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German Pages 300 Year 2014
Katharina Wessely Theater der Identität
Theater | Band 25
Katharina Wessely (Dr. phil.) ist Marie-Curie-Fellow am Institut für Theaterwissenschaft der Universität Bern und Lehrbeauftragte am Institut für Theater-, Film- und Medienwissenschaft an der Universität Wien. Ihre Forschungsschwerpunkte sind Theatergeschichte der Habsburger Monarchie und Theaterwissenschaft als Kulturwissenschaft.
Katharina Wessely
Theater der Identität Das Brünner deutsche Theater der Zwischenkriegszeit
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2011 transcript Verlag, Bielefeld
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Inhalt
Einleitung | 9 I.
Die Deutschen in der Ersten Tschechoslowakischen Republik | 23
I.1
Die politische Entwicklung der Republik bis zu Hitlers „Machtergreifung“ in Deutschland | 27 Nationalstaat/Nationalitätenstaat – die Deutschen und die Republik | 37 Der Nationalsozialismus und seine Folgen: Die Tschechoslowakei als Asylland und der Aufstieg der Sudetendeutschen Partei | 56
I.2 I.3
II.
Nationalismus und Kulturdiskurs – deutsche Kulturgemeinschaft? | 73
II.1 Die Bedeutung der Sprache und der Begriff der Kulturnation | 73 II.2 Theater und Nationalismus | 85 II.3 Deutsche Kulturgemeinschaft versus Sudetendeutsche Kultur | 96 III.
Brünn und seine Theater | 105
III.1 Brünn | 105 III.2 Das Brünner deutsche Theater 1918-1938 | 116 IV.
Das Brünner deutsche Theater als Schauplatz von Identitätsdiskursen | 133
IV.1 Die Brünner Theaterfrage | 133 IV.2 Das System Theaterskandal | 148 IV.3 Die Oper als umkämpftes „nationales Gut“ und Ort der Zusammenarbeit | 162
IV.4 Nationalistische Rhetorik in der Theaterkrise der zwanziger Jahre | 179 IV.5 Theater als Gegenstand der Kulturpolitik | 189 IV.6 Nationale Argumente im Konkurrenzkampf der SchauspielerInnen | 202 IV.7 Aktivismus am Theater | 218 IV.8 Das Publikum im Kampf um Einfluss am Theater | 227 IV.9 Politik und Parteipolitik im Theaterverein | 235 IV.10 Das Ende des demokratischen Theaters | 250 Schlusswort | 273 Quellen und Literatur | 277 Archivmaterial | 277 Zeitungen und Zeitschriften | 279 Persönliche Gespräche | 280 Bibliographie | 280 Abkürzungen | 292 Personenregister | 293
Dank
Dieses Buch stellt eine überarbeitete Fassung meiner Dissertation dar; mein Dank geht daher als allererstes an Frau Univ.-Prof. Hilde Haider, die diese Arbeit von Anfang an mit großem Interesse begleitet und mit wertvollen Hinweisen unterstützt hat, sowie an meinen Zweitbetreuer Univ.-Prof. Oliver Rathkolb. Weiters danke ich der Universität Wien und der ÖFG für die Ermöglichung der Archivrecherchen in Brünn und Prag, dem Theodor Körner Fonds für die Verleihung des Theodor-Körner-Preises, dem Collegium Carolinum, Forschungsstelle für die böhmischen Länder, München, für Unterstützung und anregende Gespräche, vor allem aber dem IFK, Internationales Forschungszentrum Kulturwissenschaften, Wien, für ein ausgesprochen produktives Studienjahr in Wien und die Möglichkeit, meine Arbeit am Collegium Carolinum fertigzustellen. Den MitarbeiterInnen der tschechischen, insbesondere der Brünner Archive sowie der Österreichischen Nationalbibliothek danke ich für ihre Hilfsbereitschaft und die meist unkomplizierte Materialbeschaffung. Barbara Clausen, Saskia Haag, Eva Kernbauer, Tobias Nanz, Anton Tantner und Eva Tropper haben durch ihre Anregungen die Arbeit wesentlich befeuert; Iris Engemann und Volker Mohn möchte ich für Diskussionen über die Theaterverhältnisse in Bratislava respektive im „Protektorat“ sowie für den Austausch von Materialien danken. Bei Peter Demetz bedanke ich mich für hilfreiche Gespräche, bei Zdenk Mareek für die Durchsicht des Brünn-Kapitels. Ich danke meiner Familie für das Vertrauen, das sie in mich und meine Arbeit setzt; mein besonderer Dank geht an Anna Helleis und Martin Prinz, deren Unterstützung und Diskussionsbereitschaft die Entstehung meiner Dissertation begleitet haben, sowie an Thomas Brandstetter für geduldiges Zuhören und Mitdenken während der Entstehung dieses Buches. Yvonne Giedenbacher danke ich für das umsichtige und genaue Lektorat, dem Team von transcript, insbesondere Jennifer Niediek, für die unkomplizierte Zusammenarbeit.
Für die Repräsentation der Stadt wurden für diese Ansichtskarte neben einer Stadtansicht wohl nicht zufällig gerade das Deutsche Haus und das Stadttheater ausgewählt. Lithographie von Brünn, 1897.
Ansichtskarte, K.W.
Einleitung
Theater kann auf verschiedene Weisen begriffen werden: als Ort künstlerischer Umsetzung dramatischer Texte, als Interaktionsraum zwischen Bühne und Publikum, als Betrieb und Organisationsform sowie schließlich als Topos, an dem sich Diskurse über gesellschaftliche Probleme festmachen lassen. Das deutsche Theater Brünns war von 1918 bis 1938 einer der bevorzugten Orte, an dem sich die Diskurse über Identitäten in verschiedenster Weise manifestierten. Das vorliegende Buch versucht den Zusammenhängen von Theater und Identität am Beispiel dieses konkreten Theaters nachzugehen. Waren die Brünner Deutschen bis 1918 Teil des in der Österreichisch-Ungarischen Monarchie herrschenden Staatsvolkes in einer Provinzstadt kaum zwei Stunden entfernt von Wien gewesen, so wurden sie mit der Gründung der Tschechoslowakischen Republik zu einer Minderheit im neuen Staat. Doch auch in der Stadt selbst, die zuvor deutsch verwaltet worden war, obwohl sie längst mehrheitlich von TschechInnen bewohnt wurde, ging die Verwaltung in tschechische Hände über; damit änderte sich auch die Stellung des bis dahin als „deutsch“ verstandenen Stadttheaters. Der Statusverlust, den die Deutschen Brünns erlitten, spiegelte sich in den neuen Theaterverhältnissen: Während das repräsentative Stadttheater, ein Fellner-und-HelmerBau, der 1882 als erstes europäisches Theater mit elektrischer Beleuchtung eröffnet worden war, nun dem tschechischen Národní divadlo als Hauptbühne diente, wurde der deutschsprachige Theaterbetrieb auf drei verschiedene Bühnen verteilt. Trotzdem blieb das Theater für die Deutschen Brünns wichtiger Bezugspunkt und eines der Zentren des gesellschaftlichen Lebens – dies zeigt sich auch an dem breiten Raum, der im Tagesboten, der liberalen auflagenstärksten
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deutschsprachigen Tageszeitung Brünns, dem Theater und damit zusammenhängenden Diskussionen gewidmet wurde. Entsprechend der eingangs genannten unterschiedlichen Funktionsweisen von Theater arbeitet dieser Text in den einzelnen Kapiteln mit unterschiedlichen kulturwissenschaftlichen Methoden. Während für manche Kapitel Grundlagenforschung geleistet werden musste und die Aufarbeitung des Quellenmaterials die Vorgangsweise bestimmte, wird der Text in anderen Kapiteln von diskursanalytischen Verfahrensweisen strukturiert; in wiederum anderen Kapiteln steht die Einbettung der Vorgänge am Theater in ihr gesellschaftspolitisches Umfeld im Vordergrund. Die Arbeit nähert sich also ihrem Untersuchungsgegenstand von unterschiedlichen Seiten und mit verschiedenen methodischen Zugängen, um so zu einer möglichst adäquaten und umfassenden Darstellung, sowohl der Geschichte des Brünner deutschen Theaters als auch seiner Bezüge zu politischen und gesellschaftlichen Entwicklungen der SR der Zwischenkriegszeit, zu gelangen. Im Folgenden sollen die Prämissen dieser Untersuchung einleitend kurz skizziert werden. „Deutsche“ und „TschechInnen“ Rogers Brubaker hat in seinem Buch Nationalism Reframed eine Dreieckskonstellation der Nationalismen nach der Bildung der Nationalstaaten – in Mitteleuropa meist nach dem Ende des Ersten Weltkriegs – beschrieben1. Die sich als Nationalstaat verstehende Erste Tschechoslowakische Republik stellt einen geradezu paradigmatischen Fall dieser Konstellation dar, der hier kurz umrissen werden soll. Brubaker zeigt, wie sich in den neuen Nationalstaaten drei verschiedene Formen von Nationalismen als Diskursformationen gegenüberstehen und miteinander interagieren: der Nationalstaat selbst, den Brubaker als „nationalisierenden Staat“ bezeichnet, und zwar deshalb, weil er u.a. von Minderheiten als nationalisierend begriffen oder zumindest gekennzeichnet wird. Zweitens der neue „Mutterland-Nationalismus“, der das nun erst wirklich relevant werdende Prinzip einer Volksgemeinschaft bezeichnet, die sich auch für ihre Mitglieder, die Staatsangehörige anderer Staaten sind, in einem gewissen Maß verantwortlich fühlt. Und drittens die „nationale Minderheit“, die zwischen diesen beiden Natio1
Rogers Brubaker. Nationalism Reframed. Cambridge u.a.: Harvard Univ. Press, 1996.
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nalismen ihre eigenen Loyalitäten und Zugehörigkeiten entwickelt. Zentraler Punkt ist hierbei, dass es sich bei diesen drei Formen des Nationalismus nicht um eindeutig zu definierende Standpunkte handelt, sondern um Diskursformationen, um Sets von Aussagen und Verhaltensweisen, die nicht nur jeweils in Bezug zu den anderen Nationalismen stehen, sondern durchaus auch innerhalb eines Feldes konkurrierende Standpunkte umfassen. Dieses Buch konzentriert sich auf die Diskursformation der nationalen Minderheit der Deutschen in der Tschechoslowakei – beziehungsweise auf die Rolle, die das Theater in diesem Kontext spielte. Dass es sich bei den beiden die böhmischen Länder bewohnenden Nationen von „Deutschen“ und „TschechInnen“ um Konstruktionen handelt, die teilweise erst Ende des 19. Jahrhunderts Verbreitung über die Kreise ihrer nationalistischen VorkämpferInnen hinaus fanden, ist mittlerweile relativ gut erforscht. Die neuere Nationalismusforschung hat sich eingehend damit beschäftigt, wie gegen Ende des 19. Jahrhunderts Sprache in Mitteleuropa zum Distinktionsmerkmal unterschiedlicher „Nationen“ wurde, und wie nationalistische Bewegungen auf beiden Seiten aus deutschsprachigen und tschechischsprachigen BewohnerInnen Böhmens und Mährens „Deutsche“ und „TschechInnen“ gemacht haben2. Auch damit, wie nach 1918 aus den „Deutschen“ in Böhmen und Mähren „Sudetendeutsche“ wurden, beginnt sich die Forschung, besonders in Zusammenhang mit dem Aufstieg der nationalen, später nationalsozialistischen Sudetendeutschen Partei, zunehmend zu beschäftigen3. Worüber allerdings bisher noch kaum Studien existieren, sind mögliche alternative Entwicklungen. Ob und wie sich in der Ers2
Vgl. v.a. Pieter M. Judson. Guardians of the Nation. Activists on the Language Frontiers of Imperial Austria. Cambridge, Mass. u.a.: Harvard Univ. Press, 2006 u. Jeremy King. Budweisers into Czechs and Germans. A Local History of Bohemian Politics, 1848-1948. Princeton, Oxford: Princeton Univ. Press, 2002.
3
Vgl. v.a. Manfred Alexander. Phasen der Identitätsfindung der Deutschen in der Tschechoslowakei, 1918-1945. In: Nation – Nationalismus – Postnation. Beiträge zur Identitätsfindung der Deutschen im 19. und 20. Jahrhundert. Hg. v. Harm Klueting. Wien, Köln u.a.: Böhlau, 1992, S. 123132 u. Tobias Weger. Die Konstruktion einer Gruppe. Der 4. März als zentraler sudetendeutscher Erinnerungsort der Zwischenkriegsjahre. In: brücken. Germanistisches Jahrbuch Tschechien – Slowakei. NF 14 (2006), S. 63-75.
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ten Republik unter den Deutschen eventuell anationale, seien dies staatsbürgerschaftliche oder lokale Identitätskonzepte entwickelten, also ob es Ansätze dazu gab, aus „Deutschen“ und „TschechInnen“ entweder „TschechoslowakInnen“ oder wieder BudweiserInnen und BrünnerInnen zu machen, ist ein weitgehend unerforschtes Gebiet. Der Verdacht liegt nahe, dass diese alternativen Entwürfe sich am ehesten in lokalen Zusammenhängen zeigen, dass also lokale Studien zur Klärung dieser Frage vonnöten wären. An diesen mangelt es jedoch nach wie vor – insbesondere an solchen, die den Schwerpunkt ihrer Betrachtung auf die Kulturgeschichte legen würden. Diesen Konstellationen in ihren unterschiedlichen Manifestationen nachzugehen ist das Vorhaben dieses Buches; der Begriff „Identität“ dient dabei als grober Überbegriff, der die verschiedenen Formationen unter einen Hut bringen soll. Es ist nicht mein Ziel, den deutschsprachigen EinwohnerInnen Brünns irgendeine deutsche, Brünner, tschechoslowakische, jüdische, deutschnationale oder andere Identität zuzuschreiben oder Beispiele einer solchen zu analysieren (dafür dürfte man sich nicht auf das Theater beschränken). Ziel ist es hingegen, die Geschichte des Brünner deutschen Theaters als eng mit den Identitätsdiskursen verflochtene zu schreiben und aufzuzeigen, dass die Theatergeschichte Aufschluss geben kann über Entwicklungen innerhalb der Teilgesellschaft der Brünner Deutschen. Der Begriff der Identität soll demnach im Folgenden nicht als Instrument der Analyse verwendet werden, sondern als ein mit dem Untersuchungsgegenstand Theater zusammenhängender Untersuchungsgegenstand. Theater Theater dient, das ist in diesem Zusammenhang wichtig festzuhalten, weniger der Widerspiegelung, Verarbeitung und Kommentierung politischer Vorgänge, sondern stellt vielmehr ein Medium dar, in dem sich politische Haltungen und Entwicklungen manifestieren. Auf den Identitätsdiskurs bezogen bedeutet dies, dass Theater selbst dazu beiträgt, Identitätskonzepte zu entwickeln, zu präsentieren und zu repräsentieren. Durch die Bedeutung, die die Konzepte der Verkörperung, Repräsentation und Inszenierung für das Theater spielen, ist es das prädestinierte Medium für die Verhandlung von Identitätskonzepten. Denn in gewisser Weise werden am Theater stets Identitäten verhandelt, seien das nun geschlechtliche (man denke nur an die Komödien Shakespea-
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res), soziale (wie die klassischen bürgerlichen Dramen mit ihrer immer wieder durchdeklinierten Konfrontation von Adel und Bürgertum, oder das sozialkritische Drama des Naturalismus), politische (wie insbesondere in der Zwischenkriegszeit Stücke von rechts und links, aber auch schon früher beispielsweise Büchners Danton oder die Stücke von Kleist), rassische (wie das zeitgenössische amerikanische und britische Drama), oder eben nationale. Doch nicht nur das Geschehen auf der Bühne ist für die Identitätsdiskurse im Brünn der Zwischenkriegszeit relevant. Durch die besondere Rolle, die den Theatern seit dem 19. Jahrhundert für die Entwicklung der Nation einerseits, für das städtische Bürgertum insbesondere der Provinzstädte andererseits zugeschrieben wurde, schlugen sich viele Konflikte auch in den Debatten, die um die Theater geführt wurden, nieder. In der Ersten Republik, in der von weiten Bevölkerungsschichten zumindest der Deutschen die meisten Vorgänge des Alltags national gedeutet wurden, bekamen auch viele Theaterdebatten eine nationale Nebenbedeutung. Fragen nach dem Spielplan, dem Ensemble, dem Direktor oder der Direktorin, den Theatergebäuden, nach Subventionen, Gastspielen, bestimmten Inszenierungen wurden in einem nationalen Kontext gesehen, sei es, dass sie unter dem Vorzeichen des „Nationalitätenkampfes“ mit den TschechInnen interpretiert wurden, sei es, dass durch sie Fragen nach der „deutschen Identität“ der deutschsprachigen BrünnerInnen artikuliert und diskutiert wurden. Aufbau und Gliederung dieses Buches Um den gesellschaftlichen Kontext für den Leser, die Leserin nachvollziehbar zu machen, sind dem Teil über das Theater drei allgemeinere Kapitel vorangestellt. Kapitel I skizziert die politischen Entwicklungen und das Zusammenleben von Deutschen und TschechInnen in der Ersten Republik; Kapitel II stellt den ideengeschichtlichen Hintergrund für die Diskussionen der Zwischenkriegszeit dar und beleuchtet die Zusammenhänge zwischen Nationalismus- und Kulturdiskurs. Neben der Bedeutung des Theaters für das Selbstverständnis als Kulturnation sowohl von TschechInnen als auch Deutschen wird die Frage diskutiert, inwiefern sich in der Zwischenkriegszeit eine eigenständige „sudetendeutsche“ kulturelle Identität entwickelte. Kapitel III stellt die Stadt Brünn vor und umreißt die wichtigsten Entwicklungen der Brünner Theatergeschichte. Kapitel IV schließlich widmet sich auf der
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durch die vorangegangenen Kapitel geschaffenen Grundlage einzelnen Aspekten der Brünner Theatergeschichte. Dabei werden v.a. diejenigen Themenkomplexe behandelt, die für die Fragestellung nach der Bedeutung des Theaters für die Identitätskonstruktionen der Brünner Deutschen sowie nach dem Ineinandergreifen von Theaterdiskurs und Nationalitätenkonflikt von Interesse sind. Kapitel I umreißt den gesellschaftspolitischen Kontext, in dem die deutschsprachige Theatergeschichte der SR zu sehen ist. Politische Entwicklungen, der Nationalitätenkonflikt zwischen dem neuen Staatsvolk der TschechInnen und der mit ihrer neuen Rolle unzufriedenen deutschen Minderheit, sowie der Einfluss der nationalsozialistischen „Machtergreifung“ in Deutschland auf die Geschichte der Tschechoslowakei sind die zentralen Themenfelder. Konstellationen und Begriffe wie „Volkstumskampf“ oder „Aktivismus“, die für das Selbstverständnis der deutschen TschechoslowakInnen von Relevanz sind, stehen hierbei im Mittelpunkt. Dabei wurde in erster Linie die Standardliteratur der historischen und bohemistischen Forschung verwendet4 und, wo möglich, mit Ergebnissen der eigenen Quellenarbeit ergänzt. Die Lektüre deutschsprachiger tschechoslowakischer Tageszeitungen – auch wenn hierbei der Fokus der Recherchen auf dem Theatergeschehen lag – ergab mitunter neue Einblicke. Das Zusammenleben von TschechInnen und Deutschen stellte lange Zeit einen Schwerpunkt der deutschsprachigen Forschung zur Ersten Tschechoslowakischen Republik dar. So sehr aus bohemistischer Sicht zu begrüßen ist, dass die neuere Forschung die Geschichte der Republik nicht auf dieses Verhältnis reduziert, sondern sich vermehrt Einzelaspekten der tschechischen oder der deutschen Teilgesellschaft widmet, so sehr ist zu bedauern, dass es somit keine Monographie zum Verhältnis von TschechInnen und Deutschen unter Einbeziehung neuer kulturwissenschaftlicher Fragestellungen und Methoden gibt. Am nä4
In erster Linie sind dies Jörg K. Hoensch. Geschichte der Tschechoslowakischen Republik 1918-1978. 2. Aufl. Stuttgart u.a.: Kohlhammer, 1978 und Karl Bosl (Hg.). Handbuch der Geschichte der böhmischen Länder, Bd. IV. Der tschechoslowakische Staat im Zeitalter der modernen Massendemokratie und Diktatur. Stuttgart: Anton Hiersemann, 1970 sowie die zahlreichen vom Collegium Carolinum, Forschungsstelle für die Geschichte der böhmischen Länder, herausgegebenen Sammel- und Tagungsbände.
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hesten kommen dem die Arbeiten von Rudolf Jaworski über Bedeutung und Organisation des sudetendeutschen „Volkstumskampfs“5 und von Jörg Kracik über Bedingungen und Entwicklung des Konzepts des „Aktivismus“6, die alltagsgeschichtliche Aspekte in die Analyse einbeziehen. Auch wenn insbesondere Jaworskis Arbeit bereits älteren Datums ist, sind diese beiden Texte doch unverzichtbar für das Verständnis der Bandbreite der Beziehungen zwischen TschechInnen und Deutschen. Seitdem sind zu diesem Thema vorwiegend Aufsätze erschienen, die immerhin spannende Fragestellungen bearbeiten. Ein Defizit ist jedoch für die Kultur- und Alltagsgeschichte der Ersten Republik im Allgemeinen zu bemerken, hierzu liegen bislang vorwiegend Aufsätze vor. Der einzige Sammelband zum Thema stammt aus dem Jahre 19827; eine Synthese der seitdem aufgearbeiteten Einzelaspekte wäre dringend nötig. Die Kulturmetropole Prag stellt hier zwar eine Ausnahme dar, doch aufgrund der speziellen Prager Situation, seiner überregionalen Bedeutung als neuer tschechoslowakischer Hauptstadt einerseits, und der besonderen Sozialstruktur der dort lebenden Deutschen andererseits, sind die diesbezüglichen Ergebnisse kaum auf andere Städte der Republik zu übertragen. Grundsätzlich ist eine Konzentration der Forschung auf Böhmen bzw. das geschlossene deutschsprachige Siedlungsgebiet Böhmens festzustellen; für Mähren, insbesondere für Brünn, dürften sich manche Themenkomplexe durchaus anders darstellen, doch fehlen hier wissenschaftliche Arbeiten neueren Datums beinahe völlig. Diese Forschungslücken aufzufüllen war nicht Ziel der vorliegenden Arbeit. Wo allerdings diesbezügliches Material vorhanden war, wurde es in die Darstellung eingearbeitet. Damit versucht diese Arbeit über das Brünner deutsche Theater auch, über den Rahmen einer reinen Theatergeschichte hinausgehend, Zwischenergebnisse zur konkreten Situation in Brünn zu präsentieren und somit Ansätze zu weiteren Forschungen auf dem Gebiet der Kulturgeschichte der Brünner Deutschen zu bieten. 5
Rudolf Jaworski. Vorposten oder Minderheit? Der sudetendeutsche Volkstumskampf in den Beziehungen zwischen der Weimarer Republik und der SR. Stuttgart: Deutsche Verlagsanstalt, 1977.
6
Jörg Kracik. Die Politik des deutschen Aktivismus in der Tschechoslowakei 1920-1938. Frankfurt/Main, Wien u.a.: Lang, 1999.
7
Kultur und Gesellschaft in der Ersten Tschechoslowakischen Republik. Hg. v. Karl Bosl u. Ferdinand Seibt. München, Wien: Oldenbourg, 1982.
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Kapitel II schlägt einen Bogen vom Nationalitäts- und Kulturdiskurs, wie er sich im 19. Jahrhundert darstellte, und der Bedeutung, die Theater für das Selbstverständnis von Deutschen und TschechInnen als Kulturnationen hatte, zur Frage einer „sudetendeutschen“ Kultur bzw. Nation, die sich in der Zwischenkriegszeit neu stellte. Die Standardwerke zur Nationen- und Nationalismusforschung von Hobsbawm, Anderson und Gellner8 erwiesen sich hier als grundlegend. Insbesondere Hobsbawm ist, obwohl älteren Datums, vor allem durch sein explizites Eingehen auf die Verhältnisse der Österreichisch-Ungarischen Monarchie unverzichtbar. Von diesen Arbeiten ausgehend wird Nation zunehmend als diskursives Konstrukt verstanden, dem das Konzept des Nationalismus vorausgeht – diese Sichtweise ändert jedoch nichts an der Wirkungsmächtigkeit beider Ideen. Für die Konstruktion und Durchsetzung des tschechischen Nationalverständnisses spielte das Nationaltheater eine große Rolle; zu diesem Themenkomplex existieren einige wissenschaftliche Arbeiten, sodass es an dieser Stelle ausreichte, die wichtigsten Züge der Bedeutung des Theaters für die tschechische Nationswerdung herauszuarbeiten. Für das deutschsprachige Theater in den böhmischen Ländern ist die Forschungslage eine gänzlich andere, auch kann hier nicht von einem einzigen vorherrschenden Standpunkt zur Rolle des Theaters ausgegangen werden. Dementsprechend versucht dieses Kapitel, einige unterschiedliche Ansätze zur kulturpolitischen und identitätsbildenden Aufgabe des Theaters zu skizzieren – für eine umfassende Darstellung dieser Konzepte wären allerdings Einzelstudien zu den verschiedenen deutschsprachigen Theatern Böhmens und Mährens notwendig; da diese fehlen, kann hier vorerst nur ein grober Überblick gegeben werden. Davon ausgehend werden schlussendlich die Debatten um die Frage nach der Existenz einer „sudetendeutschen Kultur“ und damit zusammenhängend einer „sudetendeutschen Nation“ beleuchtet – zu den Zusammenhängen von deutscher Kultur und deutscher Identität in der Tschechoslowakei wären jedoch dringend allgemeinere Studien wünschenswert.
8
Eric J. Hobsbawm. Nationen und Nationalismus. Mythos und Realität seit 1780. Frankfurt/Main, New York: Campus, 1991; Benedict Anderson. Die Erfindung der Nation. Zur Karriere eines folgenreichen Konzepts. Erw. Neuausg. Frankfurt/Main: Campus, 1996; Ernest Gellner. Nationalismus und Moderne. Berlin: Rotbuch, 1991.
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Kapitel III situiert das Theater in der multinationalen Stadt Brünn und stellt diese dem Leser, der Leserin vor. Auch hier zeigen sich Defizite der Forschungsliteratur. So fehlt nicht nur eine Kulturgeschichte der Stadt Brünn, sondern selbst eine aktuelle Monographie zur Stadtgeschichte. Die deutschsprachige Literatur zu Brünn ist in den meisten Fällen von Vertriebenen verfasste Erinnerungsliteratur; auf tschechischer Seite erschien die wichtigste Monographie zu Brünn im Jahre 19739, also zur Zeit der „Normalisierung“ nach der Niederschlagung des Prager Frühlings von 1968. Sie legt einen deutlichen Schwerpunkt auf die Geschichte der Arbeiterbewegung und der KP, für die „bourgeoise“ Kulturgeschichte des deutschen, aber auch des tschechischen Bürgertums, bleibt dementsprechend wenig Platz. Neben einem Überblick über die Stadtgeschichte fasst dieses Kapitel die Entwicklung des Brünner deutschen Theaters in der Zwischenkriegszeit kurz zusammen und arbeitet die wichtigsten Veränderungen heraus, die für die folgenden Kapitel von Relevanz sind. Auch eine Darstellung der künstlerischen Stellung des Theaters ist hier zu finden. Dieser Teil beruht vor allem auf den Publikationen des langjährigen Theatersekretärs Gustav Bondi10, da seitdem erschienene Texte zum Brünner deutschen Theater wiederum auf diese zurückgreifen. Da die vorliegenden Publikationen nur den Zeitraum bis 1932 abdecken11, 9
Djiny msta Brna, Bd. 2. [Geschichte der Stadt Brünn] Hg. v. Národní vbor msta Brna. Brno: Nakladatelství Blok, 1973.
10
Gustav Bondi. Geschichte des deutschen Theaters 1600-1925. Brünn: Deutscher Theaterverein, 1924; Fünfzig Jahre Landestheater (Stadttheater). Brünn: Bühnenbund, 1932; Bondi wurde am 1.11.1860 in Pohrlitz bei Brünn geboren; ursprünglich Lehrer, kam er über Salzburg, wo er 1893-1898 als Schauspieler und Theatersekretär gearbeitet hatte, unter Direktor Anton Lechner 1898 als Theatersekretär nach Brünn; Chronist des Brünner Theaters, schrieb auch Opern- und Operettenlibrettos. Seine beiden Töchter und seine Enkeltochter wurden ins Ghetto Theresienstadt deportiert, sein eigenes Schicksal wie auch sein Todesdatum sind unbekannt.
11
Die Diplomarbeit von Jurda wurde hier nicht berücksichtigt, da sie in erster Linie eine Zusammenstellung des Spielplans darstellt; vgl. Ale Jurda. Nmecké divadlo v Brn od nástup A. Hitlera k moci do konce 2. sv. války. [Das deutsche Theater in Brünn vom Machtantritt A. Hitlers bis zum Ende des 2. Weltkriegs] Dipl.Arb., Brno 1977. Dasselbe gilt für: Václav Cejpek. Brnnské nmecké divadlo v letech 1918-32. [Das Brünner deutsche Theater in den Jahren 1918-32] Dipl.Arb., Brno 1977.
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musste die weitere Geschichte aus Zeitungsberichten und Archivquellen rekonstruiert werden12. Kapitel IV schließlich widmet sich auf der durch die vorangegangenen Kapitel geschaffenen Grundlage dem Brünner deutschen Theater der Zwischenkriegszeit. Dabei wurden bestimmte Themenfelder herausgegriffen, die für die Frage nach der Bedeutung des Theaters für das Selbstverständnis der Brünner Deutschen und insbesondere nach dem Ineinandergreifen von Nationalitäts- und Theaterdiskurs Relevanz besitzen. Bei diesen Kristallisationspunkten handelt es sich um Ereignisse oder Entwicklungen, die über das vordergründige Geschehen hinaus etwas aussagen über das Verhältnis von Theater und Identität. Sie reichen von Ergebnissen der Spielplananalyse über den Konkurs eines Theaterdirektors oder Debatten über die politische Zusammensetzung des Theatervereins bis hin zu antisemitischen Theaterskandalen. Aus der Zusammenschau mehrerer solcher Einzelaspekte ergibt sich schließlich ein Bild von der Rolle, die das Theater in der Zwischenkriegszeit für die Brünner Deutschen spielte. Die Anordnung dieser Themen ist zwar chronologisch, innerhalb der Kapitel kommt es jedoch durch die thematische Bündelung zu zeitlichen Vorgriffen und Rückblenden. Die ausgewählten Themenstränge streben dabei keine Vollständigkeit an, sondern stellen eine Auswahl dar an möglichen und vor allem aufgrund der Forschungslage notwendigen grundlegenden Fragen an das Material. Abgesehen von Bondis Texten gibt es bislang keine eigenständigen Werke zum Brünner deutschen Theater, lediglich in Werken zu größeren oder verwandten Themen finden sich vereinzelte Informationen, in denen die Situation in Brünn allerdings stets nur am Rande behandelt wird. Aufgrund dessen, dass es sich dabei nicht um die Ergebnisse spezifischer Arbeiten zu Brünn handelt, sondern gewissermaßen um Nebenprodukte anderer Forschungen, sind sie überdies durchgehend anfällig für Fehler aller Art und daher für Informationen über das Brünner Theater nur bedingt verwendbar; Artikel zu Einzelaspekten, die meist nicht aus einer tiefergehenden Beschäftigung mit der Geschichte des Brünner deutschen Theaters resultieren, kranken meist an demselben Problem.
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Diese wurden auch für die Zeit davor herangezogen, brachten allerdings keine von Bondi abweichenden Ergebnisse.
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Verwendete Quellen Die Basis für die Kapitel I und II stellt wie erwähnt die Grundlagenliteratur zu diesen Themen dar, die, wo möglich, mit Ergebnissen der eigenen Recherchen ergänzt wurde. Die Geschichte des Brünner deutschen Theaters musste allerdings aus den Quellen rekonstruiert werden. Das wichtigste Material dafür stellten die in der Tschechoslowakei erschienenen deutschsprachigen Zeitungen dar. Von diesen wurden der in Brünn herausgegebene Tagesbote aus Mähren und Schlesien und die überregionale Bohemia von Beginn der Spielzeit 1918/19 (also von 1. September 1918) bis Ende 1938 (31. Dezember 1938) komplett durchgearbeitet, um die für die Theatergeschichte relevanten Artikel zu erfassen. Die Bohemia war mit einer Auflage von 30.000 Stück eine der meistgelesenen deutschsprachigen Tageszeitungen und stand dem liberalen Bürgertum nahe. Sie vertrat zwar nationalere Positionen als beispielsweise das Prager Tagblatt, die meistgelesene deutsche Zeitung der Tschechoslowakei, dafür widmete sie den Theatern außerhalb Prags weitaus mehr Platz. Der Tagesbote, mit einer Auflage von 18.000 Stück die größte deutschsprachige Zeitung Mährens, ist ebenfalls dem Spektrum der liberalen Zeitungen zuzurechnen; er vertrat eine gemäßigtere Position als die Bohemia, was sich allerdings 1938 änderte. Der Tagesbote schlug sich bereits im Frühjahr offen auf die Seite der NationalsozialistInnen, wogegen sich die Bohemia deutlich zum Aktivismus bekannte – und dementsprechend in Österreich nach dem „Anschluss“ verboten wurde. Ergänzend wurden zu bestimmten Ereignissen, die sich für das Theater als wichtig erwiesen, andere tschechoslowakische Zeitungen herangezogen, so das Prager Tagblatt, die regierungsnahe Prager Presse, der sozialdemokratische Brünner Volksfreund, die größte tschechische Zeitung, die liberalen Lidové noviny, und das kommunistische Rudé pravo. Die Übersetzungen der tschechischen Artikel stammen, so nicht anders angegeben, von mir. Dass es sich bei den Inhalten der Zeitungsartikel nicht immer um Fakten, sondern oft um Meinung, und zwar nicht unbedingt um öffentliche, sondern vielmehr um veröffentlichte handelt, muss dabei stets im Blick behalten werden. Weiters wurden die Archivquellen aufgearbeitet, die allerdings nur lückenhaft vorhanden sind. Das Archiv des Theaters selbst existiert nicht mehr, es ging im Krieg oder zu Kriegsende verloren; die Quellen beschränken sich also auf die offiziellen Akten, die vor allem im Mäh-
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rischen Landesarchiv liegen. Diese umfassen neben Zensur- und Polizeiakten den Schriftverkehr des Landesamtes mit dem Theater sowie die Bestände der Vereinspolizei zu den einzelnen in das Theatergeschehen involvierten Vereinen. Außerdem wurden die das Theater betreffenden Akten des Innenministeriums im Prager Nationalarchiv durchgesehen; diese erwiesen sich jedoch als wenig ergiebig. Im Mährischen Landesmuseum findet sich – neben einigen einzelnen Broschüren zum Theater – eine Zeitungsausschnittsammlung, die offensichtlich von einem privaten Theaterliebhaber oder einer Theaterliebhaberin erstellt wurde und die für den hier interessierenden Zeitraum die Jahre 1918 bis 1925 und 1928 bis 1935 abdeckt. Es fehlen hier jedoch Angaben zum Titel der Zeitung und zum Erscheinungsdatum. Die im Archiv der Hauptstadt Prag befindlichen Reste des Archivs des Neuen Deutschen Theaters Prag geben mitunter ebenfalls Aufschluss über Vorgänge in Brünn. Hier findet sich die Korrespondenz zwischen der Prager und der Brünner Theaterdirektion – allerdings nur in Bruchstücken – sowie Reste der Korrespondenz mit den jeweiligen Verbänden der SchauspielerInnen, der DirektorInnen und der TheaterbetreiberInnen. Aus diesem zum Teil recht heterogenen Material wurden die für die Fragestellung relevanten Dokumente ausgewählt, um so die Rolle, die das Theater für die Identitätskonstruktionen der deutschen BrünnerInnen gespielt hat, anhand der unterschiedlichsten Themenkomplexe aufzuzeigen.
Eine Ansichtskarte anlässlich des 20jährigen Bestehens der Tschechoslowakischen Republik, die gleichsam eine Ansammlung zentraler Gedächtnisorte der Ersten Republik darstellt. Oben Stadtansichten von Brünn und Prag, unten Bratislava mit der Donau, rechts die Gerlsdorfer Spitze, höchster Berg der Hohen Tatra und damals der Tschechoslowakei. Im Lorbeerkranz die beiden ersten Präsidenten, Tomá Garrigue Masaryk und Edvard Bene, darüber die Inschrift „Die Wahrheit siegt“, der Wahlspruch der Republik. Links unten tschechische Legionäre des Ersten Weltkriegs in der russischen, französischen und italienischen Armee, rechts unten Soldaten der tschechoslowakischen Armee. Ich danke Robert Pejek für die Hilfe bei der Identifizierung der einzelnen Bildkomponenten.
Ansichtskarte, 1928, K.W.
I. Die Deutschen in der Ersten Tschechoslowakischen Republik
Die Forschungsarbeiten zum Verhältnis von deutschsprachigen und tschechischen StaatsbürgerInnen der Tschechoslowakei haben sich lange Zeit vor allem auf politische Geschichte, die verschiedenen Parteien, die rechtliche Stellung der Deutschen und Ähnliches beschränkt. Erst in den letzten Jahren beschäftigen sich HistorikerInnen mit Fragen des alltäglichen Zusammenlebens sowie mit den jeweiligen Bildern, die die beiden Nationen voneinander hatten. Kulturgeschichtliche Themen wurden jedoch erst an wenigen Einzelbeispielen bearbeitet. Dabei stand bisher meist das Verhältnis zwischen deutschen und tschechischen StaatsbürgerInnen der Tschechoslowakei sowie das Verhältnis zwischen Deutschland und der Tschechoslowakei im Mittelpunkt des Interesses1. Neben dem Verhältnis zu Österreich verdeckte diese Schwerpunktsetzung lange Zeit auch Debatten und Diskurse innerhalb der Gruppe der deutschsprachigen TschechoslowakInnen, in denen sich eine gemeinsame Identität, bzw. Ansätze zu einer solchen, erst langsam herausbildete. Zwei politische Haltungen sind in diesem Zusammenhang besonders zu beachten: der „Aktivismus“ einerseits, der konstruktiv im gemeinsamen Staat mitarbeiten wollte, um Autonomierechte für die Deutschen der Tschechoslowakei zu erreichen, und der Aufschwung der aus dem „Volkstumskampf“ hervorgegangenen Sudetendeutschen Partei andererseits, die nach anfänglichen Zeichen der Staatstreue schlussendlich eine Loslösung der sogenannten „deutschen Gebiete“ 1
Vgl. beispielsweise Ferdinand Seibt. Deutschland und die Tschechen. Geschichte einer Nachbarschaft in der Mitte Europas. Vollst. überarb. Neuausgabe. München, Zürich: Piper, 1993.
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vom tschechoslowakischen Staat und eine Vereinigung mit dem Deutschen Reich anstrebte. Die Erforschung der komplexen Beziehungen von „Deutschen“ und „TschechInnen“ in der Tschechoslowakei ist nicht vorrangige Aufgabe dieses Buches; dieses Kapitel soll vielmehr einige Spezifika dieses Verhältnisses und seine Entwicklung in den zwanzig Jahren des Bestehens der Ersten Republik aufzeigen, um als Grundlage für die Frage nach dem Ineinandergreifen von Diskursen um Nationalität und solchen um das Theater zu dienen. Zuvor ist es allerdings nötig, die Begriffe „deutsch“ und „sudetendeutsch“ sowie ihre Verwendung in diesem Buch zu klären. Die Nationalismusforschung hat in den letzten Jahren konzise herausgearbeitet, dass weder „Ethnien“ noch „Nationen“ an sich existieren, sondern dass diese im 19. Jahrhundert von nationalistischen Gruppierungen konstruiert und verbreitet wurden2. Dass die Verwendung unterschiedlicher Umgangssprachen eine unterschiedliche Identität impliziert, ist nicht selbstverständlich, sondern wurde erst mit der Durchsetzung der Nationalismen plausibel – und auch dies lange Zeit nicht für alle Menschen. Dass hier dennoch von „Deutschen“ und „TschechInnen“ die Rede sein wird, soll keine nationalen Identitäten fixieren, sondern dient dazu, den historischen Bezugsrahmen abzustecken, in dem in der Zwischenkriegszeit der Alltag und die Kultur der BürgerInnen gesehen wurden. Dass dabei selbst private oder kulturelle Handlungen, wie beispielsweise der Besuch des Theaters, national interpretiert wurden, liegt an der erfolgreichen Internalisierung der nationalistischen Konzepte3. Zwischen 1918 und 1938 war es für wesentlich mehr Menschen in der Tschechoslowakei selbstverständlich, sich über ihre „Nationalität“ zu definieren, als dies um 1900 der Fall gewesen war – insbesondere im städtischen Bürgertum, das den größten Teil des Publikums des Brünner deutschen Theaters darstellte. Während man heute mit dem Begriff „Deutscher“ im Allgemeinen einen Staatsbürger Deutschlands meint, wurde in der Zwischenkriegszeit damit üblicherweise seine Nationalität bezeichnet; die Staatszugehörigkeit konnte beispielsweise reichsdeutsch, tschechoslowakisch oder österreichisch sein. Der Begriff „Sudetendeutsche“ tauchte um 2
Vgl. Brubaker, Nationalism Reframed; Judson, Guardians of the Nation; King, Budweisers into Czechs and Germans.
3
Vgl. Judson, Guardians of the Nation, insbes. das Kapitel „Tourism to the Rescue: Consumption and National Identity“, S. 141-176.
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die Jahrhundertwende auf, begann sich jedoch erst mit dem Erstarken der Sudetendeutschen Heimatfront (später Sudetendeutsche Partei) unter Konrad Henlein ab 1933 allmählich vor allem in deutschnationalen Kreisen durchzusetzen. Zuvor war im zeitgenössischen Sprachgebrauch meist einfach von „Deutschen“ – im Unterschied zu „Reichsdeutschen“, wie die BürgerInnen des Deutschen Reichs bezeichnet wurden –, oft auch von „tschechoslowakischen Deutschen“, die Rede gewesen. „Daß sich die Verwendung dieses Begriffes [der tschechoslowakischen Deutschen, K.W.] eingebürgert hatte […] konnte durchaus als Nachweis für das Vorhandensein eines gewissen national gemäßigten und staatsloyalen Potentials in der Bevölkerung angesehen werden, denn offenkundig nahmen weder die Leser noch die Redaktion der Zeitung, die stets auch die Auflage im Blick haben mußte, irgendeinen Anstoß daran. Zudem lag der Schluß nahe, daß längst nicht alle Deutschen eine Identität angenommen hatten, die sich ausschließlich unter der Sammelbezeichnung Sudetendeutsche subsumierte. Nicht zufällig trugen sämtliche relevanten deutschen Parteien in ihrem Namen das Beiwort ‚deutsch‘, nicht aber ‚sudetendeutsch‘. […] Hinter den Einheitsfront-Bemühungen der Gegner des Aktivismus stand eben auch die Absicht, identitätsstiftend zu wirken. Deshalb wurde – und dies zeigen die Bezeichnungen für die Projekte ‚sudetendeutsches Notparlament‘, ‚Sudetendeutscher Volksrat‘, ‚Sudetendeutsche Volkspartei‘, ‚Sudetendeutsche Volksfront‘ und schließlich ‚Sudetendeutsche Heimatfront‘ – großer Wert auf das Beiwort ‚sudetendeutsch‘ gelegt.“4
Dieses Phänomen ist auch auf dem Gebiet des Theaters zu beobachten, wo sich die Interessensverbände Bund der Angestellten der deutschen Theater in der Tschechoslowakischen Republik (später Bühnenbund in der Tschechoslowakischen Republik), Verband deutscher Bühnenleiter in der Tschechoslowakei und Verband der deutschen Theatererhalter in der Tschechoslowakischen Republik nannten – kein einziger der drei Verbände wählte die Bezeichnung „sudetendeutsch“. Die verstärkte Betonung dieses Begriffs bei nationalistischen Verbänden zeigt auch, wie sehr eine gemeinsame Identität damit eigentlich erst hergestellt werden sollte. Paradoxerweise verstanden sich gerade die ExponentInnen des prononcierten „Sudetendeutschtums“ in erster Linie als Teil der „deutschen Volksgemeinschaft“, während die4
Kracik, Die Politik des deutschen Aktivismus, S. 253f.
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jenigen PolitikerInnen und JournalistInnen, die einfach von „Deutschen“ sprachen, wenn sie die Deutschen in der Tschechoslowakei meinten, die Gemeinsamkeiten mit den Deutschen in Deutschland – insbesondere seit 1933 – eher in den Hintergrund rückten und versuchten, eine eigene Identität der tschechoslowakischen Deutschen zu etablieren. Insgesamt blieben die Begriffe aber ziemlich schwammig und wurden mitunter recht willkürlich und undifferenziert verwendet. In der Forschungsliteratur wurden die Begriffe „sudetendeutsch“ und „deutsch“ lange Zeit meist synonym benutzt. Eine der frühesten Arbeiten, die die Verwendung ihrer Begriffe explizit machte, war die von Jaworski, der sich dafür entschied, den Begriff „Sudetendeutsche“ als „vereinfachenden Oberbegriff“ zu verwenden. Diesen bezog er „auf sämtliche deutsche Bevölkerungsteile Böhmens, Mährens und des österreichischen Schlesiens“, insbesondere „auf die Trägerschichten der deutschnationalen Aktivitäten: auf die bürgerlich-mittelständischen Elemente jener Regionen.“5 In den letzten Jahren hingegen hat sich der Begriff der „Deutschen“ als Oberbegriff etabliert, „sudetendeutsch“ bezeichnet oft nur diejenigen Bevölkerungsteile und Vereine, die sich selbst als Vorreiter im „Volkstumskampf“ sahen6. Dementsprechend wird auch in diesem Text nicht von „Sudetendeutschen“, sondern von „Deutschen“ gesprochen. Die endgültige Etablierung einer „sudetendeutschen“ Identität fand erst mit der Vertreibung 1945 statt 7, für die Zwischenkriegszeit handelte es sich in erster Linie um einen ideologisch intendierten Sammelbegriff, dessen politische Implikationen zudem von den meisten ProtagonistInnen des Brünner deutschen Theaters bis zum Ende der Republik abgelehnt worden waren. Vielfach wurde unter dem Begriff „deutsch“ in erster Linie die Zugehörigkeit zum deutschen „Kulturkreis“ verstanden; erst unter dem steigenden Einfluss von NS-Deutschland und SdP wurde der Begriff zunehmend rassisch definiert. Die deutschen Bevölkerungsschichten, die für diesen Text relevant sind (und das gilt für jüdische und nichtjüdische BrünnerInnen gleichermaßen), fühlten sich dem Deutschtum vor allem
5
Jaworski, Vorposten oder Minderheit, S. 10.
6
Vgl. beispielsweise Weger, Die Konstruktion einer Gruppe; Martin Zückert. Zwischen Nationsidee und staatlicher Realität. Die tschechoslowakische Armee und ihre Nationalitätenpolitik 1918-1938. München: Oldenbourg, 2006, S. 23f.
7
Vgl. Alexander, Phasen der Identitätsfindung.
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kulturell zugehörig8. Wenn folglich in diesem Text von „deutsch“ oder den „Deutschen“ die Rede ist, so sind damit stets Phänomene bezeichnet, die sich auf die deutschsprachigen BürgerInnen in der Tschechoslowakei beziehen – wo dies nicht der Fall ist, wird darauf eigens hingewiesen.
I.1 D IE POLITISCHE E NTWICKLUNG DER REPUBLIK BIS ZU H ITLERS „M ACHTERGREIFUNG “ IN D EUTSCHLAND In der Österreichisch-Ungarischen Monarchie hatten sich tschechische Politiker immer wieder um einen Ausgleich bemüht, wie ihn auch Ungarn erreicht hatte und der die innenpolitische Unabhängigkeit Ungarns begründet hatte. Zunehmend war das Leben in Böhmen und Mähren als ein vom Nationalitätenkonflikt gekennzeichnetes erschienen9. Im Verlauf des Ersten Weltkriegs verschlechterten sich die Beziehungen weiter, tschechische Verbände der k.u.k. Armee liefen zur Entente über, die Regierung reagierte mit besonders strengen Repressionen in Böhmen und Mähren10. Tschechische Politiker hatten ursprünglich eine mehr oder weniger weitreichende Autonomie innerhalb der Monarchie angestrebt, doch während des Krieges änderten sich die Möglichkeiten für die tschechische Exilregierung Masaryks und Bene’. Es wurde immer klarer, dass die Alliierten gewillt waren, eine Zerschlagung der Österreichisch-Ungarischen Monarchie zu unterstützen, vor allem seit der Proklamation von Wilsons 14-Punkte-Programm, das unter anderem das Selbstbe8
Zur Diskussion einer sudetendeutschen Identität vgl. auch Kap. II.3.
9
Dazu, wie viel Arbeit vonseiten der – deutschen und tschechischen – NationalistInnen dafür nötig war, vgl. Judson, Guardians of the Nation.
10
Vgl. Ernst Birke. Der Erste Weltkrieg und die Gründung der Tschechoslowakei 1914-1919. In: Handbuch der Geschichte der böhmischen Länder. Bd. III. Die böhmischen Länder im Habsburgerreich 1848-1919. Bürgerlicher Nationalismus und Ausbildung einer Industriegesellschaft. Hg. v. Karl Bosl. Stuttgart: Anton Hiersemann, 1968, S. 239-446, S. 276ff. u. 290-303; vgl. auch Jan Havránek. Politische Repression und Versorgungsengpässe in den böhmischen Ländern 1914 bis 1918. In: Der Erste Weltkrieg und die Beziehungen zwischen Tschechen, Slowaken und Deutschen. Hg. v. Hans Mommsen, Duan Ková u. Jií Malí. Essen: Klartext, 2001, S. 47-66, S. 51f.
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stimmungsrecht der Völker als eines der Kriegsziele nannte. Die übergelaufenen tschechischen Verbände, die sogenannten „Legionen“, wurden als kriegsführende Parteien anerkannt. So entstand die paradoxe Situation, dass eine tschechische/tschechoslowakische Armee bereits zu einem Zeitpunkt bestand, zu dem der dazugehörige Staat noch gar nicht existierte. Am 28. Oktober 1918 wurde schließlich in Prag die tschechoslowakische Republik ausgerufen, ihre vorläufige Verfassung wurde am 13. November 1918 nicht von einem gewählten Parlament, sondern vom Nationalausschuss beschlossen, in den die Deutschen keine VertreterInnen entsandt hatten. Als gesetzgebendes Organ sah die Verfassung die Nationalversammlung vor, die bis zu den ersten Parlamentswahlen 1920 aufgrund der Stärke der Parteien im Abgeordnetenhaus des Wiener Reichsrats zusammengesetzt war – auch hier waren nur TschechInnen und SlowakInnen Mitglieder. Die deutschen Abgeordneten erklärten – ebenfalls unter Berufung auf das Selbstbestimmungsrecht der Völker – die proklamierten Provinzen „Deutsch-Böhmen“, „Sudetenland“, „Deutsch-Südmähren“ und „Bömerwaldgau“ zu Provinzen von Deutsch-Österreich und begannen mit dem Aufbau deutscher Verwaltungsstrukturen. Nach tschechischer Rechtsauslegung, nach der das Recht auf Selbstbestimmung nur für Völker und nicht für Volksgruppen galt, war dieses Recht für die Deutschen Böhmens und Mährens ungültig. Die tschechoslowakische Regierung, für die die historischen Grenzen der böhmischen Länder ausschlaggebend waren11, ließ die strittigen Gebiete schließlich militärisch besetzen, stieß dabei allerdings nirgendwo auf größeren Widerstand12. 11
Was allerdings nur für die böhmischen Länder galt; im Falle der Slowakei wurde stattdessen mit der Zusammengehörigkeit von TschechInnen und SlowakInnen als Teilen der „tschechoslowakischen Nation“ argumentiert.
12
Vgl. Hans Lemberg. Die Tschechoslowakei im Jahr 1. Der Staatsaufbau, die Liquidierung der Revolution und die Alternativen 1919. In: Das Jahr 1919 in der Tschechoslowakei und in Ostmitteleuropa. Hg. v. Hans Lemberg u. Peter Heumos. München: Oldenbourg, 1993, S. 225-248; zum Themenkomplex Erster Weltkrieg und die ersten Jahre der Nachkriegszeit vgl. außerdem: Mommsen/Ková/Malí, Der Erste Weltkrieg; Karel Pichlík. Zur Kritik der Legenden um das Jahr 1918. In: Aktuelle Forschungsprobleme um die Erste Tschechoslowakische Republik. Hg. v. Karl Bosl. München, Wien: Oldenbourg, 1969, S. 79-92; Karl Braun. Der 4. März 1919. Zur Herausbildung sudetendeutscher Identität. In: Bohemia 37 (1996), S. 353-380.
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Diesen Vorgängen war eine offensichtliche Fehleinschätzung der Lage und vor allem der Machtverhältnisse vonseiten der deutsch-böhmischen und der österreichischen Politiker vorausgegangen. Ferdinand Seibt schreibt in diesem Zusammenhang von der tschechischen Entschlossenheit, „die historischen Grenzen zu behaupten, eine Entschlossenheit, die Gebsattel [der kaiserliche Generalkonsul Deutschlands in Prag, K.W.] anscheinend besser erkannte als die deutsch-böhmischen Politiker. [...] ‚Ein ganz anderer Ausblick würde sich den Deutsch-Böhmen eröffnen‘, schreibt der deutsche Diplomat weiter, ‚wenn sie sich jetzt zu einem freiwilligen Verbleiben im Tschechenstaate entschlössen. Wenn dann auch selbstverständlich nicht alle ihre nationalpolitischen Wünsche Erfüllung fänden, so könnten sie doch in dieser Beziehung des größten Entgegenkommens von Seiten der Tschechen sicher sein. Im dringendsten eigensten Interesse der Tschechen ist es ja gelegen, die kulturell und wirtschaftlich hochentwickelte, kapital- und steuerkräftige deutsche Minorität auf nationalem und wirtschaftlichem Gebiet zufriedenzustellen und ihr die Möglichkeit zur weiteren Entwicklung zu bieten, schon um das Gedeihen des gesamten Staates sicherzustellen. An freundlichen, verheißenden Anerbietungen haben es die Tschechen in letzter Zeit nicht fehlen lassen, ebenso wenig an deutlichen Winken, daß sie zu sofortigen Verhandlungen bereit sind. Auch meinen es die Tschechen entschieden ehrlich mit ihren Lockungen. Wenn sich also die Deutschen mit den Tschechen jetzt an den Verhandlungstisch setzen wollen, so ist dies für sie der günstigste Augenblick [...] Torheit aber wäre es, wenn die Deutschen es jetzt oder nach dem Friedensschluß auf einen Bürgerkrieg ankommen ließen [...] Allein auf sich selbst angewiesen, stünden sie der gesamten, mit den Tschechen verbündeten Entente gegenüber [...] Im Interesse der Deutsch-Böhmen scheint es also zu liegen, sich im gegenwärtigen Augenblick auf dem Wege direkter Verhandlungen mit den Tschechen eine möglichst günstige Stellung im tschechoslowakischen Staate zu sichern.‘“13
Statt jedoch selbst mit den tschechischen VertreterInnen zu verhandeln, verhandelten die deutschböhmischen PolitikerInnen als Teil der österreichischen Delegation und gerieten so prompt in den Interessenskonflikt, in dem sich Österreich bezüglich der Unterstützung der deutsch-böhmischen und -mährischen Provinzen befand: Die tschechoslowakische Regierung hatte Kohlen- und Lebensmittellieferungen nach Wien stoppen lassen, was die österreichische Verhandlungspositi13
Seibt, Deutschland und die Tschechen, S. 261f.; Auslassungen F. S.
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on deutlich schwächte. Die VertreterInnen Österreichs zogen sich schließlich ganz aus der Frage der böhmisch-mährischen Gebiete zurück und erklärten sie zwar nicht explizit zum innenpolitischen Problem der SR, mischten sich aber gleichwohl hier nicht mehr ein14. Im Frühjahr 1919 kam es im Vorfeld der österreichischen Nationalratswahlen, an denen die tschechoslowakische Regierung den Deutschen der böhmischen Länder die Teilnahme untersagt hatte, zu Demonstrationen und einem Generalstreik in einigen mehrheitlich deutschen Orten. Das Einschreiten des Militärs führte dazu, dass rund 50 Menschen getötet, zahlreiche weitere verletzt wurden. Diese Ereignisse spielten in den ersten Jahren der Republik in nationalen Kreisen eine große Rolle für deren Selbstverständnis der Deutschen als Volk, dessen Territorium besetzt worden war und das vom Selbstbestimmungsrecht der Völker, auf das sich ja auch die tschechischen PolitikerInnen bei der Gründung des Staates berufen hatten, ausgeschlossen wurde – auch wenn andere Deutungen der Ereignisse durchaus auch möglich gewesen wären15. Das unterschiedliche Rechtsverständnis in Bezug auf die politischen Zustände hatte schon im Vorfeld der Märzdemonstrationen eine Rolle gespielt: „Deutlich verstärkten sich diese Spannungen [zwischen TschechInnen und Deutschen, K.W.] durch die große Zeitlücke zwischen dem revolutionären Entstehen der neuen staatlichen Einheiten auf dem Boden der zerfallenen österrei14
Vgl. Hanns Haas. Im Widerstreit der Selbstbestimmungsansprüche: vom Habsburgerstaat zur Tschechoslowakei – die Deutschen der böhmischen Länder 1918 bis 1919. In: Mommsen/Ková/Malí, Der Erste Weltkrieg, S. 141-220.
15
So war der Generalstreik ursprünglich von den SozialdemokratInnen ausgerufen worden und unter den Toten waren verhältnismäßig viele ArbeiterInnen; unter den toten Soldaten wiederum befand sich mindestens ein Deutscher. Eine Interpretation der Ereignisse im Rahmen des „Klassenkampfes“ wäre also auch möglich gewesen. Zu den Ereignissen des 4. März, zu denen noch immer nicht alle Fakten bekannt sind, vgl. außer Braun, Der 4. März 1919, Weger, Die Konstruktion einer Gruppe, und Katharina Wessely. Theater und Gedächtnis. Der 4. März 1919 und T. G. Masaryk als Gedächtnisorte? In: Aufbruch und Krise. Das östliche Europa und die Deutschen nach dem Ersten Weltkrieg. Hg. v. Beate Störtkuhl, Jens Stüben u. Tobias Weger. München: Oldenbourg, 2010, S. 185-196.
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chisch-ungarischen Monarchie im Herbst 1918 und der formalen Bestätigung der neuen staatsrechtlichen und territorialen Ordnung durch die Pariser Friedensverträge beinahe ein Jahr danach. [...] Die Tschechen stützten sich auf das revolutionäre Recht des erfolgreichen Umsturzes; hieraus leiteten sie auch die Befugnis zum Regieren über das gesamte Gebiet der böhmischen Länder ab und wurden durch die diplomatische Anerkennung ihrer mächtigen Verbündeten in ihrer Machtlage gestärkt. In der bevorstehenden und fest erwarteten Genehmigung ihrer errungenen Position durch die Friedensverträge sahen sie nur eine formale internationale Bestätigung der von ihnen geschaffenen vollendeten Tatsachen. Die besiegten Sudetendeutschen dagegen hielten an dem Gesichtspunkt der völkerrechtlichen Theorie fest, daß eine durch Revolution beseitigte staatsrechtliche Ordnung theoretisch ihre Rechtskraft so lange behalte, bis eine neue Ordnung durch die Friedensverträge förmlich verankert wird; bis dahin entbehre die Ausübung einer Gebietshoheit durch die besitzenden Machthaber der rechtlich bindenden Kraft. Diese Diskrepanz von zwei starr entgegengesetzten Rechtspositionen in der Zeit der Bildung des neuen Staates hat sich schicksalhaft auf das weitere Verhältnis der beiden Völker ausgewirkt; sie ist im Grunde auch die Ursache für die unglücklichen Vorfälle am 4. März 1919. Die Tschechen betrachteten ihre Verwaltung der von den Sudetendeutschen bewohnten Teile der böhmischen Länder als die Ausübung ihrer regulären Regierungskraft auf dem tschechoslowakischen Staatsgebiet. In sudetendeutscher Sicht dagegen handelte es sich damals lediglich um eine feindliche Okkupation ihrer Heimat, die – obwohl von den Großmächten autorisiert – keinen rechtlichen Einfluß auf den staatsrechtlichen Stand der Sudetendeutschen habe, noch ihre staatspolitischen Rechte beseitigen könne. So nahmen dann die Demonstrationen am 4. März 1919 ihren verhängnisvollen Lauf.“16
Das Gedenken an diese in Anspielung auf 1848 sogenannten „Märzgefallenen“ war in den ersten Jahren der Republik zentral für das Selbstverständnis der Deutschen, „[d]ie Toten des 4. März werden zum Mythologem, um das sich herum […] die gemeinsame Identität der Deutschen in der Tschechoslowakei als nunmehrige Sudetendeutsche bildet“17.
16
Karel Lisick. Die Entwicklung des deutsch-tschechischen Verhältnisses in tschechischer Sicht. In: Beiträge zum deutsch-tschechischen Verhältnis, S. 79-92, S. 87.
17
Braun, Der 4. März 1919, S. 375.
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Dieser Einsatz des Militärs gegen eigene Staatsangehörige führte ein grundsätzliches Problem einer multinationalen Armee in einem Staat, der sich selbst als Nationalstaat verstand, vor Augen. „Für die Tschechoslowakei hatte die Armee eine besondere Bedeutung. Sie sollte nicht nur den Staat gegen auswärtige Feinde schützen, [...] sondern auch die Ordnung im Innern sichern, indem sie irredentistische Bestrebungen der Minderheiten unmöglich machte. [...] Obwohl die Angehörigen der anderen Nationalitäten den Gestellungsbefehlen des Staates jeweils bis auf wenige Ausnahmen folgten, stellte das national gemischte Heer doch einen Unsicherheitsfaktor dar. Lange war in den technischen Abteilungen das Übergewicht ehemals österreichischer Offiziere deutscher Sprache nicht zu beseitigen, so daß ein Einsatz dieser Truppen gegen Deutschland und wohl auch gegen Ungarn ein riskantes Unternehmen bleiben mußte. [...] Solange die Loyalität der Sudetendeutschen nicht durch einen militärischen Konflikt mit Deutschland oder Österreich auf die Probe gestellt wurde, erwiesen sie sich als verläßliche Soldaten. Ihre Einberufung schränkte aber die außenpolitische Bewegungsfreiheit des Staates gegen Deutschland und Österreich ein“.18
Wie wenig die tschechoslowakische Armee tatsächlich imstande war, den Angehörigen der Minderheiten Identitätsangebote zu machen, zeigt Zückert auf: „Auch noch in den Jahren, in denen die Tschechoslowakei von einem undemokratischen, totalitär verfaßten Nachbarland wie dem nationalsozialistischen Deutschland bedroht wurde, sollten die Soldaten eher durch den Verweis auf die Nation als durch die Verinnerlichung demokratischer Werte zur Kampfbereitschaft gemahnt werden. […] [Es] wurde zu wenig zur Kenntnis genommen, daß auf diese Weise mindestens ein Drittel der Rekruten nicht für den Staat gewonnen werden konnte.“19
Die Alliierten schlossen sich in den Friedensverträgen schließlich der tschechischen Rechtsauslegung und der Berufung auf die historischen Grenzen der Länder der böhmischen Krone an, und die Gebiete mit deutschsprachiger Bevölkerungsmehrheit blieben Teil der Tschecho18
Manfred Alexander. Der deutsch-tschechoslowakische Schiedsvertrag von 1925 im Rahmen der Locarno-Verträge. München, Wien: Oldenbourg, 1970, S. 29f.
19
Zückert, Zwischen Nationsidee und staatlicher Realität, S. 181f.
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slowakei. Grundsätzlich ist jedoch festzuhalten, dass die anfängliche Skepsis in weiten Teilen der deutschsprachigen Bevölkerung bald einer weitgehenden Akzeptanz des Staates wich. In der neuen Republik herrschte grundsätzliche Rechtskontinuität, d.h. in Böhmen, Mähren und Schlesien galt weiterhin österreichisches Recht, in der Slowakei dagegen ungarisches. Die Gesetze galten jeweils so lange, bis sie von neuen tschechoslowakischen Gesetzen abgelöst wurden. Der Übergang zur neuen Ordnung vollzog sich reibungslos, die meisten Personen blieben in ihren Ämtern, die oftmals nur umbenannt wurden; z.B. wurde aus der Statthalterei die politische Landesverwaltung, der Statthalter hieß nun Landespräsident20. Die ersten Gesetze der Republik standen im Zeichen der „Entösterreicherung“ und betrafen vor allem die Einschränkung der Macht von Adel und Kirche, die Neuordnung von Verwaltung und Gerichtsbarkeit, die Erlassung neuer Sozialgesetze und die Währungs-Loslösung. Durch die Rechtskontinuität wurde Zeit gewonnen, um die wichtigen Punkte zuerst zu regeln: Das allgemeine, direkte und gleiche Wahlrecht wurde auf die Gemeindewahlen ausgedehnt, das Frauenwahlrecht eingeführt und die Volljährigkeitsgrenze von 24 auf 21 Jahre herabgesetzt, der Acht-Stunden-Tag eingeführt und Kinder- und Nachtarbeit eingeschränkt, eine staatliche Arbeitslosenunterstützung eingeführt, die Alters- und Krankenversicherung ausgedehnt, der Mieterschutz geschaffen, Großgrundbesitz konfisziert. Gleichzeitig war jedoch der Zentralismus der SR stärker als der der Monarchie, an der Spitze der Länder stand mit dem Landespräsidenten jeweils ein ernannter Beamter, das Sprachenrecht der Bezirke und Länder wurde jetzt vom Staat geregelt, der Mährische Ausgleich aufgehoben. Ab ca. 1920, verstärkt dann ab 1933, als die Republik angesichts der Verhärtung der politischen Fronten glaubte, zu ihrem eigenen Schutz autoritärer werden zu müssen, verwendete die Regierung das Mittel der Ermächtigungsgesetzgebung, mit der sie Verfügungen auf dem Verordnungsweg erlassen konnte, obwohl diese Möglichkeit von der Verfassung eigentlich nicht vorgesehen war. 1923 wurden das Gesetz zum Schutz der Republik21 und das Gesetz über das Staatsge20
Der Statthalter war in der Monarchie für die Vergabe von Theaterkonzessionen zuständig gewesen, der Landespräsident war dies aufgrund der Rechtskontinuität auch in der Republik.
21
Dieses war vor allem gegen die KP intendiert, konnte (und wurde) aber auch gegen die Autonomiebestrebungen der SlowakInnen sowie gegen die
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richt erlassen, die eine weitere Machtkonzentration aufseiten des Staates bewirkten. Das Gesetzgebungsrecht der Landtage wurde beseitigt, die Selbstverwaltungsorgane der Länder und Bezirke durch ernannte Kommissionen ersetzt, das Wahlalter wieder auf 24 hinaufgesetzt, die Selbstverwaltungsrechte der Gemeinden eingeschränkt, ihre Finanzhoheit geschwächt, Aufgaben der Ortspolizei an die staatliche Polizeidirektion übertragen, die Zahl der Städte mit eigenem Statut verringert, eine Bestätigungspflicht der gewählten Bürgermeister durch eine staatliche Aufsichtsbehörde eingeführt22. Aufgrund der vielen kleinen Parteien waren Koalitionsregierungen während der gesamten Zwischenkriegszeit notwendig. Bis 1925 war dies eine „allnationale“ tschechische Regierung (die slowakische Volkspartei war 1921 ausgetreten), 1926-29 eine bürgerliche tschechisch-deutsche, in den dreißiger Jahren eine Koalition aus tschechischen und deutschen bürgerlichen Parteien sowie beiden sozialdemokratischen Parteien. Die ersten Parlamentswahlen fanden im April 1920 statt, die tschechischen und deutschen SozialdemokratInnen gingen als jeweils stärkste Parteien hervor23. Es bildete sich eine „allnationale“ tschechoslowakische Koalition. Vor den Parlamentswahlen 1925 versuchten die bürgerlichen deutschen Parteien zum wiederholten Mal, einen Zusammenschluss aller deutscher Parteien zu erreichen; doch die SozialdemokratInnen24, aber auch die NationalsozialistInnen, lehnten das wegen divergierender Interessen ab. Bei der Wahl kam es zu einem Rechtsrutsch, insgesamt Minderheiten eingesetzt werden; vgl. Hoensch, Geschichte der Tschechoslowakischen Republik, S. 44. 22
Vgl. Helmut Slapnicka. Recht und Verfassung der Tschechoslowakei 1918-1938. In: Aktuelle Forschungsprobleme um die Erste Tschechoslowakische Republik. Hg. v. Karl Bosl. München, Wien: Oldenbourg, 1969, S. 93-111, S. 106.
23 24
Vgl. Slapnicka, Recht und Verfassung, S. 40. Auch im Deutschen Kulturverband, dem sudetendeutschen Teil des altösterreichischen Schulvereins, und beim Bund der Deutschen, ebenfalls ein Schutzverband, waren die SozialdemokratInnen nicht vertreten. Vgl. Slapnicka, Die böhmischen Länder und die Slowakei 1919-1945. In: Bosl, Handbuch der Geschichte der böhmischen Länder, Bd. IV, S. 1-150, S. 25f.
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war, abgesehen von den Gewinnen der KP25, die aber für eine Koalitionsregierung nicht in Betracht gezogen wurde, ein starker Machtgewinn der bürgerlichen Parteien festzustellen. Die Versuche, nochmals eine allnationale Koalition zu bilden, scheiterten. Nachdem die tschechischen SozialdemokratInnen ihre Zustimmung zum parlamentarischen Antrag auf Einführung fester Getreidezölle verweigert hatten, bildete die Unterstützung dieses Antrags durch den Bund der Landwirte 1926 die Grundlage für dessen Eintritt in die Regierung. Die deutschen Parteien stellten mit dem christlichsozialen Mayr-Harting und dem Agrarier Spina zwei Minister. Damit gehörte rund die Hälfte der deutschen Abgeordneten, nämlich 30 von 62, der Regierung an. Von diesem Zeitpunkt an dominierte das aktivistische Programm von BdL, Christlichsozialer Volkspartei und Deutscher sozialdemokratischer Arbeiterpartei in der Tschechoslowakischen Republik gegenüber dem Negativismus von Deutscher Nationalsozialistischer Arbeiterpartei und Deutschnationaler Partei die Politik der Deutschen. Während die slowakischen VertreterInnen noch innerhalb dieser Wahlperiode 1928 aus der Regierung ausschieden, waren VertreterInnen der deutschen Parteien bis 1938 in jeder tschechoslowakischen Regierung zu finden. „Die Vorgeschichte des ersten Kabinetts, dem auch Deutsche angehörten, zeigte dieselben Eigentümlichkeiten, die schon früher als charakteristisch für die aktivistische Politik überhaupt genannt worden waren. Eduard Bene hatte recht, wenn er vor den Parlamentswahlen von 1925 feststellte, daß die Deutschen wie jede andere Opposition ‚um Teilnahme an der Regierung, an der Macht, um den Einfluß auf die Staatsverwaltung‘ kämpften ‚und nicht dafür, wofür Minderheiten in der Mehrzahl der Staaten kämpfen‘ müßten: ‚um die nationale und kulturelle Existenz‘.“26
25
Die KP wurde am 14. Mai 1921 von TschechInnen und SlowakInnen gegründet, die Deutschen traten am Vereinigungsparteitag vom 30. Oktober 1921 bei. Die Partei war somit die einzige nationenübergreifende Partei der SR; vgl. Hoensch, Geschichte der Tschechoslowakischen Republik, S. 51.
26
J.W. Brügel. Tschechen und Deutsche 1918-1938. München 1967; zit. nach Slapnicka, Recht und Verfassung, S. 139; die Zitate von Bene stammen aus dem Europäischen Geschichtskalender 1925, S. 220, 3.11.1925.
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Der Eintritt der deutschen Abgeordneten in die Regierung erfolgte ohne die Bedingung nationaler Zugeständnisse, ein halbes Jahr nach dem umkämpften Sprachen-Erlass, von dem weiter unten noch die Rede sein wird. Dieser bedingungslose Eintritt in die Regierung wird von der Forschung als Beleg dafür angesehen, dass die deutschen Parteien die sozialen Interessen der WählerInnen vor ihre nationalen Interessen gestellt hätten27. Die Tatsache, dass die aktivistischen Parteien bis zu Henleins Aufstieg 1935 stets 70-80% der Wählerstimmen erhielten, spricht dafür, dass offensichtlich auch die WählerInnen dies lange Zeit so sahen. So stellten die Parlamentswahlen 1929 eine Bestätigung der aktivistischen Politik dar, auch die sozialdemokratische DSAP, die zu den WahlsiegerInnen zählte, hatte den Wahlkampf mit aktivistischem Programm geführt. Ein explizit nationaler Wählerauftrag scheint dementsprechend unwahrscheinlich: „Man wählte offensichtlich diese oder jene Partei nicht so sehr deshalb, weil man erwartete, daß sie Verbesserungen der deutschen nationalen Position herbeiführen könne, sondern vor allem doch wohl, weil man die eigenen sozialen, wirtschaftlichen und ideologischen Interessen durch sie am besten und erfolgreichsten vertreten glaubte. Jedenfalls wird eine solche Schlußfolgerung durch die Tatsache nahegelegt, daß zwar in den 3 Jahren bis zur nächsten Parlamentswahl im Oktober 1929 keine Veränderungen auf nationalem Gebiet für die Deutschen angestrebt oder erreicht wurden, daß aber dennoch die aktivistischen Parteien als solche keine Niederlage erlitten.“28
Der BdL und die Christlichsozialen blieben bei dieser Wahl stabil, stimmenstärkste deutsche Partei wurde die DSAP mit leichten Gewinnen. Im tschechischen Lager war der Linksrutsch stärker, diese Verschiebung führte dazu, dass die tschechischen SozialdemokratInnen in die Regierung eintraten – als Bedingung für ihren Eintritt verlangten sie die Aufnahme der deutschen SozialdemokratInnen. Burian bezeichnet dies jedoch als „eine Haltung, die weniger internationaler Solidarität entsprang als vielmehr dem nüchternen Kalkül, daß auf diese Weise 27
Vgl. beispielsweise Peter Burian. Chancen und Grenzen des sudetendeutschen Aktivismus. In: Aktuelle Forschungsprobleme um die Erste Tschechoslowakische Republik. Hg. v. Karl Bosl. München, Wien: Oldenbourg, 1969, S. 133-149, S. 142.
28
Ebd., S. 144.
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das Verhältnis von Vertretern sozialistischer und bürgerlicher Parteien besser ausgeglichen sein würde.“29 Der Vertreter der deutschen Sozialdemokratie Ludwig Czech wurde Fürsorgeminister, Spina übernahm das Gesundheitsministerium, Mayr-Harting und die Christlichsozialen schieden als kleinste der drei aktivistischen Parteien aus der Regierung aus. Nach diesen Wahlen gehörten 37 von 66 deutschen MandatarInnen der Regierung an. Die letzten Parlamentswahlen der SR 1935, bei denen sich im tschechischen Lager nur geringfügige Verschiebungen ergaben, während bei den deutschen Parteien die Sudetendeutsche Partei Konrad Henleins einen Erdrutschsieg erlangte, werden im Kapitel I.3 Der Nationalsozialismus und seine Folgen näher behandelt.
I.2 N ATIONALSTAAT /N ATIONALITÄTENSTAAT – DIE D EUTSCHEN UND DIE R EPUBLIK Standen im vorigen Kapitel die Gründung der SR und ihre politische Entwicklung im Zentrum, so sollen hier das Verhältnis der Deutschen zum tschechoslowakischen Staat sowie die wichtigsten gesellschaftspolitischen Strömungen dargestellt werden. Die Deutschen als Minderheit Die SR hatte ihre Zusammensetzung aus vielen verschiedenen Nationalitäten gewissermaßen von der Monarchie geerbt. Laut Volkszählung von 1921 lebten in der Republik 65,51% TschechoslowakInnen30, 23,36% Deutsche, 5,57% UngarInnen, 3,45% RuthenInnen, 1,35% Juden und Jüdinnen31, 0,57% Polinnen und Polen und 0,19% Sonstige.32 29
Ebd., S. 145.
30
Diese große Mehrheit der TschechoslowakInnen resultierte aus der gemeinsamen Zählung von TschechInnen und SlowakInnen – getrennt gezählt wären die SlowakInnen weniger als die Deutschen gewesen.
31
In der Tschechoslowakei bestand die Möglichkeit, sich zur jüdischen Nationalität zu bekennen, vgl. dazu weiter hinten, S. 42ff.
32
Vgl. eskoslovenská statistika, Bd. 9. Prag 1924, S. 60, zit. nach Jaroslav Kuera. Minderheit im Nationalstaat. Die Sprachenfrage in den tschechisch-deutschen Beziehungen 1918-1938. München: Oldenbourg, 1999, S. 9.
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Nichtsdestotrotz konzipierten die tschechischen PolitikerInnen „ihren“ neuen Staat als Nationalstaat, mit den TschechoslowakInnen als Staatsvolk und den übrigen Volksgruppen als Minderheiten. Die Deutschen dagegen erarbeiteten Konzepte eines Nationalitätenstaates nach Schweizer Muster, die von der Regierung allerdings nicht angenommen wurden33. Die Deutschen waren unter all diesen Minderheiten die weitaus größte – rund 3,5 Millionen Deutsche lebten in der Tschechoslowakei, davon 350.000 in Sprachinseln und 2,7 Millionen in einem zusammenhängenden Gebiet von 3.397 Gemeinden mit absoluter deutscher Mehrheit, wovon in ca. 1.000 bei den Parlamentswahlen 1920 keine einzige Stimme für eine der tschechischen Parteien abgegeben wurde34. Die Berufung auf das Selbstbestimmungsrecht der Völker und ihr Selbstbild als verhindertes Staatsvolk hielt die VertreterInnen der Deutschen der Tschechoslowakei jedoch laut Jaworski während der gesamten Zwischenkriegszeit davon ab, eine zielgerichtete und effiziente Minderheitenpolitik zu betreiben – weil sie sich eben nicht als Minderheit begreifen wollten. „Die offensichtliche Unlust zu einer konsequenten Minderheitspolitik war auch am Verhalten und Auftreten vieler bürgerlicher Wortführer des Sudetendeutschtums abzulesen. Diese schlugen bisweilen Töne an, die schon vor dem Weltkrieg dem tatsächlichen nationalen Kräfteverhältnis nicht mehr entsprochen hatten, in den 20er Jahren aber vollends deplatziert waren. Die Lektüre einschlägiger Reden, Aufrufe und Leitartikel vermittelt nur selten den Eindruck, daß hier eine unterdrückte Minderheit gegen eine übermächtige Mehrheit in verzweifelter Abwehr stand. Im Gegenteil herrschte hier in Abstufungen eine unangemessene Drohgeste vor. Diese Fehleinschätzung der eigenen Position entsprang weniger einem ungebrochenen bodenständigen Selbstbewußtsein, sondern baute – oder besser: hoffte – auf einen wie immer gearteten großdeutschen Hintergrund. Diese Perspektive erlöste vom Alptraum des Minoritätendaseins und verwandelte die Minderheit in den Vorposten eines großen Volkes. Sie verrückte die Einschätzung der eigenen Position und bagatellisierte die Wichtigkeit des ‚kleinen‘ slawischen Nachbarvolkes. Zugleich war damit die Notwendigkeit relativiert, sich zunächst einmal ohne Bedingungen [...] innerhalb der SR international zu ar-
33
Vgl. Hoensch, Geschichte der Tschechoslowakischen Republik, S. 40.
34
Vgl. Slapnicka, Die böhmischen Länder und die Slowakei, S. 35f.
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rangieren. Eine spezifische Minderheitspolitik war so besehen ein unnötiges und zudem gefährliches Zugeständnis an den nationalen Gegner.“35
Obwohl die Verfassung ohne Mitglieder der deutschen, ungarischen, ruthenischen und polnischen Minderheiten beschlossen worden war – mit ein Grund, warum sie von den Deutschen längere Zeit abgelehnt wurde –, enthielt sie weitgehende Minderheitenrechte. Doch die in den Friedensverträgen vorgesehenen Bestimmungen für den Minderheitenschutz wurden in der Tschechoslowakei nur unvollständig umgesetzt; die einzelnen Bestimmungen wurden in die Verfassung eingearbeitet und dabei modifiziert und zum Teil abgeschwächt. Vor allem wurden die Bestimmungen „im wesentlichen ‚individualistisch‘ gestaltet, wodurch alle Ansatzpunkte für eine Autonomie der Minderheiten beseitigt wurden.“36 Die tschechoslowakische Regierung hatte wohl Angst, dass der Republik dasselbe Schicksal bevorstünde, wie der Monarchie, wenn sie den Minderheiten kollektive Rechte als Volksgruppen einräumen würde. Das ändert jedoch nichts an der Tatsache, dass, vor allem im Vergleich mit anderen Ländern zu der Zeit, die Deutschen in der Tschechoslowakei umfassende Rechte genossen, wenn diese auch im Alltag von der Bürokratie immer wieder beschnitten wurden. Diese Alltagserfahrungen dürften allerdings mitunter den Blick stärker geprägt haben als die durchgesetzten Minderheitenrechte: „Der Abbau der Beamten, die Benachteiligung der Prager deutschen Universität, der sogar die Führung ihrer historischen Bezeichnung untersagt wurde, die Wegnahme des Prager Ständetheaters und viele andere Posten der deutschen Verlustbilanz [...] ließen vergessen, daß ihnen immer noch vieles verblieben war, um das sie von Minderheiten in anderen Staaten beneidet wurden: ein gut ausgestattetes, im wesentlichen deutsch verwaltetes Schulwesen (darunter 3 Hochschulen), zahlreiche deutsche Richter und Beamte im staatlichen Dienst, ein reich verzweigtes deutsches Organisations- und Vereinswesen, zahlreiche deutsche Tageszeitungen und Zeitschriften, Gemeindebüchereien, deutsche Theater und in den 3.400 Gemeinden mit deutscher Mehrheit und ihren kulturellen, wirtschaftlichen und sozialen Einrichtungen ein nicht unbeträchtliches Maß von Selbstverwaltung.“37
35
Jaworski, Vorposten oder Minderheit, S. 64.
36
Slapnicka, Recht und Verfassung, S. 100.
37
Slapnicka, Die böhmischen Länder und die Slowakei, S. 36.
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Im Großen und Ganzen ist festzuhalten, dass der tschechoslowakische Staat nur wenig „nationalisierend“ vorging38. Dass in der zeitgenössischen Diskussion die politischen Veränderungen nach 1918 in erster Linie als Veränderung der Machtverhältnisse zwischen den Nationalitäten gesehen wurden und weniger als Änderungen in der Staatsform, die nun in der Republik für alle EinwohnerInnen mehr Mitsprachemöglichkeiten als zuvor bedeuteten, ist kein Spezifikum der Tschechoslowakei, sondern dürfte neben der nationalen Interpretation von Politik auch mit dem generell geringen Vertrauen in die vergleichsweise „junge“ Staatsform Demokratie zu tun haben. Eine besondere Rolle unter den Bestimmungen für den Minderheitenschutz spielte das Sprachengesetz. Es wurde am 29. Februar 1920 gemeinsam mit der Verfassungsurkunde ebenso ohne VertreterInnen der Minderheiten beschlossen39 wie die zugehörige Durchführungsverordnung von 1926. Das Recht auf den Gebrauch einer anderen als der tschechoslowakischen Sprache galt demnach in allen Gerichtsbezirken, in denen die jeweilige Minderheit 20% der Bevölkerung stellte. Obwohl diese Regelung die Prager Deutschen von der Verwendung der deutschen Sprache im Amtsverkehr ausschloss, so ist doch festzuhalten, dass neun Zehntel aller Deutschen in der Tschechoslowakei die Möglichkeit hatten, in ihrer Muttersprache mit den Ämtern zu verkehren40 – eine Bestimmung, die sich Minderheiten in anderen Ländern Europas zu der Zeit (und auch heute) nicht erträumen konnten. 38
Vgl. Martin Zückert. Vom Aktivismus zur Staatsnegation? Die Sudetendeutschen zwischen Staatsakzeptanz, regional-nationalistischer Bewegung und dem nationalsozialistischen Deutschland. In: Staat, Loyalität und Minderheiten in Ostmittel- und Südosteuropa 1918-1941. Hg. v. Peter Haslinger u. Joachim von Puttkamer. München: Oldenbourg, 2007, S. 6998, S. 82.
39
Vgl. Kuera, Minderheit im Nationalstaat, S. 65: „Die Verhandlungen über das Sprachengesetz mußten die Sudetendeutschen als Zaungäste verfolgen, ihre Passivität jedoch übertraf weitgehend die ihnen aufgezwungene Position. Soweit bekannt, versuchten die deutschen Parteien nicht, Kontakte zu dem national gemäßigten Flügel der tschechischen Politik aufzunehmen oder das Parlament auf dem Wege von Petitionen und öffentlichen Versammlungen über den deutschen Standpunkt in der Sprachenfrage zu informieren bzw. unter Druck zu setzen.“
40
Vgl. ebd. S. 209f.
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Das Sprachenrecht galt nur für tschechoslowakische StaatsbürgerInnen41 und nur für den Amtsverkehr – nicht also für Anstalten oder Unternehmen des Staates, wie Eisenbahn oder Post. Die Durchführungsverordnung von 1926 enthielt strengere Bestimmungen, unter anderem eine Sprachprüfung der BeamtInnen und RichterInnen innerhalb von 6 Monaten – eine Bestimmung, deren grundsätzliche Berechtigung wohl außer Frage steht, die jedoch anscheinend mitunter von den Ämtern benutzt wurde, um missliebige Deutsche „loszuwerden“. Außerdem wurde in der Durchführungsverordnung das Sprachenrecht der Selbstverwaltungskörperschaften beschränkt. Bei den deutschen Parteien, die zur Vorbereitung des Gesetzes nicht, wie ursprünglich zugesagt, hinzugezogen wurden, löste die Verordnung heftige und lange Proteste aus, die jedoch den Eintritt der deutschen bürgerlichen Parteien in die Regierung wenige Monate später nicht behinderten. In ihrem Kampf gegen die Sprachenverordnung sahen die deutschen NationalistInnen Analogien zur tschechischen Nationalbewegung vor 1918, die ja auch großen Wert auf die tschechische Sprache gelegt und nicht unwesentlich zur Etablierung einer tschechischen Hochsprache beigetragen hatte. Sie übersahen dabei jedoch einen grundlegenden Unterschied: „Denn obgleich vom nationalen tschechischen Bürgertum ein wahrscheinlich größerer Fetischismus mit der Nationalsprache getrieben wurde, als von sudetendeutsch-nationaler Seite, hatte dort die nationale Kampfparole vor dem Kriege ‚Mit dem Deutschen gegen die Deutschen‘ gelautet. Für die sudetendeutschen Nationalisten kam dagegen das Erlernen der anderen Sprache einem nationalen Selbstmord gleich.“42
So gaben beispielsweise 1930 in einer Umfrage zu ihren Tschechischkenntnissen von 99 deutschen Parlamentsabgeordneten 10 an, voll41
Deutsche und ÖsterreicherInnen mussten demnach im Amtsverkehr entweder tschechisch sprechen oder einen Dolmetsch zuziehen. Auf der anderen Seite finden sich in den Zeitungen oft Beschwerden, dass beispielsweise im Zug die SchaffnerInnen konsequent tschechisch sprächen, bis sich plötzlich beim Auftauchen von TouristInnen herausstellte, dass sie des Deutschen sehr wohl mächtig waren.
42
Jaworski, Vorposten oder Minderheit, S. 60; zum Stellenwert der Sprache für das nationale Selbstverständnis von Deutschen und Tschechen vgl. weiter unten, Kap. II.1.
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kommen und 18 fließend mündlich aber nicht schriftlich Tschechisch zu können43. Daraus folgt, dass sich von 99 Abgeordneten 71 nicht fließend in der Verhandlungssprache des Parlaments ausdrücken konnten – was das für das Niveau der Auseinandersetzung bedeutete, mag man sich vorstellen. Dies war die Folge der Schulpolitik der deutschen und tschechischen NationalistInnen der Monarchie, die dazu geführt hatte, dass gegen Ende des 19. Jahrhunderts das deutsche und tschechische Schulwesen fast vollständig getrennt waren und Zweisprachigkeit nicht nur nicht gefördert, sondern zu unterbinden versucht wurde44. In den Mittelschulen der Tschechoslowakei wurde 1923 Tschechisch als Pflichtfach eingeführt45, doch erst Ende der zwanziger Jahre tauchten in den deutschsprachigen Zeitungen der Tschechoslowakei Anzeigen für Sprachkurse auf sowie Artikel, die deutschen Eltern nahelegten, ihre Kinder Tschechisch lernen zu lassen, da ihnen das im Berufsleben Vorteile verschaffen würde. Judentum und Antisemitismus Eine eigentümliche Position im Verhältnis zwischen Deutschen und TschechInnen nahm die jüdische Bevölkerung ein. Während TschechInnen und Deutsche oftmals deren „Loyalität“ zur tschechischen oder deutschen Sprache und Kultur verlangten, waren antisemitische Einstellungen nichtsdestotrotz bei beiden Gruppen verbreitet. Die Volkszählungsbögen der Tschechoslowakei berücksichtigten die Möglichkeit, sich zur jüdischen Religion, aber auch zur jüdischen Nation zu bekennen, wobei die Definition von „Nation“ unklar war. „Umstritten war beispielsweise, ob die Juden eine Nation sind. Deshalb hatte man [in der Verfassungsurkunde, K.W.] für die nationale Zugehörigkeit die Wendung ‚ohne Rücksicht auf Rasse, Sprache oder Bekenntnis‘ angenommen und überließ es auf diese Weise jedem zu entscheiden, worin er das Merkmal 43
Vgl. Tagesbote, 20.4.1930, M S. 2; der Tagesbote erschien in einer Morgen- und einer Abendausgabe, die im Folgenden mit M und A bezeichnet sind. Tipp- und Rechtschreibfehler der Zeitungsartikel wurden zur besseren Lesbarkeit stillschweigend korrigiert.
