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German Pages 219 [222] Year 2016
Augustin Speyer / Philipp Rauth (Hg.) Syntax aus Saarbrücker Sicht 1
zeitschrift für dialektologie und linguistik beihefte In Verbindung mit Michael Elmentaler und Jürg Fleischer herausgegeben von Jürgen Erich Schmidt
band 165
Augustin Speyer / Philipp Rauth (Hg.)
Syntax aus Saarbrücker Sicht 1 Beiträge der SaRDiS-Tagung zur Dialektsyntax unter Mitwirkung von Christian Ramelli, Julia Schüler und Julia Stark
Franz Steiner Verlag
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Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar. Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. © Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2016 Druck: Hubert & Co., Göttingen Gedruckt auf säurefreiem, alterungsbeständigem Papier. Printed in Germany. ISBN 978-3-515-11445-5 (Print) ISBN 978-3-515-11446-2 (E-Book)
INHALTSVERZEICHNIS Vorwort ................................................................................................................. 7 NOMINALSYNTAX Caroline Döhmer Formenbestand und strukturelle Asymmetrien der Personalpronomen im Luxemburgischen ................................................................................................. 15 Thomas Strobel Nominale Ellipse im Westgermanischen .............................................................. 39 SYNTAX GRAMMATISCHER KATEGORIEN Christian Ramelli Über progressive und konservative Rheinfranken ................................................ 69 Julia Schüler Alte und neue Fragen zur mittelhochdeutschen Negationssyntax ........................ 91 TOPOLOGISCHE FELDER Philipp Rauth Zur Rolle dialektaler Kasussysteme bei der Abfolge ditransitiver Objekte ....... 109 Augustin Speyer Die Entwicklung der Nachfeldbesetzung in verschiedenen deutschen Dialekten: Informationsdichte und strukturelle Verschiedenheit ....................... 137 SATZVERKNÜPFUNG Isabella Bohn / Helmut Weiß Komplementiererflexion im Hessischen............................................................. 159 METHODIK Alexandra N. Lenz On eliciting dialect-syntactic data. Comparison of direct and indirect methods ............................................................................................................... 187
VORWORT Augustin Speyer / Philipp Rauth / Julia Schüler / Julia Stark Die Erforschung der syntaktischen Struktur verschiedener Varietäten des Deutschen ist erst im Laufe der letzten 20 Jahre so richtig in Schwung gekommen. Dass es relativ lange gedauert hat, bis die Erforschung der Dialektsyntax in den Blickpunkt gerückt ist, nimmt wunder, handelt es sich bei Dialekten doch um die produktiven Sprachformen des Deutschen, eine Eigenschaft, die man der Standardvarietät nicht a priori zuschreiben kann (vgl. WEISS 2004). Dialekte sind gleichzeitig sprachliche Museen und sprachliche Experimentierlabors; Museen, weil historische Zustände der Sprache mehr oder weniger deutlich erhalten sein können, die in der Standardvarietät nicht (mehr) fassbar sind; Experimentierlabors, weil hier durch die Sprecher die Möglichkeiten, die die zugrundeliegende syntaktische Struktur bietet, kreativ und ohne normativen Zwang ausgelotet werden können. Es zeigt sich, dass oftmals Erscheinungen, die in der Syntax einzelner Dialekte von der Syntax der Standardvarietät abweichen, in gewisser Weise ‚logischer‘ sind, also eher die zugrundeliegende Struktur offenbaren bzw. Generalisierungen attestieren, die in der Standardvarietät nicht zu ziehen sind, da sie durch den selektiven Konservativismus des schriftsprachlichen Stils überdeckt sind. Von einem zunehmenden Interesse für die Syntax dialektaler Varietäten zeugt, dass diese in zahlreichen Sprachatlas-Projekten seit der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts (zumindest am Rande) in den Erhebungen berücksichtigt wird. Dies soll im Folgenden an einer Auswahl von Projekten beispielhaft illustriert werden. Mit dem Sprachatlas der deutschen Schweiz (SDS) beginnt zunächst im oberdeutschen Sprachraum die Tradition, neben lautlichen, lexikalischen und morphologischen Phänomenen auch syntaktische Phänomene zu erheben und sie kartografisch darzustellen. Im SDS-Einführungsband werden erstmals auch direkte Erhebungsmethoden für dialektsyntaktische Strukturen erörtert. Der sonst auf Laut- und Wortgeografie ausgerichtete achtbändige SDS bietet folglich auch einen kleinen Teil an Karten zu syntaktischen Phänomenen (z. B. Stellung im Verbalcluster, erstarrte Infinitiv-Partikeln und Umschreibung der inchoativen Funktion). Nach diesem Vorbild werden in den 1960er und 1970er Jahren die Erhebungen zum Vorarlberger Sprachatlas (VALTS) und zum Südwestdeutschen Sprachatlas (SSA) durchgeführt und jeweils auch wenige ausgewählte dialektsyntaktische Phänomene kartografisch publiziert. Nachdem der alemannische Sprachraum nun dialektgeografisch nahezu komplett abgedeckt ist, reiht sich ab den 1980er Jahren der Bayerische Sprachatlas (BSA) mit seinen sechs Teilprojekten ein. Hervorzuheben sind hierbei der Sprachatlas von Mittelfranken (SMF), der
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Sprachatlas von Niederbayern (SNiB) und der Sprachatlas von BayerischSchwaben (SBS), die der Syntax mehr Raum denn je gewähren. Insbesondere der SNiB entwickelte in einem Sonderprojekt ein spezielles Syntaxfragebuch mit dem Ziel, ein dialektimmanentes Regelsystem zu formulieren und auch die Syntaxgeografie mit einzubeziehen, d. h. eine etwaige räumliche Verteilung syntaktischer Phänomene zu klären, was es bis dato in dieser Form noch nicht gegeben hatte. Als erster und einziger Atlas im bairischsprachigen Österreich verfolgt seit Ende der 1980er Jahre der Sprachatlas von Oberösterreich (SAO) ebenfalls u. a. das Erkenntnisziel der Verteilung dialektsyntaktischer Erscheinungen. Für den westmitteldeutschen Raum ist noch der Mittelrheinische Sprachatlas (MRhSA) zu nennen. Dieser legt sein Augenmerk zwar nicht auf syntaktische Phänomene und kontrastiert im Gegensatz zu den anderen Atlanten zwei Generationen von Informanten. Jedoch ist er bezüglich Erhebungsmethodik, Miteinbeziehung sozialer Dimensionen und interessanter morphosyntaktischer Phänomene (z. B. partitiver Genitiv oder flektierte Konjunktionen) ebenfalls als einschlägig zu bewerten. Mit dem Jahrtausendwechsel rückt die syntaktische Mikrovariation vermehrt in den Fokus einzelner Forschungsprojekte, weshalb dieses vielbeklagte Desiderat nun nicht mehr als ebensolches bezeichnet werden sollte. Den Anfang macht im niederländischsprachigen Raum der Niederlande, Belgiens und Frankreichs das Projekt Syntactische Atlas van de Nederlandse Dialecten (SAND). Mit dem Ziel der Entwicklung einer Datenbank, eines Online-Atlasses und eines gedruckten Atlasses zur syntaktischen Variation in diesem Sprachraum leistete man Pionierarbeit auf dem Feld der Erforschung geeigneter Erhebungsmethoden dialektaler Syntax. Behandelt wurden Phänomene in den vier Bereichen linke Satzperipherie, rechte Satzperipherie, pronominale Referenz und Quantifikation / Negation. Aufbauend auf den Erkenntnissen und Erfahrungen des SAND erforschte der Syntaktische Atlas der deutschen Schweiz (SADS) im gleichen Zeitraum die sprachgeografische Gliederung der Schweiz, quasi als Fortführung des SDS im Bereich der Syntax. Ein Schwerpunkt der Schweizer lag auf der Lösung bzw. Verringerung des Problems, welches bei der schriftlichen Erhebung dialektaler Syntax durch postalisch verschickte Fragebögen auftritt, denn beim SADS kam nur die indirekte Methode zum Einsatz, während man beim SAND-Projekt auf eine Kombination direkter und indirekter Erhebung setzte. An aktuellen dialektsyntaktischen Projekten seien zwei herausgehoben: Einerseits wird seit 2010 an den Universitäten Frankfurt am Main, Marburg und Wien die Syntax hessischer Dialekte (SyHD) erforscht. Das Projekt fußt methodisch auf dem SAND und dem SADS und erhebt, erschließt und analysiert erstmals flächendeckend die dialektale Syntax eines ganzen deutschen Bundeslandes. Andererseits ist mit Syntax des Alemannischen (SynAlm) ein Projekt zu nennen, das sich – mehrere Staatsgrenzen überschreitend – den syntaktischen Eigenheiten der alemannischen Varietäten Baden-Württembergs, der Schweiz, Vorarlbergs und des Elsass widmet. In der Vergangenheit haben Arbeiten zu dialektsyntaktischen Einzelphänomenen großen Einfluss auf die syntaktische Theoriebildung ausgeübt. Im Kontext der Generativen Grammatik hat z. B. das Phänomen der Komplementiererflexion,
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wie es sie in niederländischen und vielen nieder- und hochdeutschen Dialekten gibt (z. B. BAYER 1984, ZWART 1993), wesentlich die Auffassung befördert, in germanischen Verb-Zweit-Sprachen den Kopf der die Flexionsmerkmale bereitstellenden Phrasen (AgrP, TP) obligatorisch zum Kopf der CP zu bewegen, da nur so die Kongruenz von Verb- und Komplementiererflexion ermöglicht werden kann. Ein weiteres Beispiel wäre die heute weitgehend anerkannte Theorie der Aufspaltung der CP in verschiedene Subphrasen (RIZZI 1997), die zu einem großen Teil von Daten norditalienischer Dialekte inspiriert ist. Schließlich gaben Dialektdaten Anlass, die Allgemeingültigkeit des Doubly-Filled COMP-Filters, der auf Sprachdaten standardisierter Sprachvarietäten beruht, anzuzweifeln. Schon BAYER (1984) zeigt, dass u. a. das Bairische in eingebetteten W-Fragesätzen bzw. Relativsätzen im Unterschied zum Standarddeutschen obligatorisch nach einem Komplementierer verlangt. Vor diesem Hintergrund ist zu erwarten, dass die im Kontext der genannten Dialektsyntax-Projekte entstehenden Arbeiten den syntaxtheoretischen Diskurs auch in Zukunft um weitere wichtige Aspekte bereichern werden. Neben der synchronen Erforschung der syntaktischen Eigenheiten von Dialekten spielt Dialektsyntax bei jedweder diachronen Untersuchung eine wichtige Rolle. Gerade Schriftzeugnisse, die vor der Ausbildung eines verbindlichen Standards verfasst wurden, sind notgedrungen von den sprechsprachlichen Realitäten der jeweiligen Schreiber durchdrungen, und in dieser Zeit wurden natürlich Dialekte gesprochen, die die direkten Vorformen der heute existierenden Dialekte sind und in denen die syntaktischen Eigenheiten der heutigen Dialekte angelegt sein können. Historische Syntax ist somit immer historische Dialektsyntax. Die Erforschung des Altsächsischen, Althochdeutschen, Mittelhoch- und Mittelniederdeutschen ist jedoch im Regelfall von einer vergleichsweise schwierigen Datenlage geprägt. Interessante Konstruktionen lassen sich nicht mehr nachträglich erheben – es muss auf das zurückgegriffen werden, was uns handgeschrieben auf Pergament- und Papierrollen an literarischem, weltlichem oder kirchlichem Text bis in die heutige Zeit erhalten geblieben ist. Diese „Zeugen“ sind dann zum einen nicht immer vollständig, zum anderen handelt es sich oft um Abschriften von Abschriften (von Abschriften usw.). Die (Ab-)Schreiber waren selten gleichzeitig Verfasser; ihre Identitäten, ihre jeweilige sprachliche Herkunft und das Maß ihrer Einflussnahme auf das Geschriebene (durch eigenmächtige Anpassung und Fehler) bleiben oft im Verborgenen. Sie (und damit die Texte) lassen sich, wenn überhaupt, über das Geschriebene selbst rekonstruieren und bleiben damit in ihrer Charakteristik in gewisser Weise immer spekulativ. Dasselbe gilt für den genauen Entstehungsort und -zeitpunkt dieser sogenannten Handschriften (vgl. WEGERA 2000 und FLEISCHER / SCHALLERT 2011). Umso erfreulicher ist dann die Aussicht auf potenziell ergiebiges, jedoch lange ungenutztes Untersuchungsmaterial, dessen Urhebe und Entstehung einwandfrei dokumentiert und zugänglich ist. Die Rede ist hier von bis zu 140 Jahre alten, oft handschriftlichen Sätzen, zwischen 38 und 42 Stück, die sich der Marburger Sprachwissenschaftler GEORG WENKER (1852–1911) ausgedacht hat (vgl. HERRGEN 2001). Formuliert auf damaligem Hochdeutsch verschickte er sie auf Papier-
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bögen zwischen 1876 und 1885 an sämtliche Volksschulen im Deutschen Reich, mit der Bitte, die Sätze in den jeweiligen Ortsdialekt zu übersetzen und zurückzusenden. Der auf Basis dieser Schriftzeugnisse entstandene „Sprachatlas des Deutschen Reiches“ besteht aus 1646 handgezeichneten, farbigen Teilkarten, auf denen die diatopische Verteilung von 339 lautlichen und morphologischen Eigenheiten zahlreicher deutscher Dialekten dokumentiert ist. Sämtliche Teilkarten und „Wenkerbögen“, wie sie heute genannt werden, sind über die Online-Plattform www.regionalsprache.de frei zugänglich. Wenn auch der Aufbau und die Verteilung dialektsyntaktischer Konstruktionen zu der damaligen Zeit nicht annähernd als relevant empfunden wurde, so müssen WENKER, seine Helfer und Nachfolger beim Zeichnen der Karten hin und wieder doch mit eben dieser konfrontiert gewesen sein: Die Karte Nr. 346 zur Entwicklung von mhd. â, die auf Basis der Übersetzungen des vorgegebenen Wortes kamen1 gezeichnet wurde, enthält nur zur sprichwörtlichen Hälfte relevante Ergebnisse – Sprecher des Oberdeutschen haben diesen Satz nicht mit der Präteritalform übersetzt, sondern mit der Perfektform sind gekommen (vgl. dazu auch MAURER 1926). Trotz seines Status als Zufallsprodukt bietet diese Karte ein starkes Indiz für den Präteritalschwund, der nicht nur oberdeutsche Dialekte charakterisiert, sondern diese – umgekehrt – zu „eine[r] rund um den Alpenraum konzentrierte[n] Kernzone“ (GLASER 2008, 99) im europäischen Sprachraum gehören. Das Wenker-Material bietet in diesem Punkt also nützliches Ausgangsmaterial für sprachtypologisch orientierten Erkenntnisgewinn, z. B. strukturelle Voraussetzungen für die Verbreitung bzw. Ausbreitung einer bestimmten syntaktischen Eigenheit (vgl. GLASER 2008). Darüber hinaus führt dieser Fund zu der Frage, ob die anderen Sätze weiteres, dialektsyntaktisches Datenmaterial bieten – und damit einen guten Ausgangspunkt einer jeden einschlägigen Theoriebildung. Mit einem Blick auf die Publikationen von FLEISCHER (zuletzt 2015) kann man für den Bereich der Pronominalsyntax bereits eine positive Antwort geben. Und seinem Plenarvortrag auf dem SaRDiS 2014 zufolge handelt es sich bei diesen nur um den Anfang: Trotz der zahlenmäßig begrenzten Anzahl der Wenkersätze verspricht ihre syntaktische Auswertung u. a. interessante Daten zur Infinitivsyntax, Negation, tun-Periphrase und zur Nachfeldbesetzung (FLEISCHER 2014). Glücklicherweise ist – um eine Metapher Oliver Schallerts zu bemühen – die diachrone und synchrone Erforschung der Dialektsyntax auf dem besten Wege, kein zartes Pflänzchen mehr zu sein, sondern wächst, wurzelt, knospt und gedeiht unentwegt. Was unseres Erachtens fehlte, war ein regelmäßig stattfindendes Forum, in dem die Proponenten der theoretisch informierten und empirisch fundierten Dialektsyntaxforschung ihre Ergebnisse vorstellen und diskutieren können – ein klassischer Workshop-Kontext also, allerdings nicht nur sporadisch, sondern 1
Wenkersatz 24: Als wir gestern Abend zurück kamen, lagen die Anderen schon im Bett und waren fest am schlafen. Dialektsyntaktiker werden hier ganz richtig erkennen, dass dieser Satz bereits in seiner ursprünglichen hochdeutschen Form einen (damaligen) Regionalismus enthält: das am-Progressiv am Schlafen (auch „Rheinische Verlaufsform“ genannt, s. dazu auch den Beitrag von RAMELLI in diesem Band).
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regelmäßig. Theoretisch informiert heißt hier, dass es nicht nur um die Beschreibung ausgefallener Phänomene als Selbstzweck geht – also eine Art syntaktische ‚Freakshow‘ – sondern die Phänomene vor dem Hintergrund einer kohärenten syntaktischen Theorie zu betrachten sind, die es erlaubt, die Phänomene mit anderen Phänomenen des gleichen Dialekts (oder anderer Dialekte) zu korrelieren, in und unter Rekurs auf das syntaktische System zu identifizieren, wodurch das beobachtete Phänomen überhaupt hervorgerufen wird. Diese Erkenntnisse können dann wiederum auf die Theoriebildung Einfluss nehmen und sie nachzujustieren helfen, was wiederum neue Beobachtungen initiieren kann, usw. Das Verhältnis von Theorie und Empirie ist u. E. dialektisch zu verstehen; hier sehen wir uns in der Tradition von prominenten Syntaxforschern wie z. B. Marga Reis. Da wir also ein Desiderat in der Forschungslandschaft identifiziert hatten, entschlossen wir uns, diese Lücke zu füllen mit dem „Saarbrücker Runden Tisch für Dialektsyntax“ (SaRDiS). Gründe, dass ausgerechnet wir Initiatoren eines solchen Runden Tisches gerade in Saarbrücken sein sollten, lagen auf der Hand. Alle Mitglieder des Organisationsteams haben in der Ausbildung dialektologische und spezifisch dialektsyntaktische Impulse erhalten – Augustin Speyer durch William Labov (University of Pennsylvania), Philipp Rauth durch Helmut Weiß (Universität Frankfurt), Julia Schüler durch Jürg Fleischer (Universität Marburg) sowie Christian Ramelli und Julia Stark durch Speyers Vorgängerin auf dem Lehrstuhl, Ulrike Demske, die die Tradition der Dialektsyntaxforschung an der Universität des Saarlandes begründet hat. Daneben arbeiten die Organisatoren aktiv an dialektsyntaktischen Fragethemen, v. a. Christian Ramelli, Philipp Rauth, Julia Schüler und Julia Stark, die ihre Dissertationen zu dialektsyntaktischen Themen schreiben bzw. geschrieben haben. Das Saarland bietet sich als Standort für Dialektsyntaxerforschung neben der personellen Ausstattung auch dadurch an, dass es in einer Region liegt, die dialektologisch interessant ist, da die Grenzlinie zwischen Rhein- und Moselfränkisch genau durch das Bundesland läuft. Die Lage des Saarlandes an der Grenze zu Frankreich und Luxemburg bietet außerdem die Möglichkeit, die Entwicklung ursprünglich ähnlicher Varietäten im Ausland zu beobachten, in denen sie dem normativen Druck des Standarddeutschen nicht oder weniger ausgesetzt sind, da entweder die Varietät selbst zum Standard erhoben wurde (Luxemburg), oder die Varietät eine Minderheitensprache ist, da sie kein Dialekt der Amtssprache ist (Lothringisch in Frankreich). Im Saarland sind schließlich die Dialekte lebendiger und weniger stigmatisiert als andernorts, so dass hier tatsächlich reale Entwicklungen zu beobachten sind. Neben diesen eher objektiven Gründen, die einen Workshop im anvisierten Format attraktiv machen, spielen auch Überlegungen innerhalb des Lehrstuhls eine gewisse Rolle, einen Dialektsyntaxatlas nach dem Vorbild von SyHD oder SynAlm auch für das Saarland und die angrenzenden Regionen zu erarbeiten. Die Planungen zu diesem Projekt, das wir zusammen mit Alexandra Lenz durchzuführen gedenken, sind schon recht weit fortgeschritten, auch dank des Inputs, den wir durch die Diskussionen beim SaRDiS erhalten haben. Dies im Hinterkopf organisierten wir den ersten SaRDiS am 7. und 8. November 2014. Wir hatten eine Fülle von hochinteressanten Beiträgen, die zu sehr
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fruchtbaren Diskussionen führten; da es uns wichtig war, der Diskussion angemessenen Raum zu geben, haben wir uns entschlossen, vom üblichen 20 + 10 Minuten Schema abzuweichen und den einzelnen Vorträgen mehr Raum zu geben (30 + 15 Minuten). Außerdem wurde die Konferenz reichlich mit Kaffeepausen bestückt, in denen die Diskussionen in etwas entspannterer Form weitergeführt werden konnten. Das Echo war positiv, so dass wir den ursprünglichen Plan, eine regelmäßige Institution daraus zu machen, weiter verfolgen konnten. Was von vorneherein geplant war, um dem Workshop ein größeres Gewicht zu verleihen und der Vernetzung und den Ergebnissen der Diskussionen eine permanente Form zu geben, war die gleichzeitige Herausgabe der Beiträge des Workshops in gesammelter Form, jedoch nicht als ‚graue‘ Konferenzakten oder als klassischer Sammelband, sondern, dem hohen theoretischen Anspruch des Workshops entsprechend, als Sonderband unter dem Dach einer renommierten einschlägigen Zeitschrift. Die ZDL war der offenkundige Kandidat dafür; glücklicherweise fand die Idee Zuspruch von Seiten des Redaktionsteams der ZDL, wofür wir herzlich danken. Besonderer Dank gilt hier Jürg Fleischer, dem wir die Idee zuerst vorgestellt haben und der dieselbe seither rege unterstützt hat. Der vorliegende Band enthält Beiträge zum ersten SaRDiS-Treffen 2014. Die Aufsätze sind – soweit möglich – thematisch nach den betroffenen linguistischen Einheiten geordnet: 1. Syntax nominaler Konstituenten (Personalpronomen, nominale Ellipse), 2. Syntax grammatischer Kategorien des Verbs (Verlaufsform, Negation), 3. Besetzung und Wortstellung innerhalb der topologischen Felder (Objektabfolge im Mittelfeld, Nachfeldbesetzung), 4. Mittel zur Satzverknüpfung (Komplementiererflexion) und 5. Methodische Fragen (direkte und indirekte Erhebung dialektsyntaktischer Daten). CAROLINE DÖHMER nimmt in ihrem Beitrag eine neue Beschreibung und Analyse des luxemburgischen Pronominalsystems vor, die auf einem umfangreichen Textkorpus beruhen. Sie zeigt auf, dass es bei den vollen, reduzierten und klitischen Formen gewisse Präferenzmuster für die jeweiligen Referenten gibt. Ein besonderer Fokus liegt hierbei auf den semantischen und pragmatischen Referenzspektren der 3. Person Singular. Strategien nominaler Ellipsen können je nach deutschsprachigem Dialektraum sehr unterschiedlich aussehen. Dies zeigt THOMAS STROBELS Beitrag zu einem Phänomen, das auch in vielen anderen westgermanischen Sprachen wie Niederländisch und Englisch auftritt. Er zeigt zunächst, dass das Weglassen lexikalischer Nomen in Nominalphrasen des Deutschen vergleichsweise weniger durch morphosyntaktische Auftretensbedingungen wie Definitheit und Zählbarkeit des Bezugsnomens sowie Beschaffenheit (prä-)nominaler Modifikatoren restringiert ist. Abschließend wird diskutiert, inwiefern die jeweiligen Flexionssysteme den sprachspezfischen Unterschieden Rechnung tragen können und welche weiteren Alternativen als Erklärungsmöglichkeiten herhalten. CHRISTIAN RAMELLI fand für die Rheinische Verlaufsform (RV), auch amProgressiv genannt, heraus, dass deren Verwendung mit transitiven Verben im westmittelhochdeutschen Dialektraum sich graduell unterschiedlich auswirkt, und zwar in Abhängigkeit ihres Grammatikalisierungsstadiums. Desweiteren wird der
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Frage nachgegangen, ob für die RV syntaktische Isoglossen formuliert werden können. JULIA SCHÜLER greift eine alte, aber ungeklärte Frage zur mittelhochdeutschen Negationssyntax wieder auf, nämlich die nach dem Verbleib der aus dem Althochdeutschen ererbten präverbalen Partikel ne/en. Neu ist dabei das Untersuchungsmaterial, das für dialektsyntaktische Fragen noch so gut wie gar nicht verwendet worden ist. Es handelt sich um Urkunden aus dem ausgehenden 13. Jahrhundert. Erste Auswertungen von mit niht negierten Sätzen bestätigen diatopisch variable Abbautendenzen. Desweiteren können Indizien festgestellt werden, die für eine z. T. prosodische Ursache der Nicht-Verwendung sprechen. Darüber hinaus wird ein Zusammenhang mit dem zeitgleichen Verschwinden von Ausdrücken negativer Polarität hypothetisiert. PHILIPP RAUTH widmet sich der Abfolge nicht-pronominaler Objekte ditransitiver Verben im Satzmittelfeld. Vor dem Hintergrund der mutmaßlichen Korrelation des Grades an Kasusmorphologie mit der Freiheit der Objektabfolge, wie sie z. B. für die modernen romanischen Sprachen angenommen wird, untersucht er anhand einer Korpusstudie den potenziellen Einfluss der verschiedenen dialektalen Kasusflexionssysteme deutscher Dialekte auf die Objektabfolge. AUGUSTIN SPEYER untersucht in seinem Beitrag die Nachfeldsetzung in bairischen und ostmitteldeutschen Quellen aus dem 15. und dem 19. Jahrhundert. Ausgehend von der Idee, dass Nachfeldsetzung als Strategie zur Informationsentflechtung herangezogen werden kann, stellt er fest, dass dies für die Texte des 15. Jh. über Dialektgrenzen hinweg zutrifft (wo im Nachfeld bevorzugt neue Information steht), im 19. Jh. dagegen nur im Ostmitteldeutschen eine Korrelation zwischen Informationsstruktur und Nachfeldsetzung herrscht, im Bairischen hingegen nicht. ISABELLA BOHN und HELMUT WEISS wenden sich den Phänomenen Complementizer Agreement (CA) und First Conjunct Agreement (FCA) zu. Sie erweitern bisherige Quellen bzw. empirische Daten durch Ergebnisse des Projekts SyHD und belegen damit nicht nur die Verbreitung der Phänomene, sondern stellen die gängige Entstehungstheorie von CA sowie die bisherigen FCA-Analysen in Frage. Der Band wird durch einen Beitrag mit methodologischem Schwerpunkt abgerundet. ALEXANDRA N. LENZ gibt hierbei zunächst einen genaueren Einblick in das SyHD-Projekt (s. o.) und erläutert detailliert und mit Blick auf Absichten und Herausforderungen in Bezug auf die Konzeption bestimmte Aufgabentypen, wie sie zur direkten und indirekten Erhebung von Daten für das Dativpassiv eingesetzt worden sind. Es handelt sich hier zum einen um Bildergeschichten und Videoclips, die den Informanten eine Beschreibung mit der gewünschten Konstruktion „entlocken“ sollten, und zum anderen um sog. Multiple-Choice-Aufgaben, von denen ein Satz mit Dativ-Passiv eine Option neben anderen Konstruktionen darstellte, aus denen Informanten ihren sprachlichen Präferenzen entsprechend wählen konnten. LENZ zeigt die verschiedenen Möglichkeiten auf, die Ergebnisse zu vergleichen und stellt fest, dass sich mit der Kombination verschiedener und inhaltlich abgestimmter Aufgabentypen, sowohl direkt als auch indirekt angewandt, die inter- und intraindividuelle Variation der Sprecher besonders gut erfassen lässt.
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Wir hoffen, dass die dialektsyntaktische Diskussion durch diese Aufsätze weiter angeregt wird – außerhalb des SaRDiS, noch besser aber auf den nächsten Treffen des SaRDiS. Saarbrücken, den 15. März 2016 Augustin Speyer, Philipp Rauth, Julia Schüler, Julia Stark LITERATUR BAYER, JOSEF (1984): COMP in Bavarian syntax. In: The Linguistic Review 3, 209–274. FLEISCHER, JÜRG (2014): Kontinentalwestgermanische Syntax flächendeckend: Resultate aus Analysen der Wenker-Materialien. Vortrag auf dem Saarbrücker Runden Tisch für Dialektsyntax (SaRDiS), 06.–08.11.2014. Universität des Saarlandes. FLEISCHER, JÜRG (2015): Pro-Drop und Pronominalenklise in den Dialekten des Deutschen: eine Auswertung von Wenkersatz 12. In: ELMENTALER, MICHAEL / MARKUS HUNDT / JÜRGEN E. SCHMIDT (Hg.): Deutsche Dialekte: Konzepte, Probleme, Handlungsfelder. Akten des 4. Kongresses der Internationalen Gesellschaft für Dialektologie des Deutschen (IGDD). Stuttgart: Steiner (Zeitschrift für Dialektologie und Linguistik. Beihefte. 158), 191–209, 504–505 [Karten]. FLEISCHER, JÜRG / OLIVER SCHALLERT (2011): Historische Syntax des Deutschen. Eine Einführung. Tübingen: Narr. GLASER, ELVIRA (2008): Syntaktische Raumbilder. In: PATOCKA, FRANZ / PETER ERNST (Hg.): Dialektgeographie der Zukunft. Akten des 2. Kongresses der Internationalen Gesellschaft für Dialektologie des Deutschen (IGDD). Stuttgart: Steiner (Zeitschrift für Dialektologie und Linguistik. Beihefte. 135), 85–111. HERRGEN, JOACHIM (2001): Die Dialektologie des Deutschen. In: AUROUX, SYLVAIN / E. F. K. KOERNER / HANS-JOSEF NIEDEREHE / KEES VERSTEEGH (Hg.): Geschichte der Sprachwissenschaften. Berlin/New York: de Gruyter (Handbücher zur Sprach- und Kommunikationswissenschaft 18.2), 1513–1535. MAURER, FRIEDRICH (1926): Untersuchungen über die deutsche Verbstellung. Heidelberg: Winter. RIZZI, LUIGI (1997): The fine structure of the left periphery. In: HAEGEMAN, LILIANE (Hg.): Elements of Grammar: A Handbook of Generative Syntax. Dordrecht: Kluwer, 281–337. WEGERA, KLAUS-PETER (2000): Grundlagenprobleme einer mittelhochdeutschen Grammatik. In: BESCH, WERNER / ANNE BETTEN / OSKAR REICHMANN / STEFAN SONDEREGGER (Hg.): Sprachgeschichte. Ein Handbuch zur der Geschichte der deutschen Sprache und ihrer Erforschung. 2., vollständig neu bearbeitete Auflage. Berlin/New York: de Gruyter (Handbücher zur Sprach- und Kommunikationswissenschaft 2.4), 1304–1320. WEISS, HELMUT (2004): Vom Nutzen der Dialektsyntax. In: PATOCKA, FRANZ / PETER WIESINGER (Hg.): Morphologie und Syntax deutscher Dialekte und historische Dialektologie des Deutschen. Wien: Edition Praesens, S. 21–41. ZWART, JAN-WOUTER (1993): Clues from dialect syntax: Complementizer agreement. In: ABRAHAM, WERNER / JOSEF BAYER (Hg.): Dialektsyntax. Opladen: Westdeutscher Verlag (Linguistische Berichte Sonderheft 5), 246–270.
FORMENBESTAND UND STRUKTURELLE ASYMMETRIEN DER PERSONALPRONOMEN IM LUXEMBURGISCHEN1 Caroline Döhmer 1
EINLEITUNG
Die Beschäftigung mit Personalpronomen vereint mehrere linguistische Teilgebiete: Phonologie (Betonungs- und Aussprachemuster), Morphologie (Formeninventar, Flexionskategorien), Syntax (Stellungsrestriktionen, Serialisierung), Semantik (Referenzmöglichkeiten) und Pragmatik (Positionierung des Sprechers zum Gesagten). Die vorliegende korpusgestützte Studie hat zum Ziel, diese Bereiche für die luxemburgischen Personalpronomen empirisch zu untersuchen. Bislang beschränken sich die Analysen zum Pronominalsystem im Luxemburgischen auf die Übersichtsgrammatiken von BRUCH (1955) und SCHANEN / ZIMMER (2012) sowie den Beitrag von KRIER (2002). Insgesamt werden die dortigen Darstellungen zu wenig problematisiert und sind zum Teil ohne klaren empirischen Bezug. Im vorliegenden Beitrag wird also eine neue, empirische Beschreibung des Systems unternommen. Eine Untersuchung dieses Themenkomplexes dient einerseits der Darstellung der luxemburgischen Sprachstruktur, andererseits ebnet eine solche Studie den Weg für weitere Themen, etwa die pronominale Serialisierung im Mittelfeld, das Verhältnis zwischen pronominalen und nominalen Objekten oder Wortstellungspräferenzen im Allgemeinen. Nach der Vorstellung des Paradigmas der Personalpronomen werden deren strukturelle Eigenschaften auf zwei Ebenen untersucht: Die Ebene der Semantik zeigt die unterschiedlichen Referenzspektren der Pronomen; weiterhin werden auch soziopragmatische Faktoren beschrieben, wie sie für die Referenz auf weibliche Personen bestehen (mit Neutrum oder Femininum). Die syntaktische Ebene bezieht sich auf die verfügbaren Satzpositionen der unterschiedlichen Pronomen und es soll versucht werden, eine pronominale Typologie für das Luxemburgische zu entwerfen. Hierbei liegt der Fokus vor allem auf der syntaktischen Distribution der vollen und reduzierten Formen. Zudem werden konzeptuelle und terminologische Fragen für die Handhabung der aufgezeigten pronominalen Asymmetrien diskutiert. Das letzte Kapitel fasst schließlich alle Ergebnisse zusammen und zeigt, wie die deskriptive Analyse dieses Beitrags weiterhin ausgebaut werden kann.
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Für nützliche Hinweise und Kommentare danke ich insbesondere Damaris Nübling.
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Caroline Döhmer
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EMPIRISCHE GRUNDLAGE
Luxemburgisch (Lëtzebuergesch in der Landessprache) ist die Nationalsprache des Großherzogtums Luxemburg. Aufgrund seiner geografischen Lage und als Ergebnis unterschiedlicher historischer Ereignisse pflegt das Land eine Dreisprachenpolitik mit Luxemburgisch, Deutsch und Französisch (vgl. GILLES / MOULIN 2003, 303). Aus sprachhistorischer Perspektive ist das Luxemburgische ein moselfränkischer Dialekt. Luxemburgisch gilt als vornehmlich mündlich realisierte Verkehrssprache unter der einheimischen Bevölkerung und genießt bei den Luxemburgern sehr hohes Prestige (vgl. GILLES / MOULIN 2003, 305). Die Sprache erfährt derzeit einen starken Ausbau in der schriftlichen Domäne, hauptsächlich hervorgerufen durch Handy- und Internetkommunikation (vgl. GILLES / MOULIN 2003, 310). Die empirische Grundlage dieses Beitrags besteht aus einem umfangreichen Korpus (ca. 62,5 Mio. Token), das luxemburgische Texte aus den vergangenen 15 Jahren beinhaltet. Der Großteil der Textsorten ist internetbasiert. Hierzu zählen unter anderem Kommentare auf Internetplattformen, Foren, Chatgespräche, die luxemburgische Wikipedia (Stand 2013) oder Online-Nachrichten. Daneben sind auch mündlich realisierte Texte im Korpus zu finden wie zum Beispiel Protokolle aus der Abgeordnetenkammer und Gemeinderäten, transkribierte Familiengespräche oder politische Interviews. Die hier zusammengetragenen Textsorten bilden eine bislang unstrukturierte Datenmasse, denn die luxemburgischen Texte sind weder standardisiert noch annotiert. Dennoch kann dieses Korpus auf deskriptiver Ebene als Basis genutzt werden, um Hinweise auf die zugrundeliegenden Strukturen zu erhalten. Aus dem Korpus werden gezielt Stichproben entnommen, um Kategorien zu entwickeln, die zu einem späteren Zeitpunkt empirisch überprüft werden können. Die vorliegende Untersuchung liefert demnach Beispielanalysen, die zunächst dazu dienen, erste Tendenzen und Strukturen abzuleiten. 3
DAS FORMENINVENTAR
Die folgende Tabelle zeigt das Paradigma der im Luxemburgischen gebräuchlichen Personalpronomen (in Anlehnung an KRIER 2002, 44; SCHANEN / ZIMMER 2012, 156).2 Die erstgenannte Form zeigt immer die Vollform und die zweitgenannte die reduzierte Form.3 Beide Formen existieren sowohl auf mündlicher als
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SCHANEN / ZIMMER (2012, 156) nehmen auch den Genitiv in das Paradigma auf. Aufgrund der eingeschränkten Produktivität dieser Formen wird der Genitiv hier nicht miteinbezogen. Zu einer Überblicksdarstellung des Genitivgebrauchs im Luxemburgischen vgl. DÖHMER (angenommen). Die hier verwendete Terminologie von voll und reduziert findet sich unter anderem bei KRIER (2002, 44) und wird in Kapitel 6 problematisiert. Auch andere Dialekte des Deutschen kennen diese Doppelparadigmen mit vollen und reduzierten Varianten. Hierzu gehören unter anderem
Personalpronomen im Luxemburgischen
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auch auf schriftlicher Ebene, d. h., dass die Reduktionsformen nicht nur der gesprochenen Sprache zugeschrieben werden können. Num. Pers. Genus 1.
–
2.
– mask.
SG. 3.
neutr. fem.
PL.
1.
–
2.
–
3.
–
Nominativ Akkusativ Dativ ech / (ch) mech mir / mer [əɕ]4 [məɕ] [miə] / [mɐ] du / de dech dir / der [duː] / [də] [dəɕ] [diə] / [dɐ] hien / en [hiən] / [ən] him / em [him] / [əm] hatt / et / ‘t [hɑt] / [ət] / [t] si / se hir / er [ziː] / [zə] [hiə] / [ɐ] mir / mer eis~ons5 [miə] / [mɐ] [ɑɪs] / [ons] dir / der iech [diə] / [dɐ] [iəɕ] si / se hinnen / (en) [ziː] / [zə] [hinən] / [ən]
Tab. 1: Luxemburgische Personalpronomen
Die Pronomen der ersten Person Singular sind nach Kasus unterteilt: ech, mech, mir/mer. Die Nominativ- und die Akkusativform beinhalten beide ein Schwa und weisen im Gegensatz zum Dativ keine Varianten auf.6 Einzelbelege aus dem Korpus zeigen, dass selbst der Vokal im Nominativ getilgt werden kann (ech > ch)7. Die meisten dieser Belege stammen jedoch aus einem Chatroom, in dem vorrangig Teenager miteinander chatten und jugendsprachliche Stilmittel einen schwer einschätzbaren Faktor darstellen. Auch die zweite Person Singular (du/de, dech, dir/der) unterscheidet zwischen Nominativ, Akkusativ und Dativ. Erneut verfügt die Form mit Schwa im
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das Schweizerdeutsche (Schweizerisches Idiotikon digital), das Zimbrische (SCHWEIZER 2008) oder die Mundart von Pforzheim (SEXAUER 1927). Die phonetischen Transkriptionen wurden eigenhändig angefertigt und basieren auf dem Transkriptionssystem von GILLES / TROUVAIN (2013). Aus der Forschungsliteratur geht nicht hervor, wie diese beiden Formen zu bewerten sind: Bei KRIER (2002, 45) und im Luxemburgischen Sprachatlas (BRUCH 1963, Karte 84) werden sie als dialektale Formen geführt, bei SCHANEN / ZIMMER (2012, 108) als koexistierende Varianten. Die Markierung mit einer Tilde grenzt sich vom Schrägstrich insofern ab, als es sich hier um ein Formpaar mit ungeklärter Relation handelt. Der Luxemburgische Sprachatlas (vgl. BRUCH 1963, Karte 49) zeigt allerdings Belege für volltonige Pronomen ([ɛç], [eç]). Diesem Phänomen müsste in einer diachronen Studie weiter nachgegangen werden. Beispiel: chkann sou net schaffen ‘ich=kann so nicht arbeiten’.
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Akkusativ über keine weitere Variante. Das nominativische du sowie das dativische dir existieren auch in den entsprechenden reduzierten Varianten de und der. In formaler Hinsicht unterscheiden sich die Personalpronomen der dritten Person Singular (hien/en, him/em; hatt/et/’t, him/em; si/se, hir/er) wie im Standarddeutschen zusätzlich nach Genusmerkmalen (mask., neutr., fem.), wobei das Genus durch den Referenten vorgegeben wird (allein für die Referenz auf weibliche Personen gibt es Besonderheiten, die im anschließenden Kapitel aus funktionalpragmatischer Perspektive näher betrachtet werden). Ähnlich wie bei luxemburgischen Substantiven hat die Akkusativform den Nominativ verdrängt (vgl. BRUCH 1955, 45). Ein weiterer Synkretismus besteht im Dativ: hier sind Maskulinum und Neutrum formgleich (him/em) – sowohl in der vollen als auch in der reduzierten Variante. Bei den Reduktionsvarianten gilt, dass das Neutrum der dritten Person im Nominativ/Akkusativ über drei unterschiedliche Formen verfügt (hatt/et/’t). Auch bei den Pluralformen der dritten Person sind Nominativ und Akkusativ formgleich. Außerdem ist die nicht-oblique Form si/se identisch mit dem Femininumpronomen im Singular. Bei SCHANEN / ZIMMER (2012, 156) wird darüber hinaus eine reduzierte Dativform en aufgelistet. Diese Form ist jedoch äußerst selten und findet sich meistens in Verbindung mit einem Pluralmarker (beispielsweise in Form eines Indefinitpronomens): mat en alleguer ‘mit ihnen allen’. Für die erste und zweite Person Plural (mir/mer, eis~ons; dir/der, iech) können andere Formgleichheiten festgehalten werden: Die Nominativform (mir/mer; dir/der) ist an der Oberfläche identisch mit den entsprechenden Dativformen der ersten und zweiten Person Singular. Interessant ist auch der Synkretismus von Akkusativ und Dativ (eis~ons; iech), der angesichts einer allgemeinen Tendenz des Zusammenfalls von Akkusativ und Nominativ im Luxemburgischen nicht zu erwarten ist (vgl. BRUCH 1955, 45; SCHANEN / ZIMMER 2012, 105). Ein derartiger Synkretismus ist demnach untypisch für die luxemburgische Kasustypologie. Darüber hinaus zeigen die Akkusativ-Dativformen (eis~ons, iech) keine reduzierten Varianten. Ausgehend von dem eben beschriebenen Formeninventar werden nun die unterschiedlichen Funktionen der Pronomen eingehend untersucht. Aus semantischer Sicht werden die Referenzbedingungen der phorischen Pronomen geklärt und aus syntaktischer Sicht die formalen Beziehungen und Funktionen herausgearbeitet. Die korpusgestützte Analyse geht dabei folgenden Leitfragen nach: – Gibt es einen funktionalen Unterschied zwischen Voll- und Reduktionsformen? Welche referenziellen Aspekte spielen hier eine Rolle? – In welcher Relation stehen Femininum und Neutrum bei der Referenz auf weibliche Personen? – Wie ist die syntaktische Distribution der einzelnen Formen? Welche Faktoren können die Satzposition beeinflussen? – Wie lassen sich pronominale Gebrauchsmuster kohärent und systematisch darstellen?
Personalpronomen im Luxemburgischen
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SEMANTISCHE ASYMMETRIEN BEI DER DRITTEN PERSON SINGULAR
Das Paradigma (Tab. 1) zeigt für den Großteil der Pronomen zwei unterschiedliche Formen, sowohl auf der lautlichen als auch auf der orthografischen Ebene.8 Laut KRIER (2002, 41–42) treten diese sowohl im Lento- als auch im Allegrostil auf, d. h. sie sind nicht direkt vom Sprechtempo abhängig. Darüber hinaus stellt KRIER (2002, 49) fest, dass beide Pronomentypen hochfrequent sind und die Wahl „individuell bedingt“ sein kann. Ihre empirische Studie zur Sprache in der Abgeordnetenkammer (offizielle schriftliche Protokolle der Sitzungen) zeigt, dass in 56,75 % der Fälle ein volles und in 43,25 % ein reduziertes Pronomen gewählt wurde. Allerdings wird in dieser Studie nicht auf die funktionale Verteilung dieser Formen eingegangen, sodass nicht klar wird, warum und in welchen Fällen manche Formen häufiger eingesetzt werden. Ähnlich verhält es sich mit der Frequenzangabe von BRUCH (1955, 59–60), der allerdings eine umgekehrte Verteilung beobachtet. Er geht davon aus, dass die Reduktionsformen häufiger auftreten, wobei seine Quelldaten an keiner Stelle belegt sind bzw. nicht ausgeschlossen werden kann, dass es sich hier lediglich um Vermutungen handelt. SCHANEN / ZIMMER (2012, 157) führen die Varianten hauptsächlich auf prosodische Muster zurück. Was die meisten Autoren, die sich bislang mit den luxemburgischen Pronomen beschäftigt haben, nicht berücksichtigen, sind die semantischen Referenzspektren der Pronomen, also die Möglichkeit von Pronomen, auf unterschiedliche Entitäten zu referieren. Bei BRUCH (1955, 61) etwa werden nahezu ausnahmslos Personen als Referenten gewählt: „Hatt (et, ‘t) ass op d’Klape versiess“ ‘Sie ist auf das Tratschen versessen’. Auch zur genauen Distribution der jeweiligen Varianten wird nichts angegeben. Allein bei SCHANEN / ZIMMER (2012, 157) wird auf die eingeschränkte Referenzmöglichkeit hingewiesen, was jedoch nicht weiter substanziiert wird. Die vorliegende Studie knüpft genau an diesem Punkt an und soll anhand von Korpusbelegen zeigen, wie das Zusammenspiel von Form und Funktion im Bereich der Pronomen im Luxemburgischen abläuft. Dass es für die Pronomen der dritten Person Singular spezifische Funktionsdomänen gibt, zeigt sich im Hinblick auf die semantisch-pragmatischen Aspekte. Aufgrund der nahen Verwandtschaft zwischen Luxemburgisch und Deutsch können hier Parallelen zum standarddeutschen System gezogen werden. Die erste und die zweite Person manifestieren sich direkt im Gespräch, sodass der Referent aufgrund der Redekonstellation eindeutig als Sprecher oder Adressat zu bestimmen ist.9 Sprecher und Adressat(en) werden also „durch die situativ gesicherte Eindeutigkeit des Referierens“ identifiziert (EISENBERG 2006, 173) und sind somit an bestimmte Personen gebunden. Die Formen der dritten Person Singular hingegen 8 9
Die aufgeführten Formen entsprechen der aktuellen Standardorthografie des Luxemburgischen (1999). Beim Adressaten kann es sich um eine Person oder ein personifiziertes Objekt handeln. Man stelle sich etwa einen Kontext vor, in dem man zu seinem Drucker sagt: ‚Warum erkennst du die Patrone auf einmal nicht mehr?’.
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werden zusätzlich nach Genus differenziert, da das mögliche Referenzspektrum in unterschiedlicher Weise Menschen, Gegenstände oder Abstrakta umfassen kann (diese Spektren sind im Luxemburgischen nicht für alle Pronomen der dritten Person gleichermaßen verfügbar, vgl. das folgende Kapitel). Laut EISENBERG (2006, 173) dient die Genusunterscheidung bei dieser Menge an potentiellen Referenten in der Welt zur besseren Identifizierung des Referenzobjekts. Die allgemeine Referenzfixierung der Personalpronomen (vgl. DUDENGRAMMATIK 2006, 270–274; EISENBERG 2006, 170–171) sowie ihre formalen Entsprechungen im Luxemburgischen sind in der folgenden Tabelle zusammengefasst. Num.
Person 1 2
1
Form ech du hatt hien si mir
2
dir
3
si
SG. 3
PL.
Referenzfixierung sprechende Pers. angesprochene Pers. phorisch für Menschen10 / Tiere mit Rufnamen11 phorisch für Menschen / Gegenstände phorisch für Menschen / Gegenstände / Abstrakta mehrere Sprecher (+ ich), inkl. / exkl.12 mehrere Sprecher (+ du) Höflichkeitsform (einer oder mehr) phorisch für Mengen
Tab. 2: Allgemeine Referenzfixierung von Pronomen (Vollform)
Auch wenn das Standarddeutsche auf morphologischer Ebene nicht zwischen unterschiedlichen pronominalen Formen unterscheidet, weist die DUDENGRAMMATIK (2006, 277) auf die folgende Betonungsrestriktion hin: „Betonte Personalpronomen können sich nur auf Personen (oder Lebewesen) beziehen.” Dies soll anhand von folgendem Beispiel verdeutlicht werden (Beispiel angelehnt an DUDEN-GRAMMATIK 2006, 277). (1)
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Ihn brauchst du nicht. a) Referent: Otto b) Referent: ?ein Hammer Neutra können nur auf Rufnamen und Künstlernamen referieren. Als Ausnahme gelten allein die Begriffe Framënsch (Sg., neutr.) ‘Frau’ – ohne pejorative Konnotation – und Meedchen (Sg., neutr.) ‘Mädchen’ (vgl. NÜBLING 2015, 254). Spricht man beispielsweise über eine Hündin namens Maja, heißt es: Huet hatt scho gefriess? ‘Hat sie schon gefressen?’. Im Gegensatz zum deutschen Appellativ Hündin existiert im Luxemburgischen keine movierte Form zu Hond oder Mupp ‘Hund’. Eine Referenz auf einen weiblichen Hund erfolgt demzufolge entweder über ein Pronomen im Neutrum (bei Bezug auf Rufnamen) oder im Maskulinum (bei Bezug auf die Gattungsbezeichnung Hond bzw. Mupp, beide Maskulina). Die unterschiedlichen Lesarten der ersten Person Plural stehen an dieser Stelle nicht im Fokus. Zur parallelen Verwendung im Deutschen vgl. DUDEN-GRAMMATIK (2006, 271).
Personalpronomen im Luxemburgischen
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In diesem deutschen Beispiel ist der Referent in (a) die Person „Otto“, in (b) hingegen „ein Hammer“ und somit unbelebt. In a) kann das Pronomen im Akkusativ im Vorfeld betont werden. Satz (b) ist laut DUDEN-GRAMMATIK (2006) nicht ungrammatisch, jedoch weniger akzeptabel als Variante (a). Um das Referenzspektrum der Personalpronomen der dritten Person für das Luxemburgische zu beschreiben, beschränkt sich der Großteil der Analyse auf die Daten von wikipedia.lu (ca. 3,7 Mio. Token, Stand 2013). Die Eingrenzung auf dieses Teilkorpus bietet gleich mehrere Vorteile: In diesem Textsample finden sich zahlreiche Referenzobjekte unterschiedlichster Art. Zugleich weisen die einzelnen Einträge eine hohe Textkohäsion auf, da mehrere zusammenhängende Äußerungen zu dem jeweiligen Thema gemacht werden. Durch den Korrekturmodus auf der Seite sind die Texte orthografisch stärker standardisiert, sodass die Wortsuche deutlich erleichtert wird. Aus den Daten geht hervor, dass sich die drei Genera in der Vollform (hien, hatt, si) jeweils unterschiedlich in Bezug auf die verfügbaren Referenten verhalten. Um die Referenten aus dem Sample sinnvoll klassifizieren zu können, wird dabei auf eine semantisch motivierte Skala zurückgegriffen (da die Semantik offensichtlich die Wahl des Pronomens einschränkt). Diese Skalen bzw. Hierarchien sind jedoch nicht unproblematisch, denn oft werden dabei unterschiedliche Konzepte von Individualisierung, Animatizität und anderen – teilweise formalen – Kategorien vermischt (zur Diskussion vgl. KASPER 2015, 368 ff.). Ein anderes Hindernis ist das Einordnen empirischer Daten in theoretische Modelle. Diese Modelle werden zwar häufig mit Beispielen illustriert, doch dabei handelt es sich immer um prototypische Vertreter, sodass eine Einordnung weiterer, nicht prototypischer Elemente ein komplexes Unterfangen darstellt (zur weiteren Problematisierung und konkreten Anwendung dieser Skalen vgl. DÖHMER, in Vorbereitung). Dennoch gibt es für die Personalpronomen der dritten Person Singular semantische Faktoren, welche die Funktionalität der Formen (i. S. v. Referenzmöglichkeiten) deutlich einschränken. Diese gehen hauptsächlich auf die Kriterien [+/– menschlich], [+/– abstrakt] und [+/– individuiert] zurück. Die Skala von SZCZEPANIAK (2011, 345) bietet eine sinnvolle Einteilung, da sie besonders auf den Individualitätsgrad eingeht. Letzterer ist für die Pronominalisierung von singularischen Substantiven von großer Bedeutung, da hiermit einzelne Referenten deutlicher spezifiziert werden können (auch im Hinblick auf das hier verwendete Wikipedia-Sample). (2)
Prototypische Individua (vgl. SZCZEPANIAK 2011, 345) Menschen Tiere Pflanzen Gegenstände Abstrakta zunehmender Individualitätsgrad
Ordnet man nun die Belege in diese Kategorien ein, kann man erkennen, dass die Vollform im Neutrum im verwendeten Sample nur auf weibliche Personen referiert. Im gesamten Wikipedia-Sample gibt es nur 42 Belege für hatt. Um die Genera untereinander vergleichen zu können, wurden die Ergebnisse der maskulinen
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und femininen Vollformen auf 50 reduziert (es wurden jeweils die ersten 50 Treffer kategorisiert, ohne selektiven Zugriff).13 (3)
Vollform hatt (neutr.), n= 42 Menschen > Tiere > Pflanzen > Gegenstände > Abstrakta 100 % * *keine Belege im Sample, vgl. jedoch Bsp. (6)
(4)
Vollform hien (mask.), n= 50 Menschen > Tiere > Pflanzen > Gegenstände > Abstrakta 28 %* 70 % 2% 0 %14 *hierzu zählen auch kosmische Objekte (Himmelskörper)
(5)
Vollform si (fem.), n= 50 Menschen > Tiere > Pflanzen > Gegenstände > Abstrakta 22 % 0 %15 8% 52 % 18 %
Bei den Belegen fällt auf, dass es sich bei nicht-menschlichen Referenten oft um individualisierte Pflanzen, Orte oder Gegenstände handelt. Die Individualisierung erfolgt in den meisten Beispielen über eine besondere onymische Kennzeichnung, beispielsweise de julianesche Kalenner (mask.) ‘der julianische Kalender’ oder d’Markus-Plaz (fem.) ‘der Markus-Platz’. Bei den Maskulina tritt dies besonders häufig auf. Feminina hingegen finden sich auch ohne eine solche Spezifizierung: d’Hausstëbsallergie (fem.) ‘die Hausstauballergie’ oder d’Medezin (fem.) ‘die Medizin’ (als Fakultät). Die Hierarchien in (3)–(5) zeigen, dass der Zugriff auf Referenten unterschiedlicher semantischer Klassen für Neutra deutlich stärker reduziert ist als für Maskulina. Feminine Vollformen hingegen können auf sämtliche Substantive referieren. Es muss allerdings darauf hingewiesen werden, dass diese Daten weiteren Kriterien unterliegen (etwa die allgemeine Verteilung von Genus bei luxemburgischen Substantivklassen oder die beschränkte Auswahl der online verfügbaren Wikipedia-Artikel), die in diesem Ausschnitt nicht weiter berücksichtigt werden, da es sich um eine erste Kategorisierung und eine vereinfachte Überblicksdarstellung handelt. Die folgenden Beispiele aus dem gesamten Wikipedia-Sample (Tab. 3) zeigen, welche Referenzobjekte für die Vollformen zur Verfügung stehen. Dabei 13
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Die Suchanfrage für feminine und maskuline Pronomen wurde mit hie gëtt (n=120) bzw. si gëtt (n=184) ‘er/sie wird’ umgesetzt. Dies ermöglicht eine überschaubare Trefferzahl und zeigt zudem auch Kontexte, in denen das Pronomen keine Agensrolle einnehmen muss, da agentative Substantive meistens belebt sind. Aus dem kleinen Sample (50 Belege) konnten keine entsprechenden Beispiele entnommen werden. Im gesamten Wikipedia-Korpus findet man hingegen auch Referenten aus der Klasse der Pflanzen, beispielsweise Bam (mask.) ‘Baum’. Auch wenn das kleine Sample mit 50 Belegen keine Tiere als Referenten beinhaltet, so finden sich Beispiele in der gesamten Wikipedia-Datei, etwa Kou (fem.) ‘Kuh’.
