Er zeigt uns, daß er unergründlicher, lebendiger Wille ist, der sich nicht berechnen und begreifen läßt, der allewege Neues schafft auf wunderliche Weise. Er zerbricht alles falsche Vertrauen auf Einrichtungen und Gesetze und schafft so Raum für das echte Vertrauen, das Vertrauen zu seinem väterlichen Herzen." 3 2 Hirsch legte seine Positon dar in einer Haltung und mit einem Vokabular, in dem nahezu göttlicher Absolutheitsanspruch anklingt. Der Pazifismus war nie eine wirkliche Anfechtung für ihn, er war nur der Antipode, den es zu widerlegen galt, um die eigene Auffassung in einem noch glänzenderen Lichte erscheinen zu lassen. Die übliche religiöse Begründung des Pazifismus aus der Bergpredigt war für Hirsch theologisch unwahr; denn die Worte der Bergpredigt gelten nicht unmittelbar dem Staate. Im Staat muß für Hirsch alles nach Rechtsnormen für die sündigen Menschen, die das Bild der Gesellschaft tatsächlich beherrschen, geordnet werden. Die unbedingte Liebesforderung richtet sich dagegen an den Einzelnen, sofern er als Glaubender dem unsichtbaren Reich Gottes angehört. Ein religiös begründeter Pazifismus und Sozialismus stellt deshalb eine theologisch unzulässige Vermischung von Weltreich und Gottesreich dar 3 3 . Pazifismus, Sp. 33. Ebd., Sp. 35; vgl. auch oben Anm. 30; zu Seeberg vgl. G. BRAKELMANN, Protestantismus, S. 243-246; W. PRESSEL, Kriegspredigt, S. 205-207. Für Hirsch, Holl und Seeberg stand das Erlebnis der zunehmenden inneren Spaltung, wo gemäßigte, demokratische Theologen wie Harnack, Troeltsch, R a d e u. a. für eine vernünftige Verhandlungspolitik nach außen und demokratische Reformen nach innen eintraten, in einem flagranten Widerspruch zu dem nationalen Zusammenhalt vom August 1914. Zu Seebergs Beziehungen zum nach Osten gewandten Imperialismus, zur „Intellektuelleneingabe" und seiner führenden Mitarbeit im „Unabhängigen Ausschuß für einen deutschen Frieden" vgl. F. FISCHER, Griff nach der Weltmacht, S. 199 f.; K . SCHWABE, Wissenschaft und Kriegsmoral, S. 70 f f . und 170. 31 32
33
Pazifismus, Sp. 36, vgl. Sp. 6 - 8 ; vgl. auch K . HOLL, Ges. Aufs. III, S. 163;
Entwicklung und politisches Engagement bei Hirsch
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Der Pazifismus ist für Hirsch aber nicht nur ein theologischer Irrtum, er ist auch ein großes politisches Blendwerk. Die Forderung nach einer internationalen Rechtsordnung, die in einem unparteiischen überstaatlichen Weltgericht mit Kontrollvollmachten beruht und in der sich die Demokratien in freier Selbstbestimmung entfalten, ist illusionär. Jeder Realist müsse einsehen, daß die Weltmächte immer ihren Willen durchsetzen könnten, daß die demokratischen Staaten den wirklich starken Kapitalinteressen gegenüber machtlos seien und daß der naive Glaube an ein oberstes Weltgericht lediglich den Lügenkampagnen und dem Machtzynismus uneingeschränkte Möglichkeiten gebe34. Es ist klar, daß die Revolution vom November 1918 und die militärische Kapitulation auf Hirsch wie ein Schock gewirkt haben müssen. Diese Ereignisse änderten jedoch seine Idealvorstellungen, die er seit August 1914 vertreten hatte, in keiner Weise. Der August 1914 blieb vielmehr der „stolzeste Augenblick in unserer Geschichte", das Ereignis, an dem er sich in seiner Auseinandersetzung mit dem neuen politischen Geist orientierte. Deshalb empörte es ihn, daß die neuen Machthaber nun im Jahre 1919 die Proportionen völlig verkehrten, die Vergangenheit diffamierten und gleichzeitig ein leuchtendes Bild von der Zukunft zeichneten35. In Wirklichkeit trug für Hirsch gerade der Sozialismus mit seiner Affinität zum internationalen Pazifismus eine entscheidende Mitschuld an dem nationalen Zusammenbruch. Der Geist der Revolution führe nämlich zu einer Spaltung, die den Patriotismus seit Anfang des Krieges untergraben habe, und zu innerer Zersetzung; er Brief an Schlatter vom 28.12.1914 (R. STUPPERICH, Briefe, S. 217 und 220); Kleine Schriften, S. 121 f. 34 Vgl. Pazifismus, Sp. 1-5; namentlich Sp. 5 f.; vgl. auch K. HOLL, Ges. Aufs. III, S. 162 ff.; V. AMMUNDSEN, Krig og krigsforende Kristne, S. 68 (Obersetzung eines Artikels R. Seebergs von 1914). ss Rauschgeist, S. 40-42; vgl. Deutschlands Schicksal, S. 110 ff. Im Zusammenhang mit Hirschs Zustimmung zu den Männern, die hinter der Dolchstoßlegende standen, gibt es zwar keinen direkten Anhaltspunkt dafür, daß Hirsch mit dem Berliner Hofprediger Bruno Doehring direkt in Verbindung stand, der von W. PRESSEL als der Hauptverantwortliche für diese Legende genannt wird. Aber W. PRESSEL hat darin Recht, daß er Hirsch mitverantwortlich macht für die „ideologische Verklärung" des Krieges, die von antidemokratischer und nationalprotestantischer Seite die Weimarer Republik untergrub (Kriegspredigt, S. 26-28; über Doehring ebd., S. 278 ff. und 303 ff.; über die Mitverantwortung Hirschs ebd., S. 158 f. und 302 f., Anm. 33). Dagegen ist W. PRESSELS sonst treffende theologische Würdigung der Dolchstoßlegende als eines Alibis für die Kriegstheologie nach 1918, was Hirsch und Holl anbetrifft, wohl doch zu wenig nuanciert: „Da die Kriegstheologie vom Zorn Gottes nichts wußte, konnte für sie die Schuld am Zusammenbruch nicht bei Gott, sondern nur beim deutschen Volk selbst liegen" (ebd., S. 294 f.). 5*
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sei ein verfehlter Versuch der Solidarität nach außen. Das vaterlandslose Proletarierbewußtsein entziehe dem einzigen Mittel zu einer Rettung den Boden: dem festgefügten Nationalstaat. Hirsch Schloß sich also in allen Punkten der „Dolchstoßlegende" an. Es war für ihn schon schlimm genug, daß die sozialistischen Forderungen zu nichts führten. Hirsch war der Uberzeugung, die Aufhebung des Eigentumsrechts werde alle zu farblosen Staatsfunktionären machen, eine rigorose Aufhebung aller sozialen Unterschiede dem Leben viel von seinem geistigen Reichtum nehmen. Zwar sei eine gewisse Sozialisierung notwendig, sie müsse aber in einem angemessenen Verhältnis zum Recht und zum Eigentum des Einzelnen stehen. Gerade eine solche notwendige kunstvolle Balance und Synthese („ein schöpferischer Akt von individuellem Charakter") zeige, daß rein materielle Lösungen an sich nicht helfen. Denn schlimmer als die konkreten politischen Fehler und Illusionen sei, daß die einseitige Konzentration auf die mechanischen und wirtschaftlichen Kräfte den Blick von dem ablenke, worauf es im Grunde ankomme: einer Wiederbelebung der natürlichen Ordnungen. Und eine solche Erneuerung durch den „Gemeingeist" könne nur als Kraft des unsichtbaren Gottesreiches kommen. Die geistige Durchdringung sei die elementare Triebkraft der Geschichte, eine Erkenntnis, die der Diesseitigkeit des Sozialismus von vornherein verschlossen bleibe 36 . Hirsch betonte nun aber den Unterschied zwischen dem sozialistischen Regime in Deutschland und dem sowjetischen Bolschewismus. Der letztere stelle nämlich die unverhüllte, militante, lebenzerstörende Gottlosigkeit dar, deshalb sei der Kampf gegen ihn nicht nur christlich legitim, sondern geboten. Der deutsche Sozialismus gründe zwar in dem Irrtum des demokratischen Parlamentarismus, daß er die Gesamtheit des Volkes repräsentiere, und die Machtübernahme im November werde einer nachträglichen Überprüfung durch die Prinzipien der lutherischen Lehre von der Obrigkeit nicht standhalten. Trotz der offenbar schädlichen Wirkungen aber sei dieses Regime die rechtmäßige Obrigkeit, ein Aufstand gegen sie sei deshalb abzulehnen 37 . 3 8 Vgl. vor allem Deutschlands Schicksal, S. 116-125. Andere Angriffe gegen den Sozialismus: Glossen zu einem Modebuch, S. 171-174; Was die Liebe tut, S. 192 f. - Vgl. die mehr resignierende Reaktion Holls auf die Situation nach 1918 in den Briefen an Schlatter vom 17. 11.1918 und 1 . 1 . 1 9 1 9 (R. STUPPERICH, Briefe, S. 224-227); Ges. Aufs. III, S. 505 ff., bes. S. 510. Holl hat aber „Deutschlands Schicksal" ausdrücklich gelobt (Ges. Aufs. I, S. 155). Vgl. dazu auch Thurneysens Bemerkungen an Barth im Schreiben vom 3 1 . 1 0 . 1 9 2 3 (K. BARTH/E. THURNEYSEN, Briefwechsel II, S. 195). 57
Rechtmäßige Obrigkeit, Sp. 115-119. Zu den protestantischen Haltungen zur
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Die einzige Lösung lag für Hirsch in der Wiederbelebung des christlich inspirierten Nationalstaates. Hirsch behauptete, daß die nationale Aufgabe weit wichtiger sei als das viele Reden von der Völkerversöhnung und dem Abbau der sozialen Gegensätze. Eine religiöse Läuterung der politischen Ideen werde zu dem einzig tauglichen Mittel führen: die politischen Probleme einer kritischen Prüfung unter dem Prinzip der religiösen Sittlichkeit zu unterziehen 38 . Ein so verstandener Nationalstaat werde nicht der demokratischen Machtaskese verfallen, die jegliche Tatkraft lähme. Er sollte von geeigneten Männern geleitet werden, die die Gabe hätten zu führen und Initiative zu ergreifen, und die auch die dazu erforderliche Freiheit hätten. Dann werde die Ohnmacht der Demokratie jedem deutlich vor Augen stehen. Diese Erkenntnis wandte Hirsch nun konkret auf die politischen Verhältnisse an, aber er brachte sie auch in eine übergeordnete Geschichtsphilosophie ein, deren angestrebte Ausarbeitung er als einen Beitrag zur nationalen Erhebung betrachtete. Die Vorstellung eines religiös begründeten Nationalstaates war von Anfang an mit der Uberzeugung verbunden, daß das deutsche Volk in dieser Hinsicht eine Sonderstellung einnehme. In seiner Kritik am Pazifismus hatte Hirsch als grundlegende theologische These hervorgehoben, daß es notwendig sei, zwischen dem Reich der Welt und dem Reich Gottes, zwischen der politischen Gemeinschaft, die auf dem Rechte beruhe, und der unsichtbaren Gemeinschaft der Liebe zu unterscheiden. Diese Unterscheidung versah er jedoch mit einer sehr bewußten Einschränkung: Die von einem Volk getragene nationale Gemeinschaft stelle nämlich eine Art religiöses Vorstadium dar 3 9 . Hirsch glaubte an die Sonderstellung des deutschen Volkes, weil hier das Ideal der Persönlichkeit wie auch die philosophische Tradition in ganz besonderer Weise von einem christlichen Gewissen geprägt seien. Diese Überzeugung war der eigentliche Grund dafür, daß Hirsch seinen nationalen Trotzoptimismus hinsichtlich der Uberlebenschancen des deutschen Volkes unerschütterlich bewahrte: „Unser Herz und Gewissen ist besser gebildet und vorbereitet, um das, was das Evangelium zu sagen hat, zu empfangen. Wir durften Christen werden, ohne jeden tief schmerzRevolution vgl. auch Deutschlands Schicksal (Einleitung); G. MEHNERT, Kirche und Politik, S. 93 f f . ; K . SCHOLDER, Kirchen I, S. 3 f f . 3 8 Die notwendige Vertiefung, vor allem S. 238; vgl. Rechtmäßige Obrigkeit, Sp. 119. Hirschs Einstellung war also ganz die der D N V P (vgl. G. MEHNERT, Kirche und Politik, S. 139 ff. und 147). Hirsch fühlte sich noch immer ganz in Übereinstimmung mit Holl, was er auch in seiner Besprechung des ersten Bandes von Holls Gesammelten Aufsätzen unmißverständlich zum Ausdruck brachte (Luther und der deutsche Geist). 5 9 Pazifismus, Sp. 8.
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liehen Bruch mit allem, was dem eigenen Volke groß und heilig ist, vollziehen zu müssen. Keinem Heidenchristentum aber bleibt dieser Bruch erspart." 40 Daß die sozialdemokratische Machtübernahme de facto bedeutete, daß Deutschland seinen Feinden wehrlos auf Gnade und Ungnade ausgeliefert war, war Hirsch sogleich deutlich. Deshalb kam der Versailler Vertrag für ihn nicht überraschend. Er bestätigte ihm, daß das Schicksal des deutschen Volkes mit der gebrochenen Widerstandskraft seit dem Sommer 1917 entschieden war, und daß die Feinde, allen voran die englische Weltmacht, unter schön klingenden Worten vom Völkerbund nichts anderes im Sinne hätten als ihre eigene Machtposition zu behaupten und die deutsche Nation niederzuhalten. Für Hirsch war das Joch, das Deutschland mit dem Vertrag auferlegt wurde, gleichbedeutend mit einer Existenzbedrohung für die Nation: Die Souveränität wurde stark beschnitten, denn die Entente sollte bestimmen, inwieweit Deutschland aufrüsten dürfe, außerdem wurde ihm ein der Eigenart des deutschen Volkes widersprechender demokratischer Parlamentarismus aufgezwungen. Wirtschaftlich war man fremdem Einfluß ausgeliefert. Die nationale Lage faßte Hirsch deshalb so zusammen: „Ententekolonie mit stark beschränkter Selbstverwaltung. - Und mit ungeheuerlicher Tributpflicht." 41 Dies war für Hirsch an sich schon katastrophal genug. Die Grundlage für das weitere Bestehen Deutschlands als selbständiger Nation drohte zu schwinden. Ein Nationalstaat, der zudem jung war und noch längst nicht die ihm innewohnenden Möglichkeiten verwirklicht hatte, konnte sich nicht entwickeln, wenn er nicht selbst über die politischen Prinzipien seiner Entwicklung bestimmte und ihm die Existenzgrundlage des Volkes geraubt wurde. In allem sah er Feinde Deutschlands: angefangen bei England mit seinen im Utilitarismus begründeten Weltmachtsambitionen, über den illusionistischen internationalen demokratischen Pazifismus bis hin zum russischen Bolschewismus. All dies bedeutete für Hirsch sowohl eine politische Bedrohung wie eine ideologische Gefahr, die alle nationalen Werte über den Haufen zu werfen drohte. Die Voraussagen Oswald Spenglers (1880-1936) drohten Wirklichkeit zu werden. Aber wie dunkel sich auch die Aussichten darstellten, Defätist wurde Hirsch nie. Sein Vertrauen in die Werte, die in Volk und Nation verborgen waren, war so tief verwurzelt, daß er von der Möglichkeit überzeugt war, daß sich das Volk aus dieser mißlichen Lage befreien könne. In diesem Zusammenhang verstand er seine Geschichtsphilosophie als einen wichtigen Beitrag zur Erlangung dieses Zieles, 40 41
Ein christliches Volk, S. 166. Deutschlands Schicksal, S. 142.
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denn sie sollte zur Erkenntnis der Kräfte führen, mit deren Hilfe die Deutschen allein imstande wären, die Herausforderung anzunehmen. Darüber hinaus gab er einige praktische Vorschläge, die in diese Richtung weisen könnten: Man solle sich weigern, an die Theorien Spenglers zu glauben, und den Staat heilig halten. Der Staat müsse seine Funktionstüchtigkeit wiedergewinnen. Wenngleich Hirsch eigentlich die Monarchie wieder herbeiwünschte, weil die Autorität des Kaisertums und die Macht des Beamtentums in der Bismarckzeit für ihn das gesundeste System darstellten, fand er sich doch mit der Gegebenheit der neuen politischen Verhältnisse ab. Aber auch auf ihrer Grundlage seien Verbesserungen denkbar, betonte er. Das wichtigste sei, daß der Staat seinerseits mehr Autorität und Tatkraft entfalte, daß die Staatsführung auf Kosten des Reichstages mehr Vollmachten erhalte und daß die Bürger ihrerseits auf die Mentalität des nur Forderns, des Egoismus und der Respektlosigkeit verzichteten. Gesetz und Ordnung seien eine unerläßliche Bedingung für eine nationale Heilung, Opferwille sei eine wichtige Hilfe. Arbeitsdienst könne viele allgemeinnützige Initiativen ermöglichen: „Im Reichsarbeitsjahr hätten wir wieder eine Schule der Staatsgesinnung, ein Band der Reichseinheit". Auch durch die Urbarmachung bislang landwirtschaftlich ungenutzter Gebiete, durch energiepolitische Maßnahmen wie Ausnutzung der Wasserkraft und erhöhte Kohleproduktion könne man viel erreichen. Alles in allem meinte Hirsch also, daß ein gemeinsamer Opferwille, ein nationales Selbstbewußtsein trotz aller Drohungen von innen und von außen, eine weiter bestehende kulturelle und wissenschaftliche Spitzenposition und nicht zuletzt erhöhte Charakterstärke, die auf dem Gottesglauben beruhe, die Nation vor dem Untergange bewahren könnten 42 . e) Die Geschichtsphilosophie als Beitrag zur nationalen Erhebung Die Persönlichkeit ist nach Hirschs Uberzeugung charakterisiert durch das Gewissen als eine Instanz, die eine dialektische Verbindung von Gottes Forderung mit der gegebenen Umwelt vermittelt. Dem entspricht, daß eine adäquate Staatsphilosophie das notwendige Gleichgewicht zwischen der eschatologischen Jenseitigkeit des Reiches Gottes und der gegebenen Gesellschaft in all ihrer Relativität und Sündigkeit zu respektieren hat. Es besteht also eine Dialektik zwischen absoluter Idealität einerseits, die sich jedoch in der Geschichte zu erkennen gibt, und dem Rahmen andererseits, in welchem menschliches Handeln sich vollzieht. Hirsch liegt alles daran, die Dialektik dieser Beziehung im Auge zu behalten, um zwei naheliegende Fehler 42
Vgl. ebd., S. 149-154.
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zu vermeiden: Wenn nämlich die natürlichen Ordnungen - ob es sich um eine bestimmte Gesellschaftsordnung handelt oder im kleineren Rahmen um die Familie - als gottgewollt hingestellt werden, ist die Gefahr der Dämonisierung gegeben, da Unheil und Unordnung ja nicht ausgeschlossen sind. Wenn andererseits die Radikalität der göttlichen Forderung so einseitig betont wird, muß man einem quietistischen oder utopischen Denken verfallen. Diese Dialektik hat auch eine angemessene Geschichtsphilosophie zu berücksichtigen, die die Prinzipien der Identität der einzelnen Nationen und die Gültigkeit und Durchschlagskraft ihrer Ideen ergründen will. Die Geschichtsphilosophie macht deutlich, daß Hirsch die Prinzipien der Erkenntnistheorie, der Ethik, der Religionsphilosophie und der Staatstheorie in einer Gesamtschau zusammenbringen wollte. „Jede Deutung der Wirklichkeit durch das autonome Denken ist notwendig verankert ein einem unmittelbar Persönlichen - dem Gewissen, der Gesinnung - und zum Wesen des Gewissens gehört es, daß es sich versteht als in bestimmter Weise auf das Ewige bezogen." 43 Das aber heißt wiederum, daß Luther in den Augen Hirschs den Rahmen einer politischen Ethik in einer solchen Weise abgesteckt hat, daß sie unlöslich mit Luthers Entdeckung des innersten Wesens des Christentums zusammenhängt. Dies bedeutet nun für die Geschichtsphilosophie Hirschs, daß Luthers Dialektik zwischen Evangelium und Gesellschaft als Kriterium einer jeglichen Beurteilung politischer und gesellschaftlicher Systeme gilt. In diesem Zusammenhang zweifelt Hirsch keinen Augenblick daran, daß die deutsche Tradition in unmittelbarster Kontinuität zum reformatorischen Erbe steht. Es gilt aber auch, daß die Einsicht der deutschen Nation in ihre eigene Identität und die philosophische Verarbeitung dieser Einsicht im deutschen Idealismus der Einsicht in diese lutherische Dialektik den Weg bereitet hat. Die Geschichtsphilosophie kann nun den Doppelcharakter des Geschichtsverlaufs „als ein konkretes Ineinander irdisch-natürlichen Lebens mit ethisch-religiösem"44 berücksichtigen. Hirsch betonte die Notwendigkeit, dem Nationalstaatsgedanken eine religiöse Dimension zu geben. In gleicher Weise behauptete er auch den theistischen Charakter seiner Geschichtsauffassung. Dies bedeutet nicht, daß er eine Heilsgeschichte sui generis konzipierte oder einer dualistischen Betrachtungsweise huldigte, sondern er wollte Gott als 43 Reich-Gottes-Begriffe, S. 3. Vgl. auch die Parole: „Menschheitsgeschichte und Gottesgedanke gehören notwendig zusammen" und die folgenden Ausführungen (Deutschlands Schicksal, S. 14 ff.). 44 Ebd., S. 62.
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die unsichtbare, geheimnisvolle Triebkraft in der Geschichte ansehen45. Dieser Theismus war weiter die Voraussetzung dafür, daß Hirsch die menschlichen Handlungen in ihrer rechten Perspektive in Bezug auf die ewigen Realitäten zu sehen bemüht war. Man kann mit G. Schneider-Flume hier völlig zu Recht von einer „Ethisierung" der Geschichte sprechen und dies mit dem Dezisionismus der zwanziger Jahre in Verbindung bringen 46 . Für Hirsch würde sowohl ein evolutionistisches als auch ein positives Geschichtsverständnis die eigentliche Dynamik der Geschichte übersehen: Jeder einzelne Augenblick enthält für ihn eine Herausforderung, in Freiheit das sittliche Prinzip zu verwirklichen, die Geschichte ist der Schauplatz für die große Auseinandersetzung zwischen Gut und Böse. Der Entscheidungscharakter des Daseins darf uns jedoch nicht dazu verführen, die Gebundenheit des Gewissens an das Ewige zu vernachlässigen. Es geht um ein angemessenes Gleichgewicht zwischen dem individualistischen Moment, der Entscheidung des Einzelnen, und dem allgemeinen, universellen Moment, der Schicksalsgemeinschaft in einer sittlichen Gemeinschaft, die auf der Gebundenheit an die ewigen Realitäten beruht 47 . Hirsch benutzte nun die Vorstellung vom Gottesreich als Maßstab für die neuere Geistesgeschichte Deutschlands, Englands und Frankreichs und versuchte unwiderleglich nachzuweisen, daß die Grundlage der Tradition deutschen Denkens den Prinzipien entspreche, die einer recht verstandenen Geschichtsphilosophie zugrunde lägen. Das Problem stellt sich für Hirsch so: Die Vorstellung vom Reich Gottes enthält sowohl eine eschatologische Jenseitsdimension als auch die Dimension vorborgener Gegenwart und unsichtbarer Macht über das Gewissen. Angesichts des Säkularisierungsprozesses in ganz Europa in den letzten beiden Jahrhunderten gilt es nun zu untersuchen, wo das dialektische Gleichgewicht zwischen präsentischer Gegenwart und eschatologischer Transzendenz sich am besten hat halten können, und welche Konsequenzen eventuelle Verschiebungen des Gleichgewichts mit sich gebracht haben. Hirsch sah das für Deutschland augenfälligste Charakteristikum in der allgemeinen Neigung zu Vertrauen und Zuversicht gegenüber der verborgenen Majestät Gottes sowie in dem grübelnden Willen, die widersprüchliche Wirklichkeit unter dem Gesichtspunkt des Absoluten zu verstehen. Dies habe sich zwar nicht in einer kontinuier45 Ebd., S. 14 und S. 19-25; Reich-Gottes-Begriffe, S. 27. Hierzu vgl. G. SCHNEIDER-FLUME, Politische Theologie, S. 16 f. 4 » Ebd., S. 24. " Deutschlands Schicksal, S. 48, 57 und 62.
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liehen Reihe unmittelbar religiöser Beiträge zur Geschichte der Philosophie und der Staatstheorie niedergeschlagen, aber noch bei dem Skeptiker Nietzsche zeige sich die Durchschlagskraft dieser Tendenz, auch wenn er sie zu dementieren versuche48. Auf der Grundlage der Beiträge Kants und Fichtes zur Aufrechterhaltung der grundlegenden Unterscheidung konnte Hirsch nun die Prinzipien der deutschen Staatslehre so zusammenfassen: „Die wahrhaft sittliche Gemeinschaft ist etwas Geistig-Unsichtbares, das da wurzelt in Gott. Sie kann durch das in bestimmten Organisationen geformte äußere Leben nicht geschaffen und nicht verwirklicht, wohl aber vorbereitet und geschützt werden. Und sie muß ihrerseits als eine an den Willen der Menschen schaffende und bildende Macht gegenwärtig sein, wenn auch nur die äußeren Lebensformen im rechten Sinne verwaltet werden sollen."49 Es fällt auf, daß Hirsch nie andere und neuere positive Belege anführte als Fichte, wenn man einmal von den Bekenntnissen zum preußisch-patriarchalischen Beamtenstaat der preußischen Monarchie und zur Kriegsideologie absieht. Dies kann nur so verstanden werden, daß Hirsch der Meinung war, daß die nationalprotestantische Politik seiner Zeit, für die er selbst eintrat, in einem inneren ungebrochenen Zusammenhang zur idealistischen Tradition stand. In England bestand für Hirsch ein eindeutiger Zusammenhang zwischen der calvinistischen Tradition und der Vorherrschaft der Nützlichkeitsmoral und des positivistischen Denkens. Hirsch sah eine grundlegende Kontinuität zwischen Hobbes, Locke und Spencer insofern, als bei ihnen allen eine Abwertung der Funktion des Eschatologischen als eines Korrektivs stattfindet, denn sie alle postulieren mit der absoluten Autorität des Evangeliums die Ubereinstimmung ihrer Staatslehre mit dem Evangelium. Das Ergebnis dieses Denkens liegt für Hirsch darin, daß die ethischen Ideale zu einer bloßen Widerspiegelung eines bürgerlichen Moralkodexes herabgewürdigt werden. In weltpolitischer Hinsicht führe dies zu einem deutlichen Opportunismus, wenn England in Ubereinstimmung mit seinen weltimperialistischen Ambitionen den demokratischen und pazifistischen Ideen den Charakter absoluter Moralvorschriften verleihe. Uber das positivistische Persönlichkeitsideal hinaus münde das in einen außenpolitischen Machtchauvinismus ein. Theologisch-ethisch galt für Hirsch: „Die moralisierende Verherrlichung, die hier einer bestimmten Art, das soziale Leben zu ordnen, zuteil wird, muß das 48
Reich-Gottes-Begriffe S. 3 f.; Deutschlands Schicksal, S. 9 ff. Reich-Gottes-Begriffe, S. 24, bes. auch S. 22-28; Deutschlands S. 49 ff. 48
Schicksal,
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sittliche Empfinden verwirren, die ethischen Begriffe verflachen und veräußerlichen. " 50 Frankreich stellte für Hirsch mit seiner Traditon von Rousseau bis zu dem Frühsozialisten St. Simon einen dritten Lösungsversuch dar. Hier habe Rousseau die Antinomie zwischen der empirischen Gesellschaftsordnung und den Idealen der Sittlichkeit aufgezeigt. Seine Ansätze zu einem möglichen Ausweg, die Verwirklichung der Brüderlichkeit in dem gegebenen Kontext, seien von St. Simon aufgenommen in dessen Forderung nach der Verwirklichung des Gottesreiches. Ideologisch gesehen handele es sich um eine totale Säkularisierung des Gottesreiches. Politisch seien die Fehler dieselben wie im späteren voll ausgebauten Sozialismus: Die Aufhebung des Eigentumsrechts und die Lehre vom Mehrwert seien nur schlecht getarnter Egoismus, zudem nicht zu praktizieren, denn sie ließen keinen Raum für die Initiative dynamischer Führer. Der Pazifismus als Prinzip einer internationalen Rechtsordnung führe zur Anarchie 51 . Es ist zu beachten, daß die Polemik Hirschs gegen Frankreich nicht annähernd so heftig ausfiel wie die gegen England. Das änderte sich freilich, als er den französischen Zynismus in der Erfüllung des Versailler Vertrages, besonders im Hinblick auf das Ruhrgebiet, bemerkte. Der zentrale Begriff der politischen Ideen und der Geschichtsphilosophie Hirschs ist der der „lebendigen Gerechtigkeit". In diesem Begriff ist erstens zum Ausdruck gebracht, daß sich die Gerechtigkeit nicht in einem bestimmten empirischen politischen System oder in einer Anzahl historisch bedingter Lebensregeln kodifizieren läßt, sondern daß er nur existiert in einer dynamischen Anpassung an die geschichtlichen Bedingungen auf der Grundlage verantwortlicher Menschen, die dem Rufe ihres an Gott gebundenen Gewissens folgen. Zweitens bedeutet dieser Begriff, daß kein empirisches Recht den Staatsbegriff determinieren kann. Vielmehr ist die Autorität des Staates unantastbar, wobei es jedoch gleichzeitig Aufgabe des Staates ist, einen Rahmen für eine Rechtsordnung zu schaffen, die Verwirklichung dieser Rechtsordnung zu fördern und ihre Einhaltung notfalls mit Gewalt zu gewährleisten. Das Verhältnis zwischen Staat und Recht wird also vom Gedanken der lebendigen Gerechtigkeit her bestimmt, eine Auslegung, in der sich Hirsch auf die Zwei-Reiche-Lehre 50 Reich-Gottes-Begriffe, S. 8-12, Zitat S. 11; vgl. Deutschlands Schicksal, S. 87, S. 99 und 127. Vgl. auch G. SCHNEIDER-FLUME, Politische Theologie, S. 89 f. E. TROELTSCH hat die angewandte Geschichtsphilosophie in seiner Rezension von „Reich-Gottes-Begriffe" sehr scharf angegriffen (ThLZ 48, 1923, Sp. 23). 51 Reich-Gottes-Begriffe, S. 12-19. Zu der weiter ausgeführten grundsätzlichen Kritik am Sozialismus und Pazifismus, namentlich an Tolstoi, vgl. Deutschlands Schicksal, S. 109 ff.
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Luthers und Fichtes Unterscheidung zwischen Recht und Sittlichkeit beruft 52 . Drittens legitimiert der Begriff der lebendigen Gerechtigkeit den Krieg als den besten regulierenden Faktor in der geschichtlichen Entwicklung, ja der Krieg wird als äußere Parallele zur Handhabung des Rechts durch den Staat nach innen angesehen. Der Krieg enthält also eine staatstragende Kraft, er ist das einzig taugliche Mittel zur Sicherung und Gewährung der Lebensbedingungen. Deshalb ist der Krieg ein entscheidendes Instrument der lebendigen geschichtlichen Gerechtigkeit 58 . Viertens bedeutet der Begriff, daß die sozialen Unterschiede nicht nur auf die Schöpfungsordnung zurückzuführen sind, sondern als eine Art Instrument für die Vorsehung anzusehen sind, denn sie dienen dazu, dem Leben geistigen Reichtum zu geben, sie sind Inzitamente heroischen Einsatzes. Hirsch betont, daß der Staat als regulierender Faktor wirken müsse, damit das Eigentumsrecht nicht zu gänzlich ungehemmter Ausbeutung führe, und er tritt für ein Gleichgewicht zwischen einer gewissen begrenzten Staatssozialisierung und dem privaten Eigentumsrecht ein. Die theologische Grundaussage besteht jedoch darin, daß die sozialen Ungleichheiten wie auch der Krieg als natürliche Ordnungen gesehen werden, sie sind zwar nicht unantastbar, ihnen wird aber doch der Stempel der „Heiligung" aufgedrückt, wenn sie als Herausforderung von Personen angenommen werden, deren Gewissen sich in der „Rückbindung" an Gott befindet. Diese Form der Verlebendigung natürlicher Ordnungen stellt also keineswegs eine direkte Form der „Eigengesetzlichkeit" dar, aber die „Heiligung" kann doch eine raffiniertere, mehr opportunistische Legitimierung der natürlichen Ordnungen ermöglichen 54 . In dieser Weise führt die Art, in der Hirsch von der lebendigen Gerechtigkeit spricht, zu einer Ethisierung der Geschichte, und zwar in dem Sinne, daß die Ethisierung irrational wird. Der Ruf des einzelnen Menschen zu verantwortlichem Handeln in einem „Entscheidungsleben" geschieht so, daß das Gewissen von den absoluten Forderungen auf die natürlichen Verpflichtungen verwiesen wird. Aber der Entscheidungscharakter wird hypostasiert, und dies ergibt eine Atomisierung der Entscheidungsakte, die mit den Ausdrücken „Dezisionismus" und „Irrationalismus" treffend gekennzeichnet sind 55 .
6 1 Vgl. ebd., S. 64 ff.; Notwendige Vertiefung des Nationalgedankens; G. SCHNEIDER-FLUME, Politische Theologie, S. 68-73. 53 Deutschlands Schicksal, S. 93 ff., bes. S. 101. 54 Ebd., S. 109 ff., bes. S. 122; vgl. auch Reich-Gottes-Begriffe, S. 18 f. 55 Vgl. G. SCHNEIDER-FLUME, Politische Theologie, S. 100 f.; vgl. auch W. PRESSEL, Kriegspredigt, S. 350-360.
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f) Hirschs übrige Studien zur reformatorischen Theologie Es wäre jedoch ein Mißverständnis, alle Studien zur Theologie der Reformationszeit ausschließlich in unmittelbarem Zusammenhang mit der Situation der Zeit zu sehen. Hirschs Hauptwerk über Oslander war nicht in einer eben solchen Weise situationsbedingt wie seine anderen frühen Arbeiten. Mit diesem Werk wollte Hirsch eine dogmengeschichtliche Analyse der verschiedenen Auffassungen der Rechtfertigungslehre im osiandrischen Streit geben. Er hatte jedoch ein deutliches systematisches Interesse daran, gerade die Theologie Oslanders zum Hauptthema zu machen. Die rein forensische Auffassung der Rechtfertigung auf seiten der Melanchthonianer hinderte diese von vornherein daran, das Anliegen Oslanders wirklich zu verstehen. Dies nahm Hirsch nun auf in einem Versuch, die Berechtigung dieses Anliegens zu zeigen, das sich nach seiner Auffassung auf Luther selbst stützen konnte. Oslander habe gezeigt, daß das aktivneuschaffende Moment in der Rechtfertigungslehre nicht eliminiert werden dürfe. Melanchthons einseitiges Verständnis der Imputation habe dagegen „Luthers Rechtfertigungslehre heillos verstümmelt. Er [Melanchthon] glaubte irrtümlich, den Trost unbedingter Vergebung nur dann wahren zu können, wenn er den Blick auf die Endvollengung - auf die angefangene, werdende Gerechtmachung, auf die erneuernde Einwohnung Christi und seiner Gerechtigkeit - aus dem Gefüge der göttlichen Rechtfertigungslehre herausstrich und das dem Glauben des Menschen allein Vorbehaltene, die rückhaltlose Verzeihung und Gerechtmachung, auch zum einzigen Gedanken Gottes beim Rechtfertigungsakt machte" 56 . In der Studie über Nietzsche und Luther ging es Hirsch darum aufzuzeigen, wie Nietzsches Verarbeitung lutherischer Gedankenrudimente zu ethischem Skeptizismus und Nihilismus entarten konnte. Hirsch wollte außerdem betonen, daß Nietzsche damit die Wirkkraft des lutherischen Ethos in der Tradition des deutschen Denkens nicht widerlegt habe. Eine nähere Analyse zeige vielmehr, daß Nietzsche auf vielen Gebieten von lutherischen Gedanken polemisch bestimmt sei. Dies gelte ζ. B. für den Prophetenbegriff, wo Hirsch der dionysischen Schilderung Nietzsches in Zarathustra ein paulinisch-lutherisches Verständnis gegenüberstellte, um nachzuweisen, daß das Denken Nietzsches auf einer tiefgreifenden Verarbeitung gerade Luthers beruhe. Im Laufe der Untersuchung finden sich wiederum auch Ausfälle gegen den Utilitarismus mit Belegen aus den Werken Nietzsches, wobei dieser Angriff als Parallele zu der Polemik Luthers gegen die eudämonistische katholische Frömmigkeit dargestellt wird 57 . M
Oslander, S. 228.
57
Nietzsche und Luther, vor allem S. 192-197.
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Geismar und Hirsch haben sich erst nach 1921 kennengelernt, dennoch mag es angebracht sein, schon hier ihre Auffassungen kurz mit einander zu konfrontieren. Das Jahr 1921 ist natürlich nicht als eine feste Grenze zu betrachten. Es stellt dennoch in gewisser Weise eine Zäsur dar, weil beide bis in diese Zeit mit der theologischen Verarbeitung der Eindrücke des Ersten Weltkrieges beschäftigt waren. Erst nach 1921, als beide Professoren wurden, traten diese Eindrücke mehr in den Hintergrund, die Auseinandersetzung mit der dialektischen Theologie mehr in den Vordergrund. Gemeinsam ist beiden die Intention, das Christentum durch eine theonome Gesinnungs- oder Gewissensethik als kulturellen Faktor geltend zu machen. Dabei schöpfen beide aus der idealistischen Tradition, sie wenden sich kritisch gegen den Dogmatismus und die vielen Formen der Diesseitigkeitsmoral, von der sie sich beide umgeben sehen, und die beide als Abschwächung oder gar Beseitigung der christlichen Moral verstehen. Von ihrem Ansatz her wollen sie also ganz parallel eine Gewissensethik entwerfen, die zwar theonom fundiert ist, die aber an der am Gewissen orientierten natürlichen Idealität festhält. Der gemeinsame theologische Standort hat aber, wie wir gesehen haben, zu einer sehr unterschiedlichen politischen Praxis geführt. Dies hängt zunächst mit dem ganz gegensätzlichen gesellschaftlichen Hintergrund zusammen. Geismar konnte als Beobachter im neutralen Dänemark die Lage kritisch beurteilen, ohne sich Gefahren auszusetzen, die mit denjenigen etwa eines Deutschen vergleichbar waren, der sich gegen den Militarismus und die Kriegstheologie sträubte, und vor allem ohne daß er dermaßen stürmischen Auseinandersetzungen über die Grundsätze der politischen Hauptpositionen ausgesetzt war. Die politischen Risiken seines Standortes waren relativ harmlos, wie leidenschaftlich er die Entwicklung auch selbst verfolgt hat. Eine im großen und ganzen unumstrittene parlamentarische Demokratie und eine ebenso einhellige außenpolitische Neutralität waren für ihn selbstverständlich. Ein entscheidender Unterschied zwischen den beiden Positionen liegt in der sachlich gesehen sehr verschiedenartigen Begründung politischer Ethik und den daraus folgenden unterschiedlichen Konsequenzen für die praktische Politik. Geismars Betonung der Sündigkeit des Menschen führt zu einer theologisch begründeten Kulturkritik, einer starken Betonung der Unvermeidlichkeit von Pflichtkollisionen und einer grundsätzlichen Skepsis gegenüber einer unmittelbaren Materialisierung ethischer Prinzipien. Darüber hinaus aber ist Geismars Ansatz durch seine
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zwanzigjährige kirchliche Tätigkeit gekennzeichnet. Seine Darstellung auch rein philosophischer Sachverhalte ist oft von einem Ton geprägt, der sich bis zum moralischen Appell steigert. Für ihn kann die Theologie ihre Identität erst durch Nachweis einer greifbaren ethischen Effizienz behaupten. Auf diesem Hintergrund muß es gesehen werden, daß der systematisch-theologische Standort Geismars in vieler Hinsicht fließend und unklar wird. Die moralisierende Apologetik, das Zwangsgefühl, die Verkündigung müsse sich durch Beihilfe zur Genesung der Gesellschaft legitimieren, wirkt oft wie ein Verstoß gegen die angestrebte Differenzierung. Die Vorherrschaft des Moralisierens, was allerdings mit dem Kern des Ethisierungsprogramms zusammenhängt, wird in den zwanziger Jahren noch mehr ins Blickfeld rücken. Die zuweilen unbeholfene Verschwommenheit wird auf dem Hintergrund der dann entstehenden Herausforderungen um so auffallender. Theologisch wie auch politisch strahlt Hirsch dagegen eine Leidenschaft aus, über die man nicht hinwegsehen kann. Gleichzeitig bietet seine Intellektualität nicht nur Schärfe und Konsistenz, sondern auch eine fruchtbare Vielseitigkeit; das alles verleiht seinem Denken einen ganz anderen Charakter als dem Geismars. Bei Hirsch gibt es gar nicht die Möglichkeit einer ungestörten Besinnung. Sein politisches Engagement wird schlagartig wachgerufen; die Rolle eines Beobachters oder Schiedsrichters kommt für ihn gar nicht in Frage. Vielmehr äußert er sich hektisch, ja fast atemlos zum Geschehen des Weltkrieges, so daß es bald einer ideologischen Verklärung des Krieges gleichkommt. Seine Aussagen sind dabei geprägt von einer Haltung eines christlichen Absolutheitsanspruches: politische Fragen erhalten den gleichen Rang wie theologische Grundaussagen. So führt die politische Theologie Hirschs - trotz seiner Betonung der notwendigen Dialektik des Gottesreiches und der damit verbundenen Problematisierung der Ethik - zu eindeutig christlich begründeten Antworten auf die ethische Herausforderung, die im Kriege und in den sozialen Problemen liegen. Sein Reden von der „Heiligung" modifiziert dies nicht, sondern verstärkt diese Tendenz. Sie ist nämlich im Grunde nur eine Leerformel, deren wichtigste Aufgabe es ist, die konkreten Aussagen einer jeglichen rationalen Diskussion zu entziehen, indem sie mit dem Schein göttlicher Dignität umgeben werden. Darin ist Hirsch klar und konsequent. Seine politischen und theologischen Anschauungen in den dreißiger Jahren, wie überhaupt die Verbindung von Politik und Theologie, sind also wesentlich in seiner frühen Entwicklung vorgezeichnet.
Kapitel 2 DIE B E K A N N T S C H A F T Z W I S C H E N H I R S C H U N D GEISMAR U N D I H R GEGENSEITIGER EINFLUSS I N D E N ZWANZIGER JAHREN 1. Die Theologie Geismars a) Zur allgemeinen politischen, geistigen und theologischen Situation Die letzten Kriegsjahre hatten auch in Dänemark große wirtschaftliche Schwierigkeiten mit sich gebracht, die noch in den Nachkriegsjahren anhielten. Die Spannung erreichte um Ostern 1920 ihren Höhepunkt. Die Unruhe mußte natürlich zu Verschiebungen im politischen Gleichgewicht führen, weil sich eine lange Reihe von Problemen gleichzeitig zuspitzten: Unruhe auf dem Arbeitsmarkt, die Haltung zum Ergebnis der Volksabstimmung in Nordschleswig, vor allem die Enttäuschung bei vielen darüber, daß Flensburg nicht „heimgekehrt" war, außerdem die Diskussion über eine Änderung des Wahlrechts sowie der Wunsch nach einer weiteren Demokratisierung des Grundgesetzes. Zu den ernstlichen wirtschaftlichen kamen die vielfältigen außenpolitischen Probleme, die mit der Gründung des Völkerbundes und den Entwicklungen in Deutschland und Rußland verbunden waren. Nach einer hektischen Periode heftiger politischer Unruhe, die auch die Rolle des Königs im politischen Spiel betraf, wurden Wahlen ausgeschrieben, bei denen die liberale „Venstre" siegte und nun die bisherige radikalliberale Regierung ablöste 1 . Der Krieg hatte den Export teilweise lahmgelegt, und das hatte sogleich zu einem fühlbaren Einkommensverlust nicht zuletzt im Agrarexport geführt. Wegen des Mangels an Rohstoffen kam es weiter zu Unruhe in der Industrie. Dazu traten noch die allgemeine Warenknappheit, stark inflatorische Tendenzen, die Einführung von Lebensmittelkarten, Unruhe auf dem Devisenmarkt mit fallendem Wert der Krone und eine allmählich ernste Arbeitslosigkeit, die in den schlimmsten Zeiten bis zu 20-30 % betrug. Einige Mitglieder der Venstre-Regierung vertraten im Hinblick auf den Inlandsmarkt wie auf den Außenhandel eine konsequent libera1
Vgl. dazu T.
FINK,
Geschichte, S. 196 ff.; S.
TÄGIL,
Deutschland, S. 5-17.
Theologie Geismars
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listische Wirtschaftspolitik, aber mehrere Minister neigten zu Kompromißlösungen, die u. a. die sozialen Ungerechtigkeiten berücksichtigten. Einige der handgreiflichsten Folgen der regulierenden staatlichen Eingriffe waren die Gründung vieler tausend Staatshöfe im Gefolge der Bodenreform von 1919 sowie die Errichtung von Arbeitslosenkassen im Jahre 1921. Dennoch waren die Unruhe und Unzufriedenheit vor allem unter den Arbeitern und auf dem äußersten linken Flügel noch immer sehr groß. In dieses bunte politische Bild gehört auch eine Diskussion über die Grundlagen der Politik, die sich nicht zuletzt auf die Frage konzentrierte, wie groß der Einfluß des Staates zu sein habe, inwieweit also staatlicher Protektionismus den Liberalismus zu begrenzen habe. Zu den wirtschaftlichen Überlegungen kamen die Probleme, die sich aus dem nach dem Versailler Vertrag gegründeten Völkerbund ergaben. Der Zusammenhalt zwischen den nordischen Ländern, die im Kriege alle eine neutrale Haltung eingenommen hatten, wurde in diesen Jahren gestärkt, denn es herrschte Ubereinstimmung, daß die Stellung der neutralen Länder im Hinblick auf künftige Konflikte nicht zufriedenstellend definiert war; doch die nordischen Länder schlossen sich dem Völkerbund an. Die Entwicklung gab in allen Ländern pazifistischen Strömungen Auftrieb. So führte eine Übereinkunft der dänischen Parteien über die Verteidigungspolitik im Jahre 1922 zu einer Schwächung der Verteidigungsbereitschaft, dies mißfiel vor allem den Konservativen. Aber der antimilitaristische Druck von radikalliberaler und sozialdemokratischer Seite wurde dadurch nur um so stärker. Als im Jahre 1924 aufs neue Wahlen abgehalten wurden, siegten die Sozialdemokraten, die liberale Venstrepartei ging fühlbar zurück, die Konservativen und die Radikalliberalen nahmen etwas zu. Schon in den Kriegsjahren waren revolutionäre sozialistische Strömungen aufgetreten, und die Sozialdemokratie mußte sich ernsthaft mit syndikalistischen und kommunistischen Gruppen auseinandersetzen, die in die Gewerkschaftsbewegung einzudringen versuchten und aus der heftigen Unruhe auf dem Arbeitsmarkt Kapital schlagen konnten. Die Sozialdemokratie legte sich auf eine eindeutig reformistische und parlamentarische Linie fest, und bei der Wahl von 1924 erhielt die neugegründete kommunistische Partei nur einen verschwindend kleinen Anteil der Stimmen. Der georgeistische „Retsforbund", der sich 1924 zum ersten Mal zur Wahl stellte, und den Geismar unterstützte, blieb ebenfalls eine ausgesprochene Randgruppe. Zwar gelang es der Partei 1926 mit knapper Not, im Parlament vertreten zu sein; politischen Einfluß hatte sie aber kaum, obwohl sich die Georgeisten in der Diskussion kräftig bemerkbar machten und sich in ihrer Über6
Schjerring, Geismar/Hirsch
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Bekanntschaft zwischen Hirsch und Geismar in den zwanziger Jahren
zeugung eindeutig durch die chaotischen wirtschaftlichen Verhältnisse bestätigt fühlten 2 . Die erste sozialdemokratische Regierung war nur von verhältnismäßig kurzer Dauer, sie hatte auch keine großen Möglichkeiten, ihre wichtigsten Programmpunkte zu verwirklichen, vor allem weil das „Landsting", die zweite Kammer, eine massive bürgerliche Mehrheit hatte. Die Wahl von 1926 brachte dann die liberale Venstrepartei wieder an die Regierung. Auch diesmal aber kamen die liberalistischen Gedanken nicht zum entscheidenden Durchbruch, und 1929 gab es wieder einen sozialdemokratischen Wahlsieg. Dies war der Beginn einer langen Periode des Aufstiegs für die Sozialdemokraten in den dreißiger Jahren. Ihre tragende Gestalt war Ministerpräsident Thorvald Stauning (1873-1942), der zunächst auf die Unterstützung der Radikalliberalen angewiesen war, später aber mit absoluter Mehrheit regieren konnte. Tendenzen im Geistesleben der zwanziger
Jahre
Im Vergleich zu der verhältnismäßig einfachen Frontstellung am Ende des 19. Jahrhunderts waren die Nachkriegsjahre von einer vielschichtigen geistigen Auseinandersetzung geprägt. Deshalb waren die Gegensätze auch nicht von vornherein festgelegt - auch nicht was das Verhältnis zwischen Christentum und Kultur anging. Es ist fast unmöglich, eine summarische Darstellung der Tendenzen in den zwanziger Jahren zu geben, die für Geismars Auffassung von Kultur und Gesellschaft besonders relevant waren. Einige Tendenzen lassen sich jedoch andeuten. Man kann nicht sagen, daß der Brandesianismus schon ganz abgedankt hatte. Georg Brandes schrieb sein Buch „Sagnet om Jesus" (Die Sage von Jesus), das die biblische Uberlieferung endgültig als religiösen Betrug entlarven wollte. Aber dieses Buch besaß nicht mehr die Durchschlagskraft und die Qualität seiner früheren Veröffentlichungen und fand deshalb auch nicht mehr dieselbe Beachtung. Heffding lebte als allseits hochgeachteter Emeritus, der nicht mehr als eine Bedrohung der christlichen Kulturtradition angesehen wurde. Als ein Beispiel für den Abbau der Fronten sei genannt, daß Geismar ein besonders gutes Verhältnis zu dem auch in Deutschland bekannten Edvard Lehmann hatte, einem ausgesprochenen liberalen Religionshistoriker. Vertreter der jüngeren Generation jedoch führten die darwinistische Tradition weiter und propagierten eine biologistische Welt!
Vgl. E. GEISMAR, Hvorfor jeg er Retsstatsmand; K. KOLDING, Danmarks Retsforbund, S. 64-120.
Theologie Geismars
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anschauung. Dies gilt in erster Linie für den Dichter und späteren Nobelpreisträger Johannes V. Jensen (1873-1950), aber auch eine Reihe von jüngeren Dichtern standen in der naturalistischen Tradition und waren stark religionskritisch eingestellt. In diesem Zusammenhang war für Geismar die Auseinandersetzung mit dem Philosophieprofessor Jorgen Jorgensen (1894-1969) von besonderer Bedeutung; Jorgensen war Anhänger einer rein biologischen Sicht des Daseins und begründete seine Religionskritik mit einer marxistischen Gesellschaftslehre. Für eine andere Gruppe von Dichtern war das Christentum eine geistesgeschichtliche Größe, auf die man mit einer gewissen Wehmut zurückschaute, die aber doch als eine antiquierte Weltanschauung betrachtet wurde. Sie wandten sich aber andererseits auch gegen den Kommunismus, um dann oft bei einem Desillusionismus zu landen, der alle handfesten Antworten ablehnte und statt dessen nach neuen Orientierungen suchte. Einer der wichtigsten Repräsentanten dieser Gruppe war der Dichter Tom Kristensen (1893-1974). Es gab jedoch in den zwanziger Jahren auch eine Tendenz zu einer expressionistischen Naturreligiosität, die in kirchlichen Kreisen oft als eine Renaissance einer christlich begründeten Kultursynthese gedeutet wurde 8 . Ein christlicher Beitrag zur Kultur muß im Zusammenhang mit Geismar noch kurz erwähnt werden, nämlich der Dichter und Pfarrer Kaj Münk (1898-1944), der am Ende seiner Studienzeit stark von seinem Lehrer Geismar beeinflußt war und ihn stets sehr verehrt hat. Seinem ersten Schauspiel „En Idealist" (Ein Idealist) von 1926 gab Münk das Leitmotiv, das Geismar von Seren Kierkegaard übernommen hatte: „Die Reinheit des Herzens ist, Eines zu wollen."4 Im Verlauf der zwanziger Jahre zeichnet sich eine deutliche Tendenz zu einer sozialistischen Literatur ab, meist in Form von naturalistischen Schilderungen der Situation des Proletariats. Viele junge Sozialdemokraten argumentierten jedoch ebenfalls für eine sozialistische Kultur, so der spätere Unterrichtsminister Hartvig Frisch (1893-1950). Mit der ständigen Tendenz zur Verbürgerlichung der sozialdemokratischen Partei ging diese sozialistische Kulturauffassung jedoch immer mehr vom linken Flügel der Sozialdemokratie auf kommunistische Religionskritiker wie Martin Andersen Nexo (1869— * Einige der dänischen neureligiösen Schriftsteller stellte Hirsch vor in ThLZ 50, 1925, Sp. 169-173 sowie in Zeitwende 1, 1925, S. 249-163. Vgl. auch den Nekrolog Geismars über Lehmann (Gads danske Magasin, 1930, S. 263 ff.); R. Bultmanns Rezension der deutschen Ausgabe von Brandes' Jesus-Buch (abgedruckt in K. BARTH/ R . BÜLTMANN, B r i e f w e c h s e l , S. 2 2 4 - 2 2 6 . 4
6·
Vgl. K. MÜNK, Foraaret saa sagte kommer, S. 318 f.; Ansigter, S. 104-110.
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1954), Hans Kirk (1898-1962), Otto Gelsted (1888-1968) und Poul Henningsen (1894-1967) über, von denen die drei letztgenannten in der Zeitschrift „Kritisk Revy" (1926-28) eine Reihe von programmatischen religionskritischen Artikeln schrieben. Diese Schriftsteller schlossen sich im Verlaufe der Weltwirtschaftskrise zu einer Gruppe zusammen, die mit ähnlichen Strömungen in Deutschland in direkter Verbindung stand und ein entscheidender Faktor im Kulturkampf der dreißiger Jahre wurde. Ein weiterer wichtiger Problemkreis in der allgemein geistigen Diskussion war die Änderung der Normen, die sich in der Auffassung von der Rolle der Frau, der Ehe, der Schwangerschaftsverhütung, der Sexualität usw. vollzog. Durch die Verfassungsänderung von 1915 hatten die Frauen gleiches Wahlrecht erhalten, aber die gesellschaftlichen Verhältnisse verhinderten vorläufig ihre Integration in das Produktionsleben. Gleichzeitig wurde diese ganze Problematik zum Zankapfel in einer leidenschaftlichen Diskussion über die Grundlage der Moral. In diesem Zusammenhang war es von großer Bedeutung, daß jetzt eifrig für sexuelle Aufklärung und Liberalität, Zugang zu Verhütungsmitteln und die Möglichkeit eines Abbruchs der Schwangerschaft argumentiert wurde. Die Arbeiten Freuds über das Unbewußte wurden übersetzt, die Psychoanalyse wurde heftig diskutiert und von linksradikalen Persönlichkeiten des Kulturlebens aufgegriffen. Hier bahnte sich also ein Kampf gegen den althergebrachten Moralkodex der christlichen Ethik an, und dies alles wird bei Geismar deutlich reflektiert 5 . In diesen Jahren begannen auch umfassende wissenschaftliche Untersuchungen über Kierkegaard und die große Edition seiner Tagebücher. Unter den Kierkegaard-Forschern waren vor allem Peter Andreas Heiberg (1864-1926) und Anders Björn Drachmann (1860-1935), die in der Tradition Brandes' und Heffdings standen, Antipoden Geismars. Als Beispiel dafür, wie heftig diese Konfrontation sein konnte, sei ein privater Brief genannt, den P. A. Heiberg am 25. April 1926 an Geismar schrieb, als dieser sich gegen den „Kirchensturm" Kierkegaards gewandt hatte: „Ich meine, daß er [Kierkegaard] durch ihn [den „Augenblick"] seine entscheidende christliche Tat geleistet hat und in wunderbarster Weise seine Mission vollendet hat, was ihn selbst mit einem verklärten, unerschütterlichen Frieden und mit Ruhe in der innerlichsten, dankbaren Gottergebenheit erfüllt. - Es ist wahrlich nicht Soren Kierkegaard, der hier gesprengt ist. - Wenn ich nun diese meine Sicht der Dinge Ihnen hier verraten habe, so denke ich, daß es nun Ihnen genauso deutlich werden muß 5 Vgl. K R I T I S K R E V Y ( H . Kirk: Kan Danmark afkristnes?; O . Gelsteds Gedicht „Urreligion" ; P. Henningsen, Pornografiens paedagogiske vaerdi).
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wie mir selbst: alle weitere Seren Kierkegaard-Diskussion zwischen uns ist ausgeschlossen."6 Die Studien Heibergs und Drachmanns beruhten auf psychologischer Analyse, und diese Linie wurde in den dreißiger Jahren von dem Psychiater Hjalmar Heiweg (1886-1960) weitergeführt, der sich vor allem mit der angeblichen manisch-depressiven Veranlagung Kierkegaards beschäftigte. Auch die beiden Philosophen Frithiof Brandt (1892-1968) und Jens Himmeistrup (1890-1967) standen der Kierkegaarddeutung Geismars fern6". Dagegen ist zu erwähnen, daß Geismar auf der Studie V. Ammundsens über den jungen Kierkegaard und die kleine Monographie C. Kochs (1860-1925) als den sachlichen, „kirchlichen" Voraussetzungen aufbauen konnte. Die theologische
Situation
Das Gefühl der Krise und der allgemeinen Auflösungserscheinungen, das sich bei Geismar mit dem Erlebnis des Ersten Weltkrieges als einer epochalen Wende verband, hinterließ deutliche Spuren bei einer langen Reihe von Kirchenmännern und Theologen, die an der ethischen Evidenz und dem moralischen Impuls des Christentums festzuhalten versuchten, wobei sie sich in ihren Ansätzen aber sehr voneinander unterschieden. In dieser Sicht kann man wohl die akademisch-theologische und kirchliche Diskussion der Zwischenkriegszeit zusammenfassen unter der Uberschrift: „Die ethische Durchschlagskraft des Christentums." Aber trotz dieses gemeinsamen Nenners sind doch die Unterschiede in Nuancen, die Komplexität, ja auch die Gegensätze nicht zu übersehen. Die kirchliche Entwicklung dieser Jahre ist dadurch gekennzeichnet, daß sich die großen Erweckungsbewegungen im großen und ganzen nicht erneuerten, weder hinsichtlich ihres Selbstverständnisses noch hinsichtlich ihrer Funktion im gesellschaftlichen Zusammenhang der Zwischenkriegsjahre 7 . Zwar führte der Eindruck der gesellschaftlichen Krise und der dialektischen Theologie bei Knud Hansen (geb. 1898), der bald bei Kaj Thaning (geb. 1904) Unterstützung fand, zu einer Kritik des althergebrachten Grundtvigianis8
R A KOPENHAGEN, N G B d . 1 ( ü . ) .
·* Vgl. A. HENRIKSEN, Methods and Results, S. 42-46; 67-89 (Heiberg); S. 45 f. und 56 f. (Drachmann); S. 92-108 (Brandt); S. 114-126 (Heiweg); S. 131-137 (Himmeistrup). 7 Vgl. dazu P. G. LINDHARDT, Den danske kirkes historie, Bd. VIII; N. H. S0E, Dansk teologi; V. AMMUNDSEN, Geschichte, S. 55-58.
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mus, dem Hansen und Thaning kirchliche Selbstgenügsamkeit und gesellschaftlich-soziale Gleichgültigkeit vorwarfen. Aus der heftigen Diskussion in den dreißiger Jahren entstand dann das, was man später den „Tidehvervsgrundtvigianisme" (Grundtvigianismus der Zeitenwende) nannte, eine Kombination der dänischen Version der dialektischen Theologie mit einer Neuinterpretation des Grundtvigschen Erbes. Auch vollzog sich in der Inneren Mission ein deutlicher Generationswechsel, die jüngeren führenden Persönlichkeiten Christian Bartholdy (1889-1976) und Christian Baun (1898-1972) wurden zudem durch die Theologie Barths angeregt. Aber dies führte nicht zu einer Auseinandersetzung innerhalb der Inneren Mission. Die beiden wichtigen kirchlichen Gruppierungen hielten an ihrem herkömmlichen Gepräge fest, welches oft mit einem mehr oder weniger ausgesprochenen politischen Traditionalismus oder gar Eskapismus der gesellschaftlichen Entwicklung gegenüber verbunden war. Die herausragendsten Gestalten innerhalb der Inneren Mission waren die Führer der christlichen Jugendbewegungen, in erster Linie Olfert Ricard (1872-1929), Henry Ussing (1855-1943) sowie die beiden Jüngeren, Svend Rehling (1893-1957) und Gunner Engberg (1882-1951). Bei ihnen hatte die Erweckungspredigt einen modernen, kulturoffenen Zuschnitt mit deutlich amerikanischen Vorbildern. Sie wurden zur Zielscheibe der dialektischen Theologie, und auch bei Geismar machte sich in den zwanziger Jahren eine deutlich antipietistische Tendenz bemerkbar. Unter den Theologieprofessoren waren zwei Kollegen Geismars in konservativer Richtung politisch aktiv: der Exeget Frederik Torm (1870-1953) und der Kirchengeschichtler Johannes Oskar Andersen (1866-1959). Sie unterstützten beide den Wunsch der Inneren Mission nach Sicherung der Bekenntnisgrundlage der Kirche gegen eine liberalistische Aushöhlung. Auch wenn die Kirchengesetze von 1922, die die Demokratisierung der „Volkskirche" im Geiste J. C. Christensens weiterführten, in der Frage des Verhältnisses von Staat und Kirche eine gewisse Klärung gebracht hatten und die Forderung der Radikalliberalen und der Sozialdemokraten nach einer Trennung von Staat und Kirche deutlich schwächer geworden war, so hatten diese konservativen Bestrebungen für eine eigenständige Kirchenverfassung doch eine wichtige psychologische Wirkung, indem sie die Kirche als ein Bollwerk gegen Verfallstendenzen, „die zersetzenden Kräfte der Zeit" erscheinen ließen. Torm war außerdem im christlichen Unterrichtswesen sehr aktiv. Er setzte sich für die Sonntagsschulen ein und kämpfte gegen die immer stärker werdende Forderung von politischer Seite, die kirchliche Schulaufsicht abzulösen und den Religions-
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Unterricht zu entkonfessionalisieren, oder gar - wie einige forderten - ganz abzuschaffen. Ähnliche Tendenzen machten sich in den hochkirchlich geprägten Bemühungen um eine Erneuerung des Gedankens der Kirche geltend. Hier war Carl Immanuel Scharling (1879-1951), der ebenfalls von Barth geprägt war, führend. Geismar wandte sich sowohl gegen konservatives als auch hochkirchliches Denken und ging in seiner Kritik oft von einer Wendung aus, die er von Barth übernommen hatte: „Die trotz aller Blamage immer wieder selbstbewußte Kirche." 8 Eine Reihe von praktischen Auswirkungen der Erneuerung kirchlich-sozialen Zuschnittes sollen hier auch erwähnt werden, denn einige der neuen Initiativen fanden in hohem Maße das Wohlwollen Geismars, so ζ. B. das „Kristeligt Studentersettlement", eine Wohlfahrtsanstalt im ärmsten und volkreichsten Viertel Kopenhagens, und die Sozialarbeit Aage Falk Hansens (1895-1977) unter den Arbeitslosen9. Am wichtigsten jedoch war der „Kristeligt-socialt Forbund" (Christlich-sozialer Verband), der die Zeitschrift „Maalet og Vejen" (Das Ziel und der Weg) herausgab. Auch wenn er in den zwanziger Jahren die theologische Grundhaltung und die politischen Konsequenzen der Bewegung nicht voll teilte, stand Geismar dem Verband sympathisch gegenüber. Starken Zulauf erhielt in diesen Jahren auch die christlich-pazifistische Bewegung, die die Zeitschrift „Freds-Varden" (Die Friedenswarte) herausgab. Es erregte besondere Aufmerksamkeit, daß im Jahre 1930 alle Pfarrer aufgefordert wurden, einen Appell für die Abrüstung zu unterschreiben10. Die treibende Kraft der christlich-sozialen wie der pazifistischen Bewegung war eindeutig V. Ammundsen, der 1923 Bischof in Hadersleben geworden war, gerade wegen der besonderen kirchlichen Probleme im „wiedervereinigten" Nordschleswig. Ammundsen wurde eine der führenden Persönlichkeiten in der Stockholmer ökumenischen Bewegung, wo er besonders in der Minoritätenkommission die Erfahrungen seines Bistums einbringen konnte. Geismar stand diesem ethischen Idealismus und Ernst mit großer Sympathie gegenüber, aber er vermißte einmal grundsätzliche theologische Reflexionen als Schutz vor einem oberflächlichen Amerikanismus, zum andern sah er sich genötigt, gegen konkret vorkommende Vereinfachungen wichtiger ethischer Probleme Einspruch zu erheben. 8
Z. B. Kristendommen og vor Tids Kultur, S. 85. Vgl. E. GEISMAR, Det religiöse. Geismar war Leiter von Studien- und Bibelkreisen mit den Arbeitslosen Falk Hansens (vgl. A A . FALK HANSEN, Ti Aar blandt Arbejdslese, S. 108). 10 G. SPARRING-PETERSEN, ökumenische Mitarbeit, S. 1 8 1 f.; V. AMMUNDSEN, Hvad g0r Kirken, S. 1 2 9 - 1 4 0 ; MAALET OG VEJEN, 1 9 3 0 , S . 3 0 - 3 9 . 9
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Von den übrigen Universitätslehrern seien noch Jens Norregaard (1887-1953) erwähnt, der 1923 Nachfolger Ammundsens auf dem Lehrstuhl für Kirchengeschichte wurde. Norregaard war Spezialist für die Geschichte der Alten Kirche, er war ökumenisch aktiv, aber er artikulierte sich zunächst nicht so prägnant in den anstehenden theologischen Streitigkeiten. Jacob Peter Bang (1865-1936), der 1924 in Pension ging, wirkte mit seinem grundtvigschen Nationalprotestantismus dagegen mehr wie ein Mann vergangener Zeiten, ganz wie auch F. C. Krarup, auch wenn sich beide noch immer lebhaft an der öffentlichen Diskussion beteiligten. Nachfolger Bangs wurde Niels Münk Plum (1880-1957), der theologisch Geismar sehr nahestand, wie auch Hans Fuglsang-Damgaard (geb. 1890), der 1925 seine akademische Tätigkeit aufnahm. Der wichtigste theologische Neuansatz in den zwanziger Jahren überhaupt war eindeutig die dänische Version der dialektischen Theologie, „Tidehverv". Diese Bewegung kann jedoch nicht als Ausgangspunkt für die Theologie Geismars in diesen Jahren gelten; sie ist vielmehr in weitem Ausmaß Ergebnis und Konsequenz der theologischen und kirchlichen Problematik dieser Jahre und auch des theologischen Werkes Geismars selbst, auch wenn sich Tidehverv nach wenigen Jahren sehr scharf gerade gegen Geismar wandte. b) Geismar und die zeitgenössische Theologie Als Geismar sein Amt als Professor für systematische Theologie antrat, war er ganz ungewöhnlich bekannt 11 . Diese Popularität hatte er sich als Redner und Führer in der Studentenbewegung erworben, als Gemeindepfarrer an der Trinitatiskirche und durch seine theologischen Veröffentlichungen, obwohl er keinen akademischen Doktorgrad besaß12. In seiner Antrittsvorlesung zeigte Geismar den Kontext auf, in dem er die aktuelle Aufgabe der systematischen Theologie sah. Die wichtigste Herausforderung sah er nicht mehr in der Religionsfeindschaft, die in seiner Jugend dominiert hatte, sondern in der Tatsache, daß das Christentum in den Erschütterungen der letzten sieben Jahre seine 11 Die Theologiestudenten forderten die Professur für Geismar und sammelten dafür 200 Unterschriften. Hier hieß es u. a. : „Wir sind davon überzeugt, daß Sie durch Ihre großen Gaben als Lehrer imstande sein werden, das wissenschaftliche Interesse der Studenten zu wecken und durch Ihre Persönlichkeit in seltenem Maße ihr Vertrauen zu gewinnen und so für die Studenten zu einem großen Gewinn
z u w e r d e n " ( R A KOPENHAGEN, N G B d . 3 ; ü.). 12 Die wissenschaftlichen Vorzüge Geismars vor den anderen Bewerbern waren für den Berufungsausschuß (Ammundsen, Bang und Torm) entscheidend (ebd.).
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ethische Kraft als das Salz der Erde nicht habe unter Beweis stellen können. Er kündigte an, daß er zunächst die griechische Philosophie und Soren Kierkegaard in philosophischer und theologischer Hinsicht einbeziehen wolle, um sich der Wahrheitsfrage zuzuwenden, die gestellt und beantwortet werden müsse13. In dem ersten wissenschaftlichen Werk nach seinem Amtsantritt „Nogle Taenkeres Syn paa Religion og Moral" (Die Auffassung von Glaube und Moral bei einigen Denkern) versuchte Geismar, seinen theologischen und philosophischen Standort noch näher zu bestimmen. Er bearbeitet in diesem Buch eine Fülle von Material und nimmt Schwerpunkte der angelsächsischen, französischen und deutschen Tradition auf. Besondere Akzente liegen in der Behandlung Pascals, Kants und des deutschen Idealismus, aber auch des englischen Empirismus und der Sozialwissenschaft. Für die Problemstellungen der folgenden Jahre ist es von großer Bedeutung, daß das Hauptanliegen dieses Buches eine kritische Auseinandersetzung mit der idealistischen Tradition ist. Ganz auf der Linie dessen, was Geismar bei Eucken gelernt hatte, erkennt er angesichts des empiristischen Zeitalters zwar dem Idealismus ein gewisses bleibendes Recht zu, weil er die göttliche Seite des menschlichen Seelenlebens hervorhebt, aber dann überwiegt die Kritik des Idealismus und vollzieht sich nun auf zwei Ebenen: einmal habe der Idealismus die Möglichkeiten des menschlichen Erkennens und Handelns überschätzt und damit die Notwendigkeit des „positiven Christentums" relativiert; zum andern stelle er die Geisteshaltung des Bürgertums dar, was besonders die Zuspitzung der politischen Gegensätze der neueren Zeit gezeigt hätte. In diesem Zusammenhang dient Geismar der englische sozial orientierte Theologe und Philosoph Thomas Carlyle (1795-1881) als Vorbild. Aber es ist ganz deutlich, daß Soren Kierkegaard die entscheidende Orientierungshilfe gegeben hat, weil er die einseitigen Lösungsversuche sowohl des Idealismus als auch des Positivismus widerlegt hat und statt dessen auf die Unterlegenheit des menschlichen Lebens und die Paradoxalität des Glaubens hingewiesen hat 14 . Um den richtigen Einstieg in die Religionsphilosophie Geismars zu finden, muß zuvor noch auf zwei weitere Denker hingewiesen werden, die für Geismar von großer Bedeutung waren: der Marburger Religionsphilosoph Rudolf Otto (1869-1937) und der amerikanische Religionspsychologe William James (1842-1910). Ottos Begriff des Numinosum als „tremendum" und „fascinosum" taucht hier wie auch später bei Geismar wiederholt auf. Ebenso wesentlich ist für ihn William James' Unterscheidung zwischen der eingeborenen optimisti13 14
Indledningsforedrag, S. 11 ff. Nogle Taenkeres Syn, S. 128 f.
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sehen (onceborn) Religiosität und der zweigeborenen (twiceborn), tieferen und mehr innerlichen Religiosität, eine Unterscheidung, die Geismar mit deutlichen Anspielungen auf die entsprechende Unterscheidung in der großen Beichtrede als Vorbereitung zum Abendmahl bei Kierkegaard deutet. Obwohl sich Geismar theologisch wie philosophisch vielseitig orientierte, war der Einfluß aus Deutschland doch der wesentlichste. Geismars Hauptanliegen, die Auseinandersetzung mit Seren Kierkegaard, vollzog sich auf dem Hintergrund einer intensiven Beschäftigung mit der deutschen Theologie, vor allem mit Karl Barth, Karl Holl und Emanuel Hirsch. Vor diesen dreien lernte Geismar Hirsch als ersten persönlich kennen, als dieser nach Kopenhagen kam, um unter der Anleitung Geismars Kierkegaard zu studieren. Die Zusammenarbeit wurde jedoch durch die unterschiedliche Beurteilung der aktuellen politischen Situation und verschiedene Auffassungen über die politische Ethik überhaupt nachhaltig gestört. Hirsch hielt sich mit seinen Gedanken, die er in „Deutschlands Schicksal" vorgelegt hatte, nicht zurück, machte jedoch gleichzeitig deutlich, daß Geismar der einzige Ausländer sei, mit dem er sich offen aussprechen wolle15. Da Hirsch bei Geismar offenbar auf hartnäckigen Widerspruch stieß und selbst unnachgiebig blieb, schrieb er am 18. März 1923, man komme wohl in der Frage des Krieges und allem, was mit ihm zusammenhänge, nicht weiter. Gleichzeitig machte Hirsch jedoch deutlich, daß sie wegen ihrer theologischen Übereinstimmung ihre Beziehung beibehalten sollten, wobei er besonders auf die gemeinsame Kierkegaarddeutung und die Christologie hinwi s. Zu diesem Zeitpunkt plante Hirsch gerade, Geismars Artikel über das ethische Stadium bei Soren Kierkegaard ins Deutsche zu übersetzen18. Auch mit anderen deutschen Theologen der sogenannten Lutherrenaissance kam Geismar wegen der ethischen und geschichtsphilosophischen Konsequenzen, die diese Theologen aus dem politischen Zeitgeschehen zogen, in Konflikt. Geismar hatte Paul Althaus (1888-1966) während einer Deutschlandreise 1922 persönlich kennengelernt. Althaus sandte Geismar seinen Vortrag „Staatsgedanke und Reich Gottes", bemerkte dazu, er nehme von vornherein an, daß sie über die Aktualisierung der lutherischen Lehre von der Obrigkeit zutiefst uneinig seien, und fuhr fort: „Ich bekenne ausdrücklich, daß ich an Bismarck viel Lutherisches 18
Diese Frage stellt das Hauptproblem in den vielen und langen Briefen dar, die Hirsch in der Zeit von Ende 1922 bis zum Frühjahr 1923 an Geismar schrieb. Nach meinen Erkundungen sind die Briefe Geismars an Hirsch verlorengegangen. " Vgl. ZsystTh 1, 1923, S. 227-230.
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sehe und in seiner Politik (was nur die Vertiefung in seine Reden zeigen kann) grundsätzlich ein hohes Ethos finde. Aber Sie werden auch wissen, daß mein Standpunkt über Gottes-Reich nicht der einzige ist, der heute in Deutschland vertreten wird. Vielleicht werden Karl Barths Gedanken Ihnen näher liegen. Doch hoffe ich, daß Sie für meine Sätze Verständnis haben werden, und daß unsere Freundschaft die Belastungsprobe dieses Vortrages überdauern wird." 17 Geismars Verbindungen zu Althaus traten später etwas in den Hintergrund. 1929 hielt er jedoch eine Übung über Althaus' „Leitsätze zur Ethik", und in den dreißiger Jahren nahmen beide an den vorbereitenden Gesprächen für die ökumenische Konferenz in Oxford von 1937 über die politische Ethik teil. Noch immer war die Divergenz deutlich, grundsätzlich wie auch in konkreten Fragen, aber beide versuchten, miteinander ins Gespräch zu kommen. Während seines Aufenthaltes in Göttingen im Jahre 1922 war Geismar auch mit Carl Stange (1870-1959) in Verbindung gekommen, und dies führte dazu, daß Geismar in einem Brief vom 8. Januar 1923 von Stange aufgefordert wurde, in die Leitung des Apologetischen Seminars in Wernigerode einzutreten. Geismar muß diese Einladung mit Äußerungen beantwortet haben, die auf die nationalprotestantische Gesinnung Stanges tief kränkend gewirkt haben, denn in einer schroffen Antwort vom 12. Februar 1923 nahm Stange seine Einladung zurück. Er warf Geismar vor, dieser habe sein früher zum Ausdruck gebrachtes Verständnis für die Schwierigkeiten Deutschlands dadurch entwertet, daß er sich unkritisch den unbefugten Anklagen angeschlossen habe, die im Streit um die Kriegsschuld von Seiten der Feinde Deutschlands vorgebracht würden. Diese Behauptungen seien zudem geschichtlich unwahr, und er sehe keine Möglichkeit, über die englische Politik der Einkreisung, die unverhüllte französische Revanchepolitik (es war gerade die Zeit der französischen Ruhrbesetzung) und die russische Expansionspolitik hinwegzusehen. Zu diesem Zeitpunkt fühlte Stange die Wirkungen dieser Politik der Feinde Deutschlands so stark, daß er sich genötigt sah, zu formulieren: „Unter den gegenwärtigen Verhältnissen, wo das wehr17
Althaus an Geismar am 2. 3. 1923 (RA KOPENHAGEN, N G Bd. 1) Althaus' Vortrag erschien im selben Jahr als Broschüre. - In seinen Vorlesungen über die Situation der systematischen Theologie Schloß sich Geismar der LutherTheologie Holls an und behandelte Holl zusammen mit Hirsch, Stange und Althaus. Er sah das große Verdienst von Althaus darin, daß dieser in seiner Ethik in anschaulicher Weise eine methodistische Erfahrungsreligiosität abgelehnt, gleichzeitig aber den Angriff Barths auf jegliche Form von natürlicher religiöser Gewißheit zurückgewiesen habe. Bei beiden verde nämlich verdrängt, was es heiße, daß Christus unter Menschen als der lebendige und gegenwärtige handele (RA KOPENHAGEN, N G B d . 4, S. 4 7 - 4 9 ) .
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lose Deutschland eine allem menschlichen Empfinden Hohn sprechende Vergewaltigung erduldet, ohne daß in den anderen Ländern auch nur eine wirksame Stimme des Protestes sich erhöbe, muß Ihr Urteil selbstverständlich von jedem Deutschen ganz besonders schwer empfunden werden und aufs bestimmteste abgelehnt werden." 18 Während der zahlreichen gegenseitigen Besuche zwischen den theologischen Fakultäten in Kopenhagen und Göttingen wurden die Beziehungen zwischen Geismar und Stange jedoch sehr schnell positiver. Als Geismar sich Ende der zwanziger Jahre vorbehaltlos dem theologischen Programm der Lutherrenaissance anschloß, zählte er Carl Stange mit zu den führenden Theologen dieser Richtung. Die Beziehungen zwischen beiden blieben auch nach 1933 aufrechterhalten, auch wenn sie nun deutlich gespannter waren 19 . Im Gegensatz zu der nationalprotestantischen Auffassung dieser drei Theologen war das Verhältnis Geismars zu Karl Barth nicht durch Uneinigkeit über politische Fragen belastet. Geismar lernte Barth auf der bereits erwähnten Reise im Sommer 1922 kennen, auf der er Verbindung zu deutschen Theologen aufnehmen wollte, die unter dem Einfluß Kierkegaards standen. Außer Barth begegnete er auch Georg Merz und Friedrich Gogarten in München. Die Bekanntschaft mit Barth sollte für Geismar jedoch die wichtigste Rolle spielen20. Dies ist nicht so zu verstehen, daß er nun ganz und gar zu einem Barthianer wurde, aber es gab einen grundlegenden Aspekt der Theologie Barths, dem Geismar sogleich und uneingeschränkt zustimmte, nämlich die Betonung der Diastase zwischen Gott und Welt, von Gottes Nein zu allen menschlichen Versuchen, der Radikalität des Gerichts auszuweichen. Wenn dieses Axiom für Geismar gerade in diesen Jahren so wichtig wurde, dann hatte das sowohl prinzipiell-theologische als auch praktische Gründe. Den erwähnten Hauptgedanken in der Theologie Barths verstand er nämlich von zentralen Gedanken Kierkegaards her, und außerdem sah er, daß dieses Anliegen gerade angesichts der Art und Weise, in der die politische Situation bei den erwähnten lutherischen Theologen reflektiert wurde, von großer Wichtigkeit und Aktualität war. Dieser ganze Zusammenhang wird deutlich ausgesprochen in Geismars Artikel „Christliches Evangelium und Menschheits-Ideale". An Geismar am 12. 2 . 1 9 2 3 (ebd., Bd. 2). Vgl. vor allem Geismars positive Besprechung von Stanges Einleitung in die Dogmatife ( T T 1928, S. 2 6 8 - 2 7 2 ) ; vgl. auch das in Anm. 17 erwähnte Vorlesungsmanuskript, in dem auch Stange mit lebhafter Zustimmung referiert wird (S. 41). 2 0 Vgl. E. GEISMAR, Nyere tysk Teologi, S. 72 f. und Geismars Briefe an Barth vom 21. 8. und 29. 12. 1922 (J. H . SCHJ0RRING, Barth, Geismar, Tidehverv, S. 99 f.). 18
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Geismar geht hier von der Behauptung aus, daß der Entwurf religiöser Vorstellungen sozusagen zum Leben selbst dazugehöre. Projektionen dieser Art kennt jeder Mensch, und als typische Beispiele nennt er die Vaterlandsliebe und die Forderung und das Streben der Arbeiterbewegung nach Gerechtigkeit. Aus theologischer Sicht gelte indes, daß diese natürliche Religiosität nicht zu beschreiben sei, ohne zugleich die Radikalität des Gerichts hervorzuheben: „Jesus Christus offenbart nicht, was schließlich die Menschheit in ihrem Innern finden könnte, sondern was alle Möglichkeiten der Menschheit übersteigt; und daß diese Offenbarung notwendig gewesen ist, darin liegt umgekehrt, daß alle Menschheits-Ideale, wie religiös sie auch sein mögen, unter dem Gesetz der Sünde und des Todes stehen." 21 Die Inhumanität des Mechanisierungsprozesses der Industrialisierung, die durch die Triebkräfte des Kapitalismus noch gefördert wird, sieht Geismar als eine Parallele zu der unwiderstehlichen Kraft, die den nationalen Patriotismus zu skrupelloser Barbarei entarten läßt. Die psychologischen Mechanismen, die so etwas ermöglichen, sind nicht nur Egoismus und Brutalität, sondern es ist die „die berechnende Klugheit, in den Dienst des Lebens gestellt". Die religiös klingenden Ideale sind damit sogleich entlarvt, der Blick ist frei für die wirkliche Realität hinter den Dingen: „Die Technik der Maschinen, die Technik der Gesellschaft verstählert die Herzen." 2 2 Die harte und unverschleierte Erkenntnis der wahren gesellschaftlichen Situation fällt also mit dem zusammen, was christlich gesprochen mit dem Kreuz zum Ausdruck gebracht wird, deshalb muß nach Geismar jeder Form von Kulturprotestantismus eine entschiedene Absage erteilt werden. Gedankengänge dieser Art waren in Deutschland neu, und in der Person Barths reizten sie in den meisten theologischen Lagern zum Widerspruch. In Dänemark hatte der Kulturprotestantismus ein anderes Gesicht, u. a. konnte er sich natürlich nicht in nationalistischen Großmachtträumen äußern. Dennoch wirkten die Gedanken Geismars auf viele in theologischer wie in kulturell-politischer Hinsicht provozierend. Es ist jedenfalls wichtig festzustellen, daß Geismar in Dänemark der erste war, der öffentlich das Barthsche Programm formulierte. Dies geschah in dem Artikel „Nyere tysk Teologi under Christliches Evangelium, S. 15. Ebd., S. 17. Einer der ersten Schüler Geismars, Jens Holdt, reiste schon 1923 nach Göttingen und berichtete in seinen Briefen an Geismar vom Verhältnis zwischen dem deutschen Nationalprotestantismus in religiöser Verkleidung und dem Anliegen Barths: „In der nationalen Frage, die an die Herzwurzel aller Deutschen greift, nimmt Barth als Schweizer einen ausgesprochen christlichen Standpunkt ein, während die Deutschen dem nationalen Jahwe huldigen"; ü. aus dem Brief vom 10. 6. 1923 (RA KOPENHAGEN, N G Bd. 1). N a c h seiner Rückkehr schrieb J . HOLDT einen Artikel über die Theologie Barths (Karl Barth, S. 51 ff.). 21 88
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Paavirkning af Saren Kierkegaard" (Neuere deutsche Theologie unter dem Einfluß Seren Kierkegaards), geschrieben 1923. Geismar erwähnte hier die persönlichen Kontakte, die er im Jahr zuvor geknüpft hatte, und er ging kurz auf die wesentlichen Punkte im Programm der dialektischen Theologie ein. Besonders ausführlich wies er auf die zentralen Gedanken der zweiten Auflage von Barths Römerbrief hin, die Gedanken der radikalen Krisis, der Radikalität der Sünde, der Unanschaulichkeit der Offenbarung, der Armut der Kirche und den Gedanken einer Ethik, die nur Solidarität von Sündern sein könne. Aber Geismar referierte diese Gedanken nicht nur loyal, er Schloß sich ihnen ausdrücklich an und gab Barth gegenüber Kierkegaard sogar den Vorzug: „Während Kierkegaard die Möglichkeit des Ärgernisses an der Person Christi hervorhob, aber dem Ärgernis an der Kirche verfiel, ist für Barth charakteristisch, daß er die Konsequenz ergreift und der Kirche treu bleibt, von der das Ärgernis ausgeht"23. Hier tritt also deutlich hervor, daß die Kirchenkritik des späten Kierkegaard für Geismar noch immer der Stein des Anstoßes war. Obwohl Geismar also die epochale Bedeutung Barths erkannte und seine Studenten zum Studium Barths animierte, wurde ihm doch nach der ersten Rezeption Barthscher Gedanken deutlich, daß es in der Theologie Punkte gab, die ihn ganz entscheidend von Barth trennten. Es ging in erster Linie um die ethische Erneuerung. Zwar wollte Geismar die Radikalität des Gerichts nicht aufgeben, aber von diesem Gericht sollte doch gleichzeitig eine erneuernde Kraft ausgehen. Ohne einem unproblematischen Wachstumsgedanken verfallen zu wollen, plädierte er dennoch dafür, an einer „rhythmischen Dialektik" zwischen Gericht und Erneuerung festzuhalten24. Während Geismar immer deutlicher seine Divergenzen zu Barth registrierte, kam er gleichzeitig zu immer größerer Ubereinstimmung mit Hirsch. In einer eigentümlichen Weise wurde diese stärker, nachdem Hirsch vorgeschlagen hatte, die politischen Probleme aus ihrem Gespräch auszuklammern. Es waren u. a. folgende Faktoren, die zu dem weitgehenden theologischen Konsens zwischen Hirsch und Geismar führten: a) Hirsch übersetzte Geismars Artikel über das ethische Stadium bei Soren Kierkegaard und fügte der Übersetzung einige sehr gelehrte Anmerkungen hinzu, eine Arbeit, der Geismar sogleich seine große Bewunderung zollte. Diese Arbeit war der Beginn einer langjährigen Zusammenarbeit in der Kierkegaardinterpretation. In der ersten » Nyere tysk Teologi, S. 77 (ii.). " Vgl. seinen Brief an Barth vom 29.12.1922, sehr viel deutlicher noch in dem Brief vom 15.11.1924 (vgl. Anm. 20, dort S. 100 ff.).
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Phase war Hirsch in diesem Verhältnis deutlich derjenige, der die Rolle des Schülers innehatte, aber als er sein großes Werk, die „Kierkegaard-Studien", veröffentlicht hatte, wurde er von Geismar als ebenbürtig angesehen, ja Geismar bewunderte geradezu die rezeptive Begabung Hirschs, sein großes philosophiegeschichtliches Wissen und seine kritische Reflexion25. b) Geismar las mit ungeteilter Zustimmung Hirschs Artikel „Das Gericht Gottes" und hob als besonderes Verdienst Hirschs hervor, daß seine Darstellung nicht allein auf angemessenen theologischen Grundlagen beruhe, sondern auch eine umfassende philosophische Schulung verrate28. c) Durch Hirsch erhielt Geismar Kenntnis der Luther-Deutung Holls, und hier fand er eine Entfaltung dessen, wie eine Ethik zu formulieren sei, die der Barthschen Theologie fehle. Die Theologie des Gewissens bei Hirsch und Holl wurde zu der Instanz, die für Geismar legitimer Ausgangspunkt einer ethischen Erneuerung war, ohne daß man sich damit vom Gericht dispensierte. So wie Hirsch die Kierkegaard-Auslegung Geismars gegen Barth anwenden wollte, halfen die Hollschen Kategorien Geismar zur Klärung der Frage, wie man legitimerweise von Gericht und Erneuerung sprechen könne27. 25
Vgl. dazu oben S. 90. Religionsfilosofi2, S. 29, Anm. 2 und das Manuskript „Luther og vor Tids systematiske Teologi" (RA K O P E N H A G E N , NG Bd. 4, S. 42). Geismar Schloß sich in der Rezension von Hirschs „Die idealistische Philosophie und das Christentum" auch der Auseinandersetzung Hirschs mit dem Idealismus an (vgl. TT 1926, S. 170 ff.); hier distanzierte er sich jedoch charakteristischerweise in einigen Schlußbemerkungen von der Seite der Geschichtsphilosophie Hirschs, die zu seiner Auffassung vom Krieg als einem notwendigen Bestandteil der historischen Entwicklung führt. Geismars Kritik bezieht sich darauf, daß Hirsch am Ende seines Artikels seiner Meinung nach den Hauptgedanken eliminiert habe, daß nämlich die Geschichte ein sittlicher Kampf zwischen Gut und Böse und deshalb ethisch zweideutig sei. Geismar hält Hirsch deshalb vor, er lande bei einem undialektischen Begriff der Nationalität und führe durch die Hintertür eine eindeutige Legalisierung des Krieges ein (vgl. ebd., S. 172). 87 Vgl. K. B A R T H / E . THURNEYSEN, Briefwechsel, Bd. 2, S. 195, 294 und 307 f. Das Unbehagen Barths bezieht sich darauf, daß Hirsch in seiner Besprechung von Geismars Edition der Rede Kierkegaards „Die Reinheit des Herzens" geschrieben hatte: „Inhaltlich wünsche ich gerade dieser Rede die allerernsteste Beachtung. An ihr kann man lernen, daß der Gebrauch, den eine paradoxe überethische Theologie in Deutschland heute von Kierkegaard] macht, ein Mißbrauch ist" (ThLZ 50, 1925, Sp. 63). Vgl. auch Barths Kritik an Geismar in seinem Brief vom 16.12.1924: „Ich befürchte, daß Ihre Ansicht von dem kontinuierlichen Zusammenhang von Rechtfertigung und Heiligung, gegen den ich, seit ich Calvin kenne, eine instinktive Abneigung habe (Ich habe darum auch an der Holl'schen Lutherinterpretation keine Freude!), bedeutet eine neue unerlaubte Vermischung von Himmel und Erde, wie sie seit 200 Jahren der Jammer unsrer protestantischen] Theologie ist" (vgl. Anm. 20, dort S. 103). Hirsch schrieb an Geismar in zwei Briefen vom 18. 5. und M
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Bekanntschaft zwischen Hirsch und Geismar in den zwanziger Jahren
d) Ferner stimmten beide in der Christologie weitgehend überein. Geismar lehnte die Alternative zwischen subjektiver und objektiver Versöhnungslehre ebenso ab wie Harnacks These vom doppelten Evangelium. Statt dessen wollte er den ethischen Sinn des Kreuzes herausarbeiten, daß nämlich das Gericht auch die Voraussetzung einer neuen Sittlichkeit schaffe. Von hier aus ließen sich die beiden Evangelien nicht als Gegensätze, sondern als gegenseitige Ergänzung, als Stadien in einem rhythmischen Prozeß verstehen. Hierauf beruht Geismars häufige Rede von der kulturkritischen Funktion des Christentums und der ständigen Dialektik zwischen einem positiven und einem polemischen Verhältnis zum Human-Sittlichen 28 . e) Schließlich stimmten beide in den grundsätzlichen und praktischen Fragen der Homiletik überin. Geismar sah in der Verschmelzung von Luther und Kierkegaard bei Hirsch fruchtbare Konsequenzen für die Christologie (Hirschs Buch „Jesus Christus der Herr", das Geismar in seinem Unterricht verwandte), wie auch für die Predigt und das Gebetsleben (Hirschs „Der Sinn des Gebets", dessen 2. Auflage Geismar ins Dänische übersetzte) 29 . Als Ergebnis dieses Abschnittes ist vor allem der Zusammenhang hervorzuheben, der zwischen Geismars Suche nach einem theologischen Standort und den durchgreifenden Konsequenzen besteht, die der Erste Weltkrieg für die meisten wichtigen theologischen Positionen in den zwanziger Jahren mit sich gebracht hatte: Auf der einen Seite wandte er sich gegen den naiven Pragmatismus, auf den er vor allem bei amerikanischen Teilnehmern auf der Stockholmer Konferenz von 1925 gestoßen war. Gegenüber Theologen dieser Art sagte er: „You american people solve the problems, before You have seen them." 30 7. 11.1924 ausführlich über Holl und seinen Gebrauch der geismarschen Kierkegaarddeutung gegen deutsche Fehlinterpretationen von seiten der dialektischen Theologen (RA KOPENHAGEN, N G Bd. 1). Geismar sah die Bedeutung Holls in der Grundlegung einer Ethik, die „ganz und gar theozentrisch war. Das Ideal ist nicht Selbstentfaltung, sondern der freie Gehorsam gegen Gott", deshalb sei das Gewissen bei Holl nicht ein selbstmächtig autonomes, sondern ein christlich bestimmtes (ü. aus Luther og vor Tids systematiske Teologi, S. 38 ff.; vgl. Religionsfilosofi 2 , S. 28 f. und S. 346). 28 Zur Christologie und Versöhnungslehre Geismars vor allem Religionsfilosofi 1 , S. 232 f. und 255 f.; Etik, S. 24 ff. und 54 ff.; Hvor baerer det hen, S. 13 f.; Overleveringen om Jesus, S. 243 ff. M Für beide bedeutete die Inspiration durch die erbaulichen Reden Kierkegaards viel, weil sie von hier aus Paradoxalität und Ethizismus miteinander vereinen konnten. In einem Brief vom 6. 1. 1930 betonte Hirsch, wie viel ihm die Übereinstimmung über die Homiletik bedeute (RA KOPENHAGEN, N G Bd. 1). Vgl. auch Geismars Manuskript „Luther og vor Tids systematiske Teologi" (ebd., Bd. 4, S. 47). M Ebd., S. 49.
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Genauso entschieden wandte er sich andererseits gegen die Behauptung von der „Eigengesetzlichkeit der Kultur", wie er sie bei deutschen Nationalprotestanten fand, denn hier sei die ethische Praxis nicht durch das Kreuz geläutert 31 . Die entscheidende Bedeutung des Weltkrieges für Geismars theologische Orientierung geht schließlich daraus hervor, daß er sich eigentlich am ehesten mit schwedischen Theologen wie Gustav Aulen (1879-1977), Anders Nygren (1890-1978), Arvid Runestam (1887-1962) und Torsten Bohlin (1889-1950) verwandt fühlte: „Wenn ich sowohl deutsche als auch schwedische Theologie erwähnt habe, so möchte ich hinzufügen, daß ich mich in gewisser Hinsicht der schwedischen Theologie am nächsten fühle, die ich in jeder Hinsicht außerordentlich hoch einschätze. Der Grund ist der, daß Schweden außerhalb des Krieges stand und daß im schwedischen systematischen Denken keine Einwirkung des Krieges auf ihre Auffassung zu spüren ist, weder in der Weise, daß sie in einer Art Kriegspsychose die Kulturwerte verachten, auf die wir nicht verzichten können, wenn wir nach dem Kriege zu der Tagesordnung übergehen, die uns das Leben vorlegt, noch in der Weise, daß sie die Verwendung der Gedanken Luthers, die sie heranziehen, so zurechtlegen, daß darin eine Art indirekte Verteidigung für das Handeln Deutschlands während des Krieges liegt." 32 Trotz dieser sehr eindeutigen Aussage für die schwedische Theologie und trotz der Vorbehalte gegen die Einwirkung des Krieges auf die deutsche Theologie ist doch evident, daß Geismar seine wesentlichsten Anregungen aus Deutschland erhielt, weil er hier, vor allem bei Hirsch, die gründlichste philosophische Schulung sowie theologische Tiefe und Originalität fand. Er betont denn auch ausdrücklich, daß die deutschen Theologen in ihrer Kritik an dem vereinfachenden ethischen Aktivismus der Stockholmer ökumenischen Bewegung recht hätten 33 . Schließlich gelangte er im Laufe der zwanziger Jahre mit Hirsch trotz der oben zitierten Einstellung zur schwedischen Theologie zu Übereinstimmung in der Beurteilung des Werkes T. Bohlins, der die dogmatischen und ethischen Konsequenzen des kierkegaardschen Denkens im Lichte der Herausforderung durch die dialektische Theologie gesehen hatte 34 . 51
Kristendommen og vor tids Kultur, S. 81 f. Ü . aus „Luther og vor Tids systematiske Teologi" ( R A KOPENHAGEN, N G Bd. 4, S. 4). 113 Ebd. 34 Vgl. Hirschs Brief an Geismar vom 27. 3.1926 (ebd., Bd. 1). Vgl. auch Geismars Besprechung der Bücher Bohlins (TT 1925, S. 73-78) und besonders ausführlich über Kierkegaard (ebd., S. 292-339). Nygrens Bücher besprach Geismar sehr positiv, auch wenn er sich mit den kantianischen Zügen in Nygrens Definition der Wissenschaftlichkeit der Dogmatik nicht einverstanden erklären konnte (TT 1924, S. 334-348 und 1925, 82-84). Vgl. auch Nygrens positive Besprechung 32
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Schjerring, Geismar/Hirsch
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Bekanntschaft zwischen Hirsch und Geismar in den zwanziger Jahren
c) Die Kierkegaarddeutung Geismars Schon 1923 legte Geismar den Kern seiner Kierkegaarddeutung vor in dem von Hirsch ins Deutsche übersetzten Artikel: „Das ethische Stadium bei Seren Kierkegaard." 35 Die Deutung wurde in seiner großen Monographie (1926-28, deutsch 1927-29) weitergeführt. Sie ist in ihrer Struktur durch zwei Dinge gekennzeichnet: 1. Geismar versucht ständig, die Lebensentwicklung Kierkegaards und den geschichtlichen Hintergrund im Zusammenhang mit dem theologischen Inhalt seines Werkes zu verstehen, er lehnt also sowohl eine einseitig historisierende als auch eine einseitig systematisierende Deutung ab. 2. Er bezieht seine persönlichen Überlegungen in einer solchen Weise in die Darstellung ein, daß es sich nicht nur um eine persönlich wertende Darstellung handelt, sondern daß auch die Ergebnisse seiner Untersuchungen in ihrer Relevanz und Gültigkeit erörtert werden. Wenn Geismar bei Kierkegaard Belege für die Existentialität des Glaubens findet, so muß dies im Zusammenhang mit seinen Bemühungen gesehen werden, eine ethische Apologie für den Glauben zu formulieren. Gerade hier setzten denn auch die Kritiken ein, die Geismar Gefühlsseligkeit und Erbaulichkeit vorwarfen. Aus dem ersten biographischen Teil seien einige wichtige Thesen Geismars genannt: Großes Gewicht liegt auf dem „Erdbeben" von 1838, und die religiösen Konflikterlebnisse dieser Periode werden im Zusammenhang mit dem wenig später erfolgten Tod des Vaters gesehen. Die gesamte Persönlichkeitsstruktur Kierkegaards wird aus der vom Vater her ererbten Anlage zur Schwermut erklärt 36 . Wichtig ist aber nun, daß diese Erlebnisse aus dem Jahre 1838 in Beziehung gesetzt werden zu dem entscheidenden Problem beim frühen Kierkegaard, nämlich der Frage nach dem Verhältnis zwischen Philosophie und Christentum. Die Erinnerung an den Vater der Ethik Geismars (Sv. teol. kvt. 2, 1926, S. 385-388) und noch deutlicher seinen herzlichen Glückwunsch anläßlich der ersten Auflage von Geismars Religionsfilosofi (Schreiben vom 8. 9. 1924; RA KOPENHAGEN, N G Bd. 2). Am weitesten stimmte Geismar mit Aulén überein, den er sehr lobte (Religionsfilosofi 2 , S. 24, Anm. und S. 299, Anm.; vgl. auch Auléns Besprechung dieses Werken in: Sv. teol. kvt. 6, 1930, S. 396-400). In seiner Vorlesung „Luther og vor Tids systematiske Teologi" (vgl. Anm. 32) weist Geismar auf Auléns Buch „Den kristna Gudsbildan" und den Artikel „Det teologiska Nutidsläget" (Sv. teol. kvt. 5, 1929, S. 119 ff.) als Beispiele für die Glaubwürdigkeit der schwedischen systematischen Theologie hin. 35 η - 1923, S. 1-47; ZsystTh 1, 1923, S. 227-300. se Ober das Erdbeben vgl. Seren Kierkegaard, S. 65-73 ; dän. Ausg. I, S. 67-75 (im Folgenden ist stets die deutsche Ausgabe zuerst genannt), sowie die Zusammenfassung über den Zusammenhang zwischen dem Tod des Vaters und dem Christentumsverständnis Kierkegaards (S. 66 f. = I, S. 78 f.).
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konkretisiert sich in seinen Überlegungen über das zentrale Thema des Christentums: daß es allem unmittelbaren Optimismus wegen des Sündenbewußtseins widerspricht, daß die Gottesvorstellung Gericht und Liebe zugleich enthält und daß diese Paradoxalität jeglichen Intellektualismus unmöglich macht. Die nächste entscheidende Phase im Leben Kierkegaards ist für Geismar das Jahr 1841, in dem Kierkegaard seine Doktorarbeit „Uber den Begriff Ironie" abschloß und zugleich die Verlobung mit Regine Olsen aufhob. Bei der Behandlung des Verhältnisses zwischen Sokratischem und Christlichem geht Geismar ausführlich auf die hegelianischen Voraussetzungen in Deutschland wie auch in Dänemark ein, um dadurch die Quellen beschreiben zu können, aus denen Kierkegaard geschöpft hat. Dies soll als Material dienen, das die prinzipielle Bestimmung des Begriffs der Ironie in christlicher Perspektive ermöglicht. Es liegt Geismar hier hauptsächlich daran festzustellen, daß es sich somit um ein bejahendes Verhältnis zu den positiven Seiten des Lebens handele. Das sei jedoch nicht in der Weise eines unmodifizierten Hegelianismus gesagt, denn eine jegliche Form von ungebrochenem Idealismus würde den Versuch bedeuten, der Radikalität der Sünde auszuweichen. Deshalb sei für Kierkegaard ein Übergang zwangsläufig erforderlich, ein Bruch zwischen Humanem und Christlichem: „Das religiöse Problem lagert sich also in zwei Gedankenschichten ab. Die eine betrifft die Wirklichkeit des Gottesverhältnisses an und für sich; damit beschäftigt sich die Philosophie, indem sie diese Voraussetzung des Christentums im Kampfe gegen den geistesverleugnenden Naturalismus und die geistesauflösende Ironie behauptet; die Philosophie strebt eine Erkenntnis der Welttotalität als in Gott ruhend an. Das ist's, was Hegel erreicht zu haben meint. Die zweite Gedankenschicht betrifft Sünde und Gnade, den konkreten Inhalt des Christentums; mit der Durchführung dieser Gedanken wird eine philosophische Totalauffassung unmöglich; die Philosophie kann sie nicht meistern." 37 Die Frage nach dem Verhältnis zwischen Philosophie und Christentum wird nach Geismar beim frühen Kierkegaard im Sinne eines modifizierten Hegelianismus beantwortet, wobei die Modifikation primär im Sündenbewußtsein besteht, und Geismar sieht in dieser Konfrontation zwischen Hegelianismus und Sündenbewußtsein das Grundproblem des gesamten kierkegaardschen Denkens: Wie läßt sich die Aneignung von Sünde und Gnade mit einem positiven Verhältnis zu den natürlichen Ordnungen vereinen? Die theologische Relevanz der Ereignisse um die Verlobung Kierke" S. 84 f. = I, S. 99. 7*
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gaards sieht Geismar darin, daß Kierkegaard hierdurch zu Reflexionen über die Realisierung des Allgemeinen, das Wesen des Leidens und das Verhältnis zwischen dem Dichterischen und dem Christlichen gezwungen wurde, über Probleme also, die das Hauptwerk Kierkegaards bestimmen. Der asketische Zug Kierkegaards, daß er sich den beiden wichtigsten Grundordnungen des Lebens, der Ehe und der Arbeit, entzog, blieb für Geismar eine ständige Anfechtung. Aber Geismars Auffassung vom Asketischen bei Kierkegaard ist doch komplexer, als es unmittelbar den Anschein hat. Er wendet sich vor allem gegen die einseitige Beschreibung der Persönlichkeit Kierkegaards als eines krankhaften, selbstsüchtigen Menschen, wie sie sich bei Georg Brandes finde 38 . Für Geismar ist es von grundlegender Wichtigkeit, daran festzuhalten, daß die persönliche Krise nach der Verlobung den dichterischen Durchbruch auslöste, daß Kierkegaards Arbeit als Schriftsteller also eine Kompensation für Beruf und Ehe darstellte, zu „einer Art Gottesdienst" wurde. Weiter legt Geismar großes Gewicht darauf, daß Kierkegaard nicht in sorgloser Gedankenund Verantwortungslosigkeit einem anderen Menschen habe Leid zufügen wollen, daß er vielmehr selbst das Leiden in einem schmerzhaften Kampf mit seiner eigenen Identität durchlebt habe. „All das Krankhafte [hat er] in seinem Seelenleben durchschaut und vor Gottes Angesicht durchlebt; dadurch hat er getan, was er konnte, daß es ihn nicht überwältigen und in unüberwindliche Geisteskrankheit versenken sollte. Wenn das Religiöse die Krise verschärft hat, so holte er doch auch wieder aus ihm die Kraft und Stärke, das Krankhafte so zu wenden, daß sein Lebenswerk durch sein Elend reich wurde, und das ist sein persönlicher Einsatz, bei dem zu verweilen mir unendlich wichtig ist. Und weil sein wesentliches Leiden in dem bestand, was mitleidende Liebe zu Regine auf seine Schultern legte, so schloß es seine Seele auf, und er kam trotz seiner Verschlossenheit dazu, eine tiefe und ewige Sympathie mit allen Leidenden in sich zu hegen." 39 Geismar hatte einleitend hervorgehoben, daß Kierkegaard primär als Däne zu verstehen sei, einmal weil er natürlich von Strömungen in der dänischen Theologie und im dänischen kirchlichen Leben abhängig sei, zum andern aber auch — und dies ist noch wesentlicher weil seine Persönlichkeit von einer „starren, schwerfälligen Gemütsart, mit den scharfen Kanten" 40 geprägt sei, was Geismar für typisch dänisch ansah. An anderen Stellen legte Geismar jedoch großes Gewicht auf die teils expliziten, teils impliziten Verbindungslinien zum deutschen Geistesleben, nicht nur zu Hegel, der freilich der wichtigste 58 39 40
S. 117 = I, S. 136. S. 102 = I, S. 120; vgl. S. 2 f. = I, S. 7; sowie S. 120 f. = I, S. 140. S. 4 = I, S. 8.
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sei, sondern auch ζ. B. zu Goethe, Hamann und zur deutschen Romantik. Als Epilog zu seiner Darstellung fremder Einflüsse auf das
Werk Kierkegaards stellte Geismar einige Überlegungen an, warum
Kierkegaard in England so wenig gelesen und verstanden werde, und er kam zu dem Ergebnis, daß dies an seinem fehlenden „common sense" liege, und dies zeige zugleich die epochale Größe und die verhängnisvolle Begrenzung Kierkegaards 41 . Eine methodische und sachliche Hauptschwierigkeit bei der Deutung des eigentlichen Werkes Kierkegaards liegt für Geismar in der Frage, inwieweit S0ren Kierkegaard selbst hinter den Pseudonymen stehe. Die Pseudonymen Schriften sind pädagogisch für Uneingeweihte nicht leicht zugänglich, dazu kommt das Problem des Verhältnisses der verschiedenen Pseudonyme zueinander und das nach ihrer Beziehung zur Person Kierkegaards selbst. Unter Hinweis auf Tagebuchaufzeichnungen Kierkegaards wendet sich Geismar teils gegen Brandes, der den Gedanken der religiösen Innerlichkeit in den Schriften der Jahre zwischen 1847 und 1851 völlig ignoriert habe, und gegen die in Deutschland verbreitete Tendenz, sich in der Kierkegaardforschung auf die Pseudonyme zu beschränken. Wesentlich ist für Geismar gerade, daß sich in den erbaulichen Schriften so leicht verständliche und zugleich tiefe und christlich gesehen entscheidende Gedanken finden, daß diese Aussagen ein hermeneutisches Korrektiv zu den schwer zu deutenden Pseudonymen darstellen sollten 42 . Auch wenn Geismar betont, daß sowohl der Dichter der „Stadien" als auch mehrere der Pseudonyme einen Sinn für die positiven Seiten des Lebens haben, so ist es für ihn das wichtigste Verdienst Kierkegaards, die Sünde als die allumfassende Bestimmung des menschlichen Lebens dargestellt zu haben. Die Unstimmigkeiten, die wir in den Jugendschriften Geismars im Zusammenhang seiner Modifizierung Euckenscher Gedanken festgestellt haben, erscheinen hier in einer neuen Perspektive. Es gibt zwar noch immer Passagen, in denen der idealistische Einfluß deutlich wird, ζ. B.: „Aber weit deutlicher tritt seine positive Stellung zum Leben mit seinem Reichtum in der Lebensstimmung hervor, die die irdischen Verhältnisse immer in der Beleuchtung des Ewigen sieht; der Glanz der Ewigkeit ist über ihnen, auch vom Christentum abgesehen, es ist da ein Bewußtsein vom Gottesebenbildlichen, das sich kund gibt in der Vergänglichkeit des Staubes." 43 Entscheidend jedoch ist, daß diese Idealität nun in einem Vgl. Der Einfluß deutschen Geistes, S. 15-22. D a s ethische Stadium, S. 253, dän. Ausg. S. 17; Soren Kierkegaard, S. 549551 = V, S. 105-107. Vgl. auch Geismars Brief an Barth vom 29. 12. 1922 (J. H . SCHJ0RRING, Barth, Geismar, Tidehverv, S. 100). 4 3 Seren Kierkegaard, S. 331 = III, S. 92. 41
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reflektierten theologischen Kontext auftritt, so daß sie nun nicht mehr unvermittelt neben dem Sündenbewußtsein oder dem praktischen Engagement im Alltag steht, sondern vielmehr eine neue ethische Grundhaltung konstituiert, in der Sündenbewußtsein und ethisches Verantwortungsbewußtsein in einem adäquaten Verhältnis zueinander erscheinen: „Das Ideal muß das unendliche Streben in Gang setzen, gleichzeitig aber den Einzelnen zur Sündenerkenntnis führen und ihn dadurch zu dem Christentum führen, das das absolute Verhältnis zum Absoluten ist und ihn allein in das rechte Verhältnis zum Allgemeinen bringen kann." 44 Mit dieser Begründung für das Festhalten an einer ethischen Idealität sind wir zu dem Punkt gelangt, an dem Geismar Barth vorwirft, den Idealismus in unnuancierter Weise abgelehnt zu haben; die Absage an jegliche Form der Idealität führe dazu, daß die ethischen Pflichten bei Barth nicht mehr greifbar seien, weil das göttliche Nein zum Human-Sittlichen letzlich die Grundlage der Ethik zerstört habe. Die Darstellung der Theologie im Werk Kierkegaards ist also komplex, an einigen entscheidenden Punkten auch unstimmig und wohl letztlich ohne ein wirkliches Verständnis für die Bestimmung des Ortes der Ethik bei Barth. Geismar sah es indes als seine Aufgabe an, daran festzuhalten, daß die Persönlichkeitsstruktur Kierkegaards grundlegende krankhafte Züge trage und daß seine Entsagung gegenüber den geschaffenen Ordnungen abnorm sei. Er betonte noch immer, daß diese subjektiven psychologischen Bedingungen tiefgreifende negative Konsequenzen für das Christentumsverständnis Kierkegaards gehabt hätten 45 und daß diese psychische Konstitution 44
Das ethische Stadium, S. 278 ff. = S. 31. Vgl. dazu den Brief Geismars an Barth vom 15. 11.1924 (vgl. Anm. 42, dort S. 102); Saren Kierkegaard, S. 578 f. = VI, S. 32 f., wo Geismar die Verarbeitung dieser Probleme im deutschen Barthianismus kritisch würdigt. Vgl. auch Seren Kierkegaard in RGG 2 III, Sp. 750, sowie das ungedruckte Manuskript: „Den dialektiske Teologis Livsvaerdi" ( = Der Lebenswert der dialektischen Theologie) (RA KOPENHAGEN, N G Bd. 11, S. 5). Im allgemeinen nahm Geismar also Abstand von der allzu rigoristischen Anwendung der Maxime vom absoluten qualitativen Unterschied zwischen Gott und Mensch in der dialektischen Theologie (vgl. Kierkegaard und Luther, S. 235, dän. Ausgabe in: Luthersk Troslaere, S. 332 f.). In einer Besprechung von Hermann Diems Buch „Philosophie und Christentum bei Soren Kierkegaard" warf Geismar Diem vor, daß er es sich mit dem Problem der Askese bei Kierkegaard allzu leicht mache (ThLZ 54, 1929, Sp. 398-403). H. DIEM nahm dagegen Kontakt mit der Tidehverv-Bewegung auf und veröffentlichte eine dänische Ubersetzung seines Artikels „Zur Psychologie der KierkegaardRenaissance" in ihrer Zeitschrift (Tidehverv 1933, S. 23 ff.; 42 ff.). In diesem Artikel bezeichnet Diem Hirschs Kierkegaard-Deutung als einen großen Fortschritt gegenüber Geismar, wendet sich aber auch gegen seine historisierende Methode. Hirsch hatte sich vor der Reise Diems nach Kopenhagen Geismar gegenüber von 45
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ihn während des „Kirchensturms" dazu geführt habe, daß er in seiner Polemik ganz offensichtlich ungerecht war und in seinem Verständnis des Christentums in einem fatalen, unmodifizierten Asketismus endete46. Dennoch verstand Geismar die asketische Haltung nicht ausschließlich als Ausdruck einer krankhaften Veranlagung, denn Kierkegaard habe diese Haltung in tiefem Leiden und in der Erkenntnis seiner Verantwortung vor Gott durchlebt. Der Beleg dafür war vor allem die lange Beichtrede. Zu den asketischen Zügen im Werk Kierkegaards muß man sich nach Geismar daher selektiv verhalten. Kierkegaard habe in der Beichtrede und in „Wesen und Walten der Liebe" selbst die Gedanken formuliert, die für die Interpretation normativ seien, und der adäquate Ansatz zur Interpretation finde sich auch in mehreren wesentlichen Kategorien in den Pseudonymen: die Doppelbewegung der Unendlichkeit, die Wiederholung und die dialektische Zusammengehörigkeit zwischen der Religiosität A und B47. In dieser Perspektive sah Geismar das Zentrum der Theologie Kierkegaards ganz auf der Linie der Theologie Karl Holls, nämlich in der Dialektik von radikalem Gericht, der theologia crucis einerseits und dem Aufbau der neuen Sittlichkeit andererseits. Es war gerade diese Übereinstimmung zwischen Holls Lutherdeutung und Geismars Kierkegaardinterpretation, die die Grundlage für die theologische Ubereinstimmung mit Hirsch darstellte. Geismar hielt sich nicht nur bei der historischen Problematik um 'aai{Dnsj3A ja ujapuos 'jnB H3BU umipmsjaijinq spjBBäa^jarsj das Verhältnis zwischen Luther und Kierkegaard grundsätzlich zu erörtern. Die Konfrontation zwischen lutherischer Schöpfungstheologie des Paradox und Affinität zur Askese andererseits ist deshalb nicht zufällig für Geismar der wichtigste systematische Ertrag seines Buches. Er stellte die offenbaren und tiefgreifenden Unterschiede heraus, betonte aber auch wichtige Ähnlichkeiten, vor allem die, daß die Radikalität der Sünde bei beiden sich nicht aus der Erfahrung ergebe, sondern vielmehr bedingt sei durch das Gericht, das in der christlichen Offenbarung enthalten sei. Geismar hob denn auch abschließend kritisch hervor, daß Kierkegaard keinen Sinn für das lutherische Zutrauen zu den Ordnungen als Ausdruck des göttlichen Diem distanziert und ihn einen echten Rationalisten genannt (Brief vom 4. 8.1926; RA KOPENHAGEN, N G Bd. 1); vgl. auch H . DIEM, Ja oder Nein, S. 216. 4e Soren Kierkegaard, S. 296 und 429-432 = IV, S. 58 und 95-98; vgl. S. 581-585 = VI, S. 35-40, w o die lebensfeindliche Askese mit Schopenhauer in Zusammenhang gebracht wird. 47 Vgl. ebd., S. 170-191 = II, S. 7-81; Das ethische Stadium, S. 282 ff., dän. Ausg. S. 35 ff.