44
Vgl. Judson, Guardians of the Nation, S. 47.
45
Vgl. Andreas Reich. Das tschechoslowakische Bildungswesen vor dem Hintergrund des deutsch-tschechischen Nationalitätenproblems. In: Bohemia 36 (1995), S. 19-38, S. 24.
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der Nation erblickte. So konnten sich Juden als solche bekennen, wenn sie auch nach ihrem Bekenntnis konfessionslos oder nach ihrer Muttersprache Deutsche, Magyaren u.a. waren. Sie waren nicht gezwungen, sich bei Volkszählungen, Wahlen usw. zu einer anderen Nationalität zu bekennen als zur jüdischen.“46
Bei der Volkszählung 1921 gab es 354.342 Personen jüdischer Religion (rund 2,6% der Gesamtbevölkerung), wovon sich 180.855 zur jüdischen Nationalität bekannten47. Die übrigen erklärten sich den anderen Nationen, vor allem der tschechoslowakischen oder der deutschen, zugehörig48. So mehrten sich rund um die Volkszählungen in den Zeitungen die Aufrufe vor allem der deutschen Parteien an die jüdische Bevölkerung, sich zur deutschen Nationalität und zur deutschen Muttersprache zu bekennen. Gerade in Bezirken, wo das Erreichen der 20%, die für die Gewährung der Sprachenrechte notwendig waren, für die deutsche Bevölkerung unsicher war, sollte dies mithilfe der jüdischen Bevölkerung ermöglicht werden. Ein Artikel im Tagesboten vom Februar 1921 machte den Brünner jüdischen Deutschen klar, dass sie sich zur deutschen Nationalität bekennen müssten, wenn sie Deutsch als Muttersprache hätten. Überlegungen eines Leserbriefes, dass der deutsche Antisemitismus deutschsprachige Juden und Jüdinnen dazu brächte, gewissermaßen aus „Neutralität“ im Nationalitätenkampf „jüdisch“ als Nationalitätsbekenntnis anzugeben, beantwortete der Artikel entschieden:
46
Ladislav Lipscher. Die soziale und politische Stellung der Juden in der Ersten Republik. In: Die Juden in den böhmischen Ländern. Hg. v. Ferdinand Seibt. München, Wien: Oldenbourg, 1983, S. 269-280, S. 273.
47
Ebd., S. 277; bei der Volkszählung 1930 gab es 356.830 Personen jüdischer Religion (2,42% der Gesamtbevölkerung), davon 186.642 Personen jüdischer Nationalität.
48
Bei der Volkszählung 1930 bekannte sich ca. ein Viertel der jüdischen StaatsbürgerInnen zur jüdischen Nationalität, etwa ein Drittel zur deutschen, die übrigen ca. 40% zur tschechoslowakischen. Vgl. Helena Krejová. Juden in den 30er Jahren des 20. Jahrhunderts. In: Juden zwischen Deutschen und Tschechen. Sprachliche und kulturelle Identitäten in Böhmen 1800-1945. Hg. v. Marek Nekula u. Walter Koschmal. München: Oldenbourg, 2006, S. 85-102, S. 85.
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„Wer aber mit dem Dichter von der deutschen Sprache sagen kann: ‚Muttersprache, Mutterlaut, wie so wonnesam, so traut‘, wer seine Ethik von dem Kantischen Pflichtbegriff ableitet und wem unsere deutschen Klassiker ans Herz gewachsen sind, wer seine geistige und seelische Habe dem Deutschtum verdankt und wer in seinem Elternhause deutsch erzogen wurde: der ist ein Deutscher und kein Antisemit kann ihm seine deutsche Nationalität, seine deutsche Muttersprache rauben. [...] Wer aber seine Muttersprache verleugnet, der ist ein Verräter und schädigt die Kultur, die ihn genährt und zu seinem ‚Ich‘ geführt hat.“49
Das Zusammenfallen von „deutscher“ und „jüdischer“ Identität, das viele Juden und Jüdinnen, die mit einem Bekenntnis zur deutschen Nationalität ihre Zugehörigkeit zum deutschen „Kulturkreis“ unterstrichen, als selbstverständlich empfanden, wurde von nichtjüdischer deutscher Seite durchaus auch als Mittel zum Zweck benutzt. Eine Diskussion, die 1930 anlässlich der Wahlen in die Prager Kultusgemeinde zu diesem Thema im Brünner Tagesboten geführt wurde, verdeutlicht diese unterschiedlichen Positionen. Der Tagesbote fasste einen Artikel der tschechischen Národní listy zusammen und versah ihn mit einem eigenen Kommentar: „Viele Prager Juden seien geradezu Vorkämpfer des Deutschtums. Pimper [der Journalist der Národní listy, K.W.] nimmt es ihnen sehr übel, daß sie in öffentlichen Lokalen ostentativ deutsch sprechen, daß sie das deutsche Theater besuchen und Gäste aus dem benachbarten Reich einladen. […] Das tschechische Volk verlange von den Juden Rücksicht und Loyalität der Staatssprache gegenüber. Von den Juden werde es abhängen, ob man sie für Freunde oder Feinde des tschechoslowakischen Volkes und der Republik halten werde. – Es ist begreiflich, wenn es die Tschechen kränkt, daß gerade die reichen und gebildeten Juden, die sich überall den Völkern der höheren Kultur anschließen, mit den Tschechen nicht viel zu tun haben wollen.“50
Einige Tage später veröffentlichte der Tagesbote dazu einen Leserbrief des Brünner Fabrikanten Fritz Jellinek: „Die Bemerkung […] kann ich nicht unwidersprochen lassen. Vor allem stehen die Deutschen jüdischen Glaubens nicht auf dem Standpunkt, daß sie sich dem 49
Tagesbote, 11.2.1921, M S. 4.
50
Tagesbote, 8.5.1930, A S. 2.
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deutschen Volke ‚angeschlossen‘ hätten, sie sind der Grundüberzeugung, daß sie Deutsche ohne Vorbehalt sind. Wäre dies nicht der Fall, sondern wäre das Deutschtum dieser Juden nur eine Opportunitätssache, so gäbe es ja heute in der Tschechoslowakei keine Deutschen jüdischen Glaubens mehr. Die Erfahrung zeigt aber, daß der weitaus überwiegende Teil dieser Menschen – trotzdem es ihnen unter den obwaltenden Verhältnissen erklärten und sichtbaren Nachteil bringt – treu und charaktervoll im deutschen Volksverbande verbleibt.“51
Anschließend wies er die angebliche Geringschätzung des tschechischen Volkes zurück und erklärte: „Ganz bestimmt weisen alle Deutschen jüdischen Glaubens jede Art von Nationalhaß weit von sich und sie würden allen Tschechen, die das Gleiche tun, mit Freuden die Hand zur Freundschaft reichen.“ Diese beiden Zitate zeigen die unterschiedlichen Interpretationen des Volksbegriffs; während sowohl tschechische als auch deutsche NationalistInnen um die „Loyalität“ der Jüdinnen und Juden buhlten, gingen sie doch beide mit Geringschätzigkeit davon aus, dass diese sich ihre Volkszugehörigkeit aussuchen könnten und eben zu keinem dieser Völker tatsächlich gehören würden52. Die hier beobachtete Kritik von tschechischer Seite an der „falschen Entscheidung“ der jüdischen Deutschen führte des Öfteren dazu, dass Ausschreitungen gegen Deutsche und gegen Juden/Jüdinnen Hand in Hand gingen, sich Ressentiment gegen die Deutschen und Antisemitismus vermengten53. Der 51
Tagesbote, 10.5.1930, A S. 2.
52
Vgl. zu dieser Interpretation Dimitry Shumsky. Introducing Intellectual and Political History to the History of Everyday Life: Multiethnic Cohabitation and Jewish Experience in Fin-de-siècle Bohemia. In: Bohemia 46 (2005), H. 1, S. 39-67, S. 59ff.; zu den verschiedenen Varianten nationaler Identität der Jüdinnen und Juden in der Tschechoslowakei vgl. Kateina apková. ei, Nmci, idé? Národní identita id v echách 19181938. [Tschechen, Deutsche, Juden? Nationale Identität der Juden in Böhmen] Praha, Litomyl: Paseka, 2005.
53
Zum tschechischen Antisemitismus im Allgemeinen vgl. Michal Frankl, der darlegt, dass es sich dabei mitnichten „nur“ um eine Begleiterscheinung des Nationalitätenkonflikts mit den Deutschen handelt(e). „Sonderweg“ of Czech Antisemitism? Nationalism, National Conflict and Antisemitism in Czech Society in the Late 19th Century. In: Bohemia 46 (2005), H. 1, S. 120-134.
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deutsche Antisemitismus hingegen trat wegen der Bedeutung der jüdischen Stimmen bei den Volkszählungen nicht immer offen zutage, sondern war oft in zwiespältiger und von taktischen Überlegungen abgeschwächter Form zu beobachten. Ein Beispiel für diesen Zwiespalt ist die Deutsche Studentenschaft in der SR: „Der sichtbare Widerspruch von rigoroser Handhabung des Arierparagraphen und zögernder antisemitischer Aktivität [der Dt. Studentenschaft in der SR, K.W.] war nicht singulär und auf die DSt beschränkt. Dieser Zwiespalt markierte vielmehr einen typischen Zug des sudetendeutschen Nationalsozialismus jener Jahre [der zwanziger Jahre, K.W.]. Die wichtige Stellung der deutschen Juden in allen Bereichen der sudetendeutschen Gesellschaft erlaubte keinen militanten sudetendeutschen Antisemitismus. Man konnte es sich aus nationalen Gründen gar nicht leisten, alle deutschen Juden derart zu verprellen, daß sie via Nationalbekenntnis zum nationalen Erbfeind – und das waren eben doch die Tschechen – überliefen und dadurch die sudetendeutsche Basis weiter geschmälert wurde.“54
Auch in Parteien und Verbänden war der systematische Antisemitismus nicht sehr verbreitet: „In den deutschen wie in den tschechischen sozialistischen Parteien waren von Anbeginn Juden in den führenden Gremien tätig; Antisemitismus war somit eo ipso ausgeschlossen55. Bei den tschechischen Agrariern gab es Juden gegenüber eine gewisse Reserviertheit, bei den deutschen nationalen Parteien blieben antisemitische Andeutungen zunächst auf interne Bereiche beschränkt. Erst als Hitlers Partei im Reich größere Wahlerfolge erzielte, verschärfte die DNSAP (Deutsche nationalsozialistische Arbeiterpartei) in der Tschechoslowakei ihre Angriffe gegen die Juden. In den großen deutschen Vereinigungen, den Schutzverbänden Bund der Deutschen in Böhmen, Deutscher Kulturverband und der Landeskommission für Kinderschutz und Jugendfürsorge, arbeiteten bis zu Beginn der dreißiger Jahre zahlreiche Juden in führenden Positionen mit, so daß antisemitische Tendenzen gar nicht aufkamen. Eine andere Entwicklung nahm die sudetendeutsche Turnbewegung. Deutschliberale Turnvereine, die schon 54
Jaworski, Vorposten oder Minderheit, S. 81.
55
Diese Meinung kann allerdings nicht teilen, wer die zeitgleich in Österreich stattfindende Entwicklung der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei kennt, die trotz ihrer zahlreichen jüdischen (auch hohen) FunktionärInnen zunehmend antisemitische Töne anschlug.
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vor 1918 bestanden hatten, lösten sich in den zwanziger Jahren allmählich im deutsch-völkischen Turnverbvand auf, dessen Satzungen den sogenannten Arierparagraphen enthielten.“56
Wohl nicht zufällig war Konrad Henlein, der Gründer der Sudetendeutschen Heimatfront, Verbandsturnwart dieses Vereins – doch selbst in der SHF/SdP spielte der Antisemitismus bis 1938 keine so große Rolle, wie im Nationalsozialismus57. Trotzdem war insbesondere die 1935 gegründete und von NS-Deutschland finanzierte Parteizeitung der SdP „Die Zeit“ voll von Angriffen gegen „volksfremde Elemente“. In diesem Zusammenhang gilt wohl für Brünn derselbe Befund, den Hartmut Binder für Prag stellt: „[A]ndererseits griff der in den nordböhmischen Randgebieten beheimatete, immer aggressiver sich gebende Antisemitismus zunehmend nach Prag über. Er gewann Einfluß auf kulturelle Einrichtungen, in denen bisher Deutschsprechende jüdischer und nichtjüdischer Herkunft zusammengewirkt hatten, und eroberte sie sogar gänzlich, so daß Otto Pick schon 1931 von einer ‚Diktatur der völkischen Belange‘ sprechen konnte, die sich neuerdings im Bereich der Kultur breitmache.“58
Die Literatur über das Judentum in der Tschechoslowakei schreibt diesem immer wieder eine Vermittlerposition in den Nationalitätenkämpfen von „Deutschen“ und „TschechInnen“ zu; doch nichtsdestotrotz fanden sich auch nicht wenige Juden und Jüdinnen im prononciert 56
Rudolf M. Wlaschek. Juden in Böhmen. Beiträge zur Geschichte des europäischen Judentums im 19. und 20. Jahrhundert. München: Oldenbourg, 1990, S. 57f.
57
Vgl. Christoph Boyer u. Jaroslav Kuera. Die Deutschen in Böhmen, die Sudetendeutsche Partei und der Nationalsozialismus. In: Nationalsozialismus in der Region. Beiträge zur regionalen und lokalen Forschung und zum internationalen Vergleich. Hg. v. Horst Möller, Andreas Wirsching u. Walter Ziegler. München: Oldenbourg, 1996, S. 273-285, S. 278.
58
Hartmut Binder. Entlarvung einer Chimäre: Die deutsche Sprachinsel Prag. In: Allemands, Juifs et Tchèques a Prague. Deutsche, Juden und Tschechen in Prag. 1890-1924. Hg. v. Maurice Godé, Jacques LeRider u. Francoise Mayer. Montpellier: o.V., 1996, S. 183-209, S. 194; das Zitat von Otto Pick stammt aus „Kritik ist kein Gesellschaftsspiel“. In: Die Wahrheit 10, Nr. 6 (15.3.1931), S. 1.
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deutschen oder tschechischen Lager. Ferdinand Seibt meint dazu, dass das Bemühen von jüdischer Seite um nationale Versöhnung „kaum je wirklich zu einem übernationalen Brückenschlag [geriet]. Es gab offensichtlich auch keine dafür tragfähige jüdische Solidarität zwischen den beiden Sprachbekenntnissen.“59 Auch in Brünn spielte das jüdische Bürgertum eine wichtige Rolle, sowohl für das kulturelle Leben, besonders für das Theater, als auch für die Wirtschaft der Stadt: 1859 gab es in Brünn bereits 110 Textilfabriken und Großhändler, von denen 32 jüdische BesitzerInnen hatten60. Insgesamt lebten im Brünn der Ersten Republik rund 11.000 Juden und Jüdinnen, rund 9.700 von ihnen wurden im Holocaust ermordet61. „Volkstumskampf“ und Aktivismus Diese beiden Schlagworte benennen die zwei Pole, zwischen denen sich in der Zwischenkriegszeit das Verhältnis der tschechoslowakischen Deutschen zum Staat bewegte – Kampfbereitschaft und Unversöhnlichkeit einerseits, Loyalität zum und aktive Mitarbeit im Staat andererseits, wobei die Unruhe der ersten Jahre zunehmend einer generellen Akzeptanz des Staates gewichen war. „Die prägende Kraft des Alltags sorgte seit den zwanziger Jahren bei den Deutschen der böhmischen Länder für eine stabile Form der Staatsakzeptanz. Sie unterschied sich von der Haltung der Angehörigen der tschechoslowakischen Staatsnation nicht auf der Ebene der formalen Akzeptanz staatlicher Realität sondern durch die unterschiedliche Distanz beziehungsweise Nähe zur ethnisch-national geprägten Staatsidee.“62
Jaworski hält allerdings fest, dass trotzdem die Emotionen leicht wieder hochzuschaukeln und zu instrumentalisieren waren: 59
Seibt, Deutschland und die Tschechen, S. 290.
60
Jaroslav Klenovsk. Brno idovské. Historie a památky idovského osídlení msta. [Jüdisches Brünn. Geschichte und Denkmäler der jüdischen Besiedlung der Stadt] Brno: ERA, 2002, S. 69.
61
Vgl. ebd., S. 19; Jan Musekamp. Brno/Brünn 1938-1948. Eine Stadt in einem Jahrzehnt erzwungener Wanderungen. In: Zeitschrift für Ostmitteleuropa-Forschung, 53 (2004), H.1, S. 1-45, S. 12; zu den jüdischen BrünnerInnen vgl. weiter unten, Kap. III.1.
62
Zückert, Vom Aktivismus zur Staatsnegation, S. 89.
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„Da der Normalisierungsprozeß aber nicht alle Bevölkerungskreise gleichmäßig erfaßte und oft an nationalen Problemen aufgehalten wurde, konnte er nicht verhindern, daß die Stimmungen der Umbruchsjahre weiterhin virulent blieben.“63
Dem immer wieder ausbrechenden Nationalismus mancher TschechInnen, wie er sich beispielsweise in der Besetzung des Prager Ständetheaters 1920 oder in der Prager Tonfilmaffäre von 1930 äußerte64, stand von deutscher Seite neben dem Ausmalen diverser Bedrohungsszenarien vor allem Geringschätzung gegenüber. Eine Situation, die durch die historische „Herrschaftskonstellation, in welcher sich Haß als Stigma der Unterdrückten und Geringschätzung als Privileg der Herrschenden niedergeschlagen hatte“65, bedingt war – unabhängig davon, dass sich die realen Machtverhältnisse 1918 umgekehrt hatten. Ungeachtet dieser labilen Verhältnisse erlebte die als Aktivismus bezeichnete konstruktive Haltung der großen deutschen Parteien (des Bundes der Landwirte, der Deutschen Christlichsozialen Volkspartei und der Deutschen sozialdemokratischen Arbeiterpartei) in den zwanziger Jahren einen Aufschwung. Nicht nur politische Parteien vertraten dieses Konzept, auch von den liberalen deutschen Zeitungen, die in den dreißiger Jahren zunehmend von „tschechoslowakischen Deutschen“ sprachen66, wurde es unterstützt, was Kracik als Beweis für eine grundsätzliche Übereinstimmung mit der Bevölkerung sieht 67. Eine besondere Manifestation dieser staatsloyalen Haltung stellten
63
Jaworski, Vorposten oder Minderheit, S. 49.
64
Das Prager Ständetheater, an dem bis dahin deutsch gespielt worden war, wurde von Demonstrierenden, darunter auch SchauspielerInnen, besetzt und ab diesem Tag als tschechisches Theater geführt; die Tonfilmaffäre bezeichnet Straßenkrawalle anlässlich der Aufführung deutscher Tonfilme in Prag. Im Zuge beider Ereignisse war es zu tagelangen, teils gewalttätigen Demonstrationen gekommen. Vgl. dazu Becher, Kulturpolitische Konfliktherde; zur Tonfilmaffäre vgl. auch Jaworski, Vorposten oder Minderheit, S. 152-159, der die Vorgeschichte sowie den Organisationsgrad dieser vorgeblich „spontanen Massenäußerungen“ aufzeigt, die in Wahrheit von den tschechischen FaschistInnen angezettelt worden waren.
65
Jaworski, Vorposten oder Minderheit, S. 29f.
66
Vgl. Kracik, Die Politik des deutschen Aktivismus, S. 254.
67
Ebd., S. 439.
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1933 die Feierlichkeiten zum 15. Jahrestag der Republiksgründung dar. „Zum ersten Mal seit 1918 feierten Tschechen und Deutsche in zahlreichen Städten gemeinsam. Dieser Umstand fand auch in der deutschen Öffentlichkeit ein überwiegend positives Echo. Während das ‚Prager Tagblatt‘ festgestellt hatte, daß die lebhafte deutsche Beteiligung keineswegs irgendeinem obrigkeitlichen Zwang, sondern der ‚überzeugten Schätzung eines Gemeinwesens‘ entspringe, hatte die ‚Bohemia‘ einen Gesinnungswandel bei den Deutschen bemerkt. ‚(W)aren die Sudetendeutschen in ihrer überwiegenden Mehrzahl auch immer loyale Bürger, pünktliche Steuerzahler und zuverlässige Soldaten, so enthielten sie sich bisher – gleichviel aus welchen Beweggründen – äußerer Gesten, die ihre unzweifelhafte Staatstreue bekunden sollten. Das hat sich geändert; am 28. Oktober sind viele Tausende deutscher Bürger und Bürgerinnen aufmarschiert und haben in würdiger Form ein Bekenntnis zu der Tschechoslowakischen Republik abgelegt.‘“68
Die Zeitungskommentare zum Staatsfeiertag geben überhaupt ein gutes Bild der Entwicklung der Einstellung zum tschechoslowakischen Staat. Während die Feierlichkeiten bis 1932 nur kurz erwähnt wurden, und auch das meist nur im Blattinneren, waren ab 1933 große Berichte über die Feiern und Kommentare über die Einstellung der Deutschen auf Seite eins zu finden. Gleichzeitig wurde in diesen Kommentaren, in denen durchaus auch Selbstkritik geübt wurde69, die gleichberechtigte Anerkennung von tschechischer Seite mit Nachdruck gefordert. Mit ein Grund für diesen relativ plötzlichen Umschwung, was die öffentlichen und offiziellen Loyalitätsbekundungen betrifft, ist sicherlich in der nationalsozialistischen „Machtergreifung“ in Deutschland zu sehen, die die Vorteile, in einer Demokratie zu leben, deutlich vor Augen führte. Die negative Haltung gegenüber dem tschechoslowakischen Staat manifestierte sich hingegen, neben den Parteien des sog. Negativismus (der Deutschen Nationalsozialistischen Arbeiterpartei und der Deut68
Ebd., S. 257, Zitate aus: Prager Tagblatt 28.10.1933, Leitkommentar zu Staatsfeiern und Bohemia 31.10.1933, Leitkommentar zu Staatsfeiern.
69
Vgl. z.B. Bohemia 28.10.1934, S. 1, Leitkommentar zum Staatsfeiertag: „Unsere Antwort auf den Umsturz war Trotz. Das mag durchaus begreiflich sein, war aber ein Irrtum.“
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schen Nationalpartei), vor allem im Schlagwort vom „Volkstumskampf“, das Jaworski folgendermaßen definiert und verwendet: „Die kleinräumige Austragung nationaler Zwistigkeiten in ethnischen Grenzund Mischzonen hat im zeitgenössischen deutschen Sprachgebrauch den Namen ‚Volkstumskampf‘ erhalten. Dieser Begriff wird im folgenden bevorzugt für die diversen Erscheinungen sudetendeutschnationaler Willenskundgebungen verwendet“. [Er umfasst] „ein breites Spektrum nationaler Einstellungen […], ohne dadurch aggressiven Chauvinismus und romantisierende Deutschtümelei auf einen Nenner zu zwingen. Wenn im Verlauf der Untersuchung summarisch von Volkstumskampf und Volkstumsideologie die Rede sein wird, so erfassen diese Bezeichnungen lediglich die nach außen hin demonstrierte Einheit eines in sich sehr unausgeglichenen Organisations- und Meinungsgefüges.“70
Der „Volkstumskampf“ wurde vor allem als Kulturkampf, und hier vor allem als Kampf um die Schulen geführt. Er nahm zwar, vor allem in seiner Rhetorik, viel symbolischen Raum ein, eine wirklich schlagkräftige Organisation war dahinter jedoch nicht verborgen. Er war vielmehr gekennzeichnet von einem sehr reichen, aber zersplitterten Vereinswesen, für das Jaworski ein Steckenbleiben in frühbürgerlichen Anfängen konstatiert: „Die bis in die 20er Jahre fortdauernde Vorherrschaft von Verein und Publizistik vor Partei- und Verbandsöffentlichkeit war ein deutliches Indiz für diese Rückständigkeit. In gleicher Weise zeugte die Unmenge sudetendeutscher Organisationen und Publikationen von Beschränkung und nicht von Reichtum. Denn sie war nicht durch Arbeitsteilung hervorgerufen worden. Jeder neu gegründete Verein, jedes neu verlegte nationale Blatt war ja nicht sinnvolles Glied eines bereits funktionierenden und gerade um diesen Zusatz erweiterungsbedürftigen Organismus, sondern ein wiederholter Anlauf, Öffentlichkeit grundsätzlich herzustellen.“71
Gleichzeitig lähmte dieses von Jaworski als „vorpolitisch“ bezeichnete System die parteipolitische Arbeit indem es aus dieser Kapazitäten abzog72 und begünstigte so wohl auch den Ansturm der Deutschen zur 70
Jaworski, Vorposten oder Minderheit, S. 10f.
71
Ebd., S. 28.
72
Vgl. ebd., S. 57.
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Sudetendeutschen Heimatfront, die eben zu Beginn nicht als (den nationalen Deutschen suspekte) Partei organisiert war, sondern als „Volkstumsorganisation“, die die Volkstumsarbeit unterstützen und gerade nicht „Parteipolitik“ betreiben wollte. Trotz des regen Vereinslebens litten viele der Vereine an permanentem Geldmangel, die Spendenfreudigkeit der Deutschen hielt sich in deutlichen Grenzen. Insgesamt scheint die Parallelität von großen Phrasen und wenigen aktiven Tätigkeiten den deutschen „Volkstumskampf“ ausgezeichnet zu haben, „Massenorganisationen waren selbst die großen sudetendeutschen Schutzbünde nur in der Addition ihrer Mitglieder, nicht ihrem Aufbau nach.“73 Auch die lange vorherrschende Gewaltlosigkeit und Beschränkung auf Wortgefechte ist ein Kennzeichen des sudetendeutschen „Volkstumskampfs“, im Unterschied zu gesellschaftspolitischen Konflikten in anderen Staaten jener Jahre. „Der sudetendeutsche ‚Volkstumskampf‘ zeichnete sich durch einen im ostmitteleuropäischen Vergleich bemerkenswerten Quietismus aus: Freikorps hat es überall vom Baltikum bis nach Kärnten und weiter gegeben, nicht aber in der Tschechoslowakei. Dort sind sie erst 1938 unter ganz anderen Umständen entstanden.“74
Diese Gewaltlosigkeit darf jedoch nicht dazu führen, den Einfluss der VertreterInnen des „Volkstumskampfs“ zu unterschätzen. Denn durch ihre Aktivitäten hielten sie ein national angespanntes Klima ständig am Köcheln und sorgten dafür, dass in die deutsch-tschechischen Beziehungen keine bleibende Ruhe einkehrte – was nicht heißen soll, dass sich nicht auch auf tschechischer Seite genügend VertreterInnen des nationalen Kampfes fanden, die die nationale Stimmung schürten. Jaworski schätzt die Bedeutung der Rhetorik des „Volkstumskampfs“ folgendermaßen ein – eine Feststellung, die insbesondere auf dem Gebiet der Kultur wichtig ist: „Die Gefährlichkeit der sudetendeutschen Volkstumskämpfer wird man generell nicht so sehr in ihren zusammenhanglosen Aktionen zu suchen haben, als
73
Ebd., S. 61.
74
Lemberg, Die Tschechoslowakei im Jahr 1, S. 233.
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vielmehr in der Publizität ihrer unheilvollen Ideologiemassagen, die zu latenter politischer Aggressivität konditionierten.“75
Eben diese „Ideologiemassage“, das ständige Schüren von Angst, das Heraufbeschwören einer Situation der permanenten Bedrohung, beherrschte auch das Diskussionsfeld „Theater“, wie im Kapitel IV.4 Nationalistische Rhetorik in der Theaterkrise näher ausgeführt wird. Die deutschen Theater der Tschechoslowakischen Republik wurden dabei als „bedrohtes deutsches Kulturgut“ inszeniert, eine Argumentation, die vor allem dazu dienen sollte, finanzielle Unterstützung für diese Theater zu lukrieren – sei es bei der deutschen Bevölkerung oder bei staatlichen Stellen –, die gleichzeitig aber das Gefühl einer ständigen Gefährdung aufrechterhielt. Sozialstruktur und Wirtschaftskrise Aufgrund der Tatsache, dass in der Tschechoslowakei drei Viertel der Deutschen in ländlichen Gegenden lebten, stellt Jaworski fest, dass man die meisten der von den Deutschen als beabsichtigte Benachteiligung erlebten wirtschaftlichen Veränderungen der Republik vor allem als Zentrum-Peripherie-Konflikte bezeichnen kann76; diese spiegeln sich auch in der während der gesamten Zwischenkriegszeit nicht abflauenden Animosität der deutschsprachigen Provinz gegenüber dem Prager Deutschtum. Auch Ferdinand Seibt konstatiert das Fehlen von – tschechischen und deutschen – Metropolen in der Tschechoslowakei und dessen Folgen für das geistige Leben insbesondere der Deutschen. „Im ganzen fehlt der tschechoslowakischen Industrielandschaft die Großstadtbildung mit allen ihren Vermassungserscheinungen. Die Industrialisierung entwickelte sich mehr als im Westen und Nordwesten Europas im kleinstädtischen Bereich. Nebenerwerbssiedlungen spielten im deutschen und im tschechischen Gebiet eine bedeutende Rolle, das gesellschaftliche Gesamtbild zeigt sich von kleinstädtischen Verhältnissen mindestens stark beeinflußt. Dem deutschen Bevölkerungsteil fehlte die Großstadt so gut wie ganz. Die 12 000 [sic] Deutschen in Prag waren hierfür kein Ersatz, sondern eher Relikte einer vergangenen Gesellschaftsform, als daß sie den Anschluß an jene Geistigkeit zu vermitteln vermocht hätten, die in der Großstadt pulsiert und normalerweise von der 75
Jaworski, Vorposten oder Minderheit, S. 187.
76
Vgl. ebd., S. 22.
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Großstadt dem Hinterland vermittelt wird. [...] Das deutsche Geistesleben blieb unter diesen Umständen von einem Traditionalismus großstadtferner Prägung merklich beeinflußt.“77
Zudem spitzten sich in der Republik wirtschaftliche Entwicklungen zu, die bereits in der Monarchie ihren Anfang genommen hatten, wie die Veraltung der deutschen Fabriken und vor allem des Heimarbeit-Systems oder die überproportionale akademische Ausbildung, die zur Zeit der Monarchie durch Arbeitsplätze in anderen Gebieten des Habsburgerreichs kompensiert wurde. All diese Probleme wurden nun vorschnell dem tschechoslowakischen Staat angelastet, denn „der langwierige gesellschaftliche Statusverlust war schwieriger zu bewältigen als der spektakuläre nationale. Also wurden beide in eines gesetzt. Damit war zwar die Frustration der Betroffenen nicht beseitigt, aber in ihrer kollektiven Organisation erträglicher gemacht.“78
Kleinbürgerliche AkademikerInnen, die sozusagen unter Niveau arbeiten mussten, also selbst zu den größten VerliererInnen des Umbruchs gehörten, übernahmen dabei die intellektuelle Führerschaft und betätigten sich in den verschiedensten Positionen als LeiterInnen, SekretärInnen etc. in den unzähligen Vereinen des „Volkstumskampfs“. Dieser „wurde für viele Angehörige dieses Standes zur Rationalisierung ihrer eigenen Pauperisierung und war erst in zweiter Linie wirklichkeitsferne Schwärmerei.“79 Die Weltwirtschaftskrise, in die ganz Europa ab 1929 geriet, traf die Tschechoslowakei vor allem in ihren vielen exportorientierten Wirtschaftszweigen, wodurch der Produktionsverfall hier höher als in anderen Ländern war: Bis März 1933 fiel die Industrieproduktion auf 60% des Standes von 1929, die Lohnsumme sank in diesem Zeitraum von 15 auf 10 Milliarden Kronen, die Zahl der Arbeitslosen überstieg bald eine Million. Die mehrheitlich von Deutschen bewohnten Gebiete waren von der Krise doppelt so stark betroffen wie tschechische oder 77
Ferdinand Seibt. Zur Sozialstruktur der Ersten SR. In: Beiträge zum deutsch-tschechischen Verhältnis im 19. und 20. Jahrhundert. Hg. v. Vorstand des Collegium Carolinum. München: Lerche, 1967, S. 111-125, S. 120.
78
Jaworski, Vorposten oder Minderheit, S. 51.
79
Ebd., S. 45.
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slowakische; während in tschechischen Gemeinden auf 1.000 EinwohnerInnen 40 Arbeitslose kamen, waren es in den deutschen 90. Ein Grund dafür war der hohe Industrialisierungsgrad der Gebiete mit deutscher Mehrheit, in denen 44% der Beschäftigten (im Vergleich zu 33% in den Gebieten mit tschechischen und slowakischen Mehrheiten) in der Industrie arbeiteten80. Die Wirtschaftskrise führte zu einer Verschiebung der Struktur der tschechoslowakischen Industrie, die Bedeutung der (deutsch dominierten) Leichtindustrie sank und diejenige der (tschechisch dominierten) Schwerindustrie stieg. „Es gab nicht nur jahrelange, sondern auch eine sogenannte ‚strukturelle‘ Arbeitslosigkeit, die ganze Gemeinden lähmte und im Durchschnitt jeden fünften deutschsprachigen Einwohner betraf, wohlgemerkt: exakt jeden fünften, nicht etwa nur die Arbeitnehmer. Die tschechische Arbeitslosigkeit lag dagegen bei fünf Prozent der Gesamtbevölkerung. Und zum Vergleich: In Deutschland, wo man die Arbeitslosigkeit in vielen Varianten studiert und immer wieder mit der politischen Polarisierung und dem Aufstieg Hitlers in Verbindung gebracht hat, erfaßte die Arbeitslosigkeit auf ihrem Höchststand bekanntlich nie mehr als ein Zehntel der Bevölkerung, und in Berlin, ihrem Zentrum, nur wenig mehr als dreizehn Prozent.“81
Die Wirtschaftskrise wird auch für die Tschechoslowakei oft als Erklärung für den Aufstieg der SdP herangezogen, bereits in den dreißiger Jahren selbst wurde sie als Ursache der beobachteten Radikalisierung gesehen82. Die Menschen griffen in dieser Situation vermehrt zur Selbsthilfe, das Vertrauen in die Parteien sank (abgesehen von der KP, die an Bedeutung gewann), tschechische und deutsche Volkstumsvereine waren im Aufwind. 80
Vgl. dazu Slapnicka, Die böhmischen Länder und die Slowakei, S. 66f.
81
Seibt, Deutschland und die Tschechen, S. 319.
82
So z.B. im „Radikalisierung des Deutschtums“ betitelten Leitartikel in der Bohemia vom 21.3.1933, der die starken nationalsozialistischen Gewinne bei den Egerer Gemeindewahlen und die im Raum stehende Gründung eines gemeinsamen Volksrats verknüpft: „Die bei den Egerer Wahlen in die Erscheinung tretende und auf dem Reichsparteitag der deutschen Landwirte auf das lebhafteste erörterte Radikalisierung des Deutschtums, die selbstverständlich mit der wirtschaftlichen Zurücksetzung der deutschen Bevölkerung auf das engste zusammenhängt, kam auch bei den Reichenberger Volksratsverhandlungen wiederholt zum Ausdruck.“
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I.3 D ER NATIONALSOZIALISMUS UND SEINE F OLGEN : D IE T SCHECHOSLOWAKEI ALS A SYLLAND UND DER A UFSTIEG DER S UDETENDEUTSCHEN P ARTEI Mitten in die Auswirkungen der Wirtschaftskrise kamen 1933 mit der „Machtergreifung“ der NSDAP in Deutschland neue Probleme auf die Tschechoslowakei zu. „Unter diesen ökonomisch kritischen Umständen setzte die Fluchtwelle in die Tschechoslowakei ein, die in den ersten Monaten des Jahres 1933 in der Mehrheit politische Flüchtlinge aufnahm, während das Sozialinstitut der jüdischen Gemeinde und die Hicem (jüdische Auswanderungsorganisation) sich auf einen Ansturm, der unweigerlich kommen mußte, vorbereitete. Dieser erste jüdische Flüchtlingsstrom kam dann auch nach dem 1. April 1933, dem BoykottTag in Deutschland, ebbte dann wieder ab und wuchs langsam aber stetig bis zu den ‚Blut und Boden‘-Gesetzen des September 1935, als Hunderte jüdischer Flüchtlinge mit ihren christlichen Partnern ins Masaryk-Asylland kamen.“83
Aufgrund der Tatsache, dass zwischen Deutschland und der SR seit 1928 keine Visumspflicht bestand sowie wegen der Länge der gemeinsamen Grenze wurde die Tschechoslowakei zu einem der wichtigsten Asylländer insbesondere für politische Flüchtlinge. Rund 3.000-4.000 EmigrantInnen flohen 1933 aus Deutschland hierher; diese Zahl sank allerdings schnell auf 1.500-2.000, da die Tschechoslowakei für viele nur ein Durchgangsland darstellte. Wegen der ohnehin schon hohen Arbeitslosigkeit und dem seit 1928 geltenden Gesetz zum Schutz des heimischen Arbeitsmarktes war es den Flüchtlingen kaum möglich, Arbeit zu finden; laut Slapnicka waren rund 1.000 von ihnen auf Unterstützungsaktionen verschiedener Hilfskomitees angewiesen84. Vor allem für die politische Emigration war die Länge der grünen Grenze wertvoll, da diese nicht nur den Grenzübertritt ermöglichte, sondern auch die politische Untergrundarbeit erleichterte, weshalb auch die Flüchtlinge der österreichischen Februarkämpfe des Jahres 1934 von der SR aus ihrer Widerstandstätigkeit nachgingen. Darum
83
Kurt R. Grossmann. Die Exilsituation in der Tschechoslowakei. In: Die deutsche Exilliteratur 1933-1945. Hg. v. Manfred Durzak. Stuttgart: Reclam, 1973, S. 65-72, S. 65.
84
Vgl. Slapnicka, Die böhmischen Länder und die Slowakei, S. 75.
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stellten die Mitglieder der deutschen und österreichischen sozialistischen und kommunistischen Parteien auch einen vergleichsweise hohen Anteil der EmigrantInnen85. Diese wurden von NS-Deutschland auch auf tschechoslowakischem Staatsgebiet verfolgt, es kam zu Ermordungen und Verschleppungen von Flüchtlingen. Die Flüchtlinge waren nicht bei allen Parteien willkommen86, besonders die tschechisch-nationalen Blätter wandten sich des Öfteren gegen die EmigrantInnen, die sie als unliebsame Stärkung des Deutschtums in der Tschechoslowakei sahen. So schreibt beispielsweise der Tagesbote im September 1933 unter dem Titel „Die tschechische Hetze gegen die reichsdeutschen Flüchtlinge. Národní politika sieht Gespenster“: „In einem Teil der tschechischen Presse wird die Frage der reichsdeutschen Emigranten unter dem Gesichtspunkt des nationalen Interesses gesehen, wobei die Schlußfolgerungen die gleichen Gedankengänge enthalten, die kürzlich von der Národní listy entwickelt wurden. Während dieses Blatt jedoch bloß vor den Gefahren warnte, die der Tschechoslowakei durch eine politische Tätigkeit der Emigranten drohen, geht die Národní politika einen Schritt weiter, indem sie den Emigranten vorwirft, daß sie auch in den Ländern, welche ihnen Gastrecht gewähren, ihr Deutschtum in einer Weise hervorkehren, die den Widerspruch der Tschechen hervorrufen müsse.“87
Doch obwohl sich die tschechischen wie auch die deutschen rechten und nationalen Parteien immer wieder gegen Erleichterungen oder Verbesserungen für die EmigrantInnen stellten, zählte die Tschechoslowakei zu den liberalsten Asylländern88. Nach Brünn waren vor allem die TeilnehmerInnen der österreichischen Februarkämpfe 1934 geflohen, von denen der Großteil die SR 85
Vgl. Werner Röder. Drehscheibe – Kampfposten – Fluchtstation. Deutsche Emigranten in der Tschechoslowakei. In: Drehscheibe Prag. Zur deutschen Emigration in der Tschechoslowakei 1933-1939. Hg. v. Peter Becher u. Peter Heumos. München: Oldenbourg, 1992, S. 15-29.
86
Vgl. Kateina ápková u. Michal Frankl. Nejisté útoit. eskoslovensko a uprchlíci ped nacismem 1933-1938. [Unsichere Zuflucht. Die Tschechoslowakei und die Flüchtlinge vor dem Nationalsozialismus 19331938] Praha: Paseka, 2008.
87
Tagesbote, 6.9.1933, M S. 1.
88
Vgl. dazu Becher u. Heumos, Drehscheibe Prag.
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bald wieder verließ, um entweder nach Österreich zurückzukehren oder weiter in die Sowjetunion zu emigrieren. Von den knapp 2.000 österreichischen EmigrantInnen, die nach Brünn gekommen waren, waren 1935 nur noch ca. 200 Personen in Mähren, ca. ein Drittel bis die Hälfte davon in Brünn89. Zu deren Alltag und Tätigkeit im Brünner Exil sowie zu den Verbindungen zur hiesigen deutschen Bevölkerung gibt es bislang kaum wissenschaftliche Arbeiten90. Laut Peter Demetz spielten die EmigrantInnen keine besondere Rolle im öffentlichen Leben Brünns, es gab jedoch vielfältige private Kontakte zur Brünner Sozialdemokratie91. Im Oktober 1933 wurden die Deutsche Nationalsozialistische Arbeiterpartei sowie die Deutsche Nationalpartei, die sich der DNSAP angeschlossen hatte, als staatsfeindliche Organisationen verboten. Wenige Tage zuvor hatte Konrad Henlein, der Vorsitzende des Deutschen Turnverbandes, zur Gründung einer Sudetendeutschen Heimatfront aufgerufen. Diese stellte in der Folge ein Sammelbecken für die beiden aufgelösten Parteien dar, hatte aber auch viele Mitglieder aus den Reihen der nicht-parteigebundenen Volkstumsorganisationen. Die SHF war zu Beginn sicher noch nicht die berüchtigte „5. Kolonne“ Hitlers; das Programm, das Henlein im Oktober 1934 vorlegte, beinhaltete „ebenso eine Absage an die Hitlerische Form des Nationalsozialismus als auch ein Bekenntnis zum ‚Sudetendeutschtum als lebendiger Volksgemeinschaft‘ und zum tschechoslowakischen Staat“92. 89
Vgl. Helmut Konrad. Die österreichische Emigration in der SR von 1934 bis 1938. In: Österreicher im Exil 1934 bis 1945. Hg. vom Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes und der Dokumentationsstelle für Neuere Österreichische Literatur. Wien: ÖBV, 1977, S. 1526 u. Frantiek Spurn. Die internationale Hilfe des nordmährischen Proletariats für die österreichischen Emigranten 1934-1938. In: Ebd., S. 2733.
90
Vgl. Dora Müller. Drehscheibe Brünn. Deutsche und österreichische Emigranten 1933-1939. Pestupní stanice Brno. Nmetí a rakoutí emigranti 1933-1939. Brno: Selbstverlag, 1997; Christoph Höslinger. Österreich und die Tschechoslowakei 1934-1938. Politische Beziehungen im Lichte der Akten des Wiener Außenamtes. Dipl.Arb., Wien 1991.
91
Persönliches Gespräch mit Peter Demetz, Prag, 23.3.2006.
92
Hoensch, Geschichte der Tschechoslowakischen Republik, S. 61; Dass es sich dabei nicht nur um Propaganda handelte, sondern die Bewegung, spä-
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Die Haltung der deutschen und tschechischen konservativen Parteien (bzw. deren jeweiliger rechter Flügel) dürfte gleichfalls zum Aufschwung der SHF beigetragen haben. Sowohl die tschechische als auch die deutsche agrarische Partei hofften, mit einer Stärkung Henleins die Sozialdemokratie zu schwächen und eine Regierung ohne deren VertreterInnen bilden zu können. Gleichzeitig dachten sie, die Bewegung jederzeit unter ihre Kontrolle bringen (BdL) bzw. verbieten (tschechische AgrarierInnen) zu können93. Die SozialdemokratInnen kritisierten in diesem Zusammenhang immer wieder die mangelnde Unterstützung des deutschen Aktivismus durch die tschechischen (Regierungs-)PolitikerInnen. „Parallel zu den internen Beratungen der einzelnen Parteien entfachte auch in der Öffentlichkeit eine heiße Debatte um die regierungsoffizielle Haltung zur SHF. Der ‚Sozialdemokrat‘ hatte der tschechischen Politik vorgeworfen, sie mißverstehe fast immer die ‚ungeheure Differenziertheit‘ im politischen Bewußtsein der Deutschen und begreife daher auch nicht, daß quer durch das ‚Sudetendeutschtum‘ ein Riß laufe. Entweder sehe sie in den Deutschen nur loyale Staatsbürger oder aber verkappte Hochverräter. Dadurch sei sie auch nicht fähig, die staatserhaltenden Elemente zu stärken.“94
Doch nicht nur die Parteien hielten lange am Programm des Aktivismus fest, sondern auch die liberalen Zeitungen, die kritische Berichte ter Partei, neben Parallelen auch Unterschiede zum Nationalsozialismus aufwies, wurde in den letzten Jahren mehrfach behandelt; vgl. Burian, Chancen und Grenzen; Boyer u. Kuera, Die Deutschen in Böhmen; Volker Zimmermann. Sudetendeutsche in der Ersten Tschechoslowakischen Republik und im NS-Staat. In: Die Bene-Dekrete. Hg. v. Barbara Coudenhove-Kalergi u. Oliver Rathkolb. Wien: Czernin, 2002, S. 51-68; Ralf Gebel. Zwischen Volkstumskampf und Nationalsozialismus. In: Bohemia 38 (1997), S. 376-385 u. insbesondere ders. „Heim ins Reich!“ Konrad Henlein und der Reichsgau Sudetenland (1938-1945). München: Oldenbourg, 2000, der in seinem Kapitel II („Rückblick: Konrad Henlein, die Sudetendeutsche Partei und der Weg zum Münchner Abkommen“, S. 2560) den diesbezüglichen Stand der Forschung zusammenfasst und die uneinheitliche Haltung der SdP zum „Dritten Reich“ verdeutlicht. 93
Vgl. Kracik, Die Politik des deutschen Aktivismus, u.a. S. 270f.
94
Ebd., S. 283; das Zitat aus dem Sozialdemokrat stammt vom 17.2.1935, Leitkommentar zu deutschen Parteien und tschechischer Politik.
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über die Vorgänge in Deutschland brachten und immer wieder betonten, dass das Ziel der Deutschen in der Tschechoslowakei nur die Stärkung der Demokratie sein konnte. So meinte beispielsweise Gesundheitsminister Spina vom Bund der Landwirte in einer Rede im März 1933, die im Tagesboten ausführlich behandelt wurde: „Wenn Sie sich das Programm des tschechischen Faschismus ansehen, werden Sie unschwer erkennen, daß das Sudetendeutschtum alles zu verlieren hätte, wenn dieser Faschismus ans Ruder käme und daß die Lebensmöglichkeiten des Sudetendeutschtums ausschließlich davon abhängen, daß der Grundsatz der Demokratie erhalten bleibt. Ein Herüberbluten der faschistischen Bewegung auf das Denken und die Einstellung unseres Volkes, des Sudetendeutschtums, würde eine der furchtbarsten völkischen Gefahren bedeuten, die man sich vorstellen kann.“95
Insbesondere Masaryk wurde zunehmend zur Symbolfigur der Gleichberechtigung, bei seiner Wiederwahl 1934 wurde deutlich, wie sehr er auch für die deutschen TschechoslowakInnen zum Vater der Republik geworden war. Unter dem Titel „Erhebende Kundgebung der Brünner Bevölkerung aus Anlaß der Präsidentenwahl“ schrieb der Tagesbote: „Für uns Deutsche hatte die gestrige Kundgebung eine weitere Bedeutung, da zum ersten Male seit dem Bestand der tschechoslowakischen Republik deutsche Bürger unserer Stadt gemeinsam, gleichsam Seite an Seite mit unseren tschechischen Mitbürgern, ihre Freude über die Wahl des bedeutendsten und überzeugtesten Vertreters der demokratischen Verfassung dieses Staates, jenes Mannes, der sich immer wieder für den Grundsatz ‚Gleiche unter Gleichen‘ eingesetzt hat, zum Ausdruck brachten. Der Freiheitsplatz erwies sich als zu klein, um all die Menschen zu fassen, die gekommen waren, um der Feier beizuwohnen.“96
Masaryk verkörperte die Ideale von Demokratie und Republik sowie der in ihnen existierenden Verbindungen zwischen Deutschen und TschechInnen und bildete so einen Kristallisationspunkt der Identifikation mit dem tschechoslowakischen Staat. Jaworski hält die angebliche 95
Tagesbote, 19.3.1933, M S. 1.
96
Tagesbote, 25.5.1934, M S. 5; vgl. hierzu auch Minister Spinas im Prager Abendblatt erschienenen Text anlässlich Masaryks Geburtstag wenige Wochen zuvor, zitiert im Tagesboten, 8.3.1934, M S. 1.
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emotionale Bindung der tschechoslowakischen Deutschen zu Deutschland generell in erster Linie für Propaganda: „Die hochgradige Emotionalität der sudetendeutschen Volkstumsideologie war Stimulanz, sie sollte die konnationalen Gemeinschaftsgefühle erst hervorbringen, für die zu stehen sie selbstbetrügerisch vorgab. Gefühlsmäßig, das heißt in ihren Lebensgewohnheiten, tendierten die Sudetendeutschen viel mehr nach Österreich, am intensivsten aber zu ihren tschechischen Nachbarn.“97
Diese Bindung unterstreicht auch folgender Leitartikel im Tagesboten anlässlich des Staatsfeiertages 1933, der nicht nur die aktuelle Situation beleuchtet, sondern das eigene frühere Beharren auf dem „Selbstbestimmungsrecht der Völker“ im Nachhinein gleichsam demokratisch umdefiniert: „Wenn wir im Laufe der Jahre vom Selbstbestimmungsrecht der Völker sprachen, so schwebte uns, wie ohne Zweifel der Mehrheit der Sudetendeutschen, die Ausübung dieses Rechtes nur im Rahmen der tschsl. Republik vor, deren historische Länder ja die uralten Grenzen haben, die, wie es unlängst einer unserer Minister in ähnlichem Zusammenhang hervorhob, schon Bismarck als unantastbar galten. Denn diese Grenzen umschließen eine Jahrhunderte alte Kultur- und Schicksalsgemeinschaft, die, zumal durch die Entwicklung der letzten Jahrzehnte, auch eine nicht weniger bedeutsame Wirtschaftsgemeinschaft geworden ist. Sie zu zerreißen, würde für beide Völker unabsehbaren Schaden bedeuten. So mancher von jenen Italienern in Triest, die es mit dem Anschluß an das ‚größere Vaterland‘ so eilig hatten, hat unterdessen sehr bittere Erfahrungen mit jener ‚Befreiung‘ gemacht.“98
Trotzdem erfolgte im Laufe der Zeit eine stärkere Hinwendung zu Deutschland, das nun, trotz der dort herrschenden Diktatur, zunehmend als „Mutterland“ aller in Europa lebenden Deutschen verstanden wurde99. Bereits zur Zeit der Monarchie hatte es lebhafte Beziehungen, vor allem im privaten Bereich, aber auch auf Hochschul- und Vereins-
97
Jaworski, Vorposten oder Minderheit, S. 185f.
98
Tagesbote, 28.10.1933, M S. 1.
99
Zu dieser Neudefinition der Verhältnisse zwischen den verschiedenen deutschsprachigen Bevölkerungsgruppen vgl. Brubaker, Nationalism Reframed, S. 131ff.
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ebene, ins Deutsche Reich gegeben, die nach 1933 für massive Propaganda genutzt wurden. „Die sudetendeutschen Bürgersöhne studierten außer in Wien vornehmlich an reichsdeutschen Universitäten und traten dort meistens den großdeutsch organisierten Burschenschaften bei. Der Deutsche Schulverein errichtete Zweigstellen im Deutschen Reich; der Alldeutsche Verband griff auf die böhmischen Länder über; die berühmteste deutsch-böhmische Kulturzeitschrift ‚Deutsche Arbeit‘ entwickelte sich zu einer geistigen Vermittlungsstelle reichsdeutscher Einflüsse; Jugendbewegung und die verschiedensten reichsdeutschen Organisationsformen wurden zuerst in den Sudetenländern übernommen oder selbständig nachempfunden.“100
1935 erfolgte die Umbildung der SHF zur Sudetendeutschen Partei (SdP), um bei den Parlamentswahlen kandidieren zu können, wo sie einen Erdrutschsieg errang. Bereits dieser erste Wahlkampf der SdP war von Berlin finanziert worden, was von den ZeitgenossInnen zwar stets vermutet wurde, jedoch nicht bewiesen werden konnte 101. Die DSAP fiel von 21 auf 11 Mandate, die Christlichsozialen von 14 auf 6, der Bund der Landwirte von 16 auf 5 Mandate; insgesamt hatten alle drei aktivistischen Parteien gemeinsam nur noch 32% der deutschen Stimmen, während sie bisher immer zwischen 74 und 83% erreicht hatten. Die SdP erlangte auf Anhieb 68% aller deutschen Stimmen, 15% aller Stimmen überhaupt, womit sie stimmenstärkste Partei der Tschechoslowakei wurde und 44 Mandate erhielt102. Die deutschen aktivistischen Parteien blieben zwar weiterhin in der Regierung vertreten, aber nur noch die SozialdemokratInnen hatten mit Ludwig Czech im Gesundheitsministerium ein Ressort, Spina wurde Minister ohne Portefeuille. 1936 wurde mit Erwin Zajíek ein Vertreter der deutschen Christlichsozialen ins Kabinett berufen, auch er ohne Portefeuille; damit gehörten 22 von 66 deutschen Abgeordneten der Regierung an, was eine deutliche Schwächung der bisherigen Position darstellte. Auf
100 Jaworski, Vorposten oder Minderheit, S. 35. 101 Vgl. Hoensch, Geschichte der Tschechoslowakischen Republik, S. 61 sowie Boyer u. Kuera, Die Deutschen in Böhmen, S. 281. 102 Vgl. Tabelle II. Ergebnisse der Wahlen zum Abgeordnetenhaus. In: Die Erste Tschechoslowakische Republik als multinationaler Parteienstaat. Hg. v. Karl Bosl. München, Wien: Oldenbourg, 1979, S. 560f.
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tschechischer Seite hatten sich bei dieser Wahl nur geringe Verschiebungen ergeben. Dafür, wie es zu diesem plötzlichen fulminanten Wahlsieg kommen konnte, gibt es verschiedenste Erklärungsansätze. So gut wie alle AutorInnen betonen die Rolle der Wirtschaftskrise, wobei anstelle von monokausalen Ursache-Wirkungs-Erklärungen differenzierte Betrachtungen angestellt werden: „Wie immer in historischen Krisensituationen mußte sich fühlbarer, sichtbarer Mangel mit einem entsprechenden Ressentiment verbinden, um das Selbstbewußtsein des allgemeinen Elends zu wecken, Schicksalsgemeinschaften zu definieren und endlich auch dem Widerstandswillen einen Weg zu bahnen. Aus der sterilen Verhärtung der oppositionellen Ratlosigkeit des deutschen Staatsverhältnisses zu Anfang der zwanziger Jahre, aus dem Versuch des ‚Aktivismus‘ der beiden traditionellen ‚bürgerlichen‘ Mittelparteien und der deutschen Sozialdemokraten, und aus dem trotzigen ‚Negativismus‘ der Nationalisten im ersten Jahrzehnt der Staatsexistenz lockerte die Wirtschaftskrise allmählich den Boden für die Keime einer Massenbewegung, welche die deutsche Politik zu einer bis dahin in der Republik ungekannten Geschlossenheit führte.“103
Auch Zückert betont die interne Dynamik der von ihm als „regionalistische Protestbewegung“104 beschriebenen SdP und meint, dass vieles darauf hindeutet, „dass die von Konrad Henlein initiierte Bewegung nicht allein als Reaktion auf einen tschechisch-deutschen Gegensatz zu verstehen ist, sondern vielmehr autarke Züge hatte und im Rahmen eines sudetendeutschen Selbstfindungsprozesses auf eine ethnisch und kulturell gedeutete Eigenständigkeit hinstrebte.“105
Jaworski konstatiert den Deutschen in der Tschechoslowakei generell fehlendes Demokratieverständnis sowie fehlende Bindung an Parteien, was sich auch in den Ergebnissen der vorhergegangenen Wahlen spiegeln würde, und rät angesichts dessen zu grundsätzlicher Skepsis bezüglich der Interpretierbarkeit der tschechoslowakischen Wahlergebnisse und stellt fest: „Nur auf der Basis einer langfristig wirkenden Parteimüdigkeit sind darum auch die späteren raschen Sammlungser103 Seibt, Deutschland und die Tschechen, S. 319. 104 Zückert, Vom Aktivismus zur Staatsnegation, S. 91. 105 Ebd., S. 93.
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folge der Henlein-Bewegung und der ebenso rasche Zerfall des sudetendeutschen Parteisystems zu verstehen.“106 Auch Burian erklärt diesen Aufstieg nicht so sehr mit politischen Zielen, als mit einem Generationenkonflikt, einer generellen Absage an das Parteiensystem und Gleichgültigkeit gegenüber dem Parlamentarismus. „Aber auch der große Erfolg der Sudetendeutschen Partei darf damals noch nicht als Absage an den gemeinsamen Staat verstanden werden, sondern doch wohl eher nur als Distanzierung vom parlamentarischen Parteienstaat. Die wirtschaftlichen Konsequenzen der großen Krise, die die Deutschen besonders hart getroffen hatten, reichen jedenfalls nicht aus, um diesen Erfolg ganz zu erklären. Und eine Behauptung, die die Niederlage der aktivistischen Parteien ausschließlich auf deren vorgebliches Versagen in dem Bemühen zurückführen wollte, die deutschen nationalen Interessen wirksam zu schützen, müßte noch bewiesen werden; sie würde überdies auch die nationale und parteipolitische Situation im ersten Jahrzehnt der Republik verfehlen. Der Erfolg der Sudetendeutschen Partei dürfte viel eher zu erklären sein mit einem nicht nur in der Tschechoslowakei verbreiteten Unbehagen v.a. junger Schichten an der überkommenen Staatsform und mit einer gewissen Gleichgültigkeit den Prinzipien des Parlamentarismus gegenüber. Dazu gehörte auch, daß sie innenpolitisch in totalitärer Art die Existenz der anderen deutschen Parteien negierte; eine parlamentarische Diskussion war damit ausgeschlossen.“107
106 Jaworski, Vorposten oder Minderheit, S. 201, Anm. 102. Außerdem dürfte die Verknüpfung von Partei und Volkstumsbewegung ein ausschlaggebender Faktor gewesen sein, wie auch Jaworskis Beurteilung der älteren nationalen Parteien nahelegt: „Doch was die DNP hier an nationalpolitischer Programmatik anzubieten hatte, ging in keinem Punkt über das hinaus, was die unpolitischen Volkstumsorganisationen längst verkündet hatten. Es scheint darum angebracht, den relativ geringen Zulauf zur DNP aber auch zur DNSAP nicht in einer aktivistischen Grundhaltung der sudetendeutschen Bevölkerung zu suchen, sondern damit zu erklären, daß die ältere Schutzarbeit diesen jungen Parteien Argumente und Mitglieder voraushatte, die sie der sudetendeutsch-nationalen Politik entzog.“ Ebd., S. 58. 107 Burian, Chancen und Grenzen, S. 147.
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Zudem war lange Zeit nicht klar, ob es sich bei der SdP um eine aktivistische oder eine irredentistische Partei handelte, was die Partei für VertreterInnen beider Richtungen wählbar machte: „Er [Henlein] enthüllt [in einem Bericht an Hitler 1937, K.W.] alle parlamentarischen Spielregeln, einschließlich des Bekenntnisses zum Staat und seinen Grenzen, als notwendige Tarnung für die Existenz der Partei, und damit macht er deutlich, daß ‚die Zwiespältigkeit im äußeren Bild der SdP‘ nicht nur ‚reichsdeutsche Beobachter‘ verwirren konnte, sondern auch die eigenen Wähler in einer zwielichtigen Unklarheit hielt, ob Staatstreue oder Staatsverrat, ob Verwaltungsautonomie oder Anschluß, ob ein besserer ‚Staatsaktivismus‘ aufgrund der größeren Entschlossenheit oder ob geschlossen ‚Heim ins Reich‘ das Programm der neuen Partei gewesen sei.“108
Auch die Rolle der reichsdeutschen Propaganda darf hierbei nicht übersehen werden: Die Grenzen zwischen Deutschland und der SR waren nicht nur für EmigrantInnen durchdringbar, sondern auch für Spitzel und Propagandamaterial. Die Deutschen der Tschechoslowakei sahen also nicht nur die Not der Flüchtlinge, sondern sie waren gleichzeitig massiver faschistischer Propaganda ausgesetzt – noch immer gab es keinen deutschsprachigen tschechoslowakischen Radiosender, sondern lediglich Programmschienen auf tschechischen Sendern, kam ein Großteil der deutschsprachigen Filmproduktion aus NS-Deutschland und wurden unzählige reichsdeutsche Zeitungen und Zeitschriften legal und illegal in der SR verbreitet. Die Haltung der Regierung gegenüber der SdP war zudem ebenso unentschlossen, wie zuvor dem Aktivismus gegenüber, wie der Sozialdemokrat beklagt: „Die Zwiespältigkeit der tschechischen Politik gegenüber Henlein, das mangelnde Verständnis der Bürokratie für die sozialen Fragen der buchstäblich hungernden Massen der Arbeitslosen und Kurzarbeiter unter den deutschen Mitbürgern, die nahezu kampflose Räumung der ideologisch strittigen Gebiete vor dem deutschen Faschismus (im Rundfunk, der Presse, dem Film, dem Buchhandel, im öffentlichen Vereinsleben und auf vielen anderen Gebieten) 108 Seibt, Deutschland und die Tschechen, S. 333; die Zitate stammen aus: Akten zur deutschen auswärtigen Politik 1918-1945. Serie D II 1950, Bd. 2, S. 47; zu den ideologischen Konturen der Partei im Vergleich zum Nationalsozialismus vgl. Boyer u. Kuera, Die Deutschen in Böhmen.
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muß in den überzeugten Demokraten, die seit Jahr und Tag die ganze Last des Kampfes für die Demokratie und die Tschechoslowakische Republik im nazistisch verseuchten Gebiet tragen, lähmend und irreführend wirken.“109
Zu Beginn der dreißiger Jahre, während des Höhepunktes des Aktivismus, mehrten sich in den deutschsprachigen Zeitungen die Beschwerden darüber, dass die Bemühungen um Zusammenarbeit von tschechischer Seite nicht genügend gewürdigt wurden. Im Verlauf der dreißiger Jahre wurden nicht nur unter den deutschen, sondern auch unter den tschechischen Teilen der Bevölkerung nationalistische und faschistische Strömungen stärker, nationalistische Zeitungen brachten immer wieder antideutsche Artikel. Zunehmend wurden die Begriffe „Hakenkreuzler“ und „Deutscher“ synonym verwendet. Die Bohemia berichtete 1933 von einem solchen Fall in der Pilsner Zeitung der tschechischen Sozialdemokratie und stellte anschließend fest: „Daß ein sozialdemokratisches Organ strenges Einschreiten gegen die deutschen Nationalsozialisten fordert, ist nicht nur begreiflich, sondern auch sein gutes Recht; daß es aber nicht mehr ‚Hakenkreuzler‘, sondern konsequent sagt, ‚die Deutschen‘ müßten sich überzeugen, was bisher ‚gegen die Deutschen‘ unternommen worden sei, wäre nur ein Beginn usf., zeigt, daß die Warnung eines andern Blattes der gleichen Partei, des ‚Právo Lidu‘, nicht unberechtigt ist, man dürfe ‚bei den deutschen Mitbürgern nicht das Gefühl erwecken, daß wir über sie alle ein Kreuz machen und sie in den hakenkreuzlerischen Topf werfen.‘“110
Auch die EmigrantInnen bekamen diese schrittweise Verschiebung nach rechts, die parallel zur Konsolidierung des „Dritten Reiches“ verlief, zu spüren. „Als nach der Mitte des Jahrzehnts der organisierte innerdeutsche Widerstand an Selbsterschöpfung und unter der zunehmenden Professionalität der Geheimen Staatspolizei zusammengebrochen war und alle Klassen im Reich im Angesicht von Wirtschaftsaufschwung und glänzender äußerer Erfolge sich mehr109 Sozialdemokrat, 17.2.1935, Leitartikel zu deutschen Parteien und tschechischer Politik; zit. nach Kracik, Die Politik des deutschen Aktivismus, S. 283. 110 Bohemia, 10.10.1933, S. 1.
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heitlich mit dem neuen nationalen Staat solidarisierten, war dem deutschen Exil in der Tschechoslowakei seine eigentliche Ratio entzogen. Daß die deutschen SR-Bürger diesen Zeichen der Zeit zunehmend folgten und die Prager Burg sich Schritt für Schritt auch in der Emigrantenfrage ‚arrangierte‘, ist schließlich nur noch ein Nachspiel gewesen.“111
Dementsprechend war auch in Brünn ab Mitte der dreißiger Jahre eine zunehmende Hinwendung großer Teile der deutschen Bevölkerung zur SHF/SdP zu bemerken, die bei den Gemeinderatswahlen 1935 68% der deutschen Stimmen erhielt112. Die Massenbeitritte zur SdP im Frühjahr 1938, über die der – zu diesem Zeitpunkt schon gleichgeschaltete – Tagesbote nach dem „Anschluss“ Österreichs berichtete, dürften allerdings bereits weniger auf das Konto nationalsozialistischer Begeisterung gehen, als vielmehr darauf zurückzuführen zu sein, dass nach den Ereignissen in Österreich Ähnliches auch für die Tschechoslowakei erwartet wurde und sich „[d]ie nationalsozialistische Durchdringung der sudetendeutschen Gesellschaft seit dem ‚Anschluss‘ in einer von offenem Terror geprägten Atmosphäre des Ausnahmezustandes [vollzog].“113 Neue Mitglieder wurden mit Drohungen zum Parteieintritt bewogen, SdP-Patrouillen führten Hausdurchsuchungen durch, Aufmärsche, Beflaggung sowie öffentlich angebrachte NS-Parolen und -Embleme prägten das Straßenbild. Bis auf die DSAP hatten sich alle deutschen Parteien der SdP eingegliedert, der tschechoslowakische Staat griff nur in den seltensten Fällen ein – Unterstützung für staatsloyale Deutsche war im Frühjahr 1938 quasi nicht vorhanden114.Von Berichten aus Österreich selbst blieb die Bevölkerung mehr oder weniger unbehelligt, im Gegensatz zu 1933 machte die Tschechoslowakei bereits einige Tage vor dem „Anschluss“ die Grenzen dicht, die Einreise wurde nur Personen gestattet, deren Angehörige in der Tschechoslowakei lebten.
111 Röder, Drehscheibe – Kampfposten – Fluchtstation, S. 29. 112 Das entspricht 13 Mandaten; die DSAP erhielt 4, die deutschen Christlichsozialen und die Deutschdemokratische Freiheitspartei jeweils 1 Mandat; die KP erreichte 9 Mandate, die Vereinigten jüdischen Parteien 2, die tschechischen Parteien insgesamt 60. Vgl. Bohemia, 28.5.1935, S. 2. 113 Boyer u. Kuera, Die Deutschen in Böhmen, S. 282. 114 Vgl. Detlef Brandes. Die Sudetendeutschen im Krisenjahr 1938. München: Oldenbourg, 2008.
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Die Emigration aus der Tschechoslowakei begann bereits zwischen „Anschluss“ und Münchner Abkommen. Um der Radikalisierung Einhalt zu gebieten, hatten im Februar 1937 die deutschen aktivistischen Parteien mit den tschechischen Parteien das so genannte Februar-Abkommen geschlossen, das auf wichtigen gesellschaftlichen Gebieten die nationale Proportionalität zum Prinzip erhob, was in letzter Konsequenz das Staatswesen in Richtung eines Nationalitätenstaates gelenkt hätte. Dieses Abkommen hatte „neue Hoffnungen unter den Deutschen geweckt, die sich unmittelbar in einem Rückzug von der Henlein-Partei beobachten lassen. 30.000 Mitglieder traten damals aus der Partei wieder aus. Das zeigt, in welchem Maß das deutsche Staatsverhältnis durch die Unbeweglichkeit der tschechischen Politik irritiert war – bereit, auch auf einen leisen Hoffnungsschimmer zu reagieren. Aber als sich zum Jahresende die Erfolglosigkeit der deutsch-tschechischen Vereinbarungen herausstellte, erfuhr die Sudetendeutsche Partei mit 120.000 Neuzugängen in ihrem Mitgliederbestand den entscheidenden Durchbruch. Danach war mit 600.000 Personen beinahe ein Fünftel der gesamten deutschen Bevölkerung in der Tschechoslowakei in ihren Mitgliederlisten registriert.“115
Während bisher also vordringlich interessenspolitische Belange im Vordergrund gestanden und bei Wahlen ausschlaggebend gewesen waren, wurde das Heilmittel nun in nationaler Einigkeit gesehen. „Jene wirtschafts-, agrar-, kirchen-, sozial- und verständigungspolitischen Interessen, die bislang sowohl Motiv wie Fundament des deutschen Aktivismus verkörperten, waren für diese Mehrheit nicht mehr relevant. Sie wollte ihre Interessen in einem immer stärkeren Maße durch einen Anschluß der mehrheitlich deutsch besiedelten Grenzgebiete an Deutschland verwirklicht sehen. Da man das Zusammenleben mit den Tschechen in einem gemeinsamen Staat sozusagen ‚aufkündigen‘ wollte, war der Aktivismus, der dieses Zusammenleben gestalten wollte, für diesen Bevölkerungsteil auch aus dieser Perspektive gegenstandslos geworden.“116
115 Seibt, Deutschland und die Tschechen, S. 332; im Zuge des Februar-Abkommens wurde auch die vermehrte Förderung der deutschen Kultur beschlossen, wovon später in Brünn insbesondere das demokratische Theater profitierte – allerdings zu spät. Vgl. dazu weiter unten Kap. IV.5. 116 Kracik, Die Politik des deutschen Aktivismus, S. 443f.
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1937/38, als es Henlein gelang, Großbritannien zu interessieren, wurde die „Sudetendeutsche Frage“, die bis dahin nicht nur von der tschechoslowakischen Regierung als nationales Problem gesehen worden war, zu einem internationalen Thema. Am 20. Februar 1938 sprach Hitler im deutschen Reichstag von „zehn Millionen unerlösten Deutschen jenseits der deutschen Grenzen“117, wenige Wochen später waren mit dem „Anschluss“ Österreichs an das Deutsche Reich die tschechoslowakischen Grenzen von einem Tag auf den anderen nicht mehr gesichert – das waren sie nur gegenüber Deutschland, nicht aber gegenüber Österreich gewesen. Die offensichtliche Akzeptanz des „Anschlusses“ vonseiten der Weltmächte machte auf die eigene gefährdete Situation aufmerksam. Der Aktivismus schien kein tragfähiges Konzept mehr zu sein, der Bund der Landwirte und die Christlichsozialen verließen die Regierung noch im März und beide Parteien schlossen sich der SdP an, genauso wie die Gewerbepartei. Einzig die SozialdemokratInnen verweigerten die Selbst-Gleichschaltung und blieben in der Regierung, wenn auch Ludwig Czech als letzter deutscher Minister demissionierte. Die SdP war damit mit 55 Abgeordneten die stärkste Fraktion im tschechoslowakischen Parlament und hatte ihr Ziel, als alleinige Vertretung der Deutschen in der Tschechoslowakei angesehen zu werden, wogegen sich die übrigen Parteien lange gewehrt hatten, erreicht. Die tschechische Regierung sah sich daher gezwungen, mit der SdP zu verhandeln – nicht wissend, dass diese Verhandlungen von vornherein zum Scheitern verurteilt waren, da am 17. März eine Unterredung zwischen Henlein und Hitler stattgefunden hatte, in der Henlein, Hitlers Vorgaben für die nächsten Wochen interpretierend, festgestellt hatte: „Wir müssen also immer so viel fordern, daß wir nicht zufrieden gestellt werden können“118, was von Hitler bestätigt wurde. Dementsprechend erfolgte am Karlsbader Parteitag der SdP am 24. April unter anderem die Forderung nach Freiheit zum Bekenntnis zur „deutschen Weltanschauung“ – das erste öffentliche Bekenntnis der SdP, die bisher immer Kontakte zu oder ähnliche Ziele wie NSDeutschland geleugnet hatte, zum deutschen Nationalsozialismus. Die Verhandlungen zwischen Regierung und SdP führten, gemäß den Vorgaben der SdP, trotz weitreichender Zugeständnisse an die deutsche Bevölkerung, zu keiner Einigung. 117 Zit. nach Slapnicka, Die böhmischen Länder und die Slowakei, S. 88. 118 Zit. nach ebd., S. 89.
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Schließlich trafen am 29. September in München Chamberlain, Daladier, Mussolini und Hitler zusammen, um die Frage der Deutschen der Tschechoslowakei zu „klären“. Italien schob einen angeblichen Vermittlungsvorschlag vor, der allerdings von Deutschland vorbereitet worden war, der die Abtretung der sogenannten Sudetengebiete an Deutschland, den Einmarsch zwischen 1. und 10. Oktober sowie eine Volksabstimmung für ein nicht näher bestimmtes Gebiet vorsah. Dieser Vorschlag wurde von den Anwesenden angenommen und der Tschechoslowakei, deren Vertreter zu diesem Treffen nicht eingeladen worden waren, zur Kenntnis gebracht. Unter großem Druck nahm die Regierung das „Münchner Abkommen“ an, auch an Polen und Ungarn mussten in der Folge Gebiete abgetreten werden. Die nun neu konstituierte Zweite Republik entwickelte sich zunehmend autoritär, die KP wurde verboten, eine Einheitspartei aus allen tschechischen Parteien außer den SozialdemokratInnen gebildet, das Kultur- und Geistesleben verstärkt überwacht und zensuriert. Die an das Deutsche Reich angeschlossenen Gebiete wurden, bis auf die abgelegenen Grenzgebiete, die den Nachbargauen angegliedert wurden, zum Reichsgau Sudetenland mit der Hauptstadt Reichenberg erklärt, Henlein wurde Reichsstatthalter. Das kulturelle Leben wurde gleichgeschaltet, GegnerInnen des Nationalsozialismus sowie Juden und Jüdinnen wurden verfolgt, tschechische Schulen und Büchereien geschlossen119. Deutsche und tschechische AntifaschistInnen sowie jüdische TschechoslowakInnen flohen ins Landesinnere. Über die Möglichkeiten, das Land zu verlassen, berichtete in diesen Tagen die Bohemia immer wieder, die eine eigene Rubrik „Tribüne der Sudetendeutschen in der Tschechoslowakei. Eine Organisation der ‚Bohemia‘ für Beratung und Auskunft“ eingerichtet hatte, in der beispielsweise Artikel wie „Auswandern – wohin“ oder „Die Erwerbung neuer Staatszugehörigkeit“ erschienen. Unter dem Titel „Bahnhof Brünn. Menschen auf der Flucht“ beschrieb sie die Lage und die Probleme der Flüchtlinge: „Wie der Bahnhof der Hauptstadt Prag seit Wochenfrist Sammelpunkt jener ist, die aus dem böhmischen Grenzgebiet unter Zurücklassung ihrer Habe nach In119 Zu diesen Ereignissen vgl. Brandes, Die Sudetendeutschen im Krisenjahr 1938; zur weiteren Geschichte des „Sudetengaus“ vgl. Volker Zimmermann. Die Sudetendeutschen im NS-Staat. Politik und Stimmung der Bevölkerung im Reichsgau Sudetenland (1938-1945). Essen: Klartext, 1999.
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nerböhmen abgewandert sind, so erfüllt die gleiche Aufgabe der Hauptbahnhof der Stadt Brünn für die mährischen und schlesischen Gebiete. Ein Unterschied indessen besteht zwischen diesen beiden Stationen des Leidensweges verschreckter Menschen: während in Prag die Fürsorgeaktion für die Flüchtigen ganz ausgezeichnet klappt und vor allem die Frage der Ernährung der Unglücklichen geregelt erscheint, steckt mindestens in dieser Hinsicht Brünn noch in den Anfängen, wiewohl feststeht, daß demokratische Kreise bemüht sind, auch hier nach Kräften zu helfen. [...] Eine merkwürdige Veränderung haben die in der Halle und auf den Gängen des Bahnhofsgebäudes ausgehängten Fahrpläne erfahren: einer nach dem andern wurde mit Papierstreifen quer überklebt, d.h. außer Kraft gesetzt, und bei denen, die noch in Gültigkeit geblieben, hat sich die Notwendigkeit einer Veränderung der Verkehrszeiten ergeben. So sieht man neue, eilig fertiggemachte Tabellen mit abgeänderten Ankunfts- und Abfahrtszeiten, und manche daheim sauber mit Bleistift und Papier zusammengestellte Reiseroute muß umgestoßen werden, angesichts der trockenen Sprache der Ziffern auf diesen Tafeln.“120
120 Bohemia, 29.9.1938, S. 5f.
Das Deutsche Haus in Brünn, Versammlungsort des deutschen Vereinslebens.
Ansichtskarte, vor 1918, K.W.
II. Nationalismus und Kulturdiskurs – deutsche Kulturgemeinschaft?
II.1 D IE B EDEUTUNG DER S PRACHE UND DER B EGRIFF DER K ULTURNATION Während im vorigen Kapitel politische Konstellationen und Entwicklungen im Mittelpunkt standen, soll es in diesem Kapitel um die Debatten von TschechInnen und Deutschen rund um kulturelle Themen gehen. Die die Diskussion prägenden Vorstellungen stammen dabei vorwiegend aus dem 19. Jahrhundert – wenn sie sich auch in manchen Fällen weiterentwickelt haben. Darum soll hier von den (deutschen und tschechischen) Nationalismuskonzepten des 19. Jahrhunderts sowie der Rolle, die die Kultur und vor allem das Theater darin spielten, der Bogen geschlagen werden zu den Debatten, die in der Zwischenkriegszeit insbesondere nach 1933 um „sudetendeutsche Identität“ und die Existenz oder Nicht-Existenz einer eigenen „sudetendeutschen Kultur“ geführt wurden. Das 19. Jahrhundert kann als das Jahrhundert des Nationalismus in Europa beschrieben werden. Zunehmend löste dieser in den verschiedenen Staaten andere existierende Konzepte vom Zusammenleben der Menschen ab. Die Mythen einer großen Vergangenheit und einer großen Zukunft flossen hierbei zusammen, doch hatte der frühe Nationalismus noch eine kosmopolitische Seite, die das friedliche Zusammenleben der Völker imaginierte1. Einigkeit herrscht in der Nationalismus-Forschung darüber, dass es sich beim Nationalismus um ein histo1
Vgl. Hans-Ulrich Wehler. Nationalismus und Nation in der deutschen Geschichte. In: Nationales Bewußtsein und kollektive Identität. Studien zur Entwicklung des kollektiven Bewußtseins in der Neuzeit, Bd. 2. Hg. v. Helmut Berding. 2. Aufl. Frankfurt/Main: Suhrkamp, 1996, S. 163-175, S. 165ff.
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risches Phänomen handelt und dass die Herausbildung von Nationen und Nationalstaaten keine natürliche Entwicklung ist2 sondern das Produkt von Diskursen3. „Mit anderen Worten: Der Mensch macht die Nation; Nationen sind die Artefakte menschlicher Überzeugungen, Loyalitäten und Solidaritätsbeziehungen. [...] Zur Nation werden sie [eine bestimmte Kategorie von Personen, K.W.] durch ihre wechselseitige Anerkennung und nicht durch die anderen gemeinsamen Attribute, worin sie auch liegen mögen, die diese Kategorie von NichtMitgliedern unterscheiden.“4
Wie sehr diese wechselseitige Anerkennung allerdings nicht zwischen allen Mitgliedern postulierter Nationen, sondern in erster Linie zwischen deren nationalistischen „VertreterInnen“ passiert, hat Pieter M. Judson deutlich herausgearbeitet5. Welche Attribute als konstitutiv für die jeweilige Nation gesehen werden, unterliegt jedenfalls Verhandlungsprozessen, ausschlaggebend ist nicht die Existenz vermeintlich objektiver Merkmale, sondern deren Anerkennung. In diesem Kontext übernahmen für den deutschen Nationalismus aufgrund der politischen Situation der deutschen Staaten insbesondere Sprache und Kultur eine wichtige Rolle. Die uneinigen Einzelstaaten und die Besetzungen durch das napoleonische Frankreich ließen die deutsche „Kulturnation“ als direkten Gegenpol zur französischen „Staatsnation“ erscheinen6. Wodak et al. erklären die Unterschiede dieser beiden Konzepte folgendermaßen: „Während im französischen Diskussionszusammenhang die politische Einheit als konstitutiv für die Nation und die kulturelle Einheit als Ausdruck der Nation gelten, werden umgekehrt im Fall Deutschlands die ethnokulturelle Einheit
2
Vgl. hier insbesondere Hobsbawm, Nationen und Nationalismus; Gellner, Nationalismus und Moderne; Anderson, Die Erfindung der Nation.
3
Vgl. Ruth Wodak, Rudolf de Cillia, Martin Reisigl et al. Zur diskursiven Konstruktion nationaler Identität. Frankfurt/Main: Suhrkamp, 1998.
4
Gellner, Nationalismus und Moderne, S. 16, Hervorhebung E. G.
5
Vgl. Judson, Guardians of the Nation.
6
Vgl. Otto Kallscheuer u. Claus Leggewie. Deutsche Kulturnation versus französische Staatsnation? Eine ideengeschichtliche Stichprobe. In: Berding, Nationales Bewußtsein und kollektive Identität, S. 112-162, S. 112f.
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als bestimmendes Kriterium für die Nation und die politische Einheit nur als deren Ausdruck beschrieben.“7
Wodak et al. betonen, dass diese beiden Konzepte sich in den seltensten Fällen strikt trennen lassen und zumeist beide in gewissem Maße konstitutiv für nationale Identitäten sind. Wichtig ist in diesem Zusammenhang jedoch die Tatsache, dass der Unterschied von zeitgenössischen ProtagonistInnen, beispielsweise des deutschen oder tschechischen Nationalismus, durchaus als zentral angesehen wurde. Gleichzeitig regte sich bereits im 19. Jahrhundert Kritik am Nationalitätsbegriff, an dessen Unbestimmtheit und Beliebigkeit: „Überall tönt uns das große Wort Nationalität entgegen, doch jeder will es anders verstanden haben; jede Nationalität fordert ihre Berechtigung und niemand ist sich im klaren, worin diese Berechtigung eigentlich bestehen soll.“8 Parallel zur Annahme der deutschen Sprache als konstituierendem Element des „Deutschtums“ verkörperte für die tschechische Nationalbewegung die Propagierung der tschechischen Sprache gleichermaßen Etappenziel und Vehikel für die weitere Stärkung des Nationalbewusstseins: „Die geschilderten geistigen Tendenzen [der Zusammenhang von Volksgeist und Sprache bei Herder und Schlegel, K.W.] führten bei dem im Aufstieg begriffenen und bildungshungrigen Bürgertum zu einer eifrigen Beschäftigung mit der eigenen Sprache, Literatur und Vergangenheit; das gilt für Deutschland ebenso wie für die böhmischen Länder. In diesen bestand jedoch auf Grund ihrer besonderen geschichtlichen Entwicklung und des starken deutschsprachigen Bevölkerungsanteiles eine ganz spezifische Situation. Die tschechische Sprache war infolge der politischen Entwicklung seit dem späteren 17. Jahrhundert in zunehmendem Maße zu einer Sprache der unteren Volksschichten, der Bauern und Kleinbürger abgesunken, während sich der Adel und das Großbürgertum vorwiegend der deutschen Sprache bedienten. Im Zuge der ‚nationalen Wiedergeburt‘ (‚národní obrození‘) und der allmählichen Ausbildung einer 7
Wodak et al., Zur diskursiven Konstruktion nationaler Identität, S. 22.
8
Joseph v. Eötvös. Über die Gleichberechtigung der Nationen in Österreich. Wien 1851, S. 17; zit. nach Hannelore Burger. Über das Problem der Staatssprache. Der Konflikt um die deutsche Staatssprache in Cisleithanien – oder: Sprache, Nation und Identität in der Habsburgischen Monarchie 1880-1900. Dipl.Arb., Wien 1987, S. 46.
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tschechischen bürgerlichen Intelligenz breiteren Umfanges kam es nun zu einer Neubelebung des Tschechischen als Schriftsprache“.9
Besonders dort, wo der gemeinsamen Sprache keine politische Relevanz entsprach, wurde diese wichtig – dies gilt neben den böhmischen Ländern auch für die deutschen Kleinstaaten: Während Politik und Religion sie voneinander trennten, war gerade die Sprache das ihnen Gemeinsame, auch wenn sie regional große Unterschiede aufwies: „Deutschland bestand [im 18. Jahrhundert, K.W.] aus höchstens dreihundertbis fünfhunderttausend Personen, die literarische Werke in der Landessprache lasen, und der höchstwahrscheinlich wesentlich kleineren Zahl derjenigen, die tatsächlich die Hoch- oder Bildungssprache für alltägliche Zwecke benutzten, insbesondere die Schauspieler, die jene (neuen) Bühnenwerke aufführten, die zu den Klassikern der Landessprache wurden. Denn solange es keinen staatlichen Maßstab für die richtige Sprache gab (z.B. in England das ‚King’s English‘), wurde hier in Deutschland der Maßstab für richtiges Deutsch im Theater gesetzt.“10
Eine ähnliche Rolle wurde dem Theater von der tschechischen Nationalbewegung zugeschrieben, in der Wandertheater-Truppen zur Verbreitung der tschechischen Sprache genutzt wurden und ab Mitte des 19. Jahrhunderts die Bewegung zur Gründung eines tschechischen Nationaltheaters eine besondere Rolle spielte; darauf wird das nächste Kapitel näher eingehen.
9
Anna M. Drabek. Tschechen und Deutsche in den böhmischen Ländern. Vom nationalen Erwachen der Tschechen bis zum Vorabend des Ersten Weltkrieges. In: Volk, Land und Staat. Landesbewußtsein, Staatsidee und nationale Fragen in der Geschichte Österreichs. Hg. v. Erich Zöllner. Wien: ÖBV, 1984, S. 54-82, S. 56.
10
Hobsbawm, Nationen und Nationalismus, S. 75f.; Hobsbawm lässt hier allerdings den wichtigen Unterschied zwischen dem Diskurs über die Aufgaben des Nationaltheaters und der alltäglichen Theaterpraxis außer Acht. Vor der Festlegung eines verbindlichen Bühnendeutsch sprachen auch die SchauspielerInnen die verschiedensten Dialekte. Vgl. dazu Hilde Haider-Pregler. Des sittlichen Bürgers Abendschule. Bildungsanspruch und Bildungsauftrag des Berufstheaters im 18. Jahrhundert. Wien u.a.: Jugend & Volk, 1980.
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Die Sprache als Kriterium der nationalen Zugehörigkeit ist dabei jedoch nichts Natürliches: „Wo es in der näheren Umgebung keine fremden Sprachen gibt, da ist die eigene Sprache nicht so sehr ein Gruppenmerkmal, sondern etwas, das allen Menschen so gemeinsam ist wie zwei Beine. Wo mehrere Sprachen nebeneinander bestehen, kann Mehrsprachigkeit so normal sein, daß eine ausschließliche Identifizierung mit einer bestimmten von ihnen ganz willkürlich wäre. […] In solchen Regionen können Sprachenstatistiken von einer Volkszählung zur nächsten wilden Schwankungen unterliegen, da die Identifikation mit einem Idiom nicht auf dessen Kenntnis beruht, sondern auf einer anderen Variablen, wie in manchen Gebieten Sloweniens oder Mährens unter den Habsburgern; […] Tatsächlich ist die mystische Gleichsetzung von Nationalität und einer Art platonischer Idee der Sprache, die hinter und über allen abweichenden und unvollkommenen Versionen existiert, weit eher kennzeichnend für die ideologische Konstruktion nationalistischer Intellektueller mit Herder als ihrem Propheten denn für die wirklichen Benutzer der Sprache aus der einfachen Bevölkerung. Es ist ein literarischer und kein existentieller Begriff.“11
Insbesondere in der Habsburgermonarchie wurde der Kampf um die Sprache allerdings tatsächlich als ein existentieller verstanden. Der Artikel 19 der Dezemberverfassung von 1867, der von der „Gleichberechtigung aller landesüblicher Sprachen in Schule, Amt und öffentlichem Leben“12 sprach, war einer der meistumstrittenen Artikel dieser Verfassung. „Sprache wird nun zum ‚sichersten Kriterium der Nationalität‘, zum wesentlichsten Bestimmungsgrund der Identität; umgekehrt wird die Sprachenzählung (ab 1880) zum Instrument der Überwachung, Kontrolle, Identifizierung.“13 Das „Selbsterhitzungspotential“ der Sprachenfrage, wie Hobsbawm es bezeichnet, wurde selbst von den Regierungen der Habsburgermonarchie unterschätzt und so wurde in die Volkszählungsbögen die Frage nach der „Umgangssprache“ eingeführt – die Nennung einer zweiten Sprache war nicht möglich.
11
Hobsbawm, Nationen und Nationalismus, S. 71f.
12
Die österreichischen Verfassungsgesetze mit Erläuterungen. Hg. v. Edmund Bernatzik. 2. Aufl. Wien 1911, S. 390-453; zit. nach Burger, Über das Problem der Staatssprache, S. 5.
13
Ebd., S. 5.