Personalpronomen im Luxemburgischen
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können die Skalen aus (3)–(5) im Sinne einer Akzessibilitätshierarchie nach KEENAN / COMRIE (1977, 66) verstanden werden, wie sie für Relativisierungsstrategien angesetzt wurde. Dies bedeutet, dass, wenn Maskulina auf die Klasse Gegenstände referieren können, sie ebenfalls für die Elemente der Klassen auf der linken Seite der Skala verwendet werden können (Menschen, Tiere, Pflanzen). Für die folgende Auflistung wurden demnach bewusst jene Beispiele ausgewählt, die sich auf der Skala am weitesten rechts befinden, d. h., dass alle Substantivklassen, die sich links davon befinden, potentiell ebenfalls verfügbar sind (die 0 %-Werte aus (3)–(5) ergeben sich leider aus dem kleinen Sample, im Gesamtsample konnten jedoch entsprechende Belege zugeordnet werden, vgl. Fußnoten 14 und 15).
Neutr.
Substantivklasse Mensch
Beispielreferent (wikipedia.lu) Lisa Simpson
Mask.
Pflanze
deen déckste Bam ‘der dickste Baum’ de Boomerang-Niwwel ‘der BoomerangNebel’
Gegenstand
Fem.
Abstraktum
d’Zuel Zwielef ‘die Zahl zwölf’
Beispielsatz (wikipedia.lu) Hatt ass intelligent a fläisseg. ‘Sie ist intelligent und fleißig.’ Hien hat [...]en Ëmfank vun 3,51 m. ‘Er hat einen Umfang von 3,51 m.’ Hien ass ronn 5.000 Liichtjoer vun eiser Äerd ewech. ‘Er ist rund 5000 Lichtjahre von unserer Erde entfernt.’ Si ass gerued. ‘Sie ist gerade.’
d’quantesch Feldtheorie ‘die quantische Feldtheorie’
Si ass an de spéidere 1940er Joren entstan. ‘Sie ist in den späten 1940er Jahren entstanden.’
Tab. 3: Beispielreferenten für die Vollformen der 3. Pers. Sg.
Eine weitere Besonderheit ist die Möglichkeit, mit hatt auf Haustiere zu verweisen, die einen weiblichen Rufnamen tragen. Das folgende Beispiel stammt von einer luxemburgischen Tierschutzorganisation, die unter anderem Hunde und Katzen vermittelt. Der Text zur Katze Gipsy (die Internetseite zeigt ein Bild des Tieres neben dem Text) wird durch den Namen eingeleitet und im Folgenden mit hatt, et und ‘t pronominalisiert. (6)
16
[D’Gipsy]NEUTR huet Klenger krit an as duerno eraus geheit gin. Wou seng Kleng sin weess keen, [hat]NEUTR war voll Mëllech an doutonglecklech. Elo as [et]NEUTR operéiert, ['t]NEUTR huet sech berouegt a gët esou lues eng richteg léif Kaz, obschon [et]NEUTR sech an Uecht hëlt virun enger Hand.16 Übersetzung: Gipsy hat Junge bekommen und ist danach rausgeschmissen worden. Wo ihre Jungen sind, weiß niemand, sie war voll Milch und todunglücklich. Jetzt ist sie operiert [Anm. CD: kastriert], sie hat sich beruhigt und wird allmählich eine richtig liebe Katze, ob-
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Insgesamt zeigt sich, dass die Vollformen je nach Genus unterschiedliche Referenzspektren aufweisen. Reduzierte Formen können hingegen auf alle Entitäten referieren. Zusätzlich gilt für alle Vollformen, dass sie deutlich häufiger für Personenreferenz oder für individualisierte Referenten verwendet werden. Darüber hinaus können auch Konzepte der Metonymie und Metapher eine Rolle bei den Belebtheitskriterien spielen. Die Systematisierung der Ergebnisse legt hier nur allgemeine Tendenzen dar, die auf einer bestimmten Textsorte beruhen. Der Blick in eine rein mündliche Textsorte (informelle Familiengespräche, 316000 Token) zeigt, dass alle Vollformen (hatt, hien, si) in diesem Sample ausschließlich auf Personen17 referieren, so dass die Präferenzmuster auch textsortenabhängig sein können. 5
SOZIOPRAGMATISCHE ASYMMETRIEN BEI DER REFERENZ AUF WEIBLICHE PERSONEN
Ein weiterer Faktor, der die Referenzbedingungen der dritten Person Singular bestimmt, ist der Verweis auf weibliche Personen, denn hier können Neutrum oder Femininum zugewiesen werden. Die Genusdistinktion Neutrum – Femininum unterliegt im Luxemburgischen unterschiedlichen syntaktischen und soziopragmatischen Bedingungen, selbst bei identischem Referenten. NÜBLING / FAHLBUSCH / HEUSER (2015, 136) merken an, dass diese Asymmetrie zwischen Genus und Sexus bzw. die Neutralisierung von weiblichen Rufnamen weiterer Forschung bedarf, um den Themenkomplex von Rufname und Geschlecht besser zu verstehen (vgl. auch CHRISTEN 1998 zur weiblichen Personenreferenz im Schweizerdeutschen). Hinzu kommt, dass kein paralleles Phänomen für die Referenz auf männliche Personen vorliegt (NÜBLING / BUSLEY / DRENDA 2013). Das folgende Beispiel soll diese Distinktion illustrieren. (7)
a) HattNEUTR ass meng nei Aarbechtskolleegin. b) SiFEM ass meng nei Aarbechtskolleegin. ‘Sie ist meine neue Arbeitskollegin.’
Vergleicht man die Äußerungen in (7), so wird durch die Neutrum-FemininumAsymmetrie deutlich, dass die persönliche Stellungnahme zur referierten Person je nach Genus variiert. NÜBLING (2015, 253) schreibt dazu: „[T]he personal pronoun represents a lot more than only an agreement marker: Pronouns [...] are used as independent pragmatic markers.“ Bei Neutrumreferenz in (a) ist es denkbar, dass der Sprecher oder die Sprecherin bereits mit der Referentin befreundet ist, sie duzt und mit Vornamen anspricht, diese im Arbeitsumfeld eine gleichgestellte
17
wohl sie sich in Acht nimmt vor einer Hand (Quelle nicht mehr verfügbar, da die Katze vermittelt wurde). Es sei darauf hingewiesen, dass in den vorliegenden Transkripten der Familiengespräche vorrangig über Personen gesprochen wird.
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oder niedrigere Position ausfüllt oder dass sie gleich alt bzw. jünger ist. (b) zeigt hingegen, dass die Verwendung der femininen Form für solche Referenten präferiert wird, die sozial übergeordnet, deutlich älter oder gänzlich unbekannt sind. SCHANEN / ZIMMER (2012, 158) reduzieren diese Faktoren auf geduzte Personen im familiären Umfeld (Neutrum) und gesiezte Personen im normalen oder neutralen Umfeld (Femininum). Die in diesem Kapitel vorgestellten Muster basieren einerseits auf Korpusbelegen und andererseits auf einer informellen schriftlichen Studie zur hatt-siReferenz mit 21 Teilnehmern. Die Teilnehmer sollten für verschiedene Referentinnen18 angeben, mit welchem Pronomen der nachfolgende Satz weitergeführt werden kann (hatt oder si). Ein zentraler Faktor für dieses Phänomen sind zunächst die inhärenten Genuseigenschaften der unterschiedlichen Substantivklassen, die auf Personen mit weiblichem Sexus referieren können. Zu Typ I gehören Ruf- und Künstlernamen, die im Luxemburgischen im Neutrum stehen. Nachnamen, Titel (Madamm) und feminine Appellative fallen unter Typ II, da sie allesamt Feminina sind. Hinzu kommt ein dritter Typ mit alternierendem Genus. Letzterer zeigt sich häufig bei der Kombination der Formen aus Typ I und II oder bei Sonderfällen wie Schwëster ‘Schwester’, die im Folgenden näher beschrieben werden. Form Künstlername Rufname (RufN) Nachname fem. Appellative (APP) fem. Titel (+ Nachname) Kombi. RufN+Nachname Kombi. fem.APP+RufN+Nachname Kombi. Titel + Künstlername/RufN Sonderfälle (z. B. Schwëster)
Sexus W W W W W W W
Genus N N F F F N/F N/F
Kongruenz N N F F F N/F N/F
W
N/F
N/F
W
F
N/F
Referenztyp I (Neutrum) II (Femininum)
III (N/F)
Tab. 4: Referenztypen für weibliche Personen
18
In der Studie mit 21 muttersprachlichen Teilnehmern wurden zehn unterschiedliche Referenzpersonen angegeben (u. a. d’Tatta Marianne ‘Tante Marianne’, meng kleng Cousine ‘meine kleine Cousine’ oder d’Angela Merkel). Der vorgegebene Kontext beschrieb, dass eine bestimmte Person Geburtstag hat. Im folgenden Satz sollten die Informanten dann angeben, ob si (fem.) oder hatt (neutr.) eine große Party feiert. Zusätzlich konnten Gründe für die Wahl des Pronomens angegeben werden.
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Bei der Pronominalisierung zeigen die Typen I und II überwiegend eindeutige Genuszuweisungen.19 Sie zählen zu den prototypischen Fällen für die Neutrumbzw. die Femininum-Referenz im Luxemburgischen (vgl. auch NÜBLING 2015, 251–255). Aus (8) und (9) kann eine Auswahl an Beispielreferenten entnommen werden, die zu den Substantiven mit konsistenter Genus-Kongruenz gehören. (8) (9)
Referenztyp I (Neutrum): Catrine, Mandy, Beyoncé, Madonna Referenztyp II (Femininum): Boma, Mamm, Madamm Reinert, Doktesch ‘Oma, Mutter, Frau Reinert, Ärztin’
Formen des Typs III hingegen weisen alternative Kongruenzmöglichkeiten auf, d. h. es gibt keine unmittelbare Zuordnung zu Femininum oder Neutrum, da hier oft Bestandteile mit unterschiedlichem Genus verbunden sind. NÜBLING (2015, 255) kennzeichnet diesen Bereich als eine Art Grauzone, in der beide Varianten (Neutrum und Femininum) überlappen, da sie mehreren komplexen soziopragmatischen Faktoren unterliegen wie etwa Bekanntheit, Sympathie, Popularität oder Respekt. Respekt soll hierbei jedoch nicht als soziale Alltagskategorie verstanden werden, im Sinne eines respektvollen bzw. respektlosen Umgangs, sondern als grammatische Kategorie im Sinne einer grammatikalisierten Distanzfunktion (vgl. auch SIMON 2003). (10) Referenztyp III (N/F): Tessy Scholtes, Astrid Lulling, Lady Gaga, Prinzessin Stéphanie, d’Grammy-Gewënnerin Alanis Morissette, Schwëster Für die weitere Analyse der alternativen Kongruenzbedingungen bieten die Konzepte von Controller, Target, Merkmal (feature), Wert (value) und Bereich (domain) aus CORBETT (2006) eine adäquate terminologische Basis. Die folgende Abbildung (nach CORBETT 2006, 5) verdeutlicht die Terminologie mit einem luxemburgischen Beispiel: (11)
Target
Controller
[eist]
[Nadine]
Bereich ‘unsere Nadine’
Merkmal: Genus Wert: Neutrum
Der Bereich steht hier für den Kongruenzbereich; der Controller verfügt über einen spezifischen Wert eines Merkmals und gibt diesen an das Target weiter, 19
Nahezu alle Belege stützen die These der konsistenten Genuskongruenz von Typ I und II. Generell kann jedoch nicht ausgeschlossen werden, dass es Ausnahmen im System gibt. Das feminine Appellativ Schwëster gehört etwa dazu.
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wodurch Kongruenz zwischen Controller und Target entsteht. Dass der Controller Nadine an dieser Stelle Neutrum an den Possessivartikel eist vergibt, liegt an den Genuseigenschaften des weiblichen RufN im Luxemburgischen. Unterschiedliche Genuszuweisungen wie in Beispiel (12) resultieren aus der Tatsache, dass mehrere Controller vorhanden sind. Der Controller [C1] Beyoncé vergibt Neutrum an sein Target [T1] Hatt. Obwohl es im Textverlauf weiterhin um Beyoncé geht, kommt ein neuer femininer Controller [C2] Sängerin ins Spiel und projiziert sein Genus auf das Target [T2] hiren. (12)
Ref.: [BeyoncéNEUTR]C1 [HattNEUTR]T1 krut am ganzen 5 Grammy'en [...] als bescht [R’n’BSängerinFEM]C2 an fir [hirenFEM]T2 Hit „Crazy in Love“ als beschten R’n’B-Song. ‘Sie bekam im Ganzen fünf Grammys, [...] als beste R’n’B-Sängerin und für ihren Hit ‚Crazy in Love’ für den besten R’n’B-Song.’
Dieses Beispiel zeigt, dass unterschiedliche Kongruenzen vorliegen, die Genuszuweisung zwischen Controller und Target jedoch konsistent ist. Anders verhält es sich mit den Kongruenzen bei Typ III (N/F), denn hier kann Femininum oder Neutrum zugewiesen werden, wodurch ein komplexeres Verhältnis zwischen Controller und Target entsteht. Für die Beschreibung von RufN+Nachname-Kombinationen wurden zwei Referentinnen unterschiedlichen Alters gewählt: die heute 34jährige Ex-Sportlerin und Politikerin Tessy Scholtes sowie die heute 86jährige Politikerin Astrid Lulling. In dem folgenden Beispiel zeigt sich, dass die beiden Rufnamen Tessy bzw. Astrid – unabhängig vom Alter der Personen – Neutrum beim Artikel20 auslösen (dem). (13) Nieft [dem]NEUTR [Astrid Lulling]N/F ‘neben Astrid Lulling’ (14) wenschen [dem]NEUTR [Tessy Scholtes]N/F alles Guddes ‘wünsche Tessy Scholtes alles Gute’ Die Kombination von Ruf- und Nachnamen trägt als Controller jedoch beide Werte: Femininum und Neutrum. Auf syntaktischer Ebene steht der Definitartikel unmittelbar vor dem Rufnamen und erhält durch diese syntaktische Nähe Neutrum. In den Fällen (13) und (14) spielt somit vornehmlich das Konzept der syntaktischen Nähe eine Rolle. In Beispiel (15) hingegen, wird Tessy Scholtes ein femininer Possessivartikel (hirer) zugewiesen. (15) D’[Tessy Scholtes]N/F huet [hirer]FEM Partei dach schon Merci gesot ‘Tessy Scholtes hat ihrer Partei doch schon Danke gesagt’ 20
Im Luxemburgischen werden Rufnamen immer mit Artikel verwendet.
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Dies lässt sich mittels der Agreement Hierarchy von CORBETT (1979) beschreiben. Auch NÜBLING (2015) legt anhand dieser Skala dar, inwiefern syntaktische oder pragmatische Kriterien für die Referenz auf weibliche Personen ausschlaggebend sein können. (16) Agreement Hierarchy nach CORBETT (1979, zit. nach CORBETT 2006, 207), für das Deutsche adaptiert von NÜBLING (2015, 241) attributiv > Possessivpronomen > Relativpronomen > Personalpronomen In dieser Hierarchie steht der linke Pol für grammatische Kongruenz (ausgelöst durch syntaktische Nähe) und der rechte für pragmatische Kongruenz (als soziopragmatischer Marker). Auch wenn Letzteres bei CORBETT (2006, 207) ursprünglich mit semantic justification beschrieben wird, weist NÜBLING (2015) darauf hin, dass bei der Referenz auf weibliche Personen vielmehr die pragmatische (und referentielle) Ebene eine Rolle bei der Vergabe von Genus spielt. Somit sind vor allem soziopragmatische Faktoren wie soziale Distanz, Bekanntheit, usw. ausschlaggebend. Welche pragmatischen Faktoren sind nun für die luxemburgischen Daten festzuhalten? Die folgende Tabelle fasst einige zentrale Aspekte zusammen und ist in drei Kernfaktoren unterteilt: Generation, Emotion und Stil. Einige der hier erwähnten Kriterien wurden auch im Zusammenhang mit der Pronominalisierungsumfrage genannt (am häufigsten wurden in der Umfrage Distanz, Alter, Respekt, Nennung des Vornamens sowie Bekanntheits- oder Verwandtschaftsgrad erwähnt). Faktor Generation Emotion Stil
hatt Referentin gehört zu jüngerer Generation persönlicher / emotionaler Bezug sarkastischer / spöttischer Unterton
si Referentin gehört zu älterer Generation persönliche / emotionale Distanz „politische Korrektheit”
Tab. 5: Pragmatische Faktoren für Referenztyp III
Es sei zusätzlich darauf hingewiesen, dass es sich hierbei nicht um feste Größen, sondern um Trigger handelt, die individuell und in Abhängigkeit von der Gesprächskonstellation aktiviert werden. Für die eben genannten luxemburgischen Beispiele mit Ruf- und Nachnamen bedeutet dies, dass die unmittelbare syntaktische Nähe zum Rufnamen Neutrum triggert. Wird die syntaktische Distanz jedoch größer, entscheiden pragmatische Kriterien über die Genuszuweisung. Die Agreement Hierarchy kennzeichnet somit den Wirkungsbereich von Kongruenz, indem angezeigt wird, ob die Kongruenzmarker über syntaktische
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Kriterien (lineare Nähe) oder über soziopragmatische Kriterien (Generation, Emotion, Stil) abgerufen werden. Sehr große syntaktische Distanz liegt insbesondere dann vor, wenn die Pro-Formen über die Satzgrenze hinaus verwendet werden. Bei exophorischer Pronominalisierung gibt es einen koverten Controller, sodass hier allein pragmatische Kriterien Neutrum auslösen. (17) Facebook-Kommentar neben Hundebild: Domat hat [et]NEUTR mech direkt an der Täsch... äh, ech [hatt]NEUTR! ‘Damit [Anm. CD: der Hundeblick] hatte sie mich direkt in der Tasche... äh, ich sie!’ Zu den Formen mit alternativer Kongruenz gehört ebenfalls die Referentin Lady Gaga. Lady Gaga stellt einen besonderen Fall dar, da für die Form Lady Gaga zwei Lesarten möglich sind: Der Name kann als einheitlicher Künstlername aufgefasst werden (Referenztyp I: Neutrum), d. h. Lady Gaga als Gesamtname wie bei Madonna, oder der Künstlername wird segmentiert und als zweigliedrige Konstruktion empfunden, sodass eine Zusammensetzung aus einem femininen Titel (Lady) und einem (Künstler-)Namen (Gaga) entsteht (Referenztyp III: N/F), d. h. Lady Gaga als Kombination von Titel und Name wie bei Lady Di. Bei Korpusbelegen mit hoher syntaktischer Nähe (hier: Attributivkonstruktionen mit Dativ) zeigt sich, dass 29,4 % der Fälle Femininum am Target zeigen und 70,6 % Neutrum (n=51). Mitunter kommt es auch zu hybriden Genuszuweisungen, wie das folgende Beispiel zeigt. (18)
Ref.: Lady Gaga Di 26 Joer jonk [Sängerin]FEM huet elo eng Foto vu [sengem]NEUTR Rollstull getwittert. ‘Die 26 Jahre junge Sängerin hat jetzt ein Foto von ihrem Rollstuhl getwittert.’
Obwohl eine gewisse syntaktische Nähe zum femininen Appellativ Sängerin besteht, wird dennoch Neutrum am Possessivartikel angezeigt. Der einzige Controller, der Neutrum markieren kann, ist der Künstlername Lady Gaga, der zwei Sätze zuvor erwähnt wurde (dazwischen findet man nur das feminine Appellativ Popqueen). Aus pragmatischer Sicht sprechen das junge Alter und eine gewisse emotionale Nähe zur Künstlerin für die Neutrumreferenz. Dennoch besteht die Möglichkeit, dass die grammatische Kongruenz des Künstlernamens über die Satzgrenze hinaus wirkt. Ein weiterer Fall mit alternativer Kongruenz sind Beispiele, in denen feminine Appellative mit Rufnamen und Nachnamen verbunden werden.
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(19) D’[Grammy Gewënnerin]FEM [Alanis Morissette]N/F mellt sech no [senger]NEUTR Babypaus [...] zréck ‘Die Grammy-Gewinnerin Alanis Morissette meldet sich nach ihrer Babypause [...] zurück’ Der Name Alanis Morissette trägt beide Genera in sich: Neutrum und Femininum. Femininum wird sogar noch durch das Appellativ Grammy-Gewënnerin gestärkt. Dennoch steht der Possessivartikel am Ende des Satzes im Neutrum. Wie auch beim vorigen Beispiel scheint die Nennung des Ruf- bzw. Künstlernamens in Kombination mit (verhältnismäßig) jungem Alter eine entscheidende Rolle zu spielen. Auch das folgende Beispiel zeigt, dass die Nennung des Rufnamens selbst bei zahlreichen potentiellen femininen Controllern und großer syntaktischer Distanz Neutrum am Target auslösen kann. (20) D'[US-Schauspillerin]FEM an [Oscar-Gewënnerin]FEM, [Reese Witherspoon]N/F, ass e Mëttwoch um weltberühmten Walk of Fame zu Hollywood, mat engem Stär veréiwegt ginn. Déi 34 Joer al [Schauspillerin]FEM huet de véierbeenegen Co-Star Bruiser, aus der Komedie "Natierlech blond", mat op de rouden Teppech geholl. Begleet ginn, ass [hatt]NEUTR vu [senger]NEUTR Duechter Ava a [sengem]NEUTR Bouf Deacon.21 Dass hier Neutrum vom Controller Reese Witherspoon an das Target hatt in Beispiel (20) weitergegeben wird, wird vermutlich durch den pragmatischen Faktor des Alters bedingt. Parallele Beispiele mit älteren Schauspielerinnen und hoher syntaktischer Distanz tendieren meistens zu femininen Pro-Formen (Bsp. Meryl Streep). Einen weiteren Sonderfall, der hier nur kurz erwähnt wird, stellt das feminine Appellativ Schwëster ‘Schwester’ dar. Auch hier spielen pragmatische Kriterien eine Rolle. Im Gegensatz zu Mamm ‘Mutter’ oder Boma ‘Oma’, die ausschließlich Femininum am Target projizieren, löst Schwëster häufig Neutrum am Target aus (bei attributiver Funktion muss jedoch Femininum verwendet werden). Auch die Fragebogenstudie zeigt, dass Neutrum präferiert wird: alle 21 Informanten pronominalisieren meng Schwëster ‘meine Schwester’ im Folgesatz mit hatt, während zwei Teilnehmer zusätzlich eine potentielle Femininumreferenz (si) angeben. Diese Faktoren existieren jedoch nicht nur zwischen Sprecher und referierter Person, sondern auch zwischen Hörer und referierter Person. Der Sprecher muss sich also darauf einstellen, dass die Gewichtung der soziopragmatischen Faktoren seitens des Hörers anders ausfallen kann. Dies führt zu einer weiteren, diskurspragmatischen Komponente beim Referenztyp III. Im Beispiel mit der eigenen 21
Übersetzung: Die US-Schauspielerin und Oscargewinnerin Reese Witherspoon ist am Mittwoch auf dem weltberühmten Walk of Fame in Hollywood mit einem Stern verewigt worden. Die 34 Jahre alte Schauspielerin hat ihren vierbeinigen Co-Star Bruiser aus der Komödie „Natürlich blond“ auf den roten Teppich mitgebracht. Begleitet wurde sie von ihrer Tochter Ava und ihrem Sohn Deacon.
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Schwester kann es beispielsweise wichtig sein, ob der Hörer die Schwester kennt. Kennt er sie nicht und hat er nur die Information, dass es sich um eine Person mit dem Verwandtschaftsverhältnis Geschwister handelt, könnte dies ein Trigger für Femininum sein (der Sprecher nimmt somit eine auf den Hörer zugeschnittene, distanziertere Haltung zur Schwester ein, da er die Distanz zwischen Hörer und Schwester einberechnet). Sind die beiden hingegen vertraut und kennt der Hörer den Rufnamen der Schwester, kann auch mit Neutrum auf die Schwester referiert werden. Ähnlich verhält es sich mit der Schwester einer älteren Person, d. h., dass der Faktor Alter für den Sprecher (als Geschwisterteil) wenig relevant ist, der Altersabstand zwischen Hörer und referierter Schwester jedoch erheblich sein kann und dadurch unter Umständen ein auf den Hörer adaptiertes si gewählt wird. Doch auch hier können die Faktoren der Emotion und des Stils zusätzlich Einfluss nehmen. (21) Diskurspragmatische Faktoren für Referenztyp III weibl. Referent
Generation, Emotion, Stil Sprecher
Hörer
Dass derselben referierten Person unterschiedliche Genera zugeschrieben werden (Referenztyp III), hängt also insgesamt davon ab, ob die Kongruenz syntaktisch oder pragmatisch entsteht. Bei pragmatischer Kongruenz fallen Faktoren wie Generation, Emotion und Stil oder die Gesprächskonstellation ins Gewicht. Beim Beispiel der Prinzessin Stéphanie, der Frau des Thronfolgers im Großherzogtum Luxemburg (31 Jahre alt), kann der Sprecher über die Referenz mit hatt markieren, dass er sie als junge volksnahe Frau sieht. Geht es jedoch vorrangig um den Titel und ihre Zugehörigkeit zum europäischen Adel, wird eher die Femininumvariante si verwendet.22 Doch auch der Hörer kann bei der Wahl eine Rolle spielen: Wenn sich Sprecher und Hörer unbekannt sind oder das Gespräch in einem öffentlichen Umfeld stattfindet (in einem Interview beispielsweise), würde man sich womöglich auf das ‚politisch korrekte’ si einigen (Effekt der Stilebene). Aufgrund der wechselnden Gesprächsteilnehmer und -situationen muss also für jede Äußerungseinheit die pronominale Referenz immer wieder neu angepasst werden. Das Modell in (21) verdeutlicht, dass diese Parameter zwischen den Gesprächsteilnehmern und der referierten Person ausgehandelt werden müssen. 22
Die pronominale Referenz auf Prinzessin Stéphanie wurde ebenfalls in der zuvor erwähnten informellen Studie getestet. Die Ergebnisse zeigen, dass sich 13 von 21 Personen für ein Femininumpronomen und sechs Personen für die Neutrum-Referenz entschieden haben. Zwei Personen gaben beide Referenzmöglichkeiten an mit dem Hinweis, dass sich das si in erster Linie auf die Prinzessin und das hatt auf den Rufnamen bezieht.
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Dadurch wird für jede Referenz in einer Äußerungseinheit festgelegt: Wie stehen Sprecher und Hörer zur referierten Person und welchen Eindruck möchte der Sprecher beim Hörer hinterlassen? Genus dient somit als soziale Markierung zwischen Sprecher, Hörer und referierter Person (vgl. NÜBLING / BUSLEY / DRENDA 2013). Dass diese alternative Genuszuweisung für weibliche Personen von den Sprechern des Luxemburgischen zweckdienlich eingesetzt wird, zeigt das folgende Beispiel. In (22) sind beide Referenzmöglichkeiten selbst bei unbekanntem Referenten zu beobachten. In diesem Kommentar schreibt ein Mann, dass die Tatsache, dass er sein Kind zur Damentoilette begleitet (wenn keine andere Möglichkeit besteht), nicht bedeuten muss, dass er dadurch ein „Triebtäter oder Frauenvergewaltiger“ ist. Im Anschluss fügt er folgenden Satz hinzu: (22)
Wann et engemNEUTR oder engerFEM net passt, kann hattNEUTR oder siFEM sech jo melden. ‘Wenn es einer oder einer nicht passt, kann sie oder sie sich ja melden.’
Man kann davon ausgehen, dass er mit beiden Pronomen (hatt und si) auf alle potentiellen Frauen referiert, die Nutzerinnen der Damentoilette sind bzw. die sein Verhalten, als Mann diese Räumlichkeiten zu betreten, missbilligen. Selbst wenn die exakte Referenz hier nicht eindeutig geklärt werden kann, wird jedoch deutlich, dass die Unterscheidung zwischen hatt und si einen soziopragmatischen Effekt hat. Somit verfügt das Luxemburgische über die Besonderheit, den soziopragmatischen Kontrast zwischen unterschiedlichen Frauengruppen (jung/alt, bekannt/unbekannt, usw.) auch grammatisch ausdrücken zu können. Inwiefern eine Hierarchie zwischen den hier vorgestellten Faktoren besteht, sollte in weiteren Studien zukünftig untersucht werden. Die Nennung des Rufnamens und das Alter scheinen jedoch eine zentrale Rolle zu spielen. 6
SYNTAKTISCH-DISTRIBUTIONELLE ASPEKTE DER PERSONALPRONOMEN
Dieses Kapitel beschäftigt sich mit der syntaktischen Verteilung der vollen und reduzierten Formen und versucht, die semantischen Aspekte aus Kapitel 4 auf die Satzebene zu übertragen. Die semantische Analyse hat gezeigt, dass die Vollformen über ein eingeschränktes Referenzspektrum verfügen und reduzierte Formen auf alles referieren können. Dies geht jedoch mit Stellungsrestriktionen mancher Pronomen einher, was zu einer distributionellen Asymmetrie führt. Ein ähnliches Phänomen existiert im Italienischen und wurde von CARDINALETTI / STARKE (1994; 1999) systematisch analysiert und später von VAN CRAENENBROECK / VAN KOPPEN (2008) für das Niederländische und von WEISS (2015) für die deutschen Dialekte ausgearbeitet. Die Hauptthese von CARDINALETTI / STARKE (1994) besagt, dass für die beiden morphologischen Formen (stark, schwach) drei syntaktische Formen anzusetzen seien: stark, schwach, klitisch. Nur
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durch diese Dreiteilung können alle strukturellen Asymmetrien festgehalten werden. WEISS (2015, 84) modifiziert die Einteilung von CARDINALETTI / STARKE (1999) und unterteilt die strukturellen pronominalen Eigenschaften in die beiden Grundkategorien ‚stark’ und ‚schwach’, wobei er letztere weiter unterteilt, um die syntaktische Distribution miteinzubringen.23 (23) pronominale Typologie nach WEISS (2015, 84) Pronomen stark voll
schwach reduziert
klitisch
Nach CARDINALETTI / STARKE (1994; 1999) besitzen volle, reduzierte und klitische Pronomen bestimmte Eigenschaften, die sich auf unterschiedliche strukturelle Ebenen beziehen und diese Dreiteilung motivieren: – – – –
Morphophonologische Reduktion (Wie sieht die Form lautlich aus?) Bezug auf unbelebte Referenten (Gibt es Beschränkungen der Vollformen für Referenten?) ‚Abhängige’ Satzposition (Wie ‚frei’ ist die Stellung des Pronomens?) Möglichkeit der Koordination, Fokussierung, Dislokation (Wie hoch ist die syntaktische Flexibilität?)
Die folgende Tabelle 6 fasst die allgemeinen Charakteristika der drei Pronomentypen zusammen. Im Originaltext (CARDINALETTI / STARKE 1999, zit. nach HARLEY / TRUEMAN 2010) werden folgende Begriffe aufgeführt: Morphophonologically reduced | Can have inanimate referent | Positionally dependent | Can be coordinated, focused, (dislocated) | Non-linguistic antecedents possible | Stand alone. Die letzten beiden Eigenschaften werden in dieser Analyse bewusst herausgelassen, da die ersten vier Werte mit den vorliegenden luxemburgischen Daten belegbar sind und zunächst ausreichen, um die strukturelle Dreiteilung der luxemburgischen Pronomen zu motivieren.
23
Im Baumschema von WEISS (2015, 84) zählen auch Null-Pronomen zu den schwachen Pronomen (als tertiäre Verzweigung). Da das Ansetzen von Null-Elementen jedoch weitere theoriegebundene Probleme mit sich bringt, werden sie bei der Beschreibung des an der Oberfläche realisierten luxemburgischen Pronominalsystems vorerst außer Acht gelassen.
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Morphophonologische Reduktion Bezug auf unbelebte Referenten ‚Abhängige Satzposition’ Möglichkeit der Koordination, Fokussierung, Dislokation
voll – – – +
reduziert + + – –
klitisch + + + –
Tab. 6: Eigenschaften von Pronomentypen (vgl. CARDINALETTI / STARKE 1999, zit. nach HARLEY / TRUEMAN 2010)
Für die Morphophonologie und die Semantik der luxemburgischen Pronomen konnte gezeigt werden, dass Pronomen auch morphophonologisch reduziert sein können (als Variante mit Schwa oder mit getilgtem Vokal). Zudem können auch volle Pronomen auf unbelebte Referenten verweisen – jedoch in unterschiedlicher Ausprägung. An dieser Stelle müsste demzufolge der Wert [+ / –] eingesetzt werden. Im Anschluss sollen nun die syntaktischen Parameter der Pronomen aufgezeigt werden. Die folgenden Beschreibungen der Stellungsrestriktionen beruhen auf dem Grammatikalitätsurteil von zehn Muttersprachlern, denen die Sätze mündlich vorgetragen wurden. An dieser Stelle werden somit auf deskriptiver Ebene erste pronominale Wortstellungspräferenzen zusammengetragen. Für eine generelle Satzstellungstypologie müssten zunächst Kasusmuster identifiziert und weitere strukturelle Eigenschaften des Luxemburgischen beschrieben werden (vgl. DÖHMER, in Vorbereitung). Tatsächlich sind die reduzierten Varianten an bestimmte Satzpositionen gebunden, was sie als klitische Pronomen charakterisiert. (24)
a) [Du/*de] kanns d’Luucht ausmaachen. b) Kanns [du/de] d’Luucht ausmaachen? ‘Du kannst das Licht ausmachen. / Kannst du das Licht ausmachen?’
Zudem kann man erkennen, dass die Akkusativformen der dritten Person Singular zwar formgleich mit dem Nominativ sind, sie syntaktisch jedoch zu differenzieren sind, da der Nominativ reduzierte Varianten aufweist, der Akkusativ hingegen klitische (bei identischer Oberflächenstruktur!). (25) (26)
a) Ech hunn [si/se] am Park gesinn. b) [Si/*se] hunn ech am Park gesinn. ‘Ich habe sie im Park gesehen. / Sie habe ich im Park gesehen.’ a) Et geet [mir/mer] gutt. b) [Mir/*mer] geet et gutt. ‘Es geht mit gut. / Mir geht es gut.’
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Auch bei den syntaktischen Prozessen der Fokussierung oder der Dislokation wird deutlich, dass die reduzierten Formen und die Klitika andere funktionale Eigenschaften besitzen als die Vollformen. (27) (28)
Ech froe mech, ob [hien/*en] an [hatt/*et] nach zesumme sinn. ‘Ich frage mich, ob er und sie noch zusammen sind.’ Ass [hatt/et] scho fort? An [hien/*en] och? ‘Ist sie schon weg? Und er auch?’
Aufgrund der hier vorgestellten Daten können auch im Luxemburgischen drei pronominale Typen angesetzt werden: volle, reduzierte und klitische Pronomen. Unter Berücksichtigung dieser Kategorien können die luxemburgischen Pronomen nun mit den entsprechenden Bezeichnungen erneut in einem Paradigma festgehalten werden. Die fettgedruckten Varianten repräsentieren die Vollformen, die schwachen Formen sind annotiert mit für reduzierte und für klitische Pronomen. Eine Besonderheit stellt die reduzierte Neutrumvariante ‘t dar, da sie nur im Vorfeld auftreten kann (‘t ass kal ‘es ist kalt’). Num. Pers. 1. 2. SG. 3. PL.
1. 2. 3.
Genus – – mask. neutr. fem. – – –
Nominativ ech / – du / deklit hien / enred hatt / etred / ‘tVF si / sered mir / merred dir / derred si / sered
Akkusativ Dativ mech / – mir / merklit dech / – dir / derklit klit hien / en him / emklit hatt / etklit si / seklit hir / erklit eis~ons / – iech / – si / seklit hinnen / enklit
Tab. 7: Überblicksdarstellung der vollen, reduzierten und klitischen Pronomen im Lux.
Anders als in der ersten Tabelle zeigt sich ein funktionaler Unterschied zwischen den Nominativ- und Akkusativformen der dritten Person, sodass sie aufgrund der vorliegenden Ergebnisse voneinander getrennt werden müssen. Ein weiteres Merkmal, das aus der Asymmetrie von Klitika und den entsprechenden Referenzspektren resultiert, ist das Ausweichen auf Demonstrativpronomen. Gegeben sei etwa ein Kontext, in dem man auf lux. Buch (Neutrum) referieren möchte und dieses im Satz fokussiert werden soll. Da es sich um einen unbelebten Referenten handelt, steht nur die schwache Variante et zur Verfügung. Hinzu kommt allerdings, dass schwache Pronomen nicht fokussierbar sind und nicht im Vorfeld stehen können. Eine Möglichkeit, diese Asymmetrie aufzulösen, besteht darin, auf ein entsprechendes d-Pronomen auszuweichen. (29)
[*Hatt / *et / dat] hunn ech scho gelies. ‘Das habe ich schon gelesen.’
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Auch im Bairischen (vgl. WEISS 2016) muss in Kontexten mit unbelebtem Referenten bei gleichzeitiger syntaktischer Hervorhebung auf ein d-Pronomen ausgewichen werden, da nur nicht-klitische Formen versetzt und fokussiert werden können (unter Berücksichtigung des Belebtheitskriteriums). In Beispiel (29) dürfte auch im Standarddeutschen kein es als direktes Objekt im Vorfeld stehen (vgl. DUDEN-GRAMMATIK 2006, 278). 7
AUSBLICK
Bei näherer Betrachtung zeigt sich, dass ein Formeninventar allein nicht ausreicht, um die Pronomen eines Systems zu beschreiben. Doch auch die funktionale Beschreibung der Pronomen zeigt verschiedene konzeptionelle Schwierigkeiten, denn „[d]ie Kompliziertheit der Grammatik des Personalpronomens spiegelt sich auch in der Entwicklung seiner Theorie“ (EISENBERG 2006, 178). Der vorliegende Beitrag bietet einen ersten explorativen Zugriff auf ein unstrukturiertes Korpus und legt somit den Grundstein für die Thematik der Personalpronomen im Luxemburgischen, denen bislang nur wenig Aufmerksamkeit gewidmet wurde. Aufgrund der empirischen Datengrundlage können spezifische Präferenzmuster für die unterschiedlichen Verwendungsweisen und Satzpositionen für die luxemburgischen Pronomen festgehalten werden. Auf der semantischen Ebene wird deutlich, dass es eine Art Akzessibilitätshierarchie für die vollen Pronomen der dritten Person Singular gibt. Dabei weisen die jeweiligen Genera unterschiedliche Referenzmöglichkeiten auf, die jeweils an die Belebtheitskriterien des Referenten gebunden sind. Neutra (in der vollen Form hatt) können beispielsweise nur auf Personen referieren. Aus soziopragmatischer Sicht zeigt sich, dass es je nach Gesprächssituation unterschiedliche Strategien gibt, auf weibliche Personen zu referieren (mit einem Pronomen im Neutrum oder im Femininum). Bei den Korpusbeispielen fällt allerdings auf, dass oft beide Genera innerhalb eines Satzes verwendet werden, was zu weiteren strukturellen Asymmetrien führt. Schließlich sind die Pronomen auf ihre syntaktische Distribution getestet worden, auch im Zusammenhang mit den semantischen Referenzbedingungen. Insgesamt zeigen die reduzierten Varianten starke Einschränkungen in Bezug auf ihre Satzposition. So können sie beispielsweise im Akkusativ nicht im Vorfeld stehen. Durch eine syntaktische Dreigliederung des pronominalen Systems in volle, reduzierte und klitische Formen nach WEISS (2015) können die distributionellen Asymmetrien sinnvoll kategorisiert werden. Gewinnbringend wären weiterhin umfassendere Korpusauswertungen zur systematischen Überprüfung der hier vorgestellten Tendenzen. Auch mithilfe von direkten Befragungen könnte man weiter auf die Möglichkeiten und Restriktionen der pronominalen Referenz eingehen bzw. testen, ob die Referenten aus dem Korpus für jeden Sprecher akzeptabel sind oder ob es individuelle Präferenzmuster gibt.
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NOMINALE ELLIPSE IM WESTGERMANISCHEN* Thomas Strobel 1
ELISION VS. PRONOMINALISIERUNG
Der vorliegende Beitrag behandelt das Phänomen der nominalen Ellipse (oder auch N(P)-Ellipse), also Nominalphrasen ohne (lexikalisches) Nomen, und vergleicht unterschiedliche Lizenzierungsstrategien elliptischer nominaler Konstruktionen in verschiedenen westgermanischen Sprachen und Dialekten miteinander. Insbesondere werden Daten zu den hessischen Dialekten vorgestellt,1 die neue Erkenntnisse in Bezug auf die Frage nach den morphosyntaktischen Bedingungen des Gebrauchs nomenloser Nominalphrasen und der Rekonstruktion des (Inhalts des) „fehlenden“ Nomens liefern. Das Testen gängiger Analysen nominaler Ellipse an neuen mikrovariationellen Daten kann nicht nur Aufschluss über die Struktur und den Gebrauch von Nominalphrasen ohne Nomen geben, sondern auch generell über die Architektur der nominalen Domäne. Grundsätzlich finden sich in natürlichen Sprachen zwei Typen nominaler Konstruktionen ohne lexikalischen nominalen Kopf: Elision und Pronominalisierung (vgl. CORVER / VAN KOPPEN 2011). Bei der Elisionsstrategie wird ein Teil der Nominalphrase getilgt, sodass eine teilweise phonologisch leere Nominalphrase zurückbleibt. Neben der Analyse, wonach Nominalphrasen ohne lexikalisches Nomen eine strukturell verfügbare, aber phonetisch getilgte Repräsentation des Antezedens aufweisen („echte“ Ellipse, vgl. MERCHANT 2001), wurde in der Literatur häufig angenommen, dass die Stelle der Ellipse (ellipsis site) durch ein (semantisch) leeres nominales Element gefüllt sei. Dieses Nullelement wurde entweder als pronominale Form pro (LOBECK 1995; KESTER 1996; SLEEMAN 1996) oder als leeres Nomen (PANAGIOTIDIS 2003a; 2003b) interpretiert. In Beispiel (1a) stellt [DP ein blaues Kleid] die Antezedens-Nominalphrase2 dar und [DP ein rotes *
1
2
Dieses Paper basiert auf einem Vortrag anlässlich des Saarbrücker Runden Tisches für Dialektsyntax (SaRDiS) vom 7.–8. November 2014 an der Universität des Saarlandes. Ich möchte den Organisatorinnen und Organisatoren der Tagung ganz herzlich danken sowie dem Auditorium für die anregende Diskussion, insbesondere ELLEN BRANDNER (Konstanz), CAROLINE DÖHMER (Luxemburg) und OLIVER SCHALLERT (Marburg). Außerdem bin ich IMME KUCHENBRANDT, CECILIA POLETTO, EMANUELA SANFELICI, EWA TRUTKOWSKI und vor allem HELMUT WEISS (alle Frankfurt) für ihre wertvollen Kommentare zu großem Dank verpflichtet. Die Daten aus den in Hessen gesprochenen Dialekten entstammen dem DFG-Projekt Syntax hessischer Dialekte (SyHD, www.syhd.info, 2010–2016), das eine Kooperation der Universitäten Frankfurt am Main (Prof. Dr. Helmut Weiß), Marburg (Prof. Dr. Jürg Fleischer) und Wien (Prof. Dr. Alexandra N. Lenz) darstellt. Bei der Elision besteht auch die Möglichkeit, dass die Lücke dem ausbuchstabierten Bezugsnomen vorangeht, also sozusagen ein „Postzedens“ vorliegt: (i) Robin hat ein blaues [e] und Lily hat ein rotes Kleid.
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Thomas Strobel
[e]] die anaphorische bzw. elliptische Nominalphrase, wobei [e] (‚empty’) die interpretative Lücke (gap) kennzeichnet. Im vorliegenden Beispiel bleibt das Adjektiv rotes als Residuum (‚Remnant’) zurück und die Elision (nominale Ellipse i. e. S.) scheint im Deutschen von der Anwesenheit von Flexionsmorphologie bzw. Kongruenzmerkmalen am gestrandeten Adjektiv abhängig zu sein. Bei der Pronominalisierungsstrategie hingegen wird ein Teil der Nominalphrase durch eine lexikalische (phonologisch overte) Pro-Form ersetzt, wie es etwa bei der englischen ‚one-insertion’ der Fall ist (1b). Wie wir sehen werden, wurde häufig ein Zusammenhang zwischen der one-Anapher und der fehlenden Flexionsmorphologie im Englischen am adjektivischen Remnant postuliert (so z. B. bei LOBECK 1995 und KESTER 1996). (1)
a. b.
Robin hat ein blaues Kleid und Lily hat ein rotes [e]. (Elision) Robin has a blue dress and Lily has a red one. (Pronominalisierung)
Was die Beschaffenheit der Lücke betrifft, so nimmt PANAGIOTIDIS (2002; 2003a; 2003b) an, dass nomenlose Nominalphrasen an der Stelle der Ellipse ein leeres nominales Element enthalten, ein Nomen ohne deskriptiven Gehalt, das selbst keine lexikalische Bedeutung beiträgt und in zwei Realisierungen auftreten kann: overt (one-insertion) oder stumm (nominale Ellipse i. e. S.). Zahlreiche Parallelen sprechen dafür, dass es sich dabei letztlich nur um verschiedene Manifestationen desselben zugrundeliegenden Phänomens handelt und die Wahl einer der beiden eng miteinander verwandten Strategien auf oberflächliche Variation zurückzuführen ist (vgl. auch GÜNTHER 2013). Solche Gemeinsamkeiten betreffen sowohl distributionelle Eigenschaften (beide können z. B. postnominale Modifikatoren zu sich nehmen [2], im Unterschied zu regulären Nomina jedoch keine Komplemente [3])3 als auch semantische Eigenschaften (keine lexikalische Bedeutung, beide sind anaphorisch und benötigen ein Antezedens, um interpretiert werden zu können, „contrast/non-identity condition“, vgl. GIANNAKIDOU / STAVROU 1999 bzw. EGUREN 2010) sowie deren nicht-antezedensbasierten Gebrauch (Default-Interpretation als [+HUMAN], sofern kein Antezedens vorhanden ist). (2)
a. b.
3
Sheldon insulted these students from Canada and those from Europe. Raj couldn’t speak to the girl from the US, nor could he speak to the one from India.
Daraus leitete sich die traditionelle Analyse von nominalem one ab, wonach das Pronomen die Konstituente N’ ersetze (zu dessen Abgrenzung vom Numerale one vgl. z. B. GÜNTHER 2013: (Un-)Möglichkeit der kontrastiven Fokussierung, Möglichkeit der Kookkurrenz der beiden Instanzen von one und damit Unmöglichkeit, dieselbe Position zu besetzen). Eine gegensätzliche Position vertreten etwa CORVER / VAN KOPPEN (2011), die one als Pro-Nomen, also N°, analysieren und mit SCHÜTZE (2001) und PANAGIOTIDIS (2003a; 2003b) annehmen, dass one keine Komplementposition in der Syntax projiziert, weil es kein eigenes ThetaRaster aufweist und auch keine ‚argumentellen’ Eigenschaften des Antezedensnomens erben kann.
Nominale Ellipse im Westgermanischen
(3)
41
c.
Penny told Leonard about the rumor that she had heard from Amy and the one that she had heard from Bernadette.
a.
*Sheldon insulted these students of theoretical physics and those of neurobiology. *His criticism of Howard’s cologne was as harsh as the one of Leonard’s work. *Penny told Leonard about the rumor that Amy was pregnant and the one that Bernadette wanted to break up with Howard.
b. c.
Die Unterschiede zwischen nominaler Ellipse und one-Anapher reduzieren sich darauf, dass one(s) von der phonologischen Form her overt ist und Numerusmorphologie hat (siehe GÜNTHER 2013). Ihre Distribution – also die Frage danach, welche Elemente nominale Ellipse lizenzieren, wann one-insertion nötig ist, welche Elemente beide erlauben und welche weder noch – ist durch bestimmte pränominale Elemente wie Determinierer und (deskriptive vs. diskursreferentielle) Adjektive festgelegt. Während also im Englischen elliptische Nominalphrasen und one-Anapher zwei Seiten derselben Medaille darstellen, gibt es im Deutschen keine zur one-insertion vergleichbare Strategie (für einige niederländische Dialekte ist jedoch ein ähnliches Phänomen belegt, vgl. BARBIERS 2005) und nominale Ellipse scheint deutlich schwächeren Bedingungen zu unterliegen als im Englischen (vgl. GÜNTHER 2013). Hierfür scheinen allgemeine sprachspezifische Eigenschaften wie das Inventar an Flexionsmarkierungen verantwortlich zu sein. Es zeigt sich, dass im Deutschen das Element, das der Stelle der Ellipse (unmittelbar) vorangeht, flektiert sein muss (mit Ausnahme pluralischer kardinaler Numeralia, welche die meisten ihrer Flexionseigenschaften verloren haben und N(P)-Ellipse dennoch lizenzieren). In der generativen Literatur eingehend diskutierte Forschungsfragen zum Phänomen nominale Ellipse betreffen vor allem die Lizenzierungsbedingungen und die Struktur der elliptischen Nominalphrase (vgl. etwa GÜNTHER 2013): Wodurch wird nominale Ellipse lizenziert und identifiziert, das heißt, welche Elemente bzw. Typen von Elementen lizenzieren N(P)-Ellipse und weisen diese allgemeine, gemeinsame Eigenschaften auf? Welche morphosyntaktischen Bedingungen und Beschränkungen gelten für den Gebrauch nomenloser Nominalphrasen? Was lässt sich über die Beschaffenheit der leeren nominalen Position, die syntaktische Natur der interpretativen Lücke sagen (Ergebnis von Tilgung, Basisgenerierung als pronominales Element, das lizenziert/gebunden werden muss, oder Ergebnis von Pronominalisierung und Bewegung, vgl. die Überblicksdarstellung in BROEKHUIS / DEN DIKKEN 2012)? Und schließlich – auch unter psycholinguistischer bzw. sprachperzeptueller Perspektive interessant: Wie verläuft die Rekonstruktion (des Inhalts) des „fehlenden“ Nomens? Im Folgenden soll es vor allem um die Lizenzierungsmechanismen und morphosyntaktischen Bedingungen des Gebrauchs nomenloser Nominalphrasen gehen.
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Thomas Strobel
2
LIZENZIERUNGSSTRATEGIEN NOMINALER ELLIPSE
In den westgermanischen Sprachen und Dialekten finden sich verschiedene Strategien, um ein aus dem Diskurs bekanntes Kopfnomen nicht auszubuchstabieren. Dazu gehören insbesondere die folgenden sprachlichen Mittel: Elision oder auch nominale Ellipse im engeren Sinne (4) (vgl. zum Englischen u. a. GÜNTHER 2013 und die Literaturangaben darin), die Null-Anapher oder „syntaktische Nullstelle“ (∅) im Alemannischen bzw. Südwesten des deutschen Sprachraums (5) (vgl. v. a. GLASER 1995), die englische one-Anapher (6) (siehe für einen Überblick ebenfalls GÜNTHER 2013), die partitiven/quantitativen Pronomina nl. er (sprechsprachlich oft d‘r/t‘r) (7a) bzw. md. (sowie marginal im äußersten Süden des deutschen Sprachgebiets) (d)(ə)r(ə), s(ə)n, əs (7b), die auf archaische pronominale Genitivformen zurückgehen und eine ähnliche Funktion wie etwa fr. en und it. ne haben (vgl. zum Niederländischen deskriptiv etwa DE ROOIJ 1991 und DE SCHUTTER 1992 sowie zu den deutschen Dialekten GLASER 1992; 1993; 2008 und STROBEL 2013a; 2013b; 2016), die indefinit-partitiven Pronomina welch-/we(l)k- im Standard- bzw. Nieder-/Norddeutschen (8a) (vgl. GLASER 1992; 1993; ZIFONUN 2007) und generalisiertes, das heißt, auch bei Massennomina und im Plural verwendetes ein- im Bairischen bzw. Südosten des deutschsprachigen Raums (8b) (vgl. v. a. GLASER 1996) und schließlich Schwa an Numeralien („flektierte“ Zahlwörter) in einigen nordöstlichen und südwestlichen niederländischen Dialekten (vgl. KRANENDONK 2010) sowie innerhalb der deutschen bzw. der in Hessen gesprochenen Dialekte zum Beispiel in den niederdeutschen Varietäten West-/Ostfälisch und im nördlichen Nordhessischen sowie im Süden Hessens im Rheinfränkischen (9) (siehe ausführlich STROBEL 2016): (4)
While J. D. has many nicknames, Dr. Beardfacé has very few [e].