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Schöpfungswillens gehabt habe. Geismar hielt aber zugleich daran fest, daß zwischen der theologia crucis bei Luther und dem Protest gegen die unmittelbare Weltlichkeit bei Kierkegaard eine Ähnlichkeit im höheren Sinne bestehe. Das Verdienst Kierkegaards liege darin, daß er gegen eine Verwässerung der protestantischen Tradition protestiert habe: „Aber das Weltfremde hat seinen tiefsten Grund in dem polemischen Zug, der dem Christentum eigentümlich ist, und den Kierkegaard mit Recht in seinen Gedanken von der Doppelbewegung der Unendlichkeit hervorgehoben hat; uns Protestanten fehlt das Polemische, das Heroische, das Kulturkritische." 48
d) Die politische Ethik Geismars Es kennzeichnet die Arbeit Geismars auch in den zwanziger Jahren, daß er stets bestrebt war, einen Zusammenhang zwischen den dogmatischen Überlegungen über das theologische Fundament der Ethik und ihren praktischen Konsequenzen herzustellen. Will man Geismars Standpunkt zu den Fragen von Krieg oder Pazifismus, Nationalgefühl oder Internationalismus bzw. supranational bevollmächtigten Kontrollinstanzen, zu den sozialen und wirtschaftlichen Problemen und schließlich der Ethik des Sexuallebens beschreiben, so ist zunächst auszugehen von seinem Schwankungen unterworfenen, ungeklärten Verständnis des Verhältnisses zwischen Christentum und natürlicher Idealität, also von der Aporie, die auch seine Kierkegaarddeutung prägt. 48 Soren Kierkegaard (1925), S. 51, vgl. auch Das ethische Stadium, S. 45. Auch bei Luther selbst ist nach Geismar von einer unmittelbaren Weltlichkeit zu sprechen: „Namentlich durch seine Stellungnahme zur Ehe hat Luther bewirkt, daß man an die Stelle des Christentums eine Art Judentum bekam, das in Bezug auf seine Diesseitigkeit virtuosmäßig idyllisch war" (Wie urteilte Kierkegaard über Luther? S. 42). Zu Geismars Verständnis des Verhältnisses zwischen Kierkegaard und Luther vgl. Das ethische Stadium, S. 286 ff., dän. Ausg. S. 42 ff.; Der Einfluß deutschen Geistes, S. 21; Soren Kierkegaard, S. 427-429 = IV, S. 9 2 - 9 4 ; S. 515-518 = V, S. 64-66; Kierkegaard und Luther, vor allem S. 239-241, dän. Ausg. in: Luthersk Troslaere, S. 341-343. Vor diesem Hintergrund wird verständlich, wie sehr sich Geismar geehrt fühlen mußte, als ihn die Göttinger Fakultät auf Betreiben Hirschs anläßlich des 400jährigen Jubiläums der Speyerer Protestation am 21. Mai 1929 die Ehrendoktorwürde verlieh als „dem scharfsinnigen theologischen Denker, dem durch seine Forschungen über Kierkegaard auch um die deutsche Theologie verdienten Forscher, dem treuen Verkünder des reformatorischen Evangeliums" (UNIVERSITÄTSARCHIV GÖTTINGEN, Theol. Fak., Akte Ehrungen, Ehrenpromotionen ab 1 9 2 5 ^ 4 , Nr. 165). Geismars Dankrede findet sich in RA KOPENHAGEN, N G Bd. 5. Das Buch „Luthers Troslaere i Grundrids" war der Göttinger Fakultät in Dankbarkeit zugeeignet.
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Auf der einen Seite gibt es eine Reihe von Aussagen Geismars in den zwanziger Jahren, in denen er das Element des Gerichts so stark hervorhebt, daß dies ganz auf der Linie Karl Barths zu liegen scheint. Er betont die Dämonie der natürlichen Religiosität, die die Radikalität der Sünde verschleiern will: „Aber was wir jetzt erleben, ist das Tragische, daß diese Ideale Schiffbruch erleiden. Alle sind darüber entsetzt; nur das Christentum hat keinen Anlaß, darüber entsetzt zu sein; im Gegenteil: vor dem Krieg hatte man öfters das Gefühl, man tue den Menschen doch Unrecht, wenn man sie durch die Brille des Christentums betrachtete. Jetzt aber vollzog sich sein Gericht über diese Welt; und es zeigte sich, daß keines dieser Ideale imstande war, die Katastrophe abzuwenden; vielmehr mußte man sagen, daß gerade die Tatsache, daß die Ideale religiöse Macht besaßen, ihnen auch die Macht der Zerstörung verlieh. Die Zerstörung hätte niemals solche Ausmaße erlangt, wenn man nicht gemeint hätte, für etwas Heiliges zu kämpfen." 49 Andererseits betont Geismar oft, daß die natürliche Idealität nicht nur rein faktisch vorkomme, sondern daß sie auch eine wichtige Voraussetzung für die Ethik sei. Zwar sei es unmöglich, eine ausschließlich idealistische Lehre vom Gewissen aufrechtzuerhalten, eine solche Lehre lasse sich weder philosophisch noch theologisch verteidigen. Sie werde zudem durch die Erfahrung widerlegt. Trotzdem enthalte sie ein Element der Wahrheit, das in einem dialektischen Verhältnis zur christlichen Vorstellung von Sünde und Gericht erhalten bleiben müsse. Wenn es nämlich kein natürliches Bewußtsein vom Ernst der ethischen Forderungen, vom gottgegebenen Charakter der Moralität und der dadurch bedingten Kluft zwischen Gut und Böse gebe, dann fehle der Sittlichkeit jegliche Grundlage. Das christliche Gebot der Nächstenliebe sei eine frei in der Luft schwebende Floskel50. Begriffe wie Pflicht und Verantwortung würden verschwinden, und die christliche Rede von der Sünde sei unverständlich, wenn man die Grundlage der Moral in dieser Weise antastete. Gibt man deshalb - so meint Geismar - die Autorität des Gewissens auf, die zum geschaffenen Leben dazugehört und die vom Gericht nicht aufgehoben wird, dann begibt man sich aller Argumente gegen eine zynische und desillusionierte Gesellschaftsmoral, die die wirtschaftliche Entwicklung allein auf dem freien Spiel der Kräfte beruhen lassen will. Diese Perspektive ist um so ernster zu nehmen, als Genußsucht, Egoismus und die um sich greifende Destruktion einer jeglichen Gefühlsentfaltung mit der unwiderstehlichen Kraft einer 49
Kristendom og religies Idealisme, S. 47 (ü.); vgl. auch Religionsfilosofi 2 , w o die Herausforderung durch die Theologie Barths ausführlich eingearbeitet ist. 50 Religionsfilosofi, S. 248 und S. 173; 2. Aufl., S. 240 und S. 252 f.
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unabwendbaren Lawine die Gesellschaft überrollten. Die Kräfte, die hier im Spiele sind, beschreibt Geismar als „die berechnende Logik im Dienste der Lebensangst, die logische Notwendigkeit der Inhumanität". Das Ergebnis sind unweigerlich die „verstählten Herzen"; der Mensch gibt sich einem sorglosen Leben im Machtrausch hin. Nun wollen einerseits viele Menschen den Ernst dieses Tatbestandes nicht wahrhaben, andererseits finden sich viele Christen damit ab, daß es keine Verbindung zwischen dem faktischen Verlauf des Lebens und den Forderungen der christlichen Ethik gebe. Gegen diese „Eigengesetzlichkeit der Kultur" wendet sich Geismar, denn dies läuft auf ein Leben mit einer Doppelmoral hinaus, bei der man sich passiv mit einem Leben unter dem Diktat sowohl des Kampfes als auch der Liebe abfindet 51 . Auf diesem Hintergrund wird deutlich, was es bedeutet, daß sich Geismar die Maxime Holls zu eigen macht, das Weltverhältnis des Christen müsse sowohl positiv als auch polemisch sein. Geismar behauptet, die unmodifizierte Askese habe keinen wesentlichen Rückhalt im Neuen Testament, dazu komme, daß sie das Wirtschaftsleben faktisch den ungezähmten Kräften preisgebe. Andererseits würde ein unreflektierter Optimismus bedeuten, daß man über viele Schwierigkeiten einfach hinwegsieht. Pflichtkollisionen seien unvermeidlich. Das gesellschaftliche Engagement könne sich nicht in einer sorglosen Freude über die geschaffene Güte Gottes erschöpfen, das Gewissen müsse vielmehr das Leid auf sich nehmen, das in unvermeidlichen Fehlern im gesellschaftlichen Handeln bestehe. Die Einsicht in die Zweideutigkeit des Handelns bedeute dann, daß man unter den Bedingungen des verwundeten Gewissens handele. Es sei deshalb auch nicht zulässig, sich damit zufrieden zu geben, daß sich die Forderungen der Liebe unmittelbar nicht mit dem abgestumpften Egoismus vereinen ließen; freilich sei es naiv und verhängnisvoll, wollte man den Ernst der Probleme bagatellisieren. Deshalb legt Geismar großes Gewicht auf die kulturkritische Seite des Christentums, daß es nämlich alle billigen Auswege und alle billigen Lösungen ablehne und an der tiefsten Ursache der Schwierigkeiten festhalte. Ein solcher unverblendeter Sinn für die Realitäten sei eine Voraussetzung für die Formulierung tragfähiger Lösungen. Nun genügt es aber nicht, auf Geismars Polemik gegen die „Eigengesetzlichkeit der Kultur" und die herrschende Doppelmoral hinzuweisen. Denn Geismar betont auch, daß es notwendig sei, zwischen Gerechtigkeit und Liebe, zwischen göttlichen Ordnungen und der Weise, wie der Einzelne die Rahmen dieser Ordnungen ausfüllt, zu 51 Kampen mod den dobbelte Moral (Der Kampf gegen die doppelte Moral), S. 98 ff.; Kristendommen og vor Tids Kultur, S. 45, 53 und 81.
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unterscheiden. Das Verhältnis zwischen dem Christentum und den politischen Bemühungen um Gerechtigkeit beruht also auf einem notwendigen Zusammenhang und einer genauso notwendigen Unterscheidung: „Meine Mitarbeit im Rechtsbund ist meinem Christentum entsprungen. Dieses gibt mir Respekt für Freiheit und Recht anderer. Und zugleich meine ich, daß sich ein Reich der Liebe nur erbauen läßt, wo die Rechtsordnungen gerecht sind. Aber daß in diesen Gedanken Religion steckt, bedeutet nicht, daß sie die Religion ersetzen können. Es gibt Reichtümer in Gott, an denen das Christentum einen teilhaben läßt und die nicht durch die Begeisterung für die Gedanken des Rechtsbundes ersetzt werden können; das versteht ein jeder Christ; und wir, die wir über unseren tiefsten Seelenschaden wissen und um die Erlösung, die Gott uns in Christus gab, wir bilden uns nicht ein, daß die Menschen dadurch gut werden, daß die Gedanken des Rechtsbundes durchgeführt werden." 52 "Wo Positives und Kritisches zusammengehalten werden, dort kann die Kulturkritik zu einer ethischen Erneuerung führen, die für Geismar das einzig angemessene Mittel im Kampfe für gerechte gesellschaftliche Verhältnisse ist. Hier verzichtet man auf große Gesten und flotte Slogans; statt dessen läßt man das Christentum nach innen wirken mit seinem „sinnverwandelnden Werk". So wie Gerechtigkeit und Liebe in einem dialektischen Verhältnis zueinander stehen, so verhält es sich auch mit der Gesinnung und mit den äußeren gesellschaftlichen Verhältnissen. Die Erneuerung des Einzelnen ist als ein Beitrag anzusehen, den das Christentum zu einer politischen Kursänderung leisten kann. „Nicht die Kultur allein soll dem Menschen die Erneuerung bringen; vielmehr sollen die Menschen der Kultur die Erneuerung bringen." 53 Da das Leben des Menschen zugleich Gabe und Aufgabe ist, ist die durch die Sünde bedingte Inkongruenz zwischen dem Willen Gottes und den Handlungen des Menschen nur die eine Seite; die andere Seite ist der Impuls zur Tat, der ständig vom Evangelium ausgeht. Deshalb wird sich der Christ niemals mit der Ungerechtigkeit der Gesellschaft abfinden können, sondern stets versuchen, die Forderungen in die Wirklichkeit umzusetzen. „Derjenige, der, selbst ganz und gar unwürdig, von Gott unerschöpfliche Liebe empfängt, der steht damit bei Menschen in einer Schuld der Liebe, die er niemals begleichen kann; die Gnade ist für ihn zu einem Quell des ewigen Lebens geworden. Dies hat zur Folge, daß ein solcher Mensch, wenn er seinem Nächsten die Gerechtigkeit hat zuteil werden lassen, die er 52
Retsforbundet og Kristendommen, S. 11 (ü.); vgl. auch Retsmoralen, S. 1 4 7 . ; Kaerlighed og Retfaerdighed, S. 646; Hvorfor jeg er Retsstatsmand. 53 Fornyelse, S. 49 (ü.).
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jedem Menschen schuldet, niemals meinen wird, daß damit alles in Ordnung sei. Er wird danach streben, eine Gerechtigkeit, voll von Liebe, im Verhältnis zu den Menschen zum Ausdruck zu bringen, entsprechend der Gerechtigkeit, voll von Liebe, die er selbst ständig vom Gott der Gnade empfängt." 54 Wir sehen wiederum, daß die durchgehende Unstimmigkeit bei Geismar darin besteht, daß er zwar die Grenzen der Idealität reflektiert - das Problem der Grenzziehung ist ja sein Hauptthema - , aber die Abgrenzung wird dennoch nicht deutlich. Dieses Problem scheint Geismar selbst bemerkt zu haben, denn wenn er die ethische Erneuerung beschrieben hat, verteidigt er sich oft im gleichen Atemzuge gegen den Vorwurf eines pietistischen Synergismus. Mit aller Kraft versucht er, am Gabecharakter der Gnade festzuhalten: „Wir haben uns so durch die Süße der Gnade Gottes und die Notwendigkeit der Umkehr und die Vergebung der Sünden einlullen lassen, daß wir vergessen haben, daß, wenn die Liebe Gottes in Christus den Menschen entgegentritt, es stets das ,ganz Andere' ist, von dem Gericht ausgeht." 55 Trotz solcher Aussagen will Geismar an der natürlichen Idealität als dem Fundament der Ethik auf humaner Ebene festhalten, und dies führt dazu, daß er die Erneuerung zuweilen in Formulierungen beschreiben kann, die synergistisch klingen. Er spricht nicht nur oft von dem Streben, das die Verwirklichung einer heiligen Sehnsucht nach der Realisierung der Ideale sei, sondern auch von dem inneren gottgegebenen Quellgrund, der aus der Gnade neue Kraft empfängt, so daß die menschlichen Handlungen durch die Inspiration der Gnade veredelt werden: „So heiligt das Gottesverhältnis unser Erdenleben in seiner umfassenden Verschiedenheit, und wir fühlen, daß über all dem der Segen des Vaters ruht, der die Kräfte sich entfalten läßt." 59 Für die politische Ethik Geismars ist es indes ganz entscheidend, daß die Rede vom ethischen Impuls unlösbar mit der politischen Forderung nach Gerechtigkeit verbunden ist. In seinen Äußerungen zur praktischen Politik hält Geismar an seinen früheren Auffassungen über Krieg und Pazifismus fest. So wie er zu Beginn der zwanziger Jahre kräftig das Wort gegen den neuprotestantischen Nationalismus erhoben hatte, genauso scharf protestierte er gegen die internationale Behandlung Deutschlands nach Versailles, vor allem im Völkerbund 57 . Was das Problem des Krieges angeht, 54
Kristendommen og vor Tids sociale N e d , S. 110. Lys fra det Hoje (KRISTELIGT DAGBLAD 6. 7. 1925); Geismar betont auch, daß das Gottesverhältnis niemals auf etwas Menschlichem beruhe (Religionsfiloso5(1 fi 1 , S. 277). Ebd., S. 273. 57 Magten og Retten, S. 356; vgl. Krig og Kristendom, S. 523 f. 55
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hält er an der Unvermeidbarkeit der Pflichtenkollision als der generellen Antwort fest, dennoch scheint er sich in seinen konkreten politischen Urteilen in Richtung auf eine Sympathie für den Pazifismus hinzubewegen. Zwar tritt er noch immer für das Recht des Verteidigungskrieges ein, aber dieser ist immer mehr nur eine letzte Möglichkeit, zu der man nur in äußerster Not greifen darf 58 . Die Skepsis Geismars gegenüber dem Völkerbund richtet sich weniger gegen die Institution als solche als vielmehr gegen seine Politik. Um so mehr Aufmerksamkeit widmet er den Bemühungen, einen internationalen Gerichtshof einzurichten und mit funktionsfähigen Vollmachten auszustatten. In den totalen Handelsrestriktionen und dem Kampf um die Energiequellen sieht Geismar Gefahren für einen neuen Krieg, die er ausgeschaltet wissen möchte. Für ihn sollte der Völkerbund im Großen denselben Gesinnungswandel durchmachen müssen wie der einzelne Christ im Kleinen 59 . Irgendeine Begeisterung für ein „Kriegsethos", für den Heldenmut der Soldaten, für den Krieg als einen Faktor, der neue Bande der Solidarität zu knüpfen vermag, Dinge, von denen in Dänemark im 19. Jahrhundert nicht zuletzt anläßlich der Kriege von 1848 bis 1851 und 1864 viel gesprochen und geschrieben worden war und an die er nun in Deutschland wieder erinnert wurde, all dies findet sich bei Geismar nicht. Er betont vielmehr, daß gerade sture nationalistische Rechthaberei oft zum Kriege führe und daß das positive Argument für die Berechtigung des Verteidigungskrieges auschließlich auf die Sicherung der Selbständigkeit und das Weiterbestehen eines Landes gerichtet sein dürfe. Was seine Sicht der Volkswirtschaft betrifft, so ist Geismar noch immer entrüstet über diejenigen, die bagatellisieren oder übersehen, daß die bestehenden Verhältnisse ungerecht sind. Die Profitgier und die hemmungslose Genußsucht im Uberfluß des Kapitals sind ihm so sehr zuwider, daß er sich mehrmals bereit erklärte, in kommunistischen Versammlungen Vorträge zu halten. Hier wandte er sich je · doch sogleich auch gegen eine Politik, die nur unter anderen Vorzeichen Egoismus und H a ß in umgekehrter Richtung schürte 60 . Angesichts dieser beiden Extreme entwickelt Geismar seine georgeistische Uberzeugung weiter, daß nämlich eine Kombination von Sozialismus und Individualismus der einzig richtige Ausweg sei. In einer gerechten Gesellschaftsstruktur müsse es selbstverständlich sein, daß jeder ein Recht auf Arbeit und den Ertrag seiner Arbeit habe. Diese For58
Kristendom og Krig, S. 140 f. Forsvar og Kristendom, S. 113 f.; Hvor baerer det hen, S. 10; Kristendommen og vor Tids Kultur, S. 61 ff.; Etik, S. 243-252. 60 Kristendom og Kommunisme, S. 202-205 und S. 215 f. 59
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derung nach moralischer Integrität in wirtschaftlichen Fragen verbiete von vornherein Aktiengesellschaften, denn diese entpersonalisierten das Verhältnis zwischen Arbeit und Kapital und brächten arbeitsfreie Gewinne hervor. Geismar meint deshalb, daß Mitbestimmung zu verantwortlicher Organisation von Arbeit gehöre, aber dies wiederum setze den Willen der Arbeiter voraus, ihre Fähigkeiten weiterzuentwickeln. Heftig wendet er sich gegen das System der Einkommensteuer und gegen alle Formen von Spekulationsgewinnen, statt dessen tritt er für die Grundschuld als Mittel gegen Spekulation, arbeitsfreie Gewinne und direkte Besteuerung ein61. Die staatlichen Eingriffe in das wirtschaftliche Leben könnten auf ein Minimum beschränkt werden, wenn man gerechte gesellschaftliche Verhältnisse schaffe. Dadurch sei auch das System staatlicher Bevormundung zu vermeiden, das die unvermeidliche Folge eines allmächtigen sozialistischen Staates sei. ö f fentliche soziale Unterstützung sah Geismar als moralisch verwerflich an, auch wenn solche Maßnahmen unter den bestehenden Verhältnissen notwendig seien62. Auch öffentliche Kontrolle des kulturellen Lebens war ihm zuwider; er nahm Anstoß daran, daß Brandes, dem man seinerzeit einen Lehrstuhl vorenthalten hatte, jetzt durch die Einkommensteuer gezwungen war, Kirchensteuer zu zahlen. Auch wenn Geismar also seine Bedenken gegen manche Seiten der volkskirchlichen Ordnung aufrechterhielt, so beeindruckte ihn doch, daß diese Ordnung in immer breiteren Kreisen des Volkes akzeptiert wurde, auch in den Reihen der Sozialdemokratie. Außerdem hatte Geismar gegen die negativen Seiten einer freikirchlichen Ordnung so viele Bedenken, daß er sich öffentlicher Äußerungen in dieser Frage enthielt 63 . Schließlich beschäftigte Geismar sich in diesen Jahren auch mit der Sexualethik. Er sah die Familie als eine unantastbare, gottgegebene Ordnung an, deshalb war er besorgt über die beginnende Diskussion über sexuelle Befreiung, Liberalisierung des Schwangerschaftsabbruchs usw. Die Schamhaftigkeit war für ihn die Schwelle, deren Überschreiten Frivolität und Hingabe an unkontrollierbare Triebe bedeutete. Schwangerschaftsabbruch hielt er aus grundsätzlichen Erwägungen für einen Verstoß gegen die Ordnung der Natur 64 . 61
Det kristne Sindelags Gennemforelse i Erhvervslivet, S. 657 f., 672 ff. und 687 ff.; Hvorfor jeg er Retsstatsmand; Etik, S. 144-175; Kristendommen og vor Tids Kultur, S. 42-53. 62 Kirkens Skyld, S. 42 f., 52 und 67; vgl. Kaerlighed og Retfaerdighed, S. 661. es Kirken og Retsstaten, S. 213-215 und 230 f.; Kirken og Folket, S. 454 f.; Etik, S. 254 f.; Hvorfor jeg er Retsstatsmand, S. 46-48. 64 Det kristne Sindelags Gennemforelse i Folholdet mellem Mand og Kvinde, S. 391 f., 410 f.; Etik, S. 129-143; Strejflys over Vanskeligheder, S. 39-56.
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e) Geismars Auseinandersetzung mit der Tidehvervbewegung Die Entwicklung hin zur Tidehvervbewegung begann mit einem Streit in der christlichen Studentenbewegung. Der junge Gefängnispfarrer Niels Ivar Heje (1891-1974), später der führende „Taktiker" der Bewegung, protestierte 1924 gegen die Einstellung einzelner Führer der Studentenbewegung, die deren Mutterorganisation angehörten, dem CVJM. Ihre Grundhaltung war für Heje bestimmt von Bekehrungseifer amerikanischen Zuschnitts, getrieben von einem sentimentalen Kult religiöser Gefühlsseligkeit und einer emsigen und geschäftigen Effekthascherei, die auf Massenbekehrungen aus sei65. Das ganze lief nach Heje nur auf ein unverbindliches Spiel mit religiösen Gefühlen hinaus: „Der oft begangene Fehler ist der, daß man in der Praxis die Reue, die die wirksamste Einstellung des Sinnes ist, ersetzt hat durch einen gefühlsbetonten Zustand der Unzufriedenheit oder Unglückseligkeit, der in einen Frieden führen soll, der dann alle Persönlichkeitsentwicklung ersetzen soll, die dann wiederum ersetzt wird durch die Verkündigung einer allgemeinen bürgerlichen Idealität, die in einem wirksam wird, wenn man zu etwas Zuflucht nimmt, was in diesem Zusammenhang ,Gottes Hilfe' genannt wird und worum man bitten soll, kaum ahnend, daß die Bitte um Gottes Hilfe auf diese Weise leicht zu einem Betrug wird." 66 Die Polemik Hejes weitete sich schnell aus, so daß auch Ammundsen und Geismar in die Angriffe einbezogen wurden. Heje nahm ihnen übel, daß sie bei ihrer Arbeit als Führer der Studentenbewegung das Denken der Erweckungsbewegung übernommen hatten. Dies hatte zu einem Konflikt geführt zwischen diesem Denken und der ethischen Erneuerung, von der sie sprachen, ein Konflikt, der nach Heje zu einem Zustand allgemeiner Verlogenheit geführt habe. Das Verantwortungsbewußtsein, das diese Führer für sich in Anspruch nähmen, sei nun als hohle Phrasendrescherei entlarvt. Ästhetisch wohlklingende Reden mußte Heje notwendigerweise als einen Widerspruch zu den Realitäten des Alltags empfinden. Die Führer der Studentenbewegung waren gefeiert worden als Theologen, die das Wesen des Glaubens und die soziale Wirklichkeit analysiert hatten, die darüber predigen und mitreißende Vorträge halten konnten, die auch als leuchtende 65 N . J. HEJE, Vort Kald, S. 2-8. Der Artikel erregte sogleich großes Aufsehen, und Heje veröffentlichte eine Erklärung in der Zeitschrift „Sursum Corda" (Nov. 1924, S. 42-44). Über Tidehverv vgl. K. E. L0GSTRUP, RGG 3 VI, Sp. 885 f.; P. G. LINDHARDT, Kirken i gaar og i dag, S. 141-154; Den danske kirkes historie, Bd. VIII, S. 166-181; N . H . S0E, Dansk teologi siden 1900, S. 117-130; SURSUM CORDA, S. 164-192; über Geismar ebd., S. 162. ββ Kristendomsforkyndelse for Studenter, S. 101-119; Ungdomslogn, S. 49-82, die Zitate S. 114 bzw. S. 73 f. (ü.).
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Vorbilder erschienen waren. Heje sah in all dem nur oberflächlichen Idealismus, feigen Eskapismus, eine unüberwindliche Kluft zwischen der angestrebten gesellschaftlichen Solidarität und einer sentimentalen Erlebnisreligiosität. Heje nahm bei Geismar besonderen Anstoß an der falschen Erbaulichkeit in der Verkündigung, so wie er sie ζ. B. in der Rede über „Mutlosigkeit und Demut" auf der Sommertagung von 1924 erlebt hatte 67 . Heje hatte selbst die Reden dieser Tagung in Buchform herausgegeben, er selbst war bis 1926 wie viele andere der späteren führenden Theologen der Tidehvervbewegung mitverantwortlich für die Organisation der Studentenbewegung. Deshalb ist der Angriff Hejes nicht so sehr als eine systematisch-theologische Auseinandersetzung und grundsätzliche Analyse dieser Theologen zu verstehen, sondern es handelt sich um persönlich erlebte, persönlich gefärbte polemische Angriffe. Es steht fest, daß Geismar nicht nur die Barthsche Theologie in Dänemark eingeführt und sie als erster in seine Problemstellungen eingearbeitet hatte, wenn auch zunehmend mit Modifikationen und Widersprüchen, sondern daß er auch seinen Einfluß dazu benutzte, die Studenten zum Studium des „Römerbriefs" zu ermuntern. Die Zeitschrift der Studentenbewegung, „Sursum Corda", bezeugt in den Jahren 1922-26 denn auch deutlich das große Interesse nicht nur für Barths Römerbrief, sondern auch für die übrigen, kleineren Arbeiten Barths, für das Dostojewski-Buch Thurneysens sowie die von beiden gemeinsam herausgegebenen Predigten „Komm Schöpfer Geist". Weiter bestand großes Interesse für Ragaz und Blumhardt, wobei der Gegensatz zwischen der christlich-sozialen Auffassung und dem konsequenten Diastase-Denken von den meisten noch nicht in seiner ganzen Tragweite erkannt wurde. Der damalige Sekretär der Studentenbewegung Tage Schack (1892-1945), später einer der führenden Tidehvervtheologen, schrieb in diesem Zusammenhang an Barth und forderte ihn eindringlich auf, zur Sommertagung 1925 zu kommen und über Blumhardt zu sprechen. Barth selbst sagte ab, statt dessen sagte Eduard Thurneysen zu. Thurneysen hat seine Eindrücke aus dieser Tagung in einem Brief an Barth dargestellt, und diese Schilderung ist eine der Hauptquellen für das Verständnis dessen, welche theologischen Anstöße die Tidehvervbewegung in Gang setzten. Thurneysen sah deutlich, daß eine recht große Gruppe jüngerer Theologen darin übereinstimmte, daß eine Auseinandersetzung mit den Führern der Studentenbewegung unausweichlich sei. Diese Gruppe versuche nun, die Theologie zu formulieren, an der sich diese Aus67
E . GEISMAR, M o d l e s h e d , S . 1 0 5 - 1 1 4 .
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einandersetzung orientieren sollte. Die Sympathie Thurneysens lag deutlich auf Seiten der „Jungen", und dies um so mehr, als er selbst sich von vielem auf dieser Tagung abgestoßen fühlte; er fand hier „ antireforma torisches, methodistisches Massenbekehrungs- und Seelenfängerchristemtum". Von besonderer Bedeutung ist jedoch Thurneysens Schilderung der Rolle Geismars in dieser Auseinandersetzung. Zwar merkte Thurneysen deutlich Geismars Interesse an der ethischen Erneuerung, dennoch verstand er dies positiv: „Man muß ihn unter seinen Dänen gesehen haben, um ihn gerne zu bekommen und zu schätzen. Er hat gar nichts an sich von Hirschens Arglist und Raffinement und ist in Dänemark wirklich der große Anreger, der unermüdlich auf Kierkegaard hinweist und es nicht verhüten kann, daß dann nicht nur der mittlere, sondern der ganze Kierkegaard spricht, und neben Kierkegaard bist wirklich du [Barth] es, auf den er seine Studenten hetzt. Und im Gefecht mit dem Kirchentum und mit dem Pietismus cummunis dort oben ist er wirklich ganz gut und zuverlässig und eindeutig. Ich habe ihn treffliche Worte reden hören von der großen Unruhe, fast so wie wir es lieben. Er ist jedenfalls in der dänischen Übergangszeit eine nötige und gute Gestalt und von wohltuender Menschlichkeit." 68 Hieraus dürfte deutlich hervorgehen, daß Tidehverv zwar als eine interne Auseinandersetzung in den christlichen Jugendorganisationen begann, daß aber das Spektrum der Auseinandersetzung sehr bald breiter wurde. Im Zusammenhang mit dieser Ausweitung des Spektrums benutzten die „Jungen" u. a. den „Römerbrief" Barths als den Stein, an dem sie ihre Waffen schliffen. Von hier aus wird schnell deutlich, daß die Auseinandersetzung weit durchgreifendere Konsequenzen haben würde, als sie sich zunächst vorgestellt hatten. Der deutschen dialektischen Theologie entnahmen sie das dogmatische Gedankengut, in dessen Licht sie die Kontroverse betrachteten. Außerdem übernahmen sie einen Teil der Begrifflichkeit, darunter auch die unerbittliche, kompromißlose Polemik. Ihnen mußte Geismar als eine Gestalt des Übergangs erscheinen, die jedoch durch ihre idealistischen Seiten in den Augen der Tidehvervtheologen die Ansätze zu einer kritischen Revision zu ersticken drohte. M
Brief
vom
21.7.1925
( K . B A R T H / E . THURNEYSEN, B r i e f w e c h s e l
II, S.
355).
Der Unterschied zu Barths Beurteilung Geismars (vgl. Anm. 27) liegt offensichtlich in dem unterschiedlichen persönlichen Temperament der beiden und auch darin, daß Barth Geismar stets nur an Hirsch messen konnte, während Thurneysen in seinem Urteil gerade Wert darauf legt, Geismar von seinen dänischen Voraussetzungen her zu verstehen, um ihn erschöpfend würdigen zu können. In seinem Dankbrief an Geismar schrieb Thurneysen am 27. 8.1925: „Ich denke mit Freude an meine Reise und Ihr schönes Land zurück und hoffe so sehr, die gewonnene Beziehung reiße nicht ganz ab" (RA KOPENHAGEN, N G Bd. 2). 8
Schjarring, Geismar/Hirsch
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Bekanntschaft zwischen Hirsch und Geismar in den zwanziger Jahren
In dieser gärenden Periode des Übergangs schrieb Gustav Brandsted (1885-1959) eine Darstellung der theologischen Voraussetzungen der Studentenbewegung und ihrer gesellschaftspolitischen Konsequenzen, eine Darstellung, die den Gedanken Geismars sehr nahesteht und die jedenfalls noch gar nicht durch das gekennzeichnet ist, was in dem Augenblick dominieren sollte, als Tidehverv begann, einen ganz selbständigen Kurs einzuschlagen. In seinem Artikel gibt Brandsted zunächst eine instruktive Ubersicht über die Geschichte der Studentenbewegung. Dann kommt er schließlich auf die aktuelle Situation zu sprechen, in der es für ihn darum geht, die Balance zu finden zwischen einer notwendigen theologischen Klärung und - ohne dabei abstraktem Intellektualismus oder Gleichgültigkeit den sozialen und kulturellen Problemen gegenüber zu verfallen - einer glaubwürdigen sozialen Haltung nach außen: „Human life and the whole of humanity is God's field in activity, sanctified by the fact that He works with us in it. From this point of view comes our attitude to various individual problems, - the national question, the question of social and missionary work. Grundtvig helps us to preserve a broadminded attitude; from Luther we learn to keep the true aim in sight; Kierkegaard gives us a spirit of intense devotion and a constant sense of humanity. From the point of view of stimulus and suggestions for work, and of contact with those who are fighting for the same end under different conditions throughout the world, the Anglo-Saxons have helped us, and will certainly continue to do so in future." 69 Sobald die „Jungen" aber aus der Gemeinschaft der Studentenbewegung ausgebrochen waren und nun auf eigenen Sommertagungen und in der Zeitschrift „Tidehverv" ungehindert den eigenen Standpunkt formulierten, trat die bisherige - vor allem indirekte - Abhängigkeit von Barth in den Hintergrund. Es mißfiel ihnen u. a. Barths „Christliche Dogmatik im Entwurf", denn sie meinten, Barth sei damit aus dem Kampf gegen alle Formen von Idealismus in ein Systemdenken zurückgefallen, welches den Ernst des Daseins verflache und letzlich die Paradoxalität auf dem Altar einer Kultursynthese opfere. Anlaß zu vermehrter Animosität Barth gegenüber war auch, daß sich in Dänemark eine steigende Anzahl von Theologen mit der Theologie Barths beschäftigte, - und dies auf weit „kirchlicherer" Grundlage, als es der aufsässigen Mentalität der TidehvervTheologen lieb sein konnte. Ein dritter Faktor, der den Einfluß Barths auf Tidehverv zurückdrängte, war die Tatsache, daß viele Theologen dieses Kreises sich intensiv der Theologie Rudolf Bultmanns (188469 The Danish Student Christian Movement, S. 85 The Federation, S. 202 ff.
f.; vgl. auch T. SCHACK,
Theologie Geismars
115
1976) zuwandten 70 . Im Jesus-Buch Bultmanns fand Tidehverv nicht nur eine formal gesehen radikal durchgeführte historische Kritik, sondern auch einen sehr willkommenen Beweis dafür, daß der kirchliche Moralismus sich zu Unrecht auf einen unantastbaren Kern in der Überlieferung der Evangelien berufe. Bultmanns Einfluß auf die Tidehverv-Bewegung nahm zu, das Jesus-Buch wurde ins Dänische übersetzt, und Barth erschien von hier aus gesehen immer mehr als ein altmodischer orthodoxer Theologe. Es war deshalb typischerweise Bultmann, der als erster prominenter Gast aus dem Ausland an der Sommertagung der Tidehverv-Bewegung im Jahre 1928 teilnahm, später war er noch mehrmals in den dreißiger Jahren in Dänemark. Barth kam dagegen zum ersten Mal zu Gastvorlesungen im Jahre 1933 nach Dänemark, und er war Gast einer anderen Studentenorganisation, dem „Studenterkredsen" (Studentenkreis). Bei dieser Gelegenheit distanzierte sich Barth öffentlich von der Tidehverv-Bewegung, so wie er sich bei derselben Gelegenheit von Kierkegaards angeblichem Pietismus absetzte71. Weit wichtiger als die Abhängigkeit von ausländischen Vorbildern und Anregern ist jedoch das spezifisch dänische Gepräge dieser Bewegung. Dieses beruht zum einen auf einer starken Abhängigkeit von Kierkegaard. Neben Luther und der historisch-kritischen Arbeit am Neuen Testament lieferte Kierkegaard nämlich den Stoff, der in erster Linie als Material für die Ausarbeitung des Christentumsverständnisses dieser Bewegung diente. Zum andern beruht dieses Gepräge auf der spezifisch dänischen polemischen Situation. Die Auseinandersetzung vollzog sich im Rahmen und im Milieu der dänischen „Volkskirche", an internationaler Bedeutung dieser Diskussion war Tidehverv gar nicht interessiert, denn sie war voll damit beschäftigt, den Streit nach allen Seiten im Rahmen der „Volkskirche" auszutragen. Natürlich mußte sie sehr bald zu den beiden großen Erweckungsbewegungen Stellung nehmen, der Heiligungsverkündigung in der Inneren Mission und der Erlebnisreligiosität der Grundtvigianer. Das herausragendste Merkmal des Streites war jedoch der Angriff auf die Theologen, denen sie ursprünglich am nächsten gestanden hatte: Ammundsen und Geismar. Daß die Befreiung aus dieser Bindung sich so schmerzhaft vollzog, sah Tidehverv selbst darin begründet, daß sie gerade an diese Theologen große Erwartungen geknüpft hatte, und daß deshalb die Enttäuschung um so größer war. Der Streit wurde verbissen geführt. Die Dankbarkeit gegenüber den „Älteren", die sich Tidehverv zunächst trotz des Ge70 Über die Ursachen für die zunehmende Distanz zu B a r t h SCHJ0RRING, Barth, Geismar, Tidehverv, S. 85 ff. 7 1 Vgl. DAGENS NYHEDER und BERLINGSKE TIDENDE, 10. 3 . 1 9 3 3 .
8*
vgl.
J.
H.
116
Bekanntschaft zwischen Hirsch und Geismar in den zwanziger Jahren
gensatzes noch bewahrt hatte, wich sehr bald erbitterten, respektlosen und rücksichtslosen Angriffen. Der Ton war beißend und sarkastisch, zugleich nicht ohne eine gewisse Exklusivität. Das sachliche Anliegen ließ sich nicht von der persönlichen Konfrontation trennen, aus der es erwachsen war 7 2 . Um richtig verstehen zu können, wie es so rasch so weit kommen konnte, muß man sich klarmachen, in welchem Sinne die TidehvervTheologen den meisten anderen Theologen und Pfarrern vorwerfen konnten, sie unterlägen alle ein und demselben Grundirrtum. Dieser lag für sie primär darin, daß alle mehr oder weniger durch die idealistischen, bürgerlichen Züge der modernen Kultur geprägt seien. Das bewirke einen ästhetisierenden Optimismus in der Auffassung vom Menschen, die Sünde werde verharmlost, statt dessen dominiere ein moralisches Streben in religiöser Verkleidung. Das Ergebnis sei legalisierte Heuchelei in der Verkündigung, die zu erbaulichen Ermahnungen entarte und letzlich auf humanisierende Selbstbestätigung reduziert werde. Dieses idealisierende Streben verdecke jedoch nur ungenügend den Verrat an der vorbehaltlosen Nächstenliebe. Die Religiosität sei nur Fassade, sie gebe keinen Raum für echte, unverdeckte Solidarität 73 . Die Angriffe richteten sich mit unverminderter Schärfe gegen fast alle bekannten Positionen der dänischen Theologie und des kirchlichen Lebens. Die Reaktionen waren zunächst oft beleidigt, schockiert, voll schulmeisterlicher Zurückweisung des Protests des schlechten Tones wegen. Dies mußte Tidehverv in die Isolation treiben, die Angriffe wurden allmählich zur Schablone. Die Verbitterung führte zu einer polemischen Versteifung der Fronten auf beiden Seiten. Von Barth hatten die Tidehverv-Theologen den Verkündigungscharakter der Theologie übernommen, an dem sie programmatisch festhielten. In Kierkegaards Aversion gegen jegliche objektivierende Existenzbeschreibung fanden sie eine Bestätigung. Das „Programm" 7 1 Als charakteristisches Beispiel für den Ton, in dem die Angriffe geführt wurden, sei ein Artikel K . OLESEN LARSENS genant. Olesen Larsen war zugleich derjenige, der die Tragweite des Streites am klarsten zu formulieren vermochte: „Wir finden, daß der Idealismus der älteren Generation Verrat an der Erde ist, zu der wir doch ganz und gar gehören, und wir meinen, daß man der Natur genauso Unrecht tut, wie man blasphemisch von Gott redet, indem man ihn in die Natur hineindenkt . . . Deshalb lieben wir die Erde, weil sie irdisch ist, nur irdisch" (Et Stykke Krigspsykose, S. 38; ü.). 7 3 Als Material für die Kritik an der verlogenen Moral und als Modelle für eine glaubwürdige Alternative benutzte Tidehverv Stoff aus der Literatur, nicht zuletzt Dostojewski, den dänischen Dichter und Pfarrer J a k o b Knudsen und die norwegische Dichterin Sigrid Undset (vgl. z . B . N . J . HEJE, Proletarmoral og Borgermoral, S. 36-44).
Theologie Geismars
117
ist deshalb am deutlichsten in den Kategorien der Verkündigung ausgedrückt, ob dies nun direkt in Predigten oder in theologischen Abhandlungen geschieht. Es geht ihnen stets um die Betonung des radikalen Unterschieds zwischen dem, was der Mensch selbst an idealen Sehnsüchten und Gefühlen entwirft und dann in das Verständnis des Christentums hineinprojiziert, und dem „gesalzenen Evangelium": „So gesehen gibt es nichts, was so rührend über die Liebe reden kann wie gerade die Eigenliebe. Sie kennt den Wert der Liebe, sie weiß, wie gut und stark es ist, von der Liebe zu reden, ja, die Eigenliebe weiß besser als alles andere, freut sich mehr als alles andere darüber, daß Liebe eine Menge von Sünden verbergen soll. Dann vermeidet man nämlich, selbst unter den Druck der Forderung der Liebe nach Taten zu geraten." Die Verkündigung von der Vergebung der Sünden zielt deshalb hauptsächlich darauf, den Einzelnen nachhaltig an seine ewigen Versuche zu erinnern, sich seiner Verantwortung zu entziehen. Erst wenn die Rede von der natürlichen Idealität als raffinierter Egoismus des natürlichen Menschen entlarvt ist und im Lichte der radikalen Sünde im christlichen Sinne gesehen wird, ist es sinnvoll, die unverdiente Gnade zu verkündigen. Erst dann ist es nicht mehr möglich, die Gnade gleichsam zu annektieren und zu einer Verlängerung menschlicher Möglichkeiten zu machen. Im Verhältnis des Einzelnen zu Gott gilt der absolute qualitative Unterschied, um mit Kierkegaard zu sprechen, oder, in der einfacherem Sprache der Predigt gesprochen, die Wahrheit der leeren Hände: „Aber die Liebe besteht darin, daß wir als Kinder Gottes leben, daß wir Gott in unserem Nächsten dienen mit den leeren Händen, mit denen wir jetzt und in diesem Augenblick dort stehen, wo wir stehen." 74 Tidehverv mußte es folglich als einen Verrat an der Sache der Theologie ansehen, wenn hier auf ein christliches, kulturelles und gesellschaftliches Engagement rekurriert wird. Es geht Tidehverv einzig und allein um die höchst persönliche Verantwortlichkeit des Einzelnen und um seine Gebundenheit an die Entscheidungssituationen, in die der Glaube ihn unablässig hineinwirft. Diese Situationen der Wahl oder der Entscheidung sind jedoch einzigartig und als solche generellen Beschreibungen auch in Form einer landläufigen systematischen Theologie unzugänglich. Echte Verkündigung ist stets konkrete Anrede, „Wort im Besonderen", nicht aber oberflächliche allgemeine Rede, „Wort im Allgemeinen". Es ist deshalb niemals möglich, eine Materialethik, eine konkrete Ethik des kulturellen und gesell74 Ü. aus der anonymen Predigt „Tomme Haender" (LIVET TRO, S. 73 und 75). Vgl. dazu die Angriffe H . REINHARDS (Tidehverv 1927-1929). K. OLESEN LARSENS Artikelserie „Noget om Afgorelsen i 0jeblikket" erschien in „Tidehverv" im Herbst 1932 in einigen Fortsetzungen.
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Bekanntschaft zwischen Hirsch und Geismar in den zwanziger Jahren
schaftlichen Engagements zu entwerfen. Jeglicher Versuch, über die Solidarität der Sünder hinauszugelangen, ist illegitim, es geht darum, daß der Mensch „der Erde und dem Leben treu" bleibt. Der in diesem Denken enthaltene Verkündigungspurismus erklärt zugleich, daß Tidehverv sich nie aus einer nur innerkirchlichen Polemik hat befreien können. Zu einer allgemeinen kulturellen Diskussion ist es nur ganz selten gekommen. Das macht verständlich, warum Tidehverv zu einer höchst exklusiven und elitären Gruppe wurde. Die meisten kirchlichen Kreise betrachteten die Bewegung als Ärgernis, einmal weil der „Barthianismus" - wie man die Bewegung zumindest bis zum Beginn der dreißiger Jahre nannte - so herablassend und repektlos polemisierte, zum andern, weil die „Negativität" dieses theologischen Programms als Absage an jegliche Form von Moral verstanden wurde, die die Sünde zu einem Kissen machte, auf dem man sich ausruhen kann. Die Tidehvervtheologen kümmerten sich nicht darum, auch wenn sie aus diesem Grunde oft nicht von den Gemeindevorständen in Pfarrämter berufen wurden. Die Isolation machte ihren Zusammenhalt nur noch fester und ihre Kritik nur noch verbitterter. In gewisser Weise jedoch kann man sagen, daß diese theologische Bewegung sich durchgesetzt hat, denn sie hat die Diskussion in einer "Weise entfacht, insofern als sie die Vorzeichen der theologischen Debatte der dreißiger Jahre gesetzt hat. In dieser Situation war kein Platz für auch nur teilweises Entgegenkommen oder Teilzugeständnisse. Geismar erklärte sich in der Anfangsphase der Auseinandersetzung einig mit der Grundintention dieser Theologen und beantwortete die Angriffe auf seine Person und seine Theologie mit dem Hinweis, auch er rede doch von Gericht und Paradox. Das vermochte jedoch nichts an der Konfrontation zu ändern, und Hedvig Reinhard und Kristoffer Olesen Larsen (1899— 1964) begannen einen ständig eskalierenden Vernichtungsfeldzug der Kritik gegen Geismar. Gerade diese beiden hatten Geismar urspünglich am nächsten gestanden, Hedvig Reinhard als Gemeindeglied in der Gemeinde Geismars, als dessen Hausärztin und Mitarbeiterin in der Studentenbewegung, Olesen Larsen als einer der begabtesten Schüler Geismars in dessen ersten Jahren als Professor. Ihre Kritik begann mit der Behauptung, daß alle Modifikationen Geismars in seinem Reden von der mittelbaren Berechtigung der Idealität nur leere Floskeln seien, die in keiner Weise die oberflächliche und verantwortungslose Idealität verdecken könnten, die aller wirklichen ethischen Verantwortlichkeit Hohn spreche. Die Polemik wurde fortgesetzt mit der Behauptung Olesen Larsens, Geismars Kierkegaardinterpretation sei eine einzige große Verharmlosung und Domestizierung Kierkegaards, die Kierkegaard letztlich zu einem modifizierten Hegelianer
Position Hirschs in der theologischen und politischen Entwicklung
119
mache. Geismar fehle jeglicher Sinn für das eigentliche Anliegen Kierkegaards75. Da die Konfrontation so spannungsgeladen war, fehlte den Angriffen, so eindringlich sie auch vorgetragen wurden, jeglicher Sinn für Proportionen. Die Polemik heizte sich sozusagen selbst auf, Tidehverv sah bei Geismar nichts als Idealismus. Die Artikel waren gespickt mit Andeutungen, die die Person Geismars lächerlich machen sollten. Nicht zuletzt die Behauptung, seine Kierkegaardforschung sei wertlos, hat Geismar tief gekränkt. Er hat die Enttäuschung über diese Angriffe nie wirklich verwunden, aber er versuchte, darüber hinwegzukommen, indem er seine internationalen Beziehungen pflegte, in erster Linie zu Hirsch, später, als dieser politisch belastet war, zu Emil Brunner (1889-1966) und den skandinavischen Kollegen, mit denen er in dem Bemühen zusammenarbeitete, eine politische Ethik zu formulieren als Antwort auf die Herausforderung, die in der Entwicklung in Deutschland nach 1933 lag.
2. Die Position Hirschs im Rahmen der theologischen Entwicklung
und
politischen
a) Die Konfrontation mit der dialektischen Theologie In den zwanziger Jahren war Hirsch der führende Sprecher des Neuluthertums. Diese Position hatte er sich einmal durch seine Lutherforschung erworben, die er auch auf die Philosophiegeschichte des 19. Jahrhunderts und aktuelle gesellschaftliche Probleme anwandte. Zum andern rührte diese Stellung auch daher, daß Hirsch im Jahre 1922 die Position eines leitenden Redakteurs der „Theologischen Literaturzeitung" übernahm und in den meisten theologischen Lagern als ein scharfer Kritiker bekannt war. In seinen Besprechungen setzte er sich deutlich mit den christlich-sozialen wie auch den dialektischen Theologen auseinander, gleichzeitig hob er die Bedeutung Holls hervor und schloß sich der Kierkegaarddeutung Geismars an. Besonders im Vordergrund stand in diesen Jahren jedoch die Aus7 5 Zu E. GEISMARS Äußerungen über Tidehverv vgl. Soren Kierkegaard VI, S. 1 1 2 ; Religionsfilosfi 2 , S. V i f . ; zu den Angriffen Reinhards und Olesen Larsens vgl. Dr. Reinhard som Kritiker; E r Forudsaetningen Virkelighed; Et Svar og et Spergsmaal. Das ganze Buch „Luthersk Etik i Grundrids" ist als eine Entgegnung auf diese Angriffe zu verstehen. Geismar diskutierte diese Auseinandersetzungen brieflich auch mit Hirsch und Emil Brunner; nach seinem Besuch im Herbst 1934 schrieb Brunner am 21. 4 . 1 9 3 5 an Geismar: „Hat wohl mein Besuch in Kopenhagen irgendwie Frucht getragen z . B . in der Richtung eines besseren gegenseitigen Verständnisses mit den dialektischen Theologen?" (J. H . SCHJ0RRING, Geismar og Brunner, S. 192).
120
Bekanntschaft zwischen Hirsch und Geismar in den zwanziger Jahren
einandersetzung mit der dialektischen Theologie, vor allem mit Karl Barth, aber auch mit Friedrich Gogarten (1887-1967) und Rudolf Bultmann. Hirschs Auseinandersetzung
mit Karl
Barth
Zum ersten Mal stießen diese beiden Theologen aufeinander, als Hirsch Barth nach der 1. Auflage des Römerbriefs und der Tambacher Rede als einen typischen neuen Repräsentanten von Ideen bezeichnete, die aus dem französischen christlichen Sozialismus stammten. Hirsch sah indes das Charakteristische bei Barth darin, daß dieser die Lehre von der Wiedergeburt bei J. T. Beck dadurch weitergeführt habe, daß er den eschatologischen Aspekt in den Vordergrund stellte1. Aus dem Sommer 1921, als gerade entschieden war, daß beide in Göttingen Kollegen werden würden, gibt es einen Briefwechsel zwischen beiden, in dem Hirsch sich äußerst entgegenkommend zeigte und erklärte, er sei an einem kollegialen Dialog interessiert2. Gleich nach ihrem Amtsantritt kam es jedoch zu einer heftigen Kontroverse. Für unsere ganze Thematik ist es wichtig, daß sich dieser erste scharfe Meinungsaustausch gerade um politische Fragen drehte. Uber den konkreten persönlichen Anlaß dieses Streits hinaus liegt seine prinzipielle Reichweite darin, daß beide ihren gegenseitigen Standpunkt typisierten. Barth sah in Hirsch den Inbegriff eines deutschnationalen Fanatismus, dessen eigentlicher Motor die politische Leidenschaft sei, auch wenn sie bei Hirsch nach außen hin im Gewände eines Neuluthertums erscheine. Hirsch dagegen sah in Barth den Ausländer par excellence, der keinen Sinn für das deutsche Ethos habe, und dessen politischer Unverstand einmal aus der christlich-sozialen Häresie gespeist werde, dann aus einer hypostasierten Offenbarungsparadoxalität, die dem christlichen Personbegriff seinen tragenden Grund nehme, nämlich das Gewissen als die Verbindung zwischen göttlicher Forderung und menschlichen Verpflichtungen. Diese Problematik ist denn auch für das Verständnis des theologiegeschichtlichen Kon texts und der Wirkungsgeschichte der 2. Auflage des Römerbriefs von übergeordneter Bedeutung. Und diese Problemstellung läßt sich auch ausführlich belegen, denn wir besitzen außer den Veröffentlichungen beider Theologen den veröffentlichten 1
Reich-Gottes-Begriffe, S. 19, 32 f., bes. Anm. 61 und 62. Vgl. Briefe an Barth vom 28. 6., 3. 7. und 9. 8. 1921 (KARL-BARTH-ARCHIV). Barth schrieb am 13. 8.1921 an Thurneysen über Hirsch: „Etwas an ihm ist entschieden gut, etwas Anderes entschieden nicht gut! Wie soll man ihn fassen? Er ist mir nun schon zweimal glatt entwischt, erfordert irgendwie eine sehr kunstvolle Zange und macht offenbar seinerseits mit aller Kunst den Versuch, mich in seine Zange zu bekommen" (K. BARTH/E. THURNEYSEN, Briefwechsel I, S. 510). 2
Position Hirschs in der theologischen und politischen Entwicklung
121
Briefwechsel zwischen Barth und Thurneysen sowie die unveröffentlichten Briefe Hirschs an Barth und Geismar. Schon am 6. November 1921 ist sich Barth in seinem Urteil über Hirsch so sicher, daß er ihn als „rabiat deutsch-national" bezeichnen kann. Und diese Aussage Barths steht nicht isoliert da, sondern erscheint in den Briefen aus den ersten Göttinger Jahren immer wieder, und dies nicht zuletzt deshalb, weil Hirsch seinerseits Barth gegenüber auch kein Blatt vor den Mund nimmt. Er spricht von der Intransigenz der Entente, ihrer Rachgier und der Unterdrückung des schon zuvor so hart getroffenen deutschen Volkes, er gebraucht dabei Ausdrücke wie „Mordfriede" und „Schuldlüge" 3 . Nicht nur die politische Einstellung beider Männer war diametral entgegengesetzt, sondern auch ihr Verständnis vom Christentum, das ihrer politischen Ethik zugrunde lag. Wo Barth die Ethik ausschließlich im Lichte des absoluten und qualitativen Unterschiedes zwischen Gott und Mensch sah, dort wies Hirsch stets auf das Bewußtsein vom Wirken Gottes in der Geschichte hin, das sich durch das Gewissen des Einzelnen kundgebe 4 . Die Perspektive, in der beide die konkrete politische Meinungsverschiedenheit und deren theologischen Uberbau sahen, bekam jedoch sehr bald eine noch viel größere Reichweite. In diesen Jahren diskutierte Barth oft mit Stange und Hirsch in einem internen Kreis, und diese Gespräche arteten häufig in heftige Beschuldigungen und Anklagen von beiden Seiten aus. Es waren vor allem zwei theologische Problemkreise, die in diesen Diskussionen eine Rolle spielten: erstens die Frage nach dem Begriff der Offenbarung und der Autorität der Schrift. Diese Problematik wurde natürlich akut, als die 2. Auflage des Römerbriefes zum Jahreswechsel 1921/22 erschien. Barth bereitete es damals ein gewisses diabolisches Vergnügen, daß Hirsch, der sonst stets durch seine enorme rezeptive Begabung zu imponieren wußte, hier auf eine harte Probe gestellt wurde. Aber bald war der Dissens zwischen beiden in seinem ganzen Umfange deutlich. Barth stellte ganz und gar auf die Unanschaulichkeit, die Paradoxalität, die Einmaligkeit und die Schriftgebundenheit der Offenbarung ab, zu der es im Strom der Geschichte keine Analogie gebe. Hirsch dagegen betonte seinerseits ganz im Gegensatz dazu die geschichtliche Bedingungen der menschlichen Erkenntnis angeschaut und ausgelegt Bedingtheit des Schriftwortes, die Schrift müsse nämlich unter den ' Vgl. die Briefe Barths an Thurneysen vom 6. und 18.11.1921, 26.2. und 28. 6.1922 (ebd. II, S. 5, 11, 46 und 88). 4 Vgl. die Briefe Barths an Thurneysen vom 22.1., 22. 5. und 9.10.1922, 18. 5. und 30.10.1923 (ebd., S. 29 f., 79, 108 f., 163 und 195).
122
Bekanntschaft zwischen Hirsch und Geismar in den zwanziger Jahren
werden 5 . Insoweit lag Hirsch ganz auf der Linie der Einwände, die von liberaltheologischer Seite (ζ. B. Jülicher und Harnack) auf Barth herniederregneten: für diese Theologen gab Barth die intellektuelle Glaubwürdigkeit der historischen Kritik preis und machte das Zentrum der Theologie zu einem sacrificium intellectus 6 . Zweitens wurden diese Probleme auf die Auffassung von der Theologie und Philosophie des 19. Jahrhunderts übertragen. Stange beschäftigte sich sehr mit Schleiermacher, Hirsch mit der gesamten idealistischen Tradition von Fichte bis zu Hegel und Kierkegaard, wobei er, wie schon dargelegt, an einigen Seiten des Idealismus positiv festhalten wollte. Barth dagegen knüpfte an die Radikalität Feuerbachs und Overbecks an, um von hier aus jegliche Form von Kultursynthese und humanisiertem Christentum zurückzuweisen. Feuerbach wurde so für Barth zum Kronzeugen für die Notwendigkeit einer radikalen Abkehr vom Erbe des 19. Jahrhunderts, bei Hirsch dagegen war er ein Sympton dafür, daß nur die durch das Gewissen konstituierte Sittlichkeit eine legitime Weiterführung der positiven Ansätze im Idealismus ermögliche 7 . Wie heftig der Streit zwischen Hirsch und Barth und wie total die politische und theologische Differenz auch war, beide versuchten nach jedem unversöhnlichen Streit stets, die Gesprächsgrundlage zu bewahren. Jeder wollte den anderen in einer Art Haß-Liebe respektieren. Barth konnte zwar davon sprechen, er habe Respekt vor dem persönlichen Stil Hirschs, der ihm imponiere, aber das war im Grunde doch ironisch und sarkastisch gemeint, nicht zuletzt wenn er von den rezeptiven Gaben Hirschs sprach, seinem legendären enzyklopädischen Wissen und seiner Gabe, im Eiltempo dänisch zu lernen, um Kierkegaard lesen zu können 8 . Trotzdem bemühten sich beide so lange wie möglich, sowohl in privaten als auch in öffentlichen Diskussionen einen versöhnlichen Umgangston zu bewahren, sie versuchten mehrmals auf langen Spaziergängen die Fronten zu klären, auch nachdem 6 Vgl. die Briefe Barths an Thurneysen vom 12.12.1921, 2 3 . 1 . 1 9 2 2 und den Rundbrief vom 26. 2 . 1 9 2 2 (ebd., S. 22 f., 31 und 41-45).
« Vgl.
dazu
J.
MOLTMANN,
Anfänge
I,
S.
87-98,
323-345;
K.
BARTH/E.
THURNEYSEN, Briefwechsel II, S. 134 f., 167 f., 172; E. BUSCH, Lebenslauf, S. 125 ff., 1 6 0 f., 1 7 9 , 2 0 5 f. 7 Vgl. Briefe Barths an Thurneysen vom 12.12.1921, 1 1 . 2 . 1 9 2 2 , 2 8 . 2 . und 2 9 . 5 . 1 9 2 3 , 2 2 . u n d 2 3 . 9 . 1 9 2 7 ( K . B A R T H / E . THURNEYSEN, B r i e f w e c h s e l I I , S. 2 2 f.,
ff.). Vgl. Briefe Barths an Thurneysen vom 12.12.1921 („Schlangenmensch"), 22. und 23. 1. 1922 („Alleswisser", „der sonst alles versteht und für alles eine Schublade hat") (ebd., S. 23, 29 und 32). An Geismar schrieb Barth am 1 1 . 6 . 1 9 2 3 : „Denn ich bin leider nicht so fleißig und gewandt wie mein Nachbar Hirsch, der im Nu Dänisch gelernt hat und als Übersetzer auftreten kann" (J. H. SCHJ0RRING, Barth, Geismar, Tidehverv, S. 101). Vgl. auch E. BUSCH, Lebenslauf, S. 147. 36, 152, 172, 5 2 4 8
Position Hirschs in der theologischen und politischen Entwicklung
123
Barth über Hirschs bösartigen Versuch aufgebracht war, ihn den Studenten gegenüber in einer hinterhältigen Art lächerlich zu machen 9 . Im Winter 1923 spitzte sich die politische Situation zu, erst durch die fortschreitende Inflation und ihre Nebenwirkungen, dann durch die französische Ruhrbesetzung. Im Gefolge dieser Ereignisse nahm auch der Gegensatz zwischen Barth und Hirsch deutlich zu. Zwar war auch Barth selbst über die französische Politik äußerst beunruhigt, und dies um so mehr, als er täglich die äußerst gegenwärtigen Beweise der ernstlichen sozialen Not in Deutschland sah 10 . Trotzdem war er nun so schockiert über den maßlos grassierenden Chauvinismus bei seinen Universitätskollegen, daß er sich in seiner instinktiven Abneigung gegen den deutschen Nationalismus bestätigt fühlte, der sich hier von seiner schlechtesten Seite zeigte. Und wiederum war es Hirsch, der für ihn gleichsam zum Inbegriff eines politischen Fanatismus wurde, der sich vor den Wagen des Hollschen Ethizismus spannen ließ. Dazu kamen Hirschs unbeherrschte persönliche Ausfälle gegen Barth, ζ. B.: „Schweizer! Ausländer! Hetzer! Friedensstörer", - was Barth jedoch auch nicht unbeantwortet ließ 1 1 . Zu diesen Gegensätzen trat im Laufe des Jahres 1923 die Uneinigkeit über die Kierkegaarddeutung, und dies zog nun wiederum Geismar in den Streit hinein. Hirsch bestand nämlich ganz wie Geismar Barth gegenüber darauf, daß Kierkegaard eklektisch zu lesen sei. Die asketischen, lebensverneinenden Züge, die sich vor allem in der Zeit des „Kirchensturmes" bei Kierkegaard zeigten, seien von den lebensbejahenden Elementen in den erbaulichen Schriften her zu korrigieren. Der so betrachtete Kontext für alles theologisch legitime Reden von Sittlichkeit wurde nun von Hirsch formuliert als das Ergebnis einer Synthese zwischen Hollscher Gewissenstheologie und Kierkegaardscher Entscheidungsethik, und Hirschs ganze Arbeitskraft galt eben der Entfaltung dieser Synthese. Gerade dies war die Grundlage der Beziehung zwischen Hirsch und Geismar, und Hirsch legte diese Gedanken nun in der „Zeitschrift für systematische Theologie" dar, die er zusammen mit Stange als Schriftführer herausgab. Mit dieser Zeitschrift sollte ein Gegengewicht zu „Zwischen den Zeiten" geschaffen und gleichzeitig das skandinavische Luthertum in Deutschland vorgestellt werden 12 . » Vgl. Briefe Barths an Thurneysen v o m 1 1 . 2 . , 2 . 4 . , 9. und 2 2 . 5 . 1 9 2 2 BARTH/E. THURNEYSEN, Briefwechsel II, S. 40, 6 4 f., 73 und 79).
(K.
1 0 E . BUSCH, Lebenslauf, S. 161. " Vgl. Briefe Barths an Thurneysen v o m 2 3 . 1 . , 1 6 . 2 . , 2 8 . 2 . , 3 1 . 3 . und 1 8 . 5 . 1923 ( K . BARTH/E. THURNEYSEN, Briefwechsel II, S. 130 f., 145, 152 f., 158, 163 f.). Z u den erwähnten Thesen Hirschs vgl. unten S. 1 3 2 - 1 3 6 . 1 2 Vgl. Briefe Barths an Thurneysen v o m 2 9 . 5. 1923, 30. 10. und 26. 11. 1924 und 1 5 . 2 . 1925 (ebd., S. 171 f., 195, 2 9 4 , 3 0 8 ) . Hirsch gab am 7 . 1 1 . 1924 in einem
124
Bekanntschaft zwischen Hirsch und Geismar in den zwanziger Jahren
Später trat die direkte Beziehung zwischen Barth und Hirsch immer mehr zurück. Als Barth 1925 nach Münster berufen wurde, verhandelten beide zwar noch in relativer Verträglichkeit über die Möglichkeit, Thurneysen nach Göttingen zu holen13. Ansonsten gab es in den zwanziger Jahren nur eine Episode, die erneut zu Spannungen zwischen beiden führte. Dies geschah, als Hirsch Barths „Christliche Dogmatik im Entwurf" las, sie durch Otto Ritsehl in der „Theologischen Literaturzeitung" besprechen ließ und von hier aus seine früheren Angriffe auf die Offenbarungstheologie Barths noch weitertrieb. Jetzt warf Hirsch Barth vor, Exponent einer antiquierten Orthodoxie zu sein, die eigentlich schon im 17. Jahrhundert ausgestanden sei14. Hirschs Auseinandersetzung
mit
Gogarten
In einem Nachwort zur 2. Auflage von „Deutschlands Schicksal" hatte Hirsch seine Bemühungen um eine politische Ethik, die sich auf eine theonome Sittlichkeit gründen sollte, neu aktualisiert, indem er sich mit dem auseinandersetzte, was er schon zu diesem Zeitpunkt (1922) als den Kern der dialektischen Theologie, vor allem bei Barth und Gogarten, ansah. Das Symptomatische an der Polemik Hirschs ist nicht nur, daß sie sowohl eine politische als auch eine theologische Zielrichtung hat, sondern vor allem die Art und Weise, in der er diese beiden Zielrichtungen miteinander verknüpfte. Aus politischer Sicht wirft Hirsch ohne irgendein Zögern die Sache der dialektischen Theologie in einen Topf mit dem, was er „Revolutionsphilosophie" nennt. Dies erklärt sich schon daraus, daß das konsequente Paradoxdenken für ihn dazu führt, daß Schöpfer und Geschöpf in einem solchen Grade auseinandergerissen werden, daß das Verhältnis Gottes zu den irdischen Gegebenheiten einseitig auf den richtenden, zunichtemachenden Aspekt reduziert wird; die ordnende, aufbauende Liebe in dem fortgesetzten Schöpferwerk Gottes werde daBrief an Geismar der Hoffnung Ausdruck, Geismars Kierkegaard-Deutung werde die deutschen Fehler korrigieren (RA KOPENHAGEN, NG Bd. 1). Vgl. dazu auch unten Anm. 65. M Vgl. Barths Brief an Thurneysen vom 25. 7.1925 und Thurneysens Antwort v o m 3 0 . 7. 1 9 2 5 ( K . B A R T H / E . THURNEYSEN, B r i e f w e c h s e l I I , S . 3 6 1 u n d 3 6 3 f . ) . 14
Brief an Barth vom 31. 5.1927 (KARL-BARTH-ARCHIV). Vgl. auch Thurneysens Brief an Barth vom 24.5.1928 (K. BARTH/E. THURNEYSEN, Briefwechsel II, S. 575). Dasselbe Problem wird in Hirschs Briefen an Barth vom 14. und 16. 3. 1928 nach Barths Katholizismus-Vortrag behandelt (KARL-BARTH-ARCHIV). Geismar gegenüber bezeichnete Hirsch Barth in einem Brief vom 1.1.1929 als den „Begründer einer neuen Orthodoxie", und er meinte zum Einfluß Barths: „D. h. die ganze .Beunruhigung' durch Barth läuft bei uns jetzt darauf hinaus, jeden Einfluß der Zeit von 1700-1900 auf die Theologie totzuschlagen". Dafür macht Hirsch vor allem Barth verantwortlich, auch wenn er die Reaktion der deutschen Studenten übertrieben und einseitig nennt (RA KOPENHAGEN, NG Bd. 1).
Position Hirschs in der theologischen und politischen Entwicklung
125
gegen übersehen. Dadurch gebe der Mensch sich entweder einem konsequenten Eskapismus anheim, oder - und das ist in den Augen Hirschs mit dem Hinweis auf die Revolutionsphilosophie die nachweisbare Konsequenz - verschreibe sich einer dämonischen „Vergöttlichung irdischer Mächte" 15 . Hirschs theologische Schlußfolgerung ist hiermit bereits angesprochen. Er beschuldigt die dialektischen Theologen, in ihrer Einseitigkeit und radikalen Paradoxalität die Rechtfertigungslehre Luthers keineswegs angemessen zu verstehen. Er wirft Barth und Gogarten vor, sie landeten bei einer spekulativen Transzendenzphilosophie, in der die konkrete Verantwortlichkeit eliminiert sei. „Bei den Modernen dagegen wird die konkrete Gemeinschaft der Herzen zerstört. An ihre Stelle tritt die Idee einer Einheit im unerfahrbaren Geheimnis des Transzendenten, die in der Lebenswirklichkeit ein unverbundenes Nebeneinander lauter einsamer Einzelner bedeutet. Nicht das Paradox schlechthin, sondern die wunderbarliche Anschauung der sich mitteilenden lebensschaffenden göttlichen Liebe ist das Herz der Rechtfertigungslehre Luthers." 16 Für Hirsch steht also fest, daß Politik bei den dialektischen Theologen zu unverbindlicher Spiegelfechterei führt oder einem hemmungslosen Materialismus preisgegeben wird. Dies ist natürlich auf dem Hintergrund der These Hirschs zu sehen, daß nur die von ihm anvisierte theonome Gewissensethik ein wahres und theologisch legitimes politisches Ethos ermögliche. In seiner Antwort behauptet Gogarten, Hirschs ganzer Ansatz bedeute eine Verwischung der lutherischen Unterscheidung zwischen Gesetz und Evangelium. Hinsichtlich der politischen Konsequenzen deutet Gogarten zwar unmißverständlich die Möglichkeit eines Konsenses zwischen ihnen an, aber auf der grundsätzlichen theologischen Ebene, in der Lutherinterpretation, wirft er Hirsch vor, er sehe in seiner Gewissensethik in diffuser Weise hinweg über den Unterschied zwischen sündiger Menschennatur und göttlicher Schöpfersouveränität. Hirschs Lehre von der Sittlichkeit führe statt dessen zu einer Verabsolutierung des menschlichen Strebens nach Glück sowie zu einer Pantheisierung der Offenbarung. Gogarten seinerseits besteht darauf, daß allein Jesus Ort und Organ der Offenbarung sei, die sich folglich nicht durch die Kategorie der Sittlichkeit verstehen lasse, denn das Gewissen sage nicht ja, sondern vielmehr nein zum Evangelium von der Vergebung der Sünden. Allein durch den Glauben lasse sich eine Beziehung zwischen Anrede Gottes und Erfüllung der sittlichen Forderungen herstellen17. 15 18 17
Deutschlands Schicksal2, S. 161, vgl. auch ebd., S. 157. Ebd., S. 164; vgl. auch ebd., S. 162 f. Über die Möglichkeit einer praktisch-politischen Ubereinstimmung mit Hirsch
126
Bekanntschaft zwischen Hirsch und Geismar in den zwanziger Jahren
Hirsch war über die Kritik sehr aufgebracht, einmal weil er mit den theologischen Thesen der Kritik nicht einverstanden war, zum andern aber auch, weil er sich darüber ärgerte, daß Gogarten sich auf Luther berief und zudem noch Holl in ungebührlicher Weise behandelte. Die Behauptung, er habe die reformatorische Lehre von der iustificatio impii verlassen, sah er als eine böswillige Unterstellung an. Zwar baue er auf dem Axiom, daß der Mensch als sittliches Wesen auf die Ewigkeit hin angelegt sei, daß es ein natürliches Gottesbewußtsein vor dem in der Offenbarung enthaltenen Gericht gebe, aber all dies stehe nicht mit der Rechtfertigungslehre in Konflikt. Auch Hirsch distanzierte sich eindeutig von einem unvermittelten Pflichtidealismus, wie er ihn in Fichtes „autogenem Ichbewußtsein" ausgedrückt fand, aber genauso entschieden wandte er sich gegen Gogartens Antinomismus, der dem christlichen Ernst hinter den ethischen Verpflichtungen den Boden entziehe. Der menschliche Mißbrauch des Gesetzes hebe das Gesetz als ordnende, erhaltende Instanz, mit der Gott in das Schöpfungswerk eingreife, nicht auf. Außerdem führe Gogartens Dichotomie zwischen Offenbarung und Glaubensgewißheit zu einer solchen Diastase, daß dabei die intellektuelle Glaubwürdigkeit der Theologie verlorengehe 18 . Die Verbitterung Hirschs über Gogarten in den zwanziger Jahren führte zu äußerst kritischen Rezensionen der Bücher Gogartens, sie hielt auch in den dreißiger Jahren an, obwohl man eigentlich vermuten könnte, daß sich beide in ihrer politisch-theologischen Auffassung von Gesetz und Staat einander näher gekommen wären 19 . vgl. F. GOGARTEN, Ethik des Gewissens, S. 14. Der zentrale theologische Einspruch geht deutlich hervor aus F. GOGARTEN, Erwiderung: „Meine Behauptung ist nun die, daß Hirsch tatsächlich doch nur eine ethisch-theistische Geschichtsansicht gegeben hat. Er hält sie aber wegen ihrer ethischen Begründung, deren wirklichen, lediglich kritischen Sinn er verwischt, für die Geschichtsansicht des Evangeliums. U m dieser Verwechslung willen griff ich sein Buch a n " (S. 60 f., vgl. auch S. 59). Barth identifizierte sich völlig mit der Kritik Gogartens, und dies bereits, als er sie nur mündlich referiert bekommen hatte. In einem Brief vom 7 . 1 0 . 2 2 an Thurneysen forderte Barth dazu auf, man solle eben Gogarten gegen „Deutschlands Schicksal" das Wort erheben lassen (K. BARTH/E. THURNEYSEN, Briefwechsel II, S. 106). Seine Übereinstimmung mit Gogarten betonte Barth darauf am 2 3 . 1 . 1 9 2 3 (ebd., S. 135). Auch Gogartens Artikel „Die Kirche und ihre A u f g a b e " enthält eine Anklage gegen Hirsch, bei ihm liege ein Schulbeispiel vor für eine Humanisierung der Paradoxalität der Offenbarung (S. 61). 18
Zum Problem der Ethik, S. 52-57. Vgl. dazu G. SCHNEIDER-FLUME, Politische
Theologie, S. 29-34. 19 Vgl. Hirschs Entrüstung in T h L Z 53, 1928, Sp. 19 f. (Besprechung von Fr. Gogarten, Theologische Tradition und theologische Arbeit). Diese Auseinandersetzung wurde ausgetragen, nachdem Gogarten Hirsch als den Hauptverantwortlichen für den fatalen theologischen Fehler bezeichnet hatte, der in einem von Grund
Position Hirschs in der theologischen und politischen Entwicklung Der Streit
mit
127
Bultmann
Hirschs Streit mit Bultmann begann Mitte der zwanziger Jahre als ein Streit um die Christologie. Beide formulierten ihre Kritik in gegenseitigen Rezensionen ihrer Jesus-Bücher. Diese Divergenz in der Christologie brachte jedoch neue Divergenzen mit sich, womit dieser Streit noch einmal deutlich machte, wie sehr Hirsch sich grundlegend von fast allem unterschied, was die Initiatoren von „Zwischen den Zeiten" zusammengeführt hatte. Hirsch hatte sich früher ganz unbesorgt geäußert über die dogmatischen Konsequenzen, die eine konsequente historische Kritik mit sich führen könne. Es überrascht deshalb ein wenig, daß er sich jetzt über die Minimalisierung des historischen Kerns in der synoptischen Uberlieferung bei Bultmann entsetzt zeigt20. Hirschs eigentlicher Anstoß an Bultmann ist jedoch dessen theologischer Neuansatz. Er verwirft besonders Bultmanns unerbittliche Absage an alle idealistischen Züge in der Christologie: „An die Stelle des Eigenwertes aller verklärter Menschlichkeit tritt die Betrachtung des Menschen als des ganz durch den Anspruch Gottes auf Gehorsam Bestimmten." Seine Kritik setzt Hirsch ferner am Entscheidungscharakter des Glaubens an, in dem Bultmann die Grundintention der eschatologischen Verkündigung Jesu vom Reich Gottes sieht21. In dem dann folgenden Meinungsaustausch war jedoch die Frage nach der Existentialität des Glaubens kein Streitobjekt, und dies ist verständlich, da ja beide zu diesem Zeitpunkt intensiv darum bemüht waren, Ansätze Kierkegaards aufzunehmen, wenn auch mit weit verschiedenem Ergebnis22. Hirsch behauptet nun, Bultmann habe nicht auf falschen Verständnis des Verhältnisses zwischen idealistischer Philosophie und Christentum bestehe. Sogar noch am 14. 1. 1935 bemerkte Hirsch in einem Brief an Geismar in einem Zusammenhang, wo er über das Verhältnis zwischen der politischen Situation und dem christlichen Liebesgebot in seiner Auslegung bei Luther und Kierkegaard spricht, zu Gogarten: „Es bleibt in meinem Verständnis der Liebe auch ewig die Differenz zwischen Gogarten und mir. Ich würde nicht so hart gegen ihn reden wie Sie, aber ich verstehe, was Sie meinen, und ich bin Ihnen darin näher als ihm. Damit ist gesagt, daß ich den Nomos nicht für den Herrn der Liebe, sondern für die Wirklichkeit, in der die Liebe steht und an der die Liebe bildet, halte" (RA KOPENHAGEN, N G 20
Bd.
1).
Bultmanns Jesus, S. 309-311. Hirsch betonte in diesen Jahren, daß er dogmatisch weitgehend mit R. Seeberg übereinstimme, mit dem er stets schon über die „Haltung zu Kirche und Parteien" einig gewesen sei (Hirsch an R. Seeberg 1.9. 1925 und 5. 4. 1927; BA KOBLENZ, Nachlaß R. Seeberg). 21 Bultmanns Jesus, S. 310. 22 Ebd., S. 312; über den Zusammenhang zwischen der theologia crucis bei Luther und dem Begriff der Gleichzeitigkeit bei Kierkegaard vgl. auch Jesus Christus der Herr, S. 58 ff.; über die von Kierkegaard inspirierte Paradoxalität in der Christologie vgl. auch Antwort an R. Bultmann, S. 638-640, 654 und 659.
128
Bekanntschaft zwischen Hirsch und Geismar in den zwanziger Jahren
die volle Konsequenz des Zusammenhanges zwischen dem existentiellen Entscheidungscharakter und der eschatologischen Forderung gesehen, ein Zusammenhang, der den Kern der Christologie darstelle. Bultmann habe die grundlegende Ubereinstimmung zwischen der Eschatologie in der Verkündigung vom Gottesreich und der paulinischen Rechtfertigungslehre nicht ernstlich wahrgenommen: „Er hat nicht klar zu machen vermocht, daß der eine und gleiche Wille Gottes Gehorsam fordert und Vergebung bietet, daß wir an Jesu Wort zu Sündern nicht werden, sondern an ihm als solche uns finden und nun in der einen Entscheidung, die Buße und Vergebungsglaube zugleich ist, umgewandt werden hinein in sein Reich." 23 Hirsch behauptet mit anderen Worten, Bultmann trenne in falscher Weise die Situation der Entscheidung vom barmherzigen Handeln Gottes in und mit dem Menschen, gerade aber der Zusammenhang zwischen beidem sei das Wesentliche des Christentums. Diese Aufspaltung taucht, so Hirsch, auch auf, wenn Bultmann das „Wort" der Botschaft nicht in seiner wichtigen Zusammengehörigkeit mit dem Inhalt sieht, auf den es hinweise. In dieser Weise trenne Bultmann das „Wort" von der Person, die es trage und mit der es unlöslich zusammengehöre, und dadurch gehe bei ihm die Dimension der Innerlichkeit und des Personseins verloren, weil er alles unnuanciert bekämpfe, was an idealistische Persönlichkeitsideale erinnern könne. „D. h. das Wort Jesu ist nur dann ein unmißverständliches, mich zur Entscheidung zwingendes Wort, wenn er, der persönliche Träger, mit ihm eines ist, - wenn er selbst mir zum Wort wird." 24 Hirsch flicht in seine Diskussionsbeiträge zahlreiche allgemeine Ausfälle gegen „Zwischen den Zeiten" ein. Auch Bultmann versäumt nicht die Gelegenheit, Hirschs Christologie mit Kategorien zu beschreiben, die Hirsch in die Nähe der liberalen, idealistischen Tradition des 19. Jahrhunderts rücken. Bultmanns Auseinandersetzung mit Hirsch ist denn auch in Wirklichkeit eine Auseinandersetzung mit Wilhelm Herrmann, den er freilich für einen weit gewichtigeren Gegner hielt als Hirsch. So wirft Bultmann seinem Widersacher vor, er vermische Glaube und Gewißheit, Entscheidung und persönliche Innerlichkeit miteinander und falle in eine sentimental humanisierende Erfahrungschristologie zurück, die in eigentümlicher Weise die Fehler des Rationalismus wie des Pietismus wiederhole. Auch wenn Bultmann Hirsch gegenüber wie stets streng akademisch-sachlich argumentiert, läßt er es dennoch nicht an scharfer Polemik fehlen, vor allem im Zusammenhang mit dem Vorwurf des Subjektivismus und 15
Bultmanns Jesus, S. 311. " Ebd., S. 311 ff., Zitat S. 313; vgl. auch Antwort an R. Bultmann, vor allem S. 657.
Position Hirschs in der theologischen und politischen Entwicklung
129
einer historisierenden Christologie. Bultmann erhielt denn auch sogleich eindeutige Zustimmung von Seiten Barths 25 .
b) Die politische Ethik Hirschs In der Substanz änderte sich die politische Ethik, die Hirsch während des Krieges und in der Anfangsphase der Weimarer Republik vorgelegt hatte, in den zwanziger Jahren nicht wesentlich. Er blieb bei seiner kritischen Beurteilung des Kriegsendes, der „verräterischen Aufgabepolitik", des Pazifismus, der Maßnahmen zum Aufbau der Republik durch die parlamentarischen Parteien, der Sozialdemokratie und des „mörderischen" Versailler Friedens. Er änderte auch nicht seine ethischen Grundsätze, mit denen er seine Stellung begründet hatte. Die politische Ethik Hirschs in den zwanziger Jahren ist also eine weitere Profilierung früherer Ansätze, bedingt einerseits durch die politische Entwicklung in der Weimarer Zeit nach innen und nach außen, andererseits durch die politischen Aspekte in den beiden wichtigsten theologischen Auseinandersetzungen, in die er in diesen Jahren geriet, nämlich mit Barth und Geismar. In den Beziehungen zwischen Hirsch und Geismar seit 1922 haben die konkreten politischen Fragen wie auch die grundsätzlichen Probleme von Anfang an eine herausragende Rolle gespielt. Der Begriff der „lebendigen Gerechtigkeit" mit all dem, was er bei Hirsch implizierte, war der Ausgangspunkt für die Meinungsverschiedenheiten, in die sie sogleich gerieten. Hirsch legte ganz offen und unter Aufbietung all seiner Leidenschaft seine Auffassung vom Kriegsausbruch und den Friedensbedingungen dar, während Geismar seinerseits etwas vorsichtiger die Einwände vorbrachte, die von seinem Standpunkt her angezeigt waren. Zu den konkreten Fragen, die in den Streit einbezogen wurden, gehörte auch das dänisch-deutsche Verhältnis. Hier nahm Hirsch denselben, an Bismarck orientierten Standpunkt ein wie in der Frage des deutsch-französischen Verhältnisses: Die Provokation in den deutschdänischen Kriegen zwischen 1848 und 1864 habe eindeutig auf dänischer Seite gelegen, und die Grenzänderung nach Norden im Jahre 2S
Vgl.
R.
BULTMANN,
Zur
Frage
der
Christologie,
S.
93-101;
K.
BARTH/R.
BULTMANN, B r i e f w e c h s e l , S . 3 8 , 4 2 , 6 5 u n d 6 8 f . ; K . B A R T H / E . THURNEYSEN, B r i e f -
wechsel II, S. 306. W. SCHWEER hat - im Anschluß an die Kritik Bultmanns an Hirsch - das Erfahrungsmoment in der Christologie Hirschs als einen persönlichen Irrationalismus charakterisiert, der nicht nur auf die liberale Tradition zurückgehe, sondern auch Elemente einer romantisch-idealistischen Lehre von der Unmittelbarkeit enthalte, von den „ Immédiats verhält nissen" (Die theologische Ethik, S. 56-64). 9
Schjorring, Geismar/Hirsch
130
Bekanntschaft zwischen Hirsch und Geismar in den zwanziger Jahren
1864 sei lediglich als eine Korrektur der dänischen Annexionspolitik zu betrachten. Hirsch versuchte jedoch weder jetzt noch später die Lösung in Frage zu stellen, die das Nordschleswig-Problem 1920 gefunden hatte 26 . Beide diskutierten auch die allgemeine Auffassung Hirschs über die Souveränität der nationalen Verpflichtungen, über die Unvermeidlichkeit des Krieges und den Irrationalismus des Gewissens, der Hirsch veranlaßte, seine Auffassung als „heilig" zu sanktionieren. Als Geismar ihm vorhielt, die polemische Seite des Christentums komme bei ihm zu kurz, antwortete Hirsch gekränkt und empört, seine Vorstellungen spiegelten gerade die dialektische Spannung zwischen Zeit und Ewigkeit wider, mit der die reformatorische Ethik stehe und falle. Dieser Aspekt lasse sich nur durch ein Gewissen reflektieren, das sich an den souveränen Willen Gottes gebunden wisse27. Hirschs Argumentation mußte anderen als rechthaberisch erscheinen, als nationalistischer Fanatismus. Dies wurde noch dadurch bestärkt, daß Hirsch nun verlangte, die politischen Fragen aus der Diskussion auszuklammern. Was Geismar als Chauvinismus erscheinen konnte, muß in historischer Perspektive jedoch auf dem Hintergrunde der französischen Ruhrbesetzung gesehen werden, die diese Steigerung des nationalen Pathos mit hervorgerufen hatte. Hirsch war hinsichtlich der internationalen Reaktion auf diese Ereignisse gut unterrichtet, er kannte dänische Zeitungsberichte und fand, daß die Hauptprobleme in der dänischen Presse irreführend dargestellt würden. Beide wollten aber die Beziehungen nicht abbrechen lassen, vor allem deshalb, weil Hirsch zu dieser Zeit gerade mit der Übersetzung von Geismars Artikel über das ethische Stadium bei Soren Kierkegaard beschäftigt war und Geismars seinerseits unter der Anleitung Hirschs begonnen hatte, Holl zu studieren 28 . Die hier sich ergebende theologische Übereinstimmung zeigte sich sehr schnell als so weitreichend, daß der politische Dissens in den Hintergrund trat. Auch in dem Streit zwischen Barth und Hirsch hatten die politischen Fragen eine vergleichbare Bedeutung. Barth sah in Hirsch so28
A n G e i s m a r a m 5. 3. 1 9 2 3 ( R A KOPENHAGEN, N G B d . 1 ) .
" An Geismar am 3 1 . 1 2 . 1 9 2 2 (ebd.). 28 Vgl. Hirsch an Geismar am 5. und 18.3. sowie am 1 3 . 4 . 1 9 2 3 (ebd.). Wenn in Deutschland bei vielen der Eindruck entstand, daß die französische RuhrBesetzung im Ausland völlig unkritisch hingenommen wurde, so war dies nicht richtig. Vor allem aus Schweden kamen Sympathie-Erklärungen, von denen besonders der von sämtlichen lutherischen Bischöfen (darunter Söderblom) unterzeichnete Aufruf Aufmerksamkeit erweckte (vgl. AELKZ 56, 1923, Sp. 121, 126, 140, 169 f. und 190; CW 37, 1923, Sp. 94, 192-198 und 431). Aus Finnland und Ungarn kamen ähnliche Proteste gegen das französische Vorgehen, das auch in Dänemark auf Ablehnung stieß (vgl. W. ZOELLNER, ökumenische Arbeit, S. 1 2 16; J. WRIGHT, Über den Parteien, S. 106-110).
Position Hirschs in der theologischen und politischen Entwicklung
131
gleich einen fanatischen, rabiaten Nationalisten und wurde während seiner Göttinger Zeit in seiner fundamentalen Aversion nur bestätigt, als er die Reaktionen Hirschs auf die politischen Ereignisse und Hirschs geschichtsphilosophische Einordnung der Probleme erlebte. Einige der Höhepunkte waren hier Hirschs Verteidigung der Mörder Außenminister Rathenaus und Hirschs Reaktion auf die französische Ruhrbesetzung, von denen Barth in seinen Briefen an Thurneysen berichtet 29 . Für Hirsch ließ Barth es einmal an der Zurückhaltung fehlen, die für einen Ausländer selbstverständlich sein sollte. Zum anderen mißbrauche er seine theologische Position dazu, Verwirrung zu stiften und den deutschen nationalen Zusammenhalt zu zerstören in einem Augenblick, in dem man sich dem fortgesetzten Kampfe der Feinde gegenübersehe, die sich nicht scheuten, Mittel wie wirtschaftliche Erpressung, Lügenpropaganda und territoriale Annexion anzuwenden. Das Fatale an Barth war für Hirsch, daß er kein Einzelfall sei, sondern vielmehr die Irrtümer verkörpere, die sich in das deutsche Volk durch die Verzichtpolitiker eingeschlichen hätten und die jetzt noch immer den Feinden für ihre Politik der Erpressung ein Alibi lieferten. Deshalb konnte Hirsch dieselbe Anklage an Barth richten, die auch den Schweizer religiösen Sozialisten galt. Gegen Ragaz wandte Hirsch, als er ihn neben den sonst von eben diesem Ragaz bekämpften Kulturprotestantismus stellte, ein: „Die Freude an großen Worten und dramatischen Ausblicken, und der Mangel an Wissen und Klarheit, der viel engere Anschluß an Pazifismus, Demokratismus, Sozialismus und an andere Erscheinungen modern-diesseitiger Rationalität und endlich statt der stillen Demut das Bewußtsein, Gottes entscheidendes Wort an die Menschheit zu sagen — das ist alles, was diesen Religiös-Sozialen von einem platt gemachten Richard Rothe unterscheidet."30 Im Gegensatz hierzu wußte Hirsch sich einig mit Karl Holl, mit dem Politologen Carl Schmitt 31 , mit Reinhold Seeberg32 sowie mit 89
V g l . K . B A R T H / E . THURNEYSEN, B r i e f w e c h s e l
II, S. 5, 11, 46,
88,
131,
145
und 152. Vgl hierzu auch Hirschs empörte Briefe an Barth vom 21. und 2 2 . 3 . 1923, als dieser im Zusammenhang mit ihrer Kontroverse über die Ruhrbesetzung die Argumentation Hirschs unchristlich genannt hatte (KARL-BARTH-ARCHIV). 80 Vgl. ThLZ 48, 1923, Sp. 70. Vgl. auch Barths Beschreibung einer Konfrontation mit Tillich und Hirsch (K. BARTH/E. THURNEYSEN, Briefwechsel II, S. 64; E. BUSCH, Lebenslauf, S. 150 f.). Hirsch schrieb am 2 6 . 1 . 1 9 2 6 an Geismar, Tillich sei „einer unserer begabtesten jüngeren, aber leider ganz heidnischen Denk e r " ( R A KOPENHAGEN, N G B d . 1 ) . 31
Vgl. ThLZ 48, 1923, Sp. 524 f. und 49, 1924, Sp. 185 ff. Vgl. Schreiben Hirschs an Seeberg vom 5. 4. 1927 (BA KOBLENZ, Nachlaß R. Seeberg). Zur Theologie Hirschs im Zusammenhang mit dem völkischen Denken 32
v g l . K . SCHOLDER, K i r c h e n I, S . 1 2 4 f f . 9*
132
Bekanntschaft zwischen Hirsch und Geismar in den zwanziger Jahren
Paul Althaus und Friedrich Brunstäd (1883-1944), die er beide als seine Freunde bezeichnete33. Auf dem Hintergrund dieser Frontstellungen ist nun zu untersuchen, wie Hirsch in diesen Jahren die theologische Grundintention formuliert, die hinter seiner politischen Ethik steht. Auf paulinischreformatorischem Boden, im Anschluß an Holl, will er das Gewissen als vermittelnde Instanz zwischen Zeit und Ewigkeit herausstellen, als die Instanz, durch die der Mensch dialektisch den tiefsten Sinn und die radikale Forderung des Lebens erfährt und zugleich auf ein irdisches Leben im Gehorsam gegenüber Gott verwiesen wird. Das Gewissen soll so sowohl vor einem platten Materialismus der Diesseitigkeit als auch vor einer esoterischen Askese der Jenseitigkeit schützen34. Es erscheint jedoch ganz evident, daß Hirsch in einer Reihe von entscheidenden Punkten seine eigene These von einem dialektischen Grundzug in seiner Gewissensethik wieder aufhebt. Die theonome „Rückbindung" wird nämlich wiederholt zu einer frei in der Luft schwebenden Behauptung, für die er rational theologisch und politisch keine wirkliche Argumentation aufbieten kann. Sobald seine Dialektik von seinen Kontrahenten in der Diskussion in Frage gestellt wird, verteidigt er sich gekränkt in einer Art heiligen Empörung, indem er auf seine subjektive Glaubensüberzeugung verweist, daß er Gott auf seiner Seite habe. Dies zeigt sich ζ. B. in der Art und Weise, wie er seine Beurteilung der Ereignisse vom August 1914 und die theologischen Konsequenzen, die er daraus zog, verteidigt. Er spricht nur hypothetisch von der Möglichkeit, daß Deutschland den Krieg aus Aggressionslust begon33
Vgl. Schreiben an Seeberg vom 1. 9. 1925 (BA KOBLENZ, Nachlaß R. Seeberg). In einer ausführlichen kritischen Würdigung der Kulturethik Albert Schweitzers schrieb Hirsch: „Der Begriff der Kultur ist also nicht sachlich-gegenständlich zu bestimmen. Aber auch in dem, was man das Reich der Werte nennen könnte, hat er seine eigentliche Heimat nicht. Es liegt Luther wie jeder ethischen Ansicht des Daseins fern, noch so geistige und hohe Werte losgelöst von der Lebendigkeit der Gesinnung, herausgenommen aus dem persönlichen Leben das sie trägt, gelten zu lassen" (Zur Grundlegung der Ethik, S. 250). Vgl. auch die folgende Formulierung: „Die Gestaltung der irdisch-weltlichen Ordnungen [kann] nicht unmittelbar vom christlichen Liebesgedanken her bestimmt [werden], sondern nur vom inneren Verständnis der Tatsache, daß es Gott gefallen hat, uns in dieser Zeit heranzubilden für die Ewigkeit" (Nation, Staat und Christentum, S. 82). Schweitzers „veneratici vitae" könne, so meinte Hirsch, zu einer anthropozentrischen Ethik der Eigenliebe führen, er selbst wollte dagegen an einem im reformatorischen Sinne theonom verankerten Gewissen festhalten: „Ich habe keine Ehrfurcht vor dem Willen zum Leben in mir, er ist ja Ichwille. Ich habe aber Ehrfurcht vor dem Herrn, der mich geschaffen hat und meinem Herzen Gehorsam heischend entgegentritt. Gut fände ich das Gute, das ich durch Berührung mit ihm kennenlerne, auch ohne das. D a ß es mich aber verpflichtet, das ist sein sich mir zum Gehör bringender Wille" (Zur Grundlegung der Ethik, S. 260). 34
Position Hirschs in der theologischen und politischen Entwicklung
133
nen habe. Daß Gott im Kriege nicht auf der Seite Deutschlands stehen könnte, erscheint ihm völlig ausgeschlossen. Im August 1914, sagt Hirsch, habe er zusammen mit dem ganzen Volk im Gebet Gott in einer solchen Weise um Rat gebeten, „daß wir's gespürt haben müßten, wenn unser Volk bei dem Kriegsausbruch 1914 ein Unrecht begangen hätte" 35 . Noch deutlicher wird dies, wenn diese Glaubensgewißheit zu einer durch die Erfahrung bestätigten Tatsache gemacht wird: „So wissen wir von selbst, aus Erfahrungen heraus, die uns niemals verlassen: wer dies bitterliche Opfer [d. h. den Tod im Krieg als Opfer für Gott im Namen des Volkes] in Wahrheit bringt, gehorcht nicht bloß einer strengen Pflicht, er übt ein köstliches Vorrecht aus." 36 Ein anderer Punkt, der Hirschs dialektischen Anspruch fragwürdig macht, ist die Art und Weise, in der er das Verhältnis zwischen irdischen und jenseitigen Bindungen versteht, zwischen der Vaterlandsliebe als etwas historisch Objektivem und der christlichen Gemeinschaft im eschatologischen Sinne. Auch hier geht es ihm hauptsächlich darum, daß zwischen der Gebundenheit an den Willen Gottes und dem Verpflichtetsein gegenüber dem Ganzen des Volkes ein dynamischer Zusammenhang besteht: „Irdischen Verhältnissen können wir uns nur hingeben im Gehorsam gegen das Ewige, d. h. mit der innern Freiheit dessen, der über ihnen steht. Das zeigt sich im wirklichen Leben darin, daß wir unsere Hingabe an jedes irdische Verhältnis beugen müssen unter die Normen, in denen unser Gewissen einen Ausdruck des ewig Guten erkennt. Nur so wird unser Leben ein einheitliches Ganzes unter Gott." 37 Die Vaterlandsliebe wird nun aber zu einer Grundgegebenheit sui generis gemacht, die ihrer Natur nach jeder irdischen Instanz übergeordnet ist. Sie zu diskutieren, ist deshalb Nonsens, sie unter internationale Instanzen oder Zusammenschlüsse einzuordnen, geht ebensowenig an 38 . Das Gottgewollte an der Vaterlandsliebe ist dadurch 35
Schreiben an Geismar am 5. 3. 1923 (RA KOPENHAGEN, N G Bd. 1); vgl. auch oben Anm. 12. 36 Liebe zum Vaterlande, S. 13. Ganz entsprechend rechnet Hirsch zwar mit der Möglichkeit einer verzerrten, sündigen Vaterlandsliebe, die skrupellos und nicht heilig ist, aber als Beispiele dafür nennt er nur England und Frankreich (ebd., S. 18 f.). " Ebd., S. 17 f. Vgl. Nation, Staat und Christentum, These 23: „Der Christ gibt sich also nach dem allen den Pflichten, die Staat und Kirche an ihn stellen, in aufopfernder Treue hin; er fällt damit nicht aus der Art des Gottesreiches heraus, wohl aber erfährt er die Spannungen, die Paulus kennt am lebendigen Leibe" (S. 84). 88 Liebe zum Vaterlande, S. 6. Vgl. die Wendung von dem unbedingten Willen, der sich in der Liebe zum Vaterlande artikuliert: „. . . das Vaterland lieben als sich selbst. Das ist die klare Stimme des Bluts" (ebd., S. 13, ähnlich S. 20). Vgl. auch Nation, Staat und Christentum, These 24: „Die Menschheit ist keine Ge-
134
Bekanntschaft zwischen Hirsch und Geismar in den zwanziger Jahren
bedingt, daß sie für den Einzelnen einen unantastbaren Identifikationsrahmen darstellt, und daß dem Staat gegenüber kein irdischer Richter oder eine irdische Gerichtsinstanz denkbar ist 39 . Legitime Vaterlandsliebe ist, so Hirsch, im nationalen Ethos des deutschen Volkes inkarniert, so wie dies in den drei Phasen hervorgetreten ist, die stolze Höhepunkte der Nation darstellen: die Befreiungskriege gegen Napoleon, die Einigung des deutschen Reiches unter Bismarck und der August 1914. Die Feinde Deutschlands (vor allem Frankreich und England, teilweise auch Dänemark) haben für Hirsch die Dialektik des Reich-Gottes-Gedankens verdreht, sie haben ihn zu einem eindeutig aggressiven Rezept zur Realisierung eigener Interessen gemacht. Von hier aus erscheint es unzweifelhaft, daß Hirschs unangefochtener, ja stolzer Hinweis auf Erfahrungsbeweise seinen eigenen Anspruch auf dialektisches Denken widerlegt. Ganz auf der Linie des „irrationalen Dezisionismus", den wir als den Kern seines Personbegriffs aufgezeigt haben, bestimmt Hirsch die Liebe zum Vaterland als eine von einer empirischen Betrachtung her gesehen übersinnliche und übergeordnete Instanz. Die Transzendenz und die Dialektik verlieren sich im Persönlichkeitsdenken. So wird ζ. B. das Wahrheitsbewußtsein des Gewissens zu einer undialektisch konstatierbaren „Gegebenheit" gemacht, das Gewissen erkennt das ewig Gute. Entsprechend wird der religiöse Determinismus, für den sich Hirsch systematisch-theologisch einsetzt, in der Praxis zu einem natürlichen Optimismus. Entsprechend wird schließlich der von Fichte inspirierte Begriff der Grenze, der die transzendentale Schwelle zwischen irdischer und eschatologischer Gemeinschaft darstellen soll, zu einem leeren Wort, wenn sich die angeblich gottgewollte übersinnliche Vaterlandsliebe in einem solchen Maße in den Dienst höchst handgreiflicher Interessen nationaler Politik stellen läßt. Die letzte Konsequenz, die Hirschs Abgleiten von eschatologischer Dialektik in konkret-nationalen Egoismus demonstriert, ist sein Begriff vom Krieg als einem unvermeidlichen und notwendigen Regulator historischer Konflikte. Es geht hier für ihn um die Behauptung, daß die wesentlichste Potenz in den zwischenstaatlichen Beziehungen die innere Dynamik des Nationalstaates sei. Diese sei die wichtigste geschichtsschaffende Triebkraft überhaupt und müsse deshalb den Bemühungen kleinerer Völker übergeordnet werden, statisch ihren Platz meinschaft nach Art des Staates und Volkes. Es ist also völlig unmöglich, von einer aufopfernden Liebe an die Menschheit zu reden, außer in der Phrase" (S. 84). 3 9 Liebe zum Vaterlande, S. 14 ff. Vgl. auch den Brief an Geismar vom 3 1 . 1 2 . 1 9 2 2 : „Der Staat hat keinen Richter; ich meine natürlich keinen irdischen Richter. E r ist sein eigener Richter - natürlich als der, der selbständig entscheidet, was der Gehorsam unter Gott von ihm jetzt verlangt" (RA KOPENHAGEN, N G Bd. 1).