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„Kaum einer kam auf den Gedanken, daß allein schon das Stellen einer solchen Frage zu einem sprachlichen Nationalismus führen mußte. Jede Volkszählung wurde zu einem Kampfplatz zwischen den einzelnen Nationalitäten, und alle noch so ausgeklügelten Versuche der Behörden, den Streit zwischen den feindseligen Parteien zu schlichten, blieben erfolglos. […] In Wirklichkeit zwangen die Volkszählungen mit ihrer Frage nach der Sprache zum erstenmal jedermann, nicht nur eine Nationalität, sondern eine sprachliche Nationalität zu wählen. [...] Die Erfordernisse des modernen Verwaltungsstaates trugen einmal mehr dazu bei, das Aufkommen des Nationalismus zu begünstigen.“14
Inwiefern die jeweiligen Angaben bei den Volkszählungen für die BürgerInnen tatsächlich die Annahme einer „sprachlichen Nationalität“ bedeuteten, ist zwar fraglich15, doch wurden die Ergebnisse von den NationalistInnen aller Nationen dahingehend interpretiert. Dabei schien sich auch zu zeigen, dass die Wachstumsrate der Deutschen geringer war als diejenige der slawischen Völker: „Das Ergebnis der Sprachenzählung verstärkte also jene Stimmung, die ohnehin unter den Deutschen latent verbreitet war: das Gefühl, als Sprach- und Kulturnation in die Minderheit gedrängt zu werden, die bisher unangefochtene Vorrangstellung in Politik, Wirtschaft und Kultur zu verlieren, Machtpositionen einzubüßen.“16
Dieser sich abzeichnende Statusverlust, der vor allem in den böhmischen Ländern nicht nur anhand der Volkszählungen, sondern auch im täglichen Leben bemerkbar war, führte hier bereits Ende des 19. Jahrhunderts zu einem Selbstverständnis als „deutscher Vorposten“, das sich auch auf kulturellem Gebiet niederschlug: „Auch und gerade für Böhmen läßt sich eine Radikalisierung deutschnationalen Sprechens und ein damit verbundenes Ansteigen von Böhmen und seine (deutsche) Kultur betreffenden Darstellungen in dem Moment beobachten, wo 14
Hobsbawm, Nationen und Nationalismus, S. 119; Hervorhebung E. H.
15
Insbesondere Judson und King haben in Studien mit lokalem Fokus diese Annahme als nationalistische Rhetorik beschrieben, die der Realität bis ins 20. Jahrhundert nicht entsprach, sondern diese zu formen versuchte. Vgl. Judson, Guardians of the Nation u. King, Budweisers into Czechs and Germans.
16
Burger, Über das Problem der Staatssprache, S. 80.
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aufgrund politischer Entwicklungen die momentane Situation von einigen Zeitgenossen als Krise erfahren wird.“17
Die Kämpfe um das nationale Bekenntnis bei Volkszählungen wurden in der Ersten Tschechoslowakischen Republik fortgesetzt: „Der Erste Weltkrieg und die Zwischenkriegszeit stellten zwar die Gesellschaft vor neue sozial-politische und ideologische Herausforderungen, ihr Bewußtsein blieb jedoch in vielerlei Hinsicht in den Denkmustern des 19. Jahrhunderts verhaftet. Die ‚nationale Machtfrage‘, deren markantester formeller Ausdruck traditionell die Sprachenfrage war, schien Vielen noch nicht entschieden zu sein – im nationalistischen Sinne konnte sie auch nicht entschieden werden –, möglicherweise hielt man ihre Lösung höchstens für aufgeschoben. Die Voraussetzungen für die Fortsetzung des ‚klassischen‘ Nationalitäten- und Sprachenkampfes waren so gut wie vorgegeben – dieser verlief auch weiter, übrigens mit verblüffend gleichen Mitteln und Argumenten.“18
Besonders die erste Volkszählung der Republik 1921 sorgte für Aufregung bei den Deutschen, da bei dieser in einigen Orten rätselhafte Schwunde der deutschen und Zuwächse der tschechischen Bevölkerung festgestellt wurden. Wie sehr gerade in gemischtsprachigen Gebieten die „Entscheidung“ für eine der beiden Nationalitäten weniger innerer Überzeugung entsprach, sondern oftmals situationsabhängig getroffen wurde, hat Judson am Beispiel Südböhmens gezeigt. Von nationalistischer Seite jedoch wurden solche Phänomene stets entweder mit Begriffen wie „Verrat“ bzw. „Opportunismus“ oder, aus umgekehrter Perspektive, mit Bildern der „Rückkehr zu den eigenen Wurzeln nach vorangegangener Repression“ bzw. des „zur Vernunft Gekommenseins“ erklärt. So beschäftigte sich ein Artikel in der Bohemia nach der Volkszählung 1921 mit den verschiedenen Kategorien von Brünner Deutschen, die sich als TschechInnen gemeldet hatten und widmete sich neben den „Profitlüsternen“ und den „Schwachen“ auch den „Schwankenden“:
17
Andreas Schumann. Heimat denken. Regionales Bewußtsein in der deutschsprachigen Literatur zwischen 1815 und 1914. Wien, Köln u.a.: Böhlau, 2002, S. 63.
18
Kuera, Minderheit im Nationalstaat, S. 4f.
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„[D]ie Schwankenden waren jene, die sich schon vor dem Umsturze innerlich nicht zum Deutschtum zählten und, begünstigt durch die in den Minderheitsgebieten und Sprachinseln namentlich in den unteren Schichten fast ausnahmslos verbreitete Kenntnis beider Landessprachen den Schritt zum Tschechentum mit Leichtigkeit tun konnten, ohne jedoch auch diesem innerlich irgendwie näherzutreten.“19
Ein zentraler Punkt in allen diesen Debatten um die vorherrschende Sprache im 19. und 20. Jahrhundert war die Tatsache, dass es in ihnen nicht primär um ein möglichst einfaches Mittel zur Verständigung ging – wie die habsburgische Bürokratie zu denken schien, als sie die deutsche Sprache ganz pragmatisch förderte –, sondern um Herrschaft. In der Habsburgermonarchie kam der Sprachenfrage nach der gescheiterten Revolution von 1848 und der Verwirklichung der Kleindeutschen Lösung eine besondere Rolle zu. Im Neoabsolutismus der 1850er Jahre wurde die deutsche Sprache vorrangig aus verwaltungstechnischen Erwägungen gefördert und den anderen Sprachen gegenüber bevorzugt. Dies führte jedoch dazu, dass in der Folge die Staatsherrschaft und die deutsche Bevölkerung von vielen nichtdeutschen Völkern in eins gesetzt wurden und sich der Kampf gegen den Absolutismus mit dem Kampf gegen die Deutschen bzw. das Deutsche verband. Gleichzeitig verstärkten sich auch bei den Deutschen nationalistische Tendenzen, die auch diese Bevölkerungsgruppe in Konflikt mit dem habsburgischen Staat brachten und nach der Badenikrise von 1897 sogar so weit gingen, dass der Abgeordnete Karl Hermann Wolf im Wiener Abgeordnetenhaus von der „Germania irredenta“ sprach20. Die Badenische Sprachverordnung, die versuchte, den tschechischen Forderungen nach Gleichberechtigung ihrer Sprache zumindest teilweise entgegenzukommen, führte aufseiten der deutschen NationalistInnen – nicht nur Böhmens und Mährens, sondern der gesamten Monarchie – zu scharfen Protesten bis hin zu Straßenkrawallen, die zur Folge hatten, dass die Regierung zurücktreten musste und die Sprachenverordnung zurückgenommen wurde. 19
Bohemia, 2.4.1921, S. 1.
20
Vgl. Peter Becher u. Jozo Dambo (Hg.). Gleiche Bilder, gleiche Worte. Deutsche, Österreicher und Tschechen in der Karikatur 1848-1948. Stejné obrazy, stejná slova. Nmci, Rakuané a ei v karikatue 1848-1948. Ausstellungskatalog. München: Adalbert Stifter Verein, 1997, S. 218; Drabek, Tschechen und Deutsche, S. 76.
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„Die Badenikrise beendete auch schlagartig die bis dahin staatserhaltende, wenn auch unreflektierte Selbstidentifizierung der Deutschen mit der Donaumonarchie; nun wuchsen auch in der deutschen Bevölkerung die grundsätzlich antiösterreichischen Kräfte und damit Staatsnegation und Irredentismus; [...] Zumindest potentiell konnte der Kampf um den Staat auch im deutschen Lager in einen Kampf gegen den Staat umschlagen. […] Kein Zweifel kann darüber bestehen, daß das Schicksal der Donaumonarchie von den zwei entwickeltsten Nationen der westlichen Reichshälfte, also von Deutschen und Tschechen entschieden worden ist. Daß die Tschechen dabei die klarere, schlagkräftigere Konzeption hatten, erklärt sich aus der politischen Vehemenz und sozialen Dynamik, die die böhmischen Länder seit 1848 entfaltet und über die Schwelle des Zeitalters einer modernen Industriegesellschaft geführt hatten.“21
Aufgrund der Tatsache, dass in Böhmen und Mähren Deutsche und TschechInnen so eng verflochten mit- und nebeneinander lebten, wurde diese Region gleichsam zum Paradebeispiel der Sprachen- und Nationalitätenprobleme der Monarchie. Zur Kompensation der erzwungenen politischen Untätigkeit bildeten beide Nationalitäten ein „ausgedehnte[s] System von politischen, wirtschaftlichen, kulturellen und anderen Selbsthilfevereinen“, die zunehmend ein nationalistisches Programm vertraten und als sogenannte „Schutzvereine“ fungierten. „Durch diese Organisationen wurde der Nationalitätenkampf in die kleinsten Ortschaften getragen, ohne daß die Erfolge, die auf beiden Seiten errungen wurden, dem Aufwand an Kraft und vielfach auch an Idealismus entsprachen, den beide Seiten investierten, ganz zu schweigen von dem Ausmaß an Vergiftung und wechselseitigem Mißtrauen, das zwangsläufig im Gefolge des nationalen ‚Kleinkrieges‘ auftrat.“22
In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wandelte sich der Nationalismus schließlich in ganz Europa „von einem Begriff, der mit dem Liberalismus und der Linken in Verbindung gebracht wurde, zu einer chauvinistischen, imperialistischen und fremdenfeindlichen Bewegung der Rechten oder genauer der radikalen Rechten.“23 21
Friedrich Prinz. Die böhmischen Länder von 1848 bis 1914. In: Bosl, Handbuch der Geschichte der böhmischen Länder III, S. 1-235, S. 225.
22
Ebd., S. 157.
23
Hobsbawm, Nationen und Nationalismus, S. 143.
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Die TrägerInnen dieses Nationalismus waren vor allem in der Mittelschicht zu finden, die „Schützengräben des sprachlichen Nationalismus waren bemannt mit Provinzjournalisten, Volksschullehrern und aufstrebenden Subalternbeamten.“24 Gerade diese Bevölkerungsschichten waren es auch, die im deutsch-tschechischen Konflikt der Habsburgermonarchie beruflich von den Sprachgesetzen und dem Ausgang der Kämpfe über die Staatssprache abhingen und daher nicht nur ein ideelles, sondern tatsächlich ein existenzielles Interesse an der Machtposition ihrer eigenen Sprache hatten – und diese Konstellation galt ebenso für die Tschechoslowakische Republik. Insbesondere in den Vorstellungen mittel- und osteuropäischer Staaten, die oft in Anlehnung an das deutsche Konzept der Kulturnation entstanden waren, spielten Kultur und Sprache eine große Rolle. „Der gesamte Bereich der Kultur und insbesondere der Bildkünste und Architektur sowie die Organisation von deren Förderung hatte vor allem deshalb einen eminenten Stellenwert für die (nationalen) Emanzipationsbewegungen, die sich aus der Position sozialer und politischer Unterlegenheit heraus entwickelten, weil ihm schon frühzeitig eine tragende, aktive Rolle zugewiesen wurde. So hatten die Künste in signifikanten Phasen der Formierung von Nation und Gesellschaft Defizite in anderen Kategorien der Selbstbestimmung zu kompensieren und sogar Realpolitik zu substituieren. Dabei ist immer wieder ein ‚Rollenwechsel‘ zwischen der expliziten Politik und ‚symbolischer Politik‘ im Medium der Künste zu beobachten: den Künsten fiel keineswegs durchgehend der Part zu, der Politik zu sekundieren. Dies kam nicht nur in der Auseinandersetzung mit dem nationalen Widerpart und den herrschenden Instanzen zum Tragen, sondern auch bei den Anstrengungen zur Integration der anvisierten eigenen Gemeinschaft.“25
Kultur spiegelt also nicht einfach politische Vorgänge, sondern bildet selbst einen Bestandteil von Politik, vor allem von Nationalitätspolitik, ist somit eine der Strategien zur diskursiven Konstruktion nationaler Identitäten:
24
Ebd., S. 139; zum nationalistischen Engagement dieser Gruppe vgl. auch Judson, Guardians of the Nation.
25
Michaela Marek. Kunst und Identitätspolitik. Architektur und Bildkünste im Prozess der tschechischen Nationsbildung. Wien, Köln u.a.: Böhlau, 2004, S. 11f.
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„Schon die deutsche Romantik hatte sich die Nation als ein durch Kunst zu vollendendes Projekt vorgestellt. In der neueren vergleichenden Nationenforschung verbindet sich nun der empirische Blick auf die Vielfalt der Nationen mit der Annahme, daß diese Vielfalt nicht Substrat, sondern Resultat von politischem Prozeß und kulturellem Wandel ist. An die Stelle naturaler Gegebenheit tritt so ihre kulturelle und historische Konstitution. Die alte These der Kulturnation wird dann zum Ausgangspunkt eines allgemeineren – und den deutschen Sonderweg weit überschreitenden – kulturalistischen Paradigmas. In diesem Rahmen erscheinen Literatur und Geschichtsschreibung nicht mehr als kulturelle Selbstvergewisserung der schon vorgängig existierenden Nation, sondern als Vorgänge, in denen erst die Identität der Gesellschaft behauptet, beschrieben und geschaffen wird.“26
In den Auseinandersetzungen der NationalistInnen spielten dementsprechend die Zuschreibungen an eigene und fremde Kultur(en) bzw. Nicht-Kultur(en) eine wichtige Rolle, diese stellten ein weites Feld dar, auf dem nationale Konflikte ausgetragen wurden. „Mit der Liberalisierung der Donaumonarchie seit dem Oktoberdiplom verwandelte sich Böhmen und vor allem dessen Zentrum Prag in ein Labor für Nationsbildungsprozesse, in dem Tschechen und Deutsche unter verschiedenen Bedingungen mit dem Konzept der Kulturnation experimentierten.“27
Der gegenseitige Einfluss, den die beiden Bevölkerungsgruppen aufeinander ausübten, wurde dabei nicht als gegenseitige Bereicherung gesehen, sondern als Kulturkampf verstanden: Wer den anderen beeinflusst oder beeinflusst hat, hat diesen gleichsam in diesem Punkt besiegt, ihm seinen Stempel aufgedrückt und so seine kulturelle Überlegenheit bewiesen. Auch aus diesem Grund beharrten die nationalistischen Deutschen in Böhmen und Mähren stets auf dem Einfluss, den 26
Bernhard Giesen. Einleitung. In: Nationale und kulturelle Identität. Studien zur Entwicklung des kollektiven Bewußtseins in der Neuzeit, Bd. 1. Hg. v. dems. 3. Aufl. Frankfurt/Main: Suhrkamp, 1996, S. 12, Hervorhebung B. G. Das hier von Literatur und Geschichtsschreibung Gesagte gilt selbstverständlich in gleichem Maße auch für das Theater – auch hier wird die Identität einer Gesellschaft „behauptet, beschrieben und geschaffen“.
27
Christopher P. Storck. Kulturnation und Nationalkunst. Strategien und Mechanismen tschechischer Nationsbildung von 1860 bis 1914. Köln: Verlag Wissenschaft u. Politik, 2001, S. 21.
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sie auf den Aufschwung der tschechischen Kultur im 19. Jahrhundert genommen hätten. Ein gutes Beispiel dazu bietet folgendes Zitat aus der Einführung zum Sammelband Deutsche Arbeit in Böhmen, wo dieser vom Herausgeber beschrieben wird als ein Buch, „das an mehr als einer Stelle der Begabung, Strebsamkeit und Tüchtigkeit der Tschechen und ihren Leistungen auf verschiedenen Gebieten des menschlichen Fortschritts volle Gerechtigkeit angedeihen läßt. Wie könnte das freilich auch anders sein in einem Buche, das von deutscher Kulturarbeit in Böhmen berichtet, da doch im Grunde alle Kultur, die in Böhmen vorhanden ist, auch die der Tschechen, in dem großen Hauptbuche der Menschheit für das Deutschtum gebucht steht und gewissermaßen die Marke ‚made in Germany‘ trägt?“28
Ähnlich argumentierte die Bohemia 1921 im Streit um Subventionen, als sie über das Verhältnis von deutschem und tschechischem Theater in der Monarchie feststellte: „Waren es nicht die Deutschen, die der tschechischen Kunst zur Geltung verhalfen?“29 Von diesem Primat der deutschen Kultur war es mitunter kein allzu großer Schritt bis zur generellen Aberkennung kultureller Leistungen, wie Storck unterstreicht: „Sie [die deutsche Öffentlichkeit, K.W.] hatte die Chance auf die Entwicklung eines nationalitätenübergreifenden Landespatriotismus selbst mit zu Grabe getragen, als sie auf den Antritt der tschechischen Nationalbewegung keine andere Antwort fand, als ihren slawischsprachigen Landsleuten immer wieder kategorisch die Fähigkeit zu hochstehenden kulturellen Leistungen und damit das Existenzrecht als Kulturnation abzusprechen; eine arrogante Haltung, die in der Behauptung gipfelte, das Beste, was den Tschechen passieren könne, sei die Germanisierung.“30
28
Hermann Bachmann. Zur Einführung. In: Ders. Deutsche Arbeit in Böhmen. Berlin 1900, S. V-XIV, S. VIIf.
29
Bohemia, 29.5.1921, S. 2.
30
Storck, Kulturnation und Nationalkunst, S. 19.
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II.2 T HEATER
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Die Rolle des Theaters für den tschechischen Nationalismus Die große Bedeutung, die Sprache für das Konzept der Kulturnation hatte, beeinflusste auch die Haltung nationaler Bewegungen zum Theater. Die Bestrebungen zur Gründung des tschechischen Nationaltheaters sind, genauso wie die diesbezüglichen Überlegungen zum deutschen Nationaltheater einige Jahrzehnte zuvor, in diesem Kontext zu sehen. Für die tschechische Bewegung der „nationalen Wiedergeburt“ im 19. Jahrhundert hatte das Theater eine wichtige Funktion als Mittel, um die tschechische Sprache als Hochsprache zu etablieren, gleichzeitig waren die Bemühungen um die Gründung des Nationaltheaters Ersatz für die verunmöglichten politischen Aktivitäten. Dementsprechend spielte nicht nur das Verhältnis zu den Deutschen eine Rolle, sondern es spiegelten sich hier auch die Konflikte von Altund Jungtschechen, mehr noch, ein Großteil dieser Konflikte wurde ausschließlich in den Debatten um das Theater ausgetragen31. Karel Sladkovsk, einer der Festredner bei der Grundsteinlegung des Nationaltheaters 1868, würdigte in seiner Rede diese Aufgabe des Theaters für die tschechische Nationswerdung: „das Theater war dann die erste öffentliche Institution, aus der die Strahlen des nationalen Bewusstseins machtvoll und tief in die breitesten Kreise unseres Volkes durchdrangen. [...] Das ist der geheiligte Grund, aus dem von allen Völkern der Welt einzig und allein unser Volk sein Theater als Nationaltheater bezeichnen darf.“32
Die tschechische Theatergeschichtsschreibung betont oftmals noch heute diese Rolle des Theaters und webt somit weiter am Mythos der besonderen Affinität der TschechInnen zum Theater, wie auch folgen-
31
Vgl. dazu ebd., S. 79; Marek, Kunst und Identitätspolitik, S. 111ff.
32
e dra. Karla Sladkovského pi slavnostním poloení základního kamena národního divadla v Praze dne 16. kvtna 1868, Praha 1868, S. 9f. [Rede Dr. K. S. anlässlich der feierlichen Grundsteinlegung zum Nationaltheater in Prag am 16. Mai 1868]; zit. nach Marek, Kunst und Identitätspolitik, S. 154, Auslassungen u. Übers. M. M.
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des Zitat von Frantiek ern zeigt, in dem der Theaterhistoriker unmerklich zum Nationalhistoriker wird. „Die Impulse der Bewegung zur Gründung von Nationaltheatern, die seit den sechziger Jahren des 18. Jahrhunderts von Deutschland ausgingen, fielen vor allem bei kleineren europäischen Nationen auf fruchtbaren Boden. In den tschechischen Ländern haben diese Bestrebungen eine ganz außerordentliche Intensität und einen ausgesprochen politischen Charakter erlangt. Während zum Symbol des nationalen Kampfes anderer Völker zum Beispiel das Parlament (in Ungarn) wurde, das Nationale Haus (bei den Slowaken), ein Denkmal (der Siegesbogen in Paris), eine bestimmte Lokalität und ähnliches, bei den Tschechen wurde es gerade das Theatergebäude.“33
Dafür liegen allerdings bestimmte strukturelle Gründe vor, die beispielsweise von Michaela Marek oder von Christopher P. Storck analysiert wurden. Die Gründung des Nationaltheaters stellte nun tatsächlich eine zentrale Komponente für die tschechische Nationalbewegung dar, es spielte von den 1850ern über seine endgültige Eröffnung 1883 bis in die Zwischenkriegszeit eine große Rolle für die Bildung und Diskussion einer tschechischen nationalen Identität. Die meisten führenden Köpfe der Nationalbewegung waren auch aktiv an der Schaffung des Nationaltheaters beteiligt, der Diskurs um das Theater und derjenige um die nationale Identität waren hier untrennbar miteinander verbunden. So stellte der vom Nationalhistoriker Frantiek Palack verfasste Spendenaufruf des Komitees zur Errichtung des Nationaltheaters im Oktober 1850 Folgendes fest: „Noch haben wir nicht das, was unerlässlich ist, damit uns Europa als gebildetes Volk anerkennt. Damit meinen wir ein selbständiges Nationaltheater – die Schule des Lebens und der Sitten, in der sich die mannigfaltigen Blüten der Bildung zu einem Kranz des Lebens verschlingen;“34
Dieses Zitat verweist auch auf die dem Theater zugeschriebene Aufgabe als Ort der Erziehung von (in diesem Falle potentiellen) Staatsbür33
Frantiek ern. Die Rolle des Theaters in der tschechischen Nationalbewegung und sein Einfluß auf andere slawische Völker. In: Ders. Das tschechische Theater. Ausgewählte Studien. Praha: Filosofická Fakulta Univerzity Karlovy, 1995, S. 103-109, S. 106.
34
Zit. nach Marek, Kunst und Identitätspolitik, S. 92, Übers. M. M.
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gerInnen, auf seine Rolle als „nationales Integrations- und Repräsentationsobjekt“35, eine Entwicklung, die im Zuge der Aufklärung auf den gesamten mitteleuropäischen Raum zutrifft. Das Theater spielte in diesem Zusammenhang auch seine Rolle beim Aufbau einer umfassenden tschechischen Gesellschaft, wie Marek feststellt: „Es galt, das ‚einfache Volk‘ durch Kultur – Kunst, Bildung und das ‚gesellschaftliche‘ Erlebnis – sittlich zu erheben und damit letztlich die ‚Nationalgesellschaft‘ auf diese Schicht zu gründen.“36 Der Beginn der Aktivitäten für das Nationaltheater fiel gerade in die Zeit, als nach der Niederschlagung der Revolution von 1848 nicht nur politische Betätigung verunmöglicht wurde, sondern auch das kulturelle Leben stärker überwacht und die tschechischen Theateraktivitäten unterdrückt wurden. Das Komitee zur Gründung des Theaters begann mit Geldsammlungen in allen Schichten der tschechischen Bevölkerung und kaufte 1852 ein Prager Grundstück an der Moldau, wo 1862 das hölzerne Interimstheater eröffnet wurde. 1868 wurde der Grundstein für das Nationaltheater gelegt, die Feiern zu diesem Anlass wurden zu einer machtvollen Demonstration des tschechischen Nationalbewusstseins. Michaela Marek beschreibt die Ereignisse folgendermaßen: „Das Datum des Johannistages [als Termin für die Grundsteinlegung, K.W.] hatte man mit Bedacht gewählt, da sich an diesem Tag stets zahlreiche Besucher des traditionellen Jahrmarktes in Prag einfanden. [...] Einschließlich des einheimischen Publikums wohnten dem Festakt und den begleitenden Spektakeln weit über 100.000 Menschen bei, so dass das ‚Volk‘ gleichsam präsent war und das Argument, mit dem Theaterbau werde einem kollektiven, landesweit verbreiteten ‚Willen‘ Rechnung getragen, eindrucksvoll bestätigt erschien. Wichtig war unter diesem Aspekt auch die Anwesenheit zahlreicher als Ehrengäste geladener Vertreter anderer slavischer Völker, die dem Auftrieb – in gezielter Anspielung auf den ‚Slavenkongress‘ des Jahres 1848 – den Anschein einer gesamtslavischen Demonstration zugunsten der tschechischen Ansprüche verlieh.“37
Im August 1881, wenige Wochen nach der Eröffnung, brannte das Theater beinahe vollständig ab. In einer nationalen Großaktion wurde 35
Ebd.
36
Ebd., S. 185.
37
Ebd., S. 152.
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innerhalb der nächsten beiden Wochen beinahe so viel Geld gesammelt, wie in den vierzig Jahren davor, sodass jetzt (im Gegensatz zum ersten Bau, der auch aus „deutschen“ Geldern finanziert war) über 90% der Summe direkt aus der – tschechischen – Bevölkerung kamen. Deshalb wurde im Folgenden auch beschlossen, beim Wiederaufbau nur tschechische Handwerker und Künstler zu beschäftigen und so den nationalen Charakter des Theaters nochmals zu verstärken38. Der Theaterbrand, vor allem aber die Reaktion der Bevölkerung, machte das Nationaltheater schließlich tatsächlich zu jenem nationalen Heiligtum, als welches es die vorangegangenen Jahrzehnte beschworen worden war. Es wurde so für die TschechInnen zum „Monument der Wiedergeburt“, zum „Symbol des tschechischen Staates“39. Das geplante Gebäude „Theater“ erhielt damit eine spezifische Aufgabe als symbolischer Ort, der tendenziell bereits während seiner Erbauung, ja noch vor der Grundsteinlegung, insbesondere dann aber mit dem Wiederaufbau des abgebrannten Hauses, als Gedächtnisort der sich selbst feiernden Nation fungierte – die Inschrift über dem Hauptvorhang verdeutlicht diese Rolle: Die Wendung „Národ sob“, die Nation sich selbst, betont, dass die tschechische Nation alles, was sie erreicht hat und noch erreichen wird, sich selbst zu verdanken hat, wie sie sich auch ihr Nationaltheater selbst zum Geschenk gemacht hat. Das Theater – sowohl als konkreter Aufführungsort wie auch als symbolischer Gedächtnisort – nahm einen hohen symbolischen Stellenwert ein. Im November 1883, anlässlich der Eröffnung des Nationaltheaters, beschrieb die tschechische Zeitung Národní Listy mit großem Pathos, was dieses Theater für die Nation bedeutete: „Die Idee des großen Nationaltheaters entkam als einzige von allen unseren anderen nationalen Vorhaben den politischen Wellenschlägen des Jahres 1848, strahlte uns wie ein diamantener Stern im finsteren, schwarzen Firmament der folgenden Jahre des aufreibenden Absolutismus und führte uns glücklich durch die unfreundliche Wüste der Jahrzehnte des nationalen Dahinvegetierens. […] Diese Idee führte uns selbst in der Zeit des erneuerten politischen Lebens verlässlich, verband uns durch die stärksten Bündnisse, versüßte uns die Zeit des
38
Vgl. Stanley B. Kimball. Czech Nationalism. A Study of the National Theatre Movement 1845-83. Urbana: Univ. of Ill. Press, 1964, S. 135ff.
39
ern, Die Rolle des Theaters in der tschechischen Nationalbewegung, S. 105.
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mühsamen Kampfes um politisches Recht und erhöhte unsere Freude an jedem Erfolg in anderen Bereichen unserer nationalen Aktivitäten.“40
Das Theater hatte hier also eine kulturelle und erzieherische Aufgabe und damit – bereits vor seiner Existenz, als reine Idee – diejenige, das tschechische Volk in seinen nationalen Kämpfen zu unterstützen. Diese Ansicht wirkte auch in der Republik weiter, das Prager Národní divadlo, bis dahin vom Land Böhmen verwaltet, wurde hoch subventioniert und 1929 schließlich vom Staat übernommen, der damit auch die Defizite des Theaters übernahm. Im Gesetzesantrag zur Verstaatlichung wurde das Theater als „Denkmal der nationalen Wiedergeburt“ 41 bezeichnet, die Prager Presse zitierte die Rede des Schulministers Dérer: „Das Nationaltheater, erbaut aus dem Geiste und dem Herzen, aus dem materiellen Opfersinn des ganzen Volkes, ist nicht nur seine höchste künstlerische Anstalt geworden, sondern auch ein sichtbarer und glänzender Beweis seiner Existenz, seines selbständigen Lebenswillens. Es ist ein Theater des eigenen Staates geworden, lange bevor noch dieser Staat konkrete Formen annehmen konnte. Seine Übernahme in staatliche Verwaltung drückt gerade diese seine nationale gesamtstaatliche Bedeutung aus. An Stelle des Landes Böhmen, welches dieses nationale Vermächtnis in der Vergangenheit verwaltete, tritt nunmehr der tschechoslovakische Staat als Repräsentant des Volksganzen und seiner politischen und kulturellen Selbständigkeit.“42
Die Rolle des Theaters für den deutschen Nationalismus An dieser Stelle soll vorerst ein grober Überblick über verschiedene Positionen gegeben werden, auf einzelne Aspekte des Zusammenspiels von Nationalismus- und Theaterdiskurs geht das dritte Kapitel ausführlich ein. Wie für die tschechische, so war auch für die deutsche Bevölkerung der böhmischen Länder das Theater von großer Bedeutung, wie folgendes Zitat von Heinrich Teweles, dem Dramaturgen und späteren Direktor des Prager Neuen Deutschen Theaters, betont:
40
Národní Listy, 18.11.1883, S. 1.
41
Zit. nach Franz Lorenz. Theater. In: Sudetendeutsches Jahrbuch 1931, S. 106-108, S. 106.
42
Prager Presse, 1.1.1930, S. 6.
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„An einem muß für die Deutschen in Böhmen festgehalten werden, an dem moralischen Beruf der Schaubühne. Was die dramatische Poesie zur höchsten Kunstgattung erhebt, das soll die Schaubühne zur höchsten und vollendetsten Kunstanstalt machen, daß sie mit Ehren neben ihrer Nachbarin, der Universität der Wissenschaften, bestehe, daß von ihr in das deutsche Volk Böhmens strömt, was die Dichter in ganz Deutschland sprechen und gestalten, daß sie mitwirkt an der Erziehung eines Volkes, dem ein harter und schwerer Kampf um seinen nationalen Bestand aufgezwungen ist, daß sie ihm Waffen leiht, die nicht verwunden und doch unfehlbar treffen, und daß sie ihm nach dem Kampfe winkt als eine friedliche Stätte reinsten, heitersten und erhabensten Genusses.“43
Teweles sieht also für das Theater in Anknüpfung an seine Funktion als „moralische Anstalt“ in der deutschen Aufklärung drei vordringliche Aufgaben: Die erste ist eine aufklärerische und bildende; neben der Universität soll das Theater die Deutschen Böhmens (und das heißt in diesem Fall auch Mährens) mit den großen Werken deutscher Dichtung bekannt machen, soll so die „deutsche Kulturgemeinschaft“ betonen und vermitteln, dass die Deutschen Böhmens und Mährens Teil dieser Kulturgemeinschaft sind. Die zweite ist eine erzieherische und moralische; das Theater soll das Volk intellektuell für den „Kampf um seinen nationalen Bestand“ stärken, der bereits Ende des 19. Jahrhunderts für gefährdet gehalten wurde. Für diesen Kampf, der hier eben als Kulturkampf verstanden wird, soll das Theater auch die Waffen zur Verfügung stellen – auf dem Kampfplatz „Kultur“ kann man der jeweils anderen Nation die eigene Überlegenheit vorführen, den Gegner somit „nicht verwunden und doch unfehlbar treffen“. Nach diesem Kampf jedoch, und das ist die dritte Aufgabe, soll das Theater – nun anscheinend wieder völlig unpolitisch – „eine friedliche Stätte reinsten, heitersten und erhabensten Genusses“ werden. Dieses Verständnis des Theaters als harmloser Musentempel, der gleichwohl Waffen verleihen kann, erinnert wohl nicht zufällig an die Verquickung von Kunst und Politik im „Dritten Reich“, wo das Theater gerade wegen seiner vorgeblichen Unberührtheit von Politik ein geschätztes und reich gefördertes Propagandainstrument darstellte. 43
Heinrich Teweles. Deutsche Bühnenkunst in Böhmen. In: Deutsche Arbeit in Böhmen. Hg. v. Hermann Bachmann. Berlin: Concordia Deutsche Verlags-Anstalt, 1900, S. 262-279, S. 279.
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Aus dieser Beteuerung der Bedeutung des Theaters für den nationalen Kulturkampf resultierten allerdings nach der Republiksgründung keine wirklichen Taten zur Unterstützung des Theaters. Es wurde zwar, auch in Brünn, immer wieder als „nationales Bollwerk“ bezeichnet, doch dabei handelte es sich mehr um Rhetorik im Zuge von Sammelaktionen, denn um eine korrekte Bezeichnung der tatsächlichen Rolle, die das Theater einnahm. Das Interesse der in den „Volkstumskampf“ verwickelten deutschen Verbände am Theater war bis in die dreißiger Jahre gering. Das Brünner Theater war lange Jahre ein liberaler Ort, der sich zwar bemühte, die NationalistInnen nicht ganz aus dem Zuschauerraum zu vertreiben – als Provinzbühne war es auf das Publikum unterschiedlichster Richtungen angewiesen –, diesen aber auch nicht allzu weit entgegenkam. Folgerichtig wurde das Theater, trotz aller Beteuerungen seiner wichtigen Rolle, erst von der Sudetendeutschen Partei als Mittel und Waffe im Kulturkampf zu nutzen versucht, was sicherlich am kulturpolitischen Einfluss NS-Deutschlands lag. Bis dahin wurde der deutsche „Volkstumskampf“ vorwiegend um Schulen geführt, daneben wurden in diversen Kulturberichten und Schriften über deutsche Kultur in der Tschechoslowakei vor allem Baukunst, Kunsthandwerk, Volkslied und Literatur besprochen, das Theater nahm in diesen Publikationen deutlich weniger Raum ein. Doch mit dem Aufstieg des Nationalsozialismus in Deutschland sowie den Versuchen der EmigrantInnen, dessen Gefährlichkeit auch durch politisches Theater zu verdeutlichen, änderte sich dies. „Das angestrengte Bemühen der Nationalsozialisten, das tschechoslowakische deutsche Theater in die eigene Einflußsphäre zu ziehen, war ganz unmittelbar darin begründet, es als Form der in der Tschechoslowakei im politisch-aufklärerischen Bereich besonders aktiven deutschen Emigranten auszuschalten. Gerade Goebbels wußte die agitativ-propagandistischen Wirkungsmöglichkeiten des Theaters nur zu gut einzuschätzen und setzte darum alles daran, der Emigration dieses Instrument zumindest in der Tschechoslowakei nicht zu überlassen.“44
Dies würde auch erklären, warum das Interesse der deutschen Rechtsparteien der Tschechoslowakei am Theater vor 1933 ein so oberflächliches war – wichtig wurden die Theater somit erst, als einerseits die 44
Hans-Christof Wächter. Theater im Exil. Sozialgeschichte des deutschen Exiltheaters 1933-45. München, Wien: Hanser, 1973, S. 23f.
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EmigrantInnen versuchten, sie zu nutzen und andererseits die Propagandamechanismen des „Dritten Reichs“ auch in der Tschechoslowakei relevant wurden. Denn vor 1933 erschöpften sich die Aktionen in Polemik, erst danach wurde der Kampf um Einfluss auf die einzelnen Theater aktiv geführt45. Gleichzeitig zeigte sich in der deutschsprachigen Theaterlandschaft der SR die grundsätzliche, auch im Bereich der Politik und der verschiedenen Vereine sichtbare Struktur der deutschen Institutionen: Die jeweiligen Städte bzw. Theatervereine hatten durchaus unterschiedliche (politische) Vorstellungen von der Aufgabe der Theater, jeder Direktor verfolgte sein eigenes Programm, während sich für die tschechische Bevölkerung die Bedeutung des Theaters im Einsatz für das Nationaltheater manifestierte, zu dem es auf deutscher Seite kein Äquivalent gab. Zwar wurde immer wieder versucht, das Theater von TeplitzSchönau, das 1924 nach einem Brand neu gebaut worden war und nach dem Prager Neuen Deutschen Theater das zweitgrößte deutsche Theater der Tschechoslowakei war, als „sudetendeutsches Nationaltheater“ zu etablieren; diese Versuche beschränkten sich allerdings meist auf Rhetorik, weder entsprach dem die finanzielle Unterstützung des Theaterbetriebs, noch gab es über Teplitz-Schönau hinaus größeres Interesse für dieses Theater. Während die tschechischen Theater staatlich und vom Land höher subventioniert wurden, so aber auch einer gewissen politischen Kontrolle unterworfen waren, war die deutschsprachige Theaterlandschaft der SR ausgesprochen inhomogen. Die einzelnen Theater wurden teils von den Stadtgemeinden (wo es eine deutsche Mehrheit gab), teils von privaten Theatervereinen, deren Zusammensetzung wieder von Stadt zu Stadt verschieden war, geführt, die jeweils Direktoren oder Direktorinnen nach ihrem Geschmack oder nach politischer Einstellung anstellten. Die Stellung des Theaters in Teplitz-Schönau als „sudetendeutsches Nationaltheater“ wurde vom ersten Direktor des neu eröffneten Theaters Franz Höllering zwar betont: „Eine der deutschen Städte dieses Staates wird sich naturgemäß zum Mittelpunkt des Kulturlebens der Sudetendeutschen ausbilden. Unser neues Theater45
Zu den Gleichschaltungsversuchen in den verschiedenen Städten vgl. Hansjörg Schneider. Exiltheater in der Tschechoslowakei 1933-1938. Berlin: Henschel, 1979, Kap. III („Der Kampf um das deutsche Theater in Böhmen und Mähren“), S. 89-171.
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gebäude, das größte und modernste der Republik, legt uns in dieser Hinsicht schwere Pflichten auf. Die Arbeit, die in ihm geleistet werden soll, muß, seiner Räume würdig, allen Möglichkeiten gerecht werden und darf die große Gelegenheit nicht versäumen: den Weg, der vom Privattheater über das Stadttheater führte, fortzusetzen. Wohin? Die Entwicklung selbst steckt uns das Ziel: Sudetendeutsches Nationaltheater! Ohne diesen Namen zu führen, wird unsere Bühne seinen Inhalt zu erfüllen trachten. Ihre Leitung und ihre Künstler geloben es!“46
Doch die Finanzierung des Theaters sollte in den kommenden Jahren diesen hochtrabenden Ansprüchen nicht gerecht werden. Wichtigste Bühne des Landes blieb trotz allem das NDT in Prag, auch wenn es wegen der großen politischen und sozialen Unterschiede zwischen den Prager Deutschen und denen in der Provinz für die Deutschen der Tschechoslowakei nicht denselben Stellenwert hatte, wie das Prager Národní Divadlo für die Tschechen und Tschechinnen. „Man hat also, obwohl es da und dort in der Provinz Aufführungen gibt, die den Vergleich mit Prag nicht zu scheuen brauchen, eine strenge Scheidung vorzunehmen. Es gibt in der Provinz beachtenswerte Theater, tüchtige Direktoren, respektable Talente, aber man weiß außerhalb ihrer Wirkungsstätte wenig von ihnen. Prag steht ständig unter Kontrolle. In der Provinz, aber auch im Ausland fragt man: Was wird in Prag geleistet?“47
Konkrete Schritte zur Schaffung eines „sudetendeutschen Nationaltheaters“ wurden aber auch deshalb nicht ergriffen, weil ein solches keineswegs von allen Seiten begrüßt wurde. So skizzierte der Prager Universitätsprofessor Arnold Löwenstein einen Zusammenschluss aller deutschen Theater der Tschechoslowakei zu einer einzigen Theatergemeinschaft, durch die die Fähigkeiten der DarstellerInnen besser 46
Rede von F. Höllering zur Eröffnung des Theaters, zit. nach: Eduard Höllering. Georg und Franz Höllering und die sudetendeutschen Bühnen. Zwei Biographien. Regensburg: Sudetendeutsches Musikinstitut, 1998, S. 27.
47
Bohemia, 28.10.1928, „Das deutsche Theater“ von Ludwig Winder; Beilage „1918-1928. 10 Jahre Deutscher Kultur und Wirtschaft in der Tschechoslowakei“, S. 34f., S. 35. Dass dies von den TheaterdirektorInnen in der „Provinz“ vermutlich anders gesehen wurde, muss wohl nicht eigens betont werden.
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ausgenutzt werden würden und das Niveau der Aufführungen gehoben werden könnte. Er stellte sich darunter eine Art Wandertheater vor, eine „Konzentration der Kräfte“, bei der eine „zentrale Leitung [...] überlegt disponieren [muss] auf Grund genauer Kenntnis der lokalen Verhältnisse, immer in Fühlung mit den kulturellen Faktoren der deutschen Städte, welche sich der deutschen Theatergemeinschaft anschließen wollen.“
Die Bohemia allerdings blieb skeptisch und meinte dazu: „Wir geben diesen Ausführungen Raum, weil der Herr Verfasser eine Idee propagiert, die immer wieder auftaucht und einen größeren Teil des Publikums ernstlich zu beschäftigen scheint. Sachlich können wir uns mit dem Plan einer einzigen Theatergemeinschaft nicht befreunden, vor allem weil nicht nur das Prager deutsche Theater, sondern auch so manches kleinere deutsche Theater in der Tschechoslowakei Aufgaben zu erfüllen haben, denen eine Theatergemeinschaft nicht nachkommen könnte. Jede Stadt, die ihr eigenes Theater aufgibt, gibt bedeutend mehr auf als bloß das Theater; darüber besteht kein Zweifel. Hiezu kommt, daß Prag beispielsweise einen anderen Geschmack hat als beispielsweise Leitmeritz, daß sogar erwiesenermaßen in Teplitz eine Richtung gefallen kann, die in Aussig mißfällt und umgekehrt.“48
Die Redaktion der Bohemia konstatierte also hier eben genau das, was von den VertreterInnen des „Sudetendeutschtums“ stets negiert wurde, nämlich die großen Unterschiede zwischen den einzelnen deutschen Gemeinden der Tschechoslowakei. Die Diskrepanz zwischen der Stellung des Theaters als politischem Instrument bei der tschechischen und der deutschen Nationalbewegung sahen die Deutschen zuweilen selbst. Franz Lorenz beschäftigte sich im Sudetendeutschen Jahrbuch 1931 lange aus völkischer Perspektive mit der Problematik. Er stellte fest: „Der Individualismus des kunsthungrigen Bürgertums ist untergegangen oder – wenn man will – aufgegangen in dem Gestaltungswillen großer Bewegungen, geistiger Richtungen, Gemeinschaften, Gruppen usw. Das Theater übt heute nicht nur ‚Einfluß‘ aus, sondern führt selbst, nimmt Stellung [...], klagt an, fordert Verbesserungen, will überzeugen [...] Steht unser sudetendeutsches Thea48
Bohemia, 19.12.1926, S. 7.
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ter schon in dieser Richtung? Es ist kein Tadel, sondern einfach Feststellung [sic]: das sudetendeutsche Theater steckt noch sehr im alten Individualismus. Es wird noch zu sehr als Privatangelegenheit bestimmter Gesellschaftskreise aufgefaßt. [...] Das Theater ist im altbürgerlichen Sinn noch mehr Vergnügungsstätte als Diener an der immer wieder neu sich gebärenden Nation. [...] Auf tschechischer Seite ist man sich der kulturpolitischen Bedeutung des Theaters vollkommen bewußt. Das kam am deutlichsten darin zum Ausdruck, daß 1929 das tschechische ‚Nationaltheater‘ in Prag vom Staat übernommen wurde. In der Begründung des Gesetzesantrages heißt es: [...] ‚Das Nationaltheater, dessen Gründer also das ganze Volk ohne Einschränkung war, wurde auch sein politischer Repräsentant, ...‘ – Gibt es in diesem Sinne ein sudetendeutsches Nationaltheater? Nein!“49
Welche „bestimmten Gesellschaftskreise“ dabei wohl gemeint sind, wird klar, wenn man sich die gleichzeitigen Angriffe der NationalistInnen gegen die vermeintlich „artfremde Führung“ des Brünner Theaters unter Hans Demetz vergegenwärtigt50. Das Theater als jüdisch-bourgeoise Vergnügungsstätte ist ein Topos, der die nationalsozialistische Rhetorik durchgehend kennzeichnet und bald nicht nur in Deutschland zur „Arisierung“ des Theaterwesens führen sollte, sondern seine Auswirkungen auch in den antisemitischen Angriffen gegen jüdische Theaterdirektoren der Tschechoslowakei hatte. Das Theater nahm sowohl für die deutsche wie auch für die tschechische Gesellschaft einen hohen Stellenwert in ihrer Selbstdefinition als Kulturnation ein. Der Nationalismus musste dementsprechend nicht erst Eingang in den Kulturdiskurs finden, der damit politisiert würde, sondern umgekehrt war die Vorstellung von „Kultur“ für TschechInnen und Deutsche schon von vornherein wichtiger Teil der Vorstellung von „Nation“. Für die TschechInnen spielte das Theater in diesem Kontext eine besondere Rolle, auf deutschnationaler Seite wurde das Theater zwar immer auch erwähnt, sobald von deutschem Kulturleben die Rede war, doch der Stellenwert war ein anderer. An erster Stelle standen die Schulen; die finanzielle Unterstützung von deutschen Minderheitenschulen gehörte während der gesamten Zwischenkriegszeit zum vordringlichsten Ziel deutscher Kulturarbeit. In den Debatten um das Brünner deutsche Theater wurde zwar die Wichtigkeit des Theaters für 49
Lorenz, Theater, S. 106; Hervorhebungen F. L.
50
Zu diesen und ähnlichen Angriffen vgl. weiter unten, Kap. IV.9.
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die nationale Sache immer wieder betont – Brünn war schließlich diejenige Stadt der SR mit den meisten deutschen EinwohnerInnen –, doch tatsächliche Auswirkungen, wie beispielsweise eine dem tschechischen Enthusiasmus bei der Gründung des Nationaltheaters vergleichbare finanzielle Unterstützung des Theatervereins durch die Bevölkerung, hatte diese Rhetorik nicht. So konnte die Brünner Theaterbaugemeinde, die 1922 gegründet wurde, um nach der tschechischen Übernahme des Stadttheaters den Bau eines eigenen deutschen Theaters voranzutreiben, das für den Neubau nötige Geld bis 1938 nicht aufbringen.
II.3 D EUTSCHE K ULTURGEMEINSCHAFT S UDETENDEUTSCHE K ULTUR
VERSUS
„Wenn man zuviel beim Lautsprecher des Radios sitzt, so kommt man leicht von der Wirklichkeit ab. Andere Länder und Reiche rücken einem so nahe heran, daß man schließlich und endlich das Gefühl hat, man sei ein ordnungsgemäßer Bürger eines solchen Reiches geworden. Man atmet sozusagen seine Luft. Und das kann mitunter auch eine politische Luft sein. Manche sudetendeutsche Kreise haben auf solche Art den Boden der Wirklichkeit unter den Füßen verloren und erwachen erst langsam aus den Träumereien am Lautsprecher. Der Wirklichkeitssinn geht vielen Sudetendeutschen ab. Und so übersehen sie, daß sie in einem demokratisch organisierten Staate leben, daß ihnen also mit irgendwelchen ‚Bewegungen‘51 nicht geholfen ist, daß ihnen nichts übrig bleibt, als mit Hilfe der verfemten politischen Parteien sich soviel Rechte zu erkämpfen, als es nur immer möglich ist. Mit ‚Fronten‘ wird sich im politischen Leben kaum etwas erreichen lassen, auch wenn es schließlich eine Einheitsfront wäre, die aber von Haus aus eine Illusion ist. Einheitsfronten, Einheitsparteien lassen sich nur im Wege der Diktatur schaffen, wie dies das Beispiel des faschistischen Italien, des marxistischen Rußlands und des nationalsozialistischen
51
Am 1. Oktober dieses Jahres hatte Henlein die Sudetendeutsche Heimatfront gegründet, die sich in erster Linie als „Bewegung“ und weniger als Partei verstand. Vorangegangen waren der Gründung wochenlange mediale Diskussionen um die Bildung einer sudetendeutschen Sammelbewegung.
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Deutschlands klar vor Augen stellt. Wie kann aber irgendwelche sudetendeutsche Führung an Diktatur denken?!“52
Diesen Kommentar veröffentlichte der Tagesbote im Dezember 1933 unter dem Titel „Sudetendeutsche Konfusion“. Er verdeutlicht das Dilemma der Zugehörigkeit zur „deutschen Kulturgemeinschaft“ seit diese in Deutschland nationalsozialistisch definiert wurde. Waren bereits davor Tendenzen sichtbar geworden, eine eigene Identität der Deutschen in der Tschechoslowakei zu entwickeln, geriet diese nun als „Sonderkultur“ zunehmend ins Schussfeld der radikal-nationalen Kritik. Während manche Zeitungsbeiträge die Ablehnung der Diktatur eher arithmetisch damit begründeten, dass die Deutschen in der Tschechoslowakei eine Minderheit darstellten und eine Diktatur in der Tschechoslowakei daher wohl eine tschechische wäre, gab es auch Stimmen, die gegen NS-Deutschland grundsätzlich Stellung bezogen und sich gerade aus dieser Gegenposition heraus als Bewahrerinnen des echten Deutschtums sahen: „Es ist selbstverständlich und gefühlsmäßig begreiflich, daß der Sudetendeutsche zurückhaltend ist, ehe er seinen Volksgenossen im Reiche auch dort, wo Entrüstung und Tadel am Platze wäre, bloßstellt oder gar mit Steinen bewirft. Aber die Frage drängt sich doch auf, ob an der tschechischen Behauptung, daß das Sudetendeutschtum seine kritische Beobachtung dem Ablauf der kulturpolitischen Erscheinungen gegenüber zu lax auffasse, nicht doch eine Dosis Wahrheit ist. Kulturgemeinschaft ist nicht nur ein Recht, sondern auch eine Pflicht, die ebenso einsatzbereite Mitarbeit wie den Willen zum Fortschritt, zur Entwicklung aller vorhandenen Kräfte voraussetzt. So entschieden jedes Ansinnen, die gemeinsamen kulturellen Bande aus politischen Empfindungen heraus zu zerreißen, zurückzuweisen ist, so wichtig ist es, daß sich gerade die außerhalb des Reiches wirkenden Teile des Deutschtums ein scharfes Auge und ein ungetrübtes Urteil darüber, was gut und was schlecht, was echt und was unecht, was richtig und was unrichtig ist, bewahren.“53
Doch schon zuvor hatte es verschiedene Vorstellungen von deutscher Identität gegeben, die auch in Brünn umstritten waren. So herrschte bei 52
Tagesbote, 5.12.1933, M S. 1.
53
Bohemia, 8.8.1935, Kommentar S. 1: „Kulturgemeinschaft: Recht und Pflichten“.
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einer Veranstaltung im dortigen Deutschen Haus 1931 zwar darüber Einigkeit, „das Beste zur Erhaltung des Deutschtums in Brünn zu tun, aber über die Frage, was das Deutschtum Brünns ist und wie die Wege zu seiner Förderung sind, gab es dutzendweise verschiedene Meinungen.“54 Diese Debatten um eine kulturelle deutsche Identität, die in politischer Unabhängigkeit von Deutschland steht, waren besonders 1933 häufig in den liberalen Zeitungen zu finden, mit offener Kritik am Regime in Deutschland wurde hier nicht gespart. Die postulierte gemeinsame „deutsche Kultur“ wurde jedoch in den nächsten Jahren von NSDeutschland sowohl in finanzieller als auch in ideeller Hinsicht massiv unterstützt. So gab es im Ministerium für Volksaufklärung und Propaganda ein eigenes Referat für Theaterwesen im Ausland, das neben der Betreuung ausländischer Gastspiele im Inland und reichsdeutscher Gastspiele im Ausland auch für die Betreuung deutscher Theater im Ausland zuständig war55, auch die Sudetendeutsche Kulturgesellschaft Berlin kümmerte sich um die Organisation von Gastspielen56. Kooperationspartner in der Tschechoslowakei war dabei vor allem der Bund der Deutschen57. Die Beeinflussung funktionierte aber auch über die Berufsverbände, im Falle des Theaters vor allem durch den 1920 gegründeten Kartellverband Deutscher Bühnenangehöriger, der die Zusammenarbeit der nationalen Schauspielerverbände regeln und in offizielle Bahnen lenken sollte. Das Stimmenverhältnis im Kartellverband zeigte die Vormachtstellung der deutschen Genossenschaft58, eine Machtposition, die von den NationalsozialistInnen nach 1933 auszunützen versucht wurde. Der Kartellverband löste sich im Juni 1933 54
Tagesbote, 20.5.1931, A S. 2.
55
Vgl. Schneider, Exiltheater in der Tschechoslowakei, S. 288f., Anm. 17; Joseph Wulf. Theater und Film im Dritten Reich. Eine Dokumentation. Gütersloh: Mohn, 1964, S. 52f.
56
Vgl. Schneider, Exiltheater in der Tschechoslowakei, S. 288f., Anm. 17, der festhält, dass die Gastspielreisen reichsdeutscher Schauspielstars demnach nicht als unpolitische Angelegenheiten von rein künstlerischem Interesse behandelt werden können.
57
Die regionalen Bünde der Deutschen hatten sich 1933 zum Bund der Deutschen zusammengeschlossen, der ursprünglich in erster Linie ein Verein zur Wirtschaftshilfe war, sich jedoch zunehmend auch als Kulturverband verstand. Es existiert bislang keine Arbeit, die sich systematisch mit seiner Kulturpolitik befassen würde.
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de facto auf59, da die reichsdeutsche Bühnengenossenschaft auf dem „Arierparagraphen“ bestand, die anderen Verbände diesen hingegen ablehnten60; 1934 wurde der Kartellverband in veränderter Form neu konstituiert61. Gleichzeitig begann die Beeinflussung durch die NS-Propaganda insbesondere am Sektor des Rundfunks bereits 1933 wirksam zu werden, was einerseits an der einfachen Verbreitung der Radiowellen liegt, andererseits an der Tatsache, dass zu dieser Zeit noch immer kein deutschsprachiger tschechoslowakischer Sender existierte62. Es gab nur einzelne deutschsprachige Sendeschienen von wenigen Stunden, so hörten also die meisten Deutschen in der Tschechoslowakei reichsdeutsche oder – beispielsweise in Brünn – österreichische Sender. Während die Propaganda des austrofaschistischen Ständestaates sich 58
In seiner Leitung hatte die reichsdeutsche Genossenschaft 4 Stimmen, der österreichische und der tschechoslowakische Verband je 2, der Schweizer eine; vgl. Schneider, Exiltheater in der Tschechoslowakei, S. 91ff.
59
Vgl. Bohemia, 1.6.1933, S. 7; 8.6.1933, S. 6; Tagesbote, 18.6.1933, M S. 6. Der reichsdeutsche Verband trat zwar nicht formal aus, nahm aber an keinen Sitzungen mehr teil; vgl. auch Anton Thaller. „Arisches Theater“. Nationalsozialistische Theaterprojekte in Wien 1923-1938. Dipl.Arb., Wien 1992, S. 61ff.
60
Vgl. Tagesbote, 18.6.1933, M S. 6.
61
Nach der Zusammenfassung von SchauspielerInnen und DirektorInnen in einem einzigen Verband (Reichstheaterkammer) sowie der Einführung von Zulassungsprüfung und „Ariernachweis“ in Deutschland musste das Bühnenkartell auf neue Grundlagen gestellt werden. Dies geschah mit dem Kartellvertrag vom Februar 1934, in den im Herbst 1934 nach Auflösung des Österreichischen Bühnenvereins im Zuge der austrofaschistischen Neuorganisation des Kulturlebens dessen Nachfolgeorganisation Ring österreichischer Bühnenkünstler rückwirkend ab 1. Mai aufgenommen wurde. Vgl. Heidemarie Brückl-Zehetner. Theater in der Krise. Sozialgeschichtliche Untersuchungen zum Wiener Theater der Ersten Republik. Diss., Wien 1988, S. 195f.
62
Als nach jahrelangen Debatten für und wider einen deutschsprachigen tschechoslowakischen Sender dieser endlich errichtet wurde, war es für wirksame Gegensteuerung bereits zu spät: Der sog. Melniker Sender wurde am 23. März 1938 eröffnet und von der SdP, der inhaltliche Einflussnahme auf das Programm verweigert worden war, von Anfang an als „nicht-deutsch“ boykottiert.
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allerdings an die österreichischen StaatsbürgerInnen wandte, förderte und unterstützte der Rundfunk des „Dritten Reichs“ gezielt das Gefühl, „man sei ein ordnungsgemäßer Bürger eines solchen Reiches geworden“, indem sein Auslandsprogramm vor allem an die Deutschen der Tschechoslowakei gerichtet war63. Diese Vorwegnahme eines „Anschlusses“ auf kulturellem Gebiet thematisierte 1938 das St. Galler Tagblatt, das anlässlich der Versuche, das Brünner deutsche Theater gleichzuschalten, feststellte, dass dies in letzter Konsequenz bedeuten würde, „inmitten der demokratischen Republik ein im Sinne der Diktatur regiertes deutsches Sprachgebiet zu schaffen.“64 Ähnlich musste sich auch der Schriftstellerverband dagegen verwehren, NS-Deutschland quasi einverleibt zu werden. Der nationalsozialistische Reichsverband deutscher Schriftsteller hatte im Herbst 1933 eine eigene sudetendeutsche Unterabteilung gebildet und die Mitglieder des Schutzverbandes deutscher Schriftsteller in der Tschechoslowakei aufgefordert, dem Verband beizutreten – nur Mitglieder hätten in Hinkunft die Möglichkeit, Bücher in Deutschland zu verlegen oder Honorare aus Deutschland zu erhalten. Der tschechoslowakische Schutzverband nahm dagegen in einem offenen Brief Stellung: „Bei dieser Gelegenheit gestatten wir uns, Sie auf folgendes aufmerksam zu machen: Unser Verband hat bereits vor einiger Zeit festgestellt, daß er nach wie vor der selbständige tschechoslowakische Berufsverband ist, der den auf dem Boden dieses Staates lebenden Schriftstellern deutscher Zunge ohne Unterschied der Partei, Konfession, Rasse und Weltanschauung offen steht und sich dadurch grundsätzlich von Ihrem Verband unterscheidet. Diese Erklärung wurde auch in der tschechoslowakischen Presse verlautbart. Unser Verband wünscht nun diese seine vollständige Unabhängigkeit außer jeden Zweifel gestellt zu sehen und ersucht Sie daher, falls in Ihrem Verbandsorgen ‚Der Schriftsteller‘ sich noch der Untertitel ‚Organ des SDS in der Tschechoslowakei‘ befindet, sowie die Rubrik ‚Gau Tschechoslowakei‘, falls diese noch besteht, zu beseitigen.“65 63
Vgl. Lenka Cábelová. Die Rolle des Rundfunks in der politischen Entwicklung der Sudetendeutschen 1923-1938/9. In: Berlin – Wien – Prag. Moderne, Minderheiten und Migration in der Zwischenkriegszeit. Hg. v. Susanne Marten-Finnis u. Matthias Uecker. Berlin u.a.: Peter Lang, 2001, S. 227-242.
64
Zit. nach Volksfreund, 8.5.1938, S. 6.
65
Bohemia, 27.10.1933, S. 5.
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Die Frage nach der Existenz und insbesondere nach der Bedeutung einer „deutschen Kulturgemeinschaft“, die die Deutschen der verschiedenen Länder miteinander verband, stellte sich also ab 1933 mit besonderer Vehemenz. Während 1918 noch von einer einzigen existierenden nationalen Identität der Deutschen ausgegangen wurde, deren TrägerInnen in unterschiedlichen Staaten lebten, gab es nun Versuche, eine eigene sudetendeutsche Identität zu etablieren, wie dies ja auch in Österreich der Fall war. Dort versuchte der Austrofaschismus dieses Dilemma mit einem propagierten Selbstverständnis als „besserer deutscher Staat“ zu lösen, in dem bei gleichzeitiger Abgrenzung vom Nationalsozialismus doch oft ähnliche Positionen vertreten wurden. Eine vergleichbare Politik verfolgten Teile der SdP, wurden dafür jedoch von den NationalsozialistInnen aus den eigenen Reihen angegriffen. Der deutsche Gesandte Koch berichtete 1933 nach Deutschland über den parteiinternen Vorwurf, „daß sie den ‚sudetendeutschen Menschen‘ analog dem ‚österreichischen Menschen‘ schaffen wollen, daß sie also nicht zum Reich streben, sondern vom Reiche fort.“66 Es gab also in der deutschen Teilgesellschaft der Tschechoslowakei vollkommen unterschiedliche Vorstellungen von „deutscher“ bzw. „sudetendeutscher“ Identität. Vom Konzept der „Auslandsdeutschen“ über die „sudetendeutschen Menschen“ bis zu „tschechoslowakischen Deutschen“ waren sämtliche Zwischenstufen vertreten67. Die Fragen zum Verhältnis zu NS-Deutschland, nach Zusammengehörigkeit mit oder Kritik an ihm, wurden in den deutschsprachigen Zeitungen der Tschechoslowakei immer wieder thematisiert. Insbesondere im Anschluss an Henleins Rede über „Deutsche Kulturaufgaben in der Tschechoslowakei“ 1936 in Prag kam es zu Reaktionen in der tschechischen, aber auch der deutschsprachigen Presse der Tschechoslowakei, die durchaus nicht immer affirmativ waren. Henlein hatte in seiner Rede die tschechoslowakischen Deutschen als „Angehörige der großen Kulturgemeinschaft der Deutschen in aller Welt“ bezeichnet und nach Ablehnung einer „tschechoslowakischen
66
Koch an das Auswärtige Amt, 8.11.1933, zit. nach Gebel, Zwischen Volkstumskampf und Nationalsozialismus, S. 379.
67
Zur Entwicklung von Ablehnung des tschechoslowakischen Staates über Ansätze zu einer Identifizierung mit ihm und die dann folgende Spaltung in AnhängerInnen und GegnerInnen Hitlers und Henleins vgl. Alexander, Phasen der Identitätsfindung.
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Mischkultur“ gefordert, dass die heimatliche Kultur wieder zurückfinden sollte zum „innersten seelischen Erleben, das uns Deutsche in aller Welt mit der großen und unlöslichen Kulturgemeinschaft des deutschen Volkes verbindet, ganz gleich, welche Staatsform und welches politische Regime in unserem Mutterlande herrschen mag.“68
Die Bohemia reagierte darauf in einem Kommentar auf Seite eins mit folgender Distanzierung vom Nationalsozialismus als „deutscher Weltanschauung“: „Daß es heute leider eine innerdeutsche – also auch eine innersudetendeutsche – Kulturdebatte gibt, darüber hilft nun auch kein Schlagwort von Volksgemeinschaft und Kulturgemeinschaft hinweg. Beide kann es ohne eine weltanschauliche Gemeinsamkeit nicht geben. Wahre Weltanschauung aber läßt sich nicht kommandieren und nicht dekretieren, sie ist die geistige und seelische Vollendung, die Erlebnisreise des fertig entwickelten Individuums. Diese Scheidung der Geister im Deutschtum hat das Dritte Reich unvermeidlich gemacht. [...] Die neudeutsche Totalitätsidee ist überhaupt keine wahre Weltanschauung, sondern nur das Zweckprogramm eines politischen Machtkampfes im Reiche. Die Totalitätsidee endigt daher an den Grenzen der Vollzugsgewalt des Dritten Reiches. Sie jenseits davon, im Deutschtum anderer Staaten, das an diesem Machtkampf gar nicht beteiligt ist, durchsetzen zu wollen, wäre sinnlos. Doppelt verhängnisvoll wäre es, diesen Kampf in die Kultursphäre des Gesamtdeutschtums zu tragen. Moralische Ausbürgerungen kann dort niemand verhängen, nur Spaltungen, Zerstrittenheit, Veruneinigung können die bösen Folgen sein. Henlein geht bei der Bildung seines Kulturprogramms von dem Satz aus, das Gesamtdeutschtum habe Recht und Pflicht auf die Kulturgemeinschaft mit dem Mutterlande, ‚gleichviel welches Regime dort gerade herrscht‘. Hat er die Konsequenzen dieser Prämisse zu Ende gedacht? Wenn morgen das seit Krieg und Versailles fürchterlich leidende Muttervolk in einem neuen Umschwung doch noch in den Bolschewismus flüchtete, wird er bereit sein, das Sudetendeutschtum in eine bolschewistische Kulturgemeinschaft zu führen? Oder wird er dann ebenso tragisch irren wie heute manche Emigranten oder Juden: ‚Von diesem 68
Zit. nach Tagesbote, 25.2.1936, M S. 3; zum in der Zwischenkriegszeit neu auftauchenden Verständnis eines für die „Minderheiten“ in anderen Ländern zuständigen „Mutterlandes“ vgl. Brubaker, Nationalism Reframed, insbes. S. 107-147.
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Volke sage ich mich los‘? In solche Verstrickung gerät man, wenn man Kultur und Staatssystem gleichsetzt. [...] Aus alledem findet man nur heraus, wenn man die Kultur als das innere, ältere, längerlebige Gesetz über dem Staate gelten läßt, wie es – in neuem Selbstwiderspruch – Henlein auch tut. Aber welchen Anlaß haben wir dann unsere, die gesamtdeutsche Kultur ebenso plötzlich wie das Dritte Reich und nach seinen nur politisch zweckbestimmten Richtlinien ‚umzubrechen‘? Wenn es gilt, daß Kultur das Entwicklungsergebnis der schöpferischen Volkskräfte ist, dann wird sie in sich selbst schon ‚richtig‘ weiterwirken und durch eines Mannes Willen oder Laune nicht zu verändern sein. Die Gefahr, daß wir in einer ‚Sonderkultur‘, in einer Schilda-Kultur verkümmerten, besteht überhaupt nicht. Vor Gottes Thron und im Angesicht des geschichtlichen Schicksals wird es sich für uns alle noch rechtzeitig genug herausstellen, was Kultur, was Unkultur gewesen ist.“69
Mit der Zeit allerdings zeigte die Propaganda von „Drittem Reich“ und SdP ihre Wirkung, das weiter oben geforderte „scharfe Auge“ ging mehr und mehr verloren und immer weniger Deutsche der Tschechoslowakei identifizierten sich offensichtlich mit diesem Staat. Das von Deutschland finanzierte Parteiorgan der SdP „Die Zeit“ nahm eine zunehmend antisemitische Position ein, die die Differenzen nicht zwischen den verschiedenen Deutschen der einzelnen Länder sah, sondern zwischen Deutschen und „volksfremden Elementen“, wie die Deutschen jüdischer Herkunft nun, im Gegensatz zu ihrem Selbstbild, bezeichnet wurden. Zunehmend gewann diese Sichtweise an Boden, bis schließlich die Debatten darum, was deutsch ist, sich nicht mehr um die Findung einer sudetendeutschen Identität jenseits der reichsdeutschen drehten, sondern um Ausgrenzung aller unerwünschten Menschen und Ansichten aus diesem „Deutschtum“.
69
Bohemia, 25.2.1936, Kommentar S. 1: „Konrad Henleins Kulturbekenntnis“; vgl. dazu auch Bohemia, 8.8.1935, Kommentar S. 1: „Kulturgemeinschaft: Recht und Pflichten“; Tagesbote, 1.3.1936, M Kommentar S. 1: „Kulturpolitik“; Bohemia, 26.6.1937, S. 3: „Kulturgemeinschaft – nicht Gleichschaltung“.
Das alte Brünn: Ansicht vom Brünner Bahnring um 1917.
Ansichtskarte, Reprint von 1917, K.W.
Das neue Brünn: Ansicht des Brünner Ausstellungsgeländes.
Ansichtskarte, vermutl. nach 1945, K.W.
III. Brünn und seine Theater
III.1 B RÜNN Bevor ich im nächsten Kapitel im Detail auf das Brünner Theater und seine Bedeutung für die Identitätskonstruktionen der deutschen BrünnerInnen eingehen werde, soll hier noch kurz die Stadt als solche vorgestellt werden. Die zweitgrößte Stadt in den böhmischen Ländern, seit 1641 mährische Landeshauptstadt, war im Laufe des 19. Jahrhunderts beständig gewachsen. Von 39.243 EinwohnerInnen im Jahre 1840 stieg die Bevölkerungszahl über 73.771 1869 und 82.660 1880 auf 109.361 1900 und 125.737 1910; Brünn war 1869 in der österreichischen Reichshälfte nach Wien, Prag und Graz die viertgrößte Stadt.1 Mit seinen rund 55.000 deutschsprachigen EinwohnerInnen, die auch nach der 1919 erfolgten Eingemeindung der überwiegend tschechischsprachigen Vororte noch 20 bis 25 Prozent der Bevölkerung ausmachten, war Brünn in der Zwischenkriegszeit gleichzeitig die größte deutsche – wenn auch nicht deutsch verwaltete – Stadt der Tschechoslowakei. Dieser starke Bevölkerungszuwachs war der zunehmenden Industrialisierung der Stadt geschuldet. Die zahlreichen Textil- und Maschinenfabriken hatten der Stadt den Namen „österreichisches Manchester“ eingetragen und die Industriellen stellten einen wichtigen Teil des Brünner deutschen Großbürgertums, das sich im Theaterverein und in anderen deutschen Kulturverbänden engagierte und diese auch finanziell unterstützte. Die Modernisierung schritt stetig voran, zwischen 1860 und 1900 baute die Stadt u.a. Krankenhäuser, ein Altersheim, das Rotkreuzhaus, eine Gebäranstalt, eine Seuchenanstalt, eine Taubstummenanstalt, ein Kinderspital und ein Sanatorium, weiters wurde der Zentralfriedhof angelegt, ein Schlachthof, Fleischbänke, ein Feuerwehrdepot und das 1
Vgl. Djiny msta Brna, S. 22.
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Gaswerk erbaut und 1869 eine Pferde-Straßenbahn eröffnet, die 1884 auf Dampf-, 1900 auf elektrischen Betrieb umstellte. Nach 1900 kamen weitere städtische sanitäre und humanitäre Einrichtungen dazu. Private Bauträger sowie die verschiedenen Religionsgemeinschaften trugen neben den öffentlichen Bauten des Landes Mähren (Landhaus, Statthalterei, Justizpalast, Finanz-Landesamt) dazu bei, dass Brünn um 1910 zu einer Großstadt herangewachsen war2. In den 1860er Jahren wurden die Stadtmauern geschleift und unter der Leitung von Ludwig Förster eine Ringstraße nach Wiener Vorbild angelegt, an der namhafte Architekten die wichtigsten Gebäude des städtischen Lebens bauten. Die Architektur war dabei stark an Wien orientiert, viele der Architekten waren in Wien ansässig oder ausgebildet3. So baute beispielsweise Theophil von Hansen an der Brünner Ringstraße das tschechische Besední d m/Vereinshaus und den Praák v Palác/Palais Praák, Heinrich von Ferstel die sog. Rote Kirche (die evangelische Kirche) und das Palais Bergler, das Architektenduo Fellner und Helmer das Stadttheater, van der Nüll und Sicard von Sicardsburg das Erste deutsche Staatsgymnasium. Es gab allerdings auch Beispiele für eine dezidiert „nationale Baukunst“: So ist das Deutsche Haus, das 1889-91 vom gleichnamigen Verein als Treffpunkt und Veranstaltungsort des Brünner deutschen Vereinslebens erbaut wurde, im Stil der „deutschen Renaissance“ gehalten. Der rote Backsteinbau mit mehreren Festsälen und Vereinsräumen, einem Kaffeehaus mit Sommerterrasse und einem Restaurant besetzte mit seiner Lage am Lazansky-Platz/Laanské námstí (heute Moravské nám.)
2
Vgl. ebd., S. 29ff. Vgl. außerdem Brünn im Wandel der Zeit. Das Deutschtum der Landeshauptstadt von Mähren und ihrer Sprachinsel. Hg. v. Bundesverband der „Bruna“, gestaltet von Erich Tomschick. Stuttgart: Heimatverband der Brünner e.V., 1983, S. 103; Alfred Grosser. Das tausendjährige Brünn. Brünn: Eigenverlag, 1933, S. 35ff.; diese beiden Bücher sind allerdings nur für die reinen Fakten hilfreich, die Interpretation der Stadtentwicklung ist hier klar anti-tschechisch gefärbt – während die der kommunistischen Geschichtsschreibung verpflichtete Djiny msta Brna wiederum die Versäumnisse der bürgerlichen deutschen Stadtverwaltung hervorhebt.
3
Lenka Králová. Brnnská architektura 1919-1939. [Brünner Architektur 1919-1939] In: Bulletin moravské galerie v Brn 49 (1993), S. 73-87, S. 73.
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einen der zentralen Plätze der neuen Ringstraße und bildete eine Sichtachse zum Großen Platz/Velké námstí (heute Nám. Svobody). Im Laufe des 19. Jahrhunderts vollzog sich, wie in ganz Böhmen und Mähren, auch in Brünn erst eine zunehmende Nationalisierung der Bevölkerung und dann eine fortschreitende Trennung in eine „deutsche“ und eine „tschechische“ Teilgesellschaft, die vermehrt eigene Wege gingen4. Auch in Brünn sah sich dabei das sich zunehmend „deutsch“ definierende Bürgertum unter Druck der tschechischen Nationalbewegung und der vermeintlich voranschreitenden „Tschechisierung“ Brünns bzw. Mährens, wozu der starke Zuzug von Tschechisch sprechenden ArbeiterInnen in die Industriestadt das Seine beitrug. Bei der Volkszählung 1880 nannten zwar ca. 60% der Bevölkerung Deutsch, ca. 40% Tschechisch als ihre Umgangssprache, und 1910 war das Verhältnis mit rund 65% zu 33% sogar zugunsten des Deutschen gestiegen. Diese Zahlen täuschen jedoch darüber hinweg, dass außerhalb des Stadtkerns, der bis 1918 einzig zum Brünner Stadtgebiet zählte, vorwiegend Tschechisch als Umgangssprache angegeben wurde. Doch darf dies wiederum nicht dazu verleiten, vorschnell „deutsches Bürgertum“ und „tschechische Arbeiterschaft“ zu sehen: Brünn hatte sowohl ein tschechisches Bürgertum als auch eine deutschsprachige Arbeiterschaft. Der große Anteil an ArbeiterInnen außerhalb der ehemaligen Stadtmauern zeigt sich auch an den Brünner Wahlergebnissen. 1918 wurde nach der Gründung der Republik das Wahlrecht demokratisiert sowie in Brünn die Vororte eingemeindet. Die Einwohnerzahl stieg damit bei der Volkszählung 1921 auf 221.758 Personen5. Bei der Gemeinderatswahl 1920 erreichten die deutschen und tschechischen sozialistischen Parteien gemeinsam 42 von 90 Mandaten, die Kommunistische Partei, die als einzige Partei übernational organisiert war, erhielt bei ihrem ersten Antreten 1924 16 Mandate6.
4
Zur Vorreiterrolle der Städte im Prozess der Nationalisierung der Bevölkerung vgl. Judson, Guardians of the Nation, S. 34; King, Budweisers into Czechs and Germans.
5
Davon gaben 156.000, also 72,4%, tschechisch, 56.000, also 25,9%, deutsch als Nationalität, nach der nun gefragt wurde, an. Vgl. Djiny msta Brna, S. 91.
6
Vgl. ebd., S. 89ff.
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Der Nationalisierungsprozess war in Brünn 1918 mehr oder weniger komplett abgeschlossen; es gab zwar VermittlerInnen zwischen deutschem und tschechischem Leben, doch dürfte sich der Großteil der Bevölkerung tatsächlich als „Deutsche“ oder „TschechInnen“ gesehen haben. Dies gilt auch für die jüdischen BewohnerInnen Brünns: Nur 1,4% der Bevölkerung machten 1921 Gebrauch von der neuen Möglichkeit, sich zur jüdischen Nationalität zu bekennen. Während sich in Mähren rund die Hälfte aller jüdischen EinwohnerInnen zur jüdischen Nationalität bekannte, tat dies in Brünn somit nur ein Drittel; der Großteil der Brünner jüdischen EinwohnerInnen verstand sich hingegen als deutsch oder tschechisch. Jüdische BrünnerInnen waren sowohl am deutschen als auch am tschechischen politischen und kulturellen Leben der Stadt ganz selbstverständlich beteiligt, insbesondere für das Theater spielten die jüdischen Deutschen keine unbedeutende Rolle. Durch die Aufhebung der Ghetto-Bestimmungen und die Siedlungsfreiheit für jüdische EinwohnerInnen 1848 begann ab diesem Zeitpunkt, parallel zur Industrialisierung Brünns, auch die Brünner jüdische Gemeinde zu wachsen. Bestand sie im Jahr 1848 noch aus nur 445 Personen, so waren dies 1857 bereits 2.230, 1880 5.490, 1900 8.243, und 1930 11.002 Personen. Für das kulturelle Leben Brünns waren nicht nur die jüdischen KünstlerInnen und WissenschaftlerInnen wichtig, sondern auch die zahlreichen jüdischen FabrikantInnen, deren finanzielle Unterstützung maßgeblich zu dessen Entwicklung beitrug. Neben der selbstverständlichen Beteiligung der jüdischen BrünnerInnen am deutschen und tschechischen Kulturleben der Stadt gab es in der Ersten Republik aber auch zahlreiche eigene jüdische Institutionen; die Bandbreite reichte von humanitären Einrichtungen über Schulen, darunter auch das Jüdische Reform-Realgymnasium, bis hin zu zahlreichen Vereinen und Publikationsorganen verschiedenster Ausrichtung.7 Die Stadt hatte ein vielfältiges Kulturleben, das sich allerdings im Laufe des 19. Jahrhunderts immer stärker in einen tschechischen und einen deutschen Teil zu trennen begann. Während im 1882 eröffneten Stadttheater nur deutsch gespielt wurde, gab das 1881 gegründete Národní divadlo tschechische Vorstellungen; das tschechische Vereins- und Kulturleben traf sich im Besední d m, das deutsche im Deutschen Haus – in beiden Häusern fanden auch „tschechische“ bzw. „deutsche“ 7
Vgl. Klenvosk, Brno idovské.
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Konzerte statt. Die ursprünglich zweisprachige und 1873 mit Hochschulstatut versehene Technische Hochschule wurde mehr und mehr zu einer Bastion des Großdeutschtums, weshalb 1899 die Tschechische Technische Hochschule gegründet wurde, wodurch jene auch offiziell zur Deutschen Technischen Hochschule wurde. Die 1919 gegründete Masaryk Universität wurde hingegen als tschechische Einrichtung wahrgenommen, obwohl an ihr auch zahlreiche deutschsprachige Studierende inskribiert waren. Neben diesen drei Universitäten gab es noch die Veterinärmedizinische Universität (gegr. 1918) und die Landwirtschaftliche Hochschule (gegr. 1919). Dem Ersten deutschen Staatsgymnasium stand das Tschechische Gymnasium (gegründet 1867 als „Slawisches Gymnasium“) gegenüber, daneben gab es noch 29 deutsche und tschechische höhere Bildungseinrichtungen. Der Bildung der ArbeiterInnen widmeten sich neben der Stadtbücherei unter Jií Mahen die tschechische Komensk-Volkshochschule und die deutsche Masaryk-Volkshochschule. Diese war 1921 als Abteilung der Gesellschaft für Wissenschaft und Kunst gegründet worden, machte sich wenig später unter der Leitung von Hugo Iltis8 selbständig und bezog 1931 ein eigenes Gebäude am Janáekplatz/Janákovo námstí. Neben der Veranstaltung von Kursen von Brünner Intellektuellen, LiteratInnen und WissenschaftlerInnen lud sie auch zahlreiche Gäste aus dem In- und Ausland zu Lesungen und Vorträgen zu künstlerischen, wissenschaftlichen, aber nach 1933 vor allem auch gesellschaftspolitischen Themen ein; nach 1933 bot sie auch EmigrantInnen aus Deutschland und später Österreich ein Forum 9. An der Volkshochschule ist auch zu bemerken, wie das kulturelle und politische Leben in Brünn zusehends weniger von nationalen, als vielmehr von politischen Differenzen geprägt wurde. Während sie einer der Sammelpunkte der antifaschistischen Brünner Deutschen war, von denen 8
11.4.1882, Brünn – 22.6.1952, Fredericksburg, Virginia. Botaniker und Lehrer, der sich als Biologe gegen die NS-Rassentheorien engagierte, Gründer des Brünner Mendel-Museums; emigrierte 1939 in die USA, wo er 1940 am Mary Washington College der University of Virginia, Fredericksburg, das Mendel Museum of Genetics gründete.
9
Zu diesen Aufgaben der Masaryk-Volkshochschule vgl. Dora Müller. Untergrund – Duldung – Freiheit. Fünfundsechzig Jahre deutscher Kulturarbeit in Brünn. In: Tschechen und Österreicher. Gemeinsame Geschichte – Gemeinsame Zukunft. Wien: Kirchliches Institut Janineum/Brno: Matice moravská, 2006, S. 241-251, S. 243.
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die meisten bald selbst emigrieren mussten oder nach der Okkupation der Tschecho-Slowakei verhaftet oder deportiert wurden, wurde das Deutsche Haus zunehmend von deutschnationalen, später nationalsozialistischen VertreterInnen vereinnahmt und vom Brünner sozialdemokratischen Volksfreund 1938 als „Sammelpunkt der nazistischen Elemente und nur dieser“10 beschrieben. Die Zusammenarbeit mit der Vereinsleitung des Deutschen Hauses, das nach 1918 eine der Spielstätten des deutschen Theaters war, verlief auch für den liberalen Theaterverein nicht immer konfliktfrei. Neben dem Deutschen Haus war auch die Deutsche Technische Hochschule eher im Lager der NationalistInnen bzw. NationalsozialistInnen zu finden; so durften bereits zu Beginn der zwanziger Jahre nur „ArierInnen“ Mitglieder des studentischen Ausschusses werden und verweigerten Studierende und Professorenschaft sowohl die Teilnahme am Empfang für T. G. Masaryk 1922 als auch die Zur-Verfügung-Stellung von Räumlichkeiten für die deutsche Volkshochschule11. Die Tatsache, dass die Studierenden der Deutschen Technischen Hochschule seit der Gründung der Republik stets zu den radikalsten nationalen UnruhestifterInnen gehörten, bestätigt Jaworskis oben angeführte These von der Anfälligkeit akademischer KleinbürgerInnen für den Nationalismus, denn diese gut ausgebildeten jungen Leute hatten nun in der Republik tatsächlich schlechtere Berufs- und Aufstiegschancen, als sie in der Monarchie gehabt hatten12. Wie im Folgenden zu sehen sein wird, waren die deutschen Studierenden auch an diversen antisemitischen Theaterskandalen in Brünn führend beteiligt.
10
Volksfreund, 1.9.1938, S. 6.
11
Vgl. Jitka Sedláová. Nmecká kultura v Brn 1918-1938. [Deutsche Kultur in Brünn 1918-1938] In: Bulletin moravské galerie v Brn. 49 (1993), S. 167-170, S. 167. Ob in den Ausschuss auch Frauen gewählt werden konnten, geht aus dem Text nicht hervor.
12
Zur Rolle deutschnationaler Studierender bei deutsch-tschechischen Konflikten vgl. auch Judson, Guardians of the Nation, S. 216. Inwiefern das hier Gesagte auch auf die weiblichen Studierenden zutraf, müsste noch eigens untersucht werden, vorerst wird davon ausgegangen, dass die (wenigen) weiblichen Studierenden der Brünner Deutschen Technischen Hochschule die Einstellungen des Großteils ihrer männlichen Kommilitonen teilten.
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Mit der Gründung der Republik hatte Brünn einen weiteren Modernisierungsschub erlebt, der vor allem im Zeichen der Verschiebung des nationalen Kräfteverhältnisses gesehen wurde, also vom „deutschen Brünn“, der Provinzstadt vor den Toren Wiens, zum „tschechischen Brünn“, der zweiten Stadt der neuen Republik. Die Stadtverwaltung ging zwar tatsächlich von deutschen Händen in mehrheitlich tschechische über, doch waren im Brünner Gemeinderat während der Zwischenkriegszeit kontinuierlich deutsche GemeinderätInnen vertreten. Man könnte die Veränderungen 1918 also genauso gut als in erster Linie demokratische verstehen: Wesentlich mehr Menschen waren nun wahlberechtigt, die Zusammensetzung des Gemeinderates entsprach weit mehr als zuvor der Zusammensetzung der (Groß-)Brünner Bevölkerung. Durch die Stadterweiterung wurde auch ein Ausbau der Infrastruktur in den eingemeindeten Gebieten nötig, ganze Stadtviertel wurden neu angelegt. Besonderes Augenmerk galt dem Wohnungsbau, da die im Krieg eingestellte Bautätigkeit bei gleichzeitigem Bevölkerungswachstum zu Wohnungsknappheit geführt hatte: zwischen 1918 und 1938 wurden 35.000 neue Wohnungen erbaut13. Die vielen Bauprojekte veränderten auch das Gesicht der Stadt, statt Historismus und Jugendstil wurde nun der Funktionalismus prägend für die mährische und insbesondere Brünner Moderne, wobei viele der avantgardistischen Architekten jüdischer Herkunft waren14. Neben den das Stadtbild prägenden öffentlichen Bauten und den privaten Villen und Häusern ist hier auch der Bau des Brünner Ausstellungsgeländes, das zur 10-Jahres-Feier der Republiksgründung 1928 mit einer Großausstellung zur Kultur in der Tschechoslowakei eröffnet wurde, zu nennen. Das Leben im Brünn der Zwischenkriegszeit wird oft als zwischen tschechischer und deutscher Teilgesellschaft strikt getrenntes dargestellt, als zwei Parallelwelten ohne jeglichen Kontakt zueinander. Doch auch wenn diese strikte Trennung Ziel der NationalistInnen auf beiden Seiten war, so soll diese Interpretation hier genauer betrachtet und hinterfragt werden. Peter Demetz hat beschrieben, wie mit seinem Wechsel vom deutschen ins tschechische Gymnasium 1938 auch ein Wechsel seines gesamten Freizeitverhaltens einherging: 13
Vgl. Djiny msta Brna, S. 96.
14
Vgl. Klenovsk, Brno idovské.
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„Ich lernte damals, wie sich die Brünner Topographie mit einem Male veränderte, Konditoreien, Kinos, Theater, Sportplätze, alle hatten einen anderen Namen und lagen in einer anderen Gegend. Nicht nur Toman anstatt Olivo [zwei Kaffeehäuser, K.W.], sondern auch der Korso, wo man sich gerne, mit der neuen Krawatte umgetan, zwischen halb fünf und sechs Uhr sehen ließ, war nicht mehr derselbe. Die deutschen Gymnasiasten zog es noch in die Rennergasse (Bhounská), wo bald viele weiße Strümpfe [das Markenzeichen der NationalsozialistInnen, K.W.] zu sehen waren, und die tschechischen, zu denen ich jetzt gehörte, in die eská ulice, wo man vom Hotel Avion bis zum Warenhaus Aso flanierte. Der Weihnachtsmarkt war noch national gemischt, aber zum Eislaufen ging ich nicht mehr, wie vormals, in den Augarten (Luánky) […], sondern ins ‚Stadion‘ […] Mit den Kinos war es auch nicht einfacher, und ich mußte manchen Ort meiner ästhetischen Bildung aus nationalen Gründen hinter mir lassen und anderswo Zuflucht suchen.“15
Dies darf jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass es, auch wenn große Teile des öffentlichen Lebens in einen tschechischen und einen deutschen Teil zerfielen, durchaus Überschneidungen dieser beiden Teilgesellschaften gab, Menschen, die nicht ausschließlich an „deutschen“ oder „tschechischen“ Veranstaltungen teilnahmen, Institutionen, die „Deutsche“ und „Tschechen“ gleichermaßen ansprachen, und solche, die Kooperationen zwischen ihnen zu organisieren versuchten. Es gab „deutsche“ HörerInnen auf der Masaryk Universität, „deutsche“ BesucherInnen im tschechischen Theater und umgekehrt, „tschechische“ BesucherInnen bei deutschen Vorträgen etc. Die starke Betonung der nationalen Gegensätze sowie die historischen Ereignisse nach 1938 haben jedoch dazu beigetragen, dass diejenigen Erfahrungen und Alltagspraktiken, bei denen nationale Zugehörigkeit eine geringe oder gar keine Rolle spielte bzw. überschritten wurde, marginalisiert wurden. Demetz selbst beschreibt diese „Diktatur des Vergessens“ wenige Seiten später: „Ich höre immer nur Gespräche über Deutsche und Tschechen, also ob die Nationen Granitblöcke wären, die auf- und gegeneinander stürzen, und ich vermisse die historische Erinnerung an die Nuancen, Schattierungen, die geplagten Menschen in den Zwischenräumen der Politik und der Geschichte – zum 15
Peter Demetz. Ein Flaneur in Brünn: 1938. In: Ders. Böhmische Sonne, Mährischer Mond. Essays und Erinnerungen. Wien: Deuticke, 1996, S. 129-142, S. 134f.