(5)
Da oba hads no ∅, do kasch ∅ hola. [Handtücher] (Schwäbisch-Alemannisch)
(6)
The Janitor gave him the wrong one. [key]
(7)
a. b.
(GLASER 2008)
Ik heb er drie gekocht. [appels] ich habe ER drei gekauft ‘Ich habe drei gekauft.’ [Äpfel] Hei sein ere. [Pilze] (SyHD E1-21) ‘Hier sind welche.’
(Standardniederländisch)
Willst du noch welche? [Kirschen] Mɔgst no õa? [kiaschn]
(Standarddeutsch) (Bairisch)
(8)
a. b.
(9)
Geschwister? Ek hawwe fiew-e. Gschwisda? Isch häb finf-e. (SyHD E3-16)
(Zentralhessisch)
(Westfälisch) (Rheinfränkisch)
Zwischen den angeführten Strategien bestehen wichtige – auch sprach- bzw. varietätenspezifische – Unterschiede in Bezug auf Definitheit (definit–indefinit), Zähl-
Nominale Ellipse im Westgermanischen
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barkeit (mass–count) und Kombinationsmöglichkeiten mit nominalen Modifikatoren, die bei Ellipse als Residuen zurückbleiben (quantifizierende und adjektivische Remnants): Nominale Ellipse scheint im Englischen mit einem gestrandeten Adjektiv einer gewissen Definitheitsanforderung im Singular zu unterliegen, denn während sie mit einem definiten Determinierer (the) oder auch einer nackten NP (im Plural und bei Massennomina) bei bestimmten semantischen Klassen deskriptiver Adjektive ohne one-insertion grammatisch sein kann (10), reduziert ein indefiniter Determinierer (a, some) die Akzeptabilität deutlich oder führt sogar zu Ungrammatikalität (11).4 In diesen Fällen ist one-insertion obligatorisch. Demgegenüber ist nominale Ellipse im Deutschen mit definiten wie indefiniten Determinierern möglich (12) (Beispiele aus PAYNE / HUDDLESTON 2002 und GÜNTHER 2013): (10)
a. b. c. d. e.
Knut wanted the purple wallpaper, but I wanted the mauve [e].5 Knut wanted the French caterers, but I wanted the Italian [e]. Lucie likes young/big dogs, but I prefer old/small [e]. Henrietta likes red shirts, and I like blue [e]. Henrietta likes Russian vodka, and I like Polish [e].
(11)
a. b. c.
?Harvey bought a red shirt and I bought a blue [e]. *Lucie bought a young dog, but I bought an old [e]. ?I bought some Chinese food rather than some Indian [e].
(12)
a.
Sicher ist diese Etappe nicht die letzte [e] auf dem Weg zur Vereinigung Europas. An den öffentlichen Teil schließt sich noch ein nichtöffentlicher [e] an.
b.
Standard- bzw. nieder-/norddeutsches welch-/we(l)k- und bairisches ein-, die niederländische und vor allem mitteldeutsche er(e)-Strategie sowie die alemannische Null-Anapher (∅) können generell nur bei indefiniten Nominalphrasen auftreten und entsprechen im Englischen in den Fällen ohne Remnant meist dem Indefinitpronomen some (zu Kookkurrenzmöglichkeiten von er(e) mit nominalen Modifi-
4
5
Grundsätzlich sind elliptische Nominalphrasen mit deskriptiven (im Unterschied zu diskursreferenziellen) Adjektiven als Remnant nur bei bestimmten Klassen von Adjektiven möglich, wie PAYNE / HUDDLESTON (2002) und GÜNTHER (2013) zeigen. Dazu gehören unter anderem Adjektive der Beschaffenheit (Farbe, Herkunft, Struktur etc.), solche, die grundlegende physische Eigenschaften ausdrücken (Alter, Größe etc.), sowie Superlative und (definite) Komparative (siehe Abschnitt 4.2). Auch bei Komparativen scheint also eine Definitheitsbeschränkung vorzuliegen (Beispiele aus PAYNE / HUDDLESTON 2002): (i) There are two sisters, but the elder is already married. (i’) *Hugo has a big house, but Karl has a bigger. Bezüglich der Grammatikalität nominaler Ellipse mit deskriptiven Adjektiven herrscht allerdings Uneinigkeit. So erachtet beispielsweise LLOMBART-HUESCA (2002) äquivalente Beispiele mit einem Farbadjektiv als ungrammatisch ohne one-insertion: (i) I like the blue car but I don‘t like the pink *(one).
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katoren in verschiedenen niederländischen und deutschen Varietäten vgl. STRO2016). Die definite Bezugnahme erfolgt hingegen durch Personalpronomina. Die englische one-Anapher ist für das Merkmal [+COUNT] spezifiziert, das heißt, sie kann sich nur auf ein zählbares Antezedens beziehen. Das zeigt, dass die Wahl der syntaktischen Lizenzierungsstrategie nicht nur vom (in den germanischen Sprachen) pränominalen Element abhängt (Determinierer, Numeralien/Quantoren, Adjektive, Possessive), sondern auch vom Antezedens. Zählbarkeit spielt auch bei den meisten anderen Strategien eine Rolle, denn es lassen sich häufig Unterschiede zwischen singularischen vs. pluralischen Individuativa und Kontinuativa als Antezedentien beobachten: Zumeist clustern count nouns im Plural mit mass nouns, so etwa im Falle von indefinit-partitivem welch-/we(l)k- und der NullAnapher (∅), die beide für pluralische Individuativa und für Massennomina verwendet werden und damit in Opposition zum Indefinitpronomen ein- für singularische Individuativa stehen. Im Gegensatz dazu findet ein- im Bairischen generell bei der indefiniten anaphorischen Wiederaufnahme Anwendung, unabhängig vom Kriterium der Zählbarkeit, es besteht jedoch morphologisch eine Formendifferenzierung nach Numerus und Genus (vgl. GLASER 1996). Bei der er(e)-Strategie zeigen sich hinsichtlich Zählbarkeit und Genusdifferenzierung feine mikrovariationelle Unterschiede innerhalb und zwischen den niederländischen und mitteldeutschen Systemen: Im Standardniederländischen wird partitives/quantitatives er lediglich für pluralische count nouns verwendet, in südlichen, insbesondere belgischen Varietäten kann sich das Pronomen hingegen auch auf mass nouns beziehen. Letzteres trifft auch auf die deutschen archaischen Genitivpartikeln zu, wobei es hier im Gegensatz zum niederländischen System zudem eine Genusunterscheidung gibt, mit morphologisch unterschiedlichen Formen für Individuativa im Plural und Massennomina im Femininum einerseits, (d)(ə)r(ə), und für Massennomina im Maskulinum/Neutrum andererseits, je nach Subdialekt s(ə)n oder əs (vgl. hierzu genauer STROBEL 2016). Weiterer Klärungsbedarf besteht hinsichtlich des syntaktischen Status des an der Stelle der Ellipse angenommenen pro (vgl. u. a. LOBECK 1995; KESTER 1996; SLEEMAN 1996) im Unterschied zu Nullsubjekten, die in der GB-Theorie bei prodrop-Sprachen ebenfalls als pro charakterisiert werden. Obwohl es sich dabei auch um eine leere Kategorie des Typs [+pronominal], [–anaphorisch] handelt, muss hier im Gegensatz zum pro in Nullsubjektsprachen, das für D/DP steht, etwas N-Artiges (N/N’/NP) vorliegen. Weitestgehend unklar ist außerdem der Status der alemannischen Null-Anapher (∅), auch im Vergleich etwa zu Nullobjekten im Portugiesischen. Fest steht, dass sie nur bei indefiniten Antezedentien auftritt, immer partitiv verwendet wird und auf den Ersatz von Stoffnomina und Pluralia beschränkt ist.6 Der Charakter der Schwa-Endung an Numeralien, die auch in BEL
6
Ich danke einem anonymen Gutachter für die kritische Anmerkung, ob es sich bei solchen „Objektauslassungen“ wirklich um N-Ellipsen handle. Grundsätzlich stütze ich mich bei der Sichtweise, sowohl Elisions- als auch Pronominalisierungsstrategien als Instanzen nominaler Ellipse aufzufassen, unter anderem auf CORVER / VAN KOPPEN (2011). Ob die Null-Anapher (∅) einen Fall von nominaler Ellipse darstellt oder nicht, ist letztlich von ihrer endgültigen Analyse abhängig. Aus meiner Sicht handelt es sich dabei jedoch nicht um eine einfache Ob-
Nominale Ellipse im Westgermanischen
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anderen elliptischen Kontexten wie bei Uhrzeitangaben (z. B. um zwölf-e für um zwölf Uhr) vorkommt, ist ebenfalls noch nicht geklärt: Statt als Flexionsendung wurde Schwa an Kardinalia bei nominaler Ellipse als (pro-)nominales Element (KRANENDONK 2009 und CORVER / VAN KOPPEN / KRANENDONK 2009 zu den niederländischen bzw. STROBEL 2016 zu den deutschen Dialekten) oder als Classifier (KRANENDONK 2010) analysiert.7 Wichtige Forschungsdesiderata betreffen also den syntaktischen Status der genannten Strategien sowie das Verhältnis der unterschiedlichen Strategien zueinander, etwa zwischen nominaler Ellipse im engeren Sinne und one-insertion sowie allgemein zwischen Elision und Pronominalisierung. Obwohl es sich freilich zum Teil um unterschiedliche Phänomene handeln dürfte, ist ihnen doch gemeinsam, dass es dabei um Strategien geht, ein aus dem Diskurs bekanntes Nomen nicht auszubuchstabieren. Ein Vergleich der Gemeinsamkeiten und Unterschiede der verschiedenen Ausdrucksmittel ist daher lohnend. 3
BEDINGUNGEN UND RESTRIKTIONEN NOMINALER ELLIPSE
Rein deskriptiv stellt sich bei der Wahl der Lizenzierungsstrategie – abhängig von Definitheit, der Zählbarkeit des Bezugsnomens und (prä-)nominalen Modifikatoren – zunächst die Frage, in welchen Kontexten das Nomen „einfach weggelassen“ werden kann, das heißt, welche Elemente nominale Ellipse lizenzieren, und in welchen Fällen ein Pronomen wie engl. one nötig ist. Basierend auf einer Literaturrecherche in deskriptiven Grammatiken führt GÜNTHER (2013) für das Englische als Lizenzierer nominaler Ellipse vor allem Numeralien/Quantoren und Possessive an: Nach Kardinalzahlen und nach Quantoren wie all, both (‚universal determiners’); some, any (‚existential determiners’); a few, a little, several (‚positive paucal determiners’); many, much8, few, little (‚degree determiners’); enough, sufficient (‚sufficiency determiners’) (Klassifikation basierend auf HUDDLESTON / PULLUM 2002 und PAYNE / HUDDLESTON 2002) sowie nach den pluralischen De-
7
8
jektauslassung – ein Begriff, der zudem erst genauer definiert werden müsste – wie etwa in Er isst gerade/gerne, sondern um eine Instanz von Pronominalisierung, weil sie sich funktional und syntaktisch ähnlich wie die indefinit-partitiven Pronomina welch- und ein- verhält: Zwischen den verschiedenen Strategien besteht eine funktionale Äquivalenz (und übrigens auch areale Konkurrenz innerhalb des deutschen Sprachraums) und syntaktisch ist ihnen gemeinsam, dass sie nicht mit Numeralien/Quantoren und Adjektiven kompatibel sind. Außerdem hat die Nullstelle (∅) anaphorische Funktion, was sie ebenfalls von gewöhnlichen Objektauslassungen unterscheidet. OLIVER SCHALLERT verdanke ich den Hinweis auf ROGER LASS’ (1990) How to do things with junk: exaptation in language evolution, wo es um im Verschwinden begriffene Flexionsformen bzw. Unterscheidungen geht, die refunktionalisiert werden. Bei der Schwa-Endung an Zahlwörtern bzw. eventuell auch bei dialektal noch fortlebenden unterschiedlichen Flexionsformen von zwei (siehe Abschnitt 4.1.1) könnte es sich um solch einen „Junk“ handeln, der nun für eine Opposition zwischen overtem Nomen und Fällen nominaler Ellipse genutzt wird. Die Inkompatibilität eines Massenquantors wie much mit one ist erwartet, da die one-Anapher ja der Beschränkung auf [+COUNT]-Bezugsnomina unterliegt (vgl. GÜNTHER 2013).
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monstrativa these und those ist im Englischen ausschließlich Elision möglich (Typ 1: (*one)). Für die Lizenzierung nominaler Ellipse ohne one-insertion scheint demnach (inhärenter) Plural eine entscheidende Rolle zu spielen (vgl. LOBECK 1995). Aber auch Possessive wie pränominale phrasale Genitive (Bill’s) und selbständige Possessivpronomina (his) lizenzieren die Tilgung des Kopfnomens. Sowohl nominale Ellipse als auch one-insertion, also optionales one (Typ 2: (one)), kann hingegen nach another, other (‚alternative(-additive) determiners’); either, neither (‚disjunctive determiners’); dem distributiven Determinierer each (im Gegensatz zu every); nach Superlativen (the tallest); nach diskursreferenziellen Adjektiven wie same, next, last, following, previous und Ordinalzahlen (second) sowie nach dem Interrogativpronomen which auftreten. Diese Optionalität stellt auch einen theoretisch interessanten Fall dar, der erklärungsbedürftig ist und in eine Theorie der Lizenzierung integriert werden muss. Obligatorisch ist oneinsertion (Typ 3: *(one)) nach dem distributiven Determinierer every sowie dem definiten Artikel the zusammen mit einem postnominalen Modifikator. Uneinigkeit besteht in Bezug auf deskriptive Adjektive und die singularischen Demonstrativa this und that, bei denen one-insertion nicht in allen Fällen zwingend erforderlich zu sein scheint (siehe GÜNTHER 2013). Bei Ellipse mit one-insertion muss Numerus an one markiert werden (vgl. BARBIERS 2005). Grundsätzlich inkompatibel mit der Weglassung des nominalen Kopfes (Typ 4: *(*one)) sind schließlich der indefinite Artikel a(n), der negative Determinierer no und die abhängigen Possessivdeterminierer my, your etc. An deren Stelle treten bei Ellipse das Numerale one, das unabhängige Negationselement none bzw. die selbständigen Possessivpronomina mine, yours etc. ein. Vergleicht man nun das Deutsche in Bezug auf die Voraussetzungen für nominale Ellipse mit den dargestellten Verhältnissen im Englischen, so kann man feststellen, dass nominale Ellipse im Deutschen schwächeren Bedingungen unterliegt, also weniger restringiert ist als im Englischen. Als Erklärung hierfür können allgemeine sprachspezifische Eigenschaften bzw. typologische Aspekte angeführt werden, denn es scheint ein Zusammenhang mit den unterschiedlichen Flexionssystemen der beiden Sprachen, mit deren Inventar an Flexionsmarkierungen zu bestehen (vgl. z. B. GÜNTHER 2013): Das Englische, das ein armes Flexionssystem hat, weist relativ strenge Bedingungen bezüglich des Gebrauchs von Nominalphrasen ohne Nomen auf, wohingegen es das Deutsche mit seinem reicheren Flexionssystem (Genus, Numerus und Kasus sind hier in der Nominalphrase morphologisch kodiert) eher erlaubt, dass das Nomen stumm bleibt. Bevor ich mich möglichen Erklärungsansätzen für die Lizenzierung nominaler Ellipse im Allgemeinen und für solche sprachspezifischen Unterschiede im Besonderen zuwende, soll diese Beobachtung empirisch untermauert werden. Nominale Ellipse bzw. Elision ist im Deutschen nicht nur mit Determinierern (definiter Artikel, Demonstrativa, distributive Determinierer), sondern auch mit (deskriptiven) Adjektiven weniger restringiert als im Englischen (siehe GÜNTHER 2013): (13)
a.
There is no conversation more boring than the *(one) where everybody agrees.
Nominale Ellipse im Westgermanischen
47
b.
Die Folgen der ersten Staffel waren besser als die [e] der folgenden Staffeln.
(14)
a. b.
I like your car but I prefer that *(one). (LLOMBART-HUESCA 2002) Mir gefällt dein Auto, aber ich bevorzuge jenes [e].
(15)
a.
He received over a hundred letters and replied to every *(one). (PAYNE / HUDDLESTON 2002) Dieses Jahr war nicht wie jedes [e].
b. (16)
a. b.
John watches stupid programs, but Mary watches intelligent *(ones). Es gab nicht nur fleißige Schüler in der Klasse, sondern auch faule [e].
Beispiel (13) zeigt, dass Elision im Englischen beim definiten Artikel ungrammatisch ist und zwingend one erscheinen muss. Im Deutschen hat der (mit dem definiten Artikel homonyme, aber betonte) Determinierer in einem analogen Beispiel jedoch klar demonstrativen Charakter, sodass man auch für das Deutsche – im Gegensatz zu GÜNTHER (2013)9 – davon ausgehen muss, dass bloße Tilgung des Nomens beim Definitartikel nicht möglich ist, sondern dass stattdessen ein Demonstrativum eintritt. Bei den Demonstrativa in (14) zeigt sich, dass hier im Deutschen auch im Singular Elision unproblematisch ist, während im Englischen singularische Demonstrativa etwa laut LLOMBART-HUESCA (2002) nominale Ellipse nicht lizenzieren,10 sondern gewöhnlich one-insertion erfordern. Wie die Beispiele in (15) veranschaulichen, ist auch beim distributiven Determinierer every im Englischen one obligatorisch (bei each hingegen lediglich optional), wohingegen jede(-r/-s) im Deutschen Elision des Nomens erlaubt. Neben den genannten Determinierern kann nominale Ellipse im Deutschen anders als im Englischen außerdem nicht nur mit diskursreferenziellen, sondern – wie (16) zeigt – auch mit deskriptiven Adjektiven auftreten (siehe hierzu aber die Diskussion in Abschnitt 2, insbesondere die Beispielsätze [10]–[12]). Ellipse mit adjektivischem Remnant ist im Deutschen zudem insofern weniger restringiert, als sie im Gegensatz zum Englischen wie oben gezeigt keiner Definitheitsbeschränkung unterliegt, sondern auch mit indefinitem Determinierer auftreten kann (vgl. [11] vs. [12b]).
9 10
GÜNTHERS (2013) Beispiel für Ellipse mit definitem Artikel lautet: (i) Wir sehen unseren Horizont weiter als den der Kirchen. Deskriptiven Grammatiken wie The Cambridge Grammar of the English Language zufolge handelt es sich jedoch bei singularischen Demonstrativa im Englischen zumindest um marginale Lizenzierer nominaler Ellipse, was in den Beispielen hier auf starken kontrastiven Fokus zurückgeführt werden könnte (zu Unterschieden zwischen that und this vgl. KAYNE 2014): (i) This copy is clearer than that (one). (STIRLING / HUDDLESTON 2002) (ii) That sausage has only 25 % meat, but this ?(one) has 90 %. (PAYNE / HUDDLESTON 2002)
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THEORIEN ZUR LIZENZIERUNG NOMINALER ELLIPSE
Für die zentrale Ausgangsbeobachtung, wonach nominale Ellipse in manchen Sprachen (wie dem Englischen) stärker restringiert ist als in anderen (etwa im Deutschen), sollen im Folgenden Erklärungsansätze diskutiert werden. Dazu werden vor allem Daten aus dem Deutschen und Niederländischen (Standardsprachen und Dialekte) besprochen. Die bisherigen Analysen zur Lizenzierung nomenloser Nominalphrasen (für einen allgemeinen Überblick siehe u. a. LOBECK 2006; ALEXIADOU / HAEGEMAN / STAVROU 2007; GÜNTHER 2013; VAN CRAENENBROECK / MERCHANT 2013 und SAAB in Vorbereitung) stellen entweder 1.) Flexionseigenschaften bzw. Kongruenzmerkmale in den Vordergrund (vgl. u. a. BARBIERS 1990; LOBECK 1995; KESTER 1996; PANAGIOTIDIS 2002; 2003a; 2003b) oder 2.) semantische Merkmale bzw. die Konzepte Partitivität und Spezifität (vgl. v. a. SLEEMAN 1996; BOUCHARD 2002) oder aber 3.) informationsstrukturelle Eigenschaften der nominalen Domäne wie kontrastiven Fokus (vgl. CORVER / VAN KOPPEN 2009; EGUREN 2010) oder schließlich 4.) die Rolle von Klassifikatoren bzw. einer Classifier Phrase (ClassP) in der DP (vgl. ALEXIADOU / GENGEL 2012). Im Mittelpunkt dieses Papers steht eine Diskussion der Stärken und Schwächen des flexionsmorphologischen Erklärungsansatzes (Abschnitt 4.1). Bei dem dabei angenommenen morphosyntaktischen Lizenzierungsmechanismus spielt Adjektivmorphologie eine zentrale Rolle als Lizenzierer des ausgelassenen Nomens. Die formalen (Phi-)Merkmale des fehlenden Nomens können durch das Suffix an einem Modifikator (Adjektiv, Quantor, Numerale etc.), der als Residuum zurückbleibt, wiederhergestellt werden, da es Genus-, Numerus- und ggf. Kasusinformationen enthält. Eine erneute Überprüfung der Flexions-/Kongruenzanalyse anhand neuer (dialektaler) Daten aus dem Deutschen und Niederländischen soll zur „Wiederbelebung“ dieses etwa für die Erklärung der Unterschiede zwischen nominaler Ellipse im Englischen und Kontinentalwestgermanischen sehr attraktiven Ansatzes beitragen, nicht zuletzt deshalb, weil auch semantische Analysen (Partitivität) und informationsstrukturelle Erklärungen (Fokus) auf massive Probleme stoßen und der rezente Classifier-Ansatz von ALEXIADOU / GENGEL (2012) wieder in Richtung morphosyntaktische Lizenzierung und Rolle der Flexion geht (Abschnitt 4.2). 4.1
Erklärungspotenzial und Probleme des Flexions-/ Kongruenzansatzes
Der Flexions-/Kongruenzansatz geht davon aus, dass das fehlende Nomen dieselben morphosyntaktischen Merkmale wie das Adjektiv als Remnant im elliptischen Teil trägt und die Anwesenheit von Genus-, Numerus- und Kasusmarkierungen am Adjektiv die Lücke lizenziert (17). Nominale Ellipse wird im Deutschen sowohl bei starker (17a) als auch bei schwacher Adjektivflexion (17b) lizenziert:
Nominale Ellipse im Westgermanischen
(17)
a. b.
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Ich habe ein rot-es Auto und Hans hat ein grün-es Auto. Das neu-e Auto ist viel schneller als das alt-e Auto.
Zu Zeiten der GB-Theorie wurde an der Position des weggelassenen Nomens ein (basisgeneriertes) leeres Pronomen pro angenommen, das lizenziert und identifiziert werden muss (vgl. LOBECK 1995; KESTER 1996; SLEEMAN 1996 sowie den Überblick bei CORVER / VAN KOPPEN 2011 und BROEKHUIS / DEN DIKKEN 2012). Dabei erfolgt die Lizenzierung von pro über Kongruenz in Form von overter Anwesenheit von Adjektivflexion und die Identifizierung bzw. Interpretation des Gehalts von pro unter Identität mit einem Antezedens (zu Subjekt-pro-drop vgl. RIZZI 1986 und zur Geschichte von pro PANAGIOTIDIS 2003a). Dieser Ansatz macht die Vorhersage, dass nominale Ellipse ungrammatisch ist, wenn keine (overte) Adjektivflexion vorhanden ist, da dann pro nicht lizenziert ist. Im Folgenden soll überprüft werden, ob diese Voraussage korrekt ist. Es werden zunächst Argumente dafür geliefert (Abschnitt 4.1.1) und schließlich problematische empirische Daten besprochen (Abschnitt 4.1.2). 4.1.1 –
Argumente für Flexion/Kongruenz als Lizenzierer nominaler Ellipse
„ein-Wörter“ (Indefinitartikel ein-, negativer Determinierer kein- und possessive Determinierer mein- etc.) im Deutschen (vgl. u. a. LOBECK 1995; GÜNTHER 2013):
In Tabelle 1 ist das Flexionsparadigma der Artikelwörter des Typs ein-, kein-, mein- (DUDEN-Grammatik 2009) im Deutschen dargestellt. Innerhalb dieses eigentlich adjektivischen Flexionsmusters (wie bei dieser) treten bei den Artikelwörtern der Familie ein- einzelne endungslose Formen auf, und zwar im Nominativ Singular Maskulinum und im Nominativ / Akkusativ Singular Neutrum:
NOM. AKK. DAT. GEN.
MASK. – -en -em -es
SING. NEUT. – – -em -es
FEM. -e -e -er -er
PLUR.11 -e -e -en -er
Tab. 1: Flexion der „ein-Wörter“ (ein-, kein-, mein-) im Deutschen
Während die flektierten Formen des Paradigmas in elliptischen Nominalphrasen erscheinen können (18a), können die unflektierten Formen des NOM. SING. MASK. und NOM. / AKK. SING. NEUT. nicht elliptisch gebraucht werden, sondern an ihre Stelle müssen spezielle flektierte Formen treten (18b). Wenn also kein flektiertes 11
Die Pluralendungen gelten natürlich nur für kein- und mein- etc., nicht für den Indefinitartikel, wo im (Standard-)Deutschen im Plural der Nullartikel steht.
50
Thomas Strobel
Wort im gleichen Kasus folgt, erscheint bei ein-, kein-, mein- ein lückenloses pronominales Muster anstatt der endungslosen Formen.12 Der Determinierer bleibt jedoch unflektiert, wenn ein Adjektiv interveniert, das stark flektiert (18c). Um nominale Ellipse zu lizenzieren, muss demnach mindestens eines der Elemente in der DP – entweder der Determinierer oder das Adjektiv – starke Flexion aufweisen (siehe auch ALEXIADOU / GENGEL 2012; zur Merkmalsverteilung in der DP, Wortgruppenflexion bzw. Deklination im Verbund und Tendenz zur Monoflexion vgl. etwa GALLMANN 1996 und DUDEN-Grammatik 2009): (18)
a. b. c.
Als Charlie schon wieder ein-e Freundin mit nach Hause bringt, ist Alan sauer, dass er kein-e hat. Als Charlie von Alan sein Geld zurückhaben möchte, muss dieser zugeben, dass er kein*(-(e)s) hat. Obwohl sein Auto schon wieder mal in der Werkstatt ist, kann er sich kein neu-es leisten.
Die hier vorgefundenen Flexionsverhältnisse erinnern an die bei Split-Topikalisierung bzw. der DP-Split-Konstruktion. Bei der Aufspaltung einer Nominalphrase kommt es, wie die Beispiele (19) und (20) zeigen, ebenfalls zu einer morphologischen Anpassung,13 da beide Teile einen Hauptmerkmalsträger haben müssen (vgl. GALLMANN in DUDEN-Grammatik 2009): (19)
a. b.
Ich habe [DP kein Geld]. [NP Geld] habe ich [DP kein*(-(e)s)].
(20)
a. b. c.
Es war kein braun-er Zucker vorhanden. (DUDEN-Grammatik 2009) Zucker war kein braun-er vorhanden. Braun-er Zucker war kein*(-er) vorhanden.
–
unflektierte Adjektive im Deutschen (vgl. auch GÜNTHER 2013):
Im Deutschen gibt es eine Reihe nicht flektierbarer Adjektive, bei denen es sich überwiegend um Fremd- bzw. Lehnwörter handelt. Dazu gehören insbesondere einige Farbadjektive (beige, lila, magenta, oliv, orange, rosa, türkis etc.) sowie einige meist wertende Adjektive (egal, gratis, klasse, okay, prima, sexy, spitze, super, trendy etc.). Bei solchen indeklinablen Adjektiven kann man etwas zu den endungslosen Formen der Determinierer der Familie ein- Analoges beobachten:
12
13
Auch im Englischen sind es – wie in Abschnitt 3 dargestellt – die Determinierer a(n), no, my, die keine nominale Ellipse zulassen. Beim Gebrauch ohne nominalen Kopf treten an deren Stelle die selbständigen Gegenstücke one (Numerale), none und mine. Solche morphologischen Anpassungen werden von FANSELOW (2015) ‚Repairs’ genannt und stellen eines von mehreren Argumenten dar, die gegen eine Bewegungsanalyse diskontinuierlicher Nominalphrasen im Deutschen sprechen: (i) Sie kauft [keine polnischen Gänse]. (FANSELOW 2015) (i’) [Polnische Gänse] kauft sie [keine].
51
Nominale Ellipse im Westgermanischen
Nicht-flektierende Adjektive erlauben keine Ellipse (21a).14 In elliptischen Nominalphrasen werden hingegen – soweit verfügbar, wie im Falle der Farbadjektive – (nicht-standardkonforme) flektierende Formen verwendet, um die Auslassung des Nomens zu lizenzieren (21b). Bei aus phonologischen Gründen nicht flektierenden Adjektiven wie den auf einen unbetonten Vollvokal auslautenden Farbadjektiven lila und rosa, wird ein -n- eingeschoben, um Flexionsendungen anhängen zu können. In nicht-elliptischen Kontexten ist Flexion hingegen nicht obligatorisch (ein lila[-n-es] Hemd, rosa[-n-e] Gardinen). Außerdem werden in der Standardsprache oft flektierbare Komposita mit -farben/-farbig (lila-/rosafarben/-farbig) oder mit der entsprechenden Grundfarbe gebildet (olivgrün, rosarot): (21)
–
a. b.
*Robin hat ein blaues Kleid und Lily hat ein rosa [e]. Der verschlossene blaue Stimmzettelumschlag muss in den rosanen/rosafarbenen/-farbigen/rosaroten [e] gesteckt werden.
indefnite Nominalphrasen mit Kopfnomen im Neutrum Singular im Niederländischen (vgl. u. a. CORVER / VAN KOPPEN 2009; 2011; ZWART 2011; BROEKHUIS / DEN DIKKEN 2012; BROEKHUIS 2013):
Im Gegensatz zum Englischen ist nominale Ellipse mit einem gestrandeten Adjektiv im Deutschen und im Niederländischen ohne Pro-Form bzw. Dummy-Element wie engl. one möglich. Da attributive Adjektive im Kontinentalwestgermanischen im Unterschied zum Englischen Flexionsmorphologie aufweisen, ist ein Zusammenhang mit der Adjektivflexion zu vermuten, welche die Ellipse lizenziert. Im Niederländischen besteht diese im Suffix -e (Schwa) am Adjektiv (22a).
DEFINIT INDEFINIT
SING. NICHT-NEUT. NEUT. -e -e -e –
PLUR. NICHT-NEUT. -e -e
NEUT. -e -e
Tab. 2: Flexion attributiver Adjektive im Niederländischen
Wie Tabelle 2 zeigt, ist der einzige Fall, bei dem ein attributives Adjektiv endungslos bleibt (ohne Schwa), der einer indefiniten Nominalphrase mit einem Kopfnomen im Neutrum Singular (z. B. een wit-∅ konijnNEUT. ‘ein weißes Kaninchen’). Da in diesem Fall keine Adjektivkongruenz erscheint, ist hier Ellipse im Standardniederländischen ausgeschlossen (22b).
14
Die Möglichkeit nominaler Ellipse bei unflektierten Adjektiven wird derzeit im Rahmen des Projekts Syntax des Alemannischen (SynAlm) auch für das Alemannische getestet. Die Vorhersage, wonach nominale Ellipse in diesen Fällen nicht möglich sein sollte, scheint sich hier laut ELLEN BRANDNER (p. c.) zu bestätigen. Ein weiterer interessanter Testfall wären (etwa aus phonologischen Gründen) nicht-flektierbare Adjektive im Niederländischen (ebenfalls meist Fremdwörter) wie prima, albino, kaki, beige, oranje, privé, gratis, dronken, open etc.
52
Thomas Strobel
(22)
a. b.
(23) a. b. c.
Ik geef de voorkeur aan de/een grot-e (hond) / (de) grot-e (honden). ‘Ich bevorzuge den/einen großen (Hund) / (die) große(n) (Hunde).’ Ik wil liever een wit *(konijn). ‘Ich will lieber ein weißes (Kaninchen).’ (umgangssprachliches Niederländisch) (CORVER / VAN KOPPEN 2009) %Ik heb gisteren een zwart-e __ zien lopen. [konijn] ‘Ich habe gestern ein schwarzes laufen sehen.’ [Kaninchen] Ik heb gisteren een zwart(*-e) konijn zien lopen. ‘Ich habe gestern ein schwarzes Kaninchen laufen sehen.’ %Jij hebt een ZWART konijn, maar ik heb een WIT __. ‘Du hast ein schwarzes Kaninchen, aber ich habe ein weißes.’
Einige Sprecher tendieren in der Umgangssprache jedoch dazu, die Ellipse zu retten, indem sie auch bei indefiniten DPs mit weggelassenem Nomen im Neutrum Singular Schwa am Adjektiv hinzufügen, vgl. (23a). Laut CORVER / VAN KOPPEN (2009) wird dies zwar nicht von allen Sprechern des Niederländischen akzeptiert, aber von einer großen Untergruppe. Schwa würde hier jedoch in nichtelliptischen Kontexten mit overtem Kopfnomen zu einem ungrammatischen Ergebnis führen, wie (23b) zeigt. Das deutet bereits darauf hin, dass -e in (23a) nicht aus Kongruenzgründen vorhanden sein kann, da bei indefiniten Nomina im Neutrum Singular ja gerade kein Schwa am Adjektiv auftritt. Hinzu kommt, dass nominale Ellipse hier auch ohne Rettung durch Schwa mit kontrastivem Fokus in vielen südlichen Dialekten grammatisch und für einige Sprecher der nördlichen niederländischen Umgangssprache (marginal) akzeptabel ist (23c). Es scheint also eine Wahl zwischen Adjektivendung und kontrastivem Fokus als Lizenzierer von Ellipse zu bestehen (siehe hierzu ausführlicher Abschnitt 4.2). –
quantitatives Pronomen er bei einem Numerale/Quantor als Remnant im Niederländischen (vgl. etwa CORVER / VAN KOPPEN / KRANENDONK 2009):
Im Niederländischen muss bei Ellipse in indefiniten Nominalphrasen mit gestrandeten Mengenangaben wie Numeralien (een/één ‘ein-/eins’, twee ‘zwei’, drie ‘drei’ etc.), dem negativen Determinierer/Quantor geen ‘kein-’ sowie schwachen Quantoren (veel ‘viel’, weinig ‘wenig’, enkele ‘einige’, genoeg ‘genug’ etc. und binominale Quantoren een paar ‘ein paar’, een boel ‘ein Haufen’, een massa ‘eine Menge’ etc.) das quantitative Pronomen er erscheinen, sofern kein Adjektiv folgt. Das Pronomen tritt nur bei weggelassenem Nomen auf, vgl. (24a) vs. (24b): (24)
Hoeveel kinderen heeft hij? ‘Wie viele Kinder hat er?’ a. Hij heeft *(er) twee. b. Hij heeft (*er) twee kinderen. ‘Er hat zwei (Kinder).’
Nominale Ellipse im Westgermanischen
53
Es stellt sich die Frage, warum er in diesen Fällen obligatorisch ist. Die Standardantwort hierauf ist, dass er die nominale Ellipse lizenziert (vgl. u. a. BENNIS 1986; KESTER 1996): Wie im Rahmen der Flexions-/Kongruenzanalyse angenommen, wird nominale Ellipse durch (Adjektiv-)Flexion lizenziert. Da Numeralien/Quantoren im (Standard-)Niederländischen jedoch nicht flektieren, können sie Ellipse nicht lizenzieren und er muss erscheinen. Während dies aber für das Niederländische gilt und für diese Sprache eine attraktive Erklärung darzustellen scheint, gibt es im (Standard-)Deutschen und Englischen kein vergleichbares Pronomen und dennoch ist Ellipse mit Numeralien/Quantoren als Remnant möglich, obwohl sie in diesen Sprachen meist ebenfalls nicht flektieren (siehe Abschnitt 4.1.2). –
Kontrast bei der Lizenzierung nominaler Ellipse mit residualem één/geen vs. ein-/kein- im Niederländischen bzw. in (mittel-)deutschen Dialekten:
Bei Ellipse mit één/geen bzw. ein-/kein- als Remnant zeigt sich ein deutlicher Kontrast zwischen dem Niederländischen und den (mittel-)deutschen Dialekten: Während im Niederländischen auch in diesem Fall quantitatives er obligatorisch erscheinen muss (25), ist der entsprechende Pronominalgenitiv ere in den deutschen Dialekten ungrammatisch. Ein Hinweis darauf findet sich schon bei WEISE (1906) für das Altenburgische (26) und dies bestätigte sich bei der direkten Erhebung von SyHD für die hessischen Daten (27): (25)
(Hoeveel boeken heb jij?) – Ik heb *(er) één/geen. ‘(Wie viele Bücher hast du?) – Ich habe eines/keines.’
(26)
(Hast du Äpfel?) – Ich håå (*er) enn/kenn. (WEISE 1906) (Ostthüringisch)
(27)
SyHD: alle Dialekte Hessens mit partitiven Genitivpartikeln (hier in der standarddeutschen Protoversion wiedergegeben): a. Wie viele Gummibärchen hat Helmut? – Helmut hat (*ere) ein(e)s. (SyHD DP-13) b. Haben wir noch Plätzchen? – Nein, wir haben (*ere) keine(/-s) mehr. (SyHD DP-06)
Wenn wir auch hier unserer Argumentationslinie folgen, dann ließe sich dieser Unterschied damit erklären, dass im Niederländischen één/geen – wie Numeralien/Quantoren allgemein – nicht flektieren und sie daher nominale Ellipse nicht lizenzieren können. Deshalb tritt das Pronomen er ein. In den deutschen Dialekten hingegen tragen ein-/kein- Flexionsmorphologie, weshalb sie die Auslassung des Nomens lizenzieren können und das äquivalente Pronomen ere nicht nötig ist.15 Das unterscheidet ein-/kein- von den pluralischen Kardinalzahlen zwei, drei, vier etc., die in den allermeisten Fällen nicht (mehr) flektiert werden. Problematisch ist 15
Im Luxemburgischen (Moselfränkisch) scheint es hier jedoch einen interessanten Unterschied zwischen den vollen und reduzierten Formen des partitiven Genitivpronomens zu geben: CAROLINE DÖHMER (p. c.) zufolge sind die Vollformen (där/däers) zusammen mit ein-/keinmöglich (wenn auch fakultativ), die reduzierten Formen (der/es) hingegen nicht.
54
Thomas Strobel
jedoch der Befund, dass ere hier allenfalls fakultativ ist (siehe Abschnitt 4.1.2). Aufschlussreich in Bezug auf die Frage nach der Kookkurrenz von Genitivpartikel und Numerale könnten Dialekte des Deutschen mit Genusunterscheidung beim Zahlwort zwei sein, die vereinzelt auch noch im SyHD-Gebiet vorkommen.16 –
komplementäre Distribution von partitiven/quantitativen Pronomina (nl. er/hess. ere) und Adjektivflexion im (nördlichen Standard-)Niederländischen und den (allermeisten) hessischen Dialekten:
Wie die folgenden Beispiele zeigen, können weder im Niederländischen (28) noch in den deutschen Dialekten (29) er(e) und Adjektive kookkurrieren (vgl. auch STROBEL 2016). Würde im niederländischen Beispiel jedoch das Adjektiv groene ‚grüne’ fehlen, also nur das Zahlwort twee ‚zwei’ in der elliptischen Nominalphrase zurückbleiben, so wäre – wie bereits gezeigt – das Pronomen er obligatorisch. (28)
Hij heeft drie rod-e appels en ik heb (*er) twee groen-e. ‘Er hat drei rote Äpfel und ich habe zwei grüne.’ (nördliches Standardniederländisch)
(29)
a.
(Hast du Äpfel?) – Jåå, ich håå (*er) guud-e.
b.
Dort drüben gibt es schön-e groß-e Erdbeeren. Hier sind (*ere) bloß klein-e. (SyHD E3-21, siehe hierzu Abb. 1) (hessische Dialekte)
(WEISE 1906) (Ostthüringisch)
Eine Erklärung für eine solche komplementäre Verteilung von er(e) und Adjektiven wäre, dass sowohl das partitive/quantitative Pronomen als auch die Adjektivflexion die Funktion haben, nominale Ellipse zu lizenzieren, er(e) also nicht nötig ist, wenn ein Adjektiv mit Kongruenzmerkmalen zur Identifizierung des fehlenden Nomens vorhanden ist. Allerdings trifft diese Kookkurrenzbeschränkung zwar auf den Standard und die nördlichen Dialekte des Niederländischen sowie auf den Großteil der mitteldeutschen Dialekte (hier Altenburgisch und die Dialekte Hessens) zu, jedoch offenbar nicht auf belgisch-niederländische Varietäten (30a) und hoch-/höchstalemannische Dialekte wie das Berndeutsche (30b). Hier kann er(e) (zumindest optional) durchaus zusammen mit Adjektiven auftreten. Da Pronominalisierung und Adjektivflexion in diesen Dialekten/Regiolekten nicht in Konkurrenz stehen, greift die vorgeschlagene Erklärung für diese Varietäten nicht: (30)
16
a.
Hij hee vijf ruuë appels en ik he (der) vier groen-e. ‘Er hat fünf rote Äpfel und ich habe vier grüne.’ (KRANENDONK 2010) (Ostflämisch)
Für Dialekte, in denen grundsätzlich noch Pronominalgenitive wie ere vorkommen und zwei nach Genus flektiert, wäre dann – analog zu ein- – zu erwarten, dass diese nicht kookkurrieren, weil das flektierte Numerale die Phi-Merkmale identifiziert und damit die nominale Ellipse bereits lizenziert (SyHD-Fragen zur Flexion von zwei: E4-12/-16; DP-05/-11/-19/-27/-30).
Nominale Ellipse im Westgermanischen
b.
Wi gseh d’Öpfel us? – Es hat ere schöni, aber es syn ere fuli drunder. (HODLER 1969) (Berndeutsch)
Abb. 1: Kookkurrenz des Partitivpronomens (e)r(e) mit Adjektiven in den Dialekten Hessens (SyHD E3-21)
–
55
Abb. 2: Komplementäre areale Distribution von partitivem Genitivpronomen (e)r(e) und Schwa am Zahlwort (SyHD E3-16)
komplementäre areale Distribution von partitivem/quantitativem Pronomen ere und Schwa an Numeralien („flektierte“ Zahlwörter) in den Dialekten Hessens:
Bei Kardinalzahlen als Remnant nominaler Ellipse trat im SyHD-Untersuchungsgebiet je nach Dialekt nicht nur der Pronominalgenitiv ere auf, sondern auch ein Suffix -e am Zahlwort (fünf-e): (31)
Geschwister? Ich habe (ere) fünf(-e). a. Geschwesder? Eich hu ere finf. b. Geschwister? Ich hon fünwe.
(SyHD E3-16) (Zentralhessisch) (Nordhessisch)
Beim Testsatz (31) zeigte sich für die Dialekte Hessens, dass der Pronominalgenitiv und Schwa eine komplementäre areale Verteilung aufweisen bzw. sich hinsichtlich der Verbreitung der beiden Strategien eine „anti-correlation“ (POSTMA 2011) ergibt. Abb. 2 lässt eine deutliche areale Trennung erkennen zwischen der Genitivpartikel ere (ohne Schwa am Zahlwort) in einem mittelhessischen Streifen mit dem Zentral- und Osthessischen sowie angrenzenden Übergangszonen einerseits
56
Thomas Strobel
(31a) und Schwa am Zahlwort (ohne ere) im Norden (niederdeutsche Varietäten West- und Ostfälisch sowie nördliches Nordhessisch plus Übergang zum Thüringischen) und im Süden Hessens (Rheinfränkisch) andererseits (31b und auch 9).17 Die beobachtbare Konkurrenzsituation zwischen ere und Schwa in den hessischen Dialekten, die aus dieser sprachgeografischen Verteilung hervorgeht, deutet darauf hin, dass die beiden sprachlichen Mittel eine ähnliche Funktion haben, nämlich ein leeres Nomen zu lizenzieren. Schwa an Numeralien tritt in der Tat ebenso wie das Partitivpronomen nur in elliptischen Kontexten auf.18 Andererseits ist gerade der Befund, dass Schwa an Zahlwörtern – im Unterschied zu Adjektivflexion – nur bei Ellipse auftritt, ein Argument dafür, dass es sich bei -e nicht um „Flexion“ handelt, sondern um ein (pro-)nominales Element (vgl. KRANENDONK 2009 und CORVER / VAN KOPPEN / KRANENDONK 2009 zu den niederländischen Varietäten bzw. STROBEL 2016 für die deutschen Dialekte). Außerdem verhalten sich ere und Schwa an Numeralien auch in Bezug auf Adjektive gleich, da beide Elemente nicht zusammen mit einem Adjektiv vorkommen. In einigen nordöstlichen und südwestlichen niederländischen Dialekten treten quantitatives er und „flektierte“ Numeralien jedoch gleichzeitig auf (vgl. KRANENDONK 2010 mit Daten aus dem Projekt Diversity in Dutch DP Design, DiDDD). Das Pronomen er ist in Beispiel (32a) aus dem Dialekt von Giethoorn sogar obligatorisch, obwohl das Zahlwort hier eine Schwa-Endung aufweist. Auch im deutschen Sprachraum finden sich beispielsweise für den Dialekt von Altenburg (historische) Kookkurrenzbelege für Pronominalgenitiv und -e am Zahlwort (32b): (32)
a. b.
17
18
Ik heb zes koen hie hef *(er) acht-e. ‘Ich habe sechs Kühe, er hat acht.’ (CORVER / VAN KOPPEN / KRANENDONK 2009) (Nedersaksisch) Ich håå er drai-e./Miir hunn er zahn-e gekooft. (WEISE 1906) (Ostthüringisch)
Im Gegensatz zu einigen niederländischen Dialekten (vgl. KRANENDONK 2010) ist der Kookkurrenzfall äußerst selten, ere und Schwa am Zahlwort treten zusammen also nur marginal und auf das gesamte Erhebungsgebiet verstreut auf. Darüber hinaus ist der standardkonforme Gebrauch des bloßen Zahlworts ohne Schwa und ohne ere – bis auf einige, vor allem nördliche Dialekte – nahezu in allen Dialekten parallel möglich (vgl. ausführlicher STROBEL 2016). Damit in Zusammenhang steht auch die Schwa-Endung, die diskontinuierliche Nominalphrasen mit Kardinalzahlen in der linken Peripherie grammatisch macht (i) – ein Typ von Diskontinuität, der sich sonst im Deutschen kaum findet, da in dieser Sprache normalerweise nur der niedrigste Kopf der DP bzw. die NP linksperipher erscheinen kann (i’) (vgl. FANSELOW 2015): (i) Fünf-*(e) hab ich Bücher geschrieben! (Beispiel (i) aus FANSELOW 2015) (i’) Bücher hab ich fünf-(?e) geschrieben! Freilich sind Sätze wie (i) nur mit Zahlwörtern möglich, die Schwa zulassen, also normalerweise nicht mit vokalisch auslautenden Kardinalzahlen wie zwei und drei (*zwei-e, *drei-e) oder mit „höheren“ Zahlen wie einundzwanzig etc. (*einundzwanzig-e).
Nominale Ellipse im Westgermanischen
4.1.2 –
57
Probleme des Flexions-/Kongruenzansatzes
pluralische Kardinalzahlen als Remnant lizenzieren im Deutschen und Englischen nominale Ellipse, obwohl sie nicht flektieren:
Wenn sich auch mit der Flexions-/Kongruenzanalyse viele Phänomene im Bereich nominaler Ellipse erklären lassen, so ergeben sich mit diesem Ansatz doch einige Probleme, die näher untersucht und erklärt werden müssen. Bei pluralischen Kardinalia als Residuum zeigt sich, dass Ellipse möglich ist (33a), obwohl diese im Deutschen keine Kongruenzmerkmale aufweisen bzw. sie die meisten ihrer Flexionseigenschaften verloren haben.19 Auch im Englischen ist in diesem Fall keine one-insertion erforderlich (33b). Und während hier im Niederländischen – wie in Abschnitt 4.1.1 dargestellt – das quantitative Pronomen er erscheinen muss (34a), ist das äquivalente ere in den einschlägigen hessischen Dialekten mit relikthaften Pronominalgenitiven zusammen mit Numeralien bestenfalls fakultativ (34b): (33)
a. b.
Sie hat drei Äpfel und ich habe nur zwei. (Neuhochdeutsch) She has three apples, and I have only two (*ones). (Englisch)
(34)
a. b.
Ik heb *(er) drie gekocht. [appels] (= 7a) (Standardniederländisch) Geschwister? Ich hon (ere) fönf. (SyHD E3-16) (Osthessisch)
–
einige deskriptive Adjektive im Englischen erlauben trotz grundsätzlich fehlender Adjektivmorphologie nominale Ellipse statt one-insertion (siehe hierzu die Diskussion in GÜNTHER 2013):
Problematisch ist ferner, dass bei bestimmten semantische Klassen von Adjektiven im Englischen Elision möglich ist, also keine one-Anapher zur Ellipsenlizenzierung nötig ist, obwohl in dieser Sprache generell keine Kongruenzmerkmale an Adjektiven ausgedrückt werden. Dies betrifft Adjektive der Beschaffenheit (Farbe, Herkunft, Struktur etc.) (35), solche, die grundlegende physische Eigenschaften ausdrücken (Alter, Größe etc.) (36), sowie auch Superlative und (definite) Komparative (37) (Beispiele aus PAYNE / HUDDLESTON 2002): (35)
19
a. b.
Henrietta likes red shirts, and I like blue [e]. (= 10d) Knut wanted the French caterers, but I wanted the Italian [e]. (= 10b)
Einige Flexionsendungen wurden bei bestimmten Kardinalzahlen bewahrt, insbesondere die starken Genitivformen auf -er bei zwei und drei (in elliptischen wie nicht-elliptischen Kontexten) (i) sowie die Dativformen auf -en bei zwei bis zwölf (ohne sieben) (ii). Der Genitiv steht jedoch in Konkurrenz zur von-Periphrase und neben den flektierten Dativformen treten regelmäßig unflektierte Formen auf. Das Suffix -e, das in Nonstandardvarietäten und der älteren Literatur (iii) in elliptischen Nominalphrasen erscheint (vgl. DUDEN-Grammatik 2009 und GÜNTHER 2013), wurde bereits in Abschnitt 4.1.1 behandelt. (i) Alle Studenten mit Ausnahme zweier (Studenten) waren anwesend. (ii) Er hat nur eine Klausur von dreien (*Klausuren)/von drei (Klausuren) bestanden. (iii) [...] von den englischen Schriftstellern, auf die Sie hinweisen, kenne ich zweie recht gut. (Thomas Mann, zit. nach GÜNTHER 2013)
58
Thomas Strobel
(36)
Lucie likes young/big dogs, but I prefer old/small [e]. (= 10c)
(37)
a. b.
–
I went up that skyscraper in Boston, but the tallest [e] is in Chicago. There are two sisters, but the elder [e] is already married.
Lizenzierung nominaler Ellipse ohne Remnant:
Durch den Flexions-/Kongruenzansatz unerklärt bleiben auch Fälle von Ellipse ohne Residuum (Numeralien/Quantoren, Adjektive etc.), das Agreement-Merkmale anzeigen könnte. Während standard- bzw. nieder-/norddeutsches indefinit-partitives welch-/we(l)k- (38) und dialektale Strategien wie die (zentral-/ost-/nord-)hessischen bzw. mitteldeutschen Pronominalgenitive ere (PL und F.SG) und sen (M./N.SG) (39) sowie das bairische Indefinitpronomen ein- (40) Flexionsmorphologie aufweisen und somit Kongruenzmerkmale anzeigen (Genus, Numerus, z. T. Kasus), trifft dies nicht auf die Null-Anapher (∅) im Alemannischen und Rheinfränkischen zu (41). Hier ist in der elliptischen Nominalphrase keinerlei (Adjektiv-)Morphologie anwesend – und übrigens auch kein Fokuselement (siehe Abschnitt 4.2) –, die einen Hinweis auf die Rekonstruktion des Antezedens geben könnte, sodass sich die Frage stellt, was in diesem Fall die Ellipse lizenziert. (38) (39) (40) (41)
Sall ik wilket langen? [Flesk] (SyHD E1-06) (Westfälisch) a. Hei sein ere! [Pilze] (SyHD E1-21) (Zentralhessisch) b. Soll eich sen holle? [Fleisch] (SyHD E1-06) (Zentralhessisch) Hɑppts ʃõ õi khafft? [Kartoffeln] (GLASER 1993) (Westmittelbairisch) Rheinfränkisch (hier Südhessen): a. Es is kao Salz mäh do, un isch glaab net, daß de Vadder ∅ mitbringt. (SyHD Pt-E2-A11) b. Isch hätt gern Radieschen. Hoschde ∅ do? – (SyHD E4-19) Ja, do sinn ∅. Waad, isch gebb da ∅.