Position Hirschs in der theologischen und politischen Entwicklung
135
zu behaupten 40 . Auch hier hypostasiert Hirsch die irrationale Schrankenlosigkeit des Expansionsdranges eines Weltvolkes und benutzt eben diese Tatsache der Ziigellosigkeit als Argument für die Gottgegebenheit dieses Strebens: „Den wirklichen Weltvölkern ist ihre große Sendung aus der kraftvollen Schirmung und Entfaltung ihres Eigentümlichen wie von selber zugewachsen. Das Größte nimmt man sich nicht, das wird gegeben - von dem, der den Völkern schon die Kraft und das Leben und die Verantwortung für beides gegeben hat." 4 1 Damit legalisiert Hirsch nicht allein die Expansionspolitik der Großmächte auf Kosten der umliegenden Kleinstaaten, er hebt auch den Krieg als einen integrierenden Bestandteil der Schöpfungsordnung noch deutlicher hervor als in „Deutschlands Schicksal". Das Sendungsbewußtsein gegenüber Gott ist ein „Immediatverhältnis", es bestimmt die dynamische Entfaltung eines jungen Nationalstaates. Und dies enthebt nun von jeder Verpflichtung, zwischenstaatliche Konflikte durch Verhandlungen, ζ. B. in übernationalen Gerichtsinstitutionen, zu lösen und baut ferner den Krieg ein in die Weltordnung als den einzigen gültigen Regulierungsmechanismus im Falle von Streitigkeiten. Hirsch dachte offenbar nicht im geringsten daran, ob es nicht eine Aufgabe sein könnte, nach Mitteln für ein friedenssicherndes internationales politisches Gleichgewicht zu suchen. Sein Anliegen war vielmehr von vornherein die Rechtfertigung des Krieges und seiner legitimen Funktion in der Geschichte. Nachdem er dies klargestellt hatte, gab er zwar - gleichsam in einer Nebenbemerkung - gerne die Grausamkeit des Krieges zu, aber beeilte sich sogleich, die heroischen Seiten des Krieges zu betonen, und bezeichnete ihn als „Ausdruck des tiefsten Wesens des Ethischen, Ausdruck der Entscheidung selbst" 42 . 4 0 Vgl. ebd.: „Wenn Sie das Recht der Einschmelzung leugnen, so kommen Sie zum geschichtslosen Stammeskrieg zurück und streichen das natürlich Größte aus der Geschichte heraus"; vgl. auch Nation, Staat, Christentum, These 19 : „Lebensstreit widerspricht nicht der Zielmäßigkeit. Wer diesen Satz bestreitet, sieht die Lebendigkeit, die Gott der Welt verliehen hat, als dem göttlichen Schöpfungswerk widersprechend an" (S. 83). 4 1 Liebe zum Vaterlande, S. 27. Vgl. auch Nation, Staat, Christentum, These 14: „Die Grenze des Rationalen ist zugleich die Grenze des Organisierbaren. Denn Organisieren heißt Ordnen nach Begriffen. Lebensstreit kann also nicht organisatorisch auf gerechte Weise gelöst werden. Richter im Lebensstreit ist allein Gott als der Herr der Welt und Geschichte" (S. 83). 4 2 Liebe zum Vaterlande, S. 28. Gegenüber Geismar betont Hirsch in seinem langen Brief vom 3 1 . 1 2 . 1 9 2 2 , er wolle nicht von vornherein jeden Krieg verteidigen, vielmehr müsse in jedem einzelnen Falle eine Nachprüfung stattfinden. Seine Antipoden sind also hier wie stets in diesen Jahren all die „-ismen", die er unter der Bezeichnung „diesseitiger Rationalismus" zusammenfaßt, ζ. B. Pazifismus, Sozialismus und Internationalismus. In dem Brief fährt Hirsch so fort: „Ich nehme
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Bekanntschaft zwischen Hirsch und Geismar in den zwanziger Jahren
Der Krieg wird also nicht allein als regulierender Faktor sanktioniert, sondern auch glorifiziert als ein göttliches Vorrecht; der Opfertod im Kriege ist dann ein köstliches Privileg für den Menschen. Im Verhältnis zur sogenannten Kriegsschuldlüge ist die Grausamkeit des Krieges für Hirsch eine Bagatelle: „Sie [die Lüge] verletzt immer die Norm der Gerechtigkeit, die auch im Lebensstreite [der Terminus wird als Instrument der Schöpfungsordnung gebraucht] bleibt: Der Christ will die Hineinstellung in den Kampf und die Not des ewig bewegten Lebens dankbar als den Weg, durch den ihn sein Schöpfer zur sittlichen Reife führt, hinnehmen." 43 Die grundsätzliche theologische Konsequenz dieser ganzen politischen Ethik ist, daß Hirsch mit solchen Aussagen den religiösen Determinismus und die anthropologische Grundbestimmung der Sünde eliminiert hat. Eine irrationale Entscheidungsethik ermöglicht dagegen ein ethisches Handeln, das die durch Sünde und Endlichkeit bestimmte Schwelle überschritten hat: „Niemand kann in der Entscheidung des Glaubens Gotte sich geben, ohne zu spüren, daß die unendliche Spannung zwischen dem Ewigen und dem Irdischen aufgehoben ist in der unendlichen Aufgabe, die Gott ihm nun stellt: dies irdische Leben zu brauchen, um zu der wahrhaftigen Mannheit der vollkommenen Reinheit heranzuwachsen, die den Bürger der ewigen Gottesstadt zieren soll. Dazu weiß er sich nun in den Kampf und den Streit des irdischen Lebens hineingestellt, und so gewinnt das irdische Tun für ihn den neuen Ernst des Ethischen; das Ewige hat sich in es hineingelegt, ist mit ihm zusammengeschmolzen."44 Die Dialektik zwischen der Eschatologie des Reiches Gottes und den menschlichen Idealvorstellungen hatte Hirsch von Luther und Kierkegaard abgeleitet. Diese Position barg in sich eine Warnung vor einem idealistisch bedingten Synergismus, der einer Verwischung der Dialektik gleichkommen würde. Genau dorthin wurde Hirsch aber de facto durch seine politische Ethik geführt.
für mich - ich weiß in abstracto, daß ich irren kann, aber ich weiß in concreto nicht w o ein Irrtum steckt - das Recht in Anspruch, die ethischen Probleme tiefer angefaßt zu haben, weit mehr Ernst mit der Liebe und Gerechtigkeit gemacht zu haben, als die gewöhnliche Ideologie es tut" (vgl. Anm. 39). 43 Nation, Staat, Christentum, Thesen 21 und 19 b (S. 83). In dem Brief vom 3 1 . 1 2 . 1 9 2 2 (vgl. Anm. 39) heißt es über England, „daß es die Lüge als Kriegsmittel benutzt (ich halte die Lüge für genuiner als den Mord und sehe den Grund des jetzigen Chaos z. T. in der Macht der Lüge, die sich nun auswirkt)". Dies wiederum ist für Hirsch der Hauptgrund für seine Behauptung, England habe seine großen Ideale mißbraucht, um seine Position als Weltmacht zu erzwingen. 44 Liebe zum Vaterlande, S. 22.
Position Hirschs in der theologischen und politischen Entwicklung
Hirsch und die internationale kirchliche und politische
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Situation
In seiner Beurteilung der internationalen kirchlichen und politischen Situation in den zwanziger Jahren geht Hirsch vor allem von zwei Überlegungen aus: a) Die Frage nach der Einheit der Kirche kann für Hirsch nicht auf organisatorischer Grundlage oder von menschlichen Hoffnungen aus entschieden werden. Die Einheit der Kirche darf überhaupt niemals zu etwas Greifbarem gemacht werden, sie existiert allein unsichtbar, in der Kraft des Geistes. Dem entspricht, daß die Frage der Verständigung zwischen den verschiedenen Kirchen niemals Triebkraft politischer oder kultureller Ziele sein darf. Wahre Ökumene wird einzig kraft theologischer Redlichkeit betrieben. Und im Verhältnis zu anderen Konfessionen ist die einzig wahre evangelische Haltung Evangelisation, d. h. Verkündigung des Wortes mit dem Wort selbst als einzigem Inhalt und Wirkmittel, im Gegensatz zur Propaganda mit ihrem Gebrauch ungeistlicher Mittel 45 . b) Die äußere Abgrenzung einer Kirche sollte am besten mit der Volksgemeinschaft zusammenfallen. Wenn national abgegrenzte partikulare Kirchen Gemeinschaft mit anderen Kirchen haben oder suchen, so ist dies lediglich eine Frage praktischer Regelungen. Diese Grundsätze einer Ekklesiologie für wahre Ökumene waren für Hirsch natürlich nicht nur abstrakte Prinzipien, sondern hatten eine ganz aktuelle polemische Spitze. Sie richteten sich einmal gegen das katholische „Zwangskirchensystem", dessen Weiterführung gegenreformatorischer Bestrebungen sowohl eine unevangelische „Verirrung" als auch eine handgreifliche politische Gefahr darstellte 48 , zum andern gegen gewisse Initiativen der anglikanischen Kirche, die eine universal normative Gültigkeit beanspruchte und sich in diesem Zusammenhang für unevangelische, rein politische Ziele beanspruchen ließ, darunter vor allem für den Ausbau der britischen Weltmacht durch das Kolonialreich und das Ausnutzen des Versailler Vertrages 47 . Diese Haltung zur Frage der Konfessionen im Lichte der internationalen politischen Situation erhielt in den dreißiger Jahren des öfteren neue Aktualität. Sie spielte auch schon 1925 eine große Rolle, 45 Die Einheit der Kirche, bes. S. 383 f.; 389 und 398 ff. Vgl. auch Nation, Staat, Christentum, These 28: „Die wahre Kirche ist universal. Es gehört zum Bestand evangelischer Überzeugung, diese wahre Kirche als unsichtbar, d. h. rechtlich nicht organisiert, zu fassen. Die Zugehörigkeit zur wahren Kirche beruht also nicht auf internationalen kirchlichen Beziehungen, sondern auf einer Haltung des Gewissens, nämlich auf dem betenden Glauben" (S. 84). 46 Ebd., These 29. Vgl. auch Einheit der Kirche, S. 388. 47 Ebd., S. 379 f.
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Bekanntschaft zwischen Hirsch und Geismar in den zwanziger Jahren
als Hirsch vor der Stockholmer Konferenz den Artikel „Die Einheit der Kirche" schrieb. Hier nahm er thematisch Stellung zu den menschlichen Motiven, die den Bemühungen um Völkerverständigung zugrunde lägen: „Am anschaulichsten wird das am Bankrott der humanen Kriegsführung und des gerechten Friedens. Der Völkerbund hat sich eingeleitet mit der grundsätzlichen Verewigung des gemeinsten aller Kriegsmittel, der Hungerblockade, und mit der Verfilzung mit einem ein Volk unfehlbar zu Tode zermarternden Erpresserfrieden, wie die neuere Geschichte sonst keinen kennt; in dieser Verknüpfung ist er noch viel mehr als der vorhergegangene Krieg die Ursache zu dem vor uns allen offenbar gewordenen Niedergange Europas." 48 Politisches Desengagement
in der zweiten Hälfte der zwanziger
Jahre
Hirsch hatte schon im Frühjahr 1923 das Ziel aufgegeben, in der Beurteilung des Weltkrieges und seiner Folgen mit Geismar zu einer Übereinstimmung zu gelangen. Nun war Hirsch bestimmt nicht jemand, der sich den Mund verbieten ließ; trotzdem ist es eine auffallende Tatsache, daß er sich in der Stresemann-Ära fast gar nicht zu gesellschaftlichen Fragen öffentlich äußerte. Dies kann nicht nur daraus erklärt werden, daß er in diesen Jahren in Zusammenarbeit mit Geismar mit dem Kierkegaard-Studium beschäftigt war. Es handelt sich hier um ein demonstratives Disengagement. Und dies hatte seinen Grund darin, daß die Weimarer Republik sich in diesen Jahren wirtschaftlich und politisch konsolidierte, innenpolitisch zu einer gewissen Stabilität gelangte und nach außen durch den Eintritt in den Völkerbund die Ergebnisse bestätigte, die der Versailler Vertrag gebracht hatte. Dies ist nicht nur implizit durch das öffentliche Schweigen Hirschs in den Jahren von 1925 bis 1931 bezeugt, sondern auch direkt in dem Buch „Staat und Kirche im 19. Jahrhundert" von 1929, in dem Hirsch die Konsequenzen aus der politischen und geistigen Lage nach innen und nach außen zog. Dieses Buch hat ganz deutliche politische Implikationen. Es weist in einem geistesgeschichtlichen Rückblick auf die französische Revolution von 1789 die gesamte geistige Grundlage des Liberalismus zurück. Es wendet sich ferner gegen den angeblich schrankenlosen Materialismus und die totale Unterdrückung jeglicher geistigen Freiheit im Sozialismus. Als positiv determinierte Schranke für die Selbstent4 8 Ebd. Zur Stockholmer Weltkirchenkonferenz und der deutschen Stellungnahme zu der noch auf weiteren ökumenischen Konferenzen erörterten Kriegsschuldfrage vgl. W . ZOELLNER, ökumenische Arbeit, S. 22 ff.; J . WRIGHT, Uber den Parteien, S. 110 ff.
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faltung des Einzelnen nennt Hirsch statt dessen die natürliche Volksgemeinschaft „als eine aus Blut und Schicksal geschmiedete natürliche Gemeinschaft". Dies ist weder zeitbedingt noch steht es für Hirsch zur Diskussion, sondern ist vielmehr eine gottgegebene Grundtatsache mit übergeschichtlicher Legitimation. Da die Staatsordnung, von der sich Hirsch umgeben sieht, nämlich die der Weimarer Republik, für diese Tatsache überhaupt keinen Sinn habe, sei es notwendig, an der geistigen Autarkie und Unverletzbarkeit der christlichen Gemeinde festzuhalten. Hirsch denkt hier vor allem an das Schul- und Erziehungswesen. „Immer mehr Menschen werden sehen, daß die christliche Gemeinde mit ihrem Kampf darum, ihre eigene Ehre haben zu dürfen und ihre Kinder nach ihrem Gewissen bilden und erziehen zu dürfen, das Bollwerk ist wider die werdende Allgewalt des Gesamtwillens und die Retterin aller Freiheit, noch ein einzelner zu sein, damit die Retterin auch des Geistes." 49 Diese Liberalität Hirschs, der Versuch, geistige Freiheit gegen staatlichen Einfluß und staatliche Kontrolle zu sichern, ist jedoch von ganz anderer Art als das Freiheitsverständnis Geismars. Zwar stimmt Hirsch der Kulturkritik Geismars zu, die dieser zur gleichen Zeit entfaltete. Aber wo Geismars Anklage gegen die geistigen Grundlagen der Gesellschaftspolitik von einer grundsätzlichen liberalen politischen Grundhaltung geprägt ist, ist Hirschs kulturpolitischer Entwurf ein Trotz-Liberalismus, ein defätistischer Protest mit dem Rücken zur Wand. Seine Haltung ändert sich sehr rasch zu Beginn der dreißiger Jahre, als der Verfall der Weimarer Republik offenbar wird, der Young-Plan neuen leidenschaftlichen Protest hervorruft und das nationalistische Ethos bei Hirsch zu neuem Leben erwacht. Von hier aus gesehen erscheint Hirschs christlich inspirierter Individualismus Ende der zwanziger Jahre als ein resignierender Eskapismus, den er wenig später mit einem befreiten Seufzer wieder ablegen kann, als er für den Aufbau eines ganz neuen Staatsdenkens eintritt. 1929 versucht er, einen christlich inspirierten Heroismus gegen das damals tonangebende Staatsdenken zu mobilisieren: „Wer einen Menschen lehrt, innerlich ein Einzelner zu werden, nur in Gott gebunden und allen Gedanken der Meinung und der Masse gegenüber frei, der hat zugleich die Dämonie der die Freiheit entleerenden neuen Allgewalt des Allgemeinen an diesem Punkte zerbrochen." 50 Schließlich müssen wir noch auf einen Punkt in der politischen Grundhaltung Hirschs in diesen Jahren eingehen, nämlich seine Ein4 β Staat und Kirche, S. 58 f., Zitat S. 59. Vgl. dazu M. SCHIANS Hervorhebung der christlichen Berechtigung und Notwendigkeit, diese geistliche Souveränität festzuhalten, in der Rezension des Buches (ThLZ 55, 1930, Sp. 159). 5 0 Staat und Kirche, S. 69 f.
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Stellung zu den sozialen Herausforderungen. In seinem Zorn über die wirtschaftliche Not, die Deutschland von der Entente aufgezwungen sei, lehnt er sozialistische und liberalistische Lösungsversuche ab. Statt dessen überträgt er die Kategorie der Heiligung auch auf das gesellschaftliche Leben: „Das Wirtschaftsleben soll so gestaltet werden, daß seine den Charakter formende und der Lebensgestaltung des einzelnen zum Schicksal werdende Macht uns Menschen gibt, mit denen das Evangelium etwas anfangen kann, daß es als eine Fortführung der göttlichen Schöpfung gleich dieser die Menschen auf das Evangelium zubereitet und erzieht." 51 Von hier aus kann er natürlich teilweise der Forderung Geismars nach einer moralisch vertretbaren Gesellschaftsordnung zustimmen. Hirsch ist jedoch nicht wie Geismar von den sozialen Ungerechtigkeiten wirklich angefochten. Von seiner patriarchalischen Vorstellungswelt aus sieht er die sozialen Unterschiede als Ausdruck des Schöpfungswillens Gottes an und als Inzitamente zu einem Kampf gegen die Widrigkeiten des Lebens, der allein menschenwürdige Existenz ermögliche. Sein Ethizismus ist in diesem Punkt streng existentiell und individualistisch bestimmt und steht im Dienste einer ausschließlich theologisch bestimmten Entscheidungsethik 52 . c) Aspekte der übrigen theologischen Arbeit Hirschs Die Auseinandersetzung mit der dialektischen Theologie zwang Hirsch dazu, sich noch intensiver als bisher mit den theologischen Problemen zu befassen, die sich aus einer Arbeit mit der idealistischen Philosophie ergaben. An seinem Standort, an dem, was er von Holl über die dogmatischen Prinzipien und deren aktuelle Anwendung von Luther her gelernt hatte, hielt er unverrückbar fest. Als ein neues Element aber kam der Einfluß Kierkegaards hinzu und in diesem Zusammenhang auch die Beziehung zu Geismar. Ebd., S. 66 f. Vgl. den Schluß von Hirschs Besprechung von Geismars „Kristendommen og vor Tids K u l t u r " : „Zutiefst verstehen Geismar und ich die Lage, sowohl wie das in dieser Lage gegebene Wort auf die gleiche Weise. Die mir bekannt gewordenen mündlichen wie gedruckten Einwände gegen Geismar treffen meinen Standpunkt mit" (ThLZ 55, 1930, Sp. 159 ff., Zitat Sp. 162). - In seinem Brief vom 10. 4. 1929 protestiert Hirsch gegen Geismars Auffassung, ungleiche „Konsummöglichkeiten" seien unmoralisch. Hirsch wendet sich gegen alles, was auch nur von ferne an eine sozialistische Kritik der Ungleichheit in der Gesellschaft erinnern könnte. Der übergeordnete Unterschied, so sagt er, sei durch Unterschiede in der beruflichen Position bedingt, und die so bedingten Unterschiede könnten und dürften nicht beseitigt werden. Deshalb sei es auch von vornherein falsch, die Frage nach der Gerechtigkeit in der Gesellschaft allein unter dem Kriterium der „Konsummöglichkeiten" zu stellen (RA KOPENHAGEN, N G Bd. 1). Vgl. auch oben S. 63-65. 51
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Position Hirschs in der theologischen und politischen Entwicklung
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Das Problem, vor das sich Hirsch gestellt sah, läßt sich zusammenfassend so formulieren: Wie ist es möglich, an einer Ethik festzuhalten, die, ausgehend vom Gewissen, den Menschen als „Weltperson" und „Christperson" zugleich konstituiert, ohne damit die lutherische und paulinische Lehre von der Radikalität der Sünde anzutasten? - In dieser Phase erweitert sich diese Frage auch auf folgende systematische Problematik: Wie ist eine Geschichtsphilosophie zu formulieren, die dialektisch theonome Verankerung und Weltbezogenheit miteinander verknüpft, und gleichzeitig an der Transzendenz der Offenbarung festzuhalten? Der Gerichts- und
Transzendenzbegriff
Hirsch hebt hervor, daß zum Wesen des Christentums eine antinomische Grundstruktur gehöre, die sich am deutlichsten durch die Anwendung des Gerichtsgedankens zum Ausdruck bringen lasse. Mit ihr wird eine Dialektik konstituiert, deren Notwendigkeit Hirsch dadurch unterstreicht, daß ohne sie der Gerichtsgedanke in eine humanisierende oder mystifizierende Eindeutigkeit abgleite. Das Gericht ist denn auch für Hirsch der dogmatische Locus für eine adäquate theologische Anthropologie. Durch diesen Begriff des Gerichts wird das Zentrum der Rechtfertigungslehre Luthers mit einbezogen, der Glaube wird im Lichte des Gerichts als ein Bewußtsein von der Heiligkeit Gottes bei gleichzeitigem Akzeptieren der eigenen Sündigkeit des Menschen verstanden. Deshalb bedeutet das Verhältnis zwischen Gott und Mensch, daß von Gemeinschaft nur unter den Prämissen der Geschiedenheit gesprochen werden kann 53 . Von der Diastase kann Hirsch in solchen Zusammenhängen in sehr starken Worten reden: „Denn das ist nun das Eigentümliche des Gerichts, daß wir in ihm den Gegensatz von Gottes Leben und unserem Leben, ohne den die Todesgrenze nicht wäre, als ethischen verstehen lernen." 54 Seine Lehre vom Gewissen dagegen, und dies ist charakteristisch, will Hirsch nicht aufgeben, er meint vielmehr, daß gerade der Gerichtsgedanke die Anthropologie in ihre rechte Sphäre rücken 53
Das Gericht Gottes, S. 199-205. Dieser Artikel ist in einer leicht überarbeiteten Version am Ende des Buches „Schöpfung und Sünde" wieder abgedruckt. Für Geismar war dieser Artikel der klarste Ausdruck für den gemeinsamen Ausgangspunkt, von dem her Geismar und Hirsch den einseitigen Gebrauch des Paradoxbegriffes in der dialektischen Theologie kritisieren wollten (vgl. Religionsfilosofi 2 , S. 29, Anm. 2). In seinem Vorlesungsmanuskript „Luther og vor Tids systematiske Teologi" nennt Geismar den Artikel Hirschs „das Tiefsinnigste, was über ,die Rechtfertigung des Gerichteten' gesagt worden ist" (ü.; RA KOPENHAGEN, N G , Bd. 4. S. 42). 54 Das Gericht Gottes, S. 204.
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könne: die Innerlichkeit und Verantwortlichkeit, die der persönlichen Religiosität entspringen. Um die Zusammengehörigkeit zwischen Gericht und ethischer Praxis zu demonstrieren, spricht Hirsch vom „Lebensgericht", auch wenn der Maßstab des Gerichts ausschließlich die Liebe Gottes ist. Hirsch will seine Ethik der Verantwortlichkeit und ihre Relevanz für die Gemeinschaft des humanen Lebens aufrechterhalten, ohne der durch das Gericht bedingten Transzendenz zu nahe zu treten. Er spricht deshalb von einer Doppelbewegung des Gerichts, die das Gericht des Evangeliums zu einer K r a f t der Lebenserneuerung mache: „Das Abstoßungsgericht hat, von ihm [dem Evangelium] aus geurteilt, den Sinn, uns reif und empfänglich zu machen für die vergebende Barmherzigkeit Gottes; allein im Abstoßungsgericht wird uns ja deutlich, wie ganz wir in der Sünde verfangen sind. Das Anziehungsgericht aber ist ganz getragen von dem Glauben an das Evangelium; allein durch ihn wandelt sich die Bewegung ab von Gott um in eine Bewegung hin zu Gott." 5 5 Gericht und Gnade gehören also notwendigerweise zusammen. Daran hat sich die systematische Theologie zu orientieren. Die weitere Auseinandersetzung
mit dem
Idealismus
Auf der Grundlage dieser theonomen Dogmatik ist es verständlich, daß Hirsch sich nun gleichzeitig genötigt sieht, seine Stellung zur idealistischen Philosophie zu verdeutlichen. Das Ergebnis dieser Bemühungen ist die Artikelsammlung „Die idealistische Philosophie und das Christentum". Eine pauschale Ablehnung des Idealismus liegt Hirsch noch immer fern 56 . Er meint vielmehr, daß eine differenzierende Auseinandersetzung mit dem Idealismus unbedingt erforderlich sei, um den beiden größten theologischen Gefahren zu entgehen: einerseits dem Positivismus oder dem fatalistischen Relativismus, andererseits der philosophischen Barbarei, die Hirsch bei den dialektischen Theologen festzustellen meint. Er hält es deshalb für unbedingt erforderlich, an den Errungenschaften der idealistischen Philosophie festzuhalten, die bleibende theologische Bedeutung gewonnen hätten. Es ist für Hirsch zunächst wichtig, daß die Erkenntnislehre des Idealismus universeller Art ist, das Bewußtsein des Einzelnen wird im organischen Zusammenhang mit der Einheit des Daseins gesehen57. Ebd., S. 218. Die Einsicht in die Philosophie und ihr Gebrauch im Dienste der systematischen Theologie waren eines der Verdienste Hirschs, die Geismar am stärksten herausstellte (ζ. B. „Luther og vor Tids systematiske Teologi", S. 45 ; R A KOPENHAGEN, N G Bd. 4). Vgl. dagegen den Vorwurf Gogartens gerade an diesem Punkt (oben Anm. 19). 57 Idealistische Philosophie, S. 40-42. 5ä
56
Position Hirschs in der theologischen und politischen Entwicklung
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Da nun das Denken sich vom Allgemeinen zum Individuellen hinbewegt, so bedeutet dies, daß die Gotteserkenntnis in die allgemeine Analyse des Daseins integriert ist. Damit ist der Idealismus imstande, einen Gottesbegriff zurückzuweisen, in dem Gott nur als postulierte „Gegenständlichkeit" erscheint. Und dies geschieht wohlgemerkt ohne einen Rückfall in Mystizismus, auch wenn sich der Idealismus an der inneren Persönlichkeit des Menschen orientiert 58 . Hirschs betontes Festhalten an zentralen Auffassungen des Idealismus führt ihn jedoch zuweilen zu nahezu pantheistisch klingenden Ausführungen, so ζ. B. wenn er über den Reichtum in Natur und Geschichte sagt: „Daß Gottes überschwengliche Fülle in ihm sich uns bezeugt, verleiht diesem Reichtum des Kreatürlichen trotz aller seiner Vergänglichkeit schon Sinns genug" 59 . Freilich spielen die kritischen Einwände in der Argumentation Hirschs eine weit größere Rolle als solche mehr gelegentlichen Zugeständnisse. Der extreme Intellektualismus führt nach Hirsch im Idealismus dazu, daß die Gottesvorstellung ausschließlich auf den Prämissen des klaren Gedankens beruht und daß der einzelne Mensch als eine isolierte Person verstanden wird, wodurch wiederum sein Verwickeltsein in Ich-Du-Relationen und die Gemeinschaft der Gesellschaft übersehen wird 60 . Eine verhängnisvolle Konsequenz dieses die Wirklichkeit einengenden, intellektualistischen Erkenntnisprinzips ist, so Hirsch, daß der Gedanke des Bösen nur eine marginale Rolle spielt. Dadurch werde der zentrale reformatorische Gedanke verdrängt, an dem Hirsch alles liegt, nämlich der Gedanke eines ethischen Personalismus, in dem sich der Glaube am Gewissen orientiert, dem natürlichen Anknüpfungspunkt für das souveräne Schöpfungshandeln Gottes. Von hier aus kann Hirsch nun wieder auf das Schlüsselproblem von „Deutschlands Schicksal" zurückgreifen: Hier hatte er eine Lehre von der moralischen Verantwortlichkeit mit einem theonomen Geschichtsbegriff verbunden, um dann apologetisch - oder besser mo58
Ebd., S. 49, 53, 59-64 und 66 f. » Ebd., S. 28. 60 Ebd., vor allem S. 69, 71, 76 und 105. Entsprechend hebt Hirsch den Gegensatz zwischen der kantianischen Sittlichkeitslehre und der reformatorischen Rechtfertigungslehre hervor. Zwar betont er Kants tiefgreifende Abhängigkeit von Luther und lutherischer Tradition und nennt hier besonders die Ähnlichkeit in der Gesinnungsethik, die jeglichen Eudämonismus ausschließe, Kants Rede von der „Umkehr", sowie schließlich das Schuldgefühl mit der absoluten Pflicht als Maßstab. Trotzdem unterstreicht Hirsch schließlich die absolute Divergenz zwischen beiden, vor allem weil Kant der Blick für die „verzeihende Barmherzigkeit" fehle, denn er verkenne den Transzendenzcharakter der Gnade: „Die Rechtfertigung erscheint bei ihm als eine ethische Beurteilung des von der Sünde sich losringenden Menschen unter dem Gesichtspunkt des Unbedingten" (Luthers Rechtfertigungslehre bei Kant, S. 11). 5
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raiisch-offensiv - die Tragfähigkeit eines solchen Denkens zu demonstrieren, das dazu dienen sollte, dem moralischen Morast zu entkommen, der die tiefste Ursache der aktuellen politischen Misere sei. Das dem Idealismus gegenüber grundlegend Neue war somit die Kategorie der Entscheidung. Für ein reformatorisches Verständnis des Christentums war es wichtig, den Glauben als Ergebnis des Handelns Gottes mit dem Menschen im Gewissen zu sehen. Für einen gesellschaftlich relevanten Dezisionismus war es ebenso wichtig, daß ihm dieselbe dynamische Vitalität eignet: „Das ringende Gute kann nur in einem solchen kreatürlichen Leben erscheinen, das auch in seiner kreatürlichen Weise unter dem Gesetz des Kampfes steht. Allein darin, daß das irdische Leben, das unsern Dienst fordert, stets im Ringen um sein Dasein ist und uns, wenn wir ihm liebend dienen, in dieses sein Ringen hineinzieht, allein darin kann uns die ethische Spannung des Entscheidungskampfes im Natürlichen fühlbar, gleichnishaft anschaubar werden." 61 Das Verhältnis Hirschs zum Idealismus ist also ein doppeltes: Einerseits lehnt er den anthropomorphen Gottesbegriff des Idealismus ab und ersetzt ihn durch einen theonomen Begriff mit antinomischer Grundstruktur. Das wiederum ermöglicht ein Verständnis von Geschichte als einem „Entscheidungsleben", in dem der Einzelne vor allem als verantwortliche Tatperson gesehen wird. Andererseits bedeuten die positiven Seiten des Idealismus, daß man ihn niemals ganz hinter sich lassen darf, sondern ihn vielmehr als eine Art philosophischen Schleifstein verwendet, an dem man seine theologischen Grundaussagen schärft. So heißt es bei Hirsch zunächst: „Das idealistische Denken aber hat tatsächlich seine eigene Sterblichkeit vergessen. Darum spricht es, wenn es von Gott spricht, auch von seiner eigenen Herrlichkeit. Es vermag nicht, den ganzen Gehalt einzufangen, den die majestätische Anrede Gottes an den Menschen beschließt: ,Ich bin der Herr, dein Gott'." Dann aber folgt sogleich: „Aber dennoch halte ich es für schlechthin unmöglich, einfach Nein zu sagen zur idealistischen Philosophie. Sie bleibt doch die tiefste, die reichste, die dem Christentum nächste Philosophie, die das europäische Denken hervorgebracht hat. So wie die geistige Lage einmal ist, stehen wir mit ihrer Preisgabe vor der Notwendigkeit, dem Positivismus oder der philosophischen Barbarei anheim zu fallen." 62 61
Idealistische Philosophie, S. 32; vgl. auch ebd., S. 80-84. Ebd., S. 114 f. Auch in seinem Beitrag zum 400-jährigen Jubiläum des Augsburger Bekenntnisses sah Hirsch eine gewisse Übereinstimmung zwischen Idealismus und reformatorischem Christentum: die Verknüpfung der Wirklichkeit Gottes mit der des Menschen und die Vorstellung der idealistischen Philosophie von der inneren Unmittelbarkeit des Gottesbegriffes entspreche der reformatorische Freiheitsbegriff; 82
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Freilich, wie die beiden vorausgegangenen Abschnitte gezeigt haben: durch seine politische Praxis dementiert Hirsch den dialektischen Ansatz seiner systematischen Theologie. Kierkegaard-Studien
Vor diesem theologischen Hintergrund der Idealismus-Kritik Hirschs wollen wir nun eine kurze genetische Analyse versuchen, wie diese Idealismus-Kritik sich in seiner Kierkegaard-Deutung niedergeschlagen und welche Rolle Geismar in diesem Prozeß gespielt hat. Eine eigentliche Analyse des Hauptwerkes von Hirsch, den „Kierkegaard-Studien", gehört jedoch chronologisch in die dreißiger Jahre und soll erst in diesem Zusammenhang erfolgen. So wie Karl Holl Hirsch kaum auf Fichte hingewiesen haben dürfte, kann er ihn auch nicht zum Studium Kierkegaards angeregt haben, den er für einen pietistisch infizierten, esoterischen Individualisten hielt®3. Um das Jahr 1920 begann Hirsch, offenbar aus eigenem Antrieb, die Schriften Kierkegaards zu studieren, selbstverständlich auf der Grundlage seiner Erfahrungen mit dem deutschen Idealismus64. Irgendwelcher Einfluß von dem damals führenden Kierkegaard-Forscher Christoph Schrempf (1860-1944) läßt sich jedenfalls nicht nachweisen. Intensiv wurde die Beschäftigung mit Kierkegaard freilich erst, nachdem Hirsch im Jahre 1922 während eines Studienaufenthaltes in Kopenhagen Geismar kennengelert hatte. Die enorme rezeptive Begabung Hirschs zeigte sich nun: er lernte sehr schnell Dänisch und konnte also alle Quellen und alle Sekundärliteratur lesen. Er übersetzte Geismars Artikel über das ethische Stadium bei S0ren Kierkegaard und war bereits so umfassend orientiert, daß er diesen Artikel mit einem Anmerkungsteil versehen konnte. Gleichzeitig gab er eine selbständige Übersetzung eines Kierkegaard-Textes heraus: „Gottes bedürfen ist des Menschen höchste Vollkommenheit." 65 andererseits betrachtete er die idealistische Selbstgenügsamkeit als einen extremen Gegensatz zur Rechtfertigungslehre (Fichtes, Schleiermachers und Hegels Verhältnis zur Reformation, S. 17, 20 und 41). " Vgl. einige sporadische Andeutungen ζ. B. in dem Brief an Schlatter vom 28. 12. 1914 (R. STUPPERICH, Briefe, S. 216); vgl. auch Ges. Aufs. III, S. 502). 84 Hirsch erwähnt Kierkegaard das erste Mal in einer prägnanten Zusammenstellung mit Fichte, Schleiermacher und Hegel, die alle gegen die Verweltlichung des Reich-Gottes-Gedankens protestiert hätten (Reich-Gottes-Begriffe, S. 26). Als Literatur über die Analyse von Individuum und Gesellschaft führte Hirsch einige Werke Kierkegaards an (Deutschlands Schicksal, S. 167). et ZsystTh 1, 1923, S. 168-196. Zur Verwendung gerade der erbaulichen Schriften vgl. auch seine Rezension von Geismars ins Deutsche übersetzter Ausgabe der großen Rede zum Abendmahl. Von hier aus sei evident, daß der Gebrauch, den 10
Schjerring, Geismar/Hirsch
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In dem großen Sammelband über den Idealismus ist bereits deutlich, daß Hirsch zu einer solchen Klarheit über die Bedeutung Kierkegaards für die Konfrontation zwischen reformatorischem Christentum und Geschichtsphilosophie gelangt ist, daß er bereits, ausgehend vom Idealismus, sagen kann, der kierkegaardsche Paradoxbegriff sei „ja nur eine Übersteigerung von Hegels Verachtung des Satzes vom Widerspruch" ; im selben Atemzuge bezeichnet er jedoch Kierkegaard - zusammen mit Luther - als das notwendige Korrektiv zu Hegel, der die Radikalität der Sünde und der Schuld verkannt und deshalb auch keinen Sinn für die Gnade habe66. Der Briefwechsel zwischen Hirsch und Geismar in den Jahren 1925-31 enthält größtenteils Erörterungen von Einzelfragen der Kierkegaard-Interpretation, mit der sich beide in diesen Jahren hauptsächlich beschäftigten. Beide haben sich auch öffentlich zu ihrer grundlegenden Ubereinstimmung bekannt, und Hirsch seinerseits hat freimütig und dankbar anerkannt, daß er der Arbeit Geismars viel zu verdanken habe67. Worin beide vor allem übereinstimmen, ist das Hervorheben der die dialektische Theologie (Hirsch nennt sie „paradox überethisch") von Kierkegaard mache, ein Mißbrauch sei (ThLZ 50, 1925, Sp. 63). E. GEISMAR seinerseits weist vor allem auf folgende Passage aus Hirschs Kommentar zur Ubersetzung der „Erbaulichen Reden" hin: „Kierkegaards geschichtliche Stellung beruht darauf, daß er der einzige bedeutende Denker ist, den Pietismus und Luthertum in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts der Romantik und dem Idealismus entgegenzustellen vermochten. Die Geschichte des deutschen Geistes im 19. Jahrhundert wäre anders verlaufen, wenn er unser gewesen wäre. Niemand hat Hegel tiefer verstanden und tiefer kritisiert als er" (ü. aus Nyere tysk Teologi, S. 72 und Religionsfilosofi 2 , S. 29, Anm. 2. *· Idealistische Philosophie, S. 65 und 94 f. Trotzdem sah Hirsch ständig eine pietistische Affinität bei Kierkegaard in Richtung auf die Verabsolutierung des menschlichen Willens. Dies bemerkt er z. B. in seinem persönlichen Kommentar zur Besprechung der 1. Auflage von Geismars Religionsphilosophie: „ . . . u n d dennoch ist ein Punkt, wo unsere Wege auseinander gehen. Es betrifft die Frage der Willensfreiheit. Ich bin durch Luthers ,De servo arbitrio' zu tief bestimmt, als daß ich mich zu einem Ja entschließen könnte. Ich kenne nur eine Freiheit in Gott, d. h. eine durch u. durch von Gott gewirkte Freiheit. Ich ende also im religiösen Determinismus. D a ß Sie anders denken, führe ich auf den Einfluß von Kierkegaard zurück, der ja auch mit dem genannten lutherischen Pietismus auf dem Boden des Indeterminismus im entscheidenden Punkte steht, ähnlich wie Sie" (Brief an Geismar vom 26. 9. 1924; RA KOPENHAGEN, N G Bd. 1). Vgl. auch die gedruckte Rezension ThLZ 49, 1924, Sp. 505-509). 67 Besonders deutlich in der Proklamation von Geismar zum Ehrendoktor in Göttingen (vgl. oben S. 104) und in den Besprechungen von Geismars Hauptwerk über Kierkegaard in der dänischen bzw. deutschen Ausgabe (ThLZ 52, 1927, Sp. 60-62; ebd. 54, 1929, Sp. 224-230). In der letzteren greift Hirsch erneut die dialektische Theologie unter dem Hinweis auf die Kierkegaardinterpretation Geismars an.
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kulturkritischen Zielrichtung bei Kierkegaard, beide halten aber auch gleichzeitig daran fest, daß die asketischen Züge für das Werk Kierkegaards nicht konstitutiv, sondern vielmehr seiner lebensbejahenden Grundhaltung unterzuordnen seien, wie sie sich nicht zuletzt in den erbaulichen Reden zeige: „Er hat die Menschen nicht mit dem Christlich-Religiösen gleich als mit einer tödlichen Forderung überfallen (das blieb seinen deutschen Nachahmern vorbehalten), er ist zu ihnen hingegangen und hat sie den Weg der Innerlichkeit zum Christentum zu führen gesucht. Er ist dem Humanum gegenüber nicht der Feind, sondern ein bei aller Strenge verstehender und liebender paidagogos eis Christon." 68 Hirsch hat also von Anfang an in Kierkegaard einen Verbündeten in seiner Auseinandersetzung mit dem Idealismus gesehen, wobei er - unter dem Einfluß Geismars - Kierkegaards scharfe Absage an den Idealismus besonders Hegels nicht als eine totale Absage auch an das positive Anliegen des Idealismus verstanden hat. Ganz wie Geismar findet Hirsch bei Kierkegaard ein doppeltes Verhältnis zum Idealismus. Die zwanziger Jahre lassen sich, was das Verhältnis zwischen Geismar und Hirsch anbetrifft, als eine relativ in sich geschlossene Phase betrachten. Das hängt damit zusammen, daß sich die theologischen und politischen Fragestellungen beider Männer weitgehend deckten. Das Jahr 1931 stellt einen deutlichen Einschnitt dar: Einerseits war zu der Zeit ihre Freundschaft und Übereinstimmung auf einem Höhepunkt angelangt. Die beiden theologischen Fakultäten von Göttingen und Kopenhagen veranstalteten in diesen Jahren häufige gegenseitige Besuche, an denen Lehrer und Studenten aus beiden Fakultäten in großer Zahl teilnahmen. Im Februar 1931 hielt Hirsch anläßlich des 10jährigen Jubiläums von Geismars Amtsantritt als Professor und seines 60. Geburtstags eine Vorlesung und eine Predigt; er hielt auch eine Festrede für Geismar, die im selben Geist gehalten war wie die Laudatio bei der Verleihung der Ehrendoktorwürde für Geismar in Göttingen. Auf der anderen Seite bedeutete das Jahr 1931 für Hirsch einen Einschnitt in politischer wie in theologischer Hinsicht. Dem Höhepunkt der Freundschaft folgten deshalb sehr bald Differenzen, Geismar bekam allmählich Bedenken, aber erst im Jahre 1934 kam es zu direkter Polemik zwischen beiden. Die Zeit zwischen 1931 und 1934 ist also als eine Übergangsphase zu betrachten. 68 Kierkegaards Erstlingsschrift (ZsystTh 8, 1931, S. 144). Vgl. auch Fichtes, Schleiermachers und Hegels Verhältnis zur Reformation, S. 164-166.
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Bekanntschaft zwischen Hirsch und Geismar in den zwanziger Jahren
In den zwanziger Jahren stimmten beide nicht überein in der Beurteilung des Krieges und des weltanschaulichen Hintergrundes der Sozialdemokratie. Hirsch war tief verwurzelt in der patriarchalischen und antidemokratischen Vorstellungswelt des wilhelminischen Zeitalters, Geismars dagegen gab der Sozialdemokratie recht in der Anklage gegen die Ungerechtigkeit in der Gesellschaft, er lehnte aber die Lösungsvorschläge der Sozialdemokraten ab und trat statt dessen für die Lösung ein, die der „Rechtsbund" vorschlug, also eine Bodenreform bei sonstiger Beibehaltung eines liberalen Wirtschaftssystems. Deshalb reagierten beide zunächst verschieden auf die Herausforderung der dialektischen Theologie und besonders Barths, später aber waren sie sich in der Beurteilung dieser neuen Strömung ganz einig. Hirsch hatte schon aus politischen Gründen von vornherein Vorbehalte gegen Barth, Geismar dagegen war zunächst stark beeindruckt von der theologischen Herausforderung, die zudem seiner eigenen Kulturkritik zu entsprechen schien. Nach 1923 aber traten die politischen Fragen in den Hintergrund, und nun zeigte sich, daß beide in der theologischen Beurteilung Barths doch weitgehend übereinstimmten. Die gemeinsame Grundlage war die Luther-Theologie Holls, die dann auch der Schlüssel zur Interpretation Kierkegaards wurde. Gleichzeitig spielte auch der persönliche Respekt voreinander - trotz ganz gegensätzlicher Naturen - eine große Rolle. Hirsch war temperamentvoll, nahezu rastlos und kampfeslustig, Geismar in seiner Grundhaltung eine mehr irenische Natur. Hirsch formulierte in sprachlicher wie sachlicher Hinsicht viel schärfer, markanter und origineller, Geismars Texte sind oft verschwommen, harmonisierend, obwohl auch er an bestimmten Axiomen festhält, die immer wieder in seinen Werken auftauchen. Das weist auf einige Unterschiede zwischen beiden hin, über deren Reichweite sie sich erst später klar wurden, die aber in Wirklichkeit schon in ihren Positionen in den zwanziger Jahren angelegt sind. Beide wollten leidenschaftlich und ernsthaft die Theologie aktualisieren, indem sie in einer Art ethischer Apologetik für das Christentum eine Ethik zu formulieren suchten, die zur Lösung der aktuellen politischen Probleme beitragen sollte. Dies bedingte, daß sie - im Gegensatz zu Barth - eine natürliche Idealität und eine natürliche ethische Urteilskraft akzeptierten, an die die Offenbarung dialektisch anknüpfen sollte. Von daher mußten sie sich auch in die gleiche Aporie verstricken. Geismar gab einerseits Barth und Kierkegaard darin recht, daß sie das Gericht und die Souveränität des Absoluten hervorhoben, andererseits sind seine Abhandlungen oft durchwebt von einem humanisierenden Ethizismus, der sich gleichsam durch die Hintertür eingeschlichen hat. Entsprechend argumentierte Hirsch von Luther her
Position Hirschs in der theologischen und politischen Entwicklung
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grundsätzlich für einen religiösen Determinismus, dessen theonomer Charakter freilich durch sein konkretes politisches Pathos faktisch wieder aufgehoben wird, denn hier wird trotz der theologischen Rede von Sünde und Gericht eine ethische Eindeutigkeit postuliert. Aber es gibt doch einen wesentlichen Unterschied zwischen beiden: Geismars theologische Option für die unaufgebbare Zweideutigkeit einer jeglichen Materialethik wird nicht begrenzt durch seine konkrete politische Einstellung, sondern vielmehr durch seine pietistisch geprägte Kirchlichkeit. Dies hängt zweifellos damit zusammen, daß das Engagement Geismars sehr umfassend war; es reichte von praktischer Kirchlichkeit über wissenschaftliche Theologie bis hin zu Aktivitäten im kulturellen Leben und in der Politik. Der Wirkungsbereich Hirschs dagegen beschränkte sich mehr auf den akademischen Bereich. Seine Vielseitigkeit und seine Belesenheit waren enorm, sein Engagement aber hielt sich im Rahmen des Akademisch-Theologischen, auch wenn er seine Gedanken mitten in die aktuellen politischen Tagesprobleme hinein zu formulieren versuchte.
Kapitel 3 DIE JAHRE 1931-1934: BEGINNENDE ENTFREMDUNG 1. Hirsch s Anteil am Kampf für die nationale Erhebung und die Auswirkungen auf seine Theologie a) Die allgemeine politische Tendenzwende Die politische Ethik Hirschs ist Teil eines typischen Trends in der Weimarer Republik. Deshalb ist es wichtig, daß wir - als Voraussetzung für die Darstellung des Neuansatzes in seiner Theologie seit etwa 1930 - kurz auf die allgemeine zeitgeschichtliche Situation nach der Stresemann-Ära eingehen. Die Kritiker der Weimarer Republik hatten in den ersten unruhigen Nachkriegsjahren die gesamte Grundlage der neuen Staatsordnung in Frage gestellt. Man sprach von „Novemberverbrechern", von dem schmachvollen Kriegsabschluß mit dem ungerechten Versailler Vertrag und von der feigen „Erfüllungspolitik", ein Vorwurf, der sich vor allem gegen die Sozialdemokratie und das Zentrum richtete. Die Unruhe in der Anfangsphase der Republik wich jedoch Mitte der zwanziger Jahre einer gewissen Stabilität, die sich innenpolitisch in einem deutlichen wirtschaftlichen Aufschwung bemerkbar machte, außenpolitisch in einer fortschreitenden Normalisierung und Einordnung in eine europäische Ordnung. Auf deutschnationaler Seite reagierte man darauf oft mit passiver Resignation und politischem Disengagement, auch wenn die Verträge von Locamo mit allem, was sie bedeuteten, natürlich von der Deutschnationalen Volkspartei und der Hugenbergpresse aufs heftigste bekämpft wurden. Es ist jedoch bezeichnend, daß sich diese Protesthaltung, dieser im ideologischen Sinne bewaffnete Friede, deutlich verstärkte, als im Sommer 1929 der Young-Plan bekannt wurde. Die Frage nach den Reparationszahlungen führte zu einer neuen Diskussion um den Artikel 231 des Versailler Vertrages über die deutsche Kriegsschuld. Gleichzeitig wurden auf internationaler Ebene ernsthafte Versuche unternommen, die Normalisierungspolitik in einer umfassenden Abrüstungspolitik weiterzuführen. Der Briand-Kellogg-Pakt war hier ein Signal, das den Weg auch für eine deutsch-französische Verständigung ebnen sollte, und er muß im Zusammenhang gesehen werden mit einer Reihe von Nicht-Angriffspakten, in die auch die Sowjetunion miteinbezo-
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gen wurde. In der Retrospektive nehmen sich diese Abrüstungsbestrebungen freilich als ein Anachronismus aus. Die Friedensbemühungen wurden nämlich bald von unguten Erscheinungen wie dem politischen Radikalismus und der Weltwirtschaftskrise überschattet. Nicht zuletzt Deutschland bekam die Folgen der wirtschaftlichen Depression stark zu spüren in der Form von enormer Arbeitslosigkeit, Inflation und teilweiser Einstellung der Produktion. Gleichzeitig hatte die Republik mit dem Tod Stresemanns ihren profiliertesten Fürsprecher verloren, und Reichskanzler Brüning konnte auf die Dauer nicht die Unruhe eindämmen, die sich an allen Fronten zeigte, wirtschaftlich, außenpolitisch und auch parteipolitisch. Bei den Wahlen vom September 1930 errang die NSDAP ihren ersten großen Wahlerfolg. Die Jahre danach waren geprägt von einer zunehmenden Polarisierung und einem Anwachsen der extremistischen Parteien. Die Kommunisten waren im Vormarsch, und auf der Gegenseite war die „Harzburger Front" im Jahre 1931 manifester Ausdruck des Aufmarsches der Rechtskräfte. Wichtig ist nun, daß die internationale Weltwirtschaftskrise für die nationalistische Restauration einen willkommenen Vorwand bot, die Grundlagen der Republik anzugreifen. H . Grami spricht deshalb von der Krise als einem „Auslöser nationalpolitischer Restaurationstendenzen". Das wirtschaftliche Chaos wurde zum Anlaß für einen erneuten Kampf gegen den Versailler Vertrag, und der Vormarsch der Kommunisten wurde als eine unausweichliche Konsequenz der verräterischen Erfüllungspolitik gegenüber dem Ausland, der freiwilligen nationalen Demütigung, angesehen. Deshalb wandelte sich das „Nicht mitspielen" der Rechtsradikalen nun zu einem offensiven und vitalen Nationalismus. Jetzt gab es sowohl wirtschaftlich als auch außenpolitisch eine Handhabe, die einen erneuten und wirksameren Kampf für eine neue Staatsordnung legitimieren konnte. Die zugespitzte Situation sanktionierte zugleich eine Reihe von neuen Idealen, einer Art neuen Weltanschauung, die mindestens ebenso wichtig war wie die konkreten politischen Fragen. Man sprach von einem organischen Ganzen, von einer autoritären Staatsführung, von echtem „Führertum", von Opferwille statt Eudämonismus und diesseitigem Materialismus. Dies war der Nährboden für den Kampf der rechtsradikalen Gruppen für einen gesellschaftlichen Umsturz. Alle diese Tendenzen kulminierten in der „Machtergreifung" durch die Nationalsozialisten am 30. Januar 19331. 1 Vgl. H . HEIBER, Die Republik von Weimar, S. 152 ff.; H . GRAML, Europa zwischen den Kriegen, S. 364 ff.; K. SONTHEIMER, Antidemokratisches Denken,
b e s . S . 3 0 7 f f . ; F . F R H R . H I L L E R VON GÄRTRINGEN, D e u t s c h n a t i o n a l e A . MILATZ, E n d e d e r P a r t e i e n ; E . N O L T E , F a s c h i s m u s , S . 4 1 3 f f . ; K .
Kirchen I, S. 160 ff.
Volkspartei; SCHOLDER,
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Einer der „Steigbügelhalter" für diese Entwicklung war in gewisser Weise auch Emanuel Hirsch. Seine politische Ethik in der Endphase der Weimarer Republik ist geprägt durch eine Aufbruchstimmung, einen entschlossenen Willen zu einem radikalen Neubeginn. Dies ist natürlich nicht so zu verstehen, daß sein Suchen nach neuer Orientierung bestimmt war von Ratlosigkeit oder etwas eigentlich Neues in sein Engagement brachte. Vielmehr enthielt der neue Aufbruch auch ein wesentliches Element der Kontinuität: Hirsch knüpfte an sein nationales Ethos der Kriegsjahre an. Es handelte sich also um einen Versuch, den Geist neu zu beleben, an dem sich die Weimarer Republik schändlich vergangen habe. Jetzt sah Hirsch eine Möglichkeit, sich der Fesseln zu entledigen und nach einer neuen Staatsordnung zu streben. Dies gab seinem Denken eine unwiderstehliche innere Dynamik. Hirsch ließ sich nicht fanatisch von irgendeiner blinden Begeisterung mitreißen. Von Anfang an sah er auch die negativen Seiten des Aufbruchs, so den oft offen zutage tretenden Atheismus der Nationalsozialisten, auch lehnte er ihre unmodifizierte Rassenlehre ab. Dennoch fochten ihn diese Bedenken zu keiner Zeit ernstlich an. Es gab keinen Weg zurück. Gerade weil er an seine eigene frühere theologische und politische Überzeugung anknüpfen konnte, die in den Jahren zwischen 1918 bis 1929 sozusagen brachgelegen hatte, besaß er nun sogleich eine Grundlage, von der aus er von vornherein einen Teil der Auswüchse rechtfertigen konnte: Sie wurden lediglich als der unvermeidliche Preis für die so notwendige Wende angesehen. All dies trat zum ersten Mal deutlich hervor in dem Buch „Schöpfung und Sünde in der natürlich-geschichtlichen Wirklichkeit des einzelnen Menschen" von 1931. Kurz darauf formulierte Hirsch ähnliche Gedanken als Mitarbeiter der Christlich-Deutschen Bewegung. Zusammen mit Heinrich Rendtorff (1888-1960) und Paul Althaus redigierte er die Zeitschrift der Bewegung, „Glaube und Volk", und schrieb einige Artikel, die die Konturen der Bewegung verdeutlichen sollten. Aber auch im Verhältnis zu Geismar vollzog sich nun eine Änderung. Ganz wie in den Jahren 1922-23 sind die Briefe Hirschs ständig von Anspielungen auf die politische Krisensituation durchzogen; das Anwachsen der kommunistischen Bewegung war für ihn eine der schädlichen Auswirkungen des Versailler Vertrages: „Sie wissen nicht, wie groß die Verzweiflung unter uns ist, einfach weil wir für den vierten Teil des Volkes kein Brot und keine Arbeit haben. Und es wird in diesem Winter der dritte Teil des Volkes werden. Sie wissen nicht, wie der Bolschewismus unter uns wühlt. Und die Schuld an alledem trägt Versailles."2 Noch ein weiteres Moment aus 2 Brief vom 24. 10. 1931 (RA KOPENHAGEN, N G Bd. 1); vgl. auch Hirschs Brief an Althaus vom 25. 4 . 1 9 3 2 (K. SCHOLDER, Kirchen I, S. 160). Es ist be-
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den frühen zwanziger Jahren tauchte wieder auf: Hirsch wies theologische und vor allem politische Kritik brüsk zurück. Geismar und Barth lehnte er aus politischen Gründen scharf ab, wenn auch seine Argumentation und die Tonart jeweils verschieden sind3.
b) Der dogmatische Ansatz der Position Hirschs Das Grundmotiv der politischen Ethik Hirschs ist noch immer die Dialektik zwischen natürlicher Idealität und göttlicher Absolutheit, zwischen politischer Bindung an das Volk und göttlicher Anrede. Dieses Motiv erfährt in diesen Jahren eine weitere Zuspitzung. Das politische Ethos tritt noch mehr in den Vordergrund. Es finden sich mannigfache Hinweise auf die Ideale, die Hirsch nun wieder zu Ehren bringen will. Die Grundstimmung ist von einer Sehnsucht geprägt, daß sich die Gefühle neu entfalten mögen, die während der Wüstenwanderung der Weimarer Zeit sozusagen auf dem Trockenen gelegen hatten. Die „natürlich-geschichtliche Wirklichkeit" wird programmatisch zum wichtigsten Kampfplatz der Zeit erklärt, auf dem sich der Kampf für eine neue Zukunft des deutschen Volkes vollziehen müsse. Nur von der Gemeinschaft der Menschen untereinander her kann in angemessener Weise von den natürlichen Lebensumständen gesprochen werden, so daß dabei die liberalistische Bindungslosigkeit wie auch die totale Unfreiheit des Materialismus vermieden wird. Die neuen Ideale geben dem Volk Führung und Raum zeichnend für die Position Hirschs in diesen Jahren, daß er sich mit dem Kampf des Schriftstellers Hans Grimm (1875-1959) für eine nationale Expansionspolitik solidarisierte. Er stimmte der Forderung Grimms zu, man müsse die Jugend zu „wilder leidenschaftlicher Empörung gegen alles" erziehen, „was durch Lüge und Unmoral des Vernichtungskrieges gegen mein Volk, des schändlichen Wortbruches an meinem Volke, der Mordpolitik wider mein Volk an Sünde und Unrecht geschehen ist" (Der Schriftsteller und die Zeit, S. 297, vgl. auch S. 293; Hans Grimms amerikanische Rede, in: Weg der Theologie, S. 125 ff.). 3 Zur Auseinandersetzung mit Barth vgl. oben S. 120 ff. Gegenüber Geismar betonte Hirsch noch immer ihre Gemeinsamkeit, auch wenn sich in seinen Briefen seit dem Sommer 1931 ein Unterton von Unsicherheit und Distanz als Folge der politischen Divergenzen findet. Hirsch bringt auch weiterhin seinen Standpunkt gegenüber Geismar unverblümt zum Ausdruck. Den Einwänden Geismars versucht er von vornherein die Spitze zu nehmen, indem er die politischen Aspekte dieser Kritik geflissentlich übersieht. So schreibt er z.B. am. 5.7.1931: „Über die politische Sache möchte ich Ihnen Ihre Zeit und Kraft nicht verderben. Wenn die Katastrophe hereingebrochen sein wird über unser armes Volk, werden Sie es schon von selber einsehen, und es nützte ja auch nichts, wenn es einzelne früher einsehen würden. Wir verstehen uns jenseits dieser Sphäre, und Ihre Arbeit ist, die Dogmatik zu schreiben, auf die ich mich freue, und nicht mit diesen Dingen die Zeit und Kraft zu verderben" (RA KOPENHAGEN, N G Bd. 1).
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für ein Leben, in dem das innerste Bedürfnis des Volkes und der Schöpferwille Gottes miteinander in Einklang gebracht sind: „Der Bindung ist zugeordnet das Gesetz, als das in konkrete Ordnung hinein Bindende. Die Führung hingegen kennt nur eine wahrhafte Sanktion, den lebendigen Geist, der der wahrhaft Führende ist und so gnädig ist, durch den Führer zu sprechen. So stehen Führer und Geführte in dem Umschluß einer Geistesgemeinschaft, die ein Vertrauensverhältnis gründet und selbst durch Fehlgriffe des Führers nicht zerbrochen werden kann. Gleichnishaft ausgedrückt ist dies im Bilde des Ringes, das mithin nicht zufällig unter uns mächtig geworden ist. Die Vollkommenheit der Führungsform ist die Glut des umschließenden Führungsfeuerrings, ist also geistumfangen, geistbegründet. Das ist zum Beispiel das Geisthafte an einer sehr erdhaften Erscheinung des heutigen deutschen Lebens, der nationalsozialistischen Sturmabteilung: auch wer den in ihr waltenden Willen in vielem fragwürdig findet, muß sehen, daß in ihr Dienst und Gehorsam gehalten sind in der Tiefe eines auch in Leiden und Warten zu bewährenden Opferwillens." 4 Schon hieraus geht deutlich hervor, daß Hirsch sich nicht damit begnügen will, vom Human-Politischen zu reden als von etwas, das unter menschlichen Bedingungen vorgegeben ist. Vielmehr sieht er den Schöpfungsgedanken noch immer theonom, die Freiheit als „gesetzt". Zwar ist die empirische Gestalt noch nicht definitiv, sie ist aber der Ort des Schöpfungshandelns Gottes, so daß eigentlich von einer ständigen „Gestaltwerdung" zu sprechen ist, einer heiligenden Läuterung durch die paradoxe Grundstruktur der ethischen Erneuerung 5 . Deshalb darf sich der Mensch niemals einem ungehemmten Genuß der Herrlichkeit der Schöpfung hingeben oder gar enthusiastisch die ewigen Ideale unmittelbar zu verwirklichen suchen. Die Grundstruktur ist immer die des Paradox, die Schöpfung enthält von Anfang an die Sünde, und die befreiende „Rückbindung" wird erst im eigentlichen Sinne durch die Gnade ermöglicht. Schöpfung und Sünde gehören also unlösbar zusammen: „Schöpfung und Sünde sind eines und das gleiche, unter zwei einander fordernde und zugleich widereinander sich kehrende Urteile aus dem Gottesverhältnis gestellt. Dieser Satz ist Ausdruck der Urgegenständlichkeit selber, daß Gott von uns urtümlich erfahren wird als das 4
Schöpfung und Sünde, S. 4 f. Ebd., S. 6 f., vgl. auch S. 16 ff. In entsprechender Weise spricht Hirsch an anderer Stelle von der „Verknotung von Gottesverhältnis und Wirklichkeitsverhältnis", und er meint, daß „wir gezwungen sind, unser deutsches Ja zur Wirklichkeit und Aufgabe unsers Volkstums von der letzten leidenschaftlichen Tiefe des Gottesverhältnisses her zu umfassen" (Das Ewige und das Zeitliche, S. 68). 5
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in unsrer kreatürlichen Freiheit Gründende und das uns darin Verzehrende zugleich."® Hirsch bleibt nun aber nicht bei dieser radikal zugespitzten Zweideutigkeit und diesem Irrationalismus stehen. Vielmehr tritt er ein für Wagemut, dafür, daß der Christ dazu beitrage, die Entwicklung weiterzutreiben, indem er weder die althergebrachte protestantische Obrigkeitsethik repristiniert noch sich hinter den massiven Bastionen der Bekenntnistreue verschanzt. Hirsch ist leidenschaftlich beseelt vom Bewußtsein eines „Jetzt", das gebietet, unwiderruflich die Vergangenheit hinter sich zu lassen und, ohne zurückzuschauen, ganz neue Wege zu gehen. Seine eigene Mission sieht er hier in der Formulierung einer neuen Grundlegung der Ethik, die über eine paradoxe Dialektik hinausgeht. Statt sich an der Paradoxalität festzubeißen, will er jetzt die völkische, nationale Gemeinschaft beleben. Das aber setzt voraus, daß die menschliche Existenz eine Plattform, eine „Auffangform" enthält, auf der Gott die gegebene menschliche Wirklichkeit mit einer solchen K r a f t der Heiligung versehen hat, daß sie sich über das Unanschauliche, der Sünde Verhaftete erheben kann. Dies wird zwar niemals als etwas Manifestes beschrieben, als etwas, das sich dann als Ergebnis menschlicher Leistungen verstehen ließe, aber andererseits kann Hirsch die innerste Idee des Volkes in einer Terminologie beschreiben, die diesen „verborgenen Souverän" fast als etwas Transzendentes erscheinen läßt 7 . Der grundlegende theologische Neuansatz liegt in der Behauptung, daß Gott in die gegebene Wirklichkeit eintritt mit einem so machtvollen Schöpfungshandeln, daß er einer neuen Erkenntnis den Weg bereitet, die die Zweideutigkeit hinter sich läßt, und daß diese theonom korrigierte Eindeutigkeit sich nun politisch im Dienste der Wiedergeburt des Volkes anwenden läßt: „Die durchheiligende göttliche Gegenwart mit ihrem Vergeben und Tragen endlich macht - durch Bestätigen und durch Wenden unsers Dienstes und des Zieβ Schöpfung und Sünde, S. 33. Dem entspricht, daß Hirsch den Artikel „Das Gericht Gottes" am Ende des Buches abdruckte. Die Verbindung von Schöpfung und Sünde hielt E. BRUNNER für eine gnostische Identifikation (Das Gebot und die Ordnungen, S. 586). 7 In dem Artikel „Vom verborgenen Souverän" läßt er die wahre Identität und Legitimität des verborgenen Souveräns allein darin begründet sein, daß sie im religiösen Sinne wahr sei. Die Stellung des Bürgers in der Gesellschaft definiert er als „ein von Gott als dem Herrn der Geschichte gesetztes Dienstverhältnis, das uns in eine irdisch-geschichtliche Gemeinschaft leidend-gehorchend einfügt" (S. 5). Etwas später führt er den Gedanken so weiter: „Es ist schlechtweg Dienst, und der Dienst verpflichtet, weil er nichts ist als das Leben in der Wirklichkeit, die ohne unsern Willen nach Gottes Willen uns umfängt". Dies verwendet Hirsch im gleichen Atemzug als Argument für seine Absage an eine Mythologisierung des Volkes (vgl. unten Anm. 8, 11 und 12).
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lens der Gemeinschaften, denen wir dienen - die ewige Gemeinschaft der Liebe schon jetzt paradox gegenwärtig in der sündedurchwobnen, den Boden der allgemeinen Gnade nie verlassenden Art der natürlichgeschichtlichen Gemeinschaften und macht diese darinnen zu einem irdenen Gefäß mit einem heimlichen güldenen Schatze darinnen. Und so schaut uns ganz wirklichkeitsnah, ganz in unsre Lebendigkeit hineingebeugt, der Satz an, daß die Christusliebe das einzig Eindeutige in unsrer menschlichen Zweideutigkeit ist."8 Hirsch war sich dessen bewußt, daß diese neue Profilierung seiner Grundauffassung auf Widerspruch stoßen mußte. Die Rede von der „Auffangform" war natürlich gegen die dialektische Theologie gerichtet, auch sein Protest gegen liberale Demokraten und religiöse Sozialisten verschärfte sich9. Hirsch versucht eindringlich, seine Gedanken als eine konsequente Weiterführung seiner eigenen früheren Abhandlungen darzustellen, er bekennt sich noch immer zu Holl und beruft sich oft auf Kierkegaard. Dennoch merkt er selbst nun die 8
Schöpfung und Sünde, S. 82. Vgl. auch folgende Aussage: „Das freie Ja aus Gott zum Dienste zwingt dazu, sich im irdischen Verhältnis zu Gott zu verhalten. Das ist etwas, was das Irdische, was das Volkstum bei aller mich unmittelbar stürmisch bewegenden Gewalt in mir nie vermocht hätte. Gerade der in Gott Freie, der um die Bedingtheit des Vergänglichen weiß, gerade er ist ganz treu im Irdischen" (Das Ewige und das Zeitliche, S. 70). Im Programm der „Christlich-Deutschen Bewegung" ist denn auch von dem Volk als Schöpfungsordnung die Rede, wenn es von der Liebe zu Volk und Vaterland so heißt: „Gewachsen in geheimnisvoller Tiefe des Blutes und Herzens, gehärtet in der Glut des Krieges, geschmiedet unter der Not des Schicksals und dem H a ß der Feinde, geläutert an der weltgeschichtlichen Aufgabe des deutschen Volkes und Staates wurde uns diese Liebe zur Alles fordernden Verpflichtung. Sie gebietet uns zuchtvolle Arbeit an uns selbst, sie ruft uns zu opferwilligem Dienst an unserm Volk. Sie schenkt uns den Willen, die Bereitschaft zum Kampf" (GLAUBE UND VOLK 1, 1931, S. 78. Vgl. auch H . PFLUGK, Christlich-Deutsche Bewegung, bes. S. 8 - 1 1 ) . E . BRUNNER
sprach
Hirsch das Recht ab, so etwas als christliche Schöpfungstheologie auszugeben, dies sei vielmehr reine spekulative Philosophie (Das Gebot und die Ordnungen, S. 596). Deshalb geht Brunner in seiner Kritik auch weiter und wirft Hirsch Geschichtspantheismus vor (ebd., S. 602, vgl. auch S. 611). Vgl. schließlich die Kritik Brunners an Althaus, Brunstäd und Hirsch: Dies sei göttlich begründeter Nationalismus, autoritärer Antidemokratismus und Kriegstreiberei (ebd., S. 650 f.) ; Brunner erkennt jedoch die gemäßigte Einstellung Althaus' zum Kriege an (ebd., S. 663). • Zur Kritik an der dialektischen Theologie vgl. Schöpfung und Sünde, bes. S. 45 f. und S. 97, Anm. 57; der religiöse Sozialismus war für Hirsch dabei, das Evangelium an „die unwahre und überholte marxistische Ideologie" auszuliefern (vgl. ebd., S. 4 und S. 101 f., Anm. 76); den „christlichen Kriegsdienstverweigerer" hielt er für einen „Schmarotzer" (ebd., S. 101, Anm. 72; vgl. auch Das Ewige und das Zeitliche, S. 70). Ähnlich sieht auch H . PFLUGK das Hauptübel in der „Vergötterung des Individuums". Die Schuld daran gibt er den politischen Demokraten der Mitte und des linken Flügels wie auch denen, die zu der ethischen Verwirrung dadurch beigetragen hätten, daß sie die „festen unantastbaren Ordnungen des Lebens" zu zerstören versucht hätten (Christlich-Deutsche Bewegung, S. 3-7).
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Divergenz zu Geismar, wenn er ζ. B. von „Mut" und „Wagnis" spricht und sagt, daß „der Glaube an die versöhnende Gnade immer auch wieder einen Halt findet an der Beobachtung, daß es ein Weiten und ein Durchglühen der ganzen unter dem Bann stehenden Lebensverhältnisse aus christlicher Liebe gibt, und daß man sich als Verleumder vorkommen würde, wenn man all das um seiner Zweideutigkeit und Halbheit und Ohnmacht dem ganzen großen Fluch gegenüber als Heuchelei und Betrug ausgeben wollte. So hab ich es ernst genommen nach seinen beiden Seiten, der zweideutigen und der darin dem Ewigen sich entgegenstreckenden Eindeutigkeit" 10 . Hirsch versteht die Zeit als eine Zeit des Aufbruchs, leidenschaftlich appelliert er an Wagemut und schöpferische Willenskraft. Charakteristisch für seine Haltung ist seine Einstellung gegenüber dem extremen Nationalsozialismus. Zwar versteht Hirsch das Volk als den verborgenen Souverän und damit als einen unsichtbaren Leitstern für die Findung einer neuen völkischen Identität. Aber sein mit einer kierkegaardschen Entscheidungsethik verbundener Individualismus bildet ein ständiges Gegengewicht gegen eine einseitige Verherrlichung der Einheit des Volkes. Ferner ist in dieser Ubergangsphase wichtig, daß Hirsch noch immer in der Kategorie des Paradox denkt und von hier aus ζ. B. die Volksmythologie einer theologisch begründeten Kritik unterziehen kann: „Aber - ich weiß alles dies nur so im von Gott geheiligten und bestätigten Lebensgefühl, daß ich zugleich mein Volk und Land als etwas Vergängliches, Sterbliches weiß, und sehe demgemäß im Mythos vom ,ewigen' Volkstum einen Mangel an absoluter religiöser Reflexion." 1 1 Dieser Akzentunterschied zwischen der konsequent nationalsozialistischen Rassenlehre und einer in dieselbe Richtung tendierenden völkischen Ideologie, wie er sowohl bei der Christlich-Deutschen Bewegung als auch später bei den Deutschen Christen zutage trat, wurde auch von Deutschen Christen selbst gesehen. So heißt es ζ. B. bei Arnold Dannenmann - der sich dann später zur Bekennenden Kirche hielt: Die Christlich-Deutsche Bewegung „war mehr aus dem deutschnationalen Empfinden herausgewachsen. Sie trug noch nicht in sich das Gepräge der neuen Erkenntnis des Nationalsozialismus. Für sie war ,Volk' noch nicht völlig durchdacht im Sinne des RassengedanSchöpfung und Sünde, S. 101, Anm. 75. D a s Ewige und das Zeitliche, S. 69. Vgl. auch Vom verborgenen Souverän, S. 5, sowie folgendes Zitat: „Man muß der ganzen Richtung unserer Zeit auf die Menge und die Mehrheit mit Kierkegaard in bewußter Schärfe den Gedanken des einzelnen entgegenstellen" (Schöpfung und Sünde, S. 81, Anm. 8). Entsprechend protestierte H . PFLUGK gegen Tendenzen zu einem „völkischen Schwärmertum", dadurch mache man „unsere deutsche Art . . . zum Maßstab, an dem der lebendige Gott kritisch gemessen wird" (Christlich-Deutsche Bewegung, S. 15). 10
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kens". Auch Friedrich Wieneke sprach einmal davon, daß „der Volksgedanke der Christlich-Deutschen Bewegung mehr der preußisch-konservative" geblieben war 12 . Der Standpunkt Hirschs ist also, bis die Hoffnungen 1933 erfüllt wurden, eine Warteposition, bestimmt von einem trotzigen Optimismus, gemischt mit viel theologisch begründeter Skepsis. Erst im Laufe des Frühjahrs 1933 läßt Hirsch alle Bedenken fahren. Noch kurz vor Hitlers Machtübernahme konnte er vom Verhältnis zwischen dem Beruf eines Pfarrers und der politischen Verpflichtung des Christen sagen: „Nicht der Sieg der deutschen Freiheitsbewegung, sondern ihr Tiefwerden im Evangelium, auf daß sie siegend ein Segen für unser Volk sei, ist unsere besondere Aufgabe in unserm Dienst. Das Evangelium hat uns Deutsche nicht nötig, aber wir haben das Evangelium nötig, wenn wir rechte Deutsche bleiben wollen, wenn wir nicht entarten wollen." 13
12 Vgl. A. D A N N E N M A N N , Geschichte, S. 16; F. W I E N E K E , Glaubensbewegung, S. 10 - Vgl. dazu auch H . PFLUGKS Einspruch gegen einen maßlosen Rassenfanatismus und die Behauptung einer „völkischen Sittlichkeit" (ChristlichDeutsche Bewegung, S. 15 f.). In den programmatischen Leitsätzen der ChristlichDeutschen Bewegung wird auch betont, daß sich die nationale Freiheitsbewegung mit ihrem Programm unter das Kreuz stellen müsse : „Wir glauben, daß die deutsche Freiheitsbewegung mißraten muß, wenn sie nicht in solchen Kampf Gott als den Herrn anerkennt, sich seinem unerbittlichen Gericht unterwirft, sich seinem Willen zur Verfügung stellt" ( G L A U B E U N D V O L K 1, 1931, S. 78). H . R E N D T O R F F hat die kritischen Vorbehalte vielleicht am stärksten formuliert. Er hebt hervor, das Wertvolle an den Bestrebungen um eine nationale Erhebung auf der Grundlage nationaler Gemeinschaft sei verspielt worden, weil [wir] „tief erschrocken und in hilfloser Ohnmacht sehen müssen, wieviel der Sache unseres Volkes geschadet wird durch Überheblichkeit und Kritiklosigkeit und Anbetung irdischer Götzen. Sie sollen wissen, daß sie Sünde tun, wenn sie Blut und Rasse für das Letzte, allein Entscheidende halten, wenn sie aus dem deutschen Menschen einen Gott machen wollen, daß sie sich mitschuldig machen an dem Verderben" (Das Wort Gottes über das Volk, S. 11). 1932 warnt H . M U L E R T ganz allgemein vor einer einseitigen nationalsozialistischen Politisierung im Rahmen der Kirche und drückt die Hoffnung aus, daß gerade die Christlich-Deutsche Bewegung sich zu der Allseitigkeit entwickeln könnte, die ein stark benötigtes Gegengewicht gegen andere laufende Bestrebungen darstellen könnte. Mulert fürchtet jedoch, die Bewegung werde trotzdem „zu einer Art Harzburger Front auf kirchlichem Boden" degenerieren (Volkskirche und Parteipolitik, Sp. 374). Zur Christlich-Deutschen Bewegung vgl. ferner das Material in: AEKD, A 2/420 und AEKU, Gen. X I I 184; ferner K . M E I E R , Deutsche Christen, S. 10ff. K . S C H O L D E R betont die kirchlich-theologische Eigenart der Bewegung, ohne aber auf den hier genannten Aspekt des Verständnisses von Volk und Rasse einzugehen (Kirchen I, S. 251-254). 13
Brief an einen Schüler im Pfarramt, S. 32 (datiert Silvester 1932).
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c) Hirschs Kierkegaard-Interpretation und ihr Zusammenhang mit dem nationalen Aufbruch In derselben Periode von drei Jahren, also zwischen 1930 und 1933, vollendete Hirsch - kraft seiner enormen Schaffenskraft und Produktivität - seine große Monographie über Seren Kierkegaard. Schlußwort und Zusammenfassung wurden im Herbst 1933 geschrieben, als die Begeisterung über die nationale Erhebung ihren Höhepunkt ereicht hatte. Hirsch selbst war sich darüber klar, daß hier ein Zusammenhang bestand. Deshalb gehört die Analyse einiger Hauptlinien dieses Werkes in diesen Zusammenhang der Übergangsphase Anfang der dreißiger Jahre. Es geht hier aber nicht um eine Gesamtwürdigung der Kierkegaard-Deutung Hirschs, sondern wir wollen an einigen Beispielen zeigen, wie Hirsch in seiner Deutung über Geismar hinausgeht und wie sich seine Kierkegaard-Interpretation in seine übrige Theologie in dieser Zeit einfügt. Die Grundlage der Kierkegaard-Studien sind Hirschs frühe LutherTheologie und seine Auseinandersetzung mit dem Idealismus; unzählige Male bezieht er sich auch auf seine früheren Schriften. Das Buch ist - darauf legte Hirsch großen Wert - Eduard Geismar zugeeignet „zu Dank und Ehren". Beide stimmten trotz mancher Differenzen weiterhin überein. Beide hatten eine gemeinsame Frontstellung gegenüber der übrigen Kierkegaard-Forschung, vor allem gegenüber Barth und dem Barthianismus in Deutschland und Dänemark. Diese Gemeinsamkeit hat Geismar auch in seinen Besprechungen von Hirschs Buch hervorgehoben. Gemeinsam war beiden weiter ihr persönliches, im positiven Sinne erbauliches Verhältnis zur Existenzdialektik Kierkegaards. Hirsch hat in einer methodologischen Maxime diese Verbindung von wissenschaftlicher Objektivität und existentieller Subjektivität formuliert: „In ihr hat sich peinliche philologische und historische Akribie, die nichts Zufälliges kennt und vor nichts als Urkundlichem Halt macht, verbunden mit der Aufmerksamkeit auf die letzten großen Fragen der ethisch-religiös verstandenen Wahrheit." 14 Dies kann überhaupt für Hirschs gesamte wissenschaftliche Arbeit gelten. 14
Kierkegaard-Studien, S. 958 (Die Monographie erschien etappenweise in Einzelheften 1930-33. Die Seitenangaben hier folgen dem abgeschlossenen zweibändigen Werk). Die allseitige Belesenheit und das große theologiegeschichtliche Wissen Hirschs zeigen sich z . B . darin, wie er seine These vom Wendepunkt 1838 durch die Einbeziehung des jüngeren Fichte, von Erdmann und Daub weiterführt und dieses sein theologiegeschichtliches Wissen auch in der Interpretation der Doktorarbeit Kierkegaards fruchtbar macht (vgl. ebd., S. 499-551 und 579-602). Vgl. auch das Zitat: „Alle geistig Großen, auch des ,Goldzeitalters' [sc. in Dänemark] verdanken das, was sie sind, den aus Deutschland herüberströmenden Ideen. Deut-
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Durch sein sorgfältiges Einbeziehen des gesamten Werkes Kierkegaards, der Tagebuchaufzeichnungen, der zeitgenössischen dänischen Theologie und Philosophie sowie des deutschen Idealismus dringt Hirsch in seinen Analysen an vielen Stellen weiter vor als Geismar und kann seine Auffassungen überzeugend dokumentieren. Bereits die Darstellung des jungen Kierkegaard von 1835 bis 1838 enthält Thesen, die historisch wie systematisch von Geismar abweichen. In der Auseinandersetzung mit H . C. Andersen in Kierkegaards Erstlingsschrift sieht Hirsch bereits die großen Themen des ganzen kierkegaardschen Werkes angelegt: die religiöse und theologische Haltung des jungen Kierkegaard, sein persönliches Verhältnis zum Vater mit den religiösen Konsequenzen sowie seine Auseinandersetzung mit der Romantik. Ausgangspunkt ist eine Korrektur der These Geismars, daß der Schlüssel für das Verständnis der Persönlichkeit Kierkegaards in einigen Tagebuchaufzeichnungen zu finden sei, in denen von einem mystisch-ekstatischen Erlebnis die Rede ist. Hirsch gesteht Geismar ein, er habe auf Material hingewiesen, das für das rechte Verständnis des jungen Kierkegaard wesentlich ist. Aber Hirsch versteht diese Texte inhaltlich ganz anders, nämlich als eine Parallele zur reformatorischen Entdeckung Luthers in Rom. 1,17, also ganz und gar anti-mystisch. Hirsch meint, der Vater sei für Kierkegaard Werkzeug Gottes gewesen, das ihm für das Wesen des Christentums als Gericht und Versöhnung die Augen geöffnet habe. Diese Entdeckung sei der innerste Kern von Kierkegaards Auseinandersetzung mit der Romantik. Der Romantik habe Kierkegaard die Konturen seiner Anthropologie entnommen, aber dieses poetische Element werde diesem eben erwähnten ethisch-religiösen Hauptanliegen untergeordnet kraft einer negativen Dialektik. Hierin sieht Hirsch eine Präfiguration des späteren Werkes Kierkegaards 1 5 . Entsprechend analysiert Hirsch nun auch in einem neuen Lichte das nächste Hauptereignis im Leben Kierkegaards, die Verlobungsgeschichte und den dadurch veranlaßten Beginn des eigentlichen Werkes Kierkegaards. Wiederum sieht Hirsch eine enge Verbindung zwischen persönlich bedingten Umständen und dem Hauptanliegen in sehe Romantik und deutscher Idealismus auf dem Boden einer von deutschem Luthertum und deutschem Pietismus vorgeformten Geistigkeit sind die tiefsten der gestaltenden Mächte" (Saren Kierkegaard in: Weg der Theologie, S. 108). Hirsch betont hier entschieden, daß Kierkegaard zwar echter Däne gewesen sei, gleichzeitig aber in einem größeren Zusammenhang als Frucht der großen pan-germanischen Kultur gesehen werden müsse, „denn nur innerhalb germanischer Art ist diese widerspruchsvolle Zusammensetzung von Reflexion und Genie so tief zu verwirklichen" (ebd., S. 109). 15
Vgl. dazu Kierkegaard-Studien, S. 38-60; vgl. auch oben S. 145 f f .
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den Werken aus dieser Zeit, der Dissertation über den Begriff der Ironie und den frühen Pseudonymen Schriften. In der Deutung des „Pfahls im Fleisch", also der persönlichen Anlage für Schwermut und seinen Auswirkungen auf die Verlobungsgeschichte, lehnt Hirsch ganz wie Geismar die Deutung Heibergs ab. Denn hier werde der religiöse Aspekt verkannt. Aber Hirsch sieht die krankhaften Züge im Persönlichkeitsbild Kierkegaards dennoch anders als Geismar. Für Hirsch sind entscheidend einerseits Kierkegaards Auffassung vom dialektischen Verhältnis zwischen dem Dichterischen und dem Religiösen und seine persönlichen Konsequenzen aus dem Bruch mit Regine andererseits, also nicht die besondere psychische Konstitution, auch wenn Hirsch nicht leugnet, daß Kierkegaard hier krankhaft war, sondern entscheidend ist die Art und Weise, in der Kierkegaard persönlich Erlebtes in seiner Dialektik zwischen Religion und Dichtung verarbeitete und verstand. Kierkegaard habe nicht nur die Ironie und das Dichterische zurückgewiesen, sondern vielmehr beides dialektisch verarbeitet und durch das Religiöse geheiligt, er habe die Krise in einem reflektierten verantwortlichen religiösen Ernst durchlebt: Der Dichter habe den „Pfahl im Felsich" bewußt als eine Versuchung und Herausforderung übernommen, diesen gleichzeitig aber als die Bedingung seines Glaubens verstanden 16 . Die wichtigste Zäsur im Leben Kierkegaards ist für Hirsch der Sommer 1843, als Kierkegaard durch die Nachricht von der neuen Verlobung Regines schockiert wurde. Dies Ereignis wurde in der intensiven religiösen Produktion der folgenden Jahre verarbeitet. Kierkegaards Verhältnis zum Dichterischen und zum Religiösen erhielt nun einen neuen Aspekt: „Im Gottesverhältnis wird die negative, die vernichtende Erfahrung die positive, die aufbauende" 17 . Auch in den entscheidenden Jahren 1848-49, in die auch die Luther-Studien Kierkegaards fallen, sieht Hirsch bei Kierkegaard einen existentiellen Heroismus als Grundstimmung, jetzt verstanden im Lichte der Zuversicht und Freimütigkeit, die er aus der Sündenvergebung empfängt: „Auf Grund des Vergebungsglaubens hat Kierkegaard ein 16 Kierkegaard-Studien, S. 241-245, vgl. S. 109-119. In seiner Besprechung des Werkes hielt Geismar freilich daran fest, daß bei Kierkegaard ein Moment sexueller Abnormität vorliege, dies sei der Hintergrund seiner Rede vom Pfahl im Fleische (TT 1935, S. 43, Anm. 1); vgl. auch Geismars Besprechung von Heiwegs Buch über Kierkegaards manisch-depressive Psychose (TT 1933, S. 311-313); hier berief er sich auf Sprangers Analyse sexueller Abnormität. Dennoch erklärte Geismar, er sei von der Darstellung Hirschs fasziniert und bewundere vor allem die konsequente Gesamtinterpretation, die Hirsch vorgelegt habe (TT 1935, vor allem S. 53-55; vgl. auch die verkürzte deutsche Version der Besprechung in ZKG 55, 1936, S. 426). 17 Vgl. Kierkegaard-Studien, S. 263 ff., Zitat S. 267 (im Original gesperrt).
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Schjßrring, Geismar/Hirsch
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christliches Vergessen seiner Schuld gefunden und damit hat sich die in ihm eingespielt gewesene Verbindung von mitgeborener Angst und schuldigen Gedanken mehr und mehr und endlich ganz gelöst. Die unendlich qualvolle innere Angst, die nun einmal sein Schicksal war auf Grund von Konstitution und Erziehung, die hat er behalten. Mit der mußte er sich hier auf Erden abfinden und danken lernen für die geistige Mächtigkeit, die sie gab."18 Der theologische Ertrag der Kierkegaard-Interpretation Hirschs fällt mit zentralen Elementen der übrigen Theologie Hirschs zusammen. Es geht um ein harmonisches Gleichgewicht zwischen subjektiver irrationaler Verantwortlichkeit der Entscheidung und dem paradoxalen Einbruch der Offenbarung in die geschichtliche Wirklichkeit, um die Dialektik zwischen dem Menschen in seiner Geschöpflichkeit und dem Menschen als dem, der im Gehorsam gegenüber Gott im Gewissen mitten in der Zeitlichkeit steht. Hirsch integriert diese theologischen Axiome in seine Auslegung der wichtigsten Begriffe im Denken Kierkegaards: der Doppelbewegung der Unendlichkeit und der Spannung zwischen Religiosität A und B, und er faßt Kierkegaards Auffassung so zusammen: „Das Christentum ist also, indem es durchbricht und den Menschen entscheidend unter die Sünde stellt, die Bürgschaft - die einzige Bürgschaft, die es gibt - wahrhaften Menschseins in der Subjektivität der Wahrheit." 19 18 Ebd., S. 400 f. (im Original gesperrt). Entsprechend betont Hirsch den dialektischen Zusammenhang und die spannungsvolle Einheit, die zwischen dem Glauben des Einzelnen an die objektiv gegebene Sündenvergebung und der subjektiven Forderung nach „Lebensgehorsam" bestehe. In diesem Zusammenhang zieht Hirsch - wie auch Geismar - in weitem Umfange die erbaulichen Reden als Beleg heran (z. B. S. 849; vgl. auch Weg der Theologie, S. 115 f.). H . D I E M gibt der Interpretation Hirschs den Vorzug vor der Geismars und Bohlins. Dennoch wendet sich Diem gegen Hirschs Hang zu historisierender Psychologisierung. Dadurch verfalle er einer pedantischen und schulmeisterlichen Attitüde, die dem sachlichen Anliegen Kierkegaards in seiner Existenzdialektik nicht gerecht werde. Diem wirft Hirsch letztlich vor, seine Darlegungen besagten mehr über ihn selbst als über Kierkegaard (Zur Psychologie der Kierkegaard-Renaissance, S. 236-243, in dänischer Übersetzung in: Tidehverv 1933, S. 46—49). 19 Kierkegaard-Studien, S. 789 (im Original gesperrt). - Das entspricht der auffälligen Parallelität, die zwischen der Dialektik zwischen dem Christlichen und dem Humanen einerseits und der Dialektik zwischen der Religiosität A und Β andererseits besteht (ebd., S. 602; vgl. auch Schöpfung und Sünde, S. 44 f.). Über die „Unwissenschaftliche Nachschrift" urteilt Hirsch, „daß alles Christliche, das nicht die Unbedingtheit des Ethischen und die Tiefe religiösen Leidens und religiöser Schuld in sich trägt, unechte ästhetische Religiosität, christlich maskiertes Heidentum sei" (Kierkegaard-Studien, S. 804 f.; im Original gesperrt). Diese Formulierung schloß sich Geismar in seiner Rezension begeistert an. Er hielt es für notwendig, dies angesichts des allbekannten und verbreiteten „wohlfeilen" Christentums hervorzuheben (TT 1935, S. 69; deutsch vgl. ZKG 55, 1936, S. 427-429).
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Hierin sieht Hirsch die Erklärung dafür, daß die traditionelle Dogmatik oft Anstoß erweckt. Daß jegliche Andeutung eines menschlichen Verdienstes gegenüber Gott abgelehnt wird, entspringt dem Verständnis Gottes als dem Ursprung des Absoluten und der Liebe. Das aber bedeutet, daß das Theodizeeproblem als Herausforderung und Anfechtung erscheint: es hält den Einzelnen fest am Leiden als einer unumgänglichen Bedingung des Daseins, es hält den Einzelnen fest an der Forderung der Innerlichkeit und des ethischen Ernstes 20 . Abschließend läßt sich nach diesen nur andeutenden Hinweisen auf die Kierkegaard-Interpretation Hirschs folgendes sagen: Ganz wie Geismar schwächt Hirsch die Affinität des späten Kierkegaard zu Askese und Martyrium ab. Hirsch führt aber die kierkegaardsche Forderung der Einübung weiter, indem er sie in eine Forderung nach einer streitenden Kirche einmünden läßt. An die Stelle des allgemeinen Martyriums tritt nun mehr ein Ruf an den Einzelnen, sich weder einer geistlichen Hierarchie noch der etablierten Kirche zu unterwerfen, sondern statt dessen sein ganzes Leben unter Gericht und Forderung zu stellen und sich so der „Unruhe in Richtung auf Verinnerlichung" zu verschreiben. Damit hat Hirsch als den Haupttenor Kierkegaards eine innere Linie von unerbittlicher Konsequenz festgehalten. Das ewig gültige Memento in Kierkegaards Angriff auf das offizielle Christentum war für Hirsch, daß es stets jegliche menschliche Selbstzufriedenheit rechtfertigen helfe: „Weder in den Ordnungen und Einrichtungen unserer Kirche, noch in dem, was unserm eignen Leben zugehört, haben wir, dürfen wir haben, dürfen wir haben wollen eine Sicherung wider diese Frage." 21 In scheinbar unausgeglichener Spannung hierzu steht Hirschs starke Betonung der differentia specifica zwischen dem unvermittelten Kontrast des neutestamentlichen Zeitalters zum Heidentum der Umwelt und dem modernen christianisierten kulturellen Hintergrund, den Hirsch als „Vorgestalt des Christentums" bezeichnet. 1933 beschreibt Hirsch diesen nationalen und kulturellen Hintergrund so: „Ein Erziehen, Formen, Bilden, Gestalten allgemein ethisch-religiöser Art, geübt von den Kirchen, geübt auch von jedem Christen an seiner Stelle im Volksganzen." 22 Dieses natürliche Ethos wird zwar stets auf î0
Vgl. Kierkegaard-Studien, S. 860-872. Ebd., S. 953, vgl. auch S. 937-944. Für Geismar war dies eine unangemessene Reduktion der asketischen Züge bei Kierkegaard (vgl. T T 1935, S. 73 f., Anm. 2). Hirsch seinerseits hielt an der Positivität und Konsequenz in Kierkegaards Angriff auf das offizielle Christentum fest (Weg der Theologie, S. 122 f.). 12 Kierkegaard-Studien, S. 947; zur Auslegung der differentia specifica ebd., S. 945-950. Vgl. Geismars entgegenkommendes Referat (TT 1935, S. 76 f.; ZKG 55, 1936, S. 428 f.). - In seinem Brief an Geismar vom 28. 8.1933 hebt Hirsch selbst 21
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das „Wagnis" des Glaubens bezogen, dennoch zeigt sich, daß Hirsch nach dem Anbrach des „Dritten Reiches" eine ganz andere positive Kooperation zwischen Kirche und Volk für möglich hielt als in der Weimarer Zeit, wo nur von distanzierendem Disengagement und sogar Ablehnung die Rede war. Die Kierkegaard-Interpretation Hirschs spiegelt also den markanten Wechsel in seiner Einstellung zum Verhältnis zwischen Christentum und nationaler Kultur wider, der sich seit 1930 langsam angebahnt hatte und der sich enthusiastisch im Jahre 1933 vollzog. Für Geismar dagegen bedeutete Kierkegaards Forderung nach Innerlichkeit und sein Kampf gegen die träge Allgemeinheit vom Herbst 1934 an ein verstärktes Moment in seiner Kritik am nationalsozialistisch infizierten Christentum 23 . Eben dieselben Kategorien waren für Hirsch ein Argument für sein Reden vom „Wagnis", daß der Christ den geistigen Tiefen entgegenkommen müsse, die sich in der nationalen Wiedergeburt zeigten 24 . Die Gestalt und das Denken Kierkegaards hatten Geismar und Hirsch miteinander verbunden; Kierkegaard war nun aber auch zum entscheidenden Streitobjekt zwischen den beiden Theologen geworden. Dennoch wollten beide trotz der jetzt auftauchenden Unterschiede weiterhin an Kierkegaard anknüpfen. d) Der Streit um „Kirche und Völkerverständigung" Anfang Juni 1931 sollte in Hamburg eine Tagung der deutschen Sektion des Weltbundes für internationale Freundschaftsarbeit der Kirchen stattfinden, an der auch das internationale Exekutivkomitee teilnahm. Diese Tagung war für Hirsch der erste konkrete Anlaß, seine Auffassung von der „Weltbezogenheit" des Christentums und den aus dieser zu ziehenden Konsequenzen für die politischen Tagesprobleme darzulegen 25 . die Bedeutung der Tatsache hervor, daß die Kierkegaard-Monographie unter dem Eindruck des Kirchenkampfes fertiggestellt wurde (RA KOPENHAGEN, N G Bd. 1). 2 3 „Ein Kierkegaard für unsere Zeit muß das Politische genauso behandeln wie Kierkegaard das Ästhetische behandelte, und er darf genausowenig Respekt vor dem Evangelium des Blutes haben wie Kierkegaard für Hegel" (ü. aus Geismars Besprechung in: T T 1935, S. 59, Anm. 2). Vgl. die etwas abgeschwächte Frage in der deutschen Version: „Die Kierkegaardsche Unruhe kann doch nicht auf dem Altar der Vorgestalt geopfert werden sollen?" ( Z K G 55, 1936, S. 429). 2 4 In seinem ersten Brief an Geismar vom 2 . 1 . 1 9 3 5 , nachdem ihr allgemeiner Dissens ernsthaft deutlich geworden war, antwortete Hirsch empört auf die Kritik Geismars, er habe die polemischen Seiten des Christentums verdrängt. Er meinte vielmehr selbst, gerade die Polemik Kierkegaards ernst genommen zu haben (RA KOPENHAGEN, N G B d . 1 ) . 25
Vgl. auch W. HUNZINGER, Hamburger Tagung; H . SASSE, ökumenische Orga-
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Aus Anlaß dieser Tagung wandten sich Althaus und Hirsch als theologische Lehrer mit einer Erklärung an die Öffentlichkeit, die großes Aufsehen erregte 26 . In dieser Erklärung wurden Bedenken dagegen angemeldet, daß führende Persönlichkeiten in der deutschen Kirche versuchten, Christen in Deutschland für die Unterstützung der Bestrebungen zu internationaler Aussöhnung und Zusammenarbeit zu gewinnen. Deutschland sei in einem Kriege niedergerungen worden, der ihm aufgezwungen worden sei, - eine deutliche Distanzierung von Artikel 231 des Versailler Vertrages über die deutsche Kriegsschuld. Die Feinde hätten die Zusagen des Waffenstillstandsvertrages gebrochen, sie bedienten sich der Lüge und saugten das Volk aus „durch Kriegstributionen unter dem lügnerischen Namen der Wiedergutmachung bis zum Weißbluten". Dies werde unweigerlich zum totalen Untergang des Volkes führen. Hirsch und Althaus sagen zusammenfassend über die internationale Atmosphäre: „Deutschlands Feinde aus dem Weltkriege führen also unter dem Deckmantel des Friedens den Krieg wider das deutsche Volk weiter und vergiften durch die darin liegende Unwahrheit die politische Weltlage so, daß Aufrichtigkeit und Vertrauen unmöglich werden." Angesichts dieser flagranten Verstöße der Gegenseite gegen alle grundlegenden Voraussetzungen für eine Versöhnung zwischen den Völkern wollen Althaus und Hirsch die führenden Persönlichkeiten verpflichten, die Augen des Volkes für den wirklichen Ernst der Lage zu öffnen und die internationale Lügenpropaganda zu entlarven. Zwar könnten Privatpersonen persönliche Beziehungen zu „einzelnen aus jenen Nationen" pflegen, aber darüber hinaus seien offizielle Beziehungen unmöglich, da „sie die Klarheit und Wahrheit des öffentlichen Gewissens" gefährden würden. Hirsch und Althaus fordern statt dessen, „durch allen künstlichen Schein der Gemeinschaft hindurchzustoßen und rückhaltlos zu bekennen, daß eine christliche und kirchliche Verständigung und Zusammenarbeit in den Fragen der Annäherung der Völker unmöglich ist, solange die Andern eine für unser Volk mörderische Politik gegen uns treiben" 2 7 . nisationen; W. ZOELLNER, ökumenische Mitarbeit; J. WRIGHT, Über den Parteien, S. 1 0 3 f f . ; K . SCHOLDER, K i r c h e n I , S. 2 1 3 f f . 26
Sie ist in vielen Periodika abgedruckt, z . B . AELKZ 64, 1931, Sp. 544 ff.;
C W 4 5 , 1 9 3 1 , S p . 6 0 5 f . ; DIE WARTBURG 3 0 , 1 9 3 1 , S. 1 8 4 f f . 27 Vgl. dazu die Äußerung Hirschs: „Es bleibt der vollendete Irrsinn des Versailler Diktats, daß es nur bei einer wirtschaftlichen Welteroberung, die die Siegermächte nicht zuzulassen willens sind und die sie unterbinden, wie und wo sie können, noch eine Lebensmöglichkeit für das deutsche Volk übrig läßt". Im Anschluß an Hans Grimm sieht Hirsch die einzig erfolgversprechende Möglichkeit darin, Großbritannien dazu zu überreden, Deutschland „Lebensraum" in Zentralafrika zu überlassen (Der Schriftsteller und die Zeit, S. 295 f.). Zu den realpo-
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Eine Reihe von deutschen Kirchenführern, die an der Vorbereitung der Tagung beteiligt waren, protestierten sofort gegen diese Erklärung, ζ. B. Adolf Deißmann und Friedrich Siegmund-Schultze 2 8 . Aber es gab auch viele Stimmen aus nationalen Kreisen, die ihre Sympathie für die Erklärung zum Ausdruck brachten 2 9 . Von ganz anderer Seite meldete sich auch Martin R a d e in der allmählich weit verzweigten und spannungsgeladenen Diskussion zu Worte, als er zusammen mit Friedrich Niebergall in der „Christlichen Welt" die Erklärung zusammen mit einer Gegenerklärung veröffentlichte. R a d e und Niebergall lehnten den haßerfüllten Geist wie die Tonart Hirschs und Althaus' ab und wandten sich gegen den engherzigen Nationalismus gerade da, wo er in christlichem Gewände auftrat: „Hier spricht völkische Selbstgerechtigkeit, nicht anders als in jedem nationalistischen Parteiblatt." Statt dessen fordern sie eindringlich dazu auf, sich in christlicher Bruderschaft unter die gegemeinsame Schuld aller Menschen zu stellen. Von daher sei auch eine deutsche Mitschuld am Kriege anzuerkennen, aber eben auch die Versöhnung mit den Kriegsgegnern anzubahnen: „Weil Christen Frieden in sich haben, suchen sie Frieden mit dem Nächsten im Leben und auch in der Völkerwelt. Die Verschiedenheiten, die der Schöpfer in jedes Volk gelegt hat, sollen nicht zu Gegensätzen und Feindschaften werden, und wo sie es werden, haben wir aus allen unseren K r ä f t e n und Einsichten uns dagegen zu stemmen." 3 0 litischen Einwänden gegen eine Teilnahme an den ökumenischen Versöhnungsbestrebungen argumentiert H . PFLUGK theologisch, es handelte sich um Schwärmerei: „Hinter dem Ruf nach Weltversöhnung und Weltverbrüderung verbirgt sich heute oft der Wille zur Emanzipation des selbstherrlichen Menschen, der von allen wirklichen Bindungen frei sein will und seine Emanzipation moralisch zu rechtfertigen sucht durch Proklamation der allgemeinen Menschenliebe, die wegen ihrer Allgemeinheit keinen Dienst und keine Opfer fordert"; er meint ferner, daß die Lüge, auf der der Versailler Vertrag beruhe, von vornherein zwischenkirchliche Zusammenarbeit ausschließe (Christlich-Deutsche Bewegung, S. 14, 17). Î 8 A. DEISSMANN solidarisierte sich grundsätzlich mit dem nationalen Kampf gegen das Unrecht, meinte aber, die „Methode scheltender Ablehnung" werde nur schaden und die internationale Verstockung nur noch verstärken (Ev. Kirche, S. 211 f.); vgl. auch F. SIEGMUND-SCHULTZE, Gegner, S. 281 f. und 341 f f . ; K . L. Schmidt in: ThBl 10, 1931, Sp. 177-179. 2 9 Vgl. W. HUNZINGER, Hamburger Tagung, Sp. 628, und eine Äußerung des Evangelischen Bundes: „Der Gesamtvorstand des Evangelischen Bundes hat mit Dankbarkeit von der Erklärung der Professoren D . Althaus und D . Hirsch über ,Evangelische Kirche und Völkerversöhnung' Kenntnis genommen. Er hofft, daß diese ernste Mahnung im In- und Auslande gehört wird, denn wirkliche Gemeinschaft zwischen den Kirchen und Völkern ist erst möglich, wenn unerbittliche Wahrhaftigkeit das Unrecht entdeckt, durch welches das Leben des deutschen Volkes bedroht wird, und hierin eine Wandlung anbahnt" (DIE WARTBURG 30, 1931, S. 186). 30
C W 45, 1931, Sp. 606 f.
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Auch in Dänemark erregte die Erklärung Aufsehen. Hirsch hatte sie sogleich an Geismar gesandt mit einer persönlichen Bemerkung, es sei ausschließlich an Frankreich, England und die USA gedacht und gar nicht an Nordschleswig und Dänemark. Aus späteren Antwortbriefen von Hirsch an Geismar geht hervor, daß Geismar sowohl gegen die Form als auch den Inhalt der Erklärung Einspruch erhoben haben muß. Noch schärfer reagierte jedoch J. P. Bang, der die Erklärung als ausdrückliche Forderung verstand, an der Grenze von 1920 politische Unruhe zu stiften, deshalb bezog er sogleich das gesamte dänisch-deutsche Verhältnis seit 1848 mit ein. Es ist deutlich, daß dies das Ansehen Hirschs in Kopenhagen beeinträchtigte und auch bei Geismar, der gleichwohl Hirsch ein gewisses subjektives Recht auf seinen Standpunkt zuerkannte 31 . Nachdem die erste Protestwelle abgeflaut war, erneuerte und vertiefte Hirsch die Anklage. Er wies den Vorwurf zurück, sich am christlichen Gedanken der Totalität und der Universalität der Sünde versündigt zu haben: „Ich halte dies konkrete, gegen bestimmte Sünde gerichtete Büß wort und die bestimmte an einzelne und Gruppen gerichtete Forderung zur Umkehr so wenig für eine Verletzung der Christenpflicht, daß ich vielmehr ihre Unterlassung für eine Verschuldung halte, wo ich durch mein Amt, oder durch meine Erkenntnis einen Auftrag habe, die, die Sünde tun, zurechtzuweisen oder mich schützend vor die zu stellen, denen Unrecht geschieht. Schlimm, daß man solche Katechismuswahrheiten noch selbst vor Professoren der Theologie zu entwickeln gezwungen ist." 3 2 Hirsch zählt erneut die Reihe von Ungerechtigkeiten auf, die Deutschland seit 1918 habe erdulden müssen, und ganz wie in seinen früheren Aussagen schließt er mit der Behauptung, die einzige Schuld Deutschlands habe darin bestanden, daß es beim Kriegsende aus der Einheitsfront ausgeschert sei und statt dessen das Unrecht und mit ihm die neue Staatsordnung durch die Unterschrift unter den Versailler Vertrag anerkannt habe. Das Mißverhältnis zwischen der aggressiven Expansionslust der Entente und dem verzweifelten Uberlebenskampf Deutschlands faßt Hirsch so zusammen: „Die militärische Hegemonie Frankreichs, die maritime Englands, der Aus5 1 Hirsch hatte seine Absicht in einem Brief an Geismar vom 1 . 6 . 1 9 3 1 , dem eine Kopie der Erklärung beilag, erläutert. Vgl. auch die Briefe vom 5 . 7 . und 2 5 . 1 0 . 1 9 3 1 (letzterem lag ein Exemplar von „Schöpfung und Sünde" bei und ein Brief an J. P . Bang vom 2 4 . 1 0 . 31). Noch am 4. 7 . 1 9 3 2 schrieb Hirsch an Geismar: „Oder bin ich in den dänischen Augen durch die Erklärung mit Althaus ein böses Tier geworden? Ich bin doch ganz der Alte" (RA KOPENHAGEN, N G Bd. 1). 8 2 Ev. Kirche und Völkerverständigung, Sp. 7 1 0 ; vgl. auch Schöpfung und Sünde, S. 91, Anm. 9.
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D i e J a h r e 1 9 3 1 - 1 9 3 4 : Beginnende E n t f r e m d u n g
schluß des volkreichen Deutschland von den Kolonien, hohe deutsche Tributzahlungen, das Schicksal des Ostens, all das soll als gottgefügtes Schicksal um der Idee der Verständigung und des Weltfriedens willen von uns getragen werden." 33 Unter den gegebenen Bedingungen kann dies für Hirsch nur bedeuten, daß von Verständigung und Weltfrieden nicht mehr zu reden sei. Bei dieser Verbitterung, die sich ja gänzlich von der früheren Resignation und dem Disengagement in den zwanziger Jahren unterscheidet, wundert es nicht, daß Hirsch jeglichem Gespräch mit Rade und Niebergall eine Absage erteilt: „Ich lege keinerlei Wert darauf, mit ihnen in irgendeiner nationalen oder kirchlichen Frage Gemeinschaft zu haben; der ganzen Gesinnung der beiden Herren gegenüber gibt es nur eins für mich: Kampf." 3 4 Rade antwortete mehrmals auf Hirschs Angriff. Auch er sah wie Hirsch einen flagranten Widerspruch zwischen dem Verhandlungsangebot Wilsons und dem Ergebnis von Versailles, aber damit war die Gemeinsamkeit zwischen beiden auch schon erschöpft 35 . Später meldete sich auch Wilhelm Stählin zu Worte. Er beklagte das völlig verzerrte Bild, das Hirsch und Althaus von der ökumenischen Bewegung, von ihren Zielen und von den Ergebnissen, die schon erreicht seien, gezeichnet hätten. Nur wenn man bereit sei, an der gemeinsamen Arbeit teilzunehmen, nicht aber durch unerfüllbare Vorbedingungen, könne man die Entwicklung weiterbringen. Schließlich warnte Stählin davor, sich passiv von einem aufblühenden Nationalismus überrollen zu lassen; die Kirche dürfe ihre Identität nicht wegen einer politischen oder kulturellen Zeitströmung aufgeben 36 . E v . K i r c h e und V ö l k e r v e r s t ä n d i g u n g , S p . 7 1 2 ; vgl. auch oben A n m . 27. Ebd., S p . 709. A u c h A l t h a u s meldete sich zu Wort, wenn auch in einem anderen T o n als Hirsch. A l t h a u s lehnt den N a t i o n a l s o z i a l i s m u s ab, teils wegen realpolitischer Bedenken, teils wegen der „naturalistischen R a s s e - I d e o l o g i e " , und dies, obwohl er gleichzeitig v o n dem Freiheitswillen und dem K a m p f der deutschen J u g e n d spricht. E r beteuert seine friedlichen Absichten und s a g t : „ D i e deutsche Christenheit muß laut bezeugen, daß sie zu ihrem urgewaltigen V o l k e steht, sich mit ihm gebunden und b e d r ü c k t weiß, mit ihm u m die Freiheit ringen will und ehrlicherweise heute nicht anders f ü r die V e r s t ä n d i g u n g wirken kann, als so d a ß sie auf die g a n z e S c h ä r f e des K o n f l i k t s zwischen ihres V o l k e s Freiheitswillen und dem fremden nationalen Willen hinweist" (Edler, echter Friede?, S. 168). Althaus' versöhnlichere H a l t u n g hängt wohl damit zusammen, daß er aktiv an ökumenischen Beratungen teilgenommen hatte, u. a. in Stockholm 1925. Auch nach 1933 nahm er an der ökumenischen Studienarbeit teil und k a m dabei mit G e i s m a r ins Gespräch. 33
34
3 5 A n unsere Freunde in Frankreich, S p . 7 7 0 - 7 7 3 ; Zu der V e r a n t w o r t u n g des D . Hirsch, S p . 8 0 3 - 8 0 5 . 3e Ev. K i r c h e und V ö l k e r v e r s t ä n d i g u n g , S. 1 4 7 - 1 5 2 . V g l . auch den Bericht Stählins über die C a m b r i d g e - K o n f e r e n z , deren Vorbereitung das H a m b u r g e r T r e f f e n dienen sollte. W. STÄHLIN schließt hier mit einer pointierten K r i t i k an H i r s c h und
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Hermann Sasse faßte im „Kirchlichen Jahrbuch" 1931 die ganze Diskussion zusammen. Er warf allen Beteiligten vor, übersehen zu haben, was eigentlich das Zentrum der Diskussion hätte sein müssen, nämlich die lutherische Unterscheidung zwischen Gesetz und Evangelium. Nur von dieser Unterscheidung her seien Überlegungen über das Verhältnis von Evangelium und Politik anzustellen. Der Schwärmerei in allen ihren Verkleidungen sei entgegenzutreten: dem Idealismus des deutschen Bürgertums ebenso wie dem religiösen Sozialismus, aber auch einer schwärmerischen Friedensarbeit etwa im Sinne der Quäker oder Tolstois. Erst nach einer kritischen Selbstprüfung könne man zu einer Diskussion der Friedensfrage durchstoßen und hinter allen oberflächlichen ideologischen Verkleidungen die wahren Probleme erhellen37. e) Der „Fall Dehn" - eine Präfiguration des Kirchenkampfes? Die zweite Affäre, in die Hirsch während der theologischen und politischen Polarisierung in der Endphase der Weimarer Republik verwickelt wurde, war der „Fall Dehn". Diese Affäre war von noch weitreichenderer Bedeutung: Sie erregte enormes theologisches und politisches Aufsehen; durch sie wurden die theologischen Positionen abgesteckt, die in dieser Situation dominierten und die jetzt aufeinanderprallten. Damit wurden schon 1931-32 die Fronten des späteren Kirchenkampfes abgesteckt. Die Vorgeschichte geht auf einen Vortrag zurück, den der damalige Berliner Pfarrer Günther Dehn (1882-1970) 1928 in Magdeburg über „Kirche und Völkerversöhnung" gehalten hatte 38 . Aus diesem Vortrag wäre kaum eine Affäre geworden, wenn nicht einige lose hingeworfene Bemerkungen in der nachfolgenden DiskusAlthaus (Cambridge 1931, S. 237-239). Auf derselben Linie lag auch K. L. Schmidt (CW 4 5 , 1 9 3 1 , Sp. 6 4 5 ) . 37 ökumenische Organisationen, S. 478-483. Weihnachten 1932 schrieb E. HIRSCH in einem Rückblick auf die Auseinandersetzung: „Auch in den beiden Fällen, in denen mein Wort, jeweils mit einem andern zusammen, in die breitere Öffentlichkeit gedrungen ist, in der Erklärung mit Althaus zusammen, und in dem Handel mit Karl Barth, bin ich in meinem Amte als theologischer Lehrer geblieben. Es war meine Dienstpflicht zu verhindern, daß eine falsch laufende kirchliche Bewegung und eine irrige Theologie im Namen der Kirche oder des Wortes Gottes einen Keil zwischen das Evangelium und die Menschen der deutschen Freiheitsbewegung trieben und so eine für die evangelische Kirche wie für das deutsche Volk gleich verhängnisvolle Entwicklung herbeiführten" (Brief an einen Schüler im Pfarramt, S. 30). 38
In: C W
45, 1931, Sp. 1 9 4 - 2 0 4 ; vgl. a u c h
G . DEHN, D o k u m e n t e ,
S.