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Brünner Beispiel, die Feiern zum Ersten Mai, als sich die Brünner Linke, tschechisch und deutsch (denn es gab in Brünn, zum Unterschied von Prag, ein authentisches deutsches Proletariat) zu gemeinsamen Volksfesten auf der ‚Myslivna‘ traf, damals noch ein bescheidenes Gasthaus im Grünen“.16
Dieser Befund gilt nicht nur für die Erinnerungen von ZeitzeugInnen, die oftmals die Trennung der beiden Teilgesellschaften betonen, auch wenn in Einzelheiten durchaus auch andere Erfahrungen erwähnt werden17, sondern auch für die Forschung: Es gibt kaum Studien, die sich mit der Alltags- oder Kulturgeschichte Brünns von einem über-nationalen Standpunkt aus beschäftigen und die Austausch und Kontakt zwischen der deutschen und tschechischen Teilgesellschaft analysieren würden. Einiges spricht jedoch dafür, dass die strikte Trennung in ein „deutsches“ und ein „tschechisches“ Brünn auch in der Ersten Republik kaum der Alltagserfahrung aller BrünnerInnen entsprochen haben dürfte. Hier wären beispielsweise die starken Schwankungen zwischen den Volkszählungen 1910 und 1921 zu nennen, wo der Anteil der „Deutschen“ nicht nur relativ gesehen sank (was sich mit Eingemeindungen und erweitertem Wahlrecht erklären ließe), sondern auch in absoluten Zahlen von 81.617 auf 56.000 fiel, was dazu führte, dass selbst die Bohemia dem Volkszählungsverhalten der BrünnerInnen einen eigenen Artikel widmete18. Vor allem in den ersten Jahren der Republik kam es auch zu verschiedenen Initiativen zur Zusammenarbeit von tschechischen und deutschen BrünnerInnen, allerdings verliefen alle diese Projekte und Ideen nach einiger Zeit im Sand19. Doch mit dem Erstarken faschisti16
Ebd., S. 140f.
17
Dimitry Shumsky hat dies beispielsweise anhand der Erinnerungen von Max Brod nachgewiesen, wobei er als einen der Überschneidungspunkte gerade Opernaufführungen nennt. Shumsky, Introducing Intellectual and Political History, S. 48.
18
Vgl. Bohemia, 2.4.1921, S. 1.
19
Vgl. beispielsweise zur expressionistischen Zeitschrift Der Mensch, die Übersetzungen tschechischer AutorInnen herausbrachte, Zdenk Mareek. Karl Kraus, Brünner Krausianer und deren Versuche, den literarischen und journalistischen Augiasstall in Mähren auszumisten. In: Karl Kraus – Jiínsk rodák a svtooban. In Jiín geboren, in der Welt zu Hause. Semily: Státní okresní archiv, 2004, S. 295-315. Weitere Beispiele wären einige Jahrgänge der Jüdischen Volksstimme, die zweisprachige Revue
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scher Vorstellungen unter der deutschen wie der tschechischen Bevölkerung der Tschechoslowakei wurde die Notwendigkeit der Zusammenarbeit wieder vermehrt gesehen und es kam zu neuerlichen Kooperationen, wie zum Beispiel der Gründung des Klubs der tschechischen und deutschen Bühnenangehörigen20. Davon abgesehen gab es aber auch weiterhin, wenn auch nur vereinzelt, Stimmen, die sich ganz generell gegen die Aufteilung in zwei Nationen wandten. So protestierte beispielsweise der Brünner Schriftsteller Karl Wilhelm Fritsch vor der Volkszählung 1921 „gegen den Zwang, sich überhaupt zu einer Nation bekennen zu müssen, weil er die Tatsache, ob sein ‚Herz tschechisch oder deutsch schlägt‘, für eine völlig private Angelegenheit hielt, wie ob jemand sein ‚Kind liebt‘ oder ‚für italienische Musik schwärmt‘. Er verlangte ‚Nationsfreiheit‘, wie man schon die ‚Konfessionsfreiheit‘ bereits akzeptiert hatte: ‚Man darf sich konfessionslos erklären, wenn man von keinem religiösen Bekenntnisse überzeugt ist. Warum sollte man sich nicht offiziell nationslos erklären dürfen, wenn man den heute geltenden Nationsbegriff, der sich als bloßes politisches Kampfmittel definiert, nicht anerkennt, sich also logischerweise in seinem Sinne zu keiner Nation bekennen kann oder wenn man nicht opportunitätsnational sein will?‘“21
Das Verhältnis von TschechInnen und Deutschen schien schließlich in Brünn zumindest während der Hochphase des Aktivismus eine Spur weniger angespannt zu sein, als in den rein deutschen Gebieten oder in Prag, wo Bürgermeister Baxa betont nationalistisch agierte. Ein Artikel in der Bohemia berichtet 1931 beispielsweise über die für einen Prager ungewohnt unkomplizierte Sprachenfrage in Brünn: „Der mit allen Mitteln geschürte Chauvinismus findet hier schon die längste Zeit zumeist unfruchtbaren Boden. Die Bevölkerung Brünns und ganz Mährens Msíc/Der Monat, oder die deutschsprachigen Texte in der Devtsil-Revue Pásmo. Für diese Hinweise danke ich Zdenk Mareek. 20
Zu diesem Verband vgl. weiter unten, Kap. IV.10, S. 252f.
21
Karl Wilhelm Fritsch. Volkszählung! In: Die Wahrheit, Jg. 2., Nr. 7, S. 200-204; zit. nach Zdenk Mareek. Vom Mitarbeiter Strobls zum Mitglied der Kosmopolitischen Gesellschaft. Zum Werk des Brünner Prosaisten Karl Wilhelm Fritsch (1874-1938). In: Deutschböhmische Literatur. Hg. v. Ingeborg Fiala-Fürst u. Jörg Krappmann. Olomouc: Univerzita Palackého v Olomouci, S. 269-295, S. 282f.
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ist weitaus gemütlicher und friedfertiger als die nicht mit Unrecht so genannten ‚tschechischen Preußen‘ Böhmens. Findet in Prag auch der blindeste und unvernünftigste Deutschenhaß immer noch begeisterten Widerhall, so ist der tschechische Chauvinismus in Brünn in den letzten Jahren beinahe ausgestorben und lebt nur mehr als Treibhausgewächs, dessen Pflege einige Berufene und solche, die sich berufen fühlen, übernommen haben. Doch der Großteil der Bevölkerung ist an ein ruhiges und friedliches Zusammenleben mit den deutschen Mitbürgern gewöhnt, das nur in den unruhigen Jahren des Umsturzes und seiner Nachwehen gestört wurde, jetzt aber längst wieder im Gleichgewicht ist, und kümmert sich um die großartige ‚Kulturarbeit‘ dieser kleinen Gruppen nur wenig. Brünn [...] hat [...] den unvernünftigen Haß seiner deutschen Mitbürger längst an den Nagel gehängt und befleißigt sich in der Praxis der einzig vernünftigen Anschauung, [...] die deutsche Sprache, eben so wie alle anderen Sprachen, als Verständigungsmittel und nicht als politisches Kampfobjekt anzusehen.“22
Auch Arne Novák, Professor für tschechische Literatur an der Masaryk Universität und deren späterer Rektor, beobachtete diese Haltung und konstatierte in einem 1935 erschienenen Text das „spießbürgerliche Phlegma“ als „charakteristisch für den typischen ‚Brünner‘, der sich vielfach nicht einmal in der nationalen und Sprachenfrage entscheiden kann und will.“23 Dass es auch in Brünn immer wieder zu nationalen Konflikten kam, darf zwar nicht übersehen werden; doch vor allem 1938, als diese wieder vermehrt auftraten, handelte es sich weniger um deutsch-tschechische als um nationalsozialistisch-demokratische Zusammenstöße, wie im Folgenden auch an der Geschichte des deutschen Theaters zu sehen sein wird.
22
Bohemia, 22.8.1931, S. 3.
23
Arne Novák. Brünn und der Geist seiner Kultur. In: Slavische Rundschau VIII (1935), S. 232-244, S. 233f.; dass nur wenige Zeilen darunter von der „Dringlichkeit des Sprachenkampfes“ die Rede ist, die auch in Brünn „viele Kräfte“ verbrauche, ist ein weiterer Fall des Nebeneinanderstehens einander widersprechender Aussagen zum Verhältnis von „Deutschen“ und „TschechInnen“.
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III.2 D AS B RÜNNER
DEUTSCHE
T HEATER 1918-1938
Das Brünner Stadttheater in einer Ansicht von vor 1918.
Ansichtskarte, K.W.
Ein ständiges Theater existierte in Brünn schon im 18. Jahrhundert24, im 19. Jahrhundert wurde, wie in vielen Städten zu dieser Zeit, an den Bau eines repräsentativen bürgerlichen Theaters gedacht. 1881/82 wurde aus Steuermitteln das Stadttheater in der Basteigasse erbaut, in dem ursprünglich nur auf Deutsch gespielt wurde. Das Theater, das vom Architektenduo Ferdinand Fellner und Hermann Helmer erbaut worden war und im November 1882 eröffnet wurde, war das erste
24
Zu den Anfängen des Brünner Theaters im 17. und 18. Jahrhundert vgl. Margita Havlíková. Profesionální divadlo v královském mst Brn 1668-1733. [Professionelles Theater in der Königlichen Stadt Brünn 1668-1733] Brno: Janákova akademie múzickch umní v Brn, 2009. Die Grundlagen für dieses Kapitel stammen vor allem aus den Artikelserien „Fünfzig Jahre Theater“ von Gustav Bondi, die im Tagesboten vom 15. September 1932 bis zum 13. August 1933 erschien und „Das Brünner deutsche Theater. Rückblick und Ausblick“, ebenfalls von Bondi, erschienen im Tagesboten vom 11. November 1937 bis zum 23. Jänner 1938; außerdem aus Bondis Büchern Geschichte des deutschen Theaters 16001925 und Fünfzig Jahre Landestheater (Stadttheater) sowie dem Tagesboten und der Bohemia von September 1918 bis Dezember 1938.
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Theater am europäischen Kontinent, das elektrische Beleuchtung hatte; Fundus und Theaterbibliothek waren vom Wiener Carl-Theater angekauft worden. Das Haus wurde von der Stadt, vertreten durch eine Theaterkommission, in Eigenregie als Drei-Sparten-Theater geführt, 1909 wurde als zusätzliche Spielstätte das Kleine Theater in den städtischen Redoutensälen am Krautmarkt eröffnet. Dieser Versuch scheiterte allerdings vorerst, im Oktober 1918 wurde es nach einem Umbau als Kleines Schauspielhaus wiedereröffnet. Aufgrund der politischen Ereignisse sollte es ab der nächsten Spielzeit zur Hauptbühne des deutschsprachigen Sprechstücks werden. Das Brünner Národní divadlo, das 1881 die erste Brünner Konzession für ein ständiges tschechisches Theater erhalten hatte, spielte bis 1918 im umgebauten Gasthaus U Marovskch, wegen seiner Adresse Divadlo na Veveí genannt. 1918 bezog es als Hauptbühne das ehemalige Stadttheater, spielte aber weiterhin auch im Divadlo na Veveí sowie montags und dienstags in der Redoute. Es wurde von 1881 bis 1923 von einer Genossenschaft (von den deutschen Zeitungen stets als „Theaterverein“ bezeichnet) geführt, 1923 übernahm ein Kuratorium die Leitung, das aus VertreterInnen der Genossenschaft, des Landes Mähren-Schlesien und des Staates sowie Mitgliedern des Theaters gebildet wurde, bis 1931 das Land Mähren-Schlesien die Verwaltung übernahm. Von da an hieß das Theater bis 1941 Zemské divadlo25. Die Neuordnung des Theaterbetriebs in den ersten Nachkriegsjahren: Die Direktion Beer (1918/19-1920/21) Von 1. Juni 1918 bis 31. August 1921 hatte Rudolf Beer26, der spätere Direktor des Wiener Raimundtheaters und des Deutschen Volkstheaters in Wien, die Leitung des Brünner deutschen Theaters. Die nach der Gründung der Republik mehrheitlich tschechische städtische Theaterkommission beschloss am 2. Dezember – also bereits knapp fünf Wochen nach Ausrufung der Tschechoslowakischen Republik –, das Gebäude des Stadttheaters von der Saison 1919/20 an (ab 1. Juli 1919) auf drei Jahre dem tschechischen Theaterverein zu übergeben und dem 25
Vgl. Národní divadlo v Brn. [Nationaltheater in Brünn] In: eská divadla – Encyklopedie divadelních soubor . [Tschechische Theater – Enzyklopädie der Theatergruppen] Hg. v. Eva ormová. Praha: Divadelní ústav, 2000, S. 347-362.
26
22.8.1889, Graz – 9.5.1938, Wien.
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deutschen Theater das Kleine Schauspielhaus zu überlassen. In dieser Zeit sollte ein eigenes tschechisches Theater erbaut werden und nach dessen Fertigstellung das Stadttheater wieder neu vergeben werden, wozu es jedoch nie kam. Der daraufhin unter den Deutschen entstandene Zwist darüber, ob es klüger wäre, das Theater in reduziertem Umfang zu betreiben und die finanziellen Anstrengungen darauf zu konzentrieren, ein eigenes Haus zu bauen oder das Theater weiterhin uneingeschränkt als Drei-Sparten-Theater zu betreiben, um Ensemble (insbesondere das Orchester) und Publikum zu erhalten, sollte sich durch die gesamte Zwischenkriegszeit ziehen. Schließlich wurde gewissermaßen eine Doppelstrategie verfolgt: 1922 wurde die Deutsche Theaterbaugemeinde gegründet, deren Aufgabe in der Realisierung des Theaterneubaus lag. Bereits im Juni 1919 wurde der Deutsche Theaterverein gegründet, der von da an Betreiber der Vereinigten deutschen Theater war und als erstes mit der Stadtverwaltung einen Kompromiss über die Benutzung der Häuser aushandelte: Das deutsche Theater erhielt daraufhin das Kleine Schauspielhaus in der Redoute als ständige Spielstätte, das tschechische Theater das Gebäude des Stadttheaters. Montag und Dienstag wurden die Häuser getauscht, die Deutschen nutzten diese beiden Tage im großen Haus hauptsächlich für Opernaufführungen. Als dritte Spielstätte wurde der Einbau einer Bühne im Festsaal des Deutschen Hauses durchgesetzt, wo ab Herbst 1919 v.a. Operettenaufführungen stattfanden. Während der gesamten Zwischenkriegszeit fand somit ein Drei-Sparten-Betrieb in drei Häusern statt: Montag und Dienstag wurde im Stadttheater mit seinen rund 1.200 Plätzen Oper gespielt, Mittwoch bis Samstag parallel im Kleinen Schauspielhaus für bis zu 650 ZuschauerInnen Sprechtheater und im Deutschen Haus mit 720 Plätzen Operette, sonntags nur Sprechtheater im Schauspielhaus. Die nervöse Stimmung der ersten Nachkriegsjahre beeinflusste auch des Öfteren den Theaterbetrieb, so versuchten tschechische DemonstrantInnen wiederholt, einzelne deutsche Aufführungen zu verhindern. Doch politische Unruhen waren in diesen Jahren nicht die einzigen Störungen des Theaterbetriebs, auch wegen allgemeiner und Theaterstreiks konnten einzelne Aufführungen nicht oder nur in reduziertem Umfang gegeben werden. Von antisemitischer Seite wiederum kam es zu Protesten bei Aufführungen von Schnitzlers Reigen, Wedekinds Schloss Wetterstein oder einem Gastspiel Alexander Moissis.
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Künstlerisch war die Direktionszeit Rudolf Beers von seinem Engagement für moderne Dramatik gekennzeichnet; so veranstaltete er beispielsweise literarische Vorstellungen im Kleinen Schauspielhaus, bei denen die aktuellsten Stücke gespielt und dem Publikum mit einführenden Vorträgen vorgestellt wurden. Sein besonderes Interesse galt der Durchsetzung des Expressionismus. Aufgrund der guten Vorbereitung dieser Aufführungen waren viele AutorInnen gerne bereit, Beer die Uraufführung ihrer Stücke anzuvertrauen, beispielsweise Georg Kaiser, Walter Hasenclever, Franz Theodor Csokor. Wechselnde Direktoren: Die Direktionen Höller (1921/22), Georg und Franz Höllering (1922/23), Georg Höllering (1923/24 bis Dezember 1924), Herzka/Bondi (Jänner bis Mai 1925), Herzka, Bondi, Demetz (1925/26) Wie bereits an den Daten der Direktionszeiten der Jahre 1921 bis 1926 zu erkennen ist, war diese Zeit von einem häufigen Wechsel der Direktoren und damit auch großer Teile des Ensembles geprägt. Dies war auch die Zeit, in der die großen Theaterkrisen der Zwischenkriegszeit, die auch in Deutschland und Österreich zu zahlreichen Theaterschließungen führten, begannen. Die Inflation war zwar in der Tschechoslowakei nicht so rasant wie in Deutschland oder Österreich, doch auch hier sorgten steigende Lebenshaltungskosten sowie die Konkurrenz von billigen Vergnügungen wie Kino und Varieté für Einnahmenskrisen an den Theatern. Gleichzeitig stiegen die Aufführungskosten, die Theater konnten somit kaum noch rentabel betrieben werden; an Bühnen, die nicht von Stadt oder Staat subventioniert wurden, führte dies zu massiven finanziellen Problemen. Die Spielzeiten mussten verkürzt werden, die SchauspielerInnen litten unter den finanziellen Einschnitten, der Arbeitskampf zwischen Ensemble und Direktion wurde härter, vereinzelt kam es zu Streiks der verschiedenen Berufsgruppen. In der Tschechoslowakei dienten in dieser Lage nationale Argumente beiden Parteien bei dem Versuch, die öffentliche Meinung auf ihre Seite zu bringen. Wechselnde Direktoren und wechselnde Ensembles, oft in letzter Sekunde zusammengewürfelt, erschwerten einen niveauvollen Theaterbetrieb, das Publikum wurde zunehmend unzufrieden, was sich wiederum im schlechten Karten- und vor allem Abonnementverkauf niederschlug.
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Da seit 1918 keinerlei Anstalten gemacht worden waren, ein tschechisches oder deutsches Theater zu erbauen, wurde 1922 die Vereinbarung über die Benützung von Stadttheater und Redoutengebäude verlängert, und zwar – soweit es das Stadttheater betraf – nicht mehr mit der Stadt, sondern mit einem aus VertreterInnen von Staat, Land und Gemeinde gebildetem Theaterkuratorium. Beers Nachfolger Max Höller27 war zwei Jahre Direktor am Linzer Landestheater gewesen, danach Direktorstellvertreter am Wiener Stadttheater. Er war Selbständigkeit gewohnt und die wöchentlichen Treffen und die dortigen guten Ratschläge des Theatervereins waren ihm zu viel Einmischung, meistens ließ er sich vom Theatersekretär Gustav Bondi28 vertreten, der seit dieser Zeit den „Titel“ Direktorstellvertreter trug; nach einem Jahr in Brünn ging Höller zurück nach Linz. Auch dem Spielplan scheint er nicht allzuviel Aufmerksamkeit gewidmet zu haben, vor allem Lustspiele, Schwänke und Possen standen am Programm. Aufgrund der schwierigen finanziellen Lage entschloss sich der Theaterverein, den Betrieb ab der Spielzeit 1922/23 in einen Pächterbetrieb umzuwandeln und die Konzession an Franz29 und Georg Höllering30 zu verpachten. Im ersten Spieljahr war aufgrund laufender Verpflichtungen von Georg Höllering sein Sohn Franz Hauptpächter. Um die Finanzen aufzubessern, wurden in Olmütz Gastspiele des Sprechtheaterensembles an dessen spielfreien (Opern-)Montagen31 sowie ein einmonatiges Gastspiel des Opernensembles nach Abschluss der Brünner Opernspielzeit durchgeführt. Außerdem sollte das finanzielle Problem der Sommermonate dadurch gelöst werden, dass die SchauspielerInnen an der Sommerbühne in Marienbad, deren Direktor ebenfalls Georg Höllering war, engagiert wurden. Diese Umstellungen der Verträge mit den Theaterangestellten mussten allerdings erst ausgehandelt werden und boten reichlich Spielraum für gegenseitige Drohgebärden. Ende der Spielzeit 1923/24 wurde die im Krieg eingeführte 10-monatige
27
Geb. 15.2.1880, Hadres.
28
Geb. 1.11.1860.
29
1895, Wien – Dez. 1967, München.
30
13.4.1871, Oberdorf (heute Horní Ves) – 3.9.1930, Marienbad.
31
Dieses montägliche Auftreten in Olmütz behielten auch die nachfolgenden Direktoren bei.
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Spielzeit wieder auf eine 9-monatige mit Bezahlung eines Ferialmonats festgesetzt. Nach der Berufung Franz Höllerings zum Theaterdirektor in Teplitz-Schönau übernahm Georg Höllering ab Juli 1923 alleine die Leitung der Vereinigten deutschen Theater. Aufgrund der hartnäckigen finanziellen Probleme musste er im Dezember 1924 Konkurs anmelden – die Schuld daran dürfte allerdings weniger am Defizit des Brünner Theaterbetriebs gelegen haben, als vielmehr an Höllerings „Unternehmertum“ an sich, an dem in den zwanziger Jahren auch in Wien etliche Bühnen zugrunde gingen. Höllering leitete neben Brünn die Sommertheater in Marienbad und Franzensbad sowie das Stadttheater Teplitz und das Wiener Komödienhaus; außerdem bespielte er mit dem Brünner Ensemble noch die Stadttheater von Olmütz und Mährisch-Ostrau. Das Hölleringsche Theaterunternehmen konnte aber selbstverständlich nicht von ihm alleine geleitet werden, so waren in den einzelnen Städten die Positionen von Dramaturgen, Opernchefs oder Oberregisseuren wichtige Schaltstellen in der Organisation des Spielplans und der Vorbereitung der Aufführungen. In Brünn trat als Dramaturg Guido Glück ein, der sich schon seit 1918 aktiv in verschiedensten Vereinen für das Theater eingesetzt hatte32. Unter Vater und Sohn Höllering wies der Spielplan ein vielfältiges und abwechslungsreiches Repertoire auf, neben französischen Salonkomödien, die nach ihrer kriegsbedingten Verbannung von den Spielplänen nun wieder im gesamten deutschsprachigen Raum weite Verbreitung fanden, standen auch literarisch anspruchsvolle Dramen am Programm. Um Höllerings finanzielle Verpflichtungen nach seinem Konkurs nicht übernehmen zu müssen, übergab der Theaterverein die Leitung des Theaters an einen Mitgliederbetrieb mit Direktorstellvertreter Gustav Bondi und dem künstlerischen Beirat Julius Herzka33 an der Spitze. Aufgrund des gescheiterten Experiments der Verpachtung übernahm der Theaterverein für die Spielzeit 1925/26 die Leitung wieder selbst und verpflichtete Julius Herzka als Direktor. Nach schlechtem finanziellen Abschneiden im September und Kompetenzstreitigkeiten zwischen Theaterverein und Direktor kündigte Herzka im Oktober 32
Zu Guido Glück vgl. Jií Skoup. Guido Glück in der schwierigen Rolle eines Schutzgeistes. Mutige Stellungnahmen eines Brünner deutschen Intellektuellen im Kampf für die Ideale der Demokratie. Dipl.Arb., Brno 2009.
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1926 und beging wenige Tage später Selbstmord. Die einstweilige Leitung übernahm abermals Gustav Bondi, ab Februar 1926 dann Hans Demetz34. In diese Jahre wechselnder Direktoren fallen die ersten Aufführungen von tschechischen Opern am Brünner deutschen Theater. Von nun an wurden regelmäßig tschechische Opern inszeniert, meist in Zusammenarbeit mit dem Brünner tschechischen Opernensemble. Auch das erste tschechische Stück wurde 1923 mit apeks Sache Makropulos aufgeführt, allerdings nicht als Eigenproduktion, sondern im Rahmen eines Gastspiels des Wiener Raimundtheaters. Langers Das Kamel geht durch ein Nadelöhr im nächsten Jahr wurde dann vom Theater selbst inszeniert. Aktivismus in der Politik und am Theater: Die Direktion Demetz (1926/27-1931/32) Hans Demetz war zuvor Dramaturg am Prager Neuen Deutschen Theater gewesen und hatte mit seinem Interesse an zeitgenössischer Dramatik und seinem „Riecher“ für talentierte junge AutorInnen Prag zu einer wichtigen Uraufführungsbühne gemacht. Sein Weggang nach Brünn wurde von der Prager Kritik lebhaft bedauert. Unter seiner Direktion kam es zu einem künstlerischen Aufschwung des Theaters, die Spielplangestaltung verlief überlegter als in den Jahren davor. Die finanzielle Lage des Theaters besserte sich allerdings nicht grundlegend, es mussten viele AnfängerInnen angestellt werden, die dann oft nach einem Jahr zu einem Theater mit besseren Verdienstmöglichkeiten wechselten. Dennoch schaffte es Demetz, wieder ein kontinuierlicheres Ensemble zusammenzustellen, einzelne von ihm engagierte Mitglieder blieben sogar bis 1938 in Brünn. Die Gehaltsverhandlungen zwischen Theater und Angestellten blieben weiterhin fixe Problempunkte, bis hin zu vereinzelten – allerdings nur tageweisen – Streiks einzelner Angestelltengruppen. Zur Aufbesserung der Finanzen wur33
1.10.1859, Budapest – 23.10.1920, Brünn. Herzka war von 1. Juni 1910 bis 30. Mai 1918 Direktor des Brünner Stadttheaters gewesen und von Georg Höllering für die Spielzeit 1924/25 als künstlerischer Beirat engagiert worden. 1918-1920 war er Leiter des Neuen Wiener Stadttheaters gewesen, danach hatte er hin und wieder die Regie für Operetten und Revuen an verschiedenen Wiener Bühnen übernommen.
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Geb. 11.8.1895, Prag.
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den ab Oktober 1926 vor Beginn der Theateraufführung im Deutschen Haus und im Schauspielhaus Lichtbildreklamen gezeigt und die Erwerbung einer Kinokonzession wurde im Theaterverein immer wieder diskutiert. Außerdem leitete Demetz gleichzeitig das Theater in Olmütz, das er mit dem Brünner Ensemble bespielte, und veranstaltete regelmäßige Gastspiele in Bratislava35. Ab 1. Jänner 1931 ging das Brünner Národní divadlo wegen seiner finanziellen Probleme von Kuratoriums- in Landesverwaltung über, das Land verpflichtete sich damit, das Defizit des Theaters zu übernehmen. Das Gebäude selbst blieb im Besitz der Stadtgemeinde, hieß aber von da an Landestheater, für das deutsche Theater blieben die Nutzungsbedingungen vorerst dieselben. Demetz’ Direktionsjahre waren sowohl in der Oper als auch im Sprechtheater geprägt von Erst- und Uraufführungen; am ambitionierten Spielplan standen sorgfältig vorbereitete Inszenierungen von Stücken tschechischer Autoren wie apek, Langer und Werner, auch das aktuelle Zeitstück war zu sehen. Demetz bemühte sich aber durchaus, für alle Publikumsinteressen etwas zu bieten, so wurde beispielsweise das bei den Deutschnationalen beliebte Apostelspiel Mells aufgeführt, auch die Dramen Schönherrs hatten einen fixen Platz im Repertoire. Politisch hatte Demetz keinen leichten Stand, Stimmen aus radikalen nationalen Kreisen, die sich bereits gegen seine Berufung gewandt hatten, verstummten die ganzen Jahre über nicht. Als sich die Differenzen 1931/32 verschärften, ergriff Demetz die Gelegenheit, die Wiener Komödie in der Johannesgasse zu übernehmen. Der Aufstieg der Sudetendeutschen Heimatfront: Die Direktion Knüpfer (1932/33-1934/35) Felix Knüpfer36 war von 1923 bis 1926 Schauspieler und Regisseur in Brünn gewesen, später Direktor des Stadttheaters in Graz. Die Direktion des Theaters wurde ihm vor allem deshalb übergeben, weil er das Grazer Stadttheater sowohl künstlerisch als auch finanziell saniert hatte – in Brünn sollte er allerdings weit weniger erfolgreich sein, die per35
Zur Theatersituation im dreisprachigen Bratislava vgl. Iris Engemann. Die Slowakisierung Bratislavas 1918-1948. Der Prozess nationaler Aneignung aus institutionsgeschichtlicher Perspektive. Diss., Frankfurt/Oder 2010, Kap. IV, „Das Stadttheater Bratislava“, S. 177-281.
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8.5.1885, Theresienstadt – 16.3.1964, Wien.
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manente Finanzkrise des Theaters erfuhr in diesen Jahren einen neuen Höhepunkt. Im Mai 1933 musste der Fundus an die Theaterbaugemeinde verpfändet werden, damit waren die Finanzen zwar für diese Spielzeit saniert, doch schon in der Saison 1933/34 traten wieder vermehrte finanzielle Schwierigkeiten auf. Die Spielzeit wurde weiter verkürzt auf achteinhalb Monate plus dreiwöchiger Ferialgage, trotzdem war der Theaterverein bereits im November nicht imstande, die Gagen vollständig auszubezahlen. Der Konflikt zwischen Ensemble (bzw. Bühnenbund) und Theaterverein spitzte sich dermaßen zu, dass der Ausschuss des Theatervereins im Dezember zurücktrat. Da der neue Ausschuss jedoch nicht dieselben guten Verbindungen zur Brünner Industrie hatte, hatte der Theaterverein von nun an mit erheblich weniger Spenden aus Industriellenkreisen zu rechnen. Auch in der folgenden Spielzeit wurde die Lage nicht besser: Sie begann damit, dass den Vereinigten deutschen Theatern der zweite Spieltag im Landestheater entzogen wurde und daher nur noch einmal wöchentlich (montags) eine große Opernaufführung stattfinden konnte. Um trotzdem ein umfangreiches Opernrepertoire aufrechtzuerhalten, wurde nun auch im Deutschen Haus Oper gespielt, dort waren allerdings nur kleinere Kammer- und Spielopern möglich. Gleichzeitig dazu forderte die Brünner Bezirkskrankenkasse vom Theaterverein die Schulden von Georg Höllering, der die Versicherungsbeiträge für die SchauspielerInnen nicht zur Gänze bezahlte hatte, ein. Im Februar 1935 schließlich kündigte der Verein Deutsches Haus, in dem seit 1931 die radikalen Deutschnationalen die Mehrheit hatten, dem Theater wegen nicht bezahlter Beiträge die Benutzung des Festsaals auf. Bedingung für die Erneuerung des Vertrages war die Bezahlung der Kosten für Beheizung und Beleuchtung jeweils vor Vorstellungsbeginn. Im März 1935 übergab der Theaterverein wegen seiner anhaltenden finanziellen Probleme abermals die Leitung des Theaters zur Fortführung der laufenden Spielzeit an einen Mitgliederbetrieb; gleichzeitig wurde bei der Bevölkerung eine große Werbe- und Sammelaktion durchgeführt. Ende März musste der Theaterverein den Ausgleich anmelden, mit den Gläubigern wurden Ratenzahlungen vereinbart. Gleichzeitig trat Felix Knüpfer, der ähnlich wie Demetz seit seinem Amtsantritt gegen Angriffe seitens der radikalen Nationalen zu kämpfen hatte, von seinem eigentlich bis 1936 geltenden Vertrag zurück und Leopold Kramer37 wurde als neuer Theaterdirektor engagiert. 37
29.9.1869, Prag – 29.10.1942, Wien.
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In diesen Jahren war der erstarkende Nationalismus bereits zu spüren; die „Machtergreifung“ der NSDAP in Deutschland und die ihr folgende EmigrantInnen-Debatte im Theaterwesen der SR hinterließen auch in Brünn ihre Spuren. Die Konflikte zwischen den politischen Lagern verschärften sich, die Sudetendeutsche Heimatfront, die Vorgängerorganisation der Sudetendeutschen Partei, etablierte sich ab 1933 als Sammelbecken der nationalen und nationalsozialistischen Deutschen. Bei den Brünner Gemeindewahlen im Mai 1935 war die SdP schließlich auch in Brünn stärkste deutsche Partei mit 13 von 19 deutschen Mandaten. Knüpfer versuchte ähnlich wie Demetz einen Kompromiss zwischen den verschiedensten Publikumsinteressen zu finden, die sich allerdings während seiner Direktionszeit zunehmend als unvereinbar erwiesen. So fanden sich am Spielplan dieser Jahre weiterhin Stücke unterschiedlichster weltanschaulicher Richtungen, Mussolinis NapoleonDrama Hundert Tage beispielsweise stand nicht nur weiterhin neben tschechischen DramatikerInnen, sondern jetzt auch neben in NSDeutschland verbotenen DichterInnen bzw. Werken wie Vicky Baum, Erich Kästner oder Schnitzlers Professor Bernhardi. Der Anfang vom Ende: Die Direktion Kramer (1935/361937/38) Im Sommer 1935 ließ der Theaterverein mit Mitteln des Arbeitsministeriums das Schauspielhaus vom in Brünn geborenen berühmten Bühnenbildner Emil Pirchan umbauen, denn vom Direktionswechsel erwartete man sich einen neuerlichen Aufschwung des Theaters: Leopold Kramer, der 1918 bis 1927 Direktor des Deutschen Landestheaters in Prag gewesen war und seinem Rollenfach als Bonvivant auch im persönlichen Umgang gerecht wurde, war wohl unter anderem eingestellt worden, um der Anhängerschaft der SdP weniger Angriffsfläche zu bieten. Doch die höhere Auslastung, die sich der Theaterverein dadurch erhofft hatte, stellte sich nicht ein; bereits im Februar 1936 kam es erneut zu einer finanziellen Krise des Theaters, die Einnahmen waren nicht im erwarteten Ausmaß gestiegen, außerdem mussten die Ratenzahlungen für den Ausgleich getätigt werden. In dieser Finanzkrise sprang zum wiederholten Mal die Theaterbaugemeinde ein und gewährte dem Theaterverein ein Darlehen.
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Im Juli 1936 gründete der der SdP nahestehende Bund der Deutschen eine „volkstümliche Miete“. Die Abnahme von Karten wollte der BdD allerdings vom Mitspracherecht bezüglich Spielplan und Ensemblezusammensetzung abhängig machen; nachdem der Theaterverein auf diese Forderungen nicht einging, bekämpfte der BdD von nun an den Theatervereinsausschuss. Das Theater gelangte durch diese Weigerung in eine veritable Krise, Ende der Spielzeit 1936/37 konnten keine Engagements für das nächste Jahr getätigt werden, die Frage, ob das Theater in der nächsten Saison weiterhin als Drei-Sparten-Theater geführt werden sollte, war ungeklärt und wurde den ganzen Sommer über im Brünner Tagesboten diskutiert. Von Präsident Bene und vom Schulministerium erhielt der Theaterverein schließlich finanzielle Unterstützung, Kramer konnte somit – es war mittlerweile Ende Juli – an die Zusammensetzung eines Ensembles für die Spielzeit 1937/38 schreiten. Im März 1938 wurde, wie zuvor schon in Prag und MährischOstrau, auch in Brünn der Klub der tschechischen und deutschen Bühnenangehörigen als Zusammenschluss der staatsloyalen demokratischen SchauspielerInnen gegründet. Er begann seine Tätigkeit mit einer gemeinsamen Aufführung von apeks Weißer Krankheit auf Deutsch und Tschechisch. Mitglieder im Klub waren neben SchauspielerInnen des deutschen und des tschechischen Brünner Theaters auch dem Theater nahestehende Personen, wie beispielsweise der Theaterkritiker des Brünner Tagesboten Josef Gajdeczka. Die Spielzeit sollte 1938, wie schon beinahe üblich, von einer Arbeitsgemeinschaft der SchauspielerInnen zu Ende geführt werden. In einer Sitzung der Arbeitsgemeinschaft am 13. April kam es unter den SchauspielerInnen zum offenen Konflikt, als beschlossen werden sollte, wegen ausständiger Gagen Kollektivklage gegen den Theaterverein zu erheben. Diese vom Bund der Deutschen gesteuerte Aktion sollte den Theaterverein in den Konkurs treiben und eine Übernahme des Theaters durch den BdD ermöglichen. Eine Gruppe von 42 Schauspielern und Schauspielerinnen verließ aus Protest die Versammlung und spaltete sich von der Arbeitsgemeinschaft ab. Beide Gruppen gründeten in der Folge Vereine, um den Theaterbetrieb fortzusetzen, die völkische die Deutsche Theatergemeinde, die antifaschistische die Demokratische Theatergemeinde des neuen deutschen Theaters. Die Demokratische Theatergemeinde bestand hauptsächlich aus SchauspielerInnen des Sprechtheaters, die völkische vorwiegend aus den Mitgliedern
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des Opern- und Operettenensembles sowie des Orchesters und des technischen Personals. In der Folge entbrannte ein heißer Kampf um die Konzessionen für die verschiedenen Spielstätten, der den ganzen Sommer über andauerte. Die Brünner Stadtgemeinde sperrte als Eigentümerin des Gebäudes Mitte April die Redoute und wollte sie erst wieder öffnen, wenn eine der beiden Gruppen eine Konzession aufweisen könnte, was schließlich der demokratischen Gruppe Anfang Juli gelang. Bis dahin spielte die völkische Theatergemeinde im Deutschen Haus, die demokratische musste auf andere Orte wie beispielsweise das Ausstellungsgelände ausweichen. Am 21. April beschloss die Theaterbaugemeinde, das Verfügungsrecht über den Fundus, der ihr verpfändet worden war, an den BdD zu übertragen; zuvor waren die jüdischen und sozialdemokratischen Mitglieder ausgetreten, da ihrem Antrag, den Fundus auch der demokratischen Schauspielergruppe zur Verfügung zu stellen, nicht stattgegeben worden war. Der Theaterverein erklärte sich Ende April für zahlungsunfähig und rief eine außerordentliche Hauptversammlung ein, auf deren Tagesordnung die Liquidierung des Vereins stand – diese Hauptversammlung konnte allerdings nicht stattfinden, da sich in der Zwischenzeit herausgestellt hatte, dass im Vorstand zu wenige rechtmäßig gewählte Mitglieder waren und somit laut Statuten keine Hauptversammlung einberufen werden konnte. Die völkische Theatergemeinde hatte einstweilen tatsächlich Konkursantrag gegen den Theaterverein eingebracht, im Brünner Gemeinderat wurde der Theaterstreit ebenfalls weitergeführt. Auch gegen die beiden sozialdemokratischen Vorsitzenden des Bühnenbundes ging die völkische Gruppe jetzt vor und forderte deren Ablöse. Anfang Juli erhielt die völkische Theatergemeinde die Konzession und daraufhin vom Mährisch-Schlesischen Landesausschuss das Landestheater für die Montage, als Direktor für die kommende Spielzeit wurde Theo Modes38 engagiert. Die demokratische Theatergemeinde erhielt gleichfalls die Konzession, und damit auch die ihr zuvor vom Brünner Stadtrat zugesicherte Redoute; sie engagierte den ehemaligen Mährisch-Ostrauer Theaterdirektor Rudolf Zeisel39 als Direktor. Die politischen Vorgänge hoben diese Zweiteilung des Theaterbetriebs allerdings bald wieder auf: Wegen der allgemeinen Mobilmachung und der Ereignisse rund um das Münchner Abkommen im September und Oktober wurde der Beginn der Theaterspielzeit auf November ver38
19.2.1888, Brünn – 24.4.1962, Leipzig.
39
Geburts- und Sterbedatum unbekannt, er war wohl geborener Brünner.
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schoben. Als die Saison dann in der Zweiten Tschecho-Slowakischen Republik eröffnet wurde, wurde der Demokratischen Theatergemeinde die Konzession entzogen, im Jänner 1939 schließlich diejenige der völkischen Theatergemeinde auf die Redoute erweitert. Nachspiel Nach der Errichtung des „Protektorats“ zog das deutsche Theater im Herbst 1939 wieder ins Gebäude des Landestheaters ein, diese Spielzeit wurde auf allen Plakaten und Publikationen des Theaters als „Befreiungsspielzeit“ bezeichnet. Das tschechische Theater hatte mit Einschränkungen und Schikanen zu kämpfen, im November 1941 wurde es ganz verboten und der Direktor Jiikovsk (der 1942 in Auschwitz starb) sowie einige Ensemble-Mitglieder verhaftet40. Im Sommer 1944 wurde das Theater im Zuge der allgemeinen Theatersperre geschlossen, nach Kriegsende wurden wie in der gesamten Tschechoslowakei auch die Brünner Deutschen vertrieben. Das Gebäude des Landestheaters wurde wieder die Bühne des tschechischen Sprechtheaters und ist heute als Mahenovo divadlo eine der Spielstätten des Brünner Národní divadlo; die Redoute diente bis zu ihrer Schließung 1993 der Aufführung von Singspielen und Operetten und wurde im Herbst 2005 nach einer umfassenden Renovierung ebenfalls als Bühne des Národní divadlo wiedereröffnet und widmet sich heute in erster Linie der zeitgenössischen Dramatik41. Charakterisierung des Brünner deutschen Theaters Das Brünner Stadttheater war zur Zeit der Monarchie ein typisches österreichisches Provinztheater gewesen, mit einem von der Stadt finanzierten Opern-, Operetten- und Schauspielensemble und einem Spielplan, der sich vor allem an Wien orientierte. Die neue politische Lage durch die Gründung der Republik führte zu verschiedensten Verände40
Zum deutschen wie tschechischen Theaterleben in dieser Periode vgl. das im Abschluss befindliche Promotionsprojekt von Volker Mohn über die NS-Kulturpolitik im „Protektorat“, das die Bereiche Theater, Literatur, Musik und Film untersucht.
41
Zum Redoutengebäude von den Anfängen bis heute vgl. Eugenie Dufková (Hg.). Reduta. Divadlo na Horním námstí. [Reduta. Theater auf dem Oberen Platz] Brno: Vydavatelství Bedich Maleek – BM Typo, 2005.
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rungen auch im Bereich des Theaters. Die Aufteilung auf drei verschiedene Häuser sorgte nicht nur in finanzieller, sondern auch in organisatorischer Hinsicht für Probleme. Zudem musste – wegen des chronischen Geldmangels des Theaters – die Spielzeit sukzessive verkürzt werden, von zehn Monaten 1918/19 auf schließlich achteinhalb Monate plus dreiwöchiger Ferialgage 1933/34, wobei selbst diese achtmonatige Spielzeit oft genug nur von einer Arbeitsgemeinschaft der SchauspielerInnen beendet werden konnte, die damit zwar ein geringes Einkommen, jedoch keinerlei Versicherung hatten. Auch wurden in den dreißiger Jahren in Brünn die Gagen oft nur mit großer Verzögerung bezahlt, sodass insgesamt die Arbeitsbedingungen so waren, dass verständlicherweise gute Kräfte, die in Brünn auf sich aufmerksam gemacht hatten und gute Zeitungskritiken vorweisen konnten, versuchten, Engagements an besseren Bühnen zu bekommen. Das Brünner Ensemble war also von einer starken Fluktuation gekennzeichnet, nur in Demetz’ Direktionszeit (1926-1932) war dies etwas besser. Diese Schwierigkeiten beeinflussten natürlich auch die Qualität des Dargebotenen, vor allem in der Oper stellte die Kritik mitunter fest, dass an Vorkriegserfolge unter den herrschenden Bedingungen kaum heranzureichen war. Doch trotz dieser Verhältnisse verstand sich das Brünner deutsche Theater keineswegs als Provinzbühne im schlechten Sinne des Wortes, sondern als künstlerisch hochstehendes Theater und war dies wohl die meiste Zeit auch. Über das Brünner Publikum wurde immer wieder festgestellt, dass es anspruchsvoll, mitunter geradezu verwöhnt wäre; Wiener Ensembles, die auf Gastspielreisen dachten, sie könnten die Brünner mit schlampig einstudierten alten Stücken abspeisen, holten sich dabei immer wieder eine Abfuhr. Trotz der Fülle an gebotenen Werken (in der Oper rund 33, in der Operette 31, und im Sprechtheater rund 63 Werke pro Saison) bemühte sich das Theater doch, ein möglichst hohes Niveau zu erreichen, was ihm insbesondere in den Direktionszeiten von Beer, Demetz und Knüpfer von der Kritik auch bescheinigt wurde. Die beiden hauptsächlichen Kritiker des Tagesboten, Hans Flögl42 für das Musiktheater und Josef Gajdeczka43 für das Sprechtheater, legten durchaus hohe Maßstäbe an die 42
Geb. am 6.4.1863 in Rudolfswerth, heute Novo mesto (Slowenien); Oberfinanzrat der Finanzlandesdirektion Brünn und seit 1902 Musiktheaterkritiker des Tagesboten.
43
Geb. am 11.2.1881 in Schlesien; Mittelschulprofessor, unterrichtete auch an der Brünner Masaryk-VHS; Mitglied der Liga gegen Antisemitismus
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Brünner Inszenierungen und scheuten auch nicht davor zurück, ungenügende Leistungen, sei es von Regie, Dirigent, Ensemble, Orchester oder einzelnen SchauspielerInnen bzw. SängerInnen, in ihren Kritiken zu benennen44. Der Spielplan orientierte sich auch in der Zwischenkriegszeit stark an Wien, insbesondere am Lustspiel- und Operettensektor; auch zu Gastspielen wurden vor allem Wiener Ensembles eingeladen. Im Opernrepertoire dominierten, wie an den meisten Theatern dieser Zeit, Wagner, Verdi, Puccini und Bizets Carmen, daneben wurden jedoch auch moderne Opern gespielt, und das relativ kurze Zeit nach ihrer jeweiligen Uraufführung45. Offensichtlich bemühten sich die Direktoren, einheimische Werke aufzuführen, neben tschechischen46 standen dabei auch deutsche Komponisten aus Böhmen und Mähren am Opernspielplan. Von diesen ist neben Joseph Gustav Mraczek, Max von Oberleithner, Anton Tomaschek und Josef Wizina vor allem Alfred Mahovsky zu nennen, der 1907 in Brünn geboren wurde. Von 1928 bis zu seinem Tod 1932 war er als Dirigent am Brünner deutschen Theater angestellt, wo seine Opern Die Sklavin, Knecht Jernej (posthum) und das Ballett Zirkus Humsti-Bumsti uraufgeführt wurden. Der Operettenspielplan war geprägt von Inszenierungen der älteren klassischen Operette (Millöcker, Offenbach, Strauß, Suppé) sowie aktueller Neuerscheinungen von Lehár, Kálmán, Eysler und Stolz. Auch wenn immer wieder über die mangelnde Zugkraft der neuen Operetten und 1938 der Demokratischen Theatergemeinde des Neuen deutschen Theaters in Brünn; verlor seinen Kritikerposten beim Tagesboten, als dieser 1938 gleichgeschaltet wurde. 44
Die SchauspielerInnen wussten das durchaus zu schätzen, denn damit gewannen gute Kritiken, die sie den Bewerbungen an andere Theater beilegten, an Wert, wie ein Brief einer Brünner Schauspielerin an die Intendanz des Prager deutschen Theaters zeigt: „Vielleicht interessiert und freut es Sie zu hören, daß ich in Brünn bei Dir. Kramer sehr große Erfolge habe. Ich sende als Beweis eine Kritik ein, die mir deshalb wertvoll ist, da sie ein völlig unbestechlicher Kritiker geschrieben ist [sic].“ Eva-Maria Lorm an NDT, Brünn 23.2.1938; beigeheftet ist eine von Gajdeczka verfasste Kritik von Molnárs Delila, in der das Kürzel des Kritikers per Hand unterstrichen ist. AHMP, Fond nmecké divadlo v Praze, Inv. 19, kart. 60.
45
Zum Beispiel Alban Berg, Erich Wolfgang Korngold, Ernst Krenek, Felix Petyrek, Franz Schreker, Kurt Weill, Alexander Zemlinsky.
46
Den Inszenierungen tschechischer Opern ist das Kapitel IV.3 gewidmet.
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geklagt wurde, wiesen diese doch die höchsten Aufführungszahlen auf; ab Mitte der zwanziger Jahre wurden dann auch in Brünn zunehmend Revuen dargeboten. Im Bereich des Schauspiels dominierten, wie in allen Theatern dieser Zeit, die auf die Einnahmen angewiesen waren, Lustspiele und Schwänke über das ernste Drama. Doch was dieses betrifft, wurden durchaus die neuesten, auch umstrittenen Werke inszeniert, unter Beer und unter Demetz gab es auch vermehrt Uraufführungen zu sehen. Beer brachte den Expressionismus nach Brünn, der sich hier lange Zeit hielt; allerdings mehr, soweit es die Werke – vor allem Georg Kaisers – betrifft, als einen konsequent expressionistischen Inszenierungsstil. Eine größere Rolle spielten Werke des Naturalismus, der sich in Brünn großer Beliebtheit erfreute, später auch die sogenannten Zeitstücke, die sich mit aktuellen sozialen Fragen beschäftigten. Ab der Spielzeit 1923/24 standen regelmäßig tschechische DramatikerInnen auf dem Spielplan, von apek wurden Die Sache Makropulos (allerdings als Gastspiel des Wiener Raimundtheaters) und Der Räuber gegeben, von Langer Das Kamel geht durch ein Nadelöhr, Peripherie, Die Bekehrung des Ferdy Pitora und Engel unter uns; außerdem waren Olga Scheinpflugová mit Wo war ich heute nacht? und Vílem Werner mit Der Mann: ja – die Frau: nein und Menschen auf der Eisscholle vertreten. Aber auch heimische deutschsprachige AutorInnen wurden aufgeführt; neben VertreterInnen der „Prager deutschen Literatur“, wie Max Brod, Egon Erwin Kisch, Paul Leppin und Franz Werfel, wurden auch Dramatiker aus der „Provinz“ gespielt, beispielsweise Hans Franck, Franz Hauptmann, Heinrich Ilgenstein, Felix Langer, Karl Norbert Mrasek, Hans Müller und Hans Multerer. Die Direktoren bemühten sich sichtlich, den unterschiedlichsten Geschmacksrichtungen im Publikum entgegenzukommen, denn dieses war in Brünn, wo rund 55.000 Deutsche lebten, nicht so groß, dass das Theater es sich hätte leisten können, einen Teil davon zu verlieren. Diese kompromissbereite Haltung führte allerdings zu Schwierigkeiten, als das Publikum im Laufe der dreißiger Jahre begann, sich weniger in ästhetischer, als vielmehr in politischer Hinsicht zu differenzieren. In NS-Deutschland verbotene AutorInnen wie z.B. Vicky Baum, Ferdinand Bruckner, Erich Kästner, Arthur Schnitzler, Franz Werfel und Carl Zuckmayer standen in diesen Jahren ebenso auf dem Spielplan wie Stücke, die den NationalsozialistInnen zusagten, wie beispielsweise Benito Mussolinis Napoleon-Stück Hundert Tage oder Max Mells Apostelspiel.
Das Brünner ehemalige Stadttheater, nun Národní divadlo, in einer Ansicht nach 1918.
Ansichtskarte, K.W.
IV. Das Brünner deutsche Theater als Schauplatz von Identitätsdiskursen
IV.1 D IE B RÜNNER T HEATERFRAGE Unter diesem Titel wurden in der größten Brünner Tageszeitung, dem Tagesboten, in den frühen zwanziger Jahren wichtige Theaterfragen abgehandelt. Die Häufigkeit der Artikel sowie deren Ausführlichkeit zeigen, welchen hohen Stellenwert das Theater und die „Theaterfrage“ für das Brünner deutsche Bürgertum hatten. Es waren vor allem zwei Themenkomplexe, die mit diesem Schlagwort bedacht wurden: zum einen die Frage nach der Aufteilung der Spielstätten, die sich nach der Gründung der Republik stellte, zum anderen die Frage danach, wie der Theaterbetrieb nach dem teilweisen Verlust des Stadttheaters grundsätzlich weitergeführt werden sollte. Bei der Frage der Aufteilung der Häuser und der dabei auftretenden Konflikte zeigt sich, dass das Theater eine wichtige Rolle für die Selbst- und Fremddefinitionen von TschechInnen und Deutschen in Brünn spielte. Wer darf im Stadttheater spielen? Bis zum Herbst 1918 war das Brünner Stadttheater ausschließlich deutsch bespielt worden. Die deutsche Stadtverwaltung, die das Theater betrieb, verstand unter einem „Stadttheater“ ganz selbstverständlich ein deutsches Theater, auch wenn die Stadt bereits vor 1918 mehrheitlich von Tschechen und Tschechinnen bewohnt war. Nach der Republiksgründung wurden in Brünn die Vororte – die meisten davon mit tschechischer Bevölkerungsmehrheit – eingemeindet, im Gemeinderat gab es von nun an eine tschechische Mehrheit. Auch in der neu gegründeten Theaterkommission betrug das Verhältnis 6:3; diese beschloss im Dezember 1918, das Stadttheater von der Spielzeit 1919/20
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an auf drei Jahre dem Národní divadlo zu überlassen. Danach sollte der geplante Neubau des tschechischen Theaters fertiggestellt sein und das deutsche Theater könnte sich wieder um eine Vergabe des Hauses bewerben. Im Juni 1919 wurde der Deutsche Theaterverein gegründet, der die Leitung des deutschen Theaters, das ab der Spielzeit 1919/20 den offiziellen Namen Vereinigte deutsche Theater trug, übernahm. In Verhandlungen mit der Stadtverwaltung erreichte er, dass das deutsche Theater das Gebäude des Stadttheaters zwei Tage pro Woche zur Verfügung gestellt bekam, während das tschechische Theater an diesen Tagen im Schauspielhaus in der Redoute spielte, das jetzt die Hauptbühne des deutschen Sprechtheaters war. Mit der Abgabe dieser beiden Tage an die Deutschen waren wiederum nicht alle TschechInnen zufrieden, die Debatte, ob es bei dieser Verteilung bleiben, oder ob die Deutschen ganz ohne Stadttheatergebäude auskommen sollten, blieb in den ersten Jahren der Republik virulent. Die „Brünner Theaterfrage“ beschäftigte sowohl Zeitungen als auch deutsche und tschechische Parteien. Abordnungen beider Theater wandten sich wiederholt an den Präsidenten Masaryk und an andere Regierungsmitglieder um Unterstützung. Bereits im Dezember 1918 schickten beispielsweise die Mitglieder des deutschen Theaters ein Telegramm an Masaryk, „mit der heißen Bitte, befürworten zu wollen, daß wir nicht brotlos gemacht werden, sondern das Brünner Stadttheater bis zur Vollendung eines tschechischen Theaters der tschechischen und deutschen Kunst zur gemeinsamen Benützung bestimmt werde.“1
Die Existenzsorgen der SchauspielerInnen sind zwar durchaus verständlich, die Tatsache jedoch, dass die „gemeinsame Benützung“ des Stadttheaters bis zum endgültigen Ende des Kriegs kein Thema gewesen war, ja dass am 27. Oktober 1918, einen Tag vor Ausrufung der Tschechoslowakischen Republik, das sogenannte Kleine Schauspielhaus in der Redoute als zweite deutsche Bühne eigens für Kammerspiele eröffnet worden war, löst beim heutigen Leser, der heutigen Leserin, dennoch Verwunderung aus. Da die Vereinbarung zur Aufteilung des Theaters bis 1922 galt, musste gegen Ablauf dieser Frist wiederum neu verhandelt werden, was zu neuerlichen öffentlichen Debatten Anlass gab. Doch auch ohne konkreten Bezug wurde das Theatergebäude immer wieder Gegen1
Bohemia, 20.12.1918, S. 4.
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stand von Diskussionen, die Theaterfrage wurde dabei durchaus auch instrumentalisiert, um andere Interessen durchzusetzen. Von wem bei verschiedenen Anlässen die Provokation jeweils tatsächlich ausging, ist oft nicht so leicht festzustellen, wie das Beispiel der Aufführung von Felix Saltens Der Gemeine im Februar 1920 zeigt. Die Zensurbehörde hatte ursprünglich das Absingen von Oh du mein Österreich verboten, woraufhin sich Salten selbst an verschiedene staatliche Stellen gewandt und festgestellt hatte, „daß dieses Verbot im Geiste einer k. u. k. Zensurbehörde des alten Österreichs erflossen sei und den modernen Anschauungen einer Republik wohl kaum entspreche.“2 Daraufhin wurde tatsächlich am Tag der Aufführung die Genehmigung erteilt und das Theater spielte nun das Lied ab; da die Musik aber mit dem Schluss des ersten Aktes zusammenfällt, kam es an dieser Stelle zum hier üblichen Applaus des Publikums. Über dessen Einstellung allerdings gingen die Meinungen auseinander: Während die tschechischen Zeitungen berichteten, dass das Publikum stehend zuhörte und anschließend begeistert applaudierte, betonte die Direktion in einem Artikel im Tagesboten, der auf die tschechischen Vorwürfe reagierte, neben ihrer eigenen Unschuld die Harmlosigkeit des Publikums: „Es erhellt wohl daraus [aus dem geschilderten Zustandekommen des Liedes, K.W.], daß weder dem Direktor noch irgend jemand aus dem Publikum, das merkwürdigerweise von einem hiesigen Blatte mit dem Sammelnamen ‚Schieber‘ bezeichnet wird, daran lag, eine politische Kundgebung zu veranstalten, sondern vielmehr auf Veranlassung der Regierung dieser Marsch gespielt wurde. Auch der einsetzende Applaus, der ebenso wie in Wien und in Berlin auch hier in Brünn den mit dem Erscheinen der Militärmusik eintretenden Aktschluß begleitet, galt nur dem Werke und nicht der Melodie; eine Behauptung, die auch dadurch erhärtet wird, daß der Beifall nach dem 1. Akte bedeutend schwächer war, als nach dem 2. Fallen des Vorhanges.“3
2
Zeitungsausschnitt Tagesbote, o.D., o.S. (um den 6.3.1920); MZM, odd. djin divadla, Bestände zum deutschen Theater, 6 Bände Zeitungsausschnitte, II. 1918-1920; im Gegensatz zu Deutschland und Österreich, wo 1918 die Zensur abgeschafft wurde (wenn auch in Österreich nur formal), blieb sie in der SR weiter bestehen. Alle aufzuführenden Stücke mussten dem Polizeipräsidium zur Genehmigung vorgelegt werden.
3
Ebd.
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Als Reaktion auf diese „politische“ Kundgebung im Theater wurde die Aufführungsgenehmigung für das Stück zurückgezogen4; die Unschuldsbeteuerungen änderten auch nichts an den Protesten der Brünner TschechInnen, die von empörten Zeitungsartikeln zu tätlichen Angriffen bei Demonstrationen gegen das deutsche Theater reichten und schließlich dazu führten, dass die deutsche Theaterredoute abgesagt werden musste. Unter anderem wurde verlangt, dass den Deutschen aufgrund ihrer nationalen Kundgebungen das Stadttheater vollkommen entzogen würde5. Die Lidové noviny schrieben beispielsweise: „Aber die tschechische Mehrheit Brünns wird sich die beleidigenden Provokationen einer unverantwortlichen Fraktion nicht länger gefallen lassen. Es ist an der Zeit, dass die Deutschen mit ihren antirepublikanischen Kundgebungen aus dem Stadttheater ausgewiesen werden.“6
Im Zuge dieser Debatten kam es am 1. März 1920 zur regelrechten Belagerung des Stadttheaters, die Absage der für diesen Abend geplanten Theaterredoute der Deutschen wurde verlangt. Zwar ist die Empörung über antitschechische oder proösterreichische Kundgebungen im Theater verständlich, doch hat die Theaterredoute, deren Einkünfte dem technischen Personal des Theaters zugutekommen sollten, damit eigentlich gar nichts zu tun; und auch eine Nebenbemerkung im Tagesboten lässt aufhorchen: „An die angesammelte Menge hielt nun Dr. Bulín eine Ansprache, in der er zum Abzug aufforderte, da eine weitere Ansammlung zwecklos sei. Die Theaterkommission habe mit Mehrheit beschlossen, die Theaterredoute zu gestatten. Brausendes Zischen antwortete diesen Ausführungen Dr. Bulíns.“7 4
Vgl. Politische Landesverwaltung an die Polizeidirektion Brünn, 6.3.1920, MZA, B26 polic. ed., kart. 2421 und den Zensurakt vom 18.10.1919, MZA, B26 polic. ed., kart. 2411.
5
Vgl. Fünfzig Jahre Landestheater (Stadttheater). Brünn: Bühnenbund, 1932, S. 45 (wo allerdings die vorangegangene Provokation mit keinem Wort erwähnt wird); Tagesbote, 2.3.1920, M S. 1 (wo auch die antisemitischen Äußerungen der tschechischen DemonstrantInnen beschrieben werden); Lidové noviny, 17.2.1920, A S. 2; Polizeidirektion Brünn an die Landesverwaltung, 2.2.1920, MZA, B40, Zemsk úad, pres., 3249/20.
6
Lidové noviny, 17.2.1920, A S. 2.
7
Tagesbote, 2.3.1920, M S. 1.
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Gemeinderat Hynek Bulín war nun aber gerade einer derer, die die Wegnahme des Theaters forderten8. Wenn er mit diesen Worten die Menge, laut Polizeiakten bis zu 4.000 DemonstrantInnen9, zum Abzug aufforderte, so ist zu vermuten, dass er dies weniger tat, damit sich die Menge tatsächlich zerstreute, sondern vielmehr, um in den Augen der Demonstrierenden die Stadtverwaltung, deren VertreterInnen ja die Theaterkommission bildeten, zu diskreditieren und mithilfe des Angriffs auf das deutsche Theater den (tschechischen) politischen Gegner zu treffen. Die Mehrheit im Brünner Gemeinderat hatten zu dieser Zeit die sozialistischen Parteien, Bulín war Vertreter der Mährischen Volkspartei. Die bürgerlichen NationaldemokratInnen, die die Demonstration organisiert hatten und deren Vertreter Jan Máa dort ebenfalls eine Rede hielt, hatten kurz zuvor die Wahl angefochten und Neuwahlen erzwungen, die Ende Februar 1920 stattgefunden hatten. Aus diesen war die Linke zwar leicht geschwächt hervorgegangen, doch da die NationaldemokratInnen keine wesentlichen Stimmgewinne erzielt hatten, hatten sie die Wiederwahl des von ihnen besonders angegriffenen sozialdemokratischen Bürgermeisters Karel Vank nicht verhindern können. Dieser trat schließlich im Oktober 1920 nach kommunistischen Unruhen zurück – im Zuge der Debatten darüber war ihm auch vorgeworfen worden, nicht hart genug gegen die Deutschen vorzugehen10. Dieses Beispiel soll verdeutlichen, dass die Theaterfrage nicht immer um ihrer selbst willen diskutiert wurde, sondern die Zusammenhänge zwischen der Brünner tschechischen Politik bzw. öffentlichen Diskussion und den Forderungen nach dem Theatergebäude Aufschluss darüber geben können, wann genau die Diskussion um das Theatergebäude aufflammte und wann sie wieder abebbte.
8
Er war auch bei den Ereignissen rund um ein Baklanoff-Gastspiel im Oktober 1920 wesentlich mitbeteiligt. Dort hielt er eine Rede, in der er davon sprach, dass es nicht möglich wäre, mit den Deutschen zu verhandeln, solange sie sich nicht loyal der Republik gegenüber verhielten, und dass die TschechInnen bisher viel zu nachgiebig gewesen wären, was sich insbesondere an der Theaterfrage zeige. Vgl. Polizeidirektion Brünn an die Landesverwaltung, 12.10.1920, MZA, B40 Zemsk úad, pres., 13241/20.
9
Vgl. Polizeidirektion Brünn an die Landesverwaltung, 2.3.1920, MZA, B40 Zemsk úad, pres., 3249/20.
10
Vgl. Tagesbote, 2.10.1920, A S. 3 u. Bohemia 11.12.1920, S. 2; sein Nachfolger wurde Bedich Mack von den nationalen Sozialisten.
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Ein weiteres Beispiel dafür stellen die Ereignisse rund um ein Gastspiel des russischen Bassisten Georg Baklanoff am Brünner deutschen Theater 1920 dar. „[D]ieses Gastspiel eines Russen im deutschen Theater erregte die Gemüter tschechischer Heißsporne“11, schrieb Gustav Bondi über dieses Ereignis, bei dem das Gebäude des Stadttheaters während der Vorstellung von tschechischen DemonstrantInnen, die zuvor schon durch die Stadt gezogen waren, belagert wurde. Mittels eines Bläserquartetts wurde versucht, die Vorstellung zu unterbrechen, was aber vom (tschechischen) Hauspersonal des Theaters sowie von Polizeimannschaften verhindert wurde; ein Teil des Publikums verließ das Theater, die meisten jedoch blieben bis zum Ende der Vorstellung. Währenddessen wurden von den Demonstrierenden im Vestibül die Forderungen nach sofortiger Einstellung von deutschen Aufführungen im Stadttheater sowie beispielsweise nach dem Austausch sämtlicher zweisprachiger Tafeln in Brünn durch rein tschechische – also auch Forderungen, die mit dem Theater nichts zu tun hatten – vorgetragen. Am nächsten Tag sollte eine ähnliche Kundgebung stattfinden, doch diese wurde von der Polizei untersagt, die auch mit großem Aufgebot in den Straßen patrouillierte. Die Deutschen wiederum gingen demonstrativ festlich ins Theater, um zu zeigen, dass sie ihre Position nicht so schnell räumen würden – so konnte selbst ein auf den ersten Blick alltägliches Ereignis, wie der Besuch einer Theatervorführung in festlicher Kleidung, national gedeutet bzw. vereinnahmt werden. Denn ob die BesucherInnen nun in erster Linie wegen der Aufführung ins Theater gingen und die politischen Ereignisse rundum ignorierten, oder ob sie den Theaterbesuch – wie der Kommentator des Tagesboten andeutet – tatsächlich als bewusste politische Aktion verstanden, wird sich im Nachhinein nicht mehr rekonstruieren lassen und vermutlich auch von Besucherin zu Besucher unterschiedlich gewesen sein. Zudem waren bei dem beeinspruchten Gastspiel – einer Inszenierung von Carmen – auch tschechische ZuschauerInnen im Publikum, was wiederum von einer tschechischen Zeitung als Blamage für die nationalistischen Randalierer gewertet wurde12. 11
Fünfzig Jahre Landestheater (Stadttheater), S. 46.
12
Vgl. Tagesbote, 16.10.1920, A S. 3: „[...] schreibt die ‚Rovnost‘: ‚Das Theater war auch von den Tschechen stark besucht, weshalb unsere patriotischen Regisseure, kaiserlicher Rat Máa und Bulín [die den Aufruhr angezettelt hatten, K.W.], eine unsterbliche Blamage erlitten haben. Man kämpft vergeblich gegen das deutsche Theater, wenn es so ehrenvoll seine
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Hintergrund für die Ereignisse war eine einige Tage zuvor dem Stadtrat von den deutschen GemeindevertreterInnen überreichte Denkschrift, in der die angebliche Schlechterbehandlung der Deutschen thematisiert wurde; neben Fragen der deutschen BeamtInnen, der Schulen und LehrerInnen wurde darin auch die Theaterfrage berührt. Auch hier ging es also um grundsätzliche Positionen. Als Anlass des Protests wurde diesmal aber eine ganz konkrete Theateraufführung gewählt und eine ästhetische Begründung – der als unpassend empfundene Auftritt eines slawischen Künstlers am deutschen Theater – angeführt. Diese Ereignisse stellen gewissermaßen das Bindeglied dar zwischen den auf der Straße ausgetragenen Konflikten zwischen TschechInnen und Deutschen und den im nächsten Kapitel behandelten Theaterskandalen. Während es sich bei diesen um innerdeutsche Konflikte handelte, wurde auch für jene als Ort der Auseinandersetzung das Theater gewählt, ganz gezielt gerieten einige bestimmte Aufführungen zu Kristallisationspunkten der Nationalitätsfrage. Hier verknüpften sich die Debatten um das nationale Verhältnis und um die Aufteilung des Theaters: „Wäre die Hetzversammlung im tschechischen Vereinshause vorher und wären die ‚Forderungen des aufgeregten tschechischen Volkes von Groß-Brünn‘ nicht nach der Kundgebung vor dem Stadttheater gewesen, so hätte man schwer begreifen können, warum sich die aufgeregten Verfechter tschechischnationaler Interessen gerade durch die Aufführung einer französischen Oper, in der der Russe Baklanoff französisch sang, herausgefordert und beleidigt fühlten.“13
Eine weitere Tatsache, die in diesem Zusammenhang berücksichtigt werden muss, ist die Beschlagnahme des bis dahin deutsch bespielten Prager Ständetheaters durch Prager tschechische SchauspielerInnen im November 1920, der wiederum tschechisch-deutsche Krawalle in Eger vorangegangen waren14. Auch in Prag waren vom Theater unabhängige Ereignisse der eigentliche Auslöser, vermischten sich antideutsche und antisemitische Kundgebungen15. Peter Becher weist der Beschlagnahme schlüssig einen Platz in der „Kette der Ereignisse, in der sich natioAufgabe erfüllt.‘“ Dieses Zitat bestätigt zudem die Vermutung, dass sich, soweit es die Oper betrifft, das Publikum nicht immer streng nach nationalen Kriterien trennen lässt. 13
Tagesbote, 12.10.1920, M S. 2.
14
Vgl. dazu Becher, Kulturpolitische Konfliktherde.
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nale Gefühle auf beiden Seiten unkontrolliert entluden“16 zu – einige Glieder dieser „Kette der Ereignisse“ spielten für Brünn dieselbe Rolle wie für Prag, so die Einziehung deutscher Rekruten zum tschechoslowakischen Heer am 1. Oktober 1920 oder die Veröffentlichung einer Denkschrift, die Bene bei den Friedensverhandlungen vorgelegt und in der er den Deutschen umfassende Rechte zugesichert hatte. Beide Nationen befanden sich also im Herbst 1920 in einem „Dauerzustand nationaler Empörung“17, bei der bereits Kleinigkeiten, wie der Auftritt eines russischen Sängers im deutschen Theater, zum Eklat führen konnten – beziehungsweise zum Eklat geführt werden konnten. Denn wie die Brünner Ereignisse zeigen, hatten die meisten der angeblich „spontanen“ Äußerungen deutschen oder tschechischen „Nationalgefühls“ sehr wohl ihre AnführerInnen. Als im Juni 1922 der dreijährige Vertrag über die Nutzung des Theatergebäudes auslief, hatte die Stadtverwaltung das Gebäude des ehemaligen Stadttheaters an ein Kuratorium von VertreterInnen des Landes, der Stadt, des bisherigen tschechischen Theatervereins und des Staates übergeben; dieses stellte für die weitere Benutzung des Stadttheaters durch die Deutschen die Bedingung, den durch die beiden fehlenden Spieltage entstandenen Schaden ersetzt zu bekommen. Da sich die Stadt dazu außerstande sah, verlieh sie das Gebäude für alle Tage an das tschechische Theater und empfahl dem deutschen Theater, mit diesem selbst zu verhandeln. Schließlich vermittelte die Regierung im Streit um das Theatergebäude und Masaryk erklärte sich bereit, das tschechische Theater für den Entfall der Einnahmen zu entschädigen. Schon in den vergangenen beiden Jahren war von tschechischer Seite immer wieder der finanzielle Mehraufwand dieser beiden Tage betont worden und daran stets die Forderung von Unterstützung durch den Staat geknüpft worden, da sonst den Deutschen die Benutzung des Stadttheaters untersagt werden sollte. Der fehlende Betrag wurde dabei 15
Über die Vorgänge rund um Saltens Stück hatte der Brünner Tagesbote berichtet: „Gegen 6 Uhr abends wurden mehrere Ansprachen gehalten, in denen über die Deutschen im Allgemeinen, über die Brünner Fabrikanten im besonderen und über die reichen Juden, die lieber ihre Frauen in die Ziegeleien arbeiten schicken sollen, losgezogen [wurde]“. Tagesbote, 2.3. 1920, M S. 1.
16
Becher, Kulturpolitische Konfliktherde, S. 125.
17
Ebd., S. 126.
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erst mit 600.000, dann mit einer Million, die auch im November 1920 von Masaryk zugesagt wurde, und schlussendlich beim tatsächlichen Vertragsende mit eineinhalb Millionen Kronen angegeben18. Diese wurden von der Regierung bewilligt, womit die weitere Benützung des Stadttheaters durch das deutsche Theater sichergestellt war. In den folgenden Jahren geschah es des Öfteren, dass die Summe nicht fristgerecht ausbezahlt wurde oder zusätzliche vom Ministerrat gewährte Subventionen gekürzt wurden, worauf jedes Mal prompt die Antwort kam: Die Entschädigung war die Bedingung für die Überlassung der beiden Spieltage an den Deutschen Theaterverein, wird die Summe nicht überwiesen, werden diese beiden Tage gestrichen. Die Reaktionen der deutschen Zeitungen auf diese immer wiederkehrenden Meldungen waren unterschiedlich; während sie anfangs empört kommentiert wurden, wurden sie nach 1922 meistens lediglich als Kurznotizen wiedergegeben und kaum noch kommentiert. Diese ruhige Aufnahme der für das deutsche Theater, wie sich noch zeigen wird, tatsächlich eine existentielle Bedrohung darstellenden Meldungen legt die Annahme nahe, dass die deutschen Zeitungen bzw. das deutsche Theater sich bewusst gewesen sein dürften, dass das tschechische Theater nicht ernsthaft vorhatte, ihnen die zwei Spieltage zu nehmen, sondern diese Drohung lediglich als Druckmittel gegenüber der Regierung und dem um Ruhe und Versöhnung bemühten Präsidenten einsetzten. So kam es bis 1934 auch tatsächlich jedes Mal zur Erfüllung der Forderung und zur Überweisung des Geldes. Doch die regelmäßig wiederholte Verwendung dieser Drohung hielt den Druck und den Glauben an die eigene gefährdete Position unter den Deutschen aufrecht; eine Taktik (wenn es denn eine war), die zwar das Ziel, die geforderte Summe zu erhalten, stets erreichte, langfristig jedoch dazu beitrug, den vor allem von deutschnationaler Seite geschürten Szenarien einer Bedrohung der „deutschen Kultur“ in Brünn, auf die bereits weiter oben im Kap I.2 hingewiesen wurde, Vorschub zu leisten.
18
Vgl. Polizeidirektion Brünn an die Landesverwaltung, 12.10.1920, MZA, B40 Zemsk úad, pres., 13241/20; Tagesbote, 12.10.1920, M S. 2; 13.11. 1920, M S. 3; 23.6.1921, A S. 2; 17.8.1922, M S. 5.
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Die Neuordnung des Theaterbetriebs Die „Brünner Theaterfrage“ hatte aber noch weitere Aspekte; neben den Konflikten mit den tschechischen BrünnerInnen wurde auch die unter den Deutschen geführte Diskussion um die organisatorische Neuordnung des Theaterbetriebes im Tagesboten unter diesem Titel subsumiert. Um auch weiterhin Operetten und kleinere Opern unabhängig von den Verhandlungen bezüglich des Stadttheaters spielen zu können, verhandelte der Theaterverein ab dem Frühjahr 1919 mit dem Verein Deutsches Haus. Der dortige Festsaal sollte so umgebaut werden, dass er für das Theater genutzt werden konnte – doch diese Verhandlungen waren keineswegs reibungslos; offensichtlich zogen nicht alle Deutschen an einem Strang, um das weitere Bestehen des Theaters zu sichern, wie man aufgrund der allgemeinen Empörung über die Neuaufteilung des Stadttheaters vermuten würde. Bei der ersten Abstimmung über den Einbau einer Bühne entschied die außerordentliche Hauptversammlung gegen diesen Einbau, die Schauspieler- und Musikerorganisationen verhängten daraufhin eine Theatersperre über Brünn, um dem Publikum (vor allem den Vereinsmitgliedern des Deutschen Hauses) die Folgen eines Zusammenbruchs des Theaters vor Augen zu führen. Damit konnten weder Theater- noch Konzertaufführungen stattfinden – was sich de facto jedoch kaum bemerkbar machte, da ohnehin Sommerferien waren; lediglich ein Slezakkonzert im Deutschen Haus musste entfallen19. Bei der nächsten Hauptversammlung des Deutschen Hauses am 30. Juni wurde schließlich der Einbau einer Bühne mit 900 gegen 300 Stimmen beschlossen, im Sommer wurde der Festsaal umgebaut, der ab Herbst 1919 an vier Tagen in der Woche vorwiegend als Operettenbühne diente. Die Beziehungen zum Deutschen Haus blieben allerdings immer schwierig; ein Grund dafür mag darin liegen, dass der Theaterverein bis zu seiner Auflösung 1938 liberal blieb, während im Verein Deutsches Haus bereits 1931 die radikalen NationalistInnen die Macht übernahmen. Der Theaterbetrieb der Vereinigten deutschen Theater Brünns blieb die gesamte Zwischenkriegszeit hindurch auf diese drei Bühnen aufgeteilt: Montag und Dienstag wurde im Stadttheater Oper gespielt20, 19
Vgl. Tagesbote, 25.6.1919, M S. 4.
20
Diese Einteilung wurde zwar hin und wieder, v.a. für Klassikerinszenierungen, unterbrochen, doch im Großen und Ganzen hatte jede Sparte eine
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Mittwoch bis Samstag im Deutschen Haus Operette und parallel dazu im Schauspielhaus in der Redoute Mittwoch bis Sonntag Sprechtheater. Chor und Orchester wurden Montag und Dienstag für die Oper, Mittwoch bis Samstag für die Operette eingesetzt, die Solokräfte waren eigens für ihr Fach engagiert. Neben der Tatsache, dass die beiden kleineren Bühnen keinen Schnürboden und keine Versenkung hatten, war ein Hauptproblem dieser Aufteilung auf drei Häuser, dass das Theater in allen Spielstätten nur zu Gast war und daher lediglich Nutzungsrechte hatte, aber nicht frei über die Bühnen verfügen konnte. Dass unter dieser Organisation vor allem der Probenbetrieb – und zwar insbesondere der der Oper – litt, liegt auf der Hand und soll vom folgenden Bericht des Opernkapellmeisters Nikolaus Janowsky illustriert werden, der zwar stark überzeichnet ist, aber doch eine Vorstellung von den Problemen gibt: Die Stellprobe musste, da das Stadttheater nur für kurze Probenzeiten zur Verfügung stand, meist im Deutschen Haus stattfinden, „in einem Saal [...], der sich dadurch auszeichnet, daß er nicht genügend geheizt ist, dafür aber gewöhnlich Spuren von vornächtlichen Festen aufweist. In diesem Raum, mitten unter Zigarettenstummeln, verdampfenden Wein-, Bierund leider oft auch Magenresten, umgeben von fingerdicken Staubschichten, jeden Augenblick der Gefahr ausgesetzt, von einer angelehnten Wanddekoration erschlagen zu werden, vor sich das elfenbeinberaubte Theatervereinsklavier, dem der begeisterte Onestep-Spieler vom Vorabend die letzten Saiten aus dem Leibe gerissen hat und das auf liebevolle Behandlung entweder gar nicht oder nur in der tiefsten und höchsten Oktave reagiert, in diesem Raume wird nun die Oper geboren.“21
Doch auch im Stadttheater selbst war die Situation nicht viel besser: „Da wir die uns im Stadttheater übrigbleibende kurze Zeit für das Durchfliegen des orchestralen Teiles ausnützen müssen, ist an ein Aufstellen von Dekorationen usw. gar nicht zu denken. Die Dekorationen werden vielmehr ‚markiert‘, d.h. eine auf dem Erdboden liegende Latte bedeutet eine Wand, zwei Stühle, zwischen denen man durchgehen muß, eine Tür usw. [...] Daher finden im Stadttheater die Orchesterproben ohne gestellte Dekorationen statt oder, wenn Stammbühne; ab der Spielzeit 1934/35 stand dem deutschen Theater nur noch der Montag im Stadttheater (dann Landestheater) zur Verfügung. 21
Tagesbote, 16.3.1922, M S. 6f.
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eine Dekorationsprobe unbedingt notwendig ist, muß ihr die Orchesterprobe geopfert werden.“22
Diese ungenügenden Probemöglichkeiten, die auch die Operette betrafen, beeinträchtigten nicht nur die Qualität der Stücke, sondern konnten mitunter für die SchauspielerInnen gefährlich werden: „Als die Sängerin Sonja Scheucher durch die Tür von der Bühne abgehen wollte, verwechselte sie diese mit dem Fenster, öffnete die Fensterflügel und stürzte kopfüber in die Kulissen, wo sie bewußtlos liegen blieb. Der diensthabende Theaterarzt ließ die Künstlerin in ihre Garderobe schaffen, wo sie das Bewußtsein nach längerer Zeit wieder erlangte.“23
Der Kritiker fragte sich am nächsten Tag: „Wie muß sich übrigens die Szenenprobe dieser ‚Csardasfürstin‘ abgespielt haben, wenn bei der Aufführung noch Unsicherheit über die Lage der Türen und Fenster bestand, wenn es möglich war, daß Frau Scheucher ihren Abgang durch das Fenster, statt durch die nebenan befindliche Türe bewerkstelligte?“24
Da von Anfang an feststand, dass die Aufteilung eines Theaters auf drei verschiedene Spielstätten alles andere als ideal war, wurde ab Herbst 1918 darüber diskutiert, ob der Theaterbetrieb möglichst uneingeschränkt weitergehen sollte, oder ob es nicht klüger wäre, ihn möglichst weit zurückzustellen und stattdessen alle Kräfte und Ressourcen für den Neubau eines eigenen Hauses zu sammeln. Im Juni 1919 wurde der Deutsche Theaterverein gegründet, 1922 entstand aus einer Sektion des Theatervereins die Deutsche Theaterbaugemeinde, die sich um die Realisierung eines Neubaus kümmerte. Theaterverein und Theaterbaugemeinde hatten nicht immer ein ungetrübtes Verhältnis zueinander, schließlich konkurrierten sie die meiste Zeit um die finanzielle Hilfe derselben Klientel, von der einerseits erwartet wurde, das Theater durch regelmäßigen Besuch zu unterstützen und andererseits bei den immer wiederkehrenden Sammlungen der Theaterbaugemeinde zu spenden. Beide Forderungen liefen unter dem Motto „Deutsche,
22
Ebd.
23
Tagesbote, 19.5.1927, M S. 6.
24
Tagesbote, 19.5.1927, A S. 3.
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rettet euer deutsches Theater“. Auch in den Zeitungen flammte die Diskussion zwischen den beiden Vereinen immer wieder auf. Neben Theaterverein und Theaterbaugemeinde gab es noch weitere für das Theaterleben relevante Vereine: Die SchauspielerInnen, die bisher entweder im Österreichischen Bühnenverein oder in der Genossenschaft Deutscher Bühnenangehöriger vertreten waren, bildeten im Oktober 1919 den Bund der Angestellten der deutschen Theater in der Tschechoslowakischen Republik (ab 1930 Bühnenbund in der Tschechoslowakischen Republik) als Interessensvertretung. Wie sehr die Bildung dieses Vereins mit der De-facto-Anerkennung der Republik zu tun hatte, verdeutlicht sowohl das lange Zuwarten (ein Jahr lang waren die SchauspielerInnen an Theatern in der Tschechoslowakei faktisch ohne Vertretung gewesen) und die schnelle Reaktion auf den Friedensvertrag von St. Germain im September 1919, als auch folgendes Zitat aus der Bohemia: „Die Angestellten der deutschen Theater innerhalb des Gebietes der tschechoslowakischen Republik, deren Berufs- und Standesorganisationen bis zum heutigen Tage ihren Sitz entweder in Wien oder Berlin hatten, verloren durch den allgemeinen politischen Umsturz den Zusammenhang mit ihren bisherigen, nunmehr im Auslande befindlichen Vertretungen der Standesinteressen und waren, wenn sie nicht schutz- und wehrlos allen Zufälligkeiten des wirtschaftlichen Kampfes ausgesetzt bleiben wollten, gezwungen, sich den veränderten politischen Verhältnissen unterzuordnen und anzupassen. Es war für sie eine unbedingte Lebensnotwendigkeit, eine neue, von den einheimischen Behörden anerkannte Vertretung ihrer Standes- und Berufsinteressen für das Gebiet des neu erstandenen tschechoslowakischen Staates ins Leben zu rufen.“25
Deutlich ist hier der Rechtfertigungsdruck herauszulesen, unter dem neugegründete deutsche Vereine in der Tschechoslowakei zu dieser Zeit standen: Eine Angelegenheit, die eigentlich selbstverständlich sein sollte, wird als „unbedingte Lebensnotwendigkeit“ dargestellt und mit der Erklärung, sich „unterzuordnen und anzupassen“, gleichsam entschuldigt. Ende 1920 schlossen sich dann die verschiedenen deutschsprachigen Schauspielerverbände zum Kartellverband26 zusammen. Dies trug 25
Bohemia, 16.10.1919, S. 7.
26
Mitglieder im Kartellverband waren die reichsdeutsche Genossenschaft Deutscher Bühnenangehöriger, der Deutsch-Österreichische Bühnenver-
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der Tatsache Rechnung, dass die wechselnden Engagements von SchauspielerInnen sich nicht an Landesgrenzen orientierten. Im Kartellverband wurde festgelegt, dass die SchauspielerInnen Mitglieder in jeweils derjenigen Organisation waren, in deren Zuständigkeit ihr Engagement fiel, sie wechselten also mit ihrem Arbeitsort jedes Mal auch die Mitgliedschaft in den verschiedenen Nationalverbänden; Pensionsrechte u.ä. blieben dabei erhalten27. Außerdem verpflichteten sich die Organisationen, bei einer von einem Verband verhängten Theatersperre sich dieser anzuschließen28. Durch die Sitzverteilung in der Kartellleitung drückten sich Ländergrößen, aber auch Machtpositionen aus: Die reichsdeutsche Genossenschaft deutscher Bühnenangehöriger hatte vier Stimmen, die österreichischen und tschechoslowakischen Vereine je zwei, der Schweizer eine29. Diese Machtverteilung wurde insbesondere ab 1933 zum Problem, als der reichsdeutsche Verband versuchte, über die übrigen Verbände Einfluss auf die Theater im gesamten deutschsprachigen Raum zu nehmen. Bühnenbund und Direktorenverband der Tschechoslowakei setzten sich dagegen zur Wehr, indem sie beispielsweise 1934 eine eigene Stellenvermittlung einrichteten, um nicht auf „Empfehlungen“ aus NS-Deutschland angewiesen zu sein,
ein (später Ring der österreichischen Bühnenkünstler), der Bühnenbund in der Tschechoslowakischen Republik und der Verband der Bühnenkünstler in der Schweiz. Später kamen noch der Deutsche Chorsängerverband und Tänzerbund e.V. (1928) und der Schweizer Chorsängerverband Basel (1929) dazu. 27
Vgl. Tagesbote 29.12.1920, M S. 5.
28
Vgl. Tagesbote 5.12.1920, A S. 3; die Theatersperre, manchmal auch Gastspielsperre, war in den zwanziger Jahren ein Mittel im Kampf um Gagen und Verträge. Aufgrund der Vereinbarungen aller SchauspielerInnen konnten die DirektorInnen keinen Ersatz für nicht spielende KünstlerInnen engagieren – in den meisten Fällen scheinen sich tatsächlich fast alle SchauspielerInnen an die über einzelne Theater verhängte Sperre gehalten zu haben. Es war dies sozusagen das letzte Mittel der SchauspielerInnen (eigentlich ein Streik), wurde dementsprechend nicht sehr oft angewandt und führte meistens ziemlich schnell zu einem Einlenken der DirektorInnen und TheaterbetreiberInnen – wenn auch unter wiederholtem Hinweis darauf, dass die SchauspielerInnen die deutschen Theater zugrunde richten würden.
29
Vgl. Schneider, Exiltheater in der Tschechoslowakei, 91ff.
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oder durch die strikte Ablehnung der von der Reichstheaterkammer geforderten Übernahme des „Arierparagraphen“30. Ich möchte hier nochmals darauf hinweisen, dass sich keine „tschechoslowakischen“ Zusammenschlüsse aller in der Tschechoslowakei arbeitenden SchauspielerInnen – für die schließlich dieselben Gesetze galten – bildeten, sondern nach dem Nationalitätenprinzip vorgegangen wurde; so gab es beispielsweise parallel zum Bühnenbund den Svaz eskoslovenského herectva. Für die deutschen Verbände der SR existierten also zweierlei Bindungen und verschiedene Formen der Zusammenarbeit und Diskussion. Einerseits zu und mit den deutschsprachigen Verbänden in Österreich, Deutschland und der Schweiz, mit denen z.B. bis 1934 eine gemeinsame Stellenvermittlung des Kartellverbandes betrieben wurde; andererseits zu den tschechischen Parallel-Verbänden in der Republik, mit denen z.B. in den Verhandlungen zum tschechoslowakischen Schauspielergesetz zusammengearbeitet wurde. Dem Bühnenbund war die Notwendigkeit dieser Zusammenarbeit von Anfang an klar31, bei der Bildung der Internationalen Union der Bühnenangestellten 1926 spielte er eine führende Rolle. Interessanterweise ermöglichte trotzdem erst der Bestand der Union, „daß zwischen dem Bunde und der tschechischen Schauspielerorganisation endlich nähere und freundschaftliche Beziehungen angebahnt wurden.“32 In Reaktion auf die Gründung des Bühnenbundes wurde als Vertretung der DirektorInnen der Verband deutscher Bühnenleiter in der Tschechoslowakei gegründet. Zwischen diesen beiden Verbänden wurden die Kollektivverträge ausverhandelt, die in Ermangelung eines tschechoslowakischen Theatergesetzes neben den Gagen auch die arbeitsrechtlichen Bestimmungen enthielten. Ein Theater, dessen Direk30
Vgl. Hilde Haider-Pregler. Exilland Österreich. In: Handbuch des deutschsprachigen Exiltheaters 1933-1945, Bd. 1. Hg. v. Frithjof Trapp et al. München: Saur, 1999, S. 97-155, S. 103.