Wie in Abschnitt 4.1.1 gezeigt, erscheint im Niederländischen das quantitative Pronomen er, wenn keine Adjektivmorphologie vorhanden ist, insbesondere bei gestrandeten Numeralien/Quantoren, da diese nicht flektieren. Erwartungsgemäß tritt das Pronomen auch in einigen Fällen ohne residuale Mengenangabe oder Adjektiv auf, etwa bei einer nachfolgenden (Adjunkt-)PP oder einem (adjungierten) Relativsatz,20 da diese ebenfalls keine Agreement-Merkmale anzeigen (42a). Andererseits ist jedoch er-Pronominalisierung ganz ohne Remnant – im Gegensatz zum hessischen ere/sen, vgl. (39) – nur in Belgien und im südlichen Teil der Nie-
20
Für das Niederländische gilt ebenso der in Abschnitt 1 angesprochene Unterschied zwischen Adjunkten und Komplementen (Beispiele aus KRANENDONK 2010): (i) Ik heb er twee uit Frankrijk. [stoelen] ‘Ich habe zwei aus Frankreich.‘ [Stühle] (i’) *Jij hebt er twee aan mij geschonden. [beloftes] ‘Du hast zwei an mich gebrochen.‘ [Versprechen]
Nominale Ellipse im Westgermanischen
59
derlande gebräuchlich (42b).21 Erklärungsbedürftig ist daher, weshalb er im nördlichen Standardniederländischen im einen Fall nominale Ellipse lizenziert – oder wodurch diese ggf. sonst lizenziert wird –, es im anderen Fall aber nicht kann.22 (42)
a.
b. –
(Handdoeken?) Ik heb er van uitstekende kwaliteit/die pas nieuw zijn. ‘(Handtücher?) Ich habe welche von ausgezeichneter Qualität/die neu sind.’ (Handdoeken?) %Ik heb er (nog). ‘(Handtücher?) Ich habe (noch) welche.’
nominale Ellipse bei der Fragekonstruktion mit wat voor/was für in der nördlichen niederländischen Umgangssprache (vgl. CORVER / VAN KOPPEN 2009) und in den hessischen Dialekten:
Die Lizenzierungsfrage bleibt auch bei einem Blick auf das Verhalten der analytischen wat voor-/was für-Fragekonstruktion bei Ellipse des Nomens in der nördlichen niederländischen Umgangssprache sowie in den in SyHD untersuchten Dialekten Hessens Rheinfränkisch, Zentralhessisch und Osthessisch offen: Obwohl bei wat voor-/was für-Ellipse – wie die Beispiele in (43) zeigen – keine Flexion am Remnant wat voor bzw. was für auftritt, kann das Nomen ausgelassen werden. Ein partitives/quantitatives Pronomen er(e) ist dabei lediglich fakultativ, sodass auch das nicht für die Lizenzierung in Frage kommt.23 Nominale Ellipse muss hier also durch etwas anderes als Flexion lizenziert werden. CORVER / VAN KOPPEN (2009) schlagen für das Niederländische Fokussierung des Remnants als Erklärung vor und argumentieren dafür, dass nominale Ellipse generell durch Fokus lizenziert wird (siehe Abschnitt 4.2).
21
22
23
Im Rest der Niederlande wird hier häufig auf eine definite Bezugnahme per Personal- (ze ‘sie’) oder Demonstrativpronomen (die ‘die(se)’) ausgewichen (siehe ANS 8·6·5·2·ii): (i) Gisteren heb ik appels gekocht bij de groenteboer, maar vandaag ga ik %er (stattdessen: ze/die) kopen in de supermarkt. ‘Gestern habe ich Äpfel beim Gemüsehändler gekauft, aber heute werde ich welche (sie/die) im Supermarkt kaufen.’ Hinzu kommt, dass sich er im Niederländischen nur auf (indefinite) Pluralia beziehen kann. Auch hierin unterscheidet sich das quantitative Pronomen von seinen Entsprechungen in den deutschen Dialekten ere und sen, die darüber hinaus auf Stoffnomina Bezug nehmen können (ere neben Plural für feminine Kontinuativa und sen für maskuline/neutrale Kontinuativa). Im südlichen, insbesondere belgischen Sprachgebrauch kann er jedoch auch auf Massennomina referieren. Hier erscheint im Standardniederländischen eine Nullstelle (oder aber der bloße Quantor wat ‘(et)was’), was erneut die Frage aufwirft, wodurch die Ellipse lizenziert wird: (i) (Koffie/Thee?) Ik heb ( %er) nog (wat). ‘Kaffee/Tee?) Ich habe noch welchen/(et)was.’ Dass hier überhaupt partitives/quantitatives er(e) auftritt, ist überraschend, da die wat voor-/ was für-Konstruktion keinen quantifizierenden Ausdruck darstellt, sondern einen Typ bzw. eine Beschaffenheit denotiert (vgl. BROEKHUIS / DEN DIKKEN 2012).
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Thomas Strobel
(43)
a. b.
–
(Over schoenen gesproken ...) %Wat voor __ heb jij (er) gekocht? ‘(In Bezug auf Schuhe ...) Was für (welche) hast du gekauft?’ (CORVER / VAN KOPPEN 2009) (Diese Pilze kenne ich nicht.) Was sinn das fir __?/Was fir __ sin des?24 (SyHD DP-24) (Rheinfränkisch)
keine Genuskongruenz mit quantitativem er im „nördlichen“ Niederländischen als Evidenz gegen Ellipse:
Im Gegensatz zu COPPEN (1991) und CORVER / VAN KOPPEN / KRANENDONK (2009), die für die niederländische Konstruktion mit quantitativem er von N’bzw. NP-Ellipse ausgehen (44), führt BARBIERS (2009) Evidenz gegen eine Analyse als Ellipse (bzw. gegen eine Tilgungsanalyse) an und plädiert stattdessen für Pronominalisierung und eine Bewegungsanalyse. Er stützt seine Argumentation auf den Befund, dass mit quantitativem er keine Genuskongruenz vorliege (45b): (44) (45)
a. b. a. b. b’.
[NP [QP twee] [N” [Det er [N’ ∅ ]]]] (COPPEN 1991) (CORVER et al. 2009) [DP [QP [NumP [nP [n er [NP ∅ ]]]]]] Dit is een huis datNeut./*dieGen. comm. je gezien moet hebben. ‘Das ist ein Haus, das du gesehen haben musst.’ Dit is er één dieGen. comm./*datNeut. je gezien moet hebben. [huis] ‘Das ist eines, das du gesehen haben musst.’ [Haus] (BARBIERS 2009) („nördliche“ Sprecher) Jan heeft er één dat je gezien moet hebben. [huis] ‘Jan hat eines, das du gesehen haben musst.’ [Haus] (BROEKHUIS / DEN DIKKEN 2012) (südliche Sprecher)
BARBIERS (2009) argumentiert, dass, wenn das Merkmalsbündel des Nomens syntaktisch präsent wäre und/oder er für Genus spezifiziert wäre, Genuskongruenz die Regel sein sollte. Da diese hier jedoch ausbleibt und auf das fehlende Neutrum-Wort huis ‘Haus’ mit der Default-Genus commune-Form die anstatt mit dem Neutrum-Relativpronomen dat Bezug genommen wird (45a vs. 45b), könne es kein (elidiertes) Element mit einem Genusmerkmal geben, das als Antezedens des Relativpronomens dient. BROEKHUIS / DEN DIKKEN (2012) unterscheiden hier jedoch ein „nördliches“ und ein südliches Muster und führen Grammatikalitätsurteile insbesondere südlicher, aber auch einiger nördlicher Sprecher an, bei denen auch bei fehlendem Nomen Genuskongruenz auftritt (45b’).
24
Daneben findet sich in dieser Konstruktion in denjenigen Dialekten Hessens, die über partitive Genitivpronomina verfügen, häufig das Pronomen ere (auch mit intraindividueller Variation zwischen An- und Abwesenheit von ere): was sind das für ERE?/was für ERE sind das?/was sind ERE das für? (hier zur Veranschaulichung des Typs von spezifischen dialektalen Lautungen abstrahierend in der standarddeutschen Glossierung sowie ferner in der Reihenfolge abnehmender Frequenz wiedergegeben).
Nominale Ellipse im Westgermanischen
4.2
61
Alternative Analysen der Lizenzierung nominaler Ellipse
Aufgrund der aufgezeigten Schwächen des Flexions-/Kongruenzansatzes, der bei der Lizenzierung nominaler Ellipse die Rolle von (Adjektiv-)Morphologie in den Mittelpunkt stellt, hat sich in der jüngeren Literatur ein Erklärungsansatz herausgebildet, der Informationsstruktur und Fokus als dafür verantwortlich sieht (vgl. v. a. CORVER / VAN KOPPEN 2009; EGUREN 2010). Auch wenn es uns hier um die morphosyntaktische Lizenzierung der Auslassung des Nomens geht, so stellt aus semantischer Sicht die Anwesenheit von kontrastivem Fokus (46a) (ROOTH 1992; GIANNAKIDOU / STAVROU 1999; NTELITHEOS 2004; CORVER / VAN KOPPEN 2009) bzw. allgemein eines salienten Kontextes (46b) (BERNSTEIN 1993; BOUCHARD 2002) eine entscheidende Bedingung für die Lizenzierung und Wiederherstellung des semantischen Gehalts des fehlenden Nomens dar (siehe ALEXIADOU / HAEGEMAN / STAVROU 2007): (46)
a. b.
Mary has got a grey cat and Electra has got a white/*grey one. Would you like the red umbrella or the blue? – I’ll take the red, please.
CORVER / VAN KOPPEN (2009; 2011) führen Kontexte aus dem umgangssprachlichen Niederländischen an, in denen das Suffix -e (siehe Abschnitt 4.1) keine Adjektivkongruenz sein kann bzw. es zumindest zweifelhaft ist, dass Schwa lediglich ein Agreement-Morphem ist. Bei ihrer Betrachtung nominaler Ellipse aus mikrovariationeller Perspektive anhand von Daten aus niederländischen Dialekten, dem Friesischen und Afrikaans stellen sie eine Verbindung mit Fokus her. Demnach würde nominale Ellipse durch kontrastiven Fokus lizenziert, sodass die Analyse von Ellipse in der nominalen Domäne analog wäre zur Analyse von Ellipse in der verbalen Domäne (vgl. ROOTH 1992; JOHNSON 2001; MERCHANT 2001). Einen der Gründe, weshalb -e nicht nur Kongruenzendung sein kann, liefert die in der Umgangssprache mögliche Elision eines Nomens im Neutrum Singular nach indefinitem Artikel durch Hinzufügung von Schwa am gestrandeten adjektivischen Modifikator, das bei nicht-elidiertem Nomen in diesem Fall ja gerade nicht auftreten würde (vgl. 23a, hier wiederholt als 47): (47)
(Over konijnen gesproken ...) (CORVER / VAN KOPPEN 2009) %Ik heb gisteren een zwart-e __ zien lopen. ‘(In Bezug auf Kaninchen ...) Ich habe gestern ein schwarzes laufen sehen.’
Ihre Annahme wird auch durch die Beobachtung gestützt, dass als attributive Adjektive verwendete Partizipien auf -en im Niederländischen keine adjektivische Flexion – also kein Suffix -e – aufweisen (48a), außer bei nominaler Ellipse (48b):25 25
Obwohl -e hier nur bei Ellipse auftritt, könnte es aber durchaus ein Flexionselement sein. Vergleichbare Fälle sind uns im Deutschen begegnet (siehe Abschnitt 4.1.1): Adjektive wie lila können bei overtem Nomen unflektiert sein (ein lila-∅ [neben lila-n-es] Kleid), bedürfen
62
Thomas Strobel
(48)
a. b.
het doorbakken(*-e) konijn (CORVER / VAN KOPPEN 2009; 2011) ‘das durchgebackene Kaninchen’ het doorbakken*(-e) __ ‘das durchgebackene’
Weitere Evidenz dafür, dass -e nicht nur Kongruenz markieren kann, stellen Fälle dar, bei denen Adjektivflexion einen semantischen Unterschied ausdrücken kann. In (49a) markiert die kongruierende Form bzw. das Fehlen der Flexionsendung einen semantischen Unterschied: Mit -e (grot-e) wird ausgedrückt, dass es sich um einen ‚(körperlich) großen’ Pianisten handelt, ohne das Suffix -e (groot) ist hingegen von einem ‚großartigen’ Pianisten die Rede. In einem elliptischen Kontext wie in (49b) ist -e jedoch obligatorisch und die Endung kann die Ambiguität nicht auflösen. Die „kongruierende“ Form kann in diesem Fall beide Lesarten haben. Dieser Unterschied zwischen elliptischem und nicht-elliptischem Kontext wirft Zweifel daran auf, dass es sich bei -e (nur) um Adjektivflexion handelt. (49)
a. b.
Ik heb gisteren een {groot/grot-e} pianist horen spelen. ‘Ich habe gestern einen großartigen/großen Pianisten spielen hören.’ Ik heb gisteren een echt grot-e __ horen spelen. ‘Ich habe gestern einen wirklich großartigen/großen spielen hören.’ (CORVER / VAN KOPPEN 2009; 2011)
CORVER / VAN KOPPEN (2009) stellen allgemein einen Zusammenhang her zwischen der Schwa-Endung am Adjektiv bei nominaler Ellipse und Schwa in emphatischer Funktion, bei der -e Fokusmarker ist. Es handelt sich dabei um umgangssprachliche emphatische Formen von Pronomina und Adverbien wie ik-ke neben der Standardform ik ‘ich’, dat-te für dat ‘das, jenes’, dit-te für dit ‘dies(es)’, wat-te? für wat? ‘was’ bzw. emphatisches verdomd-e lekker statt verdomd lekker ‘verdammt lecker’ oder verrekt-e handig statt verrekt handig ‘verflucht praktisch/geschickt’. Darüber hinaus findet sich das Suffix -e als Fokusmarker auch in einigen Dialekten – wie dem von Katwijk – bei Maßangaben wie kist ‘Kiste’ oder hoop ‘Haufen’, etwa in emphatischem ’n kist-e törref ‘eine KISTE (= gigantische Kiste) Torf’ und ’n hóóp-e wáeter ‘ein HAUFEN (= riesige Menge) Wasser’. Was die theoretische Implementierung des empirischen Zusammenhangs zwischen nominaler Ellipse und Fokus betrifft, so rekurrieren CORVER / VAN KOPPEN (2009) auf die Idee einer Fokusprojektion (FocP) innerhalb der Nominalphrase (DP). Als Hierarchie der Nominalphrase wird dabei (50) angenommen, wonach die linke Peripherie der DP die der CP (vgl. RIZZI 1997) widerspiegelt:26
26
bei Ellipse aber einer Flexionsendung (ein lila-n-es [e]); „ein-Wörter“ weisen im NOM./AKK. SING. MASK./NEUT. in nicht-elliptischen Kontexten keine Flexion bzw. ein Null-Morphem auf (kein-∅ Kleid) – werden in anderen Zellen des Paradigmas jedoch flektiert –, tragen in elliptischen Kontexten aber obligatorisch eine Flexionsendung (kein-es [e]). Für eine Fokusprojektion in der erweiterten nominalen Domäne gibt es auch davon unabhängige Evidenz (vgl. u. a. GIUSTI 1996; ABOH 2004; NTELITHEOS 2004). Ein Argument hierfür betrifft die Serialisierung DP-interner Adjektive, für die eine universelle Abfolgehierarchie
Nominale Ellipse im Westgermanischen
(50)
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[DP [FocP [NumP [NP ]]]]
Im Falle von Ellipse wird das Residuum, die AP, von der Fokusphrase in ihren Spezifizierer attrahiert, woraufhin dann das Komplement von FocP auf PF getilgt wird. Das Schwa-Element in elliptischen Konstruktionen ist dabei Kopf dieser Fokusphrase (vgl. auch die Überblicksdarstellung in ZWART 2011). ALEXIADOU / GENGEL (2012) bringen verschiedene Argumente gegen eine Fokusanalyse und schlagen stattdessen eine Lizenzierung nominaler Ellipse durch Klassifikatoren bzw. eine Classifier Phrase (ClassP) in der DP vor. Statt Fokus als (primären) Lizenzierungsfaktor anzunehmen, kehren sie zur Idee morphosyntaktischer Lizenzierung bzw. zur Rolle von Flexion/Kongruenz zurück und stellen einen Zusammenhang zwischen Klassifikatoren/Klassifizierung, Partitivität und Lizenzierung nominaler Ellipse her. Ein Hauptproblem des Fokusansatzes betrifft Fälle, bei denen eine Auslassung des Nomens ohne Flexion am Remnant trotz Fokussierung nicht grammatisch wird, Fokus alleine also die Ellipse nicht lizenzieren kann. Zum einen ist im Niederländischen die Schwa-Endung am Adjektiv bei nominaler Ellipse obligatorisch, wenn das Nomen nicht indefinit Neutrum Singular ist, unabhängig von Fokus. Beispiel (51) wird auch durch Fokussierung nicht grammatisch, wenn das Kongruenzaffix fehlt.27 Zum anderen bleibt nominale Ellipse trotz Fokus auch im Deutschen ohne Flexion am Adjektiv ungrammatisch. Betonung des Adjektivs hat also in Fällen wie (52) keinen Einfluss auf die Grammatikalität der Ellipse und Flexion scheint auch hier die Hauptrolle bei deren Lizenzierung zu spielen. Das zeigt sich laut ALEXIADOU / GENGEL nicht nur in den germanischen Sprachen, sondern auch in den romanischen. Im Italienischen und Spanischen tritt bei indefiniter nominaler Ellipse obligatorisch ein finaler Vokal am indefiniten Determinierer auf: it./sp. un libro grande ‘ein großes Buch’ vs. un*(-o) [e] grande ‘ein großes’ mit elidiertem Nomen (vgl. BERNSTEIN 1993). Auch hier macht Fokussierung des Adjektivs die Ellipse nicht grammatisch, falls dieser obligatorische finale Vokal fehlt, wie das italienische Beispiel (53) zeigt:
gilt, vereinfacht QUALITY > SIZE > SHAPE > COLOR > ORIGIN (vgl. VENDLER 1968; SPROAT / SHIH 1991), siehe z. B. (i). Wenn jedoch ein Adjektiv betont wird, wie in (i’), so kann die Abfolge davon abweichen. Das fokussierte Adjektiv wird in diesem Fall in (den Spezifizierer) eine(r) Fokusprojektion innerhalb der Nominalphrase angehoben (siehe CORVER / VAN KOPPEN 2009): (i) de roze Amerikaanse auto’s ‘die rosanen amerikanischen Autos’ (i’) [DP de [FocP AMERIKAANSEi [Foc’ Foc [YP roze [Y’ Y [ZP ti [Z’ Z [NP auto’s]]]]]]]] ‘die AMERIKANISCHEN rosanen Autos’ 27
CORVER / VAN KOPPEN (2009) nehmen für diesen Fall an, dass Schwa hier Adjektivkongruenz statt einen Fokusmarker darstellt bzw. gehen von einer Doppelfunktion des Affixes -e als Kongruenzaffix und Fokusmarker aus. Der Fokusmarker kann weggelassen werden, das Kongruenzaffix hingegen nicht, sondern Kongruenz muss morphologisch ausbuchstabiert werden. Fokus scheint demnach aber eher optional als obligatorisch zu sein – zumindest bei indefiniten Nomina im Nicht-Neutrum Singular –, was seine Rolle als notwendige Lizenzierungsbedingung bezweifeln lässt, da Fokus Flexion nicht überschreiben kann (vgl. ALEXIADOU / GENGEL 2012).
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Ik heb een zwart-e kat en jij hebt een wit-te/*WIT. ‘Ich habe eine schwarze Katze und du hast eine weiße.’ (CORVER / VAN KOPPEN 2009) Du hast das lila(ne) Kleid und ... a. *ich habe das ROSA-∅ gekauft. b. *ich habe das WEISS-∅ gekauft. (ALEXIADOU / GENGEL 2012) *Un GRANDE è sulla tavola. [libro] (ALEXIADOU / GENGEL 2012) ‘Ein großes ist auf dem Tisch.’ [Buch]
Aufgrund der Datenlage in den romanischen Sprachen Italienisch und Spanisch – in denen der finale Themavokal -o/-a in nicht-elliptischen Kontexten overtes Genus am Nomen markiert (un/*uno libro grande), im Falle von Ellipse hingegen am indefiniten Determinierer (uno grande) – nehmen ALEXIADOU / GENGEL (2012) stattdessen Klassifikatoren als Lizenzierer nominaler Ellipse an und sehen Partitivität (SLEEMAN 1996) als notwendige Voraussetzung. Sie übertragen ihre Analyse auch auf das Germanische, wo der Classifier – wie im Westflämischen, Niederländischen und Deutschen – entweder formales Genus markiert, wodurch er mit dem Konzept der Kongruenz/Flexion verbunden ist (zur Annahme von Genuskongruenz als ausschlaggebendem Kriterium für Ellipse vgl. etwa ALEXIADOU / HAEGEMAN / STAVROU 2001; ALEXIADOU 2004; BARBIERS 2005), oder aber – wie im Englischen – Numerus, wonach engl. one kein Pronomen ist, sondern ein Classifier (vgl. BORER 2005). 5
ZUSAMMENFASSUNG UND AUSBLICK
Das Phänomen nominale Ellipse – wie generell das der Ellipse –, wirft das Problem auf, wodurch diese lizenziert und identifiziert wird. Neben der allgemeinen Fragestellung, mithilfe welcher morphosyntaktischen Mittel das weggelassene Nomen bzw. dessen semantischer Gehalt aus dem Kontext rekonstruiert wird (Abschnitt 2), wurde im vorliegenden Beitrag die spezifischere Frage diskutiert, wie es sich erklären lässt, dass nominale Ellipse im Deutschen schwächeren Bedingungen unterworfen zu sein scheint als im Englischen. Die Rolle der unterschiedlichen Flexionssysteme der beiden Sprachen ist dabei als Erklärungsansatz naheliegend (Abschnitt 3). Bei der Evaluation der in der Literatur diskutierten Ansätze anhand neuer dialektaler und typologischer Daten aus verschiedenen westgermanischen Varietäten hat sich gezeigt, dass keine der existierenden Theorien alle Daten erklären kann, grundsätzlich jedoch ein auf Kongruenz basierender Ansatz zu favorisieren ist. So hat sich der traditionelle Ansatz mit Flexion/Kongruenz bzw. Adjektivmorphologie als Lizenzierer nominaler Ellipse (vgl. v. a. LOBECK 1995; KESTER 1996) bei der Beantwortung der Ausgangsfragen als zunächst sehr attraktiv erwiesen. Neben seinem hohen Erklärungspotenzial für die westgermanischen Sprachen und Dialekte (Abschnitt 4.1.1) finden sich jedoch auch einige problematische Daten, die sich damit nicht erklären lassen (Abschnitt 4.1.2). Es empfiehlt sich eine Ausdeh-
Nominale Ellipse im Westgermanischen
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nung der Untersuchung auf andere Sprachen bzw. Sprachfamilien. So könnte innerhalb der Romania etwa ein Vergleich der Lizenzierungsstrategien in den zentralromanischen Sprachen Französisch und Italienisch, die wie das Niederländische und die betrachteten deutschen Dialekte Partitivpronomina aufweisen (fr. en, it. ne), mit den entsprechenden morphosyntaktischen Mitteln der iberoromanischen Sprachen Spanisch und Portugiesisch ohne solche Pronomina (Katalanisch verfügt mit en hingegen ebenfalls über ein Partitivpronomen) gewinnbringend sein. Aufschlussreich wäre eventuell auch die Betrachtung von Sprachen, die Nominalflexion im Unterschied zum Deutschen auch wirklich (überwiegend) am Nomen ausdrücken statt am Determinierer und Adjektiv. Als alternative Analysen wurden in der Literatur vor allem die Rolle von Partitivität als semantischem Konzept (vgl. v. a. SLEEMAN 1996) und von Fokus bzw. informationsstrukturellen Eigenschaften der nominalen Domäne (vgl. CORVER / VAN KOPPEN 2009 zum Niederländischen und EGUREN 2010 für eine Übertragung auf das Spanische) bei der Lizenzierung von Ellipse diskutiert. Diese Ansätze weisen jedoch ebenfalls Schwächen auf (Abschnitt 4.2). ALEXIADOU / GENGEL (2012) schlagen daher ausgehend von Daten aus den romanischen und westgermanischen Sprachen eine auf Klassifikatoren bzw. einer Classifier Phrase (ClassP) in der DP basierende Erklärung vor und kehren damit zu einem morphosyntaktischen Ansatz zurück, der die Rolle von Flexion/Kongruenz bzw. von Word Markern (BERNSTEIN 1993) zentral stellt. Sie vereinen in ihrer Analyse unterschiedliche Ansätze miteinander und verstehen auch Partitivität – kodiert durch den Klassifikator bzw. die Classifier Phrase, analog zu Partitivkonstruktionen – als notwendige Voraussetzung für nominale Ellipse. Durch die von ihnen angeführten Daten wird nicht nur der Flexions-/Kongruenzansatz, sondern auch die Partitivitätsanalyse gestützt. Denkbar wäre außerdem, dass sowohl Kongruenz als auch Fokus eine Rolle spielen können (vgl. etwa BELLETTI 2001, wo Kasus und Fokus miteinander in Zusammenhang gebracht werden). ALEXIADOU / GENGEL (2012) merken hierzu an, dass Fokus im Lizenzierungsprozess nominaler Ellipse als „by-product“ (von Partitivität) entstehen kann, wenn er auch nicht als entscheidender Faktor zu verstehen ist. Ihr Classifier-Ansatz müsste im Detail für das Deutsche und insbesondere auch für dessen Dialekte überprüft werden. Eine offene Frage wäre hier beispielsweise, ob es sich bei der dialektalen Schwa-Endung (-e) an Numeralien auch um einen Klassifikator handelt, wie von KRANENDONK (2010) für das Niederländische vorgeschlagen.
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ÜBER PROGRESSIVE UND KONSERVATIVE RHEINFRANKEN Christian Ramelli 1
EINLEITUNG
In diesem Aufsatz soll untersucht werden, inwiefern sich die Verwendungsmöglichkeiten von Konstruktionen wie in (1), die als Rheinische Verlaufsform (im Folgenden RV) oder am-Progressiv bezeichnet werden, innerhalb des rheinfränkischen Dialektraums unterscheiden bzw. ob sich innerhalb des Rheinfränkischen Räume zusammenfassen lassen, in denen die Verlaufsform stärker oder weniger grammatikalisiert ist. Dazu wird zunächst dargestellt, wie sich die Verlaufsform allmählich zu einer analytischen Verbform entwickelt und anhand welcher Indikatoren sich das Ausmaß der Grammatikalisierung der RV feststellen lässt. Mit Hilfe einer aus den Indikatoren entwickelten Grammatikalisierungshierarchie soll anhand der Daten einer Sprecherbefragung zunächst der rheinfränkische Dialektraum insgesamt untersucht werden, bevor anschließend überprüft wird, ob sich die Sprecher innerhalb des Untersuchungsraums voneinander unterscheiden und es möglich ist, syntaktische Isoglossen für die RV herauszuarbeiten. Grundlage für die Herausarbeitung syntaktischer Isoglossen ist das Modell der „schiefen Ebene“ nach SEILER (2005), zudem werden die vorliegenden Daten auch in einer Clusteranalyse untersucht. 2
ENTWICKLUNG UND GRAMMATIKALISIERUNG DER VERLAUFSFORM
Bei der RV handelt es sich um eine Konstruktion zum Ausdruck von Progressivität, also zur Markierung des Andauerns einer Handlung. Bezüglich der Zusammensetzung der Verlaufsform geht noch der DUDEN (2009) davon aus, dass es sich um eine Konstruktion aus “sein+substantiviertem Infinitiv mit am“ (DUDEN 2009, 427) handelt. (1) a. […] ich war am Kuchenbacken, da ist mir die Schüssel mit dem Eiklar umgekippt. (www.schottland-forum.de) b. Hallo Hanni, Malediven fällt dieses Jahr aus. Ich bin am Häuser bauen. (www.kretaforum.de)
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c. Och nee, ich bin [AKK mich] gerade am fertig machen. (RADIO Salü, 05.11.2012) d. Was machen Sie gerade? Ich bin [AKK Haustüren] am bauen. (RADIO Salü, 24.08.2011) e. Die Leute, die grad [DAT meiner Freundin] am gratulieren waren, drehten sich um. (www.erdbeerlounge.de) f. Ich ben [AKK dat] jrad op am schrieve. (BHATT / SCHMIDT 1993, 78) Während die Annahme des DUDENs für Belege wie (1a) zutreffend ist, erscheint diese Analyse aufgrund der Kleinschreibung des Verlaufsforminfinitivs in (1b) sowie des Spatiums zwischen Nomen und Infinitiv bereits zweifelhaft. Für die Belege in (1c,d,e&f) ist ein substantivierter Verlaufsforminfinitiv aufgrund der Kasusmarkierung der Objektargumente ausgeschlossen, hier muss bereits ein verbaler Infinitiv vorliegen. Unmittelbar an die Annahme eines verbalen Verlaufsforminfinitivs schließt sich die Frage nach dem Status von am an. Während die Daten in (1d&e) bereits mit der beispielsweise von BHATT / SCHMIDT (1993) vertretenen Hypothese, dass es sich bei am um ein Flexionspräfix handelt, dessen Stellungseigenschaften denen der Flexionspräfixe zu und ge- entsprechen, kompatibel ist, erscheint eine solche Analyse für am in (1b&c) ausgeschlossen, da das Objektargument Häuser bzw. das Adjektiv fertig hier zwischen am und Infinitiv auftritt. Dass sprachliches Material zwischen Infinitivpartikel und Verbstamm stehen kann, ist beispielsweise im Englischen für die Infinitivpartikel to zu beobachten (He tries to slowly open the door, He tries to upload a new version). Aufgrund dieser sowie weiterer Eigenschaften geht unter anderem HAIDER (1993) davon aus, dass es sich bei to um den Kopf einer funktionalen Projektion handelt. Entsprechend ließe sich am in Fällen wie (1b&c) ebenfalls als Kopf einer funktionalen (aspektuellen) Projektion analysieren. Da sich am in Beleg (1f) aus dem Ripuarischen gerade nicht so verhält wie to im Englischen, sondern zwischen der Partikel op und dem Verbstamm auftritt und damit ein zu den deutschen Infinitivpartikeln zu und ge- analoges Verhalten zeigt, muss hier von einem verbalen Flexiv ausgegangen werden. Mit der Wortstellung in den Belegen (1d&e) sind hingegen sowohl die Analyse von am als Flexiv als auch die Analyse als Kopf einer Aspekt-phrase kompatibel (siehe (2)). In (2a) muss das Verb noch in den Kopf der AspP bewegt werden, um dort progressiviert zu werden, in (2b) wird hingegen bereits in V0 ein Verb im am-Infinitiv eingesetzt. Dieses Merkmal muss dann lediglich noch im Kopf der AspP überprüft werden. Ein Indiz dafür, dass die Position von am zwischen Partikel und Verbstamm einem fortgeschritteneren Stadium der Grammatikalisierung der RV zuzuschreiben ist als die Position von am vor der Partikel, liefern Belege aus dem Mittelhochdeutschen. Wie (3) zeigt, war es während der Entwicklung des zu-Infinitivs, der ebenfalls auf einen substantivierten Infinitiv als Komplement einer Präposition zurückzuführen ist, möglich, dass zu bzw. ze vor Verbpartikeln auftritt. Im weiteren Verlauf der Grammatikalisierung des zu-Infinitivs hat sich die Fügungsenge zwischen zu und Verbstamm derart erhöht, dass hier keine Partikeln mehr auftreten dürfen. Auch die Belege in (1b&c) mit zwischen am und RV-Infinitiv platziertem Objektargument bzw. Ad-
Über progressive und konservative Rheinfranken
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jektiv, (1d&e) mit links von am platziertem Objektargument und (1f) mit links von am platzierter Verbpartikel zeigen, dass die Verlaufsform bei unterschiedlichen Sprechern ein unterschiedlich hohes Maß an Fügungsenge aufweist. Da die Möglichkeiten, sprachliches Material zwischen am und dem RV-Infinitiv zu platzieren, von (1b&c) über (1d&e) zu (1f) abnehmen, besteht ein Indikator zur Feststellung des Grammatikalisierungsgrades der RV offenbar in der Zunahme der Fügungsenge innerhalb der Konstruktion.1 (2) a.
b.
(3) Ablo:esen mag ein bischolff den menschen der in seinem bistumb ist, von allen seinen sunden, on allain von den funf sunden die dem pabst geschriben sind ze ablo:essen, die hier vor erzelt sein. (Rechtssumme A3,3, zit. n. DEMSKE-NEUMANN 1994, 124) Schon die Belege in (1) machen demnach deutlich, dass eine einheitliche Analyse aller Vorkommen der RV nicht möglich ist. Dies zeigt sich auch in den vorliegenden Arbeiten zum am-Progressiv, in denen teilweise von einem nominalen Ver1
Weitere Indikatoren, an denen eine Entwicklung von am zum Flexionspräfix deutlich wird, sind beispielsweise, dass am als Flexionspräfix bei Koordination von Verlaufsformen im zweiten Konjunkt nicht mehr ausgelassen werden darf oder dass am in Verbalclustern nicht mehr dem gesamten Cluster vorangeht, sondern auch dort unmittelbar adjazent zum progressivierten Verbstamm auftritt wie in folgendem Beleg: Schon bevor die Pflanze ihren offiziellen Namen bekommen hatte, war Shiva Skunk bereits bekannt am werden als nächster Schritt in der Zucht von Marihuana (www.sensiseeds.com).
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laufsforminfinitiv ausgegangen wird (z. B. REIMANN 1999), teilweise von einem Infinitiv auf einer Zwischenstufe zwischen verbalem und nominalem Infinitiv (z. B. RÖDEL 2004b), teilweise von einem eindeutig verbalen Infinitiv (z. B. BHATT / SCHMIDT 1993). Zu einem beträchtlichen Teil sind diese unterschiedlichen Analysen dadurch zu erklären, dass die in den Arbeiten verwendeten Daten unterschiedlichen diatopischen Registern2 zuzuordnen sind, in denen die Konstruktion unterschiedlich stark grammatikalisiert ist (siehe auch RAMELLI 2015). Während zu den Verwendungsmöglichkeiten der Verlaufsform im Standarddeutschen bereits zahlreiche Arbeiten vorliegen (z. B. KRAUSE 2002, RÖDEL 2004b), existieren bezüglich der Verwendung der RV in den Dialekten nur zum Ripuarischen Arbeiten in größerer Anzahl (z. B. BHATT / SCHMIDT 1993, BRONS-ALBERT 1984). Obwohl in den vorliegenden Arbeiten häufig bestimmte Verwendungsmöglichkeiten der Verlaufsform wie das Auftreten mit inkorporierten oder nicht inkorporierten Objektargumenten transitiver Verben (siehe [1b&d]) oder die Stellung von den Verlaufsforminfinitiv modifizierenden Adjektiven als Hinweise auf das Ausmaß der Grammatikalisierung der RV verwendet wurden, fehlte bisher eine systematische Darstellung der Entwicklungsstadien, welche die Verlaufsform auf dem Weg von der im DUDEN beschriebenen Quellkonstruktion zu einer analytischen Verbform sukzessive durchläuft. Unterzieht man allerdings alle Kontexte, in denen die RV in den Phasen ihrer Grammatikalisierung auftreten kann, einer systematischen Analyse, so lassen sich die Indikatoren, welche Auskunft über das Grammatikalisierungsstadium (GS) der RV geben können, wie in Tabelle 1 aus RAMELLI (2013) zusammenfassen, so dass sich der Grammatikalisierungsgrad der RV in einem diatopischen Register konkret messen lässt und damit auch ein Vergleich des Grammatikalisierungsstadiums zwischen unterschiedlichen Sprachräumen möglich ist.
2
Unter diatopischen Registern werden Sprechlagen zwischen den Polen ‚Standarddeutsch‘ und ‚Basisdialekt’ verstanden. Nach LENZ (2003) ist für das Westmitteldeutsche auf Grundlage phonetisch-phonologischer Unterschiede neben den Polen ‚Standarddeutsch‘ und ‚Basisdialekt‘ von den Sprechlagen ‚Regionaldialekt‘, ‚Unterer Regionaler Substandard‘, ‚Oberer Regionaler Substandard‘, ‚Regionalakzent‘ und ‚Kolloquialstandard‘ auszugehen. Dass auch syntaktische Phänomene innerhalb dieses Varietätenspektrums in ihren Anwendungsmöglichkeiten variieren können, zeigt KALLENBORN (2011).
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GS5 [+ Obligatorik in allen progressiven Kontexten] [+ am als verbales Präfix] GS4 [+ Passiv] [+ Imperativ] [+ PP-Komplemente (Mittelfeld)] GS3 [+ DAT-OBJe] [+ PP-Komplemente (Nachfeld)] [+ nicht-inkorporierte OBJe] GS2 [+ transitive Verben] [+ Inkorporation] [+ pronominalisierte OBJe] [+ Obligatorik in explizit progressiven Kontexten] GS1 [+ atelische Verben] [- attributive Adjektive] Tab. 1: Grammatikalisierungshierarchie RV
Grundlage der Indikatoren aus Tabelle 1 sind die Grammatikalisierungsparameter nach LEHMANN (2002) in Tabelle 2.
Gewicht ↓ Kohäsion ↑ Variabilität ↓
paradigmatisch Integrität (1a) Paradigmatizität (2a) Wählbarkeit (3a)
syntagmatisch Struktureller Skopus (1b) Fügungsenge (2b) Stellungsfreiheit (3b)
Tab. 2: Grammatikalisierungsparameter nach LEHMANN (2002)
So stellt die oben angesprochene Veränderung von am, nämlich die Entwicklung von einer Partikel, welche den Kopf einer Aspektprojektion besetzt, zu einem verbalen Flexiv eine Veränderung bezüglich des Parameters ‚Fügungsenge‘ dar. Fügungsenge bezeichnet den Grad, mit dem ein Zeichen mit einem anderen Zeichen verbunden ist, mit dem es in einer syntagmatischen Beziehung steht. LEHMANN betrachtet dabei die Möglichkeit, sprachliches Material zwischen einem Grammem und seinem Bezugswort zu platzieren, als ein Kriterium, um Rückschlüsse auf den Grad der Fügungsenge zu ziehen. Auch da sich Belege wie (1f) bisher nur im Ripuarischen nachweisen lassen und die Verlaufsform aufgrund der Verwendungskontexte, in denen sie dort auftauchen kann, bereits als sehr stark grammatikalisiert gelten muss, betrachte ich die Entwicklung von am zum verbalen Flexiv als einen Indikator für ein ausgesprochen hohes Maß an Grammatikalisierung. Gleichzeitig findet bei der Entwicklung von am als Kopf einer Aspektphrase zu einem verbalen Flexiv eine Abnahme des strukturellen Anwendungsbereiches (Kondensierung) statt. Während am als Kopf von AspP in (2a) noch die gesamte VP c-kommandiert und somit Skopus über diese hat, bezieht sich am als verbales Flexiv in (2b) lediglich noch auf einen Stamm und zeigt so-
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mit ein ausgesprochen hohes Maß an Grammatikalisierung. Wie beispielsweise die Ergebnisse von REIMANN (1999) zeigen, besteht für zahlreiche Sprecher bei transitiven Verben die Möglichkeit, zwischen der Inkorporation von Objektargumenten in der RV wie in (1b) und der Realisierung von Objektargumenten links von am wie in (1d) zu wählen, so dass hier die Position, die am gegenüber dem RV-Infinitiv einnehmen kann, zu einem gewissen Grad variabel ist. Eine Zunahme des Parameters ‚Stellungsfreiheit‘ sollte sich dadurch nachweisen lassen, dass im Verlauf der Grammatikalisierung eine zunehmende Fixierung von am eintritt, so dass am nur noch unmittelbar adjazent zum Infinitiv der Verlaufsform erscheinen kann. Die Etablierung der RV im Passiv stellt eine Veränderung des Parameters ‚Paradigmatizität‘ dar, des Grades, zu dem ein sprachliches Zeichen in ein bestimmtes Paradigma integriert ist (vgl. LEHMANN 2002, 118). Insofern ist zu erwarten, dass sich der Verlaufsforminfinitiv nach der verbalen Reanalyse sukzessive in den verbalen Kategorien etabliert, wobei zunächst die jeweils unmarkierten3 Mitglieder der jeweiligen Kategorien (z. B. ‚Aktiv‘ in der Kategorie Genus verbi, ‚Indikativ‘ in der Kategorie Modus usw.) mit der Verlaufsform kompatibel sein sollten. Da in den Arbeiten zur RV häufig die These vertreten wird, die Konstruktion sei im Passiv nicht verwendbar (z. B. KRAUSE 2002, REIMANN 1999), sich allerdings in nicht marginaler Zahl Belege wie (4) finden lassen, betrachte ich auch die Verwendung im Passiv als einen Indikator für ein hohes Grammatikalisierungsstadium. (4) Die Räumlichkeiten sind veraltet, aber ein neues SAE-Gebäude ist schon am gebaut werden, der Umzug findet im Sommer 2004 statt. (http://www.audio-community.de, zit. n. GÁRGYÁN 2009, 208) Da in (4) allerdings am nicht an der Position steht, an der es für ein verbales Flexiv erwartbar wäre, nämlich unmittelbar adjazent zu werden (…ist schon gebaut am werden), ist die Entwicklung zum verbalen Flexiv offensichtlich einem höheren Grammatikalisierungsstadium zuzuordnen als die Etablierung im Passiv. Auch für die unterschiedlichen Verbklassen ist zu erwarten, dass die RV zuerst mit solchen Verben kombiniert werden kann, die als unmarkiert gelten. Dies stimmt überein mit der in der älteren Literatur häufig genannten Beschränkung, die RV verbinde sich hauptsächlich mit einwertigen Verben.4 Innerhalb der Gruppe der zweiwertigen Verben ist zu erwarten, dass sich zuerst transitive Verben mit der
3
4
Unmarkierte Mitglieder eine Kategorie können sich gegenüber markierten unter anderem durch (i) eine geringere formale Komplexität, (ii) einen breiteren Anwendungsbereich, (iii) eine höhere Frequenz oder (iv) das Widerspiegeln von prototypische Sprechereigenschaften auszeichnen (vgl. WURZEL 1984). Dass die Verlaufsform mit intransitiven Verben vor transitiven Verben kompatibel ist, bestätigen auch die Befunde des Atlas zur deutschen Alltagssprache (AdA) von ELSPASS / MÖLLER, die für das einwertige Verb schlafen einen wesentlich größeren Verbreitungsraum aufweisen als für das transitive Verb reparieren.
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Verlaufsform verbinden lassen.5 Dies ist einerseits dadurch zu begründen, dass Verben mit strukturellem Kasus als unmarkiert gelten können gegenüber Verben mit Ergänzungen in lexikalischen Kasus. Anderseits wird die Produktivität der Verlaufsform in einem relativ frühen Stadium der Grammatikalisierung nach REIMANN dadurch gesteigert, „dass substantivische Wortbildungsmuster übernommen werden“ (REIMANN 1999, 90), wodurch die Verlaufsform die Fähigkeit gewinnt „Objekte [von transitiven Verben, m.E. CR] zu inkorporieren“ (RÖDEL 2004a, 143). (5)
a. b. c. d.
Moritz ist am Äpfelwaschen. Moritz ist am Äpfel waschen. Moritz ist Äpfel am waschen. Moritz ist sie am waschen.
[am [N+N]NP] [am N V] [NP am V] [NP am V]
Somit ist zu erwarten, dass Sprecher zu Beginn des Grammatikalisierungsprozesses bei der Verwendung von transitiven Verben in der RV zunächst von Konstruktionen wie (5a) Gebrauch machen. Nach der verbalen Reanalyse des Verlaufsforminfinitivs werden von den Sprechern zunächst Strukturen wie in (5b) bevorzugt, da in einem relativ frühen Grammatikalisierungsstadium „nicht-inkorporierte Objekte […] die Verlaufsform bis zu einem gewissen Grad“ (REIMANN 1999, 191) blockieren. Strukturen wie in (5b) sind ebenfalls als Fälle von Inkorporation (im weiteren Sinne, vgl. GALLMANN 1999) zu analysieren, bei denen ein eine Argumentposition des Verbs besetzendes Nomen an das Verb kopfadjungiert wird (vgl. auch RAMELLI 2015), wodurch eine Art komplexes Verb entsteht. Wie von EBERT (1996) und KRAUSE (2002) festgestellt wurde, sind es zuerst pronominalisierte Objekte wie in (5d), die in der Struktur [NP am V] vorkommen können, während nicht-pronominalisierte Objekte in dieser Position von den Sprechern zu diesem Zeitpunkt noch abgelehnt werden. Insofern wären die Strukturen in (5b) und (5d) einem gemeinsamen Grammatikalisierungsstadium zuzuordnen, während die Realisierung von nicht-pronominalen Argumenten links von am einem fortgeschritteneren Grammatikalisierungsstadium zuzuordnen wäre. Zudem ist zu erwarten, dass Sprecher, auch wenn die Struktur [NP am V] bereits erworben ist, bei transitiven Verben zunächst weiterhin von Strukturen wie in (5b) Gebrauch machen können und sich erst in einem späteren Stadium der Grammatikalisierung die Variante in (5c) als einzig mögliche durchsetzt und am damit eine feste Position besetzt. Die damit verbundene Abnahme der möglichen Positionen, die am im Verhältnis zu seiner Kokonstituente einnehmen kann, bezeichnet man als Fixierung und betrifft den Parameter ‚Stellungsfreiheit’. Für zweiwertige, nicht-transitive 5
Wie unter anderem von REIMANN (1999) und FLICK (2011) gezeigt wurde, verbinden sich außerdem in einem frühen Stadium der Grammatikalisierung zunächst bevorzugt dynamische, atelische Verben mit der RV (Activity-Verben in der Terminologie von VENDLER 1957), d. h. Verben, die eine Handlung ohne natürlichen Endpunkt denotieren. Da die Verlaufsform selbst die Merkmale Dynamik und Unabgeschlossenheit aufweist, ist die Kombination von Verben mit diesen semantischen Merkmalen mit der RV am wenigsten problematisch.
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Verben kommt eine Kombination mit der RV ebenfalls erst in der Struktur [NP am V] infrage, da weder Dativobjekte, Präpositionalobjekte noch andere valenzgebundene PPs in die RV inkorporiert werden können. Ein typischer Brückenkontext für eine verbale Reanalyse der Verlaufsform in Kombination mit (valenzgebundenen) PPs scheinen Sätze wie in (6a) zu sein, in denen die Verlaufsform als nominaler Infinitiv mit präpositionalem Attribut realisiert wird. Allerdings wäre mit der Oberflächenstruktur von Satz (6a) auch die syntaktische Struktur in (6b) kompatibel, bei der bereits ein verbaler Verlaufsforminfinitiv vorliegt, der die rechte Satzklammer besetzt. Das als PP realisierte Direktionaladverbial in (6b) wäre ins Nachfeld verschoben. Dass die Extraposition des Direktionaladverbials des Verbs umziehen problemlos möglich ist, zeigt Beleg (6c). (6)
a. b. c. d.
Er war doch [PP am [NP Umziehen [PP in die neue Wohnung]]]. Er war doch am [VP am umziehen [PP in die neue Wohnung]]. Wir sind umgezogen in das neue Zentrum für operative Medizin II. (www.uniklinik-duesseldorf.de) Er war doch [VP [PP in die neue Wohnung] am umziehen].
Meines Erachtens sprechen mehrere Gründe dafür, anzunehmen, dass nach der verbalen Reanalyse des Verlaufsforminfinitvs in Kontexten wie (6a) zunächst die Abfolge mit im Nachfeld realisierter PP der Abfolge mit im Mittelfeld realisierter PP (siehe [6d]) vorgezogen wird. Einerseits ist nach dem oben Gesagten davon auszugehen, dass PPs erst in einem fortgeschrittenen Stadium der Grammatikalisierung mit einem verbalen Verlaufsforminfinitiv kombiniert werden können. Möglicherweise stellt die PP dabei als „schweres“ Satzglied für diese innovative Variante der RV anfänglich eine zu große Herausforderung dar, wenn sie im Mittelfeld auftritt. Da es ferner die prinzipielle Tendenz gibt, „schwere“ Satzglieder zu extraponieren, erscheint es naheliegend, dass auch valenzgebundene PPs in Kombination mit der Verlaufsform zunächst im Nachfeld auftreten. Zudem gibt es möglicherweise analog zum Grammatikalisierungsprinzip der lexikalischen ‚Persistence‘, dem Phänomen, dass in der Quellkonstruktion vorhandene Merkmale in der grammatikalisierten Variante einer Konstruktion teilweise erhalten bleiben (vgl. HOPPER 1991), eine strukturelle Entsprechung, die von BREBAN folgendermaßen definiert wird: It refers to the point that the source structure that a lexical item is part of in its nongrammaticalized use remains present in its new use. A newly emerging use developed by in item has to ‘fit in’ with its source structure, viz. it is ‘sanctioned’ by the structure of the original use, and is in some recognizable way structurally moulded by it. (BREBAN 2009, 80)
Übertragen auf die Kombination der RV mit valenzgebundenen PPs bedeutet dies, dass auch nach der verbalen Analyse des Verlaufsforminfinitivs zunächst solche
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Strukturen bevorzugt verwendet werden, die mit der Oberflächenabfolge6 der Quellkonstruktion, in welcher noch ein nominaler Verlaufsforminfinitiv vorlag, kompatibel sind. Entsprechend ist die Verwendung von valenzgebundenen PPs im Mittelfeld in Kombination mit der RV einem höheren Grammatikalisierungsstadium zuzuordnen als die Verwendung von valenzgebundenen PPs im Nachfeld. Wie EBERT (2000) feststellt, wird die Verlaufsform in solchen Kontexten, die explizit progressiv sind, d. h. in denen eine neue Handlung im Verlauf einer bereits ablaufenden Handlung beginnt, bereits relativ früh im Grammatikalisierungsprozess aspektuell unterspezifizierten Konstruktionen vorgezogen. Dies ist somit der erste Kontext, in dem die freie Verwendung der Verlaufsform durch ihre obligatorische Verwendung ersetzt wird und stellt folglich eine Veränderung des Parameters ‚Wählbarkeit‘ dar. Ein obligatorischer Gebrauch der RV in allen progressiven Kontexten ist hingegen erst ganz am Ende des Grammatikalisierungsprozesses zu erwarten, da beispielsweise selbst das ansonsten keinerlei Beschränkungen unterliegende Futur 1 nicht in allen Kontexten, die zukünftigen Zeitbezug ausdrücken, obligatorisch verwendet werden muss. Somit erfassen die im Fragebogen überprüften Indikatoren Veränderungen bei 5 der 6 Parameter aus Tabelle 2. Lediglich der Parameter ‚Integrität’, der den Umstand beschreibt, dass im Verlauf des Grammatikalisierungsprozesses eine phonologische (Phonological attrition) und semantische (Desemanticization) Erosion stattfindet, spielt in diesem Zusammenhang keine Rolle. Sowohl die bei der RV damit verbundene Nichtauflösbarkeit von am in Präposition und Artikel als auch der Verlust der lokalen Bedeutung von am finden schon in einem sehr frühen Stadium der Grammatikalisierung statt. Möglicherweise ließe sich eine fortgeschrittenere Grammatikalisierung von am im phonologischen Bereich dadurch nachweisen, dass es als Element innerhalb der RV im Gegensatz zur Klise aus Präposition und Artikel prinzipiell nicht akzentuierbar ist. (7)
a. b.
Ich bin nicht IM, ich bin AM Stadion. ?Ich HABE nicht gefrühstückt, ich bin AM frühstücken.
Da sich allerdings Unterschiede wie in (7b) mittels schriftlicher Befragungen nur bedingt nachweisen lassen, wurde auf entsprechende Items im Fragebogen verzichtet. Insgesamt unterscheiden die auf Grundlage der Grammatikalisierungsparameter nach LEHMANN (2002) erarbeiten Indikatoren zwischen 5 GS, wobei die Verlaufsform in GS1 zunächst die für nominalisierte Verben außergewöhnliche Eigenschaft aufweist, dass sie nicht mit attributiven Adjektiven kombinierbar ist, allerdings mit adverbial gebrauchten, links von am realisierten Adjektiven, was als Trigger für eine verbale Reanalyse des RV-Infinitivs betrachtet werden kann. 6
Das Prinzip der ‚Structural Persistence‘ ist also nicht so zu verstehen, dass Quell- und Zielkonstruktion dieselbe syntaktische Struktur besitzen. Vielmehr werden im Anschluss an eine Reanalyse lediglich solche Oberflächenabfolgen favorisiert, die sowohl mit der Quell- als auch mit der Zielkonstruktion kompatibel sind.