6-23.
Vgl. dazu auch H . SASSE, Hallescher Universitätskonflikt; G. DEHN, Die alte Zeit, S. 2 5 0 - 2 5 5 ; E . BIZER, F a l l D e h n , S. 2 3 9 - 2 4 2 ; K . SCHOLDER, K i r c h e n 224.
I , S.
217-
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sion, deren genauer Wortlaut nie hat aufgeklärt werden können, die Gemüter erhitzt hätten. Nun bildeten sich jedoch schnell Gerüchte, es kam zu scharfen Anklagen und einer dienstlichen Untersuchung. Dabei kam aber nicht viel mehr heraus als eine kurze und heftige öffentliche Diskussion, eine verhältnismäßig milde Zurechtweisung Dehns, aber keinerlei Sanktionen der Kirchenleitung gegen ihn 39 . Dehn hätte ohne weiteres die ihm angetragene Professur für Praktische Theologie in Heidelberg übernehmen können, wenn die frühere Kontroverse nicht von Gottfried Traub in den „Eisernen Blättern" wieder ans Licht gezogen worden wäre 40 . Die Auseinandersetzung erhielt nach und nach überregionale Bedeutung, weil anläßlich der späteren Berufung Dehns nach Halle sowohl extremistische Studentengruppen anderer Universitäten als auch politische Kampforganisationen sich der neuerlichen Hetzkampagne gegen ihn anschlossen41. Man verlangte den Rücktritt des Rektors, der sich eindeutig hinter Dehn gestellt hatte. Auf der anderen Seite forderten eine Reihe bekannter Professoren anderer Universitäten, Dehn müsse sein Amt ungehindert antreten 42 . In der nun folgenden Periode bis zum Ausgang des Jahres geschahen zwei Dinge, die weiter ö l ins Feuer gössen. Einmal begannen die Universitätslehrer in ihrer bis dahin massiven Unterstützung des Rektors zu wanken und dem Druck der Studenten nachzugeben, während nur eine kleinere, weniger laute Gruppe sich mit Dehn solidarisch erklärte und seinen Vorlesungen folgte 43 . Zum andern gab Dehn kurz vor Weihnachten die Dokumentensammlung „Kirche und Völkerversöhnung. Dokumente zum Halleschen Universitätskonflikt" heraus. Es war das Nachwort zu dieser Sammlung, das die Situation ernstlich zuspitzte. Dies nicht so sehr, weil Dehn hier den bisherigen Verlauf der Sache darlegte, seine eigenen Motive vorbrachte und sein Handeln rechtfertigte, sondern weil er den Streit zu einem Streit um mehr als theologische und allgemeine akademische Lehrfreiheit machte. Vor allem sein abschließender Gegenangriff reizte seine Gegner: „Es kann sein, daß die Kirche der Gegenwart an der Schwelle schwerster Kämpfe »» Vgl. dazu G. DEHN, Dokumente, S. 26-38; Die alte Zeit, S. 255-259; E. BIZER, Fall Dehn, S. 242-245. " Vgl. ebd. 41 Vgl. G. DEHN, Dokumente, S. 46-71. « Vgl. ebd., S. 76-78; vgl. auch CW 45, 1931, Sp. 1117 und 1137; ThBl 10, 1931, Sp. 318 f. und 359-362; H. SCHAFFT, Universitätskonflikt, S. 345 ff. Barth und Bultmann diskutierten in Briefen vom Oktober 1931 die zu dieser Zeit kursierenden Äußerungen von Gruppen theologischer Professoren ( K . B A R T H / R . BULTMANN, Briefwechsel, S. 130-133). 4S Über die Änderung der Haltung des Haller Lehrkörpers und deren Wirkung vgl. G. DEHN, Dokumente, S. 73-76; Die alte Zeit, S. 274 f. und 279 f.
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mit dem modernen Nationalismus steht, in denen sie in ihrer Existenz gefordert sein wird. Sollte ich in diesen kommenden Auseinandersetzungen dadurch ein trübes Vorzeichen geben, daß ich feige nachgebe und im Interesse meiner persönlichen Ruhe dem Angriff ausweiche? Hier muß Widerstand geleistet werden. Man pflegt der Jugend in ihren gegenwärtigen Kämpfen ja meist einen, wenn auch irregeführten Idealismus lobend zuzugestehen. Ich möchte dagegen doch ernste Bedenken äußern. Verzerrter Idealismus ist Dämonie. Es ist ja einfach nicht war, daß diese fanatische, meinetwegen religiös gefärbte, tatsächlich aber von Gott gelöste Vaterlandsliebe dem Vaterland wirklich hilft. Im Gegenteil, sie wird das Vaterland ins Verderben führen." 44 Es war diese - wie sich zeigen sollte, in Wahrheit prophetisch klarsichtige - Kampfansage, die, statt die Wogen zu glätten, der Auseinandersetzung einen bisher ungeahnten Umfang gab und nun auch Hirsch als Hauptakteur in den Streit hineinzog. Zusammen mit seinem Göttinger Kollegen Hermann Dörries gab Hirsch am 27. Januar 1932 eine Erklärung „Zum Halleschen Universitätskonflikt" heraus, die sowohl in Form als auch im Inhalt deutlich den Anteil Hirschs verrät 45 . Die Unterzeichner geben an, sie hätten sich zunächst Zurückhaltung auferlegt, um nicht die Bemühungen der Fakultät zu stören, einen „Notfrieden" zu etablieren. Jetzt aber fühlten sie sich provoziert, dieses Schweigen zu brechen. Die Äußerungen Dehns im „Nachwort" hätten die Situation grundlegend verändert. Hirsch lobt die Studenten, nicht nur weil sie „akademische Zucht" bewiesen hätten, sondern auch weil ihre Proteste erklärlich und berechtigt seien; der Kultusminister habe sich durch seine Unterstützung Dehns eindeutig eines Eingriffs in die sachliche Diskussion schuldig gemacht. Mit Recht gäben sich die Studenten deshalb nicht mit den Ermahnungen zufrieden, die akademische Lehrfreiheit zu respektieren. Grundsätzlich erkennen Hirsch und Dörries die Forderung nach Objektivität der Wissenschaft und die Meinungsfreiheit des einzelnen Wissenschaftlers an, prinzipiell folglich auch einen Pazifisten auf einem Lehrstuhl. Aber sie stellen dennoch eine Vorbedingung, die für den Standpunkt Hirschs in dieser entscheidenden Phase charakteristisch ist, nämlich „die Erkenntnis, daß die Nation und ihre Freiheit bei aller Fragwürdigkeit des kreatürlichen Lebens auch für den Christen von Gott geheiligte Güter sind, die eine ganze Hingabe des Her44
S. 90 (datiert vom 1. 12. 1931); Martin Rade kritisierte - trotz seiner Sympathie im Übrigen - Dehn wegen der Form dieser Aussagen (CW 46, 1932, Sp. 44 ff., 94, 186 ff.). 45
V e r ö f f e n t l i c h t u . a. i n : DIE WARTBURG 3 1 , 1 9 3 2 , S. 4 6 - 4 7 ; v g l . a u c h G . DEHN,
Die alte Zeit, S. 282 f.
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zens und des Lebens fordern und aus dieser Erkenntnis folgend dann das Bekenntnis zu dem leidenschaftlichen Freiheitswillen unseres Volkes, das von macht- und habgierigen Feinden geknechtet und geschändet wird". Gegen diese „Minimalforderung" habe Dehn verstoßen. Deshalb habe er selbst das Recht verwirkt, Lehrer und Wegweiser der deutschen Jugend zu sein. Denn in seinem Nachwort habe er „den in unserer Jugend lebendigen Geist mit seinem stürmischen J a zu Volk und Freiheit für eine Dämonie" erklärt, „der jede Idealität mangele", und dazu aufgefordert, „dieser Dämonie im Namen Gottes Widerstand zu leisten" 48 . Diese Erklärung rief auch Karl Barth auf den Plan, und von nun an wurde die Dehn-Affäre zu einer Auseinandersetzung zwischen Barth und Hirsch, zudem ihre letzte direkte Konfrontation. Dehn selbst nämlich kapitulierte im Machtkampf in Halle insofern, als er notgedrungen einen einjährigen Urlaub zu einer Studienreise akzeptierte. Während dieser Studienreise wurde seine Rückkehr von der Fakultät als unerwünscht erklärt, und 1933 wurde er auf Grund des neuen Beamtengesetzes entlassen 47 . Barth erklärte sich erneut mit Dehn öffentlich solidarisch in dessen Bestreben, das Verhältnis zwischen Christentum einerseits und Krieg und Nationalgefühl andererseits theologisch differenziert zu betrachten. Er forderte aber mit deutlicher Adresse an Hirsch, die Diskussion auf ein Niveau zu heben, das solider sei als Schlagworte aus der aktuellen politischen Diskussion. Ganz wie Dehn forderte auch Barth, die Diskussion auf der Ebene zu führen, wo sie hingehöre: auf der sachlichen, grundsätzlich theologischen Ebene. Der Streit könne dann so leidenschaftlich geführt werden, wie man wolle, nur müßten die Gegner dann wagen, die Auseinandersetzung „auf der ganzen Linie" zu führen, also als Auseinandersetzung mit der dialektischen Theologie als solcher. Barth machte hiermit die Sache Dehns zu seiner eigenen 48 . Nachdem Barth den Fehdehandschuh geworfen hatte, zögerte Hirsch nicht lange und nahm die Herausforderung an. In Wilhelm Stapels Zeitschrift „Deutsches Volkstum" veröffentlichte er einen offenen Brief an Barth, geschrieben am 27. Februar 1932. Von diesem Zeit4 8 Zu den Reaktionen auf die Erklärung vgl. H . SASSE, Hallescher Universitätskonflikt, S. 98 f.; M. RADE, Idealismus und Dämonie; und die Kurzberichte in: C W 46, 1932, Sp. 335, 353 f. 47 G. DEHN, Die alte Zeit, S. 284 f. 48 Vgl. Der Fall Dehn, S. 366-372. Vgl. dazu auch H . TRAUB, Demologie und Theologie; H . VOGEL, Offener Brief; O. PIPER, Kirchenregiment; ThBl 11, 1932, Sp. 28 f., 126, 187 f., 285 (K. L. Schmidt); F. SIEGMUND-SCHULTZE, Fall Dehn; Gegenwärtige N o t ; Z d Z 10, 1932, S. 87 f. (G. Merz); ein anti-Barthscher Kommen-
t a r i n : G L A U B E U N D V O L K 1, 1 9 3 2 , S . 7 9 f .
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punkt an stand der Streit zwischen Barth und Hirsch im Zentrum des öffentlichen Interesses. Hirsch monierte zunächst Barths illoyales Referat und bestritt, die wissenschaftliche Meinungsfreiheit angefochten und eine parteiische Studentenopposition unterstützt zu haben. Barth - fügte er polemisch unter deutlicher Anspielung auf die frühen Göttinger Konflikte hinzu - sei offenbar nicht imstande, einen Standpunkt zu verstehen und wiederzugeben, der seinem eigenen zuwiderlaufe 49 . Was den politischen Aspekt anbetrifft, meinte Hirsch Barth gegenüber leichtes Spiel zu haben, denn dieser habe ja selbst seine Schweizer nationale Gesinnung hervorgehoben. Das respektierte Hirsch an sich voll und ganz; um so mehr, als er von hier aus dem grundsätzlichen Anliegen Barths von vornherein meinte die Spitze abbrechen zu können. Barth sei nämlich nur Gast und Beobachter, und da dürfe man doch mit Recht von ihm erwarten, daß er die Konsequenzen hieraus ziehe, nämlich, „daß das Fehlen eines letzten Gefühls unbedingter Zusammengehörigkeit mit unserem Volke und Staate Ihrem Verständnis deutscher Dinge Grenzen zieht, die Sie innerlich achten lernen müssen". Dies aber veranlaßte Hirsch, den Versuch Barths, den grundsätzlichen theologischen Inhalt des Streits darzulegen, allein schon wegen der Volkszugehörigkeit Barths für gänzlich unbefugt zu erklären: „Wer nicht mit uns in der Lage ist, mit dem deutschen Schicksal sein und seiner Kinder Existenz zitternd vor Gott zu bringen, wer nicht in unserm inneren Sichentscheiden drin zu stehn durch seine Existenz gerufen ist, der kann auch nicht wägen, ob unser Wollen in Gott gebunden ist oder nicht." 50 Noch zwei Perspektiven im Gegenangriff Hirschs sind von weitreichender Bedeutung. Erstens nahm Hirsch empört Anstoß an der Forderung Barths, das Problem in seinen grundsätzlichen Dimensionen zu sehen, denn er beanspruchte selbst, erst in „Deutschlands Schicksal", dann in „Schöpfung und Sünde" eine prinzipielle Reflexion über die christliche Haltung geleistet zu haben, die einen legitimen Ausgangspunkt für ein nationales politisches Engagement sein könne. Er räumte zwar ein, daß Barth seit dem „Römerbrief" die theologische Szene beherrscht und die sachlichen Voraussetzungen für die theologische Diskussion der folgenden Jahre definiert habe. Aber diese Feststellung habe jetzt nur historischen Wert. Denn - und das ist entscheidend - der theologische Status Barths als eine Art unautorisierter Leiter der Diskussion sei nun vorbei. Zweitens - und dies ist ebenso wichtig - verdeutlichte Hirsch, wie er sich das politische Engagement des Theologen vorstellte. Er warf der dialektischen 49 50
Vgl. D V 1932, S. 266-272. Ebd., S. 267.
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Theologie vor, sie abstrahiere mit ihrem frei in der Luft schwebenden Denken von jeder Konkretion, ihre Methode sei die der philosophischen Spekulation, wie sie nur „volksentfremdeten Intellektuellen" eigen sein könne. Hirsch selbst dagegen machte eine existentielle Bindung an das Volk, an „unser Volk und sein Schicksal und seinen Freiheitswillen", zu einer unabdingbaren Voraussetzung, wenn man an der Diskussion um das politische Engagement der studierenden Jugend teilnehmen wolle, die jetzt versuche, die Verzweiflung des Volkes abzuschütteln, den übermütigen Feinden die Stirn zu bieten und eine nationale Wiedergeburt zu fördern 51 . In seiner „Antwort an Emanuel Hirsch" vom 17. April beklagte Barth erneut, daß Hirsch die Auseinandersetzung nicht über das Niveau der gängigen politischen Slogans habe heben können. Er verlangte noch immer ein „Oberhalb und Jenseits", das zumindest für Theologen die Voraussetzung sei für ein Diskussionsniveau, das sich über dem „Frakturdenken und Plakatreden der Parteiführer und Parteigänger" erhebe52. Hirsch behaupte, er respektiere die akademische Freiheit. Gleichzeitig mache er eine existentielle Bindung zur unerläßlichen Voraussetzung dafür, daß andere überhaupt nur das Recht erhalten, sich zu artikulieren. Hirschs Äußerung erweise sich damit als „nichts Schlimmeres, aber auch nichts Anderes als eben ein Stück politischer Agitation, bei der es genau nach den von Ihnen in Schutz genommenen Anweisungen von Hitler auf Erreichung bestimmter greifbarer Zwecke, auf die Behauptung und Befestigung von Machtpositionen abgesehen ist". Entscheidend ist für Barth, daß die Haltung Hirschs eine ganz natürliche und unvermeidliche Konsequenz seiner theologischen Voraussetzungen sei, daß „unter Voraussetzung der Hollschen Luther-Interpretation die Dinge so laufen müssen", wie es der Fall gewesen sei53. Diese Antwort brachte Hirsch so auf, daß er sich nicht mehr imstande sah, sich an Barth persönlich zu wenden, sondern seine abschließende Antwort vom 21. April an Stapel schickte, bei dem er natürlich auf Verständnis für sein Anliegen rechnen konnte. Hirsch blieb bei seiner Behauptung, Barth spreche nicht, wie er vorgebe, grundsätzlich-theologisch, sondern aus seiner höchst privaten Sicht als Schweizer versuche er, die Voraussetzungen der Diskussion zu be51 Ebd., S. 271 f. Der Brief ist unterschrieben mit „Ihr auch in Zorn und Abwehr ergebener Emanuel Hirsch". Vgl. dazu auch den Angriff H . PFLUGKS gegen alle Tendenzen in Richtung auf „das sich selbst vergötzende Individuum", zu denen er deutlich auch die dialektische Theologie zählt (Die Christlich-Deutsche Bewegung, S. 3-7). 52 D V 1932, S. 390-394, Zitat S. 391. 55 Ebd., S. 392 f. (Im Original hervorgehoben).
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bestimmen: „Er bleibt dabei, aus den Schranken seiner Lebensbemächtigung tatsächlich eine Angelegenheit der deutschen Theologie und der Kirche zu machen." Barth wollte also, so meinte Hirsch, die deutsche Situation nicht verstehen. Hirsch bezog die Maxime Kierkegaards in die Diskussion ein, daß man sich absolut zum Absoluten und relativ zum Relativen zu verhalten habe. Gleichwohl sprach er selbst wiederholt als „deutscher Christ" und warf Barth vor, er wolle seinen politischen Standpunkt deutschen Theologen aufzwingen: „Wenn ihm dann aber die paradoxe Durchspannung des Lebens und der Reflexion durch diese Doppelhaltung bei deutschen Christen, die die gegenwärtige Lage ihres Volkes durchleben, begegnet, dann versagt ihm mangels von Erschlossenheit für deutsche Volksnot das Verständnis. Dann verlangt er vom deutschen Christen, daß er sein Menschsein als Deutscher beschädige und die Spannung und Doppelhaltung durch Halbheit im Irdischen auf ein Maß herabsetze, das ihm noch als bei einem Christen und Theologen verständlich erscheint." 54 Wenn wir diese Auseinandersetzung so ausführlich referiert haben, so nicht nur deshalb, weil sie deutlich die theologische und politische Atmosphäre in dem sich abzeichnenden Ende der Weimarer Republik kennzeichnet, sondern auch weil sie in Hinblick auf die kommende Zeit als exemplum instar omnium für das gelten kann, was wir als wichtige theologische Strukturen bei Barth und Hirsch wie auch im Kirchenkampf überhaupt bezeichnen können: a) Der „Fall Dehn" und die sich anschließende Auseinandersetzung zwischen Hirsch und Barth kann theologisch und politisch als Präfiguration, als ein Vorzeichen, eine „Sturmwarnung" gelten55. b) Für Hirsch wie für Barth hat es in der Anfangsphase des Kirchenkampfes viel bedeutet, daß diese Auseinandersetzung hinter ihnen lag. Für Hirsch war denn auch Barths „Theologische Existenz heute" eine Schrift, die von einem ausländischen Gast verfaßt war, der es obendrein an Ehrerbietung fehlen lasse, und die einen philosophieren64 Antwort von Emanuel Hirsch an den Herausgeber (DV 1932, S. 394 f.). Hirsch schrieb am 1 8 . 5 . 1 9 3 2 noch einmal an Barth, und damit brach der persönliche Kontakt dann endgültig ab. In dem Brief betonte Hirsch, sein Verhältnis zu Barth sei immer von einer doppelten Haltung geprägt gewesen: Einmal die offene persönliche Umgangsform bei gleichzeitigem Respekt für die Unterschiede des Temperaments, zum andern die sachliche, harte, aber ehrliche Konfrontation der Meinungen. Barth habe nun aber seine eigene politische Haltung verabsolutiert und versuche ihn, Hirsch, persönlich und theologisch zu verleumden. Damit habe Barth die grundlegenden Voraussetzungen ihrer Beziehung zueinander zerstört. Hirsch stellt Barth anheim, zu diesen, seiner Meinung nach, minimalen Grundvoraussetzungen ihrer Beziehung zurückzukehren (KARL-BARTH-ARCHIV).
"
V g l . K . SCHOLDER, K i r c h e n I , S . 2 2 4 .
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den abstrakten Intellektualismus darstellte, der eigentlich ein überwundenes Stadium sein müsse56. Für Barth war Hirsch ein Schulbeispiel für Pseudotheologie, deren innerste Triebkraft ganz handfeste politische Interessen seien, nämlich ein neuer Rechtsradikalismus 57 . Es ist für das Verständnis des Kirchenkampfes wichtig, daß diese beiden Personen die Ereignisse vom Mai-Juni 1933 nicht als etwas völlig Neues empfanden, sondern vielmehr den Gegner gleichsam bereits als Antipoden fixiert hatten. Die aktuellen Auseinandersetzungen waren nur „Probe aufs Exempel", ein wirklicher Meinungsaustausch fand nicht mehr statt. c) Im Hinblick auf Barths offenbarungstheologischen Ansatz, es gelte nun Theologie zu treiben, „als wäre nichts geschehen", ist wichtig zu sehen, daß nicht nur die konkreten Erfahrungen mit Hirsch im Hintergrund standen, sondern daß Barth zugleich in Hirsch einen Vertreter der umfassenden Häresie sah, nämlich der idealistischen Gewissenstheologie der Holl-Schule, die sich als ideologische Triebfeder des Nationalismus und des Militarismus benutzen ließ - und auch benutzt wurde. d) Nicht zuletzt veranlaßt durch den Streit mit Hirsch, forderte Barth im Kirchenkampf, daß der Kampf um die theologischen Schlüsselprobleme zu führen sei. Es ist jedoch die Frage, ob die theologisch berechtigte, ja notwendige Aufgabe: nämlich die rein systematisch-theologische Kritik an der Preisgabe des Offenbarungsbegriffes durch die Deutschen Christen, nicht durch eine philosophischkulturkritische Auseinandersetzung zu ergänzen wäre. Ist nicht auch se Vgl. Brief an einen Schüler im Pfarramt, S. 30; vgl. auch Kirchliches Wollen, S. 5-17, bes. S. 5: „Mit Karl Barth ist kein Reden für uns [Deutsche Christen]. Er hat sein Ohr seiner kirchlichen Verantwortung bewußt verschlossen". Hirsch war noch 1932 davon überzeugt, daß er sich in dieser Sache mit Geismar in Übereinstimmung befinde. Mitten in der Hitze des Gefechts, am 7. 4.1932, schrieb er - unter Hinweis auf ihre Obereinstimmung über die Prinzipien von „Schöpfung und Sünde", an die sich Hirsch noch lange Zeit klammerte: „Ich schicke gleichzeitig den offenen Brief an Karl Barth als Drucksache. Sie sehen, ich bin nun mit den Barthianern noch härter auseinander als Sie. Es wird mir böse gehen. Die Theol. Blätter des Karl Ludwig Schmidt fangen an, mich zu verleumden. Aber
ich m u ß n u n h i n d u r c h " ( R A KOPENHAGEN, N G B d . 1). 57 Barth wiederholte diese Wertung in seiner Gastvorlesung im März 1933 in Kopenhagen und Aarhus: Das erste Gebot als theologisches Axiom, S. 297 ff., besonders S. 311 (dänische Ausgabe in: Kirken i Dag, bes. S. 33 f.). Später noch schärfer: Theol. Existenz heute, S. 34 (dän. Übersetzung S. 91), und „Abschied", verfaßt am 18.11.1933, w o Barth als zwingendstes Argument für die Aufkündigung der Zusammenarbeit in „Zwischen den Zeiten" die deutsch-christliche Häresie Gogartens anführte und diesen ausdrücklich neben Hirsch und Fezer stellte (S. 539; über das Verhältnis zu Hirsch auch S. 543). Vgl. dazu auch E. BUSCH, Lebenslauf, S. 230 f.
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die grundsätzliche These von der Exklusivität der Offenbarung, die ja die Grundsubstanz der Barmer Erklärung darstellt, nicht auch entstanden auf Grund einer persönlichen Selbstverteidigung Barths: Aus verständlichem Zorn darüber, daß sein Anliegen als das eines privaten Schweizers beiseitegeschoben wurde, forderte Barth, daß sich die Debatte auf dem Niveau des „Jenseits" bewegen müsse. Denn nur so konnte er zum Kern der Sache vorstoßen. Und schließlich: Ist nicht die unglückliche Tatsache, daß Barths explizite politische Kritik am Nationalsozialismus erst allzu spät einsetzte, wenigstens zu einem gewissen Teile diesem Umstand zuzuschreiben? e) Bei Hirsch wurde durch den „Fall Dehn" nur noch deutlicher, daß er sich unwiderruflich von einer realen Dialektik zwischen geschaffener Idealität und der Radikalität der Sünde entfernt hatte58. Das Abgleiten in Richtung auf eine politische Inanspruchnahme seiner formal noch immer aufrechterhaltenen theologischen Dialektik und Paradoxalität hatte nun ernsthaft begonnen. In Hirschs Äußerungen zum politischen Ethos finden sich von nun an unablässig Ausdrücke wie „letztlich", „unbedingt", „geheiligter Ring des Volkstums" u. ä. Dies beweist, daß dieser Irrweg schon vor 1933 in verhängnisvoller Weise vorgezeichnet war. f) Hirschs kirchenpolitische Arbeit 1933 Es besteht also eine grundlegende Kontinuität im politischen Wirken Hirschs und seiner theologischen Begründung vor und nach 1933. Dennoch bezeichnet das Jahr 1933 eine Wende. Nicht in dem Sinne, daß radikal neue inhaltliche Momente in Hirschs Denken gelangten, sondern in dem Sinne, daß sich jetzt alle aufgestauten Erwartungen, die bis in das Jahr 1917 zurückgehen, gleichsam entluden. Das neue 5 8 Vgl. H . TRAUB, der bereits aufzeigte, wie sich bei Hirsch das Verhältnis zwischen Schöpfer und Geschöpf allgemein verwischte. E r ging hart ins Gericht mit Hirschs Theologie des Gewissens und deren Einordnung in die Rechtfertigungslehre. Wenn „die Ethik trotz ihres Ansetzens im Neuen Testament eine eigene Selbstmächtigkeit erreicht", war für Traub klar, daß „damit schon eine gegenseitige Gleichwertigkeit der Glieder [d. h. der deutschnationalen Gesinnung und des Christseins] eintreten muß; das bedeutet ihre willkürliche Austauschbarkeit" (Demologie und Theologie, S. 369). Vgl. dazu auch W . TILGNER, Volksnomostheologie, S. 156 f.; N . H . S0E, Karl Barth, S. 10; En Linje i E. Hirsch's Teologi, S. 244 ff. Κ . ScHOLDER versucht in diesem Zusammenhang, das Ausbleiben eines unmittelbaren politischen Engagements bei Barth mit theologischen Gründen zu rechtfertigen, wenn er sagt: Barth konnte „auch im Fall Dehn nicht einfach eine politische Gegenposition beziehen und damit seinerseits ein Gesetz aufrichten, das sowenig das Gesetz Christi war wie der Nomos von Volk und Volkstum" (Kirchen I, S. 222).
12
Schjerring, Geismar/Hirsch
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theologische Programm, das Hirsch jetzt dem völkischen Wiederererwachen nachdrücklich anpassen wollte, hieß: christliche Heiligung der natürlichen Idealität. Dieses Programm war offenkundig von der politischen Revolution bedingt. Die Begeisterung nahm so starke Formen an, daß sich die theologisch-dialektischen Vorbehalte meist zu Randerscheinungen verflüchtigten. Die Devise wurde nun ganz eindeutig im Perfekt ausgesprochen: Gott hat durch die deutsche Wende zum deutschen Volk gesprochen. Das Joch der Vergangenheit ist von den Schultern abgeworfen. Als Theologe ist man deshalb aufgerufen, an der konkreten Verwirklichung dieser „Gottesstunde" mitzuwirken. Die Ereignisse, die bei Hirsch diese hochgespannte Euphorie verursacht haben, sind dieselben, die auch viele andere Kirchenführer und Theologen im In- und Ausland ähnlich reagieren ließen: Ein autokratisches politisches Führertum hatte sich etabliert. Es gab Sanktionen gegen den „Bolschewismus", aber auch gegen die beiden führenden Parteien der Weimarer parlamentarischen Demokratie, das Zentrum und die Sozialdemokraten. Was die religiösen Obertöne anbetrifft, die ja für Hirsch nicht nur oberflächliche Beigabe waren, sondern der Kern der Sache, so hat ihn sicherlich Hitlers berühmte Regierungserklärung vom 23. März 1933 überzeugt, in der der „Führer" die Prinzipien für eine Zusammenarbeit zwischen dem neuen Staat und den beiden Konfessionen verkündet hatte: Gemeinsam sei ihnen der Kampf gegen Materialismus und Gottlosigkeit. Hitler wollte den beiden großen christlichen Konfessionen ihren Einfluß belassen und bezeichnete sie als „wichtigste Faktoren zur Erhaltung unseres Volkstums". Dafür erwartete er auch die Mitarbeit der Kirchen beim Aufbau des neuen Staates59. Anfang April hielten die Deutschen Christen ihre erste Reichstagung, auf der sie die Anpassung der Kirche an die neue Staatsform 59 Vgl. ζ. B. D O K U M E N T E I, S. 23 f. - In einem Brief an Geismar vom 16. 3. 1933 bat Hirsch um dänische Reaktionen auf den Umsturz in Deutschland. Er betonte die schwer lastende Arbeitslosigkeit und die ernsthafte Bedrohung durch den Bolschewismus. Ein autoritärer Führerstaat sei der einzig mögliche Ausweg. „Wir Älteren" müßten deshalb alle Bedenken fahren lassen. Noch symptomatischer ist aber der Brief vom 1.6., in dem sich Hirsch zunächst über das Echo in der ausländischen Presse auf die Entwicklungen in Deutschland beschwerte. Danach aber sprach er von der Verwirklichung der „volksmissionarischen" Verpflichtung der Kirche, die Schranken zur arbeitenden Bevölkerung seien nun durch ein Wunder Gottes niedergebrochen. Er behauptete, daß er in seinen augenblicklichen Bemühungen von kirchlichen Anliegen geleitet sei. Auch in dem Brief vom 28. 8. zeigte sich Hirsch empört über die Darstellung der Ereignisse in der dänischen Presse und wollte sich zur Korrektur dieser einseitigen Berichterstattung interviewen lassen (RA KOPENHAGEN, N G Bd. 1). Sowohl in den Briefen an Geismar als auch in dem Interview in D A G E N S N Y H E D E R vom 14. 9. 1933 bekannte er sich vorbehaltlos zu dem neuen Staat und der Parteiführung.
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und die Errichtung einer Reichskirche forderten. Von nun an wurde Hirsch ins Zentrum der kirchenpolitischen Ereignisse verwickelt 60 . Sein erstes wichtiges Eingreifen in die Diskussion über eine der neuen Staatsordnung gerecht werdenden Neuordnung der Kirche zeigt jedoch, daß er nicht einfach die kirchenpolitischen Vorstellungen der Deutschen Christen übernommen und zu seiner Sache gemacht hatte. In einem Brief vom 15. April 1933 forderte er seinen Landesbischof in Hannover, August Marahrens (1875-1950), auf, kirchenpolitische Initiativen zu ergreifen. Hirsch hielt das von den Deutschen Christen proklamierte Ziel der Schaffung einer Reichskirche zwar auf der einen Seite für „unmöglich" (Gefahr der Freikirchenbildungen, Zerstörung der historischen „Mission der lutherischen Kirchen", Aufhebung der „Verbindung der deutschen Kultur mit der nordgermanischen"), auf der anderen Seite aber für unumgänglich: „Bei dem heutigen, auf dem Führerprinzip aufgebauten Staate, wo man überall einen Mann hat, an den man sich halten kann, ist das vielköpfige Ungeheuer, mit dem der Staat es bei Verhandlungen mit den evangelischen Kirchen zu tun hat, eine Lächerlichkeit oder ein Skandal." Um diesem Manko - und der mangelnden Repräsentation des Luthertums im Vergleich zur Stärke der Altpreußischen Union - abzuhelfen, schlug Hirsch die rasche Einsetzung eines „evangelischen Nuntius" mit umfassenden Vollmachten vor: „Ich sage ganz ernst, der Mann muß in 14 Tagen da sein." Hirsch wußte auch schon Kandidaten für dieses Amt zu nennen: Paul Althaus oder Heinrich Rendtorff, denn sie „gehören - eigentlich kann man in der Hinsicht neben ihnen nur noch mich nennen und ist dann am Ende - zu den drei Theologen, welche in Deutschland zur rechten Zeit gegen das unser evangelisches Kirchentum beherrschende Kompromißlertum sich zur jungen nationalen Bewegung bekannt haben, ohne sich doch zum Gehorsam unter eine nicht kirchliche Stelle verpflichtet zu haben. Sie sind also beide einwandfrei an leidenschaftlichstem Maßstabe von Deutschheit gemessen, den man aufstellen kann" 6 1 . Diese etwas anmaßende und hektische Initative Hirschs zeigt, welche Bedeutung er der Christlich-Deutschen Bewegung beimaß, aber mehr noch den neuen Willen zur Tat, den ihm der politische Umsturz verliehen hatte. Aber es kam anders, als Hirsch es sich gedacht hatte: wenige Tage später, am 25. April 1933, ernannte Hitler den Königsberger Wehrkreispfarrer Ludwig Müller (1883-1945), mit dem er 60
Zur Reichstagung der Deutschen Christen vgl. K. MEIER, Deutsche Christen,
S . 1 7 f f . ; K . SCHOLDER, K i r c h e n I , S . 3 6 1 f f . M L K A HANNOVER, Nachlaß Marahrens Bd. 4/1. Auf den Brief bin ich aufmerksam geworden durch H . BAIER, U m Reichsbischofswahl. Dieser unveröffentlichten Abhandlung verdanke ich viele Hinweise.
12*
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sich schon seit Anfang April in kirchlichen Fragen beraten hatte, offiziell zu seinem besonderen Bevollmächtigten für Fragen der evangelischen Kirchen62 und machte ihn damit zu einer der Schlüsselfiguren auf der kirchenpolitischen Szenerie der nächsten Monate; gleichzeitig ermächtigte das Exekutivorgan des Kirchenbundes, der Kirchenausschuß, ein sogenanntes „Dreimännerkollegium" (Kapler, Marahrens, Hesse), die Reform der Verfassung des deutschen Protestantismus einzuleiten 63 . Seit Mitte Mai, als die Ereignisse sich fast überschlugen, spielten Hirsch und der Tübinger Praktologe Karl Fezer (1891-1960) zentrale Rollen an der Seite Müllers. Das erste handfeste Zeugnis dieser Aktivitäten sind die neuen Richtlinien der Deutschen Christen, die am 16. Mai veröffentlicht wurden und sich in einigen Punkten deutlich von den radikaleren Ansichten des Hossenfelder-Flügels abhoben64. Hirsch stellte sich von nun an ganz hinter Müller, indem er als dessen Ratgeber auftrat und sich nun vorbehaltlos für die deutschchristlichen Ziele einsetzte, einschließlich ihres Verständnisses von „Volkskirche" und „Reichskirche" 65 . Dies geschah mit der Begründung, daß die Kirche sich nun einem ganz neuen Staat gegenüber sehe, einem Staat, der nicht nur auf dem „durch den Führer rechtlich und wirtschaftlich zusammengeschlossenen Volk" beruhe, sondern auch auf dem „seelisch zur Lebensgemeinschaft geeinten Volk" 66 . Nun erhielt das Reden von den natürlichen Bindungen eine Konkretion, die unmißverständlich die uneingeschränkte Übertragung der Prinzipien der staatlichen Revolution anzeigte. Hirsch sprach deshalb nicht mehr von den Ordnungen im traditionellen Sinne, ζ. B. der Familie und dem Staat allgemein, sondern er sagte, die Deutschen seien nun „als Arbeitskameraden, als Kampfgefährten, im Blutbunde unsers Volkstums" an die „Schicksalsgemeinschaft unsers Staats" gebunden67. Hirschs Argumentation für einen neuen Staat mußte deshalb auch die Forderung nach kirchlicher Führung mit sich führen, die auf dem Gedanken eines Reichsbischofs mit uneingeschränkten Vollmachten, d. h. ungebunden durch liberalistische Jurisdiktion, beruhte. Denn „Führung" sei nicht „Tatsache, sondern wagende Tat, in Kampf und Entscheidung sich gebärend" 68 . Es verwundert deshalb 82
DOKUMENTE I , S . 4 2 f .
"
V g l . GAUGER I, S. 7 4 .
Ebd., S. 79. Vgl. auch Fezers Bericht vom 7. 6 . 1 9 3 3 (G. SCHÄFER, Dokumentation II, S. 1 1 0 ff.). Fezer und Hirsch hatten sich auf dem Fakultätentag am 27. 4 . 1 9 3 3 auf den gemeinsamen Kurs festgelegt (K. SCHOLDER, Kirchen I, S. 402 f). « Vgl. Kirchliches Wollen, S. 2 0 - 2 3 . " Ebd., S. 17. " Ebd., S. 19. 68 Ebd., S. 16. In einem Interview in der „Täglichen Rundschau" vom 11. 6. 1933 trat Hirsch u. a. zusammen mit Admiral Meusel als Fürsprecher Müllers auf und legte eine kirchenrechtliche Auffassung dar, die endgültig zeigen sollte, daß die 64
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nicht, daß sich Hirsch in den Verhandlungen Ende Mai Müller vorbehaltlos zur Verfügung stellte. Für seine mannigfaltigen Aktionen hinter den Kulissen waren politische Stellen wie das Innenministerium sein Ausgangsort. Sein Gegner war die kirchliche Bürokratie, die seiner Meinung nach nur an der überkommenen Struktur festhalten wollte und dadurch zu verhindern drohte, daß die volksmissionarische Aufgabe der Kirche in dem neuen staatlichen Rahmen und der neuen Schicksalsgemeinschaft des Volkes erfüllt werde. Dennoch war Hirsch auch unter diesen Umständen noch immer davon überzeugt, daß seine kirchenpolitischen Vorstellungen nicht mit der souveränen „Eigenständigkeit" des Evangeliums im Widerspruch stünden und daß nicht er, sondern Barth seine Theologie von politischen Voraussetzungen ableite. Hirschs Auftreten in diesen bedeutsamen Monaten war konsequent und ohne Vorbehalte: Daß er für Müller als den selbstverständlichen Kandidaten für den Posten des Reichsbischofs eintrat, erscheint als integrierter Teil seiner gesamten Argumentation. Die Jungreformatorische Bewegung konnte hier nur störend wirken, als sie allzu früh Friedrich von Bodelschwingh als Kandidaten nannte. Die ganze Diskussion um diese Frage zeigt nur die entschlossene, ja zynische Strategie, deren skrupellose Verfolgung durch Hirsch und Fezer sich nur aus deren fester Überzeugung erklären läßt, daß sie unter dem „Gebot der Stunde" standen mit der dazu gehörenden „stürmischen und vorbehaltlosen Begeisterung". Müller erscheint in diesem Spiel nur als ein zuweilen recht hilfloses Werkzeug für die Alles-oder-nichts-Politik dieser beiden Ratgeber, die sich zu diesem Zeitpunkt nicht sonderlich von der von Hossenfelder und den radikalen Deutschen Christen verfolgten Strategie unterschieden. Entscheidende Indizien sprechen dafür, daß die Strategie, Müller zum Reichsbischof wählen zu lassen, schon zu einem sehr frühen Zeitpunkt beschlossen wurde, d. h. kurz nachdem Müller der besondere „Vertrauensmann" Hitlers geworden war. a) Hirschs eigene Argumentation für die Kandidatur Müllers, zum ersten Mal am 28. Mai 1933 öffentlich vorgetragen, entspricht ganz seiner sonstigen Konzeption. Andere Kandidaten, ζ. B. Bodelschwingh, standen für Hirsch gar nicht zur Diskussion. Er schloß seinen Aufruf denn auch mit dem folgenden, sich in Demagogie versteigenden Satz: „Es wird aufgerufen, um des Volkes, um der Kirche, um des Evangeliums willen." 69 Wahl Bodelschwinghs unrechtmäßig sei. Hirsch fügte hinzu, daß die Amtsführung Bodelschwinghs niemals den Erfordernissen der nationalen Situation genügen könne, denn diese Amtsführung werde „wahrend" sein, erforderlich aber sei eine Politik, die „wagend" sei (Kopie AEKD, A 4/27). 69 Kirchliches Wollen, S. 25; vgl. auch Hirschs Version der Konfrontation mit
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b) Der engste Mitarbeiter Hirschs aus der Christlich-Deutschen Bewegung, Heinrich Rendtorff, versuchte bekanntlich, die Wahl Müllers schon zu Beginn durchzusetzen und machte diese Frage ganz wie Hirsch zu einer Kardinalfrage 70 . c) Der enge Freund und deutsch-christliche Kampfgefährte Hirschs, der Luther-Forscher Erich Vogelsang (1904-1944), schlug schon am 17. Mai Müller öffentlich als Kandidaten vor. Danach ist es, historisch gesehen, mehr als zweifelhaft, ob es tatsächlich die Jungreformatorische Bewegung war, die sich, wie Hirsch behauptete, über den in Loccum beschlossenen modus procedendi hinweggesetzt habe71. Daß die Wahl Bodelschwinghs durch die Kirchenführer eine von Hirsch sorgfältig zurechtgelegte Strategie durchkreuzte, zeigt auch sein drastisches Vorgehen gegen Marahrens und Hesse, die die Wahl Bodelschwinghs verteidigt hatten 72 . Hirsch hat also einen entscheidenden Anteil an dem wirren Lauf der Ereignisse, die schließlich zu Kaplers und Bodelschwinghs Rücktritt führten. Ein juristisches Gutachten vom 6. Juni, das die Ungültigkeit der Wahl Bodelschwinghs beweisen den Kirchenführern, abgefaßt am 3. 6. 1933 (ebd., S. 29-32); vgl. auch AELKZ 66, 1933, Sp. 541 f. Zu den Entwicklungen im Frühjahr und Sommer 1933 vgl. J. WRIGHT, Über den Parteien, S. 186 ff.; K. SCHOLDER, Kirchen I, S. 355 ff. 70 GAUGER I , S. 8 0 ; vgl. auch H . RENDTORFF, Christlich-Deutsche Bewegung, S. 104 f.: „Der Weg der Christlich-Deutschen Bewegung ist klar vorgezeichnet. Daß unser Herz, so wie die Dinge heute liegen, bei dem Wehrkreispfarrer Müller ist, bedarf kaum eines Wortes. Das ergibt sich aus der inneren Geschichte der christlich-deutschen Bewegung mit Folgerichtigkeit". Im Zusammenhang mit seinem erzwungenen Rücktritt als Landesbischof wurde Rendtorff politischer Vertrauensbruch vorgeworfen. Hierauf antwortete er am 12. 8. 1933 an den mecklenburgischen Ministerpräsidenten: „Alle Zeit, auch in dem letzten Rundschreiben, habe ich der nationalsozialistischen deutschen Freiheitsbewegung und dem Staat dienen wollen, habe nach bestem Wissen und Können der Glaubensbewegung den Weg in die Kirche bahnen wollen. In meiner Treue zu Adolf Hitler soll auch in Zukunft nichts mich beirren" (AEKD, C 4 / 3 0 ) . Später wurde Rendtorff jedoch zu einem führenden Mitglied der Bekennenden Kirche. 71 Vgl. GAUGER I, S. 81. Hirsch und Vogelsang kannten einander als LutherForscher, die beide Schüler Karl Holls waren. Zu ihrer Zusammenarbeit im MaiJuni vgl. H . KATER, Kirche, S. 77 und den Bericht über ein Treffen an der Universität in Berlin am 22. 6. 1933, wo Hirsch und Vogelsang die Gesichtspunkte der Deutschen Christen vortrugen (JK 1, 1933, S. 22 f.; J. GLENTH0J, Dokumente, S. 95-98). Vgl. schließlich folgenden Auszug aus dem Tagebuch C. G. Schweitzers vom 29. 6. 1933 : „Unterredung mit Heckel und Hirsch-Vogelsang bei Telschow. Hirsch äußert mir gegenüber: NS ist unser Schicksal, muß hingenommen werden als Erbanlage meines Kindes. Dem Führer, auch Müller ist bedingungslos zu vertrauen und zu folgen". Etwas später jedoch: „Vogelsang gibt offener als Hirsch politischen Hintergrund zu" (AGKZG). 72 H . Hesse in seinem Bericht über Fezers und Hirschs nächtliche Auseinandersetzung mit den Kirchenführern am 24.5.1933: „Landesbischof Marahrens war von dem Auftreten seines Freundes Hirsch so betroffen, daß er wesentlich schwieg und mir das Gespräch mit den Professoren überließ. Das Gespräch lief je länger,
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sollte, stammt wahrscheinlich aus der Feder Hirschs 73 . Wiederholt trat Hirsch dafür ein, der neue Reichsbischof müsse aus dem Kreis der Deutschen Christen kommen und das Vertrauen des Führers besitzen. Außerdem solle über das Verfassungswerk und über die Person des Reichsbischofs durch Urabstimmung des Kirchenvolkes entschieden werden. All dies zielte deutlich darauf ab, die Wahl Bodelschwinghs durch die Kirchenführer für ungültig zu erklären. Noch einige Elemente der mit schonungsloser Konsequenz durchgeführten Strategie Hirschs seien genannt. Hirsch versuchte — zu Unrecht - sich auf das Recht des preußischen Staates zum Eingriff in innerkirchliche Angelegenheiten zu berufen. Er veranlaßte Müller, sich nicht an die Übereinkunft über den geplanten Empfang des Verfassungsausschusses bei Hitler zu halten 74 . Beides zeigt deutlich, daß politische Gesichtspunkte überwiegend das Handeln Hirschs bestimmten, und entspricht genau dem politischen Interesse Hitlers an diesem kirchenpolitischen Tauziehen 75 . Auch wenn Hirsch seine kirchenpolitischen Vorstellungen nicht ohne weiteres durchsetzen konnte, so hatten seine hartnäckigen Akje deutlicher auf eine Kampfansage der Deutschen Christen an die Kirche hinaus. Dabei wurde von Professor Hirsch mit Bloßstellungen der Kirche gedroht, die von den ostpreußischen und Berliner Verhältnissen und auch von den Verhältnissen in Bethel allerlei Ungutes aufdecken sollten" (LKA HANNOVER, Nachlaß Marahrens, Bd. 4/II). Entsprechend schrieb Bodelschwingh: „Es trat in dieser Verhandlung der verhängnisvolle und bösartige Einfluß von Professor Hirsch in erschreckender Weise in Erscheinung, der sich auch sonst in diesen Tagen geltend machte" (30 Tage an einer Wegmarke deutscher Kirchengeschichte; Kopie AGKZG). Vgl. auch Hirschs eigene Darstellung (Kirchliches Wollen, S. 23 ff.). 73
74
V g l . GAUGER I , S . 8 2 .
So Bodelschwingh in dem angeführten Bericht, S. 32 (vgl. Anm. 72). Später äußerte sich Hirsch über das staatliche Eingreifen in die kirchenpolitische Entwicklung: „Die gegenwärtigen Wochen haben gezeigt, daß das evangelische Kirchenvolk den Bischöfen und Pastoren einfach wegläuft, wenn diese versuchen, gegen den politischen Willen einen kirchlichen einzuspannen. Durch diese Lage unserer Kirche wird die rechtliche Sicherheit eines Staatsvertrages illusorisch. Mir ist keinem Zweifel unterlegen, daß die preußischen Staatskommissare eine formelle Verletzung des preußischen Staatsvertrages durch den Staat gewesen sind [sie!]. Das hat sich als völlig belanglos erwiesen, angesichts dessen, daß die von der politischen Bewegung ergriffenen evangelischen Christen dem preußischen Staat das innere Recht zu seiner Handlung zugestanden haben" (in: Denkschrift, wahrscheinlich verfaßt Ende Juli 1933; AEKD, C 4/28). 75 Vgl. die Mitteilung aus der Jungreformatorischen Bewegung vom 10.6.1933: „Daß Professor Hirsch neuerdings wieder die Urabstimmung des deutschen evangelischen Kirchenvolkes gefordert hat, zeigt, daß hier politischer Machtwille das theologische Anliegen und die theologische Einsicht verdunkelt hat" (KKA BERLIN, N r . 757). Über Hirschs Forderung nach einer Urabstimmung vgl. auch CW 47, 1933, Sp. 620; AELKZ 66, 1933, Sp. 541 f.; G. SCHÄFER, Dokumentation II, S. 132 f., wo vor allem Gottfried Traubs Protest gegen den Rückfall Hirschs in parlamentarische Methoden festgehalten ist.
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tionen gegen Bodelschwingh dennoch insofern den von ihm gewünschten Erfolg, als Bodelschwingh am 24. Juni seinen Rücktritt ankündigte und die Deutschen Christen dann im Juli 1933 bei den Kirchenwahlen den Sieg errangen. Damit war der Weg für Ludwig Müller zum Amt des Reichsbischofs frei 76 . Für Hirsch war dies ein vorläufiger Höhepunkt, ein Meilenstein auf dem Wege zum Ziel, es kam nun alles auf den verantwortungsbewußten Wagemut der Christen an, sich dem „Gebot der Stunde" zu stellen. Hirschs Standort in der allgemeinen theologischen und kirchenpolitischen Landschaft, wie sie sich in der für den beginnenden Kirchenkampf so entscheidenden Phase ab Sommer 1933 darstellte, ist folgendermaßen zu bestimmen: a) Die Christlich-Deutsche Bewegung war völlig auseinandergefallen. Rendtorff legte nach vielen Querelen mit mecklenburgischen Partei- und Staatsstellen im Januar 1934 sein Amt als Bischof nieder 77 . Althaus stellte sich offen gegen die Aktionen Hirschs und trat statt dessen für Bodelschwingh ein 78 . b) Hirsch hatte sich demonstrativ gegen die Kirchenführer, insbesondere das Kirchenbundesamt, gestellt und diese summarisch mit der Vergangenheit identifiziert, die nun auf politischer Ebene überwunden sei. Damit trat er eindeutig auf die Seite der Deutschen Christen und der NSDAP. Es gibt in dieser Phase nicht einen wesentlichen Punkt, in dem er politisch von der Parteilinie abwich. Er trat theologisch und politisch für einen gemäßigten deutsch-christlichen Kurs ein und blieb als einer der wenigen Theologieprofessoren auch dann dem Reichsbischof treu, als nach der Kundgebung der Deutschen Christen im Berliner Sportpalast am 13. November der Zerfall der. deutsch-christlichen Einheitsfront offenkundig wurde 79 . 7»
Vgl. dazu DOKUMENTE I, S. 62 f f . ; J. WRIGHT, Über den Parteien, S. 231 f f . ;
K . SCHOLDER, K i r c h e n I, S. 4 2 2 f f . 77
V g l . C W 4 7 , 1 9 3 3 , S p . 7 6 6 ; GAUGER I, S . 7 2 .
Brief an Marahrens vom 15. 6. 1933 (LKA HANNOVER, Nachlaß Marahrens Bd. 4/1) und an Meiser vom 19. 6. 1933 (LKA NÜRNBERG, Nachlaß Meiser 114). Vgl. auch den Bericht von G. Merz vom 7. 6. 1933, „Persönliches über Bodelschwingh und die Bischofsfrage" (ebd., 115). 78 So schreibt Hirsch an Geismar am 28. 8 . 1 9 3 3 , er könne sich „vorbehaltlos" zu der Entwicklung in Deutschland bekennen, und er wiederholt diese Erklärung 78
in d e m
Interview
i n D A G E N S NYHEDER v o m
14.
9.
1933.
Nach
G.
VAN
NORDEN
soll auch Hirsch gegen den Hossenfelder-Fliigel und die Kundgebung im Berliner Sportpalast protestiert haben (Kirche in der Krise, S. 135). Dies widerspricht jedoch Hirschs Brief an Müller vom 27. 11. 1933, in dem es heißt: „Ich glaube Ihren für mich maßgeblichen Weg und Willen so zu verstehen, daß ich bei den Deutschen Christen bleibe und den Weg von Fezer und Schumann nicht mitgehe. Ich trage darum auch gerne die Gefahr, verketzert zu werden. Mein Gefühl ist
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c) H i r s c h geriet in einen erbitterten Gegensatz zu fast allen M ä n nern, die bislang die evangelische Kirche repräsentiert hatten. Es k a m sogar z u einem ernsthaften K o n f l i k t mit seinem eigenen Landesbischof in H a n n o v e r , Marahrens, m i t d e m er ja nur w e n i g e M o n a t e z u v o r versucht hatte, eine gemeinsame Initiative zu ergreifen 8 0 . d) Karl Barth bezeichnete Hirsch in der ersten N u m m e r v o n „Theologische Existenz heute", mit der er auf d e m H ö h e p u n k t der Krise in den G a n g des Geschehens eingriff, als den Inbegriff der H ä resie, die darin bestand, d a ß die Kirche nach Kriterien umgebildet werden sollte, die nicht aus d e m E v a n g e l i u m hergeleitet wurden 8 1 . e) D e n n o c h stand Hirsch nicht allein. N o c h im Sommer 1933 stimmte er überein mit Karl Fezer, Gerhard Kittel, H e r m a n n W o l f gang Beyer, Friedrich Karl Schumann, Walter Grundmann, W o l f Meyer-Erlach, H e i n r i c h B o r n k a m m u. a. D i e s e Professoren standen nicht in der festgefügten organisatorischen gemeinsamen Front der Deutschen Christen, eine Front, die z u d e m nach den Ereignissen im N o v e m b e r 1933 gänzlich zerfiel 8 2 .
einfach: Ich verlasse eine Fahne nicht in dem Augenblick, wo scharf geschossen wird. Ich verstehe und ehre die Beweggründe von Fezer und Gen[ossen]. Sie sind redlich und sauber. Aber ich kann nicht mit, wenn sie jetzt die Scheidung vollziehen. Ich stehe nicht unter dem Gewissenszwang wie sie" (AEKD, A 4/249; vgl. K. SCHOLDER, Kirchen I, S. 719). 80 Vgl. GAUGER I, S. 120 und oben Anm. 72. 81 Theologische Existenz heute, S. 34. Hier sieht Barth für die Kirche nach einem Sieg der Deutschen Christen „eine Art kirchlich-theologische Schreckenszeit" voraus, »in der im Gottesdienst getrommelt werden und in der E. Hirsch bestimmen wird, was Theologie ist". - Noch am 9. 5.1934, also als die Gemeinschaft um „Zwischen den Zeiten" längst zerbrochen war, schreibt Merz an Meiser, nachdem Birnbaum von Berlin aus die Initiative ergriffen hatte, in Erlangen mit Althaus, Eiert, Hirsch und Merz die Frage des Bekenntnisses zu erörtern: „Selbstverständlich würde ich gern mit Althaus und Eiert zusammen das zu sagen versuchen, was man vom lutherischen Bekenntnis aus zu den zur Verhandlung stehenden Fragen sagen muß, aber mit Hirsch könnte ich mich jetzt keinesfalls zusammensetzen. Es wäre mir dies nach der Rolle, die Hirsch im vorigen Sommer gespielt hat und für die er in der Öffentlichkeit so demonstrativ seine Professorenwürde einsetzte, einfach unmöglich" (LKA NÜRNBERG, Nachlaß Meiser 115). 82 Zusammen mit K. Thom, H. W. Beyer, E. Haenchen, A. C. Winter, H. Rathke, G. Winner und F. Klein gab Hirsch Weihnachten 1933 ein „Bekenntnis" heraus, daß deutlich den gemäßigten DC-Kurs wiederspiegelt (JK 2, 1934, S. 2830). Schon am 22. 6.1933 hatte H. W. Beyer in einem Brief an Fezer, Schumann und Hirsch zu einer gemeinsamen Front gegen die radikale DC-Linie und zur Unterstützung Müllers aufgerufen (AEKD, A 4/245; Κ. SCHOLDER, Kirchen I, S. 430). Ab 1934 zeichnete Hirsch als Mitherausgeber der Zeitschrift „Deutsche Theologie", für die Ludwig Müller ein Geleitwort schrieb.
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g) Theologie innerhalb der „Volksgemeinschaft" Hirschs praktische Bemühungen galten der Verwirklichung dessen, was in seinen Augen unbestreitbar die einzigartige Chance der Kirche w a r : teilzunehmen am Leben des Volkes und zu profitieren von einem Dialog mit den Verantwortlichen in Staat und Partei. Deshalb sind seine Aktivitäten in der Zeit von April bis Juni 1933 von einer eigenartigen Hektik geprägt. Die Entwicklung der folgenden Jahre, der ersten Jahre des Kirchenkampfes, änderte nichts an seiner Entschlossenheit, mit den zentralen politischen Organen zusammenzuarbeiten: dem Innenministerium, dem Kultusministerium und später dem Reichskirchenministerium. Das übergeordnete Ziel war dabei die Anpassung von Kirche und Theologie an den neuen Staat. Gleichzeitig begab er sich nun an das, was er als seine theologische Aufgabe nach der revolutionären Wiedergeburt des Volkes ansah. Es ging ihm um eine grundsätzliche Neubesinnung, um die Formulierung eines theologischen Profils, das die hiermit verbundenen geistigen Ansätze zur Entfaltung kommen ließ. Denn er hielt es für seine unabweisbare Pflicht als Theologe, die Möglichkeit zu ergreifen, die ihm und dem Volke durch die neue politische Situation gegeben sei. Nach der „nationalen Erhebung" von 1933 konnte bei Hirsch all das, was zuvor eingeschlossenes, verbittertes, individuelles TrotzEthos war, jetzt frei zur Entfaltung kommen. Sein Verständnis der „deutschen Wende" ist deshalb mehr als nur Ausdruck einer intellektuellen, rationalen Verarbeitung eines konkreten politischen Systemwechsels. Seine Darstellung hat nahezu deklamatorischen Charakter, sie will das begeisternde Erlebnis eines einzigartigen Geschehens weitergeben, der Teilhabe am organischen Ganzen des Volkes: „Beides ist uns aufgegangen, die Volksverbundenheit als Grund und Ziel jedes echten Tuns und Sichbesinnens des Einzelnen und die Führerschaft des Einzelnen als Bedingung und Höhe und Zucht jeder sich verwirklichenden geschichtsmächtigen Volkhaftigkeit. Befehl und Freiwilligkeit, sich Eingliedern und Hervorspringen, Gesamtwille und Persönlichkeit, sie sind zusammengedacht in unsrer neuen Lebensgestalt. Wir werden aber dies straffe Ubergreifen über beide Pole des gemeinsamen Lebens uns in der Wirklichkeit nur dann recht bewahren, wenn wir im Denken eine letzte geistige Klarheit über ihr Verhältnis uns erringen, und die kann uns nur werden aus existentialphilosophischer Besinnung, die an der Grenze des Menschlich-Geschichtlichen sich vollzieht." 8 3 Damit hat Hirsch deutlich gemacht, warum er es für unumgänglich hält, das prinzipielle Neudenken an einer Selbstverwirklichung, 83
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einer subjektiven Realisierung der neuen gottgegebenen Möglichkeit zu orientieren. Theologische Theorie ohne diesen konkret durchlebten Bezug wäre blamabler Eskapismus, abstrakter und süffisanter Intellektualismus. Mit der neuen Situation sei dagegen Raum geschaffen für ein verstehendes Einleben darin, welch ein Reichtum in Volk und Volkstum liegt. Volk und
Volkstum
Das Volk kann für Hirsch nur als ein organisches Ganzes erlebt werden, als ein gegebener Rahmen um die Zusammengehörigkeit des Einzelnen mit dem Ganzen zum gemeinsamen Besten. Das bedeutet zugleich, daß Staat und Regierungsform im neuen Deutschland stets im Volkswillen wurzeln müssen; sie dürfen aber nicht vom eigenmächtigen Willen einer machtgierigen Clique gesteuert werden. Die politische Führung läßt sich nicht zu einer zynischen Taktik des „teile und herrsche" verleiten wie in der parlamentarischen Demokratie, denn jeder einzelne erlebt und verwirklicht hier seine Teilhabe als Diener am Ganzen. Hier kann sich niemand zum Herren aufschwingen und egoistisch nur den eigenen Profit im Auge haben, und das beruht nach Hirsch letztlich darauf, daß Gott die Instanz ist, die dem Einzelnen seinen Platz zuweist: „Nach den unzweideutigen Erklärungen des Führers muß gerade dies als das Eigentümliche der neuen deutschen Lebensverfaßtheit gelten, daß das Staatlich-Politische dem Volkstum als dem eigentlichen Träger der Kultur, dem wahren Quell alles menschlich-geschichtlichen Lebens, unterworfen wird, ja, lediglich als unentbehrliches Mittel für den Zweck des Volkstums, als haltende Form für den Lebensinhalt des Volkstums angesehen zu werden begehrt. In dem durch Natur und Geschichte geprägten Blutbunde des Volkstums stoßen wir auf ein letztes irdisch Gegebnes, das zu bewahren und zur rechten Entfaltung zu bringen höchste Aufgabe aller politisch Handelnden ist. In den ursprünglichen, menschlichen Möglichkeiten des natürlich-geschichtlichen Volkstums liegt die uns von Gott verliehene Gestaltungsmacht verborgen. Dieser Wirklichkeit gegenüber haben sich Staat und Staatsmann als Diener zu empfinden, wenn anders sie Werkzeuge Gottes sein wollen. Dieser Wirklichkeit gegenüber wollen sie heute Diener sein"84. 84 Ebd., S. 60 f. Die historische Wende war nach Hirsch gottgegeben, „das Gebot der Stunde" von Gott gefordert. Hirsch wies außerdem auch des öfteren auf die persönliche Gottergebenheit des Führers hin und u. a. darauf, daß der Führer seine Reden mit einem Gebet abschloß. Dies hebt Hirsch ζ. B. in einer Rede vom 11.11.1933 am Tage vor der Volksabstimmung, der „Rede auf der Kundgebung deutscher Wissenschaft" hervor: „Wir haben einen Führer, der immer und allezeit dies bekannt hat, daß er nichts denn ein Werkzeug aller Dinge sich weiß. Er
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Das Volk ist zusammengebunden durch eine gemeinsame Geschichte im Guten wie im Bösen, es ist „Schicksalsgemeinschaft". Dies entfaltet Hirsch in der Weise, daß er das reformatorische Anliegen Luthers so aktualisiert, daß es in engem Zusammenhang zu seinem nationalen Ethos steht. Weiter betont er leidenschaftlich den eigenen persönlichen Erfahrungshintergrund, der ihn selbst erst Umfang und Reichweite des Wiedererwachens des Volkes habe sehen lassen: positiv der August 1914, nationale Fest- und Gedenktage wie ζ. B. der für die Toten von Langemarck und vom 9. September 1923, negativ der 9. November 1918, der Tag der nationalen Selbstdemütigung, die ganze Weimarer Republik mit ihrem Pflegen von individuellen Sonderinteressen und ihrem Kniefall vor Materialismus und moralischer Dekadenz 85 . Ein Volk ist auch für Hirsch durch biologische Realitäten bedingt. Die Respektierung von Blut und Rasse bedeutet jedoch keinen biologischen Materialismus, auch wenn er hier von einer grundlegenden natürlich-geschichtlichen Schöpfungswirklichkeit spricht. Daß der Nationalsozialismus diese Grundgegebenheiten hervorgehoben hat, hat nicht nur für das „Volkstum" eine klare und eindeutige Identität gewonnen, sondern zugleich auf einen Anhaltspunkt geistiger Art hingewiesen, von dem aus das bedrängte Deutschland jetzt seinen Kampf fürs Dasein sowohl nach Osten wie nach Westen führen müsse. In dieser Perspektive sieht Hirsch vor allem die biologischen Realitäten: „Die Erinnerung an Blut und Rasse ist die Weise, in der uns das ganze große Geheimnis der Grenze am mächtigsten ergriffen hat und dadurch eine wesentliche geschichtliche Entscheidung an der Scheide zweier Zeitalter." 86 Wenn Hirsch in diesem Zusammenhang von Grenze bzw. Scheide spricht, meint er nicht nur etwas menschlich Bedingtes, sondern die Grenze zwischen Natürlichem und Göttlichem. Das sieht er als Legitimation dafür an, von weiß, die Vorsehung läßt ihn den Dienst tun, sie steht über ihm und lenkt ihn" (Weg des Glaubens, S. 58). Weder die christentumsfeindlichen Gruppen noch das Neuheidentum in der Partei konnten das Vertrauen Hirschs erschüttern. Deshalb hielt Hirsch auch seine Kritik an der Barthschen Dämonisierung aller natürlichen Idealität aufrecht, in diesem Falle unter Hinweis auf die Aufgeschlossenheit der politischen Führung dem Christentum gegenüber. Barth setze eine so dogmatische Kluft zwischen Volk und Staat einerseits und der Kirche andererseits, daß er die Auseinandersetzung der neuen nationalen Bewegung mit dem „Kulturmaterialismus" gänzlich verkenne, „als wenn Volk und Staat unter der Herrschaft der Zersetzungsmächte stünden" (ebd., S. 49; im Original hervorgehoben). 85
Gegenwärtige Lage, S. 30. Ebd., S. 35. Darauf beruht für Hirsch auch, daß der Nationalsozialismus als Weltanschauung totalitären Charakter hat. Er ist deshalb mehr als zeitgebundene, partikuläre Existenzdeutung. Er wurzelt in der „Grenze" und umfaßt alle Lebensbereiche (ebd., S. 142 f.). 86
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diesen Tatsachen unter häufiger Verwendung von Absolutheitskategorien zu sprechen: das Letzte, Äußerste, Ursprüngliche, Stürmische, Brausende, das Geheimnisvolle, Unwiderstehliche und Zügellose; alles dies ist jedoch für ihn nicht Ausdruck eines unbändigen Vitalismus, sondern für die Gebundenheit des Gewissens an Gott. Das Volk verbindet sich in unerschütterlicher Solidarität, die sich über alles Privatisieren hinwegsetzt, weil das Volk von Führer und Führung zusammengehalten wird. Diese Einheit ist jedoch nicht das Diktat einer Macht, sondern die freiwillige Hingabe fügt sich unter die notwendige und gebietende Zucht. Alle liberalistisch und abstrakt verstandene Freiheit ist abgelöst durch eine Bindung, die dem Einzelnen den Rahmen seiner Identität gibt, innerhalb dessen er seine Freiheit sinnvoll verwirklichen kann. Freiheit und Verantwortung stehen in einem notwendig spannungsgeladenen Verhältnis zueinander. Durch Zucht und Ordnung gelangt das Volk zu einer verschworenen Einheit, getragen von einem organischen Willen: „Hier bricht in der uns eigentümlichen politischen Form unmittelbar etwas durch, was aus dem religiösen Verwurzeltsein unsrer Geschichtswende im Bewußtsein der heiligen Grenze quillt. Daß Führer und Volk zueinander finden und einander verstehen, das ist eine freie Gabe Gottes, der die geschichtliche Stunde wirkt. Insofern hat unsre politische Form eine Geschichtlichkeit, die unverfügbar ist." 8 7 Die selbstaufopfernde Solidarität wird hier zu einem sehr konkreten täglichen Vollzug. Hirsch versucht dies zu einer Perspektive zu erweitern, die ein ganz neues Bild vom ganzen Verhältnis zwischen Universität und Gesellschaft ergibt. Die Schranken zwischen Akademikern und Arbeitern sind niedergebrochen, jubelt er, damit müßten die Professoren und Studenten Ernst machen und nun auch ζ. B. in die SA oder die SS eintreten 88 . In diesem Zusammenhang ist denn auch Hirschs Tätigkeit - zusammen mit Karl Fezer und Helmut Kittel - in einem Ausschuß für die Reform der theologischen Ausbildung zu sehen, der darauf bedacht war, daß „die jungen Theologen mit allen Schichten des Volkes in Berührung kommen sollen. Der Dienst in der SA und das Arbeitslager sollen auch für sie zur allgemeinverbindlichen Erziehungsform werden" 8 8 '. Das Verständnis des Gesetzes Im Lichte dieses Erlebnisses der Volksgemeinschaft erhält das Verständnis des Gesetzes einen besonderen Charakter und eine besondere Bedeutung. Das Gesetz ist sozusagen das Prisma, durch das sich die Ebd., S. 6 4 ; vgl. auch Kirchliches Wollen, 1 4 - 1 7 . Vgl. Gegenwärtige Lage, S. 5 4 - 5 9 ; Weg des Glaubens, S. 55 ff. 8 8 " Vgl. J K 2, 1934 S. 203.
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gegebene Wirklichkeit in ihrer ethischen Vollmacht in die Existenzbedingungen des Einzelnen reflektiert. Dies bedeutet, daß das Gesetz zunächst als eine natürliche Größe erscheint. Hirsch bezeichnet es denn auch oft als „volklich-staatlich" oder „natürlich-geschichtlich" 89 . Dann wird das Gesetz aber auch als die ethische Instanz gesehen, die den innersten Sinn und Grund des Daseins widerspiegelt und aller Willkür entzogen ist, weil sie dem Leben vorgegeben ist. Aus diesem Grunde beansprucht sein Gebot absolute Gültigkeit: „Alles Uberlegen und Prüfen und Wählen, alle Entgegensetzung und Widerspannung, alles letzte In-Frage-stellen ist fruchtbar nur innerhalb von ethisch und religiös bestimmter volklich-staatlicher Gemeinordnung und Gemeingeistigkeit, die der Erörterung und dem Streit entzogen bleibt." 90 Wenngleich das Gesetz also den Charakter eines unabwendbaren Schicksals im positiven Sinne hat, ist es dennoch nicht statisch. Seine Gestalt ist nicht ein für alle Mal gegeben. Vielmehr muß es sich ständig in elastischer Anpassung an die geschichtlichen Bedingungen verwirklichen. Das Gesetz ist zugleich „über uns verhängt" und auf ständiges Werden angewiesen in einer Dialektik zwischen Vorgegebenheit und ständiger Aktualisiserung. Es bindet den Einzelnen an die organische Ganzheit des Volkes, der damit zugleich einem Kollektiv angehört und an seinen Verpflichtungen als verantwortliches Einzelindividuum in dem gegebenen Zusammenhang festgehalten wird. Auch nachdem sich der biologisch-völkische Aspekt bei Hirsch nach 1933 deutlich in den Vordergrund schiebt, erscheint eine individualisierende Ethik der Entscheidung - in deutlich kierkegaardschem Gewände - als ständiges Gegengewicht 91 . Schließlich ist auch zu betonen, daß das Gesetz trotz seiner Gebundenheit an die natürliche Idealität stets unter deutschem Gesichtswinkel gesehen wird. Es wird dadurch nicht nur mit Kategorien der Absolutheit versehen, sondern es stellt den verborgenen Souverän dar, d. h. es reflektiert den Willen Gottes, es ist daher notwendigerweise sowohl „germanisch" als auch „christlich", und beides zur gleichen Zeit. Im Gesetzesbegriff zeigt sich für Hirsch besonders prägnant die Paradoxalität der ethischen Grundgegebenheiten, denn er ist an das dialektische Verhältnis zwischen natürlicher Idealität und Offenbarung gebunden 92 . 89 Ζ. B. Gegenwärtige Lage, S. 28, 49 und 71 ff. Dem entspricht, daß Hirsch gleich nach der historischen Wende 1933 die theologisch grundlegende Forderung erhebt, einen angemessenen Begriff des Natürlichen zu entwickeln. Dabei stimmt er ausdrücklich der Maxime Wilhelm Stapels zu, daß jedes Volk seinen staatlichen Nomos haben müsse (Kirchliches Wollen, S. 12). 9 9 Gegenwärtige Lage, S. 28. 8 1 Besonders deutlich ebd., S. 50-52; vgl. auch Offenbarungsglaube, S. 35-37. , 2 Ebd., S. 60 f. und 69 f.; vgl. auch Vom verborgenen Souverän, bes. S. 7 und 11.
Hirschs Anteil am Kampf für die nationale Erhebung Das Verständnis
des Alten Testaments
und des mosaischen
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Gesetzes
Hirsch vertritt die These, daß sich die lebendige Wirklichkeit Gottes sowohl im Menschlich-Geschichtlichen als auch im Evangelium kundtue. Er versteht diese These als Weiterführung eines genuin lutherischen Anliegens gegenüber der katholischen, angelsächsischen und reformierten Häresie. Daß ein so heftiger Streit über das Alte Testament ausbrechen konnte, hat für Hirsch seine Ursache darin, daß die lutherische Unterscheidung zwischen Gesetz und Evangelium nicht genügend deutlich zur Geltung gebracht worden war. Statt dessen seien viele der barthschen Theologie darin gefolgt, daß sie die natürliche Idealität außer Betracht gelassen und im Alten Testament nicht zwischen seiner menschlichen und göttlichen Seite unterschieden hätten 93 . Hirsch betont jedoch auch die geistige Einheit zwischen den beiden Testamenten. Ausgehend von der Theologie Luthers, sieht er im Glauben die einzige Voraussetzung für die rechte Unterscheidung zwischen den beiden Testamenten. Deshalb erteilt er jeglicher Autonomisierung der jüdischen Gesetzesreligion den Christen gegenüber eine Absage, denn dies führe augenblicklich zu humanisierender Selbstherrlichkeit. Für den Christen habe die äußere Gerechtigkeit des Gesetzes eine ganz neue Dimension erhalten, die irdisches Glück im Lichte der Gnade des Evangeliums erscheinen lasse. Andererseits dürfe man deshalb auch nicht die Nachfolge Jesu gegen weltliche „Gefolgschaft" ausspielen94. Von hier aus ist der Versuch Hirschs zu sehen, der neugermanischen „artgemäßen" Religion der „Ehre" auf halbem Wege entgegenzukommen. Er lehnt diese Anschauung dann ab, wenn sie einseitig und unnuanciert vertreten wird. Er beruft sich auch hier auf die Grundhaltung Luthers. Hirsch begnügt sich nun aber nicht damit, mit Luther das mosaische Gesetz als positiv d. h. als historisch bedingt zu beurteilen. Teilweise versucht er auch, die altgermanischen Haupttugenden wie Ehre und Gefolgschaft mit dem Evangelium zu vereinen. Die bedingungslose Rechtfertigung stellt er neben die Tatsache, daß nach germanischem Denken auch Ehre und Heldenmut nicht naturbedingt sind. Das Evangelium spreche nicht in einen luftleeren Raum, sondern gebe dem Menschen den freien Gebrauch des Gesetzes zurück. Genauso schärfe und läutere die Gnade die Ehre, die alle 93 Vgl. Stellung zum alten Testament, S. 20; Deutsches Volkstum, S. 15; vor allem aber Das Alte Testament und die Predigt des Evangeliums. Vgl. dazu C. NICOLAISEN, Stellung der „Deutschen Christen" zum Alten Testament, S. 197 ff., über Hirsch S. 203-207. 94 Deutsches Volkstum, S. 21. Vgl. auch die Thesen „Gottes Offenbarung in Gesetz und Evangelium" (K. D. SCHMIDT, Bekenntnisse 1935, S. 37 ff.).
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Die Jahre 1931-1934: Beginnende Entfremdung
Deutschen in ihrer gegebenen Wirklichkeit zusammenbinde 95 . Es sei deshalb verfehlt, eine ausschließliche Alternative zwischen „artgemäß" und „artfremd" aufzustellen. Zwar spricht Hirsch davon, daß die christliche göttliche Wirklichkeit im Anstoß des Kreuzes über das Blut hinausreiche, denn sie widerspreche jeglicher menschlicher Eigenmächtigkeit. Deshalb rede Gott nicht innerhalb der natürlichen, politischen deutschen Wirklichkeit, sondern er spreche von außen in sie hinein, er rede durch sie96. Dennoch ist der Grundton in Hirschs Erörterung des Verhältnisses zwischen Gesetz und Evangelium nicht nur diese spannungsvolle Dialektik, sondern außerdem ein idealisierendes Denken, nach dem das Evangelium eine läuternde Heiligung gewährt, die zu einem „mannhaften Glauben" führt 97 . Hirsch folgt den radikalen Deutschen Christen in deren pauschaler Ablehnung des ganzen Alten Testaments nicht. Dennoch ist für ihn die Unterscheidung zwischen Gesetz und Evangelium für den Glauben nur lebendig, wenn der Mensch sich zuvor an seinen Ort in Volk und Geschichte gestellt weiß, so wie dies in der „nationalen Bewegung" lebendig vor Augen gestellt worden sei. Motiviert von der Forderung der Situation, müsse man sich von der Antwort des Evangeliums auf die gegebene Wirklichkeit treiben lassen. Hirschs Lösungsversuch im Streit um das Alte Testament ist also dadurch bedingt, daß für ihn selbst zwischen dem Wunsche der nationalen Bewegung nach lebendiger Volksgemeinschaft und der Antwort ,5 Deutsches Volkstum, S. 18 und 25: „Die Christenehre läutert und schärft uns die Ehre, die als Deutsche uns bindet in Freiheit. Evangelischer Glaube wird, wo er echt ist, eine Zucht und Festigung des Charakters, eine Lösung der Mannhaftigkeit aus den Banden allzumenschlicher ehregefährdender Ehrfurcht, eine Freiheit von Angst und Vorurteil zu selbständiger Tat". Damit ist auch deutlich, daß sich Hirschs Gesetzesverständnis auf zwei Ebenen bewegt. Teils ist vom Gesetz im alttestamentlichen Sinne die Rede. Hier, das geht aus Äußerungen im Verlauf des Kirchenkampfes 1936-37 hervor, lehnt Hirsch das mosaische Gesetz als einen Tauschhandel ab. Zum andern ist vom Gesetz im germanischen naturrechtlichen Sinne die Rede. Hier integriert Hirsch in steigendem Maße diese germanische Version einer lex positiva in seine theologische Dialektik zwischen Gesetz und Evangelium. M Ebd., S. 12 f. und 31 ff. • 7 Ebd., S. 18-20. Hirsch spricht von einer „Hinaufdeutung" des AT ins N T (Stellung zum alten Testament, S. 23). Später spitzt sich sein Verständnis des Verhältnisses von AT zu N T sehr zu: „Das Urteil, das Jesus über das Alte Testament gefällt hat, begreift in sich eine leidenschaftliche Abstoßung der Grundlagen und Grundvoraussetzungen der alttestamentlichen Weise des Gottesverhältnisses. Damit ist Jesu Hinnahme des Alten Testamentes als des ihm durch Gott gefügten geschichtlichen Bodens seiner Sendung deutlich unterschieden von jeder Anerkennung des Alten Testaments als verbindlicher Gottesoffenbarung". Deshalb lehnt Hirsch nun die altkirchliche Verwendung des Alten Testaments als eines heiligen Buches für die Christen ab und fordert statt dessen ein neues Verständnis des AT (Jesus und das Alte Testament, S. 841 und 843 f.).
Hirschs Anteil am Kampf für die nationale Erhebung
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und der neuschaffenden Kraft des Evangeliums eine totale Interessengleichheit besteht. Hier scheint die dialektische Paradoxalität zwischen „Volkstum" und der Offenbarung in ihrer Transzendentalität oft verschwunden zu sein, jedenfalls ist sie sehr abgeschwächt. Das Paradox ist zu einem spannungslosen perpetuum mobile geworden. Eine weltfremde Askese oder ein einseitiger Antinomismus würden für Hirsch ganz den Ausgangspunkt außer acht lassen, an dem er unverrückbar festhält und der für ihn die Prämisse für sein theologisches Denken in der neuen gesellschaftlichen Situation ist: daß nämlich die nationale Bewegung offen sei für die „letzten Fragen", daß sie „gotthörig" sei, getragen vom Evangelium 98 . Der Streit um den
Arierparagraphen
Seine ersten Voten in diesem Streit gab Hirsch bereits im Spätsommer 1933 ab, als die Einführung des Arierparagraphen in der Kirche zu explosivem Sprengstoff zu werden drohte, nicht zuletzt wegen der Kritik aus dem Ausland. Politisch gesehen bestand für Hirsch 1933 kein Zweifel daran, daß der Staat selbstverständlich das Recht und die Pflicht habe, einen gesetzlichen Rahmen für die kirchliche Gesetzgebung zu schaffen, hierunter natürlich auch über die Besetzung von Pfarrstellen. Wenn in diesem Zusammenhang von politischen Maßnahmen gegen Juden die Rede war, die öffentliche Ämter bekleideten, so war es für Hirsch eine unmittelbar einleuchtende politische Verpflichtung, daß der Staat auch in der Kirche einschreiten müsse, schon deshalb, weil ja die neue Volkssolidarität ihre Wurzeln in der Blutsgemeinschaft hatte: „Wenn der Staat jetzt bei denen, denen er Führungsgewalt und Amtsgewalt im Großen und Kleinen anvertraut, nach dem Blute fragt, so ist er dabei bestimmt durch die Härte und Schwere der großen Aufgabe, die er lösen will. Die Neubildung deutscher Volklichkeit und Staatlichkeit kann nur aus den Tiefen des Volkstums heraus gelingen, und der Staat muß sich auf die Menschen, mit denen er sie vollzieht, bis ins Letzte verlassen können. Verlassen kann er sich aber nur auf solche Menschen, bei denen die Treue zum Staate des deutschen Volkes auf letzten vorbewußten Bindungen in der Wurzel der natürlichen Existenz beruht - dem Blutbunde des deutschen Volkes." 9 9 Hirsch 9 8 Deutsches Volkstum, S. 7 f. und 38 ff. In dieser Abhandlung behauptet Hirsch, das preußische Ethos sei vom Liebesethos des Evangeliums abgeleitet, und die Begegnung mit Gott in Volk und Geschichte schaffe die Fähigkeit, sich dem Evangelium zu beugen. Es sei ein und derselbe Gott, dem man hier und im Worte Gottes begegne, es handele sich beide Male um dieselbe Verantwortung. 9 9 Arier und Nichtarier, S. 18 f. Hirsch behauptet, Sprachgemeinschaft und formale Staatsbürgerschaft begründeten kein unverlierbares Recht. Gerade die vergeb-
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Schjerring, Geismar/Hirsch
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betont jedoch, man dürfe aus dieser politischen Notwendigkeit kein metaphysisches Prinzip machen. Wie alle anderen Fragen der Verfassung und Gesetzgebung sei dies eine Frage der politischen Zweckmäßigkeit. Es gehe darum, der „Not der Stunde" zu gehorchen, solche Fragen dürften aber nicht zu „letzten Unterschieden vor Gott" werden. Entscheidend ist für Hirsch deshalb, daß die Juden als ein fremdes Volk anzusehen seien100. Andererseits müsse er genauso energisch die Auffassung zurückweisen, nach der eine schwärmerische Argumentation es geradezu zu einer göttlich sanktionierten Forderung mache, daß um jeden Preis Juden als Pfarrer in christlichen Gemeinden anzustellen seien101. In seinem Votum zur kirchlichen und theologischen Tragweite des Problems wendet sich Hirsch gegen jede Form von Rigorismus. Für ihn gibt es nur einen christlichen Stand über Rasse, Volk und Sprache hinweg. Wer die Berechtigung der Abendmahlsgemeinschaft zwischen nicht-arischen Christen und Ariern bestreite, habe so wenig vom Wesen des christlichen Glaubens verstanden, daß man ihn ganz außer acht lassen sollte. Hirsch empfiehlt denn auch ein maßvolles Verhalten gegenüber den nicht-arischen Pfarrern, die jetzt ihr Amt zur Zufriedenheit aller verwalten würden, und er wendet sich gegen eine liehen Assimilationsversuche vergangener Generationen hätten die Notwendigkeit demonstriert, an der Unverletzbarkeit der Volkszugehörigkeit festzuhalten: „Deutschland war 1932 weitgehend unter die Herrschaft eines fremden Volkes geraten. Das Offenbarwerden dieser Tatsache der Fremdherrschaft ist das endgültige Ende der Assimilation geworden" (Theologisches Gutachten, S. 182). Wie Hirsch selbst anführt, stammt die Grundlage dieses Aufsatzes aus einem Votum, das er am 7 . 1 0 . 1 9 3 3 der Reichskirchenleitung zustellte und danach in der vorliegenden revidierten Form veröffentlichte. In einem Brief an Theodor Heckel vom 1. 6.1934 weist Hirsch selbst auf dieses Votum hin, das geeignet sei, ausländischen Persönlichkeiten entgegengestellt zu werden, die sich in der Arierfrage geäußert hätten (AEKD, D 1/35). Theologisches Gutachten, S. 183-185 und 194. Ebd., S. 196. Dem entspricht, daß Hirsch sich in einem anderen Votum gegen ein Gutachten der Theologischen Fakultät Kiel wendet, das vom reformatorischen Kirchenrecht her das Recht der Gemeinden behauptet hatte, auf der Grundlage des Bekenntnisses Irrlehren und Irrlehrer zu bekämpfen. Dem widerspricht Hirsch unter Aufbietung des gesamten reformatorischen Lehrkorpus, dessen pathetische Anwendung sich hier nur aus der Leidenschaft erklären läßt, mit der Hirsch die Auseinandersetzung führt. Im Gegensatz zur Kieler Fakultät ist für Hirsch das wichtigste, daß der Staat das Recht habe, einen Pfarrer abzusetzen wie jeden anderen Beamten (Zum Gutachten der Kieler Theologischen Fakultät - unterschrieben: A sinceritatis theologiae amantissimo, datiert vom 13. 11. 1933 S. 120 ff.). Vgl. auch die Definition: „Das Pfarramt ist also ein äußerliches menschliches Amt in einer kirchlichen Volksordnung, das in dem gleichen dialektischen Verhältnis zum wahrhaften Priestertum mit wahrhafter Berufung steht, in dem die volkskirchliche Ordnung zu der Gemeinde Jesu Christi steht" (Theologisches Gutachten, S. 192). 100
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Hirschs Anteil am Kampf für die nationale Erhebung
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summarische Aufteilung in arische und jüdisch-christliche Gemeinden ohne Rücksicht darauf, was in der konkreten Situation angemessen erscheint. Wo in den Gemeinden jüdische Christen seien, und ganz besonders wo es sich um Halbjuden handele und dies nicht zu Unruhe führe, dort solle man nicht einschreiten. Für die Zukunft empfiehlt Hirsch bei der Auswahl neuer Pfarrer, die Mitgliedschaft in der nationalsozialistischen Studentenorganisation als Kriterium in Betracht zu ziehen. Damit sei eine zuverlässige Kontrolle gewährleistet gegen das Einschleusen von Pfarrern mit falscher politischer Einstellung und zugleich nicht-arischem Blut. Hirschs Plädoyer für ein verhältnismäßig mildes Vorgehen hatte also nicht nur theologische Gründe, sondern geschah auch erklärtermaßen aus Gründen der politischen Opportunität, denn Hirsch vermutete, daß es sich nur um wenige Einzelfälle handelte. Es lohne sich deshalb nicht, diese Frage angesichts der zu erwartenden Proteste aus dem In- und Ausland zu einem großen Problem zu machen, indem man allzu drastisch vorgehe102. Später in den dreißiger Jahren wurde Hirschs Einstellung jedoch radikaler. Er hielt nicht nur verstärkt an der Vollmacht des Staates fest, Maßnahmen zur Sicherung der Reinheit des Volkslebens zu ergreifen. Er führte auch theologische Gründe ins Feld, um den Gottesdienst von allen jüdischen Elementen zu reinigen. So war er an dem Versuch der Deutschen Christen in Bremen beteiligt, jüdische Namen und Begriffe aus dem Gesangbuch zu tilgen. Die Frage des
Bekenntnisses
Für Hirsch war die „Bekenntnisfront" von Anfang an einer langen Reihe von theologischen Fehlern verfallen. Der verhängnisvollste dieser Fehler war ihre Bekenntnisorthodoxie. Auch für Hirsch war es zwar ganz entscheidend, seine theologische Konzeption als eine Weiterführung des reformatorischen Ansatzes zu verstehen, aber er lehnte die Auffassung vom Bekenntnis, die sich in der Barmer Erklärung niederschlug, kompromißlos als eine verhängnisvolle Verdrehung der Theologie Luthers ab 103 . 102 Arier und Nichtarier, S. 19; Theologisches Gutachten, S. 185 f. und 195 f. Gleichzeitig behauptet Hirsch, daß das Heimatrecht christlicher Juden in Bezug auf die Gemeinde- und Sakramentsgemeinschaft nirgendwo in Deutschland in Zweifel gezogen worden sei, und wendet sich scharf sowohl gegen die ausländischen Reaktionen als auch die inländische kirchliche Opposition: „Eben darum hat die Kirchenleitung auch Recht, Gehorsam im Sinne des Verzichts auf Opposition und auf falsche Angriffe zu fordern" (Theologisches Gutachten, S. 194 und 197. Die gedruckte Bearbeitung des Artikels ist datiert vom Mai 1934). 108 Offenbarungsglaube, S. 27. Vgl. auch folgendes Zitat: „Was mich an den Kirchenkämpfern hüben und drüben so wundert, das ist, daß sie in ihrer Haltung so wenig von diesem letzten Angefochtensein des geschichtlich Handelnden verraten.
13*
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Die Jahre 1931-1934: Beginnende Entfremdung
Wie zu Luthers Zeiten müsse das A und O der Glaube an die freie Gnade Gottes und ihre neuschaffende Kraft sein. Für Hirsch gehört es zum Wesen des Glaubens, daß er in Freiheit konkrete Gestalt gewinnt, denn er ist ohne kleinliches Schielen auf Vorbedingungen geschenkt. Die Gemeinschaft der Gläubigen ist geistlich und unsichtbar, denn die Freiheit wäre in dem Augenblick korrumpiert, in dem man die geistliche Einheit zu einer manifesten Größe degradierte. Hieraus ergibt sich eine grundlegende Unterscheidung zwischen der Absolutheit der Offenbarung und der konkreten Nachfolge des Einzelnen und seiner ebenso relativen und subjektiven Gestaltung des Glaubens zu einem Bekenntnis 104 . Das Bekenntnis könne deshalb nie etwas anderes oder mehr sein als ein höchst menschliches Wagnis. In Barmen aber hätten die „Bekenntnispäpste" es zu der einzigen Quelle der Verkündigung gemacht und sich damit definitiv der Möglichkeit begeben, dialektisch zwischen göttlicher Anrede und menschlicher Auslegung zu unterscheiden. Diese neue Barmer Bekenntnisorthodoxie stelle deshalb einen gefährlichen Fundamentalismus in neuem Gewand dar, denn sie diktiere sterile Repristinierung und berufe sich auf absolute Autorität, wo im Namen der Wahrheit nur von Auslegung in Freiheit die Rede sein könne, behaftet mit menschlicher Fehlbarkeit und Unsicherheit. Eine äußerst unglückliche Folge dieses Bekenntnisverständnisses sieht Hirsch darin, daß damit die Möglichkeit einer dynamischen Wechselwirkung zwischen der Offenbarung und den „letzten Fragen" blockiert wird, die sich innerhalb des natürlich-geschichtlichen Menschenlebens eröffnen 105 . In letzter Konsequenz werde so durch ein Sie haben allesamt in dem Vollzug des Auftrags, auf den sie sich berufen, eine sehr merkwürdige Unerschütterlichkeit. Sie wagen nicht, sie exekutieren das zweifellos Richtige" (Weg der Theologie, S. 87). 1 0 4 Vgl. Weg des Glaubens, S. 11, 15 und 20 (dies ist am 1. und 3.6.1934 geschrieben, also als unmittelbare Reaktion auf die Barmer Synode). Später gab Hirsch folgende Definition über das Wesen des Bekenntnisses: „Es ist die freie Bewegung des sich Gott übergebenden Glaubens und hat mit Lehrsätzen und mit liturgischen Formen kein anderes inneres oder äußeres Verhältnis als das Gebet" (Christliche Freiheit und politische Bindung, S. 82-88; wieder abgedruckt bei K . D. SCHMIDT, Bekenntnisse 1935, S. 40-44). Vgl. auch Weg der Theologie, S. 40-51; Gegenwärtige Lage, S. 144-146). 1 0 5 „Theologische Lehre, die führt, stellt die Verkündigung in den Strom des lebendigen volklich-staatlichen Geschehens mitten hinein" (ebd., S. 138; im Original hervorgehoben). Dem entspricht, daß Hirsch immer die notwendige Dialektik zwischen Logos, d.h. „echte Weltanschauung", und Nomos, „echte Lebensordnung", betont ( z . B . Christliche Freiheit, S. 80 f.; Offenbarungsglaube, S. 38; Deutsches Volkstum, S. 40-42). Aus demselben Grund kann Hirsch auch sagen: „Mir ist ein mit Ketzerei behafteter theologischer Barbar, der das dank seinem schlechten Gewissen weiß [daß allein Christus der Herr ist und daß das Bekenntnis relativ ist], trotz allem, womit er mich ärgert, weniger ferne vom Reich Gottes als ein
Hirschs Anteil am Kampf für die nationale Erhebung
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Machtwort der freien Entfaltung der theologischen Diskussion ein Riegel vorgeschoben. Nolens volens führe das zu einem Papismus, der reformatorischen Gemeinden schlecht anstehe106. Auch wenn Hirsch mit dieser Kritik scharfsinnig einen schwachen Punkt in der Theologie der Bekennenden Kirche getroffen hat, so zeigt sich doch bald, daß es ihm in seiner Kritik der Bekenntnisorthodoxie letztlich nicht um theologische, sondern um rein kirchenpolitische Machtfragen geht: die Zerschlagung des überkommenen Landeskirchentums zu Gunsten einer politisch dem neuen Staat treu ergebenen Reichskirche. Dies wird auch deutlich in seinem theologischen Beitrag zu den Vorarbeiten für die Nationalsynode vom August 1934 „Über Kirche und Bekenntnis", der dem Verfassungsausschuß auf zwei Sitzungen vorgelegt und dann veröffentlicht wurde 107 . Erneut betont Hirsch hier, daß es die ganz legitime Befugnis der „Reichskirchenleitung" sei, die äußere Ordnung der Kirche zu regeln, zumal Bekenntnis und Kultus nicht berührt würden. Ein Festhalten an dem traditionellen Landeskirchentum allein unter dem Hinweis auf altehrwürdige Tradition sei sinnlos, da es im Widerspruch zu der neuen politischen Lage und zum Willen des Kirchenvolkes stehe108. Hirsch lehnt ein undifferenziertes Uberbordwerfen jeglicher Tradition nachdrücklich ab. Dies sei nur der aussichtslose Versuch, über seinen eigenen Schatten zu springen, und zudem sachlich nicht gerechtfertigt. Dennoch sollte man sich nicht so kleinlich an territorialer Autonomie, an Sonderbekenntnissen, hierarchischen Machtpositionen usw. festklammern und dadurch die eigentliche Aufgabe versäumen: unter der Führung der Reichskirche „ein gemeinsames Haus von gemeinsamer Prägung und Haltung" aufzubauen 109 . Wenn recht unterschieden werde zwischen dem politischen Charakter der äußeren Ordnung und den damit verbundenen Verpflichtungen einerseits und der eigentlichen Identität der Kirche andererseits, dann könne diese übergeordnete Aufgabe erfüllt werden, ohne daß dadurch reformierte oder lutherische Sonderbekenntnisse aufgelöst werden müßten. Dies bekenntnistreuer durchgebildeter Theolog, der das vergessen hat" (Weg des Glaubens, S. 21; vgl. auch Gegenwärtige Lage, S. 136; Etwas vom Ärgernis, S. 165— 171). 106 Christliche Freiheit und politische Bindung, bes. S. 87 f. 107 Beilage zum Gesetzblatt der D E K 1934 (K. D. SCHMIDT, Bekenntnisse 1934, S. 107-114). Vgl. auch H . - J . REESE, Bekenntnis und Bekennen, bes. S. 322-325. Zur Sitzung des Verfassungsausschusses vgl. K. MEIER, Kirchenkampf I, S. 211— 215. 108 Uber Kirche und Bekenntnis, S. 1. Im selben Gutachten warnt Hirsch vor dem Grundschaden, den er für ein bedauerliches Erbe deutscher Tradition hält, „geschichtliches, verantwortliches Handeln dadurch zu zerstören, daß man es in das Scheidewasser rein abstrakter Grundsätzlichkeit taucht" (S. 5.). 109 Ebd., S. 4.
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Die Jahre 1 9 3 1 - 1 9 3 4 : Beginnende Entfremdung
ist für Hirsch nicht nur ein Argument für die Durchführbarkeit einer Reichskirchenordnung, sondern auch Ausdruck seiner tiefen Uberzeugung, daß die innere deutsche Gemeinschaft und der Zusammenhalt quer durch die Sonderkonfessionen tiefer wurzeln als ζ. B. die Verwandtschaft zwischen deutscher, anglikanischer oder französischer reformierter Theologie und Kirche. Den traditionsbedingten Unterschieden des Bekenntnisses wird also ein verhältnismäßig freier Spielraum gewährt. Dennoch ist es für Hirsch selbstverständlich, daß das Luthertum dominieren müsse, schon allein dadurch, daß der Reichsbischof Lutheraner ist und weil „das Luthertum als Träger des reformatorischen Christentums in Deutschland zu gelten hat und in seiner konkreten geschichtlichen Art viel stärker und ausschließlicher von Deutschen geformt und entwickelt worden ist als das Reformiertentum" 1 1 0 . Kirchenverfassung
und Begründung
des kirchlichen
Amtes
All diese Argumentationsreihen vereinigt Hirsch nun in seiner politischen und theologischen Begründung für die Verfassung der Reichskirche und des Amtes der Verkündigung. Es ging ihm um die aktuelle Anpassung der Kirchenordnung an die neue politische Lage. Wesentlich war für Hirsch dabei die Besinnung auf das reformatorische Erbe, die Unterscheidung von Gesetz und Evangelium. Aber auch die politische Begründung war für ihn von entscheidender Wichtigkeit: Der äußere ordnende Rahmen um das geistige Wesen der Kirche sollte nach praktisch-politischen Richtlinien gestaltet werden. Das hatte freilich zur Voraussetzung, daß der Staat offen war für die geistigen Triebkräfte, die allein eigentliche Inspiration und Legitimation der politischen Ordnung im Ganzen seien. Deshalb könne man auch im neuen nationalsozialistischen Staat, wenn es um die Frage der Kirchenordnung gehe, nicht so tun, als sei nichts geschehen. Zu keinem Zeitpunkt hat Hirsch daran gedacht, die geistliche Identität der Kirche anzutasten. Er glaubte auch nicht, daß irgendein politischer Wille in dieser Richtung existierte, der eine ernsthafte Bedrohung hätte darstellen können. Deshalb betont er die Unsichtbarkeit der Kirche, die durch äußere Manipulationen nicht angetastet werden könne. Das Amt der Verkündigung sei zudem eine Funktion des Evangeliums. Insoweit habe die Bekennende Kirche recht; Hirsch fügt aber sogleich hinzu, hier werde dieser Gedanke so einseitig und fanatisch überbetont, daß dadurch die ganze Sache verdreht werde 111 . Ebd., S. 10. Vgl. auch Weg der Theologie, S. 46 f. Gegenwärtige Lage, S. 149; vgl. auch die Denkschrift „Ober das grundsätzliche Verhältnis von evangelischem Christentum und politischer Bewegung", in 110 111
Hirschs Anteil am Kampf für die nationale Erhebung
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Aber gleichzeitig meint Hirsch nun, der Staat könne die Ordnung und Verwaltung der Kirche der politischen Gewalt unterstellen112. Ja, Hirsch läßt seine Argumentation in die fast beschwörende Behauptung einmünden, wenn man diese Unterscheidung von sichtbarer und unsichtbarer Kirche nicht vornehme und an der dialektischen Zusammengehörigkeit dieser beiden Pole mitten in ihrer Verschiedenheit nicht festhalte, dann schwäche man die Durchschlagskraft des Evangeliums angesichts der geschichtlichen Wirklichkeit. Auf diese Weise wird eine politische Aufsicht über die äußere Gestalt der Kirche gerechtfertigt. Und diese hat nun nach Hirsch in einer solchen Weise zu geschehen, daß sie die durchgreifenden Veränderungen berücksichtigt, die sich seit der nationalen Erhebung vollzogen haben. Schon seit April-Mai 1933 war Hirsch davon überzeugt, daß das Landeskirchentum theologisch wie rechtlich nicht zu rechtfertigen und angesichts der gerade gewonnenen organischen Einheit des Volkes unhaltbar geworden sei. In diesem Lichte erschien der Hirsch die ganz souveräne „Eigenständigkeit" der Kirche betont (K. D. SCHMIDT, Bekenntnisse 1934, S. 114 ff.; U. D U C H R O W / W . H U B E R , Ambivalenz der Zweireichelehre, S. 57 ff.). Vgl. dazu auch Weg des Glaubens, S. 38 ff.; Amt der Verkündigung, S. 239-250. 112 Gegenwärtige Lage, S. 146 ff. - Hirsch betont, es lasse sich keine ewig gültige kirchenrechtliche Praxis herausdestillieren, die Rechtsgrundlage müsse vielmehr ständig den wechselnden historischen Gegebenheiten angepaßt werden (Weg des Glaubens, besonders deutlich S. 41). Vgl. auch folgendes Zitat: „Die kirchliche Ordnung [trägt] unbeachtet dessen, daß sie dem Ewigen dient, eine äußerliche Gestalt, welche auch politischer Beurteilung unterliegt" (in der in Anm. 111 erwähnten Denkschrift, S. 12). Schon im Sommer 1933 hatte Hirsch noch deutlicher die staatliche Vollmacht unterstrichen: „Der Staat wird es sich niemals nehmen lassen, Verträge der Kirche mit ihm seiner eigenen souveränen Auslegung zu unterwerfen. Es liegt im Wesen des Staates, daß er über solche Auslegungen eine Schiedsinstanz über sich nicht anerkennt. Der Nationalsozialismus nimmt es, das ist seine Kraft und seine Stärke, als tödliche Beleidigung, wenn man seinem unbedingten Willen irgendeine Wand entgegenzustellen sucht" („Soll die evangelische Kirche einen Vertrag mit dem Reiche schließen oder nicht?"; AEKD, C 4/28). Vgl. auch die Wiedergabe eines Vortrages von Hirsch auf der ersten Hochschultagung der theologischen Arbeitskreise der Glaubensbewegung „Deutsche Christen" in Lüneburg vom 23.-24. Oktober 1933: „Professor D. Hirsch formulierte in seinem trefflichen Vortrag über .Staat und Kirche' die lutherische Lehre von den zwei Reichen so, daß diese Lehre nicht gebaut ist auf der Spannung zwischen Staat und Kirche, sondern auf der Freiheit im Ewigen und der Gebundenheit zum Dienst im Irdischen. Das Irdische ist der nationalsozialistische Staat, zu dem die lutherische Haltung sich neu finden muß. Es war eine der glänzendsten Formulierungen des ganzen Vortrages, daß Professor Hirsch die Eigentümlichkeit des nationalsozialistischen Staates als den Versuch darstellte, auf dem Boden einer technischen und rationalistischen Spätkultur die Urbildungen einer Jungkultur wieder herzustellen. Das evangelisch-lutherische Christentum habe in diesem Staat nur eine Möglichkeit der Gemeinsamkeit der Erziehung auf der Grundlage des kameradschaftlichen Verhältnisses zwischen staatlichen und kirchlichen Führern" (KViN 1, 1933, S. 90-93).
200
Die Jahre 1931-1934: Beginnende Entfremdung
es ihm nur ganz natürlich, daß das Führerprinzip auch in der Kirche eingeführt werden müsse, da ja die Ära der parlamentarischen Demokratie nun definitiv vorbei sei. Zudem sei die politische Vollmacht der neuen Reichskirchenleitung als eine natürliche Weiterführung einer altgermanischen Rechtsauffassung anzusehen, denn sie sei zugleich „öffentliche Gewalt, durch die allein eine öffentliche Ordnung wie die Kirche neu aufgerichtet werden kann und Getragensein vom Willen des Ganzen zu einer rechten christlichen Ordnung. Das Ganze ist von der germanischen Anschauung aus gedacht, gemäß der die Walter der Gemeinschaft eben in ganz selbständigem Walten doch als Vollzieher des gemeinsamen Willens gelten" 113 . Aber nicht nur kirchliches Führertum war für Hisch eine logische Konsequenz aus der neuen Staatsordnung und das Bischofsamt selbst nicht nur eine Institution von unbestreitbar lutherischer Herkunft, sondern die Person Ludwig Müllers war zudem Gegenstand von Hirschs großer Bewunderung. Und dies galt nicht allein für die ersten stürmischen Monate des Frühsommers 1933, noch 1934 bezeichnete Hirsch Ludwig Müller als „eine wirkliche kirchengeschichtliche Figur" 114 . Wenn Hirsch den Gedanken einer Reichskirche vorbehaltlos unterstützte, so setzte er dabei voraus, daß es allein Aufgabe des Staates sein könne, der Kirche bei den Übergangsschwierigkeiten eine helfende Hand zu reichen, bis der Weg zu einer neuen Ära gebahnt sei, die von Gemeinschaft und echter Kooperation geprägt sein würde. Es war deshalb nur folgerichtig, daß er auch die Forderung nach einem kirchlichen Amtseid unterstützte, die auf der Nationalsynode im August 1934 beschlossen wurde. Dies beweist einmal mehr, daß Hirsch in seiner politischen Überzeugung so unangefochten und entschlossen war, daß weder die zunehmende Verärgerung immer größerer kirchlicher Protestgruppen noch die steigende Unruhe im Ausland, darunter auch bei Geismar, etwas an seiner Haltung zu ändern vermochten. Vielmehr setzte er sich mit einem Gutachten für die Ein113
Weg des Glaubens, S. 43. Vgl. auch Kirchliches Wollen, S. 14-17. „. . . mit einer Gelassenheit und jener unbeirrbaren Kraft, mit seiner menschengewinnenden Güte fist er] eine Persönlichkeit von Führerrang" (ebd., S. 24; vgl. auch Weg des Glaubens, S. 36). Am 1 6 . 9 . 1 9 3 4 schrieb Hirsch an Regierungsrat Christiansen: „Ich bin in meiner inneren Stellung zum Reichsbischof dadurch erschüttert, daß ich sehe und erfahren habe, daß eigentlich keiner aus der Kameradschaft ihn für einen rechten und auf die Dauer tragbaren Reichsbischof innerlich hält" (Kopie im Nachlaß Kinder; AGKZG). Zur Position des Reichsbischofs im 114
Spätsommer
1934
vgl.
DOKUMENTE
II,
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L.
SIEGELE-WENSCHKEWITZ,
Nationalsozialismus, S. 190 ff.; J. CONWAY, Kirchenpolitik, S. 118 ff. In einem Brief an Geismar vom 2. 1. 1935 protestierte Hirsch offenbar gekränkt und entrüstet gegen die Behauptungen Geismars über das Zwangsregiment Müllers und seiner Mitarbeiter (RA KOPENHAGEN, N G Bd. 1).
Hirschs Anteil am Kampf für die nationale Erhebung
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führung des Amtseides ein. Amtseid war für ihn ein evidentes Zeugnis der notwendigen Dialektik zwischen der Verkündigung einerseits und der Verpflichtung des Pfarrers gegenüber der Gesellschaft andererseits, einer Verpflichtung, die dieser mit jedem anderen Staatsbeamten gemeinsam habe 115 . Die Theologie der „Bekenntnisfront" habe, so meint Hirsch, die kirchenrechtliche Folge, daß durch ein „neureformiertes Aussonderungskirchentum" Kirche und Gemeinden aus ihrem verpflichtenden Eingebundensein in die neue „volklich-politische Ordnung" entfernt würden. Diese Ordnung sei aber nun gerade organisch und allumfassend, sie schließe keinen Lebensbereich aus und sei unbedingt verpflichtend. Deshalb könne auch im kirchlichen Bereich keine „Aussonderung" geduldet werden. Die Barmer Synode als Institution stelle eine unzeitgemäße Nachahmung eines englischen neureformierten Parlamentarismus auf deutschem Boden im Bereich der Kirche dar, also eine Art Fremdkörper im Volksleben. Was Hirsch aber am meisten erzürnte, war die Auffassung vom Staat, die dem „Blendwerk der Bekenntnispäpste" zugrunde liege: Hier werde das Politische in einer Weise dämonisiert und verzerrt dargestellt, die erschreckend an die „Zersetzungszeit von 1918 bis 1933" erinnere. In unentschuldbarer Weise werde die religiöse Dimension der neuen politischen Ordnung verkannt: „Soll der Nationalsozialismus nicht mehr Erneuerung und Wendung des ganzen volklich-politischen Daseins von innen her, Ausrichtung der zu begründenden neuen rassischen Volksordnung von der Verantwortung vor dem Schöpfer aus, und damit Bruch mit dem ganzen Zeitalter des Säkularismus sein, - dann hätten wir ja 1933 nicht unsere Revolution erlebt, sondern einen bloßen Rausch." 116 Die Bekennende Kirche hatte also nach Hirsch kein sachliches Recht zu ihren destruktiven Protesten. Dennoch sah Hirsch in der kirchlichen Auseinandersetzung auch einen positiven Zug, und dies nicht etwa nur notgedrungen, weil er zur Kenntnis nehmen mußte, daß die Protestbewegung stark anwuchs. Er wies vielmehr allgemein darauf hin, daß eine geschichtliche Wende sich wegen der Eigenart der geschichtlichen Dynamik nicht im luftleeren Raum vollziehen, sondern sich nur durch Kampf durchsetzen könne. Er war davon über115 Wie aus einem Brief der Reichskirchenregierung an die württembergische Landeskirche vom 7. 9. 1934 hervorgeht (AGKZG, Nachlaß Kinder), war Hirsch beauftragt worden, ein Gutachten über den rechtlichen Status des Pfarramtes im Hinblick auf die Frage nach dem Diensteid auszuarbeiten. Das Gutachten findet sich in: AEKD, A 4/246. Vgl. dazu auch E. HIRSCH, Christliche Freiheit, S. 3 2 34. - Zur Lage in Württemberg vgl. G. SCHÄFER, Dokumentation III, S. 526 ff.; zur Frage des Eides A. GERLACH-PRAETORIUS, Kirche vor der Eidesfrage, bes. S. 61-67. 118 Vgl. Weg des Glaubens, S. 38, 48 und 50.