31
Vgl. bereits den sichtlich auf einer Pressemitteilung beruhenden Zeitungsbericht über die Gründung des Bühnenbundes: „Ferner wurde der Beschluß gefaßt, mit allen Berufsorganisationen des In- und Auslandes (also auch mit den tschechischen Künstlern) in Kunst- und Wirtschaftsfragen gemeinsam vorzugehen.“ Bohemia, 22.10.1919, S. 6f.
32
Eigendarstellung im Jahres- und Tätigkeitsbericht des Bundes der Angestellten der deutschen Theater in der Tschechoslowakischen Republik für das Jahr 1926. Brünn: Typographia, 1927, S. 25.
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torIn Mitglied beim Direktorenverband war, wurde Verbandstheater genannt, Theater außer Verband waren eigentlich für Mitglieder des Bühnenbundes gesperrt, bei Zuwiderhandeln drohte den SchauspielerInnen der Ausschluss. Aufgrund der schwierigen finanziellen Situation speziell in den späten zwanziger und frühen dreißiger Jahren zogen aber viele SchauspielerInnen ein Engagement bei diesen Bühnen der Arbeitslosigkeit vor. Theater außer Verband waren im Gegensatz zu den Verbandstheatern nicht an die Vereinbarungen des Kollektivvertrags gebunden, die Gagen und Arbeitsbedingungen der dort Beschäftigten waren also um einiges schlechter33. Neben diesen beiden Interessensvertretungen existierte noch der Verband der deutschen Theatererhalter in der tschechoslowakischen Republik, in dem die verschiedenen Theaterbetreiber, also deutsche Stadtgemeinden (wie Eger oder Teplitz) oder Theatervereine (in national gemischten Städten wie Brünn oder Mährisch-Ostrau), vertreten waren. Er wurde im März 1920 gegründet, Verbandssitz war vorerst Brünn. Der Verband der Theatererhalter beteiligte sich ebenfalls an den Gagenverhandlungen und kümmerte sich außerdem vor allem um die Finanzierung der Theater und um die Zusammenarbeit mit den tschechoslowakischen Behörden. Die Debatten, die zwischen diesen verschiedenen Verbänden vor allem in den frühen zwanziger Jahren teilweise recht heftig geführt wurden und in denen die nationale Frage mitunter instrumentalisiert wurde, sind Gegenstand des Kapitels IV.4, in dem der Einsatz nationaler Rhetorik zur Erreichung gänzlich anderer als nationaler Zwecke thematisiert wird.
IV.2 D AS S YSTEM T HEATERSKANDAL Während im vorigen Kapitel diejenigen Konflikte im Zentrum des Interesses standen, die sozusagen inter-national, also zwischen tschechischen und deutschen BrünnerInnen, stattfanden, geht es hier vordringlich um innerdeutsche Konflikte. Ausgangspunkt dafür bildet die Überlegung, dass Theaterskandale nicht nur theaterimmanente Gründe haben, sondern auch außerhalb des Theaters liegende, dass neben dem Geschehen auf der Bühne die gesellschaftlichen Konflikte der jeweiligen Stadt eine zentrale Rolle spielen. Die Frage, die dabei im Mittelpunkt stehen soll, lautet: Was bezwecken die UrheberInnen eines 33
Vgl. Schneider, Exiltheater in der Tschechoslowakei, 38ff.
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Skandals, welche Position soll, wenn schon nicht durchgesetzt, so doch zumindest öffentlichkeitswirksam demonstriert werden? Diesem Themenkomplex soll an einzelnen Beispielen nachgegangen werden, in erster Linie an Schloss Wetterstein als antisemitischem Skandal und Hinkemann als nationalsozialistischem Versuch, linke Öffentlichkeit zu unterbinden, aber auch an einem Studenten, der eine Aufführung anlässlich des Staatsfeiertags zum Protest nutzte und schließlich an den nicht stattgefundenen Skandalen um Israel und den Fröhlichen Weinberg. Diese Fälle sollen kurz skizziert und jeweils daraufhin untersucht werden, welche Strategien von wem zu welchem Zweck eingesetzt wurden. Unter „Theaterskandal“ versteht man heute im Allgemeinen Protestkundgebungen des Publikums bzw. einzelner Teile des Publikums gegen ein Stück, dessen Inhalt, Sprache, Darstellungsform etc. Insbesondere seit den Skandalen Ende des 19. Jahrhunderts, die sich an den unterschiedlichsten neuen Stilrichtungen am Theater entzündeten, und der bewussten Einkalkulierung des Skandals vonseiten der TheatermacherInnen im 20. Jahrhundert steht diese ästhetische Betrachtungsweise im Vordergrund. Das Theaterlexikon von Brauneck/Schneilin ist ein Beispiel für diese immanent theaterästhetisch argumentierende Position: Darin wird der Theaterskandal definiert als „Bruch der kommunikativen Konvention durch zumindest einen Teil des Publikums“, als Reaktion auf die Überschreitung von „Tabus, an deren Durchbrechung sich immer wieder Skandale entzündeten. Wie die gesellschaftlichen unterliegen aber auch die theatralischen Tabus dem historischen Wandel. An welchen Themen sich die Gemüter bis zum Skandal erhitzen, ist an den jeweiligen Stand der theatralischen Konvention gebunden.“34
Nun hat der Theaterskandal aber nicht nur ästhetische Gründe, sondern vor allem auch soziale und politische, wie Arno Paul in seiner bereits 1969 erschienenen Arbeit zum Theaterskandal der Goethezeit darlegt35. 34
Peter Kelting. Theaterskandal. In: Manfred Brauneck u. Gérard Schneilin. Theaterlexikon. Begriffe und Epochen, Bühnen und Ensembles. Reinbek: Rowohlt, 1986, S. 998f., S. 998.
35
Vgl. Arno Paul. Aggressive Tendenzen des Theaterpublikums. Eine strukturell-funktionale Untersuchung über den sog. Theaterskandal anhand der Sozialverhältnisse der Goethezeit. München: Schön, 1969.
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Die Sichtweise des Theaterlexikons ist dagegen selbst eine historisch bedingte, die sich den Abläufen der Theaterskandale des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts verdankt. Anhand einer Analyse der verschiedenen randalierenden Publikumsteile weist Paul nach, dass die Vorgänge auf der Bühne zwar den Skandal ermöglichen, ihn aber keineswegs bedingen, und dass der Zweck des Skandals vielmehr in gesellschaftlichen Positionskämpfen zu suchen ist. Theaterskandale gab es lange vor der Entwicklung der verschiedenen Stilrichtungen des 19. Jahrhunderts und Auslöser eines Skandals war nicht immer eine unkonventionelle Aufführung. So mag der jeweilige Stand der theatralischen Konvention zwar beeinflussen, ob sich ein Skandal bei diesem oder jenem Stück entfacht, doch übergeht diese Sichtweise zum einen völlig die Tatsache, dass Skandale selten spontan im vom Tabubruch überraschten Publikum entstehen, sondern oftmals bereits im Vorhinein geplant werden. Zum zweiten ging gerade im 20. Jahrhundert die Planung dieser Skandale oftmals von Gruppierungen aus, die über den Umweg „Theater“ ihre politischen Vorstellungen durchzusetzen versuchten. Dass die meisten Theaterskandale des frühen 20. Jahrhunderts antisemitisch oder völkisch geprägt waren, verwundert insofern wenig. Hier soll nun aufgezeigt werden, welche Theaterskandale im Brünn der Zwischenkriegszeit stattfanden, wie sie zustande kamen, welche AkteurInnen in ihnen eine Rolle spielten und welche Ziele diese durchzusetzen versuchten. Dabei wird sich herausstellen, dass es meist weniger um die Durchsetzung ästhetischer als vielmehr politischer Positionen ging, sondern dass im Zentrum der Skandale die Fragen danach standen, was in Brünn als „deutsche Kultur“ gelten sollte und wie die BrünnerInnen (bzw. Teile des Brünner deutschen Gesellschaft) ihre „deutsche Identität“ am Theater widergespiegelt sehen wollten. Frank Wedekind, Schloss Wetterstein Während, wie im vorigen Kapitel dargestellt, 1919/20 die tschechischen BrünnerInnen also gegen das deutsche Theater demonstrierten, protestierten StudentInnen der Deutschen Technischen Hochschule im April 1921 gegen eine Aufführung von Wedekinds Schloss Wetterstein. Hierbei handelte es sich gewissermaßen um einen Skandal in zwei Akten, von denen der eine im Theater spielte, der andere auf der Straße. Erst die Zusammenschau beider Akte verdeutlicht das eigentliche Thema dieses Skandals. Das Stück handelt von den familienähnlichen Be-
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ziehungen und Verstrickungen eines Mannes (Rüdiger Freiherr von Wetterstein, eines verarmten Adeligen), einer Frau (Leonore von Gystrow, seiner Geliebten) und eines jungen Mädchens (Effie, Leonores Tochter, die im Verlauf des Stücks zur Edelprostituierten wird). Am Ende des Stücks hat Rüdiger Leonores Mann im Duell erschossen und Leonore Rüdigers größten Gläubiger in den Selbstmord getrieben; Effie wird von einem vermeintlich todessehnsüchtigen Kunden dazu gebracht, einen Becher Gift zu trinken – durchaus also Zutaten zu einem Skandalstück. Dass sich der Protest in Brünn allerdings nicht in erster Linie gegen das Stück richtete, zeigt sich bereits am Datum des Ereignisses: Bei der letzten Vorstellung, als das Stück bereits abgesetzt war (also die Durchsetzung von ästhetischen Positionen nicht mehr bezweckt werden konnte), kam es zu „Lärmszenen und Prügeleien“36, während es bei den vorhergegangenen Vorstellungen zu keinerlei Vorkommnissen gekommen war. Und auch die politische Stoßrichtung des Skandals wird schnell klar, wenn man die Zeitungsberichte verfolgt. Zunächst begann alles wie ein „klassischer“ Theaterskandal: bei den Worten „Jesus Christus“ im 2. Akt erhob sich auf den hinteren Parterresitzen und auf der Galerie Lärm und Tumult, nachdem es schon zuvor einige Male zu Füßescharren gekommen war. Durch Pfiffe, Sirenen und Gejohle versuchte ein Teil des Publikums, das Weiterspielen zu verhindern. Nachdem Direktor Beer auf die Bühne getreten war und die Protestierenden aufgefordert hatte, sich an der Kassa ihr Geld zurückgeben zu lassen, ging das Stück weiter, bis bei einer weiteren „anstößigen“ Szene der Lärm von neuem losging. Daraufhin griffen jedoch die übrigen ZuschauerInnen selbst ein: „Zunächst wurde der Kaufmann Kolouek [der den Protest bereits beim ersten Mal angezettelt hatte, K.W.] ins Freie befördert. Wache und Bühnenarbeiter warfen noch etliche andere, widerspenstige Hörer aus dem Saale, es kam zu wüsten Szenen – Maulschellen klatschten, Männer schrieen – dann wurde nach abermaliger Aufforderung des Direktors zur Ruhe weiter gespielt.“37
Nun könnte man auf den ersten Blick denken, dass hier Zuschauer, die sich in ihrer (christlichen) Weltanschauung angegriffen fühlten, mehr oder weniger spontan Einspruch erhoben – wenn nicht sowohl die mit36
Tagesbote, 25.4.1921, M S. 2.
37
Ebd.
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gebrachten Sirenen dagegen sprächen als auch die Tatsache, dass es sich um die letzte Aufführung des Stücks handelte, das davor in den Zeitungen sehr wohl besprochen worden war. Und da Wedekind ja generell als Bürgerschreck bekannt war, war das Stück vorsorglich als Nachtvorführung mit Jugendverbot angesetzt worden. Zudem versammelten sich zum gleichen Zeitpunkt, als im Zuschauerraum der Tumult ansetzte, am Krautmarkt vor dem Theater um die 150 junge Männer, großteils Studenten, die versuchten, das Theatergebäude zu stürmen. Das wurde von der eintreffenden Polizei verhindert, die auch die ersten Randalierer festnahm. Im Anschluss zogen die Studenten durch die Stadt, wobei sie teils friedlich, teils aggressiv auftraten und es zu einigen weiteren Verhaftungen kam. Die tschechische Tageszeitung Lidové noviny beschrieb die Ereignisse folgendermaßen: „Im übrigen ist auch bekannt, dass die deutschen Techniker [d.h. Technikstudenten, K.W.] sonst in den nächtlichen Wirtshäusern und Orten mit zweifelhaftem Ruf genügend Liberalität zeigen. Interessant ist, dass die Demonstrationen der deutschen Studenten auch gegen die Besucher von Wedekinds Stück gerichtet waren und dass besonders deutsche Juden auf den Straßen von den deutschen Studenten beschimpft und angegriffen wurden.“38
Und damit sind wir bei einem zentralen Punkt des Skandals: Es handelte sich offensichtlich weniger darum, vom Theater zu verlangen, blasphemische oder unmoralische Stücke nicht zu spielen, als vielmehr um einen willkommenen Anlass zu offenem Antisemitismus. So hatte auch ein „den Protestparteien nahestehende[r] Gefolgsmann“ dem Theaterkritiker des Brünner Tagesboten gegenüber gemeint: „Man soll doch unser armes deutsches Volk mit Stücken dieser Art unbehelligt lassen. Wenn sie schon gespielt werden müssen, so setze man auf die Ankündigungen: Nur für Juden geeignet und zugänglich.“39 Nun hatte das Theater zwar nicht gerade diese Ankündigung verlautbart, aber doch mit der nächtlichen Aufführungszeit und dem Abspielen des Stücks außer Abonnement jedem und jeder freigestellt, das Stück zu besuchen oder nicht – die Protestkundgebungen richteten sich daher tatsächlich weniger gegen das Theater als vielmehr gegen die BesucherInnen des Stücks, die entweder für „jugendliche, unreife,
38
Lidové noviny, 25.4.1921, M S. 3.
39
Tagesbote, 28.4.1921, M S. 4.
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haltlose Personen“40 oder für Juden und Jüdinnen gehalten wurden – die einen mussten beschützt werden, vor den anderen war dieser Logik zufolge zu schützen. Antisemitische Kundgebungen waren bei Aufführungen Wedekinds in Deutschland durchaus an der Tagesordnung, schon eineinhalb Jahre zuvor war es bei der Münchner Aufführung von Schloss Wetterstein zu völkischen Störversuchen gekommen, die weniger vom Publikum ausgingen als vielmehr (auch) gegen das Publikum gerichtet waren41. Gegen diese Versuche der Bevormundung verwehrte sich in einem langen Artikel der Theaterkritiker Josef Gajdeczka: „Energisch muß es sich aber jeder erwachsene, nur sich selbst verantwortliche Mensch verbieten, daß ihm ein terroristisches Häuflein unerzogener Skandalmacher vorzuschreiben wagt, was er sich im Theater anschauen darf und was nicht.“42
Auf den antisemitischen Grundtenor des Protests hin meldeten sich einige Tage später auch die Angegriffenen selbst zu Wort, und zwar in einer Stellungnahme im Tagesboten, die hier ausführlicher zitiert werden soll: „Gestatten Sie mir ein paar Worte der Abwehr namens des bewußten Dritten, der aber leider nie Gelegenheit hat sich zu freuen, wenn zwei sich streiten, sondern bei solchen Anlässen stets die Kriegskosten zu zahlen hat – namens der Judenschaft Brünns. Wie bei allen möglichen Anlässen der letzen Jahre, Kriegserklärung und Friedensschluß, Sieg und Besiegung, Aufstieg und Zerfall, Blüte und Verderben, immer ist ja der Jude der schuldige Teil43. So hat sich denn auch der letzte Wedekind-Skandal in erster Linie unter dem ‚Schlag‘Worte ‚Gegen die Juden‘ entsponnen. Aber was haben die Brünner Juden mit 40
Tagesbote, 27.4.1921, M S. 5.
41
Vgl. dazu Paul, Aggressive Tendenzen des Theaterpublikums, S. 238ff., Anm. 1.
42
Tagesbote, 28.4.1921, M S. 4.
43
Gerade wenn man bedenkt, dass auch die tschechischen Tumulte um das Stadttheater im März 1920 von antisemitischen Äußerungen durchzogen waren, muss die Schlüssigkeit dieser Feststellung für die Brünner Jüdinnen und Juden zu dieser Zeit besonders einsichtig gewesen sein. Auch bei der Beschlagnahme des Prager Ständetheaters kam es zu antisemitischen Ausschreitungen, vgl. Becher, Kulturpolitische Konfliktherde.
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den Nacht-Vorstellungen überhaupt, mit Wedekind, mit der Bildung des Spielplanes, und mit der ganzen Theaterführung zu tun? Das Eine, daß sie der Mehrheit nach leidenschaftliche Theaterbesucher sind und für die Erhaltung des Theaters, ich betone, des deutschen Theaters zu jedem Opfer bereit sind. Die Mitgliederliste des Theatervereines dürfte in dieser Hinsicht eine genaue Ziffernsprache reden. Entspricht der Einfluß der Brünner Juden in der Leitung des Theatervereines und des Theaters selbst diesen Tatsachen? Ja, haben die Juden einen solchen Einfluß je angestrebt? Die Meinung über die Angelegenheit Schloß Wetterstein ist unter den Juden genau so geteilt, wie unter den Ariern, nur daß die Juden durchaus nicht dem Theaterdirektor oder dem Theaterverein ihre Meinung aufdrängen. Oder will man durch die Angriffe die Juden vom Theaterbesuche abhalten? Wird das der Brünner Theaterverein, wird das das Brünner deutsche Theater vertragen? Mehrere Juden.“44
Diese Fragen sind durchaus angebracht, und während es in den nächsten Jahren so aussah, als hätten sie an Relevanz verloren, tauchten sie in den dreißiger Jahren vermehrt wieder auf, bis sich schließlich der Theaterverein 1938 über den versuchten Einflussnahmen der NationalsozialistInnen auflöste und das Ensemble sich in eine völkische, antisemitische und eine demokratische Gruppe teilte. Schon wenige Wochen vor dem Wedekind-Skandal hatte, ebenfalls wegen antisemitischen Protests, ein Gastvortrag Alexander Moissis verschoben werden müssen45, ein halbes Jahr später wurde ein antisemitischer Skandal anlässlich der Aufführung von Henry Bernsteins Stück Israel, das den Antisemitismus zum Thema hat, zwar angekündigt, jedoch nicht „aufgeführt“. Bereits der Zensor hatte befürchtet, dass das Stück in den „hiesigen deutschen antisemitischen Kreisen“46 44
Tagesbote, 1.5.1921, M S. 4.
45
Vgl. Prager Tagblatt, 27.4.1921, S. 6: „Dieselben Kreise, die die dritte Wiederholung von Wedekinds ‚Schloß Wetterstein‘ durch einen Theaterskandal zu seiner letzten machten, erzwangen von der Leitung des Deutschen Hauses die Verweigerung des großen Festsaales für einen Vortragsabend Alexander Moissis, der ein ‚jüdischer Kommunist‘ sei. Ob er vortragen könne, kommt ja weniger in Betracht.“
46
Zensurakt vom 19.9.1923, MZA, B26 polic. ed., kart. 2411. Im September 1919, als das Národní divadlo um Spielerlaubnis angesucht hatte, hatte der Brünner Zensor noch empfohlen, die Aufführung auf einen späteren Zeitpunkt zu verlegen, „bis sich die heutige antisemitische Stimmung des [tschechischen] Publikums beruhigt“ hätte. Zensurakt vom 3.9.1919, ebd.
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zu Demonstrationen führen könnte. Der „Ironimus“ des Tagesboten beschrieb die erwartungsvolle Haltung des Publikums und unterstrich gleichzeitig nochmals die Bedeutung des jüdischen Publikums für die Vereinigten deutschen Theater in Brünn: „Am Abend saß ich im Theater. Nicht Bernsteins wegen, den liebe ich nicht, sondern der Demonstration wegen. Die liebe ich. Und wartete. Viele andere offenbar auch, denn das Theater war, trotzdem es nicht die Erstaufführung war, gut besucht. Alles Gute, auch eine Demonstration, kommt von oben47. Jede Weile, wenn sich etwas regte, drehte ich mich mit vielen anderen um, denn wir dachten, jetzt kommt es. Aber es kam nichts. Oder doch. Als gerade ein Herr auf der Bühne die Worte sprach: ‚Juden heraus!‘, trampelte ein junger Trampel ‚fritsch‘ [sic] drauf los. Das war die ganze Demonstration. Ich glaube, selbst der hat es nicht ernst gemeint, denn wenn die Juden in Brünn wirklich aus dem Theater herausgingen, wer bliebe drin?“48
Auch die versuchte Verhinderung von Schnitzlers Reigen im Februar 1921 stand unter antisemitischen Vorzeichen49. Das jüdische Publikum zu verprellen, konnte sich das Theater allerdings tatsächlich nicht leisten50. Guido Glück, der langjährige Dramaturg des Brünner deutschen Theaters51, schrieb in seiner 1922 erschienenen Broschüre Zur Brünner Theaterfrage über das Brünner Publikum: „Sehr viel kommt auf die Zusammensetzung des Publikums an. Wie in allem, was mit dem Theater zusammenhängt, ist auch bei uns der jüdische Einschlag sehr groß. Wir brauchen deshalb noch kein jüdisches Theater zu machen, aber der moderne Einschlag, an dem auch der beste und reinste Arier sein ungetrüb47
Dies ist eine Anspielung darauf, dass ein Theaterskandal – zumindest in dieser Zeit – meist von den billigsten Plätzen, also der Galerie, ausging.
48
Tagesbote, 24.11.1923, M S. 5.
49
Vgl. Bondi, Geschichte des deutschen Theaters, S. 153.
50
Das war allerdings nicht der Hauptgrund für die Zurückhaltung des Theaters mit völkischen und antisemitischen Stellungnahmen, sondern das Brünner deutsche Theater zeigte bis 1938 immer wieder seine demokratische Grundhaltung.
51
7.1.1882 Barca, Italien – 18.8.1954 Brünn, seine Eltern stammten aus Mähren, 1885 kehrte die Familie nach Brünn zurück. Mittelschulprofessor und Journalist, 1923-1932 Regisseur und Dramaturg des Brünner deutschen Theaters.
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tes Vergnügen haben kann, wird unserem Theater nicht fehlen dürfen; die richtige, gemischte Kost wird auch hier die allerbekömmlichste sein.“52
Die StudentInnen der Brünner Deutschen Technischen Hochschule, die an vielen Theaterskandalen führend beteiligt waren, fielen immer wieder durch nationalistische Demonstrationen und antisemitische Auftritte auf. Arno Paul erklärt die häufige Präsenz von Studierenden bei Theaterskandalen mit deren ambivalenter Rolle in der Gesellschaft und der damit zusammenhängenden Diskrepanz zwischen ihrem Selbstbild als zukünftiger Elite der Gesellschaft und ihrem schlechten aktuellen sozialen Status.53 Diese Beschreibung der Studenten des 18. Jahrhunderts trifft auf Studierende generell zu, insbesondere aber auf die deutschen StudentInnen der Ersten Tschechoslowakischen Republik. Sie konnten sich deutlich schlechtere Chancen am Arbeitsmarkt ausrechnen als ihre tschechischen KollegInnen, da nach 1918 höher qualifizierte Stellen, die ein Studium voraussetzten, vorzugsweise mit tschechischen AbsolventInnen besetzt wurden und gleichzeitig mit dem Ende der Monarchie auch deren großer Arbeitsmarkt weggefallen war. Da es, wie gezeigt wurde, den Demonstrierenden bei diesem Skandal weniger darum gegangen zu sein scheint, künstlerische Positionen durchzusetzen, muss etwas anderes das Ziel der Demonstration gewesen sein. Dieses lag demnach vielmehr in der Durchsetzung gesellschaftlicher Positionen, und zwar darin, festzuhalten, wie die Identität des „deutschen Brünn“ auszusehen habe – nach Ansicht der DemonstrantInnen „arisch“ und christlich. Der Grund für das Aufbegehren lag also darin, dass das Theater für die Demonstrierenden offensichtlich das Brünner Deutschtum repräsentieren sollte; deshalb war Schloss Wetterstein ein Skandal. Denn was wäre tatsächlich der Effekt davon gewesen, auf das Theaterplakat, wie oben polemisch gefordert, die Ankündigung „nur für Juden geeignet und zugänglich“ zu platzieren? Spinnt man die zu dieser Zeit noch absurd anmutende Idee einer Trennung der Zuschauergruppen nach rasseideologischen Vorgaben weiter, so hätte diese Ankündigung doch wohl weniger das „arische“ Publikum tatsächlich vom Besuch der Vorstellung abgehalten als vielmehr öffentlich demonstriert, dass die Vorführung dieses Stücks nicht für das (rassisch verstandene) Brünner Deutschtum stehe. Die DemonstrantInnen versuchten also, die Dis52
Guido Glück. Zur Brünner Theaterfrage. Brünn: Selbstverlag, 1922, S. 29.
53
Vgl. Paul, Aggressive Tendenzen des Theaterpublikums, insbes. S. 156ff.
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kurshoheit in der Frage zu erlangen, was genau unter dem „Brünner Deutschtum“ zu verstehen sei, welche „deutsche Identität“ vom Theater repräsentiert werden sollte. Ernst Toller, Hinkemann Beim nächsten größeren Skandal schließlich versuchten die Randalierenden schon gar nicht mehr, mit ästhetischen Einwänden zu argumentieren, sondern übten offen rechten Terror aus und nahmen selbst die Gefährdung von Menschenleben in Kauf. Es handelte sich auch hier um ein besonders skandalträchtiges Stück, das davor bereits in Berlin, Wien und Dresden zu heftigen hakenkreuzlerischen Protesten geführt hatte – die Rede ist von Ernst Tollers Hinkemann. Das Stück zeigt, wie das Leben und die Ehe von Eugen Hinkemann, der durch eine Kriegsverletzung sein Geschlecht verloren hat, an der brutalen Umwelt der Nachkriegszeit zerbrechen. Während im Stück nichts auch nur irgendwie „Unsittliches“ gezeigt wird, sorgte vor allem Hinkemanns Verletzung für Empörung. Während eben diese Verletzung auch meist als Grund für die Skandale, die das Stück in vielen Städten auslöste, genannt wurde, lag der wahre Grund für die Entrüstung der ZeitgenossInnen wohl eher in der schonungslosen Darstellung des Umgangs der Nachkriegsgesellschaft mit den Nöten der Kriegsheimkehrer und ihrer Frauen. Zunächst sah es so aus, als würde der Skandal in Brünn ausbleiben; während aufgrund der Vorkommnisse in anderen Städten ein Skandal regelrecht erwartet wurde, ging die Vorstellung – eine Vormittagsmatinee der deutschen Sozialdemokratie mit Wiener Gästen in den Hauptrollen – ruhig vorüber. Nur über einen Fehlalarm bei der Feuerwehr während der Vorstellung berichtete der Tagesbote des nächsten Tages. Während er in dieser Meldung nur feststellte, dass „[d]ie Vermutung, daß durch den Feuerlärm die Fortsetzung der Aufführung gestört oder unmöglich gemacht werden sollte, [...] nicht von der Hand zu weisen [ist]“54, nannten die Lidové noviny bereits eine Panik im Theater als mögliche Konsequenz55. Tatsächlich stellte sich kurz darauf heraus, dass es sich um eine gezielte, lange vorbereitete Aktion gehandelt hatte – die wiederum weniger das Theater, als vielmehr das Publikum hätte treffen sollen. 54
Tagesbote, 27.10.1924, M S. 2.
55
Vgl. Lidové noviny, 27.10.1924, M S. 2f.
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Was war passiert? Ein Mann hatte die Feuerwehr angerufen und einen Brand im Stadttheater gemeldet – er nannte sich angeblich Nowotny, sprach aber laut Lidové noviny schlechtes Tschechisch. Während nun neben der Berufsfeuerwehr sämtliche freiwillige Feuerwehrtruppen sowohl aus Brünn als auch aus der näheren Umgebung ausrückten, sollte im Theater selbst durch „Feuer“-Rufe eine Panik im Publikum ausgelöst werden. Dieser Teil des Plans wurde jedoch dadurch verhindert, dass die dafür abgestellten Burschen sich verplapperten und ein aufmerksamer Sitznachbar den im Theater diensthabenden Feuerwehrmann verständigte, welcher wiederum drei Wachmänner zur Bewachung der Verdächtigen während der Vorstellung holte. Sowohl Hakenkreuzler als auch Deutsch-Nationale hatten bereits im Vorfeld versucht, die Vorstellung von Hinkemann zu verhindern, doch da sich der Parlamentsabgeordnete und Vorsitzende der Deutschen Sozialdemokratischen Arbeiterpartei Ludwig Czech beim Landesamt für die Aufführung eingesetzt hatte, war das Stück genehmigt worden; auch eine versuchte Intervention beim Theaterdirektor Höllering war erfolglos geblieben56. Auch hier ging es offensichtlich also nicht darum, den Theaterspielplan zu beeinflussen – das Stück war gar nicht im Zuge des eigentlichen Spielplans, geschweige denn des Abonnements zu sehen, sondern bei eigenen Veranstaltungen, deren Träger nicht das Theater, sondern die Deutsche Sozialdemokratische Arbeiterpartei war. Vielmehr war diese Aktion ein gezielter Angriff auf die Personen, die sich ein solches Stück ansahen oder Veranstaltungen der DSAP besuchten. Die Wahl des Theaters als Angriffsort hatte dabei den Vorteil, dass dieses Ziel hinter angeblichen künstlerischen Bedenken verschleiert werden konnte – während bei einem Angriff auf eine Parteiveranstaltung der terroristische Sinn und Zweck offensichtlich würde, wehrte man sich in diesem Fall scheinbar gegen „Schmutz und Schund“. Der Urheber des Fehlalarms blieb überhaupt anonym, somit konnte jegliche Verbindung zu politischen Parteien abgestritten werden. Der Volksfreund, die Zeitung der Brünner deutschen Sozialdemokratie, war verständlicherweise besonders empört über den Vorfall und schrieb:
56
Vgl. außer den hier zitierten Quellen Tagesbote, 29.10.1924, A S. 1; außerdem die Akten zu Hinkemann in MZA, B26 polic. ed., kart. 2412 und kart. 2422.
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„Es wird auch nicht gelingen, den auf der Hand liegenden moralischen Zusammenhang zu verwischen, der zwischen den Vollzugsorganen dieser gemeinen Lumperei und den ‚geistigen‘ Urhebern besteht. Denn aus dem ‚Geiste‘ des Hakenkreuzlertums ist dieser mißglückte Versuch eines Angriffs auf das Leben und die geraden Glieder von Hunderten von Menschen erfolgt. Er trägt in seiner feigen Niedertracht alle Merkmale der Methoden, mit denen das Hakenkreuzlertum den deutschen Namen schändet und den berechtigten Zorn aller sittlich empfindenden Menschen gegen sich erregt.“57
Nach diesem erfolglosen Versuch eines Theatertumults wurde das Stück wegen des großen Erfolges nicht wie geplant nur einmal, sondern bis Dezember immer wieder gespielt. Der nächste erwartete Skandal, bei Zuckmayers Fröhlichem Weinberg im Februar 1926, der ebenfalls in einigen Städten zu Protesten geführt hatte, blieb allerdings aus. Die Bohemia schrieb, nach einer Schilderung der Vorkommnisse in anderen Städten: „Man war daher gespannt, ob nicht auch Brünns Theatergemeinde zu dieser drastischen Art der Ablehnung greifen würde, zumal Brünn, ob mit Recht oder Unrecht, sei dahingestellt, zu den moralischesten [sic] Städten der Republik gezählt wird.“58
Doch diesmal blieb alles ruhig, der versuchte Anschlag auf die Hinkemann-BesucherInnen blieb in der Zwischenkriegszeit der letzte Brünner Theaterskandal, der sich an einem Stück entzündete. Der Frage, woran das lag, soll im Folgenden kurz nachgegangen werden, auch wenn die Überlegungen dazu notgedrungen spekulativ bleiben müssen. Davor soll noch in Kürze auf ein weiteres Vorkommnis im Theater eingegangen werden, das von den Zeitungen ebenfalls als Theaterskandal tituliert wurde. Es handelt sich hierbei um den Protest einiger TechnikStudenten im Stadttheater anlässlich der Zehnjahresfeier der Republik im Oktober 1928. Das deutsche Theater beging die Feier mit der Aufführung der Oper Herbststurm von Frantiek Neumann, dem Direktor des Brünner Národní divadlo. Als die Staatshymnen, mit denen die Feier begonnen hatte, zu Ende waren,
57
Volksfreund, 28.10.1924, S. 3.
58
Bohemia, 26.2.1926, S. 5.
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„erscholl aus der linken großen Seitenloge des zweiten Ranges, in der vier junge Leute saßen, eine laute Stimme. Ein junger Mann war an die Brüstung getreten und begann wie folgt zu sprechen: ‚Im Namen der deutschvölkischen akademischen Jugend erhebe ich feierlich Einspruch gegen diese Festvorstellung, zu der kein Anlaß vorliegt.‘“59
An weiteren Verlautbarungen wurde er dadurch gehindert, dass das Orchester mit der Ouvertüre begann, daraufhin wurden die vier verhaftet. Interessant ist hierbei auch der Punkt, dass die Studenten für ihre „Darbietung“ offensichtlich entweder eigens eine Loge angemietet hatten, oder die ihrer Eltern nutzten – jedenfalls hatten sie damit einen weit auftrittsmächtigeren Ort gewählt als den sonst üblichen Ausgangspunkt von Krawallen, nämlich die Galerie, von der aus man schlecht gehört und kaum gesehen wird. Die Logen jedoch, die ja auch architektonisch auf das Gesehen-Werden ausgerichtet sind, boten eine wesentlich theatralere Bühne für die geplante Performance. Bei dem erst 1931 folgenden Prozess gegen die Studenten wegen des Verstoßes gegen das Gesetz zum Schutz des Staates war der Direktor der Hauptzeuge der Anklage. Die Studenten waren zuvor in seinem Büro erschienen, „um gegen seine Entscheidung zu protestieren und Forderungen zu stellen: Die geplante Veranstaltung müsse abgesagt, die Abonnenten dürften nicht zur Teilnahme gezwungen werden.“60 Demetz’ Aussage, „dass sich die Sache schon seit Anbeginn nur gegen die Festvorführung wandte und nur gegen diese gehetzt wurde“61, die mit dazu beitrug, dass das Gericht den Straftatbestand der Verhetzung und den „Versuch der Aufwiegelung gegen den Staat, seinen Bestand, gegen seine Selbständigkeit, seine verfassungsmäßige Einheit und seine demokratisch-republikanische Form“62 bewiesen sah und ein dementsprechend hartes Urteil fällte, nahmen ihm die Deutschnationalen sehr übel63. 59
Bohemia, 31.10.1928, S. 4.
60
Peter Demetz. Mein Prag. Erinnerungen 1939 bis 1945. Wien: Zsolnay, 2007, S. 151.
61
Abschrift des Brünner Bezirksgerichts vom 23.1.1931. Ich danke Peter Demetz für eine Kopie des Urteils.
62
Ebd.
63
Der Vorwurf, dass durch seine Aussage „ein deutscher Mann ins Kriminal gebracht wurde“ tauchte beispielsweise auf der Hauptversammlung des Deutschen Hauses im Mai 1931 auf (vgl. Tagesbote, 20.5.1931, A S. 2f.,
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Wie oben erwähnt vertritt Arno Paul die These, dass ein Theaterskandal weniger ein ästhetisches, als vielmehr ein gesellschaftliches Phänomen ist, bei dem es nicht so sehr um geschmackliche, als um Machtfragen geht, die unter den VertreterInnen der verschiedenen Interessen verhandelt werden. Diese sind dabei meist nicht so sehr die Theaterleute, als vielmehr verschiedene gesellschaftliche Gruppen, also Teile des Publikums – bzw. in Brünn auch Teile der tschechischen Gesellschaft –, die das Theater als Anlass und/oder Ort ihrer Kämpfe benutzen. In der SR herrschte nach der Gründung der Republik einige Jahre lang ein Zustand nationaler Anspannung sowohl von deutscher als auch von tschechischer Seite – immer wieder kam es zu Zusammenstößen, zu nationalen Demonstrationen, eine gewisse Aufgeregtheit beherrschte auch den Ton der Zeitungsberichte. Die Räterepublik in Süddeutschland wurde mit ebenso wachen Augen beobachtet wie die Restaurationsversuche des Exkaisers Karl in Ungarn und Österreich, kommunistische Unruhen und Streiks standen auch in der Tschechoslowakei an der Tagesordnung. In der aufgeheizten Atmosphäre dieser Jahre lagen die – nationalen, politischen – Nerven aller AkteurInnen blank, gegenseitige Provokationen kamen weitaus häufiger vor als Beschwichtigungsversuche. Diese Stimmung schlug sich natürlich auch auf die Theater nieder, die einerseits, wie in einem der nächsten Kapitel zu sehen sein wird, selbst zur Sprache der Demagogie griffen, andererseits rasch ins Schussfeld handfester Kritik gerieten. Auffällig ist dabei das wiederholte Auftreten der Studenten, die offensichtlich versuchten, ihre Vorstellungen von Brünner deutscher Identität durchzusetzen. Dies gelang ihnen jedoch nicht: Ab Mitte der zwanziger Jahre hatten sich die nationalen Verhältnisse in Brünn anscheinend eingespielt und die Studierenden verlegten ihre Tätigkeit anscheinend auf andere Felder. Dass Theaterskandale ab dieser Zeit in Brünn so gut wie gar keine Rolle mehr spielten, mag also auch an der Beruhigung der Gemüter liegen. Insbesondere in Brünn entwickelte sich das Zusammenleben der Nationen vielversprechend, am Theater, genauer in der Oper, kam es sogar zur Zusammenarbeit des deutschen und tschechischen Ensembles. Innerhalb der deutschen Bevölkerung hatten die aktivistischen Kräfte, deren Engagement im tschechoslowaS. 2). Peter Demetz nennt die Aussage in dem Prozess als einen der möglichen Gründe für das Ausscheiden seines Vaters aus dem Brünner Theater (Persönliches Gespräch mit Peter Demetz, Prag, 23.3.2006).
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kischen Staat mit der Regierungsbeteiligung 1926 ein deutliches Zeichen setzte, in Brünn lange eine Mehrheit. Und schließlich konzentrierte sich die deutschnationale und nationalsozialistische Rechte bis zur „Machtergreifung“ Hitlers in Deutschland auf andere Ziele als das Theater, das erst mit dem Einfluss NS-Deutschlands und der dortigen Instrumentalisierung des Theaters für Propagandazwecke zum umkämpften „Kulturgut“ wurde. Bis dahin hatte sich allerdings auch die Taktik geändert, statt Theaterskandale zu provozieren, wurden in den späten dreißiger Jahren offen die „undeutschen“ Verhältnisse und einzelne jüdische oder sozialdemokratische Theaterdirektoren angegriffen. Zumindest für die SdP und ihre AnhängerInnen hatte sich die Vorstellung von deutscher Identität auf rassischer Grundlage geklärt.
IV.3 D IE O PER ALS UMKÄMPFTES „ NATIONALES G UT “ UND O RT DER Z USAMMENARBEIT Die Rolle der Brünner deutschen Oper bewegte sich zwischen zwei entgegengesetzten Polen. Als prestigeträchtiger Ort des Brünner Deutschtums, wegen des permanenten Geldmangels jedoch immer wieder von der Auflösung bedroht, wurde die Oper einerseits zum national heiß umkämpften Schauplatz, der um jeden Preis verteidigt werden musste. Andererseits stellte gerade sie den Ort dar, an dem die ersten Kooperationen von tschechischen und deutschen BrünnerInnen stattfanden; das Verhältnis von tschechischem und deutschem Opernensemble und der jeweiligen Opernchefs zueinander war stets ein gutes. Dieser ambivalenten Stellung zwischen „nationalem Kulturgut“ und Ort der Zusammenarbeit soll in diesem Kapitel nachgegangen werden. Die Oper als „nationales Bollwerk“ Die Oper war als diejenige Gattung, die sowohl von der Wirkung am meisten auf die große Bühne angewiesen ist, als auch von der Rentabilität her den großen Zuschauerraum benötigt, am stärksten von der neuen Situation nach 1918 betroffen. Oper ist eine teure Angelegenheit, die SolistInnen verdienen besser als im Sprechtheater, vor allem aber muss das Orchester bezahlt werden. Zudem lagen die großen Opernhäuser Wiens und Prags nur wenige Fahrtstunden von Brünn
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entfernt, Brünn stellte einen beliebten Gastspielort dar – was läge also in den schweren Finanzkrisen des Brünner Theaters näher, als an eine Auflassung des Opernbetriebs zu denken, zumindest bis zum Bau des geplanten neuen Theaters? Und tatsächlich tauchte diese Überlegung recht bald auf, immer wieder wurden Für und Wider eines eigenen Opernbetriebs in den Zeitungen diskutiert. Die Argumente, die dabei von den OperngegnerInnen, aber insbesondere von den OpernbefürworterInnen ins Treffen geführt wurden, sind für die Rolle der Oper in einer Provinzstadt sowie für ihre Aufgabe im „Nationalitätenkampf“ aufschlussreich. Ausgangspunkt für die Überlegungen war die schwierige Situation der Oper, die hier kurz skizziert werden soll. Auf die Probensituation auf einer ungenügenden und einer nur kurzzeitig zur Verfügung stehenden Bühne wurde weiter oben bereits eingegangen64; der dort zitierte Bericht von Kapellmeister Janowsky führte als weitere Probleme an, dass das Notenmaterial mit der tschechischen Oper geteilt werden musste – was vor allem dann zum Problem wurde, wenn beide Theater dieselbe Oper auf dem Programm hatten –, sowie die schlechte Bezahlung von Chor und Orchester. Diese führte dazu, dass der Chor zum großen Teil aus AnfängerInnen bestand, von denen offensichtlich die wenigsten tatsächlich die Texte konnten, und dass die Orchestermitglieder nebenbei als Kaffeehaus-MusikerInnen auftreten mussten, um ein zusätzliches Einkommen zu haben. Das Niveau der Oper, so sein Schluss, wäre daher weniger eine Frage der Kompetenz von Direktor oder Opernchef, sondern vor allem eine der Finanzen65. Dass diese so schlecht waren, lag seiner Meinung nach auch an der ungenügenden Unterstützung durch das Publikum, das in diesem Artikel auch kritisiert wird: „Das Interesse unseres Publikums für sein Theater, für seine Oper ist so groß, daß eine Oper in Brünn sage und schreibe nicht mehr als durchschnittlich zweimal gegeben werden kann; es ist geradezu ein Ereignis, wenn eine Oper außer Miete oder als Vereinsvorstellung ein drittes oder gar ein viertes Mal gegeben wird. Das Stadttheater steht uns in 43 Wochen zweimal wöchentlich zur Verfügung. Wir können also an 86 Abenden Opern geben und da wir, wie gesagt, eine Oper durchschnittlich nur zweimal aufführen, sind wir gezwungen, in der Saison 86 : 2 = 43, sagen wir rund 40 Opern herauszubringen, das heißt jede 64
Vgl. Kap. IV.1, S. 143f.
65
Tagesbote, 16.3.1922, M S. 6f.
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Woche eine Oper! Ich sage, wir müssen sie herausbringen, denn Brünn ist heute ein auf Einnahmen bedachtes Geschäftstheater, das sich leider nicht mehr den Luxus erlauben darf, einige leere Häuser mit in den Kauf zu nehmen; [...] Wenn wir ein jahrelang eingespieltes Ensemble hätten, eine Kleinigkeit. [...] Diese peinliche Geldknappheit, das Resultat vollkommener Teilnahmslosigkeit des Publikums, hat wieder zur Folge, daß die durch Abgänge entstandenen Lücken immer mehr und mehr durch billige Anfänger ausgefüllt werden, deren es heuer in der Oper schon 43 v.H. gibt und für die selbstverständlich die geforderten 40 Opern 40 Novitäten sind.“66
Hierbei muss allerdings bedacht werden, dass Zeitungsartikel oft ein bestimmtes Ziel verfolgen – insbesondere, wenn sie, wie hier, von „Betroffenen“ selbst geschrieben wurden. Janowsky wollte in diesem Artikel auf die schlechte finanzielle Lage des Theaters hinweisen (vermutlich auch um das Publikum bzw. die BrünnerInnen überhaupt zu größeren Zuwendungen zu bewegen) und stellte daher die Lage besonders drastisch dar. Aus den Spielplänen geht hervor, dass zwar eine Oper tatsächlich durchschnittlich nur 2,4 Mal aufgeführt wurde; allerdings standen einzelnen Opern, die nur ein einziges Mal pro Spielzeit auf dem Spielplan auftauchten, andere gegenüber, die durchaus fünf bis acht Mal gegeben wurden. Durchschnittlich wurden bis 1934/35 35 Opern pro Saison aufgeführt, danach sind die Zahlen nicht mehr vergleichbar, da die Vereinigten deutschen Theater nur noch einen Spieltag im Landestheater zur Verfügung hatten. 1925 wurde die Frage nach Auflassung der Oper erstmals breiter in der Öffentlichkeit diskutiert. Unter dem Titel „Für unser Theater“ unterbreiteten verschiedenste am Theaterleben Interessierte Vorschläge, wie die Finanznot des Theaters gelindert werden könnte, dabei wurde auch die Opernfrage berührt. Den Auftakt machte ein Aufruf des Musiktheaterkritikers des Tagesboten, Dr. Hans Flögl: Die Brünner Deutschen sollten dazu beitragen, das Theater im momentanen Zustand – also inklusive Oper – zu erhalten. Ein anonymer Theaterfreund antwortete: „Ein Ausweg wäre allerdings auch bei drohender Sperrung der Oper noch möglich, und zwar entweder der, daß alle Gesinnungsgenossen des Herrn Dr. H. F. den Betrag für die Weiterführung der Oper jährlich unter sich aufbringen und so den schönen Worten auch die Tat folgen lassen, oder aber so viele Stam66
Ebd., Hervorhebung N. J.
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mieter für die Oper aufbringen, welche gleichzeitig Mitglieder des Theatervereines sein müssen, daß dadurch die Mehrkosten der Oper gedeckt wären.“67
Darauf erwiderte Flögl: „[E]s liegt an der Gesamtheit unserer deutschen Bevölkerung, durch Geldopfer im Rahmen ihrer wirtschaftlichen Kraft zu beweisen, ob und inwieweit es ihr um die Erhaltung unseres Theaters als Kulturstätte geht. [...] Die Ausschaltung der Oper auf drei bis vier Jahre wäre gleichbedeutend mit ihrer gänzlichen Abschaffung. Daß sich ein eingespielter Apparat, wie ihn unsere Oper bietet, nicht auf den Wink erneuern läßt, weiß jeder mit dem Bühnentechnischen Vertraute. Wie aber in der Zwischenzeit Gesamtgastspiele fremder Opernkräfte ohne eigenes Orchester und eigenen Chor verwirklicht werden sollen, bedürfte weitergehender Erörterungen seitens der Gesinnungsgenossen des Einsenders. Und auf welcher Bühne denkt sich der Herr Einsender solche Operngastspiele, wenn wir durch Aufgabe des eigenen Opernbetriebes unsere Teilhaberrechte am Stadttheater selbst gefährden? Jedes Volk hat das Theater, das es haben will und verdient. Wenn unserem Musikbedürfnis die Operette genügen sollte, dann verdienen wir gar kein Theater.“68
Die Oper hat also hier die Aufgabe, aus einer Durchschnittsbühne, die der Unterhaltung dient, eine „Kulturstätte“ zu machen; dass man dieser Argumentation ohne Weiteres eine Wendung zur Betonung der „deutschen Kulturstätte“ geben kann, verdeutlicht folgendes Zitat einige Jahre später, das von einer Feststellung des Unterrichtsministers Dérer ausgeht, der meinte, dass in Brünn eine Oper zu viel existiere69: „Ob Auflassung der deutschen Oper schlechtwegs oder Angliederung an den tschechischen Opernbetrieb – es wäre in dem einen wie im anderen Falle 67
Tagesbote, 8.2.1925, M S. 4.
68
Ebd.
69
Die logische Folgerung daraus, nämlich die Auflassung der deutschen Oper, wird vom Minister zwar nicht gezogen, doch hier vom Kommentator durchaus schlüssig nahegelegt. Zwar ist die Aufregung des Kommentars sicherlich übertrieben – schließlich ist niemals tatsächlich von der Auflassung der deutschen Brünner Oper die Rede gewesen, auch wäre es dem Unterrichtsminister nicht möglich, diese zu diktieren – doch das überrascht in Anbetracht des in Brünn herrschenden Eindrucks der permanenten Bedrohung zumindest des Opernbetriebs nicht wirklich.
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gleichbedeutend mit einer Preisgabe unserer nationalen Selbständigkeit. Denn an unserer Oper hängt nicht nur der Musikfreund – es geht um unsere heimische deutsche Kunst schlechtwegs, um unser deutsches Theater, um einen altgewohnten Treffpunkt deutscher Geselligkeit, um eines der geistigen Zentren des gesamten Sudetendeutschtums. [...] Mit unserer deutschen Oper steht und fällt unser Theater als Kulturstätte, als national zu wertendes Gut.“70
Wollten die Brünner Deutschen also ihre kulturelle Gleichrangigkeit, wenn nicht Überlegenheit, den TschechInnen gegenüber demonstrieren, durfte auf die Oper nicht verzichtet werden. Doch außer diesen Überlegungen war es auch fraglich, ob die Auflassung der Oper tatsächlich die erhofften Einsparungen bringen würde: „Die Auflassung der Oper hätte wohl eine Ersparnis an Gagen, gewiß aber eine wahrscheinlich ziffernmäßig viel größere Verringerung der Einnahmen, hauptsächlich einen erheblicheren Rückgang der Stammiete zur Folge. Die Unterstützungen, die wir heute für den vollen Theaterbetrieb erhalten, würden jedenfalls eine weitere Herabsetzung erfahren und es ist fraglich, ob man uns für Operette und Schauspiel allein das Stadttheater belassen würde, auf dessen unbedingte Notwendigkeit für den Opernbetrieb wir uns stets berufen haben. Daß es für den Theatervereinsvorstand auch kein leichter Entschluß wäre, das Brünner deutsche Theater, das seit 200 Jahren die Oper pflegt, zu einer minderwertigen und künstlerisch belanglosen Provinzbühne herabzudrücken und mindestens 60 Angestellte des Theaters brotlos zu machen, braucht wohl nicht hervorgehoben zu werden.“71
Diese beiden Zitate weisen, und das ist hier besonders wichtig, auf die identitätsstiftende Rolle der Oper hin: Seit 200 Jahren wurde am Brünner deutschen Theater Oper gespielt72, würde man sie jetzt aufgeben, käme das einer Kapitulation der deutschen Kunst vor den politischen Verhältnissen gleich; einer Kapitulation, die für das Opernpublikum 70
Tagesbote, 29.3.1930, M S. 1.
71
„Rechenschaftsbericht des Vereinsvorstandes des Brünner Deutschen Theatervereins“, Tagesbote, 15.12.1924, M S. 1.
72
Dass in dieser Argumentation die vor-nationale Operngeschichte Brünns, als am Theater in erster Linie italienische und französische Opern gespielt wurden, der deutschen Tradition zugeschlagen wird, ist eine der üblichen Strategien nationaler Kulturgeschichtsschreibung. Zur multinationalen Geschichte der Brünner Oper vgl. Havlíková, Profesionální divadlo.
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weitaus mehr bedeuten würde, als den Verzicht auf regelmäßige Opernaufführungen. Denn die beiden wöchentlichen Opernaufführungen im Stadttheater stellten ungleich wichtigere gesellschaftliche Ereignisse dar als die täglichen Vorführungen auf den lange Jahre nur als „Nottheater“ bezeichneten kleineren Bühnen. Dabei trafen zwei Punkte zusammen: einerseits das höhere soziale Prestige einer Opernaufführung gegenüber einer Operette oder einem Schauspiel, und andererseits der jetzt als Ausnahme geltende Besuch des klassischen Logentheaters, in dem mindestens ebensoviel Wert auf „Gesehenwerden“ wie auf „Sehen“ lag, wo jeder Abonnent, jede Abonnentin, seinen oder ihren Stammsitz hatte, wo sich die deutsche Gesellschaft traf, wie auch das oben angeführte Zitat mit seiner Betonung der „deutschen Geselligkeit“ hervorhebt. Dass der Besuch der Oper, besonders im Abonnement, nicht nur der Kunst wegen unternommen wurde, sondern nicht zuletzt wegen des gesellschaftlichen Ereignisses, kann angenommen werden und geht auch aus den oftmaligen Abhandlungen von Theaterkanzlei und Kritik zum Thema Abonnement-Publikum hervor. Dass das Prestigeobjekt Oper auch ein Vergleichsmedium der Konkurrenz einzelner Städte miteinander war, dessen Existenz, wie in den beiden obigen Zitate zu sehen, den Unterschied zwischen einer „Kulturstätte“ und einer „minderwertigen und künstlerisch belanglosen Provinzbühne“ ausmachte, zeigt sich auch in einer Diskussion zwischen Direktorenverband und Verband deutscher Theatererhalter, in der vom Verband der Theatererhalter „mit Genugtuung“ festgestellt wird, dass „in Deutschland an zahlreichen Theatern die Oper aufgelassen werden mußte“73, während in der Tschechoslowakei weiterhin an acht Bühnen der Opernbetrieb aufrechterhalten werden konnte. Krise hin oder her, Oper musste also unbedingt gespielt werden, schon allein, um das eigene hohe kulturelle Niveau zu beweisen. Die dafür benötigten finanziellen Mittel kamen allerdings in den Städten ohne deutsche Mehrheit, also auch in Brünn, weniger aus Subventionen, als vom Theaterverein, der das Theater betrieb, die Direktoren bestellte und auch für das Defizit aufkommen musste. Denn wie aus den trockenen Ausführungen des Theatersekretärs Gustav Bondi hervorgeht, war es der Theaterverein, der wohl oder übel für den Ausfall der Zahlungen der Stadtgemeinde nach 1918 aufkommen musste:
73
Bohemia, 10.11.1926, S. 5.
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„Jedes künstlerische und nicht rein geschäftlich geführte Theater, das wie wir, alle Spielgattungen zu pflegen hat, hat immer und überall eines Zuschusses bedurft. Hier in Brünn wurde er bis zum Umsturz aus Steuergeldern bestritten, und in Städten wie Aussig, Teplitz, Reichenberg u.a. [die eine deutsche Bevölkerungsmehrheit und damit weiterhin eine deutsche Stadtverwaltung hatten, K.W.] ist dies auch heute noch der Fall. Unsere Schicksalsfrage besteht also darin, wie hoch dieser Zuschuß sein kann und darf und durch wen er seine Deckung findet.“74
Die Antwort auf diese letzte Frage bleibt Bondi in diesem Artikel zwar schuldig, es lässt sich aber leicht annehmen, dass wohl nur die Brünner BürgerInnen dafür infrage kamen. Vor allem die Industriellen waren es, die bei den nicht gerade seltenen Krisen durch Spenden rettend einsprangen; so beispielsweise nach dem totalen finanziellen Zusammenbruch der Direktion Höllering im Jänner 1925, als sie eine Subvention für die nächsten zwei Spieljahre auf die Beine stellten. Dafür sicherten sie sich selbstverständlich auch Einfluss auf den Theaterbetrieb, wie es im Bericht über eben diese Subvention heißt: „Die Oper aufzugeben, wenigstens für die Jahre, da Brünn noch kein Theater besitzt, kann man sich noch immer nicht entschließen. Diesen Entschluß vereiteln zum großen Teil die Industriellen, und auf diese muß Rücksicht genommen werden.“75
Diese stellten nämlich nicht nur den finanziell stärksten Teil des Theatervereins, sondern gleichzeitig auch denjenigen Teil der AbonnentInnen, der den größten Wert auf die prestigeträchtige Oper legte – und das bestimmt nicht nur aus künstlerischen Gründen. Die Oper als Ort der Zusammenarbeit Während die Oper also auf der einen Seite als wichtiges Kulturgut die Aufgabe hatte, für die hohe Wertigkeit der deutschen Kunst zu stehen, war sie auf der anderen Seite derjenige Ort, an dem Deutsche und TschechInnen in Brünn zuallererst zur Zusammenarbeit fanden. Dies lag vor allem daran, dass in der Oper die Sprachbarriere weniger hinderlich ist als im Sprechtheater, aber auch daran, dass die tschechi74
Tagesbote, 31.3.1925, M S. 4.
75
Bohemia, 15.2.1925, S. 7.
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schen KomponistInnen für die tschechische Kunst besonders bedeutend waren und früher als tschechische SchriftstellerInnen internationale Anerkennung fanden. Auch heute noch nehmen Smetana und Dvoák einen besonderen Stellenwert im tschechischen Selbstverständnis ein. „Wie tief die nationalen ‚musikalischen Heiligtümer‘ bis heute im Bewußtsein der Tschechen verankert sind, belegte Anfang des Jahres 1998 eine öffentlich geführte Diskussion über Pläne, Dvoáks Rusalka und Smetanas Dalibor in überarbeiteten, modernen Fassungen zu inszenieren. Augenblicklich meldeten sich unter Fachleuten und Laien Stimmen zu Wort, die sich über die beiden Vorhaben empörten. [...] Heftige und häufig beinahe aggressive Auseinandersetzungen wie diese lassen einen bis heute spüren, daß beim tschechischen nation building der Bereich Sprache/Kultur dem Bereich Politik/Wirtschaft vorausging. Das tschechische Nationalbewußtsein ist immer noch eng mit kulturellen Institutionen (vom Nationaltheater über die Tschechische Philharmonie bis zum Gesangverein Hlahol) und berühmten Kulturschaffenden (allen voran Smetana und Dvoák) verbunden.“76
Die erste tschechische Oper, das erste tschechische Werk überhaupt, das am Brünner deutschen Theater aufgeführt wurde, war 1922 Liebelei von Frantiek Neumann, 1919 bis 1929 Opernchef und ab 1925 auch Direktor des Brünner Národní divadlo. Bei diesem Anlass wurde interessanterweise in den Zeitungen kaum auf die historische Bedeutung dieser Inszenierung eingegangen, die Lidové noviny vermuteten den Grund für die Aufführung weniger in einer grundsätzlichen Einstellungsänderung der Brünner Deutschen der tschechischen Kunst gegenüber, sondern sahen in ihr in erster Linie einen „Ausdruck der Anerkennung von Neumanns entgegenkommender Zusammenarbeit bei verschiedenen musikalischen Veranstaltungen“77. Neumann war als Opernchef der Brünner tschechischen Oper ein besonders wichtiger Kooperationspartner der deutschen Oper, vor allem was die Zusammenarbeit bezüglich des gemeinsamen Notenmaterials und des Fundus betraf – doch dürfte die Aufführung nicht allein taktischen Gründen 76
Antje Buchholz. Antonín Dvoák und die tschechische Nationalbewegung. Hausarbeit zur Magisterprüfung. Seminar für Osteuropäische Geschichte der Universität zu Köln 1998, S. 92f.; zit. nach: Storck, Kulturnation und Nationalkunst, S. 319; Hervorhebungen A. B.
77
Lidové noviny, 4.5.1922, M S. 7.
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geschuldet gewesen sein. Ein deutscher Zeitungsbericht sprach im Herbst 1922 von Neumann als „künstlerische[m] Mensch[en] von weltmännischer Überlegenheit, [...] auf dessen Herzensgrund schon seit je der Geist der Versöhnung gebettet lag; ihn mit zu feiern, war auch unserer deutschen Kunstgemeinde ein Bedürfnis.“78 Jedenfalls war das Medienecho bei den nächsten Gelegenheiten der Zusammenarbeit ein ungleich lauteres. Die nächste reguläre Inszenierung einer tschechischen Oper am Brünner deutschen Theater fand zwar erst zwei Jahre später statt, doch bereits im Herbst 1922 kam es zu einer anderen Form der Zusammenarbeit der beiden Opernensembles. Anlässlich einer Feier zum hundertsten Geburtstag des Brünners Gregor Mendel, des Begründers der Erblehre, fand eine gemeinsame Festveranstaltung im Stadttheater statt, bei der das tschechische Ensemble den ersten Akt aus Smetanas Verkaufter Braut, das deutsche Ensemble die Festwiesenszene aus Wagners Meistersingern von Nürnberg darbot79. Bei dieser Gelegenheit wurden Theater und Zeitungen nicht müde, die historische Dimension dieser Kooperation zu betonen. Die Bedeutung der Oper für beide Nationen verdeutlicht bereits der Umstand, dass beide Theater für die Festvorstellung Teile einer Oper wählten. Diese gemeinsame Vorstellung zweier völlig unabhängiger, zusammenhangloser Opernszenen erscheint zwar heute etwas dürftig für eine Zusammenarbeit. Hier darf man allerdings nicht übersehen, dass das tschechische Theater erst zwei Jahre zuvor in das Gebäude des Stadttheaters eingezogen war, und das unter Umständen, die die Deutschen als glatten Hinausschmiss empfunden hatten – es ist also doch beachtlich, dass diese beiden Ensembles so kurze Zeit später gemeinsam auf der Bühne des umkämpften Theaters standen. Und offensichtlich wurde das auch so gesehen: 78
Tagesbote, 25.9.1922, A S. 3; Neumann war vor 1918 lange in Frankfurt am Main Dirigent gewesen und wurde von den Brünner Deutschen offensichtlich nicht vorwiegend als Repräsentant der tschechischen Kunst wahrgenommen.
79
Dieselbe Kombination findet sich einige Jahre später anlässlich des 80. Geburtstags des Präsidenten Masaryk 1930 wieder. Vgl. dazu Katharina Wessely. „... um die Person unseres Präsidenten würdig zu verehren“. Die Festvorstellungen der deutschsprachigen Theater anlässlich der staatlichen Feiertage in der Ersten Tschechoslowakischen Republik. In: kakanien revisited. http://www.kakanien.ac.at/beitr/wende/KWessely1.pdf und dies. Theater und Gedächtnis.
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Gustav Bondi, Sekretär und Chronist des deutschen Theaters, schrieb: „in einer Festvorstellung sollte diesen internationalen Theaterbesuchern gezeigt werden, was eine Einigung der beiden unsere Stadt bewohnenden Volksstämme auf dem Gebiet der Kunst zu leisten vermöchte.“80 Und auch die Auswahl gerade dieser beiden Opern ist interessant: Schließlich ist es nicht unbedeutend, gerade eine Wagner-Oper aufzuführen, und Smetana galt den TschechInnen in ähnlichem Maß als „Nationalheiliger“ wie den Deutschen Wagner. Innerhalb ihrer Werke nahmen wiederum Meistersinger und Verkaufte Braut eine besondere Stellung ein – diese beiden Werke wurden so interpretiert, dass in ihnen der „Nationalcharakter“ der beiden „Völker“ besonders gut festgehalten und dargestellt würde. Die Zusammenstellung gerade dieser beiden Opern bedeutete demnach keine Versöhnungsgeste unter Vernachlässigung der jeweiligen Eigenheiten, sondern gerade die Anerkennung der nationalen Besonderheiten. Insofern können diese Aufführungen gesehen werden als ein Beitrag zu den Identitätskonstruktionen der tschechoslowakischen Deutschen der Zwischenkriegszeit – gerade in den staatsloyalen Konzepten spielte die gegenseitige Anerkennung der nationalen Eigenheiten eine große Rolle. Die Wahl dieser beiden Opern wurde damals offensichtlich nicht in erster Linie als Kulturkampf verstanden, sondern eben als durchaus ernst gemeinte Zusammenarbeit, bei der jeder Partner gewissermaßen das – in nationalem wie in künstlerischem Sinne – Wertvollste beisteuert. So schrieb auch Hans Flögl über die Mendel-Feier, „daß es sich bei diesem friedlichen Wettstreit nicht etwa nur um ein Messen der einzusetzenden Kräfte, um eine national indifferente Kunstangelegenheit handle – galt es doch hüben und drüben den Einsatz des eigenen Volkstums, zweier zutiefst aus Geist und Seele des Volkes schöpfender, dieses in seiner reinsten Verkörperung offenbarender Werke: ‚Meistersinger‘ und ‚Die Verkaufte Braut‘, Herzensangelegenheiten der beiderseitigen Nationen, einten sich hier zum Ganzen, zu einem hohen Lied der Kunst, in deren Feiertempel alles Trennende versinkt, Mensch zum Menschen sich brüderlich bekennt.“81
80
Fünfzig Jahre Landestheater (Stadttheater), S. 48.
81
Tagesbote, 25.9.1922, A S. 3; vgl. auch die Artikel vom Tagesboten, 2.3. 1924, M S. 5f. u. 12.5.1934, M S. 3f. anlässlich des 100. Geburtstags bzw. 50. Todestags Smetanas.
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Es geht hier also nicht um die Ausschaltung des Nationalen, sondern um die gegenseitige Anerkennung der nationalen „Herzensangelegenheiten“. Auch in der regierungsnahen Prager Presse wird die nationale Bedeutung dieser beiden Komponisten nicht unterschlagen: „Die Aufführung [...] darf als ein verheißungsvoller Fortschritt im friedlichen Zusammenleben beider Völker bezeichnet werden. Wagner und Smetana, führende nationale Musiker, kündeten in allversöhnenden Tönen das Wunder des menschlichen Genies, jeder in seiner Art wohl zunächst für sein Volk, aber auch für das Brudervolk, sobald es reif geworden, hinter dem nationalen Gewande das allgemeine verbindende Menschliche zu erfassen. Und daß auch dafür die Zeit gekommen ist, dafür sprach der ungeteilte Beifall der heimischen und auswärtigen Zuhörer, die das Theater bis auf das letzte Plätzchen füllten.“82
1924 schließlich wurde mit Smetanas Kuss der Anfang einer langjährigen Kooperation der beiden Opernbühnen bei den deutschsprachigen Inszenierungen tschechischer Opern gesetzt, die meist zu besonderen Anlässen aufgeführt wurden, wie runden Geburtstagen der jeweiligen Komponisten oder tschechoslowakischen Feiertagen. Beim Kuss, inszeniert anlässlich Smetanas 100. Geburtstags, führte Václav tech, der Direktor der tschechischen Bühne, Regie, außerdem sprang ein Sänger des tschechischen Ensembles für einen erkrankten deutschen Darsteller ein83. Die Zeitungsberichte wurden nicht müde, die historische Dimension dieser Aufführung zu betonen, der Tagesbote schrieb beispielsweise: „Festlichen Sinnes betraten wir dies ehrwürdige alte Neuland. Neuentdecktes Land für unsere heimische deutsche Bühne, deren künstlerischer Eroberungs82
Prager Presse, 27.9.1922, M S. 6f.
83
Der Kuss verschwand nach seiner Brünner Erstaufführung für Jahre vom Spielplan, wurde allerdings 1924/25 gleich sieben Mal aufgeführt – nur Die lustigen Weiber von Windsor wurden in dieser Spielzeit öfter gespielt, nämlich acht Mal. Erst 1934 erfolgte eine Neuinszenierung des Kusses anlässlich des Staatsfeiertages. Am Prager Neuen Deutschen Theater war der Kuss einige Tage nach Brünn am 20. März die erste deutsche Aufführung einer tschechischen Oper überhaupt. Vgl. Pamela Tancsik. Die Prager Oper heißt Zemlinsky. Theatergeschichte des Neuen Deutschen Theaters Prag in der Ära Zemlinsky 1911-1927. Wien, Köln u.a.: Böhlau, 2000, S. 123.
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zug bisher vor den nachbarlichen Türen Halt gemacht hat, ist uns Smetanas ‚Kuß‘ heute mehr als billiger Eroberergewinn, mehr als dauernde Spielplanbereicherung. Es ist ein Stück unserer selbst, das wir mit ihm wiedergewinnen: [...] Eine richtige Festaufführung, der es auch an einleitenden Worten festlichen Gedenkens nicht fehlte. Dr. Guido Glück wurde ihr überzeugender Sprecher, die Bedeutung Smetanas für die Kunst in großen Zügen würdigend, lieh er auch der Neueinstellung unserer Bühne und Kunstsinnigen freimütig Ausdruck, und wenn wir aus der Fülle seiner Ausführungen den Leitsatz hervorheben, daß Kunst mit Politik nichts zu tun hat, so wiederholen wir im Grunde doch nur eine immer sieghafter durchdringende Selbstverständlichkeit.“84
Die Einschätzung vonseiten der ProtagonistInnen, dass Kunst mit Politik nichts zu tun hätte, ist allerdings irreführend – gerade diese Zusammenarbeit ist natürlich eminent politisch. „Politik“ wird hier aber ganz offensichtlich mit „nationaler Politik“ und „Nationalitätenkampf“ gleichgesetzt. Nicht nur von der Kritik wurde diese Aufführung als historisches Ereignis interpretiert, auch das Theater und das Publikum zelebrierten sie als solches, wie die Aufführungskritik von Hans Flögl zeigt: „Nach den Aktschlüssen brach die Begeisterung der Zuhörer mit elementarer Wucht hervor, Dutzende von Hervorrufen aller am Werke Mittätigen erzwingend. Direktor Stech stand im Mittelpunkt der Ehrungen, die ihre höchste Steigerung fanden, als Direktor Höllering dem Gefeierten namens der deutschen Bühne einen mächtigen Lorbeer überreichte.“85
Von tschechischer Seite allerdings sah die Beurteilung etwas anders aus; zwar wurde auch hier die historische Dimension betont, doch wurde der Schwerpunkt eher darauf gelegt, dass sich die Deutschen bis jetzt geweigert hatten, tschechische Werke aufzuführen. Die Lidové noviny schrieben: „Mehr als vier Jahrzehnte spielen die Deutschen im Brünner Stadttheater und gestern hielten sie es das erste Mal für angebracht, das tschechische musikdramatische Schaffen zu würdigen. [...] das Brünner Deutschtum wehrte sich zäh, jeder zaghafte Versuch, hier Smetana aufzuführen, rief einen Sturm des Widerstands hervor und wurde im Keim erstickt. [...] Würde mit dem gestrigen 84
Tagesbote, 13.3.1924, M S. 5f.
85
Tagesbote, 12.3.1924, M S. 7.
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Abend, dessen ideelle Bedeutung wir voll würdigen, ein neues Zeitalter im gegenseitigen Umgang beider Nationen unserer Stadt eröffnet, würden unsere deutschen Mitbürger ihre künstlich aufrechterhaltene Isolation aufgeben, würden sie, nachdem sie unsere Nationalkultur kennengelernt haben, so viel systematische Arbeit entfalten und ihr so viel unbefangenes Bemühen und Verständnis entgegenbringen, das bei uns jede wertvolle Äußerung – auch der deutschen Kultur – begrüßt, werden wir uns an die erste Vorführung des Kusses im deutschen Theater voll Freude erinnern.“86
Tatsächlich war der Kuss der Auftakt zu fortgesetzter Zusammenarbeit. Unter Mithilfe der tschechischen Oper wurden in den folgenden Jahren die wichtigsten Werke von Smetana, Janáek, Dvoák, Weinberger und Neumann gegeben. Bei den meisten dieser Inszenierungen verlieh die tschechische Oper ihre oft eigens für die betreffende Oper hergestellten Dekorationen und Kostüme, half mit SängerInnen aus und stellte nicht selten auch den Regisseur, der entweder alleine oder mit einem deutschen Co-Regisseur die Inszenierung übernahm87.
86 87
Lidové noviny, 13.3.1924, M S. 5. So wurde in den nächsten Jahren 1925 die Verkaufte Braut mit der tschechischen Ballettgruppe und ihren Solotänzerinnen, mit den Kostümen und Dekorationen der tschechischen Aufführung und dem Regisseur Zitek gespielt; danach wurde sie mehr oder weniger ins Repertoire genommen und zur weitaus am häufigsten gespielten tschechischen Oper am Brünner deutschen Theater mit Inszenierungen 1926/27, 1927/28, 1931/32, 1933/34 (anlässlich des 50. Todestags Smetanas) und 1934/1935 (anlässlich Masaryks 85. Geburtstag). Dalibor wurde 1927 ebenfalls mit Zitek und den tschechischen Dekorationen gegeben, 1937 wieder unter tschechischer Regie (Rudolf Walter) mit Maria aludová vom Brünner Národní divadlo in der Hauptrolle. 1929 Weinbergers Schwanda, der Dudelsackpfeifer mit dem Bühnenbild der tschechischen Aufführung, 1931/32 erfuhr er eine Neuinszenierung; 1935 zu Masaryks 85. Geburtstag wiederum die Verkaufte Braut wie 1925 mit tschechischem Ballett, Kostümen und Dekorationen sowie Regisseur Otto Zitek. Außerdem wurden an tschechischen Opern noch Janáeks Jenufa 1926/27 und 1935/36, Dvoáks Rusalka 1929/30, immerhin im Jahr der deutschsprachigen Erstaufführung, und nochmals 1935/36, seine Teufelskäthe 1931/32 sowie Herbststurm von Frantiek Neumann als Festvorstellung zum zehnjährigen Bestehen der Republik 1928 aufgeführt.
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Auch in den tschechischen Besprechungen dieser Inszenierungen lässt sich das verbesserte Verhältnis zwischen Deutschen und TschechInnen in Brünn beobachten; während zu Beginn immer wieder sarkastische Seitenhiebe auf die Verbohrtheit der Deutschen zu lesen waren, wurden die Kritiken mit der Zeit zu ganz normalen Aufführungskritiken, die auf das gute Verhältnis der beiden Bühnen zueinander und das durch die schwierige finanzielle Situation bedingte schlechte Niveau von Chor und Orchester eingingen. Es gibt aber noch einen ganz handfesten Grund, warum die Oper zum ersten Ort der Zusammenarbeit wurde: Hier hatte das internationale Repertoire schon immer Gastspiele oder Engagements fremdsprachiger SängerInnen erleichtert. So beschrieb Gustav Bondi in seinem Rückblick die Spielzeit 1925/26 als babylonisches Sprachgewirr: „Die Oper [...] wies ein wahres Völkergemisch auf. Der Heldentenor, zu dem Johann Barton vorrückte, ein Tscheche, der lyrische Tenor Dr. Rasta, ein Rumäne, der Heldenbariton Karl Hellgren, ein Schwede, die dramatische Sängerin Martina Blazekovich, eine Kroatin, da hatte der vortreffliche Operndirigent Hermann Adler seine Mühe und Not, das an den Turmbau zu Babel erinnernde Sprachengewirr so weit als möglich zu mildern.“88
In dieser Spielzeit wurde auch die Verkaufte Braut, die tschechische nationale Oper schlechthin, erstmals am deutschen Theater Brünn gespielt – knapp 60 Jahre nach ihrer Uraufführung. Besonders bemerkenswert ist dabei, dass auch die Dekorationen und die Kostüme vom tschechischen Theater stammten – denn eine tschechische Aufführung der Verkauften Braut geriet immer auch zu einer Demonstration tschechischen Nationalbewusstseins, in der Ersten Republik wurde sie von vielen Theatern am Staatsfeiertag als Festvorstellung aufgeführt. Dass es trotz des Alters und des weltweiten Ruhms dieser Oper so lange bis zu einer deutschen Aufführung in Brünn gedauert hatte, dürfte gerade an ihrer nationalen Bedeutung gelegen haben – eine frühere Inszenie88
Gustav Bondi, „Fünfzig Jahre Theater“, Tagesbote 9.8.1933, M S. 3f., S. 4; Barton war Brünner, 1937/38 war er als regelmäßiger Gast am deutschen Theater engagiert; dies ist das einzige Mal, dass mir das Engagement eines Tschechen am deutschen Theater auffiel – allerdings gingen die Zeitungen üblicherweise nicht auf die Nationalität der Ensemblemitglieder ein, es mag daher durchaus noch mehr solcher Fälle gegeben haben.
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rung scheint von deutschnationalen Kreisen bis dahin verhindert worden zu sein89. Bei dieser Brünner deutschen Erstaufführung wurde nun also nicht nur einfach die Oper gespielt, sondern eben auch der „Geist“ der tschechischen Aufführung übernommen. Der tschechische Kritiker der Lidové noviny beschrieb die Vorstellung folgendermaßen: „In der Weise, in der das Werk vom Publikum angenommen wurde und unter den Umständen, unter denen die Aufführung realisiert wurde, zeigt sich dennoch nur deutlich ein neuer Beleg der zunehmenden kulturellen Annäherung beider nationaler Lager, die noch bis vor kurzem durch eine chinesische Mauer getrennt waren. Ein tschechischer Regisseur leitete die Vorstellung, die Balletttruppe des tschechischen Theaters führte die Tanzszenen auf, die Bühne wimmelte von tschechischen Trachten und die Bühnenausstattung glänzte in den tschechischen Nationalfarben – und sieh an, nicht im mindesten war zu bemerken, dass das deutsche Publikum sich gereizt gefühlt hätte, im Gegenteil, es fügte sich dem künstlerischen Wert des unsterblichen Smetanaschen Werkes so entgegenkommend und empfänglich, dass es den tschechischen Teilnehmer nur erfreuen konnte.“90
Auch am Tag davor hatte die Zeitung die Aufnahme der Oper beim Publikum beschrieben: „Die Vorstellung gestaltete sich zu einem so durchschlagenden Erfolg, wie ihn das Brünner deutsche Theater nach dem Umsturz kaum jemals erlebte. Wieder und wieder wurde die Vorstellung auf offener Bühne von wahren Beifallsstürmen unterbrochen, die nach dem vortrefflich vorgetragenen Duett von Keal und Jeník im zweiten Akt so beharrlich waren, dass es notwendig war, diese Szene zu wiederholen.“91
So schwierig es auch ist, Publikumsapplaus zu deuten – wie wir oben bereits am Beispiel von Saltens Gemeinem gesehen haben –, so sehr drängt sich hier doch der Schluss auf, dass dieser Applaus wohl nicht
89
In der Besprechung der Mendelfeier im Tagesboten vom 25.9.1922 wurde zwar eine Aufführung der Verkauften Braut angekündigt, tatsächlich sollte es bis dahin jedoch noch drei Jahre dauern.
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Lidové noviny, 24.12.1925, M S. 7.
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Lidové noviny, 23.12.1925, M S. 7.
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nur der Musik, sondern auch und gerade der nationalen Bedeutung dieser Oper gegolten haben dürfte. In den nächsten Jahren wurde die Verkaufte Braut auch für das Brünner deutsche Theater fixer Bestandteil im Repertoire, mit ihrer Inszenierung demonstrierte das Theater Loyalität zur tschechoslowakischen Republik und Hochachtung vor der tschechischen Kunst gleichermaßen; zu Masaryks 85. Geburtstag 1935 beispielsweise wurde sie sowohl vom deutschen als auch vom tschechischen Brünner Theater gespielt. Ein weiteres Zeichen der Annäherung setzte das Theater 1926 mit der Inszenierung von Janáeks Jenufa. Während die Verkaufte Braut für die gesamte Tschechoslowakei von Bedeutung war und ist, war dies Jenufa insbesondere für das Brünner tschechische Theater. Die Inszenierung des Národní divadlo erreichte in der Zwischenkriegszeit mehr als Vorbildwirkung, sie setzte gewissermaßen den Standard der zeitgenössischen Jenufa-Inszenierungen, wie sich überhaupt jede Inszenierung eines Janáekschen Werkes an den Brünner Uraufführungen zu messen hatte92 und im Vergleich zu diesen beurteilt wurde. Mit der Inszenierung von Její pastorkya, so der tschechische Titel Jenufas, hatte das Brünner Národní divadlo im August 1919 seine erste Spielzeit im ehemaligen Stadttheater eröffnet. Die Inszenierung von Jenufa, die im Gegensatz zu den meisten anderen Inszenierungen tschechischer Opern vom deutschen Theater alleine vorgenommen wurde, war dementsprechend ein Schritt, der den Deutschen nicht leichtgefallen sein dürfte, der aber vom Kritiker der Lidové noviny durchaus anerkannt wurde, wenn er auch die Qualität der Aufführung selbst eher kritisierte. „Es [das deutsche Theater, K.W.] betrat damit bestimmt einen Boden, der für es sehr ungünstig war. Seit den ersten Tagen der Neuorganisation des tschechischen Brünner Theaters nach dem Umsturz wurde gerade die Wiedergabe dieses Janáekschen Werkes zu einer der wertvollsten und höchsten Äußerungen der Leistungsfähigkeit der neu entstandenen Institution. Dem Brünner deutschen Theater ist es heute so gut wie unmöglich, an Mitteln und Geist mit uns wettzueifern. Gerade darum verstehen wir es aber, den guten Willen des gegenseitigen Kennenlernens ehrlich zu würdigen, der der Weg zum Verständnis und 92
Lediglich Die Ausflüge des Herrn Brouek waren 1920 in Prag uraufgeführt worden.
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zur Annäherung ist, und das Maß des Erfolges zu schätzen, den man unter so ungünstigen Umständen erreichte. Die gestrige Aufführung von Jenufa im Stadttheater hatte zwar kein rassiges Feuer, keinen Gefühlsreichtum und keine bunte Lebendigkeit, war aber sicher sehr sorgfältig und ehrlich und erregte beim deutschen Publikum besonders im zweiten und dritten Akt sehr starkes Echo.“93
An diesem Beispiel sieht man, wie sich – zumindest in den Augen des tschechischen Kritikers – die Verhältnisse mittlerweile umgedreht hatten: An dem Prestigewerk der Brünner tschechischen Oper zeigte sich für ihn, dass das deutsche Theater zwar bemüht war, an die Qualität der tschechischen Aufführung jedoch nicht herankam. Janáek selbst war bei dieser Aufführung anwesend und das – allerdings nicht sehr zahlreich erschienene – Publikum spendete vor allem ihm reichlich Beifall, obwohl auch der deutsche Kritiker die Vorstellung selbst eher kritisch sah94. Die Frage, warum es bei dieser einzigen Inszenierung eines Janáekschen Werkes blieb, lässt sich vielleicht auch gerade mit dessen Relevanz für das Brünner tschechische Theater beantworten. Mit diesen Aufführungen zu konkurrieren, noch dazu in derselben Stadt, wo diejenigen, die sich für tschechische Opern interessierten, bestimmt auch Aufführungen des Národní divadlo besuchten, war vermutlich wenig Erfolg versprechend. Die Tatsache, dass diese Aufführung auch als eine der wenigen ohne Mitarbeit des tschechischen Theaters durchgeführt wurde, lässt die Frage aufkommen, ob dies so geplant war oder ob es im Vorfeld der Aufführung zu Konflikten zwischen den Theatern gekommen war, die vielleicht auch weitere Janáek-Aufführungen behindert haben; auch Janáeks an Nationalismus grenzender Patriotismus mag dafür eine Rolle gespielt haben. Die überzeugendste Erklärung für die Absenz des Brünners Janáek vom Brünner deutschen Theater sind allerdings Spielplanabsprachen. Vom Prager Národní divadlo und dem dortigen Neuen Deutschen Theater sind solche bekannt95, ähnlich wäre es denkbar, dass das Brünner tschechische Theater gewissermaßen ein Monopol auf die Aufführungen von Janáeks 93
Lidové noviny, 28.10.1926, M S. 9.
94
Vgl. Tagesbote, 26.10.1926, M S. 3f.; 29.10.1926, M S. 3; Bohemia, 18. 11.1926, S. 6; Prager Tagblatt, 28.10.1926, S. 9; Lidové noviny, 28.10. 1926, M S. 9.
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Vgl. Tancsik, Die Prager Oper heißt Zemlinsky, S. 62f. u. 213.
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Opern hatte, damit sich die beiden Opernhäuser nicht unnötig Konkurrenz machen würden. Dies würde allerdings auch den Schluss nahelegen, dass es sehr wohl vorkam, dass Deutsche ins tschechische Theater respektive in die tschechische Oper gingen und umgekehrt TschechInnen ins deutsche Theater oder die deutsche Oper. Ansonsten wäre eine solche Trennung der Spielpläne vollkommen unsinnig, da ja, wenn man davon ausgeht, dass es sich um zwei vollständig unterschiedliche Zielgruppen handelt, der Spielplan der einen Oper keinerlei Einfluss auf den Besuch der anderen hätte. Für diese Überlegung spricht auch, dass ab Mitte der dreißiger Jahre im Tagesboten regelmäßige Ankündigungen und Kritiken des Brünner tschechischen Zemské divadlo, und zwar vornehmlich der Oper, zu finden sind.
IV.4 N ATIONALISTISCHE R HETORIK IN DER T HEATERKRISE DER ZWANZIGER J AHRE „Unserem Deutschen Theater, das bis zum Umsturz ein Lieblingskind der Gemeindeverwaltung war, wendet sich die Liebe der Stadtvertretung seither nicht in dem gleichen Ausmaße zu. Es würde überhaupt nicht mehr bestehen, hätten nicht kunstliebende Brünner Bevölkerungsschichten all die Jahre her unsere Kunstanstalt in wahrhaft großzügiger Weise gestützt und gefördert.“96
Mit der veränderten Zusammensetzung des Gemeinderats verlor das Brünner deutsche Theater 1918 seine privilegierte Stellung als gut finanziertes Stadttheater, dessen Defizite wie selbstverständlich von der Stadtgemeinde abgedeckt wurden. Das Theater wurde von nun an vom Theaterverein geführt und hatte folglich die Aufgabe, möglichst kostendeckend zu wirtschaften. Zu den spezifischen Problemen der deutschen Theater in den Nachfolgestaaten der Monarchie kam noch die allgemeine Theaterkrise, die die deutschsprachigen Bühnen in den zwanziger Jahren erfasste. In Wien meldeten beispielsweise allein im Jahr 1924 fünf Bühnen den Ausgleich an97, das Gespenst Theaterkrise geisterte permanent durch die Kulturrubriken der Zeitungen und Zeit96
Tagesbote, 12.12.1934, M S. 1.
97
Vgl. Brückl-Zehetner, Theater in der Krise, S. 146; allerdings galten in Wien teilweise andere Gründe für die Krise, beispielsweise das Trustsystem sowie das generelle Überangebot an Theatern und Vergnügungsbetrieben.
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schriften. Als Gründe für die Theaterkrise wurden vor allem die billigen „modernen“ Unterhaltungen der Massenkultur wie Kino oder Sport genannt. Ein weiteres Problem war die Tatsache, dass die Theater besonders unter der Inflation zu leiden hatten, da sich die Ausgaben der Theater ständig erhöhten, die Einnahmen aber gleich blieben bzw. sanken, da auch die Einnahmen der Bevölkerung sanken und daher ein Theaterbesuch im Verhältnis zu den sonstigen Lebenskosten teurer wurde. Doch auch das Wetter konnte die Einnahmen des Theaters drastisch beeinflussen, wie Gustav Bondi in seiner Beschreibung der Spielzeit 1921/22 feststellte: „Vermögensabgabe, Abstempelung des Papiergeldes, eine lähmende Stockung auf allen Gebieten der Brünner Industrie, die traurigen wirtschaftlichen Folgen des Weltkrieges, die stets steigenden Kosten des dreiteiligen Theaterbetriebes, die immer heftiger einsetzenden Forderungen der Angestellten, ferner eine ganz außergewöhnlich theaterfeindliche Witterung im Herbste und im darauffolgenden Frühjahr, die im Oktober angeordnete, gegen Ungarn gerichtete Mobilisierung, endlich die durch den Krieg geförderte erhöhte Lust am Sportbetriebe aller Art, dies alles beeinflußte den Theaterbetrieb dieser Spielzeit, der 40. seit Bestande des neuen Hauses, in äußerst gefahrdrohender Weise.“98
In den nächsten Jahren kam dazu noch die vermehrte Abwanderung guter Kräfte nach Österreich und insbesondere Deutschland, wo höhere Gagen gezahlt wurden, sowie ein Mangel an zugkräftigen neuen Stücken. In dieser Krise war eine der Lösungsstrategien ein stärkerer (finanzieller) Einsatz des deutschen Bürgertums. Trotz der zunehmend staatsloyalen Haltung des Brünner Theaters war, vor allem zu Beginn der zwanziger Jahre, das Bild vom Theater als nationalem Bollwerk die immer wiederkehrende rhetorische Wendung, mit der dem Publikum suggeriert wurde, sein Einsatz fürs Theater sei eine wichtige Komponente des „Kulturkampfs“. Die Aufrufe zur Rettung des Brünner Theaters lesen sich oft wie Kampfrufe, sprechen pathetisch von der „Pflicht jedes Deutschen“, das Theater zu unterstützen. So endet beispielsweise ein Aufruf „An die deutsche Bevölkerung Brünns“ im Herbst 1930 mit der Feststellung: „Es wäre Verrat an den höchsten kulturellen Gütern unseres Volkes und ein trauriges Zeichen nationaler
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Bondi, Geschichte des Brünner deutschen Theaters, S. 161f.
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Gleichgültigkeit, wenn die deutsche Bevölkerung das deutsche Theater in Brünn zusammenbrechen ließe.“99 Zur Erhaltung der deutschen Theater in der Tschechoslowakei, deren Probleme – betrachtet man die Situation in Deutschland und Österreich oder die der tschechischen Theater – nicht einzigartig waren, wurde somit systematisch und über Jahre hinweg eine Rhetorik des Kampfes und der permanenten Bedrohung geführt, Ängste um den Verlust der kulturellen Identität wurden beständig geschürt. „Das deutsche Theater in Brünn ist keine bloße Unterhaltungsstätte. Es pflegt den edelsten Kulturbesitz unseres Volkes und ist über die Bedeutung eines bloßen Theaters hinaus für unser gesamtes völkisches Leben von allergrößter Wichtigkeit. Wollen wir es darauf ankommen lassen, dies erst in seiner ganzen Tiefe zu empfinden, wenn wir kein deutsches Theater mehr in Brünn haben? Nein! Der bloße Gedanke des drohenden Verlustes muß es uns allen deutlich machen, was wir, die wir die schönsten Erinnerungen mit dem deutschen Theater in Brünn verbinden, was unsere deutsche heranwachsende Jugend, die im deutschen Theater in Brünn Bildung und Begeisterung für alles Schöne, Wahre und Gute findet, in ihm alles verlieren würden. Es ergeht daher in ernster, gefahrdrohender Stunde an alle Männer, an alle Frauen in Stadt und Land der dringliche Ruf: ‚Helft unser deutsches Theater in Brünn erhalten, unser vornehmstes kulturelles und völkisches Bollwerk, dessen wir im Sturm der Zeiten mehr denn je bedürfen!‘“100
Doch es gab auch Stimmen, die die Lage der Theater weniger schwarz malten – gerade wegen des Minderheitsstatus der Deutschen in der Tschechoslowakei. Karl Birk, Professor an der Deutschen Akademie für Musik und darstellende Kunst in Prag, charakterisierte 1926 im Sudetendeutschen Jahrbuch die Lage folgendermaßen: „Die allgemeine Lage aller deutschen Theater ist auch die besondere Lage der sudetendeutschen Bühnen. Die Sorgen und Kämpfe des Theaters in Deutschland und Österreich sind auch die Sorgen und Kämpfe unserer Bühnen; aber sie erfahren hier, wie überhaupt das Theaterproblem als solches, durch die besonderen politischen und nationalen Verhältnisse nach einer Richtung hin eine Verschärfung, nach anderer hin eine Abschwächung. Die politischen Verhält99
Tagesbote, 28.9.1930, M S. 3.