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In GS 2 wird die verbale Reanalyse der Verlaufsform bereits in der Kombination mit Objektpronomen deutlich, die nicht inkorporiert werden können und daher links von am realisiert werden müssen. Ansonsten werden in GS2 allerdings Oberflächenabfolgen favorisiert, die mit der Oberflächenabfolge, in welcher noch ein nominaler Verlaufsforminfinitiv vorlag, kompatibel sind. In GS3 existiert die Präferenz für inkorporierte Objekte nicht mehr, zudem findet im verbalen Bereich eine Ausweitung der Verwendungskontexte statt. Eine vollständige Etablierung in allen verbalen Kategorien findet erst in GS4 statt. Wie die Stellung von am in Passivbelegen wie (4) zeigt, muss am zu diesem Zeitpunkt den Status eines verbalen Flexivs allerdings noch nicht erreicht haben. 3
ZUR VERLAUFSFORM IM RHEINFRÄNKISCHEN DIALEKT
Im Gegensatz zum Ripuarischen, in dem der Gebrauch der RV bereits in zahlreichen Arbeiten untersucht wurde (z. B. von ANDERSSON 1989, BHATT / SCHMIDT 1993, GLÜCK 2001), existieren bisher kaum Arbeiten zur Verlaufsform im Rheinfränkischen, allenfalls findet die Konstruktion in Dialektgrammatiken wie STEITZ (1981) oder STROH (1928) kurz Erwähnung. Zudem werden von KUHMICHEL (2015) im Rahmen des Projekts Syntax hessischer Dialekte erhobene Daten zu Progressivkonstruktionen untersucht, bei einem Teil der Gewährspersonen handelt es sich um rheinfränkische Sprecher. Wie in RAMELLI (2015) gezeigt wurde, legt der Vergleich der Daten aus Wenker-Satz 24 (Als wir gestern abend heim/zurück kamen, da lagen die anderen schon im Bett und waren fest eingeschlafen/am schlafen) und der Zwirner-Daten mit den Beurteilungen aus dem Atlas zur deutschen Alltagssprache von ELSPASS / MÖLLER (2015) die Vermutung nahe, dass sich in diesem Dialektraum in den vergangenen ca. 150 Jahren ein zügiger Anstieg des Grammatikalisierungsgrades der Verlaufsform vollzogen hat. Während im Zwirner-Korpus transitive Verben innerhalb des Westmitteldeutschen nur im Ripuarischen und Moselfränkischen verwendet werden, wohingegen die Verlaufsform im Rheinfränkischen lediglich in Kombination mit einwertigen Verben auftritt, gibt im AdA der überwiegende Teil der Befragten aus dem Rheinfränkischen für den Satz Ich bin gerade die Uhr am Reparieren an, dass solche Konstruktionen an ihrem Ort sehr üblich seien. Ein deutlicher Unterschied bei der Kombination der RV mit transitiven Verben besteht zwischen den moselfränkischen und den ripuarischen Sprechern bei Zwirner darin, dass die moselfränkischen Sprecher fast ausschließlich die Variante [am N V] verwenden, während im Ripuarischen bevorzugt von der stärker grammatikalisierten Variante [NP am V] Gebrauch gemacht wird. Zudem finden sich im Ripuarischen auch mehrere Belege für 2wertige, nicht-transitive Verben, während sich im Moselfränkischen lediglich ein Beleg mit einem zweiwertigen, nicht-transitiven Verb findet. Die Zwirner-Daten lassen sich insgesamt so interpretieren, dass im Westmitteldeutschen ein Dialektraum bereits über eine sehr stark grammatikalisierte Verlaufsform verfügt (Ripuarisch), ein weiterer Dialektraum über eine weniger stark grammatikalisierte Verlaufsform verfügt (Moselfränkisch), welche allerdings bereits weitere Kombinati-
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onsmöglichkeiten zulässt, als dies im Rheinfränkischen der Fall ist, wo die Verlaufsform den geringsten Grammatikalisierungsgrad zeigt.7 Der Eindruck eines Anstiegs des Grammatikalisierungsgrades der RV im Rheinfränkischen seit den Zwirner-Erhebungen aus den 1950er Jahren lässt sich nicht nur durch die Daten aus dem AdA gewinnen, sondern auch durch Sprachdaten aus einer 2006 an der Universität des Saarlandes durchgeführten Erhebung zur Untersuchung des Partizip II bestätigen. In der im Rahmen dieses Projekts durchgeführten Untersuchung waren die Probanden aufgefordert, standarddeutsche Sätze in ihren Ortsdialekt zu übersetzen. Obwohl in keinem der standarddeutschen Sätze eine Verlaufsform vorgegeben wurde, finden sich in den dialektalen Übersetzungen etliche Belege, in denen die RV von den Sprechern verwendet wurde. (8)
a. b.
Ich war Plätzjer am backe. Ich war am Plätzja bagge.
(SDB, Beleg Nr. 66839) (SDB, Beleg Nr. 92976)
Dabei finden sich sowohl Belege für inkorporierte Nomen wie in (8b), als auch Konstruktionen mit links von am realisierten Ergänzungen wie in (8a). Somit scheint die RV bezüglich dieses Indikators zumindest in der I-Language einiger Sprecher des Rheinfränkischen bereits ein so fortgeschrittenes Grammatikalisierungsstadium erreicht zu haben, wie es in den Zwirner-Daten praktisch nur fürs Ripuarische nachweisbar ist.8 Aufgrund dieser Dynamik stellt der rheinfränkische Dialektverband ein interessantes Untersuchungsgebiet dar. Einerseits soll daher im Folgenden untersucht werden, bezüglich welcher Indikatoren sich im Rheinfränkischen insgesamt ein Grammatikalisierungsanstieg feststellen lässt, andererseits soll aber auch überprüft werden, ob sich innerhalb des Rheinfränkischen Unterschiede bezüglich der möglichen Verwendungskontexte der RV zeigen. Da sich nach den gerade besprochenen Daten insbesondere im Bereich der Verarbeitung von Objektargumenten erhebliche Veränderungen im Rheinfränkischen ergeben 7
8
Nach VAN POTTELBERGE (2004) lässt sich im Schweizerdeutschen ebenfalls beobachten, dass der am-Progressiv bereits relativ stark grammatikalisiert ist. Daher erscheint es nicht unwahrscheinlich, dass das Alemannische neben dem Ripuarischen ein zweites Zentrum darstellt, von dem aus sich die erweiterten Verwendungsmöglichkeiten der Verlaufsform in angrenzende Dialekträume ausbreiten. Einschränkend ist bezüglich dieser Argumentation festzuhalten, dass die Erhebungsmethoden zwischen den initiierten Erzählmonologen bei Zwirner, den Übersetzungsaufgaben im Wenker-Atlas und der Untersuchung zum Partizip II und den Akzeptabilitätsurteilen im AdA voneinander abweichen und entsprechend möglicherweise unterschiedlich valide Aussagen über den tatsächlichen Sprachgebrauch und die I-Language der jeweiligen Sprecher liefern. Auch wenn direkte Erhebungsmethoden wie bei Zwirner üblicherweise als zuverlässigste Erhebungsmethode betrachtet werden, liefern auch „dialektsyntaktische Erhebungen anhand der indirekten Methode […] zuverlässig belastbare und höchst ergiebige Daten“ (FLEISCHER / KASPER / LENZ 2012, 25). Dafür sprechen auch die nicht-vorlagenbasierten Verwendungen der RV mit links von am realisiertem Objektargument wie in (8a), die sich mit den Ergebnissen aus den Bewertungsaufgaben des AdA decken. Insofern erscheint mir die Annahme eines Grammatikalisierungsanstiegs der RV im Rheinfränkischen trotz der unterschiedlichen Erhebungsmethoden bei den angesprochenen Untersuchungen unbestreitbar.
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haben, wird der Schwerpunkt bei der Auswertung auf den entsprechenden Items des verwendeten Fragebogens liegen. 4
SYNTAKTISCHE ISOGLOSSEN IM RHEINFRÄNKISCHEN
Zur Gewinnung von Daten über den Gebrauch der RV im rheinfränkischen Dialektraum wurde eine Fragebogenerhebung durchgeführt. Die Probanden konnten den Fragebogen in ausgedruckter Form oder in einem Online-Questionnaire, der mittels der Software SoSci Survey erstellt wurde, bearbeiten. Insgesamt nahmen an der Erhebung 258 Dialektsprecher teil (134 weiblich, 124 männlich, Durchschnittsalter 40,5 Jahre).9 Im Fragebogen wurden den Probanden Sätze in ihrem Dialekt präsentiert, die sie auf einer vierstufigen, optischen Rating-Skala bezüglich ihrer Akzeptabilität beurteilen sollten. Insgesamt bestand der Fragebogen aus 23 Items, in denen 3 bis 7 Sätze beurteilt werden sollten. Alle Sätze waren zudem in einen außersprachlichen Kontext eingebettet, da der Kontext ebenfalls einen Faktor darstellt, der Einfluss auf die Grammatikalitätsurteile haben kann. Besonders deutlich ist dies bei dem Indikator [+ Obligatorik in explizit progressiven Kontexten]. Nach EBERT (2000) wird die Verlaufsform zuerst in solchen Kontexten obligatorisch verwendet, in denen eine neue Handlung im Verlauf einer bereits bestehenden Handlung einsetzt. Ein Beispiel für diese nach POLLAK (1960) als Inzidenzschema bezeichneten Kontexte ist in (9a)10 gegeben. (9)
a. b.
Ich war am lernen, als plötzlich die tür aufgeflogen ist. Ich habe gelernt, als plötzlich die tür aufgeflogen ist.
Während die aspektuell unterspezifizierte Variante in (9b) zwei Lesarten zulässt, nämlich, (i) dass die Lernen-Handlung bereits im Verlauf befindlich war, als die Tür aufgeflogen ist und (ii) dass die Lernen-Handlung in dem Moment einsetzte, als die Tür aufgeflogen ist, ist für (9a) nur die erste Lesart möglich. Die deskriptive Auswertung der Sätze ergibt einen deutlichen Unterschied in den Bewertungen. Satz (9b) wird von den Sprechern zwar mit einem Mittelwert von 2,66 als
9
10
Um eine angemessene Übereinstimmung mit den von den Probanden gesprochenen Varianten des Rheinfränkischen zu erzielen, wurde der Fragebogen in 3 dialektalisierten Varianten verwendet. Damit bewegen sich die vorliegenden Daten nach SCHMIDT / HERRGEN (2011) auf dem Niveau des Regionaldialekts. Da es nicht Ziel war, den ältesten, an einem Ort noch gesprochenen Dialekt zu erfassen, sondern vielmehr die Dynamik in der Entwicklung der RV, erscheint mir diese Anzahl an Dialektalisierungen dem Ziel der Untersuchung angemessen. Die Sätze in (9) sind Bestandteil des in der Untersuchung eingesetzten Fragebogens, hier lediglich in standarddeutscher Übersetzung. Auch im Fragebogen wurde, außer bei Eigennamen, auf satzinterne Großschreibung verzichtet, um die Probanden isb. bezüglich ihrer Einschätzung der Verbalität bzw. Nominalität des Verlaufsforminfinitivs nicht zu beeinflussen.
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akzeptabel eingestuft, allerdings signifikant schlechter11 (p DO–BEL zugrunde liegt, 2. relationale Verben17 mit typischer Grundabfolge DO+BEL > IO+BEL bzw. DO–BEL > IO–BEL und 3. Funktionsverben, die entweder mit dem Dativ- oder dem Akkusativobjekt ein Funktionsverbgefüge bilden. Gewöhnlich geht das Verb die Verbindung mit dem Akkusativobjekt ein, sodass die Grundabfolge IO > DO ist (z. B. jmd. einen Rat erteilen). Daneben gibt es 4. noch Satzmuster mit einem Akkusativobjekt und einem freien Dativ (FD), der nicht vom Verb gefordert wird.18 Die Grundabfolge wird für dessen semantische Unterklassen mit FD > DO angegeben, wobei die Abfolge beim Dativus (in)commodi (z. B. dem Enkel das Geld in die Hand drücken / aus der Hand reißen) veränderlich ist und beim Pertinenzdativ (z. B. dem Kind die Haare waschen) tendenziell unveränderlich.19 Die übrigen Unterklassen des FDs (ethicus, iudicantis) lassen wir hier unberücksichtigt, da sie nur sehr selten nominal realisiert werden können und im Korpus nicht belegt sind. Diese semantisch motivierte Einteilung der ditransitiven Verben liegt der Identifizierung der hier im Augenmerk stehenden dialektalen Grundabfolgen, die wir als „unmarkiert“ charakterisieren wollen, zugrunde. Die davon abweichenden bzw. abgeleiteten Abfolgen bezeichnen wir als „markiert“.20 Aus der Gruppe der 15
16
17
18 19
20
Vgl. die Diskussion in der generativen Syntaxforschung zur Frage, ob Objektumstellung (Scrambling) durch A-/A‘-Bewegung bzw. Adjunktion oder jeweils freie Basisgenerierung erreicht wird. Einen kurzen Überblick geben HAIDER / ROSENGREN (2003, 204). Unter Transaktionsverben fasst die DUDEN-GRAMMATIK (2009, §534) im weiteren Sinne Verben des Gebens und Zeigens, des Nehmens, des Mitteilens und Versprechens und des Verheimlichens (z. B. geben, nehmen, erzählen, verschweigen). Mit dem Terminus „relationale Verben“ wird auf die heterogene Gruppe ditransitiver Verben, die nicht das Muster der Transaktionsverben hineinpassen, z. B. vorstellen, vorziehen, unterordnen, anpassen (vgl. DUDEN-GRAMMATIK 2009, §535), Bezug genommen. Für einen Überblick über die semantischen Klassen von Verben, die einen freien Dativ zulassen, vgl. WEGENER (1985, 66 f.). Diese Unterschiede der semantischen Unterklassen des freien Dativs bemerkt schon LENERZ (1977, 94 f.), während ENGEL (1970, 46) eine Auswirkung auf die Stellungseigenschaften noch explizit verneint. HÖHLES (1982, 107) Vorschlag, „normale Wortstellung“ bzw. „normale Betonung“ – sprich: den Faktor „Markiertheit“ – anhand des maximal möglichen Fokus zu testen, eignet sich nicht für unsere Zwecke. Einerseits attestiert er den beiden Abfolgen IO > DO und DO > IO die gleiche Menge möglicher Kontexte, in denen sie geäußert werden können, d. h. beide Abfolgen sind gleich bezüglich ihrer Markiertheit. Andererseits sagt er für relationale Verben, bei
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Philipp Rauth
relationalen Verben finden sich im Korpus lediglich zwei Belege mit mutmaßlicher Grundabfolge DO > IO: einmal vorziehen und einmal aussetzen mit gleicher Belebtheit der Ergänzungen. Bei diesen zwei Ditransitiven wäre demnach die Abfolge IO > DO als „markiert“ einzustufen. Weil aber nicht geklärt ist, ob sich solche dialektalen relationalen Verben analog zum Standarddeutschen verhalten und aufgrund ihrer geringen Belegzahl (2 von 692 Belegen), schließen wir sie von der folgenden Betrachtung aus. Wir konzentrieren uns also auf 690 Belege mit Transaktionsverben, Funktionsverbgefügen und Konstruktionen mit freien Dativen, jeweils mit IO > DO als „unmarkierter“ Abfolge und DO > IO als „markierter“ Abfolge. Welche Kriterien für die Entscheidung, wie die einzelnen Belege jeweils zu klassifizieren sind, eine Rolle gespielt haben bzw. welche Konstruktionen außerdem noch von der Auswertung ausgeschlossen wurden, wird im Detail bei RAUTH (2016) diskutiert. Wenn man zunächst davon ausgeht, dass der Grad der differenzierenden Kasusmorphologie einen Einfluss auf die Abfolgevariabilität von ditransitiven Objekten nimmt, dann sollten regionale Unterschiede bezüglich der Variabilität feststellbar sein: Im Drei-Kasus-Gebiet ist – zumindest im Maskulinum – der Grad an prädeterminativer Kasusmorphologie am höchsten. In jedem Fall werden aber die beiden einschlägigen Kasus Dativ und Akkusativ auch in allen anderen Genera formal unterschieden. Demnach sollte die Abfolge in diesen Dialekträumen des deutschsprachigen Gebiets am variabelsten sein. Eventuell könnten die erhaltenen singularischen Flexionsendungen bzw. Stammalternationen am Substantiv im südlichen Westfälischen diesen Effekt noch verstärken. Danach folgt das ZweiKasus-System im Südwesten des deutschsprachigen Raums, in dem in allen Genera Nominativ und Akkusativ zusammengefallen sind. In diesem Gebiet findet sich neben pluralischen Flexionsresten am Substantiv im Moselfränkischen v. a. eine innovative Strategie der Dativmarkierung durch grammatikalisierte Präpositionen im Alemannischen. Auch hier könnte diese zusätzliche Disambiguierung des Dativs die Abfolgevariabilität begünstigen. Maßgeblich unterscheiden sollte sich die Variabilität der genannten beiden Systeme von den beiden folgenden: Einerseits das Zwei-Kasus-System (N/A-D) im Südosten, das im Maskulinum Dativ und Akkusativ formal nicht mehr unterscheidet, während in den anderen Genera und Numeri der Dativ von den beiden anderen Kasus differenziert wird. Wirkt sich dieser „maskuline Sonderweg“ (ROWLEY 2004, 346) auch auf die Abfolgevariabilität ditransitiver Objekte aus? Auch in diesem Gebiet gibt es PDMs sowie vereinzelt Flexionssuffixe im Dativ Singular und Plural, denen man potenziell einen Einfluss zuschreiben kann. Andererseits das Einheitskasus-System im Niederdeutschen, wo es nicht nur im Maskulinum, sondern auch in den anderen Genera und im Plural zu Fehlinterpretationen kommen kann. Bezüglich der Korrelation mit dem Grad der Kasusflexion sollte die Variabilität der Abfolge in diesem System folglich genauso restringiert sein, wie es im Englischen oder teilweise im Nieder-
denen ebenfalls eine gleich große Menge an Äußerungskontexten zu erwarten ist, ebenfalls zwei unmarkierte Abfolgen voraus. Sätze wie ?Sie setzte der Gefahr das Kind aus sind jedoch intuitiv deutlich markierter als die umgekehrte Variante Sie setzte das Kind der Gefahr aus.
Dialektale Kasussysteme und Abfolge ditransitiver Objekte
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ländischen der Fall ist. Regional begrenzte Reste der Kasusflexion durch Suffixe oder Stammalternationen am Substantiv gibt es auch im Niederdeutschen. Tabelle 7 zeigt zunächst die Abfolge von DO und IO/FD in den Belegsätzen des Textkorpus von 1750–1950, geordnet nach den vier verschiedenen Kasusflexionssystemen. Abbildung 1 gibt einen Überblick über die Belegorte der Dialekttexte und die jeweilige Verteilung der Objektabfolge in den Belegsätzen. Die zunehmende Größe der Kreisdiagramme trägt der unterschiedlichen Anzahl an Belegsätzen pro Ort Rechnung. Kasussystem Drei-Kasus-System Zwei-Kasus-System (N-A/D) Zwei-Kasus-System (N/A-D) Einheitskasus-System Dialekte insgesamt
IO/FD > DO relativ absolut 90,6 % 155 87,1 % 142 92,2 % 154 97,8 % 185 92,2 % 636
DO > IO/FD relativ absolut 9,4 % 16 12,9 % 21 7,8 % 13 2,2 % 4 7,8 % 54
gesamt
171 163 167 189 690
Tab. 7: Abfolge von DO und IO/FD in den Belegsätzen des Dialektkorpus
Die Zahlen zeigen deutlich, dass im Niederdeutschen eine Gleichzeitigkeit von Einheitskasus-System und relativer Starrheit der Abfolge vorherrscht. Nur 2,2 % (4 von 189) der Belegsätze weisen die Abfolge DO > IO/FD auf, während 97,8 % IO/FD > DO zeigen. Man würde erwarten, dass gerade in diesem System die Umstellung nur in solchen Belegen auftritt, wo die Interpretation der ditransitiven Konstruktion dank eines unterschiedlichen Belebtheitsstatus (belebt vs. unbelebt) trotz Kasussynkretismus gut möglich bleibt.21 Interessanterweise sind aber in zwei der vier Belege beide Objekte menschliche Referenten im Maskulinum, sodass man hier bei der Interpretation vollständig auf den Kontext angewiesen ist. Auch eine Disambiguierung durch (kontrastive) Fokussierung ist dem Kontext nicht zu entnehmen. Das erste Beispiel wurde schon in (12a) gegeben, der zweite Beleg ist folgender: (14)
21
Genog, ich han [DO der Wickes] [IO der Herr Pastur] op sing Siel gegeve en morge geht he mich wier noh de franze Stond. ‘Genug, ich habe den Wickes dem Herr Pastor auf seine Seele gegeben und morgen geht er mir wieder zur Französischstunde.’ (MÜLLER 1869, 232)
In prototypischen ditransitiven Konstruktionen wird ein physikalischer oder mentaler Transfer vollzogen, in dem ein Proto-Agens einem Proto-Rezipienten (meist belebt) ein ProtoThema (meist unbelebt) wie auch immer geartet übermittelt (vgl. MALCHUKOV / HASPELMATH / COMRIE 2010, 1 f.; HEINE / KÖNIG 2010, 88). Da Rezipient und Thema meist IO/FD und DO entsprechen und somit auch einen unterschiedlichen Belebtheitsstatus aufweisen, ist die eindeutige Interpretation unabhängig vom Grad der Kasusmorphologie in einer Sprache oft weiterhin gewährleistet.
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Philipp Rauth
Drei-Kasus-System
Quelltext(e)
Zwei-Kasus-System (N-A/D) Zwei-Kasus-System (N/A-D)
IO > DO
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Abb. 1: Dialektale Kasussysteme und Abfolge von IO/FD und DO in den Quelltexten. Dialekteinteilung nach WIESINGER (1983), Kasussysteme nach SHRIER (1965) (modifiziert), PDMAreale nach SEILER (2003). Die Größe der Kreisdiagramme symbolisiert die Anzahl der Belegsätze pro Belegort bzw. Belegtext
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Aus der Datenlage lässt sich somit für den niederdeutschen Raum zunächst nur festhalten, dass die Abfolge ditransitiver Objekte im Allgemeinen fester ist. Jedoch scheint dies eher eine generelle Eigenschaft des Dialektraums zu sein, statt, wie APPEL (2007, 297) vermutet, speziell zur Vermeidung von Ambiguitäten, da immerhin die Hälfte der ohnehin seltenen Umstellungsbelege diesem Prinzip widersprechen. Demgegenüber zeigen die Daten für das südöstliche Zwei-Kasus-System (N/A-D), welches die beiden einschlägigen Kasus Dativ und Akkusativ nur im Maskulinum Singular nicht mehr differenziert, eine größere Variabilität der Abfolge ditransitiver Objekte. In 13 der insgesamt 167 Belege tritt solch eine Abfolge zweier maskuliner Objekte im Singular auf, bei denen es zu Interpretationsschwierigkeiten kommen kann. Allerdings wird in allen 13 Belegen – vielleicht zur Vermeidung von Ambiguitäten? – ausschließlich die Abfolge IO/FD > DO realisiert. Dies veranschaulichen die Beispiele (11) für das Bairische, (15) für das Ostfälische, (16) für das Thüringische, (17) für das Obersächsische und (18) für das Brandenburgische. (15)
Vor veertein Dagen heste [IO den olen Steinbrügge ut Drissenste‘e] [DO den Hasen, den du tau’n Besten geben hest], awekoft, un denn hest du deck vor usch damidde groot emaket, du herrest ‘n schoten! ‘Vor vierzehn Tagen hast du dem alten Steinbrügge aus D. den Hasen, den du zum Besten gegeben hast, abgekauft, und dann hast du dich vor uns damit groß gemacht, du hättest ihn geschossen!’ (SCHULMANN 1856, 112)
(16)
die ös sattmals nöber gesprong un hat sich bei ‘r versteckt, bis de alte Hullrichen [FD ihren Manne] [DO d’n Kopp] hatte zuracht gesetzt. ‘die ist damals hinüber gesprungen und hat sich bei ihr versteckt, bis die alte H. ihrem Mann den Kopf zurecht gesetzt hatte.’ (SOMMER 1854, 72)
(17)
Beschriem hoom mr [IO dann Ma’] [DO ne Griff] ganz genaa… ‘Beschrieben haben wir dem Mann den Griff ganz genau…’ (MÜLLER 1897, 48)
(18)
Düt Kleed versöken we Minschen öäwer doch to waschen und to flicken, we prün’n ’r ümmer an herum un will’n döärch unse goden Werk [IO dän lewen Gott] [DO dänn Himmel] afverdeen’n. ‘Dieses Kleid versuchen wir Menschen aber doch zu waschen und zu flicken, wir nähen immer daran herum und wollen durch unsere guten Werke dem lieben Gott den Himmel abverdienen.’ (SCHWERIN 1859, 82)
Im Thüringischen (16) trägt die Flexionsendung -e am FD Manne zur zusätzlichen Disambiguierung der Konstruktion bei. Das Flexiv -en am DO Hasen im Ostfälischen (15) ist nicht als disambiguierend einzustufen, da sich in diesem Dialektraum bei schwachen Maskulina diese Endung sowohl im Dativ als auch im Akkusativ erhalten hat (vgl. Abschnitt 2.1). Die umgekehrte Abfolge DO > IO/FD, die
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in 7,8 % (13 von 167) der Sätze belegt ist, weist keine zwei maskulinen Objekte auf. Alle Belege sind vom Genus her gemischt, lediglich an zweiter Stelle erscheinen maskuline IOs/FDs, die äußerlich mit Akkusativobjekten verwechselt werden können. Durch die eindeutige Markierung des vorangehenden Objekts als Akkusativ ist eine Fehlinterpretation jedoch ausgeschlossen, wie z. B. das Bairische (19) oder Obersächsische (20) zeigen: (19)
Grad gnue, um [DO ’n Thomas sei Schuld da] [IO/FD ’n Wolferl] zu zahl’n! ‘Gerade genug, um dem Thomas seine Schuld da dem Wolferl zu zahlen!’ (REITZENBECK 1846, 236)
(20)
Ober wissen muss iech doch noch, epp de Flint gelodn is, ... iech waar’ sche ’mol o’schießn – un dodrbei hielt ’r [DO de gelodne Flint’] [FD ne Bauer, dann ’s Harz vullns in de Husn sank], geord’ off ’n Bauch. ‘Aber wissen muss ich doch noch, ob die Flinte geladen ist, ... ich werde sie mal anschießen – un dabei hielt er die geladene Flinte dem Bauern, dem das Herz vollends in die Hose sank, gerade auf den Bauch.’ (MÜLLER 1897, 24)
Im Drei-Kasus-Gebiet (N/A/D) ergibt sich mit 9,4 % (16 von 171) der Belege mit der Abfolge DO > IO/FD eine nur geringfügig höhere Abfolgevariabilität als im N/A-D-Gebiet, obwohl hier wie im Standarddeutschen bei keinem Aufeinandertreffen zweier Objekte die Gefahr einer Fehlinterpretation besteht. Im südlichen Westfälischen und im Nordhessischen, wo zusätzlich zum kasusmarkierten Artikelwort (dem, den) auch noch konsequent das Substantiv im Singular und Plural durch die Flexionsendung -e bzw. -(e)n dativisch markiert wird, lässt sich ebenfalls keine größere Variabilität der Ditransitiva (3,1 % bzw. 2 von 64 Belegsätzen) entdecken. Beispiel (21) zeigt, dass die Gegebenheiten hierfür eigentlich günstig wären: (21)
(…), dat dai Baiden wier den Krauß beym Koppe nehmen un [IO iärem Leywe] [DO den Drüdden] gonnten. ‘dass die beiden wieder den Krug beim Kopf nehmen und ihrem Leib den Dritten gönnten.’ (GRIMME 1860, 15)
Demgegenüber scheinen das Rheinfränkische und Schwäbische trotz Apokope der Flexive am Substantiv mit 13,9 % (15 von 108) variabilitätsfreundlicher zu sein. Überraschenderweise zeigt nicht das eben genannte Gebiet mit dem höchsten Grad an differenzierender Kasusmorphologie auch die größte Abfolgevariabilität, sondern das N-A/D-Gebiet des Rheinischen Akkusativs, wo in 12,9 % (21 von 163) der Belege das DO dem IO/FD vorangeht. Doch innerhalb dieses Gebietes treten gravierende Unterschiede auf: Im ripuarischen, moselfränkischen, rheinfränkischen und hessischen (sprich: nördlichen) Bereich ist der Anteil der Umstellungsbelege mit 4,5 % (4 von 89) wesentlich niedriger als im alemannischen Teil. Dort erscheint die Abfolge DO > IO/FD in 23 % (17 von 74) der Fälle. Die Quel-
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len BASTIAN (1901) (Straßburg), SUTERMEISTER (1882a) (Basel) und SUTERMEIS(1882c) (Luzern) zeigen im größten Teil der DO > IO-Belege eine PDM mit in (9 von 15). In SUTERMEISTER (1882b) (Glarus) jedoch, wo keine PDM realisiert wird, ist die Variabilität mit 20 % (2 von 10) auch relativ hoch, weshalb die PDM nicht der ausschlaggebende Faktor für die hohe Abfolgevariabilität im Schweizerdeutschen sein kann. Somit ähneln sich das Alemannische und das Afrikaans in ihrer Möglichkeit, das präpositionale markierte IO/FD vor das DO zu stellen. Das Englische, das ebenfalls über eine PDM verfügt, lässt eine solche Umstellung nicht zu, wie Beispiel (13) in Abschnitt 2.2 zeigt. Im Niederländischen ist die Umstellung zwar möglich, die Abfolge DO > präpositional markiertes IO wird aber klar bevorzugt (vgl. ZWART 2011, 53). Wie lässt sich nun abschließend der Einfluss dialektaler Kasussysteme auf die Abfolge ditransitiver Konstruktionen bewerten? Ziel war es zu untersuchen, ob sich die verschiedenen flexionsmorphologischen Gegebenheiten – also die Existenz oder das Fehlen disambiguierender Flexion am Substantiv und v. a. am Determinierer für Dativ und Akkusativ – positiv oder negativ auf die Abfolgevariabilität auswirken. Im Großen und Ganzen kann man diesbezüglich vier Tendenzen festhalten: Erstens tendieren ditransitive Konstruktionen im niederdeutschen Raum dazu, invariabler zu sein. Ob dies nun letztendlich mit dem geringen Grad an Kasusmorphologie zusammenhängt, kann nur vermutet werden. Aufgrund der Anzahl und der geografischen Verteilung der ausgewerteten Dialekttexte kann aber ausgeschlossen werden, dass die Abfolge DO > IO/FD lediglich zufällig so selten in Erscheinung tritt. Es ergibt sich statistisch ein signifikanter Unterschied zwischen diesem Gebiet und den drei übrigen Kasussystemen (χ2=11,8, df=1, p IO in einem verglichen mit dem Standarddeutschen etwas geringeren Maße dennoch üblich.23 Drittens stechen diejenigen Dialektgebiete des Alemannischen hervor, die ihr IO mit einer PDM versehen (können). Die Abfolgevariabilität ist dort teilweise mit Abstand am höchsten. TER
22
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So zeigen z. B. sowohl der Erfurter Stadtdialekt mit der Prosaerzählung FISCHERS (1867 ff.) mit einem Drittel (3 von 9) der Belege als auch der schwäbische Dorfdialekt mit dem Theaterstück WAGNERS (1824, 1825) mit 27,3 % (6 von 22) der Belege eine vergleichsweite hohe Abfolgevariabilität. Die Korpusstudie von RØRENG (2011, 9) zur Abfolge von Ditransitiven im Standarddeutschen ermittelt folgendes Bild: Von insgesamt 2.195 Belegen haben 1.851 (84,3 %) die Abfolge IO > DO, 344 (15,7 %) die Abfolge DO > IO.
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Viertens konnte kein begünstigender Einfluss von Dativflexion am Substantiv auf die Variabilität in den entsprechenden Gebieten festgestellt werden. 4
ZUSAMMENFASSUNG
Im vorliegenden Beitrag wurde der Frage nachgegangen, ob die Abfolgevariabilität der Ergänzungen ditransitiver Verben mit den verschiedenen dialektalen Kasussystemen, die die Kasus Dativ und Akkusativ formal unterscheiden bzw. (teilweise) nicht mehr unterscheiden, korrelieren. Hierzu wurde zunächst ein ausführlicher Überblick über die flexionsmorphologischen Eigenschaften bzw. die Arealstruktur der vier dialektalen Kasussysteme des Deutschen gegeben. In einer Korpusstudie wurden dann insgesamt 690 dialektale Belegsätze mit ditransitiven Konstruktionen auf ihre Abfolge hin ausgewertet. Die niederdeutschen Dialekte zeigen demnach eine wesentlich geringere Abfolgevariabilität von IO/FD und DO bei gleichzeitig höchstem Grad an Kasussynkretismus als die mittel- und oberdeutschen Dialekte. Letztere unterscheiden sich untereinander nicht wesentlich in Bezug auf die Abfolge der Ditransitive. Auch werden hier in allen Genera und Numeri – mit Ausnahme des Ostmittel- und Ostoberdeutschen im Maskulinum – Dativ und Akkusativ formal getrennt. Interessanterweise scheint aber die präpositionale Dativmarkierung (PDM) im Nieder- und Hoch- bzw. Höchstalemannischen die Abfolgevariabilität stark zu begünstigen: In diesen Dialekttexten ist die Umstellung der Ditransitive mit Abstand am häufigsten anzutreffen. Aber auch die unmarkierte Grundstellung, bei der die PDM vorangestellt wird, muss im Vergleich mit PDMs des Englischen oder Niederländischen als außergewöhnlich angesehen werden, da dies in diesen Sprachen nachweislich unmöglich ist. Auch wenn eine Korrelation nicht eindeutig nachgewiesen werden kann, so weist die Gleichzeitigkeit bzw. geografische Deckungsgleichheit von fehlender Kasusdistinktion und geringer Abfolgevariabilität im Niederdeutschen – und umgekehrt im Mittel- und Oberdeutschen – jedoch stark darauf hin. LITERATUR Primärquellen BASTIAN, FERDINAND (1901): D’r Dorfschmidt. Volksstück in drei Aufzügen. Straßburg: Bomhoff. BURTAR, EUGEN (1937): Aus unserer alten Stadt: Mundartliche Erzählungen und Gedichte. Saarlouis: Hausen. FISCHER, ADOLF L. (1906): Lustige Geschichten in Thüringer Mundart. Hrsg. v. Otto Kürsten. 4. Aufl. Erfurt: Körner (Erfurter Schnozeln, 1–3). GRIMME, FRIEDRICH W. (1860): Grain Tuig. Schwänke und Gedichte in sauerländischer Mundart. Paderborn: Soest. KOBELL, FRANZ VON (1863): P'älzische G’schichte’. In der Mundart erzählt. München: Braun & Schneider.
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Philipp Rauth
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DIE ENTWICKLUNG DER NACHFELDBESETZUNG IN VERSCHIEDENEN DEUTSCHEN DIALEKTEN: INFORMATIONSDICHTE UND STRUKTURELLE VERSCHIEDENHEIT Augustin Speyer 1
EINFÜHRUNG: DIACHRONIE UND DIALEKT
Forschung zur Dialektsyntax nimmt in der Regel die heute existierenden Dialekte als Datengrundlage bzw. bezieht sich, wenn eine diachrone Dimension hinzutreten soll, auf die explizit dialektgeographisch ausgewiesenen Wenker-Sätze bzw., als relativ frühe systematische Quelle im Audioformat, das Zwirner-Korpus. Diachrone Tiefe wird somit nur bis ca. 1880 erreicht, bzw., wenn man das Labovsche Paradigma des change in apparent time (LABOV 1994, 43–72) hinzurechnet, potentiell bis in die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts. Eine diachrone Untersuchung dialektsyntaktischer Fragestellungen stößt hier, wie es scheint, an ihre Grenzen, da keine früheren systematisch erhobenen Dialektquellen existieren. Doch ist dies etwas zu kurz gegriffen. Abgesehen davon, dass es seit dem 18., prominent seit dem 19. Jh. explizit als solche ausgewiesene Dialekttexte gibt, spielt die diatopische Variation grundsätzlich eine Rolle in Texten, die zu einer Zeit entstanden sind, in der es noch keinen überregionalen, verbindlichen Standard gab. Tatsächlich findet man in beträchtlichem Maße diatopische Variation im Frühneuhochdeutschen bis zur Ausbildung von überregionalen (schriftlichen) Verkehrssprachen, namentlich bis zur Reformation und der durch sie geförderten Ausbreitung der Sprachform von Luthers Schriften. Das hängt unter anderem damit zusammen, dass die Schriftwerke vor der Ausbildung eines verbindlichen Prosastils noch in stärkerem Maße der gesprochenen Sprache verpflichtet sind, die sich dann zu den heute bekannten Dialekten weiterentwickelt. Insofern spiegeln die vorreformatorischen frühneuhochdeutschen Schriftquellen eigentlich eher Stufen auf der Entwicklung der heutigen mündlichen Sprachformen (und damit: Dialekten) wider als Stufen auf der Entwicklung des schriftsprachlichen Idioms. Grundsätzlich sollten gerade Dialekte und nicht ein irgendwie generierter Standard als Endpunkte der historischen Entwicklung in Betracht gezogen werden, dies gilt gerade auch für das Deutsche (s. z. B. WEISS 2001; 2005). Für die sprachhistorische Forschung ergibt sich aus diesem Befund als Konsequenz, dass der Faktor Dialektraum bei der Korpuszusammenstellung zumindest kontrolliert werden muss, wenn nicht gar von vorneherein verschiedene Dialekträume kontrastiv nebeneinander gestellt werden müssen. Gerade bei der historischen syntaktischen Forschung mögen sich in verschiedenen Dialekten unterschiedliche Lösungsstrategien für syntaktische Problemstellungen finden, die sich
138
Augustin Speyer
z. T. in die heutigen Dialekte weiterverfolgen lassen. Die Kombination von historischer Syntax und Dialektsyntax in ein kohärentes Forschungsparadigma ist somit dringend notwendig und wird z. T. auch geleistet (s. z. B. AXEL / WEISS 2010; 2011 zu Nullsubjekteigenschaften). Dieser Aufsatz versteht sich als ein Versuch in dieser Richtung, indem mit dem Nachfeld ein Thema behandelt wird, dass zwar allgemein als mündlichkeitsnah eingestuft wird (s. z. B. AUER 1991, HOBERG 1997), bzw. als generelle Eigenschaft gesprochener Sprache zu gelten hat (vgl. AUER 2004), das aber nicht ‚dialektsyntaktisch’ in dem Sinne ist, dass ein Dialekt offenkundig eine Struktur ausgebildet hat, die andere Varietäten einschließlich des Standarddeutschen nicht besitzen. Der Aufsatz gliedert sich wie folgt: Nach einer kurzen Einführung in das verwendete Forschungsparadigma und daraus abgeleitete Erwartungen hinsichtlich der Nachfeldbesetzung (Abschnitt 2) wird in Abschnitt 3 der Zustand in drei Varianten des (vorreformatorischen) Frühneuhochdeutschen der Mitte des 15. Jh. skizziert. Abschnitt 4 stellt die Ergebnisse einer gleich durchgeführten Untersuchung an Dialekttexten des 19. Jahrhunderts vor, auf welcher Grundlage in Abschnitt 5 mögliche Konsequenzen für die Strukturbeschreibung der jeweiligen Varietäten geboten werden. Die Zusammenfassung der wichtigsten Ergebnisse ist die Aufgabe von Abschnitt 6. 2
THEORETISCHE GRUNDLAGEN 2.1
Informationsdichte
Das Konzept der Informationsdichte fußt auf kommunikationstechnischen Arbeiten von SHANNON (1948). Ohne in die technischen Details gehen zu wollen, ist der Gegenstand im Großen und Ganzen, wieviel an Information innerhalb einer gegebenen (Zeit-)Einheit übermittelt werden kann. Information kann hierbei unter zweierlei Gesichtspunkten betrachtet werden: Einerseits ein krudes numerisches Maß, wie viel informationstragende Einheiten in der gegebenen Zeiteinheit vergeben werden kann (Kodierungsdichte, vgl. SHANNON 1948), andererseits ein qualitatives Maß, das den Wert der Information angibt, nämlich die Wahrscheinlichkeit, mit der der Wert einer Variablen korrekt vorhergesagt werden kann (Surprisal, vgl. SHANNON 1948; GENZEL / CHARNIAK 2002). Das Konzept lässt sich auf mancherlei Weise auf die menschliche Sprache übertragen. In diesem Aufsatz wird Kodierungsdichte als ein Maß verstanden, wieviele informationstragende Einheiten pro Satz bzw. Teilsatz vergeben werden (vgl. JAEGER 2010). Das natürlichsprachliche Korrelat zu Surprisal ist hingegen in bestimmten informationsstrukturellen Dimensionen zu sehen. Man kann sagen, dass gegebene Information (im Sinn von z. B. PRINCE 1981) ein geringeres Surprisal aufweist als neue Information, einfach weil der Wert der ‚Variablen‘, der informative Gehalt, hier tatsächlich vorhersagbar ist, da bekannt, während dies bei neuer Information nicht der Fall ist. Ferner haben saliente Elemente, also Elemente im Arbeitsspeicher der am Diskurs beteiligten Personen (vgl. z. B. GERNSBA-
Die Entwicklung der Nachfeldbesetzung in verschiedenen deutschen Dialekten
139
CHER 1989), ebenfalls eine höhere wiederholte Auftrittswahrscheinlichkeit, bis hin zu den salienten Einheiten schlechthin, den Aboutness-Topiks (im Sinne von REINHART 1982). Wie beeinflusst Informationsdichte nun die Form sprachlicher Äußerungen? Eine Hypothese zum Management der Informationsdichte in Äußerungen ist die Uniform Information Density Hypothesis (UID; s. z. B. GENZEL / CHARNIAK 2002; JAEGER 2010). Sie besagt, dass Sprecher (oder Produzenten sprachlicher Äußerungen allgemein) versuchen, die Information möglichst gleichmäßig zu verteilen, d. h. die Informationsdichte konstant zu halten. In manchen Fällen hat der Sprachproduzent wenig Möglichkeit, die Informationsdichte pro komplexer linguistischer Einheit zu beeinflussen. Wenn er aber die Möglichkeit hat, ist zu erwarten, dass er sie im Sinne der UID nutzen wird. Konkret bedeutet das: Wenn eine Sprache Ausdrucksvarianten bereithält, die in einem Parameter, der mit Informationsdichte zusammenhängt (z. B. die Zahl der mit Bedeutung assoziierten syntaktischen Einheiten), differieren, werden Sprachproduzenten sich bei Aussagen mit hoher Informationsdichte für die Variante entscheiden, in denen die Bedeutung auf eine höhere Zahl komplexer syntaktischer Einheiten verteilt ist, um dem UID zu entsprechen (vgl. auch HAWKINS 2009). Diese Hypothese lässt sich auf das Nachfeld übertragen. Das Nachfeld kann als eine Art Nachklapp eines Teilsatzes gelten, da es sich hier um Material handelt, das nach einem konventionellen Endsignal, der rechten Satzklammer, steht (AUER 1991; UHMANN 1993). Das Nachfeld hat folglich verarbeitungstechnisch eine relativ lose Beziehung zum Rest des Teilsatzes, ja, kann sogar als eigene Verarbeitungseinheit angesehen werden (HOBERG 1997). Das bedeutet, dass in einem Teilsatz mit Nachfeld zwei Verarbeitungseinheiten zur Verfügung stehen, in einem Teilsatz ohne Nachfeld hingegen nur eine. Somit entspricht der Teilsatz mit Nachfeld der Variante mit höherer Zahl komplexer syntaktischer Einheiten im Vergleich zum Teilsatz ohne Nachfeld. In nuce wurde die Idee schon von RATH (1979) formuliert. Das Ziel dieser Untersuchung ist zu prüfen, ob Nachfeldbesetzung grundsätzlich für Informationsdichtemanagement herangezogen wird. Dies wird an dialektal gefärbten Texten zweier Zeitschnitte geschehen, um die Frage anzugehen, ob sich das Informationsdichtemanagementr diachron ändert. Schließlich werden Texte aus verschiedenen Dialektregionen herangezogen um zu untersuchen, ob alle Varietäten die gleiche Strategie bezüglich Informationsdichtemanagement und Nachfeldbesetzung fahren.
2.2
Erwartungen zur Nachfeldbesetzung
Im heutigen Deutsch ist Besetzung der Zone rechts der rechten Satzklammer (der Einfachkeit halber hier summarisch als ‚Nachfeld‘ tituliert) im schriftlichen Diskurs selten, im mündlichen Diskurs etwas häufiger (s. z. B. AUER 1991, HOBERG 1997). Die Funktionen, denen Nachfeldbesetzung entspricht, sind jedoch von vielfältiger Art. Unter Nichtberücksichtigung performanzbasierter (Nachträge als
140
Augustin Speyer
‚Planungsfehler‘) oder interaktionstypischer Funktionen (z. B. tag-Questions), die für historische Texte nicht als solche nachweisbar sind, sind die Phänomene in zwei Gruppen einordnen. Einige Phänomene lassen sich auf das Stichwort der Informationsentflechtung im quantitativen Sinne zurückführen (also: Auslagerung ‚schwerer‘ Konstituenten wie z. B. Nebensätze), andere gehorchen feineren informationsstrukturellen Bedingungen. In Sonderheit ist hier das Nachfeld als Position für Präsentationsfoki und Kontrastfoki (z. B. HOBERG 1997; VINCKEL 2006, 159 ff.), oder, ganz im Gegensatz dazu, als Topikposition, entweder zur Nachlieferung eines etablierten Topiks (AUER 1991) oder als Position zur Etablierung eines neuen Diskurstopiks (z. B. VINCKEL 2011) zu nennen. Letzteres ist unter dem Gesichtspunkt des Informationsdichtemanagement unerwartet. Die Nachfeldsetzung fokalisierter Elemente ist hingegen unter demselben Gesichtspunkt zu erwarten, da fokalisierte Elemente generell höheres Surprisal aufweisen dürften; Fokus mag sinnfälliger Ausdruck dieser Eigenschaft sein. In früheren Stufen des Deutschen, z. B. dem Alt- oder Frühneuhochdeutschen, ist die Nachfeldbesetzung weitaus häufiger (s. z. B. SCHILDT 1976), jedoch scheint die Zahl der informationsstrukturellen Funktionen, mit denen Nachfeldbesetzung korreliert war, geringer gewesen zu sein. Im Althochdeutschen z. B. scheint das Nachfeld nur neue, nicht topikhafte Information aufgenommen haben zu können (z. B. PETROVA 2009; LÖTSCHER 2009; SCHLACHTER 2012). Im Frühneuhochdeutschen kommen Kontrastfoki als mögliche Füller hinzu (BIES 1996; LIGHT 2012). Wir sehen also eine Entwicklung hin zu zunehmender informationsstruktureller Permissivität des Nachfelds. 3
NACHFELD UND INFORMATIONSDICHTE IM FRÜHNEUHOCHDEUTSCHEN 3.1
Textauswahl
Zur Untersuchung der Frage nach der Rolle des Nachfelds für Informationsdichtemanagement wurden narrative Texte aus drei Dialekträumen aus möglichst der Mitte des 15. Jahrhunderts gewählt. Die Dialekträume sind: Ostoberdeutsch (genauer: Mittelbairisch), Ostmitteldeutsch (genauer: Thüringisch) und Westmitteldeutsch (genauer: Rheinfränkisch).1 Wiewohl der Parameter Nähe-/Distanzsprachlichkeit mangels Materials nicht dezidiert kontrolliert werden konnte, zeichnen sich die verwendeten Texte zumindest nicht durch offensichtliche Durchgestaltung im Sinne von dezidiert distanzsprachlichen stilistischen Normen aus. Die Texte sind die Denkwürdigkeiten der Helene Kottanerin (Wien 1445– 1
Ein Vergleich zweier Stadien des Frühneuhochdeutschen, nämlich des 15. und des 16. Jahrhunderts, findet sich in SPEYER (eingereicht). Bei diesem Vergleich zeigt sich, dass sich im 16. Jh. die Unterschiede zwischen den Dialekten zugunsten des Ostmitteldeutschen nivellieren, was wohl mit der Ausbildung eines ostmitteldeutsch geprägten Prosastilmusters im Zusammenhang mit der Reformation geschuldet sein dürfte.
Die Entwicklung der Nachfeldbesetzung in verschiedenen deutschen Dialekten
141
1452) als Beispiel für das Mittelbairische, die Düringische Chronik des Johann Rothe (Eisenach 1421) als Vertreter des Thüringischen und die Version des Romans der Königin Sibille von Elisabeth von Nassau-Saarbrücken (Saarbrücken vor 1456) als rheinfränkische Quelle (genauere Angaben s. Lit.verz.). Es wurden jeweils die ersten 45 Sätze mit Nachfeld in die Untersuchung aufgenommen. Es wurden nur Nachfelder mit nicht-satzwertiger Füllung aufgenommen, da erstens im Frühneuhochdeutschen die Nachstellung von Gliedsätzen noch in viel größerem Maße die Regel darstellt als im heutigen Deutsch, zweitens da die präferierte Nachstellung sententialer Konstituenten aus verarbeitungstechnischen Gründen sowieso schon bekannt ist. Die Mittelfelder und Nachfelder der Sätze wurden nach numerischen Parametern kodiert, u. a. Konstituentenzahl, Wortzahl, Zahl der Referenten, als auch nach informationsstrukturellen Parametern. Es wurde in Anlehnung an PRINCE (1981) und GUNDEL et al. (1993) eine Neuheitshierarchie der Referenten zur Anwendung gebracht, die 5 Stufen unterschied: neu (Referent im Text nicht vorerwähnt), inferierbar (Referent im Text nicht erwähnt, aber aus einem anderen, bekannten Referenten durch eine semantische Grundrelation wie Teil-Ganzes, Possessum-Possessor etc. erschließbar), gegeben (im Text vorerwähnt, Erwähnung nicht innerhalb der letzten 10 Referenten), gegeben und salient (Vorerwähnung mit einem Abstand von höchstens 10 Referenten zur erhobenen Erwähnung), topikal (Aboutness-Topik im Sinne von REINHART 1982 für den Satz oder den Diskursabschnitt, gleichzeitig im Text vorerwähnt). Es wird hier also nicht Topikhaftigkeit an sich erhoben, sondern nur die Teilmenge der Topiks als solche kodiert, die gleichzeitig gegeben sind. 3.2
Numerische Parameter
Ein rein quantitativer Wert der Kodierungsdichte ist die Durchschnittszahl ausgelagerter Konstituenten im Vergleich zu der Durchschnittszahl an Konstituenten im Mittelfeld dieser Sätze (Tabelle 1).
1450
Bair. Nachfeld 1,09
Bair. Mittelfeld 1,64
Thür. Nachfeld 1,09
Thür. Mittelf. 1,36
Rhfr. Nachf. 1,07
Rhfr. Mittelf. 1,58
Tab. 1: Durchschnittszahl der Konstituenten in Nach- und Mittelfeld, Frühneuhochdeutsch
Wir sehen, dass die Nachfelder konstant etwa eine Konstituente betragen, die Mittelfelder jedoch kaum länger sind. Das deckt sich mit der Beobachtung von UHMANN (1993, 320), dass im mündlichen Diskurs die Mittelfelder üblicherweise nicht sehr komplex sind und selten mehr als zwei nichtpronominale Konstituenten beherbergen. Wenn man nun zur durchschnittlichen Wortzahl pro Konstituente in den Feldern übergeht – ebenfalls ein potentielles Maß der Kodierungsdichte – ergibt sich, dass die Nachfelder in solchen Sätzen in allen drei Dialekten eine höhere Wort-
142
Augustin Speyer
zahl aufweisen als die Mittelfelder (Tabelle 2). In Bsp. (1) ist dies an Beispielen aus den drei Dialekträumen illustriert. Die Satzklammern sind in allen Beispielen fett, die Nachfelder kursiv gedruckt.
durchs. Wort-# Ges. Wort-#
Bair. Nachfeld 4,53
Bair. Mittelfeld 2,07
Thür. Nachfeld 4,16
Thür. Mittelf. 1,82
Rhfr. Nachf. 3,85
Rhfr. Mittelf. 1,49
222
153
204
111
185
106
Tab. 2: Durchschnittliche Wortzahl pro Konstituenten in Nach- und Mittelfeld, Frühneuhochdeutsch
(1)
a. b. c.
vnd drungen Si aber an von des von Polan wegen. ‘und bedrängten sie wegen des [sc. Heiratskandidaten] aus Polen.’ (Kottanerin 12, 22) das her Kayn erschossen hatte von aneweissunge des jungen. ‘dass er Kayn auf Anweisung des Jungen erschossen hatte.’ (Rothe 19, 29 ff.) Des keyssers dochter was angedan mit eym gulden mantel. ‘Die Tochter des Kaisers war gekleidet in einen goldenen Mantel.’ (Elisabeth 118, 17 f.)
Die Unterschiede bei den Gesamtwortzahlen sind zwar nicht signifikant (der χ²Test ergibt einen p-Wert von 0,28) Wenn man mithilfe eines t-Tests die durchschnittlichen Wortzahlen miteinander vergleicht, ergibt sich jedoch ein p-Wert von 0,0037 und damit eine hohe statistische Signifikanz. Dieser Befund spricht dafür, dass die Auslagerung nach rechts tatsächlich mit der Kodierungsdichte zusammenhängt: wenn kürzere und längere Konstituenten in einem Satz vorhanden sind, werden die längeren nach rechts ausgelagert. Das Verhältnis zwischen durchschnittlichen Konstituentenlänge im Nachfeld und Mittelfeld ist in den einzelnen Dialekten relativ ähnlich (Bair.: 2,19; Thür.: 2,29; Rhfr.: 2,58). Dies deutet darauf hin, dass die Bereitschaft zur Auslagerung in den Dialekten im Wesentlichen gleich ausgeprägt ist, vielleicht etwas stärker im Bairischen, etwas weniger stark im Rheinfränkischen. 3.3
Informationsstrukturelle Parameter
Wenn wir nun zu den eher qualitativen Parametern, die potentielle Maßzahlen für Surprisal sind, übergehen, zeigen sich deutliche Unterschiede zwischen den Dialekträumen (Tabelle 3).
Die Entwicklung der Nachfeldbesetzung in verschiedenen deutschen Dialekten
Bair. Nachfeld 22,8 (13/57)
1450
Bair. Mittelfeld 9,6 (5/52)
Thür. Nachfeld 45,0 (36/80)
Thür. Mittelf. 14,6 (7/48)
Rhfr. Nachf. 41,2 (21/51)
143
Rhfr. Mittelf. 9,6 (5/52)
Tab. 3: Anteil neuer Referenten (in Prozent), Frühneuhochdeutsch
Eine Maßzahl, die hier reportiert wird, ist der Anteil an neuen Referenten in den einzelnen Feldern. In Klammern ist jeweils zuerst die Zahl der neuen Referenten, dann die Gesamtzahl der Referenten angegeben. Während der Anteil an neuen Referenten in den Mittelfeldern in allen Dialekträumen gleich niedrig ist (um die 10 %), ist er in den mitteldeutschen Dialekträumen deutlich höher als im Bairischen. Das lässt sich so interpretieren, dass die Auslagerung nach rechts in den mitteldeutschen Dialekten tatsächlich dem Informationsdichtemanagement dient: Neue Referenten haben automatisch hohes Surprisal und sollten daher nach der Hypothese bevorzugt ausgelagert werden, wenn nun die Hälfte der ausgelagerten Referenten neue Information darstellen, ist diese Hypothese bestätigt. Umgekehrt ist im Bairischen der Anteil neuer Referenten im Nachfeld zwar immer noch doppelt so hoch wie im Mittelfeld, doch ist dieser Abstand deutlich geringer als in den anderen Dialekten, namentlich dem Rheinfränkischen. Das kann bedeuten, dass im Bairischen Informationsdichtemanagement nicht der einzige Faktor ist, der Auslagerung begünstigt. In (2) sind einige Beispiele angeführt. Der kanonische Fall wird durch die rheinfränkische Quelle in (2b) demonstriert. Der Referent im Mittelfeld mit ir ist, da pronominal, offensichtlich alte, saliente Information (tatsächlich ist es sogar das Satz- und Diskurstopik, nämlich die Prinzessin Sybille). Die Jungfrauen im Nachfeld wurden bislang nicht erwähnt. In (2a) ist ein bairisches Beispiel, das eine Anordnung zeigt, wie sie nicht zu erwarten ist, nämlich einen bisher nicht erwähnten Referenten, den Teufel, im Mittelfeld und eine Referenz auf die Feuersbrunst, die im Kontext salient ist, im Nachfeld. (2)
a.