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Die Jahre 1 9 3 1 - 1 9 3 4 : Beginnende Entfremdung
zeugt, daß sich die Streitigkeiten um die Kirchenordnung später einmal als ein Sturm im Wasserglas entpuppen würden. Die Unruhe selbst aber war ihm als geschichtliches Phänomen wichtig. Sie bestätigte ihm einen wichtigen Aspekt seiner Geschichtsphilosophie: den existentiellen Irrationalismus. Geschichte war für ihn wesentlich Kampf, Entscheidung. Diesen Dezisionismus wandte er auf die konkrete Situation an: jeder geschichtliche Neubeginn sei Ergebnis einer entschlossenen Entscheidung, eines unwiderstehlichen Wagemuts, eines unbändigen Willens, etwas bislang noch nicht Erprobtes zu versuchen. Und dies war für Hirsch nicht nur das Kennzeichen jeder historischen Wende, sondern erwies sich zugleich als das innerste Wesen des Glaubens117. In den Jahren nach 1933 hat Hirsch unermüdlich und leidenschaftlich von der geschichtlichen Wende des Jahres 1933 gesprochen. Wir fassen deshalb noch einmal zusammen, wie sich diese Wende in der Theologie Hirschs niederschlägt. Hirsch hatte in der Weimarer Zeit nur materialistische Gottlosigkeit, Verrat an der deutschen nationalen Eigenart und Ehre, Auflösung des nationalen Zusammenhalts und intellektuelle abstrakte Selbstgenügsamkeit in akademischen Elfenbeintürmen gesehen. Dieses alles stand für ihn in scharfem Kontrast zu der durch Gott herbeigeführten neuen nationalen Erhebung. Das Erlebnis des Jahres 1933 hat in sein theologisches Denken stark eingegriffen, er hat den Beginn des neuen Systems intensiv durchlebt. Seinen Beitrag zu dem historischen Neubeginn versteht er als theologisch-wissenschaftliche Verarbeitung dieser spontanen Begeisterung. Deshalb schaltet er sich mit Gutachten in die Kirchenpolitik ein, verfaßt Schriften zur aktuellen Lage und größere Abhandlungen über die Theologie in der neuen Zeit. Dennoch stellt das Jahr 1933 in der Entwicklung Hirschs keinen absoluten Einschnitt dar. Weit wichtiger und von größerer Tragweite ist die Kontinuität seines Denkens, die bis in das Jahr 1914 zurückreicht. Was sich hier im Kern bereits abgezeichnet hatte, war dann ab 1930 mit der beginnenden Zuversicht auf eine politische Umwälzung verstärkt ans Licht getreten. 1933 übernahm Hirsch den nationalsozialistischen Rassegedanken und beteiligte sich aktiv an der Kirchenpolitik, gleichzeitig legte er aber auch Entwürfe vor, die die theologische Bedeutsamkeit der historischen Wende - die er nie bezweifelt hat - systematisch verarbeiten sollten. Von hier aus gesehen ist das Jahr 1933 bei Hirsch als ein Vollzug schon früher vorhandener Ansätze, als eine Erfüllung lange gehegter 117
Ebd., S. 5 1 - 5 3 ; Gegenwärtige Lage, S. 136 f.; Deutsches Volkstum, S. 41 f.
Hirschs Anteil am Kampf für die nationale Erhebung
203
Hoffnungen zu verstehen 118 . Die Zäsur von 1933 bedeutet also eine Radikalisierung schon zuvor existierender Wesenszüge im Denken Hirschs: des teils latenten, teils offen zutage tretenden Verwischens des Gegensatzes zwischen natürlicher Idealität und der Absolutheit des Evangeliums. Die entscheidende Frage ist nun: Inwiefern erscheint dieses durchgehende Problem nach 1933 in einem neuen Lichte? Jetzt wie auch schon zuvor geht es Hirsch darum, gegen eine Eigenmächtigkeit der natürlichen Idealität zu protestieren. Jegliches unmittelbare Reden von „Eigengesetzlichkeit" verbietet sich für Hirsch von selbst, denn innerhalb des Zeitlich-Geschichtlichen gibt es nichts, was nicht dialektisch auf das Ewige angewiesen wäre. Die Grundkategorie ist jetzt wie zuvor die „Heiligung" oder „Durchglühung" des Diesseitigen durch das Jenseitige. Dennoch findet eine fortschreitende Verwischung der Gegensätze statt. Der Begriff der Grenze, den Hirsch oft gebraucht, dient nun nicht mehr dazu, an der Dialektik zwischen Absolutem und Relativem festzuhalten, es zeigt sich vielmehr eine unkontrollierbare Übersteigerung im Denken Hirschs an, worauf wir schon früher gestoßen sind: die natürliche Idealität wird ab absurdum sublimiert. Hirsch legt seine Argumentation ständig darauf an, daß die reformatorische Dialektik zwischen Gesetz und Evangelium aktualisiert werden müsse119. Damit verleugnet diese Dialektik nicht, wie vor allem Barth in seinem Bannstrahl gegen lutherische politische Ethik anzunehmen geneigt ist, den Ansatz Luthers selbst. Die Entartung des lutherischen Ansatzes, die bei Hirsch zweifellos vorliegt, hat ihren Grund vielmehr darin, daß er das Politische nicht im relativen Bereich beläßt, sondern es durchdrungen sieht von pseudo-religiöser Mystifikation, die er häufig in Absolutheitskategorien beschreibt. So nennt er zum Bei118 Auch wenn G. SCHNEIDER-FLUME sehr richtig Hirschs Schriften von vor und nach 1933 einbezieht und sehr um Differenzierung bemüht ist, stellt sie m. E. seine „volksbiologische Geschichtsdeutung" nach 1933 zu sehr als einen Neuansatz dar (Politische Theologie, S. 154). Ich gebe vielmehr W. TILGNER darin Recht, daß er die Kontinuität bis zurück zum Ersten Weltkrieg politisch wie auch in Bezug auf die Lutherrenaissance als den wichtigsten Zug im Denken Hirschs ansieht (Volksnomostheologie, S. 136 ff.) Die Begriffssystematik M. LINDS wiederum abstrahiert allzusehr vom historischen Verlauf im Denken Hirschs (Kristendom, S. 34 ff.). Ich halte es für methodisch wichtig, daß man das Bemühen Hirschs, eine zeitbedingte Theologie zu schaffen, auch in einer historisch-genetischen Weise analysiert. Das heißt natürlich nicht, daß man deshalb grundsätzliche Analyse und Kritik vermeiden sollte. 119 Zur Bedeutung Luthers für Hirsch auch nach 1933 vgl. Kirchliches Wollen, S. 10; Gegenwärtige Lage, S. 132 ff.; Deutsches Volkstum, S. 39; Weg des Glaubens, bes. S. 25 ff.; Offenbarungsglaube, S. 31 ff.
204
Die Jahre 1931-1934: Beginnende Entfremdung
spiel die nationalsozialistische Ideologie einen „mächtigen Springquell aus letzter Tiefe" 120 . Die Sublimierung der natürlichen Idealität ist in der Perspektive einer politischen Grundüberzeugung Hirschs zu sehen. Diese Grundüberzeugung verführt Hirsch dazu, Größen der natürlichen Idealität wie Rasse und Blut eben doch auch Offenbarungscharakter zuzusprechen und damit die Grenze, die die Dialektik zwischen natürlicher Idealität und Absolutheit der Offenbarung garantieren sollte, zu verwischen. Weil weder an der Radikalität der Sünde alles Irdisch-Geschichtlichen noch an der radikalen Absolutheit der Offenbarung festgehalten wird, entartet die Dialektik in einen Leerlauf.
2. Geismars erste Proteste a) Die allgemeine Lage in Dänemark Die Krise der Gesellschaft
und die politischen
Machtverhältnisse
Die Weltwirtschaftskrise traf Dänemark hart, aber doch nicht mit auch nur vergleichbar katastrophalen Folgen wie in Deutschland. Die Abhängigkeit der dänischen Wirtschaft von der internationalen Konjunktur hatte aber sogleich Folgen, als sich die Wirtschaftskrise bei den wichtigsten Handelspartnern Dänemarks, vor allem in England und Deutschland, ernsthaft bemerkbar machte. Die Absatzmöglichkeiten für den Agrarexport sanken drastisch, das führte augenblicklich zu schweren Krisen und Zwangsauktionen in der Landwirtschaft. N u r die, die sich nicht verschuldet hatten, konnten sich mit Mühe und Not wirtschaftlich über Wasser halten. Aber alle mußten einige Jahre lang zu Preisen liefern, die unter den Herstellungskosten lagen. Es wundert darum nicht, daß politische Protestbewegungen im Lande entstanden. Vor allem der „Landbrugernes Sammenslutning" (Zusammenschluß der Landwirte) und „Jord, Arbejde og Kapital" (Erde, Arbeit und Kapital) waren Organisationen, die ein Sammelbecken für 120 Gegenwärtige Lage, S. 136. Vgl. auch folgendes Zitat: „Wer dem Politischen die Ehre nimmt, daß in seiner Tiefe die religiöse Frage mit menschlich erschütternder Gewalt aufbricht, der versteht nichts von den Geheimnissen der Völker- und Staatengeschichten. Aber das ist wahr, nur in dem Aufbrechen der Frage, nur in dem Sichaufrecken der göttlichen Majestät gewinnt die politische Ordnung als das Gesetz und Schicksal unseres Lebens eine Bedeutung für unser Gottesverhältnis" (vgl. die in Anm. 111 erwähnte Denkschrift, S. 11). Hier scheint die Hypostasierung der natürlichen Idealität ausdrücklich zur Vorbedingung dafür gemacht zu werden, die theologische Arbeit adäquat zu beginnen; wie Hirsch selbst in diesem Zusammenhang fortfährt, würde man es sonst der Offenbarung unmöglich machen, in die geschichtliche Wirklichkeit einzubrechen.
Geismars erste Proteste
205
die aufgestaute Verbitterung und Unzufriedenheit darüber waren, daß von den Politikern keine wirklich durchgreifenden Maßnahmen ergriffen wurden, um die Verhältnisse unverzüglich zu verbessern. Darüber hinaus aber gab es auch politische Protesthaltungen im weiteren Sinne eines verbreiteten Widerwillens gegen das bestehende gesellschaftliche System. Von Faschismus im spezifisch italienischen oder deutschen Sinne konnte zwar keine Rede sein, dennoch gab es Tendenzen in dieser Richtung. Aber es hatte große Bedeutung, daß das politische Pendant der L. S.-Bewegung bei den Wahlen keine entscheidenden Erfolge erringen konnte. Diese Strömungen wurden vielmehr durch die beiden großen bürgerlichen Parteien, die liberale „Venstre" und die Konservativen, kanalisiert und von den überwiegend proparlamentarischen Kräften in Schach gehalten 1 . Auch in den Städten zeigten sich die Wirkungen der Krise sehr bald. Anfang der dreißiger Jahre herrschte mehrere Jahre lang so große Arbeitslosigkeit, daß jeder Dritte ohne Arbeit war. Die vielen Bankrotts, die endlosen Schlangen vor den Arbeitsämtern und den Ämtern für die Ausbezahlung der Arbeitslosenunterstützung waren makabres Zeugnis der sozialen Not, die viele Menschen quälte 2 . Was aber die Situation in Dänemark grundlegend von der Deutschlands unterschied, ist die Tatsache, daß die Wirtschaftskrise im großen und ganzen in eine Zeit politischer Stabilität fiel. Die Regierungsmacht lag in den dreißiger Jahren ohne Unterbrechung in den Händen einer Koalition aus Sozialdemokraten und Radikalliberalen unter der Vaterfigur des Ministerpräsidenten Th. Stauning, der herausragenden Persönlichkeit dieser Epoche. Der Außenminister P. Munch (1870-1948) war ein gelehrter Historiker, der ganz hinter den Bemühungen des Völkerbundes und den Abrüstungsbestrebungen stand. Aber der Vormarsch des Nationalsozialismus zerschlug sein Weltbild und lähmte sein Handeln. Er ist in das Bewußtsein der Nachwelt deshalb besonders als derjenige eingegangen, der für die dänische Passivität bei der Besetzung des Landes am 9. April 1940 verantwortlich war. Auch in den schlimmsten Jahren der Wirtschaftskrise erhielten die politischen Extremisten keinen nennenswerten Zulauf. Die Kommunisten erlangten bei den Wahlen von 1932 nur zwei Mandate. Sie hatten sich selbst - ganz wie die deutschen Kommunisten - dadurch einen Bärendienst erwiesen, daß sie die Sozialdemokraten als ihre Hauptfeinde betrachtet und sie als „Sozialfaschisten" verleumdet hat1 Zur Krise der Landwirtschaft und ihren Folgewirkungen vgl. KRISE I DANMARK, S. 74-122; R. ANDERSEN, Danmark, S. 86-119. 2
V g l . KRISE I D A N M A R K , S . 1 2 3 - 1 7 5 ; R . A N D E R S E N , D a n m a r k , S . 4 3 - 7 5 .
206
Die Jahre 1931-1934: Beginnende Entfremdung
ten 3 . Auf dem anderen Flügel wurde 1930 eine dänische nationalsozialistische Partei, die D N S A P , gegründet, die hauptsächlich von Nordschleswigern geführt wurde und ihre meisten Anhänger in diesem Landesteil hatte. Die Partei erhielt jedoch kaum Zulauf, im Jahre 1935 ζ. B. bekam sie etwa 16 000 Stimmen, die nicht einmal für ein einziges Mandat reichten4. Die Parteien der Mitte mußten also das Land durch die Krise steuern. Es ist - trotz aller Probleme, die es gab - ein anschaulicher Beweis für die Stabilität und die Funktionstüchtigkeit der Demokratie in Dänemark, daß man sich auch in den schlimmsten Krisensituationen zu einem Kompromiß zusammenfinden konnte. Ausgerechnet gleichzeitig mit der Machtergreifung Hitlers in Deutschland kam es so ζ. B. zu einem breiten Ubereinkommen der Parteien, dem sogenannten „Kanslergade-forlig". Schon im Jahr zuvor hatte man sich auf die Regulierung der Produktions- und Exportbedingungen der Landwirtschaft geeinigt. Darüber hinaus wurden nun weitere Maßnahmen zur Erleichterung für die Landwirtschaft getroffen, darunter eine Abwertung, für die gesamte Bevölkerung wurde das Netz der sozialen Sicherung erweitert, was im Frühjahr 1933 zur großen Sozialreform führte. Hiermit war ein wesentlicher Grundstein gelegt zu dem Wohlfahrtsstaat, der in einem Grundsatzprogramm von 1934 „Danmark for folket" (Dänemark für das Volk) als Ziel formuliert wurde. Die Sozialdemokraten errangen bei den Wahlen von 1935 einen triumphalen Erfolg; sie hatten den Wahlkampf unter der Parole „Stauning eller kaos" (Stauning oder das Chaos) geführt 5 . Immer deutlicher war die politische Entwicklung dadurch geprägt, daß die Sozialdemokraten eine reformistische Wohlfahrtspolitik führten, jeglicher revolutionären Strategie abschworen und die Forderung nach einer durchgreifenden Sozialisierung der Gesellschaft, nach grundsätzlichem Pazifismus und einer Trennung von Staat und Kirche fallenließen. Statt dessen wollten sie die Verhältnisse von innen her ändern und ein neues Gefühl der nationalen Zusammengehörigkeit und Solidarität schaffen. Die Ideologie des „folkehjem" (Volksheimat) machte sich in diesen Jahren auch in Norwegen und Schweden bemerkbar. Nach 1933 nahm der Pazifismus innerhalb der Partei unter dem Eindruck der „Bedrohung aus dem Süden" deutlich ab. Auch die Religionskritik schwächte sich ab, auch wenn es manchen Kreisen noch 3 Vgl. das Vorwort in H . FRISCH, Pest over Europa (wiedergegeben: J . ANDERSEN, Tekster fra 30'erne, S. 45—49); R. ANDERSEN, Danmark, S. 120-151; KRISE I
DANMARK, S . 2 0 5 f. 4
Zur
DNSAP
vgl. H .
Danmark, S. 174-180. 5
POULSEN,
Besaettelsesmagten,
V g l . d a z u KRISE I DANMARK, S. 1 7 6 - 2 0 8 .
S.
23 ff.;
R.
ANDERSEN,
Geismars erste Proteste
207
immer als ein Hauptanliegen galt, den „Klerikalismus" zu zerschlagen. Aspekte
zur geistigen
Lage
Die schon in den zwanziger Jahren so leidenschaftlich begonnene Diskussion über moralische Normen wurde Anfang der dreißiger Jahre noch hektischer. Parteipolitisch bestand zwischen Kommunisten und Sozialdemokraten eine uniiberwindbare Kluft von gegenseitigem Abscheu. In der allgemeinen Diskussion bildete sich jedoch eine Art Einheitsfront auf dem linken Flügel heraus, die von den Kommunisten über den linken Flügel der Sozialdemokraten bis hin zu den Brandesianern bei den Radikalliberalen reichte. Dieser Kulturradikalismus spielte in der öffentlichen Meinung eine weit größere Rolle, als es die Ergebnisse der Parlamentswahl ahnen lassen. Die Intellektuellen waren beseelt von einem unbändigen Feuereifer im Kampfe gegen die überkommene „schwarze, bürgerliche Moral", die durch Kirche und Christentum bestätigt würde. Mit furchtlosem Zorn und gekonnt griffen sie diese Moral in einer Vielzahl von Publikationen an. Außerdem veranstalteten sie Vorträge und Diskussionen, vor allem im Universitätsmilieu von Kopenhagen. Die Themen standen alle unter dem Motto „Freisinn". Das reichte von Sexualaufklärung über Schwangerschaftsunterbrechung, freie Erziehung, Psychoanalyse, „Kameradschaftsehe" bis hin zum Kampf gegen den Religionsunterricht an den Schulen, dem Kampf für bessere Wohnungen und gegen den Faschismus in all seinen Formen. Neben den eigenen führenden Linksintellektuellen spielte auch Wilhelm Reich eine herausragende Rolle, der sich eine Zeitlang in Dänemark aufhielt, bevor er über Norwegen in die USA ging6. Literarisch wurde diese Strömung begleitet von einer Welle sozialrealistischer, proletarischer Literatur. Hier sind vor allem Schriftsteller wie Hans Kirk, Harald Herdal (geb. 1900), Knuth Becker (18911974) und Hans Scherfig (geb. 1905) zu nennen, die mit ungeschminkten Schilderungen der täglichen Wirklichkeit der Arbeitslosen beeindruckten. Sie polemisierten als reine Sozialisten nicht nur gegen Klerikalismus und Konservativismus, sondern auch gegen die aufstrebende Mittelklasse, die „Stehkragenproletarier", wie es in Deutschland ζ. B. Hans Fallada tat 7 . • Vgl. die kulturradikalen Zeitschriften „Plan", „Clarté", „Rod Ungdom". Zum Kulturkampf in Dänemark vgl. die breite und ausführliche Textauswahl in: J. ANDERSEN, Tekster fra 30'erne; R. ANDERSEN, Danmark, S. 151-160 und 204228; P. P. ROHDE, Midt i en ismetid, S. 17-32; J. FJORD JENSEN, Homo manip u l a t e , S. 23-35; E. BAY, Socialdemokratiets stilling, bes. S. 74-97 und 136— 149; P. G. LINDHARDT, Den danske kirkes historie Bd. VIII, S. 160-166. 7 Vgl. J. ANDERSEN, Tekster fra 30'erne, S. 128 ff.
208
Die Jahre 1931-1934: Beginnende Entfremdung
Kirchlicherseits begegnete man diesem Kampf für moralische Befreiung oft dadurch, daß angesichts der Bedrohung durch den Säkularismus der moralische Notstand ausgerufen wurde. Die Frage der Säkularisierung wurde jedoch, außer mit der Frage der Sexualität, vor allem mit der Frage des Verhältnisses zwischen Kirche und Schule verbunden. Die Regierung forderte die Aufhebung der engen Verbindung, die bis dahin bestanden hatte. Unter dem Eindruck der laufenden Moraldiskussion protestierten weite kirchliche Kreise gegen diese Säkularisierung der Schule, die gleichwohl begann, als die Schulaufsicht der Pfarrer im Jahre 1933 eingeschränkt wurde. Gleichzeitig wurden Gutachten erstellt, die einen mehr historisch orientierten, objektiven und Kenntnisse vermittelnden Unterricht forderten. Von biblizistischer und orthodox-kirchlicher Seite wurde dies als eine Legitimierung der Bibelkritik angesehen, sofort in scharfer Form verurteilt und mit den übrigen „zersetzenden Kräften der Zeit" in Verbindung gebracht 8 . Die hier angedeutete leidenschaftliche weltanschauliche Diskussion führte zu einem geschärften geistigen Bewußtsein, das sich wiederum in einer intensivierten Volksaufklärung auf allen Fronten auswirkte. Wie schon erwähnt, war der linksorientierte Kulturradikalismus sehr aktiv. Die politischen Jugendorganisationen führten große Kampagnen durch, bei denen vor allem der konservative „Folkeligt Oplysningsforbund" (Volksaufklärungsverband) in frontale Kollision mit dem sozialdemokratischen „Arbejdernes Oplysningsforbund" (Aufklärungsverband der Arbeiter) geriet. Darüber hinaus wurden mehrere neue Volkshochschulen gegründet, die oft auch neuen Zuschnitts waren, während die bekannten Volkshochschulen, die grundtvigschen wie die der Inneren Mission, eine neue Glanzzeit erlebten9. Die nordschleswigsche
Frage
Die verbreitete anti-deutsche Einstellung, die seit den Kriegen gegen Preußen und Schleswig-Holstein 1848-51 und 1864 reiche Nahrung erhalten hatte, hörte mit der Volksabstimmung von 1920 und der daraus resultierenden Verlegung der Grenze auf den heutigen Grenzverlauf keineswegs auf. Viele waren noch immer darüber verbittert, daß Flensburg nicht „heim" gekommen war. Nach dem Machtwechsel in Berlin 1933 begann sogleich eine heftige Propaganda der Nationalsozialisten südlich und nördlich der Grenze für eine Grenzveränderung nach Norden. In dieser Kampagne waren führend 8
P. G. LINDHARDT, Den danske kirkes historie Bd. VIII, S. 196-199.
9
R . ANDERSEN, D a n m a r k , S . 2 8 6 - 3 1 9 .
Geismars erste Proteste
209
u. a. Dr. Siewers vom Schleswig-Holsteiner Bund, später zugleich Bürgermeister von Flensburg, sowie die Pfarrer Peperkorn und Schmidt-Wodder 10 . Die Unruhe erreichte ihren Höhepunkt um Ostern 1933. Auch wenn die Forderungen nach einer Grenzrevision von Berlin, u. a. von Alfred Rosenberg, dementiert und auch später von offiziellen Parteikreisen nicht unterstützt wurden, so riefen sie doch einen Proteststurm auf dänischer Seite hervor, natürlich vor allem in Südjütland. Aber auch im ganzen Lande bewirkte die Unruhe eine deutliche Steigerung der anti-deutschen Ressentiments11. Zwar glätteten sich die Wogen des Streites im Laufe des Sommers, aber bis ins Jahr 1940 hinein gab es viele Streitigkeiten auf lokaler Ebene in den Gemeinden wie auch in der kirchlichen Verwaltung. Bischof Ammundsen von Hadersleben mußte viele kleine Zwistigkeiten, ζ. B. über das Hissen von Flaggen, beilegen. Aber vor allem die Schulfrage war ein konstanter Unruheherd auf beiden Seiten der Grenze und wurde von den Minderheiten hier wie dort als ein Prüfstein des deutsch-dänischen Verhältnisses betrachtet 12 . Die nordschleswigsche Frage war für fast alle Dänen ungeachtet der parteipolitischen Zugehörigkeit sozusagen das Kriterium, unter dem sie die Entwicklung in Deutschland verfolgten. Der Nationalsozialismus
in Dänemark
Die Bildung der dänischen nationalsozialistischen Partei ist vor allem durch zwei Faktoren bedingt: a) Politisch und weltanschaulich vollzog sich eine Polarisierung 10 Zur Forderung der deutschen Minderheit nach Grenzrevision vgl. H.-A. JACOBSEN, Außenpolitik, S. 170 ff., über die „Nordische Schicksalsgemeinschaft" ebd., S. 483-495 ; J. SCHMIDT-WODDER, Deutschland gestern und heute. 11 Zu den dänischen Reaktionen vgl. F. v. JESSEN, Vor Graense netop nu
(April
1933);
GRAENSEVAGTEN
1933,
S.
83 ff.,
141-152;
154-157.
Hier
wird
das Interview der „Berlingske Tidende" mit Rosenberg vom 11.4.1933 referiert. V g l . VÖLKISCHER BEOBACHTER v o m 12. 4 . 1 9 3 3 , w o h e r v o r g e h o b e n w i r d , d a ß das
neue Deutschland alles tun werde, um einen Konflikt mit Dänemark zu vermeiden. Vgl. GRAENSEVAGTEN 1933, S. 204 ff. (über die Rede Hitlers vom 17.5.1933), S. 256-260; H. P. HANSSEN (der alte südschleswigsche Vorkämpfer für das Dänentum, der noch in der Kaiserzeit Deputierter im deutschen Reichstag war), S. 2252 2 9 , 6 8 1 - 6 8 5 u n d 6 9 8 - 7 0 3 . Z u r G r e n z p r o b l e m a t i k S v . TÄGIL, D e u t s c h l a n d , S. 29—48; T . FINK, G e s c h i c h t e des s c h l e s w i g s c h e n G r e n z l a n d e s , S. 2 6 2 - 2 9 7 ; J .
KRONIKA (dänischer Korrespondent in Berlin), Lys i Vinduet, S. 8-19; V. S ; 0 Q u i s T , D a n m a r k s u d e n r i g s p o l i t i k 1933—40, S. 4 4 - 7 0 ; R . ANDERSEN, D a n m a r k , S. 2 5 7 - 2 8 5 . 12
H0JSKOLEBLADET 1 9 3 4 , S. 8 1 - 8 3 ; S. 3 0 3 - 3 0 5 , 3 1 5 - 3 1 8 u n d 327-330 ( H . P . H a n s s e n ) ; S. 1 9 1 - 1 9 3 , 2 1 3 - 2 1 5 , 4 4 1 - 4 4 3 u n d 4 5 0 - 4 5 2 ( K . R a s m u s s e n ) ;
vgl. auch K. MOLLER, Tysk Nazipropaganda. 14 Schjarring, Geismar/Hirsch
210
Die Jahre 1931-1934: Beginnende Entfremdung
zwischen den kulturradikalen und sozialistischen Bestrebungen, eine neue Philosophie der Gesellschaft auf dem Boden einer neuen antiklerikalen Moral zu schaffen, und dem antisozialistischen, konservativen, viktorianischen kirchlichen Flügel. Ein religionskritischer Kurs etwa auf der Linie Rosenbergs wäre schon aus taktischen Gründen sehr unklug gewesen und unwillkürlich auf heftigen Widerstand gestoßen. Dies zeigte sich auch sogleich, als sich Ejnar Vaaben (geb. 1902) der Rassebiologie J . F. K . Günthers anschloß. b) In der nationalen Frage war äußerste Vorsicht geboten. D a viele der führenden Sprecher der Partei, unter ihnen ihr späterer Führer, der Arzt Fritz Clausen (1893-1947), aus Südjütland stammten, mußte man sich von den Stimmen der deutschen Minderheit unterscheiden. Ein gewisses Maß an dänischem Patriotismus war lebensnotwendig. Es ist deshalb kein Zufall, daß zu der dänischen nationalsozialistischen Arbeiterpartei (DNSAP) anfangs auch Pfarrer zählten und daß schon im Juni 1933 ein kirchenpolitisches Programm formuliert wurde, das sich deutlich an das der Deutschen Christen anlehnte. Anfangs hieß es, daß „sich Leben, Wahrheit und Moral des Volkes aus geistigen Quellen nähren müssen". Weiter wird die Ordnung der „Volkskirche" propagiert, in der die Kirche nach innen Freiheit der Lehre und Verkündigung besitzen müsse, die nur durch die Treue gegenüber Bibel und Bekenntnis begrenzt sei, nach außen müsse sie ihre Verwaltungsaufgaben in Zusammenarbeit mit dem Staat lösen. Dann aber wird die Inspiration von deutsch-christlicher Seite ganz deutlich: Man tritt dafür ein, „das Autoritäts- und Persönlichkeitsprinzip zu bewahren, indem man das Bischofsamt stärkt und extremem Individualismus und Separatismus in der Gottesdienstordnung wie in dem Verhältnis der kirchlichen Richtungen zueinander wehrt. Das demokratische Mehrheitsprinzip bei den kirchlichen Wahlen mit der dazugehörenden Mehrheitstyrannei, die in geistlichen Dingen noch sinnloser ist als auf anderen Gebieten und die auch innerhalb der Kirche dazu beigetragen hat, die Parteien gegeneinander aufzubringen und das Ansehen der Kirche zu schwächen, muß zurückgedrängt werden, damit die ganze Kraft der Kirche, fest geeint und tüchtig geführt, für die Hauptaufgabe der Kirche eingesetzt werden kann: dem dänischen Volk das Evangelium zu schenken und zur christlichen Erziehung des Volkes beizutragen" 13 . 13 A. MALLING, Dobbelt front (ü.)· Mailing (geb. 1896) war Pfarrer in Brons in Südjütland. Vgl. auch A. MALLING, Heltekongen; Julesorg og Juleglaede; Nationalsocialismen og Kirken. - Die D N S A P wurde sehr bald von inneren Gegensätzen heimgesucht, nicht zuletzt auf Grund von unbedeutenden Führern, von denen vor allem Fritz Clausen völlig außerstande war, als sammelnde Führergestalt zu wirken.
Geismars erste Proteste
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Die beteiligten Pfarrer waren keine oppositionelle Minderheit in der Partei, auch Fritz Clausen äußerte sich mehrmals auf ganz derselben Linie. So schrieb er Weihnachten 1934 über die Weihnachtsfreude in Heim und Familie im Gegensatz zur moralischen Zersetzung des Materialismus, wie er sich ζ. B. im Tanze zu „aufreizenden Jazztönen" zeige. Clausen betonte die Bedeutung des Zusammenhalts der Kernfamilie - als Inbegriff dafür schilderte er das traute Klavierspiel der Mutter im Heim - und schloß seine Weihnachtsbetrachtungen mit dem moralischen Appell: „Ermannen wir uns, die Heilige Weihnacht und die lichte Welt zu wahren, in die uns das Weihnachtsfest führen will. Ermannen wir uns zu einem wirksamen Protest dagegen, daß auch das große Fest der Weihnacht von den zersetzenden materialistischen Kräften mißbraucht wird, die alles untergraben und zerstören, was uns heilig sein sollte. Entschließen wir uns in den stillen Tagen der Weihnacht, uns selbst, unser Volk und unser Land von dem zersetzenden und entheiligenden Materialismus zu befreien, der uns gänzlich zu zerstören droht." 1 4 Ein grundsätzlicher und skrupelloser Antisemitismus wie in Deutschland hatte in Dänemark kaum einen Nährboden. Schon die Presseberichte in den dänischen Zeitungen über die ersten Maßnahmen gegen Juden in Deutschland vom März/April 1933 zeigten, wie kritisch diese Vorgänge aufgenommen wurden und wie undenkbar sie in Dänemark selbst wären. Dennoch gab es in der D N S A P deutliche Zeichen von Antisemitismus. Ζ. B. schrieb Α. A. Jorgensen einen stark antisemitischen Artikel, der in ein langes Zitat aus der Ethik von H . L. Martensen gekleidet war. Hier wurden die traditionellen Anklagen gegen das internationale Judentum vorgebracht, und das ganze mündete ein in ein Lob für die deutschen Maßnahmen: „Gott 1936 führte eine Spaltung dazu, daß Mailing die „Dansk Folkefaellesskab" (Dänische Volksgemeinschaft) gründete, die eine Zeitschrift gleichen Namens herausgab. 14 F. CLAUSEN, Jul, S. 4 (ü.). Dies entspricht ganz dem Schluß der in Anm. 13 angeführten kirchenpolitischen Erklärung vom Juni 1933: „Staat und Kirche müssen einander helfen, die materialistische Gottlosigkeit, jeden Hohn gegen die Religion, die zersetzenden Tendenzen in Literatur, Kunst und Film, alle Zotigkeit und Spekulation in Sexualität, im Vergnügungsleben zu bekämpfen, damit sich das kulturelle Leben und die Freizeitgestaltung des Volkes auf gesunden Bahnen bewegen kann. D a f ü r kämpft die Kirche mit dem Geist, der Staat mit Macht" (ü.). Noch gegen Ende der dreißiger Jahre hielt F. CLAUSEN an seinem christlich getönten moralischen Puritanismus fest (Kirkevejen). In den beigefügten Betrachtungen wandte sich Pfarrer H . Meinhardt-Jensen heftig gegen die öffentliche dänische Berichterstattung über die Ereignisse in Deutschland, u. a. die Berichte von Fr. Torm. Er versucht, den deutschen Kirchenkampf zu einem rein innerdeutschen Anliegen herunterzuspielen, in das sich einzumischen das Ausland kein moralisches Recht habe. Andererseits macht er deutlich, daß ein Kirchenkampf in Dänemark weder zu erwarten noch wünschenswert sei. 14»
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Die Jahre 1931-1934: Beginnende Entfremdung
sei gelobt für Adolf Hitlers Einsatz für die ganze arische Rasse. Aber jedes Volk muß seinen eigenen nationalen Freiheitskampf führen. Wir müssen uns im Kampfe der Volksgemeinschaft gegen die gottlosen, volkszerstörenden Kräfte sammeln, die Landsleute gegen Landsleute aufbringen wollen, um uns leichter zu beherrschen." 15 Politische
Reaktionen
auf den deutschen
Nationalsozialismus
Auf dem Hintergrund der skizzierten politischen und weltanschaulichen Diskussion in Dänemark ist es leicht erklärlich, daß eine politische Auseinandersetzung mit dem neuen Phänomen aus dem Süden jedenfalls in der Anfangsphase im Frühjahr 1933 vor allem von linker Seite geführt wurde. Wo sich die Bildung einer gemeinsamen Volksfront auf dem linken Flügel sonst als unmöglich erwiesen hatte, dort schuf nun die nationalsozialistische Herausforderung die Grundlage dafür. Früher war der Streit über den besten Weg zu sozialer Gerechtigkeit und die Frage des rechten Sozialismus gegangen, jetzt aber konnte man für einen Augenblick den alten Streit vergessen und sich statt dessen gemeinsam gegen den neuen gemeinsamen Gegner wehren. Diese linke Front erhielt jedoch in Dänemark keine parlamentarische Bedeutung. Zunächst spielte es natürlich eine gewisse Rolle, daß mehrere deutsche Linksintellektuelle nach Dänemark kamen, wenn auch oft nur auf der Durchreise zur endgültigen Emigration. Dies gilt nicht nur für so prominente Leute wie Wilhelm Reich, Philipp Scheidemann und Bertolt Brecht, sondern auch für viele einfache Sozialdemokraten. Dazu kam, daß dänische Sozialdemokraten sogleich eine eingehende allgemeine kritische Analyse des Faschismus vorlegten 16 . Dies führte natürlich zu Protesten auf deutscher Seite, und die deutsche 15
Biskop Martensen saa Jedefaren! (NORDISK JUL 1934, S. 11 f.; ü.). Ähnliche Vorwürfe erhob auch A. MALLING, der sich gleichwohl von einem pauschalen Antisemitismus distanzierte: „Zwar ist die Bibel im Wesentlichen von Juden geschrieben, aber ausschließlich von Juden, die der Gotteslinie im Leben des Volkes treu waren, und die Propheten im Alten Testament bekämpften gerade die schlechten Seiten am Judenvolke, die auch die dänischen Nationalsozialisten bekämpfen". Diese Auffassung bezeichnete Mailing selbst als „rein biologisch" im Unterschied zur mystisch-religiös infizierten Auffassung des deutschen Neuheidentums. Übrigens betont auch Mailing, daß es für einen Kirchenkampf in Dänemark keine Grundlage gebe: „Wir haben keine Mystik in unserer Bewegung, keine Mythen, keinen Alfred Rosenberg, keinen Professor Hauer. Unsere Bewegung hat bewußt und klar all dies abgestreift und sagt ein klares Ja zum Christentum als der Religion des Volkes, wie dies aus dem Kirchenprogramm der Partei hervorgeht" (Nationalsocialismen og Kirken, S. 7-10, 14; ü.). 16 Vgl. R0D UNGDOM, April und Juni 1933 (Artikel von Kolbjern); H . FRISCH, Pest over Europa.
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Gesandtschaft entfachte denn auch im ganzen Frühjahr gegenüber dem Außenministerium einen ununterbrochenen Sturm von Protesten angesichts der politischen Reportagen und Leitartikel in den Zeitungen „Socialdemokraten" und „Politiken" 17 . Diese Situation lud gleichsam dazu ein, die Mauer zwischen Sozialdemokraten und Kommunisten niederzubrechen. Die Sozialdemokraten waren wie die gesamte übrige öffentliche Meinung stark beunruhigt gewesen über den Terror und die Verfolgungen im stalinistischen Rußland der zwanziger Jahre, während die Kommunisten die Sozialdemokraten als „Sozialfaschisten" verleumdet hatten, ein Konflikt, der sich in Deutschland ähnlich abgespielt und dazu beigetragen hatte, die Abwehrkräfte der Weimarer Republik gegen die Angriffe von nationalistischer Seite zu schwächen. Jetzt, nach 1933, war man deshalb in Dänemark bestrebt, eine gemeinsame Front gegen den Faschismus aufzubauen. H . Frisch arbeitete so ζ. B. zusammen mit Otto Gelsted und vielen anderen jungen kulturradikalen Linksintellektuellen an der Herausgabe der Zeitschrift „Aandehullet" mit, deren Hauptanliegen die Entlarvung der nationalsozialistischen Verbrechen war. Später erschienen die Zeitschriften „Kulturkampen" (Der Kulturkampf) und „Sex og Samfund" (Sex und Gesellschaft), die auf derselben Linie lagen und nicht versäumten, auch die Gegner im eigenen Lande anzugreifen: politisch vor allem die Jugendorganisation der Konservativen Volkspartei („Konservativ Ungdom" = K. U.), daneben aber auch Pfarrer und die Führer der christlichen Jugendorganisationen 18 . Der gemeinsame Widerstand gegen den Faschismus führte aber auf der Linken nicht zu einer eigentlichen Volksfront wie in anderen Ländern. Dazu waren die sachlichen und die psychologischen Vorbehalte zu groß. Auf der anderen Seite stand, sieht man einmal von den Nationalsozialisten ab, vor allem die K. U. Auch sie bezog die Ereignisse in Deutschland in die dänische Diskussion ein. In großem Umfange konnte sie die neuen Tendenzen in Deutschland begrüßen, denn sie selbst sprach ja auch davon, daß sich die parlamentarische Demokratie überlebt habe, und forderte eine Verfassungsreform, die auf der Tatkraft starker Führerpersönlichkeiten beruhen sollte; sie hatte auch ständig gegen den „Kulturbolschewismus" gekämpft und in diesem 17 POLITIKEN von 12. 3. 1933; vgl. auch V. SJOQUIST, Danmarks udenrigspolitik, S. 42. Eine sehr reichhaltige Sammlung von Zeitungsausschnitten aus dem ganzen Jahr 1933 findet sich im Politischen Archiv des Auswärtigen Amtes in Bonn. 18 Vgl. O. GELSTED, Den tyske Kulturs Sammenbrud; Hagekorset; J. JORGENSEN, National Videnskab i det tredje Rige; H . KIRK, Den sorte Garde; HVOR ER FACISMEN?, S. 13-15. Vgl. C. E. BAY, Socialdemokratiets stilling, S. 136 ff., S. MOLLER KRISTENSEN, Litteratursociologiske essays, S. 87-94; P. ROHDE, Midt i en isme-tid, S. 25-44.
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Die Jahre 1931-1934 : Beginnende Entfremdung
Zusammenhang auch vor einer übertriebenen „Naziphobie" gewarnt 19 . Anfangs wurde vor allem in konservativen Studentengruppen die Disziplin und die Moral des neuen Deutschlands bewundert. Aber es meldeten sich sehr schnell kritische Töne. So wurde ausdrücklich betont, nur in Deutschland gebe es eine Berechtigung und Grundlage für den Nationalsozialismus. Wenngleich deshalb aus vielen Gründen der Nationalsozialismus nicht einfach zu übernehmen sei, so seien doch auch in Dänemark seine positiven Seiten nicht zu übersehen: „Eine Bewegung, die Antisemitismus, geistige Uniformität und Abschaffung der Zinsen auf ihrem Programm hat, läßt sich nicht auf dänische Verhältnisse übertragen. Aber den Geist, der das Beste am Nationalsozialismus repräsentiert, den wollen wir junge Konservative auch in unserem Land schaffen. Opferwille und Selbstzucht, rücksichtslose Bekämpfung des Klassenkampfes und seines Werkzeugs, der Entartung des Parlamentarismus, der Glaube an die Volksgemeinschaft, der ganze neue Geist, der sich in gleichem Maße gegen den Liberalismus und den Marxismus wendet, den wollen wir im dänischen Volk schaffen." 20 Es gab aber starke Kräfte in der Partei, die mit aller Macht alle korporativen, halbfaschistischen Tendenzen in der Partei zurückzudrängen suchten. Hier sind in erster Linie Christmas Melier (1894— 1948) zu nennen, der politische Führer der Partei, und Aksel Moller (1906-1958) vom jungen Flügel. Mitentscheidend war auch, daß die größte konservative Zeitung, die „Berlingske Tidende", einen eindeutig kritischen Kurs gegenüber dem Nationalsozialismus steuerte. Der Redakteur Nie. Blaedel (1882-1943) war klar antinationalsozialistisch eingestellt und brachte seinen Standpunkt u. a. auch in 19 Vgl. STUDIUM vom 28. 6. 1933. Hier heißt es, nachdem man sich von Judenverfolgungen und der Forderung der deutschen Minderheit nach Grenzrevision distanziert hat: „Wir untersuchen kritisch die nationalen und konservativen Bewegungen des Auslandes, und finden wir Ideen und Organisationsformen, die wir gebrauchen können, pflanzen und bilden wir sie um, so daß sie auf dänische Verhältnisse passen. Wir hegen den bescheidenden Glauben, daß dänischer Konservativismus etliches von englischem und schwedischem Konservativismus, von italienischem Faschismus und deutschem Nationalsozialismus lernen kann" (ü.). 20 STUDIUM vom 28. 3. 1934 (ü.). Vgl. ebd. den Reisebericht aus Deutschland (2.12.1933) und den Vortrag „Konservatisme og Nazisme" (1. 2.1934). Zur K. U. vgl. R. ANDERSEN, Danmark, S. 192 ff.; A. TROMMER, Opgoret i Κ. U. i 1938, S. 304-330. Als Beispiel dafür, daß es bei den Jungkonservativen auch ganz andere Gedanken gab, vgl. B. SVENSSON, Den danske Nazisme i kritisk Belysning. Diese Schrift ist im Sommer 1934 verfaßt und stellt eine kritische Analyse der leeren Floskeln im Parteiprogramm der D N S A P sowie eine totale und unversöhnliche Kampfansage im Namen der Jungkonservativen dar. Vgl. auch O. B. KRAFT, En konservativ Politikers erindringer, S. 77 ff.
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einer Serie von Radiovorträgen zum Ausdruck, die erst auf deutsches Ersuchen durch das dänische Außenministerium unterbunden wurden. Und auch die beiden Journalisten, die hauptsächlich den Stoff aus Deutschland einschließlich der kirchlichen Nachrichten bearbeiteten, waren in ihrer Haltung ebenso unmißverständlich und besaßen zudem nicht geringe theologische Einsicht 21 . Kirchliche und theologische Reaktionen den Kirchenkampf in Deutschland
auf den Nationalsozialismus
und
Die Innere Mission So wie die Fronten im Innern lagen, waren die größte Sympathie und das größte Wohlwollen für die kulturpolitischen Ziele des Nationalsozialismus auf dem rechten Flügel in der Kirche zu erwarten. Das „Kristeligt Dagblad", überwiegend eine Zeitung der Inneren Mission, zeigte im ganzen Frühjahr 1933 deutliche Bewunderung für den Kampf Hitlers gegen Säkularisierung, Gottlosigkeit und alle „zersetzenden" Kräfte. Aber bereits die Maßnahmen gegen die Juden im April wirkten desillusionierend, in steigendem Maße ging später die Sympathie auf Martin Niemöller, den Pfarrernotbund und die Bekennende Kirche über 22 . Auch die „ Indre Missions Tidende" bewunderte zunächst die moralische Erneuerung in Deutschland. Aber im Laufe des Sommers wurde man auch hier skeptischer und kritischer. Im September hieß es ζ. B.: „Wir schaudern ein wenig hier im Lande, wenn wir an die nationalsozialistische Ausnutzung der Kirche in Deutschland zur Schaffung eines starken Volkes denken." 23 Die Bedenken verstärkten sich, als 21
Vgl. dazu V. SJ0QUIST, Danmarks udenrigspolitik.
Als Beispiel für die entgegenkommenden Berichte und K o m m e n t a r e zum N a tionalsozialismus siehe besonders KRISTELIGT DAGBLAD v o m 2 . 2 . 1 9 3 3 : „Er [der Staat in Deutschland] will das Christentum kräftig beschützen als Grundlage unserer ganzen Moral, der Familie als Zelle in unserem Staatskörper, er will ohne Rücksicht auf Stand und Klassen unser Volk wieder zu einer politischen Einheit machen" (ü.). Vgl. ebd. auch die Ausgaben v o m 13. und 2 2 . 3. und 3. und 18. 5 . 1 9 3 3 ; zu einem Zeitpunkt, als über die F r a g e der Kirchenverfassung heftige Unruhe herrschte, heißt es jedoch in dem Leitartikel unter der Überschrift: „Nationalreligion - Christentum" : „Hitler hat in seiner Rede zur Eröffnung des Reichstages erklärt, die neue Regierung wolle auf den beiden Konfessionen bauen. Die Wege, die er vorläufig einzuschlagen scheint, könnten darauf hindeuten, daß dies zwei vom Staat gelenkte Konfessionen sein werden; dies aber würde bedeuten, daß der N a z i seinen Staat nicht so sehr auf den Konfessionen, sondern auf sich selbst - auf seine eigene Religion bauen will; aber dies ist ja kein Christentum" (ü.). 22
2 3 P . Lagstrup in: DEN INDRE MISSIONS TIDENDE, 3 . 9 . 1 9 3 3 , S. 4 3 9 (ü.), w o es eigentlich das Anliegen des Verfassers ist, zum K a m p f gegen die Säkularisierungstendenzen in der dänischen Schule aufzurufen. Besonders NS-freundlich w a r
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Die J a h r e 1 9 3 1 - 1 9 3 4 : Beginnende Entfremdung
die kirchlichen Jugendorganisationen in Deutschland Ende 1933 mit der Hitlerjugend vereinigt wurden. Dennoch ist es bemerkenswert, daß die größte theologische Persönlichkeit und die unbestrittene Führergestalt innerhalb der Inneren Mission in den dreißiger Jahren, Chr. Bartholdy, gerade zu dem Zeitpunkt, als er 1934 zum Landesvorsitzenden der Inneren Mission gewählt worden war, ein Interview gab, in dem er nach einem längeren Deutschlandaufenthalt die dortige Entwicklung positiv schilderte. Zwar distanzierte sich Bartholdy eindeutig von Judenhaß und germanischem Rassenwahn, aber er hob auf der anderen Seite auch die Stärkung der Verkündigung der Kirche in Treue gegenüber dem reformatorischen Ansatz hervor. In diesem Zusamenhang wies Bartholdy auf sichtbare Ergebnisse einer solchen Erneuerung hin, ζ. B. den neuen Respekt vor dem Familienleben und den Kampf gegen den Kommunismus, und er faßte zusammen: „Aber der Nationalsozialismus hat einen moralischen Inhalt, der - wie ich meine wertvoll ist. Die deutsche Jugend will geführt werden, will Gemeinschaft erleben, will sich dem kategorischen Imperativ stellen. Deshalb ist sie auch geneigt, sich an die Kirche zu wenden, denn sie fühlt, daß hier eine Gemeinschaft da ist. Dies sieht der Nazismus und stürzt sich deshalb geradezu auf die Kirche" 2 4 . Der Grundtvigianismus Im Lager der Grundtvigianer gab es einen rechten Flügel, für den Grundtvigs kultisch-sakramentale Einstellung im Vordergrund stand. der Artikel W . Larsens, Den gudl0se Bevaegelse i Tyskland (ebd., 12. 3 . 1 9 3 3 ) . Schon am 1 8 . 6 . , noch deutlicher am 1 8 . 9 . 1 9 3 3 , waren seine Beiträge jedoch mit Warnungen versehen (ebd., S. 305, 4 4 9 ff.). 2 4 Interview in der „Aalborg Stiftstidende" v o m 1 . 5 . 1 9 3 4 , am Tage darauf wiedergegeben in POLITIKEN unter der Uberschrift: „Der neue Vorsitzende der Mission begeistert für den Nazismus" (ü.). Die Äußerungen Bartholdys weckten natürlich in der deutschen Gesandtschaft helle Freude, sie wurden sogleich weiter nach Berlin gemeldet (vgl. A K A , C I D ä n e m a r k ; A E K D , D 1 / 5 6 ; und L K A BIELEFELD, Bestand Wilhelm Niemöller, Ökumene N r . 2 6 2 ) . - N o c h 1 9 3 6 äußerte sich Bartholdy teilweise in dieser Richtung. E r formulierte jedoch auch unzweideutig seine Unterstützung der Bekennenden K i r c h e : „Die bekennende Kirche in Deutschland hat verdient, daß wir sie hier in Dänemark in unsere Fürbitte einschließen. E s muß oft eine entsetzliche Gewissensqual sein, in Deutschland ein Verkündiger des Wortes zu sein". Dennoch muß dies auch im Lichte des folgenden Zitats gesehen werden: „Der weitaus größte Teil von ihnen [den Gläubigen in Deutschland] ist Gott für Hitler dankbar, weil das Chaos, das in den Jahren nach dem Weltkrieg w a r , durch Festigkeit abgelöst ist, weil die Drohung des Kommunismus gegen alles, was wir für heilig halten, überwunden ist. Deutschland hätte heute so aussehen können wie Spanien" (Indtryk fra Tyskland, S. 4 8 9 ff., Zitat S. 4 9 3 ; ü.).
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In allgemein geistigen und gesellschaftlichen Fragen herrschte eine asketisch-puritanische Beunruhigung über die Entwicklung wie in den Kreisen der pietistischen Erweckungsbewegung. Dennoch war das nationale Bewußtsein bei allen Grundtvigianern so stark, daß allein dies zu einer grundsätzlich kritischen Haltung zum Nationalsozialismus führte 25 . Es ist deshalb nicht zufällig, daß H . P. Hanssens (18621936) Beitrag im traditionell deutschkritischen „Hejskolebladet", der Zeitschrift der grundtvigschen Volkshochschule, gedruckt wurde. Auch viele Grundtvigianer fühlten sich sogleich zu einer allgemeinen politischen Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus aufgerufen. Das wichtigste Zeugnis ist hier das Buch des Volkshochschullehrers Arne Brandt Pedersen (geb. 1897) „Adolf Hitler und die nationale Revolution", das bereits 1933 erschien und gut informiert und nüchtern die ganze Vorgeschichte des Nationalsozialismus, sein Programm und die Entwicklung nach der Machtergreifung behandelt. Im Nachwort heißt es zusammenfassend: „Im Nationalsozialismus kommen zu diesen allgemeinen Idealen [Antiparlamentarismus, nationale Zucht usw.] spezielle Zusätze wie die verworrene und rücksichtslose Rassentheorie und ein brutaler Nationalegoismus mit bombastischem, militärischem Auftreten, die das Unheimlichste der imperialistischen Periode wieder aufleben lassen und den Nationalsozialismus im Ausland so verhaßt und gefürchtet sein lassen." Dann aber spricht auch Α. B. Pedersen von einigen vielversprechenden Ansätzen des Nationalsozialismus2®. Tidehverv
Aus theologischen Gründen lag es von vornherein nahe, daß sich die Tidehvervtheologen am entschiedensten gegen jegliche Vermen" Vgl. J. P. BANG (Menighedsbladet 1933, Sp. 420-425, 566-571, 625-629, 6 9 0 - 6 9 6 und 850-853). N a c h der Lektüre des ersten Heftes v o n „Theologische Existenz heute" schrieb Bang am 3 0 . 1 0 . 1 9 3 3 an Barth und fragte mit gespielter Verwunderung, warum dieser sich nicht zu einem wirklichen Kirchenbruch gegenüber der deutschen Ketzerei genötigt sehe, vor allem angesichts des Ausschlusses der Judenchristen (KARL-BARTH-ARCHIV). Mit ähnlich maliziöser Hinterlist kommentierte Bang Geismar, als dieser die nationalen Perspektiven in den KierkegaardStudien Hirschs in entgegenkommender Weise darzustellen versucht hatte (vgl. Menighedsbladet 1934, Sp. 355-359). D a ß sich in Bangs Haltung zum deutschen Kirchenkampf auch ein gutes Stück Opportunismus verbarg, ist aus seiner plötzlichen Begeisterung für den schwedischen Systematiker Anders Nygren nach dessen kritischer Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus zu sehen (vgl. ebd., Sp. 324-327). Der Beitrag Nygrens wurde in Dänemark sogleich beachtet, wie er auch in Schweden die Gemüter in Bewegung brachte (vgl. N . KARLSTRÖM, Kyrkan och nazismen, S. 158 f., deutsche Zusammenfassung, S. 272). M Adolf Hitler, S. 139 f. (ü.). Vgl. auch H0;SKOLEBLADET vom 1 0 . 2 . und 7. 4. 1933; M. BREDSDORFF, H v a d vil Facismen?, S. 266-268 und 281 f.; FR. SKRUBBELTRANG, Opgeret med Nationalsocialismen, S. 4 7 3 - 4 7 5 und 549-552.
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gung von Christentum und nationalistischer Erneuerung wendeten. Die Zeitschrift „Tidehverv" bezog sogleich Position, indem sie die Thesen Heinrich Vogel „Kreuz und Hakenkreuz" in Ubersetzung brachte 27 . 1934 folgte eine Ubersetzung eines Artikels des damals jungen Theologiestudenten Götz Harbsmeier „Der Kampf der Kirche im neuen Deutschland nach seinen inneren Voraussetzungen", in dem es weniger um eine theologische Kritik als um die Klarlegung der allgemeinen politischen und geistigen Voraussetzungen für die stürmische Entwicklung in Deutschland ging28. Von diesen Veröffentlichungen abgesehen, kam es jedoch von Seiten der Tidehvervtheologen weder zu einer allgemeinen noch zu einer theologischen Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus. Hier hat es sicherlich eine gewisse Rolle gespielt, daß Tidehverv kurz zuvor mit Barth aneinandergeraten war und Martin Niemöller als einen pietistischen und erbaulichen Mann verstand schon allein deshalb, weil er von den dänischen kirchlichen Jugendorganisationen in Anspruch genommen wurde. Entscheidend ist jedoch, daß sich Tidehverv auf die Polemik gegen die kirchlichen Gegner im eigenen Land zurückzog; in den Jahren nach 1933 war dies vor allem die Oxfordgruppenbewegung. Wenn es um anderes als die Verhältnisse im eigenen Lande ging, lief der Kontakt in diesen Jahren vor allem über Rudolf Bultmann. Dieser war in den dreißiger Jahren ein häufiger und angesehener Gast bei den Sommertagungen. Bultmann lehnte es aber glatt ab, sich in seinen Äußerungen über seinen exegetischen Fachbereich hinauszubegeben, und Tidehverv hob in den Anträgen für eine Ausreisegenehmigung für Bultmann stets den unpolitischen Charakter der Sommertagungen hervor 29 . Die Universitätstheologen Unter den Theologieprofessoren der Universität Kopenhagen war der Exeget Frederik Torm der erste, der sich unzweideutig von den Ereignissen in Deutschland distanzierte. Torm unterhielt mit einer langen Reihe von deutschen Theologen enge Beziehungen. Er war gerade 1932 in den Vorstand der Lutherakademie von Sondershausen gewählt worden und hatte deshalb nicht nur zu deren Leiter Carl Stange, sondern auch zum Vorsitzenden des Vorstandes, dem schwedischen Erzbischof Eidem, Kontakt. Außerdem verfolgte Torm die Entwicklung eingehend in der kirchlich-theologischen Presse und durch regelmäßige Lektüre des „Völkischen Beobachters". Seine deutliche 27
Tidehverv 1933, S. 92-94 (übersetzt aus ZdZ 11, 1933, S. 201-206). Tidehverv 1934, S. 24-28 und 45-48. 29 Vgl. P o l A , Ev. Angelegenheiten 17, Bd. 9. - Im Jahrgang 1937 der „Tidehverv" fing jedoch V. Filskov an, sich kulturkritisch mit dem Nationalsozialismus auseinanderzusetzen. 28
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Absage an den Nationalsozialismus schon im Jahre 1933 ist eindeutig in den antijüdischen Maßnahmen vom April 1933 begründet 30 . Der Kirchengeschichtler Jens Norregaard war ebenfalls sehr bald recht kritisch eingestellt. Auch er war ein persönlicher Freund Eidems und korrespondierte häufig mit ihm. Aus seiner Studienzeit vor dem Ersten Weltkrieg hatte er sich viele Verbindungen erhalten, er war also gut informiert. Außerdem reiste der junge norwegische Patristiker Einar Molland gerade in dieser Zeit als Stipendiat nach Deutschland und schickte einige ausführliche Briefe voller präziser Beobachtungen an seinen Lehrer Norregaard. Im Herbst 1933 unternahm N0rregaard schließlich selbst eine Reise, bei der er u. a. den 13. November im Sportpalast persönlich miterlebte. Er schrieb danach einen ausführlichen Zeitungsbericht, der oberflächlich gesehen nur nüchtern analysierend war, zwischen den Zeilen aber voller Empörung und Entrüstung 31 . Die Freundschaft Geismars mit Hirsch war bekannt. Genauso bekannt war aber Geismars Absage an jeglichen zügellosen Nationalismus in seiner Ethik. Auch wenn Geismars öffentliche Reaktion erst ziemlich spät kam und dann auch noch vorsichtig abwartend war, sogar vermischt mit positivem Respekt gegenüber einigen Seiten des Nationalsozialismus, konnte dennoch niemand über seine grundsätzliche Skepsis und Kritik gegenüber vielen Seiten des Nationalsozialismus und über seine Distanz zu Hirsch im unklaren sein. Auch bei den übrigen Professoren fand sich keine durchgehend positive Beurteilung der nationalen Revolution und der damit verbundenen Eingriffe in das kirchliche Leben. Die beiden Dozenten, Hans Fuglsang-Damgaard und Niels Hansen S0e (1895-1978), der ersteren 1934 ablöste, waren zudem beide sehr kritisch gegenüber einem national gefärbten Luthertum, denn beide waren Barthianer, die gleichwohl in vielem auch Brunner zuneigten. Beide ließen keine Gelegenheit aus, den Standpunkt Barths als ein kritisches Memento gegenüber den Machthabern in Politik und Kirchenleitung in Berlin darzustellen. Es wundert daher nicht, daß sich das Verhältnis zu der befreunde30 Torm sprach schon im April davon, er werde aus Protest aus der Leitung der Akademie austreten (vgl. E. MURTORINNE, Erzbischof Eidem, S. 23). Vgl. auch F. TORM, Praediken, S. 113 ff. Schließlich kam Torm ähnlich wie Barth in Konflikt mit G. Kittel, nachdem er dessen Buch: „Die Judenfrage" gelesen hatte (vgl. Briefe von G. Kittel an Torm vom 12.6. und 3 1 . 8 . 1 9 3 3 ; R A KOPENHAGEN, N T Bd. 2). - Zum Verhältnis Torms zur Lutherakademie vgl. auch E. MURTORINNE, Norden och Lutherakademien, S. 182-194. 3 1 BERLINGSKE TIDENDE vom 2., 14., 15. und 17. 1. 1934. - Norregaard stand in dieser Frage auch mit Bischof Bell in Verbindung. Seine Artikel wurden in der deutschen Botschaft als „durchweg sachlich und unpolemisch" registriert (vgl. den Bericht in: A E K D , D 1/34 und POLA, V I Ev. Angelegenheiten 2, Bd. 3).
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ten Göttinger Fakultät schon im Laufe des Jahres 1933 spürbar abkühlte. Drei Göttinger Professoren, Johannes Hempel, Carl Stange und Emanuel Hirsch, unternahmen im Herbst 1933 eine Vorlesungsreise nach Skandinavien und erhielten bei dieser Gelegenheit in Kopenhagen einen direkten Eindruck von der Stimmung gegenüber dem neuen Deutschland. Hempel schrieb in seinem Bericht vom 8. November 1933 an Oberkonsistorialrat Heckel, den späteren Bischof und Leiter des Kirchlichen Außenamtes: „Bei dieser Gelegenheit [dem Treffen mit den Lehrern an der theologischen Fakultät] trat ein außerordentlich scharfer Gegensatz gegen die politische und noch mehr die kirchliche Entwicklung Deutschlands hervor, nicht nur bei solchen Kollegen, deren Deutschfreundlichkeit stets zweifelhaft war, sondern auch bei einem Mann wie Professor Geismar. Sehe ich recht, so ist der Hauptvertreter des Gegensatzes Professor Torm, bei dem scheinbar alle Förderung, die er ζ. B. durch die Lutherakademie in Sondershausen erfahren hat, kein Verständnis für die deutsche Lage wecken konnte. Die Schärfe des Gegensatzes erklärt sich psychologisch wohl so, daß außer der Erschwerung der dänischen Wirtschaftslage durch die notwendigen deutschen Zölle auf Eier und Butter das starke Umsichgreifen des Nationalsozialismus in dem abgetretenen deutschen Gebiet Nordschleswigs Besorgnisse um die innere Festigkeit des dänischen Staatsgefüges weckt. Dazu kommt ein Festgewurzeltsein in einer Ideologie, für die die Grenzen von Evangelium und bürgerlicher Freiheit im Sinne von 1848 sich naiv verwischen; vor allem das sogen[annte] Fehlen der Pressefreiheit spielt da eine große Rolle." 32 Stange hatte sich schon in den zwanziger Jahren großes Ansehen erworben als Lutherforscher, als Herausgeber der „Zeitschrift für systematische Theologie", durch seine Verdienste um die Zusammenarbeit der beiden Fakultäten von Göttingen und Kopenhagen und als Leiter des Apologetischen Seminars, seit 1932 der Lutherakademie in Sondershausen. Hierdurch hielten viele skandinavische Theologen Verbindung zur deutschen Theologie, besonders zur deutschen Lutherforschung. Die allgemeine Atmosphäre der Sympathie und Verträglichkeit wurde indes nun nachhaltig gestört: „Zweimaliges Zusammensein mit der theologischen Fakultät führte zu lebhaften Besprechungen über die Verhältnisse in Deutschland, wobei die Tonart wesentlich schärfer war als in Uppsala. Aber auch hier war der Erfolg der Aussprache, daß wir in herzlicher Freundschaft voneinander schieden. Man kann verstehen, daß es den Dänen besonders schwer wird, die Lage 8 ! A E K D , D 1/32. Der Besuch der Göttinger Professoren ist ausführlich behandelt bei N. KARLSTRÖM, K y r k a n och nazismen, S. 88 ff., deutsche Zusammenfassung S. 256 f.
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Deutschlands in der rechten Beleuchtung zu sehen; um so dankbarer sind wir für die ernsthaften Bemühungen unserer dänischen Freunde, uns davon zu überzeugen, daß sie, besonders um der ökumenischen Arbeit willen, die uns in der Luther-Akademie verbindet, die weitere Entwicklung der kirchlichen Verhältnisse in Deutschland mit ihren Wünschen und Hoffnungen begleiten." 33 Hirsch war über die dänische Verhältnisse am besten unterrichtet und verfolgte, soweit seine vielfältigen Aufgaben dies im Sommer 1933 ermöglichten, auch die dänischen politischen und theologischen Reaktionen auf die Entwicklung in Deutschland. Er war über diese Reaktionen so besorgt, daß er den Besuch im September 1933 dazu benutzen wollte, die Stimmung zu ändern, was er u. a. durch ein Zeitungsinterview versuchte. Im deutschen Außenministerium erntete Hirsch für seine Äußerungen viel Lob, seine Freunde an der Kopenhagener theologischen Fakultät jedoch standen seiner Einstellung noch immer mit Unverständnis gegenüber. Das war für ihn um so schmerzlicher, als er hier zuvor auf viel Ehrerbietung, Respekt und Herzlichkeit gestoßen war. Nach diesem Besuch ist Hirsch nicht mehr nach Kopenhagen gekommen34. Weitere Reaktionen In dem dänischen Pfarrerblatt, das wöchentlich erschien und von allen Pfarrern des Landes gelesen wurde, orientierte Jens Holdt regelmäßig über den Verlauf der kirchlichen Umwälzungen in Deutschland. Diese Informationen waren solide; zunächst bestanden sie nur in der Mitteilung der reinen Fakten, bald jedoch ließ Holdt auch seine eigene Meinung durchscheinen: „Der Nationalsozialismus ist in Wirklichkeit für die Kirche gefährlicher als der Bolschewismus, denn er wirbt, wo dieser abstößt." 35 In verschiedenen ökumenischen Organisationen spielten eine Reihe von dänischen Persönlichkeiten eine Rolle auch im Zusammenhang mit den Komplikationen, die der deutsche Kirchenkampf in den ökumenischen Organisationen mit sich brachte. Im Lutherischen Weltkonvent saß A. Th. Jergensen (1874-1954) zusammen mit dem Schweden P. Pehrsson im Präsidium. Mit seiner konservativen Auffassung von Bibel und Bekenntnis stand Jorgensen von vornherein sowohl dem Barthianismus als auch einer nationalsozialistisch inspi83
C. STANGE, Meine Reise ins Baltikum (in: AELKZ 66, 1933, Sp. 1223). Hirschs Interview ist oben S. 184 erwähnt. Vgl. auch POLA, VI Ev. Angelegenheiten 1, Bd. 3 und AEKD, D 1/31, wo sich eine Ubersetzung des Interviews findet. Ebd. auch Zeitungsausschnitte über den Besuch der Göttinger Professoren in Uppsala. 35 Maendene, S. 164 (ü.). 34
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rierten Politisierung des Evangeliums bei Hirsch fremd gegenüber. Jorgensens Sympathie lag in erster Linie bei dem sächsischen Landesbischof Ludwig Ihmels und nach dessen Tod 1933 bei den lutherischen Bischöfen Hans Meiser und August Marahrens. Auch zu Carl Stange unterhielt er bis zum Kriegsausbruch enge Beziehungen. Er formulierte seine Haltung bis 1934 auch als Redakteur der „Kirchenseite" der „Berlingske Tidende", und hier brachte er die Hoffnung zum Ausdruck, daß das Eingreifen und die Vermittlung des ökumenischen Luthertums einen günstigen Einfluß auf die Entwicklung in Deutschland und die Sicherung des Bekenntnisses ausüben könne. 1933 wurde das Präsidium vom Reichsbischof empfangen, und 1934 beglückwünschte Jorgensen den ebenfalls konservativen Lutheraner Bischof Heckel zu seinem neuen Amt als Leiter des Kirchlichen Außenamts 36 . Für den Bischof von Hadersleben, Ammundsen, ergaben sich, wie erwähnt, gleich nach dem Machtwechsel in Berlin konkrete Schwierigkeiten in seinem Bistum, die vor allem mit den nationalistischen Exzessen der deutschen Minderheit zusammenhingen. Ammundsen hatte zuvor versucht, sein Bistum zu einem Musterbeispiel für die Behandlung von Minderheitenproblemen zu machen. Jetzt aber gab es eine Reihe von unangenehmen Konflikten. Auf ökumenischer Ebene beteiligte Ammundsen sich an den Protesten gegen den Arierparagraphen in der Kirche im Spätsommer 1933. In enger Zusammenarbeit mit Friedrich Siegmund-Schultze, Bischof Bell und Erzbischof Eidem versuchte er, die schlimmsten Auswüchse der Eingriffe in die Kirche einzudämmen 37 . Schließlich muß G. Sparring-Petersen (geb. 1900) wenigstens kurz erwähnt werden. Er stand schon vor 1933 wie Ammundsen an der Spitze von pazifistischen, christlich-sozialen ökumenischen Organisationen. Nach 1933 schrieb er in vielen Tageszeitungen, darunter auch „Politiken" und „Socialdemokraten", kritische Reportagen über den deutschen Kirchenkampf, in denen er sich für die Linie der Bruderräte der Bekennenden Kirche einsetzte 38 . 36 A K A , C I Dänemark. In dem Brief vom 12. 5. 1934 hebt Jorgensen auch hervor, daß es wichtig sei, die kommunistische Gefahr einzudämmen, und gibt Heckel in seinem Widerspruch gegen viele verzerrte Darstellungen der deutschen Verhältnisse im Ausland Recht. Er stimmt grundsätzlich den volkskommisionarischen Bemühungen, das Kirchenvolk zu sammeln, zu (vgl. auch BERLINGSKE
T I D E N D E v o m 2 6 . 1 1 . 1 9 3 3 u n d BERLINGSKE AFTENAVIS v o m 1 8 . 1 1 . 1 9 3 3 ) . 3 7 Zu Ammundsen vgl. A. BOYENS, Kirchenkampf und Ökumene, S. 59-69; E. BETHGE, D. Bonhoeffer, S. 365-370; E. MURTORINNE, Erzbischof Eidem, S. 29 f. und N . KARLSTRÖM, Kyrkan och nazismen, S. 167 ff., deutsche Zusammenfassung S. 275 f f . 3 8 Vgl. auch G. SPARRING-PETERSEN, Kirke naer K a o s ; Fra den tyske Kirke. Sparring-Petersen hatte engen Kontakt zum schwedischen ökumenischen Rat, war dänischer Redakteur der interskandinavischen Zeitschrift „Kristen Gemenskap",
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Dieser etwas summarische Bericht über die kirchlichen und theologischen Stimmen in Dänemark zu den Ereignissen in Deutschland zeigt eine Vielfalt von verschiedenen Gesichtspunkten. Das ist jedoch für die Struktur und Funktion der dänischen „Volkskirche" gerade charakteristisch. Diese Kirche war - und ist - in ihrer Struktur antihierarchisch, es gibt in ihr keine institutionalisierte Mitarbeit an der ökumenischen Bewegung, denn damals wie heute ist niemand autorisiert, für „die" dänische Kirche zu sprechen. Auch in der gespannten Lage der dreißiger Jahre konnte sich die ökumenische Zusammenarbeit nur über private Beziehungen, also über nicht-offizielle Kanäle, vollziehen. Das bedeutet jedoch keineswegs, daß es keine Reaktionen gab oder daß diese nicht ihre Adressaten erreichten. Deshalb paßt auch das Schema, nach dem A. Boyens in seiner großen Monographie „Kirchenkampf und Ökumene" diese Fragen untersucht hat, ganz und gar nicht für die dänischen Verhältnisse. Boyens hat die ökumenischen Reaktionen vor allem in den zentralen Sekretariaten in Genf zu finden gesucht. Dadurch ist es ihm aber von vornherein unmöglich, die grundlegenden Verhältnisse in Dänemark zu erfassen, denn die dänischen Reaktionen waren gerade durch speziell dänische nationale, kulturelle, politische und kirchliche Verhältnisse bedingt. Uber Genf läßt sich deshalb ein auch nur annähernd repräsentatives Bild der dänischen Reaktionen nicht gewinnen 39 . die über den deutschen Kirchenkampf laufend unterrichtete. Nach der erfolglosen Audienz des schwedischen Erzbischofs bei Hitler und den Zeitungsartikeln A. Nygrens, beides im Mai 1934, stellte sich Sparring-Petersen an die Spitze all derer, die auch im Dänemark einen scharfen Protest auf breiter Grundlage forderten. si Diese Feststellungen sind natürlich nicht ohne weiteres als eine Wertung der theologischen Grundlagen der dänischen Kirche zu verstehen. Die Kenntnis dieser Voraussetzungen ist aber für die historische Beurteilung der dänischen Reaktionen auf den Nationalsozialismus unerläßlich. A. BOYENS (Kirchenkampf und Ökumene) hat durch die Sammlung von Einzelmaterial über die ökumenischen Aktivitäten der Kirchen im Lichte der deutschen Herausforderung eine sehr wichtige Vorarbeit geleistet. Seine Untersuchungen bedürfen freilich der Korrektur und der Ergänzung dadurch, daß man das Material sozusagen von der anderen Seite her sieht, d. h. von den vielfältig verschiedenen Verhältnissen in den Kirchen der einzelnen Länder her. Erst von hier aus kann deutlich werden, wie repräsentativ eigentlich die Äußerungen und Reaktionen waren, die in die ökumenischen Kanäle gelangten. Zu einer solchen Korrektur und Ergänzung soll hier aus dänischer Sicht ein Beitrag geleistet werden. - Völlig irreführend ist die Bilanz, die U. D U C H R O W aus einer Fall-Studie über den Hirtenbrief der dänischen Bischöfe zum Judenproblem 1943 gezogen hat. Er folgert, „daß erst durch die außergewöhnlichen Umstände [die Besetzung] das unbewußte traditionelle Verhältnis von Kirche und Staat, Kirche und politischer Verantwortung in einer lutherischen Staatskirchensituation problematisch wurde. Es gab keine vorausgehende ausführliche theologische Diskussion, auf die man sich stützen konnte" (Zwei Reiche und Regimente, S. 28). Hier werden Fragestellungen, die vornehmlich aus deutschen Verhältnissen und einer bestimmten theologischen Tradition herrühren, auf die ganz anderen Verhältnisse in Dänemark angewendet.
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b) Anfänge der theologischen Differenzen Der Fortgang der Auseinandersetzung mit dem „Barthianismus" Wenn das Jahr 1930 in einem gewissen Sinne als ein Einschnitt in der theologischen Entwicklung Geismars gesehen werden kann, so hängt das mit den scharfen Angriffen zusammen, die gegen ihn von seiten der dänischen dialektischen Theologen geführt wurden. Geismar fühlte sich von diesen Angriffen so hart getroffen, daß er für den Rest seines Lebens von Verbitterung und Enttäuschung darüber gezeichnet war. Deutlichstes Zeugnis dieser seiner Einstellung ist die Tatsache, daß er sich in der Regel weigerte, direkt mit Tidehvervtheologen zu diskutieren. E r wandte sich meist allgemein gegen den „Barthianismus", obwohl er sehr wohl um das in Wirklichkeit sehr komplizierte Verhältnis zwischen Tidehverv und Barth wußte. In seinen Hauptwerken aus den frühen dreißiger Jahren, der Dogmatik und der Neuausgabe der „Ethik", aber auch in einer Reihe von kleineren Arbeiten versucht Geismar, auf die Angriffe zu antworten. E r gibt dabei mehrmals zu, daß die Kritik ihn veranlaßt habe, seine grundsätzlichen Standpunkte noch einmal von Grund auf neu zu durchdenken. Das Hauptproblem ist aber nun ganz deutlich für Geismar nicht mehr Barth selbst, sondern der dänische „Barthianismus". Hin und wieder - und dies ist symptomatisch für die Stimmung der Diskussion - beschwert sich Geismar beleidigt und empört über die Form der Kritik und den seiner Meinung nach ungerechtfertigten Vorwurf eines naiven ethischen Idealismus. E r meint diesen Vorwurf als gänzlich unangemessen abweisen zu können, denn er spreche ja von Christus als einem Vorbild und nicht als einem Ideal. Darum verkenne er auch nicht, wie die Tidehvervtheologen meinten, die Absolutheit der Sünde und der ethischen Forderung 40 . Geismar kann deshalb durchaus das theologische Recht sowohl Barths als auch des dänischen „Barthianismus" anerkennen. Dies gilt für den Gottesbegriff und den Begriff der Offenbarung: hinsichtlich der Paradoxalität, des Transzendenzcharakters und der „Unverfügbarkeit" der Offenbarung stimmt Geismar Barth und dem dänischen Barthianismus durchaus zu 4 1 . Ebenso betont Geismar das unbestreitbare Recht Barths und der Barthianer, die Radikalität der Sünde und die gänzlich unverdiente Gnade hervorzuheben als eine notwendige Aktualisierung der zentralen paulinisch-reformatorischen Botschaft und als eine notwendige Korrektur eines jeglichen pietistischen 40 41
Luthersk Troslaere, S. 69 f., Anm. 31; Luthersk Etik, S. 103 f. Luthersk Troslaere, S. 14, S. 50-52, auch S. 113 und S. 231 f.
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Bekehrungsmethodismus42. Dennoch hätten sich Barth und die Barthianer trotz dieses richtigen Anliegens in eine Einseitigkeit verrannt, deren fatalste Konsequenz die Eliminierung der ethischen Folgewirkungen der Dogmatik, das Verschwinden der Rede von der Nachfolge, von ethischem Streben, von der weiteren Gültigkeit der ethischen Forderungen trotz ihrer Unerfüllbarkeit, von der Erneuerung durch den Heiligen Geist und der daraus folgenden positiven Idealität der Schöpfung seien43. Trotz der hier sich zeigenden wichtigen Ansätze zu einer Selbstrevision und der offenen Kritik an Barth und am Barthianismus ist der Standpunkt Geismars im großen und ganzen von Kontinuität geprägt. Das Wesen der dialektischen Theologie hat er im Grunde nie verstanden, die polemische Form der Tidehvervtheologen hat wohl auch psychologisch einen wirklichen Zugang versperrt und seinen Willen blockiert, das Anliegen der dialektischen Theologie wirklich zu würdigen. Mit der Elle der dialektischen Theologie gemessen, mußte Geismar als ein Mann eines vergangenen Zeitalters erscheinen. Dort, wo er durch Konzessionen seine Theologie den neuen Gegebenheiten anpassen wollte, erschien er nur noch deutlicher als ein Mann, der den theologischen Problemen zuweilen hilflos gegenüberstand und sich durch Kompilation verschiedener theologischer Grundbegriffe helfen wollte. Dieser Eindruck wurde dadurch verstärkt, daß Geismar in seinen Vorlesungen und Übungen wie in seinen Büchern fast monoman immer auf die Grundbegriffe zurückgriff, die er als die Substanz systematischer Theologie verstand. Übereinstimmung
mit Hirsch
Angesichts der zugespitzten Konfrontation mit der dänischen dialektischen Theologie erschien Geismar nun die Freundschaft und Übereinstimmung mit Hirsch um so wertvoller 44 . Der Höhepunkt dieser Freundschaft liegt deutlich in den Jahren 1929-31, und es fällt auf, daß Hirschs Neuorientierung in „Schöpfung und Sünde" dieser Harmonie zunächst keinen Abbruch tut. Im Gegenteil: Die unmittelbare erste Reaktion Geismars auf dieses Buch ist gleichsam befreite Zustimmung, denn dank des Kontakts zu Hirsch konnte sich Geismar nun von der niederdrückenden Enttäuschung und Verbitterung freiEbd., S. 87 f., 99 ff., 124, 182 f.; Luthersk Etik, S. 17. Ebd., S. 16, 20 f., 3 9 ; H v a d er Kristendom? S. 137 f.; Luthersk Troslaere, S. 102 f. und 130. 4 4 Es muß jedoch erwähnt werden, daß Geismar die schwedische systematische Theologie zeit seines Lebens sehr hoch eingeschätzt hat, nicht zuletzt Anders Nygrens Werk über Eros und Agape hat er stets mit großer Bewunderung und Zustimmung erwähnt (vgl. ebd., S. 6 4 ; Luthersk Etik, S. 13 f und 17). 42
43
15
Schjerring, Geismar/Hirsch
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machen, die die dänische theologische Diskussion bei ihm hinterlassen hatte. Er bewundert deshalb in begeisterter Anerkennung, wie Hirsch die Luther-Deutung Holls fruchtbar gemacht habe für die Kierkegaard-Interpretation und auch für die Grundlegung der Ethik als Zusammenspiel zwischen Gericht und Gnade einerseits und dem Leben in seinen geschaffenen Grundordnungen andererseits 45 . Hirschs Intention in „Schöpfung und Sünde" war ja, die Einsichten der Luther-Deutung und der Kierkegaard-Interpretation dazu zu verwenden, eine neue ethische Grundlage für die weltanschaulichen Werte zu schaffen, um dem nationalen Unglück der Weimarer Republik zu entkommen. In gewisser Weise konnte sich Geismar diesem Anliegen anschließen. Er sah nicht nur, daß sich Hirschs Gedanken in gleichsam logischer Konsequenz aus seinen früheren Arbeiten ergaben, er war auch geneigt, das ethisch-politische Engagement Hirschs als eine Parallele zu seiner eigenen Kulturkritik in „Kristendommen og vor Tids Kultur" (Das Christentum und die Kultur unserer Zeit) zu sehen und zu akzeptieren. Auch mußte er zugeben, daß die angespannte Situation in Deutschland, wirtschaftlich wie auch politischkulturell, ein besonders radikales Engagement erforderte 46 . Geismars Zustimmung erstreckt sich nun aber auch auf Teile der angewandten politischen Ethik. Er kann Hirsch jedenfalls sehr weit folgen in der Forderung nach einer autoritären Staatsordnung, die auf einer verbindlichen moralischen Ordnung beruht. Wenn er ζ. B. von der Polarität zwischen Naturalismus und Idealismus spricht und diese aktualisieren will, kann er den Nationalsozialismus definieren als einen „Versuch, mit Hilfe des Staates die Untergrabung aller Werte 4 5 Luthersk Troslaere, S. 9-11, 15 und 131-134; Luthers Erik, S. 35 f.; H v a d er Kristendom, S. 77 f. und 90 f. 4 * Siehe vor allem die loyal paraphrasierende Besprechung ( T T 1932, S. 221226). Hier ging Geismar sogar weiter, als es Hirsch vermutlich je erwartet hatte: „Ich glaube, ich bin mehr einig, als er denkt. Die Einigkeit tritt deutlich in meiner Schrift über ,Das Christentum und die Kultur unserer Zeit' darin zutage, daß ich anerkenne, daß der .Kontext* des Lebens zu Recht eine Realisation eines christlichen Ideals außerhalb der Verpflichtungen verhindert, die unser Erdenleben in seiner Göttlichkeit in sich birgt. Professor Hirsch hat den Mut gehabt, das zu einem Grundsatz zu machen, was auch ich fühle (Anm. 75), ,daß es Weisen gibt, auf welche die Lebensverhältnisse, die unter dem Bann des Zornes Gottes stehen, eine Ausweitung und Durchglühung mit christlicher Liebe empfangen können, und daß man sich selbst als ein Verleumder vorkäme, wollte man dies alles als Heuchelei und Betrug ausgeben wegen seiner Zweideutigkeit, Halbheit und Ohnmacht gegenüber der großen Verbannung, die über dem Menschenleben liegt'" (ebd., S. 25 f.; ü.). Vgl. auch Luthersk Etik, S. 70 und H v a d er Kristendom?, S. 32 f. sowie den ungedruckten Diskussionsbeitrag über die Schwierigkeit der christlichen Ethik (undatiert, aber wohl aus den Jahren 1932-33), wo Geismar vor einer Gruppe von Kopenhagener Theologen und Pfarrern die Problematik von „Schöpfung und Sünde" zu erläutern versucht (RA KOPENHAGEN, N G Bd. 11).
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zu verhindern, die das Volksleben zerstören wollen". In diesem Zusammenhang räumt er also ein, daß es in Deutschland um die Ehrfurcht vor den idealen Werten geht, die die empirische Objektivität - jedenfalls der Intention nach - transzendieren. In dieselbe Richtung weist es, wenn Geismar die Vorstellung von einem nationalen Kulturstaat positiv beurteilt. Er bezieht sich hier auf die Idee eines Weltanschauungsstaates, der die nationale Eigenart eines Volkes garantiert. Die Vollmacht über Kultur und Religion hat sich der Staat nach dieser Vorstellung nicht willkürlich angeeignet, sondern sie ist ihm von Gott gegeben. In dieser Tendenz sieht Geismar nun ein notwendiges Gegengewicht gegen die „verhängnisvolle Bedeutung, die ein entwurzelter Intellektualismus und ein Demokratismus ohne politische Ideale in der Gemeinschaft für das moderne Leben gehabt haben: die Auflösung aller verpflichtenden Bindungen und die Preisgabe aller Werte für die Willkürlichkeiten eines zentrifugalen Denkens" 47 . Hirsch wird zwar nicht ausdrücklich als Vertreter solcher Gedanken genannt. Aber neben der unmittelbar einleuchtenden Wahrscheinlichkeit sprechen auch direkte Beweise dafür, daß diese Passagen auf Hirsch zielen. Die Bemühungen Geismars um eine verständnisvolle Darstellung des neuen Engagements bei Hirsch sind nicht nur Ausdruck kollegialer Freundschaft und für das Bewußtsein, daß eine moralische Korrektur des Liberalismus wie des Sozialismus notwendig sei, eine Korrektur der ideenlosen parlamentarischen Demokratie also, eines areligiösen Kulturbegriffs. Ähnliches fand sich ja bei Geismar bereits in seinen ersten Werken, versehen mit seinen idealistisch-moralisierenden Obertönen. All dies aber macht Geismar nun empfänglich für Hirschs begeisterte Proklamation der gottgewollten Befreiung aus der Untergrabung der Sittlichkeit durch die Gottlosigkeit und der Rückkehr des Volkes zu einer Verwurzelung in einer religiösen Identität, die hinter dem Volkswillen stehen müsse. Der wichtigste Beweis dafür, daß Geismars Aussagen hier nicht als eine Hinneigung zum Nationalsozialismus mißverstanden werden dürfen, sondern Ausdruck seiner Sympathie für Hirsch sind, ist indes die Tatsache, daß Geismar gerade 1933 und Anfang 1934 gespannt auf den Abschluß der großen KierkegaardMonographie Hirschs wartete, in der sich der Ertrag ihrer theologischen Ubereinstimmung aufs neue manifestieren sollte. Die erste öffentliche Reaktion Geismars auf die Vollendung der Kierkegaard-Studien ist denn auch Bewunderung und Zustimmung, die er sehr persönlich formuliert. Besonderes Gewicht legt er auf die „differentia specifica", den Unterschied zwischen der Askese des 47
15*
H v a d er Kristendom? S. 51 ff. (ü.), vgl. auch S. 252 ff.
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Martyriums im Urchristentum und der jetzigen gesellschaftlichen Stellung des Christentums, also die Tatsache, daß die moderne Kultur für Hirsch eine „Vorgestalt" für die Offenbarung darstellt. Geismar stimmt Hirschs Aktualisierung der kierkegaardschen Rede von der Unruhe in Richtung auf Verinnerlichung zu und zollt auch der Lehre Beifall, die Hirsch aus Kierkegaards „Kirchensturm" für den aktuellen Kirchenstreit in Deutschland ziehen will: „Ein Christentum in gesicherter Kirchlichkeit ist Trug." Schließlich stellt Geismar die Verbindung zwischen der Kierkegaard-Interpretation Hirschs und seinem aktuellen kirchenpolitischen Engagement bei den Deutschen Christen her: „Diese Bewegung selbst innerhalb der protestantischen Kirche ist sicherlich auch nach Hirschs Meinung dies Zweideutige, das er .christliche Volklichkeit', die bestehende Christenheit nannte. Aber christliches Wagen unter christlicher Unruhe ist sicher der Grund dafür, daß sich ein Mann mit der von Kierkegaard inspirierten Unruhe an dieser Bewegung beteiligt, weil er wagend zu verstehen meint, daß in ihr viel von dem ist, was man als Vorhof zum Christentum betrachten kann, denn es finden sich in ihr der Niederschlag christlicher Ideen, der Zusammenhalt des Volkes, Bekämpfung des geschlechtlich-moralischen Chaos und die Freude daran, die Fesseln der Niederlage zu sprengen, die sich das Volk selbst angelegt hatte, als es etwas unterschrieb, was eine Lüge war. Man kann also nicht sagen, daß das Werk abgeschlossen wurde, um die Zustimmung des Verfassers zu Hitler zu verteidigen; vielmehr liefert der Abschluß des Werkes die Gedanken, kraft derer er gemeint hat, dies sei seine Pflicht." 4 8 Es gibt noch ein weiteres Zeugnis dafür, wie weit Geismar in seiner Freundschaft zu Hirsch auch noch im Jahre 1933 gehen konnte, nämlich seine erste Reaktion auf Brunners Buch „Das Gebot und die Ordnungen", das Geismar im Herbst 1933 gelesen haben muß. Seit sich Geismar Mitte der zwanziger Jahre über seinen Abstand zu Barth klargeworden war, hatte er stets Brunner den übrigen dialektischen Theologen vorgezogen, u. a. weil er bei Brunner eine mehr philosophische Schulung fand. Dies führe, so Geismar, zu einer differenzierteren Beurteilung der erkenntnistheoretischen Implikationen der Ethik und Religionsphilosophie. Dies zeigte sich dann auch deutlich, als Brunner Ende der zwanziger Jahre das Programm einer Eristik vorlegte, einer Form der Apologie, die den zentralen reformatorischen Wahrheiten treu bleiben wollte, die den Kreis um „Zwischen den 48
„Et
tysk O p g o r m e d K i e r k e g a a r d "
(DAGENS NYHEDER v o m
4. 5 . 1 9 3 4 ;
ü.).
In diesem Artikel finden sich keine Ansätze zur Kritik. Geismars Artikel rief sofort scharfen Widerspruch des leidenschaftlich anti-deutsch eingestellten emeritierten Professors J. P. BANG hervor (Menighedsbladet 1934, S. 355).
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Zeiten" zusammenhielten. Andererseits stand Geismar Brunners Auseinandersetzung mit Schleiermacher genauso kritisch gegenüber wie dem Gebrauch, den Barth von Kierkegaard machte. Er war der Überzeugung, daß Brunner hier denselben Mißverständnissen unterliege wie die übrigen dialektischen Theologen 4 9 . In „ D a s Gebot und die Ordnungen" will Brunner auf eine Dialektik hinweisen, die zwischen den gottgegebenen Ordnungen und der menschlichen Sündigkeit bestehe, eine Dialektik, die man weder aufheben könne noch dürfe. Brunner wendet sich mit starken Worten gegen den Zynismus, der sich in Begriffen wie Kapitalismus und Militarismus ausspricht, er wendet sich leidenschaftlich gegen jeden Staatsbegriff, in dem autoritäre Befugnisse Gewissenszwang legitimieren können 5 0 . Die einzig gangbare Lösung sieht er im Festhalten an einer gottgewollten Schöpfungsidealität in den Ordnungen. Er will unterscheiden zwischen Familie und Volk als Schöpfungsordnungen und dem Staat als „Dienstordnung", um so zu betonen, wie gefährlich es wäre, die Befugnisse des Staates zu weit zu fassen. Als abschreckendes Beispiel nennt er hier in den Anmerkungen vor allem Hirsch 5 1 . Geismar mußte sich in seinem Georgeismus in vielem von den Gedanken Brunners angezogen fühlen: „Brunner hat das Problem gesehen, und er ist der einzige Barthianer, der wirklich etwas zu sagen hat über diese Schwierigkeiten, die meiner Meinung nach viel wichtiger sind als alle dogmatischen Probleme zusammen. Er gibt die Unchristlichkeit der Ordnungen auf der einen Seite zu, auf der anderen Seite aber auch ihre Notwendigkeit." Gerade in diesem Zusammenhang nimmt Geismar nun entschieden Hirsch gegen die Angriffe Brunners in Schutz: „Es gibt wohl Zusammenhänge bei Brunner, wo er diese Auffassung [die Kombination positiver Einsichten von Luther und Kierkegaard] berührt, aber in den Anmerkungen lehnt er Hirsch mit einer Überlegenheit ab, die zeigt, daß er für die Schwierigkeiten des Problems auf dem Gebiet der Innerlichkeit keinen Sinn hat." 5 2 Der Standpunkt Geismars um das J a h r 1933 scheint also in sich widersprüchlich zu sein. Entscheidend ist nun die Frage, was Geismar 4 9 Vgl. auch Geismars relativ positive Beurteilung Brunners in einem Brief an Barth vom 13. 6. 1925 (J. H . SCHJBRRING, Barth, Geismar, Tidehverv, S. 104 f.). Vgl. auch E. GEISMAR, Religionsfilosofi 2 , S. 306 f.; Luthersk Troslaere, S. 33 und 232. 5 0 D a s Gebot und die Ordnungen, S. 313-323, S. 401 ff., S. 440 ff., S. 455 ff. 5 1 Ebd., S. 586, 596, 611, 650 f. und 661-663. 5 2 Geismars Besprechung (TT 1934, S. 56 ff., die Zitate S. 65 und 66; ü.). Im Vorwort zu „Luthersk Etik" (erschienen 1933) teilt Geismar mit, er habe Brunners Ethik erst zu einem so späten Zeitpunkt gelesen, daß er sie in seiner Darstellung nicht habe verarbeiten können. Zum Verhältnis zwischen Geismar und Brunner siehe Ν . H . Soes Besprechung der Ethik Geismars (PRAESTEFORENINGENS
BLAD 1933, S. 506 f f . ) .
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Die J a h r e 1 9 3 1 - 1 9 3 4 : Beginnende Entfremdung
im Sommer 1934 dazu veranlaßt hat, seine Einstellung zur totalitären „Weltanschauung" Hirschs und zu Brunners Gedanken der notwendigen Beschränkung staatlicher Vollmacht von Grund auf zu ändern. Aufbruchstendenzen
in Geismars Verhältnis zu Hirsch
Trotz der sehr deutlichen Zeugnisse theologischer Ubereinstimmung zwischen Geismar und Hirsch und der damit zusammenhängenden freundschaftlichen Verbundenheit zeichnet sich bei Geismar beginnender Widerspruch zu den neuen Tendenzen Hirschs seit 1930 ab. Diese Entwicklung beginnt schon Anfang der dreißiger Jahre mit einem unsicher abwartenden Fragen, danach kam es zu ausdrücklichen Divergenzen in einzelnen, freilich sehr wichtigen grunsätzlichen Fragen und dann im Sommer 1934 zu einem totalen, wenn auch schmerzhaften Bruch und zu Empörung über die Haltung Hirschs. Schon Geismars Besprechung von „Schöpfung und Sünde" zeigt eine gewisse Unsicherheit, als Geismar mit einer abschließenden Frage offenbar seine zuvor zum Ausdruck gebrachte vorbehaltlose Zustimmung wieder einschränkt: „Das Problem ist mit einzigartiger Klarheit gestellt. Es ist - unabgeklärt - das Grundthema meines Lebens gewesen. Ich wage die Lösung, die Hirsch anbietet, weder zu bestätigen noch anzugreifen. Ist sie unserem natürlichen Menschenleben nicht versöhnlicher als das Wort Jesu Christi?" 53 Ein Jahr später tritt der Konflikt schon viel deutlicher zutage. Geismar ist nun zu dem Ergebnis gelangt, daß Hirsch die Dialektik zwischen Positivität und Polemik, zwischen Schöpfung und Offenbarung verflüchtigt habe, die für beide der Ertrag ihres Studiums von Luther und Kierkegaard gewesen war. Für Geismar war nun weiter klar, daß das leidenschaftliche politische Ethos Hirsch zur Abschwächung der „Polemik" im Sinne Kierkegaards gezwungen hatte. E r selbst fühlte sich durch die theologische und geistige Entwicklung in Dänemark, auch durch die Entwicklung in Deutschland und speziell bei Hirsch nun veranlaßt, nur noch nachdrücklicher an dem Aspekt des Gerichts mit seinem Widerspruch gegen eine unvermittelte natürliche Idealität festzuhalten54. 53 π " 1932, S. 226 (ü.). 5 4 Luthersk Etik, S. 100 Anm., wo Geismar ausdrücklich klarstellt, er sei nach seiner ersten Besprechung auf die Reichweite seiner Nichtübereinstimmung mit „Schöpfung und Sünde" aufmerksam geworden vor allem, was das Verhältnis zu den natürlichen Ordnungen anbetreffe. Denn „Hirsch hat sich, indem er das göttliche Recht der menschlichen Solidaritätsverhältnisse betont, an der Souveränität des christlichen Gottesverhältnisses vergangen. Es gibt eine christliche Lebenssphäre, von der ein Gericht über die menschlichen Solidaritätsverhältnisse ausgeht, so daß das Leben in ihnen das Leiden wird, das Jesus das Kreuz nennt" (ü.).
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Geismar macht den Umfang des Gegensatzes deutlich, indem er ganz auf der Linie seiner bisherigen Einstellung von der Doppelhaltung spricht, in der der Christ dem Nationalstaat wie dem Krieg gegenüberzustehen habe. Zwar versteht Geismar noch immer die Vaterlandsliebe als göttlich sanktionierte Idealität, er fordert einen nationalen Kulturstaat, der auf einer gemeinsamen, verpflichtenden Weltanschauung aufgebaut ist als Gegengewicht gegen Wurzellosigkeit und rohen Materialismus. Aber gerade in diesem Zusammenhang kommt Geismar des öfteren und sehr bestimmt auf die unumgängliche Notwendigkeit einer Dialektik zwischen Natur und Offenbarung zurück. Es sei die Folge der Sünde als eines Grundschadens im ganzen Menschenleben, daß es kein Solidaritätsgefühl gebe, das vom Gericht ausgenommen sei, und er fügt hinzu, daß das Gewissen des Einzelnen eine genauso elementare Forderung der Freiheit sei. Hier lägen die Gefahren eines Weltanschauungsstaates auf der Hand 5 5 . Dazu komme, daß der nationale Kulturstaat ein ständiges Risiko internationaler Konflikte in sich trage. Eingehend erwähnt Geismar auch die ethischen Schwierigkeiten, die mit dem Kriege verbunden sind. Die Teilnahme am Kriege - trotz der grundsätzlichen Legitimität und Notwendigkeit des Verteidigungskrieges - führe zu egoistischer Blickverengung und zu Tötung, genauso wie Pazifismus trotz der Forderung des Gewissens nach Verzicht auf Gewaltanwendung zu einer Verflüchtigung der Verantwortung führe. Gerade diese unvermeidliche Pflichtenkollision macht für Geismar deutlich, daß ein Abgleiten in Nationalismus und eine theologische Rechtfertigung des Nationalismus fatal wären 56 . Weiter beharrt Geismar auf der Forderung nach wirtschaftlich gerechten Ordnungen. Er versteht darunter das Recht aller auf Arbeit sowie die Ubereinstimmung zwischen Arbeitsleistung und Lohn. Er sieht sich deshalb genötigt, das teilweise Recht des Sozialismus zuzugeben; er ist jedenfalls von Hirschs fanatischer Dämonisierung des Sozialismus weit entfernt. Auch die sach55 H v a d er Kristendom? S. 188 f. und 248 f.; Luthersk Etik, S. 101-105; Samfundslivets Etik, S. 69-73. " Ebd., S. 74-92. Hier sagt Geismar, nachdem er an der Notwendigkeit der Pflichtenkollision und der Unmöglichkeit einer allgemeinen Antwort auf diese Frage festgehalten hat: „Die Wechselwirkung zwischen den beiden Strömungen ist vielleicht recht fruchtbar. Dagegen dürften die Zeiten vorbei sein, in denen man mit einem guten Gewissen in den Krieg zieht und über dem Heroischen, daß man selbst sein Leben für die Brüder riskiert, das Entsetzliche vergißt, daß man Brüdern das Leben nimmt" (S. 92; ü.). Schon 1930 hatte Geismar - gemeinsam mit einer Reihe von Pfarrern, Politikern und Persönlichkeiten des kulturellen Lebens - eine Erklärung unterschrieben, die den Krieg als Mittel zur Lösung internationaler Konflikte und besonders den Angriffskrieg ohne den Versuch vorheriger internationaler Vermittlung verurteilte (MAALET OG VEJEN 1930, S. 130 f f . ) ; vgl. auch Luthersk Etik, S. 238-241.
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lichen Einwände gegen den Sozialismus sind bei beiden Theologen ganz verschieden. Wo Hirsch die historische Schicksalsgemeinschaft und die nationale Einheit so drastisch hervorhebt, daß alle realpolitischen Probleme daneben verblassen, ist Geismars Alternative zum konsequenten Sozialismus eine sozial-liberale Auffassung, die den Gedanken der sozialen Gerechtigkeit mit den freien Entfaltungsmöglichkeiten des Einzelnen verbindet 57 . Geismars
Beiträge
zur allgemeinen
Moraldiskussion
Gerade Anfang der dreißiger Jahre schrieb Geismar Lehrbücher, die sich mit der speziellen Ethik beschäftigten. Er sah sich deshalb genötigt, sich zu der heftigen Diskussion über die moralischen Normen zu äußern, vor allem im Zusammenhang mit der wachsenden Forderung nach sexueller Befreiung von dem kirchlich sanktionierten viktorianischen Puritanismus. Der Prüfstein für den Standpunkt der meisten Theologen und Pfarrer war ihre Stellung zum Freudianismus. Für den großen und sehr lauten rechten Flügel in der Kirche war auch das geringste Zugeständnis in dieser Frage gleichbedeutend mit dem Bankrott des Christentums gegenüber der Amoralität der Gottlosigkeit. Hier wandte Geismar sich jedoch mutig gegen ein solches einseitiges Anathema gegen die Psychoanalyse. Er war zwar ernstlich besorgt, daß eine freudsche Therapie das Schamgefühl verletzen könne, das für ihn eine gottgegebene Schranke war, deren Übertretung ungezähmte Triebe und Frivolität freisetze. Dennoch ging es ihm darum, vor jeder pauschalen Verdrängung der Instinkte und des Trieblebens zu warnen. Er sah es als eine christliche Aufgabe an, die moderne Psychiatrie für Kirche und Theologie nutzbar zu machen. Die Persönlichkeitspsychologie Adlers mit der Lehre von der Komplexüberwindung war für Geismar von größerem Belang und somit auch frei von der Gefahr des Mißbrauchs 58 . Entsprechend nimmt Geismar auch in der breiten Palette der sexuellen Diskussion einen mittleren Standpunkt ein: für die Emanzipation der Frau bis zu einem gewissen Grade, aber ohne daß die Frau ihre „natürliche Berufung" verleugnet; Anerkennung der Existenz des Geschlechtstriebes, ohne ihm blind nachzugeben; für sexuelle Aufklärung, aber gegen einen Kult des Pikanten; für ein gewisses Maß von Geburtenkontrolle; schließlich für die Möglichkeit der Scheidung, 67 Samfundslivets Etik, S. 25-46; Hvad er Kristendom? S. 235-244; Luthersk Etik, S. 199-207 und 241-243. 58 Ebd., S. 78 ff.; vgl. Det seksuelle Livs Etik, S. 22 f.; Hvad er Kristendom? S. 176-181.
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ohne daß er damit leichtfertigem Ehebruch das Wort reden wollte. Dagegen wendet sich Geismar scharf und kompromißlos gegen die sogenannte „Kameradschaftsehe" und gegen die Legalisierung der Abtreibung. Sein wesentliches Anliegen ist die Bestätigung der Heiligkeit des Schamgefühls. „Gerade weil das Geschlechtsleben so tief eingreift, wie es der Fall ist, birgt das Geschlechtsverhältnis in sich ein Ewigkeitsbewußtsein, das sich darin zeigt, daß das Verhältnis, wenn es auch nur etwas Tiefe besitzt, eine unbedingte Hingabe an den Einen als den Einzigen fordert. Dies ist eine natürliche Idealität, die durch das Christentum vertieft und verinner licht worden ist." 59 Mit den damaligen Maßstäben gemessen, war Geismars Haltung von der Mehrzahl der konservativen kirchlichen Diskussionsbeiträge meilenweit entfernt. Er wandte sich, wie stets in seiner Ethik, gegen kulturelle Autonomie im Sinne einer antiidealistischen Materialisierung. Statt dessen plädierte er für „Durchläuterung" der Gesinnung durch das Christentum. Abschließend läßt sich sagen, daß Geismars Bereitschaft zum Kompromiß mitten in einer Zeit der erbitterten und haßerfüllten Konfrontation sich deutlich von der Normalethik der großen kirchlichen Erweckungsbewegungen und der kirchlichen Jugendorganisationen abhob. Tidehvervs Vorwurf des idealisierenden Moralismus und der Vermischung von bürgerlichem Puritanismus mit christlicher Radikalität erscheint in dieser Perspektive als überpolemische Vereinfachung und Verkennung der Proportionen. Geismar fühlte sich zwar angezogen von dem Lobpreis eines moralischen Puritanismus, der dem Nationalsozialismus so viele Anhänger verschafft hatte, aber trotz allem idealistischen Moralisieren blieb seine politische Grundhaltung die des rechtsstaatlichen Liberalismus. Das sollte sich nach dem Sommer 1934 deutlich zeigen. Gerade in dem Augenblick, als das theologische Einverständnis zwischen Geismar und Hirsch seinen Höhepunkt erreicht zu haben schien, begannen sich Konflikte abzuzeichnen. Geismar stimmte zwar 1922-23 nicht mit den politischen Ansichten Hirschs über den Krieg und über Versailles überein, aber dies trat in den Hintergrund angesichts der dogmatischen Berührungspunkte beider Theologen in der Auslegung von Luther und Kierkegaard. Als sich Hirsch dann aber theologisch und politisch an dem national-revolutionären Umsturz in Deutschland beteiligte, meldete sich der politische Protest Geismars unwiderstehlich zu Wort. Wenn sich der offene Bruch zwischen beiden Theologen erst langsam anbahnte, so hat dies mehrere Ursachen. Vor allem lag es an 69 H v a d er Kristendom? S. 227 (ü.); vgl. auch Luthersk Etik, S. 236-238; Det seksuelle Livs Etik, S. 26-35 und 47-52; Om Fosterdrab, S. 35-41.
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der Übereinstimmung in der Kierkegaard-Interpretation. Beide verstanden ihre Kierkegaard-Monographien als theologische Marksteine. Dies verband beide so stark, daß sie zunächst über vieles andere hinwegsehen konnten. Geismar wartete gespannt auf die Vollendung von Hirschs „Kierkegaard-Studien". Dies ist offenbar der wichtigste Grund dafür, daß seine offene Kritik an der Weltanschauung des Nationalsozialismus und den deutschen kirchenpolitischen Verhältnissen erst so spät einsetzte. Erst nachdem Geismar den Zusammenhang zwischen Hirschs theologischer Arbeit und seinem kirchenpolitischen Standort erkannt hatte, trat sein Widerspruch unter dem Eindruck der politischen und kirchenpolitischen Ereignisse in Deutschland und der ausländischen Reaktionen darauf im Sommer 1934 in den Vordergrund. Die Akzentverschiebung läßt sich besonders an Geismars Einstellung zu Emil Brunner veranschaulichen, dessen Grundgedanken in „Das Gebot und die Ordnungen" er sich nun anschloß.
Kapitel 4 DER OFFENE BRUCH 1. Die Verschärfung der dänischen Reaktionen auf die in Deutschland ab Sommer 1934
Entwicklung
Auf breiter Front radikalisierte sich im Laufe des Sommers 1934 die Kritik am „Dritten Reich". Das hängt nicht nur mit der Zuspitzung der kirchlichen Lage zusammen, sondern hat auch allgemeine politische Ursachen. Die brutale Liquidierung der Männer des „Röhm-Putsches" am 30. Juni 1934 wirkte in Dänemark wie ein Schock, und dies spiegelt sich auch in den meisten theologischen und kirchlichen Äußerungen wider 1 . Nach dem Tod Reichspräsident Hindenburgs stand die Sorge im Vordergrund, was an die Stelle des politischen Einflusses, den Hindenburg besessen hatte, treten würde. Hindenburg hatte ja eine gewisse Legalität bei der „Machtergreifung" Hitlers garantiert, auch galt er besonders als Wahrer der Rechte der evangelischen Kirche. Mit Schaudern stellte man sich in Dänemark vor, wie die Alleinherrschaft Hitlers und der Führerkult, den man bereits mit verstärktem Erschrecken beobachtet hatte, noch mehr gesteigert werden würde 2 . 1
Vgl. z . B . A. VEDEL, 30. J u n i 1934, S. 379; F. L. 0STRUP, D e t blodige A a r ,
S. 2 f.; B. SVENSSON (Den danske Nazisme, S. 32) weist die Behauptung der dänischen Nationalsozialisten zurück, die dänische Presse verbreite Lügen über die SA. Gerade auf der Grundlage dieser Ereignisse ist Svenssons Stellung zum Nationalsozialismus eindeutig kritisch. Auch macht er deutlich, daß man den dänischen Nationalsozialisten nicht trauen könne. Im KRISTELIGT DAGBLAD findet sich noch Sympathie für den Kampf der Nationalsozialisten gegen Kommunismus und Liberalismus, auch findet sich deutliche, wenn auch etwas ängstliche Bewunderung für Hitler als den „Mann der Tat" nach der Niederschlagung der Revolte (vgl. z.B. die Leitartikel vom 1.7. und 14.7.1934). Auch wenn solche Neigungen eines totalitären Denkens im politischen Bereich vorkommen, ist es beachtenswert, daß die Zeitung jetzt von dem notwendigen Kampf gegen Liberalismus, Kommunismus und Nationalsozialismus sprach (vgl. KRISTELIGT DAGBLAD vom 30. 7. 1934); vgl. auch FR. TORM, Kirkekampen, S. 79 f.; J. CONWAY, Nationalsozialistische Kirchenpolitik, S. 112-115. 2
FR. SKRUBBELTRANG, H i n d e n b u r g , S. 443 f . ; FR. TORM, K i r k e s t r i d e n , S. 137;
vgl. auch die Tagebuchaufzeichnungen Torms, „Selvbiografi" (RA K O P E N H A GEN, N T , S. 138 ff.). - Es ist außerdem auffällig, daß die Gestapo verstärkt dänische Zeitungen beschlagnahmte, veranlaßt u. a. durch Berichte dieser Zeitungen
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Auch die Entwicklung auf kirchenpolitischem Gebiet gab den kritischen Stimmen gegen den nationalsozialistischen Staat Auftrieb. Schon die Ernennung Alfred Rosenbergs zum „Beauftragten des Führers für die gesamte geistige und weltanschauliche Erziehung der NSDAP" war als ein Alarmsignal verstanden worden und als Zurücknahme des ja früher erklärten Bekenntnisses der Partei zum „positiven Christentum". Das Aufkommen des Neuheidentums, Führerkult und Rassenwahn wurden nun als die eigentlichen Symptome der wirklichen Identität der Partei angesehen3. Das Schreckensregiment August Jägers im Zusammenhang seiner „Eingliederungspolitik" der Landeskirchen in die Reichskirche wurde in der öffentlichen Meinung in Dänemark als ein Hohn auf die früher abgegebenen Versicherungen verstanden, daß die Partei die ungeteilte Unterstützung des Kirchenvolkes habe und daß man niemals zu Gewaltmaßnahmen zur Durchsetzung der neuen Reichskirche greifen werde 4 . Nach der Darstellung der Situation in Deutschland durch den schwedischen Systematiker Anders Nygren verfaßten Stockholmer Pfarrer eine scharfe Protesterklärung gegen die Zustände in Deutschland, die auch in Dänemark einen starken Eindruck hinterließ. Nygren war in Dänemark sehr angesehen, er äußerte sich in einigen Zeitungsartikeln, die in dänischen Zeitungen wiedergegeben wurden, sehr besorgt über das pseudoreligiöse Gehabe des Nationalsozialismus, das zu einer Bedrohung der kirchlichen Freiheit führen müsse5. über Konzentrationslager, Führerkult, kirchliche Zwangsmaßnahmen und Propaganda anläßlich der Volksabstimmung im Saargebiet im Januar 1935. Vgl. die Sammlung von Kopien deutscher Verfügungen gegen dänische Presseberichte (RA KOPENHAGEN, Kopier fra Auswärtiges Amt, Bd. 192). 8 Zur Position Rosenbergs vgl. DOKUMENTE II, S. 125 und 151 ff.; von dänischer Seite z. B. P. HOLT, Rosenberg, S. 580-90; FR. TORM, Kirkestriden, S. 131 f.; F. L. 0STRUP, Det blodige Ir, S. 8, und einen Zeitungsartikel Geismars (DAGENS NYHEDER v o m 4. 11.