100 Tagesbote, 12.10.1924, M S. 4.
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nisse steigern die wirtschaftliche Not der Theater; die nationalen Verhältnisse beleben die Opferwilligkeit der sudetendeutschen Bevölkerung für ihre Bühnen im hohen Grade.“101
Dass diese vermehrte Unterstützung des Theaters mit ständigen Kampfparolen gleichsam erpresst wurde und solchermaßen nur in einem Klima der Unsicherheit möglich war, interessierte den Autor wohl nicht. Diese Vorstellung eines permanent vom Untergang bedrohten Theaters bildete gleichzeitig die argumentative Grundlage für die Konflikte zwischen den einzelnen Interessensgruppen am Theater. Nationale Argumente im Arbeitskampf Die beiden Hauptsorgen der Theater waren die Herabsetzung der Subventionen und die Verminderung der Einnahmen durch den Theaterbesuch – diese beiden Punkte ziehen sich durch alle Berichte über die Finanzkrisen des Brünner Theaters. Zu Beginn der zwanziger Jahre wurde den SchauspielerInnen und ihren Gagenforderungen eine Mitschuld an der schlechten finanziellen Lage der Theater gegeben und hierbei insbesondere nationale Argumente ins Treffen geführt. Dies änderte sich jedoch in den dreißiger Jahren. Einerseits wurde deutlich, dass die Probleme der Theater mit Gagenreduktionen nicht zu lösen waren, andererseits fürchteten die SchauspielerInnen aufgrund der umfassenden Theaterkrise und des durch die Schließung etlicher Theater im deutschsprachigen Raum verursachten Überflusses an SchauspielerInnen zunehmend um ihre Arbeitsplätze. Sie bestanden daher nicht mehr auf höhere Gagen, sondern nahmen sogar Gagenreduktionen in Kauf. Als Beispiel für die wiederkehrende Erörterung dieser beiden Themen sei hier ein Bericht des Brünner Tagesboten über die Hauptversammlung des Verbandes der Theatererhalter im Frühjahr 1921 zitiert: „Nachdem [...] die bisherigen Vorstandsmitglieder einstimmig wiedergewählt worden waren, wurde eingehend die allgemeine, sehr ernste wirtschaftliche Lage der deutschen Theater der Republik erörtert. Die Verhältnisse in Prag, Brünn, Olmütz und Mährisch-Ostrau, wo die deutschen Theater auf das Schwerste bedroht werden, wurden besprochen, ebenso auch die vollkommen unzulängliche Unterstützung, die die deutschen Theater seitens der Städte und 101 Karl Birk. Theater. In: Sudetendeutsches Jahrbuch, Neue Folge 2 (1926), S. 129-131, S. 129.
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vor allem des Staates genießen. [...] Damit die Anforderungen der Theaterangestellten aller Art, die die Grenzen des für die einzelnen Theater überhaupt Erfüllbaren bereits überschritten haben, nicht den Bestand der deutschen Theater der Republik überhaupt unmöglich machen, wird ein gemeinsames Vorgehen mit dem Direktorenverbande in allen Gagen- und Lohnfragen beschlossen. Der Erhalterverband ist entschieden gegen jede Ausbeutung der Theaterangestellten, hält es aber für seine Pflicht, den Bestand der deutschen Theater zu schützen, deren Zusammenbruch für die Angestellten selbst die größte Gefahr wäre.“102
In diesem Zitat wird deutlich, wie sich Politik auch in den Diskussionen spiegelt: nämlich als Argument gegen die finanziellen Begehrlichkeiten des jeweils anderen, dem man unterstellt, die ohnehin schon bedrohten Theater existenziell zu gefährden und so zum Untergang „deutscher Kultur“ beizutragen. In dieser Logik beschützt der Verband der Theatererhalter die SchauspielerInnen, die ohne Theater schließlich kein Einkommen hätten, gleichsam vor sich selbst, wenn er ihren Gehaltsforderungen nicht nachgibt – ein an sich typisches Argument im Kampf um Einkommen und Arbeitsplätze, das hier aber national gewendet wird. Das durch die Ereignisse der frühen zwanziger Jahre erzeugte Gefühl der ständigen Bedrohtheit wurde nicht selten ganz bewusst ausgenutzt, um die eigene Position zu stärken. Die Bedeutung des Theaters als nationales Kulturgut wurde von den Interessensverbänden, also Arbeitgeber- und Arbeitnehmerorganisationen, immer wieder als Argument in den Gagenverhandlungen verwendet; so warfen Bühnenbund und Verband der Theatererhalter einander wiederholt vor, durch ihr Vorgehen den Bestand des Theaters überhaupt zu gefährden, wie ein Beispiel aus einem Zeitungsbericht über die Gagenverhandlung von 1921 verdeutlicht: „Die Versammlung nahm zeitweise einen sehr erregten Verlauf, insbesonders gleich im Anfang, als der Obmann des Verbandes Deutscher Theatererhalter, Dr. Krumpholz, Brünn, die Schauspieler beschuldigte, durch ihre pekuniären Mehrforderungen indirekt auf den Ruin des deutschen Theaters in der tsch.-sl. Republik hinzuarbeiten. In sehr temperamentvoller Weise trat der Obmannstellvertreter des Bundes der Bühnenangestellten, Kapellmeister Nikolaus Janowski [sic], Brünn, diesen Anschuldigungen entgegen und griff im Verlaufe 102 Tagesbote 25.4.1921, A S. 3.
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seiner Rede mehrere Theatervereine, insbesonders jenen von Brünn an, die sich allen begründeten und bescheidensten Forderungen der Bühnenangestellten stets von Haus aus in prinzipieller Weise entgegenstellen und im Gegensatze zu den meisten Theaterdirektoren kein Verständnis für die unbedingten Lebensnotwendigkeiten der Bühnenangestellten zeigen. Auch machte er diesen Vereinen den Vorwurf, daß sie es gerade sind, die durch ihr unverständiges starres, konservatives Festhalten an einem den heutigen Zeitverhältnissen gar nicht entsprechenden Standpunkte die Entwicklung des deutschen Theaters nur hindern und diesem durch ihre Tätigkeit jedwede Kreditmöglichkeit nehmen.“103
Der Vorwurf, den Bestand des Theaters überhaupt zu gefährden, wiegt umso schwerer, als es dabei um die Wahrung „deutschen Kulturgutes“ auf „nichtdeutschem Gebiet“ geht. Der Direktorenverband stellte in diesen Diskussionen gewissermaßen den Angelpunkt der drei Verbände dar – während sich SchauspielerInnen und Theatererhalter oft unversöhnlich gegenüberstanden, konnten die DirektorInnen als direkt im Theaterbetrieb Arbeitende wohl die Sorgen der SchauspielerInnen ebenso wie die der GeldgeberInnen verstehen. Eine besonders drastische Beurteilung des Schauspielerverbandes kam allerdings gerade von einem Theaterdirektor, nämlich von Theo Modes, der in der Spielzeit 1938/39 die Direktion des völkischen Deutschen Theaters in Brünn übernehmen sollte. In einem Vortrag, den er im November 1927 in Brünn über die „Kulturbedeutung des modernen Theaters“ hielt, meinte er: „Ein Krebsschaden der Kunst und ein Hemmschuh für die Verwirklichung der besten Absichten eines kulturbewußten Theaterleiters sei die Vergewerkschaftung des Theaterpersonals, weil die Organisation stets bloß das – auf andere Art zu verwirklichende – soziale Wohl der Mitglieder ohne Rücksicht auf deren künstlerische Qualität im Auge habe.“104
Diese Einschätzung der „Vergewerkschaftung“ teilte er mit den NationalsozialistInnen, die nach ihrer „Machtergreifung“ die gewerkschaftliche Vertretung der SchauspielerInnen in der Bühnengenossenschaft auflösten und die Reichstheaterkammer gründeten, in der neben den SchauspielerInnen auch die TheaterdirektorInnen vertreten waren. 103 Tagesbote, 14.10.1921, A S. 3. 104 Tagesbote, 1.12.1927, A S. 3; der Konjunktiv rührt daher, dass es sich bei dem Artikel im Tagesboten um eine Paraphrasierung des Vortrags handelt.
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Doch auch dem Publikum wurde in diesen Krisen immer wieder vorgeworfen, das Theater nicht genügend zu unterstützen, seiner nationalen Pflicht somit nicht genügend nachzukommen. Das Theater bewegte sich mit dieser Argumentation auf ziemlich dünnem Eis, einerseits sollte dem (ausbleibenden) Publikum ein schlechtes Gewissen suggeriert werden, andererseits durfte man es nicht verärgern, da man es ja als möglichst regelmäßige Einkommensquelle benötigte. Das Pathos dieser Aufrufe, das durchaus auch kontraproduktiv sein konnte, wurde selbst manchem Theaterkritiker zu viel: „Der Theaterbesuch wird, meines Erachtens, zu häufig als eine hohe Pflicht bezeichnet, während er – in der überwiegenden Mehrzahl der Fälle – ein hohes Vergnügen bedeutet. Wer dem Theater freiwillig und bewußt den Rücken kehrt, beraubt sich einer Fülle erhabener Genüsse, denn er opfert den Blick in ein blühendes Zauberparadies der Sicht auf die verödenden Gefilde dieser Welt fortschreitender Entzauberung.“105
Die Direktoren in der Krise In der Spielzeit 1921/22 waren die finanziellen Probleme, die sich durch Sommergagen der letzten Spielzeit, durch fehlende Subventionen und niedrige Besucherzahlen ergeben hatten, erstmals so drastisch, dass der Theaterverein in seiner Hauptversammlung davon sprach, den Theaterbetrieb einstellen zu müssen, wenn die Sammlungen in der Bevölkerung nicht die nötige Summe hereinbrächten. Als Konsequenz entschied er sich dafür, das Theater ab der nächsten Saison in einen Pachtbetrieb umzuwandeln – als Pächter wurden die Direktoren des Wiener Komödienhauses Georg und Franz Höllering ausgewählt. Zur Hebung der Einkünfte wurden Gastspiele in Olmütz und MährischOstrau geplant, das Problem der Sommergagen sollte dadurch gelöst werden, dass die SchauspielerInnen im Sommer am Kurtheater in Marienbad, das ebenfalls von Georg Höllering geführt wurde, beschäftigt wurden. Doch dieser Plan erwies sich als fatal, die Theater in Marienbad und Wien gingen selbst schlecht und belasteten die Direktion zusätzlich, anstatt Ressourcen für Brünn zu ermöglichen, die Gastspiele brachten nicht den gewünschten Erfolg, stattdessen war dafür ein größeres Ensemble eingestellt worden, das jetzt teuer erhalten werden 105 Gerhard Rosenberg. „Für unser deutsches Theater“. Tagesbote, 17.9.1936, M S. 6.
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musste. Im Herbst 1924 wurde im Theaterverein wiederholt die schwierige finanzielle Lage diskutiert und die Bevölkerung zur Rettung des Theaters aufgerufen. Dabei wurde, wie auch in den Gagenverhandlungen, die Rhetorik des „Volkstumskampfs“ voll und ganz ausgespielt. Doch die Lage erwies sich als ernster als angenommen. Im Jänner 1925 legte Georg Höllering schließlich die Pacht zurück und übergab das verschuldete Theater wieder dem Theaterverein. Höllering versuchte einen Ausgleichsfonds zu schaffen, um seine Schulden von ca. 1,5 Millionen Kronen zumindest teilweise begleichen zu können. Da seine Aktiva aber gleich null waren und die erhoffte Hilfe von Verwandten ausblieb, musste der Antrag auf Ausgleich im März zurückgezogen werden, die Gläubiger gingen leer aus und er wurde fürs Erste vom Bühnenbund auf eine „schwarze Liste“ gesperrter Direktoren gesetzt106. Die durch den fehlenden Ausgleich bestehen bleibenden Schulden sollten den Theaterverein allerdings noch einmal einholen – 1934 entschied das Verwaltungsgericht in letzter Instanz, dass der Theaterverein, obwohl Höllering als Pächter angestellt gewesen war, für die Schulden bei der Bezirkskrankenkasse aufkommen müsse, die sich in der Zwischenzeit inkl. Zinsen auf 180.000 K beliefen107. Um rechtlich dagegen abgesichert zu sein, Höllerings Schulden übernehmen zu müssen, wurde das Theater für die restliche Spielzeit von einer Arbeitsgemeinschaft der SchauspielerInnen weitergeführt – eine Konstruktion, die in den folgenden Jahren noch öfter zum Einsatz kommen sollte. An der Spitze dieser Arbeitsgemeinschaft standen der künstlerische Beirat Julius Herzka und Theatersekretär Gustav Bondi. Herzka war bereits 1910 bis 1918 Direktor des damaligen Brünner Stadttheaters gewesen, die Erfahrungen, die das Personal mit ihm gemacht hatte, dürften jedoch nicht die besten gewesen sein, denn als der Theaterverein ihm die Direktion auch für die kommende Saison anbieten wollte, erhob der Bühnenbund als Vertretung der SchauspielerInnen dagegen Einspruch, erst als kein anderer Direktor gefunden wurde, wurde Herzka vom Ensemble akzeptiert. Um vor ähnlichen Problemen wie im Vorjahr gefeit zu sein, fügte der Theaterverein in den Vertrag mit dem Direktor eine neue Klausel ein: Der Verein verpflichtete sich, den voraussichtlichen Abgang von 650.000 Kronen zu begleichen, 106 D.h. dass SchauspielerInnen, die ein Engagement bei ihm eingingen, vom Bühnenbund keinen Rechtsschutz erhielten. 107 Vgl. Tagesbote, 20.9.1935, M S. 3.
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falls das Defizit diese Summe überschreiten sollte, haftete der Direktor mit einer vorher hinterlegten Sicherung von 30.000 Kronen für ein Viertel der Überschreitungssumme, allerdings nur bis zu einem Höchstbetrag von 25.000 Kronen108. Diese Sicherheitsmaßnahme erwies sich nun aber als kontraproduktiv – im September war das Defizit höher als vorhergesehen, die Probleme zwischen Theaterverein und Direktor häuften sich, Herzka sah damit seinen Haftungsbetrag gefährdet und wollte infolgedessen seinen Direktorsposten niederlegen. Der Theaterverein kam seinem Rücktrittsgesuch entgegen, Bondi versuchte noch zu vermitteln, aber vergeblich; Herzka beging schließlich im Oktober 1925, wenige Tage nachdem der Theaterverein sein Rücktrittsgesuch angenommen hatte, Selbstmord. Theaterverein und Ensemble verstrickten sich in endlose Schuldzuschreibungen, das Theater wurde währenddessen von Gustav Bondi provisorisch weitergeführt. Der schwelende Konflikt zwischen Theaterverein und Direktor hatte zu eskalieren begonnen, als zwei Mitglieder des Theatervereinsausschusses Angehörige des Bühnenpersonals in den Zuschauerraum eingelassen hatten (allerdings gegen Zusicherung der späteren Bezahlung der dafür vereinbarten Gebühr und nur weil kein Mitglied der Direktion, die für solche Bewilligungen eigentlich zuständig war, im Haus war109). Herzka hatte daraufhin diesen beiden Ausschussmitgliedern einen tadelnden Brief geschickt, sodass sich jetzt beide Parteien ungebührlich behandelt fühlten. Die Unstimmigkeiten setzten sich in den darauffolgenden Tagen fort, Paul Selb, der Obmann des Theatervereins, löste die Verstimmung zwar kurzfristig auf, doch als der Ausschuss wegen des schlechten September-Ergebnisses und Beschwerden der AbonnentInnen mit Herzka über den Spielplan reden wollte, kam es endgültig zum Eklat. Herzka befand die Ratschläge des Theatervereins als ungebührliche Einmischungen, den Wunsch des Ausschusses nach Gesprächen mit dem Dramaturgen und 108 Vgl. Tagesbote, 25.10.1925; für Demetz galten im nächsten Jahr ähnliche Bedingungen, er musste 50.000 K hinterlegen und haftete ab einem Betriebsabgang von 500.000 K für ein Viertel der Überschreitungssumme, aber höchstens für diese 50.000. Das monatliche Gehalt beider betrug 5.000 Kronen. Vgl. Tagesbote, 3.12.1925, M S. 5. 109 Die sogenannte Freikartenwirtschaft tauchte während der nächsten Jahre wiederholt als Kritik an Theaterdirektor oder Theatervereinsmitgliedern auf und war fixer Bestandteil des Repertoires an Vorwürfen, wenn es um unrentables Wirtschaften des Theaters ging.
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dem Kapellmeister als Untergrabung seiner Autorität; der Theaterverein wiederum fand, ihm als Geldgeber würde auch ein gewisses Mitspracherecht gebühren: „Direktor und Mitglieder haben es wahrlich leicht, dem Vereinsvorstande seine ängstliche und strenge Überwachung der Vorgänge im Theaterbetrieb als ‚Einmischung‘ vorzuwerfen. Jedermann in Brünn weiß, daß ein Großteil aller Bezüge der Bühnenmitglieder von privaten Gönnern aufgebracht wird, denen die Mitglieder des Theatervereinsvorstandes, als Männer, die gewohnt sind, ihre Obliegenheiten korrekt und loyal zu erfüllen, sich als zur Rechenschaft verpflichtet ansehen. Direktor und Mitglieder haben einen einjährigen Vertrag, nach dessen Ablauf sie das Theaterschiff, das stets in Gefahr des Sinkens ist, nach Belieben verlassen können. Anders der Theaterverein, in dessen Hände die dauernde Aufrechterhaltung einer großen und wichtigen nationalen Sache gelegt ist.“110
In der Folge reichte eben Herzka seinen Rücktritt ein. Nach seinem Selbstmord häuften sich in den Zeitungen die Vorwürfe gegen den Theaterverein, Forderungen nach dem Rücktritt einzelner Mitglieder des Ausschusses wurden laut, der Ausschuss erklärte daraufhin seinen kollektiven Rücktritt. Für den 8. November wurde eine außerordentliche Hauptversammlung einberufen, in der der Ausschuss seine Sicht der Dinge darlegte, woraufhin ihm das Vertrauen ausgedrückt wurde und er seine Weiterarbeit erklärte. Zwar hatte sich durch die gegenseitigen Anschuldigungen, die auch den Theaterbesuch in Mitleidenschaft zogen, die Finanzkrise des Theaters verschärft, doch durch eine außerordentliche Förderung durch den Theaterverein sowie einen kräftigen Gagenabbau des Personals konnte das Theater vorerst wieder auf eine halbwegs solide Grundlage gestellt werden. Demetz, der die Direktion im Februar 1926 übernahm, konnte die Spielzeit 1926/27 mit einem ausgeglichenen Budget beginnen. Mit Demetz, der für sechseinhalb Saisonen Direktor in Brünn blieb, entwickelte sich das Brünner Theater in künstlerischer Hinsicht wieder ruhiger als in den Jahren davor – die finanzielle Situation besserte sich dadurch allerdings nicht grundlegend. Die Probleme blieben schließlich dieselben, dazu kam ab 1929 die Weltwirtschaftskrise mit ihren verheerenden Auswirkungen, aber auch die politischen Gräben zwischen den einzelnen Parteien und Weltanschauungen begannen sich 110 Tagesbote, 31.10.1925, M S. 4, Zuschrift des Theatervereinsausschusses.
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zu vertiefen. Die Rede vom Theater als nationalem Bollwerk geriet dabei selbst ins Schussfeld nationaler Rhetorik, denn auch unter den Deutschen der Tschechoslowakei begann der Kampf um die Definition dessen, was als „deutsch“ zu verstehen sei – insbesondere natürlich von nationalsozialistischer, antisemitischer Seite. So zitierte und kommentierte die Sudetendeutsche „Volkszeitung“ im November 1931 die Hauptversammlung des Theatervereins folgendermaßen: „Der Theatervereinsausschuß stellte weiter in seinem Bericht fest: ‚Der Fortbestand des Theaters ist daher in erster Linie eine Frage der gesamten Deutschen Bevölkerung Brünns. Wollen die Deutschen Brünns ihr jahrhundertelang bestehendes Theater, das das letzte Bollwerk(?) ihrer nationalen und kulturellen Bedeutung in dieser Stadt darstellt, erhalten, dann muß die Deutsche Bevölkerung durch Zeichnung von Abonnements, durch Beitritt zum Theaterverein, schließlich durch einen regen Theaterbesuch selbst hiezu beitragen.‘ Das alte deutsche ‚Bollwerk‘ ist heute größtenteils unter artfremder Führung. Die einzelnen Theatergewaltigen überbieten sich in ‚Loyalität‘. [...] In Brünn muß diese artfremde Führung ein Ende finden. Die völkischen Mitglieder des Theatervereines müßten sich ihr ihnen zustehendes Recht erkämpfen und zu einer starken völkischen Opposition werden. Den Artfremden, die sich anmaßen Deutsche Bühnen zu leiten, ist endlich einmal zu bedeuten, dem Gaukelspiel der bewußten Kulturverbildung ein Ende zu setzen.“111
Diese Angriffe richteten sich sowohl gegen die Direktion als auch gegen Mitglieder des Theatervereinsausschusses; im Laufe der dreißiger Jahre wurden die Anstrengungen der NationalsozialistInnen, Einfluss auf das Theater zu gewinnen, immer größer. Die finanziellen Probleme des Theaters boten hier oft genug Anlass und Möglichkeit zur Diffamierung des Theatervereins einerseits, zu versuchter Einflussnahme andererseits112.
IV.5 T HEATER
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Neben den unterschiedlichsten deutschen Vereinen und Körperschaften unterstützten auch staatliche tschechoslowakische Stellen aus kulturpolitischen Überlegungen die Theater. Die zielgerichtete tschechoslo111 Sudetendeutsche „Volkszeitung“, 11.11.1931, o.S. 112 Mehr dazu weiter hinten, Kap. IV.8, IV.9 und IV.10.
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wakische Kulturpolitik erstreckte sich dabei jedoch so gut wie nur auf die tschechischen und slowakischen Theater; die Situation der deutschen Theater hingegen wurde in Ermangelung eines Theatergesetzes zum einen durch allgemeine Gesetze beeinflusst, die für das tschechische Theater weniger oder gar keine Relevanz hatten113. Zum anderen wurde sie von den deutschen Verbänden geprägt, deren Status allerdings prekär war. Theaterpolitik wurde also gleichzeitig von offiziellen Stellen, deren eigentliche Aufgabe nicht im Kulturbereich lag (wie dem Landesamt, dem Arbeitsamt u.ä.), und von halbprivaten Verbänden und Vereinen betrieben. Dies macht die Forschungslage kompliziert, weil keine klaren Instanzen wie z.B. in Österreich oder Deutschland existierten, auf deren Einfluss bestimmte Entwicklungen zurückgeführt werden können; gleichzeitig ist damit auch die Quellenlage schwieriger, weil die Unterlagen der Vereine, im Gegensatz zu denen staatlicher Stellen – auch aufgrund der Ereignisse 1938/39 und 1945 –, heute nur noch bruchstückhaft vorhanden sind. Subventionspolitik Neben den Gesetzen war der hauptsächliche Beitrag der tschechoslowakischen Behörden die Lenkung des Theaterlebens durch die unterschiedlich hohe Dotierung von Subventionen. Die finanzielle Lage war von Theater zu Theater sehr unterschiedlich; da die Zahlen aus anderen Städten erst rekonstruiert werden müssten, kann hier die Brünner Situation nur in Einzelfällen mit der anderer Theater verglichen werden. Die Neuverteilung der Subventionen nach 1918 sorgte auf deutscher Seite in den folgenden Jahren immer wieder für Empörung. Ein113 Wie beispielsweise die Einreisebestimmungen, die bei Gastspielen eingehalten werden mussten, oder das 1928 beschlossene Gesetz zum Schutz des inländischen Arbeitsmarktes; laut diesem bedurfte die Beschäftigung von AusländerInnen einer Genehmigung des Landesamtes, die nur in besonderen Fällen erteilt wurde. An den Theatern galt allerdings für die SolistInnen eine Ausnahmeregelung: Während Chor und Orchester zur Gänze aus InländerInnen bestehen mussten, durfte bei den SolistInnen die Obergrenze von 30% ausländischen Beschäftigten nicht überschritten werden. Allerdings dürften sich die Theater nicht immer an diese Bestimmung gehalten haben, bzw. vom Landesamt mitunter auch Ausnahmen gewährt worden sein.
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sicht in die Tatsache, dass es den tschechischen Theatern umgekehrt vor 1918 nicht anders ergangen war, ist in den Zeitungsberichten kaum zu bemerken: „Eine schwere Ungerechtigkeit. Der Kulturausschuß der Brünner Stadtgemeinde, der diesem Namen nicht viel Ehre macht, beschloß, dem Brünner tschechischen Theater 1_ [sic] Millionen K Subvention zu gewähren, dem deutschen Theaterverein aber die bisher gewährten Subventionen zu streichen, u. zw. deshalb, weil das deutsche Theater vor dem Umsturz die Subvention erhalten habe, während das tschechische Theater damals leer ausging. Die deutsche Bevölkerung von Brünn wird also das tschechische Theater erhalten dürfen.“114
Dass die Subvention von Steuergeldern bezahlt wurde, die von tschechischen und deutschen BrünnerInnen stammten, diente dabei stets als Argument, mehr Unterstützung zu fordern. Selbst wenn das Verhältnis der verteilten Gelder annähernd dem der Bevölkerung entsprach – dann wurde eben damit argumentiert, dass die Deutschen, die zu den einkommensstärkeren Schichten gehören würden, mehr Steuern zahlen würden als die TschechInnen, die vornehmlich Gewerbetreibende und ArbeiterInnen seien. So wurden vermeintliche Ungerechtigkeiten auch dort gesehen, wo sie faktisch nicht existierten; beispielsweise stellte die Bohemia 1930 verärgert fest, dass das Brünner tschechische Theater von Stadt, Land und Gemeinde viermal mehr Geld bekäme als das deutsche – die Deutschen machten zu der Zeit allerdings nur rund ein Fünftel der Brünner Bevölkerung aus115. Ähnlich kommentierte sie im März 1922 die Subventionen des Ministerrates für das Brünner Nárdodní divadlo: „Die Brünner Deutschen, die früher das Theater füllten, während es seit der Tschechisierung leer steht, dürfen sich den Mund wischen. Dabei zahlen die Deutschen in Brünn sicher drei Fünftel der gesamten Brünner Steuer.“116 Die den Vereinigten deutschen Theatern tatsächlich gewährten Subventionen darzustellen, ist ein schwieriges Unterfangen: Das Thea114 Bohemia, 18.9.1920, S. 3; die aufgrund eines Satzfehlers der Bohemia entstellte Ziffer ließ sich nicht genauer eruieren, aufgrund der sonst üblichen Zahlen ist davon auszugehen, dass es sich um 1,5 Millionen handelt. 115 Allerdings erhielt das tschechische Theater zusätzlich um einiges mehr vom Staat – doch kann von Land und Gemeinde wohl kaum verlangt werden, die Theaterpolitik der Regierung zu „korrigieren“. 116 Bohemia, 18.3.1922, S. 6.
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terarchiv existiert nicht mehr, die Akten im Mährischen Landesarchiv zum Theaterverein, die überdies nur lückenhaft vorhanden sind, geben die staatliche und die Landessubvention gemeinsam an, die Gemeindesubvention fehlt völlig, auch etwaige außerordentliche Zuwendungen finden sich hier nicht. Wenn man alle bruchstückhaften Informationen zur Höhe der Subventionen zusammenfügt, ergibt sich in etwa folgendes Bild: Das Brünner deutsche Theater bekam von der Stadt das Redoutengebäude gratis zur Verfügung gestellt, die Stadt erließ ihm außerdem die Heizund Beleuchtungskosten. Von Land und Staat (Unterrichtsministerium) zusammen erhielt das Theater von 1922 bis 1929 durchschnittlich ca. 355.250 Kronen an Subventionen, 1930 bis 1932 rund 642.150. 1933 erfolgten aufgrund der angespannten Situation der Staats- und Landesbudgets massive Subventionskürzungen für alle tschechoslowakischen Theater; 1934 erhielt das deutsche Theater in Brünn nur noch 344.545,50 K117. Zum Ausgleich schuf der Staat aus Erträgen der Radiogebühren den Radiofonds, der zur Unterstützung der ständigen Theater diente; aus diesem erhielt Brünn 1935 80.000 K, 1936 120.000118. Die Subventionssumme stieg 1935 wieder, allerdings wurde hier die Gemeindesubvention eingerechnet; ob der Radiofonds ebenfalls mit eingerechnet wurde oder nicht, geht aus den Unterlagen nicht hervor119. Für die folgenden Jahre fehlen genaue Zahlen, 1937 stellte Präsident Bene im Zuge des Februar-Abkommens die Lösung der deutschen Kulturfragen und im Rahmen dieser auch des Brünner deutschen Theaters in Aussicht120. Zur allgemeinen Lösung der Kulturfragen kam es zwar nicht, doch Bene unterstützte das Theater im Herbst durch eine außerordentliche Spende und ermöglichte so, ge117 Vgl. die Einladungen zur Hauptversammlung des Theatervereins, MZA, B26 spolky, kart. 2582, Deutscher Theaterverein. 118 Vgl. Tagesbote, 12.9.1935, A S. 3; 8.9.1936, M S. 7. 119 Die Zahlen für das Prager NDT waren um einiges höher, sie betrugen beispielsweise 1936 700.000 K aus dem Radiofonds und 400.000 Landessubvention; vgl. ebd. u. Ursula Stamberg. Deutschsprachiges Theater im Prag der Zwischenkriegszeit. Diss., Wien 1993, S. 15. Vor 1934 hatte die Landessubvention sogar 3 Millionen Kronen betragen; vgl. Tancsik, Die Prager Oper heißt Zemlinsky, S. 219. 120 Vgl. Tagesbote, 6.2.1937, M S. 6; in diesem Abkommen hatten deutsche aktivistische und tschechische Parteien vereinbart, unter anderem bei der Kulturförderung nach der Proportionalität der Bevölkerung vorzugehen.
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meinsam mit einer außerordentlichen Subvention des Unterrichtsministeriums, den Beginn der Spielzeit 1937/38121. Dass die ungenügende Unterstützung durch Staat, Land und Gemeinde für Probleme sorgte, ist ein Punkt, der grundsätzlich auch auf die tschechischen Theater zutraf, insbesondere als die Wirtschaftskrise der dreißiger Jahre die öffentlichen Stellen zu Einschränkungen zwang. Auch das Brünner Nárdodní divadlo, später Zemské divadlo, kämpfte die gesamte Zwischenkriegszeit über mit finanziellen Schwierigkeiten. Zum einen waren die Probleme der tschechischen Theater dieselben wie diejenigen der deutschen (Konkurrenz durch Varieté, Kino, Sport, sinkende Einnahmen der Bevölkerung, Wirtschaftskrise), zum anderen hatten aufgrund der demographischen Entwicklungen der Monarchie und der langsamen Entwicklung eines tschechischen Bürgertums die tschechischen Theater oft tatsächlich geringere Einnahmekapazitäten122. Diese lagen aber auch an den unterschiedlichen Rollen, die dem Theater zugeschrieben wurden: Während die deutschen Theater die Aufgaben der ehemaligen Provinz-Stadttheater weiterführten, also in erster Linie bürgerlichen Repräsentationszwecken dienten, wurde das tschechische Theater im Anschluss an seine Rolle im 19. Jahrhundert auch in der Republik als die Nation einigendes, dem gesamten Volk zur Verfügung stehendes Mittel der Selbstbestätigung verstanden – und dieses Verständnis verlangte natürlich auch billigere Eintrittspreise. Um auf ihre Probleme aufmerksam zu machen, wandten sich die deutschen Theaterverbände – zum Teil unterstützt von deutschen Parteien oder einzelnen Parlamentsabgeordneten – wiederholt in Kommuniqués mit der Bitte um Unterstützung an die verschiedenen politischen VertreterInnen, so beispielsweise der Verband der deutschen Theatererhalter im Frühjahr 1921. Ob der Ton der Denkschrift tatsächlich derselbe war, wie derjenige der Zeitungsmeldung, kann man dabei
121 Vgl. Bohemia, 2.9.1937, S. 6. 122 Auf eine Anfrage des Landesamtes Ende 1931 gab das Zemské divadlo für das Gebäude des Landestheaters bei ausverkauftem Haus Einnahmen von 14.459 bis 15.652 Kronen an, die Vereinigten deutschen Theater hingegen für dasselbe Haus 27.482 K. Im Gebäude der Redoute war der Unterschied noch größer: 12.300 K bei deutschen standen nur 3.912 K bei tschechischen Vorstellungen gegenüber. MZA, B40, II. man., kart. 4422, Mappe Vkaz míst v divadelních budovách v zemi Moravskoslezské.
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natürlich infrage stellen, die Absage des zuständigen Sektionschefs spricht allerdings dafür: „Während tschechische Theater jährlich Millionen an Aushilfen erhalten, gewährt der Staat z.B. den deutschen Theatern nur wenige Tausend Kronen. Diese Tatsache, die der kulturellen und wirtschaftlichen Bedeutung der Deutschen in der Republik widerspricht, wird in Denkschriften des Verbandes an den Präsidenten der Republik, den Ministerpräsidenten und das Unterrichtsministerium erörtert und gleichzeitig die Beseitigung dieser Unbilligkeit gefordert werden.“123
Auf dieses Ansuchen antwortet der Sektionschef im Unterrichtsministerium, Jaroslav Kvapil, folgendermaßen: „In Anbetracht Ihres Ansuchens [...] kann das hiesige Ministerium kurz darauf hinweisen, daß der der Unterstützung der deutschen Theater der tsch.-slow. Republik bestimmte Betrag in dem Budgetentwurf für das nächste Jahr schon erhöht worden ist. [...] Das Gesuch der Verbandes erwähnt auch die vermeintlich so großen Unterstützungen, welche die tschechischen Theater aus staatlichen Mitteln genießen. [...] Aber es muß noch bemerkt werden, daß es sich dabei um Theater handelt, welche früher in der öffentlichen Pflege und Unterstützung den Deutschen meistens hintangesetzt, wenn nicht sogar unterdrückt wurden, so daß sie erst jetzt in der zur Errichtung eines Theaters so schwierigen Zeit zu leben anfangen.“124
Diese Antwort wird in der Bohemia unter dem Titel „Der tschechische Kunstpascha und die deutschen Theater“ zitiert und kommentiert: „Dieser Brief [...] ist ein starkes Stück. [...] stellen wir an ihn [Kvapil, K.W.] die Frage: Wann wurde den Tschechen ein Theater geraubt, wie den Deutschen nach dem Umsturz ihr ältestes und wichtigstes Theater geraubt wurde? Wann wurde vonseiten einer österreichischen Regierung ein deutsches Theater einem tschechischen Theater gegenüber bevorzugt? Waren es nicht die Deutschen, die der tschechischen Kunst zur Geltung verhalfen?“125
123 Tagesbote, 25.4.1921, A S. 3. 124 Zit. nach Bohemia, 29.5.1921, S. 2. 125 Ebd.
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Dieses Zitat zeigt, neben völliger Uneinsichtigkeit die Verhältnisse vor 1918 betreffend, auch die – im Kapitel II.1. zum Begriff der Kulturnation bereits besprochene – Ansicht, alle tschechische Kultur würde auf deutscher Kultur beruhen. Weder das Subventionsgesuch noch die Reaktion auf dessen Ablehnung zeugen somit von sonderlich diplomatischem Geschick. Doch auch die tschechischen Theater versuchten auf vielfältige Weise, die Notwendigkeit von Subventionen zu unterstreichen. Auf eine dementsprechende Beschwerde des Brünner Národní divadlo, das im Zuge seiner Finanznöte versuchte, die Regierung unter Druck zu setzen, indem es veröffentlichte, dass es aufgrund fehlender staatlicher Unterstützung die Gagen für die SchauspielerInnen nicht zahlen könnte, antwortete Unterrichtsminister Bechyn 1923 ganz grundsätzlich: „Der Staat könne und werde jedoch nicht für die Betriebsabgänge der Theater im Allgemeinen, daher auch nicht des Brünner Theaters, aufkommen. Die Theater müßten sich der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit der Theaterbevölkerung anpassen.“126
Der wirtschaftliche Betrieb der Theater wurde vom Ministerium auch bei den deutschen subventionierten Theatern beobachtet127, immer wieder wiesen die Behörden darauf hin, dass sie nur Theater subventionieren würden, die umsichtig wirtschafteten. Aufgrund der anhaltenden finanziellen Probleme des Brünner Národní divadlo wurde dieses 1931 in die Verwaltung des Landes Mähren-Schlesien übernommen, das damit auch die Defizite des Theaters zu tragen hatte. Die im Zuge der Verländerung geführten Debatten beleuchten die verschiedensten die Theater betreffenden Problemfelder. Unter anderem befürchteten die übrigen tschechischen und deutschen Theater Mährens und Schlesiens, dass die Verländerung dazu führen könnte, dass das zukünftige Landestheater so viel Geld verbrauchen könnte, dass in Folge die Subventionen für die übrigen Theater eingeschränkt würden. Tatsächlich fielen die Budgetkürzungen der nächsten Jahre stets für die übrigen Theater höher aus als für das Zemské divadlo; die deutschen Theater betonten in dem Zusammenhang immer wieder, dass ihnen aufgrund des Bevölkerungsschlüssels höhere Subventionen zustünden. So wurde beispielsweise in der Sitzung des Finanzausschusses der Landesvertre126 Tagesbote, 7.11.1923, A S. 3. 127 Vgl. die Akten im MZA, B40, II. man., kart. 4422, 4423.
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tung, in der die mögliche Verländerung besprochen wurde, ein Antrag eingebracht, die für die Theater in Mähren und Schlesien verwendeten Gelder mögen im nationalen Verhältnis 3:1 aufgeteilt werden. Die Ablehnung dieses Antrags kommentierte der Tagesbote folgendermaßen: „Diesen Antrag, der dem selbstverständlichen Grundsatz der verfassungsmäßig verbürgten Gleichheit entspricht, hat die geeinte tschechische Mehrheit des Finanzausschusses abgelehnt. Es scheint also die Absicht zu bestehen, Steuergelder zur Vortäuschung einer Überlegenheit der tschechischen Bühnenkunst über die deutsche in diesem Land zu verwenden.“128
Wie der oben zitierte Brief Kvapils zeigt, handelte es sich jedoch nicht um die „Vortäuschung einer Überlegenheit“, sondern vielmehr um eine bewusste Förderung der – in der Monarchie vernachlässigten – tschechischen Bühnen, die die Schlechterstellung der deutschen Theater dabei gleichsam als „ausgleichende Ungerechtigkeit“ in Kauf nahm. Während also in Zeitungskommentaren besonders Anfang der zwanziger Jahre oft harsche Töne die Diskussion bestimmten, schwenkten die Verbände der TheatererhalterInnen und DirektorInnen auf eine versöhnlichere Linie ein und versuchten, eingängigere Begründungen für die Unterstützung der deutschen Theater zu finden, indem sie die vielfältigen Aufgaben der Theater betonten. In einer Denkschrift des Bühnenleiterverbandes an verschiedene Regierungsstellen vom Februar 1930 findet sich folgende Erklärung: „Die verantwortungsvolle Aufgabe der deutschen Theater muß daher raschest auch bei den Regierungsstellen eine Würdigung erfahren. Handelt es sich doch darum, in dem allgemeinen Zusammenbruch der Gesellschaftsmoral nach den Kriegsjahren in der Bevölkerung den Sinn für das Gute, Schöne und Sittliche zu wecken und, wie es sicher auch das Staatsinteresse fordert, zu fördern. Diese Idealziele sind von den staatlichen Zentralstellen bisher nicht erkannt und unterstützt worden. Es ist notwendig, diese bedrohten Kunstinstitute durch ausreichende Zuschüsse von ihrem Existenzkampf zu befreien und auf längere Zeit sicherzustellen.“129
128 Tagesbote, 20.11.1929, M S. 3f., „Förderung des tschechischen Theaterwesens auf Kosten des deutschen?“. 129 Tagesbote, 4.2.1930, M S. 3.
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Hier wurde vor allem mit den moralischen Aufgaben der Theater argumentiert, die BürgerInnen abseits von nationaler Zugehörigkeit moralisch zu erheben und so auch zu besseren StaatsbürgerInnen zu machen. In den nächsten Jahren kam dazu auch eine stärkere Betonung der national versöhnenden Wirkung des Theaters, wie bei einer Diskussion im Brünner Theaterverein im November 1933, wo von den „öffentlichen Faktoren“ gefordert wurde, sie „sollten sich die national ausgleichende Wirkung des Theaters vor Augen halten bei der Beurteilung der Zweckmäßigkeit der Subventionierung.“130 Gewissermaßen den Schlusspunkt dieser Entwicklung setzte Rudolf Zeisel, der bei seiner Bestellung zum Direktor des demokratischen Theaters in Brünn für die Spielzeit 1938/39 dieses in den Dienst der „kulturellen Landesverteidigung“131 stellen wollte. Wie wenig zweckmäßig der aggressive Ton mancher Zeitungen – in den späten dreißiger Jahren vor allem der der SdP nahestehenden Blätter – war, schienen einzelne TheaterdirektorInnen durchaus gesehen zu haben. So riet der Direktor des Neuen Deutschen Theaters in Prag, Paul Eger, 1937 dem Präsidenten des Bühnenbundes Leopold Kopka, die gemeinsame Denkschrift an verschiedene öffentliche Stellen besser nicht zu veröffentlichen: „Von einer Veröffentlichung des Memorandums rate ich ab. Solche Dinge machen immer böses Blut. Ich habe für das Prager Deutsche Theater die Erfahrung gemacht, dass man mit Verhandlungen weiter kommt wie durch Propaganda.“132
130 Tagesbote, 20.11.1933, A S. 3. 131 Ostrauer Zeitung (Abendblatt), 26.7.1938, o.S.; vgl. dazu Kap. IV.10. 132 Eger an Kopka, 23.11.1937, AHMP, Fond nmecké divadlo v Praze, Inv.. 19, kart. 19, Mappe Bühnenbund in der Tschechoslowakischen Republik Brno 1930-1938. Wenige Wochen zuvor hatte Kopka auf den nach dem Februar-Abkommen günstigen Zeitpunkt zur Mobilisierung größerer Unterstützung hingewiesen: „Ich glaube, dass gerade jetzt eine außerordentlich gross [sic] aufgezogene Aktion so rasch wie möglich eingeleitet werden müsste und dass die Grundlage dieser Aktion der Hinweis auf die Vereinbarungen vom 18. Feber und die Feststellung, dass das Theater im Rahmen dieser Aktion aufgenommen werden muss, weil es ja in kultureller Beziehung ein weithin sichtbares Symbol darstellt, das nicht unberücksichtigt bleiben darf, bilden.“ Kopka an Eger, 10.11.1937, ebd.
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Auch vonseiten der Geldgeber wurde mitunter der Zusammenhang zwischen Subvention und Verhalten des Theaters herausgestrichen, so von der Abgeordneten Pechmanová in einer Debatte des Kulturausschusses der böhmischen Landeskammer um die Errichtung und Dotierung des Theaterfonds: „Es müsse aber verlangt werden, daß die bedrohten deutschen Institutionen, wenn sie eine Unterstützung aus dem Theaterfonds verlangen, anerkennen, daß es ihre Pflicht sei, sich loyal auf den Boden des Staates zu stellen; das bedeute nicht, daß sie dies durch irgendein formales Bekenntnis tun könnten, sondern dadurch, daß sie gewissenhaft die Gesetze und Verordnungen einhalten werden, namentlich das Sprachengesetz.“133
Die Kulturpolitik anderer Stellen Unterschiedliche tschechoslowakische Ämter verfolgten in ihrer Haltung gegenüber den deutschen Theatern allerdings durchaus unterschiedliche Strategien und Ziele. So drohte z.B. das Kuratorium, das das Brünner Národní divadlo bis 1931 betrieb, bei Verkürzungen der staatlichen Subventionen134 stets damit, dem deutschen Theater einen oder beide Spieltage im Stadttheater zu entziehen – diese Taktik änderte sich auch nicht, als das Theater ab 1931 vom Land Mähren-Schlesien verwaltet wurde. Als 1934 die staatlichen Subventionen für alle Theater massiv gekürzt wurden und im Zuge dessen das Zemské divadlo statt einer Million Kronen nur noch eine halbe Million erhalten sollte, tauchte die altbekannte Drohung, diesmal vom Landesamt selbst ausgesprochen, wieder auf. Das Schulministerium reagierte darauf ausgesprochen unwirsch: „Das Schulministerium habe dem Landesausschuß mitgeteilt, daß es die zugesagte Unterstützung für das Landestheater nicht gewähren könnte, wenn dem deutschen Theater künftig nicht die zwei Spieltage in der Woche unter den bisherigen Bedingungen überlassen werden sollten. Obwohl dem Land keine größere, sondern nur die gekürzte Staatsunterstützung von einer halben Million 133 Bohemia, 12.4.1935, S. 5. 134 Darüber, ob die als Entschädigung für die beiden deutschen Spieltage zugestandene Million Kronen stets bei dieser Höhe bleiben müsste, herrschte zwischen Theater und Ministerium durchaus keine Einigkeit. Vgl. Tagesbote, 7.11.1923, A S. 3.
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zugesagt werde, drohe das Schulministerium, dem Landestheater auch diese gekürzte Unterstützung zu entziehen, wenn den Deutschen nicht die beiden Spieltage weiter überlassen bleiben.“135
Der Landesausschuss schickte eine Verhandlungsdelegation nach Prag, die jedoch nicht das gewünschte Ergebnis erzielte: Die Verkürzung der Subvention blieb bestehen, das Land machte daraufhin seine Drohung wahr und entzog dem deutschen Theater einen der beiden Spieltage, worauf der Unterrichtsminister allerdings nicht reagierte. Diese Diskrepanz zwischen relativ wohlwollenden Regierungsstellen (deren tatsächliches Eingreifen sich dann aber mitunter in Grenzen hielt) und einem wenig kooperativen mährischen Landesausschuss zeigte sich in den dreißiger Jahren des Öfteren – auch bei der Spaltung des deutschen Ensembles 1938 spielte der Landesausschuss eine wenig rühmliche Rolle136. Auch in der Brünner Gemeindevertretung waren sich die unterschiedlichen tschechischen Parteien oft nicht über den Umgang mit dem deutschen Theater einig. So kam es in den Diskussionen um den geplanten Verkauf eines städtischen Grundstücks an die Theaterbaugemeinde zu gröberen Unstimmigkeiten, die 1934 so weit führten, dass der Rücktritt des Bürgermeisters im Raum stand. Im Bericht des Tagesboten über die Sitzung der Stadtvertretung, in der der Verkauf beschlossen und der Kaufpreis bestimmt wurde, werden die Ereignisse so dargestellt: „Von tschechischer Seite wurde der Stadtratsantrag scharf bekämpft, besonders von Seiten der tschechischen nationalsozialistischen Bürgermeisterpartei, und erst als Bürgermeister Tomes [sic] erklärte, daß er für die Annahme des Antrags sein Wort verpfändet habe, stellten sich die tschechischen bürgerlichen Parteien auf den Standpunkt, daß diesem Faktum gegenüber nichts mehr zu machen sei, daß sie aber dem Bürgermeister ihr Vertrauen entziehen müssen. Die Annahme des Antrags erfolgte hierauf einstimmig.“137
Was die Kulturpolitik der deutschen Vereine anbelangt, nahm der Bund der Deutschen, der sich nicht nur als Wirtschaftshilfe-Verein, sondern auch als Kulturorganisation der Sudetendeutschen verstand, 135 Tagesbote, 14.4.1934, M S. 7. 136 Vgl. dazu Kap. IV.10. 137 Bohemia, 26.9.1934, S. 5.
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eine besondere Stellung ein. Während zuvor vor allem die Schulen im Mittelpunkt seines Interesses gestanden waren, bezog der BdD ab 1936 die Theater explizit in seine Kulturpolitik ein. Im Februar 1936 hielt Henlein im Prager Deutschen Haus einen programmatischen Vortrag über „Deutsche Kulturaufgaben in der Tschechoslowakei“, bei dem er auch auf die Situation des Theaters einging. Nachdem er festgestellt hatte, dass „hohles Literatentum und dekadente Asphaltliteratur“ auch die Spielpläne der Theater durchziehen würden, meinte er: „Die heutige Not unserer Bühnen ist nicht eine Angelegenheit, die lediglich wirtschaftlich zu lösen ist. Der geringe Widerhall, den unsere Bühnen im Volke finden, ist nur ein Beweis dafür, daß ihre Programmgestaltung die Verbindung mit dem wahren Empfinden des Volkes verloren hat.“138
Wohl nicht zufällig versuchte auch die Brünner Bezirksorganisation des BdD ab diesem Jahr auf das Theater zuzugreifen. Neben der Einrichtung einer Sondermiete139 plante sie 1936 auch Festveranstaltungen in Kooperation mit dem Theaterverein. Zu einem Eklat kam es bei der geplanten Aufführung von Goethes Egmont mit reichsdeutschen Gästen zugunsten der Sudetendeutschen Volkshilfe; für die Mitwirkung des Theaters verzichtete der BdD zugunsten des Theaters auf seine alljährliche Silvesterveranstaltung im Deutschen Haus. Bei den ersten Gesprächen bezüglich der Besetzung hatten sich BdD und Theaterverein auf die Verpflichtung von Paul Hartmann vom Preußischen Staatstheater in Berlin für die Titelrolle geeinigt, später wollte der BdD noch Tony van Eyck und Walter Franck, ebenfalls vom Preußischen Staatstheater, engagieren. Nun mehrten sich in den Zeitungen die Vermutungen, dass der BdD diese SchauspielerInnen engagierte, um bei seinen Vorstellungen ein rein „arisches“ Ensemble präsentieren zu können. Die Lidové noviny schrieben: „Aber die Vereine einigten sich darauf, dass sie nur Schauspielern aufzutreten gestatten, die ihre Ansichten über die Rassenlehre teilen und die auch vor den strengen rassistischen Maßstäben bestehen. [...] Wir glauben, dass gute Schauspieler eingeladen waren, aber gleichzeitig solche mit einer garantiert arischen Großmutter. Die Brünner Kulturorganisationen sehen darin eine politische De-
138 Tagesbote, 25.2.1936, M S. 3. 139 Vgl. dazu S. 232f. im Kap. IV.8.
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monstration, hinter der die Henlein-Anhänger stehen, und beabsichtigen dagegen zu protestieren.“140
Jedenfalls erteilte das Landesamt keine Arbeitsgenehmigung für Tony van Eyck und Walter Franck, um die erst in letzter Sekunde angesucht worden war, was wiederum BdD, Sudetendeutsche Volkshilfe und SdP zu Protesten veranlasste. Der durch die Absage der Aufführung entstandene Schaden wurde dabei mit 30.000 Kronen beziffert, worauf die Prager Presse kühl antwortete: „Tatsache ist, daß nicht das Arbeitsamt, sondern die seltsame Sehnsucht der beiden Vereine nach ausländischen Schauspielern (man sagt, sie sei dem arischen Denken und Fühlen entsprungen) den Schaden verursachte.“141
Der Bühnenbund hatte sich auf Anfrage des Ministeriums für soziale Fürsorge zwar nicht ausdrücklich gegen die Arbeitserlaubnis ausgesprochen, „teilte aber mit, dass das deutsche Theater in Brünn die Rollen mit seinen qualifizierten Schauspielern besetzen könnte.“142 Da jedoch Hartmann von Direktor Kramer als „Schauspieler von außergewöhnlicher Qualität“ bezeichnet worden war, sei für ihn eine Arbeitserlaubnis erteilt worden, die beiden anderen Ansuchen aber in Hinblick auf den Schutz des heimischen Arbeitsmarktes abgelehnt worden. Bei der Hauptversammlung des Brünner Bezirksverbandes des BdD im Februar 1937 beurteilt der Tätigkeitsbericht für 1936 die Ergebnisse nichtsdestotrotz positiv: „Der Bundesbezirk Brünn hat [...] mit dem Deutschen Theaterverein einen Sondermietvertrag abgeschlossen, um die bisher verärgert und teilnahmslos beiseite stehenden völkischen Kreise einerseits dem Theater wieder zuzuführen, anderseits um den völkischen Einfluß auf die Gestaltung des Spielplanes des Brünner deutschen Theaters zur Geltung zu bringen. Dieser Versuch wird als gelungen betrachtet, obwohl sich dieser Einfluß erst in der nächsten Spielzeit voll auswirken wird.“143 140 Lidové noviny, 2.12.1936, M S. 7. 141 Prager Presse, 8.12.1936, S. 6. 142 Min. soc. pée an Min. zahranicích vcí, 18.1.1937, NA, Min. vnitra, stará registratura 1919-1944, IV. obd. 1936-40, odd. 5, sign. 5/393/4 (Veobecné záleitosti tk. se divadel 1933-1939), kart. 4905; Orig. tschechisch. 143 Tagesbote, 26.2.1937, M S. 4.
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Dass diese Einschätzung zu positiv war, sollte sich kurze Zeit später zeigen, als der Theaterverein die Bedingungen des BdD schlicht ablehnte144.
IV.6 N ATIONALE A RGUMENTE IM KONKURRENZKAMPF DER S CHAUSPIELER I NNEN Die schlechte wirtschaftliche Situation der Theater hatte weiters die Auswirkung, dass der Konkurrenzkampf der Theater mit anderen Unterhaltungsangeboten, aber auch der SchauspielerInnen untereinander um die Arbeitsplätze massiv geführt wurde. Je nach Stoßrichtung dieser Kämpfe wurden dabei die unterschiedlichsten Koalitionen geschlossen: Gegen die Laientheater, die zunehmend professioneller wurden und nach 1933 in Prag beispielsweise emigrierten SchauspielerInnen zumindest ein Betätigungsfeld mit einem geringen Einkommen bieten konnten, wandten sich TheaterdirektorInnen, TheaterbetreiberInnen und SchauspielerInnen gemeinsam. Anders stellen sich die Fronten im Kampf der SchauspielerInnen gegen die BühnenanfängerInnen dar. Dieser hatte vor allem finanzielle Gründe: AnfängerInnen erhielten ein um einiges niedrigeres Gehalt als erfahrene SchauspielerInnen und wurden daher von TheaterdirektorInnen gerne eingestellt, wenn ein Theater wirtschaftliche Probleme hatte. Schlussendlich arbeiteten jedoch auch in diesem Fall SchauspielerInnen und DirektorInnen zusammen, da auch die DirektorInnen trotz aller Einsparungsmaßnahmen daran interessiert waren, das schauspielerische Niveau der Bühnen nicht allzu weit absinken zu lassen. In der versuchten Abwehr ausländischer Arbeitskräfte schließlich standen sich zum einen DirektorInnen und Gesetzgeber gegenüber, zum anderen bekämpften SchauspielerInnen einander hier gegenseitig. Diesem komplexen Bereich wird dieses Kapitel den meisten Raum widmen. Während in Deutschland die schlechte Arbeitsmarktsituation und die niedrigen Einkommen der SchauspielerInnen von der NSDAP gezielt benutzt wurden, um die SchauspielerInnen für die eigene Propaganda empfänglich zu machen – was beispielsweise auch zur Grün-
144 Vgl. dazu weiter unten, Kap. IV.8.
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dung von NS-Betriebszellen in österreichischen Theatern führte145 –, und in Österreich die Österreichische Länderbühne ab 1936 neben der Verbreitung österreich-patriotischer Kultur auch die Aufgabe erfüllte, arbeitslose SchauspielerInnen zu beschäftigen146, war die Situation in der Tschechoslowakei aufgrund des Minderheitsstatus der Deutschen komplexer. Klare EntscheidungsträgerInnen gab es hier kaum, so muss von Fall zu Fall analysiert werden, wer warum welche Positionen vertrat. Politische Hintergründe der Ereignisse sind, wenn sie nicht offen benannt wurden, aufgrund der informellen Entscheidungsabläufe heute oft nur noch schwer nachzuvollziehen. Laientheater Laienaufführungen stellen für Theater erst dann eine wirkliche Konkurrenz dar, wenn das Einkommen der Bevölkerung so weit sinkt, dass diese sich genau überlegen muss, wofür sie es ausgibt. Laientheater haben dabei neben dem Vorteil, ihre „Ware“ weitaus billiger zu produzieren und damit auch verkaufen zu können, die Erleichterung, über ihre TeilnehmerInnen interessierte Personenkreise direkt erreichen zu können. Die Laienproduktionen wurden in der Zwischenkriegszeit immer professioneller; sie bezahlten z.T. Gehälter, ließen sich von Professionellen aus den verschiedensten Gebieten des Theaters unterstützen und bewarben ihre Veranstaltungen wie professionelle Theateraufführungen. Laienaufführungen konnte jeder Verein veranstalten, der dies in seinen Statuten angegeben hatte, die Grenze zum professionellen Theater war ausgesprochen schwammig, da sie nicht grundsätzlich festgelegt war, sondern eben von den jeweiligen Vereinsstatuten abhing. Die Theater erhoben dagegen immer wieder Einspruch und versuchten sich auf die verschiedensten Arten gegen die Konkurrenz zu wehren. Folgender Artikel aus dem Tagesboten veranschaulicht die Bandbreite der Gegenmaßnahmen, die die Theater ergriffen: „Der Theaterausschuß und die Bühnenleitung sind somit gehalten, ausnahmslos allen Liebhabervorstellungen jede Unterstützung, sei es durch Mitwirkung von Bühnenangehörigen, sei es durch Entlehnung von Ausstattungsgegenständen, Studiermaterial u. dgl., zu versagen. Da auch unsere Bühne einen sich alljährlich steigernden Daseinskampf zu bestehen hat, der auch durch die in 145 Vgl. Thaller, „Arisches Theater“, S. 36ff. 146 Vgl. Haider-Pregler, Exilland Österreich, S. 101.
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Brünn immer mehr überhand nehmenden Liebhabervorstellungen in fühlbarster Weise erschwert wird, ersucht der Theaterausschuß die hiesigen deutschen Vereine, von derartigen Veranstaltungen abzusehen, ist hingegen gerne bereit, wirkliche Wohltätigkeitszwecke durch Veranstaltung beruflicher Theatervorstellungen unter entgegenkommenden Bedingungen zu unterstützen. Die in Betracht kommenden Körperschaften haben auch bei der Autoren- und Verlegervereinigung Schritte unternommen, damit diese die Erteilung von Aufführungsrecht und das Verleihen von Studiermaterial unter allen Umständen verweigern.“147
Hier wurde also mit allen Mitteln gekämpft, obwohl die VeranstalterInnen dieser Laienaufführungen, denen hier jede Unterstützung versagt wird, vermutlich fleißige BesucherInnen der Brünner Vereinigten deutschen Theater waren. Dies stellte eine Zuschrift an den Tagesboten aus DilettantInnen-Kreisen fest, die sich gegen die Anfang Jänner 1928 zum wiederholten Mal beschlossene Verweigerung der Unterstützung von Laienaufführungen wandte148. Der Theaterverein hatte zuvor in einer Veröffentlichung die Vereine gebeten, von der Abhaltung von Laienaufführungen abzusehen, da diese eine schwere Schädigung des Theaters bedeuten würden – nicht nur wegen der verminderten Einnahmemöglichkeiten, sondern auch deshalb, weil der Theaterbetrieb durch die Mitwirkung in seiner eigenen Arbeit gehemmt war, vor allem aber, weil „das Theater durch solche Veranstaltungen und durch die Proben dazu wertvolle Spieltage im Deutschen Haus verliert.“149 Das allerdings ist nicht den veranstaltenden Vereinen anzulasten, sondern dem Deutschen Haus, das den Festsaal anscheinend lieber für Laienaufführungen verlieh, als ihn dem Theater zu überlassen. Eine weitere Front, an der dieser Kampf geführt wurde, war die behördliche: Einerseits sollte das geplante Theatergesetz, an dem neben dem tschechischen Schauspielerverband auch der Bühnenbund zu Stellungnahmen eingeladen wurde, das Verhältnis von BerufsschauspielerInnen und DilettantInnen lösen – dies scheiterte daran, dass das Theatergesetz in verschiedenen Vorlagen zwar beständig diskutiert, aber nicht beschlossen wurde. Andererseits wurde in Eingaben an das Landesamt immer wieder die Untersagung von Laienaufführungen ver-
147 Tagesbote, 16.9.1925, A S. 3. 148 Vgl. Tagesbote, 6.1.1928, M S. 6. 149 Tagesbote, 2.1.1928, A S. 3.
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langt150; dieses konnte jedoch nichts unternehmen, wenn der betreffende Verein in seinen Statuten die Veranstaltung von Laienaufführungen als einen der Vereinszwecke angegeben hatte. Interessanterweise scheint das Vorgehen des Brünner Theaters gegen die Dilettantenvereine abgenommen zu haben, seit diese den EmigrantInnen ein Betätigungsfeld boten151. BühnenanfängerInnen Ein weiteres Feld, auf dem die Existenzkämpfe der Schauspieler und Schauspielerinnen ausgetragen wurden, stellten die Diskussionen um BühnenanfängerInnen dar. Mit dem Ansteigen der Arbeitslosigkeit unter den SchauspielerInnen im Zuge der Theaterkrise begannen diese, in den AnfängerInnen vor allem KonkurrentInnen zu sehen, die insbesondere deshalb gefährlich waren, weil sie – als unerfahrene Neulinge – geringere Gagen erhielten als erfahrene Profis. Ab Mitte der zwanziger Jahre wurde deshalb vonseiten des Bühnenbundes versucht, AnfängerInnen mit verschiedenen Mitteln abzuschrecken, so zum Beispiel mit einer über die Theater verhängten Sperre für BühnenanfängerInnen (bei der die DirektorInnen selbstverständlich nicht mitspielten), später mit der gemeinsam mit dem Direktorenverband durchgeführten Bühnenberechtigungsprüfung. Im Frühjahr 1925 verhängte der Bühnenbund für die gesamte Spielzeit 1925/26 eine Anfänger-Sperre für alle deutschen Theater auf dem Gebiet der Tschechoslowakei; dies allerdings weniger, um die AnfängerInnen vom Theater zu drängen, sondern um DirektorInnen und BetreiberInnen zu zwingen, auch AnfängerInnen eine Mindestgage zu bezahlen – was bis dahin lediglich in Prag üblich war. Diese Sperre war selbstverständlich ohne Zusammenarbeit mit den DirektorInnen nicht durchführbar, diese stellten sich aber auf den Standpunkt, dass ihnen kollektivvertraglich eine gewisse Höchstzahl an AnfängerInnen zugesichert und die Sperre des Bühnenbundes daher ver150 Vgl. MZA, B40, I. man., kart. 2520; MZA, B40, II. man., kart. 6994, Mappe 108-3 norm. 1929-1934. 151 Diese Vermutung bezieht sich lediglich auf den Brünner Theaterverein; für fundiertere und allgemeinere Aussagen zum Verhältnis des professionellen Theaters und dessen Interessensvertretungen zum Laientheater müsste eine umfassende Analyse des diesbezüglichen Archivmaterials erfolgen.
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tragswidrig wäre. Eine Erhöhung der Gagen hielten sie angesichts der Wirtschaftslage für völlig ausgeschlossen. Der Bühnenbund wiederum stellte in seiner Antwort fest, dass sämtliche Theater die im Kollektivvertrag festgelegte Höchstzahl an AnfängerInnen überschritten – in einzelnen Fällen waren statt der vereinbarten 10 Prozent 90 bis 100 Prozent der angestellten SchauspielerInnen AnfängerInnen152 – und brachte die Motive der DirektorInnen auf den Punkt: „Die anderen [die unbegabten AnfängerInnen, K.W.] jedoch stellen weniger einen Gewinn für die Kunst als für den Direktor dar, der den Erstanfängern bloß ein Drittel der Normalgage zu bezahlen braucht. Und dies ist der eigentliche Kernpunkt der ganzen Frage.“153
Der starke Zulauf zum Theater blieb die gesamte Zwischenkriegszeit hindurch ein Problem, das Bühnenbund und Direktorenverband schließlich gemeinsam zu lösen versuchten, indem sie eine Bühnenberechtigungsprüfung einrichteten. Erste Überlegungen dazu stellte der Bühnenbund bereits im Frühjahr 1927 an; obwohl diese auch in den folgenden Jahren immer wieder auf der Tagesordnung der Verbandstagungen standen, erfolgte die Einführung der Bühnenberechtigungsprüfung erst 1933154. Sie wurde vor einer Kommission aus TheaterdirektorInnen und RegisseurInnen in Prag oder in Brünn abgelegt und fand jeweils zweimal jährlich statt. Doch mit dieser Einrichtung begannen die Probleme um die AnfängerInnen erst wirklich: Das Niveau der Prüflinge wurde durchgängig als ausgesprochen schlecht bezeichnet, dementsprechend groß war die Anzahl derjenigen, die sie nicht positiv absolvierten und dementsprechend groß war der Unmut vieler über die Prüfung. Dies wiederum führte dazu, dass sowohl die Objektivität der Prüfenden als auch die grundsätzliche Sinnhaftigkeit der Prüfung immer wieder angezweifelt wurden. Um dem vor allem den Behörden 152 Wobei als AnfängerInnen SchauspielerInnen im ersten bis dritten Berufsjahr galten. 153 Tagesbote, 28.3.1925, A S. 3; vgl. weiters Tagesbote, 19.3.1925; Bohemia 14.3.1925, S. 6; Tagesbote, 13.3.1925, M S. 6; Bohemia, 8.3.1925, S. 8. 154 Die Bühnenberechtigungsprüfung war vor allem notwendig geworden, weil Deutschland neben dem „Arierparagraphen“ eine solche eingeführt hatte und sich in Zukunft weigern wollte, „ungeprüfte“ SchauspielerInnen anzustellen. In Österreich wurde eine Zulassungsprüfung im Herbst 1935 eingeführt. Vgl. Brückl-Zehetner, Theater in der Krise, S. 195ff.
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gegenüber, bei denen sich durchgefallene oder zurückgestellte BewerberInnen immer wieder beschwerten, etwas entgegenzuhalten, wurden der Prüfung bald VertreterInnen des tschechischen Schauspielerverbandes zugezogen, doch das änderte nichts an den Einwänden der GegnerInnen, die mitunter sogar zu Verleumdungsklagen der Mitglieder des Bühnenbundes führten155. In der Frage der BühnenanwärterInnen überschnitten sich der Kampf der bereits beschäftigten SchauspielerInnen gegen den Andrang an Nachwuchs und derjenige der arbeitslosen inländischen SchauspielerInnen gegen die ausländischen KünstlerInnen. Der Bühnenbund wurde in diesem Zusammenhang der Unterstützung von AusländerInnen beschuldigt, während einheimische SchauspielerInnen kein Engagement fänden – die Zahlen, mit denen dabei argumentiert wurde, waren allerdings oft genug falsch, wie sich überhaupt bei Durchsicht der Quellen herausstellt, dass die Vorwürfe kaum haltbar sein dürften156. Die Debatten um die Anstellung von AusländerInnen wurden auch in Deutschland und Österreich geführt, wobei die DirektorInnen stets für vollste Freizügigkeit waren. Dies wurde in Maßen auch von den Schauspielerverbänden unterstützt, da diese durch rigorose Arbeitsmarktschutzgesetze Nachteile im Ausland befürchteten. So stellten beispielsweise Bühnenleiterverband und Verband der Theatererhalter 1927 fest, dass in der Spielzeit 1926/27 320 SchauspielerInnen aus Deutschland, Österreich und der Schweiz in der Tschechoslowakei arbeiten würden, wogegen in diesen Ländern 1.229 tschechoslowakische SchauspielerInnen beschäftigt wären (347 davon in Österreich), da dort Angehörige des Theaters von den Gesetzen zum Schutz des Arbeitsmarkts ausgenommen seien157. 1935/36 hatte sich das Verhältnis 155 Vgl. die diesbezüglichen Akten im AHMP, Fond nmecké divadlo v Praze, Inv. . 12, kart. 10, Mappe Vereinigte deutsche Theater, Brno, 19311938 u. Inv. . 19, kart. 19, Mappe Bühnenbund in der Tschechoslowakischen Republik Brno 1930-1938. 156 Vgl. beispielsweise eine Darstellung von Nikolaus Janowsky im Tagesboten vom 24.9.1935, M S. 3, oder die im Tagesboten vom 27.4.1934 (M S. 4) veröffentlichte Zuschrift vom Schutzverband, in der fälschlicherweise behauptet wurde, 80% der SolistInnen an den deutschen Theatern der Tschechoslowakei wären AusländerInnen. 157 Verband deutscher Bühnenleiter in der Tschechoslowakei und Verband der deutschen Theatererhalter in der Tschechoslowakischen Republik an Ministerium des Inneren, 20.6.1927, NA, Min. vnitra, stará registratura
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geändert: In Österreich arbeiteten angeblich nur 22 TschechoslowakInnen am Theater (die Zahlen für Deutschland waren nicht bekannt), wohingegen 206 ÖsterreicherInnen und Deutsche in der Tschechoslowakei beschäftigt wären; davon wären 126 ÖsterreicherInnen und lediglich 47 Deutsche158. Die stark verminderte Anzahl an tschechoslowakischen SchauspielerInnen, die in Österreich ein Engagement hatten, hing damit zusammen, dass in der Zwischenzeit in Österreich auch die Theater in das Gesetz zum Schutz des heimischen Arbeitsmarktes einbezogen worden waren. Im Zuge dieser Gesetzesänderung war es 1934 genau zur selben Argumentation wie in der Tschechoslowakei gekommen: „Angeblich waren damals etwa 1.400 Sänger und Schauspieler im Ausland beschäftigt, während an österreichischen Bühnen nur ca. 60 Ausländer Engagementverträge hatten (Neues Wiener Journal, 11. April 1934)“159. Ausländische KünstlerInnen Verständlicherweise versuchten die Theater, möglichst qualifizierte Kräfte einzustellen160. Die Bühnenprüfung diente unter anderem dazu, vor den Behörden – deshalb auch die Zuziehung tschechischer VertreterInnen – zu untermauern, dass nicht genügend gute inländische SchauspielerInnen vorhanden wären, und daher AusländerInnen beschäftigt werden müssten. Der Bühnenbund verstand sich nämlich – im Gegensatz zu Deutschland, wo die Mitgliedschaft in der Reichstheaterkammer den „Ariernachweis“ voraussetzte161, aber auch zu Ös1919-1944, IV. obd. 1936-40, odd. 5, sign. 5/393/4 (Veobecné záleitosti tk. se divadel 1933-1939), kart. 4905. 158 Aktenvermerk des Innenministeriums o.D., ebd. 159 Haider-Pregler, Exilland Österreich, S. 102. 160 Ein Anliegen, das Hansjörg Schneider allerdings lediglich als „Hintertür“ zur Umgehung der Beschäftigung von InländerInnen bezeichnet. Vgl. Schneider, Exiltheater in der Tschechoslowakei, S. 44. 161 Die Frage, ob nichtdeutsche jüdische SchauspielerInnen in NS-Deutschland engagiert werden konnten, ist bis heute nicht zur Gänze geklärt. Grundsätzlich galten die deutschen Gesetze, also auch die Nürnberger Rassengesetze, nur für deutsche StaatsbürgerInnen. Aufgrund des Kartellverbandes bestanden also eigentlich keine rechtlichen Hindernisse, jüdische SchauspielerInnen, die in Österreich oder der Tschechoslowakei die Bühnenberechtigungsprüfung absolviert hatten, in Deutschland anzustel-
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terreich, wo der ständestaatliche Ring österreichischer Bühnenkünstler ebenfalls in erster Linie als Vertreter der ÖsterreicherInnen agierte – als Berufsvertretung aller tschechoslowakischen und in der Tschechoslowakei engagierten (also auch ausländischen) deutschsprachigen Schauspieler und Schauspielerinnen. Und genau das passte den engagementlosen SchauspielerInnen tschechoslowakischer Staatsbürgerschaft nicht. Die Frage, ob es genug einheimischen Nachwuchs gäbe, durchzog dementsprechend die Debatten und wurde von den VertreterInnen der unterschiedlichen Interessen stets divergierend beantwortet: Die arbeitslosen SchauspielerInnen behaupteten stets, es gäbe genug qualifizierte inländische arbeitslose SchauspielerInnen und führten sich selbst als Beispiel an. Die DirektorInnen hingegen erklärten immer wieder, dass gute inländische Kräfte meist ins Ausland abwanderten – insbesondere Brünn hatte dieses Problem, da das Niveau der Bühne eigentlich ein hohes und das Publikum relativ anspruchsvoll war. Der Theaterverein betonte daher immer wieder, dass „das Niveau unserer Bühne nicht mit den Theatern der Provinz verglichen werden kann“162, wenn es um die Einstellung von SchauspielerInnen ging. Und dass die Qualitäten der mit Vehemenz auf Beschäftigung drängenden SchauspielerInnen nicht immer die besten waren, wurde vonseiten der Theater des Öfteren festgestellt. Der Theaterkritiker Gerhard Rosenberg traf in einem langen Artikel im Tagesboten, der sich mit der neuen Situation für die Theater nach der nationalsozialistischen „Machtergreifung“ beschäftigte, ein hartes Urteil: „Was aus Deutschland an Darstellermaterial abströmt und auf Grund seiner Staatszugehörigkeit stürmisch Beschäftigung in der Heimat verlangt, ist teils Mittelmaß, zum überwiegenden Teil aber stärkstes Untermittelmaß. [...] Es haben sich Verbände engagementloser Künstler gebildet, die, auf ihre Staatsbürgerschaft pochend, die dringende Forderung erheben, bei Verpflichtungen an inländischen Bühnen vor Ausländern den Vorrang zu erhalten. Selbstverständlich gibt es in den Reihen dieser Verbände auch Künstler, die wegen bescheidener Begabung selbst unter normalen Verhältnissen nur schwer ein Unterkommen fänden, dann auch solche, die in besseren Tagen nicht davor zurückschreckten, ihre Herkunft zu verleugnen oder geflissentlich zu fälschen – ‚Jelen. Es ist allerdings davon auszugehen, dass nur die wenigsten Theater (wissentlich) jüdische SchauspielerInnen engagiert hätten. 162 DTv an Landesbehörde, 23.2.1937, MZA, B40, III. man., kart. 4117, Mappe Deutscher Theaterverein.
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der zweite Schauspieler stammt aus Wien‘163 – und die nun den Augenblick für geeignet erachten, mangelnde Fähigkeiten durch einen Appell an das soziale Gewissen der Mitbürger auszugleichen.“164
Die Mittel, die manche engagementlose SchauspielerInnen dabei einsetzten, waren nicht die vornehmsten und reichten von falschen Angaben gegenüber den Zeitungen über Interventionen bei den verschiedenen öffentlichen Stellen bis zu unverhüllten Drohungen gegen Mitglieder des Bühnenbundes. Aufgrund der komplizierten Lage in der Tschechoslowakei nach 1933, wo Personen aus Deutschland genauso gut EmigrantInnen wie SympathisantInnen des Nationalsozialismus sein konnten, muss stets genau unterschieden werden, gegen wen sich die Angriffe in Wirklichkeit richteten, um eine Beurteilung der jeweiligen Gruppierungen abgeben zu können. In der Tschechoslowakei wurden 1933/34 zwei Vereine gegründet, die die Unterbringung von einheimischen KünstlerInnen zum Ziel hatten: die Not- und Schutzgemeinschaft inländischer deutscher Bühnenangehöriger und Bühnenanwärter der tschechoslowakischen Republik mit Sitz in Brünn und der Schutzverband deutscher Bühnenvorstände und Bühnenkünstler aus der SR mit Sitz in Prag. Während sich, wie die Namen bereits sagen, die Not- und Schutzgemeinschaft vor allem um AnfängerInnen und SchauspielerInnen, die länger ohne Beschäftigung waren, kümmerte – wobei, wie unten dargestellt wird, deren Beschäftigungslosigkeit vor allem am künstlerischen Niveau gelegen haben dürfte –, vertrat der Schutzverband vor allem RegisseurInnen und DirigentInnen. Beide Vereine warfen dem Direktorenverband aber auch dem Bühnenbund vor, AusländerInnen über Gebühr zu bevorzugen. Inwiefern die beiden Vereine zusammenarbeiteten, oder ob die verschiedenen Verbandssitze auch unterschiedliche Wirkungsbereiche bedeuteten, konnte bis dato nicht geklärt werden; im Folgenden steht die Not- und Schutzgemeinschaft im Zentrum des Interesses, da nur diese für Brünn relevant war. Die Schutzgemeinschaft wurde 1933 von Friedrich Rous gegründet und erhielt im Frühjahr 1934 die Theaterkonzession für Mähren und Schlesien; ihre Tätigkeit beschäftigte das mährisch-schlesische Lan163 Unter der Überschrift „Brünn existiert nicht“ hatte der Tagesbote bereits in den zwanziger Jahren immer wieder Meldungen über ehemalige SchauspielerInnen des Brünner Theaters gebracht, die, sobald sie bekannt waren, ihr Brünner Engagement aus ihrem künstlerischen Lebenslauf tilgten. 164 Tagesbote, 9.7.1933, M S. 7.
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desamt in den nächsten Jahren wiederholt. Die diesbezüglichen Akten im Mährischen Landesarchiv sprechen eine deutliche Sprache, was die Vorgangsweise und Ziele dieses Vereins anbelangt. Die Aufgabe der Schutzgemeinschaft bestand vor allem darin, deutschen SchauspielerInnen tschechoslowakischer Staatsbürgerschaft Arbeitsplätze zu beschaffen. Zu diesem Zweck wurde eine eigene Wanderbühne, die Mährisch-schlesische Landesbühne165 gegründet; außerdem wurde versucht, das Brünner Theater durch Interventionen beim Landesamt zur Anstellung inländischer SchauspielerInnen zu zwingen. Besonders gegen die Bühnenberechtigungsprüfung polemisierte die Schutzgemeinschaft; woher diese Abneigung rührte, wird deutlich, wenn man liest, wie die Prüfungskommission 1934 die gesanglichen Fähigkeiten von Rous, der sich in Werbeanzeigen als „Konkurrent Kiepuras“166 bezeichnete, einschätzte: „Herrn Rous Musikalität läßt leider noch viel zu wünschen übrig und schon deshalb allein ist des Sängers Künstlerschaft in frage [sic] zu stellen. Nicht allein, dass Herr Rous an exponierten Punkten zu tief singt, sein Gesang läßt eine Verzerrtheit des Notenwertes und namentlich des Rhytmus [sic] hören, dass selbst minder musikalische Menschen den Kopf schütteln werden. [...] in seinem eigensten Interesse wäre ihm von einem öffentlichen Auftreten abzuraten.“167
Bereits im Vorjahr hatte die Not- und Schutzgemeinschaft die Abhaltung der Prüfungen beim Landesamt als illegal angezeigt, in einem 165 Im Gegensatz zu diesem offiziell klingenden Namen handelte es sich um eine private Bühne, die allem Anschein nach auch kein politisches Programm vertrat und keine politischen Ziele hatte, sondern wohl in erster Linie der Beschäftigung der Vereinsgründer dienen sollte. 166 MZA, B40, III. man., kart. 4117, Mappe Not- und Schutzgemeinschaft. 167 Abschrift des Gutachtens von Hans M. Habel vom 16.8.1934, MZA, B40, III. man., kart. 4117, Mappe Not- und Schutzgemeinschaft; bereits über ein Probesingen am Brünner Theater 1927 hatte die damalige Kommission, der auch F. Neumann vom tschechischen Theater angehört hatte, festgestellt, „dass der Sänger eine vom gesangstechnischen Standpunkt verbildete Stimme besitzt, mangelnde Atemtechnik hat, schlecht vokalisiert, unrein singt, rythmisch [sic] und in musikalischer Beziehung unsicher ist, sodass in Anbetracht dieser Mängel Herr Rous für diesen Beruf nicht geeignet erscheint.“ Ebd.
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Brief, der vor Unterstreichungen und Rufzeichen nur so strotzt und in dem der Verband darum bittet, „das Stattfinden dieser Prüfungen, die den Betroffenen absolut keinen Vorteil bieten, wohl aber die Existenz zahlreicher tschechoslowakischer Staatsangehöriger ernstlich bedrohen können – ja von vielen als gegen die Inländer gerichtet, empfunden werden – zu untersagen, weiters den oder die Urheber dieses Prüfungsgedankens zu eruieren und, wenn sie Ausländer sind, ihnen die Arbeitsbewilligung in der SR zu entziehen. [...] Ausländer, die sich so benehmen, dass sie Inländer eventuell um ihr Brot bringen, sollten als ‚lästig‘ ausgewiesen werden.“
Nach einer Aufzählung, welche Funktionäre des Bühnenbundes Ausländer wären, folgt noch die empörte Feststellung: „Diese Ausländer haben nun die Kühnheit, sich Prüfungen anzumassen [sic], in welchen sie über Inländer zu Gericht sitzen (!!!), in welchen sie feststellen wollen, ob Tschechoslowaken an tschechoslowakischen Bühnen engagiert werden können oder nicht!! Diese Ausländer massen [sic] sich an, über die Existenz von Inländern im Inland zu entscheiden!“168
Bühnenbund und Direktorenverband setzten zwar beim Landesamt durch, dass weiterhin sie als alleinige Vertreter der deutschen Theater galten, doch hatte der Bühnenbund nun das Problem, sich bezüglich der Anstellungen mit dem Direktorenverband einigen zu müssen, der verständlicherweise die Qualifizierung von SchauspielerInnen oder SängerInnen wichtiger nahm als deren Staatsangehörigkeit. Gleichzeitig war er eben wegen dieser Zusammenarbeit den öffentlichen Angriffen der Not- und Schutzgemeinschaft und des Schutzverbandes ausgesetzt, denen sich die tschechische nationalistische Presse nur zu gerne anschloss. Während Schneider vom Prager Schutzverband annimmt, dass es ihm um die Unterbringung remigrierter KünstlerInnen ging169, war bei der Not- und Schutzgemeinschaft das Gegenteil der Fall, wie 168 Not- und Schutzgemeinschaft an Unterrichtsministerium, Abt. Kunst, o.D. (ca. Mai 1933), NA, Min. vnitra, stará registratura 1919-1944, III. obd. 1931-35, odd. 6, kart. 2637, sign. 6/4/81 – Not- und Schutzgemeinschaft engagementloser inländischer deutscher Bühnenangehöriger und Bühnenanwärter in der SR, v Brn. 169 Vgl. Schneider, Exiltheater in der Tschechoslowakei, S. 44f.
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folgende Feststellung in einem Brief an das Mährische Landesamt vom Sommer 1934 zeigt: „Die Ausländer (meist Emigranten) überfluten unser Land und bilden für uns Inländer eine gefährliche, unlautere Konkurrenz“170. Auch eine im Mährischen Landesarchiv befindliche Mitgliederliste des Vereins legt das nahe; aus dieser geht hervor, dass von sämtlichen 52 Mitgliedern des Vereins nur sieben jemals zuvor in Deutschland aufgetreten waren, die meisten waren entweder noch nie oder seit Jahren nicht mehr auf einer Bühne gestanden. Dementsprechend war auch das Niveau der Aufführungen der von der Not- und Schutzgemeinschaft betriebenen Mährisch-schlesischen Landesbühne, die 1933 eine Konzession für Mähren und Schlesien (ohne Brünn, Olmütz und Ostrau) erhielt171. Die Neu-Titscheiner Zeitung schreibt über ein Tosca-Gastspiel der Landesbühne: „Es war und bleibt hoffentlich bei diesem ‚einzigen‘ Gastspiel der mähr. Landesbühne des Schutzverbandes der Not- und Schutzgemeinschaft inländischer deutscher Bühnenangehöriger in der .S.R. wie der Titel dieses wirklich ‚einzig‘ in seiner Art zusammengewürfelten Ensembles heißt. Wir haben durchaus vollstes Verständnis für die Notlage der deutschen Bühnenangehörigen in der heutigen Zeit und haben es auch bewiesen, indem wir die marktschreierische, deutscher Bühnenangehöriger unwürdige Reklame, die vom Sekretäriat [sic] des obigen Verbandes in unserem Blatte gemacht wurde, über uns ergehen ließen. [...] Alles in allem: Durch derlei Machenschaften wird der ohnehin schwer kämpfenden Provinzoper bald der Garaus gemacht sein, wenn nicht rechtzeitig, ehe es zu spät, der Bühnenbund einschreitet und solche Kulturtaten verhindert.“172
Auch der deutsche Theaterverein der Stadt Znaim beschwerte sich auf Anfrage des Znaimer Polizeikommissariats über das schlechte Niveau der Darstellungen, vor allem jedoch über die Vorgangsweise der Notund Schutzgemeinschaft, die den Theaterverein mit falschen Angaben 170 Not- und Schutzgemeinschaft an Zemsk úad, 16.?.1934 [sic, vermutl. Aug.], MZA, B40, III. man., kart. 4117, Mappe Not- und Schutzgemeinschaft. Laut Schneider wandte sie sich 1934 auch an die Sudetendeutsche Heimatfront um Unterstützung; vgl. Schneider, Exiltheater in der Tschechoslowakei, Anm. 38, S. 259. 171 Vgl. MZA, B40, III. man., kart. 4117, Mappe Not- und Schutzgemeinschaft. 172 Neu-Titscheiner Zeitung, 25.5.1934, S. 5.
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zur Überlassung des Theaters gebracht hatte, den SchauspielerInnen nur einen Teil der vereinbarten Gage ausbezahlt hatte und jetzt in ihrem Konzessionsansuchen Vereinbarungen mit dem Znaimer Theaterverein angab, die nie getroffen worden waren: „Weder der Schutzverband, noch sonst ein anderes Ensemble hat mit uns irgendwelche Unterhandlungen gepflogen. Der Schutzverband hat am 1. April 1934 eine Vorstellung in Znaim absolviert, die mit Kunst gar nichts zu tun hatte und einen Mißerfolg aufwies, der es unmöglich machte, die weiter angesagten Vorstellungen abzuhalten. Wir haben gegen diese Veranstaltung beim Landesamt in Brünn Beschwerde geführt und ersuchen daher nochmals, das Ansuchen des Schutzverbandes, bezw. des Herrn Friedrich Rous abzulehnen.“173
Das war jedoch nicht das einzige Mal, dass die Not- und Schutzgemeinschaft Behauptungen aufstellte, die nicht der Wahrheit entsprachen; so musste beispielsweise die am Brünner Theater engagierte Operettensängerin Sonja Scheucher Einspruch dagegen erheben, in Werbeanzeigen der Not- und Schutzgemeinschaft als deren Ensemblemitglied genannt zu werden174. Diese Unterlagen stehen alle in Verbindung mit dem Ansuchen der Landesbühne um Verlängerung der Konzession um ein weiteres Jahr; als das Landesamt die Vorwürfe der Notund Schutzgemeinschaft zur Kenntnis brachte und diese um Stellungnahme bat, sah diese die Chancen auf Konzessionsverlängerung schwinden und antwortete: „Sollte aus der proponierten Theaterspielzeit durch behördliche Verfügungen, die unsere Tätigkeit zunichte machen sollten, nichts werden, so machen wir den Vorschlag durch ein Zwangsmittel der Behörden unsere Beschäftigung am Brünner Theater zu erwirken. Die Brünner Theaterarbeitsgemeinschaft ist sowieso staatlich subventioniert und muss daher dem Willen der vorgesetzten Behörden eigentlich gehorchen? [sic] Oder ist das von der SR Regierung dem Theater zur Verfügung gestellte Geld nur für die Theaterdirektion zum Privatgebrauch bestimmt?“175
173 Deutscher Theaterverein Znaim an Polizeikommissariat Znaim, 17.8. 1934, MZA, B40, III. man., kart. 4117, Mappe Not- und Schutzgemeinschaft. 174 Abschrift Scheucher an Rous, 14.8.1934, MZA, B40, III. man., kart. 4117, Mappe Not- und Schutzgemeinschaft.