(Kontext: Nue was die Junchfrauw aufgestanden bei der nacht, vnd wie si das vbersehen het, Daz das Liecht was vmbgefalen vnd ward prynnen in dem gmach…) die hiet der poes veint gern gelaidigt mit der pruenst. ‘(Nun war die Jungfrau nachts aufgestanden und wie sie das bemerkt hat, dass das Licht umgefallen war und es in dem Gemach brannte…) Die hätte der böse Feind gerne geschädigt mit der Feuersbrunst..’ (Kottanerin 11, 14 f.)
b.
vnd hat mit ir gene viel junffrouwen / ‘und hatte viele Jungfrauen mit ihr gehen.’
(Elisabeth 118, 15)
Wenn man die Gegenprobe macht und den Anteil bekannter und salienter sowie gleichzeitig bekannter und topikaler Referenten errechnet, ergibt sich ein ähnliches Bild: In den mitteldeutschen Dialekträumen sind zumindest topikale Refe-
144
Augustin Speyer
renten dispräferiert, im Bairischen hingegen begegnen sie deutlich häufiger. Saliente Referenten sind im Thüringischen ebenfalls dispräferiert, im Rheinfränkischen ergibt sich hingegen kein Unterschied im Anteil salienter Referenten zwischen Mittel- und Nachfeld. Beispiele sind unter (3) angegeben. Beispiel (3b) zeigt den zu erwartenden Fall am Thüringischen, wo im Mittelfeld das Topik Adam steht und im Nachfeld ein neuer Referent begegnet. In (3b) ist ein bairisches Beispiel, in dem das Diskurstopik im Nachfeld steht, konträr zur Erwartung. (3)
a.
b.
(Kontext: Vnd zugen ettleich vnd vngrisch herren mit vnd prachten sy die Heiligen kron vnd trugen die in ain Gwelb) und wol sach, wie, wo man hin tët die Heiligen Kron. ‘(und es zogen etliche ungarische Herren mit, und sie brachten die heilige Krone und trugen sie in einen Raum mit Steingewölbe) und ich sah genau, wo man die heilige Kron hingetan hat.’ (Kottanerin 10,3) Sich hatte Adam vor schemden behalden under den reissern, die yn dem paradiso stunden. ‘Adam hatte sich vor Scham versteckt unter den Büschen, die im Paradies standen.’ (Rothe 16,2 f.)
Da die Zahlen in Abschnitt 4 zusammen mit den modernen Dialektdaten reportiert sind, wird hier auf eine tabellarische Zusammenstellung verzichtet. 3.4
Fazit Frühneuhochdeutsch
Insgesamt kann man feststellen, dass das Nachfeld in den mitteldeutschen Dialekträumen klar als informationsstrukturell markierte Position fungiert, dies aber im Bairischen und Rheinfränkischen weniger ausgeprägt ist. Gleichzeitig muss man festhalten, dass das kategorische Bild, das für das Althochdeutsche gezeichnet wird (wo das Nachfeld klar mit neuer Information korreliert ist), sich im Frühneuhochdeutschen nicht wiederfindet. 4
NACHFELD UND INFORMATIONSDICHTE IN NEUEREN DIALEKTTEXTEN 4.1
Textauswahl
Zum Vergleich wurden Texte aus denselben Dialekträumen ausgewählt, die möglichst aus denselben Städten bzw. Landschaften stammen. Für das Mittelbairische ist dies Glimmer, eine Sammlung fiktiver Briefe von HEINRICH REITZENBECK, einem Autor aus Wels/Niederösterreich, erschienen 1846, für das Thüringische Lustige Geschichten in Thüringer Mundart des Erfurter Autors ADOLF FISCHER (erschienen ab 1861) und für das Rheinfränkische „Dehemm in Saarbrigge!“ Er-
Die Entwicklung der Nachfeldbesetzung in verschiedenen deutschen Dialekten
145
zählungen in Saarbrücker Mundart von FRIEDRICH SCHÖN aus dem Jahre 1910 (genauere Angaben s. Lit. verz.). Auch bei diesen Texten handelt es sich um narrative Texte, die bewusst nähesprachlich abgefasst und in den jeweiligen Ortsdialekten geschrieben sind. Die Daten wurden nach denselben Maßgaben kodiert wie die frühneuhochdeutschen Daten. Da die Rate der Auslagerung spürbar abgenommen hat (s. Tabelle 4), wurden in der Probe deutlich weniger Sätze mit Auslagerung aufgenommen, pro Dialekt ca. 15, da die Texte z. T. auch nicht mehr hergegeben haben. In Tabelle 4 sind in Klammern zuerst die Zahl der Sätze mit Nachfeld, dann die Gesamtzahl der Sätze mit rechter Satzklammer wiedergegeben.
1450 1900
Bairisch 27,6 (45/163) 8,1 (20/247)
Thüringisch 15,9 (45/283) 4,7 (16/342)
Rheinfränkisch 7,7 (45/583) 5,1 (17/334)
Tab. 4: Anteil an Sätzen mit Nachfeld, Frühneuhochdeutsch und mod. Dialekte
Es ist offensichtlich, dass in allen Dialekten der Anteil an Nachfeldern insgesamt zurückgegangen ist. Der bairische Dialekttext zeigt aber im Gegensatz zu den beiden mitteldeutschen Texten immer noch einen verhältnismäßig hohen, nämlich um einen Faktor von ca. 1,6 höheren, Anteil an Sätzen mit Auslagerung. Man beachte in diesem Zusammenhang, dass auch im Frühneuhochdeutschen das Bairisch fast doppelt so viel (1,7) Auslagerung zulässt wie das Thüringische und gar 3,6-mal so oft Sätze mit Auslagerung begegnen als im Rheinfränkischen. Wir können also festhalten, das sich, was den reinen Anteil an Sätzen mit Nachfeld anbelangt, das Bairische sich über die Jahrhunderte konsistent von den mitteldeutschen Dialekten unterscheidet (contra PATOCKA 1997, 319). Wiewohl dieser Befund, für sich allein betrachtet, wenig Aussagekraft besitzt, behalte man ihn im Hinterkopf, da wir im weiteren Verlauf weiteren in dieselbe Richtung weisenden Befunden begegnen werden. 4.2
Numerische Parameter
Was die Kodierungsdichte betrifft, sind dieselben Trends wie im Frühneuhochdeutschen zu beobachten. Tabelle 5 zeigt die Durchschnittszahl ausgelagerter Konstituenten, Tabelle 6 die Durchschnittslänge (in Worten) der Konstituenten in Mittel- bzw. Nachfeld. In beiden Tabellen sind sowohl die frühneuhochdeutschen Werte von oben wiederholt, als auch die Werte der moderneren Dialekttexte mit angegeben.
146
1450 1900
Augustin Speyer
Bair. Nachfeld 1,09 1,00
Bair. Mittelfeld 1,64 1,82
Thür. Nachfeld 1,09 1,06
Thür. Mittelf. 1,36 1,88
Rhfr. Nachf. 1,07 1,12
Rhfr. Mittelf. 1,58 1,71
Tab. 5: Durchschnittszahl der Konstituenten in Nach- und Mittelfeld, Frühneuhochdeutsch u. modernere Dialekttexte
1450: durchs. Wort-# 1450: Ges. Wort-# 1900: durchs. Wort-# 1900: Ges. Wort-#
Bair. Nachfeld 4,53
Bair. Mittelfeld 2,07
Thür. Nachfeld 4,16
Thür. Mittelf. 1,82
Rhfr. Nachf. 3,85
Rhfr. Mittelf. 1,49
222
153
204
111
185
106
3,32
1,6
2,47
1,4
3,16
1,62
73
64
56
51
60
47
Tab. 6: Durchschnittliche Wortzahl pro Konstituenten in Nach- und Mittelfeld, Frühneuhochdeutsch u. modernere Dialekttexte
Aus Tabelle 5 ist ersichtlich, dass konsistent in beiden Zeitschnitten und allen Dialekträumen im Durchschnittswert unwesentlich mehr als eine Konstituente nach rechts ausgelagert ist. Die Mittelfelder haben zwar konsistent ebenfalls in allen Zeitschnitten und allen Texten einen Durchschnittswert von unter zwei Konstituenten, doch ist zu beachten, dass erstens in allen Dialekträumen der Durchschnittswert in den moderneren Texten höher ist, und zweitens die Dialekte hier weitgehend uniform gehen. Das bedeutet, dass die Sprecher bzw. Adressaten komplexeren Mittelfeldern gegenüber insgesamt toleranter geworden sind. Dies ist also ein Wandel, der nicht auf einzelne Dialekträume beschränkt ist, sondern das Deutsche insgesamt umfasst; ein Grund für die höhere Toleranz mag das Vorbild des inzwischen ausgebildeten Prosastils sein, dessen Kennzeichen die voll ausgebildeter Klammer ist (s. auch SCHILDT 1976); dieses Vorbild vermag auch unbewusst in nähesprachliche Kontexte hineinzuwirken, da frühestens seit der Reformation, spätestens ab dem 19. Jh. wesentlich mehr Dialektsprecher über schriftsprachliche Kompetenz verfügen und somit mit Interferenzen zu rechnen ist. Tabelle 6 ist zu entnehmen, dass die durchschnittliche Länge der Nachfeldkonstituenten auch in den moderneren Dialekttexten um einiges höher ist als die
Die Entwicklung der Nachfeldbesetzung in verschiedenen deutschen Dialekten
147
durchschnittliche Länge der Mittelfeldkonstituenten. Der Effekt ist jedoch deutlich weniger stark ausgeprägt. Das sieht man auch an den statistischen Signifikanztests: Der χ²-Test für die Gesamtwortzahl der Dialekttexte ergibt einen pWert von 0,85, die Verteilung ist also statistisch nicht signifikant. Der t-Test über die durchschnittlichen Wortzahlen ergibt mit einem p-Wert von 0,0231 zwar einen statistisch signifikanten Wert, der Wert ist aber um einen Faktor 10 höher als der Wert für die frühneuhochdeutschen Daten. Was nach obigem Befund zu erwarten wäre, wäre, dass die Wortlänge der Mittelfeldkonstituenten angestiegen ist. Dem ist jedoch nicht so. Die Durchschnittslänge der Mittelfeldkonstituenten ist sogar eher rückläufig. Was in allen drei Dialekten geschehen ist, ist, dass die Durchschnittslänge der Nachfeldkonstituenten sogar gesunken ist. Aufgrund dieses Befundes ist es fraglich, ob das Nachfeld in den modernen Dialekten zum Management der Kodierungsdichte herangezogen wird (vgl. auch PATOCKA 1987, 331). In (4) sind Beispiele aus allen drei Dialekttexten aufgeführt. (4)
a.
b. c.
So viel i gsegn hab, haben dö Freund von den Landwirthshaus Separatlaufer mitgnummá aus dá Stadt. ‘Soviel ich gesehen habe, haben die Freunde des Landgasthofes Separatläufer mitgenommen aus der Stadt.’ (REITZENBECK 113) o geng wädder dr Stobbentär naus en ähre Keche. ‘und ging wieder zur Stubentür hinaus in die Küche.’ (FISCHER 33) Alles war in der Schdubb beisamme grad beim Nachtesse. ‘alles war in der Stube (= Wohnzimmer) zusammen, gerade beim Abendessen.’ (SCHÖN 143)
Man sieht deutlich, dass es nicht unbedingt die schwersten Konstituenten sind, die ausgelagert sind. Die Mittelfeldkonstituenten sind in diesen Beispielen entweder etwa gleich schwer, oder es ist sogar der Fall, wie in (4a), dass die Nachfeldkonstituente leichter ist als eine der Mittelfeldkonstituenten. 4.3
Informationsstrukturelle Parameter
Bei den informationsstrukturellen Parametern zeigt sich hingegen, wie schon bei den Texten des 15. Jahrhunderts, dass zumindest im ostmitteldeutschen Dialekt eine klare Korrelation zwischen Neuheit und Nachfeldstellung besteht, sowie eine klare Vermeidung des Nachfelds bei gegebenen, insbesondere salienten Referenten sichtbar ist. Da neue Information ein hohes Surprisal hat und der Surprisalwert proportional zur steigenden Salienz abnehmen dürfte, so dass Topiks schließlich als die salientesten Referenten ein maximal niedriges Surprisal haben, ist dies genau, was wir erwarten würden, wenn Auslagerung nach rechts zum Informationsdichtemanagement beitragen würde. In Tabelle 7 ist der Anteil an neuen Referenten in den Nach- und Mittelfeldern der Texte von 1450 und der moderneren Dialekttexte gegenübergestellt.
148
Augustin Speyer
Bair. Nachfeld 22,8 (13/57) 37,5 (9/24)
1450 1900
Bair. Mittelfeld 9,6 (5/52) 27,8 (5/18)
Thür. Nachfeld 45,0 (36/80) 68,8 (11/16)
Thür. Mittelf. 14,6 (7/48) 12,5 (2/16)
Rhfr. Nachf. 41,2 (21/51) 20 (4/20)
Rhfr. Mittelf. 9,6 (5/52) 20 (3/15)
Tab. 7: Anteil neuer Referenten (in Prozent), Frühneuhochdeutsch u. moderne Dialekttexte
Deutlich sieht man, dass die in allen drei Dialekten im Frühneuhochdeutschen sichtbare Tendenz, dass der Anteil an neuer Information im Nachfeld deutlich höher ist als im Mittelfeld, sich im Thüringischen fortsetzt, ja verstärkt. Das Bairische, das diese Arbeitsteilung von Anfang an nicht so ausgeprägt gezeigt hat wie die anderen beiden Dialekte, wird permissiver im Mittelfeld, so dass der Abstand zwischen dem Anteil neuer Referenten im Mittelfeld und Nachfeld relativ gering ist. Die Überraschung des Tages ist das Rheinfränkische, das im 15. Jahrhundert eine ähnlich starke Tendenz zur Auslagerung neuer Referenten gezeigt hat wie das Thüringische, um 1900 dagegen keinen Unterschied zwischen dem Anteil neuer Referenten im Mittel- und im Nachfeld aufweist. In (5) sind Beispiele versammelt, die das illustrieren: Während das thüringische Beispiel (5b) den ursprünglichen Erwartungen gemäß einen neuen Referenten im Nachfeld und alten Referent im Mittelfeld hat (koindiziert mit dem Kontext), hat das bairische Beispiel (5a) und das rheinfränkische Beispiel (5c) einen alten (5a) bzw. inferierbaren (5c) Referenten im Nachfeld und einen neuen (bzw. ein neuer und ein inferierbarer [5c]) im Mittelfeld. (5)
a.
b.
c.
(Kontext: Nettá ains schenirt mi bei so án Volksfest, dö Menge Bedlleut1, …) Dö Wirth‘ solln liaber án Groschn Eintritt begehrn für dö Bedlleut1. ‘(Nur eines nervt mich bei so einem Volksfest, die vielen Bettler.) Die Wirte sollten lieber einen Groschen Eintritt nehmen für die Bettler.’ (REITZENBECK 114 f.) (Kontext: on nahmen sech ... [viere racht agesiehene Bärger als Gäiseln]1 mit uff‘n Bieterschbarg…) on an 1. November da worden se1 alle bsamm äigesteckt en anne donkle Kasematte, ‘(und nahmen sich vier recht angesehene Bürger als Geiseln mit auf den Bietersberg) und am 1. November, da wurden sie alle zusammen eingesperrt in eine dunkle Kasematte.’ (FISCHER 32) Wer in seller Zeit noch geläbt hat, der hat in Sankehann als e Mann herum laafe siehn mit=eme wunnerliche Gesicht. ‘Wer zu dieser Zeit gelebt hat, der hat in St. Johann manchmal einen Mann herumlaufen sehen mit einem seltsamen Gesicht.’ (SCHÖN 137)
Die Entwicklung der Nachfeldbesetzung in verschiedenen deutschen Dialekten
149
Wir können also festhalten, dass die Korrelation zwischen neuer Information und Auslagerung, die in frühneuhochdeutscher Zeit allen Dialekten in unterschiedlichem Maße geeignet hat (dem Bairischen z. B. weniger), um 1900 ein alleiniges Merkmal des Ostmitteldeutschen, genauer Thüringischen ist. Eine mögliche Schlussfolgerung daraus wäre, dass Auslagerung nach rechts nur im Thüringischen zum Informationsdichtemanagement herangezogen wird, in den anderen Dialekten hingegen andere Faktoren für Auslagerung relevant sind. Gleichermaßen ist das Nachfeld im Thüringischen eine Position, in der gegebene und saliente Referenten (Tabelle 8) sowie Topiks (Tabelle 9) deutlich gemieden werden.
1450 1900
Bair. Nachfeld 35,1 (20/57) 41,7 (10/24)
Bair. Mittelfeld 75 (39/52) 66,7 (12/18)
Thür. Nachfeld 23,8 (19/80) 6,3 (1/16)
Thür. Mittelf. 72,9 (35/48) 62,5 (10/16)
Rhfr. Nachf. 33,3 (17/51) 40 (8/20)
Rhfr. Mittelf. 36,5 (19/52) 26,7 (4/15)
Tab. 8: Anteil gegebener, salienter Referenten (in Prozent), Frühneuhochdeutsch u. moderne Dialekttexte
1450 1900
Bair. Nachfeld 10,5 (6/57) 8,3 (2/24)
Bair. Mittelfeld 38,5 (20/52) 22,2 (4/18)
Thür. Nachfeld 6,3 (5/80) 0 (0/16)
Thür. Mittelf. 33,3 (16/48) 37,5 (6/16)
Rhfr. Nachf. 3,9 (2/51) 10 (2/20)
Rhfr. Mittelf. 42,3 (22/52) 20 (3/15)
Tab. 9: Anteil topikaler Referenten (in Prozent), Frühneuhochdeutsch u. moderne Dialekttexte
Dieser Effekt hat sich, wie aus dem Vergleich mit den Zahlen von 1450 ersichtlich, im Thüringischen deutlich stärker ausgeprägt. Im Bairischen und Rheinfränkischen hingegen ist der Anteil an salienten Referenten im Nachfeld mit teils über 40 % sehr hoch. Der Anteil an Topiks ist mit um 10 % in beiden Dialekten zwar niedrig, doch immer noch deutlich höher als man erwarten sollte, wenn das Nachfeld zum Informationsdichtemanagement herangezogen würde. Gerade Topiks als Elemente mit niedrigstmöglichem Surprisal sollten dann gar nicht ausgelagert werden, so wie im Thüringischen. Das heißt, bairische Sätze wie (6), wo ein diskurstopikales und damit hoch salientes Element im Nachfeld steht, sind unter dem Gesichtspunkt des Informationsdichtemanagements nicht zu erwarten. Man beachte in diesem Zusammenhang, dass im Frühneuhochdeutschen in allen Dialekten eine starke Dispräferenz für Topiks im Nachfeld und zumindest im Bairischen auch für gegebene, saliente Referenten im Nachfeld vorgeherrscht hat.
150 (6)
Augustin Speyer
(Kontext: Jazt aber seyn schon Liachtbildl z‘segn, da kan má sagn: Schener kinnán dö Bilder nimmer seyn!...So hab i neuli a Paar Bildln gsegn, dö so maisterhaft gmacht warn, dö so án Schwung und á Schenheit ghabt habn, daß má si nöd satt segn kann,) daß má gar nöd fort kan von den Bildern. ‘(Jetzt sind aber schon Lichtbilder zu sehen, wo man sagen kann: Schöner können die Bilder nicht mehr sein. So habe ich neulich ein paar Bilder gesehen, die so meisterhaft gemacht waren, die so einen Schwung und Schönheit gehabt haben, dass man sich gar nicht satt sehen kann,) dass man sich gar nicht lösen kann von den Bildern.’ (REITZENBECK 124 f.) 4.4
Fazit modernere Dialekte
Insgesamt lässt sich festhalten, dass das Nachfeld im Thüringischen eine informationsstrukturell ausgezeichnete Position bleibt: Neue Referenten erscheinen präferiert im Nachfeld, saliente und topikale Referenten hingegen nicht. Die frühneuhochdeutsche Tendenz wird hier sogar noch ausgebaut. In den anderen Dialekten hingegen ist die Tendenz zur informationsstrukturellen Spezialisierung, die teilweise sowieso nicht so stark ausgeprägt war, noch weniger spürbar. Für die Nachfeldbesetzung als Strategie zum Informationsdichtemanagement lässt sich somit festhalten, dass das Thüringische die im Frühneuhochdeutschen sichtbaren Tendenzen, die im Sinne des Informationsdichtemanagements verstanden werden können, weiterführt. Das Bairische und Rheinfränkische hingegen entkoppeln die Nachfeldbesetzung weitgehend von Fragen des Informationsdichtemanagements. Dem entspricht auch die Beobachtung von PATOCKA (1997, 356–357), dass es im Österreichischen schwer fällt, einen eindeutigen funktionalen Faktor, der Nachfeldbesetzung begünstigt, zu identifizieren. Wie bereits im Frühneuhochdeutschen ist hingegen eine Korrelation von Zahl und Länge der Konstituenten zu den einzelnen Feldern nicht feststellbar. Das heißt: Reine Schwere einer Konstituente reicht nicht aus, um diese in das Nachfeld zu verschieben. Der Fall mag bei eindeutig komplexen Konstituenten wie z. B. satzwertigen Konstituenten anders sein, doch sind diese in die Untersuchung nicht mit eingeflossen. Eine Frage, die sich daraus ergibt, ist, was die Nachfeldbesetzung in diesen Dialekten dann steuert. Ist Nachfeldbesetzung im Thüringischen überhaupt der gleiche Prozess wie im Bairischen und Rheinfränkischen? Über diese Frage sollen in Abschnitt 5 einige Überlegungen angestellt werden.
Die Entwicklung der Nachfeldbesetzung in verschiedenen deutschen Dialekten
5
151
UNTERSCHIEDE IN DER SATZSTRUKTUR
Was ist das Nachfeld eigentlich aus einer strukturellen Perspektive? Während für andere Gegenstände des Feldermodells, z. B. für das Vorfeld oder die linke Satzklammer, eindeutige Antworten gegeben werden können, ist es beim Nachfeld weniger einfach, eine klare Aussage zu treffen. Grundsätzlich gibt es zwei Möglichkeiten. Das Nachfeld ist irgendwo im Bereich einer uniform rechtsköpfigen Verbalphrase oder CP nach rechts adjungiert (z. B. BÜRING 1995). Oder die Verbalphrase ist nicht uniform rechtsköpfig, sondern variabel: In den Fällen, in denen sie linksköpfig ist, würde das Komplement des Verbs rechts vom Verb, somit im Nachfeld erscheinen (vgl. INABA 2007). Die Bäume in (7) verdeutlichen die Optionen. (7)
a.
Adjunktionsanalyse (vgl. INABA 2007, 31) CP
XP
C‘ C‘
XPi Nachfeld
C
VP … ti …
V rechte Satzkl.
b.
Variable-Basis-Analyse (vgl. INABA 2007, 34) CP VP NP
V‘ V
rechte Satzkl.
XP Nachfeld
Ein grundsätzlicher Unterschied zwischen (7a) und (7b) besteht darin, dass in (7a) das Nachfeld nur durch einen sekundären Bewegungsprozess aus dem Mittelfeld
152
Augustin Speyer
heraus gefüllt werden kann, ja dass diese Adjunktion – immerhin eine nicht standardgemäße und daher vermutlich ‚kostspielige’ Operation – ad hoc geschieht, um einen Landeplatz für die aus dem Mittelfeld bewegte Phrase zur Verfügung zu stellen. In (7b) hingegen ist das Nachfeld quasi eine ‚vorgefertigte’ Position. Die Sprache hätte eine variable Basis, sprich: die Köpfigkeit der VP ist variabel, welche Alternative gewählt wird, hängt von Faktoren ab, die nicht identisch zu der Klasse von Faktoren sein müssen, die Bewegung hervorrufen. Dies ist nun an sich nichts Außergewöhnliches, so haben PETROVA / SPEYER (2011) z. B. für das Altenglische argumentiert, dass es eine variable Basis hatte und dass die Varianten mit Informationsstruktur, v. a. der Freistellung von in-situ verbleibenden fokussierten Phrasen, interagierten. Man beachte, dass es sich hier eben nicht um merkmalsgetriebene Bewegung einer mit einem Fokusmerkmal behafteten Phrase handelt. Ein diagnostischer Unterschied zwischen (7a) und (7b) wäre demnach folgendermaßen: Wenn alle Nachfeldbesetzungen durch merkmalsgetriebene Bewegung – die Merkmale können hierbei informationsstrukturell relevanten Gehalt haben – erklärbar sind, spricht zumindest nichts gegen die Adjunktionsanalyse in (7a). Wenn ein gewisser Anteil an Bewegungen nicht informationsstrukturell gedeckt sind, ist die Variable-Basis-Analyse in (7b) möglicherweise der attraktivere Kandidat; das ist im Moment jedoch hypothetisch und soll in weiteren Forschungen (auch angeregt durch die Bemerkungen eines Gutachters) näher untersucht werden. Ein weiterer Hinweis könnte darin liegen, dass wir unter der Variable-BasisAnalyse erwarten würden, dass Phrasen in Komplementposition – sprich: Objekte oder andere valenzmäßig geforderte Ergänzungen – mitunter im Nachfeld erscheinen, ohne eine spezielle informationsstrukturelle Auszeichnung zu haben, wohingegen die Adjunktionshypothese das Auftauchen von Komplementen im Nachfeld nicht ausdrücklich nahelegt. In den vorigen Abschnitten haben wir gesehen, dass das Nachfeld im Thüringischen informationsstrukturell spezialisiert ist und sich diese Spezialisierung über die Jahrhunderte eher mehr ausprägt. Das Thüringische ließe sich mit der Adjunktionshypothese also recht gut beschreiben. Umgekehrt zeigen das Bairische und das Rheinfränkische eine starke informationsstrukturelle Permissivität hinsichtlich ihrer Nachfelder. Das deutet darauf hin, dass sich diese Dialekte eher mit der Variable-Basis-Analyse beschreiben lassen, da sich nicht für alle Fälle informationsstrukturelle Merkmale identifizieren lassen, die die Nachfeldbesetzung hervorrufen könnten. Auf eine strukturelle Zweiteilung des Sprachgebiets in dieser Hinsicht deutet auch ein Überblick darüber, wie hoch der Anteil valenzmäßig geforderter Mitspieler in den Nachfeldern eigentlich ist. Dieser Überblick ist in Tabelle 10 gegeben; es wurden nur Fälle berücksichtigt, bei denen nicht ein Konjunkt oder ein appositives Element ins Nachfeld gesetzt worden ist. Als valenzmäßig gefordert gelten Objekte jeglicher Form und Direktionaladverbiale, sofern sie einen Mitspieler ausdrücken, der für das Zustandekommen des Verbalvorgangs zwingend notwendig ist (wie z. B. fahren im Sinne von: sich an einen bestimmten Punkt begeben:
Die Entwicklung der Nachfeldbesetzung in verschiedenen deutschen Dialekten
153
Dieser Verbalvorgang benötigt zwei Mitspieler, einen Agens und einen Zielpunkt).
1450 1900
Bairisch 43,8 (14/32) 30 (6/20)
Thüringisch 36,1 (13/36) 11,1 (1/9)
Rheinfränkisch 41,9 (13/31) 33,3 (5/15)
Tab. 10: Anteil an valenzmäßig geforderten Mitspielern im Nachfeld, Frühneuhochdeutsch und mod. Dialekte
Deutlich sieht man, dass die modernen Dialekte in zwei Gruppen zerfallen, das Thüringische einerseits, das einen sehr geringen Anteil an valenzmäßig geforderten Mitspielern im Nachfeld aufweist, und das Bairische und Rheinfränkische andererseits, bei denen der Anteil etwa ein Drittel beträgt. Beispiele für Direktionaladverbiale aus allen Dialekten finden sich in (8) für das Frühneuhochdeutsche, (9) für die moderneren Dialekttexte, Beispiele für Objekte finden sich in (10) für das Frühneuhochdeutsche, in (11) für die moderneren Texte. (8)
a. b. c.
(9) a. b.
c. (10) a. b.
da durch man In gieng zu der heiligen kron. ‘wodurch man hineinging zu der heiligen Krone.’ (Kottanerin 11, 37 f.) das sie sich nicht mengen sulden under Kayns geslechte. ‘dass sie sich nicht vermischen sollten mit Kains Geschlecht.’ (Rothe 21, 8 f.) das sye kumme zü dem babest. ‘dass sie kommen werde zu dem Papst.’ (ELISABETH 127, 14) Mit dá Eisabahn bin i glückli ankemá in dá Stadt. ‘Mit der Eisenbahn bin ich glücklich angekommen in der Stadt.’ (REITZENBECK 106) on an 1. November da worden se1 alle bsamm äigesteckt en anne donkle Kasematte, ‘und am 1. November, da wurden sie alle zusammen eingesperrt in eine dunkle Kasematte.’ (FISCHER 32) Jedzd gehn ich noch eniwwer in de „Schdiwwel“. ‘Jetzt gehe ich noch hinüber in den „Stiefel“.’ (SCHÖN 144) Wa er gleich sprechen wolt der edlen KungInn Irer mueter. ‘wo er sogleich sprechen wollte die Mutter der edlen Königin.’ (Kottanerin 10, 25 ff.) unde alsso Eva alleine besach das paradiss. ‘und genauso Eva allein betrachtete das Paradies.’ (Rothe 15, 23 f.)
154
Augustin Speyer
c.
so wollen wir sy brengen konnig Karle in Franckerich / ‘dann wollen wir sie bringen König Karl in Frankreich.’ (Elisabeth 118,28 f.)
(11) a.
A ganze Schaar junge Bubn seyn glei hergfalln übern Wagen. ‘Eine ganze Schar junger Burschen ist sogleich hergefallen über den Wagen.’ (REITZENBECK 107) Hat dei Vadder widder gechull uff’s Geschäft? ‘Hat dein Vater wieder geschimpft auf das Geschäft?’ (SCHÖN 154)
b.
Gleichzeitig wird deutlich, dass der Anteil im Frühneuhochdeutschen in allen drei Dialekttexten in etwa konstant, aber hoch ist. Das könnte darauf hindeuten, dass im Frühneuhochdeutschen grundsätzlich die Variable-Basis-Option verbreitet war. Ein Faktor, der die Wahl der Alternativen bestimmt hat, wird in allen Fällen informationsstruktureller Natur bzw. informationsdichtesteuerender Natur gewesen sein, wobei im Bairischen und teilweise dem Rheinfränkischen dieser Faktor weniger starkes Gewicht hatte als im Thüringischen. Ein mögliches Szenario für die weitere Entwicklung der syntaktischen Struktur wäre, dass im Thüringischen, wohl durch das starke Gewicht informationsstruktureller bzw. informationsdichtesteuernder Faktoren bedingt, eine Reanalyse stattfand weg von einer variablen Basis hin zu einer Adjunktion des Nachfelds. Man beachte, dass das Nachfeld im Thüringischen auch im 15. Jahrhundert weniger oft zum Einsatz kam als etwa im Bairischen, so dass eine Analyse, die eine deutliche Asymmetrie zwischen Mittelfeld und Nachfeld aus erzeugungstechnischer Sicht vorsieht (in der Adjunktionsanalyse muss das Nachfeld erst ad hoc erzeugt werden, es entsteht also eine komplexere Struktur, und es wird eine Bewegungskette erzeugt), für Sprachlerner in einem Dialekt, in dem das Nachfeld sowieso eine Randerscheinung ist, nicht unattraktiv erscheinen dürfte; die relative Seltenheit der Erscheinung findet ihren Niederschlag in der vergleichsweise aufwendigen Erzeugung. In den anderen beiden Dialekten hat diese Reanalyse möglicherweise nie stattgefunden (oder zumindest bis 1900 nicht, dem Zeitraum der hier behandelten Dialekttexte), so dass nach wie vor das Nachfeld erstens nicht selten auftretend, zweitens ein möglicher Ort für valenzmäßig geforderte Mitspieler, drittens informationsstrukturell keine dezidiert ausgezeichnete Position ist. Im heutigen Österreichischen sind Objekte etc. im Nachfeld grundsätzlich kein Problem (vgl. PATOCKA 1997, 322), das deckt sich mit der formulierten Hypothese. 6
ZUSAMMENFASSUNG
Ausgehend von der Frage, ob die Nachfeldbesetzung eine Strategie zum Informationsdichtemanagement ist, wurden Texte dreier Dialekte, nämlich des Mittelbairischen in seiner (nieder-)österreichischen Ausprägung, des Thüringischen und des westlichen Rheinfränkischen, in zwei Zeitschnitten untersucht, nämlich der Zeit um 1450 und grob gesprochen der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts. Dabei zeig-
Die Entwicklung der Nachfeldbesetzung in verschiedenen deutschen Dialekten
155
te sich ein deutlicher Unterschied sowohl in diachroner als auch diatopischer Hinsicht. In der Zeit um 1450 zeigen alle Dialekte eine mehr oder minder stark ausgeprägte Tendenz, neue Information ins Nachfeld zu stellen und für saliente, gar topikale bekannte Information das Nachfeld zu meiden. Dies ist auf einer Linie mit den Erwartungen, die man an Informationsdichtemanagement stellt: Neue Information hat einen hohen Surprisalwert, im Gegensatz zu salienter gegebener Information, somit führt eine Auslagerung in eine andere Verarbeitungseinheit zu einer gleichmäßigeren Verteilung der Information im Sinne der UID. Diese Tendenz ist im Thüringischen des 15. Jh. stark ausgeprägt, im Bairischen des 15. Jh. dagegen weniger stark. Das Rheinfränkische nimmt hier eine Mittelstellung ein. Betrachtet man dagegen die moderneren Dialekttexte, ergibt sich eine deutliche Spaltung: Nur im Thüringischen ist die Korrelation zu informationsstrukturellen Größen und damit zum Informationsdichtemanagement erhalten, ja sie ist sogar stärker ausgeprägt. In den anderen Dialekten dagegen ist die Nachfeldbesetzung weder in besonderem Maße mit neuer Information (und damit: Information mit hohem Surprisal) assoziiert, noch wird gegebene saliente oder gar topikale Information (und damit: Information mit niedrigem Surprisal) im Nachfeld gemieden. Eine mögliche Erklärung für diesen diatopischen Unterschied wär, dass bei dem Thüringischen einerseits und dem Rheinfränkischen und Bairischen andererseits das Nachfeld einen anderen strukturellen Status haben: Im Thüringischen ist das Nachfeld eine durch Adjunktion jeweils im Einzelfall gewonnene Position, deren Besetzung dann nur durch merkmalsgetriebene Bewegung erfolgen kann. In den beiden anderen Dialekten ist das Nachfeld Reflex einer linksköpfigen Verbalphrase; in diesen Dialekten wie dem Frühneuhochdeutschen ist dann eine variable Basis anzunehmen, sprich: eine Möglichkeit der Alternanz in der Köpfigkeit der Verbalphrase. Gerade letzterer Punkt ist im Moment nicht viel mehr als Spekulation; künftige Forschungen sollen Hinweise für oder gegen diese Hypothese ans Licht bringen. LITERATUR Primärquellen Elisabeth = BURG, FRITZ / HERMANN TIEMANN (Hg.) (1977): Der Roman von der Königin Sibille in drei Prosafassungen des 14. und 15. Jahrhunderts. Hamburg: Dr. Ernst Hauswedell & Co, 117–173 FISCHER, ADOLF (1906): Lustige Geschichten in Thüringer Mundart. 4. Aufl. Erfurt: Körner. Kottanerin = MOLLAY, KARL (Hg.) (1897): Die Denkwürdigkeiten der Helene Kottanerin. Wien: Österreichischer Bundesverlag für Unterricht, Wissenschaft und Kunst. REITZENBECK, HEINRICH (1846): Glimmer. Bd. 1: Lieder und Briefe in österreichischer Volksmundart. Regensburg: Manz. Rothe = LILIENCRON, ROCHUS VON (Hg.) (1877): Düringische Chronik des Johann Rothe. Jena: Frommann. SCHÖN, FRIEDRICH (1910): „Dehemm in Saarbrigge!“ Gedichte und Erzählungen in Saarbrücker Mundart. Saarbrücken: Carl Schmidtke.
156
Augustin Speyer
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Die Entwicklung der Nachfeldbesetzung in verschiedenen deutschen Dialekten
157
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KOMPLEMENTIERERFLEXION IM HESSISCHEN1 Isabella Bohn / Helmut Weiß 1
EINLEITUNG
Als WEISE (1907) eine erste systematische Übersicht über die sogenannte Flexion der Konjunktionen in deutschen Dialekten gab, nannte er an erster Stelle das Ostfränkische und seine „Nachbarmundarten“ als Dialekte, die das Phänomen im „größten Umfange“ (WEISE 1907, 200) aufwiesen. An Hauptverbreitungsgebieten zählte er Fichtelgebirge, Erzgebirge, Obersachsen und Altenburg (in Thüringen) auf. An bairischen Dialekten werden nur die an das Ostfränkische angrenzenden nordbairischen Varietäten im Egerland und in der Oberpfalz ebenfalls früh erwähnt. Wenn heute (in der Germanistik) von flektierten Konjunktionen gesprochen wird, dann wird das Phänomen nicht selten fast ausschließlich mit dem Bairischen in Verbindung gebracht – so z. B. bei NÜBLING et al. (2010, 262 f.), während deren Vorkommen in den anderen deutschen Dialekten in Vergessenheit geraten zu sein scheint. Auch in der generativen Syntax, die sich sehr eingehend mit dem dort meist als Komplementiererflexion (complementizer agreement) bezeichneten Phänomen auseinandergesetzt hat, beschäftigte man sich (innerhalb deutscher Dialekte) ausschließlich mit dem Bairischen (BAYER 1984, WEISS 1998, FUSS 2005, GRUBER 2008 u. v. a. m.). In der generativen Syntax hat man sich in den letzten Jahren mit einem Spezialfall der Komplementiererflexion befasst: dem sog. First Conjunct Agreement (FCA) (VAN KOPPEN 2005). Ist der Subjektsausdruck komplex und besteht aus der Koordination zweier NPs, gibt es logisch drei Kongruenzmöglichkeiten: mit dem komplexen Subjekt insgesamt, mit dem ersten oder dem zweiten Konjunkt. Von FCA spricht man, wenn der Komplementierer (und/oder das finite Verb) mit dem ersten Konjunkt kongruiert. Auch dazu gibt es innerhalb des Deutschen bislang nur Forschungen zum Bairischen (VAN KOPPEN 2005, FUSS 2008; 2014). Der vorliegende Beitrag befasst sich erstmals systematisch mit dem Phänomen in einem Dialektraum außerhalb Bayerns: Hessen. Der Beitrag ist folgendermaßen aufgebaut: Abschnitt 2 stellt das Phänomen Komplementiererflexion und seine dialektale Verbreitung dar, Abschnitt 3 präsentiert und diskutiert neue Daten dazu, die im Projekt Syntax hessischer Dialekte (SyHD) erhoben wurden, 1
Der vorliegende Beitrag präsentiert zum Teil Material, das im Rahmen des Projektes Syntax hessischer Dialekte erhoben wurde, das von der Deutschen Forschungsgemeinschaft gefördert wird (vgl. BOHN / WEISS 2016). Wir danken Thomas Strobel und Melanie Hobich (beide Frankfurt) sowie einem anonymen Gutachter für wertvolle Hinweise und Kommentare.
160
Isabella Bohn / Helmut Weiß
und Abschnitt 4 FCA-Daten, die im Rahmen einer Magisterarbeit (BOHN 2013) erhoben wurden. 2
KOMPLEMENTIERERFLEXION: PHÄNOMEN UND VERBREITUNG
WEISE (1907, 200) illustriert die „Neigung [… von Konjunktionen], Biegungsendungen anzunehmen“ unter anderem mit Beispiel (1) aus dem Erzgebirgischen, einer obersächsischen Varietät: (1)
ebnse kää aardepln brauchtn ob-3PL-sie keine Kartoffeln brauchten
Zwischen der Konjunktion ob und dem enklitischen Subjektpronomen se befindet sich ein Element (der Nasal n), das formal mit der Flexionsendung des finiten Verbs übereinstimmt. Neben dem Verb ist also auch die Konjunktion flektiert und kongruiert mit dem Subjekt. Komplementiererflexion dieser Art2 ist typologisch gesehen ein äußerst rares Phänomen: Es begegnet nämlich ausschließlich in kontinentalwestgermanischen Dialekten (WEISS 2005). Der areale Schwerpunkt innerhalb deutscher Dialekte befindet sich im Osten des (heutigen) deutschen Sprachgebiets: Ostmitteldeutsche und ostoberdeutsche Dialekte zeigen die ausgeprägtesten Systeme mit flektierten Formen in der 2SG sowie dem gesamten Plural. Anhaltinisch (2) und Sechsämterisch (3) sind Beispiele für die jeweiligen Dialektgruppen (weitere Beispiele finden sich in WEISS 2005). Anhaltinisch (RICHTER 1979) (2) a vu:sde b öpenmer c venter d viinze
‘wo-2SG-du' ‘ob-1PL-wir' ‘wenn-2PL-ihr' ‘wie-3PL-sie'
Sechsämterisch (ROWLEY 1994) (3) a wálst b wáln mer
‘weil-2SG' ‘weil-1PL wir'
2
Es gibt auch noch andere Arten von Korrelationen zwischen der Form eines Komplementierers und der Form anderer Ausdrücke. So stimmt in einigen afrikanischen Sprachen der Komplementierer hinsichtlich bestimmter Merkmale (Nominalklasse, Genus, Person, Numerus) mit dem Subjekt des Matrixsatzes überein. Im Lubukusu, einer Bantusprache (Kenia), stimmen Komplementierer und übergeordnetes Subjekt bezüglich der Nominalklasse überein (DIERCKS 2013). Obwohl das auch als complementizer agreement bezeichnet wird, handelt es sich um eine sog. Distanzkongruenz, bei der eine Kongruenzbeziehung über Satzgrenzen hinweg besteht, während die kontinentalwestgerm. Komplementiererflexion satzgebunden ist. Zu den verschiedenen Arten von long distance agreement vgl. BOECKX (2009).
Komplementiererflexion im Hessischen
c d
wálts diets wáln si
161
‘weil-2PL ihr' ‘weil-3PL sie'
Diese Systeme zeichnet einerseits aus, dass sie vollständig sind, wenn man als Maßstab die Flexion starker Präterita (bzw. von Modalverben) zugrunde legt, die in der 1 und 3SG ebenfalls eine Nullflexion aufweisen (HARNISCH 1989, WEISS 2005). Andererseits zeigen diese vollständigen Systeme auch, dass synchron gesehen Komplementiererflexion und Klitisierung von Subjektpronomen zwei unabhängige Erscheinungen sind. So ist, wie das Beispiel in (4) zeigt, die Komplementiererflexion sogar unabhängig von der Präsenz eines Subjektsklitikums: Nordbairisch (Egerland) (4) dán d’Láit häien dass-3PL die Leute hören Außerdem gehen die Flexionsformen am Komplementierer in den meisten Fällen nicht auf Subjektsklitika zurück, so z. B. im Anhaltinischen im gesamten Plural (2b-d). Diachron gesehen bildet zwar die Reanalyse von Subjektsklitika als Flexionsform den Ursprung dieses Phänomens, synchron ist dieser Zusammenhang aber nicht mehr in jedem Fall gegeben.3 Außerhalb des ostmittel- und ostoberdeutschen Dialektgebiets kommt Komplementiererflexion ebenfalls vor, jedoch meist in reduzierter Form. In nicht wenigen Dialekten dürfte nur ein Minimalsystem mit Flexion in der 2SG vorhanden sein, manchmal ergänzt durch Flexion in der 2PL (Beispiele finden sich in WEISS 2005). Insgesamt scheint Komplementiererflexion ein Phänomen zu sein, das früher in nahezu allen deutschen Dialekten präsent gewesen sein dürfte, wenn auch nicht immer als vollständiges System (WEISS 2005).4
3
4
Bereits WEISE (1907) widerspricht der sehr simplifizierenden Sichtweise, die Komplementiererflexion ausschließlich auf Subjektsklitika zurückführt und die z. B. bei NÜBLING et al. (2010, 262 f.) vertreten wird. Er gibt eine Erklärung, in der Subjektsenklise und Reanalyse in einer etwas komplexeren Weise zusammenwirken, wobei er annimmt, dass in der 2PL das Flexionselement /t/ zunächst Teil des Pronomens wird, belegt in dialektal weitverbreiteten Formen wie der ‘ihr’, um anschließend in konjunktional eingeleiteten Nebensätzen wieder als Flexionselement an der Konjunktion reanalysiert zu werden. Eine etwas andere Erklärung bietet WEISS (i. E. b): Vereinfacht gesagt, entstehen durch Reanalyse enklitischer Subjektpronomen zunächst spezielle Flexionsmorpheme, die nur bei Verben in C° (bzw. der linken Satzklammer) auftreten – dadurch wird die Position als solche mit Flexion assoziiert. Eine mögliche Ausnahme ist das Alemannische, vgl. dazu (WEISS 2005).
162
Isabella Bohn / Helmut Weiß
3
KOMPLEMENTIERERFLEXION IM DIALEKTRAUM HESSENS 3.1
Bisherige Kenntnisse
Zum Vorkommen von Komplementiererflexion in hessischen Dialekten ist bislang wenig bekannt. Flektierte Konjunktionen werden in den hessischen Quellen selten beschrieben, aber bereits WEISE (1907, 205) nennt zwei Beispiele für die 2SG, die er für das Frankfurterische gefunden hat: wenns de, wies de. Auch bei DELLIT (1913, 155–156) findet das Phänomen Erwähnung und WELDNER (1991, 157) erwähnt für Barchfeld an der Werra Komplementiererflexion in der 2SG und PL: „Wir finden hier vor der 2. Pers. Sg. oft ein -s-, vor der 2. Pers. Pl. ein -d-“ bei der „Kombination von Fragewörtern und gewissen Konjunktionen mit Personalpronomen“. Als Beispiele gibt er u. a. ɛbsde ‘ob-s-du’ und ɛbde ‘ob-t-ihr’. Eine erste systematischere Behandlung erfährt das Phänomen für das Südhessische bei MOTTAUSCH (2009, 157 f.). Er beschreibt die Verhältnisse für die beiden südlichen Provinzen des ehemaligen Großherzogtums Hessen: für das rechtsrheinische Starkenburg (Verwaltungssitz Darmstadt) und das linksrheinische Rheinhessen (Verwaltungssitz Mainz).5 In Starkenburg werden Komplementierer systematisch nur in der 2PL flektiert: obd-ǝ ‘ob-t-ihr’, wu:d-ǝ ‘wo-t-ihr’ usw. MOTTAUSCH (2009) zufolge lautete das Personalpronomen früher dǝ, diese Form sei heute aber veraltet, sodass der Dental am Komplementierer synchron als „Konjugation“ aufzufassen sei.6 In der 2SG tritt Komplementiererflexion nur „gelegentlich bei einzelnen Sprechern“ (MOTTAUSCH 2009, 158) auf. MOTTAUSCH sieht darin „eine neuere Tendenz zur Ausbildung einer [vollständigen Komplementierer-]Konjugation“ (MOTTAUSCH 2009, 158), die aber unter normativem Druck schon wieder „abgeblockt“ (MOTTAUSCH 2009, 158) worden zu sein scheint. Anders ist die Situation im linksrheinischen Südhessen: Da sich dort in der Verbalflexion ein Einheitsplural auf -ǝn herausgebildet hat, lauten die entsprechenden Formen dasņ-ɐ ‘dass-n-ihr’, owǝn-ɐ ‘ob-n-ihr’ usw. Ob Komplementierer im gesamten Plural flektieren, geht aus der Darstellung bei MOTTAUSCH nicht ganz klar hervor. Explizit wird das Phänomen nur noch für die 3PL erwähnt und auch nur für die beiden Konjunktionen wie und wo, nicht jedoch die 1PL.7 Wie in Starkenburg gibt es auch in Rheinhessen einzelne Sprecher, die Komplementiererflexion ebenfalls in der 2SG benutzen. Interessant an den rheinhessischen Verhältnissen sind vor allem zwei Aspekte. Zum einen zeigen sie eindeutig, dass Komplementiererflexion doch ‚echte’ Flexion ist (was von NÜBLING / DAMMEL / DUKE / SZCZEPANIAK 2010, 262 f. be5 6 7
Die dritte Provinz des Großherzogtums war Oberhessen mit dem Verwaltungssitz in Gießen. Wie wir später sehen werden, existieren im Hessischen auch heute noch d-anlautende Formen des Personalpronomens. Was nicht völlig ungewöhnlich ist: WEISE (1900, 57) zufolge werden im thüringischen Altenburg Konjunktionen im Plural ebenfalls nur in der 2. und 3. Person flektiert (sowie in der 2SG). Da MOTTAUSCH sich für die 3PL auf eigene Beobachtungen beruft, ist aber nicht ganz klar, was die Nichterwähnung der 1PL bedeutet.
Komplementiererflexion im Hessischen
163
stritten wird), weil Entwicklungen in der Verbalflexion (hier Ausbildung eines Einheitsplurals) in das System der Komplementiererflexion übernommen werden. Zum andern geben sie Evidenz dafür, dass vollständige Systeme offenbar nicht nur in der östlichen Peripherie des deutschen Sprachgebiets vorkommen (vgl. 2 und 3), sondern vielleicht auch im Zentrum. Das wäre dann der Fall, wenn die Nichterwähnung der 1PL ein Versehen ist und wenn die 2SG keine Neuerung darstellte, sondern immer schon Teil des Systems war. 3.2
SyHD
Sieht man einmal vom Sonderfall im linksrheinischen Südhessen ab, gibt es für Hessen ansonsten bislang nur in der 2SG und PL Belege für Komplementiererflexion. Für ein westmitteldeutsches Dialektgebiet ist dies genau das, was man erwartet (s. Abschnitt 3.1). Unerwartet ist dagegen, dass die 2PL weiter verbreitet zu sein scheint als die 2SG. Zumindest gilt dies für das Südhessische, da nach den Angaben von MOTTAUSCH (2009) ursprünglich nur die 2PL flektierte, während die Erscheinung bei 2SG jünger sei und nur „gelegentlich bei einzelnen Sprechern“ (MOTTAUSCH 2009) auftrete. Im DFG-Projekt Syntax hessischer Dialekte (SyHD) (FLEISCHER / LENZ / WEISS 2015) wurden in der zweiten Erhebungsrunde (E2) zwei Aufgaben zur Komplementiererflexion gestellt, die überprüfen sollten, 1) wie weit die Komplementiererflexion in den beiden Personen noch verbreitet ist und 2) ob sie tatsächlich in der 2PL besser erhalten ist als in der 2SG. Obwohl die Informanten bei der zweiten Erhebungsrunde durchschnittlich 75 Jahre alt waren, ist nicht davon auszugehen, dass deren Dialektkompetenz noch den Zustand wiedergibt, den WEISE (1907) oder DELLIT (1913) vorgefunden haben.8 Daher dienten die beiden Aufgaben zunächst einmal der Überprüfung, inwieweit das Phänomen basilektal heute noch verbreitet ist (Ziel 1). Laut MOTTAUSCH (2009) ist die 2SG eine Neuerung. Denkbar ist aber auch, dass beide Morpheme zur gleichen Zeit entstanden sind. Nach dieser Auffassung wäre die 2PL besser erhalten (bzw. die 2SG stärker abgebaut). In beiden Fällen ist zu erwarten, dass die 2PL häufiger flektiert wird (Ziel 2). Die Aufgaben (s. Abb. 1 und 2) waren sogenannte Bewertungsaufgaben, d. h., es wurden Zielkonstruktionen vorgegeben und die Informanten aufgefordert, die für sie möglichen Konstruktionen anzukreuzen. Zusätzlich hatten sie die Möglichkeit, eine eigene Variante zu notieren; außerdem sollten sie die für sie natürlichste Variante angeben. Die Fragebögen wurden an 160 Orten innerhalb Hessens von (idealiter) je mindestens drei Informanten pro Ort ausgefüllt – für den Fragebogen 2 waren es insgesamt 874 Informanten.
8
Wie sehr sich die Sprachsituation geändert hat, zeigt sich z. B. daran, dass WEISE (1900, V) noch konstatieren konnte, „Mundart und Umgangssprache Gebildeter [seien] oft schwer auseinanderzuhalten“.
164
Isabella Bohn / Helmut Weiß
21. Paul liest seinem Enkel ein Märchen vor. Als dieser zu gähnen anfängt, sagt er: → Bitte kreuzen Sie die Sätze an, die Sie in Ihrem Platt/Dialekt sagen können (auch Mehrfachnennungen sind möglich). a)
Bann du net me wellst, konne mer au äbbes gespiel.
b)
Bannsdu net me wellst, konne mer au äbbes gespiel.
→ Würden Sie den Satz normalerweise in einer Form sagen, die gar nicht aufgeführt ist? Wenn ja: Bitte notieren Sie hier den Satz so, wie Sie ihn normalerweise sagen würden: c) ……………………………………………………………………………… → Welcher Satz ist für Sie der natürlichste? a)
, b)
oder c)
Abb. 1: Aufgabe E2-21 (2SG, Osthessisch)
3.2.1
Auswertung nach Regionen
Als Gesamtergebnis lässt sich festhalten, dass Komplementiererflexion sowohl in der 2SG als auch in der 2PL selbst heute noch vorkommt. Tab. 1 und 2 geben die Ergebnisse der SyHD-Erhebung wieder, geordnet nach Regionen9:
9
Die Kürzel in Tab. 1 und 2 bezeichnen die Regionen, für die jeweils eigene Dialektfassungen erstellt wurden: NH = Nordhessisch, NHOH = Nordhessisch/Osthessisch, NHTH = Nordhessisch/Thüringisch, OFL = Ostfälisch, OH = Osthessisch, RF = Rheinfränkisch, WFL = Westfälisch, ZH = Zentralhessisch, ZHMF = Zentralhessisch/Moselfränkisch, ZHMFRF = Zentralhessisch/Moselfränkisch/Rheinfränkisch, ZHNH = Zentralhessisch/Nordhessisch, ZHOH OF = Zentralhessisch/Osthessisch/Ostfränkisch, ZHRF = Zentralhessisch/Rheinfränkisch. Die Begriffe bezeichnen keine Dialektregionen, haben aber einen gewissen heuristischen Wert, insofern als die Dialektfassungen der Fragebogen als identische Bedingungen interpretierbar sind, unter denen die Experimente (Ausfüllen des Fragebogens) stattfanden.