1934).
4
Zum Ganzen vgl. jetzt K. MEIER, Kirchenkampf I, S. 204-221. An dänischen Reaktionen ist u. a. zu nennen der Artikel „Müllers Kirche" (KRISTELIGT DAGBLAD vom 11. 8. 1934). Vgl. auch P. SEVERINSEN, Jägerperioden i den tyske Kirkestrid (H0JSKOLEBLADET, 1 9 3 4 , S . 4 4 2 f f . u n d 4 5 0 f f . ) ; F R . T O R M , K i r k e s t r i d e n , S . 1 3 8 .
-
Z u m g a n z e n S t i m m u n g s w e c h s e l v g l . a u c h INDRE MISSIONS TIDENDE 1 9 3 4 , S. 4 4 2 f.,
f., 5 7 4 f. und 6 3 4 f.; 1 9 3 5 , S. 2 1 ff. und 3 2 f. In derselben Periode finden sich auch weiterhin ein ausgesprochener Antibolschewismus und Angriffe auf die Säkularisierungsbestrebungen in der dänischen Schulpolitik. Vgl. den ausführlichen Bericht CHR. BARTHOLDYS (Indtryk fra Tyskland, S. 489 ff.), w o die kirchliche Sympathie für die Bekennende Kirche zum Ausdruck kommt, auch wenn der Antikommunismus noch immer das alles bestimmende politische Grundmotiv ist, wobei besonders auf Spanien verwiesen wird. 5 Vgl. A. NYGREN, Blodets och rasens religion, S. 57 ff.; Den tyska kyrkostriden, 502
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Aufmerksam wurde das Anwachsen der Bekennenden Kirche in Deutschland verfolgt, die Barmer Synode wurde auch in Dänemark als ein höchst notwendiger und theologisch richtiger Protest gegen die Deutschen Christen gesehen. Es kann auch nicht überraschen, daß die meisten Beobachter die Barmer Erklärung implizit als ein Politikum höchsten Ranges einstuften; es gab nur wenige, die das Barmer Bekenntnis aus der engen theologischen Perspektive des lutherischen Konfessionalismus verstanden wie ζ. B. Hirsch und die Erlanger Lutheraner. In steigendem Maße beunruhigten die Nachrichten über Verbote von Büchern und weitere Entlassungen von Pfarrern und oppositionellen Universitätslehrern. Das Vorgehen des Innenministers gegen die kirchenpolitische Opposition im Juli 1934 war für die meisten Dänen ein weiteres unmißverständliches Zeichen, daß die geistige Freiheit in Deutschland durch staatliche Zwangsmittel unterdrückt wurde; der kirchliche „Maulkorberlaß" vom Anfang des Jahres wurde nun in einem mehr allgemeinen politischen Zusammenhang gesehen6. Am stärksten wirkten jedoch die Nachrichten über die N a tionalsynode vom August 1934, die faktisch eine neue Kirchen Verfassung diktierte und einen kirchlichen Diensteid auf den „Führer" und die neue Reichskirche forderte. Eine typische dänische Reaktion auf diese Ereignisse lautete: „Man sieht hier eine vollständige Unterordnung des Kirchlichen unter das Völkische, wodurch die deutsche evangelische Kirche mehr als je zuvor zur Staatskirche gemacht wird. Aber die Religion dieser Staatskirche ist bekanntlich nicht das Christentum, sondern vielmehr die nationalsozialistische Weltanschauung, die man freilich auch positives Christentum nennt." 7 1. Aufl. 1934, erw. Ausg. 1935. Zu Nygren vgl. M. LIND, Kristendom och nazism, S. 155 f f . ; N . KARLSTRÖM behandelt die Wirkung von Nygrens Vorträgen in Stockholm und Uppsala (Kyrkan och nazismen, S. 158 ff., deutsche Zusammenfassung, S. 272). N a c h 1945 berichtete Nygren selbst davon, daß man Carl Stange von politischer Seite mitgeteilt habe, Nygren sei als Gast in der Lutherakademie nicht „tragbar". Nygren hatte in Berlin im Sommer 1934 selbst festgestellt, daß seine Artikel in Übersetzung dem Innenministerium vorlagen und daß ein deutscher Pfarrer entlassen worden war, weil er sie übersetzt und verteilt hatte (Sanningen om kyrkonazismen, S. 11 f.). - Nygren fand in Dänemark sogleich Zustimmung, ζ. B. von so unerwarteter Seite wie von dem erzkonservativen nationalistischen Grundtvigianer J . P. BANG (Menighedsbladet 1934, Sp. 324 f f . ) ; eine kritische Stimme vgl. unten Anm. 20. • Vgl. DOKUMENTE II, S. 139-151; L. SIEGELE-WENSCHKEWITZ, Nationalsozialismus, S. 183 f f . Zu den dänischen Raktionen ζ. Β. M. HANSEN, Den tyske Kirkestrid, S. 256; A. VISBY, Det 3. Riges Kulturlovgivning, S. 81-84. 7 PRAESTEFORENINGENS BLAD vom 3 1 . 8 . 1 9 3 4 (Kommentar von J . Holdt); vgl. BERLINGSKE TIDENDE vom 1 9 . 9 . 1 9 3 4 ; das Interview Fr. Torms (ebd. vom 26. 8 . 1 9 3 4 ) ; vgl. auch Fr. TORM, Kirkestriden, S. 137 f. N a c h der Dahlemer Synode war das Bild noch deutlicher (vgl. u. a. die Berichte in BERLINGSKE TIDENDE vom 20. - 2 5 . 1 0 . 1 9 3 4 und die im Anm. 4 angeführten Belege).
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Diese hier nur kurz angedeutete Haltung zur Entwicklung in Deutschland weist auf die Tendenz hin, die für die dänischen Theologen, die an der bedeutenden ökumenischen Tagung auf Fano Ende August 1934 teilnahmen, eine grundlegende Rolle spielte8. Dennoch ist auch hier noch einmal zu betonen, daß das ökumenische Engagement dänischerseits nicht auf einem gemeinsamen kirchlichen, grundsätzlich begründeten oder amtlich abgesegneten Beschluß beruhte, sondern ausschließlich der Initiative von Einzelpersonen oder höchstens von kirchlichen Gruppen entsprang. Die dänischen Teilnehmer der Tagung waren fast alle eng mit der christlich-sozialen Bewegung verbunden, sie waren keine offizielle Delegation der dänischen Kirche. Man kann sie andererseits aber auch nicht als eine kleine, nicht repräsentative Gruppe abtun. Entscheidend war, daß die Fan0-Konferenz in der Presse sehr ausführlich behandelt wurde. Vor der Konferenz hatte Bischof Ammundsen als Gastgeber in Zusammenarbeit mit dem englischen Präsidenten der Tagung, Bischof Bell, Sondierungen vorgenommen, um gerade angesichts der neuesten Entwicklung mit der Bekennenden Kirche Kontakt aufzunehmen. In diesem Zusammenhang setzte sich bekanntlich Dietrich Bonhoeffer stark dafür ein, daß sich die Konferenz kritisch gegen die Reichskirchenregierung und die offiziellen deutschen Repräsentanten bei der Konferenz stellen sollte. Ammundsen und Bell stimmten in der Sache mit Bonhoeffer überein, wollten aber offiziell aus formalen Gründen der Höflichkeit eine vorsichtigere Politik führen. Ammundsen arrangierte indes - wie aus dem Briefwechsel zwischen Bell und Bonhoeffer hervorgeht - ein heimliches Treffen in Hamburg mit Vertretern der Bekennenden Kirche, u. a. mit Präses Karl Koch und Hans Asmussen. Das führte dazu, daß beide zur Konferenz eingeladen wurden und Koch, der von einer Teilnahme absehen mußte, von der Konferenz aufgefordert wurde, sich in die Leitung der ökumenischen Bewegung wählen zu lassen. Eine wichtige Rolle spielte außerdem, daß Ammundsen vor der Konferenz zu einer internordischen Vorkonferenz über die Problematik des Verhältnisses zwischen Staat und Kirche in aktueller Perspektive eingeladen hatte. Hier wurde über Emil Brunners „Das Gebot und die Ordnungen" diskutiert. Trotz des recht unterschiedlichen theologischen Standorts kamen die teilnehmenden Theologen überein, den Protest Brunners gegen die uneingeschränkte Vollmacht des Nationalstaates, den Nationalismus und all seine verderblichen Folgen zu unterstützen. Brunners Forderung, das ideologische Fundament des Staates auf das für die Bewahrung einer rechtsstaatlichen Ordnung 8
V g l . K R I S T E L I G T FAELLESSKAB 1 9 3 4 , S . 1 2 9 f f .
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Unumgängliche zu reduzieren, erschien in der gegebenen Situation als besonders notwendig und erforderlich 9 . Auf der Konferenz selbst wurde die deutsche Delegation immer mehr zur Zielscheibe für die Angriffe der übrigen Delegationen auf die Reichskirchenregierung und die nationalsozialistische Ideologie überhaupt. Niemand wollte dem deutschen Delegationsleiter Bischof Heckel seine gute Absicht bestreiten, den militanten Kreisen in Staat und Partei entgegenzuwirken; auch ein anderer deutscher Delegierter, Arthur Titius, war lange Jahre ein hoch geschätzes Mitglied der ökumenische Bewegung gewesen. Niemand wollte außerdem seine Kritik als eine Einmischung in innere deutsche Angelegenheiten erscheinen lassen. Dennoch wirkte es auf die Teilnehmer angesichts der bekannten Nachrichten aus der Presse befremdlich, daß die offiziellen deutschen Teilnehmer selbst die tiefsten Gegensätze zu verschleiern suchten, während dagegen ζ. B. Siegmund-Schultze und Bonhoeffer kräftig zu deutlichem Protest gegen die Reichskirche mahnten und dazu aufforderten, offizielle Beziehungen zur Bekennenden Kirche aufzunehmen10. Der überwiegende Eindruck sowohl bei den skandinavischen Teilnehmern als auch in der Presse war der, daß die von der Konferenz verabschiedete Resolution ein rechtes Wort am rechten Ort zur höchsten Zeit gewesen sei, eher ein noch zu mildes Wort. Die theologische Situation in diesen Jahren war noch immer eindeutig beherrscht von Tidehverv. Die Polemik der Tidehvervtheologen hatte nun alle Bereiche der dänischen Kirche erreicht und bis dahin unbekannte scharfe Fronten geschaffen. Tidehverv mit ihrer theologischen Durchschlagskraft und ihrer polemischen Ungerechtigkeit drückte der theologischen Diskussion ihren Stempel auf. In den zwanziger Jahren hatte sich Tidehverv mit der eigenen Vergangenheit auseinandergesetzt: der Erlebnisreligiosität innerhalb der großen Erweckungsbewegungen und dem Idealismus bei Geismar und Ammundsen als den führenden Theologen der Zeit. Jetzt gilt der 9 Vgl. dizu H. H0GSBRO, Teser til den tyske Kirkestrid, S. 1 1 9 f f . H0gsbros Belege f ü r die Ablehnung des Nationalsozialismus stammen aus „Mein K a m p f " und aus Stimmen aus der Partei nach der „Machtergreifung". Hogsbro griff die gesamte deutsch-christliche Kirchenpolitik an, darunter den Arierparagraphen und die P l a nung der bevorstehenden Nationalsynode; er lehnte sich dabei an Brunners Theologie an. Vgl. auch H. C. CHRISTIE, Det nordiske teologmede, S. 1 3 4 f f . ; ausführlich N. KARLSTRÖM, K y r k a n och nazismen, S. 1 5 7 f f . , deutsche Zusammenfassung S. 275. 1 0 Vgl. N . KARLSTRÖM, De ekumeniska aarskonferenserna paa Fano, S. 1381 4 7 ; K y r k a n och nazismen, S. 1 6 7 f f . , deutsche Zusammenfassung S. 275 f f . ; A . BOYENS, Kirchenkampf und Ökumene, S. 1 1 0 - 1 1 2 ; E. BETHGE, Bonhoeffer, S. 434—452.
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Angriff vor allem der Oxfordgruppenbewegung. Die Jahrgänge 1935-36 der Zeitschrift „Tidehverv" sind voll von schonungslosen Angriffen auf diese neue Erweckungsbewegung. An gesellschaftlicher Analyse dagegen, die das Motto „dem Leben treu" überzeugender hätte einlösen können, findet sich nur sehr wenig. Gerade in diesem Zusammenhang muß auf die beiden jungen Theologen Knud Hansen und Kaj Thaning hingewiesen werden, die sich im großen und ganzen mit Tidehverv solidarisierten und sich kritisch mit der konservativen grundtvigschen Kirchlichkeit auseinandersetzten. Sie gingen von der dialektischen Theologie aus, aber gaben auch dieser Richtung eine neue Tendenz, indem sie das grundtvigsche Ideal des „Volkstümlichen" („folkelighed") in die Diskussion brachten. Diese Tendenz bahnt sich seit Anfang der dreißiger Jahre an, sie kam bei einer großen Diskussionstagung 1937 zum Durchbruch, und seit dieser Zeit sprach man vom „Tidehvervsgrundtvigianisme". Diese Strömung erhielt zwar ihr eigentliches Profil erst nach dem Zweiten Weltkrieg; Knud Hansen stellt in der Tidehvervbewegung eine der wenigen gewichtigen Ausnahmen von der erwähnten politischen Enthaltsamkeit dar. 1933 schrieb er eine eingehende Analyse der politischen Ideologien im Lichte der aktuellen Krise. Knud Hansen unterscheidet sich hier von den übrigen Tidehvervtheologen dadurch, daß er eine allgemeine kulturkritische Analyse vorlegt und nicht die Kategorien der Verkündigung in Anwendung bringt. Nicht zufällig wohl wurde dieser Artikel außer in „Tidehverv" in anderen Organen veröffentlicht 11 . Dieser Ansatz kann als erster Ausdruck dafür gelten, daß man es auch am Rande des eigentlichen Tidehvervmilieus als eine Unterlassungssünde verstand, die Herausforderung der eigenen gesellschaftlichen Krise, des Nationalsozialismus und des Kirchenkampfes in Deutschland nicht wirklich angenommen zu haben. In breiten kirchlichen Kreisen wurde Tidehverv oft als Rechthaberei abgetan, die zu der zersetzenden „negativen" Kritik keine „positive" und aufbauende Alternative biete. Die hier genannten drei kirchlich-theologischen Neuanfänge Mitte der dreißiger Jahre können deshalb als ein Symptom dafür angesehen werden, daß Tidehverv in weiten Kreisen als eine extreme Position erschien, die gleichsam als Gegengewicht einen mittleren Standpunkt erforderlich machte. 11 Zum Beitrag Knud Hansens siehe oben S. 85 f. V. FILSKOVS Artikel über gesellschaftliche Probleme in Tidehverv 1937 sind aber auch noch als eine Ausnahme von der allgemeinen Tendenz innerhalb der Tidehvervbewegung zu betrachten. Zum Tidehvervsgrundtvigianismus vgl. P. G. LINDHARDT, Den danske kirkes historie Bd. VIII, S. 224 ff. Für die spätere Entwicklung der Bewegung haben vor allem K. E. Legstrup und G. Harbsmeier eine wichtige Rolle gespielt, die sich ζ. Β .in den Beiträgen der Festschrift für Harbsmeier wiederspiegelt (DEM MENSCHEN ZUGUTE); vgl. auch KONTROVERSE UM KIERKEGAARD UND GRUNDTVIG.
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Die Oxfordgruppenbewegung wurde, wie erwähnt, heftig von Tidehverv angegriffen. Als Frank Buchman seine ersten Kontakte in Dänemark geknüpft hatte, um eine spätere öffentliche Erwekkungskampagne vorzubereiten, stieß er bei der Sichtung der theologischen Landschaft eben auf Tidehverv als den für ihn schlagendsten Beweis dafür, daß die Theologie vergessen habe, von der „Erneuerung durch den Heiligen Geist" zu reden. Schon aus dieser ersten vorläufigen Charakteristik dürfte deutlich geworden sein, daß sich die öffentliche kirchliche und theologische Aufmerksamkeit hauptsächlich auf eben diesen Gegensatz konzentrierte, als Buchman und seine engsten Mitarbeiter Anfang 1935 mit einer ersten großen Kampagne erst in Kopenhagen und dann im ganzen Land begannen. Die Bewegung erregte sogleich die Aufmerksamkeit der Presse; sie verstand es, sich der Medien zu bedienen und fand prominente Persönlichkeiten unter Geschäftsleuten, Arbeitern, Akademikern, Pfarrern usw., die jeweils durch öffentliches Selbstzeugnis bezeugen sollten, wie sie durch „Verwandlung" dazu gelangt waren, ihre Sünde zu bekennen und K r a f t zu neuem Leben zu finden. Bei diesen öffentlichen Bekenntnissen hielt sich die Bewegung bei der Beschreibung der weiteren Perspektiven dieser Bekehrungen hinsichtlich der aktuellen gesellschaftlichen Krise in Dänemark, aber auch in Deutschland nicht zurück. Die Aktionen Buchmans selbst fanden hinter den Kulissen statt und spielten in der öffentlichen Diskussion keine große Rolle. Aber es war deutlich, daß es sich hier auch um eine Sicht der Dinge handelte, die gesellschaftlich und politisch äußerst relevant war. Es ging durchaus auch um politisch-gesellschaftliches Engagement auf der Basis des so verstandenen Christentums 12 . Die Bewegung war freilich von einem naiven Optimismus getragen, ihre Kampagnen glichen dem amerikanischen Show-business, und die angelsächsische Literatur, die die Bewegung vertrieb, war oft sehr oberflächlich. Deshalb hielt sie sich in zunehmendem Maße an die schweizerischen Theologen, die sie unterstützten. Es machte großen Eindruck, daß Emil Brunner sich bei einem Besuch in Kopenhagen im September 1934 ganz entschieden hinter die Bewegung gestellt hatte. Er sah in ihr eine Synthese des reformatorischen Erbes in der Auslegung der dialektischen Theologie und eines legitimen praktischen Laienengagements in der aktuellen Situation. Außer den Schriften Brunners wurden Schriften von Th. Spoerri und W. Oehler übersetzt; Spoerri beteiligt sich persönlich an der Kampagne. Durch diese Orientierung an der schweizerischen Theologie wurden die ersten namhaften dänischen Theologen für die Bewegung gewonnen, darunter ζ. Β. H . Fuglsang-Damgaard, der 1 2 Vgl. J . H . SCHJ0RRING, Moralische Aufrüstung, S. 6 5 - 6 8 ; Fornyelsestendenser, S. 92 f f . ; P. G. LINDHARDT, Den danske kirkes historie Bd. V I I I , S. 212 f f .
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Schjorring, Geismar/Hirsch
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inzwischen zum Primas der dänischen Kirche als Bischof von Kopenhagen aufgestiegen war, und Halfdan Hogsbro (1894-1976), der schon vorher der dezidierteste Brunner-Schüler in Dänemark gewesen war 13 . Die Oxfordgruppenbewegung gewann zudem vor allem Anhänger bei den Führern der christlichen Jugendorganisationen, dem Kopenhagener Kirchenfond und der christlich-sozialen Bewegung. Freilich verloren viele der zunächst gewonnenen Anhänger nach der ersten Welle von Kampagnen bald das Interesse. N u r wenig Anklang fand die Bewegung bei den Landpfarrern der Inneren Mission und bei den Grundtvigianern, selbst wenn es hier auch eine mehr abwartend-zustimmende Haltung gab, jedenfalls solange die Bewegung neu und damit interessant war und so als Kontrast zu den scheinbar überlebten kirchlichen Richtungen gelten konnte. Die Oxfordbewegung ist also ein symptomatisches, zeittypisches Zeugnis dafür, daß sich Widerstand regte gegen die Kritik der Tidehvervtheologen an der traditionellen „Kirchlichkeit". „Oxford", wie die Bewegung allgemein genannt wurde, war Zeichen für das deutliche Bestreben, der gesellschaftlichen Krise etwas Positives entgegenzustellen und nicht nur die einseitig destruktive Haltung der Tidehvervbewegung. Geismar stand „Oxford" von vornherein sympathisch gegenüber, nicht zuletzt weil er sie über Brunner kennengelernt hatte. Aber sehr bald wandte er sich gegen die theologische Substanzlosigkeit und Oberflächlichkeit, die hier zutage trat 1 4 . Ein dritter typischer Versuch, die durch die Polemik von Tidehverv entstandene Leere gleichsam zu füllen, war die Bewegung „Det tredje Standpunkt" (Der dritte Standpunkt). Den Anfang machte das Buch des Volkshochschullehrers Arne Serensen (1906-1978) „Det moderne menneske" (Der moderne Mensch), in dem das Ende der Ära des Materialismus proklamiert wurde. Hierunter verstand Sorensen in einem sehr weiten Sinne alles, was sich quantifizieren und rational analysieren ließ, denn der Mensch gebe sich dadurch der Technifizierung anheim und all den Möglichkeiten der Manipulation, die mit der modernen Technologie und der Massenkommunikation gegeben seien. Das Buch war freilich nicht nur negative Zeitkritik, es bot auch Alternativen für die Zukunft und neue Orientierung. Statt blind allen rationalistischen, naturalistischen und geistlosen Forderungen der Planung zu folgen, sollte der Mensch wieder Raum geben für Intuition, Gefühl und Persönlichkeit. Diese Sicht entfaltete S0rensen in breiten geistesgeschichtlichen Erörterungen, die er dann auf aktuelle Probleme in Kunst, Literatur, Politik und Theologie übertrug. Wenn er 15 14
Vgl. J. H . ScHj0RRiNG, Geismar og Brunner, S. 173 ff. Ebd., S. 179 und S. 191 f f .
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von einem dritten Standpunkt sprach, so meinte er damit einen Standpunkt zwischen Sozialismus und Liberalismus, aber man kann hier genauso gut auch an einen dritten Standpunkt zwischen der Oxfordgruppenbewegung und dem Barthianismus (wie die Tidehvervbewegung noch immer oft genannt wurde) denken. Für alle Bereiche des Daseins versuchte Sorensen aufzuzeigen, wie allein ein christlich fundierter Begriff der Person der Entwicklung die Dynamik verleihe, die angesichts der politischen Krise oder der unlösbaren theologischen Konflikte erforderlich erschien. Schon aus diesen Andeutungen dürfte deutlich geworden sein, daß Sarensen in seinem Denken sehr weit ausrufernd und unsystematisch war. Dennoch rührte das Buch an einen wunden Punkt. Es erreichte schnell mehrere Auflagen, und der Verfasser hielt Vorträge im ganzen Land. Gegen seine ursprünglichen Intentionen entstand bald eine politische Partei, „Dansk Sämling" (Dänische Sammlung), die sich um die Zeitschrift „Det tredje Standpunkt" sammelte. Politisch gesehen hatten viele Vorstellungen dieses Kreises eine leicht antidemokratische Tendenz. So führte ζ. B. ein romantisch gefärbter Personalismus zu der Forderung nach Respekt vor Führergestalten und zum Kampf gegen die Parteienherrschaft und die Tyrannei der Mittelmäßigkeit im Parlamentarismus. Auch wenn sich Serensen von Anfang an scharf gegen den Nationalsozialismus gewandt hatte, war er dennoch nicht unschuldig daran, daß er sehr bald von kulturradikaler und sozialistischer Seite als Semifaschist angegriffen wurde. Dies war um so mehr erklärlich, als er selbst nicht davor zurückgeschreckt hatte, die führenden sozialistischen Persönlichkeiten des geistigen Lebens mit faschistischen Rassenfanatikern auf eine Stufe zu stellen - mit der Begründung, daß beide gänzlich dem Naturalismus verfallen seien 15 . Dennoch kam Sorensen in breiten kirchlichen Kreisen gut an. Das lag sicherlich an seinem Antimaterialismus und seinem Eintreten für bürgerliche Wertvorstellungen. Außerdem waren es gerade viele jüngere Theologen und Pfarrer, die sich zum bekannten, darunter viele Anhänger Barths. Einer der bekanntesten war Regin Prenter (geb. 1907), ein Schüler Barths, der in einer von Barth inspirierten kulturpolitischen Abhandlung systematischer, als es Sarensen selbst vermochte, die Konturen der Grundvorstellungen der Bewegung absteck15
A. S0RENSEN, Det moderne Menneske, S. 176 f. (gegen Oxford und Tidehverv), S. 32 f. und 75 ff. (gegen den Marxismus), S. 83 (gegen den Nationalsozialismus), S. 91 f., 123 f., 140 f., 176 ff. (zur neuen Auffassung vom Menschen); vgl. auch Nogle Reflektioner omkring Nationalsocialismen, S. 36 ff. und den Auszug bei J . K . ANDERSEN, Tekster fra 30'erne, S. 8 5 - 8 9 . Zu Serensen vgl. N . PEDERSEN, Det tredje Standpunkt, S. 104 ff.; R . ANDERSEN, Danmark i. 30'erne, S. 328 ff.; P. G. LINDHARDT, Den danske kirkes historie Bd. VIII, S. 209 ff. 16*
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te i e . Die führenden Theologen der Bewegung galten jedenfalls als „die kirchlichen Barthianer", und die Zeitschrift brachte laufend Beiträge über die Entwicklung in Deutschland, wobei sie sich ganz eindeutig auf die Seite des radikalen Flügels der Bekennenden Kirche stellte. „Der dritte Standpunkt" war verständlicherweise für Ammundsen und sicher auch für Geismar - ein Zeichen der Ermutigung in ihren letzten Lebensjahren, das sie für manche Enttäuschungen über den angeblich unfruchtbaren Kritizismus und ethischen Nihilismus der Tidehvervbewegung entschädigte 17 . „Dansk Sämling" stellt jedenfalls in ihrer Durchschlagskraft vor dem Krieg, aber auch in der Diskussion nach dem Kriege, einen wesentlichen Faktor der Erneuerung im Verhältnis zwischen Kirche und Gesellschaft dar. Ohne sich direkt zum deutschen Kirchenkampf zu äußern, stellte sich der Dichter und Pfarrer K a j Münk in Zeitungsartikeln in der Zeitung „Jyllandsposten" und in seiner literarischen Produktion auf die Seite der Oxfordgruppenbewegung und später von Arne Sarensen. Im Menschenbild K a j Münks und in seiner politischen Ethik lag ein Unterton der Bewunderung für machtvolle Führerpersönlichkeiten und totalitäres Organisationsdenken 18 . Sein Einsatz und seine Bedeutung während der deutschen Besatzung als unerschrockener Gegner des Nationalsozialismus und vor allem der brutale Mord an ihm brachten dies jedoch für die Nachwelt weitgehend in Vergessenheit. Dennoch wurde er seinerzeit von Tidehverv hart angegriffen. Die Oxfordgruppenbewegung wie auch „Der dritte Standpunkt" machen einen allgemeinen Zug der theologischen Entwicklung in Dänemark angesichts der wirtschaftlichen und weltanschaulichen Erl e Vgl. Kristendom og Kultur. Hier protestiert R. PRENTER gegen eine rigoristische Trennung von Christentum und Kultur, ob diese nun tidehvervsch-dialektisch oder pietistisch motiviert sei. Er spricht stattdessen von einem „neuen Gehorsam" der zu einem freimütigen Handeln in der Welt befreit, ohne daß man damit der Sünde entflieht (bes. S. 41). Vgl. auch R . PRENTER, Die Frage nach einer theologischen Grundtvig-Interpretation; AARHUS STIFTSTIDENDE vom 9. 9.1935. Auch zwei jüngere Systemaiker an der Kopenhagener Fakultät nahmen eine barthsche Position von ganz anderer Prägung als Tidehverv ein und blieben deswegen mit Geismar im Gespräch. Dies gilt für Κ . E. Skydsgaard (geb. 1902) und Ν . H . Soe. Letzterer veröffentlichte Abhandlungen zur politischen Ethik in Auseinandersetzung mit Gogarten, Althaus und Hirsch, in denen er wie Barth alle Kompromisse gegenüber einer natürlichen Idealität ablehnte. Er war aber auch Brunner gegenüber aufgeschlossen. 17 V. AMMUNDSEN (in seinem Memorandum von Sommer 1936 als Präsident des Weltbundes für Freundschaftsarbeit der Kirchen), Die gegenwärtige Weltlage, wieder abgedruckt in: In Memoriam Bishop Valdemar Ammundsen 1875-1936, S. 108 f. 1 8 K . MÜNK, 10 Oxford-Snaphots; vgl. J . K . ANDERSEN, Tekster fra 30'erne, S. 61-64; P. G. Lindhardt, Den danske kirkes historie Bd. V I I I , S. 212 und 233 f.; R . ANDERSEN, Danmark i 30'erne, S. 188-190 und 367.
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schütterungen in den Krisenjahren deutlich: Die großen Erweckungsbewegungen lebten zwar in ihrer traditionellen Gestalt weiter, aber sie - sieht man von einzelnen Randerscheinungen einmal ab - schienen durch den gesellschaftlichen Umbruch gleichsam gelähmt zu sein, der wachsende Unsicherheit über die Verankerung des Christentums in der Moral früherer Zeiten mit sich brachte. Diese Ratlosigkeit gegenüber dem säkularisierten Wohlfahrtsstaat wurde weiter verstärkt durch die heftige und bohrende Kritik Tidehvervs an der Erlebnisreligiosität. Die allgemeine geselschaftliche Entwicklung und die unabwendbaren Veränderungen der Moral seit der viktorianischen Zeit haben jedenfalls dazu geführt, daß die Blütezeit der Erweckungsbewegungen ihr Ende fand. Es kam nun eine Periode der inneren Läuterung angesichts der veränderten Verhältnisse und der kräftigen Auseinandersetzung zwischen den Generationen, zwischen den älteren Traditionalisten und den Jüngeren, die eine Neuorientierung, Kursänderung und Anpassung forderten. Hier hinterließ Tidehverv - von den unbestreitbaren Verdiensten dieser Bewegung einmal abgesehen - ein Vakuum, wenn es darum ging, angesichts der Krise der Gesellschaft eine politische Ethik zu entwickeln. In all ihrer Verschiedenheit sind die Oxfordgruppenbewegung und „Dansk Sämling" zwei symptomatische Versuche, dieses Vakuum zu füllen. Und dabei zeigte sich, daß die Entwicklung in Deutschland gleichsam der Horizont war, unter dem implizit oder explizit alle Dinge betrachtet wurden. Die kirchliche Öffentlichkeit war in dieser Zeit allerdings hauptsächlich mit spezifisch dänischen Problemen befaßt. ökumenisches Engagement war die Sache einzelner privater Personen höchst verschiedener theologischer und kirchlicher Herkunft. Die Fano-Konferenz erregte weitgehende Aufmerksamkeit - aber dies wohl nur, weil sie in Dänemark und in einer besonders gespannten Situation stattfand. Das Interesse galt aber nicht der ökumenischen Sache als solcher. Man verfolgte zwar die Ereignisse des Kirchenkampfes in Deutschland, aber nur sehr wenig waren mit den theologischen Auseinandersetzungen vertraut, an denen Geismar nun - veranlaßt durch den Ernst der Situation - teilnahm. Es gab nur einen einzigen führenden Theologen, der hartnäckig die deutsche staatliche Kirchenpolitik auch später öffentlich verteidigte. Dies war der Stiftspropst in Aarhus, Skat Hoffmeyer (geb. 1891), seit 1940 Bischof in Aarhus. Er redigierte die Kirchenseite der Tageszeitung „Aarhus Stiftsidende" und schrieb häufig selbst ausführliche Kommentare. Er war Führer in der christlichen Studentenbewegung gewesen und Initiator der Errichtung einer theologischen Fakultät in Aarhus.
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Unabhängig voneinander gab es in fast allen skandinavischen Ländern einzelne Kirchenführer und Theologen, die sich noch immer für die Idee einer deutschen Reichskirche einsetzten. Dies geschah teils aus einem politisch motivierten Antikommunismus heraus, teils wegen einer national gefärbten Volkstumsideologie und einer besonders gegen Barth gerichteten - nationallutherischen theologischen Grundeinstellung. In Schweden wäre in diesem Zusammenhang Sam Stadener zu nennen, der - das war vorgesehen - Ludwig Müller als Reichsbischof bei seiner Einführung einsegnen und so für die apostolische Sukzession sorgen sollte. Auch Per Pehrsson, Mitglied des Präsidiums des Lutherischen Weltkonvents, ist hier zu erwähnen. In Finnland nahm Rafael Gyllenberg eine ähnliche Haltung ein. Hier war die pro-deutsche Haltung jedoch wesentlich stärker als in den anderen skandinavischen Ländern vor allem wegen der Furcht vor der Sowjetunion, die sich dann im Jahre 1939 mit dem Beginn des Winterkrieges als wohlbegründet herausstellen sollte. In Norwegen war Sigmund Feyling überzeugter Nationalsozialist. Er leitete die Kirchenabteilung in der Quisling-Regierung und war der Gegenspieler Bischof Eivind Berggravs während des norwegischen Kirchenkampfes im Kriege. Eine parallele Gestalt findet sich übrigens auch in England, wo sich Arthur Cayley Headlam, Bischof von Gloucester, in scharfem Gegensatz zu George Bell, Bischof von Chichester, gegen Niemöller und die Bekennende Kirche stellte. Hoffmeyer hatte 1925 an der Stockholmer Weltkirchenkonferenz teilgenommen und war sehr beeindruckt von der anglikanischen, kulturaufgeschlossenen Kirchlichkeit. Zugleich aber unterhielt er enge persönliche Beziehungen nach Deutschland. Er hatte u. a. bei dem Göttinger Theologieprofessor Arthur Titius studiert, der ja auch in der ökumenischen Bewegung eine wichtige Rolle spielte und an der Fano-Konferenz teilgenommen hatte. Theologisch war Hoffmeyer ein dezidierter Anti-Barthianer. Dem paradoxalen Denken der dialektischen Theologie warf er vor, die Verbindung zwischen Kirche und Volk aufzuheben und durch den Widerstand gegen jegliches Psychologisieren die Entfaltungsmöglichkeiten des Glaubens zu beschneiden19. Unmittelbar nach dem Beginn der kirchlichen Auseinandersetzungen im Sommer 1933 nahm er die Reichskirchenregierung in Schutz. Er protestierte gegen die Glorifizierung des Pfarrernotbundes in der öffentlichen Meinung des Auslands und verteidigte ganz wie Headlam energisch den Reichsbischof20. Dabei war er nun freilich nicht blind gegenüber den politischen Übergriffen gegen die Kir19
S. HOFFMEYER, Over Otto til Barth, S. 390-399. Kamp eller fred i Tyskland (AARHUS STIFTSTIDENDE vom 25. 2. 1934); Svensk Bandstraale (ebd. vom 13. 5. 1934). 20
Verschärfung der dänischen Reaktionen ab Sommer 1934
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che. Auch wollte er das Neuheidentum und den Antisemitismus nicht einfach übersehen. Dennoch hielt er stets daran fest, daß es doch das Bemühen der politischen Führung wie der Kirchenregierung sei, eine friedliche Beilegung des Streites zu ermöglichen und dennoch das übergeordnete positive Ziel zu erreichen: eine breite, im Volke verwurzelte und kulturoffene Volkskirche 21 . Diese Haltung führte H o f f meyer dazu, daß er als einziger unter den prominenten kirchlichen Persönlichkeiten auch solche Vorgänge noch positiv werten konnte, die sonst nur Entsetzen und Entrüstung hervorriefen, wie ζ. B. die Verhaftung Martin Niemöllers 22 . Gleichwohl gab es einige dänische Pfarrer, die auch noch während der Besatzungszeit an einer unverblümt deutschfreundlichen Haltung festhielten. Aber dies waren nur örtliche Einzelerscheinungen. Die meisten von ihnen änderten ihre Haltung, als am 29. August 1943 die rechtmäßige dänische Regierung, die bisher zur Kollaboration bereit gewesen war, zurücktrat. Von diesem Zeitpunkt an traten viele Pfarrer der Widerstandsbewegung bei, so jetzt auch Hoffmeyer. Ein kleiner Rest von hartnäckig deutschfreundlichen Pfarrern wurde dann nach Ende der Okkupation entlassen. Hoffmeyer war aber nun keineswegs Nationalsozialist. Mehrmals sprach er unzweideutig von der Gottlosigkeit und Skrupellosigkeit des Nationalsozialismus. Er besaß theologischen Weitblick und war ungewöhnlich gut informiert. In seinen Äußerungen versuchte er oft, die Tür nach beiden Seiten offen zu halten, so ζ. B. im Streit um das Alte Testament: hier zeigte er Verständnis für die Relativierung des Alten Testaments als Offenbarungszeugnis unter Verwendung der Unterscheidung von Gesetz und Evangelium bei den Deutschen Christen, aber auch für den energischen Protest gegen diese Auffassung. Vor allem wandte sich Hoffmeyer im Sommer 1934 gegen die theologische Grundhaltung Geismars 23 . Wenn Geismar von Kierkegaard ausgehend an einem polemischen Korrektiv gegen jegliche natürliche Idealität festhielt, so lehnte Hoffmeyer diese „ Nullpunk t2 1 Bekendelseskirke eller Folkeskirke (ebd. v o m 4. 11. 1 9 3 4 ) ; Omkring Rosenbergs „ M y t h e " (ebd. v o m 11. 8. 1 9 3 5 ) . 2 2 H o f f m e y e r sprach (ebd. vom 7. 8. 1 9 3 8 ) davon, daß es dem deutschen Staat gelungen sei, im P r o z e ß vor Gericht gegen Niemöller zu siegen und daß es nun so scheine, als sei Niemöller auf dem Wege in die geistige Isolation (sie!). Z u den ökumenischen Reaktionen auf die Verhaftung Niemöllers vgl. A . BOYENS, Kirchenkampf und Ökumene, S. 181 f. 2 3 „L0S f r a Kierkegaard-Bevaegelse" (AARHUS STIFTSTIDENDE v o m 1. 7. 1 9 3 4 ) . Zu der heftigen Polemik gegen H o f f m e y e r nach 1945, der 1 9 4 0 mit einer R e k o r d zahl an Stimmen zum Bischof gewählt worden w a r und sich während des Krieges an der Widerstandsbewegung beteiligt hatte, vgl. N . MOGELVANG NIELSEN, Bekendelse, und P . G. LINDHARDT, Den danske kirkes historie Bd. V I I I , S. 2 6 6 .
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Existenz" in ihrer angeblichen „Blutarmut" kategorisch ab. Statt dessen wies er, unter Berufung auf Grundtvig, auf das Volksleben und das Nationalgefühl als Ausdruck des Handelns Gottes in Geschichte, Natur und Volk hin. Hoffmeyer nahm an der gesamten Fano-Konferenz teil, ohne sich offen von der Resolution zu distanzieren. Für Geismar war diese Konferenz der Beginn seiner Teilnahme an der Studienarbeit über die Problematik des Verhältnisses von Staat und Kirche im Lichte des deutschen Kirchenkampfes. Hoffmeyer vermied es nach dieser Konferenz konsequent, die ökumenische Bewegung überhaupt zu erwähnen. Er war wahrscheinlich der Auffassung, daß sie die allgemein verbreiteten Mißverständnisse und Vereinfachungen des Auslandes teile, die zu korrigieren er sich berufen fühlte. Bei den mehr repräsentativen theologischen Stellungnahmen in Dänemark zum Kirchenstreit in Deutschland zeigte sich, daß die lutherische Tradition hier im allgemeinen nicht zu einem konservativen Denken in zwei Räumen führte, sondern sich vielmehr mit einer politischen Schärfung des Bewußtseins verband, die immer mehr zu offener Sympathie für die deutsche kirchenpolitische Opposition führte. Die theologischen Divergenzen, die noch immer bestanden, waren kein Hindernis. Das deutlichste Zeugnis hierfür ist ein Bericht, den eine Studiengruppe aus Bonhoeffers Predigerseminar in Finkenwalde nach einem Aufenthalt vom 29. Februar bis 11. März 1936 in Dänemark und Schweden verfaßte. In Kopenhagen waren die Gäste mit Torm, Nerregaard, A. Th. Jorgensen, Sparring-Petersen und anderen Theologen zusammengetroffen, die politisch wie theologisch höchst verschiedener Auffassung, aber in der Beurteilung des deutschen Kirchenkampfes durchaus einig waren: „Die Gäste erfuhren hier zum ersten Male mit Erstaunen, wie gut man in Skandinavien über die Lage in Deutschland unterrichtet ist. Ein bleibender Gewinn war die Erkenntnis, mit welcher Klarheit man die Haltung der Bekennenden Kirche von Schrift und Bekenntnis aus verstand. Die Gewißheit, daß die luterischen Kirchen des Nordens den Weg der Bekennenden Kirche keineswegs als unlutherisch verurteilen, sondern ganz im Gegenteil verstehen und weithin billigen, bedeutete für die deutschen Besucher eine wesentliche Stärkung in ihrem eigenen Ringen um die Kirche." 2 4 Ein anderes Zeugnis, das in die gleiche Richtung weist, ist der Artikel des grundtvigschen Volkshochschullehrers C. P. O. Christiansen „,Det tredje Norden' og ,Det tredje Rige'. Skäbnemodsätningen mellem Tysklands og Nordens Historie" („Der dritte Norden" und 24
Vgl. J K 4, 1936, S. 421. Vgl. auch J. GLENTMJ, Mündige Welt V, S. 170 ff.
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„Das dritte Reich". Der Schicksalsgegensatz zwischen der Geschichte Deutschlands und des Nordens). Der Verfasser versucht hier, die Ähnlichkeiten und Unterschiede aufzuspüren, um „die deutschnordische Bewegung und ihre Behauptung einer Schicksalsgemeinschaft im Raum zwischen den Alpen und dem Nordkap" nachzuprüfen. Auch wenn er von seiner grundtvigschen Auffassung her alle positiven Züge des „völkischen Wiedererwachens" in Deutschland zu sehen versucht, stellt er schließlich kompromißlos und deutlich fest, daß es sich hier um diametrale Gegensätze handelt, sowohl hinsichtlich der Idee des Volkstums wie der Vorstellung vom Christentum: „In Deutschland besteht Gleichschaltung aller politischen Anschauungen, in Skandinavien Freiheit für alle Anschauungen, in Deutschland Führertum, das auf Volksabstimmung beruht, in Skandinavien Parlamentarismus, der auf Wahlen beruht, in Deutschland Haß und Verachtung für den Sozialismus, in Skandinavien gibt es sozialdemokratische Ministerpräsidenten, in Deutschland Distanzierung vom Christentum, in Skandinavien starke christliche Jugendbewegungen, in Deutschland eine Zentralisierung aller Macht in einer einzigen Gestalt, die wie ein Heiland verehrt wird, im Norden wachsende Selbständigkeit und Freiheit von Gebiet zu Gebiet und von Volksstamm zu Volksstamm." 25 Die mehr oder weniger staatstreuen konservativen Lutheraner wie Zoellner, Stange oder Marahrens galten nicht als sonderlich vertrauenswürdig. Marahrens stieß in Dänemark auf starke Ablehnung, als er anläßlich des 400jährigen Reformationsjubiläums in Dänemark in einem Zeitungsinterview lutherische Bekenntnisorthodoxie und politische Hitlerbegeisterung zugleich zum Ausdruck brachte 26 ; an dem 25 Gads danske Magasin 1937, S. 340 f. (ü.). Ein anderes Beispiel für die grundtvigsche Kritik an der neuheidnischen Interpretation der nordischen Mythologie ist der Artikel A. RIISH0JS, Nordisk Mythologi, S. 359 f. und 376 f. Über die Nordische Schicksalsgemeinschaft vgl. H.-A. JACOBSEN, Nationalsozialistische Außenpolitik, S. 483 ff. 26 KRISTELIGT DAGBLAD vom 30. 10. 1936. In einem Bericht der deutschen Botschaft vom 3. 11. 1936 heißt es u . a . : „Landesbischof Marahrens hat im besten Sinne aufklärend gewirkt. Seine positive Einstellung zum neuen Deutschland ist sehr beachtet worden". Später heißt es über die Predigt von Marahrens beim Festgottesdienst in der deutschen St. Petri-Kirche in Kopenhagen: „Er sprach u . a . von dem Bollwerk der Ordnung, zu dem der Führer Deutschland aufbauen wolle, von dem Gehorsam, den wir der Obrigkeit schuldig seien, von der großen geschichtlichen Zeit, in der wir leben, und von der Pflicht und der Bereitschaft des evangelischen Menschen, leidenschaftlich an dem Aufbauwerk des Führers mitzuwirken". - Carl Stange schrieb in seinem Bericht an das deutsche Außenministerium, die deutschen Gäste seien überwiegend positiv aufgenommen worden, aber er fügte hinzu: „Dagegen bekam man aus den Zeitungen und auch gelegentlich sonst den Eindruck, daß es nicht an Bestrebungen fehlt, die gegen Deutschland Stimmung zu machen versuchen" (AKA, C I Dänemark).
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Jubiläum hatte er als Präsident des Lutherischen Weltkonvents teilgenommen, während Vertreter der Reichskirche nicht eingeladen waren. Auf der anderen Seite schlug Martin Niemöller nach seiner Verhaftung 1937 eine Welle der Sympathie in allen kirchlichen und theologischen Lagern entgegen. Der CVJM gab in seinem Verlag in dänischer Ubersetzung die Schrift „Martin Niemöller und sein Bekenntnis" heraus. In einem Nachwort schrieb Fr. Torm: „Es wäre erfreulich, wenn die Lektüre dieses Buches auch in Dänemark zur Fürbitte für Niemöller ermutigen würde. Es ist für die ganze christliche Kirche von Bedeutung, ob dieser Held des Glaubens die Kraft zum Durchhalten erhält." 27 Diese Tendenz verstärkte sich Ende der dreißiger Jahre angesichts der politischen Ereignisse wie Reichskristallnacht, Kriegsausbruch und schließlich der Besetzung Dänemarks. 2. Geismars offene
Kritik
Geismar nahm an der Fano-Konferenz als Gast teil. Noch kurz zuvor hatte er sich in seiner Beurteilung der Lage in Deutschland zurückgehalten, als er das Kierkegaard-Buch Hirschs besprach und eine mehr abwartende Haltung zu den politischen Auffassungen Hirschs einnahm. Das änderte sich jetzt; Geismar ging zu offener und unverblümter Kritik über. Diese plötzliche Wende ist einerseits in Geismars Beurteilung der aktuellen Geschehnisse begründet, anderseits durchdenkt er nun die theologische Grundlage seiner politischen Ethik neu. Gerade die theologische Grundhaltung, in der er sich mit Hirsch einig gewesen war, hatte ihn ja zunächst von offener Kritik abgehalten und dazu geführt, daß er die Ideologie der nationalen Wiedergeburt stets in bonam partem zu deuten versucht hatte. Während der Konferenz in Fane kam die Kritik jedoch deutlich zum Durchbruch. Geismar war entrüstet über das Auftreten der reichskirchlichen Delegierten Bischof Heckel und Prof. Titius, die auf die Kritik und die mit ihr verbundenen theologischen Probleme nicht hören wllten, sondern halsstarrig an den positiven Seiten der Entwicklung festhielten, daß ζ. B. Hitler das von Gott geschenkte Werkzeug Gottes sei, daß der Staat nach lutherischer Obrigkeitsethik auf einer göttlichen Stiftung beruhe und seine Machtausübung deshalb 2 7 S. 63, (ü.). Vgl. auch die Berichte Fr. TORMS in Praesteforeningens Blad 1937, S. 568 f. und 640 ff.; M. NIEMÖLLER, Sidste Praedikener (Ubersetzung von „Die letzten 28 Predigten") mit einem Vorwort von H . Fuglsang-Damgaard.
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in dem göttlichen Gerechtigkeitswillen wurzele. Nach den Zeitungsberichten war es Geismar, der am leidenschaftlichsten solche Aussagen zurückwies. Seiner Meinung nach beruhe der Nationalsozialismus auf drei grundlegenden Prinzipien, „einem hochgespannten, von der Geschichte gefärbten Idealismus, einem ursprünglichen Volksegoismus und einer massensuggerierenden Propaganda." Dagegen betont Geismar nun, daß jeder Staat in Sünde befangen sei trotz des göttlichen Mandats der Obrigkeit. Deshalb sei es in der aktuellen Situation besonders wichtig, auf die spezifische Gefahr des Nationalsozialismus hinzuweisen, der sich selbst eine absolute, totalitäre Autorität anmaße und dadurch unwillkürlich die Absolutheit des Christentums antaste 28 . Uber diese Aussagen auf der Fane-Konferenz hinaus verschärfte sich nun auch Geismars theologische und politische Kritik an der nationalsozialistischen Weltanschauung und der reichskirchlichen Kirchenpolitik, als er mit Brunner bei dessen Besuch in Kopenhagen im September 1934 enge Beziehungen anknüpfte. Brunner stellte sich öffentlich und vorbehaltlos hinter den Pfarrernotbund und verdeutlichte seine Ansicht in persönlichen Gesprächen mit Geismar. Er hatte noch am 26. Dezember 1933 an Geismar geschrieben, daß Geismars Beziehungen zu Hirsch ihn bedenklich gemacht hätten, dennoch wolle er gerne Kontakt zu ihm aufnehmen, denn er kenne seine Verdienste um die Kierkegaard-Interpretation 29 . Geismar formulierte seine Kritik im Herbst 1934 teils in einem kürzeren Artikel „Staat, Volk, Christentum", einer Zusammenfassung seiner Äußerungen auf der Fano-Konferenz, teils in dem Buch: „ReligÍ0se Brydninger i det nuvjerende Tyskland" (Religiöse Auseinandersetzungen im heutigen Deutschland), einer Bearbeitung einer öffentlichen Vorlesungsreihe, die er an der Kopenhagener Universität im Herbst 1934 gehalten hatte. Bei der Darstellung des äußeren Verlaufs der Ereignisse begnügt Geismar sich damit, die Leser mehrmals auf die Berichte in der Presse hinzuweisen, und er fügt hinzu, daß man im Ausland viel bessere Möglichkeiten zur genauen Information als in Deutschland selbst habe, wo die korrekte Nachrichtenübermittlung durch die Propaganda und die Kontrollmaßnahmen von Staat und Partei verdunkelt werde 30 . Geismar beschränkt sich auch nicht auf die Darlegung der kirchen28
V g l . POLITIKEN v o m 2 8 . 8 . 1 9 3 4 ; DAGENS NYHEDER v o m 2 8 . u n d 2 9 . 8 .
1934.
Hier wird hervorgehoben, daß die Äußerungen allgemeinen Beifall fanden und von den meisten Teilnehmern der Versammlung zustimmend begrüßt wurden. 29 30
Vgl. J . H . SCHJ0RRING, Geismar und Brunner, bes. S. 1 8 9 - 1 9 5 . Religiose Brydninger, S. 2 6 ; Stat, Folk, Kristendom, Kirke, S. 109.
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politischen Gegensätze oder des dahinter liegenden Streits der verschiedenen theologischen Schulen. Er greift den Nationalsozialismus nicht nur auf einem Feld, dem der Kirchenpolitik, an, sondern auf breiter Front; denn nur so sei auch dem totalitären Anspruch dieser Ideologie zu begegnen. Die kritische Analyse umfaßt deshalb auch das gesamte Spektrum von Politik, kulturellem Leben, Philosphie bis hin zu Kirchenpolitik, und er sieht all dies unter allgemeinphilosophischen, nicht nur speziell theologischen oder speziell deutschen Gesichtspunkten; die gesellschaftlichen und theologischen Probleme gelten ihm als zeittypische Probleme, die auch für alle anderen Länder aktuell sind. Es gehe deshalb nicht um eine Einmischung in die inneren Angelegenheiten Deutschlands, sondern um eine Herausforderung, die universellen Charakter trage. Deshalb verfällt Geismar auch nicht in billige und hochmütige Polemik. Agitation gehört für ihn nicht in den akademischen Bereich. Statt dessen versucht er intensiv den Ursachen für das Entstehen, das Wachsen, die Machtergreifung und die Machtausübung des N a tionalsozialismus nachzugehen. Er sieht hier einen langen und tiefgreifenden historischen Prozeß, der viele verschiedene Wurzeln hat. Geismar bleibt bei seiner schon früher geäußerten Kritik am Versailler Vertrag und weist auf die in seiner Folge entstandenen nationalen, parteipolitischen und wirtschaftlichen Mißstände hin. Weiter nennt er den allgemeinen geistigen und moralischen Verfall, die politischideologische Unsicherheit und die Ratlosigkeit und Ohnmacht der Kirche in den zwanziger Jahren. All diese Krisensymptome hätten Deutschland besonders hart getroffen, aber es gebe auch allgemeine, nicht nur spezifisch deutsche Entwicklungen: die Technisierung, die Kapitalisierung, die Strukturveränderungen im Erwerbsleben und in der Gesellschaft im allgemeinen, Entwicklungen, die alle die Amoralität sozusagen institutionalisiert hätten. Auf diesem Boden chaotischer Hoffnungslosigkeit wuchs nach Geismar der Nationalsozialismus als ein politisches Zaubermittel, das zudem noch eine Weltanschauung feilbot, die dem Gefühl der Ohnmacht und der Hoffnungslosigkeit ein Ende bereiten zu können vorgab. Das Bestrickende am Nationalsozialismus liege gerade an dieser Behauptung, sozusagen eine Totallösung aller Probleme zu bieten, die alle Teillösungen überbieten könne. Diese totalitäre Weltanschauung sei die treibende Kraft, die hinter allen Ansichten und Aktionen der Nationalsozialisten stehe: „Die Ehre Deutschlands ist der höchste Wert; dies verkörpert sich in der Person des Führers und ist der Funke, der von ihm aus auf alle Einzelnen überspringt, so daß sie sich nicht mehr als Einzelne fühlen; sie sind davon befreit, nur für sich zu leben, um nun dem Volke und seiner Zukunft zu leben. Deshalb
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hat der Klassenunterschied aufgehört; er entstand, wo der Egoismus des Individuums der Höchstwert war. In der gemeinsamen Ergriffenheit von dieser geistigen Wiedergeburt ist ein Lebensstrom, der von der alles untergrabenden Diskussion befreit, die unter der Führerschaft des Intellektualismus und des Parlamentarismus auflösend gewirkt hat auf alle die Werte, die das Volksleben tragen. In dieser völkischen Wiedergeburt weiß man von neuem, wo der Ruf der Mutterschaft heilig ist. Die Sexualität ist nicht mehr Gegenstand des Genusses, sondern der Weg zur Volkserneuerung; deshalb ist die Rassenhygiene als eine heilige Pflicht zu befolgen." 31 Die totalitäre Basis führt also mit Notwendigkeit zu Führerkult und Gleichschaltung von Unterricht, Kirche und Presse durch Einsatz staatlicher Gewalt. Geismar sucht zu zeigen, daß der Nationalsozialismus von Grund auf eine religiöse Weltanschauung ist. Deshalb stellt er nun die grundlegende Frage, „ob die Religiosität, die den nationalsozialistischen Durchbruch trägt, mit dem Christentum vereinbar ist und ob der staatliche Zwang, mit dem der Nationalsozialismus durchgesetzt wird, dem Christentum entstammen kann" 32 . Das Bild des allgemeinen ideologischen Rahmens des neuen Reiches führt Geismar unwillkürlich zu den neugermanischen Vorstellungen Alfred Rosenbergs. Seine Ernennung zum Beauftragten Hitlers für die gesamte geistige und weltanschauliche Erziehung der NSDAP Geismar nennt ihn „Kulturwart" - hat Geismar offenbar ganz besonders schockiert, denn dies war ein deutliches Dementi des bisherigen, angeblich christentumsfreundlichen Kurses der Partei, den auch Hirsch propagiert hatte. Seit dem Sommer 1934 sah Geismar die Position Rosenbergs als den eigentlichen Ausdruck der Parteiideologie. „Der Mythus des 20. Jahrhunderts" und „Mein Kampf", so stellte er besorgt fest, waren „die ersten Bücher in den Buchsammlungen aller deutschen Schulen" 33 . Geismar analysiert Rosenbergs Anschauungen ausführlich, besonders der Begriff der Ehre wird zu Siegfried und 31
Ebd., S. 107 (ü.); vgl. auch Religiose Brydninger, S. 25. Als wichtigste Belege für seine Interpretation des Nationalsozialismus als einer totalitären Ideologie führt Geismar an: Hitlers „Mein Kampf", Moeller van den Bruck, „Das dritte Reich" und Hirsch, „Die gegenwärtige geistige Lage". Geismar definiert „Weltanschauung" als eine „zentrale Lebenseinstellung", sofern diese Lebensgrundlage sowohl des Einzelnen als auch des Volkes ist. Gerade darauf beruhe das autoritäre Regime Hitlers mit seiner Auseinandersetzung mit der Vergangenheit. Aber eben dies bringe Zwangsmaßnahmen notwendigerweise mit sich. Ähnlich auch in dem Manuskript: „Nutidens teologiske Problemer", S. 14 f.; dieses Vorlesungsmanuskript stammt sicherlich auch vom Herbst 1934 (RA KOPENHAGEN, N G Bd. 4). 82 Religiose Brydninger, S. 28 (ü.). 33
E b d . S. 3 2 (ü.). V g l . a u c h BERLINGSKE TIDENDE v o m 4. 11. 1 9 3 4
(„Germansk
Hedenskab") und das Vorlesungsmanuskript „Germansk Religion og Kristendomm e n " ( R A KOPENHAGEN, N G B d . 4 ) .
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Meister Eckhart in Beziehung gesetzt. Von Anfang an sieht Geismar in diesem Heldenkult einen diametralen Gegensatz zum Christentum. Der Führerkult ist für ihn die natürliche Konsequenz aus diesem Neuheidentum: „Ich denke mir Hitler und Rosenberg zusammen in Bayreuth, wie sie zusammen Wagners Siegfried sehen und hören. Und Rosenberg versteht, daß der Mythos von Siegfried in dem Manne Wirklichkeit geworden ist, der an seiner Seite sitzt; und Hitler versteht, daß er zu Recht Rosenberg zum ,Kulturwart' des neuen Deutschland gemacht hat." 34 Für die dänische Theologie liegt eine Herausforderung darin, daß die Geschichtsmythologie in vielem dem Denken Grundtvigs zu ähneln scheint, der ja auch die nordische Mythologie für sein Denken fruchtbar zu machen versucht hatte. Aber Geismar stellt fest, daß nur eine ganz oberflächliche Betrachtung hier Ähnlichkeiten sehen kann. Die Unterschiede liegen viel tiefer, und er weist darauf hin, daß die nordische Mythologie Grundtvigs niemals etwas Autonomes sei, sondern daß das „Volkhafte" primär nur Vorbereitung sei zur eigentlichen Wahrheit, die im christlichen Begriff der Sünde und der Liebe enthalten sei. Volk und Christentum gehören zusammen. Aber die grundtvigsche Auffassung von der Liebe zum Vaterland ziele nur auf eine nationale Erweckung mit geistigen Mitteln. In diesem Zusammenhang sieht Geismar einen schroffen Gegensatz zwischen dem grundtvigschen Ideal der Freiheit, das sich an englische Vorbilder anlehnt, und dem deutschen Rassenwahn und Staatszwang 35 . Daß das Neuheidentum nicht nur eine Randerscheinung sei und in einem ausdrücklichen Gegensatz zu der anfänglich beschworenen 34 Religiose Brydninger, S. 42 (ü.); vgl. auch ebd., S. 50-52 und 58; Stat, Folk, Kristendom, Kirke, S. 107 f. In dem Manuskript „Folk-Stat-Kirke" (vom Frühjahr 1937) macht Geismar darauf aufmerksam, wie er sich nach der Lektüre von „Mein Kampf" über den Zusammenhang zwischen dem Führerkult und dem Antiliberalismus klar wurde, als er im Theater Wagners „Siegfried" gesehen hatte und hier erkannte, daß Hitler Siegfried war und der Lindwurm der Liberalismus. Er fügt freilich hinzu, daß Protest von außen gegen nationalsozialistischen Führerkult, Rassenwahn und weltanschaulichen Zwang abprallen würde, wenn man als Alternative nur einen Neuaufguß des traditionellen Liberalismus biete. Es gehe vielmehr darum, die Begrenzung der Staatsmacht als eine unumgängliche Verpflichtung theologisch zu definieren. Dabei müßten die Bürger selbst zu persönlichem Opfer bereit sein (RA KOPENHAGEN, N G Bd. 11). 35 Religiöse Brydninger, besonders S. 44 ff.; vgl. auch Stat, Folk, Kristendom, Kirke, S. 109. Über das religiöse Element in der Auffassung vom Volk sagt Geismar an anderer Stelle: „Dies zu verstehen sind wir in Dänemark durch Grundtvig vorbereitet: Das Volk ist die Wurzel, aus der der Einzelne emporgewachsen ist. Die Volkszugehörigkeit hat der Einzelne mit der Muttermilch empfangen, ja mit dem Blute eingesogen" (ü.). Danach aber heißt es über den Nationalsozialismus, dieser habe dem einen grenzenlosen und intoleranten Staatszwang hinzugefügt (Nutidens teologiske Problemer, S. 15; RA KOPENHAGEN, N G Bd. 4).
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positiven Haltung zum Christentum stehe, zeige sich deutlich auch in den verschiedenen neuheidnischen Bewegungen, die wie Pilze aus der Erde geschossen seien. In den Bewegungen, die sich an die Namen Jakob Wilhelm Hauer, Ernst Bergmann, Hermann Wirth und Mathilde Ludendorff knüpfen, verbänden sich eine militante antichristliche Einstellung mit einem Mangel an Solidität und einem erschreckend niedrigen geistigen Niveau. Geismar spricht von Fälschungen und von Dilettantismus: „In dem Land, dessen Ehre wissenschaftliche Objektivität war, dort kann nun die Ehre Deutschlands durch Schriften verteidigt werden, die wissenschaftlich gesehen reinster Bluff sind." 36 Trotz dieser fehlenden Seriosität ließen sich diese Bewegungen aber nicht einfach abtun, sie seien vielmehr Ausdruck eines allgemeinen religiösen Wildwuchses, der den eigentlichen Nährboden für den enormen Zulauf der Nationalsozialisten darstellt. Diese Ausbreitung des Neuheidentums sei, so Geismar, nur möglich gewesen, weil man vor 1933 einen allzu scharfen Trennungsstrich zwischen Politik und Religion gezogen habe. Deshalb entfalteten diese Phänomene nun eine Dynamik, die sich nur aus einem Nachholbedarf aus früheren Zeiten erklären ließe. Die neue nationale Ideologie erscheine deshalb als Gegengewicht gegen einen intellektualistischen Liberalismus und Naturalismus. Geismar belegt dies mit einem Kierkegaard-Zitat: „Es werden wie Pilze nach dem Regen dämonisch infizierte Gestalten auftreten, die sich bald anmaßend selbst zu Aposteln auf gleicher Stufe wie die Apostel machen werden, einige auch mit der Aufgabe, das Christentum zu vervollkommnen, die jedoch bald selbst Religionsstifter zu sein beanspruchen werden, Erfinder einer neuen Religion, die die Zeit und die Welt ganz anders zufriedenstellen wird als die ,Askese' des Christentums." 37 Ein weiteres Alarmsignal war für Geismar der Antisemitismus. Auch dieser ließ sich für ihn bis zu einem gewissen Grade als Gegenreaktion gegen die jüdische Dominanz in Politik, Kultur und Wirtschaft in der Weimarer Republik erklären, aber dieser Hintergrund dürfe nicht den Rassenwahn und den Judenhaß entschuldigen oder rechtfertigen. Geismar erkannte im nationalsozialistischen Antisemi-
se
Religiose Brydninger, S. 57 (ü.). Ebd., S. 59 (ü.). Das Zitat stammt aus einer Tagebuchaufzeichnung Kierkegaards von 1848 und wird auch in der Kierkegaard-Monographie Geismars erwähnt (S. Kierkegaard IV, S. 50-52). Genauso wichtig wie diese Diagnose ist der Hinweis Geismars auf das Heilmittel, das Kierkegaard durch seine Schilderung des rechten Ideals eines Pfarrers gegeben habe. Vgl. die parallele Beschreibung A. NYGRENS von der „dritten Konfession" (Den tyska kyrkostriden, 3. Aufl., S. 7 0 75). 37
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tismus einen integrierenden Bestandteil des Parteiwillens, ja ein Kernstück und das schlagkräftigste Instrument der Propaganda 38 . Von hier aus ist die Einstellung Geismars zur Kirchenpolitik des „Dritten Reiches" deutlich. Er sieht in den reichskirchlichen Zwangsmaßnahmen eine unausweichliche Konsequenz des politischen Kurses auf kirchlichem Gebiet, Intoleranz und Skrupellosigkeit sind für ihn das unvermeidliche Ergebnis einer wildwachsenden Religiosität. Geismar weiß sehr wohl, daß führende Vertreter der Deutschen Christen, nicht zuletzt auch Hirsch, diese totalitären Elemente als Ausdruck für ein Wagen verstehen wollen, das zur Verwirklichung absoluter Wahrheiten in der Geschichte dazugehöre. Aber das beeindruckt Geismar nicht. Er sieht in solchen Äußerungen nur einen Ausdruck der Demagogie dieser Bewegung. Die Zwangsmaßnahmen wiegen um so schwerer, als sie im Grunde eine Konsequenz der theologischen Grundhaltung der Deutschen Christen sind, nämlich der Lehre von den beiden Offenbarungen, ja von der Einheit der beiden Offenbarungen in der „geschichtlichen Wende" und in Jesus Christus. Geismar schreckt deshalb nicht davor zurück, die Zwangsmaßnahmen mit den Ketzerverfolgungen vergangener Zeiten zu vergleichen: die Deutschen Christen versuchen den theologischen Protest gegen Führerkult und Vergötzung des Blutes als einen rein politischen Widerstand gegen den neuen Staat zu mißdeuten und dadurch staatliche Zwangsmaßnahmen zu rechtfertigen 89 . Aber Geismar begnügt sich nicht mit der Verwerfung einzelner Maßnahmen, er geht nun auch zu einer grundsätzlichen theologischen und politischen Kritik an Hirsch über. Dabei bekennt er sich zu seiner früheren Freundschaft mit Hirsch und der früheren sachlichen Übereinstimmung. Er versucht, Hirsch so weit wie irgend möglich 38 Religiose Brydninger, S. 23-27. Hier wird vor allem die Ungeheuerlichkeit hervorgehoben, Ehen zwischen Ariern und Juden unverblümt als Blutschande auszugeben. Zur kirchenpolitischen Seite des Antisemitismus, der Anwendung des Arierparagraphen in der Kirche vgl. ebd., S. 68 ff. N u r im Lichte der grundsätzlichen Ablehnung des Antisemitismus können andere Äußerungen wie diese verstanden werden: „Nicht zu Unrecht meinte man, daß die Juden Schrittmacher dieser Wurzellosigkeit und moralischen Fäulnis seien; auch sah man in ihnen die ausgesprochensten Vertreter der schrankenlosen Profitgier" (ebd., S. 18; ü.) - Bemerkungen, die in etwa den „kleinen" Antisemitismus wiedergeben, der in Dänemark wie auch in vielen anderen Ländern außerhalb Deutschland lebendig war. - Auch A. NYGREN ging mit dem religiös begründeten Rassenfanatismus in dem erklärten Neuheidentum und bei den Deutschen Christen hart ins Gericht (Blodets och rasens religion, S. 58-60). 39 Religiöse Brydninger, S. 68. Etwas später nennt Geismar die Reichskirche „eine Institution für Verfälschung des Christentums" (ü.; ebd., S. 79). Ähnlich A. NYGREN, Den tyske kyrkostriden, 3. Aufl., S. 52 ff. und 145 ff.
Geismars offene Kritik
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zu verstehen und entgegenzukommen 40 . Ihre gemeinsame Grundfrage war ja - mit Kierkegaard gesprochen - gewesen: Wie kann man an der „Tiefenwirkung" des Christentums festhalten, ohne damit die Rahmen des geistigen und gesellschaftlichen Lebens zu sprengen? Aber die aktuelle Antwort auf diese Frage, die Hirsch gibt, stößt auf den entschiedenen Widerspruch Geismars. Er macht Hirsch mitverantwortlich für die Zwangsmaßnahmen, die er zuvor kritisiert hatte - mit Recht, muß man hinzufügen, denn Hirsch war an all diesen Maßnahmen als der die Reichskirchenregierung beratende einflußreiche Theologe mit beteiligt. Theologisch wirft Geismar Hirsch vor, er habe das Polemische im Christentum verflüchtigt. Die Behauptung, die nationale Bewegung sei im Christentum verwurzelt, sei nichts als ein Bluff, das zeigten das sozusagen autorisierte Neuheidentum Rosenbergs und die erwähnten Zwangsmaßnahmen. Hirsch mache die fatale Identifizierung der beiden Offenbarungen in Volk und in Christus mit, er verherrliche damit das Volk in unzulässiger Weise und hypostasiere natürliches Gesetz und natürliche Idealität bis hin ins Absurde 41 . Geismar sieht sich nun auch genötigt, seine Einstellung zu Barth und dessen kompromißloser Ablehnung jeglicher natürlichen Idealität zu revidieren. Mehrmals muß er zugeben, daß der Pfarrernotbund in der aktuellen Situation in seinem Protest unbedingt recht und die Bekennende Kirche mit der Barmer Erklärung den N a gel auf den Kopf getroffen habe, wenn sie die ausschließliche Autorität der Offenbarung allein auf der Grundlage der Schrift betonte und damit den Götzendienst zurückgewiesen habe, der in der Lehre von den zwei Offenbarungen liege 42 . Trotzdem bleiben frühere Vorbehalte gegen Barth bestehen, zuweilen sogar in ziemlich vergröbernder und unzulässig vereinfachender Form. So unterstellt Geismar Barth einen grundsätzlichen ethischen Indifferentismus und behauptet, Barth sehe die Aufgabe der Theologie allein darin, „Wechsel auf die Ewigkeit auszustellen und allen Positiv über Hirsch in: Religiose Brydninger, S. 11, 71-75, 82-86 und 95-98. Kritisch zu Hirsch ebd., bes. S. 27, 66, 75 f f . und 87 f. Hirsch habe, so sagt Geismar an letztgenannter Stelle, die „Vorhofsreligiosität" kritiklos auf eine Stufe gestellt mit der Unruhe in Richtung auf Verinnerlichung als Ausdruck des Universellen bzw. des Spezifischen im Christentum. Dadurch habe er dazu beigetragen, daß man bei den deutsch-christlichen Theologen „jetzt [ d . h . nach 1933], gesichert durch die Begeisterung, selbst geistige Pause im Vorhof hielt und den Tempel Tempel sein ließ" (ü.). Auch in dem Manuskript „Nutidens teologiske Problemer" betont Geismar, Hirsch habe die Solidarität innerhalb der natürlichen Ordnungen 40
41
ü b e r b e t o n t ( R A KOPENHAGEN, N G B d . 4 ) .
« Religiose Brydninger, S. 78, 86 f. und 101. 17
Schjßrring, Geismar/Hirsch
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Sündern Vergebung zu geben" 43 . Diese Verzerrung der Position Barths ist wohl der Verbitterung über Tidehverv zuzuschreiben, dennoch zeugt sie von einem Mangel an systematischer Denkkraft bei Geismar. Grundsätzlich meint Geismar an seiner früheren Position der Dialektik zwischen Positivität und Polemik festhalten zu können, wenngleich er zugibt, an die unerbittliche Radikalität des Gerichts in unangenehmer Weise erinnert worden zu sein. Geismars Position erinnert an die Art, in der Brunner von der natürlichen Idealität sprach, ohne dabei in die extremen Positionen Barths oder Hirschs zu verfallen. Geismar will an der kulturkritischen Aufgabe der Theologie festhalten; die Theologie habe sich der Herausforderung des Augenblicks zu stellen. Politisch steht Geismar Brunner näher, auch er tritt leidenschaftlich dafür ein, die Vollmacht des Staates über Kultur, Geistesleben und Kirche auf ein Minimum zu beschränken. Nur eine solche Zurückdrängung staatlicher Macht könne einen totalitären Weltanschauungsstaat verhindern44. Trotz systematischer Unklarheiten in Geismars Entwurf einer Kritik am Nationalsozialismus und der deutsch-christlichen Theologie liegen seine Verdienste auf drei Gebieten: 1. Die Kritik ist in eine systematische Gesamtkonzeption eingebettet. Sie hat damit eine andere Aktualität als viele Resolutionen und Erklärungen internationaler Organisationen, denn solche Äußerungen tragen oft die Züge eines verwässerten Kompromisses, der nur Teilaspekte anspricht. Dies gilt ζ. B. auch für die Resolution der Fano-Konferenz, so bedeutend sie in der gegebenen Situation auch war. 2. Geismars Aussagen wirken - im Vergleich zu seinen früheren - geradezu erfirschend, denn er fällt nicht mehr wie früher auf schlagwortartige Axiome zurück, die er mit ermüdender Monotonie in seinen Lehrbüchern und seinen Büchern über Kierkegaard wiederholt hatte, AxioEbd., S ^ 2 0 (ü.); vgl. auch ebd., S. 13 und 7 4 - 7 7 . Zustimmend zu Brunner ebd., S. 72, 1 0 6 f. und 115. N o c h deutlicher und entschiedener ist die Zustimmung zu Brunner in dem Vorlesungsmanuskript » N u tidens teologiske Problemer" ( R A KOPENHAGEN, N G B d . 4 ) . Brunners Festhalten an der Notwendigkeit der Ordnungen t r o t z oder gerade wegen der Sünde sieht Geismar als eine Parallele zu seiner eigenen Auffassung, daß die polemische Seite des Christentums nicht die erste und einzige sei, sondern daß sie erst in einem dialektischen Zusammenspiel mit dem Positiven im Christentum entstehe. V o n hier aus vertieft Geismar seine Kritik an Hirsch, andererseits lehnt er erneut den schroffen Antiidealismus Barths ab. D u r c h Brunner hat Geismar in seiner Position gegenüber B a r t h und Tidehverv gleichsam mehr festen Boden unter die Füße bekommen. Selbstsicher kann er nun Einwände gegen die Position Brunners zurückweisen. Vgl. auch das Manuskript zu einem Doppelvortrag über „Das Gebot und die Ordnungen" ( R A KOPENHAGEN, N G Bd. 5). 43 44
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me, die er nie recht mit konkretem Inhalt zu füllen verstand. Demgegenüber sind die Kulturkritik und die Gesellschaftsanalyse Mitte der dreißiger Jahre von größerer Originalität und Durchschlagskraft. Zugleich zwang sein Engagement ihn dazu, seine theologische Position in vieler Hinsicht zu revidieren. Das gilt für seine Interpretation Luthers und Kierkegaards, das gilt auch für seine Haltung zu den theologischen Positionen Barths, Hirschs, Althaus' und Brunners. Der Bruch mit Hirsch, der sich im Sommer 1934 anbahnte, führte m. a. W. zu einer fruchtbaren theologischen Läuterung. 3. Der Wille zu einem Neudenken zeigt sich vor allem darin, daß Geismar die Problematik der Weltanschauung in ihrer ganzen Breite einbezieht. Wo die Opposition sonst in Deutschland selbst wie auch im Ausland oft verschiedene kirchenpolitische, weltanschauliche oder politische Fragen isoliert aufgriff, zeichnet sich die Analyse Geismars dadurch aus, daß er den Nationalsozialismus als ein Gesamtphänomen in seiner ganzen Breite theologisch und politisch-weltanschaulich analysiert in seiner Relevanz auch über die Grenzen Deutschlands hinaus. Geismar begnügt sich nicht mit allgemeinen Grundsätzen, sondern überprüft diese in materialethischen Überlegungen stets auch an konkreten Fragen 45 .
3. Der Streit mit Hirsch Es verwundert zunächst ein wenig, daß Hirsch direkt auf den Angriff Geismars eingeht, denn Hirsch war ja zuvor im Streit mit Barth 1932 dazu übergegangen, diesem nicht persönlich zu antworten, sondern seine Antwort an Wilhelm Stapel zu richten, - eine Methode, die er auch in dem Streit mit Paul Tillich benutzte. Der Grund dafür, daß Hirsch den Angriff Geismars direkt pariert, liegt wohl in ihrer früheren Freundschaft. Hirsch antwortet auf den ersten Artikel Geismars über die Fano-Konferenz mit einem längeren Artikel „Kreuzesglaube und politische Bindung. Eine ökumenische Zweisprache", und im Januar 1935 schreibt er über dieselben Fragen aus4 5 Soweit es sich feststellen läßt, fand das Buch „Religiöse Brydninger i det nuvaerende Tyskland" recht große Beachtung. Für das Kirchliche Außenamt fertigte Vikar Druschke ein 18-seitiges Referat an. Die ersten offiziellen Berichte der deutschen Botschaft über das Buch waren jedoch ganz formell und erwähnten nur flüchtig das erste Echo in der dänischen Presse; vgl. den Bericht von Richthofens vom 20. 12. 1934 ( P O L A , Kult. Pol.A V I A, Evangelische Angelegenheiten 2). Vom Außenministerium wurde dieser Bericht an das Kirchliche Außenamt weitergeleitet (AKA, C I Dänemark). Das Buch wurde in die ökumenische Studienarbeit einbezogen, und ein deutsches Referat „Der religiöse Kampf im heutigen Deutschland" wurde angefertigt (AÖRK, Germany Church Struggle 1933-35).
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Der offene Bruch
führlich an Geismar46. Geismar war für einen toleranten sozial-liberalen Rechtsstaat eingetreten und hatte diesen einem pseudoreligiös begründeten autoritären Weltanschauungsstaat gegenübergestellt. Damit aber hatte er nach Meinung Hirschs die deutsche Entwicklung mit typisch ausländischen Augen betrachtet und wirkliches Verständnis für die deutschen Verhältnisse vermissen lassen. Hirsch will diese angeblichen MißVerständnisse deutlich korrigieren. Denn Geismar habe, so meint er, den geschichtlichen Hintergrund der nationalen Revolution nicht erfaßt. Der Umsturz sei ganz unbestreitbar eine Rettungsaktion gewesen, die einer Bolschewisierung Deutschlands in letzter Stunde zuvorgekommen sei. Es sei nicht nur um einen Streit zwischen verschiedenen Parteien gegangen, vielmehr um die Frage, ob sich der gottlose Marxismus für immer und ewig politisch etablieren würde. Gegen diese tödliche Bedrohung habe die nationalsozialistische Machtergreifung eine Sammlung des Volkes auf der Grundlage allgemein verpflichtender, das Christentum unterstützender Lebenswerte ermöglicht. Dies beschreibt Hirsch nun wie zuvor in der theologischen Metasprache, die er zusammen mit Geismar entwickelt hatte, als „Vorhofsreligiosität". Wenn Geismar diesen Weltanschauungsstaat dennoch als einen einzigen großen Angriff auf Christentum und individuelle Freiheit als die unverzichtbare Bedingung für wahres Christentum versteht, so sieht Hirsch darin eine völlige Verzerrung der Proportionen, die alles auf den Kopf stelle, ganz wie die ausländische Hetze gegen Deutschland nur auf Irrtümern und Verdrehungen beruhe. Die Frage sei nämlich, wieweit ein Staat, der freie Diskussion über die Lebenswerte zusichere, christlich akzeptabel sei, auch wenn er sich ganz indifferent oder vielleicht sogar feindlich zu der „christlich als Vorbereitung unentbehrlichen idealen Vorhofsreligiosität" stelle. Wenn man diese Frage bejahe, sagt Hirsch, dann sei man umgekehrt genötigt, gerade den Staat, der alles daran setze, eine allgemeingültige und verbindliche Lebensordnung zu formulieren und zu schützen, vom Christentum aus betrachtet als dämonisch anzusehen, so wie Geismar dies in konsequenter Durchführung seines Fehlschlusses denn auch tue47. In: Christliche Freiheit und politische Bindung, S. 48 f. Hirsch erkennt zunächst positiv an, daß sich Geismar „abstrakter theologischer Grundsatzreiterei" enthalten habe und statt dessen den Umbruch in Deutschland von innen her zu deuten versucht habe. Hirsch registriert Geismars Polemik gegen Barth und stellt in diesem Zusammenhang fest, daß Geismar nicht zu den gewöhnlichen „christlichen Lästermäulern" gehöre (ebd., 62). Deshalb meint Hirsch zu einer eingehenden Darstellung der Einwände Geismars verpflichtet zu sein (ebd., S. 49-52). 47 Ebd. S. 57. Hirsch spricht auch von einem Fortschritt von einem liberalen bürgerlichen Rechtsstaat mit christentumsfeindlichen marxistischen Zügen hin zu
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Hirsch sieht die Gefahr der Dämonie nicht im Staatsbegriff selbst, wie liberaldemokratisches Rechtsdenken dies nahelege. Sie liege vielmehr in der Bindungslosigkeit. Diese stelle die allergrößte Gefahr dar, denn das Blendwerk der Freiheit, welches der wertneutrale Liberalismus vorgaukele, sei eine gefährliche Verführung und Irreleitung ahnungsloser Idealisten unter dem Deckmantel eines Respekts vor der Freiheit des Individuums 48 . Hirsch stellt eine Alternative auf zwischen einer angeblich abstrakten Lehre von der Freiheit, die eine wirkliche existentielle Wahl illusorisch mache, weil sie frei in der Luft schwebe, und auf der anderen Seite einer Staatsordnung, die dem Einzelnen absolut den Rahmen seiner Identifikation zuweise und ihm so zu einem sinnvollen Gleichgewicht zwischen Bindung und Freiheit verhelfe. Diese - vergröberte - Alternative dient Hirsch stets als Alibi für seine Behauptung, der Nationalsozialismus sei dem Jenseitig-Absoluten ergeben. Ja, Hirsch geht soweit, daß er den Begriff der Grenze nicht nur in dem Sinne gebraucht, daß er die Verabsolutierung alles geschichtlich Bedingten verhindern soll, sondern ihn auch im Sinne einer „hütenden Grenze" anwendet, die eine durch Blut und Rasse bedingte Gemeinschaft erst ermögliche49. Deshalb müsse man dem Staat Befugnisse zugestehen, auf ein Ethos hinzuwirken, das zwar binde, aber nicht knechte. Der Staat behafte den Einzelnen bei seiner Verpflichtung gegenüber dem „Nomos", der wiederum eine Voraussetzung dafür sei, daß die Gemeinschaft überhaupt funktionieren könne, und dessen Respektierung deshalb mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln gesichert werden müsse50. Erst dem nationalsozialistischen nationalen Weltanschauungsstaat (ebd., S. 54). Die Durchschlagskraft des neuen gemeinsamen Ethos im Volke versucht er dadurch zu belegen, daß er auf eine lange Reihe von sprichwörtlichen Lebensregeln hinweist und einen Katalog von Eigenschaften aufzählt, die nun wieder hoch im Kurs stünden: „Ehre, Opfer, Zucht, Pflicht, Treue" etc. (ebd., S. 69 f.). 48 Dies wird stark hervorgehoben im Brief vom 2. 1. 1935 (RA KOPENHAGEN, NG Bd. 1); vgl. auch Christliche Freiheit und politische Bindung, S. 58: „Im Rechtsstaat sind nach ihm [Geismar] bestimmte Lebensgebiete aus der Verantwortung der staatlich gefaßten Gemeinschaft entlassen, und die so gebebene bürgerliche Freiheit des Einzelnen ist christlich wichtiger als die durch den Mißbrauch des Individualismus angerichtete Zerstörung"; vgl. auch die These 17 der Thesen „Gottes Offenbarung in Gesetz und Evangelium" (ebd., S. 81). 48 Brief vom 2. 1. 1935 (vgl. Anm. 48), wo Hirsch selbst auf „Die gegenwärtige geistige Lage", S. 42, hinweist; vgl. auch Christliche Freiheit und politische Bindung, S. 66 und folgende These: „Private Lebensordnung und private Weltanschauung sind Notbehelfe in Zeiten der Erkrankung des gemeinen Wesens. Echte Weltanschauung heißt hier der Logos, echte Lebensordnung der Nomos des Volkes oder Geschichtskreises" (ebd., S. 80). 50 Nach dem Verbot der öffentlichen Diskussion von Kirchenfragen vom 9. 7. 1934 mußte Hirsch selbst sich an die Reichskirchenregierung wenden und dar-
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in einem Leben unter diesem Nomos erhält die Wahl einen Sinn. Der „Horos" ist die Bedingung, unter der der Einzelne stets in neue Entscheidungssituationen geworfen wird, stets unter der Rede Gottes in die Geschichte hinein. Wenn Geismar unterstellt, daß dieses Ethos so sehr verabsolutiert sei, daß die Glaubensentscheidung faktisch dem politischen Machtwillen untergeordnet sei, so ist das für Hirsch eine gänzliche Verzerrung der Tatsachen. Die Glaubensfreiheit sei nicht nur unangetastet, vielmehr seien der neue Staat und seine Führer offen für die Rede des Evangeliums, ohne deshalb eine Antwort diktieren zu wollen 51 . Deshalb kann Hirsch die Funktion, Legitimität und Verpflichtung des Staates auf die Formel bringen: „Ein gewaltiger Erzieherwille auf das Christentum hin." Hirsch fühlt sich also von den Vorwürfen Geismars nicht getroffen. Er ist der unerschütterlichen Uberzeugung, daß es intentional wie auch faktisch eine Gemeinsamkeit der Interessen zwischen nationalsozialistischer Ideologie und der kirchlichen Aufgabe der Verkündigung gebe. Er vertraut darauf, daß die politischen Führer mit ihm über diese Grundlage übereinstimmen und daß es deshalb undenkbar ist, daß irgendein verantwortlicher Politiker einen religionsfeindlichen Kurs einschlägt52. Es wundert denn auch nicht, daß Hirsch die Berechtigung aller Vorwürfe gegen das Kirchenregiment Müllers bestreitet53 und das um ersuchen, daß seine Flugschriften „Hammer und Nagel" von dem Verbot ausgenommen würden. Schriften, die er jetzt „die theologischen Grundlagen meiner Arbeit im Verfassungsausschuß" nannte. Dies geht aus einem Brief an den Reichsleiter der Deutschen Christen Chr. Kinder vom 10. 7. 1934 hervor. Hirsch bittet darum, den Brief an die Reichskirchenregierung weiterzuleiten. Aus der vorläufigen Antwort vom 12. 7. 1934 ist ersichtlich, daß die Reichskirchenregierung mit zensurähnlichen Prüfungen stark beschäftigt war (AEKD, C3/334). Nichtsdestoweniger behauptet Hirsch in seinem Brief vom 2. 1. 1935 an Geismar, die Freiheit sei völlig unangetastet (vgl. Anm. 48). 51 Christliche Freiheit und politische Bindung, S. 66; vgl. auch die Briefe vom 2. und 14. 1. 1935 (vgl. Anm. 48). Diesen Zusammenhang hat G. S C H N E I D E R - F L U M E sehr klar dargestellt (Politische Theologie, S. 136-144). 62 Vgl. den Brief an Geismar vom 2. 1. 1935 (vgl. Anm. 48). Vgl. auch: „So habe ich gar keine Sorge, daß je ein deutscher nationalsozialistischer Staatsmann das eigentlich Christliche als einen Feind und Störer seines politischen Wollens ansehen wird" (Christliche Freiheit und politische Bindung, S. 74). 53 Hirsch gibt folgende juristische Begründung für das Recht, die Ordnung der Kirche staatlicher Aufsicht zu unterwerfen: es sei des Führers „selbstverständliche Pflicht, der von ihm getragenen Bewegung, der politischen Ordnung in Deutschland in einer gemeinsamen, die Lebensführung und die Charakterbildung bestimmenden Weltanschauung einen tragenden Grund zu geben" (Christliche Freiheit und politische Bindung, S. 66 f.). Auch in dem Brief vom 2. 1. 1935 (vgl. Anm. 48) verteidigt Hirsch energisch die Kirchenpolitik des NS-Staates, wobei er in diesem Zusammenhang seine eigenen Einflußmöglichkeiten und seine eigene Rolle stark untertreibt.
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Problem des Neuheidentums bagatellisiert. Ja er kann sogar Rosenberg in seinen Reden von der Gemeinschaft des Blutes weitgehend recht geben54. Deshalb protestiert Hirsch auch gegen die Art, in der das Ausland über die Entwicklung in Deutschland urteilt: „Wo steht eigentlich das Gebot im Evangelium, das alle anderen europäischen Völker veranlaßt, gerade das deutsche Volk unter eine besondere christliche Präventivzensur zu nehmen?"55 Hirsch bestreitet schlichtweg, daß es so etwas wie einen hochmütigen Rassenwahn oder Antisemitismus überhaupt gebe, und behauptet, das deutsche Volk habe sich im großen und ganzen in der Rassenfrage stets mustergültig verhalten 56 . I Mit der letzten öffentlichen Antwort Geismars an Hirsch erreichte der Konflikt seinen Höhepunkt 57 . Danach fanden zwischen beiden auch privat keine politischen Diskussionen mehr statt. Es war freilich Hirsch, der verlangt hatte, daß die politischen Fragen nun auszuklammern seien, vor allem weil Geismar auch den Führer selbst in seine Kritik einbezogen hatte. Und dies war für Hirsch gleichbedeutend mit einem Angriff auf das deutsche Volk selbst58. Dennoch korrespondierten beide Theologen noch bis zum Tode Geismars 1939 54
Vgl. dazu folgendes Zitat: „Die Frage, die Rosenbergs ,Mythus' aufgibt, . . . entspringt aus der Tatsache, daß der in Rosenberg, dem Kameraden des Führers, lebendige neue deutsche Geist nicht notwendig das dem Privatmann Rosenberg eigene Verhältnis zum Christentum haben muß (Wissenschaftliche Tarnung, S. 301). Vgl. dazu auch unten S. 300 ff. 85 Christliche Freiheit und politische Bindung, S. 56. In dem Brief vom 2. 1. 1935 (vgl. Anm. 48) ist Hirsch darüber entrüstet, daß das Ausland vor 1933 von den deutschen Kirchenführern angesichts der vielen Ungeheuerlichkeiten der Staatspolitiker keinen Protest gefordert habe: „Heute aber kann kein beliebiger Schwätzer fünften oder sechsten Ranges, den wir nicht einmal lesen, ein Wort sagen - wenn er dabei das Wort germanisch gebraucht oder sonst etwas Ihnen nicht Verständliches aus dem neuen Gärenden bei uns sagt, dann werden Sie an deutscher Wissenschaft irre, wenn nicht sofort ein flammender Protest von uns dagegen folgt. U n d es handelt sich dabei nicht um wirklich verantwortlich Führende des neuen Deutschland". 58 So in dem Brief vom 14. 1. 1935 (vgl. Anm. 48). Die nationale Begeisterung darüber, daß nun die Vergangenheit überwunden sei, beschreibt Hirsch zuweilen so: Das Volk „spricht die Freude über diese Heimkehr zu sich selber mit der grenzenlosen Dankbarkeit aus, die die Worte nicht wägt, weil in der Tat kein Wort dem Geschehenen genugtun kann" (Christliche Freiheit und politische Bindung, S. 55 f.). 57 Kristen Frihed og Stastvang (abgefaßt Anfang 1935), S. 65-71. 58 In einem Brief vom 2. 7. 1935 (RA KOPENHAGEN, N G Bd. 1) betont Hirsch, Geismar habe nicht nur Hirsch persönlich oder andere isolierte Einzelpersonen angegriffen, sondern den Führer selbst und damit den Nationalsozialismus als solchen, die neue politische Formation des deutschen Volkes. Er, Hirsch, sei offenbar nicht imstande gewesen, Geismar die Augen zu öffnen. N u r der Gang der Geschichte könne beweisen, daß Geismar Unrecht habe.
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miteinander, freilich war der Meinungsaustausch nun sehr belastet, faktisch wird das Gespräch nur durch den gemeinsamen Bezug auf Kierkegaard aufrechterhalten. Geismars Zorn hatte sich Anfang 1935 deutlich verstärkt, als Hirsch einfach alle Probleme leugnete und alle Kritik aus dem Ausland abtat. Was ihn aber am meisten empörte, war, daß Hirsch sich auf Luther und Kierkegaard berief. Geismar verschärfte deshalb seine Kritik jetzt in mehrfacher Hinsicht: 1. In der Frage des Rechts werde in Deutschland die „rassenbestimmte Volksverbundenheit" zur einzigen Rechtsnorm gemacht. Dadurch werde der Begriff des Rechts pervertiert. Überdies handele es sich hier nicht nur um die Meinung einiger Privatpersonen - darüber wäre leichter hinwegzusehen vielmehr sei diese pervertierte Rechtsauffassung mit allen ihren Konsequenzen die Grundlage des Staates selbst, der sie denn auch zynisch und rücksichtslos praktiziere58. Ein solcher Staat sei im Grunde dämonisch. Der Fehler Hirschs liege darin, daß er eine ausschließliche Alternative aufstelle zwischen der freien (angeblich bindungslosen) Diskussion und staatlichem Zwang. Damit übersehe Hirsch die reale Kraft des Geistes; geistige Freiheit sei nicht identisch mit bindungsloser Indifferenz. 2. Besonders ausführlich geht Geismar auf den Antisemitismus ein. Mit scharfen Worten verurteilt er die notorischen Lügen der Propaganda, die Vergiftung der deutschen Volksseele durch den „Stürmer", was weder durch die Notwendigkeit des Antikommunismus noch sonst zu rechtfertigen sei. Auch im Antisemitismus und in der Arierideologie zeige sich, daß im neuen Deutschland „Verbrechertum zum System erhoben" worden sei, und da die Anerkennung gemeinsamer Rechtsnormen die Bedingung für internationale Beziehungen sei, seien solche Beziehungen im geistigen Bereich eigentlich ausgeschlossen60. 3. Theologisch geht Geismar kurz auf die Berufung Hirschs auf Luther und Kierkegaard ein. Hirsch könne sich nicht auf Luther berufen, wenn er den Staat als Erziehungsanstalt verstehe. Denn dabei übersehe er, daß sich die historischen Voraussetzungen radikal geändert hätten. Und wenn Hirsch sich im Blick auf Kierkegaard auf dessen Widerwillen gegen Entscheidungen auf Grund der Tyrannei der 59 Kristen Frihed og Statsvang, S. 66 f. Um seine Haltung zu belegen, geht Geismar auf die Position Rosenbergs als „Erziehungsdirektor" (ü.) ein und nennt außerdem das scharfe Vorgehen des Innenministeriums (vgl. Anm. 50) und die Lügenpropaganda in „Der Stürmer". All dies zeige, daß „Weltanschauung" nicht wie Hirsch meint - dasselbe sei wie die das Christentum vorbereitende Vorhofsreligiosität (ebd., S. 70). Ebd., S. 66 f. (ü.) und 71.
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Masse beruft, antwortet Geismar, daß Hirsch selbst sich gegen ein ganz zentrales Anliegen Kierkegaards stelle, wenn er „den Bereich der Liebe auf die menschlichen Solidaritätsverhältnisse" begrenze, unter denen dann „das Verhältnis zum Volke" das höchste ist. Dies wiederum hängt mit der schon erwähnten zentralen theologischen Anklage gegen Hirsch zusammen, daß dieser nämlich der Theologie Kierkegaards den polemischen Stachel gezogen habe, indem er seinen philosophischen Begriff der Grenze mit dem theologischen Begriff des Gerichts identifiziert habe. Dadurch werde nationaler Selbstverherrlichung und Verabsolutierung des Menschlichen Tor und Tür geöffnet und das Gericht des Kreuzes faktisch ignoriert 61 . Es ist unübersehbar, daß unterschiedliche politische Ansichten schließlich zu der Kluft zwischen Hirsch und Geismar führten, die schon bei Jahresende 1934 so groß war, daß sie nicht überbrückt werden konnte. Beide behaupteten gleichermaßen den hohen Stellenwert der politischen Überzeugung. Geismar wollte die politischen und weltanschaulichen Fragen nicht von den kirchenpolitischen Problemen getrennt sehen und zielte in seinem Protest gleich auf das ganze Spektrum des nationalsozialistischen Systems. Hirsch dagegen wollte gern die Gelegenheit nutzen, ausländischen Kritikern seine Sicht der historischen Wende darzulegen. Er duldete dabei keinen Widerspruch und wies überhaupt alle politische Kritik an Staat und Partei zurück. In dieser unverrückbaren Haltung bestätigten sich in seinen Augen Theologie und Politik gegenseitig. Es gibt keinen Punkt, an dem theologische Überlegungen seine politischen Ansichten beeinträchtigt oder geändert haben. Geismars theologische Grundthese von der Dialektik zwischen dem Positiven und dem Polemischen des Christentums dagegen nötigte ihm schließlich seine durchweg kritische Haltung zu Hirsch auf. Die theologischen Begriffe, die ihnen früher gemeinsam gewesen waren, führten in ihren unterschiedlichen Konkretionen zu einander widersprechenden Konsequenzen. Bei Geismar waren sie Anleitung einer allgemeinen Überprüfung seiner Gedanken, bei Hirsch untermauerten sie seinen schon getroffenen Entschluß zur tätigen Mitwirkung am neuen Staat, wobei sie faktisch jede Dialektik ausschalteten.
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Ebd., S. 69-71.
Kapitel 5 DIAMETRALE GEGENSÄTZE ALS ERGEBNIS DER AUSEINANDERSETZUNGEN 1. Geismars Verarbeitung des Konfliktes mit Hirsch und der bleibende Gegensatz zum Barthianismus a) Teilnahme an der ökumenischen Diskussion über Kirche, Volk und Staat Nach dem Abbruch der Beziehungen zu Hirsch konzentrierte sich Geismar ganz auf die theologische Studienarbeit über die Problematik des Verhältnisses zwischen Staat und Kirche, um damit die im Streit mit Hirsch wurzelnden Probleme weiter zu verarbeiten. Bereits im Sommer 1934 hatte ihn der Sekretär der Forschungsabteilung des ökumenischen Rates für Praktisches Christentum in Genf, der schwedische Theologe Niels Ehrenström, aufgesucht und ihn gebeten, sich an der Arbeit zu beteiligen, die auf einer Tagung in Paris 1934 in Angriff genommen worden war 1 . Geismar hatte die Aufforderung angenommen und daraufhin an der Fan0-Konferenz teilgenommen. Dabei hat es gewiß ausschlaggebende Bedeutung gehabt, daß sein Freund Valdemar Ammundsen hinter der Einladung stand und daß die von Geismar so respektierten schwedischen Systematiker ebenfalls ihre Teilnahme zugesagt hatten. Aber Geismar mußte sich danach erst durch die Auseinandersetzung mit Hirsch hindurchkämpfen, bevor er sich ernsthaft in eine andere Richtung orientieren konnte. Die Arbeit auf internationaler Ebene wurde dann aber für ihn auch eine konstruktive Alternative zu der für ihn enttäuschenden Diskussion mit Tidehverv. Als dänischer Teilnehmer an der internationalen Diskussion fühlte er sich berufen, die nordische Tradition des Volkstums ins Gespräch zu bringen und besonders auf Grundtvig hinzuweisen als eine Alternative zu den deutschen 1 Den Verlauf der Studientagungen hat Geismar selbst in einem Vorlesungsmanuskript vom Frühjahr 1937 beschrieben: „Folk-Stat-Kirke" (RA KOPENHAGEN, N G Bd. 11). N . KARLSTRÖM hat wichtige Auskünfte über die Pariser Tagung mitgeteilt (Kyrkan och nazismen, S. 160 f., deutsche Zusammenfassung, S. 272 f.). Die Beiträge der Pariser Tagung erschienen in dem Sammelwerk „Die Kirche und das Staatsproblem der Gegenwart".
Geismars Verarbeitung des Konfliktes
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Blut-und-Boden-Ideologen, die freilich auch ihrerseits versuchten, Grundtvig vor ihren Wagen zu spannen und ihn für ihre Theorien über germanisch-nordische Eigenart und autoritäre staatliche Vollmacht zu vereinnahmen. Geismar verstand es als auch seine Mission, „einige Tropfen Kierkegaard" in den seiner Meinung nach landläufigen ökumenischen Optimismus zu gießen. Uber die Stockholmer Konferenz von 1925 hatte Geismar seinerzeit ein sehr scharfes Urteil abgegeben. Jetzt gab er auch nach außen deutlich zu erkennen, daß er die theologische Studienarbeit für die Oxforder Weltkirchenkonferenz für seriöser und theologisch fundierter hielt als die Stockholmer Konferenz und deren Folgekonferenzen, deren wohlmeinende, aber oberflächliche Zuversicht hinsichtlich einer Genesung des Gesellschafts- und Staatslebens durch das Christentum ihm schwer erträglich erschienen war. Jetzt fühlte er sich dagegen als Partner in einer Diskussion, in der die verschiedenen Standpunkte einen breiten und repräsentativen Ausschnitt der internationalen Diskussion darstellten und wo versucht wurde, über die Schranken von Nation und Bekenntnis hinaus zu einer konstruktiven Einsicht in die theologischen und politischen Fragen zu gelangen. Die beiden Studientagungen, an denen Geismar teilnahm, fanden in Hemmen in Holland im Mai 1935 und in Sigtuna in Schweden im Oktober 1935 statt. In seiner Darstellung dieser Zusammenhänge hat sich A. Boyens vor allem an dem englischen Leiter der Vorbereitungsarbeit Joseph Houldsworth Oldham orientiert 2 . Es ist jedoch m. E. sehr unwahrscheinlich, daß Oldham in einem so großen Ausmaß der Initiator der Arbeit war. Ohne seinen Einsatz und seine Fähigkeiten herabzusetzen, muß man doch wohl sagen, daß er primär als Vermittler und Brückenbauer in Gesprächen gewirkt hat und eine besondere Fähigkeit besaß, verschiedene Ansätze zu einer fruchtbaren Einheit zusammenzuführen. Boyens' Analyse ist ferner dadurch bestimmt, daß er sich der Sicht der 2. Vorläufigen Kirchenleitung der Bekennenden Kirche im Gegensatz zu der vom Bischof Heckel und seinen Mitarbeitern im Kirchlichen Außenamt eingeschlagenen Linie anschließt. Dabei übersieht Boyens aber Emil Brunners Position und den Einfluß, den Brunner tatsächlich ausgeübt hat, politisch von einem humanen Rechtsstaat in schroffer Ablehnung des Nationalsozialismus ausgehend. Der Position der skandinavischen Lutheraner widmet Boyens wenig Aufmerksamkeit, obwohl ihr Standpunkt ebenso grundsätzlich wie Brunners von dem der deutschen Lutheraner abwich 3 . Es läßt sich nicht leugnen, daß die mit dem deutschen Kirchen2 3
Kirchenkampf und Ökumene, S. 134 ff. A. Nygren und Geismar werden nur kurz eingeführt (ebd., S. 160).
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Diametrale Gegensätze als Ergebnis der Auseinandersetzungen
kämpf gegebene Herausforderung sowohl während der Vorarbeiten als auch auf der Oxforder Konferenz selbst im Vordergrund stand. Trotzdem ging das Spektrum der in Oxford verhandelten Sachfragen weit über die deutschen Verhältnisse hinaus. Die dort vertretenen theologischen Gesichtspunkte waren von einer Weite, der gegenüber das von Boyens gezeichnete Bild der Gegenüberstellung von einem deutsch-christlichen Kurs und dem der 2. Vorläufigen Kirchenleitung viel zu exklusiv wirkt. Endlich ist gegen Boyens anzumerken, daß theologische Gruppierungen in größerem Ausmaß eine Rolle spielten als die diplomatischen, organisatorischen Verwicklungen, die Boyens vornehmlich berücksichtigt 4 . Für Geismar indes waren die theologischen und politischen Ausgangspositionen in den Erörterungen eben durch das Gegenüber des deutschen Luthertums und der Reformierten bestimmt. Von vornherein konnten diese Positionen sich leicht in einem scharfen Konflikt über die Frage der Obrigkeit verstricken lassen, weil das herkömmliche nationale Luthertum oft einem „Thron und Altar"-Denken zugeneigt hatte, in dessen Konsequenz sich die politische Führung auf einen disziplinierten Untertanengehorsam verlassen konnte. Die reformierte Theologie dagegen stand in der Tradition eines Denkens, nach dem die politische Macht als eine vom Volk an die politischen Führer delegierte Aufgabe verstanden wurde, und nach dem die Politiker ihre Entschlüsse vor Gott zu verantworten hatten, keineswegs also eine unantastbare Vollmacht innehatten. Für sich betrachtet mag dieses Bild klischeehaft anmuten; in den ökumenischen Gesprächen wurden ähnliche Ausgangspositionen aber tatsächlich auf die jüngste Entwicklung in Deutschland angewandt; thematisiert wurde jedoch die theologische Ortsbestimmung und Begründung der politischen Ethik überhaupt. Als bedeutendster Vertreter des deutschen Luthertums nahm Paul Althaus an den ökumenischen Vorkonferenzen teil. Für ihn war die politische Vollmacht der Regierenden anzuerkennen, weil durch das Gesetz, das sich im Völkisch-Natürlichen kundtut, das Schöpfungshandeln Gottes in der Geschichte dem Volk entgegentritt, weshalb der politische Wille nicht erst durch das Evangelium begründet werden muß. Die reformierte Theologie war von markanten Repräsentanten des Barthianismus wie Peter Barth und Wilhelm Vischer vertreten; sie wollten nur eine im Evangelium begründete absolute Vollmacht respektieren, weil eine geschichtsbedingte Absolutheit die Aufrichtung einer zweiten Offenbarungsquelle bedeuten würde. Dieser Gegensatz war in der Sicht Geismars der Ansatzpunkt für die Klärung, die in den Verhandlungen erfolgen mußte, und da sich 4
Vgl. ebd., S. 134-144.
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Geismars eigene Position von der Althaus' als auch von der der Barthianer abhob, seien diese Positionen hier zunächst kurz dargestellt. Bei Althaus macht sich eine antidemokratische Grundhaltung auch theologisch stark bemerkbar. Er steht einer totalitären Staatsform sympathisch gegenüber und bestreitet, daß Totalitarismus eo ipso zu weltanschaulichen Zwangsmaßnahmen führen müsse. Zwar will er keineswegs die nationalsozialistische Staatsordnung in allem verteidigen, aber er ist dennoch bemüht, die positiven Möglichkeiten eines totalitären Staates stark herauszustellen. Althaus fühlt sich gegenüber ausländischen Skeptikern dazu berufen, auch dort Positives zu sehen, wo er nach innen selbst gegen die Kirchenregierung Ludwig Müllers protestiert hatte. In den ökumenischen Gesprächen aber verteidigt er energisch die ausgedehnten Befugnisse des Staates im ganzen Bereich der Kultur und Erziehung, auch sieht er im Treueid eine notwendige staatliche Maßnahme. Für Althaus läßt sich aus dem Christentum keine bestimmte politische Ideologie entnehmen, denn Schöpfung und Sünde gehören unlösbar zusammen. Dennoch verwendet Althaus viel Mühe darauf, ein totalitäres Staatsdenken in bezug auf Deutschland nach 1933 als das einzig probate Mittel hinzustellen, wobei er jedoch zwischen „totalitär" und „absolutistisch" unterscheiden will. In der aktuellen Situation handele es sich nämlich nicht um eine „Selbstverabsolutierung", was allein schon daraus hervorgehe, daß „das Volk" Ziel und Kriterium aller staatlichen Maßnahmen sei. Auch Theodor Heckel und Eugen Gerstenmaier vom Kirchlichen Außenamt der DEK äußerten sich ganz auf der Linie von Althaus, was den politischen Gebrauch des „Volkes" als Korrektiv zum Totalitarismus anging, den sie unterstützten. Auch stimmten sie mit Althaus' Unterscheidung von Gesetz und Evangelium überein. So protestierte Gerstenmaier dagegen, daß man in den vorgelegten Stellungnahmen bei den ökumenischen Studientagungen stets vom Einzelnen ausgegangen sei, statt sich an der solidarischen Verwurzelung des Volkes zu orientieren: „Es ist nicht Sache der Kirche, die Hüterin der politischen, wirtschaftlichen, kulturellen Freiheit (richtiger Unabhängigkeit) der Einzelperson gegenüber dem Staat zu sein. Denn der Staat hat kraft seines ihm rechtmäßig zukommenden eigenen Integrationszentrums einen Anspruch auf die Einzelnen, der legitim nicht vom Einzelnen aus, sondern von der Gemeinschaft, in der er seinen Bestand hat, begrenzt wird." Ähnlich formulierte Heckel: „Dieser Kampf um die Erhaltung der völkischen Existenz und die Bezogenheit des Staates auf das Volk ist dem Christen der Gegenwart in einer Weise als neue geschichtliche Wirklichkeit aufgegangen, die den Reformatoren noch verschlossen
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war, wie ihnen auch der Begriff .Staat' im modernen Sinne noch nicht bekannt war." 5 Für Althaus war es wichtig, daß sich der Staat in einem Immediatsverhältnis zu Gott konstituiert, denn dies bedeute u. a., daß die Kirche kein Mandat habe, sich Einsicht in den Staatsbegriff und die Staatspraxis anzumaßen: „Wir haben als christliche Kirche keine politischen Zensuren zu erteilen."6 Althaus wollte zwar in seinen Beiträgen zum ökumenischen Gespräch keine allgemeine politische Präferenz im Namen des Christentums formulieren, dennoch legitimiert er eine Maximierung des staatlichen Machtbereichs. Er nimmt damit eine gegenteilige Position zu Barth ein, aber auch zu Brunner, dessen Forderung nach der Zurückdrängung staatlicher Vollmacht für Althaus nur Ausdruck eines liberalistischen Vorurteils ist7. Diesem politischen Bedenken fügt Althaus den theologischen Einwand hinzu, Brunner mache unberechtigterweise den Staat zu einer Ordnung, die mehr in Sünde befangen sei als andere Seiten des Schöpfungswerkes. Althaus legt zwar großes Gewicht darauf, daß die Sünde eine Realität sei und es eine grundlegende Dialektik zwischen Schöpfung und Sünde gebe, deshalb lehnt er auch ein naturrechtliches Denken ab. Aber um keinen Preis will er etwas davon wissen, daß der Begriff der Identität des Volkes einen anderen Stellenwert haben soll als z. B. der der Familie 8 . 5 Vgl. P. ALTHAUS' Definitionen: „Wenn der Staat sich in diesem Sinne als Diener an dem Leben seines Volkes weiß, wird er die anderen Gemeinschaften und Ordnungen im Volke nicht ihres eigenständigen ursprünglichen Lebens berauben, sondern ihnen in der Inanspruchnahme für das geschichtliche Leben des Volkes gerade die wahre Freiheit geben" (Staatsverständnis, S. 7 f.). Ebenso: „Der völkische Charakter des Staates verbietet seinen Absolutismus" (Kirche und Staat, S. 9; entsprechend auch Kirche, Volk und Staat, S. 29 f.). Vgl. E. Gerstenmaiers Stellungnahme zu dem von der Forschungsabteilung des ökumenischen Rates vorgelegten Entwurf einer Diskussionsgrundlage für die Sektion II, Kirche und Staat (AEKD, D 2/8; Zitat S. 7) und Th. Heckel „Das Staatsproblem und die Kirche Christi" (AEKD, D. 2/4). Über Althaus vgl. W. TILGNER, Volksnomostheologie, S. 179-201; M. LIND, Kristendom och nazism, S. 59-85, deutsche Zusammenfas-
sung, S. 205-207.