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Das hier zutage tretende diktatorische Vorgehen des Vereins wird nochmals deutlich, wenn man sich die Vereinsstatuten ansieht176, die festlegten, dass in dem ansonsten gewählten Ausschuss die drei Gründungsmitglieder Janowsky, Oswald und Rous immer vertreten sein müssten, die sich somit bestimmenden Einfluss auf den Verein, unabhängig von dessen sonstiger Zusammensetzung, sicherten. Obwohl alle angefragten Stellen, von Bühnenbund und Direktorenverband über den Znaimer deutschen Theaterverein und das Znaimer Polizeikommissariat bis hin zur Brünner Polizeidirektion sich dagegen aussprachen, verlängerte das Landesamt der Mährisch-schlesischen Landesbühne die Konzession (wieder ohne die Städte Brünn, Olmütz und Mährisch-Ostrau) bis Ende Juni 1935. Die nächsten Jahre traten Not- und Schutzgemeinschaft und Landesbühne im Zusammenhang mit Brünn selten in Erscheinung177, doch im Frühjahr 1938, als sich das Theater durch die Spaltung des Ensembles in einer tiefen Krise befand, war die Not- und Schutzgemeinschaft sofort wieder zur Stelle und suchte bereits am 12. April um eine Konzession für Brünn an, die ihr jedoch nicht erteilt wurde178. Die polemische Hetze der Not- und Schutzgemeinschaft gegen ausländische SchauspielerInnen, die allerdings ihre Parallelen zu Diskussionen in Deutschland und Österreich179 hatte, trug vermutlich mit dazu bei, dass Bühnenbund und Direktorenverband 1935 die paritätische Stellenvermittlung einrichteten180. Ein weiterer Grund für deren 175 Schutzverband an Zemsk úad, 16.?1934 [sic, vermutl. Aug.], MZA, B40, III. man., kart. 4117, Mappe Not- und Schutzgemeinschaft. 176 NA, Min. vnitra, stará registratura 1919-1944, III. obd. 1931-35, odd. 6, kart. 2637, sign. 6/4/81 – Not- und Schutzgemeinschaft engagementloser inländischer deutscher Bühnenangehöriger und Bühnenanwärter in der SR, v Brn. 177 Laut Schneider existierte die Landesbühne nur bis 1935; vgl. Schneider, Exiltheater in der Tschechoslowakei, Anm. 38, S. 259. 178 Bescheid des Landesamtes, 12.8.1938, MZA, B40, III. man., kart. 4117, Mappe Not- und Schutzgemeinschaft. 179 Vgl. Thaller, „Arisches Theater“, S. 58ff. 180 Zur Tätigkeit der Stellenvermittlung vgl. AHMP, Fond nmecké divadlo v Praze, Inv. 19, kart. 19, Mappe Bühnenbund in der Tschechoslowakischen Republik Brno 1930-1938 und Stamberg, Deutschsprachiges Theater im Prag der Zwischenkriegszeit, S. 185ff.; der Bühnenbund hatte sich bereits davor um die Vermittlung seiner Mitglieder gekümmert.
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Gründung lag in den fortlaufenden Beschwerden nicht engagierter inländischer SchauspielerInnen bei den verschiedensten Ämtern, die dann wiederum bei Direktorenverband und Bühnenbund nachfragten. Auf eine dieser Anfragen antwortete der Bühnenbund dem Landesamt bereits 1929: „Weiterhin gestatten wir uns festzustellen, dass die Mitteilung in dem genannten Schreiben, dass alljährlich ein hoher Prozentsatz tschechoslowakischer Kunstkräfte arbeitslos herumläuft, nicht richtig ist. Mitglieder, welche die Qualifikation für die in Frage stehenden Theater besitzen und sich rechtzeitig und intensiv um ein Engagement bei den verschiedenen Theatern bewerben, kommen stets unter. Kein Engagement finden gewöhnlich nur jene Mitglieder, deren Qualifikation sie nicht befähigt, sich auf der Bühne zu betätigen, oder aber diejenigen, welche sich nachlässig, erst im letzten Moment oder gar zu spät um ein Engagement bewerben. Gerade diese zwei Kategorien von Mitgliedern verlassen sich auf das Gesetz zum Schutze des heimischen Arbeitsmarktes und versuchen unter diesem Druck auf bequeme Art und Weise ein Engagement zu finden, um solcherart quasi die Behörden als eine Stellenvermittlung in Anspruch zu nehmen.“181
Ziel der paritätischen Stellenvermittlung war es außerdem, nach Auflösung der Stellenvermittlung des Kartellverbandes größere Unabhängigkeit von NS-Deutschland einerseits, von den Wiener Agenturen andererseits zu erhalten. Damit sollte vor allem erreicht werden, dass aufgrund der von der Stellenvermittlung gesammelten und verbreiteten Informationen qualifizierte inländische SchauspielerInnen beschäftigt werden konnten; doch kümmerte sich die Stellenvermittlung durchaus auch um die Vermittlung ausländischer SchauspielerInnen, allerdings in weitaus geringerem Umfang – schon allein aus dem Grund, weil die Direktoren ja vordringlich einheimische Kräfte suchten und eine deutsche oder österreichische Staatsbürgerschaft oft schon von vornherein ein Engagement an einem Theater unmöglich machte, das seine 30%Quote an erlaubten AusländerInnen bereits ausgeschöpft hatte. Die Verwendung nationaler Argumente bezieht sich in diesem Kontext weniger auf die Gegensätze zwischen TschechInnen und Deutschen, als auf die zwischen In- und AusländerInnen, auf die Stellung von EmigrantInnen und nationalsozialistischen Reichsdeutschen. Die Lage der Tschechoslowakei nach 1933 brachte eine neue Dimensi181 Bühnenbund an Landesamt, 7.12.1929, MZA, B40, II. man., kart. 4421.
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on in die aufgrund der Wirtschaftskrise bereits vorher geführten Kämpfe um Arbeitsplätze am Theater. Das Inländerarbeitsschutzgesetz bot die Möglichkeit, reichsdeutsche SchauspielerInnen mit nationalsozialistischer Einstellung nicht zu beschäftigen, gleichzeitig aber den Arbeitsmarkt auch gegen EmigrantInnen abzuschotten. Oft wurde es von den SchauspielerInnen selbst als Argumentationsgrundlage verwendet, um berechtigte, aber auch unberechtigte Ansprüche anzumelden. Die Theater fanden sich so in der Zwickmühle, auf jeden Fall angegriffen zu werden: Bei der Beschäftigung von AusländerInnen wurde grundsätzlich unterstellt, dass es sich um mögliche NationalsozialistInnen handelte, aber auch die Einstellung von EmigrantInnen wurde kritisiert. Die tschechoslowakische Staatsbürgerschaft hatte plötzlich einen neuen Stellenwert und wurde selbst von Leuten betont, die, wie Rous, wenige Jahre zuvor wegen staatsfeindlicher Vergehen angeklagt worden waren182. Aus den Akten geht hervor, wie viel Wert Bühnenbund und Direktorenverband tatsächlich auf die Anstellung von InländerInnen legten, um einerseits dem Gesetz zu entsprechen und sich andererseits vor öffentlichen Angriffen zu schützen. Wie problematisch die Argumentation der inländischen SchauspielerInnen war, wird deutlich, wenn man die ihr implizit zugrunde liegenden Annahmen hinterfragt: Nicht nur erscheint der Schutz von „InländerInnen“ vor „AusländerInnen“ grundsätzlich fragwürdig, sondern darüber hinaus lässt sich die damit oft einhergehende Gleichung, „AusländerInnen“ seien NationalsozialistInnen, „InländerInnen“ hingegen loyale DemokratInnen nicht nur in Hinblick auf die EmigrantInnen nicht aufrechterhalten. Denn diese Ansicht berücksichtigt weder, dass auch tschechoslowakische Deutsche oft genug die den „AusländerInnen“ immer wieder vorgeworfene „Neigung zum Hakenkreuz“183 182 Rous war damals allerdings freigesprochen worden. Worum genau es sich gehandelt hatte, ist den Akten nicht zu entnehmen. Polic. ed. an zemsk úad, 17.11.1933, MZA, B40 III. man., kart. 4117, Mappe Not- und Schutzgemeinschaft. 183 Der Ausdruck stammt aus einem Artikel im Veerní eské slovo über die SchauspielerInnen am NDT, in dem Direktor Eger vorgeworfen wird, NationalsozialistInnen an seinem Theater zu dulden. Diese Annahme wurde von Schneider (Exiltheater in der Tschechoslowakei, S. 42) zitiert und findet sich seitdem als Vorwurf in so gut wie allen Arbeiten über das NDT, ohne jemals die deutlich diffamierende Absicht des Zeitungsberichts in die Überlegungen einzubeziehen.
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hatten, noch dass sich, beispielsweise in Brünn, ausländische SchauspielerInnen (darunter auch solche, die nicht unter die übliche Definition von „EmigrantInnen“ fallen, sondern die schon viele Jahre in Brünn engagiert waren) mitunter ebenso engagiert für ein demokratisches Theater in der Tschechoslowakei einsetzten wie InländerInnen184.
IV.7 A KTIVISMUS
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Trotz aller nationaler Rhetorik war in der zweiten Hälfte der zwanziger Jahre eine Beruhigung der Situation zu bemerken, unter Demetz könnte man sogar von Aktivismus sprechen, also einer aktiven staatsloyalen Haltung am Theater. Er übernahm die Direktion 1926, in dem Jahr, in dem die deutschen Parteien erstmals Mitglieder einer tschechoslowakischen Regierung stellten, ein Jahr nach Ende seiner Direktionszeit wurde die Sudetendeutsche Heimatfront als Sammelbecken der nationalen und nationalistischen Deutschen gegründet. Als ein Beispiel für die aktivistischen Tendenzen des Brünner Theaters sollen hier die Inszenierungen von Antikriegsstücken exemplarisch besprochen werden. Diese sind in diesem Kontext deshalb von besonderem Interesse, weil in ihnen nicht nur eine explizite politische Haltung transportiert wurde, sondern weil die Sicht auf den Ersten Weltkrieg und diejenige auf die Tschechoslowakische Republik einander bedingten und beeinflussten: Der von Österreich-Ungarn verlorene Krieg hatte die Entstehung der SR erst ermöglicht, dass die Deutschen der Tschechoslowakei diesen Krieg kritisierten, ist daher nachvollziehbar. Die am Brünner Theater inszenierten Stücke gingen darüber allerdings weit hinaus, es finden sich darunter nicht wenige dezidierte Heimkehrer-, Versöhnungs- und Antikriegsstücke, die sich nicht nur gegen den Ersten Weltkrieg, sondern gegen jegliche Form des Nationalismus wandten. Das Verhältnis der Deutschen zur tschechoslowakischen Armee war ein ausgesprochen zwiespältiges: Zum einen beklagten sich die Zeitungen immer wieder darüber, dass Angehörige der deutschen Min184 Bei der Arbeitsgemeinschaft des Brünner demokratischen Theaters waren im Sommer 1938 30 TschechoslowakInnen und 9 AusländerInnen beschäftigt, wobei die AusländerInnen meist schon seit Jahren in Brünn arbeiteten. Vgl. Volksfreund, 21.4.1938, S. 6; selbst der sozialdemokratische Volksfreund wehrt hier jedoch die „unglaubliche“ Unterstellung ab, es würde sich bei den AusländerInnen um EmigrantInnen handeln.
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derheit in der Armee kaum Aufstiegschancen hätten, zum anderen hatte die Armee vor allem durch ihren Einsatz bei den Demonstrationen im März 1919 der deutschen Bevölkerung gegenüber ein Legitimationsproblem185. Die Deutschen machten die tschechoslowakische Armee überdies mitverantwortlich für den Ausgang des Ersten Weltkriegs und den Zusammenbruch der Habsburgermonarchie: Die sogenannten „Legionen“ hatten die Entscheidung des Kriegsverlaufes zugunsten der Alliierten zwar nicht mitverursacht, doch eine große Rolle für die internationale Anerkennung der tschechoslowakischen Nation gespielt186. Die besondere Stellung, die die Legionäre dann innerhalb des tschechoslowakischen Militärs und der Gesellschaft innehatten, verdeutlicht das daraus entstehende grundsätzliche Loyalitätsproblem. „Eine bereits zweifelnde und damit auch zweifelhafte Haltung gegenüber der Republik konnte aus dem Vorbild der Legion nur eine Lehre ziehen und zwar die von der Unverbindlichkeit des Fahneneides, wenn es um nationale Interessen und Gefühle geht. Für jeden sichtbar belohnte der Staat die Legionäre, also den Eidbruch gegenüber dem österreichisch-ungarischen Staat“187.
Doch obwohl die Legionäre in der Ersten Republik hohes Ansehen genossen, gab es starke pazifistische Strömungen, die nicht nur Folge des Kriegs waren, sondern in den böhmischen Ländern eine lang gepflegte Tradition darstellten, die von Masaryk selbst immer wieder betont wurde188. Diese pazifistische Grundhaltung wurde auch von vielen deutschen TschechoslowakInnen geteilt – eine Einstellung, die sich erst in den dreißiger Jahren änderte, als vielen Menschen klar wurde, dass eine Verteidigung der Republik notwendig werden könnte. Die Bohemia skizzierte die Lage 1936 so:
185 Vgl. dazu Kap. I.1, S. 30f. 186 Vgl. Gerburg Thunig-Nittner. Die tschechoslowakische Legion in Russland. Ihre Geschichte und Bedeutung bei der Entstehung der 1. Tschechoslowakischen Republik. Wiesbaden: Otto Harrassowitz, 1970, S. 70ff. 187 Oswald Kostrba-Skalicky. Bewaffnete Ohnmacht. Die tschechoslowakische Armee 1918-1938. In: Die Erste Tschechoslowakische Republik als multinationaler Parteienstaat. Hg. v. Karl Bosl. München, Wien: Oldenbourg, 1979, S. 439-527, S. 518. 188 Vgl. ebd., S. 452ff.; Thunig-Nittner, Die tschechoslowakische Legion in Russland, S. 201.
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„In der Tschechoslowakei war die Armee in den ersten Jahren nach dem Umsturz nicht populär, und die pazifistischen, auch jeder Kriegsvorbereitung abholden Stimmungen waren sehr stark. Wenn auch die Behauptung ganz und gar unzutreffend ist, die Armee sei Jahre hindurch in den Voranschlägen stiefmütterlich behandelt worden – ein sehr erheblicher Teil des Budgets wurde Jahr für Jahr für Rüstungszwecke verwendet –, so war das Interesse für militärische Dinge gering und nur die streng nationalistischen und die jeweils den Landesverteidigungsminister stellenden Parteien und ihre Presse versuchten ohne rechten Erfolg, die Flamme der Begeisterung für die Armee zu schüren. In dieser Beziehung hat sich vieles geändert. Das Datum des Umschwungs läßt sich nahezu kalendermäßig feststellen: Es fällt mit jenem Januartag des Jahres 1933 zusammen, wo die nationalsozialistische Regierung in Deutschland die Macht ergriffen hat und jene Ungewißheit über die Zukunft die tschechischen Massen ergriffen hat, von der sie auch heute noch erfüllt sind.“189
Für die deutschen Tschechoslowaken waren die Möglichkeiten, beim Militär Karriere zu machen, gering. Zwar wurden sie dem Bevölkerungsschlüssel entsprechend eingezogen, doch in den oberen Rängen fanden sich dann nur noch wenige Deutsche. Nach der „Machtergreifung“ der NSDAP in Deutschland 1933 und dem Aufstieg der SdP zur stimmenstärksten Partei der Tschechoslowakei 1935 bekamen die Ängste der tschechoslowakischen Armeeleitung neue Nahrung190. Gegen den Vorwurf der Illoyalität und Unzuverlässigkeit verwehrten sich die deutschen Zeitungen wiederholt, jedoch ohne Erfolg: „Die Mehrzahl der deutschen Parteien hat sich eindeutig auf den Boden des Staates gestellt. Warum mißtraut man dieser feierlichen Erklärung?“191 Wenn man nun die am Brünner Theater gespielten Stücke betrachtet, die Krieg und Militär im weitesten Sinne zum Thema haben, so fällt die starke Präsenz dezidiert pazifistischer Stücke auf. Diese Antikriegsstücke lassen sich grob in zwei Richtungen unterteilen: in Heimkehrerstücke und Versöhnungsstücke. In den Heimkehrerstücken ist 189 Bohemia, 26.8.1936, S. 1. 190 Zu dieser Frage vgl. auch Martin Zückert. Zur Loyalität deutscher Soldaten in der tschechoslowakischen Armee 1918-1938. In: Loyalitäten in der Tschechoslowakischen Republik 1918-1938. Politische, nationale und kulturelle Zugehörigkeiten. Hg. v. Martin Schulze-Wessel. München: Oldenbourg, 2004, S. 153-177. 191 Tagesbote, 11.12.1934, M S. 1; vgl. beispielsweise auch Bohemia, 7.11. 1935, S. 4 u. 26.8.1936, S. 1.
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der Krieg bereits vorbei, wenn auch seine Folgen für alle Beteiligten stets spürbar sind. Sie zeigen vor allem, wie sich die Gesellschaft als Ganzes und die Menschen in ihr durch den Krieg verändert, welche physischen und psychischen Deformationen sie davongetragen haben. Die Versöhnungsstücke dagegen verwenden den Ersten Weltkrieg als direkten Handlungshintergrund. Sie spielen entweder während oder kurz nach dem Krieg, jedenfalls befindet sich unter den dramatis personae mindestens ein (ehemaliger) Soldat sowie neben Deutschen auch Engländer oder Franzosen. Die Personen sind vom Krieg stark beeinflusst, die Handlung wäre ohne das Ereignis Krieg nicht vorstellbar; der Krieg mag zwar vielleicht vorbei sein, die Fragen nach Feind und Freund, nach Identität und Nationalität stellen sich aber umso drängender. Die wichtigste Differenz zwischen diesen beiden Richtungen besteht darin, dass in den Heimkehrerstücken die heimgekehrten Männer und ihre Familien versuchen, wieder Normalität im Alltag herzustellen und ihr vor dem Krieg gelebtes Leben weiterzuführen – wenn sich auch meist erweist, dass gerade das nicht möglich ist. Dagegen wird in den Versöhnungsstücken der Krieg als ein für die handelnden Personen so einschneidendes Erlebnis dargestellt, dass eigentlich vom ersten Akt an klar ist, dass sie dadurch andere wurden – wie man sehen wird, oft im wahrsten Sinne des Wortes – und eine Fortsetzung ihres Vorkriegslebens nicht bruchlos oder gar nicht möglich ist. Die starren Definitionen und Grenzen von Identität, und zwar auch von nationaler Identität, werden dabei infrage gestellt. Heimkehrerstücke Bei den beiden Heimkehrerstücken handelt es sich um zwei Stücke von politisch links orientierten Autoren, Tollers Hinkemann192 und Karl und Anna von Leonhard Frank193. Beide gehörten nicht unbedingt zu den Stücken, die jedes Theater unbedingt auf den Spielplan setzen musste, weil sie das Neueste vom Neuen waren und gute Einnahmen erwarten ließen; im Gegenteil, die Aufführungen von Hinkemann sorgten in Wien, Berlin und Dresden für Skandale, bei denen es teilweise sogar zu Handgreiflichkeiten kam194. Der Kritiker Josef Gajdeczka be192 Brünner deutsche Erstaufführung am 26.10.1924. 193 Brünner deutsche Erstaufführung am 4.2.1929. 194 Zum Brünner Hinkemann-Skandal vgl. Kap. IV.2, S. 157ff.
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tonte in seinen Texten die in den Stücken enthaltene Kritik am Krieg besonders: „‚Hinkemann‘ ist ein Aufschrei der getretenen, gequälten, durch den Krieg zur Verzweiflung gebrachten Kreatur, ein Werk von solcher Größe, Keuschheit und Menschlichkeit, daß man vergeblich nach etwas Ähnlichem im Bereich unserer jungen Dichter suchen wird.“195
Und über Frank: „Im Weltkrieg war Leonhard Frank der erste, der gegen das Verbrechen des Massenmordes aufschrie, und sein Buch ‚Der Mensch ist gut‘ wird für alle Zeiten ein ehernes Denkmal der Schandjahre 1914-1918 bleiben.“196 Auf Handlung und Personen Hinkemanns wurde bereits weiter vorne eingegangen; bei Karl und Anna handelt es sich um eine Dramatisierung von Franks gleichnamiger Erzählung. Zwei Arbeiter geraten in Kriegsgefangenschaft, der eine, Richard, erzählt dem anderen so eingehend von seiner jungen Frau, dass dieser, Karl, überzeugt ist, Anna sei sein Schicksal. Er kann fliehen und fährt zu Anna, wo er sich als Richard ausgibt. Anna weiß zwar, dass es sich nicht um ihren Mann handelt, der ihr als gefallen gemeldet worden war, doch schließlich verliebt auch sie sich in ihn. Als Richard nach Kriegsende voll Vorfreude zurückkehrt, erwartet sie ein Kind von Karl; in seiner ersten Wut will Richard Karl erschlagen, als er jedoch sieht, dass Anna ihn wirklich und aus freien Stücken liebt, lässt er die beiden ziehen. Beide Stücke, die im Übrigen zwei große Frauenrollen enthalten, wurden in Inszenierungen gegeben, die offensichtlich mit viel Einsatz und langer Probenzeit erarbeitet wurden – keine Selbstverständlichkeit im Brünner Theaterbetrieb, wo alle paar Tage ein neues Stück aufgeführt werden musste. Dementsprechend groß war auch Gajdeczkas Lob der Inszenierungen, Karl und Anna bezeichnete er als „schlechthin vollendet“197, Hinkemann als „eine Glanzleistung“; die Aufnahme der beiden Stücke beim Publikum dürfte, will man den Kritiken glauben, ausgesprochen positiv gewesen sein.
195 Tagesbote, 28.10.1924, M S. 8; Gajdeczka vertrat während der gesamten Zwischenkriegszeit konsequent pazifistische Positionen. 196 Tagesbote, 6.2.1929, M S. 3. 197 Auch der Volksfreund meinte, „daß die Aufführung eine der besten Leistungen unserer Bühne genannt werden muß.“ Volksfreund, 8.2.1929, S. 6.
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Versöhnungsstücke Auf die Versöhnungsstücke möchte ich im Folgenden näher eingehen. In ihnen wird nicht nur, wie in den Heimkehrerstücken, ganz allgemein die Frage nach Identität und deren Wandelbarkeit gestellt, sondern insbesondere nationale Identitäten werden hier hinterfragt und dekonstruiert. Drei Stücke sollen in diesem Kontext genauer betrachtet werden: Die andere Seite von R. C. Sherriff198, Der Mann, den sein Gewissen trieb von Maurice Rostand199 und Siegfried von Jean Giraudoux200. Die andere Seite (im Original Journey’s End) spielt in einem englischen Schützengraben an der Westfront, gezeigt wird vor allem die Unmenschlichkeit und Sinnlosigkeit des Krieges, wobei der Respekt, den Engländer und Deutsche voreinander haben, betont wird. Heinz Kosok klassifiziert Journey’s End als eines derjenigen Stücke, die zwar die bedauernswerten Soldaten zeigen, die Notwendigkeit des Krieges aber nicht grundsätzlich in Frage stellen und so systemstabilisierend wirken201. Diese Beurteilung muss sich aber notwendigerweise ändern, wenn das Stück an einem deutschsprachigen Theater aufgeführt wird. Während für ein englisches Publikum das eintönige Frontleben im Vordergrund stehen mag, wird die Aufmerksamkeit eines deutschsprachigen Publikums vor allem auf die Tatsache gelenkt, dass die Protagonisten Engländer sind, die genauso wie die Deutschen in diesen Krieg zogen, weil es ihnen befohlen wurde; dass die Menschen beiderseits der Front im Grunde dieselben sind, betont auch der deutsche Titel. Wenn Kosok meint, dass die Notwendigkeit des Krieges nicht grundsätzlich in Frage gestellt wird, muss ich dem widersprechen: Das Leben im Stellungskrieg, bei dem die Männer seit Monaten in ihren Erdlöchern sitzen und ständig auf einen Angriff der Gegenseite warten, hin und wieder selbst einen Angriff starten, bei dem zwar jedes Mal Menschen sterben, aber nie Gebietsgewinne gemacht werden, wird hier sehr wohl thematisiert – wenn es auch von den Figuren nicht ex198 Brünner deutsche Erstaufführung am 27.2.1930. 199 Brünner deutsche Erstaufführung am 25.10.1930. 200 Brünner deutsche Erstaufführung am 6.12.1930. 201 Heinz Kosok. Aspects of Presentation, Attitude and Reception in English and Irish Plays about the First World War. In: Intimate Enemies. English and German Literary Reactions to the Great War 1914-1918. Hg. v. Franz Karl Stanze u. Martin Löschnigg. Heidelberg: Winter, 1993, S. 343-364.
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plizit kritisiert wird. Thematisiert wird schließlich anhand der Figur des Kompagnieführers Stanhope202, wie der Kriegsalltag einen aussichtsreichen jungen Mann zum Alkoholiker macht, eben weil er einer der Intelligentesten ist und daher die Sinnlosigkeit am besten durchschaut und das Leben im Schützengraben zwischen Langeweile und Todesangst nicht mehr anders erträgt. Gerade weil es sich um das Stück eines englischen Autors handelt, dürfte die Kritik am Krieg in deutschsprachigen Aufführungen besonders deutlich geworden sein. Der Kritiker Josef Gajdeczka meinte: „Aus Sherriffs Drama springt uns das Sinnlose und Grauenvolle der Bestie Krieg unwiderstehlich an die Kehle und die sechs Bilder werden in aller Welt das ihrige tun, um alle noch existierenden Lobredner des Krieges, die ausschließlich in zwei Gruppen zerfallen, in Verbrechernaturen (Mörder und Diebe) und in Individuen, die durch Alkohol geistig degeneriert sind, als Abschaum der menschlichen Gesellschaft erscheinen zu lassen.“203
Explizitere Kritik am Krieg wird in Der Mann, den sein Gewissen trieb formuliert. Marcel, ein junger Franzose, hat im Krieg den Deutschen Hermann Holderlin erschossen und versucht seitdem vergebens, die von ihm als Mord empfundene Tat zu verarbeiten. Ein nationalistischer Pfarrer bietet ihm vorschnell die Absolution an, die er empört zurückweist. Stattdessen fährt er in die Heimatstadt Hermanns, wo er von den Eltern und Angelika, der Verlobten des Toten, für einen Freund aus dessen Pariser Studienzeit gehalten und schrittweise in die Familie aufgenommen wird. Sie erzählen ihm von Hermanns Ablehnung des Krieges; jetzt weiß er also, dass er noch dazu einen Gesinnungsgenossen getötet hat. Als Angelika entdeckt, dass er derjenige ist, der Hermann erschossen hat, will er sich zur Sühne umbringen, doch Angelika macht ihm klar, dass er Hermanns Eltern das nicht antun kann. Das Ende legt nahe, dass Marcel nun Hermanns Stelle einnehmen wird. Dieser Rollentausch spiegelt sich auch in den unterschiedlichen Titeln des Stücks wider: Während im französischen Original (L’Homme Que J’ai Tué) der Deutsche zum Mittelpunkt des Stücks wird, liegt der Akzent des deutschen Titels auf dem von seinem Gewissen geplagten Franzosen. 202 Der in der Brünner Erstaufführung übrigens von Alexander Moissi gespielt wurde. 203 Tagesbote, 28.2.1930, A S. 3.
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Das Stück macht, vor allem in Marcels Aussagen, klar, dass der Autor Krieg für gegenseitigen Völkermord hält – und zwar in einer Deutlichkeit, die selbst dem Brünner Zensor zu weit ging. So wurde ursprünglich das gesamte Vorspiel, also das Gespräch zwischen Marcel und dem Pfarrer, verboten. Auch im Stück selbst wurden die Stellen, an denen im Zusammenhang mit dem Krieg von „Mord“ oder „Verbrechen“ die Rede ist, zensuriert. Die Zensur schrieb dabei sogar explizit nieder, dass diese Stellen wegen „schädlichen (antimilitaristischen) Inhalts“204 gestrichen werden müssten. Nach einer Überarbeitung wurde das Vorspiel schließlich genehmigt, allerdings unter Streichung etlicher Stellen aus Marcels Diskussion mit dem Pfarrer, wie beispielsweise dieser: „Hätten Sie nicht jeden, der die Hand zum Kampfe hob, aus der Gemeinschaft der Christen ausstoßen müssen, ganz gleich, welcher Nation er angehörte? Was haben Sie statt dessen getan? In Uniform sind Sie mit Uniformen hinausgezogen. Kriegsfahnen haben Sie in die Kirchen gehängt. Ihre Absolution kann die Schuld nicht von mir nehmen.“205
Die Aufnahme des Stückes war phänomenal, es wurde in der Saison 1930/31 zwölf Mal aufgeführt, damit war es zwischen 1918 und 1934206 das meistgespielte ernste Schauspiel am Brünner deutschen Theater, nur Lustspiele erreichten üblicherweise so hohe Aufführungszahlen. Auch diese Inszenierung war sorgfältig einstudiert, war für die Kritik „schlechthin vollkommen und würde das anspruchsvollste Residenzpublikum zu begeisterter Anerkennung zwingen.“207 204 Zensurakten im MZA, B26, polic. ed., kart. 2413; am Prager Neuen Deutschen Theater wurde das Stück im Oktober 1931 aufgeführt, lt. Stamberg wurde dort das Vorspiel nicht genehmigt, und zwar wegen des kirchlichen Einflusses auf die Zensur. Vgl. Stamberg, Deutschsprachiges Theater im Prag der Zwischenkriegszeit, S. 202. Der Volksfreund wiederum hatte wegen der Striche bei der Brünner Aufführung eine Intervention des französischen Gesandten vermutet. Vgl. Volksfreund, 13.11.1930. 205 Maurice Rostand. Der Mann, den sein Gewissen trieb. Ein Schauspiel in einem Vorspiel und drei Akten. Für die dt. Bühne bearb. von Karl Lerbs. München: Drei-Masken-Verlag, 1930, S. 23. 206 Zwischen 1934 und 1938 wurden nur Mussolinis Hundert Tage und Menschen in Weiß von Kingsley öfter aufgeführt, nämlich jeweils 14 Mal. 207 Tagesbote, 27.10.1930, A S. 2.
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Das dritte der Versöhnungsstücke, das an dieser Stelle besprochen werden soll, ist Siegfried von Jean Giraudoux; auch hier stehen Fragen nach Freund und Feind sowie Kritik an jeglichem Nationalismus im Mittelpunkt. Eva, eine deutsche Krankenschwester, pflegt einen verwundeten Soldaten, der sein Gedächtnis verloren hat, wieder gesund, dieser wird Innenminister eines deutschen Mittelstaates und soll in Kürze dessen Ministerpräsident werden. Doch seine politischen Feinde planen eine Revolution, auf deren Höhepunkt sie Siegfrieds wahre Identität als französischer Schriftsteller Forestier enthüllen wollen. Die Revolution wird niedergeschlagen, die Revolutionäre verhaftet, doch Siegfried erfährt, wer er in Wahrheit ist. Seine Gefolgsleute und Eva versuchen, ihn zum Bleiben zu überreden, doch obwohl er sich immer noch nicht an sein früheres Leben erinnern kann, verlässt er Deutschland und geht, allerdings nicht als Forestier, sondern als Doppelfigur Siegfried/Forestier, nach Frankreich zurück. Gajdeczka interpretierte das Stück dahingehend, dass es zeige, dass die vermeintlichen Grenzen zwischen den Völkern in Wirklichkeit nicht existierten, es vielmehr auf die Geisteshaltung der Menschen ankäme; im Tagesboten schrieb er: „Mit bewundernswerter Psychologie zeigt der Dichter an dem Fall: Forestier-Siegfried wie labil in der Seele eines Menschen die Grenzen dessen sind, was Politik als Vaterland, nationale Mentalität und Rasse bezeichnet.“208 Diese Interpretation ist auch der konkreten Situation der Tschechoslowakei geschuldet, in der ja die Begriffe „Vaterland“, „nationale Mentalität“ und zunehmend auch „Rasse“ immer wieder zur Debatte standen. Das Stück wurde in Brünn nur zwei Monate nach Der Mann, den sein Gewissen trieb gespielt, kurz nach seiner deutschen Erstaufführung im November dieses Jahres. Es reichte mit fünf Aufführungen zwar nicht an den Publikumserfolg von Rostands Stück heran, doch war für ein ernstes Drama diese Zahl durchaus nicht unterdurchschnittlich und die Aufführung wurde vom Publikum mit starkem Beifall aufgenommen. Anhand der hohen Aufführungszahlen und der überschwänglichen Kritiken im Tagesboten, der auflagenstärksten Brünner Tageszeitung, lässt sich erkennen, dass die Aufführung von Antikriegsstücken nicht alleine ein Anliegen der Theaterdirektoren war, sondern das Publikum – oder zumindest ein Teil des Publikums – mit den Ansichten dieser 208 Tagesbote, 9.12.1930, A S. 3.
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Stücke zum Krieg konform ging. Dass diese Ansichten auch unter dem steigenden Einfluss der SdP nicht gänzlich verloren gingen, darauf verweist eine Rezension des Tagesboten anlässlich eines Gastspiels der Österreichischen Volksbühne mit Walter Firners Pentagon I und II aus dem Frühjahr 1936, einem Stück, das sich auch gegen die aktuelle europäische Aufrüstung wandte. In der Kritik hieß es: „Es beweist auch Mut und freie Meinungsäußerung des Publikums, bei anklagenden Worten gegen Aufrüstung und Kriegshetze minutenlang bei offener Szene zu applaudieren.“209 Die genaue Inszenierungsarbeit verdeutlicht, wie wichtig dem Theater diese Dramen waren, sie gehörten in diesen Jahren wohl zu den eindrucksvollsten Inszenierungen am Brünner deutschen Theater.
IV.8 D AS P UBLIKUM AM T HEATER
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Das Publikum ist für ein Theater, das wie das Brünner mit Subventionen auskommen muss, die den tatsächlichen Bedarf bei Weitem nicht decken, ein wichtiger finanzieller Faktor. Brünn genoss den Ruf, eine ganz besonders theaterfreudige Stadt zu sein, in der die Bevölkerung große Opfer für den Betrieb des Theaters aufzubringen bereit war. Dies scheint sich im Lauf der Jahre geändert zu haben; das Theater wurde in den späten dreißiger Jahren Spielball politischer Interessen und auch Teile des Publikums scheinen das Theater zunehmend als politischen Ort verstanden zu haben. Vor allem aber versuchte die SdP gemeinsam mit dem Bund der Deutschen ab 1936 zunehmend, das Publikum für ihre Zwecke zu instrumentalisieren – und wie sich aufgrund des schlechten Besuches des Theaters 1936 und 1937 annehmen lässt, scheint dies auch gelungen zu sein. Allerdings lässt sich hierbei nicht mehr feststellen, ob die fehlenden ZuschauerInnen tatsächlich zur Klientel der SdP zu zählen sind. Denn dass diese eben nicht Anwesenden besonders leicht von der SdP vereinnahmt werden konnten, die stets behauptete, die „Brünner Deutschen“ würden das Theater aus nationalen Gründen meiden, liegt auf der Hand. Auf der anderen Seite berichtete eine Schauspielerin 1938 nach Prag, dass die Brünner jüdischen Deutschen das Theater boykottieren würden210 – ob diese Feststellung
209 Tagesbote, 7.4.1936, zit. nach Haider-Pregler, Exilland Österreich, S. 140.
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aber bereits für die Zeit vor 1938 gilt, muss ebenfalls ungeklärt bleiben. Die Zusammensetzung des Brünner deutschen Theaterpublikums ist heute nur noch schwer zu bestimmen. Aufgrund der wesentlich höheren Preise als im tschechischen Theater und der wiederholten Klagen des Theaters über den schlechten Absatz verbilligter Karten kann davon ausgegangen werden, dass es sich vor allem um die Mittel- und Oberschicht gehandelt hat. Dabei dürften (ursprünglich gemäßigte) nationale und liberale BesucherInnen ungefähr gleich stark vertreten gewesen sein; als sich das Ensemble 1938 in einen völkischen und einen demokratischen Teil spaltete, dürften beide Gruppen ein ca. gleich großes Reservoir an ZuschauerInnen gehabt haben – auch dies muss allerdings spekulativ bleiben, da die verschiedenen Zeitungen jeweils von den großen Erfolgen der ihnen nahestehenden Gruppe und dem schlechten Besuch der anderen berichteten. Abonnement und Theatergemeinden Ein Teil des Publikums, mit dem ein Theater stets zu tun hat, sind die AbonnentInnen. Die Einnahmen aus dem Abonnement waren für das Brünner Theater besonders wichtig, da ein Teil davon zu Beginn der Spielzeit zur Verfügung stand; umgekehrt fühlten sich die AbonnentInnen aber gerne mitspracheberechtigt was den Spielplan betraf. Klagen von AbonnentInnen über zu geringe Rücksichtnahme des Theaters auf ihre Interessen sind wohl so alt wie das Abonnementsystem überhaupt. In Brünn kamen dazu noch die Schwierigkeiten, die verschiedenen Abo-Serien in den drei Häusern zu vereinbaren, was immer wieder zur Verstimmtheit der AbonnentInnen führte. Besonders unzufrieden dürfte das Abonnement-Publikum im letzten Direktionsjahr von Rudolf Beer gewesen sein, als die häufige Ansetzung von Vorstellungen außer Abonnement zur Häufung von Beschwerdebriefen an den Tagesboten führte. Ein Abonnent schrieb über diese Vorstellungen: „Wir sehen darin eine schwere Benachteiligung der Abonnenten, die nicht ruhig hingenommen werden kann. Die Theaterleitung scheint in den Abonnenten nur das Ausbeutungsobjekt zu sehen, das gut genug ist, bei schlechten oder nicht zugkräftigen Stücken das Haus zu füllen, dem man aber gar nichts zu bie210 Lieselotte Göttinger an NDT, Brünn, 12.1.1938, AHMP, Fond nmecké divadlo v Praze, Inv. . 30, kart. 55.
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ten braucht. Man wird vielleicht einwenden, daß das deutsche Theater durch Suspendu-Vorstellungen seine Einnahmen zu erhöhen hofft. Dem möchten wir einige Worte des Direktors Kramer aus Prag entgegenhalten, der in einer jüngst erlassenen Abonnementseinladung sagt: ‚Die Abonnementsgebühren sind die verlässlichste Grundlage jedes Theaterbetriebes; sie sind das einzig Stabile von den stets schwankenden Theatereinnahmen.‘ Unsere Theaterleitung scheint indes anderer Meinung zu sein; sonst würde sie sich hüten, die Abonnenten so stiefmütterlich zu behandeln, daß wohl kein Mensch mehr nächstes Jahr abonnieren wird, wenn die Theaterleitung ihre Taktik nicht sehr bald ändert.“211
In weiteren Leserbriefen beschwerten sich die AbonnentInnen über die unregelmäßige Verteilung der Vorstellungen über die verschiedenen Häuser sowie darüber, dass sie nicht, wie zugesagt, einmal pro Woche eine Vorstellung hätten, sondern manchmal drei Vorstellungen in einer Woche, dann wieder wochenlang keine. Die Theaterdirektion versuchte, die logistischen Probleme bei der Erstellung des Abonnements zu erklären, ob sie dabei allerdings auf Verständnis stieß, bleibt fraglich. Jedenfalls stellte die Bohemia zu Beginn der nächsten Spielzeit, die von Max Höller geleitet wurde, fest, dass die erste Aufgabe des neuen Direktors wäre, „den abgeschreckten Schwarm der Theaterabonnenten wiederzugewinnen.“212 Ein grundsätzliches Problem des Theaters mit den AbonnentInnen beschrieb der Leiter der Dresdner Theaterakademie Adolf Winds in einem Artikel über den Unterschied von Theatergemeinden und Abonnement folgendermaßen: „Es sind nicht immer künstlerische Gründe, die zum Belegen des Abonnements veranlassen, namentlich in den Mittelstädten nicht; es gehört vielfach zum guten Ton, oft zur Aufrechterhaltung des Kredits, seinen bestimmten Platz im Theater zu haben und hinter dem und jenem im gesellschaftlichen Ansehen nicht zurückzustehen. Darum bildet das sogenannte Abonnentenpublikum nicht immer die Freude des Schauspielers. Er weiß, oft sitzt er nur gezwungen da, wenn eine Vorstellung, die ihm nicht behagt, gerade auf das Achtel fällt, eine weit interessantere aber dem Viertel geboten wurde, zuerst [sic] dann matt, abgespielt auf seine Reihe kommt. Oft aber ist der Abonnent sogar empört, wenn er, was auch vorzukommen pflegt, ein und dasselbe Stück kurz nacheinander aufgetischt erhält. Enthusiast ist der Abonnent in den seltensten Fällen, die 211 Tagesbote, 27.10.1920, M S. 5. 212 Bohemia, 20.9.1921, S. 5.
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Amme Gewohnheit hat ihm den Theaterbesuch zu einer alltäglichen Sache gemacht, leicht verfällt er in Blasiertheit, die dann am ehesten weicht, wenn er sich in die stets brandenden Wogen des Theaterklatsches stürzt.“213
Während sich das Abonnementpublikum vorwiegend aus dem gehobeneren Bürgertum zusammensetzte, wurde in der Erweiterung der Publikumsschichten sowohl ein Ausweg aus der erwähnten Lauheit der AbonnentInnen wie auch aus den finanziellen Problemen der Theater gesucht. So fanden im Verlauf der zwanziger und dreißiger Jahre immer wieder ermäßigte Arbeitervorstellungen sowie Schüler- und Studentenvorstellungen statt, während gleichzeitig die Bildung von Theatergemeinden überlegt wurde. Im Unterschied zum Abonnement, wo die ZuschauerInnen höchstens eine Spielgattung auswählen konnten und ansonsten keinen Einfluss auf die Spielplanbildung hatten, nahm die Theatergemeinde dem Theater ganze Vorstellungen ab und hatte so größere Mitsprachemöglichkeiten. Nicht zuletzt das ist vermutlich ein Grund dafür, dass Theatergemeinden eigentlich nur in Großstädten funktionieren konnten, wo das Publikum groß genug war, um mehrere Theater mit unterschiedlichen Richtungen tragen zu können. So bildeten sich in Brünn Theatergemeinden erst 1938 – und zwar als aus der Spaltung des Ensembles zwei deutsche Theater hervorgegangen waren, die jeweils von einer Theatergemeinde unterstützt wurden. Daraus wird ersichtlich, dass bei dem divergenten Brünner Publikum eine einzige Theatergemeinde das Theater wohl kaum hätte erhalten können, ihm vermutlich durch das Drängen des Spielplanes in eine bestimmte Richtung auf einer Seite genauso viel Publikum entzogen hätte, wie es ihm auf der anderen Seite dazugewonnen hätte. Nicht zufällig setzte sich die Idee der Theatergemeinden einerseits in den Publikumsvereinigungen der Arbeiterbewegung, andererseits auf extreme Weise in den Organisationen von Nationalsozialismus und Austrofaschismus durch. Denn Theatergemeinden polarisierten, während das Brünner deutsche Theater auf Kompromisse angewiesen war, um überleben zu können. Verbilligte Vorstellungen Ein anderes Konzept, das auch in Brünn versucht wurde, war die Durchführung von verbilligten Vorstellungen für weniger begüterte 213 Bohemia, 1.1.1924, S. 9.
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ZuschauerInnen. Als diese in der Spielzeit 1924/25 erstmals angesetzt wurden, war das Ergebnis allerdings ernüchternd: Die drei Vorstellungen – ein Schauspiel, eine Operette und eine Oper – wiesen den schlechtesten Besuch der Spielzeit auf und erbrachten somit, wie die Theaterleitung meinte, den Beweis, „daß die von mancher Seite empfohlene Herabsetzung der Preise kein Heilmittel bedeuten, sondern unser Theater in eine noch gefährdetere Lage bringen würde.“214 Eine Konstruktion, die besser geeignet war, die Finanzen aufzubessern, war die Abhaltung von Vereinsvorstellungen, also die Abnahme einer ganzen Vorstellung durch einen Verein, der seine Karten dann, meist verbilligt, an seine Mitglieder weitergab. Auf diese Weise funktionierten auch die fallweise abgehaltenen Arbeitervorstellungen sowie die Schülervorstellungen, bei denen der Elternrat die Karten abnahm und verteilte. Die Vereine versprachen sich dabei von der Vermittlung von Vorstellungen oft eine Anhebung ihres Ansehens; nicht immer stand die Förderung des Theaters im Mittelpunkt. So kam es 1920 bei einer Vereinsvorstellung des Freien deutschen Mittelstandes zu einem Eklat, als die SchauspielerInnen zu Beginn der Vorstellung vor den Vorhang traten und erklärten, dass die Aufführung nicht stattfinden würde, da das dem Verein nahestehende Montagsblatt215 seit Wochen „rein persönliche Angriffe gegen die Leitung des Theatervereins, die Direktion und das Personal“216 publiziere, die nichts mit der Kritik von Vorstellungen zu tun hätten. Die SchauspielerInnen forderten nun von den Vertretern des Vereins, „auf ihr Organ dahin einzuwirken, daß diese die Kunst gefährdenden und das Personal in seiner Arbeitsfreudigkeit beeinträchtigenden Angriffe abgestellt werden und das Parteiorgan auf das Niveau der Anständigkeit zurückgeführt wird.“
Das Publikum war begreiflicherweise aufgebracht und stellte fest, dass die Differenzen zwischen Verein und Theater nichts mit ihm zu tun
214 Tagesbote, 9.11.1924, M S. 7. 215 Das Montagsblatt stand den deutschnationalen Parteien nahe, anzunehmen ist also, dass das auch für den Verein Freier deutscher Mittelstand gilt. 216 Tagesbote, 18.11.1920, M S. 3; auch die folgenden Zitate stammen hierher.
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hätten; doch es gab auch Stimmen, die sich auf die Seite der SchauspielerInnen stellten und meinten, „daß die Schauspieler sich gegen die Angriffe des Montagsblattes nicht anders wehren können und die verlangten, der Mittelstandsverein möge, wenn er Vorstellungen ansetze, auch für deren klaglose Abwicklung Sorge treffen. Es gehe nicht an, auf der einen Seite im Montagsblatte allwöchentlich die Schauspieler, den Theaterdirektor u.a. schlecht zu machen, auf der andern Seite aber von denselben Schauspielern zu verlangen, daß sie durch ihre Tätigkeit dem Mittelstandsverein zu einem Gewinn in moralischer und materieller Beziehung verhelfen.“
Dieser Gewinn in moralischer Beziehung ist natürlich nur zu erzielen, wenn der Verein Vorstellungen auswählt, die seinem Weltbild oder den Interessen seiner Mitglieder entsprechen – bei besagter Mittelstands-Vorstellung war dies beispielsweise Anzengrubers Pfarrer von Kirchfeld. Die Sondermiete des Bundes der Deutschen In den dreißiger Jahren schließlich versuchte der Bund der Deutschen die Einflussnahme auf das Theater durch die Veranstaltung solcher Vereinsvorstellungen, bei denen er unter anderem durchzusetzen versuchte, dass bei diesen keine jüdischen SchauspielerInnen auftreten dürften. 1936 gründete er dann seine eigene Theatergemeinde; diese führte in der Spielzeit 1936/37 eine Sondermiete durch, bei der sich die AbonnentInnen verpflichteten, jede der drei Spielgattungen einmal im Monat zu verbilligten Preisen zu besuchen. Die Stücke wurden dabei zwar vom BdD ausgewählt, wobei „nur solche Werke in Betracht kommen, die nach ihrem Kunst- oder Unterhaltungswert unseren Anschauungen von deutscher Bühnenkunst nicht widersprechen“217. Sie wurden allerdings dem ganz normalen, vom Theater erstellten Spielplan entnommen. Diese Handhabung änderte sich im nächsten Jahr, als der BdD mit den durch seine MieterInnen tatsächlich dem Theater zugutegekommenen Summen argumentieren konnte. Als das Theater im Winter 1936/37 wieder einmal in eine gröbere finanzielle Krise schlitterte, die auch damit zu tun haben dürfte, dass der Theaterbesuch ausgesprochen schlecht war, rief der Theaterverein die ver217 Tagesbote, 19.7.1936, M S. 9.
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schiedenen deutschen Parteien, Verbände und Vereine Brünns zu einer Aussprache auf. Dort wurde diskutiert, ob das Theater in der nächsten Spielzeit einem Pächter übergeben werden sollte (wobei im Vorhinein Verhandlungen mit dem für seine antifaschistische Arbeit bekannten bisherigen Troppauer Direktor Georg Terramare geführt wurden) und ob weiterhin alle drei Spielgattungen aufrechterhalten werden sollten218. Außerdem traf sich der Theaterverein mit den Mitgliedern von SdP und BdD, um zu klären, ob sie bereit wären, das Theater durch Beitritt zum Theaterverein und die Abnahme von Mietvorstellungen finanziell zu unterstützen. Diese machten sowohl die Mitarbeit im Theaterverein als auch die Durchführung der Sondermiete von der Erfüllung diverser Bedingungen abhängig. Die Forderungen für die Durchführung der Sondermiete lauteten: „a) Ein angemessener Prozentsatz der im Theaterbetrieb wo immer mitwirkenden Kräfte (Direktion, Ensemble, Arbeiterschaft usw.) müssen Mitglieder eines der genannten vier Verbände [BdD, Dt. Akademikerverband, Dt. Turnverband, Dt. Handels- und Industriellenangestellten-Verband, K.W.] sein. (In eventum: die Verbände stellen drei Vertreter, denen bezüglich eines angemessenen Prozentsatzes bei der Anstellung der Theaterkräfte, einschließlich der Direktion usw. ein entscheidendes Mitbestimmungs- bzw. Vetorecht bedingungslos zusteht.) b) Das Theater ist verpflichtet, einen angemessenen Prozentsatz des gesamten Spielplanes den Vorschlägen der Verbände zu entnehmen. Hinsichtlich der von den Verbänden beschickten Mietvorstellungen ist es unter allen Umständen an die eingebrachten Vorschläge zum Spielplan gebunden, wenn nicht von den Verbänden ein anderes Spielplanstück verlangt wird.“219
Der Theaterverein lehnte diese Bedingungen verständlicherweise ab, der BdD kündigte an, auf sie zurückzukommen und in der Zwischenzeit Einschreibungen für eine Sondermiete vorzunehmen, diese allerdings erst bei Erfüllung der Forderungen durchzuführen. Direktor Kramer legte in einem längeren Schreiben an den Tagesboten Ende Juni 1937 seine Sicht der Probleme dar, wobei er auch auf das Brünner Publikum einging:
218 Vgl. Tagesbote, 10.4.1937, M S. 8. 219 Tagesbote, 22.4.1937, M S. 7.
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„Wenn heute die deutschen Theaterbesucher, in Parteien zerklüftet, durch Politik und Weltanschauung auseinandergerissen, nicht mehr jene einige Masse bilden, die man Publikum nennt, das bereitwillig immer ins Theater strömte, ‚wenn etwas los war‘, das dem Theater die lebensnotwendigen Mittel ins Haus brachte, wenn Parteigruppen, die sonst wohlwollenden, der Kunst ergebenen Kreise der Theaterbesucher aller Schattierungen abhalten, das Theater zu besuchen, wenn hüben und drüben private Interessen irgendeiner politischen Anschauung den normalen, praktischen, altgewohnten, alle Teile befriedigenden Betrieb zu ändern, also zu stören versuchen, dann ist ein gedeihlicher Theaterbetrieb unmöglich. Denn das Theater ist nicht lebensfähig, wenn Teile des Publikums, aus welchen Gründen immer, ihm fernbleiben.“220
Kramer versuchte in diesem Artikel, beide Interessensgruppen gleich zu behandeln und sah, als Theaterdirektor verständlicherweise um Kompromisse bemüht, „hüben und drüben“ die gleichen Probleme – was, wenn man die Forderungen des BdD bedenkt, allerdings nicht ganz der Realität entsprach. Im Frühjahr 1938 schließlich erwies sich, dass der BdD kein Interesse an Kompromissen hatte, sondern dass es ihm um die Durchsetzung eines „wahrhaft deutsche[n] Theater[s]“ ging. Im März konnte aufgrund der finanziellen Schwierigkeiten der Theaterverein die Spielzeit nicht weiterführen, wieder übernahm eine Arbeitsgemeinschaft der SchauspielerInnen das Theater. Diese wurde vom BdD unterstützt, in einem großen Artikel im Tagesboten rief sie alle Deutschen Brünns auf, sich bei der Theatergemeinde einzuschreiben, wo jeder – kostenlos – einen Ausweis erhielt, der ihm oder ihr bei allen Vorstellungen eine 10prozentige Ermäßigung gewähren würde. Ermäßigungen für Theatervereinsmitglieder hingegen waren stets an die Einzahlung des – wenn auch geringen – Jahresbeitrags gebunden. Bei diesen Bedingungen wäre es nun kein Wunder gewesen, wenn die Theatergemeinde, die im Mai als eigener Verein konstituiert wurde, bald unzählige Mitglieder gehabt hätte; der zu dieser Zeit bereits gleichgeschaltete Tagesbote stellte dies auch so dar. Doch wenn im Juni über „bereits 700 Mitglieder“221 der Theatergemeinde gejubelt wurde, muss doch festgestellt werden, dass der Theaterverein gut 1.400 – zahlende – Mitglieder hatte. Wenn man überdies bedenkt, dass zwischen dem „Anschluss“ Österreichs im März und dem Sommer 1938 sich ein Verein nach dem anderen geschlossen dem BdD unter220 Tagesbote, 26.6.1937, M S. 3f., S. 4. 221 Tagesbote, 11.6.1938, M S. 4.
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stellte und sich die ehemals aktivistischen deutschen Parteien mit Ausnahme der DSAP der SdP eingliederten, dann scheint diese Zahl doch kein so großer Erfolg zu sein. Vielleicht hatte der sozialdemokratische Volksfreund recht, wenn er meinte, dass die Brünner nationalen Kreise noch nie großes Interesse für das Theater bekundet hätten222.
IV.9 P OLITIK
UND
P ARTEIPOLITIK
IM
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Der Theaterverein war als Betreiber der Vereinigten deutschen Theater in Brünn ein wichtiges und einflussreiches Gremium. Da er aufgrund der für den Betrieb nicht ausreichenden Subventionen auch der wichtigste Geldgeber des Theaters war, hatten sich die jeweiligen Direktoren, aber auch der Bühnenbund, mit dem Vereinsausschuss, der die laufenden Geschäfte führte, zu arrangieren. Dass dabei Konflikte oft nicht zu vermeiden waren, liegt auf der Hand; doch auch um die Führung des Vereins kam es in den dreißiger Jahren, als sich die parteipolitischen Gegensätze unter den Brünner Deutschen verschärften, zunehmend zu Streitigkeiten, die ab Mitte der dreißiger Jahre zu einem häufigen Wechsel in der Leitung des Vereinsausschusses führten. Besonders seit SdP und BdD offensiv um Einfluss auf die deutschen Theater der Tschechoslowakei kämpften, wurde die Lage im Verein immer komplizierter. Anschuldigungen, Rücktritte, Rücktritte von diesen Rücktritten, Neuwahlen, Kooptierung einzelner Ausschussmitglieder und Konkursmeldungen standen ab 1933 auf der Tagesordnung. 1938 war die Situation schließlich so verworren, dass selbst den Mitgliedern nicht einmal mehr klar war, ob der Verein rechtmäßig überhaupt noch bestand oder sich durch die zahlreichen nicht gewählten sondern kooptierten Ausschussmitglieder in eine Lage gebracht hatte, in der die Hauptversammlung, bei der ein neuer Ausschuss gewählt werden könnte, von Rechts wegen gar nicht einberufen werden konnte. Diesen Vorgängen widmet sich dieses Kapitel, das dabei aufzeigt, wie der Theaterverein, ursprünglich ein unpolitischer Verein, immer mehr in die politischen Auseinandersetzungen der Brünner Deutschen geriet. Die Konflikte zwischen Theaterverein und Theaterdirektor, die 1925 unter Julius Herzka besondere Heftigkeit erreicht und zum Rücktritt 222 Vgl. Volksfreund, 21.4.1938, S. 6.
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und schließlich zum Selbstmord Herzkas geführt hatten, wurden bereits im Kapitel Nationalistische Rhetorik in der Theaterkrise der zwanziger Jahre behandelt; bereits da hatte sich gezeigt, wie wichtig den Mitgliedern des Ausschusses öffentliche Anerkennung für ihre Arbeit und eine gewisse Zugehörigkeit zum Theater waren223. Bereits in diesen Debatten erhoben sich immer wieder Stimmen, die den Rücktritt einzelner Ausschussmitglieder forderten; der Ausschuss erklärte jedoch stets, sich nur gemeinsam wiederwählen zu lassen oder geschlossen zurückzutreten. 1931 begannen parteipolitische Überlegungen die Arbeit in den unterschiedlichsten deutschen Vereinen zunehmend zu beeinflussen. Die Verhandlungen zwischen Theaterbaugemeinde und Deutschem Haus bezüglich des Verkaufs des Baugrundes hinter dem Deutschen Haus an die Theaterbaugemeinde zeigten dies erstmals deutlich: Auch innerhalb des Deutschen Hauses selbst schwelten die Konflikte, wie ein Bericht im Tagesboten über die Vollversammlung, bei der über den Verkauf abgestimmt werden sollte, zeigt. Der Berichterstatter meinte: „die imposante Zusammenkunft, die ein erhebendes und flammendes Bekenntnis aller Deutschen Brünns zum deutschen Theater und zur nachdrücklichen Förderung eines deutschen Bühnenbetriebs in der größten deutschen Stadt der Tschechoslowakei hätte werden können, wurde das drastische Spiegelbild deutscher Sonderbrödelei [sic] und beschämendster Uneinigkeit. Die schmerzliche Zerfahrenheit, die seit Jahren jede große Tat der Deutschen verhindert [...] feierte auch hier wieder wahre Orgien [...] Die Meinungsverschiedenheiten gingen soweit, daß zahlreiche – namentlich jüngere – Versammlungsteilnehmer, die sonst auf ihre Zugehörigkeit zu einer bestimmten Richtung und Partei halten und sich als verläßliche Sturmtrupps ihrer Partei fühlen, diesmal vor dem breiten Forum der Öffentlichkeit ihre eigenen Parteiführer glattweg im Stich ließen“224.
223 Vgl. Tagesbote, 28.10.1925, A S. 2, aus einer Zuschrift des Theatervereinsobmannes Paul Selb: „Noch viel weniger begreife ich es aber, daß die Direktion auf einmal uns Ausschußmitglieder als Fremde und für das Theater Nichtbeschäftigte bezeichnet, obwohl gerade wir fünf oder sechs Herren, die wir an der Spitze des Theatervereinsausschusses stehen, von Früh bis in die sinkende Nacht nichts anderes tun, als für das Theater zu arbeiten.“ 224 Tagesbote, 20.5.1931, A S. 2f., S. 2.
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Die Parteien hatten gemeinsam einen der Vollversammlung vorzulegenden Antrag erarbeitet, der den Verkauf an die Theaterbaugemeinde und dessen Bedingungen festlegte; die Abstimmung über diesen Antrag ging nach heftiger Wechselrede mit 232:210 Stimmen ausgesprochen knapp für den Verkauf, und damit auch für die Parteiführer, aus225. Gleichzeitig wurden bei derselben Versammlung auch die Einwände der radikalen Deutschnationalen, die im Deutschen Haus wesentlich früher als in der Theaterbaugemeinde oder erst recht im Theaterverein (den sie eigentlich nie wirklich erobern konnten) zur bestimmenden Richtung wurden, gegen das deutsche Theater deutlich: „Stadtrat Judex [der im „Protektorat“ Brünner Bürgermeister wurde, K.W.] stellte die Behauptung auf, ein großer Teil der Deutschen Brünns habe aus dem Theaterverein austreten müssen, weil sie mit den leitenden Personen dieses Vereins und ‚dem, was sich dort getan hat‘ nicht einverstanden waren.“226
Zwei Kritikpunkte wurden in diesem Bericht auch explizit genannt – ein Ausnahmefall in den Zeitungsberichten zu den Differenzen der verschiedenen Richtungen, denn normalerweise finden sich Anschuldigungen und Verteidigungen lediglich zwischen den Zeilen. Interessanterweise drehte sich der eine Vorwurf gerade um das Gedenken an die sogenannten „März-Gefallenen“, deren Rolle für das Selbstverständnis der negativistischen Deutschen in Kap. I.1 behandelt wurde. Der Berichterstatter des Tagesboten fasste eine Wortmeldung der Deutschnationalen sowie die Reaktionen darauf zusammen: „Der Wunsch der Nationalgesinnten gehe dahin, daß am Tage der März-Gefallenen im Theater eine würdige Vorstellung gegeben werde. (Demonstrativer Beifall, Zwischenrufe ‚Zur Sache!‘, ‚Ruhe!‘. Der Vorsitzende macht den Redner darauf aufmerksam, daß das nicht in die heutige Versammlung gehört.) Die Ursache der gefühlsmäßigen Abneigung gegen die jetzige Theaterführung gehöre zum Beratungsgegenstand. Es habe in der deutschen Bevölkerung merk225 Da der Beschluss mit einfacher Mehrheit gefasst worden war, die Satzungen für das Vereinsvermögen betreffende Beschlüsse jedoch eine Zweidrittelmehrheit vorsahen, fochten die bei der Abstimmung Unterlegenen den Beschluss bei der Vereinsbehörde an; der Streit dürfte beigelegt worden sein, es fanden sich im MZA keine weiteren Akten dazu. Vgl. MZA, B26 spolky, kart. 2685, Deutsches Haus. 226 Tagesbote, 20.5.1931, A S. 2f., S. 2.
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würdig berührt, daß der Leiter einer deutschen Schaubühne einen persönlichen Eindruck vor Gericht so wiedergab, daß dadurch ein deutscher Mann ins Kriminal gebracht wurde. (Zwischenruf Selb: ‚Das ist eine Büberei!‘ Der Vorsitzende ruft den Redner zur Sache, stürmische Schlußrufe.)“227
Der zweite Vorwurf, Direktor Demetz habe durch seine Aussage vor Gericht dazu beigetragen, einen „deutschen Mann“ ins Gefängnis zu bringen, bezieht sich auf die Gerichtsverhandlung wegen der Proteste einiger Studenten gegen die Festveranstaltung des Theaters zur ZehnJahres-Feier der Tschechoslowakischen Republik228. Kurz nach dieser stürmischen Versammlung des Deutschen Hauses übernahmen die Deutschnationalen dort endgültig die Macht229. Krisen im Theatervereinsausschuss Im Herbst desselben Jahres führte ein Konflikt zwischen dem Theaterpersonal und einem Ausschussmitglied zu einer ernsten Krise des Theatervereins, deren Hintergründe in den mir vorliegenden Quellen nicht explizit genannt werden. Der einzige Bericht im Tagesboten stellte fest, dass der gesamte Vereinsausschuss seine Ämter niederge227 Ebd. 228 Zu diesen Ereignissen vgl. weiter vorne, Kap. IV.2, S. 159f. 229 Vgl. dazu Tagesbote, 16.6.1931, M S. 7; der Berichterstatter des Tagesboten (-nn-) hält mit seiner Meinung über diese Machtübernahme nicht hinterm Berg: „In diesem geschichtlichen Augenblick für das Brünner Deutsche Haus und das Deutschtum Brünns ist es vielleicht am Platz, daran zu erinnern, daß das Schicksal der wichtigsten deutschen Nachbarschaft Brünns, des einst reindeutschen südmährischen Zentrums Znaim, besiegelt war, als sich kurz vor dem Krieg ein paar unverantwortliche Elemente – es waren Anhänger der gleichen politischen Überzeugung wie die Männer, die heute sich anschicken, im Brünner Deutschen Haus die Führung zu übernehmen – es vermochten, gegen ruhige Überlegung und gegen einen bei aller Wahrung der völkischen Rechte gefundenen Opportunismus die Oberhand zu erlangen. Die ‚Sieger‘ von damals sind heute alle weit vom Schuß und Znaim ist eine überwiegend tschechische Stadt geworden. Möge dem Deutschtum Brünns ein ähnlicher Schaden dadurch erspart bleiben, daß die jetzt in den Ausschuß des Vereins Deutsches Haus gewählten Vertreter der radikalnationalen Richtung sich vor Augen halten, daß man mit dem Kopf nicht durch Wände rennen kann.“
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legt hätte und seine 16 bürgerlichen Mitglieder erklärt hätten, „eine allfällige Wiederwahl unter keinen Umständen annehmen zu wollen“230, was vonseiten des Tagesboten sehr bedauert würde. Wie der Tagesbote ein halbes Jahr später berichtete, war es um Verhandlungen mit den Theaterangestellten und Meinungsverschiedenheiten mit den VeranstalterInnen volkstümlicher Vorstellungen gegangen. Die Krise wurde schließlich beigelegt, der alte Ausschuss wiedergewählt und die „Fortführung des Theaters in dem bisherigen Geist, d.h. ohne Rücksicht auf parteipolitische Anschauungen und Ansprüche“231 beschlossen, sehr zum Missfallen der Deutschnationalen. Im Bericht der Sudetendeutschen „Volkszeitung“ wird wieder Oskar Judex hervorgehoben, der die Freikartenfrage ansprach, einen immer wieder auftauchenden Kritikpunkt, der vor allem dazu diente, die „kleinen Angestellten“ gegen „hochgestellte Personen“232 aufzubringen. Auch die nationalen Mitglieder des Theatervereins, die, „gering an Zahl, eingeengt im Ausschusse [...] nolens volens diese Politik mit[machen]“, werden hier kritisiert und es wird von ihnen gefordert: „Die völkischen Mitglieder des Theatervereines müßten sich ihr ihnen zustehendes Recht erkämpfen und zu einer starken völkischen Opposition werden.“ Eines scheinen sie wenigstens erreicht zu haben: Wenige Tage nach der Hauptversammlung im November wurde der Vertrag mit Demetz, der eigentlich noch länger laufen sollte, gekündigt233. Im Frühjahr 1932 flammte der nur scheinbar beigelegte Konflikt im Theatervereinsausschuss wieder auf, unter dem Druck ihrer Parteien verkündeten drei Ausschussmitglieder ihren Austritt aus dem Ausschuss, dem sie allerdings, wie der Tagesbote feststellte, „keineswegs als Vertreter dieser Parteien, sondern als von der Vollversammlung gewählte Vertrauensmänner“234 angehörten. Alle drei, zwei Mitglieder der Deutschen Nationalpartei und eines der Deutschen Nationalsozia230 Tagesbote, 11.10.1931, M S. 7. 231 Tagesbote, 7.2.1932, M S. 3. 232 Sudetendeutsche „Volkszeitung“, 11.11.1931, o.S., von hier auch die folgenden Auszüge. In diesem Fall wurde insbesondere Direktor Demetz angegriffen, sonst aber auch immer wieder Mitglieder des Theatervereinsausschusses. 233 In den folgenden Jahren schrieben die Zeitungen allerdings auch immer wieder von künstlerischen Differenzen zwischen Demetz und dem Theatervereinsausschuss. 234 Tagesbote, 7.2.1932, M S. 3.
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listischen Arbeiterpartei, schrieben in ihren Austrittsbriefen explizit, nicht aus eigenen Stücken, sondern aus Parteidisziplin zurückzutreten. Wie dem Bericht zur nächsten Jahreshauptversammlung im Dezember 1932 zu entnehmen ist, scheinen die beiden Mitglieder der DNP ihren Rücktritt jedoch wieder rückgängig gemacht zu haben, beide befanden sich noch/wieder in ihren Positionen und wurden in diesen auch wiedergewählt. Auch sonst scheint diese Hauptversammlung ausgesprochen harmonisch verlaufen zu sein235. Während bis dahin alle auftretenden Konflikte – sei es mit dem Bühnenbund, mit dem Direktor, oder innerhalb des Vereinsausschusses – versöhnlich beigelegt werden konnten, änderte sich dies wohl nicht zufällig 1933. Am Ende der Spielzeit 1932/33 war es zu einem kurzen Streik des Personals gekommen, nachdem der Theatervereinsausschuss Gagenkürzungen angekündigt hatte. Dieser konnte zwar rasch beendet werden, die Kürzungen für das Ensemble, in dem laut Lidové noviny236 viele jüdische SchauspielerInnen arbeiteten – die nun auf ein Engagement außerhalb Deutschlands in ganz anderer Weise angewiesen waren als zuvor –, waren allerdings massiv. Bühnenbund und Theatervereinsausschuss einigten sich in der Folge auf die Schaffung eines Fonds aus den Subventionsgeldern, der die Gagen für die gesamte Spielzeit sichern sollte, falls der Theaterverein diese nicht aus den laufenden Betriebseinnahmen bezahlen könnte. Als es aufgrund verminderter Abonnement- und Tageseinnahmen sowie Subventionen bereits im November so weit kam, verweigerte jedoch der Bühnenbund den Zugriff auf den Fonds, da er in der Theaterkassa noch Geld vermutete. Vorwürfe gegen den Theatervereinsausschuss, die sich anscheinend um unrechtmäßigen Umgang mit den Geldern drehten, wurden zwar bei einer rasch einberufenen Hauptversammlung aus dem Weg geräumt, „aber der Bruch war damit unheilbar geworden und der hochverdiente Theatervereinsausschuss, der in den letzten Jahren wiederholt ohnedies nur widerwillig und unter dem schweren Druck der Verhältnisse sich zur Wiederaufnahme seiner an Mühen und Arbeit, an Verantwortung und Opfern aller Art reichen Ämter hat bewegen lassen, erklärte nunmehr mit aller Entschiedenheit angesichts der in der Bevölkerung infolge der Verlautbarungen des Theaterperso-
235 Vgl. Tagesbote, 5.12.1932, A S. 2. 236 Vgl. Lidové noviny, 9.12.1933, A S. 1.
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nals auftretenden Verdächtigungen und Äußerungen des Mißtrauens körperschaftlich und unwiderruflich, auf seine Mandate verzichten zu müssen.“237
Obwohl die Hauptversammlung all ihre Überredungskünste einsetzte, ließ sich der Ausschuss nicht umstimmen. Eine Arbeitsgemeinschaft der SchauspielerInnen übernahm vorerst den Betrieb des Theaters, bei der nächsten Hauptversammlung wurde ein neuer Ausschuss gewählt – und dieser schlitterte in den nächsten Jahren in noch größere Krisen. Der neue Ausschuss Die durch die Ereignisse 1933 entstandene Kluft zwischen altem Theatervereinsausschuss238 und Personal „bewirkte, daß sich der Kreis um den alten Ausschuß vom Theater abwendete und es vollständig seinem Schicksal überließ“239. Der neue Ausschuss wiederum, in dem nun ein Viertel der Mitglieder SozialdemokratInnen waren, hatte die tatsächlichen Betriebsabgänge unterschätzt und sah sich im Winter 1934 außerstande, die finanziellen Probleme des Theaters zu lösen. Das Theater stand damit kurz vor dem Zusammenbruch, die Schuld dafür wurde durchaus auch dem Personal gegeben: „Hätte er [der neue Theatervereinsausschuss, K.W.] der Arbeitsgemeinschaft die Sorge um die Beschaffung der Geldmittel überlassen, dann hätte der Bühnenbund entweder seine Mittel in den Betrieb stecken müssen, ohne daß die Mitglieder des Theatervereinsausschusses dafür eine Verantwortung und moralische Haftung haben, oder diejenigen Mitglieder des Bühnenbundes, die seinerzeit den alten Ausschuß vor den Kopf gestoßen haben, wären genötigt gewesen, entsprechende Genugtuung zu geben, was sie bis heute nicht getan haben, oder das Theater wäre schon vor etwa einem Jahr zusammengebrochen. Soweit ist es jetzt wieder, nur mit dem Unterschied, daß der Verein dem Bühnenbund namhafte Summen schuldet.“240
Gleichzeitig gab es aber auch Kreise, die nach dem Abgang des alten Ausschusses „sich zugeschworen haben, eher das Theater zugrunde 237 Tagesbote, 20.12.1933, M S. 7. 238 Der seit 1919 größtenteils aus denselben Personen bestanden hatte, aus gemäßigt nationalen GroßbürgerInnen. 239 Tagesbote, 3.6.1934, M S. 3f., S. 3. 240 Tagesbote, 11.3.1935, A S. 2.
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gehen zu lassen, als ihm zu helfen, bevor nicht diejenigen beseitigt sind, denen sie die Herbeiführung des verhängnisvollen Zwistes zuschreiben.“241 Der neue Theatervereinsausschuss bemühte sich wiederholt um die Hilfe der Industriellen, hatte aber damit keinen Erfolg, weil der „Streit, der seinerzeit zwischen dem Fabrikanten Selb (gemeint ist wohl der alte Aussschuß. Die Schriftl.) und dem Bühnenbund (gemeint ist wohl der Obmann des Bühnenbundes und einzelne Mitglieder. Die Schriftl.) ausbrach“242, noch immer nicht beseitigt war. Aus den Zeitungsberichten über die Hauptversammlungen im Frühjahr 1935 geht hervor, dass die Fronten noch denjenigen des Streits von 1933 entsprachen: Auf der einen Seite standen die VerteidigerInnen des Bühnenbundes, vorwiegend SozialdemokratInnen, auf der anderen Seite diejenigen, die den alten Ausschuss wieder zur Mitarbeit bewegen wollten. In der Krise wurde auch der Prager Direktor Paul Eger um Vermittlung gebeten; in den Unterlagen der Korrespondenz des NDT mit dem Brünner Theater findet sich ein undatiertes Blatt, das folgende Einschätzung der Lage festhält: „Bis vor 3 Jahren war es immer möglich, unter der Fahne von Paul Selb (er ist Präsidialmitglied der evangelischen Gemeinde und dank seiner engen Verbindung zur Textilindustrie eine der angesehensten Persönlichkeiten der Stadt) alle auseinanderstrebenden Elemente im Brünner Theaterausschuss unter einen Hut zu bringen. Der treibende Kopf des Theaterausschusses war jedoch Dr. Krumpholz, der mit unbeirrbarem Gleichmut und vermöge seines diplomatischen Geschicks es verstand, das Brünner Theaterschiff um alle Klippen herumzusteuern. Nach dem Tode Dr. Krumpholz243 trat der latende [sic] Konflikt Theaterverein – Bühnenbund offen zutage, ja der von dem Bariton Koch-Garden geführte Ortsverband wendet sich offen gegen den verdienstvollen Ausschuss und 241 Tagesbote, 24.2.1935, M S. 3; wer hier „beseitigt“ werden sollte, war in erster Linie der sozialdemokratische Obmann des Bühnenbundes Leopold Kopka; die Forderung nach seinem Rücktritt sollten 1938 auch die nationalsozialistischen Ensemblemitglieder erheben. 242 Tagesbote, 11.3.1935, A S. 2. 243 Dr. Eugen Krumpholz war im Dezember 1929 gestorben, er war Deutschnationaler und rege am Brünner Vereinsleben beteiligt. Seit der Gründung des Theatervereins war er dessen Schriftführer, außerdem Obmann des Verbandes der Theatererhalter und Anwalt des Verbandes der Bühnenleiter. Vgl. Tagesbote, 20.12.1929, A S. 1.
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bringt es – ungehindert vom Bühnenbund – zustande, dass der [...] verärgerte und beleidigte Ausschuss mit Selb korporativ zurücktritt. Seither arbeitet ein ad hoc gewählter Verlegenheitsausschuss [...] vergeblich daran, den Theaterbetrieb zu konsolidieren. Der Verband der Textilindustriellen, solidarisch mit Selb, gibt nichts mehr her oder nur einen Bruchteil der früheren Summe (K 250.000). Auch hat der neue Ausschuss keine gesellschaftlichen Beziehungen, was sich für das Abonnement ungünstig auswirkt. Die moralische Schuld an den jetzigen Verhältnissen wird vom alten Ausschuss, der wöchentlich in ungebrochener Solidarität in der ‚Grossen Mass‘ in Brünn zusammenkommt, Herrn Kopka zugeschoben. Neben der materiellen Krise belasten noch personelle Aversionen das Brünner Theaterproblem. Vorderhand fehlt jeder Kern zu einer neuen Konsolidierung. Die einzige Aussicht bietet die Wiederkehr des zeitgemäß aufgefrischten alten Theatervereinsausschusses mit Selb, der noch immer für das Deutsche Brünn (auch wegen seiner Anerkennung durch die Deutsch-Völkischen) ein Programm bedeutet.“244
Die Lidové noviny hingegen interpretierten damals die zurückgegangene Unterstützung des Theaters durch die Textilindustrie – und die Brünner Textilindustrie war vorwiegend jüdisch – anders: „Es ist kein Geheimnis, dass nach den Ereignissen in Deutschland auch die Vereinigten deutschen Theater in Brünn von der Abnahme der Einnahmen betroffen waren, denn wenigstens einem Teil der Brünner Juden, die in der materiellen Unterstützung des Theaters als kulturellem Faktor irrtümlich ihre patriotische Pflicht sahen, gingen die Augen auf. [...] In Brünn war es seit langem ein offenes Geheimnis, dass die Bühnen des deutschen Theaters nur durch die besondere Freigiebigkeit zahlreicher wohlhabender Privatleute, deren deutscher Nationalismus allerdings durch die Ereignisse in der Nachbarschaft bedeutend nachließ, ihre übermäßige technische und personelle Ausstattung aufrechterhalten konnten.”245
Gegen diese Interpretation spricht allerdings, dass u.a. der Bund der Deutschen noch 1937 vehement eine Einigung „mit den Kreisen der
244 Blatt o.D. zwischen Unterlagen von 1935, AHMP, Fond nmecké divadlo v Praze, Inv. . 12, kart. 10, Mappe Vereinigte deutsche Theater, Brno, 1931-1938. 245 Lidové noviny, 9.12.1933, A S. 1.
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deutschen Industrie, insbesondere mit den Kreisen, aus denen sich der frühere Theatervereinsausschuß gebildet hatte“246, forderte. Jedenfalls legte auch der neue Ausschuss seine Stellen nieder, ein geschäftsführendes Direktorium amtierte bis zur Hauptversammlung im März 1935, bei der ein neuer Ausschuss gewählt wurde, der jedoch zu drei Viertel aus Mitgliedern des bisherigen Ausschusses bestand. Nachdem nicht alle Gläubiger einem außergerichtlichen Vergleich zustimmen wollten, musste der Theaterverein den Ausgleich anmelden, der Bühnenbund bot Ende März, als der Theaterverein finanziell völlig am Ende war, an, die Spielzeit in Eigenverantwortung als Pächter zu Ende zu führen247. Im Zuge der Debatten, die bei den oftmaligen Versammlungen des Theatervereins geführt wurden, scheint auch immer wieder der latente Antisemitismus mancher Brünner Deutscher durch, beispielsweise wenn Direktorstellvertreter Bondi in einer Antwort auf „Beschwerden […], die gegen das Theater öffentlich erhoben werden“248 erklären musste, dass das Theater weder in der vorigen, noch in der diesjährigen Spielzeit EmigrantInnen beschäftige249, oder dass „Intendant Knüpfer von der im Dezember 1933 zurückgetretenen Vereinsleitung zum Direktor bestellt wurde, nicht weil er Jude ist, sondern trotzdem er Jude ist“250. Bondi selbst wurde ebenfalls seine jüdische Herkunft vorgeworfen, außerdem musste er sich wegen seiner Bezüge rechtferti246 Tagesbote, 22.4.1937, M S. 7. 247 Dafür musste zwar die Konzession in diesem Punkt abgeändert werden, das Landesamt machte jedoch hierbei keine Probleme. 248 Tagesbote, 30.3.1935, A S. 3; auch die folgenden Zitate stammen von hier. 249 Bondi definierte „Emigranten“ hier als „solche Leute [...], die freiwillig oder unfreiwillig ihr Vaterland verlassen haben und in anderen Ländern leben. Am hiesigen Theater gab es weder in der vorigen noch in der heurigen Spielzeit Emigranten, denn jeder der wenigen ausländischen Künstler hat einen gültigen Paß seines Vaterlandes und kann jeden Augenblick dorthin zurückkehren.“ Ebd. Dies galt zu dieser Zeit freilich für die meisten Theater-EmigrantInnen – dass jüdische SchauspielerInnen in Deutschland allerdings nicht mehr auftreten durften, wird hier nicht berührt. Vom Ensemble dieser beiden Jahre verzeichnet das Handbuch des Exiltheaters Felicitas Corda, Lona Croß, Friedrich Richter-Rosenthal und Hans Ritter als exilierte SchauspielerInnen. Vgl. Handbuch des deutschsprachigen Exiltheaters 1933-1945. Hg. v. Frithjof Trapp et al. 3 Bde. München: Saur, 1999.
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gen251. Offensichtlich hatte selbst er, der dem Theater seit 1898 als Sekretär und später als Direktorstellvertreter gedient und wohl einen Großteil der organisatorischen Arbeit geleistet hatte, nach diesen Diskussionen genug: „In dem Augenblick, wo das Theater wieder in geordneten Verhältnissen sein werde, gedenke er seinen Platz einer jüngeren Kraft zu räumen, doch wolle er sich nicht den Vorwurf machen lassen, daß er es im Stich ließe, da es sich in Not befand.“252
Wie subtil hingegen gerade Bondis Versöhnungsappelle waren, verdeutlicht sein Artikel anlässlich des fünfzigjährigen Gedenkens an den Wiener Ringtheaterbrand, bei dem er selbst Zeuge gewesen war. Die ökumenischen Begräbnisse der Opfer, unter denen sich besonders viele Jüdinnen und Juden befunden hatten, waren damals eine Seltenheit gewesen; nach ihrer Beschreibung und der Feststellung, dass der Tod alle Unterschiede aufhebe, schrieb Bondi:
250 Knüpfer erklärte wenig später, der Arbeitsgemeinschaft der Schauspieler nicht vorstehen zu können; wie sehr offensichtlich auch seine Person Kritikpunkt der „Öffentlichkeit“ war, zeigt sich darin, dass die Auflösung seines Vertrages Ende Juni damit begründet wurde, „die Lage des Brünner deutschen Theaters zu entspannen“ (Tagesbote 20.6.1935, M S. 4). Dass es sich dabei um keine finanzielle Entspannung handelte, geht daraus hervor, dass Knüpfer, dessen Vertrag eigentlich noch bis 1936 gegolten hätte, statt der ihm für das letzte Vertragsjahr zustehenden 70.000 Kronen 56.000 Kronen in monatlichen Raten ausbezahlt erhielt – der Theaterverein zahlte also nur 14.000 Kronen weniger an Knüpfer, dafür aber zusätzlich noch den neuen Direktor Kramer. Zudem meinte ein Bericht über die Jahresversammlung des Theatervereins 1936, dass der Vertrag mit Knüpfer gelöst wurde, „[u]m alle Leidenschaften und Störungsmomente auszuschalten“; Tagesbote, 5.2.1936, A S. 2. 251 Bondi war zu diesem Zeitpunkt 75 Jahre alt und bekam daher neben seinen aktiven Bezügen eine Pension von der Stadtgemeinde, bei der er vor 1918 als Theatersekretär angestellt gewesen war. 252 Tatsächlich trat Bondi am Ende der Spielzeit 1936/37 zurück; sein Nachfolger Paul Eggers verließ seinen Posten aber Anfang Februar 1938 und Bondi übernahm die Geschäfte wieder übergangsweise.
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„Könnten sich nicht die Deutschen unserer Stadt entschließen, in Erinnerung an jenen denkwürdigen Tag es nicht erst dem Tod zu überlassen, bestehende Unterschiede aufzuheben und einander schon im Leben als gleichwertig zu betrachten? Vielleicht könnte dann doch aus der Erinnerung an jenes abgebrannte Theater ein lebendes deutsches Theater in Brünn entstehen.“253
Bei der oben besprochenen Versammlung im März 1935 – die im Übrigen für ihre „versöhnlichen Töne“ gelobt wurde – erinnerte auch ein Teilnehmer mahnend daran, „wie freundschaftlich und vertrauensvoll in früheren Jahren deutsche Arier und Juden im Theaterensemble und in der Gesamtbevölkerung in Brünn zusammen arbeiteten“254. Die „Vorwürfe“, die in dieser Versammlung gegen den Theaterbetrieb erhoben wurden, sind interessanterweise exakt dieselben, die in einem Schreiben des Deutschen Konsuls an die Reichstheaterkammer angeführt wurden: „Der seit 2 Jahren angestellte Intendant des Theaters ist ein Jude. Das Künstlerpersonal zählt zu seinen Angehörigen eine außerordentlich große Zahl von Juden, angeblich auch einige Emigranten [...] Diesseitigen Erachtens wäre es angezeigt, daß die deutschen Theater- und Schauspielerkreise von der Haltung des jetzigen deutschen Theatervereins in Brünn verständigt und Maßnahmen getroffen würden, daß reichsdeutsche Künstler und sonstige Stellen jede Verbindung mit dem deutschen Theater in Brünn ablehnen und daß keine mit dem hiesigen Theater in irgendwelcher Verbindung stehenden Organisationen und Personen auch nur die geringste Förderung und Unterstützung von reichsdeutscher Seite unter Hinweis auf die Werbeschrift erhalten. Ich persönlich habe dem Theaterverein kurz mitgeteilt, daß ich das deutsche Theater nicht mehr betreten würde.“255
Die hier genannte Werbeschrift, in der laut Schneider „Angriffe auf den Hitlerstaat“ abgedruckt waren, war bislang in keinem der Archive auffindbar. Dem Bericht über die obige Versammlung ist zu entnehmen, dass insbesondere ein Aufsatz von Josef Gajdeczka, Theaterkriti253 Gustav Bondi. „Der Ringtheaterbrand (v. e. Augenzeugen)“. Tagesbote, 8.12.1931, M S. 4 254 Tagesbote, 30.3.1935, A S. 3. 255 Abschrift eines Briefes des Deutschen Konsulats Brünn vom 13.9.1934 an den Präsidenten der Reichstheaterkammer. Zit. nach Schneider, Exiltheater in der Tschechoslowakei, S. 288, Anm. 14; Auslassung H. S.
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ker des Tagesboten und engagierter Antifaschist, Auslöser für die Vorwürfe gegen das Theater gewesen sein dürfte256. Die „freundschaftliche und vertrauensvolle“ Zusammenarbeit war offensichtlich zu Ende. Nach Abschluss der Spielzeit lud der Theaterverein kunstinteressierte BrünnerInnen zu einer Aussprache ein, die u.a. „zur Behebung der schleichenden Vertrauenskrise, durch die das Theater ideell wie materiell geschädigt wird“ dienen sollte und deren Ergebnis eine geplante Einberufung der VertreterInnen aller politischer Parteien war, „um nach deren Anhörung und ihren Vorschlägen wieder in allen Schichten der Deutschen Brünns jenen theaterfreundlichen Geist aufleben zu lassen, der die allernotwendigste Lebensbedingung für das Brünner deutsche Theater als Kunststätte ist, abseits aller politischen und sonstigen Einstellungen und auch abseits persönlicher Eitelkeiten und Empfindlichkeiten, die mit Kunstpflege und Theaterkultur nichts gemeinsam haben.“257
Doch genau der für ein Provinztheater notwendige Kompromiss zwischen den verschiedenen Publikumsinteressen scheint nun, da die Ansichten der Bevölkerung politisch immer weiter auseinanderdrifteten, nicht mehr möglich gewesen zu sein. Das machte sich für das Theater unmittelbar in stark zurückgehenden Abonnement-Zahlen bemerkbar258. Welche AbonnentInnen aber tatsächlich verloren gingen, ist dabei nicht ganz klar – während der BdD wiederholt verlangte, dass der Theaterverein Konzessionen an die Deutschnationalen machen sollte, weil die finanziellen Probleme des Theaters daher rühren würden, dass es den „Kontakt zur Bevölkerung“ verloren hätte259, gingen die Kommentare der tschechischen Zeitungen meist davon aus, dass ein Teil 256 Vgl. Tagesbote, 4.3.1935, A S. 2, wo die Deutschnationalen einen Widerruf des Artikels verlangten. Eine Ankündigung besagter Werbeschrift im Tagesboten zählte die einzelnen Beiträger kurz auf, darunter „Josef Gajdeczka, der das Brünner deutsche Theater als deutsches Kulturbollwerk im Sinne der die Menschheit umfassenden Klassiker fordert“; Tagesbote, 9.9.1934, M S. 6. 257 Tagesbote, 1.6.1935, A S. 3. 258 Im April 1937 stellte Theatervereinsobmann Thöresz fest, dass die Einnahmen durch das Abonnement in den letzten Jahren von 1,3 Millionen auf 465.000 Kronen gesunken waren. Vgl. Tagesbote, 10.4.1937, A S. 2. 259 Vgl. beispielsweise Tagesbote, 4.3.1935, A S. 2 oder 22.4.1937, M S. 7.
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des jüdischen Publikums das Theater nicht mehr unterstützen würde260. Das erscheint mir allerdings einigermaßen unlogisch, weil viele Ensemblemitglieder jüdisch waren, die Direktoren ebenfalls, das Theater deswegen auch ständig angegriffen wurde und auch im Spielplan keine antisemitischen Tendenzen zu bemerken sind. Andererseits scheint die erste Variante fast noch unwahrscheinlicher, denn die nationalen Kreise hatten allem Anschein nach nie zu den fleißigsten AbonnentInnen gehört; doch ließen sich die finanziellen Probleme des Theaters gut vom BdD instrumentalisieren und die Behauptung, bei größerem Entgegenkommen würde sich das Theater wieder füllen, konnte schwer widerlegt werden. Vermutlich spielten beide Faktoren eine Rolle und es gab einerseits Deutschnationale, die das Theater aus politischen Gründen boykottierten, und andererseits jüdische BrünnerInnen, die sich nach den Ereignissen in Deutschland zumindest von der aktiven Unterstützung deutscher kultureller Aktivitäten zurückzogen261. Mit der versuchten Trennung von Theater und Politik war der Theaterverein, der immer wieder betonte, abseits politischer Interessen zu stehen, jedoch nicht erfolgreich. Gerade der SdP ging es um eine parteipolitische Besetzung der Ausschussposten, das Recht darauf leitete sie von den Wahlergebnissen ab262. Der Theaterverein aber war ein Verein, dessen Mitglieder die Politik der SdP offensichtlich mehrheitlich nicht unterstützten, weswegen der BdD später bei seinen Forderungen 1937 auch die Ernennung der Ausschussmitglieder verlangte, anstatt wie bisher deren Wahl. Denn bei einer demokratischen Wahl, das dürfte dem BdD klar gewesen sein, wären seine VertreterInnen nicht im Ausschuss gelandet. Eine große Werbeaktion des Theatervereins im Herbst 1936 blieb recht erfolglos, im Frühling 1937 befand sich das Theater wiederum in einer solchen Krise, dass ungewiss war, ob die Spielzeit beendet werden könnte. Auch ob überhaupt eine nächste Spielzeit möglich wäre, 260 Vgl. beispielsweise Lidové noviny, 21.11.1933, M S. 5; 9.12.1933, A S. 1; 5.2.1936, A S. 2. 261 Die vereinigten jüdischen Parteien hatten allerdings keinen Zuwachs zu verzeichnen, sie erreichten in Brünn bei den Gemeindewahlen von 1919, 1924 und 1935 stets gleichbleibend 2 Mandate. 262 Die Forderung der SdP nach „gerechter Vertretung der Deutschen“ wurde immer dann laut, wenn sich Gremien ihrem Diktum von der Alleinvertretung der Deutschen in der Tschechoslowakei und den damit geforderten Postenbesetzungen widersetzten.