Komplementiererflexion im Hessischen
165
3. Paul erzählt seinen Enkeln von seiner Schulzeit und dem strengen Lehrer, vor dem alle Schüler Angst hatten. Ihn interessiert, ob seine Enkel auch Angst vor ihrem Lehrer haben: → Bitte kreuzen Sie die Sätze an, die Sie in Ihrem Platt/Dialekt sagen können (auch Mehrfachnennungen sind möglich). a)
Isch mescht wisse, obd ihr aach Angst vor aierm Lehrer hätt.
b)
Isch mescht wisse, ob ihr aach Angst vor aierm Lehrer hätt.
c)
Isch mescht wisse, ob dihr aach Angst vor aierm Lehrer hätt.
→ Würden Sie den Satz normalerweise in einer Form sagen, die gar nicht aufgeführt ist? Wenn ja: Bitte notieren Sie hier den Satz so, wie Sie ihn normalerweise sagen würden: c) ……………………………………………………………………………… → Welcher Satz ist für Sie der natürlichste? a)
, b)
oder c)
Abb. 2: Aufgabe E2-03 (2PL, Rheinfränkisch_a)10
10
Für die 2PL wurde eine dritte Zielkonstruktion vorgegeben, weil das Pronomen der 2PL im Hessischen teilweise eine dentalanlautende Form besitzt (SCHIRMUNSKI 1962, 455). Bei allen Ortspunkten, bei denen diese Konstruktion vorkam, wurde anhand der Wenkersätze, die im Rahmen der direkten SyHD-Erhebung eingesprochen wurden, überprüft, ob die Form des Pronomens tatsächlich mit d anlautet; wenn nicht, wurde die Konstruktion als Komplementiererflexion gezählt, d. h. ob dihr wurde als obd ihr gewertet. Es ist natürlich denkbar, wie der anonyme Gutachter zurecht anmerkt, dass es Ortsdialekte gibt, die eine d-anlautende Alloform besitzen, die auf die Wackernagel-Position beschränkt ist, so dass das Ausmaß von CA in der 2PL in Wirklichkeit etwas geringer ist als in Tab. 2 angegeben. Aufgrund der uns zugänglichen Information können wir das jedoch nicht entscheiden.
166
Isabella Bohn / Helmut Weiß
E2_21 NH_a
wenn du 57
wenns du 11
sonstige 1
Summe 69
CA %11 16,18 %
NH_b
41
10
1
52
19,61 %
NHOH
29
3
1
33
9,38 %
NHTH
31
12
1
44
27,91 %
OFL
24
1
0
25
4,00 %
OH
53
13
2
68
19,70 %
RF_a
48
12
0
60
20,00 %
RF_b
50
5
3
58
9,09 %
WFL
80
5
1
86
5,88 %
ZH_a
61
5
0
66
7,58 %
ZH_b
73
8
2
83
9,88 %
ZHMF_a
16
1
0
17
5,88 %
ZHMF_b
20
0
0
20
0,00 %
ZHMFRF 33
11
0
44
25,00 %
ZHNH
30
3
1
34
9,09 %
ZHOHOF 33
8
2
43
19,51 %
ZHRF
21
5
0
26
19,23 %
Summe
700
113
15
828
13,90 %
Tab. 1: Ergebnis für E2-21 (2SG) (Stand: Oktober 2015)
11
Der Prozentwert wurde im Verhältnis zu den Antworten ohne Komplementiererflexion errechnet, die sonstigen Antworten blieben dabei unberücksichtigt, da sie für das Phänomen irrelevante Äußerungen sind (z. B. Hauptsätze ohne Komplementierer).
167
Komplementiererflexion im Hessischen
E2_03 NH_a
ob ihr 30
obd ihr 10
sonstige 8
Summe 48
CA % 25,00 %
NH_b
11
15
6
32
57,69 %
NHOH
14
12
5
31
46,15 %
NHTH
3
7
4
14
70,00 %
OFL
12
8
5
25
40,00 %
OH
50
18
1
69
26,47 %
RF_a
43
11
1
55
20,37 %
RF_b
44
9
7
60
16,98 %
WFL
36
12
34
82
25,00 %
ZH_a
43
16
10
69
27,12 %
ZH_b
44
32
7
83
42,11 %
ZHMF_a
11
6
0
17
35,29 %
ZHMF_b
17
3
0
20
15,00 %
ZHMFRF 31
8
2
41
20,51 %
ZHNH
7
6
32
26,92 %
ZHOHOF 16
11
13
40
40,74 %
ZHRF
12
11
2
25
47,83 %
Summe
436
196
111
743
31,01 %
19
Tab. 2: Ergebnis für E2-03 (2PL) (Stand: Oktober 2015)12
Wie den Tabellen zu entnehmen ist, ist die Komplementiererflexion quasi im gesamten hessischen Sprachgebiet verbreitet. Die 2PL ist in allen Regionen belegt und für die 2SG konnten lediglich in einer Region keine flektierten Komplementierer erhoben werden, nämlich in einer der beiden Übergangsregionen zwischen Zentralhessisch und Moselfränkisch (ZHMF_b). Die Option, den Komplementie12
Die Anzahl sonstiger Varianten ist bei der 2PL etwa siebenmal so hoch wie bei der 2SG. Zum Teil liegt das daran, dass die Informanten den ob-Satz durch einen V1-Satz (Ich möchte wissen, habt ihr auch Angst vor eurem Lehrer) ersetzt haben. Allerdings wurde diese Aufgabe auch häufig missverstanden und die Informanten verwendeten statt der 2PL die 3SG (d. i. Ich möchte wissen, ob er auch Angst vor dem Lehrer hat). Dieses Missverständnis hat seinen Grund vielleicht in der Ähnlichkeit von dihr, der Form des Pronomens in der Zielkonstruktion c (s. Abb. 2) und dem d-Pronomen der, das in Dialekten häufig das ursprüngliche Personalpronomen ersetzt hat (WEISS 2016).
168
Isabella Bohn / Helmut Weiß
rer zu flektieren, ist aber in allen Regionen nicht die dominante Variante, sondern fast immer die Minoritätenvariante (vgl. zu dieser Begrifflichkeit WEISS, i. E. a). Dies trifft auf die 2SG uneingeschränkt zu, da hier der höchste Wert für die flektierte Variante lediglich 27,91 % (in NHTH) beträgt und sie im Durchschnitt nur zu 13,90 % vorkommt. Deutlich überdurchschnittlich (d. h. die Häufigkeit von CA liegt um mehr als 50 % über dem Mittelwert) schneiden lediglich sieben der 17 Regionen ab: NH_b, NHTH, OH, RF_a, ZHMFRF, ZHOHOF, ZHRF. Die 2PL ist mit gut 31 % im Mittel insgesamt wesentlich verbreiteter. In zwei Regionen (NH_b, NHTH) stellt sie sogar die dominante Variante dar, eine (fast) gleichberechtigte Variante ist sie in NHOH (46,15 %), OFL (40 %), ZH_b (42,11 %), ZHOHOF (40,74 %) und ZHRF (47,83 %). Dies legt auch schon nahe, welches Ergebnis die Überprüfung der zweiten Hypothese gebracht hat. Tab. 3 stellt die Prozentwerte für beide Aufgaben gegenüber:
NH_a NH_b NHOH NHTH OFL OH RF_a RF_b WFL
2SG 16,18 % 19,61 % 9,38 % 27,91 % 4,00 % 19,70 % 20 % 9,09 % 5,88 %
2PL 25 % 57,69 % 46,15 % 70 % 40 % 26,47 % 20,37 % 16,98 % 25 %
2SG ZH_a 7,58 % ZH_b 9,88 % ZHMF_a 5,88 % ZHMF_b 0 % ZHMFRF 25 % ZHNH 9,09 % ZHOHOF 19,51 % ZHRF 19,23 % Mittelwert 13,90 %
2PL 27,12 % 42,11 % 35,29 % 15 % 20,51 % 26,92 % 40,74 % 47,83 % 31,01 %
Tab. 3: Vergleich 2SG vs. 2PL
Komplementiererflexion ist in der 2PL also tatsächlich wesentlich häufiger als in der 2SG: 31,01 % vs. 13,90 %. Wie der detaillierte Vergleich zeigt, gibt es lediglich eine Region, in der die 2SG einen höheren Wert als die 2PL erreicht (ZHMFRF: 25 % vs. 20,51 %) sowie zusätzlich eine weitere Region mit fast identischen Werten (RF_a: 20 % vs. 20,37 %). In allen übrigen Regionen erzielte die 2PL höhere Werte, zum Teil sogar sehr viel höhere. Abbildungen 3 und 4 geben die regionale Distribution grafisch wieder. Wie zu sehen, ist bei Abb. 4 (2PL) der Anteil von Schwarz, der Farbe für Komplementiererflexion, deutlich höher als bei Abb. 3 (2SG). Auf den Abbildungen lassen sich nur schwer eindeutige Raumbilder für die Komplementiererflexion erkennen. Für die 2SG zeigen sich immerhin drei regionale Schwerpunkte: im Süden (RF_a, b), im Südwesten (ZHMRF, ZHRF) sowie im Osten (NHTH, ZHOHOF, OH). Aber selbst in diesen Regionen stellt Komplementiererflexion eine Minoriätenvariante dar, während unflektierte Komplementierer dominieren. Da die Komplementiererflexion in der 2PL im gesamten
169
Komplementiererflexion im Hessischen
Erhebungsgebiet relativ hohe Werte erzielte, sind regionale Schwerpunkte noch schwerer auszumachen. Ein deutlicher Schwerpunkt liegt aber im Nordosten, wo in gleich vier Regionen (OFL, NH_b, NHTH, NHOH) überdurchschnittlich oft Komplementierer in der 2PL flektiert wurden. Einen zweiten regionalen Schwerpunkt stellen ZHOHOF und ZHRF dar, die etwas südlich davon eine zusammenhängende Region bilden. 3.2.2
Auswertung nach Ortspunkten
Geht man eine Ebene tiefer und schaut sich die einzelnen Ortspunkte an, ist die Komplementiererflexion bei 2SG und 2PL etwas ausgeglichener verteilt. Tab. 4 stellt die Anzahl der Orte mit Komplementiererflexion gegenüber, geordnet nach der Anzahl von Informanten, die flektierte Komplementierer als möglich markiert haben: Informanten mit CA 1 2SG 53 2PL 68
2 19 28
3 6 14
4 1 4
6 0 1
8 0 1
Summe 79 116
Tab. 4: Vergleich 2SG vs. 2PL
Die absolute Anzahl der Ortspunkte mit Komplementiererflexion ist zwar deutlich größer bei der 2PL, doch ist die Differenz nicht ganz so groß wie bei der absoluten Anzahl der Antworten (vgl. 3.2.1). Auch was die Anzahl der Orte mit drei oder mehr ‚flektierenden’ Informanten betrifft, zeigt sich ein deutliches Übergewicht der 2PL (20 Ortspunkte) gegenüber der 2SG (7 Ortspunkte). Da im Mittel knapp vier Informanten pro Ortspunkt an der Erhebung teilnahmen, kann man bei diesen Ortspunkten davon ausgehen, dass dort die Komplementiererflexion noch stabil in der örtlichen Sprechergemeinschaft (der entsprechenden Altersklasse) verankert ist.
170
Isabella Bohn / Helmut Weiß
Abb. 3: Komplementiererflexion 2SG
13
13
Die Kreise in Abb. 3 (und 4) symbolisieren die Ortspunkte, die Kreisgröße ist ikonisch zur Anzahl der Informanten pro Ort.
Komplementiererflexion im Hessischen
Abb. 4: Komplementiererflexion 2PL
171
172
Isabella Bohn / Helmut Weiß
3.2.3
Auswertung nach Informanten
Interessant ist nun noch ein Blick auf die einzelnen Informanten, denn daran erkennt man, dass Komplementiererflexion in der 2SG und in der 2PL weitgehend dissoziiert sind. Für die 2SG gibt es insgesamt 113 Informanten, die die Variante mit Komplementiererflexion gewählt haben (vgl. Tab. 1). Von diesen 113 Informanten haben 56 bei der Aufgabe E2_03, bei der das Phänomen für die 2PL abgefragt wurde, weder Antwort a (obd ihr) noch Antwort c (ob dihr) gewählt. Das bedeutet, dass etwa die Hälfte der Informanten, die in der 2SG Komplementierer flektieren, dies in der 2PL nicht macht. Da ein Teil der restlichen Informanten bei der Aufgabe E2_03 auch Antwort c gewählt hat, folgt daraus, dass der Anteil der Informanten, die nur in der 2SG Komplementierer flektieren, in Wirklichkeit noch etwas größer sein dürfte, da darunter auch Informanten fallen, deren Pronomen in der 2PL dihr lautet (und somit in der 2PL kein CA vorliegt, vgl. dazu Fn. 8). Die Dissoziation lässt sich auch in der umgekehrten Richtung feststellen. Da 196 Informanten eine flektierte Variante für die 2PL wählten, aber nur 113 für die 2SG, folgt daraus, dass mindestens 83 Informanten nur in der 2PL flektieren. In Wirklichkeit ist deren Anzahl aber noch wesentlich größer, da, wie wir gesehen haben, weniger als die Hälfte der 113 Informanten, die in der 2SG Komplementierer flektieren, dies auch in der 2PL tut. Erstaunlich an diesem Ergebnis ist das, was man als intra-individuelle Dissoziation bezeichnen könnte. Damit ist gemeint, dass für viele Sprecher Komplementiererflexion nur in einer Person-Numerus-Kombination möglich ist. Das heißt auch, dass sich kein Implikationsverhältnis feststellen lässt: Wenn ein Sprecher in der 2SG Komplementierer flektiert, folgt daraus nicht notwendigerweise, dass er das auch in der 2PL tut (oder vice versa). 4
FIRST CONJUNCT AGREEMENT
Bei First Conjunct Agreement (FCA) handelt es sich um ein Phänomen, das sich unter anderem bei flektierten Komplementierern beobachten lässt. Wenn in einer Agreementbeziehung zwischen Subjunktion und zwei koordinierten NPs das Flexionsmorphem nur die Merkmale der ersten NP widerspiegelt, so spricht man von FCA. Selbstverständlich kann dieses Phänomen auch an finiten Verben auftreten und ist sogar im Hochdeutschen in V1-Kontexten in der 2SG grammatisch, wie man an Beispiel (5) erkennen kann: Standarddeutsch (umgangssprachlich) (5) Willst du und der Peter heute in die Schule gehen? Obwohl bei BOHN (2013) in einer Erhebung zum FCA unter anderem verbales FCA getestet wurde, und der Satz (5) auch in den Dialekten des hessischen Raums eine überwältigende Akzeptanz von mehr als 90 % fand, soll es im Rahmen dieses Artikels nur um FCA als Markierung am Komplementierer gehen.
Komplementiererflexion im Hessischen
173
Ähnlich wie die Komplementiererflexion im Allgemeinen wurde auch FCA im Kontext von Kongruenzmarkierungen am Komplementierer innerhalb des deutschsprachigen Raums lediglich mit dem Bairischen in Verbindung gebracht, wie es FUSS (2014) tat. Da Komplementiererflexion aber auch im hessischen Dialektgebiet (und anderen deutschen Dialekten) grammatisch ist, steht eine Analyse des FCA und seiner Akzeptanz in diesen Varietäten noch aus. Es ist zumindest zu evaluieren, ob bereits bestehende Analysen, wie FUSS (2014) sie für das Bairische oder VAN KOPPEN (2005) für niederländische Dialekte vorgeschlagen haben, auch auf die Daten aus dem hessischen Raum anwendbar sind. Die Anzahl der Orte, an denen Daten zum FCA gesammelt wurden, ist im Vergleich zur SyHD-Erhebung entsprechend kleiner, da nur in Orten, an denen flektierte Komplementierer auftreten, auch FCA an ihnen markiert werden kann. Nach den von SyHD zum CA erhobenen Daten ergeben sich 148 Ortspunkte innerhalb des Erhebungsgebiets,14 in denen Komplementiererflexion von zumindest einer Gewährsperson als grammatisch bewertet wurde. Bei BOHN (2013) wurden aus diesen 148 Orten diejenigen ausgewählt, in denen CA insgesamt mindestens viermal als grammatisch beurteilt wurde, um dort eine Erhebung durch einen Fragebogen zum FCA vorzunehmen. So sollte ausgeschlossen werden, dass es sich um Fehlurteile handelt oder eventuell eine spezielle dialektale Form des Pronomens das Urteil verfälscht. Übrig blieben 26 Orte mit je zwei bis fünf Gewährspersonen15, die aufgrund ihrer Auswahl bereits den SyHD-Kriterien für Informanten entsprechen, und somit ein Alter von mindestens 65 Jahren sowie größtmögliche Ortsfestigkeit aufweisen. Auch die Orte sind mit weniger als 1500 Einwohnern möglichst dialektnah gewählt (vgl. hierzu FLEISCHER / LENZ / WEISS 2015). Der Fragebogen zum FCA orientiert sich in Art und Aufbau ebenfalls am SyHD-Projekt: Es gibt 12 Fragen zu FCA und CA und 6 Füllerfragen zu einem anderen Phänomen, um die Informanten nicht durch scheinbar gleiche Fragen in ihren Antworten zu beeinflussen. Alle Fragen wurden in den jeweiligen Ortsdialekt regionalisiert und mit einer kurzen Kontextbeschreibung versehen, um Ambiguitäten zu vermeiden und zusätzlich, damit die Informanten die Zielkonstruktion nicht so verändern, dass sie das untersuchte Phänomen nicht mehr enthält. 4.1
CA-Analysen als Grundlage für eine FCA-Analyse
FCA ist gerade im Kontext von CA ein linguistisch interessantes Phänomen, da sich anhand der Daten Evidenz dafür sammeln lässt, ob es sich bei CA um ein syntaktisches oder ein postsyntaktisches Phänomen handelt. Das wiederum spielt 14 15
Stand: Juli 2013. Aufgrund des schlechten Rücklaufs der Fragebögen gab es jedoch drei Ortspunkte, in denen nur von einem einzigen Informanten Daten vorliegen. Es handelt sich um die zentralhessischen Orte Herchenhain und Kröffelbach sowie um Rossbach im zentralhessisch-nordhessischen Übergangsgebiet (Einteilung der Dialektregionen nach WIESINGER 1983).
174
Isabella Bohn / Helmut Weiß
eine große Rolle für die allgemeine Linguistik, da es die Frage beantwortet, ob C inhärente φ-Merkmale besitzt, oder wieso sonst sich Flexion in kontinentalwestgermanischen Dialekten auch an Komplementierern zeigt. FUSS (2014) argumentiert, dass die φ-Merkmale der verbalen Flexionsmorphologie postsyntaktisch in die C-Position kopiert werden oder dieser Kopierprozess durch die Verletzung von Lokalitätsbedingungen nicht stattfinden kann. Dies erklärt die Differenz zwischen Varietäten mit und ohne CA, die sich oft auf kleinem Raum gegenüberstehen, ohne dass für beide grundsätzlich unterschiedliche Analysen angenommen werden müssen. In Dialekten wie dem Bairischen (6) können daher phonologisch unterschiedliche Agreementmarkierungen auftreten, die die gleichen φ-Merkmale ausdrücken: Dieses Double-Agreement würde dadurch erklärt, dass lediglich Merkmale, nicht aber ihre lautliche Realisierung kopiert werden. Somit können nach dem Kopiervorgang verschiedene Morpheme eingesetzt werden. Bairisch (FUSS 2014, 65, im Original 24a.) (6) wem-ma mia noch Minga kumm-an wenn-1PL wir nach München komm-1PL Da jede FCA-Analyse auf der des CA aufbaut, ist es unabdingbar, die entsprechende Datenlage des Hessischen mit FUSS’ CA-Analyse zu vergleichen, bevor Aussagen über ihre Anwendbarkeit auf FCA im Hessischen getroffen werden können. Er beobachtet neben der Existenz von Double-Agreement-Dialekten auch einige Adjazenzeffekte, die bei CA im Bairischen auftreten. Für einen postsyntaktischen Kopierprozess der Merkmale in T nach C spricht aber hauptsächlich die notwendige Präsenz eines finiten Verbs in jedem Satz mit CA. Das bedeutet, dass wegen der Abhängigkeit des Agreements in C vom finiten Verb kein CA in Kontexten mit Right Node Raising16 zu erwarten ist, da die Quelle der zu kopierenden Merkmale zum Zeitpunkt des Kopierprozesses bereits getilgt ist. Während diese Erwartung auf das Bairische zutrifft, wie in (7) zu sehen, finden sich in hessischen Varietäten einige Gegenbeispiele, in (8) und (9) aufgeführt: Bairisch (FUSS 2014, 59, im Original 13a/b.) (7) a. ??dass-sd du noch Minga und dass da Hans noch dass-2SG du nach München und dass- der Hans nach Truchtlaching geht. Truchtlaching geh-3PL.
16
Bei Right Node Raising handelt es sich um Kontexte, in denen die Ellipse eines Elements lizenziert wird, indem das gleiche Element an späterer Stelle (in einem anderen Kontext) realisiert wird.
Komplementiererflexion im Hessischen
b.
175
dass du noch Minga und dass da Hans noch dass- du nach München und dass- der Hans nach Truchtlaching geht. Truchtlaching geh-3PL.
Während Komplementiererflexion im Bairischen in der 2SG obligatorisch ist, zeigt sich in (7a), dass es in Kontexten des Right Node Raising – also ohne finites Verb zum Zeitpunkt der Kopieroperation – stark markiert ist, weiterhin Komplementiererflexion zu realisieren. In (7b) dagegen wird deutlich, dass ein unflektierter Komplementierer in diesem Zusammenhang zulässig ist.17 Allerdings trifft das in anderen Dialekten nicht unbedingt zu, wie die Erhebung zum FCA unter anderem im Nordhessischen (8) und im Westfälischen (9) gezeigt hat. Nordhessisch, Bergheim (8) Dos es so, weilst du nach Frankfurt unn hä ens Dorf zieht.18 das ist so weil-2SG du nach Frankfurt und er in das Dorf zieh-3SG Westfälisch, Freienhagen (9) Wütt iss sau, weilst dou no Frankfurt un hei int Worp hüht. das ist so weil-2SG du nach Frankfurt und er in das Dorf zieh-3SG Während in Freienhagen der gleiche Satz auch ohne CA akzeptiert wurde, wurde diese Möglichkeit in Bergheim abgelehnt. In beiden Dialekten ist aber ein flektierter Komplementierer auch bei nicht overt realisiertem Verb grammatisch, so wie auch in 13 anderen Ortsdialekten, zu denen Daten zum FCA erhoben wurden. Dies spricht gegen FUSS’ Analyse von CA für hessische Dialekte, denn die
17
18
Dies scheint jedoch stark von der Region abhängig zu sein, da andere Sprecher des Bairischen (wie z. B. einer der Autoren) eine genau gegenteilige Intuition haben und (7a) als grammatisch, aber (7b) als ungrammatisch beurteilen. Zwar gibt es in (8) und (9) jeweils nur einen (overten) Komplementierer weil, während in (7) dass wiederholt wird, jedoch kann das nach FUSS (2014) keinen Unterschied für die Realisierungsmöglichkeiten von CA ausmachen. Nimmt man an, dass Koordinationsphrasen sich verhalten wie von JOHANNESSEN (1998) vorgeschlagen, so gibt es für den Satz in (8) und (9) genau zwei Möglichkeiten: (i) Es werden zwei CPs koordiniert. Im zweiten Konjunkt wurde der Komplementierer elidiert. Damit erhält man eine zu (7) äquivalente Struktur und würde erwarten, dass sich alle drei Sätze gleich verhalten. (ii) Es werden zwei TPs koordiniert (vgl. BÜRING / HARTMANN 1998). Genau wie bei (i) wurde aber auch bei dieser Analyse das finite Verb im ersten Konjunkt getilgt und steht einem postsyntaktischen Kopierprozess nicht mehr zur Verfügung. Vom Verb des zweiten Konjunkts können die Merkmale in C nicht stammen, da dieses Verb andere Merkmale widerspiegelt als der Komplementierer.
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Isabella Bohn / Helmut Weiß
Merkmale eines bereits getilgten Elements nach der Tilgung zu kopieren, sollte nicht möglich sein. 4.2
Eine postsyntaktische Analyse
Auch bei einer Analyse von FCA nach FUSS (2014) treten für die hessischen Dialekte verschiedene Probleme auf. Aufbauend auf seiner CA-Analyse nimmt er an, dass die Kombination der Merkmalsbündel der beiden koordinierten NPs zu einer komplexen NP ebenfalls ein postsyntaktischer (weil morphologischer) Prozess ist. Daher steht zum Zeitpunkt der Agree-Operation, die für Kongruenz zwischen finitem Verb und Subjekt sorgt,19 ein Set von vereinigten φ-Merkmalen gar nicht zur Verfügung. Stattdessen sind es zwei verschiedene: das des ersten und das des zweiten Konjunkts. Diese beiden Bündel treten als geordnetes Paar von Merkmalen auf, das sich im Kopf der Koordinationsphrase befindet. Daher resultiert aus der Agree-Operation nicht die Einsetzung eines einzigen, sondern die Übertragung beider Merkmalsbündel in I/T. Bei Varietäten mit Komplementiererflexion werden diese anschließend in die C-Position kopiert. In Kontexten, die keine Komplementiererflexion aufweisen, wird diese Operation dadurch blockiert, dass die entsprechenden Lokalitätsbedingungen nicht erfüllt sind. Da bei erfolgreichem Kopierprozess beide Merkmalsbündel zusammen beim Spell-Out nicht interpretierbar wären, müssen sie postsyntaktisch disambiguiert werden. Dies kann durch die Anwendung von Resolutionsregeln (CORBETT 1983) – wie sie auch bei der Koordinationsphrase zum Einsatz kommen – geschehen, sodass die beiden Merkmalsbündel zu einem einzigen kombiniert werden. Diese Kombination führt zu Full Agreement (FA). In Varietäten, in denen FCA grammatisch ist, gibt es zusätzlich die Möglichkeit, dass zwar beide Merkmalsbündel in die C-Position kopiert werden, aber eines nach sogenannten Verarmungsregeln wieder gelöscht wird.20 Dadurch kongruiert der Komplementierer in C lediglich mit einem der beiden Konjunkte,21 auch nachdem die Koordinationsphrase ein (nach Resolutionsregeln) kombiniertes Merkmalsbündel aufweist. Dies kann nach FUSS nur dann geschehen, wenn das Element in C und das erste Konjunkt des Subjekts zur gleichen prosodischen Domäne gehören. Ist das nicht der Fall, so muss in beiden Kontexten – also innerhalb 19
20
21
Während das Verb nicht-validierte φ-Merkmale enthält (und damit eine sogenannte „Sonde“ ist), besitzt das Subjekt validierte φ-Merkmale („Ziel“), die zu denen des Verbs passen und diese checken können. So entsteht Kongruenz zwischen Sonde und Ziel. Im Falle von Komplementiererflexion müssen also nicht-validierte φ-Merkmale in C den Komplementierer ebenfalls zu einer Sonde machen. Eine frühere Fassung des Aufsatzes enthielt eine etwas missverständliche Darstellung des von FUSS angenommenen Regelapparats. Danke an den anonymen Gutachter für die Klarstellungen zu diesem Punkt! Möglich ist dies theoretisch sowohl für das erste als auch das zweite Konjunkt. Sogenanntes Second-Conjunct-Agreement ist jedoch wesentlich seltener und wird hier nicht weiter behandelt.
Komplementiererflexion im Hessischen
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der Koordinationsphrase wie auch in C – eine Kombination der Merkmalsbündel stattfinden. Das bedeutet also, dass FCA unmöglich sein sollte, sobald Komplementierer und erstes Konjunkt nicht mehr zur gleichen prosodischen Domäne gehören. Infolgedessen wirken sich also verschiedene Adjazenzeffekte stark auf die Realisierungsmöglichkeiten von FCA aus. Es sollte auf keinen Fall möglich sein, zwischen C und dem Subjekt ein Adjunkt, ein gescrambletes Objekt oder irgendeine andere Phrase zu realisieren, und trotzdem FCA am Komplementierer zu markieren. FA, also Kongruenz mit den kombinierten Merkmalen der Koordinationsphrase, sollte jedoch möglich sein. Einige Dialekte aus der Erhebung zum FCA scheinen das zu bestätigen, wie zum Beispiel das nordhessische Bergheim (10). Nordhessisch, Bergheim (10) weil-d / *-st / *- off enem Bild öch du unn dinne weil-2PL -2SG - auf einem Bild auch du und deine Schwäster sin. Schwester sei-3PL In (10) ist zu sehen, dass FCA genauso ungrammatisch ist wie gar kein Flexionsmarker am Komplementierer, sobald eine PP zwischen C und Subjekt gescramblet wurde. So sind Komplementierer und erstes Konjunkt des Subjekts nicht mehr adjazent und auf keinen Fall innerhalb der gleichen prosodischen Domäne. Folglich ist die einzige grammatische Lösung für diese nordhessische Varietät FA, wie nach FUSS’ Theorie zu erwarten war. Allerdings gibt es innerhalb unseres Erhebungsgebiets auch Dialekte, die dem widersprechen. So zum Beispiel das Westfälische: Westfälisch, Freienhagen (11) weil *-d / ??-st / - up eem Beld auk dou un diäne weil -2PL -2SG - auf einem Bild auch du und deine Schwester sin. Schwester sei-3PL Die Flexionsendung -st, die die 2SG markiert, ist laut einigen Informanten möglich, laut anderen jedoch ungrammatisch. Die einzige Option, die zu einer unumstritten wohlgeformten Äußerung führt, ist, den Komplementierer gänzlich unflektiert zu lassen. Dabei ist erstaunlich, dass die Flexionsendung -d für die 2PL gänzlich abgelehnt wurde. Innerhalb der SyHD-Erhebungen haben sich 4 von 5 Informanten aus Freienhagen für CA in der 2PL und gegen einen unflektierten Komplementierer entschieden. Danach wäre zu erwarten, dass sich Sprecher dieses Dialekts für den Fall, dass FCA blockiert wird, auch in Kontexten wie in (11) für FA entscheiden. Stattdessen wird diese Möglichkeit durchweg abgelehnt, während FCA zumindest marginal grammatisch scheint.
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Wenn aber, wie durch FUSS (2014) vorausgesagt, eine Tilgung des zweiten Merkmalsbündels in C durch den Einschub der Präpositionalphrase unmöglich gemacht wird, da sich Komplementierer und erstes Konjunkt nicht mehr in derselben prosodischen Domäne befinden, dürfte FCA in (11) unter keinen Umständen grammatisch sein. Das Gesamtbild, das sich über die Erhebung zum FCA hinweg gezeigt hat, spricht jedoch eher für als gegen FUSS’ These. Die Anzahl der Informanten, die sich trotz eines intervenierenden Objekts oder einer Modalpartikel zwischen Komplementierer und Subjekt für FCA entschieden haben, ist relativ gering, wie in folgender Tabelle zusammengefasst:
intervenierende Modalpartikel23 intervenierende PP25
FCA
FA
keine Flexion
5 (10,20 %) 2 (2,99 %)
-24
48 (97,96 %) 63 (94,03 %)
6 (8,96 %)
Gesamtzahl der Antworten22 49 (100,00 %) 67 (100,00 %)
Tab. 5: Vergleich der Möglichkeit von FCA, CA oder einem unflektierten Komplementierer bei intervenierenden Modalpartikeln und PPs
Während FCA bei einer Modalpartikel zwischen Komplementierer und erstem Konjunkt mit knapp über 10 % noch vergleichsweise häufig als grammatisch bewertet wurde, liegt der Prozentsatz für FCA bei Präpositionalphrasen an der gleichen Stelle bei unter 3 %. Dies bestätigt die These von FUSS (2014) insofern, dass eine Modalpartikel durchaus in die prosodische Domäne von C und Subjekt eingefügt werden kann, ohne diese zu unterbrechen. Bei einer eingeschobenen PP ist dies nicht möglich. Hier stellt sich jedoch die Frage, warum weniger als 9 % der Informanten FA an dieser Stelle als grammatisch empfinden, während dieser Kontext eigentlich eine Kombination der Merkmalsbündel in C obligatorisch machen sollte.
22
23 24
25
Die Gesamtzahl der Antworten ist kleiner/gleich der Summe von FCA, FA und flexionslosen Komplementierern, da die Informanten ausdrücklich angewiesen wurden, alle Antworten anzukreuzen, die sie in ihrem Dialekt für grammatisch halten. Pro gegebener Antwort sollten also 3 Grammatikalitätsurteile gegeben werden: für FCA, FA und keine Flexion. Die Zielkonstruktion bei dieser Frage war: „Ich habe gern geholfen, weil(-st) ja du und er viel zu tun habt.“ Diese Antwortmöglichkeit war in der Multiple-Choice-Frage nicht vorgegeben und hätte daher nur als eigene Variante der Gewährspersonen auftreten können. Durch die Beeinflussung der Informanten durch die beiden vorgegebenen Antworten (nämlich FCA und ein Komplementierer ohne Flexionsmarker), wäre es aber falsch, dies mit 0 % gleichzusetzen. Die Zielkonstruktion bei dieser Frage war: „Ich wollte sie haben, weil(-st/-d) auf einem Bild auch du und deine Schwester sind.“
Komplementiererflexion im Hessischen
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Hinzu kommt, dass es sich dabei um ein arealbildendes Phänomen zu handeln scheint, denn mit Ausnahme des Ortes Bergheim, in dem alle zwei Informanten sich bei einer PP zwischen C und Subjekt für CA entschieden haben, liegen alle weiteren Ortschaften, in denen CA in diesem Kontext überhaupt möglich ist, im Westen des Erhebungsgebiets. Dies spricht zwar nicht gegen FUSS’ Analyse, bedarf jedoch weiterer Erklärung. 4.3
Eine syntaktisch-morphologische Analyse
Im Gegensatz zu FUSS (2014) argumentiert VAN KOPPEN (2005) für eine syntaktische Analyse von FCA. Laut ihr führt derselbe Mechanismus zu einer Kongruenz mit dem ersten Konjunkt eines komplexen Subjekts, der auch für FA und den Kongruenzmarker am finiten Verb zuständig ist. Der Komplementierer geht dabei zwei Agreementbeziehungen gleichzeitig ein, sollten die beiden möglichen Ziele der Sonde gleich lokal26 sein: eine mit dem ersten Konjunkt des komplexen Subjekts und eine mit der gesamten Koordinationsphrase. Diese erhält ihre kombinierten Merkmale durch die Resolutionsregeln nach CORBETT (1983). Dadurch kann sowohl FA als auch FCA eine grammatische Lösung im gleichen Kontext sein, wie es sich an (12) im Osthessischen beobachten lässt: Osthessisch, Hofaschenbach (12) a. bann-mer du on ich dos moache wenn-1PL du und ich das mach-1PL b. bann-st du on ich dos moache wenn-2SG du und ich das mach-1PL Sowohl FA in (12a) als auch FCA in (12b) sind im gleichen Kontext im selben Dialekt grammatisch. Während ein solcher Fall bei FUSS (2014) keine Beachtung findet, wird er durch VAN KOPPENS Ansatz erklärt: Der Grund dafür, dass es manchmal einen Unterschied in der Grammatikalität von FCA und FA gibt, ist die hierarchische Ordnung der zur Auswahl stehenden Agreementmarker am Komplementierer. Nach VAN KOPPEN (2005) gibt es drei Arten von Flexionssuffixen, die folgendermaßen geordnet sind: 1. „Spezifische Affixe“ sind solche, die bestimmte Kombinationen aus Personund Numerus-Informationen ausdrücken und damit an ein einziges Set von φMerkmalen geknüpft sind. 2. „Elsewhere-Affixe“ sind Flexionsmarker, die zwar möglicherweise kategoriale Informationen enthalten (und somit zum Beispiel das Lexem, an das sie ge26
Gleiche Lokalität definiert VAN KOPPEN (2005) wie folgt: Y und Z sind gleich lokal zu X gdw. Y und Z von X c-kommandiert werden und die Menge der Knoten, die Y c-kommandieren, identisch ist mit der Menge der Knoten, die Z c-kommandieren.
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knüpft sind, an eine bestimmte syntaktische Position binden), aber keinerlei φ-Merkmale ausdrücken. Wenn ein Ziel, das zu einem Elsewhere-Affix an der Sonde führt, gleichermaßen lokal zu dieser Sonde ist, wie ein Ziel, das zu einem spezifischen Affix führen würde, so wird immer das spezifische Suffix gewählt. 3. Der letzte mögliche Fall ist, dass keinerlei Flexionsendung an das Verb oder in unserem Fall den Komplementierer tritt. Sollten mehrere Ziele für eine Sonde gleich lokal sein, so werden diejenigen, die zu overten Flexionsmorphemen führen, stets bevorzugt. (vgl. VAN KOPPEN 2005, 23) Sollten aber zwei mögliche Ziele einer Sonde gleich lokal sein und auch zu gleich spezifischen Flexionsmorphemen führen, dann sind nach VAN KOPPEN beide Optionen in diesem Kontext grammatisch. Auf abstrakter Ebene geht das Element in der C-Position zwar eine Agreementbeziehung mit beiden Zielen ein (bzw. wird gecheckt), beim Spell-Out kann aber nur eine dieser beiden Beziehungen overt angezeigt werden. Dies ist der Fall in (12), wo sowohl das erste Konjunkt als auch die Koordinationsphrase von C c-kommandiert werden27 und auch von der gleichen Menge an Knoten c-kommandiert werden. Außerdem drückt das Suffix -mer in (12a) lediglich ein Merkmalsset aus: nämlich 1PL28. Hinzu kommt, dass es an eine bestimmte syntaktische Position gebunden ist, da dieses Suffix nur in C, nicht aber in I/T auftreten kann. -st in (12b) ist ausschließlich an die 2SG geknüpft. Somit handelt es sich bei beiden um spezifische und damit auch gleichermaßen spezifische Affixe, d. h. um Affixe, die beide der Kategorie 1 angehören.29 Nach VAN KOPPEN (2005) wären in diesem Fall also beide Äußerungen grammatisch – genau wie die Daten es zeigen. VAN KOPPEN (2005) merkt an, dass je nach Theorie Singular eine Unterspezifikation des Merkmals [+Plural] ist. Daher wäre unter dieser Grundannahme bei einer Konkurrenz von Singular- (sprich: FCA) und Pluralmorphem (FA) stets Plural die einzige grammatische Lösung, da es in der spezifischeren Flexionsmorphologie resultiert. Dagegen sprechen jedoch Daten wie in (12). Daher ist anzuneh27
28
29
Hier wird angenommen, dass Koordinationsphrasen die von JOHANNESSEN (1998) vorgeschlagene Struktur zugrunde liegt. Das bedeutet, dass das erste Konjunkt in Spezifikatorposition der Koordinationsphrase und das zweite Konjunkt in Komplementposition ist. In der gesamten Erhebung gab es nur zwei Hinweise auf ein Flexionsmorphem für die 1PL am Komplementierer: im osthessischen Hofaschenbach und dem zentralhessisch-nordhessischen Niederklein. Sollte es sich hierbei nicht um Fehlurteile handeln, sind dies die ersten Daten zu einem Flexionsmarker der 1PL im hessischen Raum. Es ist allerdings möglich, dass die Gewährspersonen das komplexe Subjekt als Apposition verstanden haben, d. h. (12a) wäre zu lesen als: bann-mer, du on ich, dos moache ‘wenn wir, du und ich, das machen’. Danke an den anonymen Gutachter für diesen Hinweis! Man könnte argumentieren, dass -mer durch seine zusätzliche Bindung an die C-Position sogar spezifischer ist als -st; es ist jedoch fragwürdig, ob spezifische Affixe untereinander noch einmal ihrer Spezifität nach geordnet sind (diese Möglichkeit wird innerhalb dieses Kapitels noch genauer betrachtet). Die Daten in (12) suggerieren, dass spezifische Affixe entweder nicht weiter hierarchisch geordnet sind, oder -mer und -st gleichermaßen spezifisch sind.
Komplementiererflexion im Hessischen
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men, dass Suffixe, die Plural anzeigen, nicht grundsätzlich spezifischer sind als Singular-Suffixe. Einige der im Rahmen der FCA-Erhebung gewonnenen Daten stellen aber auch für VAN KOPPEN (2005) ein großes Problem dar: Zentralhessisch-Nordhessisch, Niederklein (13)
a. b. c.
wenn du un eich dos moch-e wenn- du und ich das mach-1PL wenn-mer du un eich dos moch-e wenn-1PL du und ich das mach-1PL wenn-st du un eich dos moch-e wenn-2SG du und ich das mach-1PL
Alle drei Sätze in (13) sind grammatisch, und alle stammen aus demselben zentralhessisch-nordhessischen Ortsdialekt. Während (13b) und (13c) äquivalent zu den Äußerungen in (12) analysiert werden können, dürfte nach VAN KOPPEN die Äußerung (13a) ohne jegliche overte Flexionsmarkierung niemals gleichermaßen grammatisch sein wie (13b) und (13c), die beide spezifische Affixe am Komplementierer aufweisen. Der Ort Niederklein ist hierbei jedoch keinesfalls eine Ausnahme: Die Austauschbarkeit von CA (also FA und FCA zusammen) mit unflektierten Komplementierern konnte über das gesamte Erhebungsgebiet verteilt festgestellt werden. In folgender Tabelle sind alle Fragen zur Komplementiererflexion der Erhebung zum FCA zusammengefasst: Fälle von Flexion 103
Fälle, in denen Flexion optional ist 38
Prozentsatz der Fälle, in denen Flexion optional ist 36,89 %
Tab. 6: Vergleich obligatorischer und optionaler Komplementiererflexion
Dieser Prozentsatz, also mehr als 36 %, in denen Flexion am Komplementierer zwar auftreten kann, aber die Subjunktion ebenso im gleichen Kontext unflektiert bleiben darf, ist eindeutig zu hoch, um diese Fälle als Fehlurteile der Informanten einzustufen. Auf ein ähnliches Problem ist auch VAN KOPPEN im Rahmen ihrer Dissertation gestoßen, hat es jedoch für eine dem bairischen bzw. niederbairischen Dialekt („Lower Bavarian“) zuzuschreibende Eigenart gehalten (vgl. VAN KOPPEN 2005, 47). Offenbar ist das aber nicht der Fall, da die Problematik auch über ganz Hessen verteilt aufzutreten scheint. Namentlich sind in den Dialektregionen WFL, NH, ZHNH, ZHMFRF, RF, ZH, ZHOHOF und OH insgesamt neun verschiedene Ortsdialekte betroffen. Zudem treten auch in zwei Orten in Rheinland-Pfalz, die als Kontrollgruppe der FCA-Erhebung dienten, solche optionalen Flexionsmorpheme am Komplementierer auf. Von einem Einzelfall kann bei dieser Problematik daher nicht die Rede sein.
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Da Komplementiererflexion in der deutschen Standardsprache stets ungrammatisch ist, ist denkbar, dass sich hier der immer stärker werdende Einfluss des Standards auf die Dialekte bemerkbar macht. In jedem Fall bedarf dieses Phänomen weiterer Forschung. Ein weiteres Phänomen, das sich in der Erhebung der Daten gezeigt hat, kann ebenfalls nicht durch VAN KOPPEN (2014) erklärt werden. Man betrachte dazu die Äußerungen in (14) und (15). Zentralhessisch-Nordhessisch, Niederklein (14) a weil-d off em Beld ach du enn dei Schwaster sei. weil-2PL auf einem Bild auch du und deine Schwester sei-3PL b weil-st off em Beld ach du enn dei Schwaster sei. weil-2SG auf einem Bild auch du und deine Schwester sei-3PL Die Austauschbarkeit von (14a) und (14b) zeigt, dass es sich bei -d und -st offenbar um gleichermaßen spezifische Flexionsmorpheme handeln muss, da sie vom gleichen Informanten im gleichen Kontext als grammatisch beurteilt wurden. Das bedeutet allerdings, dass man auch bei jedem anderen koordinierten Subjekt in der 2PL, bei dem das erste Konjunkt die φ-Merkmale der 2SG trägt, beliebig zwischen Kongruenz zu diesen beiden Merkmalsbündeln entscheiden können sollte. In (15) ist das jedoch nicht der Fall: Westfälisch, Freienhagen (15) a *weil-d up eem Beld auk dou un diäne Schwester sin. weil-2PL auf einem Bild auch du und deine Schwester sei-3PL b weil-st up eem Beld auk dou un diäne Schwester sin. weil-2SG auf einem Bild auch du und deine Schwester sei-3PL Allerdings gilt zu bemerken, dass es sich bei (14) und (15) nicht nur um verschiedene Ortsdialekte, sondern sogar um verschiedene Dialektregionen handelt. Jedoch gibt es in Freienhagen das -d-Suffix im Paradigma der Komplementiererflexion lediglich für die 2PL, und damit sollte es genauso spezifisch oder sogar noch spezifischer sein als -st. Warum jedoch (15a) von den Informanten als ungrammatisch und (15b) als grammatisch bewertet wurde, kann nach VAN KOPPEN (2005) nur dadurch erklärt werden, dass spezifische Affixe untereinander noch einmal nach ihrer Spezifität geordnet sind. Dadurch würden jedoch die drei Spezifitätskategorien hinfällig, da dies bedeutet, dass es einen fließenden Übergang zwischen allen Affixen gibt. Zudem bliebe zu klären, inwiefern sich die beiden Suffixe -st und -d aus dem Westfälischen von ihren Pendants im zentralhessischnordhessischen Übergangsgebiet unterscheiden, um den Unterschied zwischen (14a) und (15a) zu erklären. Denkbar ist, dass es sich um einen soziolinguistischen Unterschied, damit also einen Unterschied im Performanzbereich der Sprecher, nicht aber im Kompetenzbereich, handelt. Da sich in bestimmten Sprechergemeinden der Sprachgebrauch synchronisieren kann, ergeben sich dadurch areale Unterschiede. Dies ist jedoch
Komplementiererflexion im Hessischen
183
eher eine Präferenz der Sprecher als eine obligatorische Regel, die zum Beispiel durch Parameter bedingt ist (vgl. WEISS 2004; 2013; SCHMIDT / HERRGEN 2011). Wie FUSS (2014) anmerkt, stellt sich aber die Frage, ob es tatsächlich möglich ist, eine universale Analyse für alle empirischen CA und FCA-Daten zu finden, denn während niederländische Dialekte durch VAN KOPPEN (2005) und das Bairische durch FUSS (2014) erklärt werden können, wirft das Hessische für beide Theorien neue Fragen auf. Ob eine allumfassende Theorie möglich sein wird, muss die zukünftige Forschung zeigen. In jedem Fall bedürfen die hier vorgestellten Daten aus dem hessischen Raum im Bezug auf FCA und die daraus resultierenden Konsequenzen für Komplementiererflexion einer Erklärung. 5
ZUSAMMENFASSUNG UND DISKUSSION
Im vorliegenden Artikel wurden die Ergebnisse zweier Dialekterhebungen (SyHD, BOHN 2013) präsentiert und diskutiert. Zum Schluss wollen wir die wichtigsten Ergebnisse nochmals zusammenfassen und in einer generelleren Perspektive kurz diskutieren: Wie unsere Daten zeigen, kommen Komplementiererflexion und FCA auch in den hessischen Dialekten vor. Die präsentierten SyHD-Ergebnisse sind die ersten systematisch erhobenen Daten zu einem deutschen Dialekt außerhalb des bairischen Sprachgebiets.30 Zu FCA wurden unseres Wissens noch nie systematisch Daten erhoben. Das stellt eine wichtige Erweiterung der bisherigen Datenbasis dar. Der bisherige Fokus auf das Bairische hat zu manchen Fehleinschätzungen geführt (vgl. Abschn. 2), sodass ein Blick auf die Verhältnisse in anderen deutschen Dialekten der Forschung großen Gewinn bringen kann. Interessante Detailbefunde: – Überraschenderweise ist die Komplementiererflexion in der 2PL regional wesentlich verbreiteter und stabiler als in der 2SG. Dies ist ein umso wichtigerer Befund, als die CA-Flexion im SyHD-Gebiet eben nicht auf ein reanalysiertes Subjektpronomen zurückführbar ist. – Erstaunlicherweise scheint bei der Auswertung auf Ebene der einzelnen Informanten bei der Komplementiererflexion eine weitgehende Dissoziation zwischen Singular und Plural vorzuliegen, d. h., nur sehr wenige Informanten flektieren Komplementierer sowohl im Singular als auch im Plural. Das ist zumindest Evidenz für eine große Mikro-Variation im CA-Paradigma (vgl. dazu generell WEISS 2013). Ob sich aus dieser Dissoziation darüber hinaus etwas über die Natur von Komplementiererflexion (syntaktisch vs. postsyntaktisch, vgl Abschn. 4), ableiten lässt, kann im Augenblick noch nicht abge30
Zumindest der Sprachatlas von Niederbayern enthält in seinem Syntaxteil einen Abschnitt mit Karten zu flektierten Konjunktionen (EROMS / SPANNBAUER-POLLMANN 2006, 281–292).
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schätzt werden. Dazu bedürfte es weiterer Daten aus anderen Dialektregionen. Unseres Wissens wurde diese Dissoziation bislang noch nie nachgewiesen. Für FCA konnte innerhalb eines doch relativ kleinen Untersuchungsgebietes ein erstaunliches Ausmaß an Mikro-Variation festgestellt werden. Weder der Ansatz von FUSS (2014) noch der von VAN KOPPEN (2005) können alle hessischen FCA-Daten erklären: Die beobachtete Variation selbst innerhalb desselben Ortspunktes sowie die Arealbildung deuten möglicherweise darauf hin, dass FCA vielleicht doch kein einheitliches Phänomen ist, sondern unterschiedliche Ursachen und Trigger haben kann. Auch soziolinguistische Faktoren als Ursache für die Arealbildung sind nicht auszuschließen. Die FCA-Erhebung konnte möglicherweise eine erste (wenn auch noch schwache) empirische Evidenz für die Existenz eines CA-Morphems (-mer) in der 1PL erbringen (vgl. hierzu Fn. 27). Dieser Nachweis wäre nicht möglich gewesen, wenn man nicht speziell FCA untersucht hätte, denn ohne ein folgendes koordiniertes Subjekt wäre -mer nur als enklitisches Pronomen analysierbar. Erst die Präsenz des koordinierten Subjekts macht deutlich, dass es sich um ein Flexionselement handeln muss. LITERATUR
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Komplementiererflexion im Hessischen
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ON ELICITING DIALECT-SYNTACTIC DATA. COMPARING DIRECT AND INDIRECT METHODS Alexandra N. Lenz 1
CONTENT AND GOAL OF THE PAPER
The following contribution is above all a paper on methodology. Using data from the research project ‘Syntax of Hessian Dialects (SyHD)’ as a basis, it focuses on the challenges of data elicitation for the analysis of syntactic variation or, to be more precise, dialect-syntactic variation. The emphasis of the discussion is on the comparison of several ‘direct’ (face-to-face) and ‘indirect’ (via written questionnaire) elicitation methods. The specific syntactic phenomenon used for the comparison of methods in this paper is the verbal-grammatical category of the genus verbi. The main focus is on quantitative and qualitative aspects of the dative passive (mainly frequency of use, selectional restriction and auxiliary choice). This particular phenomenon has been chosen for several reasons. Firstly, as can be seen in the SyHD data, the dative passive displays remarkable areal-horizontal variation, especially within the project’s research area of the German Federal State of Hesse. Secondly, because of this variation, the dative passive is among the dialect-syntactic phenomena that have been more extensively surveyed using various elicitation techniques in several elicitation rounds by the SyHD project. Thirdly, these methods include different types of ‘indirect’ as well as ‘direct’ (face-to-face) data collection, facilitating comprehensive and multidimensional analysis of the SyHD data. With regard to the Hessian dative passive, the researcher can draw valid conclusions about the possibilities and restrictions of the different survey methods. Lastly, the chosen phenomenon allows SyHD to draw on the comprehensive variationist-linguistic analyses of the dative passive that have recently been carried out in other studies. The results of these external studies can be used for the validation of the methods used and the results obtained in the SyHD project. The paper is structured as follows: After a short introduction to the SyHD project and its elicitation methods in general (section 2), section 3 will provide a comparison of the SyHD data with regard to the dative passive, taking the various methods of data collection into consideration. As it is necessary for the purpose of this comparison to provide a general overview of the phenomenon in question, a discussion of the current state of research, which has had a crucial impact on the concrete methods chosen for the investigation of the phenomenon in the SyHD project, will be included in section 3.1. Section 3.2 will then be dedicated to the elicitation methods that have been designed specifically for their application in
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Alexandra N. Lenz
SyHD in the analysis of the dative passive. The results are presented in section 3.3. A concluding synopsis will be given in section 4. 2
THE ‘SYHD’ PROJECT AND ITS EMPIRICAL DESIGN
The DFG1-funded project ‘Syntax of Hessian Dialects (SyHD)’2 aims to elicit, document and analyze the syntactic structures of local base dialects in the Federal State of Hesse, as well as in twelve comparative locations outside of Hesse. Due to the multidimensional research design, which includes the application of various data elicitation methods, the project has a strong empirical basis. The methods used in SyHD include ‘indirect’ and ‘direct’ procedures, which were conducted via written questionnaire on the one hand and by linguistic explorers on site on the other. By combining both approaches, SyHD follows in the footsteps of previous research projects on dialect syntax such as SADS (cf. GLASER 2000 and 2006) and SAND (cf. CORNIPS / JONGENBURGER 2001, Barbiers et al. 2005, Barbiers et al. 2008). However, it has to be emphasized that SyHD has also created new and innovative elicitation techniques that have not yet been used in previous projects (see section 3.2 below). The project is currently in its second funding period (2013–2016). The data, which also provides the basis for this paper, was collected almost exclusively in the first funding period (2010–2013). The borders of the area covered by the SyHD project are those of the Federal State of Hesse. The reasons for choosing this area have been explained extensively in FLEISCHER / LENZ / WEISS (2015) as well as in FLEISCHER / KASPER / LENZ (2012). One reason, however, should be mentioned here, as it is also particularly relevant for the paper at hand: Hesse can be described as having an extremely heterogeneous dialect geography, which is apparent in the diversity of the dialect areas that have been documented in the federal state. According to the classification of WIESINGER (1983), these dialect areas include Central Hessian, East Hessian, and North Hessian, parts of Rhine Franconian and Low German (Westphalian and Eastphalian), different transitional zones to other dialect areas of Central German (Central Franconian, Thuringian) and, at Hesse’s southern borders, East Franconian (cf. FLEISCHER / KASPER / LENZ 2012, 4). At the outset of the SyHD project, a network of 160 evenly distributed locations in rural areas was established within Hesse. To relate the results from Hesse to the wider dialect geographical context, twelve additional locations outside of Hesse were surveyed and analyzed. These locations lie on an ellipsis of 50–60 km around the Federal State of Hesse; within the SyHD project, this is known as the ‘Hessian Belt’. The choice of informants was motivated by the project’s focus on the syntactic variation of Hessian base dialects; it was also aligned with several European 1 2
DFG funds FL 702/2-1 (1st of June 2010 – 31st of May 2013) and FL 702/2-2 (1st of June 2013 – 31st of May 2016). The project’s homepage is http://www.syhd.info. Cf. FLEISCHER / LENZ / WEISS (2015) and FLEISCHER / KASPER / LENZ (2012) for a more detailed description of the project.