• Kirche und Staat, S. 29. Vgl. auch Staatsverständnis, S. 7: „Als allgemeine ethische Anforderung ist nur zu erheben, daß die Verfassung Raum habe für die wirkliche Herrschaft, d. h. für eine Regierung, die Macht hat und von dem jeweiligen Mehrheitswillen frei, unmittelbar vor Gott die Verantwortung für das von ihm gegebene und anvertraute Leben des Volkes trägt"; vgl. auch Kirche, Volk und Staat, S. 31. 7 Theologie der Ordnungen, S. 15 f.; vgl. auch Staatsverständnis, S. 6; Kirche und Staat, S. 7 f. 8 Staatsverständnis, S. 7; Kirche, Volk und Staat, S. 18 f., wo er den Begriff des Volkes als Rassen- und Blutgemeinschaft entaltet. Anderswo spielen christliche Vorbehalte eine größere Rolle (Theologie der Ordnungen, S. 31 ff.).
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Es wäre jedoch nicht richtig, Althaus' Ekklesiologie im Hinblick auf die gesellschaftliche Verantwortung der Kirche als einen völligen Spiritualismus zu bezeichnen9. Soviel aber läßt sich sagen, ohne Althaus Unrecht zu tun: Er versucht an einer grundsätzlichen Unterscheidung zwischen Staat und Kirche festzuhalten 10 , und er stellt gleichzeitig einen überwiegenden Gleichklang der Interessen zwischen dem nationalsozialistischen Staat und der lutherischen Kirche fest. Ein frontaler Interessenkonflikt erscheint ihm ausgeschlossen, Zusammenarbeit ist das eigentliche Ziel. Althaus ist zwar nicht blind für die Gefahr und die Möglichkeit von staatlichen Ubergriffen oder für die Möglichkeit, daß die Kirche ihre Identität preisgeben könnte, aber in der aktuellen Situation im nationalsozialistischen Deutschland sieht er einen solchen Konflikt nicht. Es sei nicht die Hauptaufgabe der Kirche, gegenüber einer totalitären Staatsordnung für die Freiheitsrechte einzutreten, vielmehr sei es viel wichtiger, die Augen aller für die Gemeinsamkeit der Interessen und die Möglichkeiten der Zusammenarbeit zu öffnen. Wenn Althaus auf dieser Grundlage gegen das Neuheidentum und die Kritik am Christentum protestieren will, ist er zu einem schwierigen Balanceakt gezwungen. Auf der einen Seite muß er nämlich den Nationalsozialismus gegen die ausländische Kritik in Schutz nehmen; auf der anderen muß er zur gleichen Zeit gegen die Kritik des Christentums aus Kreisen der N S D A P und gegen das Neuheidentum Einspruch erheben. Den Thüringer Deutschen Christen 11 und der Deutschen Glaubensbewegung Jakob Wilhelm Hauers 1 2 wirft er wie den Religiösen Sozialisten Chiliasmus vor, - Vorwürfe, die er in ähnlicher Weise auch dem christlichen Amerikanismus der Stockholmer Weltkirchenkonferenz wegen seines oberflächlichen Optimismus machte 13 . • M. LIND spricht davon, daß sowohl Hirsch als auch Althaus das christliche Liebesgebot in eine geistige Sphäre verbannten und isolierten (Kristendom och nazism, S. 196). D a s steht reilich in einem gewissen Gegensatz zu seiner eigenen Zusammenfassung der Position von Althaus (ebd., S. 84 f., deutsche Zusammenfassung S. 220 und 205 ff.). 10 Zur Forderung einer rigoristischen Distinktion vgl. u. a. Kirche und Staat, S. 14-17. Im Unterschied dazu spricht Althaus auch von einer Doppelheit zwischen dieser Distinktion einerseits, die primär durch die Freiheit und geistige Eigenart der Kirche bedingt ist, und der engen Gemeinschaft andererseits (Staatsverständnis, S. 8 f.; ähnlich Kirche, Volk und Staat, S. 30 f.). 1 1 Vgl. Kirche und Staat, S. 14 f. 1 2 Ebd., S. 30. Einerseits heißt es hier: „Der Rausch der deutschgläubigen Massenversammlungen wird bald verflogen sein", andererseits wird aber auch die Befürchtung geäußert, daß die Deutsche Glaubensbewegung unter Berufung darauf, daß sie im Geiste der Partei spreche, einen steigenden Einfluß auf ideologische 1 S Ebd., S. 14. Schulung und Erziehung erhalten werde.
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Insgesamt war Althaus also in seinen Schriften der Jahre 1934 bis 1937 bereit, ein einigermaßen positives Bild von den Verhältnissen in Deutschland zu zeichnen, weil „diese neue Volksordnung uns Christen ganz neue Möglichkeiten gibt, brüderliche Gemeinschaft und opfernde Liebe im Alltag zu leben. Die neue Ordnung hat Türen aufgestoßen quer durch die Stände hindurch. Wir Christen wissen uns durch Gottes Willen gebunden an die Forderung des nationalen Sozialismus, daß alle Glieder und Stände des Volkes zum Dienste und Opfer füreinander bereit seien"14. Als Grundlage für ein solches Denken diente Althaus die lutherische Dialektik zwischen Gesetz und Evangelium. Die Unterschiede zum Denken Hirschs sind unmittelbar deutlich. In den praktischen Fragen der Kirchenpolitik denkt Althaus viel differenzierter und vollzieht keineswegs wie Hirsch eine unbedingte Unterwerfung unter den Staatswillen; das hatte sich in Althaus' Verhalten zu der Wahl des Reichsbischofs und der Nationalsynode gezeigt. Althaus betont auch dort immer die Notwendigkeit der Unterscheidung zwischen Gesetz und Evangelium, Kirche und Staat, wo Hirsch unter dem Eindruck der Eskalation des Kirchenkampfes der Kirche nur eine Jasagerrolle zuweist aus lauter Angst, dem Staatswillen im Wege zu stehen15. Althaus wendet sich viel entschiedener gegen Rassenwahn und Neuheidentum, während Hirsch vor allem abzuwiegeln und zu beschwichtigen und die Exzesse als mehr oder weniger zufällige Episoden abzutun sucht. Schließlich möchte Althaus den internationalen Dialog aufrechterhalten, während Hirsch sowohl aus theologischen wie aus politischen Gründen kompromißlos jegliche ökumenische Diskussion ablehnt. Auf der anderen Seite unterscheidet sich Althaus jedoch von dem Standpunkt Geismars. Geismar stimmt Brunners Forderung nach Beschränkung staatlicher Macht zu. In dem Beitrag zur Tagung in Hemmen lehnt er auch entschieden Althaus' Behauptung ab, der Staat sei unmittelbar zu Gott 16 . Althaus hatte die ganz verschiedenen 14
Ebd., S. 29; vgl. auch Kirche, Volk und Staat S. 32 ff. Vgl. unten S. 290 ff. " „Einen ausschließlichen Anspruch des Staates kann die Kirche nicht anerkennen, am wenigsten ihrer Verkündigung gegenüber. Sie hat eine geoffenbarte existentielle Wahrheit zu verkünden. Aber auch nicht in der Regelung der Ordnung und des Rechts der Kirche kann sie den ausschließlichen Anspruch des Staates anerkennen" (Totalitätsanspruch, S. 93). Nach dem Sigtuna-Protokoll (AÖRK, Life and Work, D 280.24 Box 3, Study Department) sagte Geismar hier als Antwort auf W. Künneths Rede von der unbedingten Volkssolidarität: „Im geschichtlichen Leben gibt es nichts Unbedingtes, auch nicht einen unbedingten Respekt vor der volkstümlichen Religiosität" (S. 251; vgl. auch die Zusammenfassung der Erörterungen in dem Manuskript „Folk-Stat-Kirke" vom Frühjahr 1937; RA KOPEN15
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nationalen Gegebenheiten hervorgehoben, um der Kritik aus dem Ausland von vornherein die Spitze zu nehmen. Geismar dagegen versteht es als eine wichtige internationale Aufgabe, eine verpflichtende internationale Rechtsordnung zu formulieren, die auf einem Recht beruhe, das sich nicht durch die Verabsolutierung von Volk oder Führer in Frage stellen lasse. Er ist der Auffassung, daß gerade hier eine wichtige Aufgabe der ökumenischen Bewegung liege17. Daß Althaus ganz wie Hirsch zudem noch den Krieg als eine Art Schöpfungsordnung und das schlagkräftigste Instrument für die zu allen Zeiten auftretenden internationalen Konflikte rechtfertigte, steht in diametralem Gegensatz zur Haltung Geismars, der den Krieg als Mittel zur Lösung von Konflikten scharf verurteilt. Geismar möchte statt dessen von der „logischen Absurdität des Krieges" sprechen, die Unvermeidlichkeit des Krieges auf Notwehrsituationen beschränken und es dem Gewissen des einzelnen Christen überlassen, in einer solchen Pflichtenkollision zu wählen. All dies führte dazu, daß Geismar gegen Althaus und die meisten anderen grundsätzlich regimetreuen Deutschen und ihre Glorifizierung der „Volksverbundenheit" protestierte. Denn die Volksverbundenheit sei zwar positiv zu bewerten, sie unterliege dennoch gleichzeitig dem Gericht des Christentums. Am entschiedensten widersprach Geismar jedoch, als man sich auf deutscher Seite auf ein besonderes Sendungsbewußtsein berief. Ein solches hat für Geismar legitimerweise nur Israel gehabt. Die nationale Sendung der Propheten sei beim Volk ja gerade auf Widerstand gestoßen und habe zu den Leiden der Propheten geführt; der Widerstand des Volkes sei christlich als Verhärtung zu verstehen, die Leiden als ein Schritt auf dem Weg zum Kreuz 18 . Eine jegliche Volksmetaphysik und die Behauptung eines Immediatsverhältnisses des Staates zu Gott lehnt Geismar deshalb entschieden ab 19 . HAGEN, N G Bd. 11). Althaus meinte dagegen: „Wenn ein Volk sich mit dem Ernste des Berufsgehorsams einer Entscheidungsfrage im Kampfe stellt, dann kann auch das Vergewaltigen und Töten im Krieg nicht anders beurteilt werden als die Gewaltübung und der Vollzug der Todesstrafe innerhalb des Staates: beides ist ein Handeln im Amte und hat mit dem Morde nichts gemein. So hat der rechte Krieg Sachlichkeit und damit Ritterlichkeit" (Kirche, Volk und Staat, S. 177). Der ganze Artikel „Christentum, Krieg und Frieden" ist als ein einziger Protest gegen all das zu verstehen, wofür Brunner und Geismar eintraten. 17 Kirkens Enhed, S. 33-39. Diese Schrift ist eine dänische Zusammenfassung der Hauptbeiträge Geismars auf der Tagung in Sigtuna. Zu den beiden Tagungen in Sigtuna vgl. auch To okumeniske Studiemoder i Sigtuna, S. 205-207. 18 Kirkens Enhed, S. 35-38. 19 In diesem wie in den meisten anderen Punkten lag Geismar auf der Tagung in Sigtuna, wie aus dem Protokoll hervorgeht (vgl. Anm. 16, dort S. 22-25), 18
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Auch die von der Theologie Karl Barths herkommenden Theologen waren wegen ihrer negativen Erfahrung hinsichtlich der bisherigen Geschichte der ökumenischen Bewegung wie auch aus theologischen Gründen äußerst skeptisch und deshalb in der Zusammenarbeit sehr zurückhaltend. Ihre Kritik richtete sich vor allem gegen das ihrer Meinung nach vorherrschende Bild von einer mit sich selbst beschäftigten, selbstbewußten Kirche (Barth: „die immer wieder selbstbewußte Kirche") und gegen den unbekümmerten und unmittelbaren sozialethischen Aktivismus. Viele junge Theologen in der ökumenischen Bewegung waren direkt von der Theologie Barths geprägt, wie ζ. B. Willem A. Visser't Hooft und Dietrich Bonhoeffer, und allgemein wurde die Theologie Barths, zumindest von der Mehrzahl der kontinentalen Delegierten, als eine Herausforderung gesehen, an der sie nicht vorbeikonnten. Von den führenden Barthianern nahmen Peter Barth in Hemmen und Wilhelm Vischer in Sigtuna teil; Eduard Thurneysen war bei der Oxforder Konferenz selbst in der Sektion I „Kirche und Gemeinschaftsleben" zugegen. Den von Karl Barth geprägten Vertretern der Bekennenden Kirche, die an den Vorbereitungen teilgenommen hatten, war von den deutschen Behörden die Ausreise nach Oxford verweigert worden; ihre Beiträge lagen aber in vervielfältigter Form der Konferenz vor. In einem Punkt waren sich Peter Barth und Wilhelm Vischer auf den Studientagungen mit Althaus einig, wenn auch nur in einem negativen, nämlich im Widerspruch gegen jede theologische Legitimierung eines naturrechtlichen Denkens. Im übrigen bestand zwischen ihnen und Althaus eine unüberwindbare Kluft. Das Anliegen Peter Barths bestand darin, die Absolutheit des Christentums so zu betonen, daß allein die Offenbarung gültige Norm und Quelle des „humanuni" sein könnte. Jede Stellungnahme zu politischen Fragen mußte sich in diesem Horizont bewegen. Bewege man sich auch nur ansatzweise in Richtung auf eine Rehabilitierung des Naturrechts oder der natürlichen Idealität, sei die absolute Souveränität des Evangeliums preisgegeben, ganz gleich wie sehr man noch differenziere und modifiziere. In seinen Berichten von der Tagung hob Geismar stark das Gewicht hervor, mit dem der reformierte Standpunkt in die Debatte geworfen wurde. Er verschwieg seine Vorbehalte nicht, betonte aber, daß er schließlich zu demselben praktischen Ergebnis gelangt sei. Ob er nun diastatisch oder harmonisierend über das Verhältnis zwischen Göttlichem und Humanem denke, so sei er dennoch „zu einer Abweiganz auf der Linie der schwedischen Diskussionsteilnehmer, vor allem Runestams und Auléns.
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sung und Kampfansage gegenüber jedem unbedingten Totalitätsanspruch des Staates gelangt" 20 . Bei den Diskussionen wurde die Barthsche Theologie leidenschaftlich und sehr scharf angegriffen. Althaus behauptete in Sigtuna, Barth fehle völlig der Blick für die Verpflichtung der Kirche gegenüber dem Volk, - ein Mißverständnis, dessen sich auch Geismar schuldig gemacht hatte. Der Barthianismus wirke nivellierend und sei unbiblisch. Gegen solche summarischen Vorwürfe begnügte sich Vischer notgedrungen mit einem kurzen loyalen Referat der Position Karl Barths 21 . Aber auch wenn man den Barthianern zugutehält, daß sie sich gegen unsachliche Unterstellungen wie die seitens Althaus' wehren mußten, so fällt doch auf, daß die beiden Repräsentanten der barthschen Theologie nie weiter kamen als bis zur Benennung der dogmatischen Loci, unter denen die anstehenden Fragen eigentlich zu behandeln seien. Zu einer materialethischen Bestimmung des konkreten Inhalts der christlichen Freiheit angesichts der nationalistischen Bedrohung der kirchlichen Verkündigung stießen sie nicht vor. Die Situation ähnelt ganz der Karl Barths in der Dehn-Affäre: Hier wie dort ist der Vorwurf zu erheben, daß Barth und seine Kampfgefährten aus lauter Sorge vor falschen dogmatischen Prämissen und vor Entgleisungen in eine politische Theologie die Aufgabe versäumten, eine konkrete politische und geistige Auseinandersetzung mit dem totalitären Staatsdenken in Konkretion des dogmatischen Ansatzes zu führen. Geismar seinerseits kam in der Diskussion weder mit Peter Barth noch mit Wilhelm Vischer einem wirklichen Verständnis Barths näher. Er hielt an seiner schon früher geäußerten Kritik fest, Barths 20
P. Barth: „Ausgangspunkt unserer Erörterungen kann allein sein der königliche Anspruch Gottes an uns. Scharf ausgedrückt mit polemischen Beziehungen: der Totalitätsanspruch Gottes. Allein von daher läßt sich die christliche Freiheit begründen. Ein Reden von christlicher Freiheit ohne von daher ist uns ein nonsens" (Hemmen-Protokoll; AÖRK, Ehrenström Papers, Life and Work, Study Conference, May 1935, S. 4). Vgl. E. GEISMAR, Totalitätsanspruch des Staates und christliche Freiheit, S. 1 - 3 (entsprechend auf dänisch in „Dagens Nyheder" und der Zeitung „Retsstaten" vom 1. 6. 1935). Vgl. dazu auch A. BOYENS, Kirchenkampf und Ökumene, S. 160. 21 Sigtuna-Protokoll (vgl. Anm. 16), S. 113 f. In Hemmen hatte Peter Barth versucht, in die Offensive zu gehen, und u. a. gesagt: „Es scheint mir etwas ganz Wichtiges zu sein in unserem ganzen Staatsdenken, daß wir herauskommen aus unserer defensiven Haltung, den Staat als Gegebenheit zu nehmen. Wir müssen lernen (das ist die Lehre des Calvinismus), die eigene Verantwortlichkeit der christlichen Gemeinde in der Gestaltung des Staates zu erkennen, und das muß erfüllt werden. Sie muß es als ein wesentliches Stück ihrer christlichen Aufgabe erkennen, daß sie daran beteiligt ist, im Völkerleben Rechtsordnung zu schaffen" (HemmenProtokoll - vgl. Anm. 20 - , S. 10). 18·
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Offenbarungsbegriff entziehe der faktisch vorkommenden Idealität den Boden und mache eine wirkliche politische Ethik unmöglich. Trotz der Behauptung, daß die Gemeinde allein dem Willen Gottes verpflichtet sei, werde sie so der Möglichkeit beraubt, wirklich in das Geschehen einzugreifen und sich mit dem „liberalistischen Atomismus" und dem „totalitären Staat" auseinanderzusetzen 22 . Eine ganz andere Einstellung wurde von den russisch-orthodoxen Sprechern vertreten. In ihren Beiträgen zu den Studientagungen wurde eine thomistisch anmutende Haltung deutlich, in der sie das Verhältnis zwischen ethischer Idealität und christlicher Offenbarung als ein Ergänzungsverhältnis verstanden. Diese Position war vornehmlich von dem Personalismus Berdjajeffs geprägt, aber die Tendenz machte sich auch bei mehreren der angelsächsischen Teilnehmer, wie ζ. B. Vigo Auguste Demant bemerkbar. Die barthschen und die russisch-orthodoxen Theologen stimmten in dem Protest gegen jede Form von Absolutismus überein, der losgelöst war von Christentum, gegen eine Staatsordnung, die auf einer universell bedingten Weltanschauung gründete, die nicht im Evangelium verwurzelt war. Dennoch sollte das ganze Dasein auf der Grundlage des Evangeliums als dem Ziel und Grund aller Dinge aufgebaut werden. Sie strebten mit anderen Worten eine organische Lebensauffassung an, in der das Leben in der Gesellschaft und das Christsein auf der Grundlage des Evangeliums gesehen wurde. Angesichts eines solchen Organismusdenkens vermißten Geismar, aber auch Nygren und Runestam den Aspekt des Gerichts und der Kritik. Für Geismar waren die Ausführungen Emil Brunners am wichtigsten; ihnen konnte er sich weitgehend anschließen. 1. Methodisch stimmte Geismar mit Brunners Dialektik zwischen Positivem und Polemischem überein. Von hier aus ließ sich ein Zusammenhang herstellen zwischen Gericht und Gnade, Erlösung und Befreiung, zwischen dem dogmatischen Ausgangspunkt der Freiheit und seinen sozialethischen Konsequenzen. Deshalb waren sich beide Theologen auch darin einig, daß es prinzipiell falsch sei, zwischen einer dogmatischen Sektion, dem „ökumenischen Rat für Glauben und Kirchenverfassung" (Faith and Order), und einer praktisch-ethischen, dem „ökumenischen Rat für praktisches Christentum" (Life and Work), zu unterscheiden. Auf der Konferenz in Oxford wandte sich Brunner scharf gegen jegliche Neigung, die Ethik zu entstellen, sie zu einem Gesetz zu machen und sie von ihrem dogmatischen Ausgangspunkt zu lösen. Die Kirche „hat Dogmen aufgestellt, die mit dem Handeln in keinem deutlichen Zusammenhang stehen, und sie 22
Folk-Stat-Kirke, S. 17 f. (RA KOPENHAGEN, N G Bd. 11).
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hat eine Ethik aufgestellt, die vom Glauben an Gottes Heilstat losgelöst ist. Ein Glaube, der nicht zugleich Gehorsam ist, ist nicht nur unvollständig, sondern verderblich, ebenso wie ein Handeln, das nicht aus dem Glauben kommt, sündig ist". Dem Schloß sich Geismar in einem Artikel über das Ergebnis der Tagung entschieden an. Auch auf den Vorkonferenzen war er dafür eingetreten, die Schwierigkeiten in der politischen Ethik von der Souveränität der Offenbarung her zu sehen. In Hemmen verknüpfte er die Existentialität des Glaubens mit seiner Wurzel in einer iustitia aliena und hielt daran fest, daß der christliche Freiheitsbegriff stets auch Gericht in sich schließe28. 2. Inhaltlich stimmten Geismar und Brunner darin überein, daß die Forderung nach der Freiheit der Verkündigung und nach persönlichen Freiheitsrechten im Lichte des Evangeliums zu sehen sei. Mit kritischer Spitze gegen Barth behaupteten sie aber, eine dogmatische Leugnung jeglicher natürlichen Idealität gebe das humanum einem machthungrigen nationalen Weltanschauungsstaat preis. Es sei deshalb wesentlich, dogmatische wie auch ethische Gründe für den Protest gegen den Nationalsozialismus und gegen Versuche, Nationalsozialismus und Christentum doch irgendwie vereinbaren zu wollen, anzuführen. So betonte Brunner: „Die Kirche, die aufhört, '¡sich für die Freiheitsrechte des Menschen als Menschen einzusetzen, hat aufgehört, Kirche zu sein. Sie ist schwache Kirche, wenn sie es bloß innerlich tut; aber sie ist keine Kirche mehr, wenn sie es nicht einmal mehr innerlich tut", und Geismar: „Die Freiheit des Humanum ist eine rein humane Forderung, zu der die Kirche auch ein Wort zu sagen hat, nämlich das Wort, daß der Mensch als Gottes verantwortliches Geschöpf, nicht als ein unverantwortliches Wesen behandelt werden darf." 2 4 Geismar und Brunner verknüpften dogmatische und ethische Überlegungen miteinander. Gerade dadurch gaben sie dem Problem der Auseinandersetzung zwischen Theologie und totalitärer Ideologie eine universelle Perspektive. Außerdem machten sie es den staatstreuen deutschen Theologen damit unmöglich, sich auf das Argument zurückzuziehen, daß es sich hier nur um spezifisch deutsche Probleme handele, die andern Völkern fremd sein müßten. Denn gerade mit einem solchen Argument hatte Althaus sich der Kritik zu entziehen 2 8 Vgl. E. BRUNNER in: Kirche und Welt, S. 3 8 ; E . GEISMAR, Tagung von Oxford, S. 2 1 7 ; Sigtuna-Protokoll (vgl. Anm. 16); vgl. auch Kirkens Enhed, S. 9 ff.; Totalitätsanspruch, S. 90 f. 2 4 Totaler Staat, S. 55 und 95. In der Diskussion in Hemmen hatte Geismar sehr pointiert darauf hingewiesen, daß die Möglichkeit einer wirklich schlagkräftigen Kritik an dem Totalitätsanspruch des Staates voraussetze, daß das Christentum auf eine human gegebene Freiheit verweisen könne (Hemmen-Protokoll - vgl. Anm. 20 - , S. 21).
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versucht: Es handele sich beim Nationalsozialismus um eine spezifisch deutsche Ideologie, deren Eigenart und politische Notwendigkeit anderen Völkern und Staaten nicht zugänglich sei. Christlich sei der Nationalsozialismus von vornherein genauso legitim wie jede andere politische Konkretion einer Weltanschauung; zudem stünden alle Ideologien unter dem Gericht der Sünde. 3. Brunners und Geismars politische und theologische Überlegungen mündeten in die Forderung nach einem „liberalen Rechtsstaat", d. h. einer Staatsordnung, in der sich der Staat in weltanschaulichen Fragen so weit wie möglich zurückhält. Nur so seien die Ubergriffe und Probleme zu vermeiden, die sich beim nationalsozialistischen Staat als eindringlichstem Beispiel eines totalitären Weltanschauungsstaates bemerkbar machten. Wirtschaftspolitisch waren sich beide darin einig, daß der Kapitalismus eine amoralische Ordnung sei und durch eine sozial gerechte Ordnung der Gesellschaft ersetzt werden müsse. Sowohl in Hemmen als auch in Sigtuna sprach Geismar ganz im Sinne von Brunners „Das Gebot und die Ordnungen" von der Notwendigkeit eines liberalen Sozialismus. Geismar schloß sich der Forderung nach Beschränkung staatlicher Vollmachten an. Mit Brunner wollte er die Aufgabe des Staates darauf beschränkt sehen, Frieden und Gerechtigkeit zu sichern, vor allem wirtschaftlich und sozial. Versuche, den Staat Aufgaben übernehmen zu lassen, die die Kirche versäumt habe, nämlich das Verständnis für die Solidarität der Menschen untereinander zu wecken, lehnte er als gefährliche Ansätze eines staatlichen Totalitarismus ab 25 . 4. Es gab aber auch gewisse Unterschiede zwischen Geismar und Brunner. Beiden war sicherlich ein gewisser Hang zum Moralisieren gemeinsam. Aber bei Brunner führte dies dazu, daß er sich der Oxfordgruppenbewegung anschloß und dadurch in noch schärferen Gegensatz zu Barth geriet, aber auch bei Geismar auf wenig Gegenliebe stieß26. Geismar dagegen konnte trotz seines Eintretens für einen liberalen Rechtsstaat in der Politik gelegentlich dennoch mit den moralisch-erzieherischen Elementen eines autoritären Weltanschauungsstaates liebäugeln. Hier verband sich sein theologischer Anti-Barthianismus mit einem Protest gegen die „Bindungslosigkeit" des politischen Liberalismus, ganz ähnlich wie auch bei Hirsch 27 . " Ebd. Vgl. auch Sigtuna-Protokoll (vgl. Anm. 16), S. 4 f. Zu E. BRUNNERS Begrenzung des staatlichen Aufgabenbereichs vgl. Staat und das Freiheitsverständnis, S. 4 4 f. *· Vgl. J. H. SCHJ0RRING, Moralische Aufrüstung, S. 68 f.; Geismar og Brunner, S. 178 ff. Ober Geismars Einspruch gegen Brunner und seine Aussagen vgl. ebd., S. 192 ff. 17 Geismars Neigungen zum Moralisieren zeigen sich vor allem darin, daß er
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b) Stellungnahmen zum deutschen Kirchenkampf 1936/37 Diese grundsätzlichen systematischen Überlegungen Geismars fielen zeitlich zusammen mit seinem offenen Eintreten für die Bekennende Kirche in Deutschland. Zusammen mit seinem Kollegen Aage Bentzen nahm er an Andachten und Gottesdiensten teil, die die Bekennende Kirche während der Olympischen Spiele in Berlin als Gegengewicht gegen die staatliche Propaganda anläßlich der Spiele veranstaltete. Zur gleichen Zeit sprach er vor dem brandenburgischen Konvent bekennender Pfarrer über Kierkegaard 28 . Im Frühsommer 1937 hielt Geismar einen Radiovortrag, in dem er zum Kirchenkampf in Deutschland Stellung nahm. Er machte zunächst deutlich, daß dieser Kampf im Grunde ein Kampf zwischen zwei verschiedenen Religionen sei, die einander unversöhnlich gegenüberstünden, denn eine Gruppe innerhalb der Kirche habe sich faktisch auf eine andere Religion eingelassen oder sei gar schon zu ihr übergelaufen. Geismar stellte dann die nationalsozialistische Ideologie mit ihrem Propagandaapparat, ihren Zwangsmaßnahmen, ihrem Rassismus und ihrer „Weltanschauungsdiktatur" dar und kam zu dem Schluß, daß es zwischen Nationalsozialismus und Kirche keinen Kompromiß geben könne. Eine Rede des Reichskirchenministers Kerrl vom 13. Februar 1937 bezeichnete er als eine offene religiöse Kriegserklärung, denn sie verlange die bedingungslose Unterwerfung unter die von der Partei diktierte Weltanschauung. Daß Hitler freie Wahlen zu einer Generalsynode ausgeschrieben habe, sei nur Ausdruck unberechenbarer Machtgier: „Und selbst wenn es Redefreiheit während des Wahlkampfes gibt, so ist das Eintreten für das Christentum ohne einen Angriff auf die nationalsozialistische Religion eine genauso unlösbare Aufgabe wie die, einen Kreis zu zeichnen, der nicht rund sein soll. Hier hat die Rede des Kirchenministers die wünschenswerte Klarheit geschaffen. Deshalb verfolgt die ganze Christenheit in der ganzen Welt die Ereignisse in Deutschland, und man versteht, daß eine Christenverfolgung im Anzug ist seitens einer Regierung, die eine
wiederholt nahe daran war, in der deutschen Freude über die nationale Wiedergeburt und neue „Volksverbundenheit" ein positives moralisch-puritanisches Element zu sehen. Zuweilen scheint es dann, daß er dieses Vorpreschen selbst zurücknimmt und sich beeilt, einige kritische Sätze über die Dialektik des Gerichts hinzuzufügen (vgl. Totalitätsanspruch, S. 99 ff.). 28 „Die nachhaltigste Wirkung hinterließ wohl Professor Geismar, Kopenhagen, der bekannte Kierkegaard-Forscher, mit seiner scharf pointierten Formulierung: ,Gott, der die Liebe ist, fordert uns ganz, richtet uns ganz, vergibt uns ganz, formt uns ganz um'. Daß er sich dankbar als Schüler Karl Holls bekannte, war besonders erfreulich" (Hans Schlemmer: Die evangelische Kirche während der Olympia-Festwochen. In: CW 50, 1936, Sp. 789).
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christentumsfeindliche Weltanschauung für Christentum hält. An dem Martyrium, das hier vielleicht bevorsteht, hat die ganze Kirche teil; man fühlt, wenn ein Glied leidet, leiden alle." 2 9 Geismar bezog also nicht nur persönlich Stellung, er betonte auch die ökumenische Verpflichtung angesichts der Ereignisse in Deutschland. c) Die Weltkirchenkonferenz von Oxford 1937 Im Verhältnis der vorbereitenden Tagungen in Hemmen und Sigtuna zu der Weltkirchenkonferenz in Oxford selbst ergeben sich in dreifacher Hinsicht gewichtige Unterschiede: 1. Im Vergleich zu der Konzentration und Prägnanz der vorbereitenden Dokumente tragen die Ergebnisse der Konferenz selbst oft deutlich Merkmale des Kompromisses und unverbindlicher Allgemeinplätze. Die Formulierungen blieben vage; alle konkreten Hinweise auf Ereignisse und Personen wurden vermieden, obwohl die vorausgegangenen Auseinandersetzungen ja gerade ganz konkreten Problemen entsprungen waren. Um die ökumenische Einheit nicht zu gefährden, wurde Zuflucht zu allgemeinen Ermahnungen und dogmatischen Leitsätzen gesucht. Dennoch gelang es, in einigen Punkten ganz unmißverständliche Anspielungen auf den Kirchenkampf in Deutschland und die sich aus ihm ergebenden theologischen Probleme zu formulieren. 2. Ein anderer Faktor, der sich nachteilig bemerkbar machte, war die Aufspaltung in fünf Sektionen, die eigentlich zusammengehört hätten. Diese Aufteilung, die von Joseph H . Oldham und dem Sekretär der Forschungsabteilung Hans Schönfeld konzipiert war, ließ sich natürlich bis zu einem gewissen Grade sachlich begründen und hatte auch praktische Gründe. Dennoch führte sie zur Zertrennung sachlich zusammengehörender Bereiche. Für Geismar bedeutete dies, daß seine Anliegen aus den vorbereitenden Konferenzen in allen fünf Sektionen behandelt wurden. Zudem waren die dogmatischen Fragen ausgeklammert, sie wurden auf der Edinburgher Konferenz von „Faith and Order" desselben Jahres gesondert behandelt, während sich die Oxforder Konferenz nur mit sozialethischen Fragen beschäftigte, - eine Folge der Zweigliederung der ökumenischen Bewegung. 3. Bei den europäischen Vorkonferenzen war die Diskussion fast ausschließlich von der Konfrontation zwischen einem reformiertbarthianischen und einem national-konservativen lutherischen Flügel bestimmt gewesen. Die Weltkonferenz zeigte natürlich ein viel bun29
Kirkestrid, S. 22 f. (ü.).
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teres Bild. Hier spielte eine starke amerikanische Delegation eine dominierende Rolle, daneben auch andere überseeische Delegationen. Geismar wie die meisten anderen skandinavischen Teilnehmer der Vorkonferenzen waren mit der deutschen theologischen Tradition vertraut und mit ihr verbunden. Ausgehend von der eigenen nordischen Volkstradition, hatten sie sich mit der Herausforderung durch die nationalsozialistische Weltanschauung auseinandergesetzt und ihre Position in Auseinandersetzung mit der deutschen theologischen Diskussion formuliert. Die skandinavischen wie auch die deutschen und die englischen protestantischen Kirchen als Volkskirchen rechneten mit einem mehr oder weniger christlichen Staat. Das prägte natürlich ihre Auffassung vom Verhältnis zwischen Staat und Kirche. Mit der freikirchlichen Tradition vor allem aus den USA kam ein ganz neues Element in die Diskussion. In den Vorbereitungen hatte man sich besonders in Europa mit deutschen Fragen beschäftigt. Deshalb bedauerte es Geismar sehr, daß keine deutsche Delegation anwesend war 30 . Das bedeutete für die skandinavischen und schweizerischen Teilnehmer eine besondere Verantwortung, die deutschen Fragen ins Gespräch zu bringen. Geismar arbeitete in dieser Hinsicht in der Sektion II vor allem mit dem Schweizer Völkerrechtsexperten Max Huber und mit Emil Brunner zusammen, deren Einsatz auf der Konferenz er später besonders hervorhob. In dem offiziellen Bericht über die Weltkirchenkonferenz wird deutlich, daß sich die in den verschiedenen Sektionen behandelten Fragen mit dem berührten, was auch Geismar bewegte: Einhellig wurde vor kirchlicher Selbstherrlichkeit gewarnt. Nur die Kirche, die sich unter das Gericht gestellt weiß, nur die bußfertige Kirche, die ihre Mitverantwortung für die soziale Ungerechtigkeit, das Aufkommen totalitärer Unterdrückungssysteme und die Anwendung des Krieges als eines heiligen Mittels erkennt, nur eine solche Kirche hat das Recht, ein ernsthaftes Wort in der aktuellen Krise zu sagen31. In der Sektion I über das Thema „Kirche und Volk" wurden eine Reihe von Grundgedanken behandelt, die sowohl in Hemmen als 30
31
V g l . BERLINGSKE AFTENAVIS v o m 4. 8. 1 9 3 7 ; T a g u n g i n O x f o r d , S. 2 2 5 .
In einem Beitrag wies Geismar darauf hin, daß es die Unfähigkeit der Kirche gewesen sei, die dem Staat ein Alibi dafür geschaffen habe, sich die Rolle einer Weltanschauungsanstalt anzumaßen. Nur die Kirche, die sich dem hieraus ergebenden Gericht beuge, habe das Recht, das notwendige Wort zu sprechen. Eine solche Kirche habe dann freilich auch das Mandat und den Mut, der dazu erforderlich sei (AÖRK, Ehrenström papers, actual process); vgl. auch den Brief Geismars vom 15. 7. 1937 an Ehrenström (AÖRK, Ehrenström papers, handwritten letters to the secretary of the Group). Vgl. auch Kirche und Welt, S. 125, w o die Notwendigkeit hervorgehoben wird, daß die Kirche Buße tut.
282
Diametrale Gegensätze als Ergebnis der Auseinandersetzungen
auch in Sigtuna diskutiert worden waren. Von den Ordnungen hieß es, sie seien zugleich Gabe Gottes und von der Sünde durchdrungen. Ausdrücklich wurde davor gewarnt, eine generelle Antwort auf die Frage zu geben, wann es christlich legitim sei, sich gegen die „natürliche Gemeinschaft" zu wenden, auch wenn die aktuelle Situation eine solche Antwort nahelege. Jeder wußte, daß hiermit auf die Problematik angespielt wurde, die zu der Spaltung der Bekennenden Kirche auf der Synode in Bad Oeynhausen geführt hatte 32 . Ebenso deutlich, wenn auch unausgesprochen, wurde auf die deutsche „nationale Wiedergeburt" angespielt. In diesem Zusammenhang wurde es als Sünde bezeichnet, „wenn man das eigene Volk als Quelle und Norm der Heilsoffenbarung ansieht, oder ihm in irgend einer Weise göttlichen Charakter beimißt. Das muß auf das schärfste verworfen werden; das christliche Gewissen muß hier unversöhnlichen Widerspruch erheben, und zwar im Namen Gottes und um des Volkes willen, dem zu dienen es berufen ist" 33 . Genauso unmißverständlich sind die Aussagen zur Rassenproblematik. Hier wurde die „nationale Ichsucht" scharf verurteilt; denn diese bedeute theologisch die Aufhebung der Sünde und politisch Verfolgung und Ausbeutung 34 . In der Sektion II sind die Aussagen noch viel allgemeiner. Boyens beklagt aus seiner Sicht deshalb zu Recht, daß die Konferenz sich sehr zurückhielt und sich nicht eindeutig hinter den radikalen Flügel der Bekennenden Kirche stellte. Man darf aber nicht übersehen, daß es ja nicht nur um die deutsche Situation ging. Die Konferenz wollte gerade totalitäre Tendenzen als ein typisches, allgemeines und weltweites Zeitphänomen aufzeigen. Deshalb sind die Aussagen oft abstrakt und frei in der Luft schwebend. Zudem ist auch zu berücksichtigen, daß die Teilnehmer der Sektion aus ganz verschiedenen Traditionen kamen und zu einem konkreteren Konsens sicher nicht imstande waren, auch nicht, was die theologische Begründung des Staates anging. Der Bericht mußte sich angesichts der divergierenden 32 Ebd., S. 109. Auch in diesem Punkt konnte Geismar sich mit Brunner einig 33 erklären. Ebd., S. 111 ; vgl auch ebd., S. 261. 34 Ebd. In seinen Bemerkungen zu dem vorläufigen Entwurf für den Bericht der Sektion I schrieb Geismar, er vermisse eine unzweideutige Verurteilung des deutschen Antisemitismus: „Es ist ein wesentliches Stück der mit der deutschen Politik eng verbundenen religiösen Weltanschauung, daß die jüdische Rasse ohne alle Identität und deshalb nichtswürdig ist. Diese Auffassung wird als die wissenschaftliche angesehen und wird religiös betont und färbt die ganze deutsche Politik". Geismar meinte, die Teilnehmer würden die Erwartungen an die Konferenz bitter erttäuschen und es wäre ein Armutszeugnis, wenn sie nicht gerade an diesem Punkt die Dinge beim Namen nennen würden (vgl. Geismars „Bemerkungen zu dem Bericht über Kirche und Volk" vom 20. 7. 1937; AÖRK, Life and Work. Study Department Pre-Oxford 1937).
Geismars Verarbeitung des Konfliktes
283
Meinungen damit begnügen, vier verschiedene mögliche Betrachtungsweisen nebeneinander zu stellen 35 . Dennoch wurden im Schlußbericht der Sektion II, in dem abschließenden Kommunique und in einem Brief an die deutsche Kirche einige Passagen eingefügt, aus denen die Ablehnung des nationalsozialistischen Führer- und Staatsabsolutismus deutlich hervorgeht. Als eigentliche Quelle des Rechts und als Rechtsnorm sei nur der Gehorsam gegen Gott zu respektieren. Der Staat sei keineswegs Quelle und Norm des Rechts, sondern sollte Diener der Gerechtigkeit sein. In der abschließenden „Botschaft an die Kirchen" war von einem „Kampf gegen Verfälschung und Unterdrückung des christlichen Zeugnisses" zu lesen sowie von einem „Kampf für die Erziehung der Jugend im lebendigen Glauben an Jesus Christus, den Sohn des lebendigen Gottes, den König und Herrn aller Herren". Auch von den Christenverfolgungen in der Sowjetunion wurde sehr deutlich gesprochen38. Die Sektion III beschäftigte sich mit Fragen der Wirtschaftsordnung. Sie wandte sich gegen die Ungerechtigkeit und Ungleichheit besonders in den kapitalistischen Ländern, vor allem gegen die Kartelle. Utopische Ideologien seien jedoch nicht zu unterstützen, denn sie verabsolutierten sich selbst und verkennten die Macht der Sünde. Auch seien sie mit aggressiver Gottlosigkeit verbunden. Trotzdem bekennt sich die Sektion zu der Mitverantwortung der Kirchen für eine gerechtere Struktur der Gesellschaft und für mehr Gerechtigkeit innerhalb der bestehenden Gesellschaftsordnungen. Es wird betont, daß nicht auf eine bestimmte Lösung als die christliche zu verweisen sei. Es gehe deshalb darum, an das Gerechtigkeitsgefühl des Einzelnen zu appellieren. Der Bericht der Sektion III wurde von Geismar besonders hervorgehoben als ein positives Ergebnis, er liegt denn auch ganz auf der Linie eines sozialen Liberalismus 37 . Die Sektion IV behandelte Erziehungsfragen im weitesten Sinne. Hier begnügte man sich mit besonders allgemein gehaltenen Warnungen vor individualisierender Säkularisierung wie auch vor Staatsabsolutismus und forderte Freiheit der Kirche für eine möglichst umfassende Arbeit auf dem Gebiet des Erziehungswesens 38 . 85
Vgl.
K I R C H E UND W E L T ,
S.
123,
besonders
auch
S.
132 f.
Da
A.
BOYENS
in theologischer Hinsicht allein von der Problematik des deutschen Kirchenkampfes ausgeht, sieht er nur die Alternative: entweder deutsch-christliche „Deifizierung" des Staates oder christlich motivierte Widerstandspflicht im Namen der ganzen Kirche (Kirchenkampf und Ökumene, S. 158 ff.). 3
« K I R C H E UND W E L T , S . 1 5 0 ; v g l . a u c h e b d . , S . 2 6 3 , S . 2 6 7 f . u n d 2 6 9 .
Ebd., S. 194-199; vgl. auch E. GEISMAR, Tagung in Oxford, S. 223 f. KIRCHE UND WELT, S. 236 ff. Dieses Ergebnis erschien Geismar als besonders mager und enttäuschend (Tagung in Oxford, S. 224). 37
38
284
Diametrale Gegensätze als Ergebnis der Auseinandersetzungen
In der Sektion V schließlich ging es um die internationale Rechtsordnung. Auch wenn zugegeben wird, daß der Völkerbund mit vielen Fehlern und Mängeln behaftet sei, so sei er doch eine notwendige Institution, die zwar nicht mit der Kirche als einer internationalen Organisation zu vermengen sei, die aber dennoch die Unterstützung der Kirche verdiene. In einem besonderen Wort zum Kriege wird dieser als Weg zur Lösung von Konflikten verurteilt, auch wenn zur Frage des Pazifismus und der Haltung zu Krieg und Kriegsdienst keine Einigung erzielt werden konnte39.
2. Grundaspekte
der theologischen und politischen nach dem Sommer 1934
Position
Hirschs
a) Kirchenpolitische Stellungnahmen Weder grundsätzlich noch praktisch änderte sich nach außen hin die Haltung Hirschs im Laufe des Jahres 1934, selbst wenn er kirchenpolitisch nun nicht mehr so aktiv war wie in der Zeit der stürmischen Erwartungen 1933. Das hängt sicherlich damit zusammen, daß sich diese Erwartungen, daß sich nämlich die ganze Kirche der nationalen Erhebung anschließe und an ihr teilnehme, zumindest teilweise nicht erfüllten, daß sich der Kirchenkampf vielmehr verschärfte. An seiner theologischen Grundhaltung änderte Hirsch indes nichts. Er meinte noch immer, daß er nichts anderes tue als den reformatorischen Ansatz Luthers auf die aktuelle Situation anzuwenden. Politisch hegte er weiterhin ein unerschütterliches Vertrauen zum Nationalsozialismus und vor allem zur Person Hitlers selbst. Er stellte sich loyal hinter die jeweilige Reichskirchenregierung in Berlin, auch wenn die enttäuschten Erwartungen allmählich in scharfen Kontrast zur ursprünglichen Vision gerieten. Von 1935 an isolierte er sich immer mehr, der volksmissionarische Ansatz ging ganz verloren, und Hirsch brach nun alle Brücken hinter sich ab. Schon im Laufe des Jahres 1933 war der Widerstand gegen Reichsbischof Müller in der evangelischen Kirche in Deutschland sehr groß geworden; dies hatte jedoch auf Hirsch keinen Eindruck gemacht. Auch die Ereignisse des Jahres 1934 brachten ihn nicht von seiner Überzeugung ab, daß Müller der vom Kirchenvolk gewählte und dem Willen des Führers entsprechende Leiter der Kirche sei. Bei einer Theologentagung im Zusammenhang mit der zweiten Reichstagung der Deutschen Christen im September 1934 sprach Hirsch, ohne in
39
K I R C H E UND W E L T , S . 2 4 6 f f .
Grundaspekte der Position Hirschs nach dem Sommer 1934
285
seinem Vortrag freilich Müller direkt zu unterstützen. Dennoch zeigt die Tendenz in diese Richtung 1 . In Wirklichkeit bestand für die Amtsführung Müllers definitiv keine Grundlage mehr, nachdem die Versuche, die süddeutschen lutherischen Kirchen gewaltsam in die Reichskirche einzugliedern, mißlungen waren und die Bekennende Kirche auf der Bekenntnissynode in Dahlem angesichts der Kirchenpolitik der Reichskirchenregierung am 19.-20. Oktober 1934 das kirchliche Notrecht ausgerufen hatte. Es kam zu einem Sturm von Briefen und Aufrufen mit Rücktrittsforderungen an Müller selbst und an eine Reihe von Partei- und Staatsinstanzen. Hinter diesen Aktionen standen nicht nur die „Bekenntnisfront", sondern auch viele frühere Anhänger Müllers, die nun in seinem Rücktritt die einzige Möglichkeit sahen, den Vormarsch der Bekennenden Kirche zu stoppen 2 . Es kam hinzu, daß in der Partei die Strömungen, die für eine strenge Trennung von Staat und Kirche eintraten, immer stärker wurden 3 . Mitten in diesen Auseinandersetzungen erklärte Hirsch in einem Aufruf zusammen mit einer Reihe anderer deutsch-christlich orientierter Theologieprofessoren seine uneingeschränkte Loyalität zum Führer und der Reichskirchenregierung 4 . Aus der Erklärung ging deutlich hervor, daß das Vertrauen des Führers die einzige Grundlage für die Funktionstüchtigkeit der Kirchenregierung war. Theologisch argumentierten die Theologieprofessoren, man müsse das reformatorische Erbe dadurch weiterführen, daß sich alle „der schicksalhaften Zusammengehörigkeit des deutschen evangelischen Kirchenvolkes mit der nationalsozialistischen Bewegung" beugten. Unter deutlicher Anspielung auf die Dahlemer Synode wird von der Gefahr gesprochen, daß kirchliche Gruppen - im Falle 1
Vgl. die Aufzeichnungen in: A E K D A 4/34.
2
Vgl.
S.
dazu
194-199;
K.
D.
SCHMIDT, B e k e n n t n i s s e
J. CONWAY, K i r c h e n p o l i t i k ,
N a t i o n a l s o z i a l i s m u s , S. 1 9 6 - 1 9 9 . 4
S. 3
1934,
S.
121-124;
163-174; L.
DOKUMENTE
II,
SIEGELE-WENSCHKEWITZ,
V g l . DOKUMENTE I I , S . 1 9 9 - 2 1 2 .
EVANGELIUM IM DRITTEN REICH 2 , 1 9 3 4 , S . 5 6 1 ; K . D . SCHMIDT, B e k e n n t n i s s e
1934, S. 170. - Außer Erich Seeberg gehörten zu den bekannten Unterzeichnern Gustav Wobbermin und Emil Pfennigsdorf. Nach einem Brief von E. Seeberg vom 2 4 . 1 1 . 1 9 3 4 an Hirsch zu urteilen, war das Verhältnis zum Reichsbischof noch immer vertrauensvoll. Seeberg hatte mit dem Reichsbischof Verhandlungen über den Empfang seines Vaters Reinhold Seeberg bei Hitler geführt. Zwar betrachtete Seeberg es als ein negatives Vorzeichen für die Zukunft, daß der Führer diesen Empfang vorläufig verschob, wogegen Müller die Aussichten Seeberg gegenüber in einem etwas helleren Lichte darstellte (vgl. BA KOBLENZ, E. Seeberg/13). Später wurden Seeberg und Müller alarmiert durch den Streit zwischen Müller und Christian Kinder, dem Reichsleiter der Deutschen Christen. Aus einem späteren Brief vom 2 6 . 1 . 1 9 3 5 von Seeberg an Hirsch geht jedoch hervor, daß sowohl Seeberg als auch Hirsch zu diesem Zeitpunkt noch auf die Amtsfähigkeit des Reichsbischof vertrauten (ebd.).
286
Diametrale Gegensätze als Ergebnis der Auseinandersetzungen
einer Trennung vom Staat - zu einem Sammelbecken des politischen Widerstands werden könnten. Das könnte einen Keil zwischen die Verantwortung des Einzelnen und die politische Führung treiben. Dieses Plädoyer für eine möglichst enge Zusammenarbeit zwischen der evangelischen Kirche und Staat und Partei entsprang primär dem politischen Wunsch, den ideologischen Absolutheitsanspruch der Partei nicht anzutasten. Von der Identität der Kirche war nicht die Rede. Daß sie durch den weltanschaulichen Absolutheitsanspruch des Nationalsozialismus bedroht sein könnte, kam den Verfassern nicht in den Sinn; es ging einzig und allein um die Erhaltung der Integrität der politischen Einheitsbewegung. Die Haltung der Erklärung zur bedrohten Stellung von Reichsbischof Müller ist nicht ganz deutlich. An der eigentlichen Intention aber besteht kein Zweifel: Man will dem Führer und Reichskanzler die politische Aufsicht über die Kirche und ihre Ordnung zuerkennen und so die weitere Zusammenarbeit zwischen Staat und Kirche und vor allem die Loyalität der Kirche gegenüber dem nationalsozialistischen Staat sichern. Der Anteil Hirschs an der Erklärung ist nicht eindeutig zu eruieren. Sie wurde abgesandt und unterschrieben von Erich Seeberg, was aber nicht bedeuten muß, daß er sie allein konzipiert hat. Der Inhalt paßt jedenfalls genau in die kirchenpolitische Linie, die sich in den Erklärungen und Voten Hirschs vor und nach dieser Zeit widerspiegelt. Unter direktem Hinweis auf diese Erklärung gab Müller am 8. November 1934 seine „Erklärung des Reichsbischofs an die Gemeinden und Pfarrer" heraus, in der er sein Verbleiben im Amt begründete 5 . Das Ergebnis dieses Durcheinanders war, daß der Innenminister jegliche öffentliche Erörterung der Kirchenfrage verbot und sich - offensichtlich im Auftrag des Führers - hinter die Amtsführung Müllers stellte. Müller versuchte die Dinge unter Kontrolle zu bekommen und versprach, die Lage auf den Zustand vor den Wirren des Herbsts zurückzuführen. Demgegenüber hielt die Bekennende Kirche daran fest, daß die von ihr herausgestellten Leitungsorgane die rechtmäßige Kirchenleitung der Deutschen Evangelischen Kirche seien. Niemand konnte deshalb ernsthaft mehr an die Chancen Müllers glauben. Aber politische Umstände, die bevorstehende Abstimmung an der Saar und interne Meinungsverschiedenheiten in der Partei über den religionspolitischen Kurs verschoben zunächst eine Klärung der Situation®. 5
Vgl. H . HERMELINK, Kirche im Kampf, S. 189 f. • Vgl. dazu DOKUMENTE II, S. 213-224 und 271 f.; K. MEIER, Deutsche Christen, S. 70 f.
Grundaspekte der Position Hirschs nach dem Sommer 1934
287
In einer Denkschrift vom Frühjahr 1935 „Die staatliche Regelung der Kirchenfrage" machte Hirsch noch einmal und noch deutlicher sein Hauptanliegen klar, die Befugnis und unantastbare Vollmacht des Staates in allen erforderlichen Maßnahmen in Fragen der Ordnung der Kirche zu rechtfertigen 7 . Diese Darlegungen waren nicht durch einen konkreten Anlaß hervorgerufen. Hirsch wiederholte seine Auffassung ein Jahr später, als die Bekennende Kirche Zweifel daran nährte, ob der Reichskirchenausschuß nach dem Maßstab des Evangeliums legal sei. In der vom 11. Juli 1936 datierten Denkschrift „Die Vollmacht des Reichskirchenausschusses und der evangelischlutherische Christ. Antwort auf eine Gewissensfrage" 8 unterscheidet Hirsch wie schon zuvor zwischen der staatlichen Verantwortung und Vollmacht in Fragen der Kirchenhoheit und dem direkten Kirchenregiment. Das Kirchenregiment in der Form des staatlichen Summepiskopats als Fortsetzung der Tradition des landesherrlichen Kirchenregiments gehört für ihn unwiderruflich der Vergangenheit an. Es war „eine geschichtlich bedingte Sondergestalt der öffentlich rechtlichen Existenz der Kirche", aber nicht integrierender Bestandteil der reformatorischen Lehre von der Kirche, wie sie sich in den reformatorischen Hauptschriften Luthers widerspiegele. Es geht Hirsch also nur um die erstgenannte Möglichkeit, um die Vollmacht des Staates in Fragen der Kirchenhoheit. Diese freilich ist für Hirsch unaufgebbare Folge des reformatorischen Anliegens. Man müsse deshalb unterscheiden zwischen der Predigt des Evangeliums einerseits und dem rechtlichen Status der Kirche andererseits, den Fragen der Verwaltung, die in den Machtbereich des Staates gehörten. Hirsch verdeutlicht diese Unterscheidung zwischen Verkündigung gemäß der reinen Lehre und objektiver Rechtsetzung, indem er das Bild der Familie gebraucht, der Ehe: Auch sie geht nicht aus einem Rechtsakt hervor, ganz wie die Kirche, aber beide erhalten ihren empirischen Ort im Leben der Gesellschaft erst durch die Recht stiftende souveräne Vollmacht des Staates. Der Staat ist für den äußeren Rahmen verantwortlich, ohne den sich kirchliches Leben nicht vollziehen könne: „Es war auch kein Zweifel, daß viele evangelische Christen, darunter verantwortliche Theologen, den helfenden Eingriff des Staates begehrten. So tat der Staat etwas Ähnliches wie der Kurfürst von Sachsen der Reforma7
AEKD, A 4/176. AEKD, A 4/480; ursprünglich abgedruckt in: Deutsche Evangelische Erziehung 1936, S. 383-389 (Zitate S. 386 f.), wieder abgedruckt bei K. D. SCHMIDT, Dokumente des Kirchenkampfes II, S. 851-860. Vgl. dazu auch W. NIEMÖLLER, Geschichte der Kirchenausschüsse, S. 182-184; G. HARDER, Theologische Behandlung, S. 213 f. 8
288
Diametrale Gegensätze als Ergebnis der Auseinandersetzungen
tionszeit damals, als Luther die Einsetzung der Visitatoren begehrte, und wie zahlreiche Stadtobrigkeiten der Reformationszeit, als die Bürgerschaft vors Rathaus zog und Ordnung der kirchlichen Verhältnisse begehrte. Er lieh seine öffentliche Gewalt her, um der Kirche zu einer neuen Ordnung zu verhelfen. Er tat es aber mit ganz anderer Zurückhaltung als die politischen Stellen der Reformationszeit. Er tat es innerhalb der Grenzen seiner Kirchenhoheit, als Walter und Schiedsmann des Rechts, als Treuhänder der öffentlichen Güter, und zog selbst die Grenzen, die es sicherstellten, daß die so geübte Kirchenhoheit nicht zu dem ihm selber lästigen Kirchenregiment sich auswachsen kann. Ich weiß in aller Welt nicht, woher ein deutscher lutherischer Christ ( - oder auch ein an den alten echten Calvin sich haltender reformierter Christ - ) den Mut nehmen will, das aus diesem Walten des Staats entstandene Notregiment der Ausschüsse für nicht wahrhaft kirchlich zu erklären." Formal gesehen ähneln diese Überlegungen Hirschs in frappierender Weise den Grundlagen der dänischen „Volkskirche" als einer „Rahmenordnung", geleitet vom Kirchenminister und dem Parlament, eine „bürgerliche Ordnung", innerhalb derer sich dann die Verkündigung frei entfalten kann. Hirschs Theorie wurde aber durch die nationalsozialistische Praxis in Deutschland widerlegt, die letzten Endes keine wie auch immer geartete Eigenständigkeit von Kirche dulden konnte. Darin besteht der grundlegende Unterschied zur dänischen Ordnung der „Volkskirche". Ganz ohne aktuelle Anspielungen waren die Äußerungen Hirschs nicht. Im ersten Votum vom Frühjahr 1935 machte er den konkreten Vorschlag, daß der Staat einen „ Kirchentreuhänder" ernennen solle, um „den Kirchennotstand und Volksnotstand, die durch den evangelischen Kirchenstreit entstanden sind, durch helfende und abhelfende Maßnahmen zu beheben". Dieser Treuhänder solle helfen, die kirchliche Verwaltung wieder funktionstüchtig zu machen, gleichzeitig solle er als Schiedsrichter mit „rechtsetzender Gewalt" in kirchliche Rechtsstreitigkeit eingreifen können und die staatliche Aufsicht über die kirchliche Verwaltung wahrnehmen. Dies sei keineswegs ein staatlicher Eingriff in inner kirchliche Bereiche, sondern vielmehr ein staatlicher Hilfsdienst für die Kirche angesichts der selbstverschuldeten Verwirrung. - Mit diesem Vorschlag hat Hirsch möglicherweise mit dazu beigetragen, daß zwei Monate später das Reichskirchenministerium errichtet wurde 9 . • Die Stellungnahme Hirschs ist jedoch sicherlich nicht so ausschlaggebend gewesen wie das Memorandum von Staatssekretär Wilhelm Stuckart vom Februar 1935 (DOKUMENTE II, S. 263-266).
Zu
den
kirchenpolitischen
Überlegungen
Grundaspekte der Position Hirschs nach dem Sommer 1934
289
In der zweiten Denkschrift vom Juli 1936 sah sich Hirsch veranlaßt, den Reichskirchenausschuß gegen Vorwürfe staatlichen Machtmißbrauchs in Schutz zu nehmen. Derartige Angriffe beruhten für Hirsch auf einem fundamentalen theologischen Fehlschluß, der die Kirchenhoheit des Staates übersah. Zugleich wandte er sich gegen die Rede von einem „Notrecht", wie es die Bekennende Kirche ausgerufen hatte. Grundsätzlich erkannte Hirsch zwar die Möglichkeit eines solchen Notrechts an; so etwas liege schon in der evangelischen Forderung nach Gewissensfreiheit. Aber in der damaligen kirchenpolitischen Lage hielt Hirsch die Berufung der Dahlemer Bekenntnissynode auf das kirchliche Notrecht für Aufruhr. Er führte dafür drei Gründe an: 1. Zu einem solchen Schritt dürfe der Christ sich nur im äußersten Notfall entschließen. Wo er diesen Schritt ohne wirkliche Not tue, mache er die Lehre des Evangeliums zu einem Hilfsmittel für eigene Interessen. Es fällt auf, daß Hirsch an dieser Stelle nicht von staatlichen Sanktionen gegen eine solche Haltung spricht. Dies scheint im Widerspruch zu stehen zu der rechtlichen Vollmacht des Staates, die Hirsch andernorts proklamierte. Er müßte hier eigentlich das Eingreifen des Staates fordern 10 . 2. Das Recht, sich an ein solches Notrecht zu halten, steht nur dem Einzelnen im Namen des Evangeliums zu, niemals aber der Kirche im Sinne einer Gemeinschaft oder gar einer Synode. 3. Das Notrecht gilt nicht in bezug auf „äußere Güter". Wer sich auf das Notrecht beruft, wenn es um „Verfügung über Güter und Recht" geht, macht sich der Widersetzlichkeit gegen „die geltende rechtliche Ordnung" schuldig. Hirsch ist der festen Überzeugung, daß er damit die Intention der Theologie Luthers bewahrt hat. Deshalb ist dies für ihn eine Gewissensfrage, in der er mit apodiktischer Bestimmtheit argumentiert. Genau so unerschütterlich wie sein theologisches Fundament ist auch sein Vertrauen in die politische Führung. Es wäre jedoch verfehlt und träfe das Anliegen Hirschs nicht, wenn man dies so interpretieren wollte, als spreche Hirsch von einer „Eigengesetzlichkeit" des Politischen. Dieses Schlagwort auf die Zeit des Kirchenkampfes anzuwenden, ist insofern verfehlt, als sich kein bedeutender regimein Kreisen der Partei in der ersten Hälfte des Jahres 1935 vgl. L. SIEGELE-WENSCHKEWITZ, N a t i o n a l s o z i a l i s m u s , S. 2 0 2 f f . 10 Zur Sitzung des Verfassungsausschusses als Vorbereitung der Nationalsynode vom Sommer 1934 hatte Hirsch folgendes gesagt: „Der reformatorische Gedanke gestattet ein Notrecht des Widerstandes gegen die offizielle kirchliche Ordnung dort, w o diese Ordnung dem Evangelium schadet. Festzustellen, w o es schadet, ist Sache des christlichen Gewissens. Wohl aber darf das kirchliche Regiment einen Mißbrauch dieses Gewissens niederschlagen" (GAUGER II, S. 256).
19
Schjorring, Geismar/Hirsch
290
Diametrale Gegensätze als Ergebnis der Auseinandersetzungen
treuer Theologe von diesem Vorwurf getroffen fühlen konnte: waren sie doch gerade bestrebt, die Möglichkeit einer Trennung zwischen dem „Raum" der Kirche und der Gesellschaft und damit eine „Eigengesetzlichkeit" des Politischen zu vermeiden. Das gilt nicht zuletzt auch für Hirsch. Zwar trat Hirsch in den Jahren 1935-1936 für die staatliche Souveränität über die äußere Ordnung der Kirche ein und verteidigte damit auch die Maßnahmen der Kirchenregierung und der staatlichen Stellen. Auch war, nicht einmal terminologisch an der Oberfläche, von einer theonomen Ethik der „Heiligung" nicht mehr die Rede. Dennoch erfaßt man Hirschs Anliegen nicht, wenn man es nur unter dem Kriterium der Dialektik zwischen Geistlichem und Weltlichem sieht und dann bei ihm eine Eigengesetzlichkeit des Weltlichen konstatiert. Für Hirsch ist die lutherische Dialektik zwischen Gesetz und Evangelium an sich nicht die Haupttriebfeder. Der innerste Kern seines Denkens ist eine schon ins Religiöse gesteigerte Idealisierung der Weltanschauung, die den neuen Staat trägt. Diese neue Weltanschauung hat in sich religiöse Qualität und rechtfertigt in sich alles staatliche Handeln, so daß sich jegliche Kritik von selbst verbietet: „Letzlich stößt man bei der Frage nach dem Umfange, in dem die staatliche Kirchenhoheit gebraucht werden soll, auf die national nicht mehr faßbare Entscheidung des Staatsmannes selbst, den Gott in Gnaden oder in Ungnaden einem Volke gibt." 1 1 Das Evangelium hat gegenüber diesem politischen Willen nur noch die Rolle eines dankbaren Dieners zu spielen, niemals die des Kritikers oder gar Schiedsrichters. Diese Beschneidung der Wirkungsmöglichkeit des Evangeliums ist sicherlich in der neuprotestantischen Erziehung Hirschs zu suchen, in seinem instinktiven Widerwillen gegen alles, was nach Bekenntnisorthodoxie aussieht, nach Biblizismus oder Dogmatismus. Es ist deshalb nicht zufällig, daß er sich in seinen Gedankengängen nur noch ganz selten auf die Heilige Schrift beruft. Den oft etwas pauschal vorgebrachten Einwänden gegen eine lutherische Obrigkeitsethik, wie sie zur Zeit des Nationalsozialismus Gestalt annahm, kann man nicht abstreiten, daß sich die lutherische Dialektik zwischen Gesetz und Evangelium, wie Hirsch sie durchgeführt hat, als untauglich erwiesen hatte, eine solche verhängnisvolle Entartung der Theologie zu verhindern. Dennoch ist zu beachten, daß die lutherische Denkweise für sich genommen keineswegs für eine solche Entartung verantwortlich gemacht werden kann. Bei Hirsch waren die politischen Denkstrukturen das Primäre, denen ge11
Die staatliche Regelung (vgl. Anm. 7), S. 5.
Grundaspekte der Position Hirschs nach dem Sommer 1934
291
geniiber die theologische Begriffswelt lediglich eine Legitimationsrolle besaß. Im April 1937 äußerte sich Hirsch wiederum zu der kirchenpolitischen Situation im Zusammenhang mit den von Hitler angeordneten Kirchenwahlen 12 . Diese Äußerung weicht nun doch deutlicher von der euphorischen Vision des Jahres 1933 ab. Hirsch gibt offen zu, daß er resigniert habe; die Konfrontation in der evangelischen Kirche habe nun ein Maß erreicht, daß die Folgen ganz unüberschaubar seien. Angesichts des Kirchenstreits tritt er für kirchliche und theologische Toleranz ein. Dies zeigt noch einmal, daß er das Problem des Kirchenkampfes, die Frage nach der Identität der Kirche, überhaupt nicht sah. Es geht ihm darum, zur Einheit aufzurufen, um zu vermeiden, daß die Kirche zu einem „Skandalon f ü r die Öffentlichkeit" werde, indem sie die nationale Einheit gefährde. Deshalb gelte es, Verketzerungen zu vermeiden und innerkirchlich tolerant zu sein. Das ist natürlich vor allem gegen die Bekennende Kirche mit ihren Angriffen auf deutsch-christliche Häresien gerichtet. Es kommt f ü r Hirsch darauf an, die Einheit der Reichskirche so weit wie möglich zu bewahren und ein möglichst positives Verhältnis zwischen Kirche und Staat bezw. Partei zu schaffen. Er fordert deshalb die Anerkennung der Gemeinschaftsschule anstelle der konfessionellen Schule auch seitens der Kirche und möchte, „daß neueinzustellende geistliche und weltliche Kirchenbeamte die Qualifikation zum Reichsbürgerrecht . . . besitzen", also den berüchtigten Nürnberger Gesetzen unterworfen werden. All dies zu erfüllen, ist f ü r Hirsch sowohl eine christliche wie eine politische Pflicht. Mit einem Seufzer, einer Mischung aus Entrüstung und Resignation schließt er: „Es sollte möglich sein, daß wir uns alle darauf einigten. D a ß es nicht möglich ist, empfinde ich als Zeichen des Gerichts über das ganze evangelische Kirchentum in allen seinen Gruppen." Daraus ist nun aber keineswegs der Schluß zu ziehen, daß Hirsch seine deutsch-christlichen Vorstellungen aufgegeben habe. Zwar konnte er, was die Entwicklung auf reichskirchlicher Ebene anging, nur zur Ruhe raten, um nicht noch mehr Widerstand zu provozieren. Auf lokaler Ebene setzte er sich aber weiter für die Deutschen Christen ein, und dies vor allem dort, wo diese Bewegung am wenigsten durch Auswüchse in Verruf gekommen war. Vor allem arbeitete er mit den Bremer Deutschen Christen und ihrem Führer Heinz Weidemann eng zusammen. Als theologischer Sachverständiger für die Ausarbeitung eines neuen kirchlichen Gesangbuchs konnte er seine literarische Begabung entfalten 1 3 . Auch konnte er seinen 12 13
19»
Meine Stellung zur Kirchenwahl. Vgl. dazu R. HEINONEN, Anpassung, S. 142 ff. Vgl. ebd., S. 186 ff.
292
Diametrale Gegensätze als Ergebnis der Auseinandersetzungen
antidogmatischen Ethizismus und seine deutsch-nationale Auffassung vom Christentum einbringen; dies geschah vor allem durch Ausmerzen aller - auch der sprachlichen - „jüdischen" Elemente im Gesangbuch. Auch den Thüringer Deutschen Christen begegnete Hirsch mit Sympathie. Davon zeugt u. a. folgende Aussage, die vermutlich aus den Kriegsjahren stammt, als Hirsch mit der Ausarbeitung seiner großen Theologiegeschichte beschäftigt war: „Wenn der in der jüngsten deutschen Kirchengeschichte unternommene Versuch der Thüringer Deutschen Christen, die Kirchenidee und die Methoden des Grundtvigianismus auf deutschem kirchlichen Boden nachzubilden, verunglückt ist, so liegt es wesentlich daran, daß ihnen eine Persönlichkeit wie Grundtvig, die trotz allen theologischen Sonderbarkeiten unwidersprechlich war, gefehlt hat." 14 Eine solche Einbeziehung Grundtvigs in die deutsche kirchenpolitische Situation ist - milde gesprochen - recht eigenartig und künstlich. Weder die Kirchenpolitik der Thüringer Deutschen Christen noch ihre Auffassung von der Bedeutung der Rasse oder auch des Alten Testaments lassen sich in irgendeinen Bezug zu Grundtvig bringen. Hirsch spielte in vielen Fragen der Pfarrerausbildung, der Zusammenarbeit zwischen der Göttinger Fakultät und der hannoverschen Landeskirche und der Beziehungen zum Kultusministerium eine entscheidende Rolle, einmal weil er noch immer Dekan an der Göttinger Fakultät war, zum andern durch seine guten Kontakte zu den Ministerialbehörden. Schon in seiner ersten Sammlung von Voten für den Reichsbischof vom Sommer 1933 hatte sich Hirsch zu vielen praktischen und grundsätzlichen Fragen des Theologiestudiums und der Pfarrerausbildung geäußert 15 . Seine dort vorgelegten Gesichtspunkte blieben für seinen Standpunkt charakteristisch. Neben vielen rein technischen Reformvorschlägen sind hier Anregungen enthalten, wie das Studium in die Gesellschaft zu integrieren sei, d. h. wie die Studierenden in den verbindlichen Identifikationsrahmen eingefügt werden könnten, auf dem der Weltanschauungsstaat aufgebaut war. Hirsch forderte u. a., daß die Mitgliedschaft in den allgemeinen Studentenorganisationen obligatorisch sein sollte, außerdem sollte die Teilnahme am „Wehrsport" und an politischen Vorlesungen zur Pflicht gemacht werden. Auch in der Frage des Examens und der praktischen Ausbildung machte Hirsch Vorschläge. Es ging um die volksmissionarische Aufgabe der 14
Geschichte V, S. 230 f., Anm. 1. „Über die künftige Ausbildung der Geistlichen" (AEKD, C 4/28); vgl. dazu auch oben S. 189. 15
Grundaspekte der Position Hirschs nach dem Sommer 1934
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Kirche; deshalb wollte Hirsch die Hitlerjugend, die SA und Arbeitslager in die praktische Ausbildung einbeziehen. Das volksmissionarische Leitmotiv bei Hirsch war stets, daß „Männer, die das Evangelium verkünden, in jeder Gliederung unseres Volkes an jeder führenden Stelle lebendig mitwirken. Beispiel: wir brauchen Studenten und Kandidaten der Theologie in den nationalsozialistischen Kampfgemeinschaften" 16 . In der Schulfrage war es für Hirsch selbstverständlich, daß die politische Bewegung gegen die Bekenntnisschulen kämpfen mußte, besonders die katholischen, um die „Idee der gemeinsamen Erziehung" zu verwirklichen. Er ging dabei davon aus, daß es an christlichen Gemeinschaftsschulen keine jüdischen Lehrer im Sinne der nationalsozialistischen Rassegesetzgebung geben dürfe. In der Frage der Jugendorganisationen setzte sich Hirsch dafür ein, daß die Hitlerjugend Gottesdienste abhielt, um damit die besonderen kirchlichen Jugendorganisationen überflüssig zu machen. Um eine schnelle Entwicklung in diese Richtung zu ermöglichen, sollten sich die kirchlichen Jugendverbände in die Hitlerjugend eingliedern lassen, „möglichst ohne Kennzeichen und Sonderrechte". Dies ging aber bekanntlich nicht so schmerzlos vonstatten, wie Hirsch sich das vorgestellt hatte; denn schon im Dezember 1933 führte diese Frage zu ernsthaften Streitigkeiten, als der „Reichsjugendführer" Baidur von Schirach die Eingliederung der evangelischen Jugend in die Hitlerjugend durchsetzte. Außerdem trat Hirsch, was das Vereinswesen betraf, für die „Auflösung aller kirchenpolitischen Gruppen" mit Ausnahme der Deutschen Christen ein. Als Dekan der Göttinger Theologischen Fakultät und Ratgeber der Reichskirchenregierung hatte Hirsch großen Einfluß auf die Fakultätspolitik und besonders auf die Besetzung der Lehrstühle. Er wurde, wie aus den Akten hervorgeht, sehr oft zu Rate gezogen. Am 1. März 1934 nahm er zusammen mit Gerhard Kittel und Gogarten (Fezer war verhindert) an einem Gespräch mit dem Reichsbischof teil, bei dem es um die Strategie ging, wie alle Lehrstühle mit regimetreuen Männern zu besetzen seien17. Hirsch war sich mit Erich Seeberg darin einig, daß nicht nur fachliche, sondern auch allgemein politische und kirchenpolitische Gesichtspunkte zu berücksichtigen seien. Er lehnte im übrigen eine inoffizielle Aufforderung von Erich Seeberg ab, einen Ruf nach Berlin anzunehmen, wobei er unter anderem auf 16
„Fragen des Verhältnisses von Staat und Kirche" (ebd.). Abschrift des Protokolls AEKD, A 4/246. Am 12. 10.1934 bat Oberkirchenrat Langmann Hirsch um eine Äußerung zu einer Lehrstuhlbesetzung in Halle (vgl. AEKD, C 3/158). 17
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sein Augenleiden und auf seine Auseinandersetzungen mit dem hannoverschen Landesbischof Marahrens als Argumente für sein Verbleiben in Göttingen hinwies: „Wir müssen mit der Möglichkeit rechnen, daß die kommende staatliche Schiedslösung Marahrens unter Zertrümmerung seiner weitergehenden Ziele als hannoverschen Landesbischof bestehen läßt. Dann wirkt die Wegberufung von mir wie eine Preisgabe der hannoverschen Kirche an Marahrens. Ich bin die Bürgschaft, daß in der Fakultät auch bei bleibendem Marahrens nicht der Geist der Bekenntniskirche siegreich werden wird." Wenige Tage später, am 15. April 1935, gab Hirsch jedoch in einem weiteren Brief an E. Seeberg zu, daß er unter dem Boykott der Bekennenden Kirche in Hannover gegen ihn sehr leide. Er sprach vom Gefühl menschlichen Gekränktseins und der Einsamkeit, was sich wiederum auf seine wissenschaftliche Produktivität lähmend auswirke 18 . Der erste ernsthafte Streit mit Marahrens und dem Landeskirchenamt ging um die Frage, ob die Aufhebung des Landeskirchentags durch Marahrens rechtsgültig sei. Es ging dabei auch darum, ob Hirsch mit der durch den Rektor der Universität, später durch das Reichskirchenministerium eingeholten Genehmigung auf dem Recht der Fakultät bestehen durfte, einen Delegierten der Göttinger Fakultät für dieses Gremium zu ernennen 19 . Es folgte ein Streit um die Examensfrage nach der Ernennung Walter Birnbaums zum Professor für praktische Theologie in Göttingen 1935. Theologiestudenten, die der Bekennenden Kirche angehörten, hatten dagegen protestiert, daß Birnbaum bei landeskirchlichen Examen in den Examensausschüssen Mitglied war. Hirsch bestand hier auf dem Recht der Fakultät, einen Prüfer benennen zu können. Seinen Schriftwechsel mit dem Landeskirchenamt Ende 1935 und Anfang 1936 schickte Hirsch an das Reichskultusministerium, von wo er am 1. Februar 1936 die Billigung seines Auftretens und Handelns bestätigt erhielt. Dies bedeutete, daß die Landeskirche keinen Professor als Prüfer ablehnen konnte 20 . Ein weiterer Streit entbrannte um die Ernennung Friedrich Gogartens zum Universitätsprediger in Göttingen. Der Einspruch des Landeskirchenamtes gegen diese Ernennung wurde von Hirsch zurückgewiesen21. Zuletzt erfolgte eine neue Phase des Streits um das Examen im Sommer 1938, wo es auch um den Status des Predigerseminars in Loccum ging. Das Landeskirchenamt wollte die Unabhängigkeit des Klosters und eine eigene Pfarrerausbildung sicherstellen, 18 19 20
Briefe an E. Seeberg vom 10. und 15. 4. 1935 (BA KOBLENZ, E. Seeberg/13). ZSTA POTSDAM, RKM 23101, Bl. 40-44. V g l . E . KLÜGEL, L a n d e s k i r c h e , S. 3 2 5 u n d 3 2 8 f . V g l . a u c h Z S T A POTSDAM,
RKM 23101, BL. 59-67. 21 Ebd., BL. 68-70.
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um damit Studenten der Fakultätsprüfung entziehen zu können. Dagegen protestierte Hirsch wiederum energisch22. b) Die Auseinandersetzung zwischen Tillich und Hirsch Im Herbst 1934, zur gleichen Zeit also, als sich die Atmosphäre zwischen Hirsch und Geismar merklich abkühlte, geriet Hirsch mit seinem Jugendfreund Paul Tillich in eine schwere Auseinandersetzung. Tillich war bereits Anfang März 1933 wegen seiner Zugehörigkeit zur SPD von seinem Amt als Professor für Philosophie in Frankfurt/Main entbunden worden und wirkte nun am Union Theological Seminary in New York. Der Anlaß dafür, daß sich Tillich gegen Hirsch wandte, war Hirschs Buch „Die gegenwärtige geistige Lage". Hier fand Tillich begrifflich und methodisch eine starke Anlehnung an den religiösen Sozialismus, also die Bewegung, die Hirsch ja gerade energisch bekämpft und als gottlosen Marxismus diffamiert hatte. In seiner auf den 1. Oktober 1934 datierten Kritik macht Tillich Hirsch den Vorwurf des Plagiats: Er habe durch seine politische Anwendung der von Tillich übernommenen Terminologie diese bis zur Unkenntlichkeit verfälscht. Durch sein Reden von der Heiligung durch die historische Wende des Jahres 1933 habe er diesem Jahr faktisch heilsgeschichtlichen Rang zuerkannt, dies sei ein „ungebrochener Sakramentalismus des Gegebenen"; Hirsch verfälsche die existentialphilosophische Gebundenheit an die Geschichte in ein priesterliches Weiheritual, das nun an die Stelle des Korrelationsdenkens und des Kairos-Begriffes trete 23 . Tillich richtet also denselben Vorwurf gegen Hirsch, den auch schon Barth und Geismar erhoben hatten, daß Hirsch nämlich der geschichtlichen Stunde des Jahres 1933 Offenbarungsrang zuerkannt habe 24 . Zwar gibt Tillich Hirsch in dessen Kritik an Barths Offenbarungsbegriff grundsätzlich recht; er selbst bezieht hier eine Position zwischen dem Neuluthertum und Barth. Aber der fatale Fehler Hirschs ist für Tillich die Verabsolutierung bestimmter relativer geschichtlicher Gegebenheiten und deren unmittelbare Identifikation mit einer eindeutig gemachten Offenbarungskorrelation: „Um die Absolutsetzung des nationalen Kairos zu ermöglichen, beschränkst Du den Horos, das schöpferische Dunkel auf die Begrenztheit menschlicher Existenz durch Volk und Blut." 25 Das führe dazu, daß Hirsch 22
E b d . , BL. 1 2 1 - 1 2 2 u n d 1 2 7 - 1 2 8 . V g l . a u c h E . KLÜGEL, L a n d e s k i r c h e , S . 3 2 8 .
23
Theologie des Kairos, Sp. 314. Zur Auseinandersetzung zwischen den beiden Theologen vgl. G. SCHNEIDER-FLUME, Politische Theologie, S. 145 ff. 24 Theologie des Kairos, Sp. 318. Diese Kritik hatte Tillich schon 1932 in einem Beitrag
für
(S. 126 ff.).
den
Sammelband
DIE
K I R C H E UND DAS D R I T T E 25
REICH
vorgebracht
Theologie des Kairos, Sp. 321.
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die Rangordnung zwischen natürlicher Volksgemeinschaft durch das Band des Blutes und der unsichtbaren „sakramentalen Blutsgemeinschaft der Christenheit, die durch das Abendmahl gegeben ist", umkehre. Auch wenn hier die theologischen Fragen im Vordergrund stehen, enthält der Angriff Tillichs auch eine Reihe schwerwiegender politischer Vorwürfe gegen den nationalsozialistischen Staat. Tillich nennt die Judenfrage und das verhängnisvolle Versagen der Kirche, er ist entsetzt über den hybriden Nationalismus, mit dem Hirsch von der geistesgeschichtlichen Tradition und der Eigenart seines Landes spricht. Hirsch denke nicht wirklich soziologisch und gesellschaftspolitisch. Er habe sich einer irrationalen, unkontrollierbaren Leidenschaft hingegeben und sei damit nicht, wie er selbst vorgebe, in der Lage einer ohnmächtigen Minorität, sondern schwimme mit in dem übermächtigen Strom der Zeit 26 . Die Theorie Hirschs von dem verborgenen Souverän ist für Tillich lediglich eine undurchschaubare Mystifizierung, die nur notdürftig den totalen Machtanspruch einer staatlichen Ideologie verbirgt. Gegen diesen Machtanspruch fordert Tillich, daß es stets einen Freiraum geben müsse, sonst sei man staatlicher Willkür ausgeliefert. Hirsch gebe faktisch der politischen Entscheidung einen Primat vor der christlichen Wahrheitsentscheidung, die nationalistische Begeisterung sei nur an der Oberfläche durch den Begriff des „Wagnisses" mit einem christlichen Vorzeichen versehen27. Die Antwort Hirschs ließ wie gewohnt nicht lange auf sich warten. Sie fiel - das zeigt schon der militärische Sprachgebrauch - hart und unversöhnlich aus. Die Schärfe wird noch dadurch unterstrichen, daß Hirsch wegen der angeblichen politischen Untertöne und der als Unterstellungen empfundenen Äußerungen Tillichs nicht direkt antwortet, sondern in der Form eines offenen Briefes an Wilhelm Stapel, datiert vom 16. November 193428. Den Vorwurf des „Plagiatorischen" weist Hirsch scharf und detailliert zurück, teilweise wohl mit Recht, denn er kann nachweisen, daß sein eigener theologischer Ansatz bis in die Zeit des Ersten Weltkrieges zurückreicht und damit älter ist als der Religiöse Sozialismus. Dann geht Hirsch zum Gegenangriff über und wirft Tillich nun seinerseits vor, die Dialektik zwischen historischer Existentialdialektik und Transzendenz nicht richtig gesehen zu haben, auf die er sich selbst berufe. Auch hier kleidet Hirsch seine Position in die Begriffe der lutherischen Unterscheidung von Gesetz und Evangelium. Nichtsdestoweniger macht er deutlich, daß eine jegliche politische Distanz zum Nationalsozialismus in Wirklichkeit ein Widerspruch in sich sei: „Treue und Gehorsam sind ihrem 26 28
27 Ebd., Sp. 319 f. Ebd., Sp. 325 ff. In : Christliche Freiheit und politische Bindung, S. 7-47.
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Wesen nach ganz oder gar nicht. Das Geltendmachen des kritischen Vorbehalts beim Geben und Geloben zerstört sie. Ich gebe und gelobe sie der irdischen Stelle im Vertrauen auf den Gott, in Gehorsam unter dem Gott, der sie mich geben und geloben heißt, und dies letzte Vertrauen und Gehorchen trägt und heiligt mich in meiner ganzen Hingabe hinein in die irdische Bindung." 29 Jedes Reden von einem „Ausweichraum" verbiete sich deshalb von selbst allein schon aus politischen Gründen; denn die deutsche Staatsform lasse sich mit keiner früheren oder zeitgenössischen vergleichen, weder mit der „welschen" parlamentarischen Demokratie, noch erst recht mit der russischen gottlosen Diktatur. Sie sei einzigartig und unvergleichbar, das werde im Ausland meist übersehen. Andererseits hebt Hirsch mit unverminderter Deutlichkeit den Unterschied zwischen dem Leben in der natürlich-geschichtlichen Wirklichkeit und der nicht greifbaren Jenseitigkeit des Reiches Gottes hervor. Diese Kluft könne durch menschliche Anstrengungen nicht überwunden werden, nur Gott als der Schöpfer und Ursprung aller Dinge könne hier eine Möglichkeit der Identifikation schaffen. Das Wirken Gottes in der Geschichte bewirke also eine jenseitige „Gründung und Zielung des eignen Lebens". Damit meint Hirsch Tillich zu widerlegen, der in seiner Kairos-Lehre „so tut, als ob sich das Reich Gottes auf Erden verwirklichte", und damit in einem religiösen Utopismus ende30. Auch in dieser Auseinandersetzung mit Tillich wird erneut deutlich: Das Dilemma der Theologie Hirschs besteht darin, daß er einen politischen Absolutismus vertritt, dessen totalitäre Züge er aber bestreiten oder jedenfalls verharmlosen muß, um noch Raum für die Paradoxalität der Offenbarung zu schaffen. Aus dieser Sackgasse versucht Hirsch dann wieder herauszukommen, aber dieser Versuch wirkt widersprüchlich und krampfhaft, so ζ. B., wenn er die Vorbehalte Tillichs gegen eine totalitäre Ideologie so zurückweist: „Soll die deutsche evangelische Kirche Mitwalterin am deutschen Nomos und Logos sein, dann muß sie deutsche Volksordnung sein, die deutsche Not als eigne Not, deutsche Hoffnung als eigne Hoffnung fühlt, und ihre Arbeit unter Verantwortung vor dem Herrn Christus als ein Stück Aufbau am deutschen Leben versteht. Eine solche Kirche wird deutschen Geist und deutsche Art helfend und weitend und, wo es not tut, auch segnend-verwundend mitbestimmen. Die Kirche im Ausweichraum ist statt einer Pädagogie auf Christus zu eine Pädagogie von Christus weg." 31 Die Dialektik zwischen Reich Gottes und Reich der Welt ist hier faktisch aufgehoben, denn das politische Ethos wird ins Unendliche gesteigert, die Transzendenz aber in einen abgeschlos29
Ebd., S. 34 .
30
Ebd., S. 39.
31
Ebd., S. 43 f.
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senen Bereich gleichsam eingesperrt; sie steht nicht mehr in einer dialektischen Spannung zum Humanen, sondern bleibt ohne Bezug zur Wirklichkeit. c) Kritik am lutherischen Konfessionalismus Unter dem Eindruck der nachhaltigen Wirkungen der Synode der Bekennenden Kirche in Dahlem im Oktober 1934 und des dort ausgerufenen kirchlichen Notrechts gab Hirsch alle bis dahin noch gehegte Hoffnung auf, die sich auf die Erreichung einer volkskirchlichen Einheit in der Form der Reichskirche konzentriert hatte. Dieser Wandel ist bei Hirsch nun nicht nur taktisch durch den weiteren Vormarsch der Bekennenden Kirche begründet 32 . 1936 übernahm Hirsch den Lehrstuhl für systematische Theologie, und die Arbeit in dieser Disziplin führte ihn nun zu einer gründlichen Revision der überlieferten Lehrtradition mit all ihrem angeblich orthodoxen Traditionalismus. Hirsch tritt noch immer für einen existentiellen, politisch zielgerichteten Dezisionismus ein. Aber wo dieser dynamische Vitalismus und seine nationale „Dienstbarkeit" zuvor mit einer betont lutherischen Absage an den liberalen Neuprotestantismus verbunden war, führt ihn jetzt der Kampf gegen jeglichen objektivierenden Dogmatismus in ganz neue Bahnen. Hirsch wendet sich gegen Schriftpositivismus, Bekenntnistraditionalismus und Pastorenkonservativismus und plädiert für ein befreites Gottesverhältnis, bei dem die „Sagbarkeit" des Evangeliums nicht mehr in der Zwangsjacke eines überholten Wirklichkeitsverständnisses steckt. Dieser Ansatz erinnert an das wenige Jahre später formulierte Entmythologisierungsprogramm und die existentiale Interpretation Rudolf Bultmanns. In ihrem Widerstand gegen Rechtgläubigkeit und objektivierenden Dogmatismus sind sich Bultmann und Hirsch denn auch einig: Die Kirche darf sich angesichts der modernen Welt nicht einigeln, das würde ihr die Lebenskraft nehmen. Beide versuchen den existentiellen Gehalt des Evangeliums unabhängig von seiner zeitbedingten Einkleidung herauszuarbeiten. Dennoch darf man den Vergleich nicht zu weit treiben, denn das Programm Bultmanns ist methodisch viel durchdachter und philosophisch-hermeneutisch viel klarer formuliert. Zudem ist das Anliegen Bultmanns in einem ganz anderen Sinne als bei Hirsch kerygmatisch. Auch Hirsch will das Evangelium aktualisieren, aber bei ihm steht die politische Absicht deutlich im Hintergrund, denn die Freiheit soll im Dienste der politischen Sache stehen, die Freiheit des Evangeliums von der Bindung an einen Dogmatismus soll gesell32 Die Lage der Theologie, in: Der Weg der Theologie, S. 21 ff-, besonders S. 26.
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33
schaftlich zu der „Volksgestaltung" befreien . Der Dogmatismus ist für ihn vor allem problematisch, weil er politische Vorbehalte gegenüber dem Nationalsozialismus schafft. Der Lutherrat - damals das Leitungsgremium der „intakt" gebliebenen, d. h. nicht durch die Deutschen Christen „gleichgeschalteten" lutherischen Landeskirchen - antwortete am 8. September 1936 mit einem „Theologischen Gutachten über den Aufsatz ,Die Lage der Theologie'" 34 . Diese von Christian Stoll verfaßte Erklärung drückt genau die Position eines konservativen Lutheraners aus und bezeichnet den Kritizismus Hirschs als eine Neuauflage des Neuprotestantismus35. Auf den politischen Hintergrund Hirschs wird aber von Stoll nicht mit einer Silbe oder Andeutung eingegangen. Hirsch hatte offensichtlich einen wunden Punkt getroffen, und die Reaktion der Lutheraner gab ihm Mut, seine Angriffe auf die Bekenntnisorthodoxie fortzusetzen. Unbeeindruckt von der Gegenkritik fährt er deswegen in seiner Aufhebung jeder Verbindlichkeit dogmatischer Sätze fort und erklärt das Ende der Ära des Konfessionalismus: „Die neue deutsche Art und Einheit empfindet die geretteten konfessionellen Sonderbarkeiten nicht mehr als Etwas, das als Scheidung zwischen Deutschen und Deutschen ein das Leben bestimmendes Gewicht haben kann oder darf. Ein zunächst damit sich verknüpfendes und geschichtliche Wurzeln habendes gutes politisches Vorurteil für den evangelischen Glauben als deutscher Volksart näher verwandt und schicksalhaft ganz anders verbunden, ist von der evangelischen Kirche in den letzten Jahren restlos verspielt worden. Heute ist nichts mehr davon übrig." 36 33 Hirsch spricht viel davon, daß sich die neue Auffassung von der Wirklichkeit mit der selbstverständlichen Kraft der Entwicklung ihren Weg seit der protestantischen Orthodoxie gebahnt habe, aber der deutsche „Umbruch" sei nun der eigentliche Liquidator des Traditionalismus, der „Vollstrecker" (ebd., S. 28). O f t spricht er vom Gegensatz zwischen dem Konservativismus der Pastoren und der zukunftsgerichteten politischen Jugend (ebd., S. 34, 47 und 53). 34 LKA HANNOVER, H II 132. Vgl. auch die spätere öffentliche Auseinandersetzung mit Hirsch von P. FLEISCH, Weltanschauung. Zur selben Zeit, als Hirsch einen solchen Antidogmatismus vertrat, wurde er in der Doktorarbeit des jungen dänischen Theologen Κ. E. Skydsgaard wegen seiner lutherisch-konfessionalistischen Verengung angegriffen. Geismar zollte dieser Arbeit Skydsgaards übrigens große Anerkennung, während sich Hirsch in einem Brief vom 9. 6. 1937 auf Grund der schriftlichen Informationen, die er von Geismar erhalten hatte, scharf von dieser Arbeit
d i s t a n z i e r t e ( R A KOPENHAGEN, N G B d . 1). ss Es ist anzunehmen, daß sich Stoll u. a. dadurch provoziert fühlte, daß Hirsch die politische Disziplin und Festigkeit charakterisiert hatte, die sich aus einem Parteiprogramm ableiten lasse, und sie der Festigkeit gegenübergestellt hatte, die dem Evangelium entspringe (Weg der Theologie, S. 52 f.). 311 Ebd., S. 63 (in dem Aufsatz „Der überkonfessionelle Charakter der systematischen Theologie").
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Die Kritik an den herkömmlichen konfessionellen Ausprägungen gilt nun nicht nur dem Verhältnis zwischen Lutheranern und Reformierten, sondern auch dem zwischen Protestanten und Katholiken. Hirsch proklamiert den Aufbruch aus alten Lehrgebäuden und schultheologischen Denkkonstruktionen. Er fährt dann fort: „Gelingt es nicht, Theologie und Kirche in diese Haltung ganz hineinzureißen, dann wird man im deutschen Volke die Tat Luthers, d. h. die Zertrümmerung der alten Anschauung von Kirche und Gottesdienst, die Entdeckung der die priesterliche Vermittlung ausschließenden Freiheit und Unmittelbarkeit des Einzelnen zu Gott, ganz gewiß nicht preisgeben." Die religiöse Autonomie, die dann die unausweichliche Folge wäre, würde unweigerlich zum „Volkstod" führen, die Schuld dafür aber trügen die Theologie und die Kirche, die sich den Erfordernissen der Zeit nicht gestellt hätten: „Die Konfessionen selber haben damit nicht aufgehört, ihrerseits zu bestehen. Aber sie haben aufgehört menschliche Gemeinschaft stiftende und aufhebende Lebensund Denkformen des deutschen Menschen zu sein. Sie sind nunmehr lediglich verschiedene Weisen zu dem Geheimnis der das ewige Leben gebenden Gotteskindschaft in Jesus Christus zu führen und darin zu bewahren." 37 Auch hier wird deutlich, daß die Abschaffung des Normativen in der traditionellen Dogmatik der ethischen Aktivierung im Dienste der politischen Sache dienen soll38. Mit derartigen Gedanken geriet Hirsch in eine noch schärfere Frontstellung gegenüber der Leitung der hannoverschen Landeskirche. Auch in der Göttinger Fakultät isolierte er sich immer mehr, obwohl er weiterhin Dekan blieb; aber im Gegensatz zu früheren Jahren blieb die öffentliche Unterstützung seiner Aussagen durch Fachkollegen weitgehend aus. Hirsch verharrte trotzig in dieser Isolation, die für ihn nur zu ertragen war, weil er davon überzeugt war, daß die Zeit der hierarchischen Abkapselung und des geistlichen Doktrinarismus beim konservativen lutherischen Flügel der Bekennenden Kirche gezählt seien. d) Äußerungen zu den Auseinandersetzungen um Rosenberg In den Jahren seit 1934 drängte sich für Hirsch eine Stellungnahme zu Alfred Rosenberg auf, damit er seine Sicht des Nationalsozialismus aufrechterhalten konnte. Vor allem von katholischer Seite kamen starke Proteste gegen die anti-katholische Grundhaltung Rosenbergs, die wiederum die Sympathien vieler Protestanten hatte. Auch Hirsch erklärte sich in dieser Frage mit Rosenberg solidarisch, zu37 38
Ebd. S. 47 und 63. Vgl. auch Leitfaden zur christlichen Lehre, S. 11 f. Vgl. besonders Weg der Theologie, S. 74 f.
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mal er darin eine notwendige Fortführung der Auseinandersetzung mit der Politik des früheren katholischen Zentrums sah. Andererseits aber standen nun Rosenbergs Ausführungen in einem schroffen Gegensatz zu der ursprünglichen Konzeption der Deutschen Christen von einem artgemäßen Christentum. Schließlich führte auch das scharfe „Wort an die Gemeinden" der altpreußischen Bekennenden Kirche vom 5. März 1935 39 dazu, daß sich Hirsch zu einer Stellungnahme herausgefordert fühlte. Hirsch unterscheidet zwischen der Position Rosenbergs als dem offiziellen Sprecher der Partei einerseits und seinen ideologisch-weltanschaulichen Darlegungen andererseits, die ausschließlich seine private Angelegenheit seien 40 . Rosenbergs offizieller Amtsführung konnte sich Hirsch voll anschließen, hier handele es sich nur um die Explikation der allgemeinen weltanschaulichen Grundlagen des Nationalsozialismus, der Bindungen, die das völkische Ethos tragen. An dieser Ansicht hielt Hirsch stets fest, sowohl in privaten Briefen an Geismar 41 , als auch öffentlich gegenüber der Kritik von katholischer Seite. So äußerte er ζ. B. anläßlich eines katholischen Protests gegen Rosenberg: „Das Seltsame ist doch wohl der illoyale Versuch, den Jesuitengehorsam als etwas unsrer nationalsozialistischen Disziplin Naheliegendes zu empfehlen. Der Jesuitengehorsam beruht auf der Aufopferung der Persönlichkeit, die nationalsozialistische Disziplin auf dem freiwilligen Einsatz der Persönlichkeit. Der Jesuitengehorsam vernichtet das innere natürliche Ehrempfinden zugunsten eines neuen geistlich-kirchlichen, die nationalsozialistische Disziplin hält das natürliche Ehrempfinden für die unantastbare Grundlage alles wahrhaft irdischen Ordnens und Handelns. Worüber bei Rosenberg einiges zu lernen ist." 42 In seiner Kritik an Rosenberg dagegen beruft sich Hirsch auf den ethischen Kern des Evangeliums. Im Verlauf der Diskussion mußte Hirsch indes sehr viel von seiner idealisierenden Vision einer einheitlichen weltanschaulichen Grundlage des Staates zurücknehmen, um Vgl. H. HERMELINK, Kirche im Kampf, S. 2 5 0 - 2 5 2 . Vgl. den Brief an Geismar vom 2. 1. 1935 (RA KOPENHAGEN, N G Bd. 1). Zur Position Rosenbergs vgl. DOKUMENTE II, S. 16 f., 58, 125, 2 9 7 - 3 0 1 und 316. 4 1 Vgl. Anm 40. 4 2 Wissenschaftliche Tarnung, S. 300. Hirsch versuchte den katholischen „Studien zum Mythus des X X . Jahrhunderts" durchgehend Unwissenschaftlichkeit nachzuweisen. Gegenüber Erich Seeberg kommentierte er am 15. 4 . 1 9 3 5 seinen Beitrag so: „1. Auf keinen Fall Bündnis mit Rom und dem Jesuitismus gegen Einseitigkeiten deutscher evangelischer Kirchenpolitik, . . . und ich gehöre mit meinen kirchenkritischen Volksgenossen zusammen gegen die Römlinge und 2. die geschichtliche Wahrheit über alle taktischen Rücksichten. Heute gilt eine solche Haltung als Kirchenverrat. Es ist eine verrückte Zeit" (BA KOBLENZ, E. Seeberg/13). 39
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nunmehr zwischen antichristlichen Erscheinungen in der Partei und dem christlichen Glauben zu unterscheiden, damit er überhaupt an der inneren Freiheit des Glaubens festhalten kann 43 . Es sei notwendig, „die verbindliche neue deutsche Weltanschauung und den persönlichen christlichen Glauben als zwei unterschiedliche Dinge verschiedenen Ursprungs zu behandeln, die in einem und dem gleichen Menschen mit Echtheit und Ehrlichkeit gleich lebendig sein können, als eine wirkliche Befreiung des christlichen Glaubens von mancherlei nicht dazugehörigem Ballast, den er bisher mitgeschleppt hat" 4 4 . Diese Unterscheidung kann Hirsch nun aber nicht ganz konsequent durchführen. Dem Christentum als einer kritischen und richtenden Kraft gegenüber dem politischen Ethos kommt bei ihm keine konstitutive Bedeutung zu, um so mehr spricht Hirsch von der Legitimierung dieses natürlichen Ethos als der Grundlage für die Verständlichkeit des Evangeliums und die Möglichkeit des Evangeliums, sich in volksgestaltende Praxis umzusetzen. Durch die dialektische Betrachtungsweise hindurch kommt Hirsch dann zu dem Vorwurf gegen die kirchliche Orthodoxie und die dialektische Theologie, daß sie durch ihre Aushöhlung und Dämonisierung der natürlichen Sittlichkeit ein Vakuum geschaffen hätten, von dem kirchenkritische Bewegungen nur profitieren könnten 45 . Der theologische Preis, den Hirsch für die angestrebte Dialektik zahlt, ist eine zunehmende Spiritualisierung des Glaubens. Daß er dennoch bei seiner Auffassung blieb, liegt daran, daß er wie der Reichskirchenminister Hanns Kerrl darauf hoffte, der Streit zwischen den Kirchen und den kirchen- und christentumsfeindlichen Kreisen der Partei werde sich beilegen und ein modus vivendi sich finden lassen 46 . Die neuheidnischen Bewegungen waren für Geismar und andere nordische Theologen wie ζ. B. Nygren Anhaltspunkt für ihre verstärkte Kritik an weltanschaulichen Auswüchsen des nationalsozialistischen Staates. Hirsch dagegen ließ sich von dem Aufkommen des Neuheidentums nicht in seiner Überzeugung beirren. Der „Deutschen Glaubensbewegung" Jakob Wilhelm Hauers konnte er zwar eine gewisse Bedeutung als Ausdruck dringend nötiger Umwälzungen in dem Ubergang zu einer neuen Epoche beimessen: „Soweit ich sehe, ist der eigentliche Zutreiber der deutschen Glaubensbewegung niemand anders als der evangelische Kirchenmann, der das Evangelium mit dogmatischen und weltanschaulichen Voraussetzungen belastet, wider die Deutsches Volkstum, S. 12. Weltanschauung, Glaube und Heimat, S. 21. 4 5 Weg der Theologie, S. 2 2 - 3 0 ; Weg des Glaubens, S. 49 f. 4 8 Vgl. J . CONWAY, Kirchenpolitik, S. 148 ff.; L. WENSCHKEVITZ, Politische Versuche. 43
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sich alle menschliche Wahrhaftigkeit (meine eigne auch) mit Recht empört. Der ,Weltanschauungskampf', mit dem hier allein etwas auszurichten ist, wäre also entscheidend in unsern eignen Reihen zu führen. Ich wünschte wohl, die deutsche Glaubensbewegung wäre ein etwas mächtigerer und gefährlicherer Feind, daß es uns ein bißchen mehr den Pelz brennte und wir endlich der menschlichen Wahrhaftigkeit die gebührende Ehre zu geben bereit wären." 47 Im ganzen widersprach Hirsch jedoch dem inhaltlichen Anspruch dieser Bewegung48. Andere Personen und Phänomene des Neuheidentums (wie Ernst Bergmann, „Tannenbergbund" und Ura-Linda Chronik 49 ) wollte Hirsch als Randerscheinungen völlig herunterspielen; Geismar gegenüber sprach er ihnen jeden weltanschaulichen Belang ab. e) Kritik an der ökumenischen Bewegung Die Einstellung Hirschs zur ökumenischen Bewegung lag in den Grundzügen schon vor 1933 fest. Für ihn hatte sich die ökumenische Bewegung eindeutig zum Handlanger handfester britischer Machtinteressen machen lassen. Das ging für ihn schon daraus hervor, daß sich die ökumenische Bewegung vorbehaltlos für die Ideengrundlage des Völkerbundes eingesetzt habe, die auf der deutschen Alleinschuld am Ersten Weltkriege, den politisch-ideologischen Grundlagen des Versailler Vertrages und der nur schlecht verhüllten Demütigungspolitik gegenüber Deutschland in der Locarno-Ära beruhe. Nach 1930 aber hätten die ungerechtfertigten Reparationsforderungen eine nationale Erhebung hervorgerufen. Hirsch hält also an den Vorwürfen fest, die er schon 1931 zusammen mit Althaus formuliert hatte. Die ökumenischen Reaktionen auf das „Dritte Reich" bestätigten ihn nur noch in dieser Haltung, die sich substanziell nicht änderte. Im Herbst 1933 war der amerikanische ökumenische Theologe Charles Macfarland (1866-1956) auf einer Studienreise in Deutschland, auf der er u. a. ein ausführliches Gespräch mit Hitler selbst und auch mit Hirsch führte, darüber hinaus mit einer langen Reihe anderer führender Persönlichkeiten. Nach seiner Rückkehr faßte er seine Eindrücke über die politische und kirchliche Situation in Deutschland in einem Buch zusammen, das große Beachtung fand 50 und das 47
Weg der Theologie, S. 23. In dem Brief an Geismar vom 2 . 1 . 1935 (vgl. Anm. 40). Vgl. auch den redaktionellen Hinweis in K V i N 1934, Hirschs Buch „Deutsches Volkstum und evangelischer Glaube" sei eine Widerlegung der Auffassungen der „Deutschen Glaubensbewegung" (S. 338). Zu Hauer vgl. K. MEIER, Der evangelische Kirchenkampf 49 II, S. 18 ff. Vgl. E. HIRSCH, H. Wirth: Ura-Linda-Chronik (Rez.). 50 The new Church and the new Germany. A Study of Church and State, N e w York 1934. Die Aufzeichnung seines Gespräches mit Hitler am 3 1 . 1 0 . 1 9 3 3 findet sich DOKUMENTE I, S. 166-169. 48
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auch von Hirsch einer kritischen Würdigung unterzogen wurde 51 . Der amerikanische Beobachter, meinte Hirsch, habe trotz ehrlichen Bemühens und der vielen entgegenkommenden Hilfe nicht recht zwischen der kirchlichen und allgemein politischen Problematik zu unterscheiden vermocht. Macfarland gehe als Amerikaner von der Trennung von Staat und Kirche aus, eine Ordnung, die er auch in Deutschland für erforderlich halte, um eine Reihe von notwendigen politischen Veränderungen herbeizuführen. Eine freie Kirche könne hier ein wichtiges Instrument sein. Das erkläre natürlich seine Sympathien für die kirchliche Opposition in Deutschland, die er konsequent als „gegenrevolutionär" bezeichne. Offenbar stehe er unter dem Einfluß Barths, wenn er das Eingreifen ausländischer Kirchen verlange 52 . Macfarland habe von den weltanschaulichen Motiven der deutschen Wende nichts begriffen, er identifiziere vielmehr - als sei das selbstverständlich - den demokratischen, bindungslosen Liberalismus mit der Freiheit schlechthin. Daß Macfarland zudem noch von Hitlers Unkenntnis in Fragen der Kirchenpolitik sprach, war für Hirsch schwer erträglich; daß er von Hitler Detailkenntnis verlange, zeige nur, daß diesem „in der Theologendialektik routinierten kirchlichen Konferenzenbereiser" ein wirkliches Urteilsvermögen fehle; er sei als Kritiker deshalb nicht kompetent 53 . Hirsch protestierte dagegen, daß sich die ausländische öffentliche Meinung eine moralische Schiedsrichterrolle anmaße; dies sei unbegründet und zudem unbefugt. Auch könne ein Fremder die spezifisch deutschen Motive der nationalsozialistischen Bewegung niemals wirklich verstehen; sie lasse sich loyal nur von dem beurteilen, der selbst von ihr beseelt sei. Mit diesem Argument weist Hirsch jede Kritik aus dem Ausland zurück, auch was die Rassenfrage und den Arierparagraphen in der Kirche anbetrifft: „Möge man es bei unsern christlichen Brüdern im Auslande zur Kenntnis nehmen, daß mit der rassischen Selbstbewahrung unsers Blutbundes jetzt für uns die deutsche politische Wirklichkeit steht und fällt, und daß auch unsre kirchliche Opposition sich wenigstens zum größeren Teil von dem Gedanken abwenden würde, auf dem Umwege über die Kirche unserm Staat die inneren Grundlagen für sein Handeln zu entziehen. Darüber hinaus nehme man aber zur Kenntnis, daß unser deutsches Ehrgefühl empfindlich geworden ist und auf Aburteile eines christlichen oder humanen Weltgewissens über deutsches politisches Geschehen nicht mehr so kindlich ergeben reagiert wie zu den Zeiten der unselig entschlafnen Kriegsschuldlüge, der Kriegsgreuelpropaganda und der Verherrlichung des Versailler Vertrags." Die Kritik der ökumenischen Bewegung ist 51 52
Dr. Macfarland, Die Deutschen und das ökumenische, S. 540-547. 5 8 Ebd., S. 544 f. Ebd., S. 541 f.