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war unsicher, darum fand im April 1937 eine Aussprache mit VertreterInnen der politischen Parteien und Kulturorganisationen über die Fragen statt, ob das Theater weiterhin vom Theaterverein betrieben oder ein Pächter gesucht, und ob weiterhin alle drei Gattungen gespielt werden sollten. In der Versammlung beschwerte sich der Vertreter der SdP wieder darüber, dass diese im Theatervereinsausschuss nicht genügend vertreten sei, der Vorsitzende Thöresz erwiderte darauf, „daß der Theatervereinsausschuß wiederholt den Versuch gemacht habe, Mitglieder der SdP zuzuwählen. Die Zusammensetzung des Ausschusses erfolgte nie nach parteipolitischen Gesichtspunkten. Übrigens seien außer Sozialdemokraten, die sich ebenso eifrig an den Arbeiten beteiligten, wie die anderen Mitglieder des Theatervereinsausschusses, auch Vertreter der Christlichsozialen, des Bundes der Landwirte und der Demokraten in den Ausschuß gewählt worden.“263
Mehr oder minder das einzige Ergebnis dieser Versammlung war die Empfehlung an den Ausschuss, eine Besprechung mit SdP und BdD durchzuführen, was auch geschah. Die Forderungen, die diese dort an den Theaterverein als Bedingung für ihre Unterstützung des Theaters stellten und die vom Theaterverein abgelehnt wurden, wurden bereits im Kapitel IV.8 zur Rolle des Publikums besprochen. Dem Theatervereinsausschuss dürfte jedoch klar gewesen sein, dass SdP und BdD auf irgendeine Weise eingebunden werden mussten, sollte das Theater nicht zusammenbrechen. Das Polizeiprotokoll über eine Ausschusssitzung hält die Meinung des sozialdemokratischen Schriftführers Fritz Perlsee fest: „Laut Mitteilung von Schriftleiter Perlsee sind an dieser Krise größtenteils die Anhänger der SdP schuld, die einerseits den Besuch boykottieren, andererseits zersetzend unter den Mitgliedern arbeiten und andererseits in dem Sinne arbeiten, dass die Partei die Vereinsführung in ihre Hände bekommt.“264
263 Tagesbote, 10.4.1937, M S. 8; der Vorwurf dürfte demnach also nicht nur gegen die ungenügende Vertretung der SdP gerichtet gewesen sein, sondern vor allem gegen die sozialdemokratischen Ausschussmitglieder. 264 Polizeiprotokoll der Sitzung vom 15.7.1937, MZA, B26 spolky, kart. 2582, Deutscher Theaterverein; Übers. K.W.
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Im Anschluss daran versuchte der Theatervereinsausschuss offensichtlich, der SdP zumindest in Bezug auf den Ausschuss entgegenzukommen, indem in diesen neue „arbeitswillige Mitarbeiter“ aufgenommen wurden. Dabei handelte es sich um Personen, „die den rechtsgerichteten unpolitischen Verbänden nahestehen, und fünf Mitglieder, die dem aktivistischen Bürgertume angehören“265; zur Vervollständigung fehlten nur noch die Industriellen, die sich immer noch abseits hielten. Die Bohemia kommentierte dieses Vorgehen mit einer eigentümlichen Schlussfolgerung: „Die Aktionsfähigkeit des neuen Theatervereinsausschusses wird sich allerdings erhöhen, wenn es nun noch glücken sollte, ihn zu Gänze unabhängig und auf eine unpolitische Grundlage zu stellen, also betont politische Persönlichkeiten von ihm ferne zu halten.“266
Wie man sich diese unpolitische Grundlage bei der Zuziehung von nicht „betont politischen Persönlichkeiten“, die jedoch trotzdem den Parteien nahestanden, genau vorzustellen hat, bleibt dabei allerdings ein Rätsel. Die Ausschaltung der rechten Parteien durch die Zuziehung einzelner rechts gesinnter Personen erscheint doch als ein denkbar naives Unterfangen – wenn das der Sinn der Neubesetzung des Ausschusses gewesen sein sollte, wie nach den vorangegangenen Diskussionen des Frühjahrs 1937 anzunehmen ist. Die verschiedensten Rettungsmaßnahmen und Werbeaktionen waren fehlgeschlagen, offensichtlich sah der Ausschuss die einzige Möglichkeit zur Steigerung des Besuchs und zu einer Dämpfung der Kritik in einer Einbindung der KritikerInnen aus den Reihen von SdP und BdD. Dies sollte sich in der nächsten Spielzeit als Trugschluss erweisen.
IV.10 D AS E NDE
DES DEMOKRATISCHEN
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Wie die vorigen Kapitel gezeigt haben, hatten SdP und BdD lange Zeit vergeblich versucht, über ihre Publikumsorganisation oder eine Unterwanderung des Theatervereins Einfluss auf das Brünner deutsche Theater zu nehmen. Zur gleichen Zeit war in der Theaterbaugemeinde und im Deutschen Haus die Anhängerschaft Henleins immer stärker 265 Bohemia, 20.8.1937, S. 5. 266 Ebd.
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geworden, die Zusammenarbeit des Theatervereins mit diesen Vereinen wurde immer schwieriger. Nachdem die versuchte Einflussnahme von innen an der klaren Haltung des Theatervereins gescheitert war, wurde dieser von den verschiedensten Seiten bekämpft und versucht, seine Auflösung herbeizuführen. Dazu wurde nun auch erstmals die Hilfe der SchauspielerInnen in Anspruch genommen. Während der Bühnenbund als gewerkschaftliche Vertretung der Sozialdemokratie nahestand, gab es im Ensemble auch genügend Henlein-AnhängerInnen und, was vermutlich den stärksten Ausschlag gegeben hat, genügend MitläuferInnen, die ihr Fähnlein bereitwillig in den jeweils am stärksten wehenden Wind hängten. Die Spielzeit 1937/38 begann unter denkbar schlechten Voraussetzungen. Im Theatervereinsausschuss saßen aufgrund der im Sommer mit der SdP getroffenen Vereinbarung jetzt auch deren Vertreter, durch die lange Unklarheit, ob und unter welchen Bedingungen die Spielzeit überhaupt abgehalten werden könnte, konnten Engagements erst Ende August getätigt werden. Direktor Kramer, der nicht mehr der Jüngste war und kein ausgesprochen politischer Mensch gewesen zu sein scheint, schienen die Vorgänge im Ensemble zunehmend zu entgleiten. Zwei Briefe von Schauspielerinnen an die Direktion des Prager Theaters geben darüber Auskunft: „Aus Brünn höre ich Schauermärchen: es soll drunter und drüber gehen. Kein Wunder: ein so labiler Betrieb und lauter Anfänger. Das kann ja nur schlecht gehen.“267 Das schrieb die Opernsängerin Else Fink im Oktober 1937 von Wien aus an Kapellmeister Schick vom NDT, wo sie auch während ihres Brünner Engagements 1935/36 und 1936/37 immer wieder versucht hatte, ein Engagement zu erhalten. Noch direkter formulierte Lieselotte Göttinger im Jänner 1938: „Ich bin diese Saison hier, in Brünn engagiert. Wie die Verhältnisse hier liegen, wissen Sie vielleicht. Die Gage ist eine sehr fragliche Angelegenheit und wenn man – so wie ich, von keiner Seite einen Zuschuß bekommt, ist es einfach ausgeschlossen, so leben zu können. So käme ich – auch aus diesem Grunde, so gerne in geregelte Verhältnisse und an ein wirkliches Theater. Unser lieber, aufrichtig verehrter Direktor, Kramer ist leider schon nimmer jung genug, um sein 267 Fink an Kapellmeister Schick, Wien, 16.10.1937, AHMP, Fond nmecké divadlo v Praze, Inv. . 30, kart. 53; diese Klage über die vielen AnfängerInnen in Brünn dürfte allerdings vor allem für das Musiktheater gelten, im Schauspielensemble war der Anfängeranteil nicht bemerkenswert hoch.
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Institut vor Wildlingen zu schützen, die es zu einem Spielball der Parteipolitik machen, die sich eben dann so verheerend auf das Ganze auswirkt. [...] Die deutschen Juden hier haben ja so recht, wenn sie das Theater boykottieren – nur müssen eben nur wieder wir darunter leiden. Wie gerne käme ich aus dem Allem heraus.“268
Auch der Volksfreund sah in Kramers unentschlossener Haltung einen der Gründe für die Probleme des Theaters: „Es ist gescheitert, weil es in dieser aus den Fugen geratenen Zeit in den politischen Tageskampf hineingezerrt worden ist, unter schwächlicher Leitung irrlichterte, so daß es den einen zu liberal, den anderen zu national erschien und keinem recht zu tun vermochte.“269
Unter denjenigen Ensemblemitgliedern, die schon länger in Brünn waren, sind allerdings auch einige politisch Engagierte zu finden. Diese gründeten Anfang März 1938 gemeinsam mit SchauspielerInnen des Zemské divadlo die Brünner Filiale des Klubs der tschechischen und deutschen Bühnenangehörigen270, der 1936 in Prag von Mitgliedern des Národní divadlo und des NDT gegründet worden war. Ziel des Klubs, dem neben SchauspielerInnen auch andere Personen des kulturellen Lebens angehörten, war die Annäherung und Zusammenarbeit von Deutschen und TschechInnen, gleichzeitig auch ein Versuch, die demokratischen Grundlagen des Theaters zu betonen und den parteipolitischen Angriffen der Rechten etwas entgegenzusetzen. Vorangegangen war der Gründung die Brünner Erstaufführung von apeks Weißer Krankheit, einem Stück, das sich um die Verblendung der Menschen dreht, die lieber einem Diktator folgen, als Krankheit und Krieg zu bekämpfen271. Eine gemeinsame Aufführung dieses Stücks, das zeitgleich 268 Göttinger an NDT, Brünn, 12.1.1938, AHMP, Fond nmecké divadlo v Praze, Inv. . 30, kart. 55; Beistrichsetzung i. Orig. 269 Volksfreund, 1.9.1938, S. 6. 270 Vgl. Ludvík Kubíek. Boj o nmecké demokratické divadlo v Brn. [Der Kampf um das demokratische deutsche Theater in Brünn]. In: Brno v minulosti a dnes. [Brünn in der Vergangenheit und heute] Bd. VI, Brno: Krajské nakladatelství, 1964, S. 138-148. 271 Die Weiße Krankheit, deren deutschsprachige Erstaufführung im Mai 1937 in Zürich stattfand, ist ein dezidiert antifaschistisches Stück, das von den deutschen Theatern der SR lediglich in Mährisch-Ostrau, Boden-
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auch im Zemské divadlo am regulären Repertoire stand, war zwei Wochen später die erste Aktion des Klubs, wobei das tschechische Ensemble die erste Hälfte, das deutsche die zweite spielte. Eine wichtige Komponente dieser Zusammenarbeit war die Unterstützung der demokratischen Kräfte im Ensemble durch die Brünner demokratische tschechische und deutsche Öffentlichkeit; diese vermochte zwar die folgende Spaltung des Ensembles nicht aufzuhalten, ermöglichte aber dem demokratischen Teil immerhin, den Sommer über weiterzuarbeiten und Pläne für die nächste Spielzeit zu schmieden. Die Spaltung des Ensembles Ende März 1938 kam es wieder so weit, dass der Theaterverein die Spielzeit nicht regulär beenden konnte, wieder wurde eine Arbeitsgemeinschaft der SchauspielerInnen gegründet. Kramer sollte dieser vorstehen, schied aber, genau wie Bondi, schließlich aus272. Die Leitung der Arbeitsgemeinschaft übernahm wie üblich eine Gruppe von SchauspielerInnen, an ihrer Spitze stand statt Kramer der reichsdeutsche Schauspieler Hans Baumann273, die Konzession sollte auf den Schauspieler Oskar Willner laufen. Der BdD unterstützte die Arbeitsgemeinschaft, Mitglieder seiner Theatergemeinde erhielten auf alle Vorstellungen eine zehnprozentige Ermäßigung274. Obwohl in der Arbeitsgemeinschaft auch die demokratischen und jüdischen Ensemblemitglieder vertreten waren, vertraute der Bund offensichtlich auf Baumanns bach und Brünn gespielt wurde. Vgl. Schneider, Exiltheater in der Tschechoslowakei, S. 143ff. 272 In den Zeitungen finden sich dafür keine Begründungen; vgl. Tagesbote, 1.4.1938, A S. 3; Bohemia, 3.4.1938, S. 5. Dort wird außerdem noch das Ausscheiden von Opernchef Kienzl, Operettenchef Payer und der Operettensängerin Gasser erwähnt. 273 Der Ausschuss der Arbeitsgemeinschaft bestand aus je einem Mitglied jeder Angestelltengruppe. 1938 waren dies Fritz Gisela (Operette), Tibor Cosma (Kapellmeister), Karl Ranninger (Schauspiel), Eduard Ulrich (zu welcher Angestelltengruppe er gehörte, konnte nicht eruiert werden, aufgrund der Aufteilung müsste er vom technischen Personal sein), Karl Götz (Orchester) und Gottlieb Bistritzky (Chor), im Kontrollausschuss saßen Adolf Stolba (administratives Personal), Leo Sylvester Huth (Schauspiel) und wiederum Karl Götz. 274 Vgl. Tagesbote, 27.3.1938, M S. 7; 30.3.1938, M S. 7; 1.4.1938, M S. 6.
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Durchsetzungskraft – und das, wie sich zeigen wird, mit vollem Recht. Denn im Juli tauchte beim Volksfreund ein vertraulicher Brief Baumanns nach Berlin auf, dessen Echtheit heute zwar nicht mehr nachzuprüfen ist, die jedoch ziemlich wahrscheinlich scheint. Der Volksfreund nannte die Stelle, an die der Brief gerichtet war, nicht, möglicherweise handelte es sich um das Referat Theaterwesen im Ausland des Propagandaministeriums. Die auszugsweisen Zitate legen nahe, dass Baumann zumindest mit der „Bitte“ um Berichterstattung nach Brünn beurlaubt worden war. In seinem Brief schrieb er außerdem über die Hintergründe der vom BdD mit solcher Vehemenz verlangten Beiziehung seiner Mitglieder in den Theatervereinsausschuss: „Trotzdem erachtete es der B.d.D. für wertvoll, seine Vertreter in den Theaterverein zu entsenden, da dies für ihn die einzige Möglichkeit war, eigene Vertreter für die Zukunft mit der Geschäfts- und Betriebsgebarung wirklich vertraut zu machen und in die Machenschaften der bisherigen Leitung Einblick zu erhalten.“275
Und über seine eigene Wahl zum Lokalverbandsobmann des Bühnenbundes in Brünn schreibt er, diese „ist ein ausgesprochener Ausnahmsfall und nur auf eine inszenierte Überrumpelung des wahlberechtigten künstlerischen und technischen Personals zurückzuführen.“276 Dieser Brief bezeugt, dass die Gleichschaltung des Brünner Theaters von langer Hand geplant war und zeigt, zu welchen Mitteln die NationalsozialistInnen greifen mussten, um das Theater gegen den Widerstand aus den Reihen des Theatervereins und des Ensembles „umdrehen“ zu können. Die Differenzen im Ensemble wurden unterdessen immer gravierender und erreichten bei einer gemeinsamen Sitzung aller Ensemblemitglieder am 13. April ihren Höhepunkt. Die Arbeitsgemeinschaft hatte in einer vorhergegangenen Sitzung beschlossen, den Theaterver275 Zit. nach Volksfreund, 10.7.1938, S. 6. Selbiges geht aus einem Schreiben eines Mitglieds der völkischen Theatergemeinde von 1939 hervor, in dem die Vorgänge 1938 aus der Perspektive der nationalsozialistischen Ausschussmitglieder dargestellt werden. Vgl. Ing. Braun. Die Entstehung und Entwicklung des völkischen Theaters in Brünn. NA, Bestand der Abteilung IV (Kultur) im Amt des Reichsprotektors, Fond Ú P, kart. 1136 (ohne Blattnr.). Ich danke Volker Mohn für die Kopie dieses Schreibens. 276 Volksfreund, 10.7.1938, S. 6.
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ein wegen ausständiger Gagen zu klagen – falls dieser nicht die ihm vom Unterrichtsministerium zugesagte Subvention von 200.000 K der Arbeitsgemeinschaft zur Verfügung stellen würde. In der Sitzung am 13. behauptete nun Baumann, Sylvester Huth, der Protokoll geführt hatte, hätte dieses gefälscht und der Beschluss hätte in Wahrheit gelautet, den Theaterverein auf jeden Fall zu verklagen. Diese Klage hätte unweigerlich zum kompletten Zusammenbruch des Theatervereins geführt, der ja von SdP und BdD bereits die längste Zeit mit verschiedensten Mitteln herbeizuführen versucht worden war, und hätte somit die Übernahme des Theaters durch den BdD ermöglicht. Die demokratischen SchauspielerInnen versuchten das zu verhindern, waren dabei allerdings in der Arbeitsgemeinschaft in der Minderheit. Als Baumann als Vorsitzender die Diskussion über seine Behauptungen abbrechen ließ, verließen 42 demokratische Mitglieder die Sitzung und erstatteten Anzeige wegen Terrors, die Polizei löste die nicht angemeldete Versammlung der Arbeitsgemeinschaft auf277; die demokratischen SchauspielerInnen gründeten wenig später eine eigene Arbeitsgemeinschaft. Die völkische Gruppe warf der demokratischen in Folge die geplante Abspaltung vor, wohingegen diese stets betonte, spontanen Protest gegen Baumanns Methoden erhoben zu haben. Dass zumindest für die nächste Spielzeit von beiden Seiten bereits Pläne für eine Aufteilung des Betriebs existierten, legt ein Artikel im Prager Tagblatt vom 13. April, also dem Tag der Spaltung, nahe. Dort heißt es: „Direktor Leopold Kramer hat einen zweiwöchigen Urlaub angetreten, von dem er nach dem gegenwärtigen Stand der Theaterangelegenheiten in Brünn nicht mehr auf seinen Posten zurückkehren dürfte. Das Theater wird bis Ende April von einer Arbeitsgemeinschaft der Bühnenangestellten unter Leitung von Hans Baumann geführt und dürfte seine diesjährige Spielzeit bis Ende Mai verlängern. Die Nachspielzeit im Mai soll bereits unter der Leitung der vom BdD organisierten Theatergemeinde stehen, die Anstrengungen macht, noch vor der für den 24. April angesetzten Generalversammlung des Deutschen Theatervereines die Leitung der Theaterangelegenheiten in die Hand zu nehmen. [...] Für 277 Laut Rudé Právo vom 16.4.1938 (S. 1) wandten sich darauf die völkischen Mitglieder noch in der Nacht an den deutschen Konsul, damit dieser bei der Polizei interveniere. Der Volksfreund vom 20.4.1938 (S. 5) zitiert außerdem ein Flugblatt der demokratischen Gruppe, aus dem hervorgeht, dass Baumann überdies behauptete, der Lokalverband des Bühnenbundes existiere nicht mehr.
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den Fall, daß der BdD die Liquidierung des Theatervereins durchsetzt, woran in der gegenwärtigen Situation nicht gezweifelt werden kann, wird daran gedacht, einen zweifachen Theaterbetrieb in Brünn einzurichten: im Schauspielhaus ein demokratischer Theaterbund, der organisiert werden und von den fortschrittlichen Kreisen unterstützt werden soll, und im Deutschen Haus, wo auf Grund einer eigenen Konzession die Theatergemeinschaft des Bundes der Deutschen spielen würde.“278
In den folgenden Tagen wurde von den Behörden noch versucht, eine Einigung der beiden Gruppen zu erzielen, doch bereiteten sich beide Gruppen bereits auf einen getrennten Betrieb vor; nicht einmal eine Einigung bezüglich der Häuser war möglich, da die völkische Gruppe davon ausging, dass „es in Brünn nur eine Arbeitsgemeinschaft und nur ein deutsches Theater geben könne.“279 Das konnte natürlich nur sie selbst sein, dementsprechend stellte sie den demokratischen Mitgliedern Bedingungen für eine Wiedervereinigung. Diese hätten neben finanziellen Einbußen der demokratischen SchauspielerInnen de facto zur Einführung des „Arierparagraphen“ im Ensemble geführt und wurden von der demokratischen Gruppe folglich abgelehnt. Die Forderungen lauteten: „1. sofortiger Rücktritt des Bühnenbundpräsidenten Kopka von seiner Stelle in Form einer Beurlaubung bis zur endgültigen Beschlußfassung durch die Vertreterversammlung, wobei eine Einflußnahme des Brünner Bürgermeisters in diesem Sinne gewünscht wird. [Am Vortag war noch betont worden, dass das Innenministerium jegliche Einmischung der tschechoslowakischen Behörden untersagt hatte, K.W.] 2. Die ausgetretene Gruppe wird in die Arbeitsgemeinschaft auf Grund einer Abstimmung über jedes einzelne Mitglied der ausgetretenen Gruppe wieder aufgenommen. 3. Ohne Rücksicht darauf, ob ein Mitglied der ausgetretenen Gruppe wieder in die Arbeitsgemeinschaft aufgenommen wird, partizipieren sämtliche Mitglie278 Prager Tagblatt, 13.4.1938, S. 6. 279 Tagesbote, 17.4.1938, M S. 5; ihre Vorstellungen vom „deutschen Theater“ gingen auch daraus hervor, dass ein Mitglied der Verhandlungsgruppe Baumann, der Abgeordnete und SdP-Politiker Kraliek, feststellte, „die oppositionelle Gruppe könne unmöglich Schauspiel spielen, da ihre Zusammensetzung den völkischen Grundsätzen widerspreche.“ Volksfreund, 20.4.1938, S. 5.
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der der oppositionellen Gruppe an dem Ertrag der Arbeitsgemeinschaft, so daß sie keinen finanziellen Schaden erleiden können. 4. Die ausgetretenen Mitglieder werden für den Ausfall der Vorstellung und für die Mehrregie infolge der Spaltung schadenersatzpflichtig gemacht. 5. Der aliquote Teil der drei Tage während der Spaltung wird den Mitgliedern der oppositionellen Gruppe abgezogen.“280
In den folgenden Wochen spielte die Frage nach der Konzession eine Schlüsselrolle – die Konzession für die ursprüngliche Arbeitsgemeinschaft war für Oskar Willner beantragt worden, dieser gehörte nun der demokratischen Gruppe an. Die völkische Gruppe versuchte also erst einmal, die Konzession zu erhalten indem sie – als ob die BeamtInnen dort nicht Zeitung lesen würden – an das Landesamt schrieb und lediglich kurz mitteilte, Herr Willner habe sich von der Arbeitsgemeinschaft zurückgezogen, die beantragte Konzession sei daher auf Herrn Gluth auszustellen281. Gleichzeitig hielt sie einige Tage lang die Redoute besetzt, die einen weiteren zentralen Eckpfeiler der Kämpfe darstellte. Die Besetzung der Redoute wurde schließlich dadurch beendet, dass die Stadtgemeinde das Gebäude bis zur endgültigen Klärung der Konzessionsfrage sperren ließ. Das Deutsche Haus, in dem die Nationalen schon seit 1931 an der Macht waren, stellte seinen Festsaal selbstredend der völkischen Gruppe zur Verfügung, auf die städtische Redoute allerdings erhob auch die demokratische Gruppe Anspruch. In der alten Arbeitsgemeinschaft waren sie zwar in der Minderheit gewesen, doch lag das vor allem an der überwiegend rechten Einstellung des technischen Personals sowie von Orchester und Chor. Was das Solopersonal anbelangt, waren die Zahlen andere, 30282 demokratische SolistInnen standen hier 21283 völkischen gegenüber, das Ensemble des Schauspiels war mehrheitlich zur demokratischen Gruppe gegangen: Während 17 SolistInnen vom Sprechtheater bei der demokratischen Gruppe waren, blieben lediglich 7 SchauspielerInnen in der völkischen 280 Ebd. 281 Vgl. MZA, B40, III. man., kart. 4117, Mappe Deutscher Theaterverein. 282 Über die genaue Anzahl der Mitglieder gibt es in den Zeitungen widersprüchliche Angaben. Der Volksfreund vom 26.4. spricht von 30 SolistInnen, derjenige vom 21.4. von 39. Da mit Sicherheit mindestens vier Mitglieder des demokratischen Theaters keine SolistInnen waren, halte ich 30 für die wahrscheinlichere Zahl. 283 Laut Volksfreund vom 26.4., 22 laut Volksfreund vom 21.4.
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Gruppe. Und da die Redoute in den letzten zwanzig Jahren die Hauptbühne des Sprechtheaters gewesen war, stellte die demokratische Gruppe folgerichtig den Antrag auf Konzession für die Redoute. Vergebliche Schlichtungsversuche Wie offen die NationalsozialistInnen dem Stadtrat drohten, verdeutlicht ein Artikel der wortgleich im SdP-Blatt „Die Zeit“ und im Tagesboten, die sich seit dessen Selbst-Gleichschaltung bald nach dem österreichischen „Anschluss“ weder in Ton noch in Inhalt gravierend voneinander unterschieden, erschien und an dieser Stelle exemplarisch für die Argumentation der SdP angeführt werden soll. „Nach demokratischen Begriffen hätte nun das Präsidium der Stadt Brünn, das vor allem von den tschechischen Nationalsozialisten und Sozialdemokraten beherrscht wird, die Dreiviertelmehrheit der Arbeitsgemeinschaft und den Willen der 80prozentigen Mehrheit des Deutschtums von Brünn zur Kenntnis nehmen müssen. [...] Damit stellte sich die Stadt Brünn auf die Seite der jüdischen Kopka- und Emigrantengruppe, gegen das kulturelle Selbstbestimmungsrecht des Brünner Deutschtums und machte die ganze Angelegenheit zu einem nationalen Politikum von mitteleuropäischem Interesse. [...] Der ganze Vorfall kann nur entpolitisiert und damit beigelegt werden, daß man dem Willen der deutschen Bevölkerung Rechnung trägt, der Arbeitsgemeinschaft sofort die Konzession erteilt, die Sperre der Redoute aufhebt und das Deutschtum selbst über seine Kulturangelegenheiten ohne städtische oder staatliche Einmischung zugunsten einiger Separatisten und Emigranten frei entscheiden läßt.“284
Der einzige Unterschied der beiden Artikel liegt in einem, allerdings bezeichnenden, Wort: Während „Die Zeit“ die demokratische Gruppe als „Judenstämmlinge und einige Mitläufer“ bezeichnet, ist im Tagesboten von „Gesinnungsgenossen und Mitläufern“ die Rede; der Volksfreund sieht den Grund dafür zum einen in der Angst des Tagesboten vor dem Gesetz zum Schutz der Republik, zum anderen in „Rücksicht auf den ihm noch verbliebenen Rest der jüdischen Abnehmer“285. Während man bisher gedacht hatte, der Theaterverein hätte noch keine Konzessionsverlängerung erhalten (die alte war bis Ende 1937 284 Die Zeit, 20.4.1938, S. 4; Tagesbote, 20.4.1938, M S. 3. 285 Volksfreund, 22.4.1938, S. 5; in derselben Ausgabe wird berichtet, der Tagesbote hätte „in den letzten Tagen“ rund 600 AbonnentInnen verloren.
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gültig gewesen), wurde am 22. April bekannt, dass diese doch – noch vor Ausbruch der Differenzen in der Arbeitsgemeinschaft – ausgestellt worden war und bis Ende 1939 galt. Am 23. April fand – nach vorhergegangenen Debatten darüber, ob sie überhaupt abgehalten werden sollte – die Vorstandssitzung des Theatervereins statt, bei der die Hauptversammlung für den 29. einberufen wurde. Der Antrag auf Zahlungsunfähigkeit, den die SdP eingebracht hatte, wurde mit 7:2 Stimmen angenommen286, die Tagungsordnung für die Hauptversammlung lautete dementsprechend „1. Rechenschaftsbericht, 2. Antrag auf Liquidierung des Vereines, 3. Wahl eines Liquidationsausschusses.“287 Doch nach der Aussendung der Einladung des Theatervereins zur Hauptversammlung erklärte Fritz Perlsee, eines der Vorstandsmitglieder, in dessen Namen die Einladung ausgefertigt worden war, „daß ich niemals eine derartige Einladung unterschrieben und auch niemandem die Ermächtigung erteilt habe, eine solche Unterschrift für mich zu leisten.“288 Aus diesem Grund erachtete er die Einberufung für statutenwidrig und damit ungültig – die Hauptversammlung wurde wegen der nicht statutengemäßen Besetzung des Vorstandes schließlich behördlich untersagt289. Damit war zwar die Konkurserklärung und Liquidierung des Vereins verunmöglicht, doch stand damit die Löschung des Vereins aus dem Vereinskataster wegen satzungswidrigen Vorgehens im Raum. Die parallel dazu immer noch laufenden Schlichtungsversuche der Behörden blieben weiterhin ohne Erfolg. Ein Vermittlungsvorschlag des Landespräsidiums wurde von beiden Gruppen beraten, aber schlussendlich aus unterschiedlichen Gründen abgelehnt. Der im Volksfreund publizierte Vorschlag lautete:
286 Der Vorsitzende hatte sich als solcher seiner Stimme zu enthalten; von den 15 Ausschussmitgliedern waren fünf nicht erschienen, die sieben ProStimmen waren die fünf Mitglieder der SdP und zwei ehemals Christlichsoziale, die sich nun der SdP angeschlossen hatten. Vgl. Volksfreund, 1.5.1938, S. 5. 287 Tagesbote, 24.4.1938, M S. 4. 288 Laut einer im Volksfreund zitierten Erklärung; Volksfreund, 29.4.1938, S. 8. 289 Seit 1936 hatten keine Vorstandswahlen mehr stattgefunden, für ausscheidende Mitglieder waren neue kooptiert worden, sodass im Frühjahr 1938 nur noch fünf von 15 Vorstandsmitgliedern rechtmäßig gewählt waren.
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„Die Behörden übernehmen es, sofort bei den Zentralstellen die Flüssigmachung von 365.000 K in die Wege zu leiten, die zur Bezahlung der Gagen und Lohnrückstände bis inklusive 19. Mai 1938 verwendet werden sollen. Die beiden Gruppen hätten sich über die Spielzeit im Redoutengebäude zu einigen. Die Behörde schlägt vor, daß die demokratische Gruppe zwölf Tage spielen soll, während die andere Arbeitsgemeinschaft in der Redoute die Spielzeit nachher bis Ende Mai fortsetzen soll. Der Fundus würde beiden Arbeitsgemeinschaften zur Verfügung stehen. Die Landesbehörde will der Stadtgemeinde Brünn diesen Plan als Einigungsplan vorschlagen. Die Arbeitsgemeinschaft der völkischen Gruppe erhält die Konzession für das Deutsche Haus, für das Landestheater und für die Redoute bis 31. Mai, die demokratische eine solche für eine zwölftägige Spielzeit in der Redoute. Weiter wird die Subvention des Unterrichtsministeriums in der Höhe von 200.000 K unbeschadet der Tatsache, ob die Einigung zustande kommt oder nicht, an sämtliche Mitglieder der beiden Arbeitsgemeinschaften nach Abzug eines Betrages von 12 K für die Allgemeine Pensionsanstalt ausbezahlt werden.“290
Der Vorschlag wurde von der demokratischen Gruppe vor allem deshalb abgelehnt, weil ihr darin nur verminderte Rechte auf die Spieltage in der Redoute zugebilligt wurden. Sie begründete diese Auffassung in einem Memorandum an die Landesbehörde, das auch explizit die Identifikation der SchauspielerInnen mit dem tschechoslowakischen Staat unterstreicht: „Dieser Vorschlag, der wohl die Selbständigkeit der demokratischen Schauspieler anerkennt, spricht gleichwohl von dieser Gruppe als von einer ‚Minorität‘. Diese Bezeichnung trifft insofern nicht zu, als die Gruppe der demokratischen Schauspieler in Brünn sich als ein Teil der demokratischen Gesamtbevölkerung unserer Republik fühlt und betrachtet und daher der Überzeugung ist, als Bestandteil der überwiegenden Mehrheit der Bevölkerung, die auf dem Boden der demokratischen Grundauffassungen steht, anzugehören.“291
Nachdem nach diesem Vorschlag die völkische Arbeitsgemeinschaft alle Nutzungsrechte für Deutsches Haus und Landestheater sowie für die Redoute für den halben Mai erhalten sollte, die demokratischen dagegen lediglich 12 Spieltage in der Redoute, war dieser Vorschlag für sie unannehmbar. Die völkische Gruppe entzog sich einer Entschei290 Volksfreund, 24.4.1938, S. 4. 291 Volksfreund, 26.4.1938, S. 5.
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dung, indem sie „ihre Verhandlungsbereitschaft zur Sicherstellung des Betriebs dem Landesamt gegenüber auf Grund seiner am Samstag vorgelegten Vorschläge erklärte“292 und gleichzeitig die Konzessionserteilung für die Redoute forderte. Für den 3. Mai berief das Landesamt neuerlich die beiden Arbeitsgemeinschaften zu Verhandlungen, die sich aber aufgrund der Unvereinbarkeit der Standpunkte schließlich lediglich auf die Verteilung der nun bereitgestellten Subvention des Unterrichtsministeriums bezogen, die auf alle Mitglieder der ursprünglichen Arbeitsgemeinschaft aufgeteilt wurde. Die völkische Arbeitsgemeinschaft hatte in der Zwischenzeit wegen der ausstehenden Gehälter Konkursantrag und Kollektivklage gegen den Theaterverein eingebracht, der Volksfreund stellte allerdings fest, dass eine solche nur beim Arbeitsgericht möglich wäre. Die langwierigen Versuche der Behörden, eine Einigung der beiden Gruppen zu erzielen, und die Tatsache, dass in der Zwischenzeit der völkische Teil des Ensembles auch ohne Konzession ungehindert weiterspielen konnte, während die demokratische Gruppe mangels geeigneter Räumlichkeiten keinerlei Einnahmemöglichkeiten hatte, sorgte in demokratischen Kreisen für Empörung. So schrieb Vladimír Helfert, Professor für Musikwissenschaft an der Masaryk Universität, im April 1938: „Statt dass sie [die demokratische Gruppe, K.W.] für ihren staatserhaltenden demokratischen Standpunkt und für ihr loyales demokratisches Vorgehen Verständnis und Unterstützung des Amtes finden würde, trifft sie dort auf ein solches Unverständnis, dass es wahrhaftig nötig ist zu fragen: Schützen unsere Ämter staatserhaltende demokratische oder antidemokratische Kräfte? Diese Situation, dass ein reichsdeutscher Agitator ohne weiteres nach Ablauf seiner Aufenthaltsgenehmigung nicht nur ungestört weiter hier wirken, sondern auch weiter ohne jede Konzession am Theater agitieren kann, und dass auf der anderen Seite der ehrlichen demokratischen Gruppe die Konzession verweigert wird – ist ein einfach unglaublicher Fall. So weit lässt sich die Geduld unserer demokratischen Öffentlichkeit nicht spannen! Wenn wir ein demokratischer Staat sind, dann verlangen wir kategorisch, dass die demokratische Freiheit von unseren Ämtern beschützt und keinesfalls eingeschränkt wird.“293 292 Bohemia, 28.4.1938, S. 5. 293 Vladimír Helfert. Boj o nmecké brnnské divadlo. [Der Kampf ums Brünner deutsche Theater] In: Index (Revue) X (1938), Nr. 4, S. 51f., S. 52; Helferts Kritik richtet sich offensichtlich v.a. gegen das Landesamt.
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Unterstützung für die beiden Gruppen Tatkräftige Unterstützung erhielt die völkische Gruppe von der Theaterbaugemeinde. Seit der Gewährung eines Darlehens an den Theaterverein hatte sie ein Pfandrecht auf den Fundus gehabt; als dieser im März 1938 versteigert hatte werden müssen, kam er in ihr Eigentum, wobei dem Theaterverein ein Nutzungsrecht eingeräumt worden war. Dieses entzog sie ihm am 21. April und übertrug es an den BdD. Zuvor hatten in der betreffenden Sitzung die jüdischen und demokratischen Vorstandsmitglieder diese unter Protest verlassen, nachdem ein Antrag, den Fundus auch der demokratischen Gruppe zur Verfügung zu stellen, abgelehnt worden war. Die Vorgangsweise bei dieser Sitzung verdeutlicht die Methoden, die von der SdP in den verschiedenen Vereinen zur Erreichung ihrer Zwecke eingesetzt wurden: Der Antrag, den Fundus dem Theaterverein zu entziehen und dem BdD zur Verfügung zu stellen, war auf der Tagesordnung nicht vermerkt gewesen, sondern wurde beim Tagesordnungspunkt „Freie Anträge“ behandelt und ohne jemals vorher Verhandlungen mit dem Theaterverein geführt zu haben; ein Antrag auf Vertagung dieses Antrags wurde abgelehnt, plötzlich tauchte auch ein Ansuchen des BdD um Überlassung des Fundus auf, das eigentlich auf der Tagesordnung vermerkt hätte werden müssen. Schließlich wurde ein Kompromissantrag vereinbart, der daran scheiterte, dass der Vertreter der SdP, der den Antrag zwar ausgehandelt hatte, aber bei der Abstimmung trotzdem gegen diesen stimmte294. Der Volksfreund kritisiert neben der Vorgangsweise die grundsätzliche Ungerechtigkeit der Übertragung der Benutzungsrechte an den BdD, da dieser sich nie sonderlich für das Theater eingesetzt hätte: „Der Bund der Deutschen hat bisher so gut wie gar nichts für die Förderung der Ziele der Deutschen Theaterbaugemeinde getan, er hat das Ansammeln der Gelder in der Theaterbaugemeinde ruhig den Demokraten und Juden in Brünn überlassen, mit deren Geldern jener Fundus erworben wurde, der jetzt den Völkischen ausgeliefert werden sollte.“295
Mit diesem Vorgehen der Theaterbaugemeinde war klar, dass jüdische und demokratische Mitglieder dort nicht mehr willkommen waren. Um deren Austritten zuvorzukommen, beschlossen die „arischen“ Mitglie294 Vgl. Volksfreund, 23.4.1938, S. 7. 295 Ebd.
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der der Theaterbaugemeinde, diese mehr oder weniger hinauszuwerfen und ihnen ihre eingezahlten Beiträge rückzuerstatten – was sie laut Statuten allerdings auch mussten, da die für den Theaterbau gedachten Gelder formal so lange Eigentum der SpenderInnen blieben, bis mit dem Bau begonnen würde296. Die Deutsche Theatergemeinde, die bisherige Publikumsorganisation des BdD, wurde zur Unterstützung des völkischen Theaters umgebildet, die gründende Hauptversammlung fand am 2. Juni statt. Mit Anfang Juli erhielt sie die Konzession für das Deutsche Haus und das Landestheater, das ihr vom Mährisch-Schlesischen Landesausschuss für die Montage zur Verfügung gestellt worden war297; im Deutschen Haus hatte sie ohnehin, auch ohne Konzession, schon die ganze Zeit gespielt. Über diese Aufführungen schreibt ein Mitglied der Deutschen Theatergemeinde später: „es waren die Vorstellungen der völkischen Arbeitsgemeinschaft, in welchen zum ersten Male wieder begeisterte Sieg-Heil-Rufe ertönten“298. Die nationalistische Ausrichtung des Deutschen Hauses bezeichnete der Volksfreund auch als einen Mitgrund für die schlechte finanzielle Lage des Theaters in den letzten Jahren: „Es wurde ihm [dem deutschen Theater, K.W.] u.a. zum Verhängnis, daß eine seiner Bühnen im Deutschen Haus sich befand, dem auszuweichen die liberalen Kreise alle Ursache hatten. Die Schwelle jenes Hauses zu überschreiten, das der Sammelpunkt der nazistischen Elemente und nur dieser geworden ist, bedeutete für jeden Juden und Demokraten die größte Überwindung.“299
296 Vgl. Polizeibericht über die Sitzung vom 14.6.1938, MZA, B26 spolky, kart. 2677, Deutsche Theaterbaugemeinde. Retourniert wurden Beiträge von jüdischen Mitgliedern und von Mitgliedern der sozialdemokratischen, der kommunistischen und der Deutschdemokratischen Freiheitspartei; der diesbezügliche Antrag wurde mit 410:10 Stimmen angenommen. 297 Die demokratische Gruppe hatte für jeden dritten Montag angesucht, im Landesausschuss stimmten jedoch nur tschechische und deutsche SozialdemokratInnen sowie die nationalen SozialistInnen für diesen Antrag, alle anderen Parteien (SdP sowie die übrigen tschechischen Parteien) dagegen. 298 Braun, Die Entstehung und Entwicklung des völkischen Theaters in Brünn. NA, Bestand der Abteilung IV (Kultur) im Amt des Reichsprotektors, Fond Ú P, kart. 1136 (ohne Blattnr.).
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Zur Unterstützung der demokratischen Gruppe wurde am 30. Mai die Demokratische Theatergemeinde des neuen deutschen Theaters in Brünn gegründet, in deren Vorstand neben SchauspielerInnen auch andere engagierte Personen, darunter auch SozialdemokratInnen vertreten waren300. Sie erhielt ebenfalls Anfang Juli die Konzession zur Abhaltung von Schauspielen in der Redoute, damit wurde auch der Beschluss der Stadt Brünn fällig, die Redoute wieder zu öffnen, sobald eine der beiden Arbeitsgemeinschaften eine Konzession für sie hätte. Auch der Großteil der tschechischen Öffentlichkeit unterstützte die demokratische Gruppe, dies nicht nur als Stellungnahme zum Theater, sondern vor allem wegen des undemokratischen Vorgehens der völkischen Gruppe, die den tschechoslowakischen Behörden offen drohte. Diese Unterstützung wurde natürlich von der Anhängerschaft Henleins als „Einmischung in deutsche Angelegenheiten“ bezeichnet, der Volksfreund kommentierte einen diesbezüglichen Artikel des Tagesboten: „Doch das wichtigste: die ‚Einmengung‘ von Tschechen in ‚deutsche Angelegenheiten‘! Ja, wo leben wir denn? Sind wir etwa schon Kulis des Dritten Reiches und schwingen schon die [sic] Göring und Goebbels die kulturelle Nilpferdpeitsche über uns? Die Verfassung des Staates ist doch zum Glück eine demokratische und die Regelung der kulturellen Angelegenheiten jeder nationalen Gruppe im Staate kann nur im Rahmen dieser demokratischen Verfassung erfolgen. Darüber zu wachen, daß die Demokratie nicht durch eine Gruppe oder Partei geschändet werde, ist doch wahrhaftig nicht bloß Angelegenheit dieser Partei allein, auch nicht die einer nationalen Gruppe, sondern die aller Staatsbürger. Eine bodenlose Heuchelei der Nazis ist es auch, wenn in der ‚Tagesbote‘-Jeremiade ‚Achtung vor fremdem geistigen Gut‘ gepredigt wird und überhaupt Interesse für das deutsche Theater zur Schau getragen wird. Die Bewunderer der Bücherverbrenner aus dem Dritten Reich als Anwälte des Respektes vor geistigem Eigentum, das ist eine Groteske, deren Lächerlichkeit 299 Volksfreund, 1.9.1938, S. 6; dies bestätigte auch Dora Müller, zum Zeitpunkt des Gesprächs Vorsitzende des Deutschen Kulturverbandes, Region Brünn, in einem Gespräch in Brünn am 11.5.2006. 300 So beispielsweise die beiden Mitglieder des in Auflösung begriffenen Theatervereins, Wilhelm Nießner und Fritz Perlsee; außerdem Theatersekretär Gustav Bondi, der ehemalige Kritiker des Tagesboten Josef Gajdeczka (als Obmann), sowie einige FunktionärInnen der Masaryk-Volkshochschule und SchauspielerInnen. Vgl. MZA, B26 spolky, kart. 2604, Demokratische Theatergemeinde des neuen deutschen Theaters.
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nur durch ihre Albernheit übertroffen wird. Und das Interesse für das deutsche Theater ist bei diesen ‚Völkischen‘ auch erst neuesten Datums – neunzehn Jahre haben sie alle Sorge für das Theater den anderen überlassen, erst jetzt, wo es gilt, das Theater durch die Gleichschaltung in Grund und Boden zu ruinieren, sind sie auf eine Zeitlang lebendig geworden.“301
Dass es sich bei der Brünner Theaterfrage nicht nur um eine solche handelte, sondern ganz grundsätzlich um das Verhältnis von AnhängerInnen der SdP (die sich zu dieser Zeit offen zur „deutschen Weltanschauung“, also zum reichsdeutschen Nationalsozialismus bekannte) und tschechoslowakischer Republik ging, wurde auch im Ausland so gesehen. Das St. Galler Tagblatt brachte eine Interpretation der Verhältnisse, die vom Volksfreund zitiert wurde: „Eines ist an dem Fall Brünn klar geworden: daß die kulturelle Autonomie, die die Sudetendeutsche Partei in der Tschechoslowakei solange und so heftig reklamiert, nichts anderes ist als eine politische Autonomie – daß sie den beispiellosen Versuch bedeutet, inmitten der demokratischen Republik ein im Sinne der Diktatur regiertes deutsches Sprachgebiet zu schaffen.“302
Denn genau darauf lief schließlich die Forderung an die Öffentlichkeit und an die tschechoslowakischen Behörden, sich in die Theaterangelegenheit nicht einzumischen, hinaus. Die demokratische Gruppe veranstaltete in den Sommermonaten unter der Leitung von Vaa Hochmann die bereits im Vorjahr erfolgreichen Sommerspiele, in deren Rahmen Brechts Dreigroschenoper und Shakespeares Sommernachtstraum aufgeführt wurden, außerdem inszenierte sie Langers Reiterpatrouille, Gorkis Nachtasyl und Raynals Grabmal des unbekannten Soldaten. Da über die deutschen antifaschistischen KünstlerInnen der Tschechoslowakei bislang kaum Informationen bekannt sind, soll hier auf die einzelnen Personen kurz eingegangen werden. Mitglieder des demokratischen Theaters waren alle vier Regisseure des Schauspiels Heinz Leo Fischer, Vaa Hochmann, Siegfried Holger und Karl Ran301 Volksfreund, 4.5.1938, S. 6. 302 Zit. nach Volksfreund, 8.5.1938, S. 6; der Schauspieler und Regisseur Vaa Hochmann, Mitglied der demokratischen Gruppe, war 1928-1934 in St. Gallen engagiert gewesen; möglicherweise war der Artikel über seine Vermittlung zustandegekommen.
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ninger, die SchauspielerInnen Sascha Arden, Margarethe Deston-Wilt, Lieselotte Göttinger, Leo Sylvester Huth, Ernst Ronald Ullmann, Marianne Weigl, Willy Wickerhauser, Oskar Willner; die Mitglieder des Opern- und Operettenensembles Lilly Aussem, Liesl Lindt, Otto Ritter, Otto Spielmann, Walter Swoboda und Walter Windholz sowie die Chormitglieder Alois Baru und Otto Reich, die Kapellmeister Otto Lustig und Tibor Cosma, die Tänzerin Olga Fried, der Kanzleibeamte und Bibliothekar Franz Neczas und die Kassierin Thea Fischer. Bei Veranstaltungen des demokratischen Theaters wurden außerdem noch folgende SchauspielerInnen genannt, die allerdings laut Bühnenjahrbuch 1937/38 nicht im Ensemble aufscheinen, jedoch zum Teil schon davor Mitglieder des Theaters gewesen waren oder in dieser Saison fallweise an Aufführungen teilgenommen hatten und die vermutlich Mitglieder der Arbeitsgemeinschaft gewesen waren303: Walter Bach, Otto Balon, Wolf Bassing, Ferry Jusen, Eva-Maria Lorm, Resl Resée, Helene Scharff, Annie Spiegel, Otto Waldmann und Dédé Walz. Kubíek nennt außerdem noch Lieselotte Peham304, Willi Rolden und Herbert Wiesner. Auch Leopold Kopka, der Brünner Vorsitzende des Bühnenbundes, wird immer wieder erwähnt – er war ehemaliger Beleuchtungsinspektor an den Vereinigten deutschen Theatern, 1938 hauptberuflich Gewerkschafter. Der Brünner Stadtrat stellte schlussendlich am 20. Juni der demokratischen Gruppe die Redoute zur Verfügung, die SdP und ihre Anhängerschaft erhob, wie vorherzusehen, gegen diesen Beschluss Einspruch bei diversen Stellen, von Präsident Bene über Ministerpräsident Hoda bis hin zum englischen Vermittler Lord Runciman. Mit welcher Begründung sie dabei als alleinige VertreterInnen des Brünner „Deutschtums“ auftraten, ist bezeichnend: „wenn in Brünn in den letzten Wochen so wie in den anderen Städten Wahlen ausgeschrieben 303 Die Angaben im Bühnenjahrbuch sind diesbezüglich nicht immer korrekt, da es durchaus vorkam, dass sich nach Redaktionsschluss Änderungen in der Besetzung ergaben; außerdem ist es denkbar, dass der Arbeitsgemeinschaft zusätzlich noch SchauspielerInnen angehörten, die in der Spielzeit nicht Teil des „normalen“ Ensembles gewesen waren. 304 Der Tagesbote erwähnt eine Friedl, also Elfriede, Peham, im Bühnenjahrbuch findet sich Elfi, also auch Elfriede, Pehan – Druckfehler sind allerdings dort keine Seltenheit, und Kopka, aus dessen Erinnerungen Kubíeks Informationen stammen, könnte sich im Vornamen der Schauspielerin geirrt haben.
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worden wären, so hätten sich selbstverständlich auch 90 vH der Brünner deutschen Wähler zur Partei Konrad Henleins bekannt“305. Im Frühjahr 1938 hatten in Böhmen und Mähren Gemeindewahlen stattgefunden, bei denen die SdP mancherorts 90% der Stimmen erhalten hatte; tatsächlich gab es aber auch Gemeinden, in denen sie „nur“ etwa 75% erlangt hatte306. Für Brünn war die Wahl ohnehin verschoben worden – bei den Behauptungen der SdP handelte es sich also um reine Spekulation. Nichtsdestotrotz polemisierten die Henlein-AnhängerInnen mit dieser Argumentation gegen den Stadtrat, der den „eindeutigen Willen von 90 vH der Brünner Deutschen“ ignoriere und das dem „deutschen Theater vorbehaltene“ Gebäude einer „nichtdeutschen Interessentengruppe“ zuschanze. Besonders heftig wurden die Angriffe nach dem endgültigen Beschluss der Stadtgemeinde am 26. August, als der Stadtrat außer der Überlassung der Redoute beschloss, dem demokratischen Theater Beheizung, Beleuchtung, Wasser und Gas sowie Lagerräume gratis zur Verfügung zu stellen. Gleichzeitig wurde die völkische Theatergemeinde aufgefordert, die Redoute, in der sich immer noch der Fundus befand, sowie die Lagerräume am Schlachthof zu räumen. Die Stadträte der SdP erklärten daraufhin, dass sie nichts gegen die Subvention der jüdischen BewohnerInnen einzuwenden hätten, die TschechInnen diese jedoch von ihrem Teil der Gemeindegelder bestreiten sollten und setzten fort: „Wenn die herrschende Rathauskoalition unsere begründeten Rechtsansprüche einfach mit Mehrheitsbeschlüssen abtut und das uns als Volksgruppe zustehende Recht auf den entsprechenden Teil an dem Gemeindebesitz vorenthält, bleibt uns nichts anderes übrig, als daß wir uns wegen des erlittenen Unrechtes an die Weltöffentlichkeit wenden. [...] Die Interessentengruppe, der das Theater zur Verfügung gestellt wird, sei kein Teil der deutschen Bevölkerung, und darüber, wer als Glied der deutschen Volksgemeinschaft anzusehen ist, könne nur die deutsche Volksgruppe selbst, aber niemand anderer entscheiden.“307
Doch trotz aller in diesem Zusammenhang ausgesprochenen Drohungen blieb der Stadtrat bei seiner Entscheidung und so begannen nun beide Gruppen, die nächste Spielzeit vorzubereiten. Die völkische 305 Tagesbote, 22.6.1938, M S. 4. 306 Vgl. Gebel, „Heim ins Reich!“, S. 58; eine vollständige statistische Auswertung dieser Wahlen hat nie stattgefunden. 307 Tagesbote, 27.8.1938, M S. 3.
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Gruppe bekam von der SdP eine Subventionszusicherung für die nächste Spielzeit über eine Mio. Kronen308 und engagierte Theo Modes als Direktor309, die demokratische Rudolf Zeisel, der nach der Übernahme des Mährisch-Ostrauer Theatervereins durch die dortigen NationalsozialistInnen seinen Direktorsposten verlassen hatte müssen310. Modes plante einen Spielplan, „der selbstverständlich zunächst alles Deutsche von künstlerischem Rang begeistert aufgreift, mit innerem Weitblick aber auch die Weltliteratur im Goetheschen Sinn berücksichtigt und nur da in unnachgiebiger Ablehnung beharrt, wo eine als deutsch getarnte, schmarotzende Produktion mit Zersetzung unserer Volksgemeinschaft droht.“311
Zeisel hingegen erklärte in einer Besprechung beim Brünner Bürgermeister, das Brünner demokratische Theater solle „ein geistiges Theaterzentrum für Mähren werden und einer Art kultureller Landesverteidigung dienen.“312 Sein Spielplan sah etliche tschechische AutorInnen wie Karel apek, Frantiek Langer, Olga Scheinpflugová und Vílem 308 Vgl. Braun, Die Entstehung und Entwicklung des völkischen Theaters in Brünn. NA, Bestand der Abteilung IV (Kultur) im Amt des Reichsprotektors, Fond Ú P, kart. 1136 (ohne Blattnr.). 309 Modes, ein geborener Brünner, war 1926-1930 Intendant in Köln gewesen und besonders für seine Beschäftigung mit Freilufttheater und Festspielen bekannt; 1934, 1938 und 1939 leitete er die Freilichtfestspiele in Eger. 310 Zeisel war vor allem durch sein politisch engagiertes Theater, das regelmäßig tschechische Werke brachte, aufgefallen. Er hatte das MährischOstrauer Theater neun Jahre hindurch als reines Sprechtheater auf finanziell ausgeglichener Basis geführt. Vgl. Hilde Pregler. Die Geschichte des deutschsprachigen Theaters in Mährisch-Ostrau von den Anfängen bis 1944. Diss., Wien 1965 u. Hilde Haider-Pregler. „Ein merkwürdiger Ort, dieses Mährisch-Ostrau!“ Zur Situation des deutschsprachigen Theaters unter Rudolf Zeisel. In: Verlorene Kontexte. Zu den Wechselbeziehungen tschechischer und deutschsprachiger Theaterkultur in Böhmen und Mähren. Ztracené kontexty. K souvztanostem eské a nmeck mluvící divadelní kultury v echách a na Morav. Hg. v. Boivoj Srba u. Jana Starek. Brno: Masarykova Univerzita v Brn, 2004, S. 160-171. 311 Theo Modes. „Die Neugestaltung des Deutschen Theaters in Brünn.“ Tagesbote, 30.8.1938, M S. 5. 312 Ostrauer Zeitung (Abendblatt), 26.7.1938, o.S.
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Werner vor, außerdem in NS-Deutschland verbotene Dichter wie Thomas und Heinrich Mann, Ödön von Horváth, Walter Hasenclever oder dort unliebsame Klassiker wie Schillers Don Carlos oder Lessings Nathan der Weise313. Das Ende des demokratischen Theaters in Brünn Im Herbst verursachten das „Münchner Abkommen“ und seine Folgen eine Verschiebung der Spielzeit nach hinten; das völkische Theater wollte am 24. September mit Schillers Jungfrau von Orleans eröffnen, das demokratische plante die Eröffnung für den 1. Oktober. Die Behörden erteilten schließlich Mitte November eine grundsätzliche Spielerlaubnis, das völkische Theater eröffnete am 24. November mit Iphigenie auf Tauris. Das demokratische Theater meldete den Spielzeitbeginn für 3. Dezember, dies wurde jedoch vom Landesamt untersagt, da dieses befürchtete, „dass die Eröffnung des Theaterbetriebs in der jetzigen Zeit Ursache zur Störung der öffentlichen Ruhe und Ordnung gibt.“314 Ob die für den Betrieb vorgesehenen SchauspielerInnen zu diesem Zeitpunkt noch in Brünn waren, oder sich bereits um ihre Emigration bemüht hatten, ließ sich bisher nicht feststellen. Die demokratischen DarstellerInnen von Oper und Operette hatten sich bereits davor um ein neues Engagement umsehen müssen, da das demokratische Theater eine Beschränkung auf das Schauspiel geplant hatte. Die Arbeitsmöglichkeiten für die SchauspielerInnen und SängerInnen waren nach dem „Münchner Abkommen“ ausgesprochen schlecht: In den dem „Dritten Reich“ eingegliederten Städten im „Sudetengau“ waren sie gar nicht gegeben, am Gebiet der Zweiten Tschecho-Slowakischen Republik war die Situation auch nicht viel besser. Das MährischOstrauer Theater war gleichgeschaltet, in Olmütz, das in den Jahren davor stets vom Brünner Ensemble bespielt worden war, hatte sich der Theaterverein ebenfalls gespalten. In Prag entließ das NDT mit 1. November alle seine Mitglieder. Im März 1939 war mit der Errichtung des „Protektorats“ auch ihr Leben in Gefahr. Einige konnten emigrieren, viele starben aufgrund der Verfolgung; von den meisten allerdings haben sich sämtliche Spuren verloren. Das Schicksal der SchauspielerInnen beeinflusst auch die 313 Vgl. Volksfreund, 13.9.1938, S. 8. 314 Polic. ed. an Demokratische Theatergemeinde, z.H. Josef Gajdeczka, 20.12.1938, MZA, B40, III. man., kart. 4119, Orig. tschechisch.
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Quellenlage: Zu denjenigen Überlebenden, die ihren Beruf nach 1945 noch oder wieder ausübten, finden sich verhältnismäßig leicht Informationen; wer aber seinen Beruf aufgab, ist, ob in der Emigration oder nach 1945 in Deutschland oder Österreich, nur schwer wiederzufinden. Und was diejenigen SchauspielerInnen anbelangt, die den Holocaust nicht überlebten, so geben die Datenbanken der Opfer des Holocaust oft die einzigen Hinweise315. Emigrieren konnten Vaa (eigentl. Walter) Hochmann316, Leo Sylvester Huth317, Ernst Ronald Ullmann318 und Willy Wickerhauser319, vermutlich auch Dédé Walz, die Frau von Hochmann, die lt. Helena Tomanová-Weisová (damals Helene Scharff) Schweizerin war.
315 Die folgenden Informationen stammen aus: Terezínska Pamtní Kniha. idovské obti nacistickch deportací z ech a Moravy 1941–1945. [Theresienstädter Gedenkbücher. Die jüdischen Opfer der nationalsozialistischen Deportationen aus Böhmen und Mähren] Hg. v. Nadace Terezínska iniciativa. 2 Bde. Praha: Melantrich, 1995; Handbuch des deutschsprachigen Exiltheaters 1933-1945; Paul S. Ulrich. Biographisches Verzeichnis für Theater, Tanz und Musik. Fundstellennachweis aus deutschsprachigen Nachschlagewerken und Jahrbüchern. 2 Bde. Berlin: Berlin-Vlg. Spitz, 1997; weitere Recherchen zur Klärung der Lebenswege wären wünschenswert, konnten aber im Rahmen dieser Arbeit nicht geleistet werden. 316 1905, Mähren – 12.10.1963 Frankfurt/Main, Tschechoslowake; emigrierte in die Schweiz, verh. mit Dédé Walz. 317 31.12.1901 – 23.6.1980, Bremen, Deutscher; emigrierte über Ungarn nach Frankreich, geriet als Mitglied der französischen Armee in deutsche Kriegsgefangenschaft; verh. mit Resl Resée. Vgl. Therese Angeloff. Meine Seele hat ein Holzbein. München: Damnitz, 1982, S. 135. 318 Geb. 1914, Wien, Todesdatum unbekannt, vermutl. Österreicher; emigrierte über Paris nach London. 319 Geburts- und Todesdatum unbekannt; emigrierte in die USA.
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Die NS-Zeit unter den verschiedensten Umständen überlebt haben Heinz Leo Fischer320, Karl Ranninger321, Resl Resée322, Helene Scharff323, Otto Spielmann324 und Oskar Willner325. Durch die Verfolgung im Nationalsozialismus umgekommen sind Lieselotte (oder Elfriede) Peham326, Otto Ritter327, Willi Rolden328, Walter Swoboda329, Otto Waldmann330, Herbert Wiesner331, Walter Windholz332 und Rudolf Zeisel333. Über die übrigen Mitglieder des demokratischen Theaters in Brünn konnte ich bislang keine näheren Informationen auffinden. Das Brünner deutsche Theater, das während der Zwischenkriegszeit ein liberaler Ort war, an dem unterschiedliche weltanschauliche Positionen diskutiert wurden, und in dessen Trägerverein sowie Ensemble 320 19.11.1902, Wien – 4.11.1977, München, vermutl. Österreicher; lehnte 1939 ein Engagement in Bern ab, um den Widerstand in der Tschechoslowakei fortzusetzen, erhielt ein britisches Secret Service-Visum zur Emigration nach England, wurde aber 1941 verraten, als sogenannter „Schutzjude“ verhaftet und überlebte die verschiedenen Konzentrationslager (Ghetto Lodz, Dachau, Birkenau). 321 Geb. 1894, Wien, Todesdatum unbek.; vermutl. verh. mit Annie Spiegel. 322 28.3.1916, Dresden – 5.10.1985, München, Deutsche; anlässlich ihrer Heirat mit Leo Sylvester Huth zum Judentum konvertiert, ging 1938 als „Mischling ersten Grades“ mit ihren alten Papieren zurück nach Deutschland, wo sie 1944 durch ihre Heirat mit Cyrill Angeloff die bulgarische Staatsbürgerschaft erhielt. Vgl. Angeloff, Meine Seele hat ein Holzbein. 323 Geb. 1912, gest. 2007, Prag, Tschechoslowakin; verh. mit Otto Waldmann, lebte nach 1945 als Helena Tomanová-Weisová in Prag. 324 Geburts- und Todesdatum unbekannt, vermutl. Tschechoslowake; vgl. MZA, B26 polic. ed., kart. 2420, Mappe Demokratische Theatergemeinde des Neuen Deutschen Theaters. 325 30.4.1910, Teplitz-Schönau – 1986, Tschechoslowake; ab 1938/39 nicht mehr im Deutschen Bühnenjahrbuch verzeichnet, ab 1946 am Wiener Volkstheater. 326 Geburts- und Todesdatum unbekannt; sie wurde laut Leopold Kopkas Erinnerungen von der Gestapo erschossen. Vgl. Kubíek, Boj o nmecké demokratické divadlo, S. 147. 327 Geb. 1897, Todesdatum unbekannt; bei der Registrierung der Juden und Jüdinnen im Protektorat in Brünn unter der Nummer 90766 erfasst (falls es sich um denselben Otto Ritter handelt), laut Kopka umgekommen. Vgl. ebd.
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„arische“ und jüdische Mitglieder zusammenarbeiteten, fand sein eigentliches Ende nicht 1944 mit der kriegsbedingten Theatersperre und nicht 1945 mit der Vertreibung der Brünner Deutschen, sondern 1938/39. Ein Großteil des Schauspielensembles musste fliehen oder kam in den nationalsozialistischen Vernichtungslagern um – genauso wie ein wichtiger Teil seines Publikums. Die Geschichte des Theaters zwischen 1938 und 1944 ist eine grundsätzlich andere, sie hat weniger mit der multinationalen und multireligiösen demokratischen Gesellschaft der Zwischenkriegszeit als mit der gleichgeschalteten Propagandamaschinerie des „Dritten Reichs“ zu tun.
328 Geb. 1884, Todesdatum unbekannt, Riga, Österreicher; Rolden, recte Quartner, wurde am 2.12.1941 von Brünn nach Theresienstadt deportiert, ein Monat später, am 9.1.1942, nach Riga, wo er umkam. 329 16.10.1889, Todesdatum unbekannt, Riga; am 2.12.1941 im selben Transport wie Rolden nach Theresienstadt deportiert, von dort ebenfalls am 9.1.1942 nach Riga, von wo auch er nicht mehr zurückkehrte. 330 1909 – 17.10.1941, Tschechoslowake; beim ersten Prager Standrecht von der Gestapo erschossen. Vgl. Helena Tomanová-Weisová. „Prag ist eine schöne Stadt. Ein falscher Taufschein und viel Glück: Die Geschichte einer geretteten Witwe“. Frankfurter Rundschau, 5.2.2000, ZB S. 3. 331 Geburts- und Todesdatum unbekannt, kam laut Kopkas Erinnerungen durch die Verfolgung im Nationalsozialismus um. Im Bühnenjahrbuch findet sich jedoch kein Herbert Wiesner als Mitglied des Brünner Theaters, eventuell meinte Kopka Julius Wiesner, der für die Spielzeit 1938/39 als Dramaturg engagiert werden sollte. Vgl. Kubíek, Boj o nmecké demokratické divadlo, S. 147. 332 1.9.1907, Tschechoslowake; er wurde am 26.11.1942 von Klatovy nach Theresienstadt deportiert, wo er bis zu seiner weiteren Deportation am 16.10.1944 nach Auschwitz in zahlreichen musikalischen Veranstaltungen auftrat. Sein Todesdatum ist unbekannt. Zu seiner Tätigkeit im Ghetto Theresienstadt vgl. Katharina Wessely. Die Wege der Brünner deutschen Schauspieler nach 1938. In: Theresienstädter Studien und Dokumente 2006. Praha: Sefer, 2007, S. 115-149, insbes. S. 137ff. 333 Geburts- und Todesdatum unbekannt, im Handbuch des Exiltheaters findet sich lediglich der Eintrag: „gest. in einem KZ“. Laut Richard Duschinsky kam er nach einem Gallenanfall in ein Krankenhaus, wo ihn nationalsozialistische Ärzte umkommen ließen. Für diesen Hinweis danke ich Hilde Haider-Pregler.
Schlusswort „Der kennt Deutschland nicht, wer die Provinz nicht kennt in ihrer Enge und ihren reichen Möglichkeiten, in ihrer Resignation und ihrem Mut. Kein Berliner Theaterdirektor setzt täglich so seine Stellung aufs Spiel wie ein Provinzdirektor. Helfen wir der Provinz, stärken wir die Provinz ...“1
Theater als komplexen Ort sichtbar zu machen, an dem nicht nur Kunst oder Unterhaltung produziert wird, sondern an dem sich auch wichtige gesellschaftliche Fragen manifestieren, war das vordringliche Ziel dieses Buches. Die Rolle des Theaters im Nationalitätenkonflikt zwischen Deutschen und TschechInnen stand dabei zu Beginn der Beschäftigung im Zentrum meines Interesses; im Lauf der Arbeit hat sich allerdings gezeigt, dass es nicht nur in diesem eine Rolle spielt, sondern bei allen Identitätskonstruktionen der deutschen Teilgesellschaft, seien diese nun national gefasst oder anders. So bezieht das Theater beispielsweise Stellung in der Entwicklung einer staatlichen Identität als „deutsche TschechoslowakInnen“, oder in der Betonung eines Lokalpatriotismus, der auch anational verstanden werden kann. Doch auch in den rassisch bestimmten Neudefinitionen dessen, was unter „deutscher Identität“ verstanden werden soll, stellt das Theater ab Mitte der dreißiger Jahre einen der Austragungsorte der Debatten dar. 1
Herbert Ihering. Der Kampf um die kleinen Provinzbühnen. In: Ders. Von Reinhardt bis Brecht. Vier Jahrzehnte Theater und Film, Bd. 3 (19301932). Berlin: Aufbau-Verlag, 1961, S. 111-114, S. 113f.; was Ihering hier über die Provinzbühnen Deutschlands feststellt, gilt in diesem Kontext auch für die Tschechoslowakei.
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Nach dem Zusammenbruch der Monarchie und der Gründung der Tschechoslowakischen Republik ging 1918 die Verwaltung der Stadt Brünn an die tschechische Mehrheit über. Der damit verbundene Statusverlust für die Brünner Deutschen spiegelte sich auch in den Verhältnissen am Theater: Das tschechische Ensemble zog von seiner Bühne in einem adaptierten Wirtshaussaal in das repräsentative Stadttheater, während das Ensemble des ehemaligen deutschen Stadttheaters nun auf drei teils inadäquaten Bühnen spielte und von einem Verein betrieben wurde. Das Theater blieb allerdings weiterhin wichtiger Bezugspunkt im gesellschaftlichen Leben der Brünner Deutschen und einer der zentralen Orte, an dem sich gesellschaftliche Debatten nicht nur widerspiegelten, sondern wo sich Positionen oftmals erst herausbildeten. Wie ein Brennspiegel bündelte das Theater mit seinen Aufführungen, aber auch mit den rund um es geführten Diskussionen als Untersuchungsgegenstand Entwicklungen, die für die Kulturgeschichte der Deutschen der Tschechoslowakei zentral waren. Nach einem einleitenden Kapitel, das auf Grundlage der Sekundärliteratur den politischen und gesellschaftlichen Kontext skizziert und sich mit der Situation der Deutschen in der Ersten Tschechoslowakischen Republik beschäftigt, folgt ein Kapitel, das sich den Fragen nach verschiedenen Nationalitätsmodellen widmet. Die Rolle der Sprache und damit zusammenhängend auch des Theaters für die Nationalitätskonzepte stand hier im Zentrum des Interesses. Während diese für das tschechische Kulturleben weitgehend aufgearbeitet sind, existieren für die deutschsprachigen Theater Böhmens und Mährens erhebliche Forschungslücken. Diese zu füllen war nicht Aufgabe dieses Buches, doch wurde versucht, ausgehend von den Zusammenhängen zwischen tschechischem und deutschem Nationalismus einerseits, und deren Vorstellungen von „Kulturnation“ andererseits, Überlegungen anzustellen zur Herausbildung verschiedener Kultur- und Identitätskonzepte der tschechoslowakischen Deutschen, auf die dann in den einzelnen Kapiteln des Hauptteils Bezug genommen wurde. Kapitel drei stellt die Stadt Brünn und das Brünner deutsche Theater vor und dient als Grundlage für die im vierten Kapitel folgenden Detailanalysen einzelner Aspekte. Mit der Hilfe von Archivmaterial sowie zeitgenössischen Zeitungsartikeln wurde die Geschichte des Brünner deutschen Theaters nach 1918 rekonstruiert und erstmals umfassend dargestellt. Davon ausgehend wurden dann einzelne Themenkomplexe im Detail analysiert, wobei je
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nach Materialgrundlage und Fragestellung unterschiedliche kultur- und theaterwissenschaftliche Methoden zur Anwendung kamen. Diese herausgegriffenen Themen verstehen sich als Kristallisationspunkte, an denen über die Geschichte des Theaters hinaus das Selbstverständnis der Brünner Deutschen, bzw. die Legitimationskämpfe differierender Selbstverständnisse, beobachtet werden können. Die Untersuchung dieser Kristallisationspunkte zeigt, dass die kulturwissenschaftliche Analyse des Themenfeldes „Theater“ Aufschluss gibt über die Mentalitätsgeschichte der Deutschen in der Tschechoslowakei, über Aspekte des alltäglichen Zusammenlebens zwischen TschechInnen und Deutschen in einer konkreten Stadt sowie über die Bedeutung des Theaters für die Entwicklung und Diskussion verschiedener Identitätskonzepte. Damit leistet dieses Buch einen Beitrag zur Kulturgeschichte der Deutschen in Böhmen und Mähren, die immer noch ein Desiderat der Forschung darstellt. Neben Forschungslücken in Detailfragen und vor allem zur Kultur- und Alltagsgeschichte einzelner Städte mangelt es derzeit auch an methodischen Überlegungen, wie das Konzept einer solchen Kulturgeschichte generell aussehen könnte. So wären zum einen Forschungen zur Kulturgeschichte Brünns und anderer Städte wünschenswert, die sich neben verschiedenen Vereinen und Institutionen auch mit über- bzw. anationalen Perspektiven beschäftigen und die bislang vorherrschende Dichotomie zwischen Arbeiten zur „deutschen“ und zur „tschechischen“ Geschichte aufheben müssten. Wenn der Brünner Theaterhistoriker Boivoj Srba fordert, die Theatergeschichte Böhmens und Mährens dürfe nicht länger als Nationalgeschichte geschrieben werden2, so ist dem aus vollster Überzeugung zuzustimmen. Dies konnte in dieser Arbeit allerdings leider nur in Einzelfällen angerissen werden, da aufgrund der Quellenlage und der großen Forschungslücken zum Brünner deutschen Theater erst einmal dessen Geschichte rekonstruiert werden musste, bevor an eine tschechisch-deutsche Theatergeschichte Brünns gedacht werden kann. Zum anderen wäre in größeren, über diese Einzelstudie zu einer konkreten Stadt hinausgehenden Zusammenhängen weiter zu den Verbindungen von Kultur und Identitätskonzepten der Deutschen 2
Vgl. Boivoj Srba. Ztracené kontexty – Úkoly eské teatrologie pi vzkumu nmecky mluvícího divadla. Verlorener Kontext – Aufgaben der tschechischen Theatrologie bei der Erforschung des deutschsprachigen Theaters. In: Verlorener Kontext, S. 13-33, S. 14.
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Böhmens und Mährens nachzudenken und diesbezügliche Studien zu forcieren, die die Ergebnisse der verschiedenen Untersuchungen zu einzelnen Städten sinnvoll miteinander verbinden. Aus theaterwissenschaftlicher Perspektive zeigt dieses Buch, wie eine kulturwissenschaftlich verstandene Stadttheaterhistoriographie aussehen könnte, die sich weder auf das Geschehen auf der Bühne beschränkt und dieses im Vergleich zu großstädtischen Avantgardebühnen dann meist als defizitär beschreibt, noch eine reine Betriebsgeschichte des Hauses schreibt. In diesem Sinne lässt sich der vorliegende Text auch verstehen als Ausgangspunkt zur Entwicklung eines neuen Verständnisses von „Provinztheater“. Dieser Begriff wird meist abwertend verwendet und mit den Entwicklungen der künstlerischen Avantgarden kontrastiert, die oft in den Großstädten wenn schon nicht ihren Anfang nahmen, dann zumindest dort ihren Durchbruch erlebten. Dabei befand sich im 19. und frühen 20. Jahrhundert die Mehrzahl aller Theater im deutschsprachigen Raum in Mittel- und Kleinstädten der sogenannten „Provinz“, und die Theatererfahrung des Großteils des Publikums beruhte in erster Linie auf Besuchen dieser Theater. Gerade in den gemischtnationalen Gebieten der Österreichisch-Ungarischen Monarchie und ihrer Nachfolgestaaten nahmen die Stadttheater eine wichtige Rolle im Selbstverständnis des städtischen Bürgertums als kultiviert und fortschrittlich ein; die Aufgaben, die dem Theater in den Nationalitätenkonflikten zugeschrieben wurden, spielten dabei keine unerhebliche Rolle. Im Brünn der Zwischenkriegszeit lag diese Rolle auch und vor allem in der Stellungnahme in den Prozessen der Identitätskonstruktion der Brünner Deutschen. Sowohl die Stellung zum tschechoslowakischen Staat bzw. zur tschechischen Kunst war hier von Bedeutung als auch – insbesondere nach der „Machtergreifung“ der NSDAP 1933 – diejenige zum Deutschen Reich. Bei all dem musste das Brünner Theater versuchen, Kompromisse zu finden, da das potentielle Publikum nicht groß genug war, um durch explizite Stellungnahmen einen Teil davon verlieren zu können. Doch trotz aller Kompromisse vertraten das Brünner deutsche Theater und seine ProponentInnen bis zuletzt eine demokratische Grundhaltung. Das eigentliche Ende dieses Theaters kam nicht 1944/45 mit der kriegsbedingten Theatersperre und der Vertreibung der Brünner Deutschen, sondern 1938/39 mit seiner Übernahme durch die – Brünner – NationalsozialistInnen.
Quellen und Literatur
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Moravsk zemsk archiv (Mährisches Landesarchiv), Brno Fond B40 Zemsk úad v Brn, presidiální registratura (Brünner Landesamt)
-) kart. 13241/20, Divadla -) kart. 3249/20, Nmecké divadelní hry -) kart. 9167/19, Divadla -) kart. 9324/19, Spolky Fond B40 Zemsk úad v Brn, I. manipulace (1919-1928) (Brünner Landesamt)
-) kart. 2520-2523, Divadelní koncese a divadelní policie Fond B40 Zemsk úad Brno, II. manipulace (1928-1935) (Brünner Landesamt)
-) kart. 4420-4424, Divadla, koncerty, hudební koly, pvecké spolky, umlc
-) kart. 6994-6998, Normalie Fond B40 Zemsk úad Brno, III. manipulace (1936-1945) (Brünner Landesamt)
-) kart. 4114, 4117, 4119, Divadla 1937-1941 Fond B26 Policejní editelství (Polizeidirektion)
-) kart. 2411-2414, Seznamy a obsahy povolench divadelních her 1916-1936 -) kart. 2415, Pokyny pro slubu v divadlech 1903-1947 -) kart. 2415, Intervence v divadlech 1919-1940 -) kart. 2420-2422, Nmecké divadlo 1890-1948 Fond B26 Spolky (Vereine)
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-) II. obd. 1925-1930, odd. 6 -) III. obd. 1931-1935, odd. 6 -) IV. obd. 1936-1940, odd. 5 Bestand der Abteilung IV (Kultur) im Amt des Reichsprotektors, Fond ÚP (Amt des Reichsprotektors)
-) kart. 1136
Z EITUNGEN
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Z EITSCHRIFTEN
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292 | T HEATER DER IDENTITÄT
A BKÜRZUNGEN Parteien und andere Vereinigungen BdD – Bund der Deutschen BdL – Bund der Landwirte DNP – Deutsche Nationalpartei DNSAP – Deutsche Nationalsozialistische Arbeiterpartei DSAP – Deutsche sozialdemokratische Arbeiterpartei in der Tschechoslowakischen Republik KP – Kommunistische Partei der Tschechoslowakei NSDAP – Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei SdP – Sudetendeutsche Partei SHF – Sudetendeutsche Heimatfront Theater NDT – Neues deutsches Theater (Prag) VdT – Vereinigte deutsche Theater (Brünn) Archive AHMP – Archiv hlavního msta Prahy [Archiv der Hauptstadt Prag] MZA – Moravsk zemsk archiv [Mährisches Landesarchiv] MZM – Moravské zemské muzeum [Mährisches Landesmuseum] NA – Národní archiv [Nationalarchiv]
Personenregister Adler, Hermann 175
Brecht, Bertolt 265
Angeloff, Cyrill 271
Brod, Max 113, 131
Anzengruber, Ludwig 232
Bruckner, Ferdinand 131
Arden, Sascha 266
Büchner, Georg 13
Aussem, Lilly 266
Bulín, Hynek 136ff.
Bach, Walter 266
apek, Karel 122f., 126, 131, 252, 268
Badeni, Kasimir Felix 80f.
Chamberlain, Neville 70
Baklanoff, Georg 137ff.
Corda, Felicitas 244
Balon, Otto 266
Cosma, Tibor 253, 266
Barton, Johann 175
Croß, Lona 244
Baru, Alois 266
Csokor, Franz Theodor 119
Bassing, Wolf 266
Czech, Ludwig 37, 62, 69, 158
Baum, Vicky 125, 131 Baumann, Hans 253-256
Daladier, Édouard 70
Baxa, Karel 114
Demetz, Hans 95, 119, 122-125, 129,
Bechyn, Rudolf 195
131, 160, 187f., 218, 238f.
Beer, Rudolf 117, 119f., 129, 131,
Demetz, Peter 58, 111f., 160f.
151, 173, 228
Dérer, Ivan 89, 165
Bene, Eduard 22, 27, 35, 126, 140,
Deston-Wilt, Margarethe 266
192, 266
Duschinsky, Richard 272
Berg, Alban 130
Dvoák, Antonín 169, 174
Bernstein, Henry 154f. von Bismarck, Otto 61
Eger, Paul 197, 217, 242
Bistritzky, Gottlieb 253
Eggers, Paul 245
Bizet, Georges 130
van Eyck, Tony 200f.
Blazekovich, Martina 175
Eysler, Edmund 130
Bondi, Gustav 17f., 116, 119-122, 138, 167f., 171, 175, 180, 186f.,
Fellner, Ferdinand 9, 106, 116
244f., 253, 264
von Ferstel, Heinrich 106
294 | T HEATER DER IDENTITÄT
Fink, Else 251
von Herder, Johann Gottfried 75, 77
Firner, Walter 227
Herzka, Julius 119, 121f., 186ff., 235f.
Fischer, Heinz Leo 265, 271
Hitler, Adolf 27, 46, 55, 58, 65, 69f.,
Fischer, Thea 266
101, 162
Flögl, Hans 129, 164f., 171, 173
Hochmann, Vaa (Walter) 265f., 270
Förster, Ludwig 106
Hoda, Milan 266
Franck, Hans 131
Holger, Siegfried 266
Franck, Walter 200f.
Höller, Max 119f., 229
Frank, Leonhard 221f.
Höllering, Franz 92, 119ff., 185
Fried, Olga 266
Höllering, Georg 119-122, 124, 158,
Fritsch, Karl Wilhelm 114
168, 173, 185f. von Horváth, Ödön 269
Gajdeczka, Josef 126, 130, 153, 221f., Huth, Leo Sylvester 253, 255, 266, 224, 226, 246f., 264, 269
270f.
Gasser, Erni 253 von Gebsattel, Fritz Freiherr 29
Ilgenstein, Heinrich 131
Giraudoux, Jean 223, 226
Iltis, Hugo 109
Gisela, Fritz 253 Glück, Guido 121, 155, 173
Janáek, Leo 174, 177f.
Gluth, Oscar 257
Janowsky, Nikolaus 143, 163f., 183,
Goebbels, Joseph 91, 264
207, 215
von Goethe, Johann Wolfgang 149,
Jellinek, Fritz 44
200, 268
Jiikovsk, Václav 128
Göring, Hermann 264
Judex, Oskar 237, 239
Gorki, Maxim 265
Jusen, Ferry 266
Göttinger, Lieselotte 228, 251f., 266 Götz, Karl 253
Kant, Immanuel 44 Kaiser, Georg 119, 131
Habel, Hans M. 211
Kálmán, Imre 130
Habsburg, Karl 161
Kästner, Erich 125, 131
von Hansen, Theophil 106
Kienzl, Adolf 253
Hartmann, Paul 200f.
Kiepura, Jan 211
Hasenclever, Walter 119, 269
Kingsley, Sidney 225
Hauptmann, Franz 131
Kisch, Egon Erwin 131
Hellgren, Karl 175
von Kleist, Heinrich 13
Helmer, Hermann 9, 106, 116
Knüpfer, Felix 123ff., 129, 244f.
Henlein, Konrad 25, 36f., 47, 58f.,
Koch, Walter 101
63ff., 68ff., 96, 101ff., 200f., 250f.,
Koch-Garden, Otto 242
264, 267
Kolouek 151
P ERSONENREGISTER
Komensk, Jan Ámos 109
| 295
Mrasek, Karl Norbert 131
Kopka, Leopold 197, 242f., 256, 258, Müller, Hans 131 266, 271f.
Multerer, Hans 131
Korngold, Erich Wolfgang 130
Mussolini, Benito 70, 125, 131, 225
Kraliek 256 Kramer, Leopold 124ff., 130, 201,
Neczas, Franz 266
229, 233f., 245, 251ff., 255
Neumann, Frantiek 159, 169f., 174,
Krenek, Ernst 130
211
Krumpholz, Eugen 183, 242
Nießner, Wilhelm 264
Kvapil, Jaroslav 194, 196
Novák, Arne 115 van der Nüll, Eduard 106
Langer, Felix 131 Langer, Frantiek 122f., 131, 265, 268 von Oberleithner, Max 130 Lechner, Anton 17
Offenbach, Jacques 130
Lehár, Franz 130
Oswald, Bruno 215
Leppin, Paul 131 Lessing, Gotthold Ephraim 269
Palack, Frantiek 86
Lindt, Liesl 266
Payer, Harry 253
Lorm, Eva-Maria 130, 266
Pechmanová-Klosová, Ludmila 198
Löwenstein, Arnold 93
Peham (Pehan?), Elfriede (Lieselotte?)
Lustig, Otto 266
266, 271 Perlsee, Fritz 249, 259, 264
Mack , Bedich 137
Petyrek, Felix 130
Mahen, Jií 109
Pick, Otto 47
Mahovsky, Alfred 130
Pimper 44
Mann, Heinrich 269
Pirchan, Emil 125
Mann, Thomas 269
Puccini, Giacomo 130
Máa, Jan 137f. Masaryk, Tomá Garrigue 22, 27, 56, Ranninger, Karl 253, 265f., 271 60, 109f., 112, 115, 129, 134, 140f.,
Rasta, Michael 175
170, 174, 177, 219, 261, 264
Raynal, Paul 265
Mayr-Harting, Robert 35, 37
Reich, Otto 266
Mell, Max 123, 131
Resée, Resl (= Therese Angeloff) 266,
Mendel, Gregor 109, 170f., 176
270f.
Millöcker, Karl 130
Richter-Rosenthal, Friedrich 244
Modes, Theo 127, 184, 268f.
Ritter, Hans 244
Moissi, Alexander 118, 154, 224
Ritter, Otto 266, 271f.
Molnár, Ferenc 130
Rolden, Willi 266, 271
Mraczek, Joseph Gustav 130
Rosenberg, Gerhard 185
296 | T HEATER DER IDENTITÄT
Rostand, Maurice 223, 226
Tomaschek, Anton 130
Rous, Friedrich 210f., 214f., 217
Tome, Karel 199
Runciman, Walter 266 Ullmann, Ernst Ronald 266, 270 Salten, Felix 135, 140, 176
Ulrich, Eduard 253
Scharff, Helene (= Helena TomanováWeisová) 266, 270f.
Vank, Karel 137
Scheinpflugová, Olga 131, 268
Verdi, Giuseppe 130
Scheucher, Sonja 144, 214 Schick, Hans Georg 251
Wagner, Richard 130, 170ff.
Schiller, Friedrich 269
Waldmann, Otto 266, 271f.
Schlegel, Friedrich 75
Walter, Rudolf 174
Schnitzler, Arthur 118, 125, 131, 155
Walz, Dédé 266, 270
Schönherr, Karl 123
Wedekind, Frank 118, 150, 152ff.
Schreker, Franz 130
Weigl, Marianne 266
Selb, Paul 187, 236, 238, 242f.
Weill, Kurt 130
Shakespeare, William 12, 265
Weinberger, Jaromír 174
Sherriff, R. C. 223f.
Werfel, Franz 131
von Sicardsburg, Sicard 106
Werner, Vílem 123, 131, 268f.
Sladkovsk, Karel 85
Wickerhauser, Willy 266, 270
Slezak, Leo 142
Wiesner, Herbert (Julius?) 266, 271f.
Smetana, Bedich 169-174, 176
Willner, Oskar 253, 257, 266, 271
Spiegel, Annie 266, 271
Wilson, Wodrow 27
Spielmann, Otto 266, 271
Windholz, Walter 266, 271f.
Spina, Franz 35, 37, 60, 62
Winds, Adolf 229
tech, Václav 172f.
Wizina, Josef 130
Stolba, Adolf 253
Wolf, Karl Hermann 80
Stolz, Robert 130 Strauß, Johann 130
Zajíek, Erwin 62
von Suppé, Franz 130
aludová, Maria 174
Swoboda, Walter 266, 271f.
Zeisel, Rudolf 127, 197, 268, 271f. Zemlinsky, Alexander 130
Terramare, Georg 233
Zitek, Otto 174
Thöresz, Eugen 247, 249
Zuckmayer, Carl 131, 159
Toller, Ernst 157, 221
Theater Jan Deck, Angelika Sieburg (Hg.) Politisch Theater machen Neue Artikulationsformen des Politischen in den darstellenden Künsten September 2011, ca. 130 Seiten, kart., 19,80 €, ISBN 978-3-8376-1409-1
Susanne Valerie Granzer Schauspieler außer sich Exponiertheit und performative Kunst. Eine feminine Recherche März 2011, 162 Seiten, kart., 19,80 €, ISBN 978-3-8376-1676-7
Bettine Menke Das Trauerspiel-Buch Der Souverän – das Trauerspiel – Konstellationen – Ruinen 2010, 284 Seiten, kart., 25,80 €, ISBN 978-3-89942-634-2
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Theater Patrick Primavesi, Jan Deck (Hg.) Stop Teaching! Neue Theaterformen mit Kindern und Jugendlichen Dezember 2011, ca. 300 Seiten, kart., zahlr. Abb., ca. 29,80 €, ISBN 978-3-8376-1408-4
Jens Roselt, Christel Weiler (Hg.) Schauspielen heute Die Bildung des Menschen in den performativen Künsten April 2011, 268 Seiten, kart., zahlr. Abb., 25,80 €, ISBN 978-3-8376-1289-9
Wolfgang Schneider (Hg.) Theater und Migration Herausforderungen für Kulturpolitik und Theaterpraxis Juli 2011, 234 Seiten, kart., 24,80 €, ISBN 978-3-8376-1844-0
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Theater Johanna Canaris Mythos Tragödie Zur Aktualität und Geschichte einer theatralen Wirkungsweise
Eva Krivanec Kriegsbühnen Theater im Ersten Weltkrieg. Berlin, Lissabon, Paris und Wien
November 2011, ca. 370 Seiten, kart., ca. 34,80 €, ISBN 978-3-8376-1565-4
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Nicole Colin Deutsche Dramatik im französischen Theater nach 1945 Künstlerisches Selbstverständnis im Kulturtransfer
Karin Nissen-Rizvani Autorenregie Theater und Texte von Sabine Harbeke, Armin Petras/Fritz Kater, Christoph Schlingensief und René Pollesch
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