On eliciting dialect-syntactic data
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syntax projects (see, for example, the network ‘EdiSyn’)3. SyHD’s sample of informants comprises ‘autochthonous’ dialect speakers: older (over 65 years old) speakers who not only live but were also born at the surveyed location, have a (relatively) low level of education, and restricted regional mobility. Between 1 and 10 (on average: 4,4) informants took part in the ‘indirect’ survey (conducted by means of written questionnaires) at each SyHD location. Additionally, one particularly suitable dialect speaker was interviewed using the ‘direct’ method (face-to-face) at each location. The average age of the SyHD informants is 74 years for the indirect and 73 years for the direct survey, respectively. The percentage of female informants is 44 % for the indirect and 43 % for the direct survey. The data elicited and analyzed in the SyHD project represent diverse phenomena, including verbal, nominal and pronominal syntax as well as sentence connectors. To investigate the syntactic-semantic control factors of individual phenomena as well as the influence of concrete survey methods, numerous phenomena were surveyed multiple times using various elicitation methods. In the framework of the ‘indirect’ survey, questionnaires were sent to the informants by mail. The indirect survey was comprised of four rounds. In total, 111 tasks of different types were used, including assessment questions, translation tasks, fill-inthe-blanks tasks, single picture descriptions, picture sequence descriptions and ‘puzzle tasks’ (cf. in detail FLEISCHER / KASPER / LENZ 2012). The ‘direct’ survey was conducted in person by linguistically educated field workers. Each direct elicitation began with a short interview, in which biographical, language biographical and language attitudinal data were collected. In two of the subsequent (shorter) parts of the direct elicitation, additional salience tests on the perception of syntactic phenomena were conducted. These were followed by an interview based on a questionnaire, which was methodically related to the indirect elicitation and focused on single phenomena. The last group of tasks in the direct elicitation formed the central and most time-consuming part: During a presentation on a laptop that had been brought along by the field workers, the informants were shown several pictures and video-clips connected to specific tasks. These tasks had to be completed orally, and the informants’ spoken ‘solutions’ were recorded. The SyHD data originating from this last part of the elicitation and the relevant concrete elicitation methods will be described and evaluated in the following section (section 3). 3
THE DATIVE PASSIVE – A COMPARISON OF METHODS 3.1
General remarks on the German dative passive
This paper focuses primarily on questions of methodology. In order to carry out the intended comparison of methods in a scientifically sound manner, however, a tertium comparationis relevant to the phenomenon is needed. Fortunately for re3
See http://www.dialectsyntax.org/wiki/About_Edisyn.
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search into the dialects in Hesse, there are a number of relevant studies that can serve as a reference point for the comparison of methods. The specific phenomenon chosen for the comparison of methods in this paper is a passive construction of German whose subject referent is the same as the dative referent of the corresponding active sentence (see [1a] and [1c]). Because of the prototypical role of this dative referent, the dative passive is also called recipient passive or beneficiary passive in the research literature.4 Alternative terms, e. g. bekommen (‘get/receive’), kriegen (‘get/receive’), or erhalten (‘receive’) passive, however, refer to the auxiliaries used in this passive construction. In German, the occurrence of these auxiliaries depends on the interaction of complex syntacticsemantic and variationist-linguistic parameters (cf. LENZ 2013). An example of a dative passive and its corresponding active and ‘event passive’ constructions can be seen in (1). (1)
Example of a dative passive (in comparison to the corresponding active and event passive constructions)
a.
Dative passive (with kriegen/bekommen ‘get/receive’ auxiliaries) [Er]NOM kriegt/bekommt [seine Haare]ACC von seiner Frau geschnitten. ‘He gets his hair cut by his wife.’
b.
Event passive (with werden ‘become’ auxiliary) [Ihm]DAT werden [seine Haare]ACC von seiner Frau geschnitten. ‘His hair is cut by his wife.’
c.
Active [Seine Frau]NOM schneidet [ihm]DAT [seine Haare]ACC. ‘His wife cuts his hair (for him).’
The dative passive is particularly suitable for a comparative methodology paper, as empirical and – most importantly – variationist-linguistics studies concerning this phenomenon in the German speaking area have already been developed outside of the SyHD project. The results of these studies can therefore be used to validate the methods applied in the SyHD project.5 Of the multitude of detailed observations that these studies have made, those most relevant for this paper are listed below.
4
5
Cf. e.g. CRITCHLEY (1983), EROMS (1978) and (2000), LEIRBUKT (1997), ASKEDAL (1984) and (2005), ABRAHAM (1985 and (1991), MOLNÁRFI (1998), COOK (2006), GLASER (2005), ZIFONUN [a. o.] (1997, 1824 ff.), DIEDRICHSEN (2008) and (2012), LENZ (2007; 2008; 2009; 2011; 2012) and (2013), KALLENBORN (2016). Cf. in particular LENZ (2007; 2008; 2009; 2013), KALLENBORN (2016).
On eliciting dialect-syntactic data
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1. Geographical distribution of the construction (cf. LENZ 2007; 2008; 2009) The dative passive is a relatively young construction in the German language and has developed differently in different dialect areas of the German-speaking world (vgl. EROMS 1978, GLASER 2005, LENZ 2012). It has been postulated that the West Central German area – which also happens to encompass a large part of the geographical region being studied in the SyHD project – and the adjacent Low Franconian area function as the core region of the dative passive. This thesis is supported by the analysis of the ‘Zwirner Korpus’6 in LENZ (2007), which shows that the dialect groups (Mundartgruppen) of the West Central German and the Low Franconian areas display the highest frequencies of use of dialectal dative passives. From there, the phenomenon spreads to the neighboring East Central German, Low German and (with a delay) Upper German areas. In addition, the SyHD project also includes regions that have less affinity for the dative passive, in particular the areas in Hesse, where Low German is spoken. For these areas, lower frequencies and acceptability judgments are to be expected. 2. Auxiliaries of the dative passive (cf. LENZ 2013) The competition between the three passive auxiliaries kriegen (‘to get’), bekommen (‘to receive’) and the considerably less frequent erhalten (‘to receive’) is subject to complex variationist-linguistic as well as syntactic-semantic restriction factors: kriegen occurs almost exclusively as the auxiliary of the dative passive within the dialectal varieties, while bekommen can only be found in a small number of cases in some dialects (mainly in Upper German). On the other end of the ‘vertical’ dialect-standard-axis, the picture is reversed: in written contexts of standard language, bekommen functions as the passive auxiliary. In standard language erhalten can sometimes also be found functioning as an auxiliary, but it is on the whole considerably less common. In the ‘intermediate varieties’ of the dialect-standard-axis (regiolects), however, kriegen and bekommen co-exist as passive auxiliaries. 3. Syntactic-semantic selectional restrictions (cf. LENZ [submitted]) In contrast to the dialectally much less distributed bekommen passive and the solely standard language erhalten passive, the kriegen passive, which is relevant for the dialect survey at hand, displays the largest range of possible dative passive constructions in the German dialects, hinting at a more advanced stage of grammaticalization. The kriegen passives which are the most widely distributed in the German-speaking world occur with ditransitive verbs and a subject referent in the semantic role of a prototypical recipient (e. g. sie kriegt das Buch geliehen ‘she 6
The ‘Zwirner corpus’, which is available online in the ‘Datenbank Gesprochenes Deutsch (DGD)’ (database of spoken German) of the Institute for German Language in Mannheim, consists of 5,857 dialect recordings from the 1950s. 2,032 of these recordings are also available in the form of transliterations, cf. LENZ (2007).
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gets lent the book’).7 In later stages of grammaticalization, all occurring in the West Central German core area, the subject referent also carries other semantic roles (beneficiary or maleficiary) and verbs are also integrated into the construction with a different semantic value ([+ transferential] > [– transferential]) and different valence (e. g. dative verbs like helfen ‘to help’ or mono-transitives like schimpfen ‘to scold’). The fact that – as we will see – the dative passive occurs not only with prototypical recipients but also with other semantic roles in a large number of areas being investigated in the SyHD project motivates to speak of a ‘dative passive’ instead of a ‘recipient passive’ with regard to the SyHD data. 3.2
On the survey of the dative passive in SyHD
The SyHD project uses both indirect (via written questionnaires) and direct (faceto-face) elicitation in its comprehensive approach to the investigation of the dative passive. By including direct elicitation in its multidimensional research design, the SyHD project takes into consideration long-held criticism within the scientific community of the applicability of indirect elicitation via questionnaires for syntactic data. Although scepticism of the indirect method for the study of syntactic dialect data predominated in the past and still exists in some circles today, the indirect method in general has a long tradition in studies on phonetic and lexical phenomena in many languages, especially German.8 That said, projects such as the Syntactic Atlas of German speaking Switzerland (SADS) (cf. GLASER 2000) have already demonstrated the utility and validity of the indirect method with regard to the elicitation of German language dialect syntax. Further evidence of the method’s usefulness has also already been provided on the basis of the SyHD data (cf. FLEISCHER / KASPER / LENZ 2012 and FLEISCHER / LENZ / WEISS 2015). The SyHD project carefully prepared both the methods of indirect and direct elicitation. The approximation of dialectal pronunciation is one crucial aspect that was systematically included in the SyHD questionnaires. It was used for the stimuli that had to be assessed by the informants as well as for the other tasks. Such ‘dialectalization’ of questionnaires is usually not practical for each location in large-scale projects. The SyHD project, however, prepared 29 distinct ‘dialectalized’ questionnaires, which differed only in terms of certain phenomena; these 7
8
The semantics of these verbs contain “a finite number of meaning complexes that exhibit a HAVE-relation […]: we are dealing with a change in this relation (in the direction of GIVE/TAKE) or, on the other hand, with an explicit non-change (in intransformatives: verbs of leaving sth., refusing or concealment).” (LEIRBUKT 1997, 229 [translation: ANL]). Instead of an extensive discussion, I would like to refer to further literature on the topic, especially with regard to the indirectly elicited data of the ‘Sprachatlas des deutschen Reichs’ (‘Linguistic Atlas of the German Empire’) by GEORG WENKER. A first distinctly critical review of Wenker’s atlas can be found in BREMER (1895). WENKER (1895) can be understood as a direct answer to BREMER’s critique. For assessments from later years, cf. for example GOOSSENS (1977, 115), NIEBAUM (1983, 35 f.), MACHA (1991, 85 f.), BELLMANN (1986, 25– 31), DINGELDEIN (1994, 399), HERRGEN (2001), HERRGEN / LENZ / PENNAY (2003).
On eliciting dialect-syntactic data
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included mainly phonetic phenomena, but sometimes also lexical or other phenomena as well. In total, 17 versions were made for the Federal State of Hesse and 12 versions for locations on the ‘Hessian Belt’ (cf. FLEISCHER / KASPER / LENZ 2012, 10–12). To elicit valid statements on the dative passive and its competing variants, informants had to assess given stimuli or were asked to give ‘descriptions of picture stories’, respectively. In the direct elicitation, the descriptions of picture stories were complemented with ‘descriptions of video clips’. Descriptions of picture stories In this task type, each informant is shown a sequence of six related photographs9 illustrating a short story or a simple plot. A brief description of the context precedes this picture story, introducing the protagonist of the storyline and other crucial ‘frame’-elements (s. FILLMORE 1982). In addition, this description directs the informant’s focus towards a certain frame entity of the sequence. In this specific case, a (male)10 protagonist is on the ‘receiving’ end of an action and, depending on the particular story, takes on the semantic role of either beneficiary or maleficiary. A second person (in the function of an agent) is only partially or peripherally visible. The specific task being asked of the informants is indicated by the following directions: „Beantworten Sie bitte in einem Satz (auf Platt/Dialekt) die Frage: Was passiert mit dem Mann?“ (‘Please answer the following question by using one complete sentence (in dialect): What‘s happening to the man?’). The question is formulated in a way that approximates dialectal articulation. In combination with the context provided in the introduction, this question serves to direct the informant’s focus towards the protagonist of the story and to suggest that the protagonist be used as the topic of the informant’s answer.11
9 10
11
These pictures are based on video segments, cf. the ‘language production experiment’ in LENZ (2008) and LENZ (2009). See also KALLENBORN (2016). The use of a male protagonist was a deliberate choice. In Hessian dialects, the morphosyntactic distinction between certain article and pronoun forms only occurs in the male declination paradigm (ideally when no case syncretism is available in the dialect, e. g. [der Mann]NOM versus [dem Mann]DAT versus [den Mann]ACC and erNOM versus ihmDAT versus ihnACC). A counter-test, in which the question ‘What is happening in the picture story?’ was asked, has – as expected – predominately evoked active constructions.
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Fig. 1: Exercise 17 from the second questionnaire survey of the SyHD project12
A particular challenge for the application of this method lay in choosing fitting pictures to be included in the sequence. For one, the number of images in the sequence was limited, as it needed to be consistent for each storyline depiction. In addition, the research group had to determine which stills from the video were ideal for depicting the characteristic stages of the action. This was made even more challenging by the fact that, even though the protagonist was supposed to be the focus of the plot, a second person had to be somehow implied in the action. Most importantly, this second person had to be given the role of the agent to achieve the crucial feature of not having the protagonist seem agentive. This was to ensure that the informants do not provide an agent-focused construction in their scene description.
12
Translation of the task: ‘The man in the following picture story has a toothache. Please answer the following question by using one complete sentence (in dialect): What‘s happening to the man?’
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Evaluation tasks (‘multiple choice tasks’) Not all plots could be illustrated in the form of short picture stories consisting of only six photos. In particular, the illustration of a HELP action (e. g. the man is helped up [from a chair]) was difficult to reproduce as a sequence of pictures. However, the question as to which extent dative verbs like helfen (‘to help’) also occur in the dative passive of the Hessian dialects was of particular interest to the researchers. Therefore, the questionnaire data regarding this question was elicited in a so-called ‘assessment/evaluation task’ (see also Glaser 2000). In this type of task, which is by far the most common in the entire SyHD survey, the informants are shown stimuli of potentially competing dialect constructions (using an articulatory and lexically consistent transliteration). The informants’ task is then to assess which of the given sentences they ‘are able to say’ in their dialect. This judgment is made by choosing any or all of the given variants, while also being the option to write down ‘other’ (not given) variants. In addition to investigating the possibilities and preferences of a dative passive with the verb helfen (‘to help’) (Hast du geholfen gekriegt? ‘Have you gotten helped?’), the questionnaire task (see fig. 2) also provided information on the morphosyntax of the perfect form geholfen kriegen (‘to have gotten helped’) and the variants of the past participles (ge)holfen (‘helped’) and (ge)kriegt/kriegen (‘got[ten]’). While the three stimuli a), c), and d) in fig. 2 illustrate kriegen passives, variant b) represents the corresponding and canonical event passive with the auxiliary verb werden (‘become’) (Ist dir geholfen worden? ‘Have you been helped?’).
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12. Peter hat ein Problem mit seinem Auto und fährt damit in die Werkstatt. Am Abend fragt ihn seine Frau: → Bitte kreuzen Sie die Sätze an, die Sie in Ihrem Platt/Dialekt sagen können (auch Mehrfachnennungen sind möglich). a)
Un, hosst de geholfe kricht?
b)
Un, is dir geholfe woun?
c)
Un, hosst de geholfe kriechen?
d)
Un, hosst de geholfe gekricht?
→ Würden Sie den Satz normalerweise in einer Form sagen, die gar nicht aufgeführt ist? Wenn „ja“: Bitte notieren Sie hier den Satz so, wie Sie ihn normalerweise sagen würden: e) ……………………………………………………………………………………………….. → Welcher Satz ist für Sie der natürlichste? a)
, b)
, c)
, d)
oder e)
Fig. 2: Exercise 12 from the second questionnaire survey of the SyHD project13
Descriptions of video clips In addition to the tasks implemented in the indirectly used SyHD questionnaires, ‘video clip descriptions’ were used in the direct, face-to-face-elicitation, whereby the contents were closely related to those of the picture stories from the picturesequence description task. The use of video clips was based on the hypothesis that they can compensate for the potential disadvantages of a more static picturesequence analysis. In the video clips, the protagonist’s facial expressions, gestures, emotions and reactions can be shown more accurately and therefore also perceived more distinctly. Furthermore, the actions taking place in the storylines can be depicted more accurately in the video clips, since motion sequences can be perceived in real-time. Finally, using video clips eliminates the problem of picture selection: When stills are taken from a short film, the selection of one aspect of an action that in reality lasts several seconds can seem arbitrary. As in the picturesequence description task, the informants are asked to answer the following question spontaneously and in a complete sentence in dialect, this time in spoken form: 13
Translation of exercise 12: ‘Peter has a problem with his car and drives it to the garage. In the evening, his wife asks him: […] Please mark the sentences that you can say in your dialect (it is also possible to mark several sentences). […] Would you normally say the sentence in a way that has not been provided? If ‘yes’: Please write down the sentence below as you would say it normally.’
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“Was passiert mit dem Mann in dem Video?” (‘What is happening to the man in the video?’). The questions are asked in spoken standard language for several reasons: The researchers on site had dialect competence in at most one sub-area of the area under investigation. Using standard language for the question therefore enabled the comparison of all data. Furthermore, the data was collected by several different researchers, providing an additional reason to use standard language for its comparability. Both methods – picture-sequence descriptions and video clip descriptions – are so-called ‘production tasks’, which differ considerably from ‘assessment tasks’. In both types of the production tasks used, the informants are (more or less) left in the dark about which utterance they are ‘supposed’ to produce. This has the purpose of ensuring that the utterance produced by the informants is usable for the intended linguistic analysis. To put it positively, production tasks leave the informant a relatively large amount of linguistic freedom. This (seemingly) free choice, however, was restricted by the researchers’ deliberate conception of the production task, which is constructed to elicit ‘relevant’ linguistic utterances from the informants. In our specific case, the aim is to elicit the different possibilities available to Hessian dialect speakers for the ‘perspectivization’14 of the recipient, the beneficiary, or the maleficiary of the storylines depicted. The methodological consideration behind the design of the production task was based on the assumption that the ‘ideal’ answer to each question of ‘What is happening to the man’ in the picture story/video clip is a dative passive construction. This was accomplished by using specific wording to explicitly direct the informant’s cognitive accentuation towards the protagonist (as a ‘figure’)15 and by suggesting a specific comment/topic structure. In the depicted storylines, the dative passive is occasionally the only construction variant that makes it possible for ‘the man’ (in the picture sequence/video clip) to simultaneously take on the subject role, the topic position and the role of thematic purpose (cf. ZIFONUN 1997, 1849 f.) Production tasks like the ones used in SyHD for the elicitation of dative passives pose a challenge for the informants, as they are required to perform cognitive multitasking. Firstly, the informants have to ‘understand’, i. e. perceive and recognize, the depicted storyline. Additionally, a short contextual story or at least a short contextual embedding (e. g. ‘The man in the following picture is holding a 14
15
LENZ (2009: 205): “Whereas perspective is defined here as the representation of something for someone from a given position (SANDIG 1996, 37), perspectivization refers to the verbalization of a situation in the speech generation process (STORRER 1996, 233). In a prototypical act of giving, for example, the focus of perception (the attention of the external observer) may be on the person who gives (agent), the transferred object (patient) or the person who receives the transferred object (recipient). The languages of the world provide differing linguistic means to perspectivize such an act of giving, or better: to perspectivize the participants of such an action.” Figure is used here in the sense of LANGACKER (1987, 120) as “a substructure perceived as ‘standing out’ from the remainder (the ground) and accorded special prominence as the pivotal entity around which the scene is organized and for which it provides a setting”.
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banana.’) serves as a support for the understanding of the story and introduces the central frame elements (in this example, man and banana). This context, however, has to be optimally conceptualized in terms of quantity (not too long, not too short) and quality (not too much detail). In both types of production tasks, the context is presented to the informants in standard language, although the informants are, in a next step, requested to answer in their dialect. In the picture story task used for indirect elicitation, the question to be answered (‘What is happening to the man?’) is presented in a written form that approximates dialect. In the direct survey via video clip, however, it is formulated in standard language. Considering all these factors, the question arises as to how well the informants are able to formulate their answers in dialect and to put their answers in writing where necessary. In general, if a certain phenomenon is not realized during production tasks, this does not necessarily imply that this phenomenon does not exist in the competence or performance of the informant. Production tasks provide evidence for the possibility of existence and preference of variants in the linguistic repertoire, but they cannot provide negative evidence! Only a large number of inter- and intraspeaker data of one and the same phenomenon can create the necessary conditions for making further conclusions with regard to this phenomenon. Taken as a whole, the data analysis in section 3.3 is based on eleven tasks. Their distribution over eight different storylines and the three types of methods discussed above are summarized in tab. 1.
Storylines stealing banana pouring drink pulling tooth helping (up) handing over flowerpot putting on glasses cutting hair pulling by ear
Indirect methods: written questionnaire picturesequence assessment description task X X X X
Tab. 1: SYHD methods with regard to dative passive
Direct methods: oral video clip description X X X X X X X
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With regard to the intended method evaluation, the following comparisons are possible: I.
Identical methods for different storylines: a) Comparison of picture-sequence descriptions: for this comparison, three picture-sequence descriptions from the indirectly elicited questionnaire data are used. b) Comparison of video clip descriptions: descriptions of seven identically structured video clips collected in the direct face-to-face-elicitations are compared. II. Identical storyline and different methods: a) ‘Direct’ versus ‘indirect’ scene descriptions: this comparison is carried out by comparing direct and indirect storyline descriptions on the basis of the storylines ‘stealing bananaʼ and ‘pouring drink’. b) ‘Assessment tasks’ versus ‘video clip descriptions’: a comparison between indirectly obtained assessment data from the written survey and spoken production data from the directly elicited ‘video clip descriptions’ can be made. 3.3
SyHD results on the dative passive
The methods of comparison outlined above will be analyzed below on the basis of SyHD data and their cartographic depiction in the form of linguistic maps. With regard to the dative passives focused on in this study, the SyHD data show them to be almost exclusively realized with the auxiliary kriegen, while bekommen only occurs very rarely. I.
Identical methods for different storylines
a) Comparison of picture-sequence descriptions (cf. also FLEISCHER / LENZ / WEISS 2015): For the elicitation of the dative passive and potential alternative constructions, three picture-sequence descriptions were included in the questionnaire. These differed in terms of the storylines, depicting ‘pouring water’, ‘stealing banana’ and ‘pulling tooth’ respectively (see fig. 3, 4 and 5). Linguistic data was considered relevant for the analysis if the informants’ scene descriptions included verbs and/or lexemes from the semantic networks of pouring, taking (away) and pulling. While the transferred object (water) in the first picture story (‘pouring water’) is moved towards the recipient, who is also the (potential) beneficiary of the storyline, the transferred object (banana) in a second picture sequence (‘stealing banana’) is ‘stolen’ from the protagonist. Again, the agent of the plot is only partly visible. His hand (and lower arm) appears ‘suddenly’ and rips the banana away from the protagonist, who remains in the scene, looking grumpy. The direction of the transferred patient is, therefore, ‘away’ from the protagonist, who not only
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functions as the source (instead of the goal) of the object movement, but who is also the maleficiary of the action. The semantic roles in the sequence ‘pulling tooth’ (see above [2]) are less clear: in particular, the juxtaposition of the first and the last photo aims at depicting the protagonist as the beneficiary of the action, even though the transfer direction of the moving patient (his tooth) is away from the protagonist (the source) and he has to suffer pain and unpleasantness before the beneficial aspect of the action is actually palpable. The relatively large frequencies of dative passives elicited by these tasks and depicted in (5), (6) and (7) show that the evocation of dative passives using the method of picture-sequence descriptions in the SyHD project was successful. Furthermore, the descriptions of scenes in which no dative passive was realized show that the majority of the informants was influenced by the particular wording of the question ‘What is happening to the man?’. This is supported by the fact that the scene descriptions predominantly start with a constituent that refers to the protagonist (e. g. dative passive er kriegt Wasser eingeschenkt ‘he gets water poured’; event passive: ihm wird Wasser eingeschenkt ‘water is poured for him’; active: er kriegt Wasser in sein Glas ‘he gets water in his glass’). Additionally, the protagonist is predominantly perspectivized by the use of a construction in which he is the subject referent; this is especially the case within a dative passive (e.g. er kriegt Wasser eingeschenkt ‘he gets water poured’ or – even without an explicit direct object – er kriegt eingeschenkt ‘he gets poured [for him]’), but also within some active constructions (e.g. er kriegt Wasser in sein Glas ‘he gets water in his glass’). In the case of the story ‘stealing banana’, mainly active constructions in which the agent is the subject referent (e. g. jemand nimmt ihm die Banane weg ‘someone steals the banana from him’) and less frequently event passive constructions compete with the dative passive. In all three scene descriptions, a small number of let-constructions occurs, in which the protagonist is verbalized in the subject position (z. B. er lässt sich ein Glas Wasser einschütten ‘he (lets) allows to have a glass of water be poured [for him]’). These let-constructions, which amount to between 1 % and 4 % of the constructions elicited in each picture sequence description, were mapped as part of the active constructions.
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Fig. 3: Frequencies (%) of dative passives in the picture-sequence description ‘pouring water’ (E1_05) (questionnaires) (cf. FLEISCHER / LENZ / WEISS 2015)
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Fig. 4: Frequencies (%) of dative passives in the picture-sequence description ‘pulling tooth’ (E2_17) (questionnaires) (cf. FLEISCHER / LENZ / WEISS 2015)
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Fig. 5: Frequencies (%) of dative passives in the picture-sequence description ‘stealing banana’ (E1_20) (questionnaires) (cf. FLEISCHER / LENZ / WEISS 2015)
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The picture story ‘stealing banana’ in particular evoked 20–25 % fewer occurrences of the dative passive than the other two sequences. This result supports the thesis that deprivative verbs of ‘taking away’ are less frequently embedded in kriegen passives than verbs with a transferential reading such as the POUR verbs (ein)schenken and (ein)schütten, which were the most frequently evoked lexical verbs by the informants in the scene description ‘pouring water (into the man’s glass)’. With regard to the semantic roles of the subject referent, it is possible to say that prototypical recipients affected positively by a transfer action, i. e. acting as beneficiary, occur more frequently as subjects in kriegen passives than ‘losers’ of a deprivative transaction.16 Furthermore, this thesis is not only supported by the frequency of occurrences, but also by the areal distribution of the kriegen passives, as is shown in the comparison of the three linguistic maps in fig. 3, 4 and 5 above (cf. also FLEISCHER / LENZ / WEISS 2015): The comparison of the three maps shows a decline of kriegen passives and a corresponding increase of alternative constructions (more frequently active constructions, less frequently event passive constructions with the auxiliary werden) mainly in the northern SyHD areas. To be more precise, the most obvious differences between the three maps occur in the SyHD locations where Low German is spoken, in the transition zones surrounding North Hessian (including the Low German SyHD locations on the ‘Hessian Belt’) and in East Hessian, including the East Central German and Upper German SyHD locations on the ‘Hessian Belt’. These SyHD results correspond with expectations derived from previous studies: The western Central German sub-areas as well as Low Franconian, which borders on Central Franconian in the north, are the dialectal core regions of the kriegen passive. In contrast, the neighboring areas in Low and eastern Central German, as well as Upper German areas, in particular, show a lower distribution and a lesser degree of grammaticalization.
16
A recent survey on dialects in Lower Austria and Vienna shows that dative passives with deprivative verbs are strictly rejected by the informants in these areas.
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Fig. 6: Frequencies (%) of dative passives in the picture-sequence descriptions (in comparison to active constructions and event passives)
The SyHD data provide evidence for the effectiveness of the data collection method using ‘picture story descriptions’ in the ‘indirect’ questionnaire elicitation: the various sequences evoked passive and active constructions in the expected frequency. The ‘pouring water’ sequence evoked the largest number of dative passives, while the sequence ‘stealing banana’ elicited formulations using the dative passive to a much lesser extent. These results from the SyHD study are validated by results from several other studies that correlate quantitatively and qualitatively.17 b) Comparison of video clip descriptions: A total of seven video clips form the basis for the comparison of the directly elicited storylines. With regard to the interpretation of the resulting data, it has to be considered that the direct elicitation was only conducted with one informant per SyHD location. For the content and the distinction of the clips, see tab. 2. As can be seen from the table, storylines featuring descriptions of prototypically ditransitive verbs of giving or taking (away) are dominant. While the protagonist in the clip ‘handing over flowerpot’ receives the transferred object with his hands, the protagonist in the clip ‘stealing banana’ has the transferred object (a banana) ripped from his hands. Other body parts and other elements in the direct 17
See, for example, analyses of spoken dialect (from the dialect dialogues in the Zwirner Corpus) in LENZ (2007) (cf. fn. 6) or analyses pertaining to the standard written language data of West Central German in LENZ (2009). Independent of the proximity of the data to either dialect or standard language and independent of its textuality or orality, the descriptions of GIVE actions (in the broadest sense) use the dative passive much more often than TAKE (away) actions.
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control domain of the man are, however, involved in the transfer action of the clips ‘pouring coffee’ and ‘putting on glasses’. In ‘pouring coffee’, the beverage is poured into a cup in front of him; in ‘putting on glasses’, the object is put on his nose. In contrast, the clips ‘cutting hair‘, ‘helping (up)’ und ‘pulling by ear‘, in which the man is the beneficiary twice and the maleficiary once, do not involve any (real) transfer actions. Semantic role (subject)
Frame
(intended) full verbs
‘handing over flowerpot’
recipient + beneficiary
GIVE
ditransitive
‘pouring coffee’
recipient + beneficiary
(GIVE)
ditransitive
‘putting on glasses’
recipient + beneficiary
(GIVE)
ditransitive
‘stealing banana’
‘loser’ + maleficiary
TAKE AWAY
ditransitive
‘cutting hair’
beneficiary
CUT HAIR
ditransitive
‘helping (up)ʼ
beneficiary
HELP UP
intransitive (dative verb)
‘pulling by ear’
maleficiary
(HURT)
intransitive (+PP)/ transitive (+ PP)
Storylines
target construction (example) Er kriegt einen Blumenstock gegeben/gereicht. he gets a flowerpot given ‘he is given a flowerpot‘ Er kriegt Kaffee eingeschenkt. he gets coffee poured ‘a coffee is poured for/to him’ Er kriegt eine Brille aufgesetzt. he gets glasses put on ‘his glasses are put on his nose‘ Er kriegt seine Banane weggenommen. he gets his banana taken away ‘his banana is taken away from him’ Er kriegt die Haare geschnitten. ‘he gets his hair cut’ Er kriegt (beim Aufstehen) geholfen. he gets helped (with getting up) ‘he is helped (with getting up)’ Er kriegt am Ohr gezogen. he gets pulled by the ear ‘he is pulled by his ear’ Er kriegt das Ohr gezogen. he gets the ear pulled ‘his ear is pulled’
Tab. 2: Characteristics of the video clips (‘direct’ face-to-face elicitation)
The frequencies of dative passives, event passives (with the auxiliary werden ‘become’) and active constructions evoked by each video clip are illustrated in tab. 3 in the form of a stacked bar chart. While the dative passives in the video clip ‘helping up’ were exclusively constructed with the participle of the intransitive full verb (auf)helfen (‘to help up’), the construction pattern of the dative passive in the video ‘pulling by ear’ varies: 58 % of the dative passives that occurred in the descriptions of this video were realized by use of a pattern in which the pained ear
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is embedded in a PP, this is exemplified in (2a). In 42 % of the occurrences, however, ‘the ear’ is realized as a direct object (cf. [2b]). & #&
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Tab. 3: Frequencies (%) of dative passives in the directly elicited video clip descriptions (in comparison to active constructions and event passives)18
(2)
Examples for dative passives in the video clip ‘pulling by ear’: a. Der Mann kriggt am Ohr gezoge [the man]NOM is getting [by the ear]PP pulled ‘the man is getting pulled by the ear’ (RF_a_7-6_Reinheim_Georgenhausen_7) b. Der kreit des Uhr langgezooche [(t)he]NOM is getting [the ear]ACC longpulled ‘the man is getting his ear pulled long’ (ZHNH_8-14_Kirchhain-Anzefahr_2)
The areal distribution of dative passives from the two videos with the lowest frequencies of dative passives is illustrated in fig. 7 and 8. These maps also include the areal distribution of the competing passive and active constructions from the same videos. The linguistic map for the clip ‘cutting hair’, which ranks highest on the hierarchy of frequencies of dative passives, is shown alongside the descriptions of these two video clips in fig. 9. 18
The slightly diverging numbers in FLEISCHER / LENZ / WEISS (2015) regarding the videos ‘stealing banana’ and ‘pouring drink’ are due to the fact that the survey had not been completed by the publication date of this previous article.
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Fig. 7: Frequencies (%) of dative passives, event passives and active constructions in the video clip description ‘pulling by ear’ (DP_26) (black circles = non-influenced, spontaneous occurrences; striped circles = influenced occurrences)
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Fig. 8: Frequencies (%) of dative passives, event passives and active constructions in the video clip description ‘helping (up)’ (DP_22) (black circles = non-influenced, spontaneous occurrences; striped circles = influenced occurrences)
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Fig. 9: Frequencies ( %) of dative passives, event passives and active constructions in the video clip description ‘cutting hair’ (DP_17) (black circles = non-influenced, spontaneous occurrences; striped circles = influenced occurrences)
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In cases in which an informant did not use a dative passive in his/her first and spontaneous scene description, the interviewer repeated the task (“Could you answer the question ‘What’s happening to the man?’ in another way?”). In order to distinguish the spontaneously realized dative passives from the more influenced ones, the non-influenced occurrences are depicted as black circles on the map, while the influenced dative passives are visualized in striped circles. The relatively rarely realized dative passives in the scene descriptions of ‘pulling by ear’ and ‘helping (up)’ are mainly distributed in the middle and in the south of the Federal State of Hesse. In contrast, dative passives are lacking in the north. An areal distribution of dative passives similar to the one in the video ‘helping (up)’ was found in the data for the ‘stealing banana’ storyline, which also only reached dative passive frequencies of 60 %. As a result, it can be concluded that, in the north of the SyHD area (in terms of dialect geography this encompasses the Low German language area and its transition zones), intransitives and – with regard to semantics – verbs of taking away or of ‘treating badly’ are less suitable candidates for the dative passive. The map of the data elicited in scene descriptions for the ‘cutting hair’ video, which evoked the highest frequencies of dative passives, shows an entirely different picture: the majority of the scene descriptions includes the full verb schneiden (‘to cut’). Verbs of shortening (kürzen/stutzen ‘to shorten’/‘to trim’) are also used, albeit rarely. The noun Haarschnitt (‘haircut’) is only realized once and in combination with a dative passive construction (der junge Mann kriegt einen Haarschnitt verpasst (the young man gets given a haircut ‘the young man gets his hair cut’). The collocation einen Haarschnitt kriegen (‘to get a haircut’), which would be the simplest scene description structurally (active construction with the beneficiary as subject: er kriegt einen Haarschnitt ‘he gets a haircut’), is not found in the SyHD data.19 Consequently, only dative passive constructions of the type der Mann kriegt die Haare geschnitten (‘the man gets his hair cut’) are used to perspectivize the protagonist in the subject position and as the topic of the scene description. The quantitative results regarding the video clip ‘cutting hair’ correlate with clear areal structures: As the map in fig. 9 shows, dative passives are almost exclusively in the middle and in the south of the SyHD area, whereas alternative constructions (event passivs, active constructions) occur almost exclusively in the north. Even though the video ‘handing over a flowerpot’ depicts a prototypical transfer action with the protagonist in the semantic role of recipient and beneficiary, the informants’ descriptions of this video clip contain relatively few dative passives. This comparatively low frequency of the dative passive results from the fairly high frequency of the competing active construction of the type er kriegt einen Blumentopf ‘he gets a flowerpot’. These constructions are, firstly, a struc19
For contrasting results, see the language production experiments conducted on students (!) from the West Central German language area, which were used for the elicitation of written standard (!) language data. In these experiments, the video ‘cutting hair’ evoked lower frequencies of dative passives than, for example, ‘putting on glasses’ (particularly because of the more frequently occurring active construction ‘he gets a haircut’) (cf. LENZ 2008 and 2009).
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turally simpler syntactic construction than the dative passive, and, secondly, like the dative passive enable an accordance of subject role, the topic position and the role of thematic purpose to our main actor. Active constructions of this type, in which the recipient occurs as the subject of a transfer action, represent the majority of the active constructions in the videos ‘putting on glasses’ and ‘pouring coffee’ (e. g. er kriegt eine Brille auf die Nase ‘he gets glasses on his nose’ or er kriegt Kaffee in seine Tasse ‘he gets coffee in his cup’). The areal structures created in the linguistic maps of the remaining video clip descriptions are not as clear as the ones illustrated in fig. 7, 8 and 9. The frequencies of dative passives of the videos ‘handing over a flowerpot’, ‘putting on glasses’, and ‘pouring coffee’ are fairly consistent across the whole SyHD area. This result was to be expected, since the depicted transfer action is directed towards the recipient by the ditransitives realized in the informants’ descriptions. The relatively even distribution of alternative constructions cannot be interpreted as evidence that the dative passive is not established in the competence of the informants. It is, however, explained by the fact that, especially in prototypical transfer actions, structurally simpler active constructions of the type (X kriegt Y ‘X receives/gets Y) are still more popular than the dative passive. In sum, the video clip descriptions elicited in face-to-face contact show results that quantitatively and qualitatively correlate with previous research on the dative passive (cf. LENZ 2007; 2008; 2009). These correlations are even more remarkable, as the direct survey in SyHD was only conducted with one informant per SyHD location. The mapped data in particular indicates that there is inter-speaker variation depending on location. A comparison with scene descriptions in written standard (!) language of younger inhabitants from the region (who were, moreover, students), however, shows that, while the hierarchies of frequency are parallel for dialect and standard, the amount of dative passives in the dialectal data (almost exclusively realized with the auxiliary kriegen) is on average three times greater than in the standard language data. In the standard language data, dative passives are almost exclusively realized with the auxiliary bekommen (cf. LENZ 2013). Despite the challenges such production tasks entail and the disadvantage of being conducted with only one person per location, the SyHD data on the dative passive provides evidence for the utility and validity of the methods applied. Firstly, the specific results regarding the dative passives illustrate that an interpretation of the data requires one to not only regard the simple frequencies of the investigated phenomenon, but to also consider the exact quality of the competing construction. In particular, a production task in which the informant is not given potential construction variants ensures that other construction variants ‘are not lost’ in the conception of the task, as this is occasionally a problem in assessment tasks. Secondly, the example analysis of the dative passive also shows that the lack of a realization of a certain phenomenon does not provide evidence per se that this phenomenon is non-existent in a location or in the repertoire of variants of an individual. The individual description of storylines simply shows the possible and perhaps preferred variants in the linguistic repertoire of a dialect speaker, but it does not provide negative evidence! It is only possible to deduce that a phenome-
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non is not allocable in principle if it is consistently absent from the data of a study like SyHD involving a high number of dialect speakers taking part in several, repeated tasks using the same type of method. II. Identical storyline and different methods a) ‘Direct’ versus ‘indirect’ The storylines ‘stealing banana’ and ‘pouring drink’ are suitable for the comparison of the ‘direct’ and ‘indirect’ methods, as these two storylines were both used in the indirect questionnaire (using picture stories) and in the face-to-face elicitation (using video clips). A comparison of the direct and indirect data on the basis of the two storylines has already been conducted in detail in FLEISCHER / LENZ / WEISS (2015). The paper at hand will, therefore, only present a summary of the results from the study. At first glance, the two types of methods differ considerably: during the direct elicitation, a linguistically educated interviewer is present and can help, if necessary. This interviewer can then ‘dig deeper’ if the informant is having trouble comprehending a task, produces an ‘irrelevant’20 answer or simply wants to skip a task. Such an influence on quality and completeness of the data is not possible in the indirect survey. Of course the presence of the interviewer not only has advantages, but also certain disadvantages (see oberserver’s paradox). In both methods, the informant is asked to answer a question (‘What is happening to the man?’). In the direct elicitation, this is done both orally and in standard language by a field worker; in the indirect elicitation, it is done in writing and in a ‘dialectalized’ form. In the direct elicitation, each informant is asked to answer the question only once verbally. In contrast, the questionnaire survey requires the informant to write down their answer in spoken dialect, which is generally a highly unusual task for informants. Lastly, in the direct elicitation, the storyline is depicted using dynamic video clips. In the indirect elicitation, the informant has to deduce the actual storyline including the ‘emotional worlds’ of the protagonist from only six selected and static pictures. These differences raise questions about the comparability of the material collected using these two methods. As was clearly shown in FLEISCHER / LENZ / WEISS (2015), the two types of methods provide very similar results in quantitative as well as in qualitative terms. Both method settings of the storyline ‘pouring a drink’, for example, evoke the highest frequencies of dative passives. In addition, both have the same geographical distribution of the dative passive construction as far as its ‘transition zones’ and the directly neighboring areas of the core region are concerned. The story ‘stealing banana’, in which the protagonist is a losing maleficiary, evokes distinctly fewer dative passives in both method settings; the areal distribution also corre-
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An answer is regarded as irrelevant if it ignores the frame entities depicted in the storyline and fails to answer the question (‘What is happening to the man?’). For example, the following scene descriptions realized in the context of the ‘pouring water’ picture story are considered irrelevant: ‘The man wants to drink a glass of water.’ ‘He is thirsty.’
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lates with the results of other studies that show the northern and eastern locations in Hesse are less likely to use dative passives. The obvious congruencies of the directly and the indirectly collected SyHD data on the dative passive, as well as their parallels to earlier research results, support the thesis of the validity of the data collected in SyHD and weakens the often cited critique of indirectly elicited data for the research on syntactic variation. Still, the following points speak for the added value of the direct elicitation: firstly, it is always the direct elicitation that evokes a slightly higher frequency of dative passives than the indirect elicitation (cf. FLEISCHER / LENZ / WEISS 2015). The results also show that the video clips depict the storyline and the (intended) semantic role of the protagonist better than it seems to be possible through the use of a static picture story. Secondly, in contrast to the questionnaire survey, the reduction of ‘irrelevant’ answers and unanswered tasks is only possible in the direct elicitation upon the often repeated requests of the field worker.21 There is, however, also an added value to the written questionnaire survey: the indirect elicitation method is by far more efficient in terms of time and costs than visiting the informants and conducting interviews at the locations in person. In this regard, the indirect questionnaire survey allows for the consideration of more informants per location, which can also lead to more differentiated areal distributions. As the maps for the indirect elicitation show (see fig. 3, 4 and 5), the inter-speaker variation in several SyHD locations (especially in the northern area) is relatively high. This means that those locations in which the dative passive dominates also have co-occurring alternative constructions. Since 4-5 informants on average participated in the written questionnaire survey in one SyHD location, analysis of the data using relative frequencies could be carried out. In the visualization of these relative frequencies on a linguistic map, areal emphases are visible. Less distinct areal distributions are shown in the maps in fig. 7, 8 and 9 however, which is the result of data collected in connection with the video clip descriptions; these were almost exclusively carried out on one informant per location. As the discussion above shows, the question of which method is ‘better’ for the collection of dialect-syntactic data cannot be answered in general terms. At least with regard to several SyHD phenomena including the dative passive, both types of method – ‘descriptions of picture stories’ and ‘descriptions of video clips’ – provide almost identical results. SyHD does show that there are other phenomena that can only be elicited reliably with one of the two types of methods (direct OR indirect) and, furthermore, often with only one certain method within the setting (cf. FLEISCHER / LENZ / WEISS 2015). b) ‘Assessment task’ versus ‘video clip description’: The next step is to ask to what extent a comparison of written assessment data from the questionnaire and oral production data from the directly elicited ‘video clip descriptions’ can be made, even if those two methods strongly differ. To an21
It is important to emphasize that both the SyHD database and SyHD maps, make a distinction between language data that has been potentially influenced by the researcher and language data that has definitely not been influenced (cf. FLEISCHER / LENZ / WEISS 2015).
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swer this question, the storyline ‘helping (up)’ is suitable, as it was used in the questionnaire in the context of an assessment task (see fig. 2 above) as well as in the video clip. The attempt to incorporate an action of helping in the form of picture stories into the questionnaire was not very successful. Too frequently, the informants interpreted the depicted storyline as something different and therefore chose full verbs other than helfen for the description of the storyline. In the beginning of the storyline, the protagonist is sitting on a chair from which he is not able to get up on his own despite his obvious efforts. A second person comes to help him and consequently pulls the protagonist up from the chair by his hand. In contrast to the production task in which the informants answered the question ‘What is happening to the man?’, concrete stimuli were provided for the assessment task (see fig. 2 above). These naturally had an enormous influence on the answers given. Influencing the informants, however, was the deliberate purpose of the stimuli. Consequently, the informants were ‘forced’ by the stimuli to closely examine and assess the construction variants provided. The comparison of the results in fig. 10 illustrates that informants frequently assumed that they could formulate a dative passive with the intransitive verb helfen ‘in their dialect’ (cf. fig. 10a). The black segments in the linguistic map (fig. 10a) regarding the written assessment data are clearly distributed in the middle and the south of the SyHD area. Other areas, marked with different colours indicating dominating variants that are not dative passives, can be seen in the northern part of the geographical area covered by SyHD, including the northern locations on the Hessian Belt. A distinctly less frequent and less structured areal distribution can be determined on the basis of the video clip descriptions (cf. fig. 10b). Despite repeated requests by the field workers, the informants sometimes did not describe a HELP action, but put the focus on the main actor being pulled up by the second person (e. g. er wird vom Stuhl hochgezogen ‘he is pulled up from the chair’ instead of ihm wird [beim Aufstehen] geholfen ‘he is helped [when getting up from the chair]’ or er kriegt [beim Aufstehen] geholfen ‘he gets helped [when getting up from the chair]’). Since only descriptions that included the lexeme helf- (‘help’) could be considered, there are several gaps in the map (‘empty locations’), which symbolize that the directly interviewed informant did not produce a relevant scene description. Even if the video clip descriptions provided valid data, they resulted in less distinct areal structures than those collected in the assessment task of the written questionnaire. This was the result of the very small number of informants surveyed at each location in the direct elicitation (in general, only one informant was surveyed).
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a. written description (‘indirect‘ questionnaire elicitation)
b. oral description (‘direct‘ face-to-face elicitation)
Fig. 10: Relative frequencies of dative passives, event passives and active in the written and oral descriptions of the storyline ‘helping (up)’
4
CONCLUSION
The focus of this paper was on the challenges of data elicitation for the analysis of dialect-syntactic variation. The discussion focused on a variety of different comparisons of the applied methods. The exemplified phenomenon that was used as the basis of comparison was the dative passive, which shows a highly interesting dialect-syntactic variation within the dialects of the Federal State of Hesse. In addition to the various detailed results that were presented in the sections above, the conclusion with regard to a discussion of methods for the elicitation of dialectsyntactic variation is the following: While the concentration on one specific elicitation method does not seem to be a particularly useful approach for the elicitation of dialect-syntactic data, a more successful approach is the multidimensional elicitation on the basis of different, interconnected and deliberately correlated methods. The variety of methods should not only include ‘one’ direct OR ‘one’ indirect method, but different types of methods within one and the same method setting, e. g. assessment and production tasks in direct and indirect form. With regard to the variety of methods, particularly in dialect-geographical analyses, the inter- and intra-speaker variation of
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the informants should also be taken into account by not only interviewing several informants at one and the same location, but also by interviewing the same individual using the same method for one phenomenon repeatedly. REFERENCES ABRAHAM, WERNER (1985): Grammatik von kriegen und bekommen. In: Osnabrücker Beiträge zur Sprachtheorie 30, 142–165. ABRAHAM, WERNER (1991): Aktionsartsemantik und Auxiliarisierung im Deutschen. In: FELDBUSCH, ELISABETH / REINER POGARELL / CORNELIA WEISS (Hg.): Neue Fragen der Linguistik. Akten des 25. Linguistischen Kolloquiums, Paderborn 1990. Band I: Bestand und Entwicklung. Tübingen: Niemeyer, 125–133. ASKEDAL, JOHN OLE (1984): Zum kontrastiven Vergleich des sogenannten „bekommen/erhalten/kriegen-Passivs“ im Deutschen und entsprechender norwegischer Fugungen aus få und dem Partizip Perfekt. In: Norsk Lingvistisk Tidsskrift 2, 133–166. ASKEDAL, JOHN OLE (2005): Grammatikalisierung und Persistenz im deutschen „RezipientenPassiv“ mit bekommen/kriegen/erhalten. In: LEUSCHNER, TORSTEN / TANJA MORTELMANS / SARAH DE GROODT (Hg.): Grammatikalisierung im Deutschen. Berlin/New York: de Gruyter, 211–228. BARBIERS, SJEF et al. (2005): Syntactische Atlas van de Nederlandse Dialecten Deel I / Syntactic Atlas of the Dutch Dialects Volume I. Amsterdam: Amsterdam University Press. BARBIERS, SJEF et al. (2008): Syntactische Atlas van de Nederlandse Dialecten Deel II / Syntactic Atlas of the Dutch Dialects Volume II. Amsterdam: Amsterdam University Press. BELLMANN, GÜNTER (1986): Zweidimensionale Dialektologie. In: BELLMANN, GÜNTER (Hg.): Beiträge zur Dialektologie am Mittelrhein. Stuttgart: Steiner (Mainzer Studien zur Sprachund Volksforschung. 10), 1–55. BREMER, OTTO (1895): Beiträge zur Geographie der deutschen Mundarten in Form einer Kritik von Wenkers Sprachatlas des Deutschen Reichs. Leipzig: Breitkopf und Härtl (Sammlung kurzer Grammatiken deutscher Mundarten. 3). COOK, PHILIPPA (2006): The datives that aren’t born equal. Beneficiaries and the dative passive. In: HOLE, DANIEL / ANDRÉ MEINUNGER / WERNER ABRAHAM (Hg.): Datives and Other Cases. Between argument structure and event structure. Amsterdam: Benjamins, 141–184. CORNIPS, LEONIE / WILLY JONGENBURGER (2001): Elicitation techniques in a Dutch syntactic atlas project. In: BROEKHUIS, HANS / TON VAN DER WOUDEN (Hg.): Linguistics in the Netherlands. Amsterdam/Philadelpha: Benjamins, 53–63. CRITCHLEY, DAVID H. (1983): Application of a case framework to grammaticalization in German. In: Studia Linguistica 37(2), 135–145. DIEDRICHSEN, ELKE (2008): The grammaticalization of the bekommen-passive in a RRG-perspective. In: KAILUWEIT, ROLF / BJÖRN WIEMER / EVA STAUDINGER / RANKO MATASOVIĆ (Hg.): New applications of Role & Reference Grammar: Diachrony, grammaticalization, Romance languages. Cambridge: Cambridge Scholars Publishing, 87–145. DIEDRICHSEN, ELKE (2012): What you give is what you GET? On reanalysis, semantic extension and functional motivation with the German bekommen-passive construction. In: LENZ, ALEXANDRA N. / GUDRUN RAWOENS (Hg.): The Art of Getting: GET verbs in European languages from a synchronic and diachronic point of view. Berlin/Boston: de Gruyter, 1163–1204. DINGELDEIN, HEINRICH J. (1994): Befragungen zum Sprachgebrauch als Problem der Dialektologie. In: MATTHEIER KLAUS J. / PETER WIESINGER (Hg.): Dialektologie des Deutschen. Forschungsstand und Entwicklungstendenzen. Tübingen: Niemeyer, 393–411. EROMS, HANS-WERNER (1978): Zur Konversion der Dativphrasen. In: Sprachwissenschaft 3, 357– 405.
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Dialekte sind produktive Sprachformen des Deutschen. Dies ist eine Eigenschaft, die man der Standardvarietät nicht a priori zuschreiben kann. Oft sind syntaktische Erscheinungen der Dialekte „logischer“, d.h. sie attestieren eher die zugrundeliegenden Strukturen bzw. Generalisierungen, die in der Standardvarietät nicht erkennbar sind, da sie durch den selektiven Konservativismus des schriftsprachlichen Stils überdeckt sind. Der Saarbrücker Runde Tisch für Dialektsyntax, der sich jährlich an der Universität des Saarlandes trifft, bietet theoretisch informierten Studien zu dieser Forschungs-
ISBN 978-3-515-11445-5
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7835 1 5 1 1 4455
richtung ein regelmäßiges Forum – die Ergebnisse des ersten „SaRDiS“ bilden die Grundlage dieses Bandes. Thematisch liegt der Fokus auf der Syntax des nominalen Bereichs und der grammatischen Kategorien, der Besetzung und Wortstellung (innerhalb) der topologischen Felder, der Satzverknüpfung sowie der Erhebungsmethodik dialektaler Daten. Die Autoren zeigen eindrucksvoll, wie durch die Berücksichtigung nicht-standardisierter Varietäten neue Erkenntnisse und Perspektiven hinsichtlich der theoretischen Syntax gewonnen werden können.
www.steiner-verlag.de Franz Steiner Verlag