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für Hirsch um so notwendiger geworden wegen der uneingeschränkten Entartung in „ökumenische Kirchenpolitik"; damit zielt er auf den Versuch, „unmittelbar einen Einfluß auf die Entscheidungen und Kämpfe im Räume eines andern Volkskirchentums zu üben" 54 . Außerdem meint Hirsch, daß die oppositionellen deutschen Pfarrer sich doch eigentlich ihren eigenen Volksgenossen trotz aller Gegensätze in der Kirchenpolitik mehr verbunden fühlen müßten als den ökumenischen Brüdern in anderen Ländern, ökumenische Gemeinschaft ist für Hirsch „Gemeinschaft des Glaubens und der Liebe", aber gerade so, und nur so, streckt sie sich „über die Grenzen des eignen Volkstums hinaus". Hirsch macht aber durch seine Verabsolutierung des nationalsozialistischen Staatswillens jeden wirklichen internationalen Dialog unmöglich. Die Gemeinde als Gemeinschaft der Glaubenden wird zu einer rein spirituellen Größe, die dogmatisch gegen die Teilnahme der Mitglieder am gesellschaftlichen Leben abgesichert ist. Der Beitrag gegen Macfarland ist offensichtlich vor der Fan0-Konferenz geschrieben worden, auf die Hirsch sonst sicher eingegangen wäre. Auf die Kritik dieser Konferenz an den deutschen Verhältnissen antwortete Hirsch nicht selbst, aber das von ihm mitredigierte Blatt „Kirche und Volkstum in Niedersachsen" druckte einen scharfen Protest, in dem es u. a. hieß: „Weil für uns der nationalsozialistische Staat der deutsche Staat schlechthin ist, so wenden wir uns als Nationalsozialisten und als Deutsche Christen gegen jeden Versuch, auf dem Umweg über kirchliche Konferenzen das neue Deutschland zu treffen. Ziel unseres Handelns ist in diesem neuen Deutschland Adolf Hitlers, unsere Mission als evangelische Christen zu erfüllen. Staatsform und Staatsidee des Nationalsozialismus stehen dabei außerhalb jeder Diskussion. Die Entscheidung der Kirchenkonferenz von Fano hat wieder einmal gezeigt, daß wir Deutschen in dem Kampf um die Neugestaltung der Dinge aller Welt voraus sind, daß wir immer mehr unsere Kräfte daran setzen müssen, die Welt davon zu überzeugen, daß bei uns in Deutschland der Nationalsozialismus eine geistige Revolution ist und daß ferner Staat und Kirche nicht mehr als zwei Größen sich gegenüberstehen, sondern von denselben Menschen gebaut werden, die auf dem Boden des Volkstums stehen."55 Schon vor der Weltkirchenkonferenz in Oxford steht für Hirsch fest, daß Oldham wie „ein geheimnisvoller Papst" sich gegenüber „dem deutschen Volk und Staate ähnlich bestätigt wie Gregor der Siebente gegenüber Heinrich dem Vierten" 56 . Treibende Kraft im 54 56
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55 Ebd., S. 546 f. KViN, 2, 1934, S. 265. Oxford 1937 und Herr Oldham, S. 200 f.
Schjerring, Geismar/Hirsch
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Weltprotestantismus sind für Hirsch der Anglikanismus und der Neukalvinismus 57 . Die Teilnahme skandinavischer Lutheraner, unter ihnen Geismar, oder deutscher Theologen, darunter so namhafter lutherischer Theologen wie Althaus, Heckel und auch Gerstenmaier, erwähnt Hirsch nicht einmal 58 . Für ihn ist die Schrift Oldhams „Kirche, Volk und Staat. Ein ökumenisches Weltproblem" nur ein weiterer Beweis dafür, daß der Weltprotestantismus das wirkliche Anliegen des Luthertums nie richtig verstanden habe. Verkündigung müsse Sache des Einzelnen sein, und in politischen Fragen hätten Ausländer sich zurückzuhalten. Nur die nationalsozialistische Staatsordnung, nicht aber das Ausland sei befugt, die Rolle eines ideologischen Beschützers und Aufsehers wahrzunehmen: „Der neue deutsche Staat ist unser Augapfel, unser ein und alles. Könnte er stürzen, so wären wir als Volk verloren. Wer ihn oder die ihn tragende Ordnung antastet, tastet unser Dasein als Volk an. Die von unsrer neuen Ordnung unabtrennliche Leitung des ganzen öffentlichen Lebens, einschließlich der Erziehung, durch Staat und Bewegung ist notwendige Lebensform unsers Volkes, wenn wir in unsrer Lage unser Dasein behaupten wollen. Unter diesen Umständen wird keine christliche oder kirchliche Kritik an unsrer Neuordnung das deutsche Volk an seinem Ja zu Staat, Führer und Bewegung beirren können." 59 In vielem ähnelt Hirschs Einstellung der Haltung von Althaus. Beide treten für einen totalitären Staat ein, beide wenden sich entrüstet gegen einen Vergleich zwischen Deutschland und der Sowjetunion, auch ist ihr Verständnis der lutherischen Rechtfertigungslehre ähnlich. Dennoch sind auch die Unterschiede deutlich: Althaus hält das Gespräch mit der Ökumene aufrecht, Hirsch ist gegen jeden ökumenischen Dialog. Aber sachlich gesehen ist wohl zu sagen, daß Hirsch nur den Weg konsequent zu Ende gegangen ist, auf den sich Althaus nur mehr zögernd begeben hat, als dieser den ausländischen Kritikern das Recht und die Möglichkeit absprach, sich ein sachgemäßes Bild vom Nationalsozialismus zu machen. Nachdem Hirsch den Bericht von der Oxforder Konferenz gelesen hatte, begnügte er sich nicht mehr mit Einzelkritik an den Aussagen, sondern ging zu einem frontalen und pauschalen Angriff auf die ökumenische Bewegung als ganze über. Schon die individualistische " Was die reformierte Kirchenpolitik angeht, so ist offenbar, daß Hirsch radikal unterscheidet zwischen dem ursprünglichen calvinistischen Ansatz, den er durchaus als dem lutherischen ebenbürtig ansieht, und der ganz anders gearteten neureformierten Haltung, die angelsächsischen Verhältnissen entsprungen sei (vgl. Staat und Kirche im Kalvinismus, besonders S. 865 f.). se Zu Heckel und Gerstenmaier vgl. oben S. 269 f. 5 » Oxford 1937 und Herr Oldham, S. 199.
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Grundhaltung Hirschs bewirkte eine Ideosynkraise gegen Konferenzen und Resolutionen. In ihnen vermißte er auch nur die geringste Möglichkeit existentieller Wahrhaftigkeit. Die Aussagen der Sektionen von Oxford erschienen ihm deshalb als ein „theologischer cocktail", ein aus in sich widersprüchlichen Teilen zusammengesetztes Konglomerat, das nur durch den Willen zur kirchlichen Einheit um jeden Preis zusammengehalten werde. Im Grunde seien diese Dokumente die „Bankerotterklärung der Ökumene". Daß es so weit gekommen sei, liege nicht nur am Unvermögen der Teilnehmer, sondern vor allem an dem verfehlten „internationalen Kirchenparlamentarismus". Besonders die in Oxford abgegebene Erklärung zum Kriege reizte Hirsch zum Widerspruch. Die Behauptung der Sündigkeit des Krieges und der Notwendigkeit einer internationalen Gerichtsinstanz zur Schlichtung von Streitfragen bezeichnete er als „Edelquatsch". Demgegenüber hob er den Friedenswillen Hitlers hervor, der nicht in Resolutionen bestehe, sondern sich in tatkräftigem Handeln für eine internationale Ordnung zeige, die jedem Volk gerecht werde. So seien alle Christen in Deutschland dem Führer dankbar, „daß er daran arbeitet, dem Weltfrieden eine beständige, jedem Volk Gerechtigkeit gewährende Unterlage zu geben und den weißen Völkern den Rassenund Kulturmord eines Krieges zu ersparen" 60 . Deutschland habe ferner die Wühlarbeit des Bolschewismus eingedämmt. Diese angeblichen Verdiente dienen Hirsch dann als Rechtfertigung und als Widerlegung allen gegenteiligen Redens von Übergriffen und Ungeheuerlichkeiten des Nationalsozialismus. In einem Kommentar zu dem 1937 erschienenen Kommissionsbericht „Doctrine in the Church of England" 6 1 macht Hirsch dann aus seiner grundsätzlichen Abneigung gegen anglikanische Kirchlichkeit und das englische Gesellschaftssystem überhaupt keinen Hehl. Er nennt die anglikanische Kirche eine „Kirche des Sowohl-als auch", ein inhomogenes Sammelbecken anglokatholischer und evangelischreformatorischer Elemente. Das eigentlich Reformatorische aber sei dieser Kirche im Grunde fremd, es gehe hier um „vollmächtige kirchliche Selbstbehauptung", d. h. um eine sakramentale Kirchlichkeit, in der der Traditionalismus jegliche wirkliche Reflexion unmöglich mache. Zudem zeigt der Bericht für Hirsch nur noch deutlicher, daß 6 0 Hirsch spricht unter anderem von der „ethischen und religiösen Bankerotterklärung unter verschwommenen, zusammengestückten Phrasen, die dies und das bedeuten können und eben dadurch auf den Klartext und Sauberkeit verlangenden Menschen abstoßend wirken" (Nachruf auf Oxford, S. 738-741; Zitate S. 739 und 741). 8 1 Doctrine in the Church of England. The Report of the Commission on Christian Doctrine apointed by the Archbishops of Canterbury and York in 1922 (London 1937).
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sich die anglikanische Kirche in den Dienst britischer weltpolitischer Machtinteressen gestellt habe. Abschließend läßt Hirsch den „Weg des anglikanischen Kirchentums" dorthin führen, „wo die oft recht prachtvollen Leichenbegängnisse hingehen: hinaus auf den Friedhof". Es geht Hirsch darum, jeglichen politischen Einfluß der Kirche auszuschalten, international - aber auch im Inland. In Fortführung dieses Gedankens fordert er eine „Notkirche", die sich ganz streng auf die rein geistlichen Aufgaben der Verkündigung beschränken solle62 und damit, ganz anders als die mächtige Organisation der anglikanischen Kirche, nicht ein politischer Machtfaktor sein könne. Es ist deutlich, daß seine negativen Erfahrungen aus dem Kirchenkampf Hirsch zu dieser Forderung veranlaßt haben; sein Protest gegen kirchliches Selbstbewußtsein und kirchliche Bekenntnisorthodoxie sollte natürlich vor allem die Bekennende Kirche treffen. Hinter all dem stand wieder die alles bestimmende politische Motivation: Sein Kampf galt der Bekennenden Kirche überhaupt, sowohl der radikaleren Vorläufigen Leitung wie den lutherischen Bischöfen; denn sie alle wirkten als Bedrohung und Einschränkung des Absolutheitsanspruchs der nationalsozialistischen Weltanschauung, die ihrem Wesen nach keine Vorbehalte dulden könne. f) Die letzte Polemik gegen Barth Daß der Gegensatz Hirschs zu Karl Barth in all diesen Jahren bestehen blieb, ist selbstverständlich. In den Jahren 1938-1939 kam es zu einer erneuten Konfrontation, als Barth sehr scharf die aggressive Außenpolitik Deutschlands kritisierte. Schon der berühmte Brief Barths an Hromadka vom 19. September 1938 hatte in Deutschland große Unruhe hervorgerufen und war auch innerhalb des Freundeskreises Barths in der Bekennenden Kirche auf Ablehnung gestoßen. Barth hatte geschrieben: „Jeder tschechische Soldat, der dann streitet und leidet, wird es auch für uns und ich sage es heute ohne Vorbehalt: er wird es auch für die Kirche Jesu Christi tun, die in dem Dunstkreis der Hitler und Mussolini nur entweder der Lächerlichkeit oder der Ausrottung verfallen kann." In der Schrift „Rechtfertigung und Recht" hatte Barth dann seine politische Kritik am Nationalsozialismus und seine theologischen Vorstellungen eines „politischen Gottesdienstes" näher erläutert. Nach dem Kriegsausbruch schrieb er - obwohl er sich als neutral erklärte - einen offenen Brief an einen französischen Freund, in dem er sich mit dem französischen und englischen Kampf gegen den Hitlerismus solidarisierte. In diesem Zusammenhang sprach Barth erneut von der verhängnis82
Kirche des Sowohl-als-auch, S. 590 f.
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vollen Wirkungsgeschichte der lutherischen Obrigkeitsethik in Deutschland 63 . Dadurch fühlte sich Hirsch herausgefordert und schrieb einen offenen Brief unter dem Datum von 24. Januar 1940, der ebenfalls an einen - wenn auch fiktiven - ausländischen Freund gerichtet war 64 . Es geht Hirsch dabei vor allem um die öffentliche Meinung des Auslands; nach innen ist sich Hirsch des nationalen Zusammenhalts angesichts des Krieges ganz sicher. Hirsch knüpft in seinem Brief an die Auseinandersetzungen mit Barth seit dem „Römerbrief" und der Dehn-Affäre an. Energisch verteidigt er - allen früheren Forderungen zum Trotz, über die engeren konfessionellen Unterschiede hinaus in Deutschland zusammenzustehen - das lutherische Erbe. Aber auch hier scheint die politische Motivation durch, denn Barths Gegensatz zum Luthertum wird erst dadurch verdächtig, daß er sich gleichzeitig zum Fürsprecher der englischen Politik macht. Es sei „widerlich", wenn Barth vorgebe, neutral zu sein, und gleichzeitig französischen und englischen Interessen diene: „Dieser Dialektiker verklärt Bomben und Granaten zu missionarischen Boten seiner Art Christentum." In Wirklichkeit handele es sich bei Barth um eine antideutsche Einstellung, die einen noch härteren Frieden als den von Versailles erzwingen wolle. In leichtfertiger Weise identifiziere Barth Recht und Demokratie miteinander: „Nun hat er es gefunden, das objektive Recht! Im Prinzip ist es die Demokratie, in der Anwendung auf Deutschland das neue härtere Versailles, das England und Frankreich dem kranken Mann auferlegen sollen." 65 Aus diesen Äußerungen spricht eine eben solche politische Verblendung, wie sie in den Zeilen deutlich wird, die Hirsch einen Tag vor Kriegsausbruch 1939 an die Witwe Eduard Geismars schrieb: „Deutschland kommt uns nach dem Kriegsgeschrei rund herum wie eine friedliche Oase vor. Das ganze Volk ist erstaunlich still und ruhig. Es weiß, daß seine Ehre und sein Wohl in den Händen eines Mannes liegen, der ein lebendiges Gewissen hat. Daß schon jetzt vorsorglich Lebensmittelkarten eingeführt sind, hat gerade beim einfachen Volk nichts als Zufriedenheit ausgelöst . . . Ihr verstorbener lieber Mann — soviel er an uns Nazis auszusetzen hatte: an der strengen gerechten Ordnung und an dem Frieden zwischen Reich und Arm, die bei uns herrschen, würde er seine aufrichtige Freude haben müssen. Wir sind Gerechtigkeitsstaat."6® 83
58,
Die angeführten Schriften sind abgedruckt in: Eine Schweizer Stimme, S. 1 3 58-59
und
108-118
(Zitat
S.
58 f.).
Vgl.
auch
E.
BUSCH,
Lebenslauf,
S.
ff. und 3 1 8 f. 64 Karl Barth. Das Ende einer theologischen Existenz. Brief an einen ausländi65 schen Freund. Ebd., S. 8 und 13. 300
ββ
B r i e f v o m 3 0 . 8. 1 9 3 9 ( R A KOPENHAGEN, N G B d . 1 ) .
ZUSAMMENFASSUNG
Auch in den Jahren der offenen kritischen Auseinandersetzung ist eine weiter bestehende Parallelität der Thematik bei Geismar und Hirsch festzustellen, obwohl sie jetzt theologisch wie auch praktischpolitisch zu ganz verschiedenen Schlußfolgerungen gelangen. Strukturell aber bleibt die theologische Verwandtschaft zwischen beiden auch während der großen Auseinandersetzungen bestehen. Dies zeigt noch einmal, welch tiefe Wurzeln die enge Beziehung zwischen den beiden Theologen geschlagen hatte. Sie entstammten verschiedenen theologischen und kirchlichen Traditionen, sie wirkten in ganz ververschiedenen gesellschaftlichen Zusammenhängen. Dennoch war vor allem in den zwanziger Jahren ein so intensiver Gedankenaustausch möglich, daß man beide Theologen viel besser im Lichte ihres Verhältnisses zueinander versteht. Beide können als Interpretationshilfe für den jeweils anderen dienen. Ihre Hauptgedanken, ihre wichtigsten theologischen Thesen, aber auch ihre Unklarheiten, Inkonsequenzen und Verirrungen werden viel deutlicher, wenn man sie einander gegenüberstellt. Der Vergleich zwischen den beiden Theologen wird jedoch komplizierter, wenn sie auf ihrem jeweiligen Hintergrund betrachtet werden, wenn man die kirchengeschichtliche Entwicklung in Dänemark und in Deutschland von 1914 bis 1939 und die allgemeine gesellschaftliche und politische Entwicklung mit einbezieht. Die Konkretion der systematischen Konzeption in der geschichtlich-politischen Wirklichkeit fiel nämlich bei beiden sehr unterschiedlich aus, sie bewegten sich schließlich in ganz verschiedene Richtungen. Beide führten - unabhängig voneinander - grundlegende Aspekte der idealistischen Denkweise von vor 1918 weiter. Aber das politische Weltbild der Nachkriegszeit und die Herausforderung durch die dialektische Theologie stellte sie vor neue Aufgaben, die neue Antworten notwendig machten. Was sie in den zwanziger Jahren gemeinsam aufgebaut hatten, führte in den dreißiger Jahren auf Grund der neuen politischen Entwicklung jeder in seiner Weise weiter, beide entfalteten nun ein ganz verschiedenes politisches Ethos. Die Dialektik zwischen einer auf der natürlichen Idealität beruhenden Gewissensethik und den praktischen Erfordernissen der gesellschaftlichen Wirklichkeit kann deshalb nicht erschöpfend betrachtet werden, wenn sie auf eine einfa-
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che theologische Formel gebracht wird. Man muß sie vielmehr zugleich im Zusammenhang einer sehr komplexen geschichtlichen Entwicklung verfolgen. Der ganz verschiedene gesellschaftliche und politische Hintergrund beider Theologen führt dazu, daß sie trotz einer gemeinsamen Grundauffassung schließlich zu politisch völlig unvereinbaren Konsequenzen kommen. Die Untersuchung der Theologie Geismars und Hirsch ist ein Zugang zu einigen der wesentlichen zeittypischen Probleme und Herausforderungen. Keiner von beiden Theologen kann natürlich für den ganzen behandelten Zeitraum repräsentativ sein, sie sind beide auch nicht Vertreter einer Schule oder einer bestimmten eingrenzbaren Strömung. Sie vertreten vielmehr höchst individuelle und eigenständige Standpunkte, die unter wechselnden theologischen und politischen Konstellationen ganz verschiedene Gestalt annehmen. Sieht man beide in einer weiteren Perspektive als Zeitgenossen, so erscheinen sie eher als Einzelgänger, Repräsentanten einer Übergangszeit. Die verschiedenen politischen Auffassungen haben natürlich auch ihre Ursache in Verschiebungen der theologischen Begründung für das politische Ethos. Hirsch ist - trotz vieler zu machender Einschränkungen, was das politische Ethos betrifft - ein Vertreter des jungen nationalen Luthertums. Diese Strömung hängt auch mit den politischen Machtverschiebungen in Deutschland nach 1918 zusammen. Hirsch ist jedoch auch zugleich ein Vertreter der Theologie der Lutherrenaissance, und gerade dieses Ineinander führt den Blick auf das Zentrum seines Denkens. Man kann - mit Recht - Karl Holls Jubiläumsaufsatz von 1917 „Was verstand Luther unter Religion?" als die Programmerklärung der Lutherrenaissance verstehen. Aber wenn es um die gesellschaftlichen Konsequenzen der Gewissensethik geht, wird deutlich, daß nicht nur Luther, sondern auch die Kriegsreligiosität beim Ausbruch des Ersten Weltkrieges, die wiederum auch auf die politische Denkweise des wilhelminischen Zeitalters zurückgeht, sowohl für Holl als auch für Hirsch zu einem Schlüsselerlebnis wurden. In sozialen Fragen sind sowohl Holl als auch Hirsch durch die patriarchalische Vorstellungswelt der Kaiserzeit geprägt. In ihr wurzelt auch die nationalkonservative Grundeinstellung zu Vaterland, politischer Machtverteilung, Krieg und sozialen Unterschieden, eine Grundeinstellung, die sich zum Ende des Krieges in einen Trotzheroismus steigerte, der sich gegen äußere und innere Feinde richtete, nach innen besonders gegen die Sozialdemokratie und das Zentrum; dies setzte sich fort, als diese Parteien die tragenden Parteien der Weimarer Republik wurden. Als die Weimarer Republik sich allmählich konsolidierte, verflüchtigte sich das revolutionäre Engagement Hirschs in Resignation und Disen-
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gagement. Als aber die Weltwirtschaftskrise und ihre Folgen in Deutschland die Proteste gegen die Versailler Friedenspolitik der Westmächte Anfang der dreißiger Jahre wieder aufleben ließen, verwandelte sich die Hoffnungslosigkeit in eine neue kämpferische Haltung. Die Mobilisierung der gesamten national-konservativen Front trug entscheidend zur nationalsozialistischen Machtergreifung bei, die 1933 zu einem nahezu ekstatischen Rausch der nationalen Wiedergeburt führte. Kirchlich gesehen formierte sich bald danach die Front der Bekennenden Kirche, und der Gegensatz zwischen dem Barthianismus (der nur von so leidenschaftlichen Gegnern wie Hirsch auf eine einzige Formel gebracht werden konnte) und regimetreuen reichskirchlichen Theologen des Luthertums steigerte sich in einen Kampf, in dem es um alles oder nichts ging. Hirsch war dafür eingetreten, daß der nationalen Sammlung auch eine kirchliche Sammlung in einer einheitlichen Reichskirche folgen müsse. Als aber der Widerstand wuchs und die Schwierigkeiten sich häuften, zog er sich ab 1936 zurück und war nur noch in kirchlichen Randgruppen aktiv, obwohl sich an seiner politischen Einstellung und Leidenschaft nichts änderte. In diesen Rahmen fügen sich Hirschs Lutherauslegung, seine Kierkegaard-Rezeption, die Auseinandersetzung mit der idealistischen Tradition und der Streit mit der dialektischen Theologie, - Zusammenhänge, die sich ohne diesen kirchlich-politischen Hintergrund überhaupt nicht recht verstehen lassen und umgekehrt. Geismar stand politisch in fast allen Fragen in einem direkten Gegensatz zu Hirsch und oft eher auf der Seite Barths; das gilt jedenfalls für so entscheidende Fragen wie die des Kriegsausbruches von 1914 und der Wirtschaftsordnung. Trotz dieser gegensätzlichen Auffassungen in allen entscheidenden politischen Fragen entwickelte sich in den zwanziger Jahren eine so enge theologische Zusammenarbeit zwischen Hirsch und Geismar, daß dadurch die politischen Differenzen ganz in den Hintergrund traten. Die Grundlage dieser Zusammenarbeit waren die Lutherdeutung und die Kierkegaard-Interpretation, die sich gegenseitig ergänzten. Dazu kam die Auseinandersetzung mit der jeweils eigenen geistesgeschichtlich-theologischen Vergangenheit, der idealistischen Tradition. Davon ausgehend erarbeiteten sich die beiden Theologen eine Position, die eine gemeinsame Front gegen die dialektische Theologie ermöglichte. Geismar war sich jedoch bewußt, daß der enge Zusammenhang zwischen der deutschen Lutherrenaissance und einem fragwürdigen politischen Ethos ein Problem darstellte. Wenn er sich über dieses Problem hinwegsetzen konnte, so deshalb, weil er - im Gegensatz zu Barth - diesen Zusammenhang nicht als konstitutiv ansah. Der Beweis war für ihn die skandinavische Lutherinterpretation, besonders
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der schwedischen Lundenser Schule: Hier fand er eine theologische Erneuerung vor, die der deutschen Lutherrenaissance bei Hirsch und anderen entsprach, ohne daß dies implizit oder explizit mit einer fragwürdigen politischen Grundhaltung verbunden gewesen wäre. Als sich die politischen Differenzen Anfang der dreißiger Jahre nicht mehr übersehen ließen, war sich Geismar über die theologischen Folgen dieser Tatsache nicht sogleich im klaren. Erst als im Sommer 1934 die Auseinandersetzung in aller Schärfe entbrannte, sah auch er diesen Zusammenhang. Nach diesen sehr schmerzlichen und heftigen Differenzen wurde deutlich, daß die politischen Fragen eine unüberwindliche Kluft darstellten, die dazu führte, daß beide nun auch theologisch eigene Wege gingen: Geismar nahm an der ökumenischen Studienarbeit über Kirche, Volk und Staat teil, Hirsch lehnte diese Aktivitäten sowohl theologisch als auch politisch kompromißlos ab. Systematisch-theologisch ist der gemeinsame Nenner von Hirsch und Geismar die Gewissensethik, der Versuch also, die erneuernde Kraft des Christentums an die natürliche Idealität anzuknüpfen. Dies ist für beide die Voraussetzung für ihr politisches Engagement. Beide wenden sich gegen einen einseitigen Idealismus und gegen eine ebenso einseitige dialektisch-theologische Offenbarungsparadoxie. Jede natürliche Idealität steht unter dem Zeichen der Sünde und des Gerichts. Dennoch erscheint die ethische Forderung des Christentums erst in ihrem rechten Lichte, wenn man am Gewissen als dem Sitz des ethischen Strebens festhält. Das menschliche Bewußtsein ist zwar der Endlichkeit und dem Gericht unterworfen, es bleibt aber Anknüpfungspunkt für die ethische Forderung. Wenn man von einer schöpfungsmäßigen Idealität im Gewissen absieht, werden die ethischen Forderungen unverständlich, unsinnig, inhaltslos und unrealisierbar. Hirsch wie Geismar sehen hierin keinen Widerspruch zur unverdienten Gnade Gottes, deshalb sprechen sie von einer Dialektik zwischen Gericht und Gnade, zwischen Gabe und Aufgabe, indem sie zugleich ihre Ethik unter einem theonomen Gesichtspunkt verstanden wissen wollen. Im Laufe der Jahre zeigten sich jedoch Veränderungen in der konkreten Entfaltung dieses Programms, die teils auf unvermeidlichen Aporien, teils auf den wechselnden theologischen Frontstellungen (vor allem gegenüber der dialektischen Theologie) und teils auf unterschiedlichen gesellschaftlichen und politischen Konstellationen beruhten. Es ist nun von daher zu fragen: Ist die Auseinandersetzung mit dem Idealismus gelungen, die beide in nuancierter Weise versucht haben? War die These von einer natürlichen Idealität im Gewissen angesichts der Herausforderungen der Zeit fruchtbar? Diese Frage ist für beide Theologen zunächst zu verneinen. In ver-
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hängnisvoller Weise bleiben beide in entscheidenden Punkten in den idealistischen Voraussetzungen stecken, die sie überwunden zu haben meinen. Die grundlegenden Unklarheiten bei beiden beruhen darauf, daß sie die doppelte Frontstellung gegen idealistische Tradition und dialektisches Diastase-Denken nicht durchzuhalten vermögen. Auch die Verknüpfung von Luther und Kierkegaard kann über diese Schwierigkeiten nicht hinweghelfen. Vielmehr ließe sich gerade an Luther und Kierkegaard zeigen, daß sie eben die Ansätze weiterführen, die Geismar und Hirsch eigentlich überwinden wollen. Fragt man nun aber nach dem Grund, warum der theologische Ansatz bei beiden mißlingt, fällt die Antwort für beide verschieden aus. Bei Geismar lebt der Idealismus in einer pietistisch gefärbten Erbaulichkeit weiter. Das zeigt sich vor allem in seiner schwülstigen Sprache und seiner Neigung zum Moralisieren. Durch dieses Moralisieren geraten sein soziales Engagement und sein politischer Rechtsstaatsliberalismus in einen unausgeglichenen Gegensatz zu der oft asketisch wirkenden Ethik der Heiligung. Geismar war andererseits offen für das Anliegen Barths und zeigte sich von seiner Römerbriefauslegung ebenso beeindruckt wie angefochten. Obwohl Geismar keine fragwürdigen politischen Vorbehalte gegen Barth hatte wie Hirsch, war seine Offenheit für ihn jedoch im Grunde nur ein Lippenbekenntnis. Die in diese Richtung gehenden Angriffe Tidehvervs empfand Geismar als ungerecht, und im Nachhinein ist die übersteigerte Polemik denn auch psychologisch daraus zu erklären, daß sich die Tidehvervtheologen gerade von ihrer idealistisch-pietistischen Vergangenheit freigekämpft hatten und deshalb so aggressiv gegen Geismar vorgingen, der für sie gerade all das repräsentierte, wovon sie sich befreit hatten. Theologisch-sachlich aber waren diese Angriffe berechtigt, denn Geismar hat das Anliegen der dialektischen Theologie nie wirklich verstanden. Die Dialektik zwischen theologischem Idealismus und politischer Wirklichkeit führte Geismar in theologische Aporien in seiner theologischen Ethik, nicht aber zu verhängnisvollen Fehlurteilen in seiner praktischen politischen Einstellung. Hinter dem Rechtsstaatsliberalismus Geismars steht zuweilen ein oberflächlich anmutender Optimismus. Man muß aber gerechterweise sagen, daß Geismars zeitkritische Auseinandersetzung mit dem schrankenlosen Nationalismus und dem Rassenwahn in den dreißiger Jahren zumindest das rechte Wort am rechten Ort war, auch wenn es international gesehen natürlich keineswegs einzig dasteht oder bahnbrechend war. Bei Hirsch dagegen zeigt die praktische Entfaltung des politischen Ethos ein ständiges Abgleiten von der in seiner Gewissensethik in-
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tendierten Dialektik. In entscheidenden Phasen seiner Entwicklung schlägt die politische Leidenschaft Hirschs mit unwiderstehlicher Kraft durch und wirft alle dialektischen Grundsätze über den Haufen. Die Unwiderstehlichkeit dieses Ethos beschreibt Hirsch in christlichen Absolutheitskategorien, und das drückt sich dann wiederum aus in einem engen und rücksichtslosen Nationalismus, einer Verherrlichung des Krieges, einem antidemokratischen Führerkult, einem antisozialen Patriarchalismus und einem offenen Rassismus. Theologische Vorbehalte können ihn hier nicht zurückhalten. Vielmehr dienen grundlegende Kategorien seines theonomen Dezisionismus als Legitimationsformeln für seine politischen Auffassungen. Den rücksichtslosen Patriotismus ordnet er unter die Kategorie der Heiligung ein. Der Heldentod im Kriege ist christlich gesehen das höchste menschliche Opfer. Hirsch stellt in dieser Weise eine Reihe von Immediatsverhältnissen auf, die alles Reden von einer Dialektik zwischen dem Gericht Gottes und den ethischen Forderungen sinnlos macht. Die politische Ethik ist nichts anderes als die schablonenhafte Verkleidung einer ungezügelten politischen Leidenschaft. Fragt man nun, was für eine Theologie denn eine so verhängnisvolle Fehlentwicklung des politischen Urteilsvermögens ermöglichte oder jedenfalls nicht verhindern konnte, so ist in erster Linie auf den ethischen Idealismus vor allem Fichtes hinzuweisen, der ethischen Subjektivismus mit nationalem Patriotismus verbindet. Die lutherische Gewissensethik ist bei Hirsch ganz von Fichte her interpretiert. Ferner wäre darauf hinzuweisen, daß der Ethizismus Hirschs dem antimetaphysischen Ethizismus des Kulturprotestantismus entstammt. Und schließlich vertritt Hirsch einen liberalen Antidogmatismus, bei dem dogmatische oder gar biblische Grundwahrheiten kein Korrektiv mehr sein können für eine rein humane Ethik. Es handelt sich um eine irrationale Entscheidungsethik, die sich auf Kategorien wie „Wagnis" und „Innerlichkeit" beruft und dabei im Namen eines existentiellen Ernstes jede rationale Kritik zurückweisen kann, die politisch nicht opportun erscheint. Das dogmatische Fundament degeneriert dabei oft zu einer Rationalisierung schon getroffener politischer Entscheidungen. Würde man das Luthertum in der Zeit zwischen den beiden Weltkriegen nur mit Hirsch und Geismar identifizieren, so müßte man wohl notgedrungen Barth in seiner generellen Anklage gegen das Luthertum recht geben. Aber es ist doch wohl unzulässig, die Fehlentwicklungen der politischen Ethik ausschließlich der lutherischen Tradition anzulasten, wie Barth es ab 1933 zu tun geneigt war. Schon das „skandinavische Luthertum" ist eine viel zu komplexe Größe, als daß man einen solchen Vorwurf pauschal erheben könnte. Das
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harte Urteil Barths bedarf hier einer Modifikation. Barths Kritik beruht auf seinen Begegnungen mit dem politisch entarteten Luthertum in der konkreten Gestalt bei Hirsch. Dazu kommt, daß Barths Unterscheidung zwischen der Absolutheit der Offenbarung und der Relativität des politischen Ethos, sein Protest gegen eine jegliche „Theologie des U n d " in den entscheidenden Jahren nach 1933 nicht durch eine alternative politische Konkretion ergänzt wurde. Barth hat das große Verdienst, die Fehlentwicklungen der lutherischen Obrigkeitsethik deutlich aufgezeigt zu haben. Seine Rede vom Evangelium als dem „überlegenen Bereich" ist nicht, wie Hirsch und Eiert es möchten, leichthin als politisch motiviert abzutun. Dennoch wird man jedenfalls historisch anmerken dürfen, daß Barth sich zu lange mit rein dogmatischen Wahrheiten begnügt und der lutherischen Obrigkeitsethik des national-konservativen Lagers erst nach seiner Rückkehr in die Schweiz 1935 eine eigene konkrete politische Ethik als Alternative entgegengestellt hat. Und man wird aus skandinavischer Sicht sagen dürfen, daß sich auch auf dem Boden einer lutherischen Tradition sehr wohl eine Alternative zu dem national-konservativen Luthertum in Deutschland in den dreißiger Jahren entwickeln ließ; nicht zuletzt in der schwedischen „Lundenser Theologie" trat dies zum Vorschein. Die wechselseitigen Beziehungen zwischen der deutschen und der skandinavischen Lutherrenaissance lassen sich nicht auf eine Formel bringen. Die Wirkungsgeschichte des Luthertums in der gesellschaftlichen Krise der Jahre zwischen den beiden Weltkriegen verlief in Deutschland und in Skandinavien ganz verschieden. Dasselbe gilt auch für die Wirkungsgeschichte der Kierkegaard-Auslegung. Zuweilen wurde Kierkegaard für einen introvertierten Pietismus der Heiligung in Anspruch genommen, dann wieder mußte er als Begründung für eine Ideologie des existentiellen „Wagnisses" im Dienste einer totalitären Weltanschauung herhalten. Es gab auch eine existenzphilosophische Auslegung Kierkegaards, ohne daß man in bezug darauf von einer bestimmten politischen Weiterführung reden könnte. Und schließlich, und dies hat in der frühen dialektischen Theologie die entscheidende Rolle gespielt, lernten viele Theologen der Zwischenkriegsjahre von neuem von Kierkegaard das Reden vom absoluten qualitativen Unterschied zwischen Menschlichem und Göttlichem, der absoluten Grenze zwischen natürlicher Idealität und der Jenseitigkeit der Offenbarung. Auch die Wirkungsgeschichte Grundtvigs ist sehr widersprüchlich. Sein Reden vom „Volklichen" ist in Deutschland und Dänemark in ganz verschiedener Weise ausgelegt worden. Einerseits nahmen ihn Vertreter der arischen Herrenvolk-Ideologie für ihren Blut-und-Bo-
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den-Nationalismus in Anspruch. Auf der anderen Seite wurden Grundtvigs Freiheitsideale die Grundlage einer magna charta der elementaren Menschenrechte, in deren Namen viele Dänen gegen den Nationalsozialismus protestierten. Was das Verhältnis zwischen Staat und Kirche und die lutherisch abgeleitete Begründung für eine staatskirchliche Ordnung der Kirche anbetrifft, so sollte man sich auch hier vor vorschnellen Urteilen, wie sie bei Vertretern einer bestimmten Ausprägung politischer Theologie in der ökumenischen Bewegung zu finden sind, hüten. Ganz gleich, wie man die kirchlichen und theologischen Reaktionen in Dänemark auf den Nationalsozialismus beurteilt, so läßt sich jedenfalls nicht beweisen, daß eine volkskirchliche Ordnung wie die dänische von vornherein dazu führen muß, daß ein politisches Engagement der Christen verhindert wird. Natürlich bedeutet das nicht, daß nicht auch die dänische Ordnung der Kirche der Kritik bedarf. Aber man darf sich dabei nicht von formalen Übereinstimmungen mit Gedanken Hirschs blenden lassen. Staatskirche bedeutet in Dänemark nicht politische Abhängigkeit, sondern vielmehr gerade Sicherung eines möglichst großen Freiraums für die Verkündigung. Eine Frage ist mit Recht vom Ausland her an die spezifische Verfaßtheit der dänischen Kirche zu stellen, nämlich die Frage nach der Repräsentation. Wer kann im Namen der Kirche sprechen? In Dänemark kann das niemand. Deshalb nahmen Geismar und die anderen dänischen Delegierten bei den ökumenischen Konferenzen nicht als offizielle Delegierte, sondern nur als Einzelpersonen und Vertreter kirchlicher Gruppen teil. Man könnte fragen, ob es nicht theologischer Verrat an der übernationalen Einheit der Kirche ist, wenn sich die dänische Volkskirche nicht offiziell an der Ökumene beteiligen kann. Wie immer diese Frage beantwortet wird, so ist deutlich zu machen, daß die dänische Volkskirche in ihrer Genesis und in ihrer politischen und theologischen Problematik nicht allein unter dem Schema der Zwei-Reiche-Lehre beurteilt werden kann. Was Hirsch betrifft, so ist sein Eintreten für die Errichtung einer Staatskirche in Deutschland nach 1933 eindeutig politisch motiviert. Als sich die Proteste gegen die kirchlichen Zwangsmaßnahmen mehrten, versuchte er zwar, seine Vorstellungen mit der Zwei-ReicheLehre zu begründen. Aber Hirsch hypostasiert das politische Ethos, d. h. die nationalsozialistische Weltanschauung, in einer solchen Weise, daß von einem dialektischen Verhältnis zwischen den beiden Reichen keine Rede mehr sein kann. Nicht das theologische Modell der Zwei-Reiche-Lehre, sondern die politische Motivation ist der eigentliche Grund für die Konzeption Hirschs.
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In der Kontroverse zwischen Barth und der Lutherrenaissance ist offensichtlich vieles noch unausgetragen. Manches ist noch zu klären, manche Fragestellungen bedürfen noch der Nuancierung. Ein wirklicher Dialog zwischen lutherischer Theologie und Barth ist noch nicht geführt worden. Die Erfahrungen der Vergangenheit könnten hier hilfreich sein. Hektischer Aktivismus wie konfessionelle Verengung jedoch sind für das Verständnis der theologischen Positionen der Zwischenkriegszeit und ihres Zusammenhanges mit den politischen Konstellationen wenig hilfreich. Das schließt natürlich nicht aus, die politischen und theologischen Fehlurteile Hirschs kritisch zu beleuchten. Aber man sollte der Theologie Hirschs doch so viel Gerechtigkeit angedeihen lassen, daß seine vielseitige und reiche Begabung anerkannt, ohne daß er wegen seiner politischen Auffassungen von vornherein pauschal verdammt wird. Entsprechendes gilt auch für Geismar. Zwar war die Kritik Tidehvervs in vielem berechtigt, und hier soll auch nicht der Versuch unternommen werden, Geismar theologisch aufzuwerten. Dennoch ist nicht zu übersehen, daß die Kritik Tidehvervs an Geismar sich sozusagen verselbständigte, daß sie den Sinn für die Proportionen verlor und schließlich im Eifer des Gefechts teilweise versäumte, selbst eine Alternative zu der verfehlten und angeblich verlogenen idealistischen Kulturkritik Geismars zu bieten. Weiter ist festzustellen, daß sich Geismars Ausgehen von einer natürlichen Idealität bei den Verhandlungen über das Verhältnis von Volk-Staat-Kirche nicht hemmend auf den kritischen Blick für die Gefahren des Totalitarismus auswirkte. Seine scharfe politische und theologische Kritik an der nationalsozialistischen Weltanschauung bleibt sein Verdienst. Die schöpfungstheologische Grundlage der Gewissensethik erwies sich bei Geismar wie bei anderen Theologen als ein fruchtbarer Ansatz. Dies gilt weitgehend für Repräsentanten des skandinavischen Luthertums, obwohl die Gedanken Brunners, Nygrens, Auléns und Geismars sehr unterschiedlich waren und ihre Äußerungen oft nicht in systematisch geschliffenen Abhandlungen, sondern als hastig geschriebene Gelegenheitsschriften erschienen. Wie man in diesen Fragen auch manövriert, so ist der Kurs voller Minen. Die meisten Schlüsselbegriffe von damals wecken nach wie vor gefühlsgeladene Assoziationen, die jede Wertung ganz automatisch prägen. Die dogmatischen Vorverständnisse können so stark hervortreten, daß viele den historischen Zugang zu den Fragen überspringen. Dieser historische Zugang hat jedoch seine eigene Relevanz und seine eigenen Kriterien. Aber auch für eine systematische Betrachtung bleiben ungeklärte Fragen, und übereilte Lösungsversuche nützen der Sache nicht. In den Fragen der politischen Ethik handelt
Zusammenfassung
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es sich oft um eine Gratwanderung, bei der eine umsichtige Reflexion unerläßlich ist, wenn man voreilige Fehlschlüsse vermeiden will. Es bleibt das Problem offen, dessen historischen Verlauf wir über einen Zeitraum verfolgt haben: Ist eine theologische Gewissensethik möglich, die den Einwänden der dialektischen Theologie standhält? Gibt es eine Phänomenologie der natürlichen Idealität, in der das Gewissen nicht der Ort eines latenten Synergismus ist und in der die Rede von der endlichen Geschöpflichkeit nicht zu übermütiger Selbstbehauptung des Menschen wird? Sollte es nicht möglich sein, auf der Grundlage einer humanen Ethik von absoluten Handlungsimpulsen zu reden, ohne damit die Paradoxalität und Souveränität der christlichen Offenbarung anzutasten? Gibt es nicht schon rein phänomenologisch ethische Impulse, die in sich schon ein Gericht über die Selbstsucht enthalten? Bedeutet eine Kulturkritik auf humaner Grundlage notwendigerweise, daß man dem Evangelium von Gericht und Gnade zu nahe tritt? Wenn sich solche Fragen sinnvoll stellen lassen, dann müßte es - auch in Deutschland - möglich sein, das Problem des „Volklichen" aktuell zu diskutieren, ohne sich gleich politisch verdächtig zu machen. Die historische Analyse und die theologische Aufarbeitung von Luther, Fichte, Hegel, Grundtvig und Kierkegaard enthalten nach wie vor ungelöste Probleme. Die idealistische Tradition innerhalb von Theologie und Gesellschaftsphilosophie stellt historisch und systematisch so vieldeutige, spannungsgeladene und zugleich fruchtbare Fragen, daß die grundlegenden Probleme, denen wir bei Geismar und Hirsch begegnet sind, auch weiterhin auf der Tagesordnung stehen werden.
QUELLEN- UND LITERATURVERZEICHNIS I. U N V E R Ö F F E N T L I C H T E QUELLEN Karl-Barth-Archiv,
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(AEKD):
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Archiv des Kirchlichen Außenamtes, Berlin (AKA) (früher Frankfurt^ jetzt zusammengelegt mit dem Archiv der EKD): C 1/Dänemark
Quellen- und Literaturverzeichnis Archiv der Ev. Kirche der Union, Berlin
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Christlich-Deutsche Bewegung.
Gen. X I I 184
Kirchenkampfarchiv der Kirchlichen Hochschule Berlin (jetzt zusammengelegt mit dem AEKU): N r . 757 Nr. Ρ 4
(KKA)
Jungreformatorische Bewegung. Pressestimmen.
Ev. Kirche von Westfalen - Landeskirchliches
Archiv - (LKA
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Politisches Archiv Bonn Kult. Pol. A. Kult. Kult. Kult. Kult.
Pol. Pol. Pol. Pol.
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A. A. A. A.
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Archiv des ökumenischen Ehrenström Papers 6 Ehrenström Papers 10 Life and Work Study Department Life and Work Study Department
Life and Work Study Department Life and Work Study Department
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Ev. Arbeitsgemeinschaft
für kirchliche Zeitgeschichte,
München
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Reichsministerium für die kirchlichen Angelegenheiten (RKM) RKM 23101, Bl. 39-44, 59-65, 67-70, 101 RKM 23366, Bl. 121-122, 127-128 RKM 23464, Bl. 97-98.
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1933-1938.
Index Abendmahl 90, 296 Abrüstung 87, 205 Absolutismus 64, 297 Abstammungstheorie 35 Abstimmung 1920 46 - vgl. auch Nordschleswig; Südjiidand Abtreibung 233 Adler, Alfred, Psychologe 232 Afrika 165 Agnostizismus 22 Aktiengesellschaften 110 Alte Kirche 192 Altes Testament 191 f., 212, 247, 292 Althaus, Paul, Systematiker 90f., 132, 152, 156, 165ff., 179, 1 8 4 f „ 244, 259, 268ff., 277, 303, 306 Altpreußische Union 179 Amerika 86, 96, 111, 167, 207, 241, 281, 303 f. Amerikanismus 87, 271 Ammundsen, Valdemar, Bischof 2 8 f . , 42, 85, 8 7 f . , 111, 115, 209, 222, 238f., 244, 266 Anarchie 45, 75 Andersen, Hans Christian, Dichter 160 Andersen, Johannes Oskar, Kirchenhistoriker 86 Andersen Nexo, Martin, Dichter 83 Angelsachsen 191, 241, 276 Anglikanismus 137, 198, 246, 306ff. Angriffskrieg 231 - vgl. auch Krieg Annexionismus 44, 46, 62, 66, 130 f. Anthropologie 16, 35, 136, 141, 160 Antidogmatismus 53 Antikommunismus 246, 264 Antinomismus 126, 193 - vgl. auch Gesetz; Nomos Antisemitismus 211 f., 214, 219, 247, 2 5 5 f . , 263f., 282 - vgl. auch Arierparagraph; Juden; Rasse Apologetisches Seminar 91, 220 - vgl. auch Lutherakademie; Sondershausen; Wernigerode Apostel 255 Apostolische Sukzession 246 Apostolisches Glaubensbekenntnis 29
Arbeiter 189 Arbeiterbewegung 2 4 f . , 93 Arbeitsdienst 71 Arbeitslager 293 Arbeitslosigkeit 8 0 f . , 87, 151, 178, 205, 207 Arbejdernes Oplysningsforbund 208 Arianismus 40 Arierparagraph 193, 222, 239, 256, 304 - vgl. auch Antisemitismus; Juden; Rasse Artgemäßheit 192 Askese 24, 100, 102f., 132, 146, 163, 217, 227, 255 Asmussen, Hans, Pfarrer 238 Atheismus 55, 152 Auferstehung 50 Augsburger Bekenntnis 144 Aulén, Gustaf, Systematiker, Bischof 97, 274 , 318 Ausbeutung 42, 50, 76 - vgl. auch Kapitalismus Außenministerium vgl. Dänemark; Deutschland Außenpolitik 48, 308 Autonomie 72, 233
Baden - Landeskirche 59 Bad Oeynhausen - Bekenntnissynode 282 Bang, Jacob Peter, Systematiker 41, 46, 88, 167, 217, 228 Baptismus 26 Barmen - Bekenntnissynode 196, 201, 237 Barmer Theologische Erklärung 15, 177, 195, 257 - vgl. auch Bekennende Kirche Barth, Karl, Systematiker 16f., 43, 68, 8 6 f „ 90ff., 94f., 101, 105, 112ff„ 120 ff., 129 ff., 148, 153, 159, 169f., 172ff., 177, 181, 185, 188, 191, 203, 217ff., 2 2 4 f . , 228f., 243, 246, 257ff., 270, 274ff., 280, 295, 304, 3 0 8 f „ 312, 314ff., 318 Barth, Peter, Pfarrer 268, 274f.
340
Index
Barthianer 176, 219, 224f., 229, 244, 246, 266, 269, 274 Barthianismus 102, 118, 159, 221, 224, 243, 268, 275, 279, 312 - vgl. auch Tidehverv Bartholdy, Christian, Pfarrer 86, 216 Bauernpartei 21, 26 Baun, Christian, CVJM-Sekretär, Bischof 86 Bayreuth 254 Beamtengesetz 172 - vgl. auch Arierparagraph Beamtentum 64, 71, 74 Beck, Johann Tobias, Theologe 120 Becker, Knuth, Schriftsteller 207 Befreiungskriege 54, 134 Bekehrung 24, 225 Bekennende Kirche 15, 157, 182, 195, 197f., 201, 215f., 222, 237ff., 244, 246, 248, 257, 267, 274, 279, 282, 285ff„ 289, 291, 298, 300f„ 308, 312 - vgl. auch Brandenburg; Finkenwalde; Kirchenkampf; Landeskirchen; Pfarrernotbund; Vorläufige Kirchenleitung Bekenntnis 40, 86, 155, 185, 195f„ 210, 221 f., 248f., 267, 294, 298 Bekenntnisorthodoxie 290, 299, 308 Bekenntnisschulen 293 - vgl. auch Religionsunterricht; Schulen Bekenntnissynoden vgl. Bad Oeynhausen; Barmen; Dahlem Bell, George, Bischof 219, 222, 238, 246 Bentzen, Aage, Alttestamentier 279 Berdjajeff, Nikolai Α., Philosoph 276 Berggrav, Eivind, Bischof 246 Bergmann, Ernst, Schriftsteller 255, 303 Bergpredigt 66 Berlin 52, 56, 67, 169, 183, 209, 216, 219, 222, 279, 284, 293 Berlingske Tidende 209, 214, 222 Besatzung 205, 244, 247, 250 - vgl. auch Okkupation; Ruhrgebiet Bethel 183 Bethmann Hollweg, Theobald von, Reichskanzler 62 Beyer, Hermann Wolfgang, Neutestamentler 185 Bibel 39, 42, 210, 212, 221, 315 - vgl. auch Altes Testament; Heilige Schrift; Neues Testament Bibelkritik 208 Biblizismus 208, 290 Biologie 22f., 83
Birnbaum, Walter, Praktologe 185, 294 Bischofsamt 210 Bismarck, Otto von, Reichskanzler 41, 90, 134 Blaedel, Nicolai, Redakteur 214 Blasphemie 116 Blumhardt, Christoph, Pfarrer 112 Blut und Boden vgl. Ideologie; Rasse; Weltanschauung Bodelschwingh, Friedrich von, Reichsbischof 181 ff. Bodenreform 63, 81, 148 Bodenspekulation 45, 63 Bohlin, Torsten, Systematiker, Bischof 97, 162 Bolschewismus 68, 70, 152, 178, 221, 260 - vgl. auch Kommunismus; Marxismus; Sozialismus Bonhoeffer, Dietrich, Pfarrer 238f., 248, 274 Bonn 59 Bornkamm, Heinrich, Kirchenhistoriker 185 Brandenburg - Konvent bekennenderGemeinden 279 Brandes, Edvard, Politiker 21 Brandes, Georg, Philosoph 19ff., 25, 41, 82ff., lOOf., 110 Brandesianismus 21, 28, 30, 82, 207 Brandt, Frithiof, Philosoph 85 Brecht, Bertolt, Dichter 212 Bremen - Deutsche Christen 195, 291 Briand-Kellogg-Pakt 150 Brüning, Heinrich, Reichskanzler 151 Brunner, Emil, Systematiker 119, 156, 219, 228ff., 234, 241f., 244, 251, 258f„ 267, 270, 272f„ 276ff„ 281f„ 318 Brunstäd, Friedrich, Systematiker 132, 156 Brendsted, Gustav, Theologe 114 Brons 210 Buchman, Frank, Gründer der Oxfordgruppenbewegung 241 Bultmann, Rudolf, Neutestamentier 83, 114f., 120, 127ff., 170, 218, 298 Buße 128, 281 Calvin, Jean, Reformator 74, 95, 288 Calvinismus 275, 306 Cambridge - Studienkonferenz 168
Index Carlyle, Thomas, Historiker 89 Chauvinismus 123, 130 Chichester - Bischof von (Bell) 246 Chiliasmus 271 Christensen, Jens Christian, Parteiführer 26f., 86, 200 Christentum 19, 22, 34f., 37f., 40, 42, 50f., 82f., 85, 88, 98f., 101 ff., 115, 117, 121 f., 141, 163f., 172, 188, 207, 212, 215, 218, 232f., 237, 241, 244f., 249, 253ff., 257f„ 260, 262, 265, 269ff., 273, 276f., 279f„ 292, 301 f., 309, 313 Christiansen, C. P. O., Volkshochschullehrer 248 f. Christlich-Deutsche Bewegung 152, 156ff., 179, 182, 184 Christlich-pazifistische Bewegung 87 Christlich-Soziale Bewegung 25, 87, 112, 119, 222, 238, 242 Christlich-sozialer Verein 46 Christliche Studentenbewegung 28 - vgl. auch Studentenbewegung Christlicher Verein Junger Männer (CVJM) 111, 250 Christologie 39f., 52, 90, 96, 127ff. Clarté 207 Clausen, Fritz, Parteiführer 210f.
Dämonie 105, 171 f. Dänemark - König 25, 80 - Regierung 41, 208, 247 - Parlament 25, 81, 281 - Folketing 25 - Landsting 82 - Kirchenminister 288 - Außenministerium 213, 215 - vgl. auch Presse; Kirche; Volkskirche Dänische Nationalsozialistische Arbeiterpartei (DNSAP) 206, 209ff., 214 Dagens Nyheder 275 Dahlem - Bekenntnissynode 237, 285, 289, 298 Damaschke, Adolf, Volkswirtschaftler 63 Dannenmann, Arnold, Pfarrer 157 Danmarks Nationalsocialistiske Arbejderparti 206, 209ff., 214 Dansk Folkefaellesskab 211 Dansk Kirketidende 41 23 Schjerring, Geismar/Hirsch
341
Dânsk Sämling 243 ff. Darwin, Charles, Naturforscher 22, 35 Darwinismus 21 ff., 34f., 82 Daub, Karl, Philosoph 159 Dehn, Günther, Pfarrer, Praktologe 169ff., 172, 175, 177, 275, 309 Deismus 22 Deißmann, Adolf, Neutestamentier 166 Demant, Vigo Auguste, Pfarrer 276 Demokratie 26ff., 63ff., 67, 69, 70, 78, 80, 86, 131, 148, 156, 187, 200, 206, 210, 213, 227, 243, 269, 297, 304, 309, 315 - vgl. auch Parlamentarismus; Parteien; Weimarer Republik Der Stürmer 264 Determinismus 134, 136, 146, 149 Det radikale Venstre 28 Det tredje Standpunkt 242 ff. Deutsche Botschaft vgl. Kopenhagen Deutsche Christen 157, 176, 178ff., 183ff., 192, 195, 199, 210, 228, 237, 239, 247, 256ff., 262, 283ff., 291, 293, 299, 301, 305 - vgl. auch Bremen; Deutsche Ev. Kirche; Kirchenkampf; Sportpalastkundgebung; Thüringer D C Deutsche Evangelische Kirche 286 - Verfassungsausschuß 183, 197, 262, 289 - Nationalsynode 197, 200, 237, 239, 272, 279, 289 - Reichsbischof 180f., 183, 198, 200, 222, 246, 272, 284ff., 292f. - Reichskirchenregierung 194, 197, 200f., 219, 238, 246f., 257, 261 f., 269, 284ff., 290, 293 - Kirchliches Außenamt 200, 222, 259, 267, 269 - Reichskirchenausschuß 287ff. - vgl. auch Bekennende Kirche; Deutsche Christen; Kirche; Landeskirchen; Reichskirche Deutsche Glaubensbewegung 271, 302 f. Deutscher Evangelischer Kirchenbund 180 - Kirchenausschuß 180 - Kirchenbundesamt 184 Deutsches Volkstum 172 Deutsche Theologie 185 Deutsche Vaterlandspartei (DVP) 62 Deutschland - Regierung 71 - Reichstag 71, 209, 215 - Auswärtiges Amt 209, 215, 221
342
Index
- Reichsinnenministerium 181, 186, 237, 264, 286 - Reichskultusministerium 186, 292, 294 - Reichskirchenministerium 186, 279, 288, 294, 302 deutschnational 150, 177, 292 Deutschnationale Volkspartei (DNVP) 69, 150 Dezisionismus 73, 76, 134, 144, 202, 298, 315 Dialektik 58, 71 ff., 79, 94ff., 103, 105, 119, 130, 132, 134, 136, 141, 145, 148, 153, 155, 160 ff., 177f., 190, 192f., 196, 198, 200, 203f., 229ff., 258, 265, 270, 272, 276, 278, 290, 296ff., 302, 310, 313ff., 317 - vgl. auch Dualismus; Existenz; Paradox dialektische Theologie 16, 78, 86, 88, 94, 96 f., 102, 113, 120, 124f. 140ff., 146ff., 156, 172, 174, 224f., 228f., 240f., 246, 302, 310, 312, 314, 316, 319 Diastase 92, 112, 141, 314 Die Christliche Welt 166 Diem, Hermann, Systematiker 102f., 162 Diesseitigkeit 132 Diesseitigkeitsmoral 60, 78 Diktator 297 Doehring, Bruno, Hofprediger 67 Dörries, Hermann, Kirchenhistoriker 171 Dogmatismus 23, 34f„ 39, 54f., 78, 290, 298f., 315 Dolchstoßlegende 67 f. Doppelmoral 106 Dostojewski, Feodor M., Dichter 112, 116 Drachmann, Anders Björn, Philologe 84 f. Dreimännerkollegium 180 - vgl. auch Kirchenverfassung Drittes Reich 16, 235, 256, 303 - vgl. auch Deutschland; Nationalsozialismus Druschke, Kurt, Vikar 259 Dualismus 20, 37, 72 - vgl. auch Dialektik; Paradox Edinburgh - Weltkirchenkonferenz 33, 280 Ehe 84, 100, 104 Ehre 191f., 202, 253, 255, 301, 304 Ehrenström, Niels, ökumeniker 266, 281 Eid 200f., 237, 269 Eidem, Erling, Erzbischof 218f., 222f.
Eigengesetzlichkeit 61, 76, 97, 106, 203, 289 f. Eigentum 68, 75 f. Eiserne Blätter 170 Eiert, Werner, Systematiker 185, 316 Elsaß 62 Empirismus 88 f. Endlichkeit 136 Energiepolitik 71 Engberg, Gunnar, CVJM-Sekretär 86 England 20, 22, 25, 38, 42, 56, 70, 73ff., 88, 91, 101, 133f., 136, 165, 167, 201, 204, 214, 238, 246, 254, 281, 303, 307 ff. Entente 70, 121, 140, 167 Entmythologisierung 298 Entscheidung 76, 117, 127f., 144, 162, 190 Entscheidungsethik 157, 315 Entwicklung 46, 70, 155 Entwicklungsethik 23 Entwicklungslehre 52, 73 - vgl. auch Evolutionslehre Erdmann, Johann E. von, Philosoph 159 Erfahrung 21, 28, 36, 103, 105, 134 Erfahrungsdenken 22, 25 Erfahrungsreligiosität 91 Erfüllungspolitik 150 f. Erkenntnis 55, 122 Erkenntnislehre 142 Erkenntnisprinzip 143 Erkenntnistheorie 22, 33, 54, 72, 228 Erlangen 185 Erlanger Theologie 28, 237 Erlebnisreligiosität 112, 115, 239, 245 Erlösung 40, 107 Erweckung 40f., 86, 241 Erweckungsbewegungen 24, 85, 111, 115, 217, 233, 239f., 245 Erziehung 269, 271, 283, 306 Eschatologie 71, 73f., 120, 127f., 133f„ 136 Eskapismus 86, 112, 125, 139, 187 Eucken, Rudolf, Philosoph 32ff., 36, 43, 50, 89, 101 Eudämonismus 143, 151 Europa 56, 73 Evangelischer Bund 166 Evangelium 59, 69, 72, 74, 96, 107, 115, 117, 140, 142, 156, 158, 169, 181, 185, 191 ff., 198f., 203, 210, 220, 222, 262f., 268, 274, 276f„ 287, 289f., 298, 301 f., 316, 319
Index
343
Evolutionslehre 34 ff. - vgl. auch Entwicklungslehre Ewigkeit 73, 101, 126, 132, 257, 300 Existenz, Existenzphilosophie 53, 98, 116, 140, 159, 162, 173f„ 186, 188, 202, 277, 295f., 298, 315f. Expansionspolitik 153
Führer, Führerprinzip, Führertum 151, 154, 178f., 183, 189, 200, 235f„ 243f., 249, 252ff., 256, 268, 273, 283, 286, 306, 315 Fuglsang-Damgaard, Hans, Bischof 88, 219, 241, 250 Fundamentalismus 196
Faith and Order 280 Fakultäten, theologische vgl. Berlin; Bonn; Göttingen;Halle; Heidelberg;Kiel; Kopenhagen; Münster; Uppsala; Aarhus Fallada, Hans, Schriftsteller 207 Fanö - ökumenische Tagung 245ff., 250f., 258f., 266, 305 Faschismus 205, 207, 212ff„ 243 - vgl. auch Nationalsozialismus Feuerbach, Ludwig, Philosoph 122 Feyüng, Sigmund, Pfarrer 246 Fezer, Karl, Praktologe 176, 180ff., 185, 189, 293 Fichte, Johann Gottlieb, Philosoph 52ff., 74, 76, 122, 134, 145, 159, 315, 319 Finken walde - Predigerseminar 248 Finnland 246 Flensburg 46, 80, 208 f. Foerster, Friedrich Wilhelm, Pädagoge 42 folkehjem 206 folkelighed 240 Folkeligt Oplysingsforbund 208 Folketing vgl. Dänemark Frankfurt/Main 295 Frankreich 20, 42, 73, 75, 89, 120, 129, 133f., 150, 167, 198, 308f. - vgl. auch Ruhrgebiet Französische Revolution 138 Freds-Warden 87 Freidenkertum 21, 29f., 50 Freiheit 60, 65, 138f„ 144, 146, 154f., 172, 174, 189, 192, 196, 199, 220, 231, 236f., 254, 260f., 264, 271, 275f„ 283, 300, 302, 304, 317 Freikirche 26, 29, 40, 110, 179, 281 Freud, Siegmund, Psychologe 84 Freudianismus 232 Frieden 62, 138, 166, 168, 278, 307, 309 - vgl. auch Versailler Vertrag Frisch, Hartvig, Politiker 82, 213 Frit Vidnesbyrd 41
Gebet 96, 133 Geburtenkontrolle 232 - vgl. auch Sexualethik Gegenreformation 137 Gehorsam 127f., 132, 162, 277, 297 Gelsted, Otto, Schriftsteller 84, 213 Gemeinschaftsschule 293 - vgl. auch Bekenntnisschule; Erziehung; Schule Genf - ökumenischer Rat derKirchen 223, 266 Genossenschaftswesen 48 George, Henry, Volkswirtschaftler 47 f. Georgeismus 45, 81, 109, 229 Gerechtigkeit 38, 46, 58, 75ff., 93, 106ff., 129, 136, 191, 251, 278, 283, 307 - vgl. auch Rechtfertigung; soziale Frage Gericht 43, 51, 55, 60, 9 2 f f „ 99, 103, 105, 108, 118, 126, 141 f., 148f„ 160, 163, 226, 230f., 258 , 265, 273 , 276ff., 281, 291, 313, 315, 319 germanisches Denken 200, 263, 267 - vgl. auch Recht Gerstenmaier, Eugen, Konsistorialrat 269, 306 Gesangbuch 195, 291 f. - vgl. auch Deutsche Christen Geschichte 17, 3 3 f „ 65, 68, 71, 73, 76, 95, 121, 134 f., 143 f., 156, 162, 187, 190ff., 199, 201 f., 204, 248, 256, 262f., 268, 295, 310f. Geschichtsphilosophie 69ff., 75, 90, 95, 131, 141, 146, 202 Geschöpflichkeit 124, 162, 319 - vgl. auch Schöpfung Gesellschaft 21, 38, 46, 58f., 66, 71, 75, 78, 86, 93, 105, 107, 109f., 114, 117ff., 138, 140, 155, 189, 201, 204, 206, 210, 217, 228, 244, 252, 257, 259, 267, 271, 278, 283, 287, 290, 292, 296, 307, 310f„ 313, 319 Gesetz 47, 126, 154, 177, 189ff., 194, 204, 268, 276 - vgl. auch Antinomismus; Nomos
23*
344
Index
Gesetz und Evangelium 125, 169, 191 f., 198, 203, 247, 269, 272, 290, 296 Gestapo 235 Gewerkschaftsbewegung 48 Gewißheit 128 Gießen 33 Glaube 19f., 22, 25, 31 f., 35ff., 4 9 f „ 50, 52f., 55, 60, 89, 98, 111, 117, 125, 127f., 132, 137, 141f„ 144, 157, 191, 196, 202, 262, 277, 302
Glaube und Volk 152
Glaubensfreiheit 262 Gloucester - Bischof von (Headlam) 246 Gnade 60, 99, 108, 117, 142f„ 146, 154, 156f., 191, 196, 224, 226, 276, 313, 319 Gnosis 155 Goethe, Johann Wolfgang von, Dichter 20, 101 Göttingen 92f„ 104, 120f., 124, 131, 147, 171, 173, 220f„ 246, 292, 294, 300 Götzendienst 257 Gogarten, Friedrich, Systematiker 16, 92, 120, 124ff., 176, 244, 293f. Gottesdienst 185, 195, 210, 293, 300, 308 Gottesebenbildlichkeit 101 Gotteserkenntnis 143 - vgl. auch Erkenntnis Gottlosigkeit 60, 68, 178, 202, 211, 215, 227, 232, 247, 283 Grenze 108, 134, 186, 188, 203f., 261f., 265, 295 Grimm, Hans, Schriftsteller 153, 165 Grundgesetz 80 - vgl. auch Verfassung Grundmann, Walter, Neutestamentier 185 Grundtvig, Nikolai Frederik Severin, Pfarrer und Dichter 24, 86, 114, 208, 216, 240, 248f., 254, 266f., 292, 316f„ 319 Grundtvigianer 26f., 41, 115, 217, 242 Grundtvigianismus 85, 88, 216, 292 Günther, J. F. K., Rasseforscher 210 Gut und Böse 73, 95, 105 Gyllenberg, Rafael, Neutestamentier 246 Hadersleben - Bischof von (Ammundsen) 28, 87, 209, 222 Haenchen, Ernst, Systematiker 185 Häresie 185, 191, 291 Halle/Saale 32, 170ff., 293
Hamann, Johann Georg, Religionsphilosoph 101 Hamburg 164, 168, 238 Hannover - Landeskirche 292, 294, 300 - Landesbischof (Marahrens) 179, 185, 294 Hansen, Knud, Pfarrer 85f., 240 Hansen, Aage Falk, Redakteur 87 Hanssen, H. P., Politiker 217 Harbsmeier, Götz, Pfarrer, Praktologe 218, 240 Harnack, Adolf von, Kirchenhistoriker 29, 39, 50f., 53, 56, 66, 96, 122 Harzburger Front 151, 158 Hauer, Jakob Wilhelm, Indologe 212, 255, 271, 302 f. Headlam, Arthur Cayley, Bischof 246 Heckel, Theodor, Bischof 182, 194, 220, 239, 250, 267, 269, 306 Hegel, Georg Wilhelm Friedrich, Philosoph 20, 32, 99f., 122, 145ff., 164, 319 Hegelianer 118 Heiberg, Peter Andreas, Philologe 84f., 161 Heidelberg 170 Heidenchristentum 70 Heidentum 162 f. Heilige Schrift 121, 248, 257, 290, 298 - vgl. auch Altes Testament; Neues Testament; Offenbarung; Wort Gottes Heiliger Geist 137, 225, 241 Heiligung 76, 79, 95, 140,154f„ 178, 192, 203, 290, 295, 314ff. Heilsgeschichte 38, 72 Heine, Heinrich, Dichter 21 Heje, Niels Ivar, Pfarrer 111 f. Heiweg, Hjalmar, Arzt 85, 161 Hemmen - ökumenische Vorkonferenz 267, 272, 274f., 277f., 280f. Hempel, Johannes, Alttestamentler 220 Henningsen, Poul, Schriftsteller 84 Herdal, Harald, Schriftsteller 207 Hermeneutik 298 Heroismus 139, 161 Herrenvolk-Ideologie 316 Herrmann, Wilhelm, Systematiker 128 Hesse, Hermann, Studiendirektor 180, 182 Himmeistrup, Jens, Philosoph 85 Hindenburg, Paul von, Reichspräsident 235
Index Hitler, Adolf, Parteiführer und Reichskanzler 158, 174, 178f., 182f„ 187, 206, 209, 212, 215ff., 223, 228, 235, 249f., 253f., 262f., 279, 284f., 303ff., 307ff. - vgl. auch Führer Hitlerjugend 216, 293 Hobbes, Thomas, Philosoph 74 Hochkirche 87 Hoffmeyer, Skat, Stiftspropst 245 ff. Holdt, Jens, Pfarrer 93, 221 Holl, Karl, Kirchenhistorikerl6f., 53f., 56, 59ff., 62, 66, 68f., 90f., 95f., 103, 106, 119, 123, 126, 130ff., 140, 145, 148, 165, 174, 176, 182, 226, 279, 311 Holland 267 Homiletik 96 Hossenfelder, Joachim, Pfarrer 180f., 184 Hromádka, Josef, Systematiker 308 Huber, Max, Jurist 281 Hugenbergpresse 150 Hungerblockade 138 Hoffding, Harald, Philosoph 22f., 25, 31, 36f., 82, 84 Högsbro, Halfdan, Pfarrer 239, 242 Htjskolebladet 209, 217 Ibsen, Henrik, Dichter 30 Ideal 67, 74f., 93, 96, 102, 105, 117, 136, 153f., 224, 226 Idealismus 16f., 32ff„ 43, 49ff., 54 , 72, 74, 78, 87, 89, 95, 99, 101 f., 112ff., 116, 119, 122, 127f., 140, 142ff., 159f., 171, 192, 224, 226f., 239, 251, 261, 310, 312ff., 315, 318f. Idealität 38, 43, 45, 71, 101 f., 108, 111, 118, 148, 177, 225, 230f., 276 - vgl. auch natürliche Idealität Ideologie 136, 277ff., 283, 296f. - vgl. auch Nationalsozialismus; Weltanschauung Ihmels, Ludwig, Landesbischof 222 Imperialismus 45, 64, 66, 74 Indifferentismus 257 Individualismus 48, 109, 139f., 157, 210 Individualität 42 Indre Missions Tidende 215 Industrialisierung 24, 93 Inflation 47, 63, 80, 123, 151 Inkarnation 38 Innenministerium vgl. Deutschland Innere Mission 26f., 86, 115, 208, 215f., 242
345
- vgl. auch Kopenhagen Innerlichkeit 31, 37, 42, 101, 128, 142, 147, 163f., 315 Intellektualismus 30, 33f., 55, 99, 114, 143, 176, 187, 227, 253, 255 Internationaler Gerichtshof 109 Internationalismus 135 Irrationalismus 76, 104, 129f., 134, 155, 162, 202, 296 Israel 273 Italien 20, 205, 214 Jäger, August, Ministerialdirektor 236 James, William, Philosoph 89 Jena 32 Jenseitigkeit 132, 297, 316 Jenseits 174 Jensen, H . Meinhardt, Pfarrer 211 Jensen, Johannes V., Schriftsteller 83 Jesuitismus 301 Jesus Christus 24, 31, 33, 36f., 39, 46, 51, 83f., 107f., 127f., 156, 191 f., 224, 230, 256f., 283, 297, 300, 308 Jord, Arbejde og Kapital 204 Juden, Judentum 37, 104, 193ff., 211, 215f., 223, 292f., 296 - vgl. auch Arierparagraph; Antisemitismus; Rasse Judenchristen 217 Jülicher, Adolf, Neutestamentier 122 Jugendbewegung, Jugendorganisationen 86, 113, 208, 213, 216, 218, 233, 242, 249, 293 - vgl. auch Studentenbewegung Junges Deutschland 21 Jungkonservative 214 Jungreformatorische Bewegung 181 ff. Jyllandsposten 244 Jergensen, Α. Α., Pfarrer 211 Jörgensen, A. Th., ökumeniker 221 f., 248 Jörgensen, Jörgen, Philosoph 83 Kahler, Martin, Neutestamentier 32, 39 Kairos 295 Kaiser (Wilhelm II.) 64 Kaisertum 71 Kaiserzeit 311 Kanslergade-forlig 206 Kant, Immanuel, Philosoph 61, 74, 89, 97, 143 Kapital 47, 67, 109f.
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Index
Kapitalismus 30, 48, 93, 229, 278, 283 Kapler, Herman, Kirchenpräsident 180, 182 Katholizismus 77, 137, 191, 300f., 307 Kausalitätsprinzip 20, 35, 49 Kerrl, Hanns, Reichsminister 279, 302 Kerygma 298 Kiel 194 Kierkegaard, Sören, Philosoph 16, 19ff., 25, 28, 30ff., 34, 3 6 f „ 51, 83ff., 8 9 f „ 92, 94ff., lOOff., 113ff., 122ff., 127, 130, 136, 138, 140, 145ff., 156f„ 159ff., 175, 190, 217, 226ff., 233f., 247, 250f., 255, 2 5 7 f f „ 264, 267, 279, 312, 314, 316, 319 Kinder, Christian, Reichsleiter D C 262, 285 Kirche 47, 52, 94, 137, 158, 163ff., 168 ff., 175, 178, 181, 185, 197ff„ 207f., 210, 215f., 221 f., 232, 235, 238, 244, 252, 258, 262, 2 6 9 f f „ 274ff„ 281, 283f., 290, 293, 296f., 300, 304, 307, 313, 317f. - vgl. auch Bekennende Kirche; Deutsche Christen; Deutsche Ev. Kirche; Hochkirche; Landeskirchen; Volkskirche Kirchenaustritte 24 Kirchenfond 25, 27, 29ff., 34, 242 - vgl. auch Kopenhagen Kirchenhoheit 287, 289 f. Kirchenkampf 16, 18, 164, 169, 175f., 184, 186, 192, 201, 2 1 1 f „ 215, 217, 221 ff., 228, 240, 244f., 248, 267f., 272, 279f., 283f., 291, 305, 308 - Norwegen 246 Kirchenministerium vgl. Dänemark; Deutschland Kirchenordnung 202, 210, 286ff., 304 Kirchenpolitik 25ff., 38ff., 49, 179, 183, 197, 202, 210f., 228, 234, 236, 245, 251 f., 256, 259, 262, 265, 272, 284, 286, 288f., 291 ff., 301, 304ff. Kirchenrecht 26, 193f., 199 Kirchenverfassung 15, 86, 180, 183, 198, 215, 237, 317 - vgl. auch Deutsche Ev. Kirche; Dreimännerkollegium Kirchenwahlen 184, 291 Kirche und Volkstum in Niedersachsen 305 Kirchliche Vereinigung für Innere Mission in Dänemark 24 - vgl. auch Innere Mission
Kirchliches Außenamt vgl. Deutsche Ev. Kirche Kirchlichkeit 228, 242 Kirk, Hans, Schriftsteller 84, 207 Kittel, Gerhard, Neutestamentier 185, 189, 219, 293 Klassenkampf 48, 52, 214 Klein, F., Pfarrer 185 Klerikalismus 23, 207, 210 Knudsen, Jakob, Schriftsteller, Pfarrer 116 Koch, C „ Pfarrer 85 Koch, Karl, Präses 238 König vgl. Dänemark Königsberg 179 Kolonialismus 137, 168 Kommunismus 81, 83, 109, 151 f., 205, 207, 213, 216, 222, 235 - vgl. auch Bolschewismus; Marxismus Konfessionalismus 29, 237, 295, 299 Konfessionen 137, 178, 215, 255, 300, 309, 318 Konservativismus 81, 158, 205, 207, 214, 298 f. Konservativ Ungdom (K. U.) 213 Konzentrationslager 236 Kopenhagen 19ff., 24f., 30, 87, 90, 92, 102, 145, 147, 167, 176, 207, 218, 220f., 226, 241 f., 244, 248f., 251, 279 - theologische Fakultät 27, 92, 176 - Deutsche Botschaft 18, 213, 216, 249, 259 - vgl. auch Innere Mission; Kirchenfond Korrelationsdenken 295 Krarup, Frederik Christian, Pfarrer 28, 36, 88 Kreuz 50ff., 93, 96f., 158, 192, 230, 265, 273 Kreuzestheologie 39, 103 f. Krieg 42, 44, 56ff., 61 ff., 76, 7 9 f „ 90, 95, 104 f., 108 f., 129, 132ff., 138, 148, 152, 156, 165, 172, 228, 231, 233, 250, 273, 281, 284, 3 0 7 f „ 311, 315 - vgl. auch Weltkrieg Krieg 1848 129, 208 Krieg 1864 129, 208 Kriegsheimstättenbewegung 63 Kriegsideologie 74 Kriegspredigten 41 Kriegsreligiosität 42, 311 Kriegsschuld 43ff., 57, 91, 121, 136, 138, 150, 165f., 303f. Kriegstheologie 67, 78
Index Krisis 94, 240 Kristeligt Dagblad 215 Kristeligt-socialt Forbund 87 Kristeligt Studentersettlement 87 Kristen Gemenskap 222 Kristensen, Tom, Schriftsteller 83 Kritik, historische 53, 115, 122, 127 Kritisk Revy 84 Kritizismus 53 Künneth, Walther, Pfarrer 272 Kultur 33, 35f., 51, 78, 82, 97, 114, 116, 132, 137, 149, 163, 168, 179, 187, 197, 211, 226f., 233, 244, 255, 258, 269, 307 Kulturbolschewismus 213 Kulturkampen 213 Kulturkampf 21, 56, 84, 207 Kulturkritik 49, 51, 78, 96, 106f„ 139, 146, 148, 176, 226, 240, 258f„ 318f. Kulturoptimismus 32, 51 Kulturpolitik 215 Kulturprotestantismus 93, 131, 315 Kulturradikalismus 17, 19, 21, 23, 49, 207f., 210, 213, 243 Kulturstaat 231 Kultursynthese 19, 50, 114, 122 Kultusministerium vgl. Dänemark; Deutschland; Preußen Laien 25f., 241 Landbrugernes Samenslutning 204 f. Landeskirchen 197, 199, 201, 285, 292 - vgl. auch Altpreußische Union; Baden; Hannover; Preußen; Sachsen, Württemberg Landsting vgl. Dänemark Landwirtschaft 71, 204 ff. Langemarck 188 Langmann, Otto, Oberkirchenrat 293 Larsen, Kristoffer Olesen, Pfarrer 116, 118f.
Larsen, W., Pfarrer 216 Lebensmittelkarten 309 Lehmann, Edvard, Religionshistoriker 82 f. Lehrfreiheit 171 Leiden 100, 103 Liberale Reformpartei 21 Liberale Theologie 29, 31, 39, 50, 122 Liberalismus 27, 37, 41, 45, 49, 81, 86, 128, 138ff., 153, 156, 180, 189, 214, 227, 233, 235, 243, 254f„ 261, 270, 276, 279, 283, 298, 304, 314 f.
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- vgl. auch Rechtsstaat, Venstre Liebe 38, 99, 106ff., 114, 117, 127, 142, 156, 163, 193, 226, 254, 265 Life and Work 276 Literatur 241 f. Literaturkritik 20 Locarno-Pakt 150, 303 Loccum 182 - Predigerseminar 294 Locke, John, Philosoph 74 Logos 196, 297 Ludendorff, Erich, General 62 Ludendorff, Mathilde 255 Ludlow, John Malcolm, Volkswirtschaftler 34 Lüneburg 199 Lundenser Schule 313, 316 Luther, Martin, Reformator 16, 28, 54, 60f., 68, 72, 76f., 91, 95ff., 103f., 114 f., 125 ff., 132, 136, 140f., 148, 159, 161, 169, 174, 182, 185, 188, 191, 195ff., 199f., 203, 220, 223, 226, 229f., 233, 246, 248, 250, 259, 264, 271f., 280, 284, 287ff., 296, 298ff., 306, 38f., 311 f., 314f„ 317ff. Lutherakademie 218ff., 237 - vgl. auch Sondershausen; Wernigerode Lutherischer Weltkonvent 221, 246, 250 Lutherrenaissance 16, 90, 92, 203, 311 f., 316, 318 Luthertum 15, 17, 123, 146, 160, 179, 198, 219, 222, 237, 249, 267f., 300, 306, 309, 311 f., 315f., 318 Lögstrup, Knud Eyler, Systematiker 240 Macfarland, Charles, Theologe 303 f. Machtergreifung 206, 260 - vgl. auch Nationalsozialismus Madsen, Peder, Systematiker 31 Magdeburg 169 Mailing, Anders, Pfarrer 210ff. Marahrens, August, Landesbischof 179f., 182, 184f., 222, 249, 294 Marburg 89 Martensen, Hans L., Bischof 19, 211 Marx, Karl, Philosoph 38 Marxismus 38, 83, 156, 214, 243, 260, 295 - vgl. auch Bolschewismus; Kommunismus Materialethik 117, 259, 275 Materialismus 63, 125, 132, 138, 153, 178, 188, 202, 211, 231, 242
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Index
Mecklenburg 184 Mehrwert 75 Meinungsfreiheit 171 f. Meiser, Hans, Landesbischof 184f., 222 Melanchthon, Philipp, Reformator 77 Menschenrechte 317 Merkantilismus 56 Merz, Georg, Dozent 92, 172, 185 Metaphysik 22, 33, 53, 194, 273, 315 Meusel, Ernst, Admiral 180 Meyer-Erlach, Wolf, Pfarrer 185 Militarismus 41, 43f., 78, 176, 229 Mills, Stuart 20 Mitbestimmung 110 Minderheit vgl. Nordschleswig; Südjütland Mittelalter 59 Moeller van den Bruck, Arthur, politischer Schriftsteller 253 Molland, Einar, Patristiker 219 Monarchie 64, 71, 74 Moral, Moralismus 39, 49, 55, 84, 89, 105, 115f., 118, 207f., 215, 227, 232, 245, 252, 278 Moses 191 Müller, Ludwig, Reichsbischof 179ff., 200, 246, 262, 269, 284 ff. München 92 Münster 124 Mulert, Hermann, Praktologe 158 Munch, P., Außenminister 205 Münk, Kaj, Pfarrer, Schriftsteller 83, 244 Mussolini, Benito, Parteiführer 308 Mystik, Mystizismus 55, 143 Mythologie 254 Moller, Aksel, Politiker 214 Moller, Christmas, Politiker 214 Maalet og Vejen 87 Nachfolge 32, 39, 225 Nachkriegszeit 310 Nächstenliebe 116 Napoleon 134 Nation, national 62, 70, 72, 95, 120f., 130f., 134, 152, 155, 164, 172, 179, 202, 217, 227, 232, 246, 248, 250, 254, 260, 267f., 280, 282, 290f., 298, 309, 311 - vgl. auch Volk nationale Bewegung 192, 257 nationale Erhebung 71, 150, 158f., 186, 199, 202, 284 Nationalismus 42, 52, 93, 104, 108, 123,
130f., 139, 151, 156, 166, 168, 171, 176, 188, 213, 218f., 222, 231, 233, 238, 275, 296, 314f„ 317 Nationalkonservative 63, 311, 312, 316 Nationalprotestantismus 67, 74, 88, 91 ff., 97 Nationalsozialismus 16, 154, 157, 164, 168f., 177, 182, 188, 198f. 201f., 204f., 209, 212ff., 223, 226f., 233ff„ 239f., 243, 247, 251ff„ 258ff., 265, 267, 269, 271, 277ff., 281, 283f., 286, 288, 290, 293, 296, 299ff., 304ff., 312, 317f. - vgl. auch Dänische Nationalsozialistische Arbeiterpartei; Danmarks Nationalsocialistiske Abejderparti; Drittes Reich; Gestapo; Hitler; Schutzstaffel; Sturmabteilung; Totalitarismus Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei (NSDAP) 151, 184, 186, 188, 209, 236, 239, 251, 253, 256, 265, 271, 285f., 289, 291, 301f. Nationalstaat 65, 68ff., 72, 134f., 231 Nationalsynode vgl. Deutsche Ev. Kirche natürliche Idealität 50, 78, 104f., 117, 153, 178, 188, 190f., 203f„ 233, 244, 247, 257f., 274, 277, 310, 313, 316, 318f. - vgl. auch Idealität Natur 110, 143, 187, 190, 230f., 248 - vgl. auch Idealität; Ordnung; Schöpfung Naturalismus 30ff., 42, 44, 83, 99, 226, 242f., 255 Naturgeschichte 38 Naturrecht 192, 270, 274 Naturwissenschaft 19, 22, 29f., 33, 35, 49 Neues Testament 31, 47, 115, 163, 177 Neuheidentum 188, 191, 236, 247, 249, 253ff., 263, 271 f., 302f. Neukalvinismus 306 Neukantianismus 36, 50 Neuluthertum 119f., 295 Neuprotestantismus 298 f. Neutralitätspolitik 41, 43 New York 295 Niebergall, Friedrich, Praktologe 166, 168 Nielsen, Rasmus, Philosoph 19f., 22 Niemöller, Martin, Pfarrer 215, 218, 246f., 250 Nietzsche, Friedrich, Philosoph 21, 74, 77
Index Nihilismus 77, 244 Nomos 190, 196, 262, 297 - vgl. auch Antinomismus; Gesetz Nordische Schicksalsgemeinschaft 209 Nordschleswig 41, 80, 87, 130, 167, 206, 208, 214, 220, 222 - vgl. auch Südjütland Norwegen 206f., 246 Notrecht 285, 289, 298 Novemberrevolution 63 Nürnberger Gesetze 291 Nützlichkeitsmoral 60, 74 Nuntius 179 Nygren, Anders, Systematiker 97, 217, 223, 225, 236f., 267, 276, 302, 318 Nörregaard, Jens, Kirchenhistoriker 88, 219, 248 Obrigkeit 43, 45, 61, 64, 68, 90, 249, 251, 268 - vgl. auch Staat Obrigkeitsethik 16, 155, 250, 290, 309, 316 Oehler, W., Pfarrer 241 Ökumene 18, 28, 41f., 91, 137f., 166, 168, 22Iff., 238f., 246, 248, 266, 268ff., 272ff., 277, 279ff„ 303ff., 313, 317 - vgl. auch Edinburgh; Faith and Order; Fane; Genf; Hemmen; Life and Work; Oxford; Sigtuna; Weltkirchenkonferenzen Offenbarung 33, 37, 60, 93f., 103, 120f., 124 ff., 141, 148, 162, 176f., 190, 192, 196, 204, 224, 228, 230f., 247, 256f„ 268, 274, 276f., 282, 295, 297, 313, 316, 319 - vgl. auch Transzendenz; Wort Gottes Oldham, Joseph H., ökumeniker 267, 280, 305f. Olsen, Regine 99f., 161 Olympische Spiele 279 Opfer 42f., 133, 315 Optimismus 99, 106, 116, 134, 158, 241, 267, 314 Ordnung(en) 43, 46f., 50, 66, 68, 71 f., 76, 99, 102f., 106, 110, 132, 154, 156, 180, 197ff., 201, 204, 226, 229f., 230, 238, 257f., 262, 270, 272, 282, 288, 306f., 317 - vgl. auch Natur; Schöpfung Organismusdenken 276 Orthodoxie 29, 40, 124, 208, 298f., 302
349
Oslander, Andreas, Reformator 77 Ostpreußen 183 Otto, Rudolf, Religionspsychologe 89 Overbeck, Franz, Theologe 122 Oxford 33 - Weltkirchenkonferenz 91, 267f., 274, 276f., 280ff., 305ff. Oxfordgruppenbewegung 218, 240ff., 278 Pantheismus 143 Paris 23, 266 Paradox 20, 31, 95, 103, 118, 124, 141, 146, 154ff., 162, 175, 313 Paradoxalität 31, 59f., 89, 96, 99, 114, 120f., 125, 127, 177, 190, 193, 224, 246, 297, 319 Parlament vgl. Dänemark Parlamentarismus 21, 68, 70, 183, 201, 214, 217, 243, 249, 253, 307 - vgl. auch Demokratie; Weimarer Republik Parteien vgl. Bauernpartei; Dänische Nationalsozialistische Arbeiterpartei; Dansk Nationalsocialistiske Arbejderparti; Dansk Sämling; Det radikale Venstre; Deutsche Vaterlandspartei; Deutschnationale Volkspartei; Konservativ Ungdom (K.U.); Liberale Reformpartei; Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei; Retsforbundet; Sozialdemokratische Partei Deutschlands; Venstrereformpartei; Zentrumspartei Pascal, Claude, Philosoph 89 Patriarchalismus 315 Patriotismus 56, 67, 93, 210, 315 - vgl. auch Vaterlandsliebe Paulinismus 39, 51, 128, 132, 141, 224 Paulus 39, 77 Pazifismus 42, 45, 57, 60, 65ff., 69f., 74f., 81, 104, 108f„ 129, 131, 135, 171, 206, 222, 231, 284 Pedersen, Arne Brandt, Volkshochschullehrer 217 Pehrsson, Per, Propst 221, 246 Peperkorn, Johann, Pfarrer 209 Perfektibilität 54 Persönlichkeit 31, 33, 36, 42, 47, 49, 52, 60, 69, 71, 74, 100, 102, 111, 186, 242, 301 Person 34, 55, 120, 128, 134, 144, 243 Pfarrernotbund 215, 246, 251, 257 - vgl. auch Bekennende Kirche
350
Index
Pfennigsdorf, Emil, Praktologe 285 Phänomenologie 319 Pharisäismus 51 Pietismus 2 4 f . , 29, 49ff., 86, 108, 113, 115, 128, 145f., 149, 160, 217ff„ 224, 314, 316 Plan 207 Plum, Niels Münk, Systematiker 88 Polemik 104, 106, 130, 164, 225, 230, 247, 257f., 265, 275f. Polen 44 Politiken 21, 213, 222 politisches Engagement 56, 59, 63, 78, 173f„ 226, 241, 300 Pontoppidan, Morten, Schriftsteller 41 Positivismus 17, 74, 89, 142, 144 Predigt 96, 117 Prenter, Regin, Systematiker 243 Presse 178, 211, 220, 235f., 239, 241, 249, 251, 253, 259 - vgl. auch Berlingske Tidende; Dagens Nyheder; Jyllandsposten; Kristeligt Dagblad; Politiken; Retsstaten; Tägliche Rundschau; Völkischer Beobachter; Aalborg Stiftstidende; Aarhus Stiftstidende Preußen 41, 74, 158, 183, 193, 208 - Kultusminister 141 - vgl. auch Altpreußische Union Proletarier 68 Propaganda 137, 236, 251, 256, 264, 279 Propheten 77, 273 Psychoanalyse 84, 232 Psychologie 22, 85 Puritanismus 24, 211, 217, 232f., 278 Quäker 169 Quietismus 51, 72 Quislingregierung 246 - vgl. auch Norwegen Rade, Martin, Professor 66, 166, 168,' 171 Radikalliberale 82, 205, 207 Radikalliberalismus 29, 80f., 86 Ragaz, Leonhard, Systematiker 42, 60,
112
Randers 30 Rasmussen, Niels Peter Arboe, Pfarrer 29, 39, 41 Rasse 152, 157f., 168, 188, 194, 201 f., 204, 210, 212, 216f., 243, 253ff., 261, 263f., 267, 270, 272, 282, 292f., 304, 307, 314 Rassismus 279, 315
- vgl. auch Antisemitismus; Arierparagraph; Juden Rathenau, Walther, Außenminister 131 Rathke, Hans, Superintendent 185 Rationalismus 40, 49, 128, 131, 135, 199, 242 Recht 21, 76, 264, 273, 283, 309 - vgl. auch Kirchenrecht; Kirchenverfassung; Notrecht; Verfassung Rechtfertigungslehre 59, 61, 77, 95, 125 ff., 128, 141, 143, 145, 177, 191, 306 Rechtsradikalismus 176 Rechtsstaat 233, 260, 267, 314 - vgl. auch Liberalismus Reformation, reformatorisch 15, 37, 61, 64, 72, 77, 113, 126, 130, 132, 143ff„ 146, 160, 188, 194f., 197f., 203, 216, 224, 228, 241, 249, 269, 284f., 2 8 7 f f „ 307 reformiert 197f., 201, 268, 274, 280, 288, 300, 306 Reformpolitik 25 Rehling, Svend, CVJM-Sekretär 86 Reich, Wilhelm, Psychologe 207, 212 Reich Gottes 66, 71, 73, 75, 79, 91, 127f., 133f„ 136, 145, 196, 297 - vgl. auch Zweireichelehre Reichsbischof vgl. Deutsche Ev. Kirche Reichsjugendführer 293 Reichskirche 179f„ 197f„ 2 3 6 f „ 239, 246, 250f., 256, 285, 291, 298, 312 - vgl. auch Deutsche Ev. Kirche; Kirchenkampf Reichskirchenministerium vgl. Deutschland Reichskristallnacht 250 Reichskultusministerium vgl. Deutschland Reichstag vgl. Deutschland Reinhard, Hedvig, Ärztin 118f. Relativismus 35, 142 religiöser Sozialismus 60, 131, 169, 271, 295 f. - vgl. auch Sozialismus Religion 33, 5 2 f „ 55, 107, 156, 161, 215, 227, 255, 279, 311 Religionsfeindschaft 88 Religionskritik 20, 25, 49, 83f., 206, 210 Religionsphilosophie 35, 54, 72, 89, 228 Religionsunterricht 27, 86, 207 - vgl. auch Schule Religiosität 90, 93, 103, 105, 116, 142, 162, 253, 256, 272
Index Renan, Ernest, Religionswissenschaftler 20 Rendtorff, Heinrich, Landesbischof 152, 158, 179, 181, 184 Reparationszahlungen 150 - vgl. auch Versailler Vertrag Retsforbundet 47f., 81, 107, 148 Retsstaten 275 Revanchismus 46 Revolution 67, 124f., 178, 180, 201, 260, 305 Ricard, Olfert, Pfarrer 86 Richthofen, Herbert von, Diplomat 259 Ritsehl, Albrecht, Systematiker 28, 36, 124 Röhm-Putsch 235 Rom 301 Romantik 101, 129, 160, 243 Rosenberg, Alfred, NS-Ideologe 209f., 212, 236, 253f., 257, 2 6 3 f „ 301 Rothe, Richard, Theologe 131 Rousseau, Jean-Jacques, Philosoph 75 Ruhrgebiet 75, 91, 123, 130f. - vgl. auch Frankreich; Versailler Vertrag Runestam, Arvid, Systematiker 97, 274, 276 russisch-orthodox 276 Rußland 44, 80, 91, 213, 297
Rod Ungdom 207
Saargebiet 236, 286 Sachsen - Kurfürst 287 - Landesbischof (Ihmels) 222 Säkularisierung 73, 75, 215, 283 Säkularismus 201, 208 Saint-Simon, Claude Henri de Rouvroy, Graf von, Philosoph 75 Sakramente 40, 195, 216, 295 - vgl. auch Abendmahl; Taufe Sanday, N. W., Neutestamentier 41 Sasse, Hermann, Kirchenhistoriker 169 Schack, Tage, Pfarrer 112 Scharling, Carl Immanuel, Pfarrer 87 Scheidemann, Philipp, Reichskanzler 212 Scherfig, Hans, Schriftsteller 207 Schirach, Baidur von, Reichsjugendführer 293 Schlatter, Adolf, Theologe 59, 62, 67f., 145 Schleiermacher, Friedrich Daniel, Philosoph 122, 145, 229 Schleswig-Holstein 208 f.
351
- vgl. auch Nordschleswig; Südjütland Schleswig-Holsteiner-Bund 208 Schmidt, Karl Ludwig, Neutestamentier 169, 172, 176 Schmidt-Wodder, Johannes, Pfarrer 209 Schmitt, Carl, Staatsrechtler 131 Schönfeld, Hans, ökumeniker 280 Schöpfer 124f., 201 Schöpfung 103 f., 126, 135, 140, 143, 154f., 188, 225, 229f., 268ff., 277, 313, 318 Schöpfungsordnung 76, 135, 156, 273 - vgl. auch Ordnungen Schopenhauer, Arthur, Philosoph 103 Schrempf, Christoph, Pfarrer 145 Schuld 51, 146, 162, 166 Schule 27f., 49, 86, 139, 208f., 253, 291, 293 - vgl. auch Bekenntnisschule; Erziehung; Gemeinschaftsschule; Religionsunterricht Schumann, Friedrich Karl, Systematiker 184 f. Schutz-Staffel (SS) 189 Schwärmertum 166 Schweden 97, 130, 206, 214, 217f., 221, 223, 225, 236, 246, 248, 266f., 274, 313, 316 Schweitzer, Albert, Theologe 132 Schweitzer, Carl Gunther, Superintendent 182 Schweiz 131, 173f., 177, 241, 281, 316 Seeberg, Erich, Theologe 18, 285f., 293f., 301 Seeberg, Reinhold, Theologe 18, 56, 66, 127, 131 f., 285 Sekten 25 Separatismus 210
Sex og Samfund 213
Sexualethik 42, 84, 104, 110, 207, 211, 228, 232f., 253 Siegmund-Schultze, Friedrich, Theologe 166, 222, 239 Siewers, Wilhelm, Politiker 209 Sigtuna - ökumenische Vorkonferenz 267, 272 ff., 277f., 280ff. Sittlichkeit 54f., 57, 60, 62, 75f., 96, 102 f., 105, 122 ff., 143, 158 Skandinavien 41, 44, 81, 119, 123, 220, 239, 246, 248f., 267, 281, 306, 3 1 5 f „ 318 Skeptizismus 77
352
Index
Skydsgaard, Kresten Ejnar, Systematiker 244, 299 Socialdemokraten 23 Söderblom, Nathan, Erzbischof 130 Sokrates, Philosoph 99 Sondershausen - Lutherakademie 218, 220 Sowjetunion 150, 246, 283, 306 Sozialdemokraten, Sozialdemokratie 27ff., 38, 40, 42, 45, 48, 56, 60, 63, 65, 70, 81 ff., 86, 110, 129, 148, 150, 205ff., 221 ff., 311 Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD) 295 soziale Frage 24, 47, 63, 69, 81, 104, 114, 205, 212, 232, 281, 311, 314 Sozialisierung 63, 68, 206 Sozialismus 17, 23, 30, 34, 47, 49, 63, 66ff., 75f., 83, 110, 112, 131, 135, 138, 140, 156, 210, 212, 227, 231 f., 243, 249, 272, 278 - vgl. auch religiöser Sozialismus Sozialreform 206 Sozialwissenschaft 89 Soziologie 22 Spanien 216 Sparring-Petersen, Gunnar, Pfarrer 222, 248 Spencer, Herbert, Philosoph 22f., 36, 74 Spengler, Oswald, Geschichtsphilosoph 70 f. Speyerer Protestation 104 Spoerri, Th., Romanist 241 Sportpalastkundgebung 184f., 219 - vgl. auch Deutsche Christen Spranger, Eduard, Pädagoge 161 Staat 21, 45, 48, 62ff„ 65f„ 71 ff., 76, 81, 126, 134, 139, 150ff„ 156, 173, 178f., 186f., 193f., 197ff., 200f., 210, 226f„ 229, 236, 239, 251, 256, 258, 260ff., 264, 266, 269f., 272, 275f„ 278, 281, 283, 286f., 289, 296, 301, 305f„ 313, 318 Staatskirche 223, 237, 317 Staatskommissare - Preußen 183 Staat und Kirche 39f., 86, 133, 199, 211, 223, 238, 248, 266, 271 f., 281, 286, 291, 305, 317 - vgl. auch Trennung von Staat und Kirche Staatsvertrag - Preußen 183
Stadener, Sam, Bischof 246 Stählin, Wilhelm, Praktologe 168 Stalin, Josef W., Parteiführer 213 Stange, Carl, Systematiker 91, 121 ff., 218, 220, 237, 249 Stapel, Wilhelm, Schriftsteller 172, 174, 190, 259, 296 Stauning, Thorvald, Staatsminister 82, 205 f. Stockholm 236 f. - Weltkirchenkonferenz 87, 96f., 138, 168, 246, 267, 271 Stoll, Christian, Pfarrer 299 Stresemann, Gustav, Reichskanzler 138, 150f. Studentenbewegung, Studentenorganisationen 29, 88, 94, l l l f . , 114f., 118, 195, 214, 245, 292 Sturmabteilung (SA) 189, 235, 293 Subjektivismus 33, 54, 128, 315 Südjütland 46, 209f. - vgl. auch Nordschleswig Südschleswig 209 Sünde 37, 40, 43, 45f., 55, 57, 60, 78, 93f., 99, lOlff., 105, 107f., 116ff., 128, 133, 136, 141 ff., 146, 149, 154 ff., 158, 162, 167, 177, 204, 224, 229, 231, 241, 244, 251, 254, 258, 269f., 278, 282f„ 283, 307, 313 Summepiskopat 287 Supranaturalismus 31, 49 Sursum Corda l l l f . Synergismus 108, 136, 319 See, Niels Hansen, Systematiker 219, 229, 244 Serensen, Arne, Volkshochschullehrer 242 ff. Tägliche Rundschau 180 Taine, Hippolyte, Historiker 20 Tambach 120 - vgl. auch Barth Tannenbergbund 303 - vgl. auch Ludendorff Taufe 41 Telschow, Otto, Gauleiter 182 Thaning, Kaj, Pfarrer 85f„ 240 Theismus 37, 72 f. Theodizee 163 Theologiestudium 292 Theologische Blätter 176 Theologische Existenz heute 185, 217 Theologische Literaturzeitung 119, 124
Index Theonomie 132, 142ff., 149, 154f„ 315 Thom, Karl, Bischof 185 Thron und Altar 268 Thüringer Deutsche Christen 271, 292 - vgl. auch Deutsche Christen Thurneysen, Eduard, Pfarrer 68, 112f., 120f., 124, 126, 131, 274 Tidehverv 16, 88, 102, l l l f f . , 217f., 224f., 229, 233, 239ff., 245, 258, 266, 314, 318 - vgl. auch Barthianismus Tidehvervsgrundtvigianisme 86, 240 Tillich, Paul, Systematiker 54f., 59, 131, 259, 295 f. Tirpitz, Alfred von, Admiral 62 Titius, Arthur, Systematiker 239, 246, 250 Tod 93, 141 Todesstrafe 273 Tolstoi, Leo, Dichter 60, 75, 169 Torm, Frederik, Neutestamentier 33, 86, 88, 211, 218ff., 235, 237, 248, 250 Totalitarisme 230, 251 ff., 256, 258, 269, 275ff., 281 f., 296f., 306, 318 - vgl. auch Nationalsozialismus Traditionalismus 86, 298f., 307 Transzendenz 55, 73, 125, 134, 141 ff., 155, 193, 224, 227, 296f. - vgl. auch Offenbarung Traub, Gottfried, Pfarrer 170, 183 Trennung von Kirche und Staat 21, 24, 27, 29, 49, 206, 285, 304 - vgl. auch Kirche; Volkskirche Troeltsch, Ernst, Religionsphilosoph 56, 59, 66 Undset, Sigrid, Schriftstellerin 116 Ungarn 130 Union Theological Seminary 295 Unitarismus 39, 51 Uppsala 220f., 237 Ura-Linda-Chronik 303 Urchristentum 24 Ussing, Henry 86 Utilitarismus 20, 56, 70, 77 Utopie, Utopismus 60, 72, 297 Vaterland 156, 254, 311 Vaterlandsliebe 93, 133f., 171, 231 - vgl. auch Patriotismus Venstre, Venstrereformpartiet 26, 80ff., 205 Verantwortlichkeit, Verantwortung 142f., 162, 189, 231, 275 Verfassung 194, 270
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- vgl. auch Dänemark; Deutsche Ev. Kirche; Kirche Vergebung 60, 128, 161, 258 Verinnerlichung 51, 163, 228, 257 Verkündigung 39ff„ 79, 116ff„ 137, 196, 198, 201, 210, 216, 240, 262, 272, 275, 277, 288, 308, 317 Versailler Vertrag 70, 75, 81, 108, 129, 137f„ 150ff., 165ff., 228, 233, 252, 303f., 309, 312 Versöhnung 51, 96, 160 Verteidigungskrieg 43, 45, 109, 231 Verzichtpolitiker 131 Viktorianismus 210, 232, 245 Vischer, Wilhelm, Alttestamentler 268, 274 f. Visser't Hooft, Willem Α., ökumeniker 274 Vitalismus 189 Völkerbund 64, 70, 80f., 108f., 138, 205, 284, 303 Völkischer Beobachter 218 völkisches Denken 131, 155, 166, 237, 249, 268 Vogel, Heinrich, Systematiker 218 Vogelsang, Erich, Kirchenhistoriker 182 Volk 15, 57, 69f., 133f., 153ff„ 157f„ 164, 168, 172 ff., 177f., 181, 188, 190, 192ff., 199, 201, 210, 215, 227ff„ 247f., 253f., 257, 260f., 263ff., 269f., 270, 273, 275, 281 f., 290, 299ff., 306, 313, 316, 318f. - vgl. auch Nation Volksabstimmung 187, 208, 236 - vgl. auch Nordschleswig; Südjütland Volksfront 212f. Volksgemeinschaft 137, 139, 185, 189, 192, 212, 214, 296 Volkshochschulen 208, 217 Volkskirche 15, 26ff„ 39f„ 86, 110, 115, 180, 210, 223, 247, 281, 288, 298, 305, 317 - vgl. auch Dänemark; Kirche Volksmission 178, 181, 284, 292f. Volkstum 15, 154, 156, 177, 180, 187f„ 193, 246, 249, 266, 305 Volksverbundenheit 278 Volkswirtschaft 109 Voltaire, Philosoph 21 Vorhofsreligiosität 257, 260, 264 Vorläufige Kirchenleitung 267f., 308 - vgl. auch Bekennende Kirche Vaaben, Einar, Lehrer 210
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Index
Wagner, Richard, Komponist 254 Wahlrecht 63 Wehrpflicht 45 Weidemann, Heinz, Landeskirchenführer 291 Weimarer Republik 16, 58, 67, 129, 138 f., 150, 152 f., 164, 175, 178, 188, 202, 213, 226, 255, 311 - vgl. auch Demokratie; Parlamentarismus Weltanschauung 259ff., 264f., 269, 276, 279ff., 290, 292, 301 ff., 308 - vgl. auch Ideologie; Nationalsozialismus Weltbund für internationale Freundschaftsarbeit der Kirchen 42, 164, 244 Weltkirchenkonferenzen vgl. Edinburgh; Hemmen; Oxford; Sigtuna; Stockholm Weltkrieg 16f., 41, 54, 59, 78f., 85, 96f„ 203, 216, 219, 240, 296, 303, 311 - vgl. auch Krieg Weltwirtschaftskrise 84, 151, 204, 312 Werkgerechtigkeit 51 Wernigerode - Apologetisches Seminar 91 Widerstand 256, 273, 286, 289, 291 - vgl. auch Kirchenkampf Widerstandsbewegung - Dänemark 247 - vgl. auch Besatzung; Okkupation Widerstandsrecht 42, 283 Wiedergeburt 120 Wieneke, Friedrich, Pfarrer 158 Wilhelminismus 148, 311 Willensfreiheit 146 Wilson, Woodrow, Präsident 168 Wingolf 42, 54, 56
Winner, Gustav, Pfarrer 185 Winter, Arnold Calliebe, Studienrat 185 Winterkrieg 246 Wirklichkeit 73, 144, 154, 155, 296 Wirth, Hermann, Schriftsteller 255 Wirtschaft, Wirtschaftsordnung 42, 45, 48, 65, 81, 104ff., 110, 140, 148, 205, 220, 226, 231, 252, 255, 278, 283, 312 - vgl. auch soziale Frage; Weltwirtschaftskrise Wobbermin, Gustav, Systematiker 285 Wort Gottes 128, 169, 193 - vgl. auch Heilige Schrift; Offenbarung Württemberg - Landeskirche 201 Wunder 39, 50, 178 Zeitbedingtheit 59, 61 Zeitschrift für systematische Theologie 123, 220 Zeitungen vgl. Presse Zensur 28 Zentrumspartei 62, 150, 178, 301, 311 Zoellner, Wilhelm, Generalsuperintendent 249 Zorn Gottes 60, 67, 226 Zürich 42 Zwangsmaßnahmen 256 f. Zweireichelehre 60, 75, 141, 199, 248, 317 - vgl. auch Dialektik; Gesetz und Evangelium; Obrigkeit; Reich Gottes Zwischen den Zeiten 123, 127f., 176, 185, 228 f. Aandehullet 213 Aalborg Stiftstidende 216 Aarhus 176, 245 Aarhus Stiftstidende 245
Arbeiten zur kirchlichen Zeitgeschichte Reihe B: Darstellungen 1 Jörg Thierfelder - Das kirchliche Einigungswerk des württembergischen Landesbischofs Theophil Wurm 1976. 311 Seiten, gebunden
2 Jonathan R. C. Wright · „Über den Parteien". Die politische Haltung der evang. Kirchenführer 1 9 1 8 - 1 9 3 3 1977. X I V + 276 Seiten, gebunden
3 Heinz Brunette - Bekenntnis und Kirchenverfassung Aufsätze zur kirchlichen Zeitgeschichte. 1977. X + 261 Seiten, gebunden
4 Johanna Vogel - Kirche und Wiederbewaffnung Die Haltung der Evangelischen Kirche in Deutschland in den Auseinandersetzungen um die Wiederbewaffnung der Bundesrepublik 1 9 4 9 - 1 9 5 6 . 1978. 304 Seiten, gebunden Dieses Buch ist der erste Beitrag zum Themenbereich der Nachkriegszeit in der deutschen Kirchengeschichte und versteht sich als Fallstudie zu dem umfassenderen Thema des „politischen Mandats" der Kirche. Es ist ein aufregender Rückblick auf die Argumentation in diesem Problemfeld im ersten Jahrzehnt nach 1945 innerhalb der E K D und der evangelischen Theologie Deutschlands.
5 Reijo £ . Heinonen - Anpassung und Identität Theologie und Kirchenpolitik der Bremer Deutschen Christen 1 9 3 3 - 1 9 4 5 . 1978. 302 Seiten, gebunden In dieser Untersuchung soll ein besonderer Akzent auf den Umgang der Deutschen Christen mit der Bibel gelegt werden. In dem ideengeschichtlich-theologischen Teil der Arbeit gilt das Hauptinteresse nicht den wenigen expliziten Aussagen und theologischen Abhandlungen. Es ist nicht das Ziel, dogmatische Differenzen zwischen der Bekennenden Kirche und den Deutschen Christen systematisch darzustellen, sondern es wird versucht, aus dem Bibelgebrauch und der kirchlich-politischen Begrifflichkeit selber die Eigenart des Denkens einer DC-Gruppe herzuleiten. Die Ursachen der Veränderungen des Sprachgebrauchs und die dahinterstehenden Motive werden durch die kirchenpoütische Entwicklung sichtbar.
6 Martin Norberto Dreher · Kirche und Deutschtum in der Entwicklung der Evangelischen Kirche Lutherischen Bekenntnisses in Brasilien. 1978. 259 Seiten, 4 Abb. und 1 Faltkarte, gebunden Der Autor geht der Frage nach, wie sich eine von Idealismus und Romantik beeinflußte Theologie in Leben und in der Gestalt deutsch-brasilianischer Gemeinden und Synoden im Kontext der brasilianischen Geschichte ausgewirkt hat. Es geht hier um den Weg, den die Evangelische Kirche Lutherischen Bekenntnisses in Brasilien zurücklegen mußte; ein Weg, der sie von der Struktur einer Einwandererkirche zu einer einheimischen, bodenständigen Kirche in Brasilien führte.
Vandenhoeck & Ruprecht in Göttingen und Zürich